I
.:'a
!
I
Digitized by (w^ooQle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Go^ >gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
^ÜNCHENER
Medizinische Woci
Ziisenduni^ sind za richten
für die SchriftleituM; Amulfstr. 26 (Sprechstunden 8^—1 Uhr),
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an ). F. Lehmann’t Verl^af^,. P,ap( Heysestrasae 26.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
CV\. Bäumler, A« Bier, M v. Qruber, H. Helferich, M. Hofmeier, H. Kerschensteiner, Fr. Lange, W. v. Leube,
Pr«fl»ttrig i. B. Berlin. München. Eisenach. Würzbnrg. München. München. Stuttgart
F. Marchand, O. v. Merkel, Fr. Moritz, Fr. v. Müller, F. Penzoldt, F. Sauerbruch, B. Spatz, R. Stintzing,
Leipzig. Nürnberg. Köln. München. Erlangen, München. , München. Jena.
Nr. 1. 7. Januar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26,
68. Jahrgang.
B«cagal,«dlii||nagen i Die Münchener Med. Wochenschrift kostet in Deutschland geradenwegs vom Verlage, sowie bei allen Postämtern und Buchhandlungen, vierteljShrlich
Mk. 20.—. Nach Oesterreich-Ungarn bei Bezug unter Kreuzband Mk. 25.—. Nach den übrigen östlichen Ländern, soweit sie nicht unter den deutschen PosttarU
fallen, Mk. 30.—. Nach dem Auslande unter Kreuzband: Belgien Frk. 18.—, Dänemark Kr. 8.—, Finnland Mk«. 28.—, Frankreich Prlc. 18.—, England sh. 7 d. 6,
Japan Jen 3.70, Italien Lire 22.—, Niederlande fl. 4.—, Norwegen n. Schweden Kr. 8.—, Schweiz Frk. 8.—, Spanien Pea. 0.—, Ver. Staaten Doll. 1.50.
Für die Länder Deutsch-Oesterreich, Ungarn und Tschechoslowakei ist der Bezug durch die dortigen Postämter zu empfehlen. Der Bezngspreis ist bei den
Postämtern zu erfragen.
Inhalt*
O rI g rl» > li eat Blecke und Hoernloke, Bin Beitrag zur Kenntnis derFsmillen-
syphllla. [Aua der UniveisltAts-Poliklinik für Haut- und Oeaohleohtsbankheiten
ln Göttingen.] 8. 1.
K e y s s e r, Neue Wege znr biologischen Dosierung der Röntgen- und Radlnm-
Btrahlen in der Geschwulstbebandlnng anf Grund neuer Feststellungen über
die Strahlenwirkung auf Impftumoren. [Aus der Chimrgiscben Unlyerslt&ts-
kllnik zu Jena.] 8. i.
Meyer und Gottlieb-Blllroth, Theorie der Narkose durch Inhalation*-
■nästhetioa. [Ans dem ohemischen Laboratorium der Akademie der Wissen¬
schaften zu Münchei^ 8. 8.
Wederhske, Eine Verbesserung der Chloroform- und Aethemarkose. [Aus
der Augnstakllnik ln Düsseldorf ] [IHustr.] 8. 9.
Pöni tz. Die Intravenöse Behandlnng von Nervenkrankheiten mit der Preglschen
JodlösoDg. (Vorl&uflge Mitteilung.) [Aus der Psychiatrischen Klinik der
üniTersttät Halle a. 8.] 8. 10.
Propping, Ist die HautJodiemng bei Banchachnitten erlaubt? 8. 11.
Ackermann, Karze B^erkungen über Curare-Ersatzpr¶te. [Ans* dem
physiologischen Institut der Universität Würzbnrg.] 8. 12.
Langendörfer und Peters, Spirochaeten im Darmkanal. [Ans dem hyglen.
Instltat und der chlrnrg. Klinik der Universität Bonn.] 8. 12.
Mengert, Silbersalvarsan bei Säuglingen mit kongenitaler Lues. [Ans dem
Städtlscbsn Säuglingsheim zu Dresden.] S. 18.
Reif, üeber gehäuftes Auftreten von Enzephalitis nach Neosalvarsan. [Ans der
Haulabteilung des Städt. Katharinenhospitals Stuttgart] 8. 14.
Käthes, Eine typische Form der Brustentzilndung im Wochenbett [Ans der
Üniversltäts-Franenklinlk ln Innsbruck.] 8. 16.
8«slale Ifedlaln und Aentllclie Standesangelegenlseltesii Lange,
Die Orthopädie und der neue Lehrplan. 8. 16.
Sardemann, Ausblick und Rückblick. S. 17.
FnrtblldniigsTortr^e und IJeberalehtarefienite: Haeoker, Die Behand¬
lung cb’.mrglscher Tuberkulosen. [Ans der Chirurgischen Unlversltltskllnik
zu Mönchen.] 8. 18.
BMehennneigen nnd Refersiet Hildebrandt, Vorm und Bntartnng des
Menschen. Norm nnd Verfall des Staates. Bet: Lens- München. 8. 2L
Jürgens, Infektionskrankheiten. Ref.: Pen so 1 d t. S. 21.
Lehmann nnd Nenmann, Lehmanns MedlsinlscheHandatlanten. Bakterio¬
logische Diagnostik. Ref.: H a u s e r. 8. 2L
Krnse, Einführung in die Bakteriologie. Bef.: Rlmpan-Bolln-Münohen
8 . 22 .
Berrligkoffer, Oesohleohtliohe Anlklämog. Die erste Gesohleobtssfinde.
Ref.: Nassauer -München. 8. 29.
Neueste Jonrnalli teratnr: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 169. Bd..
1.—6. Heft. — Archiv für kllnlschg Chirurgie. Bd. 114, Heft 2. - Zentralblatt
für Chirnrgle. Nr. 60 u. 61. — Zentralblatt für Gynäkologie. Nr 61. — Archiv
für Verdauungskrankbeiten mit Einiehluss der Stoifwechselpathologie nnd der
Diätetik. Bd. 26, Heft 6. u. 6. — Archiv für experimentelle Pathologie und
Pharmakologie. 87. Bd., Heft 1 n. 2. — Denteche medizinische Wocheeschrift.
Nr. 48 u. 49. — Schweizerische medlzinliohe Wochenschrift. Vr. 42—44. —
Amerikanische Literatur. 8. 22.
Verelu»- nad Kuugromberlebtet Berliner medizinische Gesellschaft,
22. Dezember 1990. 8. 97.
Berlin, Verein für Innere Medizin nnd Klndefheilknnde, 90. Desember 1920.
8. 27.
Frankfurt a. M., AerztlJcher Verein, 7. Jnni 1990. 8. 28
Göttingen, Medizinische Gesellschaft, 4. und 18. November 1990. 8. 98.
Kiel, Medizinische GeseUschaft, 29. Juli 192(^ S. 28.
Leipzig, Medizinische Gesellschaft, 4. Mai 1990. 8. 98.
Mainz, Aerztlicher Kreisverein, 14. November 1990 8. 99.
München, Biologische Gesellschaft. 8. 80.
Verein der Aerzte in Steiermark, 4., 11., 18. n. 25. Jnni u. 9. Jnll 1920. 8.80.
Wien, Gesellschaft der Aerzte, 17. Dezember 1920. d. SL
Kletae Mlttelluageut Aerztliche Kalender für 1921. — The rapentische
Notizen: Die Rolle der Proteine bei der Aetiologie des Kopfschmerzes. —
Die dluretlsche Wirkung des Ghiorkallums und die Bolle der alkalischen Salze
bei der Pathogenese der Oedeme. 8. 81.
Tagesgeaehlebtllebe Motlseui Geschäftsansschnss des Deutschen Aerztevereins-
bundes. — Ferienbeginnfrage. — Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege
in Sachsen. — Lehrstelle für Naturheilkunde in Hamburg. — Deutsche Aerzte
in Italien. — Bekämpfung des Gelbfiebers — Geburtenkrlsls im belgischen
Kongo. — Kampfgase in England. — Kongressnschriobten. — Pensionsverein. —
Hochsohulnaohrichten: Berlin, Bonn, Heidelberg, Leipzig, Tübingen;
Wien. - Landan f. 8. 92.
Bekanntmachnng. (MiUeilnng.) 8. 89.
Die alleinige Anzeigenannahme
J* F. Lehmann*s Verlag, München, Paul Heysestr. 26.
.......... Wir verweiaen a\if Seite 9 des Inseratenteils. .......
"Woirtvolle des IVloirplxirss
-von geringerer Glfflgkeil.-
DIONIN I E.UKODAL
reixlindemdes Mittel bei kaUrrhalisohen und ent-
xttndliehen Erkrankungen der Atemwege, Schnupfen,
Reiz- and Krampfhasten, Kenchhosten, Laryngitis,
Bronchialkatarrh, Pneamonie, Phthisis polmonnm.
sohmerzstillendes Mittel bei bronobitischen and plearitisohen Schmerzen,
Beschwerden der Phthisiker, Nenralgien, Koliken, Krampfznstünden
bei Dysmenorrhoe, Ulens- and Karzinomsohmerzen, Verletznngen.
Verbrennnngen, postoperativen Schmerzen.
Dionin^T^&blettcn E|rtiK.ocIal*Tal>l©tt©ii
- . _ 4,(X)6 g, Röhrohen mit 10 und 20 Tabletten,
zu 0,03 g^ . * , , I
0,016 g nnd 0.01 g, KuKodal-Ampullen
Röhrchen mit 25 Tabletten. | v 0,01 nnd 0,02 g, Schachteln mit 6 and 10 Amp.
—-LUercälur atur Verfügung . .. ■ - ---
K. TMLEK-OK, chexxi. IPahrik,
Abteilung Berlin: W. 35, Schöneberger Ufer 47, Fernruf: Amt Lützow Nr. 797 und 798
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MüNCHnNf:Rj^£Di:^!{i!ä£]ig w
^ Helon %
rableiten
'^iiksamstes
Antineur nlgiV aiTn
aforHgc Schmerzstillung ohne
nangenehme Nebenwirkung /
iel wirksamer wie die bisher
jch in Deutsdriand angewen-
eten französischen Spezialitäten
Igoaattnc und Cacheh Faivre |
> Zudiiss-
I Bäder
1 Kahljensduidtoder
i .inildenKisserv'
I Bäder
I ktistallMnre
1 Sauerstoffbädiex
sf3uqfji:xi±>
Oie Kissen sättigen das Bad in
vollkommenster Weise mit COa,
die sich gleichmäbig u. kleinperlig
am Körper des Badenden ansetzt
Gleidimäbige starke
O-Entwickluirg
Keine Abscheidungen
^ Silvana-^
I Bssenzen
f aromatische Kiefer-
nadel-aKolmusbäder
Sfhranal
Klefemadel'Bodezusatf
In trockener Form
[Kein. 2^r5±örerLder Einfluss aiif die Badewarmen!
ZcOuiposial
imibidogisdier |
Saueislxslfwiihuiig 1
Katalyse der Fremdkörper des
Mundes, so dab sic absolut ge¬
ruchlos werden und mit Leichtig¬
keit aus dem Munde und den Z4h-
nen weggespQlt werden können
/ Biologbche Zabnreinigung / I
[.ilexciiw ii.Pjroben kostenlos durch fohrik Max !EIb*ü*m*b«Il«l)resdenAl
Renofomi'Sdinapfcnpulvcr
das wirksame Prinzip der Nebenniepe.
Renoform 1:2000 c. Acid. boric. et Sacch. Lact
Thyreoidintabletten k 0,1 u. 0,3 frischer Drtisensubslanz.
B ID % Erfolg angewandt bei Störungen,
min" ESSBllZ %I^Ql KB ■ ■ tt bedingt durch Nenrasthenie, Kysteria.
Anämie, Impotenz a a., ferner bei Uebermhdung und in der Hekonvalescena
„Spepmin-Lösnng (steril) Ißr lii|ectlonen.**
Sämtliche Organ-Extracte (steril) zu Injectionen. Llterttar inr Verfügung.
Or*. F'ireia.nci &. Dir. l^edlioH, Bei:*lin Pi;'VV. ö*
Digitized
Goi 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Dr. Wander’s ovomanine
Dr. wnd.. TTockenmaizextrakt
Für alle Zwecke
der forcierten Ernährung finden diese- Malzpräparatc vermöge ihrer hervorragenden
Eigenschaften — hoher Nährwert, leichte Verdaulichkeit, appetitanregende Wirkung und
Wohlgeschmack — ausgiebige Verwendung; klinische Gutachten stehen zur Verfügung.
Die Fabrikation unserer Malzpräparate Dp. A. WandOP G. m. b. H.
ist nunmehr freigegeben; dieselben ^
sind in allen Apotheken zu haben. OStnOTGn, RhGlnhGSSCn.
MÜNCHENER
MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
HERAUSOEGEBEN
VON
Ch. Bäutnler, A. Bier, M.v.Gruber, H.Helferich, M. Hofmeter, H.Kerschensteiner, Fr. Lange, W.v.Leube,
Freiburg i. B. ■ Berlin. München. Eisenach. Würzburg. München. München. Stuttgart.
F. Marchand, G. v. Merkel, Fr. Moritz, Fr. v. Müller, F. Penzoldt, F. Sauerbruch, B. Spatz, R. Stintzing,
Leipzig. Nürnberg. Köln. München. Erlangen. München. München. Jena.
SCHRIFTLEITUNG;
HOFRAT DR. BERNHARD SPATZ
PRAKT. ARZT.
LXVm. JAHRGANG.
MÜNCHEN
VERLAG VON j. F. LEHMANN
1921 .
Digitized b’
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Preis der einzelnen Nummer 2.— Jt. * Bezug^spreis in Deutschland
• • • und /.usland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Anzeigenschluss immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendufigpn;s'«d; ziV/ichten - ' !•
für die Schriftleitung;, Arnulfstr. 26 (Spredhstundtfn Uhr),
für Beztig, /\nzeyen*iwHi Iieilagei\: ^
an J. F. Lehmann*$ .V-ej'lag, !IM26.
Medizinische Wochenschrift
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 1. 7. Januar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrassc 26.
68. Jahrgang.
Der Vertag behält sich das aussohliessliche Recht der YervteUältigang and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der Universitäts-Poliklinik für Haut- und Geschlechts¬
krankheiten in Güttingen.
Ein Beitrag zur Kenntnis der Familiensyphilis.
Von Prof. Dr. Erhard Riecke und Dr. phil. Elisabeth
Hoernicke, cand. med.
Schon in den Kriegsjahren hörte man in Aerzte- wie auch Laien¬
kreisen die Ansicht vertreten, dass die Geschlechtskrankheiten durch den
Krieg stark zunehmen würden. Und heute geht der allgemeine Eindruck
dahin, dass die Durchseuchung der Bevölkerung weite Kreise gezogen
hat; soweit statistisches Material vorliegt, lässt sich an der Tatsache
solcher weiten Verbreitung der Geschlechtskrankheiten nicht zweifeln.
War es früher ein wenn auch unerwünschtes Vorrecht der grossen und
mittleren Städte, Geschlechtskranke in nennenswerter Zahl zu beher¬
bergen, so ist in neuerer Zeit, wohl zweifellos infolge des Weltkrieges
mit allen seinen unheilvollen Auswirkungen, das Virus der Geschlechts¬
krankheiten auch in die Bevölkerungskreise kleiner Ortschaften und des
platten Landes eingedrungen und wirkt hier, wie es scheint, bisweilen
in geradezu verheerender Weise. Eine besonders traurige Er¬
scheinung bildet dabei die Familiensyphilis, das heisst
die endemische Verbreitung dieser Krankheit unter
den Mitgliedern einer Haushaltung. Es ist dies ja keine
neue Erscheinung, aber es will uns dünken, dass häufiger als früher solche
Vorkommnisse an der Tagesordnung sind. Im Einklang damit steht der
Erlass des preussischen Ministeriums für Volks Wohlfahrt zwecks Mass¬
nahmen gegen die Zunahme der Erbsyphilis aus allerjüngster Zeit.
(M.m.W. 1920 Nr. 44.)
Es ist verständlich, dass einschlägige Beobachtungen oft nicht zur
Mitteilung kommen; denn es sind Hausärzte, vielbeschäftigte praktische
Aerzte, die oft zuerst von diesen Dingen Kenntnis erhalten. Immerhin
will es aber doch scheinen, als ob gerade über Familiensyphilis in den
letzten Jahren öfters als sonst berichtet wird. Es sei erinnert an die von
Werth er (M.m.W. 1918 Nr. 11 S. 288) mitgeteilten Beispiele.
Ueberaus instruktiv ist der Fall 1 der W e r t h e r sehen Mitteilung,
Vater, Mutter und 5 Töchter betreffend. Bemerkenswert dabei ist der
Befund von Tonsiilenschankern bei 4 Schwestern dieser Familie. Auch
der 2. Fall Werthers ist bedeutsam, insofern eine Mutter 4 Knaben
m erster Ehe mit ihrer Syphilis ansteckt; und zwar erkranken 3 auf
(fern Wege der Tonsillarinfektion. Aehnlich sind die übrigen 16 von
Werth er mitgeteilten Beobachtungen solcher Syphilisendemien.
Nicht minder interessant ist unter anderem die eine Beobachtung
von Gerber (D.m.W. 1920 Nr. 40). Die älteste Tochter einer Familie
wird infiziert, bringt ein luetisches Kind zur Welt und dies infiziert die
Eltern des Mädchens, 3 Schwestern und das eheliche Kind einer 4. Schwe¬
ster, während diese allein frei bleibt. Der Primäraffekt war in allen
6 letzten Fällen an der Lippe oder Tonsille nachweisbar.
Auch in der Göttinger Universitätsklinik für Haut-
und Geschlechtskrankheiten wurde eine Anzahl von Kran¬
ken beobachtet, deren Syphilis längere Zeit unerkannt geblieben war und
Im engen Familienkreise sich meist auf extragenitalem Wege verbreitet
batte. Es dürfte von Interesse sein, hierüber Genaueres zu berichten.
Das Bemerkenswerte an der Ausbreitung ist, dass nicht nur, wie früher.
Erwachsene auf genitalem Wege infiziert werden oder Kinder damit
kongenital belastet sind, sondern dass gesunde, lebenskräftige Kinder
vormals gesunder Eltern angesteckt werden von Erwachsenen oder Kin-
cem durch den Umgang, wie er unter nahen Verwandten üblich ist,
und dass anderseits das Greisenalter nicht verschont bleibt.
Einschlägige Vorkommnisse häuften sich während der le'tzten
irei Monate in der hiesigen Klinik in auffälliger Weise, so dass es
angebracht erschien, eine Zusammenstellung derselben vorzunehmen. Im
einzelnen seien folgende bemerkenswerte Beobachtungen mitgeteilt.
T.
Im Juli 1920 kommt zur Aufnahme in die Klinik die 28 jährige Ehefrau W.
S. mit ihrem 7 jährigen Sohn Hans. Die Frau gibt an, dass seit längerer
Hans immer elender wird, ohne dass sie sonst etwas Auffälliges bemerkt
Auf Befragen stellt sich heraus, dass auch sie sich seit langem schwach
i"*!! krank fühle. Sie ahnt nichts von der Natur ihrer Krankheit. Von einer
"iektion weiss sie nichts.
1. Befund bei Hans W. (Sohn).
Kleiner schmächtiger, 7 jähriger Knabe in schlechtem Ernährungszustände,
‘•mangelhafter Muskulatur und von blasser Hautfarbe, Auf dem Kopfe be-
Nr. 1.
steht ein Haarausfall derart, dass zahlreiche zerstreute kahle Stellen von
durchschnittlich Linsen- bis Fingernageigrösse auffallen bei sonst völlig un¬
veränderter Beschaffenheit der Kopfhaut. Rachenschleimhaut gerötet. Auf
beiden Gaumenbögen dünner weisslichgrauer Belag. An der Innenseite der
Unterlippe sowie am rechten Zungenrand einzelne linsengrosse Schleimpapeln
ebenfalls mit grauweissem Ueberzug. Halsdrüsen, Leistendrüsen bohnengross
und derb, indolent. Kein Hautausschlag, keine Erscheinungen am Genitale
und am Anus. Herz, Lunge, Reflexe ohne Besonderheiten. WaR. im Blut
positiv. Drüsenpunktion: Spirochäten positiv.
Diagnose: Syphilis II florid.: Alopecia specifica, Angina
papulosa, Schleimhautpapeln am Zungenrand, Scleradenitis multiplex.
2. Befund bei Frau Johanne W. (Mutter).
Blasse zarte Frau von 28 Jahren mit schlaffer Muskulatur, in dürftigem
Ernährungszustand. Am Hals, besonders seitlich und hinten zahlreiche,
weisse, linsenförmige Fleckchen mit netzförmig zusimmcnfliessender über¬
mässig braun pigmentierter Umgebung. Halsdrüsen deutlich vergrössert, hart,
leicht beweglich und indolent. Mund- und Rachenschleimhaut ohne krank¬
hafte Erscheinungen, aber sehr blass. Rumpf und untere Extremitäten zeigen
ein weitverbreitetes reichliches, in Gruppen zusammenstehendes düsterrotes
Fleckenexanthem. Manche der Herde sind verwaschen, die Einzclefflores-
zenzen fingernagel- und darüber gross. Am Genitale kein krankhafter
Befund. Leistendrüsen bohnengross, schmerzlos. Herz, Lunge, Reflexe: o. B.
Wassermann im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis II flo/id.: Roseola recidiva, Leucoderma
colli, Scleradenitis multiplex.
Beide Patienten werden wegen ihrer floriden Syphilis für einige Wochen
in die Klinik aufgenommen, um danach ambulant weiterbehandelt zu werden.
Dabei wird Frau W. aufgefordert, auch ihren Mann und ihr jüngstes Kind
zur Klinik mitzubringen.
3. Befund bei Walter W. (Vater).
Es lassen sich keine für Syphilis verdächtigen Zeichen erkennen. WaR.
im Blut negativ.
4. Befund bei dem jüngsten Kind Walter W. (Bruder).
2 jähriges, in der Entwicklung zurückgebliebenes Kind in schlechtem Er¬
nährungszustand und von blassem Aussehen. An der rechten Unterlippen¬
hälfte, nahe der Mitte, eine weisse etwa bohnengrosse, scharf umschriebene
Narbe. Allgemeine DrUsenschwellung. Zirkumanal bis an die Afteröffnung
reichend findet sich eine Anzahl breit aufsitzender, oberflächlich abgeplatteter,
mit weissem Belag bedeckter, papulöser nässender Infiltrate. WaR. im Blut
positiv.
Diagnose: Syphilis II florid.: Condytomata lata ad anum.
Scleradenitis multiplex, Narbe an der Unterlippe.
Auf nunmehr genaues Befragen der Mutter macht dieselbe folgende
Angaben:
Im August 1919 weilte die Schwester des Mannes, eine ledige Fabrik¬
arbeiterin aus Berlin, auf 14 Tage bei der Familie W. zu Besuch. Sie be¬
schäftigte sich viel mit dem jüngsten Kind Walter und küsste es auch. Nach
diesem Besuch „war es nicht mehr so recht“ in der Familie. Im September
1919 zeigte sich bei Walter ein Bläschen an der Unterlippe, das gar nicht
wieder heilen wollte. Es wurde beim Arzt wiederholt gebeizt, bis es schliess¬
lich heilte. Gegen Weihnachten 1919 hatte auch Frau W. ein Bläschen an der
Lippe. Seit der Zeit fühlt sie sich elend und müde. Sie erinnert sich auch.
Halsentzündung und geschwollene Drüsen gehabt zu haben. Im April 1920
bemerkte sie einen fleckigen Ausschlag an den Beinen. Das Unbehagen war
wechselnd und nicht so erheblich, dass sie einen Arzt deshalb befragte. Sie
gibt weiter an, dass etwa gleichzeitig mit ihr auch der 7 jährige Hans zu
kränkeln anfing. Ein Geschwür hat sie nirgends an ihm bemerkt. Als Hans
nicht mehr essen wollte und sich Kräfteverfall einstellte, kommt sie mit ihm
zur Klinik.
Doch ist damit die Syphilisendemie in der Familie
W. noch nicht zu Ende.
Am 24. September 1920 kommen, vom Hausarzt unserer Patientin ge¬
schickt, die Mutter und Schwester derselben, die am gleichen Ort
wohnen, mit der Angabe, dass bei ihnen wohl die gleiche Krankheit bestehe
wie bei Frau W. und ihren Kindern.
Die Mutter von Frau W., eine Frau von 56 Jahren, berichtet:
Während Frau W. in der Klinik weilte, hatte sie, die Qrossmutter, ihr
2 jähriges Enkelkind, den oben erwähnten Walter W. zu sich in Pflege ge¬
nommen. Dabei kam dieses Kind in nächste Beziehung zu seiner Tante, der
Schwester seiner Mutter, einem 15 jährigen Mädchen Marie. Von dieser
wurde das Kind viel geküsst und gehätschelt, da man von seiner Krankheit
nichts wusste. Anfang September 1920 bemerkte die Grossmutter bei sich ein
Bläschen an der Lippe. Es heilte nicht; vielmehr trat bei ihr und ihrer
Tochter, der eben erwähnten Marie, Schwellung der Halsdrüsen auf. Beide
wurden blass und elend. Als dann die Grossmutter Kenntnis von der Krank¬
heit ihres Enkelkindes hatte, begab sie sich mit Marie zum Arzt, der beide
Patienten nunmehr der hiesigen Klinik überwies.
5. Befund bei der Frau Henriette W. (Qrossmutter).
Qutgenährte, auffallend blasse Frau von 56 Jahren. In der Mitte der
Unterlippe sieht man eine über linsengrosse, scharf umschriebene weissllche
Narbe. An der Mundschleimhaut zeigt sich ausser starker Blässe keine Ver¬
änderung. Die Halsdrüsen sind derb infütriert, leicht beweglich, schmerzlos.
2
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
2
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
Unter deip '.fpfilj* 'min eintf. tAubeneigrosse Drüse, die nicht schmerz-
empfin.^ijich .‘^staann 4ind • Extrenrttäten sind von einem dichten blassroten
Exanthem befallen. Eine Gruppierung von Effloreszenzen ist nicht erkennbar.
Die Einzelflecke sind nicht über linsengross und ziemlich scharf umschrieben.
Genitale o. B. WaR. im Blut positiv. Spirochäten im DrUsenpunktat positiv.
Diagnose: Syphilis II florid.: Roseola. Scleradenitis multiplex,
Narbe an der Unterlippe. Anämie.
6. Befund bei Marie W. (Tante).
Auffallend blasses, für sein Alter normal entwickeltes 15 jähriges Mädchen.
Nirgends sind Reste eines Primäraffektes zu entdecken. Ausser einer starken
Anämie und derber, schmerzloser allgemeiner Drüsenschweilung ist keine
krankhafte Veränderung wahrnehmbar. WaR. im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis II laten s.: Scleradenitis multiplex, Anaemia
specifica.
Es handelt sich also im vorliegenden Fall um eine Syphilis-
endemie in einer Tköpfigen Familie. Mit Syphilis
behaftet wurden dabei 6 Mitglieder befunden, ein¬
gerechnet die Tante der Kinder — Schwägerin der
Mutter, welche offenbar als Quelle der Endemie in
Frage kommt; Grossvater und Vater sind frei von Erscheinungen.
Der Vater zeigt jedenfalls bei klinischer und serologischer Untersuchung
keine Symptome, wahrend das Freisein des Qrossvaters von Krank¬
heitserscheinungen sich allerdings lediglich auf anamnestische Daten von
seiten der anderen Familienmitglieder stützen kann. Krank befun¬
den werden Grossmutter, Mutter und Tante und zwei
männliche Kinder. Die Uebertragung in der Familie dürfte wohl
zweifellos von Mund zu Mund erfolgt sein, sofern nicht etwa an eine
indirekte Uebertragung durch Ess- und Trinkgeschirr gedacht werden
kann. Jedenfalls sprechen die Befunde an der Unterlippe bei 3 Familien¬
mitgliedern wohl mit grösster Wahrscheinlichkeit dafür, dass hier der
Primäraffekt bestanden hat, zumal eine ausgesprochene regionäre Lymph-
drüsenschwellung noch bei ihnen vorhanden ist. Als durchaus ungewöhn¬
lich muss das Freisein der beiden erwachsenen männlichen Familien¬
mitglieder erscheinen, da ja doch meistens von diesen aus die Ein¬
schleppung der Krankheit erfolgt. In der vorliegenden Familienendemie
ist es nun überaus bemerkenswert, dass nahezu sicher als Ansteckungs-
Quelle sich die Schwägerin der Mutter ergibt, welche als ledige Fabrik¬
arbeiterin aus Berlin zu Besuch iq der Familie weilte. Aus den Zeit¬
angaben, welche die Frau W. macht, lässt sich berechtigter Weise auf
diese Infektionsquelle schliessen.
II.
Am 2. September 1920 bringt der Kaufmann A. aus M. seinen 9 jährigen
Sohn Enno. Er fürchtet, dass der Junge von der Syphilis seiner Eltern
angesteckt sei, da er seit einer Woche auf der Wange eine pfenniggrosse
Kruste hat.
1. Erster Befund bei Enno A.
Gesunder, blühender 9 jähriger Knabe. Auf der rechten Wange finger¬
breit oberhalb und innerhalb des Kieferwinkels eine pfenniggrosse Effloreszenz,
bestehend in einer dicken, honiggelben, nicht mehr durchscheinenden Kruste.
Dieselbe haftet der Basis einigermassen fest an. Bei Lockerung am Rande
zeigt sich ein leicht blutender flacher Defekt. Seine Ränder sind flach und
nicht derb infiltriert. Es besteht auf der rechten lialsseite geringe, schmerz¬
hafte Drüsenschwellung. Sonst .ist kein krankhafter Befund vorhanden.
Diagnose: Impetigo Simplex faciei.
Der Kranke wird in 8 Tagen wiederbestellt. Aber erst Ende September
fast 4 Wochen später kommt die Mutter mit dem Kranken wieder. Sie hat
das Kind mit der seinerzeit hier verordneten Salbe behandelt. Nach vorüber¬
gehender Besserung durch Auflockerung der Kruste hat sich später jedoch
wieder eine Verschlimmerung eingestellt, die nunmehr die Mutter veranlasst,
die Klinik wieder aufzusuchen.
Die Mutter macht folgende Angaben:
Im Januar 1920 erkrankte ihr Mann und bald darauf sie an Syphilis, beide
mit Primäraffekt am Genitale. Sie machten beide zwei gemischte Kuren im
Februar und im Mai 1920. Der Mann hat seitdem keine Erscheinungen mehr
bemerkt. Sie selber hat fast dauernd Beschwerden gehabt. Einen Ausschlag
über den Körper hat sie nicht bemerkt; doch hat sie seit Beginn der Krankheit
sehr häufig Kopfschmerzen gehabt, besonders nachts. Im März 20 sei der
Knochen des rechten Oberarmes und linken Unterschenkels geschwollen und
schmerzhaft gewesen, Erscheinungen, die sich durch die Kur im Mai wieder
gebessert hätten. Im August 20 begann die Frau A. die dritte Kur, namentlich
wegen heftiger Kopfschmerzen. Und zwar bestand die Kur, welche von ihrem
Hausarzt vorgenommen wurde, in der Verabreichung von intramuskulären
Sublimatspritzen und intravenösen Salvarsanin]ektionen. Nachdem sie je drei
Injektionen in etwa wöchentlichen Abständen erhalten hatte, entwickelte sich
ziemlich plötzlich ein weitverbreiteter Ausschlag am Körper ohne subjektive
nennenswerte Beschwerden. Der Arzt schrieb dieses Exanthem der Wirkung
des Quecksilbers zu, und unterbrach die Gesamtkur.
2. Befund bei der Mutter, Frau A.
Zarte Frau von 38 Jahren in leidlichem Ernährungszustand, ^s besteht
Rötung und Schwellung der Tonsillen und der Qaumenbögen mit weisslich
dünnem Belag der rechten Tonsille. Innen vom rechten Mundwinkel, auf der
Wangenschleimhaut eine fingernagelgrosse Schleimpapel. Alle fühlbaren
Lymphdrüsen sind hart geschwollen und indolent. Weit verbreitet an der
ganzen Haut unter Aussparung des Kopfes, der Hände und der Füsse findet
sich ein aus dicht gesäten, lebhaft roten Flecken bestehendes Exanthem. An
vielen Stellen zeigt sich eine Konfluenz der Effloreszenzen namentlich an der
Vorderfläche des Stammes. An den Einzelherden, welche durchschnittlich
fingernagel- bis kleinmünzengross erscheinen, fällt vielfach die Neigung zu
ausgesprochener Ringbildung auf. Besonders die stark entzündliche Rötung
an vielen Teilen der auf Druck fast völlig abblassenden Effloreszenzen bei der
durchaus unregelmässigen Verteilung der Herde an weiten Hautstrecken be¬
reiten der Diagnosenstellung einige Schwierigkeiten. Immerhin ergab der
klinische Aspekt, dass es sich weder um ein Quecksilberexanthem noch um
eine Salvarsandermatitis handeln konnte. Es wurde hinsichtlich des Aus¬
schlages exspektativ verfahren, alle äusseren Einwirkungen ansgeschaltet und
die Kranke nach einigen Tagen erneut untersucht. Nunmehr ergab sich, dass
das Exanthem wesentlich von seiner EntzOndungsröte verloren hatte; dagegen
hatte es sich weiter ausgebreitet und eine düsterrote bis bräunlichrote Färbung
angenommen. Diese Zustandsänderungen ermöglichten es jetzt, mit Sicherheit
die Diagnose auf ein makulöses Syphilid zu stellen. WaR. im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis 11 florid. Roseola recidiv. (annularis et
confluens) Angina papulosa. Schleimpapeln. Scleradenitis multiplex.
Der von der Patientin mitgebrachte obenerwähnte Sohn Enno wurde
nun ebenfalls wieder untersucht. Es lässt sich jetzt folgender Befund
erheben.
3. Zweiter Befund bei Enno A.
Mit der allgemeinen Körperentwicklung des Knaben in Widerspruch
besteht eine auffallende Blässe der Haut und der sichtbaren Schleimhäute.
An der Wange fingerbreit oberhalb und innerhalb des rechten Kiefer¬
winkels, da wo seinerzeit die obenerwähnte Impetigoeffloreszenz bestand,
zeigt sich jetzt ein auffallendes Geschwür von Zweipfennigstückgrösse. Der
Defekt umgreift die mittlere Kutisschicht; und zwar vertieft sich das Ge¬
schwür muldenförmig nach der Mitte zu. Der Rand setzt sich scharf gegen
die Umgebung ab, fühlt sich derb an und ist deutlich überragend. Der
Geschwürsgrund ist zum Teil etwas glänzend, serös durchfeuchtet, dabei
missfarben, graurötlich und teilweise scheckig belegt bei spärlicher Granu¬
lationsbildung. Der untere, wallartige Geschwürsrand ist stark infiltriert
und diese Infiltration setzt sich kontinuierlich fort bis zu den seitlichen, über¬
walnussgrossen, indolenten Submaxillarlymphdrüsen von luftpolsterartiger
Konsistenz. Es besteht Rötung und Schwellung der Tonsillen, deren linke
von einem dünnen, grauweissen Belag überzogen ist. Auf dem Rücken
ist ein spärliches Exanthem vorhanden aus unregelmässig verteilten, kaum
linsengrossen, flachen, bräunlichroten Papeln. WaR. im Blut positiv. Spiro¬
chätenbefund in Primäraffekt und regionären Lymphdrüsen positiv.
Diagnose: Syphilis I und II florid., Ulcus durum in der
Gegend der Fossa canina, Scleradenitis multiplex, Angina papulosa, lenti¬
kuläres papulöses Syphilid.
Es handelt sich hier um eine verhältnismässig
kleine Familienendemie, deren Zustandekommen den
Stempel des Typischen an sich trägt. Der Mann in¬
fiziert sich ausserehelich am Genitale. Er überträgt
durch den ehelichen Verkehr die Krankheit auf seine
Frau. Von der Frau dürfte vermutlich durch Lieb¬
kosung die Syphilis auf den 9jährigen Sohn über¬
tragen sein. Dabei ist zu erwägen, ob die ursprüngliche Impetigo
eine dem Primäraffekt aufgepfropfte Erscheinung war, oder ob die Im¬
petigo das Primäre war und die damit einhergehende Epithelläsion eine
gegebene Eingangspforte für das syphilitische Virus darbot. Nach dem
zeitlichen Verlauf lässt sich diese Frage im vorliegenden Falle nicht mit
Sicherheit entscheiden. Hinsichtlich der Bewertung der kindlichen Syphi¬
lis und ihrer Herkunft hat übrigens diese Frage eine untergeordnete
Bedeutung.
III.
Ganz ähnlich wie in der letzten Beobachtung liegen die Verhältnisse
in der folgenden:
Die fünfköpfiKe Familie des Mühlenarbeiters B. ans S. war bisher stets
sesund. Der Mann ist 48 Jahre alt, die Frau 46 Jahre alt, der älteste Sohn
von 24 Jahren wohnt zu Hause. Die 20 jährige Tochter ist in Stellung
ausserhalb. Der jüngste, 7 jährige Sohn wohnt bei den Eltern. Im Sep¬
tember 1920 kommen der Mann und die Frau zur Klinik wegen einer ihnen
unheimlichen Hautkrankheit, von der sie glauben, dass es eine Geschlechts¬
krankheit sei. Von einer Infektion wissen sie nichts anzugeben. Sie sind in
einem Zustand tiefster seelischer Depression, dass ihnen in ihrem Alter so
etwas noch ankommen müsse. Der Mann erzählt, dass er im Juli ein
Geschwür am Genitale gehabt habe. Kurz danach hatte das siebenjährige
Söhnchen nässende Geschwüre am After gehabt. Und etwa wieder eine
Woche später habe seine Frau Geschwüre am Genitale gehabt. Seit mehreren
Wochen fühlen sich beide Eltern elend, haben nachts Kopfschmerzen und
schlafen nicht mehr. Seit einigen Tagen bemerken sie einen Ausschlag am
Körper.
1. Befund bei dem Ehemann B.
Kräftig gebauter 48 jähriger Mann von auffallend blasser Gesichtsfarbe
und verstörtem Gesichtsausdruck. Es besteht ziemlich abgegrenzte Rötung
und Schwellung der Rachenorgane ohne Beläge. Hals- und Ellenbogendrüsen
bohnengross, Leistendrüsen walnussgross, sämtlich indolent.' Am behaarten
Kopf zeigt sich ein Haarausfall, der in linsengrossen, umschriebenen Herden
auftritt, ohne sichtbare Veränderung der Kopfhaut. Am Genitale und Anus
zahlreiche, breitaufsitzende, warzig zerklüftete Erhebungen mit schmieriger,
grauweiss belegter Oberfläche. An der Haut des Stammes und der Extremi¬
täten finden sich wenige unregelmässig verstreute Pusteln mit braunroter
Randfärbung, infiltriertem Saum, von Linsen- bis. Stecknadelkopfgrösse. Im
Sulcus coronarius nahe dem Frenulum eine bräunlichrote, flache, scharf um¬
schriebene Narbe.
WaR. im Blut positiv, Spirochäten im Leistendrüsenpunktat positiv.
Diagnose: Syphilis II florid., Angina erythematosa. Alopecia
specifica, pustulöses Syphilid, Condylomata lata ad genitalia et anum.
2. Befund bei der Ehefrau B.
Kräftige, gesund aussehende, 46 jährige Frau mit braunroter Gesichts¬
farbe; psychisch sehr labil. Schleimhäute gut durchblutet. An den Gaumen-
bögen und auf den Tonsillen grauweisse, durchscheinende, schleierartige
Beläge. Zähne sehr defekt. Drüsen, besonders der Leistengegend, erheblich
vergrössert, schmerzlos. Am Genitale sind die kleinen Labien hart, ver-
grössert, diffus geschwollen und besetzt mit zahlreichen ulzerierten, schmierig:
belegten, linsen- bis pfenniggrossen, erhabenen Effloreszenzen. In den ulze-
rierten Oenitalpapeln Spirochätenbefund positiv. In beiden Ellenbeugen und
Kniebeugen findet sich eine etwa handtellergrosse Fläche besetzt mit Efflores¬
zenzen, deren grösste von der Grösse einer Linse sich in der Mitte finden,
während sich die kleineren peripher angliedern. Es handelt sich um Knötchen
und Pusteln. Die Farbe der Herde ist braun- bis blaurot. Im Zentrum vieler
Effloreszenzen erhebt sich eine kleine Pustel. Ebensolche Pusteln finden sich
symmetrisch angeordnet beiderseits an der Haar- und Nackengrenze, in der
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Janoar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3
Sternoklavikalargegend und jederseits eine Pustel von Linsengrösse an der
Stirnhaargrenze, WaR. im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis II florid., Angina papulosa. Syphilis pustu¬
losa aggregata, Condylomata lata ad genitalia, Scleradenitis multiplex. Beim
nächsten Besuch in der Klinik bringen die Eheleute ihr drittes Kind mit.
3. Befund bei dem Sohn Alfred B.
Kleiner, untersetzter 7 iähriger Junge mit stark entwickeltem Panniculus
adiposus und blasser Hautfarbe. Die tastbaren LymphdrQsen erwiesen sich
überall geschwollen und indolent. Um die Afteröffnung herum finden sich
in massiger Anzahl etwa fingernagel- bis pfenniggrosse, vielfach rasenförmig
zusammenfliessende, breitbasige Papeln, welche oberflächlich ulzeriert,
nässend und grauweiss belegt erscheinen. Haut- und Schleimhaut sind sonst
frei von Erscheinungen. WaR. im Blute positiv.
Diagnose: Syphilis II florid., Papulae madidantes ad anum,
Scleradenitis multiplex.
Bei dieser kleinen Familienendemie ist besonders
aaffallend, dass die Eltern sich bereits im vor¬
geschrittenen Alter befanden, als sie die Syphilis
erwarben. Aussereheliche genitale Infektion des Mannes wird auch
hier die Wurzel alles Uebels sein. Freilich könnte man stuf Grund der
Anamnese anderer Ansicht sein, da angegeben wird, dass bald nach
Auftreten des Primäraffektes beim Mann die Analpapeln beim Kind auf¬
getreten seien; wenn man iedoch erwägt, dass die Frau etwa 14 Tage
später als der Mann die ersten Erscheinungen am Genitale bemerkte
und hei der Untersuchung ausgedehnte nässende Papeln am Genitale
aufwies, so würde es gekünstelt erscheinen, an einen anderen Zusammen¬
hang als den des natürlichen Infektes zu denken.
Diese scheinbare, auf den anamnestischen Angaben des Mannes be-
nihende Inkongruenz im Auftreten der Erscheinungen bei Vater und Sohn
ist nur wieder ein Beweis mehr dafür, wie unzuverlässig gerade
die Angaben der Syphiliskranken in bezug auf das zeitliche Auftreten
der Krankheitssymptome sind und wie vorsichtig der Arzt in der Be¬
wertung solcher Mitteilungen sein muss.
Offenbar hat also in der vorliegenden Beobach¬
tung der Mann die Frau angesteckt; und die Syphilis
des Kindes ist von einem von beiden, wahrscheinlich
von der Mutter aus, übertragen. Was die 2 älteren Kinder
dieser Familie betrifft, so hat der 24 jährige Sohn eine Untersuchung ver¬
weigert aus unersichtlichen Gründen. Die 20 jährige Tochter kommt,
da fern vom Elternhause, für die Hausendemie nicht in Frage.
IV.
Es erscheint in der Poliklinik die 14 jährige Alwine F. mit einem
grossen Qeschwflr an der Wange.
Die Eltern und Geschwister des Kindes sind angeblich .immer gesund
gewesen. Nur das Mädchen selbst war von Kindheit an immer krapk
und machte alle Kinderkrankheiten durch. In seinem 9. Jahr bemerkte die
Mutter an ihm Schwellung der Halsdrüsen und einen fleckigen Ausschlag
über den ganzen Körper und Geschwüre am Genitale. Das Befinden ver¬
schlechterte sich; die Drüsenschwellung nahm zu. 1918 brechen die Hals¬
drüsen nach aussen durch und es entwickelte sich zudem ein weitgreifendes
Geschwür, das allmählich über die ganze Wange sich erstreckte. Es erfolgte
Röntgenbestrahlung, jedoch ohne Erfolg. Im folgenden Winter überhäutete
das Geschwür, brach aber im Frühjahr 1919 wieder auf. Es entleerte
sich beim Niessakt aus der Nase- ein nekrotischer Knochenspan.
I.BefundbeiAlwineF.
Zartes, Überschlankes, unterernährtes 14 jähriges Mädchen mit blasser
Hautfarbe. Mundschleimhaut mässig durchblutet. Am Gaumenbogen zieht
eine weissliche, strahlige Narbe vom Ursprung des Zäpfchens nach den
Tonsillen. Ueber dem vorderen linken Gaumenbogen eine etwa halberbsen-
grosse, rundliche Perforationsöffnung. Die vorderen, oberen Schneidezähne
sind eingebuchtet und tonnenförmig. Der Mund ist nur beschränkt zu öffnen
infolge einer Narbe, die sich vom Ohrläppchen bis zum Mundwinkel er¬
streckt. In dieser Narbe finden sich zwei flache Geschwüre, eines vor j
dem Ohr in Daumennagelgrösse, eines von Fünfmarkstückgrösse davor mit |
progredientem Rand gegen den Mund. Der Geschwürsgrund ist uneben und
graurötlich. Eine zweite Narbe erstreckt sich am Hals hinter und unter
den Unterkieferwinkel längs dem Sternocleidomastoideus. In der Nase fehlt
die untere Muschel einseitig. An ihrer Basis rauher Knochen fühlbar.
Herz: Systolisches Geräusch an der Spitze. Puls 92. Lunge: Schall¬
verkürzung und unreines Atmen über der rechten Spitze. Auf der rechten
Schulter findet sich eine Gruppe gelbbräunlicher Knötchen von Hanfkorn-
grösse. die leicht schuppen, sonst sind am Körper keine Haut- oder Schleim-
hanterscheinungen nachweisbar. WaR. im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis congenita, Ulcera gummosa faciei, Zähne
vom Hutchinsontyp, Narben am Isthmus faucium. Rhinitis chronica specifica.
— Lichen scrophulosorum.
Daraufhin werden die Geschwister und die Mutter des Mädchens
untersucht. An keinem finden Mch luetische Krankheitserscheinungen.
Doch ergibt die Blutuntersuchung eine positive
Wassermannsche Reaktion bei der Mutter als auch
beideröjährigenundderPjährigenSchwester, während
die 13 jährige Schwester mehrmals negative Reaktion aufweist.
Ohne auf die nosologische Bedeutung der Erscheinungen bei der
14 jährigen Patientin hier näher einzugehen (der Fall wird in einer dem¬
nächst erscheinenden Inauguraldissertation ausführlich beschrieben), steht
jedenfalls fest, dass es sich um eine kongenitale Syphilis han¬
delt Wären selbst entsprechende syphilitische Stigmata nicht vorhan¬
den, so würde sich dieser Zusammenhang ergeben durch den Nach¬
weis der positiven WaR. im Blute der Mutter und
zweier Geschwister. Leider konnte der Vater zu einer Unter¬
suchung nicht bewogen werden, so dass eine bei Ihm etwa vorhandene
Krankheit nicht festgestellt zu werden vermochte. Immerhin gibt seine
Weigerung, da er doch über die Verhältnisse aufgeklärt wurde, zu denken.
Sicher lässt sich hier also nur feststellen, dass in einer ököpfigen
Familie 4 Mitglieder an Syphilis leiden, und zwar
3 davon an vererbter Syphilis.
V.
Am 2. August kommt zur Klinik Andreas M. aus G., ein sehr elender
12 jähriger Knabe. Er selbst weiss keine Anamnese anzugeben. Später
wird von seiner Mutter folgendes berichtet: Sie, die Mutter, Frau M.. hatte
aus erster Ehe 8 gesunde Kinder, keine Fehlgeburt, als sie ihren jetzigen
Mann 1917 heiratete. 1918 brachte sie ein syphilitisches Kind zur Welt, das
bald nach der Geburt Schnupfen und Körperausschlag zeigte. Es wurde anti¬
luetisch behandelt, blieb leben und ist jetzt angeblich gesund. Gleichzeitig
fanden sich beim Vater und ihr, der Mutter, Symptome einer frischen
Syphilis im Sekundärstadium, und zwar litt die Mutter an einer frischen
Roseola. Beide Eltern unterzogen sich nun einer Kur; die Frau wurde
in unserer Klinik ambulant mit Quecksilber und Salvarsanspritzen behandelt.
Sie kam aber nur unregelmässig zur Kur. Seitdem haben sich beide keiner
weiteren Kur unterzogen. Seit einigen Wochen bemerkt die Mutter den
elenden Zustand ihres Sohnes Andreas aus erster Ehe. Da es ständig
schlimmer mit ihm wurde, schickt sie ihn endlich zur Klinik.
1. Befund bei Andreas M.
Elender, für sein Alter mässig gut entwickelter 12 jähriger Knabe von
blasser Gesichtsfarbe und schlechtem Ernährungszustand. Temperatur 39®.
Am behaarten Kopfe fällt sehr deutlich eine grosse Anzahl kahler Stellen auf.
welche etwa Pfennig- bis linsengross, unregelmässig verteilt sind bei völlig
normaler Hautbasis. Mundschleimhaut an den Wangen, Lippen und am
Zungenrand besetzt mit linsengrossen, weisslichen Schleimpapeln. Die vor¬
deren Gaumenbögen zeigen neben Rötung und Schwellung beiderseits weiss¬
graue Beläge. Stimme heiser, fast tonlos. Alle fühlbaren Drüsen hart,
stark vergrössert und indolent. An der Haut des Stammes und der Extremi¬
täten findet sich in weiter Ausdehnung und dichter Aussaat ein blassrotes
Exanthem, bestehend aus etwa linsen- bis pfenniggrossen, scharfumschrie¬
benen Flecken, welche auf den ersten Blick wenig auffallen gegenüber einer
hochgradigen, dicht gesäten, aus stecknadelkopfgrossen, dunkelroten Punk¬
tationen bestehenden Hautveränderung, deren Elemente auf Druck ihren
Farbenton nicht verlieren. Um den Anus herum breitbasig warzige, ulzerierte,
schmierig belegte Papeln. WaR. im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis II florid., Roseola, Alopecia specifica.
Angina specifica, Papulae mucosae oris, Scleradenitis multiplex, Condy¬
lomata lata ad anum. Purpura pulicosa.
Die drei Geschwister des Andreas, die noch im Elternhaus weilen,
werden Ende September 1920 zur Vorstellung gebracht. Sie sind bisher
angeblich gesund bis auf den 5 jährigen Hermann. Seit wenigen Tagen
bemerkt die Mutter bei dem Jungen Geschwüre am After, da der Junge
klagt, dass im Stuhlgang Blut sei. Bei der Untersuchung der Kinder stellt
sich heraus, dass die beiden älteren, ein 7 jähriger Junge und ein 9 jähriges
Mädchen, klinisch und serologisch frei von syphilitischen Erscheinungen sind.
Dagegen ist das dritte Kind, der 5 jährige Hermann, krank.
2. Befund bei Hermann M.
Zarter, mässig entwickelter, 5 jähriger Junge von blasser Gesichtsfarbe.
Auf dem Kopf bemerkt man schwach angedeutet zahlreiche, kaum linsen¬
grosse, kahle Stellen, an denen die Kopfhaut unverändert erscheint. Am
Naseneingang eine bohnengrosse, braunrote Kruste. Mund- und Rachen¬
organe o. B. Alle fühlbaren Lymphdrüsen sind vergrössert, hart, indolent.
Zirkumanal strahiig angeordnete rhagadiforme Papeln von etwa Bohnengrösse,
die oberflächlich nässen und leicht belegt sind. WaR. im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis 11 florid., Alopecia,specifica, Condylomata
lata ad anum, Scleradenitis multiplex.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Familie von 11 Köpfen,
dem Elternpaar und 9 Kindern. Da es sich um eine in sehr bedrängter
sozialer Lage befindliche Familie handelt, waren naturgemäss alle Be¬
dingungen für eine endemische Verbreitung der Syphilis gegeben. Aus
den Angaben der Frau geht hervor, das dieselbe aus erster Ehe 8 gesunde
Kinder hatte und alsdann zum 2. Maie heiratete. Der zweite Mann
trägt nun die Syphilis in die Familie. Welche Erscheinungen
er gehabt hat, und ob er genital infiziert ist. hat sich nicht feststellen
lassen, weil er trotz mehrfacher dringlicher Aufforderung sich jeder
Untersuchung entzogen hat. Da die Frau von diesem zweiten
Ehemann ein Kind mit notorischer Erbsyphilis be¬
haftet zur Welt bringt und selber zu dieser Zeit fri¬
sche sekundäre Syphiliserscheinungen darbietet, darf
es als erwiesen betrachtet werden, zumal es auch anamnestisch zugestanden
wird, dass tatsächlich die Frau von dem Mann infiziert wurde. Das
einzige Kind aus zweiter Ehe, das 9. Kind der Frau, ist nach
den Angaben, welche der Göttinger Kinderklinik verdankt werden, bald
nach der Geburt an Syphilis, und zwar an Rhinitis und etwas
später an einem makulösen Exanthem erkrankt. Der
Wassermann war positiv. Darauf wurde es mit Salvarsan,
Schmierkur und Quecksilber innerlich behandelt. Im 2. Lebensjahr
machte es die 2. Schmierkur durch. Es hatte damals keine Erscheinungen,
doch war im Herbst 19 nach der 2. Kur die WaR. noch positiv. Als der
5 jährige Hermann mit syphilitischen Erscheinungen erkrankte, waren an
dem jüngsten Kind keine krankhaften Erscheinungen wahrnehmbar. Eine
Blutuntersuchung wurde damals nicht vorgenommen. Doch wurde eine
dritte Quecksilberkur mit innerlicher Verabreichung bei dem letzteren
ein geleitet
Auf die Kinder aus erster Ehe wird nun diese stief-
väterliche Syphilis übertragen, und zwar sind es
2 Kinder, welche an florider Syphilis erkranken, der
12 jährige und der 5 jährige Sohn. 2 weitere Kinder, welche im Eltern¬
haus wohnen, sind frei von Syphiliserscheinungen. Die übrigen Kinder
können ausser acht gelassen werden, da sie ausserhalb wohnen. Also
werden von einer llköpfigen Familie 5 Mitglieder
als syphiliskrank festgestellt
2 *
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
4
MÜNCHENEI? medizinische WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
VI.
In einer weiteren Beobachtung tritt die Syphilis in 3 aufeinander¬
folgenden Generationen einer Familie auf. Die Anamnese, soweit sie
sich auf den Grossvater bezieht, ist zuverlässig, da sie einem Kranken¬
blatt der medizinischen Klinik entstammt, das uns dieselbe freundlichst
zur Verfügung stellte. Demnach ergibt sich anamnestisch folgendes:
Der 54 jährige Gastwirt H. aus Q. wird im Sommer 1908 in die med.
Klinik eingeliefert. Es finden sich bei ihm die ausgeprägten Symptome
einer Tabes dorsalis. deren frischeste Zeichen er laut Anamnese des
Krankenblattes schon fünf Jahre früher, also 1903 bemerkt hat. 1912 erliegt
der Mann seinem Leiden, nachdem er schon 1908 völlig erblindet war.
Nach seinen damaligen, bei der Aufnahme in die Klinik gemachten An¬
gaben sind seine Frau und seine Kinder gesund. Fehl- und Totgeburten
gibt er nicht an. Die Infektion wird geleugnet.
Im September 1920 stellt sich in der Hautklinik das 5. Kind des ver¬
storbenen H., eine 30 jährige, verheiratete Frau, mit ihrem 12 jährigen Sohn
vor. Sie gibt über ihre Familie folgenden Aufschluss:
„Mein Vater hatte Syphilis, das weiss ich bestimmt. Mit meiner Mutter
und meinen Geschwistern bin ich zerfallen, denn sie wollten mir keine Aus¬
kunft geben über die Krankheit in der Familie, als ich mich auf Weisung
meines Arztes danach erkundigen sollte. Ich erinnere mich wohl, als Kind
ernstlich krank gewesen zu sein. Von meinen Geschwistern weiss ich seit
langem nichts mehr. Mein ältester Bruder ist jetzt 42 Jahre alt. Er litt
als Kind viel an Drüsen. Jetzt ist er verheiratet und hat ein Kind, von
dem ich nicht weiss, ob es gesund ist. Meine älteste Schwester ist jetzt
40 Jahre, verheiratet, hat keine Kinder, aber eine Fehlgeburt gehabt. Meine
zweite Schwester starb bei einem Fall. Meine dritte Schwester ist jetzt
36 Jahre, verheiratet, hat 2 Kinder und 3 oder 4 Fehlgeburten gehabt. Das
eine der zwei lebenden Kinder leidet an Asthma und ist geistig minderwertig.
Ausserdem hat diese meine dritte Schwester ebenso wie meine jüngste
Schwester auf der Stirn viele grosse Warzen und Ausschlag am Geschlechts¬
teil gehabt. Meine jüngste Schwester ist 27 Jahre, ist verheiratet, hat drei
Fehlgeburten gehabt und ein lebendes Kind, das asthmatisch ist. Auch sie
hatte Warzen auf der Stirn, Ausschlag an den Geschlechtsteilen und dazu
Bläschen im Munde.“
Die Patientin selbst, die diese Angaben macht, der Familie fünftes Kind,
berichtet über sich folgendes:
Sie ist jetzt 30 Jahre alt, zum zweiten Male verheiratet. Ihr einziges
Kind, ein 12 jähriger Knabe, stammt vom ersten Mann; der sei gesund ge¬
wesen, bis er 1911 von ihr angesteckt worden sei. Damals habe sie Aus¬
schlag über den Körper gehabt, Bläschen im Munde und am Genitale. Sie
wie auch ihr Mann habe eine Salvarsaninfusion erhalten. Der Mann sei 1915
im Kriege gefallen. 1910 hat sie eine Fehlgeburt durchgemacht im 5. Monat.
Das lebende Kind sei 1908 mit 7 Monaten geboren; bei der Geburt sollen
beide Arme schlaff herabgehangen haben, wie gelähmt. Das Kind bekam
damals Sublimatbäder. Bis 1919 blieb es angeblich frei von Erscheinungen
und entwickelte sich leidlich. Im Herbst 1919 fing der damals 11jährige Junge
Walter an zu kränkeln. Er besuchte die Schule und es soll auch während des
Schulbesuches häufig Fieber bei ihm vorhanden gewesen sein. Appetit und
Befinden waren schlecht. Seit Februar 1920 klagte er über Schmerzen in
den Beinen, besonders am rechten Unterschenkel. Dort entstand eine starke
Anschwellung des Knochens, die selbst auf den Druck der Bettdecke schmerz¬
haft reagierte. Er machte seitdem zwei Schmierkuren durch und steht jetzt
am Ende einer Salvarsankur.
Befund bei dem Sohn Walter B.
Zarter, graziler, in der Entwicklung stark zurückgebliebener, 12 jähriger
Junge, in mässigem Ernährungszustand und mit schlaffer Muskulatur.
Schleimhäute gut durchblutet, ohne Besonderheiten. Zähne von H u t c h i n -
sonschem Typ. Augen: Pupillen ungleich weit, reagieren prompt bei Licht¬
einfall und zeigen Konvergenzreaktion. Hornhaut klar. Rechte Tibia in der
Mitte in einer Ausdehnung von etwa 5—6 cm deutlich aufgetrieben, aber nicht
mehr schmerzhaft. Wassermann im Blut positiv.
Diagnose: Syphilis congenita. Periostales Gumma am
rechten Unterschenkel. Hutchinson sehe Zähne.
Es besteht also Syphilis in 3 Generationen.
Nur ist der Zusammenhang zwischen der Syphilis von Vater
und Tochter nicht klar. Denkbar ist eine hereditäre Ueber-
tragung, da auch die Geschwister anscheinend belastet sind;
dafür spricht deren minderwertige Nachkommenschaft. Doch er¬
fordern die hier geschilderten Krankheitsverhältnisse ganz besondere
Zurückhaltung in ihrer Wertung. Tatsache ist, dass eine familiäre Syphi¬
lis in 3 Generationen vorliegt; unerwiesen dagegen der kontinuierliche
Zusammenhang. Grossvater, Mutter und Kind leiden
sicher an Syphilis. Der erstere ist an einer in der Klinik be¬
obachteten Tabes zugrunde gegangen. Seine Tochter, die Mutter des Kindes
Walter, hat nach ihrer Schilderung zweifellos eine iloride Syphilis ge¬
habt, die nicht als Erbsyphilis, sondern als akquirierte aufzufassen ist.
Ihre Angaben, dass sie ihrerseits den Mann angesteckt habe, ist ent¬
weder so zu deuten, dass sie sich extramatrimoniell infiziert hat; in diesem
Fall würde sie aber kaum so offenkundig die von ihr herrührende An¬
steckung des .Mannes zugeben, ein-Zugeständnis, das sie doch wohl nur
macht, weil sie ihre Krankheit als ein von den Eltern ererbtes Leiden
betrachtet. Es kann aber auch möglich sein, dass ihr Mann diese Erb¬
syphilis als bequemen Ausweg für sich betrachtet hat nachdem er die
Syphilis extramatrimoniell erworben und auf seine Frau übertragen
hatte. Dieser Infektionsmodus würde ja den üblichen Vorkommnissen
entsprechen. Die Syphilis des Kindes, des Enkels des
Tabikers, trägt offenbar kongenitales Gepräge. Ob
und welche Erscheinungen gleich nach der Geburt des Kindes vorhanden
waren, die zur Verordnung von Sublimatbädern Veranlassung gaben,
lässt sich nicht mehr klarlegen. Feststeht dass das Kind jetzt im
12. Lebensjahre mit einem Gumma behaftet ist Das Naheliegendste ist
natürlich die Annahme, dass es sich hier um Vererbung von der Mutter
her handelt und zwar auf Grund deren erworbener Syphilis, während
die Annahme, dass es sich bei dem Kind um eine sog. „Syphilis des
Enkels“ handelt als höchst problematisch zu bezeichnen ist Immerhin
ist die letzte Auffassung deshalb in Erwägung zu ziehen, weil sich aus
der Familienanamnese ergibt dass andere Enkelkinder des Tabikers an
geistiger Minderwertigkeit und Asthma in frühester Kindheit leiden.
Allerdings ergibt sich, dass auch die Mütter dieser Enkelkinder an¬
scheinend sekundäre Symptome erworbener Syphilis gezeigt haben,
so dass auch hier näherliegt, die kongenital-syphilitischen Stigmata
ihrer Kinder auf mütterliche erworbene Syphilis zurückzuführen als auf
die Syphilis der Grosseltern.
Bemerkenswert ist aber dabei jedenfalls das Auftreten einer frischen
Syphilis II bei Kindern des Tabikers, also das Fehlen einer vererbten
Immunität Aber freilich ist ja auch nur die Syphilis des Grossvaters fest¬
gestellt, während es unbekannt ist ob die Grossmutter auch an Syphilis
gelitten hat; damit fehlt aber das wichtipte Kriterium für eine kon¬
tinuierliche Vererbung. Unter allen Umständen aber zeigt die in Rede
stehende Beobachtung, weiche Ausstrahlungen die Syphilis zu erfahren
vermag durch die Eintragung der Erkrankung in die Familie.
Ein Ueberblick über die oben erfolgten Mitteilungen ergibt dass
innerhalb eines Vierteljahres an der Göttinger Uni¬
versitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrank¬
heiten in sechs Familien eine endemische Ver¬
breitung der Syphilis festgestellt wurde.
Die Zahl der Kranken beträgt 23, wenn man die nicht zur Vor¬
stellung gelangten Personen unberücksichtigt lässt; mit diesen kommt
man auf etwa 32 syphilitische Personen. Nicht grossstädtische Ver¬
hältnisse sind es, die hier wiedergespiegelt werden; nicht Infektionen,
die im dichten Gewühl solcher Bevölkerungszentren erworben, allmählich
ja leider nur zu bekannte Erscheinungen geworden sind und dort nicht
mehr als ungewöhnlich auffallen: aus kleinstädtischen und ländlichen Be¬
zirken stammen sämtliche Beobachtungen, die oben angeführt sind. Eine
einzelne Endemie könnte belanglos erscheinen. In der Häufung und in
der Tragik der Ansteckungen liegt die Bedeutung dieser Syphilisendemien.
Um der Verbreitung dieser familiären Geschlechtskrankheiten zu
steuern, ist es nicht mit sexueller Aufklärung getan. Taten müssen ge¬
schehen, dem Wohnungselend muss gesteuert werden; der Reinlichkeits¬
sinn, der namentlich in vielen ländlichen Kreisen und in kleineren Städten
und Ortschaften viel zu wünschen übrig lässt, muss gehoben werden,
dazu müssen warmes Wasser, Bäder und Seife wohlfeiler zu Gebote
stehen, als sie es zur Zeit sind; es muss verhütet werden, dass Schäfer¬
weisheit kongenitale Syphilis mit Kräutertee u. ä. behandelt. Dafür
müssen die Grundlagen der Lehre von den venerischen Krankheiten zu
den geläufigen Kenntnissen der gesamten Aerztewelt gehören.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Jena.
(Direktor: Prof. Dr. Quieke.)
Neue Wege zur biologischen Dosierung der Röntgen-
und Radiumstrahlen in der Geschwulstbehandlung auf
Grund neuer Feststellungen über die Strahlenwirkung
auf Impftumoren.
Von Dr. Fr. Keysser, Privatdozent für Chirurgie an der
Universität Jena.
Die Dosimetrie der Röntgen- und Radiumstrahlen wird heute voll¬
ständig von der Physüt mit ihren exakten technischen Errungenschaften
auf diesem Gebiete beherrscht; das biologische Experiment als absoluter
Gradmesser für die Wirksamkeit der Strahlenbehandlung menschlicher
Geschwülste ist von seiten der Praktiker im wesentlichen unberück¬
sichtigt geblieben. Bisher sind nur biologische Momente von relativer
Bedeutung für die Dosierung herangezogen worden, nämlich die bio¬
logische Strahlenwirkung auf die Haut einerseits, auf die Geschwülste
andererseits.
Es war Krönig, der die Hautveränderang als biologisches Mass-
system in die Praxis einführte in Form der Erythemdosis; heute wird
nach dem Vorschlag von Seitz und Wintz wohl allgemein die Haut¬
einheitsdosis mit 100 Proz. der Strahlenintensität als biologischer Grad¬
messer den Berechnungen zugrunde gelegt. Der biologische Effekt der
Strahlen auf die Geschwülste wird durch das Verschwinden des Tumors
und durch das Fehlen von Geschwulstzellen bei der mikroskopischen
Untersuchung exzidierter Gewebspartien bestimmt.
Den biologischen Effekt, gemessen an der Erythemdosis, ver¬
werteten Krönig und Friedrich zur Feststellung der Karzinomdosis
und Sarkomdosis. Unter Zugrundelegen der Hauteinheitsdosis mit
100 Proz. berechneten Seitz und Wintz die Karzinomdosis auf
95—110 Proz. der Hauteinheitsdosis, die Sarkomdosis auf 60—70 Proz.
derselben.
Auf diesen empirisch gewonnenen biologischen Grundlagen beruht
heute die Dosierung in der Tiefenbestrahlung der Geschwülste. Absolute
Gradmesser stellen aber weder die Hauteinheitsdosis noch die biologi¬
schen Effekte dar. Denn diese können sich in der Berechnung nicht mit
dem Begriff der Heilung einer Geschwulst decken. Sehen wir doch gar
nicht selten nach dem Schwinden einer Geschwulst und nach dem
Fehlen von Geschwulstzellen in den exzidierten Gewebspartien früher
oder später, ja nach 3. 5 und mehr Jahren an derselben Stelle, an der
die Geschwulst durch Strahlenbehandlung zum Schwinden gebracht war.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7 Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
5
eine gleichartige Geschwulst wieder entstehen, obwohl wir heute in
iedem Falle die in der Tiefe eines Gewebes erforderliche Dosis zur Ab¬
tötung der Geschwulstzellen mit grosser Genauigkeit bestimmen und
verabfolgen können. Noch wichtiger erscheint mir die Tatsache, dass
in einem Teil der mit Sicherheit den Berechnungen nach unvollständig
bestrahlten Geschwülste Dauerheilungen erzielt sind. Nach den physi¬
kalischen Berechnungen würde sogar der Radiumbestrahlung der Ge¬
schwülste kaum noch ein praktischer Wert zukommen, da der Dosen¬
quotient, d. i. das Verhältnis der auf die Haut und in die Tiefe ge¬
langenden Strahlenintensitäten, nach S e i t z und W i n t z denkbar un¬
günstig ist im Gegensatz zu der Röntgentiefentherapie. Aber auch hier
lehrt die Praxis, dass eine Reihe von Dauerheilungen zu verzeichnen
ist, obwohl die erforderliche Karzinomdosis unmöglich erreicht sein
kann. Der Beweis, dass mit den letzt gebräuchlichen Methoden der
Strahlenbehandlung die Geschwulstzelle bzw. das ätiologische Agens
der Geschwulst direkt oder indirekt abgetötet wird, steht jedenfalls
noch aus. Den Beweis hierfür sowohl wie für die Richtigkeit unserer
bisherigen biologischen und physikalischen Hypothesen und Berech¬
nungen kann nur das biologische Experiment erbringen. Um die Wir¬
kung der Tiefenbestrahlnug und ihre Dosierung biologisch auswerten zu
können, fehlte bisher ein geeignetes Testobjekt.
Ein solches biologisches Testobjekt besitzen wir aber, wie meine
Versuche zeigen werden, in den Impftumoren der Mäuse und Ratten,
bei denen wir durch Impfung mit einem Impftumor in beiiebiger Zahl
Geschwülste von annähernd konstantem Verhalten erzielen können. An
diesen lassen sich in grossen Versuchsreihen unter verschiedenen Be¬
dingungen und beliebig häufiger Wiederholung die Methoden der Tiefen¬
bestrahlung der Geschwülste auswerten. An sich ist der Gedanke,
Impftumoren zur Klärung dieser Fragen heranzuziehen, nicht neu, eine
brauchbare Versuchsanordnung ist aber bisher nicht gefunden worden.
Bestrahlungsversuche an solchen Impftumoren liegen bereits in grosser
Zahl vor; sie streben in der Hauptsache die Klärung des Problems der
Strahlenwirkung an. Eine Beweiskraft für die Tiefentherapie und ihre
Erklärung besitzen sie nicht, da den physikalischen Anforderungen bei
diesen Bestrahlungen in keiner Weise Rechnung getragen ist. Ich kann
mich deshalb an dieser Stelle mit einem kurzen Hinweis auf die Arbeiten
von Apolant, Kramer, Marie, Clunet und Raulot-
Lap 0 inte. Miss Menten, Haaland, Keysser, Wedd und
Russ. sowie v. Wassermann beschränken. Während die meisten
dieser Autoren eine direkte Bestrahlung der Mäusetumoren Vornahmen,
bestrahlte zuerst Haaland den Tumorimpfstoff in vitro, um ihn danach
auf gesunde Mäuse zu verimpfen. In gleicher Weise ging v. Wasser¬
mann*) zur Untersuchung der Wirkung von y-Strahlen eines Meso¬
thoriumpräparates von 55 mg vor. Als Filter diente eine 1,0 mm starke
Kapsel von vernickeltem Messing. Da bei der Bestrahlung das Metall-
fiiter in direkter Berührung mit einer Emulsion von Tumorzellen, noch
dazu in einem engen Glasröhrchen sich befand, die Bestrahlungszeit bis
zu 3 Stunden betrug, können die Schlüsse v. Wassermanns aus
derartigen Versuchsanordnungen weder über die Beeinflussung des
Tumorimpfstoffes noch über die Strahlenwirkung anerkannt werden,
wenigstens nicht für y-Strahlen. bzw. für die Tiefentherapie der Ge¬
schwülste.
Bei oberflächlicher Betrachtung würden allerdings einige Fest¬
stellungen über das Verhalten der Tiere bzw. der Tieriumoren gegen¬
über der Strahleneinwirkung solche Bestrahlungsversuche an Mäusen in
vivo sow’ohl wie in vitro bzw. post mortem ziemlich aussichtslos er¬
scheinen lassen. Denn nach Blumenthal und Karsis wirkt die
Strahlung um so deletärer auf den Mäuseorganismus, je härter sie ist;
nach Meyer und Ritter beträgt die Mausdosis 30 X, ein Ueber-
schreiten derselben tötet das Tier, andererseits besitzt nach
V. Wassermanns Angaben die Tumorzelle nach dem Tode des
Tieres in vitro nur eine Lebensdauer von ca. 4 Stunden. Doch
V. Wassermanns Angabe über die Lebensdauer der Tumorzellen
hat nur einen bedingten Wert. Schon Ehrlich zeigte, dass die Ge¬
schwulst einer Maus beim Konservieren im Eisschrank die Fähigkeit,
beim Ueberimpfen neue Impfgeschwülste zu erzeugen, noch nach
2 Jahren beibehält; ich selbst konnte wiederholt feststellen, dassTumoren
von Mäusen, die 12 Stunden tot im Käfig gelegen hatten oder 24 Stunden
im Eisschrank konserviert waren, sofern sich keine erheblichen Fäulnis¬
erscheinungen der Eingeweide fanden^ ohne Einbusse ihrer Virulenz
auf lebende Mäuse erfolgreich übertragen werden konnten.
Diese Beobachtung wurde der Ausgangspunkt für meine Versuche,
die Bedeutung der Impftumoren der Mäuse als Testobjekt für die bio-
losische Dosierung in der Tiefenbestrahlung festzustellen.
Bei dem Aufbau der Versuche Hess ich mich nicht von theore¬
tischen Erwägungen über das Problem der Strahlenwirkung leiten, son¬
dern von dem Gesichtspunkt, die Methoden und Ergebnisse der Tiefen¬
therapie in der menschlichen Geschwulstbehandlung möglichst den natür¬
lichen Grenzen des Tierversuchs anzupassen. So konnte umgekehrt
unter Umständen aus dem Verhalten der Impftumoren der Tiefen¬
bestrahlung gegenüber ein Rückschluss auf die Strahlenwirkung selbst
gezogen werden.
Nach dem Gesagten kamen von vornherein Heilversuche an tumor-
kranken Tieren nicht in Betracht, da nach den obigen Ausführungen
das Gesetz von der Heilwirkung der Karzinom- bzw. Sarkomdosis nur
für den menschlichen Organismus Geltung besitzt, nicht aber für Tiere.
Auch Bestrahlungsversuche von Geschwulstemulsionen in vitro sind nicht
») D.m.W. 1914.
beweiskräftig. Abgesehen von der ungleichen Zellschädigung durch
Zerschneiden und Zerstampfen des Tumors kann eine direkte Bestrahlung
der Zellen im Glas schon im Hinblick auf die unberechenbaren Neben¬
wirkungen keinen Anspruch auf einen Vergleich mit der Tiefenbestrah¬
lung erheben.
Der Umstand, dass die Tumorzelle noch lange nach dem Tode des
Wirttieres am Leben, und die Eigenschaft, beim Verimpfen neue Ge¬
schwülste zu erzeugen noch nach 12 und mehr Stunden bestehen bleibt,
veranlassten mich zunächst, an getöteten Tumormäusen Tiefenbestrah¬
lungen von verschiedener Dauer anzustellen und danach den bestrahlten
Tumor zu verimpfen. Bei dieser Versuchsanordnung konnten in ein¬
wandfreier Weise die Methoden der Tiefenbestrahlung zur Anwendung
gelangen, die Schwierigkeiten und Fehlerquellen der Fixation des
lebenden Tieres fielen hier fort, die absolut gleichmässig sichere Be¬
strahlung des Tumors ist dadurch garantiert.
Erforderlich für diese Versuche ist zunächst die Verwendung eines
Impftumors, der die Eigenschaften eines echten Tumors besitzt, nämlich
infiltrierendes Wachstum und Metastasenbildung, der fernerhin bei der
Verimpfung eine Ausbeute von 100 Proz. ergibt, so dass Versagen bei
der Impfung und spontane Rückbildung der Geschwulst mit Sicherheit
auszuschliessen sind. Einen Tumorstamm von dieser Beschaffenheit
konnte ich für meine Versuche verwenden. Denselben züchtete ich von
einem Spontantumor des Unterkiefers einer Maus im März 1919, durch
Impfung in die Beinmuskulatur konnte ich denselben bis jetzt in der
20. Passage weiterzüchten. Histologisch besteht der Tumor aus einem
Karzinosarkom. derselbe wächst infiltrierend und metastasiert. Bisher
wurden in den Passagen niemals Versager bei der Impfung gesehen, eine
Rückbildung des Tumors nicht beobaclitet.
Zu den Bestrahlungsversuchen wurden Tumortiere der 16.—19. Passage
benützt. Bei diesen Tieren betrug die Lebensdauer vom Zeitpunkt der
Impfung in die Beinmuskulatur ab 3—3*/? Wochen, der Impftumor bildete
sich nach 12 Tagen zu Kirschgrösse, nach 18 Tagen zu Pflaumengrösse
aus. Die Gleichmässigkeit des Wachstums, die Regelmässigkeit der
Entwicklung der Geschwulst und des Todes der geimpften Tiere zeigt
sich in der Tabelle A, in der das Geschwulstwachstum der Tiere von
Passage 16 (1—5) bis 17 (6—10) auf geführt ist.
Tabelle A.
Tier
Nr.
6
12
18
24
Tage
1
•
•
••
o
t 24
Passage
16
2
•
•
••
t 22*
3
•
•
• •
o
t 24“
4
•
• •
o
t 21
5
•
••
o
t 23
6
•
•
ö
t 21
Passage
17
7
•
•
• •
t 22
8
•
•
• •
"O"
t 24
9
•
•
••
o
t 24
10
•
•
o
t 26
Zeichenerklärung.
• = erbsengross •• = kirschengross
• = kirschkerngross O — pflaumengross
• = haselnussgross 0 = walnussgross
t gestorben — kein Tumor.
In der gleichen Regelmässigkeit, wie sie in Tabelle A für Pas¬
sage 16—17 ersichtlich ist, entwickelten sich die Tumoren der Passage
18 und 19.
Die Impfung in die Beinmuskulatur scheint mir, abgesehen von dem
infiltrierenden Charakter der Geschwulst bei dieser Impfungsart, des¬
halb noch besonders geeignet, weil diese Stelle der Strahlenbehandlung
am besten zugänglich ist, und die Grösse der Geschwulst sehr genau
sich hier bestimmen lässt. Denn der ganze Unter- und Oberschenkel
besteht nach 12—14 Tagen fast nur ans Geschwulstgewebe, das Wachs¬
tum der Geschwulst erfolgt in der Längsrichtung des Beines, während das
Dickenwachstum zurücksteht und eine gewisse Regelmässigkeit dieses
Durchmessers vorliegt. So findet m'”i noch bei haselnussgrossen Tu¬
moren einen Dickendurchmesser (dorsoventral) von regelmässig 1 cm,
bei kirschgrossen einen solchen von 1,5 cm, bei pflaumengrossen einen
solchen von 2 cm. Dabei liegt der Tumor in der Ausdehnung des
Beines direkt unter der 1 mm dünnen Haut.
Weiterhin ist es Erfordernis, dass die Vornahme der Be¬
strahlung allen Anforderungen der modernen Technik in der Röntgen-
bzw. Radiumbestrahlung entspricht, Versuchsfehler, insbesondere
Sekundärstrahlungen, ausgeschaltet werden. Es mag hier die Angabe
genügen, dass meine Versuche diesen Anforderungen ln jeder Beziehung
gerecht werden, es wurde nur mit den hochwertigsten radioaktiven
Substanzen und leistungsfähigsten Apparaten gearbeitet. Für den Fach¬
mann ergibt sich dies ohne weiteres aus den nachstehenden technischen
Angaben. Die Röntgenbestrahlungen wurden mit dem Intensivreform¬
apparat der Veifawerke unter Verwendung der Coolidgeröhre angestellt
bei einer Tubusgrösse 9X9, Filterung mit 3 mm Aluminium + 0.5 Zink,
Fokushautabstand 23 cm, Belastung 2 MA., Spannung 160000 und
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
200 000 Volt. Die Strahlung war eine 12,5 proz., die Hauteinheits¬
dosis wurde in 45 Minuten erreicht bei 160 000 Volt. Die Röntgen¬
bestrahlung und Berechnung der Dosen wurde von Herrn Dr. W e t z e 1,
Leiter der Röntgenabteilung an der hiesigen Universitätsklinik vor-
genommen, die Radiumbestrahlungen von mir unter Zugrundelegen
meiner jahrelangen Erfahrungen in der Radiumbehandlung.
Die nachstehende Tabelle B diene zur anschaulichen Uebersicht und
zur schnellen Orientierung der Deutung der späteren Versuchsprotokolle
über die Strahlendosis, von der sämtliche Qeschwulstzellen in den ver¬
schiedenen Qewebstieten getroffen sein müssen.
Der Berechnung wurde als Masseinheit die HED. (Hauteinheits¬
dosis) mit 100 Proz. nach S e i t z und W i n t z, wie dies jetzt wohl
allgemein geübt wird, zugrunde gelegt. 60—70 Proz. dieser Hauteinheits¬
dosis bzw. 95—110 Proz. stellen nach Seitz und Wintz die Sarkom¬
dosis bzw. Karzinomdosis dar. Wenn diese Strahlenintensität in der
Tiefe des Gewebes die Geschwulstzellen trifft, so sollen diese ab¬
getötet werden.
TabelleB.
Be-
strahlongs-
dauer
Oberflächen-
doais
lOO'/o = HED
Tiefendosifl
80®/, in lcm| 72*/, in l^om 165®/,in 2om
30'
•/o
66,7
“/• !
53,5 .
“/o
48
4^3
45'
100
80 1
72
65
60 '
133,3
106,6
98
86
7.'> '
166,7
133,3 1
120
108,3
!K> '
200
160 !
144
130
HO '
266,6
213
192
153,2
Ich gehe nunmehr auf die Röntgentiefenbestrahlung der Impf-
tumtoren selbst ein.
In allen Versuchen wurden Mäuse mit haselnuss- bis kirschgrossen
Tumoren ausgewählt, die Tiere durch Nackenschlag getötet, die Be¬
strahlung im dorsoventralen Durchmesser der Geschwulst vorgenommen.
Sodann w'urde 4—5 Stunden nach dem Tode des Tieres aus dem be¬
strahlten Geschwulstgewebe in der von mir in einer früheren Arbeit
beschriebenen Weise ein erbsengrosses Tumorstück zu einer dünnen
Emulison ’) verarbeitet und diese in die Beinmuskulatur gesunder Mäuse-
(durchschnittlich 4) verimpft. Eine Auswahl dieser Versuchsergebnisse
führe ich in Tabelle 1 und 2 an.
Tabelle 1. (200 000 Volt)
R.T.B
6T.
12 T.
IST.
24 T.
30 T.
36 T.
42 T.
481.
54 T.
60 T.
1
—
—
—
—
—
—
30^
2
—
—
—
—
—
—
—
3
•
•
—
—
—
—
—
—
—
4
t ^
5
—
—
••
o
t-^5
45'
6
—
•
••
o
0
t 32
7
-
—
—
•
•
••
o
t47
8
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
f
9
—
—
—
—
—
—
60' j
1
10
—
•
•
•
••
o
0
T~56
il
—
•
• •
o
0
t 29
l
12
—
•
o
0
t22
T. = Tage.
In dieser Versuchsserie wurde mit der sehr hohen, in der Praxis
meist nicht erreichbaren Spannung von 200 000 Volt gearbeitet, da dieser
Eigenschaft in der Bestrahlung von mancher Seite eine besondere Be¬
deutung eingeräumt wird. Die bestrahlten Geschwülste hatten einen
Dickendurchmesser (dorsoventral) von 1 cm. in dieser dorsoventralen
Richtung wurde die Bestrahlung in verschiedener Dauer ausgeführt.
Stunde bei der Geschwulst, die auf die Tiere 1—4 verimpft wurde,
% „ „ „ „ „ „ „ 5—8 .
1 .. „ » M „ „ „ n 9—12 .
Ein Vergleich mit Tabelle B ergibt, dass bei der Tiefe von 1 cm
sämtliche Geschwulstzellen eine Dosis erhalten haben müssen, die bei
1 ständiger Bestrahlung die Sarkomdosis um das Gleiche übertrifft, die
Karzinomdosis sicher erreicht hat.
Der % Stunden bestrahlte Tumor führte nach der Verimpfung auf
4 Mäuse bei 3 Tieren zur Tumorbildung; nur bei 1 Tier nicht; genau der
gleiche Effekt wurde mit dem 1 Stunde bestrahlten Tumor erzielt. Be¬
merkenswert bei diesen beiden Serien ist die Verzögerung in dem An¬
gehen und der Entwicklung der Impfgeschwülste. Dass bei 34 ständiger
Bestrahlung die Impfung der Geschwulst erfolglos blieb, dürfte dem¬
gegenüber bedeutungslos sein, da nur ein Bruchteil der Geschwulst ver¬
impft wurde.
In dieser 2. Versuchssene wurde die Bestrahlung mit der in der
Praxis meist gebräuchlichen Spannung von 160 000 Volt ausgeführt.
Die Tiere 1—17 wurden mit einem haselnussgrossen bestrahlten
Tumor von 1 cm Dickendurchmesser geimpft.
Die Impfung der Tiere 18—20 erfolgte mit einem bestrahlten kirsch-
Trossen Tumor von 15 cm Durchmesser.
-) Zschr. f. Chemother. Orig.-Bd. II. 1914.
Tabellen (160 000 Volt.)
6T.
12 T.
18 T.
24 T.
30 T.
36 T.
42 T.
48 T.
56 T.
60 T.
"i
—
•
o
0
t22
2
—
••
o
t2l
3
—
•
••
o
0
t 4ii
4
—
•
•
••
0
t
5
•
•
••
t 22
6
—
•
•
••
t 22
7
—
—
t 13
8
—
■ —
t 13
9
•
•
•
••
UL
10
•
•
•
—
—
—
—
—
—
11
•
•
—
—
—
—
12
•
—
—
—
—
—
—
13
•
o
^0
t22
14
•
••
O
t21
15
—
••
_o_
t 22
16
—
•
•
•
y28
17
—
•
•
••
Ql
Ul
18
—
—
—
—
—
—
19
•
•
•
• •
fJ5
20
•
••
t 27
Die Impfung der Tiere 18—20 wurde mit einem bestrahlten kirsch¬
grossen Tumor von 1,5 cm Durchmesser vorgenommen.
Die Tiere 1—4 wurden mit Impftumor, der 30 Min. bestrahlt war, geimpft,
„ 5-^ ..45.
., „ 9—12 „ .65 „ . .
.. „ 13—17.75..
,. „ 18—20 ., .. 120 .
In sämtlichen Serien führten die verimpften vorbestrahlien Tu¬
moren zur Geschwulstbildung, nur bei 45 Minuten Bestrahlung (5—8)
sind bei 2, bei 65 Minuten 3 Tiere (9—12) frei von Geschwülsten ge¬
blieben. Diese Versager fallen nicht ins Gewicht gegenüber dem Er¬
gebnis, dass bei fast sämtlichen Tieren, die mit weit höheren Dosen
vorbehandeltem Tumormaterial (75 Min. Nr. 13—17 und 120 Min.
Nr. 18—20) geimpft wurden, Geschwülste auftraten und an diesen ver¬
endeten, w'enn auch hier zum Teil eine erhebliche Verzögerung in der
Geschwulstentwücklung besteht. Die Strahlendosis von 192 Proz. HED., die
fast das Doppelte der errechneten Karzinomdosis bedeutet, die in iVzcm
Tiefe zur Wirkung kam (siehe Tabelle B). hat somit nicht verhindern
können, dass aus dieser so stark bestrahlten Geschwulst nach Ver¬
impfung sich wiederum Geschwülste entwickelten. Diese enorme
Strahlendosis von 192 Proz. muss unbedingt schwere Zellschädigungen
des Tumorgewebes bedingt haben, man hätte mit einer Verbrennung des
Gew'ebes nahezu zu rechnen. Wenn die Verimpfbarkeit einer solchen
Geschw ulst trotzdem erhalten bleibt, so ist daraus der Schluss zu ziehen,
dass entweder echte bösartige Geschwülste ein verschiedenes bio¬
logisches Verhalten gegenüber den Röntgenstrahlen entgegen der An¬
nahme von Seitz und Wintz besitzen, man also mit einem refrak¬
tären Verhalten rechnen muss, oder dass unsere Berechnungen nicht zu¬
treffen oder dass die Strahlenwirkung keine direkte auf die Zellen selbst
sein kann, die die Rückbildung der Geschwulst bedingt.
Weiteren Aufschluss vermag uns vielleicht in dieser Frage die Wir¬
kung radioaktiver Substanzen auf Impftumoren zu geben; die Ergebnisse
stelle ich in Tabelle 3 zusammen. Bei diesen Versuchen wurde ein Teil
der Tumortiere lebend, ein Teil nach Tötung bestrahlt
Tabelle 3. (Radiumbestrahlung.)
Rad.
6T.
12 T.
18 T.
24 T.
30 T.
36 T.
42 T.
48 T.
56 T.
62T.
1
—
•
•
••
0
t3l
100
2
—
•
•
••
o
t 33
Ra
3
—
•
•
••
o
t3.'
14b
4
—
• •
o
0
t27
5
—
—
—
—
—
--
—
—
—
100
Ra
18ä
f
6
—
—
—
—
-
—
—
—
—
1
7
•
•
•
•
•
•
—
—
8
•
•
•
•
•
•
—
—
9
•
_JL
•
••
••
_o_.
150
Me
18ä
1
lü
—
—
—
—
—
—
—
—
1
11
-
-
—
12
—
— *
—
—
—
—
' —
—
—
13
—
-
—
____
—
—
-
—
—
250
Ra-f
14
—
•
t 24
15
—
•
••
o
0
Me
1
16
—
—
—
—
—
—
—
—
I4h
1
i;
TT
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Janiiar \92l.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
7
Die Dosenbestimmuiui: und Dosenangabe in der Radiumtherapie ist
zurzeit noch Gegenstand lebhafter Kontroverse, ich verzichte deshalb
an dieser Stelle auf die Frage näher einzugehen und die verabfolgte
Strahlendosis zahlenmässig anzugeben. Vielleicht ist auch das bio¬
logische Experiment berufen, Klarheit in dieser Frage zu schaffen. Aus
den Angaben über die zur Verwenilung gekommenen Präparate aus der
Art der Filterung und Dauer der Bestrahlung wird der Fachmann ein
hinreichend klares Bild über die Bestrahlungsdosis erhalten und ersehen,
dass eine reine y-Strahlenwirkung zur Anwendung kam. Die Bestrah¬
lungen wurden in den vorstehenden Versuchen mit 100 mg Radium¬
bromid und 150 mg Mesothorium vorgenommen.
Der Einfachheit halber gebe ich an dieser Stelle die Bruchteile von cg
bei den nachfolgenden Präparaten nicht an, da sich dies hier erübrigen
Radium Ri = 50 mg Radiumbromid
„ R» = 25 mg
„ Ra = 25 mg
Jedes Präparat ist in zylindrischem Silberröhrchen von 3.2 cm Länge
und 0,2 cm Durchmesser eingeschlossen, die Wandstärke beträgt 0.1 mm. Die
drei Präparate wurden bei diesen Versuchen aebeneinandergeschaltet in einer
flachen Filterkapsel aus vernickeltem Messing von 3,5 cm Länge, 1,9 cm
Breite und 0,6 cm Dickendurchmesser.
Die Wandstärke des Filters betrug 1 mm.
Mesothorium 3 Präparate von Je 50mg M. 1 in flacher runder
Silberkapsel von 1.4 cm Durchmesser und 0,2 cm Höhe, Filterkapsel aus
vernickeltem Messing von 2,1 cm Durchmesser und 0,2 cm Wandstärke.
M. 2 und M. 3 in zylindrischem Silberröhrchen, deren Wandstärke
0,1 mm beträgt. Jedes Röhrchen 1 cm lang, 0,2 cm Durchmesser.
Beide Präparate (M. 2 und M. 3) wurden zusammen in einem zylindrischen
Filter von vernickeltem Messing benutzt, von einer Wandstärke von 1 mm
Länge dieses Filters 2,5 cm, 0,3 cm Durchmesser.
In jedem Fall wurden die Metallfilter in 0,2 cm dicke Filter von metall>
freiem Gummi eingebracht und eine Gazeschicht in der Weise angebracht,
dass die radioaktive Substanz selbst bei Vornahme der Bestrahlung 1 cm von
der Haut entfernt war.
Die Versuchsergebnisse der Tabelle 3 zeigen, dass die Bestrahlungen
mit 100 mg Radium in flachem Filter von der ventralen Seite (1—9) eine
wesentliche Beeinflussung der Geschwulst nicht erzielt haben. Bei
14 ständiger Bestrahlung eines getöteten Tieres mit kirschgrosser Ge¬
schwulst entstanden nach Verimpfung auf 5 Mäuse (1—5) in 4 Fällen
Geschwülste mit Verzögerung der Entwicklung, nur bei 1 Maus bildete
sich eine Geschwulst nicht aus. Das gleiche Ergebnis wurde bei 18 stän¬
diger Radiumbestrahlung erzielt (6—9); in diesem Fall wurde die Be¬
strahlung an einem lebenden Tier vorgenommen, das nach Beendigung
der Bestrahlung tot war; in dieser Serie ist auch eine Verzögerung In
der Entstehung der Tumoren nicht zu erkennen. Bezüglich der Technik
der Bestrahlung lebender Tiere bemerke ich, dass die mit Beintumoren
behafteten Mäuse sich verhältnismässig leicht fixieren liessen, wenn sie
in einen ausgeschnittenen Pappkarton, in dem die gefilterten radio¬
aktiven Substanzen sich befinden, gebracht werden. Mit dem Rumpf
sitzen die Tiere ausserhalb des Kartons, vom Kreuzbein ab mit den
hinteren Extremitäten fest in demselben, so dass sie sich nicht rühren
können.
Bei den Mesothoriumbestrahlungen (150 mg) wurde die Kreuzfeuer-
bestrahlnng angewandt, ventral 100 Me. in zylindrischem Filter, dorsal
50 Me. in flacher Kapsel.
In den Serien 10—13 wurde die Verimpfung eines Tumors vorge¬
nommen, nachdem eine Bestrahlung desselben an dem lebenden Tiere
von 18 Stunden Dauer stattgefunden hatte. In dieser Serie kam ein
Tumor nicht zur Entwicklung.
Demgegenüber hat bei 14 ständiger Bestrahlung eines lebenden
Tumortieres mit 250 mg (100 Ra. + 150 Me.) dieser Tumor nach Ver¬
impfung zu neuer Geschwulstbildung in einem Fall geführt; hier waren
100 mg Radium an der ventralen, 100 Mesothorium an der Aussenfläche
und 50 Mesothorium an der dorsalen Fläche des Tumors angebracht.
Nach der Bestrahlung war das Tier moribund, lebte jedoch noch und
wurde 6 Stunden nach Abschluss der Bestrahlung durch Nackenschlag
getötet und der Tumor auf 4 Tiere verünpft.
Nach diesen Versuchen hat es den Anschein, dass bei Verwendung
grosser Mengen von radioaktiven Substanzen eine wirksamere Be¬
einflussung der Geschwulstzelle durch y-Strahlen erzielt wird, somit die
Intensität der Radiumstrahlen biologisch eine wirksamere als die der
Röntgenstrahlen sein würde. Aber zur sicheren Feststellung dessen
w'ären Versuche in grossem Massstabe erforderlich, es musste auch die
Geschwulst nach erfolgter Bestrahlung nicht in einem Bruchteil auf
4—5 Mäuse, sondern vollständig verimpft werden, etwa 50 Mäuse
würden zu jedem Versuch erforderlich sein.
Nun wäre insbesondere bei den Versuchsergebnissen der Röntgen¬
bestrahlung der Einwand denkbar, dass die Strahlenwirkung auf die
Geschwulstzelle sich erst 4 Wochen und später bemerkbar machen
würde, dass also zunächst sehr wohl aus bestrahltem Geschwulstgewebe
nach Verimpfung neue Geschwülste entstehen, diesen jedoch eine weitere
Wachstumsfähigkeit nicht zukommen würde.
Diese Frage Hess sich dadurch klären, dass die aus bestrahlten und
danach verimpften Geschwülsten entstandenen Tumoren in mehreren
Passagen weiter verimpft wurden.
Zu diesen Versuchen wählte ich die Tumoren aus. die von sehr
intensiv bestrahltem Geschwulstmaterial stammten (von 1 resp. 2 Stunden
Bestrahlungsdauer: Maus 12 der Tabelle 1 und Maus 20 der Tabelle 2).
In der nachstehenden Tabelle 4 ist das Verhalten eines solchen Impf¬
tumors in 3 Passagen ersichtlich.
Die Ausgangsgeschwulst hatte sich aus einem Tumormaterial, dessen
Zellen sämtlich mindestens 110 Proz. HED. erhalten hatten. 3 Wochen
nach der Impfung zu Kirschgrösse entwickelt; in den folgenden 3 Pas¬
sagen entstanden in 100 Proz. der Impfungen neue Qeschwülste und
zwar fast gleichmässig nach 2—3 Wochen, die zu diesem Zeitpunkt be¬
reits den Tod der Tiere herbeiführten *).
Dass es sich hier um die gleichen Geschwülste wie die des Aus¬
gangstumors handelte, ergaben die mikroskopischen Untersuchungen, die
auch in allen anderen Fällen durchgeführt wurden.
Tabelle 4.
6T.
12 T.
18 T.
24 T.
30 T.
36 T.
42 T.
48 T.
56 T.
60 T.
I. 1
Pass. 1
II. /
Pass. \
III. (
Pass. 1
1
•
•
• •
t 18
2
•
•
• •
o
t22
3
•
••
o
t 18
4
•
•
••
t 15
5
•
••
o
t 15
b
•
•
o
©
t 19
7
•
•
••
o
f24
8
•
••
o
f24
In gleicher Weise, wie Tabelle 4 wiedergibt, verhielt sich auch ein
anderer Tumor, dessen Ausgangsmaterial mit noch bedeutend höherer
Strahlendosis vorbehandelt war. Es war dies der Tumor von Maus 20,
Tabelle 2, entstanden nach Einwirkung von 192 Proz. HED. bei 2 stän¬
diger Bestrahlungsdauer. Dieser Tumor ist bis jetzt in 2. Passage fort¬
gezüchtet, ohne dass eine Virulenzherabsetzung nachweisbar ist.
Damit könnte man als erwiesen annehmen, dass bei dem vor¬
liegenden Impftumor die Verimpfbarkeit der mit einer weit die Kar¬
zinomdosis überschreitenden Intensität bestrahlten Geschwulstzelle nicht
leidet, dass sie ihre Eigenschaft, sich zu vermehren, dauernd beibehält,
ja dass ihre Virulenz den Kontrollen gegenüber sogar gesteigert wird.
Ein Rückblick auf die Gesamtheit der Versuche lässt allgemein
gültige Schlussfolgerungen nicht zu, erwiesen erscheint mir aber, dass
der von mir eingeschlagene Weg gestattet, Impftumoren als Testobjekt
in der Strahlentherapie heranzuziehen. Bisher fehlte aber ein solches
Testobjekt, das es ermöglicht, grössere Versuchsreihen auszuführen und
beliebig oft zu wiederholen, zur Prüfung der Wirkung verschieden harter
Strahlen unter Variieren der Versuchsbedingungen betreffs der Dauer
und Entfernung bei Zwischenschaltung verschiedener Gewebe.
Ob dieses Testobjekt praktische Brauchbarkeit für die Dosi¬
metrie erhalten wird, kann erst eine Auswertung von verschiedenen
Impftumoren auf breiterer Basis ergeben. Versuche, die ich selbst nicht
anstellen kann, da ich die Kosten der Versuche aus eigenen Mitteln
bestreite.
Auf jeden Fall kann aber die Verwendung der Impftumoren als
Testobjekt die Frage der Strahlenwirkung zur Klärung bringen, die nach
meinen Versuchsergebnissen dunkler als je erscheint. Es kommen bei
der Beeinflussung der Geschwülste durch. Tiefenbestrahlung drei Fak¬
toren in Betracht, die Geschwulstzelle, der Organismus und schliesslich
rein hypothetisch ein ätiologisches Agens der Geschwülste, das wir bei
der Deutung der Versuche in Rechnung zu stellen haben.
Die Strahlenwirkung auf die Geschwulstzelle wurde bisher als eine
elektive bezeichnet, ursprünglich sogar als absolute. Aus der ver¬
schiedenartigen Empfindlichkeit der Sarkom- und der Karzinomzellen
gegenüber der Haut- und Bindegewebszellen wird die relative Elektivität
abgeleitet. Wenn eine solche nicht vorhanden wäre, schreiben S e i t z
und Wintz, „dann stände es um unsere Röntgentherapie schlecht: sie
wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt“.
Bei der Beurteilung einer Zellbeeinflussung haben wir im Sinne der
Ehrlich sehen Lehre festzustellen, ob die Zelle in ihrer vegetativen
Funktion oder in ihrer Fortpflanzungsfähigkeit allein geschädigt wird.
Im ersteren Falle haben wir ein unmittelbares Absterben der Zelle zu
erwarten, im letzteren wird die Zelle zunächst am Leben bleiben, aber
nicht In der Lage sein, sich durch Teilung zu vermehren, sie unterliegt
dann dem Altersprozess und wird schliesslich zugrunde gehen.
Für die Annahme, dass lediglich die Fortpflanzungsfähigkeit der
Zelle unter der Tiefenbestrahlung betroffen wird, sie selbst aber zu¬
nächst am Leben bleibt, sprechen die bekannten Versuche H e r t w i g s
über die Radiumkrankheit der Keimzellen. Auch die Versuche Halber¬
städters über die Wirkung harter Röntgenstrahlen auf Trypanosomen
zeigen, dass diese Trypanosomen nicht abgetötet werden, aber ihre
krankmachende Wirkung verlieren.
In diesem Sinne will auch v. Wassermann die Strahlenwirkung
auf Karzinome erklären, wie weit dies richtig ist, können erst neue ein¬
wandfreie Versuche ergeben. Mit dieser Frage werde ich mich noch In
einer späteren Arbeit unter Zuhilfenahme der bioskopischen Methode
von G 0 s i 0 und M. N e i s s e r näher beschäftigen. Meine Versuche
über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf den beschriebenen Impf¬
tumor würden, sofern nicht ein besonderes refraktäres Verhalten dieser
Geschwulst in Betracht käme, gegen die Theorie der Vernichtung des
Fortpflanzungsapparates der Geschwulstzellen durch v-Strahlen sprechen.
*) Nachtrag bei der Korrektur: Die Fortzüchtung dieses Stammes ist bis
jetzt in der Passage regelmässig ohne Abschwächung der Virulenz möglich
gewesen. In gleicher Weise auch bei allen weiteren Fällen.
1
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
8
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRIFX
Nr. 1.
Die zweite Möglichkeit zur Erklärung der Wirkung der
Tiefenbestrahlung wäre in den biologischen Veränderungen des Gesamt¬
organismus und der indirekten Beeinflussung der Geschwulstzelle zu
sehen. Sie findet ihre Begründung in den mikroskopischen Gewebs-
und Blutuntersuchungen und in Fermentstudien.
So hebt Exner besonders die Wachstumsfähigkeit des Binde¬
gewebes hervor, er sieht die Strahlenwirkung in einer Störung der
physiologischen Beziehungen zwischen Krebszelle und Bindegewebe
derart, dass die Wachstumsfähigkeit des Bindegewebes dieienige der
Krebszelle übertrifft.
B a s h f 0 r d schliesst sich der Ansicht C r a m e r s an. dass eine
grosse Aehnlichkeit zwischen der Rückbildung der Geschwülste unter
der Strahlentherapie und der spontanen Tumorheilung besteht; selbst
wenn man eine Abtötung der Tumorzellen durch Strahlenwirkung zu¬
gestehen wollte, so würde dies die Rückbildung der Tumoren nicht er¬
klären. ..Denn es gibt Tumoren, die zum grössten Teil nekrotisch sind
und sich doch nicht zurückbilden. Ferner wäre es schwer zu verstehen,
warum das Radium das Wachstum der Tumorzellen so sehr hemmen
soll, während es das Wachstum des Bindegewebes so mächtig anregt,
und zwar ist diese Wachstumssteigerung die erste sichtbare Folge der
Radiumwirkung.“
Eine weitere biologische Veränderung liegt in dem Verhalten der
Fermente vor. Nach N e u b e r g sind die Geschwulstzellen besonders
reich an Fermenten. Diese werden in ihrer Tätigkeit durch Strahlen¬
wirkung nicht beeinflusst, während die übrigen Zellfermente geschädigt
werden, so dass nun die Fermente der Geschwulstzellen ungehindert
eine Autolyse und damit die Zerstömng der Krebszelle herheiführen
können. Da nun eine Autolyse mit einer Erweichung der Geschwulst
einhergehen würde, diese aber meist bei einer Rückbildung der Ge¬
schwulst unter der Tiefenbestrahlung fehlt, so hat diese Annahme Neu-
b e r g s wenig Wahrscheinlichkeit für sich.
Andere biologische Faktoren sind endlich noch von S e i t z und
W i n t z zur Erklärung der Tiefenbestrahlung herangezogen. Das Ver¬
sagen der Schutz- und Abwehrstoffe des Gesamtorganismus, insbeson¬
dere der blutbildenden Organe, soll ein Versagen der Strahlentherapie
zur Folge haben. „Die Ursache ist in der ungenügenden Reaktion der
biologischen Gesamtpersönlichkeit zu suchen.“
Meine Versuchsergebnisse würden mit der Ansicht E x n e r s sowie
von Seitz und Wintz durchaus in Einklang zu bringen sein, be¬
sonders wenn man die fast allen Versuchen gemeinsame auffallende
Verzögemng der Entwicklung der Impftumoren aus bestrahltem Tumor¬
material in Rechnung stellt. Dieser Befund wurde einer vorüber¬
gehenden Schwächung bzw. Entwicklungshemmung des Qeschwulst-
gewebes gleichzusetzen sein, das würde bedeuten, dass den indirekt auf
die Krebszelle wirksamen biologischen Faktoren vielleicht nur den nor¬
malen Abwehr- und Schutzvorrichtungen des Organismus eine über¬
ragende Rolle zukommen würde. Die Folge daraus müsste aber voraus¬
sichtlich die Notwendigkeit ergeben, die Strahlenbehandlung der Ge¬
schwülste auf eine ganz andere Basis zu stellen.
Die letzte Möglichkeit für die Erklärung der Strahlen¬
wirkung auf Geschwülste berücksichtigt das ätiologische Moment des
Krebsproblems vom Standpunkte der Infektion.
Dieses Moment darf beim Aufrollen des ganzen Problems nicht
übergangen werden. Es wäre verfehlt, wollte man das Vorhandensein
eines ätiologischen Agens nur deswegen in Abrede stellen, well der
Nachweis nicht gelungen ist.
Könnte man mit dieser Frage vielleicht das teilweise völlige Ver¬
sagen der Tiefenbestrahlung und das Auftreten der Rezidive noch Jahre
nach erfolgreicher Behandlung in Verbindung bringen, so sind experi¬
mentell einige Anhaltspunkte für diese Annahme nicht unberechtigt. Ich
erwähne nur die Erzeugung von echten Geschwülsten durch zellfreie,
aus Tumoren gewonnene wässrige Extrakte. Bei Verimpfung dieser
konnte Peyton Rous regelmässig echte Sarkome bei Hühnern er¬
zielen. Bei Mäusetiimoren liegen zw^ei vereinzelte gleichartige Beob¬
achtungen über ein filtrierbares Virus vor. Die erste stammt von mir,
die zw^eite unabhängig von mir und später von Henke- Breslau. Auf¬
fallend ist. dass diese beiden Beobachtungen vereinzelt blieben: Henke
Ist deshalb auch nachträglich geneigt anzunehmen, dass durch seinen
Filter vielleicht doch eine Tumorzelle hindurchgegangen ist die die Ge-
schw'ulstbildung auslöste. Schliesslich erwähne ich meine kürzlich in
einer vorläufigen Mitteilung veröffentlichten erfolgreichen Ueber-
tragungen menschlicher Tumoren auf Tiere, die nicht im Sinne einer
Transplantation, sondern der Entstehung eines neuen Tumors durch
Reiz Wirkung zu deuten sind.
Diese spärlichen Beobachtungen könnten lediglich dafür sprechen,
dass bei dem Vorhandensein eines infektiösen Agens in Form eines
filtrierbaren Virus dieses zw'ar leicht zu gewinnen ist und eine lange
Lebensdauer besitzt, dass aber zum Hervorbringen einer echten Ge-
schw’ulst disponierende Faktoren seitens der Gewebe erforderlich sind,
ohne die das Virus seine Wirksamkeit nicht ausüben kann. Dem dis¬
ponierenden Faktor würde damit in der Krebsfrage die führende Rolle
zufallen im Gegensatz zu den bisher bekannten Infektionserregern und
infektiösen Virusarten. Dass bei dieser Annahme das Geschwnilstvirus
nicht abgetötet wird, sondern auch bei einer Vernichtung der Zellen,
wie man sie bei meinen so intensiven Bestrahlungen erwarten könnte,
am Leben bleibt, würde die Ergebnisse meiner Impfversuche ver¬
ständlich machen. Verständlich würde auch das Auftreten von Rezi¬
diven Jahre nach der Heilung, sofern man das Ueberleben des Virus
als schlummernde Infektion auffasst, die durch Auftreten besonderer
disponierender Momente das Entstehen der Geschwulstrezidive bedingt.
Verständlich würde auch die ausserordentliche Schwierigkeit der Ueber-
tragung menschlicher Tumoren auf Tiere, die nach meinen diesbezüg¬
lichen Versuchen *) nunmehr als tatsächlich möglich anzusehen ist. Lässt
sich der Beweis erbringen, dass sämtliche Geschwulstzellen eines
Impftumors unter der Strahlenwirkung abgetötet sind, so bliebe zur Er¬
klärung dessen, dass aus diesen sicher abgetöteten Zellen bei ihrer Ver¬
impfung neue Geschwülste entstehen, nur die Annahme eines infektiösen
Agens übrig. Ueber Untersuchungen in dieser Richtung werde ich dem¬
nächst berichten.
Diese Erörterungen zeigen, dass die Strahlenwirkung auf Ge¬
schwülste. Insbesondere die Wirkung der Tiefenbestrahlung, aufs engste
mit dem biologischen Experiment verknüpft und das Problem noch un¬
gelöst ist.
Die von mir beschrittenen neuen Wege des biologischen Experi¬
mentes ergaben, dass wdr die Impftumoren der Tiere als geeignetes
Testobjekt verwenden können. Sie ergaben ferner, dass wir uns mit
unseren theoretischen Anschauungen und Berechnungen in der Tiefen¬
therapie der Geschwülste auf falscher Bahn befinden, vorausgesetzt, dass
es nicht etw^a Geschwülste gibt, die ein vollständig refraktäres Ver¬
halten der Bestrahlung gegenüber besitzen.
Meine Versuche führen weiterhin zu neuen Feststellungen über die
Wirkung der Tiefenbestrahlung. Danach würde die Strahlenwirkung
jedenfalls nicht in einer direkten Schädigung der Geschwulstzelle zu
sehen sein, wieder hinsichtlich der Lebensfähigkeit, noch der Fortpfian-
zungsfähigkeit der Geschwulstzelle, man müsste sonst das Vorhanden¬
sein eines infektiösen Agens annehmen.
Sollte die Bearbeitung des biologischen Experimentes in der Tiefen-
bestrahlung in dem Masse aufgenommen werden, wie es bei der Durch¬
führung physikalischer Fragen geschehen ist. so dürften wir bald das
Problem der exakten biologischen Dosimetrie und der Wirkung der
Röntgenstrahlen für die Tiefenbestrahlung der Geschwülste einer
Lösung zuführen.
Aus dem chemischen Laboratorium der Akademie der Wissen¬
schaften zu München.
Theorie der Narkose durch Inhalationsanästhetica.
Von Prof. Dr. Kurt H. Meyer u. Hans Qottlieb-Billroth.
Vor etwa 20 Jahren stellten H. Meyer^) und kurz darauf un¬
abhängig von ihm 0 v e r t o n *) die sog. „Lipoidtheorie“ der Narkose auf.
Nach ihr ist die Narkose eine Folge derjenigen Veränderung des normalen
Zustandes der Zelle, die durch die Auflösung indifferenter Narkotika in
den Zellipoiden hervorgebracht wird. Nach Meyer und O v e r t o n
folgt hieraus, dass „die verhältnismässige Wirkungsstärke solcher Nar¬
kotika abhängig sein muss von ihrer mechanischen Affinität zu fettähn¬
lichen Substanzen einerseits, zu den übrigen Körperteilen, d. i. haupt¬
sächlich Wasser, andererseits, mithin von dem Teilungskoeffi¬
zienten, der ihre Verteilung in einem Gemisch von Wasser und fett¬
ähnlichen Substanzen bestimmt.“
Diese Beziehung wurde von beiden Forschern an Kaulquappen mit
wasserlöslichen Narkotika geprüft; tatsächlich verliefen Wirkungsstärke
Fett
des Narkotikums einerseits und Teilungskoeffizient - anderseits,
Wasser
der an Olivenöl-Wassergemengen experimentell bestimmt wurde, bei
den verschiedenartigsten Substanzen symbat.
Von den Inhalationsanästhetika wissen wir. dass bei ihnen ein ganz
bestimmter, für jedes Narkotikum charakteristischer Volumprozentgehalt
der Atmungsluft notw'enig ist, um gerade eben Narkose hervorzubringen;
er beträgt bei Mäusen z. B. für Aether 3.4 Proz., für Chloroform 0,44 Proz.
Die „Wirkugsstärke“ definiert man daher zweckmässig als den rezi¬
proken Wert dieses Gehaltes. Will man nun die Lipoidtheorie sinn¬
gemäss auf die Inhalationsanästhesie anwenden und einen Zusammenhang
zwischen Wirkungsstärke und Lipoidaffinität suchen, so findet man eine
andere Beziehung als die in dem oben angeführten Satz. Die Menge des
Gases, die von den Lipoiden durch Lösung aus einem Gase von gleich¬
bleibendem Prozentgehalt aufgenommen wird und auf die es nach der
Lipoidtheorie ankommt, hängt ab von dem JLöslichkeitskoeffi-
z i e n t e n“ ®) des Gases in Lipoid und ist ganz unabhängig von dem
Teilungskoeffizienten Wasser. Hiernach ist also, ein Zusammenhang
zwischen „Wirkungsstärke“ und „Löslichkeitskoeffi¬
zient“ zu erwarten: sie müssen bei verschiedenartigen Stoffen sym¬
bat verlaufen.
Diese Folgemng der Lipoidtheorie haben wir an reichem Material
experimentell geprüft: dies schien uns deswegen von Wichtigkeit, weil
in den letzten Jahren die Lipoidtheorie heiss umstritten wird. Wir be¬
stimmten einerseits diejenigen Konzentrationen verschiedener Anästhe-
tika in der Atmungsluft, bei denen Mäuse nach ca. % Stunden gerade
einschliefen, anderseits mit genauer physikalischer Methode die Löslich-
VerhdI. d. deutschen Oes. f. Chir. 1920,
Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 42. 109. 1899.; auch Meyer-Gottlieb;
Die experimentelle Pharmakologie. Berlin-Wien.
*) Studien über die Narkose. Jena 1901.
L = Löslichkeitskoeffizient (Nernst) = Löslichkeit (nach O s t w a I d)
= Anzahl Volume Gas, die ein Volumteil eines flüssigen Absorbens aufnimmt.
Gleichbedeutend mit Teilungskoeffizient
Qasraum
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
9
keitskoeffizienten in Olivenöl. Es wäre zweifellos folgerichtiger, die |
Löslichkeitskoeffizienten in den Lipoiden direkt zu messen; das ist aber
nicht möglich, weil die extrahierten Lipoide ganz andere Konsistenz
haben (fest und bröckelig) als sie im emulgierten (sozusagen „über¬
schmolzenen“, flüssigen) Zustande in der Zelle besitzen. Demgemäss ist
auch ihr Lösungsvermögen in festem Zustande geringer als im lebenden
Organismus und das endgültige Gleichgewicht zwischen Gasphase und
Lipoid stellt sich sehr langsam, im Laufe mehrerer Wochen ein. Aus
diesem Grunde waren wir auf die Anwendung eines flüssigen Fettes
angewiesen.
Das gesamte experimentelle Material soll in einer längeren Ab¬
handlung in der Zschr. f. physiol. Chemie demnächst veröffentlicht wer¬
den; hier seien nur unsere Ergebnisse tabellarisch zusammengestellt. Die
Fehlergrenzen betragen sowohl bei den narkotischen Konzentrationen
wie bei den Löslichkeitskoeffizienten etwa 10 Proz. des Wertes. Wir
wählten — im Gegensatz zu manchen Autoren, die über das gleiche
Gebiet arbeiteten — Stoffe aus möglichst viel verschiedenen Körper¬
klassen, da man nur in diesem Falle aus einer Gleichsinnigkeit zweier
Eigenschaften auf einen ursächlichen Zusammenhang beider schliessen
kann. Bei den so oft herangezogenen Stoffen aus homologen Reihen
ändern sich nämlich alle Eigenschaften in gesetzmässigen Intervallen,
und eine Gleichsinnigkeit zweier Eigenschaften braucht keineswegs auf
einer engen Beziehung beider zu beruhen.
Substanz
L = narkotische
Konzentration
in Volum¬
prozenten
W=W'irkang8-
stärke =
100
C
L =
Löalichkeits-
koefüzient bei
370
K = Konz, des
Narkotikums im
Lij)oid in Molen
per Liter
Stickoxydul . . .
100
1
1.4
0,06
Dimethyläther . .
12
8,8
11,6
0,06
Chlonnethyl . .
6,5
15,4
14,0
0,04
Aethylenoxyd . .
6.8
17,3
81
0,07
Chlorithyl. . . .
5,0
20
41
0,08
Bromäthyl....
8,4
26-30
82
0,04
Amvlen.
-Aether.
4,0
25
65
0,10
8,4
29
50
0,07
Methylul ....
2,8
35
75
0,08
Bromäthyl . . .
1,9
58
94
0,07
Dimethylazetal . .
Diäthyirormal . .
1,9
53
100
0,06
1,0
100
120
0,05
1.1 Dichloräthylen.
0,95
105
180
0,05
Chloroform .' . .
0,44
228
967
0 05
Mittel: 0,06
Man erkennt, dass Wirkungsstärke und Löslichkeitskoeffizient nicht
nur gleichsinnig, sondern annähernd proportional verlaufen.
Aus den Löslichkeitskoeffizienten können wir nun die molekulare
Konzentration der Narkotika in den fettähnlichen Lipoiden des Hirns be¬
rechnen. die im Moment der Narkose herrscht.
Ist C der Gehalt der Luft an Narkotikum in Volumprozenten, L der
Löslichkeitskoeffizient, R = 241 die Gaskonstante bei 20®, '^Lip. die
Konzentration der Narkotika in Molen im Liter fettähnliches Lipoid, so
r 1 C
ergibt sich: '^Lip. = ^ * jjjy • L.
Die Werte sind in der letzten Kolumne zusammengestellt; CLip.
ist innerhalb der Fehlergrenzen (ca. ± 0,02) konstant.
Unsere Versuche ergeben somit: Chemisch indifferente
Inhalationsanästhetika wirken narkotisch, wenn sie
in solchen Konzentrationen eingeatmet werden, dass
sich in den fettähnlichen Hirnlipoiden ein Gehalt von
ca. 0,06 Molen.pro Liter einstellt.
Dieser für Lipoide mit ähnlichem Lösungsvermögen wie flüssiges
Fett experimentell gewonnene, von jeder Theorie freie Satz lässt sich
mit grosser Wahrscheinlichkeit auch auf die Hirnlipoide im ganzen aus¬
dehnen: Sie besitzen nämlich im lebenden Hirn etwa das gleiche Lösungs¬
vermögen gegenüber Inhalationsanästhetika wde flüssiges Fett. F r i s o n
und N i c 1 0 u X *) haben den Chloroformgehalt der Hirnlipoide im Mo¬
ment der Narkose direkt analytisch bestimmt und fanden in vielen Ver¬
suchen stets etwa 0,45 g Chloroform pro 100 g Hirnlipoid, was 0,04 Molen
pro^ Liter Lipoid entspricht. Wir haben in obiger Tabelle den Wert
ü,ü5 Mol beim Chloroform berechnet, was befriedigend mit dem Werte
von F r i s 0 n und N i c 1 o u x übereinstimmt.
Das Lösungsvermögen der Lipoide steigt beträchtlich an mit fal¬
lender Temperatur; dementsprechend steigt auch die Wirkungsstärke
mit fallender Temperatur, wie aus Vergleichsversuchen z. B. am Kalt-
und Warmblüter hervorgeht.
Wir haben — veranlasst durch unsere Resultate — auch aus den
zahlreichen Versuchen von H. Meyer und 0 v e r t o n die molekulare
Konzentration der Narkotika berechnet die auf Grund der Löslichkeiten
Del
(Teilungskoeffizienten-^^^—in den Lipoiden im Moment der Narkose
anzunehmen ist. Wir finden hier — allerdings mit viel grösseren Schwan¬
kungen — den Wert 0,05 im Mittel.
Wir kommen hieraus und aus unseren eigenen ^Resultaten zu einer
neuen einfachen Formulierung der „Lipoidtheorie“:
Narkose tritt ein, wenn ein beliebiger chemisch
indifferenter Stoff in einer bestimmten molekularen
Konzentration in die Zellipoide eingedrungen ist.
•) C. R. de la soc. de Biologie 63. 220. (1907).
Nr. 1. •
I Diese Konzentration variiert mit der Zellart (Tierart), ist aber im grossen
und ganzen unabhängig von den Eigenschaften des Narkotikums.
Hierdurch wird man weiter zu dem Schluss geführt, dass die Nar¬
kose eine — vermutlich indirekte - Folge dieser Auflösung in den
Lipoiden ist. Welcher Art aber die nächste direkte Wirkung dieser Auf¬
lösung ist, die dann ihrerseits direkt Narkose hervorruft, können wir nicht
entscheiden. Keinesfalls kann es sich bei der ganz verschiedenartigen
Reaktionsfähigkeit und Konstitution der gleichartig wirkenden Narkotika
um eine chemische Reaktion handeln. Vielmehr muss es sich um eine
physikalische Zustandsänderung in den Zellipoiden und damit der Zelle
handeln, die gleichmässig durch gleichmolekulare Auflösung bewirkt wird,
ähnlich wie der Erstarrungspunkt von Flüssigkeiten durch gleichmoleku¬
lare Zusätze um denselben Betrag herabgedrückt wird. Ob es sich hier¬
bei z. B. um eine gleichmässige Herabsetzung der Löslichkeit für Sauer¬
stoff, um eine Art Schmelzpunktserniedrigung, um eine gleichmässige
Aenderung des Quellungsgrades, der lonenpermeabilität usw. handelt,
das zu entscheiden lag nicht im Rahmen dieser Arbeit.
Aus der Augustaklinik in Düsseldorf.
(Leiter; Dr. K. J. Weder hake.)
Eine Verbesserung der Chloroform- und Aethernarkose.
Von Dr. K- J. W e de r hake-Düsseldorf.
Für Chloroform und Aether wird gewöhnlich die Tropfmethode bei
der Narkose angewandt. Sie ist so sehr in Fleisch und Blut der Aerzte
übergegangen, dass ein Abweichen von der Tropfnarkose im allgemeinen
als Kunstfehler betrachtet wird. Die Erfahrung gibt ja auch den An¬
hängern der Tropfnarkose hinsichtlich der geringeren Zahl der Todes¬
fälle recht. Doch hat die Tropfmethode eine Anzahl Nachteile, die mich
veranlassten, sie schon seit Jahren aufzugeben und durch eine Methode
zu ersetzen, die im wesentlichen auf dem „Schütten“ beruht. Ich
stütze mich auf über 12 5(X) Narkosen, die mit der zu beschreibenden
Methode ohne Todesfall ausgeführt wurden.
Die einzelnen Nachteile der Tropfnarkose will ich nicht im be¬
sonderen erörtern, zumal H o f f m a n n - Kalk diese erst vor kurzem in
der Münch, med. Wochenschr. besprochen hat. Auch Hoff mann
und mit ihm Frankenheim haben die Tropfmethode verlassen und
wenden besonders die „Narkose mit dem Handtuch“ an. Diese ist
zweifellos praktisch veru'ertbar, hat jedoch den Nachteil, dass das
Gesicht der zu Narkotisierenden nur von Zeit zu Zeit beobachtet wird.
Unsere Narkose, die sich nach längerer Erfahrung zu der Er¬
findung einer neuen Maske verdichtete, vermeidet auch diesen Nachteil.
Maske geöffnet.
Diese Maske (D.R.G.M. angemeldet), eine Doppelmaske, besteht
aus zwei Masken, die durch ein Charnier mit einander verbunden sind,
w^elche so übereinander geklappt werden können, dass zwischen die
Wandungen beider eine luftdurchlässige, aufsaugende Schicht (Watte)
von ca. Daumendicke jjebracht werden kann. Die äussere Maske trägt
eine Oeffnung, welche zur Aufnahme des Narkotikums (Chloroform oder
Aether) dient. Die Wände bestehen aus einem feinen Drahtnetz; das
Profil ist so gearbeitet, dass es sich genau dem Gesicht, ähnlich wie
bei der Sudekmaske, anpasst. Hierbei bleiben die Augen frei. Den
Aufnahmeraum füllen wir locker mit Mull aus. Die wesentlichen Merk¬
male unserer Maske sind:
1. Sie passt sich genau den Konturen des Gesichtes an unter Frei¬
lassung der Augen.
2. Das Narkotikum wird konzentriert und erwärmt ein¬
geatmet, ohne dass die Lufteinatmung wesentlich behindert ist.
3. Sie besitzt keine Ventile.
4. Eine Kondensation von Chloroform oder Aetherdämpfen findet
bei richtiger Anwendung nicht statt.
Die Ausführung der Narkose geschieht in der einfachsten Weise.
Wir fordern den zu Narkotisierenden auf. langsam zu zählen und da¬
zwischen ruhig Luft zu holen. Wir lassen von eins an zählen. Wir
zählen also niemals rückwärts. Auch fordern wir den Patienten nicht
auf, sehr stark zu atmen, um etwa eine Blutleere des (jehirns — nach
Hoffman n — zu erzielen. Je ruhiger der zu Betäubende atmet,
desto schneller tritt die Wirkung des Betäubungsmittels ein.
3
Digitized by
Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10
MÜNCHSNER MEDlZiKlSCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 1.
Während der Kranke langsam zählt und ruhig atmet, schütten wir
in den Aufnahmeraum auf den Mull langsam mit einem Acthertropfer
2 bis 3 g Chloroform. Das geschieht so langsam, dass der Kranke
etwa 8 bis 10 gezählt hat. Dann schütten wir 3 g Aether auf und
fahren fort, langsam von 5 zu 5 Sekunden ein Gramm Aether auf¬
zuschütten, bis der Kranke aufhört zu zählen. Jetzt beobachten wir
einige Zeit die Wirkung des Narkotikums. Wir sehen dann, dass der
Rausch sehr schnell eintritt. Wo sich dieser verzögert, gibt man noch
2 bis 3 g Chloroform nach. In den meisten Fällen zählen die Patienten
höchstens bis 30 und sind dann im Rausch. Ein ganz kurzes Exzitations¬
stadium, welches kaum bemerkt wird, tritt nur in den selteneren Fällen
ein. Man kann bereits nach dem Aufhören des Zählens kurze Eingriffe
machen oder den Patienten zur Operation vorbereiten; z. B. rasieren,
mit Jodtinktur pinsein, schmerzhafte Verbände entfernen usw. Fast
ohne aufzufallen, geht der Rausch in die tiefere Narkose über, was
sich durch die regelmässigen, tiefen Atemzüge, Erschlaffung der Glie¬
der usw. bemerkbar macht. Sie kann nun durch geringes, von Zeit zu
Zeit zu wiederholendes Nachschütten von Aether stundenlang unter¬
halten werden.
Auffällig ist der äusserst geringe Verbrauch an Narkotikum. Für
eine Narkose von einer halben Stunde gebrauchten wir 3 g Chloroform
und ca. 30 g Aether. Je länger die Narkose dauert, desto relativ geringer
wird der Aetherverbrauch. Unangenehme Komplikationen haben wir nie
erlebt. Sollte einmal die Narkose mit Aether nicht tief genug sein, so
soll man sie nicht durch übermässiges Schütten von Aether erzwingen
wollen, sondern lieber 1 bis 2 g Chloroform hinzuschütten. Will
man reine Chloroformnarkose machen, so erinnere
man sich, dass der Verbrauch mit unserer Maske ein
ganz minimaler ist und dass nicht einmal der zehnte
Teil von dem gebraucht wird, was man bei einer
Tropfnarkose verwenden darf. Kranke, die früher nach der
Tropfnarkose betäubt worden waren, sprachen sich ausserordentlich
lobend über die neue Methode aus. Niemals tritt bei richtigem Ge¬
brauche das Gefühl der Erstickung ein. Asphyxien wurden nicht be¬
obachtet. Das ist um so schwerwiegender, weil die Narkosen durch¬
gehend von Schwestern ausgeführt wurden; diese machten schon nach
kurzer Anleitung tadellose Narkosen. Während der ganzen
Narkose wird die Maske womöglich nicht abgenom¬
men. Schleimabsonderungen fanden so selten statt, dass ein Abputzen
des Mundes kaum in Frage kam. Während der ganzen Nar¬
kose wird der Puls nicht beobachtet. Scharf beob¬
achtet wird dagegen die Atmung, welche deutlich und
regelmässig gehört werden muss. Das Gesicht der Narkotisierten bleibt
frisch, die Lippen bleiben rot und nehmen kaum eine etwas bläuliche
Färbung an.
Ueber die Wirkung unserer Narkose können wir nur Vermutungen
aussprechen. Ich glaube nicht, dass die Blutleere des Gehirns, wie
H 0 f f m a n n sie annimmt und als günstig für die Narkose ansieht,
bei uns eine grosse Rolle spielt. Ich glaube aber, dass die grössere
Konzentration des Narkotikums für die schnelle und dauernde Wirkung
von grosser Wichtigkeit ist. Auch die Warmhaltung des Narkotikums
ist sicher von ausschlaggebender Bedeutung. Vielleicht ist auch die An¬
reicherung mit Kohlensäure von Wichtigkeit. Wenn Sauerbruch In
einem seiner letzten bedeutungsvollen Aufsätze (M.m.W. 1920)
dringend darauf hinweist, dass die örtliche und Leitungsbetäubung den
Chirurgen nicht vollkommen befriedigen kann und dass auch sie nicht
ohne Gefahren ist, und wenn er als weitere Forderung hinstellt, dass
die Allgemeinbetäubung mjttels Einatmung verbessert werden müsse,
so glaube ich eine solche wesentliche Verbesserung hier beschrieben zu
haben. Ich möchte eine Aethertropfnarkose mit der Esmarchschen
Maske nicht mehr mitmachen. Lieber habe ich mir die beschriebene
Maske improvisiert. Ich veröffentliche die Sache erst, nachdem ich
mich davon überzeugt habe, dass eine Gefahr bei dieser Art Narkose
nicht besteht.
Erwähnen will ich noch, dass ich nur eine Pneumonie beobachtet
habe und diese bei einer Kranken, welche nach jeder Art Narkose,
Chloroform, Aether, Aethylchlorid und Lachgas eine solche bekommen
hatte. Auch die beobachtete Lungenentzündung war nur kurzdauernd
und heilte in 5 Tagen ab, während die Pneumonie nach Chloroform fast
4 Wochen zur Heilung nötig hatte.
Ein nicht geringer Vorteil unserer Maske ist die
gewaltige Ersparung an Narkotikum. Es ist nicht zu viel
gesagt, dass die Ersparung so gross ist. dass die Maske sich durch
10 Narkosen vollständig bezahlt macht. Nicht nur für die Praxis des
Arztes ist dies aber von materiellem Vorteil, sondern auch besonders
für grössere chirurgische Stationen. Betrug doch früher der Preis für
100 g Aether etwa 30 Pfennige, während das gleiche Quantum jetzt
15—18 Mark kostet
Eine Kontraindikation, unsere Narkose anzuwenden, haben wir
nicht gefunden. Auch Kranke mit schweren Herzfehlern. Struma usw.
wurden ohne Schaden narkotisiert Jeder Kranke, der es
wünschte, wurde der Narkose unterworfen.
In einem kurzen Merkblatte über unsere Narkose wird der Schüler
besonders auf folgende Punkte verwiesen:
1. Narkotisiere nicht bei vollem Magen; der Kranke soll also
nüchtern sein.
2. Achte genau auf die Atmung und Pupillen: nur weite r e ak-
t i o n s 1 o s e Pupillen weisen auf eine nahe bevorstehende Ge¬
fahr hin; nur in diesem Falle muss die M^aske so¬
fort vom Gesichte entfernt werden
3. Niemals darf die Maske von Narkotikum triefen.
4. Bedenke immer, dass Chloroform Chloroform, d. h. ein schweres
Herzgift ist: Schränke also seinen Gebrauch aufs
äussersteein.
5. Während der ganzen Dauer der Narkose soll die Maske nach
Möglichkeit nicht entfernt werden, da das Erw^achen aus der Nar¬
kose sehr schnell geschieht
Hersteller der Maske ist: Sanitätshaus Arthur Wolff, Düsseldorf.
Hüttenstr. 5.
Aus der psychiatrischen Klinik der Universität Halle a. S.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. Anton.)
Die intravenüse Behandlung von Nervenkrankheiten
mit der Preglechen Jodllieung.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Dr. Karl Pönitz, Assistenzarzt der Klinik.
Anton^) hat einen neuen Weg zur ,.direkten Gehirndesinfektion“
angegeben. Die praktische Ausführung [VoelckerQ] hat bereits
stattgefunden. Als Desinfiziens ist die Pr e gl sehe Jodlösung benützt
worden.
Bevor die Flüssigkeit jedoch bei der Schädeloperation (näheres
über diese in der zitierten Arbeit!) verwendet wurde, ist sie auf An¬
regung von Anton in der hiesigen Klinik zunächst intravenös aus¬
probiert worden.
Unabhängig von der erwähnten operativen Behandlung sind von
uns die intravenösen Injektionen zu therapeutischen Zwecken
fortgesetzt worden und lediglich über diese, nun etwa ein halbes Jahr
lang zurückreichende, Anwendung soll an dieser Stelle kurz berichtet
werden. Die Veröffentlichung geschieht, nachdem Anton und ich in
Jena*) hierüber berichtet haben und von anderer Seite der Wunsch
geäussert wurde, das Mittel zu benutzen. Eine eingehende Darstellung:
und eine abschliessende Beurteilung der Wirksamkeit der Pregllösung:
kann naturgemäss — ich betone es aber hier ausdrücklich! — erst nach
häufigerer Anwendung und nach längerer Beobachtung der Fälle ge¬
geben werden.
Der medizinische Chemiker in Graz, Prof. Pregl, der uns die
Lösung zur Verfügung stellt, hat bisher noch nichts hierüber publiziert,
und wir müssen eine Mitteilung über die Zusammensetzung und die
chemisch-physikalischen Eigenschaften der Lösung ihm überlassen *).
„Das Ziel dieses physikalischen Chemikers war. eine Lösung dar¬
zustellen, welche wegen ihres grossen Jodgehaltes desinfizierend wirkt
und welche physikalisch-chemisch alle Reaktionen des Blutes für sich
beanspruchen kann. Diese Flüssigkeit kann in alle Venen injiziert
werden, auch in grossen Dosen. Sie zirkuliert ohne Schaden im Organis¬
mus. Doch entbindet sie bei krankhaften Prozessen freies Jod.“ (Anton.)
Die bräunliche Flüssigkeit, die Jod zum Teil frei, zum Teil in —
durch Schwefelsäure und Natriumnitrit — abspaltbarer Form enthält,
ist nach mündlichen Mitteilungen — auch hierüber fehlen noch Publika¬
tionen — in den Grazer Kliniken (Knauer, Hartmann. Hertle)
mit Erfolg angewandt worden, und zwar bei Grippe. Pneumonie,
Sepsis, Gelenkrheumatismus, aszendierender Gonor¬
rhöe des Weibes, Zystitis, Pyelitis. Stömatitis. Alveo-
larpyorrhöe usw.
In der hiesigen Klinik wurden bisher rund 40 Patienten behandelt
und zwar wurden die intravenösen Injektionen — soweit nicht äussere
Gründe die Fortsetzung verhinderten — öfter wiederholt.
Nachdem wir .zuerst nur ganz geringe Dosen angewandt haben,
haben wir schliesslich bis zu 100 ccm auf einmal injiziert.
Eine Erwärmung der Lösung ist nicht nötig, ebensowenig natur¬
gemäss eine besondere Sterilisation. Die Injektion ist bisher sowohl
lokal wie auch allgemein gut vertragen worden. Erglesst sich — was
bei grossen Mengen schon einmal Vorkommen kann, aber tunlichst zu
vermeiden ist — ein Teil der Lösung in das subkutane Gewebe, so tritt
wohl bisweilen ein Dehnungsschmerz, nicht aber die bei Salvarsan-
injektionen so gefürchtete Entzündung auf. ln einem einzigen Falle
(Paralytiker) stieg die Temperatur einige Stunden nach der Injektion
auf 38,5 Patient lag an diesem und den folgenden Tag abgespannt
aussehend und über Kopfschmerzen klagend im Bett, dann waren die
Beschwerden vorüber.
Da es sich für uns zunächst um eine Ausprobierung des Mittels ohne
scharf umrissene Indikationsstellung handelte, so injizierten wir bei den
verschiedenartigsten Erkrankungen. Soweit sich bisher etwas über die
Resultate sagen lässt, sei folgendes festgestellt:
Dass die multiple Sklerose, Tabes, Epilepsie, Ar¬
teriosklerose wesentlich beeinflusst würden, kann man kaum
sagen. Verneinen möchte ich es nicht unbedingt, well hierzu noch zu
wenig Beobachtungsfälle vorliegen und es sich nicht entscheiden lässt.
Anton und V o e 1 c k e r: Vorschläge zur Befreiung des Venenkreis¬
laufs und zur direkten Desinfektion des Gehirns. M.m.W. 1920 S. 951.
*) Vorträge auf der Versammlung mitteldeutscher Psychiater in Jena
am 31. Oktober 1920, cf. Versammlungsbericht im Arch. f. Psych. u. Neurol.
*) Vergleiche die Mitteilungen im Verein der Aerzte in Steiermark auf
S. 30 dieser Nummer. Schriftltg.
Digitized by Goiisle
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 19^1.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
II
(ib leichte Besserungen, die wir bei den erwähnten Erkrankungen nach
der Einspritzung zweifellos sahen, nicht auch unter der sonstigen Be¬
handlung aufgetreten wären.
Ein Kretin verlor nach zweimaliger Injektion messbar an myx-
udematQser Hautbeschaffenheit.
Bei einem Kranken, der mit einer schweren, stinkenden, eitrigen
Stomatitis hier eingeliefert wurde, heilte diese Schleimhauterkran-
kui^ ohne wesentliche lokale Behandlung nach ebenfalls zwei Ein¬
spritzungen ab.
Von den vier Fällen von Encephalitis lethargica, die be¬
handelt wurden, hat sich kein Fall weiter verschlechtert ein Patient
ist bisher tagelang nach jeder Injektion in seinem Wesen merklich leb¬
hafter gewesen, hat deutlichere Spontaneität geze gt; ein anderer, der
bis zum Beginn der Behandlung ein katatones Gepräge gezeigt hat,
verliess kurze Zeit nach der Behandlung geheilt die Klinik. Dem Ein-
wTirie. dass ja auch sonst die Prognose bei dieser jetzt so häufig ein¬
tretenden Krankheit keine unbedingt schlechte ist und dass es daher
nicht erwiesen sei, ob man hier das „post hoc, ergo propter hoc“ an¬
wenden könne, lässt sich einstweilen allerdings keine stichhaltige Be¬
weisführung entgegensetzen.
Bei zw'ei Patienten, wo wir eine Bulbärmyelitis annehmen
zu müssen glaubten, sind die Injektionen erfolglos geblieben, der eine
Patient, der sich schon vorher progredient verschlechterte, ist — man
darf wohl sicher sagen: nicht wegen, sondern trotz der Einspritzung ~
ad exitum gekommen.
Am häufigsten — hierauf steuerten wir nach allem ja von Anfang
an zu — sind die Injektionen an Paralytikern vorgenommen
worden. Es erscheint uns bemerkenswert, dass die 7 hier in Frage
kommenden Patienten sich in ihrem allgemeinen Ernährangszustand wie
in ihrem psychischen Verhalten nicht verschlechtert, 2 sichtlich — nach
bis dahin fortschreitender Verschlechterung — gebessert haben. Dass
es sich bei all diesen 7 Fällen, die nun monatelang hier in der Klinik
beobachtet werden, um zufällige Remissionen handeln sollte,
wäre doch recht merkwürdig, zumal der eine gebesserte Fall sich schon
lange Zeit vorher mit einer ausgesprochenen still-dementen Form der
I^ralyse hier in der Klinik befunden hat. also einer Form, die bekannter-
massen nicht häufig zu Besserungen neigt.
Zu betonen ist dabei, dass der klinisch-neurologische Befund (Reflex¬
störungen etc.) sich nicht gebessert hat, dass jedoch die bis dahin posi¬
tive Wassermann sehe Reaktion im Blute in fast allen Eällen
negativ geworden und negativ geblieben ist. Dies sei lediglich als
Tatsache mitgeteilt, es, soll nicht damit gesagt sein, dass mit der Be¬
seitigung des positiven Ausfalls der Reaktion für die Paralyseheilung
an und für sich Entscheidendes getan ist. Die Beeinflussung der
Liquorreaktionen, über die später berichtet werden soll, würde schon
wesentlicher sein. Einstweilen sei nur mitgeteilt, dass wir sowohl bei
anderen mit Pregllösung behandelten lO’anken wie bei Paralytikern Jod
im Liquor nicht nachweisen konnten. (Untersuchung durch Prof. Koch-
mann vom Pharmakol. Institut.) Auch andere Autoren haben ja Jod
im Liquor von Paralytikern nicht nachweisen können. Brissand
konnte wohl die Durchlässigkeit der Meningen für Jod bei syphilitischer
Meningitis nachweisen. während Eskuchen betont, dass gesunde
Meningen Jod nicht durchlassen.
Ohne uns einem kritiklosen Optimismus hingeben zu wollen, sehen
wir uns nach den bisherigen, speziell bei Paralytikern gemachten nicht
Bogunstigen Erfahrungen veranlasst, es zunächst weiterhin therapeutisch
mit der P reg Ischen Lösung zu versuchen, vor allen Dingen — was
die Dosierung anbelangt — nunmehr systematischer vorzugehen.
Trotzdem Plaut in einem zusammenfassenden kritischen Vortrag
richtig gesagt hat. dass zwischen den verschiedenartigen und inten¬
siven therapeutischen Bemühungen und den wenig gesicherten, bisher
erreichten Resultaten ein Missverhältnis besteht, erscheint es uns weder
theoretisch noch praktisch unmöglich, den paralytischen Krankheitspro¬
zess zum Stillstand zu bringen. Würden wir freilich über die Lebens¬
bedingungen der Spirochäten, speziell über ihre Lebensweise im
Paralytikerkörper genauer Bescheid wissen (J a h n e 1 s Untersuchungen
sind ein wichtiger Baustein hierzu), so Hesse sich die Paralysetherapie
viel exakter fundieren, als es uns jetzt möglich ist
Eine Nebenbeobachtung sei zum Schlüsse erwähnt: Bei
sämtlichen von uns mit der Pr eg Ischen Lösung behandelten Fällen
üess sich am ersten und zweiten Tag nach der Injektion, bisweilen auch
länger, Jod im Urin nachweisen. Nachweis mit verdünnter Schwefel¬
säure. 1 proz. Natriumnitritlösung und Chloroform (vgl. Sahli, 5. Aufl.,
S. 685). Nur in zwei Fällen blieb — mit dieser Methode geprüft — die
Jodansscheidnng im Urin während dieser Zeit aus und zwar handelte
es sich in beiden Fällen merkwürdigerweise um eitrige Prozesse,
nämlich einmal um die oben erwähnte schwere eitrige Stomatitis und
weiterhin um einen Fall, wo offenbar ein eitriger zerebraler Prozess
Vorgelegen hat. Man könnte wohl vermuten, dass eitrige Prozesse
im Körper das Jod an sich reissen und die Jodausscheidung im Urin
zem mindesten verzögern (bei der Stomatitis Hess sich das Jod im
eitrigen Speichel nachweisen). Würde sich diese Tatsache bei einer
Nachprüfung an einem grösseren Material — etwa in einer internen oder
chirurgischen Klinik — bestätigen, so Hesse sich damit vielleicht eine
Methode zur Diagnose innerer Eiterungen ausbauen.
Digitized by Goüsle
Ist die Hautjodierung bei Bauchschnitten erlaubt?
Von Dr. Karl Propping, Privatdozent in Frankfurt a. M.
L Die QefährUchkeit der Jodlening.
Im Jahre 1911 habe ich die Behauptung aufgestellt‘), dass die
Hautjodierung bei Bauchschnitten Schuld sei an dem vermehrten Vor¬
kommen des Adhäsionsileus. Wenn man nämlich die herausgelagerten
Därme nicht sorgfältig vor der Berührung mit der jodierten Haut
schütze, so müsse es zu Serosaschädigungen und damit zu Adhäsionen
kommen, die bei ungünstiger Entwicklung zum Ileus führen könnten.
Dass Jod in der Tat ein spezifisches Mittel ist. um Adhäsionen zu
erzeugen, wissen wir aus Tierexperimenten (z. B. Hein z: Virchows
Arch. 155. 1899) und aus der menschlichen Pathologie (therapeutische
Jodinjektion in seröse Höhlen oder Säcke). Mein damaliger Chef,
Geh. Rat R e h n, vertrat meine Anschauung auf dem Chirurgenkongress
desselben Jahres *) und schloss sich damit H e i n e k e an. der auf dem¬
selben Kongress der Befürchtung Ausdruck gab, dass das auf die Serosa
übertragene Jod „wahrscheinlich ausgedehnte Verklebungen und Ver¬
wachsungen hervorrufen könne.“ Bier hat unsere Bedenken an¬
erkannt, indem er in der Operationslehre von Bier. Braun und
Kümmell (3. Bd., 2. Auflage. Leipzig 1917) schreibt, dass bei Be¬
rührung der Eingeweide mit der jodierten Haut die Jodtinktur den
Serosaüberzug zerstöre und zu Verklebungen führe. Andererseits
traten mir Sick*). Hofmann*) und Bertelsmann*) entgegen,
weil sie bei einer gewissen Anzahl von Bauchschnitten trotz der
Jodierung keinen Ileus erlebt hatten und also offenbar die Zunahme
der Adhäsionsileusfälle an der Rehnsehen Klinik für Zufall hielten.
Eine Ileusstatistik, die in jüngster Zeit von Flesch-Thebeslus*)
über das Material der Rehnschen Klinik, jetzt Schmie denschen
Klinik veröffentlicht worden ist. gibt mir Veranlassung, noch einmal auf
die wichtige Streitfrage zurückzukommen. Aus der Arbeit geht hervor,
dass bei Jodierung der Bauchdecken fast doppelt so
viel Laparotomie rte einen Adhäsionsileus erlitten
haben wie bei der früher üblichen Abwaschung mit
Terpentin-Aether-Bäuschen (22 Fälle gegen 12 im Rehn-
sehen Material). Dabei ist zu bedenken, dass die Laparotomien der
Jodierten zum Teil noch relativ kurze Zeit zurückliegen (bis April
1919), so dass die Zahl der Ileusfälle bei längerer Beobachtungszeit nocli
anwachsen würde’).
Die Statistik ergibt also mit Sicherheit ein stark vermehrtes Vor¬
kommen des postoperativen Adhäsionsileus seit Anwendung der Haut-
jodierung und zwar, obgleich auch an der R e h n sehen Klinik seit meiner
Veröffentlichung stets die sorgfältige Abdeckung des Operationsfeldes
mit feuchten Kochsalzkompressen vorgenommen war.
Diese Abdeckung genügte also offenbar nicht, um die Serosa zu
schützen. Und in der Tat lässt sich auf einfache Weise feststellen, dass
die Mullabdeckung ungenügend ist
Man lege auf die jodierte Haut wie üblich eine ca. 8 fache Lage
feuchter oder trockener Gaze und darauf als Reagens ein Stückchen
feuchter Stärkebinde, und man wird sofort Blaufärbung der Stärke sehen.
Mit anderen Worten: Das Jod verdunstet von der warmen
Haut und durchdringt ohne weiteres die Maschen des
Gewebes. Die Reaktion tritt noch nach 1 Stunde ein. Durchlässige
Stoffe sind demnach ungeeignet, die Darmserosa vor der Berührung
mit Jod zu schützen. Verwendet man nach Biers Vorschlag ®) Billroth-
batist, den man an das Peritoneum anklemmt, so ist natürlich die
Sicherheit grösser, aber auch nicht absolut.
Wer also trotz dieser Erfahrungen die Hautjodierung bei Laparo¬
tomien beibehalten will, weil die Methode so einfach und bequem ist,
der wird sich damit abfinden müssen, dass er Adhäsionen in der Bauch¬
höhle zurücklässt. Ich kann meinesteils nur den Schluss
ziehen, dass es hohe Zeit ist, die Jodierung bei La¬
parotomien zu unterlassen, weil sie dem Grundsatz,
Schädigungen der Serosa nach Möglichkeit zu ver¬
meiden. nicht entspricht. Es ist meines Erachtens
Pflicht, ein anderes Verfahren an Stelle der Jo¬
dierung zu setzen.
II. Der Ersatz der .lodtinktur.
Dieses andere Mittel glaube ich in dem von Bechhold®) aus
dem Ehr lieh sehen Institut empfohlenen „halbspezifischen“ Tribrom-
naphthol (als „Providoform“ im Handel) gefunden zu haben. Der
Körper wirkt besonders stark auf die gewöhnlichen Eitererreger und
wurde bereits 1911 an der Rehnschen Klinik in proz. alkoholischer
Lösung mit gutem desinfektorischen Erfolg zur Händedesinfektion an¬
gewandt“), wegen Reizwirkung bei längerer (4 Wochen langer) An-
*) Zbl. f. Chir. 1911 Nr. 19.
■) Verh. d. D. Oes. f. Chir. 1911 S. 40.
*) Zbl. f. Chir. 1911 Nr. 23.
^) Zbl. f. Chir. 1911 Nr. 23.
*) Zbl. f. Chir. 1911 Nr. 26.
“) D. Zschr. f. Chir. 157. 1920.
’) Darnach sind die „Kriegsileusfälle“, wenigstens soweit sie durch
Adhäsion bedingt sind, zum Teil „JodileusfäUe“, denn es ist klar, dass Kriegs¬
kost und Fettschwund wohl die auslösende Ursache sein können, dass aber
vor aUem erst die Verwachsungen dagewesen sein müssen.
■) Op.-Lehre von Bier, Braun, Kümmell. 3. 2. Aufl. Leipzig 1917.
•) Verh. d. D. Oes. f. Chir. 1911 S. 41 und M.m.W. 1914 Nr. 37.
^") Lehmann: Bruns Beitr. 74. 1911.
3'
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
12
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Wendung aber wieder aufgegeben. Bei kurzdauernder Anwendung ist
eine Reizwirkung auch bei stärker konzentrierter (Sproz.) alkoholischer
Lösung nicht vorhanden. Ich desinfizierte mich im Felde mit dieser
Tinktur z. B. eine Woche lang täglich etwa 15 mal je 1 Minute lang
ohne schädliche Reizwirkung (sog. Schnelldesinfektion), eine einmalige
Anwendung ist daher ganz unbedenklich. Ich habe die Tinktur seit einem
Jahr als Ersatz der Jodtinktur bei allen Operationen gebraucht und den
Eindruck, dass sie ihr in keiner Weise an Desinfektionskraft nachsteht.
Die Substanz bildet nach Verdunsten des Alkohols einen feinen harzigen
Ueberzug auf der Haut und wirkt in dieser Hinsicht ähnlich, aber viel
milder wie z. B. Mastisol (Bakterienarretierung). Es liegen zudem eine
Reihe Veröffentlichungen über den praktischen Desinfektionswert der
Tribromnaphtholtinktur vor^‘), die günstig lauten.
Für die vorliegende Frage kommt aber natürlich alles darauf an,
dass die Tinktur die Serosa nicht schädigt Nach mündlicher Mit¬
teilung Bechholds ist eine solche Schädigung nicht anzunehmen, da
das Tribromnaphthol keine Verbindung mit Eiweiss eingeht wie eben
das Jod. Auch meine klinischen Erfahrungen bei Laparotomien sprechen
durchaus gegen eine Serosaschädigung (frühes Abgehen von Blähungen,
keine Adhäsionsbeschwerden), aber massgebend kann nur der Tierver¬
such sein^*).
Um den Mechanismus, wie er beim Menschen in Frage kommt, in
allerdings stark übertriebener Weise nachzuahmen, ging ich so vor: bei
einem Meerschweinchen wurde die Bauchhaut jodiert eine kleine La¬
parotomie gemacht und das vorliegende Dünndarmkonvolut einmal mit
dem Jodwattepinsel überstrichen, bei einem anderen Meerschweinchen
wurde mit Tribromnaphtholtinktur desinfiziert und wieder der freigelegte
Dünndarm sogar viel ausgiebiger eingepinselt Erfolg: das jodierte Tier
geht nach 8 Tagen zugrunde (Sektion: totale Synechie der Peritoneal¬
höhle bis unters Zwerchfell durch plastische Adhäsionen), das mit Tri¬
bromnaphthol behandelte Tier war ganz gesund und wurde nach 8 Tagen
getötet (Sektion: Bauchhöhle vollkommen normal, ohne jede Spur von
Adhäsionen). Vom Tribromnaphthol, das bei Berührung der Serosa mit
der Tinktur sofort als weisser Körper ausfällt (es ist so gut wie unlöslich
in Wasser!) war nichts mehr zu sehen“).
Ich halte den Versuch für eindeutig'genug, um sagen zu können:
Das Tribromnaphthol macht keine Adhäsionen, und
empfehle es daher als Ersatz der Jodtinktur.
Das „Providoform“ kommt in Tabletten zu 1 g (in absolutem
Alkohol zu lösen) oder in fertiger 5proz. Tinktur in den Handel. Die
Providoformtinktur ist zurzeit etwa 10mal billiger wie Jodtinktur“).
Ich fasse zusammen:
1. Die Hautjodierung führt bei Laparotomien so gut wie sicher zu
Adhäsionen, also auch unter Umständen zum AdhäsionsUeus. Die
Mullabdeckung des Operationsfeldes ist ungenügend.
2. Die Sproz. Tribromnaphtholtinktur („Providoformtinktur“) macht
keine Adhäsionen und ist in der Desinfektionskraft der Jodtinktur minde¬
stens gleichwertig. Sie ist daher geeignet, an Stelle der Jodtinktur zu
treten.
Aus dem Physiologischen Institut der Universität Würzburg.
Kurze Bemerkungen Ober Curare-Ersatzpräparate.
Von Prof. Dr. med. Dankwart Ackermann.
Es ist eine längst bekannte Tatsache, dass die quartären Am¬
moniumbasen, der^ einfachster Vertreter das Tetramethylammonium¬
hydroxyd: (CHs) 4=N-OH ist, sich durch eine mehr oder weniger aus¬
gesprochene Curarewirkung auszeichnen (Rabuteau: Compt rend.
76. S. 887. 1875). Auch Verfasser konnte dies gelegentlich der Dar¬
stellung einiger neuer derartiger Basen wieder bestätigt finden, welche
zum Zwecke leichter Isolierung von basischen Aporrhegmen oder,
wie man auch sagt, proteinogenen Aminen gewonnen wurden
(D. Ackermann und F. Kutscher: Ueber einige methylierte
Aminosäuren und methylierte Aporrhegmen sowie ihr Verhalten im Tier¬
körper, Zschr. f. Biol. 1920). Es muss nun wundemehmen. dass man
sich noch nicht entschlossen hat, statt der in ihrer Zusammensetzung
sehr schwankenden Curarepräparate des Handels für den Laboratoriums¬
gebrauch eine solche quartäre Base zu verwenden, in welchem Falle
man alle Vorteile geniessen würde, welche ein chemisch reiner Körper
vor einem Gemenge voraus hat, nämiich genaue Dosierbarkeit und ein
Arbeiten mit einem Mittel, das jeder Nachuntersucher in gleicher Zu¬
sammensetzung zu verwenden imstande ist; dazu kommt, dass die
Lösungen derartiger erschöpfend methylierter Körper, wie Verfasser
feststellen konnte durch Fäulnisbakterien nicht angegriffen werden
(D. Ackermann: Zschr. f. Biol. 64. S.44. 1914).
Da die Beschaffung guter Curarelösungen durch die Kriegsumstände
noch mehr erschwert wurde, entschloss sich der Verfasser, unter den
verschiedenen quartären Ammoniumbasen Umschau zu halten und fand
in dem eingangs erwähnten Telramethylammoniumhydroxyd ein sehr
brauchbares Präparat, das ausserdem, wie anscheinend wenig bekannt
ist, den Vorteil hat, in handlicher Form im Handel erhältlich zu sein (als
“) Voigt: Ther. Mh., März. 1917.
**) Oder Nachuntersuchungen mit dem Pneumoperitoneum, wie es
N ä g e 1 i (Zbl. f. Chir. 1919 Nr. 41) getan hat.
^*) Weitere Tierversuche sind im Gange.
“) Die Anwendung ist die gleiche wie bei der Jodtinktur, nur zweck¬
mässigerweise wegen der Farblosigkeit etwas intensiver.
Digitized by Gotigle
Nrj.
Chlorid bei E. Merck, Darmstadt). Zuletzt ist der Körper eingehend
pharmakologisch von A. Jodlbauer (Archives Internationales de
Pharmacodynamie et de Therapie Vol. VII (1900) S. 183) untersucht
worden, welcher gleichfalls die curareähnliche Wirkung bestätigte und
fand, dass Injektion von 0,00001 g Tetrametylammoniumchlorid pro
Gramm Tier beim Frosch nach 3 Minuten völlige Lähmung hervorruit,
die ca. 4 Stunden anhält. Bei Verwendung der doppelten Dose erfolgt
fast sofort nach der Einspritzung Atemstillstand und alsbald Lähmung
und nach IV» Tagen Erholung. Ich selbst habe auf den Eintritt der
völligen Lähmung oft etwas länger — bis zu 20 Minuten — warten
müssen, wiewohl eine gewisse Mattigkeit und das Ertragen der Rücken¬
lage ausserordentlich bald zu beobachten ist. Die verhältnismäsig früh¬
zeitige völlige Erholung bei Einhaltung kleinerer Dosen scheint mir ein
besonderer Vorteil für viele Versuche zu sein. Doch noch auf etwas
anderes möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen. Es ist dies
die Möglichkeit, die so schnelle Ausscheidung der quartären Ammonium,
basen durch die Nieren sehr leicht zu dei;nonstrieren, da diese Basen
ausserordentlich schwer lösliche Salze mit Goldchloridchlorwasserstoff¬
säure geben. So lösen sich vom Tetramethylammoniumchloraurat in
100 ccm Wasser bei 13® nur 0,19 g und vom Hexamethyl-Pentamethylen-
diammoniumchloraurat nur 0,04 g. Es gelang mir nun, im Harn eines
80 g schweren Frosches, der mit einem Milligramm Tetramethyl¬
ammoniumhydroxyd kuraresiert war, wenige Stunden nach der Ein¬
spritzung in den Rückenlymphsack eine Trübung mit 30proz. Qold-
chloridchlorwasserstoffsäure zu erhalten. Viel deutlicher wird der
Niederschlag, wenn pharmakologisch schwächere Basen verwendet
werden, weil man von diesen mehr einführen muss, um die Curare¬
wirkung zu erhalten, und sich dadurch bei weitem bessere Bedingungen
für die Ausfällung der Goldsalze ergeben; so bei Benutzung von Hexa-
methyl-Pentamethylendiammoniumchlorid, von dem man 10—20 mg zur
Curaresierung eines mittelgrossen Frosches braucht und von Hexamethyl-
Aethylendiammoniumchlorid, von dem mindestens 200 mg nötig sind.
Diese Basen sind ausserordentlich leicht zugänglich durch erschöpfende
Methylierung des im Handel erhältlichen Pentamethylendiamins bzw.
Aethylendiamins mit Hilfe von Dimethylsulfat (vergl. die oben ange¬
führte Arbeit von D. Ackermann und F. Kutscher).
Auch mit den nächst niederen Homologen des Hexamethyl-Penta-
methylendiamins, dem von W i 11 s t ä 11 e r und H e u b n e r (Ber. d.
deutsch, ehern. Ges. 40, 1907) dargestellten und geprüften Hexamethyl-
Tetraraethylendiammoniumchlorid glückt ein solcher Versuch sehr schön,
denn als ich eine Katze damit kuraresierte, gelang der Nachweis des
Giftes im Harn durch direkte Fällung mit Goldchloridchlorwasserstoff-
säure ohne vorheriges Einengen. Um die Substanz wieder zu ge¬
winnen, fällte ich den Harn mit Phosphorwoiframsäure und isolierte aus
dem mit diesem Fällungsmittel niedergeschlagenen Basengemenge das
Gift ohne Schwierigkeit als analysenreines Goldsalz.
Aus dem Hygien, Institut und der Chirurg. Klinik der Universität
Bonn. (Direktoren: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. R. O. N e u ma n n
und Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Garrd.)
Spirochaeten im Darmkanal.
Von Dr. J. W. Langendörfer und Dr Peters, Assistenten
der Institute.
Es handelt sich im folgenden um einen 41 Jahre alten Mann, der wegen
anhaltender blutiger Stühle Mitte Juni d. J. in die chirurgische Klinik ein¬
geliefert wurde.
Familienanamnese ohne Besonderheiten; er selbst ist starker Raucher
und Alkoholiker. Vor langen Jahren hat er eine Gonorrhöe mit Hodenentzün-
dung durcbgemacht. Seit 1915 hat sich bei ihm dauernd mit kurzer Unter¬
brechung Blut im Stuhl gezeigt. Er war damals Soldat im Westen vor Verdun.
Als Ursache der Blutungen wurden Hämorrhoiden beschuldigt und dieselben
operiert. Die Blutungen hielten aber an, so dass er 1917 abermals wegen
Hämorrhoiden und Darmgeschwüren im Feldlazarett behandelt werden musste.
Aufnahmebefund: Der Mann befindet sich in leidlich gutem Ernährungs¬
zustände, fahle Gesichtsfarbe. Herz und Lunge sind ohne krankhaften Be¬
fund. Die Lebergegend ist druckempfindlich. Die Leber überragt den Rippen¬
bogen dreifingerbreit. Ihr Rand ist hart und schmerzempfindlich. Im übrigen
ist das Abdomen weich und ohne Besonderheiten. In dpr Analgegend aussen
einige schlaffe erbsengrosse Hämorrhoidalknoten. Bei der rektalen Digital-
untersuchung fand sich nichts Besonderes. Die später vorgenommene Rekto¬
skopie ergab bis 27 cm oberhalb des Sphinkter überall gerötete, leicht ge¬
schwollene Schleimhaut, nirgends Ulzera. Bei der Röntgendurchleuchtung
per OS und als Einlauf fand sich kein Anhalt für einen Tumor.
Die Wassermann sehe Reaktion üel 3 mal negativ aus.
Die Entleerungen 2—3 mal täglich sind dickbreiig mit gelblichen Fetzen
und Blut durchsetzt; die Hauptmasse des Blutes befindet sich auf den oberen
Partien des Stuhles.
Die bakteriologische Untersuchung des Stuhles auf Dysenterie¬
erreger mittels der üblichen Nährböden hatte kein positives Ergebnis.
Der eigentümliche Stuhlbefund Hess auch an Amöben denken, doch auch
hier fiel die Untersuchung negativ aus; statt dessen fanden sich Spiro¬
chäten in grosser Menge, teils einzeln, teils in Knäueln zusammenliegend.
Diese Spirochäten lassen sich mit wässeriger Fuchsinlösung, Karbol¬
fuchsin und Methylenblau färben. Deutlicher und kräftiger treten sie hervor,
wenn man zur Färbung Karbolgentianaviolett 1—2 Minuten benutzt. Nach
G i e m s a färben sie sich blaurot bis blau. Im gefärbten Präparat erscheinen
sie einmal mit engen, ziemlich steilen Windungen etwa 6—8 im Durch¬
schnitt: sodann in einer weitgewundenen Form, die an SaZ erinnert.
Im Dunkelfeld zeigen sie sich wenig oder gar nicht flexibel, aber lebhaft be¬
weglich.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
13
Die ZQchtuns der Spirochäten afirob und anaärob auf dep verschiedensten
Nährboden misslang; auch auf Spezialnährböden, wie z. B. auf Aszites-Blut¬
serum, auf einer Mischung von Agar + dem fraktioniert sterilisierten Extrakt
aus den Stühlen etc. führte zu keinem Ergebnis.
Bei der langen Dauer der Erkrankung und der Hartnäckigkeit, mit der
sie Jeder Behandlung trotzte, wurde das Vorhandensein so grosser Mengen
Spirochäten als Anlass zu einer Behandlung mit Salvarsan genommen. Da¬
neben wurden hohe Einläufe mit Tannin verabfolgt. Insgesamt wurden 10 In-
iektionen ä 0,6 Salvarsannatrium in die Blutbahn verabreicht, und zwar in
Abständen von 8 Tagen.
Schon nach den ersten beiden Injektionen am 7. VII. und 16. VII. war
der Stuhl frei von Blut, und Spirochäten fanden sich nur noch in ganz ausser¬
ordentlich geringer Zahl. Nur einmal trat noch unter starken Koliken Blut
rm Stuhl auf, nachdem sich der Patient Gurkensalat zu verschaffen gewusst
hatte. Die Zahl der Spirochäten verringerte sich alsdann dauernd, so dass
zuletzt mehrere Präparate untersucht werden mussten, um welche zu finden,
während sie zu Beginn der Behandlung teils einzeln, teils haufenweise in jedem
Präparat vorhanden waren.
Der Patient ist, nachdem er bis Anfang Oktober unter dauernder Be¬
obachtung stand, als geheilt entlassen worden.
Ob in diesem Falle die Spirochäten die ursprünglichen Erreger sind,
muss noch offengelasesn werden; es ist aber mit Sicherheit anzunehmen,
dass sie sich in den zweifellos vorhandenen Darmgeschwüren einnisteten
und sich vermehrten und so die langdauernden Blutungen unterhielten.
Die Behandlung mit Salvarsannatrium hat sich als berechtigt und bis letzt
als erfolgreich erwiesen.
Bisher sind Darmspirochäten verschiedentlich beobachtet worden.
Escherich und Kowalski (Zbl. f. Bakt. 16. 1894) fanden sie in
Cholerastühlen in grosser Menge.
Müh lens (Zbl. f. Hyg. u. Infektionskrkh. 55. 1906. H. 1) fand
kleinere Spirochäten mit 2 —4 Windungen an den Enden spitz zulaufend
lebhaft beweglich, nach Q i e m s a blaurot-blau färbbar in einem Fall von
Amöbendysenterie aus Südwestafrika. Aehnliche Spirochäten fand er bei
den Sommerdiarrhöen der Kinder sowie in Cholerastühlen. Er hielt sie
für nicht pathogen. Werner (1^1. f. Bakt. 52. 1904. S. 241) beschreibt
in seinem eigenen Stuhl, nachdem er vorher an Typhus erkrankt ge¬
wesen war, 2 Typen von Spirochäten a) eine weit gewundene Form
äusserst flexibel und lebhaft beweglich. Die Zahl der Windungen geht
kaum über 2 hinaus, infolgedessen häufig S-Form. Er nannte diese
SpirochaeteEurygyrata. b) eine eng gewundene, weniger leb¬
hafte Form Spirochaete stenogyrata.
Le Dantec beschrieb 1913 eine „Dysenterie Spirillaire“, wo er bei
Dysenterien in Südwest-Frankreich Spirochäten fast in Reinkultur in den
Entleerungen gefunden hat. Er hielt die Spirochäten für die Erreger der
Dysenterie.
Luger berichtet in einer Arbeit über Spirochäten und fusiforme
Bazillen im Darm mit einem Beitrag zur Frage der Lamblienenteritis
(W.kl.W. 1917 S. 1643) von einem 43 jährigen Mann, der wegen Dys¬
enterieverdacht im Spital Knittelfeld behandelt wurde. Er fand hierbei
in den dünnbreiigen, manchmal bluthaltigen Stühlen Spirochäten in grosser
Menge, teils einzeln, teils in grossen Haufen. Ausser den Spirochäten
waren fusiforme Bazillen und Lamblien in den Entleerungen nachweisbar.
Medikamentös war der Prozess kaum zu beeinflussen. Er kommt zu
dem Schluss: „Lamblien und ebenso Spirochäten und fusiforme Bazillen
können im menschlichen Darm als normale Parasiten ln wechselnder Zahl
vorgefunden werden. Unter gewissen nicht näher bekannten Umständen
kann es zu einer abnormen Vermehrung derselben kommen, die schon
an sich eine schwere Schädigung des Darmes bedeutet, einen bestehen¬
den Krankheitsprozess im Darm zu verlängern imstande ist und der
Therapie weniger zugänglich macht. Für Spirochäten und fusiforme Ba¬
zillen gilt dies besonders im Anschluss an Geschwürprozesse (Dysenterie,
Flagellatenenteritis?).“
Aus dem städtischen Säuglingsheim zu Dresden.
(Dirig. Arzt: Prof. Dr. Bahr dt.)
Silberealvarsan bei Säuglingen mit kongenitaler Lues.
Von Dr. Emil Mengert.
Ueber Erfahrungen mit Silbersalvarsan oei Säuglingen mit kongeni¬
taler Lues ist ausser kurzen, gelegentlichen Bemerkungen noch kein
besonderer Bericht erfolgt. Da das SS. nach den Angaben K o 11 e s in
erster Linie für Behandlung der Frühsyphilis bestimmt ist, scheint es
bei der angeborenen Lues, die in den meisten Fällen als sekundäres
Stadium der Syphilis zu betrachten ist, einen besonders günstigen
Wirkungskreis zu haben. Am hiesigen Säuglingsheim wurde bisher das
neue Präparat an mehr als zwanzig Fällen verwendet. Selbstverständ¬
lich kann bei der geringen Zahl der Patienten ein endgültiges Urteil über
die Wirksamkeit oder die Vorzüge des SS. gegenüber dem Neosalvarsan,
mit dem in Kombination mit Kalomel bisher an unserer Klinik nach
dem Vorschläge von Erich Müller^) die antisyphilitische Kur durchge¬
führt wurde, noch nicht abgegeben werden. Immerhin glauben wir,
uns für berechtigt zu halten, einige Anregungen zur Technik geben zu
können, und kurz über die Erfolge der Therapie zu berichten.
Es wurde in erster Linie die Aufmerksamkeit auf die Wirksamkeit
des Präparates selbst gerichtet, so dass auf besondere Organotherapie
bei Lues, wie sie neuerdings von französischer Seite betont wird, nicht
tingegangen wurde. Ebenso können keine Angaben über die Wirksamkeit
der verschiedenen Nummern des Präparates geriiacht werden (J a d a s -
sohn sehe Klinik). Die Ansicht Galewskys*), dass bei Kindern
*) Arch. f. Klndhlk. 67. Bd. *) M.m.W. 1920 Nr. 5.
Digitized by Goiisle
mit kleinen Dosen sehr viel erreicht werden könne, konnte nur be¬
stätigt werden. Die Dosierung ist 0,006g SS. pro kg Körpergewicht.
0,1g SS. wird in 5 ccm Aqua destillata sterilisata gelöst und Vioccm
pro kg intravenös injiziert Die Einzelkur besteht aus ungefähr 10 In¬
jektionen in 5 tägigem Abstand. Die Gesamtkur besteht aus 3 auf¬
einanderfolgenden Einzelkuren, wobei stets die WaR. negativ sein muss.
Bei positivem Ausfall der Reaktion vermehrt sich die Zahl der Kuren.
Als erste Injektion wird nur die Hälfte der Dosis genommen, nur bei
sehr debilen Säuglingen werden mehrere Injektionen um die Hälfte ver¬
kürzt. Die Mahlzeit vor der Injektion wird stets um die Hälfte reduziert
Von Hg-I^äparaten wurde Abstand genommen, um über die Wirkung
des SS. allein ein einwandfreies Urteil zu erhalten, nachdem von ver¬
schiedener Seite (KoIle, Qalewsky, Hauck, Heinrich) die
Wirksamkeit des Präparates allein auf Syphilis festgestellt worden war.
Die grosse Bedeutung, die In der Beherrschung der Technik der
Injektion liegt und auf die von den meisten Autoren nachdrücklich
hingewiesen wird, wurde nicht verkannt und für den Spezialfall versucht
den sichersten und einfachsten Modus zu finden. Wenn schon bei durch¬
sichtigen Lösungen die intravenöse Injektion bei Säuglingen oft Schwie¬
rigkeiten bereitet so waren anfangs der Applikation der dunkelbraunen
Flüssigkeit in die kleinen Venen der Säuglinge grössere Hindernisse
im Wege. Das Vorgehen ist jetzt folgendes: Das Kind wird in sein
Badetuch gewickelt Arm und Bein mit Windeln umschnürt und besonders
bei Kleinkindern der Kopf mittels eines ausgepolsterten Winkelbrettes
von bestimmter Breite fixiert Die Injektion wird mit sehr dünnnen Pla-
tin-Iridium-Kanülen und Lu er scher oder Karatspritze (biUiger!), an
dessen durchsichtigem Mundstück sehr deutlich das Einströmen des Blu¬
tes zu sehen ist ausgeführt. Als Injektionsstelle wurde in den aller¬
meisten Fällen die Temporalvene, selten die Frontal- oder Kubitalvene
oder Jugularis und Poplitea oder Dorsalis pedis gewählt Von der Punk¬
tion des Sinus sagittalis wurde wegen der Gefährlichkeit dieser In¬
jektionsweise abgesehen. Auf diese Weise gelang es in 98 Proz. der
Fälle (im ganzen wurden ca. 250 Injektionen gemacht) die intravenöse
Injektion auch bei schlechten Venenverhältnissen anstandslos auszuführen.
Leider muss die Injektion selbst ziemlich schnell durchgeführt werden,
da die Kinder sonst zu unruhig werden. Deshalb halte ich die Anwendung
kleiner Mengen Wassers für angezeigt Nur in besonderen Fällen wurde
SS. in doppelt konzentrierter Lösung intramuskulär gegeben: es schien,
als ob diese Art der Injektion den Kindern sehr starke, langanhaltende
Schmerzen bereite.
Als eine besondere Erscheinung bei der Injektion wurde 4—5 mal
das Auftreten von dunkelroten derben Infiltraten beobachtet, die erst
2— 4 Tage post injectionem an der Injektionsstelle auftraten (Ver¬
letzung der Gefässintima durch die Kanüle oder Schädigung der kleinen
zarten Venen durch SS.?). Das Befinden der Kinder selbst wurde dabei
nicht sichtbar beeinträchtigt. Die Behandlung besteht in Umschlägen mit
heissem Geox, worauf eine, verhältnismässig rasche Resorption erfolgt;
2 mal kam im Anschluss an ein Infiltrat eine kleine Gangrän mit lang¬
wierigem Hellungsprozess zur Beobachtung.
Sonst wurde 1 mal nach der 2. Injektion der angioneurotische Sym-
ptomenkomplex in geringem Masse gesehen, 1 mal die Herxheimer-
sche Reaktion, 1 mal typisches Spirochätenfieber. Fast stets konnte
3— 6 Stunden post injectionem eine geringe Temperaturerhöhung (selten
über 38,5®), die am Abend gewöhnlich abgefallen war, festgestellt wer¬
den, seltener geringe Unruhe oder Erbrechen.* Sonst sahen wir bisher
keine Nachteile.
Von den behandelten Fällen hatten 4 ein deutliches Exanthem, die
meisten Milztumor, Koryza luet. und Rhagaden des Mundes. Am besten
und schnellsten wurden die Exantheme, am langsamsten der Milztumor
durch SS. beeinflusst. Die Koryza luet. war oft mit Diphtherie ver¬
gesellschaftet. Auf interkurrierende Krankheit oder deren Ablauf hatte
die SS.-Kur keinen Einfluss. Einmal brach sogar auf der Luesstatioh
eine epidemische Grippe mit 5 gleichzeitigen Bronchopneumonien, von
denen eine tödlich verlief, aus. Schwere Furunkulose wurde in keiner
Weise beeinflusst. Dagegen konnte man meist den Eindruck gewinnen,
als ob das Gedeihen der Kinder während der Kur günstig fortschreite.
Ob diese auf SS. oder die besondere Ernährung in der Klinik zurück¬
zuführen ist, wage ich flicht zu entscheiden. Die Ernährung der luetischen
Säuglinge bestand in der Hauptsache, falls nicht Frauenmilch oder eine
besondere Heilnahrung nötig war, in der Czerny-Kleinschmidt-
schen Butter- (resp. Margarine-) Mehlnahrung.
Eine Beobachtung über die spirochätozide Kraft des SS. konnte ge¬
legentlich gemacht werden bei einem Säugling, der nach der ersten In¬
jektion (im ganzen 0,014 g SS.) an Bronchopneumonie erkrankte und bei
dem infolgedessen die Kur einige Zeit ausgesetzt wurde: ein sehr aus¬
gebreitetes makulopapulöses Syphilid war in 5 Tagen bis auf die Haut-
pigmentation unter Schupoung vollkommen abgeheilt. Ein anderer Patient
mit schwerer doppelseitiger P a r o t scher Pseudoparalyse, die gerade
schwer zu beeinflussen ist, zeigte nach der 5. Injektion keinerlei Be¬
wegungsstörungen mehr.
Die WaR. war nach der 5. Einspritzung stets noch positiv, am
Schlüsse der erste-n Elnzelkur schlug die Reaktion,
ausser bei einem Fall (IV^ jähriges, noch unbehandeltes Kind), stets
um. Auch bei refraktären Fällen, die schon 2 oder 3 Neosalvarsan-
Kalomel-Kuren (Müller) hinter sich hatten, und bei denen am Schlüsse
die WaR noch positiv war, wurde eine negative WaR. erreicht. Dieses
Resultat wird noch besonders beleuchtet durch die Erfolge, die bisher
mit der Neosalvarsankur erzielt wurden: von 17 Fällen in diesem Jahre
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
14
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. /.
hatten bei Beginn der 2. Kur noch 6 positive WaR., 3 noch nach Be¬
endigung der 2. Kur.
Auch mit S u 1 f 0 X y i a t a r s e n in der Dosierung 0,07 ccm der fer¬
tigen Lösung pro Kilogramm Körpergewicht bei intramuskulärer Injek¬
tion in 8—10 tägigem Abstand und 7—10 Injektionen als Einzelkur haben
wir begonnen Versuche zu machen. Vielleicht eignet sich dieses Prä¬
parat, das den Körper besonders lange unter Arsenwirkung hält, am
besten zur Durchführung der 3. Einzelkur, oder als Zwischenkur und bei
solchen Fällen, bei denen die intravenöse Injektion unüberwindliche
Schwierigkeiten bereitet.
Die vorstehenden Zeilen sind gedacht als eine vorläufige Mitteilung
über unsere bisherigen Erfahrungen mit Silbersalvarsan bei Säuglingen;
sie verfolgen den Zweck, zur Nachprüfung der Dosierung anzuregen und
weitere Beobachtungen zu sammeln.
Aus der Hautabteilung des Städt. Katharinenhospitals Stuttgart.
(Chefarzt: San.-Rat Dr. Hammer.)
Ueber gehäuftes Auftreten von Enzephalitis nach Neo-
salvarsan.
Von Dr. med. Fritz Reif, Assistenzarzt.
Seit dem von Hammer veröffentlichten Todesfall nach Neosalvar-
san vom Jahre 1911 sind auf unserer Abteilung bei etwa 9000 Sal-
varsaninjektionen keine derartigen Schädigungen mehr aufgetreten.
Um so auffallender war es, als im Oktober und November 1919 inner¬
halb weniger Wochen mehrere Fälle von schweren Salvarsanschädi-
gungen zur Beobachtung kamen. Neben einigen leicht verlaufenden
Erkrankungen traten 4 Fälle von Enzephalitis nach Neosalvarsan auf, von
denen 2 tödlich endigten.
Eine derartige Häufung von Salvarsanschädigungen ist ein sehr
seltenes Vorkommnis. Nur in den 1918 in Ingolstadt beobachteten Fällen
von Ikterus und akuter gelber Leberatrophie im Anschluss an Neosalvar-
sanbehandlung wird ein Seitenstück zu unseren Beobachtungen gefunden.
Auch dort kam innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eine grössere Zahl
von zum Teil tödlichen Erkrankungen allerdings ganz anderer Art vor.
Noch mehr als der einzelne Salvarsantodesfall bedarf eine solche
Häufung der Klarstellung des ursächlichen Zusammenhanges, zumal da
die Frage der Vermeidbarkeit solcher Zufälle von grosser praktischer Be¬
deutung ist.
Fall 1. Die 22 iähriKe L. Sch. wurde 3. X. 19 wegen Lues maculo-
papulosa aufgenommen. Einreibekur 8. X.: Leichte, rasch abheilende Hg-
Dermatitis. Urin: C. — Z. —. 17. X.: Neos. 0,3. 23. X.: Neos. 0,45.
24. x.: Fieber und Kopfschmerz. 25. X.: Abends 38,7, Benommenheit. 26. X.:
Nachts plötzlicher Aufschrei, Erbrechen, Bewusstlosigkeit, maximale Pupillen¬
erweiterung, Opisthotonus, Incontinentia urinae. Aderlass, Suprarenin. Abends
38,9. 27. X.: Bewusstlosigkeit besteht weiter, Trismus, Lumbalpunktion; Druck
190 mm. Eiweiss unter 0,05 Proz.. Nonne ++, einzelne Lymphozyten.
28.x.: Noch geringer Opisthotonus. Urin: Eiweiss 0.2 Proz.. Scd.: ver¬
einzelte rote und weisse Blutkörperchen, viel hyaline Zylinder. 29. X.: RQck-
kehr des Bewusstseins. 2. XI.: Lytischer Temperaturabstieg, vollkommen
klar.
F a 11 2. S. K.. 23 lähr. Gravida, 4. Monat. 7. X. 19: Wegen Gon. urethr.
aufgenommen. 14. X.: Primäraffekt der Vulva. Einreibekur. 20. X.: Neos. 0,3.
25. x.: Neos. 0,45. 30. X.: Neos. 0,45. abends Kopf'-chmerz 4. XI.: Stärkere
Kopfschmerzen, leichte Benommenheit, Urin: E. —, Z. —. 5. XI.: Voll¬
kommene Benommenheit. Assoziierte Augenabweichung nach rechts oben.
Babinski beiderseits -L. Incontinentia urinae et alvi, Lichtbogen. 6. bis
7. XI.: Zustand unverändert. 9. XI.: Reagiert auf Anruf. 10. XI.: Vollkommen
klar.
Fall 3. Die 23 jähr. D. Pf. wurde seit 1912 wiederholt wegen Lues
und Gonorrhöe behandelt. 1915 letzte kombinierte Kur (Neos.!). 17. X.: Auf-
genommen wegen Geschwürs an der Unterlippe (WaR. +++). Pastöser
Habitus, etwas Protrusio bulb. Urin; E. — Z. —. 35 Hg-Inunktionen und
in 5—6 tägigen Abständen 1 mal 0,3, 3 mal 0,45 Neos., die letzte Einspritzung
am 12. XI. . Stets leicht reizbare und streitsüchtige Person. 15. XI.: Entlassen,
bekam sie auf der Polizei bei Eröffnung einer ihr auferlegten Strafe einen Wut¬
anfall. 17. XI.: Auf dem Amtsgericht bewusstlos geworden und am 20. XI. in
tiefem Koma auf die Innere Abteilung eingeliefert. Nackenstarre. Dekub'tus.
22. XI. Lumbalpunktion: Flüssigkeit fliesst tropfenweise ab, Nonne 4*+,
Eiweiss 0,05 Proz., viel Erythrozyten, ganz vereinzelt Lymphozyten. 24. XI.
Exitus.
Sektionsbefund (Obermedizinalrat Dr. Wal z); Maximale Injektion der
Gefässe der Pia bis in die feinsten Kapillaren, so dass das ganze Gehirn rosa¬
rote Farbe angenommen hat. Diagnose: Toxische Enzephalitis, Unterlappen¬
bronchitis beiderseits mit bronchopneumonischen Herden, Vulvovaginitis chron.,
Adnextumor bds.
Fall 4. Die 29 jährige M. W. wurde seit 17. X. 19 wegen Lues papu¬
losa mit Hg-Inunktionen und Neosalvarsan behandelt. Auf die 4. Neos. 0,45
am 25. XI. abends Kopfschmerzen. 27. XI. abends 38,4. 28. XI. morgens
plötzlich Krampfanfälle. Bewusstlosigkeit, Trismus. 29. XI. tiefes Koma.
30. XI. häufigere Krämpfe. Exitus. — Die Sektion (Obermedizinalrat Dr. W a Iz)
ergab: Hämorrhagien. punktförmig und in kleinen Herden, in weisser Qehirn-
substanz, ebenso im Gebiet der Zentralganglien in der Caps. ext. Diagnose:
Toxische Enzephalitis, Hypostase und beginnende hypostatische Pneumonie
beider Unterlappen.
F a 11 5. M. Z., 21 jähr., Lues pap. Auf die 2. Neos. 0,45 am 26. XI. 19
bekam Pat. abends Fieber bis 39,2, Brechreiz, Hinterkopfschmerzen. Nach
4 Tagen lytischer Temperaturabstieg. Weiterbehandlung mit Neosalvarsan
von einer frischen Sendung wurde gut ertragen.
F a 11 6. R. H., 20 jähr., Schutzkur. .Auf die 4. Neos. 0,45, am 28. XI.,
bekam sie 5 Tage später Kopfschmerzen und leichtes Fieber. Die Erschei¬
nungen waren nach 3 Tagen abgeklungen.
F a 11 7. B. R., 23 jähr., Lues papulosa, 2. Kur; nach der 2. Neos. 0,45,
Digitized by Goiisle
am 2. XII. abeiids, 38®, Kopfschmerz, Brechreiz, Schwindel, starke Kopf¬
hyperämie. 4 Tagt später wieder vollkommenes Wohlbefinden.
Die Fälle sind in der seit Jahren hier üblichen kombinierten Weise
behandelt worden. Die Injektionen fanden an verschiedenen Tagen statt
und wurden von verschiedenen Aerzten gemacht, da sich die Kranken
auf die offene Abteilung (Bau II), auf den Polizeibau (Bau III) und auf
die Zweigabteilung Königsstrasse verteilten. Es wurden nur frisch be¬
reitete Lösungen in technisch einwandfreier Weise verwendet. Die Am¬
pullen wurden vor dem Gebrauch auf das Vorhandensein von Sprüngen
geprüft.
An dem Zusammenhang zwischen Salvarsaninjektionen und Enzepha¬
litis kann in den angeführten Fällen nicht gezweifelt werden. Eine Ueber-
dosierung war in keinem Fall vorhanden, die zeitlichen Zwischenräume
zwischen den Einspritzungen waren genügend gross. Die beiden töd¬
lichen Fälle traten nach der 4. bzw. 5. Einspritzung ein (Gesamtdosis 2,1
und 1,65). In den 2 anderen Enzephalitisfällen erfolgte die Erkrankung
nach der 2. bzw. 3. Injektion (Gesamtdosis 0,75 und 1,2). ln keinem
der Fälle waren an Nieren und Gefässsystem krankhafte Organverände¬
rungen festgestellt worden. Thrombosen an Hirngefässen, wie sie
Wechselmann und Bielschowskyals Grundlage von Salvarsan-
todesfälien beschrieben haben, wurden bei den Sektionen nicht gefunden.
Auch betraf die Stase im Fall 3 gar nicht das Zuflussgebiet der Vena
magna Galeni, sondern den Hirnmantel. Wenn wir nach der Wech-
s e 1 m a n n sehen Einteilung unsere Fälle als eklamptisch-urämische Zu¬
stände deuten, so ergeben sich ebenfalls Widersprüche. Denn der Sek¬
tionsbefund an den Nieren war äusserst gering und eine Steigerung des
Lumbaldrucks wurde nicht festgestellt. Wir sehen in den 2 geheilten
Fällen 1 und 2 mild verlaufende Formen der Encephalitis haemorrhaglca.
Dieser Auffassung ist auch Meirowsky, der in dem Bericht der Sal-
varsankommission 6 derartige Fälle erwähnt. Auch die von S t ü h m e r
vertretene „Oxydtoxintheorie“ vermag unsere Fälle, die doch zum Teil
grössere Salvarsanmengen gut ertragen hatten, nicht einheitlich zu er¬
klären.
Rätselhaft bleibt vor allem der Umstand, dass innerhalb weniger
Wochen 4 Fälle von Enzephalitis auftraten. Die leichten Fälle mit ihren
meist kurz nach der Injektion auftretenden Erscheinungen lassen an eine
erhöhte Giftigkeit des Präparats denken.
Es konnte nun festgestellt werden, dass das in der kritischen Zeit
benützte Salvarsan einer bestimmten Sendung entstammte, wie aus fol¬
gendem Bericht der Kath. Hospital-Apotheke (Hofrat Koch) hervor¬
geht.
Am 7. Juli 1919 wurden der Kath. Hospital-Aootheke 3177 Ampullen
Neosalvarsan von der städt. Polizeidirektion überwiesen, die einem
Schieber abgenommen worden waren. Um vor Fälschungen gesichert
zu sein wurden verschiedene Packungen desselben den Höchster Farb¬
werken zur Untersuchung eingeschickt und nach kurzer Zeit kam von
dort das Gutachten über deren einwandfreie Reinheit und Original¬
abstammung. Da Neosalvarsan auf dem gewöhnlichen Wege nicht mehr
zu bekommen war, wurde beschlossen, dieses beschlagnahmte Neosal¬
varsan zu verwenden. Vom 26. September bis 24. November 1919 wurde
nur von diesem Salvarsan verwendet, von der Dosierung 0,45 allein
332 Ampullen. 3 Ampullen wurden von der Hautabteilung ziirückgegeben.
deren Inhalt zersetzt war, was sich durch die braune Farbe des Präparats
kenntlich machte; die Gläser hatten sichtbare Risse. Nach Verbrauch von
etwa 600 Ampullen wurden 2 Todesfälle gemeldet. Daraufhin wurden
erneut 7 Ampullen zur nochmaligen Untersuchung an die Fabrik ein¬
geschickt und gebeten, dass das Institut für experimentelle Therapie in
Frankfurt eine Prüfung des Mittels vornehmen sollte. Das Resultat der
Untersuchungen in der Fabrik und bei Geheimrat Dr. Ko Ile lautete,
dass das Neosalvarsan rein sei und keine erhöhte Giftigkeit aufweise. Die
eigenen Untersuchungen hatten das gleiche Ergebnis gezeitigt.
Auf den Stationen wurde bis Mitte Dezember mit diesem Neosalvar¬
san gearbeitet.
Ein Beweis dafür, dass das verwendete Salvarsan nicht einwandfrei
war, konnte nicht erbracht werden. Trotzdem bleibt die Annahme die
wahrscheinlichste, dass die Präparate dieser Sendung kleine Fehler auf¬
wiesen. Denn wir haben weder vor noch nach dieser Zeit jemals der¬
artige Schädigungen beobachtet.
Die verhältnismässig hohe Zahl von 3 zerbrochenen Ampullen wäre
vielleicht in dem Sinne zu deuten, dass die Sendung einem starken mecha¬
nischen Insult ausgesetzt war, durch den ein Teil der Ampullen kleinste,
makroskopisch nicht wahrnehmbare Sprünge erlitten hat.
Auffallend Ist, dass in sämtlichen Fällen die Krankheitserscheinungen
nach Einspritzung der Dosis 0,45 auftraten. Damit hängt es wohl auch
zusammen, dass auf der Männerabteilung, wo meist andere Packungen
(Dosis 0,6) desselben Präparats verwendet wurden, keinerlei nachteilige
Folgen gesehen wurden.
Die Verschiedenheit im Verlaufe der einzelnen Fälle können wir
unserem Verständnis nur näherbringen, wenn wir annehmen, dass neben
der von aussen wirkenden Schädlichkeit die Verhältnisse in den be¬
fallenen Organismen selbst für das Zustandekommen und den Verlauf der
Erkrankungen massgebend waren.
In den Enzephalitisfällen mussten die im Salvarsan vorhandenen
Fehler (Oxydationsprodukte?) noch auf weitere im Körper vorhandene,
uns unbekannte Bedingungen treffen, damit (vielleicht durch Störung in
dem Abbau und der Ausscheidung des Salvarsans) die zerebrale Re¬
aktion zustande kam.
Sind solche Bedingungen gegeben, so kann die Menge einer schäd¬
lichen Substanz äusserst gering sein. So sahen wir in vereinzelten Fäl-
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
15
len nach Anwendung von Sublimatpaste zur Schälkur eine Stomatitis auf-
treten, ln dem von Hammer 1912 veröffentlichten Fall von tödlicher
Quecksilbervergiftung nach antivariköser Sublimatinjektion genügte
0,01 Sublimat, um die Katastrophe herbeizuführen.
Andererseits zeigt uns der von T a e g e veröffentlichte Beitrag „zur
Giftigkeit des Salvarsans“ wie grosse Mengen einer für den Körper
durchaus nicht gleichgültigen Substanz innerhalb 5 Tagen 3,3 g Neo-
salvarsan in höchsten Dosen) unter Umständen von den Abwehrkräften
des Organismus noch bewältigt werden können.
Diese „Unterempfindlichkeit“ Ist ebensowenig zu erklären wie die
häufigere „Ueberempfindlichkeit“.
Die sog. Idiosynkrasie gegenüber einem bestimmten Mittel ist übri¬
gens oft nur scheinbar eine dauernde Eigenschaft des Individuums. Wir
beobachteten nicht selten bei der Quecksllberdermatitis, dass nach voll-
koimnenem Abklingen der entzündlichen Reaktion das Mittel dauernd
vom Körper ertragen wurde. In unseren schweren Fällen von Derma¬
titis bei kombinierter Kur konnten wir fast ausnahmslos die Ueberemp-
findiichkeit auf Quecksilber und Salvarsan mit einer durch Tuberkulose
veränderten Reaktionsart des Organismus in Zusammenhang bringen.
Es ist uns aufgefallen, dass gerade in diesen überempfindlichen Fällen
die Wirkung der angewandten Mittel auf die syphilitischen Erscheinungen
ausserordentlich rasch und sicher eintrat und dass die WaR. frühzeitig
und dauernd negativ wurde.
Bei den Enzephalitisfällen konnten wir derartige zu einem schweren
Krankheitsverlauf disponierende Momente nicht nachweisen. Nur im
Fall 3 glauben wir, dass die durch die hochgradige psychische Erregung
hervorgerufene Gehirnhyperämie das Zustandekommen der Enzephalitis
begünstigt hat Hier wie bei dem ebenso plötzlich mit tiefer Bewusst¬
losigkeit einsetzenden Fall 4 hatte man klinisch den Eindruck, dass
eine vollkommene Lähmung aller Abwehrkräfte des Körpers eingetreten
und jede Therapie aussichtslos sei. Fall 1 und 2 schienen von Anfang
an nicht so hoffnungslos. Wir hatten nicht den Eindruck, dass die im
Fall 1 angewandte Behandlung (Aderlass und Lumbalpunktion) von
irgendwelchem Einfluss auf den Verlauf war; Fall 2 ist nur unter Glüh¬
lichtbogen zur Heilung gelangt.
Wir schliessen aus unseren Erfahrungen, dass man auch bei der Er¬
klärung der Ingolstädter Fälle ohne die Annahme eines fehlerhaften Sal-
varsanpräparats nicht auskommen wird. Dann wäre vor allem klar¬
zustellen, warum in dem einen Fall nur Gehirn, In dem anderen nur
Leberschädigungen aufgetreten sind. Nur weitere Beobachtungen können
uns in dieser Hinsicht vorwärtsbringen.
Literatur.
1. Hammer: Ein Todesfall nach Salvarsan. M.m.W. 1912 Nr. 30. —
2. Silbergleit und Föckler: lieber das Auftreten von Ikterus und
akuter gelber Leberatrophie bei Syphilitikern im Anschluss an Neosalvarsan-
bchandlung. Zschr. f. klin. Med. 88. 1919. — 3. Wechselmann und
Bielschowsky: Thrombose der Vena magna Qaleni als Grundlage von
Salvarsantodesfällen. Dermat. Wschr. 1919 Nr. 48. — 4. W e c h s e 1 m a n n:
Ueber die Pathogenese der Salvarsantodesfälle. Urban & ^hwarzenberg 1913.
— 5. Stümpke: Günstiger Ausgang einer Encephalitis haemorrhagica nach
Ncosalvarsan. Dermat. Wschr. 1918 Nr. 31. — 6. Meirowsky: Bericht
der Salvarsankommission des Allgem. ärztl. Vereins in Köln. M.m.W. 1920
Nr. 17. — 7. S t ü h me r: Die Hirnschwellung nach Salvarsan. M.m.W. 1919
Nr. 4. — 8. S t ü h m e r: Die Vermeidung der Gefahren einer Salvarsanbehand-
hmg. M.m.W. 1917 Nr. 40. — 9. Hammer: Tödliche Quecksilbervergiftung
nach antivariköser Sublimatinjektion. D.m.W. 1919 Nr. 2. — 10 Ta ege-
Zur Giftigkeit des Salvarsans. M.m.W. 1920 Nr. 21.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Innsbruck.
Eine typische Form der BrustentzOndung im Wochenbett.
Von P. Mathes.
In keinem der Lehr- und Handbücher ist sie beschrieben; sie findet
sich jedoch so häufig, dass Ich meist in der Lage bin sie bei einer jähr¬
lichen Geburtenzahl von etwa 800 mehrmals im Semester zu zeigen, sie
zu kennen bewahrt vor falscher Prognosenstellung und vor übereiltem
Eingreifen in das Stillgeschäft.
Sie tritt in den ersten 2 Wochen nach der Geburt mit hohem Fieber,
manchmal mit Schüttelfrost, Jedoch mit geringen Schmerzen ohne Vor¬
boten fast plötzlich ln ganzer Stärke auf. Die erkrankte Brust ist im
g^zen etwas vergrössert und stärker gespannt; die Haut ist im Bereich
eines verschieden breiten Sektors düsterrot, die Hautporen sind tief, die
Felderang der Haut sehr deutlich, gegen die gesunde Haut ist die Grenze
unscharf, an der Spitze des Sektors sitzt gewöhnlich eine mit einer Borke
bedeckte Rhagade. Der ganze Prozess bleibt auf die Haut beschränkt,
memals habe ich daraus eine echte Mastitis entstehen gesehen — in 2 bis
3 Tagen ist die Entzündung ebenso rasch verschwunden, als sie auf¬
getreten ist.
Das Typische liegt in der sektorenförmigen Ausdehnung der Ent¬
zündung. das Wesentliche liegt darin, dass es sich um eine von einer
meist sichtbaren Rhagade ausgehende, auf di© Haut beschränkt bleibende
Entzündung handelt, die rasch auftritt und rasch wieder verflieg und
von Erysipel in Form und Verlauf ganz verschieden Ist.
Kausale Therapie gibt es natürlich nicht, feuchtwarme Umschläge
erleichtern dl© meist geringen Beschwerden, das Stillgeschäft braucht
nkht unterbrochen zu werden.
Digitized by Goiisle
StziaH niMzh nri ierzncM SMunrnDeieniMM.
Die Orthopädie und der neue Lehrpian.
Von Geh. Hofrat Dr. F. Lange, München.
Aus dem Berichte K er s c h e n s t e i n e r s in Nr. 48 der M. m.W.
geht hervor, dass für die Orthopädie in dem neuen Lehrplan kein Platz
zu finden gewesen ist. Massage und Gymnastik, welche die wesentlichen
Methoden der früheren Orthopädie darstellten, bilden heute nur einen
ganz kleinen Bruchteil unserer Wissenschaft und deswegen nützt die Emp¬
fehlung derartiger Kurse im Studienplan der heutigen Orthopädie nichts.
Es wird auch von den leidenschaftlichsten Gegnern der Orthopädie
nicht mehr bestritten, dass zum Ausbau unserer Wissenschaft die Be¬
schränkung auf dieses eine Gebiet als Forschungsfach notwendig
war. Ohne das wären niemals die gewaltigen Fortschritte in der Be¬
handlung der angeborenen Hüftverrenkungen, der Lähmungen, der Platt-
füsse, der Skoliosen, der Gelenkentzündungen, des Prothesen- und Appa¬
ratebaus u. a. erzielt worden. Auch dass die Behandlung aller schwieri¬
gen Fälle, die grosse Anforderungen an die Technik stellen, i n e i g e n e n
orthopädischen Kliniken vorgenommen werden muss, wird
heute allgemein zugegeben. Es wäre auch schon aus rein äusserlichen
Gründen unmöglich, die Arbeit, welche in den orthopädischen Anstalten
geleistet wird, in anderer Welse zu erledigen. In der Münchener ortho¬
pädischen Klinik und Poliklinik haben wir jährlich 1700 Aufnahmen und
ambulant werden behandelt 4000. Die Behandlung dieser Patienten er¬
fordert die Arbeitskraft von 8—10 Herren, welche unter meiner Leitung
tätig sind, restlos. Diese Arbeit kann selbstverständlich nicht neben¬
bei in einer anderen Klinik oder in einem allgemeinen Krankenhaus ge¬
leistet werden.
Auch über die Unentbehrlichkeit der Orthopädie bei der Behand¬
lung der Kriegsverletzten dürfte heute kein Zweifel mehr be¬
stehen. Vor dem Weltkriege besassen die massgebenden Stellen diese
Kenntnis noch nicht. Unter den aktiven Militärärzten befand sich kein
Orthopäde an leitender Stelle und deshalb war für die orthopädische.
Versorgung unserer Verwundeten fast nichts vorgesehen. Die Medizinal¬
abteilung hat durch Einrichtung von orthopädischen Lazaretten, Zurtick¬
berufung der Orthopäden u. a. in grosszügigster und dankenswertester
Weise dieses Versäumnis während des Krieges wieder gutzumachen ge¬
sucht, aber die Zahl der Orthopäden war gegenüber der Riesenaufgabe
viel zu klein. Es konnten bei weitem nicht alle ärztlichen Stellen in den
orthopädischen Lazaretten mit Fachärzten besetzt werden. Ja, es gab
orthopädische Lazarette, wo kein einziger Orthopäde tätig war.
Wenn trotzdem Grosses geleistet wurde, so wurde doch — infolge
der mangelnden Vorbildung durch die Universität — bei weitem nicht das
erreicht, was beim Stand unserer Wissenschaft möglich gewesen wäre.
Hätte die deutsche Orthopädie sich nicht in den letzten drei Jahr¬
zehnten zur eigenen Wissenschaft entwickelt, so wären die Verhältnisse
so trostlos wie im Siebziger Kriege gewesen, wo für die orthopädische
Versorgung unserer Verwundeten so gut wie nichts geschehen ist. Dar¬
über unterrichtet in drastischer Weise eine 1872 erschienene Doktorarbeit
von Hagen mit dem Titel: „Ueber die Vernachlässigung der Orthopädie
namentlich in und nach den Kriegszeiten“.
Einzelne hervorragende Forscher können nie gut machen, was In
der Ausbildung der Studenten versäumt worden ist. 1870 standen Chirur-
gen wie Stromeyer, Nussbaum, Volkmann, an leitender
Stelle im Felde. Das waren Chirurgen, deren orthopädische Arbeiten
wir heute noch mit Nutzen und Genuss lesen; aber es waren Führer ohne
Mannschaften und deshalb war 1870 die orthopädische Behandlung
schlecht.
Die gleiche Erfahrung haben in diesem Kriege die Engländer ge-
m^^ht. England hat in Robert Jones einen ausgezeichneten Ortho¬
päden. Aber es fehlt noch viel mehr als bei uns am Nachwuchs und an
der Ausbildung der Studierenden in der Orthopädie. Infolgedessen soll
nach den Mitteilungen, die mir vom Ausland zugegangen sind, die ortho¬
pädische Versorgung in den ersten Jahren geradezu trostlos gewesen
sein. Erst als die amerikanischen Aerzte. bei denen Orthopädie seit
20 Jahren Lehr- und Prüfungsfach ist, kamen, besserten sich die Zustände
mit einem Schlage, und die Zahl der Todesfälle bei Oberschenkelschuss-
irakturen z. B. soll daraufhin um 60 Proz. zurückgegangen sein.
Aber für dieallgemeinePraxis soll die Orthopädie
f L iT L ^ ^ ^ t ^ Ergebnis der Hallenser Beratungen.
Ich habe schon in der M.m.W. 1919 Nr. 15 darauf hingewiesen, dass man
die ^dürfnisse der allgemeinen Praxis nicht erfahren wird, wenn man
nur die Vertreter der Fakultäten und der wirtschaftlichen Interessen
des Aerztestandes hört, und Ich hatte empfohlen, iunge. wissenschaftlich
und prakti^sch gut durchgebildete Landärzte zu den Beratungen zuzu-
ziehen. Wer irichts von der heutigen Orthopädie weiss, kann keine
orthopädischen Diagnosen stellen. So werden z. B. die zahllosen Be¬
schwerden. welche durch Aenderung der statischen Verhältnisse (Platt-
fflss^ Genu recurvatum, Coxa vara etc., senile Veränderungen
der Gelenke) hervorgerufen werden, in der Praxis meist irrtümlicherweise
für Rheumatismus gehalten, und deshalb wird die für den orthopädisch
ausjrebildeten Arzt ausserordentlich dankbare Behandlung zum Schaden
j” unterlassen. Wie ahnungslos die meisten Aerzte der Ortho¬
pädie bei dem heutigen Studiengang gegenüberstehen, habe ich während
L X« gesehen, w'o ich Gelegenheit hatte, mit sehr vielen und
föchfigcn praktischen Aerzten zusammenzuarbeiten.
. Es war deshalb besonders dankenswert, einmal die Erfahrungen eines
Landarztes, der auf der Universität eine orthopädische Klinik besucht haf.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
16
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
zu schildern. Das ist in ganz ausgezeichneter Weise durch Magg
in d. W. (1920. S. 1207) geschehen. Ich glaube, dass man auf das Urteil
dieses einen Arztes, der auf Grund einer reichen Erfahrung spricht, mehr
Wert legen muss, als auf die Meinung hundert anderer Kollegen, welche
als hochverdiente Forscher oder als Aerzte in ihrem eigenen Fache mit
Recht geschätzt sein mögen, von der modernen Orthopädie aber nichts
wissen.
Wenn wir auf Grund unserer eigenen Erfahrungen und der Magg-
schen Arbeiten die Frage, ob der Arzt für die allgemeine Praxis ortho¬
pädische Kenntnisse braucht, unbedingt bejahen, so entsteht die weitere
Frage: Soll der Unterricht in der Orthopädie vom Chi¬
rurgen oder soll er vom orthopädischen Fachvertre¬
tererteiltwerden?
Die Frage ist unschwer zu beantworten. Die wissenschaftliche Ent¬
wicklung der Orthopädie ist sow eit, dass wir 70 Proz. der Krüppel heilen
oder so w^eit bessern können, dass wir den Zustand als „Entkrüppe-
lung“ bezeichnen können. Die Unzahl von Ki*üppeln, die heute noch in
Stadt und Land sich finden, zeigt aber, dass wir noch weit davon ent¬
fernt sind, eine solche Zahl von Entkrüppelungen zu erreichen.
Wir machen zurzeit in der Krüppelfürsorge die gleichen Erfahrungen
durch, wie vor 50 Jahren die Augenärzte in der Blindenfrage. Zu
Anfang der 70 er Jahre war die wissenschaftliche Ausbildung der Augen¬
heilkunde als Sonderfach dank der Arbeit von Albrecht v. G r a e f e und
seiner Schüler fast beendet. Es gab eine grosse Anzahl geschickter
Augenärzte und es gab auch eigene Augenheilanstalten. Die Zahl der
Blinden wurde aber dadurch nicht wesentlich herabgesetzt. Erst als nach
harten Kämpfen jeder Studierende durch die Prüfungsordnung gezwungen
wurde, Augenheilkunde zu lernen und als dadurch die Mitarbeit der
praktischen Aerzte einsetzte, nahm die Zahl der Blinden erheblich ab.
In Bayern betrug die Abnahme von 1870—1900 33 Proz.
Ebenso wird es mit der K r ü p p e 1 f ü r s o r g e gehen. Nur w enn
die praktischen Aerzte an der Krüppelfürsorge mitarbeiten, ist ein Massen¬
rückgang in diesem Massenelend zu erwarten. Dass aber zurzeit die
praktischen Aerzte w egen mangelnder orthopädischer Kenntnisse an der
Bekämpfung des Krüppelelends sich nicht beteiligen können, das beweist
die Unzulänglichkeit des heutigen Unterrichtes. Der Umfang und die
Bedeutung der Chirurgie ist viel zu gross geworden, als dass sie heute
noch nebenbei den Unterricht in der Orthopädie ausreichend übernehmen
könnte. Deshalb ist der Unterricht und die Prüfung in
der Orthopädie durch den Orthopäden unumgänglich
notwendig.
Für den Arzt oder Laien, der einen Einblick in die Grösse unseres
Krüppelelends hat, scheint es unbegreiflich, dass diese Verhältnisse nicht
auch von massgebender Stelle richtig eingeschätzt werden. Wer die
Entwicklung des medizinischen Unterrichts an den Universitäten kennt,
wundert sich aber darüber nicht. Von jeher ist von den Mutterfächern
die Loslösung eines Tochterfaches auf das allerheftigste und oft in der
ungerechtesten Weise bekämpft worden. Die Kämpfe, die von den
Augenärzten geführt werden mussten, bis sie die Anerkennung ihres
Faches als Lehr und Prüfungsfach durchgesetzt hatten, sind eingehend in
den Briefen von Jacobson (herausgegeben von M. 0 uidde) ge¬
schildert worden. Man kann heute noch nicht ohne tiefe Bewegung lesen,
wie einem der verdientesten Forscher und edelsten deutschen Aerzte,
Albrecht v. 0 r a e f e seine Tätigkeit an der Universität verleidet wor¬
den ist.
A. V. G r a e f e durfte in der Augenheilkunde, die er geschaffen
hatte, nicht prüfen, sondern die Prüfung lag in den Händen des alten
Chirurgen J ü n g k e n, und der Anerkennung der Augenheilkunde als
selbständiges Fach setzte vor allem V i r c h o w den heftigsten Wider¬
stand entgegen — ein Beweis, dass man ein ausgezeichneter patho¬
logischer Anatom sein, für die Bedeutung eines andern jungen Faches
aber nicht das geringste Verständnis haben kann.
Bei der Ohrenheilkunde sind die Verhältnisse ähnlich gewesen, dar¬
über berichtet Körner in seinen kürzlich erschienenen Lebenserinne¬
rungen in sehr anschaulicher Weise. Auch andere Nebenfächer haben bei
ihren Kämpfen um die Selbständigkeit ähnliche Erfahrungen gemacht.
Der Grund für die unwürdigen Verhältnisse ist immer derselbe. In
der Fakultät sitzt'kein Vertreter des jungen Faches, die meisten anderen
Mitglieder der Fakultät haben keinen Einblick in die Bedeutung des
neuen Faches, und deshalb finden die entscheidenden
Verhandlungen unter Ausschluss der Sachverständi¬
ge n s t a 11. So erklärt sich auch die Nichtberücksichtigung der Ortho¬
pädie bei der jetzt in Angriff genommenen Neuordnung des medizinischen
Unterrichts.
Die Schwierigkeiten für die Loslösung der Ortho¬
pädie von der Chirurgie werden ganz besonders hoch ein¬
geschätzt, weil angeblich keine Abgrenzung des Gebiets möglich ist. Das
ist nicht richtig. Wenn man dem Orthopäden die Behandlung der chro¬
nischen Krankheiten des Bewegungsapparates überlässt (mit Ausnahme
der Tumoren), so sind alle Gebiete erfasst, welche eine besondere ortho¬
pädische Technik erfordern. Gegen die Ueberweisung der akuten Ver¬
letzungen in die Orthopädie habe ich mich immer ausgesprochen, weil
wir reichlich genug mit den chronischen Leiden zu tun haben. Die Kran¬
ken w issen heute schon sehr gut das Gebiet der Orthopädie abzugrenzen.
Bei gutem Willen werden es die Aerzte auch lernen. Der zweite Ound,
der gegen die Orthopädie ins Feld geführt wird, ist persönlicher
Art. Von früher her nennen sich Aerzte, welche sich nur mit Massage und
Gymnastik befassen, noch „Orthopäden“. Diese Aerzte haben mit der
Orthopädie, wie wir sie auffassen, nichts gemeinsam, aber sie schaden
vielfach unserem Fache. Als Orthopäden erkenne ich nur die Aerzte
an, welche die Technik der orthopädischen Operationen ebenso restlos
beherrschen wie die Technik der Verbände, der Gipsabgüsse, der Ban¬
dagen und der sog. Medikomechanik.
Die Zahl dieser Vollorthopäden ist nicht sehr
gross. Und das ist der dritte Grund, der gegen die Orthopädie ins Feld
geführt wird. Wir leiden, wie das bei jedem anderen Nebenfache (s.
Jacobson und Körner) bis zur Anerkennung als Lehr- und Prü¬
fungsfach der Fall war, darunter, dass der akademische Nachwuchs
zahlenmässig noch nicht gross ist. Das ist selbstverständlich. Denn
jeder junge Arzt überlegt sich — besonders ist das in der jetzigen Zeit
begreiflich — wie die wirtschaftlichen Aussichten in einem Fach sind,
ehe er sich für dasselbe entscheidet. Und die akademischen Aussichten
für einen jungen Orthopäden sind zurzeit schlecht. In den letzten Jahren
sind fast alle Vorstandsstellen von orthopädischen Kliniken oder Krüp¬
pelanstalten, die freigew'orden sind, nicht mit anerkannten orthopädischen
Fachärzten, sondern mit Aerzten, deren Tätigkeit wie Ausbildung eine
vorwiegend chirurgische w'ar, besetzt worden. Die Methode hat man
bei andern Fächern früher schon anzuwenden versucht 0. Wir Ortho¬
päden empfinden diese Besetzungen als Raub der Schöpfuiigen unserer
verstorbenen Fachgenossen, die in schwerer Lebensarbeit ihre An¬
stalten geschaffen haben. Wir sehen aber auch in diesen Vorkommnissen
eine sehr ernste Gefahr für unsere Krüppelfürsorge. Wird bei dem Frei-
werden orthopädischer Anstalten weiter so verfahren, und diese G.ifahr
ist sehr gross, dann schwändet der an sich geringe akademische Nach¬
wuchs. Dann ist der Ruin der deutschen Orthopädie, welche die un¬
bestrittene Führung in unserem Fache gehabt hat, und der Zusammen¬
bruch der deutschen Krüppelfürsorge, welche vorbildlich für die ganze
Welt W'ar, trotz des neuen Krüppelgesetzes besiegelt.
Darum sei in letzter Stunde noch ein ernstes Wort gestattet. Ich
erw’arte aus den angeführten Gründen kein grosses Verständnis für die
Bedeutung der Orthopädie bei den meisten Fakultäten und den Vertretern
der wirtschaftlichen Interessen des Aerztestandes. Wenn man noch Hoff¬
nungen auf die Erhaltung der deutschen Orthopädie haben darf, so gründen
sie sich auf die Förderung, welche die Krüppelfürsorge bei den Re¬
gierungen und den Parlamenten gefunden hat. Ihnen verdanken wir das
neue Krüppelgesetz.
1906—1907 wurden in ganz Deutschland gegen 100 000 Verkrüppelte
unter den Kindern gezählt. Seitdem ist durch die Verletzungen des
Krieges und durch die Folgen der Hungerblockade die Zahl der Krüp-
nel, Rachitiker und Tuberkulösen in das Ungemessenc gewachsen. Ein
Gesetz, welches die Anzeigepflicht der Krüppel für den Arzt verlangt,
wäre völlig wirkungslos, wenn nicht gleichzeitig für pflichtmässigen
Unterricht und Prüfung in Orthopädie gesorgt w'ürde.
Deshalb hoffen wir, dass der Hallenser Beschluss nicht massgebend
für die endgültige Gestaltung des Unterrichtes wird- Der jetzige Ent¬
wurf leidet nicht nur an der Uebergehung der Orthopädie, sondern er er¬
weckt auch trotz mancher Besserungen in Einzelheiten schwere
grundsätzliche Bedenken.
Nur einiges sei zum Schluss herausgegriffen.
Man verlangt mit Recht, dass der Arzt eine gute allgemeine
Bildung haben soll. Wird dieser Zweck durch eine pflichtmässige
Vorlesung über Philosophie erreicht? Ich habe als Student ein Kolieg
über Philosophie belegt, aber bald den Besuch eingestellt, weil mich die
Fragen nicht interessierten. Statt dessen habe ich später in klinischen
Semestern Kulturgeschichte und Kunstgeschichte gehört. Davon zehre
ich heute noch. Ich glaube, wenn B i 11 r o t h, der durch die Tiefe und
Vielseitigkeit seiner Bildung ein unerreichtes Vorbild für jeden Arzt ge-
w'orden ist, heute zu dieser Frage Stellung nehmen müsste, so würde er
sicher nur ein Lächeln für die Einführung der Philosophie haben. (Siehe
B i 11 r 0 1 h s Briefe über W u n d t s Philosophie.)
Gar nicht gelöst ist das wichtigste Problem des medizinischen
Unterrichtes, die Erteilung des Unterrichtes in kleinen
Gruppen am Krankenbett, die Heranziehung der Do¬
zenten und Assistenten und die Ausnutzung des Kran -
kenmaterials in den nichtakademischen Kranken¬
häusern, Forderungen, die von den verschiedensten Seiten in der
letzten Zeit erhoben worden sind. Wenn eine Hauptklinik künftig
4 Semester anstatt 2 Semester besucht wird, so wird die Bildung des
Studierenden nicht viel besser werden. Die Hauptaufgabe ist, die Stu¬
denten in Berührung mit den Kranken zu bringen, und das kann nur
durch Einführung des Gruppenunterrichtes geschehen. Zeit dafür und
für die Einreihung der notwendigen Nebenfächer wird genug zur Ver¬
fügung stehen, wenn sinngemässe Abstriche an den alten Fächeni und
in den bisherigen Forderungen vorgenommen werden.
*) Jacobson Seite 216:
„Von jetzt ab sprechen des alten Olshausen Briefe. Gräfe war
gestorben; die Fakultät schwieg; der Minister Mtihler forderte Vorschläge
für das Ordinariat. Antwort: Das Ordinariat sei persönlich für Gräfe
gewesen; Besetzung der Stelle nicht wünschenswert: Man könne in der
Fakultät einen Ophthalmologen entbehren.“
Körner S. 112:
Nach dem Tode des Otologen und Laryngologen M. „hatte
die Fakultät es zugelassen, dass der ordentliche Professor A. H. in
seiner medizinischen Poliklinik eine besondere, wohl dotierte Abteilung für
Otologie und Laryngologie einrichtete und mit der Leitung derselben einen
seiner Assistenten F. beaöftragt. der sogleich mit der Venia legendi für diese
Fächer ausgestattet wurde“.,Es bestand genau dasselbe Verhältnis
auch für die Dermatologie.“
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
17
Eine solche entscheidende Umgestaltung des Unterrichtes ist aber
nur möglich durch eine Aenderung der Kollegiengelder. Becker
sagt in seinen Gedanken zur Hochschulrefom mit Recht: „Keine Hoch¬
schulreform ohne Umgestaltung des Kolleggeldwesens. Lässt man die
gültige Kolleggeldpraxis bestehen, so sind alle vorgeschlagenen organi¬
satorischen Reformen undurchführbar, oder sie werden zu bedeutungs¬
losen Schönheitsschnörkeln.“
Das harte Wort wird auch für die geplante Reform des medizinischen
Unterrichtes gelten, wenn nicht grundlegende Aendemngen an dem
Hallenser Entwurf auf Grund der Anhörung von Sachver¬
ständigen vorgenommen werden.
Ausblick und Rückblick.
Von Sanitätsrat Dr. E. Sarde mann-Marburg.
Das von Chronos, seinem Erzeuger, wieder verschlungene Jahr 1920
hat uns des Guten wenig oder nichts gebracht. Wie der Druck des Ver¬
sailler Gewaltfriedens schwerer und immer schwerer das deutsche Volk
bedrückt, wird selbst der trägen Moles allmählich fühlbar. Gekennzeichnet
war dieses Jahr durch die sprunghafte und erschreckende Steigerung der
Preise aller zum Leben notwendigen Dinge im allgemeinen und dessen,
was der Arzt zur Ausübung seines Berufes bedarf, im besonderen. Kaum
ist es ihm noch möglich, die medizinischen Zeitschriften, in denen er die
Fortschritte der Wissenschaft verfolgt, weiter zu halten. Diese leiden
unter dem Papiermangel und der erstickenden Last der stetig steigenden
Herstellungskosten. Neue wissenschaftliche Werke anzuschaffen, liegt
fast ausser dem Bereiche der Möglichkeit. Die Büchernot trifft auch den
medizinischen Nachwuchs, dem die Beschaffung der Lehrbücher nahezu
zur Unmöglichkeit geworden ist. Als ein Zeichen der Zeit, dabei aber
nachahmenswertes Beispiel, darf erwähnt werden, dass in Frankfurt
(Main) an die Kollegen die Aufforderung ergangen ist. überflüssige Lehr-
und Handbücher einer Sammelstelle zur Ausleihung an Examenskandidaten
zu überlassen.
Die schwere Bedrängnis nötigte auch den Aerzten, deren Einkommen,
namentlich aus der Kassenarbeit — und wer von uns kann heute auf sie
noch Verzicht leisten —, mit der Steigerung aller Preise auch nicht an¬
nähernd Schritt hielt, den Kampf mit den Kassenverbänden auf, als durch
Verordnung der Reichsregierung das Gebiet der privaten ärztlichen
Tätigkeit noch weiter eingeengt wurde, die Kasseneinnahmen tüchtig
wuchsen, und die Kassenverbände trotz allem es verweigerten, die Ver¬
gütung für die kassenärztliche Tätigkeit auch nur einigermassen den all¬
gemeinen Teuerungsverhältnissen anzupassen.
Am Schlüsse des Vorjahres hatte man sich wohl mit Friedens¬
hoffnungen und Erwartungen tragen dürfen. Als am 9. Dezember 1919
in Berlin das Honorarabkommen zwischen Kassen- und Aerzteverbänden
abgeschlossen war, konnte man nicht ohne Recht an eine weitere Ver¬
ständigung glauben. Die Vereinbarung war zwischen Kassen- und Arzt¬
organisationen ohne Vermittlung und Führung der Regierung vor sich
gegangen. Auf dem eingeschlagenen Wege hätte man zu einem voll¬
ständigen Tarifvertrag und, was noch weit wichtiger war, zu einem Zu-
sammenarbeiten der wichtigsten Faktoren der sozialen Versicherung,
Krankenkassen und Aerzte, für die Volksgesundheit kommen können.
Das schöne Bild, das sich vor unseren Augen auftat, war eine Fata
morgana. Heute scheinen wir der so notwendigen Arbeitsgemeinschaft
auf diesem Gebiet weiter entrückt zu sein, als je zuvor. Einen Rückblick
auf den Verlauf der schweren Kämpfe des Sommers 1920 in einer medi¬
zinischen Wochenschrift zu tun, wäre Raum- und Zeitverschwendung.
An eines nur darf wohl erinnert werden, an den gewaltigen Unterschied in
der Behandlung der Kassenarztfragen in Norddeutschland und südlich des
Maines. Die süddeutschen Aerztevertreter haben In den Verhandlungen
des Mai 1920 die Art der Frässdorf, Heinemann und Lehmann
kennen und einschätzen gelernt. Wenn wir auch guten Grund für die
Annahme zu haben glauben, dass in gar nicht wenigen Teilen Deutsch¬
lands, auch des nördlichen, die Kassenvorstände selbst die tyrannische
Herrschaft dieser Führer verwünschen, so dürfen zunächst kaum allzu¬
weitgehende Hoffnungen daran geknüpft werden. Denn auch hier gilt,
was Goethe sagt, „eine Meinung von energischen Männern ausgehend,
verbreitet sich kontagiös über die Menge, und dann heisst sie herrschend“.
Die Meinung, mit der heute die Menge von diesen energischen
Männern massensuggestiv infiziert werden soll, heisst gesetzgeberischer
Schutz der Krankenkassen gegen die Ausbeutung durch die organisierte
Aerzteschaft. Den Anfang solcher Bestrebungen erkennen wir In der
neuen preuss. Gebührenordnung. Die massgebende Einwirkung der
Kassenverbände auf die Ausgestaltung der Taxe Ist nicht nur zwischen
den Zeilen zu erkennen. Sie ist historisch bezeugt durch die Einleitung,
w eiche der an den Vorberatungen beteiligte Geh.-Rat Dietrich seiner
Neuausgabe der preuss. Gebührenordnung mit auf den Weg gab. Diese
Taxe ist in ihren wesentlichsten Sätzen im Dezember 1919 fertig und nicht
mehr geändert worden, trotzdem im Laufe des Jahres 1920 die starke
Zunahme der Teuerung eintrat. Wie ungenügend deswegen die Mindest¬
sätze für Besuch und Beratung, überhaupt die niedrigsten Ansätze, aus¬
gefallen sind, ist schon von verschiedenen Seiten genügend beleuchtet
worden. Wie kurzsichtig und wie hinderlich für die bessere Besiedlung
des platten Landes mit der genügenden Zahl von Aerzten ist doch die
Bestimmung, dass bei Krankenkassen die Mindestsätze für besondere
ärztliche Verrichtungen sich um den vierten Teil ermässigen, wenn die
Wegegebühr mehr denn 36 M. beträgt! Höchst charakteristisch für die
Bew ertung ärztlicher Leistungen ist die Tatsache, dass die Hebamme am
Niederrhein für eine regelmässige Geburt mit 10 Wochenbesuchen 80 M.,
der preussische Arzt nach den Mindestsätzen seiner Gebührenordnung
dagegen nur 70 M. zu verlangen berechtigt ist. Im übrigen ist an dem
Grundsatz festgehalten, dass die Taxe gemäss § 80 der Gew.O. keine
Zwangsvorschrift darstellt, sondern nur den Charakter einer subsidiären
Rechtsnorm besitzt. Wenn demnach eine Aerzte Vereinigung von vorne-
herein allgemein erklärt, dass sie in der Kassenpraxis nicht für die
Mindestsätze tätig sein will, so kann die Taxe sie nicht dazu zwingen
(Dietrich: 1. c.).
Dieser Erfolg mit der preuss. Gebührenordnung befriedigte die Kassen¬
titanen nicht restlos, noch weniger natürlich die Weigerung der Regierung,
die Taxe zur Zwangsvorschrift zu erheben. Sie heben nun zu neuem
Schlage gegen die verhasste und — gefürchtete Aerzteorganisation aus
und verlangen die baldige gesetzliche Regelung der Kassenarztfrage.
Zu diesem Zweck war auf den 2. Dezember 1920 ein allgemeiner
Krankenkassentag nach Berlin einberufen. Dort ist eine Entschliessung
gefasst, aus der das folgende hervorgehoben sei: Die wiederholten Ver¬
suche der Kassenverbände, einen Frieden mit den Aerzten herzustellen,
müssen als endgültig gescheitert angesehen werden. Der Aerzteverband
ist nicht vertragsfähig, weil vielfach die ihm angeschlossenen Aerzte-
vereinigungen die Gefolgschaft verweigern und örtlich als bindend oft
nur das annehmen, was. ihnen günstig ist. Das Gesetz gibt den Aerzten
ein Monopol auf ärztliche Behandlung, überlässt jedoch dem Ermessen
der Aerzte. ob und unter welchen Bedingungen sie für die Kassen tätig
sein wollen. Diese Monopolstellung wird von den Aerzten rücksichtslos
ausgenutzt. Die Vorzugsstellung der Aerzte muss beseitigt werden. Die
Kassen müssen bei Gefährdung der ärztlichen Versorgung nach eigenem
Ermessen ohne weiteres berechtigt sein, anstelle der ärztlichen Behand¬
lung eine Barleistung zu gewähren, die Aerzte unter Aenderung des
§ 80 a Gew.O. verpflichtet sein, Versicherte zu den Mindestsätzen der
Gebührenordnung zu behandeln. Den Krankenkassen ist die Errichtung
von Behandlungsstellen zu erleichtern. Die Zulassung der Aerzte zur
Kassentätigkeit muss nach dem Grundsatz der Bedarfsdeckung geregelt
werden. Notwendig ist die Errichtung von Schiedsausschüssen. Schieds-
ämtem und Zentralschiedsamt.
Der Geist, der in dieser Versammlung herrschte, wird durch einen
Vertreter der Tagespresse also gekennzeichnet. Den anwesenden
Aerzten wurde durch den Schluss der Diskussion die Möglichkeit ge¬
nommen. sich gegen die Angriffe der verschiedensten Art zu verteidigen.
Angriffe, die jede Gerechtigkeit Sachlichkeit und Ehrlichkeit vermissen
Hessen.
Die Regie, die Herr Frässdorf so ausgezeichnet meistert —
musste doch ein bayerischer Vertreter ihm bezeugen, dass es so etwas
wie eine Mainlinie für die Kassenverbände nicht gebe — arbeitete
tadellos. So wurde die Entschliessung einhellig angenommen. Trotz’
aller Vorsicht aber war nicht zu verhüten, dass einige Diskussionsredner
dem Gedanken Ausdruck verliehen, ein Friede mit den Aerzten sei auch
jetzt nicht nur möglich, sondern sogar erstrebenswert. Und die Main¬
linie? Das unbequeme Württemberg, das Friede und Arbeits¬
gemeinschaft zwischen Kassen- und Aerzteorganisation hat, wurde mit
verschämtem Stillschweigen gänzlich übergangen. Die Arbeitsgemein¬
schaft badischer Kassenverbände aber hat gar nach dieser Tagung
zu dem einhelligen Beschlüsse offiziell erklären lassen, dass sie das Vor¬
gehen der Kassenverbände nicht billigt und die Regelung aller Kassen¬
arztfragen auch in Zukunft nur im Einvernehmen mit der ärztHchen
Organisation anstreben wird. Auch Bayern hat ja nicht nur einen
Mantelvertrag, sondern auch eine Arbeitsgemeinschaft zwischen den
bayerischen Krankenkassenverbänden und der Bayerischen Landesärzte¬
kammer vereinbart. So dürfen wir hoffen, dass der inszenierten nord¬
deutschen Sturmflut eine kräftige Gegenwxlle von jenseits des Mains
entgegenwogt und sie verebben lässt. Die Antwort, welche die Haupt¬
versammlung des L.V. am 18. Dezember 1920 erteilte, ist in vor. Nr.
d. W. abgedruckt. Die Ziele jener Männer, was sie unter gesetzlicher
Regelung verstehen und von ihr erhoffen, kennen wir seit langem. Darin
stecken so unendlich viele Gesahren für die Volksgesundheit und Un-
zQträgllchkeiten der widerwärtigsten Art für die Kassenmitglieder, dass
man der Hoffnung des Misserfolges durch innere Widerstände sich wohl
hingeben dürfte.
Doch wie viele Hoffnungen, gesetzt auf die widereinanderlaufenden
Interessen unserer Feinde, auf diesen und jenen Zufall, hat das deutsche
Volk zu Grabe tragen müssen und wie anders ständen wir heute da. wenn
wir die eigene Volkskraft zusammengehalten und nicht hätten aus¬
einanderfallen lassen! Diesem Ansturm gegenüber dürfen auch wir
Aerzte nur auf uns selbst uns verlassen und müssen die freiwillige Organi¬
sation- der Selbsthilfe kräftigst weiter ausbauen. Diesem Ziele war der
2. Tag der LV.-Hauptversammlung in Leipzig gewidmet. Jedoch fand
der vom Beirat des LV. vorgelegte Entwurf einer Satzungsänderung, der
durch den Berichterstatter Schneider -Potsdam in äusserst ge¬
schickter und gewandter Form vertreten wurde, nicht die Genehmigung
der Hauptversammlung. Man fand die vorgeschlagene Aenderung nicht
geeignet, die so notwendige Festigung und Vereinheitlichung des eigent¬
lichen Unterbaues, der örtlichen Organisationen, zu sichern und hielt
namentlich einen Vorstand, der aus 12 Personen, von denen 4 in Leipzig
oder seiner nächsten Umgebung, die restlichen im übrigen Deutschland
ihren Wohnsitz haben müssen, für viel zu schwerfällig, um den in einer
wirtschaftlichen Organisation häufig nur allzu plötzlich eintretenden Not¬
wendigkeiten mit der erforderlichen Schnelligkeit begegnen zu können.
Das nicht mit Unrecht in Erinnerung an den durch seine Vielköpfigkeit
ziemlich unbeweglichen Geschäftsausschuss des Deutschen Aerzte-
Digitized by Google
Original frorri
UNIVERSirr OF CALIFORNIA
18
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. I.
vereinsbuncles, dtr eben deswegen anfangs dieses Jahrhunderts die
Pfthrung In allen wirtschaftlichen Arztfragen an den LV. abgeben
musste. Der Entwurf wurde an eine vergrösserte Kommission zurück¬
verwiesen. Das aber steht fest, die nächste, wichtigste und baldigst
zu lösende Aufgabe ist die Verbreiterung und Konsolidierung der Unter¬
organisationen und ihre straffste Zusammenfassung in Landes- und Pro¬
vinzialverbänden, eine vernunftgemässe Dezentralisation, bei der die zen¬
trale Einheit nicht verloren geht. Vorbildlich können die süddeutschen
ärztlichen Landesverbände sein, welche die feste Organisation unseres
Standes haben und auf gutem Wege sind, mit den Kassenverbänden zur
Arbeitsgemeinschaft zu kommen, von der einzig und allein eine wirksame
Förderung der Volksgesundheit erhofft werden kann.
Die zur Notwehr geschaffene Organisation der Selbsthilfe legt dem
einzelnen Pflichten auf und heischt Opfer, die nur getragen werden
können, wenn sie Stand und Beruf heben und fördern. Wenn der Ge¬
setzgeber bestimmen wollte, dass nur ein Teil der Kollegen Kassenärzte
werden soll, während der Rest dem Elend verfallen mag, wer und was
kann Aerzte zwingen, die Monopolstellungen anzutreten, die wiederum
zu all den üblen Zuständen, die wir vor der Gründung des LV. schau¬
dernd erlebt haben, und zum wirtschaftlichen Kampfe von bisher un¬
geahnter Schärfe der Expropiierten gegen die Besitzenden führen müssen?
Opfer des Besitzes müssen auch gebracht werden an unseren Nach¬
wuchs, der das ledern Deutschen verbriefte Recht auf Zulassung zum
Arbeitsmarkte hat. Für ihn muss die freie Arztwahl und mit ihr die
Arbeitsmöglichkeit erhalten bleiben. Das besagt noch nicht, dass ieder
Arzt unmittelbar nach seiner Approbation verlangen kann, zum freien
Wettbewerb zugelassen zu werden, so wenig wie der Beamte mit dem
Examen ein Anrecht auf sofortige Anstellung erwirbt. Wie dieser war¬
ten muss — im Grunde genommen erwirbt er nicht einmal das Recht
angestellt zu werden — so darf auch für die Aerzte mit Fug und Recht
eine Anwärterzeit statuiert werden. Die Zahl der deutschen Medizin¬
studierenden mit nahezu 20 000 im Wintersemester 19/20 ist über Mass
und Vernunft gross. Sie sind reichlich und eindringliclist auf die Berufs¬
überfüllung hingewiesen und vor ihren Folgen gewarnt worden. Haben
sie alie W^arnungen in den Wind geschlagen, müssen sie sich auch mit
der Unmöglichkeit, sofort zum freien Wettbewerb zugelassen werden
zu können, abfinden. Denn das kann allerdings den Kassen nicht auf¬
oktroyiert werden, dass diese heranströmende Ueberfülle schrankenlos
an der Kassentätigkeit teilhaben muss. Dass, wie es in der Volks¬
wirtschaftslehre heisst, Angebot und Nachfrage sich gegenseitig regeln,
ist nur bedingt richtig, denn in vielen Dingen, zu denen man auch die
ärztliche Versorgung rechnen darf, ruft das Angebot erst die Nach¬
frage hervor, und die künstlich erzeugte Nachfrage kann dann durch
geeignete Massnahmen noch gesteigert werden. In dem Anträge des
mittelbadischen Aerztevereins an seine Zentrale, mit der Behörde und
den Krankenkassen ein Uebereinkommen zu treffen, wonach nur auf
500 Kassenmitglieder ein Arzt zugelassen werden soll, steckt ein sehr
gesunder Kern. So denken wir uns den jetzt so viel genannten numerus
clausus. Natürlich darf das nicht schematisch angeordnet werden und
muss für grössere Bezirke gelten, während im einzelnen die örtlichen Ver¬
schiedenheiten zu berücksichtigen sind. Schon daraus erhellt, dass die
Einrichtung nicht durch Gesetz bestimmt oder durch Behörden gehaiid-
habt werden kann, sondern nur durch eine Arbeitsgemeinschaft der
Kassen- und Aerzteorganisatlonen. welche die Verhältnisse praktisch
überschauen. Innerhalb der so gesteckten Grenzen aber muss freier
Wettbewerb, d. i. freie Arztwahl gewährleistet sein. Das hat zur Folge,
dass ein grösserer Teil des späteren Nachwuchses auf die Zulassung zu
warten hat, wie der Beamte auf seine Anstellung, und darin ist ein Un¬
recht nicht zu erblicken.
Wesentlich erleichtert würde die Wartezeit durch die erhebliche
Vermehrung der Assistentenstellen (je 1 Arzt auf 50 Betten), die von der
gemeinsamen Kommission der medizinischen Fakultäten und des
Deutschen Aerzteverelnsbundes in ihren Vorschlägen zur Neuordnung
des medizinischen Studiums im Interesse der erspriesslichen Vorbildung
der Mediziner am 31.X. 20 in Halle einmütig gefordert ist. Bald wird
dann die Einführung eines numerus clausus im Verein mit der von der
genannten Kommission vorgeschlagenen Verlängerung der gesamten Aus¬
bildungszeit (12semestriges Studium und 1 praktisches Jahr) und Ver¬
schärfung der Prüfungsbestimmungen für Physikum und Staatsexamen
die jetzige Hochflut der Medizinstudierenden abschwellen lassen.
Die Dauer der Anwartschaft könnte verkürzt werden, wenn älteren
Aerzten die Möglichkeit, sich in die wohlverdiente Ruhe zurückzuziehen,
geboten, d. h. ein Pensionsfonds errichtet wird. Auch das ist durch die
Selbsthiife einer guten Organisation zu ermöglichen. Dafür gibt es Vor¬
bilder. In vielen evangelischen Pastorenstellen, z. B. der Gegend um
die Elbe, müssen die neu in eine Stelle einrückenden Geistlichen für eine
Reihe von Jahren einen Teil ihres Pfarrgehaltes in den sog. Emeritenfonds
einlegen, aus dem die Pensionen der emeritierten Pfarrer bezahlt wer¬
den. Natürlich gibt es auch andere Wege zu diesem Ziele. So kann
es gleichzeitig geordnet werden mit der Fürsorge der Arzthinterbliebenen,
deren Inangriffnahme nicht mehr hinausgeschoben werden darf, wie die
heute geradezu erschreckende Notlage der Arztwitwen und -waisen
beweist. Es ist nicht notwendig, das im ganzen Reich uniform zu regeln,
aber zweckmässig, dass es In grösseren Bezirken oder Verbänden gleich-
mässig gehandhabt wird.
Das Durchschnittseinkommen der Aerzte. deren Zahl innerhalb ge¬
wisser Grenzen festzulegen ist, durchaus nicht eine gleichmässiee Be¬
soldung (denn im freien Berufe wird und soll es immer. Je nach Tüchtig¬
keit oder Gewandtheit, grosse Unterschiede der Einkommen geben), sollte
so bemessen sein, dass cs nach Abzug der Betriebsiinkosten dem Ge-
Digitized by Goüsle
halte der Beamten mit ähnlicher akademischer Vorbildung zuzüglich des
Wertes der Pension und Familienfürsorge gleichkommt. Den Motiven
des Reichsbesoldungsgesetzes können wir entnehmen, dass hierfür
17 Proz. der Aufwendungen für die Beamtengehälter notwendig sind.
Diese Dinge müssen bei den Bestimmungen über einen numerus clausus
berücksichtigt werden.
Mit einer obsolet gewordenen Ueberlieferung aber muss endgültig
gebrochen werden, der, dass das Einkommen der Landärzte geringer
bemessen werden kann, als das der Stadtärzte. Ein Gedanke, der auch
in den Erläuterungen der schon erwähnten Dietrich sehen Ausgabe
der preuss. Gebührenordnung wieder auftaucht: „während andererseits
die Lebenshaltung der Aerzte des platten Landes nicht diejenigen Kosten
verursacht, wie die der Aerzte der grösseren Städte“. Wenn das über¬
haupt richtig ist, so werden die geringeren Ausgaben für Lebenshaltung
auf dem Land durch die unvergleichlich viel höheren Kosten der Kin¬
dererziehung stark überkompensiert. Diese durch zweckmässige Ge¬
meinschaftseinrichtungen : Internate für Arztkinder in Städten mit höheren
Schulen, Sammelstellen für Lehrmittel etc., zu erleichtern, muss auch
auf genossenschaftlichem Wege sich ermöglichen lassen.
So drängt alles die deutsche Aerzteschaft auf eine Festigung und
Vertiefung, gleichzeitig aber auch auf eine Erweiterung der Gemein¬
schaftsarbeit hin. Möge das neue Jahr uns frische Kämpfe ersparen,
damit ln ihm die Kollegenschaft ihre volle Kraft den Werken der Volks¬
gesundheit und den kulturellen Standesaufgaben weihen kann.
Fortmidingsvortrioe nd DeiiersiGlitsrelerate.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu München.
(Direktor: Qeh. Hof rat Prof. Sauerbruch.)
Die Behandlung chirurgischer Tuberkuiosen*).
Von Prof. Dr. R. Ha eck er.
M. H.! Wenn ich Ihnen im Rahmen eines Vortrages über die Be¬
handlung der sog. „chirurgischen Tuberkulosen“ berichten soll, so kann
dies natürlich nur in grossen Zügen und von allgemeineren Gesichts¬
punkten aus geschehen. Für Sie alle, die in der Praxis stehen und die
die in Frage kommenden Kranken aus erster Hand sehen, ist es In erster
Linie wichtig, klare Vorstellungen zu haben, welche Behandlungsmetho¬
den nach dem Stand unseres heutigen Wissens und Könnens in Frage
kommen und welche am leistungsfähigsten sind. Es ist gewiss für den
Praktiker heute nicht leicht, sich in der Literatur zuverlässig zu orien¬
tieren. Ausserordentlich überschwengliche Berichte über die Helio-
und Röntgentherapie haben die Ergebnisse der konservativen und chirur¬
gischen Behandlung der Tuberkulose zurückgedrängt. Und doch liegen
in Wirklichkeit die Verhältnisse so, um das gleich zu betonen, dass die
einzelnen Methoden im gegebenen Falle immer noch zu Recht bestehen
und die eine die andere nicht vollständig verdrängen kann.
Zum Verständnis unserer heutigen Stellung der Tuberkulose gegen¬
über ist ein kurzer geschichtlicher UeberblIck von Bedeu¬
tung.
Die Tuberkulose wurde zu Anfang und Mitte des vorigen Jahrhun¬
derts bis zu der grundlegenden Entdeckung des Tuberkelbazillus als eine
Art Konstitutionskrankheit betrachtet Namentlich für die Tuberkulose
im Kindesalter, die Drüsen-, Knochen- und Gelenktuberkulose hatten die
Aerzte instinktiv ein sehr richtiges Empfinden, indem sie unter der
Skrofulöse eine allgemeine Erkrankung oder Verschlechterung der Säfte
verstanden. Der Schwerpunkt der Behandlungsmethoden, die ln Frage
kamen, lag darum auch in Versuchen, diese Säfte zu verbessern und die
Allgemeinkonstitution zu heben. Aus dieser Zeit stammt die Behand¬
lung der Drüsentuberkulose mit Lebertran, der im wesentlichen durch
die Jodwirkung Erfolge erzielte. Die Salinen- und Seeklimabehandlung,
gute Ernährung und gute Pflege waren Hilfsfaktoren, auf die grosser
Wert gelegt wurde. Die chirurgischen Massnahmen beschränkten sich
auf korrektive Eingriffe, Bandagen, Apparate nach der Ausheilung des
Prozesses. Mit einem Schlage änderte sich die Stellung der Aerzte
und besonders der Chirurgen der Tuberkulose gegenüber durch die Ent¬
deckung Kochs und durch das bakteriologische Denken, das in die
Medizin einzog. Ihnen allen sind die Versuche jener Zeit bekannt, die
Lungentuberkulose operativ zu behandeln. Man hatte die Vorstellung, es
müsse gelingen, die eingedrungenen Tuberkelbazillen abzutöten. Man
injizierte in die Lungenspitzen antiseptische und desinfizierende Lösungen.
Der Erfolg ist bekannt. Auch die Chirurgie wurde von solchen Ueber-
legungen beherrscht. Man bemühte sich die tuberkulösen Herde heraus¬
zuschneiden, in der Meinung, dass damit die Tuberkulose überhaupt be¬
seitigt war. Die Eingriffe waren bei fortgeschrittenen Tuberkulosen
grosse. Sehr oft war man gezwungen, im Interesse der radikalen
Durchführung der Operation bis an die Epiphysenlinien heranzugehen
und das Ergebnis war eine hochgradige Verkürzung mit Wachstums¬
störung des Beines.
Wie unter diesen traurigen Erfolgen die Chirurgen gelitten haben,
geht aus dem Bekenntnis Volkmanns hervor, und in neuerer Zeit
auch Bardenheuers. Aber abgesehen von der Verstümmelung, die
dem Eingriff oft folgte, blieb diese Behandlungsmethode auch gegen¬
über der Tuberkulose selbst machtlos. Rezidive waren häufig. Fisteln
traten auf und der Eingriff war umsonst.
•) Vortrag, gehalten anlässlich des Tuberkulose-Fortbildungskurses in
München am 8. Oktober 1920.
Original from
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
19
Heute, ra. H., stehen wir Im allgemeinen wieder auf dem Stand¬
punkt wie vor 100 Jahren: Im Vordergründe steht die tuberkulöse
Allgemeinerkrankung, nicht die lokale und deshalb müssen die
Aerzte die Tuberkulose kennen, nicht ihre lokalen Veränderungen
allein.
Die verschiedenen Formen, in welchen uns Chirurgen die tuberku¬
lösen Erkrankungen entgegentreten, sind in der Hauptsache Drüsen-
tuberkulose, Knochen- und Qelenktuberkulose,
Darmtuberkulose. Peritonealtuberkulose, Urogeni¬
taltuberkulose und Lungentuberkulose.
Jede einzelne dieser Erkrankungsformen kann — allerdings in der
weitaus grössten Zahl der Fälle nur scheinbar — isoliert auftreten; meist
aber handelt es sich um gleichzeitiges Nebeneinanderbestehen. So gibt
es bekanntlich Knochen- und Gelenktuberkulosen, wo ein primärer Herd
nicht nachweisbar ist, im allgemeinen aber stellt die Gelenktuberkulose
einen metastatischen Prozess dar. Der Primärherd sitzt in der Lunge
oder einer Lymphdrüse. Aehnlich verhält es sich z. B. mit der tuber¬
kulösen Peritonitis, welche sich namentlich bei Kindern, im Anschluss
an die Erkrankung der mesenterialen und retroperitonealen Lymphdrüsen.
an die des Darmes und der Bauchorgane anschliesst, oder auch vom
Blutwege aus auftritt.
Ich möchte in folgendem zunächst auf diejenigen therapeutischen
Massnahmen eingehen, welche darauf hinzielen, bei chirurgischen tuber¬
kulösen Erkrankungen den Allgemeinzustand zu heben und
dadurch den Körper für den Kampf gegen die Tuberkulose widerstands¬
fähiger zu machen. Erst in zweiter Linie wären sodann für die ein¬
zelnen Formen der chirurgischen Tuberkulose die lokalen Behand¬
lungsmethoden zu erwähnen.
Man kann ganz allgemein sagen, dass alle Mittel, welche imstande
sind« den Allgemeinzustand des Kranken zu heben, für die Behandlung der
Tuberkulose sich eignen. Hierher gehört zunächst eine gute, kräf¬
tige Ernährung, sie genügt oft schon, muss aber rechtzeitig
genug einsetzen. Noch wirksamer wird eine solche sein in Verbindung
mit Höhenklima, das jedoch nicht durch die Sonne allein wirkt, sondern
durch viele Faktoren. So können wir unter Umständen denselben Erfolg
beobachten, wenn der Kranke aus einem höher gelegenen Ort an die
See gebracht wird. Die Hauptsache dabei ist der Klimawechsel,
welcher im Sinne einer allgemeinen Umstimmung des gesamten Orga¬
nismus wirkt. Dabei möchte ich nachdrücklich darauf hinweisen, dass
auch im Krankenhause viele Tuberkulosen ausheüen ohne Sonne und
Höhe, einfach, weil daselbst unter Umständen eine bessere Ernährung
vorhanden ist, besonders wenn die Kranken aus schlechteren sozialen
Verhältnissen kommen.
Eine grosse Rolle spielt in neuerer Zeit die von Bernhard und
Ro 11i er eingeführte Sonnenlichtbehandlung. Es kann nicht
geleugnet werden, dass die damit erzielten Erfolge zum Teil recht gute
sind. Auf der anderen Seite muss vor einem zu grossen Enthusiasmus
gewarnt werden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine ganze Anzahl
der auf Rechnung der Heliotherapie gesetzten sog. Heilungen gar keine
Heilungen im wahren Sinne des Wortes sind, weil es sich in manchen
derartigen Fällen überhaupt um keine tuberkulöse Erkrankung gehandelt
hat. Noch ein sozialer Gesichtspunkt kommt bei der Frage der Sonnen¬
bestrahlung hinzu. Meist zieht sich nämlich die Behandlung über Jahre
hin und ist dann ausserordentlich kostspielig. Sicher ist, dass das
Sonnenlicht nicht spezifisch wirkt, sondern nur allgemein roborierend.
Dasselbe ist von der Behandlung mit der sog. künstlichen Höhen¬
sonne zu sagen.
Eine weitere Methode, welche auf eine Umstimmung des Organis¬
mus abzielt, besteht in der Hervorrufung starkerHautreize.
Hiezu gehören dieSoolbäder und die Schmierseifenkur. Letz¬
tere besteht darin, dass mehrere Monate lang 2—3 mal wöchentlich Ein¬
reibungen des Rückens und der Beine mit guter Schmierseife gemacht
werden; nach einer halben Stunde wird die Seife abgewaschen und
die Haut getrocknet.
Um von spezifischen Mitteln einige zu nennen (spezifisch nicht in
dem Sinne gebraucht, dass die Mittel gegen die Tuberkelbazillen ge¬
richtet sind), so wäre hier das Röntgenverfahren, sowie die
Einspritzung von Jodoformglyzerin anzuführen.
Letztere Methode ist schon ziemlich alt und hat sich in der Praxis
seither gehalten. Man hat zuerst geglaubt, die Wirkung des Jodo¬
forms sei einfach eine antiseptische, die Tuberkelbazillen würden da¬
durch getötet. Diese Auffassung ist nicht richtig. Das Jodoform ist
nicht einmal ein so starkes Antiseptikum; im Gegenteil, es stellt einen
ganz guten Nährboden für gewisse Bakterien dar. Es wirkt erst dann
desinfizierend, wenn es mit zerfallendem Eiweiss zusammenkommt. Es
übt eine positiv chemotaktische Wirkung aus. Leukozyten werden an¬
gelockt. durch sie wird ein proteolytisches Ferment gebildet, welches
imstande ist, den dicken käsig-tuberkulösen Elter einzuschmelzen und
ihn für die Resorption günstiger zu gestalten: der Eiter wird, wie
H e y d e s Versuche gezeigt haben, unter der Behandlung mit Jodoform¬
glyzerin bald dünnflüssiger. Indiziert ist die Anwendung hauptsächlich
bei kalten Abszessen und tuberkulösen Gelenkergüssen. Nach Punktion
derselben werden je nach der Grösse der Abszesshöhle 10—30 ccm
einer lOproz. Jodoformglyzerinlösung, eingespritzt und diese Injektion
in bestimmten Zwischenräumen wiederholt. Auch bei hartnäckiger Flstel-
biklung leistet die Jodoformbehandlung, wie zahlreiche Beobachtungen
aus unserer Klinik in letzter Zeit gezeigt haben, recht Gutes.
Die Röntgenbestrahlung der Tuberkulose wird an unserer
Klinik in ausgedehntem Masse geübt. In der folgenden Tabelle sind die
während eines Jahres behandelten Fälle aufgeführt.
Digitized by Goiisle
Zahl
der FäUe
MIm-
•rfolg
Beese-
rung
flfeilDDg
Qeschloseene DrüsentuberkuloBe ....
40
1
19
20
Ofleue Drüsentuberkulose.
u
1
8
6
WeicliteiltubcMkulose.
n
2
15
5
Xeljenhodeutuberkulose.
(»csehlosseno Knoebeu- und (ieleuktuber-
2
! '*
2
ktiluse.
28
6
4
Offene Knoclien- und Gelenktulierkiilo.se
22
8
1 14
b
128
1 12
1 70 1
1 41
Sie sehen daraus, dass die Röntgentherapie bei der Drüsentuberkulose,
und zwar besonders bei der geschlossenen, ganz Hervorragendes leistet
und jede andere Behandlungsmethode, besonders auch die operative
Entfernung der Drüsen aus dem Felde geschlagen hat. Weniger sicher
wirkend ist sie bei den übrigen Erkrankungsformen, immerhin ist auch
hier die Zahl der Misserfolge eine ausserordentlich geringe. Interessant
ist, dass beide Fälle von Nebenhodentuberkulose, die wir der Röntgen¬
behandlung unterzogen haben, in Heilung ausgegangen sind. Dabei
bemerke ich, dass wir bei älteren Leuten aus prophylaktischen Gründen
auch die andere Seite mitbestrahlen. Was die von uns geübte Technik
betrifft, so verabreichen wir im allgemeinen die Reizdosis = %—^ der
Maximaldosis. Bestrahlt wird mit Schwerfilterung (Zinkfilter 0,5 bis
0,7 mm). Die Zahl der Sitzungen beträgt mindestens 3—4. welche
sich auf durchschnittlich 3—4 Monate verteilen. Bei Abszessbildung
wird vorher die Punktion ausgeführt, und direkt im Anschluss daran die
Bestrahlung vorgenommen. Häufig empfiehlt es sich, Röntgen¬
behandlung mit Höhensonnenbestrahlung zu kom¬
binieren. Bezüglich der Knochen- und Gelenktuberkulose haben wir
die Erfahrung gemacht, dass die peripheren Gelenke (Hand, Fuss) besser
reagieren als die zentralen (Hüfte, Knie). Bel letzteren ist die Ver¬
abreichung einer höheren Dosis erforderlich. Auch müssen dieselben
von 2 Seiten bestrahlt werden. Stets wird mit der Bestrahlung die
Immobilisierung der Gelenke verbunden. Ueber die Wirkungsweise der
Röntgenbestrahlung sind die Akten noch nicht geschlossen. Zweifellos
geht das tuberkulöse Granulationsgewebe zugrunde. Wichtiger jedoch
scheint die Reizwirkung zu sein, durch welche die Bindegewebsneubildung
angeregt wird.
Die besonders in neuester Zeit in der Literatur einen grossen Raum
einnehmende Behandlungsmethode mit Partialantigenen nach
Deycke-Much wird auch an unserer Klinik in geeignet^erscheinen¬
den Fällen durchgeführt. Die Zahl derselben ist noch zu klein und die
Beobachtungszeit zu kurz, um ein abschliessendes Urteil über den Wert
der Methode abgeben zu können, doch haben wir den Eindruck, dass
in manchen Fällen die Partialantigenbehandlung neben sonstigen Mass¬
nahmen als Adjuvans wertvolle Dienste leistet. Wir halten uns dabei
möglichst genau an die Originalbestimmungen der Entdecker und legen
besonderen Wert auf vorsichtigsten Beginn mit kleinsten Dosen und
schonendste Weiterführung.
Von der Einspritzung des Friedmannmittels haben wir bis
jetzt in zahlreichen, in dieser Weise behandelten Fällen eindeutige Er¬
gebnisse nicht .gesehen.
Die Tuberkuli nbehandlung wird von uns nicht durch¬
geführt.
Im Vergleich zu den auf Hebung des Allgemeinzustandes gerichteten
Massnahmen spielt die chirurgisch-orthopädische Be¬
handlung nur eine kleine Rolle im Kampfe gegen die Tuberkulose.
Bei der Behandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose
sind fixierende Verbände oft dringend nötig, doch muss auch hier indivi¬
dualisiert werden. Insofern manchmal Bewegungstherapie in Verbindung
mit Bierscher Stauung sich als zweckmässig erweist. Die
passive Hyperämiebehandlung nach Bier wirkt in gewissen Fällen
zweifellos günstig, die Schmerzhaftigkeit der Gelenke lässt unter ihrer
Anwendung nach. Die Kritik über das Verfahren ist erschwert, weil
die Bier sehe Stauung meist mit Ruhigstellung kombiniert wird. Man
geht, wie Ihnen ja bekannt ist. in der Weise vor, dass man oberhalb
des Gelenkes an wechselnder Stelle täglich für mehrere bis 12 Stunden
eine dünne Gummibinde anlegt und dadurch eine stärkere Durchblutung
des Gelenkes erzeugt. Oedem oder starke Anschwellung darf nicht
eintreten. Die Technik ist nicht leicht, sie erfordert Uebung und sorg¬
fältige Ueberwachung. Die Behandlung erstreckt sich über Monate,
selbst Jahre.
Für die Ruhigstellung des erkrankten Gelenkes
geben wir an unserer Klinik im allgemeinen dem Gipsverband von dem
Extensionsverband den Vorzug, weil diePatienten darin unabhängiger sind.
Mit Gipsverbänden kann man die Kinder z. B. für einige Zeit an einen
klimatischen Kurort schicken. Was die Anlegung des fixierenden
Verbandes betrifft, so wird bei uns nach dem Vorgang von Mikulicz
das tuberkulöse Gelenk in der pathologischen Stellung ein¬
gegipst, weil Jedes Gelenk seine besondere physiologische Ruhig¬
stellung hat, und eben diese durch chirurgische Massnahmen nicht gestört
werden soll. Das Redressement bedeutet immer ein Trauma und kann zu
einem Aufflackern bzw. Weiterverbreiten des Prozesses führen. Nach
6—8 Wochen, wenn die akuten Erscheinungen vorbei sind, kann
korrigiert werden. Die Prozedur ist dann auch nicht mehr so schmerz¬
haft. Die Richtigstellung des Beines durch Osteotomie u. dgl. darf erst
nach vollständiger Ausheilung des Gelenkes, also nicht vor einem Jahre
ausgeführt werden.
Bei stärkerem Gelenkerguss lassen wir der Ruhigstellung die In¬
jektion von Jodoformglyzerin vorausgehen, welche von Zeit zu Zeit
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
20
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nf. 1.
wiederholt wird. Die erkrankte Gelenkpartie. wird zum Zwecke der
Bestrahlung mit Röntgenlicht oder Höhensonne durch Ausschneiden eines
Fensters freigelassen.
Unter dieser konservativen Behandlung in Verbindung mit der ent¬
sprechenden Allgemeinbehandlung können selbst schwere fungöse For¬
men noch a u s h e i 1 e n, auch solche mit Fisteln und Mischinfektion. Es
muss deshalb unser Bestreben sein, möglichst damit zum Ziele zu ge¬
langen. Vor allem gilt dies für die kindliche Tuberkulose. Sind wir
nämlich genötigt zu operieren, so lässt sich dies meist nicht ohne
Opferung der epiphysären Zone durchführen. Dadurch wird aber das
weitere Wachstum des Knochens gehemmt. Beim Erwachsenen hat man
darauf keine Rücksicht zu nehmen. Infolgedessen sind wir beim Er¬
wachsenen auch eher berechtigt operativ vorzugehen, und zwar
besonders dann, wenn der tuberkulöse Herd so streng lokalisiert ist, dass
er leicht freigelegt und radikal entfernt werden kann. Ich denke dabei
z. B, an die isolierte Tuberkulose des Calcaneus und anderer kurzer
Knochen. Besonders seit wir gelernt haben, mit dem Röntgenverfahren
derartige Isolierte Knochenherde zu erkennen, hat der Standpunkt, die¬
selben zu entfernen, an Anhängern gewonnen. Bei Kniegelenkstuberku¬
lose findet man oft zuerst einen Herd in der unteren Femurepiphyse.
Ausräumen des Herdes, Plombieren des Loches oder einfach Schluss der
Weichteilwunde geben günstige Resultate. Bei ausgedehnter Zerstörung
der Gelenkenden schliesslich ist die typische Gelenkresektion
angezeigt. Handelt es sich um Patienten in vorgerückterem Lebensalter,
so ist bei hochgradiger tuberkulöser Zerstörung eines Gelenkes unter
Umständen mit Rücksicht auf die Abkürzung der Behandlungsdauer der
Amputation vor der Resektion der Vorzug zu geben. Die Tatsache, dass
bei Extremitätentuberkulose und gleichzeitiger
Lungentuberkulose nach der Amputation sehr oft
eine Besserung des Lungenbefundes beobachtet wird,
legt ein radikales Vorgehen in derartigen Fällen nahe.
Bei Spondylitis tuberculosa hat die Therapie neben den
hygienisch-diätetischen Massnahmen besonders zu achten auf Ruhig¬
stellung und Entlastung der erkrankten Wirbel¬
partie. Je nach dem Stadium, in dem sich die Krankheit befindet,
nach der Schwere des Prozesses und dem Umfang der Zerstörung, so¬
wie auch entsprechend dem Alter des Patienten suchen wir dieses Ziel
zu erreichen, entweder durch absolute Bettruhe in Verbin¬
dung mit Extension (besonders bei Erkrankung der Halswirbel¬
säule) oder mit Gipsbett (bei Erkrankung der Brust- und Lenden¬
wirbelsäule) oder durch portative Apparate. Doch hüte man
sich, zu früh zu letzteren überzugehen. Die Resultate bei operativer
Inangriffnahme der Wirbelkaries sind nicht sehr ermutigend.
Trotzdem werden wir uns zur Ausführung einer Laminektomle
entschliessen in Fällen, wo wir vielleicht auf Grund des Röntgenbefundes
den Eindruck haben, dass das Rückenmark durch käsig-eitrige Massen
oder Sequester oder durch spitzwinklige Abknickung einem Druck aus¬
gesetzt ist. In anderen Fällen haben uns grosse, besonders nach dem
Mediastinum zu sich ausbreitende Senkungsabszesse zur Ausführung
eines operativen Eingriffes, der Kostotransversotomie, zwecks
Entleerung des Abszesses veranlasst, besonders wenn Kompressions¬
erscheinungen durch den Eitersack aufgetreten sind.
Die von A1 b e e angegebene Operationsmethode, dem zusammen¬
gebrochenen Wirbel durch Implantation eines festen Knochenspans aus
der Tibia eine Stütze zu verleihen, leistet in manchen Fällen Gutes.
Besondere Beachtung hinsichtlich der Behandlung erfordern die Sen¬
kung s a b s z e s s e, die sich in der Mehrzahl der tuberkulösen Wirbel¬
entzündungen bilden; die Caries sicca ist viel seltener. Je nach dem
Sitz der Erkrankung erreichen die Abszesse an verschiedenen Stellen
die Körperoberfläche, nämlich retropharyngeal, dorsal, lumbal und
vor allem die typische Form auf dem Psoas mit Senkung nach dem
Oberschenkel. Die Senkungsabszesse werden, soweit man an dieselben
herankommt, durch Punktion entleert, hierauf wird Jodoformglyzerin
eingespritzt. Diese Manipulation wird in bestimmten Zwischenräumen
wiederholt. So kann völlige Ausheilung erfolgen. Kommt es zum Durch¬
bruch. so ist die Folge eine Mischinfektion mit langwieriger Fisteleiterung,
die den Kranken ausserordentlich schwächt, ja für viele den Anfang vom
Ende bedeutet Spondylitische Senkungsabszesse durch Einschnitt zu
eröffnen, heisst dem Tod eine Pforte bereiten.
Für die Behandlung der Peritonealtuberkulose, welche in
der Hauptsache in zwei Formen, der exsudativen und adhäsiven Form
auftritt kommen zunächst die eingangs erwähnten Mittel zur Hebung
des Allgemeinzustandes, Lichtbehandlung, Solbäder, Schmierseifen¬
kur, Röntgenbestrahlung in Frage. Ein Teil der Fälle kommt so
zur Ausheilung. Wo die konservative Behandlung nicht zum Ziele ftihtt,
tritt die operative Therapie in ihr Recht, deren Aussichten allerdings
um so ungünstiger sind, je mehr sich die Peritonitis der trockenen Form
nähert Der operative Eingriff besteht in Laparotomie und Austupfen der
PerUor:e;.!höhle mit Jodtinktur.
Bei der Darmtuberkulose steht im Vordergrund des chirur¬
gischen Interesses die Zökaltuberkulose, denn die disseminierte Darm¬
tuberkulose schliesst meist den Gedanken an ein chirurgisches Eingreifen
aus. Wir begnügen uns im allgemeinen mit der Ausschaltung des er¬
krankten Zökalabschnittes und beobachten danach ln der Mehrzahl der
Fälle ein Schwinden des entzündlichen Tumors, wo nicht, wird in einer
zweiten Sitzung die Exstirpation desselben vorgenommen. Wenn an
anderen Stellen des Darmes die tuberkulösen Geschwüre zu Ver¬
engerungen des Darmlumens geführt haben, sind auch diese durch Entero-
anastomose auszuschalten. So haben wir vor wenigen Wochen einen
Kranken operiert, bei welchem ausser einer zirkumskripten Zökaltuber¬
kulose mehrfache Verengerungen des Dünndarmlumens auf der Basis
tuberkulöser Geschwüre sich vorfanden. Nach Ausschaltung der ver¬
engten Partien durch Enteroanastomose und Ausführung einer Ileo-
transversostomie erholte sich Patient so rasch, dass er schon 3 Wochen
später mit 9 Pfund Gewichtszunahme nach Hause entlassen werden
konnte.
Bei der Behandlung der Urogenitaltuberkulosc habe ich
auf die günstige Beeinflussung der .Nebenhodentuberkulose
durch die Röntgenstrahlen bereits oben hingewiesen. Wir wenden die¬
selbe daher in allen beginnenden Fällen an. Ist der Prozess jedoch schon
weiter vorgeschritten, so säume man nicht mit der einseitigen Kastration.
Bei der N i e r e n t u b e r k u 1 o s e ist die Neigung zur Spontan¬
heilung im Gegensatz zur Lungen- und Knochentuberkulose ausser¬
ordentlich gering. Wichtig ist vor allen Dingen die Frühdiagnose,
welche durch die verfeinerten Methoden von Zystoskopie und Ureteren-
katheterismus ausserordentlich erleichtert wird. Therapeutisch kann nur
die Entfernung der erkrankten Niere in Frage kommen. Voraussetzung
ist natürlich das Vorhandensein einer zweiten annähernd normal funk¬
tionierenden Niere.
Wenn ich mir zum Schluss erlaube noch einige Bemerkungen zur
Behandlung der Lungentuberkulose zu machen, so glaube
ich dazu um so eher berechtigt zu sein, als gerade auf diesem Gebiete
die chirurgische Therapie im Laufe des letzten Jahrzehntes ganz ge¬
waltige Fortschritte zu verzeichnen hat.
Die einfachste Form der operativen Behandlung der Lungentuber¬
kulose besteht in der Anlegung eines künstlichen Pneumo¬
thorax.
Wir wissen, dass das Gelingen eines solchen zur Voraussetzung
hat einen freien Pleuraspalt. Ueberall dort, wo er vorhanden ist, ist der
Pneumothorax das Verfahren der Wahl. In der Mehrzahl der Fälle be¬
stehen jedoch mehr oder weniger ausgedehnte Verwachsungen zwischen
beiden Pleurablättern. Für diese Fälle hat Brauer nach dem Vorgang
von Quincke und Spengler, welche schon früher Rippenstücke
resezierten, vorgeschlagen, durch ausgedehnte Rippenresektion die ganze
Brustwand zu mobilisieren und dadurch eine Retraktion der Lunge zu
ermöglichen. Von Friedrich wurde die erste Operation in dieser
Weise ausgeführt. Bald jedoch zeigte sich, dass die Mortalität bei diesem
kolossalen Eingriff eine erschreckend grosse war, besonders innerhalb der
ersten Tage infolge der gewaltigen mechanischen Verschiebung. Es ent¬
standen daher in der Folgezeit eine Reihe von Modifikationen. Durch
die paravertebrale Resektion der II. bis 1. Rippe nach
Sauerbruch gelingt es, auch durch Fortnehmen von nur kleinen
Stücken aus den vertebralen Abschnitten der Rippen eine weitgehende
Einengung des Brustkorbes zu erzielen. Bei der von Wilras ange¬
gebenen Pfeilerresektion ist die Retraktion der Lunge nur eine
unvollständige. Erst durch die Ausdehnung der Resektion bis auf die
untersten Rippen wird, wie Sauerbruch gezeigt hat, eine Retraktion
der ganzen Lunge erreicht In der Regel wird die Operation zweizeitig
ausgeführt und zwar zunächst über dem Unterlappen und in zweiter
Sitzung oben. Würde man nur den Oberlappen mit seiner Kaverne ein¬
engen, so bestünde die Gefahr, dass der in den Bronchialbaum ausge¬
presste Inhalt bei tiefer Inspiration in den Unterlappen angesaugt wird.
Ferner ist zu bedenken, dass bei Erkrankung des Oberlappens fast stets
auch Herde im Unterlappen vorhanden sind, welche durch die infolge des
Ausfalls des Oberlappens vermehrte Tätigkeit in kurzer Zeit aufflackern
würden.
Sehr viel hängt von einer zweckmässigen Ausführung
der Operation ab. Alles kommt darauf an, schnell und ohne
grösseren Blutverlust zu operieren. Richtige Lagerung des Kranken,
sorgfältige aber schnelle Blutstillung, geschulte Assistenz sind von grosser
Wichtigkeit Von grosser Bedeutung ist auch die Einschränkung
d e r N a r k 0 s e. Sie ist bei reichlichem Auswurf mit einer besonderen
Gefahr für den Phthisiker verbunden. Die Kranken husten in der Narkose
nicht aus, wodurch die Gefahr der Aspiration erhöht wird. Mittels der
paravertebralen Leitungsanästhesie gelingt es fast in
allen Fällen, absolut schmerzlos zu operieren.
Aehnlich wie eine zweizeitige paravertebrale Resektion aller Rippen
wirkt die Ergänzung eines unvollständigen Pneumo¬
thorax durch eine umschriebene Plastik. Diese Ver¬
bindung stellt einen sehr zweckmässigen Eingriff dar. Man darf sie als'
das Verfahren der Wahl 1)ezeichnen für alle diejenigen Fälle, bei denen
das Erkrankungsgebiet der Lunge mit der Brustwand verwachsen ist,
der übrige Teil der Lunge aber durch einen künstlichen Pneumothorax
zur Retraktion und Kompression gebracht werden kann. Am häufigsten
treffen diese Verhältnisse zu bei der kavernösen Phthise des Oberlappens.
Gewaltsame Versuche, in solchen Fällen eine Loslösung der Lunge durch
Drucksteigerung im Pneumothorax zu erreichen sind gefährlich, sie führen
fast immer zu einer schweren Pleurainfektion. Auf Grund der zahlreiche*
günstigen Erfahrungen, welche S a u e r b r u c h mit der Kombination von
Pneumothorax und Teilplastik erzielt hat, hält derselbe die Verbindung
dieser beiden Methoden für das Ideal chirurgischer Behand¬
lung einseitiger Lungentuberkulose.
Eine besondere Form der extrapleuralen Pneumolyse ist die sog.
Plombierung. Sie findet ihr Hauptanwendungsgebiet in der lokalen
Kompression starrwandiger Hohlräume nach ungenügender operativer
Brustkorbeinengung. Das Vorgehen besteht darin, dass von einem Para¬
vertebralschnitt aus die Lunge mit ihrem verdickten Brustfell von der
Brustwand stumpf abgeschoben und der Hohlraum mit Paraffinmasse von
einem Schmelzpunkt zwischen 48® und 56® ausgefüllt wird.
Digitized by
Google
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
7. Januar 1921 .
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
21
Als ein nützliches Mittel zur Unterstützung der chirurgischen'Therapie
der Tuberkulose haben Stürtz und Sauerbruch die Phreniko¬
tomie angegeben, durch welche die Zwerchfellatmung auf der kranken
Seite ausgeschaltet wird. Als selbständige, die Thorakoplastik ersetzende
Operation, kommt die Phrenikotomie nicht in Frage. Die Technik der
Operation ist ausserordentlich einfach: ln Lokalanästhesie wird an der
betreffenden Halsseite eingegangen und der Nervus phrenicus an der
Stelle, wo er vor dem Musculus scalenus anticus verläuft, aufgesucht.
Er wird mit einem Scherenschlag durchtrennt und die Wunde darüber
verschlossen.
Das Wichtigste bei der chirurgischen Behandlung der Lungentuber¬
kulose ist die Indikati 0 nsste 11 ung. Der Kardinalsatz ist, mög¬
lichst nur einseitige Tuberkulosen zu operieren, und
zwar eignen sich am besten die kavernös-fibrösen Formen. Ist die
andere Seite auch krank, so schreitet hier die Tuberkulose infolge der
Mehrbelastung rapid fort In praxi gibt es kaum eine einseitige Spitzen¬
tuberkulose mit gesunder anderer Seite. 5 oder 6 Tage nach der Opera¬
tion kann der Prozess auf der anderen Seite aufflackern, es muss des¬
halb eine längere Beobachtung vorausgehen. Für diese etwas unsicheren
Fälle hat sich die vorherige Ausführung der Phrenikotomie zur Er¬
zielung einer kleinen Einengung als sehr empfehlenswert er¬
wiesen. Löfet sie gleich Fieber aus, so muss man von einer grösseren
Operation absehen. Sehr wichtig ist es auch, das Verhalten des Herzens,
sowie der Nieren zu berücksichtigen. Bei gleichzeitig bestehender Darm-,
Hoden- oder Gelenktuberkulose ist ebenfalls Vorsicht am Platze. Jene
Fälle, bei denen die Indikation richtig gestellt ist, zeigen, dass die
operative Behandlung der Lungentuberkulose unter
Umständen erheblich mehr leistet als die konserva¬
tive. Es gelingt In einer überraschend grossen Anzahl von Fällen
ie Kranken zu heilen, wobei wir von Heilung nur dann sprechen, wenn
mindestens 2 Jahre seit der Operation verstrichen sind und Sputum
und Fieber überhaupt fehlen. Von den 381 von Sauerbruch ope¬
rierten Fällen sind 134, d. h. 35 Proz. praktisch geheilt.
Wenn ich am Schluss meiner Ausführungen den Standpunkt
unserer Klinik hinsichtlich der Behandlung chirurgischer Tuberkulosen
noch einmal kurz zusammenfasse, so ist derselbe der, dass wir das Haupt¬
gewicht legen auf eine zweckentsprechende Allgemeinbehandlung, die
in der verschiedensten Weise durchgeführt und mit den Worten
Jcräftigende Therapie“ zusammengefast werden kann. Ein
Spezifikum gegen die Tuberkulose gibt es im eigent¬
lichen Sinne des Wortes nicht. Die lokale, chirur¬
gisch-orthopädische Behandlung kommt erst in
zweiterLinie. Die chirurgische Behandlung der Lungentuber-
k u 1 o s e ist bei bestimmten Erkrankungsformen dringend zu fordern und
leistet bei richtiger Auswahl der Fälle überraschend Gutes.
BQcheranzeigen und Referate.
Kurt midebrandt: Norm und Entartung des Menschen. 293 S.
Dresden 1920. 22 M.
Derselbe: Norm und Verfall des Staates. 245 S. Dresden
1920. 23 M.
Endlich einmal ein wirklich gutes Buch über Lebens- und Welt¬
anschauungsfragen! Der Verfasser scheint ein junger Arzt, vermutlich
Nervenarzt oder Psychiater zu sein; er verfügt aber auch über solide
biologische und phüosophische Bildung. Dem ganzen Geiste seines
Werkes nach ist er ein Philosoph im besten Sinne des Wortes.
Der erste Teil behandelt die Entartung des Einzelnen, der zweite
die Entartung der Rasse und ihre Verhütung, der dritte, welcher als
besonders Buch erschienen ist. handelt vom Staate und seinen Be¬
ziehungen zu Individuum und Rasse. Ich glaube, es ist nicht zu viel
gesagt: Wenn Platon heute unter uns lebte und über die Errungen¬
schaften der modernen Wissenschaft verfügte, sein „Staat“ würde ganz
ähnlich ausfallen wie dieses Buch. Nicht dass ich dem Verfasser überall
zustimmen könnte. Manches ist sehr jugendlich; aber das ist schliess-
Bch viel besser als das Gegenteil, und auch in Platons ..Staat“ ist
manches allzu jugendlich.
Ich möchte wünschen, dass Kurt Hildebrandt ein geistiger
Führer für unsere Gebildeten würde. Aber unsere Zelt mag kein so
gesundes Buch; sie zieht Spenglers Hokuspokus vor. Die solide
Bildung Hildebrandts unterscheidet sich sehr vorteilhaft von der
Vielwisserei Spenglers, seine schöne und einfache Sprache noch
vorteilhafter von dem Spengler sehen Schwulst. Vor allem aber steht
sein lebendiger Glaube an die „Norm“ turmhoch über Spenglers
dogmatischem Skeptizismus und Fatalismus. Freilich ganz ohne Hokus-
pokus scheint es in unserem „aufgeklärten“ Zeitalter nicht abzugehen.
Möchten daher die Ausführungen über die „fünfte Dimension“ und die
Zurückföhrung von Mutationen auf die „schöpferische Kraft“, Welche auf
den sonst so gesunden Hildebrandt von dem Pseudophilosophen
B c r g s o n abgefärbt zu sein scheinen, wenigstens dem äusseren Erfolge
seines Werkes zugute kommen.
Die meisten Gedanken Hildebrandts sind nicht völlig neu; er
bat offenbar teils direkt, teils indirekt aus vielen Quellen geschöpft, aber
fast nur aus reinen Quellen. Und wenn er sagt; ,£s liegt mir weniger
an der Neuheit Im einzelnen, als an der Wahrheit im ganzen“, so unter¬
scheidet er sich auch darin sehr vorteilhaft von Spengler, der alle
paar Seiten nenc und unerhörte Wahrheiten verspricht. Kurt Hilde-
brandt bat seine Aufgabe im ganzen gelöst, und ich habe gute Zu-
Digitized by Goiisle
versieht, dass er sie in Zukunft auch im einzelnen vollständiger lösen
wird. Ich wünsche seinem Werk die weiteste Verbreitung.
Lenz- München.
Georg Jürgens: Infektionskrankheiten. Fachbücher für
A e r z t e. Band VI. Mit 112 Kurven. Berlin, Julius Springer, 1920.
341 S. Preis 26 M.
Ein neues Lehrbuch der Infektionskrankheiten! Die Bedürfnisfrage
muss man bejahen. Denn auf diesem trotz vieler Aufklärungen an
manchen Stellen noch so dunklem Gebiete ist jede neue Beleuchtung von
Nutzen. Und Neues bringt, wenigstens auf theoretischem Gebiet, das
Buch so mancherlei. Zunächst fällt die neue Einteilung in die Augen.
Diese hat bei den Infektionskrankheiten immer Schwierigkeiten gemacht
und wird sie machen, bis einmal die nach den Infektionserregern sich
restlos von selbst ergibt. „Jede Einteilung werde ihre Berechtigung
haben“, meint der Verfasser. Dass die seinige aber sehr wenig hat,
glaube ich zeigen zu können. Sie lautet: I. Gemeingefährliche Volks¬
seuchen. II. Epidemische Volksseuchen. III. Endemische Infektions¬
krankheiten. IV. Blutinfektionskrankheiten. V. Tierinfektionskrankheiten.
VI. Nichtansteckende Infektionskrankheiten. Für 6 Gruppen 5 Eintei¬
lungsprinzipien. Man hat uns aber schon in der Schule ein einheitliches
vorgeschrieben und verboten, unsere Bücher in lateinische, grosse und
rot eingebundene einzuteilen. Sehen wir an einigen Beispielen, wohin
die Einteilung des Verfassers führt. Masern (I) sind gemeingefährliche
Volksseuchen. Das sind nach dem Verf. Diphtherie, Scharlach, Genick¬
starre (III) nicht. Diese sollen vielmehr endemisch'e Infektions¬
krankheiten sein, während Typhus und Ruhr (11) als epidemische
Volksseuchen bezeichnet sind. Sepsis (VI), die eigentliche Blutinfektions¬
krankheit, sucht man in dieser Gruppe vergebens, die gehört zu den
nicht ansteckenden, während die nach Ansicht des Verfassers eben¬
falls nicht ansteckende Weil sehe Krankheit (IV) bei den Blutinfek¬
tionen zu finden ist. Ueberhaupt scheint Verf. einen Unterschied zwi¬
schen Ansteckung und Infektion zu machen. Die Wundinfektionen Rose,
Sepsis und Tetanus (VI) müssen wir doch als ansteckend ansehen.
Man sieht, dass der Verf. seine eigenen Wege geht. Wenn man ihm
auch nicht immer folgen kann, so ist doch gerade in der eigenartigen
Auffassung der Hauptvorzug des Buches zu sehen. Die neuerdings
etwas vernachlässigte, vorwiegend epidemiologische Betrachtung der
Infektionskrankheiten halte ich gerade für den Praktiker für sehr nütz¬
lich. Die originelle Darstellung und flüssige Schreibweise wird ihre an¬
regende Wirkung auf den Leser nicht verfehlen. — Dass aber im ein¬
zelnen an manchen Stellen Aenderungen und, wie wir glauben. Verbesse¬
rungen angebracht wären, darf nicht verschwiegen werden. So fehlen
ganz die Schlaf- und Strahlenpilzkrankheit. Die Behandlung kommt
mehrfach zu kurz, so besonders auffallenderweise beim Typhus. Sehr
wünschenswert wäre eine eingehende Besprechung der leichten Formen
des Fleckfiebers (der amerikanischen Grill sehen Krankheit z. B.), der
Differentialdiagnose gegenüber dem Mandschurischen Typhus, wie sie
für die rechtzeitige Erkennung des erstens Auftretens der Krankheit so
enorm wichtig ist und uns kurz vor dem Krieg in klassischer Weise
vom Altmeister Naunyn gegeben wurde. Die Bezeichnung „Wol-
hynisches Fieber“, die ganz ungeeignet ist, sollte doch endlich ver¬
schwinden und dem Fünftagefieber oder periodischen Fieber Platz
machen. Bei der Weil sehen Krankheit sollte doch die häufige Ver¬
breitung durch Bäder Erwähnung finden. Eigentümlich berührt wird
wohl mancher Arzt durch Bemerkungen, wie „der Hustenanfall hat für
Keuchhusten an sich nichts Besonderes“ oder „daher ist es eine unge¬
wöhnliche Erscheinung, dass ein Grippekranker seine Angehörigen an¬
steckt“. Woher kommt denn, fragt man, der Name „Keuchhusten“,
wenn der Anfall nichts Besonderes hat? Sehr gewinnen würde das
Buch auch durch eine sorgfältigere Anordnung des Stoffes, dass nicht, wie
beim Keuchhusten, die Behandlung vor der Prognose und vor den für
beide wichtigen Komplikationen besprochen wird. Ueberhaupt glaubt
Rez., dass die Berücksichtigung der von ihm gemachten Ausstellungen,
sowie mancher anderer dem gut ausgestatteten, lesenswerten Buche bei
einer neuen Auflage, die ihm nur zu wünschen ist, entschieden zugute
kommen wird. P e n z o 1 d t.
Lehmanns Medizinische Handatlanten. Bd. X. I u. 2. Bakterio¬
logische Diagnostik von K. B. Lehmann und R. O. Neumann.
6. Auflage. J. F. Lehmanns Verlag München. Preis 60 M.
- Der Text der neuen Auflage des Werkes ist fast unverändert ge¬
blieben. Er unterscheidet sich von dem der 5. Auflage (1910/12) nur
durch einige unbedeutende Aenderungen, wie z. B. den Fortfall des bis¬
herigen Anhanges VI, welcher übrigens nur eine halbe Seite umfasste
und nur einige kurze Bemerkungen über bis dahin unerforschte oder
ungenügend erforschte Krankheiten (Masern. Parotitis, Ekzem, Noma
usw.) enthielt
Dafür wurde ein 69 Seiten starker Nachtrag beigefügt in welchem
alle wichtigeren Ergebnisse auf dem Gebiete der Bakteriologie und der
durch Mikroorganismen überhaupt erzeugten Infektionskrankheiten eine
kurze Darstellung erfahren haben. Die Abschnitte über Influenza
und Grippe, die Typhus-Koli-Dysenterie -Gruppe und über
den Gasbrand nehmen in diesem Nachtrag den breitesten Raum
ein. Völlig neu eingefügt sind die Abschnitte über Wolhynisches
Fieber, das Fleckfieber und die Weilsche Krankheit Auf
die Einschaltung neuer erläuternder Tafeln für diese wichtigen Infek¬
tionskrankheiten musste leider verzichtet werden. Der Atlas hat daher
weder eine Aenderung noch eine Erweiterung erfahren. Diese bleibt für
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
22
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Jfr. /
die nächste Auflage Vorbehalten, welche auch mit einer entsprechenden
Umarbeitung des Textes zu verbinden sein wird. Eine solche schon für
die vorliegende Auflage durchzuführen, ist den Verfassern infolge des
Krieges und der jetzigen Zeitverhältnisse leider nicht möglich gewesen.
Aber auch in seiner jetzigen Form entspricht der Lehmann-
Neu m a n n sehe Atlas und Grundriss, welcher an Anschaulichkeit und
Vorzüglichkeit der Abbildungen, sowie an präziser und klarer Fassung
des Textes von keinem ähnlichen Werke übertroffen wird, in vollstem
Masse allen Anforderungen einer sicheren Diagnostik, so dass er in
keinem bakteriologischen Laboratorium fehlen sollte, (j. Hauser.
Prof. Dr. W. Kruse: ElnfUhruiiK ln die BakterloloKie. Zum Ge¬
brauch bei Vorlesungen und Uebungen sowie zum Selbstunterricht für
Aerzte und Tierärzte. Berlin und Leipzig 1920. Vereinigung wissen¬
schaftlicher Verleger. Preis ungeb. 45 M.
Das Lehrbuch hat zwei Vorzüge. Es ist herausgewachsen aus Vor¬
lesungen und Kursen, und hat dadurch vielleicht das Anschauliche und
Fliessende der Darstellung und das klare Herausarbeiten des Wich¬
tigeren gegenüber dem weniger Wichtigeren erhalten. Auf fast
400 Seiten ist der umfangreiche Stoff verarbeitet, ist eine Fülle von
Wissen und praktischer Erfahrung in knappster Form niedergelegt. Einen
zweiten Vorzug sehe ich darin, dass in die Schilderung der Lebens-
üusserung der einzelnen Krankheitserreger, in die Darstellung der
Uebertragungs- und Immunitätsverhältnisse die Nutzanwendung für Dia¬
gnose und Therapie der ärztlichen Praxis verflochten ist. Die Text¬
abbildungen (Autotypien) zeigen wieder, dass man auch ohne farbige
Wiedergaben, die zurzeit den Preis eines Buches so erheblich erhöhen.
Brauchbares bieten kann; eine farbige Abbildungstafel ist beigegeben.
Der Kampf gegen unnötige Fremdwörter ist in verständiger Weise durch¬
geführt. Lernende und sicherlich auch manche Lehrende werden grossen
Nutzen von dem Kruse sehen Lehrbuche haben.
R i m pa u - Solln-München.
Dr. K. B. Herrligkoffer: Qescblechtllche Aufklärung. Die
erste GeschlechtssUnde. 2 Briefe eines Arztes an seinen Sohn. München
1921, J. Lin da uer sehe Univ.-Buchhandlung.
Auf 32 Seiten gibt ein besorgter, sachverständiger Vater aus dem
Felde seinem in der Heimat zur Geschlechtsreife hcranwachsenden Sohne
die nötige Aufklärung. Sie ist von tiefem sittlichen Ernste, mit Ge¬
schmack und darum zum Nutzen geschrieben; nicht nur für den eigenen
Sohn, sondern für unser aller Söhne. Es ist nicht jedem Eltempaare
gegeben, dies heikle und doch so notwendige Thema mit ihren Kindern zu
besprechen. Da mag dies väterliche Büchlein ein willkommener Ersatz
sein. Nassauer - München.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 159. Band. 1.— 6 . Heft.
Ritter Adolf: lieber die Wirkung der D a k 1 n sehen Lösung auf das
Wundgewebe. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich, Prof. Dr. C 1 a i r -
m o n t.)
Die D a k i n sehe Lösung ruft einen mächtigen Lymphstrom hervor und
verursacht eine erhebliche, kleinzeilige Infiltration, ohne zu sehr nekroti¬
sierend zu wirken. Wichtig ist unaufhörliche Berieselung bis zur 3 tägigen,
kontrollierten Keimfreiheit der Wunde.
Ritter Adolf: Zur Wirkungsweise und Anwendung des Trypaflavlns.
Klinische und experlmenteU-hlstologlsche Befunde. (Aus der chir. Univer¬
sitätsklinik Zürich.)
Das Trypaflavin wirkt in 1 prom. Lösung vor allem anregend auf das
Bindegewebe. Die Vermehrung der Rundzellen ist im Vergleich zur D a k i n -
sehen Lösung nur gering; 5 prom. subkutan injizierte Lösungen verursachen
Nekrosen und harte Infiltrate. Anwendungsgebiet: frische äussere Ver¬
letzungen lokal-direkt und umspritzt mit 1 prom. Lösung, leichte und mittlere
Infektionen ebenso ev. kombiniert mit 5 prom. Trypaflavin intravenös. Schwere
Infektion: Dakin direkt, Umspritzung mit 1 prom. Trypaflavin, intravenös
5 prom. Trypaflavin. Schleimhaut (Blase, Mund, Urethra, Konjunktiva) 1 bis
4 prom. Lösungen. Pinseln, Einträufeln. Intravenös: 5p rom. Lösungen in
Mengen von 40—100 ccm oder Argoflavin 0,2—0,3 g ev. bis zu 40 ccm. 2 proz.
Lösung 0,8 g pro die.
Jaeger Hans: Zur Kasuistik des Selbstmordes durch elektrischen
Strom. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
Vermehrung der bisher 10 Beobachtungen umfassenden Kasuistik um
weitere 12 Fälle. Ein besonders bemerkenswerter Fall: 15 iähr. Knabe, der
am Gittermast einer Starkstromleitung von 45 000 Volt Spannung einen
Schlag erlitt, ohne mit der Leitung in Berührung zu kommen; hintenüber ge¬
worfen, bleibt er mit dem Bein in dem Gittermast hängen, vorübergehende
Bewusstseinsstörung und 12 elektrische Verletzungen an den Extremitäten
mit charakteristischem Epidermisabklatsch an den Kleidern, „elektrisches
Oedem“ der Arme.
P r e i h s G. A.: Ausschaltung der Bauchhöhlensenslblltät durch Blockie¬
rung der Nervi splanchnlcl und der Rami communicantes des lumbalen
Orenzstranges. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
Nach gutem Ueberblick über den heutigen Stand der Frage der Sensi¬
bilität der Bauchorgane und Besprechung der Anatomie des Truncus sym-
pathicus und der Nervi splanchnici an eigenen Präparaten kommt Verfasser
zu dem Ergebnis, dass für die sensible Schmerzleitung aus der Bauchhöhle
in Betracht kommen: die Nv. splanchnici und die von den lumbalen Qrenz-
strangganglien peripherwärts ziehenden Fasern. Diese verschmelzen meistens
in einem mehr oder weniger grossen, in Höhe des 3. Lendenwirbels ge¬
legenen Ganglienknoten. Verf. verlegt daher die zwei kaudalen Käppis-
schen Inlektionsstellen in die Höhe des 3. Lendenwirbels besonders für Ein¬
griffe an den Nieren, Milz und Kolon. Meistens und für den Oberbauch¬
raum genügen die oberen Kapp! sehen Injektionen. Injiziert wird 2 proz.
Novokaiulösung (29—80 ccm) mit Kalium sulfuricum-Znsatz. Im allgemeinen
günstige Erfahrungen an 192 Fällen. Möglichkeit der akuten Novokainver¬
giftung (schwerer Kollaps mit Krampfanfällen und Atemstillstand).
B e u s t A. T. V. : Tetanus. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
Erfahrungen an 63 Fällen mit 60 Proz. Mortalität. 2 Fälle erkrankten
trotz prophylaktischer Serumeinspritzung. Therapeutisch ergaben wieder¬
holte, meistens intravenöse Seruminjektionen die besten Resultate. Die
Magnesiumsulfatbehandlung hatte keinen Erfolg. Sozial wichtig ist der grosse
materielle Schaden der Pat. durch lange Behandlung. In einigen Fällen hatten
die Pat. einen bleibenden Nachteil durch leichte Spasmen, manchmal zwangen
schwere Zustände zu Berufswechsel. Einmal wurde wegen schwerster
Zwerchfcllkrämpfe die doppelseitige Phrenikotomie mit Erfolg ohne jeden
bleibenden Nachteil für den Pat. gemacht.
Schlaepfer Karl: Ein Fall von dreitägiger Erblindung nach Probe¬
punktion der Lunge. Ueber arterielle Luftembolie nach Luttasplratlon in
Lungenvenen (Beitrag zur Frage der Pleurareflexe). (Aus der chir. Univer¬
sitätsklinik Zürich.)
Nach einer Probepunktion der Lunge bei Lungenabszess kommt es bei
offener Punktionsnadel zu einer momentanen Bewusstlosigkeit von 2/4 Stun¬
den. Danach dreitägige völlige Erblindung. Ursache: Aspiration von Luft
in einer Lungenvene und Luftembolie des Gehirns. In der Literatur viele
ähnliche Fälle bei Punktionen, Spülungen von Empyemhöhlen. Pneumotomien.
Pneumothoraxfüllungen usw. Die Fälle sind grösstenteils Luftembolien.
Voraussetzung ist die pathologische Beschaffenheit des Lungengewebes, die
Induration, bei der die Starrheit der Venenwand deren Kollaps verhindert,
die Reflextheorie wird abgelehnt. Für leichte Fälle bei geschwächten, ner¬
vösen Leuten mag ein Schock auf nervöser Basis angenommen werden.
Schinz Hans R.: Ueber einen Senkungsabszett Im vorderen
Mediastinum. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
Grosser Senkungsabszess im vorderen Mediastinum ohne sichere
Diagnose des Ausgangspunktes. Ueber die Ausdehnung gibt das R-Öntgen-
' bild Aufschluss. Differentialdiagnose nur unter Berücksichtigung aller klini¬
scher Daten diskutabel. Klinisch keine besonderen Beschwerden.
V o n w i 11 e r und P r e i s s Q. A.: Ueber einen seltenen Fall von Nea-
; tbroscnbildung bei Luxatio capItuH radü anterlor-lateralls. (Aus dem ana¬
tomischen Institut und der chir. Universitätsklinik Zürich.)
Neathrosenbildung im Radiohumeralgelenk nach Fraktur der Ulna mit
I Luxation des Capitulum radü nach aussen und vorne. Bemerkenswert ist
die Neubildung eines Knochengehäuses um das Capitulum radü und die weit¬
gehende Erhaltung der Funktion.
J a t r 0 n St.: Ueber die arterielle Versorgung des Magens und Ihre Be-
' Ziehung zum Ulcus ventrlcull. (Aus der I. anatomischen Lehrkanzel Wien
! und der II. chir. Abteilung der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien.)
! Kleine Kurvatur und oberer Rand des Duodenums — der Lieblingssitz
des pcptischen Geschwürs — sind arm an Qefässen und Gefässanastomosen.
während Fundus und grosse Kurvatur gute Gefässversorgung zeigen, des¬
gleichen zeigt der obere Rand des Duodenums mit der anstossenden Wand
Verminderung der Qefässe. Die Befunde bringen das häufige Vorkommen des
Ulcus an diesen Stellen dem Verständnis näher.
Hadjipetros P.: Ueber primäre Magenaktlnomykose. (Aus der
chir. Universitätsklinik Zürich.)
Pathologisch-anatomisch sichergestellter Pall, Eintrittspforte ein Ulcus
ventriculi. Klinisch imponierte der Fall als Karzinom und wurde durch
quere Resektion des Magens und des Querkolons geheilt. Unter 8 Literatur¬
fällen der erste Fall von radikaler Frühoperation.
Schinz Hans R.: Ein Beitrag zur Röntgenologie der MagennkBno-
mykose. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
Das Röntgenbild des vorstehenden Falles wies einen grossen Füllungs¬
defekt an der grossen Kurvatur des Magens auf, daher die Diagnose Magen¬
karzinom. Die Unterscheidung von der Perigastritis deformans ist auf Grund
des Röntgenbefundes unmöglich.
Clairmont P.: Zur Anatomie des Ductus Wlrsunglanus und Ductus
Santorlnl; Ihre Bedeutung für die Dnodenalresektlon wegen Utens. Unter Mit¬
arbeit von Dr. P. Hadjipetros. (Aus der chir, Universitätsklinik Zürich.)
Die für jeden Magenchirurgen sehr lesenswerte Arbeit gibt das Resultat
der anatomischen Untersuchungen der Ausführungsgänge des Pankreas an
50 Leichen. Danach kommen bezüglich des Verhaltens des Ductus Santorini
zum Ductus Wirsungianus 10 Variationen vor; die Verletzung des Ductus
Santorini kann bei bestimmten Verhältnissen zur vollständigen oder teilweisen
Sperrung des Pankreassekretes, seine Unterbindung aber zu einer Andauung
des Duodenalstumpfes durch Pankreassaft führen. Normalerweise kann die
Papilla duodeni schon 4 cm, die Papilla Vateri 6 cm unter dem Pylorus, die
Papilla Vateri 3 mm unter der oberen Papilla liegen. Eventuell Verringerung
der Masse bei Ulcus durch Schrumpfung.
Bosch Erich und Schinz: Die kongenitale Dnodenalstenose Im
RöntgenbUd. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
5 jähriges Kind klinisch Passagestörungen, röntgenologisch zeigt sich eine
Art Nachmagen, der als prästenotischer Ausguss des oberen Duodenalteiles
sich erweist mit rhythmischen peri- und antiperistaltischen Wellen bis zur
Passage der Stenose. Im Magen und Duodenum je ein 24 Stundenrest. Da
die Stenose klinisch kompensiert erscheint, wird vorerst nicht operiert.
Clairmont und Schinz: Zur Diagnose und Chirurgie der Duo-
deaaldtvertlkid. (Aus der chir. Universitätsklinik Zürich.)
6 eigene Beobachtungen und eingehende Kasuistik ans der Literatur.
Ausschlaggebend für die Diagnose ist die Röntgenuntersuchung. Die Divertikel
können sitzen: in der Pars descendens duodeni, am Genu inferius duodeni, an
der Pars horizontalis inferior duodeni, an der Flexura duodeno-iejunalis.
Divertikel der Pars sup. wurden nicht beobachtet, hier vorkommende Aus¬
stülpungen kommen vor im Zusammenhang mit einem Duodenalulcus. Ver¬
fasser schlagen dafür die Bezeichnung „Duodenaltasche“ vor. Die Divertikel
können mehrfach Vorkommen, die Grösse variiert: Haselnussgrösse bis zu
Kleinkinderfaustgrösse. Lieblingssitz ist die Stelle der Papilla Vateri (Diver-
ticule prövaterien). Dabei kann der Gallengang an der Spitze des Diver¬
tikels einmünden. Das Divertikel an der Papille kann zu Pankreatitis oder
Ikterus, sonst können Divertikel zu Divertikulitis mit phlegmonöser Duodenitis
führen. Positive Röntgensymptome: fleckenförmiger umschriebener, bleiben¬
der Schatten im Gebiete des Duodenums. Bei der Operation ist wichtig die
Feststellung nebenbei bestehender Veränderungen des Duodenums oder des
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
23
Magens. Die Freilegung berücksichtigt die Nachbarorgane, dann Radikal*
exstirpation.
P e I C i 4 Robert: ilkute eitrige Pankreatitis mit subkutaner Fettgewebs-
■ekrose nach Duodenalresektlon wegen Ulcus. Heilung. (Aus der chir. Uni¬
versitätsklinik Zürich.)
Akute eitrige Pankreatitis im Anschluss an eine wegen Ulcus ausgeführte
Duodenalresektion, die Drüse sequestrierte z. T. ausserdem multiple sub¬
kutane Fettgewebsnekrosen. Entstehung entweder direkt durch Infektion
vom Dttodenalstumpf aus oder infolge Stauung des Duodenalinhaltes und auf-
steigender Infektion des Ductus pankreaticus.
L i e b m a n n Erich und S c h i n z Hans R.: Beiträge zur Kenntnis
zirkumskripter Abszessblldung Im Abdomen. Subphrenischer Abszess. (Aus
der chir. Universitätsklinik Zürich.)
2 Fälle von linkseitigem subphrenischen Qasabszess von interhepato-
diaphragmatischem Sitz, für die Diagnose ist das Röntgenverfahren ausschlag¬
gebend. Unterschieden wird der subphrenische Qasabszess, der subphrenische
Abszess im engeren Sinne, die subphrenische Qasblase. Bei linksseitigem
Abszess ist nach Mart in et noch zu differenzieren: der interhepato-
diaphragmatische Abszess, der perisplenische Abszess, der retrostomachale
Abszess, der interhepatostomachale Abszess.
H. Flörcken - Frankfurt a. M.
Archiv für klinische Chirurgie. Band 114. Heft 2.
Schlemmer -Wien: Erfahrungen mit Oesophagusfremdkörpern ln
einem Zeiträume von 10 Jahren bei besonderer Berücksichtigung der schwie¬
rigen und tödlich verlaufenen Fälle. Bemerkungen zur Indlkationsstellnng der
Oesophagoskopie, Oesophagotomie und Mediastinotomie. (Schluss.)
Die alte Sondenuntersuchung und Behandlung der Fremdkörper wird
unter allen Umständen abgelehnt, sie ist unsicher und gefährlich. Verf. bringt
6 Fälle von Wandverletzungen durch sie, die durch Oesophagoskopie geheilt
wurden und 2 von Mediastinitis mit Exitus. Wenn sie auf Widerstand stosse.
so beweise es nichts, da es sich um pathologische Engen handeln könne.
Ebenso verwerflich wie die Sonde seien alle blindwirkenden Instrumente, be¬
sonders der Münzenfänger. Dagegen hat sich die Oesophagoskopie als fast
absolut zuverlässig und in geübter Hand ungefährlich bewährt. In 529 Fällen
führte sie 508 mal zum vollen Erfolge; Laryngoskopie und eventuell auch
Hypopharyngoskopie haben ihr voranzugehen, bei Kindern auch stets die
Röntgendurchleuchtung. Es soll ausschliesslich die okulare Methode ange¬
wandt werden, bei Erwachsenen unter Lokalanästhesie und Morphium, bei
Kindern mit Narkose. Leerer Magen ist Vorbedingung, findet man über dem
Fremdkörper Speisereste, die nachgeschluckt sind, so hat man sid ohne
Druck vom Oesophagoskop aus herauszuspülen. Beim Kinde ist die Oeso¬
phagoskopie ebenfalls das souveräne Verfahren, das aber nur vom Facharzt
in Verbindung mit der Schwebelaryngoskopie ausgeführt werden sollte. Ge¬
lingt es nicht, den eingeklemmten oder verhakten Körper zu lösen, so hilft
nach vergeblicher Anwendung der örtlichen Anästhesie und Narkose gelegent¬
lich das Hinunterstossen, wonach entweder die Wendung des Körpers und
Extraktion möglich oder das Hindurchdrängen durch die Kardia ausführbar
wird. Nur bei Erscheinungen der Perforation, insbesondere Hautemphysem
und Fieber soll man, wenn die Oesophagoskopie nicht zum Ziele geführt hat,
die Oesophagotomie oder Mediastinotomie anwenden, erstere nur. wenn man
sicher direkt auf den Fremdkörper gelangen kann, letztere so, dass zunächst
das gesunde Mediastinum mit Jodoformgaze abgestopft, dann erst das infizierte
eröffnet und drainiert wird. Für den praktischen Arzt wichtig ist, dass der
Fremdkörper im allgemeinen ohne Schaden einige Tage an Ort und Stelle
verbleiben kann, so dass die Verbringung des Kranken zum Facharzte stets
noch möglich sein wird.
F r i t z s c h e - Qlarus: Ueber ein malignes embryonales Teratom der
Schllddrflsengegend.
Der Tumor, der mitten in eine knotige KoUoidstruma eingelagert war,
bestand aus Abkömmlingen aller drei Keimblätter (Qliomgewebe, drflsenartige
Gebilde, Sarkom-, Myxom- und Knorpelgewebe) durchweg von unreifem
Charakter des embryonalen Typs, dabei infiltratives Wachstum und Meta¬
stasen, Kompression der Trachea und Stimmbandlähmung als Zeichen der
Malignität.
H. B r u n n e r - Wien: Ueber den Einfluss der Röntgenstrahlen auf das
Oeliini.
Die Untersuchungen lokal mit Röntgenstrahlen behandelter Gehirne ganz
junger Katzen und Hunde bestätigen zunächst die auffallende Resistenz des
sonst so empfindlichen Nervengewebes. Es fand sich an den ektodermalen
Bestandteilen nur das Fehlen der oberflächlichen Körnerschicht und insel-
förmige Erkrankungen der inneren Körnerschicht des Kleinhirns, während
Qan^enzellen und markhaltige Fasern unbeeinflusst blieben. Die Verände¬
rungen seitens des mesodermalen Anteils sind wesentlich schwerere: durch
Schädigung des neuromuskulären Apparates der Gefässe kommt es zu hoch¬
gradiger Hyperämie, anschliessendem Hirnödem und Hydrocephalus int., sowie
ausgedehnten Blutungen. Die Bestrahlungsdosen, die übrigens fraktioniert
stärker wirkten als auf einmal verabfolgt, übertrafen die therapeutisch ver¬
wendeten um ein vielfaches. Wegen der beträchtlichen Wachstumsstörungen
am Schädel ist vor intensiverer Bestrahlung des Kopfes von Kindern zu
warnen. Als Heilmittel bei der Epilepsie speziell nach Schädelschttssen sind
die Röntgenstrahlen unbrauchbar, da epileptische Anfälle durch sie direkt aus-
gelöst werden können.
S c h ö n e • Greifswald: Ueber Bluttransfusion.
Sch. führt die Transfusion in erster Linie in Form der direkten Ana-
riomosierung zwischen Vena basilica des Spenders und Empfängers aus,
wobei er von einem Seitenast des Spendergefässes zur Verhinderung der Ge'
rhmung Kochsalzlösung einfliessen lässt. Im verbindenden Glasrohr kann
man den BlutUbertritt gut verfolgen. Als Spender kommen nur blutreiche
Menschen in Frage, das Blut wird durch Oeffnen und Schliessen der Faust
binübergepumpt. Die Ueberlegenheit der direkten Bluttransfusion über die
Kochsalzinfusion durch Vergrösserung der Atemfläche und Nachhaltigkeit der
Wirkung steht fest, indes kann einem sehr geschwächten Organismus durch
die im Reagenzglasversuch nicht sicher vorherzusagende Gefahr des Blut-
zerfails auch mal der Rest gegeben werden.
N o e t z e 1 - Saarbrücken: Zur Peritonitisoperation nach R e h n.
Verf. verteidigt aufs Neue die bekannten Grundsätze der R e h n sehen
Schule bei der Behandlung der Peritonitis, speziell nach Perityphlitis: Be¬
seitigung des Eiters durch Spülung, die wirksamer und durch bessere Scho¬
nung der Därme ungefährlicher ist, Wiederherstellung des intraabdominellen
Drucks durch wasserdichte Einnähung des unter Sicht an der Wand des
kleinen Beckens in den Douglas einzufUhrenden Drains, wodurch keinmal
Schäden hervorgerufen wurden, weder Wundphlegmonen, noch Hernien, noch
Adhäsionsileus. Zu allen diesen Folgezuständen führt viel eher die Tam¬
ponade, die nur bei abgegrenzter flächenhafter Eiterung (Abszessbildung)
gewissermassen zur Extraperitonealisierung verwandt werden sollte, niemals
zur Behandlung der freien Peritonitis. Die R o 11 e r sehe Operation ohne
Drainage wird als nicht ungefährlich abgelehnt.
P e r t h e s - Tübingen: Ueber die Ursache der Hlmstöriingen nach
Karotisunterbindung und über Arteriennnterbindnng ohne Schfldlgnng der
Intima.
Die beiden Tatsachen, dass in Fällen, wo die probatorische Kompression
der Karotis (comm. oder int.) anstandslos längere Zeit vertragen wurde, der
Ligatur die tödliche Gehirnerweichung trotzdem folgte, sowie dass zwischen
ihrem Auftreten und der Ligatur in den meisten Fällen ein freies Zeitintervall
liegt, brachten den Verf. auf den Gedanken, dass nicht Abnormitäten des
Circulus arteriosus die Ursache seien, sondern von der Unterbindungsstelle
der Karotis ausgehende aufsteigende Thrombose oder Embolie. P. findet
diese Annahme bestätigt durch die mehrfach bei Sektionen gefundene Ver¬
stopfung der Hirnartcrien durch Thrombusmassen. Durch Umschnürung der
Arterie mit einem Faszienstreifen über einem als Polster angebrachten
doppelten Faszienstreifen will Verf. die Schädigung der Intima, den Ausgangs¬
punkt der Thrombose vermeiden.
Wildegans - Berlin: Zur Pathologie und Therapie des MUzabszettes.
Milzabszesse können als Folge von Infarkten oder metastatischen Ent¬
zündungen auftreten bei Endocarditis ulcerosa, bei und nach Infektionskrank¬
heiten, besonders häufig bei Febris recurrens und allen möglichen septisch¬
pyämischen Erkrankungen (Puerperium, nach Pocken, Influenza, Gelbfieber,
Panaritium, Parulis, Furunkel usw.), seltener beim Typhus, ferner traumatisch
durch Vereiterung des Hämatoms, mehr oder weniger ausgedehnte Sequest¬
rierung des Organs und endlich drittens durch Uebergreifen entzündlicher Ver¬
änderungen von den Nachbarorganen (Ulcus und Care, ventriculi, para-
nephritische Eiterung). (Die Pankreasnekrose wird merkwürdigerweise nicht
erwähnt! Ref.). Diagnostisch ist neben den örtlichen Symptomen und Be¬
teiligung der linken Pleura die Beschaffenheit des Punktats (im schmutzig¬
roten, schokoladeartigen Eiter nekrotische Milzgewebsstückchen) wichtig.
Hyperleukozytose kann fehlen. Die Therapie ist möglichst früh operativ,
wobei der Herd im oberen Milzpol auch bei gesunder Pleura peripleural unter
Absteppen der Pleura angegriffen werden darf, während die tieferen Eite¬
rungen durch den Rippenrandschnitt zu eröffnen sind, ln gewissen Fällen
Milzexstirpation.
F. Krause - Berlin: Eigene hlrnphyslologlsche Eriahriuigen atu dem
Felde.
Nach Besprechung der „stummen*' Regionen (Stirnhirn, rechter Schläfen¬
lappen, rechter Scheiteliappen und bisweilen oberflächliche Verletzungen des
Kleinhirns) und ihrer Bedeutung für die druckentlastende Trepanation zur Ver¬
hütung der Sehnervenatrophie (die bereits von Hippokrates empfohlen
wird!) werden die Ausfallserscheinungen bei örtlichen Verletzungen der
Zentralregion, hinteren Zentralwindung, die Störungen der Sprache, wobei
sich der Sitz des Sprachausdrucks mit Sicherheit im B r o c a sehen Zentrum
nachweisen Hess, und die verschiedenen Formen der Sehstörungen abge¬
handelt. Leider reicht der Platz nicht, auf Einzelheiten einzugehen.
Siedamgrotzky - Berlin: Isolierte traumatische Luxation des
unteren Fibulaendes nach hinten.
Barth- Danzig: Der NIerenkarbunkeL
P e n d I - Troppau: Ueber ein neues Prinzip ln der Chirurgie des Dick¬
darms und Mastdarms.
Die Gefährdung primärer Dick- und Mastdarmnähte kann durch gründ¬
liche Entleerung mittels Rizinus vor der Operation, eventuelle Anlegung eines
Anus coecalis bei unbehebbarer Kotstauung und vor allem durch sofortige
reichliche Rizinusgaben nach der Operation, die den Dickdarm niemals reizen,
sondern nur den Dünndarminhalt verflüssigen, erheblich gemindert werden.
Um den Abgang von Stuhl und Gasen nach der Operation zu erleichtern, legt
Verf. eine Glasspule in den Anus, die ohne Gefahr wochenlang liegenbleiben
kann.
Schönbauer -Wien: Ein Beitrag zur Kenntnis des Anglonui arteriale
racemosum.
Derselbe: Ueber einen seltenen Fall von Abriss des Processus
mastoldens.
Zweig- Lübeck: Bemerkungen zu dem Aufsätze von Landan: mDIo
P artlalantlgentheraple nach Deycke-Mnch und ihre Bedeutung Iflr die
chirurgische Tuberkulose.**
Landau: Erwiderung auf die Bemerkungen von Zweig zu meiner
Arbeit über „Die Partlalantlgentheraple nach Deycke-Much-und Ihre
Bedeutung für die chirurgische Tuberkulose.** S i e v e r s - Leipzig.
Zentralbaltt für ChinirKle. 1920. Nr. 50 u. 51.
A. Fromme-Qöttingen: Ueber eine seltene Form von Ileus nach
G astroenter ostomie.
Verf. beschreibt eine Form von Ileus nach hinterer Gastroenterostomie,
die in dem Ring entstanden ist. der durch die Anheftung einer Dttnndann-
schlinge an den unteren Magenwinkel operativ geschaffen wird. Die Diagnose
ist nicht immer leicht zu stellen; bei sicher festgestelltem Heus kommt
nur Relaparotoinie in Frage. Diese Form von Ileus lässt sich dadurch ver¬
meiden, dass man die zuführende Darmschlinge an das hintere Peritoneum
parietale oder an das Ligam. Treitzii anheftet. Mit 3 Abbildungen.
Max L i m a r t z - Oberhausen: Wie kann man sich die Operation des
Wolfsrachens erleichtern?
Verf. gibt einige Ratschläge zur Erleichterung der Operation: Das Kind
wird auf ein Brett gebunden, die Arme enge dem Rumpf anliegend; es liegt
in Beckenhochlagerung. Von der Lokalanästhesie ist Verf. wieder zur Chloro¬
formnarkose zurückgekehrt, wobei das Kind aus der Benzinflasche, die Jedem
Paquelinapparat beigegeben ist, das Chloroform einatmet, indem das Schlauch¬
ende, das sonst den Brenner trägt, in das Nasenloch eingeführt und hier
mit 1 Naht befestigt wird. Die Blutstillung wird durch Adrenalin wesentlich
erleichtert. Der sich ansammelnde Speichel und das Blut werden mit Hilfe
eines P o t a i n sehen Saugapparates beseitigt.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
24
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. I.
O. Z u c k e r k a n d 1 - Wien: Benerkniigen zur Arbeit Kondoleon
(in Nr. 36): Versrösserung der Bmstdrüse nach Prostatekton’ie.
Verf. weist kurz die von K o n d o 1 e o n in Nr. 36 dargclegten Ansichten
als irrig zurück. Das Wesen der Prostatektomie bedarf keiner neuen Er¬
klärung.
Haberer - Innsbruck: Zur Frage der ideaien Choiezystektomie.
Verf. ist seit 3 Jahren ein warmer Anhänger und Vertreter der Chole¬
zystektomie mit drainagelosem Bauchverschluss geworden. Er bespricht die
Vorteile dieser Methode, der gegenüber die Nachteile — Austreten von Qallc
aus dem nicht ganz dichten Zystikusstumpf und Uebersehen von Steinen
in den tiefen Qallenwegen — ganz zurücktreten. Die Technik bei der Opera¬
tion ist kurz geschildert; die Operationsresultate sind bis jetzt durchaus
günstig und ermuntern zur weiteren Arbeit auf dem einmal neu bcschrit-
tenen Weg.
Ed. Borchers - Tübingen: Motllltltsstörnngen des Magens und Vagus¬
resektion.
Verf. hat an Katzen und Kaninchen mit dem „experimentellen Magen-
Bauchfenster“ die Beteiligung des Vagus an der Innervation der Magen-
muskulatur studiert und ist dabei zu dem Resultat gekommen, dass der Vagus
kaum der „motorische Nerv des Magens" sein kann; die Magenperistaltik
bleibt unverändert, gleichviel ob der Vagus intakt oder durchtrennt ist; die
Spasmen des Magens treten ohne Rücksicht auf normalen oder durchtrennten
Vagus in gleicher'Weise auf. Reizung des Halsvagus löst am Magen keine
Peristaltik aus; bereits vorhandener Spasmus wird nicht beeinflusst. Aus¬
schaltung der Ganglienhaufen in der Nähe der Kardia ist ohne Einfluss auf
bestehenden Kardiospasmus. Durch Pilokarpin tritt sowohl bei erhaltenem, wie
bei zerstörtem Vagus spastische Peristaltik auf, die beide Male durch Atro¬
pin prompt gelähmt wird. Infolge dieser Resultate lehnt Verf. alle Operations¬
vorschläge ab, die durch Vagusunterbrechung oder -abschwächung eine gün¬
stige Beeinflussung von mit krankhafter Motilitätssteigerung einhergehenden
Magenaffektionen erzielen sollen. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkofogie. 1920. No. 51.
Edmund Herrmann und Marianne St ein-Wien: Ist die aus Cor¬
pus luteum bzw. Plazenta hergestellte wirksame Substanz geschlechts-
spezlflsch?
Bericht über Tierexperimente, aus denen die Qeschlechtsspezifität hervor¬
geht. Bei weiblichen Tieren erzielt man durch genügend lange fortgesetzte
Injektionen Wachstumsförderung bei männlichen hingegen eine sehr deutliche
Wachstums- und Entwicklungshemmung auf den gesamten Qenitaltrakt.
H. Zoepffel - Hamburg-Barmbeck: Ileus als Folge von Promontorll-
fixur.
Die von Oehlecker 1918 empfohlene Promontoriifixur hat sich in vielen
Fällen zur Beseitigung ausgedehnter Prolapse ausgezeichnet bewährt. Dass
sich aber auch im Anschluss an diesen Eingriff mal ein Ileus entwickeln kann,
zeigt diese Mitteilung.
W. Q a s s n e r-Olvenstedt-Magdeburg: Die NlerenstOrungen der Schwan¬
gerschaft und Geburt und Ihre Beziehungen zur Eklampsie und Urämie.
Verf., dem wir schon viele Arbeiten über dieses Gebiet verdanken, richtet
sich diesmal gegen die Volhard-Pahr sehe Auffassung der Eklampsie
als Nephritis mit nekrotischem Einschlag und plädiert für weitere Anerkennung
der V. Leyden sehen Auffassung.
A. Giesecke - Kiel: Ueber Lokalanästhesie bei vaginalen Operationen.
Weitere warme Empfehlung der Anwendung dfer Methode auf Grund von
80 neuen Fällen aus der Kieler Klinik mit Besprechung einzelner Gruppen und
Fälle. Werner- Hamburg.
Archiv für Verdauunsskrankheiten mit Einschluss der StoSwechsel-
patholoKie und Diätetik, redig. von Prof. Boas- Berlin. Band XXVI.
Heft 5 u. 6.
K e 11 i n g - Dresden: Ueber die Anwendung der verschiedenen medi¬
kamentösen Mittel zur Herabsetzung der Salzsänre beim Magengeschwür,,
unter Berücksichtigung der Physiologie der Salzsäuresekretlon.
Aus der Fülle der hier behandelten physiologischen und chemisch-physi¬
kalischen Fragen, die K. in vorliegender Arbeit mit Rücksicht auf die Herab¬
setzung der HCl beim Magengeschwür bespricht und zu ergründen versucht,
erscheinen mir neben den schon bekannteren die nachstehenden daraus ge¬
zogenen Schlussfolgerungen besonders beachtenswert: Kochsalzgaben sind
tunlichst zu vermeiden. Adsorbentien wie Talkum, Blutkohle, Kaolin sind
wegen ihrer zu geringen Bindefähigkeit der HCl wenig angebracht. Von den
Bismutpräparaten ist kohlensaures Bismut am empfehlenswertesten, doch auch
dieses nur in grossen Dosen und vor Tisch. Bei gut durchgängigem Pylorus
ist das geeignete Mittel NazCOs, jedoch in kleinen Dosen, um die Niere nicht
zu überlasten. In Fällen von Durchfall und bei neurasthenischen Erschei¬
nungen kann man auch Calc. carb. verordnen, trotz seines anregenden Ein¬
flusses auf die HCI-Sekretion. Bei verzögerter Magenentleerung ist das beste
NeutralisTerungsmittel gebrannte Magnesia, bei Pylorusstenose wird zweck¬
mässig etwas Magnesiaperhydrat beigemischt. Eisenpräparate vermehren die
HCI-Sekretion und zwar anorganische stärker wie organische, die nur gegen
Ende der Verdauung anzuwenden sind. Bei Pylorusstenose und Ulcus duodeni
mit übermässiger Säurebildung und Stagnation ist zur Herabsetzung der HCl
zweckmässig die Chlorentziehung durch Spülungen sowie die Verabreichung
von Atropin, auch empfehlen sich Sodaeinläufe. Die Bildung der HCl beruht
wahrscheinlich in der Hauptsache auf elektrolytischer Dissoziation und auf
osmotischen Vorgängen.
K r i e g e r - Berlin: Theoretisches und Klinisches über die Pankreas¬
fermente In den Fäzes und Im Duodenalsaft, Insbesondere über den Nachweis
des Trypsins. (Aus der I. inneren Abteilung des Rudolf-Virchow-Kranken-
hauses Berlin. Prof. L. K u 11 n e r.)
Zufolge der vielen Fehlerquellen, die der Trypsinbestimmung in den
Fäzes unter allen Umständen anhaften, empfiehlt es sich am besten überhaupt
davon abzusehen und sich auf die Diastasebestimmung zu beschränken. Bei
deren negativem Ausfall sowie in zweifelhaften Fällen ist eine Kontrolle durch
die Untersuchung des Duodenalsaftes unerlässlich.
Q 0 r k e - Breslau: Zur Frage der Pathogenese und der Stofiwechsel-
vorgänge beim Diabetes Inslpldus mit besonderer Berücksichtigung der
chemischen Untersuchungen des Blutes. (Aus der Med. Klinik der Universität
Breslau. Prof. Minkowski.)
Q 0 r k e kommt auf Grund seiner eigenen Versuche, sowie unter Be¬
rücksichtigung der zahlreichen auf diesem Gebiete bereits vorhandenen
Literatur zu dem Ergebnis, dass wir noch weit entfernt sind von der
völligen Klärung der Pathogenese und des Wesens des Diabetes insipidus.
Auch er hält mit S o c i n und Veil an der unbedingten Notwendigkeit der
Untersuchung des Blutes bezüglich seiner Zusammensetzung fest, aus dem
Harnbefund allein Schlüsse zu ziehen, hält er für ungenügend. Selbstver¬
ständlich sind auch fernerhin die Obduktionsbefunde in der Hypophyse und
im Zwischenhirn zu berücksichtigen, um die Beziehungen der inneren Se¬
kretion und des Zentralnervensystems zum Diabetes insipidus aufzuklären.
B r a n d e i s - Nürnberg: Die subaknten und chronischen Verdannngs-
störungen nach Rohr. (Aus dem allgem. städt. Krankenhaus Nürnberg.
Prof. J. M U 11 e r.)
Wie bereits Löwenthal in seiner Abhandlung über die chemische post¬
dysenterische Kolitis ausführlich dargetan (ref. in Nr. 43 d. Zschr. S. 1241),
so tritt auch B. für eine strenge Abgrenzung der chronischen Ruhr gegen¬
über den postdysenterischen Erkrankungen ein, die insbesondere die klinische
Symptomatologie als w'ohlbegründet erscheinen lässt, wenngleich auch ver¬
einzelte fliessende Uebergänge zwischen leichten chronischen Ruhrformen
und schweren postdysenterischen Verdauungsstörungen nicht zu leugnen sind.
A. Jordan - München.
.Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 87. Bd.
Heft 1 u. 2.
O. Schmiedeberg: Ueber die stickstoffhaltigen Kohlehydratverbin¬
dungen der Eiweissstoffe.
Derselbe: Ueber die Kohlehydratabkömmlinge der Mukoide und
Mucine.
Derselbe: Ueber die Beziehungen des Hyaloldlns zu der Bildung
der Chondroltlnschwefelsäure. des Kollagens und des Amyloids Im Or¬
ganismus.
Derselbe: Ueber Chitin und Chltlnabkömmllnge des Tier- und
Pflanzenreichs.
Zweck und Ziel der Arbeiten war, die stickstoffhaltigen Kohlehydratver¬
bindungen der Eiweissstoffe, die im Tierreich als Gerüstsubst^zen weit
verbreitet sind und auch im Pflanzenreich Vorkommen, im reinen, namentlich
eiweissfreien Zustande darzustellen, ihre Beziehungen zueinander und zu den
Baustoffen des organischen Lebens kennen zu lernen. Unsere bisherigen
Kenntnisse dieser Körper, die vom Verf. angewandte Methodik ihrer Dar¬
stellung, ihre Eigenschaften und Beziehungen zueinander, werden im Ein«-
zelnen mitgetcilt.
M. Rosenberg - Charlottenburg: Beiträge zur Pathochemle des Rest¬
stickstoffs bei Nierenkranken. 2. Rest-N und N-Stoüwechsel, Blutretention
und Gesamtretention.
Bei der rein mechanischen resp. reflektorischen Anurie mit intakter
Niere scheinen toxischer Eiweisszerfall und erneute Verwertung von Eiweiss¬
schlacken zum intermediären Aufbau N-haltiger Körper keine wesentliche
Rolle zu spielen, bei der Sublimatniere und doppelseitiger Nephrektomie ist
erstercr anscheinend erheblich, bei der hypazoturisc’.ien Nephritis muss
ausser jenen beiden Momenten die Verschiebung der Retentionsstoffe vom
Blut in die Gewebe und umgekehrt in Rechnung gestellt werden. Mit
letzterer muss man bei jeder Azotämie, selbst gleicher Genese, rechnen, so
dass die Bestimmung der Blutretention keinen sicheren Rückschluss auf die
Gesamtretention erlaubt. Sie bleibt für diese trotzdem ein guter Indikator,
da sie einen innerhalb nicht allzu weiter Grenzen schwankenden Bruchteil
der Gesamtretention bildet.
R. C 0 b e t - Greifswald: Ueber Jodansscheldung Im menschlichen Harn
und über die Brauchbarkeit der Jodsalze zu Resorptionsversuchen.
Nach intravenöser Injektion gleicher Jodmengen scheiden verschiedene
Personen" wechselnde Mengen aus infolge verschiedener Leistungsfähigkeit
der Nieren. Bei derselben Person ist die Ausscheidung in verschiedenen
Versuchen gleich mit Variationen bis 20 Proz.
R. Kohn und E. T. Pick: Ueber das Vasomotorenzentrum des Kalt¬
blüter.
Es konnten keine Anhaltspunkte gefunden werden für das Vorhandensein
eines Vasomotorenzentrums beim Frosch entsprechend dem des Warmblüters.
Stepp- Giessen : Ueber das Auftreten von Azetaldehyd Im Körper beim
Abbau des Aethylalkohols.
Verf. konnte beim Hund nachweisen, dass der Aethylalkohol über Acetal¬
dehyd abgebaut wird. L. Jacob- Bremen.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1920. Nr. 48 u. 49.
A. M a y e r - Tübingen: Erfahrungen mit der Lumbalanästhesie.
Schluss folgt.
R. Erdmann -Berlin: Die Bedeutung der Qewebezüchtung für die
Biologie.
Nach einem Vortrag, gehalten im Ver. f. inn. Med. u. Kindhlk. zu Berlin
am 21. VI. 1920. Bericht in Nr. 27 d. M.m.W.
J. Levy-Berlin: Untersuchungen über die Notwendigkeit von Milch¬
verdünnungen bei der Ernährung lunger Säuglinge.
Vortrag im Ver. f. inn. Med. u. Kindhlk. am 11. X. 1920. Bericht in
Nr. 43 d. M.m.W.
O. Bessert - Breslau: Die Schwierigkeiten der Tuberkulosediagnose
im Kindesalter.
Klinische und Röntgendiagnose der Tuberkulose bei Kindern begegnet
erheblichen Schwierigkeiten, zumal chronische Grippeerkrankungen tuber¬
kuloseähnliche Bilder hervorrufen können. Nachweis der Influenzabazillen,
zumal wenn sie in Reinkultur auf treten, und Leukozytenzahlen Uber 12 000
sprechen gewöhnlich gegen Tuberkulose.
W. A. Collier- Mitau: Die alimentäre Anaphylaxie In Ihrem Verhältnis
zu den Autonoxlnen. Muss in der Urschrift nachgelesen werden.
W. Arno Id i und E. L e s c h k e - Berlin: Die sessllen Rezeptoren bei
der Anaphylaxie und die Rolle des autonomen Nervensystems beim anaphylak¬
tischen Symptomenkomplex.
Bemerkungen zu dieser Arbeit in Nr. 37 d. W. Bericht in Nr. 42 d. M.m.W.
O. Herbeck - Berlin: Einzeitige Intravenöse Behandlnns der Syphilis
mit Embarln und Neosalvarsan.
Zur intravenösen Injektion wird von der Firma Heyden ein akoinfreies
Embarin hergestellt. Gegeben wurden: 10—12 Spritzen von je 0,45 Neo-
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
25
salvarsan in 4 ccm Wasser und 1 ccm Embarin in anfänglich 4 tägigen, nach
6 Spritzen 5—6 tägigen Pausen. Nach der ersten Spritze tritt ausnahmslos
Reaktionsfieber auf; sonst wurden keine Störungen beobachtet. Die lokalen
Erscheinungen schwanden rascher, als beim Silbersalvarsan.
O. J u 1 i u s b u r g e r - Berlin-Schlachtensee: lieber die Hypnotlka Dial
mul Dialazetln.
Neuerliche Empfehlung des Dial-Ciba, bei dem, abgesehen von Fällen
individueller Ueberempfindlichkeit, keine unangenehmen posthypnotischen Er¬
scheinungen zu vermerken waren, sofern das Mittel nicht zu spät genommen
wurde. Besonders wirksam erwies sich das Mittel in Verbindung mit Opium
bei schweren Angstmelancholien und Angstneurotikern. Beim Dialazetin
kommt noch eine analgetische Wirkung hinzu, wodurch eine Potenzierung im
Sinne des B ü r g i sehen Gesetzes erreicht wird.
Aufrecht - Magdeburg: Zur Heilbarkeit von Herzklappenfehlern.
Bericht über einen Fall geheilter Aortenklappeninsuffizienz und zwei
Fälle geheilter Mitralinsuffizienz.
A X m a n n - Erfurt: Strahlendosierung und ein neues „Aktlnimeter“.
Das neue „Aktinimeter'' (nach Dr. Fürstenau von Radiologie-Berlin
bergestellt) dient der direkt ablesbaren Dosierung der ultravioletten Strahlen.
W. B a u e r m e i s t e r - Braunschweig: lieber Röntgenkontrastmittel
(Grundsätzliches zur Röntgenologie des Magendarmkanals).
Der Hauptvorzug des Citobaryums (E. Merck) besteht, abgesehen von der
einfachen Zubereitung der Kontrastspeise, in dem Fehlen jeder Sedimentierung
auch in dünner, trinkbarer Flüssigkeit (150 g Kontrastmittel auf 400 ccm
Flüssigkeit), wodurch Speiseröhren- und Magendurchleuchtung in dem wich¬
tigen Augenblicke der Entfaltung bei allen Konsistenzgraden des Kontrast¬
mittels bewerkstelligt werden kann.
R. Schlichting - Wernigerode: Allgemeines Exanthem nach lokaler
Röntgenbestrahlung.
Die differentialdiagnostische Abgrenzung gegen Nirvanolexanthem ist
nicht ganz sicher.
E. G 1 a s s - Hamburg: Weiteres über das Bauchspfilrohr mit Abfluss.
Das ähnlich dem Bozeman-Fritsch-Katheter konstruierte, von Braun-
Melsungen gefertigte Rohr eignet sich besonders zur Bauchspülung bei Magen¬
perforation. (Abbildung.)
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologische Rat-
seUige für den Praktiker.
Nr. 49.
A. Pick-Prag: Zur Physiologie der glatten Muskelfasern und des
sympathischen Anteils der willkürlichen Muskeln.
Das einem Zittern oder Frösteln ähnliche Gefühl, welches am Ende einer
Blasenentleerung aufzutreten pflegt, und die andere Erscheinung, dass bei nicht
mehr voll leistungsfähigem Blasenschliessmuskel infolge einer anderweitigen
willkürlichen Muskelkontraktion sich Harnträufeln einstellen kann, wird auf
..Diffusion“ einer Reflexerregung von Nervenfasern der willkürlichen Mus¬
kulatur auf sympathische Nervenfasern oder umgekehrt zurückgeführt.
E. G r a f e - Heidelberg: Muskeltonus und Gesamtstoffwechsel.
Ein nachweisbarer Einfluss des Muskeltonus auf den Gesamtstoffwechsel
besteht nicht.
B r ü n i n g - Giessen: Die Nebennierenreduktion als krampfheilendes
MltteL
Die operative Entfernung einer Nebenniere kann in geeignet gelagerten
Fällen genuiner Epilepsie eine Besserung, unter Umständen sogar eine voll¬
ständige Beseitigung der Krampfanfälle bewirken. Dabei wird augenscheinlich
nicht das zugrunde liegende Leiden geheilt, sondern es findet nur eine Herab¬
minderung der Ansprechbarkeit der Muskeln bzw. eine Erhöhung der Reiz¬
schwelle statt. Dämmerzustände werden wenig oder gar nicht beeinflusst.
Bei traumatischer Rindenepilepsie ist zunächst der Herd im Gehirn anzugehen.
9 Operationsgeschichten.
W. Bausch - Giessen : Blutzuckerspiegel vor und nach der thera-
peutischeii Nebennierenreduktion bei Krampfkranken nach Helnr. Fischer.
Der Blutzuckergehalt hielt sich trotz der Operation dauernd in normalen
Grenzen.
S. de Boer- Amsterdam: Kammerwühfen durch Indirekte Reizung (einen
ladaktionsschlag an den Vorhöfen).
Kammerwühlen kann nicht nur durch einen Induktionsschlag zu Anfang
der reizbaren Kammerperiode herbeigeführt werden, sondern auch durch
Reizung der Vorhöfe durch einen Induktionsschlag zu Beginn der reizbaren
Vorhofsperiode; es entsteht eine Vorhofextrasystole. Wenn die danach sich
auf die Ventrikel fortsetzende Erregung sogleich nach Ablauf des Refraktär¬
stadiums fällt, so kann ebenfalls KammerwQhlen entstehen.
E. Zurhelle - Bonn: Zur Wirkung reiner Silbersalvarsankuren bei
frischer Syphilis und syphilitischer Nephrose.
Reine Silbersalvarsankuren zeigen bei frischer Syphilis starke spirochäto-
iide' Wirkung, doch lässt die Wirkung auf die WaR. zu wünschen übrig.
Neurorezidive wurden bislang nicht beobachtet. Besonders wertvoll erwies
sich das Silbersalvarsan zur Behandlung einer syphilitischen Nephrose bei
einem 70 jährigen Mann.
A. Mayer- Tübingen: Erfahrungen mit der Lumbalanästhesie. (Schluss
.OS Nr. 48.)
Verwendet wurde Stovain und Novokain bei gleichzeitigem Dämmerschlaf
mit Skopolamin (Pantopon-Skopolamin, Skopolamin-Morphium). Die Beob¬
achtungen erstrecken sich ausschliesslich auf Frauen mit gynäkologischen
Erkrankungen. Unter 3310 Lumbalanästhesien gab es 6 Todesfälle, davon 5
jn Atemlähmung oder Kollaps, einer an eitriger Meningitis. Gute Anästhesie
wurde in 92 Proz. erzielt; volle Versager waren in 2 Proz. zu verzeichnen
and waren bei der nervösen und anämischen Stadtbevölkerung häufiger als
bei der Landbevölkerung. Auch die Kopfschmerzen und das Erbrechen waren
bei der erstgenannten Bevölkerungsart häufiger. Die Verdoppelung der
störenden Nacherscheinungen im zweiten Kriegsjahre ist wohl ebenfalls auf
r,3QgeInde Ernährung und erhöhte Reizbarkeit des Nervensystems zurück-
reführen. Der Kalziumverarmung der Gewebe scheint hier eine besonders
wichtige Rolle zuzufallen.
H. Tocunaga -Jamaguti (Japan): Ueber die Biologie der Influenza-
hazillea. In der Urschrift nachzusehen.
F. Rosenberger - Hamburg: Erfahrungen mit „Staphar**.
„Staphar“ ist eine Staphylokokkenvakzine mit erhöhtem Lipoid- und
'-f-mindertera (darum weniger toxischem) Eiweissgehalt; sie scheint den bisher
gebräuchlichen Präparaten an Wirksamkeit überlegen und bewährte sich bei
Furunkulose, Folliculitis decalvans, Impetigo Simplex und anderen Pyo¬
dermien.
J. Ibrahim- Jena: Ueber das Peronaens- und Radlallsphäoomen beim
spasmopbllen Sängling.
Das Radialisphänomen verdient zur Feststellung der Spasmophilie beim
Säugling den Vorzug vor den anderen Symptomen, weil es am sichersten
die Einmischung von Sehnenreflexen und mechanischer Erregbarkeit der
Muskeln vermeidet.
P a s c h e n - Hamburg: Ueber den Wert der Revakzinatlon bei der
Pockenschutzimpfung.
Vorgetragen im Hamburger Aerzte-Verein am 29. VI. 1920. Bericht
in Nr. 30 d. M.m.W.
M. Rosenberg - Berlin: Ueber Inkarzeratlon des nicht entzündeten
Wurmfortsatzes.
Bericht über zwei einschlägige operierte Fälle. Differentialdiagnostisch
kommt vor allem Netzeinklemmung und L i 11 r e sehe Hernie in Betracht.
R. Fürstenau - Berlin: Dosierbare Lichttherapie.
Beschreibung des „Aktinimeters“, welches die mit Höhensonne. Kro-
mayerlampe etc. verabreichte Strahlenmenge, ausgedrückt durch die empirisch
festgelegte Einheit 0. direkt ablesen lässt. Die Messung gründet sich auf
die Eigenschaft einer besonders konstruierten Selenzelle, unter dem Einfluss
der Strahlung ihren elektrischen Widerstand zu ändern.
G. £ s p e u t - Darmstadt: Eubaryt, ein neues Schattenmlttel für die
Röntgenuntersuchung des Magendarmkanals.
Eubaryt, in 150 g-Packungen hergestellt von der Firma Röhm &. Haas
in Darmstadt, ist auch in kaltem Wasser verwendbar, vermeidet sandiges
Gefühl im Munde und sedimentiert auch nach —1 Stunde nicht. (Die
zur Aufschwemmung vorgeschriebenen 200—300 ccm Wasser genügen nicht
zu exakter Magenfüllung; dazu gehören 400 ccm. Ref.)
J. S k a f i a n a k i s - Athen: Erfahrungen mit Terplchln bei dermato¬
logischen, gynäkologischen und urologischen Erkrankungen.
Gute Erfolge der zweimal wöchentlich vorgenommenen intraglutäalen In¬
jektion bei Furunkulose, Impetigo, chronischen, namentlich nässenden
Ekzemen, Adnexerkrankungen, männlicher Gonoriböo, besonders deren Kompli¬
kationen, bei Zystitis und Pyelitis.
Dienemann - Dresden: Zur Frage der giftigen Bohnen.
Mitteilung über eine weitere, vom freundlichen Ausland uns zu Nahrungs¬
zwecken überlassene giftige Bohne.
R. J o 11 y - Berlin: Die gegenwärtige Auffassung und Behandlung der
Eklampsie. Bericht.
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologische Rat¬
schläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Schweizerische medizinische Wochenschrift. 1920. Nr. 42—44.
Nr. 42. A e b I y - Zürich: Beitrag zum Studium der Krebsmortalltät in
der Schweiz und ihrer Abhängigkeit von det operativen Therapie In den
Jahren 1900—1915.
Mathematisch-statistische Untersuchungen an einem grossen Material
führten zu dem Ergebnis, dass die operative Therapie die Lebenserwartung
der Operierten vom Beginn des Leidens an gerechnet vielleicht heraS-
setzt, jedenfalls „ziemlich wirkungslos“ sei.
Schwartz -Basel: Ueber die gesteigerten PatellarreHexe bei Psycho-
neurosen.
Verf. fand bei Psychoneurosen in einer erheblichen Zahl gesteigerte
Patellarreflexe, besonders bei leicht ermüdbaren Kranken, die zugleich vaso¬
motorische Störungen hatten, weniger bei aufgeregten und leicht reizbaren
Patienten. Bei Nervengesunden sind gesteigerte Patellarreflexe nur selten
und vorübergehend.
S. B 0 11 a g - Basel: Ueber die Häufigkeit der Hanttuberkulose Im höheren
Alter.
Von 229 Lupuskranken waren 38 (= 16,7 Proz.) über 50 Jahre. 16
' (7 Proz.) 60—70 Jahre, 5 noch älter, als der Lupus auftrat, nur bei 2
bestand er mehrere Jahrzehnte. Der Verlauf war relativ gutartig in manchen
Fällen, meist war das Allgemeinbefinden gut.
N. L u p u - Bern: Untersuchungen über die mikroskopischen Verände¬
rungen der Aortenklappen bei Aortitis luetlca.
Ausführliche Beschreibung von 15 Fällen. Verf. kommt zu dem Ergebnis,
„dass die Veränderungen der Aortenklappen beruhen auf entzündlich-proli¬
ferativen Prozessen, welche meistens von der Aortenintima durch die Kom¬
missur der Klappen auf den Schliessungs- und freien Rand der Klappe über¬
greifen und zur Bildung eines Randwulstes führen. Viel seltener setzt sich
die Mesaortitis syphilitica auch von der Tiefe des Sinus Valsalvae aus auf
die Klappe fort. Die Ursache der Insuffizienz liegt in der Schrumpfung des
Randwulstes, wodurch dieser in querer Richtung verkürzt wird.“ Daneben
vorkommende sklerotische Prozesse bleiben gering und ohne wesentlichen
Einfluss auf die Funktion.
Nr. 43. E b e r 1 e - Offenbach a. M.: Ans der Praxis der Eigenblnt- und
der Indirekten Fremdbluttransfusion bei akuten Blutverlusten.
Von 28 Transfundierten, deren Krankengeschichten mitgeteilt werden.
— 12 mit Eigenblut, 16 mit Fremdblut — blieben 11 am Leben. Von den
17 Gestorbenen erlagen 14 ihren schweren Verletzungen resp. Krankheiten,
bei einem Fall (ohne Sektion) blieb die Todesursache unklar, in 2 Fällen
war der Tod durch schwere Hämolyse mitverschuldet. In 4 Fremdblut¬
transfusionen war die Therapie lebensrettend, während die 7 Fälle von
Eigenbluttransfusion wahrscheinlich auch ohne diese durchgekommen wären.
Um lebensrettend zu wirken, sind K—1 Liter nötig. Es scheint, dass auch
so die Indikationsgrenze schwerer Operationen nicht erweitert werden kann.
Hämolyse kann auch bei Verwendung von Eigenblut eintreten. Die Eigen¬
bluttransfusion ist also wahrscheinlich, die indirekte Fremdbluttransfusion
sicher gefährlich, wehalb strengste Indikationsstellung nötig ist.
B i g 1 e r - St. Gallen: Zur Pathogenese der Schwangerschaftstoxikosen.
Uebersichtsreferat auf Grund der neueren Arbeiten, mit besonderer Be¬
rücksichtigung der Natur des Schwangerschaftsgiftes. Verf. erwartet vor
allem von einer möglichst nach chemischen Gesichtspunkten orientierten
Fassung des Problems den grössten Fortschritt.
A. Müller- Herisau: Ueber Dlalvergiftung.
Beschreibung zweier Fälle. Das klinische Bild hat viel Aehnlichkeit mit
Digitized by Goiigle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
26
MÜNCHENEF MCDIZINISCHC WOCHCNSCHPITT.
Nr. 1.
der VeronalVergiftung, jedoch gehen die Nachwirkungen rascher vorflber
und es sind grössere Dosen zur Vergiftung nötig. Therapie: Magenspfllung,
Kampfer und Koffein.
Nr. 44. H fl r z e 1 e r - Bern: Beitrag zur Ernährung und Pflege frfih-
geborener Kinder.
Verf. bespricht ausfflhrlich die Ernährung, Technik der Pflege, Prognose
und späteres Schicksal der Frflhgeborenen und berichtet Aber die Erfahrungen
bei 21 Kindern von weniger als 2000 g Gewicht, von denen 10 lebend ent¬
lassen wurden.
O p p i k 0 f e r - Basel: Ueber die Entstehung des Mittelohrcholesteatoms
auf dem Boden der Mittelohrtuberkulose.
Die Auffassung, dass das Cholesteatom oft als Ausheilungsvorgang im
Anschluss an Mittelohrzerstörungen durch Tuberkulose entsteht, lässt sich
auch durch mikroskopische Unteruchung stützen. Nach dem Material des
Verf. ist dieser Nachweis häufiger möglich, wenn man leichtere und mittel¬
schwere Fälle untersucht.
E. Z fl b 1 i n - Cincinnati: Einige Gesichtspunkte Aber die biochemische
Therapie der Lungentuberkulose.
C. A m s 1 e r - Wien: Einfache Vorhot- und Kammerreglstrlerung am
Isolierten Froschherzen. Beschreibung und Abbildung.
fi. Koller- Winterthur: Beitrag zur fokalen Inlektlonsbdhandlnng mit
Elektrargol.
3 Fälle, 2 chronische Gelenkentzündungen am Fussgelenk unklarer Actio-
logie und eine chronische Urethritis heilten auffallend rasch nach mehr¬
maliger intravenöser Injektion und folgender Injektion in den Entzündungs¬
herd. L. Jacob- Bremen.
Amerfkanisciie Literatur.
H. Cu s hing: Ueber den Wert tiefer Alkohollnlektlonen bei der Be¬
handlung der Trigeminusneuralgie. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920,
LXXV, Nr. 7.)
Tiefe extrakranielle Alkoholeinspritzungen in den Ober- und Unterkiefer¬
ast des Trigeminus an der Stelle ihres Austrittes aus dem Foramen haben die
periphere Neurektomie vollständig verdrängt. Wenn die Neuralgie auf einen
der zwei unteren Aeste beschränkt ist, sind Alkoholinjektionen allen anderen
Behandlungsarten vorzuziehen. Wenn die Neuralgie sich auf Gebietsteile
eines benachbarten Astes ausgedehnt hat, muss eine Trigeminusneurektomie
in Betracht gezogen werden.
Alkoholeinspritzunjien sind zuweilen von Wert, um in zweifelhaften
Fällen zu entscheiden, ob das Syndrom eine wahre Neuralgie vom Typus des
Tic douloureux sei oder eine der eigenartigen und seltenen Formen von
Pseudoneuralgie, welche weder operativ noch durch Alkoholeinspritzungen
geheilt werden können. Auch die extrakraniellen Einspritzungen sind nicht
frei von Gefahr und sie sollten unter keinen Umständen zu weit ausgedehnt
werden, die Gasser sehe Scheide selbst zu injizieren. Bei den gegen¬
wärtigen vollkommenen und permanenten Resultaten der Avulsion der
sensorischen Nerven wurzeln des Trigeminus sollten längerdauernde und
wiederholte Einspritzungen in widerspenstigen Fällen nicht mehr unternommen
werden.
J. G r i n k e r: Erfahrungen mit Lnmlnal bei der Behandlnng der Epi¬
lepsie. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV, Nr. 9.)
Verf. berichtet Aber sehr günstige Erfolge in der Behandlung der Epilepsie
mit Luminal, das nun auch in Amerika hergestellt wird. Einige Patienten
blieben frei von Anfällen für mehr als drei Jahre, andere während ein bis
zwei Jahren, die grössere Zahl aber während mehrerer Monate. Grosse Dosen
sollten nur im Anfang der Behandlung gebraucht werden, besonders nach
plötzlicher Unterbrechung der Bromidbehandlung. Schädliche Wirkungen
sind nie beobachtet worden, auch nicht bei langanhaltendem Gebrauch. Be-
.sonders günstig war die Wirkung des Luminals auf den geistigen Zustand des
Patienten. Die eigenartige geistige Betäubung, die bei der Bromidbehandlung
beobachtet wird, wird durch die Luminalbehandlung vermieden.
A. Cary: Hfluflgkelt der Syphilis bei Karzinom der Lippen, Zunge und
Schleimhaut des Mundes. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago. 1920, LXXV.,
Nr. 13.)
Syphilis mit Zungenkarzinom kommt dreimal häufiger vor als Karzinom
mit Syphilis an anderen Stellen der Mundhöhle. Diese Tatsache spricht gegen
eine protrahierte antisyphilitische Behandlung bei vorhandenen Zungen¬
läsionen, selbst wenn syphilitische Erkrankung festgestellt ist. In solchen
Fällen ist die Prognose die des Karzinoms und nicht der Syphilis und die Be¬
handlung der Syphilis wird das Karzinom nicht beeinflussen, sondern nur eine
notwendige Operation verzögern.
F. C. R 0 d d a : Die Koagulationszelt des Blutes bei Neugeborenen mit
besonderer Berücksichtigung von Gehirnblutungen. (Journ. Am. Med. Assoc..
Chicago, 1920, LXXV, Nr. 7.)
Gehirnblutungen sind häufig bei Neugeborenen und die gewöhnliche
Todesursache während der ersten Lebenstage. Sie werden nicht immer
durch geburtshilfliche Operationen verursacht, sondern kommen auch bei
normalen Geburten vor. Eine häufige Ursache zerebraler Blutungen sind
leichte Verletzungen bei hämorrhagischer Diathese des Neugeborenen mit
langer Koagulationszeit. Einer langsamen Koagulation und verlängerter
Blutungszeit kann vorgebeugt werden durch subkutane Ganzbluteinspritzungen.
Bei schweren Fällen sollte eine Operation vorgenommen werden, wobei das
Blut untersucht und Blutinjektionen gemacht werden sollten, wenn solche
indiziert sind. Die Koagulations- und Blutungszeit sollte in allen Fällen mit
ungewöhnlichen Symptomen bestimmt werden. Bei langsamer Reaktion
sollten Blutinjektionen gemacht werden.
K. Y 0 s h i d a: Reproduktion ln vitro der Entamoeba tetragena und
Entamoeba coli aus Ihren Zysten. (Journ. Exper. Med., Baltimore, 1920,
XXXII, Nr. 3.)
Experimente in der Züchtung von Amöben führen Verf. zu folgenden
Schlüssen: Die vegetativen Formen von Amöben können aus ihren Zysten
in vitro kultiviert werden. Die Zysten von Entamoeba tetragena und Enta¬
moeba coli bringen nur ein vegetatives Individuum hervor. Casagrandi,
Schaudinn u. a. behaupteten, dass so viele Tochteramöben aus der
Mutterzyste hervortreten als die letztere Zellkerne besitzt. Dies hat sich
durch die Experimente in vitro als irrig erwiesen. Die Tochterkerne im
zystischen Stadium entsprechen den Gametenkernen anderer Protozoen. Die
syngamische Kernvereinigung bei diesen zwei Amöben findet nicht im tetra-
nukleären Stadium der Zyste statt, wie Schaudinn behauptet, sondern
Digitized by Goiisle
Während der Reproduktion. Der Prozess der Autogamie bei beiden Amöben
ist nicht auf zwei Zellkerne beschränkt, es können mehr als zwei Vorkommen,
welche durch ihre Vereinigung ein Syncarion bilden. Bei allen anderen
Protozoen ist die Autogamie auf zwei Zellkerne beschränkt. Es war dem
Verf. möglich, den Entwicklungszyklus von Entamoeba tetragena zu be¬
obachten. Anzeichen von Heterogamie wurden weder bei Entamoeba tetra¬
gena noch bei Entamoeba coli beobachtet. Die vegetative Form von Ent¬
amoeba tetragena hat im Anfangsstadium ihres Lebenszyklus nicht nur einen,
sondern oft drei oder vier Zellkerne.
A. J. Blau: Die Schickprobe, Ihre Kontrolle und aktive Immnnlslemag
gegen Diphtherie. (NewYork Med. Journ. 1920, CXII. Nr. 9.)
Beobachtungen an 434 Kindern führten zu folgenden Resultaten: Mehr
als ein Drittel der Kinder unter 14 Jahren sind für Diphtherie empfänglich,
d. h. sie besitzen keine aktive Immunität gegenüber der Krankheit. D!e
grösste Empfänglichkeit zeigen Kinder zwischen dem ersten und sechsten
Jahre. Von 227 negativen Schickproben wurden 136 bei Kindern zwischen
6 und 14 Jahren beobachtet. Immunisierung mit Toxiantitoxin kann in
100 Proz. aller Fälle erzielt werden. Ob die Immunität in allen Fällen
eine permanente sei, konnte soweit nicht festgestellt werden.
W. W. Hall; Blntuntersuchnngen nach Splenektomle, mit besonderer
Berflckslchtlgnng der Lenkozyten. (Am. Journ. Med. Sc., Pbila., 1920, CLX,
Nr. 1.)
Die Entfernung der Milz hat eine bedeutende Vermehrung der Leuko¬
zyten zur Folge, und diese Vermehrung wurde während mehr als drei
Monaten beobachtet. In der ersten Zeit zeigen alle Typen der weissen
Blutkörperchen eine Vermehrung. Die endothelialen Zellen sind stets absolut
und relativ vermehrt. Die Vermehrung der weissen Blutzellen ist wenigstens
teilweise in der Entfernung eines Faktors, der die Produktion der weissen
Blutkörperchen beschränkt, zu suchen.
W. H. Porter: Tberapeutlk bei abnehmender KOrperalkallnltit. (Med.
Record, N.-Y., 1920, XCVIII., Nr. 12.)
Verf. empfiehlt Dinatrium-Monohydrogenphosphat (Liquor calc. et natr.
Phosphat, compos.) in allen Fällen abnehmender oder verminderter Alkalinität.
Dieses Mittel versieht den Organismus mit der speziellen Form von Natrinm-
phosphat, welche für das Blut notwendig ist, um die anormalen metabolischen
Prozesse in normale umzuwandeln. Es setzt auch den Organismus in den
Stand, die anderen mineralischen Substanzen im Körperhaushalt mit Rück¬
sicht auf die verschiedenen Körperstrukturen zu regulieren, und vermehrt
überdies die assimilierende Tätigkeit in hohem Grade. Porter gebrauchte
dieses Mittel zuerst bei einem 10 Monate alten Kinde, bei welchem alle
Behandlungsmethoden fehlgeschlagen und das gänzlich heruntergekommen
war. Das Mittel hatte einen ganz unerwarteten Erfolg. In wenigen Tagen
gewann das Kind an Gewicht und Kraft und erholte sich vollkommen. Seit¬
dem hat er diese Behandlung in zahlreichen Fällen von Azidose angewandt
und immer mit dem besten Erfolg.
D. I. Macht: Ueber den Gebrauch von Benzylbenzoat bei einigen
Krelriaufstörungen. (New York Med. Journ., 1920, CXII., Nr. 9.)
M a c h t s Erfahrungen zeigen, dass Benzylbenzoat ein sehr kräftiges,
gefässerweiterndes Mittel ist ohne herzschwächende Wirkung, wenn das
Mittel in kleinen Dosen innerlich angewandt wird. Benzylbenzoat erwies
sich von grossem Wert bei arterieller Hypertension sowie bei Angina pec¬
toris. Das Mittel wird am besten in alkalischer Lösung dargereicht, da
es in dieser Form schnell absorbiert wird und die Dosis kontrolliert werden
kann.
B. S. Wyatt: Die Intravenöse Behandlnng der Malaria. (New York
Med. Journ., 1920, CXII, Nr. 11.)
W. hat die intravenöse Behandlung der Malaria während der zwei
letzten Jahre angewandt. 5 ccm einer Lösung, 0,033 g Qhininhydrochlorid
enthaltend, wurde intravenös eingespritzt. Eine Anzahl von Fällen wurde
mit Eisen und Arsen behandelt (64 mg in einer 5 ccm-Lösung). Die Resultate
der Eisen- und Arsenbehandlung waren so günstig, dass Verf. diese Behand¬
lungsmethode für die beste erklärt.
J. C. Rubin: Die nichtoperative Feststellung der Durchlässigkeit der
Eileiter vermittelst Intrauteriner Aufblähung mit Sauerstofigas und die Her¬
stellung eines künstlichen Pneumoperitoneums. (Journ. Am. Med. Assoc..
Chicago, 1920, LXXV., Nr. 10.)
Die Technik ist einfach. Erforderlich sind eine Ultzmann-Kanüle mit
mehreren Oeffnungen am oberen Ende, eine Tenakulumzange, eine Qebär-
muttersonde, ein Scheidenspiegcl und ein Sauerstoffbehälter, der mit einer
Wasserflasche in Verbindung steht. Um die verwendete Sauerstoflmenge
zu bestimmen, wird das Gas durch die Wasserflasche in der Form von
einzelnen Blasen geführt. Die Zahl der Gasblasen sollte 300 per Minute nicht
übersteigen. Die Gasmenge wird gemessen durch die Menge des durch das
Gas ersetzten Wassers. Die Wasserflasche enthält sterilisiertes Wasser oder
irgendeine antiseptische Lösung.
Die Zervix wird zuerst gereinigt und mit Tinct. iod. bestrichen. Sowie
das Gas in die Gebärmutterhöhle tritt, steigt der Druck, was am Queck¬
silbermanometer ersichtlich ist. In nicht durchgängigen Fällen steigt der
Druck während etwa einer Minute, dann sinkt er aber schnell, sowie das
Gas in die Scheide zurückströmt. Die Gasfüllung wird wahrgenommen durch
fluoroskopische Untersuchung. Dieses Verfahren kann angewandt werden:
I. In allen Fällen primärer Sterilität, bei welcher alle Faktoren mit Ausnahme
von Eileitererkrankungen ausgeschieden werden können. 2. In Fällen primärer
Sterilität, wenn Patientin früher an gonorrhoischer Beckenentzündung ge¬
litten hat. 3. In Fällen, in denen es notwendig war, einen ganzen Eileiter
und einen Teil des anderen wegen Hydrosalpinx zu entfernen. 4. Nach ein¬
seitiger Tubenschwangerschaft, um die Durchlässigkeit der anderen Tube
festznstellen. 5. Nach Fällen von Salpingostomie wegen Sterilität, um den
Erfolg der Operation festzustellen. 6. Nach Sterilisierung durch Tubenunter-
bindung, um den Verschiuss der Tube festzustellen.
E. Sachs und G. W. Beicher: Die Intravenöse Anwendung einer
gesättigten Salzlösung bei Intrakraniellen chirurgischen Operationen. (Journ.
Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV., Nr. 10.)
Bei intrakraniellen Operationen darf die harte Hirnhaut, wenn sie sich
unter Spannung befindet, nicht geöffnet werden, da häufig Ruptur der Cortex
cerebri stattfindet. Die Gefahr wird vermieden durch Entziehung von
Zerebrospinalflüssigkeit. Es gibt aber Fälle (Tumoren), wo dies unmöglich
ist. Verf. nahm unlängst eine subtemporale Dekompression vor. Ein
Stich in den linken Ventrikel ergab nur wenige Tropfen und keine Druckver¬
minderung. Die Dura wurde schnell geöffnet, aber es fanden Rupturen des
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
27
Cortcx an mehreren Stellen statt. Da wurden dem Patienten 100 g einer
gesättigten Salzlösung intravenös eingespritzt. Der Erfolg war überraschend,
fn weniger als 15 Minuten kam der Patient zu sich und konnte auf Prägen
antworten. Diese Injektionen wurden in Zw sichenräumen von 12 Stunden
noch zweimal wiederholt und der Patient erholte sich vollständig.
W. M. W right: Gebrauch von Salvarsan ln der Form von Entero-
klysraen. (New York Med. Journ., 1920, CXII., Nr. 9.)
Aus verschiedenen Gründen konnte bei mehreren Patienten das Salvarsan
nicht intravenös angewendet werden. Das Mittel wurde in diesen Fällen
in Form von Enteroklysmen ohne gleichzeitigen Gebrauch von Quecksilber
angewandt Dabei gab die Wassermann sehe Reaktion ebensogute
Resultate wie bei der intravenösen Injektion.
J. P. Jones: Experimentelle Einpflanzung artfremden Gewebes in das
Lnmen grosser Arterien. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV.,
Nr. 11.)
Die Experimente wurden an jungen Hunden ausgeführt. Verf. kam zu
folgenden Schlussfolgerungen: Artfremdes Gewebe kann in das Lumen grosser
Arterien eingepflanzt werden, ohne unmittelbar absorbiert zu werden und
ohne Blutgerinnung hervorzurufen. Gefässwände können vernäht werden
ohne notwendigerweise Intima mit Intima zusammenzubringen.
H. Mo ul ton: Bericht über vier Fälle von sympathischer Ophthalmie,
wdebe mit grossen Dosen von Natrlumsallzylat behandelt wurden. (Journ.
Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV., Nr. 1.)
Verf. wandte Natriumsalizylat bei sympathischer Ophthalmie mit grossem
Erfolge an, wobei stündlich 1,30 g dargereicht wurde. Die Patienten nahmen
sieben bis acht solcher Dosen. Diese Behandlung wurde fünf Tage lang
wiederholt.
J. R. Hunt: Akuter infektiöser Myoklonus multiplex und d>idemlscher
Myoklonus multiplex (epidemische Enzephalitis). (Journ. Am. Med. Assoc.,
Chicago, 1920, LXXV., Nr. 11.)
Der akute infektiöse Myoklonus multiplex kann als ein bestimmter
klinischer Typus einer akuten neuralen Infektion angesehen werden. In
seiner epidemischen Form bildet er einen Teil jener grossen klinischen
Gruppe, welche während der letzten zwei Jahre Amerika und Europa heim¬
gesucht hat, die Enzephalitis lethargica. Die Beziehungen des sporadischen
zum epidemischen Typus des infektiösen Myoclonus multiplex sind noch
immer ein Problem, obgleich es wahrscheinlich ist, dass sie von gleichem
Ursprung sind, und dass die epidemische Enzephalitis in gewissen sporadi¬
schen Formen vorkommt, ohne erkannt zu werden. Nach der Art und
Weise ihres Auftretens, nach dem Verlauf und den allgemeinen Symptomen
ist es klar, dass die Krankheit infektiöser Natur ist und einem Mikro¬
organismus oder dessen toxischen Produkten zugeschrieben werden muss.
Es ist wahischeinlich. dass ein besonderer Stamm des Keimes eine Affinität
für gewisse Gewebe des Nervensystems sich erworben hat und auf diese
Weise ist die eigenartige und so beschränkte klinische Reaktion des infek¬
tiösen Myoklonus multiplex entstanden.
W. B. Lancaster und F. L. Bur nett: Mercurochrom-220: ein
klinischer Bericht über seine Anwendung ln der Augenheilkunde. (Journ.
Am- Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV., Nr. 11.)
Mercurochrom ist chemisch eine Verbindung von Fluoreszin mit Queck¬
silber. Es hat sich gut bewährt bei Infektionen der Harnblase. Es zeichnet
sich durch eine grosse keimtötende Wirkung aus. Verf. haben das Mercuro¬
chrom mit grossem Erfolg in der Augenheilkunde angewandt. Bei Infektionen
der Bindehaut erwies sich eine 1 oder 2 proz. Lösung von vorzüglicher Heil¬
wirkung. Das Mittel ist namentlich von grossem Wert bei Entzündungen der
Bindehaut nach operativen Eingriffen am Auge. Es wurde auch mit gutem
Erfolg bei Ophthalmia neonatorum angewandt, woW eine 10 proz. Lösung
gebraucht wurde.
S. H. Blodgett: Die Harnstoffabsonderung als ein praktischer Test
für die Nierenfunktion. (New York Med. Journ., 1920, CXII, Nr. 14.)
Die Fähigkeit der Nieren, die metabolischen Abbauprodukte abzusondern,
kann in vielen Fällen durch die sog. Nierenfunktionsproben nicht festgestellt
werden. Dies kann aber dadurch erreicht werden, indem man einer Person,
die vorher eine basische Diät befolgt hat, bestimmte Mengen von Stickstoff¬
nahrung zuführt und dabei die Harnstoffabsonderung beobachtet. Mit dieser
Kenntnis kann man dann die Diät so regulieren, dass die Person die Maximal¬
menge von Stickstoffnahrung zu sich nimmt, deren Abbauprodukte die Nieren
zu bemeistern fähig sind.
A. Bass 1er: Der Dlckdarm und seine Beziehungen zur chronischen
Arthritis (Arthritis deformans). (Am. Journ. Med. Soc., Phila., 1920, CLX,
Nr. 3.)
Im Jahre 1912 kam eine Lehrerin von 34 Jahren unter Behandlung des
Verf. wegen Darmerkrankung. Sie litt aber auch an einer typischen Poly¬
arthritis, wmbei alle Gelenke in Mitleidenschaft gezogen waren. Sie gab an.
dass wenn der Stuhl ausbliebe alle Gelenke schlimmer würden. Die Stuhl-
ontersuchung ergab Infektion mit dem Gasbazillus. Sie wurde durch eine
Diät mit hohen Kalorien aber von geringem Kalkgehalt und durch eine Bacillus
coli-Infusion, welche rektal angewandt wurde, behandelt. Die Behandlung
wurde während 7 Monaten fortgesetzt. Die Patientin erfreut sich jetzt guter
Gesundheit und kann ihrer Arbeit wieder nachgehen. Seitdem hat Verf. eine
grosse Anzahl von Fällen von Arthritis deformans behandelt, bei denen immer
eine Herdreaktion nachgewiesen werden konnte. Die Tonsillen waren in
vielen Fällen erkrankt, aber in den meisten Fällen war die ursprüngliche
Infektion im Dickdarm zu suchen. Verf. glaubt, dass Arthritis deformans in
allen Fällen einer Herdinfektion in irgendeinem Organe des Körpers zuzu¬
schreiben sei.
B. L e w i s: Ueber nichthypertrophische Formen prostatischer Obstruktion.
(South. Med. Journ., Birmingham, 1920, XIII, Nr. 10.)
Nichthypertrophische Obstruktion am Blasenhals ist ein bestimmter patho¬
logischer Zustand, der in jedem Alter, aber meistens bei älteren Männern
vorkommt. Die Diagnose ist leicht. Der Rcsidualharn zeigt verschiedene
Mengen, bis zur vollständigen Retention. Der weiche Oummikatheter kann
gewöhnlich leicht eingeführt werden. Am Blasenhals besteht ein wohl-
markierter Oewebering. Dabei ist ein gewisser Grad von Entzündung be¬
merk/ich Die Vorsteherdrüse ist nicht vergrössert. Bei der Behandlung
ebraucht Verf. die Hochfrequenzfulguration nach Art der Bott in i sehen
Kauterisation. Alle Fälle wurden geheilt. A 11 e m a n n - Washington.
Vereins* und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
Eigener Bericht.
Sitzung vom 22. Dezember 1920.
Fortsetzung der Aussprache über die Tuberkulosevortrige.
Herr Unverricht: Die Partigene lassen sich zur Immunitätsanalyse
nicht verwenden, der Intrakutantiter nicht zur Bestimmung der therapeutischen
Anfangsdosen. Mit dem Friedmann sehen Mittel behandelte schwere
Fälle sind fortgeschritten, auch die leichten Fälle ergaben ungünstige Re¬
sultate. Zwei prophylakUsch behandelte Fälle sind an Tuberkulose zum
Exitus gekommen.
Herr Engels weist gegenüber Herrn U I r i c i, der die Friedmannfälle
für „nichttuberkulös“ erklärt habe, auf die Häufigkeit der Tuberkulose hin.
(Der alte und immer wieder beklagte Fehler, dass zwischen tuberkulös
„krank“ und tuberkulös im pathologisch-anatomischen und biologischen Sinn
noch immer nicht so unterschieden wird, dass man sich gegenseitig versteht.
Schon meine Diskussionsbemerkungen in der 1. Friedmannsitzung 1912 über
die Inaktivität zahlreicher Tuberkulosen sind von Friedmann¬
scher Seite, ebenso wie es jetzt Engels wieder gegenüber U1 r i c i tut.
missdeutet worden, dass von mir behauptet wurde, ich hätte erklärt, die
betreffenden Fälle seien nicht tuberkulös gewesen. Ref.) Aus Rönt¬
genbildern hat er den Eindruck, dass das Friedmannmittel heilend wirke.
Herr Kausch steht auf Grund seiner Beobachtungen dem Mittel sehr
skeptisch gegenüber.
Herr Fritz Meyer hat vor dem Kriege 25 Fälle erfolglos behandelt.
Nach dem Kriege in 2 von 20 Fällen auffallende Besserung gesehen. Direkt
nach der F.inspritzung folgt häufig eine Besserung, die er auf eine Ent¬
giftung zurückführt, die sehr häufig einer Verschlimmerung Platz macht.
Das Mittel hält er nicht für harmlos und warnt daher, gesunde Säuglinge
zu spritzen.
Herr Kraus verfügt seit 1918. wo er die auffällig günstigen Resultate
der 1913 behandelten Fälle mitgeteilt hat, über keine neuen Erfahrungen.
Er vergleicht das Mittel mit dem Tuberkulin, über welches auch jetzt nach
30 jährigem Bestehen keine beweisenden therapeutischen Tierversuche und
keine Uebereinstinimung vorliegt. Röntgenbefund und Statistik versagen, und
so bleibt nur übrig, jeden einzelnen Fall genau zu verfolgen und die Wirkung
des Mittels festzustellen. Er empfiehlt weitere Prüfung.
Ebenso Herr Fritz Schlesinger, auf den die Ausführungen von
Selter Eindruck gemacht haben, nachdem, wie er sagt, Friedmann
selbst sein Mittel diskreditiert hatte.
Herr Jungmann: Wegen der jetzt bekannt gewordenen nicht-
spezifischen Veränderungen der Lunge ist das Röntgenbild für die Be¬
urteilung der Heilwirkung nicht ausschlaggebend. Eine Wirkung nach irgend¬
einer Richtung hat er in 25 Fällen nicht gesehen.
Herr Piorkowski bespricht die Geschichte des Mittels. Die Ba¬
zillen hat er selbst zuerst gezüchtet, daher ist sein Präparat mit dem Fried-
m a n n sehen Mittel identisch. Beim Meerschweinchen hat er durch wieder¬
holte Injektion kleiner Dosen Erfolge erzielt.
Herr B e r g e 1 betont, dass die Friedmann sehen Bazillen sich
immuno-biologisch von den menschlichen Tuberkelbazillen unterscheiden.
Herr P a 1 m i d wünscht, dass Gegner und Anhänger die Wirkung des
Mittels gemeinsam beobachten sollen.
Herr B r a n n glaubt, durch eine Injektion des Mittels geheilt zu sein.
Tuberkelbazillen sind niemals nachgewiesen worden.
Herr Rosenthal hat nach der Friedmann sehen Behandlung auf¬
fallende Besserungen gesehen.
Herr W o s s i d 1 o hat 58 Fälle von Nieren- und Blasentuberkulosc er¬
folgreich mit Tuberkulin behandelt. In 2 Fällen das Friedmannmittel an¬
gewandt und erst Wohlbefinden, dann akute Verschlimmerung festgestellt
(zystoskopisch frische miliare Aussaat, von den Oefässen ausgehend). Nach
dieser Erfahrung wagt er nicht mehr, das Friedmann sehe Heilmittel
seinen Patienten vorzuschlagen. W.-E.
Druckfehlerberichtigung. Herr Gttterbock war im
vorigen Bericht irrtümlich Jüterbock geschrieben worden, was hiermit
berichtigt sei.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 20. Dezember 1920.
Herr Citron: Elekfrokardiogramm eines Falles von Hemlsystolle.
Das Elektrokardiogramm zeigt, abgesehen von Extrasystolien eine Spal¬
tung der I-Zacke.
An der Aussprache beteiligten sich die Herren: R e h f i s c h, H i s.
B r u g s c h und Kraus.
(Die Demonstration hatte irrtümlicherweise schon auf der vorigen Tages¬
ordnung gestanden.)
Herr S a w 11 z: Endokarditis und Meningitis durch Streptococcus viri-
dans. (Kurze Mitteilung.)
Im Verlauf einer Endokarditis lenta mit Streptococcus viridans entstand
eine leichte Meningitis. Der Tod erfolgte nur durch Herzinsuffizienz.
Aussprache: Herr Jungmann hat einen ähnlichen Fall gesehen.
Herr Lubarsch weist auf die Vielgestaltigkeit und das Rezidiviervermögen
der Sepsis lenta hin. Der Streptococcus viridans ist eine im Organismus selbst
entstehende Art des Streptococcus pyogenes. Eine Ansicht, der sich Herr
Kutschinski anschliesst. Herr Bernhard spricht nochmals zur Bak¬
teriologie des Falles.
Herr PIncussen: Physikalische und chemische Grundlagen der Licht¬
behandlung.
Licht, weiches wirken soll, muss absorbiert werden. Und Körper nehmen
nur diejenigen Strahlen in sich auf, die sie selbst im Spektrum haben. Bei
organischen Substanzen ist die Lichtabsorption auch von der Grösse der
kolloidalen Teilchen abhängig. Die Absorption für Lichtstrahlen kann durch
Färbung gefördert werden. Ungefärbte Substanzen nehmen vor allem Ultra¬
violettstrahlen auf. Die Höhensonne enthält im wesentlichen nur Ultraviolett¬
strahlen. Strahlen penetrieren um so besser, je langwelliger sie sind. Nega¬
tiv geladene Körper werden durch Lichtstrahlen entladen, ein Vorgang, der
Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
28
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. /.
sicher in der Lichttherapie von Bedeutung ist. Die chemischen Wirkungen
des Lichts beruhen im wesentlichen auf^ Oxydationen; bei Diabetikern kam
man Zucker zum Verschwinden bringen. Vortr. konnte zeigen, dass Fer¬
mente durch Lichtstrahlen zerstört werden.
Aussprache: Herr L a q u e u r und Herr S t r a u s s. W.-E.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1804. ordentliche Sitzung vom Montag, den 7. Juni 1920. |
Vorsitzender: Herr Embden.
Schriftführer: Herr Me hier.
Herr Privatdozent Dr. Q o I d s c h m 1 d: Demonstrationen.
Herr C. v. N o o r d e n: Die ausserordentliche Aehnlichkeit oder sogar
Gleichförmigkeit der Arzneiexantheme trotz verschiedenartigster Konstitution
der Arzneimittel lässt es bedenklich erscheinen, die Ablagerung des chemi¬
schen Stoffes in die Haut als unmittelbare Ursache für die Exantheme zu
betrachten. Der Vorgang ist vielleicht ein ganz anderer, anaphylaktischen
Krankheitsbildern ähnlicher, d. h. das Arzneimittel verursacht zunächst an
dieser oder jener Stelle des Körpers atypischen Eiweissabbau (Heterolyse),
und wir hätten es dann mit dem parenteralen Eintritt von Eiweissabbau¬
produkten (Proteosen, Polypeptide) ins Blut und deren Wirkung auf die
Haut zu tun.
Medizinische Gesellschaft Göttingen.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. November 1920.
Vorsitzender: Herr Q ö p p e r t.
Schriftführer: Herr Fromme.
Herr Reifferscheid: Die Strahlenbehandlung des Uteruskarzinoms.
Nach einer kurzen Einleitung über die Biologie der Strahlenwirkung
bespricht R. die verschiedenen Methoden der Strahlenbehandlung maligner
Tumoren durch alleinige Anwendung der Röntgenstralilen bzw. des Radiums
und durch kombinierte Radium-Röntgenbestrahlung. An der Hand einer Reihe
instruktiver Tafeln werden die verschiedenen Verfahren erläutert, die Fragen
der Dosierung ausführlich erörtert und die Gefahren und Aussichten kritisch
besprochen. R. kommt zu dem Ergebnis, dass die kombinierte Radium-
Röntgenbestrahlung zurzeit die beste ist. Daneben dürfen aber die Erfolge
der Nachbcstrahlung nach Radikaloperation nicht unterschätzt werden. Zum
Schluss gibt der Vortragende eine tabellarische Uebersicht der bisher er¬
zielten Heilungsresultate der Strahlenbehandlung, soweit sie auf einer fünf¬
jährigen Bestrahlung beruhen und stellt sie den Operationserfolgen gegen¬
über. Er kommt zu dem Schluss, dass die Strahlenbehandlung die Operations¬
erfolge zurzeit noch nicht völlig erreicht, dass sie aber jedenfalls für die Be¬
handlung des Uteruskarzinoms ein sehr aussichtsreiches Verfahren ist. An¬
gesichts der Erfolge der Nachbestrahlung nach der Radikaloperation, ist der
Standpunkt berechtigt, gut operable Fälle der radikalen Operation zuzuführen
und mit ausreichender Karzinomdosis nachzubestrahlen. Jede unzulängliche
Bestrahlung mit Apparaten, die nicht besonders für Tiefentherapie gebaut sind,
ist wegen der Gefahr der Reizdosis strengstens zu vermeiden. Die Opera¬
tionsgrenzen sollten aber enger gezogen werden und alle irgendwie vor¬
geschrittenen Fälle der kombinierten Radium-Röntgentherapie zufallen.
Diskussion: Herren Stich. Heubner, Reifferscheid.
Sitzung vom 18. November 1920.
Herr Baake: Demonstration des gekreuzten Babinskl.
Herr T h o m s e n: Säuglingsvergiftung durch Stempelfarbe. (Erscheint
ausführlich in dieser Wochenschrift.)
Diskussion: Herren Heubner, Stich, Lochte, Blühdorn,
Lönne, Kaufmann.
Herr Reifferscheid: Ueber primäre Abdominalschwangerschaft.
(Erscheint ausführlich in Merkel-Bonnet „Anatomische Hefte".
Diskussion: Herren Kaufmann, Reifferscheid, Lönne.
Herr Dietrich: Die Placenta accreta. (Mit Demonstration eines
Falles.)
Erscheint ausfühilich in der Zschr. f. Qeburtsh. u. Gyn.
Diskussion: Herren Kaufmann, Fischer, Reifferscheid.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 29. Juli 1920.
Herr Schlttenhelm berichtet Ober zwei Fälle von offenem Ductus
arterlosus Botalll.
Beide Fälle zeigen die bekannten Erscheinungen: Hypertroph.e des
rechten Herzens mit Vorwölbung der linken Präkordialgegend, besonders des
2. und 3. Interkostalraumes. Hier bandförmige Verlängerung der Herz¬
dämpfung (erweiterte Pulmonalis); lautes systolisches Geräuch im 2. und
3. Interkostalraum, das sich in die Diastole hineinzieht. Daneben ein deut¬
licher 1. und ein akzentuierter 2. Pulmonalton. Das Geräusch wird auch in
beiden Karotidett und auf dem Rücken in der Interskapulargegend, besonders
in der Höhe des 3. und 4. Processus spinosus links lauter wie rechts gehört.
Keine Zyanose. Schittenhelm macht besonders aufmerksam auf die in
seinen beiden Fällen vorhandene Beteiligung des linken Ven¬
trikels, welcher dilatiert und hypertrophiert ist (Spitzenstoss ausserhalb
der Mammilarlinie im 5. resp. 6. Interkostalraum). Es findet sich ferner eine
erhebliche Differenz zwischen dem systolischen und
diastolischen Blutdruck: im einen Fall 135: 45, im anderen 105: 48.
In einem der beiden Fälle wird auch eine Andeutung von Kapillarpuls
konstatiert. ‘ Es bestehen also Symptome, wie man sie bei der Aorten¬
insuffizienz findet. Die Beteiligung des linken Ventrikels ist bisher nur von
Hochhaus erwähnt, in dessen Fall aber gleichzeitig eine Mitralinsuffizienz
vorlag. Sonst lassen zwar mehrfach die veröffentlichten Krankengeschichten
auf eine Beteiligung des linken Ventrikels schliessen, ohne dass jedoch davon
Notiz genommen worden wäre. Nur P 1 e s c h spricht auf Grund seiner gas¬
analytischen Untersuchungen von einem stark erhöhten Schlagvolum. Sobald
aber beim offenen Ductus Botalli ein weiterer Defekt besteht, durch den in
Systole und Diastole eine grössere Blutmenge aus der Aorta in die Pulmo¬
nalis getrieben wird, welches dann durch den Lungenkreislauf wieder in den
linken Ventrikel zurückkehrt, also hin- und herpendelt, muss der linke Ven¬
trikel entsprechende Veränderungen aufweisen. Die starken Blutdruck¬
schwankungen und der Kapillarpuls erklären sich wie bei der Aorten¬
insuffizienz. Das starke Absinken des diastolischen Druckes wird bewirkt
durch das Abströmen von Blut während der Diastole nach der Pulmonalis.
Herr P a u I s e n: Alter und Entstehung der Rechtshändigkeit.
Die bisherige Forschung hat noch nicht zum Ziele geführt. Vortr. hat
an Steinwerkzeugen aus dem frühen Neolithikum gefunden, dass damals gleich¬
viel Rechtshänder und Linkshänder gewesen sind. P. Sarassin hat 1918
das Gleiche für die ganze Steinzeit nachgewiesen. Mit der Metallzeit tritt
plötzlich die Rechtshändigkeit auf. Sarassin nimmt also keine phylo¬
genetischen, sondern physiologische Gründe an. Sprachdenkmäler und Ge¬
bräuche deuten darauf hin, dass die damals aufgetretene Sonnenreligion die
rechte Hand als religiös rein, die linke als unrein auffasste. Ein grosser Teil
der jetzigen Rechtshänder sind also verkappte Linkshänder, wie sich aus
der Untersuchung an Kindern ergibt. Vortragender versucht eine weitere
Erklärung auf physiologischer Grundlage, Gebrauch der rechten Hand beim
Essen, der linken bei der Defäkation, eine Sitte bei vielen Völkern. Er
weist sie aber als nationalistisch zurück unter Bezugnahme auf die gleiche
Erklärung bei der Beschneidung, wo sie ebenfalls falsch ist. Die Medizin
hat bei solchen Erklärungsversuchen der Ethnologie den Vorrang zu lassen.
Diskussion: Herren Höppli, Heine, Schackwitz, Paul-
s e n, R u n g e, B ü r g e r, R 0 b e r t.
Herr ZI e m k e berichtet zunächst über einen Fall von krimineller
Lelchenzerstückelung, der im Nov'emebr 1919 in Kiel entdeckt wurde. In
diesem Falle bestand die Zerstückelung darin, dass der Leiche beide Beine
abgesägt worden waren. Auch hier war der Fall insofern als „defensive“
Leichenzerstückelung sofort erkennbar, als an den Knochen beider Beine
mehrfache, der Sägefläche parallel gerichtete Sägeschnitte von erfolglosen
Durchtrennungsversuchen gefunden wurden. Das Bemerkenswerte des Falles
lag noch darin, dass aus 2 Schädelwunden mit Sicherheit das verletzende
Werkzeug erkannt werden konnte. Eine Ausspakung des benutzten Schuster¬
hammers passte genau in eine Knochenbrücke, welche zwischen den beiden
Depressionsfrakturen der vorderen Schädelwunde stehen geblieben war. Dass
der Schusterhammer das verletzende Werkzeug in der Tat gewesen war.
liess sich mit mathematischer Sicherheit aus einer Zahl von Schartensptiren
erweisen, welche vom Hammer in der äusseren Knochentafel in Form von
Leistchen zurückgeblieben waren. Durch Vergleich der Schartenspuren im
Hammer und in der Knochenschlagfläche, sowie durch Messung mit Zirkel
und Lupe, konnte nachgewiesen werden, dass die Rillen im Knochen genau
in die Vorsprünge an der scharfen Schlagfläche des Hammers passten. An
der Hand eines grossen Demonstrationsmaterials wurde dann die Beurteilung
der Leichenzerstückelung kurz besprochen.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. Mai 1920.
Vorsitzender: Herr B a h r d t.
Schriftführer: Herr Ebstein.
Herr Preise: 1. Ueber fettangerelcherte Säuglingsnahrung.
Vortragender hat gemeinsam mit R u p p r e c h t zur Aufklärung der
günstigen Wirkung der Buttermehlnahrung nach Czerny-Klein¬
schmidt Ernährungsversuche mit verschiedenen Modifikationen dieser
Nahrung angestellt. Es lag die Vorstellung zugrunde, dass
1. die Zusammensetzung der Nahrung an sich (im besonderen das Ver¬
hältnis von Fett zu Kohlehydrat),
2. der Mehlröstprozess,
3. die Erhitzung der Butter auf 150—160® (wie sie bei der Bereitung der
Buttermehlnahrung gegeben ist), für den Ernährungserfolg entscheidend sein
müsste.
Bei der Erhitzung der Butter wurde sowohl mit der Entfernung flüchtiger,
schädigender Bestandteile, wie auch mit der Möglichkeit des Zerfalls nicht
flüchtiger, schädigender Bestandteile gerechnet.
Zur Feststellung des Punktes 1 diente oine Nahrung aus Milch, Mehl,
Butter, Zucker und Wasser im Verhältnis der Buttermehlnahrung, aber ohne
Einfügung eines Schwitz- oder Erhitzungsprozesses über 100®. Zur Klärung
des Punktes 2 wurde eine durch den Mehlschwitzprozess hindurchgeführte,
aber dann wieder ausgepresste Butter verwendet zu einer Nahrung wie
unter 1, dann auch solche Butter, in welcher nur der Erhitzüngsprozess für
3—5 Minuten auf 150—160® durchgeführt war. Zur Klärung des Punktes 3
wurde verwendet: 1. eine Nahrung wie unter 2, bei der aber die flüchtigen
Säuren in Alkali aufgefangen und nach Neutralisätion mit schwacher HCl
wieder freigemacht und der Nahrung zugefOgt wurden.
2. Nahrungen von der Zusammensetzung der Buttermehlnahrung, bei der
aber die Butter einmal im Vakuum bei niederer Temperatur von flüchtigen
Bestandteilen befreit wurde und zweitens eine Reinigung der Butter durch
wiederholtes Ausschütteln bei Schmelztemperatur mit Natriumbikarbonat¬
lösung und nachfolgendem Auswaschen mit warmem Wasser vorgenommen
wurde. Mit derartigen Abwandlungen der Buttermehlnahrung nach Czerny-
Kleinschmidt vorgenommene Stoffwechselversuche Hessen in Fällen, in
denen keine Störungen auftraten, keine Verschiedenheiten hinsichtlich des
Stickstoff- und Fettstoffwechsels erkennen, auch keine Verschiedenheiten des
Einflusses auf den Harn-Ammoniakwert.
Anders war das Resultat der klinischen Erfahrungen. An 23 Kindern
vorgenommene Versuche mit der oben unter 1 genannten Modifikation — Ver¬
wendung der Butter ohne Erhitzung und Schwitzprozess — ergaben eine
deutliche Unterlegenheit gegenüber allen anderen Modifikationen. In wieder¬
holten Fällen wurde eine durch Verwendung von Marktbutter hervorgerufenc
Störung, Vermehrung und Schlechterwerden der Stühle, Gewichtsabnahme.
Verschlechterung des Allgemeinzustandes (ohne gleichzeitige Infektion) durch
Absetzen auf die ursprüngliche Buttermehlnahrung oder eine der übrigen
Modifikationen behoben. Auch aus frischer Milch selbst hergestellte Butter
ergab keine wesentlich besseren Resultate. Untersuchungen über den Gehalt
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29
der verwendeten Butter an Fettsäuren und ihre Entfernung auf den ver¬
schiedenen genannten Wegen liess deren gründlichste Entfernung bei dem
Ausschüttelungsprozess mit Natriumbikarbonat erkennen. Ausser flüchtigen
Fettsäuren wurden in jeder daraufhin untersuchten Butter flüchtige Stoffe von
aldehydartigem Charakter festgestellt. Vortragender sieht auf Grund der bis¬
herigen Erfahrungen in der Verwendung der typischen Buttermehlnahrung den
sichersten Weg zur Erreichung guter Ernährungsresultate bei fettangereicherter
Säuglingsnahrung.
2. Untersuchungen über die Emährungstberaple der Rachitis.
Vortragender berichtet zunächst ältere, 1913—14 vorgenommene Ver¬
suche über den Einfluss von Vegctabilien auf rachitische Krankheitserschei¬
nungen. sodann über neuerdings gemeinsam mit Rupprecht ausgeführte
Untersuchungen, in denen der Einfluss von Vegetabilien in Form von Gemüse
und frischen Presssäften neben der klinischen Beobachtung durch lang¬
dauernde Kalk- und Phosphorstoffwechselversuche verfolgt wurde.
Es ergab sich beim Rachitiker nach Darreichung von frischen Press¬
säften aus Vegetabilien eine unmittelbar einsetzende und Ober die Verab¬
reichung hinaus nachwirkende Hebung der Kalkbilanz ohne gleichzeitige Stei¬
gerung der Kalkzufuhr bei unveränderter Grundnahrang. Gleichzeitig war
in dieser Versuchsperiode eine handgreifliche Besserung der klinischen
SjTnptome der Rachitis zu konstatieren. In einem 104 Tage langen, mit Stoff¬
wechseltagen durchgeführten Ernährungsversuch ergab sich z. B. eine täg¬
liche CaCO-Retention von + 0,12 in der 5 tägigen Vorperiode, welche auf
+ 0,144 bzw. + 0,176 nach Verabreichung von Presssaft anstieg, ebenso
eine Steigerung von + 0,219 auf + 0,3 und + 0,423. Diese Wirkung Hess
nach, wenn die Kalkbilanz über die Norm stieg, ebenso war die Wirkung
wesentlich geringer bei einem rachitisfreien Versuchskinde. Bei stark er¬
hitztem Presssaft Stunde auf 120—130®) wurde erheblich schwächere
oder gar keine Wirkung festgestellt, ebenso bei Verabreichung der gleichen
Menge gekochten Gemüses. Der Umfang und der zeitliche Ablauf des Ein¬
flusses des Presssaftes auf die Kalkbilanz ist sehr ähnlich dem bei Ver¬
abreichung von Lebertran festgestellten. Von diesem aber verschieden ist
das regelmässig zu konstatierende Herabdrücken der Phosphorbilanz.
Eingehende Darlegungen der Möglichkeiten des Wirkungschemismus zu
kurzem Referat nicht geeignet.
Vortragender betont ausdrücklich die Wirkung wasserlöslicher Vege-
tabilienbestandteile auf die Rachitis neben der fettlöslicher Stoffe — etwa
des Lebertrans. Vortr. weist auf die Ernährungsvorschriften Czernys
beim rachitischen Kinde hin, er empfiehlt für junge Säuglinge mit rachitischen
Symptomen die Verwendung ungekochten, frischen Presssaftes, z. B. von
Karotten, der der trinkfertigen Nahrung esslöffelweise (im ganzen etwa
50—100 ccm) zugefügt wird, bei älteren Kindern rät er dazu, dem fertig¬
gekochten Ciemüse nach Abkühlung auf esswarme Temperatur frischen, un¬
gekochten Presssaft zuzufügen oder den wohlschmeckenden Presssaft von
sauber geputzten und geschälten Mohrrüben roh trinken zu lassen.
Herr K11 e n stellt einen 9 jährigen Knaben mit Lipodystrophie vor.
Typische Abmagerung des Gesichts und der oberen Körperhälfte, kein ab¬
normer Fettansatz an der unteren. Beginn des Leidens im 6. Lebensjahre;
zugleich stellte sich Hypertrichose des Gesichts und Halses, starke Rhinorrhöe.
leichte Polyurie und starke Pollakisurie ein. Es werden Indizien angeführt,
die auf den Zusammenhang des Leidens mit abnormen Vorgängen bei der
Zirbelinvolution hinweisen.
Der Vortrag erscheint ausführlich unter den Originalien der M.m.W.
Diskussion: Herr Hör mann: Ich erlaube mir anzufragen, ob
bei diesem Fall eine Röntgenaufnahme des Schädels gemacht ist und ob
sich etwas an der Hypophyse ergeben hat.
Ich beobachte z. Z. einen interessanten Fall, der vielleicht auch hierher
gehört. — Es handelt sich um ein junges Mädchen von 20 Jahren, das
früher vermutlich an einer Dystrophia adiposo-genitalis litt. Sie war früher
auffallend dick, wie noch Schulbilder zeigen. Seit 1916 bemerkte sie einen
auffallenden Fettschwund des ganzen Körpers. Gegen 42 kg im 14. Lebens¬
jahr, wiegt sie heute nur noch 27,5 kg. Ihre Körpergrösse ist 142 cm (gegen
160 cm normal). Menses fehlen. Das Röntgenbild des Schädels zeigt eine
Abflachung der Sella turcica, so dass wahrscheinlich ein Hypophysentumor
vorliegt. Irgendwelche anderen Tumorerscheinungen, ausser Kopfschmerzen,
bestehen nicht.
Dass diese Abmagerung nur als ein Endzustand einer Dystrophia adiposo-
genitalis, als zerebraler Marasmus zu betrachten wäre, glaube ich nicht. Es
scheint mir vielmehr eine neue Schädigung einer innersekretorischen Drüse
vorzuliegen, deren Sitz noch zu ergründen wäre.
Herr Klien: Auf Hypophysiserkrankung weist nichts hin. Die
Röntgenaufnahme der Sella turcica ergab ebenso wie die Qesichtsfeldunter-
suchung normale Verhältnisse. Pituitrininjektion bewirkte allerdings einen
sehr starken Rückgang der Rhinorrhöe. Darin ist aber kein Beweis für eine
hypophysäre Genese zu erblicken. Das Pituitrin ist ein Kunstprodukt, das
keinesw'egs identisch oder physiologisch gleichwertig mit Hypophysensekret
ist. Es hat eine sekretionshemmende Wirkung auf alle möglichen Drüsen,
die von Hypophysensekret nicht bekannt ist. Ueberdies hatte eine Injektion
von Epiphysin eine noch stärkere und anhaltendere hemmende Wirkung
auf die Rhinorrhöe.
Herr Rupprecht: Ueber Menlngltlshellung Im Kindesalter.
Vortr. stellt einen Fall von geheilter Pneumokokkenmeningitis bei einem
Knaben im zweiten Lebensjahre vor. Der Entwicklungszustand, den das
Kind — jetzt fast ein Jahr nach überstandener Meningitis — darbietet, ist
als stark rückständig zu bezeichnen. Das Kind spricht noch nicht und in
seinen statisch-motorischen Funktionen hat es absolut keine Fortschritte ge¬
macht, sondern befindet sich noch genau in dem gleichen Stadium, in dem
es sich bei seiner Aufnahme, Anfang Dezember 1918, zeigte. Damals war
cs 7 Monate alt, von dem Vorhandensein einer Imbezillität konnte nicht
gesprochen werden, immerhin musste der bestehende Hydrocephalus con-
genitus mittleren Grades die Prognose der geistigen und somit auch der
von ihr beeinflussten körperlichen Entwicklung trüben. Die Entscheidung,
ob in dem demonstrierten Fall eine Defektheilung der Meningitis vorliegt
oder lediglich ein Folgezustand der dem Hydrocephalus congenitus parallel
gehenden, anatomisch bedingten Minderwertigkeit des Gehirns, lässt sich
nicht entscheiden.
Ihren Ausganigspunkt hat die Pneumokokkenmeningitis mit grösster
Wahrschein/ichkeif vo” ®'”er Rhinopharyngitis, als deren objektives Symptom
eine Rachenrötung festgestellt werden konnte, genommen. Bei 9 von den
in der Literatur niedergelegten 13 Fällen geheilter Pneumokokkenmeningitis
im Kindesalter werden genauere Angaben über den Infektionsweg gemacht,
und zwar finden sich eine Pneumonie in 6 Fällen, eine Bronchitis und eine
Rhinopharyngitis in je einem Fall und einmal blieb die Eintrittspforte un¬
bekannt.
Für den günstigen Ausgang der Pneuraokokkenmeningitlden hat man
die eingeschlagene Therapie verantwortlich gemacht. Sei es, dass wieder¬
holte Lumbalpunktionen vorgenommen wurden, sei es, dass man intralumbale
Injektionen grösserer Pneumokokkenserumdosen vornahm, oder aber, wie in
letzter Zeit mehrfach geschehen, das Chemotherapeutikum Optochin per os.
subkutan oder intralumbal anwendete. Im vorliegenden Falle wurden Lumbal¬
punktionen ausgeführt und Urotropin, 1 g pro die, gegeben. Jedoch stand
man unter dem Eindruck, aass dieses Medikament-keinen wesentlichen Einfluss
auf den günstigen Verlauf der Meningitis ausübte. Von entscheidender Be¬
deutung für den mehr oder weniger günstigen Verlauf der Pneumokokken¬
meningitis sind 1. die wechselnde Virulenz der Erreger, 2. die individuellen
Eigentümlichkeiten des Patienten. Es liegt die Möglichkeit vor, dass der
bestehende Hydrozephalus wie in den Fällen von C o n c e 11 i eine Steigerung
der Bakterizidie des Liquors bedingte.
Bei keiner Form der eitrigen Meningitiden bakterieller Aetiologie, die
überhaupt in der Literatur beschrieben worden sind, fehlt eine Beobachtung
über Ausgang in Heilung. Eine besondere Form der eitrigen Meningitis stellt
die Meningitis purulenta aseptica vor. Bei ihr wurden zahlreiche Heilungs¬
fälle beobachtet. Vortr. geht noch ein auf die Heilbarkeit der tuberkulösen
Meningitis. Er nimmt das Bestehen einer tuberkulösen Meningitis nur dann
an, wenn der biologische Nachweis der Tuberkelbazillen aus dem Lumbal¬
punktat geglückt ist und ist geneigt, diejenigen Fälle zu den geheilten tuber¬
kulösen Meningitiden zu rechnen, bei denen durch eine längere Zeit nach
dem Krankheitsverlauf vorgenommene Obduktion die tuberkulöse Natur der
voraufgegangenen Meningitis zweifellos festgestellt werden konnte.
Diskussion: Herr Dorner ist der Ansicht, dass die Meningitis
tuberculosa bei Kindern in seltenen Fällen ausheilen könnte im Gegensatz
zu der Erkrankung bei Erwachsenen. Ein von ihm im Jahre 1911 am
Deutschen Hospital in London beobachteter Fall spreche dafür. Ein 7 Monate
alter Säugling wurde mit typischen Erscheinungen einer Meningitis in das
Krankenhaus aufgenommen. In dem mehrmals entnommenen Lumbalpunktat
wurde deutliche Eiweissvermehrung und Qerinnselbildung festgestellt und in
dem Spinnenwebegerinnsel konnten Tuberkelbazillen 2 mal nachgewiesen
werden. Ein Meerschweinchenversuch wurde aber nicht angestellt. Die
Meningitissyraptome verschwanden innerhalb von 4 Wochen und das Kind
konnte nach 3 Monaten geheilt entlassen werden. Dass die in diesem Falle
im Liquor nachgewiesenen säurefesten Stäbchen wirklich Tuberkelbazillen
waren, dafür sprach u. a., dass die Mutter des Kindes zur selben Zeit
an schwerer doppelseitiger Lungentuberkulose und der 8 jährige Bruder des
Säuglings gleichfalls an tuberkulöser Rippenfellentzündung erkrankt im selben
Hospital lagen. Die Widerstandsfähigkeit der Säuglinge und der kleinen
Kinder gegenüber der tuberkulösen Infektion ist anscheinend bedeutend
grösser als bei Erwachsenen, was man auch aus der schnellen Heilung der
tuberkulösen Lymphdrüsenentzündung und der tuberkulösen Peritonitis Sei
Kindern erkennt.
Herr L o h s e erwähnt einen in der H e u b n e r sehen Klinik beobachteten
Fall von geheilter Meningitis tuberculosa.
Herr Frank: Demonstration eines 11 Jahre 4 Monate alten Knaben
mit Pttbertas praecox. Bis vor 4 Monaten normale Entwicklung, seitdem
psychische und somatische Veränderungen (Rückgang der Schulleistnng.
ruhiges, fast scheues, ängstliches Wesen; stärkere Zunahme des Körper¬
gewichtes, Mutation und starke Entwicklung des Genitale). Vorübergehend
Auftreten von Gehirndrucksymptomen: Schwindel, Kopfschmerzen. Ohren¬
sausen, Erbrechen.
Sehr muskulöser, kräftig gebauter Junge, Körpergewicht 39,7 kg. Länge
136 cm. Fettpolster überall gleichmässig und o. B. Penis und Testikel ausser-
gewöhnlich entwickelt, Pubes, Behaarung der Streckseiten der unteren Ex¬
tremitäten. Geringe Ataxie; beginnende Stauungspapille. Im Röntgenbilde*
Sella turcica o. B., bereits eingetretene Verknöcherung des Pisiforme.
Wahrscheinlich handelt es sich um einen Tumor der Epiphyse (Teratom).
Besprechung des Zusammenhanges zwischen Epiphyse und Pubertät.
Herr Köhler: Demonstration eines Falles von Hydrozepbalns Im
Kindesalter.
Der vorgestellte Fall bestätigt die Beobachtung Strasburgers, dass
auch bei anscheinend geringgradigem Hydrozephalus der Schädel bei durch¬
fallendem Licht transparent sein kann. Kontrolluntersuchungen Stras¬
burgers ergaben, dass die Schädelknochen von Kindern und selbst von
Erwachsenen für durchfallendes Licht durchgängig sind. Dasselbe gilt für
die Gehirnsubstanz, sofern deren Dicke 1 cm nicht übersteigt.
Der Fall, der demonstriert wird, zeigt das Durchleuchtungsphänomen in
eindrucksvoller Weise. Es handelt sich um einen 8 Monate alten Säugling
mit einem Schädelumfang von 42,5 cm. Die rechte Stirnhälfte des Säuglings
leuchtet rot auf, wenn die Lichtstrahlen den Schädel von hinten oben treffen.
Desgleichen leuchtet die rechte Schädelhälfte in ihrem vorderen Quadranten
auf, wenn die Lichtquelle sich auf der linken Seite befindet. Die Durch¬
leuchtung von vorn nach hinten und von rechts nach links ist erfolglos. Eine
Differentialdiagnose, ob es sich um Hydrozephalus int. oder externus handelt,
lässt die Transparenzprüfung unserer Meinung nach nicht zu, wohl aber gibt
sie uns einen Hinweis auf die Grösse der Flüssigkeitsansammlung und ihre
hauptsächlichste Lokalisation. Auf Grund der Durchleuchtung können wir
in unserem Falle sagen, dass sich im rechten vorderen Quadranten der
Schädelhöhle eine grössere Flüssigkeitsansammlung befindet. Handelt es sich
um einen Hydrocephalus internus, so ist die Wand des stark erweiterten
Vorderhornes des rechten Seitenventrikels nicht stärker als höchstens 1 cm.
Aerztlicher Kreisverein Mainz
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. November 1920.
Pathologisch-anatomischer Vorweisungsabend des Herrn Qg. B. Qrnber.
Von den vorgezeigten, zum Teil seltenen Objekten interessierten be¬
sonders: Herz mit schwerer transperlkardlaler Schnssverletzung, während
Digitized by CjOOQle
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
30
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1.
der Herzbeatei nur ganz leichte Streifungsläsion erkennen Hess. Die Ver¬
letzung war Folge eines Selbstmordes mit einem französischen Arraee-
karabiner. — Halbseitige Hydronephrose einer langen
Niere, von der 2 Harnleiter ausgingen, bei einem Säugling von 2 Monaten.
Der Ureter der oberen, hydronephrotischen Nierenhälfte mündete im Blasen¬
hals knapp unter der Schleimhaut blind. Der Harnleiter des unteren Nieren¬
anteils mündete über der gewöhnlichen Stelle auf dem lang nach oben und
aussen ausgezogenen Horn des Blasendreiecks. Diese Uretermündung war
durch eine vertikale, sichelförmige, membranöse Blasenschleimhautfalte ver¬
deckt, die sich von oben rückwärts gegen das Blasenlumen vorgespannt hatte
und! das letzte Stück des Ureters in sich schloss, wodurch eine Art von
Doppelblase verursacht wurde. Solche Hydronephrosen einer halben
Niere verursachen der urologischen, pyelographischen Diagnose manchmal
sehr erhebliche Schwierigkeiten. — Zwerchfellshernie der Pars
s t e r n a i i s eines Erwachsenen. Die Muskulatur der Pars sternalis fehlte,
die Serosaduplikatur war als faustgrosser Sack gegen die linke Pleurahöhle
vorgebuchtet. In ihr lagen teilweise verlötet — ebenso wie der Bruch¬
sack mit der Lungenpleura verwachsen war — Querdarm und Dünndarm¬
schlingen. Vermutlich waren die Verwachsungen entzündlicher Reaktion, durch
vorübergehende Darmklemmung bewirkt, zu danken. Im Leben war die
Zwerchfellshernie verborgen geblieben.
Biologische Gesellschaft in München.
Prof. Dr. E. Stechow: Neue Ergebnisse auf dem Gebiete der Hy-
droldenforschung II.
Neue vergl.-anat. Untersuchungen ergaben folgende neue Genera:
Perinema nov. gen. für Coryne cerberus Gosse 1853.
Perigonella nov. gen. für Perigonimus sulfureus Chun 1889.
Podocorella nov. gen. für Stylactis minoi Alcock 1892.
Hydractella nov. gen. für Hydractinia fucicola Motz-K. 1905.
Zyzzyzus nov. gen. für Tubularia solitaria Warren 1906.
Pareutima nov. gen. für Campanopsis dubia Stechow 1913.
Campomma nov. gen. für Campanulina hincksi Hartlaub 1897.
Oswaldaria nov. gen. für Cryptolaria aut. (Allman etc.) nec Busk 18571
Genotype: Cryptolaria crassicaulis Allman 1888.
Diphasiella nov. gen. für Sertularia subcarinata Busk 1852.
Nemella nov. gen. für Sertularia minuscula Bale 1919.
Crateritheca nov. gen. für Pericladium novae-zelandiae Thompson 1879.
Verein der Aerzte in Steiermark.
Zusammenfassender Bericht über die Vereinsversammlungen in Graz am
4., 11., 18. und 25. Juni und 2. Juli über die Vorträge der Herren
F. P r e g 1: Ueber ^ne ln der praktischen Medizin verwendbare
Jodlösung.
Erich Baumgartner: Die P r e g 1 sehe Jodlösnng in der Zahnheil¬
kunde.
E. Knauer: Die P r e g 1 sehe Jodlösung ln der Gynäkologie und Ge¬
burtshilfe.
Die sich daran anschliessende ausserordentlich lebhafte Wechselrede, die
fünf aufeinander folgende Vereinsversammlungen in Anspruch nahm und an
der sich fast sämtliche Kliniker und Abteilungsvorstände der einzelnen
Krankenanstalten von Graz und mehrere Praktiker beteiligten, gab Zeugnis
von der ausserordentlichen Bedeutung dieses neuen Arzneimittels und von
dem besonderen Interesse, das ihm von allen Aerztekreisen entgegengebracht
wurde. (Die einzelnen Vorträge erscheinen ausführlich in der Wiener klini¬
schen Wochenschrift.)
(Solutio jodi sec. Pregl, eine in der praktischen Medizin verwendbare
Jodlösung.) Von Priv.-Doz. Dr. Philipp E r 1 a c h e r, Graz.
Die geringen Erfolge der Behandlung von Alveolarpyorrhöen und der
Umstand, dass vielfach bei dieser Erkrankung der Tascheninhalt sauer
reagierte, waren für Pregl der Anlass, eine Jodlösung herzustellen, die
neben freiem Jod noch eine Reihe von Jodverbindungen enthält, die beim
Zusammentreffen mit organischen Säuren Jod abspalten. Eine solche Jod¬
abspaltung erfolgt auch beim Zusammentreffen dieser Jodlösung mit alkali¬
schen Flüssigkeiten und darauf folgender Einwirkung von Kohlensäure; ein
Vorgang, der sich im Blute beim Wechsel des Kohlensäurepartiardruckes in
den verschiedenen Organen regelmässig abspielt. Diesbezügliche Versuche
wurden vorgeführt.
Die günstigen Erfolge bei der Behandlung der Alveolarpyorrhöe ver-
anlassten Pregl im Verein mit E. Baumgartner die schon früher mit
wechselndem Erfolg ausgeführten Reimplantationen schadhafter Zähne unter
Anwendung dieser Jodlösung zur Reinigung der Mund- und Wundhöhle vor¬
zunehmen. Die Erfolge machten sie mutiger und führten sie dazu, anstelle
von unbrauchbar extrahierten Wurzeln Leichenzähne zu implantieren und
schliesslich ist es ihnen sogar gelungen, solche an Stellen zur Einheilung zu
bringen, wo infolge Verheilung der Alveole nach einer Jahre zurückliegenden
Extraktion eine neue Alveole erst wieder geschaffen werden musste. Knauer,
dem diese Versuchsergebnisse als erstem bekannt geworden sind, erkannte
die Brauchbarkeit dieser Lösung auch für die anderen Zweige der praktischen
Medizin und wirkte in diesem Sinne bahnbrechend; denn er war der Erste,
der sie zur Behandlung erkrankter Hohlorgane, von Wunden und zur intra¬
venösen Injektion anwandte. Aus den Versuchen Knauers lernte Pregl
die Lösung so einzustellen, dass sie von den Geweben fast reizlos vertragen
wird: sie ahmt in bezug auf osmotischen Druck und Reaktion diese Eigen¬
schaften der Gewebsflüssigkeiten nach, und enthält ausser den früher ge¬
streiften Jodverbindungen allerdings noch andere Bestandteile, die aber nicht
körperfremd sind.
Zuerst wurde die Solutio jodi sec. Pregl in der Zahnheilkunde als Mund¬
wasser und zur Spülung in Verdünnung von 1: 1 oder 1: 2 angewendet und
zwar konnten damit bei Alveolarpyorrhöe in kürzester Zeit auch bei sonst
hartnäckigen Fällen ausgezeichnete Erfolge erzielt werden. In die ein¬
zelnen Taschen und Buchten wird mit stumpfer Kanüle die Jodlösung ein¬
gebracht, worauf bald der Zahnstein mit Leichtigkeit entfernt werden kann
(Baumgartner, Kertsch, Kneschaurek). Ebenso günstig waren
die Erfolge bei Reimplantation, Transplantation und Implantation von Zähnen.
Der frisch extrahierte oder ausgeschlagene oder auch der tote Zahn wird
vollständig vom Periost gereinigt, die Wurzelspitze reseziert, die Kanüle aus¬
gebohrt und gefüllt; nun wird der blank geputzte Zahn in die ebenfalls ge¬
reinigte und ausgekratzte Alveole wieder eingesetzt. In der Folge wurde
gegebenenfalls auch die Alveole neugebildet und ein gleich behandelter Leichen¬
zahn in dieselbe mit Erfolg zur Einheilung gebracht. Wichtig ist für einige
Zeit eine gute Fixierung. Während bisher die Erfolge der Reimplantation
immer als zweifelhaft anzusehen waren, sind seit der Verwendung der
Pregl sehen Jodlösung Versager nicht mehr vorgekommen, so dass für diese
ausserordentlich günstigen Erfolge nicht nur die Technik allein verantwortlich
gemacht werden kann. Die reimplantierten Zähne verwachsen vollkommen
knöchern mit der Alveole und bekommen in 3—8 Tagen wieder die Eigen¬
farbe der übrigen Zähne (Baumgartner mit Demonstration, Kne-
schaureck). Bei Angina wurde das Mittel mit günstigem Erfolg als
Gurgelwasser verwendet (Knappltsch, Ninaus, Unterkreuter).
In der Geburtshilfe und Gynäkologie wurde das Mittel zuerst von
Knauer und zwar sowohl lokal als intramuskulär und intravenös bis zu
100 ccm angewendet. Das Mittel erwies sich als vollkommen gefahrlos und
wurde ohne schädliche Nebenwirkung immer anstandslos vertragen; behandelt
wurden Wunden, Eiterhöhlen und entzündliche Organe. Günstige Einwirkung
konnte auf die akute und chronische Gonorrhöe beim Weibe erzielt werden
(Knauer). Es ist auch hier vollkommen reizlos, kürzt die Behandlungs¬
dauer wesentlich ab; die Gonokokkenfreiheit konnte meist ebenso rasch herbei¬
geführt werden wie mit den bestbekannten Silberpräparaten; es ist billiger,
in der Wirkung diesen aber mindestens gleichwertig, wenn nicht überlegen
und kann sie vollkommen ersetzen (Schreiner). Wenn es auch immer
wieder Fälle geben wird, die nur durch Silberpräparte geheilt werden können,
gibt es auch Fälle, die sich der Silberbehandlung gegenüber refraktär ver¬
halten und durch die Pregl sehe Jodlösung (Verdünnung 1: 4) geheilt werden
konnten; beide Mittel scheinen auf veischiedene Weise den Bakterien an
den Leib zu rücken (M a t z e n a u e r). Die akute Zystitis heilte im allge¬
meinen rasch unter Spülung und Instillation von 30—50 ccm Jodlösung in
die Blase (Knauer, Knappitsch), jedoch scheinen die schwereren chro¬
nischen Zystitiden, die ja meist alkalisch reagieren, weniger oder nicht be¬
einflussbar (S t r e i s s l e r, H e r 11 e). Erst spätere Erfahrungen haben ge¬
zeigt, dass durch einen Zusatz von gleichen Teilen einer 2proz. Borlösung
zur Jodlösung auch in solchen Fällen der erwünschte Erfolg erzielt werden
kann. Auch sehr schwere Fälle von Zystopyclitis, in denen andere Behand¬
lungsmethoden versagten, konnten durch Kombination von Spülung mit intra¬
venöser Injektion von Jodlösung rasch zur Heilung gebracht werden
(Maresch, Knappitsch). Wichtig erscheint auch die prophylaktische
Bedeutung des Mittels zur Vermeidung von Zystitiden bei nicht ganz reinen
Operationen in der Nähe der Blase, namentlich wegen Karzinom. Knauer
hat wiederholt in solchen Fällen das Entstehen einer Zystitis, die sonst fast
regelmässig auftritt, durch Deponierung von etwa 30 ccm der Pregl sehen
Jodlösung in die entleerte Blase vermeiden können.
Bei heissen Abszessen wurden vereinzelt nach Punktion, Aspiration des
Eiters und Ein- und Umspritzung mit Jodlösung Erfolge beobachtet, nicht
immer aber liess sich dadurch die Inzision vermeiden (Fischer). Auch
Douglasabszesse konnten durch wiederholte Entleerung des Eiters und De¬
ponierung von Jodlösung in die Eiterhöhle ohne andere Eingriffe zur Ab¬
heilung gebracht werden. In Fällen von puerperalem Fieber und bei sep¬
tischem Abortus konnte durch intravenöse Injektion rasch Heilung erzielt wer¬
den (Knauer). Bei Osteomyelitis haben Hcrtle, Erlacher und
M a t h e i s das Mittel verwendet, wobei zwar die chirurg.sche Behandlung
in gewohnter Weise vorausging, aber infolge der Anwendung der Jodlösung
eine raschere Abheilung zu erfolgen schien. Uebereinstimmend aber wird
das rasche Auftreten frischer, hellroter Granulationen unter der Anwendung
dieser Lösung betont. Erlacher hat mehrfach Empyeme mit der Sol. jodi
sec. Pregl, und zwar sowohl durch Punktion und Spülung bzw. Füllen der
Eiterhöhle mit der Lösung, wie auch durch Spülung nach Rippenresektion und
gleichzeitiger intravenöser Injektion behandeln können. In einem Falle von
schwerem, septischem Streptokokkenempyem erzielte er dabei kritische Ent¬
fieberung und rasche Heilung, während andere Fälle nicht wesentlich darauf
reagierten. Auch S t r e i s s l e r und Knappitsch haben bei Sepsis ein¬
zelne überraschend gute Wirkungen des Mittels gesehen und E. Baum¬
gartner hat bei der Furunkulose der Erwachsenen durch intravenöse In¬
jektion günstige Erfolge erzielen können. Gegenüber der chirurgischen Tuber¬
kulose scheint das Mjttel nach den bisherigen Erfahrungen erfolglos zu sein
(Streissler, Hertle, Erlacher, Knappitsch) und reicht bei
weitem nicht an die Wirkung des Jodoformglyzerins heran. Hingegen scheint
die Jodlösung wieder bei Peritonitis günstig zu wirken, wenn auch natürlich
darüber erst grössere Erfahrungen ausschlaggebend sein können; so sahen
Knauer, Streissler, Hertle, Erlacher günstigen Verlauf der¬
selben bei Anwendung der Jodlösung, mit der die Bauchhöhle ausgetupft, ge¬
spült und gefüllt werden kann, und B o u v i e r konnte in 2 Fällen von per¬
foriertem Magenulcus nach Versorgung desselben und Einbringen von Jod¬
lösung in die Bauchhöhle, diese mit Erfolg primär verschliessen. Gerade in
der Möglichkeit der Vermeidung des Auftretens einer Peritonitis nach nicht
ganz reinen Bauchoperationen sieht Knauer, und darin stimmen ihm die
anderen Beobachter bei, mit Recht eine sehr wertvolle Eigenschaft des Mittels,
während Schmerz, der das Mittel als aseptischen Platzhalter verwendet,
auch in anderen Fällen, wie bei Gelenkoperationen, wo man einen primären
Verschluss nicht wagen darf, die Vermeidung der Sekundärinfektion in solchen
Fällen als besonders erwünschten Erfolg bezeichnet. Hertle aber sah bei
einer komplizierten Kniegelenksfraktur, die operiert und nach Füllung mit
Pregl scher Jodlosung primär geschlossen wurde, ein Fortschreiten des In¬
fektionsprozesses trotz weiterer auch intravenöser Anwendung des Mittels,
so dass schliesslich die Resektion gemacht werden musste. Aber andere
Versuche, infizierte Gelenke nur zu punktieren und mit Jodlösung zu spülen
und füllen, ergaben besonders bei Kindern (Erlacher) recht aussichts¬
reiche Erfolge. Bei Erysipel und Dysenterie hat T o b e i t z in Form von
Umschlägen und Spülung, sowie intramuskulär die Jodlösung angewendet, da¬
mit keinerlei Erfolge erzielt, aber Reizerscheinungen und Schmerzen be¬
obachtet.
Das Mittel wurde auch bei internen Erkrankungen, namentlich intravenös,
vielfach verwendet und hat sich bei akutem Gelenkrheumatismus nach Be¬
richten von Knappitsch, Ninaus, Kossler und Walter oft über¬
raschend gut bewährt, in anderen Fällen, besonders bei chronischem Rheuma¬
tismus aber blieben die Erfolge aus. Auch bei der herrschenden Grippe¬
epidemie wurde das Mittel angewendet, und zwar sowohl bei Grippe selbst
(Unterkreuter mit gewissen Erfolgen im FrOhstadium), bei Grippe-
pneumonie, von wenigen Fällen (Ninaus) abgesehen, ebenfalls ohne sicheren
Erfolg (Knappitsch, Kossler); endlich bei Grippeenzephalitis
Digitized by CjOOQle
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
?. Jannar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
31
(P b 1 e p s), wo zwar nur in einzelnen Fällen günstise Erfolge zu verzeichnen
»aren, immer aber eine Erleichterung nach der Injektion festgestellt werden
konnte. In der Augenheilkunde hat es sich bei akut entzUndUchen Prozessen
ebea wegen seiner Reizlosigkeit sehr gut bewährt (P o s s e k).
Uebereinstinunend wurde von den zahlreichen Beobachtern festgestellt,
c'jss die Sol. jodi sec. Pregl. ein ausserordentlich wirksames, unschädliches,
feiaiirloses Mittel von hervorragender antiseptischer Kraft darstellt, dass
damit bereits bei einer grossen Anzahl verschiedener infektiöser Erkran¬
kungen in einer ganzen Reihe von Fällen überraschend günstige Erfolge er-
;;ell werden konnten, denen allerdings immer vereinzelte refraktäre Fälle
zegenüberstanden. Wieweit hierin grössere Vertrautheit mit dem Mittel und
eine Verbesserung der Anwendungstechnik noch Wandel schuiien können,
wird erst die Zukunft lehren. Nur gegen Tubeikulose und Syphilis erscheint
das jdittel derzeit völlig erfolglos, ebenso wie seine Anwendung das Auftreten
des Pyozyaneus nicht vei hindert (H e r 11 e, Er lach er). Allgemein wurde
sowobd die lokale und intravenöse Anwendung bis 100 ccm. bei Kindern bis zu
2 ccm auf das Kilogramm Körpergewicht als vollkommen, schmerz-, gefahr-
und reaktionslos bezeichnet. Schüttelfröste traten selbst in Fällen, die mit
kritischem Temperaturabfall reagierten, nur in einer ganz geringen Zahl auf;
hingegen wird die subkutane und intramuskuläre Einverleibung meist als
schmerzhaft bezeichnet. Manchmal wurde eine rasche Thrombosierung der
iür die Injektion benützten Vene beobachtet urd W i 11 e k hat diese Neben¬
wirkung zur Behandlung von Varizen, die er mittels Injektion der Jodlösung in
die leere Vene zur Verödung brachte, mit Erfolg angewendet (Demonstration).
Von zwei Seiten wurde auf Grund eigener Erfahrung (H e r 11 e, K o s s 1 e r)
auf die Gefahr des Jodismus bei protrahierter Anwendung des Mittels auf¬
merksam gemacht; sonst wurden Schäden nie beobachtet.
Vielfach wurde der Wunsch ausgesprochen, über experimentelle Unter¬
suchungen Näheres zu hören, da bisher nur die praktischen Erfahrungen
mitgeteilt wurden und rein empirische Versuche mit einem neuen Mittel
immer gewisse Schwierigkeiten in sich schliessen. Insbesondere wurde die
frage aufgeworfen, ob die saure Reaktion einer Gewebsflüssigkeit, des Organ¬
inhaltes oder der Umgebung der Bakterien eine notwendige Vorbedingung
für die Wirkung der Jodlösung darstelle? Demgegenüber wurde nur berichtet
(P r a u s s n i t z). dass bei hoher Konzentration die bakterizide Wirkung der j
Jodlösung auf Koli und Staphylokokken sicher vorhanden ist. Hamburger .
betont die rasche Ausscheidung des Jods im Harn schon nach einer Stunde,
so dass dieser Jodnachweis vielleicht für die Funktionsprüfung der Nieren
von Bedeutung sein könnte; und Peyrer hat durch die Jodlösung eine
Hämolyse der Erythrozyten und Zerfall und Verlust der Kerne bei Leuko-
lyten beobachtet. E.
fiesellschafi der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 17. Dezember 1920.
Herr A. Bnm stellt einen 28jährigen Arbeiter mit einer isolierten
Fraktor des Os trlqnetrum vor.
Herr L. KIrschner und Herr H. Sega 11 berichten über die bak-
teriologjschen &lalirungen bei der letzten RuhrepIdeniie.
Seit der Einführung der Romano kopie ist eine viel grössere Ueberein-
stimmung zwischen klinischer und bakteriologischer Diagnose erzielt wor¬
den. Positiver Bazillenbefund bei eingesendeten Stühlen in 6 Proz., bei
frischen Stühlen in 39 Proz., bei romanoskopischer Entnahme des Unter-
sacfaungsmaterials in 86 Proz. der Fälle.
Die Epidemie war bakteriologisch nicht einheitlich. In etwa der einen
Hälfte der Fälle fand sich.B. Shiga-Kruse. in der anderen B. Flexner und
Y-Stämme. Einige Stämme verhielten sich wie Shiga-Kruse, wurden aber
tucht serologisch beeinflusst. Einige Stämme hatten den Typus Schmitz,
wurden auch von Schmitz-Kaninchenserum und von Serum von Schmitzfällen
agglutiniert (bis 1; 200). Die Schmitzfälle kommen häufiger vor, als man
Klaubte. Bei klinischer Ruhr wurde auch der B. faecalis alkaligenes ge¬
funden. der auch durch homologes Serum (bis 1: 800) agglutiniert wurde. Ver¬
suche über Toxinproduktion von Dysenteriebazillen sind im Gange.
Herr E. Stransky stellt eine 63jährige Frau mit PolynearltU der
lUruierveii vor.
Vor wenigen Tagen Schmerzen im rechten Ohr, dann rechts periphere
Fazialislähmung und fast zugleich Herpes zoster der Lippen-, Zungen- und
Gaumenschleimhaut, bullöse Affektion »m rechten Ohr, Schmerzen im Trige-
aünusgebiet, motorischer Trigeminus frei. Rechts Oeschmacksstörung. Der
Streit ist mflssig, ob die Fazialislähmung primär und die Trigeminusaffektion
sekundär ist oder umgekehrt.
Es handelt sich um eine Polyneuritis im Hirnnervengebiot. K.
Kleine Mitteilungen.
Aerztlidie Kalender fflr 1921.
Die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse sind auch für viele der bestehen¬
den ärztlichen Taschenbücher verhängnisvoll geworden. Viele sind von der
Büdfläche verschwunden und mit ihnen manche überflüssige Schöpfung. Unter
denen, die durchgehalten haben, steht obenan der
Reichsmedizinalkalender, herausgegeben von Geh. San.-Rat
Prof. Dr. Schwalbe (Verlag von Gg. T h i e m e in Leipzig, Preis 24 M.).
Der jetzt im 42. Jahrgang vorliegende Kalender ist in der Anlage unver-
äadert geblieben, im Einzelnen aber, wie immer, sorgfältig ergänzt und
verbessert worden. Das wissenschaftliche Beiheft ist durch 2 Aufsätze ver¬
mehrt: Fried mann, Serum- und Vakzinetherapie und O. Strauss,
Strahlentherapie. Der dem Taschenbuch beigegebene Notizkalender (für
jeden Tag eine volle Seite) besteht aus gutem, mit Tinte beschreibbarem
Papier. Der reichhaltige Kalender verdient nach wie vor der ständige
Begleiter des deutschen Arztes zu sein.
Leider wird der II. Teil, enthaltend das Verzeichnis der deutschen
Aerzte, auch in diesem Jahre nicht erscheinen.. Die ungeheuren Kosten,
äie mit der Herstellung dieses Teiles verbunden sind, machen die Herans-
Kabe unmöglich. Und doch ist ein deutsches Aerzteverzeichnis ein dringendes
Bedflrfnis und es könnte auch zustande gebracht werden, wenn die Zer-
^olitterung auf diesem Gebiete — bis vor kurzem hatten wir 3 Aerzte-
ierzeiclmjsse — anfhören würde. Es wäre zu wünschen, dass die bis-
terigeo Uoteroehmer, O. Thieme, A. Hirschwald und Leipziger Ver¬
band, eine Vereinbarung zur Herausgabe eines guten Aerzteverzcichnisses
treffen würden.
Therapeutische Notizea.
Die Rolle der Proteine bei der Aetiologie des Kopf¬
schmerzes ist nach den Untersuchungen von Robert Curliss Brown
eine ziemlich wichtige: in der grossen Mehrzahl der Fälle von Migräne usw.,
wo natürlich nicht irgendeine lokale oder allgemeine (Infektions- u. a.)
Krankheit für den Kopfschmerz verantwortlich zu machen ist, erscheint es
rationeller, eine funktionelle, durch Toxine hervorgerufene Storung als Ur¬
sache anzusehen. Die Proteine (Eiweisskörper) der Nahrungsmittel dürften
in dieser Beziehung von grosser Bedeutung sein, und Brown führt als die¬
jenigen Nahrungsmittel, welche nach seiner Erfahrung imstande sind, Kopf¬
schmerzen oder irgendein anderes Symptom der Proteinvergiftung hervor¬
zurufen, folgende in der Reihenfolge der Wichtigkeit an: Fleischsaft, Früchte,
Fruchtextrakte, Eier, Fleisch, Kaffee, Tee, Schokolade, Kakao und gewisse
Gemüse (Tomaten, Champignon, Rhabarber, Gurken). Man muss immer daran
denken, dass der Fleisch- oder Fruchtsaft giftiger sind, als die ursprüng¬
lichen Substanzen. Deshalb ist die übliche Krankenhauskost: fette Fleisch¬
suppen, Eier, Fruchtsäfte nicht nur bei den Preteinvergiftungen, sondern auch
bei Infektionskrankheiten schädlich, da sie dazu beiträgt, die normale Reserve
an Alkalien, die für den Organismus im Kampfe gegen die Infektion not¬
wendig ist, zu vermindern. Um eine geeignete Diät zu verabreichen, muss
man eine genaue Anamnese bei den Kranken aufnehmen, den Urin sorgfältig
untersuchen, nach Diabetes und Nephritis forschen, das Blut untersuchen, den
Blutdruck messen und nach den Zeichen einer möglichen Infektion fahnden.
Der entsprechenden Diät fügt man ein alkalisches Wasser und 30 g Coorabö-
sches Pulver nach jeder Mahlzeit hinzu; ausser bei spezieller Indikation wird
keine andere Behandlung eingeleitet. Nach dem Studium an 12 Kranken, die
auf diese Weise behandelt und von ihren Kopfschmerzen geheilt worden sind,
glaubt Brown, dass diese Methode berufen ist, all unsere Ideen über die
Aetiologie und Therapie der Krankheiten zu reformieren. (Presse mödicale
1920 Nr. 67.) St.
Die diuretische Wirkung des Chlorkaliums und die
Rolle der alkalischen Salze bei der Pathogenese der
Oedeme bespricht Leon Blum (Presse m6dicale 1920 Nr. 70). Ohne
auf die einzelnen Versuche und die daraus resultierenden praktischen Folge¬
rungen für Kochsalz- und doppelkohlensaures Natron in der Ernährung ein¬
zugehen, .seien die Tür die Therapie wichtigsten Schlüsse angeführt. Chlor¬
kalium kann in gewissen Fällen von mit Hydrops verbundener Nephritis ein
vortreffliches Diuretikum sein, das durch seine Wirksamkeit alle anderen
Diuretika übertrifft, in massigen Mengen (1—2g pro Tag) kann es noch die
Wirkung anderer diuretischer Mittel verstärken und bei Stauiingserscheinungen
anderen Ursprungs seine Anwendung finden. In der Dosis von 3—4 g täg¬
lich den Gemüsen beigemischt, kann es ohne Schwierigkeiten genommen
werden. Aber immerhin muss bei der Verabreichung grosse Vorsicht walten,
da es ausser weniger ernsten Zufällen, wie Diarrhöen, Koliken, Kältegefühl,
Schwächezustände bei Herzaffektionen, bei übermässiger Qefässspannung mit
leichter Erregbarkeit des Herzens heftige Anfälle von Atemnot mit Pulsver¬
langsamung, Zyanose u. a. m. hervorrufen kann St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 4. Januar 1921 *).
— Am 17. Dezember v. J. hat in Leipzig eine Sitzung des Geschäfts¬
ausschusses des Deutschen Aerztevereinsbundes stattgefunden, von deren
Ergebnissen folgendes von allgemeinerem Interesse sein dürfte: Die S^m-
lung für eine Arzneimittelprüfungsstelle wurde der Unterstützung durch die
Aerzte warm empfohlen. — Die Mitwirkung des Aerztevereinsbundes beim
Vorstandsrat des Vereins Hygienemuseum Dresden wird zurückgezogen wer¬
den, falls beim Ausbau der geplanten Organisation bei der Bildung von
Ortsgruppen auch Vertreter der Naturheilkunde, wie beabsichtigt, zugelassen
würden. — Der Geschäftsausschuss ist übereinstimmend der Meinung, dass
gegen die Agitation für die Aufhebung bzw. Abänderung der strafgesetzlichen
Bestimmungen über Fruchtabtreibung mit allem Nachdruck vorgegangen wer¬
den müsse. — Zur Prüfung der Frage der Verschmelzung der beiden grossen
ärztlichen Zentralorganisationen wird die Bildung einer gleichzählig aus
Vertretern des Deutschen Aerztevereinsbundes und des Leipziger Verbandes
zusammengesetzten Kommission beschlossen. Bezüglich der Stellungnahme
zum Krankenkassentag vom 2. Dezember 1920 wurde beschlossen von der
Einberufung eines a. o. Aerztetages oder einer Konferenz abzusehen, dagegen
eine Denkschrift zur Widerlegung der auf der Kasser/agung erhobenen Be¬
schuldigungen abzufassen, mit deren Ausarbeitung die Herren D i p p e, Hart¬
mann und M u g d a n beauftrastt werden.
— Die Vereinigung der Nürnberger Schulärzte, wel¬
cher sämtliche in den Nürnberger städtischen und staatlichen Schulen tätigen
Schulärzte angehören, hat sich in eingehender Besprechung mit der
Ferienfrage beschäftigt und folgende Entschliessung gefasst: „Wir
Schulärzte sprechen uns im gesundheitlichen Interesse der
Schuljugend und der Lehrerschaft fflr grundsätzliche Beibehaltung der
bayerischen Ferienordnung aus. Vor allem verlangen wir Sommerferien von
mindestens 6 Wochen Dauer — Mitte Juli bis anfangs September — wie
bisher. Die heissen Sommermonate Juli und August sind für Erteilung und
Aufnahme des Unterrichts die denkbar ungünstigsten, dagegen für Spiel und
Bewegung im Freien, für Landaufenthalt, für Ausflüge, für Wanderungen, für
Baden, kurz für jede Art der Erholung und Kräftigung, wie sie gerade die
Ferien bieten sollen, die geeignetsten; zweifellos von dieser Erwägung aus
wurde auch der Beginn der Hochschulhauptferien, ebenso der grösste Teil
der Gerichtsferien in die heisseste Jahreszeit verlegt. Sollen aber die Ferien
ihren Zweck, der Erholung von Körper und Geist zu dienen, richtig erfüllen,
so müssen sie als vielwöchige Unterrichtspause zwischen zwei grössere Schul¬
abschnitte eingeschaltet werden und ausreichende Gelegenheit bieten zum
Ausruhen von den Mühen und Plagen des abgelaufenen und zur Kräftigung
für die Anforderung des neuen Schuljahres oder Schuljahrteiles; eine solche
längere, zusammenhängende Erholungszeit verspricht den besten Erfolg dann.
*) Eines katholischen Feiertages wegen musste diese Nummer früher
fertiggestellt werden.
Digitized by Goiigle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
32 MÜNCHENER MEDlZlNlSrHE WOCHENSCHRIFT. __ Nr. I.
wenn sie sich, wie es bisher in Bayern der Fall war und wie in der schul¬
hygienischen Literatur von namhaften auch nichtbayerischen Aerzten und
Pädagogen verlangt wird, unmittelbar an das Ende des Schuljahres an-
schliesst. Neben diesen Hauptferien halten wir eine Verlängerung der Weih-
nachts- und Osterferien auf ie drei Wochen für unbedingt nötig; was durch
ihre längere Dauer an Zeit für den eigentlichen Unterricht verloren geht, wird
reichlich ausgeglichen durch eine bessere, regere Aufnahmefähigkeit der durch
einigermassen genügende Ferienerholung erfrischten Schüler. — Aus rein
gesundheitlichen Erwägungen ziehen wir die altbewährte bayerische Ferien¬
ordnung der zurzeit viel empfohlenen preussischen vor, die noch nicht einmal
in allen preussischen Landesteilen einheitlich durchgeführt ist und empfehlen
dringend die grundsätzliche Beibehaltung der bayerischen Einrichtung."
— Die Landesstelle für öffentliche Gesundheits¬
pflege in Dresden feierte am 2. Januar 1921 ihr 50jähriges Bestehen.
Ein Ueberblick über ihre segensreiche Tätigkeit in dieser Zeit aus der Feder
ihres jetzt zurückgetretenen, langjährigen und hochverdienten Leiters, Qeh.-
Rats Renk, erscheint in einer unserer nächsten Nummern.
— In Hamburg haben die Anhänger der Naturheilkunde bei der
Bürgerschaft den Antrag gestellt auf Errichtung eines Lehrstuhls für
Naturheilkunde an der Hamburger Universität.
— Man schreibt uns: Neujahr ist da und damit der Zeitpunkt, an dem
im Frieden so viele der Kranken oder Schonungsbedürftigen sich zu einer
Kurreise rüsteten. Wir wollen hier nicht sprechen von den Kurorten
Deutschlands, die abgesehen von allen anderen Gründen schon aus Valuta¬
rücksichten sicher reich besucht werden. Ob die gewiss zahlreichen für
das Hochgebirge der Schweiz geeigneten Leidenden in grösserem Ausmasse
dorthin sich begeben können, ist bei unserer trostlosen Qeldlage sehr
zweifelhaft. Wesentlich besser sind an und für sich die Geldverhältnisse
Italien gegenüber. Für 100 Lire sind z. Z. rund 250 M. anzulegen; für
100 Schweizer Franken 1120 Mark! Nun handelt es sich aber bei den
Kranken nicht nur um die klimatischen Vorteile, nicht nur um die relative
Erschwinglichkeit des Preises, sondern bei der Fahrt ins Ausland vor allem
um die Sicherheit der gewohnten Behandlung durch einen deutschen Arzt.
Im deutschen Südtirol sind ja noch zahlreiche deutsch-österreichische
Kollegen vorhanden. Stammesüberlegungen fordern dabei gebieterisch von
jedem deutschen Arzte, dass er seinen hartbedrängten Volksgenossen jenseits
des Brenners tunlichst beisteht. Wer also einen für die Orte Brixen, Bozen,
Gries, Meran geeignet erscheinenden Kranken hat, schicke ihn ruhig dahin,
selbstverständlich in ein deutsches Haus und in die Obhut eines deutschen
Kollegen. Viel schwieriger sind die Verhältnisse in den italienischen
Städten, an der Riviera, an den Seen. Soweit der Artikelschreiber unter¬
richtet ist, ist noch keiner der früher dort tätig gewesenen deutschen
Kollegen an die Stätte seiner langjährigen Tätigkeit zurückgekehrt, aus dem
einfachen Grunde, weil ihre Häuser, soweit sie welche hatten, noch unter
Sequester stehen; der Eintritt dorthin ist untersagt. Die Instrumente sind
im Kriege requiriert worden. Ja, stellenweise wurde das Mobiliar schon
liquidiert. Wenn also ein deutscher Kollege glaubt im Januar-Februar
etwa einen Erholungsbedürftigen nach Rom oder Florenz senden zu können,
einen Kranken nach'der östlichen oder westlichen Riviera oder zum Gardasee,
so muss er nach dem heutigen Stande der Dinge damit rechnen, dass der
Kranke deutsche Aerzte dort nicht findet. Damit soll die Tüchtigkeit
der italienischen Kollegen nicht im mindesten angezweifelt werden. Ja, kommt
es zur staatlichen Aussprache über diese Frage, so wäre es höchste Zeit,
dass von deutsche«’ Seite die alte mit Recht als verletzend empfundene
Einseitigkeit in dvr Zulassung der Aerzte aufgegeben, und so wie z. B.
englische '-'er^^e auf Grund der Gegenseitigkeit ungestört und ohne weiteres
Examen in Italien tätig sein dürfen, auch von Deutschland der Grundsatz
der Gegenswritigkeit anerkannt wird. Die ärztliche Beratung ist aber Ver¬
trauenssache. Und wer will einen Vorwurf daraus machen, wenn der
deutsche Italienreisende sich lieber von einem Arzte seiner Sprache, seiner
Sitte, seines ganzen Gedankenganges und jetzt auch Mitgenosse seines
Leides behandeln lässt? Wenn die italienische Regierung Wert darauf legt
— die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kurorte scheinen doch starke Mah¬
nungen in dieser Richtung zu geben —, dass bald wieder das alte Ver¬
trauensverhältnis zwischen deutscher Aerzteschaft und italienischen Kurorten
hergestellt wird, so wird sie den ersten Schritt dadurch zu machen haben,
dass die der Wiederkehr der erfahrenen deutschen Aerzte noch entgegen¬
stehenden, oben näher ausgefUhrten Hemmungen baldigst aus dem Wege
geräumt werden.
— Der Jahresbericht der Rockefeller-Stiftung stellt
fest, dass es gelungen sei, in Guayaquil das gelbe Fieber vollständig
auszurotten. Guayaquil ist der Haupthandelsplatz von Ecuador und galt lange
Jahre als der Ausgangspunkt der Gelbfieberepidemien. Im Jahre 1918 be¬
gannen die Fachmänner der Rockefeller-Stiftung ihren Kampf gegen die
Stegomyiamosquitos und schon in den letzten 7 Monaten des Jahres 1919
traten keine neuen Krankheitsfälle mehr auf und auch im Jahre 1920 haben
sich keine neuen Fälle gezeigt. Mit ähnlichem Erfolge haben die Expeditionen
der Rockefeller-Stiftung das gelbe Fieber in Mexiko, Honduras, Salvador,
Nikaragua, auch in Brasilien und Peru bekämpft, und ferner ist auch zur
Ausrottung des gelben Fiebers in Westafrika eine Expedition bei der Arbeit.
— Der Geburtenkrisis im belgischen Kongo wird nach
einer den Archives m^dicales beiges (März 1920) entnommenen Zusammen¬
stellung eine bemerkenswerte Arbeit (Presse mddicale 1920, Nr. 83) gewidmet.
Demnach herrschen Prostitution und hochgradige Immoralität in allen
grösseren Orten, wenige Frauen nur ergäben sich nicht derselben und seien
frei von Geschlechtskrankheiten, die unweigerlich zu Sterilität führen.
Ausserdem soll im ganzen Kongobecken der Glaube beim Volke herrschen,
dass eine Frau erst wieder Mutter werden kann, wenn das vorhergehende
Kind vollständig entwöhnt ist, was selten vor einem Alter von 2^ Jahren der
Fall ist. Damit eine Ehe in den Augen der Eingeborenen geheiligt sei und
Aussicht habe, zur Gründung einer Familie zu führen, sind eine Summe wohl
festgesetzter Bedingungen notwendig: wenn die Verlobten von demselben
Stamme sind, einander gefallen, die Familien ihre Zustimmung gegeben, der
Bräutigam mit der Höhe der Mitgift einverstanden ist usw. Wenn aber die
eine oder andere dieser Bedingungen fehlen, dann weigert sich fast regel¬
mässig die Frau, Kinder zu haben, und, wenn sie schwanger ist, lässt sie den
Abortus einleiten. Trotz der Vielweiberei, die dort noch herrscht, ist die
Kinderzahl eine lächerlich geringe und erstere wird noch begünstigt durch
Verlag von |. F. l.ehmann m München S w. ncys. >>i ■
Digitized by Goiisle
das zahlenmässig hochgradige Ueberwiegen des weiblichen Oeschlechtes. Die
zunehmenden Erkrankungen an Syphilis und Gonorrhöe, ebenso wie gewisse
tropische Krankheiten, als Schlafkrankheit, Lepra und Pian, und die in den
Hauptzentren herrschende Unsittlichkeit bilden eine Kette von Ursachen für
die erstaunlich geringe Geburtenzahl. St.
— Nach Ansicht der „Lancct" ging bei der Einführung der K a p f -
gase durch die Deutschen ein „Sturm des Entsetzens** durch die ^elt,
der denn auch wesentlich zur schliesslichen Niederlage beigetragen habe.
Jetzt muss die „Lancet" mit einiger Verlegenheit belichten, dass das englische
Kriegsministerium einen Ausschuss begründet habe, der „im grössten Umfange
die Weiterentwicklung der Anwendung von Kampfgasen zu offensiven und
defensiven Zwecken" betreiben soll, und dass an der Universität von
Birmingham eine besondere Abteilung eingerichtet werden wird zur Aus¬
bildung des ärztlichen Personals von Heer und Flotte in der bei Anwendung
der Kampfgase in Betracht kommenden Technik. Die „Lancet* ist konsequent
genug, um die englischen Aerzte zu warnen vor einer bedingungslosen Unter¬
stützung dieser Bestrebungen; insbesondere dürfe die weitere Ausbildung
der Kampfgase zu offensiven Zwecken keine ärztliche Mitarbeit finden. Es
bleibt abzuwarten, wieviel mit dieser gut gemeinten Warnung erreicht wird;
wer die Geschichte der englischen Kriegführung und ihre Methoden kennt,
wird wenig Hoffnung auf einen praktischen Erfolg haben.
— Das Deutsche Zentral-Komitee zur Bekämpfung
der Tuberkulose veranstaltet zur Feier seines 25jährigen Bestehens
im Jahre 1921 in der Pfingstwoche einen Deutschen Tuberkulose-
Kongress, dessen Dauer auf 3 Tage bemessen ist. Zuschriften und
Anfragen sind an die Geschäftsstelle, Berlin W. 9, Königin-Augustastrasse 7
zu richten.
— In der letzten Sitzung der Münchener ärztlichen Röntgen¬
vereinigung hat deren Vorsitzender Prof. Dr. Rieder aus Anlass der
vor 25 Jahren erfolgten Entdeckung der Röntgenstrahlen einen Vortrag über
die grosse Bedeutung und Entwicklung derselben gehalten. (Der Vortrag wird
in d. W. erscheinen.) Bei diesem Anlass wurde einstimmig beschlossen,
Exzellenz Prof. Dr. Wilhelm Conrad v. Röntgen zu bitten, die Ehren¬
mitgliedschaft des Vereins anzunehmen.
— Der Geschäftsführer des Pensionsvereins für Witwen
und Waisen bayerischer Aerzte, Herr Med.-Rat v. D a 11’ A r m i,
ersucht die Herren Mitglieder, die Beiträge nicht an ihn, sondern auf Post¬
scheckkonto 9024 München mit Zahlkarte (auf jeder Post erhältlich) oder
Postüberweisungsscheck bis 15. III. voll einzubezahlen. Posteinlieferungs¬
schein gilt als Quittung. Andernfalls ist volles Porto einzubezahlen. Durch
Festsetzung des Verwaltungsbeitrages auf 4 M. erhöht sich die bisherige
Beitragsleistung um 2 M. Mitglieder des Sterbekassevereines wollen den
Beitrag für diesen Verein getrennt (10 M.) auf Konto 9025 einbezahlen.
Hochschul nachrichten.
Berlin. Der Professor für Geschichte der Medizin an der Berliner
Universität, Dr. H ü b o 11 e r, hat seine Vorlesungen für das laufende Winter¬
semester eingestellt, um eine Studienreise nach Japan zu unternehmen, wo
er auf Einladung von japanischen Aerzten, die in Deutschland studiert haben,
auch wissenschaftliche Vorträge halten wird. — Der a. o. Professor und
Direktor des pharmazeutischen Instituts an der Berliner Universität. Geh.
Reg.-Rat Dr. Hermann T h o m s, ist zum ordentlichen Professor ernannt
worden, (hk.)
Bonn. Die Leitung der inneren Abteilung des hiesigen Krankenhauses
der Barmherzigen Brüder, die Geh.-Rat Prof. Rumpf jahrelang innegehabt
hat, wird zum 1. Januar 1920 sein Nachfolger Prof. Dr. Finkelnburg
übernehmen. Der Priv.-Doz. Dr. Hübner erhielt einen Lehrauftrag für
forensische Psychiatrie und Kriminalanthropologie; Prof. Dr. Stursberg
für physikalische Therapie und Dr. Schmiz für Geschichte der Medizin.
Heidelberg. Zu ordentlichen Mitgliedern der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften wurden die Heidelberger Universitätsprofessoren, Geh.
Hofrat Dr. Rudolf G o 111 i e b, Direktor des pharmakologischen Instituts.
Geh. Hofrat Dr. Paul Ernst. Direktor des pathologisch-anatomischen In¬
stituts und Dr. Hermann Braus. Direktor des anätomischen Instituts
ernannt, (hk.)
Leipzig. Die Privatdozenten Dr. H i n t z e (Hygiene) und Dr. S o n n-
t a g (Chirurgie) wurden zu ausserplanmässigen ausserordentlichen Professoren
ernannt.
Tübingen. Prof. Dr. S t o c k,' Direktor der Universitätsaugenklinik
in Jena erhielt einen Ruf als Nachfolger von Prof. Dr. v. Schleich.
Die a. o. Professoren Dr. L i n s e r. Vorstand der Hautklinik, Dr. A1 b r e c h t,
Vorstand der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten und Dr. B i r k,
Vorstand der Kinderklinik wurden zu ordentlichen Professoren ernannt.
Wien. Der Bundespräsident hat den mit dem Titel eines a. o. Uni¬
versitätsprofessors bekleideten Privatdozenten Dr. Heinrich P e h a m zum
ordentl. Professor der Geburtshilfe und Gynäkologie und zum Vorstände
„der einen Frauenklinik** (welcher?, beide Frauenkliniken waren vakant)
an der Universität in Wien emannnt.
Todesfall.
In Berlin starb der viel gesuchte und auch wissenschaftlich bekannte
Frauenarzt Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Leopold Landau.
Bekanntmachung.
Mitteilung.
Der verstorbene Herr Dr. Hugo Hecht hat seine ärztliche Einrichtung
und sein Instrumentarium, das vor allem Instrumente für Kehlkopf-, Nasen-,
Ohrenbehandlung enthält, dem ärztlichen Bezirksverein vermacht mit der Be¬
stimmung, es an einen oder mehrere junge unbemittelte Fachkollegen (Nasen-,
Ohien-, Kehlkopf Spezialisten) zu vergeben.
Herren, welche sich um den Nachlass bewerben wollen, werden ersucht,
eine Eingabe an die Vorstandschaft des ärztlichen Bezirksvereins, Petten-
koferstr. 8/o, zu richten. Notwendig ist ein Nachweis über die Vermögens¬
verhältnisse, Nachweis spezialärztlicher Ausbildung und kurzer Lebenslauf,
der Zeit und Ort der Geburt, Ausbildungsgang enthält.
Die Bewerbungen sind bis 20. Januar 1921 einzureichen.
Vorstand Schaft des ärztlichen Bezirksvereins München.
I. A.: Dr. K e r s c h e n s t e i n e r.
Druck von F. Mühithalcr’s Buch- und Kunstdnickerei A.O.. München.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Preis der rinxelnen Nummer 2.—Jt. • Bezugspreis in Deutschland
. • • 1 nd Ausland siehe unten unter Bezugsoedinf^ungen. • • •
Anzelgenachluas Immer 5 Arbeitstage vor rrscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitung: Arnulfstr. 26 (Sprechstunden -I Uhr)
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 2h
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 2. 14. Januar 1921.
Schriftleftung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Veriag bchilt sich das ausschUcasUche Recht der VervielfUtignng «nd Verbreitung der In dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrige vor.
Originalien.
Die pathologische Anatomie der Malaria*).
Von Hermann Dürck-München.
Die pathologische Anatomie der Malaria hat merkwürdigerweise wie
diejenige vieler Tropenkrankheiten in den letzten Jahren und Jahr¬
zehnten einen nur unbedeutenden Ausbau gefunden und unsere Kennt¬
nisse über die Veränderungen, welche die Wechselfieberinfektionen im
Körper hervorzubringen vermögen, sind seit den grundlegenden Unter-
>achungen hauptsächlich italienischer Autoren in den achtziger und neun¬
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht wesentlich erweitert und
vertieft worden. Als ich vor 3 Jahren in einer vorläufigen Mitteilung
aof die schweren, teilweise als spezifisch anzusprechenden Verände¬
rungen hinweisen konnte, die sich bei der komatösen Form der Malaria
tropica im Zentralnervensystem vorfinden, Veränderungen, welche ge¬
eignet sind, unsere Auffassung über die nosologische Stellung der
Malaria wesentlich zu beeinflussen, da begegneten diese Mitteilungen bei
berufenen Beurteilern zunächst einer gewissen berechtigten Zurück¬
haltung. ja sogar Zweifeln, die allerdings weiterhin durch die Feststellung
der Konstanz der beschriebenen Veränderungen an einem grossen Be¬
obachtungsmaterial widerlegt werden konnten. Soweit mir bekannt ge¬
worden, sind inzwischen meine Befunde auch im Hamburger Institut für
Tropenkrankheiten und in einem allerdings vereinzelten in Deutschland
sezierten Fall von Malaria tropica von Weingärtner im Rössle-
schen Institut in Jena bestätigt worden. Ich selbst konnte im Jahre 1917
als bulgarischer Heerespathologe die früher erhobenen Befunde an einem
grossen Material bestätigen und ergänzen, so dass ein Zweifel an ihrer
Richtigkeit und allgemeinen Gültigkeit heute kaum mehr berechtigt sein
dürfte.
Die Malaria hat im Weltkrieg als Kriegsseuche besonders auf den
südöstlichen Kriegsschauplätzen eine ungeheuer wichtige Rolle gespielt
Als echte Saisonkrankheit ist sie besonders in der Form der Malaria
tropica oder perniciosa verheerend aufgetreten und hat zeitenweise
durch ihre ausserordentliche Ausbreitung die militärischen Operationen
bei Freund und Feind vollkommen lahmgelegt
Auf der Balkanhalbinsel hat die tropische Malaria hauptsächlich in
.Mazedonien in den Flusstälern des Wardar und der Struma gehaust und
war ganz besonders in Thrazien auf den ausgedehnten dortigen Ope¬
rationsgebieten vom Oolf von Enos und Saros im Osten bis in das be¬
setzte griechische Gebiet uip Kavalla hinein enorm verbreitet Die
feindlichen Armeen haben, wie wir wissen, in ihren Stellungen um Salo¬
niki und später in Westmazedonien nicht weniger gelitten. Es hat sich
dabei herausgestellt dass die gebirgigen, trockenen, vegetationslosen
und von wilden Schluchten zerrissenen, steilen Fluss- und Bachtäler
Mazedoniens .ganz ebenso von der Seuche heimgesucht wurden als die
weiten, teilweise versumpften und von Brackseen durchsetzten Küsten¬
ebenen Thraziens. Die Untersuchungen D o f I e i n s in Mazedonien haben
uns für das Verständnis dieser Tatsachen den Schlüssel geliefert; es
zeigte sich dabei, dass die Sturzbäche, welche in kurzem, steilem Laufe
durch das zerrissene Kahlgebirge den Flusstälern zustreben, ausgezeich¬
nete Brutstätten für die Anophelinen bieten, dass also hier ganz ähnliche
Verhältnisse gegeben sind, wie bei der Anwesenheit grosser Ansamm¬
lungen von Stagnationsgewässern.
Die von mir autoptisch beobachteten Fälle stammen aus zwei ganz
getrennten Gegenden, nämlich 1. aus dem Wardartal von Uesküb süd¬
lich bis an den Doiransee heran und 2. aus Thrazien und zwar aus den
Küstengegenden von Gümüldzina, Xanthi. Drama, den besonders ver¬
rufenen Küstenstrecken von Porto Lagos (Tepetschiflik) und in der Um¬
gebung von Kavalla.
In den beiden Jahren 1916 und 1917 war ein deutliches Zunehmen
der Malariaerkrankungen etwa um die Mitte des Monats August zu
konstatieren. Um diese Zeit nahm die Erkrankung epidemischen
Charakter an. erreichte ihren Höhepunkt im September, um dann mit
Anfang November wieder abzuflauen und von da ab nur mehr sporadi¬
schen Fällen Platz zu machen. Zeitenweise war eine ausserordentlich
starke Häufung der Erkrankung zu konstatieren, so lagen z, B. im Sep¬
tember 1917 in dem kleinen Städtchen Xanthi in Südthrazien über
1800 Fälle akuter tropischer Malaria in den dortigen Tabakscheunen,
in Baracken und Zelten; vielfach wurden kleinere Formationen, wie
*) Referat, erstattet im Auftrag der Deutschen pathologischen Gesell-
Schaft auf der 86. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Bad
Nauheim am 23. September 1920.
Nr- 2
Fliegertruppen, Eisenbahnschutzkommandos usw.. bis auf den letzten
Mann befallen und buchstäblich aufgerieben.
Klinisch auffallend war dabei das ausserordentlich starke Hervor¬
treten zerebraler Symptome in dem Krankheitsbild. Das ist bekanntlich
nicht immer die Regel bei tropischer Malaria und wurde selbst in ver¬
schiedenen Gegenden während des Krieges nicht gleichmässig beob¬
achtet; so hat L. R. Müller in der Türkei und in Klelnasien nervöse
Formen der tropischen Malaria fast regelmässig vermisst. Dagegen
wurde gerade aus Mazedonien und Thrazien über schwerste zerebrale
Störungen berichtet, vor allem von S e y f a r t h, welcher in 2 V 2 ' Jahren
in Gümüldzina in dem dortigen Seuchenlazarett wohl das grösste
klinische Malariamaterial gesehen hat. Er berichtet, dass die Leute
vielfach sterbend mit der Diagnose „Meningitis", „Urämie", „Hirn-
hämorrhagie" eingeliefert wurden, dass sie oft auf der Strasse oder in
Stellungen plötzlich bewusstlos zusammengebrochen waren. Auch in der
Mehrzahl meiner Fälle sind die schwersten stürmischen Erscheinungen
meist ohne besondere Vorboten eingetreten. Aus scheinbarem, ver¬
hältnismässigem Wohlbefinden traten mit einem Schlage Symptome
rasender Kopfschmerzen, grosser Schläfrigkeit, dann Bewusstlosigkeit
und Koma ein. Dementsprechend sind die klinischen Notizen gewöhn¬
lich sehr spärlich: „Wurde bewusstlos eingeliefert", „ist plötzlich um¬
gefallen". „sterbend eingebracht", diese Angaben wiederholen sich stets
in der gleichen Weise. Oefter handelte es sich um ganz unerklärliche
Todesfälle. Die Leute wurden entweder nach ganz kurzem Aufenthalt
in einer Krankenstätte wegen unbestimmter allgemeiner Symptome oder
selbst in ihren Stellungen, mitten in ihrer Dienstleistung tot aufgefunden.
Vereinzelt finden sich Angaben über vorangegangene klonische Krämpfe
oder allgemeine Konvulsionen, in einigen Fällen charakteristischerweise
auch Bemerkungen über Symptome, welche deutlich an das Bild bei
multipler Sklerose erinnerten.
Ich darf mich hier wohl auf Angaben über die gefundenen Ver¬
änderungen des Zentralnervensystems beschränken, denn die Ver¬
änderungen in den übrigen Organen sind teils allgemein wohl bekannt,
teils uncharakteristisch. Sind keine kompliziei;enden und mit der Malaria¬
infektion nicht in unmittelbarem ursächlicheri Zusaiirfnenhang stehenden
Organerkrankungen wie z. B. entzündliche Veränderungen iiivlen Lungen
vorhanden, so finden sich die eigentlich charakteristisch'eii: und tödlichen
Veränderungen bei akuter Malaria immer im Gehirn, ’iii'er akute
Malariatod ist immer ein „Gehirntod". d. h. durch schwere
Schädigung lebenswichtiger nervöser Zentren bedingt. Im chronischen
Stadium kann die Malaria als Malariakachexie zum Tode führen. Voraus¬
setzung dafür ist natürlich eine lange Zeit andauernde Einwirkung der
Infektion, welche mit oftmaligen, in Intervallen einsetzenden Schüben
einhergeht. Dieses Malariasiechtum kann in jahrelangem Verlauf das
tödliche Ende schliesslich herbeiführen, aber dabei zu sehr mannigfaltigen
und in komplizierter Weise ineinandergreifenden Schädigungen zahl¬
reicher Organe bzw. Organsysteme Veranlassung geben, deren Einzel¬
beziehungen zur Malariainfektion nicht immer sofort klar vor Augen zu
liegen brauchen.
Positive anatomische Befunde im Zentralnervensystem bei akuter
Malaria sind an und für sich durchaus nichts Neues. Laveran und
ältere italienische Forscher, Marchiafava und Celli, Bastia¬
ne 11 i, B i g n a m i u. a. haben schon darauf hingewiesen. Marchia-
f a V a hat 1884 zuerst die punktförmige nBlutungen in Gehirn und Retina
gesehen. Bignami hat auf die ausgedehnte Endothelerkrankung der
Hirngefässe hingewiesen, hat deren Verfettung richtig erkannt und betont
die grosse Reparationsfähigkeit dieser Gebilde. Später hat man nament¬
lich beim Bau des Panamakanals wiederum Gelegenheit gehabt, sich in
grösserem Massstabe mit der pathologischen Anatomie der tropischep
Malaria zu beschäftigen, und amerikanische Untersucher haben dabei auf
Veränderungen im Gehirn, sowie auf die klinisch manchmal zutage
tretenden Symptome multipler Sklerose im akuten Stadium der Malaria¬
erkrankung aufmerksam gemacht. Im Weltkriege sind besonders die
punktförmigen Hämorrhagien im Gehirn von mehreren Pathologen ge¬
sehen worden, so von Seyfarth, Marchand und Benda.
Feinere histologische Veränderungen im Gehirn bei Malaria per¬
niciosa sind besonders im Jahre 1910 von Cerletti bei römischer
Malaria beschrieben worden. Mit modernen Methoden hat er eine
grössere Anzahl von Malarikergehirnen untersucht. So verdienstlich
seine Arbeiten für unsere Kenntnisse der Histopathologie der Gehirn¬
rinde im allgemeinen sind, so hat er doch merkwürdigerweise keinerlei
spezifischen Veränderungen auffinden können. Er sah die Gefäss-
bündelblldung von Rindenkapillaren, an den Ganglienzellen diffuse Er¬
krankung, Bildung amöboider Gliazellen.
2
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
34
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Es ist bemerkenswert, dass schon frühzeitig von italienischen und
amerikanischen Autoren auf ein Zusammentreffen von multipler Sklerose
mit früherer Malaria hingewiesen wurde und dass Beschreibungen vor¬
liegen, nach denen Malariafälle unter dem Bilde der multiplen Sklerose
bzw. der Pseudosklerose verliefen.
Meine Untersuchungen erstrecken sich auf mehr als 30 Obduktionen
akuter Malariafälle, bei denen eine eingehende mikroskopische Hirnunter¬
suchung unter Berücksichtigung möglichst zahlreicher verschiedener
Regionen ausnahmslos im Gehirn schwere und teilweise als charak¬
teristisch anzusprechende Veränderungen ergeben haben. Gerade diese
der Malariaerkrankung spezifisch zukommenden Erkrankungen der Oe-
hirnsubstanz können nur durch die mikroskopische Untersuchung auf¬
gedeckt werden, sind aber dabei nicht zu übersehen. Unter meinen
Fällen befindet sich ein Fall von Malaria tertiana. Bei diesem hat die
genaue Hirnuntersuchung bemerkenswerterweise ein ganz negatives Re¬
sultat ergeben. Es handelt sich dabei um ein durch schwerste Inanition
sehr stark heruntergekommenes Individuum.
Oer makroskopische Befund am Gehirn und seinen Hüllen ist ge¬
wöhnlich eindeutig und lässt meistens keinen Zweifel an der Diagnose:
Die weichen Häute sind ziemlich trocken, glatt, wenig injiziert In
mehreren Fällen waren schon makroskopisch die Anzeichen deutlicher
Entzündungserscheinungen zu sehen. Es fanden sich gelbgrünliche
Streifen in der Umgebung der pialen Venen über dem Stirnhirn und
über den Schläfenteilen, einmal auch an der Basis eines Hinterhaupts¬
lappens. Es konnte schon nach dem makroskopischen Bild keinem
Zweifel unterliegen, dass wir es hier mit den Frühstadien j^iner akuten
Meningitis eitrigen Charakters zu tun hatten, eine Annahme, die durch
die mikroskopische Untersuchung bestätigt wurde. Schon L a v e r a n
hat seinerzeit die Behauptung aufgestellt dass durch die akute Malaria
eine eitrige Gehirnhautentzündung ausgelöst werden könne, eine Angabe,
welche Zweifeln begegnete, die aber jedenfalls auf Richtigkeit bemht
Es handelt sich dabei aber um Ausnahmefälle; ich habe nur im Anfang
der Sommerepidemie 1916 ein paar Fälle dieser Art gesehen. Das Vor¬
liegen einer Misch- oder Sekundärinfektion konnte durch die Unter¬
suchung ausgeschlossen werden.
Das Gehirn selbst ist in den meisten Fällen gross, schwer und kom¬
pakt. die Windungen sind breit liegen fest aneinander, das ganze Gehirn
zeigt eine gleichmässige leichte Schwellung; dementsprechend sind sie
Kleinhirntonsillen oftmals etwas zapfenartig gegen das grosse Hinter¬
hauptsloch hinabgedrückt ohne dass eine Erweiterung der Hirnkammern
besteht. Die Grosshirnrinde ist oftmals dunkelrauchgrau, die zentralen
Ganglien fast schwarzgrau. Das ist dann natürlich ein sehr charak¬
teristisches und nicht zu verkennendes Bild. Dabei finden sich oftmals
gleichzeitig hellere Flecke in der Rinde und in den zentralen Grau¬
partien. Sie sind von verschiedener Grösse, gewöhnlich bogig begrenzt,
reichen manchmal durch die ganze Dicke des Rindensaumes hindurch.
Aehnliche unregelmässige Fleckenbildungen in der grauen Gehirnsubstanz
kennen wir ja von sehr verschiedenen Erkrankungen her und es können
ihnen verschiedene Ursachen zugrunde liegen. Sie werden aber niemals
so scharf kontrastierend und linear begrenzt gefunden, wie im pigmen¬
tierten Malariagehirn. Die mikroskopische Untersuchung ergibt dass
sie unregelmässigen Verteilungen des Pigments bei frischeren Nach¬
schüben von Schizonten entsprechen.
Die Pigmentierung des Malariagehirns ist aber ebenso wie die Pig¬
mentierung anderer Organe kein absolut konstantes Merkmal und es
wäre ganz falsch, darauf etwa allein die Diagnose begründen zu wollen.
Wir finden bisweilen bei komatösen Malariafällen das Gehirn ganz pig¬
mentfrei und blass. Das kann eintreten, wenn entweder der Kranke
der ersten abundanten Plasmodienüberschwemmung seines Kreislaufes
erliegt oder aber, wenn die Depigmentierung schon erfolgt ist durch
die Abschleppung der Farbstoffkörnchen durch phagozytär wirkende
Zellen.
Die makroskopisch auffallendste und eindruckvollste Erscheinung,
welche aber durchaus nicht regelmässig vorhanden zu sein braucht und
die in sehr verschiedener Ausbreitung und Verteilung angetroffen werden
kann, ist die Anwesenheit der punktförmigen Blutaustritte.
Sie wurden, wie erwähnt, schon von den ersten Beschreibern der patho¬
logischen Anatomie der Malaria gesehen. Es handelt sich dabei um
ganz feine, nadelstich- bis mohnkorngrosse Einsprengungen rötlicher bis
braunrötiicher Pünktchen, welche wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem
Effekt von Flohstichen in der äusseren Haut, der Erkrankung geradezu den
Namen der „Flohstichenzephaiitis“ eingetragen haben. Die Verteilung,
die etwas unscharfe Begrenzung, das Fehlen des Auseinanderfliessens
auf der Schnittfläche und des Hervorquellens eines Bluttropfens schützt
in der Beurteilung hinlänglich vor einer Verwechslung mit den gewöhn¬
lichen Blutpunkten des Gehirns, d. h. den Gefässdurchschnitten bei
starker Blutfüllung. Die Pünktchen lassen sich weder abwischen, noch
abspülen. Ihre Zahl und ihre Verteilung ist eine ausserordentlich
wechselnde. Bisweilen finden sie sich nur ganz vereinzelt und sind erst
bei längerem, besonders darauf gerichtetem Suchen zu entdecken;
in anderen Fällen sind sie dicht eingestreut über allen Schnittflächen
verteilt, ja in extremen Fällen massenhaft, so dass die Gehirnsubstanz
im Durchscnhitt ein dicht gesprenkeltes und fein getüpfeltes Aussehen
erhält und die Fleckchen auf grössere Strecken ineinanderfliessen. Am
häufigsten finden sie sich im Centrum semiovale und subkortikal und
zwar meistens am Grunde der Windungen, von hier aus vereinzelt in die
Markzungen vordringend. Eine unverkennbare Prädilektion für ihr Auf¬
treten besteht im BaUcen und in der inneren Kapsel, wo sie manchmal
dicht gehäuft verkommen, auch wenn sonst nur sparsam solche Fleck¬
chen eingestreut sind. Nur ganz ausnahmsweise erstrecken sie sich itn
Grosshirn auch auf die Rinde; fast immer wird diese vollkommen frei
angetroffen, dagegen pflegen sie im Kleinhirn hauptsächlich im Rinden¬
grau und in der Umgebung des Nucleus dentatus vorzukommen und sie
heben sich hier ganz besonders scharf und deutlich ab. Auch in der
Basis, in der Brücke und im verlängerten Mark sind sie zuweilen an¬
zutreffen, doch nehmen sie auch in den schwersten Fällen kaudalwärts
an Dichtigkeit rasch ab und können nur ausnahmsweise vereinzelt noch
in den oberen Rückenmarkspartien angetroffen werden. Bekanntlich hat
M. B. Schmidt diese punktförmigen Blutaustritte im Gehirn als den
Ausdruck entzündlicher Veränderungen im Gefässbindegewebsapparat
gedeutet und sie als Ringblutungen aufgefasst. Wir wissen, dass diese
„Hirnpurpura“ oder „Encephalitis haemorrhagica“ bei einer ganzen
Reihe von verschiedenen Infektionskrankheiten in gleicher Weise vor¬
kommt. So haben wir sie z. B. bei den grossen Influenzaepidemien in
zahlreichen Fällen gesehen; aber auch bei toxischen Einwirkungen,
z. B. Kampfgasvergiftungen können wir sie in gleicher Weise und in
derselben unregelmässigen Anordnung antreffen. Sie stellen also natür¬
lich durchaus nichts für Malaria Charakteristisches dar. Sie sind aber
insoferne von grosser Wichtigkeit, als man neben ihnen bei mikro¬
skopischer Untersuchung immer die später zu erwähnenden charak¬
teristischen Veränderungen an trifft. Sie sind also ein vorzüglicher Hin¬
weis auf deren Anwesenheit. Das Vorhandensein und die Zahl der
punktförmigen Blutaustritte stellt auch durchaus keinen Massstab für die
absolute Schwere der Malariainfektion im Gehirn dar, denn zuweilen
kann die mikroskopische Untersuchung auch bei ihrem gänzlichen Fehlen
ausserordentlich ausgebreitete und schw-ere spezifische Malariaverände¬
rungen aufdecken.
Manchmal finden sich auch grössere Blutaustritte im Gehirn des Malari¬
kers sowie Reste von solchen in Form von pigmentierten Rindenherden und
kleineren und grösseren, pigmenthaltigen Narben, die ebenfalls vorzugs¬
weise im Gegensatz zu den punktförmigen Blutaustritten über die Rinde
verteilt sind. Auch in den zentralen Ganglien können solche umschrie¬
bene, ältere oder frischere Blutungsherde angetroffen werden. Die
Adergeflechte sind zuweilen dicht von Blutungen durchsetzt. Es wurde
in neuerer Zeit wiederholt darauf hingewiesen, dass infolge der Chinin¬
medikation bei empfindlichen Individuen solche Blutungen im Gehirn
wie auch in anderen Organen eintreten können. In einem Fall habe ich
bei einem mit grossen Chininmengen behandelten Kranken eine grosse,
in die Himkammern durchgebrochene, tödliche Hirnblutung der Basis
gesehen.
Aber auch ohne Blutergüsse können sich im Malariagehirn die
Folgezustände von schweren Zirkulationsstörungen bemerklich machen
und zwar in Form von umschriebenen Erweichungsherden meist sehr
beschränkten Umfanges, welche aber unter Umständen durch ihren Sitz
das tödliche Ende herbeiführen können. So sah ich einmal inmitten der
Hirnbrücke einen kleinen, rautenförmigen, auf dem Durchschnitt etwas
einsinkenden, grauroten Herd als einzige Veränderung, der sich, wie die
mikroskopische Untersuchung ergab, etwas in die Brückenarme hinein
erstreckte. Wir werden auf die Entstehung und Bedeutung dieser Form
von Erweichungsherden bei Malaria noch zurückzukommen haben.
Weit vielgestaltiger, umfänglicher und weit mehr charakteristisch
sind die mikroskopischen Veränderungen, welche im Gehirn des Malari¬
kers nachweisbar und unzweifelhaft durch die Wirkungen der Malaria¬
infektion allein ausgelöst sind. Sie stellen sich qualitativ und- quanti¬
tativ wie auch graduell sehr verschieden dar. In keinem einzigen Fall
tödlicher Malariainfektion wurden Strukturveränderungen des Zentral¬
nervensystems ganz vermisst, wohl aber lässt sich eine reiche Skala
bis zu den schwersten und augedehntesten Erscheinungen feststellen.
Im allgemeinen lassen sich zwei Hauptgruppen von Veränderungen
nach allgemein pathologischen Gesichtspunkten unterscheiden:
1. solche, die im wesentlichen sich aus einer mechanischen Wir¬
kung der Erkrankungen des Gefässapparates und besonders der teil¬
weisen oder völligen Gefässverlegung erklären. Hierher gehören,
wenigstens zum Teü. die Blutungs- und Erweichungsherde. Die Wirk¬
samkeit der mechanischen Folgen der Anwesenheit und Vermehrung der
Malariaparasiten im Qefässapparat ist früher zweifellos sehr stark über¬
schätzt worden. Wir finden in älteren Beschreibungen und Befund¬
berichten über Malariagehirne immer wieder die Angabe: ,X>ie Prä¬
parate erscheinen wie mit Parasiten injiziert.“ Die aufdringliche Deut¬
lichkeit, mit welcher sich die eingelagerten Pigmentmassen dem Be¬
schauer präsentieren, mag diese stets wiederkehrenden Angaben er¬
klären. Auch die ausgebreitete Endothelerkrankung kann sehr auf¬
fallend und eindrucksvoll sein, aber diese Dinge sind nicht das Wesent¬
liche. Weit wichtiger für das Wesen der Malariaerkrankung, bedeutungs¬
voller und für das Verständnis ihrer Wirkungen grundlegend sind
2. die Vorgänge entzündlicher Natur welche, ausgelöst durch spe¬
zifisch gewebsschädigende Eigenschaften der Malariaerreger, in allen
Gewebskomponenten des Zentralnervensystems gesetzmässig ablaufende
Reaktionen aufweisen. Wie immer im nervösen Gewebe, sehen wir
dabei ein inniges Ineinandergreifen und Ineinanderübergehen von regres¬
siven Prozessen und eigentlich entzündlichen Phänomenen, so dass diese
auf gewissen Stadien schwierig voneinander zu scheiden sind und dass
es im einzelnen Fall geradezu unmöglich erscheinen kann, zu entscheiden,
ob wir einen bestimmten Vorgang, das Auftreten und die Wirksamkeit
einer bestimmten Zellart als entzündlichen Prozess auffassen oder den
degenerativen Phasen zuzählen wollen.
Dabei handelt es sich bei einem Teil der hier aufzuzählenden Er¬
scheinungen durchaus nicht um etwas für Malaria Eigentümliches oder
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
35
^ar für diese allein Charakteristisches. Wir treffen z. T. wohlbekannte
\ orjcänge, die uns von anderen Infektions- oder sonstigen krankhaften Zu¬
ständen des Zentralnervensystems geläufig sind. z. T. aber gehören in diese
Oruppe gewebliche Reaktionen von ganz spezifischer Erscheinungsform
von einem besonderen Typus; sie stellen die charakteristischen Merk¬
male der Malariaerkrankung des Zentralnervensystems dar und bieten
durch ihre stets gleichartige Wiederkehr eine absolut zuverlässige
Handhabe für die Erkennung der Erkrankung auch in solchen Fällen, in
denen es nicht mehr gelingt, die ursächlichen Erreger in einwandfreier
Form nachzuweisen.
Zweckmässigerweise können wir in der allgemein üblichen Art die
Gew'ebsalterationen scheiden in solche, die am mesodermalen Anteil,
d. h- am Qefässbindegewebsapparat und solche, die am ektodermalen
Teil, also an der eigentlich nervösen Substanz sich abspielen.
Betrachten wir zunächst die Ersteren, so kommen dabei zunächst
die Hirnhäute in Betracht. Wie schon die makroskopische Untersuchung
ergibt, finden sich in ihnen in manchen Fällen auffallend dichte Infiltrate
mit hämatogenen Zellen, und zwar fast ausschliesslich von lymphozytärem
Typus, während die polymorphkernigen Leukozyten sehr zurücktreten
oder vollständig fehlen. Diese Infiltrationen können stellenweise den
Charakter einer echten „eitrigen“ Meningitis annehmen. Sie findet be¬
züglich ihrer histologischen Zusammensetzung ihr Analogon in jenen
Fällen gewöhnlicher eitriger Meningitis, bei welchen in protrahiertem
Verlauf die Leukozyten geschwunden sind und einer überwiegenden In¬
filtration mit Lymphozyten Platz gemacht haben. Bekanntlich sehen
wir diesen Typus auch im Gefolge der tuberkulösen und syphilitischen
Leptomeningitis neben den dabei vorkommenden spezifischen Granu¬
lomen in diffuser Ausbreitung. Wie erwähnt, ist diese lymphozytäre
eitrige Malariameningitis immerhin eine inkonstante und seltene Begleit¬
erscheinung, die wohl nur ausnahmsweise und unter besonderen Voraus¬
setzungen zustande kommt. Es erscheint aber wichtig, festzustellen,
dass die Malariainfektion für sich allein das Auftreten einer eitrigen
Leptomeningitis veranlassen kann, dass also das Malariaplasmodium
den Meningitiserregern in weiterem Sinne beizuzähien ist
Auch an den Pialtrichtern, d. h. den die senkrecht auf die Gehirn¬
oberfläche einstrahlenden Gefässe umgebenden Bindegewebsscheiden,
sind in solchen Fällen wie bei der gewöhnlichen Meningitis die gleichen
Infiltrationsherde nachweisbar.
Eine Reihe von äusserst prägnanten und hervorstechenden Erschei¬
nungen spielt sich an den Hirngefässen selbst ab. Zunächst ist ihre
Füllung mit Malariaplasmodien eine längst bekannte, schon frühzeitig
festgestellte und diagnostisch ausserordentlich wichtige Erscheinung.
Bekanntlich vermag schon ein einfaches Quetschpräparat aus einem
Stückchen Hirnrinde durch die Anwesenheit der Parasiten in den Ka¬
pillaren sofort einen orientierenden Aufschluss zu geben und eine allen¬
falls zw^eifelhafte Diagnose ohne weiteres zu sichern. Natürlich hängt
die Phase der Entwicklung, in welcher wir die Plasmodien innerhalb
der Hirngefässe an treffen, in erster Linie ab von dem Krankheitsmoment,
in welchem der Patient erlag, daneben auch offenbar von einer Reihe
von Zufälligkeiten, wie von dem Erhaltungszustand der Leiche, von ihrer
Lagerung, von der Konservierung der entnommenen Stückchen usw.
ln seltenen Fällen finden wir die Gefässe überladen von roten Blut¬
körperchen mit ganz frischen, noch unpigmentierten Schizonten. In
solchen Fällen ist natürlich mit freiem Auge trotz massenhafter An¬
wesenheit der Parasiten von Pigment nichts zu sehen. Weit häufiger
jedoch sind pigmentierte Formen und daneben sind Pigmentzerfalls-
produkte der Parasiten und der von ihnen befallenen Erythrozyten eine
sehr gewöhnliche Erscheinung. Es scheint sehr wohl möglich, dass
namentlich unter dem Einfluss von hohen Aussentemperaturen. welche
in Malariagegenden und zu Malariazeiten zu herrschen pflegen, auch
nach dem Tod des Parasitenträgers der Entwicklungszyklus noch nicht
vollkommen abgeschlossen ist, sondern selbst im stagnierenden Blut
noch gewisse Formenkreise zu durchlaufen vermag. Die Pigmentreste
stellen sich gewöhnlich als zylindrische und würstchenförmige Anhäufungen
der kleinen staubförmigen Farbstoffpartikelchen dar, sie können aber
auch zu grösseren kantigen Blöcken zusammenfliessen und können damit
in engen Gefässlumina zu deren Verstopfung und damit zu weiteren
Folgeerscheinungen führen.
Gleichzeitig mit der Pigmentierung durch die zerfallenden Plas¬
modien und Erythrozyten geht eine oftmals ausserordentlich ausge¬
breitete und schwere Erkrankung derjenigen Gefässzellen einher, welche
zunächst und am unmittelbarsten von der Giftwirkung der Plasmodien
getroffen werden müssen, nämlich der Endothelien. Ganz gewöhnlich
lässt diese Endothelerkrankung insoferne gewisse graduelle und quanti¬
tative Unterschiede erkennen, als die kleinen Venen am schwersten be¬
troffen erscheinen. Das erklärt sich offenbar daraus, dass in diesen Ge-
fässen, welche unmittelbar hinter dem Kapillarnetz eingeschaltet sind,
die stärkste Stromverlangsamung und damit notwendigerweise die
längste und intensivste Einwirkung der toxischen Substanz eintreten
muss- Die Endothelien wirken offenbar gegenüber den Pigmentplasmo¬
dienrückständen als Zytophagen, sie können grössere Mengen körnigen
Pigmentes in sich aufnehmen, aber sie erleiden dabei selbst Degenera¬
tionsvorgänge. Auf gewissen Sjadien sind mit den üblichen Färbungs¬
methoden massenhaft grössere und kleinere Fettkügelchen in ihrem
Protoplasma nachweisbar; sie schwellen an und lösen sich von der
Wand los, gleichzeitig entfalten sie eine amöboide Tätigkeit. Ob dabei
eine Vermehrung dieser Zellen vor sich geht, erscheint zweifelhaft Kern-
teflungsfiguren habe ich niemals in ihnen nachweisen können. Aber die
50 mobil gewordenen Endothelien werden vom Blutstrom losgeschwemmt
und stellenweise zu grösseren Haufen zusammengetragen, in denen sich
dann die regressiven Veränderungen ganz besonders deutlich bemerkbar
machen. Sekundär sehen wir in diesen Endothelhaufen hämatogene Zellen
sich einlagern, darunter namentlich Leukozyten, welche offenbar das aus
den zerfallenden Endothelzellen wieder freiwerdende Pigment über¬
nehmen und seinen Abtransport besorgen können.
Durch die Anwesenheit der endoglobulären Parasiten, der Pigment¬
massen und der losgestossenen Endothelien können also wirkliche I hrom-
bosierungen entstehen. Zunächst aber kann sich die gefässschädigende
Wirkung dieser verschiedenen Vorgänge in einer krankhaften Durch¬
lässigkeit der Gefässwandung äussern. Es kommen multiple Blutungen
vom Charakter der Diapedesisblutungen zustande, zumal dann wenn die
Gefässinnenwand ihres Endothelbelages teilweise beraubt ist oder wenn
die Blutkörperchen zwischen den vorgängig in ihrem Protoplasma ge¬
schädigten Endothelzellen hindurchgedrängt werden. Die Blutungen
präsentieren sich als charakteristische perivaskuläre Ringblutungen und
entsprechen den makroskopisch wahrnehmbaren punktförmigen Blutaus¬
tritten, der Hirnpurpura. Ihre Ausdehnung ist meistens nur eine sehr
wenig umfängliche, weil ein weiterer Eintritt von Blut in die umgebende
Gehirnsubstanz offenbar sehr bald durch zelluläre Reaktionserschei¬
nungen von seiten des Gliagewebes eingedämmt wird. Natürlich aber
kann es dabei terminal zu einer förmlichen Ausschüttung von Plasmodien
aus den geschädigten Gefässen in das Gehirn hinein kommen. Dies ist
der einzige Fall, in welchem wir den Malariaparasiten, der sonst ein
strenger Blutzellparasit ist, extravaskulär antreffen können. Sein Dasein
ist aber dann offenbar nur ein sehr beschränktes. Bald tritt in den so
in das Gewebe hinein ausgeschütteten Plasmodien Zerfall und Ab¬
schleppung durch Zytophagen ein.
In manchen Fällen können die entstehenden Thrombosierungen offen¬
bar zu lokal eng begrenzten Infarktwirkungen führen. Es entstehen dann
jene umschriebenen Blutungsherde, die wir nicht selten als Begleiterschei¬
nungen namentlich über die Rinde verstreut antreffen und die zuweilen
auch als ältere, mit Blutpigment durchsetzte gliotische Narben mit
charakteristischen Ganglienzellenverkalkungen an ihren Rändern un¬
trügliche Anzeichen früher vorausgegangener derartiger Gefässver-
legungen bei früheren Plasmodienüberschüttungen des Kreislaufes dar¬
stellen.
Endlich ist hier noch eine Veränderung am Gefässapparat zu er¬
wähnen, die gelegentlich besonders an kleinen Arterien wie auch in Ka¬
pillargebieten der Stammgan^lien bei nicht ganz rasch zum Tode führen¬
den Malariainfektionen angetroffen wird; es sind das die Gefässver-
kalkungen. Sie stellen sich entweder in Form feiner, dichter Bestäubung
oder als zusammenhängende Kalkleisten dar, welche in präkapillären
Arterien besonders die Media befallen und die ganze Zirkumferenz des
Gefässes einnehmen können. In letzter Zeit ist besonders von Wein¬
gartner nach einer einschlägigen Beobachtung von R ö s s 1 e auf
diese Gefässverkalkungen besonderer Wert gelegt worden. Sie stellen
jedoch durchaus nichts für Malaria, irgendwie Charakteristisches dar,
sie kommen vielmehr auch bei anderen akuten Infektionskrankheiten jm
Gehirn bekanntlich oftmals zur Beobachtung, ln einer grösseren Serie
von Fällen von sog. Encephalitis lethargica und choreatica konnte ich
sie in nahezu 50 Proz., manchmal in auffallend grosser Ausbreitung nach¬
weisen.
Nicht minder umfänglich, aber von weit höherer diagnostischer Be¬
deutung sind die Veränderungen, welche sich am ektodermalen Anteil
der nervösen Zentralorgane abspielen. Auch hier haben wir wiederum
zu unterscheiden zwischen solchen, die als allgemeine Infektions¬
wirkungen in verschiedenen Graden ihrer Ausbildung bei allen möglichen
akuten oder chronischen Infektionskrankheiten Vorkommen können,
denen also keine diagnostische oder pathognomonische Bedeutung für
das Bestehen der Malariaerkrankung zukommt und solchen, die aus¬
schliesslich durch die Wirkung der Malariaparasiten hervorgebracht
werden können, denen sich naturgemäss unser Hauptinteresse zu¬
wenden wird.
Eine fast niemals zu vermissende Erscheinung stellt die perivasku¬
läre Gliazellwucherung dar. Sie ist ganz unspezifisch und wird fast bei
allen entzündlichen und degenerativen Vorgängen des Zentralnerven¬
systems, bei der progressiven Paralyse, bei arteriosklerotischen und
endarteriitischen Schwundprozessen, bei Tuberkulose und Syphilis im
Gehirn manchmal in weiter und diffuser Verbreitung angetroffen. Wir
sehen dabei zunächst an der giiösen Grenzlamelle eine reihenförmige,
oft perlschnurartige Anhäufung kleiner runder gliöser Zellen auftreten.
Diese Elemente stellen offenbar eine Art von Schutzwall gegen den
Einbruch von Schädlichkeiten aus dem Gefässinnern, also aus der Blut¬
bahn in das Gewebe hinein dar. Mit zunehmender Vermehrung dieser
Zellen findet ihr Uebertritt in die Umgebung in regelloseren Häufchen
statt. Gleichzeitig kommt es zu einer Anschwellung dieser Zellen; sie
werden amöboid unter Aufnahme von Abbauprodukten, die infolge der
Qiftwirkung entstehen und wandeln sich allmählich in Gitterzellen um.
So finden wir kontinuierliche Uebergänge dieser perivaskulären Zell¬
reihen bis zu grösseren perivaskulären Körnchenzellansammlungen, die
alle Merkmale wahrer Erweichungsherde tragen und die zu einer Grösse
herangedeihen können, dass sie schon makroskopisch ohne weiteres
sichtbar, wenn auch zunächst schwierig deutbar werden. Wir können
aus der Feststellung dieser fliessenden Uebergänge folgern, dass alle
Körnchenzellen der so entstandenen Erweichungsherde ausschliesslich
gliogener Natur sind, weil eben zwischen den wuchernden perikapillären
Gliazellreihen und den als Erweichungsherde in Erscheinung tretenden
Ansammlungen nur graduelle, nicht aber prinzipielle Unterschiede be-
2 *
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
.^6
MÜNCHEN£J? MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
stehen. Von Wichtigkeit ist vor allem auch die Feststellung, dass diese
Herde ihre Entstehung nicht der Embolisation eines Gefässes. also einer
„Infarktwirkung“ verdanken, sondern nur dem raschen Abbau des durch
die toxische Wirkung der Plasmodien vorgängig geschädigten Gewebes
und der Aufnahme der Abbaustoffe durch die rasch sich vermehrenden
Gliaelemente.
ln engster Beziehung zu dieser Erscheinung verläuft daneben fast
regelmässig eine zweite, bei welcher die Wucherung der Gliazellen sich
in der unmittelbaren Umgebung von Ganglienzellen vollzieht. Es handelt
sich um die sogen. „TrabantzellenWucherung an Ganglienzellen“. Auch
hier haben wir eine bei allen möglichen Veränderungen des Gehirns und in
allen nur erdenklichen Graden und Abstufungen vorkommende Erscheinung
vor uns, deren pathologische Bedeutung vielfach diskutiert und in ihren
leichten Graden durchaus nicht klargestellt ist. Ebenso wie bei der
perivaskulären Gliazellwucherung sehen wir auch bei dieser Form meist
ein unregelmässiges fleckweises Auftreten, wobei sich aber häufig ein
vorzugsweises Befalleiisein der tiefsten Rindenschichten des Grosshirns
erkennen lässt, während die mittleren und höheren Rindenzonen ganz
oder lange Zeit frei bleiben. Auch in den basalen Ganglien ist der
Vorgang bisweilen ungleichmässig fleckweise eingestreut. Es handelt
sich dabei um eine ringförmige Proliferation der die Ganglienzellen nor¬
malerweise begleitenden Gliazellen, die gleichzeitig anschwellen, zu
synzytialen Netzen werden und weiterhin zu einer förmlichen Umklam¬
merung der nervösen Zellen führen. Es kommt dann zu einem engen
Einlegen der vermehrten Begleitzellen in die Nischen der Ganglien¬
zelle zwischen deren Fortsätzen, wobei diese Zelle Strukturverände¬
rungen. Verdichtungen ihres Protoplasmas, Schrumpfungen, Kernver¬
drängungen und schliesslich förmliche Aushöhlungen erleidet; ihre Fort¬
sätze können verloren gehen. Lange Zeit aber kann die so umklam¬
merte und aus ihrem Zusammenhang isolierte Zelle individuell erhalten
bleiben, während in ihren Begleitzellen die Vermehrung oft unter
Bildung zahlreicher Mitosen anhält. Weiterhin sieht man aber ein
aktives und höchst aggressives Vorgehen dieser Zellen gegenüber den
Ganglienzellen. Sie nehmen dabei den Charakter von Zytophagen bzw.
Neuronophagen an. Zuerst nagen sie kleine, lakunenartige Höhlen und
Nischen in die Oberfläche der Nervenzellen hinein, dringen dann in
deren Zelleib ein, höhlen ihn vollkommen aus und bringen ihn zur gänz¬
lichen Auflösung. Auch der immer dichter werdende und mehr ein¬
schrumpfende Kern gerät gänzlich zu Verlust. Schliesslich sieht man
an Stelle einer ehemaligen Ganglienzelle nur mehr Häufchen von so ein¬
gedrungenen Trabantzellen oder Neuronophagen liegen. Aber auch diese
zeigen dann im weiteren Verlauf gewöhnlich regressive Veränderungen,
ihre Kerne verdichten sich, nehmen Maulbeerform an und gehen einer
allmählichen Auflösung entgegen. Ganz besonders deutlich lässt sich
der Vorgang der Neuronophagie bei Malaria gelegentlich an P u r k i n J e-
schen Zellen des Kleinhirns verfolgen. Diese Zellen sind oft ringsum
von Neuronophagen dicht umlagert und gleichsam wie mit Parasiten be¬
setzt, während ihr Zelleib wie angeuagt aussieht und schliesslich gänzlich,
einschliesslich seiner Fortsätze verschwindet. Es ist manchmal nicht
ganz leicht, im histologischen Bild zu unterscheiden, ob es sich nur um
eine Vollständige Umklammerung (Ueberlagerung) von Nervenzellen
durch gewucherte Gliazellen handelt, oder ob die Ganglienzelle durch
eine aktive Fresstätigkeit der Neuronophagen schon ausgeschaltet wurde.
Jedenfalls handelt es sich auch dabei nicht etwa um einen für Malaria
spezifischen Vorgang. Schon Alzheimer hat das Phänomen der
Neuronophagie bei den verschiedenartigsten regressiven und entzündlichen
Prozessen des Zentralnervensystems beschrieben. Sicher ist es, dass
es sich dabei immer um vorgängig veränderte Ganglienzellen handelt,
deren Alteration sich zuweilen schon durch ihr metachromatisches Ver¬
halten durch Vakuolenbildung und die Einlagerung .von lipoiden und
protagonoiden Abbaustoffen erkennen lässt. Diese so veränderten
Zellen üben offenbar eine chemotaktische Wirkung auf Gliazellen aus,
die ihren allmählichen Abbau und ihren Transport nach den meso¬
dermalen Gewebsbestandteilen herbeiführen.
Ebenfalls in einem gewissen Zusammenhang zu den Erscheinungen
der Neuronophagie steht ein weiterer Vorgang, der namentlich im Klein-
hifn und hier wiederum besonders im Molekularsaum von dessen Rinde
zu verfolgen ist und der sich als eine besondere Form der Gliawuche¬
rung hier darstellt. Man sieht nämlich im Kleinhirn zwischen dem Pia-
überzug der Rinde und der Schicht der Purkinje sehen Zellen deut¬
lich aus der Umgebung sich abhebende Gruppen von reich verästigten,
untereinander zu einem protoplasmatischen und synzytialen Netz ver¬
bundenen Gliazellen, welche oftmals in Form von senkrechten oder
schräg verlaufenden, aber geradlinigen Streifen die ganze Dicke des
Molekularsaumes durchsetzen. Das Protoplasma dieser Ganglienzellen
ist vermehrt, ihre Kerne geschwellt, blass, bläschenförmig, ihre reich¬
lichen, sternförmigen Ausläufer gehen unmittelbar aus einer Zelle in die
andere über. Zuweilen sieht man in diesen Wucherungsherden eine
ganz ungeheure Anzahl von mitotischen Kernteilungsfiguren in allen
Phasen der Entwicklung; ja es gibt sogar im ganzen Zentralnerven¬
system wohl kaum einen zweiten Vorgang, bei welchem die Ein¬
streuung von karyokinetischen Figuren eine so reichliche, ja massen¬
hafte wäre. Spielmeyer hat genau den gleichen Vorgang als
„strauchartige, umschriebene Gliaherde“ in der Kleinhirnrinde bei
Fleckfieber und bei Abdominaltyphus beschrieben. Die entsprechenden
Präparate zeigen eine weitgehende Uebereinstimmung mit den Malaria¬
präparaten. Spielmeyer hat auch darauf aufmerksam gemacht, dass
die streifenförmige Anordnung dieser Gliaherde offenbar ihre Entstehung
dem Umstand verdankt, dass sie sich an Stelle eines untergehenden, den
Molekularsaum durchsetzenden Ganglienzellfortsatzes der Purkinje-
schen Zellen ausbildet, eine Anschauung, die durch den Befujod von zahl¬
reichen echten Neuronophagiebildern an diesen Zellen in unseren Fällen
noch weiter gestützt werden kann, ln manchen Fällen erscheint offen¬
bar als weiterer Folgezustand dieser Veränderung die ganze Molekulap-
zone der Kleinhirnrinde in mehr diffuser Weise sklerosiert und von
dichten Gliazellnetzen durchsetzt. Aber auch im Nucleus dentatus,
seltener im Kleinhirnmark, finden sich analoge WucherungsVorgänge.
Die wichtigste und am meisten charakteristische Veränderung des
Malarikergehirnes, welche bestimmend für die Erkenntnis der nosologi¬
schen Stellung der Malariaerkrankung erscheint, ist das Auftreten um¬
schriebener Zellknötchen. Es findet sich am reichlichsten bei gleich¬
zeitig vorhandenen, punktförmigen Hämorrhagien. Die Knötchen stehen
mit diesen auch häufig in genetischen Beziehungen, aber ihre Entwick¬
lung ist durchaus nicht auf diese Blutungsherde beschränkt. Wir treffen
‘also in einem Gehirn mit punktförmigen Blutaustritten immer weit zahl¬
reichere Zellknötchen als diese und in sehr vielen Fällen, in welchen sich
makroskopisch gar keine Blutungsherde auffinden Hessen, werden doch
die Zellknötchen angetroffen. Ich habe sie bis jetzt in meinem gesamten
Material in keinem einzigen Fall vollständig vermisst. Ihre Zahl ist
aber eine ausserordentlich schwankende. In manchen Fällen sind sie nur
versteckt und einzeln, manchmal dagegen massenhaft, dichtstehend, be¬
sonders in gewissen Partien, oftmals durch das ganze Zentralnerven¬
system dicht verstreut, im Grosshirn und zwar in dessen Marklagern
und in der Basis, im Kleinhirn, im Pons und im verlängerten Mark; Ja
selbst die obersten Partien des Rückenmarks können noch vereinzelt
befallen sein; aber im Grosshirn finden sie sich niemals in der Rinde
eingelagert. Das weist natürlich auf eine ganz bestimmte Abhängigkeit
dieser Bildungen vom Gefässapparat hin. Ihren Hauptsitz im Grosshirn
stellen die subkortikalen Markpartien dar und von hier aus erstrecken
sie sich in die Markzungen der Windungen hinein. Ganz besonders dicht
ist wiederum in vielen Fällen der Balken in allen seinen Abschnitten
befallen.
Je nach ihrem Alter stellen sich die Knötchen in verschiedenen
Stadien ihrer Ausbildung dar: Im Anfang handelt es sich nur um un¬
geordnete Häufchen gewucherter Gliazellen um ein mit Plasmodien ge¬
fülltes, gewöhnlich kapilläres Gefäss. Di^se Stadien können also den
oben beschriebenen einfachen perikapillären Gliawucherungen ganz ähn¬
lich sehen. Bald aber zeigen die Zellen die Neigung zu einer deutlichen
Radiärstellung; es entstehen dadurch rosettenähnliche Figuren; die ein¬
zelnen Zellen werden protoplasmareicher, langgestreckt und nehmen eine
unverkennbare stäbchenförmige (iestält an; manchmal finden sich
zwischen ihnen vereinzelte polymorphkernige Leukozyten eingestreut,
doch sind diese nur vorübergehende Erscheinungen; sie verschwinden
bald wieder völlig, nehmen jedenfalls keinerlei Anteil anL Aufbau der
Zellknötchen. Dann wird die Radiärstellung der gliösen Zellen schärfer,
ihre stäbchenförmigen Protoplasmaleiber orientieren sich mit ihrer
Längsachse radiär auf das im Zentrum liegende Gefäss, die Zellen liegen
in „epithelioidem“ Verbände, palissadenförmig nebeneinander, auch ihre
Kerne sind langoval und radiär angeordnet. Es entsteht auf diese Weise
die charakteristische „Gänseblümchenfigur“ des Knötchendurchschnittes.
Häufig sind auf diesem Stadium mitotische Figuren unter den Knötchen¬
zellen erkennbar. Diese werden ausschliesslich von gliösen Elementen
gebildet; weder hämatogene noch mesodermale Gewebsderivate werden
jemals in ihren Verband aufgenommen. In vielen Fällen — aber durchaus
nicht immer — ist in den zentralen Knötchenpartien in unmittelbarer
Umgebung um das dort liegende Blutgefäss eine schmale aber deutliche
Nekrosenzone erkennbar, die auch die Gefäss wand selbst ergreifen kann;
nach aussen von dem Zellkranz gegen das umgebende. Gewebe zu
schliesst sich oftmals eine in ihrer Dicke wechselnde Blutungszone an;
das Knötchen liegt dann inmitten eines sog. punktförmigen Blutaustrittes.
Diese Beziehungen zwischen knötchenförmiger Gliazellproliferation und
Blutungen sind jedoch durchaus nicht regelmässig; die Mehrzahl der
Knötchen lässt keine peripheren Blutungen erkennen, sondern man sieht
an ihrer Aussenschicht einen Uebergang der langgestreckten stäbchen¬
förmigen Gliazellen in ein Flechtwerk feinster Gliafasern, die sich im
umgebenden Gewebe verlieren, ln allen Fällen lassen sich die räum¬
lichen Beziehungen der Knötchen zu einem Gefäss mit parasitenhaltigem
Inhalt deutlich erkennen, entweder in der Weise, dass das Gefäss im
queren Durchschnitt inmitten des Knötchens erscheint, oder dass das
Gefäss in ein solches einmündet, in diesem Falle also gewissermassen
den Stiel des Gänseblümchens darstellt.
Sehr bemerkenswert ist das Verhalten der Knötchen zu den um¬
gebenden Nervenfasern: Im Weigert präparat erscheinen die Mark¬
scheiden innejhalb der Knötchen zum weitaus grössten Teil unterbrochen
und nicht mehr färbbar; die Knötchen präsentieren sich daher bei An¬
wendung der Markscheidenfärbung als helle runde Lücken im Präparat;
am Rande sieht es vielfach so aus, wie wenn die markhaltigen Fasern
hier zur Seite gedrückt würden und um das Knötchen herum verliefen.
• Dagegen ergibt die Bielschowskyfärbung, dass die Achsenzylinder
innerhalb der Knötchen wohl gelichtet aber durchaus nicht in ihrer
Gesamtheit unterbrochen sind; man sieht deutlich einen Teil von ihnen
kontinuierlich durch das Knötchen zwischen dessen Zellen hindurch¬
ziehen; manchmal machen sich auch kleine knöpfchenförmige Anschwel¬
lungen an den Achsenzylinderfäden innerhalb des Knötchens bemerklich.
Kommen solche Knötchen in unmittelbare Nachbarschaft des Ven-
trikelependyms zu liegen, so sieht man an dessen Epithel lebhafte
Wucherungsvorgänge in Form von kryptenartigen Einsenkungen und
adenomartigen Schlauchbildungen eintreten.
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITV OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIPT.
37
Wir haben es also in diesen Gliaknötchen zweifellos mit einer
spezifischen Reaktionserscheinung des nervösen
Gewebes gegenüber der Reizwirkung des intra¬
vaskulären Malariaparasiten zu tun. Es handelt sich um
eine Zellnestbildung, wie wir sie ja auch als gewebliche Reaktion bei
anderen Infektionen, besonders bei Tuberkulose und bei Syphilis kennen.
Wir sind also berechtigt, die Knötchen als granulomähnliche Bildungen
aufzufassen. Nun stellen wir uns unter einem Granulom allerdings im
wesentlichen eine Bildung mesodermaler Herkunft vor; es ist aber frag¬
lich, ob diese Vorstellung für das Gehirn eine richtige ist, denn wir
kennen die Zusammensetzung sehr junger tuberkulöser und syphilitischer
Granulome im Gehirn kaum, weil bei Tuberkulose der Tod dann fast
immer an einer gleichzeitg auftretenden Meningealtuberkulose erfolgt.
Grössere Solitärtuberkel des Gehirns oder Hirngummen aber sind zum
Vergleiche unbrauchbar, weil bei solchen selbstverständlich immer eine
stärkere Mitbeteiligung des Gefässbindegewebsapparates gegeben ist.
Auch der Einwand, dass es sich bei diesen Zellknötchen im Malaria¬
gehirn lediglich um eine gliöse Reaktion auf eine vorgängige Gewebs-
nekrose handele, erscheint mir nicht gerechtfertigt, denn wir treffen in
vielen Fällen Knötchen, in welchen noch keine Spur von Nekrose nach¬
weisbar ist, bei denen aber die rosettenförmige Ausbildung des Granulom¬
herdes doch schon ausgesprochen erscheint. Die oftmals vorhandene
Nekrosezone scheint mir vielmehr darauf hinzuweisen, dass die toxische
Schädlichkeit, welche von den Plasmodien ausgeht, zwar zu einer Ge-
websnekrose in der unmittelbaren Nachbarschaft des Gefässes und in
dessen Wand selbst führen kann, aber weiterhin eben als Reaktion die
nestartige Proliferation des spezifischen nervösen Stützgewebes auslöst.
Das Malariaknötchen ist wie der Tuberkel und
das Syphilom eine reaktive Schutzvorrichtung zur
Demarkation der Giftwirkung im Gewebe.
Merkwürdig bleibt dabei nur, dass bis jetzt in anderen Organen als
im Gehirn analoge Bildungen als Ausdruck einer Gewebsreaktion auf die
deletäre Wirkung der Malariaplasmodien nicht nachgewiesen werden
konnten.
Jedenfalls haben wir es in diesen Granulomen mit bleibenden Bil¬
dungen zu tun, die eines spontanen Rückganges nicht fähig sind, die also
auch nach dem Verschwinden der Parasiten aus dem Blut und nach dem
Aufhören der Fieberanfälle im Gehirn persistieren und als fremdartige
Einlagerungen neuer Bildung besonders durch die partielle Unterbrechung
von Nervenfaserbahnen fortwirken müssen.
Vielleicht haben wir in ihrer Anwesenheit die Ursache für die so
oftmals und von vielen Autoren betonten Erscheinungen von multipler
Sklerose oder Pseudosklerose zu suchen. Ob eine echte multiple
Sklerose aus diesen Herden hervorgehen kann, muss fraglich bleiben.
Von Interesse ist vielleicht noch ein Vergleich mit ähnlichen knöt¬
chenförmigen Bildungen im Zentralnervensystem, die wir bei anderen
akuten Infektionskrankheiten entstehen sehen. Die zuerst von E. F r ä n -
k el bei Fleckfieber im Gehirn erwähnten, später von Prowaczek
und C e e 1 e n und neuerdings genauer von Spielmeyer untersuchten,
scharf umschriebenen Zellknötchen sind noch weit regelloser ein¬
gestreut; sie befallen immer im Grosshirn mit Vorliebe auch die Rinde
und sie bauen sich unter Mitbeteiligung von hämatogenen und meso¬
dermalen Zellen auf. Dagegen dürfte die grösste Aehnlichkeit bestehen
zwischen den Malariaknötchen und jenen knötchenförmigen Zellprolifera¬
tionen, welche im Gefolge der sogen. „Chagas krankheit“ (Schizo-
tiypanum cruzi) im Gehirn auftreten. Auch dabei sind die entstehenden
Zellknötchen rein gliöser Natur, nur ist bei der Encenhalitis malarica die
Ausprägung der Herde eine weit schärfere granulomähnliche durch die
auffallende Radiärstellung der entstehenden epithelioiden Stäbchenzellen.
In jedem Falle dürfte es von Interesse sein, dass bei einer relativ
so häufigen und so oftmals und anscheinend genau studierten Krankheit
wie bei der tropischen Malaria eine so wichtige und für das Verständnis
der Erkrankung richtunggebende Veränderung bisher übersehen werden
konnte. Es ist aber auch von Wichtigkeit, dass bei der tropischen
Malaria im Zentralnervensystem schwere Veränderungen entstehen, die
nicht nur im akuten Stadium tödlich wirken können, sondern die ge¬
eignet sind. Zustandsänderungen zu schaffen, die auch nach dem Ab¬
klingen der akuten Erscheinungen zu dauernden Funktionsstörungen
führen können.
Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Tübingen,
Zur Frage der Lokalisation und Erklärung einiger spe¬
zifischer Nerven- und Muskelgiftwirkungen*).
Von Prof. Dr^ C. Jacobj.
Bei der von O v e r t o n und M e y e r Ü gegebenen Erklärung der
spezifischen Wirkungen der Narkotika der Fettsäurereihe wird die
Upoidlöslichkeit dieser Verbindungen (ihr Teilungskoeffizienj) und zwar
als allein für die spezifische Wirkung in Betracht kommendes Moment
aufgefasst. Man geht bei dieser Theorie offenbar davon aus. dass die
Lipoide als solche auch an dem chemischen Aufbau des funktionellen
Protoplasmas der Nervenzellen derart beteiligt sind, dass durch das
blosse Eindringen lipoidlöslicher Moleküle bereits die Lebenserschei-
nungen des Protoplasmas herabgesetzt werden. Demgegenüber neigte
•1 Vortrag, gehalten im mediz.-naturwissensch. Verein Tübingen am
} Yijj 20. G o 111 i e b - M e y e r: Pharmakologie 1914 S. 102 ff.
man bisher doch wohl im allgemeinen mehr zu der Vorstellung, dass
dieses Protoplasma aus Eiweissmolekülen aufgebaut sei. welche zwar
die am Aufbau der Fette beteiligten Gruppen, nicht aber die typischen
Nervenlipoide bereits als solche enthalten, und dass der Reichtum des
Nervengewebes an Lipoiden vielmehr vor allem darauf beruhe, dass
diese das Material für den Aufbau der das Protoplasma einschliesscnden
und durchsetzenden, zum Teil bloss als Isolierschichten zu betrachtenden
Umhüllungen (Schaumwände) bilden. Bei letzterer Auffassung würde die
Bedeutung der Lipoidlöslichkeit der Narkotika dann aber zunächst vor
allem für die spezifische Lokalisation ihrer Wirkung in Frage kommen,
derart, dass durch sie eine besonders umfängliche Anreicherung der
wirksamen Moleküle in der unmittelbaren Umgebung des funktionellen
Protoplasmas ermöglich wird, ohne dass aber die Löslichkeitsverhält¬
nisse als solche schon in direkter Beziehung zu der Kerabsetzung der
Lebeiiserscheinungen des Protoplasmas, d. h. zu ihrer narkotischen Wir¬
kung stehen’).
Man könnte dann allerdings immer noch annehmen, dass auf
Grund des Lösungsvermögens der im Blut zirkulierenden Narkotika den
Membranen Lipoide entzogen und so ihre Konsistenz und Permeabilität
und damit die osmotischen Vorgänge und mechanischen Verhältnisse so
verändert würden, dass hierdurch die Lebenstätigkeit des Protoplasmas
eine Herabsetzung erfährt. Indessen würde dann doch kaum ein so
schneller Ersatz der entzogenen Lipoide und Wiederherstellung der
Membranen und damit eine so schnelle und vollkommene Rückkehr der
Funktion zu erwarten sein, wie es z. B. bei der Aethernarkose der Fall
ist. Bei blosser mechanischer Veränderung der Wandkonsistenz würde
aber doch erst noch zu erklären sein, wie hierdurch die funktionelle
Herabsetzung des Protoplasmas zustande kommen soll.
Nach der von B ü r k e r seinerzeit aufgestellten, durch seine Unter¬
suchungen gestützten und im medizinischen Verein zu Tübingen 1910®)
vorgetragenen Theorie wird aber der narkotische Effekt auf die Eigen¬
schaft der fraglichen Moleküle, aktivierten Sauerstoff an sich zu reissen,
zurückgeführt. In Verbindung mit der Lipoidlöslichkeit Hesse sich dann
aber der Vorgang der Narkose schon besser und zwar so erklären, dass
die sich innerhalb der Lipoidhülle um das funktionelle Protoplasma an¬
sammelnden Moleküle des Narkotikums, indem sie den an das Proto¬
plasma herantretenden Sauerstoff beschlagnahmen, dasselbe sozusagen
unter Sauerstoffblockade nehmen und durch Sauerstoffverhungerung *)
zwingen, seine Lebenstätigkeit herabzusetzen. Schon als B ü r k e r diese
seine Theorie vprtrug, wies Verfasser *) darauf hin, dass wenn man den
Vorgang in dieser Weise auffasse, doch neben der Sauerstoffverarmung
auch noch das weitere Moment in Betracht zu ziehen sein dürfe, dass
bei der Oxydation der Narkotika, wie dies auch B ü r k e r nachgewiesen
hatte. Verbindungen mit saurem Charakter entstehen.
Da die saure Reaktion auf dissoziierten, positiv -geladenen H-Ionen
beruht, welche unter Entladung der negativ geladenen lebenden Proto¬
plasmakolloide zu einer Herabsetzung des Dispersionszustandes der¬
selben, d. h. zu Kondensierung der Eiweissmoleküle und so zu Ver¬
minderung ihrer chemisch biologischen Reaktionsfähigkeit Veranlassung
geben, so werden sie die spezifischen Lebensfunktionen der Nervenzellen
herabsetzen müssen, mithin den durch Sauerstoffentziehung bedingten
narkotischen Effekt verstärken.
Da durch den Stoffwechsel des Protoplasmas schon bei blosser
mangelhafter Sauerstoffzufuhr ebenfalls solche saure Verbindungen als
unvollkommene intermediäre Oxydationsprodukte entstehen, so wird die
Lebenstätigkeit des Protoplasmas auch durch diese noch gehemmt.
Sobald die Sauerstoffblockade durch Verschw inden der Moleküle des
Narkotikums aus der das Protoplasma einschliesscnden Lipoidmasse auf¬
gehoben wird und die kondensierend wirkenden Verbindungen die Zelle
verlassen, kann sich aber, wie bei einfacher, durch Atmung reinen
Stickstoffes oder Wasserstoffes®) erzeugter Narkose der normale Stoff-
w'echsel und mit ihm die normale Lebenstätigkeit der Nervenzellen
sofort wieder einstellen.
Fasst man den Vorgang der Narkose in dieser Weise auf, so lässt er
sich auf die beiden für den Protoplasmastoffwechsel und damit für alle
Lebenserscheinungen so ausserordentlich wichtigen Momente, nämlich
auf die verminderte Sauerstoffzufuhr und die gleichzeitige Herabsetzung
des für den Ablauf von Lebenserscheinungen so wichtigen Dispersions¬
zustandes der Protoplasmakolloide zurückführen.
Die Beteiligung der Lipoide an der Zusammensetzung der Nerven¬
zellen und grauen Nervenfasern ist schwer übersehbar, da morphologisch
ausgesprochen differenzierte Schichten hier bisher nicht festzustellen
w'aren, sie vielmehr nach HeidenhainD schaumartig verteilt, das
funktionelle Protoplasma der Fibrillen cinschliessen. Dagegen erscheint
es eher möglich, ein Bild über die Verteilung und funktionelle Bedeutung
der verschiedenen Lipoide am Aufbau der markhaltigen Nervenfasern
zu gewinnen. Es darf w'ohl als allgemein angenommen betrachtet
werden, dass es die im Nervenstamm zu etw^a 37 Proz. gefundenen
Eiweisskörper sind, welche den als funktionell lebenden Gewebsbestand-
teil von Nervenzellkörper in die Peripherie verlaufenden Protoplasma¬
fortsatz des einzelnen Neuron bilden. Die verschiedenen, zusammen mit
*) Wie dies auch von verschiedenen Seiten angenommen wird. Cf. z. B.
Abderhalden: Physiol. Chemie 2. 1915. S. 931 ff. u. S. 935 ff.
®) M.m.W. 1910 S. 1443.
®) Verworn: Narkose. O. Fischer 1912.
®) M.m.W. 1910 S. 1476.
®) Diese Wasserstoffnarkose wird in der einleitenden Vorlesung der
Toxikologie vom Verfasser stets vorgeführt.
’) Heidenhain: Plasma und Zelle. 1911 S. 828 ff.
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
38
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRIPT.
Nr. 2.
3 Proz. Neurokeratin ca. 60 Proz. ausmachenden Lipoidsubstanzen
würden dann das Material der diese Protoplasmatäden einhüUenden
Scheiden darstellen.
Von diesen Lipoidsubstanzen dürften die zu 12 Proz. in den Nerven-
stämmen gefundenen Cholesterine (als die chemisch am wenigsten
reaktions- und dissoziationsfähigen Verbindungen, weiche deshalb auch
wohl nur sehr geringe elektrische Leitfähigkeit bieten) zusammen mit
dem Neurokeratin wohl als das geeignetste Material erscheinen für die
Isolierung des in den zusammenliegenden Einzelleitungen der Achsen-
zyiinder ablaufenden elektrischen Vorganges. Die zu 33 Proz. ge¬
fundenen Lezithide und das ihnen nahestehende, zu 11 Proz. vorkom¬
mende Cerebrjn *) würden dann für den Aufbau der letzt vielfach ange¬
nommenen semip.ermeablen elektromotorischen Grenzschicht, welche den
protoplasmatischen Kernleiter umgibt, verbleiben®). In dieser Lezithin
und Cerebrin enthaltenden elektromotorischen Grenzschicht würde dann
die negative elektrische Spannungswelle verlaufend zu denken sein,
welche durch die im Kernleiter bei der Erregung des Nerven sich fort¬
pflanzende positive Spannungswelle erzeugt wird, und mit dieser zu¬
sammen am Ende der Leitung im ■ Erfolgsorgan zur Erzeugung eines
elektrischen Potentials führt. Durch die beim Ausgleich dieses Potentials
hervorgerufenen elektrolytischen Vorgänge wird das Gewebe des Er-
fclgsorgans erregt und dadurch seine spezifische Punktion ausgelöst, und
zwar kommt die Erregung zustande, sei es durch Vermehrung der nega¬
tiven Hydroxylionen, weiche einen Teil des funktionellen Protoplasmas
dekondensieren und damit zu Queliungs- und chemischen Reaktions¬
vorgängen veranlassen, oder durch die, das Protoplasma im entgegen¬
gesetzten Sinne der Kondensations- und Ouellungsverminderung seiner
Kolloidmoleküle beeinflussenden positiven H-lonen oder durch Wirksam¬
werden beider gleichzeitig, wie es im Muskel nach einer früheren Dar¬
legung des Verfassers ‘®) vielleicht in Frage kommt.
Nun nimmt man ja an, dass in einem ruhenden Protoplasma bei
gleichmässiger Verteilung der Ionen ein elektrisches Potential nicht vor¬
handen ist. Sobald aber diese gleichmässige lonenverteilung durch
irgendwelche Einflüsse (Reize) gestört wird, und als solche müssen
wohl auch chemische Vorgänge, wie sie bei den funktionellen Lebens¬
erscheinungen im Protoplasma ablaufen, aufgefasst werden, nehmen die
von der Veränderung nicht betroffenen Teile entgegengesetzte positive
Ladungen gegenüber den betroffenen, sich negativ verhaltenden
Teilen ^^) an.
Es werden demnach die mit solchen Lebenserscheinungen im Proto¬
plasma der Nervenzellen verbundenen Vorgänge elektrische Potentiale
entstehen lassen, welche in den, nach der Peripherie als Nervenfaser
verlaufenden, Protoplasmafortsätzen des Neurons eine positive lonen-
konzentrationsweile, d. h. einen Erregungsvorgang erzeugen. Da nun
Nernst*’) als sehr wahrscheinlich annimmt, dass auch bei der elek¬
trischen Reizung eines Nerven die Erregung desselben durch eine Kon¬
zentrationsänderung der Ionen eingeleitet wird, so wird auch die in der
oben geschilderten Weise von der im nervösen Zentralapparat liegenden
Nervenzelle in der Nervenfaser erzeugte Konzentrationsänderung, wenn
sie einen gewissen Grad erreicht, als Erregungswelle am Nerven ab¬
laufen und im Endorgan dessen Funktion ausiösen. und es wird auch
solche Erregung eintreten, wenn durch chemische Vorgänge im Verlauf
des Kernleiters*’) eine lonenkonzentrationswelle entsprechender Stärke
erzeugt wird.
Fassen wir den Aufbau und den Erregungsvorgang der Nerven in
der eben geschilderten Weise auf, so Hesse sich vielleicht das Ver¬
ständnis der sogen. Nervenendwirkung verschiedener pharmakologischer
Substanzen erleichtern und die über ihren Angriffspunkt und die Art
ihres Wirksamwerdens zurzeit bestehenden Widersprüche in Einklang
bringen.
Fasst man den markhaltigen Nerven als einen von einer iso¬
lierenden (Keratin-Cholesterin-) Schicht umgebenen, aus Protoplasma¬
faser und Lezithinmantel bestehenden Kernleiter auf und beachtet die
Tatsache, dass wir keine Muskel- und Nervengifte kennen, welche nach
ihrer Resorption und darauffolgenden Verteilung im Körper als spezifische
Wirkung eine Beeinflussung der Funktion der Nervenleitungen hervor¬
treten lassen, so liegt es nahe anzunehmen, dass diese Unbeeinflussbar-
keit der Nervenbahn ihren Grund darin hat. dass die von uns ange¬
nommene Isolierschicht, unter den für die Verteilung solcher spezifisch
wirkender Moleküle in Frage kommenden Bedingungen, ihr Eindringen
und Wirksamwerden erheblich erschwert, weil sie für dieselben bei der
entsprechenden Verdünnung als impermeabel zu betrachten ist.
Es schliesst dies natürlich nicht aus, dass bei lokaler Applikation
in höherer Konzentration solche Gifte durchdringen und dann sich wirk¬
sam erweisen können, wie es z. B. beim Kokain. Chloroform und
anderen lipoidlöslichen Verbindungen der Fall ist.
Anders liegen die Verhältnisse bei der den Kernleiter einschliessen-
den elektromotorischen Grenzschicht, wenn wir in dieser Lezithide in
reichlicher Menge vorhanden annehmen. Auf Grund des chemischen
Aufbaus dieser Lezithinmoleküle, welche basische Gruppen wie Cholin
an die Phosphorsäure gebunden enthalten, werden wir diese Lipoide
hierdurch offenbar als chemisch reaktiver ansehen dürfen. In einer
solchen Schic ht würden beim Ablauf der mit der Nervenerregung ver-
®) Dasselbe enthält neben basischen Gruppen auch Kohlehydrate.
®) Die Zusammensetzung der Nervenlipoide. Cf. Chevalier: Zschr.
f. physiol. Chemie 9. S. 97. *“) M.m.W. 1918 S. 1092,
**) Nagel- Handbuch, d. Physiol. 4. 1909. S. 664.
*’) Nagel: ebenda S. 850 ff. *») Cf. Nagel: 1. c. S. 927 ff,
Digitized by Goiisle
bundenen lonenkonzentrationswelle die Ammoniuingriippen eventuell
negative Hydroxylionen vorübergehend dissoziieren lassen können. Bei
einem solchen lonisierungsvorgang würde aber vielleicht auch eine
Lockerung und Abspaltung der Ammoniumgruppen als ganzes begünstigt
werden, welche es anderen ähnlichen basischen Gruppen ermöglichen
wird, an ihre Stelle zu treten, so dass man in diesen Phosphatiden die
Phosphorsäure als eine haptophore Gruppe für basische Ammoniak¬
derivate ansehen könnte, die deren eventuell zwei, sogar drei zu binden
vermöchte.
Nun kennen wir eine ganze Reihe von Giften, welche chemisch sich
teils direkt vom Cholin ableiten lassen, teils ihm doch als alkylierte
Ammoniumbasen nahestehen, deren Angriffspunkt auf Grund der bev
ihnen hervortretenden spezifischen sogen. Kurarewirkung zwischen den
Nervenstamm und das Erfolgsorgan an das sogenannte Nerven¬
ende verlegt wird. Es entsteht da die Frage, was man als Nerven¬
ende ansehen und wohin man dasselbe morphologisch verlegen soll.
Nach dem im vorigen Dargelegten würde man wohl als Angriffs¬
punkt für die Kurarewirkung der Ammoniumbasen die haptophoren
Phosphorsäuregruppen der Pliosphatide der Kernleiterschicht, welche
die im Achsenzylinder verlaufenden Nervenfibrillen **) umgibt, betrachten
können. Dann würde als Ende des Nerven der Punkt zu bezeichnen
sein, an welchem die impermeable isolierende Schicht der Markscheide
diese Kernleitung mit ihrer phosphatidhaltigen Hülle so austreten lässt,
dass sie den Molekülen der Ammoniumbasen zugänglich wird. Da nun
aber die gesamte von diesem Punkt aus nach der Peripherie ver¬
laufende Kernleitung als phosphatidhaltig und deshalb als durch Kurare¬
substanzen beeinflussbar zu betrachten wäre, so würde man diesen ge¬
samten peripheren Abschnitt der Nervenleitung als Nervenende auf¬
zufassen haben.
Den Vorgang der Kurarelähmung hätte man sich dann wohl fol-
gendermassen vorzustellen: Die Ammoniumbase wird zunächst durch
eine der an ihren Stickstoff gebundenen Alkylgruppen, und zwar eine
alkoholische, wie dies auch beim Cholin der Fall ist, unter esteri-
flzierender Bindung an die Phosphorsäure der Phosphatide (Lezithin etc.)
verankert.
Aus den so am Kernleiter fixierten Ammoniumgruppen werden nun
negativ geladene Anionen fHydroxyl- oder Halogcnionen *“)], welche
leichter als die normalen des Cholin sich ablösen, dissoziierend frei-
werden und mittels der ihnen eigenen, die Kolloide dekondensierenden
Wirkung gegen den protoplasmatischen Kern des Leiters Vordringen.
Sie werden mit den in der Protoplasmafibrille beim Erregungsvorgang
freiwerdenden positiven Wasserstoffionen unter Vereinigung mit ihnen
zu Wasser sich entladen, d. h. im Sinne eines Kurzschlusses den w^eiteren
Verlauf der Erregungswelle aufheben, so dass diese das Endorgan nicht
mehr erreicht. Ist die Anionenkonzentration eine zu geringe, um durch
Steigerung der Durchlässigkeit der semipermeablen Trennungsschicht
und durch ihr Vordringen solchen Kurzschluss zu bewirken, so werden
diese Ionen, sich zunächst in der Hülle des Kernleiters ansammelnd,
eventuell selbst eine Erregungswelle erzeugen, welche zu einer der
Lähmung vorangehenden Erregungserscheinung am Muskel führen kann,
wie sie bei einzelnen Kuraregiften, z. B. dem Tetraäthylammonium¬
jodid, aber auch bei Alkaloiden wie Akonitin und Koniin beobachtet
werden.
Dass bei dieser Art Erregung nicht die gesamte Muskelmasse,
sondern nur jeweils einzelne Muskelfibrillen in Zuckung geraten, würde
dann leicht dadurch erklärlich, dass entsprechend dem lokalen Auftreten
und Verschwinden der loneiikonzentration der Erregungsprozess eben
immer nur einzelne Nervenfibrillen trifft.
Dem markhaltigen Nerven der quergestreiften Muskulatur ähnlich
werden sich aber auch hinsichtlich ihres Nervenendapparates die ja
gleichfalls mit einer isolierenden Markscheide umgebenen, direkt aus
dem Zentralapparat in die Peripherie verlaufenden Fasern des sogen,
parasympathischen Systems verhalten. Damit würde verständlich, dass
die quarternären Ammoniumbasen neben ihrer Kurarewirkung nicht
selten die dem künstlichen Muskarin (Oxycholin) mit dem Muskarin
selbst gemeinsame Wirkung auch auf die parasympathischen Nerven-
endaparate vereinigen. Auf geringen Unterschieden in der Zusammen¬
setzung der Kernleiterhülle hier und bei den Nerven der Skelettmuskulatur
oder des Aufbaus der Ammoniumverbindungen könnten die Unterschiede
ihrer Wirkung beruhen.
Da bei den sympathischen grauen Fasern an Stelle der isolierenden
Markscheidenschicht offenbar nur eine sehr dünne, vielleicht bloss aus
Neurokeratin bestehende Isolieruni: des Kernleiters tritt, so würden
auch sie in ihrer von dieser Isolierung entblössten Endleitung der Ein¬
wirkung basischer Stickstoffverbindungen leichter zugänglich sein. Da
jiun aber als spezifische Nervengifte vor allem die Alkaloide in Betracht
kommen, deren basischer Charakter doch offenbar auf dem in ihnen
enthaltenen Stickstoff, d. h. auf einem Ammoiumrest zurückzuführen ist,
auf welchen, wie wir vorher annalimen, die Beeinflussung neuroelek-
trischer Vorgänge durch Hydroxylionen beruht, so könnte man daran
denken, dass für alle diese Nervengifte die Phosphatide als neurohapto-
phore Verankerungsgruppen in Betracht kämen.
Beruht der Kontraktionsvorgang im Muskel, wie das bereits von
verschiedenen Seiten angenommen wird, auf einer Quellungs-
änderung*") der Muskelkolloide infolge Beeinflussung ihres Dis-
**) Nagel: 1. c. S. 933 ff. *®) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 48. S. 58.
‘®) Cf. Ost Wald: Die Welt der vernachlässigten Dimensionen 1916
.S. 139 und M.m.W. 1918 S. 1092.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
H. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1»
persionszustandes und wird dieser durch die die Ladung der
KoUoidmolektile steigernden negativen (OH-) Ionen oder sie
herabsetzenden positiven Wasserstoffionen erzeugt, welche als Folge
der Nervenerregungswelle im Endorgan als elektromotorisches Potential
auftreten, so wird anzunehmen sein, dass sich im Endorgan die Primitiv¬
fibrillen von der sie umgebenden Kernleiterschicht an einer bestimmten
Stelle werden trennen müssen, damit jeder Teil den Anschluss an das
durch ihn zu beeinflussende Protoplasma gewinnt. Dieser Anschluss
könnte unter Vermittlung besonderer elektrolytisch leitfähiger Massen
hergestellt sein, dann wäre aber die Möglichkeit gegeben, dass auch an
diesem weiteren Abschnitt Infolge der durch chemisch molekulare Gift¬
wirkungen hervorgerufenen lonenkonzentrationsschwankung elektrische
Zustandsünderungen bewirkt würden, w^elche sich gleichfalls als Läh-
mungs- und Erregungserscheinungen in der Funktion des innervierten
Muskelprotoplasmas geltend machen. Man würde dann peripher von
dem vorher charakteiisierten Kurarenervenende zwischen ihm und dem
funktionellen Myoplasma noch ein, wenn nicht sogar mehrere
von Giftwirkungen spezifisch beeinflussbare Nervenabschnitte, d. h.
Nervenenden zu unterscheiden haben.
Nun kann man ja bekanntlich, nachdem durch Kurarisierung die Erreg¬
barkeit des Muskels vom Nerven aufgehoben, das Kurarenervenende mit¬
hin gelähmt ist, dennoch durch Physostigmin am quergestreiften Muskel
fibrilläre Zuckungen hervorrufen. Würde es sich dabei um eine Beein¬
flussung des kontraktilen Muskelprotoplasmas handeln, so würde man
wohl eher eine Kontraktion der Gesamtmuskelmasse zu erwarten haben.
Im Hinblick darauf, dass es sich um fibrilläre Zuckungen handelt, kann
man die Wirkung hier auch als Beeinflussung nervöser Teile auffassen
und man betrachtet ja auch neuerdings das Physostigmin als Nerven-
endgift. Bei ihm würde es sich dann nach obiger Darstellung um eine
solche Beeinflussung des geschilderten peripher vom Kernleiter liegenden
Abschnittes der Leitung handeln können, und ähnlich dürften vielleicht
auch die Verhältnisse bei der Suprareninwirkung auf die Gefässmuskulatur
liegen. Es fragt sich also hier: Will man diese, das elektrische Potential
des Kernleiters auf die kontraktile Masse übertragende Einrichtung, d, h.
die beiden Bestandteile des Kernleiters nach ihrer Trennung noch als
zum Nerv gehöriges Nervenende ansehen oder es bereits zum Muskel¬
apparat rechnen? Beim Physostigmin hatte man sich früher im letzteren
Sinne entschieden, und dasselbe zu den Muskelgiften gerechnet.
Bis man den Aufbau des den Erregungsvorgang vom Nerven
auf das funktionelle Gewebe vermittelnden Apparates auch in seinem
chemischen Material und dessen Bedeutung für den elektrischen Lei¬
tungsvorgang näher kennt und damit auch in der La^e ist, die einzelnen
durch verschiedene Giftwirkungen möglichen Angriffspunkte der peri¬
pheren, das elektrische Potential übertragenden Strecken genauer zu
charakterisieren, dürfte es sich deshalb zur Vermeidung von Missver¬
ständnissen empfehlen, da der Punkt des Austrittes der Leitung aus der
impermeablen Isolierschicht, das Nervenende, als solches für die Beein¬
flussung nicht in Frage kommt, den Ausdruck Nervenendgifte fallen zu
lassen, und vielmehr für den ganzen Endabschnitt der Leitung, welcher
den elektrischen Vorgang von der isolierten Nervenstrecke auf das funk¬
tioneile Protoplasma des Erfolgsorgans überträgt, im Gegensatz zu letz¬
terem die bereits von L a n g 1 e y benützte Bezeichnung myoneurales
Schaltstück zu wählen und die an ihm angreifenden Gifte als „Gifte
des Schaltstückes“ zu bezeichnen.
Durch Verlegung der Physostigmin-, Nikotin- und Suprarenin¬
wirkung an dieses Schaltstück w^ürden dann wohl die bisher sich wider¬
sprechenden Ansichten sich vereinigen lassen.
lieber unspezifische Leistungssteigerung.
Von Prof. Wolfgang Weichardt, Erlangen.
Schon vor Jahren konnte ich zeigen [l], dass der Körper die Eigen¬
schaft besitzt, nach parenteraler Einverleibung von Eiweissen,
kolloidalen Metallen, aber auch nach wiederholter Injektion sehr geringer
Dosen kristalloider Substanzen, in kurzen Zwischenräumen (Pausenver¬
such) nach einer Periode der Lähmung mit Leistungssteige¬
rung der verschiedensten Organsysteme zu antworten (I^otoplasma-
aktivierung) 0-
Diese Leistungssteigerung führte ich auf Spaltprodukte, vorwiegend
aus den Eiweissen zurück, wie man sie auch im Reagenzglase hersteilen
kann *). Die erhöhte Organleistung tritt nach einer bestimmten Latenz¬
zeit. deren Dauer sich nach der Menge der auftretenden Spaltprodukte
richtet, ein. Durch unspezifische Aktivierungen werden spe-
Vergi. Boehm: Heffters Handbuch d. Pharmafcol. 2. Teil 1. S. 238 ff.
*) Für die Bezeichnung „Protoplasmaaktivierung“ Allgemeinreaktion zu
setzen, wie neuerdings vorgeschlagen wurde, geht nicht an. Es kommt
darauf an, das Wesen dessen zu bezeichnen, was wir erreichen wollen;
eine Leistungssteigerung. Die Bezeichnung „Resistenzerhöhung“
passt nur für infektiöse Prozesse und zwar nur beim normalen, nicht
vorbehandelten oder infizierten Individuum, leistungssteigernde
Wirkungen auf die verschiedensten Organsysteme sind auch hier
nachweisbar. Die Stellung der Resistenzerhöhung im Rahmen leislungs-
steigernder Massnahmen ist also erwiesen. Dagegen ist es falsch, jede
Frofopfasmaaktivierung mit Resistenzerhöhung zu bezeichnen.
Nach neueren Auffassungen (H. Sachs [3]) ist die Protoplasmaakti¬
vierung eine Folge primärer biophysikalischer Zustandsänderungen. Hiefür
spricht zweifellos die Aehnlichkeit der Wirkung von Eiweisskörperinjektionen
mit derjenigen von kolloidalen Metallen.
z i f i s c h e Wirkungen erzielt bei spezifisch vorbehandelten
Tieren oder bei Organen mit spezifischer Leistung.
Folgende Untersuchungen, welche ursprünglich zu einem anderen
Zweck ausgeführt wurden, geben eine Anschauung von der Zweckmässig¬
keit der Einrichtung, welche der Körper erworben hat: beim Auftreten von
Eiweissspaltprodukten in den Körpersäften sofort mit erhöhter Abwehr¬
möglichkeit zu reagieren.
In Nr. 38, 1920 dieser Wochenschrift ist bereits über die Wachstums¬
förderungen pathogener Mikroorganismen durch Substanzen berichtet,
die aus dem Körper nach bestimmten Gesichtspunkten extrahiert worden
sind.
Bekanntlich lässt gerade das Wachstum vieler Krankheitserreger auf
künstlichem Nährboden zu wünschen übrig. Haben sich doch viele para¬
sitisch w^achsende Mikroorganismen in bezug auf ihre Fermenttätigkeit
insofern geändert, dass eine deutliche Anpassung an die parasitäre und
eine Abkehr von der saprophytischen Daseinsform zu erkennen ist.
So sehen wir bei den Typhusbazillen die Fermenttätigkeit nur zum
Teil erhalten. Mittels der Polarisation konnte ich die Spaltung des Milch¬
zuckers in rechtsdrehende Zuckerarten nachweisen, die weitere Spaltung
in optisch inaktive Produkte wie beim Kolibazillus ist mangelhaft [2].
Die Wachstum fördernden Stoffe werden um so interessanter für uns,
je mehr es gelingt saprophytisch schw'er oder bisher überhaupt nicht
wachsende Parasiten zum Wachstum zu bringen. Die Wirkung der¬
artiger Stoffe wäre auf verschiedene Weise einer Erklärung zugänglich:
Es können für den Abbau und die Synthese der parasitisch wachsenden
Mikroorganismen besonders geeignete Gruppen zur Verfügung stehen.
Ferner kann eine Reizwirkung auf das Bakterien Wachstum vorliegen und
endlich wäre es möglich, dass das Wachstum hemmende und daher die
Vermehrung lähmende Spaltprodukte abgesättigt werden. Ueber die
Abgrenzung dieser drei Möglichkeiten soll hier nicht berichtet werden,
sondern lediglich über die Wachstumsförderung selbst und über die Ge¬
winnung wachstumsfördernder Substanzen ans dem Tierkörper.
Versuch.
Von einem Meerschweinchen wird die Haut abgezogen, Kopf. Magen
und Darm entfernt, die übrigen Organe mit den Knochen zerkleinert, ge¬
wogen und mit der dreifachen Menge Wasser ttbergossen. Es wurde 24 Stun¬
den im Eisschrank digeriert, 20 Minuten gekocht, filtriert und im Faust-
Heim-Apparat zur Trockne gebracht. Dieses Extrakt wurde mit Alkohol ver¬
rieben und 20 Minuten gekocht, dann filtriert, zur Trockne gebracht und
mit 70—90 ccm dest. Wasser aufgenommen, abzentrifugiert und nach Ent¬
fernen des Bodensatzes filtriert. Das Filtrat wurde neutralisiert und ge-
tiocknet.
Die vorher mit Wasser ausgezogene Meerschweinchenmenge wurde mit
der dreifachen Menge Alkohol übergossen und nach 24 stOndigem Digerieren
im Eisschrank 20 Minuten gekocht, dann wurde filtriert und der Alkohol
verjagt. Dieses zweite Extrakt wurde mit 70—90 ccm dest. Wasser aufge¬
nommen. zentrifugiert, die schwer filtrierbaren Fettschichten entfernt und
filtriert, das Filtrat neutralisiert und ebenfalls zur Trockne gebracht.
Von den fertigen Extrakten wurde der N-Oehalt bestimmt. Ein Zenti¬
gramm abgewogen, in 10 ccm Wasser heiss gelöst und von dieser Stamm¬
lösung die Verdünnungen angelegt. Peptone waren in den Extrakten nur
in Spuren nachweisbar.
Als Medium, in welches die stark verdünnten Extrakte gebracht wurden,
benutzten wir das nach Straub sehen Angaben hergesteilte „Normosal“ *).
Es sollten den Mikroorganismen auch nach physikalisch-chemischer Richtung
hin möglichst gleiche Bedingungen geboten werden, wie sie im Blutserum vor¬
handen sind. Die Extrakte wurden so verdünnt, dass 0,0002 und 0,00002
auf 1 ccm Normosal kamen. 5 ccm dieser sterilen Lösung wurden mit diner
1 mm-Oese einer 18 stündigen, gleichmässig wachsenden, sehr virulenten
Streptokokken-Bouillon-Kultur beimpft. Eine Normalöse dieser Bouillonkultur
tötete Mäuse von 15—20 g in 2 Tagen. Die Bouillonkultur wurde vor dem Ab
impfen sorgfältig gemischt. Als Kontrollen wurde mit der gleichen Oese 5 ccm
steriler Normosallösung und 5 ccm Bouillon beimpft. Nach 15—16 Stunden
wurde in Verdünnungen von 1:100 bis 1: 10 000, welche in Schüttelflaschen
mit Glasperlen sorgfältig angelegt wurden, Zählplatten gegossen. Zu diesem
Zwecke gaben wir zu 10 ccm Agar 0,25 steriles Blut. Die um die Strepto-
kokkenkoionien sich entwickelnden Höfe hoben diese Kolonien deutlich her¬
vor und machten die Platten zu Zählplatten geeignet *). Berechnet wurde
wie üblich auf den Kubikzentimeter.
Tabelle 1.
Versuohs-
nommer
Meerschweinohen¬
organe
Ver-
dnnnungs-
flUssigkeit
Grad der
Ver-
düimung
Wachs-
tumsdauer
Zahl
der
Kolonien
Alkoholisches Extrakt
Normosal
0.2 ‘ o.
16 Std.
1 157 180
• 1
Normosalkontrolle . .
mit 1 */•
Glyzerin
828 264
9 I
Alkoholisches Extrakt
0,8 %,
1658 611
Normosalkoatrolle . .
-
488 8J5
Q i
Alkoholisches Extrakt
0,2 •/»,
1244468
Normosalkontrolle . .
„
„
181677
. 1
Alkoholisches Extrakt
0,8 Vo
1*578 842
" t
yormosnlkontroHe , .
—
-
107 614
*) Physiologische Kochsalzlösung erwies sich für das Streptokokken¬
wachstum als ganz ungeeignet. Auch die Verdünnungen wurden mit Normo¬
sal angelegt. Zu den Wachstumsröhrchen kam noch 1 ccm Glyzerin auf
100 Normosal.
*) Diese Technik liefert bei Beachtung aller Kautelen ziemlich gleich-
mässige Zählrcsultate. Ausnahmen kamen vor. Nur sich oft wiederholende
grosse Zahlenunterschiede wurden zu Schlüssen verwertet. Die mitgeteilten
Versuchstabellen stellen lediglich Beispiele grösserer Reihen ganz ähnlich
verlaufender Versuche dar.
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
AO
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2 .
Eine besonders zu bearbeitende Frage ist die, ob die hier gewonnenen
Substanzen für das Wachstum der Infektionserreger im Organismus wirk¬
lich in Frage kommen oder ob wir es lediglich mit Kunstprodukten zu
tun haben. Das ist eine der Fragestellungen, die vorläufig nur auf in¬
direktem Wege einer Lösung nähergebracht werden kann.
Einen dieser Wege habe ich in folgendem eingeschlagen:
Es ist bekannt, das überanstrengte Tiere®) gegen Infektionen be¬
deutend weniger widerstandsfähig sind, als normale, ausgeruhte.
Mag man nun mit Wacker in den Albuminaten des Muskels eines
der Hilfsmittel desselben sehen, ihn vor Uebersäuerung, die durch Zer¬
fall des Traubenzuckers bei starker Muskelanstrengung entsteht, zu
schützen, oder mag man der Säurequellungstheorie zuneigen, zweifellos
dürfte bei den häufig vorkommenden Zustandsänderungen auch der Be¬
stand der Eiweisse des Muskels nicht vollkommen intakt bleiben*).
Ein Versuch, durch Behandlung mit verdünnter Milchsäure und nach-
heriger Neutraliserung noch besser wirkende Extrakte zu erhalten, war
folgender:
Es wurde im allgemeinen die Technik, wie sie beschrieben
ist, innegehalten, mit dem Unterschiede, dass ich das Wasser,
mit welchem die Organe zuerst versetzt wurden, durch
n/io Milchsäure ersetzte. Nach 24 ständigem Stehen im Eis¬
schrank wurde neutralisiert, gekocht, filtriert und das
Wasser verjagt, ferner wie oben beschrieben mit Alkohol behandelt.
Ebenso wurde die am vorhergegangenen Tage mit der verdünnten Milch¬
säure ausgezogene Meerschweinchenmenge mit Alkohol in der oben an¬
gegebenen Weise extrahiert. Die Extrakte wurden vereinigt, mit
Alkohl nochmals extrahiert, filtriert, getrocknet in Wasser aufgenommen,
genau neutralisiert und getrocknet. Nach der Milchsäurebehandlung waren
die Biuretreaktionen dieser Filtrate, im Gegensatz zu in gleicher
Weise ohne Säurebehandlung gewonnenen, stark positiv. Es zeigte sich
nun, dass die alkoholischen Extrakte des vorher mit Milchsäure behandelten
Meerschweinchens bedeutend mehr wachstumsfördernde
Substanzen enthielten, als die Extrakte, bei denen eine Milchsäure¬
behandlung vorher nicht stattgefunden hatte. DabeiwarderStick-
stoffgehalt des nach vorheriger Milchsäurebehand¬
lung gewonnenen Extraktes mit 5,2 Proz. Stickstoff
niederer als der des zum Vergleich herangezogenen
AlkoholextraktesohnevorherigeMilchsäurebehand-
lung, dieser betrug 8,14 Proz.0. Aus folgender Tabelle gehen die
Wachstumswerte der sonst nach gleicher Technik hergestellten Extrakte
(an Streptokokken geprüft) hervor*):
Tabelle 2.
VersuchB-
nummer
Meerscliweinchen-
OJ^ane
Ver-
dünnungs-
flUssigkeit
Grad der
Ver¬
dünnung
Wachs¬
tumsdauer
Zahl
der
Kolonien
1
Vord Alkoholextrak¬
tion mit n /,0 Milch¬
säure versetzt
Vor d. Alkoholextrak¬
tion ohne Milchsäure
Normosal
mit t * •
Glyzerin
o,i**
0,2 Vm
16 Std.
n
8 914100
2 48^904
^ 1
Vor d. Alkoholextrak¬
tion mit n ',0 Milch-
sänre versetzt . . .
Vor d. Alkoholextrak¬
tion ohne Milchsäure
■
0,2 •/..
0,i •/•
8 871 768
2 914 860
8
Lezithin.
t
ö
-
m 436
• 1
A u s <
die Stre
Wässeriges Extrakt
mit n/t, Milchsäure
Wässeriges Extrakt
ohne Milchsäure . .
liesen Versuchi
ptokokkenwac
en ist de
hstum fi
0,8 0/0,
0,2 •/«
r Schlu
5rdernd
SS erlau
e n, m i t i
6 186 806
1 .*»27 048
b t, dass
Vlkohol
aus dem Tierkörper extrahierbaren Substanzen eine
Vermehrung erfahren, wenn Milchsäurebehandlung
mit nachfolgender Neutralisation vorhergegangen
i s t. Bei den unter natürlichen Verhältnissen vorkommenden Reaktions¬
änderungen dürften also ebenfalls Abspaltungen von Gruppen, die das
Wachstum der Infektionserreger befördern, vor sich gehen. Diese
Wachstum fördernden Stoffe mögen ausser bei intensiver Ermüdung auch
bei infektiösen Prozessen abgespalten werden, so dass in der Ausbrei¬
tung des infektiösen Prozesses an sich ein beförderndes Moment liegen
kann ®).
Aus Tabelle 2 geht ferner hervor, dass ein Lezithinpräparat von
Merck durchaus keine besonders wachstumsfördemden Eigenschaften
hatte. Das gleiche Resultat bekam ich, nachdem ich das Lezithinpräpa-
*) Das gleiche gilt von Tieren, die von abnormen physikalischen Ein¬
flüssen betroffen werden.
*) Ueber den Kohlehydratabbau und seine Synthese, zweifellos die erste
Quelle der Muskelkraft, verweise ich auf die Veröffentlichungen von F 1 e t -
eher, Hill, Embden, v. Fürth, Wacker u. a, Zschr. f. ph. Chemie,
Biochem. Zschr. u. Pflügers Arch. 1917—1920. Auf die Theorie der Kontraktion
einzugehen ist hier nicht der Ort.
Weitere Versuche verliefen ebenfalls im Sinne der angeführten Ver¬
suchsbeispiele.
*) Die gleichen bedeutenden Unterschiede sind zu erzielen, wenn das
Kochen ausgeschaltet wird und die Behandlung in der Kälte erfolgte.
®) Besondere Versuche hierüber sind im Gange. Bei den zahlreichen
ausgedehnten Versuchen wurde ich von meiner Präparatorin. Frl. Luise
Böhme, in ausgezeichneter Weise unterstützt.
Digitized by Goiisle
rat nochmals gereinigt hatte. Ebenso beförderte Cholesterin das Strepto¬
kokkenwachstum nicht besonders.
Aus Tabelle 2 geht auch hervor, dass durch den Milchsäurezusatz
und nachherige Neutralisation auch bessere Wachstumswerte erhalten
werden, wenn man nur wässerige Extrakte zum Vergleich heranzog.
Es wird wohl kaum möglich sein, im Reagenzglase sterilisierte, in
physikalischer und chemischer Beziehung den Körpersäften gleiche Lö¬
sungsmittel zu erhalten. Immerhin ist eine weitgehende Angleichung
möglich. Ausser dem Wasser und Alkohol müssen andere Extraktions¬
mittel zum systematischen Studium herangezogen werden.
Nach den mitgeteilten Befunden erscheint die
Eigenschaft, welche der Körper erworben hat, auf
E i w e i s s s p a 11 p r od u k t e sofort mit erhöhter Abwehr¬
bereitschaft nach den verschiedensten Richtungen
hin (Protoplasmaaktivierung) zu reagieren, zweck¬
mässig. Haben wir doch gesehen, dass unter den natürlichen Verhält¬
nissen angepassten Bedingungen (z. B. Reaktionsär.derungen) leicht Spalt¬
produkte entstehen, welche das Streptokokkenwachstum stark fördern.
Zusammenfassung.
Das Streptokokkenwachstum befördernde Substanzen werden durch
Kochen mit Alkohol aus gesunden Tieren extrahiert.
Milchsäurebchandlung der Organe vermehrt die das Streptokokken-
Wachstum fördernden Spaltprodukte Vergleiche mit den Vorgängen bei
hochgradiger Ermüdung werden gezogen.
Literatur.
1. Zschr. f. d. Kcs. Neurol. u. Psych. 22. 586; M.m.W. 1915 S. 1525.
1918 S. 581, 1919 S. 289, 1920 S. 91 u. 1085; Zschr. f. phys. Chemie 83. H. 5;
Zschr. f. Immun.-Forsch. 19. H. 5. — 2. Arch. f. Hyg. 73. 153. — 3. Ther.
Halbmonatshefte 20. 379.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik zu Tübingen.
(Direktor: Prof. Dr. Perthes.)
Ueber Milzbestrahlung bei Hämophilie.
Von Dr. med. Hans Neuffer, Assistenzarzt der Klinik.
Stephan hat in der M.m.W. 1920 Nr. 11 und in der D.m.W. 1920
Nr. 25 auf die blutstillende Wirkung der Röntgenbestrahlung der Milz
durch eine Reizdosis aufmerksam gemacht. Herr Prof. Perthes hat
mich angeregt, diese Versuche bei unseren Hämophiliepatienten, die der
Klinik durch die Arbeit von Schloessmann (Bruns Beitr. Bd.79)
bekannt waren, nachzuprüfen. Es gelang 4 von den alten, in der
Schloessmann sehen Abhandlung untersuchten Fällen wieder¬
zubekommen, verschiedene andere waren mit unbekanntem Aufenthalt
verzogen, einer im Jahre 1918 an Verblutung auswärts gestorben. Zu
diesen vier Fällen kommt ein neuer Bluter hinzu, so dass insgesamt
fünf Patienten der Untersuchung zur Verfügung standen.
Es wurde die Gerinnungszeit des Blutes mehrmals vor der Bestrah¬
lung und weiter im Verlauf von einigen Stunden und länger bestimmt.
Als Apparat zur Gerinnungsbestimmung diente der von Schloessmann
verwandte Bürk ersehe Blutgerinnungsapparat. Er hat sich für die
Versuche als allen Anforderungen genügend erwiesen und dürfte der
von Stephan verwandten F o n i o - Methode wesentlich überlegen sein.
Die letztere Methode bringt in der von Stephan modifizierten Form
20 Tropfen Blut frisch aus der Vene entnommen in ein Uhrschälchen und
beobachtet sie unter einer feuchten Kammer; durch Neigen der Schale
wird der Augenblick notiert, bei dem die Blutmenge erstarrt ist. Das
Ergebnis ist abhängig von der jew'eiligen Laboratoriumstemperatur. Die
Resultate müssen daher schwankend ausfallen. Im B ü r k e r sehen
Apparat aber wird die Temperatur dauernd auf 26® gehalten, so dass
durch Temperaturunterschiede kaum Beobachtungsfehler eintreten können.
Ein zweiter Vorteil der B ü r k e r sehen Methode ist auch die genaue
Bestimmung des Gerinnungsbeginnes und des Gerinnungsendes, indem
jede Minute mit einem feinen Glasfaden nach den ersten Fibrinflöckchen
im Biutstropfen gefahndet wird. Für den Bürk er sehen Apparat liegt
der normale Durchschnittsw^ert für den Gerinnungsbeginn bei '4 bis 5 Mi¬
nuten, für das Gerinnungsende bei 9 bis 10 Minuten. Stephan gibt als
Mittelwert der nach der F o n i o - Methode bestimmten Gerinnungszeit
28 bis 35 Minuten an, ohne dass hiebei Beginn oder Ende der Ge¬
rinnung unterschieden wird.
Die Blutentnahme wurde stets durch Venenpunktion am Arm mit
einer Platiniridiumnadel vorgenommen, wobei sorgfältigst darauf geachtet
wurde, dass man sofort in die Vene einstach und nicht vorher in dem
umgebenden Gewebe herumsuchte. Durch das letztere Verhalten wird
der Gerinnungsablauf wesentlich verändert und zwar im Sinne einer
starken Gerinnungsbeschleunigung, wahrscheinlich durch die in den Ge¬
weben reichlich vorhandene Thrombokinase. Der Gebrauch einer Platin¬
iridiumnadel hat den Vorzug, dass das Blut nur mit ganz glatten Wänden
in Berührung kommt und dass die Nadel sich vor jedem Einstich leicht
ausglühen lässt.
Die Bestrahlungen wurden teils mit dem Symmetrieapparat von
Reiniger, Gebbert und Schall und der Müller sehen Siede¬
röhre, teils mit dem Intensiv-Reform-Apparat der Veifa-Werke und der
Coolidgeröhre, beidemal mit Zlnk-Aluminiumfilter ausgeführt. Als Reiz¬
dosis wurde K der Hauteinheitsdosis gewählt. Die Grösse des Feldes
betrug 20:15 cm und zwar so, dass die ganze Milz in das Bestrahlungs¬
gebiet hineinfiel.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
41
Den Anlass zu der ersten Bestrahlung gab ein 19 jähr. Pat., Fall Völlm,
der wegen einer nicht stillbaren Blutung aus der Alveolenwunde am 4. V. 20
in die Klinik kam. Auswärts und in der Klinik wurden alle üblichen Blut-
stiliungsmethoden versucht, zuletzt mit ganz fester Tamponade unter Auf-
beissen auf einen Qummipfropfen: die Blutung sickerte trotzdem weiter.
Die Blutgerinnungsbestimmung ergab einen Qerinnungsbeginn von 9 und
ein Gerinnungsende von 16 Minuten, also eine leichte Verzögerung der Ge¬
rinnung in beiden Richtungen. Sofort nach der Bestrahlung ergaben sich
für den Gerinnungsbeginn 3 und für das Gerinnungsende 10 Minuten, was
den normalen Werten entspricht. Demzufolge stand auch die Blutung aus
der Zahnwunde, der Tampon wurde weggenommen, ohne dass neues Blut
nachsickerte. Im weiteren Verlauf blieb der Gerinnungsbeginn bis 4 Stunden
nach der Bestrahlung auf 4 Minuten stehen, während das Qerinnungsende
schon etwas hinausrückte. 24 Stunden nach der Bestrahlung war der Oe¬
rinnungsbeginn 6 Minuten, Gerinnungsende 6 Minuten, also Werte, die etwas
gegen die Norm verzögert sind. Das Nähere ergibt die nachstehende Figur.
Dabei bezeichnet die untere durchbrochene Horizontale den Qerinnungsbeginn,
die obere durchbrochene Horizontale das Gerinnungsende. Man sieht, dass
die Gerinnungszeit bei den Hämophilen vor der Milzbestrahlung im wesent¬
lichen ausserhalb, nach der Bestrahlung im wesentlichen innerhalb des zwi¬
schen den beiden Horizontalen eingeschlossenen normalen Qerinnungsbe-
reiches liegt.
Fall Völlm: Bestrahlung (Symmetrieapparat, Müller-Siederöhre 30 cm Haut¬
abstand. Filter: Zn + l Al, 35 Min.), a) sofort nach Bestrahlung, b) 1 Std.,
c) 2Vi Std., d) 4 Std., e) 7 Std., f) 24 Std., g) 3 Tage, h) 1 Monat später.
Die Blutung kam nicht wieder. Nach 3 Tagen konnte der Pat. ent¬
lassen werden. Qerinnungsbeginn 4 Minuten, Qerinnungsende 14 Minuten.
Aus der Krankengeschichte des Pat. ergibt sich, dass in der Familie
keine Hämophilie vorhanden ist, jedoch berichtet der Pat. selbst dass er
bei einer kleinen Stirnverletzung im 3. Lebensjahr sehr lange geblutet
hat mit 9 Jahren ha,tte er sich an der Zunge verletzt und darnach vier
Wochen lang geblutet. Merkwürdigerweise gibt der Pat an, dass Ver¬
letzungen am übrigen Körper, z. B. am Daumen infolge eines Beilhiebes
im Jahre 1915, nicht so lange bluten, nur bei Verletzungen des Kopfes
habe er dies beobachtet Am 5. VI. 20, also 4 Wochen nach der Be¬
strahlung hat sich der Pat. wieder vorgestellt: Qerinnungsbeginn 6 Min.,
Gerinnungsende 12 Min. Das Allgemeinbefinden ausgezeichnet frisches
und gesundes Aussehen, also keine unangenehmen Spätfolgen der Milz¬
bestrahlung, wie dies ja auf Grund anderer Erfahrungen (Heineke:
Mitteilungen aus Grenzgeb. Bd. 24) zu erwarten war.
Die weiteren Versuche sollen in der Hauptsache durch die Figuren
wiedergegeben werden, wo es nötig scheint mit erläuternden Notizen.
Fall Kn., 19 Jähr. Bauernsohn, von Jugend auf Neigung zu Blutung
unter die Haut bei ganz geringfügigen, stumpfen Verletzungen. Bei Gelegen¬
heit einer Zahnextraktion tagelange Blutung. Im Laufe der Jahre mehrfach
in der Klinik wegen Blutergüssen ins Gelenk. 1917 rechtseitiger Schenkel¬
haisbruch. Jetzt wieder starker Bluterguss ins Hüftgelenk mit Schwellung
im ganzen rechten Oberschenkel. Erguss ganz von selbst aufgetreten, als
Pat. auf dem Sofa lag. Familie: 1 Bruder ebenfalls Neigung zur Blutung, ist
daran gestorben, sonst in der Familie weder vater- noch mütterlicherseits
etwas über Bluterkrankheit bekannt. Behandlung durch Ruhigstellung und
Heissluft, worauf der Erguss ganz zurflckgeht. 23. IV. 20. Wiederaufnahme
zur Milzbestrahlung.
Fall Kram., 27 Jahre. Bluterfamilie: Qrossvater mütterlicherseits
Bluter, ebenso ein Onkel und ein Neffe des Pat. Schon in jungen Jahren
bei kleinen Verletzungen starke, langdauernde Blutungen. Mit dem 12. Jahre
Blutung ins rechte Ellbogengelenk, das seither zunehmend steifer wird. Vor
4 Jahren erstmals starke Nierenblutung von 14 tägiger Dauer. Noch zwei
Nierenblutungen im Verlauf der letzten Jahre, immer ungefähr von derselben
zweiwöchigen Dauer. Jetzt, seit 1 Tag im Anschluss an eine Eisenbahnfahrt
stark bluthaltiger Urin, sucht deshalb die Klinik auf.
Befund: Etwas blass aussehend, sonstiger Körperbefund normal. Urin
stark bluthaltig bei jeder Entleerung. Milzbestrahlung.
Fig. 3.
Fall Kram.: 4^ Bestrahlung
(Symmetrieapparat, Siederöhre
30 cm Hautabstand. Filter:
H Zn + 1 Al. 30 Min. i Be¬
strahlung Intens.-Ref.-Coolidge
30 cm Hautabsand. Filter:
cn + 3 Al. 35 Min.).
a) sofort nach Bestrahlung,
b) 1 Std. nachher. Urin heller,
c) 3 Std.,
d) 7 Std., Urin nur noch
fleisch Wasserfarben,
e) 24 Std.,
f) sofort nach 2. Bestrahlung,
g) 1 Std. nachher,
h) 19 Std., Urin frei von Blut,
i) 3 Tage später.
Wie aus den Bemerkungen in der Figur hervorgeht, wurde der Urin
sofort nach der Bestrahlung allmählich weniger bluthaltig, nach 7 Stunden
nur noch leicht fleischwasserfarben. Es ist die Zeit erneuter Gerinnungs¬
senkung. In der Nacht aber wieder erneute starke Blutfärbung des Urins.
Deshalb nochmalige Bestrahlung: der Urin wird langsam heller und ist
19 Stunden nach der 2. Bestrahlung vollkommen blutfrei, auch im mikro¬
skopischen Bild. Dabei bleibt es auch in der weiteren Beobachtungszeit,
obgleich der Pat. 2 Tage darauf aufstand und sich frei bewegte. Nach
einer Mitteilung des Pat. geht es ihm jetzt (6 Wochen nach der Bestrah¬
lung) ausgezeichnet, eine Blutung aus der Niere sei nicht mehr ein¬
getreten. Aufgefallen ist dem Pat. vielmehr; dass eine Verletzung mit
dem Rasiermesser, die sonst zu langen Blutungen geführt hat, nach
1 Minute zum Stehen kam.
Fall Spreng. 17 Jahre alt, Bluterfamilie. Bei jeder Verletzung lange
Blutung. Gelenk oder Nierenbiutung nie beobachtet, dagegen fast jeden Tag
heftiges, oft über eine Stunde dauerndes Nasenbluten.
Befund: Sieht frisch aus, nicht anämisch, körperlich gut entwickelt.
Gerinnungsbeginn 10 Minuten, Qerinnungsende 21 Minuten. Milzbestrahlung.
Fig. 4.
Fall Spreng.: Bestrahlung (In¬
tens.-Ref.-Coolidge 30 cm Haut¬
abstand. Filter: Zn + 3 Al.
35 Min.),
a) sofort nach der Bestrah¬
lung,
b) 2 Stunden.
c) 6 Stunden.
d) 8 Stunden.
e) 24 Stunden später.
Fäll Kn.: Bestrahlung (Symmetrieapparat, Siederöhre 30cm Hautabstand.
Filter: ^ Zn + 1 Al. 30 Min.), a) sofort nach Bestrahlung, b) 1 Std.,
c) 2 Std.. d) 3 Std., e) 5 Std., f) 6 Std., g) 24 Std. später.
Auffallend ist die sofort nach der Bestrahlung auftretende Gerinnungs¬
beschleunigung, die deutlichste Wirkung aber tritt erst nach 2—3 Stunden
in Erscheinung. Nach 24 Stunden fast wieder Verhältnisse wie vor
der Bestrahlung. Deshalb erneute Bestrahlung, die allerdings einen wenig
deutlichen Rnfluss der Qerinnungsänderung zeigt.
Nr 2.
Auffallend war, dass die Schnepperverletzung zur Blutentnahme, die
bei seinen früheren Untersuchungen oft stundenlang weiterblutete, dies¬
mal während der sofort angeschlossenen Bestrahlung zum Stehen kam.
Nach einem Bericht hat der Pat. seit der letzten Bestrahlung (vor
4 Wochen) kein Nasenbluten mehr gehabt, auch seien blutende Ver¬
letzungen viel schneller zum Stehen gekommen als vorher.
Fall Bernh. (vergl. Schloessmann: Bruns Beitr. 79), 40jähr. Mann,
Bluterfamilie: 3 Onkel Bluter, ebenso 4 Brüder, 2 an Verblutung gestorben.
Ein Neffe ebenfalls Bluter. Selbst seit dem 2. Lebensjahr Blutergüsse in
die Gelenke, hauptsächlich Knie- und Ellbogen. Bis zum 15. Jahr häufiges
Nasenbluten, dann Nierenblutung. Allmählich hochgradige Kontrakturen im
Knie- und Ellbogengelenk. In Paris von Dr. Weil mit Serumeinspritzung
behandelt. In letzter Zeit keine Gelenkblutungen mehr, dagegen fast jedes
Jahr langdauernde Nierenblutungen. Befund: Gesund aussehender Mann von
etwas zurückgebliebener Körperentwicklung. Versteifungen in beiden Knie-
und Ellbogengelenken. Hochgradige Muskelatrophie an Ober- und Unter¬
schenkel. Gerinnungsbeginn 30 Minuten, Qerinnungsende 80 Minuten. Milz¬
bestrahlung.
Auch dieser Fall zeigt eine Beeinflussung des Gerinnungsablaufs durch
die Bestrahlung. Ein klinischer Erfolg kann jedoch nicht nachgewiesen
werden, da der Pat. zurzeit keine klinischen Erscheinungen zeigt. Nach
einem Bericht fühlt er sich wohl und hat seither keine Blutung gehabt.
Aus der gemeinsamen Betrachtung der Figuren ist
1. die bekannte Tatsache zu entnehmen, dass die Verzögerung der
Blutgerinnung bei Hämophilie äusserst verschieden ist und die Schwere
3
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
42
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Fig. 5.
Fall Bernh.: Bestrahlung (In-
tens.-Ref.-Coolidge 30 cm
liautabstand. Filter: % Zn
-f 3 AI. 35 Min.).
a) sofort nach Bestrahlung,
b) 1 Stunde,
c) 3 Stunden.
d) 6 Stunden.
e) 24 Stunden später.
des Falles nach dem Grad der GerinnungsverzöKcrung beurteilt werden
muss; dass ferner die Gerinnungsbreite, d. h. die zeitliche Entfernung
zwischen Gerinnungsbeginn und Gerinnungsende ebenfalls mit der
Schwere der Erkrankung zunimmt.
2. Die Milzbestrahlung hat sofort nachher eine momentane Ge¬
rinnungsbeschleunigung zur Folge, der aber nach 2—3 Stunden meist ein
noch weiteres Sinken des Gerinnungsbeginns folgt. Allmählich kehren
die Kurven im Laufe von einem bis mehreren Tagen zu ihren Ursprungs¬
werten zurück. Dabei ist aber zu beachten, dass sie nur den zeitlichen
Gerinnungsablauf in vitro beleuchten.
3. Der zeitliche Eintritt der Gerinnungssenkung steht In völligem
Einklang mit den klinischen Erscheinungen d. h. bei einer etwa bestehen¬
den Blutung mit Aufhören derselben.
4. Je weniger weit die pathologischen Gerinnungsbreiten sich von den
normalen Werten entfernen, umso leichter können sie durch Bestrahlung
beeinflusst werden, d. h. man kann nur eine abgegrenzte und nicht eine
uneingeschränkte Gerinnungssenkung durch die Milzbestrahlung erzielen.
Bei Blutern mit hochgradiger Geriiinungsverzögerung ist daher der thera¬
peutische Effekt der Bestrahlung fraglich.
5. Nur in einem einzigen Falle gelang es durch die Milzbestrahlung
die pathologische Gerinnungsbreite dauernd bis in das Gebiet der nor¬
malen Zone herabzusenken.
Was hier bis jetzt untersucht worden ist, betrifft nur den zeitlichen
Verlauf der Gerinnung, wie er im Bürk er sehen Gerinnungsapparat
zu verfolgen ist. Inwieweit Aenderungen in der chemischen oder kolloi¬
dalen Zusammensetzung des Serums vorhanden sind, konnten wir in
unseren Fällen noch nicht nachprüfen. Es bleibt einer weiteren Unter¬
suchung überlassen, zu erforschen, ob die steigende Zunahme des Ge¬
rinnungsbeschleunigungsfaktors des Serums, wie Stephan sie nach
Blutung oder Milzbestrahlung gefunden hat, auch für die Hämophilie
Geltung besitzt. Im übrigen hat ja schon Schloessmann auf die
gerinnungsbeschleunigende Wirkung des Blutserums, sogar auch des
hämophilen auf Normalblut hingewiesen. Da einige von unseren Pat.
angeben, dass Blutungen seit der Bestrahlung viel rascher zum Stehen
kommen und andererseits Spontanblutungen, wie z. B. Nasen- oder
Nierenblutungen seit der Bestrahlung nicht mehr aufgetreten sind, möchte
man versucht sein, zu glauben, dass durch die Bestrahlung eine lang¬
dauernde Erhöhung gerinnungsbeschleunigender Momente erzielt worden
ist, die sich aber bei der Untersuchung der Gerinnung im B ü r k e r sehen
Apparat nicht ausdrückt. Immerhin scheint uns dies trotzdem wenig
wahrscheinlich, weil die subjektiven Beobachtungen der Pat. mit Vorsicht
zu buchen sind. Auch müsste zur Erklärung eine prinzipielle Umstim¬
mung des Gerinnungsvorggangs angenommen werden, die aber nach
unseren Untersuchungen, wie im Folgenden gezeigt wird, kaum anzu¬
nehmen ist. Auch spricht Fall Kn. dagegen, da dieser zurzeit wieder
trotz zweimaliger Milzbestrahlung wegen eines neuen Blutergusses im
Fussgelenk in der Klinik li«gt.
Wenn also zweifellos durch Milzbestrahlung eine Beeinflussung des
Gerinnungsablaufs bei Hämophilen erzielt werden kann, so soll die Frage
nach der Ursache dieser Erscheinung noch etwas erörtert werden. Ste¬
phan kommt auf Grund seiner Versuche per exclusionem zu dem
Schluss, dass durch die Bestrahlung, die schon für die Haut eine
Reizdosis bedeutet, eine Reizung der Endothelien des Milzretikulums zu¬
stande kommt, das als Zentrum des Gerinnungsvorgangs betrachtet wird
und vermehrte Thrombokinase bilden und dieses in den Kreislauf aus¬
werfen soll S z e n e s (M.m.W. 1920 Nr. 2) aber weist nach, dass auch
durch Bestrahlung anderer drüsiger Organe, so bei einer Struma maligna
und einem Lymphom, Gerinnungsbeschleunigung zustande kommt. Auch
uns schien es wahrscheinlich, dass die Gcrinnungsbeschleunigung mit dem
infolge der Milzbestrahlung auftretenden Leukozyten- und Lympho¬
zytenzerfall in Zusammenhang zu bringen ist. H e i n e k e hat schon im
Jahre 1904 (M.m.W. 1904 Nr. 18 und Mitt. Grenzgeb. Bd. 14) die Wir¬
kung der Röntgenstrahlen auf die Milz bei Hunden eingehend untersucht.
Schon nach Vt stündiger Bestrahlung sah er den Untergang der Milz¬
follikel, der seinen Höhepunkt nach 12 Stunden erreichte. Die Lympho¬
zyten zerfallen und werden von Phagozyten aufgenommen. Schon nach
14 Tagen reparieren sich die Vorgänge, nach 4—6 Wochen ist die
Regeneration der Follikel vollendet. Wir dürfen annehmen, dass beim
Menschen die gleichen Gesetze gelten. Da die Autoren ziemlich all¬
gemein glauben, dass die Thrombokinase aus Zerfallsprodukten der
Leuko- und Lymphozyten und vielleicht auch der Endothelien entsteht,
so würde der rapide Untergang dieser Zellen eine starke Vermehrung
von Thrombokinase bedeuten. Unter Berücksichtigung der Gerinnungs¬
theorie von KlingerD, der das Vorhandensein von Thrombokinase
bestreitet, wäre eine starke Vermehrung von Aktivatoren des Thrombins
anzunehmen.
Wir haben nun noch bei einigen nichthämophilen Pat. Milzbestrah¬
lungen vorgenommen, und zwar in derselben Dosis wie bei den Hämo¬
philen. Bestimmt wurde die Leuko- und Lymphozytenzahl im Verlauf
einiger Stunden nach der Bestrahlung. Die Zählung der Leuko- und
Lymphozyten wurde zu gleicher Zeit mit der Gerinnungsbeobachtung
vorgenommen und von Frl. Z i c k 1 e r, Medizinalpraktikantin der Klinik,
in freundlicher Weise ausgeführt. Wir konnten auch an 2 Hämophiliepat.
Gerinnungsverlauf und seine Beziehung zum Blutbild nach Milzbestrah¬
lung verfolgen. Aus drucktechnischen Gründen muss die Wiedergabe
der Kurven unterbleiben.
Aus den Untersuchungen geht hervor, dass sowohl ein Leukozyten¬
ais Lymphozytensturz stattfindet, allerdings nicht immer im gleichen Zeit¬
abschnitt nach der Bestrahlung. An den Sturz schliesst sich meist eine
geringe Leukozytose an, während die Lymphozyten in der Beobachtungs¬
zeit ihre Ursprungsw'erte nicht mehr erreichen. Nach mehreren Stunden
scheint der Leukozytose eine Leukopenie zu folgen. Bei Fall Bern,
(s. Fig. 5) fällt nun die erste eintretende Gerinnungsbeschleunigung mit
einem steilen Abfall der Lymphozyten zusammen; die zweite Gerinnungs¬
senkung entspricht der Zeit der noch anhaltenden Lymphozytenver¬
minderung und des dazutretenden Leukozytensturzes. Mit dem
Ansteigen der Leuko- und Lymphozytenkurve steigt auch die
Gerinnungszeit wieder an. Bei Fall Spreng, (s. Fig. 4), bei
dem als Anfangsfall nur die Leukozyten bestimmt wurden,
fällt die tiefste Gerinnungssenkung mit dem tiefsten Sturz der
Leukozyten zusammen. Aber auch bei den blutgesunden Pat., von
denen wir aber aus äusseren Gründen nur 3 milzbestrahlen konnten, geht
der stärkste Rückgang der Leuko- und Lymphozytenzahl mit einer ge¬
ringen Beschleunigung der Blutgerinnung einher.
Obgleich diese Versuche noch nicht an grossem Material vor¬
genommen sind, so zwingt doch ihre weitgehende Uebereinstimmung
zu dem Schluss, dass man zunächst nicht komplizierte Reizvorgänge im
Retikulum der Milz zur Erklärung der Gerinnungsänderung heranzuziehen
braucht, sondern dass sich die Gerinnungsbeschleunigung schon aus dem
weitgehenden Zerfall der Leuko- und Lymphozyten erklären lässt. Be¬
merkenswert ist, dass S e i t z und W i n t z in ihrer neuesten Veröffent¬
lichung (Unsere Methode der Röntgentiefenbestrahlung, 1920, Verlag
Urban & Schwarzenberg) bei Karzinombestrahlungen ebenfalls einen all¬
mählichen geringen Abfall der Leukozyten und einen sofortigen Sturz
der Lymphozyten feststellen konnten. Merkwürdigerweise fanden sie
aber dabei die Blutgerinnung nach der Bestrahlung etwas verzögert.
Ich möchte allerdings die Bedeutung dieser letzteren Angaben nicht
so hoch einschätzen, da die Gerinnungsunterschiede nur nach Sekunden
angegeben sind und bei einem langsam sich vollziehenden Prozess, wie
es der Gerinnungsvorgang darstellt, derartig geringe Abweichungen wohl
innerhalb des Bereichs der Normalschwankung oder der Untersuchungs-
fehler fallen und deshalb mit grosser Vorsicht zu verwerten sind.
Zusammenfassend wäre zu bemerken:
1. Die Milzbestrahlung ist bei hämophilen Blutungen ein wertvolles
therapeutisches Instrument. Von einschneidendem Erfolg aber ist sie
wahrscheinlich bloss bei Hämophilen mit nicht allzuhoher Blutgerinnungs¬
verzögerung.
2. Die Beschleunigung der Blutgerinnung findet durch den weitgehen¬
den Zerfall von Lympho- und Leukozyten in der Milz eine zureichende
Erklärung. Es wird dadurch nach heutigen Anschauungen reichlich ge¬
rinnungsbeschleunigendes Ferment oder Thrombokinase frei.
3. Der Erfolg ist deshalb auch wohl nur ein vorübergehender, die
Hämophilie als solche wird nicht beeinflusst.
4. Ueber das Wesen der Hämophilie geben auch die Beobachtungen
der Milzbestrahlungen keine entscheidende Klärung. Die Erfolge lassen
sich sowohl nach der alten Theorie erklären, die auch Schloessmann
annimmt und die das Thrombin durch die Einwirkung der Thrombokinase
entstehen lässt, als auch nach der Klingerschen Anschauung, bei cci
durch verschiedene sog. Aktivatoren höhere Eiweissverbindungen zu
Thrombin abgebaut werden. Der Blutzellenverfall würde also eine Ver¬
mehrung der Aktivatoren des Thrombins bedeuten und in seiner Wirkung
der Zufuhr stark proteolytisch wirkender Stoffe entsprechen.
Aus der Universitätsklinik für Dermatologie u. Syphilidologie
in Wien. (Vorstand: Hofrat Prof. Dr. Q Riehl).
Ueber das Misslingen von Abortivkuren bei primärer
seronegativer Lues.
Von W. Kerl, Assistent der Klinik.
Die Resultate der Abortivkuren bei Syphilis sind, wenn man die Be¬
richte der letzten Jahre verfolgt, äusserst verschieden. Während in der
ersten Zeit nach Verwendung des Salvarsans vorwiegend über günstige
Ergebnise berichtet wurde, ja sogar Dauerheilung mit auffallend kleinen
^) Klingen: Studien über Hämophilie. Zschr. f. klin. Med. 85. S. 336.
Digitized by
Go gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4i
und wenigen Injektionen bei mehrjähriger Beobachtung erzielt wurde,
mehren sich in jüngster Zeit die Mitteilungen über „Versager“. Die
Ursache für das Misslingen der Abortivkur wird zum Teil in der Ver¬
abfolgung zu kleiner Dosen erblickt, zum Teil wird auch der Behand¬
lungsmodus, ob Salvarsan allein oder mit Quecksilber kombiniert ver¬
wendet wurde, für bedeutungsvoll erachtet. Dass aber beide angeführte
Momente nicht für die Erklärung ausreichen, ersieht man aus den An¬
gaben über die durchgeführte Behandlung, da auch relativ grosse Salvar-
sandosen, wie sie Wechseimann und Eicke verwendeten, bis¬
weilen nicht zum Gelingen der Abortivkur führten; andererseits sind auch
bei Kombination von Salvarsan mit Quecksilber Versager zu verzeichnen
gewesen.
So berichtet Freymann aus der Klinik B1 aschko über einen
Fall, bei dem trotz energischer Quecksilber-Salvarsankur vier Wochen
später in der nächsten Umgebung des abgeheilten Primäraffektes Papeln
bei negativer Seroreaktion auftraten.
Ueber einen Fall, der ähnlich verlief, soll hier kurz berichtet werden.
Es handelt sich um ein 24 jähriges Mädchen, das sich extragenital in¬
fizierte. Die Sklerose trat am medialen Augenwinkel des linken Auges auf.
Spirochätenbefund war positiv. Die Seroreaktion ergab im Blut ein nega¬
tives Resultat. Die regionären Lymphdrüsen waren noch nicht geschwollen.
Ueber die Zeit der Infektion konnten bestimmte Angaben nicht erhoben wer¬
den. Es wurde eine energische kombinierte Quecksilber-Salvarsankur durch¬
geführt (16 Quecksilberbizyanatinjektionen und 7 Neosalvarsan 0,45). Die
Sklerose, die auch lokal mit grauer Salbe behandelt wurde, heilte prompt ab
und die Patientin war zu Ende der Kur erscheinungsfrei bei negativer Sero¬
reaktion. 5 Wochen nach Beendigung der Kur traten plötzlich vehemente
Kopfschmerzen und Ohrensausen auf; die spezialärztliche Untersuchung (Doz.
Dr. Beck) ergab folgenden Befund: Beiderseits normales Trommelfell und
Mittelohr. Linkes Ohr; normal, rechtes Ohr: Affectio nervi cochlearis. Stimm-
gabclbefund typisch für Kochlearisaffektion. Gehör H m Konversationssprache,
10 cm Flüstersprache. Geringer spontaner Nystagmus nach rechts und links.
Kein Romberg, kein Fehler im Zeigeversuch.
Die Wassermannreaktion im Blut war abermals negativ. Energische
Quecksilberkur, unterstützt durch Pilokarpininjektionen brachte die Erschei¬
nungen allmählich zum Schwinden.
In dem von uns beobachteten Fall kann zu geringe Dosierung für
das Versagen nicht verantwortlich gemacht werden, da die Gesamtmenge
von über 3 g sicherlich als genügend anzusetzen ist, dies umsomehr,
als es sich um eine frische Lues mit negativer WaR. handelte,
in welchem Stadium, wie L e s s e r in der Berliner dermatologischen
Gesellschaft sich äusserte, ein Neurorezidiv nach Abortivkur bisher
niemals beobachtet wurde. Die Kombination von Quecksilber mit Sal¬
varsan. der Habermann und Sinn die günstigen Resultate der
Bonner Klinik zuschreiben, hat in diesem Falle versagt. Die Erklärung
für das Versagen solcher genügend energischer Kombinationskuren dürfte
in einem wie uns scheint, weniger berücksichtigten Momente zu finden
sein. Dies ist der von der Infektion bis zur Diagnose¬
stellung verflossene Zeitraum und die damit zu¬
sammenhängende Verbreitung der Spirochaete pal-
lida im Organismus. Ist schon die Zeit der Infektion schwer
und nur selten zu erheben, so sind die Anhaltspunkte, die wir besitzen,
um uns über die zweite Frage zu äussern, noch viel unbestimmter.
Nach dem Ausfall der WaR. kann man wohl das primäre Stadium
der Lues in eine echte Primärperiode mit negativer Seroreaktion und
in eine unechte mit positiver Reaktion teilen, jedoch umfasst die erste
Zeitspanne sicherlich differente Epochen in Bezug auf die Verbreitung
der Spirochäte.
Nach der Haftung der Spirochaete pallida am Ort der Läsion ist
das weitere Vordringen in den Lymphräumen des benachbarten Gewebes
und insbesondere aber der Einbruch in die Blutbahn von wesentlicher
Bedeutung. Die lokale Verbreitung der Spirochäten wird, abgesehen von
individuellen Verschiedenheiten, besonders vom Ort der Infektion ab¬
hängig sein. Einen Hinweis darauf ergeben die Beobachtungen von
Zimmern, der bei Sitz der Sklerose am Frenulum in 59 Proz. der
Fälle schon in der dritten Woche einen positiven Wassermann vorfand,
während bei Sklerosen an der Glans um diese Zeit nur in 23,5 Proz.
ein positiver Ausfall zu erheben war. Da die positive WaR. ebenfalls
mit (derzeit noch nicht erforschten) biologischen Verhältnissen innig
zusammenhängt, so ist anzunehmen, dass die Lokalisation der Sklerose
auch für die Verbreitung des Virus von ausschlaggebender Bedeu¬
tung ist.
Auch der Einbruch in die Blutbahn wird zeitlich vom Sitz der
Sklerose zum Teil abhängig sein. Diesen für die Behandlung und den
weiteren Verlauf der Syphilis so wichtigen Zeitpunkt kennen wir nicht.
Es ist aber aus den Versuchen von N e i s s e r. sowie auch aus dem
positiven Effekt der Kaninchenimpfungen mit dem Blut von frischer
Lues (Arzt und Kerl) zu ersehen, dass die Generalisierung
der Spirochäten schon recht frühzeitig, vielleicht
ganz kurze Zeit nach der Infektion erfolgt. Wenn wir
auch der Meinung, wie sie Frey mann vertritt, dass die ersten Spiro¬
chätennachschübe durch die natürlichen Schutzvorrichtungen des Körpers
vernichtet werden, beipflichten möchten, so ist doch die Uebertragung
auf das Kaninchen insoferne zur Bestimmung des Zeitpunktes, in welchem
die Generalisierung erfolgt, verwertbar, als die positive Uebertragung
auf das Tier wenigstens nicht wesentlich geschädigte Spirochäten zur
Voraussetzung hat. Für das Behandlungsresultat wird die Zeit der
Generalisalion sich noch günstig erweisen, so lange die Spirochäten nicht
aus der Blutbahn in das Gewebe vorgedmngen sind. Da aber das
Verbleiben der Spirochaete pallida in der Blutbahn mit Rücksicht darauf,
dass sie vorzugsweise als Gewebsparasit zu betrachten ist, nur ganz
Digitized by Goiisle
kurzdauernd sein dürfte und daher nach der Generaliserung rasch in das
Gewebe Vordringen wird, so ist der Nachweis der Spirochäte In der
Blutbahn als zeitlicher Endtermin für die Einteilung der mit günstigen
Aussichten zu unternehmenden Abortivkur anzusetzen.
Selbst aber in diesem Zeitraum sind theoretisch drei Möglichkeiten
gegeben:
1. Im frühesten Primärstadium — geringe lokale Ver¬
breitung an der Eintrittsstelle, keine Oeneralisation — wird die Wahr¬
scheinlichkeit des Gelingens die grösste sein.
2. Unmittelbar vor der Generalisierung dürfte die
lokale Verbreitung bereits vorgeschritten sein. In diesem Stadium ist
das Zurückbleiben von Spirochätennestern wahr¬
scheinlich, da diese an der Stelle des Primäraffektes und in der
nächsten Umgebung eingeschlossenen Spirochäten von dem in der Blut¬
bahn kreisenden Salvarsan nicht genügend beeinflusst werden. Die
langsam zur Wirkung kommende Quecksilberbehandlung könnte eventuell
noch zur Heilung führen. Aus diesen Erwägungen ist die kombinierte
Behandlung in diesem Stadium unbedingt vorzuziehen. Die Wahrschein¬
lichkeit der Abortivheilung ist in diesem Stadium geringer als im I. Sta¬
dium und vielleicht auch geringer als in dem Stadium der frühesten
Generalisation des Virus.
Dass in diesem*dritten Stadium sich die Aussichten wieder
günstiger gestalten, dürfte mit der durch Spirochätenzerfall bedingten
Vermehrung der natürlichen Schutzstoffe des Organismus zu erklären
sein. In diesem Sinne dürfte auch die von uns seinerzeit berichtete
Tatsache, dass die Primärfälle, die bereits mit positiver Seroreaktion
behandelt wurden, länger erscheinungsfrei geblieben sind als jene, bei
denen die WaR. bei Beginn der Behandlung noch negativ war. einer
Erklärung zugänglich sein.
Die Schlüsse, die wjr aus diesen Erwägungen ziehen, sind folgende:
Da wir die Möglichkeit des Versagens einer Abortivkur bei negativer
Seroreaktion vor allem im Zurückbleiben von Spirochätennestern an der
Stelle der Sklerose oder in unmittelbarer Nähe als gegeben erachten, was
durch die Befunde von F i s c h 1 histologisch und durch Tierexperiment
nachgewiesen wurde, so treten wir abermals, wie schön seinerzeit, f ü r
die Exzision der Sklerose weit im Gesunden ein, sofern
der Sitz des Ulcus dies gestattet. Des weiteren haben wir stets 4 bis
5 Wochen nach der ersten Kur eine zweite durchgeführt. Da aber durch
Sitz der Sklerose oder durch unbekannte Einflüsse auch in scheinbar
günstigem Zeitpunkt eingeleitete, entsprechend energische Kur misslingen
kann, als Ursache bei diesen Fällen nicht ein Einbruch in die Blut¬
bahn, sondern Propagation rings um die Eintrittspforte anzusehen ist,
diese Herde aber von der Blutbahn aus nur bei langdauernder Beein¬
flussung zum Schwinden zu bringen sein werden, so haben wir ähnlich
wie dies Riehl schon im Beginn der Salvarsanära für Behandlung
der Syphilis im allgemeinen als vorteilhaft erachtete, unsere Methode in
dem Sinne geändert, dass wir nach der ersten energischen
Kur noch weiterhin Salvarsan in 14tägigen Intervallen
durch ein Jahr hindurch intravenös verabreichen und
gleichzeitig lokal Quecksilbereinreibungen vornehmen lassen. Insbe-
sonders bei Unmöglichkeit der Exzision wird die letztere Applikation,
die von Jo s e p h schon vor Jahren zur Beschleunigung der Rückbildung
luetisch geschwellter Drüsen empfohlen wurde, äusserst notwendig und
wertvoll sein. Gerade bei dieser Art der Behandlung verwenden wir
vorzugsweise Silbersalvarsan, da wegen der geringen Arsenmenge des
Silbersalvarsans die Patienten trotz der wiederholten Injektionen weniger
der Gefahr einer Arsenintoxikation ausgesetzt werden.
Literaturverzeichnis.
Arzt und Kerl: Weitere Beiträge zur experimentellen Kaninchensyphi¬
lis: Ueber die Virulenz der Spirochaete pallida an der Infektionsstelle nach
vorangegangener Therapie. Derm. Zsch. (im Druck). — 2. Fi sch I: Ueber
die Widerstandsfähigkeit lokaler Spirochätenherde gegenüber kombinierter
Luesbehandlung. W.kl.W. 1913 Nr. 37. — Frey mann: Sekundär-luetische
Erscheinungen bei negativem Blutbefund nach Abortivkur. M.KI. 1920 Nr. 39
S. 1004. — Habermann und Sinn: Wie ist die radikale Frühheilung der
seropositiven Primär- und der frOhsekundären Syphilis am sichersten er¬
reichbar. Derm. Zschr. 29. 1920. H. 6 S. 32. — Fritz Lesser: Berl. Derm.
Ges. vom 20. V. 1919, Derm. Zschr. 30. 1920. — F. Zimmern: Ueber den
Sitz de.s Primäraffekts, Positivwerden der Serumreaktion und daraus zu
ziehende therapeutische Forderungen. Derm. Zschr. 30. 1920.
Aus der Universitäts-Kinderklinik Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. v. Mettenheim.)
Zur Theorie der Sache-Georgischen Reaktion.
Von Dr. Kurt Scheer, Assistent der Klinik.
Die frühere Ansicht der Autoren über die Art der Flockenbildung
bei den Reaktionen nach Sachs-Georgi fl] und Mein icke [2]
ging dahin, dass es sich im wesentlichen um eine, die Ausflockung
bewirkende physikalische Aenderung der Globuline handele, wobei
M e i n i c k e die Ursache in einer lonenwanderung des Kochsalzes
erblickte.
Im Gegensatz dazu kommt Kafka [3] auf Grund von Versuchen
mit Farbzusätzen (Sudan III) zu den Extrakten, wonach sich dann die
Flocken bei den Reaktionen deutlich rot färben, zum Schluss, dass bei
der Sachs-Georgi-Reaktion die Extraktlipoide an der Bildung der
Flocken mitbeteiligt sein müssen. Mandelbaum f4l nimmt sogar an,
dass die Globuline überhaupt nicht ausgefällt werden, sondern nur die
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
44
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Lipoide. Neuerdings nimmt auch M e i n i c k e [5] an, dass es sich um
Lipoidbindungsreaktionen in dem Sinne handele, dass die Serumglobuline
mit den Extraktlipoiden eine feste Verbindung eingehen. Als Grund¬
lagen zu dieser Ansicht dienen ihm teils Versuche mit verschiedenen
Serumverdünnungen, teils solche mit Farben (Sudan IV). teils auch
eigene Beobachtungen und solche von Joel [6l im Dunkelfeld, wobei
letzterer bei der zweizeitigen Meinickereaktion Extraktteilchen in den
Flocken nachweisen konnte.
Zum Nachweis der Lipoide in den Flocken bei der Sachs-
Qeorgisehen Reaktion ging ich einen anderen Weg. Ich gewann
grössere, wägbare Mengen von Flocken, extrahierte sie mit Aether und
stellte durch Wägung fest, wieviel ätherlösliche Teile, also Lipoide,
den Flocken entzogen werden könnten.
Der Vorgang bei den Versuchen war dabei folgender: Mit einer
grösseren Menge luespositiven Serums wird die Sachs-Georgisehe
Reaktion mit Originalextrakten XXV und XXVI angesetzt, so dass
eine Gesamtmenge von etwa 50 ccm Flüssigkeit entsteht, diese bleibt
für 24 resp. 48 Stunden im Brutschrank, um eine Ausflockung zu erzielen.
Die ausgeflockte Flüssigkeit wird dann scharf zentrifugiert, wobei die
Flocken sich zu Boden setzen, das Serum abgegossen, der Bodensatz
mit destilliertem Wasser durch Schütteln gewaschen, dadurch von
Serumresten befreit und erneut zentrifugiert. Die F-locken werden dann
bei 56® in einem Uhrschälchen getrocknet und auf einer Analysenwage,
die noch Vio mg genau anzeigt, gewogen; dann etwa 20 Minuten lang
mit reichlich Aether überschichtet; dieser wird in eine andere Schale
abpipettiert und in beiden Schalen der Aether verdunstet *). Dann
wird in der ersten Schale der infolge der Aetherextraktion entstandene
Verlust durch Wägen festgestellt, und damit der Prozentgehalt der
ätherlöslichen Lipoidbestandteile.
In der anderen Schale wird als Kontrolle der durch die Extraktion
entstandene Gewinn an Lipoiden gewogen. Verlust und Gewinn pflegen
sehr nahe übereinzustimmen.
Tabelle 1.
V e r 8 u c
h
I
11
ni
IV
V
VII
Gewicht der Flocken . .
Verlust durch Aetherex¬
2,7
3,3
8,8
1.9
8,3
traktion .
1.4
1.8
4.4
9.4
Aetherrückstand . .
1,S
l.l
2,2
1,0
68,76 •/•
1,4
2,2
72,72*/,
Prozentualer Verlust . .
51,8 7.
48,42 «/a
70,8 %
60.86*/,
73,68*/;
Die Tabelle 1 gibt die an 7 verschiedenen Untersuchungen er¬
haltenen Resultate wieder. Die Gewichte sind in Milligramm aus¬
gedrückt. Bei allen 7 Reaktionen liegt der Anteil der Lipoide an den
bei der positiven Reaktion entstandenen Flocken zwischen 42 und
73 Proz., im Mittel 63 Proz. Dabei ist es gleichgültig, ob die Reaktion
fein- oder grobflockig ausfällt. Z. B. fiel Versuch III feinflockig. Ver¬
such IV grobflockig und stark aus, beide mit dem gleichen Extrakt XXVI
angesetzt. Bei beiden ist der Anteil der Lipoide annähernd der gleiche.
Zur Kontrolle wurden entsprechende Bestimmungen an Globulin¬
flocken, die durch Dialyse gewonnen waren, vorgenommen.
Grössere Mengen ebenfalls positiv luetischen Serums werden in
einer Verdünnung von 1 :10 der Dialyse gegen destilliertes \Vasser
ausgesetzt, wobei die Globuline bekanntlich ausflocken. Die Flocken
werden in gleicher Weise, wie im Hauptversuch abzentrifugiert, ge¬
waschen, bei 56® getrocknet, gewogen und ebenfalls mit Aether ex¬
trahiert.
T a b e 11 e 2.
1 K 0 n t r 0 1 1
v e r 8 n 0 h
I 1
II 1
III 1
IV
Gewicht der Flocken.
Verlust durch Aetherextraktion
Aetherrückstand . ...
Prozentualer Verlust . ...
»,5
1,0
0,8
10,52 */o
18,7
0,6
1,2
4.8 */o
18,7
1,0
0,9
5,34 */«
15,5
1,0
1,1
6.45 */,
Die Tabelle 2 gibt die bei 4 solchen Versuchen erzielten Resultate
wieder.
Darnach machen die durch Aether zu trennenden Teile der Globubn-
flocken nur ca. 5—10 Proz. aus. Die reinen Globulinflocken verlieren
also durch die Aetherextraktion durchschnittlich nur 6,7 Proz.
Wenn man diese Zahl von der in den Hauptversuchen erhaltenen
abzieht, so ergibt sich, dass die Flocken bei der Sachs-Georgi sehen
Reaktion zu etw^a 56 Proz., also mehr als zur Hälfte aus den äther¬
löslichen Lipoiden der Extrakte bestehen.
Die vorliegenden Untersuchungen geben also auf anderem Wege
eine neue Bestätigung der Ansicht, dass es sich bei den Flocken der
Sachs-Georgi-Reaktion nicht nur um Globuline handeln kann, sondern
dass sie zum grösseren Teile aus Lipoiden bestehen und dass die
Reaktion also durch Bindung der Serumglobuline mit den Extrakt¬
lipoiden erfolgt.
Literatur.
1. Sachs und Qeorgi: M. KI. 1918 Nr. 33; M.m.W. 1919 Nr. 16. —
2. Mein icke: B.kl.W. 1917 u. 1918 Nr. 4; Zschr. f. Immun.Forsch, 29. —
3. Kafka: Derm. Wschr. 1920 Nr. 25. —'4. M a n d e 1 b a u m: M.m.W. 1920
Nr. 33. — 5. Me in icke: D.m.W. 1920 Nr. 37. — 6. Joel: Zschr. f.
Immun.Forsch. 29.
•) Auf eine restlose Aetherextraktion kam es mir hierbei nicht an.
Beitrag zur Therapie schlecht heilender Wunden.
(Elektrolytische Versuche an Pflanzen und Menschen.)
Von Dr. Oscar Dieterich, Stuttgart.
) Verfasser möchte hiermit Versuche vorlegen, welche über die Ein¬
wirkung von gelösten anorganischen Salzen auf schlecht heilende Wun¬
den berichten. Die Versuche wurden während der Kriegsjahre an folgen¬
den Kliniken und Lazaretten ausgeführt: an der Chirurgischen Universi¬
tätsklinik München unter Herrn Geheimrat Prof. v. A n g e r e r und nach
dessen Tode unter Herrn Prof. Dr. v. Ach daselbst, ferner an der
Dermatologischen Abteilung der Medizinischen Universitätsklinik unter
Herrn Prof. .Dr. v. Zumbusch und in zwei Lazaretten unter Leitung
des Herrn Prof. Dr. Ad. Schmitt, sämtliche in München.
Ueber die Grundlagen und über die Technik der Elektrotherapie so-
wde über die Verwendung derselben zur Einführung von gelösten Salzen
durch die gesunde Haut, ist von berufener Seite schon so viel Gutes ge¬
schrieben worden, dass der Verfasser bittet, auf jene Literaturhinweise
verzichten zu dürfen. Die Versuche des Verfassers beziehen sich im
Gegensatz zu ienen Arbeiten auf schlecht heilende Wunden.
Ausgehend von dem Standpunkte, dass eine durch Trauma oder
Krankheit geschädigte Zelle auch in ihrer physiologischen Leistung ge¬
schädigt sei und hierin ein Faktor liege, welcher bei der Regeneration
der Zelle im Sinne einer Hemmung von Bedeutung sein könne, lag der
Gedanke nahe, Mittel und Wege zu finden, um die funktionelle Leistung
jener geschwächten Zellen zu heben — und damit ihren Stoffwechsel zu
fördern —, Granulation anzustreben, also den Weg zur Heilung ein¬
zuleiten. Der Weg war verlockend, von Tausenden schon angestrebt
und zum Teii mit Erfolg betreten worden. Ich erinnere an alle jene Be¬
handlungen, deren Kern immer wieder in einer Reizung des erkrankten
Gewebes besteht welche auf mancherlei Art und Wei.se erreicht werden
kann. Ob es nun eine reduzierende Salbe ist wie Lenigallol, oder ob
wir die bekannte Scharlachrot- und die Pellidolsalbe benützen, der Kern
davon liegt immer mehr oder w'eniger ausgesprochen in dem Reiz auf
die oberste Zellschichte D, welche dadurch eine Wachstumsanregung
erhält. Einen anderen Weg mit gleichem Ziel geht die physikalische
Therapie. Deren Mittel sind Strahlen verschiedener Qualität, welche in¬
folge verschiedener Wellenlänge bald die Zelle als ganzes Gebilde
nur reizen, bald deren inneren Bau erschüttern, vermutlich die Eiweiss-
moleküle selbst treffen und dadurch die chemische Leistung der Zelle
verändern und —nicht selten — oft ungewollt dieselbe ganz zerstören.
(Reihe der chemisch wirkenden Strahlen.)
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Röntgen- und Blaulicht¬
strahlen =*). Entweder kann nur die kutane Schichte mit relativ weichen
Strahlen getroffen w erden, oder man durchstrahlt die Haut mit härteren
Strahlenqualitäten und kommt dann gleich in die Tiefe. Die fortschrei¬
tende Entwicklung der Röntgenologie hat zwar gerade die Bestrahlungs¬
technik am meisten gefördert und es hat die Ekzem- sowie die Akne-
und Sykosistherapie sicher mehr davon profitiert wie jene der schlecht
heilenden Ulcera mit anderer Aetiologie. Letzteren und zunächst nur
diesen Erkrankungen gilt die Therapie des Verfassers.
Der gesuchte Weg verlangt eine solche Therapie, welche Ober¬
flächen- und Tiefenwirkung zugleich ermöglicht ohne jedoch schädliche
sekundäre Reizungen zu setzen. Im nachstehenden sei nun ein Versuch
kurz wiedergegeben, der als Referat in Nr. 12 der Umschau am 27. III. 20
erschienen ist. Wie aus der Einleitung hervorgeht, wollte der Verfasser
die Aufgabe so lösen, dass er den Stoffwechsel einer grösseren Gewebs-
partie durch Zufuhr einer anormal grossen Menge gelöster Salze zu heben
suchte; derart, dass ein Ueberschuss von Salzen, d. h. deren Ionen in
kleinen Mengen regelmässig und in Abstufung zugeführt werden solle
und dass in Anpassung an diese Dosen auch die Arbeitsleistung jener
Gewebsschichte zunehmen und damit auf die daraus abzuleitende Thera¬
pie bezogen, eine Regeneration kranker Schichten aus eigener Kraft ein-
treten würde. Um ein Urteil darüber zu gewinnen, ob ein solches Ex¬
periment überhaupt möglich ist, stellte Verfasser obenerwähnten Pflan¬
zenversuch an.
Der Pflanzenversuch.
Es wurden im Sommer ca. 3 Dutzend Bohnen (Phaseolus vulearis) in Gar¬
tenerde gesteckt und begossen. Nach 14 Tagen von 30 Stecklingen in 3 Serien
ä 10 junge Pflanzen genommen. 10 davon verblieben in der Erde: 10 kamen
in K n o p sehe Nährlösung und weitere 10 ebenfalls in solche Lösung, aber
deren Wurzel samt einem Drittel des Stengels wurden in einen für sämtliche
Pflanzen parallel geschalteten Stromkreis von geringer Stromstärke (wie
er etwa für eine Taschenlampe gebraucht wird) eingeschaltet. Alle 3 Serien
wurden in üblicher Weise überwacht und mit Ausnahme der dritten Anlage,
welche mit täglich langsam steigenden Elektrisationen, zuletzt bis 90 Min.
pro Tag, beschickt wurde, den gleichen Einflüssen in Bezug auf Licht,
Wärme und Lüftung etc. ausgesetzt. Nach dreiwöchentlicher, täglich regel¬
mässiger Behandlung, konnte Verf. diesen Versuch aus äusseren Gründen
nicht mehr selbst überwachen und brach denselben um so leichter ab. als
der Unterschied in dem Wachstum der 3 Serien so markant zu Gunsten
der elektrisierten Pflanzen ausgefallen war, dass eine Fortsetzung des
Experimentes aus rein botanisch-physiologischen Gründen, z. B. denen des
0 Mit Ausnahme der Lupusbehandlung, welche gleichzeitig mit der An¬
regung auch die Entfernung des lupösen Gewebes anstrebt — also gewisse r-
massen eine chirurgische Massnahme ersetzt —, desgleichen beim Haut-
kankroid und bei ähnlichen Neubildungen.
^ In letzter Zeit haben die Schädigungen infolge schärferer Dosierun«:
wesentlich abgenommen, ja manche Röntgenologen meistern ihre Apparate
geradezu.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
14, Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
45
Erträgnisses und des Stoffwechsels wohl interessant gewesen wäre, aber
ira Sinne der gestellten Fragen nicht mehr zwingend war. Die funktionelle
Leistung der Zelle war, wie das Ergebnis bewies, wesentlich gesteigert
worden, wenn man vermehrtes Wachstum, stärkere und reichere Entwicklung
der Pflanzen als beweisend anerkennt.
Dies Ergebnis war nun gesichert, aber es wäre der physikalische
Vorgang in bezug auf den unmittelbaren Einfluss der Salz¬
zufuhr, die erwartete Turgorschwankung (Säftedruckschwankung) ex¬
perimentell noch nicht erwiesen, wenn nicht der Zufall durch
ein Versäumnis auch dieses Geheimnis entschleiert hätte. Am 4. Behand¬
lungstage wurde die rechtzeitige Lüftung und Abdeckung der Pflanzen
versäumt, weil aus einem bewölkten Himmel unerwartet rasch einer
der strahlenden Sommertage wurde, an welchem nicht nur Mensch und
Tiere, sondern vor allem auch die Pflanzen im verglasten Raume Lüftung
und Abdeckung verlangen. Unter den heissen direkten Strahlen waren
die Pflanzen derart welk geworden, dass man ihnen die Not schon von
weitem ansah. Bei einigen derselben standen die Blätter schon senkrecht
zui Blattachse, gewiss eine nur in der Not eintretende Kontrakturstellung
der Blätter, um möglichst jeden weiteren Flüssigkeitsverlust durch Ver¬
dunstung zu vermeiden. Andere Hessen die Blätter schlaff hängen. Da
es Zeit zum Elektrisieren war, wurde der Stromkreis geschlossen und
bei gleichzeitiger Lüftung und Abdeckung erholten sich die Pflanzen
der Serie 3 innert einer Stunde so vollkommen — die Blätter nahmen
schon nach 30 Minuten wieder Normalstellung ein —, dass jegliche Ge¬
fahr für diese vorbei war. Anders die nichtelektrisierten Pflanzen der
Serie 1 und 2. Ein Teil von ihnen verlor von den welken Blättern,
alle aber brauchten mehrere Tage bis zur völligen Erholung. Dieser Ver¬
such zeigt nun beweisend den Einfluss des elektrischen Stromes auf den
Säftedruck, wobei der elektrische Strom nach Ansicht des Verfassers nur
das Transportmittel der dissoziierten Salze aus der Lösung in die Pflanze
darstellt.
Der Versuch hat nun in bezug auf die Pflanzen erwiesen, dass
wenn man die, einem lebenden Gewebe physiologisch
normal angehörenden Salze in erhöhter Quantität
durch den elektrischen Strom zuführt, dieser Orga¬
nismus mit vermehrtem Wachstum und ungewöhnlich
rascher Reaktion in erhaltendem Sinne auf störende
Einflüsse zu antworten vermag.
Die Anwendung des Experimentes auf schlecht
heilende Wunden.
Der erste Versuch wurde an einem Patienten durchgeführt, welcher
die Amputation des rechten Vorderfusses verweigerte; ein Invalide, der
schon 114 Jahre im Lazarett herumhumpelte.
Bei diesem Patienten hatte sich infolßc einer Schussverletzung der
Femoralis in wenigen Tagen am Vorderfuss des Beines ein Malum perforans
ausgebildet, welches damals, nach Jahren, noch progredient war. Da
sonst noch eine unausgeheilte Knocheneiterung am gleichen Unterschenkel
bestand, der Pat. aber jeden chirurgischen Eingriff verweigerte, so entschloss
sich der damalige Leiter des Lazarettes, Herr Prof. Dr. Schmitt, nach
reiflicher Ueberlegung des vorgeschlagenen Versuches, zur Ausführung des¬
selben; Ein gewöhnlicher, weisser, gut gereinigter, emaillierter Eimer wurde
mit einer annähernd physiologischen Kochsalzlösung gefüllt. Eine flache
Elektrode in das auf Körperwärme temperierte Fussbad so eingehängt, dass
diese Anode nur einige Zentimeter von der Wunde entfernt war. In der
Gegend des S c a r p a sehen Dreiecks wurde die gut durchtränkte und noch
ausserdem mit verdünnter HCl befeuchteter Zwischenlage (aus Zell¬
stoffwatte) versehene Kathode der Haut satt aufgedrückt (und vom Pat.
während des Bades gehalten), ein Widerstand für Schwachstrom an den
gewöhnlichen, sonst zu Leuchtzwecken dienenden Steckkontakt in den Strom¬
kreis eingeschlossen, so dass für den Patienten eine Stromstärke von 4 bis
10 Milli-Amp. und 4 —8 Volt verwendet wurde (bei geringerer Spannung
kann man aucli Stromstärken von Vj—%, Ampere verwenden). Dauer der
ersten Anwendung 20 Minuten, täglich 2 mal. Da der Unterschenkel stets
kalt war, bekam Pat. noch mit heissem Wasser gefüllte Wärmekrüge ins
Bett und verhielt sich im übrigen bei sonst gleicher Pflege ruhig. Nach
ca. 10 tägiger Behandlung hatte sich bereits eine auffallende Besserung ge¬
zeigt, ein erster Erfolg, der mit der Ueberlassung eines weiteren Falles
quittiert wurde. Im weiteren Ausbau der Technik gewann auch die thera¬
peutische Erfahrung und bald gingen wir dazu über, die Temperatur des
Bades, dessen Dauer und langsam auch die Stromstärke nach jedem 3. Be¬
handlungstage zu steigern. Als durch Zuwachs eines anderen Lazarettes eben¬
falls unter Leitung von Herrn Prof. A. Schmitt die Zahl und Auswahl
der überlassenen Fälle zunahm, gewannen wir auch ein Urteil über die
Wirkung der verschiedenen Lösungen sowohl als auch über die zu ver¬
wendende Lösungsstärke. Ich verwendete meist Chloride und gewann bald
den Eindruck, dass nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer
Unterschied in der Wirkung der einzelnen Lösungen bei sonst gleichen
Bedingungen zu erkennen war. Mit dem Hinzutritt des grossen Materials
der chirurgischen Universitätsklinik in München, damals unter Leitung
Sr. Exz. Geheimrat v. Angerer und nach dessen Tode unter Herrn Prof,
v. Ach konnte eine systematische Auswahl und Beurteilung derart ange-
strobt werden, dass verschiedene gleichartige Erkrankungen und Verletzungen,
die einen torpiden Verlauf genommen hatten, nebeneinander bei verschiedener
Behandlung beobachtet werden konnten. Ein Teil der Fälle wurde auch
röntgenologisch verfolgt.
Fasst man die in vorgenannten Anstalten gewonnenen Resultate
zusammen, so Hess sich durchgehends eine wesentliche Verkürzung der
Heilzeit für solche Verletzungen erkennen, deren Heilzeit aus der Er¬
fahrung bestimmt werden konnte. Manche Fälle, wie Fungus des Mittel-
fusses und andere weniger oft vorkommende Fälle wurden nur so lange
behandelt als Patient blieb, d. h. bis dass er wieder arbeitsfähig oder
doch wenigstens gehfähig war. Leider verloren wir die meisten der-
Nr. 2 .
Digitized by Goüsle
selben wie so oft (und trotz mancher unbeantworteten späteren An¬
frage meinerseits) ausser Kontrolle.
Im Jahre 1917 öffnete Herr Prof. v. Zumbusch die Dermatologische
Abteilung der Med. Klinik vom Krankenhaus 1. d. I. zu einigen Be¬
obachtungen des Verfahrens auf dermatologischem Gebiete, und mit Ein¬
verständnis des Herrn .Geheimrat v. Müller durften die elektrischen
Badevorrichtungen der Klinik offiziell zum weiteren Ausbau der Therapie
benützt werden. Die vorzügliche Einrichtung dieser Klinik, speziell des
dazu wie geschaffenen Vierzellcnbades, dazu noch die vorhandenen Sitz-
und Vollbäder mit geeignetem Anschluss Hessen hier praktische Arbeit
leisten. Zur Behandlung kamen tuberkulöse Erkrankungen, wie Lupus
vulg. und ein Fall von Analfisteln mit dicken lividen Drüsenpaketen.
Einige Gummen am Unterschenkel; eine Lues congenita mit offenen
Ulcera an den Beinen; eine Reihe torpider unspezitischer Eiterungen im
Anschluss an Verletzungen und 2 mal Verätzungen artifizieller Art.
welche sich Pat. bei jedem unbewachten Augenblick zu verschlimmern
wussten. Dann Narbengeschwüre und sonstige grössere Hautdefekte
auf einstiger traumatischer Basis.
Die Fälle mit Lupus vulgaris reagierten zum Teil in kurzer Zeit.
So wurde ein Patient mit nur noch geringem Defekt nach ca. 6 Wochen
auf eigenen Wunsch wieder entlassen. Die obengenannte Analfistel
konnte auch innerhalb dieser Zeit in guter Verfassung entlassen werden.
Elektrische Sitzbäder und die Kathode auf dem Sternum, 2 mal pro Tag,
waren die Anwendungen.
Reagierte ein Ulcus auf NaCl-Lösung nicht innerhalb 8 Tagen, dann
wurden Kalzlumchloridlösungen derselben Konzentration gegeben, aui
welche dann meist spontan die erwartete Reaktion: Rötung und (ver¬
mehrte) Granulation einsetzte. Bei Pyodermien war der Erfolg kein über¬
zeugender; wenngleich auch einzelne Fälle rasch in 10—14 Tagen aus¬
heilten, so waren doch wieder Fälle da, welche nach 4—5 Wochen immer
wieder neue Schübe darboten und welche dann ambulant weiter¬
behandelt wurden. Narbengeschwüre heilten prompt zu — aber sie
gingen auch ebenso prompt wieder auf die geringste Läsion hin aui.
Verfasser kam dabei auf den Standpunkt, die Narben völlig heraus¬
zupräparieren und dann mittels des Verfahrens auf der Basis einer soliden
Grundlage und Randverbindung mit gesundem Gewebe neue haltbare
Granulationen zu entwickeln. Diese so gewonnenen Resultate waren
von raschem und dauerndem Erfolge in einem Falle, wo nach Verbren¬
nung bereits die dritte Transplantation erfolglos vorgenommen wor¬
den war.
Endlich noch eine Beobachtung über die Qualität der Epithelisierung
der mit diesem Verfahren bis zur völligen Ausheilung behandelten De¬
fekte. Bei nicht allzu tief in das Unterhautzellgewebe reichenden Haut¬
defekten, bei welcher sonst entstellende Narben erzielt wurden, war die
Ausheilung eine ideale und haben wir oft das Wiederaufspriessen von
Haaren über dem neuen Epithel gesehen.
Bei einer schweren Verbrennung an der vorderen Thoraxhälfte eines
jungen Soldaten (durch eine Leuchtkugel) war ein den ganzen vorderen
Thorax deckendes, mit 6 ca. einmarkstückgrossen Geschwüren versehenes,
livides, pergamentartiges, dünnes Epithel geblieben, das sich wie auf sulziger
Unterlage Hegend anfUhlte. Nach den Achselhöhlen und Schultern zogen
dicke, narbige Stränge, w'elche den Patienten an den Oberarmen gewisser-
massen fesselten. Die Exkursion der Arme war nur gering, schmerzhaft
und erzeugte Einrisse in das Epithel. Nach 6 Wochen konnte Patient in die
Heimat entlassen werden. Seine Arme waren wieder beweglich geworden
und auf dem Thorax hatten sich Hautinseln von normaler Beschaffenheit ge¬
bildet, welche zum Teil schon konfluierten. Mit den zuvor äusserst empfind¬
lichen Händen konnte er wieder schwere Arbeit verrichten. Dieser Patient
lag damals im Lazarett von Herzog Karl Theodor, dessen chirurgische
Leitung Herr Prof. Ad. Schmitt in Händen hatte. Vor der Entlassung
wurde dieser Patient wegen der auffallenden Regeneration seiner Thoraxnarbc
in der dermatologischen Klinik vorgestellt.
Ein Erklärungsversuch zu diesen und ähnlichen
Experimenten.
„Die Hypothese darf fallen, aber das Experiment an sich, das muss
stehenbleiben.“ Diesen Satz werde ich nicht vergessen und ich werde
ihn mir auch treu bewahren. Prof. M o 11 i e r hat ihn uns einmal anläss¬
lich der Wiedergabe verschiedener Erklärungsversuche über ein und den¬
selben Vorgang mit auf den Lebensweg gegeben. So gehe denn auch
nachstehende Hypothese hinaus als Pflichtversuch, eine Sache zu er¬
klären, für welche der Verfasser freudig gearbeitet hat.
Was der Versuch an den durch Hitze im geschlossenen Glaskasten
welk gewordenen Pflanzen zeigte, die in Nährlösung standen und welche
durch die sofortige Zufuhr von Salzen mittels des elektrischen Stromes
auch die entsprechende Wassermenge aufnahmen, um. sagen wdr das
einmal recht bescheiden, ihren Durst zu stillen — das tut ja Mensch
und Tier auch. Aber was so selbstverständlich klingt, bei der scharfen
Abtrennung, welche manche Forscher zwischen Pflanzen und Tier ohne
sichere morphologische Grenzen machen (es sei denn, sie liege auf dem
Gebiete des Stoffwechsels und der Ausscheidung), aber doch auffallend
ist. das liegt in der Tatsache, dass Pflanzen und Tiere sowohl bei Salz¬
zufuhr wie auch nach Wasserverlust durch Hitze das Bestreben haben,
wieder Wasser aufzunehmen. Diese ebenfalls durch den Versuch be¬
kannte Erfahrung hat den Verfasser bestimmt, eine physiologische Frage
an den menschlichen Organismus zuerst an einer gewöhnlichen Bohnen¬
pflanze, der Phaseolus vulgaris, zu prüfen.
Dass wir durch dieses Experiment praktisch in bezug auf die tierische
Zelle viel, theoretisch aber nicht viel gewonnen haben, lässt sich durch
wenige Fragen leicht feststellen. Aus welchem Grunde erfolgte die Auf-
4
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
46
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
nähme von Flüssigkeit? Warum litt die Pflanze in ihrer Nährlösung
Durst wie ein Schiffbrüchiger auf hoher See. Welcher Funktionsverlust
war eingetreten? Gewiss, die Pflanzen hatten sichtbar Wasser verloren
und dadurch ihre normale Spannung eingebüsst. Betrifft diese Span¬
nungsverlust aber alle Zellen der Pflanzen? Hatten dieselben auch Ge-
webssalze verloren? Ich glaube dies nicht. Weder Schmeckversuche ^
Stengeln und Blättern, noch die Lupe lösen das Geheimnis. Es ist
wahrscheinlich eine Stoffwechseländerung in der Pflanze vor sich
gegangen, bei welcher die Salze aus den Kapillaren abgewandert sind
und eine Umlagerung zum Aufbau gefunden haben; entsprechend der
rascheren Arbeit in der Hitze war Mangel an Baustoff eingetreten und
— Müdigkeit etwa? Denn Baustoff lag ja um die Wurzeln gelöst —
oder war der übrige Zellstoff Wechsel ins Hintertreffen geraten? Und
wenn ich versuchen wollte einen quantitativen Verlust an Nährsalzen im
Standglas pro Zeiteinheit festzustellen, dann könnte ich vielleicht die
minimale Abwanderung, die eben noch zum Weiterbau genügt, gar nicht
absolut feststellen, doch soll hierüber an anderer Stelle berichtet werden;
zum Vergleich mit der Physiologie des Menschen nur noch beiläufige Er¬
läuterung. Die zuführenden Gefässe der Pflanzen stellen ein System von
Längskapillaren dar, welche durch Quermembranen abgeteilt sind. Durch
Einhängen von Pflanzen in geeignete Farblösungen und durch Serien¬
schnitte kann man das leicht demonstrieren. Ob aber die vermehrte Ar¬
beit der Pflanze schon durch die vorübergehende Druckerhöhung in den
aufsteigenden Kapillaren ausgelöst wird, oder erst mit der intrazellulären
Aufnahme der eingeführten Ionen erfolgt, das wird wohl erst die Zukunft
lehren. Die Pflanzen sind enorm sensible Organismen und da sie, wie
der tierische Organismus, auch von elektrischen Strömen durchflossen
werden, überdies deren Wurzelspitzen, wie die moderne Physiologie
zeigt, auf elektrische Reizungen besonders empfindlich sind, so wäre
auch der Gedanke nicht abzulehnen, dass durch den elektrischen Strom
der ganze im Stromkreis einbezogene Pflanzenteil eine Reizung erfährt,
aus welcher sekundär oder gleichzeitig mit der Elektrolyse eine Steige¬
rung des Stoffwechsels resultiert. Betrachte ich völlig objektiv eine
Pflanze aus der Serie 3 (der elektrisch behandelten), so kommt mir bei
der auffallend reichen Entfaltung von deren Kapillarsystem doch zuerst
der Gedanke an ein vergrössertes Röhrensystem, welches aus An¬
passungsgründen im Sinne der erhöhten Zweckmässigkeit mehr Wasser
nach dem Verbrauchsort zuleitet. Im Sinne dieses physikalischen Aus¬
druckes nehme ich an: erst die Zufuhr von wenn auch nur ge¬
ringen Salzmengen und dann sekundär die Osmose.
Eine solche als regelmässige Reizwirkung aufzufassende Anregung
des Gesamtsystems der Versuchspflanzen, lässt begreifen, dass deren
Entwicklung eine einheitliche blieb. Nebenbei darf daran erinnert wer¬
den, dass die Zufuhr von Salzen aus einer Nährlösung, ein dem Be¬
dürfnis der Pflanzen angepasstes Gemenge darstellt. Bezieht
man den letzten Qedankengang auf ähnliche Versuche am tierischen Ge¬
webe, so fällt einem die Ringerlösung von selbst ein und man denkt
mit Interesse an der Lösung des Serumsalzes, über w'elches W. Straub
in Nr. 9 der M.m.W. (Jahrg. 1920) aus dem Pharmakologischen Institut
der Universität Freiburg i. Br. berichtet.
Legt man jedoch bei diesen Versuchen den Schwerpunkt auf die
osmotischen Versuche allein, dann könnte man die Zusammensetzung
der Salze auch nach quantitativen Gesichtspunkten bestimmen und die
Salzlösung beliebig wählen. Es ist wahrscheinlich, dass eine Zellreizung
in anregendem Sinne auch dann erhalten wird, wenn nur eines der
gewohnten Salze dem Körper zugeführt wird; es fragt sich dann nur,
ob der Anfangserfolg ein dauernder ist. Es fehlt andererseits auch nicht
an Versuchen, welche mit den verschiedensten körperfremden Mitteln
einen lokalen Gewebsreiz ajistreben, wobei Einreibungen, Salbenauflagen
und Injektionen verschiedener Art das Mittel der Wahl darstellen. Manche
Präparate werden wie das Hg häufig als Depot angelegt, welches unter
verschiedenen Wirkungen zu Resorption gelangen kann. Der Vorgang
aber, der sich zwischen der Injektion und der Ausheilung einer Erkrankung
abspielt, ist noch unbekannt. Wirken z. B. Arsen und Chinin nur tötend
auf den Parasiten im Blut und im Gewebe oder aber erfährt der Körper
infolge des fremden Reizes dieser Stoffe auch eine erhöhte Fähigkeit
der Abwehr in irgendeiner die Parasiten störenden Eigenschaft? Wenn
auch die erste Fieberreaktion aus den freiwerdenden Endotoxinen zer¬
fallender Spirochäten abgeleitet werden kann, so ist doch das Arsen
ein so starkes Gift für die Körperzelle, dass eine Rückwirkung auf Blut¬
zellen denkbar wäre, die ihrerseits noch unbekannten Anteil an der
Herxheim ersehen Reaktion haben können, wie an der Oesamt¬
wirkung des Arsens. Neben diesen Salzen mit ihrer mindestens gleich¬
zeitig spezifischen Wirkung ist aber die Zahl jener Mittel sicher nicht
klein, welche einen allgemeinen lokalen Gewebsreiz ohne
bekannte spezifische (Qualität auslösen. Immerhin genügt diese Ein¬
wirkung auffallend häufig zur Beseitigung lokaler Erkrankungen, nur muss
man sich hüten, dem Erfolg über Gebühr ein spezifisches Mäntelchen
umzuhängen, deshalb, weil die Dosierung des Qewebsreizes zufällig oder
auch mit Wahl getroffen wurde.
Einen oft gesuchten Weg hat in letzter Zeit H e i l n e r mit seinem
Sanarthrit eingeschlagen. Sein wissenschaftlicher Erfolg besteht un¬
zweifelhaft wohl darin, dass er auf der Suche nach einem krank*-
heitsspezifischen Abwehrstoff, einen anscheinend g e w e b s-
spezifischen Reizstoff herausgebracht hat. Ob die sekundären
Wirkungen Kinderkrankheiten der Dosierung oder der Reindarstellung
sind, darüber wird wohl noch Bericht zu erwarten sein, desgleichen wird
die Praxis über den Erfolg bei den verschiedenen Arthritiden noch urteilen
müssen.
Wie vorliegender Erklärungsversuch gezeigt hat, stehen verschiedene
Wege offen, funktionsschwaches Gewebe anzuregen, und so gewiss die
Wissenschaft über die innersekretorischen Vorgänge weiter ausgebaut ist,
werden wir auch erkennen, dass der Widerstand, den eine spezifische
Gewebsart bestimmten gewohnten Abnützungen entgegensetzt, mehr
oder weniger eine innersekretorische Unterstützung erfährt. Ob
die „Disposition“ eventuell nur den Ausdruck einer graduellen,
gewebsspezifischen Schutzwirkung darstellt, können wir aus dem unter¬
schiedlichen Verhalten verschiedener Gewebsarten gegenüber ein und
demselben Virus nur vermuten, jedoch dürften neben spezifischen Schutz¬
vorrichtungen noch solche allgemeiner Natur vorhanden sein.
Auch die vom Verfasser geübten Versuche, körpergewohnte Salze
durch eine Wunde einzubringen, haben qualitative wie quantitative Wir¬
kungen erzeugt. Da jedoch anzunehmen ist, dass diese Salze in erster
Linie irgendwo spezifische Arbeit zu leisten haben, so steht die Aufgabe
noch offen, analog den spezifischen und allgemeinen Abwehrstoffen deren
Spezifität noch festzustellen. Zweifellos wird der Arzt alsdann in den
verschiedenen Formen der Darreichung (subkutan, intramuskulär und
intravenös etc.) ein verschieden rasch und stark wirkendes Medikament
besitzen.
Zusammenfassend lässt sich somit wiederholen: Der biologische-
Pflanzenversuch des Verfassers (s. Ref. in H. 12 1920 der Umchau) hat
gezeigt, dass durch Elektrolyse von Pflanzen (in Nährlösung) die funk¬
tioneile Leistung derselben auffallend erhöht werden konnte, w^as sich
vor allem in einem vermehrtem Wachstum derselben gegenüber den
Kontrollpflanzen ergab. Ferner konnte ein ausgleichender Einfluss auf
den Säftedruck im Welkungszustande der Pflanzen festgestellt werden.
Die Uebertragung des Versuches auf den Menschen, bei schlecht
heilenden Wunden ebenfalls einen die Gewebsfunktion steigernden Ein¬
fluss zu erzielen, hat sich im allgemeinen bestätigt. Der Verfasser
unterscheidet eine allgemeine und eine spezifische Wirkung der physio¬
logischen Salze auf das Gewebe und trennt die physikalische von der
chemischen Reaktion. Da die zugeführten Salze zuletzt dem Blutkreis-,
lauf zugeführt werden, so sind auch innerliche (sekundäre) Wirkungen
zu erwarten, die zu erforschen zukünftiger Arbeit überlassen ist.
Am Schlüsse dieser Mitteilungen möchte der Verfasser jene Zeit
der Versuche nicht erwähnen, ohne dabei nochmals derer zu gedenken,
welche in regem Interesse sich für die Durchführung der Arbeit ein¬
setzten. Sr. Exz. Herrn Geheimrat Prof. Dr. v. Angerer tf damals
Chef der chirurgischen Universitätsklinik, und seinem damaligen Ver¬
treter, Herrn Prof. Dr. v. Ach, sowie Herrn Prof. Dr. Ad. Schmitt
an den von ihm geleiteten Lazaretten, ferner seinem späteren Chef,
Herrn Prof. Dr. v. Z u m b u s c h, in dessen Abteilungen der medizinischen
Universitätsklinik alle geeigneten Fälle mit diesem Verfahren über ein
Jahr lang bis zur Auflösung der Lazarette daselbst behandelt wurden,
ihnen allen sowie all den Kollegen, welche mit Interesse die Ver¬
suche mit überwachten, an dieser Stelle nochmals herzlichsten Dank.
Das Saccharorefraktometer, ein neuer Apparat fOr
quantitative Zuckerbestimmung.
Von Dr. P. Di lg, Emden (Ostfriesland).
Unsere quantitativen Zuckeruntersuchungsmethoden kranken
alle an einem Hauptfehler, der am offensichtlichsten wird, wenn man auf
andere Untersuchungen hinweist: während bei den qualitativen Zucker¬
und Eiweissproben der Arzt in der Sprechstunde sofort seine Diagnose
stellen und die Therapie in die Wege leiten kann, ist er. wenn es Ihm
auf die Z u c k e r m e n g e ankommt, leider nicht in der Lage, mit gleicher
Schnelligkeit arbeiten zu können. Nur mit dem Polarimeter war es ihm
bisher möglich, rascher zum Ziel zu kommen.
Da die Polarimeter teure Instrumente sind, und auch, mancherlei
Schwierigkeiten und Umständlichkeiten aufweisen, so habe ich versucht,
eine andere optische Methode auszuarbeiten, die auf einfachere
Weise und sogar rascher zum Ziele führen soll.
Es ist dies die Methode der einfachen Lichtbrechung der
Traubenzuckerlösungen. Die chemische Industrie hat schon länger Appa¬
rate nach diesem Prinzip für sirupöse Lösungen im Gebrauch. Doch sind
dies recht komplizierte und auch völlig anders gebaute Instrumente, wie
der von mir für diesen Zweck hergestellte Apparat.
Bei diesem (S a c c h a r o r e f r a k t o m e t e r) ist auf den Haupt¬
zweck: rasche, praktische Brauchbarkeit, besonders das Augenmerk ge¬
richtet worden. Der Praktiker bedarf nicht so sehr wie etwa der ana¬
lytische Chemiker der äussersten Genauigkeit, ist hierin auch nicht ver¬
wöhnt, da sämtliche bis jetzt vorhandenen Untersuchungsmethoden viele
und recht grosse Fehlerquellen besitzen (Titration, Polarimeter, Gärung!!).
Die Eigenschaft des Zuckers, die bei meinem Apparat nutzbar ge¬
macht wird, ist die einfache Ablenkung eines durch Zuckerlösungen fallen¬
den Lichtstrahls, die entsprechend dem Prozentgehalt zu- und abnimmt.
Um diesen Vorgang praktisch verwerten zu können, wurde die Lösung
in ein dreikantiges Glas-Hohlprisma gegossen und mittels eines vor dem
Prisma befindlichen Visierfernrohrs eine hinter demselben aufgestellte
Marke beobachtet. Das Prisma ist um eine Vertikalachse drehbar und
wird zunächst so gestellt, dass bei Wasserfüllung des Prismas die ge¬
nannte Marke in der Mitte des Fernrohrfadenkreuzes erscheint. Zucker¬
lösungen, die nun statt des Wassers beobachtet werden, erfordern eine
etwas andere Drehung des Prismas, und diese Drehungsgrösse hängt vom
Prozentgehalt ab und lässt sich sonach an einer Skala empirisch ein-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
47
t.-^agen. Somit kann in der Anwendung nach Einstellung des Apparates
I Marke—Fadenkreuz) der Prozentgehalt direkt abgelesen werden.
Der Vollständigkeit halber sei für physikalisch strenge Kritiker erwähnt,
dass die Farbe des Lichtstrahls und die Temperatur der
Losung nicht gleichgültig sind. Praktisch umgeht man beide Fehlerquellen
i-ehr leicht: die Temperatur wird in der Eichung und im Gebrauch als
Zimmertemperatur festgelegt und die Farbe des Lichtstrahls fällt tatsächlich
wenig ins Gewicht, da der Apparat für Urinuntersuchungen gebaut ist und
damit schon kein gemischtes Licht durchtritt; ausserdem ist dieser Fehler
p raktisch minimal.
Für reine Traubenzuckerlösungen ist die Methode absolut genau. Wie
bei allen andern Zuckeruntersuchungen treten aber Fehler auf, wenn
man Urin untersucht! *)
Auch bei der beschriebenen Methode macht die Eigenbrechung
der gelösten Urinbestandteile Schwierigkeiten, die nicht leicht zu über¬
winden waren.
Prüft man nämlich ausser der Lichtbrechung noch das spezifische
Gewicht, so kommt man nicht viel weiter, da die normale Urinkon¬
zentration dieses ebenso beeinflusst wie der ev. vorhandene Zucker!
Besser schien es mir mit der Farbe zu gehen: denn der Zuk-
ker färbt nicht. Also wird die F a r b e nur mit der U r i n d i c h t e,
nicht aber mit dem Zucker Zusammenhängen! (Beispiel: heller Urin
mit hohem spez. Gewicht bei diabetischer Polyurie.)
Ich versuchte nun, die Brechung normalen Urins, die als Zucker¬
prozente an dem Apparat abgelesen wurde, mit der Farbe des Urins
:n Parallele zu bringen imd fand, dass sich dies unschwer erreichen
lässt.
Ich erhielt folgende Tabelle:
wasserhell entspricht ca. 2 Proz. Traubenzucker,
hell 3
mittel „ „ 4 „
dunkel „ 4—5 „
Weiterhin wurde festgestellt, dass bei Zuckerzusatz zu vorher auf
seine Brechungsgrösse geprüftem Urin die beiden nun vorhandenen Kom¬
ponenten sich einfach addieren, so dass es möglich ist, die aus der F a r b e
<nach der Tabelle) hervorgehende Drehung des Urins vom abgelesenen
Resultat abzuziehen.
Der weitere Verlauf der Untersuchungen war der, dass diabetische
Lrine geprüft und das Resultat mit andern Methoden verglichen wurde.
Es ergab sich hier eine Genauigkeit von H —1 Proz., also fast besser
wie die der meisten Gärungsmethoden!
Die Handhabung des Apparats ist. wie schon zu überblicken war,
recht einfach: Füllung des Prismas mit zimmerwarmem Urin, Einstellung,
\blesung des Resultats, von dem nur der Anteil der sich aus meiner
labelle als Eigenbrechung vermittels der Farbe ergibt, abgezogen werten
muss- Die qualitative Probe hat natürlich — wie auch sonst
Timer — vorherzugehen. (Beispiel: heller Urin, Trommer +,
Brechung 6 Proz. Die Eigenbrechung bei „hell“ = 3 Proz., also 6 — 3
= 3 Proz. Zucker.)
Es sei noch auf interessante und aussichtsreiche Ergebnisse des
Apparats aufmerksam gemacht: Nämlich auf die enorme Urinbrechung
bei Nephritikem, die ich vor Ausbruch einer Urämie beobachtet hatte.
mit scheint der Apparat eine neue und recht einfache Art von Einblick
n den Ausscheidungsstoffwechsel zu erlauben. Leider ist es mir bislang
infolge Mangels an Material nicht möglich gewesen, hier und besonders
'-ber Eiweissurine weiterzuarbeiten.
Der Apparat wird von der Firma C. D e s a g a, Heidelberg, Hauptstr.
hergestellt und ist als DRGM. unter Nr. 675 393 geschützt.
Die Landesstelle fOr öfTentliche Gesundheitspflege
in Dresden.
Von Dr. Renk, Geheimer Rat, Direktor a. D.
Eine der ersten Blüten an dem aus den Forschungen und Lehren
Fettenkofers erwachsenen und nunmehr zur üppigsten Entwick-
:r;g gediehenen Baum der Hygiene war die Errichtung einer „Chemi-
'^ben Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege in Dresden“ durch
sächsische Staatsregierung. Der mächtige Eindruck, welchen
Pettenkofers vielseitige Forschertätigkeit hervorrief und im Jahre
lb65 die bayerische Regierung zur Schaffung von Lehrstühlen an den
3 Landesuniversitäten veranlasst hatte, gab auch in Sachsen alsbald den
Ansporn zu zielbewusster Förderung der Gesundheitspflege, und noch
l^nge bevor sich die sächsische Landesuniversität zur Errichtung einer
Lehrkanzel für Hygiene entschloss, kam es in Dresden zu der Eröffnung
e,ner zwar nicht dem hygienischen Unterricht gewidmeten, wohl aber
Lcr wissenschaftlichen Forschung Raum gewährenden, in erster Linie
der Medizinalverwaltung und allen Behörden des Landes zur Verfügung
■chenden, mit Laboratorien entsprechend ausgestatteten Instituts. Den
Anstoss hiezu hatte im Jahre 1868 das Landes-Medizinalkollegium unter
em Präsidium des Geh. Medizinalrats Dr. Walther gegeben; wäh-
end des Krieges, am 24. Dezember 1870 konnte das Kgl. Ministerium
Innern bekanntgeben, dass es eine „Chemische Zentralstelle für
ffentliche Gesundheitspflege“ in Dresden errichtet habe, welche dazu
estimmt sei, „die zur Lösung gesundheitspolizeilicher Fragen erforder-
:nen chemischen Untersuchungen auszuführen und vorkommenden
•) Vgl. meine Dissertation (1908, Heidelberg): „Untersuchungen Ober die
Tang sehe Zuckertitrationsmethode etc.“
Digitized by Goiisle
Falles auch gerichtlich-chemische Fragen zu beantworten. Sie sollte
sich in erster Linie den ihm vom Ministerium des Innern oder dem
Landes-Medizinalkollegium zugehenden Aufgaben unterziehen, doch sei
es auch anderen Behörden des Landes und Privatpersonen gestattet, sich
in gesundheitspolizeilichen Fragen an dieselbe zu wenden.“
Die Eröffnung der Anstalt erfolgte am 2. Januar 1871; sie kann daher
auf ein 50 jähriges Bestehen zurückblicken. Mit ihrer Leitung wurde der
Professor für Chemie Dr. H. Fleck am Polytechnikum zu Dresden
betraut; mit dem damaligen Stande der wissenschaftlichen Hygiene war
es vereinbar, dass ein Chemiker an ihre Spitze berufen wurde, fehlte es
doch damals noch an Hygienikern mit medizinischer Vorbildung, die die
Methoden der Chemie und Physik beherrscht hätten; hatte doch auch
Pettenkofer sich zu seinen Aufsehen erregenden Forschungen über
Trinkwasser, Ernährung. Kleidung, Wohnung und Luftwechsel, Erdboden,
Grundluft usf. fast ausschliesslich chemischer und physikalischer Arbeits¬
methoden bedient.
Als Arbeitsräume wurden der Zentralstelle das Erdgeschoss und
Kellergeschoss des Kurländer Palais, Zeughausplatz 3, in welchem Ge¬
bäude auch das Kgl. Landes-Medizinalkollegium mit seiner grossen medi¬
zinischen Bibliothek untergebracht war, zugewiesen. Eine Beschreibung
dieser Räume findet sich in dem ersten Jahresbericht der Chemischen
Zentralstelle, herausgegeben von Prof. Dr. Fleck, 1872, R. v. Zahns
Verlag.
Die der Anstalt zugehenden Aufträge vermehrten sich alsbald nach
deren Eröffnung in dem Masse, dass bereits 1871 ein Assistent und von
1874 noch ein zweiter Assistent eingestellt w'erden musste. Sie betrafen
zunächst Trinkwasseruntersuchungen für verschiedene Landesanstaltcn
und Gemeindebehörden, Nahrungsmittel, Geheimmittel und Wohnungs¬
fragen. Doch liess sich Prof. Dr. Fleck von Beginn seiner Tätigkeit
an der Zentralstelle die Bearbeitung selbstgew'ählter hygienischer Fragen
angelegen sein. Eine grosse Zahl von Veröffentlichungen in den 17
von ihm herausgegebenen Jahresberichten der Chemischen Zentralstelle
legt hievon beredtes Zeugnis ab; sie hatten zum Gegenstände: Fragen
der Desinfektion; die Zusammensetzung der Bodenluft in Dresden und
besonders auf Friedhöfen; die Beschaffenheit von Fluss- und Grund¬
wässern; die Ventilation und Beheizung von Wohn-, insbesondere von
Schulgebäuden; den Verkehr mit Nahrungs- und Genussmitteln sowie
Gebrauchsgegenständen; Luftbewegung in geschlossenen Räumen; Arsen¬
gehalt der Zimmerluft; die Zusammensetzung des Dresdener Leitungs¬
wassers und des Elbwassers; die Gefährlichkeit der sog. Pharao¬
schlangen; Flusswasser und Selbstreinigung der Flüsse; die Zusammen¬
setzung verschiedener Nahrungsmittel (Weine, Gele, Kakao, Butter etc.);
Metall- und Tongeschirre, Bleigehalt; daneben finden sich zahlreiche
Mitteilungen über Arbeitsmethoden zur Prüfung und Begutachtung von
Trinkwässern, von Nahrungs- und Genussmitteln, zur Ermittlung von Ver¬
giftungen u. dergl. mehr.
Alle diese Veröffentlichungen haben als wertvolle Bausteine zu dem
mächtigen Gebäude der wissenschaftlichen Hygiene volle Anerkennung
gefunden und ihrem Urheber ein dauerndes Andenken gesichert.
Prof. Dr. Fleck, zum Kgl. Hofrat ernannt, sah sich durch Kränk¬
lichkeit veranlasst, am 1. April 1894 in den Ruhestand zu treten. Wäh¬
rend seiner 24 jährigen Dienstzeit hatte die wissenschaftliche Hygiene sich
in ungeahnter Weise entwickelt und als es sich um die Wiederbesetzung
der erledigten Direktionsstelle handelte, konnte es dem Landesmedizinal¬
kollegium als Berater der Kgl. Staatsregierung nicht zweifelhaft sein, dass
mit der Leitung der Chemischen Zentralstelle nur ein medizinisch vor¬
gebildeter Hygieniker zu betrauen sei; sein Vorschlag fiel auf den
Schreiber dieser Zeilen, der damals die Professur für Hygiene an der
Universität Halle a/S. bekleidete und dort das Hygienische Institut ein¬
gerichtet hatte. Um diesem auch die Fortsetzung seiner akademischen
Tätigkeit zu ermöglichen, wurde ihm gleichzeitig eine vom Kgl. Mini¬
sterium des Kultus und öffentlichen Unterrichts neuerrichtete Professur
für Hygiene an der Technischen Hochschule in Dresden und die Leitung
des damit verbundenen Hygienischen Instituts übertragen. Die Vereini¬
gung beider Institute unter einem Direktor hat sich für beide als nütz¬
lich erwiesen; war einerseits das Hygienische Institut der Hochschule mit
dem öffentlichen Leben in engere Verbsindung gebracht, als es als reines
Lehrinstitut gewesen wäre, so konnte anderseits die Zentralstelle, welche
sachgemäss die Bezeichnung „Chemische Zentralstelle“ aufgeben musste,
vom Hygienischen Institute wohlausgebildete Arbeitskräfte erwarten.
Als besonders erfreulich gestaltete sich auch die Vereinigung der Büche-'
reien beider Institute zu einer einzigen sowie die Füglichkeit, zahlreiche
Anschaffungen neuer Apparate gemeinsam zu bestreiten. Vor allem aber
hat sich der tägliche Verkehr unter den Angehörigen beider Institute als
segensreich erwiesen, nachdem für 'beide Anstalten ein gemeinsames
Dienstgebäude bei der Technischen Hochschule errichtet worden war
(1897).
Noch vorher, bei seinem Dienstantritt am 1. Oktober 1894, hatte
der neue Leiter der Zentralstelle als seine erste Aufgabe die Einrichtung
einer bakteriologischen Abteilung für unbedingt erforderlich gehalten und
beantragt; war es doch längst als ein Missstand erkannt worden, dass
nur die chemische Untersuchung der Trinkwässer in der Zentralstelle be¬
wirkt werden konnte, während deren bakteriologische Untersuchung dem
Prosektor im Stadtkrankenhause Friedrichstadt. Prof. Dr. N e e 1 s e n,
übertragen wurde. Dem gestellten Anträge wurde bereitwilligst ent¬
sprochen und kurze Zeit nach dem 1. Oktober 1894 konnte die Zentral¬
stelle im Besitze eines bakteriologischen Laboratoriums im Kurländer
Palais allen an sie herantretenden Anforderungen, welche bakterio¬
logisches Arbeiten erfordern, entsprechen. Der erste Leiter der neuen
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
48
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
Abteilung war Dr. Curt Wolf, jetzt o. Professor der Hygiene in
Tübingen; an der chemischen Abteilung waren damals die Herren Lud¬
wig Legier und W. Büttner tätig.
Schon bald bereitete die ^osse Entfernung der beiden Institute
voneinander erhebliche Schwierigkeiten und stellte sich die Notwendig¬
keit heraus, sie womöglich in ein Gebäude zusammenzulegen. Das Kgl.
Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts fand hiezu Mittel und
Wege in der Errichtung eines Neubaus bei der Technischen Hochschule
(Ecke Reichs- und Schnorrstrasse); allerdings war dessen Grösse durch
einen bereits bestehenden Parallelbau bestimmt, aber er bot ausreichend
Raum für beide Institute. In diesem am 1. Oktober 1897 in Betrieb
genommenen Gebäude wurde das Hygienische Institut im Erdgeschoss
untergebrachL die Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege im
I. Stock. Näheres über die Verteilung der Räume ist aus dem 1. Bande
der „Arbeiten aus den Kgl. Hygienischen Instituten in Dresden“, als
Fortsetzung der „Jahresberichte der Chemischen Zentralstelle“ zu er¬
sehen (Herausgeber Dr. Ren k, Verlag von v. Zahn und Gentsch (18).
Von Jahr zu Jahr ist seit jener Zeit die Zahl der Aufträge von Be¬
hörden und Privatpersonen angestiegen. Vor allem sind es solche auf
Untersuchung von Wasserproben gewesen, die eine ständige Zunahme
ihrer Zahl zeigten. Sie führten zur Einrichtung einer eigenen Abteilung
für Wasser- und Abwasseruntersuchung. Landesanstalten, Stadt- und
Landgemeinden wendeten sich in Wasserversorgungsangelegenheiten an
die Landesstelle und insbesondere war es die Stadt Dresden, die alljähr¬
lich eine Reihe von Einzeluntersuchungen veranlasste, nachdem die
Landesstelle von sich aus auf mehrere Missstände bei dem Saloppen-
wasserwerk aufmerksam gemacht hatte, die allerdings jetzt behoben sind.
Einen erheblichen Anteil an der Entwicklung des in Sachsen immer
mehr emporblühenden Talsperrenwesens nahm die Zentralstelle durch die
Vorarbeiten für die grossen, bereits in Betrieb befindlichen Talsperren
an der. Weissnitz, deren eine als Trinkwassersperre unter ständiger
Kontrolle der Landesstelle steht. Auch für weitere Talsperren im Vogt¬
lande und anderwärts hatte sie im Aufträge des Kgl. Ministeriums des
Innern Vorarbeiten hygienischer Natur zu leisten. (Vergl. Arbeiten aus
den Kgl. Instituten zu Dresden, Band I, 1903.)
Sehr umfangreich gestalteten sich die Untersuchungen über die Ver¬
unreinigung der Elbe auf ihrem Laufe durch Dresden; ihre Ergebnisse
boten dem Reichsgesundheitsrate bei der Begutachtung der Frage der
Abschwemmung der Abwässer aus Dresden willkommene Unterlagen.
Gleiches gilt auch für die Begutachtung der Verunreinigung der Röder
durch eine Zellulosefabrik von seiten des Reichsgesundheitsrats. Ebenso
hat Schreiber dieser Zeilen als Mitglied der genannten Reichsbehörde
eine umfängliche Tätigkeit bei der Begutachtung der Verunreinigung der
Orla zu entfalten gehabt, wofür ihm die Laboratorien der Zentralstelle
zur Verfügung standen. Von anderen Fällen von Flussverunreinigung,
welche eine Begutachtung durch die Zentralstelle erforderten, mögen noch
jene der Elster und Luppe bei Leipzig, der Elster bei Plauen i. V., des
Meerchens bei Meerane, der Freiberger Mulde, der Mulde bei Zwickau
genannt werden, ohne damit auf Vollständigkeit Anspruch zu machen.
Nicht unerwähnt mögen im Anschluss die Untersuchungen über Bio¬
logische Kläranlagen (Band 1 der Arbeiten aus den Kgl. Hygienischen
Instituten) bleiben.
Nächst Wasser- und Abwasserangelegenheiten machte die Unter¬
suchung von Nahrungs- und Genussmitteln, sowie Gebrauchsgegenständen
einen Hauptanteil der Arbeiten der Zentralstelle aus. Auf Grund der in
Bayern gesammelten Erfahrungen hatte Verfasser auch für Sachsen die
Einrichtung einer ständigen Nahrungsmittelkontrolle ins Auge gefasst und
mehrfach Anträge an das Kgl. Ministerium des Innern gestellt, w’elche
darauf abziciten, die Gemeinden des Landes zur Uebertragung einer
regelmässigen Ueberwachung des Lebensmittelverkehrs an die Zentral¬
stelle für öffentliche Gesundheitspflege oder sonstige staatliche Unter¬
suchungsanstalten (Hygienisches Institut der Universität Leipzig) zu ver¬
anlassen. Nach umfänglichen Verhandlungen kam es zu einer Organisation,
welche die fortlaufende Nahrungsmittelkontrolle auf eine Reihe von staat¬
lichen Instituten und Privatlaboratorien verteilte, wobei der Zentralstelle
die drei Amtshauptmannschaften Dresden-Altstadt, Dresden-Neustadt und
Meissen zufielen. Die Kontrolltätigkeit begann am I. Oktober 1903; die
Beamten der Zentralstelle — geprüfte Nahrungsmittelchemiker — holen
aus den Kontrollbezirken die zu prüfenden Nahrungsmittel, Genussmittel
und Gebrauchsgegenstände persönlich ein,'führen die Untersuchung der¬
selben durch, worauf die Begutachtung durch den Abteilungsleiter Medi¬
zinalrat Prof. Dr. Süss geschieht, dem auch die Bearbeitung der Jahres¬
berichte aus allen Kontrollbezirken des Landes zu einem Gesamtjahres¬
bericht anvertraut ist. Dass dieser Abteilung während des Krieges eine
besonders umfängliche Arbeitslast zufiel, bedarf keiner besonderen Aus¬
führung, unter normalen Verhältnissen belief sich die Zahl der im Jahre
zu prüfenden Nahrungsmittel auf über 10 000. Die Organisation hat sich
vollkommen bewährt; die Kontrollbeamten haben es verstanden, das
Vertrauen der Händlerkreise zu erwerben; der Schwerpunkt ihrer Tätig¬
keit liegt mehr in der Prophylaxe gegen die Verbreitung bedenklicher
Nahrungs- und Genussmittel als in der Verfolgung von Verstössen gegen
das Nahrungsmittelgesetz.
Neben dieser ref^elmässigen Tätigkeit hatte die Zentralstelle auch
zahlreiche einschlägige Untersuchungen im Aufträge des Kgl. Ministeriums
des Innern, des Landes-Medizinalkolleeiums, auch des Reichsgesundheits¬
rates auszuführen; auf sie näher einzugehen,, verbietet sich aus nahe¬
liegenden Gründen; nur darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Ab¬
teilung für Nahrungsmittelchemie auch die überaus zahlreichen Unter¬
suchungen von Geheimmitteln und nach dem Tode des langjährigen
I. Chemikers Prof. Ludwig Legier (1918) noch die gerichtlich-chemi¬
schen Untersuchungen zugewiesen werden mussten.
Der bakteriologischen Abteilung der Zentralstelle, deren Tätigkeit
von Anfang an eine sehr erhebliche war, ist im Laufe der Zeit eine be¬
sonders umfängliche Aufgabe dadurch erwachsen, dass das Kgl. Mini¬
sterium des Innern sie 1902 ermächtigte, Materialien, deren Untersuchung
im Interesse der Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten iie|^, für
Aerzte unentgeltlich zu untersuchen. Den Aerzten wurde die Benützung
dieser überaus wichtigen Einrichtung dadurch erleichtert, dass die Zentral¬
stelle geeignete Versandgefässe zur Aufnahme von Blut, Harn, Fäzes,
Auswurf, Rachenabstrich etc. nebst Vordrucken unentgeltlich zur Ver¬
fügung stellte und auch die Kosten für die Versendung sowie für die Be¬
nachrichtigung der Aerzte über das Ergebnis der Untersuchung über¬
nahm. Bei positivem Ausfall der W i d a 1 sehen Probe wird ausser dem
auftraggebenden Arzte auch gleichzeitig der zuständige Bezirksarzt be¬
nachrichtigt.
Die Bedeutung dieser Einrichtung wird von den Aerzten des Landes
immer mehr erkannt; die Untersuchung von verdächtigen Materialien
auf Tuberkelbazillen, Diphtheriebazillen, Typhusbazillen, auf Widal-
sche und Wassermann sehe Reaktion allein sind von 531 im Jahre
1903 auf 33 500 im Jahre 1919 angestiegen; durch die schleunige Erledi¬
gung der Aufträge, welche meist nur 12 Stunden, selten mehr als
24 Stunden beansprucht, erwächst zunächst den Aerzten der erhebliche
Vorteil schneller Sicherstellung der Diagnose, vor allem aber der Medi-
zinalpolizei die Füglichkeit frühzeitigen Eingreifens bei ersten Erkran¬
kungsfällen. Wie viele Ansteckungen auf diese Weise verhütet worden
sein mögen, entzieht sich natürlich jeglicher Schätzung.
Zu den Aufgaben der bakteriologischen Abteilung, welche Herrn
Prof. Dr. Conradi untersteht, ist in den letzten Jahren auch noch die
Leitung der Landesdesinfektorenschule hinzugekommen, nachdem der
Direktor der Zentralstelle seit der Errichtung der Schule im Jahre 1906
als Regierungskommissar die Oberaufsicht über den dort erteilten Unter¬
richt und die anschliessenden Prüfungen geführt hatte. Nach dem Tode
des Begründers der Schule, des Wirkl. Geh. Rates Dr. Lingner ging
diese in den Besitz des Staates über und wurde sie 1919 der Zentral¬
stelle, welche zu gleicher Zeit die Bezeichnung „Landesstelle für öffent¬
liche Gesundheitspflege“ angenommen hatte, angegliedert. Die Schule
hat seit ihrem Bestehen bis zum Uebergang in staatlichen Besitz 416 Des¬
infektoren ausgebildet, die über das ganze Land verteilt sind. Unter der
neuen Leitung sind im Jahre 1919/20 noch weitere Desinfektoren aus¬
gebildet worden. Das Hauptgewicht wird beim Unterricht der von den
Gemeinden zugewiesenen Schüler auf die praktische Unterweisung gelegt;
durch vertragsmässigen Anschluss an die städtische Entseuchungsanstalt,
deren Oberinspektor Lehrer an der Landes-Desinfektorenschule ist, w'urde
die Füglichkeit geschaffen, die Schüler vom ersten Tage ab an den
Arbeiten der städtischen Anstalt tcilnehmen zu lassen. Entsprechend dem
gegenwärtigen Stand des Entseuchungswesens werden an die weitere
Ausgestaltung der Landes-Desinfektorenschule noch mancherlei Anforde¬
rungen zu stellen sein, deren Durchführung den neuen Leitern der Landes¬
stelle, welche am 1. Oktober den Schreiber dieser Zeilen abgelöst haben,
überlassen bleiben muss.
In den vorstehenden Zeilen ist der Versuch gemacht worden, die
Hauptzweige der Tätigkeit der Landesstelle für öffentliche Gesundheits¬
pflege seit ihrem Bestehen in aller Kürze anzudeuten; eine erschöpfende
Uebersicht zu geben, verbietet sich an dieser Stelle, von selbst. Dass
in ihren Laboratorien stets in streng wissen.'chaftlichem Geiste gearbeitet
worden ist, beweisen die von dem ersten Direktor, Hofrat Dr. Fleck,
herausgegebenen „Jahresberichte der Chemischen Zentralstelle für
öffentliche Gesundheitpflege“ und deren Fortsetzung, die vom Verfasser
veröffentlichten „Arbeiten aus den Kgl. Hygienischen Instituten zu Dres¬
den“. Dass letztere nach dem Erscheinen des 1. Heftes des II. Bandes
im Jahre 1911 eine Fortsetzung nicht gefunden haben, erklärt sich aus
der infolge des Anschwellens der hygienischen Literatur verminderten
Nachfrage einerseits und anderseits aus der Belastung des Direktors
mit weiteren Staatsämtern. Zahlreiche Arbeiten der Landesstelle haben
sich für eine Veröffentlichung überhaupt nicht geeignet, andere hätten
einer besonderen Umarbeitung für diesen Zweck bedurft, zu welcher
es an Zeit und Arbeitskräften gebrach. Die grosse Mehrzahl der Unter¬
suchungergebnisse findet sich in den Akten von Behörden, welche sie
veranlasst hatten, vor allem in denen des Landes-Medizinalkollegiums,
welchem der Direktor der Landesstelle als ordentliches Mitglied angehört
und wo er als Berichterstatter für die hygienischen Angelegenheiten
tätig ist. Seit 1910 ist ihm auch das Präsidium des Landes-Medizinal¬
kollegiums und nach dessen Umwandlung in ein Landes-Gesundheits-
amt 1912 der Vorsitz in diesem übertragen worden. In allen diesen
Aemtem musste er immer wieder die Tätigkeit der Landesstelle in An¬
spruch nehmen. Dass auch die sächsische Staatsregierung und der
Reichsgesundheitsrat gelegentlich Untersuchungen und Begutachtungen
von seiten der Landesstelle erfordert haben, ist bereits angedeutet
worden.
Somit kann letztere nach Ablauf von 50 Jahren ihres Bestehens auf
ein reiches Mass von geleisteter Arbeit zurückblicken, auf Arbeiten, die
in ihrer Gesamtheit dem Gemeinwohl der Bevölkerung von Sachsen und
damit auch des gesamten Deutschen Reiches zustatten gekommen sein
dürfte. Selbstredend musste die ständige Steigenmg der Anforderungen
auch eine Vermehrung der Arbeitskräfte der Landesstelle zur Folge
haben; während der 26 jährigen Amtstätigkeit des Schreibers dieser
Zeilen ist die Zahl der Beamten von 3 (2 Assistenten, 1 Diener) auf 15
(5 Chemiker, 2 Bakteriologen, 1 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, 2 La-
Digitized by
Google
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
49
borantinnen, 3 Diener) gestiegen, denen 2 OberseHretäre und mehrere
Schreibkräfte zur Seite stehen. Allen diesen Mitarbeitern möchte der
scheidende Direktor der Landesstelle auch bei dieser Gelegenheit seinen
herzlichen Dank für die von ihnen geleistete Arbeit zum Ausdruck
bringen.
Die vereinigten Ministerien des Innern und des Kultus und öffent¬
lichen Unterrichts haben beschlossen, die Leitung der Landesstelle für
öffentliche Gesundheitspflege nach dem Ausscheiden des bisherigen Lei¬
ters zu teilen, und haben die Herren Professoren Dr. Ku h n - Tübingen
als Hygieniker und Dr. Heiduschka -Würzburg als Nahrungsmittel¬
chemiker zu Direktoren berufen, sie sollen jährlich wechselnd die Ge¬
schäfte der Anstalt führen; beiden wurden auch ordentliche Professuren
an der technischen Hochschule übertragen. Es wird abzuwarten sein,
welche Folgen diese vom Verfasser nicht nur nicht befürwortete son¬
dern widerratene Neuerung nach sich ziehen wird. Möge sie der Landes¬
stelle von Nutzen seih.
Soziahi nedizin and Asrztnche standesanoeieoeaheitan
Pathologische Physiologie ais besonderes Unterrichtsfach.
Von O. Prym-Bonn.
Für die Neuordnung des medizinischen Studiums wird eine lehrplan-
mässige Vorlesung über pathologische Physiologie gefordert‘). Patho¬
logische Physiologie ist die Lehre von den Vorgängen im kranken
Menschen. Dass nicht alle Vorgänge im kranken Menschen, soweit der
Arzt sie kennen muss, in der Vorlesung eines Semesters gelehrt werden
können, liegt auf der Hand. Ist doch fast das ganze klinische Studium
ihrer Erörterung, freilich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus,
gewidmet. Welche Vorgänge für die besondere Vorlesung ausgewählt
werden sollen, ist noch unklar®).
Es besteht eine, starke Neigung, die Vorlesung im ersten klinischen
Semester als experimentell-pathologische zu halten®). Das bedeutet: von
den Vorgängen im kranken Menschen sollen die ausgewählt werden, die
sich im Tierversuch nachahmen lassen und sich zu Vorlesungsversuchen
eignen. Sie sollen Studenten vorgeführt werden, die noch nichts vom
kranken Menschen kennen. Ich halte dies mit L u b a r s c h ^) und
A s c h o f f ®) für bedenklich. Der Dozent für pathologische Physiologie
würde so im wesentlichen experimenteller Pathologe sein. Wenn seine
Wünsche verwirklicht sind, wird er im eigenen Institut, losgelöst von
Klinik und kranken Menschen und damit von den unmittelbaren Forde¬
rungen der praktischen Heilkunde, forschen, lehren und prüfen. Dem
Studenten würde ein neues theoretisches Fach ohne unmittelbaren Zu¬
sammenhang mit dem. was er am kranken Menschen sehen und ver¬
stehen lernen muss, aufgebürdet.
Anerkannt muss werden, dass der Student erst nach besserer Vor¬
bereitung ais bisher die Klinik besuchen sollte. Trotz pathologischer
.Anatomie. Pharmakologie und propädeutischer Kurse blieben ihm viele
Vorgänge im kranken Menschen, deren Kenntnis zum Verständnis der
Klinik notwendig sind, lange unbekannt. Freilich lernte er sie allmählich
während des vier- bis fünfsemestrigen Besuches der Klinik kennen und
verstehen. So fügte sich im Laufe mehrerer Jahre aus zufällig, bald
hier, bald dort gesetzten Flecken bei ihm das Bild des Geschehens im
kranken Menschen. Dies hatte, selbst wenn im besten Falle das Bild
schliesslich lückenlos dastand, den Nachteil, dass zu seiner Fertigstellung
imverhältnismässig viel Zeit und Kraft beansprucht wurde. Unklarheiten
über einfache, grundsätzliche Dinge blieben oft semesterlang bestehen
und die Gefahr der Gewöhnung an Halbwissen war vorhanden. Ein
grosser Vorteil war. dass Jeder Teil des Bildes durch Kranke veranschau¬
licht war; ein weiterer Nachteil aber, dass bei sehr vielen Studenten der
wissenschaftliche Untergrund, die Kenntnis des gesetzmässigen Zu¬
sammenhanges der unendlichen Fülle von Einzelerscheinungen, nicht in
der empfänglichen Zeit der ersten klinischen Semester systematisch
gefügt war und vor dem starken Eindruck der einzelnen Kranken und
ihren praktischen Forderungen verblasste.
Pathologische Physiologie als besondere Vorlesung kann hier in etwa
eine Besserung bringen, aber nicht als experimentelle Pathologie in be¬
sonderen Instituten, sondern als Einführungsvorlesung an der inneren
Klinik und für die innere Klinik. In systematischer Weise wären
die Vorgänge im kranken Menschen, die pathologischer Anatom. Pharma¬
kologe und die propädeutischen Kurse nicht erörtern und die zum Ver¬
ständnis der Klinik notwendig sind, zu besprechen, an Kranken. Modellen,
Tatein usw\ und auch an Tierversuchen zu zeigen. Ein mehrjähriger
Protokoll des 4. Medizinischen Fakultätcntages. H. John, Halle a/S.,
1920.
-) Straub: Naturwissenschaften und Pharmakologie im medizinischen
Unterricht. D.m.W. 1920 Nr. 9—11.
®) B. Fischer: Zur Neuordnung des medizinischen Studiums und Prü-
fungswesens. J. F- Lehmann, München, 1919. — H. E. Hering: Patho¬
logische Physiologie. D.m.W. 1919 Nr. 28. — Derselbe: Die patho¬
logische Physiologie vom Standpunkte des Unterrichts. Zschr. f. exper.
P2ih. u. Thcr. Bd. 21 H. 2. — A. Bickel: Die pathologische Physiologie bei
der Neuordnung des medizinischen Unterrichts. B.kl.W. 1920 Nr. 1. —
J fir h urn I b e: Zur Neuordnung des medizinischen Unterrichts. Thieme,
UiDzi/ 1918. — Derselbe: D.m.W. 1919 Nr. 42—45.
^1)*/ M h a r s-c h: Zur Neuordnung des ärztlichen Unterrichts und Priifungs-
B kl-W- Nr. 41—44.
s cb o 1 2uni Unterricht in der pathologischen Physiologie. B.kl.W.
im St. l.
Digitized by Goiisle
Unterricht in der pathologischen Physiologie von diesem Gesichtspunkte
aus hat mir gezeigt, dass der Student mit Verständnis und Nutzen einer
solchen Vorlesung folgt, für die zwar nach der alten Studienordnung nur
wenige Stunden eines Semesters zur Verfügung standen und Tier¬
versuche nicht gezeigt werden konnten. Ich empfehle für die besondere
lehrplanmässige Vorlesung, pathologische Physiologie in diesem Sinne
zu lesen. Ich bin darin mit M e y e r *) und Lubarsch*) einer Meinung.
Für wesentlich besser und für durchführbar halte ich aber, den Unter¬
richt in der inneren Medizin vollständig in zwei Teile zu zerlegen: zwei
Semester systematischer, pathologisch-phvsiologisch-propädeutischer
Unterricht und propädeutische Kurse, zwei Semester Klinik sofort als
Praktikant dazu noch diagnostische und therapeutische Kurse und medi¬
zinische Poliklinik. Für den propädeutischen Unterricht wäre am besten
eine besondere Klinik, in der die Kranken nicht um ihrer selbst willen
vorgestellt werden, sondern um die systematisch besprochenen Vor¬
gänge jew'eils am kranken Menschen zu veranschaulichen. Reiche Aus¬
stattung mit Lehrmitteln, auch die Möglichkeit Tierversuche zu zeigen,
müsste vorhanden sein. An Universitäten mit nur einer medizinischen
Klinik vielleicht Abtrennung einer besonderen propädeutischen Abteilung.
Wo dies nicht möglich ist. wird die Fakultät einen Weg finden, auf dem
mit Hilfe des inneren Klinikers und eines hierfür hauptamtlich angestellten
Dozenten die beiden ersten klinischen Semester, soweit die innere
Medizin in Betracht kommt, als besondere propädeutische hervor¬
gehoben w'erden können, selbst wenn im äussersten Notfälle für die
Uebergangszeit das zweite klinische Semester die Klinik als Auskultant
hören müsste. Ich halte nicht für notwendig, nicht einmal für vorteil¬
haft, dass an allen Universitäten genau gleichmässig verfahren wird,
wenn nur Gleichheit insoweit besteht, als ein Wechsel der Universität
dem Studenten ermöglicht bleibt und der Kliniker damit rechnen darf,
dass die Praktikanten, die im dritten Semester zu ihm kommen, genügend
vorbereitet sind. Sie müssen soweit sein, dass sie einen inneren Kranken
untersuchen können und für die einzelnen bei dieser Untersuchung
festgestellten Abweichungen von der Norm als Funktionsstörungen ein¬
zelner Organe und Organsysteme und des ganzen Organismus Verständnis
haben. Die Zusammenfassung dieser Abweichungen zur Dia¬
gnose und die Lehre ihrer therapeutischen Beeinflussung im allgemeinen
und im besonderen für den vorgestellten Kranken ist dann Aufgabe der
Klinik.
Die Vorteile dieser Zweiteilung sehe ich darin, dass ohne Mehr¬
belastung der Studenten die Ausbildung sich, auf breiterem wissenschaft¬
lichen Grunde aufbaut, dass der Student sofort nach dem Physikum in
verständnisvolle Berührung mit Kranken kommt — ein wichtiger Punkt,
^f den Schwalbe^) mit Recht hinweist — und dass der Kliniker
von der unangenehmen Fessel befreit wird, in derselben Vorlesung dem
ganz unvorbereiteten Anfänger und dem bereits Fortgeschrittenen ge¬
recht zu werden.
Eine besondere Prüfung in pathologischer Physiologie erübrigt sich.
Es genügt, wenn der pathologische Physiologe auch innere Medizin prüft.
Filmdrafflen, nicht Lehrfilme zur hygienischen Volks¬
aufklärung I
Von Dr. W. Schweisheimer-Mtinchen.
An der Konferenz über die Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten vom 6.-11. Dezember 1920. die nach Washington
einberufen war. konnten deutsche Aerzte nicht teilnehmen. Die „AU
American Conference on Venereal Diseases“ tagte unter dem Schutz
des U. S. Interdepartmentai Social Hygiene Board, des U. S. Public
Health Service, des amerikanischen Roten Kreuzes und der Amerikani¬
schen Sozialhygienischen Gesellschaft. An deutsche Aerzte und Sozial
hygieniker, die sich mit der Frage der Geschlechtskrankheiten¬
bekämpfung beschäftigen und deren persönliche Anwesenheit auf dem
Kongress nach Lage der Dinge nicht möglich war. wurde durch Ver¬
mittlung des Zentralkomitees der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz
die Aufforderung gerichtet schriftliche Referate über die zu behandelnden
Fragen einzusenden. Die Referate sollten auf dem Kongress in
Washington verlesen werden, die Referenten selbst galten als Teil
nehmer der Konferenz.
Der erste Punkt der Referate beschäftigte sich mit der wissenschaft¬
lich-medizinischen Erforschung der übertragbaren Geschlechtskrank¬
heiten. Die zweite Frage galt der„VolksaufkIärungals Mittel
zur Bekämpfungder Geschlechtskrankheiten“. Bel der
Beantwortung dieser Frage wurden vor allem zwei Kernpunkte berück¬
sichtigt: die Presse und der Film. Rationelle Aufklärungsmöglichkeit
ist nur durch ausgedehntesten Gebrauch von Tagespresse und Film
möglich. Alle Belehrung in der Schule, auf der Hochschule, Auf¬
klärungsvorträge, Kurse, Ausstellungen, Flugblätter usw. sind wichtig
und unerlässlich, aber sie ergreifen die Massen nicht. Zu den genannten
Dingen müssen die Leute erst herankommen, müssen also schon von
vornherein den guten Willen haben, zu lernen. Diese Leute aber gilt
es erst in zweiter Linie zu packen, denn ihr Interesse bürgt ohnehin dafür,
dass sie sich verschaffen werden, was sie wissen wollen. Am wich¬
tigsten ist es, die Leute zu ergreifen, die nichts von Geschlechtskrank¬
heiten wissen, die zu indolent sind, um in Vorträge zu gehen, die auch
•) E. Meyer: Zur Reform des medizinischen Unteirichts. D.m.W. 1919
Nr. 25 u. 26. S c h w a 1 b e 1. c.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
50
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
keine Zeit dazu haben. Die hygienische Aufklärung — über deren uner¬
setzlichen Wert für die Bekämpfung jeder Volkskrankheit ja kein Wort
mehr verloren zu werden braucht — muss über die grossen Massen
kommen wie im Schlaf, von selbst, wie sie erfahren, dass Brotmarken
eingeführt sind, dass Kriex im Lande ist Das geht nur mit der Presse
und neuerdings im Film. Ins Kino geht jeder und die Zeitung liest jeder.
Dort muss auch jeder gepackt werden, ob er will oder nicht Das
Thema interessiert jeden.
Ohne Mitwirkung der T a g e s p r e s s e ist alles, was zur Aufklärung
geschieht nicht viel mehr als blosser Schein. Nur durch sie kann
Massenaufklärung von Massen erfolgen. Ueber die Art wie die Tages¬
presse am besten ihrer Aufgabe hier nachkommen könnte, habe ich an
anderer Stelle bereits ausführlich gesprochen ^). Bei richtigem Vorgehen
wird es ohne Zweifel gelingen, Redaktionen und Verlage von der
Wichtigkeit ihrer Hilfe zu überzeugen und ihre tatsächliche Mitarbeit
zu gewinnen. Ist diese Ueberzeugung erst einmal Gemeingut verant¬
wortungsbewusster Zeitungsleiter geworden, dann wird es nicht mehr
möglich sein, wie es heute noch unglaublicherweise, wenn auch nur mehr
selten, der Fall ist dass Redaktionen sich scheuen, über das Thema der
übertragbaren Geschlechtskrankheiten zu berichten. Auch die illu¬
strierten Zeitschriften und die Familienblätter müssen einbezogen wer¬
den, denn es handelt sich ja auch um Familienkrankheiten. Nicht von
einer Zentralstelle aus sollten die Aufsätze geschrieben werden, denn
diese sind nur zu oft recht langweilig und das ist der grösste Fehler.
An jedem Ort muss für die örtlichen Bedürfnisse geschrieben werden.
Von einer zentralen Stelle aus kann die Anregung zu dem Vorgehen
erfolgen, beispielsweise der „Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten".
Das beste und wichtigste Unterstützungsmittel der Mitwirkung der
Tagespresse, dieser Grundvoraussetzung erfolgreicher Volksaufklärung,
ist der F i 1 m. Im Gegensatz zu der heute gerade modernen Ansicht
rnuss es ausgesprochen werden, dass man von den jetzt beliebten Lehr¬
filmen über Geschlechtskrankheiten, wie sie von der Kulturabteilung der
Ufa in Berlin, von der neuen Kinematographischen Gesellschaft in
München hergestellt worden sind und in den Lichtspieltheatern mit
ärztlichem Begleitvortrag gezeigt wurden, keinen grossen Erfolg
für die nachhaltige Aufklärung von Massen erwarten darf. Diese Filme
sind ganz ausgezeichnet zur Belehrung bestimmter Kreise, wie sie bei¬
spielsweise dem wissenshungrigen Publikum in den Volksbildungs¬
vereinen, Arbeiterkursen, höheren Schulen usw. entsprechen, überhaupt
allen Leuten, die kommen, um zu lernen. Sie mögen natürlich — denn
jede Art von Aufklärung hilft wenigstens in beschränktem Masse —
auch dem grossen Publikum vorgeführt werden. Aber es wäre falsch,
allzugrosse Hoffnungen daran zu knüpfen. Für die grossen Massen
sind derartige rein belehrende Filme allein zu lehrhaft, zu speziell, zu
langweilig.
Ein Film muss bei aller Tendenz und aller selbstverständlichen
Einwandfreiheit der Mittel in erster Linie spannend und interessant
sein, so dass die Leute einander gegenseitig auf ihn aufmerksam
machen, wie es auch sonst bei den bekannten grossen Unterhaltungs¬
filmen der Fall ist. Nur wenn das Lichtspieltheater eine Unter¬
haltungsstätte bleibt, nicht eine Lehrstätte, können die ein¬
gestreuten Tendenzen richtig zur Wirkung kommen. Alle Eigen¬
schaften, auf die der reelle Filmgeschäftsmann aus seiner Kenntnis des
Publikums heraus sonst sieht (Effekt. Erregung. Ueberraschung, Span¬
nung), müssen in den Aufklärungsfilmen vorhanden sein, nur gebändigt
von dem beratenden Arzt. Nicht Aerzte. nicht Gelehrte dürfen die Auf-
klärungsfilme machen, sondern Filmfachleute, bekannte (oder auch un¬
bekannte) gute Regisseure. Dem Arzt kommt nur beratende, aber
hiebei ausschlaggebende Rolle zu. An den bereits erschienenen hygie¬
nischen Aufklärungsfilmen konnte man ja lernen, was gut und was falsch
ist. Gut, weil durch ärztliche Verantwortung entscheidend beeinflusst,
waren die unter dem Protektorat der Deutschen Gesellschaft zur Be¬
kämpfung der Geschlechtskrankheiten erschienenen beiden ersten Teile
des Richard Oswald-Films „Es werde Licht", in die die Zuschauer
in Massen strömten, so dass sie wochenlang auf dem Programm der
Lichtspieltheater standen. Der 3. und 4. Teil dieses Films waren reine
Geschäftsmache, die die günstige Konjunktur des bekannt gewordenen
Filmnamens auszunutzen suchten, aber bei denen ausser medizinisch
vorgebildeten Zuschauern kaum jemand den Inneren Zusammenhang mit
den Geschlechtskrankheiten und ihrer Bekämpfung verstehen konnte.
Ein Unrecht war der Film „Prostitution", ein reiner „Animierfilm", kein
Aufklärungsfilm.
Die dramatische Form des Aufklärungsfilms für alle sozial¬
hygienisch bedeutungsvollen Fragen ist unbedingt zu fordern. Der wahr¬
haftige. von den Schlacken befreite, verantwortungsbewusst angelegte
Aufklärungsfilm über hygienischen Schutz und gesundheitliche Fürsorge
ist unentbehrlich zur Erzielung von Dauererfolgen. Es ist nicht nötig,
dass die Zuschauer (ausser zu reinen Lehrzwecken) die klinischen Ein¬
zelheiten des Verlaufes der behandelten Erkrankungen, beispielsweise
also der übertragbaren Geschlechtskrankheiten, so genau und ausführlich
erfahren; sie vergessen sie doch nur rasch wieder, und sie glauben auch
andererseits die durch die Häufung der Bilder erzielten Uebertreibungen
nicht, weil sie wissen, dass in vielen Fällen eine Erkrankung („ein
kleiner Haustripper", wie die beliebte Redensart lautet) ohne die an die
Wand gemalten teuflischen Folgen für den einzelnen vorubergehen kann
*) Wege zur Rindämmung der Qeschlcchtskrankheitenseuche. Zschr. f.
soz, Hyg., Fürsorge- und Krankenhauswesen 1920 S. 414.
Digitized by Goiisle
Aber die seelischen Konflikte durch Schädigung und Gefährdung
der Braut, der Kinder, der Karriere usw. gilt es zu zeigen. Das muss
in Form eines spannenden Dramas geschehen. Der grösste Feind der
Massenbelehmng ist die Langeweile, wie sie sich aus den rein be¬
lehrenden Aufklärungsfilmen in nicht wenigen Fällen über die nicht¬
wiederkehrenden Zuschauer ergiesst. Man kann nicht verlangen, dass
die Filmindustrie und die Lichtspieltheaterbesitzer aus den gleichen Ge¬
dankengängen heraus ihre Programme einrichten wie sie dem Sozial¬
hygieniker vorschweben. Aber beide sind vermutlich gern bereit, die
hygienische Aufklärungsfrage zu unterstützen, wenn ihr geschäftliches
Interesse dadurch keinen Schaden leidet. In einzelnen Fällen mögen
gewiss der guten Sache zuliebe auch Opfer gebracht werden, aber in
der Mehrzahl der Fälle sind solche Opfer nicht möglich — aber auch
gar nicht nötig. Die Filmindustrie und die Kinobesitzer müssen an der
Sache interessiert sein, und das geschieht nur durch interessante Filme,
spannende Dramen, die die Massen herbeiziehen.
Selbstverständlich — und darauf braucht ja heute kaum mehr hin¬
gewiesen zu werden — müssen die Auswüchse in der . Richtung zum
anreizenden „Animierfilm" hin vermieden werden. Verantwortungs¬
bewusste ärztliche Leitung ist nötig, eine nötigenfalls scharf und rück¬
sichtslos, aber verständig zensurierende Zentralstelle, in der aber keines¬
wegs etwa nur Sozialhygieniker sitzen dürfen, sondern vor allem au(A
Filmfachleute. Die wissenschaftliche Tendenz muss, kurz gesagt, in
film-kaufmännischer Weise verwertet werden. Sonst bleibt sie lang¬
weilig. d. h. ergebnislos. In zwei Worten erschöpft sich der wirksame
Gehalt der dramatischen hygienischen Aufklärungsfilme: Verant¬
wortungsbewusstsein und keine Langeweile!
BQcheranzeigen und Referate.
Prof. Dr. R. Goldschmldt: Mechanismus und Physiolosle der
Geschlechtsbestimmung. VIll -h 251 S. Mit 113 Abbildungen. Berlin
1920. Borntraeger. 32 M.
Goldschmidt, der durch seine bahnbrechenden Untersuchungen
an Schwammspinnern zu der Lösung des Problems der Geschlechts¬
bestimmung w’esentlich beigetragen hat, gibt hier eine zusammen¬
fassende Darstellung dieses Gebietes unter fast ausschliesslicher Be¬
nutzung zoologischer Tatsachen. Mit dieser an und für sich gewiss zu
billigenden Beschränkung auf das eigene Forschungsgebiet hängt es wohl
zusammen, dass der Abschnitt über die Geschlechtsbestimmung beim
Menschen etwas dürftiger ausgefallen ist, als es nach dem Stande
unseres Wissens nötig gewesen wäre. Immerhin tritt die völlige
Uebereinstimmung der Verhältnisse bei Mensch und Tier genügend deut¬
lich zutage. Das Buch ist für jeden, der sich mit der Frage der Ge¬
schlechtsbestimmung wissenschaftlich beschäftigen will, unentbehrlich.
Goldschmidt hat nur zu recht, wenn er sagt, dass auf diesem Ge¬
biete noch alljährlich die absurdesten Theorien produziert werden. Es
wäre dringend zu wünschen, dass die Verfertiger solcher Hypothesen
einmal die erdrückende Fülle von Tatsachen, auf welche die biologische
Lehre der (jeschlechtsbestimmung sich heute bereits stützen kann, an
der Hand des G o 1 d s c h m i d t sehen Werkes auf sich einwirken
Hessen. Für den Nichtspezialisten ist das Buch weniger zu empfehlen.
Für den Arzt genügt meines Erachtens die kurze Darstellung in G o 1 d -
Schmidts „Einführung in die Vererbungswissenschaft".
Lenz- München.
F. Sauerbruch: „Die Chirurgie der Brustorgane**. 1. Band:
Die Erkrankungen der Lunge. Unter Mitarbeit von W. Felix,
L. Spengler, L. v. Muralt t, E. Stierlin t, H. ChaouL Mit
637, darunter zahlreichen farbigen Abbildungen. Berlin 1920, Springer.
Geb. 240 M
Unter Mithilfe weniger ausgesuchter Mitarbeiter schuf Sauer-
bVueh dies Werk, das vollkommenste über Thoraxchirurgie, das heute
in der Weltliteratur vorhanden sein dürfte.
Schon in dem ersten, hier vorliegenden Band — Erkrankungen der
Lunge — wächst das Buch hinaus über seinen rein chirurgischen Titel
zu dem wohlgelungenen Versuch einer „Allgemeinen Pathologie der Brust¬
organe", die dem Verfasser vorschwebte.
Sauerbruchs 15jährige Erfahrungen in der intrathorakalen
Chirurgie, deren Entwicklung er selbst gefördert hat wie wenige andere,
sind die Grandlagen, auf welchen das Werk entstand, sind die Ouellen,
welche ihm die besondere Lebenskraft zuführen, und ihm ermöglichen,
Belehrung und Anregung vielseitig zu verteilen. Physiolog und Kliniker,
Chirurg und Internist, jeder zieht Nutzen aus dem Studium dieses Buches.
Der allgemeine Teil beginnt, nach kurzer geschichtlicher Ein¬
leitung über die Entwicklung der Thoraxchirurgie, mit einer vorzüglichen
„Anatomie des Brustkorbs, der Lungen und der Brust¬
felle" von Felix. Sie ist eine mustergültige Verschmelzung deskrip¬
tiv-topographischer Anatomie mit anatomischer Mechanik, lückenlos im
Inhalt, scharf herausgearbeitet auf die praktischen Forderungen der Klinik.
Ihm schliesst Sauerbruch an „die Physiologie der At¬
mung"; wertvoll durch die knappe, sichere Gegenständlichkeit, mit der
die schwierigen Verhältnisse zur Darstellung kommen, unter Verarbeitung
aller massgebenden Forschungen auch der letzten Zeit, besonders wert¬
voll durch die Einflechtung persönlicher Beobachtungen und Erkenntnise,
über die Sauerbruch speziell in der Frage der Durchströmungsver-
hältnisse der Lungen aus seinen mit Cloetta durchgeführten Arbeiten
verfügt.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
51
Die allgemeine Pathologie“ und „allgemeine Dia-
gnosik“ bekommen meiner Ansicht den grundlegenden Wert da¬
durch, dass die Darstellung hier aus der Feder des chirurgischen
Klinikers stammt; den chirurgischen Gesichtswinkel, unter dem die Fülle
des Beobachtungsmaterials steht, hat Sauerbruch so gross gehalten,
dass er den Reichtum dieser Kapitel dadurch nicht beschränkt, sondern
im Gegenteil ihren Nutzen auch für den Nichtchirurgen besonders intensiv
macht.
Die Röntgendiagnostik entwickeln S t i e r 1 i n und C h a o u 1
mit dem Ziel, für sie eine pathologische Anatomie zu begründen; ihre
Arbeit fusst auf dem grossen Beobachtungsmaterial der Züricher Klinik,
üir Vorzug liegt darin, dass die beiden Mitarbeiter Sauerbruchs
die Röntgenuntersuchung, als U n t e r s u c h u ii g s t e i 1, bewusst und
streng untergeordnet halten unter die Einheit der grossen klinischen
Gesichtspunkte. Stierlin und Chaouls praktisch-wissenschaftliche
Spezialerfahrung erörtert — ohne spezialistische Einseitigkeit — den
tatsächlichen Erkennungswert der Röntgenuntersuchung für die Patho¬
logie der Brustorgane; sie grenzt in scharfer Objektivität die Leistungs¬
fähigkeit dieser Untersuchung gegen die Leistung der anderen, klinischen
Methoden ab.
Eine auführliche Abhandlung über die allgemeine Vorberei¬
tung. überSchmerzstillung, VerlaufundNachbehand-
!ung bei intrathorakalen Eingriffen, sowie die Darstellung
der typischen Eingriffe der Brusthöhle, mit denen Sauerbruch den
allgemeinen Teil schliesst, hat jeder Chirurg fortan zu berücksichtigen,
der moderne Thoraxchirurgie treibt oder treiben will.
Den speziellen Teil hat Sauerbruch fast restlos allein be¬
arbeitet. Den „künstlichen Pneumothorax“ nahm v. Mura 11
ihm ab. Die Indikation zur chirurgischen Behandlung
der Lungentuberkulose fundiert Sauerbruch wohlbedacht
breiter, indem er auch die erfahrene Ansicht von Lucius Spengler-
Davos in dieser Frage ausführlich zu Wort kommen lässt; ebenso be¬
handelt Spengler den Sonderabschnitt der tuberkulösen Pleuraergüsse.
Sauerbruch selbst führt im speziellen die chirurgisch beein¬
flussbaren Erkrankungen der Thoraxwand und der
Lungen gruppenweise vor. Neben dem Operativtechnischen kommen
in jedem Abschnitt die diagnostischen Besonderheiten, die Indikation, der
Erfolg der chirurgischen Behandlung und ihre Grenzen zur ausführlichen
Besprechung.
Wie die erste, ist auch die zweite Hälfte des Buches reich illustriert
durch prächtige Abbildungen, gewonnen zum Teil nach Photo¬
graphien, zum Teil aus Zeichnungen von medizinischer Künstlerh^nd.
Meisterhaft nach Inhalt und nach Form sind behandelt der Reihe
nach die Krankheiten der Brustwand, die Verletzungen
des Brustfells und der Lungen — diese zum Teil auf Grund
kriegschirurgischen Erfahrung Sauerbruchs —, ferner die eitrigen
und brandigen Entzündungen der Lunge, die Bronchi¬
ektasen.
In all diesen Kapiteln sieht der Leser den mächtigen Aufschwung der
systematischen Thoraxchirurgie, dieser letzterschlossenen Gebiete chirur¬
gischer Arbeit und chirurgischen Erfolges.
Eine ganz besonders eingehende Besprechung, die auf grösster eigener
Beobachtung ruht, widmet S a ue r b r u c h anschliessend der chirur¬
gischen Behandlung der Lungentuberkulose — der
sozialen Bedeutung gemäss, welche diese Frage für die Zukunft haben
wird.
Der Standpunkt, von dem aus auch dieses Kapitel gesehen und be¬
handelt ist, erhebt sich weit über das Operativtechnische. Ist es dem
Facharzt der erste sachkundige Führer in einem chirurgischen Neuland,
so lautet im weiteren überall die höhere Forderung dahin, dass bei der
chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose chirurgische und interne
Arbeit sich ergänzen müssen. „Der Interne soll durch Verschärfung der
Diagnostik, durch Klärung der Indikationsstellung die technische Arbeit
des Chirurgen unterstützen. Sein Verdienst ist um nichts geringer, als
das des Chirurgen, der durch Verbesserung der Methodik und Herab¬
setzung der Operationsgefahren die chirurgische Behandlung der Lungen¬
tuberkulose auf breitere Basis stellt.“
Den Ueberblick über die chirurgischen Erfolge bei Lungentuberkulose
gibt Sauerbruch sodann in einer Gesamtstatistik der ver¬
schiedenen Operationsmethoden, auf Grund eines eigenen Beobachtungs-
materials von 380 operativ behandelten, chronischen Fällen.
Kürzere Schlusskapitel behandeln die Aktinomykpse, den
Echinokokkus, die Tumoren der Lunge sowie die Opera¬
tion der Embolie der Lungenarterie. Ein Referat kann nur
andeuten!
Alles in allem: Auf dieses Werk hat die deutsche Chi¬
rurgie. die gesamte deutsche Medizin stolz zu sein
— überhaupt und heute besonders. m- u
Capelle- München.
H a I b a a und K ö h 1 e r: Die pathologische Anatomie des Puerperal-
prozesses und Ihre Beziehungen zur KHnik und Therapie. Wien und
Leipzig, Verlag Wilh. Braumüller.
Verff. prüften auf Grund mehrjähriger Beobachtungen an einem
grossen Sekt/onsmaterial die Frage des Zusammenhanges der einzelnen
klinischen puerperalen Erscheinungen mit den pathologisch-anatomischen
Veränderungen, sowie die des Abhängigkeitsverhältnisses dieser Ver-
^erangen von der Art der einzelnen Erreger, und nehmen dann zu der
frage StelJang, inwieweit die modernen operativen therapeutischen Be-
Digitized by Goiisle
Strebungen durch pathologisch-anatomische Erfahrungen begründet und
gestützt werden; speziell die Frage der Venenunterbindung, der
Hysterektomie und der chirurgischen Behandlung der Peritonitis findet
eine kritische Würdigung. Dabei tritt nun ein recht betrübendes Re¬
sultat in Erscheinung: Sowohl die Venenunterbindung, wie auch die
Hysterektomie und die chirurgische Behandlung der Peritonitis bedeuten
in vielen, vielleicht den meisten Fällen einen aussichtslosen Kampf
gegen die ungeheuerlichen Veränderungen, welche die Eiterbakterien im
weiblichen Organismus setzen. Nur ganz besonders günstige Be¬
dingungen können in dem einzelnen Falle ein besseres Resultat zeitigen.
Diese Bedingungen zu erkennen und dementsprechend die Fälle für die
chirurgische Therapie auszuwählen, ist fast immer ein Ding der Un¬
möglichkeit. Verff. glauben demzufolge, dass die Zukunft der Therapie
des Wochenbettfiebers nicht in der Chirurgie gelegen sei. sondern nur
eine chemische Therapia sterilisans magna im Sinne Ehrlichs oder
eine spezifisch antibakterielle Therapie sein könnte.
F. Weber- München.
Toni Schmidt-Kraepelin: Geber die Juvenile Paralyse. Dis¬
sertation. München. 1920.
Eine sehr gewissenhafte Monographie, die sich unter anderem auf
möglichst genaue Untersuchung von 54 eigenen Fällen stützt. Nur die
Histologie konnte nicht Berücksichtigung finden. Aus den Resultaten
mag allgemeiner interessieren:
Auch bei der juvenilen Paralyse ist ein häufigeres Erkranken des
männlichen Geschlechts gegenüber dem weiblichen wahrscheinlich. Alko¬
holismus der Eltern ist auffallend häufig nachzuweisen. Die Säuglings¬
sterblichkeit spielt eine verhältnismässig grössere Rolle als die Häufigkeit
von Abgängen, Totgeburten und Frühgeburten. Die Gesamtsterbeziffer
für die Geschwister der Kranken beträgt mehr als Vs aller vorkommenden
Schwangerschaften. Die absolute Pupillenstarre überwiegt bei weitem
über die reflektorische Pupillenstarre. „Echte“ paralytische Anfälle sind
seltener als epileptiforme Anfälle. Bisweilen werden an Delirium tremens
erinnernde Zustände ohne Alkoholismus beobachtet.
Die letztere Tatsache ist interessant für das Verständnis der Halluzi¬
nationen des Delirium tremens, die ebenfalls auf einem Reizzustand des
Nervensystems basieren. B1 e u 1 e r - Burghölzli.
Hans Truttwin: Kosmetische Chemie. Mit 28 Abbildungen.
Johann Ambrosius Barth, Leipzig, 1920. 752 S M. 144.—, geb.
M. 163.20.
Ein Sammelwerk, bei dem zum Teil namhafte Chemiker und Aerzte
mitgewirkt haben. Nach einer Einführung des Herausgebers folgt die
Geschichte der kosmetischen Chemie von der bemfenen Feder Pasch-
k i s’, dann wird in einer Reihe weiterer Kapitel die Chemie der kosmeti¬
schen Mittel gebracht, es folgen Kapitel über die Beziehungen der chemi¬
schen Konstitution zum Geruch, über Hygiene, über Anatomie, Physio¬
logie und Chemie der Maut (letzteres von E. Freu nd). endlich die kos¬
metischen Mittel für verschiedene Zwecke. Am Schluss wird sogar der
gewerbliche Rechtsschutz in der kosmetischen Industrie und Weltwirt¬
schaft und Statistik behandelt, ebenso die Ausstattung und kommerzielle
Verwendung der Kosmetika.
Es würde viel zu weit führen, die Kapitel einzeln zu besprechen, sie
sind alle mit Sachkenntnis und Gründlichkeit bearbeitet, aus den Titeln
schon lässt sich erkennen, dass das Buch das ganze Gebiet zu erfassen
und nach allen Seiten auszuschöpfen sucht. Es ist so ein sehr brauchbares
Nachsehlagebuch geworden für jeden, den diese Dinge beschäftigen. Die
Ausstattung ist auffallend gut, ob der hohe Preis der Verbreitung nicht
hinderlich sein wird, muss sich wohl erst zeigen.
L. v Zumbusch.
Dr. A. Lorand, Badearzt in Karlsbad: Vergesslichkeit und Zer¬
streutheit und ihre Behandlung durch hygienische und therapeutische
Massnahmen. Verlag von Dr. W. Klinkhardt, Leipzig. Preis geh.
20 M., Seitenzahl 220.
Ein geistreicher Kopf unter meinen Bekannten pflegte den Ausspruch
zu tun: „Ein gebildeter Mensch ist ein solcher, der sehr viel vergessen
hat.“ An der Tatsache selbst, die diesem Paradoxon zugrunde liegt,
ist kaum zu zweifeln, höchstens über ihren Umfang zu streiten. Die
Gründe der Vergesslichkeit, die demnach ein für notwendig erklärtes Attri¬
but des Gebildeten darstellt, an der Hand moderner medizinischer Ge¬
dankengänge aufzuspüren und Mittel für ihre Bekämpfung zu suchen,
ist daher gewiss ein allgemein interessantes Thema. L. setzt sich mit
ihm auseinander, unter Beibringung manchen instruktiven und viel¬
sagenden Materials, untersucht die Grundbedingungen für ein gutes Ge¬
dächtnis, die Ursachen und Erkennung der krankhaften Vergesslichkeit
und ihrer mehr leichtfertigen Schwester Zerstreutheit, die uns allen so
üble Streiche spielen und erörtert auf das eingehendste (mit einigen
etwas störenden Wiederholungen) die Behandlung dieser Funktionsstö¬
rungen. Bezüglich dieser letzteren vertritt er auf Grund seiner Er-
fahmngen unter Hervorhebung aller in Betracht kommenden hygienischen
Massregeln zur richtigen Diätetik des menschlichen Lebens besonders
die Bedeutung einer ausgiebigen Organotherapie. Der Rolle der endo¬
krinen Drüsen wird von L. die grösste Bedeutung für die Leistungen des
Gedächtnisses zugewiesen. Sollte die Einsicht, welche wir nun all¬
mählich über die Vorbedingungen eines guten Gedächtnisses gewinnen,
eines Tages auch die starren Grundsätze mit einschmelzen helfen, welche
der Schulerzichung unserer Jugend zugrunde liegen, so würde besonders
auch für Deutschland ein grosses Kulturwerk sich anbahnen. Oder muss
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
52
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
cs in alle Ewigkeit >o bieiLeii, dass ein gebildeter Mensch ein solcher ist,
der sehr viel vergessen hat? Bei uns ist es nämlich so!
Qrassmann - München.
A 8 c h o f f und Diepgen: Kurze Ueberslchtstabeile zur Geschichte
der Medizin. 2., vermehrte Auflage. München-Wiesbaden bei Berg¬
mann, 1920. 37 Seiten 8®.
Die in erster Auflage den Vorlesungen Schwalbes beigegebene
Tabelle erscheint nun selbständig.^ Medizinisch-geschichtliche Tabellen
sind seit alters her beliebt und auch diese neueste tabellarische Dar¬
stellung, kurz und trefflich, von bewährten Kräften verfasst, wird sich
viele Freunde gewinnen. Wenn ein Wunsch geäussert werden soll, so
ist es der, das Zahlenmaterial noch zu vermehren und Qeburts- und
Sterbedaten auch bei den Grössen zweiten Ranges (Fallopio usw.)
und den Modernen (S c h ö n 1 e i n usw.) zu bringen. Der Hauptwert der
Tabellen ist ja, sich über solche Dinge rasch und bequem orientieren
iu können. Kerschensteine r.
Schöppler: Die Geschichte der Pest zu Regensburg. München
1914, bei Q m e 1 i n. 191 Seiten 8 ®. 5 M. ungeb.
In unseren alten Reichsstädten schlummern noch viele ungehobene
medizinisch-geschichtliche Schätze. Schöppler ist Spezialist für
Regensburg und hat uns schon manche schöne Gabe aus den Schatz¬
kammer dieser ehrwürdigen alten Stadt beschert Seine Zusammen¬
stellung der Dokumente und Monumente, welche die Pest in Regens¬
burg betreffen, ist dankenswert und lesenswert. Im ganzen ergibt sich
das typische Bild der mittelalterlichen Pestbekämpfung und Pestauf¬
fassung, an einem speziellen Beispiel besonders gründlich und genau
illustriert Neben einer grossen Zahl von Archivalien sind 17 gedruckte
Pestschriften aus Regensburg vorhanden und benützt Eine Reihe von
Abbildungen und Tafeln beleben das Buch: Facsimiles von Pestschriften,
Pestgrabsteine, Pestmünzen, Pläne, Abbildungen des Pestlazaretts, das
noch heute am unteren Wöhrd steht, u. m. Das Buch ist sehr fesselnd
geschrieben, so dass es nicht bloss als Ouellenwerk, sondern auch als
angenehme Lektüre empfohlen werden kann.
Kerschensteine r.
Neueste Journallheratur.
Zentralblatt für Herz- und Gefässkrankbeiten. 1920. Nr. 20—22.
J. G. Mönckebers - Tübingen: Zur Genese des Tübinger Herzens.
Verf. hat 20 Präparate von Tübinger Herz, die ira dortigen Patho¬
logischen Institut vorhanden sind, pathologisch-anatomisch, hauptsächlich mit
Bezug auf die Anschauungen von V o 1 h a *• d, nachuntersucht, besonders auch
die Nieren. Die mikroskopischen Einzelheiten ergaben den Schluss, dass die
Begriffe Münchener Bierberz, idiopathische Herzhypertrophie, Tübinger Herz
keine Daseinsberechtigung haben, sondern dass die einschlägigen Fälle den
Herzhypertrophien anzugliedern sind, welche durch Hypertonie zur Ent¬
stehung kommen.
P i 1 z - Berlin-Wilmersdorf: Beitrag zur Herzruptur.
Bei einem 53 jährigen Tabiker wurde die Förster sehe Operation aus¬
geführt, wobei sich in der Narkose 3 mal Asphyxie ereignete. Künstliche
Atmung etc. Die bald nachher ausgeführte Sektion ergab einen 8 cm langbn
Riss im 1. Ventrikel in der Nähe des Sulc. long. ant., ferner Aortitis luetica.
M. B a u r m a n n - Freiburg i. Br.: Beitrag zur Frage der Myokard¬
erkrankungen bei Struma nodosa.
Verf. hat an 27 Fällen anatomische Untersuchungen angestellt und kommt
unter kurzer Mitteilung der Befunde zum Schlüsse, dass für die Freiburger
Gegend bei Struma nod. das Vorkommen eines thyreotoxischen Kropfherzens
mit anatomisch oder histologisch nachweisbaren Veränderungen des Myokards
abzulehnen ist. Es scheidet entweder der Knotenkropf ätiologisch für das
Kropfherz ganz aus oder es muss für das Zustandekommen der Erscheinungen
eine andere Erklärung gesucht werden, ev. z. B. chronische Schädigung des
autonomen und sympathischen Nervensystems.
A. W e i 11 - St. Georg-Hamburg: Eine seltene Entstehungsnrsache von
positivem Venenpuis.
Die Erfahrungen in diesem Falle sind: Bei starkem positiven Venenpuls
ist an ein in den rechten Vorhof durchgebrochenes Aneurysma zu denken.
Im beschriebenen Falle war der Venenpuls der Ausdruck einer Störung im
Blutkreislauf des linken Herzens. Bei einem 28 jährigen Patienten, dessen
Lues völlig unbehandelt war, kam es schon 7 Jahre nach der Infektion zur
Ausbildung eines Aneurysmas. Grassmann - München.
MitteUunsen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie.
32. Band. 4. Heft. Jena 1920, Gustav Fischer.
E. F a r n e r und R. K 1 i n g e r (Hyg. Inst. d. Univ. Zürich): Experimen¬
telle Studien über Tetanie. 11. Untersnchui'.gen über die Tetanie der Katzen.
Die Katze erwies sich als sehr geeignet zum Studium der Tetanie. Der
sehr wechselnde Verlauf der Tetanie nach Entfernung der 4 Haupt-Epithel¬
körperchen kann erklärt werden aus der nicht nur individuell, sondern wohl
auch bei demselben Tier zeitlich wechselnden Menge von Stoffen (Basen der
Guanidingruppe), welche durch die EK. entgiftet, d. h. wahrscheinlich oxy¬
dativ zerstört werden sollen. Die akzessorischen EK. scheinen bei ihrer Klein¬
heit nur eine unbedeutende Rolle zu spielen. Kalk per os wirkte sehr günstig
bei Tetanie, so dass auch für menschliche Tetanie Calcium lacticum emp¬
fohlen wird. Implantation von EK. anderer Katzen wirkte nur vorübergehend,
Schilddrüsenfütterung wirkte eher schädlich.
Fritz G o e b e I (Univ.-Kinderklinik Jena): Ueber Spasmus des Sphlncter
ani als Ursache Her Hirschsprung scheu Krankheit.
Bei 2 jährigem Kind hatte sich infolge von Sphinkterspasmus, wahrschein¬
lich in Verbindung mit einer Narbenstriktur, eine röntgenographisch deutliche
starke Erweiterung der untersten Darmabschnitte entwickelt.
Alex. Hellwig (Path.-anat. Inst. Freiburg): Die diffuse Kolloidstruma.
Eingehende histologische Studie der normalen und hyperplastischen
Schilddrüse. Für letztere stellt H. vier Gruppen auf: 1. Hyperplasia (Struma
diffusa) Simplex congenita des Neugeborenen; 2. Hyperplasia (Struma diffusa)
microfollicularis; hierher gehören die „Gebirgsschilddrüse , die Str. par-
enchymatosa Virchows, Str. follicularis Kochers; 3. Hyperplasia (Str.
diffusa) macrofollicularis (“ Struma diffusa colloides), aufzufassen als Hyper¬
thyreose, kann basedowifiziert werden; 4. Hyperplasia (Str. diffusa) Base-
dowiana. — Keine der 14 untersuchten Kolloidstrumen zeigte Atrophie oder
Degeneration; H. ist der Ansicht, dass es sich nicht nur um eine Kolloid¬
stauung, sondern um aktive Erweiterung der Hohlräume mit Neubildung
junger Follikel handelt; die zur Hypersekretion führende Hyperplasie kann als
Waffe gegen das hypothetische Kropftoxin aufgefasst werden.
Rud Botzian (Med. Kl. Breslau): Beiträge zum Billrubingehalt des
menschlichen Serums bei Gesunden und Kranken.
Im normalen Menschenserum ist Gallenfarbstoff in Konzentrationen von
0—150 000 = 1,5 Bilirubineinheiten vorhanden, zuweilen auch mehr. Bei
Stauungsikterus kann die B.-Konzentration sehr schwanken und diejenige
der unverdünnten Lebergalle erreichen (50 B.-Einheiten). Bei einer B.-Kon¬
zentration 1: 50 000 wird ein latenter Ikterus manifest und Bilirubin im Harn
ausgeschieden. Diagnostische Bedeutung: Normaler B.-Gehalt im Serum
schliesst keine kardiale Leberstauung aus; B.-Steigerung bei dekompensierten
Vitien spricht im allgemeinen für beträchtliche Insuffizienz des rechten Ven¬
trikels. Bei Ca. ventriculi spricht B.-Vermehrung für Uebergreifen auf die
Leber. Bei kruppöser Pneumonie ist Gallenfarbstoff im Blut meist vermehrt.
Bei Gallensteinen ohne Ikterus ist B. häufig vermehrt. — Beim hämolytischen
Ikterus schwankt der B.-Spiegel, Splenektomie stellte in einem Fall nur vor¬
übergehend die Norm her.
Wald. Goldschmidt und Ant. M ü 11 e d e r (I. chir. Univ.-Klinik
Wien): Ueber postoperative Darmstörungen, mit besonderer Berücksichtigung
der Kolitis.
Nach Magenoperationen wurden enteritische Störungen häufiger, koli-
tische seltener gesehen. Letztere traten auch nach Operationen bzw. Ver¬
letzungen des Zentralnervensystems auf, unter dem Bilde der Ruhr, öfters
tödlich; Dysenterieerreger wurden nie gefunden, dagegen in 2 Fällen der
Bac. faecalis alcaligenes. Qrashey - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 160. Band. 1.—2. Heft.
R. B e n e k e und A. Lorenz: Ein Fall von Hernia duodenolelunalis sin.
(retroperitonealis Treitzil) completa. (Aus dem Pathol. Institut der Universität
Halle. Qeheimrat B e n e k e.)
Als Nebenbefund bei der Sektion eines 45 jährigen Mannes fand sich der
Dünndarm in ganzer Ausdehnung in einem dünnwandigen, kindskopfgrossen,
mit spiegelndem Peritoneum überzogenen Sack gelegen. Aus der rechten
unteren Ecke des Sackes trat das unterste Ende des lleum aus. Nach der
Situation handelte es sich um iene Hernia duodenojejunalis sin. Eingehende
Besprechung der Anatomie und Genese. Klinische Erscheinungen im Sinne
einer Inkarzeration wurden nur in seltensten Fällen beobachtet.
0. Aue: Ueber angeborene Zwerchfellhernien. (Aus der chirurgischen
Abteilung des städtischen Krankenhauses Worms. Geheimrat Heiden-
h a i n.)
Bericht über 2 Fälle. 5 jähriges und 9 jähriges Kind, die wegen chro¬
nischer Inkarzeration operiert wurden (1 Rezidiv mit Todesfall, 1 Heilung).
Die Diagnose wurde im 2. Fall auf Grund des Röntgenbildes gestellt, dabei
blieb die Differentialdiagnose, ob Hernia vera oder spuria, unentschieden.
Die sog. doppelte Bogenliiiie im Röntgenbilde ist für die Diagnose unsicher.
Bei der Entstehung der Hernie spielen unvollkommene Entwicklung des
Zwerchfells und Entwicklungsstörungen des Magen-Darms eine Rolle. Der
Eintritt der Intestina in den Thorax ist die Folge einer kombinierten Wir¬
kung des Ansaugens seitens des Thorax und des Fressens seitens des Ab¬
domens. Die abdominale Operation wird bevorzugt. Bei Unmöglichkeit
des Verschlusses der Bruchpforte durch Naht wird die Tamponade bevorzugt,
das Fixieren des Magens am Schlitz führt zu Störungen.
A. E. Anders: Kritische Bemerkungen zur operativen Behandlung der
Atresla ani et rectl. (Aus dem Pathol. Institut der Universität Rostock.
Prof. E. Schwalbe.)
Besteht bei der Atresia ani eine Aftergrube, so liegt der verschlossene
Enddarm nur wenig von der Aftergegend entfernt, so dass die Prokto-
plastik mit Erfolg vorgenommen werden kann. Bei Fehlen der Grube wird
besser ein Anus praeternaturalis angelegt. Ebenso ist das Vorhandensein
eines Schliessmuskels für die Nähe des Enddarms beweisend. Wo bei
der Operation der Atresie ein vom Anus oralwärts ziehender bindegewebiger
Strang sich findet, kann er als Wegweiser für die Richtung des Vorgehens
dienen.
August Lindemann: Die chirurgisch-plastische Yersorguag der
Welchtellschiden des Gesichtes. (Aus der Westdeutschen Kieferklinik
Düsseldorf.)
Die Aufsatzfolge — es ist dies der erste Aufsatz aus einer ange¬
kündigten Reihe von Abhandlungen aus der Gesichtschirurgie — aus der
reichen Erfahrung des nunmehr seit Jahren auf diesem Gebiete spezialistisch
tätigen Autors ist mit Freuden zu begrüssen. Nur einzelne für den Prak¬
tiker wichtige Punkte seien hervorgehoben: Vor einem primären chirurgischen
Eingriff nach Gesichtsverletzungen ist zu warnen, da stets mit der Infektion
und ihren nachteiligen Folgen zu rechnen ist; bei offener Wundbehandlung
ev. kombiniert mit Spülungen ist Reinigung und Heilung der Wunden zunächst
abzuwarten. Erst nach Ausschaltung jeder nachweisbaren Infektionsquelle
soll der nötige chirurgisch-plastische Eingriff ausgefülirt werden. Sorgfältige
vorherige Organuntersuchung (Herz, Niere) ist auch bei den Gesichtsopera-
lionen unerlässlich. Vorbereitende Behandlung des Narbengebietes mit Sonne,
Höhensonne, Heissluft, Massage, muss dem Eingriff vorangehen. Auf pein¬
lichste Asepsis wird grosser Wert gelegt. I. a. Lokalanästhesie mit Novo¬
kainlösung. Operative Streckung der Gewebe durch ausgiebige Mobilisierung
der Wundränder wird ausgedehnt angewandt. Die T h i e r s c h sehen Lappen
haben grosse kosmetische und funktionelle Nachteile und finden daher nur
Verwendung zur Deckung operativ entstandener Defekte,* die dem Auge nicht
zugängig sind; dasselbe gilt i. a. von den K r a u s e sehen Lappen. Von der
gestielten Knochentransplantation rät der Verf. ab, da an Weichteilen sich
abspielcnde Störungen sich auf den Knochen übertrag.^n. Bei gestielten
Weichteillappen ist den ernährenden Gefässen die grösste Aufmerksamkeit
zu schenken. Spannungen im Wundbereich lassen sich durch untergreifende
Drahtnähte überwinden. Die Durchtrennung des Lappenstiels darf nicht zu
früh erfolgen (3—4 Wochen). Sorgfältigste Blutstillung, Hautnaht fortlaufend
mit feinster Seide, offene Wundbehandlung. Die hypertrophische Narbe wird
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
\ 4 . Januar 1921.
MÜNCm:Nt:K MüDlZiNlbCHt: W0CHl:NSC11Rirr.
53
i. a. am besten exzidiert mit nachfolgender sorgfältigster Naht. Die Be-
handlungaussichten der Narbenkeloide sind schlechte. Bestes Material
zur Unterpolsterung ist das Fettgewebe. Eine isolierte Lähmung
der Kaumuskeln wird gewöhnlich ausgeglichen, narbige Kontraktur der
Kaumuskeln wird unblutig oder blutig beseitigt. Bei Lähmung mimischer
Qesichtsmuskeln wird Ueberpflanzung gestielter, gut ernährter, gut inner-
vierter Muskelbündel empfohlen. Versuche, die Schädigungen der mimischen
üesichtsmuskulatur durch Verankerung von Faszien oder Perioststreifen aus¬
zugleichen. sind stets ein grosser Notbehelf.
Werner Block: Beitrag zur halbseitigen Beckenluxation nebst Vor-
scliligen zur Drahtextension am Beckenkamm. (Aus der chirurgischen Uni¬
versitätsklinik Berlin. Qeheimrat Bier.)
9 jähriger Junge, schweres Trauma durch Kompression, Luxation der
ganzen linken Beckenhälfte nach oben und etwas nach hinten ohne Fraktur
des Beckenrings. Daneben Vortäuschung intraabdoininaler Symptome durch
retroperitoneale Hämatome. Durch Extensionsverband befriedigende Funk¬
tion. Vorschlag einer Drahtextension nach Versuchen an der Leiche: Bohr¬
loch fingerbreit unter und hinter dem vorderen Darmbeinstachel durch den
Darmbeinkamm. Anschliessend an 8 Fälle von Finsterer aus der Literatur
1911 stellt Verf. 5 weitere Fälle zusammen. (Die exakte Reposition dürfte
auch mit der Drahtschlingenextension sehr schwierig sein. Funktionell ist
zweifellos auch ohne Reposition ein recht gutes Resultat zu erzielen nach
2 eigenen Beobachtungen. Ref.)
H. Harttung: Trauma und Peritonitis. (Aus dem Knappschafts-
Krankenhaus Emanuelsegen O.-S.)
Diffuse Koliperitonitis bei einem 45 jährigen Manne im Anschluss an
einen Sprung in einen Graben. Operation und Sektion ergaben keine Ver¬
letzung des Magendarmkanals oder der Blase; nach Ansicht des Verfassers
ist die Peritonitis zurückzuführen auf Perforation einer entzündlich gc-
geschwollenen Lymphdrüse; eine histologische Drüsenuntersuchung fehlt leider.
Auszüge ans Dissertationen.
Josef Esten: Ueber die Erfolge der Leistenbruchoperation bei Kindern
bis^ zu 2 Jahren. (Bericht über 101 Fälle aus der chirurgischen Klinik
zu Bonn von 1909—1919.) (Aus der Bonner chirurgischen Universitätsklinik.
Qeheimrat O a r r 6.)
An 85 Kindern wurde 101 mal die Operation ausgeführt, zumeist nach
Bassin! mit 2 Todesfällen und 1 Rezidiv. I. a. Primaheilung. Gegenüber
der Publikation von W o 1 f f, der 1900 Statistiken mit 10—20 Proz. Rezidiven
bringt, bedeutet die Statistik einen grossen Fortschritt.
Heinrich v. Lennep: Ueber Rückenmarkstumoren. (Aus der Chirurgi¬
schen Universitätsklinik Bonn. Geheimrat G a r r 6.)
3 Fälle von Rückenmarkstumoren, in 2 Fällen ergab die Operation keinen
pathologischen Befund am Rückenmark, die Sektion deckte in beiden Fällen
Systemerkrankungen des Marks auf. Im 3. Falle ergab die Operation ein
nicht völlig entfernbares Myelom des 5.—7. Brustwirbels, als Palliativ-
operation anschliessend Förster sehe Operation. Im 2. Teil der Arbeit
eine Zusammenstellung von 153 operierten Fällen aus der Literatur: Heilungen
33 Proz., wesentliche Besserungen 15 Proz., keine Besserung 11 Proz..
Tod 33 Proz.. ohne Angabe 5,3 Proz. Es war befallen das Halsmark 47 mal,
Brnstmark 73 mal. Lendenmark, Sakralmark. Cauda equina 24 mal.
Flörcken - Frankfurt a. M.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1920. Nr. 52.
0. K h o 6 r - Pest: Die Eigenmilch als Gaiaktagogum.
An einem nicht sehr grossen Material ergab die Nachprüfung des
L ö n n e sehen Vorschlages keine nennenswerten Erfolge. Jeder Impuls, der
die Milchabsonderung an sich steigert, wurde vermieden, die künstliche Ent¬
leerung der Brüste wurde nicht vorgenommen. Als Mittel, die Hypogalaktie
zu beeinflussen, scheint die Injektion von Milch daher praktisch ohne wesent-.
ik^e Bedeutung.
Riedinger - Brünn: Ein Fall von Perforatlo uterl und Prolaps des
DaroMs.
Kasuistische Mitteilung mit günstigem Ausgang durch eine sofort aus-
geführte Laparotomie. Werner- Hamburg.
Zentralblatt für Chirurgie. 1920. Nr. 52.
W. B r a u n - Berlin-Friedriclishain: Zur Technik der Hautpfropfung.
Verfassers neue Methode besteht darin, dass kleine T h i e r s c h sehe
L appen schräg in die Tiefe (3—4 mm) der unempfindlichen Granulationen
reihenweise mit feiner Pinzette eingepflanzt werden, so dass die Granu¬
lationen sich über den eingcpflanzten Hautstückchen wieder zusammen-
scbliessen. Die Erfolge des Verfassers mit dieser einfachen Methode,
die er kurz beschreibt, sind recht gute.
J. W i e t i n g - Sahlenburg: Ueber der Röntgentiefenbestrahlung bös-
artiser Geschwülste pfanmässlg vorausgeschickte Unterbindung der zuführen-
dea Schlagader.
Auf Grund einer sehr günstigen Erfahrung empfiehlt Verfasser, in solchen
Fallen, in denen bösartige, inoperable Geschwülste einem umgrenzteren Ge-
iässgebiet angehören, vor der RöntgenJiefentherapie planmässig die er¬
nährende Arterie zu unterbinden; durch diese Unterbindung soll die Ein¬
wirkung der Strahlen auf das Tumorgewebe physikalisch erleichtert werden.
W. L e h m a n n - Göttingen: Zur Frage der Wurzelresektlon bei gastrl-
teken Krisen.
Verf. macht den Vorschlag, bei gastrischen Krisen statt der hinteren
Wurzeln die vorderen zu durchtrennen, da er durch Tierexperimente er¬
wiesen hat, dass nach Durchtrennung der vorderen Wurzeln die Bauch¬
organe bzw. die Mesenterialgefässe unempfindlich sind.
Ph. Bockenheimer - Berlin: Neue Methode zur Freilegung der
KJafergelenke ohne sichtbare Narben und ohne Verletzung des Nerv, facialis.
Die Methode des Verfassers, die er kurz beschreibt, besteht darin, dass
tr durch einen bogenförmigen, hinter der Ohrmuschel angelegten Schnitt nach
querer Durchtrennung des knorpeligen Gehörganges das Ohr ablöst und dann
bequem an das Kiefergelenk herankommt. Nach vollendeter Resektion des
Kiefergelenkes wird das Ohr in gleicher Weise wieder durch Hautnähte
befestigt. Diese Methode schont den Nerv, facial.. vermeidet Narben im
Gesicht und schafft genügend Raum für plastische Operationen.
M. ffesch-Thebesius -Frankfurt a. M.: Zur operativen Indi-
kaHonsstcdfang beim Ileus.
Von der Annahme ausgehend, dass es sich bei Ileus um eine Autu-
intoxikation handelt, empfiehlt Verf. 2 Proben: die H e 11 e r sehe Unter¬
schichtungsprobe mit 25 proz. Salpetersäure ergibt bei Ileus im Urin an
der Trcnnungssclücht einen scharfen, weissen Ring, der sich neben dem
fast stets auftretenden Eiweissring bildet; spritzt man Mäusen 1,5ccm
steril entnommenen Urins von einem Fall von Ileus ein, dann geht bei
positivem Ausfall das Tier nach 1—2 Stunden, oft schon nach K Stunde,
zugrunde. Negativer Ausfall beider Proben bedeutet, dass keine Gefahr
im Verzug ist, während ihr positiver Ausfall einen ausgesprochenen Intoxi¬
kationszustand beweist. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 67. Band. 3.—4. Heft.
Wllh. Erb zum 80. Geburtstage.
E. Popper-Prag: Zur Kenntnis des PateUarreflexes. zugleich über
eine neue Methode der Reflexverstärkung.
Eine Verstärkung des abgeschwächten PateUarreflexes lässt sich dadurch
erzielen, dass der Patient willkürlich oder unwillkürlich hustet. Der Erfolg
dieses Hilfsmittels beruht wohl auf einer Tonisierung (Tonusverschiebung?)
der unteren Extremitäten durch gleichzeitige Innervation eines anderen Ner-
vengebietes, wobei auch das vegetative Nervensystem (Blutdruckschwan¬
kungen beim unwillkürlichen Husten) eine Rolle spielen kann. Jedenfalls gibt
es auf diesem Gebiete noch viele ungelöste Fragen, von denen namentlich die
nach dem Vorkommen einer konstitutionellen Patellarsehnen-Areflexie und die
Wiederkehr erloschener Sehnenreflexe genannt werden.
E. Speer- Jena: Vier Geschwister mit Friedreich scher Krank¬
heit.
H. P e 11 e - Eppendorf: Ueber den Einfluss der verschiedenen Formen
antisyphilitischer Behandlung auf das Entstehen der „metaluetischen** Erkran¬
kungen.
Aus den statistischen Zusammenstellungen des Verf. geht hervor, dass
die überwiegende Mehrzahl der Tabiker und Paralytiker sich aus den nicht-
behandelten Fällen rekrutiert. Nach ausgiebiger Quecksilberbehandlung wird
Tabes und Paralyse sehr selten beobachtet. Ob das Salvarsan ihren Aus¬
bruch verhindern kann, lasst sich noch nicht entscheiden; eine mangelhafte
Salvarsankur scheint aber eher den Ausbruch der Metalues zu begünstigen,
während eine genügende kombinierte Salvarsan-Ouccksilberbehandlung nach
den Erfahrungen des Verf, das Auftreten dieser Nachkrankheiten ausschliesst.
Mit zunehmendem Alter verkürzt sich die Inkubationszeit zwischen Luesinfek¬
tion und Beginn der metaluetischen Erscheinungen.
H. F ö r t i g - Wörzburg: Zur Frage des Hirndrucks.
Nicht bei allen Fällen von Hirngeschwülsten lässt sich der Hirndruck
durch vermehrte Liquormenge oder den Druck des Tumors erklären. Es gibt
auch Fälle mit Hirndruckerscheinungen bei kleinem Tumor und ohne Hydro¬
zephalus. In solchen Fällen ist die R e i c h a r d t sehe Hirnschwellung für
die Entstehung des Hirndruckes verantwortlich zu machen, wie sie sich durch
die physikalische Hirnsektiop nachweisen lässt. Genaueres über diese Me¬
thoden, ihre praktische Anwendung in 4 Fällen und kritische Besprechung
muss im Original nachgelesen werden.
W. Vorkastner - Greifswald: Beitrag zur Frage der Rückenmarks¬
veränderungen bei der progressiven Paralyse.
Bei 24 Paralysefällen wurden jedesmal Rückenmarksveränderungen ge¬
funden. Die Seitenstrangdegenerationen, die sich im wesentlichen auf die
Pyramidenbahnen beschränkten, könnten als von primären Hirnveränderungen
ausgehende sekundäre Degenerationen angesehen werden, wenigstens in den
Fällen, in denen eine gleichmässige Ausdehnung in allen Höhen des Rücken¬
marks vorhanden war. Die Hinterstrangveränderungen sind dem Bilde der
Tabes ausserordentlich ähnlich. Für ihre Sonderstellung spricht aber doch
eine Reihe von Tatsachen, neben den klinischen Erscheinungen Unterschiede
in der Lokalisation, unter ihnen vor allem das häufige und frühzeitige Bc-
fallensein der ventralen Hinterstrangsfelder, die bei Tabes erst später und
nicht in so grosser Ausdehnung angegriffen sind.
H. Schäffer - Breslau: Zur Analyse der myotonlschen Bewegungs¬
störung.
Bei der T h o m s e n sehen Krankheit stehen sich die neurogene und die
myogene Theorie zur Erklärung der Muskelerscheinungen gegenüber. Zur
Entscheidung dieser Frage benützte Verf. die Eigenschaft des Novokains, die
sensiblen Nervenendigungen zu lähmen und damit den sensiblen Anteil des
Reflexbogens auszuschalten. Die Kurven, die man durch direkte Aufzeich¬
nung der Volumensveränderung des Muskels und Registrierung der Aktions¬
ströme im Muskel mittels Saitengalvanometers erhielt, verliefen bei dem mit
Novokain infiltrierten Muskel geradeso wie bei dem nichtbehandelten. Dass
die Vorderhornzellen auf dem Wege der motorischen Bahnen nicht an der
dauernden Muskelerregung schuld sind, geht aus der Tatsache hervor, dass
auch direkte faradischc Reizung des myotonlschen Muskels nach völliger
motorischer Lähmung durch Novokaineinspritzung in den Nerven dieselbe
Kurve hervorrief wie beim nichtgelähmten Muskel. Auch die Erfahrung, dass
Lumbalanästhesie die myotonische Reaktion nicht beeinflusst, spricht gegen
die Beteiligung des zentralen Nervensystems beim Zustandekommen der
myotonlschen Bewegungsstörung. So kommt nur der Muskel seihst als Sit '
des Leidens in Betracht; sein Wesen ist in einer reizbaren Schwäche des
Sarkoplasma zu erblicken.
W. Jacobi-Jena: Beitrag zur Klinik der Myatonla congenita.
Ein einschlägiger Fall,
K. Boas: Ueber Fazlailslähmungen bei Tabes.
Komplikation der Tabes durch eine nicht mit ihr in direkter Beziehung
stehende Fazialislähmung, Renner- Augsburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie, 87. Band.
5. u. 6. Heft.
E. Schott-Köln: Elektrokardiographlsche Studien bei akuten Ver¬
giftungen.
Eine Reihe von Substanzen (Natr. salicyl., Benzol, Tetrachlormethan.
Chloräthyl. Chloroform, Aether, Alkohol) bewirken für das betreffende Gift
spezifische Formänderung des Elektrokardiogramms, die reversibel ist, andere
(z. B. Nitrobenzol, Nitroglyzerin, Azeton) lassen es unverändert bis zum
Tode. Die Ergebnisse sprechen gegen die Annahme eines unmittelbaren Zu¬
sammenhangs von Elektrokardiogramm und Kontraktion des Herzens und für
die Annahme, dass das Elektrokardiogramm Ausdruck von Stoffwechsel¬
vorgängen am Herzen ist.
Digitized by • Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
54
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2 .
ü. Z o n d e k - Berlin: lieber die Bedeutung der Kalzium- und Kalium-
Ionen bei Gilt Wirkungen am Herzen. I. Mitteilung.
Die Versuche an Froschherzen, die mit Chloralliydrat und Muskarin ver¬
giftet waren, zeigten, dass ganz allgemein Giftwirkungen an Zeilen durch eine
quantitative Verschiebung der für das Zelleben notwendigen Elektrolyt-
korabinationen eine Aenderung in ihrer Intensität und mitunter auch ihrer Art
erfahren können.
Schönleber -Heidelberg: lieber den Einfluss der Dlgltallskörper auf
die Bildung und Fortleltung der Kontraktlonswelle Im Froschherzen.
E. Frey-Marburg: Die Wirkung des Strychnins auf die Refraktflr-
perlode und die Ueberleltungszelt am Froschherzen.
Strychnin beeinträchtigt den Aufbau der potentiellen Energie und deshalb
die Erregbarkeit des Ventrikels und die Kontraktilität der Kammer, zugleich
die Ueberleitung, während die Reizbildung anscheinend weniger beeinflusst
wird. Da jene drei Eigenschaften der Herzmuskulatur in gleicher Weise
ergriffen werden, muss man annehmen, dass sie eng Zusammenhängen und
von der vorhandenen potentiellen Energie abhängig sind.
M. B i n g e r - Kiel: lieber die Bedeutung des Lösungsmittels für die
Ausscheidung Intravenös Iniizlerter Harnsäure beim Nlchtglchtiker.
Nach Injektion von Harnsäure in Piperazin gelöst wurden durchschnitt¬
lich 52,2 Proz. wieder ausgeschieden, während in übersättigter Lösung inji¬
zierte Harnsäure nur zu 27 Proz. ausgeschieden wurde. Verf. nimmt an,
dass das Piperazin an sich die Ausscheidung begünstigt. Jedenfalls ist die
Eignung der Methode zur Diagnose der Gicht noch sehr zweifelhaft und
mindestens muss verlangt werden, dass ganz gesetzmässig beim Gichtiker
die injizierte Harnsäure zum allergrössten Teil retiniert wird, da der ge¬
sunde Nichtgichtiker schon 50 Proz. im Mittel retiniert.
Adler-Frankfurt a. M.: lieber den Angriffspunkt der Blutdriisenhormone
bei der Wärmeregulation. Weitere Untersuchungen an Winterschläfern.
Frühere Versuche an winterschlafcnden Igeln fortführend fand Verf., dass
Blutdrüsenhormone (Schilddrüsen-Thymusextrakt) und proteinogene Amine
(z. B. Phenyläthylamin) auch nach operativer Ausschaltung des Wärme¬
zentrums und nach Lähmung des Sympathikus mit Ergotoxin wirksam sind,
wenn auch die Temperatur nicht zu normaler Höhe ansteigt. Es ist daraus
zu schliessen, dass die Hormone nur an den peripheren Stätten des Ver¬
brauchs die Oxydationsprozesse anregen oder vielleicht erst möglich machen.
Wahrscheinlich ist die Erwärmung unvollkommen, weil der zentrale Tonus
fehlt. L. Jacob- Bremen.
Frankfurter Zeitschrift für Patholosfe. Band 24. Heft 1.
Maria Pia Hertel: Das Verhalten des Endokards bei parietaler Endo¬
karditis und bei allgemeiner Blutdrucksteigerung. (Patholog. Institut Würz¬
burg.)
Die nicht selten diffus oder fleckweise auftretenden Endokardverdickungen
können verschiedene Ursachen haben: Primäre oder sekundäre Endokarditis,
organisierte Thromben; auch funktionelle Vedickungen kommen vor, so bei
dauernder Schwächung der Herzmuskulatur, ebenso bei länger dauernder Blut¬
drucksleigerung; daneben kommen noch Wandverdickungen als senile Er¬
scheinung und die sog. Riicklauischwielcn, besonders unterhalb insuffizienter
Aortenklappen vor. Es bestehen im ganzen grosse Aehnlichkeiten zwischen
wandendokardialen und Blutgefäss-Wandverdickungen.
M. Askanazy: Die Zirbel und Ihre Tumoren in Ihrem funktionellen
Einfluss. (Patholog. Institut Genf.)
Von 11 in der Literatur genannten Fällen von Zirbeltumoren mit genitaler
Frühreife waren 8 sichere Teratome, eines ein Chorionepitheliom, ein weiteres
wurde nicht genau untersucht. Die sexuelle Frühreife sieht A. weniger als
Folge des Sitzes der Geschwulst, denn als Folge der Funktion des Ge¬
schwulstgewebes an, wenn auch tierexperimentelle Studien bei operativer
Herausnahme des Corpus pineale für die Wahrscheinlichkeit einer Wechsel¬
wirkung zwischen Zirbel- und Geschlechtsapparat sprechen. Vielleicht liegt
die Lösung der Frage darin, dass teratoides Gewebe und Fortfall der Epi¬
physe gemeinsam die sexuelle Frühreife auslösen.
Erich Möckel: lieber Llthlasls pancreatica mit 4 eigenen Fällen.
(Patholog. Institut Leipzig.)
Vorbedingung zur Steinbildung im Pankreas ist Erkrankung des Ganges-
und Drüsenepithels, und krankhafte Zusammensetzung des Sekretes, letztere
vielleicht veranlasst durch Bakterieneinwanderung vom Darm aus oder von
den Gallengängen her. Bei den älteren Fällen ist die Ursache meist nicht
mehr zu erkennen. Die Konkremente bilden sich anscheinend aus organischen
Massen, die durch Schleim zusammengeklebt werden und sich schliesslich mit
anorganischen Salzen beladen.
Josö Verocay: Arterienverkalkung bei angeborener Lues. (Patholog.
Institut Prag.)
5K Monate altes Kind mit ausgedehnten Veränderungen, besonders in
den Arterien der unteren Extremitäten, mit geringeren in den Arterien der
oberen Extremität, denen des Herzens, der Milz. Die Veränderungen be¬
stehen in Fragmentierung und Verkalkung der Elastica interna, Verkalkung der
Media und Intima, Endarteriitis obliterans. Daneben kommen entzündliche
Prozesse in der Adventitia vor, ihr wucherndes Qranulationsgewebe kann bis
zur Media Vordringen. Die Befunde erinnern an die Gefässlues, wahrschein¬
lich liegt auch eine Schädigung der elastischen und muskulösen Elemente durch
die Lues vor. Für die ausgedehnte Verkalkung der Gefässe ist vielleicht die
intensive Quecksilberbehandlung des Kindes erklärend heranzuziehen.
Karl Ritter: lieber Epithelkörperchenbefunde bei Rhachltls und anderen
Knochenerkrankungen. (Patholog. Institut Freiburg,)
Im ersten Lebensjahr sind die Zellen der Epithelkörperchen hauptsächlich
hell, bei Rachitikern mehr dunkel, auch sind sie bei Rachitis vergrössert; bei
Möller-Barlow sind die Zellen mehr hell, bei Osteogenesis imperfecta mehr
dunkel, ebenso herrschen bei Osteomalazie und seniler Osteoporose die
dunklen Zellen vor, die im Sinne einer Hyperfunktion des Organes zu deu¬
ten sind.
W. C u 1 p: lieber mediane vollkommene Spaltung der Epigiottls. (Putho-
log. Institut Mainz.)
Kasuistik. Oberndorfer - München.
Berliner klinische Wochenschrift. 1920. Nr. 51 u. 52.
Nr. 51. S c h 0 11 - Nauheim: Herzfiberanstrengungen im Kriege.
Schluss folgt.
L i c h t s c h 1 a g: lieber traumatische Pneumonie.
Im Anschluss an eine heftige Brustquetschung bildete sich bei dem
11 jähr. Patienten eine Lungenentzündung aus, die in Heilung ausging. Verf.
hat ein grösseres Sektionsmaterial auf die Frage einer traumatischen Ent¬
stehung von entzündlichen Lungenerkrankungen untersucht und fand unter 211
durch stumpfes Trauma verletzten Personen 17 Fälle von Pneumonie. Er¬
örterung über das Zustandekommen dieser Entzündungen.
E. L i 1 i e n t h a 1 - Berlin-Schöneberg: lieber Magenkrebs bei Jugend¬
lichen.
Im mitgeteilten Fall handelte es sich um eine 26 Jährige Kranke. Aus¬
gang nach Operation tödlich. Der Beginn des Magenkarzinoms bei Jugend¬
lichen ist in der Mehrzahl der Fälle ein rascher, der Verlauf stürmisch unter
Fieber, Kachexie und frühzeitige Metastasenbildung fehlt. Die Frühdiagnose
st daher besonders schwierig.
Heinrichsdorff -Breslau: Zur Histologie der akuten gelben Leber-
atrophle.
Nach den mitgeteilten Untersuchungen gehört die akute gelbe Leber¬
atrophie ins Gebiet der hämorrhagischen Nekrose. Der Ikterus bei den
Parenchymdegenerationen der Leber erklärt sich am einfachsten aus den
vielfach damit verbundenen Schädigungen der Kapillarwände. Bezüglich
weiterer Einzelheiten verweisen wir auf das Original.
W. L e h m a n n - Göttingen: Ueber sensible Fasern in den vorderen
Wurzeln.
Verf. berichtet über 2 weitere Fälle, bei denen trotz Resektion sämt¬
licher Lumbal- bzw. Sakralwurzeln die Neuralgien nach der Förster sehen
Operation nicht verschwanden, auch die Sensibilität in den betr. Extremitäten
erhalten blieb. Die Erklärung muss nach den Darlegungen L.s im Vorhanden¬
sein sensibler Fasern in den vorderen Wurzeln gefunden werden.
R. R a h n e r - Gaggenau: Weitere therapeutische Erfahrungen mit
Oxymors.
Verf. ergänzt seine erste Veröffentlichung durch die Mitteilung weiterer
Fälle und untersucht besonders die Bedingungen einzelner Misserfolge. Be¬
züglich der therapeutischen Technik müssen wir auf den Aufsatz selbst ver¬
weisen.
W. Fischer - Berlin: Primäraffekte der behaarten Kopfhaut und Ihr
Infektionsmodus.
Verf. fand bei einem jungen Mann einen Primäraffekt über dem rechten
Scheitelbein. Dieser Befund gehört zu den grossen Seltenheiten. Ueber-
tragung erfolgt in solchen Fällen durch Kratzen, Berührung bei vorhandener
Wunde. Vielleicht ist in diesem Falle die Ansteckung durch eine Ver¬
letzung gelegentlich des Haarscherens entstanden. Von Syphilitikern be¬
nutzte Gegenstände können auch noch nach einem längeren Zeitraum zu
Vermittlern einer luetischen Infektion werden.
Nr. 52. H. Beitzke: Zur Einteilung der Endokarditiden.
Verf. schlägt folgende Einteilung vor: E. benigna sive simplex, sive
verrucosa. Endocard. maligna sive septica sive mycotica, als Unter¬
abteilungen der letzteren: E. polyposa, ulcerosa, ulcerosa et polyposa.
G. Rosenfeld - Breslau: Zur Prophylaxe der Harnstetne.
Bezüglich der Bekämpfung von Uratsteinen hat R. den Harnstofl als
sehr wirksames Harnsäurelösungsmittel eingeführt und verwendet ihn zu¬
sammen mit Atophan, ferner gibt er in Abständen von Wochen Glyzerin,
davon 2 g auf 1 kg Körpergewicht. Die Bildung von Oxalatsteinen kann
nur durch möglichst oxalsäurefreie Kost (Vermeidung von Tee, Kakao,
Pfeffer, Spinat, Sauerampfer, Rhabarber, Rosenkohl) vermindert werden. Die
Bekämpfung der Bildung von kohlensauren und phosphorsauren Kalksteinen
ist mit einem Schema nicht möglich, es kommt eine entsprechende Kost, oder
die Darreichung eines Phosphats oder event. Säuren mehrere Stunden vor der
Hauptmahlzeit in Betracht.
W. Baetzner -Berlin: Beitrag zur Magentuberkulose.
Die Erkrankung ist sehr selten. Mitteilung eines Falles einer 35iähr.
Patientin, welche ein handtellergrosses Geschwür der grossen Kurvatur dar¬
bot, dessen Operation zunächst von gutem Erfolge schien, doch wurde eine
zweite Operation nötig. In Mukosa und Submukosa fanden sich Miliartuberkel.
M. H i r s c h - Berlin: Zur Klinik der Zervlxstenose, der Dysmenorrhöe
und SterUltfit.
Hauptsächlich die systematische Sondenuntersuchung, ferner Unter¬
suchungen des in Betracht kommenden Gewebes pathologisch-anatomischer
Art zeigen auf das Bestimmteste, dass die rein mechanische Auffassung der
Dysmenorrhöe (Stenose der Zervix) mit Unrecht die angenommene grosse
Rolle spielt. Nicht in der Lichtung des Zervikkanals, sondern in der Starrheit
und entzündlichen Reizung des zervikalen, parazervikalen und parametranen
Gewebes ist die Ursache des dysmenorrhoischen Schmerzes zu suchen. Der
Begriff einer „Zervixstenose“ sollte aus den Lehrbüchern verschwinden.
S c h 0 11 - Nauheim: Herzfiberanstrengungen Im Kriege. (Schluss.)
Verf. bespricht in sehr eingehender Weise das klinische Bild der durch
physische, aber auch oft durch psychische Ueberanstrengungen im Kriege ent¬
standenen Herzschäden und erörtert an Hand neuer Versuche besonders die
Frage der mehr minder akuten Dilatationen des Herzens im Anschlüsse an
starke Muskelleistungen auf Grund neuer röntgenologischer Untersuchungen.
Die Prognose bezeichnet er als im Durchschnitt günstig, die Dauer der
Störungen ist allerdings häufig eine sehr lange. Qrassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1920. Nr. 50 u. 51.
W. K o 11 e und H. Schlossberger - Frankfurt a. M.: Tuberkalose-
Studlen. H. Ueber die Tierpathogenität des Friedmann sehen sosen.
„Schildkrötentuberkelbazillus**.
Für Kaninchen erwies sich der Friedmann sehe Stamm, abgesehen
von lokaler Abszessbildung mit Bazillenbefund als unschädlich. Bei Meer¬
schweinchen und weissen Mäusen kam es je nach der Art der Injektion zu
Drüsen- oder Netz- und Milzschwellung mit positivem Bazillenbefund. Eine
unter den Versuchsmeerschweinchen zufällig ausgebrochene Stallseuche Hess
ausserdem erkennen, dass eine solche hinzukommende Infektionskrankheit im¬
stande ist, die an der Impfstelle ruhenden Friedmannbazillen durch Schwächung
der Widerstandskräfte des Organismus zur Vermehrung und Weiterverbrei¬
tung zu bringen.
J. Hirschberg - Berlin: Zur Quecksilberbehandlung syphlllttscher
Augenleiden.
Das Quecksilber wird für unentbehrlich bei gummöser Sehnervenentzün¬
dung, bei Gummiknoten der Aderhaut und der Regenbogenhaut der erworbenen
und bei schwerer. NetzaderhautentzUndung der angeborenen Lues gehalten.
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRirT.
55
11. C. P 1 a u t - Hamburg: LimKengangrän und fusosplrllläre Symbiose.
Salvarsanbehandlung der Lungengangrän bietet nur dann Aussicht auf
Erfolg, wenn im Sputum in hier genauer angegebener Weise die fuso-
spirilläre Symbiose nachgewiesen ist. Bleibt in diesen Fällen eine deutliche
Besserung durch Salvarsan aus, so ist an das Vorhandensein eines Fremd-
kdrpers zu denken.
A. P e ft e r s s o n - Stockholm: Ein neuer, besonders ftir die Zfichtung
Ton Gonokokken geeigneter Oehirnnährboden. In der Urschrift nachzulesen.
C. ß r e s s e 1 - Rostock: Ueber die Eigenharnreaktion bet Lungen¬
tuberkulose.
Die Beobachtung an 50 Fällen schien zu ergeben, dass die Eigenharn¬
reaktion, d. h. das durch intrakutane Einspritzung des auf ^/lo seines Volumens
eingedampften Harns hervorgerufene umschriebene Infiltrat der Haut (W i I d -
bolz), ein sicheres Zeichen für das Vorhandensein einer aktiven tuber¬
kulösen Lungenerkrankung ist und schon frühzeitig auftritt.
B. D o h m e - Berlin: Skrofulöse Augenerkrankungen und Krieg.
Durch den Krieg und seine ungünstigen Folgen auf dem Gebiete der
Ernährung und der allgemeinen Gesundheitspflege ist eine Zunahme nicht nur
in der Zahl der skrofulösen Augenerkrankungen, sondern auch in der
Schwere ihres Verlaufes zu verzeichnen. Skrofulöse ist eine Erkrankung der
Verwahrlosung.
A. J a n e c k e - Erfurt: Ein Fall von postenzephalitischer Schlafstörung.
Kasuistik.
K. W o h I g e m u t h - Berlin: Ein Fall von doppeltem Darmverschluss
durch Invaginatlon, kombiniert mit Innerer Einklemmung.
Bei dem vier Monate alten Säugling war der ganze Dickdarm ein¬
schliesslich Zoekum und Wurmfortsatz in die Flexura sigmoidea invaginiert.
Zwischen die beiden Darmabschnitte hatte sich die oberste Jejunumschlinge
eingeklemmt.
A. Salomon - Berlin: Zur Verhütung von Schmerzen und Nachempfin-
dnugen nach Amputationen.
Gefrierenlassen der Nervenstämme durch Chloräthyl oder, einfacher und
weniger zeitraubend, Injektion von 1—2 ccm 80 proz. Alkohols in die
Nervenstämme. 3—4 cm oberhalb der Schnittfläche.
G r e t s e 1 - Hamburg: Metallfolien ln der praktischen Chirurgie.
Zinn- oder Aluminiumfolien auf Wunden aufgelegt verhindern die Aus¬
trocknung und können beim Verbandwechsel schmerzlos und ohne Verletzung
der Granulationen entfernt werden. Sie werden auch zur Abdeckung der
Baucheingeweide bei Laparotomien empfohlen.
K. Opitz- Bonn: Statistische Beobachtungen zur Kalkfrage.
Zu kurzem Bericht nicht geeignet.
L. Veilchenblau - Arnstein: Erhöhte Bereitschaft und Kalktherapie.
Kalzium kann unter Umständen einen störenden Einfluss auf Immuni¬
sierungsvorgänge im Körper ausüben.
A b e i s d o r f f und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologlsche Rat-
s^Aiige für den Praktiker.
Nr. 52.
W. K o 11 e und H. Schlossherger - Frankfurt a. M.: Tuberkulose-
Studlen. III. Ueber die Beeinflussung der experimentellen Meerschwelnchen-
tnberkulose durch die Friedmann sehen „Schlldkrötentuberkelbazlllen**.
Bei Meerschweinchen, Kaninchen, Mäusen konnte weder eine schützende,
noch eine heilende Wirkung der Behandlung mit Friedmannbazillen festgestellt
werden. Experimentelle Stützpunkte für die entsprechende Schutz- oder
Heilbehandlung beim Menschen haben sich also nicht ergeben. Wo beim
Menschen gelegentlich eine Heilwirkung beobachtet worden sein mag. dürfte
diese nicht auf eine Antigenwirkung, sondern auf eine nichtspezifische
Resistenzerhöhung oder Protoplasmaaktivierung zurückgeführt werden müssen.
P. Uhlenhuth und L. Lange- Berlin: Ueber Immunisierungsver¬
suche mit den Frledmann sehen Schildkrötentuberkelbazillen an Meer¬
schweinchen und Kaninchen.
Heil- und Schutzversuche hatten ein negatives Ergebnis.
J. Schwalbe - Berlin: Ueber den klinischen Hetlwert des Friede
mann sehen Tnberkulosemittels. Eine Umfrage bei den Direktoren der
deutschen Internen, chirurgischen und pädiatrischen Universitätskliniken und
-Polikliniken.
Vielseitige klinische Erfahrungen lehren, dass das Friedmannmittel in
der Tuberkulosetherapie zum mindesten nichts Besseres leistet, als die anderen
Tuberkulosemittcl auch.
K n o p f - Goldberg: Die spezlflsche Behandlung der Tuberkulose durch
den praktischen Arzt.
Zum Teil mit Krankengeschichten belegte kurze Bemerkungen über Be¬
handlung mit Alttuberkulin Koch, mit Bazillenemulsion, mit künstlichem
Pneumothorax, mit Friedmanns Tuberkulosemittel, mit Deycke-
Muchs Partigenen und mit intrakutaner Tuberkulinkur nach Petruschky.
J. L e u c h s - Würzburg: Ueber Ersatz der Nutrose ln Bakteriendiffe¬
rentialnährböden.
In den Bursiekow-Nährböden zur Differentialdiagnose für die Typhus-
und Ruhrgruppe hat sich der Ersatz der Nutrose durch Serumalkalialbuminat
bewährt, welches durch Kochhitze nicht mehr, aber noch durch Säuren
fällbar ist. Dieser Ersatz bedeutet eine wesentliche Verbilligung.
K. L a n d a u e r - Frankfurt a. M.: Physiologisches und Pathologisches
vom Mnskelton.
Es wird ein Bewegungstyp und ein Haltetyp des Muskelsummens unter-
szhieden und ihr verschiedenes Auftreten unter physiologischen und patho¬
logischen Erregungszuständen der Muskeln besprochen.
B o c c k h - Heidelberg; Das Radiallsphänomen bei der Brachlalgie.
Das Radialisphänomen, welches ungefähr dem L a s ö g u e sehen Phä¬
nomen bei Ischias entspricht, wird auf die Weise erzeugt, dass der betreffende
Arm pa.ssiv im Schultergelenk abduziert, gleichzeitig nach innen rotiert.
Jas Ellbogengelenk gestreckt und der Unterarm proniert wird. Eine Täu¬
schung durch Muskelüberdehnungsschmerz. wie beim Pseudo-Las^gue, er¬
scheint ausgeschlossen.
L. D r ü n e r - Fischbuchthal: Zur Verjüngungsoperation beim Menschen.
Bericht über zwei scheinbare Verjüngungen nach Prostatektomie.
R. L u r z - Nauheim: Bäder und Chinin bei chronischer Malaria.
Durch kühle Kohlensäurebäder werden die Malariaerreger aus ihren
N-hlupiwinkeln ins strömende Blut getrieben, wo sie der Chininwirkung besser
zugänglich sind.
F. Bierende - Elberfeld: Ein Fall von Schwangerschaftspsychose, ohne
Unterbrechung der Schwangerschaft gehellt.
E. Q I a s s - Hamburg: Qemlschtzelllges Lungensarkom mit zahlreichen
Rlesenzellen.
E. Hartwig - Pritzerbe: Ueber die Behandlung der puerperalen Sepsis.
Bemerkung zu dem Aufsatz von Dr. Fritz Aron in Nr. 35 der D.m.W.
W. W e i c h a r d t - Erlangen: Der gegenwärtige Stand der Lehre von
der Elweissüberempflndllchkeit. Uebersicht.
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologlsche Rat¬
schläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
0«8terreicbi8cfae Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 49. G. H 0 i z k n e c h t - Wien: Unmittelbare Sterecignose bei der
gewöhnlichen Durchleuchtung.
Das vom Verl, in G r ö d 1 s Atlas und Handbuch der internen Röntgen¬
diagnostik (3. Auflage) näher geschilderte Verfahren der ..Schrägbetrachtung
der Schrägprojektionen" benützt die Verschiebung des Kopfes mit gleich¬
zeitiger Verschiebung der Röntgenröhre, um eine genauere Tiefenvorstellung
beim Beschauen des Durchleuchtungsbildcs zu gewinnen.
A. B r c n n e r - Wien: Zur Frage der Behandlung des Leistenhodens.
Von den drei Verfahren, Entfernung des Hodens, Verlagerung in das
Skrotum und Verlagerung in die Bauchhöhle betrifft das erstere die Gangrän
oder maligne Degeneration des Hodens, die Orchidopexie hat eine ent¬
sprechende Länge des Samenstranges zur Voraussetzung. An ihrer Stelle
tritt die Verlagerung nach oder in die Bauchhöhle als das ungleich sicherere,
ungefährliche und leichte Verfahren. Die Ergebnisse scheinen bei der ab¬
dominellen Verlagerung noch besser als bei der präperitonealen zu sein.
H. Kaiser- Wien: Ein Fall von bilateralem Hodensarkom.
Mit Bemerkungen zur Pathologie.
O. Weltmann - Wien: Ueber die oligodynamische Fernwlrkung des
Sublimats.
W.s Versuche, auf die hier nicht näher einzugehen ist, führen zu dem
Schlüsse, dass zur Erklärung der oligodynamischen Fernwirkung des Subli¬
mats die Annahme besonderer unbekannter Energien nach S a x 1 nicht er¬
forderlich ist.
A. T h e i I h a b e r - München: Die Verbesserung der Insufflzlenz der
Selbstschutzvorrichtungen Im Gewebe.
Vorgetragen auf der Naturforscherversammlung in Nauheim.
Nr. 50. E. P. Pick-Wien: Ueber paradoxe Wirkungen von Herzgiften
und Ihre Ursachen. Zur kurzen Wiedergabe nicht geeignet.
J. Pr a der-Wien: Haben Säurewerte der Bauchhöhlenflüssigkeit bei
Ulcusperforatlonen eine prognostische Bedeutung?
Nach Erfahrungen an 11 Fällen lässt anscheinend die sauere Reaktion
der Bauchhöhlenflüssigkeit bei Ulcusperforation auch bei Anwesenheit patho¬
gener Bakterien, sofern der Allgemeinzustand einigermassen gut ist. eine
günstige Prognose zu und berechtigt zum primären Verschluss der Bauch¬
höhle ohne Drainage.
H. Kör bl-Wien: Blutstillung bei Operationen mit dem Heissluftstrom.
Der Helssluftstorm (Fönapparat) eignet sich (wie Referent bestätigen
kann) sehr gut zur Stillung kleinerer Blutungen, die bisher oft einen grossen
Aufwand an Zeit und kostbarem Unterbindungsmaterial verlangten. So
kann auch z. B. bei Kropf- und Mammaoperationen das Einlegen eines Drains
entbehrt werden.
L. Kummer-Wien: Zur Kenntnis der Sarkome.
Beschreibung eines Falles mit Differentialdiagnose zwischen Sarkom und
Gumma.
F. Deutsch - Wien: Neue Simulationsproben.
a) Radialislähmung. Prinzip: Wenn in Supinationsstellung bei kräftigem
Faustschluss das Handgelenk gestreckt, so ist die Funktion der Extensoren
erwiesen. Bisweilen gelingt es dann, unbemerkt die Pronationsstellung passiv
herbeizuführen, ohne dass dann die Handsteltung geändert und der festge-
haltene Gegenstand fallen gelassen wird. — Feste Arbeitsschwielen an dem
vordersten Teile des Handtellers sprechen gegen Radialislähmung. wenn
nicht bei der Arbeit eine Schiene getragen wird.
b) Peroneuslähmung. Wird der Fuss passiv dorsal flektiert und einige
Zeit so gehalten (Fussklonusprobe). so stellen sich häufig unbewusste Kon¬
traktionen des Tibial. antic., auch des Extens. dig. comm. und Ext. hallucis
long. ein, welche gegen die Peroneuslähmung zeugen. Auch wenn das Auf¬
richten aus horizontaler Lage ohne Benutzung der Hände verlangt wird,
erfolgte unbewusst eine Mitwirkung des Antic., besonders wenn man dabei
die Zehen des Untersuchten mit den Händen unterstützt. Die Beweiskraft
dieser, wie der meisten Simulationsproben, ist natürlich keine absolute und
muss durch andere Momente, wie z. B. das allgemeine Verhalten des Unter¬
suchten, unterstützt werden.
Nr. 51. W. N e u m a n n - Wien: Wie erkennt man die beginnende Tuber¬
kulose der Lungen?
Ueber die Verschiedenheit ihres Verlaufes und die einzuschlagende Be¬
handlung bei den verschiedenen Formen der Tuberkulose. (Vorgetragen im
Verein der Aerzte in Oberösterreich.)
H. Marschik: Die Schleiermetbode bei der Behandlung inflzierter
Wunden.
Namentlich für die anaerob infizierten Wunden, die anscheinend auch im
Frieden in vermehrtem Masse noch Vorkommen, empfiehlt M. die Grundsätze
der Carrcl-Dakin sehen Methode und die Radikaloperation. Gegen die
Sekundärinfektion der hierbei gesetzten primär reinen und gut drainierten
Operationswunden, aber auch zur Vermeidung der Schmerzen beim Verband¬
wechsel dient die Bedeckung der ganzen Wunde mit Gaze, am besten Jodo¬
formgazestreifen, die — besonders die „Riandstreifen“ — mit der reinen
Wunde als beste Schutzschicht verkleben und möglichst bis zur Ausbildung
gesunder Granulationen liegen gelassen werden, bei stärkerer Eiterung aber
von selbst abgehoben werden.
ß. Molnar jun.-Pest: Oedembehandlung mit SchllddrUsenpräparaten.
Mit einer wohl überwachten Schilddrüsenbehandlung hatte M. neben
Misserfolgen bei einer Anzahl von Nephrose- und Herzkranken gute diuretische
Erfolge, die beim Versagen anderer Mittel einen Versuch in dieser Richtung
empfehlen lassen.
Digitized by Goiisle
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.
5f)
Nr. 52. E. N o b e 1 - Wien: BeitraK zur Barlowfrase«
N. verzeichnet die Tatsache, dass ausgeprägte Fälle B a r 1 o w scher
Krankheit auch durch gekochte, also als vitaminarm anzusehende Kuhmilch
auch ohne Zulage von Vitaminen rasch geheilt werden können, wobei aller¬
dings z. T. durch Einkochen eine starke Konzentration herbeigeführt wurde.
Es scheint, als ob der anfängliche Vitamingehalt, der sehr hoch und sehr
niedrig sein kann, und die Dauer und Stärke der Erhitzung eine Rolle
spielen, so dass eine vitaminreiche Milch trotz Erhitzens noch eine anti¬
skorbutische Wirkung behalten kann und es scheint die vitaminzerstörende
Wirkung des Erhitzens vielleicht überschätzt zu werden.
L. Kirschner und J. S e g a 11 - Wien: Zur Bakteriologie der Ruhr¬
erkrankungen des Jahres 1920 ln Wien.
Die bakteriologische Untersuchung hat umsomehr positive Ergebnisse,
je mehr sie sofort nach Entleerung des Stuhles einsetzt, am meisten bei
dem durch Rektoskopie unmittelbar von der erkrankten Schleimhaut ent¬
nommenen Material. 1920 wurden in Wien auch Ruhrbazillen vom Typus
Schmitz gefunden und als Ruhrerreger festgestellt. Die ätiologische Be¬
deutung dre Stämme von den Eigenschaften des Bac. faecalis alcaligenes ist
noch zu erweisen.
K. Michel-Wien: Zur Klinik und Pathologie des Fleckfiebers mit
Berücksichtigung chirurgischer Komplikationen.
Erfahrungen des Verf, in russischer Gefangenschaft. Unter den chirurgi¬
schen Komplikationen werden die abszedierende Parotitis und Hautabszesse.
Extremitätengangrän, Pleuraempyeme, eitrige Otititen genannt. Therapeutisch
verdienen Erwähnung die Erleichterung der Zerebralsymptome durch Lumbal¬
punktion und die ausserordentlich gute Wirkung von wiederholt 0,5 g Guajakol
auf das Sensorium. Morphium bei Singultus. Physiologische Kochsalzlösung
subkutan oder in Tropfklysmen bis zu 2 Litern im Tage wirkt vorzüglich
zur Ausschwemmung der Toxine.
F. Hamburger und K. J e 11 e n i g - Graz: Die Gelldnslmethode zur
Feststellung des Ernährungszustandes.
Die Gelidusimethode gibt zwar für die sog. Normal- und Durchschnitts¬
werte eine konstante Zahl, dagegen ist sie nicht brauchbar für die Beurteilung
des Einzelfalles.
O. F r o n z - Wien: Beitrag zur Kasuistik der Harnblasendlvertlkel.
Nr. 53. Kundgebung der Herausgeber an den nach 25 Jähriger Tätigkeit
ausscheidenden Schriftleiter Prof. A. Fraenkel. Bergeat - München.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die Berliner Aerzte und die Medizinische Gesellschaft. — Eindrücke von
der Debatte über die Tuberkulosebehandlung. — Die Vereinheitlichung des
Gross-Berliner Gesundheitswesens. — Pförtnerstreik und ärztliche Hilfe.
Zu den Standeseinrichtungen der Berliner Aerzte gehört im weiteren
Sinne auch die Medizinische Gesellschaft; nicht deshalb, weil auch die Pflege
von Standesfragen satzungsgemäss zu ihren Aufgaben gehört, sondern weil
sie gewissermassen den Sammelpunkt der Berliner Aerzte bildet, an dem man
allwöchentlich nach der Tagesarbeit nicht nur die Berührung mit der Wissen¬
schaft erneuerte, sondern sich auch persönlich nahetrat. Man empfand es
daher mit Bedauern, dass während des Krieges die Medizinische Gesellschaft
in wissenschaftlicher und kollegialer Beziehung ihre Bedeutung verlor. Das
war bei der Abwesenheit vieler Aerzte, der Ueberbürdung der zurück¬
gebliebenen und den äusserst erschwerten Verkehrsverhältnissen unvermeid¬
lich. Aber auch als nach dem Kriege diese Hemmungen fortfielen, wollte die
alte Anhänglichkeit an die Gesellschaft nicht recht wiederkehren, der Besuch
der Sitzungen war ein äusserst schwacher. Der Grund lag darin, dass die
Besucher für den Aufwand an Mühe und Zeit nicht entschädigt wurden, die
Verhandlungen boten ihnen oft sehr wenig, weil Fragen aus Sondergebieten
besprochen wurden, die ein allgemeines Interesse nicht beanspruchen konnten
und die in die reichlich vorhandene i Fachvereinc gehört hätten, während
anderseits Fragen von allgemeiner Bedeutung wenig oder gar nicht zur Ver¬
handlung kamen. Ein ausgezeichneter Plan der Neuordnung des wissen¬
schaftlichen Vereinswesens unter Angliederung der Fachvereinc als Unter¬
gruppen an die Medizinische Gesellschaft, den Herr Hans K o h n vor Jahres¬
frist entwickelte (vgl. d. Wschr. 1920 S. 273), ist leider nicht weiter verfolgt
worden. Dass es aber tatsächlich nur die geringe Anziehungskraft der Ver¬
handlungsgegenstände war, die die Mitglieder von den Sitzungen fernhielt,
das wurde mit aller Deutlichkeit klar, als mit Beginn des Wintersemesters
eine Frage von weitestem Interesse, die neueren Behandlungsmethoden der
Tuberkulose, auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Der Sitzungssaal und die
Tribünen waren bis zum letzten Platze gefüllt, und auch an den folgenden
Sitzungstagen, die der Aussprache über die Vorträge gewidmet waren, war
der Besuch ein recht guter. Ueber den Inhalt der Vorträge und der Aus¬
sprache ist an anderer Stelle berichtet worden. Der allgemeine Eindruck war
der, dass die Vorträge auf ansehnlicher wissenschaftlicher Höhe standen, dass
aber die Aussprache, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sich in den
Niederungen der Wissenschaft bewegte. Bei der Erörterung der Partigen-
behandluiig hatte sie einen ernsten wissenschaftlichen Charakter, besonders
da ihre Erfinder selbst das Wort nahmen. Aber zum grösseren Teil drehte
sie sich um das Friedmannmittel. Friedmann selbst war in sonderbarer
Zurückhaltung den Sitzungen ferngeblieben, wohl aber hatten sich viele
seiner Anhänger zum Wort gemeldet. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass
sie es auf seine Veranlassung, mindestens mit seinem Einverständnis taten.
Aber in der Auswahl dieser Redner hatte er keine glückliche Hand, kam doch
mehrfach der Unwille der Gesellschaft unverkennbar zum Ausdruck, Wenn
ein auswärtiger Universitätsprofessor sich gemüssigt fand, eine Vorlesung
über die elementarsten Fragen der Tuberkulose, angefangen mit dem Koch-
schen Bazillus als Erreger, zu halten, so war das beinahe ein Missbrauch des
Gastrechts. Wenn ein ärztlicher Abgeordneter sich vor dem Forum der
Medizinischen Gesellschaft über die Berichterstattung in der Tagespresse be¬
schwerte und nicht einmal wusste, dass in derselben Angelegenheit Rede und
Gegenrede schon abgeschlossen war, wenn ein homöopathischer Arzt aus einer
kleinen Stadt erzählte, dass er in seinem Wirkungskreis gegen 500 Fälle
von Tuberkulose mit dem Friedmann sehen Mittel geheilt habe, so kann
man es verstehen, dass die Geduld der Zuhörer auf eine harte Probe gestellt
und ein Schlussantrag gestellt wurde, damit nicht noch weiterhin viel
gesprochen und wenig gesagt werde. Und doch war es gut, dass dieser
Antrag abgelehnt wurde: es durfte niemand verhindert werden, sich zu bla¬
mieren, und es durfte auch nicht den Friedmannenthusiasten ein bequemes
Agitationsmittel in die Hand gegeben werden. Das Ergebnis der Verhand¬
lungen war trotzdem ein befriedigendes, insofern einem grossen Aerztekreise
Gelegenheit gegeben wurde, von beiden Seiten Berichte, deren grössere oder
geringere Objektivität zu beurteilen sie in der Lage sind, entgegenzunehmen.
Herrn Friedmann kann man nur wünschen: „Gott schütze ihn vor seinen
Freunden“.
Für die weitere Gestaltung der Medizinischen Gesellschaft wird aber
diese Vortragsreihe lehrreich sein. Sie war zudem durch einen Vortrag von
Herrn v. Wassermann unterbrochen, und auch hier war trotz der un¬
günstigen Lage des Hauses der Saal bis zum letzten Platze gefüllt. Das
Bestreben der Berliner Aerzte, sich wissenschaftlich auf dem Laufenden zu
halten, ist nicht geringer geworden, und sie bringen dem gern Opfer an Zeit
und Geld. Die notwendig gewordene Beitragserhöhung hat zunächst den
Austritt einer grösseren Zahl von Mitgliedern zur Folge gehabt, aber diese
Abwanderung hat bereits ihr Ende erreicht und dürfte durch die Zahl der Neu¬
meldungen schon ausgeglichen sein. Man biete dem wissenschaftlichen Bil¬
dungsbedürfnis der Aerzte die entsprechende Nahrung und ihre alte An¬
hänglichkeit an die Medizinische Gesellschaft wird in vollem Umfange wieder
erwachen.
Nachdem die Gemeinde Gross-Berlin begründet ist, besteht die Hoffnung,
dass auch das Gesundheitswesen auf eine einheitliche Grundlage gestellt
wird und dadurch zu höheren Leistungen sich entwickelt. Die Einrichtungen
der Gemeinde Berlin und der Vorortgemei^den arbeiteten vielfach neben¬
einander, nicht miteinander, und Kompetenzstreitigkeiten waren keine seltenen
Erscheinungen. Ferner gab es eine Anzahl Deputationen und Kuratorien,
z. B. für das Armen-, das Schul- und das Jugendwesen, die daneben die
Armenkrankenpflege, das Schulgesundheitswcscn. die Säuglingsfürsorge u. a.
zu verwalten hatten. Jetzt soll das gesamte Gesundheitswesen von einer
zentralen Deputation geleitet werden, an deren Spitze der neugewählte Stadt¬
medizinalrat Herr R a b n o w,' der bisherige bewährte Leiter des Mcdizinal-
wesens von Berlin-Schöneberg, steht. Der Deputation ist das Hygienisch¬
bakteriologische und das Chemische Institut sowie eine sozial-hygienische
Abteilung unterstellt, zu deren Aufgaben die Bekämpfung der Tuberkulose,
der Geschlechtskrankheiten und des Alkoholismiis. die Säuglings-, Schwan¬
geren- und Wöchnerinnen-, die Krüppel- und Psychopathenfürsorge und die
Schulgesundheitspflege gehören. Als Unterabteilungen der Deputation werden
Ausschüsse für die Krankenanstalten, die Heimstätten, die Irrenhäuser, das
Rettungswesen und für Sozialhygiene eingesetzt. Der ganze Organisations¬
plan ist im einzelnen von Herrn R a b n o w ausgearbeitet und wurde vom
Magistrat angenommen.
Vielleicht gelingt es dem neuen Stadtmedizinalrat, in Fragen, die die Ge¬
sundheit der Bevölkerung betreffen, auch einigen Einfluss auf den Polizei¬
präsidenten zu gewinnen, der den Wert rechtzeitiger ärztlicher Hilfe nicht
eben hoch einzuschätzen scheint. In unserer streikfrohen Zeit hatten wir vor
einiger Zeit auch einen Streik der Pförtner, sie legten die Arbeit nieder
und öffneten die Häuser nicht. Dass infolgedessen Aerzte nicht aufgesucht.
Kranke nicht besucht werden konnten, störte sic nicht, solche Kleinigkeiten
fallen einem Streikbeschluss gegenüber nicht ins Gewicht. Aber die Kranken
hatten darunter zu leiden; und da man nie wissen kann, wann ein neuer
Streik ausbrechen wird, wandte sich der Vorstand der Aerztekammer an den
Polizeipräsidenten mit der Bitte um Abhilfe der sich ergehenden Missstände.
Der Polizeipräsident erwiderte darauf, dass „ein ausreichendes öffentliches
Interesse, wie es ein auf die Erzwingung des Offenhaitens von Häusern ge¬
richtetes Eingreifen der Polizei allein nur rechtfertigen könnte, tatsächlich
nicht gegeben ist und daher von polizeilichen Massnahmen in solchen Fällen
abgesehen werden muss“. Wenn wir also wieder einmal mit einem Pförtner¬
streik beglückt w'erden sollten, so darf ein Verletzter wart*'-' bis der Streik
beigelegt ist, mindestens aber bis sein Bote auf irgendeine Weise Einlass in
das Haus des Arztes und dieser zu dem Kranken gefunden hat. Inzwischen
kann er zwar verblutet sein, aber es liegt ja kein öffentliches Interesse vor.
Vielleicht dürfte sich die Ansicht des Herr Polizeipräsidenten ändern, wenn er
einmal von einer Gallcnsteinkolik befallen werden sollte und zwei Stunden
länger als nötig auf die erlösende Morphiumspritze wartei muss. M. K.
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Seseilschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 5. Januar 1921.
Vor der Tagesordnung hält der Vorsitzende, Prof. O r t h, auf den dahin-
geschiedenen Geheimrat Prof. Landau einen Nachruf, in welchem er be¬
sonders dessen Verdienste um das Zustandekommen des Langenbeck-Virchow-
Hauses hervorhebt.
Herr E. Holtmann - Bonn (a. G.): Demonstration von Syphilis-, Gelb¬
sucht- und Gelbfieberspirochfiten nach einem neuen Verfahren.
Der Vortragende demonstriert ein neues Verfahren, welches es ge¬
stattet, sonst schwer sichtbar zu machende Krankheitserreger, wie z. B. die
Gelbsucht- (Weil sehe Krankheit) Spirochäten und die Gelbfieberspirochäten,
ausserordentlich leicht und für jeden Laien erkennbar sichtbar zu machen.
Das Verfahren besteht in der Benutzung eines Dunkelfeldes, in welchem die
streuenden Strahlen durch Vorsetzen einer schwach geölten Mattscheibe ab¬
geblendet werden. Die Krankheitserreger werden dadurch nicht nur sichtbar,
sondern werden durch eine intensive Fluoreszenz zu leuchte n -
den Gebilden, welche die Aufmerksamkeit direkt auf sich ziehen. Es ist
mit der Methodik möglich, auch gefärbte Präparate, z. B. nach der Methode
des Vortragenden behandelte Osmium-, Giemsa-, Tanninpräparate im Dunkel¬
feld zu betrachten, und ebenfalls die Erreger zu fluoreszierend leuchtenden
Gebilden zu machen. Und der grösste Vorzug der Methode ist, dass sie
auch ohne jede Schwierigkeit sich bei Schnittpräparaten anwenden lässt.
Welche Bedeutung der Methodik zukommt, geht daraus hervor, dass sie
sich auch bei Tuberkelbazillen anwenden lässt und dass man bei Be¬
nutzung des Dunkelfeldes 4 —6 mal mehr Tuberkelbazillcn optisch wahr¬
nimmt, als bei Benutzung der üblichen Untersuchungsmethode, welche der
Vortr. als „Hellfeld“ bezeichnet.
Weiter ist erwähnenswert, dass im Dunkelfeld Spirochäten schon bei
schwachen Systemen wahrnehmbar sind, und dass somit das orientierende
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
14. Januar 1931.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
57
Durchsuchen der Präparate ausserordentlich erleichtert wird. Auch sonst
kann das Verfahren Anwendung finden, da an sogenannten Flächenpräparaten
die Chromatophoren ausserordentlich deutlich sichtbar werden und das
Verfahren auch bei Lues anwendbar ist. Wenn man bedenkt, dass die Qelb-
fieberspirochäten. die in klassischen Versuchen N o g u c h i gefunden hat,
durch Berkefeldfilter hindurchwachsen, und somit an der Grenze der ultra-
mikroskopischen Sichtbarkeit stehen, so kann man ermessen, welche grosse
Aussichten die weitere Ausarbeitung und Verfolgung dieser Methode bietet.
Es folgen die Schlussworte über die Tuberkulosevorträge.
Zunächst protestiert Herr Bönniger in einer persönlichen Bemerkung
gegen die Ausführungen des Herrn F. Meyer, dass man nicht berechtigt sei,
zu prophylaktischen Zwecken die Friedmann sehe Impfung bei nicht-
tuberkulösen Kindern anzuw'enden. Es halten dann die Herren F. K1 e m -
perer, Klopstock, A. Mayer und Möller ihr Schlusswort, von dem
zu erwähnen ist, dass Herr A. Mayer auf die bekannte Tatsache hinwies,
dass die Friedmannangelegenheit uns im Ausland sehr erheblich geschadet
hat, weil man selbst in uns nicht unfreundlichen wissenschaftlichen Kreisen
auf Grund der vorliegenden Tatsachen der Ansicht war, dass auch die deutsche
Wissenschaft von der allgemeinen Fäulnis etwas angefressen sei. Wenn
diese Tatsache auch allen Eingeweihten vollkommen bekannt ist, so war es
doch ein grosses Verdienst, sie einmal öffentlich auszusprechen. Und der
Vortr, gab der Meinung Ausdruck, dass die ausgedehnte Diskussion auch im
Ausland von dem Ernst unserer wissenschaftlichen Arbeit und dem Be¬
streben, die Wahrheit zu finden. Zeugnis ablegen würde,
Herr F. Klemperer unterzieht eine Reihe der Friedmannanhänger
einer vernichtenden Kritik, von der er Selters, Qüterbock, Palmiö
und Kraus ausnimmt. Er gibt jedoch seiner Verwunderung Ausdruck, dass
Kraus, wenn er so gute Erfolge aufzuweisen hat, in letzter Zeit das Ver¬
fahren überhaupt nicht mehr angewendet hätte. Dann wendet er sich der
Frage der Partigene zu und stellt fest, dass Herr D e y c k e sich 1919 ganz
anders geäussert hatte als jetzt, und dass die D e y c k e sehe Statistik mit
den geringen Tuberkelbefunden beim 2. und 3. Tuberkulosestadium ein eigen¬
artiges Material darstellen, wie man es so günstig sonst im Krankenhaus
nicht antrifft und in welchem man viel inaktive Tuberkulosen vermuten darf.
Wolff-Eisner.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 17. November 1920.
Herr Rosenberger: Ueber Kaplllaroskople.
Es wurden im Laufe von fast zwei Jahren an 575 Personen (375 Kranken,
200 Gesunden) rund 2000 Untersuchungen/der Nagelfalzkapillaren vorge¬
nommen und zwar mit gewöhnlichem Mikroskop (Vergr. 40—200 fach) bei
Tageslicht oder einer 32—50 herzigen Mattlampe. Um eine Einteilung treffen
zu können, wurden nach Vorversuchen vier Grundformen angenommen:
I. haarnadelförmige, II. geschlängelte Kapillaren ohne Anastomosen, III. halb¬
mondförmige (auch kleinknäuelige), IV. teppichklopfer-, violinschlüsselförmige
bzw. ganz phantastisch verkrümmte mit Anastomosen. Von diesen vier
angenommenen sind mindestens zwei echte Grundformen: Lund III.; Gruppe II
ist höchstwahrscheinlich, IV. möglicherweise von I. abgeleitet. Gruppe I
kann nämlich im Laufe der Zeit und Behandlung in II. übergehen und umge¬
kehrt. Innersekretorische Vorgänge, besonders der Schilddrüse, spielen dabei
eine Rolle (Schilddrüsenverordnung, Bestrahlung von Strumen, auch das
Klimakterium). Waren Kapillaren geschlängelt und werden dann gerade,
so bleiben sie lange Zeit sehr weit. Die N e u m a n n sehen Beobachtungen
über die Art der Blutströmung werden bestätigt. Neben Kapillaren von
I. und II, kann man gelegentlich Gebilde sehen, die bei 50—70facher Ver-
grösserung wie zarte Schleier aussehen und sich bei starker Vergrösserung
als verschlungene GefässlUcken feinster Weite erweisen, durch die Blut
in peristaltischen Schüben fliesst. Das sind vielleicht Uebergänge zu IV. Das
Verhältnis der Geschlechter ist bei I., II. und IV. annähernd 1: 1, bei III.
überwiegen die Frauen die Männer um das Doppelte. In jedem Lebens¬
alter kann man alle Formen finden, II. und IV. besonders nach dem 40. Lebens¬
jahr. Hohen maximalen Blutdruck findet man am öftesten bei IV.. am
seltensten bei 111.; hohen minimalen haben oft Leute aus I.. dann sind
die Kapillaren sehr lang. Der Pulsdruck ist am kleinsten bei II., am grössten
bei IV. Albuminurie trifft man am öftesten bei IV., oft bei I., nur aus¬
nahmsweise bei III., unter 76 Personen dieser Gruppe hatten nur zwei
Zeichen längerdauernder Nierenschädigung. Die zahlreichen Klagen über Herz¬
störungen, Schwindel und Schlaflosigkeit sind wohl auf den Krieg und seine
Folgen zurückzuführen. Herzstörungen Oberwiegen bei IV. Schwindel wurde
am meisten in Gruppe I. geklagt, am seltensten in III. Die Leute von III.
schliefen auf grossen Abstand am besten von allen. Kropfträger gehörten
meist zu II.; bei III. wurden nur wenige und zwar ganz kleine Kröpfe
gefunden. Eltern und Qrosseltern von III. sind fast ausnahmslos langlebig;
am kürzesten ist die Lebensdauer der Vorfahren bei IV.. Unter den „Ge¬
sunden“ sind Kapillaren von IV, nur schwach vertreten, man findet dann
noch oft, trotz Wohlbefindens, Herzstörungen, Zucker etc. Durchgemachte
Infektionskrankheiten sind weder der Zahl noch der Art nach massgebend
für die Kapillarform; die Lues aller Stadien macht da keine Ausnahme,
soweit sie nicht das Gefässsyste meigens allgemein oder in einem Bezirk
ergriffen hat. Familienangehörige können gleiche Haargefässe haben, müssen
es aber nicht. Zu Gruppe II. gehören die nervösen Vago-, zu III. die
Sympathikotoniker. Die Formen I. und III. dürften wohl auf angeborener
Anlage beruhen. Langdauernde Beobachtungen mit starker Vergrösserung
müssen noch entscheiden, ob die Anastomosenbildung bei IV. angeboren oder
Folge einer Krankheit („T richophlebosis proliferan s“) ist, und,
welche Beziehungen bei Störungen zwischen IV. und den Nieren bestehen.
— Wie die Nagelfalz-, so verhalten sich bei derselben Person auch die
Kapillaren der Schwimmhäute, der Ohren. (Selbstbericht.)
Herr S a p h 1 e r: Die Dermatoskopie.
Herr S a p h i e r berichtet über die Ergebnisse seiner bisherigen Be¬
obachtungen auf dem Gebiete der Dermatoskopie, die in Bezug auf die
Technik mehr oder minder der „Hautkapillarenmikroskopie*, der von
0. M fi n e r - Tübingen angeregten Untersuchungsmethode entspricht.
Das Bestreben, die Haut am lebenden Menschen mit Vergrösserungs-
systemen zu beobachten, bestand seit langer Zeit. So brachte Hübner-
tlberfeld 1911 sogar stereoskopische Aufnahmen der Hautoberfläche mit
Z e i s s schem binokularem Mikroskop (dem Dermatoskop). Das Durch¬
sichtigmachen der Hautoberfläche mittels Wasser oder Oel wird bei klinischer
Beobachtung mancher Effloreszenzen häufig geübt, so z. B. bei dem sog. Netz¬
phänomen von Wickham bei Lichen ruber planus; Unna empfiehlt (1893)
bei seiner Diaskopie, der Beobachtungsmethode mittels Glasdrucks, das Ein¬
fetten der Hautoberfläche überall dort, „wo .... durch Trockenheit ein
akzidenteller Reflex vorhanden ist**. Das Durchsichtigmachen besteht hier
nicht in der Durchfettung der Hornschicht, sondern im Qlattmachen der Ober¬
fläche, wodurch die Hornschicht durchsichtig wird wie „die eingefettete
mattierte Glasscheibe“ nach dem zutreffenden Vergleich von Spalteholz.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, das Oel gleichmässig zu streichen.
Zur Orientierung im Gewebe stehen uns drei Faktoren zur Verfügung:
die G e f ä s s e, das Pigment und die H o r n g e b i 1 d e. Die Papillen
sind nur bei besonderer Beleuchtung zu sehen, sonst ist die Kutis-Epidermis-
grenze nicht sichtbar. Die Körnerschicht kommt manchmal dank ihrer
stark lichtbrechenden und daher die Durchsichtigkeit hemmenden Eigenschaft
zum Vorschein.
Von den 0 e f ä s s e n sehen wir nur diejenigen, die im obersten Anteile
der Kutis, i n und unter der Papillarschicht liegen. Weiter reicht
unsere Tiefeneinsicht nicht. Wir unterscheiden also die P a p i 11 ar¬
ge f ä s s e in Form von sog. Kapillarschlingen und das subpapilläre
Gefässnetz. ln unseren Untersuchungen wurden nur die groben, auf¬
fallenden Gefässveränderungen berücksichtigt. Nebenbei sei hier betont, dass
wir eigentlich nicht die Gefässe selbst, sondern bloss ihren Inhalt sehen.
Weitgehende, etwa diagnostische Schlüsse sind aus den Gefässbefunden ange¬
sichts ihrer Polymorphie nicht zu ziehen, von ganz exquisiten Veränderungen
abgesehen.
Was das (melanotische) Pigment anlangt, so bot hier seine Verteilung
innerhalb der Basalzellschicht ein bis jetzt anscheinend nicht beachtetes Bild
dar. Unter dem Dermatoskop ist das Pigment besonders an Stellen, an denen
es dichter angehäuft ist, in N e t z f o r m angeordnet. (Abbildung vom
Warzenhof nach 60 facher Vergrösserung.) Die hellen Lücken des Netzes mit
spärlichen Pigmentschollen entsprechen den Papillen bzw. der suprapapillären
Epidermisschicht; sie sind verschieden gross und von unregelmässig rund¬
licher Form und enthalten in der Regel Gefässschlingen. Die Balken des
Netzes sind dagegen braun, nahe gleichbreit, nur an den Kreuzungsstellen
etwas verdickt: ihre Ränder sind etwas dunkler als die mittleren Partien.
Sie entsprechen hiermit den Reteleisten. Dieser Befund wurde durch eine
Anzahl histologischer Untersuchungen erhärtet. (Abbildungen: Die histologi¬
schen Präparate einer Negerhaut und einer Arsenmelanose,) Es ist möglich,
dass die Ursache dieser bis zu einem gewissen Grade paradoxen Verhältnisse
im anatomischen Bau des angrenzenden Bindegewebes liegt: in den Bazillen
ist es lockerer und gefässreicher als in den die Reteleisten umgebenden
Partien, daher ist auch dort der Abtransport des Pigments leichter als hier.
Jedenfalls ist es eigenartig, dass das Basalzellpigment in den der Oberfläche,
hiermit also auch dem Lichte am nächsten liegenden Teilen am spärlichsten,
während es in den tieferen Teilen, den „Retezapfen“ am dichtesten ist.
Die nächste Abbildung zeigt die Papillen am Nagelfalz bei 172 facher
Vergrösserung. (Als Beleuchtungsquelle diente hier die Fokallampe nach
Dr. Ehlers-Jena.) Die Horngebilde unterscheiden sich von der
Umgebung dank der sog. Hornfarbe Unnas, die an den Hornzellen¬
mantel gebunden ist und unter dem Einfluss der Reduktionsprozesse in ver¬
schiedenen Nuancen von grau über gelb, braun bis kohlschwarz auftreten kann.
Die Horngebilde sieht man z. B. in den Schweissporen, die bei 40 facher
Vergrösserung an der Fingerbeere wie ein gleichmässiges, schräges Stoppel¬
feld von hellgrauer Farbe aussehen (Abbildung). Bei 60 facher Vergrösserung
sieht man deutlich die Windungen der Spiralen, die bei 112- bzw. 172 facher
Vergrösserung noch deutlicher zum Vorschein kommen. Man sieht auch
die Schweissperlen. Die Haarfollikel mit ihren Horngebilden spielen bei
der Differentialdiagnose mancher Erkrankungen eine gewisse Rolle.
Wuchernde Epidermismassen heben sich von der Umgebung
im Molluscum contagiosum - Knötchen sehr deutlich durch ihre
hellgraue bzw. gelbe Farbe ab (Abbildung). In der Höhe der Kapsel ist
das grobmaschige Gefässnetz auffallend — mit unbewaffnetem Auge in der
Regel nicht sichtbar —, welches so entsteht, dass die Papillar-, z. T. auch
die subpapillären Gefässe von den Epidermismassen auseinander- bzw. hinauf¬
gedrängt, mitunter auch gestaut werden.
In folgendem Bilde, welches ein Lichen ruber planus - Knötchen
auf der Höhe der Entwicklung darstellt, fallen die eigenartig radiär ange¬
ordneten, erweiterten Gefässschlingen (Papillargefässe) auf. Manche Gefässe
sind sehr stark gewunden, stellenweise bis zur Knäuelbildung. Sie sind
durch strahlenförmig angeordnete, streifenartige, völlig gefässlose. helle,
manchmal fast kreideweisse Partien in Gruppen geteilt. Um die hell- bis
dunkelkarmesinroten Gefässe sieht man in einem Teil des Knötchens rötlich¬
braune Verfärbung, die unter Glasdruck (Diaskopie) nicht völlig zum Schwin¬
den zu bringen ist. (Zur Diaskopie liess Vortr. eine in die Gabel des
Dermatoskops einschiebbare Glasplatte einbauen.) Geformtes Pigment ist
hier weder in Schollen noch Körnern zu sehen. Die erweiterten, ge¬
schlängelten Gefässe entsprechen der Entzündung; die weissen Streifen dem
häufig auch klinisch sichtbaren Netzphänomen (Verdickung der Körnerschicht).
Die rötlichbraune Verfärbung um die Gefässe herum dürfte dem im Ent¬
stehen begriffenen melanotischen Pigment entsprechen.
In der nächsten Abbildung, Lichen planus in Rückbildung, sieht man
nur noch spärlich erweiterte Gefässe. In einer gewissen Entfernung
von denselben eine kreisförmige Anhäufung von Pigmentkörnern, die gegen
die Mitte zu scharf abgegrenzt ist. Ausserdem ist noch das Netzphänomen
zu sehen.
Gefässanomalien boten in den Feuermälern bis auf mächtig erweiterte Aeste
und meist trägen Kreislauf nichts von Besonderheit. Dagegen verdient der
Naevus anaemicus Vörner ein gewisses Interesse (Lichtbild eines
Falles). Das dermatoskopische Bild (Abbildung) zeigt im Bereich des Naevus
einen auffallenden Reichtum an Papillarschlingen, während vom suhpapillären
Gefässnetz fast gar nichts zu sehen ist. (An der Grenze des Naevus sieht
man ein ziemlich dichtes Netz von dicken, subpapillären Gefässbalken.
wie sie eigentlich den Gefässmälern entsprechen.) Hiermit dürfte es sich
bei Naevus anaemicus um eine Gefässmissbildung handeln, bei der das sub¬
papilläre Netz fehlt, dafür aber die Papillargefässe gewissermassen vikari¬
ierend vermehrt sind. Vielleicht kann dieser Befund ein wenig zur Klärung
Digitized by CjOOQle
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
58
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2 .
der Frage beitragen, zumal über das Wesen des Naevus anaemicus, ja sogar
über seinen anatomischen Bau ziemlich widersprechende Ansichten bestehen.
Auch in unserem Falle war die histologische Untersuchung ohne positiven
Befund.
Der weiche, sog. beetartige Naevus gibt die buntesten
Bilder, die dem Dermatoskop überhaupt zugänglich sind (Abbildung). Die
Gefässe, das melanotische Pigment, der Reichtum an kernhaltigen Elementen,
die Harnelemente mit ihrer Hornfarbe bedingen den Farbenreichtum, der durch
die verschieden tiefe Lage des Pigments und der Gefässe, dann durch Vor¬
handensein bzw. Fehlen der Körnerschicht noch mehr gesteigert werden kann.
Bei vorgeschrittener Sklerdaktylie (Abbildung nach 40 facher
Vergrösserung, Streckseite des Unterarmes) sieht man die netzförmige Pig¬
mentverteilung, die bei 112- bzw. 172 facher Vergrösserung dem Bilde des
Warzenhofes sehr ähnlich war. Auffallend sind hier auch die ziemlich gleich¬
grossen, palisadenartig zusammengedrängten Papillen, von denen die meisten
eine Qefässschlinge aufweisen. Dieser Befund findet seine Erklärung in der
kollagenen Hypertrophie der Papillen. Die zerstreuten weissen Flecke ent¬
sprechen den Gefäss- und pigmentlosen Narben.
Das nächste Bild zeigt mit Quecksilber gefüllte Haar¬
trichter, vier Tage nach der Einreibung mit grauer Salbe. Die tieferen
Teile des Hg-Kegels schimmern oft bläulich durch. Die umgebenden Gefässe
sind erweitert, was allerdings nicht zur Regel gehört.
Praktisch am wichtigsten dürften jedoch die Befunde sein, die bei
lentikulärer Spätsyphilis, Lupus vulgaris und Lupus erythematodes erhoben
worden sind und differentialdiagnostisch verwertet werden könnten.
Das lentikuläre spätsyphilitische Knötchen (Abbildung)
zeichnet sich durch seinen Gefässreichtum aus. Vor allem sind die Papillar-
gefässe meist gut erhalten, fast immer stark erweitert, ähnlich wie die
in der Regel gut erhaltenen, mit Blut prall gefüllten Gefässe des subpapillären
Netzes. Die sonst normalen Niveauunterschiede einzelner Netzteile kommen
hier in verstärktem Masse zum Vorschein. Manche Gefässe sind blau ver¬
färbt. Das Pigment ist bei etwas länger dauernden, auch unbehandelten
Fällen meist vermehrt.
Dieser Luesform gegenüber kommt differentialdiagnostisch Lupus
vulgaris in Betracht. Das charakteristische Merkmal des Lupus vulgaris-
Knötchens unter dem Dermatoskop ist die Qefässveränderung (Abbildung):
Wir finden hier keine Papillarschling-in; auch das subpapilläre Gefässnetz
ist in seiner ursprünglichen Form nicht mehr zu sehen. Statt dessen sieht
man fast in einem Niveau liegende Qefässäste mit den ausserordentlich
charakteristischen dendritischen Verzweigungen. Diese den¬
dritischen Verzweigungen sind oft miteinander und mit den tieferliegenden
Gefässen durch äusserst zarte Anastomosen verbunden. Haare bzw. Haar¬
trichter sicht man überhaupt nicht. Das geformte Pigment ist in unbe¬
handelten, auch älteren Fällen, ebenfalls nicht sichtbar.
Im Gegensatz zum Lupus vulgaris ist bei Lupus erythematodes
d i s c 0 i d e s, welcher sehr häufig differentialdiagnostische Schwierigkeiten
bieten kann, das subpapilläre Gefässnetz im grossen und ganzen in seiner
ursprünglichen Form erhalten (Abbildung). Es ist nur hier und da geschädigt
und besteht in der Regel aus stark erweiterten Balken (Hyperämie).
Die Papillargefässe sind hier wie bei Lupus vulgaris in der Regel nicht
zu sehen. Stellenweise sind überhaupt keine Gefässe sichtbar, was die
Atrophie kennzeichnet. Am schönsten und markantesten kommt das
dritte Kardinalsymptom des Lupus eryth. unter dem Dermatoskop zum Vor¬
schein, d. i. die follikuläre H y p e r k e r a t o s e: die in den Haar¬
trichtern steckenden Hornzapfen von verschiedener Grösse zeigen Farben¬
nuancen von hellgrau über gelb, braun bis schwarz. Das melanotische Pig¬
ment wurde in den bisherigen Untersuchungen bis auf den Fall, von dem
die Abbildung stammt, stets vermisst. Es erübrigt sich hinzuzufügen, dass
mit unbewaffnetem Auge das eine oder das andere Merkmal häutig nicht
zu sehen ist.
So dürfte die Dermatoskopie eine Erweiterung unserer Untersuchungs-
inethoden sowohl in theoretischer als auch in praktischer Richtung bedeuten.
Es sei hier betont, dass sie die Biopsie keineswegs zu ersetzen, sondern
eine Verbindung zwischen derselben und der Klinik herzustellen hat. Für ihre
weitere Entwicklung ist die technifiche Verbesserung des Apparates von
ausserordentlich grosser Bedeutung.
Ueber Beobachtungen an Krankheitsherden mit intrafokal injizierten
Vitalfarbstoffen sind meine Erfahrungen noch viel zu gering, als dass ich
etwas näheres darüber mitzuteilen imstande wäre. (Selbstbericht.)
Diskussionsbemerkung-zum Vortrag des Herrn Ro¬
senberger.
Herr Kämmerer: Im Ambulatorium der 11. med. Klinik hat Kollege
Schmidt, der leider nicht hier ist, auf meine Veranlassung Untersuchungen
über die Hautkapillaren an ziemlich umfangreichem Material angestellt. Es
interessierte uns zunächst eine von W e i s s angegebene Methode nachzu¬
prüfen, die durch gleichzeitige Beobachtung des Blutdrucks und des Drucks,
bei dem die Hautkapillaren für das Auge verschwinden, gewisse Rückschlüsse
auf die Herzfunktion erlauben sollte — was wir übrigens nicht bestätigen
konnten. Bei dieser Gelegenheit konnten wir Hautkapillaren bei Kranken
verschiedenen Alters und Geschlechts mit allen möglichen internen Diagnosen
studieren. Von einer diagnostischen Brauchbarkeit der Gestalt und des Ver¬
haltens der Hautkapillarcn im Sinne Herrn Rosenbergers konnten wir
uns jedoch nicht überzeugen. Die Variabilität ist sehr gross. Ich glaube auch
nicht, dass die vom Herrn Vorredner eingeschlagene Methodik in jeder Hin¬
sicht gebilligt werden darf. Es geht nicht an, ohne weiteres den Eiweiss¬
gehalt des Urins oder die Konstitution zur Langlebigkeit u. dergl. in Be¬
ziehung zur Kapillarform zu bringen. Da gibt es doch eine Reihe von
Zwischenfragen. Man müsste doch vor allem einmal nachsehen, welche Be¬
deutung für die Form allerlei variierten physikalischen und chemischen Ein¬
flüssen, wie Wärme — Kälte, Wasserarmut und-reichtum der Haut, Ab-
mage.rung und Atrophie der Extremität zukommt. Vor allem wäre auf die
Beschaffenheit des Organs „Haut“ selbst grösserer Nachdruck zu legen, es
kann die Haut in ihrem Aufbau doch wohl Veränderungen zeigen, wenn wir
makroskopisch noch nicht von Hautkrankheit sprechen. Die schönen Unter¬
suchungen Herrn Saphirs illustrieren das ja zum Teil. Ich möchte also
raten, sich in der Verwertung der Kapillarbeobachtung für die interne Dia¬
gnose vorläufig grösster Zurückhaltung zu befleissigen.
Herr Nassauer spricht zur Frage der künstlichen Befruchtung.
F r u c t u 1 e t. ein neues Verfahren zur instrumentellen Behandlung der weib¬
lichen Sterilität.
Dieser Vortrag ist unter den Originalien der M.m.W. 1920. Nr. 51 er¬
schienen.
Aussprache: Herr v. R e d w i t z. Herr Zander, Herr Arthur
Müller und Herr Död erlein; dieser beglückwünscht den Vortragenden
zu seiner Erfindung.
Kleine Mitteilungen.
Die bayerische Aerzteordnung.
Von Dr. Hermann Bergeat - München.
Nach Prüfung der von den ärztlichen Bezirksvereinen zahlreich ein¬
gegangenen Aeusscrungen durch die Standeskommission und den Landes¬
ausschuss ist die endgültig fcstgestellte bayerische Aerzteordnung verkündet
und mit dem 1. I. 21 in Kraft gesetzt worden. Mit Hinweis auf den in Nr. 40.
1920 der M.m.W. veröffentlichten Entwurf der Standesordnung sollen in
folgendem die vorgenommenen Aenderungen wesentlicher Art wiedergegeben
und kurz besprochen werden.
Die allgemeine Einleitung (1) blieb unverändert.
ln dem wichtigen Absatz 11, 3 sind in dem Satz: „Kassenärztliche
Vereine (und Zweckverbände) haben unbeschadet ihrer
Rechtsfähigkeit als eingetragene Vereine als Unter¬
abteilungen den ärztlichen Bezirksvereinen ihrer Be¬
zirke beizutreten (oder in ihren Satzungen eine Bestimmung ein¬
zufügen, das alle Mitglieder zugleich Mitglieder eines ärztlichen Bezirks¬
vereines sein müssen“, die eingeklammerten Stellen gestrichen.
III, 4 lautet: (Zusätze gesperrt gedruckt) Die Bezirksvereine der ein¬
zelnen Kreise bilden neben der staatlichen (Anmerkung des Ref.;
gleichfalls von den Bezirksvereinen gebildeten) Aerztekammer des
Regierungsbezirkes (wohl besser: Kreises, Ref.) je eine freie
Aerztekammer, die als Instanz über den Bezirksvereinen
steht. Ihre Beschlüsse sind bindend für die Bezirks¬
vereine des Kreises.
Die Aufgaben dieser freien Kreisärztekammern werden er¬
gänzt durch 2 Punkte:
e) die nötigen Kreiskommissionen zu wählen, insbesondere Vertrags¬
prüfungsstellen für den Kammerbezirk.
g) die Vertreter zum Landesausschuss zu wählen.
in. 7. Alle von den Bezirksvereinen bzw. deren wirt¬
schaftlichen Unterabteilungen a b z u s c h 1 i e s s e n d e n
KassenVerträge bedürfen der Genehmigung der Ver¬
tragsprüfungsstelle der freien Kreisärztekammer; im
Streitfall entscheidet die Vorstandschaft des Landes¬
ausschusses endgültig.
In IV, 11 wird zu den Aufgaben der Landesärztekammer unter
Streichung der früheren Ziff. IV, 9 hinzugefügt:
h) Prüfung der KassenfUhrung. Erteilung der Entlastung, Aufstellung des
Jahresvoranschlages, Feststellung der Umlagen.
IV, 12 bestimmt die Bildung eines Krankenkassenausschusses bei der
Landesärztekammer unter Fortfall der Landesvertragsprüfungsstelle.
IV. 16. Die Geschäftsordnung der Landesärztekammer ist die des
deutschen Aerztetages mit Ausnahme der Wahlen und Ab¬
stimmung.
Kap. V. Die Bestimmungen für die Wahlen zum Landesausschuss
haben eine grosse Veränderung erfahren, insoferne die Vertreter der Kreise,
je ein Stadt- und Landarzt, von den freien Kreisärztekammern gewählt und
von der Landesärztekammer lediglich bestätigt werden, von der Landes¬
ärztekammer überhaupt nur noch deren erster Vorsitzender, der zugleich
Vorsitzender des Landesausschusses ist, zu wählen ist. Die Stärke des
Landesausschusscs (z. Z. 31) ist geblieben.
V, 21. Die Wahl erfolgt auf Grund der Mandate, nicht
der Mitgliederzahl der Bezirksvereine.
V, 28. Der Landessekretär und der Schriftleiter des Standesorgans sind
Mitglieder des Landesausschusses ohne Stimmrecht.
V. 22. Unter den Aufgaben des Landesausschusses ist fallen ge¬
lassen folgender Absatz:
3. Aenderungen und Ergänzungen der Standesverfassung ein¬
schliesslich Ehrengerichts- und Gebührenordnung mit sofortiger Wirksamkeit
in dringenden Fällen.
Ebenso entfällt V, 23 des Entwurfes, wodurch diese Befugnis der Vor¬
standschaft des Landesausschusses in ganz besonders dringenden Fällen ein¬
geräumt war.
VI, 32. Von den 7 Mitgliedern der Vorstandschaft desLandes-
ausschusses sollen drei Landärzte sein.
In Absatz VII, 35, welcher von dem Landessekretär handelt, ist
der Schlusssatz:
„Die Besetzung der Stellung erfolgt nach Ausschreibung durch einen von
dem Landesausschuss gewählten Prüfungsausschuss“ gestrichen. Somit ist
keine Bestimmung Ober die Art der Besetzung der Stelle getroffen.
In Kapitel IX wird eine Bestimmung aufgenommen, dass die Ver¬
pflichtung der Mitglieder der Bczirksvereine auf die Aerzteordnung von
einem Vorbehalt nicht abhängig gemacht werden darf.
In der im Entwurf vorgesehenen Verpflichtung für neu aufzunehmende
Mitglieder sind die eingeklammerten Stellen weggelassen:
Der Unterzeichnete verpflichtet sich (freiwillig) zur
unbedingten Befolgung und unverbrüchlichen Auf¬
rechterhaltung der durch die freiwillige Organisation
der bayerischen Aerzteschaft (die in der bayerischen Landes¬
ärztekammer und dem Landesausschuss der Aerzte Bayerns verkörpert ist)
geschaffenen Bestimmungen (und beschlossenen Gesetze).
Die bayerische Aerzteordnung bedeutet nach ihrem Inhalt und Aufbau im
allgemeinen einen entschiedenen Fortschritt gegenüber dem Entwurf und legt
Zeugnis ab für die Sachlichkeit ihrer Verfasser. Indem ich an die Be¬
sprechung des Entwurfes in Nr. 42, 1920 der M.m.W. erinnere, darf ief»
mit Freude bemerken, dass die wesentlichsten Verbesserungen, so die Fest¬
legung des Budgetrechtes der Landesärztekammer und die Wahrung ihrer
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
14. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
59
Souveränität in Verfassungsfragen, die Verbesserung der Wahlordnung und
die Einführung, der Abstimmung nach Mandaten mit meinen dort gemachten
Vorschlägen übereinstimmen. Dies gibt mir das Recht und den Mut, mich
auch über die Aerzteordnung selbst trotz der geforderten unverbrüchlichen
Anerkennung mit einiger Offenheit auszusprechen.
ln Sachen des von mir nachdrücklich bekämpften Zwangsbei¬
trittes zu den Bezirksvereinen hat man sich zwar, wie berichtet wird,
im Sinne eines Zugeständnisses zur Streichung der Bestimmung
(S. oben II, 3) entschlossen, welche den Beitritt des einzelnen Kassenarztes
zum Bezirksverein ausdrücklich forderte, allein man hat an dem korporativen
Beitritt der Kassenvereine zu den Bezirksvereinen festgelialten. Da dies von den
Anhängern des Zwanges bedingungslos in ihrem Sinne verwertet wird, können
die Gegner des Zwanges mit der Berufung auf die genannte Streichung nicht
durchdringen und es wird tatsächlich mit Hilfe der Aerzteordnung entgegen
der Verfassung der Bezirksvereine der Beitrittszwang auf den einzelnen
Kassenarzt ausgeübt. Wenn man daher auch nicht glauben kann, dass die
Aerzteordnung die Bestimmung gestrichen hat, damit sie doch ausgeführt
werde, die bedenkliche Wirkung ist da und wird s. Z. verantwortet werden
müssen.
Um es vorwegzunehmen, will ich auch hier die Frage des Landes¬
sekretärs streifen, die in der Aerzteordnung noch kürzer als im Entwurf be¬
handelt wird. Mit dem Freimut, womit auf dem Aerztetage die Stellung des
Landessekretärs zum Vorsitzenden des Landesausschusses von Dörfler
besprochen wurde, wiederhole ich, dass die Landesärztekamraer bei der An¬
stellung und dem Dienstvertrag des Landessekretärs nicht auf die Seite ge¬
stellt werden, sondern nach dem vulgären Recht des Steuerzahlers vollen
Einblick in die bezüglichen Verhältnisse nehmen und behalten soll; im Interesse
beider Teile das beste Mittel gegen das da und dort geübte geheime Qe-
bahren und die dadurch begünstigte schleichende Kritik. Hier ist volle ge¬
schäftliche Nüchternheit und Offenheit am Platz und dies zu sagen jetzt, wo
die Person des künftigen Landessekretärs noch nicht feststeht, also seine
Person ausscheidet, die richtige Zeit.
Die Neuerung der Aerzteordnung, dass die dem Landesausschuss
angehörenden Vertreter der Kreise, je ein Stadt- und Landarzt, durch d i e
freien Kreisärztekammern zu wählen sind, ist nicht ganz
so belanglos, wie sie aussieht und kaum als nützlich zu bezeichnen. Es ent¬
steht der eigentümliche Fall, dass die höchste Aerztevertretung, nämlich die
Landesärztekammern, ihre eigene Vorstandschaft — als solche ist der Landes-
ausschuss zu betrachten (s. V, 21a und d) — mit Ausnahme des Vorsitzenden
überhaupt nicht selbst wählt, sondern von anderen Körperschaften gewählt
bekommt und nur das Recht oder vielmehr die Pflicht hat. die Wahl zu be¬
stätigen. Es ist nicht einmal vorgeschrieben, dass die zu wählenden Mit¬
glieder des Landesausschusses auch nur Mitglieder der Landesärztekammej
sein sollen, und ebenso die Mandatsdauer nicht festgestellt. Es kann sich
ferner ganz leicht ereignen, dass der kostspielige Apparat der Kreiskammer
nur zu dem einen Zweck in Bewegung gesetzt werden muss, um diese
Wahlen vorzunehmen. Einen Vorzug dieser Wahlart, die ihre Entstehung
wohl einem gewissen Kreispartikularismus verdankt, habe ich bisher nicht
erkennen können.
Ich komme zu der einschneidendsten, im Entwürfe nicht vorgesehenen
Neuerung, die anscheinend erst in letzter Stunde im Landesausschuss be¬
schlossen wurde und den Bezirksvereinen zur Begutachtung nicht Vorgelegen
hat; der Errichtung je einer „freien Kreisärztekammer“ in jedem
Kreis neben der bisher bestandenen staatlichen Aerztekammer. So sind
wir in Bayern jetzt im glücklichen Besitz von 17 — siebzehn — Aerzte-
kammern, die wir zu besetzen, zu beschäftigen und — zu bezahlen haben
werden. Die Zahl aussprechen heisst die Sackgasse erkennen, in die uns
unser überhitzter Organisationsdrang geführt hat. Versuchen wir, uns in der
iKuen Lage und ihren Folgen zurechtzufinden, so steht voran und ausser allem
Zweifel eine fast der Beseitigung gleichkommende Schwächung und Ent¬
rechtung der nach meiner Ueberzeugung wertvollen, durchaus ausbaufähigen
und ausbauwürdigen staatlichen Aerztekammern, deren Wert von uns wohl
erst dann erkannt werden wird, wenn wir ihn zerstört haben. Abgesehen
davon, dass die Bezeichnung einer Aerzte„k a m m e r“ nach allgemeiner
Uebung bis jetzt wohl ausschliesslich einer staatlich anerkannten Vertretung
zakommt, kann künftig das sinnwidrige Nebeneinanderbest^hen einer freien
and einer wirklichen Aerztekammer nicht anders als dem Gewicht und
Ansehen beider Kammern nach innen und aussen schädlich
sein. Den freien Aerztekammern werden eigentlich nur solche Aufgaben
zngemessen, die bis jetzt völlig in der Kompetenz der staatlichen Kammern
gelegen waren und, solange letztere nicht von der Regierung aufgehoben
sind, denselben auch künftig zukommen werden, ihnen jedenfalls nicht ohne
weiteres von den Aerzten entzogen werden können. Daraus ergibt sich eine
Fülle von kleinen und grossen Schwierigkeiten in dem praktischen Wirken
beider Einrichtungen. Geradezu grotesk aber wird es wirken müssen, wenn,
wie die Aerzteordnung es will, die offiziellen Standesvereine künftig nicht
mehr an die Beschlüsse der offiziellen Aerztekammern, sondern an die der
freien Kreiskammern gebunden sind, und wenn sogar die Berufungsinstanz
für die staatlich gedeckten Ehrengerichtsurteile der Bezirksvereine aus den
staatlichen Aerztekammern weggenommen und den freien Aerztekammern zu¬
geteilt wird. Will so die gewerkschaftliche Richtung bereits auch die Ehren¬
gerichtsbarkeit für sich in Beschlag nehmen und, wie es den Anschein hat,
den staatlichen Aerztekammern überhaupt nur noch ein Schattendasein
gönnen, dann wird es wahrhaftig Zeit, lieber gleich die völlige Aufhebung dieser
Aerztekammern zu. betreiben. Freilich würde dies logischerweise wohl auch
zu der Aufhebung des offiziellen Charakters der ^zirksvereine führen
müssen, d. h. zum Aufhören der staatlichen Aerztevertretung in Bayern.
Können wir das ernstlich wollen?
Man wende nicht ein, die Sache sei nicht so schlimm, da ja beide
Kammern doch wahrscheinlich die gleichen Mitglieder und die gleichen Vor¬
stände und wir also eigentlich nur eine Kammer haben würden. Selbst
wenn das durchführbar wäre, würde die Verwirrung der Begriffe und Ver-
iiilfnisse mit diesem „eigentlich“ nur noch schlimmer werden. Die ver¬
schiedene Grundlage beider Körperschaften müsste zu unleidlichen, mindestens
sehr merkwürdigen Konsequenzen führen. Einen Anfang dieser Art haben wir
schon erlebt, indem die Mitglieder einer bayerischen staatlichen Aerztekammer
bereits am 28. XI. 20 zusammengetreten sind und im Vollzug der noch nicht
einmal verkündigten neuen Aerzteordnung vom 1.1. 21 sich als freie Kreis-
bmmr proklamiert haben.
Ist dieser Vorgang schon wegen seiner Vorzeitigkeit nicht als legal zu
betrachten, so werden auch ge^en die inzwischen vom Landesausschuss
allgemein angeordnete Proklamierung der freien Kreisärztekammern durch
die staatlichen Aerztekammern ganz beträchtliche Bedenken bestehen. Denn
einmal sind diese staatlichen Aerztekammern mit dem 1. I. 21 aus dem
Verband der freiwilligen bayerischen Organisation formell ausgeschieden,
zweitens können unmöglich die im Jahre 1918 erfolgten Wahlen zur staat¬
lichen Kammer eine gültige Unterlage geben für die erst 1921 neu errichteten
freien Kammern. Das einzig Richtige ist ein« nach der Aerzteordnung von dem
Landesausschuss auszuschreibendc Neuwahl durch die Bezirksvereine und
der Zusammentritt dieser Delegierten zu den freien Aerztekammern.
Gehen wir dem in der Aerzteordnung betretenen Abweg bis zu seinem
Ursprung nach, so finden wir ihn wohl nur in dem ganz übermässig
betonten Verlangen nach Emanzipation von dem staatlichen Gängelband,
d. h. von dem ausschliesslichen Einberufungsrecht der Regierung gegenüber
den Aerztekammern, das aber von jeher und in den letzten Jahren besonders
nur in der entgegenkommendsten Weise gehandhabt worden ist und gegen
das sich meines Wissens die bayerischen Aerzte offiziell niemals ausgesprochen
haben.
Der freie Zusammentrtit nach Bedürfnis ist wohl die einzige „Errungen¬
schaft“ der freien Aerztekammern und wenigstens meines Erachtens nicht
wert, deshalb das Ansehen und die Geschlossenheit unserer Organisation aufs
Spiel zu setzen. Ich bin der Ueberzeugung, die ich schon in meinem
letzten Aufsatz aussprach, dass die Regierung jederzeit sich bereit finden
lassen würde zur Regelung dieser Formfrage und nach Massgabe der
politischen Lage auch anderer ärztlicher Anliegen. Die Schaffung freier
Aerztekammern neben der staatlichen Aerztekammern in der jetzt voll¬
zogenen Form wird zu kritischen Verhältnissen führen, zu denen die Re¬
gierung gezwungen sein wird Stellung zu nehmen, und nach meinem Gefühl
übrigens auch die staatlichen Aerztekammern einmal das Wort werden er¬
greifen müssen.
Aus allen diesen Erwägungen heraus kann ich, wie ich schon früher
betonte, die bayerische Aerzteordnung noch nicht für abgeschlossen halten,
die Ueberprüfung derselben durch die Landesärztekammer wird sich als
dringendes Bedürfnis erweisen.
Schliesslich aber hat der Werdegang unserer Neuorganisation wie bei
anderen Aerzten auch bei mir nur die Anschauung gefestigt, dass wir Aerzte,
wenn wir, und sei es nur zur Ordnung unserer eigenen Angelegenheiten,
den Boden der Gesetzgebung betreten wollen, dem Dilettantismus verfallen
sind und der Mitwirkung juristischer Fachmänner nicht entraten können.
Haben wir die Einholung juristischen Beirates bis jetzt unterlassen so sollen
wir sie wenigstens künftig nicht versäumen. Auf unserem eigenen Berufsgebietc
von dem Wert des Fachmannes durchdrungen, werden wir uns dieser Mit¬
hilfe nicht zu schämen brauchen.
Therapeutische Notlzefl.
Ueber die Rachiserumsalvarsantherapie nach Mari-
n e s c o - Bukarest hat Demötre Em. P a u 1 i a n - Bukarest seine Erfahrungen
in folgender Weise zusammengefasst (Presse m^dicale 1920 Nr. 90). Die
Technik, die jetzt an der Klinik von Marinesco, der als erster im
Jahre 1910 diese Behandlungsart vor allem gegen Nervensyphilis und allge¬
meine Paralyse eingeführt hat, ist folgende: Man macht eine intravenöse
Injektion von Neosalvarsan (ein Fünftel der gewöhnlichen Dosis) und entnimmt
40—50 ccm Blut; die Injektion wird entweder von demselben (Autotherapie)
oder einem anderen von der gleichen Krankheit befallenen Patienten aus¬
geführt. Das Auto-, wie das Homoserum, in gut sterilisierten Reagenz¬
gläschen aufgenommen, wird 24 Stunden auf Eis gelegt, dann direkt oder mit
einer Pipette in ein anderes wohlsterilisiertes Reagenzgefäss dekantiert, bei
56® nun 14 Stunde sterilisiert und schliesslich werden 10 ccm in den Rücken¬
markskanal injiziert. Vor diesen Injektionen sollte man Sorge tragen, eine
gleiche Menge Liquor cerebrospinalis zu sammeln, den man regelmässig unter¬
suche, um dann eine Vergleichung bezüglich der Lymphozytose, der Globuline-
und der Wassermann sehen Reaktion zu haben. Die Injektionen werden
gut vertragen, die Kranken werden unmittelbar nach derselben auf den Rücken
gelegt, Tabetiker ganz horizontal und Paralytiker mit dem Kopfe etwas tiefer
geneigt, in welcher Stellung die Kranken 24 Stunden verbleiben. Die Injek¬
tionen wiederholt man alle 8 Tage; im allgemeinen macht man 6 Ön-
spritzungen in' den Rückenmarkskanal, wonach eine Pause von 3 Monaten
folgt, um dann von neuem die Kur zu beginnen. Bei Anwendung von Homo¬
serum ist es immerhin gut, 2—3 Tage nach der Rückenmarkseinspritzung
noch eine intravenöse von Neosalvarsan zu machen. Sowohl bei Tabes wie
allgemeiner Paralyse und allen beliebigen syphilitischen Rückenmarkserkran¬
kungen darf man daneben die Allgemeinbehandlung mit Quecksilber, Jod usw.
nicht vernachlässigen. Die klinischen Besserungen, ebenso wie die zyto-
logischen, sind beträchtliche; bei Tabes sieht man die gastrischen Krisen
seltener werden und sogar verschwinden, die Ataxie und die Störungen
der Sphinkteren bedeutend nachlassen, die Muskelatrophie Halt machen,
bei allgemeiner Paralyse verschwinden (bei frischen Fällen) die psychischen
Störungen und Delirien, das Zittern verringert sich und sogar die Ge¬
dächtnisschwäche lässt nach.
Was den Mechanismus dieser Behandlung betrifft, so glaubt P., dass
die Heilwirkung des Salvarsan-Serums nicht direkt auf Arsenik-(Salvarsan-)
Einfluss beruht, sondern auf Antikörpern und einer spirochätentötenden Sub¬
stanz, die sich im Blutserum entwickelt haben, und aus diesem Grunde
sei es wichtig, das Serum erst 24 Stunden nach der Injektion, wo es
grösseren Wert hat, aufzufangen. St.
Orthometrie mit extraperitonealer oder inguino-
präpubialer Ligamentopexie, verbunden mit transver¬
saler, subpubischer Laparotomie bei Retroflexio Uteri
nennt Dartigues ein neues Verfahren, welches die Sicherheitsvorteile
der Eröffnung der Bauchhöhle, die Vorzüge eines ästhetischen Bauchschnittes
und vor allem einer anatomischen und physiologischen Wiederherstellung
zur Norm, deren vollkommener Typus die A 1 q u i 4 sehe Verkürzung der
Bänder ist, vereinigt. Das ganze Operationsverfahren ist in (9) Abbildungen
dargestellt, die in anschaulicher Weise die einzelnen Phasen und den
Verlauf wiedergeben. (Presse m4dicale 1920 Nr. 82.) St.
Digitized by Google
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
60
MÜNCHENER MEDIZINIbClil: WQChgiNSChRirr.
Nr. 2.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 12. Januar 1921.
— In den Vergleichsverhandlungen zwischen dem
Verband der Krankenkassen Berlins und dem Gross-
Berliner Aerztebund im Sommer vor. Jahres wurde bezüglich
einiger grundsätzlicher Punkte, in denen eine Einigung nicht erzielt werden
konnte, die Anrufung eines Schiedsamtes vereinbart. Dieses hat in
der vor. Woche unter der unp^teiischen Leitung des früheren Ministerial¬
direktors Kaspar. Ministerialrat Dr. Hamei vom Reichsministerium des
Innern und Ministerialrat Wulff vom Reichsarbeitsministerium in den
Räumen des Preussischen Wohlfahrtsministeriums getagt. Die Verhandlung
hat zu einem beiden Teilen genehmen Ergebnis geführt. Die freie Arzt¬
wahl ist gesichert.
— Zwischen der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Krankenkassen¬
verbände und der Bayerischen Landesärztekammer, vertreten durch den
Landesausschuss der Aerzte Bayerns, ist ein M a n t e 1 v e r t r a g vereinbart
worden, der allen Verträgen zugrunde gelegt werden muss, die zwischen
Krankenkassen, die der Arb:itsgemeinschaft der Krankenkassenverbände an¬
gehören, und den bayerischen kassenärztlichen Organisationen abgeschlossen
werden sollen. Der Mantelvertrag bestimmt die Zulassung aller Aerzte zur
Behandlung der Kassenmitglieder, welche der kassenärztlichen Organisation
angehören und deren Verpflichtungsschein unterschrieben haben. Unter
diesen haben die Versicherten die freie Wahl. Auf die Einzelheiten des Ver¬
trags kommen wir zurück.
— Der in Leipzig am 19. Dezember 1920 gewählte Vorstand des
Leipziger Verbandes umfasst nach Zuwahl weiterer 4 Mitglieder folgende
Herren: Hermann Hartmann, Streffer, Hirschfeld, Mejer,
Voller t, Dumas, Klober g, Buchbinder, Johannes H a r t m a n n,
Baumbauer.
— Die Weimarer Verfassung hat zwar die Titel im Deutschen Reiche
abgeschafft, nicht aber das Verlangen und das Bedürfnis nach solcher An¬
erkennung langjähriger und verdienstvoller Tätigkeit im öffentlichen Interesse
beseitigt. Diesem einmal bestehenden und in neuerer Zeit wieder stärker
hervortretenden Bedürfnis hat die bayerische Regierung Rechnung getragen,
indem sie einer Anzahl von Notaren und Rechtsanwälten den Justizrattitel
als Berufstitel verliehen hat. Es ist nicht Titelsucht, sondern lediglich das
Verlangen nach Gleichberechtigung, wenn daraufhin auch unter den Aerzten
der Wunsch nach Wiedereinführung dq,s Sanitätsratstitels laut wird. Denn
kein Stand hat grösseres Anrecht auf öffentliche Anerkennung, als der
ärztliche, der so Grosses für die Volksgesundheit geleistet hat und dessen
Angehörige bei Tag und bei Nacht, oft unter Einsetzung von Gesundheit
und Leben, für das Wohl des Volkes arbeiten. Man darf daher wohl hoffen,
dass in Bayern auch der Sanitätsratstitel bald seine Auferstehung feiern wird.
— Die Neujahrsauszeichnungen in England, die für Aerzte
in der Verleihung der Ritterwürde, die mit dem Adelsprädikat „Sir“ ver¬
bunden ist, bestehen, sind in diesem Jahre von besonderem Interesse insoferne.
als sie eine Ehrung der medizinischen Fachpresse bedeuten. Den Schrift¬
leitern der beiden führenden englischen Wochenschriften, Dr. Dawson Wil¬
liams vom „British med. Journal“ und Dr. Squire S p r i g g e von der
„Lancet“ wurde die genannte Auszeichnung verliehen, die um so höher zu
bewerten ist, als sie nur selten, in diesem Jahre nur an 4 Aerzte im Ver¬
einigten Königreich, erteilt wird.
— Anlässlich des 50 Jährigen Bestehens der Landesstelle für
öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden fand am
3. Januar d. J. im Hörsaal der Anstalt eine einfache, würdevolle Gedenk¬
feier statt.
— In einem Jüngst versandten Rundschreiben vom 2. November d. J.
hat Geh. San.-Rat Dr. P a n n w i t z als bisheriger Generalsekretär der
Internationalen Vereinigung gegen die Tuberkulose sich an alle Mitglieder
dieses Verbandes gewandt, um die Tagung einer weiteren internatio¬
nalen Tuberkulose-Konferenz in Fortsetzung der früheren der¬
artigen Zusammenkünfte, und zwar im Frühjahr 1921, herbeizuführen. Der
Vorsitzende der Verwaltungskommission der früheren Internationalen Ver¬
einigung gegen die Tuberkulose, Präsident des Reichsgesundheitsamtes
Dr. B u m m, ersucht uns davon Kenntnis zu geben, dass Herr P a n n w i t z
diesen Schritt ganz selbständig und gegen den Willen der in Berlin wohn¬
haften Mitglieder der Verwaltungskommission der Internationalen Vereinigung
gegen Tuberkulose getan hat. Die genannten Mitglieder sind der Ansicht,
dass, nachdem im Oktober d. J. in Paris unter dem Vorsitz des bisherigen
Vorsitzenden der vorbezeichneten Internationalen Vereinigung gegen die
Tuberkulose, Herrn Löon Bourgeois, eine neue Internationale Vereinigung
gegen die Tuberkulose unter Nichtberücksichtigung Deutschlands sich gebildet
hat und zwar unter Teilnahme zahlreicher Mitglieder der früheren Inter¬
nationalen Vereinigung gegen die Tuberkulose, es verfehlt sei, deutscherseits
jetzt seine Weiterbeteiligung an den in Rede stehenden internationalen Mass¬
nahmen durch Fortsetzung der Veranstaltungen der ehemaligen Internationalen
Vereinigung anzustreben.
— Herr Prof. Dr. H. J. L a m C r i s, Leiter der Chirurg. Universitäts¬
klinik in Utrecht, hat, wie er uns mitteilt, im September vor. Jahres aus dem
bekannten Anlass seinen Austritt aus der Internationalen Ge¬
sellschaft für Chirurgie erklärt.
— Das Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht in Berlin (Pots-
damerstr 120) hat gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft zur Förderung
häuslicher Erziehung in' Leipzig Merkblätter über Fragen der
häuslichen Erziehung des Kleinkindes herausgegeben, die
der Beachtung seitens der Aerzte sehr zu empfehlen sind. Sie sind von
hervorragenden Fachleuten bearbeitet und beantworten folgende Fragen:
Wie werde ich ein guter Erzieher? (Dr. Prüfer, Leipzig). Wie erhalte
ich mein Kind in den ersten Jahren gesund? (Prof. Pfaundler. München).
Wie einähre ich mein Kind? (Geh. San.-Rat Maier, München). Wie kleide
ich mein Kind? (Annemarie Pallat-Hartleben, Berlin). Wie be¬
schäftige ich mein Kind? (Nelly W o 1 f f h e i m, Berlin). Warum fragt mein
Kind und wie soll ich ihm antworten? (Lehrer Scheibner, Leipzig).
Warum lügt mein Kind und wie kann ich das verhüten? (Dr. Prüfer,
Leipzig). Soll ich mein Kind in den Kindergarten schicken? (Wally Z e r 1 e r,
Beilin). Um den Blättern eine grosse Verbreitung zu sichern, werden sie
zum Herstellungspreise, 100 Stück 7 M., abgegeben. Einzelblätter kosten
10 Pfennig.
— Der vor kurzem begründete preuss. Landesausschuss für
hygienische Volksbelehrung wird sich der „Blätter für
Volksgesundheitspflege“ als seines amtlichen Organs bedienen.
Diese im 20. Jahrgang erscheinende populär-hygienische Zeitschrift hat sich
grosse Verdienste um die Verbreitung nützlicher hygienischer Kenntnisse im
Volke erworben und verdient neben dem „Gesundheitslehrer“ die tatkräftige
Unterstützung der Aerzte, insbesondere durch Auflegen im Wartezimmer.
Der Preis der monatlich erscheinenden Blätter ist jährlich 12 M. (Allg. med.
Verlagsanstalt, Berlin W. 57.)
— Die „Berliner Aerztekorrespondenz“, das bisherige Organ des Oe-
schäftsausschusses der Berliner ärztlichen Standesvereine, erscheint fortan
unter dem Titel „Gross-Berliner Aerzteblatt" als Zentralorgan
des Gross-Berliner Aerztebundes und des Geschäftsausschusses der Berliner
ärztlichen Standesvereine.
— In Radebeul b. Dresden wurde am 5. I. 21 eine vom Deutschen
Hygienemuseum in Dresden unter Mitwirkung des Landesausschusses für
Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und der Wohlfahrtsämter Dresden-Neu-
stadt-Land und Radebeul veranstaltete Wanderausstellung „Der
Säugling und seine Pflege“ eröffnet. Als fachwissenschaftlicher
Berater der Ausstellungsleitung wirkt der Dresdener Kinderarzt Dr. Flachs.
— Das Direktorium des Instituts für experimentelle
Krebsforschung in Heidelberg schreibt aus der Ferdinand
H. Mörsel-Stiftung einen Preis von 10 000 M. aus für diejenige
Arbeit, die auf dem Gebiete der Aetiologie, der Diagnostik oder der Therapie
der bösartigen Geschwülste einen bedeutsamen Fortschritt dar¬
stellt. Näheres über die Bestimmungen des Preisausschreibens in der Bekannt¬
machung auf Seite 6 des Umschlags dieser Nummer.
— Die Wiener oph thalmologische Gesellschaft beab¬
sichtigt vom 4.—6. August des Jahres 1921 eine ausserordentliche Tagung
abzuhalten und lädt hiemit alle befreundeten Fachgenossen ein, daran teil¬
zunehmen. Ueber die näheren Einzelheiten wird später in den Fachblättern
rechtzeitig ausführlich berichtet werden. Im Aufträge der Wiener ophthalmo-
logischen Gesellschaft: J. Meller.
— Cholera. Polen. Nachrichten vom 22. November zufolge ist in
dem russischen Gefangenenlager in Stralkowo (bei Wreschen) Cholera aus¬
gebrochen. Nach weiteren Mitteilungen herrscht die Seuche noch in einem
zweiten Gefangenenlager der ehemaligen Provinz Posen sowie in Olita und
Grodno; ferner wurde in Strelno 1 Choleratodesfall ermittelt.
.— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 19. bis
25. Dezember wurden 3 Erkrankungen und in der Woche vom 26. Dezember
V. J. bis 1. Januar ds. wurden 3 Erkrankungen festgestellt. Für die Woche
vom 12.—18. Dezember v. J. wurden nachträglich noch 3 Erkrankungen
mitgeteilt.
— In der 50. Jahreswoche, vom 12.—18. Dezember 1920, hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Qöttingen
mit 27,9, die geringste Lehe mit 4,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Diphtherie und Krupp in
Gera. — In der 51. Jahreswoche, vom 19.—25. Dezember 1920, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Altenburg mit 24,7, die geringste Neukölln mit 6,5 Todesfällen pro Jahr
und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an
Diphtherie und Krupp in Regensburg. Vöff. R.-G.-A.
H 0 c h s c h u 1 n a c h r i c h t e II.
Berlin. Der Privatdozent für normale Anatomie, Geh. Sanitätsrat
Prof. Dr. med. Karl B e n d a, Prosektor am städtischen Krankenhause in
Moabit, wurde zum Honorarprofessor ernannt, (hk.) — Der Geheime
Medizinalrat Prof. Dr. med. et phil. Oskar H e r t w i g, Direktor des
anatomisch-biologischen Instituts an der Berliner Universität, ist um seine
Emeritierung eingekommen, (hk.)
Bonn. Als Nachfolger Ribberts sind vorgeschlagen: I. Rössle-
Jena, II. Mönckeberg - Tübingen, III. H u e c k - Rostock.
F r e i b u r g. Für Augenheilkunde habilitierte sich Dr. Ernst Engel-
k i n g, Assistent an der Augenklinik, (hk.)
Göttingen. Die medizinische Fakultät hat den praktischen Zahnarzt
Wilhelm Kunzendorf auf Grund seiner anerkennenswerten Verdienste
um das neubegründete zahnärztliche Institut der Universität Göttingen, das
er mit grosser organisatorischer Fähigkeit trotz bescheidener Mittel in kurzer
Zeit einzurichten und unter selbstloser Hingabe an die umfangreiche Lehr¬
tätigkeit zu einer wertvollen Unterrichtsstätte für zahlreiche Studierende zu
machen verstanden hat, ehrenhalber zum Doktor der Zahnheilkunde er¬
nannt. (hk.)
Köln. Dem Vorstand der topographisch-anatomischen Abteilung an der
Universität Köln, Privatdozenten Dr. med. Otto O e r t e 1, ist mit Rück¬
wirkung auf 1. Oktober 1920 der Titel eines etatsmässigen Prosektors ver¬
liehen worden, (hk.')
Würzburg. Zur Wiederbesetzung der durch das Ableben des Prof.
Dr. Schnitze erledigten ord. Professur für Anatomie hat das Ministerium
für Unterricht und Kultus einen Ruf an den Prof. Dr. Hermann Braus
an der Universität Heidelberg ergehen lassen.
Riga. Privatdozent Dr. A d e 1 h e i m erhielt den Lehrauftrag für patlio-
logische Anatomie. Er wird in deutscher Sprache lesen.
Todesfälle.
In Königsberg i. Pr. verschied am 31. Dezember 1920 Prof. Dr. Franz
Unterberger, Privatdozent für Geburtshilfe und Gynäkologie an der
dortigen Universität und dirigierender Arzt der Frauenabteilung des Krai ken-
hauses der Barmherzigkeit, im 67. Lebensjahre, (hk.),
In Königsberg i. Pr. starb Sanitätsiat Prof. Dr. med. Albert S e e 1 i g
im Alter von 58 Jahren. Seine Arbeiten behandeln hauptsächlich die
Zuckerkrankheit, Nervenkrankheit und Urologie, (hk.)
Amtsärztlicher Dienst.
(Bayern.)
Die Bezirksarztstelle in Schweinfurt ist erledigt. Bewerbungen sind bei
der Regierung, Kammer des Innern, des Wohnorts bis 22. Januar 1921 ein¬
zureichen.
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunsidruckerei A.O., München-
Digitized by
Got'gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Preis der einzelnen Nummer 2.— JH. • Bezugspreis in Deutschlana
■ • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
AnzctKcnuchluM immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitung: Amnifstr. 26 (Sprechstunden 8X—1 Uhr),
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heytestrasse 26.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 3. 21. Januar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, ArnuUstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Terlag behftlt sioli das anssohliessliohe Beoht der YervieUältigaog and Yerbreitong der in dieser Zeiteohrift sam Abdrook gelangenden Originalbeitrfige vor.
Originalien.
Aus der urologischen Abteilung der Berliner Chirurgischen
Universitätsklinik und der chirurgisch-urologischen Privatklinik
von Prof. Dr. E. Joseph.
Muss und darf man vor Exstirpation einer tuberkulSsen
Niere die zuriiekzulassende Niere katheterisieren?
Von ProL Dr. Eugen Joseph, Leiter der Abteilung, und
Dr. Nicolai Kleiber.
Die meisten Autoren stehen auf dem Standpunkt, dass vor der Ex¬
stirpation einer tuberkulösen Niere, durch Ureterenkatheterismus der ver¬
mutlich gesunden Seite und nachfolgenden Tierversuch, der Beweis von
der Einseitigkeit der Erkrankung zu erbringen ist. So verlangt C a s p c r
in jedem Falle von Nierentuberkulose den doppelseitigen Ureterenkathe-
terismus, um mit dem aufgefangenen Harn beider Nieren einen Tier¬
versuch anzustellen. Den Schaden, der durch den Katheterismus des
gesunden Ureters entstehen könnte, hält Casper für gering.
I s ra e 1 bekannte sich zunächst im Jahre 1899 als Gegner des Ure¬
terenkatheterismus. „Weder die Gesundheit, noch die Krankheit einer
Niere, im anatomischen Sinne, kann durch den Ureterenkatheterismus in
jedem Falle mit Sicherheit nachgewiesen werden. Weder der Katheteris¬
mus des Ureters noch des Nierenbeckens ist frei von Infektionsgefahr.“
Allmählich aber änderten sich seine Ansichten, ln neuerer Zeit hält
Israel den doppelseitigen Ureterenkatheterismus für unbedingt not¬
wendig, um den Zustand der für gesund gehaltenen Niere durch Tier¬
versuch zu prüfen.
„Wo die Krankheit sitzt“, schreibt er, „wissen wir in 99 Proz. der
Fälle auch ohne Ureterenkatheterismus, sei es durch einfache zysto-
skopische Untersuchung, sei es mit Hinzufügung der Indigkarminein-
spritzung, sei es durch Palpation der Nieren und des Ureters, sei es aus
subjektiven Angaben des Kranken. Aber dass die zweite Niere ge¬
sund ist, können wir bislang ausschliesslich durch gesonderte Gewinnung
üires Urins und dessen Verimpfung auf Meerschweinchen erkennen.“
Ebenso meint auch Roth, dass die Feststellung der Gesundheit der
anderen Niere nur durch den Ureterenkatheterismus erfolgen kann, wozu
Rosenstein noch bemerkt, dass er- noch niemals einen Schaden von
dem Ureterenkatheterismus bei der Nierentuberkulose, selbst bei be¬
stehender Blasenaffektion, gesehen hat.
K ü m m e 11 äussert sich 1913 über den doppelseitigen Ureterenkathe-
icrismus bei der Nierentuberkulose folgendermassen: „Wenn wir mit dem
Katheterismus der kranken Niere auskommen, verzichten wir auf cUe Son¬
dierung der gesunden. Ist der Zustand der als gesund angenommenen
Niere ohne direkten Katheterismus nicht festzustellen, so zögern wir
nicht, denselben anzuwenden. Nachteile haben wir auch hier bis jetzt
niemals gesehen. Theoretische Erwägungen müssen hier hinter den
praktischen Erfahrungen zurückstehen.“
Endlich hält auch Simon den doppelseitigen Ureterenkatheterismus
für das beste Hilfsmittel zur Feststellung des Sitzes der Erkrankung und
des Zustandes der anderen Niere.
Andere Autoren billigen diesen Standpunkt nicht und verwerfen
den Ureterenkatheterismus der gesunden Seite, weil sie eine Verschlep¬
pung von Tuberkelbazillen durch den Ureterenkatheter und eine Ueber-
impfung von tuberkulösem Virus in die zurückzulassende Niere be¬
fürchten. Schon A1 b a r r a n warnte vor einem Katheterismus der
gesunden Niere.
„Wenn eine aseptische Erkrankung der Nieren vorliegt,“ schreibt er,
,j5t es gleichgültig, welche Niere man katheterisiert, indem man den
Urin der anderen aus der Blase aufsammelt; ist aber die Blase mit-
iniiziert, ist es besser, nur die kranke Seite zu katheterisieren.“
Ueber dieselbe Frage äussert sich Holländer: „Bei selbst steril
cingeführtem Instrument kann dasselbe vor seiner Einführung in einer
erkrankten Blase leicht infiziert werden. Man muss gewiss zugeben,
dass in einer Reihe von Fällen der Eingriff schadlos ertragen wird, aber
es entzieht sich unserer Beurteilung, wie oft er schädigend wirkt.“ ...
J>as zeitliche Intervall zwischen dem gesetzten Trauma und dem Mani-
fcstwerden der Infektionsfolgen kann recht gross sein. Wenn bei einer
einseitigen Blasen- und Nierentuberkulose der bislang gesunde Ureter
der anderen Seite durch den Katheterismus infiziert wird, so kann bei
dem schleichenden Gang der Tuberkulose vielleicht erst nach Monaten der
bisher claiidestln verlaufende Prozess In die Erscheinung treten, so dass
Nr. 3.
die Beziehung des Ureterenkatheterismus zur später auftretenden Er¬
krankung nicht nachweisbar in die Erscheinung tritt“
Geliert ein Schüler von Albarran, steht bei Nierentuber¬
kulose auf dem Standpunkt, „soweit es nur irgendwie möglich ist, den
Katheterismus auf der als krank verdächtigen Seite auszuführen und, so¬
weit menschliches Irren ausschliessbar ist, niemals die gesunde Niere
zu katheterisieren.“
Derselben Ansicht ist auch Schede: ,J)er Ureterenkatheterismus
ist wegen der Infektionsgefahr für eine bis dahin gesunde Niere bei Ver¬
dacht auf Tuberkulose nicht gestattet“
„Es steht fest“, schreibt Stoeckel, „dass die tuberkulöse Infek¬
tion von einer Niere deszendieren, die Blase ergreifen und in die zweite
Niere aszendieren kann. Ist diese Tendenz auch keine sehr aus¬
gesprochene, so wird man doch alles vermeiden, um sie zu unterstützen.
Das täte man aber, wenn man durch eine tuberkulös erkrankte Blase
hindurch den Katheter in einen gesunden Harnleiter schieben würde. Man
überschreitet damit willkürlich den Schutzwall, der in dem sphinkter¬
artigen Abschluss der Ureterostiums gegeben ist man schleppt möglicher¬
weise mechanisch mit dem Katheter tuberkulöses Virus in das Ureter¬
lumen hinein und begünstigt vielleicht durch kleine Läsionen der Ureter-
schleimha.ut die gelegentlich auch dem geschicktesten Untersucher
passieren, die Einnistung der Tuberkelbazillen im Ureter. Die Kathc-
terisationdeszueinergesundenNieregehörigenUre-
ters bei manifester Biasentuberkulose ist also ein
K u n s t f e h 1 e r. Sie lässt sich auch sehr wohl vermelden, ohne dass
die Exaktheit der Diagnose darunter leidet.“
1908 bekamen die Ansichten dieser Autoren eine wesentliche Unter¬
stützung durch die Arbeiten von W i 1 d b o 1 z, dem es zum erstenmal ge¬
lungen ist, experimentell eine aszendierende Nierentuberkulose bei er¬
haltenem Urinstrom zu erzeugen. W i 1 d b o 1 z injizierte in seiner ersten
Versuchsreihe bei Kaninchen von der Blase aus, welche er mit stumpfer
Kanüle durchstochen hatte, Perlsuchtbazillen, später auch richtige Tuber¬
kelbazillen, in den Harnleiter einer Seite, und sah in den meisten der
Versuchsfälle Tuberkulose des Nierenbeckens und der Niere in der Mark¬
zone entstehen. In einer zweiten Versuchsreihe injizierte er bei Kanhi-
chen Bazillenemulsion am Blasenende des Ureters in und um die Ureter¬
wand. Einigen Kaninchen legte er anderseits den Ureter in seinem mitt¬
leren Drittel extraperitoneal von hinten frei und impfte auf ihn, nach
mechanischer Läsion seiner Adventitia, ein kleines Bröckel Tuberkel¬
bazillen in Reinkultur. In den beiden letzten Versuchsreihen erhielt er
aber eine aufsteigende Nierentuberkulose nur in ganz vereinzelten Fällen.
„Meine Versuchsresultate“, schreibt W i I d b o 1 z, „werden auch da¬
vor bewahren, die Gefahren des Ureterenkatheterismus und der Blasen¬
spülung bei tuberkulöser Zystitis zu unterschätzen“
1910 gelang es auch Tosati eine aszendierende Nierentuberkulose
bei Kaninchen zu erzeugen. Um ähnliche Verhältnisse, wie sie beim
Menschen während des nächtlichen Schlafes bestehen, zu schaffen, legte
Tosati die Tiere auf den Rücken und injizierte ihnen in die Blase
Tuberkelbazillen. Von 6 Tieren wurden bei einem einzigen später
Tuberkelbazillen im Nierenbecken gefunden. Nachdem die Möglichkeit
des Aszendierens feststand, schaffte Tosati durch Freilegen der Niere
und Kneten mit den Fingern einen locus minoris resistentiae und injizierte
dem in Rückenlage befindlichen Tier Tuberkelbazillen in die Blase. Er
fand in den traumatisch geschädigten Nieren tuberkulöse Knötchen mit
Bazillen.
Endlich sind noch die wichtigen experimentellen Arbeiten von
Bauereisen zu erwähnen. Bauereisen injizierte bei 35 Meer¬
schweinchen mittels einer stumpfen Kanüle in die Blase Tuberkulose¬
virus. 4 von den geimpften Versuchstieren blieben vollständig gesund,
4 waren innerhalb der ersten 15 Tage nach einer diagnostischen Tuber-
kulininjektion zugrunde gegangen, ohne eine tuberkulöse Erkrankung der
Blasenwand aufzuweisen; 2 erkrankten an primärer Tuberkulose der
Blase und Ureteren; bei 7 kombinierte sich die Blasentuberkulose mit
einer Erkrankung der Prostata. 10 Tiere zeigten eine primäre Prostata¬
erkrankung, die bei weiteren 8 Tieren sich mit Genitaltuberkulose ver¬
band. Während die Nieren in 2 Fällen eine Rindentuberkulose sicher
hämatogenen Ursprungs aufwiesen, konnte in keinem einzigen Falle eine
Erkrankung des Nierenbeckens oder der Nierenpapille festgestellt werden.
Dagegen waren in sämtlichen Fällen Lungen. MUz, Leber, Netz und regio¬
näre Lymphdrüsen mehr oder weniger erkrankt.
Auf Grund dieser Versuche ist B a u e r e i s e n der Ansicht, dass
eine tuberkulöse Infektion der Blase nicht in die Niere aufsteigt, sofern
der Urinstrom aus dem Nierenbecken den Harnleiter ungehindert passieren
kann. Bei ausgedehnter Blasentuberkulose dagegen wird das tuberku¬
löse Virus mit dem Lymphstrom Zunächst in die Wand (Adventitia. Mus-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
f>2
kularis, Submukosa, zuletzt Mukosa) des unteren Ureterabschnittes ver¬
schleppt und wandert allmählich in der äusseren Schicht nierenwärts.
Dass die Mukosa und die Submukosa des menschlichen Ureters solche
Lymphgefässe enthält, beweist Bauereisen durch eine Reihe von
Serienschnitten, die den intramuralen Teil des Ureters mit der Blase um¬
fassen. Die mikroskopischen Präparate zeigten klar, dass die Lymph¬
gefässe der Blasenmuskularis in Verbindung mit denen der Ureter-
muskularis stehen und sich auf den extramuralen Ureter fortsetzen. „Niere
und Blase“, sagt Bauereisen, „stehen demnach durch die Lymph¬
gefässe des Harnleiters in viel näherer Beziehung zueinander als man an¬
genommen hat Ich glaube behaupten zu dürfen, dass die Niere von der
Blase aus durch pathogene Keime auf dem Lymphwege leichter zu er¬
reichen ist als intraureteral. Die Tatsache, dass die Lymphkapillaren in
nächster Nähe der Basalschicht des Mukosaepithels enden, lenkt die Auf¬
merksamkeit auf die möglichste Vermeidung von Epithelverletzungen
durch den Ureterenkatheterismus. Wir können ohne Sorge den Ure-
terenkatheterismus der gesunden Niere bei tuberkelbazillenhaltigem
Blaseninhalt ausführen, wenn wir bei strengem aseptischen Ver¬
fahren Katheter in den Ureter einführen, die keine Läsionen der Ureter¬
mukosa hervomifen. Nur ira letzteren Fall könnte es zu einer Infektion
der Ureterwand kommen, die von da auf Ijrmphogenem Wege nieren¬
wärts wandern würde..“
Auch klinische Beweise für das spontane Aufsteigen einer tuberku¬
lösen Infektion in die Niere sind in neuerer Zeit durch die Arbeiten von
Wildbolz, Hottinger und Zoepffe 1 geliefert worden. Nament¬
lich der Fall Zoepffels ist sehr beweisend. Er beobachtete nach
Nephrektomie wegen linksseitiger Nierentuberkulose, ein Jahr nach der
Operation, bei der Autopsie, nachdem der Tod unter dem Bilde der
Urämie eingetreten war, einen tuberkulösen Herd im rechten Ureter an
der Grenze von unterem und mittlerem Drittel, welcher zu einem fast
vollständiger Verschluss des Harnleiters geführt hatte. Der oberhalb des
Herdes gelegene, stark erweiterte, Ureterabschnitt und die hydronephro-
tische Niere waren frei von Tuberkulose, so dass kein Zweifel über das
Aufsteigen der Infektion von der tuberkulösen Blase in den Harnleiter
bestehen kann.
Auch der eine von uns (Joseph) vertrat stets den Standpunkt,
den Ureterenkatheterismus der gesunden Seite bei Nierentuberkulose nach
Möglichkeit zu vermeiden.
Da man im täglichen Leben ängstlich sich hütet, tuberkulöses Ma¬
terial zu verbreiten, und die allgemeine Hygiene verbietet, Essgeschirr
oder Trinkgläser eines Tuberkulösen ohne vorherige Desinfektion zur
Benutzung an andere Personen weiterzugeben, da sie sogar ferner ver¬
bietet, dass der Tuberkulöse sein Sputum in Räume entleert, welche von
seinen gesunden Mitmenschen benutzt werden, so kann ein gewissen¬
hafter Untersucher es unmöglich für gleichgültig halten, wenn ein mit
Tuberkulose behafteter Ureterkatheter in den gesunden Harnleiter oder
gar das gesunde Nierenbecken eintritt.
Man sieht nach den bisherigen Ausführungen, dass man sein Gewissen
nicht mit der landläufigen Vorstellung beruhigen darf, der Urinstrom
aus dem Nierenbecken schwemmt die durch den Ureterkatheter ver¬
schleppten Tuberkelbazillen fort und verhindert ihre Ansiedelung im
Harnleiter oder Nierenbecken; denn die Infektion der Niere kommt nach
Bauereisen wahrscheinlich durch eine kleine Läsion des Ureter¬
epithels auf dem Lymphwege aufstrebend zustande. Da schon bei dem
für Tuberkulose hochempfindlichen Meerschweinchen, trotz Verimpfung
grosser sedimentierter Mengen vom tuberkulösen Infektionsstoff, viele
Wochen bis zum sichtbaren Ausbruch der Krankheit vergehen, um wieviel
länger wird durch einen oberflächlichen Schleimhautritz eintretend, bei
spärlichem Impfmaterial, die Tuberkulose zur aufsteigenden Entwicklung
in der anderen Seite brauchen? Es ist klar, dass darüber ein Jahr und
länger vergehen kann, ehe die Krankheit klinisch in Erscheinung tritt.
Unter diesen Umständen wird die Erkrankung der zweiten Niere gewöhn¬
lich nicht mehr mit dem Ureterenkatheterismus in Zusammenhang ge¬
bracht, sondern als die unvermeidliche Folge einer natürlichen progre¬
dienten Entwicklung gedeutet. Nichtsdestoweniger müsste man die Ge¬
fahr des Ureterenkatheterismus hinnehmen, wenn es keine andere Mög¬
lichkeit geben würde, ein .sicheres diagnostisches Fundament für den
chirurgischen Eingriff zu gewinnen. Das ist aber nicht der Fall. Wir
haben seit Jahren für die Exstirpation der tuberkulösen Niere das Re¬
sultat der einfachen Funktionsprüfung mit Indig-
karmin ohne Ureterenkatheterismus zugrunde ge¬
legt, und uns, falls die Funktion sich als ausreichend er¬
wies, um das Fehlen oder Vorhandensein von Tuberkelbazillen
im Urin der zurückzulassenden Niere nicht gekümmert Wir haben ledig¬
lich von der vermutlich gesunden Niere verlangt, dass sie den Farbstoff
rechtzeitig und genügend ausscheidet, dass die Uretermündung während
der Ausstossung des Farbstoffes sich gut öffnet und nach derselben sich
gut schliesst und geschlossen bleibt ohne zu klaffen, bis die nächste Peri¬
staltik den Farbstoff wieder ausstösst
Wir verfügen über 12 Fälle von Nierentuber¬
kulose, in denen die kranke Niere entfernt
wurde, ohne dass vorher die zurückzulassende
Niere katheterisiert und deren Urin zum Tierver¬
such verwandt wurde. Es war lediglich durch die
Chromozystoskopie die ausreichende Funktion der
anderen Seite nachgewiesen. Sämtliche Fälle haben den
Eingriff ohne Stömng der Nierenfunktion überstanden und sind geheilt
nach Hause entlassen worden, mit Ausnahme eines kleinen Kindes, das
über 6 Wochen nach der Operation in gutem Zustand war und später
an tuberkulöser Peritonitis zugrunde ging.
Digitized by Goiisle
Nicht selten dürfte anderseits ein positiver Tierversuch-der ver¬
meintlich gesunden und zurückzulassenden Seite den Untersucher vor der
einzig richtigen und lebensrettenden Handlung, die andere schwer er¬
krankte Niere zu entfernen, mit Unrecht abhalten und den Patienten als
scheinbar inoperabel seinem Schicksal ausliefern.
Wir verfügen über folgenden sehr bemerkenswerten Fall:
27Jähr. Schlosser Q. 1912 in Heilstätte wegen Lungenkatarrh. 1913
wiederum in Heilstätte; Nachtschweisse und Husten waren bei der Ent¬
lassung gebessert. 1916 zwanzig Wochen krank an Lungenspita^enkatarrh
mit blutigem Auswurf. Weihnachten 1916 erkrankte der rechte Hoden und
es traten Blasenbeschwerden ein. Pat. wurde deshalb wieder in eine Heil¬
stätte geschickt. Befund 27. Februar 1918: Grosser blasser Mann in mässigem
Ernährungszustand. Am unteren Pol des rechten Hodens eine kirschgrosse,
leicht druckempfindliche Verdickung. Per rectum kein Befund. Beide Nieren
weder vergrössert noch druckempfindlich. Der Urin enthält Spuren von
Albumen, zahlreiche Leukozyten, vereinzelte Zylinder und rote Blutkörper¬
chen. Rechte Lunge stark geschrumpft; über der rechten Spitze scharfes
In- und Exspirium aber keine Rasselgeräusche. Blasenbefund: Kapazität
normal. Rechter Ureter und Blasenschleimhaut normal. Linker Ureter ent¬
zündet. kraterförmig eingezogen, in der Umgebung bullöses Oedem. F u n k-
tionsprüfung mit Indigkarmin: Rechts nach 8 Minuten blau; links
keine Funktion. Doppelseitiger Ureterenkatheterismus und Tierversuch: Urin
rechts: Spuren von Eiweiss, zahlreiche Leukozyten, ein granulierter
Zylinder und rote Blutkörperchen; Urin links: enthält Albumen, sehr viel
Eiterkörperchen, einige rote Blutkörperchen. Tierversuch mit getrennt auf-
gefangenem Urin beiderseits positiv.
Linkseitige Nephrektomie. Heilung per primam.
Nachuntersuchung nach 2 Jahren: Allgemeinbefinden gut; keine Schmer¬
zen, keine Miktionsstörungen. Urin klar, o. B. Blasenschleimhaut und rechte
Ureterenmündung normal. Linke Ureterenmündung steht etwas offen. Tier¬
versuch mit dem katheterisierten Urin der rechten Niere negativ.
Der geschilderte Fall zeigt deutlich, dass die Funktionsprüfung der
Niere für die Indikation zur Entfernung des schwerkranken Organs durch
den Nachweis einer guten Funktion auf der anderen Seite ausschlag¬
gebend war, während der Ureterenkatheterismus und der Tierversuch
den Untersucher leicht dazu veranlassen konnten, eine absolut not¬
wendige und lebensrettende Operation zu unterlassen, indem das Resultat
des Tierversuches und des Ureterenkatheterismus die falsche Vorstel¬
lung von der beginnenden Erkrankung der zweiten Niere erweckte.
Es bleibt noch übrig, eine Erklärung dafür zu finden, dass die rechte
Niere sowohl in ihrem Urin reichlich pathologische Elemente aufwies
als auch Tuberkelbazillen lieferte. Die pathologische Beimischung er¬
klärt sich ungezwungen durch eine toxische Nephritis, für welche die
Ursache in den von der anderen Niere gelieferten und in den Kreislauf
geschleuderten Zerfallsprodukten zu suchen ist. Wie aber ist der Be¬
fund von Tuberkeibazillen im Urin der gut funktionierenden rechten Niere
zu erklären? Zunächst könnte man in Hinblick auf die Versuche, welche
klinisch von Foulerton und Hille r, Rosenberger, Lüdke
und Sturm angestellt und später von Kielleuthner experimentell
bestätigt worden sind, an eine Ausscheidung von Tuberkelbazillen durch
die gesunde rechte Niere denken. Da der Patient einen schweren Lun¬
genprozess durchgemacht hatte, der noch nicht ganz abgeheilt war,
wäre es nach den Untersuchungen der obenerwähnten Autorwi durchaus
möglich, dass die rechte Niere die von der Lunge oder auch
von der anderen schwer erkrankten linken Niere in den Kreisiauf aus-
geiieferten Tuberkelbazillen ausschied, ohne selbst tuberkulös zu sein.
Wahrscheinlicher aber scheint uns die Erklärung, dass die Tuber¬
kelbazillen, durch den Ureterkatheter von der tuberkulösen Blase aus
in den gesunden Ureter verschleppt, eine Tuberkulose der rechten Niere
vortäuschten. Dass eine Verschleppung der Tuberkelbazillen zustande
kommen kann, beobachtete auch Israel. Es ist demnach sehr wahr-
scheüilich, dass auch in unserem Falle Tuberkelbazillen in den gesunden
Ureter mittels Ureterenkatheterismus importiert waren.
Man sieht daraus, wie der Ureterenkatheterismus in doppelter Hin¬
sicht für den Patienten gefährlich war, einmal indem er die zurück-
zulassende Niere leicht hatte infizieren können, und zweitens, indem er
den Operateur durch Tuberkelbazillennachweis von dem unbedingt rich¬
tigen, mittels Funktionsprüfung und Zystoskopie herbeigeführten Ent¬
schluss, die kranke Niere zu entfernen, hätte abbringen können.
Wir möchten noch bemerken, dass der doppelseitige Ureterenkathe¬
terismus, welcher in diesem Falle dem von uns erörterten Prinzip durch¬
aus widerspricht, in unserer Abwesenheit zufällig ausgeführt wurde.
Nach unserem Prinzip hätten wir von der toxischen Erkrankung der
rechten Niere überhaupt nichts erfahren, da wir uns vor dem Ureteren¬
katheterismus gescheut und lediglich auf das Resultat der Chromozysto-
skople gestützt hätten, und wären den diagnostischen Bedenken ent¬
gangen, zu welchen der Ureterenkatheterismus ln diesem Falle Anlass
gab. Wir müssen aber sagen, dass wir das Vorgehen in diesem Falle
nicht bedauern, well es dem Patienten nicht geschadet und uns einen
weiteren klaren Beweis erbracht hat, dass der Ureterenkatheterismus der
gesunden Niere, trotzdem sie diesmal von den eingeschleppten Tuber¬
kelbazillen nicht ergriffen wurde, bei Nierentuberkulose zu fürchten. Ist
und gleichzeitig die therapeutische Entschliessung In eine falsche kon¬
servative Bahn lenken kann.
Dass der Ureterenkatheterismus gelegentlich bei tuberkulöser Blase
zu schwerwiegendem Irrtum über den Zustand der Nieren fuhren kann,
und dass die Tuberkelbazillen tatsächlich mit dem Ureterkatheter nieren¬
wärts verschleppt werden können, zeigt auch folgender von Israel
veröffentlichter Fall:
Es handelte sich um ein 22 lähriges Mädchen, das seit Ihrem 17. Lebens¬
lahre an allgemeiner Körperschwäche und leichten Pieberanfällen litt. In
ihrem 21. Jahre trat starke Hämaturie und Pollakiurie auf; später Dysurie.
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
63
Nachtschweisse und erhöhte Temperaturen. Ein geübter Untersucher hat
durch doppelseitigen Ureterenkatheterismus mittels Tierversuch im Urin beider
Nieren Tiiberkelbazillen nachgewiesen, die Diagnose auf doppelseitige Nieren-
luberkulose gestellt und die Pat. als ungeeignet für chirurgische Behandlung
Dach dem Süden geschickt. Dort nahm die Pat. in 11 Monaten 38 Pfund zu.
Israel fand bei der Nachuntersuchung einen fluktuierenden Tumor über
der Symphyse und eine auffällige Differenz zwischen dem blühenden
Aussehen der Pat. bei starker Gewichtszunahme einerseits, und anderseits
der Diagnose auf doppelseitige Nierentuberkulose. Er vermutete deshalb
eine tuberkulöse, in die Blase eingebrochene Tube. Durch operative Ent¬
fernung der Tube wurde Pat. endgültig geheilt.
Der Fall beweist gleichfalls, dass durch die Untersuchung Tuberkel¬
bazillen mit dem Ureterkatheter in beide gesunde Nieren verschleppt
wurden. Ueber einen ähnlichen Fall berichten 1903 V o e 1 c k e r und
Joseph:
Es handelte sich um eine 32 jährige Frau, die seit mehreren Wocheji
an Schmerzen in der rechten Seite litt. In der Fossa iliaca fühlte man
eine Resistenz, die sich nach oben gegen die Nierengegend nicht recht
abgrenzen Hess und hier in einem Tumor überging, der seiner Lage nach der
rechten Niere entsprach. Im Urin fand man reichlich Eiter und in spärlicher
Zahl Tuberkelbazillen.
Zystoskopie ergab eine tiefe Ausbuchtung hinter dem rechten Ureter und
eine deutliche Hervorwölbung der rechten Uretermündung, welche auf einem
blassen, ödematösen Wulste lag.
Da der rebhte Ureter nach Indigkarmineinspritzung auch keine Farbe
lieferte, wurde die Diagnose auf rechtseitige Nierentuberkulose und para-
nephritischen Abszess gestellt.
Operation ergab, dass die Niere klein und dystopisch, sonst aber unver¬
ändert war; die ganze Substanz des M. psoas dagegen nahm ein Abszess
ein, der entlang dem Ureter in die Blase eingebrochen war: seine Per¬
forationsstelle lag in der Ausbuchtung des rechten Blasengrundes und war
deshalb nicht zu sehen gewesen.
Man muss annehmen, dass die kleine Niere infolge der ödematösen
Schwellung des Ureters gar nicht oder sehr wenig sezernierte, weshalb
auch ihre eventuelle Funktion während der Chromozystoskopie sich der Be¬
obachtung entzog.
Wäre in diesem Falle der doppelseitige Ureterenkatheterismus aus-
geiührt worden, so hätte er sicher die Diagnose keineswegs gefördert,
sondern höchstens Verwirrung angerichtet, da er die Tuberkelbazillen des
in die Blase durchgebrochenen Psoasabszesses in die beiden gesunden
Nieren verschleppt hätte.
Dagegen scheuen wir uns nicht, in unklaren beginnenden Fällen, wenn
die Blasenschleimhaut intakt oder das Resultat der Funktionsprüfung
infolge geringer Differenzen zwischen rechts und links nicht eindeutig
ist, den doppelseitigen Ureterenkatheterismus auszuführen, welcher in
diesem Falle, mangels Kontakt mit tuberkulösem Material, als ungefähr¬
lich gelten kann.
Wir geben kurz folgenden Fall als Paradigma wieder:
25 jähriger Bankbeamter G. Seit 3 Monaten Druckgefühl in der rechten
Nierengegend. Urin trübe, enthält Albumen; im Sediment zahlreiche Leuko¬
zyten und rote Blutkörperchen. Blasenbefund: Kapazität 200 ccm.
Blasenschleimhaut und Ureterenmündungen normal. Chromozysto¬
skopie: Links nach 9 Minuten dunkelblau; lange, starke Sekretion; gutes
Oeffnen und Schliessen der Mündung. Rechts nach 9 Minuten ganz fein blau,
wird nach 12 Minuten zart blau. Durch die mangelhafte Funktion macht
der Urin den Eindruck eines schwachen Strahles. Gutes Oeffnen und
Schliessen. Ganz intensive Differenz zwischen links und rechts. Doppel¬
seitiger Ureterenkatheterismus: Urin rechts trübe, enthält
Albumen, rote und weisse Blutkörperchen, Zylinder und Tuberkelbazillen;
links leicht trübe, enthält einzelne Leukozyten und Erythrozyten. T i e.r-
versuch: Rechts positiv, links negativ.
Rechtseitige Nephrektomie. Heilung per primam.
Auch in den Fällen, in welchen die Chromozystoskopie den Verdacht
ergibt, dass es sich um eine doppelseitige Nierentuberkulose handelt,
führen wir gelegentlich den Ureterenkatheterismus auf beiden Seiten aus,
wenn die Möglichkeit vorliegt, durch Entfernung der einen schwer¬
kranken pyonephrotischen Niere, die andere, beginnend tuberkulöse Seite,
zu entlasten und den Allgemeinzustand durch Aufhebung der grossen
tuberkulösen Eiterhöhle zu heben.
Diesen Standpunkt hat der eine von uns (Joseph) auf dem inter¬
nationalen Urologenkongress 1914 vertreten. Wir fügen in folgendem
ein Beispiel hinzu, welches zeigt, von welcher ausgezeichneten pallia¬
tiven Wirkung die Entfernung einer tuberkulösen Pyotiephrose. trotz be¬
ginnender Erkrankung der anderen Seite, sein kann:
C. W., 23 Jahre, stud. phil. Sommer 1913 häufiger Harndrang. Juli 1913
5 .tarke Hämaturie. Untersuchung durch doppelseitigen Ureterenkatheterismus
in auswärtiger Universitätsklinik. Tierversuch rechts wie links positiv.
Operation abgelehnt und Aufenthalt im Süden oder in Aegypten vorgeschlagen.
Befund 30. Januar 1914: Gut genährter, ziemlich fetter, untersetzter Mann.
Gesicht etwas hektisch gerötet. Wegen starken Fettpolsters sind die Nieren
palpatorisch nicht zugänglich. Zystoskopie: Blase fasst 80ccm und ist
schwer klar zu spülen. Schliesslich gelingt die Besichtigung und ergibt,
dass die ganze Blasenhöhle von Geschwüren und Eiterflocken bedeckt und
kaum eine Stelle normaler Schleimhaut ausser nahe dem Blasenscheitel
zu finden ist. Der rechte Ureter ist auffallend gross und renalwärts zurück¬
gezogen, stark erweitert, kraterförmig an der medialen Seite ausgefranzt.
Der linke liegt normal, steht aber leicht offen. Im übrigen ist die Schleim¬
haut in seiner Umgebung weniger verändert als auf der rechten Seite. Aus
dem rechten Ureter entleeren sich rieselnd, fast ununterbrochen, trübe
Massen. Der linke Harnleiter sezerniert bereits 7 Minuten nach der Injektion
Indigkarmin. Der Strahl ist entsprechend dem Durst, welchen der Pat. zur
Vorbereitung innegehalten hat, kurz und spärlich, aber prompt. Kein Nach¬
sickern. Die linke Uretermündung bleibt nach der Sekretion leicht geöffnet
stehen und schliesst sich nicht vollkommen. Der Strahl wird in der nächsten
Zeit etwas dunkler, erreicht aber nicht ganz die normale Intensität: dafür
Nr. 3.
ist er aber sehr lange, noch über % Stunde nach der Einspritzung, zu be¬
obachten. Dementsprechend ist die abgelassene Blasenflüssigkeit der ersten
% Stunde nur schwachblau, der Urin nach 1 Stunde und nach Its Stunden
gut blau gefärbt. Dieser Befund wird in zweimaliger Untersuchung erhoben;
dabei wird weiterhin festgestellt, dass die rechte Niere ausser Eiter keinen
Farbstoff liefert, obwohl es bei oberflächlicher Betrachtung den Anschein
hat, als ob auch die rechte Niere noch Farbe produziert. Diese Täuschung
wird dadurch hervorgerufen, dass der linke Harnleiter sehr bald einen blauen
See am Blasengrund absetzt, welcher, infolge der mangelhaften Füllung
der Blase, bis an den in der Nähe liegenden rechten Harnleiter heranreicht
und von dem ausgestossenen Eiter des rechten Harnleiters erschüttert wird,
so dass bei nicht ganz genauer Beobachtung man an eine sickernde blaue
Sekretion der rechten Niere glaube könnte, ln den Tagen nach der Unter¬
suchung stellte sich Fieber bis 39,5 ein. Dabei ist auffälligerweise der
Harndrang geringer. Die rechte Niere ist jetzt deutlich fühlbar, aber nicht
schmerzliaft. Diagnose: Doppelseitige Nierentuberkulose, links beginnend,
rechts Pyonephrose. Vom Tierversuch wird Abstand, genommen, da das
Resultat durch auswärtige Universitätsklinik auf beiden Seiten bereits ein¬
wandfrei erhoben ist.
Am 5. Februar 1914 wird die m;chte Niere herausgenommen. Sie er¬
weist sich als eine tuberkulöse Pyonephrose mit stark verdicktem Harnleiter.
In den nächsten Tagen nach der Operation ist Pat. fieberfrei, klagt aber
über Schmerzen im rechten Hoden.. Dort ist eine pflaumengrosse, prall ge¬
spannte Schwellung des Nebenhodens nachweisbar. Anfang März 1914 ent¬
lassen mit geheilter Wunde, zwei Pfund Gewichtszunahme. Blasenbeschwer¬
den unwesentlich gebessert. Tuberkulose des Nebenhodens. Sonnenbehandlung.
9. April 1914 weitere zwei Pfund Gewichtszunahme. Steht nachts un¬
gefähr zweimal auf.
Der Pat. konnte in den folgenden Jahren, infolge unserer Abwesenheit
im Felde, nicht beobachtet werden. Nachfolgenden Bericht verdanken wir
Herrn Dr. Zabel- Rostock.
Winter 1916 120 Pfund Gewicht. Examen und Anstellung. Oktober 1918
plötzlich schwere Blutung und stärkere Blasenbeschwerden, welche sich auf
innere Behandlung derart besserten, dass Pat, beruflich keine Unterrichts¬
stunde ausfallen liess. Januar 1919 wieder Hämaturie und rascher Verfall.
Wir glauben durch vorstehende Krankengeschichte bewiesen zu
haben, dass durch die Fortnahme der Pyonephrose, trotz beginnender
Erkrankung der anderen Seite, der Pat. über 4 Jahre hindurch in relativ
gutem Zustand und längere Zeit berufsfähfg erhalten wurde.
Schlüsse:
1. Der Ureterenkatheterismus der gesunden Niere vor Exstirpation
der anderen, kranken Niere, ist bei Nierentuberkulose nicht ungefährlich
und kann eine schleichende Infektion der zweiten Niere vermitteln.
3v Der positive Befund von Tuberkelbazillen im Katheterharn der
zurückzulassenden Niere ist nicht für eine tuberkulöse Erkrankung der
zweiten Niere beweiskräftig, da die Bazillen von der Blase aus durch
den Ureterkatheter verschleppt werden können und dadurch künstlich
dem Urin beigemischt sind. Der positive Befund darf deshalb nicht ohne
weiteres als ein Gegengrund gegen die Operation der erkrankten Seite
gelten.
3. Für die operative Entscheidung genügt die Feststellung, dass die
zurückzulassende Niere chromozystoskopisch (Indigkarmin) gut funktio¬
niert.
4. Der doppelseitige Ureterenkatheterismus ist bei Nierentuberku¬
lose nur in Ausnahmefällen ai^zuwenden, in denen die Chromozysto¬
skopie kein einwandfreies Resultat liefert. Er kann in den ganz be¬
ginnenden Fällen, bei denen die Blase noch nicht ergriffen ist, als un¬
gefährlich gelten.
5. Bei nachgewiesener doppelseitiger Erkrankung ist es zweckmässig,
die schwerkranke pyonephrotische Seite zu entfernen, w'elche durch Eiter¬
produktion den Kräftezustand des Patienten erschöpft, und durch Er¬
zeugung von Blasengeschwüren die quälenden Schmerzen steigert. Mass¬
gebend für die Möglichkeit der Entfernung ist wiederum die Feststellung,
ob die zweite Niere ausreichend Indigkarmin liefert.
Literatur.
A 1 b a r r a n: Maladies chirurgicales du rein et de l’Uret^re. — Bauer¬
eisen: Ueber die Lymphgefässe des menschlichen Ureters. — Derselbe:
Beitrag zur Frage der aszendierenden Nierentuberkulose. (Zweite Folge.)
Zschr. f. gynäkol. Urologie 2. 1911. — Casper: Lehrbuch der Urologie.
2. Auflage. — Foulerton and Hi liier: On the urine in tuberculous
infektion. British Med. Journal. 21. Sept. 1901. — Geliert: Zur Dia¬
gnostik der Chirurg. Nierenkrankheiten. Mschr. f. Urol. 6. H. 1. — Hol¬
länder: Ueber den diagnostischen Wert des Ureterenkatheterismus für die
Nierenchirurgie. B.kl.W. 1897 Nr. 34 S. 740. — Joseph: Diagnose chir.
Nierenerkrankungen mit Hilfe der Chromozystoskopie. Diskussion dazu.
Verhandl. der Berl. med. Ges. 1912. — Derselbe: Erfahrungen mit der
Chromozystoskopie. B.kl.W. 1909 Nr. 19. — Israel: Was leistet der
Ureterenkatheterismus der Nierenchirurgie? B.kl.W. 1899 Nr. 2. — Der¬
selbe: Die Endresultate meiner Nephrektomien wegen Tuberkulose nebst
einigen diagnostischen Bemerkungen. Fol.' Urologica. 1. 1907. — Der¬
selbe: Ein ungewöhnlicher Fall von Tuberkulose des Harnapparates. D.m.W.
1913 S, 2295. — Kielleuthner: Genügt der Nachweis von Tuberkel¬
bazillen in dem durch Ureterenkatheterismus gewonnenen Harn zur Diagnose
der Nierentuberkulose? Fol. Urol. 7. 1912. — Kümmel und Graff: Die
Chirurgie der Nieren und Harnsleiter. Hb. d. pr. Chir. Bruns, Garrö
und Küttner. *4. 1914. S. 501. — Lüdke und Sturm: Die orthotische
Albuminurie bei Tuberkulose. M.m.W. 1911 Nr. 19. — Rosenberger:
The presence of tubercle bacilli in the urine of patient suffering with pul¬
monary tuberculosis. American Medicin, 3. Dez. 1904. — Schede: Die
Chirurgie der Nieren und Harnleiter. Hb. d. pr. Chir. Bergmann,
Bruns und Mikulicz. 3. 1903. — Simon: Die Nierentuberkulose
und ihre Chirurg. Behandlung. Beitr. z. klin. Chir. 30. H. l. — Stoeckel:
Zur Diagnose und Therapie der Blasen-Nierentuberkulose bei der Frau.
I Beitr. z. Klinik der Tuberkulose von L. Brauer. 1. H. 2. 1903. S. 129.
3
64
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
— Tosati: Studio sperimentale e eonsiderazioni sulla tuljercolosi renale
ascendente. La .clinica chirurgica. 18. 1. 1910, S. 23. — V o e 1 c k e r und
Joseph: Funktionelle Nierendiagnostik ohne Ureterenkatheterismus. M.m.W.
1903 S. 2081. — Wild bolz: Experimentell erzeugte aszend. Nierentuber¬
kulose. Zschr. f. Urologie 2. 1908. — Derselbe: Experimentelle Studie
über aszend. Nierentuberkulose. Fol. Urol. 3. 1909. — Zoeffel: Korze
Bemerkungen zur Frage der aszend. Nierentuberkulose und zur Fragender
Ausheilung der Samenblasentuberkulose nach Kastration. Zsch. f. Urologie 14.
1920. H. 11.
Aus der Staatlichen Frauenklinik Dresden.
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. E. Kehrer.)
Zur Klinik und Therapie der Extrauteringravidität.
(Eigenblutinfuslon.)
Von Prof. Dr. W. Rübsamen, Oberarzt der Klinik.
Die Fälle von Extrauteringravidität haben nach den Beobachtungen
der Dresdener Frauenklinik in den letzten Monaten und Jahren an Zahl
bedeutend zugenommen. Es kam^n im Jahre
1917 auf 1660 Geburten 3 = 1.8 Prom. Fälle von Extrauterin¬
gravidität,
1918 auf 1786 Geburten 6 = 3,4 Prom. ^älle von Extrauterin¬
gravidität,
1919 auf 2132 Geburten 18, =• 8.9 Prom. Fälle von Extrauterin¬
gravidität,
1.1. bis 15. III. 20 auf 518 Geburten 10 - 19.3 Prom. Fälle von
Extrauteringravidität,
1.1. bis 10. VII. 20 auf 1356 Geburten 16 = 11,6 Prom. Fälle von
Extrauteringravidität.
Bei Bewertung dieser Zahlen ist noch zu berücksichtigen, dass in
den Kriegsjahren die Zahl der eingeliefertcn sonstigen geburtshilflichen
Notfälle (Blutungen bei Placenta praevia, Uterusrupturen usw.) absolut
und relativ grösser war als in den ärztlich wieder günstiger versorgten
Jahren 1919 und 1920. Es handelt sich also bei den Bauchhöhlenschwan¬
gerschaften um eine 6Va—10 fache Frequenzzunahme, während eine
Geburtenzunahme von nur weniger als das Doppelte im selben Zeitraum
zu verzeichnen ist. Es liegt nahe die Ursache dieser unverhältnismässig
starken Vermehrung in dem häufigeren Auftreten der gonorrhoischen In¬
fektion zu suchen, aber diese Frage soll hier nicht genauer erörtert
werden.
Unter den von 1917 bis 1920 beobachteten 42 Fällen — ein weiterer
Fall war auf dem Transport nach der Klinik gestorben —, fanden sich
38 Tubargraviditäten, je 2 mal wurde interstitielle Gravidität bzw.
Schwangerschaft im rudimentären Nebenhorn festgestellt
Bezüglich der Behandlung nehmen wir den Standpunkt ein, dass es
indiziert ist, jeden sicher erkannten Fall so bald als möglich zu laparo-
tomieren, auch die Fälle von Tubenabort denn mit Nachschiibblutungen
müssen wir auch hier rechnen und die Ciefahr des operativen Eingriffs
ist geringer als die Gefahr des Abwartens. Wie schon Fritsch be¬
tonte, lassen sich die Aussichten der Operation berechnen, die Zufällig¬
keiten des Abwartens dagegen nicht Dv Ansicht einiger Autoren, die
den Standpunkt vertreten, Fälle von geplatzter Bauchhöhlenschwanger¬
schaft im Schock nicht zu operieren, können wir nicht beipflichten, denn
Schock und innere Blutung sind nahe verwandte klinische Bilder 'und
lassen sich schwer auseinanderhalten. Wir haben es niemals bedauert,
sofort ohne besondere Vorbereitungen der Patientin, operiert zu haben.
Unter den von mir selbst oder unter meiner Anleitung von unseren
Assistenten seit 1917 operierten 29 Fällen befanden sich 2 interstitielle
und 1 Nebenhornschwangerschaft; die primäre Mortalität betrug 0 Proz.
Einen Fall von interstitieller Gravidität verlor ich am 15. Tag nach der
Operation an einer Gonokokkenperitonitis.
In sehr schweren Fällen w'urde ohne jegliche Narkose oder An¬
ästhesie, in leichteren Fällen in Sakralanästhesie operiert; es sei aber an-
dieser Stelle vor gleichzeitiger Verabreichung von Morphium (Atem¬
zentrum) gewarnt und ferner darauf hingewiesen, dass bei anämischen
Patientinnen die Novokaindosis von 0,7 g nicht überschritten werden darf;
denn die in der Agone oft sehr unruhigen Frauen sind schon durch sehr
geringe Narkotikamengen zu beruhigen. Neuerdings neige ich dazu, in
akuten Fällen eine leichte Aethernarkose der Sakralanästhesie vor¬
zuziehen, nicht nur wegen der Zeitersparnis, sondern vor allem deswegen,
weil die ausgeblutete Patientin, wie erwähnt, auf Novokain sehr stark
und lange reagiert., Das in die Bauchhöhle ergossene Blut verwenden
wir — vorausgesetzt, dass es nicht infiziert oder zersetzt ist — zur
Reinfusion, auf die später näher eingegangen wird. In allen infizierten
oder infektionsverdächtigen Fällen desinfizierten wir die gut ausgewischte
und gereinigte Bauchhöhle vor Schluss des Peritoneums nach dem Vor¬
gänge von Florschütz durch Eingiessen von etwa V* Flasche
— 25 ccm Narkoseäther, der bei Körpertemperatur kocht und nachher
gründlich wieder ausgetupft wird Bleibt der Aether längere Zeit in
der Bauchhöhle, so wird er resorbiert und wirkt allgemein-narkotisch.
In mehr als 50 Fällen der Dresdener Frauenklinik haben wir von diesen
von mir bereits im Felde angewandten prophylaktischen und thera¬
peutischen Aetherdesinfektionen nur Gutes gesehen, das Auftreten von
sekundären intraabdominalen Verw'achsungen wurde danach nie be¬
obachtet. Bei eitrigem Bauchinhalt, z. B. Tuberkulose oder Gonorrhöe,
wmrde die extraperitoneale Bauchwunde vor der Naht gejodet und auch
davon haben wir Günstiges gesehen, wogegen durch Carreldesinfektion
die Bauchdecken nicht vor Vereiterung geschützt wurden. Bei Desinfek-
Digitized by Goiisle
tion des Bauchinhalts durch D a k i n sehe Lösung (Natriumhypochlorid¬
lösung) wird das Zustandekommen von Verwachsungen begünstigt, wie
ich in einem erfolgreich operierten, von aussen infiziert eingelieferten
Fall von Uterusruptur mit Prolaps der Darmschlingen in die Scheide
1917/18 gesehen habe. Wir werden diese Methode also nur an wenden,
w^enn das Zustandekommen von Verwachsungen erw^ünscht ist
Zur Bekämpfung der lebensbedrohlichen Blutung bei der Extrauterin¬
gravidität wurde von Thies (1914) der Vorschlag gemacht, das körper¬
warme, in die Bauchhöhle ergossene Blut intravenös oder intramuskulär
wieder zuzuführen. Dieser Vorschlag wurde hauptsächlich von Lich¬
tenstein aufgenommen; ferner teilen besonders Ostwald, Roe-
delius, V. Arnim,Burchhardt, Kulenkampff,Friedemann
und Opitz auf diese Weise behandelte Fälle mit; neuerdings empfehlen
auch B u m m und D ö d e r l e i n das neue Verfahren, v. Arnim- Kiel
uijd Opitz halten die Eigenblutinfusion nicht für harmlos; beide haben
danach gelegentlich vorübergehend leichte Somnolenz, Unruhe und
Ikterus auftreten sehen und auf die Methode bezogen. Von chirur¬
gischer Seite (Zusammenstellung s. b. R o e d e 1 i u s, B.kl.W. 1919 Nr. 35)
ist ausnahmslos warm für die neue Methode bei Brust- und Bauchhöhlen¬
blutungen verschiedenster Ursache eingetreten worden.
Von mir wurde an der hiesigen Klinik die Eigenblutinfusion 18 mal,
davon in 6 Fällen intramuskulär und 12 mal intravenös in Anwendung
gebracht. In diesen letzten 12 Fällen handelte es sich um frische Rup¬
turen oder Nachschubblutungen mit den bekannten akuten lebensbedroh¬
lichen Erscheinungen; 4 dieser Frauen kamen pulslos, 2 moribund auf
den Onerationstisch. Auf Grund des von Lichtenstein geprägten
Satzes: „Ohne Eigenblutinfusion sollte keine wegen Tubenusur operierte
Frau mehr an Verblutung sterben“, haben wir in diesen Fällen das neue
Verfahren angewandt, obgleich unsere Resultate auch früher keine
schlechten waren.
Die intramuskuläre Anwendung geschah in denjenigen Fällen, in
denen keine bedrohlidien Erscheinungen vorhanden waren, damit das
wertvolle Blut dem Körper nicht verloren zu gehen brauchte.
Früher haben auch wir an der Klinik die intravenöse Kochsalzinfusion
angewandt und waren auch damit zufrieden; um die meist rasch er¬
folgende Ausscheidung der Kochsalzlösung aus dem Gefässsystem zu ver¬
hindern, hat K e s t n e r zwecks Vermehrung der Viskosität einen Zusatz
von Gummi arabicum empfohlen; ich habe diese neue isovisköse Lösung
1916/17 im Felde auf Empfehlung Kestners angewandt und muss fest¬
stellen, dass ihre Wirkung nachhaltiger ist als die der gewöhnlichen
physiologischen NaCl-Lösung.
Unsere Technik der Eigenblutinfusion ist einfach: Ausschöpfen des
Blutes aus der Bauchhöhle mittels Schöpflöffels, Filtrieren durch mehr¬
fache Gazelagc in einen mit 500 ccm physiologischer Kochsalzlösung
beschickten grossen, doppelwandigen Irrigator mit Ventil zur Verhütung
der Luftembolie (nach Rübsamen, M.m^. 1911 Nr.49); ein Zusatz
von Natriumzitrat ist nicht erforderlich, da das ergossene Blut bereits
von selbst defibriniert ist (Fibrinogenmangel!). Die Freilegung der Vene
und Einführung der stumpfen, vorn gerade abgeschnittenen Metallnadel
(Abschnüren, nicht Stauen!) wird bereits bei Beginn der Bauchopera¬
tion von einem Assistenten vorgenommen und mit der Infusion alsbald
nach erfolgtem Abklemmen der blutenden Gefässc begonnen. Die wieder
eingeführten Blutmengen schwankten zwischen 300 und 3000 ccm. Bei
einer pulslos zur Operation gekommenen Patientin fand sich ein frischer
reitender Thrombus an der Einmündungsstelle der V. mediana cubiti
in die Vena cephalica. Nach Abbinden der Venen beiderseits des Throm¬
bus erfolgte die Infusion in die Vene basilica und die Rekonvaleszenz
verlief ungestört.
Zur Beurteilung des Erfolges der Eigenblutinfusion ist zunächst fest¬
zustellen, dass Schädigungen oder Nachteile von uns hiebt
beobachtet wurden, vielleicht beruhen die von O'p i t z und v. Arnim
festgestellten Symptome: „leichte Somnolenz und Unruhe“ auf kleinen
Luftembolien, die sich bei der gewöhnlichen Tricht-'rintu$ion nicht immer
vermeiden lassen und uns veranlasst haben, den obenerwähnten Infusions¬
apparat anzuwenden. Der von Opitz gesehene Ikterus bemht wohl
auf einem sekundären Zerfall eines Teiles der reinfundierten Blutkörper¬
chen, der besonders dann, wenn Natriumzitrat zugefügt wurde, nach eini¬
gen Tagen eintritt; es handelt sich um einen Pseudoiktems, der übrigens
auch von B r ö s e an der Klinik Olshausen nach der früher auch von
uns geübten intraabclominalen Zurücklassung der flüssigen Blutanteile be¬
obachtet wurde. Unsere Auffassung über den schädigenden Einfluss des
Natriumzitrats bestätigt neuerdings Nürnberger, der angibt, dass
nach Kornfeld schon das Verschlucken von 9,85 g Zitronensäure bei
einer Schwangeren zu tödlicher Vergiftung führte.
, Das subjektive und körperliche Verhalten war in allen Fällen ein
'weitaus besseres als nach der gewöhnlichen Kochsalzinfusion. Es wurde
von mir 1917 ein Fall behandelt, in dem die moribunde Patientin 15 Mi¬
nuten nach Ankunft des Autos fertig operiert im warmen Bett lag und
eine intravenöse Kochsalzinfusion und Herzmittel bekam; jedoch erst
nach 5 Stunden lang durchgeführter künstlicher Atmung und -Sauerstoff-
inhalation fing sie an. sich zu erholen und spontan zu atmen; Derartiges
wurde nach der Eigenbluttransfusion von uns auch in den schwersten
Fällen nicht gesehen. Vor allem war es dabei nicht nötig, beson¬
dere Mengen von Exzitantien zu verwenden, denn die biologische Blut¬
transfusion wird bekanntlich als Herzstimulans auf die Dauer von keinem
anderen pharmakologischen Mittel erreicht. Ohnmächten nach der Eigen¬
blutinfusion kamen nicht zur Beobachtung. „Glänzender Puls, vorzüg¬
liche Atmung, glänzendes Aussehen, rote Lippen und Wangen“ bald
nach dem Einfliessen konnten nur auf diese Blutinfusion bezogen wer¬
den. Zweimal wurden sterbende Patientinnen nach Ansicht aller Be-
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
luar 1921.
MÜNCHENEt^ MEDIZINISCHE WOCHENSCHRfFt.
b5
teiligten durch die Eigenblutinfusion gerettet. Nach der Kochsalzinfusion
bleiben die Leute trotz guten Pulses blass und atmen schlecht.
In allen unseren Fällen hatten wir den Eindruck, dass die Rekon-
\aleszenz durch die Reinfusion bedeutend abgekürzt wurde, eine be¬
sondere Temperatursteigerung nach der Blutwiedereinvcrleibung haben
wir niemals beobachtet.
Auch die von Thies zuerst angewandte intramuskuläre Anwendung
(6 Fälle) bedingte eine Abkürzung der Rekonvaleszenz, offenbar infolge
einer Reizung der blutbildenden Organe des Knochenmarks, d. h. die
Blutregencration im Sinne rascher Wiederherstellung normalen Hämo¬
globingehalts war eine unverkennbare; dabei war hier die Quantität
des reinfundierten Blutes nicht massgebend.
Gegen den drohenden mechanischen Verblutungstod im Sinne von
Q 0 11 z*„Leergehen der Herzpumpe“ genügt die Kochsalzinfusion; bei
der Tubenruptur kommt es jedoch nicht alkin zu einer Flüssigkeitsver¬
minderung im Gefässsystem, sondern es besteht vor allem die (jefahr
des „funktionellen Verbiutungstodes“, gegen den dann keine Kochsalz-
inhision mehr nützen kann, wenn die roten Blutkörperchen ein Minimum
imtcrsckritten haben; in solchen Fällen hilft nur die Blutüberpflanzung,
d. h. die rasche Zufuhr lebensfähiger Sauerstoffträger, denn diese allein
können den mit Atemnot, weiten Pupillen, Bewusstseinsverlust auftreten¬
den „Lufthunger“ beseitigen. Letzten Endes eintretende Konvulsionen,
Untersichlassen von Urin und Kot mahnen zur grössten Eile, damit auch
die Eigenbliitinfusion nicht zu spät kommt. Die neuerdings wieder
eingeführte und von Wederhake empfohlene Bluttransfusion von
Mensch zu Mensch kann mit der Eigenblutinfusion nicht die Wage halten
lE s c h, Opitz), da bei letzterer, wie besonders R o e d e 1 i u s betonte,
körpereigene rcÄe Blutkörperchen und mit ihnen körpereigenes, mit
wichtigen Schutz- und Reizstoffen versehenes Serum in den Kreislauf
zurückgebracht wird, die einerseits das Knochenmark zur Blutncubildung
anregen, andererseits den günstigen Verlauf der Rekonvaleszenz gewähr¬
leisten. Die Transfusion von Mensch zu Mensch wäre das einzige
Konkurrenzverfahren ^er Eigenbliitinfusion, aber erstens ist die geeignete
Spenderin in akuten Fällen meist nicht sofort zur Stelle und ferner
hätte man vorher im serologischen Laboratoriumsversuch die beiden Blut¬
arten miteinander in vitro zusammenzubringen; aber dadurch können kost¬
bare Stunden verloren gehen, ln solchen Fällen, wo wir das Eigenblut
nicht infundieren konnten, weil es infiziert oder vollkommen geronnen
war, machten wir die Kochsalzinfiision mit gleichzeitiger intramusku¬
lärer Injektion von körperfremdem Blut, auch diese Methode reizt zur
Regeneration stark an.
Unsere Beobachtungen haben gezeigt, dass die Eigenbliitinfusion ein
ausserordentlich wirksames Verfahren darstellt, von dem wir nur Vor¬
teile, jedoch niemals Nachteile gesehen haben. Wir halten uns in allen
lebensbedrohlichen Fällen von innerer Blutung bei Bauchhöhlenschwan¬
gerschaft nicht nur für berechtigt, sondern für verpflichtet, die neue Me¬
thode unter Einhaltung der erforderlichen Vorsichtsmassregein in An¬
wendung zu bringen.
Aus der II. med. Universitätsklinik der Charite in Berlin.
(Direktor: Geh. Rat Kraus)
Die Beurteilung therapeutischer Erfolge bei Vorhof¬
flimmern mit Herzinsuffizienz auf Grund der Ohmschen
Venenpulskurve.
Von E. Leschke und R. Ohm. -
Die Beschreibung des nachfolgenden Falles stellt ein Beispiel aus
einer Reihe gleichartiger Fälle von Arythmia perpetua mit
Herzinsuffizienz dar, die durch Chinidin oder Verodigen günstig
beeinflusst wurden, wobei der Rückgang der Stauungen im
Herzen selbst an der Hand fortlaufender Venenpulsrcgistrierungen
deutlich erkennbar war.
Es handelt sich um eine 50 jährige Frau, die im Alter von 11 Jahren an
Veitstanz erkrankte; von einem Herzleiden im Anschluss daran ist ihr nichts
bekannt. Erst vor 2 Jahren stellten sich Herzklopfen, Atemnot und Schwel¬
lung der Beine ein. Trotz ärztlicher Behandlung ist sie seitdem nicht wieder
voll arbeitsfähig gcw'orden. In letzter Zeit w'urden Atemnot, Herzklopfen
und Schwellungen am ganzen Körper so stark, dass sie am 21. November
1919 die Charitce aufsuchte.
Die klinische Untersuchung ergab eine enorme Herzerweiterung (C o r
b o V i n u m). Die Herzdämpfung reicht nach links bis zur vorderen Axillar-
finie; nach rechts 2 Querfinger über den rechten Brustbeinrand. Die ortho-
•jiagr.'iphischen Masse sind: M. 1. 11,0cm. M. r. 6,7cm. L. 18.5cm. Ueber
dem ganzen Herzen hört man, am lautesten über der Spitze, ein präsystoli¬
sches Geräusch; der zweite Pulmonalton ist verstärkt. Der Puls ist leidlich
ztfüfit. massig gespannt und dauernd unregelmässig (Pulsus irreg ii-
laris perpetuus); der Blutdruck beträgt 105: 162 mm Quecksilber.
Das Elektrokardiogramm zeigt Vorhofflimmern; der Venenpuls
der ausserordentlich stark angeschwollencn Drosselvenen ist schon bei der
Besichtigung als deutlich positiv zu erkennen.
Die Zeichen der Herzinsuffizienz äussern sich ira übrigen in
einer Sta uungsbronchitis mit Herzfehlerzellen im Auswurf;
in einer Vergrösserung der Leber, die dreifingerbreit unter dem
'e:htcn Rippenbogen tastbar ist, sowie in Schwellungen der Ftisse.
Die Harnmcnge betrug nur 500 ccm bei einem spez. (5ew. von 1025. Ei-
*eiss- und Sedimentbefund negativ.
Die Untersuchung der übrigen Organe und des Blutes ergab keine Be¬
sonderheiten.
Der Patientin wurde am 21. November bei völliger Bettruhe eine
Karelische Kur verordnet: vom 23. XI. ab c'rhiclt sie 3 mal täglich 0.1 g
Digitized by Goi>sle
I Digipurat mit 0,5 g Diurctin. Daraufhin sank die Pulsfrequenz von 118 auf
j 104, ohne dass jedoch der Puls dabei regelmässiger wurde. Die Harnmenge
; nahm auf 1300 bis 1900 ccm zu, das Körpergewicht von 56,0 auf 52.6 kg ab.
i Vom 25. XI. ab erhielt die Patientin bis zum 9. XII. 3 mal täglich anfangs
O, 4 g Chinidin s u I f u r., vom 2. bis 5. Xli. wurde die Dosis sogar auf
4 mal 0,4 g gesteigert. Unter dieser Behandlung sank die Pulsfrequenz von
104 auf 60—70. Die Diurese blieb weiter gut, alle Stauungsei scheinungen
gingen zurück.
Vor allen Dingen wurde der Puls mehr und mehr regelmässig.
Schon am 7. XII. zeigte das Elektrokardiogramm*) zum ersten
Male deutliche Vorhofzacken trotz einer noch immer
bestehenden Unregelmässigkeit, und am 9.1.20 ist die
elektrokardiographische Kurve vollkommen regelrecht mit
guter Ausprägung der Vorhofzacken und ganz regel¬
mässig. Es besteht etwas verlängerte Ueberleitungszeit mit einem
P. -R.-Intervall von 0,15 Sek.
Besonders augenfällig sind die Veränderungen der Venenpuls¬
kurve, auf die wir im folgenden näher eingchen wollen, weil sie einer,
objektiv graphisch darstellbaren feinen Massstab für die Beurteilung der
mechanischen Leistung des Herzens darstellen. Die Kurven sind mit
dem Ohm .sehen Verfahren aufgenommen worden.
Kurve 1—3: Oben Vcnenpuls, unten Herztöne: I, 11 - erster, zweiter
Herzton, pr — präsystolische oder Vorhofsschwankung. s “ systolische
Welle (Ansp:innungsschw'unkung) des Venenpulses, sk -- systolischer Venen¬
kollaps, sr systolische Rückstauungswelle, d - diastolische Schwankung.
d
Kurve I. Vor der Behandlung: positiver Venenpuls. Fehlen der Vorhof-
wclle und des systolischen Vencnkollapses.
a
in IM
Kurve 2. Während der Behandlung: Uebergang zum normalen Venenpuls.
Andeutung einer präsystolischen Vorhofwelle und eines systolischen Venen¬
kollapses. Diastolischer Abfall verlängert.
II IM
Kurve 3. Nach der Behandlung: Normaler (negativer) Venenpuls mit Vorhof-
wclle und normalem systolischem und diastolischem Venenkollaps.
Bei der ersten Aufnahme (Kurve 1) vor Einsetzen der Therapie
ist der Venenpuls stark positiv; die Kurve fällt nur diastolisch 3b.
•Bei der zweiten Aufnahme (Kurve 2), nach Einsetzen der Therapie, zeigt
die Kurve einen Uebergang zum negativen (normalen)
Venenpuls. Es ist hier der diastolische Abfall noch
deutlich verlängert als Ausdruck noch bestehender Stauung im
rechten Herzen, aber auch der systolische Abfall tritt
rudimentär hervor. Bei der dritten Aufnahme (Kurve 3), zu
einer Zeit, wo klinisch alle Stauungserscheinungen, verschwunden sind,
ist der Venenpuls annähernd normal, mit dem charakteristi¬
schen systolischen Abfall und einem annähernd nor¬
malen Abfall in der Diastole.
. Unsere Fälle, von denen der angeführte ein Beispiel ist, zeigen ab¬
gesehen von der Beseitigung der perpetuier liehen
Arhythmie durch die medikamentöse Behandlung
auch die dabei erzielte Hebung der mechanischen Herz¬
kraft. Vor allem aber möchten wir auf die Möglichkeit hin-
weisen, mit Hilfe einer exakten Volumkurve des Veneii-
*) Wir verzichten aus Raummangel auf die Wiedergabe der Elektro¬
kardiogramme, die vor der Behandlung typisches Vorhofflimmern mit per-
petueller Arhythmie, nach der^ Behandlung normale Kurve zeigen.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
66
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
pu 1 ses (vergl. Ohms frühere Arbeiten) die Besserung der
mechanischen Leistung des Herzens bezüglich des
Rückgangs der Stauungen im Herzen selbst zu be¬
urteilen.
Aus dem Veisorgungslazarett Heimatdank, Leipzig.
* (Chefarzt: Sanitätsrat Dr. Martin Müller.)
Die Endformen der DiaphysenstUmpfe.
Von Dr. Heinrich Benecke, Leipzig.
Wenn man Gelegenheit hat eine grössere Anzahl von Operations¬
stümpfen der unteren Extremitäten zu beobachten, so muss man zu¬
geben, dass in der Mehrzahl der Fälle die Klagen der Amputierten über
ihre Stümpfe berechtigt sind. Gewöhnlich sind es Druckstellen am
Stumpf, die sich infolge von osteophytischen Wucherungen, Neurom¬
bildungen, ungünstig gelegenen Narben und Muskelatrophien immer wieder
zeigen und den Kranken in fast regelmässigen Zeitabschnitten ver¬
anlassen, die Hilfe des Arztes wieder in Anspruch zu nehmen. Dieser
ist dann oft gezwungen, einmal eine Abänderung der Prothese, einmal
eine operative Korrektur des Stumpfes vorzunehmen, um das Tragen der
Prothese wieder zu ermöglichen. Diese als „Stumpfelend“ allerwärts
bekannte Erscheinung hat es mit sich gebracht, dass auch ärztlicherseits
zuweilen die Ansicht vertreten ist, wirklich tragfähige Diaphysen-
stümpfe gebe es nur ausnahmsweise.
Die Annahme, dass Stümpfe, bei denen der Knochen innerhalb des
Schaftes abgesetzt ist. bei denen also die Markhöhle im Gegensatz‘zum
Pirogoff, Gritti oder der osteoplastischen Methode nach Bier keinen
physiologischen, knöchernen Abschluss gefunden hat. nicht tragfähig
sind, ist früher und jetzt wieder durch die Erörterungen auf dem dies¬
jährigen orthopädischen Kongress zu Dresden widerlegt worden.
Es sei mir gestattet, auf Grund von 170 Fällen, die ich seit Sep¬
tember 1918 an dem Orthopädischen Versorgungslazarett Heimatdank
in Leipzig zu operieren Gelegenheit hatte, auch meinerseits Beob¬
achtungen und Erfahrungen bekanntzugeben, die mir geeignet erscheinen,
dem Bestreben, wirklich tragfähige Diaphysenstümpfe zu schaffen,
förderlich zu sein.
Alle Operationen, die ich zur Verbesserung von Stümpfen vorge¬
nommen habe, waren indiziert von den bekannten Erscheinungen, die
den Amputierten das Tragen von Prothesen infolge der damit ver¬
bundenen Schmerzen unmöglich machen, und die beruhen auf:
1. Geschwürs- und Fistelbildungen.
• 2. Knochen-, Peiiost- oder Markwucherungen.
3. Weichteilnarben mit oder ohne Neurombildungen.
4. Muskelatrophien.
Abgesehen von denjenigen Fisteln, denen ein Sequester oder Fremd¬
körper (Geschosssplitter. Tuchfetzen etc.) zugruilde liegt, handelt es sich
bei diesen Erscheinungen ganz allgemein um narbige Prozesse mit Ver-
ändemngen regressiver oder proliferierender Art. Als Ziel der Ope¬
ration ergibt sich daher von selbst folgendes:
1. möglichst ausgiebige Eliminierung aller narbigen und geschwü-
rigen Veränderungen der Weichteile und des Knochens,
2. Verwendung des zurückgebliebenen normalen Stumpfmaterials zur
Bildung eines tragfähigen Stumpfes.
Hält man sich peinlichst an diese beiden springenden Punkte der
Operationstechnik, an die ausgiebigste Eliminierung alles entbehrlichen
Narbenmaterials und an die geeignete, plastische Verwendung der Mus¬
kulatur und der Haut, so glaube ich, dass es in vielen Fällen gelingen
wird, einen tragfähigen Stumpf zu* erzielen; also nach Gocht und
Pürckhauer ..einen Stumpf, auf dessen peripherer Endfläche der
Kranke imstande ist. das Gewicht des Körpers beim Stehen und Gehen
so wie auf dem normalen Fuss ohne objektive Schädigung und ohne sub¬
jektiven Beschwerden anhaltend zu tragen, und ohne dass die sonstige
Stumpfoberfläche oder höher gelegene Knochenflächen zum Mittragen
des Körpergewichtes herangezbgen werden“.
Dass die Ausführung der stumpfverbessernden Operationen nicht
schematisiert werden kann, liegt auf der Hand. Die Beschaffenheit der
Stümpfe ist in jeder Beziehung so verschieden, dass man niemals von
vornherein entscheiden kann: hier ist die oder jene Methode angebracht.
Aber gerade weil das operatiye Vorgehen von so vielen Momenten ab¬
hängig ist, erscheint es mir zweckmässig, eine Scheidung des Ope¬
rationsmaterials In zweierlei Hinsicht vorzunehmen und dann gewisse
Normen aufzustellen. Ich nehme die Einteilung so vor:
1. Handelt es sich um einen Ober- oder Unterschenkelstumpf?
2. Muss die Korrektur bei einem kurzen oder langen Stumpf vor¬
genommen werden?
Jeder, der die Stumpfverhältnisse an einer grösseren Anzahl von
Fällen beobachtet hat. weiss, dass die Ernährung am Unterschenkel eine
weit mehr ausschlaggebende Bedeutung besitzt als die des Oberschenkels.
Alle ausgedehnteren Haut- und Muskelplastiken, die man am Ober¬
schenkel dank seiner günstigen Zirkulationsverhältnisse ohne grosses
Risiko vornehmen kann, erfordern am Unterschenkel mit seinen teils
sichtbaren varikösen Erweiterungen teils seinen ausgebreiteten intra¬
kutanen Venektasien und den damit stets verbundenen venösen Stauungen
eine Vorsicht, deren Vernachlässigung man oft genug mit einer Nekrose
der den Stumpf bedeckenden Haut und dadurch eventuell einem Miss¬
lingen der ganzen Nachoperation bezahlen muss. Während man am
Digitized by Goiisle
Oberschenkel die Haut gewöhnlich in weiter Ausdehnung ablösen und
unterminieren darf und dann mitsamt der Muskulatur unter grosser
Spannung über dem Knochenstumnf vernähen kann, Ist am Unterschenkel
die Haut nach Möglichkeit in Zusammenhang mit der Muskulatur zu
lassen und bei der Hautnaht auch die geringste Spannung zu vermeiden.
Die Bedeckung der Sohlenfläche des Stumpfes »^it normaler Haut halte
ich stets für das erstrebenswerteste Ziel. Statt also die Haut unter
grösserer Spannung über dem Stumpf zusammen7”7iehen und das Risiko
einer Nekrose zu übernehmen, ziehe ich vor, eine Hautplastik durch
Bildung seitlich gestielter Lappen nach Zeis und Schanz oder einer
doppelt gestielten Hautbrücke nach S a m t e r auszuführen und decke
einen eventuell seitlich des Stumpfendes entstandenen Hautdefekt gleich¬
zeitig mit T h i e r s c h sehen Transplantationen. Erwähnen möchte ich
noch, dass ich auf diese Weise bisher stets ohne Lappenbildung aus dem
anderen Bein (H e 1 f e r i c h, H a n s und K a t z e n s t e i n) ausgekommen
bin, eine Methode, die zum mindesten keine leichte Geduldsprobe für den
Kranken bedeutet.
Als zweites für das operative Vorgehen massgebende Moment
kommt in Betracht, ob es sich um lange, d. h. proximal der Diaphysen-
mitte, oder kurze, also distal der Diaphysenmitte abgesetzte Stümpfe
handelt.
Bei jeder Nachamputation gilt als erster Grundsatz: Grösste Spar¬
samkeit bei jeder nötigen Knochenkürzung. Von diesem Grundsatz wird
man stets geleitet werden, wenn man sich klarmacht, dass bei der
Mechanik des Gehens der Knochenstumpf der bewegende Hebelarm ist,
und dass die Kraft des Hebels nach physikalischem Gesetz proportional
seiner Länge ist. Daraus folgt, dass bei an sich kurzen Amputations¬
stümpfen die Knochenkürzung erst recht an Bedeutung gewinnt. Bei
langen Amputationsstümpfen hat nun die Erfahrung gelehrt, dass die
peinliche Befolgung des oben angeführten Grundsatzes zuw'eilen auf
Kosten einer guten plastischen Deckung des Knochens mit Muskulatur
und Haut erfolgt ist. Es hat sich gezeigt, dass bei langen Amputations¬
stümpfen in bezug auf die spätere Funktion eine zweckentsprechende
— natürlich nicht zu reichliche Knochenkürzung — oft w'eniger wichtig
ist gegenüber der Möglichkeit einer sorgfältig durchzuführenden Weich-
teilplaslik. Ganz besonders möchte ich bei langen Unterschenkel¬
stümpfen diese letztere Methode als die zweckmässigere empfehlen, die
mir jedenfalls in den allermeisten Fällen bei den Kranken subjektiv wie
objektiv bezüglich der Stumpffunktionen die besseren Reseltate er¬
geben hat.
Wie verhalten sich nun im allgemeinen die Stümpfe jener Kranken,
die zur Behebung ihrer Beschwerden und zur Anpassung der Prothese
die Hilfe des orthopädischen Chirurgen aufsuchen? Ich möchte die
Frage kurz so beantworten, dass die Beschaffenheit des Stumpfes sich
einerseits nach der primären Operationsmethode andererseits nach dem
Wundverlauf richtet. Gocht macht meiner Meinung nach mit Recht
einen Unterschied zwischen Kriegsdiaphysenstiimpfen und Friedens-
diaphysenstümpfen ganz besonders für die erste Zeit des Krieges. Es
ist verständlich, dass wie bei allen chirurgischen Massnahmen an der
Front auch die Amputationen in erster Linie den Charakter einer lebens¬
erhaltenden Operation trugen, dass also infolge der Ungunst der Front-
verhältnisse und vor allem auch infolge der grossen Infektionsgefahr
aller Verwundungen in den allerw'enigsten Fällen daran zu denken war,
schon mit der primären Amputation eine für die Prothese geeignete End¬
form des Stumpfes zu erzielen. Es wurde der Zweck Im allgemeinen
erreicht mit der primitivsten aller Amputationsmethoden, die namentlich
zu Beginn des Feldzuges weit verbreitet war, mit der queren, bereits
von C e 1 s u s geübten Absetzung in einer Ebene, dem einzeitigen Zirkel¬
schnitt ohne Rücksicht auf die spätere Retraktion der Haut und der Mus¬
kulatur. Mit der Besserung der Operationsverhältnisse im Felde durch
Stabilisierung der Front, Regelung des Krankentransportes etc. und den
sich mehrenden Erfahrungen wurde zwar die quere Amputation, die
u. a. von Ma11i und Borchers heftig bekämpft wurde, mehr und
mehr von dem zweizeitigen Zirkelschnitt oder dem einfachen Lappen¬
schnitt abgelöst, aber die Bildung eines späteren Ulcus prominens wurde
damit nur zum Teil verhütet. Eine exakte Weichteilnaht verbot sich bei
den meisten Fällen an der Front infolge der Wundinfektionsgefahr, lang¬
dauernde Eiterungen mit Sequesterbildungen, sowie entzündliche und
narbige Weichteilveränderungen traten ein. und wenn der Heilungs¬
prozess nach Wochen und Monaten bis etwa auf ein Ulcus prominens
oder eine Fisteleiterung abgelaufen war, so blieb immerhin ein Stumpf
zurück, der ausser diesen Uebeln noch so starke Veränderungen an
Periost- und Knochenwucherungen. Narben- und Neurombildungen auf¬
zuweisen hatte, dass jedes Anpassen und Tragen einer Prothese meist
an der grossen Schmerzhaftigkeit scheiterte. Kein Wunder, dass sich
bei diesen „Kriegsdiaphysenstümpfen“ zu Beginn des Krieges bei 90 bis
95 Proz., 1916 nach Payr in 75 Proz. und später nach Jansen in
64 Proz. eine Nachoperation nötig machte. Ich selbst habe im Leipziger
Versorgungslazarett Heimatdank nur in etwa 50 Proz. der Fälle eine
operative Stumpfkorrektur vorgenommen, glaube aber, dass diese Zahl
insofern mit den Angaben von Jansen übereinstimmt, als eben unser
orthopädisches Lazarett auch denen Aufnahme gewährt, die lediglich
zur Anpassung und Lieferung der Ersatzglieder uns überwiesen werden,
bei denen also bereits in früheren Lazaretten stumpfverbessernde Nach¬
operationen ausgeführt wurden.
Wie sind die anfangs erwähnten Stumpfbeschwerden zu deuten?
Inwiefern geben sie uns die Indikation zur operativen Nachbehandlung?
Auf welche Weise sind wir am besten imstande, diete Beschwerden
günstig zu beeinflussen?
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
m.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
6f
f pas Ulcus prominens ist die Folge des Missverhältnisses
fchen Länge des Knochen- und Weichteilstumpfes. Aetiologisch
:en bei der Entstehung zwei sich summierende Faktoren: auf der
n Seite die Retraktion der Weichtelle bei jpieist nicht genügend hoch
liüputiertem Knochen, auf der anderen Seite Wucherungen von seiten
des Periosts, ganz besonders aber von seiten der Markhöhle. Als
Chirurg hat man ja oft genug Gelegenheit, diesen pilzförmig aus dem
KBOchenschaft herausgequollenen Markkallus zu beobachten, der be¬
weist, dass bei der früheren Amputation weder eine Osteoplastik noch
die aperiostale Methode B u n g e s Anwendung fand. Dass solche
Ulcera prominentia im allgemeinen eine Kontraindikation für das
Tragen von Prothesen bilden, erscheint mir so selbstverständlich, dass
ich es kaum erwähnen möchte. Wenn bie und da die Ansicht herrscht,
man solle trotzdem eine Prothese anlegen lassen, und dem Ulcus nur
die Zeit zur Heilung lassen, in der Hoffnung, dass man mit einer allmäh¬
lichen Erweichung der umgebenden Narbe durch Entwicklung von jungen
gcwebsernährenden und epithelbildenden Gefässchen rechnen kann, so
möchte ich meine Antwort so formulieren: Ein im Zentrum einer
Narbenfläche gelegenes, fest auf dem Knochen aufsitzendes Ulcus, dem
jede ernährende Unterlage fehlt, das gewissermassen mit seinem Rand-
wail hartnäckig jede zentripetalwärts strebende Epithelisierung ab¬
wehrt, dem überdies auf mechanischem Wege durch Zugwirkung der
Prothesenhülse auf die Stumpfweichteile die ernährende Blutzufuhr ab¬
gesperrt wird, das kann nicht heilen, oder es heilt allenfalls bei Bett¬
ruhe, um mit den ersten Gehversuchen als „dauernde Crux“ zu rezidi-
vieren. Man fasse also in solchen Fällen den kurzen Entschluss:
Reamputation und Weichteilplastik.
Ob dabei die Versorgung des Knochens nach Bier oder Bunge
zu raten ist. ist weniger eine Zweckmässigkeitsfrage, hängt vielmehr in
erster Linie davon ab, ob hinreichend Material zur Verfügung steht,
um dem Knochenschaft einen osteoplastischen Abschluss geben zu können.
Darnach ist die Biersthe Methode höchstens bei langen Stümpfen in
Erwägung zu ziehen. Ich muss eestehen, dass ich mit dem aperiostalen
Verfahren nach Bunge, das ich fast stets angewandt habe, recht gut
ausgekommen bin. In den von mir operierten Fällen habe irh auch nie¬
mals einen Kronensequester beobachtet, dessen Entstehen wohl auf ent¬
zündliche und narbige Prozesse zurückzuführen ist, die sich um den
periost- und marklosen Knochen abspielen und seine Ernährung in Frage
stellen.
Dass Fisteln häufig chirurgischer Eingriffe bedürfen, ist deshalb
za erwähnen, weil sie keineswegs nur Ausdruck dafür sind, dass der
Körper sich eines Sequesters, Splitters oder eines Unterbindungs¬
fadens etc. entledigen wäll. Ich habe, abgesehen von in der Tiefe liegen¬
den Wund- und Granulationshöhlen, deren starre Wände ein Aneinander¬
legen und Ausheilen verhinderte, in vielen Fällen Stumpffisteln beob¬
achtet, bei denen die Gänge in grössere und kleinere steinharte, durch
narbige und entzündliche Prozesse entstandene Weichteilsklerosen
führten. Dabei wurde die Fistelbildung lediglich von einem zentralen
Zellzerfall innerhalb dieser sklerosierten Weichtellpartien als Folge
einer lokalen Ernährungsstörung hervorgerufen. Dass hier analog der
auf Ernährungsstörung beruhenden Narbenulcera eine ‘operative Be¬
handlung meist eher zum Ziele führt als konservative Massnahmen,
liegt auf der Hand.
Weit häufiger als durcli Ulcera. Fisteln und Knochenwucherungen
fühlen sich die Amputierten von den Weichteilnarben ihrer
Stümpfe beeinträchtigt. Ich glaube, dass im allgemeinen den Klagen
der Kranken über Schmerzhaftigkeit der äusserlich häufig recht harm¬
los aussehenden Stümpfe von seiten der Aerzte nicht die Beachtung
ye^chenkt wird, die ihnen zukommt, Sind äusserlich nur geringfügige
.Karben vorhanden, so werden jedenfalls häufig solche Klagen als Aus¬
fluss allgemein iiervöser Erscheinungen aufgefasst, oder es wird die
Diagnose auf Neurombildung gestellt. Wie weitgehend aber die patho¬
logischen Veränderungen im Stumpfinnern sind, die' den subjektiven
Beschwerden zugrunde liegen, das zu beobachten, bleibt gewöhnlich erst
der Operation Vorbehalten. Wie ist man da oft erstaunt über
die gewaltige. Ausdehnung der Verwüstungen, die eine alte lang-
dauernde Eiterung hinterlassen hat. Ganze Muskelpartien sind zu-
v^eilen einer derben schwieligen Degeneration verfallen. In den
Muskelinterstitien und ganz besonders im Bereich von Gefäss- und
Nervenbündeln hat sich das Gewebe zu einer harten, undurchdringlichen,
fibrösen Wucherung umgewandelt, die zum Teil die Nervenstümpfe.
ohne dass eine sichtbare Neurombildung stattgefunden hat. mit einem
starren Bett umscheidet, zum Teil mit ihnen zu einem unlösbaren
Narbenkonvolut zusammengeschweisst ist.
Ich glaube, wer solche Stumpfnarben einmal gesehen hat, der kann
sich ein Bild davon machen, welche Druckwirkung diese Narben-
rjmoren auf die sensiblen Elemente des Pefiosts, der Muskel- und
Hautnerven ausüben kann, und wird mir beipflichten, wenn ich in den
Weichteilnarben einen Hauptfaktor vieler scheinbar unbegründeter sub¬
jektiver Beschwerden erblicke und deshalb bei jeder Operation alles
Narbengewebe, soweit es irgendwie angängig ist, exzidiere.
Als letztes für die Stumpfbeschwerden häufig verantwortliches
Moment spielt die Muskelatrophie eine nicht unwesentliche Rolle!
Gemäss Ihrer Entstehung ist sie einerseits als Inaktivitäts-, anderseits
3 ls Druckatrophie anzusehen. Die letztere, der durch den Druck der
Prothesenhülse auf die Muskulatur hervorgerufene Muskelschwoind, ist
Jabei unmittelbar abhängig von der Inaktivitätsatrophie, da ein Muskel,
der seiner Insertionsstelle beraubt ist und damit grösstenteils zur Auf-
Di gitized b)
Gotigle
gäbe seiner Funktion verdammt ist, natürlich mehr einer Druckwirkung
unterworfen ist als ein Muskel mit normaler Kontraktilität. Dement¬
sprechend muss es bei jeder stumpfverbessernden Operation das Be¬
streben sein, den retrahierten Muskelresten einen möglichst distalwärts
gelegenen Fixationspunkt wieder zu verleihen. Ich halte es daher für
das Zweckmässigste, wenn man nach Exzision sämtlichen Narben¬
gewebes in allen Fällen versucht, antagonistisch wirkende Muskeln
über dem Knochenstumpf durch feste Nähte zu vereinigen. Da dies
in den meisten Fällen nicht ohne grössere Spannung möglich Ist, emp¬
fehle ich analog der Perthesschen Methode bei Nervennähten, an
den Muskelresten einen schmalen Narbenrand zurückzulassen, der ver¬
möge seiner derben Beschaffenheit imstande ist, ein Durchschneiden
der spannenden Fäden zu verhindern. Glückt die Vereinigung der
Muskulatur über dem Knochenstumpf, so hat man einesteils wieder eine
physiologische Grundlage für die Muskelfunktion geschaffen, andernteils
hat man damit der offenen Knochenmarkliöhle einen Abschluss verliehen,
der gleichzeitig immer eine recht zw eckmässige Polsterung der Stumpf¬
sohlenfläche darstellt. Diese Polsterung halte ich für so wichtig, dass
Ich, wo eine Vereinigung der Muskelantagonisten nach der angegebenen
Art nicht möglich ist, einen Muskellappen abspalte und ihn auf der
Stumpfhöhe durch Nähte fixiere.
Erwähnen möchte ich noch, dass ich meine sämtlichen Stumpf¬
operationen — einige verschwindende Ausnahmen abgerechnet — in
lokaler Infiltrationsanästhesie mit Novokain-Adrenalln-Vuzinlösung aus¬
geführt habe, indem ich zunächst einige Depots der anästhesierenden
Flüssigkeit um den Knochen und in die gesunde Muskulatur des
Stumpfes gebracht habe und dann zirkulär um das Ulcus die Weichteil¬
gewebe in ihrer Gesamtheit nach Möglichkeit infiltriert .habe. Wenn
ich auch zugebe, dass die, vollkommene Durchdringung des brettharten
Narbengewebes mit Injektionsflüssigkeit vielfach illusorisch Ist. so bin
ich trotzdem mit der Anästhesie recht gut ausgekommen und habe dabei
stets ausser dem Vorzug der Adrenalinwürkung den hoch einzuschätzen¬
den Vorteil gehabt, während der Gperation durch Druck besonders emp¬
findliche Punkte feststellen zu können. Ich möchte deshalb die lokale
Infiltrationsanästhesie trotz des grösseren Zeitaufwandes, den sie bean¬
sprucht, warm emnfehlen. weil ich weiss, dass ich ihr in vielen Fällen
die Entdeckung kleiner Neurome und empfindlicher Stellen verdanke,
die sicherlich, wenn sie verborgen geblieben wären, oftmals den Erfolg
der Stumpfoperation beeinträchtigt hätten.
Noch einige wenige Worte zur Nachbehandlung:
Ich beginne im allgemeinen frühzeitig den Stumpf an seine kommende
Aufgabe zu gewöhnen, und zwar dann, wenn ich mit einer festen Ver¬
einigung der über dem Knochenstumpf vernähten Muskulatur rechnen
kann. Die Nachbehandlung beginnt also etwa ln der dritten Woche nach
der Operation. Von diesem Zeitpunkt an wird die Sohlenfläche des
Stumpfes zunächst durch Druck und Schlag für eine Belastung vor¬
bereitet. Hand in Hand geht damit von vornherein eine kräftige Be¬
arbeitung der Stumpfmuskulatur teils durch Massage teils durch aus¬
giebige aktive und passive Bewegungsübungen. Alsdann wird der
Kranke angehalten, seinen Stumpf einer sich steigernden Belastung durch
Stützen und Auftreten auf dem Fussboden oder einem Stuhl auszusetzen,
um zu erreichen, dass er einen mässigen Druck gegen den Stumpf beim
Gehen In der Behelfsprothese bequem ertragen kann. Benutzt der
Kranke einmal eine Prothese, so wird er — eine primäre Verheilung des
nachamputierten Stumpfes vorausgesetzt — diesen selbst zur vollen
Tragfähigkeit erzielen können, wenn er durch Anbringen von Filzeinlagen
im Boden seiner Prothesenhülse allmählich den beim Gehen gegen den
Stumpf wirkenden Druck steltrerf.
Ueobachtungen Ober Ernährung in einer Anstalt während
der Notjahre.*)
Von Prof. Dr. E. von Düring, Steinmühle.
Nur einige ganz kurze, eigenartige Beobachtungen, die vielleicht
in der mir in den letzten Jahren fernliegenden Literatur über Ernährung
durchaus nicht vereinzelt stehen, sollen in der folgenden Mitteilung ohne
weiteren Kommentar wiedergegeben werden.
In der von mir geleiteten Anstalt für schulentlassene anormale
Jugendliche (leichter Schwachsinn, Psychopathen, zum Teil auch
schwerer Anormale, die allerdings bald ausscheiden) sind seit Sep¬
tember 1916 bis in die letzte Zeit regelmässig 14 tägige Wägungen der
Pfleglinge vorgenommen worden. Die Zahl der Zöglinge war 1916/17
etwa 35, 1917/18 etwa 45, 1918/19 55—60 und 1919/20 etwa 60—65 im
Durchschnitt. Der nicht geringe Wechsel könnte In den aus den
Wägungsergebnissen gezogenen Schlüssen gewisse Fehlerquellen be¬
dingen. Die Häufigkeit der Wägungen, die Gleichmässigkeit der Indi¬
viduen und auch die Gleichmässigkeit der Ergebnisse lassen aber doch
eine klare Gesetzmässigkeit in den Ergebnissen erkennen.
Die genau geführte Gewichtskurve für die in Frage kommende Zeit,
Septembfr 1916 bis September 1920, ist so gewonnen, dass zunächst
für jeden einzelnen Pflegling eine Gewichtskurve (14 tägige Wägung)
angefertigt wurde. Dann wurde die Gesamtgewichtssumrae durch die
Zahl der Pfleglinge dividiert und nun im Verhältnis zu der vor 14 Tagen
gewonnenen Zahl die Abnahme oder Zunahme für die Gesamtheit und
für jeden einzelnen Pflegling berechnet.
•) Vortrag im ärztl. Verein Frankfurt a. M.
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
68
MÜNCHENER MEDIZINISCHE W OCHENSCHRIFX
ik, 3.
Die Ernährung war die durch die allgemeine Not bedingte, aber i
verhältnismässig der Quantität nach durchaus genügende, ja meist über ■
der vorgeschriebenen Kalorienzahl stehend, bis zu 30lK) Kalorien. !
Qualitativ war sie natürlich mangelhaft. 1916/17 besonders waren !
auch die Kartoffeln zum Teil minderwertig; wie überall, spielten die
Kohlrüben (Steckrüben, Unterkohlrabi) die grösste Rolle neben Sauer¬
kraut; Leguminosen gab es sehr wenig, Fett fast gar nicht. Die Eiweiss-
zahl war eine niedrige, die Fettzahl durchaus ungenügend. Da die An¬
stalt eine Landwirtschaft hat, die für Selbstversorgung nicht ausreicht,
aber in einem als „Selbstversorgung" geltenden Bezirke liegt und nicht
staatlich ist, war die Lage doppelt schwierig; besonders w'aren wir
nicht in der Lage, auch nur annähernd die zulässige Menge Fleisch,
Fett und Milch zu gewinnen.
Dass die normalen Kalorienzahlen ja überhaupt nur einen Durch¬
schnittswert haben, ist selbstverständlich. Unterschiede in der Wertig¬
keit der Nahrunirsmittel, individuelle Unterschiede in der Ausnutzung
spielen eine grosse Rolle.
Was zunächst den zweiten Punkt angeht, so ist es ja bekannt, dass
viele geistig minderwertige, besonders schxyachsinnige Individuen
..schlechtbrennende Oefen", irrationell arbeitende Maschinen
sind. Es ist erstaunlich, welche enorme Quantitäten viele dieser Ano¬
malen essen können, ja essen müssen, um sich im Stoffwxchselglcich-
gewicht zu halten. Die Kirchhöfe bei den Anstalten und die leeren
Räume in den Anstalten für (jeistig-Minderwertige im allgemeinen
sprechen in dieser Hinsicht über die Kriegszeit eine erschütternde
Sprache.
Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass die unzweckmässige
Zusammensetzung der Kalorienw^erte, trotz anscheinend genügender
Zahlenhöhe zeitweise geradezu ausgesprodiene Unierernährung be¬
dingte und selbst zu den besten Zeiten, ehe Fett wieder zugänglich
w^urde, sich in der geringeren Entwicklung und ungenügender Zunahme
der meisten Zöglinge deutlich ausprägte.
Da zeigt sich nun ganz regelmässig — auch noch deutlich für 1920,
aber viel weniger ausgesprochen — eine starke Abnahme vieler Indivi¬
dualgewichte für die Monate März bis Ende Mai, die manchmal — 1917
besonders — besorgniserregend wurde. Eigentümlich ist ein ganz deut¬
liches periodisches Schwanken der Kurven: Ohne ersichtlichen Grund
steigt sie zwischen zwei grossen Abnahmen immer über die Gerade —,
ergibt also eine Totalzunahme; je ausgesprochener diese ist. um so aus¬
gesprochener dann die Abnahme: nur bei den tiefsten Abnahmen finden
wir mehrfach Verharren in der Abnahme.
Wie schon gesagt, waren auch in dieser Zeit die Kalorienzahlen
(Brot, Kartoffeln, Gemüse) stets bedeutend über der Mininnlzahl, cs
kamen also nur Zusammensetzung der Nahrung überhaupt und Wertig¬
keit der einzelnen Nahrungsmittel in Betracht.
Der erste Punkt konnte nicht ausschlaggebend sein, denn die Zu¬
sammensetzung der Nahrung W'ar von Dezember bis Mai wesentlich
die gleiche. Die Ursache des Ungenügens dieser Nahrung musste also
in den einzelnen Nahrungsmitteln liegen.
Da ist nun keine Frage, dass tatsächlich die beiden wesentlichen
Nahrungsmittel in diesen Zeiten (neben Brot, das ia nie in ausreichender
Menge gegeben werden konnte), nämlich Kartoffeln und Gemüsse: Kohl¬
raben. Sauerkraut, Dörrgemüse, an Wertigkeit bedeutend '>bnehmen.
und zwar in klar erkennbarem Zusammenhang mit frühem oder spätem
Eintreten des Frühjahrs. Ich will nun zunächst möglichst kurz für die
Zeit 1916 Herbst bis 1920 Sommer einige Zahlen geben und kurze Be¬
merkungen hinzufügen.
1916 begann, bei Fehlen jeglichen Fettes, der Leguminosen und
aller Teigwaren und sehr geringer Obsternte, die .4bnahme schon im
September: gesteigert besonders auch dadurch, dass auch die Gemüse¬
ernte sehr gering und die Beschaffung frischen Gemüse^ sehr
schwer w-ar.
1916 (auf 35—40 PflcKlinge): 25. X. — 15 kg. 6. XII. — 25 kg. 1917:
24. I. —10 kg. 7. !II. —35 kg. 4. und 18. IV. —20 kg. 16. V. —52 kg.
13. VI. —48 kg, 27. VI. 4-10 kg. 11. VII. + 25 kg. Sehr soätes Früh¬
jahr, Frost bis in den Mai. Erst dann: Brenncsseln. Hoofen. wilder Salat usw.
1918 (ca. 40—45 Pfleglinge): Beginn dei Abnahme im Anfang März.
6 III. +5 kg, 20. III. —26 kg, 15. V. + 12 kg. 12. VI. —26 kg. Nun
ziemlich gleichmässiger Anstieg.
1919 (ca. 55—60 Pfleglinge): 26. II. — 10^4 kg. 26. III. — 12K* ke.
23. IV. —3 kg, 21. V. —56 kg. 4. VI. —37 kg (frische Gemüse), 2. VII.
-f 15 kg, 30. VII. + 87 kg (Kirschen). Hält sich immer in der Höhe. z. B.
10. XII. 19 + 50 kg. 11. II. 20 +50 kg, bedingt durch viel mannigfaltigere
Nahrung, besonders Mehl (Teigwaren) und viel Obst (Aeofel).
Das zweite Frühjahr 1920 ergab sofort viel frisches Gemüse, infolge¬
dessen sind die Abnahmen gering. Gleichzeitig aber werden durch das
zeitige Frühjahr die Hauotnahrungsmittel: Kartoffeln.' Kraut. Kohlraben
und Sauerkraut in ihrer Wertigkeit früher herabgesetzt — die Gewichts¬
abnahme 1920 ist am höchsten irp Februar:
1920: 25. II. —18 kg, sehr gering (—2—3 kg) bis zum Mai und
steigt dann sofort an. 5. V. + 20 kg, 13. VI. + 25 kg. 5, VII. + 40 kg,
auf 60—65 Zöglinge.
Die Zeit des Keimens der Kartoffeln und der Rüben bedingt also
eine ausgesprochene Abnahme der Wertigkeit der Nahrungsmittel, die
vielleicht biologisch noch weiter gewertet werden muss, als lediglich
in einer Abnahme der Zahlenwerte der Kalorien. Denn eine be¬
deutende Erhöhung der Kalorienzahlen hat keinerlei Einfluss — die Ge¬
wichtszahlen gehen herunter.
Digitized by Goiigle
Dass es sich um besondere Faktoren handeln muss, geht anscheinend
daraus hervor, wie sich gleichsam automatisch diese In der Gewichts¬
abnahme trotz erhöhter „theoretischer" Kalorienzahlen die Gewichte
sofort heben, w’enn der Nahrung Dinge hinzugefügt werden, die an und
für sich, nach ihrer Zusaamiensetzung und ihrem Kalorienwerte, nicht
wesentlich sein können. Die ersten frischen Gemüse, die nach dem
strengen Winter und späten Früii}.i}ir 1917 wesentlich in Brenncsseln,
wildem Salat und Hopfensprösslingen bestanden, machen sofort der
(Jewichtsabnahme ein Ende und bedingen selbst ausgesprochene Zu¬
nahme. Es müssen also in diesen Nahrungsmitteln Bestandteile enthalten
sein, die entweder im Organismus selbst Kräfte entfalten, die eine
bessere Ausnützung der vorher ungenügenden Nahrungsmittel ermög¬
lichen, oder die ihrerseits so .fergänzend" auf die gereichten Nahrungs¬
mittel wirken, dass deren Ausnützung eine bessere ist. Beide biolo-
gisciiert .Wirkungen sind denkbar. Ohne auf eine Erörterung näher ein¬
zugehen. die sehr umfangreiche Sonderstudien und -Kenntnisse voraus¬
setzt, Hesse sich eine Wirkung von Körpern in den frischen GeÄüsen
annehmen, die im Sinne von Katalysatoren wirken oder die sich ver¬
halten, wie die Vitamine.
Beachtenswert und der Kontrolle bedürftig erscheint mir auch die
Erfahrung, dass gerade nur frisches Gemüse und wahrscheinlich nur
frisches Obst imstande sind» so günstig auf die Ernährung zu wirken.
So fallen günstige Obsternten — grosse Kirscheneri^te 1917 (Juli),
1919 (Juli) — mit auffallend starken (jewichtszunahmen. steil anstei¬
gender Kurve zusammen. Unsere sehr reiche Ernte ist in diesen Zeiten
in weitestem Umfange den Pfleglingen zugewendet w'ordeii. Das gleiche
gilt von der Apfelernte — in unglaublichen Mengen ist frisches Obst,
fast ohne jede Einschränkung, von den Pfleglingen gegessen worden.
Allerdings haben wir, besonders 1919, auch in viel grösserem Umfange
Mehl- und Teigwaren. Grützen und auch Fett geben können. Aber es
ist nach unseren Beobachtungen sehr w^ahrscheinlich. dass im Frühjahr
trotz grösserer Zulagen dieser letztgenannten Nährmittel eine Neigung
zu abfallender Gewichtskurve — natürlich in durchaus physiologisch
unbedenklichen Grenzen — eintritt, wenn frisches (Jemüse und frisches
Obst verschwinden.
Die bisher niitgeteilten Erfahrungen sind durchaus obipktiver Art
und nur ihre Auslegung und die daraus sich ergebenden Ausw'ertungen
sind verschiedener Erklärung fähig.
Hierher gehört auch noch, w.ts gegenüber eigner früher gegen¬
teiliger Auffassung mir nicht unwesentlich erscheint, folgendes:
Wir haben vor dem Kriege viel über die zweifellos bestehende
Luxus- (besonders Eiw'eiss-) Ernährung diskutiert. Es sah fast so aus.
als sei das ganze Volk durchweg in krankhafter Weise überernährt
Nun, ich glaube, dass im allgemeinen alle I eb' wesen — wn’r können
das bei den Tieren auch beobachten — mit einer nicht gar zu über¬
triebenen Ueberernährung besser, weniger den Organismus schädigender
Weise fertig werden, als bei Unterernährung. ' Unsere wirtschaftlichen
Verhältnisse werden uns ja in der vres^sen Mehrzahl unseres Volkes
vor der Gefahr der Luxusernährung behüten. Es sei aber doch aus¬
gesprochen, dass eine Luxusernährung jedenfalls weniger und be¬
sonders weniger w'ertvolle Schichten der Bevölkerung in ihrer
Leistungsfähigkeit und sagen wir ruhig ..Rassenschönheit" bedroht, als
die Unterernährung.
Mehr subjektiv möchte ich aussprechen, dass mir die. instinktive
Nahrungsw^ahl sehr viel bedeutender in ihrer Wirkung und sehr viel
ausgesprochener in ihrem Sich-Geltendmachen zu sein scheint, als man
irn allgemeinen annimmt. Wir haben meist wohl die Bedeutung des
Fettes in der Nahrung nicht ganz gewürdigt und anerkannt. Das Be¬
dürfnis na.ch Fettnahrung in jeder. Form machte sich (nach meiner sub¬
jektiven und objektiven Erfahrung) viel mehr geltend, als das nach
Eiweissnahrung, besonders in Form von Fleisch und Fleischwaren.
Selbst Individuen, die früher ausgesprochene Abneigung gegen Schmalz,
gebratenen Speck. Margarine. Kakaobutter hatten, griffen gern, manchmal
fast gieri}^^ darnach. Und jetzt, wo Fleisch wieder zu haben ist, sind
es auch nicht die hohen Preise, die zur Einschränkung des Fleisch¬
verbrauches führen — man hört vielfach, dass die Vorliebe für Fleisch¬
nahrung entschieden abgenommen hat.
Darüber kann kein Zw^eifel bestehen, dass wir leichter eher
unseren Eiweissbedarf' einschränken und decken können, als den Fett¬
bedarf! Nicht neu ist die — subjektiv schon auf Reisen im Winter,
die mit grossen Strapazen verbunden waren, gemachte — Erfahrung,
dass Fett sich in gewissen Grenzen durch Zucker ersetzen lässt. Den
Winter 1916/17 konnte ich persönlich nur. dadurch ziemlich folgenlos
überstehen, dass reichlich Honig zur Verfügung stand.
Es sind ja nur objektiv allgemeinere praktische Erfahrungen und
z. T. subjektive Beobachtungen, die hier wiedergegeben werden. Die
gleichsam experimentell wissenschaftliche Durchführung solcher Er-
nährungsversiiche hätte ja ganz and^'re, exaktere Vorbedingungen er¬
fordert. Aber als Wegweiser für weitere wissenschaftliche Versuche
sind sie zweifellos nicht wertlos. In diesem Sinne seien sie ohne
grossen wissenschaftlichen und (nicht zur Verfügung stehenden) literari¬
schen Apparat hier mitgeteilt.
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
annar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
s der Rhein. Prov.-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau.
(Direktor: Sanitätsrat Dr. Flügge.)
lieber pathologische Abbauvorgänge im Zentralnerven¬
system.
Von Prosektor Dr. F. Witte.
In seiner grundlegenden Gliaarbeit erwähnt Alzheimer flj mit
wenig Worten eine Erkrankung des Grosshirns, bei welcher sich in der
atrophischen Marksiibstanz grosse Massen eines eigenartigen, mit meta-
chromatischen Anilinfarben sich metachromatisch färbenden Abbau¬
produkts nachweisen Hessen. Dieser Fall ist. abgesehen von einer viel¬
leicht ähnlichen Beobachtung N i s s 1 s 12] bisher vereinzelt geblieben.
Wenn ich im folgenden über einen weiteren Fall dieser Krankheit in
gedrängter Kürze berichte, so tue ich es nicht um seiner Seltenheit willen,
sondern weil er, wie ich glaube, klinisch und anatomisch von allge¬
meinerer Bedeutung ist.
Um das wichtigste vorw'eg zu nehmen: der fragliche Abbaustoff fand
sich nicht nur im Grosshirn, sondern im ganzen Zentralnervensystem, und
darüber hinaus wareti auch einige Körperorgane von der gleichen
Störung befallen.
Klinisch handelt es sich um einen imbezillen Landstreicher, welcher
in seinen letzten Lebensjahren an einer paralyseähnlichen Demenz litt
und 42 jährig im Marasmus in der Anstalt Bedburg verstarb.
Der Sektionsbefund am Nervensystem war abgesehen von einer
massigen diffusen Grosshirnatrophie durchaus negativ. Histologisch Hess
sich eine Paralyse mit Sicherheit ausschliessen. Dagegen fand sich
-- ich erwähne nur die allerwichtigsten Ergebnisse — eine mehr oder
weniger starke Lichtung der Marksubstanz vieler Teile des Grosshirns,
und irh Bereich derselben eine erhebliche Wucherung der faserigen Glia.
Die Hauptveränderung wird durch die Alzheimer sehen meta-
chromatischen .Abbaustoffe gebildet, welche in der w'eissen Marksubstanz
aller Regionen des nervösen Zentralorgans vom Stirnhirn bis zum Sakral¬
mark in ausserordentlich grosser Menge nachweisbar sind. Sie erfüllen,
aus dicht gedrängten, untereinander gleichgrosscn Körnchen bestehend,
in wechselnder Menge die ZelPeiber der Gliazellen: von Oliazellen, in
deren Ausläufern ein paar Körnchen liegen, bis zu gliogenen Körnchen¬
zellen, welche prall mit ihnen vollgestopft sind, findet sich jede Ueber-
gangsform. Färberisch sind diese Stoffe durch ihre Affinität zu den
basischen Anilinfarben gut charakterisiert, abgesehen von einer Reihe
anderer Eigentümlichkeiten; ihr chemischer Bau ist kompliziert, sie
scheinen aus einem Gemisch von Substanzen zu bestellen, welche Be¬
ziehungen zu dem Protagon und den Lipoiden besitzen. Sie entstammen
rnarkhaltigen Nervenfasern, entstehen als Zwischenprodukte, eines patho¬
logischen Abbaus und werden schliesslich in Lipoide umgewandclt,
welche in der bekannten Art und Weise durch den Kreislauf fortgeschafft
w'erden.
Ferner findet sich eine eigentümliche Veränderung des Lipochroms
mancher GanglienzeUen: in Formolgefrierschnitten zeigt es u. a. die
gleichen färberischen Eigenschaften wie die metachromntischen Abbau¬
stoffe. '
Die gleichen Abbaustoffe wie im Nervensystem sind ausserdem in
einigen anderen Körperorganen nachweisbar und zw'ar im Vorderlappen
der Hypophyse, in den Nieren, dem Hoden und der Leber; sie liegen in
den Parenchymzeüen, in den Nieren z. B. in den Epithelien der ge¬
wundenen Harnkanälchen; daneben finden sich in diesem Organ auch
reichlich metachromatische Harnzylinder. Anatomisch ist der Nieren¬
prozess (nach der alten Nomenklatur) als eine chronische parenchymatöse
Nephritis zu bezeichnen; übrigens mag erwähnt werden, dass das Auf-
treien von „Protagon“ anstelle von Lipoiden b^ei Nephritiden den patho¬
logischen Anatomen [3] w'ohlbekannt ist. Die übrigen Organe sind frei
von diesen Stoffen.
Es ist also in allen Teilen des Zentralnervensystems und in einigen
Körperorganen eine gleichartige Störung nachweisbar, eine Störung des
Abbaus, eine Stoffwechselstörung. Wesen und Ursache derselben liegen
im Dunkeln; möglich, dass sie eine rein physiologische der Lebens¬
äusserungen der betroffenen Gew^ebe ist; möglich auch, dass sie tiefer
begründet ist in einer anatomischen Anomalie, einer Abweichung im
chemischen Aufbau der betreffenden Teile; jedoch über Vermutungen
kommt man nicht hinaus.
Wichtiger erscheint die Tatsache, dass dem krankhaften Prozess im
nervösen Zentralorgan ein solcher in anderen Körperorganen parallel
geht. Dass Störungen des Zentralnervensystems bisweilen von solchen
anderer Organe begleitet w'erden. ist bekannt; es sei an die tuberöse
Sklerose und die Linsenkerndegeneration erinnert: indessen erscheint es
bemerkenswert, dass im vorliegenden Fall der Prozess in beiden Be¬
zirken ein so völlig wesensgleicher ist. Es sei dabei betont, dass etw'a
von einer Verschleppung der Stoffe aus dem Nervensystem in die
Körperorgane oder von irgend einem Organ in ein anderes keine Rede
ist; sie haben sich ersichtlich überall an Ort und Stelle gebildet Man
kann daher von einer Allgemeinerkr^nkung sprechen — einer Allgemein¬
erkrankung, bei welcher die Veränderungen des Zentralnervensystems
bei weitem überwiegen und dem klinischen Bild das Gepräge geben.
Da die befallenen Organe zum Teil zu den inneren Sekretions-
organen gehören, so Hegt es nahe, Beziehungen zu Abderhaldens
T Theorie von den Abwehrfermenten zu suchen, oder mit anderen Worten:
es drängt sich die Frage auf, ob die geschilderten Veränderungen in den
betreffenden^ Drüsen der anatomische Ausdruck für eine pathologisch ver¬
änderte innere Sekretion im Sinne, von Abderhalden-Fauser
sind. Eine Beantwortung dieser Frage muss weiterer Forschung an
neuen Fällen überlassen bleiben. Sollte sie bejahend ausfallen, so wäre
genügend Grund vorhanden, alsdann auch alle diejenigen Krankheits¬
gruppen, welche im Dialysierverfahren positive Organreaktionen er¬
geben, einer ganz besonders eingehenden anatomischen Untersuchung,
wenn nötig mit verfeinerter Technik, zu unterziehen, und es könnte
hierdurch auch von anatomischer Seite zur Klärung der Bedeutung und
Bewertung der Abderhaldenreaktion beigetragen werden.
Indessen, dies Ziel Hegt noch in weiter Feme. Vorläufig muss man
sich genugsein lassen, Fälle der geschilderten Art mit aller Sorgfalt zu
studieren, und dazu gehört, wie Alzheimer betont, auch eine genaue
chemische Analyse der in grosser Menge vorhandenen Abbaustoffe. Das
ist aber aus erklärlichen (jründen nur möglich, wenn man schon in vivo
die Krankheit zu diagnostizieren vermag.
Bisher sah man sich einem anatomischen Zufallsbefund gegenüber;
jedoch scheint der geschilderte Fall einen Weg zu weisen, auf welchem
man sich vielleicht mit den diagnostischen Schwierigkeiten abfinden
kann. Der Nierenbefund beweist, dass im Urin bestimmt massenhaft
metachromatische Harnzylinder vorhanden gewesen sein müssen. Wenri
man bedenkt, dass ein Nachweis metachromatischer Zylinder ohne
Schwierigkeit und unbeeinflusst 'durch die Reaktion des Harns möglich
ist. so ergibV sich für Fälle, welche wie der vorliegende mit Nieren¬
veränderungen einliergehen, folgendes; falls sich in einem klinisch un¬
klaren organischen Krankheitsfall paralyseähnlicher Demenz wiederholt
metachromatische Harnzylinder nachweisen lassen, so ist damit zwar
nicht der Nachweis einer Krankheit gleich der geschilderten geliefert,
aber die Möglichkeit des Bestehens einer solchen liegt vor, und das muss
genügen.
Im übrigen wird, wenn die Krankheit auch nur im Bereich der
differeiitialdiagnostischen Möglichkeiten Hegt, natürlich jeder verdächtige
Fall mit allen zu Gebote stehenden klinischen Untersuchungsmethoden
ganz besonders eingehend untersucht werden können und die Sym¬
ptomatik daraus gewiss ihren Nutzen ziehen. Und wenn erst einmal an
einem Punkt fester klinischer Boden gewonnen Ist. so werden weitere
Fortschritte in der Kenntnis dieser und ähnlicher KranHheitsbilder nicht
auf sich warten lassen, und es wird sich zeigen, ob sie nur abseits
stehende seltene Fälle bilden, deren Kenntnis allein den Spezialisten inter¬
essiert. Wahrscheinlicher aber ist cs. dass sie sich als (jlieder in eine
Gruppe von Krankheiten einfügen lassen. — in eine (iruppe, welche durch
das rein äusserliche Merkmal der pathologischen Abbaustoffe gekenn¬
zeichnet ist. Der Schleier, welcher Uber dieser Gruppe liegt, beginnt
sich erst langsam zu lüften, und nur ganz allmählich beginnen einzelne
Glieder, vorläufig noch ohne rechte Verbindung untereinander, sich
mehr oder weniger deutlich herauszuheben. Dazu gehören in erster
Linie die amaurotischen Idiotien, und ferner vermutlich jene eigentüm¬
lichen Fälle, welche neuerdings L a f o r a l4l, W e s t p h a 1 [5] und
Fischer [6] bekanntgaben; auch im Bedburger Laboratorium kam
kürzlich ein Fall zur Untersuchung, der neben unverkennbaren Aehnlich-
keiten mit diesen Fällen seine wohlcharakterisierten Eigenheiten besass.
Eine Gruppierung dieser Krankheitsbilder nach Gesichtspunkten,
welche dem inneren Wesen derselben gerecht werden, k^’in erst nach
genauem Studium weiterer Fälle dieser und ähnlicher Art erfolgen. Dazu
gehört, wie der vorliegende Fall w'ohl zei^t. nhben der Untersuchung
des Nervensystems eine ebenso sorgfältige und eingehende des übrigen
Körpers. Und ich möchte ganz allgemein hinzufügen: was für diese
Krankheitsfälle gilt, gilt wohl für alle Psychosen überhaupt. Gewiss Hegt
bei der anatomischen Untersuchung der Geisteskrankheiten der Schw’er-
punkt im Nervensystem, das ist selbstverständlich; aber die pathologiche
Anatomie der Psychosen und ganz besonders auch derjenigen unter
ihnen, welche sich bisher der Anatomie gegenüber ein wenig spröde er¬
wiesen haben, wird sicherlich noch erfolgreicher sein als bisher, wenn
prinzipiell und in jedem einzelnen Fall, w^elcher Art er auch sein mag.
sämtlichen Köroerorganen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt ward
als dem Zentralnervensystem.
Literatur. *
1. Alzheimer: Beiträge zur Kenntnis der pathologischen Neuroglia.
Nissl-Alzheimer. Arbeiten. Bd. 3 S. 521. — 2. Nissl: Artikel
..Nervensystem“ in der Enzyklopädie der mikroskopischen Technik. 2. Aufl.
Bd. 2. S. 284. — 3. Kaufmann: Lehrbuch der speziellen pahologischen
Anatomie, 6. Aufl. Bd. 2. S. 820. — 4. L a f o r a: Beitrag zur Histopathologie
der myoklonischen Epilepsie. Zschr. f. d. ges Neurol. u. Psych. Bd. 6 S. 1. —
5. W e s t p h a I: Ueber eigenartige Einschlüsse in den Ganglienzellen in einem
Fall von Myoklonusepilepsic. Arch. f. Psychiatrie Bd. 60 S. 769. —
6. Fi.scher; Zur Frage der anatomischen Grundlage der Athetosc double
etc,^ Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie Bd. 7 S. 463.
Aus dem Universitätsinstifut für pathologische Biologie
in Hamburg. (Prof. Much.)
Der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse der Fett-
antikSrper.
Von Hans Schmidt.
Die lange Zeit allein herrschende Theorie, dass nur Eiweisskörper
die Fähigkeit haben, abgestimmte Gegenstoffe zu erzeugen, hat in den
letzten Jahren Schritt für Schritt der Erkenntnis weichen müssen, dass
diese Ausnahmestellung nicht mehr gerechtfertigt Ist. Die führende
Rolle von der Lehre der Eiweissnatur aller Antigene kam nur dadurch
Digitized b)
Gotigle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
70
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3.
zustande, dass Darstellung und Nachweis von Eiweissantikörpern sehr
leicht sind, während es ungleich schw'erer ist, Gegenstoffe gegen andere,
Nichteiweisskörper zu bilden sow'ie auch deren Nachweis zu führen.
Von Stoffen, die ausser Eiw'eiss als Antigene wirken können, kommen
Lipoide, Fette und vielleicht Kohlehydrate in Betracht.
Die Lipoide waren die ersten Nichteiweissantigene, die die For¬
schung nach wies. Bang und Forssman [l] zeigen, dass die Bil¬
dung abgestimmter Hämolysine durch ein aus den roten Blutzellen ge¬
wonnenes Lipoid ausgelöst wird. Die Richtigkeit ihrer Angaben wurde
von Landsteiner und Dautwitz \2] bestätigt. Das fragliche
Lipoid wurde von Takaki |3l genau untersucht: Elw^eiss war sicher
nicht vorhanden. Der gebildete Immunkörper wies neben der Abge-
stimmtheit alle Eigenschaften auf, die das auf üblichem Weg hergestellte
Hämolysin besitzt. Jedoch w-urde die Beweiskraft dieser Beobachtungen
durch die Hinweise darauf in Frage gestellt, dass unter Umständen
Eiweisskörper in Alkohol löslich sind, dass ferner die Gegenw'art von
Lipoiden die Löslichkeit von Eiw'cisskörpern in organischen Lösungs¬
mitteln begünstigt, und dass schliesslich unter Umständen äusserst ge¬
ringe Mengen von Eiweiss zur Bildung abgestimmter Gegenstoffe ge¬
nügen, wie unter anderen Beobachtungen von M. Pinne r [4] aus
diesem Institut zeigten. Es ist demnach im Hinblick auf ihre grund¬
legende Bedeutung wünschenswert. daSs die Versuche, mit Lipoiden ab¬
gestimmte Gegenstoffe hervorzurufen, mit allen Vorsichtsmassregeln und
auf breiterer Basis wiederholt würden.
Das gleiche gilt von den lipoiden Stoffen, die K. Meyer |5l aus
Würmern gewann, bei denen er zw'ar die Fähigkeit einer hochgradig ab¬
gestimmten Komplcmentbildung zeigen konnte, mit denen ihm jedoch
die Erzeugung von Gegenstoffen nicht gelang. Vielleicht ist auch hier
geradeso, wie es Much bei den Lipoiden und Fetten der säurefreien
Stübchen nachwies, zur Erzielung der Antikörperbildung eine gleich¬
zeitige oder Vorbehandlung mit dem entsprechenden Eiweiss nötig, oder
die Gegenwart von Eiweissabbauprodukten hat die Immunisierung ver¬
hindert, wie w'ir gleich bei den Fettantikörpern sehen w'erden. Auf jeden
Fall wäre es lohnend, diese Versuche daraufhin zu wiederholen.
In der letzten Zeit wurden auch den reinen Fetten, also restlos ver¬
seifbaren, Stickstoff- und phosphorfreien Stoffen, antigene Eigenschaften
zugesprochen. Die grundlegende Beweisführung ist ausschliesslich von
Much und seinen Schülern erfolgt, nachdem zuerst Deycke f6] in
Nastin einen reaktiven Fettkörper entdeckte. Zuerst versuchte Much
mit Adam [7l die Beziehungen zwischen Eiweiss und Lipoidantikörpern
aufzuspüren. Er fand, dass es niemals weder mit dem Komplement¬
bindungsverfahren noch mit Hilfe abgestimmter Ausflockung durch noch
so gründliche Vorbehandlung von Kaninchen mit Fettlipoiden aus Meer-
schweinchenlcber gelang Fettlipoidantikörper nachzuweisen. Als
Ursache dieses Misslingens erwies sich der Gehalt der Fettlipoidauszüge
an wasserlöslichen Eiweisabbauprodukten, die also erst entfernt werden
mussten. Die hierbei zutage tretende, auffallende, gegenseitige Beein¬
flussung der Partialantigene (Eiweisslösung und Fettlipoid) erklärt auch
den negativen Erfolg der Immunisieningsversuche von B o r i s 1 a k und
M e t a I n i k 0 w' [8] mit reinem Fett und Eiweissbestandteilen des
Tuberkclbazlllus. Die Lösung letzterer enthielt Eiweissabbaubestandteile
und diese hemmen die Fettantikörperbildung. Der Nachw-eis von Fett¬
lipoidantikörpern gelang jedoch mit Hilfe der Ueberenipfindlichkeit in der
Ouaddelprobe. Hier zeigte sich eine genau auf die Vorbehandlung ab¬
gestimmte Wirkung, also eine Zellimmunität. War es demnach un¬
möglich humorale komplementbindende Antikörper durch Fettlipoid¬
behandlung zu erzeugen? Nur .solange es nicht gelang die hemmenden,
positiv mit Ninhydrin reagierenden Stoffe aus der Aetherlösung der Fett-
llpolde herauszubringen. Dies gelang nicht mit dem Fettlipoidauszug aus
Meerschweinchenleber. Wohl aber liess sich aus Hühnereiweiss ein
solcher Lipoidauszug herstellen; und in der Tat war es damit möglich
bei Kaninchen Antikörper zu erzeugen, die starke Komplementbindung
mit diesem Fettlipoid aufwiesen, aber keine mit dem Eiwxissrückstand.
Man kann also unter Beobachtung bestimmter Bedingungen Lipoid¬
antikörper hervorrufen.
Das gleiche gilt auch für Antikörper gegenüber reinem Neutralfett.
Doch scheinen hier die Verhältnisse noch verwickelter zu liegen, insofern
eine Vorbehandlung mit dem entsprechenden Eiweiss unbedingt nötig zu
sein scheint. W'ie Much mit Kleinschmidt f9l nachweisen konnte,
sind diese Bedingungen bei den säurefesten Bakterien gegeben. Das von
Deycke aus der Strepthotrix leproides hergcstellte Nastin ist ein
restlos verseifbares Neutralfett. Es gibt örtliche und allgemeine Erschei¬
nungen bei Lepra und Tuberkulose. Mit Nastin komplcmentbindende
Antikörper sind jedoch bei Leprakranken nur dann vorhanden, wenn sie
mit Nastin vorbehandelt sind. Dem Nastin sehr nahe steht das aus
Tuberkelbazillen hergestellte Tuberkulonastln. Dieses hat wohl als ver¬
seifbaren Teil das gleiche Nastin. konnte jedoch von einem nicht ver-
scifbaren Rest nicht getrennt werden.
Dieses Tb-Nastin ruft bei Tuberkulösen örtliche und allgemeine Er¬
scheinungen hervor, aber auch bei Leprösen, geradeso, wie reines Nastin
auch bei Tuberkulösen wirkt. Werden Tuberkulöse mit Tb-Nastin vor¬
behandelt, dann kann man mit dem Serum eine Komplementbindung mit
Tb-Nastin erhalten, geradeso wie bei Leprösen gegenüber Nastin. Trotz
der hieraus ersichtlichen weitgehenden Verwandtscliaft besteht doch ein
Unterschied zwischen diesen Fettkörpern, insofern auch das Serum
mancher nicht vorbehandelter Tuberkulöser mit Tb-Nastin eine Bindung
gibt, während bei unvorbehandelten Leprösen das Serum mit Nastin
keine zeigt. Hierfür ist wohl der unverseifbare Rest im Tb-Nastin ver¬
antwortlich zu machen.
Digitized by Google
Aehnlich w'ie das Neutralfett der Strepthotrix leproides bei Lepra
reaktiv ist. so wirkt bei Lepra auch das durch warme Pressung aus dem
Samen von Taractogenos Kurzii King gewonnene Chaulmoograöl. Ein¬
spritzungen von Chaulmoograöl ruft bei Leprösen unter . Umständen
stürmische Erscheinungen hervor, ferner auch die Bildung eines mit
diesem Oel komplemenbindenden Antikörpers. Sera nicht vorbehan¬
delter Lepröser oder solcher, die mit Nastin vorbehandelt sind, geben
keine Hemmung. Die Abgestimmtheit der Bindung geht auch daraus
hervor, dass Sera, die mit Chaulmoograöl hemmen, dies nicht mit Nastin
tun und umgekehrt, und in keinem Falle mit Tristearin oder Triolein
oder mit sonst irgendeinem anderen Fett.
Wir kennen also einige Neutralfette, die imstande sind, spezifische
Antikörper zu erzeugen. Die Zahl der positiven Versuche Ist im ganzen
gering, aber auch nur ein einziger einwandfreier ist genügend die
Theorie der unbedingten Eiweissnatur aller Antigene fallen zu lassen.
An Einwänden hat cs nicht gefehlt. Der Einwand, dass Nastin nicht
streng genommen Leprabazillenfett ist. Ist zwar zuzugeben, aber durch
die von Much und seinen Schülern nachgew iesene Verwandtschaft der
säurefesten Stäbchen untereinander, die gerade auf der Gemeinsamkeit
von Fcttbestandteilen mehr wie auf der von Eiweisskörpern beruht,
hinfällig.
Man hat ferner elngewendet, dass die Wirksamkeit der Fette nur
durch geringe Spuren von Eiweisskörpern, die noch in Ihnen enthalten
sind, zustande komrxjt. Zahlenmässiges Arbeiten entkräftigt diesen Ein¬
wand leicht, abgesehen davon, dass man weder in Tb-Nastin noch In
Nastin auch nur die geringste Spur Eiw eiss hat nachweisen können. Be¬
sonders aber sprechen die Erfahrungstatsachen gegen diesen Einwand.
Much und seine Schüler konnten zeigen, dass Tuberkulöse, die man mit
Tb-Nastin oder mit M.Tb.N., dem Neutralfett-Partigen. behandelt, eine
sehr bedeutende, mit der Ouaddelprobe nachweisbare Erhöhung ihrer
Empfindlichkeit gegenüber diesem Fett autweisen, wobei die Empfind¬
lichkeit gegenüber dem Tuberkclbazilleneiweiss nicht steigt. Ja, es gibt
sogar eine grosse Zahl Tuberkulöser, die selbst auf sehr grosse Tuberkel-
bazillen-Eiweissmengen nicht antworten, während gegenüber dem be¬
treffenden Fett eine Ueberempfindlichkeit besteht.
Die von Much (10] vertretene Ansicht, dass im Kampfe gegen die
Tuberkulose Fettantikörper eine führende Rolle spielen, hat bei fast
allen, die mit den Partialantigenen der Tuberkelbazillen gearbeitet haben,
volle Bestätigung gefunden.
So hat z. B. Driigg fll] gefunden, dass sichere Tuberkulöse mehr
auf Eiw'Cisspartigen, Tuberkulosefreie und fraglich Tuberkulöse dagegen
mehr auf Fettpartigene In der Ouaddelprobe ansprechen. Die Tuber¬
kulosefreien, die also in gewissem Sinne tuberkuloseimmun sind, haben
also vorwiegend Fettantikörper gebildet, in gleicher Wel.se wie es mit
der Krankheit ringende Menschen tun müssen, um die für die Heilung
unbedingt nötige Summe der Partialantikräfte zu erhalten. Ludwig fl2]
konnte aus seinen Beobachtungen schliessen. dass gerade in den un¬
günstigen Fällen oder in ungünstigen Stadien der Erkrankung die Fett¬
antikörper fehlen. Kommt es im Laufe der Behandlung zur Besserung
oder Heilung, dann weist die überwiegende Mehrheit eine „positiv
dynamische Immunität“ auf, und bei dieser Veränderung der Immunität
beteiligen sich die Fettantikörper in auffallender Weise, und zeigen damit
überzeugend ihre überragende Bedeutung bei der Tuberkuloseheilung.
Es scheint aber nicht ganz gleichgültig zu sein, in welcher Weise die
Fettbestandteile.aus den Tuberkelbazillen gewonnen werden, denn nur
dadurch erklärt sich der Befund von Bürger und Möllers [13]. die
bei einem sehr reinen P- und N-freien Tuberkelbazillenfett keine anti-
genen Eigenschaften nachweisen konnten.
Schliesslich gelang es L e s c h k e 114] aus Tb-Nastin und M u c h f 15]
aus Nastin ausserhalb des Tierkörpers einen Uebcrempfindlichkeits-
giftstoff zu erzeugen, der in einigen Fällen dann noch tödlich wirkte, wo
ein vielfaches von Eiweiss sich als unw irksam erwies. Bei der 28 stün-
digen Einwirkung von Serum auf die Fettstoffe im Reagenzglas sind
jedoch rein physikalisch-chemische .Aenderungen des Serums nicht aus-
zuschliessen, die allein den Tod der Versuchstiere bedingen könnten.
Die Beweiskraft dieser Versuche für den Nachweis der Antigennatur von
Fetten möchte ich daher nicht allzu hoch einschätzen. Immerhin ist auch
ohnedies das Bestehen von Fettantikörpern erwiesen.
Einen weiteren Beitrag zu ihrem Nachweis haben die Versuche von
Stüber (16] gebracht. Nach vorhergegangener Pepsin- und Trypsin-
; Verdauung von Bakterien (Ty.-. Diphth.-, Staphylok.-, Tuberkelbazillen)
1 wurden dieselben mit Aether extrahiert. Das Fettlipoid erwies sich fähig
I im Serum des Tieres Stoffe zu bilden, die die betreffenden Bakterien
1 im Reagenzgas zusammenballten, nicht jedoch der Aetherrückstand.
Die Zusammenballung von Typhusbazillen war am stärksten nach Be¬
handlung mit Typhusbazillenfett, war aber, wenn auch weniger stark,
doch noch deutlich ausgeprägt nach Behandlung mit den anderen Bak¬
terienfetten.
Alle die gemachten Beobachtungen sind mit Bakterienfetten ge¬
macht. Jeder Versuch, mit gewöhnlichen Neutralfetten von Tieren und
Pflanzen oder mit reinem Tripalmitin. Tristearin oder Triolein spezifische
Antikörper zu erzielen, ist gescheitert.
Woran kann das liegen?
Der Grund liegt w'ohl in dem Wesen der Abgestimmtheit selbst.
Bringt man einem Tier mit Umgehung des Darmkanals Eiweiss in
den Organismus, so bilden sich in dem Serum abgestimmte Gegenstoffe,
deren Wirkung auf das entsprechende Eiweiss man im Reagenzglas
je nach den gewählten Versuchsbedingungen als Ausflockung, Zu¬
zusammenballung. Auflösung usw\ erkennen kann, im Tierkörper selbst
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
71
durch Ueberempfindlichkeitserscheinungen. Diese Qegenstoffe sind ab¬
gestimmt und zwar um so strenger, je verwickelter das betreffende
Eiweissmolekül gebaut ist. Je mehr die Struktur des Eiweissmoleküls
durch den verwickelten Aufbau eine Besonderheit hat. die es von allen
anderen weitgehend unterscheidet, je strenger ist der entsprechende
Gegenstoff abgestimmt und umgekehrt zeigt ein Gegenstoff die Neigung
zu Gruppen- und Verwandtschaftsreaktionen, je mehr das ihn erzeugende
Eiweissmolekül mit anderen gemeinsame Strukturteile aufweist.
Von allen Antigenen sind die Eiweisse diejenigen, die den ver-
wickeltsten Bau haben und darum kann auch keine andere Antigen-
gruppe so hoch abgestimmte Gegenstoffe erzeugen.
Dagegen sind die Kohlehydrate diejenigen Antigene, die verhältnis¬
mässig den einfachsten Bau haben. Und daher kommt eS, dass natur-
notw'endig unsere Kenntnis von abgestimmten Gegenstoffen gegenüber
Kohlehydraten so gering ist. Bei den am einfachst gebauten Kohle¬
hydraten wird man überhaupt nur mit Gegenstoffen rechnen können, die
auf mehr oder weniger grosse Gruppen abgestimmt sind. W e i n -
land [17] konnte zuerst das Auftreten von Invertin im Blut von
Hunden zeigen, denen Rohrzucker in die Blutbahn eingespritzt worden
war. Abderhalden [18] erweiterte diese Erfahrungen und wies
besonders auf die Rolle hin, die die Länge des Verweilens im Blute
spielt. Da Zucker im Gegensatz zu Eiweiss schon durch die Tätigkeit
der Nieren entfernt wird, hat der Körper es nicht nötig, in jedem
Falle abgestimmte Gegenstoffe zu seinem Schutze zu bilden. Vielleicht
ist das der Grund, dass es Folkmar [19] nicht gelang, bei Hunden
nach Rohrzuckerbehandlung jemals Invertin nachzuweisen. Das In¬
vertin wird auch durch das Einspritzen von gelöster Stärke und von
Milchzucker erhalten; es ist ein auf Gruppen abgestimmter Qegenstoff.
So gross auch die Moleküle der höheren Zuckerarten sind, so haben sie
doch im Vergleich zum Eiweiss eine einfachere Stmktur. insofern sie
aus sehr vielen, unter sich jedoch gleichen Atomgruppen bestehen. Es
ist daher verständlich, dass auch die Kohlehydrate, die die verwnckeltste
Struktur haben, nicht streng abgestimmte Gegenstoffe zu bilden brauchen.
Ob sie es doch tun, muss dahingestellt bleiben. Wir kennen bei den
Kohlehydraten keine Reaktionen, wie wMr sie bei den Eiweisskörpem
in Gestalt von Ausflockung, Ueberempfindlichkeit. Komplementbindung
usw. haben. Es ist demnach von vornherein nicht ausgeschlossen, dass
auch Stoffe wie Glykogen, Dextrin, Stärke, Zellulose bei einer Einver¬
leibung mit Umgehung des Darmkanals reaktiv wirken könnten. Viel¬
leicht fehlen nur die geeigneten Verfahren sie nachzuweisen. Warum
sollte es z. B. keine Partialantikräfte gegen die Zellulose der Leibes¬
stützsubstanz der Bakterien geben? Dass einige dieser Kohlehydrate
einen deutlichen Einfluss auf die unabgestimmte Immunität haben, ist
von Much in Gemeinschaft mit mir [20] gezeigt worden.- (Nach
neuren. noch nicht abgeschlossenen Versuchen von Edwin Stanton
Faust [21] soll sich gegen gewisse Sapotoxine, also Eiweiss und auch
N-freie Substanzen aktive und auch passive Immunität erzielen lassen.)
Eine Mittelstellung zwischen den verwickelt aufgebauten Ei weiss¬
körpern und den einfach aufgebauten Kohlehydraten nehmen die
Fette ein.
Die tierischen und das menschliche Neutralfett sind Gemische von
Qlyzerinestern verhältnismässig einfach gebauter Fettsäuren. Die Ver¬
schiedenheit der Fette untereinander, wie auch bei dem gleichen Tiere,
ist nicht durch einen besonderen Artcharakter bedingt, sondern hängt
von der Nahrung ab und hat ferner ihren Grund in der jeweiligen Farbe.
Geruch und Festigkeit. Die Farbe ist eine Eigenschaft, die dem Fett
als solchem nicht zukommt und beruht auf fettlöslichen Farbstoffen, die
entweder von der Nahrung oder von körpereigenen Stoffen, wie z. B.
Gallenfarbstoffen u. a., herrühren. Reine Fette sind farblos. Der Geruch
beruht auf geringen Beimengungen von flüchtigen freien Fettsäuren. Die
Festigkeit ist bedingt durch die verschiedene zahlenmässige Zusammen¬
setzung der Glyzerinester, deren Kombinationsfähigkeit bereits eine
ungeheure ist wenn man nur die verhältnismässig einfach gebauten Fett¬
säuren berücksichtigt. Gelangt solch ein Neutralfett in die Blutbahn,
dann löst es die Bildung von Lipasen aus. Diese fettspaltenden Fer¬
mente wirken aber auch auf andere Neutralfette in gleicher Weise und
sind mithin nicht abgestimmt. Beteiligen sich jedoch höhere Fettsäuren
an dem Aufbau der Moleküle, dann wird die Struktur desselben um so
verwickeltec, je höher die Fettsäuren sind. Der innere Aufbau der
höheren Fettsäuren ist sicher sehr verwickelt und zum Teil noch ganz
unbekannt. Die durch derartig verwickelt aufgebaute Fettkörper ge¬
bildeten Lipasen umfassen in ihrer Wirkung immer engere Gruppen,
sie werden abgestimmter sein.
An den Bakterienfetten beteiligen sich sicher Fettsäuren, die eine
äusseF«t verwickelte Struktur habet\ aber immerhin noch nicht so weit,
dass der gebildete Gegenstoff nur auf ein bestimmtes Bakterienfett ab¬
gestimmt ist. Vielmehr gibt es bei den Bakterien verwandte Gruppen.
^ konnten Much und seine Mitarbeiter nachweisen. dass die säure¬
festen Stäbchen miteinander verwandt sind, und, was noch wichtiger ist,
dass diese Verwandtschaft durch die Gleichartigkeit ihrer Fettkörper
bedingt ist. Es ist interessant, dass auch das Chaulmoograöl mit den
Fetten der säurefesten Stäbchen verwandt ist, dass es also eine grössere
Anzahl gemeinsamer Atomgruppen enthalten muss. Es ist daher wahr¬
scheinlich, dass man auch andere Pflanzen finden kann, deren Fette zu
gewissen Bakteriengruppen verwandtschaftliche Beziehungen haben.
Denkbar ist es, -dass es Fettkörper von noch verwickelterer Struktur
gibt, die dann genau abgestimmte Gegenstoffe erzeugen könnten.
Demgegenüber ist das gewöhnliche Neutralfett der Tiere ein Stoff,
der. wenn überhaupt, nur sehr wenig reaktiv wirkt Es ist vielleicht
' Nr. 3.
Digitized by Goi>3le
nach den normalen Körpersalzen derienige Stoff, der am wenigsten reiz-
auslösend wirken kann.
Neutralfett wird als Nahrungsmittel entweder sofort aufgebraucht,
oder aber auf gestapelt, wo es unter Umständen die gleiche Zusammen¬
setzung. die es in der Nahrung hat, beibehält. Es ist also gewisser-
massen ein Nahrungsvorrat, wie der Körper auch Kohlenhydrate in
Form von Glykogen aufspeichert. Allerdings wissen wir über die
Kräfte, die das Fett wieder mobilisieren, nichts, aber fast ebensowenig
wissen wir über die, die das Glykogen wieder dem Körper verfügbar
machen. Bei der Aufnahme von Fett mit der Nahrung werden grosse
Mengen von Fett in die Blutbahn aufgenommen, ohne dass wir mit
irgend einem Verfahren einen abgestimmten üegenstoff in der Blut¬
bahn nachweisen können, von einer unabgestimmten Lipase abgesehen.
Diese hier entwickelten Gedanken führen folgerichtig zu dem
Schluss, dass sich das Bakterienfett grundsätzlich von den Neutralfetten
unterscheidet; und so sicher man abgestimmte Antikörper gegen Bak¬
terienneutralfette bUden kann, so vergeblich wird es wahrscheinlich sein,
solche durch gewöhnliches Neutralfett zu erzeugen.
Literatur.
1. Bang und Forssman: Beiträge zur chem. Physiologie und Path.
8. 238. 1906. — 2. Landsteiner und D a u t w i t z. Ebenda 9. 431.
1907. — 3. Takaki: Ebenda 11. 274. 1908. — 4. M. Pinner: Zschr. f.
Immun.-Forsch. 1920. — 5. K. Meyer: Ebenda 7. 732. 1910; 9. 530. —
6. Deycke: D.m.W. 1905 Nr. 13 u. 14; 1907 Nr. 3. — 7. Much urid
Adam: Beitr. z. Klin. d. Infekt.-Krkh. 3. H. 1 u. 2. — 8. B o r i s j a k
und Metalnikow: Zschr. f. Immun.-Forsch. 12. 1912. — 9. H. Klein-
schmidt: B.kl.W. 1910 Nr. 2. — 10. H. Much: Lehrbuch der patho¬
logischen Biologie. III. Aufl. 1920. — 11. Drügg: D. Zschr. f. Chir. 153.
S. 289. — 12. A. Ladwig: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 119. H. 3. —
13. Bürger und Möllers: D.m.W. 1916 Nr. 51. — 14. Leschke:
Zschr. f. Immun.-Forsch. 1913. 16. 619. — 15. Much: Beitr. z. Klin. d.
Infekt.-Krkh. 1. 1912. Nr. 51. — 16. Stüber: M.m.W. 1915 Nr. 35. —
17. Weinland: Zit. nach Abderhalden. — 18. Abderhalden:
Abwehrfermente d. tier. Organismus.— 19. Folkmar: Biochem. Zschr.
1916. 76. 1. — 20. Much: D.m.W. 1920. — 21. Edwin Stanton Faust:
Zit. nach F. Flury: „Tierische Oifte“. Die Naturwissenschaften 7. 1919.
H. 34.
Kann das verschiedene kapilläre Steigvermögen der
Bakterien in Filtrierpapier zur bakteriologischen Stuhl¬
diagnose herangezogen werden?
Von Dr. Anton Hofmann, Leiter des bakteriologischen
Laboratoriums Duisburg.
Die von E. Friedberger und E. Putter in Nr. 48 der Münch,
med. Wochenschr. 1919 sowie im Arch. f. Hygiene 89. S. 71 veröffent¬
lichten Versuche über das kapilläre Steigvermögen der Bakterien in
Filtrierpapier beanspruchen nicht nur grosses theoretisches Interesse,
sondern scheinen auch für die praktische bakteriologische Typhus- und
Paratyphusdiagnosc verwertet werden zu können. Zeigen Typhus- und
Paratyphusbakterien in der Regel beim Aufsteigen im Filtrierpapier eine
grössere Steighöhe als die meisten übrigen Bakterien des Stuhls, so
muss es gelingen, sie in den oberen Partien von Filtrierpapierstreifen
anzureichern, wenn man solche Filtrierpapierdochte einige Zeit in Auf¬
schwemmungen von Typhusstühlen hineinhängt, Flüssigkeit und Bak¬
terien hochsteigen lässt und dann diese Streifen auf Endo- oder Drigalski-
agar abklatscht. Dieses Verfahren wäre zudem recht einfach, für den
Untersucher völlig gefahrlos und würde eine grosse Ersparnis an Agar-
platten bedingen, da man ja auf eine Agarplatte mehrere solcher Streifen
abdrücken könnte.
In Versuchen, die mit künstlichen Suspensionen von Typhus, Para¬
typhus, Dysenterie, Koli und sonstigen im Kote häufiger vorkommenden
j Bakterien in Kochsalzlösung angestellt wurden, konnten die Angaben
1 Friedbergers und Putters bestätigt werden. Es wurden dazu
I Filtrierpapierdochte von 1 tm Breite und 10 cm Länge verwendet, die
I 10—15 Minuten 1 cm tief in die Suspensionen eingesenkt wurden. Danach
1 blieben diese Dochte noch 15 Minuten frei in Reagenzgläsern hängen
und wurden kurz darauf auf Endoplatten abgeklatscht. Sind die so er-
I haltenen Steighöhen von Flüssigkeit und ^kterien auch bei gleichen
Versuchsbedingungen oft recht schwankend, so lässt sich doch fest-
I stellen, dass Typhus- und Paratyphusbakterien durchschnittlich höher
j steigen wie Bacterium coli und die meisten übrigen Stuhlbakterien. Die
‘ Steighöhen der giftreichen wie der giftarmen Ruhrerreger bleiben da-
' ge^gen hinter den Steighöhen von Koli zurück. Aus Gemischen von
1 Typhus- und Paratyphusbakterien in physiologischer Kochsalzlösung ge-
i fingt es fast immer, in den oberen Teilen des Filtrierpapierstreifens die
I pathogenen Bakterien nahezu in Reinkultur nachzuweisen. Obwohl zwei
der verwandten Kolistämme fast gleich hohe Steighöhen wie Typhus
.1 zeigten, so wuchsen aus den Gemischen beider in den oberen Teilen
I des Dochtes nur einige wenige Kolikolonien, neben denen sich die weiss¬
wachsenden Typhus- und Paratyphuskolonien gut isolieren Hessen. Auch
dann, wenn das Verhältnis von Typhus und Paratyphus zur Menge der
Kolibakterien in der Suspension recht ungünstig war (etwa '/looo Oese
Typhuskultur aus 1 Oese Koli in 1 ccm), gelang es auf diese Weise
doch noch, diö Typhusbakterien herauszuzüchten, während die gewöhn¬
liche Aussaat auf der Platte versagte. Ebenso Hessen sich aus Ge¬
mischen von Typhus mit Pyozyaneus, Bact. lactis aerogenes, Proteus
1 und Kokken die Typhusbakterien in den oberen Partien anreichern,
4
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
12
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRIF T.
Nr.
während die übrigen Bakterien zurückblieben. Nur gegenüber Bact.
alcahgenes Hess sich ein Unterschied in der Steighöhe nicht feststellen.
Auch aus Stühlen, die ich künstlich mit Typhus- und Paratyphus¬
bakterien infizierte, indem ich Kulturbakterien in die Stühle hineinverrieb,
hiervon ein etwa erbsengrosses Stück herausnahm und dieses in 10 ccm
Kochsalzlösung auf schwemmte, konnten auf die gleiche Weise stets die
pathogenen Bakterien herausgezüchtet werden. Ich konnte selbst
V»o Oese Typhuskultur verrieben in 10 ccm Stuhl leicht nach weisen.
Nach diesen Vorversuchen bot sich mir Gelegenheit, die Methode an
Hand eines grösseren Materials praktisch zu erproben. Ende des Monats
März 1920 traten in Nürnberg gehäufte Fälle der gastroenleritischen Form
des Paratyphus B auf, die sich auf den Genuss von aus Pferdefleisch her¬
gestellten Wurstwaren zurückführen Hessen. Aus sämtlichen .ein¬
gesandten Wurstproben wurde der Erreger in grosser Menge und nahezu
in Reinkultur isoliert. Von dieser Epidemie wurden vom 1. IV. bis
9. IV. 20 insgesamt 40 Stuhlproben an die zuständige bakteriologische
Untersuchungsanstalt eingeschickt. Die Stühle wurden mittels Glas¬
spatels in der üblichen Weise je auf eine Malachitgrünplatte und dann
auf eine Endoplatte (1. Endoplatte) ausgestrichen. Die Malachitgrün-
platten wurden nach 16 bis ISstündiger Bebrütung abgeschwemmt und
davon einige Oesen auf die zweite Endoplatte verimpft. Ausserdem
wurden erbsengrosse Teile der Stühle gründlich in je 10 ccm Kochsalz¬
lösung verrieben und diese.Aufschwemmungen nach der oben beschrie¬
benen Kapillarsteigmethode behandelt. Eintauchzeit und Steigzeit be¬
trugen auch hiebei je 15 Minuten. Bei den 15 letzten Stühlen wurde
gemäss den Angaben Friedbergers und Putters in Nr. 14 der
M.m.W. 1920 die Steigzedt auf eine halbe Stunde verlängert. Die
Resultate ergeben sich aus nachstehender Tabelle:
I Duriu wiu'den Paratyphus B-Bakterien gefunden:
Zahl der eingesandten
Stuhlproben
mittels der 1. Endo-
mittele d. Malachit-
mittele d. Kapillar-
platte
grünplatte
Bteigmethode
40
in 18 Proben
j in 88 Proben
j in 8 Proben
Dazu kommen noch aus dem Material der letzten 4 Wochen
3 Typhusstühle, in denen der Erreger nur mittels der Malachitgrün¬
platte nachgeäwiesen wurde und die Kapillarsteigmethode gleichfalls
versagte und endlich noch ein Fall von Paratyphus A, der mittels der
1. Endoplatte. der Malachitgrünplatte und der Kapillarsteigmethode, in
diesem Falle in vorzüglicher Anreicherung, gefunden wurde. Von den
8 Paratyphus-B-Fällen, in denen die Kapillarsteigmethode gute Resultate
gab, wurden 7 auch schon auf der ersten Endoplatte gefunden. Nur in
einem Fall versagte die 1. Endoplatte, während die Kapillarmethode
noch den Erreger liefertei In keinem Falle erwies sie sich leistungs¬
fähiger als die Malachitgrünplatte.
Uebersehen wir die Ergebnisse, so zeigt sich die Kapillarsteig¬
methode entgegen den Befunden der Vorversuche dem gewöhnlichen
Verfahren bedeutend unterlegen. Bei vier Paratyphus-B-Stühlen war
zwar die Anreicherung ausgezeichnet, die Paratyphus-B-Bakterien waren
1—2 cm höher als die Kolibakterien gestiegen und wuchsen oberhalb
des Kolisaumes in Reinkultur, aber in diesen Fällen wies auch die erste
Endoplatte bereits zahlreiche weisswachsende Kolonien auf. Diese Fähe
zeigen ebenso wie die Ergebnisse der Vorversuche, dass weder das ver¬
wendete Filtrierpapier noch die Technik für das schlechte Resultat ver¬
antwortlich zu machen ist. Etwas besser w'urden einmal die Ergebnisse
bei 8 Paratyphus-B-Stühlen, bei denen die Stuhlaufschwemmungen, die
unmittelbar im Filtrierpapierdochte aufgestiegen, nur in 3 Fällen positive
Resultate ergaben, 4 Tage bei Zimmertemperatur stehen blieben und
dann nochmals nach der gleichen Methode behandelt wurden. Dabei
konnte neben den 3 ersten Stühlen in 3 weiteren Fällen der Erreger
isoliert werden. Mittels der Malachitgrünplatte erhielt ich aber in allen
8 Fällen das Paratyphus-B-Bakterium. Weitere Versuche, bei denen die
Stuhlaufschwemmungen 48 Stunden stehen blieben und dann nochmals
mit der Kapillarmethode untersucht wurden, lieferten indes die gleichen
Resultate wüe beim ersten Versuch: die mittels der Steigmethode das
erste Mal als positiv erhobenen Fälle waren auch jetzt positiv, die nega¬
tiven blieben negativ. Die Methode versagte vollends bei den zuletzt
eingesandten Stuhlproben der Epidemie, bei denen der Kot fast schon
wieder geformt war.
Wie sehr man sich hierbei davor hüten muss, die Ergebnisse des
Experiments auf die in der bakteriologischen Praxis gegebenen Fälle zu
übertragen, beweist folgender Versuch: 10 Stuhlproben hatten mittels
der Kapillarsteigmethode negative Resultate ergeben, während sich nach
dem gewöhnlichen Verfahren Paratyphus-B-Bakterien daraus züchten
Hessen. Ich wiederholte das Steigverfahren mit denselben Stühlen nach
24 Stunden mit dem gleichen Misserfolge. Nun wurden diese Stühle
künstlich infiziert und zwar jeder Stuhl mit dem Stamm, der aus ihm,
isoliert worden war Ü/s Oese Kultur auf 5—10 ccm Stuhl). Jetzt konnten
aus den Aufschwemmungen dieser künstlich infizierten Stühle die Para¬
typhusbakterien mittels der Steigmethode leicht isoliert werden, wobei
in 9 Fällen die pathogenen Bakterien wieder sehr hoch gestiegen waren.
In einem Fall lag nur eine Paratyphus-B-Kolonie oberhalb des Koli¬
saumes.
Die Gründe für das Versagen der Methode bei echten Typhus- und
Paratyphusstühlen können einmal darin zu suchen sein, dass hier die
Bakterien doch intensiver an Kotpartikelchen sitzen, wodurch sie am
Aufsteigen gehindert werden, wie bereits Friedberger und Putter
ausführen. In der Tat erhielt ich meine besten Resultate mittels der
Kapillarsteigmethode bei den Stühlen, die schon vor der Aufschwemmung
sehr dünn waren. Lässt man die Bakterien aus stärker viskösen Flüssig¬
keiten aufsteigen, indem man der Kochsalzlösung 1—2 Proz. Gelatine
zusetzt, so bleibt sowohl die Steighöhe der Flüssigkeit wie der Bakterien
um die Hälfte gegenüber den Bakterien in Kochsalzlösung zurück. Indes
stieg bei Zusatz von Koli und Typhus in diese mit Gelatine versetzte
Lösung das Typhusbakterium doch höher wie Koli. Ferner gibt es, wHe
ebenfalls schon Friedberger anführt, Kolistämme, die gleich hoch
wie Typhus steigen können und dann die zarteren Typhuskolonien über¬
decken müssen. Putter erhielt bei Typhusbakterien bedeutend nied¬
rigere Steighöhen, wenn er ein agglutinierendes Serum zusetzte, ein
Versuch, den ich bestätigen konnte, auch wenn ich das Serum in einer
Verdünnung zusetzte, die den Endtiter noch überschritt. Setzt man hiezu
Koli und Typhus gemischt so ist auch hier oberhalb des Kolisaumes
keine weisswachsende Kolonie festzutellen. Endlich wird aber die
Steighöhe auch dadurch beeinflusst, dass man den Suspensionen Stoffe
zugibt welche die Bakterien schädigen, ohne sie abzutöten. Säuren und
Laugen drücken bereits in einer Konzentration von tso—Vioo Normal-
lösiing die Steighöhen deutlich herab. Ich brachte ferner in Typhus-
und Paratyphusaufschwemmungen Malachitgrün in einer Konzentration
von Ü,ü2 Prorn. und fand, dass bei Typhus und Paratyphus A die Steig¬
höhen beträchtlich abnahmen. Mischungen von Typhus oder Para¬
typhus A mit Koli in solche Malacliiigrünlösungen gebracht zeigten
eine starke Abnahme der Steighöhe aller Bakterien Im ganzen, und
Typhus- und Paratyphus-A-Kolonien waren hierbei nicht mehr oberhalb
der Koligrenze zu sehen. Auf die Steighöhe des Paratyphus B jedoch
übte Maldcliitgrün in dieser Konzentration keinen Einfluss aus. Ich
schliesse aus diesen Versuchen, dass giftige Subtanzen, auch wenn sie
die Bakterien nur leicht schädigen, doch bereits beträchtlich die Steig-
höhen her.ibdrücken und halte es für möglich, dass auch im Kote ent¬
haltene, giftig wirkende Stoffwechselprodukte, besonders wenn sie
längere Zeit auf die Bakterien eingewirkt haben, in der gleichen Weise
sich bemerkbar machen. Auch hierin sehe ich einen Grund für das Ver¬
sagen der Methode.
Zum Schlüsse sei noch auf das gute Resultat hingewiesen, das bei
dieser Paratyphus-B-Epidemie sowie auch bei den angeführten
3 Typhusfällen mit der Malachitgrünplatte erzielt wurde. Die 13 schon
mit der ersten Endoplatte ermittelten Fälle lieferten auch auf der Grün¬
platte ein sehr gutes Wachstum und ausserdem wurden mit dieser in
25 weiteren Stühlen die Erreger gefunden. Die 2 Stühle, bei denen
weder auf der ersten Endoplatte, noch auf der Grünplatte pathogene
Bakterien gefunden wurden, kamen erst nach Ablauf der Krankheits¬
erscheinungen und waren fast schon wieder geformt Wenn auf der
ersten Endoplatte nur wenig farblos wachsende Kolonien zu sehen
waren, bot sie die Malachitgrünplatte und die zweite Endoplatte in
grosser Menge. Die Aussaat auf der ersten Endoplatte, die zwar nicht
nach der Methode M. Neissers (Zbl. f. Bakt I.Abt.O, Bd.82, Heft 6),
sondern mittels des gewöhnlichen (ilasspatels vorgenommen wmrde, war
dabei durchwegs sehr gut Die erste Endoplatte wurde gerade mit Rück¬
sicht darauf, ein Urteil über die Malachitgrünplatte abgeben zu können,
wiederholt sorgfältig durchgemustert, trotzdem konnten mit ihr bessere
Resultate nicht erhalten werden. Aber auch in den 3 angeführten
Typhusfällen erwies sich die Grünplatte als überlegen, was sich durchaus
mit unseren Erfahrungen der letzten Jahre deckt. Diese günstigen
Resultate mittels der Grünplatte wurden von dem Zeitpunkt an erzielt,
seitdem sie nach den von F. K n o r r e (Zbl. f. Bakt. l. Abt. O, Bd. 79,
Heft 3) entwickelten Vorschriften austitriert wurden. Nach alledem kann
ich der Ansicht M. Neissers (1. c.) nicht zustimmen, dass die Grün¬
platte im Feldmassenbetriebe entbehrlich sei. Wird die Malachitgrün¬
platte richtig austitriert und wird vor allem auch die Abschwemmung in
der Weise vorgenommen, dass man die Platte mit etwa 10 ccm Koch¬
salzlösung übergiesst, die Flüssigkeit ruhig, ohne zu bewegen, 3 bis
5 Minuten stehenlässt und dann nur von der Oberfläche einige Oesen
auf die zweite Endoplatte überträgt, dann stellt sie für die bakterio¬
logische Diagnose ein ungemein wichtiges Hilfsmittel dar, das sich gerade
im Massenbetriebe sehr gut bewährt.
Aus der orthopädischen Heilanstalt von Sanitätsrat Dr. med.
Qaugele, Zwickau.
Die Anwendung von Pepsin-Salzsäure zur Beseitigung
von Narbenzug.
Von Dr. med. Schüssler, II. Arzt der Anstalt.
Wer viel mit der Nachbehandlung von Unfallverletzten zu tun hat.
weiss, welche Schwierigkeiten Narben bereiten können, wenn es sich
darum handelt, versteifte Gliedmassen wieder bew^eglich zu machen.
Sind die Narben noch w-eich oder noch nicht vollkommen verheilt, so
neigen dieselben zum Aufspringen, die noch vorhandenen Wunden wollen
nicht zuheilen; sind die Narben schon zu fest oder zu derb, so geben sie
nicht mehr nach und die Beugestellung des verletzten Gliedes lässt sich
nur wenig beseitigen. Zahllose Präparate sind zur Vermeidung und Be¬
seitigung von Narbenkontrakturen angegeben worden, ohne dass mit
ihnen ein wesentlicher Erfolg erzielt werden konnte. Wir haben Fibro-
lysin ohne ein deutliches Ergebrus gespritzt, und mit Hormon hatte es
nur in 1 oder 2 Fällen den Anschein, als sei eine Besserung ein¬
getreten.
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Jannar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
n
Wir griffen daher gern die Anregung von Patzschke aus der
Klinik von Unna in Hamburg in dieser Wochenschrift auf, der von
neuem auf die Einwirkung von Pepsin-Salzsäure auf Narbengewebe hin¬
wies. Wie Unna festgestellt hat. durchdringt dieses (icmisch die Horn¬
schicht der Haut und entfaltet unter derselben ihre verdauende Wirkung,
wie man das im Reagenzglas beobachten kann, ln der Literatur ist die
Anw^endung von Pepsin-Salzsäure schon mehrfach empfohlen worden.
Als erster hat wohl Unna darüber berichtet. Weiterhin habe ich von
üriessmann eine Mitteilung gefunden, der eine Dupuytren sehe
Kontraktur bedeutend besserte, so dass der Mann wieder arbeitsfähig
vmrde. Krähe beschreibt drei Fälle von chirurgischer Tuberkulose; er
spritzte in die Abszesse eine Lösung von 10 Pepsin, i Salzsäure und
100 Wasser mit gutem Erfolg.
Das Gemisch wird zwar, so viel mir bekannt ist, auch anderweitig
öfter angewendet; im Anschluss an die Arbeit von Patzschke
möchte ich jedoch nicht unterlassen, kurz über die guten Erfolge zu be¬
richten, die wir bei der Behandlung von Narben damit gemacht haben.
Wir wendeten Salben und Dunstumschläge in der von Patzschke an¬
gegebenen Stärke an (10 Proz. Pepsin, 1 Proz. Salzsäure, dazu 1 Proz.
Karbolsäure). Die Salbe wurde täglich zw^eimal in die Narben ein¬
gerieben, ein Verband wurde darüber nicht angelegt. Die Dunst¬
umschläge wurden nur nachts gemacht und zw^ar nur an solchen Körper¬
teilen, an denen sie sich leicht anbringen liessen, also hauptsächlich an
den Händen, wo die ganze Hand in den Verband hineingenommen w^urde.
Die Verletzten empfinden jedoch die Anwendung von Salbe subjektiv
angenehmer. Von Einspritzungen unter die Haut wurde zunächst Ab¬
stand genommen und zwar hauptsächlich deshalb, weil die meisten Ver¬
letzten von vornlierein .eine Abneigung gegen Einspritzungen haben, dann
aber auch, weil wir auch ohnedem zum Ziele gekommen sind. Ent¬
zündungserscheinungen der Haut, von denen Patzschke spricht,
konnten wir nicht beobachten; wir haben allerdings von vornherein in
den meisten Fällen statt Salzsäure Borsäure verwendet. Gleichzeitig
wurden die Verletzten selbstverständlich auch mit Gymnastik. Wärme¬
anwendung und Massage behandelt.
Im ganzen wurden bisher 11 Fälle behandelt, und zwar unter¬
schiedslos Narben aller Art. Die flächenhaften Narben verloren ihr
glänzendes, abschilferndes Aussehen. Die Narbe am Stumpf eines Ober¬
schenkels, die fest dem Knochen aufsass und Neigung zum Aufbrechen
zeigte, wurde ra.sch weich und fast etwas runzlig, faltig. Sie lag dem
Knochen nicht mehr so derb an, schilferte weniger ab und ist seit langer
Zeit, obwohl der Verletzte erst seitdem seine Prothese tragen kann,
nicht w'ieder aufgebrochen. Aehnliches zeigten flächenhafte Narben nach
Verbrennungen, darunter eine, die fast den ganzen Oberarm betraf und
den Vorderarm in starke Beugestellung gezogen hatte. Diese Beuge¬
stellung bewirkte ein Strang, der schwimmhautähnlich sich in der Ellen¬
beuge ausspannte. Dieser Strang wurde weich, fühlte sich binnen
kurzem genau so an, wie eine emporgeschobene Hautfalte und nach
einer Behandlung von 8 Wochen liess sich der Arm fast bis zur Norm
strecken. Besonders häufig kommen diese strangartigen Verwachsungen
an den Händen vor, wo die Finger krallenartig zusammengezogen
werden. Auch in solchen Fällen trat eine Besserung ein. Verhärtungen
und Verdickungen dicht unter der Haut, z. B. bei Brüchen von Finger¬
gliedern oder der Mittelhandknochen blieben unbeeinflusst. Vielleicht
wären solche Fälle eher einer Besserung durch Einspritzung des Ge¬
misches zugängig.
Von grosser Wichtigkeit jedoch für den Erfolg ist das Alter der
Narben. Es scheint, dass durch Pepsin-Salzsäure die Ueberhäutung der
Wunden verzögert wird. Die Granulationen bekommen ein schlaffes
Aussehen, sondern stark ab. Setzt man mit der Behandlung aus und
verwendet die sonst gebräuchlichen Mittel, am besten unter gleich¬
zeitigem Aussetzen der Uebungsbehandlung. so tritt meist rasch die
Ueberhäutung ein. Das gleiche scheint bei wiederaufgesprungenen
Narben der Fall zu sein. Andererseits ist es wohl selbstverständlich,
dass man mit dem Beginn der Behandlung nicht zu lange warten soll,
da sonst die Bindegewebsfasern zu zahlreich und zu hart geworden sind.
Schon ältere Narben geben nur wenig mehr nach, wenngleich auch sie
weicher und einer Dehnung zugänglicher werden. Die Anwendung des
Gemisches muss über längere Zeit fortgesetzt werden, da das Pepsin
seine Wirkung erst allmählich entfaltet. Wir haben nach ungefähr
10—14 Tagen bei frischen Narben eine deutliche Wirkung feststellen
können, trotzdem aber haben wir die Behandlung mehrere Wochen
durchgeführt Bei schon derberen Verwachsungen dauert es ent¬
sprechend länger, bis eine Besserung eintritt
Nach unseren Erfahrungen ist daher zu empfehlen, alle grösseren
und vor allem störenden Narben, sowie sie voflkommen überhäutet sind,
mit einer Salbe oder mit Dunstumschlägen von Pepsin-Salzsäure zu be¬
handeln. Die mechanische Nachbehandlung wird dann viel bessere
Ergebnisse liefern,
Literatur.
Krähe; 3 Fälle chirurgischer Tuberkulose, die durch Injektion einer
HCl-Pepsmlösung behandelt wurden. B.kl.W. 1920 Nr. 23 (zit. nach M.m.W.
1920 Nr. 26). — Qriessmann: Dupuytren sehe Kontraktur. M.m.W.
1918 Nr. 39. — Patzschke: lieber die Anwendung von Pepsin-Salzsäure
lur V'erdauung von Narbengewebe. M.m.W. 1920 Nr. 14 S. 402.
Digitized by Goiisle
Aus dem Samariterhaus Heidelberg.
(Direktor: Prof. Dr. R. Werner.)
lieber eine neue Oickfiltermethode fOr die Röntgentherapie.
Von Dr. H. Rapp, Oberarzt des Samariterhauses.
Schon bald nach Einführung der Röntgenstrahlen in die Therapie
der bösartigen Neubildungen hatte man erkannt, dass die Behandlung
tiefliegender Geschwülste nur dann Aussicht auf Erfolg biete, wenn es
möglich wäre. Röntgenstrahlen in genügender Menge an den Krank¬
heitsherd zu bringen. Verschiedene Wege wurden eingeschlagen, dieses
Ziel zu erreichen. Dessauer war der erste, der versuchte durch Ver-
grösserung des Haut-Antikathodenabstandes die stark divergierenden
Strahlen dem parallelen Verlauf zu nähern und dadurch den Verlust durch
die Divergenz zu vermindern. Er führte diese Methode damals unter
dem Namen Homogenbestralilung in die Therapie ein und konnte
ihre Brauchbarkeit durch Messungen und Versuche am Patienten
erweisen, doch musste die Weiterarbeit in dieser Richtung eingestellt
werden, da die damals unvollkommenen technischen Einrichtungen un-
verhältnismässig lange Bestrahlungszeiten erforderten. Erst in jüngster
Zeit konnte dieser Gedanke — dank der Vervollkommnung der modernen
Apparate und Röhren — von Seitz und Wintz mit mehr Erfolg
wdeder aufgenommen w^erden, wie ihre exakten Messversuche und
besseren Resultate beweisen. Immerhin können die Vorteile dieser
Methode nur bei solchen Tumoren voll ausgenutzt werden, die nicht
allzu tief unter der Hautoberfläche liegen. Der Ruhm, einen anderen
Weg zu diesem Ziel gezeigt zu haben, gebührt P e r t h e s, der sich schon
im Jahre 1904 eingehend mit den Absorptionsverhältnissen der Gewebe
für die Röntgcnstrahlen beschäftigt hatte und die Grundlagen für die
Filtertechnik schaffte, auf denen 0 a u s s und L e m b k e ihr Aluminium¬
filterverfahren aiifbauen konnten. Damit war für einige Zeit ein ge¬
wisser Abschluss der Filtertechnik erreicht, der aber nicht hinderte,
dass von den verschiedensten Forschern immer wieder nach neuen,
besseren Filtermaterialien gesucht w'urde, um so mehr, als auch diese
Methode noch viel zu wünschen übrig liess und es der Industrie gelungen
war, die Leistungsfähigkeit der Apparate erheblich zu steigern. Die
. Fortschritte in dieser Richtung knüpfen sich an die Namen Krönig-
Friedrich und S e i t z - W i n t z, die mit Hilfe exakter Messmethoden
die Absorptionsverhältnisse der Strahlen bei zunehmender Aluminium¬
dicke untersuchten. Auf Grund ihrer Versuche führten erstere das 1 mm-
Kupferfilter, letztere das % mm dicke Zinkfilter in die Therapie ein.
Beide verhalten sich in bezug auf ihre Filterwirkung annähernd gleich
und entsprechen etwa einer Filterdicke von 11 mm Aluminium. Nach
den Untersuchungen von Wintz erschien es nicht rätlich, bei der SHS-
Röhre diese Dicke zu überschreiten, da bei 10 mm Aluminium der Homo¬
genitätspunkt erreicht war und sich darüber hinaus die prozentuale
Tiefendosis nicht mehr wesentlich besserte, wohl aber die Bestrahlungs¬
zeiten unverhältnismässig stark vergrössert wurden.
Durch Kombination der Filtertechnik und der Verringerung der Dis¬
persion durch Vergrösserung des Antikathoden-Hautabstandes gelang es
Seitz und Wintz besonders bei solchen Tumoren, bei denen eine
Durchkreuzung der Strahlenkegel im Krankheitsherd von verschiedenen
Einfallspforten aus nicht möglich war. ihre Erfolge noch wesentlich zu
verbessern, die Bestrahlungszeiten mussten aber dann auf mehrere
Stunden verlängert werden. Obwohl wir nun die Wintz sehe Be¬
strahlungsmethode aufs genaueste imitierten, gelang es uns trotzdem nur
bei einem kleinen Bruchteil unserer schweren Fälle, ein vollkommenes
Verschwinden der Tumoren zu erreichen. Andererseits aber konnten
wir verschiedentlich beobachten, dass Tumoren, die sich gegen die Rö-
Karzinomdosis refraktär verhalten hatten, durch eine Radiumbestrahlung,
die nur ein geringes Erythem erzeugte, ganz erheblich verkleinert
wurden. Diese Beobachtungen drängten uns immer wieder den Ge¬
danken auf, dass die Strahlen des Radiums irgendwie anders wirkten,
als die Röntgenstrahlen, obwohl beide die erkrankte Zelle in ganz
analoger Weise histologisch verändern. Nicht allein die grössere Tiefen¬
wirkung der kurzwelligen Strahlen spielt dabei eine Rolle, sondern vor
allem ihre erhöhte Fähigkeit, wiederum kurzwellige Sekundärstrahlen
zu erzeugen, wodurch die Erschütterung des Atomgefüges der Zelle eine
viel erheblichere sein muss. Vielleicht wird hierdurch doch ein Unter¬
schied in der biologischen Wirkung auf die Geschwulstzelle bedingt, ob¬
wohl dem eine Reihe von Versuchsresultaten an normalen Zellen ent¬
gegenstehen. Wenn diese Vermutungen richtig sind, ist mir dann noch
ein Fortschritt zu erzielen, wenn es gelingt, die langwelligen Röntgen¬
strahlen noch mehr als bisher zu eliminieren. Durch Verminderung der
Strahlendivergenz ist dieses Ziel nicht zu erreichen, da dadurch wohl die
prozentuale Tiefendosis gebessert, an der Wellenlänge selbst aber nichts
geändert werden kann. Nach dem Gesagten wäre es also nicht allein
von Wichtigkit, im Verhältnis zur Oberflächendosis möglichst viel
Strahlen in die Tiefe zu bringen, sondern vor allem auch möglichst kurz¬
wellige, und so bliebe demnach nur die Möglichkeit, durch verstärkte
Filterung eine noch schärfere Auslese der kurzwelligen Strahlen zu
! treffen. Diesen Weg habe ich beschriften, indem ich zu einer 3 mm
j dicken Zinkfilterung überging, da Aluminium nach den Untersuchungen
I von Wintz nicht in Betracht kommen konnte und ausserdem die Mög-
I lichkeit bestand, dass bei steigender Schichtdicke die Absorptionsverhält-
I nisse des Zinks andere sein konnten als die des Aluminiums. Ich will
gleich vorausschicken, dass diese Vermutung durch die Untersuchungen
I des Radiologischen Instituts Heidelberg mit der Holthusen sehen
4*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
74
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr, 3.
Jontoquantimetermesskammer ihre Bestätigung gefunden hat; die ge¬
nauen Resultate werden demnächst an anderer Stelle von genanntem
Institut veröffentlicht werdqn. Ich will hier nur kurz über einige
interessante Beobachtungen bei der praktischen Anwendung dieser
Dickfiltermethode berichten: Schon bei den ersten orientierenden
Messversuchen mit Kienböckstreifen am Wintz-Baumeister-
schen Wasserphantom zeigte sich die erhebliche Ueberlegenheit des
3 mm-Zinkfilters gegenüber dem Va mm dicken durch die über¬
raschend grosse Verbesserung der prozentualen Tiefendosis. Um
möglichst natürliche Messverhältnisse zu haben, bestrahlte ich unter
gleichen Betriebsverhältnissen gleichzeitig und gleich lang je einen
Kienböckstreifen auf der Vorder- und Hinterwand des Wasserkastens
und entwickelte beide Streifen zusammen unter den gleichen Be¬
dingungen. Diese Versuclie machte ich abwechselnd mit dem mm
und dem 3 mm dicken Zinkfilter. Der Unterschied zwischen beiden
Versuchsergebnissen war deutlich und blieb konstant: Während bei dem
Versuch mit Va mm Zink das Verhältnis zwischen Oberflächen- und
Tiefendosis 10:04 X war, betrug es bei 3 mm Zink 8 : 2 V 2 X; der
Unterschied ist so gross, dass er weit ausserhalb der Fehlergrenzen der
Kienböckmessung liegt. Es ist klar, dass infolge dieser starken Filterung
die Bestrahlungszeiten ganz erheblich verlängert werden mussten
— unter unseren Betriebsbedingungen wird ein starkes Erythem in etwa
10 Stunden erreicht, nach 8 Stunden ist etwa 14 Tage später kaum eine
Rötung der Haut zu bemerken —, doch hielt uns diese Tatsache um so
weniger davon ab, die Methode am Patienten zu erproben, als ja die
Fernfeldbestrahlungen ähnlich lange Bestrahluiigszeiten erfordern.
Die Beobachtungszeiten sind allerdings noch zu kurz, um uns ein
abschliessendes Urteil über die Leistungsfähigkeit dieser Methode bilden
zu können, soviel kann aber jetzt schon gesagt werden, dass sie sich der
Va mm-Zinkfilter- und der Zinkfilterbestrahlung deutlich überlegen
gezeigt hat. Die ersten Fälle, die wir der neuen Bestrahlungsmethode
unterzogen, waren solche, bei denen die gewöhnlichen Röntgen- und bei
manchen sogar Radiumbestrahlungen versagt hatten; sie zeigten über¬
raschenderweise schon nach der ersten Dickfilterbestrahlung so weit¬
gehende Besserungen, dass wir ermutigt wurden, in dieser Richtung
weiter zu arbeiten. So behandelten wir in den letzten Monaten etwa
70 Karzinome, welche die verschiedenste Histogenese, Lokalisation und
Ausdehnung hatten und die sich bis auf wenige erheblich zurückbildeten
oder ganz verschwanden. Es ginge über den Rahmen und den Zweck
einer vorläufigen Mitteilung hinaus, wollte ich die Krankengeschichten
aller bis jetzt mit Dickfilter behandelten Patienten ausführlich bringen,
nur einige Fälle will ich erwähnen, die sich auf 1 —2 Bestrahlungen so
auffallend schnell und weitgehend zurückbildeten, wie wir es bis jetzt
mit anderen Methoden noch nie zu beobachten Gelegenheit hatten:
2 kindskopfgrosse Mammakarzinome gingen auf eine Dickfilterdosis von
80 X innerhalb 2—3 Wochen bis auf Taubencigrösse zurück. Bei einem
Tonsillenkarzinom mit gänseeigrossen Metastasen in den Halsdrüsen
verflüssigten sich die Drüsenknoten nach der gleichen Dosis und konnten
durch Punktion entleert werden, das Karzinomulcus an der Tonsille war
fast abgeheilt als Patient einer interkurrenten Erkrankung erlag. Die
mikroskopische Untersuchung konnte im bestrahlten Gebiet nur noch ge¬
ringe Reste des Karzinoms nachw^eisen, die aber ebenfalls deutlich ge¬
schädigt waren. Ein anderes Tonsillenkarzinom mit Drüsennietastasen
war auf eine Dosis von 80 X 4 Wochen später fast vollkommen benarbt,
die Drüsenknoten nicht mehr nachweisbar; mehrere ausgedehnte Ge¬
sichtsepitheliome. die vorher schon monatelang erfolglos mit Radium be¬
handelt worden waren, besserten sich auffallend schnell und weitgehend.
An einigen Karzinomen konnten wir die interessante Beobachtung
machen, dass sie sich schon während der Behandlung, die etwa 8 Tage
dauerte (jeden Tag 10 X). zurückbildeten, also bei einer Dosis, die weit
unter der Haut-Erythemdosis lag. Niemals aber sahen wir irgendwelche
Verschlimmerungen auftreten, welche als Folge einer Reizung aufzu¬
fassen gewesen wären. Da uns dieses Phänomen auffiel, applizierten
wir absichtlich einem ausgedehnten Epitheliom hinter dem Ohr mit
hühnereigrossen Metastasen in den regionären Drüsen nur 50 X. mit dem
Erfolg, dass sich die Drüsenknoten schon nach 14 Tagen auf ver¬
kleinert hatten, das etwa handtellergrosse Epitheliom war bis zur Hälfte
überhäutet. Diese Erscheinung, die uns, wie gesagt, schon mehrmals
auffiel, ist überraschend und lässt verschiedene Erklärungsmöglichkeiten
zu, die hier nicht näher erörtert werden können. Erwähnen möchte ich
noch, dass die unangenehmen Nebenerscheinungen des Röntgenkaters bei
der Dickfilterbestrahlung bedeutend geringer zu sein scheinen, als wir sie
sonst zu sehen gewohnt sind.
Ueber unsere Bestrahlungstechnik ist folgendes zu sagen: Symmetrie¬
apparat mit SHS-Röhre am Wintzautomaten, Belastung 22 MA., parallele
Funkenstrecke 38 cm, Spannungshärtemesser 108—112. Das Bestrah¬
lungsfeld wird bei Bedarf so gross gewählt als es die Oeffnung des
Röhrenkastens bei 23 cm A.-H.-Abstand zulässt, der ganze übrige Körper
des Patienten wird mit 3 mm dickem Bleigummi peinlichst abgedeckt.
Unter diesen Betriebsbedingungen leistet der Apparat unter 3 mm Zink
in einer Stunde eine Oberflächendosis vpn etwa 10 X, so dass wir etwa
8 Stunden bestrahlen müssen, um der Oberfläche die empirisch als aus¬
reichend befundene Dosis von 80 X zu applizieren. Bel tiefliegenden
Tumoren beschränken wir uns nicht auf ein Feld, sondern suchen den
Tumor auch noch von 1 —3 Hilfsfeldern aus zu treffen. Ebenso haben
wir versucht bei einem Fall durch Kombination mit der Femfeldbestrah-
lung die Leistungsfähigkeit der Methode noch mehr zu heben, kamen
dabei aber auf Bestrahlungszeiten von 32 Stunden, so dass wir wiegen
starker sonstiger Inanspruchnahme der Apparate die Versuche in dieser
Digitized by Goiisle
Richtung aufgeben mussten. Da nun die meisten unserer oft sehr
elenden Patienten die Bestrahlung in einer Sitzung nicht aushalten,
applizieren wir täglich nur 10—20 X. ohne jemals davon eine nachteilige
Wirkung gesehen zu haben, ja manchmal hatten wir geradezu den Ein¬
druck als ob dieses Auseinanderziehen in kleinere tägliche Einzeldosen
nicht unwesentlich für den Erfolg sei. Wiederholt werden die Bestrah¬
lungsserien nicht vor Ablauf von 5—7 Wochen.
Sobald die. Versuche mit unserer Dickfiltermethode nach allen Rich¬
tungen hin abgeschlossen sind, werden die Ergebnisse gemeinschaftlich
mit dem Radiologischen Institut, das es liebenswürdigerweise über¬
nommen hat, die physikalischen Untersuchungen aiiszuführen. an anderer
Stelle ausführlich veröffentlicht werden. Sollten sich unsere Beob¬
achtungen auch weiterhin regelmässig bewahrheiten, so wären sie mit
einigen der jetzt geltenden Ansichten über die Wirkungsweise der
Röntgenstrahlen nicht in Einklang zu bringen; Untersuchungen nach
dieser Richtung sind im Gange.
FortUidunosvortrage ond ueaeniiGhtgreferate.
Die Oedemkrankheit*).
Von Prof. Dr. Paul Prym, Privatdozent und I. Assistent
am Pathologischen Institut Bonn.
In dem kalten Winter 1916/17 traten fast epidemieartig in Deutsch¬
land und Oesterreich, im Felde und in der Heimat eigentümliche Erkran¬
kungen auf, die als auffälligstes Symptom Oedeme zeigten, gleichzeitig
Pulsverlangsamung und vermehrte Wasserausscheidung durch den Harn.
Es handelte sich vorwiegend um Männer jeden Alters, aber auch
Frauen und Kinder erkrankten gelegentlich. Fast ausschliesslich waren
es die ärmeren Bevölkerungsschichten oder die Insassen von Ge¬
fangenenlagern, Gefängnissen oder Irrenanstalten. Besonders beteiligt
waren Leute, die schwere Arbeit verrichten mussten und der Kälte aus¬
gesetzt waren.
Bald wurde bekannt, dass ähnliche unklare Oedemzustände schon
1915 in Galizien und Russisch-Polen beobachtet worden und dass auch
in früheren Kriegen diese Krankheit epidemieartig aufgetreten war.
Man fasste diese Zustände unter dem Namen Oedemkrank¬
heit, Hungerödeme. Inanitionsödeme oder Kriegs-
ödeme zusammen.
Ueber die Sterblichkeit wissen wir nichts sicheres.
V. J a k s c h berechnete bei fast 23 000 Oedemkranken in Böhmen eine
Mortalität von 4,5 Proz. = 1028 Todesfälle.
Ueber Sektionsbefunde ist verhältnismässig spärlich be¬
richtet. Meist werden sie in den klinischen Arbeiten nebenher erwähnt,
ihre Zahl oder der Obduzent nicht näher angegeben. Von anatomischer
Seite liegen vor allem kurze Berichte von Oberndorfer. Paltauf.
Mathias und R ö s s 1 e vor.
Ich selbst konnte etwa 30 Fälle aus Lagern bzw. Arbeiter¬
kompagnien anatomisch genau untersuchen, die ersten aus dem Winter
1915/16 an der Westfront, die Mehrzahl aus dem kalten Winter 1916/17
an der Ostfront.
Was für anatomische Befunde wurden nun bei dieser damals rätsel¬
haften Oedemkrankheit erhoben?
Die Oedeme w'aren an der Leiche meist auf den Unterschenkel
beschränkt, nur gelegentlich waren Hände, Bauchdecken und Gesicht
beteiligt. Die Leichen machten einen hochgradig abgemagerten und
vernachlässigten Eindruck, das Körpergewicht war stark herabgesetzt,
bei 163 cm dqrchschnittlicher Körpergrösse ein Durchschnittsgewicht
von nur 46 kg. Das entspricht ungefähr Gewichtsverlusten von 27 Proz.
des Sollgewichtes.
Moritz sah an klinischem Material sogar Gewichtsverluste über
35 Proz.. die also die Höchstgrenze des möglichen Gewichtsverlustes
fast erreichen.
Das Fettpolster am Leib ist kaum oder nur in geringen Spuren
nachweisbar. Höchst charakteristisch ist der Schwund des Fett¬
gewebes im Körperinnern mit jener eigentümlichen Auf¬
quellung bzw. ödematösen Durchtränkung, die wir gallertige Atrophie
nennen; am deutlichsten ist das epikardiale Fettgewebe be¬
troffen, in meinen Fällen fast ohne Ausnahme, oft als dickes ödematöses
Polster nachweisbar, oft nur in geringer Menge entlang der rechten
Kranzader. In manchen Fällen kommt hinzu: ein Fettgewebsödem der
Nierenkapsel, des Netzes, des Mesenteriums, der Appendices epiploicae,
des vorderen Mediastinums, des Zellgewebes um die Nebennieren, des
prävesikalen Zellgewebes, Kurzum überall da. wo bei gutgenährten
Leuten Fettgewebe im Körperinnern vorhanden, kann sich diese eigen¬
tümliche gallertige Atrophie finden. Hinzu kommen dann noch in
vielen Fällen wässerige Ergüsse in die Bauchhöhle (bis
zu 2 Liter); Hydrothorax ist seltener und mässig.
Das Blut zeigt nach den fast übereinstimmenden Befunden der
Kliniker auf der Höhe der Oedeme bzw. vor Ausschwemmung der
Oedeme eine ausgesprochene Hydrämie. Anatomisch kommt dies
nicht immer zum Ausdruck; mir ist die dünne Beschaffenheit des Blutes
nicht besonders aufgefallen. Pal tauf fand es sogar eher etwas dick-
lich. Das m ag damit Zusammenhängen, dass zur Zeit des Todes die
•) Nach einem Referat auf der 86. Versammlung Deutscher Naturforscher
und Aerzte, Bad Nauheim, in der gemeinsamen Sitzung der Abteilungen für
Physiologie, Pathologie, innere Medizin und Kinderheilkunde.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
75
Oedemausschwemmung schon nahezu beendet war. Auch die allge¬
meine Anämie trat anatomisch .nicht besonders hervor, jedenfalls nicht
in dem Qrade, wie einige Autoren sie sahen.
Die Gewichte einzelner Organe sind stark herabgesetzt;
nach meinen Wägungen am stärksten die Mil z, die etwa ein Drittel
ihres Gewichtes verloren hat, dann das Herz mit etwa ^/s, die Leber
mit ‘/s. Die Schilddrüse ist meist klein; die übrigen Organe zeigen
keine deutlichen Gewichtsverluste, überschreiten zum Teil sogar die
Normalgewichte. Nur die Hoden bleiben deutlich unter den Normal¬
gewichten zurück.
Diesen Gewichtsverlusten entspricht auch der übrige anatomische
Befund: Das Herz zeigt das typische Bild der braunen Atrophie mit
gut ausgebildeter Totenstarre des linken Ventrikels; die Kranzadern
sind geschlängelt als Zeichen, dass das Herz früher grösser war. Die
kleine Milz ist fest, die Trabekel treten deutlich hervor. Auch die
Leber bietet das typische Bild der braunen Atrophie. Die übrigen
Organe zeigen in unkomplizierten Fällen keine charakteristischen Ver¬
änderungen. insbesondere ist die Niere ohne pathologischen
Befund. Die grossen Organe sind blutreich, besonders die Leber.
Das Knochensystem zeigte makroskopisch keine charakteristischen
Veränderungen, insbesondere keine schweren Deformitäten, trotzdem die
Leute vielfach bis zum Tode gearbeitet hatten. Das Knochenmark
konnte leider nicht systematisch untersucht werden.
Auch histologisch wurde nichts Spezifisches gefunden; der
braunen Atrophie entsprechend Pigment im Herzmuskel und in der
Leber; im Gegensatz zu anderen Autoren mitunter etwas Fett in den
Leberzellen, zum Teil grosstropfig, aber in geringer Menge.
Auch in Schilddrüse, Hypophyse, Pankreas. Hoden massige Mengen
von Fett im Parenchym; Nebennieren von wechselndem Lipoidgehalt.
Nach dem. anatomischen Befund handelt es sich also um
eine schwere allgemeine Atrophie, die ihren Ausdruck in der Abnahme
des Körpergewichtes und dem Schwund. bestimmter Organe findet.
Dazu kommen dann Oedeme, der Schwund des Fettpolsters und gal¬
lertige Atrophie des Fettgewebes im Innern des Körpers.
Die Fälle unterscheiden sich danach mit Ausnahme der Oedeme
in nichts von der gewöhnlichen allgemeinen Atrophie durch Hunger
oder konsumierende Krankheiten.
Solche reinen Fälle von Atrophie mit Oedemen kamen nun aber
selten zur anatomischen Untersuchung. In den meisten Fällen fanden
sich Komplikationen, in meinem Material vorwiegend Ruhr im
anatomischen Sinne. Man hat ja gerade die Ruhr für die Oedemkrank-
heit ätiologisch verantwortlich gemacht; dieser Standpunkt fand aber
keine anatomische Stütze und ist daher verlassen. Die Ruhr war in
meinen Fällen so frisch, dass Sie keinesfalls für die allgemeine Atrophie
ätiologisch in Betracht kam. Ausserdem fanden sich terminal ent¬
standene Lungenveränderungen, herdförmige Pneumonien, vereinzelt
Gangränherde oder mitunter unregelmässige kruppöse Pneumonien.
Von besonderem Interesse war nun, dass aus denselben Lagern
Leichen zur Untersuchung kamen, die denselben anatomischen Befund
darboten, es fehlten aber die Oedeme. Entweder waren sie schon ver¬
schwunden oder es waren überhaupt keine im Leben aufgetreten. Wir
sind also wohl berechtigt, diese Fälle zur selben Krankheitsgruppe zu
rechnen.
Danach müssen wir also zur gleichen Gruppe wie
die Oedemkrankheit auch diese Fälle schwerer all¬
gemeiner Atrophie ohne Oedeme zählen. Das Oedem
ist danach — wie übrigens auch die Kliniker, vor allem Moritz schon
sehr frühzeitig hervorgehoben haben — keineswegs ein not¬
wendiges Charakteristikum der Oedemkrankheit.
Das Wesentliche ist anatomisch die schwere allgemeine Atrophie.
Wie kommt nun der atrophische Organismus dazu,
ödematös zu werden? Oder wie kommt es, dass nur ein Teil
der Atrophischen ödematös wird, der andere nicht?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst wissen, wie
es zu der schweren Atrophie kommt.
Darauf kann die pathologische Anatomie allein keine Antwort geben.
Es liegen aber ausgedehnte klinische Untersuchungen
vor. Es handelt sich danach um eine Hungeratrophie im
weitesten Sinne, bedingt durch quantitativ oder qualitativ un¬
zureichende Nahrung.
Anfangs hat man häufiger daran gedacht, dass die Oedemkrankheit
durch das Fehlen von akzessorischen Nährstoffen, Er¬
gänzungsstoffen oder Vitaminen entstände, weil man zu¬
nächst den Eindruck gewann, dass die zugeführten Nahrungsmengen
kalprisch ausreichend waren. Man fasste sie demnach ähnlich wie
Skorbut und Beriberi als eine Avitaminose auf.
Es ist das Verdienst von Jansen, den Nachweis erbracht zu
haben, dass die Nahrungszufuhr tatsächlich kalorisch insuffizient war,
obw^ohl sie rechnerisch nach den Tabellen und bei normaler Aus¬
nutzung die genügende Kalorienzahl enthielt.
Die meisten Kliniker sind jetzt wohl der Ansicht, dass die kalorische
Insuffizienz der Nahrung das Wesentliche ist, ohne dass man einer be¬
stimmten Gruppe von Nahrungsbestandteilen die Hauptverantwortung
zuschieben kann.
Bald ist es mehr der Eiweissanteil, bald mehr der Fett-, bald mehr
der Kohlehvdratanteil. der diese Insuffizienz bedingt, gewöhnlich sind
sie aber alle beteiligt und können sich zum Teil gegenseitig vertreten.
Diese .Auffassung wird gestützt durch die Erfolge der Behandlung:
Jansen konnte seine Fälle durch Zulage von Kohlehydraten mit
Digitized by Gocigle
Sicherheit zur Heilung bringen, Maase und Zondek erreichten das¬
selbe durch Fettzulagen, in manchen Fällen auch durch Eiweisszulage.
Diese durch Hunger bedingte Inanition stellt nun
im allgemeinen die Grundlage dar, auf der sich die
Oedeme entwickeln.
Da nun aber in einem Teil der Fälle Oedeme entstehen, in einem
anderen ausbleiben, müssen noch besondere Bedingungen
vorhanden sein, die die Oedeme auslösen.
Die Kliniker sind auf Grund von Stoffwechselversuchen zu folgenden
Anschauungen gekommen:
Durch den chronischen Hunger und die dadurch bedingte Inanition
gerät der Körper zunächst in einen Zustand von erhöhter Oedem-
bereitschaft. Das heisst: Aenderung in der Zufuhr einzelner
Nahrungsbestandteile oder der äusseren Lebensbedingungen, die vom
gesunden Organismus symptomlos ertragen werden, führen bei den
Oedembereiten sehr schnell zur Wasserretention und zu Oedemen. Der
Grund für diese eisfentümliche Erscheinung ist nicht durch Nierenver¬
änderungen zu erklären. Es handelt sich also um extrarenale Oedeme.
Die Bedingungen für ihr Zustandekommen sind vielmehr in Schädigungen
des Gewebes (ohne Vermittlung der Niere) zu suchen. Diese Schädi¬
gungen sind bedingt durch die beim chronischen Hunger auftretenden
Abbau- und Zerfallsprozesse im Gewebe. Andere legen mehr Wert auf
die Funktionsstörungen bzw. Schädigungen der Kapillaren. So sehen
Maase und Zondek das Wesentliche in einer Ernährungsstörung der
Kapillarwand. Es soll sich dabei um Störungen im Lipoidstoffwechsel
handeln, die besonders die Dichtigkeit der Kittsubstanzen des Kapillar¬
systems herabsetzen und damit ihre Durchlässigkeit erhöhen.
Schittenhelm und Schlecht halten ebenfalls eine abnorme
Durchlässigkeit der Gefässe, wie sie auch Schiff annimmt, für verant¬
wortlich. nehmen aber gleichzeitig eine erhöhte Affinität der Gewebe
für Wasser und Kochsalz an.
Hülse hat darauf hingewiesen, dass auch den Inanitionsödemen
letzten Endes eine kardiale Aetiologie zugrunde liegt. Den Mechanismus
der Oedementstehung sucht er auf Grund experimenteller Unter¬
suchungen durch die Annahme der Mitwirkung kolloid-chemischer Kräfte
verständlich zu machen, indem er Gewebe und Kapillar¬
wände zusammen als einen einheitlichen, in biologischer und physi¬
kalisch-chemischer Hinsicht festen kolloidalen Abschnitt den flüssigen
Blutkolloiden gegenüberstellt. Damit sollen sich die klinischen Erschei¬
nungen wenigstens einigermassen befriedigend erklären, während die
Gesetze über Diffusion und Osmose dazu nicht ausreichen sollen.
Man hat auch an Störungen in der Funktion endo¬
kriner Drüsen gedacht; insbesondere hat man die Schilddrüse
wegen ihrer Beziehungen zum Wasserhaushalt des Körpers im Sinne
E p p i n g e r s für die Oedementstehung verantwortlich gemacht.
Auf Anregung P o 11 a g s hat das physiologische Institut in Halle die
Abderhalden sehe Reaktion auf Abwehrfermente gegen Schilddrüse
bei Oedemkranken geprüft, ohne dass ein charakteristischer Befund er¬
hoben wurde.
Von der Vorstellung ausgehend, dass die Atrophie durch Fehlen von
Ergänzungsstoffen bedingt ist, hat Rössle auch die Möglichkeit er¬
wogen, ob die Oedembereitschaft direkt durch Ausfall gewisser für
den Wasserhaushalt oder die Nierenfunktion wichtiger Stoffe zustande
kommt Insofern fällt also das Problem der Oedementstehung mit der
Frage zusammen, ob die Oedemkrankheit eine Avitaminose ist.
Mir scheint, dass bei der Oedementstehung der Zustand der Zellen
und Gewebe die bedeutsamste Rolle spielt, wenn die Zellen selbst sich
auch an der Wasserretention nur in geringem Masse beteiligen, ihr Stoff¬
wechsel scheint aber einen bedeutenden Einfluss auf den Wasserwechsel
auszuüben.
Man sieht also, dass bei der Oedemkrankheit dieser eigentümliche
Zustand der Oedembereitschaft in seinem Wesen noch ebensowenig auf¬
geklärt ist, wie die Entstehung der Oedeme überhaupt, und dass die An¬
schauungen der verschiedenen Autoren nichts anderes darstellen, als die
Anwendung der verschiedenen allgemeinen Oedemtheorien auf den
Sonderfall der Oedemkrankheit.
Alle diese Fragen konnten hier natürlich nur kurz gestreift werden,
das Problem ist ja so schwierig, die Bedingungen wechseln so ausser¬
ordentlich und die Variationen sind so mannigfaltig, dass wir mit
K r e h 1 von einer fast hoffnungslosen Verwicklung der Erscheinungen
sprechen müssen.
Wir können uns nur die Frage vorlegen; Lassen sich die
verschiedenen Vorstellungen durch pathologisch-
anatomische Befunde stützen?
Da ist zunächst wichtig festzustellen: Die Nieren zeigen anatomisch
keine Veränderungen, die den Zustand der Oedembereitschaft erklären.
Wenn geringe Kernveränderungen, trübe Schwellung. Fettinfiltration,
geronnene Massen im Kapselraum und im Kanalsystem beschrieben
werden, so sind das Befunde, die keineswegs dazu berechtigen, eine
Nephritis oder Nephrose anzunehmen, zumal nicht aus allen Arbeiten
hervorgeht, wer die Nieren untersucht hat bzw. ob genügende Erfahrung
vorlag, die histologischen Bilder zu deuten.
Dann ist zu berücksichtigen, dass in den meisten Fällen, die zur
Sektion kamen, Komplikationen Vorlagen, vor allem Darmkatarrhe und
ruhrähnliche Prozesse, so dass geringe Toxinwirkungen auf die Ni#*re
verständlich sind.
Jedenfalls lässt sich anatomisch keine Nephritis oder
Nephrose nachweisen, so dass wir zunächst die Bedingungen
für die Oedembereitschaft extrarenal zu suchen haben.
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
76
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Auch für die kardiale A e t i o 1 o s i e der Oedeme lassen sich
anatomisch keine Anhaltspunkte finden: Der linke Ventrikel ist gut
kontrahiert, es besteht keine Dilatation. Ebenso fehlen in unkomplizierten
Fällen histologische Veränderungen des Muskels, auch Stauungsorgane
lassen sich nicht nachweisen. Wir sind uns aber bewusst, dass
anatomisch erkennbare Stauungsorgane recht grobe Zeichen einer |
mangelhaften Herzfunktion sind und wir müssen Hülse recht geben,
„dass man den exaktesten Ausdruck einer Herzinsuffizienz in eventuellen
Störungen des Gewebestoffwechsels zu suchen hat“. Solche Störungen
würden uns abec, auch wenn sie anatomisch nachweisbar wären, immer
noch nicht ohne weiteres sagen, dass sie nun wirklich kardial bedingt sind.
Ob nicht trotzdem, wie Hülse annimmt, den Oedemen eine
kardiale Aetiologie zugrunde liegt, lässt sich also nicht entscheiden. Wir
können nur sagen lAnatomisch haben wir keine Anhaltspunkte dafür.
Wie steht es nun weiter mit den Gewebs- und Kapillar¬
schädigungen?
Die Gewebe nehmen natürlich an der Atrophie teil, das lässt sich
z. T. histologisch nachweisen, ob die Zellen aber ein erhöhtes Wasser¬
bindungsvermögen. oder Verdünnung oder Aenderungen ihrer Lipoid¬
hüllen erfahren haben, dafür haben wir histologisch gar keine Anhalts¬
punkte. Ebenso steht es mit den Kapillaren: Aenderungen in den Kitt¬
substanzen oder Zellmembranen hat noch niemand histologisch fest¬
gestellt. Eine morphologisch im Sinne einer Schädigung veränderte
Kapillare ist jedenfalls vorläufig bei der Oedemkrankheit ein reines
Produkt der Spekulation.
Auch die anatomischen Veränderungen der endokrinenDrüscn
sind so gering, dass man sie nicht für die Störungen im Stoffwechsel
bzw. Wasserhaushalt ohne weiteres verantwortlich machen kann.
Die Schilddrüse ist ja im allgemeinen klein, Oberndorfer sah
Gewichte von 12 g. Sie nimmt offenbar an der allgemeinen Atrophie
mit Teil, das berechtigt aber nicht dazu, sie in den Mittelpunkt des
Krankheitsbildes zu stellen.
Für die Aenderung der kolloidalen Quellung hat Hülse wenigstens .
versucht, experimentelle Stützen zu schaffen, histologisch ist sie natür¬
lich zunächst nicht zu erfassen.
Was schliesslich die Vorstellung der Oedemkrankheit als
Avitaminose betrifft, so ist anatomisch darüber schwer zu ent¬
scheiden. Immerhin müssen wir versuchen, das Für und Wider auch
anatomisch abzuwägen. Sind es wirklich Ergänzungsstoife, deren Fehlen
die Oedembereitschaft auslöst, so ist natürlich von Interesse zu erfahren,
ob es echte Avitaminosen gibt, die mit Oedemen einhergehen und welche
anatomischen Veränderungen sich bei diesen vorfinden.
Da kommen vor allem Skorbut und B e r i b e r i in Betracht.
Auch der Skorbut ist charakterisiert durch das Auftreten von
Oedemen und Höhlenwassersucht. Wenn ein Teil dieser Oedeme auch
als reparative gegenüber den Blutungen oder als Folge der häufigen
Thrombose der Schenkelvenen aufzufassen ist, andere müssen jedenfalls
nach Aschoff-Koch als kachektische oder besser dystrophische
angesehen werden. Damit nähern sich diese Fälle dem Bilde der
Oedemkrankheit.
Differentialdiagnostisch lassen sie sich aber durch die charak¬
teristischen Blutungen vor allem des Stützgewebes von der Oedem¬
krankheit unterscheiden.
Immerhin gibt es Oedemkranke mit ausgedehnten Blutungen, die
auch das Zahnfleisch betreffen können, ilas genügt aber natürlich nicht
zur Diagnose Skorbut.
Viel wichtiger ist die Frage, ob die Skorbutleichen stets allgemeine
Atrophie zeigen. Das ist sicher zu verneinen.
Aschoff-Koch erwähnen ausdrücklich, dass das Fettpolster mit¬
unter gut erhalten, andere behaupten, dass es z. T. sogar auf Kosten der
Muskelsubstanz vermehrt erscheint. Falls Kachexie festgestellt wurde,
so war sie meist durch die erschöpfenden Begleit- oder Folgekrankheiten
erklärbar.
Es scheint danach, dass beim Skorbut Oedeme ohne all¬
gemeine Atrophie auftreten können, und damit hebt sich dieses
Krankheitsbild von den meisten Fällen von Oedemkrankheit ab.
Dass bei der B e r i b e r i Oedeme eine grosse Rolle spielen, geht
schon aus der alten Bezeichnung „Hydrops asthmaticus“ hervor.
Manche unterscheiden ja auch eine hydropische oder hydropisch-
atrophische Form der Beriberi.
Nach Baelz und Miura .sind Beriberileichen meist gut genährt,
weil die akuten Fälle am häufigsten zur Sektion kommen. Anderer¬
seits soll Beriberi häufig sekundär zu schwächenden Krankheiten
hinzukommen, so dass nicht immer zu entscheiden ist* ob die Atrophie
der Beriberi allein zur Last gelegt werden kann.
Sieht man sich aber die Obduktionsbefunde, vor allem die genauen
Protokolle von D ü r c k an, so gewinnt man den Eindruck, dass die
Oedeme kardial bedingt sind, fast stets finden sich schwere Herz¬
veränderungen, insbesondere Myokarditis mit Dilatation und Hyper¬
trophie. Das ist ja auch klinisch bekannt. Gerade die Dilatation ist
differentialdiagnostisch gegenüber der Oedemkrankheit verwertet worden.
Wenn bei der Oedemkrankheit wirklich Vitamine eine spezifische
Rolle für die Oedembereitschaft spielen, dann wäre zu erwarten, dass
es gar nicht erst zur Atrophie zu kommen braucht, um die Oedembereit¬
schaft auszulösen, sondern dass schon früher bei relativ gutem Ernäh¬
rungszustände Oedeme auftreten.
Die meisten Kliniker berichten, dass ihre Kranken in schlechtem
Ernährungszustände waren und betonen immer wieder, dass die Wasser-
Di gitized by Goiisle
ansammlung anfänglicli einen besseren Ernährungszustand vortäuschen
kann.
Im Gegensatz hierzu betont vor allem Schiff, dass er Oedemkranke
in relativ gutem Ernährungszustände gesehen hat Auf dem Sektions¬
tisch sind solche Fälle jedenfalls nicht bekannt geworden.
Allerdings unterscheidet Mathias zwei Grundformen der
Oedemkrankheit, eine mit erhaltenem Fettgewebe und vor¬
zugsweise in den serösen Höhlen auftretenden Ergüssen, eine andere m i t
brauner Atrophie, Reduktion der Organgewichte und allgemeinem
Hydrops. Die erste Form fasst er als durch Partialhunger bedingt,
also als eine Avitaminose auf. Eine ausführliche Mitteilung, insbesondere
Darlegung der anatomischen Befunde ist aber meines Wissens noch
nicht erschienen, so dass eine Stellungnahme noch nicht möglich ist.
Es mag zugegeben werden und es ist sogar nach den Erfahrungen
bei den echten Avitaminosen wahrscheinlich, dass in manchen Fällen
durch Fehlen bestimmter Ergänzungsstoffe die Oedembereitschaft schon
vor der Ausbildung der allgemeinen Atrophie ausgelöst wird.
Im allgemeinen können wir also sagen, dass die Oedemkrank¬
heit doch nur eine äussere Aehnlichkeit mit diesen
Avitaminosen hat, dass wir jedenfalls keinen Anhalt haben, sie auch als
solche aufzufassen.
Weiter ist daran zu denken, ob es nicht andere Krankheiten oder
Stoffwechselstörungen durch einseitige Ernährung gibt die dem Bilde
der Oedemkrankheit gleichen.
Da sind vor allem der Mehlnährschaden der Säuglinge
und gewisse Oedemzustände bei Tieren zu nennen.
Auf die grosse Aehnlichkeit des Mehlnährschadens mit der Oedem¬
krankheit haben schon frühzeitig Schittenhelm und Schlecht
aufmerksam gemacht. Aber auch hier ist wieder wichtig festzustellen:
Es scheint nicht die einseitige Kohlehydraternährung an sich oder das
Fehlen bestimmter Ergänzungsstoffe zu sein, die zur Oedembereitschaft
führen, sondern die einseitige Ernährung führt zwar zu Ueberernährung
mit Kohlehydraten, aber gleichzeitig zur Unterernährung mit Eiweiss
und Fett, und damit zunächst zur Atrophie, die allerdings oft durch die
hochgradige Wasserretention verdeckt werden kann. Das atrophi¬
sche' Kind ist dann ödembereit, ganz ähnlich wie der hungernde Er¬
wachsene. Nur tritt beim Säugling die Wasserretention offenbar viel
früher ein, die Disposition zum Oedem ist viel grösser. Das geht schon
daraus hervor, dass man bei manchen Säuglingen durch einfache Dar¬
reichung von Salzlösungen Oedeme bzw. VVasserretention erzeugen
kann, was beim gesunden Erwachsenen nicht gelingt.
Die Aehnlichkeit des Mehlnährschadens mit der Oedemkrankheit der
Erwachsenen spricht sich auch in der Bradykardie und der Neigung
zu Untertemperaturen und Infektionen aus, während die Polyurie nach
Ludwig F. Meyer lediglich zur Zeit der Oedemausschwemmung nach¬
weisbar ist.
Immerhin ist die Aehnlichkeit so gross, dass man den Mehlnähr¬
schaden fast als die Oedemkrankheit der Säuglinge bezeichnen könnte.
Ueber die pathologische Anatomie des Mehlnährschadens ist nicht
viel bekannt die Befunde sind im ganzen ausser der Atrophie negativ.
Nun ist den Pädiatern schon lange aufgefallen, dass die einseitige
Fütterung mit Mehlabkochungen nur bei einem Teil der Säuglinge Oedeme
macht, dass also eine gewisse Disposition dazu gehört, dass das Kind in
einem bestimmten „Zustand“ sein muss, den Riet sc hei als den atrophisch-
hydrämischen Typus bezeichnet hat.
Da muss man sich natürlich die Frage vorlegen, ob die Oedemkrankheit
der Erwachsenen auch an eine gewisse Disposition gebunden
ist und ob wir vielleicht anatomische Grundlagen für diese Disposition haben.
Es ist vor allem von P o 11 a g darauf hingewiesen worden, dass so viele
geistig Minderwertige von der Oedemkrankheit befallen werden. Er bringt
das im Verein mit der Tatsache, dass die Juden von der Krankheit meist
( verschont bleiben, mit konstitutionellen Besonderheiten in Zusammenhang,
i Das erklärt sich m. E. aber zwanglos daraus, dass eben Irrenanstalten und
j Gefängnisse vorwiegend auf die rationierte Nahrung angewiesen waren; dass
I in Kriegsgefangenenlagern die geistig Minderwertigen besonders beteiligt
' waren, ist mir nicht bekannt. Aber auch das würde eher dafür sprechen, dass
lie geistig Minderwertigen unter diesen Leuten nicht die Möglichkeit gefunden
laben, sich auf Schleichwegen Zusatznahrung zu verschaffen, was den
intelligenteren Insassen sicher eher gelang.
Ausserdem ist zu beachten, dass die psychischen Störungen auch direkte
folgen der Unterernährung sein können.
Gleichzeitig soll eine angeborene Hypoplasie des ganzen
üefässsystems häufig sein. Nach meinen Sektionsbefunden hatte ich
zunächst nicht den Eindruck, dass die Qefässe kleiner waren als gewöhnlich.
I Wenn man aber meine Durchschnittsmasse der Aorta ausrechnet, so bleiben
sie in der Tat unter den Normalmassen im Anfangsteil und in der Brustaorta
I um je etwa 1 cm zurück. Ob man daraus aber eine Hypoplasie des Oe-
j fässsystems machen kann, scheint mir fraglich. Es ist mir wahrscheinlich.
I dass ebenso wie das Herz bei der Atrophie kleiner wird, sich auch die
Aorta bei den jugendlichen Individuen der Gesamtmasse des Körpers ent¬
sprechend verengt. Dass ein Teil der Menschen für die Krankheit mehr
disponiert ist, als andere, das ist so wahrscheinlich, ja fast so selbstver¬
ständlich .dass wir es kaum erwähnen brauchen; aber worin die Disposition
ihren anatomischen Ausdruck findet, darüber wissen wir nichts.
Auch bei Tieren sind Stoffwechselkraijkhelten beobachtet
.vorden, die die grösste Aehnlichkeit mit der menschlichen Oedemkrank-
’.ieit haben. Nach den Angaben von Hutyra und Marek beruht die
i iogen. Anämie der Schafe auf der nachteiligen Wirkung unge¬
nügender Ernährung, vor allem mit Stoppelrüben. Es kommt zu Ab¬
magerung, Anämie, Hydrämie und Oedemen; der Zustand wird von
Jen Tierärzten treffend als Inanitions Wassersucht oder
Cachexia aquosa bezeictmet.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
77
Auch bei Rindern kommen ähnliche Krankheitsbilder vor, besonders
ausgedehnt in Zuckerfabriken, wenn das Futter hauptsächlich aus der
sehr wasserreichen Schlempe besteht. Von Interesse ist, dass meist
Zugochsen befallen werden, die einen Teil der ohnehin ungenügenden
Ernährung zur Arbeitsleistung verwenden müssen. Seltener erkranken
Pferde, Schafe und Ziegen.
Auch diese Erkrankungen haben unter der Futternot während des
Krieges zugenommen.
Anatomisch findet sich ausser den Oedemen auch Höhlen-
w^assersucht. Inwieweit die Nieren bei diesen Zuständen genauer, unter¬
sucht sind, ist mir nicht bekannt.
Wenn wir bisher festgestellt haben, dass durch Mangel an Nahrung
im weitesten Sinne eine schwere allgemeine Atrophie entsteht und dass
damit der Körper in einen Zustand der Oedembereitschaft gerät, dann
müssen wir uns noch klar machen, auf welche Weise dann bei diesen
Oedembereiten die Oedeme entstehen. Darüber liegen ausgedehntere
experimentelle Erfahrungen vor.
RosenfeId hat schon im Jahre 1906 bei hungernden Geistes¬
kranken durch Zufuhr von Wasser und Kochsalz Oedeme erzeugt. Bei
Oedemkranken ist es dann vielen Untersuchern gelungen, durch Koch¬
salz- und Wasserzulagen Oedemrezidive hervorzurufen.
Tachau hat im Jahre 1914 bei Mäusen durch Fütterung mit
Kommisbrot und 2 Proz. Kochsalzzulage Oedeme erzeugt, und zwar
wurden von 30 Mäusen 22 wassersüchtig, w^as übrigens für eine gewisse
verschiedene Disposition der einzelnen Tiere spricht.
Knack und N e u m a n n konnten nachweisen. dass einseitige Kost
allein nicht zu Oedemen führt, sondern dass erst Zufuhr grösserer
-Mengen Wasser Oedem hervorrief.
Jansen hat dann in einem schön durchgeführten Stoffwechsel¬
versuch bei einer durch karzinomatöse Oesophagusstenose kachektisrhen
Frau durch protrahierte Kochsalz-Wasserzufuhr Oedeme gemacht. Dabei
traten in Bezug auf die intermediäre Verschiebung im Wasser-Kochsalz-
Haushalt sämtliche Untersuchungsbefunde auf, wie er sie bei der
Oedemkrankheit festgestellt hatte.
Damit war gleichzeitig der Beweis erbracht, dass in der Tat die
gewöhnliche Hungeratrophie. Kachexie und Oedem¬
krankheit in bezug auf ihre Oedembereitschaft iden¬
tisch sind; oder dass es nur einer entsprechenden Wasser-Kochsalz-
gabe bedarf, um aus einem Atrophischen einen Oedemkranken zu
machen.
Und dieses Massenexperiment ist unter dem
Zwang des Krieges durch die Zufuhr der unzuläng¬
lichen, wasserreichen und kochsalzreichen Nahrung
angestellt worden.
Der von den meisten Untersuchem betonte intermittierende und
flüchtige Charakter des Oedems wird durch diese Abhängigkeit von der
zugeführten Nahrung zum Teil erklärt.
Näher auf die Lokalisation der Oedeme im Gewebe einzugehen, liegt
kein Anlass vor, da neuere histologische Untersuchungen über diese
Frage nicht vorliegen.
Wir müssen nach den früheren Erfahrungen annehmen, dass das
Wasser sich vorwiegend zwischen den Zellen ansammelt, die Zellen
selbst aber sich weniger an der Wasseraufnahme beteiligen
Von Wichtigkeit scheint mir die Frage, ob die ödematöse Durch¬
tränkung des Fettgewebes im Innern des Körpers gleichzusetzen ist mit
den äusseren Oedemen.
Ein wesentlicher Unterschied scheint mir schon darin gegeben,
dass das „innere Oedem“, wie wir es einmal nennen wollen, viel
konstanter ist, dass das Gewebe die Flüssigkeit offenbar viel schwerer
abgibt. In meinen Fällen fand ich es stets, auch wenn Hautödeme nicht
nachweisbar waren.
Gerade bei diesen Fettgewebsödemen hat man den Eindruck, dass
mechanische Momente für die Wasseransammlung eine gewisse Rolle
spielen, dass das Wasser gewissermassen den Raum ausfüllt, den das
schwindende Fettgewebe freigibt. Histologische Untersuchungen an
Kachektschen sprechen auch dafür. Das wäre dann ein echtes Oedem
ex vaeuo.
Es scheint fast, als ob die äusseren Oedeme unter stärkerer elasti¬
scher Spannung ständen und deshalb leichter entleert werden, während
die Fettgewebsödeme in einem mehr schlaffen Gewebe festgehalten
werden.
Ueber Oedeme innerer Organe bei der Oedemkrankheit ist
wenig bekannt. Pal tauf sah in der Leber Erweiterung der peri¬
vaskulären Räume, die er als Oederh deutet. Wir hatten in einzelnen
Fällen den Eindruck, dass das Niereninterstitium ödematös sei.
Die Muskulatur ist nach noch ni^ht verrttLTtliciUf m Untersuchungen
von Gerhartz an 4 in Bonn zur Obduktion gekommenen Fällen
wasserreicher.
Zum Schlüsse dürfte die Frage noch interessieren. Wie sterben
die Oedemkranken?
Ein Teil der Fälle stirbt sicher an Komplikationen: Pneu¬
monie, Ruhr, Rekurrens, Fleckfieber. Das ist bei dem meist engen Zu¬
sammenwohnen der geschwächten Kranken nicht verwunderlich.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil stirbt, wie auch von anderen Seiten
berichtet wird, plötzlich, bei der Arbeit oder Bewegung. Und das
war für uns etwas Neues. Bei der Kachexie oder Inanition. wie wir
sie im Frieden sahen, gab es solche plötzlichen Todesfälle im allgemeinen
nicht Darauf hat auch P a 11 a u f besonders aufmerksam gemacht.
Digitized by Goiisle
Man hatte fast den Eindruck einer Autointoxikation. So fasst man ja im
allgemeinen auch den Tod durch Inanition auf.
Jedenfalls glaube ich,, dass auch dieser plötzliche Tod nichts im
Wesen der Oedemkrankheit begründetes ist, sondern dass äussere Ein¬
flüsse dabei eine grosse Rolle spielen. Die Leute waren eben häufig bis
zuletzt gezwungen, zu arbeiten oder ausser Bett zu sein, während man
im Frieden solche Manschen als Kranke ansah und der Behandlung zu¬
führte.
Interessant ist übrigens, dass dieser plötzliche Tod auch bei den
ödemkranken Rindern in Zuckerfabriken beobachtet worden
ist. Die Tierärzte sprechen von einem plötzlichen Zusammenstürzen
beim Gehen, von einem unerwarteten Tod wie im Schlaganfall.
Wie im Einzelfall der plötzliche Tod erfolgt, ist nicht ganz klar.
Eine muskuläre Herzschwäche im gewöhnlichen Sinne scheint nach den
anatomischen Befunden nicht vorzuliegen, der gut kontrahierte linke
Ventrikel spricht dagegen.
Gegen eine Erschöpfung der nervösen .Apparate des Herzens spricht
nach P a 11 a u f der — bei den Spitalfällen — sich auf mehrere Stunden
erstreckende Verlauf des Todes.
Das Wahrscheinlichste ist nach Pal tauf, dass es sich um einen
zentralen Tod durch Gefässlähmung handelt. Dafür spricht, die Hyper¬
ämie der Bauchorgane. Warum aber das Vasomotorenzentrum versagt,
darüber wissen wir wieder nichts. Dass es sich, wie Pal tauf meint,
um eine primäre Erschöpfung dieses Zentrums als direkte Folge der
Unterernährung handelt, ist mir unw^ahrscheinlich. Ein so wichtiges
Zentrum wird nach unseren sonstigen Erfahrungen niemals verhungern.
Mir ist aber überhaupt fraglich, ob die Hyperämie der Bauchorgane
bei Oedemkranken auf Vasomotorenlähmung hindeutet, weil ich den Ein¬
druck habe, dass es sich um einen Dauerzustand der Kachektischen
handelt, und dass sie nicht erst kuzz vor dem Tode eintritt. Vielleicht
ermöglicht diese Hyperämie erst eine genügende Funktion der atrophi¬
schen lebenswichtigen Zellen. Insofern wäre sie also gewissermassen
als kompensatorische Hyperämie aufzufasen.
Bei den indifferenten Qew'eben. vor allem dem Fettgewebe, ist eine
solche Hynerämie überflüssig, da sie ihre Funktionen noch leisten können,
dort wird der leere Raum durch Oedeme ausgefüllt.
Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen: Fassen wir das
Gesagte noch einmal kurz zusammen, so ergibt sich
folgendes:
Die Oedemkrankheit ist keine Krankheit für sich, sie ist nur das
Ende einer Reihe von Ernährungsstörungen. Sie entwickelt sich auf
Grund einer allgemeinen A+rophie. Diese Atrophie ist bedingt durch
unzureichende Ernährung, sie ist demnach eine ausgesprochene Hunger¬
krankheit.
In den meisten Fällen ist die kalorische Insuffizienz der Nahrung
für die Atrophie verantwortlich. Das Fehlen akzessorischer Nährstoffe
spielt wahrscheinlich nur eine untergeordnete Rolle.
Die Oedemkrankheit ist klini.sch hauptsächlich charakterisiert durch
allgemeine Schwäche, Polyurie, Bradykardie, Oedembereitschaft mit und
ohne Oedeme.
Dabei kommt es zu Kochsalz- und Wasserretention
Der atrophische Organismus ist an sich ödembereit, ohne Rücksicht
auf die Art des Zustandekommens der Atrophie.
Erst die äusseren Bedingungen, insbesondere erhöhte Wasser- und
Salzzufuhr, lösen die Oedeme aus. Es hängt danach gewissermassen
von Zufälligkeiten ab, ob die Krankheit als einfache Atrophie ohne
Oedeme auftritt, oder ob es zum ausgesprochenen Bilde der Oedem¬
krankheit koiTimt.
Danach ist auch kein spezifischer anatomischer Befund zu erwarten.
Bei der Obduktion findet man eine schwere allgemeine Atrophie.
Dazu kommen dann Oedeme. Höhlenwassersucht und gallertige Atrophie
des Fettgewebes im Innern des Körpers.
Häufig finden sich ruhrähnliche und pneumonische Prozesse, die
aber als sekundär anzusehen sind..
Mit den echten Avitaminosen, Skorbut und Beriberi hat die Oedem¬
krankheit nur eine äussere Aehnlichkeit. Vom Skorbut unterscheidet
sie sich durch das Fehlen der Blutungen im Stützgewebe, von der
hydropischen Form der Beriberi durch das Fehlen der Veränderungen
an den Nerven und zum Teil am Herzen.
Die grösste Aehnlichkeit hat sie mit dem Mehlnährschaden der
Säuglinge und gewissen Inanitionszuständen mit Wassersucht bei Schafen
und Rindern.
Für die Oedembereitschaft ist es ohne Bedeutung, ob die Atrophie
durch Hunger bedingt ist oder durch konsumierende K’"’T’kheiten. Treten
bei irgendeiner dieser Krankheiten Atrophie oder Kachexie auf. kann es
unter entsprechenden äusseren Bedingungen (Kochsalz. Wasser) zu
Oedemen kommen, gleichgültig ob es sich um Tuberkulose. Karzinom,
chronische Ruhr. Malaria, Rekurrens, Beriberi. Skorbut oder andere
handelt.
Den Narriö»' Oedemkrankheit sollte man aber nur in Fällen an¬
wenden, bei denen es sich um reine Hungeratrophien mit Oedembereit¬
schaft handelt.
Damit rückt die Oedemkrankheit in das Gebiet der ausgesprochenen
Kriegs- oder Blockadekrankheiten **).
••) Auf die intcrc<;santen Beziehungen der Oedemkrankheit zur Hunger-
nstenprithie wurde .absichtlich nicht eingegangen. weil dadurch der zulässige
Umfang des Referates überschritten worden wäre und weil die Frage noch
zu sehr im Fluss ist.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
78
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 3.
Literatur.
L. A sc ho ff und W. Koch: Skorbut. Qust. Fischer. Jena 1919.
— B a e 1 z und M i u r a: Beri-Beri. (In Hb. d. Tropenkrankh. v. M e n s e. 3.)
— DUrck: Beriberi. 8 Suppl. v. Zieglers Beitr. 1908. — Eppinger H.:
Zur Pathologie und Therapie des menschlichen Oedems. Berlin 1917. —
Hülse: Untersuchungen über Inanitionsödeme. Virch. Arch. 225. 1918. —
Hutyra und Marek: Spez. Path. u. Ther. der Haustiere. 5. Aufl. Bd. 1.
1920. — V. Jaksch R.: Das Hungerödem. W.m.W. 1918 Nr. 23. —
Jansen, Wilh. H.: Die Oedemkrankheit. Habilit.-Schr. München 1920. —
Knack und Neumann: Beiträge zur Oedemfrage. D.m.W. 1917 Nr. 29.
— Krehl: Pathol. Physiologie. 10. Aufl. 1920. — Lewy: Zur Oedem¬
krankheit in den Gefangenenlagern. M.m.W. 1919 Nr. 35 S. 993. — M a a s e
und Zondeck: Das Hungerödem. Leipzig 1920. — Mathias: Ver¬
änderungen in den autochthonen Pigmenten bei Inanitionszuständen. D.m.W.
1919 Nr. 27. — Mathias: Zur Pathologie der Oedemerkrankung. B.kl.W. '
1919 Nr. 32. — L. F. Meyer: Idiopathische Oedeme im Säuglingsalter, i
Ergehn, d. inn. Med. u. Kindhlkd. 17. 1919. — Moritz: Unveröffentlichter
Bericht über Beobachtungen bei Oedemkranken im Auftrag des Ministers
des Innern. 1917. — Nocht: Die Beriberi-Frage. Jahresk. f. ärztl. Fortbild.
Okt. 1911. — V. Noorden-Saiomon: Hb. d. Ernährungslehre. 1. 1920.
— Oberndorfer: Patholog.-anatom. Erfahrungen über innere Krank¬
heiten im Felde. M.m.W. 1918 S. 1189. — Paltauf R.: Aussprache zum
Vortrag von Falia. W.kLW. 1917 Nr. 46 S. 1470. — Pollag Sigmund:
Die Oedemkrankheit. Berlin 1920. — P. Prym: Allgemeine Atrophie,
Oedemkrankheit und Ruhr. Frankf. Zschr. f. Path. 22. H. 1. Lit. —
Rietschel: Zit. nach L. F. Meyer. — Rosenfeld: Ueber den Ein¬
fluss psychischer Vorgänge auf den Stoffwechsel. Zschr. f. Psych. 63. 1906.
S. 367. — Rosenthal: Cholesterinverarmung der menschl. roten Blut¬
körper etc. D.m.W. 1919 Nr. 21. — Roes sie: Bedeutung und Ergebnisse
der Kriegspathologie. Jahreskurse f. ärztl. Fortbildg. Januar 1919. —
Schiff A.: Zur Pathologie der Oedemkrankheit. Wien 1917. — Schitten-
helm und Schlecht: Die Oedemkrankheit. Zschr. f. d. ges. exper. Med.
9. H. 1—3. — T a c h a u: Zit. nach L. F. Meyer.
Protest gegen die Ablieferung von MilcKvieb.
Die von unseren Feinden geforderte Ablieferung von Hunderttausenden von Michkühen würde, wenn sie zur Tat¬
sache würde, die schon jetzt ganz unzulängliche Versorgung Deutschlands mit Milch auf ein Mass herabdrücken, das für
die Aufzucht unserer Kinder, für die Ernährung unserer Kranken nicht mehr ausreichend wäre, den Fortbestand der Nation
also in Frage stellen würde. Die Bevölkerung über die Grösse der hier drohendeir Gefahr aufzuklären, ist vor allem Sache
der Aerzte, denen die Sorge um die öffentliche Gesundheit anvertraut ist. In der Erkenntnis dieser ihnen zukommenden
Pflicht hatten die Aerzte Münchens, unterstützt von Behörden und allen politischen Parteien eine öffentliche Versammlung
auf Dienstag, den 14. Dezember in das Auditorium maximum der Universität eingeladen, in der auf Grund der Schilderungen
unserer Lage durch berufene Fachmänner ein flammender Protest gegen diese neue Bedrückung unseres Volkes erhoben wurde.
Die Versammlung, die ihrer Bedeutung entsprechend stark besucht war, wurde durch Herrn Geheimen Rat Prof.
F.v. Müller im Namen des Rektors der Universität begrüsst, worauf Justizminister a. D. Dr. E. Müller als Vorsitzender
des einberufenden Ausschusses die Verhandlungen eröffnete.
Als erster Redner erhielt das Wort
Prof. K a u p:
ln den einleitenden Bemerkungen weist der Vortragende zunächst
auf die allgemeinen nationalbiologischen Wirkungen der beiden Diktate
von Versailles und St. Germain hin — auf die Abschnürung von etwa
5 Millionen Volksgenossen vom Reiche und 4 Millionen von Deutsch-
Oesterreich. Zugleich mit den Qebietsverlusten sind vom deutschen Vieh¬
bestand in den einzelnen Gruppen 15 bis 25 Proz., an landwirtschaft¬
lichen Produkten 11 bis 30 Proz. verloren gegangen. Ueberdies hat sich
im übriggebliebenen Reichsgebiet mangels Kraftfutter und infolge Mehr¬
schlachtungen der Viehbestand um 16 bis 60 Proz. vermindert, das Ge¬
wicht des Schlachtviehs ist um ein Viertel und noch mehr geringer ge¬
worden — ganz abgesehen von den verheerenden Wirkungen der Maul¬
und Klauenseuche — und an landwirtschaftlichen Produkten hat sich
infolge Mangel an Kunstdünger ein Mindererträgnis von 30 bis 50 Proz.
ergeben. Diese so ausserordentlich verringerte Nahrungsmenge soll
— ruft der Vortragende aus — genügen, statt 120 jetzt sogar 130 Be¬
wohner auf einen (Quadratkilometer zu ernähren.
Bereits vor dem Weltkriege hat Deutschland fast 2 Monate des
Jahres vom Auslandsgetreide leben müssen; während des Weltkrieges
hat selbst ein straffes Rationierungssystem die Wirkungen der englischen
Hungerblockade nicht aufhalten können. Statt rund 2300 Kalorien pro
Kopf der Bevölkerung konnten vom Herbst 1916 an nur noch 1344 Ka¬
lorien, also um 40 Proz. zu wenig, und vom Sommer 1917 nur noch
llÜO Kalorien, also nur 50 Proz. an rationierten Lebensmitteln gegeben
werden. In Oesterreich sank der Kalorienwert der Rationen im Herbst
1918 sogar auf 746 Kalorien, also auf ein Drittel herab und selbst um die
Jahreswende 1919/20 konnten erst 933 Kalorien geboten werden. Das
deutsche Volk im Reiche und in Oesterreich hat im Weltkriege mit einer
Selbstaufopferung ohne gleichen gedarbt.
Die Folgewirkungen dieser Hungerrationen jedoch waren und mussten
furchtbar sein. Mehr als 1 Million Menschen mussten als Opfer der
Hungerblockade allein vorzeitig sterben. Von rund 10 Proz. der
Blockadeopfer unter der Zivilbevölkerung Deutschlands im Jahre 1915
stieg die Mehrsterblichkeit bis zum Jahre 1918 auf 37 Proz. an. I n
der Verteilung der B1 o c k ad e s te r b 1 i c h k e i t auf die
einzelnen Altersklassen zeigten sich charakteristi¬
sche Unterschiede. Normalerweise ist die Sterblichkeit im Säug¬
lingsalter am höchsten, sinkt dann allmählich bis zum Tiefstand im
jugendlichen Alter ab, um bis zum Greisenalter wieder anzusteigen. Die
Kurve der menschlichen Widerstandskroft ist darin angedeutet. Nach
dieser hätte der Prozentsatz der Blockadeopfer im Säuglings- und
Kleinkindalter einerseits und im Greisenalter anderseits am höchsten sein
müssen. Für das Greisenalter trifft dies zu, eine Mehrsterblichkeit
von 35—41 Proz. trat hier ein, für das Säuglingsalter jedoch war
die Mehrsterblichkeit nur 2,4 Proz., im Kleinkindalter mit 49 Proz.
niedriger als im Schulalter mit 55 Proz. Mutter Germania im
F.xistenzkampfe um Volksdasein und Volksgeltung
gegen die vereinigten Neider und Konkurrenten
schwankte nicht, welchen von ihren Kindern die spärlich gewordene
Milch als wichtigstes Nahrungsmittel zugewiesen werden musste. Die
stillenden Mütter, ungestillten Säuglinge, nur unzureichend Kleinkinder
und selten Schulkinder konnten mit Milch beteilt werden. Die Kriegs-
Digitized by Goiisle
Wochenhilfe war die grösste sozialhygienisch-biologische Tat dieser
Zeit. Nie wurde von den deutschen Müttern so fleissig gestillt wie im
Weltkrieg. Lange waren die Neugeborenen nicht untergewichtig, an der
Mutterbrust gediehen die Kriegssäuglinge gut. Aber in den letzten
Kriegsjahren und in den sogen. Friedensjahren versagten vielfach die
Kräfte. Nur so ist es verständlich, dass im Reiche mit 2,4 Proz. die
Säuglings-Mehrsterblichkeit kaum grösser wurde und auch die Klein¬
kinder etwas geschützt werden konnten. Die Mehrsterblichkeit der
Schulkinder mit 55 Proz. ist jedoch entsetzlich. In einigen deutschen
Städten war das Kindersterben weit über 55 Proz. erhöht, ln Wien
z. B.. betrug die Mehrsterblichkeit der 10—15iährigen 100 Proz., der
16—20jährigen 160 Proz. Grauenhaft entwickelte sich die Tuber¬
kulose. Für die Gesamtheit des Reiches hat sich die Tuberkulose¬
sterblichkeit von 1913 bis 1918 mehr als verdoppelt, bei den jüngeren
Altersklassen ist die Tuberkiilose-Mehrsterblichkeit weit höher.
Und doch ist die Mehrsterblichkeit nur ein Bruchteil
der Einwirkung der unmenschlichen Hungerblockade
auf die deutsche Volkskraft. Einer Mehrsterblichkeit, wenn
sie nicht durch rapid verlaufende Infektionskrankheiten bewirkt ist, geht
stets eine lange Periode des Siechtums voraus; in diesem Falle, wie
die Engländer D zynisch bemerkten, eine Periode des „ungefähren Ver¬
hungerns“. Bei etwa 40 Proz. Verlust an Körpergewicht tritt der Tod
ein, bei Kindern wohl früher. Die direkte und nachträgliche
Wirkung der Hungerblockade hat es bewirkt, dass noch im
Jahre 1920 von 3H Millionen Kindern der deutschen Gressstädte
836 000, das sind 25 Proz., schwer unterernährt und über 200 000, däs
sind 6 Proz. tuberkulös befunden worden *). In einigen österreichischen
Städten war die Wirkung der Unterernährung noch furchtbarer. Hatte
doch die Entente durch die gewaltsame Losrelssung deutschen Sprach-
und Siedelungsgebietes im Norden und Osten die 2-Miliionen-Stadt Wien
reicher Bezugsquellen namentlich an Milch beraubt und die Stadt be¬
wusst dem Hungertode ausgesetzt.
Nach einer Erhebung im Dezember 1919 wurden in Wien
97 Proz. der Schulkinder unterernährt befunden, 31—63 Proz. in den ein¬
zelnen Bezirken waren schwer unterernährt. Dieser Zustand des Unter¬
ernährtseins ist noch furchtbarer als in den reichsdeutschen Gressstädten
mit 25 Proz. schwer unterernährten Kindern.
Unterernährung bedeutet jedoch auch ein gewalt¬
sames Zurückhalten der Wachstumskräfte, es muss ein
Zurückbleiben der Körperentwicklung eintreten. Diese
traurige Erscheinung lässt sich auch nachweisen. So waren in Frank¬
furt a. M. die 10 jährigen Knaben um 2 kg untergewichtig, in Nürnberg
im gleichen Alter um 1 cm zu klein, im 14. Lebensjahre waren in Nürn¬
berg die Kinder bereits um 3 cm hinter der Normalgrösse und um
4 kg untergewichtig. In Leipzig war bis zum Jahre 1918 bei den Schul¬
anfängern nur ein geringer Rückgang an Länge und Gewicht nach¬
zuweisen, im 14. Lebensjahre jedoch zeigten die Knaben eine Verminde¬
rung der Länge um etwa 5 cm (3 Proz.), und an Gewicht um 4 kg
(12 Proz.).
Noch fürchterlichere Veränderungen im Körper¬
wachstum Hessen sich an der Jugend Wiens feststellen. 6Jährige
Kinder hatten nach den Angaben von Prof. Pirquet im Jahre 1918
*) Daily News vom 22. November 1918. *) Soziale Praxis 1920 Nr. 42.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
79
ein Untergewicht von 3,9 bzw. 3,7 kg, 9 jährige von 6,3 bzw. 5,0 kg.
äne sehr genaue Erhebung in Salzburg vom Landesschul¬
arzt Dr. H e 11 e r ergab für die 7 jährigen Knaben ein Untergewicht von
2,7, für die Mädchen von 2,8 kg; für die 14 jährigen Knaben hingegen von
ö kg, d. s. 15 Proz., für die gleichaltrigen Mädchen von 8,0 kg, d. s.
20 Proz. unter dem Normalgewicht. 14 jährige Kinder machten den Ein¬
druck von 10 jährigen. 90 Proz. der untersuchten Kinder waren unter¬
gewichtig.
Nach den Untersuchungen von Hösslin hier in München
an Hunden wissen wir, dass bei langdauernder Unterernährung bis zum
j^chluss der Wachstumsperiode Einbussen an Körperlänge und Körper-
j;ewicht nicht mehr wettgemacht werden können. Irgendwelche Zweifel
oder Hoffnungen nach dieser Richtung haben neue ausgedehnte Unter¬
suchungen von Jackson und Stewart in Amerika an
Ratten zerstört. Durch mässige Unterernährung erreichten weisse
Ratten eine Untermassigkeit an Länge von 31 Proz. und an Gewicht
von 32 Proz. bzw. 38 Proz., die nicht mehr ausgeglichen werden konnten.
Bei diesen Tieren war die harmonische Entwicklung der einzelnen
Organe und Organsysteme gestört, sie waren schwer degeneriert.
Die Bemerkung des auch in Deutschland vor dem Weltkrieg hoch¬
verehrten Bcy-scouts-Führers Baden-PowelP) „W i r
werden b is 1940 warten müssen, um zu sehen, wer wifk-
lich den Krieg gewonnen hat“ bekommt nun eine ent¬
setzliche Klärung. England und Frankreich wollen das deutsche
Volk bis 1940, die Hunnen von 1940, wie der Engländer W i 1 e unsere
Kinder nennt, so misshandeln und in seinem Nachwuchs durch Unter¬
ernährung degenerieren, dass es bis 1940 als Volk, als Rasse vernichtet
ist Ein Plan von dieser teuflischen Grausamkeit und
Entsetzlichkeit ist einzig in der W'eltgeschichte.
Wie mit einem Blitzlicht erhellen derartige Bemerkungen die Si¬
tuation und zeigen auch den verblendetsten Volksgenossen die wahren
Motive des Weltkrieges — beim westlichen Nachbar die Gier
nach deutschem Volkstum, um seine verminderte Vitalität aufzufrischen—
diese Gier erstreckt sich über das deutsche Eisass auf Saargebiet und
Rheinland und noch weiter — beim Inselbewohner der Hass gegen den
früher leistungsfähigen Konkurrenten auf dem Weltmarkt, der völlig ver¬
nichtet werden soll. DerRaubunsererSchiffe. unsererKo-
lonien, die Zertrümmerung des deutschen Handels
genügen noch nicht. Das ist das „fair play“ ddr mo¬
dernen Engländer. Selbst 2 Jahre nach dem Sieg mit
fremder Hilfe und einem Lügenfeldzug ohnegleichen,
nichts von Ritterlichkeit.
Nun kommt wieder das Würger-Dioskurenpaar.
Im Frühjahr hat die Entente nach dem Vernichtungsvertrag die Ab¬
lieferung von rund 150 000 Pferden, je 900 000 Rindern und Schafen,
27000 Ziegen usw. gefordert. Von den 900 000 Rindern müssen es
640000 Kühe und tragende Färsen sein. Nach dem sog. Vertrag hat die
Reparationskommission die Leistungsfähigkeit I3eutschlands zu berück¬
sichtigen. Den Bemühungen der deutschen Kommission ist es ge¬
lungen, für die nächsten 6 Monate die Ablieferung auf 30 000 Pferde,
125 000 Schafe und 90 000 Rinder, davon 30 000 tragende Kühe und Fär¬
sen zu beschränken. An der ursprünglichen Forderung
nach insgesamt 640 000 Kühen und tragenden Färsen
hält die Entente jedoch ohne Berücksichtigung der
Leistungsfähigkeit fest, trotzdem die Kommission nachwies,
d'iss die Ablieferung von Milchvieh die Lebensinteressen des deutschen
Volkes auf das schwerste schädigt.
Die deutsche 0 e f f e n 11 i c h k e i t und vor allem die
deutsche Aerzteschaft müssen nun etwas deutlicher
w erd e n.
Die Milchanlieferung für die deutschen Städte ist infolge der be¬
reits erfolgten Ablieferung von 140 000 Kühen, des Kraftfuttermangels und
der Seuchen von Jahr zu Jahr geringer geworden, ist vielfach jetzt auf */5,
n einigen Städten sogar bis auf Vio, ja Vm der Friedensleistung gesunken.
So hat Berlin z. B. eine Milchanlieferung von ca. 100000 Liter statt
mindestens 1,2 Millionen in der Friedenszeit, d. s. 8 Proz.. Dresden
statt 300 000 nur 30 000, d. s. 10 Proz., Wien statt 900 000 sogar nur
60000, d. s. kaum 7 Proz. usw. Die Milch reicht kaum für die Säuglinge
und Schw'erkranken. Nur in wenigen Städten können auch die Klein¬
kinder etwas erhalten. Eine Ablieferung von nur 500 000 Kühen würde |
eine Wegnahme von mindestens l'A Millionen Liter Milch täglich fast
ausschliesslich für die Säuglinge und Kleinkinder der deutschen Gress¬
städte und Industriezentren nach sich ziehen, d. h. ein Raub der
Milch für fast alle Stadtkinder.
Was würde ein derartiger Raub für die deutsche
Vnlkskraft bedeuten?
Die Bedeutungder Milch als Nahrungs- und Aufbaumittel für
den wachsenden Organismus kann nicht genug hervorgehoben werden.
Oie Milch lässt sich durch kein anderes Nahrungsmittel ersetzen. In
(«Kenden. wo kein oder ungenügend Milchvieh vorhanden ist, müssen
die Mütter abnorm lange stillen, im eine normale Entwicklung des
Sprösslings sicherzustellen.
Der Schularzt Professor Thiele- Chemnitz sagt auf Grund
der Kriegserfahrungen mit Recht: Fehlen oder Mangel an Milch an
einzelnen Orten machte einen Einschnitt in der körperlichen
Entwicklung der Jugend. Das ist eine treffende Bemerkung.
E>ie Wachstumsintensität verringert sich, der Mineralstoffwechsel ist be¬
einträchtigt, namentlich durch das Fehlen der Milch-Kalksalze, die Kno-
-henbildung ist dadurch gestört, die Blutbildung ist vermindert, die Kin-
Weakly Dispatsch 8. SeQfe^918. 1
Digitizedby
der werden anämisch — in Chemnitz und Salzburg wurden z. B. 50 Proz.
der Kinder anämisch gefunden, sie neigen zu Rachitis, Skrofulöse und
Tuberkulose. Ueber die enorme Verbreitung der Rachitis und anderer
Knochenerkrankungen als Folge der Hungerblockade liegen für die
deutsche Jugend genaue statistische Daten nicht vor. In Wien ist es nur
ein kleiner Prozentsatz von Kindern, der keine Spuren von Rachitis zeigt.
Die tiefere Ursache dieser Erscheinungen bei
Milchmangel sind uns jedoch erst durch Forschungs¬
ergebnisse aus der letzten Zeit offenbar geworden.
Deutsche Forscher, wie Abderhalden, Hofmeister,
S t e p p u. a. haben teilweise bereits vor dem Weltkriege auf die Bedeu¬
tung von Stoffen — Vitamine genannt — aufmerksam gemacht, deren Ab¬
wesenheit in der Nahrung trotz genügender Mengen von Eiweiss, Fett,
Kohlehydrat und Mineralsalzen schwere Ausfallserkrankungen —
Avitaminosen genannt — hervorbringt. Es ist jedoch das grosse
Verdienst englischer und amerikanischer Forscher vom
Listerinstitut in London und von den Carnegieinstituten, durch weitere
Forschungen viel Klarheit geschaffen zu haben. Diese Vitamine oder
Nahrungsbeistoffe sind unter normalen Emährungsverhältnissen in den
verschiedenartigsten Nahrungsmitteln bei gewöhnlicher Zubereitung in
genügender Menge vorhanden, im Kriege jedoch fehlten diese Bei¬
stoffe bei der notgedrungenen Konservenkost entweder ganz oder sie
waren in ungenügender Menge da. Denn diese Vitamine sind
leicht zerstörbare hochmolekulare Körper von noch
unbekannterZusammensetzung. Bei langdauemdem Kochen,
bei Temperaturen über 130® werden sie zerstört.
Wir unterscheiden 3 Gruppen von Vitaminen
Die Gruppe A, fettlöslich, als Anti-Rachitisstoff bezeichnet,
ist an die Fettfraktion der Milch gebunden, findet sich also ln
Rahm, Butter, dann in Fischtran, namentlich Lebertran, in Eigelb
und auch in Rindsfett, nicht jedoch in Speck und Pflanzenölen. Ferner
findet er sich in grünen Gemüsen, nicht jedoch in Wurzelgemüsen.
Als Kriegsfolgc hatten wir: keinen Rahm, keine oder nur Spuren
von Butter, wenig Eigelb, viel Wurzelgemüse, wenig grüne Gemüse,
meist Gemüsekonserven, worin das Vitamin zerstört ist. Daher Mangel
an A-Vitaminen. Dieses Vitamin ist zum Wachstum
durchaus notwendig, ohne dasselbe bleibt die Ent¬
wicklung jungjer Tiere zurück, falls sie nicht zu¬
grunde gehen.
Gruppe B, wasserlöslich, findet sich in der M i 1 c h m o 1 k e, im
Pflanzensamen, z. B. in Getreidearten in Keim und Aussenhüllen, in den
Hülsenfrüchten gleichmässiger verteilt, in der Hefe und Hefenextrakten,
auch in der Leber und im Gehirn, wenig jedoch im Fleisch. Dieser Stoff
wird der antineuritische oder Anti-Beri-Beri-Beistoft
genannt. Dieses Vitamin verhindert eben das Auftreten von Beri-Beri
und ähnlichen Ausfallskrankheiten, ist aber auch für die Regu¬
lierung des Wachstums wichtig.
Gruppe C, auch Anti-Skorbutstoff genannt, findet sich in
frischem Pflanzengewebe, in Gemüse, Kohl, Rüben, Salat; in Früchten,
wie Zitronen, Orangen, Erdbeeren und Tomaten, nur wenig jedoch in
Kartoffeln, gelben Rüben, Bohnen. Auch diese Vitaminart in Gemüsen
und Früchten wird durch langdauerndes Erhitzen zu Konserven ver¬
nichtet. Konservennahrung überwog aber im Weltkrieg. Zitronen und
Orangen fielen durch die Blockade weg und sind jetzt wegen der hohen
Kosten unerschwinglich.
In einer Flugschrift des Listerinstituts wird zusammen¬
fassend gesagt: Milch und Butter sind die besten Gegenmittel gegen das
Entstehen der Rachitis bei kleinen und heranwachsenden KinÄem. Bei
Mangel an Butter ist der Lebertran ein Ersatz. Frische Vollmilch kann
nur teilweise durch Trockenvollmilch ersetzt werden, durch Kondens¬
milch überhaupt nicht.
An der Brust ernährte Kinder müssen des Vitamins auch entbehren,
wenn die Mutter statt Frischmilch und Butter nur Konservennahrung und
Milchkonserven erhält. Rachitis ist durchaus nicht auf künstlich er¬
nährte Kinder beschränkt.
Der Engländer MacCarrison hat durch Versuche an Affen in
der letzten Zeit nachgewiesen, dass das Fehlen dieser Vitamine bei sonst
guter und ausreichender Nahrung, wobei die Vitamine durch Erhitzen
auf 130® zerstört waren, in wenigen Wochen zum Tode führten.
O s b o r n e und Mendel von der Yale Universität in den
Vereinigten Staaten haben im April d. J. von Versuchen berichtet, aus
denen hervorgeht, dass Ratten bei ausreichender vitaminfreier Nahrung
mit nur 20 g Frischmilch als Vitaminträger sich normal entwickelten, bei
2^ g Milch jedoch bald Wachstumsstillstand zeigten, oder zugrunde
gingen, bei 10 g Milch manchmal ziemlich gediehen, manchmal auch im
Wachstum Stillständen und bei 15 g geringere Untermassigkeit aufwiesen.
Diese neuen Erkenntnisse sind für die Beurtei¬
lung der Bedeutung der Milch für das Körperwachs¬
tum von grösster Wichtigkeit; sie lassen aber auch
die Frage der Milchviehablieferung in neuem Lichte
erscheinen.
Die katastrophale Wirkung des Milchmangels ist
nun erklärt. Die Untersc,hiede in der Wachstums¬
einschränkung, in dem Auftreten der Rächitis und
anderer Knochenerkrankung bei der Jugend der ein¬
zelnen deutschen Städte sind in Anbetracht der
ziemlich gleichmässigen Ernährung hauptsächlich
auf den grösseren oder geringeren Vitaminmangel
zurückzuführen. Ein vitaminarmer Ersatz in ver-
schiedenenZubussenkonntedievitaminreicheMilch
und das Butterfett nie ersetzen.. .
ji iginal frorri
UNI\/ERSITY OF CALIFORNIA
80
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
DieÄmerikanerundScbweizer haben aus diesen Erkennt¬
nissen bereits die Lehre gezogen. Statt vitaminarme Kondensmilch
bemüht sich die Schweiz Milchkühe nach Oesterreich zu bringen, die
Amerikaner kaufen Güter mit Miichvieh in Oesterreich, um den armen
Opfern der Hungerblockade zu helfen. Jetzt ist es verständlich, weshalb
die Amerikaner sich sogar bemühen, Milchvieh trotz der hohen Transport¬
kosten nach Deutschland zu schaffen. Bereits ist der erste Transport
eingelangt — Die Frischmilch, das Butterfett sind eben für den wachsen¬
den Körper unentbehrlich. Was wäre nun unsere Aufgabe!
Wir sollten durch Kraftfutter den Milchertrag unseres so dezimierten
Milchviehbestandes schleunigst heben, sollten aus Holland, Däne¬
mark, Rumänien, Ungarn und Südslavien Hunderttausende von Milch¬
kühen uns beschaffen können; statt dessen fordern die Wür¬
ger des deutschen Volkes die sofortige Abliefemng von 30000
tragenden Kühen und Färsen und wollen später die Ergänzung auf
640 000 Stück Milchvieh und ausserdem noch 25 000 Ziegen uns er¬
pressen. Die famose Art der Berechnung dieses sog. Wiederersatzes
erhellt die Tatsache, dass w i r Serbien 157 000 Stück Rinder zurück¬
geben sollen — Serbien, das uns ohne Schwierigkeit und Einbusse seines
Milchbedarfes diese Rinderzahl sofort bei seinem Viehreichtum geben
könnte. Italien begnügt sich zum Unterschied mit 11 150 Stück Rindern.
Die bayerische Aerzteschaft als Mithüterin der
Volksgesundheit und Volkskraft, als Mitschützerin
der biologischeii Erbwerte eines in sich geschlos¬
senen Kulturvolkes von mehr als 70 Millionen, als
Teil der Aerzteschaft des gesamten deutschen Siede¬
lungsgebietes erhebt schärfsten Protest gegen die
Vernichtungs- und ErpressungsVerträge von Ver-
sailies und St. Germain in ihren volksbiologischen
Wirkungen.
Sie sieht den bewussten Willen der Volksvernich¬
tung seitens zweier Staaten, die stets sich anmassen, im Namen des
Rechtes und der Menschlichkeit zu sprechen, während nackter Raub¬
und Veraichtungswille bar jeder Menschlichkeit die Triebfeder aller Hand¬
lungen gegenüber dem deutschen Volke waren und noch sind.
Sie protestiert im Namen der Menschlichkeit gegen
den Ausrottungskrieg dieser beiden Staaten noch im
sog. Frieden, von denen der eine, nachdem er die grosse Beute im
sicheren Hafen sieht, den Vemichtungswillen allein dem anderen Staate
zuschieben will. Diese beiden Raubstaaten haben sich eben in die
gesamte Beute geteilt. Die Henkersarbeit Frankreichs ist jetzt aller¬
dings die unangenehmere.
Sie hat die heilige Pflicht, die Absicht der Engländer nach
einem Dr. Sa 1 eeby, dass es als Folge der Hungerblockade
i m J a h r e 1940 wahrscheinlicheinedeutscheRasseglbt.
die an körperlicher Degeneration leidet, mit allen Mit¬
teln und Kräften zu verhindern.
Sie findet, dass dieser Vemichtungswilile, diese Verhinderung
jeder Gesundung, jedes Wiederaufbaues eine Vampyrpolitik dar¬
stellt, die die Träger dieser Politik weit unter das ethische
Niveau der früheren Sklavenstaaten herabdrückt
Die bayerische Aerzteschaft stellt dem von Wilson
zur Täuschung des leichtgläubigen deutschen Volkes verkündeten poli¬
tischen Selbstbestimmungsrecht eine*' jeden Volkes das
primitive Naturrecht der artgemässen biologischen
Entwicklungdesdeutschep Volkes zur Seite. Ein in seinen
Erbwerten so körperlich und geistig gesundes Volk wie das deutsche,
trotz des jetzigen Verzweiflungszustandes, hat das Recht auf Existenz
und Zukunft.
Die bayerische Aerzteschaft lenkt namentlich die Blicke
der Kulturvölker und aller Menschenfreunde auch in den feindlichen
Staaten auf das Ernährungselend und die Kindernot in
den deutschen Städten und Industriezentren, insbeson¬
dere auch im stammverwandten 0 e s t e r r e i c h, für die nicht be¬
wundernswerte charitative Werke der Neutralstaaten und Amerikas,
sondern die Durchführung des Wilson sehen Selbstbestinimungsrechtes
wie in Kärnten den erforderlichen Nahrungsspielraum dauernd schaffen
können.
Sie weist ferner auf die entsetzliche Ernährungs¬
not im Erzgebirge mit Tausenden von Opfern an
Hungerödem hin, für dessen Bevölkerung eine unmenschliche
tschechoslovakische Regierung kein Herz hat, nur Freude am Untergang
empfindet.
Sie ruft auch um Hilfe für die höchst notleidenden
Bewohner des Thüringerwaldes, arme Heimarbeiterfamilien,
denen mit anderen armen Familien des Deutschen Reiches durch den Raub
von 27 000 Ziegen die einzige Milchquelle entzogen werden soll.
Die bayerische Aerzteschaft ruft den Kultur¬
völkern und allen Menschenfreunden zu, dass sie sich bei
tatenlosem Zusehen der Auswirkung des unmenschlichen Vernichtungs¬
willens Englands und Frankreichs zu Mithelfern der Ver¬
brechen an der deutschen Jugend und an dem ganzen
deutschen Kulturvolk machen.
Sie erwartet, dass es diesen Kulturvölkern und allen
Menschenfreunden, die die christliche Nächstenliebe stets durch die Tat
bekunden und widerlicher Heucheiei abhold sind, gelingen wird,
diese Vernichtungsabsichten gegenüber dem durch seine
Vertrauensseligkeit wehrlos gemachten deutschen Kulturvolke zu
durchkreuzen und dass vor allem England und Frankreich von
der MflchvfchrMieferiing ohne Vorbehalt absehen
Digitized by Gotigle
und Sorgezutragenhaben, dass die Folgen der unmensch¬
lichen Hungerblockade in Deutschland und Oesterreich mög¬
lichst weitgehend behoben werden können. Das ist nur eine
Gebot der Menschlichkeit. Schliesslich erklärt die
bayerische Aerzteschaft, dass nach den Forschungsergebnissen
gerade englischer und amerikanischer Aerzte und Biologen ein Beharren
auf der Durchführung der Ablieferung von Milchvieh nur als gewoll¬
ter und bewusster Kindermord betrachtet werden kann.
Ais zweiter Redner sprach
Prof. F i s c h 1 e r:
Durch tägliche Kümmernisse, Sorge und Not ist die Allgemeinheit
derartig abgestumpft und hat so sehr an Energie verloren, dass selbst
die äussersten Zumutungen, welche von seiten unserer Feinde an uns
gestellt werden, mit einer völligen Apathie aufgenommen werden. Wenn
vom feindlichen Ausland aus dieser geringen Abwehr der Schluss ge¬
zogen wird, dass es uns bezüglich unserer Ernährung offenbar gar nicht
so schlecht gehe, so ist dies eine völlige Verkennung der tatsäch¬
lichen Notlage. Ein wohlwollender Beurteiler dürfte aus diesem Ver¬
halten des deutschen Volkes nur den Schluss ziehen, dass der Verlust
an Energie infolge der Unterernährung ein ausserordentlich grosser sein
muS^ und dürfte dieses Verhalten als ein ernstes Symptom der Er¬
krankung unseres ganzen Volkskörpers erkennen. Die Aerzteschaft sieht
aber schon infolge ihrer beruflichen Ausbildung, die darin gipfelt, Krank¬
heiten verhüten zu helfen und auf kommende Gefahren aufmerksam zu
machen, sich um so mehr verpflichtet, zur Verhütung allgemeiner Not¬
stände nach ihren besten Kräften tätig zu sein.
Der Verlust an Milch, der uns durch die Ablieferung einer so grossen
Anzahl von Milchkühen, wie sie die Entente fordert bevorsteht, dürfte
die an und für sich schon so furchtbare Milchnot in Deutschland so weit
steigern, dass mit einer dauernden Gefährdung und einer totalen yer-
elendung des kommenden Geschlechtes sowohl, wie weiter Kreise
unserer jetzt lebenden Volksgenossen zu rechnen sein wird.
Obwohl Kinder und Kranke durch gesetzliche Regelung der Milch¬
versorgung bevorzugt sind, sind die Mengen von Milch, welche ihnen
zugewiesen werden können, absolut unzureichend. Die Allgemeinheit geht
ja schon lange leer aus. Die Milch not ist deshalb so einschneidend, weil
nach w'ie vor eine kalorische Unterbelieferung der Bevölkerung in den
breitesten Schichten besteht und weil vor allen Dingen in der Kriegs¬
zeit, wie in der Nachkriegszeit die hochwertigen Nahrungsmittel fehlen.
Nur bei den allerschwersten Erkrankungen, wo der Patient vorwiegend
oder fast ausschliesslich auf Milchkost angewiesen ist, darf 1 Liter Milch
als Höchstmenge zugewiesen werden. Der Nährwert dieser Milchmenge
ist so gering, dass er bei einem Erwachsenen höchstens 14 des Mindest¬
bedarfs, der zur Erhaltung unserer Körperkräfte notwendig ist, deckt.
Weitaus die Mehrzahl der Kranken erhalten viel weniger Milch —
K, Liter, Vi Liter, % Liter. In München z. B. erhalten von allen mit
Krankenmilchzulagen Versehenen 1 Liter nur 0,5 Proz., % Liter
3,5 Proz., Liter 89,0 Proz., K Liter ca. 7,0 Proz. Dabei muss darauf
hingewiesen werden, dass bei weitem der grösste Teil sämtlicher
Kranker auf Milchkost angewiesen ist, vor allen Dingen die Fiebernden,
die Magen- und Darmleidenden, die Nierenleidenden, die Herzleidenden,
die Frischoperierten und vornehmlich die Tuberkulösen.
Eine ganz natürliche Folge des Mangels an Milch ist die Zunahme
des Krankenstandes. In München hat die Zahl der mit Milchzulagen
versehenen Personen gegen die letzten Jahre um 38 Proz. zugenommen:
zurzeit beziehen nahezu 12 Proz. der Bevölkerung derartige Kranken¬
zulagen. In anderen grossen Städten werden ähnliche Beobachtungen
gemacht. Die natürliche Folge der Unterernährung und ausgebreiteten
Krankheitszustände ist ein Anwachsen der Sterblichkeit
In den Städten über 15 000 Einwohner ist die Zahl der an Tuber¬
kulose Verstorbenen von 15,7 auf 31,7 pro 10 000 im Jahre gestiegen,
hat also um 100 Proz. zugenommen. Auch die Zahl der gestorbenen
alten Leute ist in Preussen z. B. um 36,6 Proz. gestiegen. Ueber die
Zunahme der Sterblichekit der Kinder hat Herr Professor K a u p be¬
richtet Es ist bei solchen Feststellungen mit Sicherheit zu erwarten,
dass bei einem Fortbestehen der heutigen Zustände eine Zunahme der
schlimmsten Erkrankungen unseres Volkskörpers, der Tuberkulose,
Skrofulöse. Blutleere. Rachitis. Magen- und Darmleiden unabwendbar ist.
Nicht genug mit diesen ernstesten Schwierigkeiten ist durch die
Maul- und Klauenseuche für die Milchversorgung Deutschlands an sich
schon ein nahezu katastrophaler Zustand geschaffen worden. In Bayern
sind seit 1. I. 20 bis 6. XI. 20 infolge Maul- und Klauenseuche
48 648 Stück Grossvieh, 10 548 Kälber, 3 294 Schweine, 5 782 Ferkel.
749 Schafe und 3 139 Ziegen zu Verlust gegangen. Vor allem ist her¬
vorzuheben, dass diejenigen Tiere, welche die Seuche überstanden
haben — und das sind bei den deutschen Viehbeständen und der grossen
Ausbreitung der Seuche Hundertausende von Milchkühen — eine ausser¬
ordentlich starke Verringerung ihrer Milchproduktion mindestens bis
zum nächsten Kalben zeigen; der tägliche Milchertrag sinkt bei solchen
Tieren unter Umständen auf 1 bis 2 Liter und darunter. Die Not der
Milchversorgung in Deutschland ist also an sich schon unerträglich.
Trotzdem diese Tatsachen der Entente völlig bekannt sind, soll an
der Ablieferung der Milchkühe prinzioiell festgehalten werden, ob jetzt
oder später, ob sich das auf einen kürzeren oder längeren Zeitraum
erstreckt, bleibt sich im Prinzip vollständig gleich, im Gegenteil, es wird
die ausserordentliche Verelendung des Volkes, welche durch immer
wieder stattfindende Ablieferungen von bestem Milchvieh hervor¬
gebracht wird, zu einer bleibenden gemacht.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
81
Trotzdem nun heute schon vollkommen unwürdige Zustände sowohl
für die Versorgung unserer Kinder wie namentlich auch der Kranken
bestehen, sollen sich diese Zustände noch weiter verschlechtern und
es soll in Zukunft nicht einmal mehr möglich sein, die bisher gewährten
an sich völlig unzulänglichen Zulagen von Milch an Kranke. Kinder,
werdende und stillende Mütter. Sieche und Greise zu geben. Das ist
der Ausblick für die Zukunft, der sich uns auftut, wenn wir die Forde-
ningen der Ablieferung der Milchkühe erfüllen müssen. Es ist ein
grausiger und nahezu unerträglicher Ausblick, der in seiner Furchtbar¬
keit noch nicht einmal unsere eigenen Volksgenossen geschweige denn
anderen Völkern völlig klar geworden ist. Vor allem muss die deutsche
Nation wissen, was ihr für ein Schicksal durch diese unmenschlichen
Forderungen bereitet werden soll, und darum meine Damen und Herren
haben wir Aerzte Sie heute Abend gebeten hierher zu kommen, um sich
hierüber völlig klar zu werden.
Aber nicht nur auf die Milchversorgung wird sich diese furchtbare
Not erstrecken, die notwendige Verminderung der Butterproduktion, das
nahezu völlige Fehlen des Fleisches wird weiter die Folge davon sein.
Die Landwirtschaft wird durch den Ausfall an Gespannen, welche durch
die Ablieferung von Kühen und Rindern erfolgen würde, nicht mehr in
der Lage sein, die Felder in genügender Weise zu bestellen, mangels
an Zugvieh und mangels an Stallmist, so dass auch die letzte Quelle
an Nahrung, welche uns geblieben ist, nämlich der Ertrag der Feld¬
früchte und Gartengemüse, vermindert würde. Die Möglichkeit einer
Ergänzung unserer Viehbestände ist uns ebenfalls mit solchem Vorgehen
genommen.
Obwohl diese Folgen und die ganzen heutigen Verhältnisse der
Entente wohlbekannt sind, hält sie an der Ablieferung fest. Fragen wir
nach Beweggründen dieses Verhaltens, so muss hervorgehoben werden,
dass es nicht eigene Not ist, welche die Entente dazu zwingt. In
Paris soll es nach verbürgten Nachrichten in dem Belieben eines
jeden Restaurantsbesuchers stehen, sich ein Glas Milch zum Mittag¬
oder Abendessen geben zu lassen. Man hat also dort so viel Milch,
dass an Restaurantgäste ohne jede Schwierigkeit Milch abgegeben
werden kann. Es fehlen mir die Worte der Entrüstung sowohl, wie die
parlamentarischen Ausdrücke, um ein solches Verhalten unserer Feinde
richtig zu charakterisieren. Angesichts solcher Feststellung müssen wir
aber sagen, dass es wohl noch nie in der Weltgeschichte dagewesen ist.
dass ejn grosses Kulturvolk von 70 Millionen von einer Uebermacht
dahing’ebracht werden soll, kläglich hinzusterben und zu verelenden.
Noch nie in der Weltgeschichte ist der Versuch eines ähnlich
grossen Verbrechens gemacht worden. Die Aerzteschaft als
Hüterin des Volksbestandes ruft alle wahren Kulturvölker auf, um dieses
Verbrechen zu verhindern.
Prof. V. Zumbusch schilderte sodann in temperamentvollen, von
häufigem Beifall unterbrochener Rede die Gefahren, die dem deutschen
Volke durch die Besetzung weiter Gebiete durch schwarze Truppen
und durch di starke Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten, nicht nur
in den Städten, sondern auch unter der Landbevölkerung, drohen. Die
Ursache dieser schrecklichen Zustände liegt in der allgemeinen Ver¬
lotterung, in dem Mangel an sittlichem Halt, die wiederum als Wirkung
der die Gesundheit von Körper und Geist untergrabenden Unterernährung
anzusehen sind.
Der Vorsitzende Dr. E. Müller dankte in seinen Schlussworten
den Rednern, deren Ausführungen er dahin zusammenfasste, dass es sich
um den Kampf gegen die grössten Geissein der Menschheit: gegen
Rachitis. Tuberkulose und Syphilis handle. Er fand warme Worte des
Dankes für unsere Freunde und Helfer in den neutralen Ländern, in der
Schweiz, in Holland, in Skandinavien und iji den Vereinigten Staaten,
wo so viel, besonders auch von unseren deutsch-amerikanischen Brüdern,
zur Linderung der deutschen Not geschehen sei. Von Freund und Feind
aber, von allen Nationen der Welt verlangen wir: Gerechtigkeit und
Wahrhaftigkeit. Unser Hilfruf geht von Mensch zu Mensch, von Volk
zu Volk.
BQcheranzeigen und Referate.
Richard Lenz mann- Duisburg: Die Pathologie und Therapie der
plötzlich das Leben bedrohenden Krankheitszustände. 4. Auflage. Jena,
Fischer, 1920. Preis 55 M, geb. 70 M.
Das gelegentlich der 1. Auflage in dieser Wochenschrift mit An¬
erkennung besprochene Buch liegt heute schon in 4. Auflage vor. Aus
reicher praktischer Erfahrung heraus für die Praxis geschrieben, ist das
Buch weit entfernt davon, nur ein einfacher praktischer Berater zu sein.
L hat sich mit nicht genug zu lobendem Eifer bemüht, bei allen von ihm
zeschilderten Krankheitszuständen dem Leser auch einen Ueberblick
über die theoretischen Grundlagen zu geben. Das reiche Wissen des
Verfassers und seine Fähigkeit, schwierige theoretische Fragen zu er¬
örtern. verdienen rückhaltlose Anerkennung. Mag es sich um die Erklämng
des Asthma cardiale, der Brucheinklemmung, der Eklampsie, der Serum¬
krankheit handeln, immer zeigt L. die unbedingte Beherrschung des
Stoffes, die den Leser mit Leichtigkeit in die pathologischen Verhältnisse
einführt und ihn gerade dadurch die besten Anhaltspunkte für die Thera¬
pie gewinnen lässt.
Diese Sattelfestigkeit auf allen Gebieten der Medizin muss dem Ver¬
fasser besonders hoch angerechnet werden. In unserer Zeit der Zer¬
splitterung berührt es besonders wohltuend, wenn ein Chirurg sich nicht
nur in den Fragen der Gynäkologie und Geburtshilfe, sondern auch in den
schwierigen Fragen der Physiologie und Serologie gut bewandert
zeigt. So ist das Werk dem Praktiker nicht nur ein zuverlässiger Führer
in allen wichtigen Lagen des Berufes, sondern gleichzeitig ein Ver¬
mittler aller für die erfolgreiche Therapie bedeutungsvoller wissenschaft¬
licher Forschungen, K r e c k e.
Lehrbuch der Unfallbegutachtung der inneren und Nervenkrankheiten
für Studierende und Aerzte von Prof. Dr. R. Finkelnburg, Dozent
für innere Medizin und Versicherungsmedizin in Bonn. Bonn 1920.
A Marcus und E. Webers Verlag. 544 Seiten. Preis 70 M.
Aus der Bonner medizinischen Klinik, die ein beträchtliches Ver¬
dienst um den zielbewussten Ausbau der Unfallmedizln beanspruchen
darf, sind im Laufe der letzten Jahre, ausser wertvollen Obergutachten,
durch die dortigen Dozenten sehr anregende Zusammenfassungen der
dortigen Erfahrungen und Grundsätze für die Begutachtung Versicherter
veröffentlicht worden. Das vorliegende Werk bildet eine neue Gabe
dieser Schule, deren Wert jedem sofort in die Augen fällt, der es mit
den früheren Werken dieser Art vergleicht, etwa mit Rubin, Becker,
sogar Stern und T h i e m. Gerade in der Begutachtung der inneren
Krankheiten als Unfallfolge war der Gutachter viel mehr, als gut,
bisher auf sich selber gestellt d. h. auf eine beschränkte Erfahrung, sub¬
jektive Auffassung und litt unter dem Mangel an gut durchgearbeiteten
Grundsätzen für die Begutachtung auf diesem Gebiete. Man kann
sagen, dass da das Werk von F. einem entschiedenen Bedürfnis abhilft
Es ruht einmal auf einer umfassenden Literaturkenntnis, dann
auf weitgehender, langjähriger persönlicher Erfahrung des Verfassers,
der gut weiss, wo den Gutachter der Schuh zu drücken pflegt F. hat
angestrebt und durchgeführt, eine möglichst scharfe Formulierung aller
Voraussetzungen und Grundsätze zu geben, auf Grund welcher im kon-
'^^eten Falle spez. die Zusammenhangsfrage vom Gutachter sachlich
Dlgltlzed by Goiisle
erörtert und gelöst werden kann, soweit es der Fall erlaubt. Ebenso
gibt er für die einzelnen Krankheitsbilder und -kombinationen gut be¬
gründete Unterlagen für die Schadenabschätzung. Der einzelne Gut¬
achter möchte in seinen Ueberlegungen gestützt weraen, wenn es sich
handelt, den Schaden im konkreten Falle abzuschätzen, wenn es sich
z. B. um eine durch Unfall verschlimmerte Tuberkulose oder Tabes
handelt. Durch grosse Erfahrung bildet sich eben auch für diese Fragen
schliesslich manches Grundsätzliche heraus, ohne dass man sofort eine
Entartung zum Schematischen zu fürchten braucht. Die Darstellung
solcher Grundsätze stellt einen erheblichen Fortschritt dar. Der Inhalt
des Werkes gliedert sich in einen allgemeinen Teil (Begriffliches aus
der Unfallversicherungsgesetzgebung, Unfallursachen und -Wirkungs¬
weisen, das ärztliche Gutachten, Gmndsätze für die Rentenabschätzung,
Simulation und Uebertreibung), wobei auch die Verhältnisse bei Haft¬
pflicht- und Privatversicherung berücksichtigt sind — und in einen spe¬
ziellen Teil, der in 25 Abschntten die Unfallerkrankungen der einzelnen
Organe und Orfi^ngruppen behandelt, dann die Bluterkrankungen, Stoff¬
wechselkrankheiten, jene der Drüsen mit innerer Sekretion, die Infek¬
tionskrankheiten, Vergiftungen. Geschwulstbildungen. Die Erkrankungen
des Nervensystems sind mit besonderer Ausführlichkeit bearbeitet. Ein
willkommenes Werk! Grassmann-München.
Prof. Dr. Erich Hoffmann -Bonn: Die Behandluns der Haut- und
Geschlechtskrankheiten. 3. Auflage. Bonn, A. Marcus & E. We¬
bers Verlag, 1920. M. 14.—, geb. M. 18.—. 160 S.
Die Tatsache, dass H o f f m a n n s therapeutischer Leitfaden seit 1917
3 Auflagen erleben konnte, beweist am sichersten dessen Verwendbarkeit.
Mit Recht hat der Verfasser auch diesmal dem allgemeinen Teil be¬
sondere Aufmerksamkeit zugewendet; er ist tatsächlich der wichtigste,
weil er unbedingt notwendig ist zum Verständnis der Massnahmen, die
bei den einzelnen Krankheitsformen in Betracht kommen. Dabei sind
alle neuen Errungenschaften berücksichtigt. Aus dem allgemeinen und
speziellen Teil spricht überall reiche Erfahrung, der Verfasser empfiehlt
nichts, was nicht bewährt ist.
Sehr nützlich sind die Richtlinien, welche für die Behandlung der Ge¬
schlechtskrankheiten gegeben werden, hier steht und fällt ja der Erfolg
mit der Therapie, sie ist wohl auf keinem anderen Gebiet so verant¬
wortungsvoll und so dankbar.
Die Ausstattung ist gut, der Preis zeitgemäss. Immerhin aber noch
erschwinglich. L. v. Zumbusch.
Univ.-Prof. Johannes B i b e r f e I d: Arzneimittellehre für Studierende
der Zahnheilkunde und Zahnärzte. 2. Aufl. Berlin, Verlag von Julius
Springer, 1920. Preis: 9 M.
Vor dem Erscheinen dieser kurzgefassten Arzneimittellehre war der
Lehrer für Pharmakologie stets in Verlegenheit, den Studierenden der
Zahnheilkunde ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Buch zu empfehlen.
In Biberfelds Arzneimittellehre sind die für die zahnärztliche Praxis
wichtigen Stoffe ausführlich abgehandelt, die unwichtigeren kurz ge¬
fasst. aber klar dargestellt. Nur Abschnitt III scheint dem Ref. zu vieles
nicht dorthin Gehörendes einzuschliessen. Auch erscheint eine Ver¬
einigung von Abschnitt III und IV als zweckmässig.
Wenn das Buch zwar für den Zahnarzt geschrieben ist. so kann es
doch auch dem jungen Mediziner zur Einfühfung in die Pharmakologie
empfohlen werden. J o d 1 b a u e r.
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
82
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Konrad Lange: Das Kbio ln Gegenwart und Zukunft Stuttgart
1920. Verlag von. Ferdinand Enke. 373 S. Preis 60 M.
Der Tübinger Kunsthistoriker, der seit 8 Jahren in den vordersten
Reihen der Bekäinpfer des Schundfilms und der Reformer des Kinos
steht, fasst im vorliegenden Buche seine Anschauungen über dieses
wichtige und aktuelle Gebiet sozialer Hygiene zusammen und zeigt die
Wege zur Genesung. Vom ethischen und ästhetischen Standpunkt aus
übt er eine scharfe Kritik am Kino in seiner heutigen Form, schildert die
verrohende und für die seelische Gesundheit schädliche Wirkung der
meisten Kinodramen und erörtert die Zukunftsmöglichkeiten des von
allem moralischen und ästhetischen Schund gereinigten Kinos. Ausser
dem belehrenden Film für Schule und Wissenschaft lässt er auch einen
unterhaltenden Film gelten (Naturfilm, Bilder aus dem Volksleben,
Burleske, Märchen, phantastischer Trickfilm, Tanzbilder und Kinopanto¬
mimen mit ihrem besonderen künstlerischen Stil), der freilich bis heute
nur in schwachen und unvollkommenen Ansätzen vorhanden ist. Die
Quelle des heutigen Kinoelends mit all seiner Barbarei und Schädlichkeit
sieht Lange mit Recht im rein kapitalistischen Charakter der privaten
Kinounternehmen, die um so besser rentieren, je mehr sie auf die niederen
Triebe und Leidenschaften der Masse spekulieren. Daraus ergibt sich
ihm der Weg zur erfolgreichen Bekämpfung dieser modernen Volksseuche
der Schundfilme. L. fordert die Kommunalisierung aller Kinos und die
allmähliche Sozialisierung der gesamten Filmproduktion in eingehender
Begründung. Wie dies gemacht werden kann, ohne berechtigte Interessen
zu brüsk zu verletzen und Staat und Gemeinden finanziell zu stark zu
belasten, wird gezeigt und mancher gegnerische Einwand mit einleuchten¬
den Gründen widerlegt. Die Schrift trägt einen sehr kritischen Charakter
und dies ist bei der Natur des behandelten Gegenstandes auch unver¬
meidlich. Bei der grossen Bedeutung des ganzen Kinoproblems für die
seelische Gesundheit unseres Volkes verdient das trefflich geschriebene
Buch Langes auch die Aufmerksamkeit und das Interesse des Arztes.
Q a u p p - Tübingen.
Dr. G. K i s p e r t: Das Weltbild ein Schwingungserzeugnis der Hirn¬
rinde. Eine naturwissenschaftliche Grundlage der Psychologie. Verlag
J. M. Müller, München 1920. 400 Seiten.
Verfasser nennt die den psychischen Vorgängen zugrundeliegenden
zentralnervösen Elementarfunktionen Enkinema. Er stellt sich vor. dass
die Energien, die in Form von Schwingungen auf unsere Sinnesorgane
wirken, in gleichen oder ähnlichen Formen in die Zellen unserer Hirn¬
rinde „eingeschwungen“ werden, d. h. die Zellen so verändern, dass
irgendein assoziativer Vorgang wieder licht- oder schall- oder geschmacks-
artige Schwingungen herv'orbringt, wodurch die Erinnerung an die Emp¬
findungen zustande kommt. Die Wiederholung der Zusammen¬
hänge der Empfindungen würde das Denken ausmachen. Ganz im all¬
gemeinen deckt sich diese Anschauung mit der Identitätslehre, die auch
der Referent für die selbstverständlich richtige hält. Ausserdem enthält
das Buch viele geistreiche und treffende Einzelheiten, und namentlich
vergisst der Verfasser die ethische Bedeutung seiner Auffassung nicht.
Er möchte gerade in dieser Beziehung die Mittel finden, uns zu Voll¬
menschen heraufzuzüchten.
Die Durchführung der Ideen im einzelnen aber ruft abweisende
Kritik. Es sei hier nur auf folgendes aufmerksam gemacht: Dem
Referenten scheint es ganz undenkbar, dass die Rindenvorgänge eigent¬
lich nur die äussem „Schwingungen“ wiederholen, so dass, wenigstens
potentia, durch irgendwelche Massnahmen Lichtvorstellungen als solche
photographiert werden könnten. (Wir müssen uns doch denken, dass die
Hirnvorgänge nur Symbole des äuseren Geschehens sind, [in dieser
Beziehung] etwa wie die Buchstaben Symbole der Laute sind. Die
Kenntnis der Symbole gibt niemals Aufschluss über die eigentliche Natur
der Laute und umgekehrt). Es fehlt auch die Hauptsache, die Verbindung
zwischen den vorgestellten Enkinemaschwingungen im Gehirn und dem
Bewusstsein. Wenn der Vorstellung einer Farbe Schwingungen im Ge¬
hirn zugrunde liegen, die selbst eine Art Lichtschwingungen sind, so
müsste erst wieder eine Seele da sein, die dieses innere Licht wahr¬
nimmt, wie wir das äussere wal^nehmen. Auch sonst ist recht vieles
unklar, und dieser Eindruck wirJ noch vermehrt dadurch, dass seine
enorme Belösenheit den Verfasser verführt hat, eine Menge von Wissen
herbeizuziehen, das nicht recht oder gar nicht zum Thema gehört.
Dennoch wird mancher das Buch mit Nutzen durchsehen, gerade weil er
darin interessante Angaben in der Literatur findet, die ihm sonst ver¬
borgen geblieben w'ären. B1 e u 1 e r - Burghölzli.
Pharmazeutische Rundschau.
Von Oberapotheker Dr. Rapp in München.
In einer früheren Abhandlung hatte ich dem Leserkreis dieser
Wochenschrift bereits auseinandergesetzt, mit welchen Erfolgen die
deutsche chemische Wissenschaft und Technik während des Krieges
bemüht war, für die durch die Abschnürung der Grenzen Deutschlands
knapp gewordenen oder ausgegangenen Mittel geeigneten Ersatz zu
schaffen.
Ich brauche nur zu erinnern an das technisch glänzend durch¬
geführte Haber-Bosch sehe Darstellungsverfahren von Ammoniak
und Salpeter. Zur Bewältigung solcher Aufgaben gehörte eine Be¬
triebsorganisation und Zähigkeit zur Ueberwindung technischer
Schwierigkeiten, wie sie nur deutschen Chemikern und Ingenieuren bei
ihrer angeborenen Intelligenz im Verein mit einem Stab zuverlässiger
Meister und Arbeiter zu eigen ist. Dieses harmonische Zusammen¬
wirken in der Not während des Krieges war unsere Hauptstärke und
hierin wird uns hoffentlich auch in Zukunft kein Volk die Palme streitig
machen können.
Aehnliche Aufgaben, wenn au.ch nicht von dieser weittragenden Be¬
deutung, waren während des Krieges auch auf dem Gebiete der Arznei¬
versorgung zu bewältigen. Die Einführung einer grossen Reihe von
Ersatzstoffen war notwendig geworden. Die Deklaration .als Ersatzstoff
hatte vor dem Kriege nicht mit Unrecht ein gewisses Misstrauen aus¬
gelöst, das erst nach und nach wich, als wirklich brauchbare Ersatz¬
stoffe während des Krieges auftauchten. Manche davon haben sich
glänzend bewährt und werden ihren Platz dauernd behaupten können.
Nachfolgend sei der Versuch gemacht, aus einzelnen Gruppen von
Ersatzpräparaten die Spreu vom Weizen zu trennen, damit wirklich Be¬
währtes nicht unverdient der Vergessenheit anheimfällt.
Von den Anaesthetica musste mit Cocain sehr sparsam
gewirtschaftet werden. An seine Stelle traten Novocain und Alypin,
deren Verbrauch ganz erheblich gestiegen ist und die ihren Platz auch
werden behaupten können.
Während sich der Gruppe der H y p n o t i c a nur Nirvanol. das
Phenylaethylhydantoin neu einfügte, hat die Zahl der Sedativa be¬
deutend zugenommen. Statt der teuren Codeinmedikation haben sich
viele Aerzte der Verordnung von Aethylmorphin zugewendet. Analoga
zu Pantopon sind: Alcopon, Glycopon, Holopon, Toponal, Opiall,
Glycomecon, Pavon und Domopon, die sich vielfach nur dadurch unter¬
scheiden, dass die Gesamtalkaloide des Opiums an andere Säuregruppen
gebunden sind. Eine grössere Beliebtheit scheint keines der genannten
Präparate erlangt zu haben.
Das von der Firma Merck in den Handel gebrachte Eukodal. das
Dihydrnoxykodeinonchlorat erfreut sich scheinbar grösserer Beliebtheit.
Von Gefässmitteln marschieren die Digitalispräparate nach
wie vor an der Spitze. Fast jede chemische Fabrik kann heute ein
Spezialdigitalispräparat ihr Eigen nennen. Wir kennen ausser Digalen
ein Digipuratum, ein Digitalysatum, ein Digipan, ein Liquitalis Gehe,
ein Digifolin, Digitotal und ein Verodigen. Letzteres wird zurzeit stark
bevorzugt.
Japankampfer war ein kostbarer Artikel während des Krieges ge¬
wesen. Man war daher gezwungen mit künstlichem Kampfer auszu¬
kommen. Exakte Untersuchungen haben beide als therapeutisch gleich¬
wertig erkennen lassen. Leider verschwand mit der Länge des Krieges
auch der künstliche Kampfer aus dem Handel, da das Ausgangsmaterial,
das Terpentinöl, nicht mehr beschafft werden konnte. Die später er¬
schienenen Ersatzstoffe Terpacid, ein Fenchonpräparat, und Kampferöl,
eine Mischung von Eucalyptusöl mit Methylsalicylat waren nur äusser-
lich anwendbar. Sie können keinen Anspruch erheben als ..Kampfer¬
ersatz“ bewertet zu werden.
Von den für den Digestionstraktus bestimmten Mitteln erlangten
während des Krieges infolge der vielen Ruhrfälle die Tanninpräparate,
ebenso die Abführmittel besondere Bedeutung, deren grössere Anzahl
nur vom Auslande zu beschaffen war. Ausser dem Tannigen und
Tannalbin, von denen letzteres infolge Mangel an Hühnereiweiss mit
Hilfe von Bluteiweiss angefertigt w^erden musste, versuchte man in die
Therapie einzuführen das Optannin .jKnoH“, das Altannol „Richter“, das
Multannin „Schering“ und das Alutin „Cloetta“. Tannalbin und Tannigen
behielten ihre alte Anziehungskraft bei.
Die Not an Abführmitteln war gross, da, wie schon bemerkt, die
Sennesblätter. Sagradarinde, Ricinusöl, Tamarindenmus (der bekannte
Latwergezusatz) und schliesslich Rhabarber ausländische Drogen dar¬
stellen. Deren Mangel machte sich ganz besonders an den Kranken¬
anstalten bemerkbar, zumal auch Oel und Glycerin zu Einläufen nicht zur
Verfügung standen. Die von verschiedenen Seiten als Ersatz vorge¬
schlagene Cortex Frangulae und deren Präparate erfreuten sich keiner
besonderen Beliebtheit. Ob hier der üble Geschmack oder andere Um¬
stände massgebend waren, entzieht sich meiner Beobachtung. Erst die
synthetisch hergestellten Antrachinone, speziell das Istizin (Dioxyantra-
chinon) brachten in dieser Hinsicht eine Erleichterung; sie scheinen aber
nicht alle Wünsche vollauf befriedigen zu können. Unangenehm
empfand man. dass falsche Sennesblätter (Pathe) vom neutralen Ausland
um teures Geld eingeführt wurden, die fast keine Abführwirkung zeigten
und die heute noch ab und zu im Handel unterschoben werden.
Ebenso war ein Ausfall der beliebten S t y p t i c a Hydrastis und
Secale zu verzeichnen. Die an dessen Stelle in Vorschlag gebrachten
Präparate der einheimischen Drogen Bursa oastoris und Senecio 'w^aren
zu wenig erprobt und fanden nur geringes Interesse. Ecst die synthe¬
tische Herstellung der wirksajnen Stoffe dieser Drogen brachte uns Ab¬
hilfe. Das Methylhydrastinin ..Merck“, das Hydrastinin „Bayer“ in
Form des Liquidrast und das Tenosin „Bayer“ (enthaltend die wichtigen
Secalebasen. das Pa raoxy Phenyläthylamin und das ^-Imidazolyl-
äthylamin) lassen uns für viele Fälle die alten Präparate als entbehrlich
erscheinen.
Am schmerzlichsten empfanden Arzt und Apotheker während des
Krieges den Mangel an Fettstoffen, nachdem alle tierischen und
pflanzlichen Fette zur Volksernährung herangezogen werden mussten,
und überdies die Mineralfetterzeugung eine zu wenig ausgiebige war. Es
kam nicht selten vor, dass die Aerzte die Verschlechterung oder doch
die Heilverzögerung eines Hautübels auf die zweifelhafte Qualität der
Salben-Fettsubstanz zurückführen mussten. Anfangs behalf man sich
mit allen erdenkbaren Ueberresten von Fetten, speziell mit Stearin
wurde eine Anzahl von Salbengrundlagen geschaffen. Zum grössten Teil
aber diente das in Galizien gewonnene feste Mineralfett, das Ozokerit.
zusammengeschmolzen mit Mineralölen oder Vaselinöl als Vaselinersatz.
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
83
Genannte Salben dieser Art segelten im Handel unter der Bezeichnung
deutsche Vaseline". Das eigentliche Ozokerit war. sofern es nicht
deutsche Paraffine beigemischt enthielt, selten zu beanstanden; dagegen
wartMi die Vaselinöle fast immer von zweifelhafter Beschaffenheit, ganz
besonders die rumänischen entsprachen selten den Anforderungen.
Schuld trug der Umstand, dass die Schwefelsäure zum Reinigen fehlte
bzw. nicht zur Verfügung gestellt werden konnte. Diese missliche Lage
wurde kaum gebessert, als vom Gesundheitsamt eine Vorschrift zum
sogen. Ungt. neutrale herausgegeben wurde, die ausser den genannten
Stoffen Ozokerit (allein oder gemischt mit Paraffin) und Vaselinöl als
dritten Bestandteil noch Adeps Lanae enthielt. Die Vorschrift von Ungt.
neutrale wäre eine brauchbare und zweckmässige gewesen, wenn die
Qualität der zugewiesenen Materialien entsprochen hätte. Bei der
starken Nachfrage und dem eminenten Kriegsverbrauch an festen Paraffin-
und Vaselinölen konnten leider für arzneiliche Zwecke keine besseren
Materialien beigeschafft werden und so kam es, dass wir uns während
des Krieges mit schlechten Salbengrundlagen abfinden mussten. Sie
führten die Bezeichnung: Ceraseline, Gelarin, Lotional, Lovan, Valan,
Resalon, Cereps, Cetylin und Laneps. Letzteres war aus synthetisch
gewonnenen hochmolekularen Kohlenwasserstoffen unter Zusatz von
Cera hergestellt. Laneps fand anfangs grossen Anklang, Hess aber
infolge Mangel und Verschlechterung des Ausgangsmaterials bald zu
wünschen übrig und wurde zu teuer.
Von Wollfett wurden zeitweise vollständig ungereinigte Partien dem
Handel zugeführt und verwendet. Statt der fetten Oele musste man
arzneiliche Paraffin- oder Vaselinöle benützen.
Die Seifenknappheit wurde noch dadurch erschwert, dass dem
eigentlichen Seifenkörper bis zu 80 Proz. Bolus zugesetzt werden
musste. Die Paraffinöle waren vielfach mit Petroleum verunreinigt, die
zu nesselartigen Ausschlägen und sonstigen Reizerscheinungen führten.
Man kann es den Praktikern nachfühlen, dass sie die Neuzufuhr
von amerikanischer Vaseline mit Freuden begrüssten und seitdem alle
Kriegssalbengrundlagen prinzipiell zurückweisen. Diesem Vorgehen der
Hautspezialisten sollten sich im Interesse der Patienten die Aerzte
anschliessen, denn nur durch allgemeine Boykottierung werden diese
minderwertigen Salbengrundlagen nach und nach aus dem Handel ver¬
schwinden.
Knapp waren auch die zugeteilten Mengen von Glycerin. Man
suchte daher nach Ersatzstoffen. Dabei war strikte zu unterscheiden,
ob der Ersatz zu kosmetischen Zwecken als Hautschmiere oder als
Gleitmittel dienen sollte, oder ob er infolge seiner Wasserentziehung
zu arzneilichen Zwecken als Stuhlgang herbeiführendes Präparat, wie
Glycerin Verwendung finden musste. Zu ersteren Zwecken wurden
Zucker- dann Chlormagnesiumlösungen oder Suspensionen von Schleim¬
substanzen mit konservierenden Zusätzen in den Handel gebracht unter
den verschiedensten Bezeichnungen wie Wethol, Glycerit, Glycerinova,
Glycerocolle, Glycery'l usw. Für arzneiliche Zwecke wurde Perka-
glycerin, eine Lösung von milchsaurem Kali und Glycinal, ein Gemenge
von Dipyridinbetainnatriumchlorid und Dipyridinbetaincalciumchlorid
empfohlen und es wurden damit, unter entsprechenden Kautelen ange¬
wendet, auch prompte Erfolge erzielt Die idealen Eigenschaften des
Glycerins hatte keines der Ersatzpräparate aufzuweisen.
Beim Kapitel Dermatica ist noch zu gedenken der Ersatz¬
stoffe von Amylum, von Bals. peruvian und von Terpentinöl. Amylum
konnte in Streupulver oder Pasten in den meisten Fällen durch gute
Qualitäten von Talcum venetum ersetzt werden.
Bals. peruvian ist bei äusserlicher Anwendung fast ganz durch Be¬
nützung des Perugen entbehrlich geworden, das während des Krieges
allgemein Anklang fand, obwohl infolge Rohmaterialmangels die Zu¬
sammensetzung häufig wechselte.
Terpentinöl versuchte man durch verschiedene Oele wie Kienöl,
Harzöl, schwedisches Terpentinöl zu substituieren oder zu ver¬
schneiden ; ein derartiges Präparat fand aber nirgends Beifall. Für tech¬
nische Zw'ecke zur Lack- und Farbenfabrikation genügte der neue Ter¬
pentinersatz „Tetralin" (ein Tetrahydronaphthalin).
Von neuen Antigonorrhoica hat sich Choleval. ein kolloidales
Silberpräparat mit gallensaurem Natrium als Schutzkolloid eingeiührt.
Die Antisyphilitica haben einen starken Zuwachs erfahren.
Von diesen Präparaten wären zu nennen die Enesol-ErsatzproJukte:
Hyrgarsol, Modenol, Merarsol, Sarhysol, Cylarspl, Hymetarsan und
Hymetarol. Die Salvarsanpräparate erfuhren eine Ergänzung im Sulf-
oxylat und im Silbersalvarsan, mit denen die Reihe der verbesserten
Salvarsane noch nicht abgeschlossen zu sein scheint.
Auch die Gruppe der Desinficientia weist eine Reihe von
Ersatzpräparaten auf. Da Borsäure und Borax fehlten, mussten sie
grösstenteils durch essigsaure Tonerdepräparate seretzt werden.
Ormizet soll eine Lösung von ameisensaurer Tonerde sein.
An Kresolpräparaten herrschte im allgemeinen kein Mangel,
Immerhin musste wegen der Seifennot die beliebte Kresolseife anderen
Kresolpräparaten den Platz räumen, die das Kresol durch bestimmte
I Zusätze in Lösung hielten. So entstand^»’ die bekannten Kriegskresole,
die in der Hauptsache nur eine Lösung von Kresol in Alkali oder in
Kresolkali waren, ferner seien erwähnt Kresotinkresol. Phenolut, Fa-
weslol. Parol. Cavol, Trusol. Cresilol, Tetosol.
Ausser den Kresolpräparaten kamen auch wieder die bewährten
Hypochlorite zu Ehren; viel verwendet wurde das Calciumhypochlorit
-Griesheim", ein hochwertiges Chlorkalkpräparat; ebenso wurde die
bakinsche LösujQg den Krieg über zur Wundbehandlung ausgiebig
nerangezogen.
Als eine Gruppe für sich unter den neueren Desinficientien sind die
Morgenrothsehen Chininderivate zu betrachten. Ihre keimtötende
Wirkung ist von Morgenroth und seinen Schülern systematisch
untersucht worden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Desinftktions-
wirkung derselben eine erheblich grössere ist, als die unserer bekannten
wirksamsten Desinfektionsmittel. In diese Gruppe gehören Hydrochinin,
Optochin, Eucupin und Vuzin.
Die Knappheit in Aether und Benzin führte zur Verwendung von
Benzinoform (Tetrachlorkohlenstoff), das anfangs beliebt war, bis der
Preis den von Benzin überstieg und das Ersatzmittel überflüssig machte.
Ein anderer Ersatz Trichlorjithylen fand nur vorübergehend Anwendung.
Krankenpflegeartikel: Während des Krieges machte sich der
Mangel an guter Baumw^ollwatte sehr unlieb bemerkbar. Der von der
rührigen Industrie gelieferte Zellstoff wurde gar bald schlechter
Kriegswatte vorgezogen und wird zweifelsohne auch weiterhin in der
Verbandtechnik seinen Platz behaupten können. Wenig brauchbar er¬
wiesen sich hingegen die Papierkreppbinden, die im Gegensatz zu den
Zellgewebbinden lediglich als Deckmittel Verwendung finden konnten.
Die zuletzt aufgetauchten Mossverbandstoffe konnten keine grössere
Bedeutung mehr erlangen, da ihnen die praktische Erprobung während
des Krieges versagt blieb.
Wegen Mangel an Kautschuk waren die Pflaster teilweise sehr
mangelhaft; man konnte solche nur noch mit Harz und Gummi her-
stellen. Als dann später Kunstkautschuk auftauchte, wurde die Klebe¬
kraft der Pflaster wieder besser.
Zu Mitte des Krie^^es waren auch die Vorräte an Guttaperchapapier
allmählich aufgebraucht. Das als Ersatz empfohlene Guttatist, ein mit
Oel getränktes Pergamentpapier, konnte sich nicht durchsetzen; dagegen
lieferte später im Pergut die Firma Bayer & Co. einen ganz brauch¬
baren Artikel, der ein Gemisch aus Kunstkautschuk mit Cellit gewesen
sein soll.
Gross ist sie ja nicht, die Zahl der wirklich brauchbaren Ersatz¬
stoffe, die uns der Krieg aus der Not heraus geboren hatte. Immerhin
hat die Industrie ihr Möglichstes getan, mit den ihr zur Verfügung ge¬
standenen knappen Rohstoffen auch für manche ausgegangene Drogen
und Arzneimittel Aushilfspräparate zu schaffen, die für die Dauer der
Not, bei bescheidenen Ansprüchen, gute Dienste leisteten und will¬
kommen waren. Manche davon haben sich auch für die Friedenswirt¬
schaft dauernde Verwendung gesichert. Bescheiden erscheinen diese
Leistungen auf pharmazeutisch-chemischem Gebiete nur im Vergleich
zu den Glanzleistungen und Noterfindungen der chemischen Industrie auf
kriegstechnischem Gebiete, über die ich in einer früheren Nummer be¬
richten konnte.
Neuere Arzneimittel, Spezialitäten und GeheimmltteL
zusammengestellt von Aprn ois Oktober 1920.
In meiner letzten pharmazeutischen Rundschau hatte ich bereits
erwähnt, dass in Spanien das Spezialitätenwesen durch ein neues Gesetz
geregelt wurde. Diesem Vorgehen ist die letzten Wochen nun auch
Oesterreich gefolgt und zwar in grosszügiger mustergültiger Weise. Bei
den neuen Verordnungen Ist sowohl den Interessen der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege wie denen der Fabrikanten und Zwischenhändler
Rechnung getragen worden. Wann folgt Deutschland nach? Vorder¬
hand können wir den Nachbarstaat um seine geordneten Verhältnisse
hinsichtlich des Handels mit Geheimmitteln und Spezialitäten nur be¬
neiden!
Die Zahl der im letzten Halbiahr neu erschienenen Geheimmittel
ist derart gross, dass wiegen Raummangel in dieser Wochenschrift nur
ein Teil derselben aufgeführt werden kann.
Kardiaka, Diuretika, Qeiäsamlitel.
Hierher gehören:
Cadechol „Ingelheim“ = Kampfercholeinsäure, ein Additionsprodukt
von Kampfer und Desoxycholsäure. Fabrikant: Chem. Fabrik
C. H. Böhringer Sohn, Nieder-Ingelheim a. Rh.
D i g i n 0 r g i n = die Im Kaltwasserextrakte der Digitalisblätter enthaltenen
physiologisch wirksamen Substanzen. Fabrikant: Chem. Fabrik
Norgine Dr. Viktor Stein, Prag-Aussig.
T a b o c i 1 = enthält boroweinsaures Kali und Scillajn, ein Glykosid der
Meerzwiebel. Fabrikant: MOnchner pharmaz. Fabrik, München 2i.
Nervlna.
In dieser Gruppe sind'zu nennen:
Als Keuchhustenmittel:
A n t i t n s i n ein aus tuberkelbazillenfreiem Sputum eines Keuchhusten¬
kranken hergestelltes Präparat. D.m.W. 1920 Nr. 46 S. 1127.
Für die K a 1 k t h e r a p i e:
Sanolcalcin = eine in Wasser lösliche, sterilisierbare Kalziumphosphat¬
verbindung (Calc. glycerinophosphat und Calc. lactophosphat. Her¬
steller: Goedecke & Co., Berlin-Leipzig.
Als Sedativa:
Novatropin = mandelsaurer Ester des N. Methyltropinnitrats mit 48mal
geringerer toxischer Wirkung als Atropin. Fabrikant: Chinoin,
Fabrik chem.-pharm. Präparate A.-G., Ujpest bei Budapest.
Otalgan = 5proz. Extr. Opii und Antipyrin in Glyzerin gelöst bei Ohren¬
schmerzen angewandt. Hersteller: Sächs. Serumwerk Dresden.
Mittel bei Erkrankung des Digestionstraktes.
Es sind zu erwähnen: Zur Mundpflege:
I d r a m i n t — neue Bezeichnung für Riedels Paraform-Mundtabletten.
Fabrikant: J. D. Riedel A.-G., Berlin-Britz.
Digitized by Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
84
MÜNCHENER MEDIZINISCH^ WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Als Masenmittel:
Du MRS China-Calisaya-Extract = enthält alle wirksamen Be¬
standteile des Original Dungs China Calisaya Elixier in lOfacher
Konzentration. Fabrikant: Albert C. Dung, G.m.b.H., Freiburg
im ßreisgau.
Als Gallen steinmittel:
Cholaktol = überzuckerte, 0,0125 g Ol. Menthae pip. enthaltende
Tabletten nach Prof. Dr. H e i n z - Erlangen. Darsteller: Chem.
Fabrik Dr. Ivo Deiglmayr-München.
N8hr> und Blutpriparate (Tonika, Roborantia).
Hier sind zu nennen:
I) i a f e r r o 1 ein weingeistfreier Eisenliquor mit hohem Gehalt an Eisen
und angenehmen Gcschmacke. Darsteller: Gehe & Co., A.-G.,
Dresden N.
Duploferrin = Eisennukleinat, Natriumzitrat-Albumose. Darsteller;
Johann A. Wülfing, Gronau (Hannover).
Elektroferrol — 0,5 proz. elektrisch zerstäubtes kolloides Eisen mit
einem Schutzkolloid für intravenöse Injektionen. Fabrikant: Chem.
Fabrik v. Heyden, Radebcul bei Dresden.
Homosan = neuer Name für Hämatogen „Riedel“. Fabrikant; J. D. Rie¬
del, A.-G., Berlin-Britz.
Lactoferrose — milchphosphorsaure Kalkeisentablettenj Fabrikant:
Dr. Laboschin, Fabrik chem.-pharm. Präparate, Berlin NW.
N ä h r s a f t „K n o 11" ~ aus frischem Schlachtblute gewonnen, enthält alle
Bestandteile des Blutes in aufgeschlossener und sehr leicht ver¬
daulicher Form. Fabrikant: Knoll & Co., chem. Fabrik, Ludwigs¬
hafen a. Rh.
P a s a c 0 1 — Präparat, welches die für die Erhaltung des Organismus
nötigen Mineralstoffe in kolloidaler Form enthält, nämlich CaO.
PaOö. Fe, SiOa und CaFla. Fabrikant: Lezinwerk Dr. Laves,
Hannover.
Phyl logen — Pflanzen-Hämatogen. Fabrikant; Sicco A.-G. chem. Fabrik.
Berlin O. 112.
Als Styptika und Antldysmenorrhoica sind zu erwähnen:
Metrotonin = o-Dioxyphenyl-AethanoImetliylamin, Acetylcholin, Spartem
und quaternäre, aromatische Amine zur subkutanen und intra¬
venösen Injektion anstatt der Sekalepräparate. Fabrikant: Sicco
A.-G. chem. Fabrik, Berlin 0. 112.
S a I i m b r i n - salizylsaurcs Phenyldimethylpyrazolon und salzsaures
Yohimbin. Darsteller: Theodor Teichgraeber A.-Q.. Berlin S. 59.
Thlapsan = ein Dialysat aus Capselia bursa pastoris. Fabrikant: Chem.
Laboratorium Dr. Denzel, Tübingen.
V a 1 i m b i n = baldriansaures Salz der Yohimbinbase, ein sehr leicht lös¬
liches Präparat. Fabrikant: Th. Teichgraeber A.-G., Berlin.
Dermatica, Ifautmlttel.
Hierher gehören:
N e o g 1 y c e r i n - ein Glyzerinersatz der Firma Rüter & Friedcrich
G.m.b.H.. Hannover.
P i t r a 1 0 n = ist eine Verbindung von Pitral „Lingner" mit halogenisierten
Kohlenwasserstoffen. Fabrikant: Lingner-Werke A.-G.. Dresden.
Als Antlgonorrholca sind bekannt geworden:
B a z i 11 o s a n ein Bakterienpräparat, virulente Kultur des Milchsäure¬
bazillus. Hersteller: Chem. Fabrik Güstrow, Güstrow i. Meckl.
Gonocystol = keratinierte Pillen, die den Milchsäureester des Santalols
und hochwertiges Kawaextrakt enthalten sollen. Fabrikant:
E. Tosse & Co,. Hamburg 22.
Als Antisypbllltlka sind zu zu nennen:
205 Bayer trypanozides Mittel der Farbenfabriken vorm. Fr. Bayer
& Co. ohne nähere Angaben. B.kl.W. 1920 Nr. 35.
Mercedan = paranucleinsaures Quecksilber; als Natriumsalz in 25proz.
Lösung zu Einspritzungen und als Tannat in Tablettenform. Fabri¬
kant: Knoll & Co., chem. Fabrik, Ludwigshafen a. Rh.
Antlseptica, Deslnflzlentla.
Hierher gehören:
Argoflavin = ein Trypaflavin-SilberVerbindung. Darsteller: Leopold
Cassella & Co.. Frankfurt a. M.
Argoplex = Silberpolyglycin mit 10 proz. Silbergehalt. Fabrikant:
F. Hoffmann-La Roche & Co.. Basel.
Cellokresol = Desinfektionsmittel, bestehend aus 20 Proz. Kresol und
mehreren hochmolekularen Kohlenwasserstoffen. Darsteller: Fahl¬
berg, List & Co., Magdeburg.
C h i n o 1 y s i n = mit Hilfe von Antipyrin hergestellte Chininlösung. Fabri¬
kant: Kaiser-Friedrich-Apotheke, Berlin NW. 6.
Jodincarbon — reines, elementares Jod durch Adsorption an die in
feinster Verteilung befindliche hochwertige Tierblutkohle gebunden.
Fabrikant: Chem. Fabrik E. Merck, Darmstadt.
Mercurochrom = ein Dibromoxyhydrargyrifluorescein mit stark keim¬
tötender Kraft bei chronischer Infektion der Blase, des Nieren¬
beckens und gegen gonorrhoische Infektion. M.m.W. 1920 S. 791.
Protosil = eine Silbereiweissverbindung mit 20 Proz. Silber. Darsteller:
Parke, Davis & Co., London W. 1.
Als Harndeslnficlentla sind zu nennen;
F l u i d c y s t 0 1 = ein Perextrakt aus Folia Uvae Ursi und Herniaria.
Darsteller: E. Tosse & Co., Hamburg 22.
Vesicaesan = Pillen, welche Auszüge von Fol. Uvae Ursi enthalten.
Fabrikant: Chem. Fabrik Reisholz G.m.H., Reisholz b. Düsseldorf.
V i s c a 1 b i n e Dr. Baijet = enthält die Saponine aus frischem Viscum
album. Fabrikant: Dr. Baijet de Moor, Arnheim.
Mittel bei Erkrankungen der Atmungsorgane.
Acidum protncetraricum ” aus isländischem Moos dargestelltes
Präparat in kleinen Gaben gegen Hustenreiz.
Lactocreosot. - Sirup = Ersatz für Sirop Famel oder Beatin. Fabri¬
kant; Chem. Fabrik Höckert & Michalowsky. Neukölln.
Organotherapeutlscbe Präparate.
Neuere Mittel sind:
A d r e n a t o n - ein hochwertiges Nebennierenpräparat. Fabrikant: Chemo-
san A.-G., Wien.
T e s t i m b i n “ ein Organopräparat aus Testesextrakt und Yohimbinum
hydrochloric. Fabrikant: Th. Teichgraeber A.-G., Berlin,
Verschiedene Präparate.
Normosal = die Serumsalze in vollkommener Form nach Prof. Dr.
Straub- Freiburg an Stelle der physiologischen Kochsalzlösung.
Fabrikant: Sächsisches Serumwerk, Dresden A.
H u m a g s 0 I a n — ein den Haarwuchs förderndes Abbauerzeugnis des Horn
yach Prof. Dr. Z u n t z - Berlin. Darsteller: Fattinger & Co..
G.m.b.H., Berlin NW. 7.
Neueste Journalliteratur«
Zeitschrift für experimentelle Pathologie und Therapie. 21. Bd. 3. H.
Maria Da über: Ueber die Wirkungen des Chltenlns nnd CInchotenlns.
Chilenin besitzt eine spezifische Wirkung auf die Niere des Kaninchens,
bei geeigneter Fütterung wird diese in eigenartiger Weise schwer geschädigt.
Die parasitizide Wirkung des Chinins ist beim Chitenin nur in sehr abge¬
schwächtem Masse vorhanden, die Wirkungen auf das Zentralnervensystem
und die Zirkulation gehen dem Chitenin fast ganz ab, auf den isolierten
Uterus wirkt es erschlaffend, Cinchotenin ist für Warm- und Kaltblüter fast
vollständig ungiftig. Eine Wirkung auf den Harnsäurestoffwechsel besitzt
es nicht. — Reduziertes Cinchotenin ist etwas giftiger. Cinchen ist für
Kalt- und Warmblüter sehr stark giftig.
E. Koch: Kammeralternans und Häufigkeit des Herzschlages.
Beim Hcrzalternans ist der Massstab für die Stärke der Schädigung
— die Schlaghäufigkeit, bei der der Alternans auftritt; für das Ausdehnungs¬
gebiet oder den Sitz der Schädigung — die Grosse der kleineren Erhebung;
für die zeitliche Veränderung des Kontraktionsablaufes der geschädigten
Fasern — die Höhe des Ausgangspunktes der kleineren Erhebung. Für
jeden Alternans gibt es eine durch die Stärke der Schädigung bestimmte
Schlaghäufigkeit, bei der er am deutlichsten ist. Es gibt einen bei örtlich
mechanischer Schädigung im Versuch zu beobachtenden Alternans, der auf
einer örtlich alternierend verzögerten Leitung (oder auf einer alternierenden,
partiellen Hyposystolie) beruht. Es wird eine Versuchsanordnung angegeben,
mit der sich anschaulich vorführen lässt, dass Alternans nur dann auftritt,
wenn innerhalb der Kammermuskulatur eine funktionelle Verschiedenheit vor¬
liegt. Bei örtlicher mechanischer Schädigung der Kammer lässt sich eine
Kammertätigkeit beobachten, bei der nur jeder dritte, vierte, fünfte usw.
Schlag gross ist.
J. K u k u 1 k a: Ueber die mikroskopisch feststellbaren funktionellen
Veränderungen der Gefässkaplllaren nach Adrenalinwirkung.
Unter der Einwirkung des Adrenalins liess sich eine Verkleinerung des
Qesamtqucrschnitts der Kapillaren in Verbindung mit einer auffälligen Fälte¬
lung der Kapillarwand, wie sie Steinach und Kahn beschrieben haben,
beobachten; des weiteren auch das Anschwcllen und Vorspringen von Zellen
im Innern von Kapillaren, w'ie dies von G o 1 u b e w beschrieben wurde. Alle
diese Veränderungen bildeten sich bei erneutem Zusatz von adrealinfreier
Nährflüssigkeit wieder zurück.
M. Berliner: Die Bedeutung der Anthropometrie für die Klinik.
Wir können direkt nach der Zahl des R o h r e r sehen Index (worüber
demnächst vom Verfasser eine Tabelle erscheint) jederzeit eine genaue
Vorstellung von der Körperfülle eines Individuums machen, ohne dasselbe
je gesehen zu haben. Der hohe Wert gerade des Index der Körperfülle
scheint dem Verfasser darin zu liegen, dass uns diese einzige Zahl bereits
eine äusserst genaue Vorstellung von der Dicke einer Person gibt, eine
Vorstellung, wie wir sie uns aus den absoluten Massen der Körperlänge
und des Gewichtes nicht ohne weiteres bilden können. Jede Zahl des
Index der Körperfülle passt nur auf einen bestimmten Typ in jeder Körper¬
länge, schon der nächstähnliche weist eine deutliche zahlenmässige Differenz
auf. Wir können nach Bestimmung der Körperlänge und des Gewichtes eines
Menschen durch Nachschlagen in einer Tabelle (die demnächst erscheint)
den Ernährungszustand oder die Körperfülle durch eine einzige Zahl un¬
zweideutig fixieren und zwar präziser als dies durch die bisherigen Methoden
üblich war.
Die Bedeutung einer abweichenden Stellung der Klavikula für die
Konstitution wird hervorgehoben.
Brugsch, Dresel und L e w y: Beiträge zur StofiwechselneuroloKle.
I. Mitteilung: Zur Stofiwechselneurologle der Medulla oblongata.
Im Kaninchenversuch wurden an scharf umschriebener Stelle der Me¬
dulla oblongata Verletzungen mit feiner Nadel ausgeführt und der Stoffwechsel
der Tiere vor und nach dem Stich hinsichtlich Menge, spezifischem Gewicht,
Chlor, Zucker, Stickstoff- und Allantoingehalt des Urins sowie Glykämie und
Chlorämie beobachtet. Anschliessend daran wurde durch histologische Unter¬
suchungen an Serienschnitten der Ort der Verletzung genau lokalisiert.
Hyperglykämie und Glykosurie tritt dann auf, wenn der sog. sympathische
Vaguskern auch nur einer Seite getroffen ist, dass dieser Kern also ein
Zuckerzentrum darstellt und dem Claude Bernard sehen Zuckersticii
zugrunde liegt. Durch retrograde Degeneration vom dorsalen Vaguskern aus
liess sich ein gleichseitiger Kern dicht am 3. Ventrikel feststellen, der etwa
dem Nucl. periventricularis der Autoren entspricht. Ferner fanden sich
eigenartige Degenerationserscheinungen im gleichseitigen Ganglion habenulae.
Andererseits sind Ganglionzellen in der Formatio reticularis an der mediälen
Seite des Corpus restiforme unmittelbar neben dem Parotissekretionszentrum
als Zentrum des Salz- und Wasserstichs anzusehen. 1/4 Stunden nach ge¬
lungenem Salzstich ist der Kochsalzgehalt des Blutes erhöht. Ein isoliertes
Stoffwechselzentrum für Harnstoff und Purine liess sich hier nicht nach-
weisen.
Digitized by Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Jaimar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
85
L. Dünner und K. Siegfried: Experimentelle und pathologlsch-
Butomlsche Untersuchungen an den Nieren bei Vergiftung mit kleinen
Gaben Uran.
Nach subkutaner Einspritzung und direkter Injektion sehr kleiner Ur?in-,
dosen in die Nierenarterien erfolgt beim Kaninchen eine mehr oder weniger
starke Ausschwemmung von N, NaCl und Wasser, unter der das Tier
schliesslich sterben kann. Anatomisch nur starke Abplattung bei höchster
Erweiterung der Tubuli (tubuläre R.eizung). Bei Injektion in die Niere
direkt: Entzündung an den Glomerulis. Der auffällige klinische Verlauf
(Hyperfunktion der Niere) ist durch die Nierenveränderung nicht erklärt. An¬
scheinend spielt eine elektive Wirkung des Urans auf die Nierentätigkeit dabei
eine besondere Rolle. Das schliesst nicht unbedingt aus, dass daneben eine
Vergiftung anderer* Organe durch das Uran erfolgt.
H. Brieger: Zur Klinik der akuten Chromatvergiftung.
Eine grosse Zahl von Chromvergiftungen, die durch Anwendung einer
irrtümlich mit Kal. chromatum hergestellten Krätzesalbe entstanden, gab
Gelegenheit, die Wirkung dieses Giftes zu verfolgen. Sie gaben Ueberein-
stimmung mit vielen im Tierversuch und den meisten beim Menschen er¬
hobenen Befunden, lieferten aber noch manches neue, weiterer experimenteller
Bearbeitung bedürftige Material. Beschreibung der Veränderungen an Haut,
Nieren, Blutbild und anderen Organen, der Ausscheidung des Chroms und der
Therapie. Im einzelnen muss auf das Original verwiesen werden.
M. Baumann: Ueber Veränderungen der welssen Blutzellen nach Be¬
strahlung mit künstlicher Höhensonne.
Es tritt inkonstant und rasch vorübergehend eine leichte Icukozytotische
Zellenverschiebung zu Gunsten der Polynukleären mit Verminderung der
Lymphozyten auf. Sie ist gefolgt von einer relativen und absoluten Zu¬
nahme der Lymphozyten. In kurzen Intervallen wiederholte Bestrahlungen
lassen diese Lymphozytose deutlicher hervortreten. Auch Eosinophile und
grosse Mononuideäre weisen die Neigung zur Vermehrung auf. Bei öfteren
Cntersuchungen innerhalb von 24 Stunden auffallendes Schwanken der
relativen und absoluten Leukozytenzahlen als Ausdruck einer gewissen Stö¬
rung des Zellgleichgewichts. Für die Praxis der Bestrahlung weisen die
Untersuchungen darauf hin, dass es zweckdienlich erscheint, die Bestrahlungs¬
dauer nicht wahllos auszudehnen, sondern die Zeitdauer nach Möglichkeit zu
beschränken, um stärkere Veränderungen und Schädigungen zu vermeiden.
Es sollte nicht länger als %—H Stunde bestrahlt werden. Auch p h o t o •
dynamische Einwirkungen auf die inneren Organe sind von Bedeutung.
A. Preuschoff: Ueber Vergiftungsfälle mit amerikanischem Wurm¬
samenöl (Oleum chenopodll anthelminthlcl).
Die Vergiftungsfälle der Literatur bei Erwachsenen und Kindern, in
chronologischer Reihenfolge gesammelt, 24 an der Zahl. Trotz der bekannt
gewordenen Vergiftungsfälle liegt kein Grund vor, das 01. chenopodii aus
unserem .Arzneischatz zu streichen. Vorsichtig dosiert, ist es ein gutes
Wurmmittel. Als brauchbares Mittel hat sich immer wieder das Vermolin
bewiesen.
K. V. Rohden: Ueber den Einfluss des Ouecksllberqiiarzlampenllchts
id die Resistenz der roten Blutkörperchen gegenüber hypotonischen Koch-
sabdösungen.
Die von W a n n e r angegebene Resistenzverminderung durch natürliche
Sonnenbestrahlung des Körpers ist wahrscheinlich nicht als einzige Wirkung
der ultravioletten Strahlen anzusehen. Denn Bestrahlung mit ultraviolettem
Licht in therapeutischen Dosen ruft beim Menschen neben einer Erhöhung
der Minimumresistenz eine Vertiefung der Maximumresistenz hervor, die
nach der 4.—5. Bestrahlung nachweisbar wird und noch längere Zeit nach
derselben anhält. Die damit gegebene Erhöhung der Resistenzbreite ist viel¬
leicht als Aktion und Reaktion gegenüber den ultravioletten Strahlen aufzu¬
fassen, im Sinne direkt schädigender und reaktiv reparatorischer Vorgänge.
Beim Meerschweinchen ist durch die Bestrahlung eine Resistenzveränderung
zu erzielen. Kämmerer.
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie* einschliesslich
Baineolosie und KUmatoloKie. 1920. Heft 11 (mit Beiheft).
Kretschmer - Berlin: Ueber die Notwendigkeit heilgymnastlschen
Tamens in den Schulen.
In Berlin führen die grossen Entfernungen dazu, dass Kinder, die ortho¬
pädisches Turnen brauchen, durch die Fahrt zu den Anstalten im Zentrum der
Stadt übermüdet werden und zu viel Zeit verlieren. Es müsste daher in den
Schulen eine entsprechende Turnstunde eingeführt werden.
G r u n o w - Wildbad: Der Einfluss der Wildbader Thermalbäder auf die
Pnteirregularltäten.
Verf. bespricht die verschiedenartige Wirkung der Thermalbäder haupt¬
sächlich bei Extrasystolie aber auch bei anderen Irregularitäten und paroxys¬
maler Tachykardie unter Anführung einer Anzahl eigener Fälle.
F. S c h a n z - Dresden: Versuche über die Wirkungen des Lichtes auf
das Blut.
Verf. bestätigte durch Reagenzglasversuche die schon von Schmidt-
Nielsen und Busk gefundene Tatsache, dass Tageslicht allein hämo-
lysierend wirkt und fand, dass durch Eosin, Hämatoporphyrin. Bilirubin und
Biliverdin, Nitrobenzol, Optochin, Chinin diese Wirkung erhöht wird. Er geht
ansführlich auf die Sensibilisierung durch Eosin und Hämatoporphyrin ein und
auf die Krankheitserscheinungen bei Nitrobenzolvergiftung, hämolytischem
Ikterus und chininbehandelter Malaria und äussert den Verdacht, dass bei
diesen letzteren Krankheiten die Sensibilisierung durch Licht eine Rolle spielt.
M. K e m a 1 - Berlin: Beeinflussen kalkhaltige Kochsalzwässer den Ham-
siarestoff Wechsel?
Durch Genuss von Bonifaciusbrunnen oder der ihm ähnlich zusammen-
jesetzten NaCl-Wässer wird die Ausscheidung von Purinkörpern im Harn
herabgesetzt, wahrscheinlich infolge gesteigerter Zersetzung derselben.
Beilage, Veröffentlichungen der Zentralstelle für Balneologie:
K. K ä h 1 e r; Das Strablungs- und Llchtkllma an der hinterpommerischen
Kiste.
Ausführliche meteorologische Arbeit, die zeigt, dass der grosse Unter¬
schied von der Hochgebirgssonne und -helligkeit darin liegt, dass die
Schwankungen im täglichen und jährlichen Gang sehr viel grösser sind. Das
altraviolette Sonnenlicht ist im Winter am meisten geschwächt, im Frühjahr
noch gering, erreicht im Sommer die grössten Werte und ist im Herbst noch |
wesentlich stärker als im Frühja'hr, Die Wärmestrahlung ist am stärksten I
im Frühjahr und Herbst. L. Jacob- Bremen. '
Archiv für klinische Chirurgie. Band 114. Heft 3.
S a I 0 m o n - Berlin: Untersuchungen über die Transplantation ver¬
schiedenartiger Gewebe ln Sehnendelekte.
Verf. wendet sich abermals gegen die R e h n sehen Anschauungen von
der Umwandlung des Bindegewebes in Sehnengewebe unter Einwirkung der
Funktion. Es erwies sich als gleichgültig, ob Muskel-, Fett- oder Nerven¬
gewebe in einen Defekt der Achillessehne des Hundes eingesetzt wurden,
es bildete sich stets vom steliengebliebenen Peritenonium aus ein sehnenartiges
Gebilde, das um so vollkommener und schneller entstand, je schneller
das Transplantat zugrunde ging, was beim Muskel bereits in 8 Tagen der
Fall war. Auch autoplastisch übertragene Sehne ergibt keine wesentlich
bessere Regeneration. Jedes Transplantat wirkt als Fremdkörper und ergibt
ein dem wahren Regenerat ohne Zwischenschaltung nachstehendes Produkt.
Eiselsberg-Wien: Zur Behandlung des Ulcus ventricull et duodeni.
Die Ursache der Ulcusentstehung ist unbekannt, die Operation entfernt
nur das Produkt der geschwürsbildenden Ursache. Es ist daher kein Wunder,
dass man mit den verschiedensten Eingriffen Misserfolge erlebt. Verf, hält
zurzeit die Methode B i 11 r o t h II als die radikalste für die beste. Unter
98 Fällen, die nach dieser Methode operiert wurden seit August 1918 starben 6.
E. hält es nicht für ausgeschlossen, dass man zur Gastroenterostomie oder
zu dem Palliativverfahren der Jejunostomie zurückkehren wird, das nichts
anderes als die alte Leube-Kur der absoluten Ruhigstellung des Magens
bedeutet und schon jetzt für die inoperablen Kardiauizera das beste Ver¬
fahren ist.
Escher-Wien: Ueber die Sarkome der Extremitätenknochen.
Nur die Sarkome der Finger und Zehen werden so frühzeitig erkannt,
dass man meist mit der Enukleation des Gliedes auskommt, für diejenigeti-
der langen Röhrenknochen, periostale wie myelogene, kommen nur die
radikalsten Eingriffe in Frage, bei hohem Sitz ev. die partielle Beckenresektioii
und die Amputatio interscapulothoracalis. Die Kontinuitätsresektion kann
nur bei den Riesenzellen.sarkomen riskiert werden. In anderen Fällen die
Resektion zu versuchen und beim Rezidiv zu amputieren geht nicht an, du
■von 7 so behandelten nur einer gerettet werden konnte.
K 1 e i n s c h m i d t - Leipzig: Ergebnisse nach querer Resektion des
Magens bei Ulcus callosum ventricull.
Die Ouerresektion ist die beste Behandlung des pylorusfernen, kallösen.
besonders des in die Nachbarorgane durchbrechenden Ulcus ventriculi.
Gegenindikationen sind nur hohes Alter, sehr hoher Sitz an der kleinen
Kurvatur und frische Blutungen, bei denen unter interner Behandlung abge¬
wartet werden soll. Die Gastroenterostomie ist nur geeignet, die Blutungen
zu vermehren. Die Statistik der Leipziger Klinik wurde durch zahlreiche
(irippepneumonien 1918 wesentlich verschlechtert, Grippeepidemien müssen
mit allen radikalen Eingriffen zurückhaltend machen.
P r o p p i n g - Frankfurt a. M.: Die physikalischen Grundlagen der
Douglasdrainage, zugleich ein weiterer Beitrag zur Lehre vom Bauchdruck.
Verf, weist durch physikalische Ueberlegungen nach, dass die R e h n -
sehe Spülbehandlung und anschliessende Douglasdrainage in sitzender Haltung
zur fast restlosen Entleerung des peritonealen Exsudats führen müssen. Aus¬
tupfen der Bauchhöhle, das Adhäsionen nach sich zieht, und mehrfach'?
Inzisionen sind bei dieser Behandlung entbehrlich, letztere nur bei fibrino-
purulenter Peritonitis angezeigt. Der Begriff „Bauchdruck" sollte beibc-
halten werden, da er zur Lösung aller physikalischen Probleme der Bauch¬
höhle unentbehrlich sei.
K i r s c h n e r - Königsberg: Ein neues Verfahren der Oesophagoplastlk.
Verf. schlägt vor, statt einer Zwischenschaltung von Darm-Magen- oder
Hautschlauch den Halsösophagus direkt mit dem Magen zu anastomosieren
in folgender Weise: der Magen wird nach vollständiger Auslösung seines
Fundus- und Corpusteils mittels Unterbindung sämtlicher Arterien bis auf
die Gastrica und Gastrocpiploica dextra um das Sternum herumgeschlagen,
durch einen Hauttunnel bis über den mittlerweile von einem zweiten Operateur
freigelegten und mobilisierten Halsösophagus hinaufgezogen und womöglich
in einer Sitzung mit diesem nach seiner queren Eröffnung zirkulär ver¬
einigt. Der kurze orale Magenstumpf vorher mittels Murphyknopf mit dem
Jejunum anastomosiert. Durch die Zusammendrängung der sämtlichen Ein¬
griffe auf eine Sitzung bedeutet das Verfahren eine erhebliche Vereinfachung.
E$ wurde in zwei Fällen verwandt, .einmal mit gutem Endresultat, das aller¬
dings erst nach 20 Monaten erreicht wurde, da die direkte Vereinigung
zwischen Magen und Speiseröhre nicht auf einmal gelang. Des weiteren
macht Kirschner Vorschläge, wie man das Verfahren der totalen Magen¬
verlagerung auch auf Fälle von Oesophaguskrebs aiisdehnen kann. Auf
Einzelheiten kann leider nicht eingegangen werden. Von allgemeinerem prak¬
tischen Interesse ist die neue Methode der breiten Eröffnung der linken
Brusthöhle zur übersichtlichen Freilegung der Speiseröhre von einem breiten
Interkostalschnitt im 7. Interkostalraum, der den Rippenbogen durchtrennt
und sich in den zum Schwertfortsatz uufsteigenden Bauchwandschnitt fort¬
setzt. Das Zwerchfell wird radiär bis an den Hiatus oesoph. gespalten.
M a r t i n - Berlin: Ueber experimentelle Pseudarthrosenblldung und die
Bedeutung von Perlost und Mark.
An der Hand einer grösseren Anzahl neuer interessanter Versuche be¬
leuchtet der Verf. die Bedeutung von Periost. Knochen und Kortikalis bei
der Knochenheilung, die sich gegenseitig ergänzen und von einander ab¬
hängig sind: so entsteht sowohl hei ausschliesslicher Erhaltung des Periost-
schlauchs, wie bei Erhaltung eines Markzylinders, eine Pseudarthrose, Dem
Mark ist entgegen unseren bisherigen Anschauungen, sowohl für die Kallus¬
bildung, wie für die Erhaltung des Knochens die erste Rolle beizulegen. Das
Periost vermag nur Kallus zu produzieren, wenn es dem Einflüsse funktions¬
tüchtigen Marks ausgesetzt ist oder mit lebender Tela ossea in Berührung
steht. Doch fällt periostgedeckte Kortikalis der Resorption anheim, wenn
das Mark fehlt. Ausgedehntere Zerstörung des Marks oder Verschluss der
Markhöhle durch eingepresste Fragmente können die Ursache von Pseud-
arthrosen sein. Dem Periost ist mehr eine sekundäre Aufgabe, die der Er¬
haltung des myelogenen Kallus und der Weiterentwicklung desselben zuzu¬
messen. Die Interposition allein macht niemals eine Pseudarthrose, sondern
es muss das Moment der Schädigung der „osteogenetischen Kraft* von Periost
und Mark hinzukommen.
J e h n - München: Die operative Behandlung der Lungensteckschflsse.
Zweierlei symptomatisch und prognostisch sehr verschiedenwertige
Komplikationen geben Anlass zur Operation der Lungensteckschüsse, einmal
Digitized b]
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
86
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
rezidivierende Blutungen, wie sie durch Sitz in der Nähe grösserer Gefässe
verursacht werden und verhältnismässig leicht und ungefährlich unter asepti¬
schen Verhältnissen operiert werden können und 2. die ein viel schwereres
Krankheitsbild bietenden Fälle mit Abszess und Gangrän. Der operative
Eingriff hat hier mit Blutungen, Luftembolie oder Aspiration von Eiter¬
massen zu rechnen.
Keysser - Jena: Uebertragung menschlicher maligner Geschwülste auf
Mäuse.
Es gelang dem Verfasser ein schnell rezidivierendes, gegen Röntgen¬
strahlen refraktäres menschliches Sarkom im Zustande stärkster Reizwirkung
(durch die Röntgenbestrahlung) und nach Sensibilisierung mit körperfremden
Tumorautolysaten erfolgreich auf Mäuse zu übertragen.
W 0 1 f s 0 li n - Berlin: Untersuchungen Uber die herabgesetzte Immunität
Zuckerkranker gegenüber pyogenen Infektionen.
Die Leukozyten Diabetischer erwiesen sich minderwertig im Phago¬
zytoseversuch. Für chronische Eiterungen der Diabetiker verspricht die
Vakzinetherapie Erfolg.
C 0 1 m e r s - Coburg: Beobachtungsergebnisse bei der Behandlung von
Sarkomen mit Röntgentiefentherapie.
Bestelmeyer - München: Weitere Erfahrungen mit der willkürlich
beweglichen Hand.
G u 1 e k e - Jena: Zur Frage der traumatischen Epilepsie nach den Schuss¬
verletzungen des Krieges und Ihrer Behandlung.
Die Verletzungen der motorischen Region stehen im Vordergründe der
traumatischen Epilepsie, indes erwies sich keine Region als dagegen ge¬
sichert. Die Narbenbildung ist das ausschlaggebende Moment, die unnach¬
giebigen Narben kleiner Defekte haben Epilepsie häufiger im Gefolge als die
grossen flächenhaften. Zur Vermeidung neuer Verwachsungen nach Exzision
der Narben und gleichzeitiger Füllung des durch Zurücksinken des gelösten
Gehirns entstehenden Defekts eignet sich am besten die freie Fettplastik.
L u b 1 i n - Breslau: Ueber eigenartiges Verhalten der Rektaltemperatur
bei Oberschenkelamputierten.
Erklärungsversuche zu der vom Verf. beobachteten Herabsetzung der
Temperaturdifferenz zwischen Achsel- und Rektalmessung bei Oberschenkel¬
amputierten. S i e V e r s - Leipzig.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 1.
W. Z a n g e m e i $ t e r - Marburg: Paravertebrale und parasakrale
Leitungsanästhesie bei gynäkologischen Operationen.
Warme Empfehlung des Verfahrens auf Grund von 300 Fällen. Die
Schwierigkeiten der Methode sind überwindbar und werden durch ihre
Vorteile reichlich aufgewogen. Alle grösseren gynäkologischen Operationen
sind durch diese Methode auszuführen, die sich genügend lange vorbereiten
lassen.
H. Hinselmann - Bonn: Kaplllarbeobachtnngen bei normalen und
hydroplschen Schwangeren.
Untersuchungen am Nagcifalz und am ödematösen Unterschenkel nach
der W e i s s sehen Methode mit dem Zwecke der Aufstellung von Normal¬
bildern.
W. Stoeckel -Kiel: Die Therapie der Incontinentia urinae bei trau¬
matischer Schädigung der Sphinktermuskulatur.
Monographische Darstellung des ganzen Gebietes mit vielen Abbildungen.
In erster Linie handelt es sich um eine Muskelplastik, die in komplizierten
Fällen durch Pyramidalisplastik, Uterusinterposition und Levatorplastik zu
ergänzen ist. Werner- Hamburg.
Zentralblatt für Chirunsie. 1921. Nr. 1.
Arth. N e u d ö r f e r - Hohenems: Zur Frage der Aetherbehandlung der
Peritonitis.
Auf Grund guter Erfolge empfiehlt Verf. warm die Aetherbehandlung
der Peritonitis und sieht in ihr eine wesentliche Bereicherung unserer Hilfs¬
mittel im Kampfe gegen diese schwere Infektion.
E. Roedelius - Hamburg-Eppendorf: Atypische Querresektlon bei
Ulcus callosum mit Ektasie des oralen Magenabschnittes.
In den Fällen, in denen die Ausdehnung des Magengeschwürs in der
Mitte eine quere Resektion erheischt, wo aber zu viel vom ausgedehnten
Magen geopfert werden müsste, geht Verf. so vor, dass er erst das Ge¬
schwür reseziert, aber den gesunden, erweiterten, nach unten hängenden
Magenteil unter Schonung der Art. gastroepiploic. sinistr. abtrennt. Die so
entstehenden 3 Magenlumina werden in der Weise vereinigt, dass der orale
Magenteil mit dem Lumen des blinden Magenteiles vernäht wird, während
der präpylorische Teil mit dem kaudalen Ende des blinden Magenteiles durch
ein 4. Lumen vereinigt wird. Aus 3 Skizzen ist die Nahtmethode leicht
ersichtlich.
Jak. B u n g a r t - Köln: Zur Frage der Versager und der unangenehmen
Nacherscheinungen bei Lumbalanästhesien.
Im Gegensatz zu B a r u c h, der die Versager und üblen Nacherschei¬
nungen auf Liquorverarmung des Meningealsackes infolge Stichkanaldrainage
zurückführt, kommt Verf. zu dem Schluss, dass minderwertige Präparate
und Instrumente daran schuld seien: die Beschwerden der Pat. sind durch
entzündliche Reizzustände an den weichen Hirnhäuten bedingt, die auf
Einverleibung minderwertiger Präparate zurückzuführen sind. Die Ansicht
von B a r u c h wird kritisch widerlegt.
W. B u r k - Stuttgart: Postoperative Tetanie und Epithelkörperchen¬
überpflanzung.
Auf Grund eines Misserfolges nach Epithelkörperchenüberpflanzung —
es wurden statt dieser kleine Lymphknötchen überpflanzt — macht Verf.
auf 3 Punkte aufmerksam, die stets zu beachten sind: 1. Jeder Kropf ist
sofort nach der Exstirpation auf Epithelkörperchen zu untersuchen; 2. ein
Stückchen des zu implantierenden Epithelkörperchens ist stets zuerst mikro¬
skopisch zu untersuchen; 3. die Autotransplantation soll nie in der Nähe
der Operationswunde stattfinden, damit nicht durch etwaige Eiterung das
Transplantat zerstört wird. (In dem Falle des Verf. zerstörte ein Faden¬
abszess die Lebensfähigkeit des Autotransplantates.)
A. Szubinski - Giessen: Ersatz des gelähmten Trapezlus durch
FaszlenzUgel.
Verf. teilt mit, dass bereits Dr. Rothschild im Zbl. f. Chir. 1910
Nr. 45 eine ähnliche Methode wie die seine veröffentlicht hat. Während
sich aber Rothschilds Methode auf den Zug von unten beschränkt,
sucht Verf. mit seinem Verfahren die Zugführung und den Angriffspunkt
des M. trapezius möglichst vollkommen nachzuahmen. Beide Methoden
können zur Nachprüfung empfohlen werden.
Paul Rosenstein - Berlin: Zur Frage des „Mesenterlaldruct^
Schmerzes** bei Blinddarmentzündung.
Verf. betont, als erster das Symptom des „Mesenterialdruckschmerzes"
als für Appendizitis pathognomonisch beschrieben und die Druckschmerz¬
haftigkeit in ihren Ursachen aufgeklärt zu haben. O r t n e r erwähnt zwar
in seinem Buche einen ähnlichen Symptomenkomplex, dem er aber nicht
die ihm nach Ansicht des Verfassers gebührende Bedeutung zuweist.
E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 87. Band.
Heft 3 u. 4.
M. R o s e n b e r g - Charlottenburg: Vergleichende Untersuchungen über
Schlackenretention in Muskel und Blut Nierenkranker. 3. Beitrag zur
Pathochemie des Rest-N Nierenkranker.
Der Rest-N des Muskels steigt bei Azotämikern erst an, wenn der des
Blutes eine gewisse Schwelle (ca. 1,75 Prom.) überschritten hat. Die Auf¬
fassung von Monakow, dass sich bei Niereninsuffizienz zunächst die
Gewebsspeicher mit Schlacken füllen, ist wahrscheinlich nicht richtig. Die
absolute Zunahme des Muskel-Rest-N übertrifit die des Blut-Rest-N nur bei
hoher Azotämie, während bei geringeren N-Retentionen auch absolut ge¬
nommen die im Blut retinierte Rest-N-Masse grösser ist als die der Mus¬
kulatur. Der Muskelharnstoff steigt schon bei geringer Azotämie höher an
als der Muskel-Rest-N. Mu.skelkreatinin war nur bei stärkerer Hyperkreatin-
ämie vermehrt, Muskeliadikan war (ausgenommen in 2 Fällen) bei Hyper-
indikanämie stets erhöht.
A. Fröhlich und H. H. Meyer: Ueber Dauerverkfirzung der ge¬
streiften Warmblütermuskeln.
Untersuchungen an Fröschen, Affen, Kranken mit Katalepsie zeigten, dass
es einen stromlosen Verkürzungszustand quergestreifter Muskeln gibt,
wodurch bewiesen ist. dass es eine Art Sperrvorrichtung im Zentralnerven¬
system gibt, die erlaubt, willkürliche hypertonische Muskeln auf einer be¬
liebigen Verkürzungsstufe unter Aufhebung der äusseren und inneren Arbeit
festzustellen. Dies gilt aber nur für den engen Wirkungskreis der eigenen
Glied- und Körperhaltung; bei stärkerer Belastung versagt die Sperrung.
V e i 1 - München: Ueber die Auslösung Intermedläfer Kochsalzverschie¬
bungen vom Zentralnervensystem aus.
Salzstich führt beim Kaninchen zu Abfall der NaCI-Konzentration im
Serum und Hypochlorämie; nach Entfernung der Nieren und Salzstich tritt
ebenfalls Hypochlorämie ein und eine vorübergehende relative Hydrämie.
Diese Tatsache ist grundsätzlich wichtig, weil sie zeigt, ^ass auf nervösem
Wege und unter Umgehung des osmotischen Regulationsapparates der Niere
der mineralische Stoffwechsel direkt beeinflusst werden kann.
E. F r e y - Marburg: Superposition de^ Zuckungen und Tetanus am
Froschherzen durch Abkühlung.
E. D i e h I - Heidelberg: Ueber die Störung der Wärmeregulation durch
kollapsmachende Gifte.
Untersuchungen an Kaninchen mit Amylenhydrat, Antifebrin und Dysen¬
terietoxin zeigten, dass im Kollaps Temperatur- und Blutdrucksenkung von¬
einander relativ unabhängig verlaufen, als Ausdruck einer Schädigung der
wärmeregulierenden und der vasomotorischen Zentren. Die weitere Analyse
der Temperatursenkung bei Dysenterietieren ergab in der Hauptsache eine
zentrale Regulationsstörung bei im wesentlichen intakten peripheren Appa¬
raten der Wärmebildung und-abgabe. Die zentrale Störung betrifft nur die
Gegenregulierung gegen Unterkühlung, nicht gegen Ueberhitzung.
Apitz und H o c h m a n n - Halle: Ueber die Blndungsgrösse des
Chloroforms und Aethylalkohols an die roten Blutkörperchen während dert
Hämolyse.
Bürger- Kiel: Die Wirkung der Muskelarbeit auf Blut- und Hamzucker
beim Diabetiker.
Schwankungen des Plasmazuckergehaltes nach Körperarbeit sind beim
Diabetiker erheblich grösser als beim Gesunden. Die Arbeitshyperglykämie
ist wesentlich abhängig vom Glykogenbestand der Leber, weshalb frische
unbehandelte Fälle viel stärker reagieren als vorbehandelte. Weiter haben
Einfluss Schwere des Diabetes und Erregbarkeit des Nervensystems
(schlechtere Glykogenfixation). Die Höhe der Glykosurie ist nicht allein ab¬
hängig von der Höhe des Zuckerspiegels. Die Nieren können derart be¬
einflusst werden, dass sie einem höheren Zuckerangebot gegenüber dicht
halten: vielleicht erfolgt durch die Qlykogenverarmiing der Leber auf nervösem
Wege eine Reizung der Niere, die Zuckerdichtung herbeiführt. Die übrigen
Ergebnisse der umfassenden Arbeit müssen im Original nachgelesen werden.
Glaus-Basel: Wärmeakzeleration des Herzens und Muskelarbeit.
Bei grösserer Erwärmung (Schwitzkasten) steigt die Pulsfrequenz ent¬
sprechend der Temperaturerhöhung des Blutes des rechten Herzens (Tem¬
peraturmessung der Exspirationsluft). Auf diese Temperaturerhöhung des
Blutes des rechten Herzens ist auch die Steigerung der Pulsfrequenz bet
Muskelarbeit zurückzuführen; Jedoch kommen dazu noch andere Einflüsse
(gesteigerte Atmung, psychische Erregung, Stoffwechselprodukte).
L. Jacob- Bremen.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 1.
N. Ph. T e n d e I 0 0 - Leiden-Oegstgeest: Konstellationspathologlc.
Verf. erörtert, dass eine bestimmte Wirkung auf den Organismus von
einer Konstellation qualitativ und quantitativ bestimmter ursächlicher Faktoren
abhängig ist und dass die Entstehung dieser Konstellation das Eintreten der
Wirkung bedeutet. Die sog. Konstellation bedeutet nicht nur die Summe der
Faktoren, sondern auch ihre -wechselseitige Beeinflussung, ev. Potenzierung.
T. veranschaulicht diese Anschauung an einer Reihe von Beispielen, wie an
der Einwirkung atmosphärischer Natur auf die Organismen, der Wirkung von
Toxinen, Jener der Sekrete der inneren Drüsen. Die Begriffe Disposition und
Konstitution müssen auch von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet werden.
A. Buschke -Berlin: Ueber die Behandlung des Lupus vulgaris mit
dem Friedmann sehen Mittel.
Verf. hat 16 Fälle von Lupus vulgaris und Skrophuloderma mit dem Mittel
behandelt, deren Krankengeschichten kurz mitgeteilt werden. Verf. kommt
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHPIFT.
87
2 am Schlüsse, dass für die Behandlung des Lupus vulgaris das Fried-
m a n n sehe Mittel bisher keinen Fortschritt bedeutet und abzulehnen ist.
Bei leichteren Formen der Hauttuberkulose ist es möglicherweise nicht ganz
unwirksam. Verf. fordert auf. einschlägige Beobachtungen mitzuteilen.
B. Spiethoff - Jena: Beitrag zn den Fehlerquellen bei der Salvarsan*
behandlung.
Verf. hat schon früher Fälle beobachtet, in denen trotz Anwendung eines
erprobten Kurplanes Ikterus einsetzte, dessen Quelle lange nicht gefunden
u-erden konnte. Schliesslich wurde der Fehler im Spritzenmaterial gefunden,
in welchem sich bei Anwendung von Serum eine hepatotrope Noxe ent¬
wickelte, welche die Ikteruserkrankung hervorrief. In einer anderen Reihe
von Fällen kam es zu mehr minder heftigen zerebralen Reizerscheinungen,
sogar Psychosen, als deren Quelle wieder ein Fehler im Spritzenmaterial
gefunden wurde, das zu gleicher Zeit auch zu intravenösen Afenil(Kalk-)-
(olektionen benützt worden war.
H. Soltmann - Charlottenburg: Weitere Mitteilungen über die Wirkung
tes Sllbersalvarsans, mit besonderer Berücksichtigung der Wassermann«
iclieu Reaktion und der Nebenerscheinungen.
Die Vorteile des Silbersalvarsans liegen in der guten Wirksamkeit auf
die klinischen Erscheinungen der Lues und die WaR., ferner in der Möglich¬
keit. das Hg bei der Kur auszuschalten. Letzteres ist oft von Vorteil. Ein
Nachteil liegt im Auftreten von* Arzneiexanthemen, Bie fieberhaft und gelegent¬
lich schwer verlaufen köijnen. Vorsichtige Dosierung und Zeiträume von
i —5 Tagen zwischen den Einspritzungen sind jedenfalls nötig.
K. Secher - Kopenhagen: E. W e I s s * Methode zur Untersuchung des
Fanktionsvermögens der Kreislauforgane.
Verf. gibt die technische Ausführung der Methode wieder und berichtet
dann über die Ergebnisse seiner Nachprüfungen. Er kann die Angaben von
W e i s s bestätigen bezüglich der direkten Beobachtungen des Kapillarkreis¬
laufes durch das Mikroskop und in betreff der Druckmessungen. Dagegen
kann er W e i s s irF seiner Schätzung der Methode für den Gebrauch bei der
täglichen klinischen Arbeit nicht beipflichten. Sie eignet sich zwar für ge¬
wisse Beobachtungen über die Symptome bei insuffizienten Herzen, kann aber
nicht als Universalmethode zur Beantwortung der Frage betreffs des Funk¬
tionsvermögens eines Herzens angesehen werden.
Q. Schwarz - Wien: Bemerkungen zur Arbeit von Schütz über die
Zlhnelimg der grossen Magenkurvatur Im Röntgenbild und Ihre Kritik.
Qrassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1920. Nr. 52.
H e i n z - Erlangen: Intravenöse Inlektion von Elektroferrol zur Bildung
von unspezlfischen Abwehrstoffen.
Elektroierrolinjektionen beim Rind zeigten eine deutliche prophylak¬
tische Wirkung gegen die Maul- und Klauenseuche, die entweder gar nicht
oder nur leicht zum Ausbruch kam. Die hierfür verantwortlich zu machenden
humoralen und zellularen Abwehrstoffe werden durch Reizung des Knochen¬
markes gebildet, wie sie nach der Injektion des kolloiden Eisens eintritt (vgl.
Nr. 21 d. Wschr.).
H. F i s c h e r - Giessen: Die Bedeutung der Nebennieren für die Patho-
geaese und Therapie des Krampfes.
Die Fähigkeit des tierischen Organismus, auf entsprechende Reize m.i
Krämpfen zu reagieren, ist an das Vorhandensein von Nebennierensubstanz
gebunden. V^on der zentralen und peripheren Komponente des Krampfmecha¬
nismus w'ird lediglich letztere durch die Nebennierenreduktion (vergl. Nr. 49
d. Wschr.) beeinflusst und zwar durch eine Herabsetzung der Reizansprcch-
barkeit der quergestreiften Muskulatur.
D r ü n i n g - Giessen: Zur Behandlung rachitischer Verkrümmungen.
Zu verwerfen sind die Methoden, welche eine übertriebene Zerstücke¬
lung der verbogenen Knochen („Knochensalatwurst“) vornehmen, zumal die
Gefahr der Fettembolic naheliegt, ferner die Methoden, welche die Knochen
durch Kalkentziehung und Eingipsen erweichen wollen oder welche den ver-
crömmien Knochen ganz entfernen und durch Mosetigplombe ersetzen. Emp-
iohlcn wird eine subperiostale Durchsägung der Knochen an 2—3 Stellen
nittels der Giglisäge.
H. C i t r 0 n - Berlin: Ueber den Nachweis von Azeton Im Harn.
Beschreibung eines handlichen Glasapparates (Mikrodestillator zum Nach¬
weis von Azeton und andern flüchtigen Stoffen von der Firma Richard
Kallmeyer), mit dem es möglich ist, während, der Sprechstunde in 5 Minuten
die nötige Menge Harndestillat zu erhalten. Zu 2 ccm einer 3proz. Jod-
jodkalüösThig. gemischt mit 1 ccm einer 10 proz. Natronlauge, wird 1 ccm
Destillat hinzugefügt. Bei Anwesenheit von Azeton entsteht weisse Trübung
and Jodoformgeruch (Lieben sehe Reaktion). Die Reaktion fällt noch
positiv aus bei einem Azetongehalt von 1:50 000.
Warnecke - GÖrbersdorf: Zur Auswurfuntersuchung.
Beschreibung der Auswurfeinbettung.
Veilchenblau - Arnstein: Zur Uebertragung der Bartflechte (Tricho¬
phytie).
Die Uebertragung im Friseurladen fand durch Halsserviette, weitere
Uebertragung auf ein Familienmitglied durch ein Handtuch statt.
A b e 1 s d o r f f und K. Steindorff - Berlin: Ophthaimologlsche Rat-
schllge für den Praktiker.
Nachtrag aus Nr. 51.
Th. Messerschmidt und Walther- Hannover: Die Bakteriologie
der chronischen postgonorrhoischen Prostataentzündungen nebst therapeuti-
.-dKMi Versuchen mittels Autovakzinen.
Bei chronischer Prostatitis, wo Gonokokken fehlten, konnten 19 ver¬
schiedene Keime durch Kulturverfahren isoliert werden. Einspritzungen mit
dtr aus den Mischkulturen hergestellten vielwertigen Autovakzine schienen
chronischen Entzündungsprozesse günstig zu beeinflussen.
Baum- Augsburg.
j pharmakologischen Erfahrungen hauptsächlich stützte, ist bei richtiger Aus¬
wahl der Fälle unberechtigt. Ungeeignet sind Kranke mit schwerer Herz¬
insuffizienz, dagegen sehr geeignet solche mit hohem Blutdruck, beginnender
Herzinsuffizienz und beginnendem Lungenödem. Atemnot und Schlaflosigkeit
verschwanden, die Diurese besserte sich oft auffallend infolge der Dilatation
der Nierengefässe. Verf. gibt als instruktive Beispiele 10 Krankengeschichten
der J a q u e t sehen Privatklinik.
S c h e n k - Samaden: Beitrag zur physiologischen Veränderung des
leukozytSren Blutbildes.
Nach grösseren Anstrengungen bei Gesunden fand Verf. bei Untrainierten
eine Zunahme der weissen Blutkörperchen um durchschnittlich 4000, gleich-
massig Leuko- und Lymphozyten betreffend, bei Abnahme der Eosinophilen
und starker relativer Zunahme (um das Vierfache) der Leukozyten mit Azur¬
granula. Bei Trainierten waren diese Schwankungen geringer (2700), auch
bei den azurgranulierten Lymphozyten und bei letzteren viel weniger regel¬
mässig; iedoch nahmen die Eosinophilen stärker ab. Nach Schwitzbad
sanken die Leukozytenzahlen (um ca. 550), wobei alle Zellarten ungefähr
gleichmässig beteiligt waren.
Nr. 45. Hunziker: Drei Jahre Scbilddrüsenmessungen.
Im Wachstunisalter ist beim Einzelnen die Grösse der Thyreoidea
schwankend. Sehr kleine Joddosen (z. B. Genuss von lodgedüngtem Gemüse)
können- sie in relativ kurzer Zeit verkleinern. Eine regelmässige lahres¬
zeitliche Schwankung ^ai* nicht nachweisbar.
D u b s - Winterthur: Ueber einige häufig gemachte Fehler in der Be-
handlfing akzidenteller Wunden und Infektionen.
Fortbildungsvortrag.
R. F r i t s c h e - Lausanne: Ueber die Ergebnisse der Lumbalpunktion
bei Encephalitis lethargica (Encephalitis epidemica).
Schluss folgt.
E. P e t e r s - Davos: Das Hochgebirgsklima Im Lichte kalorimetrischer
Messungen mittelst des Frankenhünser sehen Homöotherms.
Der Abkühlungseffekt zeigte eine sehr grosse Qlcichmässigkeit, was wohl
der Grund dafür ist, dass Erkältungskrankheiten nur selten auftreten und
unabhängig von dem jeweils herrschenden Abkühlungseffekt.
Glaus-Basel: Zur Lehre der kongenitalen Därmdivertlkel.
Angeborenes Divertikel im oberen Dünndarm, keine anderen Miss¬
bildungen bei einem 3 jährigen Mädchen.
Nr. 46. O. I m h 0 f - Bern: Ueber die W 11 d b o 1 z sehe Elgenharn-
und Elgenserumreaktlon zum Nachweis aktiver Tuberkuloseherde.
Wie im Harn kann man auch im Serum (nach Fällung mit Alkohol und
Einengen im Vakuum) bei aktiv Tuberkulösen Antigene durch Hautimpfung
nachweisen. Bei allen sicher Tuberkulösen fielen beide Reaktionen positiv
aus, in den Kontrollfällen stets negativ. Bei mehreren Kranken, die anfangs
wider Erwarten positive Reaktion zeigten, fanden sich einige Zeit später
sichere tuberkulöse Veränderungen. Die Eigenserumreaktionen waren etwas
schwächer als die Eigenharnreaktion, führten aber niemals zu Nekrose oder
Rötung, wie sie durch die Harnsalze gelegentlich (in 10 Proz.) hervorgerufen
werden.
J. S t r e b e I - Luzern: Ueber Prismen, Ihre Wirkung und kosmetische
Prismenverwenduug.
Verf. hat in einem Fall von Verlust des rechten Auges mit Senkung des
Orbitalbodens durch Prismenbrille erreicht, dass das eingesunkene Kunstauge
in gleicher Höhe erschien wie das gesunde. Die weiteren Ausführungen über
Prismenwirkung sind zu kurzem Referat nicht geeignet.
A. E. Mayer-Davos: Grippepnpumonle bei Ausschaltung der anderen
Lunge.
Ausführliche Beschreibung von 3 Fällen mit künstlichem Pneumothorax
(bei 2 Exsudat dabei) und einem mit ausgedehnter Thorakoplastik wegen
tuberkulösen Empyems, die alle eine schwere Pneumonie der gesunden Lunge
überstanden. Therapie: Herzmittel und Druckerniedrigung im Pneumothorax
durch Ansaugen von Gas.
F r i t z s c h e - Lausanne: Ueber die Ergebnisse der Lumbalpunktion bei
Encephalitis lethargica. (Schluss.)
Verf.'beschreibt ausführlich 13 Fälle. Bei der Lumbalpunktion fand sich
relativ häufig auffallend niederer Druck (bis 0 mm H?0) und meist geringe
Lymphozytose (9—72 Zellen). Diagnostisch gibt also die Lumbalpunktion
gewisse Anhaltspunkte, therapeutisch ist sie ohne Wert, da Drucksteigerungen
fehlen. L. Jacob- Bremen.
Im Druck erschienene Inauguraldissertationen.
Universität Breslau. November—Dezember 1920.
Flach Erich: Beitrag zur Kasuistik der durch Fremdkörper des Magen¬
darmkanals. insbesondere Fischgräten, verursachten Bauchwandabszessc
und Baucbwandfisteln.
Pohl Karl; Ueber Torsion der Appendix.
Hauger Otto: Der Qehirnreichtum der Australier und anderer Hominiden,
beurteilt nach ihrem Skelett.
Brieger Heinrich: Zur Klinik der akuten Chromatvergiftung.
Tschirchewahn Friedrich: Ueber Ovulation, Corpus luteum und
Menstruation.
Peters Walter: Ueber arterielle Gefässverschlüsse der Leber, insbesondere
durch Endarteriitis obliterans.
Universität Erlangen. Dezember 1920.
Liffgens Leopold: Die Gonorrhöebehandlung der Erlanger Universitäts-
Frauenklinik, Erfahrungen mit Choleval.
Universität Marburg. Oktober—Dezember 1920.
Jaensch Walter: Ueber Wechselbeziehungen von optischen, zerebralen und
somatischen Stigmen bei Konstitutionstypen.
Mueller Friedrich: Ueber die Korrektion des Keratokonus und anderer
Brechungsanomalien des Auges mit Müller sehen Kontaktschalen.
Schwiedler Hugo: Ein Beitrag zur Therapie und Prognose des Mamma¬
karzinoms. — Statistische Zusammenstellung der in der Chirurg. Univ.-
Klinik zu Marburg in den Jahren 1904—1914 behandelten Fälle von
Brustkrebs.
Siebei Ernst: Der Geburtsverlauf beim engen Becken.
Schweizerische medizinische Wochenschrift 1920. Nr. 38, 45 ii. 46.
Nr. 38. Lutz-Basel: Zur Kenntnis der gegen Salvarsan refraktären
SypbHis.
Beschreibung von 2 Fällen. Arsenfestigkeit der Spirochäten lag nicht
i'or. denn in einem Falle gingen von der Infektion zwei weitere aus, die
gewöhnlicher Weise auf Salvarsan reagierten.
Glaus- Riehen: Das Chloralhydrat In der Therapie der Herz- und
Oeässkranklieileo. ^
Die allgemeine Warnung von Chloral bei Herzkranken, die sicli auf c^e
Digitized
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
»8
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Auswärtige Briefe.
Danziger Brief.
„Freiheit, Frieden, Brot“ im Freistaat. — Die Not der Krankenhäuser. —
Die Reseiung des Medizinalwesens.
Am 15. November ist in der verfassunggebenden Versammlung Danzig
feierlich zür freien Stadt erklärt worden. Was in allen deutschen Herzen
brennt, ist noch einmal öffentlich ausgesprochen: die Losreissung vom alten
Vaterlande geschieht wider den Willen der Bevölkerung, Von irgendeiner
Feierstimmung war nichts zu merken; keine Fahne, abgesehen von einigen
öffentlichen Gebäuden, auf den Strassen ernste oder gleichgültige Gesichter.
Wie sollte es auch anders sein in der bis jetzt gut deutschcMi Stadt.
Ich höre heute noch in meinen Ohren die Worte gellen, die fanatische
Volksredner beiderlei Geschlechts am 9. November 1918 überall den ver¬
blendeten Massen zuriefen: Freiheit, Frieden, Brot! Nun. was die Freiheit
anlangt, so hängen schwere Wolken über dem Zwangsgebildc, das sich auf
Befehl Freie Stadt Danzig zu nennen hat. Was insbesondere die drohende
polnische Besatzung für uns zu bedeuten hat, darüber ist auch das kindlichste
Gemüt im klaren. Und Frieden? Jeder Sehende weiss. dass ebensowenig
wie für das alte Mutterland, für uns der Kampf zu Ende ist. weiss, dass nur
die Mittel gewechselt haben. Die Polen, zunächst in v^schwindender Minder¬
heit, haben alle Vorteile des Angreifers. Ein festes ^lel: Danzig so schnell
und so gründlich als möglich zu polonisieren. Ihr ganzes Volk bei aller ipnerer
Parteizerrissenheit einig, wo es die Grösse und die Ziflcunft des Vaterlandes
gilt. Und die Deutschen? Schweigen wir lieber.
Aber wir haben doch wenigstens das Brot? Auch das kann man nicht
einmal sagen. Die Lebensmittelpreise sind wohl etwas geringer als im
deutschen Reich, aber es fehlt bedrohlich an Milch und Fetten, zeitweise auch
an Kartoffeln und Fleisch. Die grossen Massen hungern. Die Polen haben
ihre Versprechungen, Lebensmittel in ausreichender Menge zu liefern, nur zum
Teil gehalten.
Mag süin, dass sich die Ernährungsverhältnisse etwas bessern werden,
sobald die Zollunion mit Polen in Kraft tritt. Aber die gleichzeitige Zoll-
abschliessung vom deutschen Reich wird schwere Nachteile mit sich bringen.
.Alles, was Polen nicht selbst erzeugt — und das ist noch recht viel —, wird
.selten und teuer werden. Wie wir es jetzt in Pommerellen allenthalben sehen,
werden auch bei uns Arzneien. Verbandstoffe, ärztliche Instrumente ausser¬
ordentliche, für viele unerschwingliche Preise erreichen. Dass darunter die
Volksgesundheit leiden muss, liegt auf der Hand.
Wir Danziger Aerzte haben das Schicksal der westpreussischen. jetzt
pommereliischen deutschen Kollegen vor Augen. Fast rein deutsche Städte
wie Graudenz (vor dem Kriege 88—92 Proz. deutsche Bevölkerung), Brom¬
berg u. a. werden ganz schnell und rücksichtslos polonisiert. Von den
deutschen Aerzten weicht einer nach dem andern dem Druck, verlässt Heimat
und Praxis; darunter sind viele, die durchaus loyale polnische Staatsbürger
sein woHten. Deutsche Aerzte, die jahrzehntelang städtische Krankenhäuser
vorbildlich geleitet haben, werden ihrer Stellung enthoben und durch polnische
Aerzte ersetzt. Würde es in einem polnischen Danzig anders sein? Das
kann nur ein hoffnungsloser Optimist, die es unter Deutschen ja immer gibt,
erwarten.
Wie rauschte es früher auf im deutschen Blätterwalde, wenn die Rede
kam auf die verruchte, unmenschliche preussische Polenpolitik? Musste aber
nicht der Staat ein so wichtiges Land wie die Ostmarken schützen, mit allen
Mitteln schützen, zumal ein grosser Teil der deutschen Einw»)hiier an
mangelndem Nationalgefühl krankte und ohne Not, nur des Geldes wegen
deutschen Boden preisgab? Wo bleiben jetzt die Klagen über die polnische
Preussenpolitik? Was weiss überhaupt noch der durchschnittliche Mittel¬
und Süddeutsche vom'Osten? Wo sind die Zeiten hin, da die Besten
und Stärksten aus den alten deutschen Gauen der Thüringer und Sachsen,
der Franken und Bayern gen Ostland ritten und die woiten Lande deutscher
Kultur erschlossen? Wir haben jetzt in unserer Mitte eine Menge baltischer
Flüchtlinge. Prächtige Menschen, die alles verloren haben, um ihres Deutsch¬
tums willen, die aber nicht klagen, sondern den Kampf ums Leben gelassen
und tapfer (und ohne Erwerbslosenunterstützung) wieder aufnehmen. Wie
stolz würde jedes andere Volk auf diese Söhne sein, die 700-Jahre lang unter
schwierigsten Verhältnissen und dauernden Kämpfen deutsche Kultur ge¬
wahrt haben. Und wir. selbst wir im Osten, wussten wir viel mehr
von den Balten, als dass sie alle Barone wären und in fürchterlichster Weise
die armen Letten knechteten? Wir können viel von diesen Männern und
Frauen lernen, vor allem lernen, deutsch zu sein. Vielleicht zieht es
uns Danziger zu den Balten besonders hin. weil wir jetzt selbst in ähn¬
licher Lage sind, ein Häuflein Losgetrennter, umbrandet von der slavischen
Flut.
Die wirtschaftliche Lage der Danziger Aerzte wird ungünstig beeinflusst
durch die Absperrung der ehemals zu unserem Wirkungskreis gehörigen
Gebiete. Eine Reise durch den polnischen Korridor ist. abgesehen von
den vielen Passplakereien und den peinlichen Leibcsuntcrsuchungen auf den
Zollstationen, auch sonst nicht frei von Unannehmlichkeiten. So wurde
kürzlich der Oberarzt unseres grössten Krankenhauses (gleichzeitig Vor¬
sitzender des ärztlichen Vereins), von einer Konsultationsrcise aus Pommern
zurückkehrend, in Weiherowo (früher Neustadt) aus dem Zuge geholt und
trotz aller Einsprüche 24 Stunden zurückgehalten. Die Kranken wiederum
aus der Provinz scheuen, der erwähnten Schwierigkeiten wegen, nach
Danzig zu kommen. Es leiden unter diesen Verhältnissen naturgemäss
weniger die praktischen Aerzte als die Fachärzte, die Krankenhäuser, Privat¬
kliniken.
Die Not der Krankenhäuser ist ein Abschnitt für sich. Das städtische
Krankenhaus z. B. erforderte noch im Jahre 1915 einen jährlichen Zuschuss
von 350 000 M., jetzt Millionen Mark. Die Verpflegungssätze der ersten
und zweiten Klasse sind dementsprechend heraufgesetzt (40—100 Mark). Eine
Erhöhung in der 3. Klasse von 10 auf 15 Mark — die Selbstkosten be¬
tragen für Bett und Tag 40 Mark — wurde kürzlich in der Stadtverordneten¬
versammlung abgelehnt. Die beiden konfessionellen Krankenhäuser haben
kein so belastungsfähiges Rückgrat. Sie haben sich in ihrer Bedrängnis an
die Oeffentlichkeit gewandt und ferner bei <ler Stadt eine namhafte Unter¬
stützung beantragt. Misslich ist, wie auch im deutschen Reiche, die Lage
der Privatkliniken. Die Einnahmen wachsen bestenfalls im arithmetischen.
Nr. 3.
die Ausgaben aber immer im geometrischen Verhältnis. Die Klientel der
Privatkliniken verringert sich entsprechend der allgemeinen Verarmung des
Volkes; die wenigen reichgewordenen Schieber gleichen diesen Rückgans
nicht aus. Die notwendigen Zuschüsse müssen aus eigener Tasche be¬
stritten werden. Kein Zufall, wenn einige Kliniken aufgegeben sind, alle
anderen mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Der Wunsch der Aerzteschaft, die Leitung der Medizinalangelegenheiten
des Freistaates einem Fachsenator, also einem Arzte, zu übertragen, ist
leider nicht erfüllt worden. Wieder ist es ein Jurist. Ihm ist das Gesund¬
heitsamt, mit einem Stadtarzt an der Spitze, unterstellt. Eine Hauptaufgabe
des Gesundheitsamtes wird die Abwehr von Seuchen sein. Ueber Danzig
ergiesst sich seit Jahr und Tag, besonders aber seit dem Bolschewisteneinfall,
ein Strom polnischer Auswanderer, meist Juden, die nach Arnerika gehen.
Dank guter Absperrungsmassrcgeln und sorgfältigster ärztlicher Üeberwachung
ist Danzig bisher von Volksseuchen verschont geblieben. Fleckfieber und
Pocken sind nur ganz vereinzelt beobachtet worden.
In der Aerzteschaft des Freistaates ist von einer internationalen Mischung
noch nichts zu bemerken. Die zahlreichen Aerzte, die sich nach dem Kriege
hier niedergelassen haben, sind meistens Deutsche, ganz vereinzelte Ausländer.
Die neue preussische Gebührenordnung soll auch für den Freistaat über¬
nommen werden. Nur ist eine erhebliche Erhöhung der Mindestsätze, durch¬
schnittlich um das 2 und 3 fache, von den Arbeitsausschüssen der Aerzte
vorgeschlagen worden.'
Alles kleine Dinge gegen das Schicksal, das uns bedroht. E. L.
Vereins* , und Kongressberichte.
Berliner medizinische GesellschafL
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 12. Januar 1921.
Tagesordnung.
Herr M. Gut stein: Ueber den Einfluss des Sauerstoffmangeis auf
das Blut.
Endogener Sauerstoffmangel entsteht durch Verminderung der Atmungs¬
fläche oder durch Blutveränderungen. Der .exogene bedarf keiner weiteren
Erklärung. Belm Sauerstoffmangel werden' Erythrozyten und Blutfarbstoff
vermehrt, die Leukozyten meist vermindert. Dabei nehmen nach seinen
Untersuchungen die neutrophilen Letikozyten ab. die Lymphozyten zu; die
■eosinophilen Zellen sind meist vermehrt, wie Versuche an Patienten mit
künstlichem Pneumothorax bei Anwendung der Saugmaske und am Tier¬
experiment ergaben. Die innere Atemfläche lässt sich durch Phenylhydrazin
oder Blausäure einengen. Hierbei werden die gleichen Blutveränderungeii
erzeugt. Die gleiche Veränderung des Blutbildes findet sich bei dei
perniziösen Anämie und bei der Malaria, ebenso bei Basedow, woraus er
auch eine Wirkung des Sauerstoffmangels auf die Schilddrüse schliesst.
Mansfeld hat z. B. durch Injektion von Schilddrüsensubstanz Poly¬
globulie hervorgerufen, bei Myxödem findet sich das umgekehrte Blutbild.
Aussprache: Herr H. Hirschfeld glaubt, dass durch verstärkte
•Atmung der Lymphstrom angeregt wird. Bei sicherem Basedow kann die
Lymphozytose fehlen, umgekehrt bei Athyreosen vorhanden sein.
Herr W. Schulz: Die Zahlen der Leukozyten, die Herr Q u t s t e i ii
angegeben hat. liegen in den Fehlergrenzen oder in der Variationsbreite.
Bei der perniziösen Anämie bleibt das Leukozytenbild bestehen, wenn die
Zahl der Erythrozyten sich verändert. Bei verschiedener Körperhaltung ent¬
stehen erhebliche Veränderungen des Blutbildes.
Herr Out stein: Schlusswort. W.
Verein für innere Medizin und KinderheilkundcT zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10, Januar 1921.
T agesordnung.
Referent Herr A. P e i p e r: Ueber Bauchschmerzen beim Kinde.
Aus naheliegenden Gründen ist die Deutung der Bauchschmerzen beim
Kinde schwieriger, wie beim Erwachsenen. Ueber die Deutung des Bauch¬
schmerzes. gewissermassen über die Theorie, bestehen noch sehr weitgehende
Divergenzen. In anatomisch-physiologischer Beziehung weiss man soviel,
dass das parietale Blatt des Bauchfells von den interkostalen und lumbalen
Nerven, die Eingeweide vom Splanchnikus und Vagus versorgt werden. Die
Eingeweide sind im allgemeinen schmerzunempfindlich, nur der Zug am
Mesenterium ist schmerzempfindlich, was auf Splanchnikuseinfluss zurück¬
geführt wird. Goldscheider nimmt neuerdings an, dass die Schmerz¬
empfindlichkeit von Eingeweideteildh nur die Verstärkung der schon normal
vorhandenen, unterhalb der Grenze der Wahrnehmbarkeit liegenden E,mp-
findungen ist, von ihm „unterschmerzliche Empfindungen“ benannt. Bei
Appendizitis ist Schmerz (in Verbindung mit Defense musculaire) oft das
erste Krankheitssymptom (von Mackenzie als viscero-motorischer l?eilex
bezeichnet). Bei Mesenterialdrüsentuberkulose ist Schmerzemfindung häufig,
aber nicht konstant, Magengeschwüre als Ursachen von Schmerzen sind
beim Kinde selten.
Bei Spasmen, Koliken und Tenesmen fallen oft. aber durchaus nicht
immer, die Schmerzen mit den motorischen Darmbewegungen zusammen.
Blinddarmentzündung wird oft, besonders bei Kindern, durch Pneumonien
vorgetäuscht und gibt Veranlassung zu Operationen; das gleiche kann durcli
Typhus, Malaria, Leukämie und die Purpura abdominalis Henoch geschehen.
Bauchschmerzen finden sich aber auch häufig bei neuropathischen Kindern
und treten in Gestalt der sog. Nabelkoliken auf, die oft mit .Appendizitis
verwechselt werden, in allen Fällen aber einer rein suggestiven Therapie
weichen. Wegen dieser diagnostischen Schwierigkeit und der Verantwortung
für eine eingreifende Bauchoperation empfiehlt es sich, in aflen Fällen
von Appendizitis zunäch.st die prognostisch günstige Keller-Czerny sehe
Behandlung einzuleiten, welche durch völlige Entziehung von Nahrunj: und
Getränk den Darm völlig ruhig stellt.
Schliesslich geht der Vortr. auf die Beziehungen zwischen Darmspusinen
iijid Vagotonie ein.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Januar 1921.
MÜNCHENKR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sy
Aussprache: Herr Mühsam: Besonders basale Pneumonien, die
7 u basaler Pleuritis geführt haben, geben Veranlassung zur Verwechslung
mit Appendizitis: umgekehrt ruft ein erkrankter, tiefliegender Wurmfortsatz
durch Psoaskontraktur oft das Bild einer Koxitis hervor. Ferner fehlt bei
tidlicgendcm Appendix oft jede Andeutung von Bauchdeckenspanming. Im
OeKcnsatz zum Vortr. hält er die überwiegende Mehrzahl der Nabelkoliken
iür Appendizitiden und bezieht sich nur auf Material seiner Privatpraxis,
weil er dieses über längere Zeiträume in Beobachtung halten konnte. Unter
150 Kinderappendizitisfällen der letzten Jahre hat er 125 operiert. Darunter
befanden sich 20 sichere Nabelkoliken, von denen er 4 aus verschiedenen
Gründen nicht operierte, 4 im akuten Anfall. 12 im subakuten Stadium
oder im Intervall operierte. Die Wutmfortsätze waren fast ausnahmslos
schwer pathologisch verändert, verwachsen, geknickt, eingerollt. In der
Symptomatologie war es sehr interessant zu beobachten, wie sich die Be-
>;chwerden allmählich immer mehr nach rechts lokalisierten.
Mit Rücksicht auf die grossen Gefahren der Unterschätzung der Nabel-
kolikcn. warnt er vor der neuropathischen Auffassung und empfiehlt zum
mindesten, jeden Fall von Nabelkolik unter genauester ärztlicher Beobachtung
CU halten.
Herr J a p h a berichtet über eine Selbstbeobachtung. Seit der Kindheit
leidet er an Nabelkoliken und man fühlt jedesmal während der Schmerz¬
anfälle eine geblähte Darmschlinge. In letzter Zeit zeigen die Nabelkoliken
eine erhebliche Zunahme, was er auf die Ernäh^ungsverhäftnisSte, besonders
auf die Beschaffenheit des Brotes zurückführt. Als' Therapie sind nicht
Abführmittel, sondern Opium und Atropin indiziert, wodurch die Obstipation
gerade beseitigt wird.
Herr K a r e w s k i weist auf die Variationen des Appendix hin und
auf die Schwierigkeit, bei einer so verbreiteten und oft fast unbemerkt
vorbeigehenden Erkrankung, wie es die Appendizitis ist, einen objektiv
richtigen Standpunkt zu finden. Wenn die chirurgische Auffassung vieles
auf Appendixerkrankungen bezieht und dies vielleicht falsch ist, so steht
dem auf internistischer Seite gegenüber, dass man geneigt ist alles auf ..Ner¬
vosität“ zurückzuführen. Er führt eine Reihe sehr bedeutsamer Fälle an.
in denen von kompetenter Seite die Diagnose „Nabelkolik“ gestellt worden
war und während einer solchen Nabelkolik eine Perforationsperitonitis
entstand. *■
Herr Oswald Meyer weist darauf hin, dass Darmspasmen auch bei
Kindern häufig durch Hyperazidität bedingt sind, und dass man sie durch
eine antihyperazide Therapie beseitigen kann.
Herr Fuchs betont, dass es Fälle gibt, wo die Be.schwerden nach
der Operation anhalten und weist darauf hin. dass nach seiner Ansicht
eine Statistik über das Verhaften des normalen Wurmfortsatzes nicht existiere.
Herr M o s s c betont, dass bei der spastischen Obstipation Opium und
Atropin stets indiziert seien, Perityphlitis kann auf der linken Seite
Schmerzen auslösen beim Situs viscerum inversus und bei falscher Pro-
icktion. Ebenso sind linkseitige Schmerzen häufig bei adenoiden Vegetationen
aiizuireffen.
Herr F i n k e 1 s t e i n weist auf die Häufigkeit der bei Grippe auf¬
tretenden Leibschmerztm hin. betont, dass es sicher nervöse Nabclkoliken
uibt, dass man aber die verantwortungsvolle Diagnose mit grosser, Vor¬
sicht stellen müsse und dass die Pädiater, die sich ein bischen zu sehr
nach der^ Seite der Konstitutionspathologie orientiert haben, lieber einen
Fehler durch zu starke Betonung der chirurgischen Seite begehen sollten,
als umgekehrt. Bei Oärungsdyspepsien kommen Leibschmerzen sicher vor,
Herr Mühsam, Herr P e i p e r (Schlusswort). W o I f f - E i s n e r.
Aorztlicher Verein in Frankfurt a. IN.
(Offizielles Protokoll)
1H05. ordentliche Sitzung vom Montag, den 21. Juni 1920,
abends 7 Uhr in der Dr. S e n c k e n b e r g ischen Bibliothek.
Vorsitzender: Herr E ra b d e n.
Schriftführer: Herr M e h 1 e r.
Herr Fischer: Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate.
Aussprache über den Vortrag des Herrn Flesch-Thebeslus:
Vorige Sitzung.
Herren v. N o o r d e n. P r o p p i n g, G ö t z k y, K 1 o i b e r, L ö b,
f’lesch-Thebesius.
Aussprache über den Vortrag des Herrn Isaak: Vorige Sitzung.
Herren Adle, v. N o o r d e n, T r a u g o 11, (J ö t z k y, Isaak.
Herr Propping: Heilung eines Karzinoms der Papilla Vaterl. (Mit
Krankenvorstellung.)
Der jetzt 17 jährige Patient wurde vor 1 Jahr operiert. Die Operation
wurde, transduodenal und einzeitig ausgeführt. Es gelang leicht, den promi¬
nierenden, kleinkirschgrossen Tumor, neben dem der Ductus pancreaticus
«ondiert werden konnte, während ein Choledochuslumen nicht vorhanden
war. mit der Pinzette zu stielen und ihn aus der Wand herauszuschneiden
fPapillektomie). Wiederherstellung normaler Verhältnisse durch zirkuläre
Vereinigung der Duodenalschleimhaut mit dem Ductus choledochus und pan¬
creaticus. Mikroskopisch :Scirrhus.
Klinisch: Typische Anamnese (seit Jahren allmählich zunehmender
Ikterus ohne Schmerzanfälld^ Abmagerung 30 Pfund).
Für die Diagnose war verwertbar ein grosser Gallenblasentumor (C o u r-
voisiers Gesetz) und eine dauernde Duodenaldeformität, die als Aus-
M)arung durch den »Tumor aufzufassen ist. In Zukunft ist deshalb bei
Verdacht auf Papillenkarzinom die Duodenalröntgenuntersuchung vorzu¬
nehmen.
Seit der Operation 30 Pfd. Gewichtszunahme, ausgezeichnetes Befinden.
Pat. ist bis jetzt (1 Jahr 1 Monat) rezidivfrei. Der Fall reiht sich damit
(ien transduodenal geheilten Fällen von Körte und Kraske (6 resp.
- Jahre rezidivjirei) als dritter an.
Vortr. hält den transduodenalen Weg für sicherer wie den retroduo-
Jenalen. w'eil alles darauf ankonimt, die Infektion des Retroperitonealraums
■M vermeiden. Das ist schwerer bei der retroduodenalen Methode (keine
^rosa zur Naht!).
Aussprache: Herr Amberger.
Herr L e h m a n n - Göttingen (a. G.): Sensible Fasern ln den vorderen
Riickenmarkswurzeln.
Vortr. schildert kurz die Grundlagen und die bisherigen Durchbrechungen
des Bellschen Gesetzes. Er bespricht dann 2 Eälle, in denen
das eine Mal C 4—C 8, das andere Mal C 5—D 1 nach Laminektomle wegen
Neuralgien reseziert waren. Trotzdem war im Arm keine Anästhesie vor¬
handen. sondern in dem grössten Teil der Extremität (von einer anästhetischen,
durch periphere Nervendurchtrennung bzw. Tumordruck bedingte, und einer
sensiblen, intakten Zone abgesehen) fand sich hei Fehlen aller übrigen Emp-
findungsgualitätcn erhaltene Druck- und Druckschmerzempfindung; eine Emp-
findungsiiualität, die identisch ist mit der Head-Strümpell sehen Tiefen-
serisibilität und dem T u n b e r g sehen Druckschmerz. Man muss annehmen,
dass die Druckempfindung und die Druckschmerzempfindung durch die vor¬
deren Wurzeln vermittelt werden, da alle anderen Erklärungsmöglichkeiten
widerlegt werden können. Damit würden wir uns wieder dem Standpunkt
Magendis nähern, der die hinteren Wurzeln nur als überwiegend sen¬
sibel, die vorderen nur als überwiegend motorisch ansprach.
Aussprache: Herren S. Auerbach, Lehmann.
Schluss 9 Uhr.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. Dezember 1920.
Tagesordnung: Zur Abortfrage In Hamburg. Referenten die Herren:
Schotteiius, Moltrecht und Schottmüller.
Herr Schotteiius nimmt Bezug auf seine Demonstration vor
4 Wochen. Seine Angaben über die Morbidität und Mortalität nach Abort
waren zu günstig. Beide sind sprungweise in die Höhe gegangen. Vielfach
verbergen sich auf dem Totenschein linter ganz anderer Diagnose, wie
Pneumonie, Abortfolgen.
Herr M o 11 r e c h t: Die Zunahme der Aborte sei wohl nur eine relative,
sie sei etwa gleich hoch geblieben bei sinkender Geburtenziffer, An dieser
Zunahme haben nicht nur die kriminellen Eingriffe, sondern auch die Zunahme
der Geschlechtskrankheiten und die Unterernährung schuld. Als Motive des
kriminellen Aborts kommen in Frage Genusssucht, uneheliche Schwängerung,
ökonomische Lage, Verführung. Obwohl wir namentlich für die durch wirt¬
schaftliche Sorgen bestimmten Mütter Mitgefühl und Verständnis haben
müssen, so wäre doch die vorgeschlagene Aufhebung der Strafgesetzpara¬
graphen 208 und 209 aus sittlichen, kulturellen und völkischen Gründen weit¬
aus das grössere Uebel.
Herr S c h o 11 m ü Her: 60 Proz. aller Aborte sind artefiziell. Vortr.
schildert die Gefahren der Infektion und das von ihm befolgte Behandlungs¬
verfahren bei Abort, das bis 1910 bei fehlender Komplikation prinzipiell in
manueller Ausräumung bestand; dabei eine Mortalität von 3 Proz. Seit 1914
wendet er nur noch die Kürette an und hat gefunden, dass die Gefahren der¬
selben weit geringer sind als die der manuellen Ausräumung, nach welch
letzterer in 77 Proz. der Fälle Keime im ßlut nachzuweisen waren. Bei 3000
so behandelten, fast ausnahmslos infizierten, wenn auch nicht durchweg
fiebernden Aborten hat er auf diese Weise die Mortalität auf 0,37 Proz.
herabgedrückt. Die Kürettage wird jedoch nur vorgenommen, wenn vorher
das Fehlen hämolytischer Streptokokken durch bakteriologische Untersuchung
des Zervixsekrets nachgewiesen ist, (Dies wäre in Zukunft auf Stuphyloc.
aureus und Streptoc. putridus auszudehnen.) In diesem Falle verhält er
sich durchaus abwartend und greift erst zur Kürette, nachdem das Ver¬
schwinden des Keimes nachgewiesen ist. Auch Blutung bildet fast nie
eine Indikation zu schnellerem Eingreifen.
Besprechurig; Herr Mahlo; Wenn man das wirtschaftliche Elend
in den 'kinderreichen Familien der Arbeiterviertel sieht, so wird man doch
für eine soziale Indikation des künstlichen Aborts eintreten,
Herr Knack führt die Namen zahlreicher Juristen und Aerzte auf. die
sich für Abschaffung der §§ 208 und 209 ausgesprochen hätten. Die Frage
sei für Aerzte nur die, welcher Zustand ärztlich schlimmer anzusehen sei.
der jetzige oder der nach Streichung der Paragraphen eintretende.
Herr Fjrhr zeigt das Präparat eines besonders schwer lädierten weib¬
lichen Genitale, vermutlich infolge Anwendung von Seifenlösung,
Herr Marr: Die Frage ist von den Aerzten keineswegs mir im medi¬
zinischen, sondern durchaus auch im ethischen Sinne zu besprechen.
Herr He ine mann;' Die Kürette ist in der Hand des Anfängers docli
sehr gefährlich, deshalb lehren die Kliniken weiter die manuelle Ausräumung.
Auch in der Hand des Arztes ist der künstliche Abort kein ungefährlicher
Eingriff. Redner tritt für ein Verbot der Anfertigung von Spritzen mit
spitzem Ansatz ein.
Herr Nonne zeigt, wie auch im Altertum die künstliche Beschränkung
der Kinderzahl mit dem Verfall einherging; im Eid der asklepiadeischen Aerzte
wird auch geschworen, nicht abzutreiben.
Herr Prochownik betont vor allem die Spätfolgen der Aborte, insbe¬
sondere an den Adnexen, die die gonorrhoischen Affektionen derselben an
Bedeutung zu überholen beginnen. Auch er glaubt, dass der Weg zur
Umgrenzung einer sozialen Indikation des künstlichen Aborts gefunden werden
muss.
Herr Weygandt bespricht die nur sehr selten in Frage kommen¬
den psychiatrisch-neurologischen Indikationen zur Einleitung des künstlichen
Aborts (Chorea gravidarum, manischdepressives Irresein und Dementia prae¬
cox, wenn beide wiederholt im Anschluss an das Generationsgeschäft
exazerbieren).
Herr R e y e teilt verschiedene, besonders krasse Abtreibungsfälle aus
der Praxis mit. Leider sind auch Aerzte daran nicht unbeteiligt,
Herr Bonne widerspricht der eugenischen Indikation, da man die
Beschaffenheit des zu erwartenden Kindes nie vorher wissen könne.
Herr Alexander K a t z. Herr C a 1 v a r y fand auf sozialistischen Ver¬
sammlungen die Frauen dem ablehnenden Standpunkt der Aerzte gegenüber
Streichung des § 208 durchaus zugänglich.
Herr Rüder befürwortet, den Frauen, die den Abtreiber nennen. Straf¬
losigkeit zuzusagen.
Herr C a 1 m a n n hält es für berechtigt, den unbemittelten Patienten
konzeptionshindernde Mittel von Kassen wegen in die Hand zu geben.
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
90
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nt. 3.
und die Indikation hierfür etwas weiter zu stecken als für den künstlichen
Abort (schwer erschöpfende Krankheiten, sehr gehäufte Geburten).
Herr W e i s s.
Frl. Weber erklärt für die Aerztinnen ihre Uebereinstimmung mit den
vorgetragenen Anschauungen.
Herr Schottmüller. Fr. Wohlwill -Hamburg.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Mai 1920.
Vorsitzender: Herr W i l m a n n s.
Schriftführer: Herr Beck.
Herr Moro: Uebererregbarkelt des vegetativen Nervensystems Im
Frähiahr und Ekzemtod.
Der Vortrag ist als Originalartikel in Nr. 23 der M.m.W. erschienen.
Herr .Adam: Die Bedeutung der lahreszeitlichen Konstitution für die
Entstehung von Epidemien.
Die Kontaglonslehre hat die Epidemiologie in ungeahnter Weise ge¬
fördert. Die Qrundanschauungen Robert Kochs sind nnerschüttert und
werden es stets bleiben. Immerhin gibt es in der Lehre von der Entstehung
der Epidemien einige Fragen, die nicht restlos befriedigend geklärt sind, z. B.
die des vorzugsweisen Auftretens von Seuchen in bestimmten Jahreszeiten.
Es ist sicher, dass manche Infektionskrankheiten zu allen Jahreszeiten
epidemisch auftreten können, aber das sind eher Ausnahmen. Mit der
Koch sehen Annahme der zufälligen Wasserleitungsinfektion ist z. B. der
plötzliche Ausbruch der Hamburger Choleracpidemie i. J. 1892 nicht völlig
geklärt, da in Hamburg nach einer Statistik Jessens (1896) auch 1876—86
und 1891 und 92 die Choleracpidemien immer plötzlich zu gleicher Zeit auf¬
traten, nach Pettenkofer eine Münchener Epidemie desgleichen (1854)
zu einer Zeit, in der dort 10 verschiedene Wasserleitungen vorhanden waren.
In Indien verschwindet die Cholera gerade zu Beginn der Regenperiode,
welche die Verbreitung fördern müsste.
Nach eigenen Beobachtungen in Mazedonien an grossem, sorgfältig ge¬
sichtetem Material konnte ebenfalls eine bestimmte Abhängigkeit von Ruhr,'
Paratyphus A und B, Typhus, Malaria, Rekurrens und Fleckfieber von der
Jahreszeit festgestellt werden. Wasserepidemien wurden in dem sommer¬
dürren Lande nicht nachgewiesen, mit der Fliegcnplage konnte nur Ruhr und
Paratyphus B in losen Zusammenhang gebracht werden. Die Epidemieaus--
brüche standen in enger Beziehung zum Wechsel der Jahreszeiten, ihre
eventuelle Verstärkung zu grossen Schwankungen innerhalb der günstigsten
Witterungsperiode. Der Witterungsverlauf wurde nach Verhalten von Tem¬
peratur und relativer Feuchtigkeit beurteilt. Höhepunkte von Ruhr- und
Paratyphus B-Infektionen fielen z. B. nicht mit der höchsten Hitze zusammen.
Obwohl die günstigste Entwicklungsmöglichkeit von Tertiana- und Tropika-
erregern an verschieden hohe Mitteltemperaturen gebunden ist, begannen
die Neuinfelctionen plötzlich zu gleicher Zeit, selbst wenn der Eintritt der
betreffenden Temperaturmittel um zwei Monate auseinanderlag. Auch in der
Literatur, und zwar gerade an den beiden grossen Streitobjekten der Koch-
schen und Pettenkofer sehen Lehrmeinungen, gibt es Belege für den Ein¬
fluss des Wechsels der Jahreszeiten. Schon Buhl hatte in seiner grund¬
legenden Arbeit gefunden, dass nach plötzlichem Wechsel des Qrundwassers
in München die Typhusepidemien auftraten. Niedriger Grundwasserstand war
auch in München kein Anlass für Typhusausbreitung, während bei relativ
hohem Epidemien auftreten konnten. Auch in Hamburg fiel der Ausbruch
der Choleraepidemie 1892 und, soweit frühere Beobachtungen (Jessen) in
vorbakteriologischer Aera ein Urteil gestatten, auch 'sonst mit dem plötz¬
lichen Uebergang der Sommer- zur Herbstperiode zusammen. Zur "Erklärung
dieses jahreszeitlichen Gebundenseins der Epidemien stellte Sydenham
1666 den Begriff der Constitutio annua genii epidemici auf,'0. Heubner
dachte an eine Constitutio generis humani. Diese Vorst(?llungen werden
erweitert zu einer Theorie der jahreszeitlichen Konstitution des Makro¬
organismus, welche einen jeweils besonders günstigen Boden für bestimmte
Erreger und Erkrankungsformen darbietet. Der Konstitutionswechsel bei
Akklimatisation an eine andere Jahre.szeit wird als auslösende Ursache
für die Erkrankung einer grösseren Anzahl Infizierter betrachtet. Ein Kon¬
stitutionswechsel des Erregers (Virulenzänderung) auf diesem veränderten
Boden ist nicht ausgeschlossen, sondern wahrscheinlich. Für die Annahme
einer jahreszeitlichen Konstitution sprechen eine grössere Zahl klinischer
und physiologischer Beobachtungen. Die Bedeutung des Konstitutionswechsels
spricht sich in der Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit physiologischer
Prozesse bei Wechsel der Lebensbedingungen aus. Auch dafür wird eine
Reihe von Beispielen angeführt. Sämtliche biologischen Beobachtungen dieser
Art deuten darauf hin, dass die Konstitution ein dynamisches Gleichgewicht
im Sinne du Bois Reymonds bzw. eine „funktionelle Verfassung“ ist.
Die Aenderung der Lebensbedingungen führt zu einem Konstitutionswechsel
und erzeugt die Disposition für das Haften des Erregers. Es besteht Grund
zu der Annahme, dass bei der jahreszeitlichen Entstehung und dem Verlauf
von Epidemien ein konstitutioneller Faktor, der als jahreszeitliche Konstitution,
zunächst des Makroorganismus, gedeutet wird, eine Rolle spielt.
Diskussion: Herr H. Kossel ist überrascht, dass Herr Adam
zur Erklärung des zeitlichen Auftretens epidemischer Krankheiten mit keinem
Wort die durch epidemiologische und experimentelle Beobachtungen festge¬
stellten Tatsachen über den Einfluss meteorologischer Faktoren auf die Ver¬
breitung der Zwischenträger, z. B. bei Malaria und Pest und auf die Ent¬
wicklung der Infektionskeime in den Zwischenträgern herangezogen hat. Dass
daneben Witterungseinflüsse auf den Makroorganismus eine Rolle spielen
können, ist bei Protozoenkrankheiten, wie bei der Malaria des Menschen
und der Hämoglobinurie der Rinder festgestellt worden. Aber die Verallge¬
meinerung dieser Feststellungen und ihre wahllose Uebertragung auf die
durch Bakterien hervorgerufenen epidemischen Krankheiten hat doch ihre
Bedenken. Wenn das Auftreten des Typhus in Mazedonien in den Herbst¬
monaten mit einer besonderen Disposition des Makroorganismus in dieser
Jahreszeit gerade für Typhus erklärt wird, so ist demgegenüber auf die
gewaltige Typhusepidemie in Pforzheim zu verweisen, die im Frühjahr 1919
auftrat im Anschluss an die Verseuchung einer Quelle im zerklüfteten Bunt¬
sandsteingebiet des Grösseltals mit Typhuskeimen. Ebenso wie hier das
Hineingelangen des Infektionskeimes in das Quellwasser genügte, um den
Typhus in den von der Qrösseltalleitung versorgten Teilen der Stadt zum
Ausbruch zu bringen, zeigen ähnliche Beobachtungen bei Cholera, dass die
Verbreitung auch dieser Seuche völlig unabhängig von der Jahreszeit sein
kann. Solche Tatsachen fordern dazu auf, da, wo eine Abhängigkeit von den
Jahreszeiten bei den Epidemien vorzuliegen scheint, nach anderen Erklärungs¬
möglichkeiten zu suchen, anstatt einen Konstitutionswechsel anzunehmen.
Wenn auch noch manche epidemiologischen Erscheinungen der völligen Auf¬
klärung harren, so sind doch gerade der Anschauungsweise der letzten Jahr¬
zehnte die grossen Fortschritte in der Bekämpfung der Seuchen zu verdanken.
Herr Rodenwaldt: Es kann selbstverständlich kein.Zweifel darüber f
bestehen, dass jahreszeitliche Schwankungen und Infektionskrankheiten häufig
parallel gehen. Für viele Seuchen bakterieller Aetiologie, noch mehr für
diejenigen protozoischer Aetiologie könnte man aus gemässigten Klimaten
wie aus den Tropen ein reiches Kurvenmaterial in dieser Hinsicht bei-
bringen. Es scheint mir jedoch weit fernliegender und gesuchter hier einen
unmittelbaren Zusammenhang zwischen den jahreszeitlichen Schwan¬
kungen und den der Infektion unterliegenden Individuen anzunehmen, als
vielmehr eine mittelbare Einwirkung jener Schwankungen auf die Keime
selbst oder ihre Ueberträger, Das gilt z. B. von der Malaria; besonders
deutlich wird es uns . beim Fleckfieber, wo der Gang der Epidemien ganz
zweifellos nur durch die‘Biologie der Laus bedingt ist. Ja hier gibt es
noch Zwischenglieder mittelbarer Wirkung. Wenn z. B. in Europa das
Fleckfieber mit beginnendem Sommer zu schwinden beginnt, weil die warme
Temperatur der Laus unzuträglich ist, so sollte man annehmen, dass in
wärmerem Lande, wie z, B. in der Türkei, eine Fleckfieberepidemie noch
früher zum Stillstand kommen müsste. Genau das Gegenteil ist der Fall;
sie dauert dort bis in den Sommer hinein und überdauert mitunter den
Sommer, weil der Türke sich selbst in der warmen Jahreszeit erst spät
zum Ablegen der Unzahl von Unterjacken und des vielmals umgewundenen
Gürtels entschlicsst, die den Läusen trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit
noch immer relativ günstige Bedingungen bieten.
Bei den Epidemien bakterieller Aetiologie ist auch eine nur mittelbare
Wirkung der Jahreszeiten noch schwerer zu erweisen. Ich konnte in Smyrna
Erkundigungen über die dort herrschenden Choleraepidemien seit den 40 er
Jahren des vorigen Jahrhunderts einziehen. Die Cholera hat dort zu Jeder
Jahreszeit geherrscht, im Frühjahr, im Sommer, selbst im Winter sind Aus¬
brüche vorgekommen. Dysenterieepidemien habe ich in der Türkei in der
Sommermitte, im November, im Frühjahr ihren Anfang nehmen sehen. Dass
Typhus- und Dysenterieepidemien im allgemeinen die wärmeren Jahreszeiten
bevorzugen, dürfte sich wiederum einfacher durch eine Wirkung auf die
Lebensbedingungen der Erreger und durch jahreszeitlich bedingte Ernährungs¬
gewohnheiten erklären lassen, als durch eine unmittelbare Wirkung der
jahreszeitlichen Schwankungen auf die Konstitution der Infizierten.
Herren Hirsch, Wenz, Moro, Adam.
Medizinische Geselischaft zu Jena.
Sitzung vom 12. Mai 1920.
Vorsitzender: Herr S t i n t z i n g.
Schriftführer: Herr E r g g e 1 e t.
Herr R ö s s I e weist das Präparat eines Lithopädion vor. welches das
Institut Herrn Bertram in Meiningen verdankt. Die betreffende Patientin
stürzte vor mehr als 20 Jahren im* 7. Monat der Schwangerschaft eine tiefe
Treppe hinab. Am nächsten Tage wurde ihr durch die Hebamme eine unvoll¬
ständige Nachgeburt entfernt. Es folgte eine schwere Baijchfellentzündung
mit jahrelangem Leiden. Jetzt Operation wegen fieberhafter Erkrankung durch
Bauchfellentzündung. Auslösung des mit dem Uterus fest verwachsenen
Tumors. An dem Uterus fand sich von der damaligen Uterusruptur noch
eine Narbe. Die Röntgenaufnahme ergibt alle gröberen Skeletteile des
Kindes wohlerhalten in der teilweise verkalkten Höhle.
Herr Ibrahim stellt ein Kind vor mit einer Myotonia congenita.
Differentialdiagnostisch kommt in Frage spinale Muskelatrophie (Werdnig-
H 0 f f m a n n).
Herr E r g g e I e t zeigt einen 29 jährigen Mann mit einer Knoeben-
gescbwulst der linken Augenhöhle. Ohne bekannte Ursache und ohne
Schmerzen hat sich seit 5 Jahren ein Exophthalmus entwickelt (Hertel:
R. 10, L. 18 mm bei 100 mm Abst.), hauptsächlich nach vorn und etwas
nach unten. Die Beweglichkeit des Augapfels ist wenig beschränkt. Man fühlt
im inneren oberen Augenhöhlenwinkel ein knochenhartes Gebilde von glatter
Oberfläche, das sich in Form eines Wulstes am Dach der Augenhöhle un¬
mittelbar hinter dem oberen Augenhöhlenrand bis zui schläfenseitigen Wand
fortsetzt. Die Röntgenplatte zeigt einen dichten, scharf begrenzten Schatten
im Bereich des vorderen Siebbeins, der sich auf der bitemporalen Aufnahme
bis in die Keilbeingegend erstreckt und einen durch eine Furche vom Hauptp-
körper getrennten Fortsatz bis zum Schläfenrand des Augenhöhlendaches
entsendet. Der Schnervenkopf eine Spur verwas-.hen. Sehschärfe: 5/5 f.
Wassermann: negativ. Es wird ein Siebbeinzellenosteom an¬
genommen. Immerhin muss erwogen werden, ob der Tumor vom Keilbein
ausgegangen ist. was möglich, aber selten ist, oder als reine Exostose vom
Augenhöhlendach; das ist noch viel seltener und unwahrscheinlich der Form
wegen und, weil die Hauptgeschwulst im Siebbein sitzt. Wo auch der Aus¬
gangspunkt sei, so ist ferner die Frage zu prüfen, ob nicht das Augenhöhlen¬
dach verdünnt oder durchbrochen ist und bei der Operation mit der Kröffnung
der Schädelkapsel gerechnet werden muss, eine Frage, die in der Kasuistik
eine Rolle spielt und in unserem Falle nahegelegt wird durch die Angabe des
Mannes, dass er vor Yk Jahr von tagelang anhaltendem Erbrechen heim-
gesucht worden sei, ohne dass eine Erklärung dafür ausfindig zu machen ist.
Die neurologische Untersuchung liefert keinörlei Anhaltspunkte für diesen Ver¬
dacht einer Einwirkung der Geschwulst auf den Schädelinhalt.
Nachtrag: Bei der Operation, die von der Augenhöhle aus die Ge¬
schwulst leicht beseitigte, wurde der Ausgang vom Siebbein erwiesen.
Glatter Heilungsverlauf.
Herr Qöbel: Ueber Encephalitis letfaargica. -
Vortragender demon.striert:
1. ein 9 Wochen altes Mädchen, das seit etwa 3 Wochen in einem
Zustand völliger Bewusstlosigkeit daliegt, meist mit geschlossenen Augen,
Digitized by Goiigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
PI
ohne le zu schreien, ohne Reaktion auf Schmerzreize. Vorübergehende Pu-
pillenditferenz mit Strabismus convergens. Langedauernde Fazialislähmung
luiks, Hypoglüssuslähmung rechts. Grosse Atmung mit Einziehung der Unter¬
lippe bei der Inspiration und geräuschvollem Herausblasen bei der Exspiration
(Parese des Muse, orbic. oris). ßei Drehung des Kopfes aus einer Seitenlage
in die entgegengesetzte bleiben die Bulbi zunächst in der alten Richtung .liegen,
folgen erst allmählich nach.
Auffallende Hypotonie des rechten Armes, bes. des Bizeps.
Ununterbrochene, fast rhythmische Bewegungen beider Beine, etwa 25 mal
in der Minute: Beugung im Hüft- und Kniegelenk, Dorsalflexion im Sprung-
Kelenk und massige Supination, nicht synchron der Atmung. Reflexe ohne
Besonderheit.
Lumbalpunktion: Druck nicht erhöht, Zellen nicht vermehrt. Nonne-
Apelt Phase 1 und P a n d y sehe Probe negativ, keine Qerinnselbildung.
Liquor steril.
Fieberkurve wegen gleichzeitiger Pyelitis nicht zu verwerten.
2. einen 10 jährigen Knaben, der Mitte Februar 1920 nach unbestimmten
Prodromen mit typischer Lethargie eingeliefert worden war: schlief fast den
ganzen Tag, wachte hie und da von selbst auf, war dann klar besinnlich.
Sehr auffallende Ptosis beiderseits, rechts mehr als links. Vorübergehender
leichter Meningismus. Reflexe normal. Lumbalpunktion: Druck 22 mm Hg
liegend, 15,5 Zellen pro Kubikmillimeter, vorwiegend Polynukleäre, Alb.
Teilstrich nach N i s s l, Nonne-Apelt Phase 1 und P a n d y sehe Probe
negativ. Keine Gerinnselbildung. Aus dem Liquor ein vielleicht mit dem
Üiplo-Streptococcus pleomorphus Wiesmer identischer Erreger gezüchtet, dessen
genaue Identifizierung durch das Hygienische Institut noch im Gang ist.
Fieberloser Verlauf.
Genesung nach 14 Tagen; völliges Verschwinden der Ptosis und Rück¬
kehr der alten psychischen Regsamkeit aber erst nach 2—3 Monaten.
Aussprache: Herr Hüne: Aus der Lumbalflüssigkeit eines etwa
lö Jahre alten Kranken der Universitäts-Kinderklinik wurde ein dem von
V. E c 0 n o m o und Wiesmer beschriebenen Diplo-Streptokokkus fast in
allen Eigenschaften gleichender Keim gefunden: meist runde, vereinzelt ovale
bis bauchige kurze Stäbchenformen; zu zweien, auch in kurzen Ketten an-
geordnet; Gram-positiv, aber nicht sehr ausgesprochen. Wachstum am besten
auf frischen Agarplatten; kleine langsam wachsende, meist farblose, durch¬
sichtige Kolonien, ältere, etwas grau. Zusätze von Serum und Aszites ver¬
besserten das Wachstum nicht wesentlich. Auf Gelatine weissliche, fast
undurchsichtige Kolonien, im Stich nicht verflüssigend; Wachstum bis auf den
Grund gleich gut. In gewöhnlicher Bouillon kein Wachstum, in 3proz. Trau¬
benzuckerbouillon geringe Trübung, meist nur etwas Bodensatz, in dem der
Diplo-Streptococcus nachweisbar ist. Subkutan, intraperitoneal und intra¬
kranial geimpfte Mäuse blieben leben, ohne charakteristische Krankheits¬
erscheinungen. Immunisierung eines Kaninchens im Gange. Intravenöse Ein¬
spritzungen von Vi—14 einer Agarplatte lebender Kulturen wurden gut ver¬
tragen.
Von anderen klinisch sicheren oder verdächtigen Enceph.-Ietharg.-Fällen
bisher keine ähnlichen Keime aus Blut und Lumbalflüssigkeit züchtbar.
Herr R ö s s I e weist einige mikroskopische Schnitte der Hirnverände¬
rungen bei Encephalitis lethargica vor.
Herr S t i n t z i n g stellt von den in den letzten Monaten in der Klinik
zur Behandlung gekommenen 6 Fällen von Encephalitis lethargica einen
jungen Mann vor. bei dem sich im Verlaufe der Erkrankung eine (vorwiegend
rechtsseitge) Chorea entwickelt hat.
Fortsetzung der Aussprache folgt in der Sitzung vom 30. VI. 20.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. November 1920.
Herr Schackwltz: Die Untersuchungen der Selbsimordfllle am In-
siitat ffir gerichtliche Medizin.
Seit Januar 1919 wird in Kiel jeder einzelne Selbstmord in verschiedener
Richtung untersucht. Nach Benachrichtigung durch die Polizei wird der Tat¬
ort aufgesucht, die Umstände beim Selbstmord selber genau aufgezeichnet
und die Angehörigen und Bekannten Uber das Vorleben und die letzte Ver¬
anlassung zum Selbstmord eingehend befragt. Die Leiche selber wird zur
Leichenöffnung in das Institut geschafft. In den seltenen Fällen, wo die An-
rehörigen eine Ueberführung nicht wünschen, wird in der Wohnung eine
Leichenschau vorgenommen. In der Mehrzahl der Fälle wird von den An-
i^ehörigen die Untersuchung der Leiche gewünscht, weil sie so Aufklärung
darüber erhoffen, ob eine geistige Erkrankung des Selbstmörders Vorgelegen
bat; denn allgemein ist der Selbstmord eines geistig Gesunden eine Familien-
scliande. In anderen Fällen wird eine eingehende Untersuchung verlangt, um
die Ergebnisse bei der Erhebung von Renten- und Versicherungsansprüchen
zu verwerten. Von Januar 1919 bis Ende September 1920 wurden in Kiel
154 Selbstmorde, davon 59 Frauen (ca. 22 000 Einwohner) beobachtet. In
allen 154 Fällen konnte die Todesart festgestellt werden, in 121 Fällen konnte
eine Vorgeschichte ermittelt werden und in 111 Fällen wurde ausserdem eine
Leichenöffnung gemacht. Von den 154 Fällen wurde in 19 Fällen der Selbst¬
mord erst auf Grund der Leichenuntersuchung festgestellt, die bei 96 mit
unbekannter Todesursache eingelieferten Leichen vorgenommen wurde. Nach
den Todesarten wurde 47 mal Erhängen, 31 mal Vergiftung durch Leuchtgas,
30 mal Erschiessen, 22 mal Ertränken, 17 mal Vergiften, 4 mal Sturz aus
dem Fenster, 3 mal Schnittwunden und 1 mal Erdrosseln festgestellt. Die
Verteilung nach Altersklassen und nach der Jahreszeit war die aus der
Statistik allgemein bekannte. Als allgemeine Ursache konnten in 30 Fällen
Geisteskrankheit (meist Melancholie), in 20 Fällen krankhafte Erregungs¬
zustände, Fieberdelirien, hysterische Zustände, in 5 Fällen Schwachsinn, in
II Fällen Neurasthenie, in 21 Fällen psychopathische Degeneration und in
U Fällen chronischer Alkoholismus festgestellt werden. Von den 121 ge¬
nauer untersuchten Selbstmordfällen waren also 101-mehr oder weniger geistig
erkrankt. Bei den übrigen handelt es sich, soweit die Fälle aufgeklärt sind,
Tsistens um alte Leute, mit hochgradiger Arteriosklerose. Erbliche Belastung
IQ weiteren Sinne konnte 26 mal festgestellt werden, 10 mal handelte es sich
an wiederholte Selbstmordversuche, 16 mal wurden bei den Selbstmördern
Kbriftliche Aufzeichnungen gefunden. Physiologische Selbstmorde in dem
^inne, dass körperlich und geistig gesunde Menschen wegen widriger Lebens-
Qiständc Hand an sich, legen, wurden in der Beriebtszeit nicht sicher fest-
(•stellt. Krankhafte körperliche Befunde und konstitutionelle Eigentümlich¬
keiten sind bei der Analyse der Einzelfälle zur Beurteilung der Ursache kri¬
tisch verwertet worden.
• Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 21. Juni 1920.
Vor.sitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer; Herr Assenmachcr.
Nachruf auf Herrn Brohl.
Herr H u i s m a n s: 1. Fistula colil congenita.
Frau J., 68 Jahre alt. Vor 5 Jahren entstand an der 1. Halsseite eine An¬
schwellung, die nur beim Schlucken belästigte, langsam kleinapfelgross wurde
und bis ins Jugulum wuchs. Nach einem Jahre entleerte sich plötzlich blutig¬
schleimige Flüssigkeit, die Geschwulst verschwand und es blieb eine wie mit
Locheisen geschlagene, mit der Tradhea verwachsene, 1 cm tiefe, schwarzblau
verfärbte Narbe.
Seit der Zeit Parese des I. Rekurrens. Da gleichzeitig eine Narbe der
I. Spitze nachweisbar war, musste auch an einen Drüsen- oder Mediastinal-
abszess gedacht werden. Beides ist aber nach dem ganzen Verlauf aus-
iuschliessen. (Literatur u. a. bei W e n d r i n e r, D.m.W. 1919/49.)
2. Aortitis luetica.
Herr Wa., 33 Jahre alt, vor 15 Jahren Ulcus durum, jetzt WaR. negativ.
Diastolisches und systolisches Schwirren über der Aorta, Pulsus celer, Ver¬
breiterung der mediastinalen Dämpfung und des Herzens nach links. Bauch¬
aorta als 6 cm breiter pulsierender Strang zu fühlen.
Im Telekardiogramm starke diastolische Verschiebung des 1.
Herzrandes und systolische (2 cm) Verschiebung der Aorta descendens bei
ruhig stehendem Zwerchfell und minimalem Ausschlag des r. Vorhofes.
Eine Neosalvarsankur in Verbindung mit Hg und J bringt wesentliche
Besserung der subjektiven Beschwerden.
Bei der nachweisbar guten Funktion der 1. Kammer (diastolische Ver¬
schiebung 8 mm) bestand keine * Indikation für die Anwendung der von
Bock angegebenen Digitalis-Hg-Pillen (Med. Klinik 1920/16). Es ist ja über¬
haupt fraglich, ob mit Digitalis bei Aortenfehlern viel erreicht werden kann.
3. Ein Fall von seltener postdlphtheritischer Lähmung im Gebiet des
N. 111 und IV.
4. Halbseitige Zwerchfellparese bei Tumor malignus des r. Oberlappens.
Herr Schwann II: Ueber Well sehe Krankheit.
Bericht über einen Fall von Weil scher Krankheit mit tödlichem Verlauf.
Bemerkenswert ist, dass bei dem Patienten die Wassermann sehe Re¬
aktion stark positiv und die beiden Ausflockungsmethoden nach Sachs-
G e o r g i und M e i n i c k e negativ ausfielen. Die Diagnose „W e i 1 sehe
Krankheit“ wurde durch 'ilie Sektion und die mikroskopischen Präparate von
Niere und Leber bestätigt. Eine ausführliche Veröffentlichung dieses Falles
erfolgt an anderer Stelle.
Herr WI e m e r s: Sehnen- und Muskeloperatlonen ln der modernen
Orthopädie.
Nach einem geschichtlichen Rückblick über die Anfänge und den weiteren
Ausbau der Sehnenoperationen werden die einzelnen Methoden besprochen
und an Präparaten erläutert, unter besonderer Berücksichtigung der Sehnen¬
nähte. Definition der einzelnen Sehnen- und Muskeloperationen (Verlagerung,
Auswechslung, Plastik). Anwendung auf einzelne Krankheitsfälle (Indikation).
Demonstration mehrerer operierter Fälle, besonders Quadrizepsplastiken:
Röntgenbilder erläutern die periostale Anheftung der künstlichen (Seiden-)
Sehnen. (Reaktive Exostosenbildung des Periosts der Tibia.) Nachbehand¬
lung, mit besonderer Betonung der aktiven Muskelübungen.
Diskussion; Herr E. Mayer weist darauf hin, dass er zur Tun¬
nelierung eine gewöhnliche kräftige Klemme gebraucht. Er lässt nach Sehnen¬
überpflanzungen im allgemeinen die Patienten 6 Wochen im Verband liegen
und dann noch 2 Wochen im Verbände herumgehen, ehe er mit vorsichtigen
gymnastischen Uebungen beginnt. Auf Gymnastik selbst nach der Operation
legt er keinen sehr grossen Wert.
Aerztlicber Kreisverein Mainz
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. November 1920.
Herr Pappel: a) Zange nach Kiel fand, b) Rachlotom nach
Kästner.
a) Die gebräuchliche Zange ist kein Rotationsinstrument. Die Anlegung
bei nicht rotiertem Kopf stösst auf Schwierigkeiten, weil das „Wandern“
des Löffels häufig nicht gelingt. Am Kopf im Beckeneingang war. bisher
die Achsenzugzange, von der Vortr. das Modell von B r e u s s bevorzugt,
gebräuchlich. Sie fasst den Kopf quer und macht dabei schwere Ver¬
letzungen von Mutter und Kind. Die Schwierigkeiten und Nachteile des bis¬
herigen Vorgehens werden eingehend besprochen. Das neue Verfahren stammt
von K i e 11 a n d (1915). Mit diesem Instrument ist es möglich, der For¬
derung von Baudeloque und S m e 11 i e gerecht zu werden, d. h. die
Zange bei jeder Stellung des Kopfes in idealster Weise biparietal anzulegen,
d. h. also bei querstehender Pfeilnaht im geraden Durchmesser des Beckens.
Der Vortrag wird durch Demonstrationen am Phantom erläutert.
Vortr. hat bisher einen Fall nach K i e 11 a n d entbunden, 30 jähr. I.-para
mit starkem Fettpolster und sehr engen Weichteilen. Nach \ vollkommenem
Aufhören der Wehen und dauerndem Sinken der kindlichen Herztöne wird
bei im Beckeneingange stehenden Kopf, noch ziemlich erhaltener Zervix
und etwa 8 cm im Durchmesser geöffnetem Muttermund die Zange angelegt.
1. Schädellage, Rücken und kleine Fontanelle hinten. Die Umdrehung des
vorderen Löffels gelingt leicht, die Anlegung des hinteren Löffels ist schwierig.
Die Zange sieht mit der Konkavität nach rechts hinten. Nach tiefen Mutter¬
mundinzisionen Extraktion, leichte Rotation in der Beckenweite. Tiefe
Episiotomie. Knabe tief asphyktisch, wiederbelebt. Druckmarke an beiden
Wangen und Ohren, keine Lähmung. Wegen blutigen Urins Dauerkatheter
für einige Tage. Normales Wochenbett. Kind nimmt die Brust. Kielland
heisst die Zange der Zukunft. Die Technik muss am Phantom erlernt
werden.
b) Rachiotom. Demonstration und Bericht über eiiea oigeiei Fall
von verschleppter Querlage, in walcher dit Rachiotamle nad Eaankalion
spielend leicht gelang.
i
Digitized by
Go - gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
92
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1
Aerztlicher Verein zu Marburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. Juli 1920. ^
Herr M. Gfese: Ueber Vererbung bei schizophrenen und manisch'
depressiven Psychosen.
Nach einer Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der Erblichkeits¬
forschung im Bereich der Psychiatrie und über die Mendel sehen Gesetze
werden die Ergebnisse R ü d i n s hinsichtlich der Vererbung der Schizophrenie
besprochen. Es wird eine Familientafel mit überwiegend Schizophrenen
(Familie D.) und eine mit manisch-depressiven Erkrankungen (Familie J.)
demonstriert. Jene zeigt das Vorwiegen kollateraler Vererbung sehr deut¬
lich durch 5 Generationen hindurch; da, wo direkte Vererbung auftritt (hier
wohl zum ersten %le bei Schizophrenie durcH 3 unmittelbar aufeinander- |
folgende Generationen hindurch nachgewiesen), lässt sich doppelseitige schizo¬
phrene Belastung (mit Heterozygie des nicht schizophrenen Elters) feststellen.
Hingewiesen wird auf die zum Teil weitgehende Aehnlichkeit des klinischen
Typs der manifesten Schizophrenien sowohl wie der schizoiden Psychopathien
in dieser Familie, eine Beobachtung, die in gleicher Weise wie die ent¬
sprechende Beobachtung in der manisch-depressiven Familie J., im Lichte •
der biologischen Forschung bedeutungsvoll erscheinen muss, als greifbare
Grundlage für das Postulat einer Erbpsychose im Sinne Bleulers. —
Hinsichtlich der Einzelheiten der Familientafel D. wird auf die von Herrn
Heise aus Bentheim verfasste Marburger Inauguraldissertation „der Erb¬
gang der Schizophrenie in der Familie B.“ verwiesen.
Die Stammtafel der Familie J. enthält nur typische manisch-depressive
Psychosen, durch 3 Generationen hindurch kontinuierlich vererbt: Vom Gross¬
vater (gesunde Frau) auf 2 Söhne, die beide von gesunden Frauen (Schwestern)
neben mehreren gesunden 1 bzw. 2 manisch-depressive Kinder haben, der
eine einen kranken Sohn, der andere 2 kranke Töchter. Auffallende Ueber-
einstimmung des klinischen Bildes der Psychosen bei Grossvater, beiden
Söhnen und dem einen Enkel: Rein depressive Anfälle, überwiegend und
am schwersten zwischen 35 und 45 Jahren mit sehr ähnlichem Symptomen-
bild (Angst, Hypochondrie, religiöser Versündigungswahn), meist laugdauernde
-Anfälle, 1 Jahr und darüber, mit Ausgang in Genesung und geringer Neigung
zum Rezidiv, das bei dem einen Bruder erst im 80. Jahr, 45 Jahre nach
dem ersten Anfall, kurz vor dem Tode wieder eintritt. Eine Abweichung
vom Typus bilden nur die beiden Enkelinnen, von denen die ältere schon
mit 24 Jahren an einem im übrigen sehr ähnlichen depressiven Zustand
erkrankte und mit 26 Jahren Selbstmord beging, während die jüngste in
dieser Reihe bereits mit 14 Jahren an manischen Anfällen erkrankte, die
sich in der Folge in kurzen Zwischenräumen wiederholten, mit nur ge¬
ringen depressiven Beimengungen.
Dieselbe weitgehende Uebereinstimmung wie das klinische Bild der aus¬
gebildeten Psychose bietet unter den Mitgliedern dieser Familie der vor¬
psychotische und intervalläre Zustand: Der Grossvater, die beiden Söhne und
der eine Enkel sowie dessen Base, die ältere Enkelin, waren sämtlich sehr
ernst veranlagte, tief religiös gerichtete, zum Teil einem einseitigen Sektierer¬
tum ergebene, dabei hoch intelligente Menschen, die iin Leben ihren Platz
auszufüllen wussten; ähnliche Eigenschaften werden auch von einigen bisher
nicht krank gewordenen Geschwistern der jüngsten Generation berichtet.
Eine fruchtbringende Weiterentwicklung der psychiatrischen Erblichkeits¬
forschung verspricht sich Vortr. durch noch weitergehende Nutzbarmachung
der Ergebnisse der Biologen nicht nur. sondern auch der praktischen Tier¬
züchter, Hippologen usw. . Er verweist besonders auf die Arbeiten von
Fr. Becker (in „Vollblut", Bd. 11 H. 4 und besonders Bd. 111 H. 1
„zum Ursprünge des Vollblüters“), durch welche der Nachweis erbracht zu
sein scheint, dass (wenigstens beim Pferd) in der Keimanlage eine Ver¬
koppelung von gewissen morphologischen und funktionellen Eigenschaften
gesetzmässig anzutreffen ist, z. B. rein braune Farbe von dominantem Cha¬
rakter mit gesteigerter Leistungsfähigkeit und durchschlagender Vererbungs¬
fähigkeit derselben, oder Fuchsfarbe, verbunden mit hervorragendem Spring¬
talent, das sich auf die fuchsfarbenen Nachkommen in stärkerem Grade ver¬
erbt als auf die braunen. . Dass der Nachweis ähnlicher Verhältnisse beim
Menschen für die Erblichkeitsforschung von grösstem Wert wäre, liegt auf
der Hand.
Diskussion: Herr T u c z e k.
Herr Scharnke: Die M e n d e 1 sehen Regeln lassen sich bezüglich
der Zahlenverhältnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen.
Wenn Versuche mit Pflanzen gemacht werden, wenn also z. B. weiss-
samiger und braunsamiger Senf gekreuzt werden, so werden doch wohl alle
oder fast alle weiblichen Keime befruchtet und ihre Frucht dient dann zur
Berechnung des Ergebnisses. Beim Menschen ist das ganz anders. Wir
könnten die Richtigkeit der Mendel sehen Gesetze beim Menschen streng
genommen nur dann nachweisen, wenn wir die Entwicklung sämtlicher Ovula
zu ausgewachsenen Menschen verfolgen könnten. Davon ist aber in der
Praxis keine Rede. Wenn wir annehmen, dass die Ovarien einer Frau
etwa 300 Ovula reifen lassen, so wird doch nur ein kleiner Bruchteil
davon befruchtet und noch weniger kommen zur vollständigen Entwicklung.
Wenn also wirklich ein bestimmter Bruchteil der Ovula einer Frau die Anlage
zur Schizophrenie dominant oder rezessiv in sich trägf^, so ist es doch völlig
dem Zufall anheimgegeben, welche Ovula befruchtet werden und zur Ent¬
wicklung kommen. Der Zufall könnte es z. B. wollen, dass nur dominant¬
schizophrene Ovula befruchtet werden. Das gibt dann, wenn nur wenige
Familien der Berechnung zugrunde gelegt werden, leicht ein ganz falsches
Bild.
Um das Walten des Zufalls auszuschliessen, darf man sich meines
Erachtens bei der Uebertragung der Mendel sehen Gesetze auf den Men¬
schen nur auf sehr grosse Zahlenreihen stützen, weil man nur dann an-
nehmen darf, dass die Zufallswirkung kompensiert wird.
Herr G i e s e geht kurz auf die Technik der statistischen Erblichkeits¬
untersuchungen ein und gegenüber Herrn T u c z e k auf die bisher bekannten
Beziehungen zwischen Schizophrenie und manisch-depressivem Irresein bei
der Vererbung von den Eltern auf die Kinder.
Herr Zelss: Bericht über die klinischen Erscheinungen bei 6 in der
Landesheilanstalt Marburg beobachteten Fällen von Encephalitis epidemica
und Demonstration eines Kranken, der 3 Monate nach Ablauf der akuten
Krankheitssymptome noch eine Reihe leichter nervöser Störungen aufweist.
Eine ausführliche Mitteilung über die Erkrankungen erfolgt an anderer
Stelle.
Diskussion: Herr Schilling berichtet Über die pathologisch¬
anatomischen Befunde bei Enzephalitis. — Herr E. Müller.
\ _
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
' (Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 31. Mai 1920.
Vorsitzender: Herr A. Mayer.
Schriftführer: Herr H a r t e r t.
Herr L i n s e r spricht über Behandlung septischer Erkrankungen mittels
Immunisierung.
Bei einer Streptokokkensepsis mit typischem Fieber, Vereiterung von
mehreren grossen Gelenken und schwerster Lebensbedrohung ist zuerst ohne
Erfolg die Vakzination mit Aiitovakzine, Kollargol in grossen Mengen, humanes
Norrnalserum versucht worden. Dann gelang es, den Pat. noch in über¬
raschend kurzer Zeit zu retten, indem man ihm Humanserum injizierte in
Menge von ca. 100 ccm, dessen Spender vorher mit Autovakzine des Er¬
krankten vorbehandelt worden war. Diese Methode hat bei chronischer
Sepsis zweifellos gute Aussicht bei einfacher Anwendungsweise.
Es wird dann noch über ähnliche Versuche bei anderen Erkrankungen
berichtet, über die aber noch keine solch ermutigenden Resultate vorliegen.
Diskussion: die Herren Reich und E. Vogt.
Herr Weinhardt: Ueber Stomatitis ulcerosa.
In letzter Zeit w'urde eine grössere Anzahl von Fällen zum Teil schwerster
Stomatitis ulcerosa in der Tübinger Hautklinik beobachtet. Es wurden stets
fusiforme Bazillen und verschiedene Arten von Spirochäten wie buccalis.
media und dentium im Abstrichpräparat fast in Reinkultur gefunden. Da
eine isolierte Züchtung derselben nicht geglückt ist, wurden direkte Ueber-
tragungen von Mundspirochäten und fusiformen Bazillen auf die Wangen¬
schleimhaut und die Vagina von Kaninchen gemacht, was in einem Falle ge¬
lang, wo sich innerhalb weniger Tage an der Vagina des Kaninchens ein
kleinhandtellergrosses Ulcus bildete, das im Abstrichpräparat neben wenigen
Stäbchen und Kokken reichlichst fusiforme Bazillen und Spirochäten ver¬
schiedener Arten aufwies. Nach 9 Tagen w'urde das Kaninchen getötet und
mehrere Probeexzisionen gemacht, die nach Gram und Levaditi gefärbt
wurden. Während nach Gram an der Oberfläche nur Gram-positive Kokken
gefunden wurden, zeigten sich bei der Levaditifärbung bis tief ins Qew'cbe
eindringende fusiforme Bazillen und an der Oberfläche neben Kokken ganz
vereinzelte Spirochäten. Es lassen sich in diesen Schnitten folgende drei
Schichten unterscheiden: eine oberflächliche Schicht mit Kokken, fusiformen
Bazillen und ganz vereinzelten Spirochäten, eine mittlere Schicht, die nur
reichlichst fusiforme Bazillen aufweist, mit nekrotischen Gewebsteilen — hier
liegen die fusiformen Bazillen oft in dichten Schwärmen an Gewebsfetzen.
umgeben von Leukozyten — und eine dritte Schicht voll massenhafter
Leukozyten und Trümmer fusiformer Bazillen. Das angrenzende normale
Gewebe ist vollständig frei von Bakterien. Es sind hier zw'cifellos die fusi¬
formen Bazillen invasiv geworden, wofür auch die defensive Reaktion der
Leukozyten in der dritten Schicht spricht. Auf Grund dieser Untersuchungen
glaubt der Vortragende annehmen zu können, dass die Stomatitis ulcerosa
durch den Bacillus fu.siformis hervorgerufen wird; den Spirochäten wie den
anderen Mikroorganismen kommt dabei nur eine saprophytische Rolle zu.
Was die Therapie betrifft, so wurde auf Neosalvarsan keine F.inwirkung
gesehen, die Spirochäten nahmen nicht ab. 4 Patienten haben bis zu 10 In¬
jektionen Neosalvarsan ä 0,45 ohne jeden Erfolg bekommen. Dagegen wurde
durch Perhydrittabletten, mit deren Lösung der Mund möglichst häufig aus¬
gespült w'urde, und durch Salizyl-Glyzerin-Alkohol, woinft die kranken Stellen
Zweimal täglich eingepinselt wurden, ein äusserst rascher, glänzender Erfolg
erzielt.
Diskussion; Herr Perthes.
Verein der Aerzte in Steiermark.
Sitzung vom 29. Oktober 1920.
Herr H e r 11 e hält einen Demonstrationsvortrag über retropharyngeale
Struma, die als echter, d. h. vollkommen selbständiger oder als falscher
Nebenkropf zur Beobachtung kommt. Sein Fall war ein sogen, falscher
Nebenkropf, der mit dem rechten Strumalappen durch eine dünne Brücke
zusammenhing. Er war symmetrisch zu beiden Seiten gelagert und vom
Munde aus deutlich tastbar. Ausserdem bestand eine auch im Röntgenbilde
deutlich nachweisbare starke Kyphose der Halsw'irbelsäule, wie sie in den
meisten Fällen von retropharyngealer Struma vorhanden zu sein scheint, ln
einem Fall von Reich fand sich sogar eine fast spitzwinkelige Abknickung
der Wirbelsäule, wie bei einer Spondylitis des 4. Halswirbels. Alle
bisher beobachteten falschen Nebenkröpfe sind mit einer einzigen Aus¬
nahme vom rechten Kropflappen ausgegangen und entwicKelten sich awischen
dem 15. und 30, Lebensjahr.
In der Wechselrede bemerkt W i 11 e k, dass es eine physiologische
Kyphose der Halswirbelsäule picht gibt. HerTle glaubt, dass eine ständig
durch lange Zeit wirkende Kraft doch eine solche Deformität hervorrufen
kann, besonders bei dem auch sonst bestehenden Zusammenhang zwischen
«Knochcnsystepi und Kropf.
Weitere Demonstrationen von den Herren Linhart, Erlacher und
P o s s e k. . E.
Vereinsversammlung vom 19. November 1920.
Herr N i n a u s: Demonstrationen.
Herr Reuter hält einen Vortrag über: „Die pathologisch-anatomischen
Veränderungen beim Tode durch Vergiftung".
Zunächst betont Reuter die 'Wichtigkeit der Kenntnis dieser patho¬
logisch-anatomischen Veränderungen und hebt besonders hervor, dass eine
genaue Obduktion in Fällen von tödlicher Vergiftung unbedingt notwendig ist
schon deshalb, um die Todesursache einwandfrei festzustellen. Sodann gibt
Reuter eine Einteilung der Gifte. Er scheidet sie in Qif'.e mit c b a r a k -
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21. J anuar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
93
(cristischem anatomischen Befund, und in solche ohne
charakteristischen anatomischen Befund. Zu ersteren rechnet
er die Aetz- und lokaliritierenden Gifte, die Blausäure und giftigen Zyanide,
die Blutgifte und Parenchyragifte. Zu d-*n letzteren die Narkotika, Kranipf-
jiiic und übrigen Alkaloide. Die Aetz- und lokaliritierenden Gifte teilt Reu¬
ter weiters ein: in die ätzenden anorganischen und organischen Säuren, in
die Gruppe der Karbolsäure, Kresole, Lysol und verwandte Präparate in die
at^c•nden Alkalien und ätzenden Metallverbindungen, in die ätzenden Dämpfe
und Acria. Reuter betont, dass diese Einteilung, wie jede Systematik,
den Verhältnissen in der Wirklichkeit bis zu einem gewissen Grade Ge¬
walt antut, doch entspricht sie den praktischen Bedürfnissen des Gerichts-
jritcs. An der Hand vo'h ausgezeichneten naturgetreuen Farbenbildern,
*c!clie reproduziert werden, schildert nun Reuter die einzelnen anatomi-
schea Veränderungen bei verschiedenen Giften und erläutert die differential-
(i jtnostischen Merkmale. R e n t e r demonstriert u. a. Fälle von S c h w e -
ilsäure-, Salzsäure-, Salpetersäure-, Karbolsäure-,
[yj,ol-. Lauge-, Sublimat-, Zyankalium-, Phosphor-,
Arsenik- und Kohlenoxydgasvergiftungen.
fferr Trauner hält seinen Vortrag: Zur Aetiologle der hämorrhagischen
Diatbese.
Cr hat mehrere Todesfälle nach schweren Blutungen aus dem Munde
verfolgt und glaubt in allen seinen Fällen einen Zusammenhang zwischen Sonne
und übermässiger Besonnung und der hämorrhagischen Diatiiese feststellen
:u können. In einem Falle war ö Tage vor dem Tode ein übermässig aus¬
gedehntes Sonnenbad genommen worden; ein zweiter Fall hat sich immer
lui Inspizierungen im Süden aufgehalten und ein dritter war ebenfalls immer
viel in der Sonne gewesen. Hat auch mehrere Fälle von anderen Beobach-
!crn gesammelt und glaubt aus der Literatur f.eststellen zu können, dass Skor¬
but hauptsächlich dort auftritt, wo eine übermässige Sonnenwirkung statt-
•Indel: in den Tropen, bei der Segelschiffahrt, in den Polargegenden, und
•.redlich beim Militär, namentlich während des Krieges. Trauner hat dann
2it Blutgerinnung unter der Quarzlampe untersucht und dabei .gefunden, 1. dass
dit Blutgerinnungszeit durch medikamentöse Dosen der Quarzlampe ver-
ängert wird, aber sie ist geringer bei sonnenfesten Menschen als bei
jnderen. 2. Sonnenempfindliche Menschen, welche auf Bestrahlung re-
;igieren. zeigen auch für sich alleia, unter der Lampe eine Verlangsamung der
Ginnnungszeit. 3. Körperlich geschwächte Kinder reagieren noch deutlicher.
Sach langen wiederholten Bestrahlungen tritt Gewöhnung ein, so dass die
'leriunungszeit wieder kürzer wird, aber nicht mehr zur Norm zurückkehrt.
In der lebhaften Wechselrede sprechen sich Witte k, Kossler,
Ninaus, Rössler und P r a u s n i t z gegen den gefolgerten Zu-
vammenhang zwischen Besonnung und hämorrhagischer Diathese aus, wei.^en
ü’jt die hervorragend günstigen Erfolge der Sonnenheilstätten hin, und be-
loiien übereinstimmend, daSs eine vernünftige Besonnung einem gesunden
Menschen nie geschadet hat, dass höchstens ein nicht normales Gefässsysteni
darauf reagieren könne. Auch darf man die bekannte Wirkung der Vitamine
ai Skorbut nicht einfach vernachlässigen. E.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztllcher E^ezirksvefein Erlangen.
Sitzung vom 23. November 1920.
Herr Mory: lieber Röntgentlefenbestrahliins ln der inneren Medizin.
!Mit Demonstrationen.) Ist bereits ausführlich erschienen.
Diskussion: Seitz, Wintz, ,Penzoldt, Graser, Wei-
-hardt, Hauser, Busch.
Geschäftliches.
Sitzung vom 21. Dezember 1920.
Herr Schneller demonstriert 3 Präparate von Magenschüssfen:
1. Pistolennahschuss: kleiner Ein- und Ausschuss;
2. franz. Infanteriegewehr-Nahschuss: grosser Ein- und kleiner Aus-
-huss;
3. Infanteriegewehrschuss aus 100 m Entfernung: grosser Defekt an der
.T ssen Kurvatur bei kfeinem Ein- und Ausschuss an der Haut.
Diskussion; Molitori^ Hauser. Penzoldt, Jamin.
Herr Busch: Zur mechanisch» Entstehung des Magen- und Duodenal-
tc-sciiwürs.
Im Anschluss an die Beobachtung eines rasch entstandenen und von
•noration gefolgten Defektes der Magenwand an der kleinen Kurvatur in der
■'^be der Kardia, bei hochgradiger Ueberfüllung des Magens mit gärendem
bah. wird die Entstehung dieses frischen hämorrhagischen Infarktes er-
Nach dem klinischen Bilde ist die Perforation kurz nach Einnahrde
^ r Unken Seitenlage eingetreten, führte zur sofortigen Erleichterung der Be-
-werden (Schmerzen) und zu einem rasch sich über den ganzen Körper
^'breitenden Hautemphysem. Tod nach etwa 3 Stunden. Der Defekt ist
:ii Verdauung eines scharf begrenzten, aus der Zirkulation ausgeschälteten
UinTkcs zu erklären, die Zirkulationsstörung möglicherweise durch maximale
'^.'engerung des durch das Magengewicht stark längsgedehnten zuführenden
cTissastes der Art. gastrica sin., das Emphysem durch Entweichen der
- ter hohem Druck stehenden Gärungsgase in das Retroperitoneum kranial-
*d kaudalWärts,
Eine primäre Ernährungsstörung umschriebener Wandabschnitte dürfu
Bedingung für die Entstehung der Mehrzahl aller Ulzera sein; ihre Form
/.. T, auch wohl ihre Grösse wird dadurch festgelegt. Frische Defekte
inen sich besonders zur Erörterung der .Aetiologie. Dehnungsulzera im
-besten Sinne des Wortes (durch Gefässdehnung) könnten durch Ptose ver-
2 '-chf werden. Eine eingehendere Behandlung findet die Frage ob durch
'ijkanämie in Ernährung und Vitalität gestörte Wandbesrkke zur Verdauung
d Qeschwürsbüdung gelangen kömfbn. Ein eigener Fall von Gallenblasen-
- dcnafistel (ohne nachweisbare Steinbildung) mit gleichgrosser Defekt-
t'jnz in der vorderen und hinteren Duodenalwand und der berührenden
trhbse kann so gedeutet wer'Üen. Die kleine Kurvatur und das obere
: -c-um liegen bald mehr, bald weniger der Wirbelsäule als einer harten
’.rhge auf, gegen die nun die erwähnten Magendarmteile durch Leber
d kippenbogen gepresst werden können. , Kommt es dabei etwa infolge
Uebererregbarkeit dej; Gefässverengercr zu genügend langer Unter-
-’ung des Blutstroraes, so kann Geschwürsbildung die Folg» sein. Form
j "< Grösse des Defektes sind dann abhängig von der Berührungsfläche des
, by Goiigle
komprimierten Organes mit der Unterlage (Wirbelsäule, Pankreas); der Sitz
des Geschwürs von der Lagebeziehung zur Unterlage, Diese und die Ver¬
hältnisse der Nachbarorgane (z. B. Form und Masse de)" unteren Thoraxaper-
fur) sind bei der Sektion zu berücksichtigen. (Näheres in dei ausführlichen
Mitteilung.)
Diskussion: Müller, Hauser, Penzoldt, J a m i n. Heim.
Mory.
Kleine Mitteilungen.
Zur Frage der Karenzzeit ln München.
Im Aufträge derjenigen Kollegen und Kolleginnen, die sich seit Ver¬
öffentlichung der Abschaffung der Karenzzeit (etwa 1 Juli 1920) zur Auf¬
nahme in den Verein für freie Arztwahl in München gemeldet haben,
geben wir der Kollegenschaft folgenden Sachverhalt bekannt.
Es wurde ungefähr 45—50 Kollegen, die sich zwischen 1, Juli und
30. September 1920 zur Aufnahme in den Verein f. fr. Arztwahl gemeldet
hatten, der ungefähr wörtlich gleichlautende Bescheid, sie könnten satzungs-
gemäss erst ab 1. Januar 1921 (nach Aufnahme in den Verein) zur Kassen¬
praxis zugelassen werden. Dies war aber nicht der Fall, Es wurde
vielmehr jedem einzelnen, der sich bei der Geschäftsstelle persönlich er¬
kundigte, die Antwort zuteil, die Kassen wollten neuerdings die Karenz¬
zeit eingeführt wissen, und der Verein f. fr. Arztwahl könnte bis zur
Entscheidung dieser Angelcgenhe^ keine Neuaufnahmen von Aerzten vor¬
nehmen.
Dieser Bescheid, der uns alle in massloses Erstaunen versetzte, wurde
uns um Neujahr und die ersten Tage des neuen Jahres.
Da die Mehrzahl der Kollegen sich lediglich durch das feste Versprechen
der Zulassung zur Kassenpraxis zur Niederlassung veranlasst sah, sind wir
alle bis heute nicht nur materiell in erheblichem Masse geschädigt, sondern
sehen auch unser aller künftige Existenzmöglichkeit bedroht.
Abgesehen davon liegt — wer auch immer' der Urheber der Karenzzeit
sein mag — der rechtliche Standpunkt durchweg zu unseren Gunsten. Es
bestand weder satzungsgemäss gegen unsere Aufnahmen eine Einspruchs¬
möglichkeit — wir hätten vielmehr alle bereits vor Ablauf des Jahres 1920
aufgenommen sein müssen —, noch existierte zur Zeit unserer Meldungen
eine Karenzzeit.
Wir halten daher für undenkbar, dass uns in den jetzigen Zeiten die
Härten einer dreijährigen Karenzzeit aufgebürdet werden sollten, die erst
lange nach unseren Meldungen geschaffen wurde.
Auf alle Fälle bedarf die ganze Angelegenheit im. Interesse aller be¬
teiligten Kreise dringend der Aufklärung.
i. A. der von der Karenzzeit betroffenen Kollegen;
Dr. Geil Dr. S o n n e m a n n.
Aerztllche Kalender für 1921.
Zu den Kalendern, die die Krise glücklich überstanden haben, gehört der
„M edizinal-Kalender und Rezept -T aschcnbuch der
Allgemeinen Medizinischen Zentralzcitung (herau.s-
gegeben von Dr. R. L o h n s t e i n. Berlin, Verlag von O. C o1) 1 e n t z, Preis
20 M.), der jetzt im 28, Jahrgang erschienen ist. Der geschickt ausgewählte
Inhalt des Kalenders ist nach den neuesten Erfahrungen ergänzt. Bemerkens¬
wert ist, dass die neue preussische Gebührenordnung Aufnahme gefunden hat.
Für die Bedürfnisse österreichischer Aerzte unentbehrlich ist der von
Adolf K r o n f e 1 d herausgegebene Medizinal-Kalender und
Aerztliches Taschenbuc h. 63, Jahrgang. Wien, Verlag von
Moritz P e r 1 e s, 1921. Preis 45 M. Ausser vielen guten, für den Praktiker
geschriebenen Aufsätzen enthält er das Verzeichnis der^in Wien wohnhaften
Aerzte.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 19. Januar 1921.
— Die Berliner Geburtshilflich-Gynäkologische Gesellschaft nahm nach
einem Bericht von Prof, Dr, Schloss mann Stellung zu dem Gesetz¬
entwurf über die Neuregelung des Hebammenwesens. Die
Gesellschaft stellte sich dabei auf folgenden Standpunkt: „Die Befreiung des
Hebammenstandes aus den Fesseln mittelalterlichen Zwanges zu Beginn des
vorigen Jahrhunderts, die allgemein begrüsst wurde, wird durch das Gesetz
wieder rückgängig gemacht. Die Neuordnung führt den alten Zwang wieder
ein, schaltet die freie Konkurrenz aus und versperrt den tüchtigen unter den
Hebammen die Bahn. Der natürliche Trieb, sich durch besondere Leistungen
das Vertrauen des Publikums zu erwerben und so eine Praxis und eme ge¬
sicherte Lebensstellung zu erwerben, kommt bei der Anstellung mit festem
Gehalt in Wegfall. Das werden insbesondere die Volkskreise erfuhren, die
nicht in der Lage sind, durch gesetzlich nicht verbotene und kaum zu ver¬
hindernde Zuwendungen den Eifer der Hebammen zu erhöhen. Es liegt nahe,
anzunchmen, dass manche der festangestellten Hebammen wenig Neigung
zeigen werden, schwierige und langduuernde Entbindungen in entlegenen
Stadtbezirken unter ungünstigen äusseren Verhältnissen durchzuführen und
ein Mehr an Arbeit zu leisten, für das sie nicht bezahlt werden. Daran wird
auch die in Aussicht gestellte Prämie nicht viel ändern. Die Beschränkung
der freien Auswahl der Hebammen ist ein schwerer Eingriff in die Freihe.t
der Mütter, die ebenso wie die Kranken dem Arzt gegenüber das Recht be¬
anspruchen dürfen, die Person ihres Vertrauens ohne Rücksicht auf Wohn¬
stätte und Bezirk wählen zu dürfen. In (jros^städten und an den Grenzen
der einzelnen Bezirke werden sich bald Missstände ergeben. Die Hebammen
selbst sind durch die in Aussicht gestellte Bezahlung, welche dem Staate
grosse Opfer auferlegt, keineswegs befriedigt; sie halten bei ihrer schwere.i
und verantwortungsreichen Tätigkeit ein Gehalt, das noch lange nicht die
Höhe von dem eines ungelernten Arbeiters erreicht, für viel zu gerii.g.
Klagen werden auch in dieser Hinsicht nicht ausblciben. und es ist wali -
schcinlich, dass viele Hebammen durch Annahme von Geschenken versuchen
werden, sich ihre Einnahmen zu erhöhen, so dass für das Publikum an Stelle-
der bisherigen natürlichen Regelung der Hebanimcnhilfc mit Einführung de-s
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
94
MÜNCHENfJ^ MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
neuen Gesetzes doppelte Kosten entstehen. Die Berliner Geburtshilflich-
Gynäkologische Gesellschaft hält es für wohl durchführbar, eine materielle
Besserung des Hebammenstandes durch erhöhte Taxen und Gewährleistung
eines Mindesteinkommens in einzelnen Bezirken herbeizuführen, ohne die
freie Ausübung des Hebammenberufes einzuschränken. Sie ist einstimmig
der Ansicht, dass die Beseitigung der freien Berufstätigkeit, wie sie der
Gesetzentwurf vorsieht, einen Rückschritt und eine Schädigung der öffent¬
lichen Geburtshilfe bedeutet.“
— In Preussen ist ein Gesetz erlassen worden, demzufolge unmittelbare
Staatsbeamte, soweit sie nicht richterliche Beamte oder Lehrer an den
wissenschaftlichen Hochschulen sind, und Volksschullehrer mit dem auf die
Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden 1. April oder 1. Oktober in den
Ruhestand treten. Richterliche Beamte treten mit dem auf die Vollendung
des 68. Lebensjahres folgenden 1. April oder 1. Oktober in den Ruhestand.
Mit dem gleichen Zeitpunkte werden die Lehrer an den wissen¬
schaftlichen Hochschulen von ihren amtlichen Ver¬
pflichtungen entbunden. Das Gesetz tritt mit dem l. April 1921
in Kraft.
— Die in Berlin zwischen Aerzten und Krankenkassen zustande ge¬
kommene Vereinbarung beruht auf folgender Vereinbarung; Der Vertrag be¬
treffs ärztlicher Ver.sorgung der Mitglieder des Verbandes der Krankenkassen
Gross-Berlins wird zwischen diesem Verband und der wirtschaftlichen Ab¬
teilung des Gross-Berliner Aerztebundes abgeschlossen. Zur Tätigkeit bei
den Krankenkassen und zur Mitgliedschaft bei der wirtschaftlichen Abteilung
des Aerztebundes werden alle Aerzte zugelasscn, die den Vertrag
und die Satzungen der wirtschaftlichen Abteilung anerkennen und die den im
Juni 1920 zwischen den Spitzenorganisationen der Aerzteschaft und Kranken¬
kassen vereinbarten Verpflichtungsschein unterschreiben. Die Satzungen.
Instruktionen und Beschlüsse der wirtschaftlichen Abteilung des Berliner
Aerztebundes dürfen nichts enthalten, was mit den Bestimmungen des nun¬
mehr abzuschliessenden Vertrages in Widerspruch steht.
— Wie der Landesausschuss der Aerzte Bayerns mit¬
teilt, hat der Landesverband, bayerischer Ortskrankenkassen (Sitz Nürnberg)
auf Druck seines Hauptverbandes. (Dresden) hin erklärt, nicht in der Lage
zu sein, den Mantelvertrag, dessen Vereinbarung wir in vor. Nr.
mitteilten, zu unterschreiben. Die Verhandlungen mit der Arbeitsgemein¬
schaft der bayer. Krankenkassenverbände über diesen Punkt seien jedoch
noch nicht abgeschlossen. Die Einigung zwischen Aerzten und Kranken¬
kassen weist also noch eine bedauerliche Lücke auf.
— Im Laufe des Monats Januar haben die Aerzte zum ersten Male
Umsatzsteuer zu entrichten. Wir verweisen auf den in Nr. 16 1920
d. Wschr. erschienenen Artikel „Die neuen Steuern“ aus der Feder des
Steuersachverständigen Rechtsanwalt Dr. F ü r n r o h r, der die für den Arzt
wichtigen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes erörtert.
— Das Reichsfinanzministerium hat bestimmt, dass Anzahlungen auf die
Umsatzsteuer, die bis zum 31. Januar bei den Umsatzsteuerkassen ein-
gehen, mit 6 v. H. .verzinst werden und solche, die bis zum 31. März ein-
gehen, mit 5 v. H. Eine Vergütung von Zinsbeträgen unter 5 v. H. findet
nicht statt. Die Umsatzsteuer muss vom gesamten Solleinkommen, also mit
Einrechnung aller Praxisunkosten, entrichtet werden.
— Die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene hat
folgende E n t s'c h 1 i e s s ii n g gefasst: Die Berliner Gesellschaft für Rassen¬
hygiene erblickt in dem Gesetzentwurf der Regierung gegen die Ge¬
schlechtskrankheiten eine stumpfe Waffe im Kampfe gegen diese
immer bedrohlicher werdenden Kiankheiten, weil sic sich nur gegen die Ge¬
fahren bei der minderbemittelten Bevölkerung richtet und auch diese nur
ganz unvollkommen erfasst. Die Pflicht zur Behandlung durch einen Arzt
bleibt durch die Unmöglichkeit einer wirksamen Aufsicht eine papierene Ver¬
ordnung. Dahingegen kann der Gesetzentwurf Schirrmacher als ein
bedeutsamer Fortschritt gewertet werden. Die allgemeine Anzeigepflicht
ohne Namensnennung, aber mit steter Möglichkeit der Namensfeststellung, die
Beaufsichtigung einer geordneten Behandlung durch die Gesundheitsbehörde
und die Möglichkeit, den sog. Gefährdungsparagraphen mit Hilfe der Anzeige¬
pflicht wirksam zu machen, sind geeignet, die Verbreitung der Geschlechts-
leiden weitgehend einzudämmen. Die Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene
lehnt daher den Regierungsentwurf ab und tritt für den Entwurf Schirr-
m a c h e r ein, dessen Annahme sie im Interesse der Volksgesundheit fordert.
— Zur Feier der Entdeckung der Röntgenstrahlen vor
25 Jahren bringen „Die Naturwissenschaften“, Wochenschrift für die Fort¬
schritte der Naturwissenschaft, der Medizin und der Technik (Berlin,
J. Springer), eine Festnummer, die in ausgezeichneter Weise darlegt,
wie die Entdeckung der Röntgenstrahlen befruchtend, ja bahnbrechend auf
die verschiedenen Zweige der Naturwissenschaften eingewirkt hat. Das
geschieht u. a. duich Artikel von Lev y-Dorn (Röntgenstrahlen und
Heilkunde), v. Laue (Fejnbau der Kristalle), Rinne (Röntgenstrahlen und
Kristallographie), E. Wagner (Röntgenspektroskopie), W. K o s s e 1 (Atom¬
bau), P. Pfeiffer (Befruchtung der Chemie durch die Röntgenstrahlen¬
physik). Eine sehr gute Photogravüre Röntgens ist dem Heft beigegeben.
— Die Aerztliche Fortbildungsvereinigung Nürn¬
berg - Erlangen-Fürth veranstaltet in den Monaten Februar und März einen
Zyklus von Förtbildungsvorträgen mit folgendem Programm:
5. II. 21: Prof. Dr. v. Romberg über Nephritis. 12. II. 21: Prof. Dr,
L. R. Müller über Krankheiten des Orients. 19. II. 21: Prof. Dr.
Fleischer über die Vererbungsfrage in der Augenheilkunde. 26. 11. 21:
Prof. Dr. v. Zumbusch über die Frühbehandlung der Syphilis. 5. III. 21:
Geh. Hofrat Prof. Dr. Sauerbruch über Lungenchirurgie. 12. III. 21:
Prof. Dr. Toenissen über die Behandlung der Zuckerkrankheit und ihre
physiologischen Grundlagen. Die Vorträge finden immer Sonnabend nach¬
mittags 5 Uhr im Luitpoldhaus zu Nürnberg statt.
— Die Bonner Röntgenvereinigung veranstaltet vom 3.—9. März 1921
in den Universitätskliniken einen Aerztefortbildungskursus für
Röntgentherapie und Röntgendiagnostik. Zur Deckung
der Unkosten werden 100 M. erhoben. Anmeldungen an Herrn Dr. M a r t i u s,
Universitäts-Frauenklinik Bonn. Theaterstr. 5.
— Der nächste Kurs für Röntgentechnik im Frankfurter Uni¬
versitätsinstitut für physikalische Grundlagen der Medizin beginnt am
10. Februar 1921. Dauer 14 Tage. Prospekte durch das Sekretariat des
Institut«: Frankfurt a. M.. Theodor Stern-Haus, Weigertstrasse 3 .
— Die Bayerische Gesellschaft für Geburtshille
und Gynäkologie hält am Sonntag, den 30. Januar 1921, l Uhr im
Luitpoldhaus in Nürnberg eine Sitzung ab. An den zahlreichen angemeldeten
Vorträgen und Demonstrationen beteiligen sich die Aerzte der drei baye¬
rischen Universitäten und angesehene bayerische Frauenärzte.
— Am 1. April d. J. stellt das von Ragnar Berg geleitete physio¬
logisch-chemische Laboratorium des Dr, L a h m a n n sehen Sana¬
torium auf dem Weissen Hirsch bei Dresden als ein Opfer der Not der
deutschen Wissenschaft seine Tätigkeit ein, da die erdrückende Teuerung der
Laboratorium.sarbeit seine Weiterführung unmöglich macht. Unsere Wochen¬
schrift brachte wiederholt Arbeiten Ragnar Bergs aus dem L a h m a n n -
sehen Laboratorium.
Hochschulnachrichten,
Berlin. Der Privatdozentin Dr. phil. Rhoda E r d m a n n, Abteilungs¬
leiterin der Abteilung für experimentelle Zellforschung des Universitäts¬
instituts für Krebsforschung im Charitee-Krankenhause, ist ein Lehrauftrag
zur Vertretung der experimentellen Zytologie erteilt worden, (hk.) — Als
Nachfolger Emil Fischers wurde Hofrat Dr. Wilhelm S c h I e n k in Wien
auf den Lehrstuhl der Chemie an der Berliner Universität berufen. S c h 1 e n k
ist ein Schüler B a e y e r s.
Bonn. Am 9. Januar 1921 fand im physiologischen Institut der
Universität eine Gedenkfeier für den in Bonn geborenen Physiologen
Prof. Dr. Nathan Z u n t z statt anlässlich der Anbringung einer Gedenk¬
tafel an seiner Geburtsstätte, Es sprachen der Vorsitzende der med. Ab¬
teilung für Natur- und Heilkunde, Prof, Paul Krause und der Direktor
des physiol. Instituts, Max Verworn. Zuntz war Ehrenmitglied der
Gesellschaft. — Durch die Inkrafttretung des Gesetzes über die Alters¬
grenze werden betroffen die Professoren Anschätz (Chemie), Kuhnt
(Ophthalmologie), Rumpf (soziale Medizin).
F r a n k f u r t a. M. Zum erstenmal wurde zum Leiter des Stadt-
gesundheitsamts sowie zum Vorsitzenden des Krankenhauswesens
ein Arzt städtischerseits berufen. Dr. Karl Schlosser, der langjährige
ausgezeichnete und verdiente Vorsitzende des Frankfurter Aerzteverbandes
wurde zum besoldeten Stadtrat für das Medizinalwesen gewählt. Mit dieser
Wahl geht ein langgehegter Wunsch der Frankfurter Aerzteschaft in Erfüllung.
G ö 11 i n g e n. Die Georg-August-Lmiversität zu Göttingen zählt im
laufenden Wintersemester 3420 immatrikulierte Studierende, davon 756 in
der medizinischen Fakultät, davon 164 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.)
Halle. Dem Dozenten für Elektrotechnik am Polytechnikum zu Cöthen,
Bibliothekar Dr. phil Otto Müller, wurde ein Lehrauftrag zur Vertretung
der Elektromedizin an der Universität Halle erteilt, (hk.)
Königsberg. Zum Rektor der Universität für das Studienjahr 1920/21
wurde der ord. Professor der inneren Medizin Geh. Med.-Rat Dr. Max
M a 11 h e s gewählt.
Münster. Die Universität weist in diesem Winterhalbjahr 3862
immatrikulierte Studierende auf, davon in der medizinisch-propädeutischen
Abteilung (in der philosophischen und naturwissenschaftlichen Fakultät) 688.
darunter 247 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.)
Leipzig. Prof, Borst- München hat von der sächsischen Regierung
einen Ruf als Nachfolger Marchands als Professor der pathologischen
Anatomie und Direktor des pathologischen Instituts erhalten. — Zum Nach¬
folger des Geh. Rats Prof. P. Zweifel im* Ordinariat der Geburtshilfe und
Gynäkologie, sowie in der Leitung der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig
ist Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Walter S t o e c k e 1 von der Universität Kiel
in Aussicht genommen; der Leipziger Lehrstuhl der Pharmakologie an Stelle
des zurücktretenden Geh. Med.-Rats R. B o e h m wurde dem o. Professor
Dr, med, et phil. Hermann F ü h n e r in Königsberg i. Pr. angeboten. (hk.)
Todesfälle.
In Berlin starb der durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der Stoff¬
wechsel- und der Magendarmkrankheiten wohl bekannte Arzt Prof. Dr. Albert
A I b u, 54 Jahre alt.
In München verschied Prof. Dr. Leo G r U n h u t, Abteilungsvorstand an
der deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie, im Alter von
58 Jahren, (hk.)
Aufruf!
An die Herren Aerzte In Bayern!
Im Interesse wirkungsvoller Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
lässt der bayerische Landesverband für ärztliche Fortbildung mit Unter¬
stützung des Staatsministeriums des Innern und der Landesversicherungs¬
anstalten, unter Leitung der Universitätskliniken für Dermatologie kurzfristige
praktische Kurse über Geschlechtskrankheiten abhalten.
Die Kurse werden in verschiedenen Städten stattfinden, so dass sie
für jeden Arzt möglichst leicht erreichbar sind.
Die Kurse werden womöglich in Krankenhäusern, an zu bestimmenden
Tagen und Stunden, gehalten und werden 2—3 Stunden dauern. Sie sollen
im Frühjahr beginnen. Die Teilnehmerzahl soll 12 nicht stark überschreiten,
falls nötig, bei zahlreicherer Meldung, soll der Kurs am selben Ort wieder¬
holt werden. Die Kurse sind unentgeltlich, die zuständige Landesversiche¬
rungsanstalt wird den Herren, die nicht am Kursort wohnen, die Reisekosten
vergüten.
Wer von den Herren Kollegen an einem solchen Kurs teilzunehmen
wünscht, wird gebeten, sich möglichst bald zu melden, damit ein,
Ueberblick über die Frequenz gewonnen werden kann. '
Die Meldung wird (unter leserlicher Angabe von Name und Adresse)
erbeten an: Prof. Dr. Leo v. Zumbusch, München, dermatoIoKische
Universitäts-Poliklinik, Pettenkoferstrasse 8 a II.
Die Einladung wird für jeden Teilnehmer an dem Kursort erfolgen, den
er am leichtesten erreichen kann, die Wahl der Orte hängt von den Mel¬
dungen ab.
Schriftliche Einladung wird dann vom betreffenden Kursleiter jedem
Herrn rechtzeitig zugehen, Ausweis wegen Reisevergütnng wird beim Kurs!
übergeben werden. j
Bayerischer Landesverband Deutsche Gesellschaft zur Beklmphing der
für ärztliche Fortbildung. Geschlechtskrankheiten, Zweigverein BayernJ
Der Qeschäftsführer: L. v. Z u mb u s ch. 1
Verlag von J. F. Lehmann In München S.W. 2, Paul Heysettr. 26. — Druck von E. Mühlthaler'i Buch- und Kuiwtdruckerei A.O., München.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
>1. Januar 1921.
(^es. gesch.)
_ MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRlfT. _
tholaUoh
(ges. gesch.)
ChoMithiash
Spezifisch wirkendes die Leberzellen zu verstärkter Galleproduktion anregrendes
Ct\ol£kgogum
Verfl. Therapoutiflohe Halbmonatehefte Nr. 13 , „Die galletreibende Wirkung des PfefferminzölB“ von Professor Dr. R. Heinz, Erlangen
mit Anmerkung von Geheimrat Prof. Dr. v. Noor den, Frankfurt.
^'tRJUfJsi'ss^r »uMchcM
25
Dr. Wander’s
Ovomaltine
geeignetes Nährpräparat
bei
Scrophulose und
LIt.: Dr. Sittler, P.-D., Kolmar i. E.
Fortschritte der Medizin, 1910, 33
Rhachitis
Lit.: Dr. Winternitz, Professor, Hallo a. S.
Lehrbuch der Therapie innerer Krankheiten
Dr. A.Wander
G. m. b. H.
Osthofen, Rheinhessen
Bombelon‘‘ Cornutinum ergoticum jyBombelon**
Name
ges. geschützt.
Das zuverlässige
Mutterkopn-
Präparat
Literatur und Proben
kostenfrei.
Packanoen:
Flagchen za 25 and 10 g
Ampullen zu 1,1 und 0,6 com; Schachteln za 5 o. 10 Stück
Tabletten zu 0,5 g; Röhren zu 20 und 10 Stück
Kleine Paokangen:
Flaschen zu 5 g
Ampullen Schachteln zu 3 SL
Spezlflcnm bei Menorrhagien, Metrorrhagien im Kllmakterinm, bei Ruhr usw.
Prophylaoticnm während der Nachgebnrts- und Involutionsperiode, nach
Abort, bei Atonie post partum usw.
H. Finzelberg’s NacHf.» CHem. Werke, Andernach a. Rh.
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
FLÜSSIG
TAßumn
AMPULUN.
MANNHm
Literatur.
Der Schriftleitung zur Besprechung zugegangen:*)
November 1920. (Schluss.)
Scripture E. W., Description of a laryngostroboscope. 8.-A. Procecdlng« of the | U n ge r m an n B. u. Zu e I z e r M., Beltrftg« *ar exper. Pockendiagnose, zur flisU)
Royal soclety of mediclne. Vol. XIII, 1920.
Serson, Die Verhütung der Schwangerschaft. Berlin W. 1920. Enck.
Silbergleit H, Die Säuglinpssterbllchkeii in Berlin Im Kriege und später. 8.-A.
Gross-Berlin. Stat. Monatsber chte. 6. Jbrg., H. 12, 1920.
Silex P, Kompendium der Augenheilkunde. 11. u. 12. Aufl. Berlin 1920. 8. Karger
Pr. 20 M.
8opp A., Gesundhells- und zeitgtmässe Ernährung. Leipzig 1911. C. Kabitzsch.
Stekel W., Die Impotenz des Mannes. Berlin, Wien 1920 Urban «fc Schwarzenberg.
Pr. 50 M.
Stock-Stähler, Praktikum der quantitativen anorganischen Analyse. 8. Auflage
Berlin 192». Springer. Pr. 16 M.
Stoeckel W, Lehrbuch der Geburtshilfe Jena. Q. Fischer. Pr. 75 M. geh. 92 M.
logie des kornealen Impfeffekts u. zum Nachweis der Guarnlerischen Körpereben-
8.-A. Arbeiten a. d Reichsgesundheitsamte. Bd. 52, H. 1, 1920.
Vllliger E., Gehirn und Rückenmark. 5.-7. Aufl. Leipzig 1920. W. Engelmann.
Voigt J , Zur Frage der Protoplasmaaktlvlerung. S -A. Kolloid-Zeitschrift. 27. Rd
H. 4, 1920.
Wagner M., Deutschlands Schicksal? Frankfurt a. M. 1921. M. Wagner.
V. Waldeyer-Hartz, Lebenserinnerungen. Bonn 1921. Fr. Cohen. Pr. 88 M.
geb. 44 M.
Williger P., Zahnärztliche Chirurgie. 4. Aufl. Leipzig 1920. Klinkhardt.
Ziehen Th . Leitfaden der physiologischen Psychologie ln 16 Vorlesungen. 11. ura-
gearb. Auflage. Jena 1920 G. Fischer. Pr. 60 M. geb. 70 M.
Btudies from the Rock^^feller Institute for medical Research. Vol. 34 New York 1920. | Zuel ze r M., Beiträge zur Bl^ogie von Argas perslcus Wldh. 8-A. Arbeiten a. d
Rockefcller Institute for med. Research.
Reichsgesundheitsamte. Bd. 52, H. 1, 1920.
Tandler-Ranzl, Chiiurglsche Anatomie und Operationstechnik des Zentralnerven- I Zweifel E., Wirkt fötales 8<rum artfremd auf das Muttertier? Mönchen u. Wies-
systems. Berlin 1920. J. Springer. Pr. 50 M.
baden 1920. J. F. Bergmann. Pr. 14 M.
*) Eine Yerpflichfang zar Besprechang oder zur Zorilcksendung nicht besprochener Werke übernimmt die Sohriftleitang nicht Schriftl eita uf.
I I Fordern Sie Beschreibungr und Katalog:. I
g Die Anfertigung erfolgt in:
i Dpfillvi-Sohöneberg durch Deutsche Kunstglleder-
y Gesellschaft m. b. H., Hauptstrasse 5 und 11
1 CoblOnZ durch Institut Fendel, Karthauserstrasse 4-8
^ DppöriÄn-N durch Kreiswerkst&tten G. m. b. H.,
J liresaen n. Planitzstrasse
§ Erfurt durch Wilhelm Bücher, Gartenstrasse 8
f? HambUl^ durch Ad. Krauth, GAnsemarkt 68
2 Königsberg 1. Pr. 8
s Mn crH Ahn rer Orthopäd. Werkstätten von Prof. Dr.
I Blencke.Könlgstr.67/09u.Kalserstr. 38
MflnctApf WActf durch Carl Brinkmann Nachf..
munsieri, wesu. Alterflschmarkt 6
Oldenburg 1. Gr. »?li 5 s“ 2 Ö
Schwerin!. M. durch G. Hotfmann, Bisohofstrasse 1
Das Kunstbeln wird von Jeder
Versorgrungrsstelle bewilligt.
Digitized
Goi 'gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
upersan
(Menthol - Eucalyptol - Injektionen Dr. Berliner)
Flasche 20 ccm Inhalt 20 M.
Literatur bereitwilligst kostenlos
W Das SpeilMlmittel gegen
Grippe, Tuberkulose, Pneu-
^mottien, Bronchitis, Pertus-
Berliner) ßls, Sopsls puerpersUs
Kronen Apotheke, Breslau V.
■ i
(D. R. W. Z. angemeldet)
Nach Angabe von Prof. Dr. O. L. Dreyfus (Frankfurt a. M.)
unter Aufsicht des Oeorg-Speyerhauses (Direktor: Geheimrat Prof. Kolle)
Frankfurt a. M.
Für intravenöse
Salvarsaninjektionen
steril — dauernd haltbar
Literatur: .Münchener medizinische Wochenschrift 1920, Nr. 4, S. 95
„ „ „ 1920, Nr. 13, S. 371
„ „ „ 1920, Nr. 16, S. 458
Deutsche medizinische Wochenschrift 1920, Nr. 2, S 35
Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 1920, Nr. 9.
Zu beziehen durch sämtliche Apotheken
(vorerst in Packungen von 5 Ampullen ä 5,10,20,30ccm, auch in Einzelamp.)
oder direkt durch den Alleinfabrikanten
Dr. Fresenius, Hirsch-Apotheke, Frankfurt a. M.
Zell III.
Änxeigen-Schiuss immer 5 Ameitstage vor Erscheinen.
YATREN
ein Jodderivat des Benzoipyridin
Das ideale Tiefenantiseptikum
Yalren pur. Puder Gaza lO^/o
wasserlöslich Yatren 10% in qm ^ qm
c/Talkum Streifen 5 m x 5 cm
Tampon» Stäbchen
y, Dtz. 1 Dtz. Noffke-Stäbohen
Literatur und Proben gratis und franko
West-Laboratorium, fi.m.b.H., Hamburg-Billbrook B.
Puder
Tampons
Sfldfrfichte
Postpaket enthält
2 Pfd. Smyrna Feigen,
1 Pfd. Calif. Dattem,
iPfd. Sicil. Haselnüsse,
1 Pfd. Franz. Wallnüsse,
8 Pfd. Apfelsinen und
1 Pfd. Mandarinen Mk. 85.—
Messina
Apfelsinen, Postpaket ent h. 9 Pfd.
auHgewähl. Bergirüchte Mk. 60.—
Valenzia
Mundarinen, Postpaket enthält |
64 Stück Mk. 60.— Preise franco '
incl. Verpackunggeg. Nachnuhmc j
Hans Alexander •
SQdfrucht.'lmp. Hamburg.
f OHG ^
Kunstbein
für
Oberschenkel-Ampiilleile
System Hasfnhe-Daeline
patentiert in alien Kulturstaaten, hat gegenüber
Kunstbeinen anderer Systeme den Vorteil, dass
der Unterschenkel willkürlich bewegbar ist
und das Knie automatisch gebremst wird
Prds der einzelnen Nummer 2.— Jt. • Bezugsnreis in Deutschlanu
. * • und Ausland siebe unten unter Bezugsoedingungen. > • •
AnseifenachluM immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitung: Amulfstr. 26 (Sprechstunden
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 76.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 4. 28. Januar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behUt sich das ansschliessiiche Recht der VervielfUtigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbdtrage vor.
' Originalien.
Untersuchungen in der Erkältungsfrage*},
in. lieber den Rheumatismus, insbesondere den Muskel¬
rheumatismus [Myogelose] *).
Von Prof. H. Schade- Kiel.
Obwohl der Rheumatismus einer der ältesten Krankheitsbegriffe ist
und obwohl er in der ärztlichen Praxis heute wie früher eine erhebliche
Rolle spielt, so hat doch die wissenschaftliche Forschung „einen Fort-
sdiritt, der uns von den überlieferten, verschwommenen Ansichten be-
ireii hätte, nicht gebracht“ (Ad. Schmidt). Eine auch nur bescheidenen
Ansprüchen genügende Definierung dieses Krankheitsbegriffes ist nicht
geiunden. „Jeder weiss, dass es Rheumatismus gibt, aber niemand kann
sagen, worin er besteht.“ Mit grosser Schärfe, aber nicht unzutreffend ist
in solchem Satz das bisherige Versagen der Wissenschaft auf diesem
üebiete gekennzeichnet. Für die Unsicherheit in der Abgrenzung gegen¬
über andern Leiden ist das Urteil, welches seinerzeit Senator über
den Muskclrheumatismus fällte, sehr bezeichnend: .diese Krankheits¬
bezeichnung ist nichts als „eine ganz undefinierbare Rubrik, welche alle
Hl den Muskeln und deren Nachbarschaft sitzenden schmerzhaften Leiden,
die sich ande-rw'eitig nicht unterbringen lassen, aufzunehmen hat“. Für
die Praxis aber ist nicht nur die Abgrenzung des Rheumatismus gegen¬
über anderen Krankheitsprozessen wichtig; selbst die Abgrenzung gegen¬
über dem normalen Befund ist oft ungemein schwer, da gerade auf
diesem Gebiet Aggravation und Simulation — durch .die Krankengesetz-
:;ebung gefördert — ihr Wesen treiben. Für die Sicherung der Diagnose
des .Muskelrheumatismus ist daher eine möglichste Objektivierung der
Krankheitssyniptome dringendstes Erfordernis. Nur auf der Grundlage
überall gleichrnässig ausgeübter und zuverlässiger diagnostischer Me¬
thoden ist zu hoffen, dass wir zur schärferen Abgrenzung von Kraiikheits-
bildern kommen, über die eine allgemeine Verständigung möglich ist.
Zurzeit liegt die Art der Diagnostik hier noch völlig im argen. Selbst
m den ausführlicheren Lehrbüchern der klinischen Untersuchungsmethoden
fehlt zumeist noch jeder Versuch, Anweisungen zur Untersuchung auf
Rheumatismus zu geben. Jedem einzelnen Arzt ist es überlassen gc-
biieben, unter dem Zwange der von der Praxis geforderten Entschei¬
dungen sich selbst seine Methode zu schaffen. Hier ist eine Aenderung
dringend erforderlich. Ebenso wie wir für die Einzelerkrankungen des
Magens, des Blutes, der Nerven usw. eine speziell ausgebaute Diagnostik
besitzen und nur auf Grund dieser zu der jetzigen Höhe des diagnostischen
Könnens gelangt sind, ist auch für die rheumatischen Erkrankungen der
Organe des Bewegungsapparats, besonders der Muskeln die Gewinnung
einer allgemein eingeführten, den Sonderverhältnissen spezifisch an-
«epassten Diagnostik für den weiteren Fortschritt die Voraussetzung.
Zur systematischen Ausbildung der angehenden Aerzte ist vor allem
nötig: 1. eine genaue topographische Kenntnis alles dessen, was für die
Palpation beim Lebenden an Muskeln. Sehnen, Bändern, (jelenken und
Knochen als scharf abgrenzbares Einzelgebilde sicher feststellbar ist,
Z die Einübung einer möglichst überall gleichartig zu gestaltenden Me-
'"odik der Weichteiipaipation, speziell einer solchen des Muskels, und
' eine Kenntnis der Wege zur Objektivierung der vom Rheumatiker ge-
ässerten Beschwerden. Wenn einmal mehr als bislang das klinische
Interesse aaif dieses Gebiet gelenkt ist wird man neben dem obigen
anch das Entstehen weiterfülirender spezifischer diagnostischer Methoden
erhoffen können; Anfänge zu solchen sind bereits heute kenntlich’).
Nur auf derartigem Wege wird es gelingen, in dem für die Praxis sehr
wichtigen Gebiet der Rheumatismen zu allgemeinhin schärferen und auch
wisenschaftiieh brauchbaren Diagnosen zu kommen. Ein Bedürfnis nach
iolcher Richtung wird von den Aerzten, w'clche in der Praxis des täg¬
lichen Lebens stehen, in hohem Masse empfunden. Hier ist nicht der Ort,
im einzelnen in Erörterungen über die Art der Ausführung dieses Pro¬
gramms einzii treten.
Nur in Kürze sei angedeutet auf w-elchen Wegen das unter 3. ge¬
nannte, bislang am wenigsten beachtete Ziel, die Objektivierung der
Rkenmatismussymptome, für die meisten Fälle mit gutem Erfolg zu er¬
reichen ist. Bei jeder Untersuchung auf Rheumatismus sei es erste Regel,
Vergl. d. Wschr. 1919 S. 1021 und 1920 S. 449.
^ Vergl. H. Schade: Zschr. f. d. ges. exper. M. 7. 1919. S. 275—374.
*) Besonders sei hier die Eiastometrie des Muskels nach M. Oilde-
m e i 3 1 .e r (Zschr. f. Biol. 63. 1914. S. 175—183) zu klinischer Nachprüfung
cmpkdileii. Auch ist vielleicht die bekannte plethysmographische Methodik
L Webers geeignet, zu weiteren Fortschritten zu verhelfen.
Nr. 4.
Digitized by Gotigle
dasjenige, was gerade augenblicklich an Beschwerden und Symptomen
vorhanden ist scharf von demjenigen abzugrenzen, was laut Anamnese
zu anderen Zeiten vorhanden war. Diese Forderung auszusprechen ist
durthaus nicht überflüssig. Vielfache Erfahrung hat mich gelehrt, dass
unendlich oft dadurch Verwirrung entsteht, dass vom Patienten, aber auch
vom Arzt nicht streng geschieden wird zwischen dem Schmerz, der bei
der Untersuchung vorliegt, resp. erzeugt wird, und solchen Beschwerden,
die dem früheren Krankheitsveriauf angehören. Werden zur Zeit der
Untersuchung vom Patienten keine Beschwerden empfunden und treten
solche auch unter den Massnahmen der Untersuchung nicht hervor, so
ist dringend zu empfehlen, ehe man sich zu einem Urteil entschliesst, die
Untersuchung zu anderer Zeit zu wiederholen, wo, durch eine vorher¬
gehende Anstrengung oder sonstige Massnahmen provoziert, die Be¬
schwerden vom Kranken als gegenwärtig vorhanden bezeichnet werden.
Meistens ist solche Gegenwärtigkeit der Beschwerden bei der Unter¬
suchung unschwer zu erreichen. Nur in seltenen Fällen meines grossen
Beobachtungsmaterials während des Krieges haben sich mir die Patien¬
ten trotz längerer Beobachtungszeit und trotz provokatorischer Mass¬
nahmen dauernd als momentan gerade beschwerdefrei bezeichnet; sie
wurden, wenn die Untersuchung nichts Besonderes ergab, als gesund ent¬
lassen mit der Weisung, dann erneut sich vorzustellen, wenn die Be¬
schwerden gegenwärtig vorhanden seien; fast nie sind solche ^.Patienten“
wieder erschienen. Ganz allgemein darf ein objektiver Nachweis der
„rheumatischen“ Beschwerden — in Unabhängigkeit von den Angaben
des Patienten — immer dann als erbracht gelten, wenn es gelingt, einen
abnormen Befund festzustellen, zu dessen Hervorbringung der Patient
durch Willkürhandlungen nicht imstande ist.
Die folgenden Wege zur Auffindung solcher Zeichen sind verfüglich:
l. Adspektion: Der Patient ist völlig entkleidet bei Ruhe und bei
Bewegung zu beobachten. Eine Objektivierung der Beschwerden lässt sich
dabei aus der „Richtigkeit" d e s G e s a m t b i 1 d e s gewinnen. Manche
Fälle ungeschickter Aggravation oder Simulation sind ohne weiteres zu er¬
kennen. Im allgemeinen aber ist die Beurteilung der „Richtigkeit“ nicht
leicht. Beim ungeübten Arzt ist das Urteil fraglos sehr 'unzuverlässig, erst
bei grosser Erfahrung wird es sicherer. Sehr zu empfehlen ist die Be¬
obachtung des Verhaltens ber schnellerer Ausführung der Bewegungen, zu¬
mal wenn in buntem Wechsel Bewegungen in gesunden Gebieten da¬
zwischengeschaltet werden. Gerade hierbei wird oft auch ein geschickter
Simulant sich durch krasse „Unrichtigkeiten" verraten oder er wird, was
meistens der Fall ist, zwecks Vermeidung der Schwierigkeiten sich überhaupt
nicht zu schnellen Bewegungen (dann oft auch nicht einmal des gesunden
Gebiets) herbeilassen. Einige bestimmte Bewegurigsarten sind zur Objekti¬
vierung besonders geeignet. So lässt die rnilitärische Kniebeuge (mit „Fersen
hebt" und „Hüften fest") bei zalilreichen, verschiedenartigst lokalisierten Stö-
rpgen des Beins und der. Hüfte sehr deutlich und oft schon sehr frühzeitig
ein Höherbleiben des Knies der kranken Seite zustande kommen. Einen ähn¬
lichen Unterschied beider Seiten ergibt die „Rumpfbeuge vorwärts“ bei ge¬
streckten Knien: wenn irgendwo eine Störung in der Beinbeugeseitc vor¬
handen ist, wird man bei der Rumpfbeuge das kranke Bein sich früher zur
Entspannung im Knie krümmen sehen als das Bein der gesunden Seite.
Die „Richtigkeit" in der Herbeiführung dieser Symptome dürfte für die Mehr-,
zaiy der Untersuchten bereits die Grenze etwaigen simulatorischen Könnens
übersteigen. Ein leicht kenntliches, völlig einwandfreies Objektivierungs¬
zeichen ist an der Schylter gegeben: ein vorzeitiges M’tgehen des Schulter¬
blatts der kranken Seite beim Heben des Arms ist bekanntlich stets für das
Vorliegen einer Erkrankung irn Schultergebiet beweisend. Ebenfalls ziim Auf¬
finden geringer Atrophien, besonders .solcher im Bezirk einzelner Muskeln
ist die Aspektion während der Bewegung nicht zu entbehren.
2. Palpation: Bei guter Palpationsmethodik ist oft eine Veränderung
in der Form, Grösse und Konsistenz der rheumatischen Gewebe nachweisbar.
Bei der bisherigen Ungleichheit in der Art der Methodik und in dem Grad
des Beherrschens derselben seitens der einzelnen Untersucher ist cs begreif¬
lich, dass in der Bewertung der Palpationsbefundc noch keine Einigkeit hat
erzielt werden können. Erst weiter unten werden uns die rheumatischen Här¬
ten, wie sie im Muskel auftreten, näher beschäftigen.
3. Druckschmerzlokalisierung: Obwohl der Druckschmerz
als solcher rein subjektiver Natur ist, so lässt sich doch durch ein geeignetes
Vorgehen bei der Untersuchung die Richtigkeit der Druckschmerzangabt-n
sehr gut kontrollieren. Eine Obiektivierung ist dann gegeben, wenn in der
Art der Druckschmerzlokalisierung Besonderheiten nachweisbar sind, die vom
Patienten nicht willkürlich hervorgebracht werden können. In zweierlei Weise
ist solcher Nachweis zu führen. Zunächst kann dies dadurch geschehen, dass
man die Druckschmerzbezirke bei der Untersuchung genau mit einem Farb¬
stift auf der Haut kennzeichnet, um sie später, z. B. am Schluss der Unter¬
suchung, bei gleicher Körperlage wie vorher mit Abdeckung der Augen des
Patienten auf ihr Koiistantbleiben zu kontrollieren. Wie mir zahlreiche Ver¬
suche an Gesunden gezeigt haben, ist bei derart zweizeitiger Untersuchung
eine genügende Uebereinstimmung der Gebiete willkürlich nicht zu er¬
reichen. Eine zweite Art der Druckschmerzobjektivierung ist dann gegeben,
wenn sich herausstellt, dass die angegebenen Druckschmerzpunkte sämtlich
2
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHfehteR MEDl^lNiSCiiE WOCHENSCHf^irf.
Nr. 4.
9§
an solchen Orten liegen, welche mit scharfer Begrenzung einem anatomischen
Einzelgebilde, z. B. dem Verlauf eines Nervens, dem Gebiet eines bestimmten
Muskels oder dem speziellen Bereich der Druckzugängigkeit einer Gelenk¬
kapsel zugehören. Einem Simulanten ist solche Abgrenzung des Schmerz¬
gebietes nicht möglich. Selbst der Arzt wird zumeist erst durch das Stu¬
dium der Palpationstopographie am Lebenden dazu gelangen, die Gebiete
richtig in ihrer Zusammengehörigkeit zu bewerten. Zwei allgemeine Er¬
gebnisse aus der praktischen Erfahrung seien hier angefügt: Wenn bei der
Druckbetastung auf einem sehr grossen Gebiet (z. B. ganze Gesässhälfte,
ganzer Unterschenkel) fast gleichniässig über Druckschmerz geklagt wird, so
macht dies der Aggravation, resp. der Simulation verdächtig. Umgekehrt hat
sich ergeben, dass die Beschwerden von Patienten, welche bei der Unter¬
suchung nirgendwo in dem als schmerzhaft bezeichneten Gebiet einen Druck¬
schmerz zu empfinden erklärten, sich stets als objektiv begründet erwiesen;
eine Simulation derart, dass ein Körpergebiet gegenwärtig als schmerzend,
aber doch als frei von Druckschmerz angegeben wurde, ist mir trotz grossen
Untersuchungsmaterials nicht begegnet.
4. Feststellung abnormer reflektorischer Muskel¬
spannung; Hier ist die Unterscheidung gegenüber einer willkürlichen
Steifhaltung der Muskeln sehr wichtig. Reflektorische Muskelkontraktionen
besitzen eine räumlich scharfe Begrenzung; Willkürspannungen aus Sclimerz-
furcht usw. sind viel allgemeiner und greifen meist deutlich auf Gebiete
Uber, die völlig ausser Beziehung zum Erkrankungsort stehen. Eine (durch
Adspektion oder Palpation aufgeiundene) Muskelspannung ist als reflektorisch
und damit als objektiviert zu betrachten, wenn sie sich als Kontraktur von
Einzelsträngen eines Muskels erweist “), wenn sie eine Kombination von
Muskeln umfasst, die willkürlich nicht in jener Isolierung zur Kontraktion zu
bringen sind, oder wenn sich diese Kontraktion, so oft sie durch Druck oder
Bewegung ausgelöst wird, in der für* Reflexvorgänge charakteristischen Mo¬
mentanart einstellt. Eine Unterscheidung zwischen reflektorischer und will¬
kürlicher Spannung ist oft in der Weise gut erreichbar, dass man z. B. am
Hand- oder Kniegelenk in sehr schneller Aufeinanderfolge, aber in leichter
Art unvermutet zwei- oder dreimal die angeblich schmerzende Bewegung aus-
fUhrt: die reflektorische Spannung wird schon für die zweite Bewegung als
deutliche Mehrhemmung fühlbar, die willkürliche Spannung setzt dagegen erst
später ein und ist dabei über ungleich grössere Muskelgebiete verbreitet.
Die bekannte „Fixierung" des Schulterblattes kann als Musterbeispiel einer
der Willkür entzogenen Kombination kontrahierter Muskeln dienen. Für die
hier in Frage stehenden Prüfungen ist eine möglichste Ausschaltung der Auf¬
merksamkeit des Patienten nützlich. Bei der Untersuchung von Schulter-
und Hüftgelenk ist für Drehbewegungen die Ablenkung der Aufmerksamkeit
meistens schon genügend erreicht, wenn man die Rotation in diesen Ge¬
lenken von der Hand, resp. dem Fusse her vornimmt.
5. Messung des Funktionsausfalls bei der Bewegung:
Auch für die Bewertung von Bewegungshemmungen ist eine Objektivierung
nötig. Sie kann dann als erreicht gelten, wenn das Mass der Bewegungs¬
hemmung auch bei einer unbemerkt erfolgenden Kontrollmessung gleichbleibt.
Solche „Kontrollmessung" kann nach der Erfahrung des Verfassers am besten
während einer an die Lokalprüfung sich anschliessenden inneren Untersuchung
des Patienten geschehen. Die Erlangung dieser Kontrolle beruht auf der Ge¬
schicklichkeit des Arztes und ist weitgehend Sache der Uebung. So gibt
z. B. die Auskultation der Lungen hinten unten beim Sitzen des Patienten
auf dem Tisch die günstigste Gelegenheit zur unbemerkten Prüfung der Beu¬
gungswinkel von Rücken, Hüfte und Knie. W'ährend der Herzauskultation kann
man leicht versuchen, durch Auflehnen auf das Knie des Patienten die
Streckung eines Beines zu vermehren. Zur Kontrolle des Arms ist besonders
die Untersuchung der Lungenseitenteile bis zur Achselhöhle hinauf zu emp¬
fehlen: während solcher Untersuchung habe ich bei vorher „völlig steifer
Schulter" freies Abheben des Armes gesehen.
6. Lokale Wärmeme.ssung: Die thermische Untersuchung ver¬
dient fraglos eine gegen früher stark zu erhöhende Beachtung. Denn es ist
überraschend, wie sehr und wie häufig selbst geringgradig erkrankte Innen¬
gebiete sich durch lokal erhöhte Hauttemperatur (sowohl bei Messung mit
Hautthermometern als auch schon für den Wärmesinn unserer Hand merk¬
lich) auszeichnen. Wenn man angewiesen ist, die Wärmeunterschiede ver¬
gleichend mit der Hand zu fühlen, ist nach der Erfahrung des Verfassers be¬
sonders die Zeit des ersten Abkühlcns nach dem Auskleiden geeignet.
7. Messung von Atrophie oder von Schwellung: Diese
Messung darf in keinem Fall felüen; sie gibt die sicherste Art der Objekti¬
vierung. Doch ist bei der Beurteilung zu berücksichtigen, dass die Atrophie
gerade beim Rheumatismus des Muskels oft sehr lange au.sbleibt.
8. Untersuchung auf Schonungszeichen an der Haut
und der Kleidung, welche ein Urteil über das Muss und die Art der
üblichen Betätigung des Patienten ermöglichen: Fehlen der Arbeitsschwielen
der Haut: Verringerung und. oftmals auch Artänderung der Abnutzung von
Kleidern und Stiefeln, einschliesslich Bandagen.
Auf allen diesen Wegen ist die Objektivierung der rheumatischen
Beschwerden erreichbar. Ohne diese Objektivierung bleibt Jedes
Urteil unsicher. Immer aber bedeutet die Objektivierung nur einen ersten
Schritt zur Klärung der Diagnose. Die exakteLokalisierung der
Störung im Gewebe ist die weitere, gleichfalls heute oft noch schwer
realisierbare Forderung. Nur der systematische Ausbau der diagnosti¬
schen Methoden, speziell für den Muskel kann hier zu allgemeinem Fort¬
schritt verhelfen. Zugleich aber wird dann, gefördert durch die ver¬
besserte Diagnostik, auch eine Weiterführung der Untersuchungen über
das Wesen der dem Rheumatismus zugrunde liegenden
Störungen einsetzen können.
Am Beispiel des Muskelrheumatismiis sei zu zeigen versucht, in
welcher Art ein weiteres Eindringen in die hier vorliegenden Probleme
möglich ist.
Beim Muskelrheumatismus („akuter einfacher Muskelrheumatismus“,
„Myalgie“) dreht sich der Streit der Ansichten seit vielen Jahrzehnten
um die Frage der sog. „M u s k e 1 h ä r t e n“ Der von F r o r i e p 1840
geprägte Begriff der „Muskelschwiele“ hat in der ärztlichen Praxis
schnell Aufnahme gefunden und spielt in den Veröffentlichungen der
*) Zur Bewertung im einzelnen ist stets der Vergleich mit der „ge¬
sunden" Seite erforderlich.
Aerzte, welche sich selbsttätig ausübend mit Massage beschäftigen, s(»
besonders auch in den neueren Arbeiten von A. Müller*) eine sehr
wichtige Rolle. Die wissenschaftliche Medizin aber steht diesen „Muskel¬
härten" — trotz bestätigender Urteile einzelner Autoren, wie z. B.
A. Hotfa'^) u. a. — zum mindesten skeptisch, meist sogar völlig ab¬
lehnend gegenüber. Erst kürzlich hat Ad. Schmidt in seiner Mono-
graiJhie über den Muskelrheumatismus 1919 das Vorkommen der rheu¬
matischen Verhärtungen der Muskelsubstanz völlig negiert und die Ur¬
sache der Beschwerden primär inj Nerven gesucht. Auch in dieser Frage
hat mir das grosse Material der Erkältungskranken w ährend des Krieges
die Grundlagen zu eigenem Uiteil gegeben. Ich setze das Ergebnis vor¬
weg: Das häufige Vorhandensein von Härten im Mus¬
kel bei rheumatischen Beschwerden ist von mir in
sorgfältigster Beobachtung bestätigt gefunden. Da¬
bei wurden die folgenden Wege zur Sicherung des Urteils eingeschlagen:
1. Bei einer grossen Zahl von Fällen wurde die Palpation auf Muskel¬
härten unabhängig voneinander von mehreren Aerzten, die vorher in die
Methode des Muskelpalpierens eingeübt waren, vorgenommen. In den
zahlreichen Fällen, die von mir als deutlich positiv bezeichnet wurden, hat
sich d.ibei volle Uebereiristimmung betreffs V^oriiandenseins, Grösse und
Lagerung der gefühlten Härten im Muskel ergeben.
2. Die Beurteilung eines Palpationsbefundes muss sicherer werden,
wenn das Objekt, statt mit einseitiger Betastung geprüft, von zw'ei Seiten
her zwischen die Finger gebracht werden kann. Zu solcher doppel¬
seitigen Betastung sind besonders die Muskeln des Nackenwulstes und
der laterale Rand des Muse, pectoralis geeignet. Da gerade diese
Muskelpartien in besonderer Häufung der Sitz von „Rheunidiisnuis" sind,
war es leicht, die Untersuchung speziell dieser Muskeln an einem grösseren
Material, wieder vergleichend seitens mehrerer Aerzte, durchzuführen.
Die Üebereinstimmung der Palpationsbefunde iiess am Vorhandensein
der Härten keinen Zweifel bestehen.
3. Indem ich systematisch während dreier Jahre die in Sanitäts¬
kompagnie und Feldlazarett aus dem Schützengraben eintreffenden Ver¬
wundeten auf das Vorhandensein von rheumatischen Härten gerade an
den letztbezeichneten Muskeln untersuchte, ergab sich bei der zur Wund¬
versorgung nötigen Narkose reichliche Gelegenheit, das Verhalten solcher
Härten auch in der Naikose zu prüfen. War vordem die Härte in Form
eines gut abgegrenzten rundlichen oder länglichen Wulstes im Muskel
vorhanden, so blieb diese Härte während der ganzen Narkose, auch im
tiefsten Stadium derselben, so gut wie unverändert bestehen. Dies Ver¬
halten betraf die grösste Zahl aller Untersuchten. Handelte es sich hin¬
gegen um jene selteneren Fälle diffuser Härte grösserer Muskelteile oder
gar ganzer Muskeln, so liess die Härte meist bald in der Narkose nach,
in einigen Fällen mit deutlicher Hinterlassung von bleibenden, den erst¬
beschriebenen Härten ähnlichen zirkumskripten kleineren Wülsten oder
Knoten, in anderen Fällen aber auch ohne Hinterlassung eines sicher
tastbaren Befundes. Ein anscheinend völliges Weich werden in der Nar¬
kose mit anschliessender sofortiger Wiederkehr der diffusen Spannung
nach Aufhören der Narkose zeigten unter anderen 2 Fälle von stark
schmerzhaftem akuten Lumbago. Wichtiger als diese selteneren nega¬
tiven Befunde — die zuverlässige Palpation hört bekanntlich bei zu¬
nehmender Muskeltiefe sehr bald auf, wie besonders deutlich die dem
Kriegschirurgen geläufige Erfahrung des vergeblichen palpatorischen
Suchens nach Geschossstücken selbst in freigelegter Muskulatur be¬
weist — ist das Ergebnis nach der positiven Seite: das in weitaus den
meisten Fällen sicher nachgewiesene Bestehenbleiben der rheumatischen
Muskelhärten in tiefer Narkose.
4. Zu einem entscheidenden Fortschritt führte die Beobachtung des
Verhaltens der Härten beim Tode. Indem die Kontrolle auf rheumatische
Muskelhärten längere Zeit systematisch bei Schwerverwundeten mit
infauster Prognose geschah, habe ich zunächst 3 Fälle erhalten, die mit
deutlichen, gut begrenzten Muskelhärten im Leben und sodann weiter
im Tode beobachtet sind. Die Muskelhärten blieben in allen 3 Fällen
auch nach dem Tode so gut wie unverändert deutiieh fühlbar bestehen
und gingen erst mit eintretender Totenstarre für die Palpation verloren.
In jedem Fall wurde durch Inzision post mortem bestätigt, dass die ge¬
fühlte Härte tatsächlich im Muskel gelegen war. Bei diesen Betrach¬
tungen fiel mir auf, dass auch die Ausbildung der Totenstarre am Ort
dieser Härten Besonderheiten aufwies. Ein 4. Fall, der gerade hierauf
genau untersucht wurde, hat eine deutliche Modifizierung im Ablauf
der postmortalen Starre am Ort der rheumatischen Härte ergeben*).
Diese Befunde bringen die sichere Feststellung, dass „Härten“ der
Muskelsubstanz beim Muskelrheumatismus vorhanden sind. Diese
Härten entsprechen nicht einfach reflektorischen Muskelfaserkontrakturen,
sie bleiben vielmehr in tiefer Narkose, sogar im Tode bestehen. Dabei
ist am Ort der Härte, wie man aus der pathologischen Untersuchung
weissD und wie auch ich bei dem letztgenannten Fall bestätigt fand,
durch die mikroskopische Untersuchung keinerlei Art von Veränderung
erkennbar. Aus dem Fehlen eines mikroskopischen Befundes darf aber
nicht eine Ablehnung der Härten als solcher hergeleitet werden. Diese
Art der Ablehnung eines Befundes des Tastsinnes ist prinzipiell als falsch
zu verwerfen. Denn das Nichtvorhandensein einer mikroskopischen Ab¬
weichung kann keineswegs dem Fehlen einer Veränderung überhaupt
*) A. Müller: Zeitschr. f. klin. M. 74. 1911.
*) A. Hoffa: Lehrbuch der orthopädischen Therapie, 3. Aufl. (1898),
S. 33. Vergl. auch H. Quincke: D.m.W. 1917 Nr. 33.
•) Näheres siche H. Schade: Zschr. f. d. ges. exper. M. 7. 1919. S. 332.
^Befunde von Auerbach und von Ad. Schmidt; vergl.
Ad. Schmidt: Der Muskelrheumatismus, Bonn 1918, S. 46 u. 47,
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Jannar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRirt
,jcichgesetzt werden. Ganz allgemein gesprochen ist die Härte eine
axenscnail, deren graduell wechselnder betrag auf Aenderungen in der
Art ües Zusammenlagerns der feinsten Teilchen (Moleküle, Molekül-
uid Kolloide) beruht, mithin auf Aenderung an Teilchen, über
ja^uns das J^kroskop überhaupt nicht zu unterrichten vermag. Wie die
p,lysl^allsche Chemie gelehrt hat •*), 4iegen die Vorgänge, welche uns als
Aenüeningen in der Konsistenz des Protoplasmas bemerkbar werden, ganz
lüfwiegeud auf kolloidem Gebiet, d. h. die. Aenderungen vollziehen sich
nn ucn Kolloiden 'l’eilchen des Protoplasmas! mithin im Bereich des Ultra-
mikroskopischen. Ohne die Spur einer Aenderung im mikroskopischen
Buiie kann die erstarrende Gelatinelösung alle Uebergänge von dem
:.och iliessend weichen Zustand bis zur Erstarrung als feste Masse durch-
ipuicfi. Wie jede Art des Protoplasmas zeigt auch der Muskel ein
opiicii kolloides Verhalten. Seine grösste Härteänderung, die Erstarrung
rm Tode, ist bereits in ausführlichen Untersuchungen von v. F ü r t h u. a.
,[i ii'irer kolloidchemischen Bedingtheit erwiesen. Wollte man das Mikro-
>*op als ein ausreichendes Mittel zur Entscheidung annehmen, so müsste
111211 auch die Totenstarre des Muskels, da bei ihr die mikroskopische
tikeniibarkeit fehlt, als eine irrtümliche Diagnose des Tastsinnes be-
iecnnen. Dies Beispiel zeigt klar, wie sehr gerade am Muskel die
mikroskopische Untersuchung in der Auffindung jener Aenderungen ver-
durch welche die Unterschiede in der Härte des Gewebes bedingt
sind. Auch für die Härte des rheumatischen Muskels kann somit das
PenJen eines mikroskopischen Befundes nur beweisen, dass im Gebiet
Ltr Teilchen von mikroskopisch sichtbarer Grössenordnurig keine kennt- |
iijie Veränderung vor liegt; die Aenderung muss daher auch hier not- |
nndig an kleineren Teilchen, d. h. an den Kolloiden gesucht werden.
Kolloide bei der Erstarrung werden physikochemisch als (Tele bezeichnet.
Din pathologischen Prozess, der beim rheumatischen Muskel zum Auf-
•jcten der Härten führt, haben wir daher zur Hervorhebung seines kolloid-
.teraischen Charakters mit einem kurzen Wort als Myogelose be-
zticiiiiet.
ln den frischen, unbehandelten Fällen des Muskelrheumatismus habe
. 1 ; last mit Regelmässigkeit palpable Härten gefunden. Zur sicheren
crkennung ist stets ein Vergleich mit der gesunden Seite zu empfehlen;
^och ist die Härte oft derart deutlich, dass dem Geübten auch bei ein-
siitiger Palpation kein Zweifel mehr bleiben kann. Diese Härten haben
meist Durchmesser von 1—2—5 cm; sie sind selten als glatt abgesetzte
Verhärtungen fühlbar, meist ist der Uebergang zum Gesunden mehr all-
nürilich. Solche Härten sind auch bei Patienten zu finden, die von sich
ocraus noch keine Klage über rheumatische Beschwerden führen. Gleich-
>oh] sind diese Muskelpartien auch dann stets abnorm druckempfindlich;
iunals hat sich dabei im weiteren Verlauf einwandfrei gezeigt, dass
uie Stellen später zum Sitz manifester rheumatischer Schmerzen wur-
. 1 .'.. Offenbar können bei nichtempfindlichen Patienten deutlich aus-
::büdete Muskelhärten bestehen, ohne dass die von ihnen bedingte Stö-
V.; subjektiv als Schmerzempfindung zum Bewusstsein gelangt. In man-
.\ri Fällen des Muskelrheumatismus fanden wir die Härten derart aus¬
geprägt, dass sie ohne weiteres vom nachuntersuchenden, auch wenig
-i-bien Kollegen gefühlt wurden. In anderen Fällen ist ihr Auffinden
o'iWieriger und hat eine sorgfältige systematische Abtastung des Muskels
nr Voraussetzung. Diese palpablen Härten bleiben für den einzelnen Fall
n Tag zu Tag in ihrer Lokalisation meist ziemlich weitgehend kon-
b;s sie unter der Therapie (Massage, Wärme, Salizylpräparat) für
palpicrenden Finger verschwinden. Es ist zweifellos, dass, wie
::on lange von den Massage-ausübenden Aerzten behauptet wurde, mit
ir*ehmender Uebung die Häufigkeit positiver Befunde sehr ansteigt,
rrncr aber bleibt bei strenger Selbstkritik eine Grenze bestehen, wo
• ; Palpation beginnt unsicher zu werden. In frischen Fällen habe ich
-it von anderen Seiten (A. Müller u. a.) beschriebenen „Insertions-
''.tchen“ und ähnliche kleine Verhärtungen nicht gefunden. Doch halte
es nach einzelnen eigenen Beobachtungen für nicht unwahrscheinlich,.
- > diese kleinen, meist schärfer begrenzten Knötchen, über die mir
f c eigene ausreichende Erfahrung fehlt, in den späteren Stadien des
^ lesses eine Rolle spielen.
Mit der Feststellung, dass die bei den sog. rheumatischen Beschwer-
m Muskel sich findenden Härten auf einer kolloiden Veränderung
-«Cstwebes in der Richtung zur Gelbildung beruhen, ist aber über die
L'ologie der Muskelhärten noch keine Entscheidung ge-
•-zin.
kTnisch werden unter den verschiedensten Umständen Veränderungen
Muskel beobachtet, welche bei der palpltatorischen Untersuchung als
'“-rten erscheinen. Man kann — von selteneren Erkrankungsformen
: ;L>ehen — besonders die folgenden Arten unterscheiden:
! Muskelhärten durch äussere Traumen: sie sind pathologisch-anatomisch
■'-■i das Vorhandensein von Blutextravasaten etc. leicht von den vorstehend
t •■-fcriebcoen Muskelhärten zu unterscheiden.
I Muskelhärten durch metastatische EntzOndung von den Gefässen aus-
•'JT-j: auch hier ist mikroskopisch die Diagnose gesichert.
1 Muskelhärten durch Stoffwechselstörungen: der Umfang dieser Gruppe
’''■rerst nicht angebbar; sicher aber ist z, B., dass sehr starker Wasser-
-'i'-st des Gesamtkörpers (wie bei Cholera nostras der Kinder etc.) zu
erheblichen, meist diffusen liärtesteigerung dar Muskulatur führt.
A Muskelhärten durch starke Ueberanstrengung: sie stellen das Extrem
^ :>hysiologischen Prozesses der Ermüdung dar; schon innerhalb der
Breite ist die Ermüdung des Muskels durch Veränderungen charak-
) Näheres siehe H. Schade: Die physikalische Chemie in der inneren
- üin. Verlag Ph. Steinkopff-Dresden-Leipzig. Hier ist in ausführlicher
L'trTirK eine Uebertragung der Ergebnisse der physikalischen Chemie auf
ftOibiete der Medizin gegeben.
Digitized by Go*^gle
terisiert, weiche dem kolloiden Gebiet angehören (Abnahme der Elastizität
und der Dehnbarkeit u. a. m.) *). Soweit histologische Veränderungen (wie
Blutungen usw.) fehlen, wird nach obigem auch die Verhärtung des Muskels
nach Ueberanstrengung als eine Myogelose durch Uebermüdung zu bezeichnen
sein. Für die vorstehend besprochenen Fälle von „Rheumatismus“ aber schei¬
det die muskuläre Ueberanstrengung als Ursache der Härten aus, da unsere
Untersuchungen sämtlich in den Zeiten des ruhigen Stellungskrieges angestellt
sind.
5. Muskelhärt^n durch „Rheumatismus“ im Sinne einer Erkältungsfolge:
ob die Aufstellung einer solchen Gruppe von Muskelhärten berechtigt ist, möge
die hier folgende weitere Untersuchung entscheiden.
Gewiss liegt die Art der Störung bei den „rheumatischen“ Härten,
die rein kolloide Veränderung des Gewebes in der Richtung zur Gel¬
bildung, durchaus im Sinne eines Kälteschadens Auch bei anderen
Organen, wie der Haut und den Schleimnäuten des Atemtraktus, haben
wir das Auftreten einer Gelose als typische Folge der Kältewirkung be¬
obachtet. Immerhin aber ist es nicht angängig, die an diesen Organen
erhobenen Beobachtungen einfach auf die Verhältnisse des Muskels zu
übertragen. Die Tierversuche der Physiologen sowie auch manche Be¬
obachtungen der Erfrierung am Menschen scheinen eine sehr erhebliche
Wideistaiidskrait des Muskels gegenüber der Kälte zu beweisen.. Doch
ist die Breite der individuellen Schwankungen in der Resistenz noch nicht
erforscht. Gerade aber die individu'elle Disposition ist, wie wir in unserer
früheren Mitteilung zeigten, für das Zustandekommen von Erkältungs¬
schäden von der grössten Bedeutung. Es erhebt sich daher die Frage,
ob die Widerstandskraft des menschlichen Muskels gegenüber den Kälte¬
einflüssen des Wetters eine absolute ist oder ob ein Versagen vorkommt
derart, dass ein sicherer Zusammenhang zwischen der Kälteemwirkiing
und dem Auftreten der Myogelose nachweisbar wird.
Die klinische Einzelbeobachtung gibt hier folgende
Anhaltspunkte:
1. Das häufige „Klammwerden“ der Muskeln schon bei leichter Kälte lehrt,
dass die Muskeln trotz ihrer immerhin geschützten Lage viel leichter, als
man gewöhnlich annimmt, in ihrer Funktion durch Abkühlung von aussen ge¬
stört werden. Wird von einem „klammgewordenen“ Muskel eine schnelle
Bewegung ausgeführt, so ist diese Bewegung von deutlichem Schmerz be¬
gleitet
2. Durch zahlreiche Beobachtungen steht fest, dass eine lokale Abkühlung
des Körpers oftmals in direktem zeitlichen Anschluss und örtlich genau ent¬
sprechend das Auftreten von Rheumatismus zur Folge hat. Fälle, wo auf das
Anlehnen des Rückens an eine nasskalte Wand ein sofortiger Lumbago, auf
ein längerdauerndes Sitzen am undichten Fenster ein Muskelrheuma in der
dem Fenster zugekehrt gewesenen Körperseite einsetzt, sind allbekannte Bei¬
spiele.
3. Der Muskelrheumatismus pflegt ganz bevorzugt bei thermisch insuffizien¬
ter Hautbeschaffenheit aufzutreten, d. h. bei chronisch blasser und schweiss-
feuchter Haut, welche sich schon unter normalen Bedingungen kalt anfüblt
und bei eindringender Kälte nur mit geringer reaktiver Hyperämie zu ant¬
worten vermag. Das Gegenstück liefert die fast völlige „Rheumaimmunität“
während des hohen Fiebers oder während des ersten Stadiums der Alkohol¬
wirkung mit der für diese Zustände charakteristischen starken Hautwärme¬
steigerung.
4. Dauernde Muskelarbeit, welche eine ständige gute Durchblutung des
Muskels bewirkt, ist gleichfalls als vorzüglicher Schutz gegen Rheumatismus
bekannt. Muskeiruhe während der Kälteeinwirkung ist dagegen dem Ent¬
stehen des Rheumas sehr günstig Hiermit stimmt überein, dass die Mus¬
keln des Arms und Beins relativ selten rheumatisch erkranken; dies sind Mus¬
keln, die am wenigsten leicht sich in voller Ruhe befinden.
5. Der Muskelrheumatismus befällt vorzugsweise die nahe an der Ober¬
fläche gelegenen Muskeln. Besonders häufig ist der Trapeziuswulst des
Nackens und der Aussenrand des Pektoralis erkrankt, welche beide als dicht
unter der Haut gelegene Muskeln frei vorragen und daher von mehreren
Seiten zugleich der Abkühlung ausgesetzt sind.
Die Frage, mit welchem Grad von Regelmässigkeit ein zeitlicher
Zusammenhang zwischen Kältewirkung und Muskelrheumatismus voi-
handen ist, lässt sich am besten auf dem Wege der Massenbeob¬
ach tun u beantworten. Bei solcher Untersuchung hat 3 icn folgendes
ergeben “):
a) Unsere Tagesstatistik der Erkältungskrankheiten einer Infanterie¬
truppe von 8000 Mann während des sehr strengen Kriegswinters 1916/17
lässt aufs deutlichste erkennen, dass die Zahl der täglich auftretenden
Rheumatismusfälle zur Zahl der Erkältungskrankheiten im allgemeinen,
ebenso aber auch zur Zahl der Erfrierungen in Beziehung steht, derart
dass die Hauptschwankungen der Kurve stets allen drei Erkrankungs¬
gruppen gemeinsam sind (s. Abb. 2 u. 3 der Mitteilung I, diese Wschr.
1919 S. 1021).
b) Die Wiederkehr einer durchaus gleichen Beziehung der Kurven
dieser Krankheitsgruppen bei dem Riesenmaterial der statistisch festgeleg¬
ten Erkrankungen des Friedensheeres der Jahre 1900—1912 (428 714 „Krank¬
heiten der ersten Atemwege“, 72 179 „akute Muskelrheumatismen“ und
12 898 .JFrostschäden“) gibt die Berechtigung, die enge Beziehung des
*) Näheres siehe H. Schade: Die physikalische Chemie in der inneren
Medizin. Verlag Ph. Stemkopff, Dresden-Leipzig, 1921, S. 83 ff.
Vergl. Mitteilung I und II dieser Untersuchungen in der Erkältungs¬
frage. M.m.W. 1919 S. 1021 und 1920 S. 449.
“) Trotzdem ist das Klammwerden und die rheumatische Myogelose
(s. o.) durch Kälte nicht gleichbedeutend. Dem Klammwerden scheint eine
reversible Gelose des Muskelgewebes, dem Rheumatismus dagegen eine
irreversibel gewordene Gelose zugrunde zu liegen.
In manchen Fällen, z. B. von Lumbago, scheint speziell eine Mnskef-
ruhe, welche nach angestrengter Muskelarbeit plötzlich einsetzt, das Auf¬
treten der Erkrankung zu fördern. Es wäre denkbar, dass hierbei ein additives
Verhalten der Myogelose durch starke Ermüdung und der Myogelose durch
Kälte beteiligt sein könnte.
Vergl. H. Schade: Zschr. f. d. gcs. exper. M. 7. 1919, S. 329 ff.
2 *
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
akuten Muskelrheumatismus zu den Erkältungskrankheiten und damit
zugleich ätiologisch zur Kältewirkung als eine gesetzmässige aufzustellen.
Die Fig. 1, bei welcher die Ergebnisse von 12 Einzeliahren (Näheres siehe
die Kurven der Abb. 4 in der Mitt. I, d. Wschr. 1919 S. 1023) zu einer Jahres¬
durchschnittskurve vereinigt sind, möge diese Verhältnisse illustrieren.
Die Kurve des • akuten Muskel¬
rheumatismus verläuft zwar erheb¬
lich flacher ^*) als die der Erkäl¬
tungskatarrhe, aber doch lässt aucl^
sie deutlich den Anstieg gleichzeitig
mit demjenigen der Erkältungs¬
katarrhe und demjenigen der Frost¬
schäden der Haut erkennen.
Die Bedingungen zum Entstehen
der Rheumatismen und der Erkäl¬
tungskatarrhe sind sicherlich nicht
einfach die gleichen. Schon seit
langem hat die praktische Erfahrung
nasskaltes Wetter, wobei für die
thermometrische Messung nicht ent¬
fernt Frost zu bestehen braucht, als
die Hauptursache des Rheumatismus
erkannt, während für die Atmungs¬
organe besonders trockene Kälte + Wind für schädlich angesprochen
wird. Unsere Tagesstatistik während des Winter 1916/17 bei 8000 In¬
fanteristen hat auch diesem Urteil eine zahlenmässige Grundlage gegeben:
Winter 1916 17 j
1
Tage der Nässe mit Tau¬
wetter (0* bis 11®)
62 Tage
Tage sehr strengen, trockenen
Frostes (—1* bis —17®)
28 Tage
Zahl der Erkältungs-
katarrhe
Zahl der Rhenmatismen
1146 = tägUch 18.4
427 = täglich 6,9
527 = täglich 20,4
130 = täglich 4,6
Auf je 10 Erkältungskrankheiten im allgemeinen entfielen somit in
der Zeit der Nässe bei Tauwetter 2,7 Fälle von Rheumatismus, in der
Zeit der Trockne aber trotz strengsten Frostes nur 1,8 Fälle; umgekehn
ist die Zahl der Erkältungskrankheiten der Luftwege von 7,3 auf 8,2 Fälle
gestiegen. Die Nässe ist es, die in besonderem Masse den Wärmeschutz
der Kleidung verringert, so dass der Kälte das Vordringen zu den ober¬
flächlich gelegenen Muskeln der sonst von der Kleidung geschützten Kör¬
perpartien erleichtert wird. Zu den Atmungsorganen dagegen hat die
Luft, weitgehend unabhängig von der Nässe, in stets gleicher Weise Zu¬
tritt; bei den Erkältungskatarrhen der Luftwege kommen daher Kälte¬
grad und Windstärke mehr unbeeinflusst zur Geltung.
Ein Zusammenhang des M u s k e 1 r h e um a t i s m u s mit
der Kälteeinwirkung seitens des Wetters ist somit
gesichert. Es ist berechtigt, auch den Muskel¬
rheumatismus zu den Erkältungskrankheiten zu
zählen.
Hiermit erhebt sich gemäss unseren früheren Ausführungen über die
Erkältung sofort die weitere Frage: Ist der Muskelrheumatismus die Folge
einer direkten lokalen Kälteschädigung des Muskels oder entsteht er
durch irgendwelche Femwirkungen der Kälte im Körper, wobei der Ort
der primären Einwirkung ln den Atmungsorganen oder sonstwo zu suchen
sein könnte? Hier verdienen die folgenden Momente besondere Be¬
achtung:
1. Das bevorzugte Ergriffensein der oberflächlichen Muskeln.
2. Die oft nachweisbare völlige Uebereinstimmung des Bezirks der
Muskelerkrankung mit dem Bereich, in dem vorher iti örtlicher Begren¬
zung eine Kälteeinwirkung stattfand.
3. Die Abhängigkeit vom individuellen Kälteabwehrvermögen der
dem Muskel als Schutzorgan vorgelagerten Haut.
4. Die Bevorzugung der ruhenden, d. h der in der Blutversorgung
und daher im Wärmeschutz schlechter gestellten Muskeln, zumal dann,
wenn vorher eine angestrengte Tätigkeit dieser Muskeln voraufging.
(Vergl. Anm. 12.)
5. Die spezielle Begünstigung des Muskelrheumatismus durch die
Nässe, namentlich insofern, als die Nässe durch die Verminderung der
Schutzwirkung der Kleidung gerade den örtlichen Angriff der Kälte auf
die der Haut untergelagerten Muskeln, besonders des Rumpfes, er¬
leichtert.
6. Das Zugrundeliegen einer Gelose als einer für die direkte Kälte¬
einwirkung typischen Schädigungsart des Gewebes
Diese Gründe sind in ihrem Zusammenwirken zwingend, die
direkte lokale K ä 1 teschädigung als Hauptursache
d er hier be sprochenenFormdesMuskelrheumatismus
^*) Für die Beurteilung der Kurve der 72 179 Fälle des „akuten Muskel¬
rheumatismus“ bedarf es sehr der Berücksichtigung, dass bei der bisherigen
Unklarheit sojcher Diagnose sicher recht zahlreiche Krankmeldungen hier mit-
eingerechnet sind, bei denen gar kein Muskelrheumatisraus int eigentlichen Sinne
des Wortes Vorgelegen hat. Es ist sehr wohl möglich, dass nach Abzug dieser
Fälle ein noch schärfer ausgeprägter Parallelismus der Kurve zu derjenigen
der sonstigen Kältestörungen .hervortreten würde. — Der Häufigkeit nach
entspricht den von den Militärärzten diagnostizierten 72 179 „akuten
Muskelrheumatismen“ in der Statistik eine Zahl von 44 209 Fällen von
„akutem Gelenkrheumatismus“; die Zahl der Muskelrhcumatismusfälle ins¬
gesamt dürfte bei solchem Verhältnis nach meiner Erfahrung eher zu niedrig
als zu hoch ausgefallen sein.
”) Vergl. die Mitteilung I u. II.
Nr. 4.
anzunehmen In Analogie zur Gelose der Haut und der Schleimhaut
(s. Mitteilung II) haben wir somit auch eine Kältegelose des Muskels.
Fast mehr noch als bei der Gelose der Haut und der Schleimhäute
kommt bei dem Entstehen der Myogelose die individuelle und örtliche
Disposition als mitwirkende Komponente zur Geltung. Kälte allein ist
noch keineswegs zum Hervorbringen eines Muskelrheumatismus aus¬
reichend. Zum Zustandekommen der Gelose muss die Haut und das
Unterhautbindegewebe die Eigenschaft haben, der Kälte ein Vordringen
bis zu grösserer Tiefe zu gestatten, und sodann muss auch der Muskel
selbst noch einen Zustand besitzen, der bei dem Mass und der Dauer
der eintretenden Abkühlung das Verbleiben einer* Gelose bedingt. Gerade
weil die Haut den Muskeln als Schutzorgan vorgelagert ist, liegen hier
die Verhältnise noch komplizierter als bei den der Kälte direkt ausgesetz¬
ten Geweben der Haut und Schleimhaut. Im Einzfelfall ist zumeist die
exakte Analyse schwierig. Sicher gelten aber auch hier die allgemeinen
Ausführungen, wie wir sie in der Mitteilung II über die Disposition zur
Erkältung gebracht haben. Klinisch ist es wichtig, besonders hervor-
zuheben, dass die Disposition zum Rheumatismus von der Disposition zu
Erkältungskatarrhen der Atemwege völlig getrennt sein kann. Es gibt
viele Erwachsene, die auf eine Erkältung stets nur mit Rheumatismus,
wiede/um viele andere, die stets nur mit Katarrhen der Luftwege re¬
agieren. Für das Kindesalter ist es geradezu generell charakteristisch,
dass ausserordentlich leicht Katarrhe der Luftwege, aber sehr selten
Rheumatismen des Muskels entstehen. Für die entscheidende Rolle der
Disposition spricht insbesondere auch, dass selbst die Erfrierung von
Gliedteilen keineswegs etwa häufig von einem Rheumatismus der Mus¬
keln, übrigens ebensow'enig von einem Erkältungskatarrh der Luftwege
begleitet zu sein braucht.
Noch eine letzte Frage ist zu erörtern: Inwieweit ist^ie kolloide
Gelose geeignet, uns im Verständnis der klinischen Einzel¬
erscheinungendes Muskelrheumatismus zu fördern? Wie
kein anderes Organ des Körpers ist der Muskel bei seiner Tätigkeit von
der mechanischen Funktion seiner kolloiden Massen abhängig. Die Ein¬
zelheiten derselben sind noch wenig geklärt. Im praktischen Sinne aber
wirkt fraglos der Muskel wie ein Bündel kunstvoll nebeneiriandergefügter
elastischer Stränge, die sich selbsttätig bei der Kontraktion verkürzen und
beim Nachlassen der Kontraktion in eine schmälere längere Form zu¬
rückkehren. Jede Störung des Kolloidzustandes, im Bilde gesprochen,
jede Verschlechterung des Muskelgummis muss eine Störung der Muskel¬
funktion bedeuten. Betrifft solche Störung einzelne seiner Stränge, so
sind Spannungen und Zerrungen an diesen unausbleiblich. Auch ohne dass
es im mikroskopischen Sinne zu Zerreissungen oder gar Blutungen kommt,
ist daher eine Schmerzauslösung bei der Bewegung an den Orten der
Kolloidändcrung verständlich^®). Für solche Entstehungsart ist es be¬
zeichnend, dass bei den beiden Arten der Myogelose, bei der Ueber-
anstrerigungs- und Erkältungsgelose dieser Schmerz durch Bewegung
in völlig gleicher, subjektiv nicht unterscheidbarer, Weise in die Erschei¬
nung tritt. Und umgekehrt entspricht es ebenfalls solcher Entstehung,
dass für beide kolloiden Veränderungen"bei ruhiger Mittelstellung des
Muskels überhaupt kein Schmerz empfunden wird. Nicht minder er¬
scheint die besondere Art des Erstauftretens des „rheumatischen“
Schmerzes verständlich. Nach dem übereinstimmenden Ergebnis der
Krankenanamnesen ist wahrscheinlich, dass die Erkältung:smyogelose zu¬
meist im Ruhezustand des Muskels entsteht; wird sodann, noch in Un¬
kenntnis des Leidens, eine schnelle energische Bewegung gerhacht, so
ist blitzartig der Schmerz als das erste subjektive Hauptsymptom der
Erkrankung da. Der Schmerz beruhigt sich wieder bei voller Stillhaltung
des Muskels, lässt sich oft auch durch geeignete Ausschaltung der kran¬
ken Muskelstränge, ev. unter Kontraktur der Nachbarfasern, für Be¬
wegungen sehr mildern oder aufheben, tritt aber immer in erheblicher
Schärfe wieder auf, sobald eine den kranken Strang selbst beanspruchende
Bewegung versucht wird. Ein Palpationsdruck, der ebenfalls die Dehn¬
barkeit des Muskels beansprucht, gibt aus gleicher Ursache Veranlassung
zum Schmerz. Ausser dem Schmerz aber ist kein Symptom einer Ent¬
zündung vorhanden. Die Heilung des Leidens pflegt in akuten Fällen
meist innerhalb einiger Tage zu erfolgen; Wärme und Hyperämie be¬
günstigt sie. Häufig, z. B. selbst beim heftigsten Lumbago kann die
Heilung aber auch — wiederum in Analogie zum Verhalten eines Kol¬
loids, wie Gummi u. a. — in überraschender Art durch Massage oder
systematisch durchgeführte Bewegung in Bruchteilen einer Stunde her¬
beigeführt werden. Die feineren Vorgänge solcher „Einübung“ sind noch
unbekannt; nur so viel vermag uns die bekannte Erscheinung des Wieder¬
weich- und Elastischknetens von festgewordenem dummi zu lehren, dass
mit Sicherheit auch diese Vorgänge sich an Teilchen rein ultrainikro-
skopischer Grösse vollziehen. Charakteristisch ist wiederum, dass eben-
falls bei der Gelose des stark überanstrengten Muskels der Schmera
auf dem gleichen Wege durch Massage und Uebung am schnellsten zun
Verschwinden zu bringen ist
In der vorstehenden Untersuchung ist aus dem verschwommene!
Sammelbegriff des Muskelrheumatismus als ein klar abgegrenztes und de
weiteren Forschung gut zugängiges Krankheitsbild die Erkältungs
myogelose herausgehoben. Neben den artgleichen kolloiden Stö
rungen der Haut der Schleimhaut und anderer Organe hat sie als Teil
erscheinung im grossen Komplex des Erkältungsbildes einen gesicherte
Platz gefunden. Es ist zu hoffen, dass a'uf diesem, von der Wissenschi'
seit langem vernachlässigten Gebiet nun auch für die Praxis ein nutz
^*) Vfi. oben den SchMerz bei der Kontraktion des durch
zewordonon Muskels. „kUwm
Digitized by Goiisle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNtA
Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHCNSCHRIFT.
barer Gewinn erwachsen wird. Denn fraglos sind Myogelosen durch Er¬
kaltung sehr häufig. Diese Erkrankungsart ist mit ihren Beschwerden
bislang nur wenig von den Aerzten gewürdigt; sicher sind die Myo¬
gelosen dabei vielfach infolge irrtümlicher Projizierung der Schmerzen auf
entsprechend gelagerte Innenorgane als Kopfschmerzen, als Lungenstiche,
als Herzbeschwerden oder als Nierenschmerzen u, dergl. gedeutet. Eine
triiöhte Aufmerksamkeit für die Erkrankungen der Muskeln ist dringend
forderlich. Wenn man stets daran denkt, in üleichberechtigung mit
dtn andern Organen auch die Muskeln als einen möglichen Ort der Er¬
krankung bei der Diagnosenstellung im Auge zu behalten, und wenn man
die Mühe nicht scheut, sich auch auf diesem Gebiet in die spezielle Art
der Diagnostik einzuüben, wird die Zahl der in sicherer Diagnose er-
kanten Myogelosen sehr wachsen. Wofern die örtliche Feststellung des
Sirr« der Gelosen exakt errdcht wird, ist die Therapie, besonders die
(ricliiig lokalisierte) Massage^n Unterstützung der üblichen antirheuma-
rlsdien Behandlung sehr dankbar.
Zur Aetiologie der sog. Kriegsnephritis.
Von Prof. Dr. J. Grober, Jena, Medizinische Klinik und
Dr. R. Kaden, Dresden, Pathologisches Institut.
Auf Veranlassung des einen von uns als Beratenden Inneren Medi¬
ziners der 10. Armee ist im Laufe der Monate November 1915 bis August
1916 bei dieser Armee in Litauen der Versuch gemacht worden, eine
eüssere Anzahl von Kranken, die an der damals in dieser Armee beson¬
ders reichlich auftretenden sog. Kriegsnephritis litten, nach gleichen
Grundsätzen zu untersuchen und verschiedene Fragen dieser damals uns
iäüzlich neuen Erkrankung zu klären. Der Wechsel der Stellung im Feld-
z'j;; hat es mit sich gebracht, dass dieses Material erst jetzt hat ver-
Jbeitet werden können. Zunächst wird hier über die Ergebnisse be-
rchtet, die der Versuch, der Aetiologie der Krankheit näherzukommen,
ins verschafft hat.
Nach aufklärenden und vorbereitenden Vorträgen und gemeinsamen
(.iniiihrenden Untersuchungen mit den Sanitätsoffizieren dieser Armee,
jnterstützt besonders durch das wohlw'ollende und eingehende wissen¬
schaftliche Interesse des damaligen Armeearzt 10, Generalarzt Prof. Dr.
n- h u m b e r g, wurde versucht, die für die Aetiologie in Betracht
kommenden Daten bei den einzelnen Kranken durch sorgfältig aus-
ccarbeitete Fragebogen festzulegen. Von weit über 1000 Kranken sind
im ganzen 794 Fragebogen so eingehend beantwortet worden, dass sie
aT folgenden Erörterung zugrunde gelegt werden können.
Die 10. Armee bestand damals etwa zur Hälfte aus jungen aktiven
v-fps und Divisionen, zur anderen Hälfte aus Landwehrdivisionen; die
!:ciinischen Truppen waren verhältnismässig reichlich vertreten, wenn
•Moniere, Artillerie und Train zu ihnen gerechnet werden. Ausserdem
nren eine Anzahl von Armierungsbataillonen vorhanden, die im ganzen
tiva der Armeestärke ausmachten. Gering war die Anzahl der
Nivallerieregimenter, die im wesentlichen nur für den Etappendienst in
fitiracht kamen. Trotz dieser Zusammensetzung der Armee lag das
Schwergewicht der Erkrankungen bei den älteren Leuten: 57,5 Proz. der
E.-:rankten waren über 35 Jahre alt. Kurvenmässig dargestellt erreicht
f t Crkrankungsziffer prozentual ihren Höhepunkt beim 41. Lebensiahr.
‘'c von anderer Seite (K o 11 e r t) angegebene besondere Bevorzugung
fer jüngeren Lebensjahre (um die 20 herum) können wir nicht bestätigen.
rJLSsen findet sich in unserer Kurve gleichfalls ein, wenn auch nur ge-
Anstieg um das 21. Jahr herum.
Die monatlichen Zugänge bei den Krankmeldungen der ganzen
' • Armee wie die Verteilung der hier in den Fragebogen berücksichtigten
EStrankungsdaten weist auf den Januar als den häufigst in Betracht
vmmenden Monat hin. Das gleiche sah C h i a r i, ähnliches andere. Da-
•wäre dem Einfluss der Kälte des Winters ein massgebender Platz
‘'c;;cstanden.
Die auch bei anderen Armeen gemachte Beobachtung, dass die
■Vrnschaften in weit höherem Masse erkrankten als die Offiziere, können
^'bestätigen: es sind im ganzen nur 2 Offiziere erkrankt, während
die verschiedenen Truppengattungen folgendermassen verhalten
496 Infanteristen = 62 I^oz., 105 Armierungssoldaten = 13 Proz.,
Moniere = 1,5 Proz., 79 Artilleristen = 10 Proz., 65 Trainsoldaten
= Proz., 16 Kavalleristen = 2 Proz., 12 Sanitätsmannschaften
- Proz. der gesamten Erkrankungsziffer. Die auffällige Bevorzugung
Infanteristen lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse unter
j-'in sie lebten. Hier ist in erster Linie an die Unterkunft zu denken.
- Verhältnisse im Winter 15 auf 16 brachten es bei dieser Armee
n sich, dass ein grosser Teil der Stellungen, auch der rückwärtigen,
in äusserst wasserreichem Gelände, z. T. im Sumpf, befanden. Die
G'ben mussten häufig durch Pumpen wasserfrei gehalten werden,
'■ ^:so viele Unterstände, und mehrmals waren Truppen nur mittels
■ i ns in ihren Stellungen zu erreichen. Die grossen Schneemassen stei-
■‘en die Schwierigkeit der Unterbringung. Diese Verhältnisse waren
-türlich nicht überall die gleichen; aber sie betrafen Infanterie und
^-ierungssoldaten fast in demselben Grade. Auch die rückwärtigen,
T. sogar die Etappenformationen mussten in Wohngelegenheiten unter-
werden, die stark durchfeuchtet waren. Um eine Einteilung zu
"Tögiiehen, griffen wir die Unterbringungen zusammen: 1. Scheune,
' - ■ und Baracke, 2. Haus (Holz oder Stein, wie z. B. in Orodno und
und Kaserne, 3. Unterstand. Die Angaben, die für Stellung und
h-'tzeit zweierlei Unterkünfte betrafen, wurden in die jeweils länger
Nummer eingereiht, bei gleicher Zeitdauer in die schlechtere.
Danach fand sich als Unterbringung eine Erkrankung in 1: 69 mal
=;= 9 Proz., in 2: 277 mal = 36 Proz., in 3: 413mal = 53 Proz.
Daraus geht die Bedeutung der feuchten Unterstände ohne weiteres her¬
vor. Die Klagen der Erkrankten waren daher auch meistens nach dieser
Richtung am lautesten. Dass bei dem engen Zusammenleben in den
Unterständen die etwaige Infektionsmöglichkeit besonders gross ist, und
dass die Lichtlosigkeit derselben die Forderungen der Hygiene fast illu¬
sorisch macht, ergibt sich für jeden Kenner der. Verhältnisse von selbst.
Es sind von einem unserer Kollegen, Herrn Dr. Jakobi von der psych¬
iatrischen Klinik in Jena, an den ihm als Bataillonsarzt anvertrauten
Leuten im Unterstand längere Zeit hindurch Temperaturmessungen vor¬
genommen worden, in der Art, dass ihre Ergebnisse den Betreffenden
selbst nicht zur Kenntnis kamen. Diese dankenswerten Untersuchungen
sind leider mit ihren genauen Zahlenangaben durch einen unglücklichen
Zufall verloren gegai^en (sie waren dem Sanitätsdepartement ein¬
gereicht). Danach haben zahlreiche Soldaten im Unterstand, ohne dass
sie selbst merkliche Beschwerden angegeben haben, und • jedenfalls,
während sie ihren Dienst taten, höchst schwankende Temperaturen ge¬
habt, z. T. solche, die bis zu hohen Fiebergraden anstiegen. Diese Be¬
obachtungen sollen hier nur beweisen, dass sich bei unseren Soldaten
unter den ungünstigen Lebensumständen des Unterstandes und der Front¬
stellung mittlere und leichte Infektionen abspielen konnten, ohne dass sie
zur ärztlichen Kenntnis und vor allem zur Beobachtung und Diagnose
kamen. Aehnliche Beobachtungen sind mit den gleichen Ergebnissen
von dem einen von uns (Gr.) während des rumänischen Feldzuges sowohl
bei den Stelliingskämpfen im Karpathenübergang wie bei denen an der
rumänischen Moldaufront (am Sereth), unabhängig von den Jakobi¬
schen angcstellt worden.
Die grösste Masse unserer Kranken war, wie fast alle Angehörigen
der Ostfront, mehr oder minder oft verlaust. Im Zusammenhang mit
dieser Tatsache ist damals der Gedanke ausgesprochen worden, dass
ein Parasit als solcher, durch die Einbringung giftiger Stoffe, die Ur¬
sache der Nierenentzündung sein könne, etwa so, wie nach zahlreichen
Bienenstichen Nierenreizung auftritt. Wir halten das nach unseren auch
persönlichen Beobachtungen für mindestens sehr unwahrscheinlich. Eine
andere Möglichkeit wurde darin gefunden, dass die den Läusestichen
folgenden Kratzwunden Entzündungserregern den Eintritt in den Körper
verschafften, eine dritte darin, dass die bei den Entlausungen häufig
angewendeten chemischen Mittel, namentlich bevor die Truppen überall
Entlausungsanstalten gebaut hatten, so insbesondere die Kresole und ihre
Abkömmlinge, durch die Haut oder durch die Atmung In den Körper
gelangten und bei der Ausscheidung durch die Nieren Erkrankungen an
denselben hervorriefen. Von diesen beiden letzten Möglichkeiten halten
wir namentlich die erstere insofern für bedeutungsvoll, als bei dem
Schmutz, in dem die meisten Soldaten leben mussten, die Kratzeffekte
den ubiquitären Entzündungserregern auf der Haut sicherlich den Eintritt
erleichterten. Dagegen spricht allerdings die persönliche Erfahrung,
dass etwa wirkliche liautinfektionen, in erster Linie die Wundrose, sel¬
ten waren. Die Furunkulose, die so häufig mit diesen Verhältnissen in
Zusammenlang gebracht wird, war um jene Zeit des Krieges noch ver¬
hältnismässig selten, und trat lange nicht so gehäuft auf, wie z. B. 1 Jahr
später, als die Ernährung der Truppen schon mehr zu wünschen übrig Hess.
Im Zusammenhang mit Ernährungsfragen ist die Kriegsnephritis auch
als eine Avitaminose bezeichnet worden. Diese Erklärung müssen wir
nach unseren Erfahrungen durchaus ablehnen. Die Verpflegung der Trup¬
pen der 10. Armee war, wenn auch nicht regelmässig, was durch die
Schnee- und Geländeverhältnisse erklärlich ist, so doch, abgesehen von
Kampftagen, durchaus zureichend. Das Nahrungsmittel, das daraals^ bei
der Truppen Verpflegung am meisten fehlte, das Fett dessen Mangel
übrigens von einer Seite als die entscheidende Ursache der Kriegsnephri¬
tis angeführt worden ist, wurde von der Mehrzahl der Kranken, wie
unsere Fragebogen ergeben haben, in durchaus zureichender Menge
neben der Truppenverpflegung auf anderem Wege beschafft
Von anderen Schädigungen ist wiederholt vom Tabak und Alkohol
die Rede gewesen. Wir haben auch darauf unsere Aufmerksamkeit ge¬
lenkt. Ungefähr die Hälfte unserer Kranken haben sich als starke
Raucher gezeigt, welcher Begriff ja naturgemäss recht verschieden auf¬
gefasst wird. In einer grossen Anzahl der Krankengeschichten wird die
verbrauchte Tabakmenge aufgeführt worauf wir besonders hingewiesen
hatten. Wir haben für unsere Zweck« als starke Raucher diejenigen
bezeichnet die mindestens 5—6 Zigarren oder 30 Zigaretten am Tag,
die besonders zahlreich in dieser Gegend zur Verfügung standen, rauchten.
Wir können nach diesen Angaben und nach den sonstigen Beobachtungen,
die wir selbst machten, aber nicht angeben, dass dem Tabak eine wich¬
tige ätiologische Rolle bei der Kriegsnephritis zufällt. Das gleiche trifft
auf den Alkohol zu.. Die Mannschaften erhielten regelmässig pro Woche
etwa Liter Rum, der meist zum Tee, der viel verabfolgt wurde, ge¬
trunken wurde. Die Kantinen verabfolgten in bescheidenem Mass gleich¬
falls noch starke Alkoholika. Bier und Wein waren sehr seltene Ge¬
nüsse, und auch für die Offiziere vollkommene Ausnahme.
Wichtig sind die Beziehungen der Kriegsnephritis zu einigen Infek¬
tionskrankheiten. Von den Gegnern der Schutzimpfung gegen Typhus
wurde alsbald auf die Möglichkeit hingewiesen, dass diese die Ursache
der Kriegsnephritis sein könne. Wir haben unser Material sehr genau
daraufhin durchgesehen und haben fcstgestellt, dass unter der grossen
Zahl in 9 Fällci\ eine zeitliche Beziehung zur Typhusschutzimpfung be¬
stand, so, dass entweder unmittelbar im Anschluss an die Impfung oder
bis zu 3 Wochen nach derselben die ersten Anzeichen der Kriegsnephri¬
tis bemerkt wurden. 'Damit ist natürlich noch keineswegs gesagt, dass
in allen diesen 9 Fällen die zeitliche Beziehung auch eine ätiologische
Digitized by Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
100
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCliRlPT.
Ist. Ebensowenig wichtig erscheint uns die Beziehung zur Dysenterie.
Auch hier liegen einige Fälle in unseren Beobachtungsreihen vor, es sind
im ganzen etwa 10, bei denen nach einer Dysenterie die ersten Erschei¬
nungen der Kriegsnephritis bemerkt wurden. Wir halten aber diese Be¬
ziehungen für um so weniger massgebend, als wir beide zu ver¬
schiedener Zeit in Armeen der Westfront Gelegenheit hatten. Dysenterie-
kranke z. T. in sehr grossem Umfang zu beobachten, bei denen niemals
die Erscheinungen der Kriegsnephritis sich .einstellten, (So ganz be¬
sonders Gr. bei mehreren Tausend Dysenteriefällen von Herbst 14 bis
Herbst 15 in der Wodvreebene und auf den cotes Lorraines.)
Nicht ganz unwichtig erscheint es uns, dass unser Material eine
Anzahl von eigenartigen ätiologischen Möglichkeiten enthält, die aller¬
dings meist nur in einzelnen oder wenigen Fällen aufzufinden waren, die
aber doch geeignet sein können, wichtige Hinweise zu geben. So fin¬
den wir in einem Fall, der ein Gegenstück zu dem von G r ü n b a u m und
Gast beschriebenen bildet, dass die Krankheit nach längere Zeit dauern¬
dem Reiten, das trotz heftiger rheumatischer Schmerzen fortgesetzt wer¬
den musste (Meldedienst vorm Feind), zuerst in Erscheinung tritt.
2 andere Fälle erkrankten unmittelbar, d. h. wenige Stunden nach einer
ganz schweren und vollständigen Durchnässung. Dass auch einmaliges
Liegen auf feuchter Erde zu einer Kriegsnephritis führen kann, zeigt fol¬
gende Beobachtung: Der Mann kam aus einer Kaserne in Deutschland
zu einem Truppenteil, wo er nur Garnisondienst tat, ohne besondere An¬
strengungen. Der Mann schläft dann eine Nacht auf einem nassen Stroh¬
sack ohne Zudecke. Er erkrankt sofort am nächsten Morgen mit Oedem.
— Mechanische Schädigungen (Rippenquetschung, Ueberfahrenwerden)
stehen mehrfach im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausbruch der
Krankheit. Ein anderes Mal treten die ersten Erscheinungen unmittelbar
ira Anschluss an eine akute Enteritis, die durch schlechte Konserven her¬
vorgerufen ist (festgestellt!) mit Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen, Er¬
brechen, Eiweiss und Oedemen ein.
Ein besonders häufiges Auftreten von Halserkrankungen, namentlich
von Entzündung der Mandeln und des hinteren Nasenrachenraums, auf die
wir besonders geachtet haben, hat sich bei unserem Material nicht fest¬
stellen lassen. Etwa 20 Proz. unserer Kranken haben angegeben, dass
sie bis zu 1 Monat'vor ihrer Erkrankung an Kriegsnephritis irgendeine
Rachen- oder Halserkrankung durchgemacht hatten. Damit soll selbst¬
verständlich nicht bestritten werden, dass trotzdem in viel grösserem
Massstabe als in 20 Proz. die Rachenorgane die Eintrittspforte von Krank¬
heitserregern für die Kriegsnephritis sein können.
Das klinische Bild der Krankheit, auf das wir bei anderer Gelegen¬
heit noch ausführlich zu sprechen kommen werden, macht es uns höchst
wahrscheinlich, wenn nicht sicher, dass es sich bei ihr um eine Infektion
mit Streptokokken handelt. Die Diskussion auf dem Warschauer Kon¬
gress für innere Medizin und die danach erschienenen Arbeiten auf diesem
Cieblete haben das unseres Erachtens so gut wie erwiesen. Wir wurden
damals auf Grund unserer Beobachtungen schon auf diese Anschauung
hingewiesen, ganz besonders durch die genaue klinische und anatomische
Prüfung zweier Fälle, die wir genau beobachten konnten, die zum
Exitus kamen und bei denen die Autopsie von sachverständiger patho¬
logischer Hand vorgenommen wurde.
Der eine Kranke A. war 36 Jahre alt, machte vor 3 Jahren eine Blind-
darmoi>eration durch,"' sonst war er nie. auch nicht während des Feldzugs,
krank. Letzte Typhusimpfung November 15, Choleraimpfung April 15.
Tätig am Festungsproviantamt Qrodno. Dienst im Freien, war häufig dem
Zuge ausgesetzt. Bürgerquartier: Bett, Matratze, Decken. Nur selten Un¬
geziefer. Ernährung besser als Feldküche. Kein Alkohol, wenig Tabak.
Erkrankung am 21. TI. 16. Plötzlich mit Kopfschmerzen, Uebelkeit, Fieber und
Ohnmachtsanfall. Kräftig, gut genährt, mehrere frische Furunkel im Nacken.
Mandeln gerötet und geschwollen. Innere Organe gesund, ausser Nieren.
Puls voll, gespannt und beschleunigt, Fieber 39. Harnmenge nicht erheblich
vermindert, 1 Prom. Eiweiss, Blut im Harn, hyaline Zylinder. Temperatur
schwankt im Verlauf zwischen 39 und 40.5. Ausgesprochene schwere Tonsil¬
litis, starke Beteiligung der Lungen (Infiltration und Pleuritis). Hammenge
nimmt ab, Eiweiss steigt, Blut verschwindet. Am 7. Tage nach der Er¬
krankung Exitus im_ urämischen Koma.
Die Obduktionsdiagnose lautet: Septische Nierenentzündung. Stark ge¬
schwollene braune Nieren mit schwerster Parr.nchymschädigung, septischer
Milztumor, embolische Lungenabszesse in beiden Lungen. Dazu fibrinös¬
eitrige frische Pipoenfellentzündung beiderseits, mehrere im we.sentlichen ab¬
geheilte Furunkel im Nacken, darunter im Bereich der tiefen Nackenmuskulatur
eine phlegmonöse Infiltration.
Wir haben es hier also mit einer zunächst ganz harmlos aussehenden
Furunkulose des Nackens zu tun, die rasch von einer akuten Nephritis ab¬
gelöst wird, der eine allgemeine Sepsis folgt, bis das Ende wieder ganz von
den Erscheinungen seitens der völlig- unzureichend gewordenen Nieren be¬
herrscht wird.
Der zweite Fall betrifft einen 40jährigen. der früher gesund war. Letzte
Typhusimpfung Dezember 1915. Oft entlaust, hat aber zurzeit kein Un¬
geziefer, reine Feldkost, kein starker Raucher. Hat. in der vordersten Stel¬
lung häufig im Schnee liegen müssen infolge feindlicher Angriffe. Qab an,
dass das Wasser aus dem Graben zu schöpfen wa,-, und dass in den letzten
Wochen der Boden des Unterstandes unter Wasser gestanden hat. Nach
einer unter den geschilderten Umständen verbrachten 3 tägigen Wache bekam
er am 9. III. Magenschmerzen, denen rasch Kopfschmerzen und Beinschwellung
folgten. Bei guter Ernährung und kräftigem Bau Haut- und Schleimhaut¬
farbe blass, starkes Oedem. Im Harn 0.5 Prom. Eiweiss. die Menge sehr
gering, nur die Hälfte der FlDssigkeitszufuhr. Reichlich granulierte Zylinder
und weisse Blutkörperchen im Harn. Später Aszites und Stauungserschei-
nungen auf den Lungen. Milz nicht vergrössert; am 29. IV. erste Anzeichen
der Urämie, gegen die mehrfache Aderlässe ohne Wirkung w'.ren. Später
6—7 Prom. Eiweiss, hyaline. Epithel- und sehr viele granulierte Zylinder,
massenhaft verfettete Nierenepithelien, rote und weisse Blutkörper, nach
Anurie und schwerster Urämie Tod am 2. V. 16.
Nr. 4.
Das Sektionsprotokoll verzeichnet hochgradige Trübung der Hsn.
muskulatur. Leichte Dilatation und Hypertrophie beider Ventrikel, besonders
des linken. Pleuratranssudate beiderseits, Bronchitis chronica, starkes Lungen¬
ödem. Milz auf etwa das Doppelte vergrössert, weich, Zeichnung undeutUch,
Nierenkapsel fettreich. Nieren etwas vergrössert. Konsistenz schlaff, doch
das Gewebe derb, Rinde oberflächlich glatt mit vielen feinsten punktförmigen
Blutungen durchsetzt, sie ist verbreitert und graurötlich trübe. Die Mark-
kegel heben sich durch etwas dunklere Farbe ab. Magenschleimhaut mit
zahlreichen punkt- und strichförmigen Blutungen durchsetzt.
Auch den 2. Fall halten wir nachträglich noch für Rückschlüsse auf die
Aetiologie von Wert. Der gerade in unserem Material so häufig vertretene
nasse Boden wird hier zum Ausgangspunkt der rasch einsetzenden, tödlich
verlaufenden Kriegsnephritis. Auch hier wie oben stellt die Sektion eine
Infektion fest, die mit grösster Wahrscheinlichkeit auf eine Streptokokken¬
einwanderung hinweist.
Die Bezeichnung als „Streptokokkeninfektion“ ist nur im klinischen
ätiologischen, nicht im bakteriologischen Sinne zulässig. Wir glauben
nicht, dass die Kriegsnephritis eine neue besondere Krankheit darstellt,
sondern nehmen an. dass es sich um das gehäufte Auftreten einer
Glomerulitis handelt, die Je nach der Schwere des Falles eine einfache
Kanillarschädming bis zu der schwersten Glomerulonephritis zeigen
kann. (Herxheimer.)
Der pathologische und der klinische Befund lassen es als wahrschein¬
lich erkennen, dass es sich bei unserer Krankheit um eine Infektion oder
um eine Infektionsfolge handelt, wenn auch z. B. der Milztumor nicht
Immer sehr ausgesprochen war. Einzelne Autoren fanden ihn geradezu
selten. Doch die pathologische Anatomie der Krankheit weist immer
wieder auf eine im septischen Sinne veränderte Milz hin. Zahlreiche
klinische Erscheinungen, von denen in späteren Mitteilungen die Rede
sein wird, lassen die Infektionsnatur der Erkrankung deutlich' hervor-
tieten. Eine andere Art von Erregern als Streptokokken kann unseres
Erachtens night m Betracht kommen. Entspricht doch die ganze Art
der Nierenerkrankung. selbst auch in ihren hi'^tolngischen Einzelheiten,
durchaus derjenigen der uns von den mtholog'schen Anatomen seit
langem bekannten einfachen, durch Streptokokken hervorgebrachten
Nierenschädigung. Wir verw^efsen hierbei insbesondere auf die Unter¬
suchungen von L ö h 1 e i n und Herxheimer. Als Eintrittspforte
lassen wir sowohl die Schleimhäute der oberen Luftwege wie die Ver¬
letzungen der äusseren Haut gelten
Dass die Streptokokken nicht die einzige ausschlaggebende Be¬
dingung für das Entstehen der Erkrankung sind, ist uns vollkommen
sicher. Warum es gerade zu einer Nierenschädigung bei dieser Art der
Streptokokkeninfektion kommt, ist schwer zu entscheiden, hängt aber
sicherlich mit den eigenartigen Lebensumständen zusammen, die der
Krieg für uns mit sich führte. In erster Linie denken wir hier auch nach
bekannten experimentellen Untersuchungen an die Folgen Plötzlicher
starker Abkühlung und Durchnässung. Veimntlich liegt die Sache so,
dass unendlich viel mehr Menschen als an Kriegsnenhritis erkrankten,
mit Streptpkokken infiziert waren, dass von diesen wiederum eine grosse
Anzahl auch starke Abkühlnngen und Diircbnä.ssungcn vertragen haben,
ohne dass bei ihnen Erscheinungen von Nierenstörung subjektiv und
objektiv bemerkt wurden, während bei einer kleinen Anzahl, eben der¬
jenigen, die an Krlegsneohrlt's erkrankten, die beiden äusseren Schädi¬
gungen mit der geeigneten Dlsnosltinn des Körners znsammentrafen. die
Krankheit zu erzeugen. Die Bedeutung der leichten Fälle für die Oesamt¬
auffassung von Infektionskrankheiten und die eigenartigen Verhältnisse,
unter denen der Begriff der Ursache gefasst werden kann, treten hier
auf das Deutlichste hervor.
Literatur.
1. Chiari: W.kl 1006 Nr. 40. — W. Kollert: W.kl.W. tOlO
Nr. 8. — 3. n r n n h a u IO- M m W. 1916 Nr. 31 — 4. Gast: D.m.W. 1916
Nr. 38. — 5. H e r X h e i m c r: D.m.W. 1916 Nr. .32. — 6. Löh! ein;
Med. Klin. 1916 Nr. 35.
Aus der medizinischen Klinik Erlanpren.
(Direktor: Och Hofrat Prof. Pen^oldt.)
Unsere Erfahrungen mit der RXntgenbehandlung innerer
Krankheiten.
Von Dr. Mory, Assistent der Klinik.
Es erscheint wünschenswert, dass über eine so im Vordergrund des
Interesses stehende Behandlungsmethode, wie sie die Röntgenbetrahliing
ist, aus den Kliniken, ln denen sie Anwendung findet, schon frühzeitig
Berichte veröffentlicht werden, auch wenn die Erfahrungen noch nich^
zu einem völligen Abschluss gekommen sind. Von 101.“3 bis 1017 wa
an der hiesigen Klinik das Aoex-Tnstnimentariiim von Reiniger, Gcbbcr'
& Schall In Gebrauch, das iedoch im Vergleich mit den modernen Thera-
nieano-^raten in der Tiefe der Gewebe nur eine verhältnismassig gering«
Ausbeute an Strahlenenergie gestattete. Immerhin sind auch mit diesen
bei leichter zu beeinflussenden Krankheiten (Myelose. Lvmphadenosf
oberflächlichen tuberkulösen Drusen etc.) Erfolge erzielt worden, die aocl
mit dem heute verwendeten Intensivinstrumentarium nicht w^esm^tlid
heiser cind. Seif Mörz 1918 ist bei uns der Svmmetrieannarat von Pemi
ger. Oebbert & Schall mit Wintzschem Regenerierautomat und selbst
härtenden MüHer-Siederöhren in Betrieb. Durch aii'^schlicssliche Filternn
des Röntgenstrahlengemisches mit O.SmmZmk wird eine nrakrisrh homo
gene Strahlung von guter Durchdringungsfähigkeit erreicht. Nachdem e
gelungen ist. Methoden auszuarbeiten, die eine Messung der angewandte
Strahlencnergie auch jm menschlichen Körpergewebe zulassen, war ein
Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
28. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
101
Dosierbarkeit möglich geworden. Naturgemäss verdanken wir den Er¬
langer Autoren Scitz und Wintz^), die sich mit diesem Problem
besonders befasst haben, viele Anregungen. Wir haben im wesentlichen
ihre Methoden auf innerlich Kranke zu übertragen versucht. Die Messung
der Strahlen mit dem von W i n t z modifizierten lontoquantimeter genügt
weitgehenden Anforderungen. Da wir uns selber kein derartiges In¬
strument verschaffen konnten, haben wir uns darauf beschränken müssen,
unsere Röhren bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit teilweise in der hiesigen
Frauenklinik eichen zu lassen. An ihnen kontrollierten wir unter Zu¬
hilfenahme von Kienböckstreifen unser übriges Röhrenmaterial. Wir
haben dann nach Zeit bestrahlt. Die prozentuale Tiefendosis wurde hin¬
ter einem 10 cm hohen Wasserkasten unter Einhaltung der notwendigen
Vorsichtsmassregeln bei jeder Röhre bestimmt. Mit dem Begriff der
fiauteinheitsdosis (HED.), der von S e i t z und W i n t z aufgestellt wor¬
den ist, lässt sich gut arbeiten. Die Tiefendosis in Prozenten der HED.
ausgedrückt, ist ein sehr brauchbares praktisches Mass.
In Anbetracht der vielen bestehenden verschiedenartigen Bezeich-
• mingen für die Masse in der Röntgentiefentherapie wäre es zweckmässig,
wenn man sich alsbald allgemein auf eine bestimmte Bezeichnung einigen
würde.
Es ist notwendig, dass aus den Veröffentlichungen die Art und
Menge der angewandten Strahlenenergie zu ersehen ist. K1 e w i t z *)
und Schlecht*) sind hier mit gutem Beispiel in der inneren Medizin
schon xorangegangen.
Bevor wir im folgenden in Kürze über unsere während des Zeit¬
raumes von Januar 1918 bis Mai 1920 mit dem Symmetrieinstrumen¬
tarium bestrahlten Fälle berichten, sei darauf hingewiesen, dass wir wäh¬
rend der ganzen Zeit unter möglichst gleichen Bedingungen zu arbeiten
versucht haben. Es wurden nur die M ü 11 e r sehen selbsthärtendcn Siede¬
röhren verwandt, die stets mit 2,3 MA. belastet wurden. Gefiltert wurde
ausschliesslich mit 0,5 mm Zink. Bei den folgenden Dosenangaben er¬
übrigen sich also diesbezügliche Mitteilungen. Die HED. erreichten wir
bei 23 cm Fokus-Hautibstand fFHA.) in 35—45 Minuten je nach Strahlen¬
ausbeute und Belastungsmöglichkeit der einzelnen Röhren. Die pro¬
zentuale Tiefendosis unter 10 cm Wasser bei einem Einfallsfeld von
5:7 cm betrug 16—18 Proz. HED. Die Einstellung der Felder wurde mög¬
lichst sorgsam gemacht Verbrennungen haben wir in der ganzen Zeit nur
einmal durch ein versehentlich falsch vorgelegtes Filter erlebt Braune
Pigmentierung der Haut trat im allgemeinen nach 3—6 Wochen auf.
Sie war mehr oder weniger scharf ausgeprägt und mitunter sehr gering
bei kachektischen Kranken. Auch fiel es uns auf, dass bei 70 und
80 cm FHA. und mehr die errechnete Zeit für die HED. zu gering ist,
um ein Erythem mit darauffolgender genügender Bräunung zu erzielen.
Grund für diesen Unterschied zwischen der errechneten Zeit (punktförmigei
Strahlenquelle) und dem biologischen Resultat .liegt nach persönlicher
Mitteilung von Wintz in der Brennpunktgrösse und der Luftstreuung.
Durch längere Bestrahlungszelt kann dieser Fehler leicht ausgeglichen
werden.
Wenn im folgenden von der Einzelfeldermethode ohne sonstige An¬
gaben gesprochen wird, so meinen wir immer Einfallsfelder von 5:7 cm,
die aus einem FHA. von 23 cm bestrahlt worden sind.
Zunächst seien unsere Karzinomfälle besprochen. Bestrahlt
wurde eine weitaus grössere Anzahl, als hier angeführt ist. Wir haben
aber alle die Fälle ausgeschieden, bei denen eigentlich mehr solatii
cau«a die Röntgentiefentherapie angewandt wurde und bei denen wegen
schwerster Kachexie ein Erfolg von vornherein nicht zu erwarten war.
Die Fälle von Magenkarzinom reduzieren sich so auf 7. Auch
bei diesen hatte der Allgemeinzustand mehr oder weniger gelitten. Bei
3 waren kleine Leber- und Drüsenmetastasen nachweisbar. Operabel
war dem klinischen Befund nach nur 1 Fall, die Operation war aber
verw'eigert worden. 3 mal sass der Tumor vorwiegend am Pylorus,
1 mal an der kleinen, 3 mal an der grossen Kurvatur. Bestrahlt wurde
5 mal nach der oben näher bezeichneten Einzelfeldermethode (12 bis
14 Felder auf den Tumor vom Bauch, Rücken und den Selten aus. auf
jedes Feld 100 Proz. HED.). Einmal wurde vom Rücken und Bauch aus
auf ein Karzinom der grossen Kurvatur je ein Einfallsfeld von 15:15 cm
rewahlt und aus 40 cm Entfernung mit 100 Proz. der HED. belastet,
assserdem noch 4 Felder nach der Einzelfeldermethode gleichfalls mit
uy) Proz. HED. Die kleinen Felder lagen seitlich von den Fernfeldern
.nd waren so eingestellt, dass möglichst die der Bauchhaut am näch¬
sten gelegenen Tumorteile getroffen werden sollten. Ein anderer Fall
von Karzinom der grossen Kurvatur bekam ein Fernfeld von 15:16 cm
von vorne aus 70 cm FHA., 4 Felder 5:7 cm aus 23 cm FHA. mit
ie 100 Proz. HED. oberhalb und links seitlich vom Femfeld, die gleich-
fills möglichst auf die oberflächlichen Tumorteile gerichtet waren.
Ausserdem wurden 4 Einzelfelder von 5:7 cm aus 23 cm FHA. mit je
100 Proz. HED. vom Rücken aus gegeben. Die Bestrahlungen verteilten
sich auf 12. längstens 36 Stunden. 5 mal fand eine einmalige Strahlen¬
behandlung statt. 2 mal wurde sie noch 1 mal wiederholt. Sämtliche
Tumoren lagen dicht unterhalb der Bauchdecken. Es ist deshalb in den
obersten Schichten die von Wintz geforderte Minimalkarzinomdosis
von 90 HED. nicht erreicht worden. In den tieferen Schichten haben
wir dagegen unserer Berechnung nach 90 bis 120 Proz. HFD. erzielt.
Fine Besserung des objektiven Befundes trat in keinem Fall zutage.
Seltz und Wintz: Unsere Methode der Röntgentief^ntherapie und
•rre Erfolge 1920. Urban & Schwarzenberg.
D K I e w i t z: M.tn.W. 1920 H. 10.
') Schlecht: M.m.W. 1920 H. 28.
6 Kranke sind nach einigen Monaten Igestorbe i; mir ^ner hat mehr als
V 2 Jahr gelebt. Ein im April 192Ö Bestrahlter ist nach brieflicher Mit¬
teilung verschlimmert. Danach kann von einem Erfolg bei unseren
Magenkarzinomfällen keine Rede sein.
Die Unterdosierung in den obersten Tumorschichten werden wir in
Zukunft dadurch zu verhindern suchen, dass wir nur grosse Femfelder
aus 80—100 cm FHA. geben. Nach Wintz ist es möglich, in 3 cm
Tiefe 90 Proz. HED. zu erzielen, ln den nächsten Schichten bleiben
wir aber auch bei dieser Methode von der genügenden Dosis entfernt.
Rein technisch also bietet das Magenkarzinom wegen seiner ungünstigen
Lagerung, der häufigen Unmöglichkeit der genauen Lokalisation des
Tumors ohne Laparotomie, der tiefen Ausbreitung und unberechenbaren
Metastasierung dem inneren Mediziner die grösste Schwierigkeit.
Beim Karzinom des Oesophagus und der K a r d i a sind wir
wegen der mehr zentralen Lage des Tumors bzgl. der Feldereinstellung
etwas besser dran. Bei 11 Fällen von Karzinom der Kardia haben wir
9 mal die Einzelfeldermethode angewendet. Von der Brust, dem Rücken
und den Seiten aus wurden 10 bis 16 Felder in einer Sitzung mit
100 Proz. HED. belastet. In 2 Fällen, in denen am linken Rippenbogen
bereits ein grösserer Tumor zu fühlen war, wurden von vorne aus 60
bzw. 70 cm FHA. auf ein Feld von 300 qcm 100 Proz. HED. gegeben,
ausserdem seitliche und rückwärtige Felder aus 23 cm FHA. Unserer
Berechnung nach haben wir in allen Fällen am Tumor eine Dosis von
100 bis 120 Proz. erzielt. Auch hier sind unsere Resultate recht be¬
trüblich. Wohl traten vorübergehende Besserungen auf. Von den
11 Kranken sind aber bisher 9 gestorben, länger als 11 Monate hat
keiner nach der Bestrahlung gelebt. Einmal wurde 15 Tage nach
unserer Röntgenbestrahlung in einem anderen Krankenhaus mittels
Oesophagoskop eine Mesothoriumkaosel eitffeelevt. 6 Tage später trat
eine tödliche Perforation in die linke Pleurahöhle ein. Ein anderer
Kranker in leidlichem Allgemeinzustand bekarri in einer Sitzung auf
ein Feld 11 :18 cm aus 55,cm FHA. und auf 8 Einzelfelder von 5 :7 cm
aus 23 cm FHA. 100 Proz. HED. Nach 4 Tagen verliess er die Klinik,
nach weiteren 3 Tagen starb er zu Hause. Es ist uns nicht möglich,
eine genügende Erklärung für den überraschend schnell eingetretenen
Exitus letalis anzugebei. Ein vor 8 Monaten bestrahlter Fall, der sich
in schlechtem Allgemeinzustande befunden hatte, war vorübergehend
gebessert, ist jedoch jetzt wieder schlechter gew'orden. Eine ausgiebige
Besserung zeigt ein Patient, der sich in gutem Allgemeinzustand in
unsere Behandlung begehen hatte. Nachdem das Kardiakarzinom mittels
Probeexzision sichergestellt war. wurden drei Bestrahlungserien durch¬
geführt. Seiner eigenen Mitteilung nach geht es ihm heute. 8 Monate
nach* Beginn der Behandlung, sehr gut. Bei einem Karzinom der Speise¬
röhre in 34 cm Entfernung von der Zahnreihe wurden in 2 Bestrahlungs¬
serien von der Brust und dem Rücken aus je 4 Felder von 5:7 cm
aus 23 cm FHA. mit 100 Proz. HED. mit dem Erfolg gegeben, dass
3 Monate nach der ersten Bestrahlung die Gastrostomie gemacht werden
musste und 5 Monatq später der Tod eintrat. Die erwähnten vorüber¬
gehenden subjektiven Besserungen können auf besserer Durchgängigkeit
infolge von Ulzerationen beruht haben, wie sie auch ohne Bestrahlung
beobachtet werden.
Bei 2 inoperablen Fällen von Rektumkarzinom, die nach der
Einzelfeldermethode (6—9 Felder vom Bauch. Rücken und Oesäss aus)
mit je 100 Proz. HED. bestrahlt waren, sahen wir nur vorübergehende
Besserung. Bei dem einen Kranken, bei dem ein Anus praeternaturalis
angelegt war. schloss sich die Blasen-Mastdarmfistel. der Tumor wurde
nachweisbar kleiner; länger als H Jahr hat auch dieser Kranke nicht
mehr gelebt. Bei dem 2. Kranken war eine Mesothoriumbehandlung
ohne Erfolg vorausgegangen. Es wurden darauf im Verlauf von
7 Monaten 5 Bestrahlungsserien durchgeführt. Eine Ulzeration des Tu¬
mors trat ein. der Kranke ist aber 9 Monate nach Beginn der Behand¬
lung gestorben.
Vollkommen erfolglos mit baldigem tödlichen Ausgang waren unsere
Bestrahlungen bei Karzinom der Flexura coli sinlstra, des¬
gleichen bei einem anscheinend primären Leberkarzinom und
einem Karzinom der Pleura. Alle drei Kranke waren sehr
kachektisch. Auf die ungünstig gelegenen Tumoren haben wir natürlich
nicht genügend Strahlenenergie zur Anwendung bringen können. Der
Kolontumor wurde rasch grösser (Reizdosis).
Aus obigen Feststellungen bei unseren Karzinomfällen des Ver-
dauungstraktus ersehen wir also ein recht bescheidenes Ergebnis. Nur
bei dem einzigen Patienten in gutem Allgemeinzustand rnit Kardia¬
karzinom haben wir eine bisher 8 Monate anhaltende Besserung erzielt.
In der Kachexie liegt zweifellos das wichtigste Moment für unsere
übrigen Misserfolge.
Die therapeutische Wirkung der Röntgenstrahlen auf das Karzinom
stellen wir uns so vor, dass durch eine Dosis von 90 bis 120 Proz. HED.
eine Schädigung, möglicherweise Abtötung der Karzinomzellen eintritt.
Gleichzeitig erfolgt aber wahrscheinlich eine Reizung des benachbarten
Bindegewebes und damit eine Anregung der sich hier absoielenden
natürlichen Abwehrvorgänge. Diejenige Dosis wird also den günstig¬
sten Effekt haben, die gleichzeitig eine Schädigung der» Tumorzellen
und eine Steigerung der Reaktionsfähigkeit des Binde^-ewebos bedingt.
Von allen pathologischen Zellen sind die des Karzinoms die wider¬
standsfähigsten gegen die Röntgenstrahlen. Viel emnfindlicher sind die
dem Bindegewebe entstammenden krankhaften Zellformen (Sarkome
usw,). und zwar sind nach den Erfahrungen Lobenhofers*) beim
*)Lobenhoffer: M.m.W. 1920 H. 5.
Digitized by Goiisle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
102
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Sarkom. die Türöp/zellon Xim-siö ’crapfindlicher, je näher der embryonalen
die Twflorzdle'ist. *'SdHr'‘Strahlenempfindlich sind die pathologischen
Blutzellen, die ja gleichfalls Bindegewebsabkömmlinge sind. Zu ihrer
Beeinflussung genügen weit geringere Dosen als beim Karzinom.
Die Erfahrungen, die wir mit der Röntgentiefentherapie der
leukämischen Bluterkrankungen (Myelose, Lymphadenose)
gemacht haben, decken sich im wesentlichen mit denen S c h I e c h t s “).
Je frischer die Fälle sind, mit um so kleineren Dosen (30—50 Proz. HED.
auf die Haut) kommt man aus. Die Einfallsfelder sind nicht zu gross zu
wählen (6:8 bis 10:10 cm). Felder aus grosser Entfoj-nung erübrigen
sich meist. Langsam soll eine Verkleinerung der Milz und Rückgang der
pathologischen Blutzellen erstrebt werden. Eine Intensivbestrahlung
einer stark vergrösserten Milz in einer einzigen Sitzung ist ein Kunst¬
fehler. Langsam Feld um Feld* in mindestens 24stüiidigen Zwischen¬
räumen wird die Milz unter ständiger Kontrolle des Blutbildes durch¬
bestrahlt. Erst später kommen Leber- und Knochenbestrahlungen fn
Betracht. Stärkeres Sinken der Hämoglobinwerte alsbald nach der Be¬
strahlung ist ein Zeichen für Ueberdosierung. Es ist nicht nur nicht
nötig, sondern gefährlich, so lange bestrahlen zu wollen, bis Milz und
Blutbild normal sind. In älteren, früher schon bestrahlten Fällen sind
Hautdosen bis 100 Proz. HED. erforderlich. Die Kranken sollen nach
dem ersten erzielten Erfolg ständig in ärztlicher Kontrolle bleiben, damit
bei Verschlechterung sofort wieder bestrahlt werden kann. Wir haben
anhaltende Besserung bei vorhandener Arbeitsfähigkeit gesehen. Eine
Heilung haben wir nicht zu verzeichnen.
Sehr strahlenempfindlich sind Lymphome; 50 Proz. HED. an
dem betreffenden Lymphom genügen, um es meist in kurzer Zeit zum
Schwinden zu bringen. Etwas weniger vut reagiert das Lympho-
g r a n u 1 0 m. Bei beiden Krankheiten haben wir gute Augenblicks¬
erfolge' gesehen, ausgedehnte Rezidive schon nach wenigen Wochen
konnten wir jedoch oft nicht verhindern. Sitzt das Granulom im Media¬
stinum, so gelingt es im allgemeinen leicht,^ 60 Proz. HED. als aus¬
reichende Dosis in den Tumor hineinzubringen. In 2 Fällen von Media-
stinaltumoren. die nicht ganz sicher, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit
als Lymphome anzusprechen waren, konnte das Kleinerwerden der
Tumoren im Röntgenbild einwandfrei festgestellt werden. Der eine
Kranke befindet sich seit 2 Jahren wohl, der andere ist % Jahre nach
Beginn der Behandlung gestorben.
Dass tuberkulöses Granulationsgewebe gleichfalls
sehr strahlenempfindlich ist, ist allgemein bekannt. Die wenigen von uns
bestrahlten oberflächlichen tuberkulösen Drüsen, tuber¬
kulösen Affektionen der Hilusgegend, des Media¬
stinums und des Peritoneums wurden günstig beeinflusst.- Da
diese Erfahrungen mit den bisher gemachten durchaus übereinstimmen,
unterlasse ich eine ausführliche Darstellung. Nie haben wir allgemein
hygieniscli-diätetische Massnahmen vernachlässigt. Ein genaues Mass
für die an den tuberkulösen Granulationsgeweben anzuwendenden Dosis
vermögen wir nicht anzugeben. Sie dürfte bei den oben angeführten
Fällen zwischen 50 und 60 Proz. HED. liegen. Die Hilusgegend wurde
nach der Einzelfeldermethode mit meist je 4 Feldern von Brust und
Rücken bestrahlt. Handelte es sich um eine tuberkulöse exsudative
Peritonitis, so wurde vor der Bestrahlung das Exsudat abgelassen.
Während wir anfänglich viele auf mehrere Tage verteilte Kleinfelder
aus 23 cm FHA. angewandt haben, geben wir jetzt grössere Felder aus
weiterer Entfernung auf das Abdomen. Wir erreichen dadurch eine
gleichmässigere Durchstrahlung und vermeiden Ueberdosierung durch
Ueberkreuzen der Strahlenkegel. Bei 5 Fällen von tuberkulöser
Spondylitis mit Abszessbildung blieb anhaltende Besserung aus.
Zw^eimal war im Anschluss an eine Laminektomie bestrahlt worden. Es
trat alsbald auffallende Besserung der Lähmungserscheinungen auf, die
jedoch nur ganz kurze Zeit anhielt. Beide Kranken sind nach kurzer
Zeit gestorben. Dagegen haben wir in einem Falle von einer chro¬
nischen, wahrscheinlich tuberkulösen Affektion des Rückenmarks und
seiner Häute eine Besserung erzielt. Die betreffende Kranke litt an
vollkommener Parese des rechten Beines, an stärkerer Lähmung des.
linken Beines und leichten Motilitätsstörungen am rechten Arm. Sensi¬
bilität an den Beinen ausgedehnt gestört. Es bestanden starke Wurzel¬
schmerzen. Sie konnte sich nicht aus der Rückenlage allein aufrichten.
In öw'öchigen Abständen wurde in 4 Sitzungen bestrahlt und zwar von
der unteren Halswirbelsäule an bis zur Lendenwirbelsäule mit der
üblichen Einzelfeldermethode. Nach unserer Schätzung haben wir un¬
gefähr 50 Proz. HED. an das Rückenmark hingebracht. Die Kranke kann
jetzt, 10 Monate nach dem Beginn der Behandlung, sämtliche Gliedmassen
vollkommen bewegen, sich aufrichten und längere Zeit frei sitzen. Auch
die Sensibilitätsstörungen sollen sich gebessert haben.
Bezüglich der Bestrahlung der Lungentuberkulose sind wir
nur in der Lage, über 3 Fälle berichten zu können. Das liegt daran,
dass wir in der Auswahl derselben äusserst kritisch waren. Zur Be¬
strahlung haben wir uns erst entschlossen, w^enn die üblichen sonstigen
Alethoden, wie Liegekuren. Tuberkulinbehandlung und Pneumothorax
keinen genügenden Erfolg erzielt hatten oder ein Stillstand in der Heilung
eingetreten war. Wir sind der Ansicht, dass man nur bei dieser
strengen Auswahl in der Lage ist. die Brauchbarkeit der Methode mit
einiger Sicherheit zu beurteilen. Diejenigen Veröffentlichungen fördern
unsere Erkenntnis nicht, bei denen in beginnenden und bei leichteren zur
Zirrhose neigenden Fällen eine Besserung durch Bestrahlen festgestellt
") Schlecht; M.m.W. 1920 H. 28.
Nr. 4.
wird, da diese auch ohne Röntgenstrahlen oft günstig verlaufen. Bei
einem Mädchen mit überwiegend einseitiger, aber zu starker Einschmel¬
zung neigender Lungentuberkulose haben wir, als sie schon in einem sehr
schlechtem Zustande mit hohem Fieber sich befand, experimenti causa. .
bestrahlt. Aus 60 cm FHA. wurde auf ein Feld von 14 :20 cm über den
linken oberen Lungenteilen von vorne und hinten 75 Proz. HED. auf die
Haut gegeben, so dass wir in der Tiefe bis zu 50—60 Proz. H6D. erreicht
haben. Eine Aenderung im Befunde trat klinisch trotz der verhältnis¬
mässig grossen Dosis weder im guten noch im schlechten Sinne zutage.
Eine Frau mit doppelseitiger, zu kavernösem Zerfall neigender Spitzen¬
tuberkulose wurde bestrahlt, da die hygienisch-diätetische Kur gar keinen
Erfolg brachte und eine Tuberkulin- wie Pneumothoraxbehandlung kon¬
traindiziert w'aren. Mittels der üblichen Einzelfeldermethode wurde so
dosiert, dass die zentralen erkrankten Teile 30 bis 50 Proz. HED. be¬
kamen. Die Bestrahlungen verteilten sich auf 8 Tage. Die Felder waren
so gewählt, dass an den einzelnen Tagen in bestimmten Höhen von
mehreren Feldern so bestrahlt wurde, dass nacheinander etagenweise
die erkrankten Partien die obige Dosis erhielten. Der Erfolg war als-f
bald eine wesentliche Verschlimmerung. Bei einer dritten Frau mit
doppelseitiger, mehr zu Bindegewebsbildung neigender Lungentuber¬
kulose war eine Tuberkulinkur und eine Pneumothoraxbehandlung mit
Exsudatbildung vorausgegangen. Eine Besserung war erzielt die Hei¬
lung machte aber keine weiteren Fortschritte. Bestrahlt wurde wie im
zweiten Fall. Eine Schädigung trat nicht ein. aber auch keine Besserung.
Alle drei Kranke sind lange beobachtet Aus diesen vereinzelten Er¬
fahrungen Allgemeinschlüsse zu ziehen, geht natürlich nicht an. Es ist
ganz sicher, dass wir im 2. Fall geschadet haben. Welches im ein¬
zelnen Falle die günstigste Dosis ist wissen wir nicht. Da wir bei der
Einzelfeldermethode durch Ueberkreuzen der Strahlenkegel eine ungleich-
mässige Dosierung an den verschiedenen Lungenteilen haben, sind wir
dazu übergegangen. Fernfelder, jedoch nur über den erkrankten Partien
anzuwenden, die uns eine gleichmässigc Durchstrahlung ermöglichen.
Wie die Röntgenstrahlen auf das tuberkulöse Gewebe wirken, ist
noch keinesfalls klar. Die Tuberkelbazillen w'erden durch die Röntgen- .
strahlen nicht beeinflusst Nach den experimentellen Untersuchungen
von K ü p f e r 1 e ®) und Baemeister^) wird das tuberkulöse Granu¬
lationsgewebe zerstört alsbald durch Bindegewebe ersetzt und dadurch
die Heilung bedingt.
Auf Grund längerer Erfahrungen hat de 1 a Camp in der Pen-
zoldt-Nummer des Jahrganges 1919 der Münch, med- Wochenschr.
über Dosierung und Ausw^ahl der Röntgenstrahlen bei Lungentuberkulose
berichtet Ganz kleine Dosen (‘/lo Erythemdosis) werden als wirksam
bezeichnet „Gegenstand der Bestrahlung dürfen nur die nicht zum
Zerfall neigenden chronischen Phthisen produktiven Charakters sein.“
Die Schwierigkeit bei der Bestrahlung besteht zunächst in der Dosierung.
Einerseits wird das tuberkulöse Qranulationsgewebe schon bei ver¬
hältnismässig geringen Dosen zerstört so dass es zu Einschmelzungen
kommt während dieselbe Dosis wahrscheinlich nicht ausreicht, um einen
genügenden Reiz auf das Bindegew'ebe auszuüben. Ist keine Neigung
zur Neubildung desselben vorhanden, wie das für exsudative Fälle zu¬
trifft so schaden wir mehr als wir nützen. Ein spezifisches Heilmittel
besitzen wir in den Röntgenstrahlen gegen die Tuberkulose nicht. Ob
die von M. F r ä n k e 1 ®) empfohlene Reizbestrahlung der Milz sich im
Kampf gegen die Tuberkulose bew^ähren wird, muss erst abgewartet
werden.
Von sonstigen Krankheiten haben wir 2mal Asthma bron¬
chiale ohne erkennbare Wirkung bestrahlt (grosse Felder von Brust
und Rücken aus 50 cm FHA. mit 75 Proz. der HED. auf die Haut).
Erwähnt wegen des günstigen Erfolges sei das rasche Verschwinden
eines traumatischen, blutigserösen Pleuraergusses
(7 Einzelfelder mit 75 Proz. der HED. auf die Haut), der vorher keine
Neigung zur Heilung gezeigt hatte. Des weiteren empfehlen wir zur
Nachprüfung die Behandlung veralteter gonorrhoischer Gelenk¬
entzündungen. Einmal wurde an einem Fussgelenk, ein anderes
Mal am Knie- und Handgelenk eine auffallende Besserung erzielt, nach¬
dem alle möglichen anderen Mittel nutzlos gewesen sind (2 Einfalls¬
felder über den betreffenden Gelenken mit 60—80 Proz. der HED. auf
die Haut über dem Handgelenk aus 60 cm FHA. ein Feld 6 :8 cm mit
100 Proz. HED.) Unsere Ersolge bei 2 Kranken mit Prostatahyper¬
trophie sind vorsichtig zu werten, da gleichzeitig eine anderw'eitige
Behandlung (Dauerkatheter) angewandt wurde. Immerhin glauben wir
eine unmittelbar nach der Bestrahlung aufgetretene Besserung auf diese
zurückführen zu sollen. Einmal trat eine deutliche Verkleinerung der
Prostata ein (Einzelfeldermethode mit je 2 Feldern vom Bauch und
Gesäss. öin weiteres vom Damm aus, ein anderes auf die Hoden zur
Kastration, je 100 Proz. der HED.); dabei keine Darm- oder Blasen¬
schädigung; wiederholte Sitzungen. Bei einer Ba s e d o w kranken
glauben wir durch wiederholte Bestrahlung einen Rückgang des Ex¬
ophthalmus gesehen zu haben (je 1 Feld 6:8 cm auf rechten und linken
Drüsenlappen, FHA. 23 cm, 60 bis 70 Proz. der HED. auf die Haut, auf
den Thymus ein Feld 6:8 cm, FHA. 23 cm, 100 Proz. der HED.). Bei
einem Fall von Ikterus haemolyticus haben wir eine intensive
Bestrahlung der vergrösserten Milz durchgeführt, ohne dass eine Besse¬
rung eingetreten ist.
*) Küpferle: Strahlentherapie. 5.
") B a c m e i s t e r: D.m.W. 1916 H. 4 u. a. 0.
M. Frär. kcl: Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 22. u. 26.
Digitized by Goüsle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
2S. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRin.
103
ZusammenfassunK.
Auf Grund unserer Erfahrungen müssen wir sagen, dass bei kachek-
tisciien Kranken mit Karzinom des Verdauungstraktus eine Bestrahlung
zwecklos und im wesentlichen zur psychischen Beruhigung dient. Nach
dem gegenwärtigen Stand der Dinge halten wir uns nicht für berechtigt,
operable Fälle zugunsten der Bestrahlung dem Chirurgen zu entziehen.
Bei beginnendem Karzinom der Speiseröhre und der Kardia, die ja über¬
haupt nicht operativ anzugreifen sind, ist eine frühzeitige Tiefenbestrah-
luDg zu versuchen. j
Bei anderen inneren Erkrankungen haben wir günstige Erfolge auf¬
zuweisen, die von keiner sonstigen Methode übertroffen werden.
Ziel der richtigen Dosierung muss es sein, die krankhaften Zellen
möglichst ausgiebig zu schädigen, bzw. abzutöten, gleichzeitig aber eine
Sciiädigung der Abwehrkräfte des Körpers zu verhüten, die besonders
an das Bindegewebe und den hämatopoetischen Apparat gebunden sind.
.Alle unterstützenden Massnahmen allgemeiner Art sind zu Hilfe zu
nehmen.
Vergessen wir nicht, dass wir uns erst in den Anfangsstadien einer
neuen Heilmethode befinden, die durchaus geeignet ist. unser thera¬
peutisches Rüstzeug zu vervollkommnen.
Psychiatrisches zur WUnschelrutenfräge.
Von Privatdozent Dr. <3. Ewald, Erlangen.
„Ein Blick in die bibliographischen Daten (der Wünschelruten-
iorschung) lehrt mit aller Klarheit, dass die Stellungnahme der Allge¬
meinheit und insbesondere der Wissenschaft eine Wandlung zugunsten
der Wünschelrute erfahren hat. Mehr denn je ist das Interesse für die
verwickelten Phänomene erwacht.“ So schreibt v. Klinkowströmll]
in der Einleitung zu einer seiner Abhandlungen zur Wünschelrutenfrage.
Und in der Tat, die Wünschelrutenfrage ist aktueller denn je. zumal
während des Krieges über recht erfreuliche Resultate berichtet werden
konnte, und der Rutengänger nicht selten unseren Feldgrauen als Wasser¬
spender ein willkommener Gast gewesen sein soll. Auch über Muni¬
tionsauffindungen durch Rutengänger wurde berichtet, doch ist selbst
nach Aigner [2] diesen Angaben gegenüber vorläufig noch die
grösste Zurückhaltung angezeigt. Allein mit der Wasserauffindung muss
es wohl besser bestellt sein; denn unsere Heeresverwaltung hat sich erst
nach eingehender Prüfung zur Einstellung von Rutengängern entschlossen.
Sie hatte sich schon früher mit dieser Frage beschäftigt, und auf ein
Schreiben des Dr. S o 1 f hin die Rutengänger (Landrat v. Uslar) sich
in Deutsch-Südwest beschäftigen lassen fl], und auch der Geheime
Admiralitätsrat Franzius [1] setzte sich nach seinen Erfahrungen in
Kiautschou für die Rutengänger ein.
Das Thema entbehrt also gewiss nicht der Aktualität, und neben
Aigner [2], der die Lösung des Rutenproblems ganz auf psychologi¬
schem Gebiet sucht, begrüsst auch Behme [3] als einer der eifrigsten
Verfechter der Sache der Rutengänger, der an kritischer Sichtung des
Tatsachenmaterials ein Interesse hat, die zunehmende Aufmerksamkeit,
die ärztliche Kreise dieser Frage entgegenbringen. Allerdings ist die
Gegnerschaft der Wünschelrute in der Wissenschaft noch eine ge¬
waltige. und Stursberg (4] hat recht, w^enn er seinen Artücel in der
Münch, med. Wochenschr. 1917 mit der Bemerkung beginnt, dass heut¬
zutage noch ein gewisser Mut dazu gehöre, sich als Wissenschaftler mit
diesem Problem literarisch zu befassen. Die kurz vorher erschienene
Mitteilung von 01 p p fS] aus Tübingen, die sich zwar sehr für die
Wünschelrute emsetzt, aber doch unverkennbar sehr viel Mystisches
enthält, und voll ist von rein suggestiv zu erklärenden Erscheinungen
ivergl. auch die Bemerkungen von Re iss [6] in der Diskussion, die
Feststellungen Baginskis [7]) könnte daher eher von der Befassung
mit dem Problem abschrecken.
Allein bei diesem Stand der Dinge wäre es doch unrichtig gewesen,
ritte man die Gelegenheit, einer Tagung des internationalen Vereins der
Rutengänger beizuwohnen, vorübergehen lassen wollen, zumal die
'Vünschelnitenverfechter immer wieder darauf hinweisen, man solle sich
r. Ort und Stelle von den Wirkungen der. Rute überzeugen, ehe man sich
-se .Ansicht bilde. Als Psychiater interessierten mich mehr noch als
Versuche selbst, die Menschen, die da als „Medien“ tätig sein
wurden. Konnte ich doch hoffen, einigermassen ein Urteil zu be¬
kommen. wieweit man bei den Rutengängern mit suggestiven Einflüssen
rechnen habe, und inwieweit vielleicht besondere konstitutionelle
Momente für die Eigenart des Problemes in Betracht kommen könnten.
.Man musste sich natürlich von vorneherein sagen, dass derartig
iiochsensitive“ Individuen, wie die Rutengänger sie nun einmal sein
^iien. wahrscheinlich auch allgemein nervös überempfindlich sein
würden, und es durfte nicht überraschen, wenn die allgemeine nervöse
'-eberempfindlichkeit sich mit einer erhöhten Affektübererregbarkeit und
'^omit auch mit einer erheblichen Suggestibilität paaren würde. Es fragte
'ch nur. ob trotzdem die Individuen noch so weit als objektiv urteilend
zj erachten blieben, dass die Möglichkeit wissenschaftlicher Beob¬
achtung und Forschung bei der Tagung gewahrt war.
Dass ich diese letzte Frage verneinen muss, wird sich aus dem fol¬
genden ergeben; auch die Gründe hierfür werde ich erörtern. Damit
natürlich nichts gesagt sein gegen die Möglichkeit, gute Resultate
"em Wassersuchen mit der Rute zu erzielen; dies sei hier schon be¬
merkt. Mir kooimt es bei Wiedergabe meines Berichtes, den ich dem
'bait nach stenographisch an Ort und Stelle aufnahm, und sofort nach
4,
meiner Rückkehr im Zusammenhang niederschrieb, nur darauf an. den
Lesern ein möglichst anschauliches Bild von dem zu geben, was ich sah,
und was mir als psychiatrischem Beobachter bemerkenswert und er¬
wähnenswert schien. Es ist ja klar, dass mit der Charakterisierung der
einzelnen Individuen als besonderer psychopathischer Typen nichts aus¬
gesagt sein soll über ihre praktischen Fähigkeiten als Rutengänger, und
dass nichts Abfälliges darin liegt. Mir kommt es lediglich darauf an, zu
zeigen, ob man mit einer hohen Suggestibilität der Rutengänger zu
rechnen hat. oder ob dieser Faktor gemeinhin überschätzt wird.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich auf so viel Psychopathisches,
wie ich es zu sehen bekam, nicht gefasst war. und lasse zur Begründung
dessen nunmehr den Bericht in extenso folgen:
Bericht: Mit grosser Lebhaftigkeit und ausgesprochenem Selbstbe¬
wusstsein wandten sich die Rutengänger den harrenden Gästen zu. Sie
redeten mit grosser Geläufigkeit, lebhaft gestikulierend. Viele berichteten
sofort eingehend über ihre erstaunlichen Erfolge, eine grosse Selbstgefällig¬
keit war vielfach unverkennbar. Einzelne machten sich anheischig Uber
ihre Erfolge und Ideen jederzeit einen 2 ständigen Vortrag halten zu können.
Als man zu den Versuchen schritt, wurde von mehreren in auffälliger Weise
ein Kissen vor die Brust geschnallt, mit lebhaften, etwas theatralischen Ge¬
berden zurechtgerückt, gleich als ob sie sagen wollten, „so, wir sind ge¬
rüstet“. Ein junger Mann, der sich mir gegenüber sofort rühmte, dass er,
der erst 18-Jährige, bereits im Felde gewesen, benützte zum Umschnallen
des Kissens ein Offiziersdegengehänge.
Dieser junge Mann (A.), der äusserlich dem vasomotorischen Typ an¬
gehörte, und der mehrfach hervorhob, er sei Assistent des Leiters der
Tagung, machte mir im kurzen Gespräch folgende Angaben über sein Vor¬
leben: Er sei von jeher ein sehr sensibler Mensch, leicht erregbar und
reicht begeistert. Hitze urtd Kälte könne er gut vertragen, litt nie an
Nesselsucht, habe auch nie zu Ohnmächten geneigt. Er sei auch bereits
einmal ärztlich untersucht worden, man habe versucht ihn zu hypnotisieren,
das sei aber nicht gelungen. Dagegen sei folgendes Merkwürdige passiert:
Sein Chef stehe auf dem Standpunkt, dass die Hypersensibilität der Ruten¬
gänger auf eine Uebererregbarkeit der „Ganglienzellcnkomplexe unter dem
Herzen“ zurückzuführen sei. Nun habe man ihm bei dieser ärztlichen Unter¬
suchung einen grossen Magneten unter das Herz gehalten. Darauf habe es
ihn sofort zu Boden gerissen, und er sei nicht mehr imstande gewesen,
sich wieder zu erheben. (Also eine aufgelegte hysterische Reaktion.)
Ich wandte dann meine Aufmerksamkeit dem Rutengänger (B.) zu, der
mir den ruhigsten und vertrauenerweckendsten Eindruck zu machen schien.
Er ging langsam über die Strasse und über das Feld, bis die Rute in
dem einen oder dem anderen Sinne ausschlug. Je nach dem Ausschlag
diagnostizierte er süsses oder mineralhaltiges Wasser, Kohle, Kali usw. —
was daran ist und ob etwas daran ist, mag hier vorerst unerörtert bleiben —.
stellte Richtung des Wassergefälles und Tiefe fest. Die Art seines Hantierens
mit der Rute machte einen durchaus verlässigen Eindruck; da keine Gelegen¬
heit zum Bohren vorhanden war und es sich nicht um zusammengestellte,
sondern Naturversuche handelte, konnte die Richtigkeit der Angaben nicht
näher geprüft werden. Nach kurzer Zeit stellte sich in den Händen ein
heftiger Tremor ein, obwohl der Rutengänger die Rute nach seinen Angaben,
und offenbar auch wirklich, nicht krampfhaft umschloss. Dass die Be¬
wegungen der Rute durch das Zittern hervorgerufen worden wären, war in
Anbetracht der Schwere der Metallrute und der ruhigen Ausschläge ausge¬
schlossen. Auf einzelne Unstimmigkeiten seiner Angaben, die zur Beob¬
achtung kamen, und die sich mit der Logik schlechterdings nicht verein¬
baren Hessen — sie bezogen sich auf die Tiefenbestimmungen — sei hier
nicht näher .eingegangen.
In seinen Bewegungen war er rasch und energisch, sprach lebhaft,
neigte zum Gestikulieren, trug eine euphorische Stimmungslage und ein
•gewisses Selbstbewusstsein zur Schau (Hypornanikus).
Als ich mich nach einiger Zeit den übrigen Rutengängern wieder zu¬
wandte, war mit der Zeit der Versuchsdauer der Eifer und die Aufregung
bei den Einzelnen wesentlich gestiegen.
Einer derselben, ein Arzt (C.), lief mit einer kleinen MetaUrute aus
Drahtspiralen, die sich wie ein Wirbelwind im Kreise bewegte, in grösster
Aufregung immer über die Stelle, an der der vorige Rutengänger (B.) eine
mineralhaltige Wasserader in 17 m Tiefe entdeckt zu haben glaubte, und rief;
„Sehen Sie nur, sehen Sie nur, so etwas habe ich überhaupt noch nicht
erlebt“, um nach einiger Zeit zu konstatieren, dass hier eine thermische Quelle
ln 600—700 m sich finden müsse. Dabei machte er immer von neuem
seinen Weg über die fragliche Stelle, mit dem Ausruf, dass er direkt „einen
epileptischen Krampf in den Händen“ habe. Die Zuschauer stauten sich
staunend um ihn.
Dieser Arzt gab auch an, dass er imstande sei, alle möglichen Erkran¬
kungen mit der Rute zu diagnostizieren, so z. B. Lungentuberkulose und
Tumoren, und führte dies auf Verflüssigungen des betreffenden Gewebes
zurück. Während er dies mit grosser Selbstgefälligkeit und Ueberzeugung
vorträgt, fügt er sofort noch empört an. dass man ihn von „amtlicher Seite“
schon einmal als geistig minderwertig bezeichnet habe. Weiter wollte er
Gold mit der Rute nachweisen können, und behauptete. Bayern habe so viel
Gold in der Erde, dass wir nicht nur unsere sämtlichen Kriegsschulden
bezahlen könnten, sondern auch die Goldwährung in Bayern wieder einfOhren
würden. Aus seiner Vorgeschichte wurde mir durch einen Dritten, der ihn
vor vielen Jahren gekannt, mitgeteilt, dass er sich schon als Student mit
eigentümlichen Ideen trug, und dadurch ztim Gespött seiner Kollegen wurde,
auch eine starke Neigung zum Alkohol zeigte. Er hat einen Strabismus
convergens, einen unsteten, flackernden Blick und deutlich gehobenes Selbst¬
bewusstsein (debiler erethischer Psychopath mit hysterischen Zügen).
Dieser Rutengänger rief den Leiter der Versammlung (D.) herbei, damit
auch er die Stelle prüfe, wo er selbst die thermische Quelle diagnostizierte.
Nach einer Anzahl von Versuchen kam der Leiter zu der Ueberzeugung, dass
dort „Wärme und Gas" unter der Erde liege. Bei seinen Versuchen fiel
es mir auf, dass er, sobald die Rute ausschlug, gleichsam von ihr nach
vorn ge/issen wurde, ihr mehrere Schritte nachstolperte, wie von einer
unsichtbaren Macht geschüttelt, bis er sie schliesslich klirrend vor sich
auf die Strasse niederwarf. Befragt, warum er sich denn so schütteln
Hesse, und die Rute so krampfhaft umfasse, erklärte er, er könne die Rute
3
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
104
MÜNCHENER MBDlZINlSCHE WOCHENSChRlFf.
Nr. 4.
ebensowenig loslassen, wie man ein „Manometer“ loslassen könne. Da seien
zwei Pole, ein positiver und ein negativer Pol; wenn er über die Stelle
komme, so sei der „Körper-Ruten-Stromkreis" geschlossen, er werde hierhin
und dorthin gerissen und könne nicht mehr ioslassen. bis die Rute sich
ihm entwände. Auch seien seine Hände ganz „oxydiert“. Anderntags zeigte
er mir nochmals seine sonnengebräunten, harten Hände, die an dem Ueber-
gang von Daumen zu Zeigefinger, wo die Rute immer schürfte, leichte Druck¬
stellen aufwiesen, und fragte mich, woher die „Verbrennungen“ kämen. Als
ich ihm erstaunt entgegnete, dass ich von solchen nichts sähe, wies er
auf die Druckstellen, ein Arzt habe ihm gesagt, das seien Brandnarben. Auch
erzählte er von einem jungen Mädchen, die mit dem Tage ihrer Verlobung
die Ruteiifähigkeit verlor, um sie nach 3 jähriger Ehe, nach dem cr.sten Kinde,
plötzlich wiederzufinden; im allgemeinen pflege die Rutenfähigkeit im Laufe
der Jal^e zuzunehmen.
In seinem Wesen machte er einen sehr selbstbewussten Eindruck, sprach
schnell und lebhaft, mit sprechender Mimik. In seinen Bewegungen war
er rasch und sicher, gestikulierte viel, nahm posenhafte Stellung und Sieger¬
miene an, machte überhaupt etwas den Eindruck eines Poseurs (hypomanischer
Psychopath mit hysterischem Einschlag).
Von hier aus wurde ich zu einem anderen Rutengänger gerufen, der
ganz gewaltige Reaktionen bieten sollte. Es war der eingangs erw.ähnte
Hysteriker (A.), Er zögerte erst einen Moment, ob er mir seine Reaktion
noch einmal vorführen solle, da er schon so erschöpft sei, tat es dann
aber doch. Kaum hatte er die Stelle überschritten, wo das Wasser sein
sollte, da gab es ihm einen Riss durch den ganzen Körper, und gleich darauf
taumelte er, rückwärts geworfen, im Halbkreis umher, die Rute krampfhaft
umfassend, mit schwersten hysterischen Zuckungen, bis er wieder „aus
dem Bereich“ des Wassers heraus war. Erschöpft und schwer und keuchend
atmend hielt er inne und reichte mir seine Hand, ..Herr Doktor, fühlen Sie.
wie mein Puls schlägt!“ (100—120 Schläge in der Minute). Er ging dann
zu jener Stelle, wo vorher „die thermische Quelle“ und „Wasser und Gas“
konstatiert worden waren. Die Aufregung war mittlerweile hoch gestiegen,
der Leiter (D.) erklärte, keiner der Rutengänger werde über diese
Stelle kommen. Der Hysteriker (A.) gab denn auch sofort eine ganz
gewaltige Probe seiner Leistungsfähigkeit, bei der es ihn hin- und herwarf
und nach allen Seiten schüttelte. Sein Chef, der Leiter (D.), rief: „Halten
Sie ihn, dass er nicht fällt“, und während die Menge erschreckt nach
beiden Seiten auseinanderstob, taumelte er einem anderen Rutengänger in
die Arme. Noch mehrfach beobachtete ich, das er „am Rande“ jener Stelle,
wenn er sich im Gespräch plötzlich umwandte, oder mit einem Schritt „in
die Zone“ kam, scheinbar unabsichtlich einige wilde Stösse mit seiner Rute
vollführte. Interesse und Mitleid mit ihm mischten sich innig beim Publikum,
das nachgerade in Ekstase geriet.
Viele andere versuchten sich noch an jener bösen Stelle, alle mit „gutem
Erfolg“, d. h. sie fanden alle etwas. Nur der verlässige Rutengänger (B.)
kam mit geringen Ausschlägen über, die Stelle und liess sich nicht weiter
beeinflussen, er fand nach wie vor Mineralwasser und Kohle.
Schliesslich war an dieser Stelle gefunden worden: Süsswasser, Mineral¬
wasser, Kohle, Kali, thermische Quelle, Wärme und Gas! Also nachgerade
so viel Köpfe so viel Meinungen. Das war das einzig kontrollierbare Re¬
sultat, da nicht gegraben werden konnte.
Ein weiterer Rutengänger (E.) sei noch erwähnt, der einen verlässigeren
Eindruck machte. An der oben beschriebenen bösen Stelle „riss“ ihn die
Rute allerdings auch so, dass er mit ihr Bewegungen machte wie bei
einem Boxkampf oder beim Florettfechten. Er gab mir kurz über seine
Vorgeschichte an, dass er in der Jugend als „sehr nervöses Kind“ gegolten
habe, konnte keinen Lärm vertragen, lief dann immer weg. Kein Bett¬
nässen, keine Nesselsucht. Sehr emp'indlich gegen schlechte Luft. Vor Ge¬
witter Kopfdruck, der mit Ausbruch des Gewitters .schwand. Träumte viel,
aber nicht schwer. Kein Schlafwandeln, kein Aufschreien. Sehr ängstlich
vor Hunden, ging nicht allein ins Dunkel. Das habe sich natürlich alles'
jetzt verloren. Untersetzte, kräftige Gestalt von blühendem Aussehen, spricht
sehr lebhaft, gestikuliert, scheint bei schlagender Korporation aktiv gewesen
zu sein (hypomanischer Psychopath mit hysterischen Zügen).
Endlich hörte ich noch einen weiteren Rutengänger einen Kollegen an¬
renommieren, dass er bei einem Erz einen „Strahlenwinkel von 27**", bei
Wasser einen solchen von 28“ „verspüre“, die verschiedenen Strahlen aber
»nebeneinander spüre", wenn beides in der Erde vorhanden sei.
Diesen Wasser- und Erzsuchern schlossen sich nun noch andere Psycho¬
pathen an, von denen ich zwei erwähnen will. Ein Ingenieur ging mit
einem Pendel umher, das er offensichtlich auch zu demonstrieren bestrebt
war. Ich sprach ihn darauf an und er erklärte, er habe die grosse Ent¬
deckung gemacht, dass alles Gesundsein negativ elektrisch sein heisse, alles
Kranksein positiv elektrisch. Das Pendel mache dann bei bestimmten Krank¬
heiten bestimmte Ausschläge, es gebe charakteristische Kurven. „Der Winkel
zeigt den Grad der Krankheit an." Beim Herzen gebe'jede Kammer einen
besonderen Ausschlag und schliesslich habe er auch noch einen Gesamtein¬
druck des ganzen Herzens. Auch begab er sich bald auf das sexuelle Gebiet
und bestimmte bei verschiedenen Herren vermittels seines Pendels die
Potenz. Das sei keine Kurpfuscherei, er habe auch eine reich besuchte
Sprechstunde. Wie der Geologe mit dem Rutengänger, so solle der Arzt mit
seinem Pendel bei der Diagnose arbeiten. Weiter hatte er ein ganz kom¬
pliziertes Heilsystem ausgearbeitet, auf das einzugehen natürlich der Platz
verbietet (phantastischer Psychopath, Paranoia?).
Den Vogel aber schoss ein Professor ab, der mit dem „siderischen
Pendel“, dem „Differentialpendel“, dem „Wünschelring" die Originalität von
Gemälden bestimmte. Er hatte sich bereits im Museum der Stadt versucht.
An einem alten Faden hing ein grünspanbedeckter Ring. Dieser sollte über
den Originalgemälden bekannter Meister bestimmte Figuren schwingen, für
jeden Meister gab es eine besondere Figur, bald einen Ring, bald eine
Ellipse, ein Hin- und Herpendeln, oder „Sternungen“. Aber diese Bewegungen
entstanden nicht nur über den Originalgemälden der Meister, sondern auch
über ihren Originalhandschriften, ja selbst über Photographien, die jene
Meister darstellten, allerdings nur, „wenn nicht retuschiert war“. Ja selbst
Maschinenschreibstücke der Meister werden vom Wünschelring erkannt, und
wenn jemand sagen will, „wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein",
so beginnt der Ring bereits bei dem „Wie“ das Zeichen Goethes zu be¬
schreiben. Manchmal macht das Pendel auch hüpfende Bewegungen. Die
Erklärung ist folgende: „Alles Originelle haucht“. Durch diesen Hauch wer¬
den durch die Luftwirbel Schwingungen veranlasst; tritt Hüpfen des Pendels
ein, so bewegt sich der Hauch in Wellenlinien, dem Hochspringen entspricht
der Wellenberg, dem Herniedcrfallcn das Wellental. Diese Versuche gehen
zurück auf die Pendclexperimente Kallenbergs [9j (phantastischer
Psychopath).
Soweit der Bericht, dem noch folgendes angefügt sei:
Griff man in die Versuche der Wassersucher ein, indem man selbst
mit Hand an die Rute legte, oder die eigenen Hände auf die des Ruten¬
gängers legte, um ^sich von den unwillkürlichen Bewegungen der Rute
zu überzeugen, so misslangen die Ausschläge zumeist. Einwänden waren
die Rutengänger nicht'zugänglich, sie gaben dann ausweichende oder
keine Antworten, oder aber sie hielten einem entgegen, dass aus den und
jenen Gründen die Versuchsbedingungen gestört seien. Man kann dies
nicht schlechtweg als Ausflüchte bezeichnen, denn sie stützen sich dabei
auf die Angaben ihrer Literatur. Rothe \2\ hat eine freilich höchst
eigentümlich anmutende Theorie der Rutenwirkung ersonnen, und gab
ihnen damit das Mittel zu jenen Erklärungen an die Hand; er sagt: es
werde die fluidische Kraft der Rute gestört, und die rhabdomotorische
Wirkung aufgehoben, wenn ein Unbegabter sie durch die Hände ge¬
zogen oder seine Hände auf die des Rutengängers gelegt habe. Vor¬
stellungen. denen natürlich jeder Naturwissenschaftler die Gefolgschaft
versagt.
Die Beobachtungen auf der Tagung waren für den Psychiater recht
interessant, gleichzeitig aber musste es klar werden, dass bei solcher
Tagung der Boden für eine wissenschaftliche Erforschung des Ruten-
problcms nicht gegeben war. Was geboten wurde, waren sicherlich
alles suggerierte und autosuggerierte Reaktionen. Es musste eben
etw as gefunden werden, und die sensitiven Psychopathen und Hysteriker
fanden denn auch etwas, oder es genügte, wenn einer etwas gefunden zu
haben glaubte, um die anderen an dieser Stelle ebenfalls etwas finden
zu lassen. Dass dem so war, beweist jene „böse Stelle“, an der schliess¬
lich jeder etw'as fand, wenn auch fast jeder etwas anderes. Mag sein,
dass etwas vorhanden war, mag sein, dass jeder etwas „spürte“, die
erhitzten (Jemüter und die aufregende Demonstration vor der Menge
verhinderte jedes ruhige Suchen und Urteilen.
Was wirkt nun angesichts dieses Tagungsberichtes so abstossend
auf den Wissenschaftler, dass ihm die Lust zur Befassung mit dem
Wünschelrutenproblem von vornelierein vergehen möchte? Da wäre
vor allem den Rutengängern dringend zu empfehlen, sich von dem
schrecklichen Ballast jener schwer psychopathischen Mitläufer zu be¬
freien, wie sie uns in den oben erwähnten Pendelschwingern entgeg:en-
getreten sind. Allein die Wünschclrutenliteratur (Benedikt [8].
Behme [3] u. a.) nimmt immer wieder von diesen siderischen Pendeln
Notiz, anstatt sie im eigensten Interesse abzuschütteln. Jedes Kind bei¬
nahe weiss, dass der normale Mensch kaum imstande ist, ein Pendel
absolut ruhig zu halten, und dass schon normalerweie die Schwingungen
eines solchen Pendels durch Gedanken und Wünsche geleitet werden
können. Pendelexperimente sind samt und sonders reine Suggestiv¬
reaktionen.
Aber <iuch unter den Rutengängern finden sich Vertreter, von denen
sich diejenigen frei machen sollten, die irgendwie von der Wissenschaft
ernst genommen zu werden wünschen. Mag man den Rutengängern zu¬
billigen, dass sie ausser nach Wasser auch nach Erzen, Kohle, Kali
u. dergl. suchen, einen Mann, der mit der Rute ärztliche Diagnosen stellt
oder sich zu dem glatten Unsinn versteigt, das Bayernland als grosses
Goldland anzupreisen, sollte doch ebenfalls eine glatte Absage erhalten.
Aber gerade dieser Mann wfrd mehrfach in der Literatur als trefllicher
Rutengänger gerühmt!
Weiter sollten sich die Rutengänger abgewöhnen. dass sie sich
selbst ihre Theorien bilden, und dann mit Begriffen, wie „Ganglienzellen¬
haufen unter dem Herzen“ oder „Manometer“ oder „Körperrutenstrom¬
kreis“ *) oder „verbrannten oder oxydierten Händen“ operieren. Sie
machen sich in den Augen von Fachmännern und der Wissenschaft
gegenüber lächerlich; es kommt auf Versuche mit völlig untauglichen
Mitteln heraus und hindert eine Annäherung zwischen Rutengängern und
Wissenschaftlern ausserordentlich; man dient der Sache also wenig,
wenn man wie Behme u. a. die Rutengänger in dieser Hinsicht in
Schutz nimmt, es sei dies Verhalten psychologisch verständlich.
Liessen sich diese Dinge allenfalls abstellen, so dürfte das schwie¬
riger sein mit den hysterischen Reaktionen. Sehr zahlreiche und sehr
intensive hysterische Reaktionen kamen zur Beobachtung, wie obiger
Btricht zeigt. Das mag wohl dem Laienpublikum imponieren, und mag
dem Rutengänger, solange er beruflich seiner Tätigkeit nachgeht, von
Nutzen sein, bei wissenschaftlicher Ueberprüfung seiner Gabe wird ihm
ein solches Reagieren stets schaden. Ich weiss nicht ob die oben ge¬
schilderten Rutengänger immer, auch wenn sie allein ihrer Tätigkeit
*) Die Vorstellung eines „Körperrutenstromkreises“ rührt allerdings
meines Wissens von Prof. Moriz Benedikt [8] her; die Rutengänger
könnten also behaupten, sich mit dieser Auffassung auf die Wissenschaft
zu berufen. Es ist aber selten ein Buch so unwissenschaftlich und unkritisch
geschrieben worden, wie Benedikts Ruten- und Pendellehre. Als Beweis,
diene die Feststellung, dass er die iin obigen Bericht genannten schw'eren
Psychopathen, die medizinische Diagnosen und Geniäldebestimmungen mit
dem Pendel vornehmen, vollständig ernst nimmt und auf ihren Behauptungen
seine „wissenschaftlichen“ Anschauungen aufbaut. Ich halte es nicht für
zweckdienlich, auf dieses Buch weiter einzugehen, ich möchte nur die Ruten¬
gänger dringend w'arnen, mit solcher „Wissenschaft" zu operieren. Das ist
keine Wissenschaft.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Januar 1921.
MtjNCH£Nt:R Mi:DlZtNibCht: WOCHlfNSChRlFT.
105
nachgehen, solch unbewusst übertrieben-theatralischen Reaktionen ver¬
fallen. öder ob sie nur in Gegenwart anderer ihren Empfindungen in
solcher Weise Ausdruck geben müssen; jedenfalls eignen sich diese
Individuen denkbar schlecht für wissenschaftliche Untersuchungen.
Besser stellt es mit den Rutengängern, die ohne Rute gehen *). Dass
cs solche gibt, beweist allein schon, dass die Rute selbst für das
Wassersudien vollkommen belanglos ist. Ein solcher Rutengänger ohne
Rüio. der nur mit ausgestreckter Hand über das Feld ging, alle seine
Auimerksamkeit auf seine inneren (Organ- [?]) Empfindungen konzen-
•jierte, und schliesslich mit einem leichten Zittern der Hand reagierte,
aar auch anwesend; er w-ar der ruhigste von allen, übrigens Aus-
jnder, Schwede, und daher eine Verständigung mit ihm erschwert.
Uidw hatte ich keine Gelegenheit, ihn eingehender über seine Ver¬
anlagung auszuforschen.
fast könnte es Verwunderlich erscheinen, dass ich mich nach den
frfjhrungen der l'agung noch so eingehend mit den Rutengängern be¬
fasse. sie nicht kurzerhand ablehne; denn überzeugende Reaktionen
vollkommen. Allein es lässt sich doch nicht einfach hinweg-
Icugnen. dass die Rutengänger mitunter — und zwar nicht so selten,
dass es ein blindes Walten des Zufalles sein könnte — erstaunliche
hrfölge hatten. Es sei an die praktisch weittragenden Erfolge erinnert,
ü.o man in den Kolonien hatte, ferner bei Anlegung der Gothaer Tal¬
sperre |1|. bei der unauffindbare Undichtigkeiten, die zu ungeheurem
Schaden hätten führen können, von Rutengängern nachgewiesen wurden,
an ähnliche Erfolge bei Hildesheim, bei Rohrbrüchen der Münchener
Wasserleitung ll] u. a. m.
Angesichts dieser Erfolge ist es wohl Pflicht, trotz aller Bedenken
vom wissenschaftlich-medizinischen Standpunkt aus zur Rutenfrage
Stellung zu nehmen. Das medizinische Problem lautet dahin: Ist es
möglich, dass es Individuen gibt, die auf Einflüsse aus der Luft oder
aas dem Erdinnern in ungewöhnlichem Masse reagieren, seien diese
fjnfJüsse nun elektrischer Natur, woran man schon im Jahre 1800
.achte, oder seien es Radioaktivität und Gammastrahlen, an die man
neuerlich denkt [2, 3]. Da sei zunächst an die geopsychischen Er¬
scheinungen erinnert, mit denen sich H e 11 p a c h 110] so eingehend
befasst hat. Speziell darüber, dass viele Menschen das Herannahen
eines Gewitters spüren, kann ein Zweifel nicht bestehen, und dass
j'jf derartige meteorologisch bedingte Sensationen auch das Verhalten
.ieler Tiere,' namentlich Vögel und Insekten, zurückzuführen ist, dürfte
fiststehen. Weiter vergegenwärtige man‘sich das erstaunliche Ge¬
ruchsvermögen vieler Tiere, von dem wir Menschen keine Ahnung
■aben, das sich aber bei einzelnen Individuen als Atavismus auch noch
in ungewöhnlichem Masse findet. Hält man mit derartigen Erschei-
aiixen die durch Instrumente (Elektrometer, Hydrotachymeter |3l) fest-
s'tllbaren Aenderungen der elektrischen Leitfähigkeit der Luft über
vVasser oder trockenem Boden zusammen (auch über Erzlagern in
Schweden soll neuerlich Derartiges instrumentell festgestellt w'orden
'v,n), denkt man daran, dass das Telephon |3] schon zum Aufsuchen
von Duellen empfohlen wurde, dass an dem Vorhandensein gewisser
Blitzeinschlagstellen über Wasseradern etw'as zu sein scheint (Bäume
^nd Sträucher sollen an solchen Stellen schlecht gedeihen, und den
Pcuerversichenipganstalten ist das Bestehen solcher Blitzeinschlagstellen
bekannt [3]), so muss man doch die Möglichkeit zugeben, dass
cs besonders sensitive Menschen geben mag, die von derartigen Ein-
bussen irgendeine Empfindung erleben.
Geber die Konstitution solcher Individuen wissen wir bisher noch
ar nichts. Eine gewisse abnorme spezifische Veranlagung im Sinne
-■5ViStischer Einschläge liegt Ihr vielleicht zugrunde. Solche atavistische
Anschläge finden wir aber erfahrungsgemäss ganz allgemein besonders
väafijf bei Degenerierten, zumeist gepaart mit hysterischen Eigen¬
schaften. B e h m e 13] sollte doch vorsichtig sein und in dem Worte
Hysterie nicht nur ein „Schlagwort“ sehen, mit dem man sich Uber alle'
■^•öidichen Erscheinungen hinwegtäuscht. Hysterie ist für den Laien
' iileicht ein Schlagwort, die Wissenschaft aber weiss sehr wohl, was
s; darunter versteht, und dass dieses Wort noch so manche Probleme
■^assf. über die man sich aber keineswegs mit diesem „Schlagwort“
ävegzutäuschen versucht. Die von ihm bei Rutengängern beob-
J^iten „Zwangsvorstellungen“ oder „Phobien“ (die Rutengänger
beim Suchen nicht Gummischuhe tragen, oder können nicht nach
f'tr bestimmten Himmelsrichtung sehen usw.) sind, wenn sie über-
echt sind, auch nichts anderes als der Ausdruck einer degenera-
'vtn Veranlagung*). Dass eine einheitliche Konstitutionsanomalie bei
') Selbstverständlich kommen auch bei ihnen hysterische Reaktionen vor,
'-r fehlt ihnen die an sich schon suggestiv wirkende und daher hysterische
'•^vaktionen fördernde Rute.
Der Laie hat überhaupt so gut wie niemals eine richtige Vorstellung
y-n dem. was Hysterie ist und wirft sie immer zusammen mit bewusster
^'nalation and Vortäuschung, und damit haftet dann der Hysterie ein Makel
Wenn aber von psychiatrischer Seite einmal festgestellt wird, auf Grund
^?enscheinlicher Beobachtungen, dass viele Rutengänger, darunter, wohl
■ merken, die besten Deutschlands, stark zu hysterischen Reaktionen neigen.
" ’ist das weder ein Schlagwort, noch eine Schande, es handelt sich nur
2^ die Feststellung, dass sich das Degencrativzeichen erhöhter Hysterie-
f häufig bei den Rutengängern findet, wie auch andere Degenerations-
^ sehen, und das Bestehen einer Ueberenipfindlichkeit gegen irgendwelche
^Irische oder radioaktive Phänomene würde sich diesen Beobachtungen
-Uch anreihen, und ebensowenig mit Hysterie zu identifizieren sein, wie
der Atavismus eines unerhörten Geruchsvermögens. Auch das Gedanken-
- ver., das man in der Wissenschaft jetzt zumeist als eine erhöhte Ansprech-
-'.irkeit auf feinste Ausdrucksbewegungen auffasst, ist meistens vergesell-
Digitized by Goüsle
den Rutengängern nicht herauszufinden war. zeigt der Bericht; es fanden
sich psychopathische Züge der verschiedensten Schattierung, freilich
(zum Schaden der Rutengänger) vorzuijsweise sehr affektstarke Typen,
die sämtlich zur Herausbildung überwertiger Ideen besonders prä¬
disponiert sind.
Man hat, besonders auf Grund der Behauptung der Rutengänger,
auch Metalle auffinden können, an Aenderungen elektrischer Vorgänge
im Organismus gedacht. Das ist immerhin möglich. Es wurden daher
an zugereisten Rutengängern in der Erlanger Frauenklinik von dem
Ingenieur Dr. Voltz Versuche angestellt über Widerstandsänderungen
in dem,Organismus des Rutengängers bei Annäherung von verschiedenen
Metailplatten und'von Radium ohne "Wissen des Individuums. Die Ver¬
suchsanordnung war analog der bei Prüfung des V e ra g u t h sehen
psychogalvanischen Reflexphänomens lll]. Die Versuche führten zu
keinerlei verwertbarem Resultat. Was an Ausschlägen am Spiegel-
gaivanometer beobachtet werden konnte, war fast ausnahmslos auf
psychische Einflüsse zurückzuführen.
Gegen das Aufsuchen von Metallen u. dgl. mit der Wünschelrute
im Laboratorium, wie es zur Prüfung der Rutengänger beliebt ist,
wenden die Rutengänger meines Erachtens vollauf mit Recht ein. dass
es sich um derartig von der Natur verschiedene Bedingungen handele,
dass man sich nicht wundern dürfe, wenn die Versuche resultatlos ver¬
liefen, d. h. mathematisch genau dem Wirken des Zufalls entsprächen.
Dass ^Ruten aus verschiedenem Metall, je nach dem Zugrundeliegen
der zu suchenden Substanz verschiedene Ausschläge geben sollen, ge¬
hört in das Reich iJfer Fabel. Der Rute an sich ist ja keinerlei Bedeutung
beizulegen, wie die „rutenlosen“ Rutengänger lehren. Auch dass die
Rute bei dem einen Metall nach oben, bei einem anderen nach unten
schlagen soll, ist durch nichts gerechtfertigt, es sei denn, dass man sich
der gewagten Hypothese Behmes IS] anschliessen will, dass die
Reaktion der Rute je nach der, Empfindung unbewusst selbst gewählt
wurde, und dann bei demselben Individuum diese Reaktion konstant fest¬
gehalten wird. Es wäre aber meines Erachtens erst einmal zu be¬
weisen. dass tatsächlich differclizierbare Empfindungen (auf Wasser oder
Kohle oder Erz) im Organismus auftreten, dass also nicht nur festgestellt
werden kann, dass etwas da ist, sondern dass hier das, dort ienes ist.
Jener Schwede gab allerdings an. dass er sich je nachdem, was er zu
suchen habe, mit gespannter Aufmerksamkeit die ganz besondere Emp¬
findungsart vorstellen müsse, um sie dann beim AuHreten zu erkennen;
diese Angabe würde also für eine gewisse Differenzierbarkeit der Emp¬
findungen sprechen.
Ziehen wir das Facit aus allem, war wir gehört haben, so können
wir Psychiater feststellen, dass die Mehrzahl der Rutengänger bei fach¬
männischer Untersuchung Degenerationszeichen nach den verschieden¬
sten Richtungen hin bot. Das steht nicht nur nicht im Widerspruch,
sondern eher im Einklang mit der von den Rutengängern selbst be¬
haupteten Sensitivität gegenüber gewissen physikalischen Einflüssen.
Diese Sensitivität setzt man wahrscheinlich mit Recht in Parallele mit
der Sensitivität gegenüber geopsychischen Einflüssen (Gewitter usw.)
oder Gerüchen u. dgl. m., Eigenschaften, wie sie sich in weit stärkerem
Mass bei Tieren zü finden pflegen, und die daher beim Menschen als
Atavismen aufzufassen sind. Degenerationszeichen und Atavismen ge¬
hören aber aufs allerengste zusamrrten. letztere sind eine Untergruppe
der ersteren. Für die wissenschaftliche Erforschung des Rutenproblems
ist es nun freilich ein sehr erschwerendes Moment dass sich unter
diesen Degenerationszeichen bei sehr vielen Rutengängern eine erjhöhte
Hysteriefähigkeit findet aufgebaut auf einer vermehrten Affektivität
und Suggestibilität Wenn ein bekannter Geologe einmal hat
das Rätsel der Wünschelrutenfrage stecke nur im Kopf der Rutengänger,
so ist das gewiss nicht richtig, und man muss wohl B e h m e zu¬
stimmen, wenn er meint das Rätsel liege im Nervensystem. Allein die
Wünschelrutentagung hat doch gezeigt, dass nur zu gern der Kopf, das
ist die Psyche der Rutengänger, unter dem suggestiven Einfluss von
Wunsch und Affekt dazwischenfährt Wenn man an das Wünschel¬
rutenproblem von seiten der *Wissenschaft nicht recht heranmag, so
liegt di|s keineswegs nur an einem dogmatisch starren Standpunkt an
einem Nichtwollen der Wissenschaftler. Die grössere Schuld liegt bei
den Rutengängern selbst die durch ihre oft unbewusst übertriebenen,
so grotesken Reaktionen (natürlich auch durch ihre schauderhafte
psychopathische Gefolgschaft) den exakten Wissenschaftler abschrecken
müssen. Sieht er. dass ihm immer wieder die Psyche des Rutengängers
in die Parade fährt und exakte Beobachtungen stört so wird die Freude
an wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Problem stets eine sehr
geringe bleiben.
Literatur.
1. Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage. Heit 1
bis 8. Stuttgart. Konrad Wittwer. — 2. Aigner: Wesen und Wirken
der Wünschelrute. 1920. Stuttgart. Konrad Wittwer. — 3. Behme:
Die Wünschelrute, 1., 2., 4. Teil. 1914/16/199.9 Hannover. H a h n sehe Buch¬
handlung. — 4. Stursberg: M.m.W. 1917 S. 1421. — 5. Olpp: M.m.W.
1917 S. 1198. — 6. Re iss: M.m.W. 1917 S. 1180. — 7. Baginski:
M.m.W. 1917 S. 1448. — 8. Moriz Benedikt: Ruten- und Pendellehre.
1917. Wien und Leipzig. A. Hartlebens Verlag. — 9. Kallenberg:
Offenbarungen des siderischen Pendels. Die lebenausströmende Photographie
und Handschrift. C. H u b e r, Diessen vor München 1913. — 10. H e 11 p a c h:
Die geopsychischen Erscheinungen. — 11. Veragutb: Das psycho-galvani-
sche Reflexphänomen.
.schäftet mit anderen Degenerationszeichen, auch hysterischen Zeichen, wird
aber deswegen noch lange nicht mit Hysterie identifiziert.
• r
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
106
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Grundsätzliches zur Frage der Abortivheilung der Syphilis.
Von Prof. Meirowsky (Köln) und S. R. Leven (Elberfeld).
Durch unsere Veröffentlichung in Nr. 36 d. W. (1920) ist die Frage
der Abortivheilung der Syphilis erneut in Fluss gekommen. Ueberblickt
man die bisherigen Arbeiten von Zimmern lll, Delbanco 12],
Zieler [3], Gennerich [4] und vergleicht sie mit den Angaben in
der Literatur, so kann man nicht gerade behaupten, dass die Autoren, die
die Heilung der Syphilis mit einer Kur gelehrt haben, den Indikations¬
kreis zur Abortivbehandlung sowie die Art ihrer Durchführung klar Um¬
rissen haben.
1. Bezüglich der Dauer der Infektion verlangt Zieler
nunmehr 3 höchstens 4 Wochen, in seinem Leitfaden [5] dagegen
lässt er auch Fälle zu, deren Infektion bis zu 5 Wochen zurückliegt.
Zimmern hält sogar noch Fälle zur Abortivheilung für geeignet, die
bis zu 6 Wochen nach der Infektion zur Behandlung kommen. E. H o f f -
mann [6] und J. S c h a e f f e r [7] geben in Ihren Leitfäden überhaupt
keine Termine an. Sie sprechen einfach von der primären
seronegativen Lues. Für sie ist, wie für uns. das Vorhandensein
des negativen Wassermanns die ausschliessliche Bedingung, ob eine
Abortivbehandlung — das ist im Gegensatz zu einer aus mehreren
Kuren bestehenden .J^rühbehandlung“ eine Behandlung mit einer
Kur — angezeigt ist oder nicht.
2. Bezüglich der Intensität der Behandlunfe gehen
die Meinungen der Autoren besonders^stark ausein¬
ander. J. Schaeffer empfiehlt alle 5—8 Tage Neosalvarsan bis
zu einer Gesamtmenge von 3,5—4,5 g und „in jedem Falle — um
ebenganzsicherzusein — einezweiteKur“;Hoffmann
in der 2. Auflage seines Leitfadens 6—8 marSalvarsannatrium, in der
3. Auflage schon 7—10 Einspritzungen. Zieler gibt 6—8 intravenöse
Gaben in 4—5tägigen Intervallen; 3—4 Wochen später zur Sicher¬
heit nochmals 4—6 Einspritzungen. Fritz L e s s e r f8] begnügt sich
mit 2—3 Neosalvarsaneinspritzungen, Dosis IV innerhalb von 8 Tagen
und hält diese Kur völlig ausreichend für die Heilung. P u 1 Ver¬
macher [9] verabfolgt 14 intravenöse Injektionen bis zu einer Gesamt¬
menge von 5 g bei Männern und 4 g bei Frauen. In jedem Falle
schliesst er zur Sicherung des Heilerfolges eine
zweite und dritte Kur an, wobei er jedesmal die Gesamtmenge
des Salvarsans um 1 g verringert. Felix Pinkus [lOj verabfolgt etwa
7,5 g Neosalvarsan. Auch er begnügt sich nicht mit dieser einen
Kur, sondern schreibt ausdrücklich: „Meinem eigenen Gefühle
nach halte ich es für sicherer, bei der Methode der
früheren chronisch intermittierenden Behandlung
auch bei diesen frühen Fällen zu bleiben. Geschadet wird mit dieser
Vielfachbehandlung nichts, schlimmstenfalls ist sie überflüssig. Bei
Abwägung der Chancen müssen wir uns stets vor Augen halten, ob es
nicht besser ist. viel zu viel zu tun, als nur ein klein Wenig zu wenig."
Man sieht, dass die meisten Autoren, selbst Zieler, gar keine
„Abortivbehandlung", sondern eine „Frühbehandlung"
durchführen und sich wohl hüten, dem Erfolge einer Kur bei einer
Krankheit zu trauen, deren Dauer sich auf Jahrzehnte erstrecken kann.
Da unsere Patienten mit Ausnahme des 5. Falles 6—8 Injektionen in Ab¬
ständen von 5—8 Tagen erhalten haben, so kann von einer zu ge¬
ringen Beeinflussung nicht die Rede sein; eine solche fürchten
wir vielmehr von der Abortivbehandlung mit einer
K u r; einem Dogma, dem auch Delbanco zweifelnd gegenübersteht.
3. Die genaue Kontrolle einer eventuell eintretenden positiven
Schwankung bei der Behandlung der primären, sero-
negativen Lues fängt erst in der letzten Zeit an, allgemeinere Be¬
achtung zu erlangen. Das geht ganz klar daraus hervor, dass sie sogar
von E. H 0 f f m a n n in der vor wenigen Monaten erschienenen 3. Auf¬
lage seines Leitfadens bei der Frage der Abortivbehandlung nicht mit
einem einzigen Worte erwähnt wird. Bisher hiess es stets:
Die primäre seronegative Lue^ ist mit einer einzigen
K u r h e 11 b a r. Es ist klar und selbstverständlich, dass das »Heraus¬
nehmen der Fälle mit positiver Schwankung den Indikations¬
kreis zur Abortivbehandlung bedeutend einengt.
Damit kommen wir auf den Kernpunkt der Frage. Dieser liegt
nicht darin, ob eine primäre seronegative Lues eine positive Schwan¬
kung zeigt oder nicht, sondern er liegt in der zweifelhaften
prognostischen Bedeutung der Wassermannschen
Reaktion. Wir wissen heute mit Sicherheit, dass in der primären,
seronegativen Phase der Lues doch schon eine Ausstreuung der
Spirochäten in die inneren Organe stattgefunden
hat und dass auch beim Fehlen der biologischen Re¬
aktionen die Lues noch nicht erloschen zu sein
braucht. Den einzigen Beweis für das Gelingen der Abortiv¬
heilung liefert die R e i n f e k t i o n. Da Beobachtungen von sicheren
Reinfektionen vorliegen, so kann man auch annehmen, dass die Abortiv¬
heilung in einer Reihe von Fällen zu einer völligen Austilgung
der Syphilis geführt hat. Dem einzelnen Fall aber anzu¬
sehen, ob er zu den glücklichen gehört, die geheilt
sind, dazu ist niemand, auch nicht der grösste Op¬
timist. imstande. Wir wollen deshalb unseren Kranken
die grösstmögliche Aussicht auf eine Heilung geben,
lehnen grundsätzlich die abortive Behandlung mit
einer Kur ab und wenden für alle Fälle, ganz unab¬
hängig davon, ob sie eine positive Schwankung zeigen
Nr. 4.
oder nicht, die aus 2 3 Kuren bestehende Frühbehand¬
lung der Syphilis an. Mil dieser Auffassung befinden wir uns in
völliger Uebereinstimmung mit J. Schaeffer. Felix Pinkus,
Pulvermacher und. wie wir aus brieflichen Mitteilungen wissen,
mit anderen hervorragenden Dermatologen.
Wer aus unserer Veröffentlichung eine grundsätzliche Gegnerschaft
gegen das Salvarsan herausgelcscn hat, der ist im Irrtum. Wir haben
ausdrücklich betont, dass wir in der Mehrzahl der Fälle, wie alle anderen
Autoren, Freisein von Wassermann- und anderen Neuausbrüchen beob¬
achtet haben. Die mitgeteilten Versager stellen Ausnahmen von vielen
Hunderten von Fällen dar. Da cs sich noch gar nicht über¬
sehen lässt. wMe sich die Behandlung der sekundären
Syphilis gestalten soll, wenn w ir gezwungen sind, die
heroischen Dosen von Dreyfus |lll anzuwenden, so
sind w’ir überzeugt, dass die Frühbehandlung der pri¬
mären seronegativen Lues der am meisten gesicherte
und am festesten begründete Pfeiler der ganzen Sal-
varsantherapie ist 112]. Wenn uns das Genie Eh r 1 ichs nur
diese eine grosse Tat geschenkt hätte, so müsste ihm schon
■dafür allein die Menschheit den grössten Dank schulden.
' Literatur.
1. Zimmern: Dermat. Wschr. 1920 Nr. 45. — 2. Delbanco:
Ebenda. — 3. Zieler: M.m.W. 1920 Nr. 46. — 4. Gennerich: M.m.W.
1920 Nr. 50. — 5. Zieler; Die Geschlechtskrankheiten. Leipzig 1920. —
6. E. Ho ff mann: Behandlung der Haut und Geschlechtskrankheiten. Bonn
1920. — 7. J, Schaeffer: Therapie der Haut- und venerischen Krank¬
heiten. 4. Aufl. I. 1920. — 8. Fritz Lesser: D.m.W. 1919 Nr. 37. —
9. Pulvermacher: Grundzüge der Behandlung der Haut- und Ge¬
schlechtskrankheiten. Berlin 1920. — 10. F. Pinkus: Die Behandlung der
Syphilis mit Salvarsan. Berlin 1920. — 11. Dreyfus: M.m.W. 1920
Nr. 48. — 12. S. auch Meirow'sky: Qeschleclifskrankheiten. Verlag
des Verbandes der Aerzte Deutschlands. Leipzig 1920. 2. Aufl.- 3. Aufl.
in Vorbereitung.
Aus der 11. medizinischen Klinik München,
Zur Behandlung der Angina pectoris.
Von Q. Boehm.
In meiner Mitteilung über Cadechol (M.m.W. 1920 Nr. 29 S. 8.53)
konnte ich über günstige Resultate der Cadecholbehandlung bei Patienten
mit Angina pectoris berichten. In der Zwischenzeit habe ich, der .An¬
regung der Fröhlich-Pollak sehen D .Arbeit folgend. Cadechol mit
Papaverin kombiniert, da diese Autoren im Experiment beobachtet
hatten, dass die unter Kampfer festgestellte Verbesserung des Koronar¬
kreislaufes durch Kombination des Kampfers mit Papaverin noch ge¬
steigert wurde. Ich verabreichte bei Patienten mit Angina pectoris
Tabletten aus''0,1 Cadechol und 0,03 Papaverin “) und konnte in allen
Fällen einen wesentlichen Rückgang der stenokardischeii Anfälle be¬
obachten. In der Mehrzahl der Fälle verschwanden selbst bei
Patienten mit sehr gehäuften und heftigen Anfällen nach einigen Tagen
der Behandlung die Anfälle vollständig und traten auch unter Be¬
dingungen nicht mehr auf, die sonst regelmässig heftige Stenokardie
ausgelöst hatten. Es befinden sich unter meinen Fällen solche, die
auf die übliche Angina-pectoris-Behandlung nur noch wenig reagierten
und mit Hilfe von Amylnitrit und Nitroglyzerin nur unbefriedigende
Besserung zeigten. Nur in ganz vereinzelten Fällen musste die Perichol-
behandlung bei eventuell auftretenden Anfällen durch Gaben von Nitro¬
glyzerin unterstützt werden. Selbst in diesen Fällen machten die
Patienten die Angabe, dass die Anfälle während der Pericholbehandlung
sehr viel milder auftraten.
Als Dosis bewährte sich mir am besten dreimal täglich eine
Pericholtablette nach dem Essen.
Ein Fall von Hodentransplantation mit Kontrolle nach
einem Vierteljahr.
Von Dr. W. Förster, Oberarzt des Stadt. Krankenhauses
in Suhl.
Auf dem Nauheimer Naturforscher- und Aerztetage wurde dein
ursprünglichen S t e i n a c h sehen Verjüngungsversuche mit grosser Zu¬
rückhaltung entgegengetreten. Die Ueberpflaflzung eines gesunden
Hodens von Mensch zu Mensch schien u. a. nach Berichten von
Mühsam dagegen aussichtsreicher.
Ich hatte nun Gelegenheit, einen derartig transplantierten Fall Vi Jahr
nach dem Versuch wdeder zu exstirpieren und mikroskopisch zu unter¬
suchen. Er dürfte vielleicht w^eiteres Interesse haben und vor über-
grossen Hoffnungen auf diesem Gebiete warnen.
Es handelte sich um einen 55 jährigen Arbeiter, mir schon länger bekannt
verhältnismässig früh gealtert. Seit ca. K Jahr behandelte ich ihm eil
grösseres Lymphosarkom der rechten Halsseite mit Röntgenbestrahlungei
F r ö h 1 i c h und Pollak: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 86. 192C
S. 104 u. 127.
“) Diese Kombination wird von der Firma C. H. B o e h r i n g c r Sohr
Niederingelheim am Rh. unter dem Namen Perichol in den Handti
gebracht.
Digitized by Goiigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
>. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCflCNSCnRIFT.
Id7
und !w(fe ini August den Eindruck, den grossen Tumor ganz zum Schwinden
gebracht zu haben.
Uro den heruntergekommenen Mann nun im allgemeinen etwas „auf-
/ufrischen", implantierte ich ihm einen Hoden, den ich einem jungen kräf¬
tigen, 20 jährigen, gesunden Manne entnommen hatte. Es handelte sich um
einen Leistenhoden, direkt vor dem Leistenkanal, der lebhafte Beschwerden
machte. Patient war von Arzt zu Arzt gelaufen lästiger Pollutionen wegen,
bis einer die Schuld des Uebels auf den Reiz des Leistenhodens bezog —
meines Dafürhaltens nicht mit Unrecht.
Ich hielt mich Jedenfalls für berechtigt, dem Wunsche des jungen Mannes
rcicirukommen und ihm den vielleicht etwas verkleinerten, sonst aber ge-
.unden Hoden zu entfernen.
Unmittelbar nach der Kastration wurde dieser Hoden, der auch auf
Jtm Durchschnitt einen durchaus gesunden Eindruck machte, nach der Vor¬
schrift halbiert und des Nebenhodens beraubt. In zwei Hälften dem alten
Mjnne beiderseits in den Weichen unter Anlegen kleiner Faszienfenster auf
Ji: angcrauhte Bauchmuskulatur exakt aufgenäht, die Faszie, da sie nicht
piDnte, geschlossen.
Die Hoden heilten ohne jede Reaktion ein — aber leider in doppeltem
Mnne — auch ohne jede Reaktion auf den Allgemeinzustand des Patienten.
\;)D irgend einem Aufflackern des Geschlechtstriebes ganz zu schweigen!
Keine auch nur vorübergehende Munterkeit und Spannkraft.
.4m 30. November ging schliesslich der Patient doch an zunehmender
bTschöptung ein. Die kaum noch zu fühlenden beiden weiland implantierten
Hodenhälften wurden herausgenommen und imponierten nun nur noch als
lipornähnliche Fettstückclien.
Die von Herrn Prof. R ö s s 1 e in- liebenswürdiger Weise übernommene
iinaue mikroskopische Durchforschung ergab folgendes:
„Was die mikroskopische Untersuchung der transplantierten Hodenhälften
ktrifft. so ist beiderseits der Befund der, dass fast das ganze Transplantat
Mtal nekrotisch ist und dass nur in den Randteilen des Hodens Zellen anzu-
'.renen sind, die aber im Wesentlichen eingewanderte Zellen sein dürften.
Aach daselbst sind die Epithelien der Samenkanälchen nekrotisch, oder noch
im Zerfall. Bei Fettfärbung finden sich in den zentralen und mittleren Partien
Fettsubstanzen nur zwischen den toten Kanälchen, an der Peripherie auch
innerhalb der absterbenden Samenkanälchen. Es macht den Eindruck, als
eine Zeitlang in den Randteilen das Leben erhalten geblieben wäre, da
die Nekrose daselbst jetzt frischer.“
War schon makroskopisch die Beschaffenheit des Hodens bei der
finpflanzung einwandfrei, so scheint die mikroskopische Untersuchung
auch zu bestätigen, dass das Material gut und lebensfähig w'ar. Zu-
icsebcn, dass es sich in diesem Fall um ein sehr ungünstiges Wirkungs-
ield für die Einpflanzung gehandelt hat. so ergibt doch diese Organ-
Lihertragung einen gänzlichen Versager.
Intrauterine Cholevalspülungen nach gynäkologischen
Operationen.
Von Prof. Dr. Waither-Qiessen.
In Nr. 13, 1920 dieser Wochenschrift hat Dr. Betz unter obigem
I.tel das Choleval Merck auf Grund seiner auf der gynäkologischen
\otei!uiig des St. Joseph-Krankenhauses zu Potsdam gemachten Beob-
jchtungen zu intrauterinen Spülungen empfohlen wegen seiner stark des-
ihzierenden und zugleich hämostyptischen Wirkung. Da ich das
Jnoleval schon lange bei verdächtigen Ausflüssen, besonders bei nach-
KiAiescner Gonorrhöe, sowohl in Form der vaginalen Spülungen als
jucn zu Eingiessungen im Spekulum sowie in Pulverform (Choleval-
riiuL’s) mit sehr gutem Erfolge benutzte, so fiel mir dabei auch die ad-
'•rlngierende Wirkung auf, so‘dass ich, angeregt durch die Betz sehe
Mitteilung, das Mittel auch zu intrauterinen Spülungen anwandte, um
hämostyptische Wirkung zu prüfen. Die prompte desinfizierende und
>ckrethemm€nde Wirkung habe ich einwandfrei schon beobachten können
T Fällen- von akuter Kolpitis, Urethritis, auch bei Zervikalgonorrhöe,
.-?ch Spülungen (0,5proz.), Önlegen von Tabletten in die Vagina,
'.hüesslich bei Vulvovaginitis kleiner Mädchen durch Cholevalstäbchen
‘vt: Cholevalvaginalglobuli, deren Anwendung bei der schweren Zu-
i^c'.’.chkeit der Scheide, anderseits bei der völligen Reizlosigkeit des
’4:*els in dieser Form am bequemsten war. In dieser Beziehung decken
meine Beobachtungen vollkommen mit den von Mandl- Wien ge¬
leiten. Bekanntlich stellt das Choleval eine Verbindung von kolloi-
'--4in Silber mit gallensaurem Natron als Schutzkolloid dar, das als stark
Tosendes Antlgoiiorrhoikum jetzt allenthalben Anerkennung gefunden
a: D u f a u X, der auf Grund der von M. L ö h 1 e i n gefundenen Tat¬
sche, dass die gallensauren Salze die Gonokokken abzutöten imstande
rni das Choleval in die Praxis der Gonorrhöetherapie einführte, hat
ie doppelte Wirkung — desinfizierende wie adstringierende — bereits
'-'tgesiellt. Das gallensaure Natrium wirkt sekretauflösend, die Eiter-
^'Terchen zerstörend, das kolloidale Silber stark adstringierend und
‘^^Tttionsbeschränkend. Auch das mikroskopische Bild entspricht, wie
-itersuchungen aus der Erlanger Frauenklinik (s. u.) ergeben haben,
dieser Auffassung: die Leukozyten werden tiefgreifend verändert,
-scTi im Protoplasma Lücken, sehen wie angenagt und zerfressen aüs,
^:riaIlcn allmählich, so dass durch ihre Auflösung die Gonokokken frei-
erden. Ist somit über die>starke keimabtötende Wirkung, sowohl Gono-
V ’^ken als auch Staphylokokken gegenüber kein Zweifel, so scheint mir
zugleich adstringierende und sekretlösende wie hämostyptische Wir-
: • ^ noch nicht genügend gewürdigt zu sein. Ich habe an 35 operativen
' Äilei] im Krankenhause diese geprüft und habe den Eindruck gewonnen,
-'S diese Wirkung prompt eintrat, jedenfalls nicht zu verkennen ist,
2i zwar bei 15 Fällen, z. T. mit schweren Blutungen einhergehenden,
Abort im 2. bis 5. Monat, 5 Fällen xon Zervikalpolypcn. einschl. sub¬
muköses polypöses Myom und Blutungen, 12 Fällen von Abrasio, als
Uterusspülungen, ausserdem nach Schroederscher Exzision und Pro¬
lapsoperation, in Form von Ueberrieselungen, schliesslich noch bei Blu¬
tungen post partum durch heisse vaginale Spülungen.
Was die intrauterinen Spülungen anlangt, die in der Stärke der
%—1 prom. Lösung verwendet werden (während die vaginalen erheblich
stärker, Vs —1 proz. Lösung, genommen werden können), so glaube ich.
dass gerade zu diesem Zwecke sich das Choleval gegenüber anderen Mit¬
teln, die bislang in Gebrauch waren, erheblich besser eignet, so z.B. gegen¬
über Kresolseifenlösung, Lysol und dem mehr desodorisierenden als des¬
infizierenden Lysoform, bei welchen ich stets die adstringierende Wirkung
vermisste.
Dass zu desinfizierenden Spülungen post abortum oder nach Aus¬
schabungen Sublimat oder ein ähnliches Präparat nicht genommen wer¬
den darf, dürfte sozusagen selbstverständlich sein; ich erachte es aber
nicht für überflüssig, noch einmal darauf hinzuweisen, da ich ln der kon¬
sultativen Praxis der Jahre einen tödlich verlaufenen Fall sah, bei dem
ein Arzt am 7. Tage post partum eine Uterusspülung gemacht hatte!
Wasserstoffsuperoxyd, für vaginale Spülungen wohl das beste Des-
infiziens, eignet sich natürlich für Uterusspülungen nicht wegen der Ge¬
fahr der Luftembolie. Es bleiben noch eine Reihe von Mitteln (Borsäure,
Alaun, Spiritus) übrig, im Vergleich zu welchen die Herstellung der Chole-
vallösung bei der leichten Löslichkeit der Tabletten ausserordentlich be¬
quem ist, wozu noch die absolute Reizlosigkeit und Ungiftigkeit kommt.
In dieser Hinsicht ist die sekretlösende, stark adstringierende Eigenschaft*
der Uterusspülungen, bei welcher, wie Betz annimmt, wahrscheinlich
eine Kapillarwandschädigung der Uterusschleimhautkapillaren zustande
kommt, sehr gut zu verwerten z. B. bei Abortblutungen, aber auch
nach Ausschabungen. Ebenso habe ich zu Ueberrieselungen bei plasti¬
schen Operationen, auch bei frischer Dammnaht die (im Gegensatz zur
Lysollösung klare, durchsichtige) Cholevallösung mit Vorteil verwendet.
Bei putriden, schliesslich auch septischen Aborten Ist eine kräftig des-
, infizierende Spülung ja geradezu angezeigt, ohne dass dabei das Des-
infiziens eine zu stark ätzende oder gar giftige Nebenwirkung hat.
Vielleicht empfiehlt es sich bei septischen Aborten gleichzeitig die intra¬
venöse Argochrominjektion mit der desinfizierenden Cholevalspülung
zu verbinden; ich möchte dies besonders hervorheben, weil in neuerer
Zeit, zweifellos mit der Zunahme krimineller Aborte, auch die Häufig¬
keit der septischen Aborte zuzunehmen scheint. Zur Herstellung der
Spülflüssigkeit eignen sich die Cholevaltabletten zu 0,25 bzw. 0,5 g
sehr gut; zur intrauterinen Spülung genügt die > 2 —1 prom. Lösung,
natürlich, um einen stark kontrahierenden Effekt zu erzielen, als 50® C
heisse Spülung. Zur Nachprüfung an grösserfem klinischen Material
möchte ich jedenfalls das Choleval, gleich Betz, warm empfehlen.
Literatur.
Löhlein: Klin. Mbl. f. Augenhikd. 1909, — Dufaux: Zschr. f. Uro¬
logie 1912, M.m.W. 1915 Nr. 39, B.kl.W. 1916 Nr. 44. — Klausner:
M.m.W. 1915 Nr. 50. — P u n d t: Zschr. f. Urologie 1917 Nr. 2. — Gustaf-
s 0 n: M.m.W. 1918 Nr. 44. — L i 11 g e'n s: Diss. Erlangen 1919. — Ungar:
W.m.W. 1919 Nr, 50. — Mandl: M.m.W. 1920 Nr. 1. — Betz: M.m.W.
1920 Nr. 13. ._
Die BettsitzstOtze.
Von Dr. V. E. Mertens-München; bisher Chirurg und
leitender Arzt in Hindenburg (Ob.-Schl.).
Sehr oft ist es nötig. Kranke im Bett in halbsitzender Stellung zu
erhalten. Abgesehen von den unhandlichen Betten, deren Liegefläche
sich vielfach knicken lässt, gab es bisher nur Vorrichtungen, die ent¬
weder ihren Zweck gar nicht erfüllten oder von den Kranken eine Muskel-
ieistung verlangten (Fussklotz), zu der die geringen Kräfte nicht oder nur
für ganz kurze Zeit ausreichten. Eine einfache Vorrichtung, die billigen
Anforderungen genügt, hat sich mir in etwa 6 jähriger Benutzung im
Krankenhause bewährt. Sie ist mir unter Nr. 302874 Ende 1916 paten¬
tiert worden.
Es handelt sich um einen 70 cm langen, 15 cm hohen Rahmen, der
an jedem Ende einen rechtwinklig zu ihm gestellten, 35 cm langen Bügel
trägt. Nachdem der Kranke in die gewünschte halbsitzende Stellung ge¬
bracht ist, wird ihm der Rahmen quer ins Bett unter die Knie geschoben.
Zwischen den Rahmen und die Oberschenkel wird eine hohe Polsterrolle
gelegt. Der herabrutschende Kranke drückt nun die Rolle gegen den
Rahmen, der nicht ausweichen kann, weil er mit einem oder zwei Gurten,
die an je einem Bügelende angreifen, am Kopfende des Bettes befestigt ist.
Veränderung der Gurtlänge ermöglicht es, die Sitzstütze im Bett zu ver¬
schieben und so den Kranken steiler oder flacher zu legen. — In der
Abbildung sieht man einen Jungen, der halbsitzend erhalten wird.
Das Verwendungsgebiet der Sitzstütze ist sehr ausgedehnt, Ueberall
da. wo durch Aufrichtung' des Oberkörpers geholfen werden kann, leistet
die Sitzstütze Vorzügliches, einerlei, ob es sich um chirurgische oder innere
Leiden handelt, um Herzkranke. Pneurnoniker, Nierenleidende, frisch Operierte
(z. B. nach Rippenresektionen, Kropfentfernung) mit kranken oder gefährdeten
Lungen, usw. Auch andere Ziele können mit der Sitzstütze verfolgt werden.
Der Kranke kann z. B. überhaupt das Bedürfnis haben, höher zu liegen,
etwa beim Essen, Lesen oder Schreiben. Eine Kranke, die die Sitzstütze
von einem früheren Krankenlager kannte, verlangte sie mit der Begründung:
„wenn ich den .Zaun* habe, liege ich still; ohne ihn bewege ich mich zuviel
und habe dann Schmerzen“. Andererseits kann es von Vorteil sein, dass
der Kranke trotz der Stütze Füsse und Knie bewegen kann ohne seinen Sitz
zu gefährden.
Digitized by Goi.isle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
108
MÜNCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
Die Polster sollen nicht hart sein, sondern etwas nachjjeben. was
deshalb erwünscht ist, weil dann der kalte, obere Rand der Stütze etwas
überhöht wird. Die Rollen lassen sich auch auf vielfache Weise behelfsrnässix
herstelleii. Man braucht z. B. nur eine Decke fest um ein Kissen zu
wickeln oder eine Decke allein zusammenzurollen, deren Ende dann vorteil¬
haft fusswärts über die Stütze hängt.
Da am Bett keinerlei Aenderungen gemacht zu werden brauchen, kann
die Sitzstütze in eisernen und hölzernen Betten verwendet werden. Sic
eignet sich deshalb auch für die Krankenpflege im Hause, wo sie besonders
willkon*men sein sollte, weil dort häufiges Zurechtlcgen des Kranken meist
mehr Schwierigkeiten macht als im Krankenhause.
Die Sitzstütze könnte aus beliebigem Stoff hergestellt werden, doch wird
sie nur aus Metall gefertigt. Erstens ist sie so unbegrenzt haltbar. Holz
könnte immerhin einmal brechen und die dadurch verursachte plötzliche Er¬
schütterung für den Kranken böse Folgen haben. Zweitens vermeidet man
durch den einfachen Metallbau jedes Geräusch, während bei einer Holzstützc
Knarren nie mit Sicherheit auszuschalten w’äre. Ferner lässt sich die Metall¬
stütze besser sauber halten. Aus diesem Grunde ist es auch geboten das
Polster nicht an der Stütze zu befestigen. Das befestigte Polster würde
ausserdem sehr schnell einseitig eingelegen werden. Würde man es um
eine Rahmenstange herummontieren, so würde auch die Sicherheit des Sitzes
hinfällig werden.
Die Sitzstütze ist in der Münchener chirurgischen Klinik (Geh.-Rat
S a u e r b r u c h) in Gebrauch und bewährt sich auch da vollauf.
Die Herstellung des Gerätes geschieht durch die Firma C. Stiefen-
h o f e r, München, Karlsplatz in 2 Ausführungen: in einem Stück starr oder
mit einklappbaren Bügeln, was die Aufbewahrung erleichtert.
In der Patenturkunde ist das Gerät bezeichnet als „Bettstütze, die
das Rutschen des Kranken im Bett verhütet". , Doch scheint mir die
Bezeichnung Sitzstütze sinngemässer.
Die Propagierung des Morphinismus unter behördlichem
Schulz.
Zu dem unter diesem Titel in 1920 Nr. 45 S. 1295 veröffentlichten
Aufsatz erhalten wir aus dem Hessischen Ministerium des Innern. Abt. f. öff.
Gesundheitspflege, nachstehende Darstellung:
Nach Abschluss der amtlichen Ermittlungen sei der Tatbestand mit¬
geteilt, der dem Artikel des Herrn Dr. Sieben in Nr. 45/20 der M.m.W.
unter dem sensationellen Titel „Die Propagierung des Morphinismus unter
behördlichem Schutz" zugrunde liegt: 1. Die Todesursache des Joh. Mch. G.,
58 Jahre alt:
Die gerichtliche Sektion der 12 Tage nach dem Tode wieder ausge¬
grabenen Leiche ergab: Resektion des Pylorusteils des Magens, künstliche
Verbindung des Magens mit der obersten Schlinge des Jejunums. Resektion
des Blinddarmes, des aufsteigenden Kolons und des grössten Teils des queren
Kolons. An 4 Stellen ist der Dünndarm durch (ieschwulstknoten. die mit
Darmwand und Gekröse verwachsen sind, so stark verengert, dass man
kaum mit dem kleinen Finger, an anderen Stellen nur mit dem Scherenblatt
durchkommen konnte. Im Gekröse zahlreiche Metastasen in den Lymph-
drüsen. In ider Speiseröhre etwas kotartiger Inhalt.
Mit diesem Ergebnis der Leichenöffnung stimmt der Inhalt des Briefes
überein, den Herr Prof. R. am l. VI. 20 an den .Arzt schrieb, der nach
Herrn Dr. Sieben von den Angehöri|:en zur Behandlung des Kranken
zugezogen war:
„Bei Herrn G. handelte es sich um ein Magenkarzinom, das mit dem
Pankreas verwachsen war und im Bereiche der Colica media sass. Ich
habe damals (im Februar 1920) den Magen und das aufsteigende und
horizontale Kolon reseziert. In der Nachbehandlung kam es zu einer längeren
Pankreasfistel. Jetzt hatte ich Herrn G. einige Tage zur Beobachtung
hier behalten. Ich halte es, für wichtig, dass Herr G. regelmässig Stuhl¬
entleerung hat. Daneben wird man Wärme auf den Leib und Morphium
gebrauchen. Von einer Operation ist nichts mehr zu erwarten."
Es steht demnach aus.ser Zweifel, dass G. an Rezidiv des Karzinoms
gestorben ist unter Erscheinungen des Ileus, füf die die Sektion die
anatomische Ursache nachgewiesen hat.
2. Herr Dr. Sieben stellte am 15, VI. 20 Strafantrag gegen die
Krankenschwester, weil sie durch die Morphiuminjektionen, die sie hinter
seinem Rücken und dann gegen sein ausdrückliches Verbot dem G. gemacht
habe, dessen Tod verschuldet habe. „Wenn dieser . vielleicht und aller-
schlimmstenfalls auch späterhin, etwa nach Jahresfrist, seinem Leiden er¬
legen wäre, so ist es dennoch erwiesen, dass derselbe bereits jetzt schon
durch die wahnsinnige Ueberschwemmung mit Morphium den Todesstoss
erlitten hat." Auf Grund des Sektionsergebnisses stellte die Staatsanwalt¬
schaft das Verfahren gegen die Krankenschwester ein; dagegen legte Herr
Dr. Sieben Beschwerde ein, die als unbegründet von dem Generalstaats¬
anwalt zurückgewiesen wurde, wobei cs dahingestellt blieb, ob der Be-
.schwerdeführer überhaupt als zur Beschwerde berechtigt angeselien werden
kann. Die Staatsanwaltschaft sah ihrerseits in' der Anzeige eine grobe Fahr¬
lässigkeit und beantragte, Herrn Dr. Sieben mit den Kosten des Ver¬
fahrens zu belasten. Denn ein Arzt, der bei dem gegebenen KrankUcits-
verlau! die Morphiuminjektionen der Schwester, deren Zahl er nicht einmal
festgestellt hatte, für den Tod verantwortlich mache, handele fahrlässig.
Das Landgericht verwarf jedoch nach Anhören des Dr. S. durch das Amts¬
gericht den Antrag der Staatsanwaltschaft, w'eil erst die Sektion den Sach¬
verhalt völlig klargestellt habe. Der Kreisarzt, an den Dr. Sieben die
Anzeige zuerst gerichtet hatte, wies ihn an die Staatsanw'altschaft. da
Dr. Sieben der Krankenschwester eine strafbare Handlung, fahrlässige
Tötung oder fahrlässige Körperverletzung des G. vorwarf.
Mit dieser aktenmässigen Darlegung vergleiche man die Ausführungen
in Abs. 1 und 3 des Artikels an Herrn Dr. Sieben.
3. Als Herr Dr. Sieben verreist war und nicht zu erreichen war,
baten die Angehörigen des G. die Schwester, dem Kranken eine Morphium¬
einspritzung zu geben, da er unerträgliche Schmerzen habe und Herr
Dr, Sieben bei besonders heftigen Schmerzen ebenfalls Morphium¬
einspritzungen mache. Nach anfänglicher Ablehnung Hess sich die Schwester
durch die inständigen Bitten der Angehörigen zur Verabreichung der Ein¬
spritzung bestimmen, nachdem sie sich überzeugt hatte, dass Herr
Dr. Sieben tatsächlich nicht zu erreichen war. Die Morphiumlösung
stammte von der Behandlung einer an Magenkrebs verstorbenen Frau her.
8 Tage später, als Herr Dr. Sieben wieder verreist war, Hess sich die
Schwester durch das „kniefällige" Bitten der Angehörigen bestimmen, trotz
des Verbotes von Herrn Dr. Sieben die unerträglichen Schmerzen des
Kranken durch eine weitere Morphiumeinspritzung zu lindern. Innerhalb
dieser 8 Tage hat die Schwester noch zweimal dem G. eine Morphium¬
einspritzung gegeben, nachdem ihr G. auf ihre Weigerung erklärt hatte, Herr
Dr. Sieben sei damit einverstanden, dass die Schw'ester ihm „hie und da“
eine Spritze gebe. Die Angaben der Schwester wurden von den Angehörigen
des verstorbenen G. bestätigt, sie geben weiter an, dass G. schon vor der
ersten Morphiumeinspritzung durch die Schwester äusserst übelriecTiendoii.
offenkundig kotige Massen erbrochen habe. Nur die Morphiumeinspritzung
hätte den Zustand des Kranken erträglich gemacht, — Gewiss durfte die
Schwester die Morphiumlösung, die von der Behandlung einer Kranken übrig
geblieben war, nicht an sich nehmen, gewiss hat sie gefehlt, dass sie ohne
ärztliche Verordnung und sogar gegen das Verbot des Arztes die Ein¬
spritzungen verabreichte — einer Wiederholung ist vorgebeugt —, aber war,
abgesehen von dem Verhalten der Schwester, in diesem trostlosen Falle nicht
die Morphiumspritze das einzige Mittel, um den Zustand des verlorenen
Kranken erträglich zu gestalten (vergl. den Brief des Herrn Prof. R.), konnte
dem vor Schmerzen Jammernden diese Wohltat verweigert werden, weil an¬
geblich das Krankheitsbild dadurch verwischt wurde? Für die Behauptung
des Herrn Dr, Sieben, dass die Schwestern in Bürstadt „jedem Beliebigen,
der sich melde, Morphiumeinspritzungen machen", konnte bei den eingehenden
Ermittlungen des Kreisgesundheitsamts nicht der geringste Anhaltspunkt ge¬
funden werden, ln dem Beleidigungsprozess, den Herr Dr, D. in Bürstadt
gegen Herrn Dr. Sieben angestrengt hat, wird diese Frage noch vor
Gericht behandelt werden.
Im Benehmen mit den Vorgesetzten der Genossenschaften der Kranken¬
pflegepersonen wird dafür gesorgt werden, dass die Anweisungen unseres
Amtsblattes 559 vom 5. September 1918, abgedruckt in den Veröffentlichungen
des Reichsgesundheitsamts 1919, S. 211 befolgt und Zuwiderhandlungen ge¬
ahndet werden.
Auf die Ausführungen der Medizinalabteilung des hessischen Ministeriums
des Innern sendet uns Herr Dr. Sieben eine längere Erwiderung, der
wir folgendes entnehmen:
1. Ueber das Sektionsergebnis konnte ich deshalb nicht genauer be¬
richten, weil mir die Teilnahme an der Sektion ohne jeden Grund vom
Gericht untersagt worden war. Ich war hierin auf die Mitteilungen des
Gerichts angewiesen.
2. Dhss mir Herr Professor Dr. R. in Heidelberg am 15. V. 20 schrieb,
dass er ein Rezidiv nicht feststellen könne, und dass ich ihm den Pat., sobald
sich Zeichen von Ileus einstellen sollten, wieder schicken solle, während er
am 1. VI. 20, also 2 Wochen später, ohne den Patienten gesehen zu haben,
behauptet haben soll, von einer Operation sei nichts mehr zu erwarten, kann
ich mir nicht erklären. Jedenfalls wird rn i r niemand an diesem Wider¬
spruch eine Schuld beimessen wollen..
3. Nachdem die Krankenpflegerin ihre ganze Flasche Morphiumlösung,
oder vielmehr ihren ganzen Morphiumvorrat, den sic sich auf unrecht¬
mässigem Wege verschafft hatte, bei meinem Pat. hinter meinem Rücken
verspritzt hatte, schickte sie die Tochter des Pat., ich solle ihr neues Mor¬
phium verschreiben, was ich selbstverständlich ganz entschieden ablehntc.
Ich wandte mich vielmehr sofort mit einer Beschwerde an das Kreisgesund¬
heitsamt Bensheirn, welches antwortete, die Pflegerinnen hätten das Recht,
auch ohne ärztliche Verordnung Morphiumeinspritzungen zu machen, da
die Ausübung der Heilkunde freigegeben sei. Diese Behauptung steht mit
den gesetzlichen Bestimmungen über den Verkehr mit Morphium in schwer¬
stem Widerspruch, und die Medizinalabteilung hat sie gebilligt. Es be¬
friedigt mich, dass dieselbe nun doch endlich den Morphiumunfug des Pflege¬
personals abstellen will. Weiter habe ich nichts bezweckt.
Digitized by Go sie
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
2S. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
109
Ein Ueberblick über die Leistungen der Röntgenstrahlen
seit ihrer Entdeckung*).
(Zum 2S]ährigeii Jubiläum der Röntgenstrableo.)
Von Prof. H. Rieder.
Ein Vierteljahrhundert ist verflossen, seitdem die Röntgenstrahlen
zu medizinischen Zwecken verwertet werden. Man kann aber über
diese Strahlen, die uns in unserem Berufsleben lieb und wert geworden
sind, nicht zusammenhängend sprechen, ohne ihres berühmten Ent¬
deckers zu gedenken, dessen Namen sie im ganzen Erdenrund bekannt
gemacht haben.' Und m^n kann wohl hinzufügen: „Es gibt kaum einen
Paysiker, der so volkstümlich geworden ist wie Wilhelm Konrad
Röntge n“.
Er hat gegen Ende des Jahres 1895 die nach ihm benannten, von
der Hi ttorf sehen Röhre ausgehenden Strahlen erkannt und mit den¬
selben der ganzen Menschheit ein wertvolles Geschenk gemacht. Die
Art und Weise, wie die Entdeckung sich abspielte, ist allbekannt.
Röntgen sah einen von der elektrisch betriebenen Vakuumröhre ent¬
fernt liegenden Fluoreszenzschirm hell aufleuchten und zwar selbst dann,
wenn die Röhre vollständig in schwarzes Papier eingehüllt war. Auch
fand er, dass das Silbersalz einer photographischen Platte geschwärzt
wurde, wenn dieselbe die Stelle des fluoreszierenden Bariumplatin-
zyanürschirmes einnahm. Aus (Jiesen Beobachtungen schloss Röntgen,
dafes von der Röhre eigenartige unsichtbare Strahlen ausgehen, deren
Eigenschaften er dann näher studierte und beschrieb. Wenn auch
manche mit H i 11 o r f sehen Röhren und Kathodenstrahlen sich beschäf¬
tigende Physiker der Entdeckung der Röntgenstrahlen sehr nahe kamen,
so hat sie doch erst Röntgen tatsächlich entdeckt. .Auch vor
Christoph Columbus hatte man eine Ahnung von Amerika, aber Columbus
war doch der erste, der den neuen Erdteil entdeckt hat.
Zöhächst bemächtigten sich die Tageszeitungen der Staunen
erregenden Entdeckung, aber man bezweifelte anfangs vielfach die
Nachricht, dass die neuen Strahlen auch durch Körper hindurchgehen,
welche für gewöhnliches Licht undurchdringlich sind, und dass man nun
die Knochen im menschlichen Körper, wie auch Metallgegenstände in ge¬
schlossenen Behältern aus Holz, Leder oder Pappmasse sehen könne.
Indessen nachdem bekannt wurde, dass Röntgen seine Ent¬
deckung auch in einer Audienz bei Kaiser Wilhielm in Berlin vor-
fiihrte. nahm man dieselbe nicht mehr mit Unglauben auf. ja sie entfesselte
bald einen Sturm der Begeisterung für ihn und sein „Zauberlicht“. All¬
gemein wollte man sich durch eigene Anschauung von den Wundern der
neuen Strahlung überzeugen, und solchen Wünschen Rechnung tragend
lud der damals in München wirkende Physikej v. Lommel den ger
samten Lehrkörper der Ludwig-Maximilians-Univer^ität in seinen
grossen Hörsaal ein, um ihnen die G e i s s 1 e r sehen, die H i 11 o r f sehen
und die Röntgen sehen Vakuumröhren und deren Leistungen
vor Augen zu führen. Das war ein Schauen, Staunen und Frohlocken
seitens der Zuhörer, wie es der Vortragende kaum je erlebt hatte.
In zahlreichen populären Vorträgen und Vorführungen suchten auch
verschiedene andere Lehrkräfte der Physik in München und anderen
deutschen Städten den Wissensdurst des Publikums zu stillen und seine
Neugierde zu befriedigen. Die Eigenschaft der neuen Strahlen, das
Innere undurchsichtiger Behälter auf dem Leuchtschirme ersichtlich zu
machen oder auf de^ photographischen Platte festzuhalten, erweckte das
Interesse der breiten Volksschichten in einem Grade, wie dies sonst bei
wissenschaftlichen Entdeckungen nicht der Fall war. Deshalb bildeten
auch zu Anfang des Ähres 1896 die Röntgenstrahlen den beliebtesten
Gesprächsstoff der Gebildeten.
In zwei knappen inhaltsschweren Mitteilungen, betitelt „Ueber eine
neue Art von Strahlen“, in den Sitzungsberichten der Würzburger physi¬
kalisch-medizinischen Gesellschaft im Dezember 1895 und im März 1896
sowie in einer dritten Mitteilung, betitelt „Weitere Beobachtungen über
die Eigenschaften der X-Strahlen“, in den Sitzungsberichten der
k. preussischen Akademie der Wissenschaften im März 1897 sind die
Ergebnisse der Röntgenschen S t rah1enforschung
aiedergelegt. Die physikalischen Eigenschaften der Röntgenstrahlen sind
m diesen grundlegenden Arbeiten Röntgens genau ynd erschöpfend
auf 37 Druckseiten beschrieben. Nach Aussage hervorragender Physiker
sind gleich allen anderen wissenschaftlichen Arbeiten Röntgens auch
die drei obenangeführten durch gründliche und höchst zuverlässige Aus¬
führungen in theoretischer und experimenteller Hinsicht ausgezeichnet.
(Die genannten Arbeiten sind übrigens in Wiedemanns Annalen der
Physik und Chemie [1898, Bd. 64] sowie in einem besonderen, anlässlich
des 70. Geburtstages Röntgens 1915 von der Würzburger physi¬
kalisch-medizinischen Gesellschaft herausgegebenen Sonderbändchen
abgedruckt.) Auf diese Weise sind die Grundlagen der Röntgen sehen
Entdeckung dem ganzen deutschen Volke und der ganzen gebildeten
Welt leicht zugänglich gemacht worden.
Schon Anfang Januar 1896 erfolgte eine Vorzeigung von Röntgen¬
aufnahmen in der Berliner medizinischen Gesellschaft und im Verein für
innere Medizir», und auch beim 50 jährigen Stiftungsfeste der physi¬
kalischen Gesellschaft in Berlin waren schon einige photographische
Aufnahmen menschlicher Körperteile ausgestellt, die mittels Röntgen¬
strahlen angefertigt waren. i
*) Nach einem in der Münchener ärztlichen Röntgenvereinigung am
16. XII. 20 gehaltenen Vortrage.
Mitte Januar 1896 erschienen auch in den medizinischen
Zeitschriften die ersten vielversprechenden Mitteilungen über die
Röntgen sehe Entdeckung, welcher die medizinische Wissenschaft das
regste Interesse entgegenbrachte. Es folgte die denkwürdige
Sitzung der physikalisch-medizinischen Gesell¬
schaft zu Würzburg unter dem Vorsitze des Anatomen K ö 11 i k e r
am 23. Januar 1896, in der Röntgen selbst über die neuen Strahlen
sprach und dabei im hellerleuchteten Raume von der Hand Köllikers
eine photographische Röntgenaufnahme unter Benützung einer in
schwarzes Papier eingeschlagenen Trockenplatte anfertigte. Bis zu
diesem Tage hiessen die neuen Strahlen X-Strahlen, wie Röntgen
sije selbst benannte, von da ab nannte man sie — besonders in den
Ländern deutscher Zunge — nach dem Vorschläge Köllikers zur
dauernden Ehrung des Entdeckers ..Röntgenstrahlen“, tn der genannten
Sitzung hob Röntgen hervor, dass seine Strahlen nicht brechbar, nicht
beugungsfähig und auch nicht reflektierbar seien. Er glaubte aber doch,
dass sie mit den Lichtstrahlen verwandtschaftliche Beziehungen haben
und versprach weitere Forschungen über die Natur der X-Strahlen an¬
zustellen. Ferner betonte er ausdrücklich, dass es Svohl möglich sein
würde, auch von grösseren Abschnitten des menschlichen Körpers
Knochenbilder herzustcllen. Von einer Darstellung innerer Organe
war also damals noch nicht die Rede. R ö n t g e n hat sich übrigens nur
mit der physikalischen Erforschung seiner Strahlen befasst
und den praktischen Ausbau seiner Entdeckung, ohne irgendeinen
materiellen Gewinn daraus zu ziehen, der Allgemeinheit, in erster
Linie den Medizinern und Technikern, überlassen. Er hat
aber stets die auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen sich anbahnenden
Fortschritte mit grossem Interesse verfolgt.
Eine in späteren Jahren errichtete Gedenktafel am physikalischen
Institut in Würzburg erinnert daran, dass Röntgen (laselbst seine
bedeutungsvolle Entdeckung gemacht hat. Die Inschrift lautet kurz und
bündig: „In diesem Hause entdeckte C. W. Röntgen im Jahre 1895
die nach ihm benannten Strahlen.“
Die Forschungsergebnisse Röntgens riefen _ein allgemeines
Staunen in der gesamten Kulturwelt hervor und lösten einen mächtigen
Anreiz in wissenschaftlichen Kreisen aus, die bisherigen Ergebnisse der
Entdeckung noch weiter auszubauen. —
Die Meinungen der P h y s i k e r über die Natur der Röntgen-
strahlen waren bis vor einigen Jahren geteilt. Der von Röntgen
nur vermutete lichtartige Charakter seiner Strahlen wurde durth den
Nachweis ihrer Polarisation durch den Engländer Barkla und be-
• sonders ihrer Beugungsfähigkeit und Ihrer Wellenbeschaffenheit durch
Friedrich, Knipping und Laue 1912 sichergestellt. Es gelang
.den Letztgenannten, das von der Röntgenröhre ausgehende Strahlen¬
gemisch, das sog. weisse 'Röntgenlicht, zu zerlegen, nicht aber durch
Prisma oder R o w 1 a n d sches Beugungsgitter wie das gewöhn¬
liche weisse Licht, sondern wegen der geringen Wellenlänge der
Röntgenstrahlen nur mittels eines sehr feinen Beugungsgitters. Ein
solches hat uns die Natur selbst zur Verfügung gestellt, und zwar in Ge¬
stalt der Kristalle, in denen die Atome in bestimmten Abständen bzw\
in regelmässigen Raumgittern angeordnet sind.
Der Lichtstrahl, der vor 25 Jahren von Röntgens Laboratorium
ausging, hat manches Dunkel der Wissenschaft erhellt. Aber erst vor
8 Jahren erfuhren wir durch die oben , erw'ähnten physikalischen For¬
schungen. dass der Röntgenstrahl, ein Zauberstrahl im Sinne der Laien¬
anschauung, auch vom rein physikalischen Standpunkte aus betrachtet,
ein Lichtstrahl Ist
Nunmehr haben wir erst die wissenschaftliche Berechtigung, von
I „Röntgenlicht“ zu sprechen, da jetzt dessen Spektrum und seine ver¬
schiedenen Wellenlängen bekannt sind. Durch die Erkenntnis ihrer
Lichtnatur war auch klargestellt dass die das Strahlengemisch der
Vakuumröhre bildenden sog. weichen und harten Röntgenstrahlen
genau der Verschiedenheit ihrer Wellenlänge entsprechen. Auch die
Bezeichnung der neuen Strahlen als X-Strahlen ist damit hinfällig ge-
. worden.
I Ausser den beiden gewichtigen physikalischen Errungenschaften,
w'elche eben besprochen wurden. Ist in physikalischer Hin¬
sicht seit dem Jahre 1895 nur wenig wesentlich Neues auf dem Gebiete
der Röntgenstrahlen geschaffen worden. Zwar bedürfen noch manche
Erscheinungen und Beobachtungen eines weiteren Studiums, so z. B. das
wichtige Gebiet der Sekundärstrahlen. Auch die im Innern der
Vakuumröhre sich abspielenden elektrischen Vorgänge sind
noch einer weiteren Klärung bedürftig. Jedenfalls aber kann das. was
Röntgen geschaffen hat, als ein wissenschaftliches „Meisterwerk“ be¬
zeichnet werden. Nach dem beispiellosen Erfolge, den er durch seine
grosse Entdeckung erzielte, war es aber für ihn schwer, bei seinen späteren
wissenschaftlichen Arbeiten, an die ein allzu strenger Massstab in bezug
auf ihren bleibenden Wert und ihre praktische Verwertbarkeit angelegt
w urde. d'^n Röntgenstrahlen etwas auch nur annähernd Gleichw'ertigcs
an die Seite zu setzen. Indessen auch seine bekannten und allgemein an¬
erkannten Messungen, denen er fürderhin seine besondere Aufmerk¬
samkeit widmete, sind nach Ansicht Sachverständiger in bezug auf Ge¬
nauigkeit und Zuverlässigkeit unübertroffen.
Die Entdeckung der Röntgenstrahlen ist eine deutsche Errungen¬
schaft, aber der wissenschaftliche und praktische Ausbau der Röntgen¬
lehre ist international geworden. —
Was zunächst die zur Erzeugung der Röntgenstrahlen dienenden
Apparate und speziell die Röntgenröhren anlangt, so sind die-
seiuen im Laufe von 25 Jahren immer leistungsfähiger geworden und
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
110
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
haben auch in anderer Hinsicht mannigfache Verbesserungen erfahren.
Ebenso wurden die zu ihrer Anwendung benötigten Geräte und Instru¬
mente wesentlich vervollkommnet.
Die Beschaffenheit des Röntgen sehen Instrumentariums, das ein
wertvolles Sammlungsstttck des deutschen Museums geworden ist, war
im Vergleich zu dem der Jetztzeit denkbarst einfach.
Röntgen benutzte zu seinen grundlegenden Ver¬
suchern einen kleinen R u h m k o r f f sehen Induktor mit Platinunter-
hrecher. einen Bariumplatinzyanürschirm (welcher übrigens schon
früher, d. h. vor der Röntgen sehen Entdeckung zur Beobachtung der
unsichtbaren Strahlen des Lichtspektrums verwendet wurde), ferner
einen Härtemesser und eine parallele Eunkenstrecke. Auch die von ihm
verwendete Vakuumröhre war nur höchst einfach: Anode und Kathode
bestanden aus einem Aluminiumplanspiegel, und da noch keine Anti¬
kathode benutzt wurde, entstanden die Röntgenstrahlen an der der
Kathode gegenüberliegenden gewölbten Glaswand. Erst in. seiner
zweiten Mitteilung 1896 beschreibt Röntgen die Fokusröhren,
bei denen ein Aluminiumhohlspiegel als Kathode und eine unter 45®
gegen die Achse der Kathode geneigte Platinplatten—Antikathode im^
Innern der Vakuumröhre als Anode verwendet wurde. Immerhin waren
auch da noch längere Einschaltungen der Röhre bei stärkeren elek¬
trischen Strömen unmöglich, da die Röhre schnell warm wurde.
Als S t r o m q u e 1 le verwendete man in der ersten Zeit lediglich
.Akkumulatoren; aber da sie häufiger Wartung und Ladung be¬
durften, bediente man sich statt derselben sehr bald des Stark¬
stromes. Auch baute man grössere R u h m k o r f f sehe Induk¬
tionsapparate, um den weiteren praktischen Ausbau der Ent¬
deckung den ärztlichen Anforderungen entsprechend zu beschleunigen.
Durch Herstellung und Verwendung verschiedener Quecksilber- und
elektrolytischer Stromunterbrecher, besonderer Widerstandsvorrich¬
tungen, der Glimmlicht- und Ventilröhren, sowie einiger anderer Neben¬
apparate, wurde die Leistungsfähigkeit der „Unterbrecher-
a p p a r a t e“ immer weiter gesteigert. Und die sachgemüsse Ver¬
wendung von Blenden, besonders der Schlitzblende, sowie der
Zylinder- und Kompressionsblende — zur Abhaltung der Sekun¬
därstrahlen und bespnders der Glasstrahlen — trug w^esentlich zur
Vermeidung von Verschleierung der Bilder und zur Erhöhung ihrer
Schärfe bei.
Sehr klein war die ursprüngliche Röntgenröhre im
Vergleich mit den später hergesteliten. Bei ihrem w'citeren Ausbau
wurde die Antikathode neben der Anode und Kathode als 3. Elektrode
und zwar gegenüber der letzteren aufgestellt, w^ährend die Anode zur
Hilfsanode wurde. Dadurch, dass man immer grössere Energiemengen
der Röntgenröhre zuführte, um so die Ausbeute an Röntgenstrahiert
(w'elche nur zirka ein Tausendstel der zugeführten Energie beträgt)
günstiger zu gestalten und stärkere Wirkungen derselben in möglichst
kurzer Zeit zu erzielen, waren viele Röhrenkonstruktionen
notwendig. So wurden, um nur einiger Verbesserungen zu gedenken,
massive Antikathoden, Kühlvorrichtungen an denselben, ein möglichst
kleiner Fokus zur Erzeugung scharfer Röntgenbilder sowie Regenerier¬
vorrichtungen für das Röhrenvakuum, das sich im Betriebe allmählich
verändert, geschaffen.
Während bei den ursprünglichen gashaltigen Röhren die Ionisation
des (jasinhaltes zur Erzeugung von Elektronen bzw\ Kathodenstrahlen
und indirekt von Röntgenstrahlen diente, werden bei den modernen,
nahezu luftleeren Röntgenröhren, den Elektronenröhren (Glüh¬
kathoden-, Glühlampenröhren), von weissglühenden Metallen ausgehende
Elektronen zur Erzeugung der Röntgenstrahlen verw^endet.
Diese Glühkathoden-Röntgenröhren, die Lilienfeld- und Coolidge-
röhre, welche vorw'iegend mit unterbrecherlosen Apparaten, d. h. unter
Verwendung von Wechselstrom und Hochspannungsgleichrichter be¬
trieben werden, aber auch mit Unterbrecherapparaten zu betreiben sind,
bedeuten einen neuen, wesentlichen technischen Fortschritt. Sie ver¬
danken ihre Entstehung wissenchaftlichen Untersuchungen über das
Frehverden von Elektronen aus w'eissglühendem Metall, besonders
Wolfram, und über die Beseitigung der letzten Gasreste aus den Elek¬
troden der Vakuumröhre. Die beiden Röhren haben sowohl zu dia¬
gnostischen wie zu therapeutischen Zw^ecken vielfache Anw^endung ge¬
funden und stehen in direktem Wettkampf mit den früher aus¬
schliesslich verwendeten sogen. lonenröhren. Dieser Wettstreit wird
Jedenfalls für die weitere Entwicklung der Röntgenröhren und damit
des Röntgenverfahrens selbst nur von Vorteil sein. Gleich dem alten
Kampf zwischen elektrischer und Gasbeleuchtung, welcher eine För¬
derung beider Lichtarten zur Folge hatte, wird derselbe vielleicht
auch hier bei den beiden Röhrentypen einen derartigen Ausgang nehmen.
Mehrmals hat man versucht die kostspieligen und zerbrechlichen
gläsernen Röntgenröhren durch metallische zu ersetzen. Für medi¬
zinische Zwecke haben sie sich zwar nicht bewährt; aber zu langdauern¬
den kristallographischen Untersuchungen benützt man bereits solche,
allerdings neukonstruierte Röhren, die ganz aus Metall gebaut sind.
Sie müssen fndessen dauernd an der Luftpumpe liegen und sind deshalb
gleich den schon in früherer Zeit angefertigten Metgllröhren medizinisch
vorerst nicht verwendbar.
Der Bau der neuesten Apparate und Röhren hat es ermöglicht, so
harte durchdringende Strahlen zu erzeugen, dass die im Strahlen¬
spektrum noch vorhandene Lücke zwischen den härtesten Röntgen¬
strahlen und den Gammastrahlen des Radiums C wesentlich verkleinert
wurde, so dass Aussicht auf eine vollständige Ueberbrückung dieser Lücke
besteht.
Die Röntgentechnik hat bekanntlich eine grossartige Ent¬
wicklung genommen, so dass uns jetzt eine grosse Fülle und Mannig¬
faltigkeit von Röntgenapparaten für unsere praktische Tätigkeit zur
Verfügung steht. Man sollte deshalb auch für gute, zweckentsprechende
Ausrüstung der Röntgenlaboratorien Sorge tragen. Leider werden in¬
dessen den behördlich angestellten Röntgenärzten oft ungenügende, d. h.
zu kleine, dürftig ausgestattete, schlecht ventilierte und schlecht be¬
lichtete Räume für ihre Tätigkeit angewiesen. Nicht bloss den Kranken¬
häusern. auch den Sanatorien sollten die nötigen Geldmittel für zeit-
gemässe technische und hygienisthe Ausstattung der Röntgen-
laboratorien und ihrer Nebenräume anstandslos seitens der zu¬
ständigen Behörden bewilligt werden. (Allerdings bei dem gegen¬
wärtigen Notstand von Staat und Gemeinden wäre die hilfreiche Hand
eines privaten Spenders in vielen Instituten sehr erw'ünscht.)
Auch erfordern die grossen Energiemengen, welche jetzt in die
Röntgenröhren geschickt werden, und deren grosse Ausbeute an harten
durchdringenden Strahlen die Einführung besonderer Schutzvor¬
richtungen. um Aerzte, Hilfspersonal und Patienten durch Bleiwände
oder bleihaltige, die Strahlen stark absorbierende Stoffe (Bleigummi,
Bleiglas usw'.) vor übermässiger Einwirkung der Strahlen zu bewahren.
Haben doch viele Röntgenärzte, Physiker und Fabrikanten von Röntgen¬
röhren beim berufsmässigen stetigen Umgang mit Röntgenstrahlen ihre
Gesundheit oder gar ihr Leben eingebüsst. Desgleichen sollte stets für
Beseitigung der beim Röntgenbetriebe sich reichlich entwickelnden
nitrosen Gase gesorgt werdei^ —
Naturwissenschaften und Industrie haben zwar lange
nicht in so hohem Grade aus der Röntgenschen Entdeckung Nutzen ge¬
zogen wie die Medizin. Aber immerhin sind einige röntgenologische
Untersuchungsergebnisse aus diesen Gebieten als wertvoll zu erachten
und sollen hier, w-enn auch nur kurz, erwähnt werden.
So gelingt es mit Hilfe der Röntgenstrahlen echte Edelsteine
und echte Perlen von unechten zu unterscheiden. Auch zur Prüfung
des den Künstlern dienenden Materials, zur Untersuchung wertvoller
Oelgemälde auf ihre Echtheit, sowne auf Uebermalungen, Beschädi¬
gungen, Signierungen, durch Nachprüfung des Metall¬
gehaltes der Farben, lassen sich die Röntgenstrahlen verwenden.
Die Technik hat ferner zur Prüfung verschiedener Metalle auf ihre
Reinheit und anderer Rohmaterialien auf bestimmte Fehler,
sowie zur Feststellung der Struktur des Gusseisens und des Stahles,
endlich zur Untersuchung elektrischer Kabel die Röntgenstrahlen
oftmals zu Hilfe genommen.
Was die Naturwissenschaften anlangt, so ist in der
Mineralogie und Paläontologie der Nachw^eis wichtiger
E i n s c h 1 ü s^ e in Gesteinen gelungen. So kann man beispielsweise
mit Hilfe der Röntgenstrahlen Gold im Quarz sowie Einschlüsse
von Knochen und Verdickungen der Schale an versteinerten Muscheln
nachweisen.
Seitdem die Röntgenstrahlen sich als äusserst kurzwellige Licht¬
strahlen entpuppt haben, sind dieselben auch für die Lehre von den
Kristallen sehr bedeutungsvoll geworden. Denn diese Strahlen
haben uns über den feineren Bau der Kristalle die wichtigsten und inter¬
essantesten Aufklärungen gebracht. Namentlich die regelmässige
Anordnung der Kristallatome wurde durch die Röntgen¬
strahlen aufgedeckt bzw-. geklärt. Ja es ist möglich gew'orden den Auf¬
bau kristallinischer Mineralien nach der Anordnung ihrer Atome zu
bestimmen. Bei diesen Untersuchungen hat sich in überraschender
Weise gezeigt, dass für den Kristallaufbau der Begriff des Moleküls
gar nicht in Betracht kommt. Andererseits kann^er Kristall, wie früher
bereits erwähnt, als feinstes Raumgitter benützt werden, um Beugungs¬
fähigkeit und Wellenlänge der Röntgenstrahlen zu bestimmen.
Nicht bloss für P h y s i k und Mineralogie, auch für die
Chemie waren die eben besprochenen Kristallbefunde von Wichtig¬
keit, insofern man aus ihnen Schlüsse auf den Zusammenhalt der Kri¬
stalle durch chemische Kräfte ziehen kann. Auch hat die Physik der
Röntgenstrahlen höchst interessante Aufschlüsse.über den Atombau und
das periodische System der Elemente gegeben. Und man ist zu der
Einsicht gekommen, dass d/e bisher geltenden Begriffe von Atom und
Molekül einer durchgreifenden Aenderung unterzogen werden müssen.
Wenngleich die Botanik für ihre Forschungen nicht auf die
Röntgenstrahlen angewiesen ist, da alle Pflanzen genau zerlegt und dann
makro- und mikroskopisch untersucht w'erden können, so lassen sich
doch getrocknete, seltene und wertvolle Pflanzen, z. B. Sammlungs¬
stücke, die man nicht zergliedern will, in naturgetreuer Wiedergabe
— auch ihrer inneren Organe — röntgenographieren und so im Bilde
festhalten. Auch die Beeinflussung lebender Pflanzen durch Röntgen¬
strahlen bietet ein grosses botanisches Interesse. So zeigt sich bei Be¬
strahlung von Samen und Keimlingen der Bohnen. Erbsen. Sonnenblumen
wegen ihrer grossen Empfindlichkeit gegen Röntgenstrahlen, je nach
der Stärke der Bestrahlung, eine verschiedenartige Wirkung, d. h. ent¬
weder eine Schädigung in der Entwicklung und eine ausgesprochene
Wachstumshemmung oder eine Wachtumsförderung.
Die Zoologie hat sich bereits öfter des Röntgenverfahrens zur
Klarstellung mancher anatomischer und phvsiologischer Fragen bei ein¬
zelnen Tierklassen bedient. Desgleichen ist die Wirkung der Röntgen¬
strahlen auf Bakterien und andere kleine Lebewesen, z. B. Spermatozoön,
Trypanosomen. Raupen und Schmetterlinge, eingehend studiert worden.
Auch auf grössere und zwar junge Tiere, wie Frösche, Mäuse,
Meerschweinchen. Hühnchen ist die Beeinflussung ihrer Entwicklungs¬
fähigkeit und ihres Wachstums durch diese Strahlen erkundet worden.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
28. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDlZlxNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
111
Kurzum es ist zu erhoffen, dass wir unter weiterer Ausnützung der
Röntgenstrahlen noch manche wichtige Aufschlüsse über einzelne Vor¬
gänge im Ratur 1 eben erhalten werden, die sich bisher unserer
Kenntnis entzogen haben. —
Weitaus grösser als für Technik und Naturwissenschaften ist
aber die Bedeutung der Röntgenstrahlen für das |
ganze Gebiet der Medizin und besonders der praktischen
.Medizin, da sie in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht sich als
höchst wertvoll erwiesen haben. Hier leitete die Entdeckung der
Röntgenstrahlen gewissermassen den Beginn einer neuen wissenschaft¬
lichen und praktischen Epoche ein. Und die Aerzte stürzten sich
gleich den Technikern begeistert, ja fast leidenschaftlich, auf das neue
aussichtsvolle Forschungsgebiet, um dessen Ausbau fördern zu helfen.
Durch die langjährige Zusammenarbeit von Medizin und
Technik in den verschiedensten Kulturlärldern entwickelte sich all¬
mählich die Röntgenologie zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel
der ärztlichen Kunst, indem viele Gebiete, die der medizinischen For¬
schung bisher nicht oder nur wenig zugänglich waren, dem Auge er¬
schlossen wurden. Denn es lassen sich mittels des Leuchtschirmes und
der photographischen Trockenplatte in überraschender Klarheit morpho¬
logische und funktionelle Befunde bei Erkrankungen erheben, die früher
einer scharfsinnigen und doch häufig nicht zum Ziele führenden Diagnostik
unterworfen werden mussten. Mit Hilfe einer derartigen Untersuchung
kann meistens auch festgestellt werden, ob eine Krankheit im Laufe der
Zeit sich bessert oder verschlechtert.
Kein Krankenhaus kann deshalb heutigen Tages eine Röntgenein¬
richtung entbehren und kein praktischer Arzt kann auf die diagnostische
V’erwendung dieses wichtigen Hilfsmittels verzichten.
Eigene medizinische Zeitschriften — in Deutschland und im
Auslande — sind gegründet worden zum Zwecke der weiteren Ver¬
breitung röntgenologischer Fortschritte.
Eine ausserordentlich reichhaltige Literatur zeugt von dem
regen und erfolgreichen Schaffen auf dem neuen Gebiete: haben doch
fast alle Zw'eige der Medizin eine erhebliche Förderung durch die
Röntgen sehe Entdeckung erfahren.
Auch die deutsche Röntgengesellschaft wurde 1905 ge¬
gründet in Hinsicht auf die grosse Beaeutung, welche der weitere Ausbau
der Röntgen sehen Entdeckung für die ärztliche Tätigkeit hat.
Treffend äusserte sich ein Redner des damals in Berlin tagenden
Röntgenkongresses, indem er darauf hinwies, dass jeder Schritt auf dem
Wege der röntgenologischen Erkenntnis gleichzeitig einen Schritt nach
vorw'ärts bedeute für das Wohl der leidenden Menschheit.
Es handelt sich bei der praktischen Anwendung der
Röntgenstrahlen um unsichtbare Strahlen, welche zum Teil durch
den menschlichen oder tierischen Körper, der für gewöhnliche Licht¬
strahlen undurchlässig ist, hindurch ^ehen, zum Teil aber von den
einzelnen Körpergeweben in verschiedenem Grade, das heisst ent¬
sprechend ihrer Dichte bzw. ihrem Atomgewichte und entsprechend ihrer
Dicke, absorbiert werden. A1& es gelang, den Inhalt von Mumien
zu erforschen, ohne ihre Binden und Hüllen zu lösen und das Innere
kleiner Tiere ähnlich wie den Inhalt undurchsichtiger Behälter zu über¬
sehen, war der Weg zur Besichtigung innerer Organe des
Menschen nicht mehr weit. Ein kleiner technischer Vorstoss ge¬
rügte, um auch die in bezug auf Ferm, Grösse und Inhalt so ver¬
schiedenartigen inneren Organe des menschlichen Körpers in Gestalt
von mannigfach abgestuften und fein nuancierten Schattenbildern, die
der verschiedenen Durchlässigkeit der einzelnen Gewebe entsprechen,
zur bildlichen Darstellung zu bringen.
Wie einstmals der Physiker H e 1 m h o 11 z mit seinem Augen¬
spiegel. so hat der Physiker Röntgen mit seinen Strahlen der prak¬
tischen Medizin einen neuen gangbaren Weg gewiesen. Man kann sagen,
cs war die für die Medizin bedeutungsvollste physikalische Entdeckung
des vorigen Jahrhunderts, die 1895 in Würzburg gemacht wurde. —
Die Röntgenuntersuchung in der Medizin Hess sich
von .Anfang an in die Durchleuchtungsmethode und in die
photographische Methode einteilen. Das durch eine dieser
beiden Methoden hergestellte Röntgenbild ist ausserordentlich kont-
Pliziert und vom physikalischen Standpunkte aus nicht ganz einfach
za beurteilen. Wir haben es hier nicht mit einem einfachen Schatten-
nilde, sondern mit einer Uebereinanderlagerung vieler verschiedener
Schattenbildchen zu tun.
Bei der in verschiedenen Richtungen ausführbaren
Durchleuchtung, welche unter Verwendung entsprechender
Blenden- und Schutzvorrichtungen vorwiegend im Stehen, aber auch im
Sitzen und Liegen vorgenommen wird, wurde der ursprünglich ver¬
wendete Bariumplatinzyanürschirm durch den viel haltbareren Zink¬
silikatschirm (Astralschirm, Ossalschirm) verdrängt.
Fast alle Organe des menschlichen Körpers, insoweit sie Dichtig-
keitsunterschiede gegen Ihre Nachbargebiete zeigen, sind der Schirm¬
durchleuchtung zugänglich. Dadurch, dass man die Leuchtschirmbefunde
mit Fettstift auf eine dem Schirm aufgesetzte Bleiglastafel auizeichnet,
kann man sich unter Umständen sehr w'ertvolle Leuchtschirm¬
pausen anfertigen und dieselben behufs Aufbewahrung auf Pauspapier
übertragen.
Wenrt wir statt des Leuchtschirmes eine photographische
Platte verwenden, erhalten wir im Gegensatz zum Leuchtschirmbild,
das rasch und einfach zu erhalten ist, eine Röntgenaufnahme,
die wohl umständlicher herzustellen ist. aber dafür viel mehr Einzel¬
heiten erkennen lässt.
Weiche, d. h. langwellige Röntgenstrahlen liefern kontrast¬
reiche und bei Verwendung von Blenden auch scharfe
Bilder, während harte, d. h. kurzwellige Strahlen gute Durch¬
dringungsfähigkeit besitzen und deshalb eine Tiefenwirkung und
eine Durchleuchtung auch der dicksten Körperteile ermöglichen
Lange tobte im Lager der Röntgenologen der Streit, ob die
Schirmdurchleuchtung oder die photographische Auf¬
nahme den Vorzug bei der Röntgenuntersuchung verdiene. Bald ist
der einen bald der anderen Methode der Vorzug zu geben. Häufig, be¬
sonders in wichtigen Krankheitsfällen, müssen beide Methoden
verwendet werden. Die Durchleuchtung, welche besonders für den
geübten Arzt grossen Wert hat, ist weniger zeitraubend, weniger müh¬
sam und weniger kostspielig als die Photographie. Ferner können wir
mit ihr die einzelnen Körperteile in allen möglichen Stellungen unter¬
suchen und auch in Bew'egung befindliche Organe (Herz,
Zwerchfell, Speiseröhre, Magen, Darm) in ihrer vollen Tätigkeit be¬
trachten, Auch lässt sich die Durchleuchtung mit der Palpation verbinden.
Aber dort, wo es auf Darstellung feiner Gewebszeichnung an¬
kommt, z. B. bei den Knochen und der Lunge, sind Röntgenauf¬
nahmen häufig unentbehrlich; desgleichen bei Nieren-, Harnblasen-,
Harnleiter-, Qallenblasenunter^chungen, namentlich bei Steinleiden, nicht
selten auch bei Magen- und Darmuntersuchungen.
Die Röntgenaufnahmen (Originale), von welchen auch Bildabzüge
angefertigt werden können, gelten mit Recht als Dokumente von
bleibendem Wert für Arzt und Patienten. Denn sie sind imstande, be¬
stimmte Krankheitserscheinungen bildlich festzulegen, so d^ss
Täuschungen leichter auszuschliessen sind. Auch lassen sich die mit
dem Auge am Leuchtschirme gemachten Beobachtungen durch eine
photographische Aufnahme nachprüfen und häufig auch er¬
gänzen. Aber die richtige Deutung der Röntgenbilder ist oft
schwierig und erfordert grosse Uebung und Erfahrung.
Im Laufe der Zeit sind bestimmte Durchleuchtungs- und
Aufnahmetechniken unter Berücksichtigung verschiedener
Durchleuchtungsrichtungen und verschiedener Körperstellungen, sowie
bestimmte typische Methoden bei Untersuchung der ein¬
zelnen Hals-, Brust- und Bauchorgane, des Schädels, der Wirbelsäule,
des Beckens und der einzelnen Extremitätengelenke zur Ausbildung ge¬
kommen.
Zur Abkürzung der Expositionszeit und Ver¬
mehrung der Bildkontraste bei Röntgenphotographien ge¬
braucht man Verstärkungsschirme, sogen. Folien aus wolfram¬
saurem Kalzium, welche die Eigenschaft haben, die Röntgenstrahlen in
gewimnliche. die photographische Platte stärker beeinflussende Licht¬
strahlen (d. h. in Phosphoreszenzlicht) umzuwandeln. Die Schirme besitzen
Jetzt ein so feines Korn, dass sie lange nicht mehr so bildverschlechternd
wirken wie früher, wo sich das Korn auf der Platte sehr störend be¬
merkbar machte. Allerdings eine leichte Unschärfe haftet einem derart
hergestellten Röntgenogramm fast immer noch an.
Erfreulicherweise gelang es in der Folge, die Expositionszeit noch
weiter und zwar erheblich abzukürzen. Erst von da ab war cs mög¬
lich. kurzzeitige Aufnahmen bei Atemstillstand. Moment¬
aufnahmen zur Ausschaltung jeglicher Eigenbewegungen des zti
untersuchuenden Organes, und schliesslich auch kinematographi¬
sche Aufnahmen in Bewegung befindlicher Organe (d. h. des Her¬
zens, Zwerchfelles, der Speiseröhre, des Maeens und Darmes) her¬
zustellen, welche auf Physiologie und Pathologie in gleicher Weise be¬
fruchtend wirkten. Auch die Herstellung von Feriiaufnahmen zur
Vermeidung abnormer Grössen- und Projektionsverhältnisse sowie von
Stereoaufnahmen zur Erzielung plastisch wirkender Röntgenbildcr
wurde durch die genannten technischen Fortschritte erheblich gefördert.
Was zunächst die scg. theoretischen Fächer der Medizin anlangt,
so machen dieselben bis jetzt mir massigen Gebrauch von den Röntgen¬
strahlen.
Doch hat die normale Anatomie bereits grossen Nutzen aus der
Anwendung der Röntgenstrahlen gezogen: denn sie haben auch den
lebenden Körper den anatomischen Studien, welche früher nur den
Leichensitus berücksichtigten, zugänglich gemacht. Thorax, Zw'erchfell,
Magen, Darm konnten auf Grund von F e r n a u f n a h m e n. bei denen
die perspektivischen Verzeichnungen nur sehr gering sind, in bezug auf
Lage. Form und Grösse zur richtigen bildlichen Darstellung ge¬
bracht werden. Besonders die normale Magenform und die
Architektur der menschlichen Magenmuskulatur er¬
regten das Interesse der Anatomen in hohem Grade. Auch die
röntgenstereoskopische Methode, durch w'elche die räum¬
liche Vorstellung auch auf dem Gebiete der Anatomie erheblich ge¬
fördert wird, ist für anatomische Zwecke weiter ausgebaut worden,
j Ferner wurden die Vorgänge der Ossifikation mit Hilfe der
I Röntgenstrahlen eingehend studiert. Zweifellos kann die Röntgen¬
methode wegen der sruten Uebersichtlichkeit ihrer Uiitersuchungsobjekte
auch für den U n t e r r i c h t in der topographischen Ana¬
tomie in ausgedehnter Weise zur Verwendung kommen.
Die pathologische Anatomie macht noch relativ wenig Ge¬
brauch vom Röntgenverfahren. Vielleicht ebenso wichtig wie ein
chemisches Laboratorium wäre indessen für sie ein Röntgen-
laboratorium. Die schönsten und .seltensten Sarnmlungs-
p r ä p a r a t e, es sei hier nur an die Entwicklungsstörungen und sonstigen
Missbildungen erinnert, könnten auf diese Weise einer genauen und
sicherlich oft aufklärenden Untersuchung unterzogen und so einer rich-
‘ tigen Deutung zugeführt w^erden. Allerdings einzelne pathologische Ana-
Di gitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
112
MÜNCHENEP MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
tomen und Internisten haben die Strahlen schon zur E r f o r s c li u n k
pathologisch-anatomischer Fragen mit Nutzen verwendet.
So .ist z. B. bei der^ chronischen Lungentuberkulose nach Schaffung
brauchbarer Vergleichsmöglichkeiten eine gute Uebereinstimmung zwi¬
schen Röntgenbefund und patliologisch-anatomischem Befund festgestellt
worden. Und auch für Unterrichtszwecke haben die instruktiven
Vergleiche zwischen klinischen Befunden, Röntgenbild und pathologischen
Präparaten bereits wertvolle didaktische Ergebnisse erzielt. Ist doch die
Röntgenuntersuchung berufen, als das gegebene Bindeglied zwischen
klinischen und anatomischen Befunden eine wichtige Rolle zu spielen.
Die physiologische Forschung ist bis jetzt fast nur indirekt,
d. h. durch die Röntgenologen und Internisten, gefördert worden. Die
Physiologen haben sich hinsichtlich 0er Verwendung der Röntgen¬
strahlen auffallend zurückgehalten, obwohl die Bewegungsvorgänge an
einzelnen menschlichen Organen in der vorröntgenologischen Zeit
fast unbekannt waren. Lage, Form und Grösse des menschlichen
Herzens sowie seine pulsatorischen Bewegungen und sonstigen
physiologischen Veränderungen sind gerade durch das Röntgen verfahren
in überzeugender Weise zur einwandfreien Darstellung gekommen.
Ebenso ist der S c h 1 u c k a k t, besonders seine ösophageaie Periode,
auf röntgen-kinematographischem Wege studiert worden, also unter rein
normalen Verhältnissen, d. h. ohne die störende Anwendung von Re¬
gistrierapparaten. Ferner die ‘Art und Weise der Entfaltung. Füllung
und peristaltischen Tätigkeit des menschlichen Magens sowie seiner
Entleerung wurden eingehend untersucht. Endlich die motorische Tätig¬
keit des Dünn- und Dickdarms und ihrer einzelnen Abschnitte, die eigen¬
artige Funktion der B a u h i n sehen Klappe und noch manche andere
wichtige Vorgänge im Darmkanal sind röntgenologisch festgestellt
worden. Alle diese am Menschen mit Hilfe der Röntgenstrahlen
gewonnenen Ergebnisse könnten in den Lehrbüchern der I^ysiologie
ausgedehntere Berücksichtigung finden. Auch die Gelenkbewegungen, die
Zwerchfellbewegungen, die Herzbewegungen, die peristaltischen Be¬
wegungen des Oesophagus, die mannigfachen Magen- und Darm¬
bewegungen könnten veranschaulicht und durch weitere Untersuchungen
noch genauer studiert, vervollständigt und dann der studierenden Jugend
zugänglich gemacht werden. Schliesslich wenn die Physiologie den Ablauf
der einzelnen Verdauungsprozesse an verschiedenen Tieren
in grösserem Massstabe röntgenologisch studieren würde, könnte sie
vielleicht ebenso wertvolle Ergebnisse bei diesen Untersuchungen wie
bei den tierischen Stoffwechselversuchen erzielen.
Die Pharmakologie hat sich merkwürdigerw'eise bis jetzt noch wenig
mit röntgenologischen Untersuchungen beim Studium der Wirkung,ver¬
schiedener Medikamente beschäftigt. Und doch wäre hier ein dank¬
bares Arbeitsfeld gegeben, wie diesbezügliche Untersuchungen bei
Menschen und Tieren nach Darreichung von A b f ü h r - und Stopf¬
mitteln ergeben haben.
Dass die praktische Medizin die Röntgenstrahlen nicht mehr ent¬
behren kann, ist zweifellos. Denn sie haben ihr den Weg gewiesen zur
Erkenntnis vieler und gewichtiger Krankheiten; sie können allerdings
auch mitunter zu Täuschungen Veranlassung geben. Röntgenunter¬
suchung und klinische Untersuchung müssen sich
gegenseitig ergänzen, jede muss richtig gedeutet und kritisch
verwertet werden. Die Röntgenuntersuchung ist aber nicht, wie man
so oft hört, stets eine Ergänzung der klinischen Methoden. Nicht
.selten ist die klinische Untersuchung geradezu eine Ergänzung der
röntgenologischen, so z. B. bei vielen Oesophagus-, Magen-, Dünn- und
Dickdarm-, Zwerchfell- und namentlich auch bei Lungenerkrankungen,
wie Abszessen, zentraler Pneumonie, disseminierter und Miliartuberku¬
lose, Sarkomatose und Hilusdrüsentuberkulose. Und dieses wechsel¬
seitige Wertigkeitsverhältnis der beiden Untersuchungsmethodeii wird
sich mit fortschreitender Erkenntnis und Deutung der Röntgenbilder
immer noch mehr zugunsten der Röntgendiagnostik verschieben.
Schliesslich wird das Röntgenverfahren gar noch als vollwertige kli¬
nische Methode allgemein anerkannt werden.
Es wäre aber andererseits für den Studiengang des Mediziners als
ein Unglück zu betrachten, wenn die altbewährten, oft mit grossem
Scharfsinn erdachten physikalischen Untersuchungsmethoden durch die
Röntgenuntersuchung zu sehr zurückgedrängt würden. Und deshalb
haben die Kliniker sorgsam darüber gewacht, dass die röntgeno¬
logischen Mjethoden während der Studienzeit des Mediziners keinen zu
grossen Vorsprung gewinnen gegenüber den unentbehrlichen und viel¬
bewährten alten Methoden der Inspektion, Palpation. Perkussion* und
Auskultation. Die Schulung des Mediziners darf nach dem beherzigens¬
werten Ausspruch eines hiesigen Klinikers nicht einseitig auf das
Röntgenbild eingestellt werden, denn bei seiner alleinigen Beurteiluri t
und Verwertung können — zum Schaden des Patienten — falsche
Schlüsse auf das Oesamtkrankheitsbild gezogen werden. Der Mediziner
muss so gründlich klinisch vorgebildet sein, dass er am Kranken¬
bette, wo in der Regel kein Röntgenapparat. selbst kein transportabler,
aufgestellt werden kann, auch ohne Zuhilfenahme des Röntgenverfahrens
sich zurechtzufinden weiss.
Es ist nicht möglich, in engbegrenztem Rahmen einen zusammen¬
fassenden UeberbliAc über das weitverzweigte Feld der praktischen
Medizin zu geben, auf dem die Röntgenstrahlen zur .Anwendung kommen;
es können nur einige kurze Hinweise erfolgen auf die wichtigsten
Anwendungsgebiete dieser Strahlen.
An erster Stelle in der Röntgendiagnostik stehen die Chirurgie
nebst der Orthopädie sowie die innere Medizin.
Die Diagnostik in der Chirurgie, besonders in der intrathorakalen
Chirurgie, ist durch (% Röntgendiagnostik ausserordentlich gefördert
worden. Das Röntgenverfahren gilt jetzt mit Recht als eines der
wichtigsten und verlässigsten Hilfsmittel für den Operateur.
Verletzungen, Erkrankungen (Erweichungsherdc, Geschwülste,
Zysten usw.), Entwicklungs - und Wachstumsstörungen,
Missbildungen des Knochen Systems können mit einer
Schärfe und Genauigkeit zur Darstellung gebracht werden, dass kein
Chirurg auf das Röntgenbild verzichten kann. Gleich der pathologischen
Anatomie ermöglicht die Röntgenuntersuchung ganz bestimmte ana¬
tomische Veränderungeji festzustellen. Dieses röntgenologische Unter¬
suchungsergebnis ist namentlich auch der Unfallheilkunde zu
statten gekommen. Hier ist das röntgenologische Gutachten oft von aus¬
schlaggebender Bedeutung, weil mitunter nur mit' Hilfe des Röntgen¬
verfahrens die richtige Diagnose gestellt werden kann.
' Schwieriger als die Röntgenuntersuchung der kalk- und phosphor¬
haltigen Knochen war diejenige der W e i c h t e i 1 e durchzuführen. Doch
gelang es auch- hier, viele wertvolle Aufschlüsse durch Anwendung des
Röntgenverfahrens zu erlangen. So Hessen sich verkalkte Zvstizerken
in der Körpermuskulatiir, Gasblasen (sog. Gasflecken) im interstitiellen
Bindegewebe der Muskeln bei Gasohlegmone, Gasansammlungen bei
Qasabszessen, Verkalkungen in Schleimbeuteln und Gelenkkapseln sowie
Ossifikationen von Muskeln, Sehnenansätzen und Bändern nachwelsen.
In verschiedenen Feldzügen, ganz besonders aber im verflossenen
Weltkriege, haben die Röntgenstrahien den Chifurgen die wichtigsten
Dienste geleistet »md unzähligen Verwundeten das Leben geretteL
Röntgen ist deshalb an seinem 70. Geburtstage im Jahre 1915 als
„Wohltäter der Menschheit“ in ganz Deutschland, auch von den mili¬
tärischen Behörden, gefeiert worden. In den Feld- und Kriegslazaretten,
in der Etappe und im Heimatgebiete hat sich das Röntgenverfahren
glänzend bewährt — namentlich bei Knochenverletzungen und Ver¬
letzungen der inneren Organe, sowie in bezug auf Geschosslokali¬
sation. Bald wurde, wenigstens soweit dies möglich war, keine
Operation nach Schussverletzung mehr vorgenommen, ohne dass vorher
eine Röntgemintersuchung ausgeführt worden war. Wie in der Lokali¬
sation, besonders auf röntgenstereoskopischem Wege, so wurden auch
hinsichtlich der Entfernung von Geschossen grosse Fortschritte
gemacht, namentlich seit Einführung der röntgenoskopischen
Operation.
Gleich der Chirurgie macht auch die Orthopädie ausgiebigen Ge¬
brauch von den Röntgenstrahlen. Ist doch verade durch das Röntgen¬
verfahren die orthopädische Tätigkeit und Forschung sehr erheblich
unterstützt worden. Und zwar nicht bloss in diagnostischer
Hinsicht, namentlich in bezug auf Schenkelhalsverbiegungen, ossären
Schiefhals, angeborene und habituelle Skoliose, angeborene und er¬
worbene Hüftgelenksluxation, Coxitis, Coxa vara und valga, Crura vara
rachitica, Klumpfuss, Plattfuss. Hackenhohifuss. sondern auch in thera¬
peutischer Hinsicht. Insofern der Erfolg der konservativen und opera¬
tiven orthopädischen Behandlung in ausgezeichneter Weise durch die
Röntgenuntersuchung nachgeprüft werden kann.
Die Diagnostik in der inneren Medizin ist durch keine Unter-
suchungsrnethode so gefördert worden wie durch das Röntgenverfahren,
welches den Internisten in ihrer Berufstätigkeit unschätzbare Hilfe leistet.
Krankhafte Vorgänge in den * verschiedensten inneren Organen,
besonders an Lunge, Herz und grossen Gefässen. Mittelfell, Zw'erchfell,
Speiseröhre, Magen, Darm lassen sich unmittelbar sehen und beurteilen.
Der Internist findet jetzt häufig Sitz und Art sowne den Ursprung der
Krankheit mit Hilfe der Röntgenstrahien, die «omit als „Pfadfinder“
beim Suchen nach dem vorliegenden Krankheitsprozesse bezeichnet
werden können. Die Lungenkrankheit e-n. vor allem die
Tuberkulose und ihre Sekundärerkrankungen (Kavernen,
Pneumothorax. Pleuritis), fernerTumoren. Abszesse, Gangrän, Pneumonie,
“Emphysem usw. sind der Röntgenuntersuchung besonders gut zugäng¬
lich, weil hier grosse, ihrer verschiedenen Dichtigkeit entsprechende
Helligkeitsunterschiede zwischen erkrankten und gesunden
I imgenpartien gegeben sind. Auch die für einzelne Herzkrankheiten,
besonders Herzfehler, charakteristische H e r z f o r m zeigt sich deutlich
im Röntgenbiide. Ebenso lassen sich Lage, Ausdehnung und Bewegungs-
erscheiinmgen des Herzens und der grossen Gefässe (sowie Kalk¬
ablagerungen in der Media peripherer Gefässe), ferner Herzbeutel-
erkrankungen leicht und sicher auf röntgenoskopischem Wege
nachweisen. Dadurch, dass man an die Stelle der Zentralpro¬
jektion die Parallelprojektion setzte, war es möglich, Verzeich¬
nungen der Organe auszuschliessen und so die wahre Grösse
derselben, namentlich auch des Herzens, „orthodiagraohisch“ zu be¬
stimmen, Bei der Speiseröhre sind alle anderen Untersuchungs-
methoden durch das Röntgenverfihren zurückgedrängt worden. Hier
sind Verlagerungen, Dilatationen, Divertikel, Fremdkörper, Spasmen und
organische Stenosen mit ihrer abnormen Peristaltik sowie Karzinome näch
Einnahme breiartiger Aufschwemmungen von Bariumsulfat aufs schönste
nachzuvveisen. Der röntgenologischen Erkenntnis der Funktionen und
Erkrankungen des Magens und Darmes — dünnwandiger, hohler,
für die Strahlen gut durchlässiger Organe — standen anfän<^lich grosse
Schwierigkeiten im Wege. Sie wurden gelöst, indem mit Schwermetall¬
salzen vermengte Speisebreie (sogen. Kontrastbreie) in ausreicheffder
Menge vor der Röntgenuntersuchung oder während derselben den
genannten Verdauung.sorganen — per os oder per anum oder nach¬
einander auf beiden Wegen — einverleibt wurden. Die mannigfachen
Form- und Lager Veränderungen des Magens, die Beschaffenheit seiner
Di
litized bv Google
Original frorri
-UNIVERSITY OF CAdFORNi?i^ ‘"'-
2S. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
113
Muskulatur, seine Grösse und SaftabscheiduiiK, die verschiedenartigen
Ulcera, die Karzinome und die von ihnen verursachte Starrwandigkeit
.sowie ihre Füllungsdefekte, ferner Bewegungsstörungen. Verengerungen,
etwaige Verwachsungen und Narben lassen sich mit Hilfe der Röntgen¬
strahlen nachweisen.. Am Dünndarm, besonders am Duodenum
sowie am Dickdarm sind gleichfalls Form- und Lageanomalien,
Tonusveränderungen, Störungen in der Peristaltik, Geschwüre, Kar¬
zinome. Stenosen und Verwachsungen der okularen und damit auch der
palpatorischen Untersuchung zugänglich. Auch die Beurteilung noch vieler
anderer interner Erkrankungen (Asthma bronchiale, Gicht. Rheum itismus,
Leber-, Gallenblasen-, Nierenerkrankungen usw.), auf die hier nicht
näher eiiigegangen werden kann, haben durch die Röntgenuntersuchung
weitgehende Förderung erfahren.
Nicht bloss Chirurgie und innere Medizin, sondern fast jedes einzelne
S 0 n d e r f a c h hat grossen Vorteil aus der Röntgen sehen Ent¬
deckung gezogen und durch systematische Anwendung des Röntgen¬
verfahrens wichtige diagncslische Errungenschaften erzielt. Deshalb
machen diese Sonderfächer auch immer häufiger von diesem Verfahren
Gebrauch.
So sind in der Kinderheilkunde besonders die Wachstums-
■storungen d^s Skelettsystems (bei Myxödem, Kretinismus. Chondro¬
dystrophia foetalis, Rachitis, Lues congenita. Tuberkulose) studiert
worden. Ferner Anomalien der Thymusdrüse, die ver¬
schiedenartigen Pn.eumonien der Kinder, sowie die Lungentuber¬
kulose bzw'. die intrathorakale Drüsen Schwellung. Auf
dem Gebiete des yerdauungskanales wurde besonders die morpho¬
logische Eigenart des horizontal gestellten und weit nach rechts sich
erstreckenden Säuglingsmagens, ferner die bei Säuglingen öfters
zu beobachtende Pylorusstenose mit ihrer rückläufigen Peristaltik
und endlich die Hirschsprungsche Krankheit röntgenologisch
untersucht.
Die Neurologie macht vom Röntgenverfahren Gebrauch bei Ver¬
letzungen und Krankheiten des Schädels und Gehirns,
so zum Nachweis von Frakturen. Defekten und Tumoren des Schädels,
von Hypophysistumoren, speziell bei Riesenwuchs und Dystroohii
adiposo-genitalis, verkalkten Gehirntumoren und — auf indirektem
Wege, d. h. durch Feststellung von Schädelusuren — auch von anderen
Tumoren, sowie von Schädelanomalien, z. B. dem Turmschädel. Unter,
den Rückenmarkskrankheiten sind besonders die Syringo¬
myelie und die Tabes mit ihren vielgestaltigen Arthrnoathien und
ihren hyper- und atrophischen Knochenveränderungen, von Ver¬
letzungen der Wirbelsäule die Frakturen, von Erkran¬
kungen derselben die Spondylitis tuberculosa und syphilitica, die
Versteifungen und die Tumoren zu nennen. Ferner gelingt beispiels-
w 4 .Mse der röntgenographische Nachweis einer Spina bifida bei
Enuresis nocturna sowie arteriosklerotischer Gefässveränderungen bei
intermittierendem Hinken. Auch die Knochenveränderungen bei
vasorpotorisch-trophischen Neurosen (Erythromelalgie,
Raynaud scher Krankheit und Sklerodermie) sowie bei Akromegalie
sind häufig Gegenstand der röntgenologischen Untersuchung.
In der Uiryngologie spielt namentlich die Untersuchung der
Strumen und die Beeinfluisung der Trachea durch dieselben, die Fest¬
stellung von Stenosen des Kehlkopfes, der Trachea und der
Bronchien, sowue der Nachweis von Fremdkörpern eine grosse
Rolle. In der Rhlnologfe fahndet man bei Traumen nach Brüchen des
Nasenbeines und sucht die Ausdehnung von Neoplasmen und destruktiven
Knochenprozessen in Nasen- und Rachenhöhle festzustellen. Besonders
aber die Untersuchung der erkrankten Nebenhöhlen (Stirn-, Sieb¬
bein-, Kiefer- und Keilbeinhöhlen) und der Nachweis von Fremdkörpern
kommt hier in Betracht.
Die Zahnheilkunde hat das Röntgenverfahren in weitgehender
Weise benützt. Sowohl extraorale Aufnahmen, bei welchen die
photographische Trcckenplatte unter das Gesicht gelegt wird, als be-
srmders auch i n t r a o r a 1 e Aufnahmen, w'obei ein passend zuge-
schnitiener, von schwarzem Papier und Guttaperchapapier umschlossener
kleiner Planfilm („Zahnfilm“) in die Mundhöhle eingeführt und an das
Kiefer angedrückt wird, kommen in Betracht. Es gelingt der Nachweis
von W^urzelerkrankungen, von Kieferzysten und r e t i -
lierten Zähnen sowie verschiedener anderer Stellungsanomalien.
Auch können alle zahnärztlichen Eingriffe durch die Röntgenstrahlen
kontrolliert werden, so namentlich die Verwendung bestimmter
Füllungsmaterialien.
Die Urologie verwendet die Röntgenstrahlen zur Darstellung von
Form, Lage und Ausdehnung der Niere und der Harnblase, besonders aber
zum Nachweis von Nieren-, Ureteren-. Blasen-, Prostatasteinen, von
Fremdkörpern in der Blase, ferner von Nieren- und Blasentuberkulose
sowne von Tumoren dieser Organe.
In beschränktem Grade machen auch die Ophthalmologie und die
Otiatrie (besonders zum Nachweise von Fremdkörpern, namentlich
Metallsplittern, und Tumoren) sowie die Geburtshilfe (letztere zum Zweck
stereoskopischer Beckenmessungen und Fötusaufnahmen, ferner zur
Feststellung von Extrauterin- und Zwillingsschw^angerschaft) von der
Röntgenmethode Gebrauch.
Es sei noch erwähnt dass die gerichtliche Medizin sich nicht selten
der praktischen Anwendung der Röntgeifstrahlen bedient. So kann z. B.
der Nachweis, dass der Fötus geatmet oder Luft verschluckt hat, auf
röntgenologischem Wege erbracht werden. Besonders aber bei der
gerichtsärztlichen Beurteilung von Körperverletzungen leistet
das Röntgenverfahren die wertvollsten Dienste.
Digitized by Gov gle
Es ist begreiflich, dass die Röntgenuntersuchung viel langsamer als
in der humanen Medizin in der Tiermedizin sich Bahn gebrochen
hat da — wenigstens bei grossen Tieren — ihrer Anw'endung oft
grosse Schwierigkeiten im Wege stehen. Doch hat auch hier, nament¬
lich auf dem Gebiete der Chirurgie, besonders zur’ Beurteilung von
Knochenveränderiingen, die Röntgenmethode bereits festen Fuss gefasst
Ferner durchleuchtet man gelegentlich die Brustorgiiie des Pferdes und
des Rindes, besonders bei Herz- und Gefässerkrankungen. Aber auch
zum Nachweis verschluckter und eingekeilter Fremdkörper, z. B. von
Knochenstücken, hat sich die Ainvendung des Röntgenverfahrens bei
verschiedenen Tieren, namentlich bei Hunden, bewährt. — ^
Eine ganz besonders grosse Bedeutung haben die Röntgenstrahlen
in der Therapie erlangt, insofern ihre biologische bzw. zelluläre Wirkung
therapeutisch verwertet wird. Wie in der Diagnostik so ist auch hier
durch die gemeinsame Arbeit von Medizinern. Physikern und Technikern
zum Wohle der Kranken Erspriessliches geleistet worden. _
Man spricht mit Bezug auf die Verschiedenartigkeit der thera¬
peutischen Wjrkung von einer R e i z w i r k u n g, d. h. von einer Wachs¬
tumsanregung auf die lebenden Zellen und andererseits von einer Zer¬
st ö r u ri g s w- i r k u n g, die zu Zellnekrose führt. Dadurch, dass die
Röntgenstrahleii viele krankhafte organi.sche Veränderungen günstig, d. h.
im Sinne der Gesundung, beeinflussen, entfalten sie. wenn auch indirekt,
eine heilende, lebenspendende Kraft, wie wan sie vom gewöhnlichen Lichte
bei einigen, namentlich cberfiächlich gelegenen Krankheiten schon lange
kennt. Aber der Weg zu ihrer sachgemässen therapeuti¬
schen Anwendung ist weit und beschwerlich. Die tech¬
nischen Grundlagen der Röntgentherapie sind immer noch nicht aus¬
gebaut und die diesbezüglichen klinischen Beobachtungen und Erfahrungen
noch lange nicht abgeschlossen, obwohl die grössten Anstrengungen ge¬
macht wurden, unter Ausnützung wichtiger physikalischer Gesetze und
biologischer Beobachtungen dem Heilungsproblem näherzukommen. Ver¬
schiedene Hilfsfaktoren, so die Verwendung verschiedenartiger Metall¬
filter und äusserst harter bzw. kurzwelliger Strahlen, kommen hierbei
in Betracht, um in nicht zu langer Zeit und unter voller Berücksichtigung
der maximal zulässigen Dose eine hinreichende Strahlenmenge zu er¬
halten und eine genügende Tiefenwirkung zu erzielen.
Wegen der oft schwierig zu beurteilenden und bei
Mangel an Vorsicht und genügender ärztlicher Erfahrung in Hinsicht
auf die Verbrennungsmöglichkeit nicht ungefährlichen Strah¬
lenwirkung und nicht zum wenigsten wegen der notwendigen sub¬
tile n^T e c h n i k ist die Röntgentherapie bis Jetzt, im Gegen¬
sätze zur Röntgendiagnostik, noch nicht Gemeingut der Aerzte geworden.
Sie wird vielmehr — wenigstens zunächst noch — rein spezialistisch
betrieben. Ein weiterer Grund für die rein fachärztliche Be¬
tätigung ist die Notwendigkeit der Beschaffung besonders leistungs¬
fähiger, kostspieliger Apparate und die erforderliche Anwendung
spezieller, umständHch zu bedienender Messapparate, um mög¬
lichst einw'andfreie Werte zu erhalten. In der schwierig zu lösenden
Dosierungsfrage hat — abgesehen von der höchst wich¬
tigen erythematösen Veränderung der menschlichen Haut —
die Heranziehung von bestimmten Testobjekten, d. h. Pflan¬
zenkeimlingen (Erbsen, Bohnen, Sonnenblumen) sowie von
kleineren Tieren (namentlich Froschlarven und Trypanosomen)
zum Studium der biologischen Wirkung der Röntgenstrahlen wohl das
wissenschaftliche Interesse der Röntgentherapeuten in hohem Grade er¬
regt, aber bisher nur in sehr beschränktem Masse zu praktischen Er¬
gebnissen geführt. Eine genaue und absolut zuverlässige biologische
oder physikalische Messmethode fehlt uns leider immer noch, so dass
wir uns mit den bisher gebräuchlichen Messmethoden bis auf weiteres
begnügen müssen.
- Wenn auch die Anwendung der Röntgenstrahlen zu Heilzwecken
bis jetzt nicht dieselbe Wertschätzung seitens der praktischen Aerzte
gefunden hat wie die diagnostische Methode, so bricht sic sich doch
immer mehr Bahn. Die Entwicklung des therapeutischen
Röntgenverfahren geht allerdings viel langsamer von statten als die des
diagnostischen. Wer dieselbe aber von Anfang an verfolgt hat. weiss,
wie sehr sie mit den Fortschritten der Technik und der rationellen Ver¬
wertung physikalischer Grundlagen an Ausdehnung und Bedeutung ge¬
wonnen hat. Marf'wird deshalb dies wertvolle Heilmittel bei vielen
Krankheiten nicht'^iehr missen wollen. So namentlich bei bestimmten
Hauterkrankungen, besonders bei chronischem Ekzem. Akne,
Fiiriinkuolse, Lichen, Psoriasis, Verrucae, Kcloiden. Mykosis furigoides
und bei Lupus sowie zum Zwecke der Epilation bei parasitären
Haarkrankheiten und Hypertrichosis, ferner bei Drüsenerkrankungen:
Granulom, Lymphom, Lymphosarkom, Erkrankungen von Drüsen mit
innerer Sekretion (.Morbus Basedowi, Thymusliyperplasie, Hvpo-
physentumoren, Prostatahypertophie), bei Blutkrankheiten, besonders Leu¬
kämie, sowie bei Hämophilie (hier zur Erhöhung der Blutgerinnung), Fraiien-
krankheiten (Metropathien und Myomen), tuberkulösen Erkrankungen,
und zwar der Lymphdrüsen. der Knochen, der Bindehaut und anderer
Schleimhäute, des Pe.ritoneums. des Darmes, sowie bei bösartigen Neu¬
bildungen, d. h. Sarkomen und Karzinomen der verschiedensten Organe,
vorausgesetzt, dass sie lokalisiert sind. Was die letztgenaijg|g||j
die Aerztewelt so sehr beschäftieenden Krankheitsprozesse der mafl^Hi
Neonlasmen anlangt, so besteht hei inoperablen Geschwülsten rMR
Zweifel, dass sie der Bestrahlun'y zugeführt werden müssen, während
bezüglich der operablen die Meinungen geteilt sind. Aber auch hier
sind im Anschluss an die Operation vorbeugende Bestrahlungen behufs
Zerstörung etwa zurückgebliebener Keime am Platze. Die Röntgen-
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
114
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
strahlen zerstören die hier in Betracht kommenden Gewebszellen im
menschlichen Körper meist schon in einer Dose, bei welcher die be¬
nachbarten gesunden Zellen nicht ernstlich geschädigt, ja sogar unter
Umständen zu vermehrter Tätigkeit angeregt werden. Dabei ist neben
der lokalen Bestrahlung, bei w'elcher zur Erholung und Kräftigung
des Organisnxis. zur Wegschaffung krankhafter Stoffwechselprodukte
und zur Vermeidung stärkerer resorptiver Giftwirkung Schonungs¬
pausen einzuhalten sind, stets eine Allgemeinbehandlung
des erkrankten Organismus, namentlich eine Arsenmedikation, emp¬
fehlenswert. Andererseits aber genügen bei manchen Krankheiten, z. B.
bei Tuberkulose und Drüsen mit innerer Sekretion, oft schon sehr kleine
Dosen dieser Strahlen, um durch eine Reizwirkung die Heilung des
Krankheitsprozesses anzubahnen. Besonders empfindlich gegen Rönt¬
genstrahlen ist das 1 y m p h 0 i d e Gewebe, und die Zellschädigung der
Hoden und Ovarien durch Röntgenstrahlen kann zu vollständiger
Sterilität führen. Somit kann man mit Bezug auf diese verschieden¬
artige Beeinflussung verschiedener Zellarten von einer e 1 e k t i v e n
Strahlenwirkung sprechen. —
Die Röntgensche Entdeckung war eine originelle und
grossartige Leistung auf dem Gebiete der naturwissenschaftlichen For¬
schung. Sie hat unserem Zeitalter ein Hilfsmittel an die Hand gegeben,
durch welches wir viel besser als früher ausgerüstet werden, um in
die Geheimnisse der Natur einzudringen. Gerade eines unserer wert¬
vollsten Sinnesorgane, das Auge, hat durch die Röntgenstrahlen eine un¬
erwartete Unterstützung und Vervollkommnung erfahren. Denn das
Röntgenlicht ermöglicht dem Arzte gewissermassen „optische
Diagnostik“ zu treiben. Gebiete, die bisher nicht oder nur unvollständig
zugänglich w'aren, so vor allem das Innere des menschlichen Körpers,
w’urden dem .Auge und damit der medizinischen Forschung erschlossen.
Auch hat durch die Röntgenstrahlen unser diagnostischer und
therapeutischer Gesichtskreis eine ungeheuere Erweiterung er¬
fahren. Durch ihre sachgemässe Anwendung kann den Kranken viel
Leid und den staatlichen und gemeindlichen Behörden viel Geld erspart
w'erden, da auf diese Weise die Krankheitsdiagnose viel rascher und
sicherer gestellt werden kann und die Beurteilung des Krankheitsbildes
wesentlich erleichtert wird, so dass entsprechende therapeutische Mass¬
nahmen schneller und wirksamer getroffen werden können als früher.
Ohne eines übertriebenen Lokalpatriotismus sich schuldig zu.
machen, darf man darauf hinweisen, dass auffallend viele physikalische,
technische und medizinische Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgen¬
strahlen von München ausgegangen sind, von einer Stadt, jn der
Röntgen seit dem Jahre 1899 als Ordinarius der Physik an der Uni¬
versität wirkte. Hier feierte er im Jahre 1915 unter allgemeiner .Anteil¬
nahme seinen 70. Geburtstag. Der erste Gratulant war damals der
König von Bayern, der ihn am Vorabende seines Genurtsiages empfing
und ihn mit Auszeichnung und Dirung bedachte. Erst kürzlich gab
Röntgen seine Lehrtätigkeit auf. Er kann auf eine lange und erfolg¬
reiche Berufstätigkeit zurückblicken und darf stolz darauf sein, dass
seine Entdeckung in den verflossenen 25 Jahren sich als höchst segens¬
reich für die leidende Menschheit erwiesen hat.
Franz Hofmann +.
Am 15. September 1920 starb auf seinem ländlichen Ruhesitz in
seiner geliebten bayerischen Heimat der Sächs. Geheime Rat Professor
Dr. Franz H o f m a n n, der erste Inhaber des Lehrstuhls für Hygiene
an der Universität Leipzig.
Am 14. Juni 1843 in München geboren, studierte er in seiner Vater¬
stadt und wurde 1867 Assistent im physiologischen Institut unter Carl
V o i t. Im Juni 1872 habi¬
litierte er sich an der Uni¬
versität München mit einer
Abhandlung über den
Uebergang von Nahrungs¬
fett in die Zellen des Tier¬
körpers. Schon im August
desselben Jahres 1872
w urde H o f m a n n als
ausserordentlicher Pro¬
fessor und Direktor des
pathologisch-chemischen
Laboratoriums nach Leip¬
zig berufen; und der Uni¬
versität und der Stadt
Leipzig ist er bis Ende
seines Wirkens treu ge¬
blieben. Am 5. Juni 1878
w'urde er ordentlicher Pro¬
fessor und Direktor des
neugegründeten Hygieni¬
schen Institutes. Eine am
22. Juni 1878 an ihn er¬
gangene Berufung nach
Amsterdam lehnte er ab.
So wenig zahlreich die wissenschaftlichen Veröffentlichungen Hof-
m a n n s sind, die sich auf Abhandlungen namentlich über Bodenhygiene.
Friedhofanl:igen. Kühlanlagen für Nahrungsmittel beschränken, so un-
gemein umfassend und wichtig war H o f m a n n s Betätigung auf dem
Gebiet der praktischen öffentlichen Gesundheitspflege. Seiner Auf¬
fassung nach ist die Hygiene in erster Linie berufen, das Leben zu
durchdringen und praktische Arbeit zu leisten. Diese Ueberzeugung
machte sich in seinen Vorlesungen und namentlich in seinen „Hygieni¬
schen Besprechungen“ geltend, wo er mit hinreissender Beredsamkeit,
oft in humoristischer Form und geistreichen Darlegungen seine Zuhörer
zu fesseln verstand.
Seiner Auffassung von den in erster Linie praktischen Auf¬
gaben der Hygiene war es zu danken, dass er sich mit Eifer und Hin¬
gabe seiner ganzen Persönlichkeit den öffentlichen Diagen widmete.
9 Jahre lang war er Stadtverordneter zu Leipzig. 12 Jahre lang medi¬
zinischer Rat der Kr^shauptmannschaft Leipzig. Wie er es in diesen
Stellungen verstanden hat, die Verwaltungen mit hygienischen Gedanken
zu erfüllen, was er an hygienischen Einrichtungen geschaffen hat und
hat helfen schaffen, das wird ihm unvergessen bleiben. Die Erbauung
von Wasserleitungen, Kanalisationsanlagen. Krankenhäusern in zahl¬
reichen Gemeinden seines Bezirkes und darüber hinaus ist ihm zu
danken. Besonders aber galt seine Fürsorge der Stadt Leipzig. Ini
engsten, vertrauensvollen Zusammenarbeiten mit Männern, wie Ober¬
bürgermeister Q e 0 r g i. Baurat T h i e m, Stadtbezirksarzt Siegel,
schuf er die bedeutungsvollsten hygienischen Anlagen der Stadt und'
half ihr damit auf die hygienische Höhe, der sie sich jetzt zu erfreuen
hat. Mit der Erbauung der grosszügigen Wasserleitungsanlagen, der
Kläranlagen, der Markthalle, des Schlachthofs, der Friedhöfe ist Hof-
m a n n s Name aufs innigste verknüpft.
Und bei all seiner restlosen, weitverzweigten Arbeit w'ar H o f m a n n
seinen Mitarbeitern und allen, die seinen Rat begehrten, ein hin¬
gebender, fördernder Freund. Wer das Glück gehabt hat. mit ihm zu
arbeiten, der hat reichen Gewinn für sein ganzes Leben davongetragen.
Denn nicht nur die Schätze seiner Wissenschaft und seiner reichen Er¬
fahrung teilte er freigebig aus; er verstand es auch, mit seiner Klugheit
und milden Lebensweisheit, die ihn auch das Unglück seiner letzten
Lebensjahre, das Erlöschen des Augenlichts, heiter zu ertragen lehrte,
die Herzen seiner Freunde zu erfüllen und zu erheben. Mit unauslösch¬
licher Dankbarkeit werden wir seiner Zeit unseres Lebens gedenken.
Dr. August P 0 e 11 e r.
Stadt-Obermedizinalrat. Leipzig.
Forthildungsuortrage und uebersicntsreterate.
Aus der Universitäts-Frauenklinik zu Hamburg.
Eppendorfer Krankenhaus.
Die Behandlung der entzündlichen Adnextumoren.
Von Th. Heynemann.
Die ausserordentliche Zunahme der Gonorrhöe und der fieberhaften
Aborte hat eine entsprechende Zunahme der entzündlichen Adnex¬
tumoren zur Folge gehabt.
Die Frauenkliniken und die Fachabteüuiigen der Krankenhäuser
bieten längst nicht mehr Raum, um alle zugewiesenen Frauen, die an
diesem Leiden erkrankt sind, aufzunehmen und genügend lange zu be¬
handeln. Eine genügend lange Behandlung ist aber Vorbedingung für
einen Erfolg. Sonst endet die Erkrankung mit langem Siechtum oder
einer verstümmelnden und nicht ganz ungefährlichen Operation.
Mehr wie früher muss daher die Behandlung ausserhalb der Klinik
durchgeführt werden. Wenn auch die grossen Städte am meisten von
der Zunahme der Erkrankung betroffen werden, verspürt wird sie auch
ausserhalb ihres Bereiches und in ländlichen Bezirken. Es erscheint daher
nicht unangebracht, die am grossstädtischen klinischen Material gesam¬
melten Erfahrungen, vor allem sow'eit sic für die Allgemeinpraxis von
Bedeutung sind, erneut darzulegen.
Im Hinblick auf die Behandlung muss man 3 Stadien der Erkrankung
unterscheiden, das akute, subakute und chronische. Jedes erfordert
seine besonderen Massnahmen. Die Nichtbeachtung dieses Punktes zieht
Verzögerungen des Heilungsverlaufs und Beeinträchtigung der Erfolge
nach sich.
Die anatomischen Verhältnisse bringen es mit sich, dass die Entzün¬
dung der Tube so gut wie regelmässig von einer Entzündung des Peri¬
toneum des Beckens und der Unterleibsorgane begleitet wird. Die
Erscheinungen dieser Beckenperitonitis beherrschen vöUig das akute
Stadium.
Sie bestehen neben Fieber in ausserordentlicher Schmerzhaftigkeit,
die häufig ganz plötzlich einsetzt, starker Druckempfindlichkeit und
/ Spannung der Bauchdecken im Bereiche der unteren Bauchgegend. Häu¬
fig, aber nicht immer erkennt man als Ort der stärksten Druckempfindlich¬
keit und Spannung die Gegend beiderseits neben dem Uterus.
Auch die bimanuelle Untersuchung vermag häufig keinen weiteren
Befund aufzudecken. Der Versuch, durch vermehrten Dfuck oder durch
Narkosenuntersuchung eine weitere Klärung des Befundes zu erzielen,
hat im ersteren Falle unerträgliche Schmerzen für die Pat., im letzteren
Verschlimmerung der Krankheitserscheinungen zur Folge. Ein solches
Vorgehen ist daher zu verw^erfen. Hiergegen wird von Unerfahrenen sehr
häufig gefehlt. Dagegen kann der Nachweis von Gonokokken in Urethra
oder Zervix die Diagnose noch weiter sichern.
ln diesem akuten Stadium darf die Behandlung nur in v ö J1 i g e r
Bettruhe, Eisblase oder kalten Umschlägen und Nar¬
kotika bestehen. Daneben ist auf leichte Stuhlentleerung und leicht-
Digitized by
Goi 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFOmiA
28. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
115
verdauliche Diät zu achten. Als Narkotikum hat sich das Pantopon,
z. B. 3 mal täglich 20 Tropfen ei^er 2 proz. Lösung bewährt, doch muss
man in diesem Punkte individualisieren sowohl in der Wahl der Dar¬
reichungszeiten und Mengen, als auch in der Wahl des Medikamentes.
Jede andere, vor allem lokale Behandlung ist schädlich. Bei sehr
starkem Ausfluss lässt man lauwarme Abspülungen der Vulva vornehmen,
erst später treten an deren Stelle lauwarme, vorsichtig im Bett aus-
geführte Scheidenspülungen.
Befolgen die Pat. diese Anordnungen, so tritt fast regelmässig in
kurzer Zeit eine ausgesprochene Besserung der Beschwerden und des
Fiebers ein. Das Narkotikum kann fortfallen. Die Pat. bitten häufig
selbst um Entfernung der Eisblase, die wir dann durch einen lau¬
warmen Umschlag ersetzen.
Wir sind in das subakute Stadium der Erkrankung und seine Be¬
handlung gelangt. Wenn wir jetzt, natürlich nur mit grosser Schonung
lind Vorsicht, bimanuell untersuchen, so fühlen wir gewöhnlich ohne
^Schwierigkeit die Adnextumoren, meist eingebettet in beckenperitoni-
lische Exsudate, die gewöhnlich die seitlichen Partien oder auch den
ganzen Umfang des Douglas sehen Raumes ausfüllen.
Auch in diesem subakuten Stadium ist das wesentliche in der Be¬
handlung die völlige Ruhe, körperliche sowohl, wie vor allem auch
sexuelle. Im akuten Stadium stossen diese Anordnungen wegen der
Schmerzen auf keine Schwierigkeiten, um so mehr ist dies jetzt der
Fall Aber die Befolgung gerade dieser Anordnung ist ausschlaggebend
für den Erfolg der ganzen Kur. Die besseren Erfolge der stationären
Behandlung in den Krankenanstalten gegenüber der häuslichen sind
ganz in erster Linie auf die leichtere Durchführbarkeit dieser Massnahmen
zurückzuführen.
Dauert das akute Stadium gewöhnlich nur Tage, so zieht sich das
subakute ebensoviele Wochen hin. Es stellt daher an Geduld und Aus¬
dauer von Pat. und Arzt die grössten Anforderungen. Die Pat. drängen
zu weiteren und eingreifenderen Massnahmen, von denen sie durch Lei¬
densgenossinnen, Bekannte oder andere Aerzte gehört haben und die alle
auf eine Erwärmung und Hyperämieerzielung der Beckenorgane hin¬
zielen. Ihre vorzeitige Anwendung ist aber unbedingt zu vermeiden; zu
früh angew'andt, haben sie ein Wiederauf flackern der Entzündung und
einen Rückschtog in das vorhergehende Stadium zur Folge.
Nach denr Anschauungen der allgemeinen Pathologie könnte man
darin zunächst nichts Unerwünschtes sehen. Oft genug versucht man
chronisch-infektiöse Prozesse durch Zurückführung in akutere zur Heilung
zu bringen und durch aktive Hyperämie akute Infektionen in ihrer Ge-'
fährlichkeit zu beschränken und Infektionsherde unschädlich zu machen.
Bei den entzündlichen Adnextumoren kommt aber die Bekämpfung des
ursprünglichen Infektionsherdes zunächst nicht in Betracht und von einer
unmittelbaren Gefahr kann im allgemeinen nicht die Rede sein. Todes¬
fälle gehören zu den Seltenheiten. Die Folgen und Begleiterscheinungen
der Entzündung sind es, die hier unserer Behandlung die grössten
Schwierigkeiten machen, Exsudate, Eiterherde und dadurch entstehende
Verklebungen und Verwachsungen. Jedes Aufflackern der Entzündung
bringt aber nicht nur eine Vermehrung der Beschwerden, sondern auch
die Gefahr einer erneuten Entstehung oder Vergrösserung der Exsudate
und Eiterherde mit sich. So kommt es, dass hier hyperämisierende Mass¬
nahmen, zu früh angewandt, d. h. so lange die erwähnten Begleiterschei¬
nungen akuter Entzündung roch zu fürchten sind, Schaden bringen
können.
Hier füllt nun die Injektionstherapie mit spezifischen oder
unspezifischen Ei weisskörpern und mit Terpentin eine empfindliche Lücke
aus. Sie soll dadurch wirken, dass die Abwehrmassregeln des Körpers
angeregt und am Orte der Erkrankung zur Wirkung gebracht werden.
Das erstere lässt sich an dem Steigen der Leukozytenzahl, das letztere
an der sog. Herdreaktion nachweisen. Letztere darf aber nicht zu stark
werden, sonst drohen die gleichen Nachteile, wie bei zu früher Wärme¬
applikation.
Auch diese Behandlung soll daher nicht zu früh*eingeleitet werden,
sondern erst, wenn die akuten Ei scheinungen mindestens 8 Tage ge¬
schwunden sind. Es hat keine Eile damit, im Zweifelsfalle wartet man
lieber etwas länger. Die Gonokökkenvakzinetherapie -soll im allgemeinen
sogar erst frühestens 3 Wochen nach der Entfieberung beginnen.
Die spezifische Behandlung wird mit Gonokokkenvakzine (Arthigon,
Gonargin usw.) ausgeführt. Sind die Adnextumoren nicht durch Gono¬
kokken hervorgerufen, so üben wir natürlich auch mit der Gonokokken¬
vakzine eine unspezifische Behandlung aus. Für letztere kommen vor
allem Aolan, sterilisierte Milch und Caseosan in Betracht. Arthigon wird
intravenös, Aolan und Milch intramuskulär, Caseosan subkutan an¬
gewandt. Bei intravenöser Anwendung des Caseosan muss man mit
ernsten Ueberempfindlichkeitserscheinungen rechnen. Die intramusku¬
lären bzw. subkutanen Injektionen mit Aolan und Caseosan haben den
Vorteil, dass bei ihnen keine Nebenerscheinungen (Fieber, Schüttelfrost,
Schmerzen und Abgespanntheit) auftreten, sofern man nicht mehr als den'
Inhalt einer Ampulle injiziert. Bei der Injektion von Milch können sie
dagegen sehr erheblich sein, auch bei Arthigon fehlen sie nicht: Seine
.Anwendung erfordert ausserdem die Einhaltung besonderer Vorschriften,
derentwegen ich auf die besonderen Veröffentlichungen über das Arthi-
gofl verweise. Die anderen Mittel injiziert man 2—3 mal in der Woche.
W^enn ich zunächst von dem Terpentin absehe, so waren die Erfolge
mit keinem der erwähnten Mittel wirklich eindeutig und überzeugend.
Nie waren sie so, dass sie nicht auch einfach durch die Bettruhe hätten
erklärt werden können. Mit diesem Urteil setze ich mich in Gegensatz
zu manchen anderen Veröffentlichungen. Entzündliche Adnextumoren,
besonders wenn sie in solcher Menge, wie jetzt, auftreten, * erregen
e
Digitized
»V Go '^1
meist kein besonderes Interesse. Erst wenn sie Gegenstand einer be¬
sonderen oder neuen Behandlungsweise werden, rufen sie auch besondere
Aufmerksamkeit hervor, so dass die Durchführung der gegebenen An¬
ordnungen genau kontrolliert wird. Die Folge ist häufig die Feststellung
besserer Erfolge.
Am besten schien uns noch das Terpentin zu wirken, es hat aber
den Nachteil, dass bisweilen sehr schmerzhafte Infiltrationen entstehen.
Daher sind unsere Erfahrungen über dieses Mittel bei weitem am ge¬
ringsten. Der Zusatz von einem Anästhetikum nützt nicht viel, da die
schmerzhafte Infiltration viel länger als die Wirkung des Anästhetikums
anhält.
Trotz dieser Erfahrungen machen wir in ausgedehnter Weise von
diesen Mitteln Gebrauch. Einmal ist mit Rücksicht auf,die auftretende
Leukozytose eine günstige Wirkung durchaus im Bereich der Möglich¬
keit gelegen, vor allem aber unterstützt diese Massnahme ausserordent¬
lich die Durchführung der unbedingt erforderlichen Bettruhe. Die Pat.
haben nicht mehr die Empfindung, man kümmere sich nicht genügend
um sie. Meist verlangen sie von selbst nach neuen Injektionen. Wenn
wir uns hierbei auf die intramuskuläre Anwendung von Aolan und die sub¬
kutane von Caseosan beschränken, liegt die Gefahr einer Schädigung
icht vor.
Anders ist dies, wie bereits erwähnt, mit den Mitteln, die dazu
dienen, dem Erkrankungsherd Wärme zuzuführen und dort Hyper¬
ämie zu erzielen. Ihre Zahl ist gross, warme Umschläge, w'arme Sitz¬
bäder, heisse Umschläge, heisse Spülungen, Lichtbogen, Schwitzkasten,
Pelvi- und Stangerotherm, Diathermie, Sol- und Moorbäder kommen
in Betracht. Sie sind in der Behandlung des chronischen Stadiums
und der Residuen der Adnexerkrankungen und Beckenperitonitis unent¬
behrlich. Vor ihrer zu frühen Anwendung muss aber eindringlich ge¬
warnt werden. Sie dürfen erst Anwendung finden, wenn alle akuten
oder subakuten Erscheinungen geschwunden sind.
Fieber und Schmerzhaftigkeit bei Bettruhe müssen seit etwa
14 Tagen verschwunden sein. Selbstverständlich muss hier individuali¬
siert werden, allgemein gültige Zahlenangaben lassen sich nicht machen.
Stets aber soll man sich vor Augen halten, dass ein zu frühes An¬
wenden Schaden anrichten kann, ein etwas längeres Warten aber ohne
Belang ist. Von den Sol- und Moorbädern abgesehen, sind die Mass¬
nahmen oben etwa nach dex Intensität ihrer Wirkung geordnet. Man
fängt mit milderen an und geht allmählich zu kräftigeren über. Sobald
sich wieder erhöhte Schmerzen und Temperatursteigerungen zeigen, setzt
man sofort mit ihrer Anwendung aus, um nach einigen fieberfreien Tagen
wieder mit milderen Anwendungsformen zu beginnen.
Im einzelnen kann ich auf diese Dinge nicht eingehen. Viele dieser
Massnahmen kommen ja auch weniger draussen für die Praxis in Be¬
tracht Nur darauf möchte ich nochmals hinweisen, dass sie in ihrer
Wirksamkeit meist wesentlich überschätzt werden, im Gegensatz zu der
körperlichen und sexuellen Ruhigstellung, die die Hauptsache ist.
Auf diese und die Hebung des Allgemeinzustandes ist auch zu einem
grossen Teil die Wirkung der Sol- und Moorbäder in den Kurorten
zurückzuführen, deren guter Einfluss zweifellos ist und die ausserhalb
der Krankenanstalten nicht zu entbehren sind.
Die Hebung des Allgemeinzustandes und der Gemütsstimmung spielt
auch in der Behandlung der Adnextumoren im’ siibakuten und chroni¬
schen Stadium eine sehr erhebliche Rolle. Die Lagerung im Freien, in
der Sonne und unter der künstlichen Höhensonne übt in dieser Hinsicht
eine unverkennbar gute Wirkung aus.
Wie 1 a ng e soll nun die Behandlung bei entzündlichen Adnex¬
tumoren durchgeführt werden? Auch hier lässt sich selbstverständlich
keine bestimmte, allgemein gültige Zahl angeben; wenn man aber von
besonders günstigen Fällen absieht, muss man dafür etwa 12 Wochen,
d. h. rund % Jahr rechnen, oftmals aber auch wesentlich mehr.
Die Schwierigkeiten, auf die dies in der Praxis stösst, sind jedem
Arzte bekannt. Die Erfolge der konservativen Behandlung der ent¬
zündlichen Adnexerkrankungen sind aber in erster Linie von diesem
Punkte abhängig.
Bleibt ein Erfolg der konservativen Behandlung aus, so tritt die
Frage der Operation an uns heran.
Es muss aber zunächst noch einer Reihe von Eingriffen Erwähnung
geschehen, die lediglich eine Unterstützung der konservativen Behandlung
bilden, das ist die Punktion und die Inzision mit Drainage.
Erhebt sich im Verlaufe der ärztlichen Beobachtung der Verdacht
auf Douglasabszess — besonders bei ungewöhnlich lange anhaltendem
höheren oder intermittierenden Fieber haben wir an diese Möglichkeit zu
denken —, stellen wir dann eine den ganzen Douglasschen Raum
ausfüllende und besonders ihn in der Mittellinie vorwölbende Resistenz
fest, so punktieren wir. Die Punktion ist ungefährlich, wenn sie in der
Mittellinie und schräg nach hinten oben erfolgt. Bekommt man Eiter,
so wird an der Punktionsstelle inzidiert und ein Drain eingelegt, der im
Durchschnitt nach 14 Tagen entfernt wird. Erscheint lediglich seröse
Flüssigkeit, so entleert man möglichst viel davon mittels der Spritze
und wartet im übrigen ab.
Weniger unbedenkUch sind diese Massnahmen, wenn es sich um
seitlich gelegene Tumoren handelt, die dann häufig in der Mittellinie
zusammenstossen, hier aber doch noch eine deutliche Trennungslinie
erkennen lassen. Hier besteht einmal eher die Möglichkeit von Neben¬
verletzungen und zweitens der Eröffnung der Tubensäcke selbst. Ein
Erfolg ist aber nur zu erwarten, wenn es gelingt, neben der Tube ge¬
legene peritonitische Eiterherde zu eröffnen. Bei der Punktion der¬
artiger Tumoren handelt es sich schon um einen Eingriff, den man un¬
bedingt dem Facharzt überlassen soll. Wir machen nur verhältnismässig
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
116
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
vveniK von ihm Gebrauch, einmal wenn ernste peritonitischc Erschei¬
nungen auftreten, die auf eine drohende Perforation eines Eiterherdes
in die Peritonealhöhle hinweisen und zweitens, wenn Fieber und
schwere Erscheinungen auffallend lange anhalten, so dass der Allgemein¬
zustand der Patienten bedenklich leidet, ein radikaler operativer Eingriff
aber zu gefährlich erscheint.
Mit diesem letzteren darf aber selbstverständlich nicht lange ge¬
wartet werden, wenn man zu der Diagnose perforierte Pyosalpinx
mit allgemeiner Peritonitis gelangt oder wenn es im Anschluss an alte
Beckenperitonitis und Verwachsungen zu einem Ileus kommt. Beides
sind aber seltene Ereignisse. Bei ihnen ist die Laparotomie mit
Entfernung der geplatzten Pyosalpinx bzw. Durchtrennung der strangu¬
lierenden Verwachsungen oder, falls es möglich ist. noch besser die
Totalexstirpation des Uterus und der Adnexe vorzunehmen.
In bezug auf die operative Behandlung der Adnextumoren
selbst ist hier vor allem die Frage der Indikationsstellung zu erörtern.
Da hierfür aber die Wahl des O p e r a t i o n s v e r f a h r e n s von einer
gewissen Bedeutung ist, muss ich kurz auch diese Frage streifen.
Wir unterscheiden konservierende und radikale Verfahren.
Bei. den ersteren suchen wir möglichst viel vom Uterus und den
Anhängen zu erhalten, bei letzterem entfernen wir Uterus und Anhänge
vollständig. Bei dem ersteren erhalten wir die Menstruation und v£r-
hindern plötzliche Ausfallserscheinungen, erreichen aber sehr häufig keine
völlige Heilung der Beschwerden; bei dem letzteren führen wir plötzlich
und vorzeitig die Menopause herbei, dürfen aber fast regelmässig eine
völlige und endgültige Beseitigung der Krankheitserscheinungen erwarten.
Auch hier kann man keine allgemein gültige Regel aufstellen, man muss
je nach Lage des Falles handeln. Im Prinzip aber gehöre ich zu denen,
die für ein radixales Vorgehen eintreten, sofern man sich einmal zur
Operation entschliesst. Es ist natürlich, dass die Neigung zu radi¬
kalerem Vorgehen eine Einschränkung in der Indikationsstellung für das
operative Vorgehen zur Folge hat.
Die Möglichkeit einer guten Peritonealisierung und unter Umständen
auch einer guten Drainage nach der Scheide hin ist von grosser Bedeu¬
tung. Wir opfern den Uterus, falls beide Ovarien entfe/nt werden
müssen; können wir Ovarialgewebe, in manchen Fällen nur durch Trans¬
plantation in die Bauchdecken, erhalten, so erhalten wir auch wenigstens
einen Teil des Uterus.
Mit der oben dargelegten nichtoperativen Behandlung lassen sich
sehr gute Erfolge erzielen, aber nur, wenn wir die, erforderlichen Mass¬
nahmen auch wirklich durchführen können. Müssen wir zu dem Schluss
kommen, dass dies nicht der Fall, machen der Mann, häusliche Verhält¬
nisse oder Art und Notwendigkeit der Beschäftigung die vor allem so
notwendige Ruhe unmöglich, .so müssen wir uns ungern, aber not¬
gedrungen eher zur Operation entschliessen. als dies unter günstigen
Verhältnissen der Fall ist.
W’ir operieren niemals, die sehr seltene Indicatio vitalis aus¬
genommen, bei der ersten Kur, nur selten, bei besonders ungünstigen
Verhältnissen bei der zweiten. Wenn Beschwerden und Krankheits¬
erscheinungen aber selbst dann nicht weichen und zum 3. Male wieder
auftreten, so raten wir im allgemeinen zur Operation, sobald sie nach
dem Stande der Krankheitserscheinungen ohne erhebliche Gefahren aus¬
führbar erscheint. Vor allem sollen alle akuten und fieberhaften Erschei¬
nungen seit Wochen geschwunden sein. In neuerer Zeit ziehen wir zur
Entscheidung dieser Frage die Bestimmung der Senkungsgeschwin¬
digkeit der roten Blutkörperchen (Fahraeus, Linzenmeier,
G e p p e r t) mit heran. Auch das Vorhandensein ausgedehnter Para-
metritiden und Befunde, die auf schwere und ausgedehnte Verwach¬
sungen mit dem Rektum hinweisen, lassen uns möglichst von einer
Operation absehen.
Man muss sich auch stets darüber klar sein, dass selbst nach der
unter Berücksichtigung aller dieser Punkte vorgenommenen Operation
keineswegs in allen Fällen und in kürzester Zeit völlige Genesung ein-
tritt. Auch hier ist mit der Möglichkeit eines Auftretens neuer Exsudate
zu rechnen. Längere Bettruhe (etwa 3 Wochen), genaue Untersuchung
vor dem Aufstehen und, falls Exsudate festgestellt werden, sofortige,
sorgfältige Behandlung nach den oben dargelegicn Grundsätzen sind
unbedingt erforderlich. Im allgemeinen kann man sagen, je älter der
Prozess, um so eher ist auf einen guten operativen Erfolg zu rechnen.
Beachtet man aber dies alles, so sind die Ergebnisse der operativen
Behandlung durchaus gute und es ist nicht angängig, die Operation ent¬
zündlicher Adnextumoren grundsätzlich zu verwerfen.
Die Operation wird um so seltener erforderlich sein, je frühzeitiger
und je sachgemässer die konservative Behandlung durchgeführt wird.
BQcheranzeigen und Referate.
P. Kämmerer: Allgemeine Biologie. 2. Aufl. Stuttgart u. Berlin.
Deutsche Verlagsanstalt, 1920.
Auch diese mit guten Abbildungen reich ausgestattete Auflage soll
wie die erste dazu dienen, den Nichtfachmann in die Geheimnisse der
Lebensvorgänge einzuführen.
Die Schilderung ist gewandt und im allgemeinen leicht verständlich,
dem Eingeweihten fällt jedoch allenthalben der in der Einleitung er¬
wähnte Umstand auf, dass die Zusammenstellung des Buches nur aus dem
Gedächtnisse erfolgte, ohne besondere Bearbeitung der einschlägigen
Untersuchungen.
Dementsprechend ist die Darstellung reichlich einseitig, sie stellt zu
sehr die eigene Auffassung in den Vordergrund, die zahlreichen Belege,
DigitizetI by Goiisle
die den Angaben K.s widersprechen, werden meist sehr kurz abgetan,
grösstenteils überhaupt nicht erwähnt. Offenbar hat K. nur eine sehr
geringe Merkfähigkeit für gegenteilige Befunde, ja vielfach haben sich
die Tatsachen in seinem Gedächtnis stark verwischt, so dass er Arbeiten,
die seine Angaben wiederlegen, als Beweis für seine Anschauungen an¬
führt. Besonders muss es hier wundernehmen, dass die grundlegencv,
Arbeit von Herbst, die doch die Unrichtigkeit der Versuche von K.
dartut, als Beweis für die Richtigkeit der eigenen Anschauungen an¬
geführt wird.- Auch bei der Zusammenstellung des Verzeichnisses ein¬
schlägiger Arbeiten, das jedem Abschnitt beigeiügt ist, macht sich,die
Gedächtnisschwäche geltend, die K. die Aufzählung vieler Arbeiten über¬
sehen lässt, die seiner Anschauung widersprechen.
Dass die Ergebnisse eigener Versuche besonders eingehend besprochen
werden, nimmt nicht wunder. Ein schwerer Nachteil des Buches ist es
aber, dass der Entwicklung des Einzelwesens und besonders der Ent-
wicklungsmechanik nicht mehr Raum gewidmet wird. Leicht könnte
dies auf Kosten der ersten Abschnitte geschehen, in denen versucht wird,
den tiefen Spalt, der für den denkenden Naturforscher auch heute noch
zwischen lebloser und belebter Natur besteht, in einseitig monistischer
Denkweise zu überbrücken.
Trotz seiner schw'eren Nachteile gewährt das Buch aber einen ganz
guten Ueberblick über den grossen, bisher leider noch nicht in gemein¬
verständlicher Weise dargestellten Stoff. Der denkende Nichtfachmann
wird zu w'eiterem Erforschen der Natur angeregt, er wird bei tieferem
Eindringen in Einzelgebiete ganz von selbst auf die Einseitigkeit der
Darstelliingsweise K.s ausmerksam werden und wird dann lernen die
Ergebnisse seiner Versuche richtig einzuschätzen, über deren Unzuläng¬
lichkeit in Fachkreisen ja heute kein Zweifel mehr besteht.
H. Stiev'e.
Prof. L. R. Müller: Das vegetative Nervensystem, dargestellt in
Gemeinschaft mit Dr. Dahl- Würzburg, Dr. Glaser- Hausstein,
Dr. Gre v i n g-Würzburg, Dr. R e n n e r - Augsburg und Dr. Zierl-
Regensburg. Julius Springer, Berlin W., 1920. 229 Seiten mit
168 teils farbigen Abbildungen; geh. M. 48.—. geb. M. 56.—.
Das vorliegende Werk>ist die erste monographische Darstellung der
Anatomie, Physiologie und Psychologie des vegetativen Nervensystems
und füllt somit eine Lücke aus, die bei der wachsenden Bedeutung dieses
Gebietes für die Physiologie wie für die klinische Patholögie von allen
-4iierfür interessierten Aerzten schmerzlich empfunden worden war.
Müller verzichtet bewusst auf eine Darstellung der Pathologie des
vegetativen Nervensystems, für die er die Zeit noch nicht für gekommen
hält, und man wird seine Bedenken hiergegen angesichts der vielfältigen
Unsicherheit und Unklarheit schon in den anatomischen und physio¬
logischen Grundlagen, auf denen die klinische Pathologie erst aufbauen
kann, würdigen müssen, auch wenn man sie nicht in gleichem Umfange
zu teilen vermag. Jedenfalls ist durch diese Beschränkung auf die bis¬
her sichergestellten anatomisch-physiologischen Tatsachen trotz der Be¬
arbeitung durch verschiedene Verfasser (sämtlich Mitarbeiter von Prof.
Müller) eine Geschlossenheit der Darstellung erzielt und zugleich ein
fester Boden geschaffen worden, auf dem weiterzubauen die Aufgabe
der kommenden Jahrzehnte sein wird.
Nach eitler kurzen Darstellung der Entwicklungsgeschichte des vege¬
tativen Nervensystems gibt L. R. Müller eine ausgezeichnet klare und
durch vorzügliche schematische Abbildungen sowie Mikrophotogramme
illustrierte Beschreibung der Anatomie und Histologie des sympathischen
Nerv’cngrenzstranges und seiner Rami communicantes, des parasympatlii-
schen Systems und der Ganglienzentren im Zwischenhirn. Ihm schliesst
sich der Abschnitt über die Physiologie an, wobei die Reflexe im vege¬
tativen Nervensystem, seine antagonistische Innervation, die Beeinflus¬
sung durch den körperlich bedingten Schmerz und durch seelische Er¬
regungen, die Physiologie des Zwischenhirns und die Leitung der Er¬
regungen im verlängerten Mark und Rückenmark erörtert werden. Der
nur 2 Seiten umfassende Abschnitt über die Pharmakologie des vege¬
tativen Nervensystems könnte wünschenswerter Weise in der gewiss
bald zu erwartenden 2. Auflage etwas ausführlicher gehalten w'erden.
Eingehend dargestellt ist der Anteil des vegetativen Nervensystems
an der Kopfinnervation durch das Ganglion ciliare. spheRopaiatinum,
oticum, submaxillare und cervicale supremum. Die Innervation der Blut¬
gefässe und die extra- und intrakardiale Innervation des Herzens ist von
Glaser, die Innervation der Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse, Niere und
Nebenniere von Renner, diejenige der Brustdrüse, Speiseröhre, Leber
und Gallenblase von Greving, die der Geschlechtsorgane von Dahl
und der Haut (Hautgefässe, Haarbalgmuskeln, glatte Hautmuskeln,
Schweissdrüsen, Trophik und Pigmentgehalt) von Z i e r 1 bearbeitet wor¬
den, während Müller selbst die Innervation der Bronchien tmd des
Magendarmkanals (mit vorzüglichen Mikrophotogrammen und schema¬
tischen Darstellungen der sympathischen und parasympathischen Darm-
Innervation sowie des Auerbach-Meissner sehen Plexus) ge¬
schrieben hat, ebenso die zwar noch ganz in Fluss befindliche Frage nach
der autonomen Innervation der quergestreiften Muskulatur. Den Be¬
schluss macht eine eingehende Darstellung der Psychologie des vege¬
tativen Nervensystems, d. h. der Empfindungen in den inneren Organen
und der von ihnen ausgelösten Schmerzen, sowie der Hunger- und Durst¬
empfindung.
Wenn auch viele in dem Werke behandelte Fragen noch der Klä¬
rung bedürfen, so ist doch zu hoffen, dass durch die weitere Zusammen¬
arbeit der Histologen, Physiologen, Pharmakologen und Kliniker weitere
Fortschritte auf diesem überaus wichtigen Gebiete, das gegenwärtig mit
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
2i>. Januar 1921.
MÜNCHENEte MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
117
Recht im Mittelpunkte auch des klinischen Interesses steht, erzielt werden
können, und das grosse Verdienst des Herausgebers dieser ersten, grund¬
legenden Darstellung des vegetativen Nervensystems wird von allen auf
diesem Felde Arbeitenden dankbar anerkannt werden.
Erich Leschke - Berlin.
Prof. Fr. W. Falta: Die ^Mehlfrüchtekur bei Diabetes melUtus.
Urban Öt Schwarzenberg, Berlin und Wien 1920. Preis geheftet
24 iVL
In der Behandlut]g des Diabetes mellitus hat sich in den letzten
Jahren in dem Sinne eine Wandlung vollzogen, dass die Zufuhr von
Kohlehydrat nicht mehr so streng ausgeschlossen wird, wie dies noch
vor kurzem der Fall war. Nachdem schon durch die v. Düring sehen
Verordnungen Zulagen an Reis in die diabetische Diätetik aufgenommen
worden sind, hat namentlich durch die v. N o o r d e n sehe Haferkur für
gewisse Fälle das Kohlehydrat eine sichere therapeutische Stellung in
der Behandlung der Zuckerkrankheit erhalten.
Falta legt nun in einer vorzüglichen und durch eine grosse Reihe
exakt beobachteter Beispiele gestützten Monographie seinen Standpunkt
in der Behandlung der Zuckerkrankheit durch Mehlfrüchtekuren dar. Die
wesentlichen Funkte, worauf Falta den Hauptnachdruck legt, sind:
1. Dass es eine Verschiedenheit der verschiedenen Mehlfrüchtearten
in ihrer Wirkung nicht gibt.
2. Dass die Wirkung der Mehlfrüchtekur nur dann mit Sicherheit
zu erwarten ist, wenn gleichzeitig eine Einschränkung der Eiweisszufuhr
stattfindet.
Er kann nicht genug betonen, dass ein nur einseitiger Ausschluss der
Kohlehydrate aus der Nahrung unter Nichtbeachtung der Eiweisszufuhr
die grössten Gefahren für die Diabetiker wegen drohenden Komas be¬
deuten. Als die irrationellste Ernährung bezeichnet er diejenige, die
„neben Kohlehydrat viel Eiweiss enthält“. Wesentlich ist auch die
Betonung des Satzes, dass nicht die Eiweiss z u f u h r, sondern die tat¬
sächliche Eiweiss Zersetzung für die Steigerung der Zucker¬
bildung massgebend ist. Der Reiz des sich zersetzenden Eiweisses ver¬
mindert die Assimilation des aus anderen Substanzen gebildeten Zuckers.
Das Eiweiss muss also auf die Zuckerbildung noch eine andere Wirkung
haben als bloss dadurch, dass es bei seiner Zersetzung im Organismus
Zucker liefert. Die Mehlfrüchtekur erniedrigt bei sehr niedrigem Eiweiss¬
gehalt die Ruhenüchternwerte nach feinen und Bernsteins Versuchen
noch um zirka 10 Proz. Eiweiss, das assimiliert wird, steigert die
Kohlehydratausfuhr nicht und die S|cheinbar bessere Wirkung von vege¬
tabilischem Eiweiss beruht wohl \ darauf, dass die Assimilation von
vegetabilischem Eiweiss langsamer vor sich geht wie die von animali¬
schem Eiweiss.
Die interessantesten Kapitel des Faltaschen Buches sind die theo¬
retischen. Vor allen Dingen Kapitel VI. Hier werden die theoretischen
Grundlagen der Mehlfriichtebchandlung auseinandergesetzt. Aber auch
die übrigen Kapitel verdienen ein besonders genaues Studium Für den
Praktiker wichtig ist- vor allen Dingen das Kapitel über die praktische
Durchiührung der Mehlfrüchtekur und ihre Indikationsstellung. Falta
w^arnt davor, den Wert der Mehlfrüchtekur nach Augenblickserfolgen
einzuschätzen. Die Melilfrüchttkur muss lange Zeit fortgesetzt werden
und ist nicht auf 2—3 Tage zu beschränken, sondern mindestens 8 bis
10 Tage und dann stets wiederholt durchzuführen; dazwischen müssen
immer einige Oemüsetage eingeschoben werden. Ueber die allgemeine
Behandlung bei der Mehlfrüchtekur und über die Durchführung der Mehl¬
früchtekur auch au$ierhalb von Anstalten findet man wichtige Finger¬
zeige- Endlich bespricht Falta auch noch die Einwände, die v. N o o r -
den gegen die gemischte Amylazeenkost macht. Kein Leser des Buches
kann nach seinem genauen Studium noch die Ueberzeugung haben, dass
diese Einwände gerechtfertigt sind. Falta tut recht daran, erst am
Schlüsse dieses Buches auf diese Einwände einzugehen, denn die Wieder¬
legung wird ihm darnach sehr leicht. Das Buch kann nicht dringend genug
jedem, der mit der Behandlung von Diabetes zu tun hat. aber auch jedem,
der sich theoretisch für Zucker-ktankheit interessiert, empfohlen werden.
Er wird daraus die reichste Anregung sowohl wie auch die wichtigsten
Fingerzeige für die Praxis entnehmen. F i s c h 1 e r - München.
Moriz Oppenheim: Praktikum der Haut- und Geschlechtskrank-
teHen für Studierende und Aerzte. 232 S. Mit 49 Textbildern. Leipzig
und Wien bei Franz Deut icke, 1920. Preis 27 M.
Die 2. Auflage berücksichtigt die neuen Fortschritte seit 1913, wo
das Buch in 1. Auflage erschienen war, ist ihr im übrigen aber sehr ähn-
iieh. Das Buch enthält die allerwichtigsten Tatsachen von den Haut-
und Geschlechtskrankheiten in der gedrängtesten Kürze. Dem Referen¬
ten scheint es fast zu kurz. Zwar ist es die ausdrückliche Absicht des
Verfassers, sich so im-Raum zu beschränken, doch scheint es dabei ab
und zu ZW'eifelhaft, ob ein Anfänger sich über alles klar werden kann.
Nicht dass damit gesagt werden soll, es sei nicht alles richtig und gut;
aber w'cnn man versucht, sich in einen Leser einzufühlen, der noch nichts
von der Sache weiss, so gewinnt man doch den Eindruck, dass ein sol¬
cher nicht immer die Sache erfassen wird, obwohl die Ausdrucksweise
sehr klar ist. Der Fachmann ergänzt das. was der Verfasser verschweigt,
unwillkürlich und unbewusst aus seinem Wissen, wer aber kein Wissen
besitzt, könnte m. E. da und dort zu kurz kommen. Nach meiner Er¬
fahrung als Lehrer wenigstens bedarf gerade der Anfänger einer ge¬
wissen Breite und Ausführlichkeit. Der Dermatologe dagegen wird das
Buch mit Freude und Vorteil lesen, es enthält bei seinem geringen Urn-
iang sehr viel. Sehr erfreulich ist der wenn ich sagen darf konservative
Standpunkt, auf dem der Verfasser steht, der es verschmäht, sich in un¬
bewiesenen Theorien und Luftgespinnsten zu bewegen.
L. V Zumbusch.
Diagnostisch-klinischer Leitfaden über den Zusammenhang von
Augenleiden mit anderen Erkrankungen. Für Studierende und Aerzte.
Von Priv.-Doz. Dr. Knapp, Augenarzt in Basel. Basel, Benno
Schwabe & Co. Verlag, 1920. Preis: ungeb. M. lü.—.
Was die Cekonomie der Darstellung in diesem Leitfaden angeht, so
ist zu bemerken, dass die äusseren Erkrankungen gegenüber den für die
Nervenerkraiilüingcn wichtigen okularen Symptomen etw'as kurz behan¬
delt sind. So lällt z. B. bei den phlyktänulären Erkrankungen und bei der
Keratitis parenchymatosa eine lückenhafte Darstellung gerade in ihren
so weit reichenden Beziehungen zu Aligemeinleiden auf. Dass dem¬
gegenüber die Neurologie des Auges eingehendere Berücksichtigung
(namentlich im Anschluss an B i n g) fand, ist auf das praktische Bedürfnis
des internen Diagnostikers zurückzuführen. Befremdlich ist die Form der
Darstellung insofern, als z. B. die Muskellähmungen im selben Kapitel
wie die Erkrankungen von Lid-, Bindehaut- und Hornhauterkrankungen
uritergebracht sind, während den Erkrankungen der Iris und den Stö¬
rungen der Puoille je ein eigenes Kapitel zugewiesen sind.
Zahlreiche Abweichungen in einzelnen Punkten möchte der Referent
nicht hervorheben, um nicht den Anschein einer Ablehnung des Buches
hervorzurufen. Vielmehr sei das nicht allzu teure Buch nachdrücklich
Internisten und Praktikern empfohlen; auch den Augenarzt wird manch
wertvolle Beobachtung am Krankenbett interessieren.
L 0 h m a 11 n - München.
Otto Kör n er -Rostock: Lehrbuch der Ohren-, Nasen- und Kehl¬
kopfkrankheiten. 8. und 9., umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit
251 Textabbildungen, davon 34 in Farben, und 1 Tafel. München-
Wiesbaden, J. F. Bergmann. 1920.
Von Körners beliebtem Lehrbuch ist nach 2 Jahren wieder eine
neue Auflage erschienen. Das Kapitel über Otosklerose wurde um¬
gearbeitet und der Abschnitt über den Vorhofsapparat durch Besprechung
der Strömungstheorie erweitert. Im übrigen sind die Vorzüge des
Körner sehen Lehrbuches, die besonders in klarer Schreibweise und
übersichtlicher Anordnung des Stoffes bestehen, zur Genüge bekannt,
so dass eine weitere Empfehlung sich erübrigt. Scheibe- Erlangen.
Taschenbuch der Magen- und Darmkrankhelten. 2. vermehrte und
verbesserte Auflage, mit 18 Textabbildungen und einer farbigen' Tafel
von Dr. Walter Wolff, dirig. Arzt der inneren Abteilung am Königin-
Elisabcth-HospitalBerlin-Oberschöneweide. 200S. Urban & Schwar¬
zenberg, Berlin-Wien, 1920. Preis 14 M.
Das in 2., vermehrter und verbesserter Auflage vorliegende Taschen¬
buch, das die praktisch wichtigen Erkrankungen der Speiseröhre, des
Magens und Darmes, unter besonders eingehender Berücksichtigung der
Röntgendiagnostik, diagnostisch und therapeutisch behandelt, bietet ent¬
schieden noch mehr, als auf Grund des Titels zu erwarten wäre. Der
Praktiker findet in ihm einen Wegweiser, der aber auch über alles auf
diesem Gebiete Wissenswerte Aufschluss gibt, und dem Fachkollegen
hinwieder wird es besonders schätzenswert sein wegen der zahlreich
eingefügten persönlichen Erfahrungen und Anschauungen des Verfassers.
A. Jordan -München.
R. A. Pfeifer: Das menschliche Gehim. Nach seinem Aufbau
und seinen wesentlichen Leistungen gemeinverständlich dargestellt. Mit
95 Abbildungen im Text. W. Engelmann, Leipzig. 3. erweiterte
Auflage 1920. 123 Seiten. Preis: kartoniert 18 M. (ohne Sortiments¬
zuschlag).
Die Tatsache der 3. Auflage beweist, dass Pfeifers Buch einem
Bedürfnis entspricht und dass der Autor seine schwierige Aufgabe
einer „Orientierung üöer die Ergebnisse der modernen Gehirn¬
forschung in gemeinverständlicher Form“ zu lösen vermag. Dass
Pfeifer bei der notwendigen Auswahl der Ergebnisse eigene
Forschungen und besonders diejenigen seines Lehrers Flechsig
stark betont, wird man begreiflich finden. Die verhältnis¬
mässig eingehende Behandlung der Sprachstörungen und der zentralen
Sehstörungen entspricht dem erhöhten Interesse, dem diese Probleme
durch die leider so zahlreichen Hirnverletzten infolge Kriegsbeschädigung
auch in weiteren Kreisen begegnen dürften. So wird auch das haupt¬
sächlich auf eigene Untersuchungen sich stützende Kapitel über die
psychomotorischen Funktionen des Schreibaktes und Beobachtungen über
Rechts- und Linkshänderschrift wohl auch Zugehörige eines grösseren
Leserkreises interessieren gönnen. Hu. S p a t z - München.
Neueste Journalliteratur.
Bruns Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von G a r r e. K ü 11 -
ner und v. Brunn. 120. Bd.. 3. Heft. 1920. Tübingen, LaupV
Gustav P e t r ä n gibt aus der chir. Klinik in Upsala und Lund Unter-
suchungen über die BlutgerlnounK bei Ikterus, er geht auf den Gerinnungs-
pro/ess im allgemeinen, die Bestimmung der Gerinnungszeit ein, hält es
u. a. für unbestreitbar erwiesen, dass die Gerinnungsfähigkeit des Blutes bei
typisch hereditärer Hämophilie in der Regel herabgesetzt und die Gerinnungs¬
zeit verlängert ist. P. bespriclit die Methodik und Resultate eigener Ver¬
suche bei verschiedenen Erkrankungen, besonders bei Ikterus und konstatiert,
dass die Gerinnungszeit in allen leichten, kurzdauernden Ikterusfällen normal,
bei schweren Fällen in der Regel verlängert ist. er kommt zum Schluss,
dass, wenn die Gerinnungszeit des ikterlschen Patienten um —Yt ver¬
langsamt ist, man Ursache hat, mehr weniger ernste Nachblutungen
Digitized by Goiisle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
118
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4.
nach einer ev, Laparotomie zu fürchten, oder dass man wenigstens mit der
Möglichkeit solcher zu rechnen hat; wenn sie verdoppelt oder noch mehr
verlangsamt ist, ist die Gefahr postoperativ lebensgefährlicher Blutung so
gross, dass ev. überhaupt eine Operation kontraindiziert ist. P. bespricht
die Einwirkung der Gallensäuren auf die Blutgerinnung nach früheren und
eigenen Untersuchungen und hält sich danach zu der Aeusserung berechtigt,
dass wenn die Blutgerinnung eines ikterischen Patienten bei normalem
Gallensäuregehalt gehemmt wird, eine gefährliche cholämische Blutung nach
ev. Eingriff freilich nicht ausgeschlossen, aber doch weniger zu befürchten
ist. Wenn man findet, dass das koagulationshemmende gallensaui'e Alkali-
prozent Vi —% niedriger ist, als das normale, so enthält das eine bestimmte
Warnung und gibt an, dass Gefahr einer postoperativen clvolämischen Blu¬
tung vorliegt, ein hemmendes gallensaures Alkaliprozent das nur des
normalen (also 0,3 Proz.) oder noch weniger beträgt, dürfte wohl Blutungs¬
gefahr repräsentieren. P. hält die Qaliensäuremethode für eine praktisch
brauchbare Methode, um die Gerinnungsfähigkeit des Blutes zu prüfen, des
weiteren schildert P. auch Tierversuche mit Unterbindung des Ductus
choledochus.
Aus der Leipziger Klinik berichtet O. Kleinschraidt über Daumen¬
plastik unter Verwendung des unbrauchbaren Mittelfingers, und teilt einen
betr. Fall unter Beigabe entsprechender Abbildungen mit.
Walter Müller gibt aus der Marburger Klinik anatomische Studien
zur Frage des Daumenersatzes und empfiehlt danach ein Verfahren, da$ in
der Einheilung (Einbolzung) der durch Fischmaulschnitt über die ganze End¬
phalanx blossgelegten Fingerspitze (nach Exzision des Nagels und Nagelbetts)
in den Schaft des etwa noch vorhandenen 1. Metakarpus unter Vereinigung
der Hautränder der aufgeklapptcn Fingerkuppe mit den Wundrändern des
Daumenstumpfes besteht, während der zum Ersatz dienende Finger nach der
Einheilung seiner Spitze im Metakarpophalangealgelenk exartikuliert und an
seiner Basis entsprechend verkürzt Tcsp. zugespitzt wird und die vorher
losgelöste Beugesehne nun am Köpfchen der Grundphalanx (das nun zur
Basis der Endphalanx wird) durch einige Nähte befestigt wird, die Streck¬
sehne nach Untertunnelung der Haut umgeschlagen und an das freigelegte
Ende des M. ext. pollicis long. angenäht wird. Ein einfacher Stärkeverband
genügt zur Fixation; die Heilung kann für jeden Finger in der denkbar be¬
quemsten Weise für den Pat. durchgeführt werden.
Der gleiche Autor berichtet über typische akzessorische Knochenbildungen
an der Patella und zeigt unter Beigabe schematischer Röntgenogramme, dass
neben der seltenen Zw'eitoilung der Patella durch einen queren Spalt an
der Spitze der Patella auch am äusseren oberen Quadranten akzessorische
Knochenbildungen zu beobachten sind, die Anlass zur Deutung als Frakturen
oder pathologische Prozesse geben können.
Aug. Schlegel berichtet aus dem städtischen Krankenhaus Ludwigs¬
hafen a. Rh. unter Mitteilung von 8 Fällen über erfolgreiche Behandlung
der Sarkome mit Rontgentiefentherapie; er betrachtet danach jeden ver¬
stümmelnden Eingriff als verfrüht, wenn nicht vorher die Behandlung durch
Röntgentiefentherapie versucht wurde; er warnt besonders vor unvoll¬
ständiger Operation und unnötigen Probeexzisionen bei Sarkom, da dadurch
die Gefahr der Metastasierung steigt. Die wirksame Sarkomdosis liegt
nach W i n t z zwischen 60 und 70 Proz. der Hauterythemdosis, diese Dosis
soll jede Zelle des Tumors voll erhalten. Die Röntgentiefentherapie, wenn
sachgemäss ausgeführt, scheint Schl, in der Mehrzahl der Fälle der blutigen
Sarkomoperation überlegen.zu sein.
Ludwig Frankenthal berichtet aus der Leipziger Klinik Ober die
Bedeutung der Schleimhautlodierung nach Payr bei Magen- und Darm¬
operationen. Nach seinen Beobachtungen ist die 5 proz. Jodtinktur z. Z.
das geeignetste einfachste Desinfektionsmittel der Schleimhaut und wird
dadurch io den meisten Fällen völlige Keimfreiheit erzielt, in allen Fällen
mindestens wesentliche Keimverminderung. Schädigung ist danach nicht zu
erwarten.
S. Weil gibt aus der Breslauer Klinik weitere experimentelle Beiträge
zur Gasbrandfrage, seine Versuche mit Qasödemtoxin zeigen, dass dieses
eine durch Aufhebung der Funktion der elektrischen Erregbarkeit und durch
den histologischen Befund nachweisbare nekrotisierende Wirkung auf die
Muskulatur des Warmblüters ausübt und dass es in einer an und für sich
urgetährlichen Menge die Infektiosität der Gasödembazillen ganz ausserordent¬
lich erhöht. W. nimmt an, dass es pathogene und nichtpathogene Abarten
des Gasbrandbazillus gibt, die sich nicht ineinander überführen lassen. Der
Unterschied muss in der Verschiedenheit des Vermögens. Toxine zu produ¬
zieren, liegen.
Ren6 Sommer gibt aus der Greifswalder Klinik eine experimentelle
Studie über subseröse Hämatome. Nach diesen Versuchen an Kaninchen ver¬
schwinden die subserösen Blutungen zwar rasch aber nicht restlos, schon
nach 2—3 Wochen sind sie bindegewebig organisiert, die Mukosa des Magens
wird nicht geschädigt. Adhäsionsbildungen an den Hämatomstellen sind nicht
zu befürchten.
Aus der Leipziger Klinik gibt W. S t r u b e eine Arbeit über Finger¬
luxationen im Metakarpophalangealgelenk und Zehenluxation im Metatarso-
phaiangealgelenk unter Mitteilung mehrerer Fälle mit Abbildungen.
Ernst König berichtet aus der Königsberger Klinik zur Kasuistik
gutartiger primärer Muskelgeschwülste und teilt einen Fall von intramusku¬
lärem Lipoma molle im lat. Trizepskopf des Oberarms mit, sowie eine
Kombinationsgeschwulst (mit angiomatösem Anteil) im Semimembranosus.
Flesch-Thebesius referiert aus der Frankfurter Klinik über PredektU-
Wanderung im Anschluss an einen Fall von Revolvergeschoss im Gehirn.
Dem 'Heft ist ein Namen- und Sachverzeichnis für Band 111—120 an¬
gereiht. Sehr.
Archiv für orthopädische und Unfallchirurgie. Bd. 17. Heft 3 u. 4.
Bericht über Mitgliederversammlung der Prüfstelle für Ersatzglieder
Berlin; Prüfung zahlreicher Prothesenmodelle und Hilfsgeräte mit eingehender
Aussprache und zahlreichen Abbildungen.
Simon- Frankfurt: Zur Frage der Spontanfrakturen bei den Hunger-
osteopnthien der Adoleszenten.
2 Fälle sog. Spontanfrakturen in der Mitte der Tibiadiaphyse und im
horizontalen Schambeinast. Der scheinbare Frakturspalt verläuft quer ohne
Längsfissur. Offenbar handelt es &icb um eine umschriebene Knochen¬
zerstörung, in deren Folge die Frakturierung oder der Zusammenbruch erst
erfolgte.
V a I e n t i n - Frankfurt: Vermehrtes Längenwachstum und Coxa valga
bei Knochentuberkulose.
Beschreibung eines Falles von doppelseitiger Coxa valga, bei dem an den
Epiphysen des Femur und der Tibia Krankheitsprozesse offenbar tuberkulöser
Natur abliefen. In deren Folge trat Wacjistumsverlängerung des linken Beines
ein. Ausserdem steht die linke vergrösserte Patella abnorm tief. Die Epi¬
physen beider Femora, sowie die obere linke Tibiaepiphyse sind verbreitert.
Der Tiefstand der Patella ist durch die Verlängerung des Knochens zu er¬
klären. Wachstumsvermehrung wurde wiederholt bei Tuberkulose beob¬
achtet, doch ist der Zusammenhang unklar.
Pietrzikowsk i-Prag: Beiträge zur Frage der Beziehungen zwischen
Unfällen und Tuberkulosen.
In der Literatur wird die sog. posttr au malische Tuberkulose der Knochen
und Gelenke meist nur als ein Offenbarwerden eines bereits bestehenden
Herdes angesehen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Trauma und
Tuberkulose ist nur als wahrscheinlich anzusehen. Eigene Erfahrungen
sprechen dafür, dass in der Regel ein höherer Grad von Qewalteinwirkung
für den Zusammenhang gefordert werden muss. Allerdings werden durch
leichtere Traumen sowohl latente wie manifeste Her^e entfacht oder ver¬
schlimmert. Einwandfreie chirurgische Tuberkulosen im Anschluss an ein
Trauma gehören zu den grossen Seltenheiten, 90 Proz. aller angeblichen
posttraumatischen Tuberkulosen stehen mit dem Trauma in keinem Zu¬
sammenhang. Auch bei Lungentuberkulose nach Trauma liegt meist keine
neue Erkrankung vor, sondern nur Wiederaufleben latenter Herde, die sich
ausbreiten können. Das gleiche gilt für die Tuberkulose der Hoden, des
Bauchfelles, der Hirnhaut, der Lymphdrüsen und Sehnenscheiden und die
miliaren Fälle.
Einiger- Frankfurt : Der „P i r o g o f F* in der Vqrsicheningsmedlzin.
Vielfach genügt ein Schuh mit hohem Schaft mit hinten erhöhtem Kork¬
oder Filzblock zum Ausgleich der Beinverkürzung von 4—5 cm. Vielfach ist
für die Arbeit eine Stelzhülse das beste, für die Sonntage ein ausgestopfter
Schuh mit hohem Schaft. Sonst ist eine Prothese mit festem Qummifuss nach
Marks zu empfehlen. Kein künstliches Fussgelenk anbringen. Normale
Fälle werden mit 30—40 Proz. Dauerrente entschädigt. Bei nicht stützfähigen
Stümpfen 70—75 Proz. Genaue Statistik von 38 Fällen und 14 ausführliche
Kl ankengeschichten.
P 0 r t - Würzburg: Eine für den Orthopäden wichtige Gruppe des chro¬
nischen Rheumatismus (Knötchenrheumatismus).
Der chronische Muskelrheumatismus entsteht stets durch „schleichende
Erkältung“, zeigt charakteristisch schmerzhafte Anfälle bei chronischem Ver¬
lauf. Stets Gewebsinfiltrationen. Wird mit Sicherheit durch Massage und
Gymnastik beseitigt.
D e u t s c h 1 ä n d e r - Hamburg: Die orthopädische Behandlung einiger
bemerkenswerter Verletzungen und Erkrankungen im Felde.
1. Oberschenkelschussbrüche: als Transportverband entweder Gips oder,
wenn nicht möglich, Dreischienenstreckverband, ähnlich wie v. Stuben¬
rauch. 2. Amputationen: stets den späteren Gliedersatz berücksichtigen,
langen Knochenstumpf erhalten, frühzeitig die Weichteile dehnen. Kontrakturen
verhüten. 3. Plattfussbehandlung im Felde: Liegekur für 8—10 Tage bis
3 Wochen zur Entlastung der Füsse, Massage der Bänder der Sohle und der
Muskulatur zwischen Ferse und Mittelfussknochen, sowie der supinierenden
Muskeln am Unterschenkel. Bei Entzündung Hyperämie mit Stauung, 3 bis
4 Tage 12—18 Stunden täglich. Feuchte Verbände in Volkmann scher
Schiene. Bei älteren Plattfüsson Heissluftbäder. Widerstandsgymnastik. Zur
Stützung Wickelung des Fusses und Unterschenkels und Einlagen. Behelfs¬
einlage aus Schusterspänen mit Steifgazebinde. 4. Die rheumatischen Er¬
krankungen des Bewegungsapparates: Myositis: Bettruhe, Schwitz¬
packungen, Heissluftbäder. Später Massage und Gymnastik. Behelfsheissluft¬
kästen nach dem Prinzip der Kochkiste, mit Heu ausgestopft. Zuerst An¬
wärmen des Körperteils im Heissluftkasten, dann Lagern im Heukasten 6 bis
10 Stunden lang. Neuritis: Besonders am Hüftnerven Schützengraben¬
krankheit, Bettruhe, Heissluft- und Schwitzpackungen im Anfang, gelegentlich
mit Streckverband. In schweren Fällen unblutige Dehnung oder epidurale
Injektionen von 1 proz. Novokainlösung. Erst zur Nachbehandlung Massage
und Gymnastik. ,
Brandes - Kiel: Ueber Fälle von einseitiger Lnxatio coxae congenita
mit OsteochondriUs deformans iuvenilis des nlchtluxlerten Hüftgelenks; zu¬
gleich ein Beitrag zur Aetlologle der Osteochondritis deformans luvenllfs
(C a 1 V ä - P e r t h e s).
Vielfach führen kongenital angelegte Entwicklungsstörungen des Skeletts
später zu Osteochondritis. Möglich, dass hypoplastische oder dystrophische
Zustände der knorpeligen Vorbildungen an Hals und Kopf zu ungenügender
Ossifikation und bei Schädigungen zur Resorption des Kopfes führen.
Heft 4. Dipl.-Ing. v. Schütz- Berlin: Zur Theorie des Mechanismus
des künstlichen Gelenks.
Polemik gegen Wildermuths Arbeit in diesem Bande.
I m m e 1 m a n n - Berlin: Die Arthrodesenoperationen Im Schulter- und
Hüftgelenk bei spinaler Kinderlähmung.
Gocht bildet am Schultcrgelenk aus dem Tuberculum majus einen ge¬
stielten Lappen und schiebt das abgeklappte Tuberkulum über das oben und
unten wundgemachte Akromion, während der entknorpelte Kopf in die ent-
knorpelte Pfanne gestellt wird. Fixierung auf Schiene für 3 Monate. Am
Hüftgelenk Schnitt an der Vorderseite bei rechtwinkliger Abduktion zwischen
Adductor longus und gracilis. Freilegen der Kapsel, Einschneiden derselben,
Abschneiden des Ligamentum teres, Luxierung des Kopfes, Fntknorpelung von
Kopf und Pfanne. Becken-Beingipsverband bis zur Fussspitze in leichter
Abdukton und Beugung für 3 Monate, dann Lederhülse für Becken und Ober¬
schenkel für weitere 3 Monate.
Silfverskiöld - Dresden: Ueber traumatische Skollosmi.
Untersuchung des Skoliosenmaterials von Schanz auf Zusammenhang
mit Trauma. Von 891 Skoliosen zeigten 32 Zusammenhang mit äusserer
Gewalt. Das sind 3,6 Proz. Die Krümmung bildet bei der Hälfte der
Fälle eine deutlich scharfe Ecke. Die Fälle verschlimmern sich immer mehr.
Analog der K ü m m e 11 sehen Deformität ist die Entstehung einer seitlichen
Verbiegung wohl denkbar. Möglicherweise leidet die Tragfähigkeit der Wirbel
Digitized by Google
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
28. Januar 1921.
MÜNCHENER r - '^mSOnn WOCHENSCHRIFT.
119
durch ein schweres Trauma ähnlich dem Eisen, das durch einen Stoss infolge
mokkularer Erschütterung die seine verliert.
D r e y e r - Breslau: Technisches zur A 1 b e e sehen Operation.
Spaltung der Dornfortsätze mit dem Messer, Entnahme des Spans aus
der vorderen Tibiafläche bei Bauchlage des Patienten am stark flektierten
Unterschenkel mit der Merten sehen Säge. Zur Herstellung der Krüm¬
mung des Spans wird ein bogenförmiges Stück aus ihm mit Luer entfernt.
Erhaltung des Periosts des Spans. Hochkantiges Einsetzen.
P o m in e r - Innsbruck: Die funktionelle Theorie der Arthritis deformans
vor dem Forum des Tierversuchs und der pathologischen Anatomtet
Gegenüber Axhausens Auffassung der Entstehung der A. d. aus
Knorpelnekrose hält P. an seiner funktionellen Theorie fest. Gerade im
Frühstadium der A. d. fehlen die Knorpelnekrosen. Sie beschränken sich
auf Stellen von Knorpelusur und Abscheuerungsstellen. A. missdeutet die
sub- and endochondral und nicht periostal entstehenden Randwulstbildungen
als Randosteophyten. Auch ist seine Meinung, dass kernloses bzw. zell-
k»ses Knorpelgewebe nekrotisch sei, irrtümlich, da sich schon im entwickeln¬
den Knorpel degenerative und Rückbildungszustände finden.
Dr. ing. M e y e r - Berlin: Die Muskelkräfte Sauerbruchoperierter und
der Kraftverbrauch künstlicher Hände und Arme.
Unkenntnis der Kräfte und Wege in den Kraftquellen und der zur
Bewegung erforderlichen Arbeit hat vielfach Fehlkonstruktionen von Arm¬
prothesen bedingt. In der Arbeit sind viele Untersuchungen zur Messung der
direkten Kraftquellen mnd Ueberlegungen über den Kraft- und Wegverbrauch
von Händen und Kunstarmen enthalten.
R a d i k e - Berlin und Dr. ing. Meyer- Berlin: Erfahrungen mit
Sanerbrucharmen.
Zwischen Muskelleistung und Kraftverbrauch der Hand muSs zur Er¬
zielung der Höchstleistung ein bestimmtes Verhältnis bestehen. Die Aufhänge¬
vorrichtung der Prothese muss das Gewicht des Armes aufnehmen, die Hülse
dem Stumpf eng anliegen, das Gewicht möglichst klein sein (Leichtmetall).
Zur Gradeführung der Muskelstifte zweckmässige Bügelkonstruktion, Carnes-
2 üge als geeignete Hilfskraftquellen Tür den Sauerbrucharm. Haiidbeuge-
Kelenk. wichtig für Greifen, ist aktiv beweglich zu machen, j
Dipl.-ing. v. S c h ü t z - Berlin: Ueber armamputierte Handwerker: Merk- ;
blatt Nr. 19. ^ '
Der amputierte Buchbinder. Ausprobieren aller möglichen Ansatzstücke :
bei den verschiedensten Arbeitsverrichtungen mit Abbildungen. Die ampu¬
tierte Seite übernimmt die untergeordnete Tätigkeit des Festhaltens und ,
Stützens. Durch richtige Auswahl der Ansatzstücke ist nahezu volle Er- j
werbsfähigkeit zu erreichen.
Stahnke -Würzburg: Irreparable Radiallslähmung. Uebersichtsreferat. |
H 0 h m a n n - München.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 2.
D. K 1 i n k e r t - Rotterdam: Zur Klinik und Pathogenese der Gicht.
Verf. hebt einige wichtige klinische Daten hervor, welche die nervöse
Natur des Gichtanfalles zeigen, wie z. B. das nicht selten doppelseitige
symmetrische Auftreten der Affektionen, die „nervöse Spannung“, welche
oft den Anfällen vorausgeht, die nervösen Extrasystolen der Gichtiker, die
zeilweisen psychischen Depressionen, überhaupt die ganze Psyche der Qich-
Tiker. Die Anreicherung der Harnsäure im Blut steht in zweiter Linie. Der
akute üichtanfair ist als eine Neurose aufzufassen. Bei Behandlung eines
Qichtanfalles soll nicht zu aktiv eingegriffen werden. Kötperliche und
geistige Massigkeit sind die besten Mittel gegen Gicht.
H. Kohn: Impetigonephritis.
Bei dem 9jähr. Patienten, dessen impetiginöse .Geschwüre Diphtherie¬
bazillen aufwiesen, bildete sich eine Nephritis aus, welche erst nach längerer
Zeit wieder abheilte. Verf, kommt zum Schlüsse, dass in der gleichzeitigen
Infektion mit Diphtherie eine der Bedingungen liegt, welche bei Impetigo
eine Nephritis sich entwickeln lassen.
W. A r n o 1 d i - Berlin: Zur Frage der Lungeosyphllis. sowie einige
BemierkanKen über SUbersalvarsan und Sulfoxylai.
3 Fälle werden mitgeteilt. Für die Diagnose sind vor allem wichtig
die positive Wa-Reaktion, der Erfolg der spezifischen Therapie. Die beiden
genannten Präparate haben vorzügliche Dienste geleistet, auch in anderen
Fällen mit Kreislaufstörung und Oedemen.
G. Lehmann - Berlin: CholeHthiasis und vegetatives Nervensystem.
Von 40 Cholelithiasispatienten reagierten auf Vagusgifte stark 72 Proz.,
ui Sympathikusgifte 22 Proz., auf Pilokarpin und Adrenalin 12,5 Proz.,
reaktionslos verhielten sich 20 Proz. Die Untersuchungen bestätigen wieder,
dass der von E p p i n g e r und Hess aufgestellte Antagonismus zwischen
Vagotonie und Sympathikotonie nicht besteht.
K. Wobigemuth - Berlin: Zur Kasuistik der Wlrbelkörperosteo-
Kitiitis.
Fall einer 27 Jähr. Arbeiterin wird mitgeteilt, dessen Verlauf besonders
.ifTönisch war,
J. B r o c k - Petersburg: Die Nachgeburtsblutungen und ihre Behandlung.
Um eine Nachblutung ins Cavum Uteri, das sich nach oben hin aus-
defint, zu verhüten, sucht ihn Verf. durch einen fixierenden Verband (durch
Binden, Handtücher, aufeinandergepresste 2 Bürsten etc.) zu fixieren, während
iüsleich die Beine der Frau zusammengelegt und so erhalten werden. Be¬
züglich der Ablösung der Plazenta muss streng abwartendes Verhalten be-
-bachtet werden.
R. W e i c h b r o d t - Frankfurt a. M.: Bayer 205.
Verf. hat mit diesem Präparat auch bei Paralytikern Versuche ange-
v:elli, einen merkbaren Einfluss auf diese Krankheit aber nicht feststelleii
■'linnen. Auch die Malaria, welche ber Paralytikern therapeutisch verwertet
*ird. wurde durch das Präparat nicht beeinflusst.
G. R o s e n o w - Königsberg i. Pr.: Der Einfluss parenteraler Kalzinm-
zuhifar anf die Durchlässigkeit der Gelässwand.
BemerkanKcn zum Aufsatz W. U s e n e r in dieser Wochenschrift 1920
>,.. 4 « Grassmann - München.
Deutsche medizinische VFochenschrift 1921. Nr. 1.
A. t^rotiahn - Berlin: Zur bevölkerungspolitischen Lage Deutsch¬
lands. ' .
Die Nachahmung des Zweikindersystems, die eine Herabminderung des
• rilksbcstandes auf die Hälfte in etwa 80 Jahren herbeiführen würde, das
Digitized
I
I
drohende Gespenst des Geburtenrückganges kann wirksam nur bekämpft
werden durch Rationalisierung der quantitativen und qualitativen Fort¬
pflanzung, durch wirtschaftliche Privilegierung der Elternschaft.
B. M ö 11 e r s - Berlin: Hat die Tuberkulose in Deutschland weiter lu-
genommen?
In Preussen hat die Sterbeziffer an Tuberkulose von 1913—1918 am
rund 67 Proz. in Stadt und Land zugenommen. Mit dem Jahre 1918 er¬
scheint jedoch der Höhepunkt überschritten und die zweite Hälfte des
Jahres 1919 bringt bereits eine langsame Annäherung an die 21ahlen der
Vorkriegszeit. Das Haupthemmnis für die Abnahme der Tuberkulose ist der
Frieden von Versailles.
H. S e 11 e r - Königsberg: Sterblichkeit und Krankheit bei Tuberkulose.
Die in den letzten Jahren festgestellte starke Zunahme der Tuberkulose¬
sterblichkeit betrifft vor allem das 2.—5. Lebensjahr, während im 6 , bis
10. Lebensjahr auffallenderweise eine geringe Abnahme zu beobachten war.
da die Schuljugend die gleichen Lebensmittelmengen wie die Erwachsenen
bekam. Für die offenen Tuberkulosen — »Auswurf, auch ohne Bazillen¬
befund — finden sich die höchsten Ziffern im 21.—50. Lebensjahr.
F. Schlenner - Berlin: Ueber Technik der Oxydasereaktion and
ihr Verhalten an Monozyten.
Monozyten und die Retikuloendothelzellen der Leber, Pulpazellen der
Milz und ähnliche Zellen des Knochenmarks, von denen die Monozyten wahr¬
scheinlich abstammen, geben negative Oxydasereaktion.
K. H e n i u s - Berlin: Das Pneumothoraxveriahren bei der Behandlung
der Pleuroperikarditis und Pleuritis sicca.
Die Beobachtung an zwei Kranken ergab, dass die Anlegung eines kleinen
Pneumothorax (120—500 ccm) die pleuritischen Schmerzen beseitigen und. die
Entstehung von Verwachsungen verhüten kann.
W. Unverricht - Berlin: Immunbiologische und klinische Unter¬
suchungen mit den Partialantigenen (D e y c k e - M u c b).
Die von Much gemachte scharfe Trennung zwischen dem Reintuber¬
kulin MTbL einerseits und MTbR (A, F und N) anderseits ist immun¬
biologisch und klinisch nicht durchführbar. Es kann nur von einer Ueber-
empfindlichkeit gegen den wasserlöslichen und wasserunlöslichen Anteil des
Tuberkelbazillus gesprochen werden. Zwischen der Reaktionsfähigkeit gegen¬
über den einzelnen Partigenen war kein gesetzniässiger Unterschied fest¬
zustellen.
Klapp- Berlin: Ueber Varizenbehandlung mit vielen perkutanen Um¬
stechungen und über Varikozelenbebandlung.
Verf. hat das Kocher sehe Verfahren in der Weise abgeändert, dass
er die perkutan angelegte Umstechungsligatur mit Katgut subkutan ver¬
lagert. Besonders sorgfältig müssen die Umstechungen der Verbindungen
zwischen den beiden Rosenvenen vorgenomraen werden. Die Operation
findet am hochgelagerten Bein statt, nachdem man sich zuvor die einzelnen
Venen mit Stärkelösung an der leicht jodierten Haut angezeichnet hat.
Individualisierendes FrUhaufstehen wird empfohlen. Zur Behandlung der
Varikozele wird geraten, die erweiterten Venen einzeln mit Kocherklemme
zu fassen, seitlich zu verziehen und omegaförmig abzubinden; durch gleich¬
artige Abbindung des M. cremaster wird der Hoden gehoben.
W. W e i g e l d t - Leipzig: Die Behandlung der Tabes und Gehirnlues
mit Dliodyl.
Mit Bezug auf die Ausscheidungsziffern steht Dijodyl nächst dem Jod¬
kali. während es unter Berücksichtigung der Speicherung im Körper an
erster Stelle steht. Es wurde auch dort gut vertragen, wo Jodkali heftigen
Jodschnupfen verursacht hatte. Die Tagesdosis ist 1,5— 1,8 g. die Kurdosis
60 g innerhalb 30—40 Tagen.
Benjamin und v.* K a p f i - München: Ueber die Behandlung der
Arytbmia perpetna mit Chinidin.
Bei 27 Fällen der R o m b e r g sehen Klinik konnte durch Chinidin 18 mal
eine vollständige Regularisierung der Vorhöfe und Kammern herbeigeführt
werden. Der dauernden Regularisierung geht gewöhnlich eine Periode der
Tachykardie vorauf. Grundsatz für die Chinidinbehandlung muss die vor¬
hergehende Besserung der Herztätigkeit durch Digitalis sein; wo Digitalis
versagt, muss auch vor Chinidin gewarnt werden. Das Chinidin wird vor
den Mahlzeiten gegeben, in den ersten 3 Tagen in einer Dosis von 3 mal
0,4 Chinidin, sulf. Bei 4 Fällen waren höhere Gaben (bis 11 g) notwendig.
R. Degkwitz - München: Zur Schilling sehen Lösung der Blut-
piättchenfrage.
Von einer Lösung der Blutplättchenfrage sind wir noch weit entfernt.
L. H a u c k - Erlangen: Zur Dosierung des Salvarsans.
Die Tatsache, dass gelegentlich einmal die Einzeldosis von 3,0 g Neo-
salvarsan ohne Schaden vertragen worden ist, darf nicht dazu verleiten, die
erprobte Dosis von 0,6 zu überschreiten. Anderseits muss aber auch vor
einer ungenügenden Gesamtdosis gewarnt werden wegen vermehrter Gefahr ■'
der Neuro- und Meningorezidive und bemerkenswerter Verkürzung der
Inkubationszeit zwischen Luesinfektion und Ausbruch der Tabes und Paralyse.
W. J. Klug- Würzburg: Zur Wundbakterienflora.
Bericht über einen Fall, bei dem nach Appidizektomie in der fistelnden
Wunde Bacillus fusiformis und Spirochäten gefunden wurden, deren Ursprung
in der plombierte und kariöse Zähne aufweisenden Mundhöhle gesucht wird.
E. H c I m r e i c h - Heidelberg: Ueber das Blutbild bei karzlnomatösen
Knochenmetastasen.
Bei einem Fall von Magenkarzlnom mit ausgedehnten Knochenmeta-
•stasen und grosser Milz fand sich ein Blutbild, das durch die ausser¬
ordentlich grosse Zahl der Myelozyten an eine akute Myelose denken Hess.
F. M. G r o e d e I - Frankfurt a. M.: Grundlagen und Aussichten eines
neuen röntgentherapentischen Verfahrens: Homogenisierung der Röntgen¬
strahlen mittels eines Gewebsäquivalentfilters.
H. Th. S c h r e US - Bonn: Ein neues Prinzip zur automatischen Regu¬
lierung von Röntgenröhren: der Spannungshärteregl^r.
Technisches.
Q. Geilhorn und H. E h r e n f e s t - St. Louis: Spirochaete palllda-
Befund in der Zervix bei primärer Lues.
Bei positivem Spirochätenbefunde im Sekret einer äusserlich unver¬
änderten Zervix ist än luische Veränderungen im .Zervikalkanal (Plaques
oder Geschwüre )zu denken, wie sie einmal bei Vorhandensein eines doppel¬
seitigen tiefen Zervixrisses direkt gesehen werden konnten.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
m
Nr. 4.
M. D e u t s c b- Brünn: Aus der Praxis. Zur Behandlung des Ulcus
cnirls. Empfehlung eines eigenen Zinkleimes: Zinc. oxyd., Qelatin.
Ük 150,0. Paraffin, liquid. 50,0, Sir. comm. 240,0, Aq. font 400.0, A^id.
carbol. 10,0, Der Verband, der sich durch verhältnismässige Billigkeit aus¬
zeichnet. bleibt 1—2 Wochen liegen,
M. R e i c h a r d t - Würzburg: Der letzlge Stand der Lehre von der
Neurasthenie. Uebersicht.
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologlsche Rat-
schlige für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Auswärtige Briefe.
Hamburger Brief.
* Hamburg, Mitte Januar 1921.
Die kaum zweijährige Hamburger Universität hat schon eine schwere
lebensbedrohende Entwicklungserkrankung durchzumachen mit einer Prognosis
dubia ad infaustum vergens. Ihr Dasein wurde seinerzeit von der kurz nach
der Revolution gewählten Bürgerschaft beschlossen und verkündet, und mit
grosser Genugtuung sahen die Stadtväter das junge Wesen wachsen und
gedeihen. Nun galt es noch, durch eine besondere gesetzliche Massnairne
die Leitung der Hochschule im Sinne der Gründer in der Hand zu be¬
halten. Als der Senat seinen Entwurf eines endgültigen Gesetzes vorlegte,
konnte man hoffen, es werde gelingen, der Universität die erforderliche Stetig¬
keit und vor allem jene Freiheit zu sichern, die der Stolz unseres deutschen
akademischen Lebens ist und unter allen Kulturvölkern bewundert wird.
Aber der bürgerschaftliche Ausschuss hat die Senatsvorlage umgestürzt und
ein neues Hochschulgesetz ausgearbeitet, dessen Annahme, wenigstens in der
vorliegenden Form, in den Aufbau der Universität manche Störungen hinein¬
fragen wird. Dass die alte Bürgerschaft, deren Zusammensetzung politisch
stark nach links gravitiert, deren Dasein aber nur noch von kurzer Dauer ist,
da schon in 4—5 Wochen die Neuwahlen stattfinden, den zwingenden Wunsch
hatte, die Universitätsvorlage noch zu verabschieden, beruht eben auf ihrer
politischen Zusammensetzung. Die Mehrheit hatte den Ehrgeiz, etwas grund¬
legend Neues, einen neuen Hochschultyp zu schaffen und den übrigen Hoch¬
schulen voranzugehen. Sie will keine 23, Universit'it, sondern neben den
alten 22 Hochschulen etwas Neues, der Hamburger Art angepasstes mit Be¬
tonung von Ueberseekultur und Ueberseeinteressen einerseits und einer neuen
Verwaltungstechnik andererseits, die auf das Verhältnis der Dozenten zu
einander und zu den Studenten und umgekehrt von Einfluss sein sollte. Daher
wurden eine Reihe von Extrasitzungen angesetzt, in denen diese Vorlage
zurzeit beraten wird. Am 14, Januar haben diese Verhandlungen begonnen
und die erste Sitzung hat mit der Annahme des Ausschussberichts in erster
Lesung geendet. Zum wenigsten ist den ersten Paragraphen des Gesetzes
unter Ablehnung aller von rechts kommenden Aenderungsanträge von der
sozialdemokratischen und demokratischen Majorit.ät zugestimmt. Der Inhalt
dieser in der ersten Sitzung angenommenen Paragraphen bedeutet die Unter¬
stellung der Universität unter eine vielgliederig 2 Hochschulbehörde, eine Be¬
hörde, der bekanntlich ausser den Fachmännern: Universitätsdirektor. De¬
kanen. dem Leiter der Volkshochschule und einem Vertreter der wissen¬
schaftlichen Anstalten eine erhebliche Zahl von der Bürgerschaft angehörenden
Politikern und, wie ursprünglich beantragt, auch 4 Studenten angehören
sollten. Auf die Studenten, die in einer Eingabe an die Bürgerschaft auf
diese Teilnahme keinen Anspruch erhoben hatten, wurde bei der Beratung
seitens der Linken, da sie ja nach eigener Erwägung noch nicht reif genug
seien, mit Bedauern verzichtet. Auch in der Zahl der Mitglieder sollten bei
der zweiten Lesung noch Konzessionen und Abstriche gemacht werden, da
die Arbeitsfähigkeit der Behörde durch die grosse Zahl ihrer Mitglieder
beschränkt werden würde. Bemerkenswert ist aber vor allem, wie wenig
sich die BOrgerschaftslinke durch die von allen deutschen Hochschulen
erbetenen und zu einer einstimmigen vernichtenden Kritik der gesamten zur
Vorlage kommenden Gutachten beraten und beinflussen liess. Die mehr oder
minder deutlich in ihnen ausgesprochene Androhung eines Boykotts einer so
geleiteten Hamburgischen Universität scheint eindrucklos gewesen zu sein.
In den nächsten 3—4 Sitzungen wird die Beratung fortgesetzt und dann
erst wird diese Vorlage Gesetzeskraft erhalten. Hoffentlich sind dann die
Bänke der Linken, die in der ersten Sitzung auffallend leer waren, besser
besetzt und vielleicht lassen sich dann die Nichtfachmänner doch noch beein¬
flussen und werden sich entschliessen, existenzbedrohende Beschlüsse wieder
umzustossen oder fallen zu lassen. „Auf den feinen Saiten des Akademiker-
tums lassen sich nun einmal keine sozialistischen Melodien spielen", wie ein
Diskussionsredner der Rechten richtig bemerkt hat. Ebenso richtig schreiben
die Hamburger Nachrichten: ..Das durchschlagende Argument, mit dem die
Universitätsgründer seinerzeit die Zweifelnden gewannen, war dies: wenn
wir aus unserer Anstalt keine Universität machen, werden keine Studenten
und keine namhaften Gelehrten nach Hamburg kommen. Heute, wo die Uni¬
versität ihr Gesetz bekommen soll, müssen wir uns von 16 deutschen
Universitätssenaten schriftlich geben lassen: wenn ihr dieses Gesetz macht,
so wird gerade dasselbe eintreten. Der Vorsitzende des Verbandes Deutscher
Hochschulen stellt uns in Aussicht, „dass unsere Prüfungen in den übrigen
Ländern des Reiches nicht als vollwertig angesehen, unseren Studierenden
auf anderen Hochschulen Schwierigkeiten bereitet werden, und dass kein nam¬
hafter Gelehrter einem Rufe nach Hamburg folgen wird". Und die Berlii er
Universität begutachtet: „Eine Universität, die unter derartiger Leitung
steht, w'ird unter den Schwesteruniversitäten nicht mehr als voll gelten. Es
besteht die Gefahr, dass es ... den übrigen Ländern unmöglich wird, den
Hamburger Studenten die Hamburger Semester anzurechnen und den Ham¬
burger Prüfungen die Anerkennung zu gewähren." Daraus ergibt sich un-
abweislich; wenn die vereinigten Demokratien auch heute noch der Ueber-
zeugung sind, dass zu einer Universität Studenten und Gelehrte gehören, so
können sie den Ausschussentwurf nicht aufrecht erhalten, sondern Müssen
die Senatsvorlage wiederherstellen. Sonst unterzeichnen sie ein Todes¬
urteil."
Im ärztlichen Verein fand eine sehr eingehende Besprechung der Abvart-
frage statt. Die drohende Aufhebung des § 218 veranlasste eine sehr lebhafte
Diskussion, in der allerlei Interessantes und für den Aerztestand nicht gerade
Schönes offenbar wurde, die aber doch wie das Hornberger Schiessen endete.
Denn wa« nützt es. wenn mehrere Redner mitteilten, d^ss sich die Mit¬
beteiligung der Aerzte an der Steigerung der Abortfälle, deren Zahl die Zahl
der regelrechten Entbindungen noch übersteigt (!) nicht mehr verheimlichen
Hesse. Wir müssen unsern Stand von solchen Verbrechern rein zu halten
suchen. Wie wir sie erfassen, ist noch nicht zu sagen. Der vornehme Arzt
im alten hippokratischen Sinne darf eben nie und nimmermehr bei einer
Gesunden einen Abort einleiten, weil eine gesunde Schwangere eben keine
Kranke ist und der Arzt nur Krankheiten beseitigen soll und das nil nocere
doch das erste Gesetz seines Handelns sein und bleiben muss. Zu irgend
einer Resolution kam cs nicht. Diese wird vielleicht in einer gemeinsamen
Sitzung des ärztlichen Vereins und der forensisch-psychologischen OesellschaU
beantragt und beschlosen werden, zu der für Ende des Monats eine Einladung
ergangen ist.
Erwähnenswert i.st ferner, dass in einer ausserordentlichen General¬
versammlung des ärztlichen Vereins der korporative Anschluss an den Leip¬
ziger Verband beschlossen wurde. Diese Beschluss zeigt, dass unter den
Aerzten endlich der Wert der Organisation allgemeine Anerkennung findet.
Die durch diesen Beschluss notwendige Statutenänderung wird zweifelsohne
in den dazu nötigen, bereits einberufenen Generalversammlungen mit grosser
Stimmenmehrheit beschlossen werden, wenn auch einzelne dem Vorstande an¬
gehörende Herren, die oft das Ohr der Versammlung hatten, gewichtige Be¬
denken gegen diesen Beschluss geäussert haben.
Ferner sei einer Entschliessung des ärztlichen Vereins gedacht,
die sich gegen die Ablieferung noch weiterer 810 000 Milchkühe an Frankreich
richtet. In Friedenszeiten wurden in Hamburg etwa 350 000 Liter Milch täg¬
lich verbraucht. In den letzten 4 Jahren betrug die Höchst menge der
täglichen Milchmenge jedoch nur 170 000 Liter im Jahre 1917, 160 000 Liter
im Jahre 1918, 150 000 Liter im Jahre 1919, 185 000 Liter im Jahre 1920.
Diese Mengen standen aber nur vorübergehend in den Monaten der frischen
Weiden, im Mai und Juni zur Verfügung. Im Sommer sank die Milchmenge
regelmässig und blieb in den Monaten Oktober bis April sehr w'eit hinter
diesen Zahlen zurück. Den tiefsten Punkt hatten wir im März 1919 und 1920
mit 60 000 Litern täglich. Augenblicklich stehen nur 80 000 Liter zur Ver¬
fügung. Diese geringen Mengen reichen bei einer Bevölkerung von über
1 Million Einwohner nicht einmal für die Kranken und die Kinder, die
Schwangeren und die stillenden Mütter. Hierfür sind nach Mitteilung der
Krankenkostabteilung der Gesundheitsbehörde bei allerknappster Berechnung
mindestens 110 000 Liter täglich erforderlich. Dementsprechend beobachten
wir Aerzte auch in Hamburg eine erschreckende Zunahme der Ernährungs¬
krankheiten der Kinder, insbesondere der rachitischen Erkrankungen und der
Tuberkulose, und eine allgemeine Verminderung und Verschlechterung d^s
Nachwuchses. Die Abgabe der jetzt noch abgeforderten grossen Mengen
von Milchkühen würde zur Vernichtung unseres Nachwuchses und zu einer
katastrophalen Schädigung unseres gesamten Volkskörpers führen.
Mit den Krankenkassen befinden wir uns zurzeit im Frieden, Das
„Hamburger Abkommen", das gegen Jahresende in die Brüche zu gehen
drohte, hat doch so viel Nutzen geschaffen, dass es nicht schwer war, eine
Einigung über .strittige Punkte, wenigstens vorläufig, zu erzielen. Die
Kassen haben die bekannten 23 Proz. zwar auf 19 (oder 20?) Proz. herab¬
gesetzt, da sie aber jetzt von dem erhöhten Grundlohn und den dadurch
erhöhten Gesamtbeiträgen erhoben werden, so ergaben sie eine Honorar¬
erhöhung um ca. 2 .Millionen und damit eine zwar nicht sehr erhebliche,
aber doch immerhin anzuerkennendc bessere Bewertung der Einzelleistung.
So ist ein Waffenstillstand bis zum 1. Juli dieses Jahres erfolgt, der dazu
dienen soll, neue Verträge und neue Zahlungsbe^J^’^^ungcn vorzubereiten.
In diesem Zusammenhänge sei noch der Erhöhung des Kostgeldes, das
der Hamburgische Staat in seinen Krankenhäusern erhebt, gedacht. Das
Kostgeld beträgt für Personen, die hier wohnen oder hier infolge ihres
Arbeitsverhältnisses der Krankenversicherungspflicht unterliegen, in der Ver¬
pflegungsklasse A: 150 M. für den Tag, I: 100 M. für den Tag II: 45 M. für
den Tag. III: für Erwachsene 25 M., für Kinder 15 M. für den Tag. Im
Frieden betrug der Satz für die III. Klasse (Krankenkassen, Armenanstalt etc.)
3 M. Der Staat erkennt also mit diesen erhöhten Sätzen die Entwertung des
Geldes auf ^/lo an. Wann werden wir Aerzte unsere Friedenshonorare
um das Zehnfache erhöhen dürfen? Werner- Hamburg.
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 19. Januar 1921.
Tagesordnung.
Herr F. Krause: Erlebnisse ln Brasilien und Argentinien.
Unter holländischer Flagge, auf einem Schiffe, welches ursprünglich für
den Dienst der Hamburg-Südamerika-Linie gebaut war, fuhr der Vortr. zu
einer Konsultation. Im Anschluss daran hielt er eine Reihe wissenschaft¬
licher Vorträge in den Kliniken, med. Gesellschaften in Rio de Janeiro,
Sao Paulo und Buenos Ayres, hielt öffentliche Sprechstunden für Unbemittelte
ab etc. Von den Behörden erfuhr er jede mögliche Förderung, die Presse,
selbst die ententefreundliche, die drüben von grossem Einfluss ist. trat ihm
sehr freundlich gegenüber, mit dem nordamerikanischen und italienischen Qe-
^ndten trat er in nahe persönliche Beziehungen; dagegen hatte er mit der
hetzerischen Gegenwirkung von V i v i a n i zu rechnen, der direkt vor ihm
herreiste, wobei zu bemerken ist, dass er wenige Tage nach unserem
Friedensschluss mit Brasilien im Lande eintraf. Vortr. schildert ausführlich
die landschaftliche Schönheit und die völlig europäische Kultur, die angeborene
Liebenswürdigkeit der Bevölkerung in den grossen Städten an der Küste,
ferner die vorzüglich eingerichteten Institute und Fakultäten. Die Fortschritte
der Hygiene sind so gross, dass es z. B. gelungen ist, in Santos durch
grosszügige Assanierungen das gelbe Fieber vollkommen auszurotten, welches
noch 1906 z. B. die ganze Besatzung eines italienischen Kriegsschiffes hin¬
weggerafft hatte. In den Fakultäten verdient eine Einrichtung Erwähnung,
die sich dort sehr bewährt haben soll, dass die Ordinarien, Privatdozent-in
und älteren Studenten zu gleichen Teilen den Dekan wählen. Für die Aus¬
wanderung von Aerzten kann er leider nur geringe Hoffnungen erwecken;
bis zur Erledigung des Staatsexamens braucht man für eine Person min¬
destens 100 000 M. und zwar dann, wenn man sich die grössten Entbehrungen
auferlegt. Und danach sind die grossen Städte mit Aerzten ühersetzt
und das Fortkommen daher schwierig. Persönlich ist Krause mit Ehrungen
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFu
2$. Januar 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
121
lb«rtchQttet worden und hat er sich bei seinem nachahmenswerten Vor¬
gehen als wertvoller Pionier für die deutsche Idee erwiesen. Zum mindesten
ist die wissenschaftliche Verbindung wieder angeknüpft und. wie Vortr.
richtig bemerkte, kann dem deutschen Forscher zunächst die chemische»
chirurgische, hygienische und dann die andere Industrie folgen.
Wolff-Eisner.
Verein fOr innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 17. Januar 1921.
Herr A. Wollf-Elsner: Bemerkungen des Herrn Prof. Ochsner-
CWcago zu unserer Malariadebatte. (Kurze Mitteilung.)
Das Verfahren besteht darin, die Chininkonzentration für 48 Stunden
gleichmässig aufrecht zp erhalten. Es wird 2 Tage hindurch regelmässig
zweistündlich (besonders auch während der Nacht) 0,15 g Chinin
gegeben und ein Viertelliter heissen Wassers danach getrunken. Zur Förde¬
rung der Resorption wird die Ernährung nur durch konsistente Suppen durch¬
geführt. Das gleiche Regime wird am 9. und 10. Tag eingehalten. In der
Zwischenzeit wird nur etwas Arsen verabreicht. Die Erfolge sollen vor¬
züglich sein. Eine Nachprüfung erscheint empfehlenswert.
Herr Leschke: Gelbfärbung des Liquor cerebrosplualls.
Bilirubin wird durch eine modifizierte Diazoreaktion noch in Verdün-'
nungen von Ober 1: 1 Million nachgewiesen. Bilirubin wirkt ziemlich stark
sauerstoffzehrend. wodurch sich manche bisher ungeklärte Vorkommnisse in
Versuchsreihen erklären. Durch Iniektionen gewaschener Erythrozyten kann
man eine Bilirubinabscheidung ins Lumbalpunktat erzielen. Nur in einem
Fünftel der Fälle ist das F o r r a i n sehe Syndrom (im Liquor — Koagulation
plus Xantochromie) vorhanden, nämlich in den Fällen, wo der Austritt der
Erythrozyten durch Kompression und nicht durch Exsudation erfolgt ist.
Das Bilirubinferment stammt wahrscheinlich aus den Zellen der Rflcken-
markshäute.
Aussprache: Herr Kraus: Das F o r r a i n sehe Syndrom findet
sich nach den Arbeiten der L i c h t h e i m sehen Schule nur bei Tumoren;
in einem seiner Fälle traf dies nicht zu.
Herr B ö n n i g e r weist darauf hin, dass häufig der Liquor stärker
Erythrozyten löst als das Blutserum.
Herr B r u g s c h betont, dass in ledern blauen Fleck nach einem Stoss
Bilirubin entsteht, die Umwandlung also im Körper selbst vor sich geht. Nach
Apoplexien findet sich erst Hämolyse und dann erst Xantochromie.
Herr Schilling: Bei perniziöser Anämie findet sich ein goldgelber
Farbstoff im Körper, der mit Bilirubin nicht identisch ist. Herr Leschke
widerspricht den letzten Ausführungen, da als Farbstoff neben Lutein nur
Bilirubin in Betracht kommt und ersteres bei der perniziösen Anämie ohne
Bedeutung ist.
Herr Q u d z e n t: Ischias und Spina blllda occulta. (Demonstration.)
In einem Falle schwerster Ischias nach Gravidität fand sich schliesslich
als Ursache eine Spina bifida occulta, und in kurzer Zeit fand er weitere
drei sehr ähnliche Fälle; er ist daher der Ansicht, dass bei Ischias mit un¬
klarer Aetiologie stets nach Spina bifida occulta zu suchen ist.
Aussprache: Herr P e r i t z: Die Spina bifida occulta ist tatsäch¬
lich ein ziemlich häufiges Vorkommnis. Gewöhnlich finden sich dabei jedoch
noch andere Erscheinungen, wie Plattfüsse, Schwimmhäute, Abweichungen in
den Sehnenphänomenen und , Abweichungen in der Sensibilität, besonders
für Kälte- und Wärmeempfindungen. Sehr häufig ist dabei ein Hydro¬
zephalus, der meist äusserlich nicht erkannt, sondern nur durch Röntgenbild
oder Lumbalpunktion festgestellt werden kann.
Herr F r i c k weist darauf hin, dass auch Kokkygodynie ihre Ursache
in einer Spaltbildung im 1. und 2. Sakralwirbel haben kann.
Herr G u d z e n t betont, dass in seinen Fällen die von Herrn P e r i t z
hervorgehobenen Kriterien nicht vorhanden gewesen seien.
Tagesordnung.
Herr P. Jungmann: Zur Klinik und Pathogenese der Streptokokken¬
endokarditis.
Man unterscheidet die Endocarditis-lenta-Fälle seit Schottmüllers
grundlegenden Untersuchungen. Ihre Zahl ist jedoch früher immer eine ge¬
ringe gewesen: sein Material umfasst allein in der Klinik 35 Fälle, so
dass man von einer auffallenden Häufung sprechen muss. Die Erkrankung
ist charakterisiert durch Tachykardie, Polypnoe und Dyspnoe und das
häufige Fehlen -einer guten Reaktion auf Digitalisdarreichung. Konstant ist
der Milztumor und die Vergrösserung und Schmerzhaftigkeit der Leber
(beides ein Kriterium der bestehenden Infektion), weiter an die perniziöse
erinnernde Anämie. Häufig sind Trommelschlägelfinger. Findet sich hohes
Heber, so ist der Verlauf ein malignerer, die Organveränderungen sind
dagegen geringer. Die auf den erkrankten Herzklappen sich bildenden
Thromben sind wegen der Embolien gefährlich. Die Erkrankung setzt im
ganzen Körper Oefässschädigungen; diese äussern sich u. a. als Petechien
an der Haut, die nicht immer Baklerieninfarkte darstellen. An der Netz¬
haut lassen sie sich nach Krückmann direkt nachweisen. Dem Strept.
virfdans kommt keine absolute pathogenetische Sonderstellung innerhalb der
Streptokokken zu. Er ist nur charakterisiert durch seine Farbstoffbildung
und eine geringere Virulenz auch im Tierversuch. Nach den Versuchen von
Kntschinski und Wo 1 ff entstehen die Viridansformen durch Umbildung
ans hämolytischen Streptokokken und stellen nur eine Verlustmutation mit
einer gewi.ssen Konstanz der neu erworbenen Eigenschaft dar. Auch die
klinischen Befunde sprechen für diese Anschauung. Da im menschlichen
Körper die Bildung der Viridansformen aus hämolytischen Streptokokken
möglich ist. In den bland verlaufenden Fällen findet man nur Strept.
viridans; in den hochfiebernden noch daneben hämolytische. Nach Vortragen¬
dem stellt die Viridansform eine Zwischenstufe zwischen hochvirulenten und
ganz avirulenten Streptokokken dar und ergibt sich hieraus die Erklärung,
für die verschiedenen Endokarditisformen.
Die Lentasepsis stellt sich dar als allergisches Rezidiv,.bei dem früher
ein primärer Herd nachweisbar gewesen ist. Dieser primäre Herd kann
auch durch eine ganz andersartige Erkrankung dargestellt werden, und aus
dieser Auffassung erklären sich die vielen Lentafälle bei Kriegsteilnehmern,
die früher Streptokokkeninfekte an den Wunden gehabt hatten.
Vor der Tagesordnung hatte Herr Fürbringer auf die
dahingeschiedenen Mitglieder Landau, Landgraf, L. Silberstein
und A 1 b u einen Nachruf gehalten. Welff-Eisner.
Aerztllcher Verein In Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 28. Dezember 1920,
Herr Deutscblflnder bespricht unter Vorweisung von Röntgdn-
bildern die Diagnose der Spina bIBda occulta, auf die angeborene Skoliose,
Skelettveränderungen anderer Art (Klumpfuss u. dgl.), sowie Anomalien von
seiten des Nervensystems hinweisen. Häufig findet sich gleichzeitig eine
Asymmetrie des Beckens.
Herr R. K ii m m e 11 demonstriert 3 Bulbi mit Aderhautsarkom und be¬
spricht ihre Diagnose mittelst der diaskleralen Durchleuchtung,
wenn sie im vorderen Abschnitt, durch Diaphanoskopie, wenn sie im
hinteren Abschnitt gelegen sind. Eine komplizierende Glaskörperbiutung kann
diese Methoden vereiteln.
Herr H e g 1 e r zeigt an Kurven die dlnretlsche Wirkung des Novasurol,
welche ganz überwiegend bei Hydropsien zur Geltung kommt, meist sehr
kräftig, aber rasch vorübergehend ist. Trotzdem soll man nur alle 4—7 Tage
2,2 ccm injizieren. Leichte Nephrosen bilden keine Kontraindikation.
Herr Oehlecker berichtet übei 5 Hypophysenexstirpationen mittelst
eines modifizierten S c h 1 o f f e r scheu Verfahrens auf transethmoi-
d a 1 e m und transsphenoidalem Wege. 2 P;‘*ientinnen, eine Akro¬
megalie und eine mit Dystrophia adiposo-genitalis werden vorgestellt.
Namentlich in letzterem Falle wurde durch erhebliche Besserung des Seh¬
vermögens die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt, ln den drei übrigen Fällen
handelte es sich um von aussen die Hypophyse komprimierende Tumoren,
bei denen die Operation den letalen Ausgang zwar nicht verhindern, einmal
aber durch Entlastung eine weitgehende Remission hervorrufen konnte.
Herr N o c h t begründet kurz eine Protestresolution gegen die Abliefe¬
rung der Milchkühe an die Entente, welche die Hamburger Medizinische
Fakultät, das Hamburger Gesundheitsamt und der Aerztliche Verein dem
Reichskanzler unterbreiten wollen.
Herr Brauer berichtet über die — trotz Vorzugsbehandlung — un¬
zureichende Versorgung der Krankenhäuser mit Milch.
Herr K e s t n e r zeigt, wie gerade die aus Ententeländern stammenden
Forschungen den hoben Gehalt der Milch iind Butter an antiskorbutischem,
fettlöslichem Vitamin dartun. Namentlich im Winter stehen der Bevölkerung
keine Nahrungsmittel zur Verfügung, die in dieser Beziehung einen Ersatz
böten, zumal wenn nach dem Keimen der Kartoffeln deren Vitamine in die
Keime gegangen sind.
Herr Kleinschmidt: Während die Kinderärzte früher sich gegen
eine Ueberfütterung der Kinder mit Milch wenden mussten, ist heute, wo die
anderen in Frage kommenden Nahrungsmittel ebenfalls knapp und minder¬
wertig sind, eine grössere Milchmenge nötig. Statt dessen steht uns viel
weniger und nachweislich vitaminärmere Milch zur Verfügung.
Die Resolution wird einstimmig angenommen.
Vortrag des Herrn Kleinschmidt: Pathogenese und Behandlung
der akuten ^mähningsstörnngen des Säuglingsalters.
An dem Beispiel zu grossen Zuckergehaltes in der Säuglings¬
nahrung erläutert Vortr. das Eindringen zahlreicher Bakterien in
den normalerweise relativ keimarmen Dünndarm, wobei der harmlose
Enterokokkus durch das vielleicht auch in seiner Virulenz gesteigerte B a c t.
coli verdrängt wird. Die Ursache könnte allein schon längeres Verweilen
des Chymus im Dünndarm infolge verringerter Motilität oder Resorption sein.
Aehnlich wirkt in anderen Fällen, z. B. bei grosser Hitze, der HCl-Mangel
des Magensaftes. Doch ist ein konstitutioneller Faktor sehr zu be¬
rücksichtigen, der zur Folge fiat, dass Schädigungen, die das eine Kind an¬
standslos verträgt, das andere schwer affizieren. Vortr. bespricht dann die
Folgen für den Gesamtorganismus, die Wasserverarmung, die Azi¬
dose, die Albuminurie, die Glykosurie. Letztere weist auf eine abnorme
Durchlässigkeit der Darmwand hin, doch ist die Lehre von der
alimentären Intoxikation durch Aufnahme der Molkensalze oder
der Peptide in den Organismus noch nicht genügend begründet, zumal die
Wirkung des Hungerns keineswegs immer sehr eklatant ist. Glücklicherweise
sind die therapeutischen Fortschritte der theoretischen Erkenntnis vielfach
vorausgeeilt. Gegenüber der Wirkung des polyvalenten Koliserums
ist Vortr. zurückhaltend. Völlige Nahrungsentziehung soll man nicht
über 24 Stunden ausdehnen, auch die dann meist folgende Mehl- oder
Schleimabkochung gebe man höchstens 2—3 Tage. Schwächliche,
frühgeborene, chronisch ernährungsgestörte Säuglinge vertragen sie Über¬
haupt nicht. Hier kommt es unter Besserung des Stuhles oft erst eigentlich
zu den Intoxikationserscheinungen. In diesen Fällen kommt in erster Linie
Frauenmilch in Betracht, die aber oft besser mitkünstlicherHeil-
n a h r n n g kombiniert wird. Als solche kommt vor allem die Butter¬
milch und die E 1 w e i s s m i 1 c h in Frage. Wo diese bei gänzlicher
Appetitlosigkeit verweigert oder erbrochen wird, wird oft noch Kuhmilch¬
molke angenommen. Fr. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztl*clier Bezlrksvereiti Mfincfien-Stadt.
Vollversammlunp^vom 21. Januar 1921.
Der Bericht über die letzte Bezirksvereinsversammlung erfuhr insofern
eine Missdeutung, als das Ziel der aufgefahrenen Geschütze als örtlich nahe¬
liegend angesehen wurde Es wurde ledoch festgestellt, dass die kampfes¬
mutigen Worte der damaligen allgemeinen Lage, wie sie durch den Kranken¬
kassentag in Berlin geschaffen war. entströmten. Uhl, der Leiter der letzten
Versammlung verlas folgende Erklärung: „Die Münch, med. Wochenschr.
hat in Nr. 51 Jahrg. 1920 unter den Tagesgeschichtlichen Notizen den neu-
gewählten Vorsitzenden des Aerztlichen Bezirksvereins München-Stadt an¬
gegriffen. Die Vorstandschaft des Aerztlichen Bezirksvereins München-Stadt
erklärt hfemit, dass die Ausführungen Dr. K a s 11 s, gegen die sich der An¬
griff richtet, von der Redaktion vollständig missverstanden sind. Sie be¬
trafen in keiner Weise die kleinen lokalen Streitigkeiten zwischen den Mün¬
chener ärztlichen Organisationen, sondern die letzt die ganze Aerzteschaft be-
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
190
MÜNCHENER MCDIZINISCHC WOCHCNSCHRirT.
Nr. 4.
wegttnden Fragen.“*) Persönlich fügt U h I in breiterer Ausführung hinzu, dass
er wirklich nicht den Eindruck hatte, dass K a s 11 Derartiges gesagt und
gemeint habe. „Er, der sich so sehr in die modernen Belange des Bezirks¬
vereins vertieft hat, sollte nicht erkannt haben, dass heutzutage solche
lokale Streitigkeiten unwesentlich sein müssen und bei der Massgeblichkeit,
die die neue Zeit für die Bezirksvereine gebracht hat, tatsächlich auch sind.“
Die Verbindung der Bezirksvereine in den einzelnen Kreisen, die freie
Aerztekammer, soll nun auch in Oberbayern in nächster Zeit tagen. Man
erwartet von ihr eine erfolgreichere Lebenstätigkeit als von der ein ruhiges
Dasein fristenden alten Aerztekammer. Als Abgeordnete in die neue Kam¬
mer wurden gewählt: Demmler, Qilmer, Kastl, Kerschen¬
steine r, Krecke. Kustermann, Bez.-Arzt M a y r. Arthur
Mueller, Rehm, Scholl, Teschenberg, Weiler.
Weiler behandelt mit vorzüglicher Sachkunde das Thema: Der Arzt
in der Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die weitgehendste und
grundlegende Bedeutung kommt dem Arzte im Dienste der Kriegsbeschädig¬
tenfürsorge als Gutachter zu (Feststellung einer Qesundheitsschädigung ge¬
mäss Reichsversorgungsgesetz). Er entscheidet die Frage einer Gesundheits¬
schädigung auf Grund des Untersuchungsergebnisses im Zusammenhalt mit
der Aktenlage unter Zugrundelegung des Standes der wissenschaftlichen
Erkenntnis und der allgemeinen Erfahrung. In seiner Beurteilung hat er die
berechtigten Interessen der Kriegsbeschädigten ebenso zu wahren, wie den
Staat vor den Folgen unberechtigter Forderungen von Kriegsteilnehmern
zu schützen. — Die im neuen Versorgungsgesetz vorgesehene Durchführung
der Heilbehandlung auf Kosten des Staates zur Beseitigung einer einschl. Ge¬
sundheitsstörung oder Erwerbsfähigkeitsbeeinträchtigung oder zu deren Besse¬
rung und Verhütung (auch bei Dienstbeschädigungen, welche einen Ren¬
tenbezug nicht rechtfertigen) stellen den Arzt vor eine gewaltige Aufgabe
und erfordern eine enge Vertrautheit mit den Gesetzesvorschriften. Ferner
obliegt den Aerzten die Mitarbeit bei der Berufsberatung und der sonstigen
sozialen Fürsorge für die Kriegsbeschädigten; wodurch ihm der notwendige
Einfluss auf die allgemeinen sozialen Fürsorgemassnahmen verschafft werden
kann.
Seit der Entmilitarisierung des Versorgungswesens obliegen die Entschei¬
dungen über die Anerkennung der Dienstbeschädigung und die weiteren Folge¬
massnahmen im wesentlichen den Versorgungs- und Hauptversorgungsämtern,
bei welchen ärztliche Abteilungen zur Erledigung der rein ärztlichen Ver¬
sorgungsgeschäfte eingerichtet sind. Ausserdem bestehen noch Reichskranken¬
häuser, die hauptsächlich mit der Begutachtung der Kriegsteilnehmer, welche
Versorgungsansprüche erheben, befasst sind. Die Untersuchung und Begut¬
achtung der Kriegsteilnehmer erfolgt hauptsächlich durch die Aerzte der Ver¬
sorgungsämter. Bei der Auswahl der anzustellendcn Aerzte wurde seiner¬
zeit vom Reichsarbeitsministerium einem von den im Versorgungsdienste
stehenden Aerzten gewählten paritätischen Fünferausschuss in jedem Haupt¬
versorgungsamtsbezirk Stellungnahme zur definitiven Anstellungsliste zu¬
gestanden. Neben den beamteten beschäftigt der Versorgungsdienst noch
viele auf Vertrag angestellte Aerzte. Der Kriegsbeschädigte kann für den
Fall seines Nichteinverständnisses mit der Entscheidung der Versorgungs¬
behörde. Berufung an die Militärversorgungsgerichte ergreifen, bei welchen
Vertrauensärzte als Gutachter tätig sind.
Die Heilbehandlung fällt in wenigen bestimmten Fällen (z. B. bei Hirn¬
verletzten. Steckschüssen) den Reichskrankenhäusern zu. In der Haupt¬
sache soll sie von den Ortskrankenkassen übernommen werden. Damit wird
sie Angelegenheit der Aerzteschaft überhaupt. Bei der allgemeinen sozialen
Kriegsbeschädigtenfürsorge sind besondere Fürsorgeärzte tätig, denen die
Mitwirkung bei der Berufsberatung und den sonstigen Fürsorgemassnahmen
obliegt.
Die Entlohnung der Versorgungsärzte war bis zv;r Regelung durch das
Besoldungsgesetz, bzw. (für die Vertragsärzte) durch Teiltarifvertrag eine
beschämend niedrige. Die Organisationen der Versorgungsärzte erkämpften
bessere Verhältnisse. Die beamteten Vefsorgungsärzte sind jetzt in die
Gehaltskl^sen X mit XIII eingereiht (Rcgierungsmedizinalräte bis Ministerial¬
räte.) Irrnner aber noch besteht ungerechtfertigte höhere Bewertung der ver¬
waltungstechnischen Arbeit gegenüber der wissenschaftlich-ärztlichen Qut-
achtertätigkeit. Der Arzt kann nur dann zur vollen Bedeutung gelangen,
wenn er sich bei jeglicher Verwendung auf seine Eigenschaft als Arzt stützt.
— Ref. kommt nun auf die Schwierigkeiten der Outachtertätigkeit zu sprechen,
wie er sie bereits in einem Vortrage gezeichnet hat. Unter den Verfechtern
ungerechtfertigter Forderungen befinden sich leider auch Aerzte (Unkenntnis
der Aktenlage!). Die Aerzteschaft soll die Abgabe leichtfertiger gutachtlicher
Aeusserungen zu Händen von Privatpersonen als den Interessen des ärztlichen
Standes zuwiderlaufend mit den ihr zu Gebote stehenden Rechtsmitteln unter¬
binden. Im Berufungsverfahren kommt es nicht selten vor, dass das ab¬
weichende Urteil des Richters auf eine von früheren fachärztlichen Gutachten
abweichende Stellungnahme eines Vertrauensarztes gestützt wird, obwohl
die.ser selbst gar keine besondere Ausbildung oder Erfahrung auf dem in
Frage stehenden Spezialgebiet besitzt. — Der Outaphter mifss in seiner
objektiven Stellung von den Behörden gestützt und vor noch so gewaltigen
Parteieinflüssen gesichert bleiben.
Die privatärztliche Tätigkeit ist den Versorgungsä'’zten — soweit sie
dazu Zeit haben — gestattet. Das ist notwendig, damit sie nicht in Ein¬
seitigkeit verknöchern und verkümmern. Die Kassenpraxis soll, so wün-
.schenswert dies im Interesse der Jungen ist, nur dann den Versorgungs¬
ärzten untersagt sein, wenn sie auch den sonstigen beamteten Aerzten ver¬
boten ist. Die Konsiliarpraxis muss allen beamteten Aerzten frei bleiben. —
Was den Achtstundenarbeitstag anlangt, so ist er recht bei einem BOrodienst:
bei angestrengter Qutachtertätigkeit, die eine hochgradige Daueranspannung
unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit und aller Kenntnisse erfordert, ist er
nicht angängig. Die im Versorgungsdienst stehenden Aerzte müssen das
Vertrauen der Allgemeinheit erwerben. Vordringlich erscheint der weitere
Ausbau der Reichskrankenhäuser (Beobachtungsabteilungen unter Leitung von
Fachärzten), rege wissenschaftliche Beziehungen mit anderen ärztlichen
Instituten, Ausstattung mit den besten Mitteln der Technik (etatsmässige An-
*) Die Ausführungen Dr. K a s 11 s, deren unzutreffende Wiedergabe in
unserem Bericht nicht bestritten wird, sind nicht von der Schriftleitung,
sondern von Mitgliedern, die uns berichteten, missverstanden worden. Herr
Dr. Kastl muss sich also wohl undeutlich ausgedrückt haben, Haupt¬
sache ist aber, dass Herr K. diese Auffassung seiner Worte ausdriickl’rh
zurückweist, dass er also von einer Erneuerung des Streites in der
Aerzteschaft nichts wissen will. In diesem Sinne begrüssen wir die obige
Erklärung. Schrftl.
Stellung von Röntgenologen, pathologischen Anatomen). Die Stellung der
leitenden Aerzte dieser Krankenhäuser muss eine unabhängigere werden als
sie jetzt ist. Von der früheren militärischen Organisation noch verbliebene,
.nicht angepasste Unterordnung muss beseitigt werden (Ueberprüfung fach¬
ärztlicher Gutachten durch Nichtfachärzte). Die Beobachtungsabteilungen
sind die gegebenen Stätten für Ausbildung und Fortbildung der Aerzte im
Versorgungsdienste — und auch der bei den Versorgungsgerichten tätigen
Amtspersonen. Engeres Zusammenarbeiten der im Versorgungsdienst stehen¬
den mit den bei der sozialen Fürsorge tätigen Aerzten muss in die Wege
geleitet werden, damit möglichst jeder Kriegsbeschädigte wieder als brauch¬
bares Glied in die Kette der Arbeitstütigen eingeführt wird.
Eingehendere Durchsprache in späterer Versammlung wird Vorbehalten.
Angenommen wird bei der sehr vorgerückten Zeit noch ein Antrag Scholl:
Der ärztliche Bezirksverein München-Stadt schliesst sich dem Beschlüsse des
Aerztl. Bezirksvereins Nürnberg an, der lautet:
Der ärztliche Bezirksverein steht auf dem Standpunkt des vom Landes-
•iusschu^s geschlossenen .Mantelvertrages und bittet den Land^sausschuss, die
Wünsche der beamteten Vertrauensärzte eingehend zu prüfen und nach Mög¬
lichkeit zu berücksichtigen. Freudenberger.
Kommission für soziale Hygiene des AerztHchen Bezirks¬
vereins München.
In einem am 7. d. M. gehaltenen Referat über Einfluss des Berufes
auf die Kfirperentwlcklung, Leibesübungen als Ausgleich führte Prof. K a u p
aus, dass zur Beantwortung der Fragen, ob eine körperliche Berufsauslese
vorhanden sei, ob die erste Berufstätigkeit Spuren in der körperlichen Ent¬
wicklung hinterlasse und ob Leibesübungen genügen, um eine ev. ungünstige
Wirkung dieser Tätigkeit auszugleichen, einwandfreie Feststellung der
Körpermasse notwendig seien, auf Grund deren die Beurteilung zu erfolgen
habe. Zu diesem Behufe wurden in München kurz vor Ausbruch des
Krieges Massenuntersuchungen gemacht, welche abweichend von den bis¬
herigen Messungen der Schulärzte das Alter genügend berücksichtigten und
soziale Auslese vermieden und so sichere Masse gewannen. Aus anderen
Gegenden veröffentlichte Befunde zeigen kleine .Abw’eichungen, die durch die
Verschiedenheiten der Volksstämme zu erklären sind.
, Bei einem geringen Teile (25 Proz.) weniger Berufe (Metzger u. ä.)
war eine Auslese ersichtlich, meistens erfolgte die Berufswahl unter dem
Einfluss anderer Bedingungen. Ein wesentliches Ergebnis war die Er¬
kenntnis, dass die Beurteilung der Konstitution hauptsächlich unter
Berücksichtigung der Breitenentwicklung, also des Brustum¬
fangs zu erfolgen habe, dass demnach die üblichen Indizes alle nicht
ausreichend sind, am ehesten noch der Erismanns. Es ergab sich ferner,
dass der in diesem .Alter noch sozusagen plastische Körper der Jugend¬
lichen dem Einflüsse der Berufstätigkeit in weitgehendem Masse unterliegt.
Während bei Kaufleuten. Schneidern u. ä. das Wachstum der Länge, bei
Bäckern u. ä. das der Breite begünstigt wird, zeigen Schmiede und Metzger
eine allgemein gute Entwicklung.
Es ergab sich, dass Leibesübungen nicht imstande waren,
solche die Entwicklung einseitig, also ungünstig beeinflussenden Wirkungen
der Berufstätigkeit in nennenswertem Masse auszugleichen. Hinzu kommen
müsste entsprechend ausgewählte antagonistische
Werksarbeit, für welche die zwei freien Tagesstunden und ausser¬
dem ein mindestens vierwöchiger Urlaub zu verwenden wären.
Wie England und Amerika müssten auch yir das Pubertätsalter schonen,
nicht, wie bisher überanstrengen. Berufserziehung und körperliche Er¬
ziehung müssen in Einklang gebracht werden. Die Kosten- würden sich
voraussichtlich durch den zu erwartenden Ertrag der Schülerarbeit nicht
unwesentlich vermindern. Von gutem erzieherischem Einfluss würde auch
eine Beschränkung der Freiheit der Jugendlichen sein, die weniger auf die
Strasse und mehr in die Familie oder in öffentliche Zucht gehören. Ob und
inwieweit das geplante Arbeitsdienstpflichtjahr im Sinne dieser
Bestrebungen verwertbar wäre, muss umsomehr dahingestellt bleiben, als
noch wenig Aussicht auf seine Einführung vorhanden zu sein scheint.
Aus der sehr angeregten Debatte, die ^besonders den Wert und die
Notwendigkeit der schon im Kindesalter, in der Schulzeit zu übenden Pro¬
phylaxe und ärztlicher Berufsberatung (Scholl) betonte,
ist noch der Vorschlag Epsteins zu erwähnen, Werkstätten auf
dem Lande zu errichten und die Arbeitsbedingungen für die Schwachen
günstiger zu gestalten. Alexander.
Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg
und seine Krankenkassenabteilung.
263. ordentliche Mitgliederversammlung vom 28. De¬
zember 1920.
Vorsitzender ; Herr S t a u d e r.
Herr Steinheimer macht die Mitteilung, dass rückwirkend vom
1. Juli von der Landesversicherungsanstalt Mittelfranken alle Invaliditätsgut-
achten und Heilverfahrensgutacliten in Tuberkulosefällen mit 15 JV\.. alle
sonstigen Heilverfahrensgutachten mit 12 M. honoriert werden, dass sich
aber die Anstalt vorbehält, in Heilverfahrenssachen ev. die nötigen Unter¬
lagen selbst beizubringen. Der Geschäftsausschuss gibt den Kollegen den
Rat. in Heilverfahrenssachen sich die Gutachten vom Patienten vorschuss¬
weise bezahlen zu lassen und ev. das Honorar wieder zurückzubezahlen.
Die Vereinigung der Nürnberger Bahnärzte tritt als Unterabteilung dem
ärztlichen Bezirksverein bei. Der Vertrauensmann der Vereinigung wird
dadurch Mitglied des Geschäftsausschusses.
Herr Steinheimer berichtet über die 17. ordentliche Hauptver¬
sammlung des Leipziger Verbandes.
Herr Steinheimer macht Mitteilung über die Erhöhung der
Honorare bei den Familienkrankenkassen, bei der Kriegsfürsorge, bei der
Armenpflege und bei der Stadtkasse.
Herr Steinheimer berichtet über das Resultat der Abrechnung
über das 3. Viertellahr 1920. die aus äusseren Gründen später als festgesetzt
war, fertiggestellt werden konnte. Die Einzelleistung erreicht nicht die im
Schiedsspruch vom 2. Juni 1920 vorgesehene Höhe bei der Einzelbezahlung.
Digitized by Govi
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
28. Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
123
Aussprache über die Mittel, wie in Zukunft eine derartige relativ liiedrige
Bezahlung der Einzelleistung verhütet werden könnte.
Ffir die Arzneiprüfungsstclle wird die Summe ’ '>n 1000 M. genehmigt.
Für die Nürnberger Kinderhilfe wird die Summe von 3000 M. aus der
Kasse des ärztlichen Bezirksvereins, ausserdem je 10 M. aus den Kassen¬
einnahmen der Kassenärzte gestiftet. Ferner werden die einzelnen Kollegen
ersucht, noch einen besonderen Beitrag zu stiften.
Drei ordentliche und ein ausserordentliches Mitglied werden in den
Verein aufgenommen.
264. ausserordentliche Mitgliederversammlung vom
17. Januar 1921.
Vorsitzender; Herr S t a u d e r, später Herr B u 11 e r s.
Tasesordnung.
Antrag von 41 Mitgliedern des Vereins, die Frage der Beteiligung der
beamteten Aerzte überhaupt, insbesondere aber der Versorgungsärzte, an der
Kassenpraxis vor dem Plenum zu besprechen und eine Stellungnahme der¬
selben herbeizuführen.
Die Sitzung verlief teilweise sehr erregt. Die beamteten Aerzte beim
Versorgungswesen (Referent Herr S a n d n e r, Herr Q ü c k e 1 u. a.) er¬
klärten. die Bestimmung des Landesarztvörtrages, nach welcher die Ver-
.sorguugsärzte nur Konsiliarpraxis ausüben dürfen, verstosse gegen die
Satzungen des Bezirksvereins und sei ungerecht. Die Lage der beamteten
Aerzte beim Versorgungswesen sei eine sehr missliche, die Bezahlung eine
sehr geringe und vorerst bestehe für die Regierungsmedizinalräte keine Mög¬
lichkeit, aus der Besoldungsgruppe X aufzurücken. Die betreffenden Herren
könnten sich noch nicht entscheiden, ob sie die Stellen definitiv annehmen
oder kündigen sollen, weil überhaupt noch nicht feststehe, welches Qehalt
sie erhalten würden. Die Frage der Teilnahme der Kassenpraxis könne
nicht für die Yersorgungsärzte allein, sondern müsse für alle beamteten
Aerzte entschieden werden und zwar für das ganze deutsche Reich. Auch
die Versorgungsärzte dürfen der Praxis nicht entfremdet werden. Vom
Reichsarbeitsminister sei die Ausübung der Kassenpraxis nicht verboten wor¬
den und nur dem Reichsarbeitsminister stehe ein derartiges Verbot zu.
Wenn das Verbot von seiten der Aerzte angeregt worden sei, so sei das
ein Schlag ins Gesicht der freien Arztwahl. Die Bestimmung im Landes¬
arztvertrag (Mantelvertrag) ist rechtlich unhaltbar; die Frage der Ueber-
produktion von Aerzten müsse von den Aerzten gelöst werden, aber für
das ganze Land.
Von seiten der Vorstandschaft (Herr Stander und Herr Mainzer)
und aus dem Plenum wurde auf die Vorwürfe erwidert. Der Landesausschuss
nat das Recht, mit den Krankenkassenverbänden eine derartige Bestimmung
zu verabreden und diese Bestimmung verstosse nicht gegen die Satzungen
des Bezirksvereins, zumal in der Geschäftsordnung unserer Krankenkassen¬
abteilung festgelegt ist, dass die Mitglieder an allen Verträgen teilnehmen
dürien, soweit die Verträge für alle Mitglieder geschlossen sind. Die Be¬
stimmung kann nur mit Zustimmung beider Parteien abgeändert werden und
in dem Falle würde wohl auch die Gegenpartei ihre Forderung stellen. Die
Versorgungsärzte mussten bei Annahme ihrer Stellen annehmen, dass sie
Kassenpraxis nicht ausübeii dürfen und mehrere Herren haben sich deshalb
nicht um die Stelle beworben, weil ihnen gesagt worden war, dass sie
keine Kassenpraxis ausüben dürfen. Bei Vergebung der Stellen wurde der
Bezirksverein bewusst ausgcschaltet. Die Versorgungsärzte konnten über
die Absicht, sie aus der Kassenpraxis auszuschalten, stets auf dem Laufen¬
den sein, wenn ihr Vertreter den Sitzungen des Geschäftsausschusses regel¬
mässig beigewohnt hätte. Die Bestimmung wurde auf Grund und in Verfol¬
gung der Beschlüsse des Eisenacher und des bayerischen Aerztetages auf
Grund der Anregung des Leipziger Verbandes wegen der Notwendigkeit der
ärztlichen Planwirtschaft getroffen. Wenn die Herren 8 Stunden Dienst haben,
können sie nicht vollwertige Kassenärzte sein. Es ist zuzugestehen, dass
die Herren schlecht bezahlt sind, aber die Aerzte müssen in der jetzigen Zeit
alle Opfer bringen und die beamteten* Aerzte haben wenigstens durch die
Pensionsberechtigung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit, für das Alter und
für die Familie gesorgt. Es ist ein Irrtum, wenn erklärt wird, die Aerzte
würden durch die Bestimmung auo der Praxis ausgeschaltet, da die Privat¬
praxis und die Mitglieder der Familienkrankenkassen von den beamteten
Aerzten in Behandlung genommen werden dürfen. Es sei richtig, dass dis Ver¬
bot der Kassenpraxis auf alle beamteten Aerzte mit Pensionsberechtigung
ausgedehnt werden sollte, aber es sei auch berechtigt, bei der jüngsten
Kategorie anzufangen. Der Versuch einer Regelung über das ganze Reich
würde eine Verschiebung ad calendas graecas bedeuten. Es sei auch frag¬
lich. ob es zu billigen ist, wenn beamtete Aerzte in die Lage kommen
sollten, ihre eigenen Patienten selbst zu begutachten.
Schliesslich wird folgender Antrag angenommen: ,
„1. Der ärztliche Bezirksverein spricht Herrn Dr. Stander sein
Vertrauen aus, (Einstimmig!)
2. Der ärztliche Bezirksverein steht auf dem Boden des vom
Landesausschuss beschlossenen Mantelvertrages und bittet den Landes-
ausschuss. die Wünsche der beamteten Aerzte eingehend zu prüfen und
nach Möglichkeit zu berücksichtigen.“
Kleine Mitteilungen.
Zur bayerlscheo Aerzteordnung.
Von Dr. H. K e r s c h e n s t e 1 n' r.
Di« bayerische Aerzteordnung ist nun in Kraft getreten. Die Ver-
handlunsen und Beratungen haben den Gang genommen, der vom Nürn¬
berger Aerztetag vorgeschrieben worden ist und Dank der fleissigen Arbeit
der Bczirksvcrcine un^ der Kommissionen gelang es, die Termine pünktlich
einzuhalten. Dass das fertige Werk manche Schönheitsfehler zeigen muss,
ist klar, waren doch manchmal Kompromisse zwischen verschiedenen, ab¬
weichenden Ansichten nötig, ist doch vielfach der Charakter des Provisori¬
schen und des Experimentes unvermeidlich. Die einsetzende Kritik wolle
aber stets beachten, dass das fertige Werk ohne Zweifel dem Willen der
sehr grossen Majorität der bayerischen Aerzteschaft sehr genau entspricht,
wie das Studium der eingelaufenen Bezirksvereinsanträge erkennen lassen
würde. Der provisorische Charakter des Werkes ist unvermeidbar dadurch
Digitizedby Goiisle
gegeben, dass es nicht in unserer Macht steht, die alte staatliche Aerzte¬
ordnung aufzuheben, wie sehr viele wünschten, dass es ebensowenig in
unserer Macht steht, eine neue staatliche Aerzteordnung ins Werk zu setzen.
Eben weil die Schaffung einer solchen noch in weiter Ferne liegt und wir
einen Ausbau unserer Aerzteordnung absolut brauchten, wenn nicht durch
den Staat so ohne den Staat, mussten wir etwas Eigenes schaffen. So erklärt
sich de«* Charakter des Flickwerkes. Aber besser ein angestückter Rock,
als ein zu kurzer. Auch für die nicht sehr zahlreichen Aerzte, welche
das Heil nur in einer neuen staatlichen Aerzteordnung sehen und denen
vor ihrem eigenen Mut Angst wird, muss die neugeschaffene Ordnung die
grosse Bedeutung haben, dass sie dem Staate für die Errichtung einer
neuen staatlichen Aerzteordnung unverkennbar Richtung und Ziel weist. Der
Gedanke Bergeats, in einzelnen Punkten, wie z. B. Einberufungsrecht
der freien Aerztekammern, staatliche Genehmigung zu erhalten und dadurch
das Nebeneinanderbestehen von zweierlei Aerztekammern zu vermeiden,
dürfte deshalb hinfällig sein, weil die Regierung sich kaum entschliessen
wird, ein einzelnes Stückchen aus der kommenden Aerzteordnung, die ja
geplant ist, vorzeitig hcrauszugreifen.
Als Wortführer der Kritiker der Aerzteordnung ist B e r g e a t hervor¬
getreten. Da er weitaus am sorgfältigsten die ganze Materie studiert hat
und einer der besten Kenner der Standesverhältnisse ist, verdienen seine
Einwände Beachtung. Auch hat er das, was wirklich beanstandet werden
kann, wohl erschöpfend gebracht. Zum Verständnis der Aerzteordnung und
um den Kollegen die Freude an diesem Werk zu bewahren, das ohne Zweifel
eine ganz wesentliche Fortschrittsetappe im Standesleben bedeutet, mag mit
einigen Worten auf Bergeats Kritik eingegangen sein.
Wohl am wenigsten tragisch wird die Aerzteschaft die Klage nehm^,
dass der Entwurf ohne juristische Mithilfe gemacht worden ist und deshalb
den Stempel des Dilettantismus trägt. Gerne hätten wir den Entwurf
juristisch vollkommener gestaltet. Das wäre aber nur gegangen im Ein¬
vernehmen mit der Staatsregierung, die uns die erratischen Blöcke der alten
Standesordnung beseitigt hätte, welche wir nicht beseitigen konnten. Das
hätte uns aber zu lange gedauert und so mussten wir den Entwurf juristisch
gesprochen dilettantisch gestalten. Juristischer Rat wurde schon eingeholt,
wir mussten uns aber darauf beschränken, den Entwurf so zu gestalten,
dass er rechtlich zulässig ist und vom Staate nicht zu beanstanden ist. ■ Das
ist der Fall. Juristisch schön wird er erst später werden, wenn der Staat
sich für unsere Standesordnung interessiert.
Den grossen Schönheitsfehler sieht B e r g e a t vor allem in dem Neben¬
einander der alten staatlichen Kreisärztekammern und der neuen freien
K r e i s 0 r R a n i s a t i 0 n e n, für die am Aerztetag von Mainzer der
Name „Kreisausschüsse“ vorgeschlagen worden war. Dass dieser Name
nach Wunsch der Majorität dem Namen „Kreiskammern“ Platz machen
musste, der immer zu Missverständnissen führt, bedauert auch der Referent.
Selbstverständlich darf man sich bei dem jetzigen Zustand nicht vorstellen,
dass 17 Aerztekammern in Bayern tagen, wie Bergeat es darstellt. Man
darf annchmen, dass die alten staatlichen Aerztekammern ruhen, bis durch
den Staat die endgültige Verschmelzung der beiden Organisationen kommt.
Konflikte kämen nur, wenn die Regierung ihre bisherige wohlwollende Hal¬
tung aufgäbe, was Gott sei Dank nicht zu befürchten ist. Immerhin scheiiit
es aber nicht am Platze, durch den Ruf nach der Regierung, den B e r g e a
ausstösst, ein mögliche, wenn auch nicht wahrscheinliche Komplikation der
Verhältnisse hervorzurufen. Die Regierung kann eine solche durchaus nicht
wünschen, da ja auch für sie unsere neue Ordnung, vor allem die Schaffung
der Landesärztekammer etwas durchaus vorteilhaftes und den Verkehr mit
der Aerzteschaft erleichterndes bedeutet. Auch gegen unsere anderen Neue¬
rungen kann der Staat nichts haben; entsprechen sie ja fast ganz seinen
eigenen Projekten (Standesordnungsentwurf vom Jahre 1913). Aber rein
formal juristische Bedenken mögen da und dort konstruiert werden können.
Hier heisst es für uns: Quieta non movere.
Viel ernster als der höchst unwahrscheinliche Konflikt der beiden Aerzte-
kammerkategorien, der bei einiger Vernunft der Aerzteschaft ganz unmöglich
ist, ist der Einwand, dass die neue Organisation mit ihren wenn nicht sieb¬
zehn, .so doch neun Aerztekammern, recht kostspielig sein wird. Das war
auch der Grund, der den Referenten in den Kommissionsverhandlungen wie
in seinem Referat am Aerztetag 1920 auf der Seite*B e r g e a t s finden Hess.
Die Möglichkeit zu sparen ist aber den Bezirksvereinen dadurch gegeben,
dass nunmehr Mandatsübertragung statthaft ist. Es kann ein Herr eine
ganze Reihe von Vereinen vertreten und da prinzipielle Fragen wohl nicht
mehr in den Kreiskammern werden entschieden werden, wird so mancher
Verein sich die hohen Delegationskosten sparen können. Da die aller¬
meisten Kollegen, die sämtlichen Kreise mit Ausnahme von Oberbayern, sehr
an den Kreisvertretungen hängen, ist es auch für uns Oberbayern eine
selbstverständliche Pflicht, diesen Punkt der Aerzteordnung hinzunehmen
und unser Möglichstes zu tun, dass die von Bergeat gefürchteten Kon¬
flikte, die wie gesagt, theoretisch möglich, praktisch äusserst schwierig zu
erzeugen sind, nicht zur Wirklichkeit werden.
Die Rechte des Landesausschusses sind, wie Bergeat mit Befriedi¬
gung hervorhebt, in der endgültigen Fassung im Gegensatz zum Entwürfe
wieder beschnitten worden. Hier war der Aerztetag 1920 in seinen Be¬
schlüssen entschieden zu weit gegangen und die Mehrzahl der Vereine hat
hier Aenderung verlangt. Vielleicht ist man, wie Bergeat meint, zu
weit gegangen, indem man das Wahlrecht zum Landesausschuss fast ganz
in die Kreiskammern verlegt hat Ob in dieser nicht sehr wichtigen Frage
das Richtige getroffen ist, wird die Zukunft entscheiden. Es entspricht
diese Bestimmung der Tendenz, die Bedeutung der Kreiskammern zu
stärken. Sie wäre im Falle der Nichtbewährung später unschwer zu ändern.
Wenig wichtig erscheint der Wunsch, Anstellungsverhältnisse und
Dienstvertrag des Landessekretärs genau festzulegen und der Genehmigung
der Landesärztekammer zu unterwerfen. Man glaubte für solche Einzel¬
heiten sei nicht die Aerztekammer da. sondern die Vorstandschaft.
Prinzipiell scheiden sich die Geister in der Frage des Zwangs-
beitrittes. Ohne Zweifel hat Bergeat Recht, wenn er die Bestim¬
mung des korporativen Beitrittes der Kassenvereine zu den Bezirksvereinen
einen verschleierten Zwangsbeitritt nennt. Ebenso besteht kein Zweifel,
dass diese Bestimmung dem festen Wunsch und Willen fast der ganzen
Aerzteschaft entspricht, dass sie daher in die Aerzteordnung hinein muss und
kein Wort weiter darüber zu verlieren ist. Der Einwand, dass sie nicht
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
124
MUENCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT.
Nr. 4
zulässig sei, weil dadurch die Bezirksvereine, die doch nach wie vor
als Glieder der alten staatlichen Standesordnung angesehen werden mflssen,
ihres Charakters entkleidet werden, dass die Bestimmung daher mit der
bestehenden staatlichen Ordnung unverträglich ist, trifft nicht zu. Unzu¬
lässig ist bekanntlich nur eine Statutenänderung der Bezirksvereine ohne
staatliche Genehmigung. Die Statuten der Bezirksvereine werden aber in
keiner Weise geändert, sondern nur die Statuten der kassenärztlichen
Vereine. Um diese, um die ganzen Verhandlungen zwischen Kassen und
Aerzteorganisation kümmert sich der Staat nicht. Zuzugeben ist nur, dass in
Einzelfällen gelegentlich Schwierigkeiten kommen könnten. So in dem öfters
zitierten, berühmten Falle von dem in Konkurs geratenen Arzte. Der Fall
ist nicht gerade häutig, auch muss ein solcher Arzt nicht aus dem Be¬
zirksverein ausgeschlossen werden, sondern er kann nur. Immerhin hat
man, um in diesen und ähnlichen Fällen ein Hintertürchen zu öffnen, sich
entschlossen auf den Zwang zum Beitritt des Einzelmitgliedes in ausdrück¬
licher Form zu verzichten. In Absatz II3 wurde der Satz gestrichen*
Kassenärztliche Vereine haben „in ihren Satzungen eine Bestimmung ein¬
zufügen, dass alle Mitglieder zugleich Mitglieder des ärztlichen Bezirks¬
vereines sein müssen“. Geblieben ist. dass sie „unbeschadet ihrer Rechts¬
fähigkeit als eingetragene Vereine als Unterabteilungen den ärztlichen Be¬
zirksvereinen beizutreten“ haben.
Unsere neue Standesordnung erinnert an den Zustand. 4n dem sich
während des Mittelalters der Titusbogen auf dem römischen Forum befand:
auf dem schönen alten Prachtportal hatten die Colonnas eine starke trotzige
Festung aufgebaut. So haben Wir auf unserer schönen alten Standesordnung
— schön aber unpraktisch — eine feste Burg uufgebaut — unschön aber
praktisch. Möge sie nur allen Feinden trotzen und unserem bedrohten
Stande in diesen Sturmzeiten ein festes Dach bieten! Wenn die Zeiten
ruhiger sind, dann wollen wir uns einen Architekten kommen lassen, der
uns ein* stilvolles Gebäude errichten soll. Aber jetzt müssen wir uns mit
dem begnügen, was uns die Not der Zeiten zu bauen erlaubt. Die Festung
ist da. Freuen wir uns. dass wir sie haben!
Das Münchener Kind nach dem KrieKe!
Im grössten Hörsaal Münchens, im Auditorium Maximum der Universität,
wurde in drei öffentlichen Vortragsabenden von Münchener Aefzten, d. h.
vom Münchener Bezirksverein Stadt und Land, Aerztlichen Verein, Neuen
Standesverein, Münchener Gesellschaft tür Kinderheilkunde, unter Leitung
von Prof. Hecker, ein erschütterndes Bild von der Not und Gefahr, in
der das Münchener Kind jetzt, zwei Jahre nach Friedensschluss steht, ge¬
zeichnet. Das Kind ist in Gefahr! Bedroht vom vorzeitigen Tode, Er¬
krankung, Unreinlichkeit und sittlicher und geistiger Verwahrlosung!
Die teuflische Hungerblockade, in der Deutschland jahrelang durch unsere
„kulturell hochstehenden“ Feinde gehalten wurde. Ist die Hauptursache all
dieser Not, in der sich jetzt unsere Kinder, d. h. also die Zukunft Deutsch¬
lands. befinden. Gerade, wenn von München aus in leidenschaftsloser,
wissenschaftlicher Weise dies nachgewiesen wird, wie es hier geschehen ist,
so ist dies bedeutungsvoller wie alles Klagen, denn München ist eine Stadt
in gesundem Klima ohne besondere Industrie, mit guter Lebensmittelver¬
sorgung, eigentlich inmitten einer landwirtschaftlichen Umgebung, mit gün¬
stigen Zufahrtsbedingungen. Wenn in einer solchen Stadt die Sterblichkeit
an Tuberkulose so zugenommen hat, wie es uns einwandfrei nachgewiesen
wurde, wenn ein so beispielloser Mangel an Wäsche, Kleidern. Schuhen
und Betten besteht usw., wie muss es da erst in weniger begünstigten
Städten Deutschlands, in den Industriegegenden, aussehen? Es ist sehr
begrüssenswert und den Aerzten, die dies veranstaltet haben, nicht genug
zu danken, dass die Wahrheit, die die Welt, eingeschlossen das deutsche
Volk, immer noch nicht begreifen will oder kann, in so ruhiger, sachlicher
Weise verkündet worden ist. Es ist Zeit, dass die Welt anfängt, sich zu
schämen einer Tat, nämlich der Hungerblockade, die die Gesundheit eines
ganzen Volkes nicht nur für Jahrzehnte, sondern vielleicht für Jahrhunderte
untergraben hat. Diese Tat richtete sich ja nicht gegen die Kämpfenden,
sondern gerade gegen die Kinder und Frauen und Kranken. Protestlos haben
die Neutralen zugesehen, wie ein Volk von 100 Millionen erbarmungslos ver¬
hungern und verelenden sollte. Die Folgen sind jetzt allzu deutlich und wir
können sagen, das Einzige, was Deutschland noch zusammenhält, ist die
wirtschaftliche Not.
Die Vorträge bezogen sich auf die Einwirkungen der Wohnungsnot auf
die Bevölkerung und auf die heranwachsende Jugend, auf die Wachstums-
verhältnise der männlichen Jugend durch die Kriegsnot, auf das ganze
Jugendalter, vom Säugling über Kleinkind, Schulkind zum Fortbildungsschüler,
auf das gesunde und kranke Kind, und sie gaben in ihrer Formvollendung und
Ausarbeitung ein Bild, das jedem Zuhörer unvergesslich bleiben wird. Der
medizinische Teil fand seine Abrundung und Ergänzung in Ausführungen von
Pädagogen, Fürsorge- und Jugendschutzpflegern. Die Vorträge sind in der
allgemeinen Münchner Presse ausführlich erörtert worden, so dass ein näheres
Eingehen an diesem Platze nicht notwendig erscheint.
Deutschlands Volk muss lernen, dass es vom Ausland gar nichts zu
erwarten hat und jeder weitere Appell an das Ausland muss von uns abge¬
lehnt werden. Wenn Deutschland will, dass seine Kinder, seine kommende
Generation wieder einigermassen gesund heranwächst, so muss das Ver-
antwortlichkeitsgefOhl und das Verantwortlichkeitsbewusstsein in jedem ein¬
zelnen Volksgenossen geweckt werden, denn dieser Staat kann nicht helfen.
Die ausserordentlich zahlreich erschienenen Zuhörer aus allen Schichten
der Bevölkerung zeigten durch ihre rege, fast leidenschaftliche Anteilnahme,
dass an ihnen der Zweck der Vorträge — das Volk an seiner Zukunft und
seiner Existenz zu interessieren — nicht spurlos vorübergegangen ist.
Rossbach.
Einen Teil des Programms dieser Tagung bildete die Sitzung des Aerzt¬
lichen Vereins München am 12. Januar. Wir lassen den Bericht über diese
unter dem Vorsitz Prof. v. Zumbuschs abgehaltene Sitzung hier folgen:
Herr K. £. Ranke: Die Tuberkulosesterbllchkelt In München und
Bayern vor, während und nach dem Kriege.
In einleitenden Ausführungen werden die Fehlerquellen der Sterblich¬
keitszahlen, auf die sich die Darstellung stützen muss, besprochen, vor
allem die Unmöglichkeit, den Altersaufbau für die Kriegsjahre, abgesehen
von den Zählungsjahren 1916 und 1919, richtig abzuschätzen. Die letzte
Volkszählung vor dem Kriege war 1910. Auch der Altersaufbau der Jahre
1913 und 1914 kann deshalb nur geschätzt werden. — Dem allgemeinen äut-
lichen Eindruck nach ist während des Krieges die Tuberkulose im allgc-
meinen bösartiger verlaufen und die Zahl der Ansteckungen angestiegen. Die
Ansteckungen und Erkrankungen drücken sich naturgemäss in der Sterblich¬
keitskurve nicht ohne weiteres aus. Dagegen haben die rasch tödlich ver¬
laufenden Formen, d. h. also die Tuberkulose des ersten Kindesalters und
die rasch verlaufenden Phthisen des Entwicklungsalters und des nachfolgen¬
den Jahrzehnts, wie an zahlreichen Sterblichkeitskurven nachgewiesen wird,
sehr deutlich zugenommen. Am schlimmsten steht es hier mit den Mädchen
und den jungen Frauen in der Stadt, deren Sterblichkeit an Tuberkulose
auch noch von 1916 auf 1919 stark angestiegen ist und in diesem ersten
sog. Friedensjahr sogar die durchschnittliche Sterblichkeit der Jahre 1893/95
wesentlich übersteigt. — Neben dieser Vermehrung der bösartigsten Tuber¬
kulosefälle zeigt sich auch eine sehr beträchtliche Uebersterblichkeit der
alten Leute. Sie hält auch im Jahre 1919 noch an und ist für die Stadt
gegenüber 1916 noch nicht vermindert. Eine weitere Kriegsfolge ist eine
Art von Erschöpfung der Tuberkulosesterblichkeit in den mittleren Lebens¬
altern, besonders deutlich wahrzunehmen bei den Männern. Hier hat von
1916—19 die Sterblichkeit in den vom Militärdienst mitgenommenen Alters¬
klassen in erstaunlicher Weise abgenommen. Der Krieg hat eben in diesen
Altersklassen unter den sonst gerade hier häufigen chronischen Lungentuber¬
kulosen gewaltig aufgeräumt und es wird einiger Zeit bedürfen, bis wieder
eine der Durchseuchung des Volkes entsprechende, also gewissermassen nor¬
male Zahl todesreifer Individuen sich ansammelt. — Da die Abnahme der
Sterblichkeit von 1916 auf 1919 fast ausschliesslich von dieser Erscheinung
beherrscht und hervorgerufen ist, kann von der Einleitung einer wirklichen
Abnahme der Tuberkulosesterblichkeit noch nicht gesprochen werden. Wir
stehen noch mitten in der Kriegswirkung und werden noch lange Zeit
brauchen, ehe sie sich einigermassen ausgleichen lässt. — Zum Schluss richtet
der Redner einen Appell an den Staat, unter den vollkommen geänderten Ver¬
hältnissen aus der Rolle eines passiven Zuschauers herauszutreten und vor
allem die überall notleidenden Fürsorgestellen für Lungenkranke wirksam
zu unterstützen. Auf Vorschlag von Prof. R o m b e r g wird einstimmig be¬
schlossen, diesen von der Versammlung mit lebhaftem Beifall aufgenommenen
Appell auf Beschluss des ärztlichen Vereins an die Presse zu geben.
Diskussion: Herr Oberndorfer: Auch auf dem Sektionstisch
ist eine Aenderung im Bilde der Tuberkulose gegenüber den Friedensjahren
zu beobachten. Das Bild wird heute beherrscht von der rascher verlaufenden,
geringgradig indurierenden Phthise, tuberkulöse Lungen mit starker pleuraler
Schwartenbildung und narbigen Bindegew'ebszügen in der Umgebung alter
Kavernen sind selten; auffallend ist weiter die Zunahme akuter Tuberkulosen
als Neben- und Hauptbefunde im Greisenalter; vermehrt sind ferner die
Fälle mit ausgedehntester ulzeröser Darmtuberkulose, was zum grossen Teil
wohl mit auf Rechnung der schlackenreichen Biockadenahrung zu setzen ist.
Merkwürdigerweise treten in den letzten Jahren die Fälle käsiger Pneumonien
zurück; dagegen ist wieder eine ganz auffallende Vermehrung schwerster
amyloider Degenerationen mit besonders starker Beteiligung der Leber, die
früher in München zu den grossen Seltenheiten gehörten, zu konstatieren.
Herren Epstein und v. R o m b e r g.
Herr F 1 s c h 1 e r: Lebensmittelversorgung der Kinder nach dem Kriege.
Die Betrachtung der tatsächlichen Lebensmittelversorgung der Kinder
wird an Hand einer Tabelle erörtert, welche zeigt, dass namentlich im
zweiten Lebensjahr, aber auch noch bis zu 6 Jahren, die Lebensmittelver¬
sorgung der Kinder dadurch, dass ihnen nahezu die volle Ration der Er¬
wachsenen gegeben wurde, eine günstige war und ist, ja dass man namentlich
im 2: Lebensjahre von einer starken Ueberbelieferung sprechen kann. Neben
der Erwachsenenration standen den Kindern noch die gesetzlichen Mengen
von Milch zur Verfügung, im 1. und 2. Lebensjahr 1 Liter, bis zum 4. Lebens¬
jahr % Liter, bis zum 6. Lebensjahr Liter und bis zum 13. Lebensjahr
K Liter. In den verschiedenen Jahren war die Versorgung der Kinder
selbstverständlich verschieden, so dass ungefähr zwischen 6. und 9. Lebens¬
jahr die Ration eben für den tatsächlichen Lebensmittelbedarf des Kindes
ausreichte. Die späteren Alter sind allen Schäden der Unterbelieferung
ausgesetzt.
Bis zum 2. Lebensjahre war eine besondere Versorgung der Kinder
durch grössere Gaben von Zucker und die regelmässige Verabreichung der
kohlehydrathaltigen Nährmittel, wie Griess und Haferflocken u. dergl., durch
die in München zuerst eingeführte besondere Versorgung der kleinsten
Kinder garantiert. Im Ganzen ist zu sagen, dass das Kleinkind die einzige
Kategorie der mit Lebensmittelzulagen versehenen Bewohner Deutschlands
war, bei der die Versorgung ausreichte oder sogar eine mehr als genügende
war. Diese Vorsicht in der Versorgung der Kinder hat sich insoferne
gelohnt, als die Gesundheitsverhältnisse der Kleinkinder verhältnismässig am
wenigsten von allen Kategorien der Bevölkerung gelitten haben. Schwierig¬
keiten traten aber sofort für die Ernährung des kranken Kindes und da
wieder vornehmlich für den Säugling und das Kleinkind auf, wesentlich be¬
dingt durch das zeitweise oder völlige Fehlen der Nährpräparate, wie des
Malzzuckers, der Nährsalze, der Eiweissmilch u. dergl. Daran waren teils
Mängel der Organisation, teils der Mangel an Rohstoffen schuld.
Die bisherige Milchversorgung der Städte ist heute aufs schwerste be¬
droht durch die Frage der Ablieferung der Milchkühe. Bedenkt man, dass
in Leipzig z. B. nur 64 Proz.^ (Einwohnerzahl 1914 559 000, Milchmenge 1914
150 000 Liter, Ende 1920 29 900 Liter, Notbedarf 46 780 Liter) der Milch
geliefert werden kann, die unbedingt nötig ist, um Kranke, Kinder, stillende
und hoffende Mütter zu beliefern, bedenkt man, dass diese Zahl für Karlsruhe
nur 72 Proz. beträgt, für Köln nur 58 Proz., so ist klar, wie schwer die
Bedrohung der Milchversorgung der Städte ist und speziell damit die Lage
der Säuglinge und Kleinkinder werden wird, die wesentlich dank der
bisherigen Milchversorgung noch zweckmässig versorgt werden konnten.
Es muss gefordert werden: die Aufrechterhaltung der gesamten ge¬
sundheitlichen Fürsorge, vor allen Dingen für die Kinder. Weiterhin die
Versorgung der Städte mit Milch, eine Verbilligung der Lebensmittel für
Bedürftige, weiter schärfster Kampf gegen den Wucher und endlich aus¬
gedehnte Aufklärung des Bauernstandes über die dringende Notwendigkeit
besserer Milchablieferung. (Autoref.)
Diskussion: Herr Pfaundler: Die häufigste und schwerste Ge¬
fährdung von Kindern bringen bekanntlich die Ernährungsstörungen im
1. Lebensjahr mit sich. In der diätetischen Behandlung dieser Zustände
Digitized by Google
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
2\ Januar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
125
arbeitet die Pädiatrie in Fällen, in denen Frauenmilch nicht verfügbar ist,
mit industriellen Präparaten, von denen manche als sehr bewährt und schwer
entbehrlich gelten.' Eine Anzahl dieser Präparate standen deshalb seit 1915
hinsichtlich ihrer Fabrikation und Verteilung unter dem Schutz von Reichs-,
liehörden. die für Belieferung der betreffenden Industrien mit den erforder¬
lichen Rohstoffen zweckmässig Sorge trugen. Während des Krieges funk¬
tionierte diese Organisation zumeist in befriedigender Weise: später aber
machten sich bedauerliche Störungen bemerkbar; wochen- und monatelang
waren in München w'ie anderwärts, Eiweissmilch, holländische Säuglings¬
nahrung. Malzsuppenextrakt. Nährzucker u. dgl. nicht erhältlich, weder für
Private noch für Anstalten, auch nicht in kleinen Mengen und für dringende
Pällc.
Ich habe mich wiederholt bemüht, den Ursachen solchen folgenschweren
Versagens nachzuforseben. Es stellte sich in einer Reihe von Fällen heraus,
dass auch an den Fabrikationsstätten keine Ware vorhanden war und zwar
ans verschiedenen Gründen. Manchmal fehlten die Rohstofie. Aus dem Malz,
des m die Brauereien wanderte, hätte man Malzextrakt für Säuglinge her¬
steilen können. Manchmal war der Bedarf dermassen angestiegen, dass
die Fabrikation nicht folgen konnte. Es scheint, dass da und dort Malz¬
extrakt und Rahmkonserven missbräuchlicherweise und zum Schaden der
Kinder von Erwachsenen konsumiert oder gehamstert wurden als Ersatz für
Honig oder Kaffeesahne; andere Male waren Streik oder Arbeitsuiilust
in den Betrieben Ursache der Störung. Weiter schienen auch die Fabrikanten
selbst wenig interessiert an der Aufrechterhaltung der Warenerzeugung, was
man begreifen wird, wenn sie gezwungen waren, mit Verlust zu arbeiten
und zwar deshalb, weil bis zum Eintreffen einer neuen Preisbewilligung
von der zuständigen Reichsstelle die Erzeugungspreise durch Lohnbewegungen
u. dgl. über die Verkaufspreise angestiegen waren.
In einer weiteren Reihe von Fällen ergab sich das Ueberraschende, dass
an der Fabrikationsstclle die Ware vorhanden, ja zum Teil in Masse auf
Lager w'ar. Sie konnte aber nicht an den Konsumenten gelangen und
'War wieder aus verschiedenen Gründen. Da und dort fehlte es an Ver-
sandgefässen, weil die Büchsenfabriken kein Weissblech, die Weissblech¬
fabriken kein Eisen, die Hütten kein Erz und alle mitsammen keine Kohlen
und keine arbeitswilligen Leute hatten. Andere Male hatten die Fabrikations¬
stätten keine Versanderlaubnis für\ ihre fertige Ware. Selbe ist dann und
wann nicht rechtzeitig oder gar nfcht angesprochen worden. Dies hing in
einem solchen Falle zusammen mit dem ebenso überflüssigen wie bedauer¬
lichen Zwischenhandel. Waren der vermeinten Art können nicht durch den
Apotheker direkt aus der Fabrik bezogen werden, sondern es schiebt sich
ein Dritter ein, der auch etwas profitieren will, bei den limitierten Verkaufs¬
preisen aber offenbar nicht immer genug Gewinn sah, um bei der zu¬
ständigen Behörde die Zuteilungserlaubnis rechtzeitig zu betreiben. Andere
Male war die Erlaubnis zum Versand nicht recht bewilligt Worden.
Die Reichsbehörde ging nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel vor.
über den mir nichts näheres bekannt ist, der aber nicht immer ganz zweck¬
mässig angepasst gewesen sein dürfte; denn mir kamen von verschiedener
Seite Nachrichten zu, dass die Nährmittelfabrikanten an gewisse Stellen
end Länder zu liefern aufgefordert wurden, die keinerlei Bedarf und Nach¬
trage hatten, an andere Stellen aber nicht liefern durften trotz dringenden
Verlangens von seiten der Parteien, Aerzte und Anstalten. Gewisse Malz-
eviraktfabrikate wurden nach Bayern nicht in dem erforderlichen Masse
iagelassen. vermutlich mit Rücksicht auf die verhältnismässig günstigen
indwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse hier. Diese Fabrikate aber
sollten bei richtiger Verwendung durchaus nicht als Zubussen zur Lebens-
mittelration im allgemeinen oder der Säuglinge im besonderen dienen, sondern
als Heilmittel und zwar gerade für Krankheitszustände, die mit relativ oder
absolut erheblicher Milchzüfuhr Zusammenhängen. Hier dürften also gewisse
-Missverständnisse im Spiele gewesen sein.
ln einer weiteren Reihe von Fällen war die Ware an den Verteilungs-
stcllen richtig eingetroffen, aber hier von den Parteien nicht in Anspruch
Sinoriimen worden. Auch dafür wechselten die Gründe. Der hohe Preis
.^chrcckte manche ab. Die Kreise, die heute zahlungsfähig sind, lassen es
vielfach an Verständnis mangeln und umgekehrt fehlen den Verständigen
jie Mittel. Höchst bedauerlich ist der Umstand, dass der der Münchener
>Lddtrat sich ausserstande erklärt hat, den Milchküchen die bisher be-
'äilligten bescheidenen Zuschüsse weiter zu gewähren, so dass die Nahrungs¬
abgabe an Säuglinge dort nun ganz oder zum grossen Teile eingestellt
werden muss. Manche Mütter aber hätten vielleicht die erforderlichen Mittel
wohl aufgebracht, nicht aber den erforderlichen Opferwillen. Das Interesse
in der Aufzucht von Kindern, die solchen Opferwillen, ferner F^flichtbe-
-asstsein und Verantwortlichkeitsgefühl verlangt, scheint vielfach in gleichem
Vasse wie diese Eigenschaften allgemein, erheblich zurUckgegangen.
Ich wollte diese Dinge im ärztlichen Kreise erörtert wissen, um zu
zfiSu, dass an der Not unserer Kinder nicht immer und überall nur das
Ac^nd direkte Schuld trägt und dass nicht von dieser Seite allein eine
£."ijfrreiche Abwehr zu erhoffen und zu erstreben ist. Hat sich doch gerade
c-ier unserer Besten und Grössten jüngst dahin ausgesprochen, dass das
-■ej^tsche Volk vom Bettel nicht leben wollen dürfe und dass es mit der
Ehre der Nation unvereinbar wäre, wenn wir d i e anbetteln wollten, die
ins durch ihren längst geplanten Raubanfall, durch die Hungerblockade und
ico mit teuflischer Ueberlegung ausgedachten Frieden von Versailles ins
eiend gestürzt haben. Dies ist die Ansicht Max v. G r u b e r s, trotzdem er
es für unabwendbar hält, dass 10—15 Millionen Deutsche, für die der Tisch
— wie die Verhältnisse heute liegen — nicht mehr gedeckt ist, aussterben.
bis Leben sei der Güter höchstes nicht. (Münchener medizinische Wochen-
^chrift. 4. VI. 1920.) Wenn der Arzt vielleicht in diesem Punkte durch seinen
jerui auf einen etwas anderen Standpunkt "edrängt wird, als der Hygieniker,
-• wird er sich doch darüber klar sein müssen, dass es noch andere
Adressen, als die der Entente gibt, an die wir uns zu wenden haben, dass
-iir vor eigenen Türen kehren müssen und den Hebel an vielen Stellen
.-cerhalb unserer Volksgemeinschaft ansetzen. Die Not unserer Kinder wird
.eiindert werden in dem Masse, in dem der Wiederaufbau von Moral.
Pfhehtgefühl und Arbeitslust bei uns fortschreitet, ein Aufbau, der freilich
Uhr viel mehr Zeit und Mühe beanspruchen wird, als das Niederreissen
Aus den Parlamenten.
(Preussische Landesversammlung.)
Zum ersten Male wurde in diesem Jahre (1920) der Haushaltsvoranschlag
des Ministeriums für Volkswohlfahrt beraten. Aus der um¬
fangreichen programmatischen Rede des Ministers Stegerwald ist her-
vorzuheben, dass die Volksgesundheit ein nicht mehr ganz so trostloses Bild
zeigt wie im vorigen Jahre. Die Zahl der Geburten hat zugenommen, die.
Säuglingssterblichkeit ist geringer geworden, und wir haben jetzt wieder einen
Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle. Auch die Tuberkulosesterb¬
lichkeit ist gesunken, dabei spielt allerdings das raschere Absterben der Ge¬
fährdeten in den vorhergegangenen Jahren eine Rolle. Rachitis und Skrofu¬
löse sind noch sehr stark verbreitet, und die Ernährung und Versorgung der
Kinder, besonders in der Grossstadt, liegt sehr im argen Der Minister wies
dann weiter auf die Notwendigkeit hin, die Tuberkulosegefahr im Auge zu be¬
halten, die Geschlechtskrankheiten zu bekämpfen, die Schulgesundheitspflege
auszubauen, sowie dem immer mehr um sich greifenden Missbrauch von
Opium und Kokain zu steuern. Für die Zukunft stellte er die Erledigung
weiterer Aufgaben in Aussicht, dahin gehört die Neuordnung des medizinischen
Studiums, die Umwandlung nicht vollbesoldeter Kreisarztstellen in voll¬
besoldete, die Organisation eines Landesgesundheitsrates u. a. Herr F a s s -
bender sprach den Wunsch aus. dass für den letzteren nicht nur Aerzte
sondern auch geeignete Laien herangezogeti werden, und ferner, dass eine
besondere Abteilung für Bevölkerungspolitik eingerichtet werde. Auch Herr
Schlossmann begrüsste mit besonderer Befriedigung die Errichtung des
Landesgesundheitsrates, der nach der Erklärung des Ministers spätestens am
I. April seine Tätigkeit aufnehmen soll, während gleichzeitig die wissen¬
schaftliche Deputation für das Medizinalwesen ihr Ende findet. Er wünschte
aber, dass ausdrücklich bestimmt werde, dass alle Gesetzesvorlagen über ge- '
sundheitliche Dinge, bevor sie an die Landesversammlung gehen, dem Landes¬
gesundheitsrat zur gutachtlichen Aeusserung vorgelegt werden. Der Redner
führte dann Klage über die Zurücksetzung der Aerzte bei den Amtsbezeich¬
nungen; der Richter soll Amtsgerichtsrat, der Oberlehrer Studienrat genannt
werden, obwohl sie zu richten und zu lehren, aber nicht zu raten haben, und
für den Kreisarzt, der der Behörde mit seinem Rat zur Seite stehen soll, ist
diese Bezeichnung nicht vorhanden. Wir wären vollkommen einverstanden,
wenn alle Titel abgeschafft würden; geschieht dies aber nicht, so sollen sie
nicht gerade den Kreisärzten vorenthalten werden. Herr Schlossmann
wandte sich dann der Frage der Sozialisierung des Aerztestandes zu, die
er ablehnt, weil — im Gegensatz zu den Hebammen — die Aerzteschaft
selbst sie ablehnt und weil der erstrebte Zweck durch den Ausbau der Ver¬
sicherungsgesetze ebenso gut erreicht werde. Eine sehr wichtige Frage ist
die Beschränkung des Zudranges zum ärztlichen Studium. Zu ihrer Lösuhg
gebe es zwei Wege: die, wenigstens vorübergehende, Einführung des nuraerus
clausus für die Zulassung zum medizinischen Studium und eine viel bessere
und gründlichere Ausbildung der Aerzte (die Aerzteschaft dürfte dem letz¬
teren Weg den Vorzug geben. Ref). Zur Frage der Sozialisierung des
Heilwesens äusserte sich auch Herr W e y I mit der von seinem Standpunkt
bekannten Begründung. Er wünscht aber vor allem schleunige Einführung
der Familienversicherung, dann würden 80—90 Proz. der Bevölkerung an-
gestellten Aerzten unterstehen. M. K.
Theraneutlsche Notizen.
Eine Klassifikation des primären infektiösen Ik¬
terus versuchen Marcel G a r n i e n und J. R e i 11 y (Presse m^dicale 1920
Nr. 83) vorzunehmen und zwar auf Grund von über 1000 sorgfältig ausge¬
wählten Fällen, aus welchen die Fälle von Gallensteinkrankheit, von Neo¬
plasmen der Bauchorgane, von Pikrinsäurevergiftung und solche, die nicht
regelmässig beobachtet werden konnten, ausgeschieden wurden. Die häufigste
Form — 61,9 Proz. der Fälie — ist der akute, fieberlose Ikterus,
bei welchem sich die Gelbsucht, meist ziemlich hochgradig, ohne Allgemein¬
erscheinungen entwickelt, dann kommt die Ikterus hervorrufende
Spirochätose — 30,4 Proz. der Fälle —, welche alle Fälle von infek¬
tiösem, mit Fieber verbundenem Ikterus umfasst, das sind vor allem
jene, die früher unter dem Namen M a t h i e n sehe oder Weil sehe
Krankheit bezeichnet wurden. Weit seltenere Formen sind die 3 weiteren:
3. Ikterus, verursacht durch Typhusbazillen, 4. Infek¬
tiöser, gutartigef Ikterus unbestimmten Ursprungs und 5. Epi¬
demischer, kontagiöser Ikterus, welche Art besonders während
des Krieges im östlichen Europa beobachtet wurde. Der akute fieberlose
Ikterus hat eine Dauer von 2 —5 Wochen und unterscheidet sich von der
spirochogenen Form durch gewisse klinische Erscheinungen, wie Fehlen von
Muskelschmerzen, von Allgemeinbeschwerden u.a.m. Auf weitere Einzel¬
heiten der ziemlich genau abzugrenzenden klinischen Erscheinungen und
der differentialdiagnostischen Merkmale zwischen den einzelnen Formen kann
hier nicht eingegangen werden.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 26. Januar 1921.
— Der Landesausschuss der Aerzte Bayerns hat gemeinsclnftlich mit
der bayerischen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Volksgesundheit und
mit dem bayer. Medizinalbeamtenverein eine Eingabe an den Landtag ge¬
richtet. in der bedeutende Aufwendungenfür ZweckederVolks-
gesundheit im Staatshaushalt für das Verwaltungsjahr 1921 beantragt
werden. Es werden verlangt 1. für Mutterschafts-, Säuglings- und Klein¬
kinderfürsorge 2 050 000 M., für Schulkinderfürsorge 700 000 M., für Für¬
sorge für 14—18 jährige 700 000 M., für Krüppelfürsorge 300 000 M., zu¬
sammen für Jugendfürsorge 3 750 000 ’M.; 2. für Tuhf^rknlosebekämpfu.ig
3 500 000 M., für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 200 000 M., für
sczialhygienische Ausbildung und Fortbildung der Aerzte. Fürsorgerinnen und
Hebammen 470 000 M.; insgesamt 7 920 000 M. Diese Forderungen werden
begründet durch den Hinweis auf die Volksverluste, d’o Bayern infolge d-s
Krieges erlitten hat,, auf die noch fortbestehenden Ernährungsschwierigkeiten,
auf die Wohnungsnot, auf die Zunahme der Tuberkulose und der GeschbelUs-
krankheiten, des Nikotin- und des Alkoholmissbrauches. Durch diese werde
das Familienleben und die Kinderaufzucht erschwert, während gleichzeitig
die private Leistungsfähigkeit für Zwecke der Jugend- und Krankenfürsorge
sinke. Wenn die Wiedergesundung der Volkskraft die dringendste Aufgabe
iekostet hat. (Autoref.)
Herr P c r u t z, Herr Theilhaber.
Digitized
Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
126
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
des Staates für die nächste Zukunft sei. so müsse das durch bedeutende
Aufwendungen für den Ausbau aller sozialhygienischen Anstalten und Ein¬
richtungen. namentlich auf dem Gebiete der Jugendfürsorge, zum Ausdruck
kommen.
— Das neue preussische Hebammengesetz ist in der preussischen
Landesversammlung nicht mehr zur Erledigung gekommen. Dem neu zu
wählenden Landtage soll ein neuer Entwurf vorgelegt werden.
— Auch in Hessen-Nassau wird eine Arbeitsgemeinschaft
zwischen Aerzten und Krankenkassen geschaffen.
— Der Wohnungsmangel legt die Schaffung vielgeschossiger
Bürohäuser nach amerikanischem Muster auch in Deutschland nahe, ln
einem Erlass vom 3. ds. erklärt der preuss. Minister für Volkswohlfahrt,
dass er gegen die Errichtung solcher Hochhäuser keine grundsätzlichen Be¬
denken habe, dass jedoch wegen der schädigenden Einwirkungen, die sie
durch Lichtentziehung usw. auf die Nachbarschaft ausüben können, dann aiuA
aus Rücksichten des Verkehrs und der Erhaltung künstlerisch befriedigender
Städtebilder die Zulassung im Einzelfalle nur im Wege des Dispenses er¬
möglicht werden solle. Alle Bauentwürfe für Hochhäuser sind zunächst dem
Volkswohlfahrtsminister vorzulegen.
— Für Schweden, Norwegen und Dänemark wird die Herausgabe einer
gemeinsamen Pharmakopoe geplant.
— Infolge eines von den medizinischen Fakultäten von Rom, Bologna
und Turin ausgesprochenen Wunsches hat der italienische Minister des öffent¬
lichen Unterrichtes den pflichtmässigen Besuch der orthopädi¬
schen Klinik durch die Studierenden der Medizin angeordnet.
— Der italienische Ausschuss für den Inter rationalen
F'athologenkongress, der demnächst in Rom stattfir.den soll, hat die
französischen Kongressteilnehmer davon unterrichtet, dass auch die deutschen
Pathologen zum Kong. v S eingeladen worden sind, und hat dazu bemerkt, dass
der Ausschuss zurücktreten werde, wenn die Franzosen unter diesen Umstän¬
den die Teilnahme am Kongress ablehnen sollten. Die französischen Pathologen
haben einstimmig beschlossen, die Zusammenarbeit mit Vertretern de'
deutschen Wissenschaft abzulchnen, so lange die deutschen Mediziner nicht
öffentlich jede Solidarität mit der deutschen Regierung von 1914 und der
deutschen Heeresleitung verleugnen. Die französischen Pathologen betonen,
dass ihr Standpunkt den Entschliessungen entspricht, wie sie im Oktober 1918
in London und 1919 in Brüssel von den medizinischen Vertretern der ver¬
bündeten Mächte, darunter auch Italien, gefasst worden seie.t. (V. Z.)
— Das verstorbene ordentliche Mitglied der physikalisch-mathematischen
Klasse der preuss. Akademie der Wissenschaften, Prof. Emil Fischer, hat
d^r Akademie Ictztwillig ein Kapital von 750 000 M. als „Emil-Fischer-
Stiftung“ vermacht, dessen Ertrage dazu bestimmt sind, junge deutsche Che¬
miker zu unterstützen, die auf dem Gebiete der organischen, anorganischen
oder physikalischen Chemie wissenschaftlich arbeiten.
— Wie uns Herr Privatdozent Dr. Emil R e i s s in Frankfurt a, M.
mitteilt, hat der bekannte New-Yorker Gynäkologe Dr. Arthur Stein,
Chefarzt am Lenox Hill (früher German) Hospital, einen, aus Sammlungen
unter dortigen Aerzten stammenden, höheren Betrag zu wissenschaftlichen
Zwecken zur Verfügung gestellt. v
— Die Solutio Jodi sec. Pregl, über die in Nr, 1 d. W. aus
der psychiatrischen Klinik in Halle, dann nach Vorträgen im Verein der
Aerzte in Steiermark von Pregl, Baumgartner und Knauer be¬
richtet wurde, kann von den chemisch-pharmazeutischen Werken des Landes
Steiermark. Graz. Ricsstr. 1 , bezogen werdin. Ueber die genauere Zu¬
sammensetzung der Lösung hoffen wir demnächst weitere Mitteilung machen
zu können.
— Der Direktor des städtischen Krankenhauses in Bremen. Professor
Dr. S t 0 e V e s 0 n d t ist in den Ruhestand getreten. Sein Nachfolger ist
Prof. Dr. H e s s. bisher in Posen.
— Die nächste Tagung der Deutschen Pathologischen Ge¬
sellschaft findet am 12 .. 13. und 14. April 1921 unter dem Vorsitz von
S c h m o r 1 in Jena statt. Für den ersten Verhandlungstag ist ein Referat
über „Die Milz als Stoffwechselorgan" in Aussicht genommen. Referenten
die Herren H e 11 y und E p p i n g e r.
— Die Bonner Röntgenvereinigung veranstaltet vom 3. bis
9. März in den Universitätskliniken einen Aerztefortbildungskurs
für Röntgentherapie und Röntgendiagnostik. Zur Deckung der Unkosten
werden 100 M. erhoben. Anmeldungen an Herrn Dr. Martins, Univers.-
Frauenklinik Bonn, Theaterstr, 5.
— Der nächste Fortbildungskurs der Staatsanstalt für Kranken¬
gymnastik und Massage in Dresden findet vom 4.—30. April
statt (Prof. Dr. S m i 11 ).
— In der Schwalbe sehen Sammlung; „Diagnostische und
therapeutische Irrtümer und deren Verhütung“ hat
L edderhose - München die „Chirurgie des Thorax und der
Brustdrüse" bearbeitet (Leipzig, T h i e m e, 1920, Preis 10.40 Mark).
Besonders bedeutungsvoll sind die Abschnitte über Verletzungen der Thorax¬
wand und der Lunge, über Erkrankungen des Brustfelles, über puerperale
Mastitis, über Mammatumoren. Zahlreiche diagnostische und therapeutische
Hinweise werden dem Praktiker sehr willkommen sein. Kr.
— Die von Prof. Johannes Müller- Nürnberg herausgfegebene deutsche
Uebertragung des Buches: „Krankheitszeichen und ihre Aus¬
legung“ von James Mackenzie ist jetzt in 4, unveränderter Auflage
erschienen. Ein seltener Erfolg einer Uebersetzung. Der Preis des bei Curt
Kabitzsch in Leipzig erschienenen Buches ist 20 M., geb. 24 M.
— Pest. Frankreich. In Paris wmrden von Juni bis 15. Oktober v. J.
50 Erkrankungen (und 11 Todesfälle) an der Pest festgestellt, in den Vor¬
orten von Paris von Juni bis 2 . November v. J. 38 (19) und in Marseille
von Juni bis 31. August v. J. 58 (20).
— Cholera. Polen. Laut Mitteilung vom 2^. Dezember v. J. ist
in Obersitzko im Kreise Samter der ehemaliven Provinz Posen Cholera aus¬
gebrochen.
— Fleckfieber. Deutsches Reich. Für die Zeit vom 30. Dezember
V. J. bis 5. Januar wurden nachträglich 40 Erkrankungen aus dem Internierten¬
lager Parchim (Mecklenburg-Schwerin) mitgeteilt. — Jugoslawien. Laut
Mitteilung vom 27. Dezember v. J. ist in Agram eine nicht unbedeutende
Fleckfieberepidemie ausgebrochen.
— In der 52. Jahreswoche, vom 26. Dezember 1920 bis 1 . Januar 1921,
batten von deütschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Nr. 4.
Göttingen mit 33,0, die geringste Lehe mit 5,4 Todesfällen pro Jahr und 1000
Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Masern und Röteln
in Ludwigshafen, an Unterleibstyphus in Sterkrade. Vöff. RQA.
— In der l. Jahreswoche, vom 2. bis 8. Januar 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Essen
mit 20,1, die geringste Neukölln mit 8,2 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. ' Vöff. RQA.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Der a. o. Professor für gerichtliche Medizin Geh. Med.-Rat
Dr. Fritz Strassmann, Direktor der Unterrichtsanstalt für Staatsarznei¬
kunde, wurde zum ordentlichen Professor ernannt, (hk.) '
Giessen. Der Privatdozent für Hygiene, Prof. Dr. med. et phil. Her¬
mann Griesbach, ist zum or' -‘ü'lien Honorarprofessor ernannt uor-
den. (hk.) — Dem poliklinischen Assistenten an der chirurgischen Klinik
Dr. Otto Spech-t ist die venia legendi für Chirurgie erteilt worden, (hk.)
Greifswald: Zu ordentlichen Professoren wurden ernannt: der a. o.
Prof. Dr. Martin Nippe, Direktor des gerichtsärztlichen Instituts; der
Honorarprofessor Geh. Med.-Rat Dr. Erich P e i p e r. Direkt jr der Klinder-
klinik und Kinderpoliklinik, und der a. o. Prof. Dr. Otto Dragendorli,
Abteilungsvorsteher am anatomischen Institut, (hk.)
Jena. Auf Vorschlag der Fakultät hat die Regierung das Fach
der Zahnheilkunde in zwei einander koordinierte Lehrstühle: 1. Operative
Zahnheilkunde. 2. Orthodontie und Prothetik geteilt und als Direktor der
technischen Abteilung den Privatdoz. Dr. K 1 u g h a r d t aus Würzburg be¬
rufen. Dieser hat den Ruf angenommen.
Münster i. W. Medizinerfrequenz. Die Zahl der immatri-
kulieiten Studierenden beträgt im Wintersemester 1920/21 3862, darunter
391 Studentinnen. Ausserdem sind zum Hören der Vorlesungen berech¬
tigt 29.3, darunter 98 Frauen, so dass sich die Gesamtfrequenz an der
hiesigen Universität auf 4155 beläuft. Der medizinisch-propädeutischen Ab¬
teilung (medizinisches Studium innerhalb der ersten 5 Semester bis zur ärzt¬
lichen und zahnärztlichen Vorprüfung einschliesslich) gehören, mit Einschluss
der 247 Studierenden der Zahnheilkunde, 688 immatrikulierte Studierende an.
darunter 41 Studentinnen.
W ü r z b u r g. Den a. o. Prof. Dr. Karl Zieler. Vorstand der Poli¬
klinik für Hautkrankheiten, und Dr. Hans R i e t s c h e 1. Vorstand der Pol-
klinik für Kinderkrankheiten, w’urden Titel, Rang und Rechte eines ordent¬
lichen Professors verliehen, (hk.)
Basel. Ohne Vorschlag durch die Fakultät wurden durch die Regierung
folgende Privatdozenten zu ausserordentlichen Professoren ernannt: Burck-
h a rd t Otto (Gynäkologie), Gelpke Ludwig (Chirurgie^ Qigou Alfred
(innere Medizin), H a 11 a u e r Otto, Knapp Paul (Ophthalmologie),
M a s s i n i Rudolf (innere Medizin). W ö l f I i n Ernst (Ophthalmologie).
Todesfälle.
Der bekannte Anthropologe und Medizinalstatistiker Geh. Reg.- und
Medizinalrat Dr. Robert Behla ist in Berlin im 71. Lebensjahr gestorben.
Qeheimrat v. W a 1 d e y e r - H a r t z ist am 23. ds im Alter von
85 Jahren in Berlin gestorbep. Man betrauert in ihm den Nestor der deutschen
Anatomen und einen der glänzendsten Namen der deutschen Medizin. •Ein
Nachruf folgt.
Amtsärztlicher Dienst.
(Bayern.)
Die Bezirksarztstelle in Ebersberg ist erledigt. Bewerbungen sind bei
der Regierung, Kammer des Innern, des Wohnorts bis 5. Februar 1921 ein¬
zureichen.
Die Bezirksarztstelle in Neunburg v. W. ist erledigt. Bewerbungen sind
bei der Regierung, Kammer des Innern, des Wohnorts bis 1. Februar 1921
einzureichen.
Korrespondenz.
Zum Berliner Brief In Nr. 2 d. W.
Ihr vortrefflicher Berliner Berichterstatter gedachte in seinem letzten
Briefe in freündlicher Weise meines Planes, die 25 rein wissenscbaftlichen
Berliner ärztlichen Gesellschaften zu einer organischen Einheit zusammen¬
zufassen. Er befindet sich da aber in einem kleinen Irrtum, wenn er
meint, dieser Plan sei aufgegeben oder, wie er sagt, nicht weiter verfolgt
worden.
Es tagten im letzten Sommer die Vorsitzenden der meisten Gesell¬
schaften, um sich über die Sache einmal auszusprechen und sie setzten
eine Kommission zum weiteren Studium der Frage ein. Diese, aua Herrn
S. Alexander, J. Schwalbe und mir bestehende Kommission hat
bisher freilich nicht mehr geleistet, als dass zu meinem der Oeffentlichkeit
bekannten Entwurf .zwei weitere gekommen sind, zu deren Beratung bis
jetzt keine rechte Zeit verblieb, da der Vorstand der Berliner medizinischen
Gesellschaft mit einer grundlegenden Neubearbeitung der Satzungen ausser
recht vielen anderen Verwaltungsmassnahmen vollauf beschäftigt war. Für
mich selbst, der ich gleichsam „Verbindungsoffizier" zwischen Vorstand und
Kommission darstelle, kam noch ein parlamentarischer Grund hinzu, nicht
auf Beschleunigung der Arbeiten hinzuwirken. Die neuen Satzungen werden
vielleicht wesentliche Aenderungen in der Zusammensetzung des Vorstandes
und Ausschusses der medizinischen Gesellschaft zur Folge haben und wie
sich in der guten alten Zeit ein „sterbender Reichstag" nicht mit folgen¬
schweren Gesetzen abgeben zu dürfen glaubte — unsere heutigen Parlamente
scheinen hierin von guten Traditionen frei zu sein — so meinte ich. die
weitausschauende Vereinigungsfrage solle der künftigen Leitung der Gesell¬
schaft überlassen werden. Aber im Schosse der Aetzteschaft geht inzwischen
die Erörterung der Frage weiter, ln mehreren Standesvereinen wurde sie
und wird sie weiterhin beraten und ich lebe der bestimmten Zuversicht,
dass die Einigung kommen wird, weil sie in dieser oder jener Form wohi
kommen muss.
Und da Sparsamkeit jetzt das Zeichen unserer Zeit bedeutet, wohlver¬
standene Sparsamkeit, die nicht Knauserei, an allen Ecken, sondern best¬
mögliche .Ausnutzung der vorhandenen Zeit ünd Mittel ist, und dies alles
auch für andere Städte und Vereine gilt, so schien )mir obige Richtig¬
stellung auch von allgemeinerem Interesse. Hans K o h n.
Verlag von J. F. Lebaiana In München S.W. 2 , Paul Heyseatr. 26. — Druck von E. Mühithaler'a Budi- und Kunstdruckerei A.O.. Münctica
Digitized by Got'Sle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Prrij der einzelnen Nummer 2.— Jt. • Bezugspreis in Deutschlano
... und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
AnzdgenKhluM immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitung: Amulfstr.26 (Sprechstunden 1 Uhr),
für Bezug. Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 5. 4. Februar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das auaschlieaaliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus dem Institut für Kolloidforschung zu Frankfurt a. M.
Bau der roten Blutkörperchen und Hämolyse/)
Von Prof. Dr. H. Bechhold.
Trotzdem die roten Blutkörperchen zu den meist studierten organi¬
sierten Bestandteilen des tierischen Organismus gehören, ist man noch
weit davon entfernt, über ihren Bau ein abschliessendes Urteil fällen
M können. Und fast noch weniger ist man in der Lage, den Austritt des
ßiutiarbstoffs unter eine einheitliche Formel zu bringen, obgleich der
Hämolyse von seiten der Immunitätsforsciiung und der Pharmako¬
logie, nicht weniger wie der praktischen Klinik, ein überragendes Inter¬
esse entgegengebracht wird.
Wenn ich das Problem des Blutkörperciienbaus und der Hämolyse
von neuem in Angriff nahm, so ermutigte mich dazu die Tatsache, dass
die Kolloidforschung mir neue Methoden und neue Gesichts¬
punkte bot, welche einen Fortschritt erhoffen Hessen und dass eine An¬
zahl hervorragender Mitarbeiter, nämlich die Herren K. H a 11 o r y,
W. Kraus, S. Neuschlosz und E. Sa 16n mich dabei unter¬
stützten.
Unter dem Mikroskop zeigt der Säugetiererythrozyt (und nur mit
diesem wollen wir uns hier beschäftigen) das Bild einer homogenen
rötlichen, plastischen Scheibe mit wulstförmigem Rand. Mechanische
und chemische Einwirkungen bedingen leicht einen Austritt von Hämo¬
globin. Zurück bleiben alsdann feste, scheibenförmige Häute (Schatten,
.''tromata, Diskoplasma E h r 1 i c h s), die nur mehr nach Anfärbung dem
Auge im Mikroskop erkennbar sind. Daraus schloss man, dass der
urithrozyt einen flüssigen Inhalt fHämogiobinlösung) besitze, der von
eher festen Hülle zusammengehalten werde. Offen blieb die Frage,
ct diese Hülle eine Haut bilde, welche die Flüssigkeit wie eine Blase
fuischliesst, oder ob sie ein Gerüst sei, in dem die Hämoglobinlösung
wie in einem Schwamm aufgesaugt ist.
Seit den Forschungen Meyer und Overtons hatte sich auch die
Ueberzeugung Bahn gebrochen, dass die Hülle lipoidhaltig sein
müsse, da nur lipoidlösliche Stoffe in die Zelle einzudringen vermögen.
L'nklar blieb die Beziehung zwischen Stroma und Lipoidsubstanz.
Die Lipoidtheorie war mit einer Unstimmigkeit behaftet: sie er¬
klärte zwar den Eintritt lipoidlöslicher Substanzen, wie Farbstoffe und
Narkotika, nicht aber den Ein- und Austritt von Wasser, den wir aus
dem Schwellen und Schrumpfen von Blutkörperchen erkennen, sobald
wir sie in hypo- oder hypertonische Salzlösungen bringen. Nehmen
wir aber eine wasserquellbare Lipoidsubstanz, wie Lezithin, in der
Hülle an, so wird die Hülle damit auch für wasserlösliche Substanzen
'Zucker. Salze) durchlässig, für die sie auf Grund der osmotischen Er-
"clieinungen undurchlässig sein sollte. Dies veranlasste Nathanson*)
T der Theorie, dass die Plasmahaut eine Art Mosaik sei aus unquell-
arem lipoidem Cholesterin und einem protoplasmatischen Material
tnit den Eigenschaften einer semipermeablen Substanz. Aber auch hier¬
mit waren noch nicht die Eigenschaften erklärt, welche eine Zellhülle
ftedingt besitzen muss: sie soll, wie sich Höher*) ausdrückt, in
'me „Oberfläche Einrichtungen besitzen, um den Import und Export
drei Bedarfs- und Abfallstoffe von sich aus zu regulieren“. Also ein
den ersten Augenschein höchst komplizierter Mechanismus.
Der bisherige Stand der Ansichten über die Grenzschicht der
•Tihrozyten (geknüpft an die Namen Lepeschkin, Pascucci,
Ntufeld und Händel) ist etwa der, dass neben Lipoiden
a-ch eiweissartige Substanzen darin enthalten sein dürften. Voil-
•■ommen unklar ist, wie man sich diese Mischung von Eiweiss- und
^jpoidsubstanzen vorstellen soll, ob zwischen der Gerüstsubstanz, den
comata, und der Grenzschicht, die alle möglichen Funktionen erfüllen
irgendeine Beziehung besteht und schliesslich, wie man sich den
Mechanismus der offensichtlichsten und einfachsten Zellschädigung, der
iäiJioJyse, vorzustellen hat. Zahllose Einzelbeobachtungen liegen vor,
«j« jedoch eine Verknüpfung zu einer einheitlichen Vorstellung nicht
«statten. Ich glaube, dass die nachstehenden Darlegungen, deren ex-
Krmenteller Teil ausführlich in der Biochem. Zeitschr. erscheint, einen
'eaeu Weg weisen und manches bisher unverständliche klären werden.
Verfolgen wir die Hämolyse von Erythrozyten und ihren g ä n z -
*) Vortrag, gehalten auf der Versammlung Deutscher Naturforscher uid
^-•rrte zu Nauheim am 21. IX. 1920.
D Jb. f. wissensch. Bot. 39. 1904. S. 607. 0
*) Pbysikal. Chemie der Zelle und Gewebe 4. Aufl. S. 414.
Nr. 5.
liehen Abbau unter dem Ultramikroskop (Kardioidkon-
densor Zeiss) bei stärkster Vergrösserung (Zciss Objektiv x) und grösster
Lichtstärke (elektrische Bogenlampe), so bieten sich uns folgende Er¬
scheinungen ®):
Der unverletzte Erythrozyt erscheint (gleichgültig, ob schwebend
in der Quarzkammer oder angetrocknet am Objektträger) als optisch
homogene kreisförmige Scheibe mit helleuchtendem Rand und
schwachleuchtendem Innern. Hämolysiert man in hypotonischer Koch¬
salzlösung (0,3 Proz.), so sieht man, wie sich vom Rand konzentrisch
ein leuchtender Ring loslöst, sich zusammenzieht und schliesslich
ein oder mehrere leuchtende Körperchen bildet; am Schluss der
Hämolyse sind auch diese verschwunden. Verwendet man statt hypo¬
tonischer Kochsalzlösung reines Wasser, so findet man gegen das Ende
der Hämolyse noch leuchtende Massen im Innern (Sale n). Im An¬
fangsstadium der Hämolyse kann man fadenförmige Verbindungen zwi¬
schen dem konzentrischen Ring und der Peripherie wahrnehmen. Das
hämolysierte Blutkörperchen hinterlässt einen homogenen „S c ii a t -
t e n“, der sich von ersterem fast nur durch die Lichtintensität unter¬
scheidet: ein grauweisser Ring mit ganz dunkeim Innern (vgl. Fig. 5).
Aus Gründen, die später angegeben werden, ist anzunehmen, dass
fast nur Hämoglobin austrat und dass wir in den „Schatten“ das Ge¬
rüst vor uns haben, welches einen lipoiden „Verputz“ trägt. Behandelt
man die „Schatten“ mit einem (jholesterinlösungsmittel,
z. B. Azeton, so werden die Schattenringe lichtschwächer und es tritt
eine schwache Punktierung derselben auf, die bei Verwendung
von Saponin statt Azeton (Saponin koaguliert Lezithin nach Ver¬
suchen von H a 11 0 r y) noch kräftiger ist. Behandelt man ein solches
Präparat nachträglich mit Azeton, so wird es noch lichtschwächer: es
verbleibt ein ganz schwaches peripheres Gerüst aus zartesten Fasern.
Lichtstärker erscheint das Gerüst, wenn man das hämolysierte Präparat
mit Alkohol behandelt, der Lezith'n und Cholesterin löst Eiweiss fällt.
Behandelt man die hämolysierten Erythrozyten mit einem Eiweiss¬
fällungsmittel, das Lezithin nicht fällt (Essigsäure mit Ferrozyankalium),
so erkennt man im Innern grauweisse Trübungen und der periphere Ring
erscheint feinkörnig punktiert.
Behandelt man einen Schatten, aus dem die Lipoide entfernt sind, mit
Pepsinlösungen, so wird er immer lichtschwächer, es bleiben einzelne
lichtschwache Pünktchen, die nach 12stündiger Trypsinbehandlung eben¬
falls verschwunden sind*).
Das Stroma besteht also aus einem in Wasser unlöslichen g/e -
quollenen Proteid oder Nukleoproteid, das ein sdhr
dünnes, netzförmiges dehnbares Gerüst bildet (erst
durch die Entquellung tritt es ultramikroskopisch in die Erscheinung). Auf
Grund der uitramikroskopischen Bilder und der Veränderungen, welche
der Erythrozyt in hyper- und hypotonischen Salzlösungen erleidet, stelle
ich mir vor, dass er eine spinnwebeartige Struktur besitzt;
d. h. von zahlreichen Knotenpunkten gehen
strahlenförmig Fasern aus, die wieder miti 1 -
andern Strahlen Knoten bilden (Fig. 1). Die
Knoten sind die Pünktchen, welche bei Trypsin-
behandlung zuletzt verschwinden. Der wulst¬
förmige Rand aber ist durch zarte Fasern ver¬
steift. Diese Vorstellung erklärt die Punk¬
tierung der Peripherie bei Behandlung mit
Lipoidlösungsmitteln. Eine solche Struktur
estattet eine Aufblähung in hypotonischer
alzlösung und erklärt die Stecnapfelbildung
beim Zusammenschrumpfen in hypertonischer
Salzlösung.
Noch beweist das obige nicht, dass das Fip.i. Schema des Erytbro-
Qerüst eine Hülle bildet, nicht aber den zyten-Stroma,
ganzen Erythrozyten schwammartig durch¬
setzt. Die Vorstellung eines Innern Gerüsts verträgt sich jedoch picht mit
den Beobachtungen von Bechhold und Kraus®). Danach zieht sich bei
der Hämolyse (vgl. oben und später) konzentrisch von der Peripherie eine,
wie wir später sehen werden lipoide, Blase zurück, die sich schliesslich
in helleuchtende tanzende Kügelchen umbildet. Bestände ein inneres
Gerüst, so müsste es sich vermutlich durch Ausbuchtungen bemerkbar
*) Je nach der Wahl der Blutkörperchen (Mensch, Hammel etc.), sowie
der Wahl und Konzentration des Hämolytikum, bemerkt man spezifische
Unterschiede; im obigen habe ich möglichst das Gemeinsame herauszu¬
modellieren versucht.
*) Dieser Abbau der Stromata wurde ausgeführt und veröffentlicht von
C. Sal^n: Biochem. Zschr. 110. 1920. S. 176 u. ff.
*) Biochem. Zschr. 109. 1920. S. 226 u. ff.
3
Difitized by Goi sie
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
528
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
machen. Auch wäre e^ unmöglich, dass innerhalb des Erythrozyten
Kügelchen tanzen, wenn auch nur das zarteste Gerüst vorhanden wäre.
Wir wissen also bis ietzt, dass die Erythrozyten ein Proteingerüst
in der Art (nicht in der Form) eines Ballonnetzes haben und dass sie
von zähflüssiger Hämoglobin-Salzlösung erfüllt sind. Der Verputz
des Gerüsts besteht aus Lipoiden (Lezithin und Cholesterin),
von denen es innen und aussen durchtränkt ist.
Es ist nun zu erklären, in welcher Form die beiden Lipoide sich
vorfinden und warum sie das Proteingerüst ausfülleii.
Wie erscheinen Lezithin und Cholesterin im
Ultramikroskop?
Cholesterin für sich ist weder in Wasser, physiologischer
Kochsalz-, noch Eiweisslösungen löslich. Kommt es irgendwie aus einer
Lösung zur Abscheidung, so bildet es Kriställchen oder kristalline Formen,
die im Ultramikroskop sich durch ihre besondere Leuchtkraft zu er¬
kennen geben.
Lezithin (ex ovo Merck) allein bildet in Wasser eine trübe Lösung *’)
(Emulsion). Unter dem Ultramikroskop erkennt man grössere und
kleinere Kügelchen von mässiger Leuchtkraft.
Wären Lezithin und Cholesterin im Erythrozyten getrennt vorhanden,
so müsste letzteres sich durch seine intensive Leuchtkraft abheben. Es
ist deshalb anzunehmen, dass die beiden Lipoide in einer optisch
liomogenen Mischung auftreten. Nach Abderhalden ist das
Verhältnis von Lezithin zu Cholesterin bei verschiedenen Tierarten im
roten Blutkörperchen etwa wie 1:1 bis 1:10. Herrn K. H a 11 o r y,
der die nachstehenden Versuche durchgeführt hat, ist es auf fol¬
gende Weise gelungen, optisch fast homogene Mischungen von Lezithin
und Cholesterin herzustellen: In Alkohol wnirde Lezithin und Cholesterin
gelöst im Verhältnis 1,5:1 0- Tropfen davon wurden auf ein Deckglas
gebracht, an der Luft verdunstet, jedoch vor vollkommener Trocknung
der überschüssige Alkohol mit Fliesspapier vom Rande weggenommen.
Ein solches Präparat ist optisch fast homogen; unter dem Ultra¬
mikroskop erscheint es dunkel. Cholesterin löst sich, wde H a 11 o r y
auch auf andere Weise zeigen konnte, in schwach gequollenem Lezithin
oder kochsalzhaltigem Lezithin. Es bildet darin eine kolloide Lösung.
Bringt man nun auf ein solches Obiektträgerpräparat etwas
physiologische Kochsalzlösung, so quillt es und zerfällt bei
stärkerer Verdünnung in homogene Kügelcherw welche immer
noch die homogene Mischung Lezithin + Cholesterin enthalten. Dieser
Zustand ändert sich auch nicht nach Stunden. Fügt man aber Wasser
bei, so erfolgt Entmischung des Lezithins vom Chole¬
sterin. Auch hier verteilt sich wieder das Gemisch in Kügelchen; aber
neben den schwächer leuchtenden Lezithinkugeln erkennt man die
glänzend in anderer Farbennuance leuchtenden Cholesterinpartikel.
Zum Verständnis des Folgenden müssen wir uns mit einer anderen
Eigenschaft des Lezithin beschäftigen, die von Neuschiosz am
Institut für Kolloidforschung studiert wurde. Lezithin bildet, wie schon
gesagt, im Wasser eine für das unbewaffnete Auge trübe Emulsion.
Ultrafiltriert man diese durch ein Ultrafilter, das Hämoglobin bei jedem
Druck vollkommen zurückhält (z. B. 5proz. Eisessigkollodiumfilter) bei
einem Druck von 120 mm Quecksilber oder weniger, so erhält man ein
wasserklares Filtjat, das nephelometrisch ®) kein Lezithin enthält. Stei¬
gert man jedoch den Druck auf 220 mm Hg, so findet man nephelometrisch
bereitst Proz. des eingebrachten Lezithin im Filtrat und die Lezithin¬
menge, welche das Ultrafilter passiert, wächst mit dem Druck in einer
parabolischen Kurve®).
Schon die dem Auge sichtbare Trübung des Filtrats lässt den Durch¬
tritt von Lezithin deutlich erkennen. Der Durchmesser von Hämoglobin¬
teilchen beträgt etwa < 99 nn > 36 uß [vgl. B e c h h o 1 d ‘®)]; die Poren
des Ultrafilters sind somit kleiner als 99 bis 36 Ufi. Der Durchmesser
der das Ultrafilter passierenden Lezithintropfen beträgt mehrere ß.
Trotzdem sie also vielleicht den hundertfachen Durchmesser der Filter¬
poren haben, konnten sie diese passieren“).
Wie erklärt sich dies Phänomen? Um eine Kugel zu
deformieren, uni die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit zu über¬
winden, ist eine gewisse Kraft erforderlich, die um so grösser sein muss,
je grösser die Oberflächenspannung der betr. Flüssigkeit ist. Will man
z. B. eine Quecksilberkugel in eine Kapillare pressen, so ist dazu ein
gewisser Druck erforderlich. Ich habe Oelemulsionen hergestellt und
konnte zeigen, dass bei einem Druck von 6 Atm. klares Wasser vom
“) Merck stellt eine klare kolloide Lösung in Wasser her. Die Lösung
ist jedoch metastabil: die Proben, welche ich in der Hand hatte, waren binnen
einigen Wochen milchig geworden.
^) Es'gelingt auch bei 1 Lezithin : 1 Cholesterin, jedoch nicht zuverlässig.
Je mehr Lezithin im Verhältnis zu Cholesterin, desto sicherer,
*) Nephelometer von Kleinmann der Fa. Schmidt ötHaensch,
Berlin.
®) Ausser dem optisch sichtbaren Lezithin ist aber auch optisch un¬
sichtbares, vielleicht molekular gelöstes, in der Lösung, da sich der Phosphor¬
säuregehalt stets weit höher erwies, als dem nephelometrisch gemessenen
Lezitliingehalt entspricht. Bei der UltrarUtration wächst der Qehalt an
molekular gelöstem Lezithin mit dem Druck in einer ähnlichen Kurve wie
das optisch sichtbare. Es wäre auch denkbar, dass es sich um zwei chemisch
verschiedene Substanzen handelt.
Zschr. f. physikal. Chemie 64. 1908. S. 341.
“) Der Vorgang erscheint mir von grösster Bedeutung für die^Diapedese,
die Fettresorption und ähnliche Vorgänge, bei denen grössere^ K ö r p e r
Ultrakapillaren passieren, ohne dass Eiweiss 1 ö s u n g durchzudringen ver¬
mag.
Ultrafilter abfiltriert wird, steigert man jedoch den Druck auf 10 Atm.,
so geht auch Oel durch und das Filtrat erscheint trübe [Bechhold“)].
Während zum Durchpressen der Oeltröpfchen 10 Atm. Druck er¬
forderlich waren, sind zum Durchdrücken der Lezithin-Wassertropfen nur
220 mm Hg erforderlich. Somit muss die Oberflächenspannung
der gequollenen L e z it h i n t r ö p f c h e n eine ausser¬
ordentlich niedrige sein, kleiner, als mir von irgend einem zwei-
phasigen flüssigen System bekannt ist.
Nun ergibt sich aus einer Untersuchung von Neuschlosz“) fol¬
gendes: Er bestimmte die Oberflächenspannung von Lezithinemulsionen
in Lösungen verschiedener Salze vermittels des Stalagmometers: Er
findet ein Maximum der Oberflächenspannung für NaCl und KCl bei
Vs molekularer Lösung; für CaCL und MgCU bei Vie molekular und
für AlCis bei Vas molekular. Auch bei den Salzgemischen (NaCl + KCl,
NaCl -j- CaCla, NaCl + KCl 4- CaCls etc.) liegen die Maxima der Ober¬
flächenspannung mit verblüffender Regelmässigkeit bei Vs Mol. Nun
ist für das Säugetierblut physiologische Kochsalzlösung’ von 0,85 Proz.
etwa molekular. Dieser Zusammenhang ist um so frappanter, als
Neuschlosz bei seinen Versuchen nur Hauptpunkte (K, Vs, Vie
usf. Mol.) wählte; es ist deshalb ebenso wahrscheinlich, dass die
wahren Maxima bei V? Mol. liegen.
Wie ist diese Feststellung für uns zu deuten? Schon vorher ist mit¬
geteilt, dass die Lezithinemulsion aus emulgiertem und gelöstem Lezi¬
thin besteht und dass eine Beziehung existiert zwischen emulgiertem und
gelöstem Lezithin, es bildet sich offenbar ein Gleichgewicht zwischen
diesen beiden Dispersionszuständen heraus. Es ist wohl anzunehmen,
dass einem Maximum der Oberflächenspannung ein Minimum an echt
gelöstem Lezithin entspricht. Versuche zur Aufklärung sind im Gang.
In schöner Uebereinstimmung steht damit die Tatsache, dass Neu¬
schlosz in äquilibrierten Salzlösungen (z. B. 1 NaCl -f- V»o CaCb) fast
gleichmässige Oberflächenspannungen der Lezithinlösung fand, gleich¬
gültig, ob sie Vi6, K, >2 molekular waren; das Maximum bei V» ist hier
nur unbedeutend ausgeprägt.
In der physiologischen Salzkonzentration durfte also das Lezithin
eine minimale Tendenz haben, sich vom Proteingerüst der Blutkörper¬
chen loszulösen, ln den äquilibrierten Salzlösungen kommt dazu eine
erhebliche Unabhängigkeit von der Salzkonzentration.
Wir sahen also, dass die Oberflächenspannung der gequollenen Le¬
zithintröpfchen gegen Wasser eine minimale ist und dass in der physio¬
logischen Konzentration von Salzlösungen ein Minimum von Lezithin
in molekulardispersem Lösungszustand, also ein Maximum im emulsoiden
Zustand sein dürfte. Beide Tatsachen bedingen ein Maximum
der Adsorbierbarkeit des gequollenen Lezithin. In
hypotonischen Salzlösungen muss sie, entsprechend der Verminderung
der Salzkonzentration stark nachlassen; aber auch in hypertonischen
Salzlösungen muss sie. wenn auch in geringerem Grade, abnehmen.
Uebertragen wir nun die erkannten Tatsachen auf das Stroma,
so besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Lezithin-Cholesterin-
Mischung durch Adsorption von dem Eiweissgerüst festgehalten wird.
Modellversuche Hattorys, bei denen Reispapier mit einem Lezi-
thin-Cholesterin-Gemisch getränkt waren (durch Aufsaugen einer alko¬
holischen Lösung 1 Lezithin : 1 Cholesterin) ergaben nun folgendes:
Während sich in physiologischer Kochsalzlösung, selbst
binnen einer halben Stunde, nur vereinzelte Kügelchen von dem Reis¬
papier loslösten, trat in destilliertem Wasser eine sehr starke
Ablösung ein, worauf die Kügelchen weiter in Cholesterin und Lezithin
zerfielen“). (Bewegt man das Reispapier heftig, so tritt auch bei
physiologischer Kochsaiziösung eine stärkere Emulsion ein.)
Auf Grund dieser Versuche dürfen wir annehmen, dass beim Erythro¬
zyten das Proteingerüst der Aussenhaut (das Stroma) ausgef ü111
ist mit einer homogenen Mischung von adsorbiertem
Lezithin + Cholesterin, gequollen in physiologischer Salz¬
lösung. Die Lipoide erfüllen also das Proteingerüst wie die Haut einer
Seifenlösung die Maschen eines Drahtnetzes.
Hämolyse tritt ein, sobald eine Entmischung der
drei Komponenten: gequollenes Protein, gequollenes
Lezithin, Cholesterin erfolgt.
Der Grund, warum der Erythrozyt sich in physiologischer Salz¬
lösung nicht verändert, liegt somit nicht darin, dass innen und aussen
gleicher osmotischer Druck herrscht, sondern weil das System der
Stromahülle (Protein, Lezithin, Cholesterin) nicht alteriert wird In
Wasser erfolgt Hämolyse, weil erst eine Entmischung von F^otein-
gerüst und Lipoidgemisch, dann weiter eine Entmischung von Lezithin
und Cholesterin erfolgt.
Somit muss jeder physikalische oder chemische Ein¬
griff Hämolyse bewirken, der:
a) durch Adsorption das Lipoidgemisch von dem Proteingerüst
löst (Schütteln mit Ton, Kieselgur etc.);
b) den Quellun^szustand des Lipoidgemisches und des Proteingerüstes
durch physikalische Mittel ungleichmässig verändert (t. B. durch
Gefrieren, Erwärmen);
c) den Quellungszustand des Proteingerüstes und des Lipoid-
Kolloide in Biologie und Medizin. 3. Aufl. S. 16.
“) Pflügers Arch. 181. 1920. S. 17 u. ff.
”) Die Ergebnisse erinnern sehr an die Beobachtungen von J. Qeppert
(Wirkung unserer Reinigungsmittel, D. med. Wschr.). G e p p e r t tränkte
Filtrierpapierstreifen - so mit Oel, dass das Ende des Streifens frei blieb.
Tauchte er dies in Wasser, so diffundierte das Wasser in die Oelschicht!
welche in Einzeltropfen Verfiel, die frei heraus in das Wasser flössen.
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
l Fehniar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
129
Kcmisches durch chemische Mittel uiigleichmässi«: verändert (z. B.
durch konzentrierte Lösungen von Neutralsalzen, durch viele ver¬
dünnte Schwermetallsalzlösungen, wie z. B. Sublimat);
d) eine Entmischung von Lezithin und Choiesterin bedingt (Wasser
und hypotonische Salzlösungen);
e) Fette löst (Aether, Alkohol, gallensaure Salze, Chloroform);
f) eines der Lipoide koaguliert, aus dem Verband reisst oder mit
ihm eine Verbindung eingeht (Saponiji, Kobragift, Tetanolysin
etc.) “).
Der Prozess lässt sich durch folgendes Schema versinnbildlichen:
Proteingerüst
Cholesterin •-• Lecithin
Jeder Eingriff schon in einen der drei Faktoren bedingt die Zerstörung
des Zusammenhangs, d. h, Hämolyse.
Ich habe hier stark systematisiert, um die verschiedenen Möglich¬
keiten zu charakterisieren. In Wahrheit werden meist mehrere Be¬
dingungen gleichzeitig erfüllt werden. So wird z. B. Alkohol nicht nur
die Lipoide lösen, sondern auch durch Entquellung des Proteingerüstes
zur Destruktion und zum Austritt von Hämoglobin beitragen.,
Auf Grund von Versuchen an unorganisiertem Material sind wir zu
einer neuen Theorie der Hämolyse gekommen und es bleibt
uns noch die Aufgabe, zu prüfen, wie sich diese mit den Be¬
obachtungen an der organisierten Zelle, dem roten Blut¬
körperchen deckt.
Schon bei der Beschreibung der Hämolyse in destilliertem Wasser
und 0^ Proz. Kochsalzlösung war erwähnt, dass in ersterem Fall leuch¬
tende Massen im Innern verbleiben, während bei der Hämolyse durch
hypotonische Kochsalzlösung nur eine Abtrennung eines zart leuchten¬
den konzentrischen Rings von der Peripherie erfolgt. Ein Vergleich der
Leuchtkraft mit den oben geschilderten Versuchen aus künstlichen
Mischungen zeigt zweifellos, dass bei der Wasserhämolyse eine voll¬
kommene Entmischung erfolgte, dass die helleuchtenden Massen nichts
anderes als Cholesterin sind, während in der hypotonischen Kochsalz¬
lösung im grossen ganzen nur eine Trennung der Lipoide von dem Pro¬
teingerüst erfolgt.
Noch viel schöner kann man den Prozess bei der Sublimat-
h ä m o 1 y s e verfolgen (B e c h h o 1 d und Kraus 1. c.). Bei HgCia-
Konzentrationen von 1:2400 und höher erfolgt keine Hämolyse. Hämo¬
globin und Proteine werden koaguliert, was durch wollknäuelartige
Strukturen (Fig. 2), die den ganzen Erythrozyten durchsetzen, in die
Erscheinung tritt.
Verwendet man Sublimatkonzentrationen unter 1:2400 (1:4000 bis
1:80 000) in physiol. Kochsalzlösung, so beobachtet man „schlauch-
p
Zu Fig. 2. Wollknäuelarlisre Struk¬
turen eines roten BlutkQrpercbene.
das in HgCl, 1 ;2400 geliärtet ist.
/
Zu P'ig. 8. Blasige Austreibung eines
roten Blutkörperchen.s in HgCls
1 :20 000 .
Fig. 2. Fig 3.
I
förmige und blasige Austreibungen einer zähplastischen Masse", offenbar
Beginn der Loslösung der Lipoide von dem Protein¬
gerüst (Fig. 3 u. 4); die Bilder gleichen aufs Haar denen, welche man bei
4 /
Fig A. Schlauchförmige Austreibungen und Loslösung der Lipoide an Blutkörperchen
in llgCU 1:20 000, — Im Iiinem tanzende Cholesterinkügelchen.
der Quellung des Lipoidgemisches unter dem Ultramikroskop wahrnimmt.
..ln mittleren und niederen HgCl 2 -Konzentrationen trifft man oft massen¬
haft Schwärme von feinsten Teilchen." Dies entspricht ganz dem Bilde,
welches wir von der Loslösung der Lipoide von Reispapier in physio-
>)gischer Kochsalzlösung kennen ^®).
In welche dieser Gruppen die spezifische Hämolyse gehört, unter¬
liegt z. Z, der Prüfung im Institut für Kolloidforschung.
Bei HgCb-Konzentrationen 1:32 000 und niedriger beobachten wir
wieder, wie sich „konzentrisch zur Peripherie ein helleuchtendes blasen¬
förmiges, geschmeidiges Gebilde vom Rande zurückzieht, das zusehends
On
V/’
Fig. Liiiks:Beginn der Mamolyat- in HgCl.j 1:80 000. Hechts: Kndstadium der
ffäinolyae : Schatten aii.s*welchen das Hämoglobin ausgetreten Ist.
kleiner wird". Es bildet schliesslich ein oder mehrere im Innern tan¬
zende Kügelchen. Bechhold und Kraus betonen besonders die
intensive Leuchtkraft. Hier haben wir zweifellos den Prozess, bei wel¬
chem zunächst eine Loslösung der Lipoide vom Profein-
g e r ü s t erfolgt. Diese ermöglicht bereits den Austritt des Hämoglobin
(Hämolyse). Anschliessend aber tritt auch eine Entmischung
der Lipoide ein: die helleuchtenden tanzenden Kügel¬
chen sind offenbar nichts anderes als Cholesterin. Man kann sie
auch häufig beobachten, wenn man eine alkoholische Lösung von Lezi¬
thin + Cholesterin in physiologische Kochsalzlösung tropft: die zunächst
optisch homogenen Tröpfchen zeigen nach etwa einwöchigem Stehen
neben gröberen Entmischungen, unter dem Ultramikroskop auch feuch¬
tende tanzende Kügelchen (bis zu vier) innerhalb einer weniger leuchten¬
den Blase, ganz wie wir sie bei hämolytischen Prozessen beobachten
können. Noch schöner treten sic in die Erscheinung, wenn man die
erwähnten Lezithin-Cholesterin-Emulsionen mit Sublimat (am schönsten
bei 1:8000) behandelt, wobei au 9 h die oben beschriebenen schlauchigen
Austreibungen (Ouellungsersclieinungen) auftretej#
Sehr schön decken sich auch Lipoid* ntmischung und
lyotrope Salz Wirkung: KJ und NaNOs, die in isotonischer Kon¬
zentration mit physiologischer Kochsalzlösung hämolysieren. bedingen
auch Entmischung von Lezithin-Cholesterin, im Gegensatz zu NasSO«, das
ebenso wie physiologische Kochsalzlösung indifferent ist (H a 11 o r y).
Anders, als bei Sublimat verläuft der Prozess bei der Hämolyse
durch Saponin. Saponin gehört zu einer Gruppe von Hämolytika,
die auf Protein keinerlei Einfluss haben, die Lipoide auch nicht lösen,
sondern emulgieren. Unter dem Ultramikroskop bemerkt man bei
Zusatz höherer Saponinkonzentrationen (1:5000) zum Lipoidgemisch
eine Koagulation, die viel Aehnlichkeit mit dem Bild von koaguliertem
Eiweiss (Wollknäuel) hat. Bei niederen Saponinkonzentrationen
(1:50 (XX)) erfolgt Entmischung von Lezithin und Cholesterin
(Hattory). Die nach erfolgtem Hämoglobinaustritt zurückbleibenden
Schatten sind bei der Saponinhämolyse meist deformiert (entspricht
offenbar der Koagulation). Bei Saponinkonzentrationen 1:32 000
sicht man im Ultramikroskop sehr schön, wie sich die Schatten
langsam in einzelne Tröpfchen auflösen; zum Schluss ist das ganze
Gesichtsfeld mit Tröpfchen übersät. Die helleuchtenden Kügelchen im
Innein der Schatten bleiben unverändert (entspricht der Entmischung)
(Bechhold und Kraus, unveröffentlicht).
Auch die mechanische Hämolyse durch Pulver findet so
eine einfache Erklärung: Wie ich in Gemeinschaft mit Kraus nach-
weisen konnte, erfolgt Hämolyse in Gegenwart von Tonpulver nur dann,
wenn die Blutkörperchen mit dem Ton geschüttelt werden. Im Mikro¬
skop sieht man die Erythrozyten eingehüllt von Tonpartikeln, die an
ihrer Oberfläche kleben. Gegenüber dem Proteingerüst ist Ton das
weit bessere .Adsorbens;, die Lipoide werden somit durch den Ton dem
Proteingerüst, als dem schfechtcren Adsorbens entzogen; beim Schütteln
wird der Ton Teile der Lipoidhülle losreissen, wodurch der Austritt von
Hämoglobin ermöglicht wirfl. Der Prozess ist ein ähnlicher, wie wenn
man ein zu fest sitzendes Pflaster losreist, das dann ein Stück der
Haut mitreisst.
In welchem Verhältnis stehen nun die hier ent¬
wickelten Anschauungen üb(:r Hämolyse zu den bis¬
her b e k a n n t e n? •
Die älteren Ansichten Hamburgers gehen von der Annahme
aus, dass vor allem der osmotische Druck bei der Hämolyse
durch hypotonische Salzlösungen massgebend für die Zerstörung der
Eryrihrozyten sei; für die Hämolyse durch andere Faktoren, wie Aether,
Wärme etc. mussten andere Gründe zu Hilfe genommen werden. Seit
den Forschungen R. H ö b e r s sowie L. M i c/h a e l i s’ und ihrer Schüler
gewann die Anschauung Bahn, dass insbesondere bei der Hämolyse
durch Elektrolyte der Quellungszustand gewisser Zellkol¬
loide von ausschlaggebender Bedeutung sei. Noch aber fehlt das,
was alle Hämolysen von einem gemeinsamen Gesichtspunkt aus zu be¬
trachten und zu behandeln gestattet. Mit den auf Grund unserer experi¬
mentellen Forschungen gewonnenen Ergebnissen glaube ich diese ge-
^*) Es mag dahingestellt bleiben, ob kleine Hämoglobinmengen an den
Lipoidtröpfchen haften oder (besonders bei den 1. c. fadenförmigen Gebilden)
davon eingeschlossen sind.
3*
Digitized by
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
130
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
meinsame Formel gefunden zu haben: H ä m o 1 y s e ist die F o 1 g e d e r
Entmiscliungderdrei inderBlutkörperchenhülle ver¬
einigten Bestandteile des Proteingerüstes, des Lezi¬
thin und des Cholesterin. Es kann zu einer vollkommenen
Entmischung sämtlicher drei Bestandteile kommen oder sich auf die
Entmischung von zwei Bestandteilen (z. B. Proteingerüst von den
Lipoiden) beschränken. Von den Bestandteilen der Blutkörperclienliülle
befinden sich zwei in gequollenem Zustand, nämlich das Protein¬
gerüst und das • Lezithin. Jede Einwirkung, welche den
Quellungszustand dieser beiden ungleichmässig beein¬
flusst, muss Hämolyse zur Folge haben, ebenso jeder Ein¬
fluss, welcher den Lösungszustand des Cholesterin im
Lezithin a u f h e b t.
Für einige Typen Hämolytika wurde der Beweis für die Richtigkeit
dieser Ansicht erbracht. Für die anderen muss diese Anschauung zu¬
nächst als Arbeitshypothese gelten, die durch weitere Untersuchungen
an meinem Institut geprüft werden soll.
Die Erythrozyten sind die am leichtesten aus dem Verband des
Organismus loslösbaren und dem Studium zügänglichen Zellen. Es ist
jedoch naheliegend, ähnliche Verhältnisse iniitatis mutandis auch für
andere Zellen und üewebe anzunehmen.
Aus der dermatologischen Klinik der Universität Leipzig.
(Direktor: Obermedizinalrat Prof. Dr. Rille.)
Beobachtungskammer für Mikroorganismen und Blut¬
körperchen im ruhenden Medium für Hell- und Dunkel¬
feldbeleuchtung, nebst Spezialobjektiv.
Von Dr. med. et phil. F. W. Oelze, Assistent der Klinik.
Die Beobachtung der Bewegung eines Mikroorganismus setzt ein
ruhendes Medium voraus, ln einem Tröpfchen Reizserum. Kultur¬
flüssigkeit, das auf einem Objektträger ausgebreitet mit Deckgläschen
bedeckt ist, treten stets Strömungen auf. Glas ist ein äusserst elastischer
Körper; ist das DeckgUlschen mit dem Objektbild durch Oel verbunden,
so genügen bereits die Bewegungen durch die Mikrometerschraube, um
unaufhörliche Strömungen hervorzurufen; durch Umranden wird die
Strömung nicht vermindert, worauf ich |lj schon hingewiesen habe.
Bei bakteriologischen Untersuchungen analysiert man die Be¬
wegung meist im hängenden Tropfen. Beobachtet man mit Trocken¬
system, so hat man allerdings ein wirklich ruhendes Medium, aber nur
vergleichsweise schwache Vergrösserung; verwendet man Immersion,
so ist zwar die Vergrösserung hoch, aber es treten bei gewöhnlichem
Deckglas doch auch Bewegungen auf. Für ein Immersionsobjektiv ist
zudem der hängende Tropfen unnötig dick, die scharfe Sehtiefe der Im¬
mersion beträgt nur wenige //. Vor allem aber ist die erzielte optische
Leistung beim hängenden Tropfen etwas problematisch, die beleuch¬
tenden Strahlen müssen eine Luftschicht durchsetzen, infolgedessen lässt
sich z. 13. die hohe numerische Apertur eines Immersionskondensors
nicht ausnutzen, ln praxi wird die nötige schwache Beleuchtung oft
durch Herunterkurbeln des Kondensors bewirkt; das ist ein optischer
Fehlgriff. Zuziehen der Blende engt die beleuchtenden Büschel ein.
Das Richtige ist das Einlegen mattierter Scheiben in den Diaphragmen¬
träger des Abb’e sehen Kondensors; diese Scheiben müssen aber für
jede vorhandene Beleuchtungsstärke abgestimmt sein, um gerade eine
solche Helligkeit zu ergeben, wie sie für die Unterscheidung feiner Ein¬
zelheiten durch die Eigentümlichkeit der Netzhaut bedingt ist.
Dunkelfeldbelcuchtung des hängenden Tropfens ist schwierig. Meines
Wissens käme als einziger Kondensor der von Siedentopf kon¬
struierte Tropfenkondensor von Zeiss in Frage. Für schwächere Ver-
grösserungen leistet der scheinbar wenig bekannte Apparat vorzügliches.
Für stärkere Vergrösserungen kommt er nur bedingt in Frage. Immerhin
habe ich [2] versucht, mit ihm eine Bewegungsanalyse einiger Spiro¬
chäten in einem verhältnismässig grossen Flüssigkeitsvolumen aus¬
zuführen, w’obei auf die durch den in Luft hängenden Tropfen bedingten
optischen Schwierigkeiten hingewiesen wurde. Zudem sind für hängende
Tropfen im Dunkelfeld nur ziemlich klare Flüssigkeiten verwendbar.
Sind sehr viele korpuskuläre Elemente vorhanden, so entsteht, da jedes
dieser Elemente Licht abbeugt und damit das Gesichtsfeld aufhellt,
überhaupt kein eigentliches Dunkelfeld mehr.
Trotzdem bleibt das Dunkelfeld für das StUdium vön Bewegungs¬
vorgängen die geeignetste Beleuchtungsart. Die Nachteile des hängenden
Tropfens lassen sich dadurch vermeiden, dass die zu untersuchende
Flüssigkeit in dünner, ruhender Schicht ausgebreitet wird. Die Quarz-
kaminer von Siedentopf [3] gestattet es, eine Flüssigkeit ganz dünn
und ruhend zwischen zw^ei Quarzplatten von 1 mm Dicke auszubreiten.
Beobachtet wird mit einem Spezialobjektiv, einer Qlyzerinimmersion.
!
Die Quarzkammer ist ein ausserordentlich feines Präzisionsinstruinent,
immerhin ist sie aber diffizil zu handhaben, auch ihr hoher Preis dürfte
ihrer allgemeineren Anwendung hinderlich sein. Für bakteriologische
Zwecke ist es zudem unnötig, Quarz zu verw'enden.
Die grossen Vorteile des dünnen, ruhenden Mediums habe ich ver¬
sucht durch Konstruktion einer einfachen Beobachtungskammer für die
bakteriologische Untersuchung und Diagnostik nutzbar zu machen. Als
Objektträger dient eine dicke Glasplatte, in ihrem Zentrum trägt sie
einen (jlassockel aus optischem Glas, der von einer ziemlich tiefen
Rinne umgeben ist (s. Abbild.). Auf diesen runden Sockel kommt ein
kleiner Tropfen des zu untersuchenden Substrates. Der Durchmesser
des Sockels ist so gewählt, dass seine Oberfläche gerade im Strahlen¬
schnittpunkt des Paraboloidkondensors liegt; auf diese Weise wdrd tadel¬
lose Dunkelfeldbeleuchtung gewährleitct. Das runde Deckglas hat be¬
trächtliche Dicke (0,4 mm), so dass Durchbiegungen nicht auftreten.
Der Rand um den Sockel ist so abgeschliffen, dass das Deckglas direkt
dem Sockel aufliegt. Die Kammertiefe beträgt also zunächst 0. Man
könnte allerdings den Sockel etwas weiter abschleifen, so dass zunächst
eine konstante Kammertiefe von etwa 2 oder 5 n vorhanden wäre, es
hat sich aber gezeigt, dass wenn man wirklich Flüssigkeit, die korpusku¬
läre Elemente enthält, aufbringt, die Kammertiefe doch nicht konstant
gehalten werden kann. Wenn man, dieser Versuch ist leicht zu machen
und instruktiv, eine dünne Kollargollösung (ca. 0,5proz.) auf den Sockel
bringt, so erhält man, auch bei ziemlich scharfer Federspannung, Prä¬
parate von etwa 1 bis 8 ft Dicke. Eine Flüssigkeit lässt sich eben
nicht in dünnere Schichten ohne weiteres zusammendrücken. Ein so
dünnes Präparat zeigt die Molekularbewegung in schönster Weise, der
Untergrund ist pechschw'arz, mit einem Wort ein ideales Dunkelfeld-
präparat. Infolge der geringen Schichtdicke wird diese fast in ihrem
ganzen Durchmesser scharf abgebildet, nichts kann der Beobachtung
entgehen.
Die Handhabung der Kammer ist äusserst einfach. Aufbringen eines
Tröpfchens der zu untersuchenden Flüssigkeit auf den Sockel. Auflegen
des Deckglases. Aufsetzen der mit Korkplatten versehenen Spann¬
klammern.
Gereinigt muss die Kammer sehr sorgfältig werden. War die
Untersuchungsflüssigkeit infektiös, Abspülen von Kammersockel und
Deckglas mit viel Sublimatlösung. Nachspülen mit Aq. dest., Abtrocknen
mit weichem Leinen, Abreiben mit Putzleder. Kammer und Reinigungs¬
lappen werden in Papier eingewickelt in einem dafür bestimmten Käst¬
chen aufbewahrt, herumliegenlassen darf man nichts, weil alles sofort
verstaubt (Silicium!). Sollten sich ausnahmsweise von der Kammer
kleine Fädchen oder dergleichen nicht gleich entfernen lassen, so tropft
man Kollodiumlösung auf, lässt erstarren und zieht dann die Kollodium¬
haut in einem Stück ab, etwaige Unreinigkeiten nimmt die Haut mit
sich fort. In dieser Weise sollen übrigens alle Utensilien zur Dunkel-
felduntersuchung behandelt werden.
pie Vorteile des ruhenden Mediums in der Beobachtungskammer
zeigen sich in bemerkenswerter Weise. Hat man z. B. Reizserum auf
Spir. pallida zu untersuchen, so kann die Beurteilung der Bewegung
der Spirochäten keinen Täusdiungen unterworfen bleiben. Es können
auch nicht, und das ist besonders wichtig, bei spirochätenarmen Seren,
Spirochäten in schon untersuchte Teile des Präparates durch Strömungen
verschleppt werden, so dass etwa ein negativer Befund erhoben wird,
während in Wirklichkeit doch 2 oder 3 Pallidae vorhanden w^aren. Die
ganze Dicke des Präparates wird übersehen, so dass man nicht fort¬
während an der Mikrometerschraube herumdrehen muss. Wegen der
geringen Schichtdicke können sich die Spirochäten auch nicht senkrecht
stellen und so diagnostische Schwierigkeiten verursachen. Die Unter¬
suchung ist ebenso sicher wie angenehm. Falls in einem Serum Spiro¬
chäten überhaupt vorhanden sind, müssen sie in der Beobachtungs¬
kammer auch gefunden werden, was bei der bisherigen Art der Unter¬
suchung nicht mit absoluter Sicherheit der Fall zu sein brauchte.
Die Schichtdicke des Präparates kann man sehr einfach an der
Messtrommel der Mikrometerschraube ablesen. Ergab die Einstellung
auf den tiefsten und höchsten Punkt des Präparates z. B. 4;5 Teilstriche
Differenz und bedeutet jeder Teilstrich 2 ß. so haben wir 9; diese Zahl
multiplizieren wir mit % (da wir ein Objekt im wässerigen Medium
vom ungefähren Brechungsindex 1,3 untersuchen); wir erhalten also
eine Präparatendicke von 12 ß, ein ziemlich dickes Präparat.
Die unbedingt nötige beträchtliche Dicke des Deckglases der
Kammer bringt cs mit sich, dass eine gewöhnliche Immersion nicht zur
Beobachtung verwandt werden kann, es ist vielmehr das Spezialobjektiv
von Zeiss nötig, das abgesehen davon, dass es für das dicke Deckglas
adaptiert ist, auch ein Spezialobjektiv für Dunkelfeld darstellt: es liefert
im Dunkelfeld Bilder von ganz hervorragender Strahlenvereinigung, an
anderer Stelle werde ich darauf zurückkommen.
Zur Untersuchung von Blut kann die Beobachtungskammer auch
verwandt werden. Man verwendet dazu ein Deckglas, das auf Viomm
ausgeschliffen ist. Durch Einlegen von Okularblenden nach Ehrlich
kann man dann quantitativ arbeiten, immerhin ist dieses Verfahren ein
wenig umständlich. Die Kammer wird daher auf Wunsch mit jedem be¬
liebigen Zählnetz versehen.
Der Blutstatus wird meist im Hellfeld erhoben, das Dunkelfeld hat
aber auch grosse Vorteile: die Blutkörperchen lassen sich im Dunkelfeld
gut unterscheiden, jedes Blutplättchen ist sofort sichtbar; vor allem
wird auch ein etwas schadhafter, schattenhafter Erythrozyt gleich deutlich
und richtig erkannt. Das Zählnetz der Kammer tritt schön kräftig hervor.
Als ideale Einrichtung erscheint mir Kombination der Beobachtungskammer
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSifTDF CALIFORNIA
4. rebruar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT..
m
mit dem von S i e d e n t o p f konstruierten Hell-Dunkelfeldkondensor von
Zeiss. Dieser Kondensor, auf den ich schon hinjrewiesen habe [1],
ermöglicht es infolge sinnreicher Kuppelung vom Dunkelfeld von der
Güte des durch den Paraboloidkondensor erzeugten, durch einfache Be¬
wegung eines kleinen Hebels am Kondensor zu einer Hellfeldbeleuchtung
tiberzugehen, die allen praktischen Ansprüchen genügt. Bemerkenswert
ist dabei ein Zwischenzustand der Beleuchtung, der nach S i e d e n t o ö f
das „neutrale Beleuchtungsbild“ ergibt f4l; diese Art der Beleuchtung
dürfte meines Erachtens als wertvolles Hilfsmittel zur Lösung mancher
morphologischer Fragen zu bezeichnen sein. Eine noch weitere Ver¬
vollkommnung der Bilder erhält man durch Ersatz des einfachen Okulars
durch den binokularen Tubusaufsatz von Zeiss, der hervorragend
stereoskopische Eindrücke vermittelt.
Die Beobachtungskammer eignet sich ohne weiteres auch zum
Studium der Fluoreszenzfärbung lebender Spirochäten [51, namentlich in
Verbindung mit dem Hell-Dunkelfeldkondensor wird der prinzipielle
Unterschied dieser Färbung gegenüber der Färbung in der Eigenfarbe
des Farbstoffes deutlich. Uebrigens kann man Fluoreszenzfärbungen im
Dunkelfeld auch an Trockenpräparaten (F o n t a n a, G i e m s a). ebenso
im Schnitt leicht nachweisen, in manchen Fällen heben sich z. B. die
Spirochäten schön grün vom gelben Untergrund ab. Allerdings sind
diese doch immer verunreinigten Trockenpräparate, wie ich erwähnt
habe, der flüssigen Fluoreszenzfärbung nicht ebenbürtig.
Im ganzen betrachtet scheint mir die Beobachtungskammer für
ruhendes Medium manche Vorteile zu haben, jedenfalls erhöht sie in
vielen Fällen die Sicherheit und Genauigkeit der Untersuchung.
Literatur.
I. O e I z e F. W.: Ueber die Bewegung der Spir. pallida. M.m.W.
1920 Nr. 32 S. 921—923. — 2. Oelze F. W.: Ueber Beobachtung von
Spirochäten im hängenden Tropfen bei Dunkelfeldbeleuchtung. Dermatol.
Wschr. 1920 Nr. 1 S. 1—4. — 3. Siedentopf H.: Ueber einen neuen
Fortschritt in der Ultramikroskopie. Verh. d. d. physikal. Ges. 1910 S. 1—42.
XII. Jahrg. — 4. Siedentopf H.: Ueber das Auflösungsvermögen der
Mikroskope bei Hellfeld- und Dunkelfeldbeleuchtung. Zschr. f. wiss. Mikro¬
skopie 32. 1915. S. 1—42. — 5. Oelze F. W.: Ueber Fluoreszenzfärbung
von Spirochäten im vital gefärbten Dunkelfeldpräparat. M m.W. 1920 Nr. 47
S. 1354.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Bonn.
(Direktor: Prof. E. Hoff mann.)
Ueber die Benutzung des Hoffmannschen Leuchtbilds¬
verfahren zum Studium von Mikroorganismen, insbe¬
sondere zum Nachweis von Tuberkelbazillen in fixierten,
gefärbten Präparaten.
Von Egon Keining.
Nach Einführung des Dunkelfeldes in die vitale Spirochätendiagnostik
durch Landsteiner und Mucha fl] (Reichertscher Kondensor)
und H o f f m a n n und Beer [2] (Zeiss sehe Vorrichtung) bald nach
Entdeckung der Syphilisspirochäte beobachteten mehrere Autoren auch
andere Objekte, die im abgeblendeten Hellfeld mit Trockensystem oder
Oelimmersion, vital und ungefärbt untersucht zu werden pflegen, ein¬
gehend im Dunkelfeld.
So demonstrierte P o s n e r [3] 1908 in der Berliner Gesellschaft
Urinsedimente mit Leukozyten und Epithelien bei Dunkelfeldbeleuchtung
und zeigte, dass Kernfiguren und Granula im lebenden Zustande der
Zeilen gut zu erkennen sind.
Dietrich [4] führte Diapositive von Blutpräparaten vor und
eriäuterte an ihnen den Vorgang der Hämolyse im Immunserum und
im Aqu. dest. bei Dunkelfeldbeleuchtung.
Schaupall -Wien [5] untersuchte Malariaplasmodien im frischen
Präparate und Blutausstriche. In der mikroskopischen Praxis haben
diese Versuche keine Bedeutung gewonnen, wahrscheinlich weif sie
keine optischen Vorteile brachten, wogegen B i e d 1 s [6] erfolgreiches
Studium der lebenden Malariaplasmodien im Dunkelfeld wohl von all
diesen Versuchen die nennenswerteste praktische Bedeutung erlangt hat.
Trotzdem blieb das Dunkelbfeld im wesentlichen reserviert für die
v tale Spirochätenfärbung, zumal U11 m a n n in der Diskussion zu
P 0 s n e r s Demonstration hervorhob, dass mit dem Dunkelfeld nichts
-Neues darstellbar sei, was nicht schon vorher einwandfrei gesehen
•srorden sei. Aber selbst wenn es nur gelänge, im Dunkelfeld Dinge
leichter zu finden und zu erkennen, würde dies genügen, um von der
Methode ausgedehnten Gebrauch zu machen, wie es ja auch ln der
Praxis des Spirochätennachweises geschieht. Nun konnte aber schon
dimals Stephan mathematisch in der Erwiderung zu Ullmanns
Meinung naciiweisen, dass theoretisch mit der Dunkelfeldmethode sehr
wohl Dinge sichbar gemacht werden können, die vorher unbekannt
waren, und zeigte am Beispiel der T y n d a 1 sehen Sonnenstäubchen
die Bedeutung der Kontrastwirkung. Wenn dieser Erfolg in praxi zur¬
zeit noch ausgeblieben ist, so liegt es meiner Auffassung nach daran,
dass wir die Bedingungen, unter denen sich ein Objekt zum Dunkelfeld-
studium eignet, noch nicht ausreichend kenneiL bzw. als Mediziner die
physikalischen Gesetze der Lichtbeugung, Fluoreszenzwirkung, der
OberfIächenre.flexe leuchtender Körper und des Entstehens von Kon¬
trasten nicht genügend beherrschen.
Die Untersuchung vital gefärbter Spirochäten im Dunkelfeld, die bei
Spirochaete balanitidis, buccalis und dentiura zuerst von E. Hoff¬
mann [7] mit Methylenblau erprobt wurde, übertrag Mandel-
baum [8] auf die Spirochaete pallida.
Meirowsky [9] empfahl die vitale Färbung der Spirochäten im
Reizserum mit Methylviolett-Grübler.
Oelze flO] erzielte eine gute Fluoreszenzfärbung von Spirochäten
im vital gefärbten Dunkelfeldpräparat mit Chinablau.
Merkwürdigerweise ist die Dunkelfeldmethode bis heute fast aus¬
schliesslich zum Studium gefärbten vitalen Materials benutzt worden
— als wenn fixierte gefärbte Präparate von vornherein für das Dunkel¬
feld ungeeignet wären *).
Neuerdings ist es nun Herrn Prof. Hoffmann [11] gelungen, in
geeignetem fixiertem und gefärbtem Material Spiro¬
chäten auffallend deutlich sichtbar zu machen, die bei gewöhnlicher
Hellfeldbetrachtung entweder wesentlich schlechter zu sehen sind, oder
sich gar der Beobachtung direkt entziehen, z. B. ergeben Syphilis-
und Gelbfieberspirochäten, im Ausstrich oder in dünnen
Schnitten, versilbert oder mit Giemsa gefärbt, ein glänzendes
kontrastreiches Bild im Dunkelfeld; ja es konnten Spiro¬
chäten zum Aufleuchten gebracht werden, die bei gewöhnlichem Tages¬
licht nicht sichtbar waren. So konnte ich z. B. die Leptospira
dentium Hoffmann im ungefärbten, fixierten Präparat weder im
Hellfeld noch im Diinkelfeld finden, ebenso wenig, nachdem ich dasselbe
Präparat nach der Osmium-Ciiemsa-Methode gefärbt hatte, bei Hellfeld¬
beleuchtung. Dagegen imponierten sie ohne weiteres im Hoffmann-
schen Dunkelfeldleuclitbild als leuchtend grüne Leptospiren, wie sie
optisch überhaupt nicht besser zur Darstellung gebracht werden können.
In einigen Fällen gelang cs mir, in dünnen Gewcbsschnitten Spirochäten
zum Aufleuchten zu bringen, die sich im Hellfeld der Wahrnehmung ent¬
zogen. In geeignetem Material kann also nicht nur die Deutlichkeit der
Spirochäten, sondern auch die Ergiebigkeit des Nachweises beträchtlich
gesteuert werden.
Von Bedeutung für das Zustandekommen derartiger Leuchtbilder
ist einmal der Farbenkontrast zwischen Gewebe, bzw. Milieu zu den
Spirochäten. Man kann also nur dann auf gute Bilder rechnen, wenn diese
Kontrastierung im Dunkelfeld ausgesprochen vorhanden ist. Die Hell¬
feldkontrastfärbung lässt jedoch nie auf ein gleich deutliches Dunkelfeld¬
kontrastbild schliessen.
Man kann sich ferner vorstellcn, dass die Imprägnation von
fixiertem Material mit Farbstoffen nicht auszureichen braucht, um Im
Hellfeld eine sinnfällige Färbung zu ergeben. Wohl aber kann die Im¬
prägnation mit Spuren von Farbstoffen genügen, um Ursache einer inten¬
siven Reflexwirkung im Dunkelfeld an dem Farbüberzug der Mikro¬
organismen zu sein. Diese minimale Imprägnation mit Farbstoffen
scheint Ursache des Aufleuchtens zu sein; denn ungefärbte Mikro¬
organismen leuchten im fixierten Präparat nicht auf. So ist es erklär¬
lich. wenn z. B. schwach gefärbte Spirochäten im Dunkelfeld ein deut¬
liches Leuchtbild ergeben. Inwieweit Fluoreszenz, Absorption und Kom¬
plementärfarbwirkung der Strahlenarten am Zustandekommen des eigen¬
artigen Farbtones und des Kontrastbildes beteiligt sind, lasse ich vor¬
läufig dahingestellt.
Zur Erzielung eines guten Leuchtbildes ist nach den Vorschriften von
Herrn Prof. Hoffmann die.Einschaltung einer Mattscheibe von
geeigneter Korngrösse in den Strahlengang zwi.schen Lichtquelle D und
Planspiegel erforderlich, um zwar ein möglichst intensives, aber mehr
diffuses Bogenlampenlicht zu erzielen. Ohne Mattscheibe erhält man
wesentlich schlechtere, meistens unbrauchbare Bilder.
Untersucht habe ich auf Anregung von Herrn Prof. Hoffmann
eine grosse Reihe von Mikroorganismen im fixierten und gefärbten Prä¬
parat nach der beschriebenen Methode. Ich teile im wesentlichen jedoch
nur die Bilder mit die mir praktisch wichtig erscheinen.
Sämtliche Untersuchungen wurden nach E. Hoffmanns Vor¬
schrift mit dem gut zentrierten Zeiss-Dunkelfeldkondensor ausgeführt mit
dem ich keine zerhackten Bilder zu Gesicht bekam. Als Oelimmersion
benutze ich das ausgezeichnete Zeissobiektiv X. Die Wasserimmer-
sfon 0 kam nicht zur Anwendung. In geeigneten Fällen erhielt ich selbst
mit dem Komp. Ok. 12 (15 X) noch absolut scharf konturierte Bilder.
Sehr praktisch erwies sich für meine Untersuchungen der neue
Zeisssche Helldunkelfeld- (Wechse!-) Kondensor, weil
ich beide Bilder auf das bequemste mit einander vergleichen konnte.
Allerdings ist das Hellfeld des Wechselkondcnsors nicht als voll¬
wertig zu bezeichnen, wohl eine Folge der sich aus der Kombination
von Hell- mit Dunkelfeld ergebenden technischen Schwierigkeiten. Auch
hier benutzte ich das Zeissobjekt X. das sich nach einer Mitteilung von
Herrn Prof. Siedentoof am besten für den Wechselkondensor eignet,
weil bei diesem Objektiv die numerische Apertur und das Auflösungs¬
vermögen relativ am grössten bleiben. Man erhält jedoch auch mit der
üblichen Oelimmersion, nach Einhängen einer Trichterhlende von oben,
•) Anm. bei der Korrektur: Wie Prof. Arning mitteilt, hat er 1908 im
Dunkelfeld ^yphilisspirochäten aufleuchten lassen und mit einer 30 Amp6re-
lampe photographiert (vgl. D.in.W. 1908 Nr. 7 S. 308). Seine Mitteilung ist
allem Anschein nach völlig in Vergessenheit geraten und war auch mir un¬
bekannt. Abgesehen davon, dass ihm die von mir benutzte Gotik nicht zur
Verfügung stand, hat er ebenso wie alle anderen die praktische Aiisnutz-
barkeit dieser Methode nicht erkannt. Auch Prof. P. Schmidt - Halle hat.
wie er mir eben schreibt, Metachromasic und basophile Kör¬
nung von Erythrozyten 1907 mit dem R e i c h e r t sehen Kondensor in
Komplementärfarben leuchtend dargestellt. (Arch. f. Hyg. Bd. 63. 1907. H. 1.
S. 12 und Arch. f. mikrosk. Anat. usw. Bd. 72. 1908, S. 499.) E. Hoffmann.
‘) Benutzt wurde die L e i t z sehe Liliputbogenlampe.
Digitized by Go sie
Original frDiri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
132
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Kute Leuchtbilder, obgleich hier die numerische Apertur noch erheblich
unter 0,85 sinkt und das Auflösungsvermögen wesentlich schw'ächer ist.
(jelegentlich wurde das Bild bei Verwendung des Z e 1 s s sehen Dunkel¬
feldkondensors schärfer, wenn der periphere Strahlenring durch die unten
am Kondensor vorgesehene Randblende ausgelöschf wurde.
Auch mit dem Leitzobjektiv Via und dem L e i t z sehen Dunkelfeld¬
kondensor erhielt ich gute Bilder. Bei schwächeren Trockensystemen
konnte ich jedoch keine gleichmässige Beleuchtung des Gesichtsfeldes
erreichen. Sehr bewährt haben sich mir die neuen Leitzschen peri¬
planen Okulare, die eine gleichmässig scharfe Einstellung des ganzen
Gesichtsfeldes, insbesondere auch des peripheren Gesichtsfeldringes
erlauben. Die Benutzung dieser Periplanate empfiehlt sich für den
Praktiker z. B. bö‘ Blutausstrichen und Urinsedimenten, um hier gute
Uebersichtsbilder zu erhalten.
Untersucht man nach den üblichen einfachen bakteriologischen
Färbemethoden hAgestellte Bakterienpräparate von Kulturen oder
Körperflüssigkeiten, z. B. Kokken (Streptokokken. Mikrokokken,
Sarzinen). Gram-negative Stäbchen (Typhus, Koli und Fried¬
ländergruppe, hämorrhagische Septikämie, Farbstoffbildner. Proteus¬
gruppe), Spirillen und Vibrionen, so überzeugt man sich schnell,
dass hier das Dunkelfeld kaum greifbare optische Vorteile bietet.
Gram-negativeKokken, z. B. Meningokokken und Gono¬
kokken (letztere mit Methylenblau oder Methylgrün-Pyronin gefärbt,
Gram-präparate, Jensenfärbung etc.) sind wegen des geringen Auflösungs¬
vermögens häufig schlechter zu sehen, als im Hellfeld. Das mangelhafte
Auflösungsvermögen all dieser, z. T. plumpen Organismen im Gegensatz
zu den äusserst feinen Spirochätenfäden und schlanken, säurefesten
Stäbchen spricht jedoch nicht unbedingt gegen die Anwendung der
Dunkeifeldmethode auf diese Organismen, weil unsere Färbetechniken
sozusagen optimal auf die Verhältnisse bei Hellfeldbetrachtung eingestellt
und für diese berechnet sind. Die Ducrey-Kreftingsehen Bazillen
des weichen Schankers, im May-Grünwald-Giemsapräparat oder mit
Methylgrün-Pyronin gefärbt (Pappen he im sehe Färbung) sind im
Dunkelfeld nicht minder sichtbar, als im Hellfeld, die Methode bietet
jedoch für den Praktiker vorläufig keine Vorteile.
Ich vermutete fedoch, dass die Bakterien resp. Bakterienbestand¬
teile, die als erfahrungsgemäss schwer färbbar (nach Analogie schwer
färbbarer Spirochäten) einer besonderen Färbetechnik bedürfen, sich
auch im Dunkelfeld abweichend verhalten w'ürden.
Färbt man z. B. Sporenträger (B. mesentericus, subtilis,
anthrax, mycoides etc.) mit Methylenblau, so erscheinen im Dunkelfeld
die vegetativen Formen dunkelbraun, die Dauerformen leuchtend weiss.
Sporen leuchten also ungefärbt auf. Färbt man Sporen, nachdem sie
vorher mit Chromsäure gebeizt sind, nach Ziehl, so leuchten sie im
Dunkelfeld blaugrün, während die Bazillen auch hier dunkelbraun ge¬
färbt sind. Die Differenzierung ist also leicht und gut. das Dunkelfeld
bietet aber, wenigstens bei Kulturmaterial, zurzeit keinerlei optische
Vorteile vor dem Hellfeld.
Nach Analogie des Verhaltens der Sporen im Dunkelfelde versuchte
ich die Negativdarstellung der Tb.- Bazillen im Sputum.
Indessen waren in mit Methylenblau, Fuchsin, Karbolfuchsirk Mueikarmin
und Eosin tingierten Präparaten keine leuchtenden Negativbilder von
Tb.-Bazillen zu finden.
Wohl aber gelang es Herrn Prof. Hoffmann Leprabazillen
im Leuchtbild darzustellen. In nach Ziehl gefärbten Sputum¬
präparaten leuchtendie KochschenBazillen hellgrün
auf, zeigen deutliche Granulierung, während die Umgebung dunkelbraun
resp. gelbbraun erscheint.
Dabei fiel mir auf
1. dass die Tb.-Bazillen durch ihre leuchtend grüne Farbe,
ihre schlanke Form. Granulierung und Lagerung in
Nestern ohne weiteres im ganzen Gesichtsfeld auffallen, also
schneller und auch weiter peripher gesehen werden als im Hellfeld,
2. dass wesentlich mehr Tb.-Bazillen zu sehen sind.
Die Ursache dieses Phänomens suche ich In dem Umstande, dass
1. die Schichten des Präparates im Dunkelfeld vom Licht besser durch¬
drungen werden, so dass auch Tb.-Bazillen sichtbar sind, die im Hellfeld
von Methylenblau gefärbten Zonen verdeckt werden und dass 2. auch
schlechtgefärbte Bazillen leuchten. Denn bei Anwendung des
Wechselkondensors fällt auf, dass im Hellfeld viele Bazillen der Beob¬
achtung entgehen, die im Dunkelfed ohne weiteres sichtbar sind.
Kontrolliert man alsbald im Hellfeld, so sieht man entweder die Tb.-
Bazillen nunmehr auch dort, wenn auch nur äusserst schwach tingiert,
oder aber sie werden völlig ausgelöscht. Bei der Zeissschen Ein¬
richtung kann man sich einen Wechselkondensor dadurch improvisieren,
dass man den Paraboloidkondensor, nachdem man ein deutliches Dunkel¬
feld erhalten hat, ein wenig abwärts zieht. Durch diese geringfügige
Aenderung des Strahlenganges wird aus einem Dunkelfeld ein relativ
gutes Hellfeld.
Die Untersuchung auf Koch sehe Bazillen im Dunkelfeld empfiehlt
sich also für die Praxis ihres Nachweises, weil die Bazillen
1. leichter, schneller und zahlreicher gesehen werden
und weil sie
2. auch in mangelhaft mit Karbolfuchsin gefärbten Präparaten
ohne weiteres sichtbar werden, wo sie im Hellfeld vielleicht über¬
sehen würden. Bei Anwendung des Z e i s s sehen Wechselkondensors
kann man sich ausserdem sehr bequem von ihrer roten Farbe über¬
zeugen, so dass diagnostische Zweifel, die etw'a noch bestanden, sofort
beseitigt werden können.
Hervorheben möchte ich auch noch, dass unvermeidliche Karbol¬
fuchsinniederschläge, die im Hellfeld gelegentlich bei der Identifizierung
von Tb.-Bazillen stören, im Dunkelfeld andere Farbeneffekte erzeugen
(z. B. leuchtend rotgelb) und so leicht als Verunreinigungen erkannt werden.
Smegmabazillen verhalten sich in bezug auf ihre Dunkelfeld¬
eignung wie Tuberkelbazillen.
Pilze werden, wie schon Herr Prof. Hoffmann nach¬
gewiesen hat, bei schw^achen Vergrösserungen in ungefärbtem
Material geradezu. stereoskopisch gesehen. Bel starker Ver-
grösserung erhält man auch bei ihnen gute Dunkelfeldbilder. Untersucht
wurden pathogene Hautpilze (Achorion Schönlelnii. Trichophyton
tonsurans etc.), ferner Saprolegnia. Beggiatoa, Sphaerotilus. Chlamydo-
thrix ochracea, Crenotrix kalyspora, Leptomitus usw. Bei starken Ver¬
grösserungen kann man die Strukturverhältnisse häufig gut übersehen.
Gerade das Plastische dieser Bilder verleitete mich, eine Reihe von
Protozoen auf diese Eigenschaft hin zu untersuchen.
Mit Borax-Karmin gefärbte Vorticellen sah ich bei schwachen
und starken Vergrösserungen aufsitzend auf wunderbar im Raum ge¬
wundenen Spiralen. Foraminiferen konnten in ungefärbten Prä¬
paraten geradezu stereoskopisch gesehen werden und zwar so deutlich,
wde es mir im abgeblendeten Hellfeld niemals gelungen ist. In die Poren
der Schneckenformen kann man geradezu wie in ein Gehäuse hinein¬
sehen. Der Tentakelkranz der Coelenteraten (Hydra) streckt sich
dem Beschauer wie Fangarme entgegen. Auch Culiciden, An-
opheliden, Pediculi, Wanzen. Läuse und Zecken können
bei schwachen Vergrösserungen plastisch gesehen werden.
Würmer erscheinen ungefärbt strukturlos. W u r m e i e r lassen
sich demgegenüber gut untersuchen.
In gefärbten Präparaten ist wiederum die Kontrastwirkung des
Farbenspieles im Dunkelfeld von Bedeutung, dessen Eigenart auch hier
sich aus dem Hellfeldbild nicht erschlossen lässt.
So war das Dunkelfeldbild mit Eosin gefärbter Mehlwurm-
gregarinen wesentlich besser als das korrespondierende Hellfeldbild,
weil auf dem braunschwarzen Detritus die intensiv leuchtendroten Proto¬
plasten der Gregarinen deutlich hervortreten. Opalina ranarum,
mit Hämatoxylin gefärbt, leuchtet violett auf braungelbem Detritus¬
hintergrund, so dass die Auffindung leicht ist. Auch in angetrocknetem,
mit Hämatoxylin behandeltem Protozoenschlamm beobachtete
Ich die nämliche Kontrastwirkung. Myxobolus Pfeifferi der
Rheinbarbe, Schnittpräparate mit Hämatoxylin gefärbt, leuchtet massen¬
haft in seinen Gewebsnestern auf. während das Gewebe selbst durch
seine dunkelbraune Tönung zurücktritt.
Wieder andere Organismen ergaben bessere Hellfeldbilder. So
waren Radiolarien, Lamblien. Noctiluca miliaris, Eosin-
Hämatoxylin-gefärbte Mückenschnittpräparate für das Hell¬
feld wesentlich geeigneter, wenigstens in der Form, wie ich sie unter¬
suchen konnte.
Gefärbte Blutbilder hingegen lassen durch scharfe Konturierung
Kernverhältnisse und Granulierungen der Leukozyten gut erkennen.
Malariaplasmbdien im Giemsa-gefärbten Blutausstrich sind oft
von Leukozyten schwer zu unterscheiden, während Schüffner-
Tüpfelung und Maurer-Punktierung deutlich hervortreten.
An Trypanosomen treten im Dunkelfeld undulierende Mem¬
branen, Geissein, Kerne auffallend leuchtend hervor, während sie im
Hellfeld gegenüber der Struktur des Protoplasten an Deutlichkeit zurück¬
treten.
Zusammenfassend hebe ich hervor, dass die Dunkelfeld¬
untersuchung auf Kochsche Bazillen schneller und
sicherer zum Ziele führt, dass beim Studium von nie¬
deren Organismen mit dem Dunkelfeld häufig sehr
brauchbare, stereoskopische Bilder zu erzielen und
Formelemente oft besser zu erkennen sind; sc^liess-
lic,h dass in geeigneten Fällen durch Farbkontraste
das Auffinden der Parasiten nicht unerheblich er¬
leichtert werden kann.
Hieraus ergibt sich, dass die Hoffmannsche Leuchtbild¬
methode für die mikrobiologische Forschung w^eitgehende Anwendung
1 . W.kl.W. 1906 S. 1349; ferner Wiener derm. Qesellsch. Sitzung vom
9. I. 07. — 2. M.m.W. 1907 Nr. 39. — 3. M.m.W. 1908 S. 1619. — 4. M.m.W.
1908 S. 1564. — 5. M.m.W. 1917 S. 812. — 6. W.kl.W. 1917 S. 419, 459, 497 —
7. Zbl. f. Bakt., Orig.-Bd. 41 S. 741. — 8. M.m.W. 1907 Nr. 46 S. 2268 —
9. M.m.W. 1910 S. 1452. — 10. M.m.W. 1920 S. 1354. — 11. D.m.W. 1921
Nr. 3 (Vortrag in der Niederrheinischen Qesellschaft Bonn am 13. Xll. 20V.
B.kl.W. 1921 Nr. 4 (Vortrag in der Berliner Qesellschaft am 5. I. 21).
Aus der I. Medizinischen Klinik der deutschen Universität
in Prag. (Vorstand Prof. R. Schmidt)'
Allgemeine Leistungssteigerung als Fernwirkung
therapeutischer Röntgenbestrahlungen.
Von Dr. Paul Kaznelson und Dr. J. St. Lorant.
Von den Komponenten, in welche die Wirkungsart der Röntgen¬
strahlen zerfällt, wurden bisher hauptsächlich zwei berücksichtigt, die
zweifellos auch den wichtigsten Anteil am Aufschwünge der Röntgen¬
therapie haben. Es sind dies einerseits die vernichtende Wirkung ent¬
sprechend dosierter Strahlen auf junge undifferenzierte, in lebhafter
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
133
Proliferation befindliche Gewebszellen und andrerseits die reizende,
wachstnmsanregende und funktionserhöhende Wirkung derselben Strahlen
auf bereits differenzierte, in w'eniger lebhaftem Stoffwechsel lebende
Zellen. Um ein Beispiel zu geben: schädigen die Röntgenstrahlen —
wir sprechen immer von einer bestimmten Dosis — die Krebszellen,
die sie treffen, und vernichten ihre Wachstumskraft; gleichzeitig aber
erhöhen sie die Abwehifunktion des mitgetroffenen, die Krebsnester
umgebenden Bindegewebes* w'elches erst endgültig den Krebs ver¬
nichtet. Diese zweite Komponente der Röntgenwirkung, deren Be¬
deutung immer mehr und mehr anerkannt wird, ist eigentlich das Haupt¬
moment der Wirksamkeit der Röntgenstrahlen in der Therapie chro¬
nischer Entzündungen, vor allem tuberkulöser Natur.
Die beiden Wirkungseffekte der Röntgenstrahlen, die wir hier kurz
gestreift haben, sind rein lokaler Natur, d. h. sie treten nur in d e m
Bereich des Organismus auf* der direkt von den Strahlen getroffen wird.
. Die Wirkung der Strahlen geht aber, wie schon mancherlei Erfahrungen
zeigen, über den Ort ihres direkten Auftreffens hinaus: Die Röntgen¬
strahlen haben nicht nur eine lokale Wirkung, sondern auch eine nicht
m unterschätzende allgemeine Fernwirkung auf den ge¬
samten Organismus. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese
Aügemeiiiwirkung der Röntgenstrahlen ebenfalls eine Komponente der
therapeutischen Wirksamkeit darstellt.
Die von R. Schmidt und W. Weichardt inaugurierte Protein-
körpertherapie hat uns die Anregung gegeben, die Allgemeinwirkung
der Röntgenstrahlen mit den gleichen Methoden zu untersuchen, welche
beim .Aufbau der Proteinkörpertherapie zur Erklärung ihrer heilenden,
an allen Zellen angreifenden Wirkung angewendet w’urde. d. h. nach
Ifldizien einer erhöhten Funktion der verschiedensten Organ-
systeme zu suchen fl]. Die durch parenterale Gaben von Proteinen her¬
vorgerufene Steigerung der Vitalität lässt sich vor allem durch den
Nachweis von Veränderungen des Blutes in seinem morphologischen,
chemischen und serologischen Verhalten am leichtesten demonstrieren:
Es tritt nach Zufuhr von Ei\Veisskörpern verschiedenster Art eine Leuko¬
zytose als Zeichen einer erhöhten Knochenmarkstätigkeit ein. eine Ver¬
mehrung des Fibrinogens als Resultat einer intensiveren Arbeit von
Knochenmark und Leber, die das Fibrinogen sezernieren, eine Be¬
schleunigung der Gerinnung infolge erhöhter Sekretion des Thrombo-
zyms, eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels als Folge einer vermehrten
Zuckerbildung, besonders der Leber aus ihrem Glykogenspeicher, eine
Anreicherung von Antikörpern und vieles andere.
Genau dasselbe ist der Fall nach Röntgenbestrahlungen: Fieber als
Zeichen einer erhöhten Erregbarkeit des Wärmezentrums kann auftreten
•Aie nach parenteraler Zufuhr von Eiweiss, besonders häufig bei tuber¬
kulösen Prozessen (Küpferle [2], M. Fraenkel [3]). Die Rönt-
senisierungsleukozytose ist eine schon lange bekannte Tatsache:
'D e m i e V i 1 le [4], Krause und W ö h 1 e r f5], Nürnberger [6],
Arnold [7] u. a.)
In dieser Hinsicht sei besonders auf die ausgedehnten Unter¬
suchungen von Siegel f8] hingewiesen: Wenn man die von diesem
Eorscher aufgestellten Leukozytenkurven nach den in der Gynäkologie
üblichen Bestrahlungen betrachtet, so zeigt sich eine ganz auffallende
bis in alle Details gehende Uebereinstimmung mit den Veränderungen,
die man nach Injektion von Proteinkörpern findet f9l: In beiden Fällen
steigen nach kurz vorübergehendem Abfall (Wagner flO] für die
Sirahlentherapie) die Neutrophilen an. um dann nach einigen Tagen sogar
anter die Norm auf leukopenische Werte zu sinken. Die Lymphozyten-
!-?jrve vollführt dieselbe Bewegung, aber langsamer: Während des An¬
stieges der Neutrophilen sinkt sie noch und steigt erst zur Zeit des
Neutrophilenabfalles auf übernormale Werte. Nur bei Bestrahlung mit
zanz grossen Dosen (der Karzinomdosis) fehlt der Anstieg der Lympho-
ryten bei Fällen von Karzinom. In diesen Fällen ist jedoch die durch
Se ‘Karzinomerkrankung als solche bedingte Schädigung der Lympho¬
zyten (vgl. M o e w e s [25]) zu berücksichtigen, so dass eiae spezifische
-Strahlenwirkung zw’eiten Grades“ (Siegel) uns nicht erwiesen
trscheint- In - dieser Art verhält sich die Leukozytenkurve, wenn
I ^ .Ausgangswerte normal sind. Besteht aber von vornherein
ernt Leukozytose, so tritt Abfall dieser nach Röntgeneinwirkung in
tciB derselben Weise ein, wie nach parenteraler Proteinkörper-
z^r. — Wir wollen mit dieser Parallelstellung von Röntgen-
‘frahJen- und Proteinkörperwirkung auf die Blutveränderungen keines-
♦ egs die ganz sichergestellte spezifische (d. h. besonders intensive
elektive) Einwirkung der Röntgenstrahlen bei direkter
j Applikation auf die hämatopoetischen Organe in Frage stellen. Aber
I :iese Einwirkung darf nicht verwechselt werden mit der
I - c r n w i r k u n g, welche die Röntgenbestrahlung eines beliebigen
Teöes des Organismus auf die hämatopoetischen Organe ausübt; diese
ein vollkommenes Analogon der Proteinkörperwirkung. —
Wir selbst untersuchten das Verhalten der Gerinnungszeit, des
rbrinogens. des Blutzuckers, der Typhusagglutinine, des Bilirubin-
ip:egels und der Blutkatalase nafch Bestrahlungen. Wir verwendeten
.erschiedene Dosen, wie sie bei Behandlung innerer Krankheiten üblich
sird, d. h. kleinere und mittlere Intensitäten von durch 3, 4. 5 mm Al oder
mni Zn gefilterten, möglichst homogenen Strahlen der Lilienfeld-
' hrc bei 23 cm Fokus-Hautabstand ^), und zwar bestrahlten wir ver-
’) Es handelt sich um Erkrankungen verschiedener Organe, bei denen
bekannten Indikationen die Bestrahlung vorgenommen wurde (Tbc-Lym-
’oxm. Wirbelkaries, Myelose etc.), als auch um Kranke mit Beschwerden,
Aktionen neurogener Natur ohne organische Veränderungen, bfci denen-die
Digitized b)
Gotigle
schiedene Organe, so die Milz, Leber, das Gesamtabdomen, Lymph-
drüsen, Extremitäten etc. Wir variierten in den einzelnen Bestrahlungen
Stärke und Ort der Einwirkung, weil sich bald berausstellte, dass beide
von bestimmtem Einfluss auf die erhaltenen Resultate sind. Im allge¬
meinen zeigt sich, dass meist nur bei Bestrahlung innerer, besonders
abdomineller parenchymatöser Organe mit nicht allzu grossen Dosen,
die jetzt näher zu besprechenden Veränderungen der Blutbeschaffenheit
eintreten, nicht dagegen bei Bestrahlung von Muskeln oder Gelenken. —
Was die \
Gerinnungszeit
betrifft, so fanden wir in unseren Versuchen recht w'echselnde^ Verhält¬
nisse. Doch glauben w'ir, eine gewisse Gesetzmässigkeit aus 'den von
uns nach der Methode von B ü r k e r erhaltenen Werten des Beginnes
der Fibfinfällung als auch ihrer Beendigung herauslesen zu könnnen,
wenn wir die Stärke der Bestrahlung und ihren Ort berücksichtigen: so
trat in einem Falle, wie Kurve I zeigt, nach Bestrahlung der Milz unter
Kurve 1. -Fibrinogen in %. .- Beginn der Gerinnung.
-BlutzucKer in ® o#. .Ende der Gerinnung.
5 mm Al bei einer Oberflächendosis von ca. 300 F. eine Verlängerung
der Oerinnungszeit ein, dagegen nach Bestrahlung unter 3 mm Al bei
etwa gleicher Oberflächendosis, also bei kleinerer Tiefendosis eine deut¬
liche Beschleunigung hervor. Es gelingt also zweifellos, durch Wahl
möglichst geringer Dosen die Gerinnung des Fibrins zu beschleunigen.
In der Literatur finden w4r widersprechende Angaben: Viele
Forscher finden kurz nach der therapeutischen Bestrahlung von Tu¬
moren etc. eine Beschleunigung (z. B. Lew in [ll], Szenes [12|),
besonders regelmässig nach Milzbestrahlungen (Stephan [13],
J u r a s z [14]). Dagegen finden S e i t z und W i n t z [I5] immer (auch
bei ihren schwächsten Bestrahlungen) eine Verlängerung der Blut¬
gerinnungszeit, zw'eifellos. weil ihre geringsten Dosen (1 HED. unter
0,5 Zn) relativ recht gross sind. Die Gerinnungsbeschleunigung tritt
jedoch keineswegs, wie Stephan glaubt, nur nach Bestrahlung der
Milz ein, wir finden sie. auch nach Bestrahlung anderer Körperregionen,
z. B. tuberkulöser Lymphome etc., ebenso wie Szenes [12],
Lewin [ll],Tichy [16] u. a. Ob der Mechanismus der Gerinnungs¬
beschleunigung nach Milzbestrahlung und derjenigen durch Bestrahlung
anderer Organe ein verschiedener ist, wie Stephan darlegt, haben
wir nicht untersucht. Die Veränderungen des
Fibrinogengehaltes “*)
untersuchten wir an 11 Fällen mit 13 Bestrahlungen. Es ergab sich da
fast konstant ein oft sehr beträchtlicher Anstieg nach der Bestrahlung,
der seinen Höhepunkt meist am Nachmittag des Bestrahlungstages,
manchmal aber auch erst am nächsten Tag erreichte. Dem Anstieg geht
gelegentlich ein mehr öder weniger ausgesprochener Abfall des
Fibrinogengehaltes kurz nach der Bestrahlung voraus (negative Phase).
In ganz analoger Wei^e verhält sich der
Blutzuckerspiegel
(an 15 Patienten geprüft). Sicherlich beruht die Steigerung der Qly-
kosurie bei Diabetikern, die von mehreren Autoren nach der Bestrahlung
beobachtet wurde (Men6trier, Fourraine-Mallet [17]) primär
auf der von uns gefundenen Erhöhung der Glykämie.
Kurve 2. -Blutzucker. . Fibrinogen.
Bei den Untersuchungen auf Fibrinogen und Blutzuckergehalt war die
Dosis der Röntgenstrahlen nicht von so ausschlaggebender Bedeutung
Bestrahlung von Milz. Leber etc. im Sinne einer ganz unschädlichen Suggestiv¬
therapie bzw- einer Stoffwechselumstimrnung vorgenommen wurde.
Methode nach W i n t e r n i t z durch Bestimmung der Differenz zwi¬
schen Refraktion von Serum und Hirudinplasma.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
wie bei der Gerinnung. Die Intensitätsbreite, innerhalb welcher die
Bestrahlung Erhöhung erzeugte, ist eine viel grössere. Dagegen spielt
der Ort der Bestrahlung zweifellos eine bedeutende Rolle. Um ein
Beispiel anzuführen, sehen wir in Kurve 2, dass nach der 1. Bestrah¬
lung beider Kniegelenke sich weder Fibrinogen noch Blutzuckergehalt
veränderten. Dagegen in ganz deutlicher Weise bei derselben Patientin
nach Bestrahlung der Leber, und andererseits sehen wir in Kurve 1,
die wir schon bei der Gerinnung erwähnt haben, bei Applikation einer
relativ stärkeren Strahlenmenge auf die Milz einen relativ geringeren
Einfluss, während eine geringere Dosis stärker ansteigende Werte des
Fibrinogens und Blutzuckers erzeugt. — Wir kommen zur Besprechung
des Verhaltens der
Agglutinin e.
In der Literatur finden sich einige Angaben über die Wirkung der
Röntgenstrahlen auf die Immunstoffe und die Resistenz gegen Infek¬
tionen bei Tieren. Ouadrone [18] fand, dass die Röntgenstrahlen die
Produktion von Bakteriolysinen anregen und die Resistenz des
Organismus gegen pathogene Mikroorganismen erhöhen. Leiden-
f r 0 s t vermisste eine Einwirkung auf die Präzipitinbildung bei
Kaninchen. Benjamin und S1 u k a [19] erzielten eine Schädigung
durch grosse Dosen. Manoukhine [20] behauptet, durch Milz-
bestrahlnug einen viel höheren Typhus-, und Choleraagglutinin- und
Hammelbluthämolysintiter bei Kaninchen erhalten zu haben als bei
nicht bestrahlten Kontrolltieren. Fiorini und Zironi [21] konnten
diesen Befund nicht bestätigen. — Wir verwendeten in unseren Ver¬
suchen eine Anordnung, die erwartungsgemäss leichter zum Ziele führen
musste; während des ansteigenden Teiles und Gipfels der Antikörper
ist die Kurve selbst durch das spezifische Antigen und auch durch
tödliche Bestrahlungsdosen, welche vor der Impfung die Agglutinin¬
bildung schädigen (E. Fraenkel und Schilling [22]), nur schwer
zu beeinflussen. Dagegen gelang Tes, nach Abfall der Kurve durch ver¬
schiedene unspezifische Reize Fleckseder, Konradi und Bie 1 ing,
Weichardt und Schräder durch Proteine, Borchardt durch
Organpräparate, L i p p m a n n durch Mesothorium [23]) eine neuerliche
Bildung von spezifischen Antikörpern anzufachen. Wir bestrahlten also
mehrere Typhusrekonvaleszenten oder einige Wochen vorher mit
Typhusvakzine geimpfte Patienten mit verschiedenen Röntgendosen auf
Milz, Leber, Knochenmark. Abdomen etc. Herr Assistent Dr. Gruschka
am hiesigen hygienischen Institute (Prof. Bail) hatte die grosse
Freundlichkeit, für die wir ihm auch hier danken, die notwendigen
zahlreichen Agglutinintiterbestimmungen durchzuführen. Die Aufstellung
der Kurven ergibt nur eine geringe Beeinflussung des Agglutinintiters
durch die Röntgenbestrahlung. Immerhin trat jedoch in den meisten der
aufgestellten Kurven, falls die Bestrahlung während des absteigenden
Teiles der Kurve vorgenommen wurde, in den meisten Fällen — zu
häufig, als dass man an einen Zufall glauben könnte — in der Zeit nach
der Bestrahlnug eine Zacke hervor, die einer kurz dauernden Ver¬
mehrung der Agglutinine entsprach *). Die Latenzzeit für das Er¬
scheinen dieser Zacke betrug 2—6 Tage. Gerade das häufige Auf¬
treten dieser Vermehrung einige Zeit nach der Bestrahlung spricht dafür,
dass doch die Röntgenstrahlen das Gleichgewicht der Aggutininkurve in
positivem Sinne zu beeinflussen vermögen, jedoch bei weitem nicht so
stark wie das für die verschiedenen Proteinkörper beschrieben wurde.
Bilirubinspiegel.
Bei sechs Patienten prüften wir in täglichen Untersuchungen den
Einfluss der Bestrahlung verschiedener Körperregionen auf den Bilirubin¬
spiegel des Blutes. Oft hätte zum Vergleich die Berücksichtigung der
Intensität der Gelbfärbung der einzelnen Sera genügt (s. Meulen-
grächt, D. Arch. f. klin. M. 132.), um aber sicher zu gehen, dass
die verschiedene Gelbfärbung der Sera wirklich durch Bilirubin bedingt
war, bestimmten wir jedesmal quantitativ den Bilirubingehalt des
Serums nach der Methode von Hijmans van den Bergh. Auch
hier zeigte sich eine zweifellose FernwMrkung der Röntgenstrahlen. In
vier der untersuchten Fälle kam es am Tage nach der Bestrahlung zu
einem Anstieg des Bilirubinspiegels, besonders intensiv in einem Falle
von Lymphogranulomatose, dessen affizierte Halsdrüsen ziemlich intensiv
(je 7 H an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) unter 0,5 mm Zn bestrahlt
wurden. Von 0,55 : 200 000 stieg der Wert auf 0,80 am nächsten und
1,35 am dritten Tage und sank dann wieder ab.
Blutkatalase.
Es gelang uns nicht, eine Veränderung der Katalasezahl des Blutes
(ausgedrückt durch die Menge H 2 O 2 , die von 10 ccm einer 1 proz.
H202-Lösung durch 10 ccm einer 1 proz. Blutaufschwemmung innerhalb
von 2 Stunden zersetzt wurde) nachzuweisen, so dass wir nach
mehreren Versuchen wxitere Untersuchungen in dieser Richtung auf-
gaben.
Bisher haben wir die Fernwirkung der Röntgenstrahlen auf ganz
bestimmt definierte, morphologische, chemische oder serologische Vor¬
gänge im Organismus behandelt und in allen diesen Fällen eine Er¬
höhung des normalen Niveaus festgestellt. Die Analogie der Röntgen-
fernwMrkung zur Proteinkörperwirkung geht aber noch weiter, sie be¬
trifft auch kompliziertere Vorgänge, die wir noch nicht in die einzelnen
Faktoren auflösen können. Es gelingt durch Röntgenbestrahlung der
verschiedensten Körperregionen genau wie nach Proteinkörperzufuhr
®) Die Vermehrung reichte nie über ein Röhrchen der Reihe 1: 100. 1: 200,
I: 500, 1: 1000, 1: 5000, l: 10 000.
Herdreaktionen
verschiedenster Art am Orte der Erkrankung, der von den Strahlen
gar nicht getroffen wurde, hervorzurufen. R. S c h m i d t [24] hat auf die
Erfahrungen der Proteinkörpertherapie gestützt, die sich immer mehr
bahnbrechende These auf gestellt: „Jeder Reiz der genügend In- und
extensiv den Organismus in Mitleidenschaft zieht, kann Herdreaktionen
auslösen.“ Und zu diesen Reizen gehört auch die Röntgenbestrahlung.
Vereinzelte hierher gehörige Beobachtungen wurden besonders bei der
Röntgentherapie von Hautkrankheiten gemacht. W. DeaneButcher
erwähnte in einem Referat auf dem IV. internationalen Kongress für
Physiotherapie in Berlin 1913 Fälle von Lupus, bei denen auf Bestrah¬
lung der Affektion oder von affizierten Drüsen in einer Region eine
Besserung an anderen SteUen folgte. Ebenso bei Akne und Lupus
erythematodes. Die Besserung tuberkulöser Drüsen einer nicht be¬
strahlten Gegend nach Bestrahlung der Drüsen, an anderer SteUe ist
nicht selten zu beobachten.
Wir konnten ganz entsprechende Herdreaktionen bei Gelenkaffek¬
tionen auslösen: In einem Falle von chronischer progressiver Arthritis,
kombiniert mit sekundärer Anämie und Hyperbilirubinämie traten beim
Versuch der therapeutischen Beeinflussung durch Milzbestrahlung (8 H
unter 3 mm Al) nicht nur Vergrösserung der Milz und nerisolenitische
Schmerzen und Vermehrung der Hyperbilirubinämie. sondern auch be¬
deutend stärkere Schmerzen in den affizierten Knie- und Handgelenken
auf. In einem Falle von Arthritis gonorrhoica traten eine Stunde nach
Bestrahlung des Abdomens (9 H unter 4 mm Al auf ein Feld 15:15)
vermehrte Schmerzen in dem ergriffenen Handgelenke auf. dann aber
ging die hartnäckige Schwellung des Gelenkes, welche auf die bis¬
herigen Massnahmen (Umschläge, Milchinjektionen. Diathermie) nur
wenig sich geändert hatte, ganz rapid zurück und die Bewegungsfähig¬
keit besserte sich ganz auffallend (negative und positive Phase der
Herdreaktion). Einige Tage vor der 2. Bestrahlung (etwa 3 Wochen
nach der ersten) schwoll der Handrücken abermals leicht an. ohne dass
jedoch die geringsten Schmerzen vorhanden waren. Kurz nach der
2. Bestrahlung (5 H. 4 mm Al. Rücken. 15 zu 15) stellten sich neuerlich
stechende Schmerzen im ergriffenen Gelenk ein. ln einem Falle von
Spondylitis mit Paraplegie beider Beine bewirkte nicht nur die Be¬
strahlung der befallenen Wirbel Parästhesien in beiden unteren Ex¬
tremitäten (wahrscheinlich infolge Ansprechens des bestrahlten Herdes),
sondern in ganz derselben Weise, ja fast intensiver, die Bestrahlung des
Abdomens (10 H, 4 mm Al, 15:15). Bei einem Falle von Tabes
konnten durch relativ geringe Bestrahlung des Abdomens (8 H, 4 mm Al,
15:15) lanzinierende Schmerzen ausgelöst werden. Diese Beispiele
mögen genügen, um zu beweisen, dass ausser einer Lokalreaktion des
röntgenbestrahlten Gebietes auch eine entfernte Herdreaktion auftreten
kann.
Wenn wir uns nun nach dem Mechanismus all dieser Veränderungen
fragen, die wir bisher behandelt haben, so scheint es am naheliegend¬
sten und wahrscheinlichsten anzunehmen, dass in den Körperteilen, die
von Strahlen getroffen werden, Stoffe entstehen, die in den Blutstrom
gelangen und so die Träger einer Fernwirkung werden. Man könnte
da ap die Werner sehe Cholinhypothese denken, nach welcher aus
dem Lezithin der Zellen durch die Röntgenstrahlen Cholin abgespaltet
wird, das überhaupt die Ursache jeder Röntgenwirkung sein tsoll.
Wahrscheinlicher aber erscheint uns die Annahme, dass es Stoffe
eiweissartiger Natur sind, die aus den ja schon bei geringen Bestrah¬
lungen zerfallenden, überall im Gewebe vorkommenden Lymphozyten
entstehen. Dafür spricht das Fehlen der für die spezifische Röntgen-
wirktung so charakteristischen langen Latenzzeit und die Gleichzeitigkeit
der beschriebenen Veränderungen mit dem Lymphozytenzerfall, der
schon einige Stunden nach der Bestrahlung einsetzt, wie seit den
Untersuchungen H e i n e k e s oft und immer wieder bestätigt wurde.
Und dann erklärt diese Annahme aufs beste, dass gerade die Be¬
strahlung lymphozytenreicher Gewebsteile, wie im Abdomen gelegenei
Organe viel intensivere Wirkungen hervorruft als die Bestrahlung vor
Regionen, in denen keine grösseren Anhäufungen von lymphadenoiderr
Gewebe Vorkommen.
Zusammenfassend wiederholen wir, dass durch Röntgenbestrahluni
verschiedenster Körperregionen, sowohl normaler als pathologisch ver
änderter, Fernwirkungen verschiedenster Art erzielt werden, die gan
gleicher Art sind wie die nach Proteinkörperinjektionen: Die Ge
rinnungszeit des Blutes nimmt bei kleinen Dosen ab, bei grösseren zi
Der Fibrinogengehalt des Blutes und der Blutzuckerspiegel steigen kor
stant an, ebenso recht häufig der Bilirubinspiegel. Auch der Ag
glutiningehalt wird in geringer Weise im Sinne einer Vermehrung i
vielen Fällen beeinflusst. Die Katalasezahl des Blutes ändert sich nicli
Es kann ebenso wie nach Proteinkörperinjektionen zu einer Here
reaktion im nicht bestrahlten Erkrankungsherd kommen, und zwar m
negativer Pffase unter Zunahme der Krankheitserscheinungen als auc
folgender positiver Phase mit Besserung der Herdsymptome über dt
Status QUO hinaus.
Literatur.
t. o. r. iva«iici»uu. vji uuumKcii i^rciieinKorpertnerapi
Weichardts Ergeh, d. Hyg. 4. 1920. — 2. Küpferle: Strahlentherap;
V. S. 661. — 3. Fraenkel: Verh. d. 10. Kongresses der deutschen Röntge
gesellschaft ,1913. — 4. Demißville: Nach Christen: Strahlentherar
IX. 1919. S. 590. — 5. Krause und Wähler: Verhandl. d. 10. Konj
d. deutsch. Röntgenges. 1913. — 6. Nürnberger: D.m.W. 1915 Nr 24
25 S. 700. — 7. Arnold: M.m.W. 1916 Nr. 5 S. 149. ~ 8 Siege
Strahlentherapie X. — 9, Siehe R. Schmidt und P. K a z n e 1 s o n: Zscl
Digitized by Gougle
Original from
UlMtVEftSITY OFCALIFORNIA
l Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT:
135
f. klin. Med. 83. — 10. Wagner: Strahlentherapie X. — 11. Lew in:
32. Kongr. f. inn. Med. 1920. Diskuss. z. Vortr H e u b n e r. — 12. S z e n e s:
M.m.W. 1920 Nr. 27. — 13. Stephan: M.m.W. 1920 Nr. 11 S. 309. —
14. J u r a s z: Zbl. f. Chir. 1920 Nr. 27. — 15. S e i t z und W i n t z: Unsere
Methode der Röntgentiefentherapie, Wien-Berlin 1920 S. 243 ff. — 16. Tichy:
Zbl. f. Chir. 1920 Nr. 46. — 17. Soc. mdd. des höp. 26. IX. 1909. — 18. Nach
Christen, Strahlenthejrapie IX. — 19. Manoukhin: Soc. biol. 1913
S. 1221, Sdm. mdd. 1913, 21. — 20. Benjamin und Sluka: W.kl.W.
1908 Nr. 26 S. 311. — 21. F i o r i n i und Z i r o n i: Strahlentherapie V. 1914
S. 317, VI. 1915 S. 457. — 22. F r a e n k e I und Schilling: B.kl.W.
1912 S. 1299. — 23. S. Literatur oben unter 1. — 24. R. Sc h m i d t: D. Arch.
i. klin. Med. 131. S. I. — 25. Moewes: Zbl. f. klin. Med. 89. S. 298.
Aus dem St. Johannishospital zu Dortmund.
(Chirurg Abt.: Prof. Vogel.)
Die D'ekapsulation der Niere.
Vpn K. Vogel.
Die chirurgische Behandlung der Nierenerkrankungen, die erst
wenige Dezennien alt ist, knüpft sich an die Namen H a r r i s o n und
Edebohls an. die beide die operative Entfernung der Kapsel von
der eikrankten Niere Vornahmen, aber von verschiedenen Gesichts¬
punkten aus geleitet wurden.
H a r r i s 0 n nahm an, die entzündlich geschwollene Niere würde
in ihrer straffen Kapsel so beengt, dass ihre Zirkulation und damit die
Ubenstätigkeit der Zellen geschädigt würde. Er machte daher Ent¬
spannungsschnitte in die Kapsel, und zwar zunächst in Fällen von
Nephritis nach Infektionskrankheiten (Scharlach und Influenza). Der
klinische Erfolg bestätigte seine Voraussetzungen. >
Edebohls ging zuerst gegen die Schrumpfniere vor. Er be¬
fürchtete mangelhafte Durchblutung der in die derbe und gefässarme
Kapsel eingeschlossenen, teilweise bindegewebig entarteten Niere und
hofite, durch Entfernung der Kapsel eine Gefässanastomosierung zwi¬
schen Niere und Umgebung zu ermöglichen, nach Art der Talma sehen
Operation bei der Leberzirrhose. Auch er beschreibt gute Erfolge,
von 19 Fällen sah er 9 vollkommen heUen. in einer Anzahl anderer
Besserung.
Sippel entfernte 1904 zuerst bei Eklampsie die Nierenkapsel und
heilte die Patientin. Er stellte später 46 Fälle zusammen, von denen
geheilt wurden.
Seitdem sind eine Anzahl von einschlägigen Fällen in der Literatur
berichtet; es sind neben der klinischen Beobachtung experimentelle
Arbeiten gemacht worden zu dem Zweck, den- Heilwert der Nierenent¬
kapselung festzustellen und zu erklären.
Ich gehe nicht auf die ganze Literatur ein; sie ist bis 1913 genau
zusammengestellt und gewürdigt bei Ruge‘) (Ergehn, d. Chir. u. Orth.
Bd. VI).
In Deutschland hat wohl Kümmel!*) das meiste klinische Ma¬
terial veröffentlicht. Seine Erfolge sind so gute, dass man sich wundern
muss, dass die Entkapselung nicht mehr Anhänger gefunden hat. Die
Internisten stehen zweifellos dem Eingriff noch recht skeptisch gegen¬
über. sonst würden sicher mehr Fälle veröffentlicht sein als es der
Fall ist.
Ich habe 14 Fälle in den letzten 10 Jahren operiert, gegenüber
Kümmell nicht vfg], aber doch genug, um mich von der segens¬
reichen Wirkung der Dekapsulation, in geeigneten Fällen angewandt,
fest zu überzeugen.
Um diese Ueberzeugung auch anderen Kollegen mitzuteilen, gebe
ch die Fälle bekannt; ich glaube, die Krankengeschichten sprechen für
"-ca selbst. Ich bringe sie nur in abgekürzter Form, soweit sie für die
Beurteilung des Wertes des Verfahrens von Bedeutung sind.
1. Josef H., 8 Jahre, aufgenommen 27. III. 1907. Akute Nephritis nach
?ben überstandenem Scharlach: Oedem des Gesichtes und der FQsse. Urin:
'tenge 700, spez. Gew. 1030, Eiweiss 5 Prom., reichlich Zylinder, Erythro¬
zyten. Leukozyten, Epithelien.
ln den nächsten 2 Wochen kein Erfolg der internen Behandlung, daher
>kapsulation 11. IV. 07: Beide Nieren vergrössert, gestaut, Kapsel ge-
zjannt, sonst nicht verändert. Bald nach der Operation Steigen der Urin-
Schwinden der Oedeme, Zurflekgehen des Eiweissgehaltes. Anfang
Bii klinisch geheilt entlassen.
2. Elis. J., 7 Jahre, aufgen. 25. VII. 11 mit akuter Nephritis ohne
'^ruierbare Vorkrankheit.
Urin: Menge 750, spez. Gew. 1027, Alb. 5 Prom., viel Zylinder. Da
‘>:erne Mittel versagen, doppelseitige Dekapsulation: Beide Nieren gross,
trall. blaurot; Kapsel gespannt, nicht verdickt. Erfolg: promptes Zurück¬
seben der Krankheitssymptome. Anfang Oktober klinische Heilung.
3. Heinrich D., 26 Jahre alt, aufgenommen 9. X. 12 mit Diagnose
'»«phritis. Seit mehreren Wochen Kopfschmerzen, Mattigkeit, Rücken-
bmerzen. Seit einigen Tagen Oedem der Beine.
Befund: Blass, sonst kräftig. Urin trüb; spez. Gew. 4017, Albumen
■‘2 Prom. Granul. Zylinder, Epithelien, Erythrozyten. — Oedeme. Am
X. Alb. 8 Prora.
7. XII, Menge 670 ccm, spez. Gew. 1023, Alb. 13 Prom. Im Sediment
'«ichlich granulierte Zylinder, Epithelien, Erythrozyten. Daher 9. XII. De-
kapsalation beiderseits wegen drohender Urämie. Nieren gross, gestaut,
Ifapsel dünn, gespannt, etwas adhärent.
20. XII. Kopfschmerzen und Oedeme weg. Urin: Menge 1300, spez.
’) Siehe dort die übrige Literatur.
*) S. bei Rüge; ausserdem D.m.W. 1920 Nr. 11/12.
Nr. 5
Gew. 1018, Alb. 1/4 Prom, Zylinder, Leukozyten, Epithelien noch in ge¬
ringer Zahl; Erythrozyten fehlen.
Weitere Besserung.
31. III. Pat, wird geheilt entlassen.
4. Gustav F., 3 Jahre alt, aufgen. 1. 111. 13. Vor 4 Wochen an
Diphtherie erkrankt. Jetzt Nephritis, seit mehreren Tagen Gesicht und Füsse
Oedem.
Befund: Blasses Kind, stark ödematös und dvsonoisch: starke Bron¬
chitis. Urin: Menge 450, spez. Gew. 1020, Alb. 10 Prom. Viel gran. Zyl.,
Erythrozyten. Leukozyten. Epithelien.
11. III. Seit gestern bewusstlos; Erbrechen, daher Dekapsulation doppel¬
seitig. Beide Nieren gross, prall, blaurot. Kapsel dünn, gespannt. Nach
der Operation keine urämischen Anfälle mehr. Alb. 7 Prom. Bewusst¬
sein klar.
19. III. Rechtseitige Pneumonie an der das Kind 21. 111. stirbt.
5. Dorothea S., 5 Jahre alt, aufgen. 7. XI. 13. Vor 3 Jahren Scharlach;
vor % Jahr Gelbsucht; seit 3 Wochen Schmerzen und Mattigkeit in den
Gliedern.
Befund: Blass, sonst kräftig. Ueber beiden Lungen reichlich klingende
feuchte Rasselgeräusche.
Urin: Menge 830 ccm, spez. Gew. 1020, Alb. 3 Prom. granul. Zyl.,
Leukozyten, Erythrozyten.
22. XI. Urinmenge 700 ccm, spez. Gew. 1022, Alb. 7 Prom.
29. XI. Urinmenge 350 ccm, spez. Gew. 1030, Alb. 854 Prom.
5. XII. Dekapsulation doppelseitig. Nieren stark gestaut, Kapsel dünn,
leicht abziehbar.
25. XII. Urinmenge 900 ccm, Alb. 54 Prom,, vereinzelt Zylinder und
Leukozyten. •
19. I. 14. Urin frei. Pat. geheilt entlassen.
6. Maria B., 9 Jahre alt, aufgenommen 26. XI. 13. Hat vor einiger
Zeit Angina gehabt, jetzt Husten, Kopf- und Rückenschmerzen; seit mehreren
Tagen Oedeme. .
Befund: Blass, Gesicht und Füsse ödematös. Diffuse Bronchitis.
Urin: Menge 900ccm, spez. Gew. 1017, Alb. 2 Prom.
29. XI. Typische skarlatinöse Abschuppung.
23. XII. Urin: Menge 800; spez. Gew. 1020, Alb. 5/4 Prom.
8. I. 14. Weitere Verschlimmerung, daher Dekapsulation doppelseitig.
Nieren gross, prall, blaurot. Kapsel etwas verdickt, gespannt und leicht
adhärent.
14. I. Urin: Menge 1000 ccm, spez. Gew. 1018; Alb. 1/4 Prom. Granul.
und hyal. Zyl., Leukozyten, Erythrozyten.
9. II. Urin: Menge 1000ccm. Alb.: Spuren. Auf Wunsch entlassen.
Ist vollkommen geheilt.
7. Karl P., 19 Jahre alt, aufgen. Ende Februar 1914. Nephritis nach
Scharlach. Urin: Menge 750, Albumen 7 Prom. Daher 17. III. 14 Dekapsu¬
lation beiderseits. Nieren gross. Kapsel prall, dünn. Ende Mai 1914 ist
Pat. geheilt entlassen worden. Nähere Angaben sind nicht mehr vor¬
handen.
8. Hugo W., Soldat, 26 Jahre alt, aufgen. 22. V. 15 Wegen Schussver¬
letzung. Am 21. VI. stellte sich Oedem der Füsse ein. Keine Anamnese.
Befund: Kräfte gut. Urin; Menge 1000. Alb. 54 Prom.; Zylinder
und Leukozsrten.
21. VII. Urin: Menge 450ccm, spez. Gew. 1022, Alb. 954 Prom.,
granul. und hyal. Zyl., Leukozyten.
28. VII. Dekapsulation beiderseits, Kapsel verdickt, aber leicht ablösbar,
Nieren gross, gestaut. •
5. VIII. Urin: Menge 1200ccm, spez. Gew. 1018; Alb. 3 Prom. Nur
noch wenig Zylinder.
16. IX. Wird geheilt wegen der Verletzung ins Heimatlazarett verlegt.
9. Fritz C., 654 Jahre alt, aufgen. 27. X. 15. Seit 26. X. Scharlach.
Befund: Skarlatina. Urin frei.
24. XI. Fieberfrei; Urin: Alb. 3 Prom.
14. XII. Urin: Menge 650, spez. Gew. 1018, Alb. 3 Prom., Zylinder
und Leukozyten. Kind wird auf Befehl der Eltern entlassen, kommt wieder
am 11. II. 16. Urin: Menge 120 ccm, spez. Gew. 1022, Alb. 8K Prom.,
keine Zylinder und Leukozyten. Dekapsulation beiderseits. Nieren gross
und prall. Kapsel dünn, straff, leicht adhärent.
20. II. Urin: Menge 800ccm, Alb. Yi Prom.
14. III. Kind wird geheilt entlassen.
10. Antonie B., 18 Jahre alt, aufgen. 19. I. 16. Diagnose: Akute
Nephritis ohne Anamnese.
Befund: Starke Bronchitis; etwas Zyanose und Oedeme. Urin:
Alb. 10 Prom., Leukozyten und Zylinder.
27. I. Verschiedentlich urämische Anfälle. Seit 36 Stunden Anurie,
daher Dekapsulation beiderseits . Nieren gross, stark hyperämisch. Kapsel
dünn, straff. Pat. stirbt 6 Stunden nach der Operation im Coma uraemicum.
11. Maria S., 24 Jahre alt, aufgen. 9. II. 16. Seit 6 Wochen Kopf¬
schmerzen und Mattigkeit. Jetzt Schwellen der Füsse.
Befund: Blass, Füsse geschwollen. Urin: Alb. 54 Prom., Zylinder
und Erythrozyten.
25. II. Urin: Menge 1000 ccm, spez. Gew. 1018, Alb. 2 Prom.
2. III. Urin: Mange 750, spez. Gew. 1022, Alb. 6 Prom.
2. IV. Dekapsulation beiderseits. Kapsel beiderseits verdickt und
adhärent. R. Niere klein, 1. vergrössert und gestaut.
14. IV. Urin: Menge 1400, spez. Gew. 1016, Alb. 54 Proz., wenig
Zylinder. 5. V. Geheilt entlassen.
12. Heinr. S.. 39 -Jahre alt, aufgen. 30. III. 16 mit der Diagnose
„Bronchitis“.
Befund: Blass, diffuse Bronchitis. Leichtes Oedem der Beine. Urin:
Alb. 3)4 Prom. Reichlich granul. Zylinder und Erythrozyten.
11. IV. Urin: Menge 950, spez. Gew. 1020, Alb. 5 Prom., reichlich
Zylinder und Erythrozyten.
2. V. Verschiedene urämische Anfälle. Dekapsulation nur linkseitig
wegen starken Kollapses. Niere sehr gross, prall, gestaut. Kapsel dünn,
schwer lösbar.
12. V, Urin: Menge 1200ccm, spez. Gew. 1017, Alb. l Pro«. Noch
Zylinder, keine Erythrozyten.
6. VII. Urin normal. Geheilt entlassen.
4
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
136
Münchener medizinische Wochenschrift
Nr. 5.
13. Gustav F.. 37 Jahre alt, aufgen, 3. IV. 16. Seit einigen Wochen matt.
Kopfschmerzen. In den letzten Tagen Oedem.
Befund: Oedeme; Urin: Menge 800 ccm, spez. Gew. 1019, Alb.
2 Prom., Zylinder und Erythrozyten.
12. IV. Urin: Menge 500ccm, spez. Gew. 1024, Alb. 10 Prom.
21. IV. Mehrfach urämische Anfälle, daher Dekapsulation beiderseits.
Nieren gross, prall, blutreich. Kapsel dünn, gut ablösbar.
23. IV. Atembeschwerden, Zyanose, Puls irregulär und klein. Abends
7 Uhr Exitus.
14. Fritz K.. 29 Jahre alter Soldat, aufgen. 26. IX. 18. Granatver¬
letzung des Beckens und Oberschenkels. Sehr starke Eiterung. Allmählich
Albuminurie (Amyloid).
4. V. 19. Albumen 2 Prom., Oedeme, Urinmenge 800 ccm.
10. VII. 19. Alb. 7 Prom., Menge 700 ccm.
20. IX. 19. Alb. 15 Prom., Kopfschmerzen, allgemeines Oedem des
ganzen Körpers. Dekapsulation doppelseitig. Nieren gross, weisslich, Kapsel
dünn, leicht abziehbar. Parenchym wächsern. Zunächst erhebliche Besse-
ung, Oedeme gehen fast ganz zurück. Urinmenge steigt auf 1400, Alb.
geht auf 5 Prom. zurück.
24. X. Exitus.
Wir haben also 6 Fälle von Nephritis nach Infektionskrankheiten
(4 mal Scharlach, 1 mal Diphtherie, 1 mal Angina), 7 Fälle von genuiner
akuter Nephritis, worunter 2 Soldaten, endlich einen Fall von schwerer
Amyloidniere infolge von langdauernder Wundeiterung, wo die Opera¬
tion nicht mit der Hoffnung auf Heilung vorgenommen wurde, sondern
um dem Patienten eine Erleichterung zu verschaffen durch Verringerung
d|| Oedems. Dieser Fall scheidet bei der Schätzung des Heilwertes der
Operation aus. Es bleiben 13 Fälle mit 2 Todesfällen, die der Operation
wohl zur Last zu legen sind, einmal Kollaps und einmal urämisches
Koma im Anschluss an die Operation. Eine frühere Operation hätte
wohl auch hier den üblen Ausgang vermieden. Ein dritter Fall starb an
Pneumonie 10 Tage nach der Operation, nachdem die Heilung der Niere
schon wesentliche Fortschritte gemacht hatte (Faii 4).
Die direkte Operationssterblichkeit ist also 2:13 =
15 Proz.
Demgegenüber steht als Erfolg: Bei allen 11 Patienten, die für die
Beurteilung des Erfolges der Operation in Frage kommen, hat die De¬
kapsulation die erstrebte Wirkung der Ausheilung der Nephritis gehabt,
denn auch der an Pneumonie gestorbene Knabe war auf dem Wege der
Heilung. Das Eiweiss ist aus dem Urin verschwunden, ebenso die Form¬
elemente. die Oedeme gingen zurück, urämische Symptome traten nicht
mehr auf, die Urinmenge stieg, kurz, alle Patienten wurden geheilt und
sind, soweit spätere Nachrichten zu erhalten waren, auch heil geblieben.
Besonders aufmerksam machen möchte ich noch auf das rapide Zu¬
rückgehen desEiweissgehaltsdes Urins nach der Operation:
bei,Fall 3 sank das Eiweiss von 8 Prom. auf \% Prom. in 10 Tagen, bei
Fall 5 von 8i4 Prom. auf Vs Proni. in 20 Tagen, bei Fall 6 von SV» Prom.
auf VA Prom. in 6 Tagen, bei Fall 8 von 9A Prom. auf 3 Prom. in
8 Tagen, bei Fall 9 von SYs Ptom. auf A Prom. in 9 Tagen!!
Schlagender kann der Heilwert der Dekapsulation wohl nicht be¬
wiesen werden!
Berücksichtigen wir weiter, dass es sich nur um schwerste
Fälle von Nephritis gehandelt hat, bei denen sachgemässe interne
Behandlung (Oberarzt Dr. Kraemer) keinen Erfolg brachte und in
Aussicht stellte, so beweist der Erfolg der Operation die Berechtigung
des chirurgischen Eingriffes!
Noch einige Worte zur Technik der Operation selbst:
Ich habe stets in vorsichtiger Chloroformnarkose operiert,
obgleich ich mir der Gefahr des Chloroforms für Nieren und Herz natür¬
lich bewusst war. Gegen Aether spricht nach meiner Ansicht die viel¬
fach vorhandene Disposition zur Pneumonie (schon vorhandene Bron¬
chitis, Herzschwäche, vorhergegangene Infektionskrankheiten), dann auch
die iängere Zeitdauer bis zur Erreichung einer genügend tiefen Narkose.
Gegen die Lokalanästhesie spricht für mich zunächst, dass die Patienten
vielfach Kinder sind, die bei der Lokalanästhesie sich nicht genügend
rußig verhalten, weiter die unumgängliche psychische Aufregung während
der Anästhesierung und der Operation mit ihrer zweifellosen Schädigung
des Herzens. Für die Spinalanästhesie im Dorsalteil, die ja hier nötig
wäre, kann ich mich nicht mehr erwärmen, nachdem ich mehrere üble
Zufälle von der Medulla ausgehend erlebte, so sehr ich die Methode für
die unterhalb des Nabels gelegene Körperhälfte schätze. Dazu kommt,
dass die Spinalanästhesie nach meiner Erfahrung in S e i t e n 1 a g e des
Kranken nicht immer zuverlässig ist.
Die Operation hat in keinem Fall die Dauer von 18 Minuten über¬
schritten. auch bei doppelseitiger Dekapsulation. Die Menge des Chloro¬
forms war nie mehr als 15 ccm, meist erheblich weniger, da die
schwachen, oft schon somnolenten Kranken schnell* einschlafen und dann
mit wenigen Tropfen im Schlaf erhalten werden können. Diesen Insult
halten die kranken Nieren aus, besonders, da sofort mit der Dekapsulation
auch nur einer Niere eine Entlastung des Kreislaufs einsetzt.
Ich habe daher keine Veranlassung, die Chloroformnarkose zu ver¬
lassen. ich glaube, dass sie unter Berücksichtigung aller Verhältnisse von
allen zur Verfügung stehenden Anästhesierungsverfahren das kleinste
Uebel ist. Sehr wichtig ist natürlich möglichst schnelles
Operieren. Ich mache bei den auf dicker Rolle in Seitenbauchlage
liegenden Kranken einen Längsschnitt vom Rippenbogen abwärts am
Rande der M. sacrolumbalis durch Haut und Faszie, dann arbeite ich
schnell stumpf in die Tiefe durch die Fettkapsel, hebe mit dem Finger
die Niere soweit vor. dass ich die Kapsel längs auf der Höhe inzidieren
kann, führe eine Scherenbranche zwischen Kapsel und Niere ein und
schneide erstere bis zu den Polen durch. Wenn die Kapsel nicht zu
brüchig ist, kann man sie mit Klemmen fassen und an ihr die Niere
halten. Dann gelingt es -fast stets, die Kapsel nach beiden Seiten hin
bis zum Hilus hinabzuziehen bzw. mit untergeschobener geschlossener
Schere abzuheben, event. unter Nachhilfe mit dem Finger. Von der
Kapsel wird soviel als möglich entfernt. Wenn Reste am Hilus sitzen
bleiben, so schadet das nichts.
Dies alles gelingt, ohne die Niere vor die Wunde
zu wälzen, zu luxieren, was ich niemals nötig hatte.
Ich halte es für wichtig, das besonders zu betonen, denn die Luxation
des kranken Organs ist ein recht schwerer und sicher nicht ungefähr¬
licher Insult!
Ich führe dann einen nicht zu dicken Gazetampon auf die Niere und
schiebe sie nach oben in ihr Lager zurück. Die äussere Wunde wird bis
auf den Tampon genäht, die Muskulatur mit einigen tiefgreifenden
Katgutfäden, die Haut mit Seide. Auch da lege ich mehr Wert auf
Schnelligkeit als auf absolute Exaktheit der Adaption. Ich habe nie
Hernien oder andere Schädigungen von einer schnellen und daher viel¬
leicht minder genauen Naht gesehen.
Die wenigen spritzenden (jefässc fasse Ich mit einer Klemme, die ich
vor der Naht entferne, Unterbindungen sind seiten nötig.
Ist die eine Niere versorgt, so wird der Kranke schnell herum-
gedreht und auf der anderen Seite ebenso verfahren.
Ich operiere, wenn möglich, immer doppelseitig. Ob es einseitige
Nephritis öfter gibt, ist noch streitig; Kümmeil hat eine Anzahl Fälle
gesehen. Jedenfalls glaube ich. dass die Nephritis, wenn sie so hoch¬
gradig ist, dass die Operation in Frage kommt fast stets doppelseitig
ist. Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich auch auf vorherigen
Ureterenkatheterismus verzichtet um dem schwachen Kranken die damit
verbundene Strapaze zu ersparen.
' Dass auch einseitige Entkapselung genügen kann, beweist mein
Fall 12, in dem ich wegen grosser Schwäche nur einseitig vorging,
in der Absicht die andere Seite später folgen zu lassen. Die Nephritis
heilte vollkommen aus und ich habe gar nicht mehr besonders für die
zweite Operation, die der Kranke ablehnte gesprochen.
Die Indikation zur Operation muss vom Internisten
gestellt werden, der allein beurteilen kann, wann seine Mittel erschöpft
sind. Ist dieser Zeitpunkt aber da, so sollte mit dem chirurgi¬
schen Eingriff nicht mehr gezögert werden. Ich hoffe,
dass die Mitteilung meiner Fälle die Empfehlung Kümmells und
anderer weiter unterstreichen und unsere zweifellos noch weitgehend
skeptischen internen und praktischen Kollegen zu einen Versuch ver¬
anlassen wird.
Auf die Behandlung der Eklampsie, der Nephritisaposte-
matosa und des Morb. Brighti durch Dekapsulation gehe ich
mangels eigener Erfahrung nicht ein. Ich verweise auf die Arbeiten
von Rüge und für die spätere Zeit in erster Linie auf die Ausführungen
Kümmells.
Die Gegner der Operation wenden sich weniger gegen die
Argumente Harrisons, als gegen Edebohls. Zondeck be¬
mängelt wohl mit Recht an den klinischen Beweisen Edebohls, dass
derselbe Erfolge herleitet aus Fällen, die in 8 von 18 nach seiner An¬
gabe einseitig waren und zwar Wandernieren. Zondeck bezweifelt,
dass es sich dabei um echte Nephritis gehandelt habe. Er leugnet die
Bildung eines Kollateralkreislaufs von der Umgebung der Niere aus und
iehnt daher die E d e b o h i s sehe Operation ab.
Die Frage der Bildung des Kollateralkreislaufs nach Ent¬
fernung' der Kapsel ist Gegenstand vieler Untersuchungen und Experi¬
mente gewesen.
C h G1 z 0 w konnte durch Nachoperation 3 Monate nach der De¬
kapsulation ein Gewebsstückchen gewinnen, an dem er zahlreiche Ge-
fässneubildungen zwischen Niere und Umgebung fand. Er hatte nach
dem Vorschläge von Müller und Claude die Nieren mit Netz um¬
geben.
Müller und G i r g o 1 o f f stellten Qefässbildung durch Injektion
fest. Auch die Experimente von Zaaijer. Porcile, Claude.
R 0 Vighi u. a. sind positiv, während Zondeck, Thelemann.
Stern, Ehrhardt. Herxheimer u. a. keine Erfolge sahen.
Dass ein Kollateralkreislauf entstehen kann, scheint mir doch trotz
einiger negativer Beobachtungen bewiesen zu sein. Das beweist auch
der Erfolg eines so erfahrenen Beobachters, wie Kümmel!, der auch
bei Morb. Brightii einen grossen Prozentsatz Heilungen sah.
Zondeck^) w’endet gegen die Operation bei der akuten Nephritis
ein, dass dieselbe einen erheblichen Insult darstelle mit starker Blutung
bei der Entfernung der Kapsel und beträchtlicher mechanischer Läsion.
Die Blutung war in meinen Fällen nie stark, ebensowenig der
mechanische Insult. Daher ist sehr wichtig, dass die Niere nicht vor
die Wunde luxiert wird. Ich habe das nicht einmal
nötig gehabt! Man kann die Kapsel recht gut ohne Kontrolle des
Auges entfernen.
Wichtiger ist die Angabe von Zondeck und anderen (Albar-
ran, Stern), die auch von Kümmeil bestätigt wird, dass sich bald
eine neue Bindege websschicht um die Niere herum bildet
Die klinischen Erfolge bestätigen jedoch, dass diese spätere Bildung
einer neuen Kapsel den Erfolg der Operation nicht mehr beeinträchtigt.
Die Druckentlastung ermöglicht baldige vollkommene Heilung der
Nephritfs, so dass eine später sich neu bildende Kapsel ein gesundes
Organ umschliesst. Ob und wieweit eine Regeneration des ge-
■’') S. bei Rüge, ausserdem: B.kl.W. 1911 Nr. 13. Lang. .Arcli. 99. H. 2.
Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCH!-: WOCHENSCHRIKT,
137
schädigten Parenchyms stattfindet, ist fraglich. Beantworten wir diese
Frage im verneinenden Sinne, so ergibt sich die Forderung, mit der
Operation nicht zu lange zu warten, damit möglichst viel
gesundes Gewebe durch sie gerettet wird'. Darauf wird es wohl auch
bei der Schrumpfniere ankommen, möglichst früh die Degeneration durch
die Operation zum Stehen zu bringen, solange, wie Rüge sagt, „die
Kinengung der Qefässbaumes in der Niere nicht allzuweit fort¬
geschritten ist.“
Aus der medizinischen Universitätsklinik Erlangen.
(Qeheimrat Prof. Dr. Penzoldt.)
Zur Diagnostik der Duodenalerkrankungen.
(Röntgenuntersuchungenmittels des C b a o u 1 sehen Radloskops.)
Von Dr. Otto Meseth, Assistent der Klinik.
Die Schwierigkeiten der direkten röntgenologischen Darstellung des
Duodenums erklären sich aus den anatomischen und physiologischen
tigentümlichkeiten dieses Darmabschriittes. Bei dorsoventrafer Durch¬
leuchtung ist das Duodenum teilweise durch den Magen verdeckt, ferner
ist die Untersuchung dadurch erschwert, dass die Kontrastmahlzeit
jeweils nur in sehr kleinen Portionen in das Duodenum befördert wird,
letzteres nur unvollkommen ausfüllend. Vor allem aber durcheilen die
Speisen diesen Darmteil ausserordentlich schnell.
Unter den verschiedenen Methoden, welche diesen Schwierigkeiten
aus dem Wege zu gehen trachten, ist die von C h a o u 1 angegebene
theoretisch die einleuchtendste. Durch verdünnten Baryumbrei (100 Bar.
auf 400 Wasser) wird der normale Pylorusreflex möglichst ausgeschaltet;
ferner wird der Uebertritt dieser Aufschwemmung in das Duodenum
durch die Halbrechtsseitenlage des Patienten sehr erheblich beschleunigt,
auch kommt dadurch das Duodenum mehr isoliert nach rechts zur Dar¬
stellung. Vor allem aber wird (durch Aufpressen einer mit der Röntgen¬
röhre armierten Tubusblende auf die Wirbelsäule des .Patienten) die
Pars transversa inferior duodeni zwischen Wirbelsäule und Bauchwand
gedrückt und in ihren entsprechenden Teilen künstlich stenosiert. Der
Duodenalinhalt staut sich über dem Hindernis und bringt so die einzelnen
Partien genauer zur Darstellung.
Von C h a 0 u 1 wurde hiefür eine bei der Firma Reiniger, Gebbert
& Schall hergestellte Lagerungsvorrichtung (Radioskop) angegeben,
welche die fortlaufende Durchleuchtungskontrolle mittels eines Krypto-
skops, ferner die jeweils im Anschluss an die Durchleuchtung — ohne
Lagewechsel des Patienten — sofort mögliche Röntgenphotographie
zulässt. (M.m.W. 1918 S. 427 u. 1186.)
Wir haben nun an einer Reihe von Kranken, bei denen nach den
sonstigen Anhaltspunkten das Vorliegen einer Duodenalaffektion an¬
zunehmen war, ferner auch bei einer Reihe von duodenalgesunden Per¬
sonen mit Hilfe der oben bezeichneten Lagerungsvorrichtung unsere
Untersuchungen angestellt. Wir gingen hiebei folgendermassen vor:
Zunächst wurde die übliche Röntgenuntersuchung des Magens (Magen¬
aufnahme im Stehen und Verabreichung eines Baryumbreies) vor-
irenommen. Sobald der Magendarmtraktus wieder frei von Baryum-
resten war, wurde die Untersuchung mit Hilfe des Radioskops aus¬
geführt Der Patient wurde hiezu jew^eils unmittelbar nach dem Aus¬
trinken der vorgeschriebenen wässerigen Baryumaufschwemmung unter
Vornahme der Kompression in Rechtsseitenlage durchleuchtet und in Ab¬
ständen von 5, 10 oder 15 Minuten photographiert (Duodenalaufnahme),
dann erst von der Lagerungsvorrichtung weggebracht, um dort nach 2
bzw. 6 Stunden nochmals photographiert zu werden.
Ich führe zunächst die Fälle an, bei denen wir die Ausführung einer
Gastroenterostomie in der Eilanger chirurgischen Klinik veranlassten und
demnach eine genaue Besichtigung des Situs vornehmen lassen konnten.
Fall 1. Ingenieur R. S., 34 Jahre.
Seit 2 Jahren Magen^chmerzen, besonders abends. Objektiv: nüchtern
Magen leer. Probefrtihstück: Freie HCl 24, Qes.-Azid. 40, Stühle: Sanguis +-p.
Magenaufnahme (Aufnahme im Stehen nach Verabreichung von
fJrei): Etwas breiter Magen; keinerlei duodenale Anfüllung (Fig, 5). Nach
2 Stunden noch massig grosser, nach 6 Stunden kleiner Magenrest.
Duodenalaufnahmen (Fig. 1—4) ergaben eine starke Bulbus¬
deformierung, offenbar bedingt durch Spasmen oder narbige Veränderungen;
nach 2 Stunden an gleicher Stelle persistierende Duodenalflecken.
Die Operation ergab. Magen deutlich dilatiert, zeigt aber keine
krankhaften Veränderungen. An der Hinterseite der Pars horizontalis superior
duodeni fühlt man eine harte infiltrierte Stelle (Ulcus).
Fall 2. Johann ü., 35 Jahre.
Seit Jahren Magenschmerzen. Zuletzt starke nächtliche Hungerschmerzen.
Objektiv: Duodenaldruckpunkt. Nüchtern 20 ccm Inhalt. Probefrühstück:
Freie HCl 40, Gesamtazidität 65, Stühle: Blut —.
Magenaufnahme: Leicht dilatierter Magen. Duodenum o. B.
Nach 2 Stunden mittelgrosser, nach 6 Stunden kleiner Magenrest.
Duodenal aufn ahmen (Fig. 6 u. 7): Konstanter spastischer Bulbus
duodeni
Fig. 6. Nach 6 Minuten. Fig. 7. Nach 10 Minuten.
(Spast Bnlh. dnod )
Operationsbericht: Walnussgrosses Ulcus an der Hinterseite
der Pars horiz. sup. duodeni, ganz dicht am Pylorus.
Fall 3. Auguste P., 48 Jahre.
Seit Jahren zeitweise Magenschmerzen, früher 2—4 Stunden nach dem
Essen, zuletzt besonders nachts. Linkt und rechts über Nabel Druckpunkt.
Nüchtern: 0. Freie HCl 54, Gesamtazidität 82, Stühle: Sanguis —.
Magenaufnahme (Fig. 10); Hyperperistaltik, nicht dilatiert, Duo¬
denum 0 . B. Nach 2 Stunden: Rest des normalen Magens, nach 6 Stunden leer.
Fig. R. Nach .5 Minuten. Fig. 9. Nach 15 Minuten. Fig. 10.
(Pyloruszapfen und Bulbus- Aufnahme im Stehen,
dlverilkel.)
Duodenalaufnahmen (Fig. 8 u. 9); Nach 5 und 15 Minuten
Pyloruszapfen und Bulbusdivertikel. Nach 2 Stunden Magen und Duodenum
völlig leer.
Operationsbericht: Am oberen Duodenum leichte narbige Ver¬
wachsungen, insbesondere ein fester Strang, der vom Lig. hepat. duod. vorne
über die Pars horiz. sup. duod. weg an die untere Wand des Duodenums nach
der Pylorusgegend zu zieht. Man fühlt am Pylorus an der Hinterwand eine
mässige Verdickung, die mit der hinteren Bauchwand etwas verwachsen ist.
Diese Stelle entspricht sicher einem Geschwür (das also duodenalwärts vom
Verschlussring gelegen ist).
Fall 4. Wilhelm B., 30 Jahre.
Seit 3 Jahren Magenschmerzen, zeitweise tags und nachts.
Fig. 11. Nach 5 Minuten. (Aussparung
im Bulbus duod. Ulcuatumor.)
Fig 12. Nach 15 Minuten.
Objektiv: Magenplätschern; zwischen Proc. xiph. und Nabel sowie
links hievon Spontan- und Druckschmerz. Nüchtern minimale Retention,
freie HCl 32, Qesamtazidität 40, Stuhl: Blut —.
4
Digitized by Go‘ 'Sle
Original frörri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
138
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Magenaufnahme: Beträchtliche Dilatation, sonst nichts Besonderes.
Duodenum o. B. Nach 6 und 24 Stunden noch grosser Magenrest.
Duodenalaufnahmen (Fig. 11 bis 14): Persistierende Aussparung
am Bulbus duodeni.
Operationsbericht: Faustgrosser Tumor, der die Gegend des
Pylorus einnahm und der fest mit der hydropisch geschwollenen Gallenblase
und dem hinteren Teil der Leber verwachsen war. Der Tumor war hart,
höckerig. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Ulcustumor (Karzinom?);
keine Metastasen nachweisbar. Exstirpation unmöglich; geringer Aszites.
Fall 5. Anna A., 22 Jahre.
Seit Appendektomie Dezember 1919 nach Essen häufig Schmerzen in der
Magengegend (besonders unter rechtem Rippenbogen). Kein Hungerschmerz.
Sodbrennen.
Objektiv: Unter rechtem Rippenbogen etwas druckempfindliche
Resistenz. Freie HCl 18, Gesamtazidität 33, Stuhl: Sanguis —.
Magenaufnahme: Magen stark nach rechts gezogen. Nach
2 Stunden kleiner Rest: nach 6 Stunden Magen leer; Colon transv. angefüllt.
Duodenalaufnahmen (Fig. 15—16): Bulbus duodeni nach
Fig. 16. Nach 6 Minuten. Fig. 16. Nach 16 Minuten.
(Deform. Bulbl dnod )
15 Minuten anscheinend etwas deformiert (kein eindeutiger Befund). Nach
2 Stunden kleiner Rest im Bulbus duodeni. Magen sowie übriges Duodenum
frei. Dünndarmfüllung. -
Operationsbericht: Leber mit sehr zahlreichen feinen Strängen
an das Zwerchfell angewachsen. Auch die Unterfläche der Leber ist durch
ähnliche zarte Verwachsungen an die Serosa benachbarter Darmteile fixiert.
Die Gallenblase ist mittelgross, in ähnlicher Weise mit dem vorderen Leber¬
rand und dem Ouerkolon verwachsen. Nach Lösung der Verwachsungen fühlt
man in der Gallenblase mehrere kleine Steine.
Fall 6. Georg Sch., Gastwirt, 62 Jahre.
Seit 2 Jahren Magenschmerzen, nach rechts und links bis ins Kreuz aus¬
strahlend; auftretend, wenn Magen leer. Zuletzt Schlaf gestört wegen starker
Hungerschmerzen. Objektiv kein isolierter Druckpunkt. Spontanschmerz in
Gegend Ober Nabel. Nüchtern: ca. 10 ccm grünlicher Inhalt. Probefrühstück:
freie HCl 36, Gesamtazidität 76, Stuhl: Blut —.
Fig. 17. Nach 6 Minuten. Fig 18. Nach 2 Standen. Hg. 19. Aufnahme im
(Pyloruasporn u. Pylorus- Stehen
zapfen.)
Magenaufnahme (Fig. 19): Magen stärker links stehend, Pylorus-
teil breit; Duodenum o. B. Nach 2 Stunden mässiger (normaler) Magenrest,
nach 6 Stunden Magen leer.
Duodenalaufnahmen (Fig. 17—18): Pylorussporn und Pylorus-
zapfen, letzterer nach 2 Stunden besonders deutlich hervortretend. Nach
6 Stunden Magen und Duodenum völlig frei.
Operationsbericht: Im Duodenum ca. 2—3 cm distal vom
Pylorus eine der hinteren Darmwand angehörende, derbe, in das Lumen vor¬
gewölbte Resistenz zu fühlen (Ulcus oder Karzinom). Nirgends Drüsen¬
schwellungen. Keine Reste eines in dieser Gegend vorhanden gewesenen peri¬
tonealen Prozesses (Adhäsionen). Pylorus mit Ligamentum teres hepatis um-
schnOrt. Hintere Gastroenterostomie angelegt.
Fall 7. Waldarbeiter F., 49 Jahre.
Typische Erscheinungen von Pylorusstenose infolge von Ulcus ventriculi.
Duodenalaufnahmen (Fig. 20) ergaben normales Duodenum
(normale Bulbusumrisse).
Operationsbericht: Geschwür an kleiner Kurvatur, fern vom
Pylorus.
Von den nicht operierten Fällen
fanden sieb bei den Duodenaluntersuchungen bei einem magendarmgesunden
Epileptiker auch normale Duodenalkonturen. _
Eine früher mit Pylorusverschluss gastroenterostomierte Patientin (M. J.,
22 Jahre) Hess am Pylorus eine schärfere Abschlusslinie erkennen, als sich
sonst bei Aufnahmen im Stehen erzielen lässt. Auch erwies sich einwandfrei
bei längerer Beobachtung durch das Kryptoskop, dass der Abschluss nicht
mehr gut funktionierte.
Normalen Duodenalbulbus fanden wir bei 4 Patienten, bei denen wir ein
Ulcus ventriculi angenommen hatten (Marg. S., Fig. 21). Hingegen zeigten
2 dieser Fälle noch längere Zeit persistierende Duodenalreste (bei allerdings
gleichzeitig bestehendem Magenrest).
Normalbefund hinsichtlich des Duodenums ergab sich auch bei einer
Patientin mit Gastroptose und Obstipation.
Eine Patientin (Anna K., 23 Jahre) mit Hyperazidität und Symptomen
von Ulcus ventriculi zeigte etwas deformierten Bulbus. Vielleicht lag Ulcus
ventriculi und Ulcus duodeni vor.
Von 4 weiteren auf Duodenalulcus sehr verdächtigen Kranken fanden
sich bei Helene B. bereits auf dem Magenbild im Aufrechten eine Dauer¬
füllung des Bulbus duodeni, während radioskopisch nichts Pathologisches
(auch keine Dauerfüllung des Bulbus) nachzuweisen war.
Student Fritz W., der Magenverziehung und häufig Ikterus zeigte, wies
auf dem Duodenalbild deutlichen Pyloruszapfen auf.
Bei Kaufmann Hans R., der ausgesprochenen Hungerschmerz hatte und
links oberhalb des Nabels Druckpunkt bei normalen Säureverhältnissen auf¬
wies, fand sich bei Magenaufnahme breiter Pylorusteil des Magens, keine
beschleunigte Entleerung, nach 6 Stunden Magen leer. Radioskopisch bekam
man anscheinend ganz normale Duodenalbilder.
Rechtsanwalt P. J. zeigte unklare Bulbusumrisse (Bulbus duodeni durch
Magen verdeckt?); nach 15 Minuten komplette duodenale Anfüllung, dabei
Unregelmässigkeiten (Auszackungen) der unteren Konturen der Pars horizon-
talis Superior.
Zusammenfassung.
Die C h a o u 1 sehe Methode gestattet in den meisten Fällen, je nach
Gelingen der Kompression bzw. nach Lage des Magens, eine mehr oder
weniger komplette Sichtbarmachung des Duodenums. Der Anfangsteil
des Duodenums (erfahrungsgemäss Sitz der meisten Duodenalgeschwüre)
war in unseren sämtlichen Fällen mit der Kontrastmahlzeit gut ausgefüllt.
Bei den gleichen Versuchen ergab hingegen die sonst übliche Röntgen¬
photographie des Magens (Aufnahme im Stehen nach Darreichung der
gebräuchlichen breiigen Kontrastmahlzeit) fast niemals eine entsprechend
genügende Darstellung des Duodenums, bzw. auch nur des Anfangsteiles
desselben — ergab somit auch keine Anhaltspunkte, aus denen man
direkt eine Erkrankung des Duodenums hätte ableiten können.
Bei allen unseren Fällen, die später durch die Operation sich als
sichere Duodenalaffektionen manifestierten, lieferte uns nun die
Chaoulsche Methode jeweils durchaus von der Norm abweichende
Röntgenbilder. Diesbezüglich fanden wir Konturveränderungen ähnlich
wie sie von Chaoul in der M.m.W. 1917 No. 48 u. 49 beschrieben
worden sind (Formen von Pyloruszapfen [= Fortsatz], Pylorussporn,
Bulbusdeformierungen im allgemeinen, Divertikelbildungen, Aus¬
sparungen, restierende Duodenalflecken etc.).
Dass bei Duodenalgesunden ziemlich gleichmässig abgerundete, wenn
auch zeitweise variable Umrisse hinsichtlich des Duodenums, vor allem
des Duodenalbulbus, zustande kommen, ersahen wir mehrfach bei Durch¬
leuchtungen im Radioskop, sowie u. a. auf den oben wiedergegebenen
Photographien eines offenbar vorliegenden Magengeschwüres (Fig. 20
u. 21) — wobei allerdings in letzterem Falle die OperationskontroUe nicht
gegeben war. (Vergl. auch die normalen Duodenalbilder C h a o u 1 s in
der D. Zschr. f. Chir. Bd. 131.)
Bei einigen der mitgeteilten, nichtoperierten Fälle von Verdacht auf
Ulcus duodeni bzw. Ulcus ventriculi blieb der radioskopische Befund
gegenüber dem sonstigen Befunde allerdings widersprechend.
Nicht eigentlich dem Duodenum angehörende Erkrankungen benach¬
barter Organe, wie der Fall von Pericholezystitis (Fig. 15—16) beweist,
vermögen infolge Verwachsungen oder Spasmen erklärlicherweise ähn¬
liche Erscheinungen wie die Duodenalaffektionen (Geschwüre) zu bieten.
Inwiefern dies auch bei pylorusnahen Magen geschwüren der Fall ist,
müsste erst die Untersuchung weiterer, durch Operation bestätigter Fälle
ergeben.
Jedenfalls ist zur möglichst exakten Röntgendiagnose einer Duo¬
denalerkrankung die Anwendung der C h a o u l sehen Untersuchungs¬
methode durchaus von Nutzen.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. G. v. Bergmann).
Zur (tadiologie des Duodenum.
Von Dr. Hans A. Hofmann, Assistent der Klinik.
Es ist uns so leicht gelungen, Magen und Dickdarm mit Kontrastbrei
zu füllen, warum wollten unsere Versuche beim Duodenum so wenig
fruchten?
Die Schwierigkeiten bei der röntgenologischen Darstellung dieses
Darmteiles sind anatomischer und physiologischer Natur, Das Duodenum
kann eine U-Form, eine vollständige oder unvollständige Ringform dar¬
stellen. Es hat schon normalerweise nach Lage und Form und seinen
Beziehungen zu den Nachbarorganen eine ausserordentliche Variations¬
breite. Man denke daran, dass die Pars descendens direkt in eine Pars
ascendens übergehen kann, also die Pars horizontalis inferior überhaupt
fehlt, dass die Pars descendens ganz fehlen und die Schleife bloss aus
einem oberen und unteren Schenkel bestehen kann. Es wird dann die
Umbiegungsstelle dieser zwei Schenkel weit nach rechts verschoben
(Corning). Auch denke man an die sehr verschiedene Lage der Pars
Digitized by
Original frorri
OF CALIFORNIA
4. Tebmar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
130
horizontalis Inferior zur Wirbelsäule. Es sei an die Angabe Davids [1]
erinnert, der die Flexura duodeno-jejunalis „häufig recht hoch oben Im
linken Hypochondrium, nicht weit entfernt von der Flexura lienalis coli“
vorfand.
Und die physiologischen Eigenschaften?
Der Uebertritt des Kontrastbreies in die Ampulle erfolgt eben nicht
kontinuierlich, sondern ist dem Wechselspiel des Pylorus unterworfen.
Es passieren immer nur kleine Mageninhaltsteile und füllen den Bulbus
duodeni unvollkommen. Die distalen Abschnitte, Pars descendens und
horizontalis inferior, werden nur in grossen Intervallen und mit hoher
Geschwindigkeit durchlaufen, abgesehen von Verdünnung durch Galle
ond Pankreassaft.
Demnach stand zur Diskussion die Frage, wie der sich nur perio¬
disch öffnende Pförtner dauernd zu öffnen, wie die rasche Breibeförde-
ruDg zu verhüten sei.
Hessel [2] liess übrigens — was der Kuriosität halber erwähnt
sein mag — einen mit Formalin gehärteten, kontrastbreigefüllten
Schweinedarm schlucken und verfolgte seine Wanderung.
Wasser schaltet den Pylorusreflex aus, so gab Holzknecht [3]
die wässrige Aufschwemmung des Kontrastmittels, das direkt in das
Duodenum übertrat, und übte mittels Distinktors einen Druck auf die
Flexura duodeno-iejunalis aus. Er brachte sich durch diese allerdings
unvollkommene Kompression das Duodenum zu Gesicht. S t i e r 1 i n
u. a. Hessen nach Darreichung der Aufschwemmung rechte oder halb-
rechte Seitenlage einnehmej). Amerikaner machten Serienaufnahmen in
verschiedensten Körperlagen.
S k i n n er [4] und Da V i d fll führten die modifizierte Einhorn-
sche Duodenalsonde ein und füllten durch diese das Darmstück. Auch
diese Methode konnte nicht zum erstrebten Ziel führen, da sie wohl den
Pylorusreflex ausschaltet, die rasche Wanderung des Kontrastmittels aber
nicht verhindert.
Chaoul [5] stützt sich nun beim Aufbau seiner Methode auf die
von Holzknecht [6] beobachtete und beschriebene Symptomato¬
logie der Duodenalstenose. Sie entsteht durch duodenale oder extra-
duodenale Tumoreft, durch Schrumpfungsprozesse bei heilendem Ge¬
schwür, 'Pericholezystitis, Perigastritis usw., kann aber auch durch Spas¬
men hervorgerufen werden. Es zeigen dabei die oberhalb der Stenose
gelegenen Abschnitte pralle, vollkommene Füllung. Pylorusinkontinenz
tritt ein, der rasche Uebertritt grosser Mageninhaltsmenge ist gewähr¬
leistet. Fig. 1 zeigt das Röntgenbild einer solchen duodenalen Stenose
durch perigastritische Prozesse bei Ulcus der kleinen Kift-vatur (Nische
nachgewiesen). -
Flgr. 1. Flg. 2.
Diese für die radiologische Darstellung des Duodenums hervorragend
günstigen Erscheinungen reproduziert Chaoul. Er erzeugt eine künst¬
liche Stenose der ihm durch ihre Lage zur Wirbelsäule geeignet er¬
scheinenden Pars horizontalis inferior. Nach Darreichung der Barium¬
aufschwemmung verlagert er durch halbrechte Bauchseitenlage den
Magen nach rechts und drängt den Pylorus von der Wirbelsäule ab.
Er übt sodann mit dem Kompressionstubus einen hauptsächlich gegen
diese gerichteten energischen Druck aus, wobei ein zwischengelagertes
Wattekissen gleichmässige Druck Verteilung und Ausschaltung der
Lendenlordose garantiert.
Mit dieser Methode gelang es adch uns, abgesehen von einigen Ver¬
sagern, in der grössten Zahl der Fälle den Bulbus darzustellen, der ja
nach Moynihan u. a. in 95 Proz. der Fälle Sitz des Geschwürs ist.
Er erscheint gut gefüllt und meist scharf konturiert. Die Darstellung der
übrigen Teile des Duodenums gelingt wegen der erwähnten Lage¬
varlanten seltener.
Unsere weiteren ^Ausführungen stützen sich grösstenteils auf die unter
Anwendung der Chaoul sehen Methodik gewonnenen Resultate. Wir
bedienten uns dabei des von Chaoul [71 konstruierten Radioskops.
Die Röntgenuntersuchung macht uns mit direkten und indirekten
Symptomen des Ulcus duodeni bekannt. Was die indirekten Symptome
betrifft, so dürfen wir hier auf die Arbeiten Schlesingers [8l.
V. B e r g m a n n s [9] und seiner Schüler W e s t p h a 1 und Katsch [10]
verweisen. Noch 1913 schien die duodenale Radiologie fast unüber¬
windliche Schwierigkeiten zu bereiten, v. Bergmann und seine
Schule lehrte uns damals durch die Aufstellung des hyperperistaltischen
und des maximal-sekretorischen Typs des Ulcus duodeni unter unbe¬
dingter Berücksichtigung der übrigen klinischen Symptome „das wider-
sjMTichsvoUe Röntgenbild“ richtig aufzufassen. Die Beurteilung der
indirekten Symptome wurde durch diese Arbeiten und die anderer
Autoren in sichere Bahnen gewiesen und ihre Rubrizierung erleichtert.
Als „direkte“ Symptome bezeichnen wir eine Erscheinungsreihe am
Duodenum, besonders am Bulbus, die von verschiedenen Autoren mehr
oder weniger zusammenhängend in den letzten Jahren erwähnt und von
Chaoul und Sti erlin [11] in ihrer Gesamtheit beschrieben wurden:
Nische, persistierender Ampullenfleck, konstante Deformierung des Am¬
pullenschattens (Füllungsdefekt, wie er sich in unseren in Figur 3 und 4
reproduzierten Fällen darstellt), Sanduhrbulbus,. Pylorusfortsatz und
-sporn, sowie parabulbäre Flecken.
Diese direkten Symptome auf Röntgenschirm und -platte sichtbar zu
machen, ist die Aufgabe, die sich die moderne duodenale Radiologie
gestellt hat.
Ehe wir nun in die Besprechung dieser sich an der Ampulle selbst
zeigenden Symptome eintreten, erscheint es angebracht, die Bulbusform
bei nichtpathologischen Befunden kurz zu betrachten.
Auf Grund des von uns nach der Chaoul sehen Methode unter¬
suchten Materials dürfen wir sagen, dass von einer Normalform keine
Rede sein kann. Der Bulbus erscheint uns als umgekehrtes Kartenherz,
als Bischofsmütze oder Zipfelhaube, „bald mehr konisch, bald mehr rund
mit mannigfachen Uebergängen“.
Figur 2 zeigt das Bild eines ballonmützenartig geformten, vollkommen
normalen Bulbus duodeni.
Diese Formveränderungen verdankt der normale Bulbus den ihm
ebenso wie dem Magen eigenen Aenderungen des Tonus, der Motilität
und Peristaltik. Ein genaueres Studium dieser Erscheinungen steht
noch aus.
Nicht selten vermissen wir auch die scharfe Konturierung. Wir
finden einen feingezackten und gezähnten Kontur in Fällen, in denen
Verziehungen durch periduodenitische Verwachsungen unbedingt aus¬
geschlossen sind. Wir sind geneigt anzunehmen, dass dieser Kontur
zustande kommt durch oberflächliche, feinschlägige arhythmische Wellen,
wie sie zum Teil auch als Ausdruck der Schleimhautfalten am Magen
Vorkommen. Sie sind den rhythmisch peristaltischen Bewegungen auf¬
gesetzt. Nach Groedel [12] ist der chemische Reiz erregendes Mo¬
ment. Sie haben digestive Bedeutung gegenüber den mehr dem Chymus-
transport dienenden rhythmischen Wellen.
Wir haben die Schwierigkeit in der Deutung der indirekten Sym¬
ptome erkannt und sind uns ihres Unwertes in einer grossen Anzahl
von Fällen bewusst. Betrachten wir nun nach Vorstehendem das Bild
des Bulbus duodeni, so sehen wir unschwer ein. wie unendlich kritisch
und vorsichtig wir auch in der Wertschätzung der erwähnten direkten
Symptome sein müssen, um vor Trugschlüssen sicher zu sein.
Wenn George und Gerber [13] postulieren, dass „ein Bild eines
normalen Duodenums unter anderen unvollständigen mit Sicherheit eine
grobe Wandveränderung ausschliesst“. so ist dem mit Reserve zu¬
zustimmen. Wenn aber Sti erlin [11] soweit geht, dass er bei
einem normalen Röntgenbild überhaupt das Vorhandensein eines Ulcus
duodeni ausschliesst, so glauben wir, dass er damit zu weit ging. Wir
müssen ihm auch entgegenhalten, dass gegenüber einfachen Schleim¬
hautläsionen die kallösen Ulcera duodeni sehr selten sind.
Das Ulcus Simplex ist röntgenologisch oft genug überhaupt nicht
nachweisbar. Trotz seines Vorhandenseins wird nicht nur ein normales
Bild, sondern eine Serie solcher resultieren können.
Selbst die direkten Symptome sind nicht nur der Ausdruck ana¬
tomischer, zweifellos oft auch nur funktioneller Wandveränderungen in¬
folge peristaltischer und tonischer Störungen. Die Darstellung derselben
gelingt wesentlich seltener als beim Ulcus ventriculi eben wegen der
erwähnten Rarität chronisch-kallöser Veränderungen. Auch sind die
Vorbedingungen für das Zustandekommen direkter Zeichen schlechter.
Der Geschwürskrater ist weniger tief und liegt erfahrungsgemäss an der
Vorder- oder Hinterwand des Duodenums.
So werden wir eine Nische oder einen wirklich persistierenden
Ampullenfleck, diese besonders sicheren Zeichen, nur ganz ausnahms¬
weise zu Gesicht bekommen. Auch sei hier darauf hingewiesen, dass
eine etwa an der Stelle der oft scharfen Knickung der Pars superior
gegen die Pars descendens sich zeigende Luftblase nur irrtümlich als
penetrierendes Ulcus gedeutet wird, worauf Haudeck und Bier [14]
hinwiesen. Sie kommt normalerweise sehr häufig vor. Im positiven,
dann beweisenden Falle findet man bei sonst leerem Duodenum einen
kleinen Füllungsherd mit geradem Spiegel und genau darauf passender
Luftblase.
In weitaus der Mehrzahl der Fälle werden wir unsere Diagnose zu
stellen haben auf Gmnd einer Deformierung des Ampullenschattens.
Diese stellt sich meist dar in Form eines Defektes, von Auszackungen
und Einkerbungen. Diese haben ihre Ursache in narbigen Veränderungen
der Duodenalwand und ihrer Umgebung. Sie sind die Folge von Indura¬
tion und Schrumpfung infolge einer Periduodenitis. Die Konstanz der
Symptome ist wie in allen hierher gehörigen Fällen Voraussetzung für
die Diagnose. Aus unserem hierhergehörigen Untersuchungsmaterial
geben wir zwei uns in der besprochenen Richtung markant erscheinende
Fälle wieder. Figur 3 zeigt das Röntgenbild einer konstanten Ein¬
ziehung der lateralen Bulbuswand (Pfeil). Es handelte sich um einen
Patienten mit klassischer duodenaler Anamnese und klinisch positivem
Befund. Die Operation zeigte Serosarötung unmittelbar hinter dem
Pylorus. Im Bereiche dieser Rötung fand sich eine strahlige, das Duo¬
denum strikturierende Narbe.
Fig. 4 ist das Röntgenbild einer Patientin, die eb^falls eine typische
Anamnese bot mit entsprechendem klinischen Befund (grosse Blutung!).
Es zeigte sich eine konstante Bulbusdeformität an der medialen Wand
Digitized by Goüsle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
140
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCH RIFT. _
Nr. 5.
(I^feil). Operation wurde verweigert, die Patientin nach erfolgreicher
interner Behandlung entlassen.
Fig. 8. ‘ Fig. 4.
Wenn wir auch schon äusserer, pekuniärer Umstände halber heute
nicht mehr, wie es S t i e r 1 i n verlangt, 10 Aufnahmen machen, so
müssen doch mindestens zwei in entsprechendem Intervall erzielte Bilder
vorliegen, und das genügt auch wohl meist.
Befindet sich der Bulbus in einem abnormen Kontraktionszustande,
ist ein Spasmus der Ampulle vorhanden, so kommt es zur Zweiteilung
derselben, zu einem Sanduhrbulbus. Er ist der Ausdruck einer funktio¬
nellen Störung infolge eines Geschwürs. Wir müssen in der Deutung
dieses Symptoms zurückhaltend sein. Das lehrte uns das scharf kon-
turierte Bild eines völlig normalen Bulbus, über den eine peristaltische
Ringwelle hinlief.
Zur Entscheidung, ob funktionell oder organisch bedingte Störung,
wird von manchen Autoren — neuerdings wieder energischer — das
von Holzknecht [15] zuerst angewandte Papaverin empfohlen. An
dieser Stelle ,sei bemerkt, dass wir nicht sagen können, dass es sich uns
als Differenziemngsmittel bewährt hätte.
Mit der diagnostischen Verwertung der parabulbären Flecken
(S t i e r 1 i n) steht es ähnlich wie mit Nische und Ampullenrest. Im Falle
ihres Vorhandenseins muss, aber noch ausgeschlossen werden, dass sie
durch restierende Wandbeläge der Pars descendens hervorgerufen sind.
Die Entscheidung ist unter Umständen gar nicht sicher zu fällen.
Schatten, die grösser sind als eine Haselnuss, und die über 10 Minuten
bestehen bleiben, sind nach David [1] pathologisch.
Als sicheres „leider aber offenbar seltenes“ Zeichen nennt Bier
zapfenförmige Ausgüsse des Duodenums. Sie seien oft das einzige Sym¬
ptom einer Duodenalstenose. Es ist dieser Zapfen wohl identisch mit
dem Pylorusfortsatze Stier lins, einem „Stäbchen- oder zapfenförmi¬
gen, bisweilen auch wurmförmig gekrümmten, schmalen Fortsatz des
distalen Endes des Magenschattens“. S t i e r 1 i n nennt ihn ein häufiges
Ulcuszeichen, das nicht immer als Ausdruck einer Stenose, sondern oft
auch im Sinne eines Ampullenspasmus zu deuten sei. Ja, in seiner kur¬
zen, breiten Form sei er fast pathognomonisch für Ulcus duodeni und
seine narbigen Residuen. Er beobachtete ihn immer mit Pylorusinsuffi-
zienz. Er sei dadurch erst sichtbar und gehe so kontinuierlich aus dem
Magenschatten hervor. Aber diese P>'lorusinsuffizienz sei nicht durch das
Ulcus, sondern durch die Versuchstechnik bedingt, wodurch wir den
Fortsatz erst mehr oder weniger konstant sichtbar machen. Wir werfen
die Frage auf, wenn dem so ist, und der Fortsatz erst durch die durch
die Versuchstechnik bedingte F^lorusinsuffizienz sichtbar wird, sollte
er nicht vielleicht auch in der yon S t i e r 1 i n beschriebenen Form und
grossen Häufigkeit ein Produkt der Kompression sein? Wir fassen diese
Möglichkeit unbedingt ins Auge.
Und der Pylorusspom, der sporn- und hakenartige Fortsatz des Bul¬
busschattens, der mit breiter Basis vom oberen Rand des Bulbusschattens
ausgeht und sich zuspitzend nach oben verläuft? Er kommt so häufig
mit dem Pylorusfortsatz kombiniert vor und ist ein „weiteres, fast un¬
trügliches Zeichen“ des Ulcus duodeni. Sollte nicht auch er in so man¬
chem Fall durch die Methodik bedingt sein? Wir möchten auch das
fast annehmen. Diese Sporne treten oft am distalen Magenende auf, als
scharf ausgeprägte Ausladungen im Bereiche des Pylorusgebiets. Es
ist hier die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass sie wenig¬
sten^ in vielen Fällen mit dem identich sind, was Schlesinger mit
Propulsion des Pylorus bezeichnet, sie sind dann nicht direktes, sondern
indirektes Symptom.
Aus unseren vorstehenden Ausführungen geht hervor, dass unsere
radiologische Technik durch die Chaoulsche Kompressionsmethode,
die mit dem von ihm konstruierten Radioskop unschwer ausgeführt wer¬
den kann, in erheblichem Masse bereichert wurde. In ihr ist uns eine
Untersuchungsmethode geschenkt, die es gestattet, in geeigneten Fällen
die durch das Ulcus erzeugten direkten Symptome zu erkennen und die
Diagnose zu sichern. Manches ist uns bei ihrer Anwendung klarer ge¬
worden, unendlich Vieles bedarf noch der Erforschung. Hat die Methode
sicher ihre grossen Vorzüge, so kann dennoch nicht genug betont wer¬
den, dass ihre Resultate mit Reserve zu beurteilen sind. Vorläufig
scheint sie uns die beste zur Verfügung stehende Methode zu sein. Aber
es scheint uns fraglich, ob es richtig ist, den künstlich gesetzten patho¬
logischen Zustand eines Organs zum Studium seiner normalen und
pathologischen Anatomie und Physiologie zu verwenden. Ganz ab¬
gesehen davon gelingt es uns nicht immer, den Magen exakt so abzu¬
drängen, dass das Duodenum in seinem Gesamtverlauf frei wird. In nicht
seltenen Fällen erscheint auch das Bild des distalen Magenabschnittes
und des Bulbus so verzerrt, dass die Entscheidung unmöglich wird, ob
die entstehenden Füllungsdefekte einen pathologischen Zustand bedeuten
oder Kunstprodukte sind. Wir haben in diesen Fällen versucht, die Son¬
denfüllung des Duodenums mit der Kompression nach C h a o u 1 zu kom¬
binieren. Wir haben auf diese Weise eine isolierte Füllung des Duo¬
denums erzielt. Die Methode ist etwas umständlich, doch scheint sie
uns wenigstens in einem Teile der erwähnten komplizierten Fälle Erfolg
zu versprechen, ihre Anwendung ist des Versuches wert. Uebrigens stellt
sich uns mit dieser kombinierten Methodik die Ampulle meist in wieder^
anderer Form dar. Sie hat eine häufig kreisrunde oder elliptische Ge¬
stalt.
Fig. 5 zeigt die durch Kombination der Sondenmethode mit der
Kompression erzielte isolierte Füllung des Duodenums, a bezeichnet
die durch den Magen laufende Sonde, b den gefüllten Bulbus, c und d
Pars descendens und ParsNiorizontalis inferior des Duodenums.
Bei Wirbelsäulenverkrüm¬
mung der verschiedensten Art,
auch bei leichterer, ist die Kom¬
pression nicht anwendbar. Auch
begegnen wir ia oft schon bei
gewöhnlicher Aufnahme in halb-
rechter oder rechter Seitenlage
fast imüberwindlichen Schwierig¬
keiten, wenn adhäsive Prozesse
den Magen in der Pylorusgegend
festhalten. Er fällt dann nicht
nach rechts herüber, wie dies
z. B. bei schneckenförmiger Ein¬
rollung der kleinen Kurvatur der
Fall ist. Diese Einrollung stellt
übrigens nicht nur ein Symptom
perigastrischer Schrumpfung dar.
Sie kann auch aus rein funk¬
tionellen Gründen entstehen
durch Kontraktion der Längs¬
muskelfasern. Hier ist ev. die Durchleuchtung in Seltenlage dif&erential-
diagnostisch zu verwenden in der Frage, ob anatomische oder funk¬
tionelle Veränderung vorliegt.
Abgesehen von alledem darf nicht unerwähnt bleiben, dass die
immerhin staike Kompression umständlich und besonders für etwas emp¬
findliche Patienten sehr unangenehm ist. Für sehr geschwächte Patien¬
ten bedeutet ihre Anwendung direkt einen Eingriff.
Wenn wir nun darnach sicher grosse Fortschritte in der duodenalen
Radiologie und in der Deutung der durch sie reproduzierten Symptome
zu verzeichnen haben, so stehen wir dennoch immer noch am Anfang
dieses Zweiges der röntgenologischen Magen-Darmdiagnostik. Ein wert¬
volles Forschungsgebiet liegt vor uns. Wir dürfen annehmen, dass
weiterschreitende Forschung es erschliessen wird, nachdem der Anstoss
in den Fortschritten der letzten Jahre gegeben wurde. Aber schon
heute dürfen wir behaupten, dass die Röntgenuntersuchung des Zwölf¬
fingerdarms trotz der ihr noch anhaftenden Mängel für die Diagnose ent¬
scheidend sein kann.
Wir fassen zusammen: Die radiologische Darstellung des
Duodenums ist infolge anatomischer und physiologischer Eigentümlich¬
keiten sehr schwierig. Von den verschiedenen Methoden scheint uns
die Kompressionsmethode nach C h a o u 1 die beste. Wir können mit ihr
die direkten Ulcussymptome studieren. Die Abgrenzung dieser Sym¬
ptome gegen die Norm und ihre differential diagnostische Deutung ist
schwierig, oft unmöglich. Von uns wird die C h a o u 1 sehe Methode
seit längerer Zeit in jedem Falle von Verdacht auf Ulcus duodeni an¬
gewandt. Die gewonnenen Bilder muten den Untersucher zunächst etwas
fremdartig an. doch wird er sie sehr bald zu deuten lernen. Unter Be¬
rücksichtigung der noch kurz zu erwähnenden Einschränkungen haben wir
mit der Methode gute Resultate erzielt. Es ist uns in einer grossen Zahl
der Fälle gelungen, die schwankende Diagnose sicherzustellen. In ihrer
methodischen Anwendung sehen wir einen grossen Fortschritt In der duo¬
denalen Radiologie und glauben in ihr den Grund gelegt zum weiteren
Ausbau dieses Untersuchungsgebietes. Trotz aller Vorzüge gelten leider
auch für diese Methode gewisse Einschränkungen, die bei genauer Kennt¬
nis und Kritik den Wert der Methode jedoch nicht herabsetzen. So ist
es z. B. fraglich, ob eine künstlich gesetzte Stenose an der Flexura duo-
deno-jejunalis zum Studium normaler und krankhafter Vorgänge am Bul¬
bus zulässig ist. Es kommt ferner häufig durch die Kompression zu
Verzerrung des pylorischen Magen- und Dodenumanteils. Bel Wirbel¬
säulenverkrümmungen, bei stärkeren pylorischen Adhäsionen versagt die
Methode meist, ebenso wenn grosse Teile des Duodenums durch das
Magenfüllungsbild verdeckt werden. Hier kommt ev. Kombination mit
der Sondenfüllung des Duodenums in Betracht.
Literatur.
1. David: Zur Technik der Röntgenuntersuchung des Duodenums. Zbl.
f. inn. Med. 1913 Nr. 21 und Röntgenologische Untersuchungen über Form und
Verhalten des Dünndarms bei direkter Füllung mit Kontrastmitteln. Mitt. a.
d. Orenzgeb. 31. — 2. Hessel: X. Kongress d. deutsch. Röntgenges. 1914.
— 3. Holzknecht: Das röntgenologische Verhalten des Duodenums. Zbl.
f. Phys. 23. — 4. Sk inn er: Röntgenuntersuchung des Duodenums. Amer.
Röntg. Ray soc. 1911. — 5. Chaoul: Ueber ein Verfahren zur radio-
Dipitized by Gotigle
Original frorri
OF CALIFORNIA^
4 . Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
141
lofischen Untersuchung des Duodenums. D. Zsch. f. Chir. 138. — 6. Holz¬
knecht: D. Zschr. f. Chir. 105. H. 1 u. 2. — 7. Chaoul: M.m.W.
1918 Nr. 16 und 43. — 8. Schlesinger: Röntgendiagnostik der Magen-
nnd Darmkrankheiten. Berlin 1917. — 9. G. v. Bergmann: Die
Röntgendiagnostik des Ulcus duodeni. Sommers Rönteentaschenbuch 5.
Leipzig 1913. — 10. Westphal und Katsch: Das neurotische UlcuS
duodeni. Mitt. a. d. Qrenzgeb. 26. H. 3. — 11 Chaoul und Stierlin:
l\xt Diagnose und Pathologie des Ulcus duodeni. M.m.W. 1917 Nr. 48 u. 49.
— 12. Qjoedel: Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. Ergänzbd. 37. —
13. George und Gerber: Surg., Gyn. and Obst. Seot. 1914 S. 395. —
14. Bier: Ueber das Ulcus duodeni. D.m.W. 1912 Nr. 17 und 18. —
15. Holzknecht: M.m.W. 1913 Nr. 36.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Hamburg [Eppendorfer
Krankenhaus]. (Prof. Dr. Heynemann.)
Eine intrakutane Provokationsmethode bei der weib¬
lichen Gonorrhöe.
Von Dr. Hans Nevermann, Assistenzarzt der Klinik.
Trotz negativen bakteriellen Befundes im mikroskopischen Abstrich¬
präparat aus Urethra und Zervix bleibt bei der Frau sehr häufig der
klinische Verdacht auf eine Gonorrhöe bestehen. Das zeigt uns, dass es
bisher an einer allgemein bekannten, leicht handhabbaren Provokations¬
methode bei der Frau mangelt, die wie bei der Gonorrhöe des Mannes
imstande ist, die Ausschwemmung von Gonokokken zu' erzielen. Eine
einfache Uebernahme der allgemein beim Mann üblichen Methoden ist
bei den völlig anderen anatomischen Verhältnissen bei der Frau aus ver¬
schiedenen Gründen nicht empfehlenswert. Ich erinnere nur an die Ge¬
iahr des .Aufsteigens einer lokalisierten Zervixgonorrhöe infolge mecha¬
nischer Eingriffe am Zervixkanal. Es empfiehlt sich daher, nur Methoden
anzuwenden, die nicht örtlich angreifen, sondern solche, die über den
Weg der körperlichen Abwehrorgane eventuell zur Verstärkung der ört¬
lichen Entzündungserscheinungen führen.
Von diesen Erwägungen ausgehend stellten wir in der hiesigen Klinik
Versuche mit verschiedenen Mitteln an. unter anderen auch mit Aolan.
Diese sind zu einem gewissen Abschluss gekommerr. während die Ver¬
suche mit den anderen Mitteln noch im Gange sind. Das Aolan wurde
deshalb gewählt, weil bisher mitgeteilte Beobachtungen beim Mann*)
nach intrakutanen Einspritzungen dieses Mittels eine Ausflussvermehrung
erwarten Hessen, welche den mikroskopischen Gonokokkennachweis er¬
möglicht. Ferner ist diese Methode auch deshalb von Interesse, um fest¬
zustellen, ob sie sich weiter ausbauen lässt in einer Richtung, über die
bisher Beobachtungen noch nicht vorliegen, die aber für das Wesen und
die Beurteilung der Wirkung unspezifischer Impfung weiter klärend
wirken kann. Es erscheint uns die Frage wichtig, ob diese Impfung eine
Reaktion an der Impfstelle hervorruft, und wxnn ja, inwieweit diese
Reaktion in Verbindung steht mit einer hervorgerufenen Herdreaktion.
Zu diesem Zweck müssen wir zunächst die Herdreaktion studieren.
Wir gingen in der Weise vor, dass wir je zwei Abstrichpräparate
aus Urethra uncT Zervix anfertigten. Dann wurden 0,4—0,5 Aolan intra¬
kutan in 3 Quaddeln eingespritzt, wobei wir auf eine exakte Technik
besonderen Wert legen. Am folgenden Morgen wurden wieder aus
Urethra und Zervix Abstrichpräparate hergestellt und dann nach der
Färbung derselben immer das Präparat vor der Impfung und das nach
der Impfung hintereinander untersucht und miteinander verglichen. Die
Esgebnisse v^aren folgende:
I. Impfung an sicher Gonorrhöegesunden. Nach der Impfung das
gleiche Verhalten wie vor der Impfung.
II. Impfung an sicher Gonorrhöekranken (6 Fälle). 3 mal handelte
es sich um eine sicher positive Urethragonorrhöe. 3 mal um eine sicher
positive Zervixgonorrhöe. Nach der Impfung fanden wir nie eine
Steigerung des bestehenden Ausflusses, nie eine Temperatursteigerung
oder eine Aenderung im gynäkologischen Befund. Auch subjektiv hatten
die Patientinnen keinerlei Aenderungen im .Allgemeinbefinden wahr¬
genommen. Im Präparat fanden wir stets eine Vermehrung der frischen,
d. h. der gut färbbaren, scharf begrenzten Leukozyten mit scharfer Kern¬
zeichnung; ja diese traten selbst dann in grosser Menge auf, wenn vor
der Impfung nur degenerierte, alte Leukozyten im Präparat waren.
Ferner waren die vor der intrakutanen Injektion oft nur spärlich und ver¬
einzelt im Präparat vorhandenen Gonokokken im Präparat nach der
Injektion ganz bedeutend vermehrt, sowohl in intrazellulärer als auch in
extrazelluiärenLage*). Drittens war einmal bei einer an Zervixgonorrhöe
Erkrankten und einmal bei einer an Urethragonorrhöe Erkrankten nicht
nur der Zervix- bzw. Urethraabstrich stark positiv geworden, sondern
es zeigten sich nach der Impfung sowohl in der Zervix als auch in der
Urethra Gonokokken in nicht geringer Zahl.
III. Impfung an wahllos aus den Kranken der Abteilung heraus¬
gegriffenen Fällen (19 Fälle: 6 Adnextumor, 5 Pyosalpinx. 3 Para-
metritis. 4 Beckenperitonitis, 1 ovarielle Blutungen). Hier traten nach
der Impfung einmal in Urethra und Zervix, einmal nur in der Zervix,
dreimal nur in der Urethra Gonokokken auf. Etwa schon vorher Lm
Präparat vorhandene Bakterien, welche keine Gonokokken waren,
waren nach der Impfung in ihrer Zahl stets wesentlich vermehrt. Die
D E. F. Müller: Ein neues unspezifisches Provokationsverfahren bei
der männlichen Harnröhrengonorrhöe. M.m.W. 1920 Nr. 1 S. 9.
Demonstriert in der Sitzung des Hamb, ärztl. Vereins vom 2. XI. 20.
tL-xmt Digitizedby Goiigle
vor der Impfung in den Präparaten vorhandenen Leukozyten waren
nach der Impfung weit zahlreicher und stets fand sich eine starke Aus¬
schwemmung frischer Leukozyten, während die in den 'Präparaten vor
der Impfung oft dominierenden degenerierten Leukozyten in den Prä¬
paraten nach der Impfung den frischen gegenüber fast verschwanden.
Der vorher etwa bestehende Ausfluss wurde durch die Impfung in keiner
Weise vermehrt oder vermindert. Temperatursteigerung trat nie auf.
Das Allgemeinbefinden der Patientinnen wurde in keiner Weise durch die
Impfung beeinflusst.
Es hat sich also erstens gezeigt, dass die Herdreaktion auf die intra¬
kutane Aolanimpfung bei der Frau eine andere ist als beim Mann.
Zweitens fand sich stets auch bei den nicht gonorrhoischen Frauen eine
Vermehrung der Leukozyten im Abstrichpräparat nach der Impfung. Die
Leukozyten im Sekret der Frau sind eben nicht nur auf die entzündliche
Reizung durch die Gonokokken zurückzuführen. sondern auf eine Reizung
durch Bakterien überhaupt, welche sich bei den Frauen im Urogenital-
traktus befanden. Und diese wird nun nach der Impfung durch die
Leukozytenvermehrung beantwortet. Die frischen Leukozyten sind ein
Beweis dafür, dass innerhalb des Sekretes eine zelluläre Aenderung
stattgefunden hat. Die Vermehrung der Gonokokken im Ausfluss weist
ebensowenig wie die Vermehrung von Keimen überhaupt auf ein
stärkeres Wachstum derselben hin, sondern nur auf eine stärkere Aus¬
schwemmung aus tieferen Gewebsschichten.
Aus obigen Beobachtungen ziehen wir nun folgenden Schluss: Die
intrakutane Injektion von Aolan bewirkt eine geringe Vermehrung der
Entzündungserscheinungen jeder gereizten Zervix und Urethra, ganz
gleich welcher Art die bakteriellen Reize sind. Trotzdem ist diese
Methode aber verwertbar für den Gonokokkennachweis, weil sie im-
.stande ist, ohne schädigende Nebenerscheinungen Gonokokken ins Prä¬
parat zu bringen.
Nachdem wir die Wirkungsweise der Impfung auf das Urethra- und
Zervixsekret festgestellt hatten, wurde dazu übergegangen, zu unter¬
suchen, wie bei den einzelnen Fällen die Reaktion an der Einstichstelle
verlief. Da das eiiigespriftte Mittel den im Sekret gefundenen Reizen
gleich fernstand, musste die Reaktion an der Einstichstelle stets gleich
verlaufen, es sei denn, dass bei den einzelnen Personen irgendwelche
Faktoren dazutraten, die im Einzelfalle eine Abweichung bewirkten.
Traten solche Abweichungen auf, so war dann die Frage zu beantworten,
ob die diese Abweichung bewirkenden Faktoren mit der Gonorrhöe¬
erkrankung in irgendwelcher Verbindung standen. Die Ergebnisse
unserer Beobachtungen sind folgende:
I. Impfung an einer sicher Gonorrhöegesunden. Die Quaddel ver¬
schwand nach kurzer Zeit. Am folgenden Tage war nur noch die punkt¬
förmige völHg reaktionslose EinstLchöffnung in der Haut zu sehen.
II. Impfung an sicher Gonorrhöekranken. Hier fand sich viermal
unter 6 Versuchen eine Hautreaktion, und zwar zweimal am auf die
Impfung folgenden Tage ein Jucken an den Impfstellen und etwa Vz. cm
im Umkreis derselben. Diese Erscheinungen dauerten 2 Tage an. Zwei¬
mal war die Reaktion noch stärker, Rötung, Schwellung und Infiltration
traten in etwa 1—2 cm Umkreis um die Einstichstellen auf und man
wurde direkt an eine Urtikaria erinnert. Das Jucken war 1—2 Tage
lang recht heftig. Diese Reaktion dauerte einmal 3, einmal sogar 5 Tage.
Schmerzen verspürten die Patientinnen niemals.
III. Impfung an wahllos aus den Kranken der Abteilung herans-
gegriffenen Fällen. Bei den Patientinnen, bei denen sich auch nach der
Impfung keine Gonokokken nachweisen Hessen, fand sich keine Reaktion.
Unter 5 nach der Impfung positiv gewordenen Fällen fand sich zweimal
keine Reaktion, zweimal eino 2 Tage lang dauernde Reaktion, wie
unter II. geschifdert. Einmal fand sich eine stärkere, 3 Tage andauernde,
bereits unter II. beschriebene Reaktion.
Wir fanden also bei Gonorrhöegesunden niemals irgendeine Reaktion
an der Einstichstelle. 'Bei Gonorrhöekranken fanden wir siebenmal eine
Reaktion an der Einstichstelle, viermal nicht. Welche Schlussfolgerung
können wir daraus ziehen? Wir wollen alle subjektiven Symptome aus¬
schalten und nur die objektiven Zeichen wie Rötung, Infiltration, Schwel¬
lung an der Impfstelle verwerten. Das Ergebnis ist dann, dass die intra¬
kutane Aolanimpfung bei Gonorrhöegesunden nie eine Hautreaktion
hervorruft. Bei Gonorrhöekranken tritt nach der Impfung häufig eine
Hautreaktion auf, bei unseren Untersuchi^ngen in 63,6 Proz. der Fälle.
Das weist uns darauf hin, dass das bei Gesunden stets ohne Hautreaktion
einspritzbare Präparat bei einem Teil der an Gonorrhöe Erkrankten in
^seiner Wirkung auf das direkt getroffene Gewebe in einer uns noch un¬
bekannten Art und Weise beeinflusst worden ist. Dass diese Wirkungs¬
änderung des Präparates an der Impfstelle irgendwie mit den mehr oder
weniger starken Entzündungsreizen am Urogenitaltraktus der Frau durch
die Gonokokken in Zusammenhang steht, scheint aus dem stets reaktions¬
losen Verlauf an der Einstichstelle bei Gonorrhöegesunden hervorzugehen.
Damit soll aber keineswegs gesagt sein, dass eine derartige Hautreaktion
nur bei der Gonorrhöe und sonst nicht vorkommt. Im Gegenteil, es ist
sogar höchst wahrscheinlich, dass wir eine solche Hautreaktion bei fast
allen Erkrankungen, die auf einer Infektion mit mehr oder weniger viru¬
lenten Keimen beruhen, feststellen können. Wir ziehen aus unseren
Beobachtungen daher nur folgenden Schluss: Machen wir bei einer Frau,
bei der wir Verdacht auf eine gonorrhoische Erkrankung haben, eine
intrakutane Aolaninjektion und finden wir entzündliche Erscheinungen
an der Einstichstelle, so müssen wir beim Bestehen von krankhaften
Veränderungen am Urogenitaltraktus oder Verdacht auf solche ganz be¬
sonders auch mit dem Vorliegen einer Gonorrhöe rechnen und dem¬
entsprechend in unseren weiteren Untersuchungen verfahren.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
142
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Diese für das Wesen der unspezifischen Immunität wichtigen Tat¬
sachen werden an unserer Klinik mit anderen, besonders spezifischen
Injektionsmitteln weiter geprüft.
Praktisch haben diese Versuche bisher ergeben, dass es möglich ist,
auch bei der Frau die jeweiligen Entzündungs- oder Eitererreger, be¬
sonders die Gonokokken, aus dem Urogenitaltraktus der Frau in er¬
höhtem Masse auszuschwemmen. Da es aber bei der Frau nach unseren
Beobachtungen nicht zu einer Äusflussvermehrung wie beim Mann
oramt, so ist es unbedingt nötig, jedesmal nach einer Impfung Abstrich-
räparate aus Urethra und Zervix zu untersuchen. Ferner hat es sich
gezeigt, dass die intrakutane Aolaninjektion als Provokationsmethode bei
der Gonorrhöe der Frau nicht nur einfach in der Anwendung, sondern
auch für die Patientinnen schmerzlos und völlig gefahrlos ist.
Aus der chirurgischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses Nürnberg. (Oberarzt Prof. Dr. L. Burk har dt )
lieber Splanchnikusanästhesie.
Von Dr. Wilhelm Oraef, Krankenhausarzt des Neuen
Krankenhauses der Diakonissenanstalt Neuendetteisau, früherem
Sekundärarzt der Abteilung.
Die oft so erwünschte Eröffnung der Bauchhöhle ohne Allgemein¬
narkose konnte bisher nur mit Lokalanästhesie der Bauchdecken recht
unbefriedigend vorgenommen werden. Meist musste eine kurze Nar¬
kose zugefügt werden und nur Operationen mit geringer Zerrung der
Eingeweide, wie Anlegung einer Magenfistel, gelangen mit reiner Bauch¬
deckeninfiltration zur Zufriedenheit. Die sogen, paravertebrale Leitungs¬
anästhesie hat zwar in der Hand einzelner anscheinend günstige Re¬
sultate ergeben, aber schon der Umstand, dass etwa 22 Einstichpunkte
nötig sind, um eine genügende Anästhesie zu erzielen, musste eine weitere
Verbreitung der Methode verhindern.
Bedeutend einfacher ist die Methode der Anästhesierung der
NN. splanchnici nach K a p p i s, die ich auf Veranlassung von Herrn Prof.
Burkhardt in einer Reihe von Fällen auf seiner Abteilung ausführte.
Einspritzungen an der Leiche mit Methylenblaulösung überzeugten
mich, dass man, wenn man nach der gleich zu schildernden Methode
vom Rücken her einsticht, den ganzen retroperitonealen Raum auf der
Wirbelsäule und weit seitlich vom Zwerchfell bis Ins kleine Becken
infiltrieren kann, sofern man die betreffenden Stellen richtig trifft, was
nach einiger Uebung ziemlich regelmässig gelingt.
Man wählt nach der ursprünglichen Methode von Käppis zum
Einstich an dem in Seitenlage mit gekrümmtem Rücken möglichst ohne
seitliche Verschiebung der Wirbelsäule gelegten Patienten einen Punkt
7 cm seitlich von der Dornfortsatzlinie dicht unter der 12. Rippe. Hier
geht man nach Anlegen einer Hautquaddel mit einer kräftigen Nadel
— ich verwendete Lumbalnadeln — auf die 12. Rippe ein, wendet dann
die Nadel medialwärts unter einem Winkel von 30® zur Saggitalebene
und gelangt so unter der Rippe hinweg auf die Seite des Wirbelkörpers.
Am Wirbelkörper tastet man sich mit der Nadelspitze vorsichtig nach
vorne, bis derselbe aufhört. Man befindet sich sodann am Uebergang
der vorderen und Seitenfläche. Sticht man tiefer, so durchbohrt man das
Peritoneum. Wegen Gefahr der Verletzung von grossen Gefässen und
der Pleura bzw. Lunge oder nutzloser Injektion in das Nierenfett oder
die freie Bauchhöhle muss man sich dicht an den Knochen halten. Hier
injiziert Käppis 20—40 ccm einer 1 proz. N.S.-Lösung. Um den lum¬
balen Anteil der viszeralen Sensibilität sicherer auszuschalten, geht man
in gleicher Weise 3 cm unterhalb des 1. Punktes unter dem 1. oder
über dem 2. Lumbalquerfortsatz nochmals ein und injiziert hier noch
10—20 ccm der Lösung. Dasselbe wird auf der andern Seite von 2 Ein¬
stichstellen aus wiederholt. Während der Operation kann man. wenn
die Bauchhöhle nach Infiltration der Bauchdecken eröffnet ist, event.
im Gebiet der retroperitonealen Ganglien noch spritzen. Vorher wird
Skopol.-Morph. oder Pantopon gegeben.
Käppis selbst und andere haben die Technik dahin geändert,
beiderseits nur je einen Einstich unterhalb der 12. Rippe zu verwenden.
Es wurden dann zuerst 20 ccm an der Wirbelsäule deponiert, dann wird
die Nadelspitze nach oben und unten gewendet und hier wieder 20 bzw.
10 ccm eingespnitzt.
Käppis hat die Methode bei 200—300 Fällen angewendet und
damit anscheinend sehr gute Resultate erzielt. Denk berichtet aus der
Eiseisberg sehen Klinik ebenfalls über 200 Fälle nach der K a p p i s -
sehen Methode. Nach der ersten Veröffentlichung von Denk musste
allerdings unter 85 Fällen 34 mal mit Aether nachgeholfen werden.
N a e g e 1 i hat unter 18 Fällen 3 gänzliche, 2 teilweise Versager. P r e i s s
und Ritter berichten aus der Züricher Klinik über 89 Fälle mit 4 völli¬
gen, 5 teilweisen Versagern und bezeichnen die Methode als wenig ge¬
fährlich und auch bei Kindern zu verwenden. Günstige Erfahrungen wer¬
den auch von Hoff mann und ebenso von Schmilinsky mitgeteilt.
Eine ganz andere Art der Technik wurde von Wendling befolgt.
Er ging mit der Nadel von vorne durch die uneröffneten Bauchdecken
etwas links und unterhalb des Proc. ensiform. ein ohne Rücksicht auf die
vorliegenden Organe: Unter 3 Fällen hatte er 1 Versager und 1 schweren
Zufall bei der Injektion. Dieses heroische Verfahren hat sich nicht ein¬
gebürgert; dagegen wurde die Einspritzung von vorne nach Eröffnung
der Bauclidecken von Braun und B u h r e zu einer nach B u h r e „zu¬
verlässigen und ungefährlichen“ Methode ausgebildet. Buh re be¬
richtet über 104 Fälle ohne Versager.
Nach-Braun wird eine kleine Inzision, die bis zum Schwertfortsatz
reichen muss, ausgeführt, dann werden unter Wegziehen des linken
Leberlappens mit einem Spatelhaken nach oben und rechts unter Ver¬
drängung der Aorta nach links 100 ccm H proz. N.S.-Lösung auf der Mitte
der Wirbelsäule in der Höhe des 1. Lendenwirbels hinter das Bauchfell
gespritzt oder beiderseits je 50 ccm. Das Missliche an dieser Art der
Splanchnikusanästhesie ist offenbar die Schmerzhaftigkeit beim Eingehen
in die Bauchhöhle zum Zweck der Einspritzung. Auch beschränkt die
Schnittführung die Anwendung auf den Oberbauch. Im Erfolg scheint sie
jedoch am zuverlässigsten zu sein, da man die beste Kontrolle über die
richtige Ausführung der Einspritzung dabei hat. Damit ist sie auch
der beste Beweis für die Richtigkeit der theoretischen Grundlagen der
Splanchnikusanästhesie überhaupt. Die Anästhesie hält iVx —2 Stun¬
den an.
Am geeignetsten für die Splanchnikusanästhesie überhaupt sind
Operationen im Oberbauch. Im kleinen Becken ist die Anästhesie wohl
meist unvollkommen. Bemerkenswert ist, dass die meisten Autoren in
der Hauptsache chronische Fälle operiert haben. Käppis selbst hält
Peritonitis für ungeeignet. Bei Ileus kann man ev. Nachinjektionen ent¬
lang dem Colon ascendens und descendens ausführen.
Die Zurückhaltung der meisten Autoren gegenüber den akuten Fällen,
wie Ileus und Perforationsperitonitis dürfte wohl auf die fast von allen
Berichtern mehr oder weniger häufig beobachteten starken Blutdruck¬
senkungen und Kollapse zurückzuführen sein.
Die beobachteten Kollapse sind anscheinend auf die Wirkung des
Anästhetikums als solches zu ..schieben; in einigen Fällen aber sind sit
offenbar die Folge von Injektion in die Vena cava etc. Kümmell und
V. H a b e r e r halten das Verfahren für gefährlich. Letzterer sah schwere
Kollapse und halluzinatorische Delirien. Denk sah ebenfalls bedrohliche
Kollapse und einen Todesfall bei Perforationsperitonitis. Sektionsbefund
negativ. Heller berichtet über einen Todesfall, bei dem die Neben¬
niere bei der Injektion durchstochen war, sonst negativer Sektionsbefund.
Auch Pleura- und Lungenverletzungen wurden beobachtet.
Alle Autoren haben wohl Morphium-Skopolamin oder Pantopon vor¬
her gegeben, trotzdem kann die psvchische Erregung bei dem nicht ganz
schmerzlosen Verfahren der Injektion so gross sein, dass völlige Ver¬
sager dadurch schon bedingt sein können.
Das Verhalten des Blutdrucks, der häufig starkes Sinken zeigt, ist
offenbar ein wechselndes und ungleiches. H o f f m a n n betont, dass
der Blutdruck häufig sank, wenn die Splanchnikusanästhesie vor der
Bauchdeckenanästhesie gemacht wurde, bei umgekehrtem Verfahren sah
er gelegentlich Steigen des Blutdrucks.
Die Lösungen wurden meist als Vz—l proz. N.S.-Lösung verwendet.
P r e i s s und Ritter gingen bis zu 2 proz. Lösung. Vielfach wnirde
Kal. sulfur. zugesetzt. Bei kräftigen Männern kann man natürlich mehr
einspritzen als bei mageren schwachen Frauen.
Was nun meine eigenen Versuche betrifft, so habe ich die ursprüng¬
liche Methode von Käppis verwendet mit je 2 Einspritzungen auf jeder
Seite, nur in einem Fall wurde die neuere Technik mit je einem Ein¬
stichpunkt angewendet. Die Mengen betrugen beiderseits durchschnitt¬
lich je 50 teils 1 proz. meist proz. N.S.-Lösungen. Vorher wurde
0,02 Mo. subkutan gegeben.
Es handelt sich um 12 Fälle, davon 8 männliche. Der jüngste Pa¬
tient war 16, der älteste 63 Jahre alt.
Die Operationen waren folgende:
Anlegung einer Magenfistel 1
chronischer Ileus 2
akuter Ileus 5
eitrige Blinddarmentzündung 2
eingeklemmter Nabelbruch 1
Probelaparotomie bei Zoekumkarzinomrezidiv 1.
ln 6 Fällen war die Anästhesie eine gute und vollständige. Zug
am Darm. Magen oder Netz war gar nicht empfindlich. 4 mal musste
kurz Aether oder Chloräthyl gegeben werden, davon 2 mal jedoch nur
zur Eröffnung der Bauchhöhle, die Operation in der Bauchhöhle selbst
konnte ohne Narkose zu Ende geführt werden. 2 Fälle sind als völlige
Versager zu bezeichnen. In beiden Fällen handelte es sich um Ileus.
Im einen der beiden Fälle wurde wegen starker psychischer Aufregung
schon die Injektion im Chloräthylrausch ausgeführt.
Der Blutdruck sank manchmal, die Patienten waren nach der Opera¬
tion etwas blässer. Dreimal wurde leichterer Kollaps beobachtet, von
dem es aber fraglich ist, ob er auf Kosten der Anästhesie zu setzen ist.
da es sich hiebei durchweg um elende Patienten handelte. Bei kräfti¬
gen Patienten, wie 2 Jugendlichen mit Perforationsappendizitis, sank
weder der Blutdruck noch war der Puls verändert.
In einem Fall erfolgte der Exitus am Schluss der Operation. Es
handelte sich um einen 61 jährigen Mann mit komplettem Heus infolge
Karzinom der Flexura lienalis. Es bestand schon vor der Operation
leichter Kollaps. Es wurde lediglich das stark gespannte Zoekum ein¬
genäht. Die Obduktion ergab: Herz und Lungen o B., strikturierendes
Karzinom der Flexura lienalis, Dehnungsgeschwüre im Dickdarm. Aszites,
beginnende Peritonitis.
Auch aus diesen Erfahrungen dürfte hervorgehen, dass die Splanchni¬
kusanästhesie nicht harmlos und nicht sicher genug ist, um als Methode
der Wahl zu gelten besonders bei den akuten Ileus- und Perforations-
peritonrtisfällen und elenden Patienten, denen man eine Allgemeinnarkose,
wenigstens Inhalationsnarkose, nicht zumuten möchte. Die Methode der
Wahl für solche Fälle im klinischen Betrieb ist die intravenöse Aether-
narkose.
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
A. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
143
Aus dem Zentralhospital Petoemboekan. (Sumatras Ostküste.)
Beitrag zur Behandlung der Blennorrhoe der Erwachsenen.
Von H. Heinemann und K. Wilke.
Die Blennorrhöe der Erwachsenen bei primitiven Völkern stellt an
den Therapeuten ganz besondere Anforderungen. Der Eingeborene ver¬
sucht nur allzugern, mit altgewohnten Volksmitteln in die Behandlung
cinzugreifen. Bei der Blennorrhöe wird als Volksmittcl die Waschung
des Auges mit Eigenurin angewandt, ein verhängnisvolles Beginnen, da
cs der Konjunkiiva immer von neuem Infektionserreger zuführt. Trotz
'iichgemüsser klinischer Behandlung (Protargolinstillationen—lOproz.—
und 2 stündlich wiedertiolte Spülungen mit verdünnter Lösung von
Kalium perinang.) erlebten wir eine Reihe von Komplikationen von
seiten der Kornea. Die durchschnittliche Behandlungsdauer der un¬
komplizierten Blennorrhöe der Erwachsenen betrug etwa 6 Wochen.
Wir begannen nun die Proteinkörpertherapie neben der lokalen
Tnerapie auch bei der Blennorrhöe der Erwachsenen. Zuerst ver¬
wandten wir in 2 Fällen Milchiojektionen, dann gaben wir in 9 Fällen
Caseosan. Sowohl die Milch- wie die Casebsaninjektionen — neben
der bisher geübten lokalen Therapie — zeitigten überraschende Erfolge.
Bei keinem Falle dieser Reihe trat eine Kom¬
plikation auf. Schon im Anschluss an die erste In¬
jektion ging Schwellung und Sekretion schnell zu¬
rück. Während früher bei der nur lokalen Behand¬
lung die Periode der Arbeitsunfähigkeit* etwa
ö Wochen dauerte, war in den Fällen mit Protein¬
körpertherapie die Periode der Arbeitsunfähigkeit
auf 3 Wochen beschränkt.
Diese fortlaufende Reihe von günstig verlaufenden Fällen erscheint
jTis kein Zufall und es erscheint der Mühe wert, schon diese kleine 21ahl
von Fällen bekaniitzugeben. Da bei der vergleichenden Prüfung von
Milch- und Caseosaninjektionen bei anderen Krankheitszuständen das
Caseosan sich als überlegen erwies, so ziehen wir es auch bei der
Blennorrhöe vor
Bei allen unseren Fällen kamen wnT mit 2 bis 4 intramuskulären
Injektionen von 0,5 ccm bis 1 ccm Caseosan aus.
Typischer Fall; Kartodikromo, javanische Frau, Nr. 79 252. Aufgenomraen
am 4. IX. 20 mit schwerer Blennorrhöe. Behandlung: Protargolinstillationen.
Spulungen mit Kal. permang.-Lösung. Protargolkompressen. Am 6. IX. 20.
erste Injektion von 0.5 ccm Caseosan. Am 10. IX. 20 zweite Injektion
von 0,5 ccm Caseosan. Während schon die erste Injektion eine sichtbare
[Besserung brachte (Abnahme von Schwellung und Sekretion), sind nach der
zweiten Einspritzung (11. IX. 20) die (jonokokken aus dem Konjunktivaleiter
verschwunden. Ungestörter fieilverlauf. Am 25. IX. 20 geheilt entlassen.
Auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen möchten wir unser
Urteil dahin abgeben: Wir erachten es für einen Fehler,
bei der hier vorkommenden Blennorrhöe die Protein¬
körpertherapie zu unterlassen, Caseosan erwies
sichalsausgezeichnetesPräparatzurHerbeiführung
einer zellulären Leistunjrssteigerung zur Abwehr der
gonorrhoischen Infektion des Auges.
Aus dem Hygienischen Institut der Universität München.
Ueber die Brauchbarkeit pflanzlicher'Ersatzmittel des
Fleischwassers zur Herstellung von Bakteriennährböden.
Von Dr. med. vet. Max Brand 1.
Die gebräuchlichen- Nährböden in der Bakteriologie bestehen im
wesentlichen aus Infusen der verschiedensten tierischen oder pflanzlichen
Materialien. Fleisch, Heu, Stroh, Pflaumen, Bierwürze, Zerealien usw.
Zar Züchtung pathogener Bakterien wird am häufigsten Fleischinfus ver-
4 endet, das mit den bekannten Zusätzen, Kochsalz, Pepton Witte,
event. Traubenzucker, Glyzerin usw. zu Bouillon, Gelatine oder Agar
verarbeitet WMrd.
Die Herstellung der Fleischwassernährböden stösst bei dem zu-
' nehmenden Mangel an Fleisch auf immer grössere Schwierigkeiten.
; Ich habe daher unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Karl S ü p f 1 e Ver-
>uche ariffestellt, ob ein derzeit leicht erhältlicher Stoff die Grundlage
von Nährnöden abgeben kann, auf denen die wichtigsten der hygienisch
hedeutungrs vollen Bakterien ebensogut gedeihen wie auf Fleischwasser-
-ährböden.
i Die Prüfung erstreckte sich zunächst auf zwei verschiedene Aus-
I „ingsmatcrialien: Haferflocken und Weizengriess. Die Her¬
stellung der Nährböden geschah folgendermassen: 500 g Haferflocken
/ fzw. Weizengriess wurden mit 1 Liter Wasser 24 Stunden lang maze-
:.cru filtriert das Filtrat mit 0,5 Proz. NaCl + I^ Proz. Agar und mit
/ :n viel Kalilauge versetzt, dass eine Probe mit Phenolphthalein schwache.
’ :.;.er deutliche Rotfärbung gab.
Schrägröhrchen dieses Haferflockenagars und Welzenextraktagars
■vurden in üblicher Weise mit frischem Agarbakterienmaterial der ver¬
schiedensten Stämme beimpft und bei passender Temperatur kultiviert.
Obwohl diese Nährböden kein Pepton enthielten, kamen mehrere Bak-
-cnenarten erstaunlich gut zur Vermehrung. Die meisten Arten aller¬
dings zeigten einen wesentlich dünneren Belag als die vergleichsweise
i.ngelegten Kulturen auf Fleischwasserpeptonagar; gewisse Bakterien-
runcen vermehrten sich überhaupt nur kümmerlich.
1 Nr. 6
L
Immerhin war das Resultat ermutigend genug, um einen neuen Ver¬
such mit den gleichen Nährböden, diesmal aber mit Zusatz von 1 Proz.
Pepton anzustellen, ln der Tat war das Wachstum bei einer ganzen
Reihe von Arten befriedigender geworden; aber trotzdem mussten
weitere Versuche mit den bisherigen Ausgangsmaterialien aussichtslos
erscheinen, da einzelne hygienisch recht wichtige Bakterienarten auch
auf peptonhaltigen Haferflocken- bzw. Wcizenexiraktagar schlecht fort¬
kamen: Bact. septicaeiniae haemorrhagicae, Bact. typhi, Bact. para-
typhi A, Bact. dysenteriae Kruse-Shiga, Vibrionen.
Ich wandte mich daher einem anderen pflanzlichen Ersatzmittel des
Fleisches zu, dem Hefeextrakt, wie es unter dem Namen „Cenovis-
extrakt“ von den Nährniittelwerken Cenovis, vormals Münchener
Hefenverwertung.sgesellschait m. b. H. in den Handel gebracht wird.
Hiermit hatte ich sehr günstige Resultate. Es genügte zwar nicht, den
Agar nur mit 1 Proz. Hefeextrakt allein anzusetzen, sondern es war zur
Erzielung guten Wachstums erforderlich, Pepton hinzuzufügen. Jedoch
durfte man mit dem Prozentgehalt der Peptonbeigabe unter den her¬
kömmlichen Gehalt von 1 Proz. auf etwa Proz. heruntergehen, ohne
die Ueppigkeit der entstehenden Bakterienvegetation irgendwie auffällig
zu mindern. Ich verzichte darauf, den Grenzwert der unentbehrlichen
Peptonmenge genau festzustellen, weil eine im wesentlichen passende
Zusammensetzung in dem „Cenovisnährbodenpulver“ bereits
vorli^gt, das die Cenovisnährmittelwerke nach dem Verfahren von Herrn
Dr. Mandelbaum seit 17. Februar 1920 vertreiben. Nach freund¬
licher Mitteilung des Herrn Dr. M a n d e 1 b a u m enthält diese fertige
Mischung absolut trockenen Hefeextrakt. Pepton und Kochsalz.
Die im Handel befindlichen Röhrchen enthalten 15 g Cenovisnähr¬
bodenpulver, das in 1 Liter Wasser zu lösen ist und nach Alkalisierung
der „gewöhnlichen Bouillon“ entspricht, also entweder in dieser Form
oder nach Zusatz von Gelatine oder Agar verwendet werden kann. Da
nach dem gebräuchlichen Rezept für 1 Liter Bouillon 10 g Pepton. 5 g.
Kochsalz zum Fleischwasser zugegeben werden, während die für 1 Liter
erforderliche Menge von Cenovisnährbodenpulver einschliesslich Hefe¬
extrakt nur 15 g wiegt, enthält es offenbar weniger Pepton als 1 Proz.
Der von der Firma gewählte Peptonziisatz genügt aber für die Ansprüche
weitaus der meisten Bakterien, wie ich mich dadurch überzeugte, dass
ich das Wachstum verschiedener Bakterien einerseits auf Cenovisagar
(vorschriftsmässlg hergestellt), andererseits auf Cenovisagar mit wei¬
terem Zusatz von 1 Proz, Pepton verglich mit dem Verhalten auf
FleJschwasserpeptonagar: der erhöhte Peptonzusatz verbesserte das
Wachstum nicht merklich oder nur unbedeutend.
55 Baktcrienarten wurden — zum Teil in mehreren Stämmen — auf
Nährböden einerseits aus Fleischwasserpepton, andererseits aus Cenovis¬
nährbodenpulver verimpft; nach Bebrütung bei optimaler Temperatur
wurde die Ueppigkeit des Kulturbelages bzw. der Trübungsgrad in
Bouillon, die Form und Intensität der Verflüssigung in Gelatine, die Farb¬
stoffbildung. das mikroskopische Aussehen, die Beweglichkeit, die Färb¬
barkeit geprüft und verglichen.
Die geprüften Stämme verhielten sich bei der Züchtung in Fleisch¬
wasserpepton b o u i 11 0 n und Cenovisbouillon im allgemeinen gleich.
Die Art und Intensität der Trübung Hess keine auffälligen Unterschiede
erkennen; bewegliche Spezies zeigten in beiden Nährmedien dieselbe
Beweglichkeit.
Im Gelatine stich waren ebenfalls keine wesentlichen Ver¬
schiedenheiten zu konstatieren. Die Form der Stichkultur, die Aestchen-
bildung, die Art der Verflüssigung kamen in Cenovisgelatine ebenso
charakteristisch zur Entfaltung wie in Fleischwassferpeptongelatine.
Auf Schrägagar war der Gesamteindruck des Vergleiches ähnlich.
Einzelne Bakterienarten gediehen auf Cenovisagar fast üppiger, als auf
Fleischwasserpeptonagar. Dies war bei folgenden der von mir be¬
nutzten Stämme der Fall: Streptococcus pyogenes. Micrococcus coseus,
Micr. cereus, Bact. lactis saponacei, Bact. erysipelatos suum, Bact.
anthraciS. Vibrio cholerae, Corynebacterium mallei, C^rynebacterium
abortus endemici, Mycobacterium lacticola. Die übrigen Arten bildeten
auf Cenovisagar im Vergleich zum Fleischwasserpeptonagar ebenso
dichte oder nur um weniges dünnere Beläge; Merklich spärlicher war
das Wachstum vor allem bei Bact. septicaemiae haemorrhagicae, bei
Bact. dysent. Kruse-Shiga und bei Bact. lactis viscosl. Im mikro¬
skopischen Ausstrichpräparat bot Form und Färbbarkeit der auf Cenovis¬
agar gewachsenen Kulturen nichts Auffälliges.
Nicht nur bei AAassenaussaaten stand der Cenovisagar im allge¬
meinen dem Flcischwasserpeptonagar «nicht nach, sondern auch bef
Einzelaussaaten, wie sie für die Zwecke der Keimzählung im
bakteriologischen Laboratorium häufig vorgenommen werden müssen.
Die angestellten Versuche ergaben, dass im allgemeinen der einzelne
Keim dieselbe Chance hat, eine Kolonie bilden zu können, wenn er auf
Cenovisagar ausgesät wird, wie wenn ei auf Fleischwasserpeptonagar
gelangt. Das kann bemerkenswerterweise sog^r für geschwächte
Keime gelten. Allerdings verhalten sich andere Bakterien abweichend.
So gingen von einer Aufschwemmung von Bact. septicaemiae haemor¬
rhagicae auf Cenovisagar wesentlich weniger Kolonien auf. als auf
Fleischwasserpeptonagar; auch wuchsen die Kolonien auf Cenovisagar
so langsam, dass sie erst nach 48 Stunden zählbar waren. Scheinbar
umgekehrt verhielt sich Sarcina tetragena: hier gingen auf Cenovisagar
384 Kolonien innerhalb 24 Stunden auf. während auf Fleisch wasser¬
peptonagar erst nach 48 Stunden 277 Kolonien zur Entwicklung ge¬
kommen waren. Dieses auffällige Verhalten wurde in verschieden
variierten Versuchen verfolgt, bis sich schliesslich folgender Sachverhalt
herausstellte: züchtet man Sareiha tetragena jeden Tag auf Fleisch-
5
Digitized by Go K sie
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
144
MÜNCHENER JVffiDlZlNISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 5.
wasserpeptonagar neu um und stellt von der 10! Generation eiiief Sus¬
pension her. so gehen aus der gleichen Aussaatmenge auf Fleischwasser¬
peptonagar mehr Kolonien (165) auf als auf Cenovisagar (140); die
Kolonien sind auf beiden N^rböden schon innerhalb 24 Stunden voll
entwickelt, aber üppiger auf Cenovisagar. Züchtet man umgekehrt
Sarcina tetragena fortgesetzt auf Cenovisagar und sät aus einer Sus¬
pension der 10. Generation auf beide Nährböden aus, so ist die Zahl der
Kolonien auf Cenovisagar grösser (482), als auf Fleischwasserpepton¬
agar (391). Offenbar gehört Sarcina tetragena zu den Mikroben, die sehr
fein auf gewisse Aenderungen der Ernährungsbedingungen reagieren,
aber die Fähigkeit haben, sich verschiedener Ernährungsweise so gut
anzupassen, dass die Rückübertragung in die ursprünglichen Verhältnisse
zunächst als Störung empfunden wird.
Die Farbstoffbildung war bei den Kulturen auf Cenovisnährboden im
grossen und ganzen ebensogut, wie auf Fleischwasserpeptonnährböden.
Nur Bact. syncyaneum und die Fluoreszenzgruppe bildete auf Cenovis¬
agar weniger und langsamer Farbstoff als auf Fleischwasserpeptonagar,
namentlich Bact. putidum.
Weiter interessierte die Eignung der auf Cenovisagar gewachsenen
Bakterien zur Agglutinationsprüfung. Hier ergaben sich völlig
eindeutige und günstige Resultate. Es wurden Paratyphus-B-Bakterien
und Choleravibrionen einerseits auf Fleischw^asserpeptonagar, anderer¬
seits auf Cenovisagar gezüchtet. Auf beiden Nährböden war der gleiche
Stamm stets bis zu den gleichen Serumverdünnungen agglutinabel. Ein
Stamm von Bact. paratyphi B wurde von einem Serum (Titer 1 :10000)
bis 1:5000 agglutiniert; die Kulturaufschwemmung von Cenovisagar war
in dieser Verdünnung sogar deutlicher agglutiniert, als die Bakterien von
Fleischwasserpeptonagar. Vibrio cholerae zeigte noch in einer Serum¬
verdünnung 1:10000 (Titer 1:2000()) gleichgute Agglutination, einerlei,
ob die Bakterien auf Cenovisagar gezüchtet worden waren oder auf
Fleischwasserpeptonagar.
Schliesslich wurde geprüft, ob Kulturen auf Cenovisagar ebensolange
lebensfähig bleiben, wie auf Fleischwasserpeptonagar. Diese Frage
hat praktische Bedeutimg für die Umzüchtung der Kulturen im Labora¬
torium, die man nicht unnötig oft,* aber auch nicht zu spät vornehmen
soll. Es stellte sich heraus, dass sämtliche auf Cenovisagar gezüchteten
Stämme nach zweimonatigem Aufenthalt im Dunkeln bei Zimmer¬
temperatur noch voll Jebensfähig waren und bei der Abimpfung ebenso¬
gutes Wachstum gaben, wie entsprechende Fleischwasserpeptonagar-
lailturen.
Ueberblicken wir alle diese Beobachtungen, so können wir zu¬
sammenfassend sagen, dass das „Cenovisnährbodenpulver“
ein im grossen und ganzen recht brauchbarer Ersatz der zurzeit schwer
erhältlichen Fleischwasserpeptonmischung ist. wenn wir von dem etwas
spärlicheren Wachstum und der geringeren Farbstoffbildung' mancher
Bakterienarten absehen, Nachteile, die nicht schwer ins Gewicht fallen.
Die Verwendung des Cenovisnährbodenpulvers verbilligt und vereinfacht
die Herstellung der Nährböden in willkommener Weise.
Das „Cenovisnährbodenpulver“ der „Cenovisnährmittclwerke
G. m. b. H.“ München kann daher unter der Voraussetzung, dass seine
Zusammensetzung stets gleichbleibt, für die Herstellung von Bakterien¬
nährböden empfohlen werden.
Eine typische Form der BrustentzOndung im Wochenbett.
(Zur Arbeit von P. Math es in Nr. 1; 1921 ds. Wsch.)
Von Dr. med. Richard Gutzeit, leit. Arzt des Johanniter-
Kreiskrankenhauses Neidenburg (Ostpr).
Ich sah die von M a t h e s beschriebene Form von Brustentzündung
kürzlich bei einer 29 jährigen Frau an beiden Brüsten. Fieber und Ent¬
zündung verschwanden in ein bis zwei Tagen. Wie auch schon aus
der Schilderung von Math es hervorgeht, handelt es sich nicht um
eine eigentliche Mastitis, sondern um eine Entzündung der Haut, die
sich sektorförmig an eine Schninde der Brustwarze anschliesst. Sie
spielt sich in den Lymphbahnen der Kutis ab, welche zum Gebiet' der
Rhagade gehören. Da die Lymphbahnen hier sehr dicht liegen, sind
selbst im Beginn der Entzündung die einzelnen Qefässe nicht' mehr
deutlich von einander zu scheiden. Es handelt sich demnach um eine
Lymphangioitis.
FoimitduRgsvoilraDe und üeiiersichtgreferatii..
Von der Bedeutung der Kolloide im menschlichen Körper.
(Eine allgemein gehaltene Elniiihrung.)
Von Prof. H. Schade-Kiel.
Die Aufforderung der Schriftleitung dieser Wochenschrift, in einem
kurzen Aufsatz über die allgemeinen Begriffe und Fragestellungen der
heutigen Kolloidforschung in der Medizin zu orientieren, habe ich gern
angenommen. Denn es entspricht auch meiner Ueberzeiigung, dass, wer
die Hauptfragen der gegenwärtigen Entwicklung der Medizin zu verfolgen
wünscht, nicht einer Kenntnis des Begriffes der Kolloide und ihrer
Bedeutung für den menschlichen Orga^smus entbehren kann. Anderer¬
seits bin ich mir völlig bewusst, wfe unzulänglich ein jeder Versuch
ausfallcn muss, der in einigen kurzen Spalten über das Wesen eines,
so verschiedenartigen und umfangreichen Gebietes wie das der Kolloid¬
chemie in der Medizin berichten will. Nicht ein Bild von dem heuligei
Stande der medizinischen Kolloidforschung, sondern lediglich eine Ein¬
führung in die allgemeine Art dieser Forschungsrichtung möge daher der
Leser von diesen Zeilen erwarten D-
Am Anfang muss die Frage stehen: Was sind Kolloide, oder
präziser gesagt, in welchem bestimmten Zustand müssen sich Stoffe be¬
finden, um die Bezeichnung „Kolloid“ zu verdi(inen? Die drei Aggregat¬
zustände des Gasförmigen, des Flüssigen und des Festen sind scharf
unterschiedene Zustandsarten. Zwischenzustände beim Uebergang des
einen Aggregatzustandes zum andern sind von der älteren Physik wenig
beachtet. Und doch ist es eine ganz allgemeine Erfahrung, dass die
Natur keine sprunghaften Veränderungen liebt. Bei näherer Beobachtung
hat sich denn auch ergeben, dass zwischen gasförmig und flüssig und
ebenso zwischen flüssig und fest zahlreiche feinst abgestufte Zwischen-
zustände vermitteln. Einen solchen Uebergang vom Gasförmigen zum
Flüssigen bilden die Nebel. Etw'as durchaus Aehnliches finden wir auch
beim Uebergang des Flüssigen zum Festen: auch hier entstehen in der
Flüssigkeit als Vorstufe des Festen gewissermassen „Nebel“, d. h. es
bilden sich in der ursprünglich gleichartigen Flüssigkeit mit feinster Ver¬
teilung zahlreiche kleinste, mit physikalischer Grenzfläche gegen ihre Um¬
gebung abgesetzte, anfangs völlig flüssige Tröpfchen, welche allmählicli
dickflüssiger werden und schliesslich, erstarrenden Schmelzen ver¬
gleichbar, in den festen Aggregatzustand eintreten. Diese Uebergangs-
gebilde sind vorzüglich geeignet, uns eine Vorstellung vom Begriff des
Kolloiden* zu vermitteln. Ein erstes fundamentales Charakteristikum lässt
sich ohne weiteres dem Vorstehenden entnehmen. Kolloide Lösungen
oder, w'enn wir allgemeiner sprechen, kolloide „Zerteilungen“ der Ma¬
terie sind nicht mehr in sich gleichartig, nicht mehr „homogen“, son¬
dern dadurch ausgezeichnet, dass eine physikalisch fassbare „Hetero¬
genität“ der Stoffverteilung besteht derart, dass die sich abtrennen¬
den Teilchen als „disperse Phase“ in einer homogenen Orund-
masse, dem „Dispersionsmitte 1“, vorhanden sind. Hiermit ist
aber der Begriff des Kolloiden noch keineswegs genügend gekennzeich¬
net. Noch ein zweites Merkmal muss zur Heterogenität der Raumerfül¬
lung hinzukommen, um die Definition des Kolloidbegriffs vollständig zu
machen. Dieses Merkmal betrifft die Grösse der Teilchen der
dispersen Phase. Zur Abgrenzung gegenüber den echt gelösten Sub¬
stanzen ist zu fordern, dass die Teilchen eine solche Grösse besitzen,
dass sich mit den spezifisch-physikochemischen Methoden (Ultramikro¬
skop, Ultrafilter usw.) ein physikalisches Abgegrenztsein der Teilchei
gegenüber der homogenen ürundmassc nachw eisen lässt. Andererseits aber
dürfen die Teilchen nicht jene Grösse erreichen, dass sie unter dem
Mikroskop sichtbar sind und damit der Lösung den Charakter einer ge-
w^öhnllchcn Emulsion oder Suspension geben. Zahlenmässig ist die
Grösse der Kolloide ungefähr mit den Durchmessern ^/lo // bis Vjooo fj‘)
gekennzeichnet. Während die grössten zu den Kolloiden zählenden
Teilchen somit bis dicht an die Sichtbarkeitsgrenze des Mikroskops
heranreichen, zeigen die kleinsten kolloiden Teilchen Durchmesser, die
kaum mehr als ein Zehnfaches grösser sind als die Durchmesser, die man
auf andern Wegen an Molekülen gemessen hat. Auf den ersten Blick
mag es willkürlich und wenig begründet erscheinen, mit solcher variablen
und noch dazu aus der zufälligen Art unserer Instrumente abgeleiteten
Grössenbestimmung eine Definlening für eine besondere Klasse von
Stoffen resp. für eine besondere Zustandsform der Materie gewinnen
zu wollen. Die nähere Untersuchung, wie sie in der allgemeinen und
speziellen Kolloidchemic durchgeführt ist, hat jedoch eine derartige
Summe von Sondereigenschaften gerade für die Gebilde der genannten
Grössenordnung aufgedeckt, dass es nicht nur praktisch, sondern eben^^o
sehr theoretisch zur Notwendigkeit ward, diese „Welt der vernachlässig¬
ten Dimensionen“ (Woifg. O s t w a 1 d) als eine in sich geschlossene,
selbständige Wissenschaft zu behandeln. Mit der Heterogenitäi der
Raumerfüllung und mit der hier angegebenen Grössenbegrenzung der
Teilchen ist der Begriff des kolloiden Zustands voll definiert. Weiteres
ist nicht erforderlich. Vor allem sei betont, dass die frühere Gewohnheit,
den Begriff des kolloiden Zustands nur auf eine bestimmte Gruppe
chemischer Stoffe zu beziehen, nicht zu Recht besteht. Die kolloide
Lösungsform ist nicht ein Monopol einzelner Substanzen, sie ist viel¬
mehr, wie auch kürzlich am Beispiel der Harnsäure gezeigt wurde,
eine ganz allgemein auftretende intermediäre Zustandsform, die das
Uebergangsstadium charakterisiert, welches zwischen der echten Lösung
und dem Zustand der kristallinischen Ausscheidung vermittelt. Die
Unterschiede der verschiedenen Substanzen bezüglich des Kolloidzustandes
sind im wesentlichen nur gradueller Art. Eine jede Substanz muss auf
dem Wege von der echten Lösung zur .Ausfüllung ein kolloides Zw ischcr-
stadium durchlaufen; aber die Neigung, im Kolloidzustand zu verharren,
ist sehr verschieden. Von manchen Substanzen, z. B. den Eiweissstoffen,
wird die intermediäre Kolloidform derart bevorzugt, dass wir diese
Substanzen praktisch fast nur in solcher Form der Lösung kennen; bei
anderen Stoffen ist dagegen die Kolloidform von so flüchtigem Bestand-,
dass sogar besondere Bedingungen dazu gehören, um überhaupt den
Nachweis ihrer Existenz zu liefern.
Auch die Protoplasmamasse der Zellen hegt, wie schon die
von alters her übliche Definierung als „festweich“ zu zeigen vermag.
*) Wer nähere Auskunft wünscht, dem seien als zusammenfassende
Werke auf dem Gebiet der allgemeinen Kolloidchemie Wo. Ostwald;
Grundriss der Kolloidchemie, auf dem Gebiet der Physiologie R. Höben
Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe, auf den Gebieten der ange¬
wandten Medizin H. Schade: Die physikalische Chemie in der inneren
Medizin empfohlen. *) // = ^/looo mm.
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4 . Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
145
im (iebiet solchen Uebergangs der Aggregatzustände. Das Rätselhafte
dieser Zustandsart, derart, dass man sogar von einem „vierten Aggre¬
gatzustand“ sprechen zu müssen geglaubt hat, ist heute geschwunden.
Die Hauptmasse aller Leibessubstanz der Zellen ist ln einem typisch kol¬
loiden Zustand befindlich; auch das Blutserum und der Gewebssaft sind/
von kolloiden Erscheinungen beherrscht. Ein gut Teil der Besonder¬
heiten des Protoplasmas ist in dieser Art als spezifische Eigentümlichkeit
des Kolloiden-unserem Verständnis nähergebracht. Keine Zustandsform ist
so wandelbar, so sehr Beeinflussungen zugängig und doch anderseits
wiederum so sehr zum rückläufigen Ausgleich von Aenderungen be¬
fähigt, wie der kolloide Zustand. Wo immer uns auch Leben entgegen¬
tritt. vom niedersten einzelligen Wesen bis herauf zum Menschen,
überall finden wir es an die Grundlage eines kolloiden Substrats ge¬
bunden. Zu dem alten Satz „kein Leben ohne Wagser“ tritt daher als
eine wichtige Ergänzung: kein Leben ohne kolloide Struk¬
tur der die Lebenserscheinungen zeigenden Masse.
Die Kolloidphysik und die Kolloidchemie der „Biokolloide“, besonders der
Eiweisse und Lipoide, ist so zur Grundlage aller Wissenschaft des
Protoplasmas geworden.
Eine völlige Neuorientierung der Forschung ist hier nötig. Nie aber
kann und darf sie in dem Sinne erfolgen, als sei nun irgendeine der bis¬
herigen Forschungsarten weniger wichtig oder gar überflüssig geworden.
Insbesondere kann die Kolloidforschung die Bedeutung der chemischen
Wissenschaft nicht herabmindern, nur steigern. Nie wird die Kolloid¬
chemie, zumal auf biologischem Gebiet, des innigen Hand-in-Hdhd-Qehens
mit dieser ihrer älteren Schwesterwissenschaft entraten können. Denn
jede Aenderüng, die in den chemischen Vorgängen eintritt, hat auf die
Zustandart der in ihrem Bereich gelegenen Kolloide in mehr oder minder
hohem Masse Einfluss. Vor allem sind es die Ionen“), welche das Ver¬
halten der Kolloide modifizieren, ja in weitgehendem Masse beherrschen.
Fällungswirkungen und Lösungswirkungen greifen hier in spezifischer
Weise für die einzelnen Ionen, ebenso aber auch für die einzelnen
Kolloide in bunter, aber doch bereits zum Teil als gesetzmässig er¬
kannter Weise ineinander. Eine ganz bestimmte Mischung von Ionen
(vergl. unten) ist für die Aufrechterhaltung des dem Protoplasma eigen¬
tümlichen Zustands der Kolloide nicht zu entbehren. Gerade in der
Wechselwirkung von Kolloiden und Ionen ist ein erheblicher Teil des
Geheimnisses gelegen, ,auf dem die Mannigfaltigkeit der Funktionen des
Protoplasmas beruht.
Wenigstens nach einigen der wichtigsten Richtungen sei hier die
Wirkungsart derKolloide bei den Erscheinungen des
Z e 11 e b e n s von allgemeinen Gesichtspunkten aus skizziert. Das Leben
ist ohne Energieentfaltung nicht denkbar. Freie Energie aber lässt sich
nur dort gewinnen, wo irgendwelche Grenzflächen das Zustandekommen
resp. Erhaltenbleiben von Energiegefällen ermöglichen. Energie-
gewinnung und Grenzflächenexistenz gehören so¬
nach a u f s e n g s t e z u s am m e n. Bei den Maschinen der Technik
sind meist äussere starrwandige Begrenzungen im Gebrauch. Im Proto¬
plasma der Zelle aber liegt die wichtigste Grenzfläche weich elastisch
irn Innern der Masse: es ist die Gesamt ob er fläche der Kolloide, die
hier zum Sitz der im Zelleben auftretenden Energien wird. Welcher
Art sind nun die Energien, die sich an den Kolloidoberflächen speichern
oder zu äusserer Arbeit umsetzen lassen? Eine kurze Antwort ist nicht
möglich. Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen ist zu gross. Nur
Weniges sei einzeln herausgestellt. Indem der Kolloidzustand dank seiner
Heterogenität dem Protoplasma das schon seit langem theoretisch ge¬
forderte Kamraersystem zur Isolierung der chemischen Reaktionen schafft,
wird die Grenzfläche der Kolloide zugleich zum Sitz ^Mannigfachster
Konzentrationsdifferenzen, die Kolloidoberfläche bringt aber auch von
sich heraus noch durch Adsorption oder verWandte Prozesse sehr wirk¬
same lokale Unterschiede der Konzentrationen zuwege. Oberflächen-
spannungs- und Quellungsänderungen sind die Folge und zugleich gehen
diesen Vorgängen Aenderungen des elektrischen Potentais parallel, die
wiederum an der Grenzfläche des Kolloids zum Lösungsraum des Proto¬
plasmas ihren Sitz haben. Die nähere Erforschung des Zurgeltung-
kommens und des Zusammenwirkens dieser Energien steht gerade heute
bei den Physiologen in lebhaftem Fluss. Im Prinzip aber ist schon jetzt
diesen Verhältnissen eine ganz ausserordentliche Bedeutung gesichert.
So ist, die S e k r e t i o n s 1 e i s t u n g der Zellen als eine Arbeit er¬
kannt, bei der mit Hilfe der Kolloide entgegen dem Diffusionsdruck Kon¬
zentrationsgefälle geschaffen w^erden. Ebenso ist die M u s k e 1 f u n k -
tion zu wichtigsten Teilen auf kolloidem Gebiet gelegen; denn es sind
die kolloiden Vorgänge der Quellung und Entquellung, welche dem Mus¬
kel die Uebertragung der chemischen Energie in mechanische Arbeit
vermitteln und dabei im Ausnutzungseffekt weit mehr erzielen, als was
bei der Energieübertragung in starrwandigen Maschinen erreicht wird.
In wiederum anderer Rolle sehen wir die Kolloide beim Hervorbringen
der NervenfÄnktion beteiligt. Während im homogenen Raum der
achten Lösung die positiv und die negativ elektrisch geladenen Ionen
nicht derart zu trennen sind, dass örtliche Potentialdifferenzen auftreten,
sind die Kolloide zur Schaffung von Konzentrationsdifferenzen der Ionen
in ausserordentiiehem Masse befähigt; immer wenn eine ausw'ählende
Anreicherung von Ionen am Kolloid statthat, wird die Grenzfläche des
Kolloids zum Sitz elektrischer Ladung. Auch an den Kolloiden des Zell¬
leibs kommt diese elektrische Aufladung in mannigfacher Art zur Reali¬
sierung. Gerade im Vorgang der Nervenerregung ist das schönste Bei-
®) Ionen sind die elektrisch geladenen Spaltstücke, die im Wasser beim
Hineinbringen von Säuren, Alkalien und Salzen mit dem Vorgang des Lösens
entstehen.
spiel für die biologische Bedeutung des Wechselspiels zwischen Kolloiden
und Ionen gegeben. Nach B e t h e sind es speziell die H-Ionen, die mit
ihrer Wirkung am Kolloid der Nervenzelle den jedesmaligen Vorgang der
Erregung bedingen. Eine völlig neue Grundlage zum Verständnis der
Nervenfunktion ist hier von der Kolloidchemie geschaffen; die Grenz¬
flächen der Kolloide geben die Orte, an denen durch auswählende An¬
reicherung von Ionen elektrische Potentialdifferenzen entstehen; in den
bioelektrischen Strömen, welche die Funktion der Nerven begleiten, ge¬
langen sie wieder zum Ausgleich. Solche Erklärung gibt zugleich das
Verständnis dafür, dass nicht nur bei der Nervenerregung, sondern bei
jedw'eder Funktion einer Zelle biologische Ströme bemerkbar sind,
lonenänderungen örtlich im Lösungsraum der Zelle-^sind bei jeder, sei
es physikalischer oder chemischer Aenderüng des Protoplasmas wahr¬
scheinlich; damit aber ist bei der kolloiden Struktur des Zelleibs ohne
weiteres die Bedingung zum Auftreten von Potentialänderungen an den
Kolloidgrenzflächen gegeben. Auch hier wiederum ist es die Besonder¬
heit des kolloiden Zustands, die für alle Zellen die zwangläufige Be¬
ziehung zwischen der während der Funktion gesetzten Aenderüng im
Protoplasma und dem Entstehen der biologischen Ströme vermittelt.
Zur Beurteilung der Eigenart dieser an das Kolloid gebundenen Pro¬
zesse ist noch eine weitere Betrachtung sehr wuchtig. Ganz allgemein
ist die Menge der in einem System unterzubringenden Energie E von
zwei Faktoren abhängig, von einem Intensitätsfaktor I und einem Kapazi¬
tätsfaktor K. Es gilt die Beziehung E =■ I X K. Der Intensitäts¬
faktor kennzeiclmet die Höhe des vorhandenen Energie¬
gefälles. Bei den Maschinen der Technik sind diese Gefälle meist
sehr hoch; bei der lebenden Zelle sind sie dagegen, w'enn man von den
Vorgängen der Quellung bei der Muskelarbeit absieht, wahrscheinlich
nur niedrig. Ausgleichend aber wirkt, dass in der lebenden Zelle der
Kapazitätsfaktor Beträge von ganz ausserordentlicher Höhe auf¬
weist: denn die Kapazität für alle Arten von Oberflächenenergien wächst
proportional mit der Grösse der Oberfläche. Die Oberfläche der
Kolloide aber zeigt selbst bei kleinstem Raum geradezu erstaunliche
Werte. Eine einfache Rechnung möge die Verhältnisse veranschau¬
lichen. Wenn man von einem Körper von Würfelform ausgeht und sich
diesen Körper in zunehmend immer kleinere Würfel zerteijt denkt, so ist
es leicht, für die dabei entstehenden Teilchen die summarische Ober¬
fläche anzugeben. Mit der zunehmenden Zerteilung w'ächst die Ober¬
fläche in der folgenden Progression:
Anzahl der Würfel Gesamtoberfläche
Einheitlicher Würfel mit der Sei¬
tenlänge 1 cm. 1 6 cm^
Aufgeteilt zu Würfeln von der
Seitenlänge 1 mm .... 10* 60 cm’
Aufgeteilt zu Würfeln von der
Seitenlänge l fi . 10” 6 m’
Aufgcteilt zu Würfeln von der
Seitenlänge Vioo . . . . 10” 600 m’
Aufgeteilt zu Würfeln von der
Seitenlänge Viooo ß ... . 10*^ 6000 m’
Mit Vioo ß kann man etwa den Durchschnittswert der Kolloid¬
grössen ansetzen; von feinstverteilten Kolloiden aber werden auch
Durchmesser bis herab zu ‘/looo ß erreicht. Nehmen wir an, der Würfel
hätte aus festem Eiweiss bestanden und dieses Eiweiss hätte das spez.
Gewicht = 1, so würde 1 g Eiweiss, ungerechnet seiner Volumcnver-
grösserung durch Quellung, bei einer kolloiden Zerteilung auf Vioo //
bereits eine Oberflächenentfaltung J)is zu 600 Quadratmetern, bei einer
Zerteilung auf ^/looo ß aber gar eine solche von 6000 Quadratmetern
erfahren haben. Die Angemessenheit solcher Rechnung Hess sich im
Ultramikroskop für manche Kolloide durch direkte Auszählung bestätigen.
Es ist schwer, aber doch unbedingt nötig, sich in die Vorstellung ein¬
zuleben, dass eine kolloide Lösung in der Menge, wie sie im gewöhn¬
lichen Reagenzglas vorhanden ist, bereits eine „innere Oberfläche“ (d. h.
Grenzfläche des Kolloids zum Lösungsraum) bis zu Hunderten oder gar
Tausenden Quadratmetern aufweisen kann. Diese enorme Oberflächcn-
entfaltung der Kolloide muss im Faktor der Kapazität für die Energic-
leistungen der Zelle von grösster Bedeutung sein. Denn eine Kapazität,
w'elche solchen Oberflächengrössen entspricht, vermag selbst bei nur
mässigem Enargiegefälle noch ausgleichend eine beträchtliche Menge an
freier Energie in dem kleinen Raum einer Zelle zur Aufstapelung zu
bringen. Auch hier wiederum sieht man, in welch fundamentaler Art der
kolloide Zustand die Lebenserscheinungen der Zelle beeinflusst.
Nichts vermag die Funktionsfähigkeit der Zelle so schwer zu schädi-
pn als ein Eingriff in ihre kolloide Integrität. Man kann eine
Zelle (z. B. Hefezelle) zerschneiden, zerdrücken oder gar im Mörser mit
Quarzsand bis zur Unkenntlichkeit zerreiben, auch den Inhalt der Zelle
als Brei extrahieren, immer bleibt noch ein Teil der Funktionen (z. B.
Befähigung zur fermentativen Zuckervergärung) erhalten. Selbst bei
völliger Unversehrtheit der Zelle im mikroskopischen Sinne aber ist so¬
fortiges Erlöschen aller Funktionen die Folge, sobald dem Protoplasma
die kolloide Struktur als solche genommen wird: schon mässiges Er-
wäanen genügt, um mit dem Moment des Zustandekommens der Kolloid¬
fällung alle Funktionen aller Zellarten für dauernd zu vernichten.
Eine gute Beschaffenheit des Protpplasmakolloids. die „Eukol-
loidität“ stellt somit ein wichtiges physikochemisches Kennzeichen
der gesunden Zelle dar. Schwankungen irnerhalb gewisser, vielleicht gar
nicht einmal geringer Breite sind dabei als „funk tion eile Diffe¬
renzen der Eukolloidität“ eingeschlossen. Wenn die Zelle er¬
krankt, wird meist auch bald — über die Grenzen dieser Schwankungen
Digitized by
Gotigle
Original frorri
ÜINIVERSITY OF CALIFORNIA
1-46
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
■ hinaus — die Zustandsiorm der Kolloide sichtbar geändert („D ys-
k 0 11 o i d i t ä t“). Die Prozesse in der Richtung der Kolloidverflüssi-
ginig lassen sich kurz als s o 1 o i d c *). die Prozesse in der Richtung der
Koiloidfällung dagegen als g e 1 o i d e ’') bezeichnen. Schon kleinste
AenJerungen verdienen hier grösste Beachtung. Um den Uebergang des
Zcllkolloids zum Zustand einer mikroskopisch kenntlich werdenden Kör¬
nung im physikochemischen Sinne zu bewerten, sei daran erinnert, dass
gemäss obigem Rechnungsschema eine solche Veränderung des Kolloids
bereits einen Rückgang der Oberfläche um "/lo des Ursprungsbetrages
(Norrnaldispersiiät = ‘/«oo ii gesetzt) mit sich bringt; wenn die Gesamt¬
heit der Zellkülloide solche Veränderung aufweist, wäre demnach die
Kapazität der Zelle für elektrische und andere Oberflächenencrgien auf
einen Restbetrag von nur mehr ein Zehntel ihres Normalwertes ge¬
sunken.
Dieser fundamentalen Bedeutung des Kolloidzustandes für das Leben
der Zellen entspricht es, dass wie bei allen höheren Organismen so auch
beim Menschen regulatorische Einrichtungen vorhanden sind, welche die
Aufgabe haben, den Kolloidbestand der Zelle möglichst vor Störungen
zu bewahren. Dies geschieht dadurch, dass nach ganz bestimmten Rich¬
tungen hin vom Blutserum und vom Oewebssaft eine praktisch fast
völlige Konstanz der Bedingungen innegehalten wird. Ohne das Vor¬
handensein solcher regulatorischcr Einrichtungen würden die Zellen im
menschlichen Körper sehr bald den eintretenden Störungen ihres kol¬
loiden Zustandes zum Opfer fallen. Denn neben der stets wechselnden
Art der Beeinflussung durch die Aussenwclt (z. B. durch Nahrung, Luft¬
wärme usw.) droht auch :tus dem Stoffwechsel des Körperinnern eine
stete Aenderung der physikochemischen Bedingungen. Die Kolloide des
Protoplasmas sind es, die mit aufsteigender Entwicklung der Organismen
einen stets komplizierter werdenden und stets feiner arbeitenden „Rege¬
ln n g s s t o f f w e c h s e 1“ nötig gemacht haben. Im einzelnen sind hier
die folgenden Richtungen der Regelung als wichtigste zu unterscheiden.
Unter allen Substanzen besitzen die Ionen den grössten Einfluss auf
Kolloide; unter den verschiedenen Ionen aber sind wiederum die H- und
OH-Ionen von der mächtigsten Wirkung. Vor dem störenden Wechsel
einer lonenbeeinflussung hat der menschliche Körper seine Kolloide da¬
durch geschützt, dass er sich mit Hilfe der regulierenden Zusammen¬
arbeit namentlich von Lunge, Niere und Bindegew^ebe im Blut eine all¬
gegenwärtige Ausgleichsmassc von stets ein und demselben Gehalt
an H- und OH-Ionen geschaffen hat. Diese H - OH - I s o i o n i e wird
nicht nur vom Gesunden, sondern ebenso auch vom Körper des Kranken
mit solcher Exaktheit aufrecht erhalten, dass selbst bei den brüskesten
Versuchen der Störung, z. B. bei lang fortgesetzten intravenösen Säure¬
infusionen, keine nennenswerte Abweichung der H- und OH-Ionen intra
vitam im Blut zu erreichen ist. Sucht man den Ausgleichsvorgängen
zum Trotz durch ein Uebermass von zugeführter Säure eine H-Ionen-
änderung zu erzwingen, so tritt der Tod des Organismus verhindernd
dazwischen; unter keinen Umständen ist beim Menschen die Kolloid-
funktion der Zelle und damit zugleich das Leben des Organismus mit
einer ausgeprägten Verschiebung des H-OH-Ionenstandes im Blute ver¬
einbar.
Aber auch an den Bestand der übrigen Ionen des Blutserums stellen
die Zellkolloide weitgehende Anforderungen. Die Na-Ionen haben auf
die Biokolloide durchweg eine Wirkung in verflüssigender, d. h. soloider
Richtung; die Ca-Ionen zeigen Erfolge entgegengesetzter, d. h. geloider
Art. Solchem Antagonismus der Wirkungen entspricht es, dass das
Blutserum, wofern die Eukolloidität der Zellen erhalten bleiben soll, beide
Anteile gemischt enthalten muss, und zwar auch hier wiederum in einem
ganz bestimmten Verhältnis, wie es für Na. K und Ca etwa in den
Zahlen 100:2:2 zum Ausdruck kommt. Einzeln oder im relativen
Uebermass wirkt eine jede Art von Ionen auf die Zellkolloide schädlich;
erst in der hier angegebenen „physiologischen Aequilibrierung“
<J. Loeb) zeigen sich die Ionen „entgiftet“. Nicht nur dem mensch¬
lichen Körper ist solche „Na - K - Ca - I s o i o n i e“ eigentümlich; alle
Zellen des Tierreichs und sogar des Pflanzenreichs sind mit dem Leben
an die gleiche Art der lonenäquilibricrung gebunden. Diese Abhängig¬
keit reicht soweit zurück, wie sich überhaupt das Leben verfolgen lässt.
Da dieses Verhältnis dieser drei Ionen aber zugleich auch noch der
Mischung entspricht, in der diese Ionen im Wasser der Meere vor-
Iianden sind, so geht die Physiologie nicht fehl, hier von der Beibehal¬
tung derjenigen lonenmischung zu sprechen, die das kolloide Proto¬
plasma zur Zeit der ersten Entstehung des Lebens im Wasser einst vo»-
fand. Als ein Erbstück aus urältester Zeit ist sonach das Qebundensein
an jene Verhältniszahl 100:2:2 den Biokolloiden des menschlichen
Blutes gewahrt geblieben.
Alle Zellen werden von den Kolloiden, wenigstens im funktionellen
Sinne, mit einer „seminermeablen“, d. h. nur für einen Teil der gelösten
Stoffe durchgängigen Membran umschlossen. Diese Art der kolloiden
Zellabgrenzung bringt zwar für die kolloide Innenmasse der Zellen in
mancher Art einen wirksamen Schutz, sie bedingt aber dafür eine Ab¬
hängigkeit des Zellganzen von der osmotischen Beschaffenheit der um¬
spülenden Lösung. Imm-er wenn die Summe der echtgelösten Teile
des Aussenmilieus die Summe des in der Zellflüssigkeit Gelösten über¬
trifft, muss die Zelle osmotisch schrumpfen; ist das Verhältnis ein Tim-
gekehrtes, kann eine osmotische Schwellung nicht ausbleiben. Auch
diese Beeinflussungsart bringt für die Funktionsfähigkeit der Zelle, wie
') „Sol“ (von solutio = Lötung) bedeutet den Zustand des Kolloids in
flüssiger Lösung.
„Gel“ (von Gelatine hergeleitet) bedeutet den Zustand des Kolloids
bei gallertiger Beschaffenheit des Ganzen.
sich mit besonderer Deutlichkeit für die Leukozyten an der Funktion der
Phagozytose (H. J. Hamburger) zeigen lässt schwere Störungen
mit sich. Wieder hat der höher entwickelte Organismus einen gleichen
Weg zur Vermeidung der Störungen beschritteii. Das Blutserum des
Menschen wird in der Summenzahl seiner Lösuugsbestandteile von den
regulatorischen Organen, namentlich der Niere, dauernd auf einer ganz
bestimmten Höhe erhallen: der osmotische Druck des Blutes wird —
mit der Methode der Gefrierpunktsbestimmung gemessen — beim Men¬
schen stets zwischen den eng-en Grenzwerten A — 0,55—0,58 gefunden:
Isotonie des Blutes. Abweichungen vom Normalwert sind immer
für eine schwere Insuffizienz der regulierenden Organe beweisend.
Der Zustand der Kolloide ist weiter noch sehr von der Tempera¬
tur abhängig. Die Kälte lässt die Biokolloide des Protoplasmas ähnlich,
wie wir es von der Gelatine her kennen, erstarren; jedes Uebermass
von Wärme, oft schon eine Temperatur von wenig über 40”, führt
aber ebenfalls zu Veränderungen von der Art der Gerinnung, Hier ist es
die Einrichtung der I s o t h e r rn i e, welche bei den höchstentwa'ckelten
Organismen wie beim Menschen dem kolloiden Protoplasma der Zellen
ein maximales Freisein von Störungen ermöglicht.
Ganz allgemein lässt sich aus der vergleichenden Physiologie der
Tiere und des Menschen erkennen, wie mit der steigenden Entwicklung
und der zunehmenden Verfeinerung der Funktionen auch ein w^achsen-
des Mass an regulatorischer Arbeit zum Schutz der Eukolloidität der
Zellen geleistet wird. Während im ersten Teil dieser Ausführungen
die Kolloide als (jebendc erschienen, lernen wir sie hier gleichsam in
der Rolle von Fordernden kennen. Beide Arten der Betrachtung sind
gleich wichtig. Das Höchstmass ihres Gebens wird erst durch ein Höchst-
niass ihres Forderns ermöglicht Nur da, wo der kolloide Zustand der
Zelle dauernd unter Schutz gestellt ist, kann sich die spezialistische Funk¬
tion der menschlichen Organzellen störungsfrei bis zur Maximalhöhe ent¬
falten. Eines aber wird nicht oder doch nur teilweise erreicht. Der
Einfluss der Zeit auf den Kolloidzustand ist für das Individuum ais
solches nicht überwunden. Alle Kolloide sind ihrem Wesen nach inter¬
mediär vergänglicher Art; dies gilt auch, sofern wir von dem Rätsel der
Kolloidverjüngung bei der Zellteilung absehen, für das kolloide Substrat,
an welches im Organismus die Erscheinungen des Lebens gebunden
sind. Auch die Biokolloide der Zelle müssen sich w'ährend der Dauer
ihres Bestehens in der Richtung einer langsamen Annäherung an die kri¬
stallinische Erstarrung weiterbilden, sie müssen, wenn oft auch nur
langsam, so doch beständig „alter n“ und tragen so schon bei ihrem
Entstehen die zwingende physikalisctt-chemische Ursache für die Not¬
wendigkeit des Todes in sich. In dem kolloiden Zustand der Zelle ist
somit der Schlüssel nicht nur zum Eindringen in die Vorgänge des
Lebens, sondern ebenso auch zum Verständnis des Todes gegeben.
Schon sind zahlreiche Keime gelegt, um neben einer Physiologie des
Kolloidzustandes auch eine Pathologie des Kolloidzustandes
der Zelle und Gewebe®) erstehen zu lassen.
BQcheranzeigen und Referate.
Handbuch der Frauenheilkunde für Aerzte und Studierende, heraus¬
gegeben von C. Menge und E. Opitz. München-Wiesbaden. Berg¬
manns Verlag. Preis 100 M.
Das seit Kriegsbeginn vergriffene Handbuch von Menge und Opitz
liegt heute in 2. und 3. Auflage vor. Das ganze Lehrbuch hat eine völlig neue
Bearbeitung erfahren, die meisten Kapitel sind erweitert worden; Opitz
hat einen neuen Abschnitt über Strahlentherapic geschrieben. Hierdurch ist
das Werk über 100 Seiten grösser geworden, als die erste Auflage. Das
Charakteristische dieses Lehrbuches, in dessen Bearbeitung sich zahl¬
reiche führende deutsche und österreichische Gynäkologen geteilt haben,
liegt in der ausgiebigen Behandlung der allgemeinen Gynäkologie. Kapi¬
tel wie Hygiene und Diätetik des Weibes, in dem über allgemeine Kör¬
perpflege, Sport, Frauenbewegung, Hygiene des Geschlechtslebens von
Menge in mustergültiger Weise gesprochen wird, oder die Abhandlung
W a 11 h,a r d s über den Einfluss von Allgemeinerkrankungen des Körpers
auf den Genitalapparat und umgekehrt, finden sich in so ausführlicher
Weise in keinem anderen deutschen Lehrbuch für Frauenkrankheiten.
Ich glaube, dass besonders der im praktischen Leben stehende Gynäko¬
loge aus dem Studium dieser Kapitel den allergrössten Nutzen ziehen
wird. Auch der neue Abschnitt von Opitz über Röntgen- und Radium¬
bestrahlung zeichnet sich durch ungemeine Klarheit und Fassbarkeit der
Darstellung aus und vermag den Anfänger leicht in die physikalischen
und biologischen Probleme der Aktinotherapie einzuführen. Die Be¬
arbeitung der Kapitel ist die gleiche, wie bei der ersten Auflage: im
allgemeinen Teil Entwicklungsgeschichte und Anatomie von Tand-
1 c r, Physiologie von H. Schröder, allgemeine Symptomatologie von
B a i s c h, Untersuchungsmethoden von S e 11 h e i m. Genitale und Nach¬
barorgane, allgemeine Therapie, Asepsis und Antisepsis von Opitz.,
Der spezielle Teil gliedert sich in zwei Abschnitte, 1. Die Systemerkran¬
kungen. bei dem Sterilität von Baisch, die Gonorrhöe \o/( Amann,
Lues und Tuberkulose von F ü t h, Sepsis von Opitz, Verletzungen und
Fremdkörper von Knauer, Lageanomalien von Pankow, tierische
Parasiten von F ü t h behandelt worden sind. Im zweiten Abschnitt fol¬
gen die Organerkrankungen: Vulva und Vagina von J aschke. Uterus
und Darm von Opitz, Adnexe von Franqu6, das Beckenbinde¬
gewebe' von Jung-Reifferscheid, Harnorgane von Beu11ner.
®) Vergl. als zusammenfassende Darstellung H. Schade: Die physi¬
kalische Chemie in der inneren Medizin. Leipzig-Dresden, 1920.
Digitized by Goiisle
Original fmiri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
4. Tebruar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
147
Ein ganz besonderes Ansehen erhält das Lehrbuch durch neue farbige
Wiedergaben von Lumiärebildern aus der Frankfurter Universitäts-
Frauenklinik. Diese Bilder sind zum grössten Teil ganz vorzügliche Dar¬
stellungen der normalen Farbenverhältnisse, vor allen Dingen, wenn es
sich um Körperaufnahmen handelt (Walthard. v. Jaschke und
V. Franqu^). Die Präparataiifnahmen mit diesem Verfahren scheinen
mir nicht klarer zu sein, als die einfarbig schwarzen. Das Handbuch ist
im übrigen sehr reichhaltig mit Bildern versehen (426 Textabbildungen),
die durchwegs als anschaulich und plastisch zu bezeichnen sind und,
was heutzutage besonders lobend erwähnt werden muss, durchweg
Originale sind. Besonders gut sind die v. F r a n q u 6 sehen Abbil¬
dungen der Ovarialgeschwülste. Sehr matt erscheinen einige der
Tandler sehen Bilder, die „einer Frau ohne Schatten“ entlehnt zu
sein scheinen. Die Ausstattung ist im übrigen ausgezeichnet, wenn
auch das Papier kein ganz einheitliches ist. Dieser kleine Mangel, der
sich durch die zurzeit bestehenden Schwierigkeiten erklären lässt, be¬
einträchtigt im übrigen die Schönheit des Werkes in keiner Weise,
und es kann somit das Lehrbuch von Menge und Opitz als eines
der originellsten und besten Handbücher der Frauenheilkunde emp¬
fohlen werden. P o l a n o - München.
Fr. Schede: Theoretische Grundlagen für den Bau von Kunst¬
beinen insbesondere für den Oberschenkelamputierten. Beilageheft der
Zeitschrift für orthopäd. Chirurgie Bd. 39. Stuttgart. Enke, 1919.
190 Seiten. 133 Abbildungen.
Das Werk bietet für jeden, der sich mit Prothesenbau befasst, in
sehr klarer und kritischer Weise vieles Wissenswerte aus dem Gebiete
der üliedermechanik. soweit sie sich auf das Bein bezieht, ln einer
Einleitung wird die Wirkung der Belastung auf mehrgliedrige Ketten, die
Sicherung der Gelenke gegen Einknicken, Erhaltung des Gleich¬
gewichtes und eine neue sehr zweckmässige Messmethode abgehandelt.
Es folgen dann Kapitel über den Stand des Normalen. Stand des Ober¬
schenkelamputierten, Gang des Normalen und des Amputierten. Im
letzten Kapitel finden wir die praktischen Anwendungen und zwar unter
anderem die Orientierung des Kunstbeines zum Körper, Stellung der
Oelenkachsen, automatische Kniefixierungen. Schliesslich bringt Sch.
noch eigene sehr sinnreiche Neukonstruktionen künstlicher Beine.
Das Buch stellt eine Grammatik dar, es enthält die Regeln, nach
denen bisher ab und zu nur gefühlsmässig die Kunstbeine gebaut wurden
oder gegen die, was noch häufiger ist, gefehlt wurde. Ausserdem enthält es
aber auch noch neue wichtige Beobachtungen aus dem Gebiete der Muskel¬
physiologie, wie z. B. die Bedeutung der ischiokruralen Muskeln. Aus¬
zusetzen hätte Ref. nur die auf Seite 122/123 beschriebene un(V abge¬
bildete Verlängerung des Unterschenkels bei Kniebeugung. Die Be¬
schreibung trifft nicht den Kern der Sache und die Abbildungen sind un¬
genau, so dass ein Begutachter eines Beines zu einem ungerechten Urteil
verleitet werden könnte. Die Einbeziehung des Tubersitzes in den
Beckenkorb ist schon von Hessing besonders bei Entlastungsapparaten
ausgeführt worden. Bei der Fusskonstruktion ist Sch. ein Vorzug seiner
Bauart entgangen, der nicht bedeutungslos ist. Der Fuss stellt einen
„Bremsfuss“ dar. dem eine Eigenschaft zukommt, die seinerzeit den Ref.
unabhängig zu einer ähnlichen Konstruktion veranlasste. Vielleicht zieht
Sch. auch dieses Problem mit in den Kreis seiner zum Schluss ange¬
kündigten Aufgaben.
Das Buch kann nicht nur wärmstens jedem Prothesenbauer und
Begutachter empfohlen, sondern das Studium der Arbeit sollte jedem, der
sich mit künstlichen Beinen beschäftigt, zur Pflicht gemacht werden.
V. B a e y e r - Heidelberg.
Lehrbuch der experimentellen Psychologie von Joseph FröbesS. J.,
Professor der Philosophie an der philosophisch-theologischen Lehranstalt
zu Valkenburg. Zweiter (Schluss-) Band. Mit 18 Textfiguren und
einer Tafel. 704 Seiten. Freiburg 1. Br. 1920, Herder & Co. G. m. b. H.
Preis M. 60, gebunden M. 69 + Zuschläge.
Der vorliegende (Schluss-) Band enthält die Abschnitte VI—X des
gesamten Werkes. Die 69 Seiten des VI. Abschnittes handeln über
„Assoziationsstörungen und Gehirnlokalisation“. Wir finden auf ihnen
Erörterungen über die „Methodik der Gehirnforschung“ (anatomische
und physiologische Methoden), über „Struktur und Funktion des Gross¬
hirns im allgemeinen“, über Lokalisation der Bewegungen, der Vorgänge
beim Sehen und bei den übrigen sensorischen und sensiblen Leistungen,
über die Lokalisation höherer geistiger Leistungen, ln einem besonderen
Kapitel wird über die „Sprachvorstellungen und ihre Lokalisation (die
Aphasien)“ gehandelt und dabei werden natürlich auch die so häufig mit
Sprachstörungen verbundenen Störungen des Lesens und Schreibens be¬
sprochen. Wiederum ein besonderes Kapitel ist der „Amnesie und der
Lokalisation der Erinnerungen“ gewidmet. Ausser den verschiedenen
Formen der Amnesien im engeren Sinn werden' hier als „periodische
Amnesien“ die Verdoppelung der Persönlichkeit, die Agnosien und Apra¬
xien, die hysterischen Lähmungen besprochen, daneben aber auch die
Frage der „Wahrnehmungs- und Vorstellungszentren“, der „Lokalisation
der Assoziationen“, der materiellen Qedächtnisgrundlagen usw. erörtert.
In den schönen Abschnitten VII—IX wird nun eine Darstellung der
„zusammengesetzten Erkenntnisvorgänge“ (mit den Kapiteln „Aufmerk¬
samkeit“, „das Ich“, „das Gedächtnis“, „die Verstandestätigkeit im
engeren Sinn“, „die produktive Geistestätigkeit oder die schöpferische
Phantasie“, „die Sprache“), eine Darstellung über „die zusammengesetz¬
ten und höheren Gefühle (die Gemütsbewegungen)“ mit je einem be¬
sonderen Kapitel über die ästhetischen Gefühle (die Psychologie der
Aesthetik) und über die für unsAerzte so wichtigen Ausdrucksbewegungen.
endlich eine Darstellung über „das Willensleben“ gegeben. In der Er¬
kenntnis der Willensvorgänge erreicht die Psychologie ihren Gipfel,
neben dem höchsten Masse des theoretischen das höchste praktische
Interesse. F r ö b e s führt uns im Kapitel über „die Willensbewegungen“
die Reflexbewegungen, die Erlernung neuer Bewegungen, die Analyse
der komplizierten Bewegung, die mechanisierte Bewegung und die kör¬
perliche Arbeit vor. Hier wird über Uebung und Ermüdung sowie über
Arbeitsökonomie das wichtigste gesagt. Es folgen Ausführungen über
„Störungen der Willensbewegung“, Reaktionsversuche und psychische
Arbeit (Arbeitskurve). Eigenart und Eigenschaften der Willensvor¬
gänge, Bedingungen und Wirkungen des Wolleiis, die Pathologie des
Wolletis (Zwangsvorstellungen, Zwangshandlungen, Willensschwäche),
Charakter und Temperament werden eingehend behandelt. Damit hat
der Verfasser das Ckbäude der Psychologie soweit vollendet, dass er
in dem Kapitel über „die Lebensziele, speziell Sittlichkeit und Religion“
und in dem über „Gesamtpersönlichkeit und psychische Entwicklung“
die Schlusssteine des Gewölbes einfügen kann. Der X. Abschnitt, der
von den Anomalien des Bewusstseins, Schlaf und Traum, Hypnotismus
und Suggestion und von den Geisteskrankheiten handelt, ist ein das
vom normalen Seelenleben Gelehrte erläuternder und ergänzender An¬
hang.
Die gegebene Uebersicht wird genügen, um die Reichhaltigkeit und
Vielseitigkeit des von F r ö b e s verarbeiteten Wissensstoffes darzutun.
Da auch die Grundanschauungen des Verfassers in allen wichtigeren Punk¬
ten fest begründet sind, so kann das Werk allen, die sich über den
heutigen Stand der Psychologie unterrichten wollen, warm empfohlen
werden. Gegenüber den angeführten Vorzügen fällt nach Meinung des
Ref. der Umstand, dass es das experimentell-psychologische Gebiet über¬
schreitet und auch fast alles bringt, was zur empirischen Psychologie
überhaupt gehört, und dass es dabei in etwas breiter Weise auf gehirn-
physiologische, psychopathologische und sogar psychiatrische Fragen
eingeht, kaum ins Gewicht. Der Verfasser bekundet auch bei den Er¬
örterungen dieser Sonderwissenschaften ein auffallend gutes Verständnis
und darum wird sich gerade der Arzt auch dieser Ausführungen freuen *
und in ihnen häufig eine Brücke in das ihm fremdere psychologische Ge¬
biet finden. Hirt.
Lehrbuch der Volksemährung nach dem Pirquetsystem. Heraus¬
gegeben von Mayerhofer und C. Pirquet. Urban&Schwar-
z e n b e r g, 1920. Preis geheftet M. 30.—.
Mit grösstem Eifer sind die Anhänger der Pirquet sehen Er¬
nährungslehre darangegangen, sdn System so auszubauen, dass es für
alle vorkommenden praktischen Fälle in handliche und benützbare Form
gebracht ist. Das vorliegende Lehrbuch zeigt allen Interessentenkreisen,
wie die Nemlehre sich in praxi gestalten lässt. Mayerhofer be¬
spricht die Nahrungsmittelkunde und Physiologie der Ernährung, Nobel
erläutert die Grundsätze des Nemsystems und organisatorische Auf¬
gaben bei Massenspeisungen von Kindern. Den chemischen Methoden
der Nährwertbestimmungen, Technikeinrichtungen der Küche, Grund¬
sätzen der Kochkunst, volkswirtschaftlichen Fragen werden die anderen
Mitarbeiter gerecht. Pirquet gibt eine sehr ausführliche Tafel des
Nemwerts der einzelnen Nahrungsmittel. Man erhält bei Durchsicht
des Buches den sicheren Eindruck, dass in Wien in der Ernährungslehre
eine gründliche Arbeit geleistet wird. Man muss aber doch hervorheben,
dass die Anhänger der Nemlehre gewisse tatsächliche Schwierigkeiten
verkennen. Das System ist nicht einfach, sondern kompliziert, und
warum z. B. der Satz aufgestellt wird, „das Kaloriensystem gehört ins
Laboratorium, das Nemsystem ins Leben“ (S. 9) wird ein vorurteilsfreier
Beurteiler nicht genügend begründet finden. Ich bin überzeugt, dass wenn
auf die Ausgestaltung der Kalorienwerte für praktische Emährungszwecke
dieselbe Arbeit verwendet würde, wie für das Nemsystem, die Resultate
nach dem KaJoriensystem sich ebenso leicht erlernen lassen würden. Es
sei nur darauf hingewiesen, dass eine vollständig neue Nomenklatur
aufgestellt wird, die wie eine fremde Sprache nach Sinn ujid Bedeutung
gelernt werden muss. Wer weiss z. B. was Gelidusi ist; Ge — gleich
zehnfaches Gewicht, lidu — gleich dritte Wurzel daraus, si — Sitzhöhe in
• 8 _
Zentimeter. Die^e Indexzahl Gelidusi Ist also = V 10- Gewicht . Man
Sitzhöhe
braucht zu manchen Operationen den Rechenschieber. Charakteristisch
für das Buch ist, dass dem Gebrauch des Rechenschiebers ein eigenes
Kapitel gewidmet werden muss. Ich glaube aber, dass jemandem ohne
mathematische Vorbildung es kaum gelingen wird, hiernach sich die
nötige Sicherheit im Gebrauch dieses Instmmentes zu erwerben. Wer
weiss was Padifa ist (das Brotgewicht dividiert durch das Mehlgewicht),
wer weiss was Pamia ist (Brotgewicht minus Wasser), u. dgl. Beispiele
lassen sich vermehren.
Endlich muss immer hervorgehoben werden, dass der Wissenschaftler
trotz alledem auf das Kaloriensystem zurückgreifen muss, aus dem das
Nemsystem ja durch Rechnung, später auch durch direkte Versuche er¬
mittelt wurde. Wir haben heute also zwei Arten der Nahrungsmittel-
berechnüng, gegenüber der früheren einen. Dazu kommt, dass wenn man
das Pirquetsystem verwenden will und nicht zu sehr komplizierten
Rechenaufgaben kommen will, man unbedingt für die Vereinfachung
seines Systems auf seine an sich wundervollen Tabellen angewiesen ist,
deren Anschaffung bei heutigen Zeitläuften Geld kostet. Ich fürchte,
dass das Nemsystem die Wirkung haben wird, dass sich bald zwei Lager
der Ernährungsphysiologen herausbilden werden, die sich gegenseitig
nicht mehr verstehen.
Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
.V
148
MÜNCHENER MEDlZlNlt^CHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Diese Bedenken sollen aber die schöne Arbeit, die geleistet worden
ist. keineswegs treffen, sondern das Buch soll allen Interessenten des
Neinsystems auf das Wärmste empfohlen werden.
F i s c h 1 e r - München.
F. Lust: Diagnostik und Therapie der Kinderkrankheiten. 2. Aufl.
471 Seiten. Preis 46 M. Verlag von Urban & Schwarzenberg,
Berlin-Wien, 1920.
Der erste Teil des Buches behandelt kurz, klar und sehr übersicht¬
lich: die normale Entwicklung des Kindes, die Ernährung des gesunden
Säuglings und Kleinkindes, die Diagnostik und Therapie der Kinder-
krailkheiten, die therapeutische Technik. Der zweite Teil enthält Arznei¬
verordnungen im Kindesalter, inkl. Vorschriften über die Zubereitung der
gebräuchlichsten Nahrungsmittel für Säuglinge, ferner einen Abschnitt
über Vergiftungen und einen weitern über Anstalten zur Aufnahme kran¬
ker Kinder; Sachregister. Die Ausstattung ist kriegsmässig, der Druck
gut. Trotzdem ich mich mit einigen — schon bei Besprechung der
1. Auflage beanstandeten — therapeutischen Angaben, besonders bezüg¬
lich Behandlung der Infektionskrankheiten, nicht einverstanden erklären
kann, möchte ich doch das Buch wegen seiner vielen Vorzüge den Kol¬
legen warm empfehlen. - T r u m p p.
Gustav K1111 ä n - Berlin: Die Schwebelaryngoskopie und ihre prak¬
tische Verwertung, Mit 44 Textabbildungen und 4 mehrfarbigen Tafeln.
Berlin-Wien, Urban & Schwarzenberg, 1920. Preis 20 M.
K i 11 i a n, der Erfinder der Schwebelaryngoskopie, schildert in der
vorliegenden kleinen Monographie den gegenwärtigen Stand dieses Ver¬
fahrens. Nachdem K. den von Lynch verbesserten Haken noch
weiter modifiziert hat, glaubt er, dass damit in der Konstruktion des
Schwebehakens ein Ruhepunkt erreicht, ist. Mit der ihm eigenen Ge¬
nauigkeit wird an der Hand vieler instruktiver Abbildungen das Instru¬
mentarium und seine nicht einfache Handhabung beschrieben.
Der klinischen Anwendung, besonders bei Kindern, bei denen das
neue Verfahren einen grossen Fortschritt bedeutet, wird ein besonderes
'Kapitel gewidmet.
Jeder, der sich mit der Schwebelaryngoskopie befasst, wird dem Ver¬
fasser für sein Werk dankbar sein. Scheibe- Erlangen.
W. Schfirmann: Methoden der Immunisierung. Antisera.
Technik der Gewinnung, Auswertung und Anwendung. Mit 12 Abbil¬
dungen. Berlin-Wien, Urban 6t Schwarzenberg. 1920. 175 S.
Preis 20 M.
Das Werk ist eine Abteilung des Handbuches der biologischen
Arbeitsmethoden, herausgegeben von Abderhalden, und gibt eine
vollständige Uebersicht über alle praktischen Methoden und die Technik
der Immunisierung und Serumgewinnung bei menschlichen und tierischen
Krankheiten. Die kurze und klare Darstellung ermöglicht auch den
diesem Gebiet Fernerstehenden gutes Verständnis.
D i e u d o n n 6 - München.
Prof. Dr. Rahel Hirsch: Therapeutisches Taschenbuch der Elektro-
und Strahlentherapie. Band XI von Fischers Therapeutischen
Taschenbüchern. Berlin 1920. bei H. Kornfrld. 178 Selten klein 8®.
Preis geb. M. 12.50.
Es ist keine leichte Aufgabe; das Wesentliche der Strahlen- und
Elektrotherapie auf so knappem Raum zu bringen. Die Verfasserin
ha! die richtige Linie zwischen unverständlicher Knappheit und zu breiter
Darstellung des minder Wesentlichen gefunden und ein zur Orienterung
wie zum Nachschlagen recht brauchbares Büchlein zustande gebracht.
Einige, wenn auch skizzenhafte Abbildungen wären freilich erwünscht.
Behandelt werden: Röntgentherapie, Radiumtherapie, Hochfrequenz,
Franklinisation, Faradisation und Galvanisation (mit Recht sehr knapp),
Lichtbehandlung. Die Zahlen des Inhaltsverzeichnisses stimmen zum
grossen Telle nicht. Kerschenste i ne r.
Zeitschriften-Uebersicht.
Deutsche Zeitschrift^für Chirurgie. 158. Band. 5.-6. Heft.
Anton Sigmund: Beitrag zur operativen Behandlung der Appendizitis
und Peritonitis.
Die Einteilung nach Stadien (Früh-, Intermediär- und Spätstadium) kann
für die operative Indikation nicht massgebend sein, jede akute Appendizitis
wird grundsätzlich im Anfall operiert. Praktisch lassen sich trennen: nicht
perforierte Fälle, mit ca. 100 Proz. Heilung, und perforierte Falle, die mit
Dreesmann rohr drainiert werden und noch einen Heilerfolg von 90 bis
95 Proz. bieten.
G. Riedel; Das Blutbild bei chirurgischer Tuberkulose. (Aus der
Universitätsklinik für orthopädische Chirurgie Frankfurt a. M. Direktor:
Prof. Dr, Carl L u d 1 o f f.)
Es findet sich gewöhnlich eine leichte Herabsetzung des Hb-Gehalts, der
Erythrozytenzahl und des Färbeindex. Bei geringer Vermehrung der Ge¬
samtzahl der weissen Blutkörperchen besteht oft eine relative und absolute
Vermehrung der Lymphozyten neben einer Verminderung der Leukozyten,
Zeichen einer günstigen Prognose. Schwere Fälle zeigen oft eine absolute
neutrophile Leukozytose zu ungunsten der Lymphozyten und eine relative
wie absolute Eosinopenie.
Viktor Hoff mann: Wunddiphtberie. (Aus der Chirurg, Klinik [Prof.
E n d e r 1 e n] und dem hygien. Institut fProf. Dr. K o s s e H der Universität
Heidelberg.) '
Bei Untersuchungen von 400 Wunden auf Diphtheriebazillen ergaben sich
15 Proz. positive Resultate. Die Wunden hatten teils ein charakteristisches
Aussehen, teils fehlten „spezifische Veränderungen“ (bei erhöhtem Antitoxin¬
gehalt des Blutes), in anderen Fällen lebt der Diphtheriebazillus lediglich als
Schmarotzer auf der Wunde. Einer von drei Todesfällen ist auf Diphtherie¬
infektion zurückzuführen (Polyneuritis). Im allgemeinen ist die sekundäre
Wunddiphtherie eine relativ wenig ernste Komplikation, nur selten schreitet
sie als erysipelatöse oder phlegmonöse Entzündung auf die Umgebung fort.
Elisabeth Jungermann: Ein Beitrag zur Magenchirurgie auf Grund
von 275 operierten Fällen. (Aus der chirufg, Universitätsklinik üöttingen.
Direktor: Prof. Dr. Stich.)
275 Fälle einschliesslich 20 Perforationen, Mortalität der 255 nicht
perforierten Fälle: 9,4 Proz. Gastroenterostomie wurde 146 mal ausgeführt
mit 4.1 Proz. Mortalität und 38,2 Proz. Misserfolgen, 48,8 Proz. Heilungen,
13 Proz. Besserungen. 22 Pylorusausschaltungen durch Ligatur oder
Raffung: ungeheilt 25 Proz., geheilt 65 Proz., gebessert 10 Proz., Pylorus-
ausschaltung nach v. Eiseisberg: 46,7 Proz. gute Resultate, 26,7 Proz.
Besserungen und 26,7 Proz. Misserfolge. 20 quere Resektionen; 71,4 Proz.
Heilungen, 10,7 Proz. Besserungen,* 17,9 Proz. Misserfolge. Die quere Resek¬
tion ohne Gastroenterostomie ist vorzuziehen. 27 Resektionen nach Bill-
roth II, 3 mal Bill rot hi: Mortalität 33,3 Proz.. Misserfolge 50 Proz.,
Besserungen 3,3 Proz., Heilungen 46.7 Proz. Allmähliche Einschränkung der
palliativen Eingriffe auf Grund der radikalen. In, 22 unter 266 Fällen ergab
die histologische Untersuchung ein Karzinom, also 8,3 Proz. der Fälle.
Multiple Geschwüre in 8,6 Proz. der Fälle, Ulcera peptica in 3,2 Proz. der
Gastroenterostomien, vorwiegend nach der vorderen. Circulus vitiosus fand
sich 2 mal. Von 20 operierten Perforationen starben 60 Proz., gehellt sind
15 Proz., gebessert 10 Proz.
Adolf Lang: Ueber innere Desinfektionsversuche mit Vuzin bei
schweren chirurgischen Infektionen. Beiträge zur Frage der Therapie
sterilisans localis percapillaris. (Aus der k. ung. I. chir. Universitätsklinik
(Vorstand: o. ö, Prof. Dr. Tibor v. Verebely) und aus dem Labora¬
torium der I. Universitätsklinik für innere Krankheiten [Vorstand: o. ö. Prof.
Dr. Rudolf B a 1 i n t] in Pest.)
Günstige Erfolge mit der lokalen Anwendung des Vuzin bei .akut eitrigen
Prozessen und Tierversuchen veranlassten den Verf., die intraarterielle An¬
wendung bei schweren Phlegmonen in die Arterie der Extremität (ca. 20 ccm
'A proz. Lösung) zu machen. Von 6 schweren Phlegmonen heilten danach
2 ^us. Kompressionen nach der Injektion sollen vermieden werden.
(Andere Autoren warnen dringend vor der intravenösen Anwendung des
Mittels. Ref.)
F. Karewski: Zur Funktionierung des verkrüppelten Daumens. (Aus
dem Krankenhause der jüdischen Gemeinde zu Berlin.)
Schwere Verkrüppelung der Hand nach Platzpatronenverletzung.
2.. 3., 4. Finger fehlen, hochgradige Kontraktur des Daumens und 5. Fingers.
Exzision der Narbe, Transplantation von gestielten Brusthautlappen. Gute
Funktion der restierenden Finger. H. Flörcken - Frankfurt a. M.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 2.
H. E y m e r - Heidelberg: Erfahrungen mit der Sakralanästhesle an der
Heidel|}erger Universitätsfrauenklinik.
Auch die Heidelberger Klinik hat über hervorragend gute Resultate zu
berichten. E y m e r ergänzt die früheren Heidelberger Statistiken von
Weinmann, Handorn und Behringer durch 1336 neue Fälle aus
den Jahren 1914—1919 mit nur 8.1 Proz. Versagern. Auch er betont, wie
wichtig es ist, die Technik völlig zu beherrschen. Sie muss gelernt sein
und gibt bei zunehmender Uebung immer bessere Resultate.
K. B e h n e - Freiburg i. Br.: Ist eine Auswahl unter den Spendern
für die intravenöse Menschenbluttransfusion erforderlich und nach welchen
Gesichtspunkten hat sie zu geschehen?
Auf Grund von 2 ungünstig verlaufenen Fällen bei schwersten post¬
partalen Blutungen, von denen einer nach lebensbedrohenden Intoxikations¬
symptomen durchkam, der andere aber infolge der Transfusion, wie die
Sektion einwandfrei ergab, zum Exitus kam, warnt Verf. vor der Methode,
der trotz mancher ausgezeichneten Erfolge grosse Gefahren innewohnen,
und verlangt eine — zum mindesten in der Klinik, wo das Blut von Bluts¬
verwandten nicht zur Verfügung steht, mit nicht allzu grossem Zeitverlu.st
vorzunehmende — exakte Vorprüfung des Blutes von Geber und Empfänger
auf Isoagglutinine. Beschreibung dahingehender Methoden.
H. F u c h s - Danzig: Zur Heilung der Blasenlnkontlnenz durch die
Goebell-Stoeckel sehe Pyramidalis-Faszienpiastlk.
Kritische Besprechung eines nach der in der Ueberschrift genannten
Methode operierten und gut geheilten Falles.
A. S c h o 11 e 1 i u s - Hamburg; Aborte und Geburtenziffer In Hamburg.
cf. Bericht über die Sitzung des ärztlichen Vereins in Nr. 50 des
vorigen Jahrganges d. Wschr. S. 1452.
S. Dietrich - Köln: Sittengesetze, ein Beitrag zur Abortfrage.
Die dauernde Zunahme der Aborte- zwingt uns Aerzte, das Dogma, J.»sn
der Mensch durch seine Kinder weiter lebt und damit dem „ewigen Leben“
näher kommt, mehr denn je unseren Kranken Vorzupredigen.
O. Wessel- Heilbronn a. N.: Eine neue Methode der zeitweiligen
Sterilisation der Frau auf operativem Wege.
In manchen Fällen von Nephritis. Tuberkulo::e, schweren Herzfehlern.
Diabetes, Psychosen. Osteomalazie und Beckenenge kann eine vorübergehende
Sterilisation angezeigt sein. Bei Besserung des krankhaften Zustandes, der
nur eine augenblickliche Schonung benötigt, kann die Wiederherstellung der
Opbärfähigkeit erwünscht sein. Für solche Fälle schlägt Verf. vor, wie beim
Alexander-Adams von beiden Leisten her das Peritoneum zu eröffnen und die
Ovarien ausserhalb des Peritoneums zu lagern. Später kann man sie di nn
durch einen zweiten kleinen Eingriff wieder an die normale Stelle in die
Bauchhöhle zurückbringen. Diese Sterilisationsmethode seines Chefs Q u t -
brod wurde 6mal vorgenommen mit einmaligem Versagen. Zur 'Wieder¬
herstellung des Normalzustandes ist Verf. noch nicht gekommen, kann daher
auch noch nicht über eventuelle spätere Schwangerschaften berichten.
E. P u p p e 1 - Mainz: Sozlalgynäkologle.
Kritische Verurteilung der Hirsch sehen Reformpläne im Zbl f Oy.i
1920 Nr. 47.
L. M 0 s z k 0 w i c z - Wien: Plastik bei Scheidendefekt.
Die Methode der Mode bei diesem Leiden ist zurzeit die B a I d w : n -
sehe. Sie ist aber nicht ungefährlich und es sind schon Todesfälle ver¬
öffentlicht, die ihr zur Last fallen. In Abänderung und in Anlehnung an
die 0 e r s u n y sehe Methode beschreibt M. die von ihm an 3 Fällen mit
gutem Resultat angewandte Plastik. Werner- Hamburg.
Digitized by Gougle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
l h^ebruar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
149
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 63. Bd. 2. Heft. 1920.
W. Runge; lieber Psychosen bei Grippe. Ein Beitrag zur Frage der
Ptthogenese und nosologischen Stellung der Infektionspsychosen. (Aus der
psychiatr. und Nervenklinik Kiel.) Schluss.
Die pandemisch auftretende Grippe ist sehr wahrscheinlich diejenige
Infektionskrankheit, die am häufigsten psychische Störungen zü erzeugen ver¬
mag. Personen, die im Atter von über 30 Jahren von Grippe befallen
werden, scheinen in dieser Beziehung am meisten gefährdet. Das weib¬
liche Geschlecht schien bei der letzten Epidemie erheblich stärker zu psychi¬
schen Erkrankungen disponiert als das männliche. Eine neuro- oder psycho¬
pathische Disposition ist in einem grossen Prozentsatz der Fälle von Psy¬
chosen bei Grippe Vorhanden und zwar bei allen Psychosenformen, bei den
postfebrilen Fällen noch häufiger als bei den febrilen. Je schwerer die Form
der Grippe, desto schwerer war auch in der Regel die Form der Psychose,
die Bewusstseinstrübung und motorische Erregung. Psychosen im Initial-
stadium der Grippe sind äusserst selten, febrile waren im Gegensatz zu der
früheren Epidemie in der letzten Epidemie häufiger als postfebrile. Ein
grundlegender Unterschied zwischen den postfebrilen und febrilen Psychosen
lässt sich nicht feststellen, nur kommt unter den febrilen Psychosen eine
Gruppe von besonders schweren, durch starke motorische Erregung gekenn-
reichneten, deliranten und amentiaartigen, noch während des Fieberstadiums
ablaufenden oder tödlich endenden Fällen vor, die bei den postiebrilen
Psychosen fehlt. Spezifische Grippepsychosen gibt es nicht. Am häufigsten
sind die durch mehr oder minder starke Bewusstseinstrübung gekenn¬
zeichneten deliranten und amentiaartigen Syrnptomenbilder, seltener die mit
Herabsetzung der Denkleistungen einhergehenden psychischen Schwäclie-
zustände von apathischer Färbung. Die Gesamtheit der Psychosen bei
Grippe erhält aber durch die allgemein vorherrschende, stark depressive
Afiektlage, sowie dadurch, dass ausgesprochene Depressionszustände von
verschiedener Form in nicht geringer Anzahl auftreten, eine spezifische
Pärbung. Die Prognose ist im allgemeinen eine günstige, bei der letzten
Epidemie aber durch das Auftreten der schweren Krankheitsbilder im febrilen
Stadium getrübt worden.
Entsprechend der Auffassung von Kleist erzeugen hirnfremde Ursachen
zwar meist heteronome Zustandsbilder, sie können aber doch gelegentlich
auch und zwar häufiger als vielfach angenommen wird, homonome Zustands¬
bilder erzeugen. Eine strenge Trennung zwischen exogenen und endogenen
Typen ist nicht möglich, wenn auch bei exogener Schädigung meist Bilder
in Erscheinung treten, die den Bonhoeffer sehen exogenen Prädilektions-
tJT»en entsprechen. Die bisher, für das Auftreten homonomer Zustands¬
bilder bei exogenen Schädigungen und heteronomer bei endogenen Ein¬
flüssen beigebrachten Begründungen und Erklärungsversuche sind als nicht
befriedigend anzusehen. Nur soviel lässt sich auf Grund der Beobachtungen
an der Grippe sagen, dass homonome Zustandsbilder bei sehr schweren
und bald tödlich endenden Infektionen zum mindesten sehr selten sind, aber
als manische und depressive Färbungen oder in selbständigerer Form bei
raittelschweren und leichteren infektiösen Erkrankungen häufiger Vorkommen.
Es ist aber nicht möglich, ein für allemal homonome, Typen nur für weniger
massiv wirkende, heteronome für schwerere Infektionsarten zu reservieren.
£. M e y e r - Königsberg i. Pr.; Psychosen und Neurosen bei und nach
Grippe.
In der Arbeit werden 43 Fälle beschrieben, 9 Fälle sicherer sympto¬
matischer Psychose (Delirium, Halluzinose, Amentia, hyperästhetisch emotio¬
neller Schwächezustand Bonhoeffer s) mit zum Teil intervallärem Ai f-
treten, 4 unklare bzw. zweifelhafte Fälle symptomatischer PsycHbse, die dlt
Schwierigkeiten ihrer diagnostischen Deutung beleuchten, 13 Fälle vo;i
durch Grippe bedingten pathologischen Reaktionen psycho- bzw, neuro-
pathischer Konstitution, die die Häufigkeit nervöser Störungen nach Grippe
fiervorheben sollen, 4 Fälle von durch Grippe ausgelöstem manisch-depressivem
Irresein und 13 Fälle von Dementia praecox nach Grippe. Die strittigen
Punkte im Gebiete der Psychosen im Gefolge von Infektionskrankheiten wer¬
den kurz gestreift. Die Notwendigkeit der Annahme einer Disposition zu
psychischer Erkrankung zu betonen, wird als zweifellos richtig bezeichnet,
gerade bei der so geringen Zahl symptomatischer Psychosen gegenüber der
Gesamtmasse der Erkrankungen an Infektionskrankheiten und speziell an
Grippe. Eine Abhängigkeit von der Schwere der Grippe Hess sich nicht fest¬
stellen. Von den 43 Kranken waren 12 nachweisbar hereditär belastet, 19
nervös veranlagt bzw. schon einmal erkrankt gewesen.
Werner Künzel: Kubismus und Geisteskrankheit. Mit 1 Textabbildung.
Verf. beobachtete einen bekannten und künstlerisch angesehenen Maler,
einen Vertreter und Vorkämpfer des Kubismus, auf seinen Geisteszustand
und stellte bei ihm die Diagnose auf Schizophrenie. Er überlässt es vor¬
läufig dem Denken und Fühlen jedes einzelnen, ob er in dieser Richtung
I neuzeitlicher Malerei ein Anzeichen von Geisteskrankheit oder gesunde
Kunst erblicken will.
Hermann Heuck: Raynaud sehe Krankheit und periodische Melan-
' cbolie. (Mit pharmakologischen Prüfungen.) (Aus der psychiatrischen und
Nervenklinik Rostock.),
Einschlägiger Fall mit bemerkenswerten pharmakologischen Versuchen
mit Adrenalin, Atropin und Pilokarpin. Für letzteres bestand zweifellos eine
■ erhöhte Empfänglichkeit. Während der Wirkung des vagusreizenden Pilo¬
karpins wurden 3 typische Anfälle vasomotorisch sensibler Erscheinungen
beobachtet, was um so auffallender ist, als besonders in den letzten Jahren
dem Sympathikus in der Pathogenese der Raynaud sehen Krankheit eine
grosse Rolle zugeschrieben wird.
Jul. Büsch er: Spirochfitenbefund bei multipler Sklerose. (Ein Beitrag
zur Pathogenese.) (Aus der psychiatrischen und Nervenklinik Kiel.)
In einem Fall von pathologisch-anatomisch sicherer multipler Sklerose
wurden auf mehreren Abstrichpräparaten von verschiedenen grauroten
I Herden — unter anderem von einem frischrötlichen Herde der weissen
Substanz aus dem Gebiete des Gyrus postcentralis — vereinzelte, ziemlich
kurze, gedrungene Spirochäten im Dunkelfelde 15 und 39 Stunden nach
dem Tode in wellenschlagartiger Eigenbewegung gefunden.
Jar. Stuchlick: Ueber die praktische Anwendung des Assozlatlons-
expertmentes. Eine Programmstadle. (Aus dem Krankenzimmer eines
SchützenregimentsO Schluss folgt.
Waldemar W eimann: Beitrag zur Kenntnis der animlschen Spinal-
Kränkungen. (Ans der psychiatrischen und Nervenklinik der Charitee Berlin.)
^ Digitized by Goiigle
Der Arbeit liegen 4 einschlägige Fälle zugrunde, von denen zwei zur
Sektion kamen. Es handelte sich bei ihnen grob anatomisch um eine
Kombination von herd- und strangförmigen Degenerationsprozessen in der
weissen Substanz des Rückenmarks, lieber sie und die feineren histologi¬
schen Befunde wird ausführlich berichtet. Für die Lokalisation der anämi¬
schen Spinalerkrankungen gibt es zwei Möglichkeiten der Erklärung: ent¬
weder hat das hypothetische Toxin, das die Erkrankung erzeugt, eine be¬
sondere Affinität zu bestimmten Stranggebieten im Rückenmark oder es haben
diese Stranggebiete eine besonders geringe Widerstandsfähigkeit gegen das
auf sie einwirkende Toxin. Vielleicht spielen auch gleichzeitig Verschieden¬
heiten des die Erkrankung hervorrufenden Toxins oder nach Rosen-
q u i s t ein erhöhter Eiweisszerfali eine Rolle.
Waldemar P f e i 1 s c h m i d t - Dresden: Ueber einen Fall von chro¬
nischer Manie. (Aus dbr sächs. Landes-Heil- und Pflegeanstalt Sonnen¬
stein.)
Ueber einen beachtenswerten Fall wird berichtet, der in die Gruppe
der von N i t s c h e und Specht klargelegten manischen Dauerzustände
gehört.
Bücherbesprechungen. Germanus F 1 a t a u - Dresden.
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. Band 24. Heft 2.
Friedrich K a u f f m a n n: Eine Nachprüfung des C o h n h e i m sehen
Entzündungsversuches. (Patholog. Institut Kiel.)
Die bemerkenswerten Schlüsse des Verfassers gehen im wesentlichen
dahin, dass die seit C o h n h e i m allgemein angenommene Auswanderung
von Zellen aus der Blutbahn bei der Entzündung nicht zutrifft, dass vielmehr
die histogene Abstammung dieser Zellen die Regel ist: Es finden sich bei der
Beobachtung des Froschmesenteriums keine Bilder, die als auswandernde
Blutzcllen zu deuten sind; die sowohl perivaskulär als auch im übrigen Ge¬
webe auftretenden Zdllen, von den Blutlymphozyten abweichende Lympho¬
zyten, liegen herdförmig ohne Zusammenhang mit etwaiger Randstellung
tveisser Blutzellen in den JCapillaren, sie sind wahrscheinlich von den
Adventitialzellen abzuleiten. Ebenso ist auch die Abstammung der im Ge¬
webe sich findenden Zellen mit eosinophilen Granulationen wahrscheinlich
eine histogene, und weiterhin ist es wahrscheinlich, dass aus illnen myelo¬
zytenähnliche Zellen hervorgeiien können. Weitere Untersuchungen über
diesen wichtigsten Teil der Entzfindungsfrage sind notwendig,
Paul Brutsch y: Hochgradige Lipoidhyperplasie beider Nebennieren
mit herdförmigen Kalkablagerungen bei einem Fall von Hypospadlasls penis-
scrotalis und doppelseitigem Kryptorchismus mit unechter akzessorischer
Nebenniere am rechten Hoden (Pseodobermaphroditismiis masculinus
externus). (Mit 5 Abbildungen im Text.) (Patholog. Institut des städtischen
Krankenhauses zu Karlsruhe i. B.)
Fehlen der Nebennierenmarksubstanz. Verfasser glaubt an die von¬
einander unabhängige Entstehung der Nebennierenveränderungen und der
Genitalmissbildung (eine Ansicht, die der anderer Autoren gerade entgegen¬
gesetzt ist).
Rudolf Jaffö: Ueber Entstehung und Verlauf der experimentellen
Leberzirrhose. (Patholog. Institut Frankfurt.)
Vergiftungsversuche an Kaninchen durch subkutane Injektionen von
Chloroform, Amylalkohol, Hydracinum sulfuricum, Phenylhydracinum hydro-
chloricum erzeugen Leberveränderungen, die echten Zirrhosen gleichkommen;
neben kleinen Nekrosen finden sich parenchymatöse Degenerationsherde.
Bindegewebswucherung, Rundzellinfiltration, Regeneration. Das primäre ist
zweifellos auch bei diesen experimentellen Untersuchungen die Parenchym-
Schädigung, der die anderen Veränderungen folgen; die Bindegewebs¬
wucherung ist nicht als Defektbildung von Parenchymzufällen anzusehen.
Die Parenchymnekrosen werden gewöhnlich durch Regeneration gedeckt.
Aehnliche Veränderungen ergeben auch fortgesetzt Injektionen von Hämo¬
globin. Wahrscheinlich ist, dass die Vergiftungen auf dem Wege der Blut¬
schädigung schädigend auf die Leber einwirkeq.
Carl Landsteiner und Adolf Edelmann: Beitrag zur Kenntnis
der anatomischen Befunde bei polyglandulärer Erkrankung. (Wilhelminen-
spital Wien.)
17 jähr. Mädchen, geistig und körperlich unterentwickelt, reichliches
Fettpolster, gute Entwicklung der Brustdrüsen, ohne Behaarung der Scham-
und Achselgegend, ohne Menstruation, Unfähigkeit zu Gehen und Stehen.
Obduktion ergibt vor allem starke Atrophie der Schilddrüse, Leberzirrhose,
Osteomalazie. Uebrige Organe mit innerer Sekretion normal.
Oberndorfer - München.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 88. Bane.
1. u. 2. Heft.
K. S c h ü b e 1 - Wurzhurg: Stoffwechselversuche an Hunden während
der Gewöhnung an Morphin und während des Morphinhungers.
Die schweren Erscheinungen bei der Mdrphiumentwöhnung sind gastro¬
intestinalen Ursprungs, Folgen von Sekretionsanomalien, Die plötzliche
Unterbrechung der „Sekretionsnarkose“ führt zu Hypersekretion, die als
heftiger Reiz wirkt. Daneben spielen Veränderungen im Zentralnerven¬
system eine Rolle, die sich in vermehrter Ausscheidung von Purinbasen und
von Phosphorsäure zeigen. Es setzt plötzlich ein Mangel an integrierenden
Bestandteilen der Nervenzellen ein und dadurch entstehen die bekannten
heftigen Erscheinungen am Zentralnervensystem.
T. H e 11 - Leipzig: Die Nikotinwirkung am Isolierten Froschherz.
Die Nikotinwirkung ist 1. eine Vaguswirkung, spontan reversibel und
bei Atropinisierung fehlend, 2. eine Störung im Reizleitungsapparat und
3. eine direkte Schädigung des Muskels, erkennbar an der Abnahme der
elektrischen Reizbarkeit.
H. F r e u n d - Heidelberg: Ueber die pharmakologischen Wirkungen
defibrlnierten Blutes. 2. Mitteilung.
Verf. setzte seine Untersuchungen über die Giflwirkung defibrinierten,
körpereigenen und -fremden Blutes fort und fand, dass die „Frühgifte“,
die schon kurze Zeit (15 Minuten) nach der Gerinnung oder dem Blut-
plättchenzefffall ihre Wirkung verlieren, zu zentralen Wirkungen verschiedener
Art (Schock, Atemstillstand, Wärmestörung) führen unÄ zu akutem Kreis¬
lauftod infolge peripher angreifender Herzgifte. Die Spätgifte machen Blut¬
druckerhöhung. Die Giftentstehung ist bei Kaninchen und Katzen verschieden
und man muss daher annehmen, dass die wechselnde Reaktion auf Blut-
Orig i Dal frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
150
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
transfusionen in der Klinik mindestens so sehr von den Eigenschaften des •
Blutes als von der Disposition des Empfängers abhängt.
F. Hildebrandt - Heidelberg: lieber die Beziehungen zwischen
Hyperglykämie und Glykosurle beim experimentellen Adrenallndlabetes.
P 0 11 a k hatte bei täglicher Injektion von Adrenalin gefunden, dass
Hungerkaninchen trotz hohen Blutzuckers nach einigen Tagen keinen Zucker
mehr ausschieden und er nahm daraufhin eine „Zuckerdichtigkeit“ der Nieren
an. Verf. fand im Gegensatz dazu, dass bei Ueberschreitung eines Blut¬
zuckerwertes von 0,2 Proz. stets Glykosurie auftrat, dass eine Dichtung
der Nieren gegen Zucker nach täglichen Adrenalininjektionen nicht nachzu¬
weisen war, sondern dass das Ausbleiben der Glykosurie auf die Erschöpfung
des Kohlehydratdepots zurückzuführen war. Die ausgeschiedenen Zucker¬
mengen waren dem Grad der Hyperglykämie proportional und hängen sonst
nur von der Stärke der Diurese ab. L. J a c o b - Bremen.
Zeitschrift für Hysiene und Infektionskrankheiten. 91. Bd. H. 2. 1920.
F ü r t h - Düsseldorf: Beitrag zur antigenen Wirkung von schwach
virulenten Tuberkelbazlilen, Schildkröten- und anderen säurefesten Bazillen.
Aus den Versuchen ergab sich, dass abgeschwächte menschliche
Tuberkulose (Stamm Valide), ebensowie ein Stamm von Geflügel-
tuberkulose in grossen krankmachenden Dosen ziemlich antigen wirken,
dass dagegen Gras- und Schildkrötenbazillen auch in sehr
grossen Mengen fast gar keine antigenen Eigenschaften erkennen Hessen.
Sörensen - Kopenhagen: Mikroskopische Untersuchungen von In-
fluenzaorganen.
Pathologisch-histologischer Befund von 27 an Influenza Gestorbenen.
Die auf Anwesenheit von Bakterien gerichtete Untersuchung ergab in den
allermeisten Fällen Kokken, darunter auch Streptokokken. Verf. hält die
Organismen auch für Begleitbakterien und lässt die Möglichkeit eines ultra-
mikroskopischen Virus offen.
Julius F r e u n d - Hamburg: Beiträge zur Kohiensäurebestlmmung in
der Luft.
Um die Pettenkofer sehe Kohlensäuremethode handlicher zu ge¬
stalten. versuchte Verf. die Kohlensäure in der Pettenkofer sehen
Flasche durch vorher neutralisiertes Wasser zu absorbieren und dann die
freie COs unter Phenolphthaleinlösungszusatz mit Sodalösung zu titrieren. In
einem zweiten Versuch wurde Natronlauge mit Bariumchloridlösung in die
Luft haltende Flasche gebracht und abgeheberte Portionen mit einer Säure
titriert. Endlich wurde auch die Kohlensäure durch Natronlauge aufge¬
nommen und der Karbonatgehalt bestimmt. Während der erste Versuch
nicht zum Ziele führte, ergaben die beiden anderen Modifikationen recht zu¬
friedenstellende Resultate.
Rosel G 0 1 d s c h m i d t - Frankfurt a. M.: Ueber die diagnostische Ver¬
wertbarkeit der Gruber-Wldalsehen Reaktion nach dem Kriege.
Die Typhusagglutination bei Schutzgeimpften unterscheidet sich quanti¬
tativ-nicht von der durch Infektionssera hervorgerufenen, weder in der
Titerhöhe noch im Ansteigen der Agglutination. Daher ist es in der Praxis
nicht angängig, bei Geimpften auch noch jahrelang nach der letzten Schutz¬
impfung die Agglutination diagnostisch zu verwerten. Dagegen scheint
differentialdiagnostisch bedeutsam, dass das Typhuskrankenserum im Gegen¬
satz zum Impfserum in mehr als der Hälfte der Fälle eine Mitagglutination
der Paratyphus-A-Bazillen zeigt. Die Agglutination ist dann mit durch
Formol abgetötete Typhus-, Paratyphus-A- und B-Bazillen auszuführen.
Fritz Wauschkuhn - Königsberg: Experimentelle Untersuchungen zur
Aetiologie der Rachitis.
Zur Klärung der noch unbekannten Ursache über die Entstehung der
Rachitis sind vom Verf. dreierlei experimentelle Versuche vorgenommen
worden und zwar an jungen Ratten und jungen Hunden. Eine Serie
musste Staub- und Luftkeirae inhalieren (Ratten und Hunde), eine zweite
Serie (Hunde) bekam Streptokokken in die Vene injiziert und mit einem Wurf
junger Hunde wurde ein sog. Pomestikationsversuch gemacht, d. h. die
Tiere wurden in einen gedeckten Korb gesperrt (Licht-, Luft- und Raum¬
verkürzung), aber anscheinend genügend gefüttert. Bei den Inhalationsver¬
suchen und bei den Injektionsversuchen traten im Knochenbau keine ent¬
zündlichen Veränderungen hervor, auch keine Kalkverarmung. Die Ab¬
weichungen vom Normalen bei diesen und bei dem Domestikationsversuch
hatten aber nichts mit Rachitis zu tun. Daher glaubt der Verf., dass bei der
Entstehung der Rachitis mehrere Ursachen Zusammenwirken, die Krankheit
aber nicht allein auf einer der hier behandelten Ursachen beruhen kann.
W. Gärtner - Kiel: Epidemiologische Untersuchungen über Papatacl-
Heber bei der Kais. Marine ln der Türkei.
Das Fieber trat in den einzelnen Epidemieperioden zeitlich und räum¬
lich stark verschieden auf. Vielleicht spielen die Windverhältnisse und
auch die Lebensgewohnheiten der Mücken dabei eine Rolle. Deutsche
wurden von der Krankheit mehr heimgesucht als Türken, ln einem erheb¬
lichen Prozentsatz tritt nach einmaligem Ueberstehen der Krankheit keine
Dauerimmunität auf. Bei den sog. Rückfällen handelt es sich meist. um
eine Reinfektion bzw. Superinfektion. Die Arbeit ist auch wegen der
geographischen Verbreitung und klinischen Bedeutung von Interesse. Sie
gibt ein abgerundetes Bild von dem ganzen Wesen der Krankheit.
U. M a e s - Berlin: Die Sterblichkeltsverhältnisse der Krankenschwestern
ln den verschiedenen Organisationen.
Ganz allgemein zeigen die Statistiken, dass die Sterblichkeitsverhältnisse
der Krankenschwestern schlechter sind als die der Frauen überhaupt. Am
günstigsten sind sie noch bei den Diakonissinnen. Die Verbände der sog.
weltlichen Schwestern zeigen grössere Sterblichkeit. Etwas schlechter ge¬
stellt wie die Diskonissinnen sind die Ordensschwestern. Für die Gründe
dieser Tatsachen und über die sonstigen einschlägigen Verhältnisse muss
das Original nachgelesen werden.
E. H i p p k e - Berlin: Ueber Verstreuung von Hustentröpfchen bei tuber¬
kulösen Rindern.
Es wurde, wie auch schon früher von anderer Seite nachgewiesen
war, festgestellt, dass tuberkulöse Rinder beim Husten Tuberkelbazillen
verstreuen. Die Tröpfchen konnten bis zu 2 m Entfernung auf Objekt¬
trägern aiifgefangen und darauf die Tuberkelbazillen nachgewiesen werden.
Prophylaktisch müsste man daher die Tiere, welche husten- bzw. tuber¬
kuloseverdächtig sind, mindestens 3 m voneinander entfernt aufstellen, damit
eine Uebertragung vermieden wird. Für diagnostische Zwecke ist das Auf-
Di gitized by Goüsle
fangen der gehusteten Tröpfchen auf Objektträger nicht praktisch, hierfür
käme die Entnahme des Bronchialschleimes nach den Scharr sehen Angaben
mehr in Betracht.
H. Blumenthal - Berlin: Zur Aetiologie der bazillären Ruhr.
Bei einer Ruhrepidemie 1917 wurden Ruhrorganismen gezüchtet, die sich
insofern atypisch verhielten, als sie eigentlich nur von ihrem homologen
Serum und nur in gekochtem Zustande sich agglutinieren Hessen. Auf die
lebenden Bazillen wirkt auch nur Patientenserum und Serum von Tieren,
das mit gekochten Bazillen gewonnen wurde, ein. Weitere Untersuchungen
ergaben, dass für die Ruhrdiagnose Flexner- und Y-Sera nicht ausreichen.
Man müsse multivalente Kaninchensera verwenden, die die Kruse sehen
Rassen A. D und H agglutinieren und ein Serum für die Rasse E zur
Verfügung haben. R. O. Neumann -Bonn.
Beiilaer klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 3'.
Max Einhorn- NewYork und Th. Scholz- NewYork: Röntgeno¬
logische Befunde mit dem Dellneator ln Fällen von Pylorospasmus.
Die Technik des Verfahrens, die Abbildungen über gewonnene Ergebnisse
sind im Original zu vergleichen. Die neue Methode lässt sich in ledeni
Falle, ohne dem Kranken Unbehagen zu verursachen, anwenden. Sie stellt
eine feinere Probe dar. als die mittelst Kontrastmahlzeit, weil der Faden
des Delineators viel leichter auf Tonusschwankungen des Pylorus reagiert,
als die träge Baryummasse. Man kann auf diese Weise selbst solche
Spasmen am Pylorus zur Darstellung bringen, welche auf den Baryumbrei
keinen Einfluss ausüben können.
E. M a t h i a s - Breslau: Einige Erfahrungen Uber tuberkulöse Erkran¬
kungen der Leistendrüsen bei Intraabdominaler Tuberkulose und die Mög¬
lichkeit ihrer Verwendung zu diagnostischen Zwecken.
Verf. schlägt vor, bei unklaren, tuberkuloseverdächtigen Fällen der
Bauchhöhle, besonders in der Ileozoekalgegend. eine oder mehrere Leisten¬
drüsen zu exstirpieren und histologisch auf tuberkulöse Veränderungen zu
untersuchen. Verf. geht bei seinem Vorschlag aus von der häufigen Be¬
teiligung der Leistendrüsen bei Karzinose des Bauchfells. Er teilt sodann
einige Fälle mit. wo der Befund einer Tuberkulose der Leistendrüsen ein
klinisch vielleicht sehr unklares Bild betreffend abdomineller Tuberkulose zu
klären vermag.*
O. G r ü t z - Kiel. Bluttransfusion bei Morb. maculosus WerlhoBl nebst
Beiträgen zur Frage der Vorprüfung des Blutes.
Verf. empfiehlt vor allem zur Vermeidung unangenehmer Transfusions¬
reaktionen das Blut des Spenders möglichst wenig Prozeduren auszusetzen
und fordert die Anwendung der Agglutinations- und Hämolyseprüfung des
Spenderblutes. Es zeigte sich, dass nur der kleinere Teil der Spender
„geeignet“ ist. Mitteilung eines Falles, einen 20 jähr. Bauernburschen be¬
treffend, bei dem mit gutem Erfolg die hier lebensrettende Transfusion ge¬
macht wurde.
E. Löhnberg - Köln: Klinische Eriahningen mit Thelygan.
Das Thelygan ist ein Kombinationsprodnkt aus Ovar, Hypophyse,
Thyreoidea, Thymus, Nebenniere. Verf. hat es an 60 Fällen verschiedener
Formen sexueller Insuffizienzen versucht, bei Amenorrhöen, Dysmenorrhöen,
Beschwerden des Klimakteriums etc. und hat zum Teil günstige Erfolge
gesehen. Am schlechtesten waren relativ die Erfahrungen bei Dysmenorrhöe,
sehr günstig wurden die klimakterischen Beschwerden beeinflusst.
M. Berliner - Berlin: Normalgewicht und Ernährungszustand.
Verf. hält bezüglich der Beurteilung des Körperzustandes nur objektive
Angaben der Körperfülle für ausreichend, welchen er die R o h r e r sehe
Indexzahl zugrunde legt. Durch ausgiebige Nachprüfungen hat er den
Rohr er sehen Index als dem Bedürfnis ausgezeichnet genügend gefunden.
Für die gegenwärtigen Wohlfahrtseinrichtungen (Quäkerspeisungen, Auslands¬
pflege der unterernährten Kinder) ist die objektive Bestimmung der Körperfülle
ebenso von Wert, wie für die Versicherungsmedizin.
0. Fleischmann -Frankfurt a. M.: Kritische Betrachtungen über die
Rolle der Zerebrospinalflüssigkeit.
Vergl. Bericht der M.m.W. 1920 über die Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte 1920 in Nauheim (24. Sept. 1920).
Grassmann - München.
Schweizerische medizinische Wochenschrift. 1920. Nr. 47—49.
Nr. 47. L. A s h e r - Bern: Grundlagen der Hormonentherapie.
Fortbildungsvortrag.
K. Kottmann - Bern: Beziehungen zwischen Blut und Organen. Ein
Beitrag zur serologischen Diagnostik.
Verf. gibt eine zusammenfassende Darstellung seiner Arbeiten über sero¬
logische Schwangerschaftsreaktion, „serologische Photographie“ bei Basedow
und Struma, Karzinomreaktion. Bei der letzteren bedient er sich auch
seiner photoserologischen Untersuchungsmethode und fand, dass die Nähr¬
substanzen im Kapillargebiet des Karzinoms sich in abnorm starker Zer¬
teilung befinden, in den übrigen Organen des Krebskranken dagegen in
abnorm schwacher Zerteilung.
Jessen: Die Krebssterbllchkcit in Basel 1870—1919.
Ausführliche statistische Arbeit.
Hediger: Ueber die neueren hämodynamlschen Untersuchungs-
methoden.
Fortbildungsvortrag, hauptsächlich über Sahlis Volumbolometrie.
Nr. 48. Eichho r st-Zürich: Ueber Vergiftung mit Wasserglas.
Die Verbindung der Kieselsäure mit Na und K galt bisher als un¬
giftig. Verf. beschreibt ausführlich einen Fall, bei dem nach Genuss von
200 ccm Wasserglas Reizerscheinungen am ganzen Magen-Darmtraktus,
Hämaturie, geringe Glykosurie, Lymphozytose aultraten.
A m r e i n - Arosa: Die Entwlcklungsstadiei» der Lungentuberkulose.
H. Weber-Thun: Ueber Wesen und Bedeutung der Ifochfreciupnz-
ströme spez. der Diathermie. Fortbildungsvortrag.
E. Liebmann -Zürich: Ueber Somnlfen, ein neues Schlafmittel.
Das Somnifen „Roche“ enthält in 1 ccm die Diäthylaminsalze von 0,1 g
Diäthyl und 0,1 g Dipropenylbarbitursäure. Bedonnet fand bei Verwen¬
dung dieser Kombination stärkere Wirkung und bessere Löslichkeit. Verf.
hatte in der E i c h h o r s t sehen Klinik gute Resultate per os, subkutan und
intravenös sowie rektal. Intravenöse Anwendung wirkte beso.nders gut bei
Tetanus.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
4. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
151
Nr. 49. H a u s m a n n - St. Gallen: Ein Zystlzerkus (tenuicollls?) Im
Klelnlilni. Nebst einigen Bemerkungen über die Funktion des Kleinhirns.
Ausführliche Beschreibung und Sektionsbefund eines Falles, Diskussion
der klinischen Erscheinungen, besonders in Rücksicht auf die neueren Kennt¬
nisse der Anatomie (B o 1 k) und Physiologie (L o t m a r, Brown) des
Kleinhirns.
D. E b e r 1 e - Offenbach a. M.: Zur Askarideneinwanderung In die Leber-
ood die Bauchspeicheldrüse.
Verf. beschreibt 2 Fälle, von denen einer durch Operation geheilt wurde,
der andere, eine 52 jährige Frau mit Lebeiiabszessen, Pyämie und sehr zahl¬
reichen (35) lebenden Askariden in der Leber und 2 im Pankreas starb.
E. S c h I i 111 e r - Basel: Ueber Komplikationen und Lebensgeflhrllch-
kdt der Nebenhöhlenelterungen. Schluss folgt.
H. Hofer: Ueber gleichzeitiges primäres Karzinom der Vagina und
der Portio nterl. Beschreibung eines Falles.
J. V. Bergen - Leysin: Ueber die deslnüzlerende Kraft der Sonnen¬
strahlen gegenüber Tuberkelbazillen.
Die Bakterien wurden im Sommer in 'A Stunde, im Frühjahr und
Herbst in ca. 1 Stunde abgetötet, im Winter dauerte es etwas länger, aber
nie über 2 Stunden. Der Anteil des ultravioletten Lichtes dabei ist auf
höchstens 20 Proz. zu schätzen. Es kommt ihm also nicht die 'Haupt-
virknng zu, wie vielfach angenommen wird.
H. C h r i s 1 0 f f e 1 - Basel: Dlalclblsmus.
Dialvergiftungen sind nicht selten. Schon bei therapeutischen Dosen
(0,3—0,4 g) kann eine Art Rauschzustand auftreten. In dem dem Koma
vorausgehenden Stadium i^ auffallend die muskuläre Schwäche und In¬
koordination. Ziemlich charakteristisch ist ein wiederholter Wechsel von
komatösen und Erregungsstadien. Von Sinnestäuschungen stehen die
elementaren optischen im Vordergrund. Es ist vor unkontrollierter An¬
wendung des Dials zu warnen. L. Jacob- Bremen.
Oesterrelchische Literatur.
Wiener kUnlsche Wochenscfarlft
Nr. 1 1921. H. S c h 1 e s i n g e r - Wien: Die „Nabelverziehung“ bei
Ulcus ventrlcnll und anderen Abdomlnalaüektlonen.
Die von Oppenheim als Zeichen der Bauchmuskellähmung be¬
schriebene Nabelverziehung (nach der gesunden Seite hin) findet sich bei
einer Reihe von schmerzhaften Abdominalaffektionen infolge übermässiger An¬
spannung der Bauchmuskulatur und zwar geschieht die vorübergehende seit¬
liche Abweichung des Nabels nach der kranken Seite hin entsprechend dem
Sitz des Krankheitsprozesses, meistens nach rechts, da die einschlägigen Er¬
krankungen (Magen-Duodenalulcus, Qallenblasenstörungen) dort lokalisiert
sind. Das Zeichen findet sich in etwa einem Viertel der Fälle; es wird
am besten vom Fassende des Bettes aus beobachtet, wenn der gerade
liegende Kranke wie zum Stuhlgang presst.
0. May er-Wien: Die Durchscfaneldung des Nervus laryngeus superior
bei Schluckbeschwerden der Phtlslker.
M. hat die von A v e 11 i s vorgeschlagene Methode, für die sich
technisch das Celles sehe Verfahren am meisten empfiehlt, in 10 Fällen von
Kehlkopftuberkulose angewendet, meist mit sehr gutem Erfolge (Abnahme der
Schmerzen, Besserung der Ernährung), der jedenfalls den der Alkoholinjek¬
tionen übertrifft. Wo der Erfolg unvollkommen ist, liegen Geschwüre vor,
die eben über das Gebiet des Nerven hinausreichen.
W. Denk-Wien: Ueber Aetlologle und Prophylaxe des postoperativen
jeiunalgeschwürs.
Erscheint ira Arch. f. klin. Chir.
H. P 0 11 i t z e r - Wien: Ueber Initiale Erscheinungen von rechtseitiger
Herzinsuffizienz beim Typhus levlsslmus Iuveniler Hypotonlker (Kardlotyphns).
Eine Reihe von Beobachtungen an Typhuskranken im Felde führt zu
dem Ergebnis, dass im Gegensatz zum Erwachsenen bei jugendlichen Hypo-
tonikern sehr leichte ambulatorische Typhen Herz- und Lebererscheinungen
nach dem trikuspidalen Bild T ü r k s in den Vordergrund treten ünd einen
ganz eigenen Krankheitstypus bieten können, den man als Kardiotyphus be¬
zeichnen könnte. Eine ausführliche Krankengeschichte.
E. Reichenfeld -Wien: Farbiges Kolostrum.
In einem Falle von Endometritis und Adnexentzündung wurde durch
mehrere Monate hindurch ein dunkel-, später hellgrünes Kolostrum be¬
obachtet.
Nr. 2. K. B ü d i n g e r - Wien: Operation der uretemahen Blasen¬
scheidenfistel vom abdominalen Ureterschnitt.
Beschreibung der Operation eines Falles, wobei zur Vermeidung einer
Ureterverletzung die extraperitoneale Freilegung des unteren Urcterendrittels
vorangeschickt wurde.
H. F i n s t e r e r - Wien: Femresultate der operativen Behandlung des
Ulctts dttodenl.
Siehe Sitzungsbericht M.m.W. 1920 S. 1426.
K. F 0 r a m i 1 1 i - Wien: Zur Therapie der Hodentuberkulose.
F. berichtet über den allerdings nicht gelungenen Versuch einer gestielten
Transplantation des Hodens (vom Bruder des Kranken). Er schlägt nun
vor, bei einseitiger Hodentuberkulose, ev. nach Resektion des Nebenhodens,
den Hodenrest am Samenstrang hängend etwa in Nabelhöhe an den Interalen
Rektusrand zu verpflanzen (Durchtrennung des Stieles nach 2—3 Wochen).
Ist ein Hoden unrettbar erkrankt, so wird der gesunde, zum Schutz gegen
Infektion mit Unterbrechung des Ductus deferens, an die bezeichnete Stelle
verlagert und nach 3 Wochen der Saraenstrang durchtrennt.
A. A r n s t e i n - Wien: Herpes zoster als einziges manifestes Sy.;:; tom
voa Im übrigen latent verlautenden Erkrankungen Innerer Organe.
Ergebnis: Herpes zoster-Erkrankung anscheinend idiopathischer Art
soll immer zu einer genaueren Untersuchung der inneren Organe veran¬
lassen. Insbesondere fanden sich öfters, ziemlich entsprecheiul dem äusseren
Zostergebiet, Erkrankungen der Leber oder der Lunge (bisvveilen sogar
Tuberkulose!).
A. Edelmann: Ueber ela Qrosszehensymptom bei Meningitis .und
Hlraödem.
Das in Nr. 48 1920 von E. beschriebene Symptom gibt den von E. Weil
1911 angegebenen Symptom eine erweiterte Bedeutung.
Bergest - München.
V ersicberungsmedizin.
A. Unfallversicherung.
Vogel- Hamburg: Die Knochen- und Qelenktuberkulose nach Unfällen
In der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes. (Mschr. f. Unfallhlk.
1920 Nr. 4.)
Das RVA. knüpft die Begründung eines Entschädigungsanspruches an
folgende Bedingungen: 1. muss ein Betriebsunfall erwiesen sein, 2. muss
der Zusammenhang des Unklls mit der Erkrankung oder ihrer Verschlirame- ^
rung nach der klinischen Erfahrung über Entwicklung und Verlauf der Er¬
krankung mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, 3. muss die Erkrankung
im Bereiche der Verletzungsstelle sitzen. — Mitteilung einer Entscheidung
des R.V.A. nebst zugehörigem Obergutachten, das in dem betreffenden
Falle zu einer Ablehnung des Zusammenhanges kam.
R. W e t z e 1 - Rostock: Sympathische Ophthalmie und Gehörstörungen.
(.Mschr. f. Unfallhlk. 1920 Nr. 4.)
Fall, bei dem die Verletzung in eine Zeit gefallen war, in welcher der
Zusammenhang zwischen sympathischer Ophthalmie und Gehörstörungen noch
nicht genügend bekannt war. weshalb damals die vorliegende Schwerhörigkeit
als eine nervöse festgestellt wurde; durch Peters wurde 1912 die Auf¬
merksamkeit auf den Zusammenhang zwischen sympathischer Ophthalmie
und Hörstörungen (bis dahin gab es nur 5 einschlägige Fälle) von neuem
hingelenkt, und die Rente in dem mitgeteilten Falle daraufhin erhöht. An¬
gabe des bis jetzt vorliegenden einschlägigen Materiales.
F. Q u e n s e 1 - Leipzig: Ueber die Versicherungsmedizln als Unterrichts¬
fach an den deutschen Universitäten. (Mschr. f. Unfallhlk. 1920 Nr. 5.)
Forderung einer eigenen Vertretung des Faches an den Universitäten;
nur unter besonderen lokalen, persönlichen oder sonstigen Verhältnissen
kann es von dem Vertreter der gerichtlichen Medizin mitversehen werden.
W. Seele: Ueber die medlko-mechanische Behandlung der Frakturen
im Krankenhause Bergmannshell. (A. d. Krkhs. „Bergmannsheil“ Bochum.)
(Mschr. f. Unfallhlk. 1920 Nr. 6.)
Eingehende Schilderung der Bedeutung der Gymnastik, Massage, Heiss¬
luftbehandlung, Elektrizität, *der Behandlung einzelner Frakturen ohne
Fixation oder Extension, der Bewegungstherapie und ihrer Technik, der Be¬
handlung frischer Frakturen mit Gipsschienen, wobei frühzeitige aktive Be¬
wegungen und baldiges Herumgehen ermöglicht wird, der Massnahmen zur
Bewegung der Gelenke bei Extensionsbehandlung der Oberschenkelfraktur.
J. Becker: Ueber die Behandlung von Unterschenkelbrüchen mit
polsterlosen Gipsverbänden und über die Behandlung v^n Vorderarmbrüchen
mit Gipsschienen. (A. d. Knappschafts-Lazarett Ruda-Nord, Oberschles.)
(Mschr. f. Unfallhlk. 1920 Nr. 6.)
Frakturen des Unterschenkels behandelt Verf. nach sofortiger Reposition
gleich vom ersten Tage an mit zirkulären Qipsverbänden, die der Haut
ohne Polsterung nach vorherigem Rasieren direkt aufgelegt werden; nach
3—4 tägiger Bettruhe Aufstehen und Herumgehen mit dem Verband, der
nach 3—4 Wochen aufgeschnitten als Hülse noch ungefähr 14 Tage getragen
wird. Das sonst beobachtete Oedem der Weichteile soll nach dieser Be¬
handlung ein „erstaunlich geringes“ sein.
Vorderarmbrüche werden mit Gipsschienenverbänden behandelt; beim
Radiusbruch wird z. B. eine Dorsalschiene angelegt, die nach Flexion
und ulnarwärts gerichteter abduzierter Stellung des Handgelenkes vom
Ellenbogengelenk bis zu den Grundgelenken der Finger reicht.
W. C u 1 p: Status thymlco-lymphatlcus, Missverhältnis zwischen Gehlrn-
und Schädelgrösse und Unfall. (A. d. pathol. Inst. d. städt. Krkhs. Mainz.)
(Mschr. f. Unfallhlk. 1920 Nr. 7.)
Es wird auf Grund von 3 Sektionsergebnissen auf das Zusammentreffen
dieser Anomalien aufmerksam gemacht und ihm eine gewisse Rolle beim
Zustandekommen von Unfällen zugeschrieben, indem durch eine derartige Be¬
schaffenheit von Gehirn, Thymus und lymphatischem Apparat eine Unge¬
schicklichkeit oder Kopflosigkeit im Benehmen bei Unfällen erzeugt werden
könne. ,
Marcus- Posen* Zur Reform der Unfallverletztenfürsorge. (Mschr. f.
Unfallhlk. 1920 Nr. 9.)
Um Besserungen zu erzielen, solle das Vorgehen in der Krüppelfürsorge
für Jugendliche auf die Fürsorge für Unfallverletzte übertragen werden, indem
neben dem Bestreben nach Wiederherstellung der grösstmöglichsten Erwerbs¬
fähigkeit und der Entschädigung durch Rente auch versucht werden soll, die
Verletzten berufsfähig zu machen und sie in einem Berufe unterzubringen,
wie dies die Kriegsverletztenfürsorge bereits getan hat. Ausserdem ist das
Rentenwesen zu verbessern.
L. Neugarten: Lungenverwachsungen und Lungenentzündungen.
(A. d. Forschungsinstitute f. Gewerbe- u. Unfallkrkht. in Dortmund.) (Mschr.
f. Unfallhlk. 1920 Nr. 10.)
Auf Grund eines Materiales von 125 Fällen von reinen, fibrinösen Lungen¬
entzündungen, die auch mikroskopisch als solche erwiesen sind, werden die
beiden Fragen:
1. Beeinflussen Verwachsungen das Entstehen und den Verlauf einer
Lungenentzündung?
2. Wirken Verwachsungen auf die Lokalisation?
dahin beantwortet, dass alte, feste, strangförmige oder flächenförmige Ver¬
wachsungen sowohl Entstehen als auch Sitz der Lungenentzündung sehr
wesentlich beeinflussen, ja, für beide Momente direkt verantwortlich gemacht
werden können. — Dieses Ergebnis ist weniger von Bedeutung für Praxis und
Klinik als besonders für Begutachtung von Unfällen, was an einem Beispiel
gezeigt wird.
H. Nourney: Beitrag zum Symptomenkomplex der sog. Uhfallneurose.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1920 Nr. 8.)
122 Fälle (25 Neurosen nach Schädeldachverletzung, 20 Neurosen nach
Verschüttung, 12 Neurosen nach Schreck, 25 Neurosen nach anderweitigen
Verletzungen, 40 Neurosen ohne irgend eine äussere oder innere Schädigung
des Körpers) sind miteinander verglichen. Hauptergebnis:
Bei der Entstehung funktioneller Nervenstörungen nach Schädeldach¬
verletzungen und Verschüttung ist in den seltensten Fällen eine Disposition
durch bestehende Neurasthenie oder Nervenkrankheiten in der Familie vor¬
handen.
Bei Schädeldachverletzungen mit Bewusstseinsverlust wird nachfolgendes
Erbrechen von nur wenigen angegeben«
Digitized b]
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
152
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Druckpunkte am Kopf sind nach Schädeldachverletzungen kein konstantes
Symptom.
Ein Bestehenbleiben des Händezitterns in seiner ursprünglichen Qualität
bleibt bei allen Neurosen ein weniger häufiges. Lidzittern ein unsicheres
Symptom.
Beim Patellarreflex spielt Willkürlichkeit eine grosse Rolle, die ihn als
Symptom nur mit Vorsicht verwenden lässt.
Vom Symptombild der Hysterie ist die geringe Zahl der Hornhautreflex¬
losigkeit bei der Menge der Sensibilitätsstörung auffallend.
M. Reichardt: lieber den Unterricht und die Prüfung der Medizin¬
studierenden in der gerichtiichen und sozialen Medizin. (A. d. psychiatr.
Klinik zu Würzburg.) - (Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1920 Nr. 9.)
Gerichtliche und Versicherungsmedizin gehören nicht zusammen; letztere
umfasst nicht nur die Qutachtertätigkeit, sondern auch die Behandlung und
Prophylaxe und ist ohne eingehende Berücksichtigung der praktischen Psycho¬
logie nicht zu lehren. Behandlung und Prophylaxe sind insbesondere im
Hinblick auf die soziale Versicherungsmedizin zu lehren.
E n g e 1 e n - Düsseldorf: Die Erwerbsbehinderung bei Ulnarislähmung.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1920 Nr. 9.)
Bei einem Arbeiter ist als Durchschnitt der Erwerbsbehinderung bei
rechtseitiger Ulnarislähmung 50 Proz. anzunehmen, bei linkseitiger 40 Proz.
E n g e 1 e n - Düsseldorf; Die Erwerbsbehinderung bei Radialislähmung.
(Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1920 Nr. 10.)
Bei Lähmung des rechten Radialnerven wird meist die Annahme von
25 Proz., links von 15 Proz. ausreichen.
E n g e 1 e n - Düsseldorf: Brachiaiisweilen- und Handvolumkurven bei
körperlicher Anstrengung und geistiger Arbeit. (Aerztl. Sachverst.-Ztg. 1920
Nr. 13.)
Ein weiterer Beitrag zur Objektivierung nervöser Symptome.
Einiger: Der „Pirogoff** in der Versicherungsmedizin. (Arch. f.
orthop. und Unfallchir. 17. H. 3.)
Schilderung des Wesens der Amputatiö tibio-calcanea osteoplastica.
ihrer Modifikationen, der bei ihr gebräuchlichen Prothesen und Mitteilung
von 38 Fällen, deren Begutachtung teilweise eingehend berücksichtigt ist.
sowie von 4 Begründungen des RVA., das die' Amputation eines Fusses nach
P. nach vollkommen cingetretener Gewöhnung mit 30—40 Proz. entschädigt.
Grete Lehn er: Ueber traumatisch bedingtes Stottern. (A. d. Logopäd.
Ambulat. d. Univ.-Klinik f. Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke in Wien.)
(M. Kl. 1920 Nr. 41.)
9 Fälle nach körperlichen Erschütterungen durch Sturz oder Schlag,
bezw. nach seelischen durch Erschrecken oder Furcht. Erklärung ur.tjr
Zuhilfenahme der Freud sehen Theorie.
M. V. Brunn: Unfall und Tuberkulose. (A. d. Krkhs. Bergmannshcil
in Bochum.) (Z^chr. f. ärztl. Fortbild. 1920 Nr. 23 u. 24.)
Besprechung des Themas unter Zugrundelegung der 4 theoretischen
Möglichkeiten eines Zusammenhanges:
1. Ein vorher nicht tuberkulöser Mensch kann durch den Unfall den
Tuberkelbazillus eingeimpft erhalten (Impftuberkulose).
2. Bei einem Menschen, der scheinbar tuberknlosefrei ist oder doch
wenigstens am Ort der Verletzung noch keine tuberkulösen Krankheits¬
erscheinungen dargeboten hat, können trotzdem Tuberkelbazillen im Gewebe
vorhanden sein, die dann durch die Verletzung aktiviert werden und nun
Krankheitserscheinungen machen (latente Tuberkulose).
3. Bei einem Menschen, welcher bereits einen tuberkulösen Herd in
seinem Körper beherbergt, z. B. in der Lunge, können durch den Unfall
an einer anderen Körperstelle, z. B. im Kniegelenk, günstige Bedingungen
für die Ansiedelung von Tuberkelbazillen geschaffen werden, welche aus
dem alten Lungenherde dahin verschleppt werden (metastatische
Tuberkulose).
4. An der Stelle der Verletzung war schon vorher eine Tuberkulose
offenkundig. Der Unfall führte zu augenfälliger Verschlimmerung.
B. Invalidenversicherung.
Paul H o f f m a n n-Berlin-Friedenau: Die soziate und hyicienische Be¬
deutung der Landesversicherungsanstalteo. (In.-Diss. Greifswald 1919.)
Eingehende Darstellung der Geschichte, Organisation und der Leistunge i
der Invalidenversicherung. Die letzteren zerfallen in Pflichtleistungen (Rente )
und freiwillige. Die Tatsache, dass die Schilderung der freiwilligen
Leistungen (Heilverfahren im allgemeinen, Tuberkuloseheilverfahren, In¬
validenhauspflege, Unterstützung der Säuglings- und der Gemeindcpflege, Auf¬
wendungen für allgemeine Massnahmen zur Verhütung des Eintrittes vor¬
zeitiger Invalidität unter der versicherten Bevölkerung, Arbeiterwohnwesen.
Förderung der inneren Kolonisation, Förderung gemeinnütziger Einrichtungen
durch Hergabe von Darlehen, Kricgswohlfahrtspflege) über die Hälfte des
Umfanges der Schrift au.smacht, ruft das ärztliche Interesse an der letzteren
besonders hervor. Das Ganze stellt in seiner abgerundeten Darstellung des
Umfanges der l.-V. einen Leitfaden dar, der sowohl einen allgemeinen Ueber-
blick über das Gesamtgebiet der I.-V. gibt, als auch einen Ratgeber in allen
einschlägigen Einzelfragen bildet.
C. Lebensversicherung.
J. S t u r m - Stuttgart: Zur Frage der Pupilienungleichheit. (Bl. f. Ver¬
trauensärzte d. Lebensvers. 1920 Nr. 2.)
Die wenigen Fälle von Pupillendifferenz, die nicht auf Erkrankung des
Zentralnervensystems zurückzuführen sind, kommen gegenüber der Ueberzahl
der auf organischer Gehirnerkrankung, Tabes oder Paralyse beruhenden Fälle
in der Versicherungsmedizin nicht in Betracht.
F i s c h e r - Gotha: Ueber die Ausgänge der Kriegsnephrltis. (Bl. f.
Vertrauensärzte d. Lebensvers. 1920 Nr. 2.)
Die K^iegsnephritis erscheint so heimtückisch, dass man bei der Auf¬
nahme Versicherungssuchender noch zurückhaltender sein muss als bei der
gewöhnlichen postinfektiösen Nierenentzündung.
P. R e c k z e h - Mülheim a. d. Ruhr: Ueber Tuberkuloseveranlavung.
(Bl. f. Vertrauensärzte d. Lebensvers. 1920 Nr. 3.)
Besprechung der Anhaltspunkte für die Beurteilung der Tuberkulose¬
disposition: Heredität, Familiengeschichte, Vorgeschichte; Körperlänge, Kör¬
pergewicht, Brustumfang und ihre Kombination; anatomische Stigmata (Ano¬
malien der ersten Rippe und der oberen Thoraxapertur, Veränderungen
des Brustbeins (Rothschild), paralytischer Brustkorb.
D 0 11 - Karlsruhe: Ueber tuberkulöse Belastung In ihrer Beziehung zur
Lebensversicherung. (Bl. f. Vertrauensärzte d. Lebensvers. 1920 Nr. 3.)
Zur Illustration der Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten, die der Auf¬
deckung der erblichen Belastung mit Tuberkulose anhaften, und des Wertes
und der Wichtigkeit einer genauen und eingehenden persönlichen und
Familienanamnese wird die Familientafel einer schwer mit Tuberkulose be¬
lasteten Familie (insgesamt 12 Personen) mitgeteilt und erörtert. Aus der
Analyse geht ausser sonstigen Einzelheiten auch hervor, dass der familiären
Krankheitsbereitschaft eine überragende Bedeutung gegenüber der familiären
Infektionsmöglichkeit zukommt.
Schulte-Tigges - Godesberg: Ein Beitrag zur Frage der Pupillen-
Ungleichheit. (Bi. f. Vertrauensärzte d. Lebensvers. 1920 Nr. 4/5.)
Nach den Erfahrungen des Verf. kommt Pupillenungleichheit doch viel
häufiger vor als gewöhnlich angenommen wird, ohne dass eine ernste Er¬
krankung vorliegt. Oft verschwindet • diese Ungleichheit auch nach einiger
Zeit wieder. In zweifelhaften Fällen empfiehlt sich deshalb nicht Ablehnung,
sondern Zurückstellung auf mehrere Monate.
F i s c h e r - Gotha: Funktionelle Diagnostik. (Bl. f. Vertrauensärzte d.
Lebensvers. 1920 Nr. 6.)
Die ..anatomische“ Untersuchung muss durch die funktionelle ergänzt
werde«: Herz und Gefässsystem (Prüfung der Pulsschläge und der Herz¬
töne nicht nur in der Ruhe, sondern auch nach 10 Kniebeugen, sowie Fest¬
stellung der Zeit, bis wann der Puls wieder zur Ruhezahl zurückkehrt:
Feststellung des Blutdruckes kann nicht obligatorisch eingeführt werden);
zur bisherigen Lungenuntersuchung kann nichts hinzugefügt werden; Urin
(doppelt zu prüfen: Früh- und Abendurin; in zweifelhaften Fällen Untersuchung
nach mehrstündigem Marsch (? Ref.), bei Fahndung auf Elweiss und nach
Probemahlzeit bei der auf Zucker); Zentralnervensystem (Einwirkung der
Anstrengungen des Berufes, der Lebensführung, der Aufregung der Unter¬
suchung etc.). — Durch Aenderungen der Untersuchung nicht viel Neues
zu erreichen; dafür um so eingehendere Befragung.
J. S t u r m - Stuttgart: Die Lungentuberkulose im höheren Lebensalter.
(Bl. f. Vertrauensärzte d. Lebensvers. 1920 Nr. 6.)
Die Häufigkeit der Tuberkulose im höheren Lebensalter wird oft unter¬
schätzt; aus den vom Verf. mitgetcilten Zahlen geht die hoh^ Frequenz
zur Genüge hervor. Zustandekommen der Alterstuberkulose durch zweierlei
Aetiologie: solche, die schon in der Jugend, vielleicht nur als Drüsentuber¬
kulose, vielleicht als inaktiv gewordene Lungentuberkulose bestanden hat
und im höheren Alter entweder durch eine interkurrente Infektionskrankheit
oder durch mangelhafte Widerstandsfähigkeit zum Aufflackern gebracht wird,
oder solche, bei der die Infektion erst im Greisenalter erfolgt (entweder
ebenfalls durch Infektionskrankheiten oder durch mehr allgemein dispo¬
nierende Momente, wozu das Alter als solches auch gehört, vorbereitet).
Im allgemeinen frische Infektionen im Greisenaker selten. Diagnose und
Therapie schwieriger als bei den Erkrankungen der Jugendlichen. Prognose
ernster als bei diesen.
ln Rücksicht auf die Häufigkeit der Alterstuberkulose ist für die Lebens¬
versicherungsmedizin der Heredität der Antragsteller (Tuberkulose der Eltern
im höheren Alter) erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.
E. 0. Horst Neurnann - Berlin; Woran sterben die Syphilitiker unserer
Tage? (Derm. Wschr. 69.)
Auf Grund der Scktionsprotokolle des Rudolf-Virchow-Krankenhauses
Berlin aus den Jahren 1910—1916 (aus 8500 Protokollen* wurden 500 Fülle
gewonnen, die auf dem Seziertisch zweifellos eine im Leben durchgemachte
Syphilis feststellen Hessen) ergab sich folgendes:
Todesursachen.
I.
Syphilis
(ätiologisch sicher):
Galoppierende Syphilis
3 Männer
3 Frauen ~ 6 Fälle
Syphilitische Gehirnaffektion
36
33 ., - 69 ..
Tertiäre Lues
11
7 .. = 18 .,
Tabes dorsalis
9
5 ,. =14 ..
Aortenaneurysma
29
11 ^ 40 .,
88 Männer
59 Frauen " 147 Fälle,
(ätiologisch wahrscheinlich):
Leber
24 Männer
14 Frauen
= 38 Fälle
Nieren
30
22
= 52 „
Herz
43
32
= 75 ..
97 Männer
68 Frauen
= 165 Fälle.
II. Interkurrente Krankheiten:
Lunge (Pleura)
27 Männer
13 Frauen = 40 Fälle
Tuberkulose
26
8 .. - 34 .,
Embolie und Thrombose
5
9 .. 14
Maligne Geschwülste
18
12 .. = 30 „
Sonstige interkurr.
Krankheiten
33
37 .. = 70
109 Männer 79 Frauen = 188 Fälle.
Von 500 im Leben mit Syphilis infizierten Menschen gingen also viel¬
leicht nur 188 nicht an der Syphilis zugrunde, obwohl auch bei ihnen schwere
Schädigungen durch diese Seuche anzutreffen sind. Nur 228 Individuen er¬
reichten ein Alter über 50 Jahre, über 60 Jahre wurden nur noch 88 Per¬
sonen der 500 Fälle. M. Schwab- Berlin-Wilmersdorf.
Im Druck erschienene Inauguraldissertationen.
Universität Göttingen. ‘ 1920.
B 11 r Theodor: Eine Methode zur Prüfung der reflektorischen Erweiterungs¬
fähigkeit des menschlichen Hauptmagens oder Fundus intra vitam.
Blumenthal Hermann: Beitrag zur Kasuistik der Epulis.
Bock Hermann: Die Tumoren des Ohres.
Bösling Wilhelm; Ueber das Carcinoma fibrosum ventriculi.
B o s sc 1 m a.n n Gustav: Störungen der Nachgeburtsperiode.
Brand Otto: Ueber retroperitoneale Lipome mit besonderer Berück¬
sichtigung der myomatösen Mischformen.
Bremer Franz: Ein Beitrag zum Studium über den Entfaltungsakt in
pathologischen Mägen.
Original from
—ÜNtVf RSITY OF CALIFOmiA^
Digitized by Goiisle
t/i i/i tn '/) t/i (fi ’j) '/i
153
4. Februar 1921.
MÜNCMFNFR MFlHZINI^'CMF Wr>CHF.NSCHRrrr.
(Irink Otto: Die intraokularen Fremdkorperverletzungen aus der Univ.-
Augenklinik zu Qöttingen von 1914—1918.
Hülle Eduard: Bericht über hundert Operationen in Plexusanästhesie.
Claus Hermann: lieber die gerichtsärztliche Diagnose des Erstickungstodes.
Kichardt Hans: Ein Beitrag zur Ausscheidung der Aminosäuren (des
formoltitrierbaren Stickstoffs) im Diabetes mellitus.
Fngelmeier Kurt: Die neueren Einteilungen der Lungentuberkulose in
Stadien und ihre klinische Bewertung.
biege r Hans: lieber die Wirkung disponiblen Chlors auf die Qefäss-
inuskulatur.
üchrich Richard: .lieber bakteriologische Blutuntersuchung an Kinder¬
leichen.
Cioerdt Otto: Das Schicksal von operierten und nichtoperierten Augen mit
hochgradiger Myopie.
Härtel Georg: lieber die Entstehung von Hydrozephalus infolge gestörter
Druckverhältnisse im Ventrikulär- und Arachnoidalsystem.
Hasse Friedrich: lieber die Methylenblaureduktion durch Glycin.
Heidelbach Wilhelm: lieber 7 Fälle von Pankreatitis acuta aus der
Chirurg. Universitätsklinik in Göttingen in den Jahren 1912—1918.
Hei dt mann Wilhelm: Zur operativen Behandlung der Incontinentia
urinae bei Epispadie.
Mensel Rudolf: Ueber postoperative Bauchbrüche.
Hoffman n Hubert Eduard: Die Behandlung der Eklampsie in der Frauen¬
klinik der Universität Göttingen in den Jahren 1910—1919.
Hornung Karl: Ueber gleichzeitige Intra- und Extrauteringravidität mit
ausgetragenen Früchten.
Hoyer W'ilhelra August: Ueber Kinderverluste vor, während und kurz nach
der Geburt.
Huck Gerd: Zangenentbindungen an der Göttinger Univ.-Frauenklinik vom
Jahre 1908—1918.
J a n s s e n Heinrich: Ein Fall von primärer Munddiphtherie beim Säugling.
J 0 c h u m Wilhelm: Die Geschichte der gerichtlichen Medizin an der Uni¬
versität Göttingen von 1800—1860.
Jötten Wilhelm: Ueber das Auftreten von Darmprolaps am Anus praeter¬
naturalis. Heraustreten des aboralen Schenkels.
Jütterrnann Josef L.: Ueber einen Fall von Turmschädel.
Jungermann Elisabeth: 4 Fälle von Hernia obturatoria incarcerata.
Kalvelage Alexander: Die Placenta praevia-Behandlung in der Göttinger
Univ.-Frauenklinik während der letzten zehn Jahre 1909—1919.
Kersting Theodor August: Die Schnittentbindungen an der Paderborner
Hebammenlehrunstalt in ihrem Erfolge für Mutter und Kind.
Kook Alfred: Ueber Chorea chronica progressiva.
KO sei Friedrich: Ueber die Gewichtsverhältnisse der Neugeborenen am
10. Lebenstage mit besonderer Berücksichtigung der Kriegsneugeborenen.
K u h 1 m a n n Heinrich: Ueber die durch die Geburt eintretenden Schädigungen
bei jungen Erstgebärenden.
Leineweber Robert: Ueber Trichinösis mit besonderer Berücksichtigung
eines in der Göttinger mediz. Universitätsklinik beobachteten Falles.
L i n n ö Erich: Ueber traumatische Zwerchfellhernien.
Löwenthal Richard: Inwieweit wird die H e I m h o 11 z sehe Hörtheorie
durch neuere Anschauungen gestützt?
Lührs Friedrich: Ueber postinfektiösen Tremor im frühen Kindesalter.
Lunemann Arnold: Ueber die Zeitbestimmung des Todes und den Gewebs-
tod in gerichtlich-medizinischer Beziehung.
Marschhausen Hans: Klinik des Paratyphus B im Säuglingsalter.
.Möller Willi: Weitere Beiträge zur Kenntnis der resorptiven Wirkung der
Oxydationsmittel.
Muhlert Ferdinand: Beitrag zum Studium über die regulatorische Ent¬
faltung des Magens.
No Item eie r Hermann: Beiträge zur experimentellen Pharmakologie des
„disponiblen“ Chlors.
Petermann Max: Ikterus und akute gelbe Leberatrophie bei Syphilis.
Peters W'ilhelm: Ueber neuere Erfahrungen bei Behandlung der Gonorrhöe
mit dem Vakzinemittel (Vaccigon).
Du inkenstein Josef: Das Ergrauen des meiTschlichen Haares in
forensischer Beziehung.
Rabe Erwin: Ueber 16 Fälle von otogener Thrombose des Sinus transversus.
Rath Julius: Ueber Liquoruntersuchungen bei Augenaffektionen.
Richers Josef: Eine chronische Form der Pseudodysenterie im Kindesalter.
Ringsdorff Hermann: Ein Fall von Oesophagusstenose mit multiplen
Spasmen im Gebiete der Atmungs- und Verdauungsorgane.
Rüssemeyer Walter: Pharmakologische Untersuchungen in der
Colchicinreihe.
a ucke Walter: Ein Beitrag zur H i r s c h s p r u n g sehen Krankheit,
cheilke Friedrich: Zur Beurteilung des Syringoms (Naevus syringo-
matusus).
c h tn i d t Leo: Untersuchungen über die tödliche Adrenalin Wirkung am
Meerschweinchen. ^
chnell Eduard: Kritische Beleuchtung des heutigen Standes der Qenick-
starretherapie.
chn eilen Ferdinand: Ein Fall von riesenhaftem Echinokokkus des
Bauches.
ehr ad er Otto: Ueber Embolie und Thrombose der Mesenterialgefässe.
iebert Karl: Ueber die resorptiven Wirkungen der Superoxyde,
pangenthal Fritz: Ueber den Gallertkrebs der Brustdrüse,
tauch Otto: 4 Fälle von akuter eitriger Meningitis mit unbekanntem
Erreger. J
Steinhardt Artur: Ueber^ pathologische Hüftgelenksluxationen mit Be¬
rücksichtigung ihrer Behandlung und Dauererfolge.
Temming Julius: Die Geschichte der gerichtlichen Medizin an der Uni¬
versität Göttingen im 18. Jahrhundert. *
Visher Peter: Ein Fall von funktioneller Mastdarmlähmung nach einem
chronischen Darmkatarrh.
Voigt Wilhelm; Zur Kenntnis des Silbersalvarsannatriums. •
Wahl Richard: Ueber den Einfluss kleinster Nikotindosen auf die mensch¬
liche Psyche.
Wahlmann Wilhelm Oskar: Der Einfluss des mütterlichen Alters und der
Geburtenzahl auf die Geschlechtsbildung des Kindes.
Waniek Eduard: Ein Fall spastischer Parapfirese infolge Fremdkörper im
Rückenmark.
Watermann August; Ein Fall von doppelseitiger Hornhautvereiterung bei
Morbus Basedowii.
Welering Paul: Ueber die spezifische Behandlung der Tuberkulose.
Wedemeyer Theodor: Ueber die Gewöhnung psychischer Funktionen an
das Koffein. (Mit 12 Kurven.)
Wichels Paul: Der propriozeptive Tonusreflex des Froschherzens und
seine Sensibilisierung durch Herzglykoside.
Witt in g Franz: Ueber die Beziehungen zwischen Grippe und Lungen¬
tuberkulose.
Zur Nedden Irmgard: Ueber die in der Chirurg. Universitätsklinik zu
Göttingen während der Jahre 1890—1916 behandelten Fälle von tuber¬
kulöser Spondylitis.
Vereins* und Kongressberichte.
Medizinische Geselischafl zu Chemnitz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 20. Oktober 1920.
1. Vorsitzender: Dr. Uhl. — Schriftführer: Dr. König.
Herr Velhagen: Sehnervenentzündung Infolge (chronischen) Genusses
von Brennspirltus.
V. hat während der letzten Jahre eine Anzahl von Männern zwischen
40 und 60 Jahren behandelt, welche an zentralen Skotomen beider Augen
litten. Zweifellos war bei allen die Krankheit herbeigeführt durch über¬
mässigen Genuss eines „Spartakus“ genannten Getränkes. Dasselbe ist in
bestimmten heimlichen Verkaufsstellen in Chemnitz zu erhalten. Es besteht,
wie im städtischen chemischen Untersuchungsamt festgestellt wurde, zu
10,3 Volumprozent aus Alkohol einschliesslich geringer Mengen von Fusel¬
ölen, einer aromatischen Substanz von Pfefferminz oder Anis und Wasser.
Ausserdem enthält es stark riechendes Pyridin. Es ist rot gefärbt und zwar
mit Fuchsin oder Rosanilin. Die Flüssigkeit hinterlässt einen Extraktrest von
9,5 Proz., der aus Zucker besteht. — Das Ganze wird gewonnen aus Brenn¬
spiritus, der in Chemnitz mit Pyridin ungeniessbar gemacht werden soll. —
Die Patienten wurden zum Teil gebessert, zu einer Ausheilung kam es nicht.
Diskussion: Herr Rieh. Wagner berichtet über 5 Fälle von
Brennspiritusgenuss, der zu Optikusveränderungen geführt hat.
Herr Clemens.
Herr König: 3 (gemeinsam und gleichzeitig, vielleicht in böswilliger
Absicht veranlasste) Fälle von Methylalkoholvergiftung mit schweren Optikus¬
schädigungen (davon 1 blind infolge Optikusatrophie).
Herr tf a u ! f e: Die Aufgaben der Leichenschau.
Anlass zu der Besprechung bietet das am 1. November d. J. in Kraft
tretende „Ortsgesetz über die Leichenschau in Chemnitz vom 8. Oktober 1920“.
Die Frage hat ausser für die Aerzte im allgemeinen und die für die Leichen¬
schau in Betracht kommenden im besonderen auch noch hohe Bedeutung für
Hygiene, Justiz und Statistik. Die rechtzeitige Erkennung ansteckender
Krankheiten, Aufdeckung strafbarer Handlungen und richtige Einreihung der
Todesursachen in die Statistik werden immer als die drei Hauptgründe für
eine möglichst lückenlose ärztliche Leichenschau genannt. Es kommt aber,
worauf zum Zwecke der Ueberwindung etwa auftretender Widerstände bei
Verwaltungsbehörden und Körperschaften besonders hingewiesen werden,
muss, noch ein Grund hinzu, der bei der Ausbreitung der Ueberzeugung,
dass für die Hebung der Volksgesundheit alles Erreichbare getan werden
muss, wohl auf Verständnis rechnen kann, nämlich die Möglichkeit der Ver¬
breitung hygienischen Wissens und Weckung des Verantwortlichkeitsgefühls,
wo Stumpfheit, Unwissenheit oder auch böser Wille die rechtzeitige Zu¬
ziehung des Arztes verhindert haben. Hiervon ist besonders das Säuglings¬
alter betroffen, was mit den auffallend hohen Prozentzahlen ärztlich nicht
beglaubigter Todesfälle dieser Altersstufe im Gegensatz zu den höheren
Altersklassen belegt wird. Es waren 82,6 Proz. im Jahre 1903, 89,9 Proz.
bei den Unehelichen allein, ln so vielen Fällen ist also damals nicht einmal
der Versuch einer ärztlichen Behandlung gemacht worden. Bei den Un¬
ehelichen hat die behördliche Ziehkinderaufsicht (seit 1904) die Verhältnisse
wesentlich gebessert. Weiter kann wesentliche Aufklärungsarbeit über die
Schäden kurpfuscherischer Behandlung geleistet werden.
Die Untersuchung über die Verhältnisse der Leichenschau im deutsche^
Reiche ergibt ein buntes Bild: teils lückenlose Schau über alle, auch ärztlich
behandelte Verstorbene durch Laien (Barbiere, Bader, Trichinenschauer,
Landjäger) und Aerzte, teils Ueberlassung der Todesursachenbescheinigung
an die Leichenfrauen, teils ärztliche Leichenschau über alle nicht Behandelten,
mit zahlreichen Abweichungen in der Ausübung. Der Erkennung ansteckender
Krankheiten und fahrlässiger oder verbrecherischer Handlungen ist auch für
den Arzt enge Grenzen gesteckt, aber ihm stehen doch immer noch viel mehr
Hilfsmittel für die Erkennung zu Gebote, als dem Laienleichenschauer oder
der Leichenfrau. Die Statistiker müssen entschieden auf möglichst ärztlich
ausgeübte Leichenschau drängen, da nur so die einwandfreien Grundlagen für
alle Mortalitäts- und Morbiditätsuntersuchungen zu erhoffen sind. Wie un¬
zuverlässig hier die Verhältnisse sind, zeigt die Tuberkulosestatistik auf dem
Lande bei Luienleichenschau und besonders bei den Säuglingen. Das Orts¬
gesetz weist die Leichenfrauen an, den behandelnden Arzt festzustellen, beim
Fehlen eines solchen die Angehörigen zur Herbeiziehung eines Arztes ihrer
Wahl anzuhalten, bei deren Unvermögen oder Weigerung den Armenarzt des
betreffenden Bezirks unverweilt zuzuziehen. Diese werden in solchen Fällen
von der Stadt nach einem bestimmten Einzelsatze bezahlt. Infolge dieser
Beschränkung sind auch keine erheblichen Kosten für die Allgemeinheit zu
erwarten. Die Dienstanweisung enthält neben den allgemeinen Pflichten die
Vorschriften über das Verhalten bei ansteckenden Krankheiten oder straf¬
baren Handlungen und den Hinweis auf die Möglichkeit der Aufklärung der
Bevölkerung über die Heilungsmöglichkeiten, besonders des Kindesalters.
So kann die ärztliche Leichenschau auch an der Bekämpfung der
Säuglingssterblichkeit im allgemeinen mitarbeiten.
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
154
MONCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Medizinische Gesellschaft Göttingen.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. Dezember 1920.
Herr R I e c k e demonstriert einen 25 jährigen Kaufmann, welcher 14 Tage
nach Auftreten eines Lippenschankers „prophylaktisch“ 3 Neosalvarsan*
. spritzen k 0,45 und gleich darauf 3 Silbersalvarsaninfusionen ä 0,3 intrave'nös
erhielt. Während der letzten 3 Spritzen trat eine erste Exanthemeruption,
und zwar ein starkes psoriasiformes papulöses Syphilid der Palmae und
Plantae und ein papulo-pustulöses Syphilid an den Armbeugen, am Halse und
im Gesicht auf. Es handelt sich hier um eine gegen Neo> und SUbersalvarsan
refraktäre Syphilis bei einem Patienten, welcher überreichlich seit Jahren
Medikamente aller Art, namentlich Antinervina und Brom und Morphium ge¬
braucht hat. Mangelhafte Fixation der organotropen Komponente des Sal-
varsans seitens der durch Medikamentenmissbrauch funktionell geschwächten
Körperzellen.
Herr Ri ecke demonstriert sodann eine Salvarsandermatltis, welche
bei einem 22 Jährigen kräftigen Schlosser nach 4 wöchentlich verabreichten
intravenösen Injektionen von ä 0,45 g Neosalvarsan 7—8 Tage nach der
letzten Einspritzung auftrat. Generalisierte schuppende Erythrodermie,
nässende Stellen an Mundwinkeln und in den Inguinalbeugen. Anfänglich
Fieber, jetzt fieberfrei, das Exanthem scheint seinen Höhepunkt erreicht zu
haben. Prognose günstig.
Herr R I e c k e demonstriert endlich einen 21 jährigen Soldaten mit einer
Syphilis framboesiformis. Ausser dem makronenförmigen, drüsig papillären
Protuberanzen am behaarten Kopf, rechter Ohrmuschel, am Penisschaft und
am Präputialsack, an Oberarmen und Oberschenkeln keinerlei Symptome von
Syphilis. Wassermann und Liquor negativ. Spirochaete pallida im Sekret¬
ausstrich positiv.
Herr Schnitze: Ueber Paralysls-agltans-ähnliche Krankheitsbilder
(Llnsenkernsyndrome) durch Encephalitis epidemica. (Erscheint ausführlich
in der Berl. klin. Wochenschr.)
Diskussion: Herr Ebbeck e. Schultz e.
Herr Esch: Ein Adamantlnom des Oberkiefers. (Erscheint ausführlich
in der Spezialliteratur.)
Diskussion: Herr W. Fischer hat in China ebenfalls ein Adam¬
antimon des Oberkiefers untersucht. Das Präparat stammte von einem etwa
20 jährigen Chinesen. Es handelte sich um einen etwa mandarinengrosstn.
In die Kieferhöhle durchgebrochenen, kleinzystischen Tumor, der mikro¬
skopisch das typische Bild eines Adamantinoms aufwies, im Stroma waren
auch kleine spongiöse Knochenbälkchen vorhanden. Die Geschwulst war lang¬
sam gewachsen; an dem exstirpierten Präparat fand sich noch ein etwas
missgebildeter l\Äolarzahn.
Diskussion: Herr Kaufmann.
Herr W. Rosenthal: Die aktive Rolle des Endothels.
Dem Endothel wurde bisher in . der Regel eine sehr passive Rolle zu¬
geschrieben als einer halbdurchlässigen Tapete des Oefässsystems; einige
Abweichungen von dieser Anschauung in Physiologie und Pathologie betrafen
die Rolle des Endothels bei der Lymphbildung, neuerdings vielleicht auch bei
der Regulierung der Zirkulation in den Kapillaren und des Blutdrucks und die
Sonderstellung der sogen. Retikuloendothelien in Milz, Leber, Lymphknoten
und Knochenmark, die sich an der Speicherung kolloidaler Substanzen be¬
teiligen und im inneren Stoffwechsel eine wesentliche Rolle spielen sollen.
Auf diese Zellgruppe wurde die Aufmerksamkeit besonders hingelenkt in Ver¬
suchen des Vortr. (1914), die Phagozytose im Tierkörper zu untersuchen
durch Ueberschwemmen des Kreislaufs mit leicht nachweisbaren, möglichst
wenig virulenten Kokken. Vortr. demonstriert nach seinen Präparaten ge¬
zeichnete Bilder, aus denen hervorgeht, dass schon unmittelbar nach Ein¬
führung der Kokken in die Blutbahn eine lebhafte Phagozytose durch alle
Endothelzellen (z. B. auch der Nierenkapillarcn, der Kapillaren im Fettgewebe,
im Muskel) einsetzt, dass aber bei weitem die lebhaltcstc Tresstätigkeit die
K u p f f e r sehen Sternzellen der Leber entwickeln; diese möchte er aber
nur als funktionelle Sonderform der Leberendothelien ansehen, da sie in
seinen Versuchen mit der Aufspeicherung der Bakterien in der Leber rasch
an Zahl zuzunehmen scheinen. Die Phagozytose durch Leukozyten tritt in
den Organschnitten ganz zurück gegenüber der durch Endothelien, und um
so mehr, je längere Zeit verstrichen ist; vielleicht werden die kokken¬
beladenen Leukozyten nachträglich von Sternzellen aufgenommen. Nach einer
halben Stunde sind schon fast alle Kokken in Zellen eingeschlossen. Je
später man untersucht, desto mehr treten die Leberendothelien als Haupt¬
speicherungsort für die Bakterien hervor — hier findet man sie noch am
ß. Tag, während sie aus den anderen Organen dann verschwunden sind.
Auch die Phagozytose der Stromazellen der Milz tritt (bei dem Versuchstier,
der Maus) gegenüber der Leber zurück. Die meisten Versuchstiere zeigten
keine Krankheitserscheinungen. Bei einem erst nach 72 Stunden getöteten,
waren weder durch Kultur, noch mikroskopisch Kokken nachzuweisen; am
1. und 2. Tag lassen sich ganz vereinzelt aus dem Blut, zahlreicher aus Aus¬
strichen von Leber und Milz die Kokken züchten. Schon bei einem nach
25 Minuten getöteten Tier scheint intrazelluläre Verdauung der Kokken er¬
kennbar zu sein; auch finden sich hier Bilder, die als amöboide Bewegungen
der Endothelfresszellen gedeutet werden können: Verlagerungen der auf¬
genommenen Kokken von der dem Lumen zugewendeten Kernseite nach der
entgegengesetzten, Abrundung und Zurückweichen vollgefrcssene'r Zellen vom
Oefässlumen. Jedenfalls ergeben Vergleiche der. Schnitte und der Kultur¬
proben, dass lebensfähige Kokken von den Zellen aufgenommen und innerhalb
derselben abgetötet werden.
Vortr. verweist dann auf teils mit den seinen gleichzeitig oder später
unternommene Untersuchungen und Beobachtungen, die ähnliche bestätigende
oder ergänzende Tatsachen ergaben, von Jos. Koch, V. Schilling und
einer Reihe von Untersuchungen, die in .den Arbeiten des Rockefeller-Instituts
1914—1920 veröffentlicht wurden und im Herbst 1920 in Deutschland zugäng¬
lich wurden.
Alle diese Beobachtungen weisen der Phagozytose und den sie befördern¬
den Serumstoffen eine grössere Bedeutung zu, als bisher anerkannt wurde:
neben den bisher fast ausschliesslich beachteten Wanderzellen ist noch eine
sehr zahlreiche Zellart des Organismus als Fresszellen zu werten und es ist
zugleich gezeigt, dass diese Bakterien tatsächlich zu vernichten vermögen,
was die Versuche im Glase mit Wanderzellen naturgemäss nicht beweisen
konnten. Die Untersuchungen bedürfen noch vielfacher Ergänzung und Aus¬
baus •).
I Diskussion: Herren Heubner. Ebbecke, Kaufmann,
I Rosenthal.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 2. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr Braunschweig.
Schriftführer: Herr F i e I i t z.
Herr Hermann Kuhn: Röntgentherapeutlscbe fragen.
Zunächst werden einige theoretische Fragen erörtert. Wirken weiche
Strahlen prinzipiell anders als harte, oder werden die Unterschiede in der
therapeutischen Wirkung nur durch Absorptionsverschiedenheiten bedingt?
Theoretische Erwägungen sprechen für, therapeutische Erfahrungen gegen
Gleichheit der Wirkung. Ist die Wirkung der Röntgenstrahlen eine mehr
physikalische oder chemische? Natur der Strahlung lässt physikalische
Einwirkung erwarten, quantitative Reaktion und Nachahmbarkeit durch
chemische Produkte (Röntgentoxine) spricht dagegen. Ist die Reizwirkung
kleiner Dosen eine primäre oder sekundär durch Reaktion auf Zellschädigung
hervorgerufen? Vortragender glaubt letzteres. — Praktisch therapeutisch
wird die Frage nach Anwendung harter oder weicher Strahlen in der
Oberflächontherapie besprochen, harte Strahlung wird in fast allen Fällen
bevorzugt. Zur Ca-Therapie-Frage werden die Anschauungen der Erlanger
Schule vorgetragen, ihnen aber kein dogmatischer Wert zugesprochen. Vortr.
glaubt, dass die Röntgenstrahlen bei der Tuberkulosebekämpfung noch eine
Rolle spielen werden. Ob sich die Röntgenstrahlen namentlich in Reizdosis
noch neue Gebiete der Behandlung erschliessen werden, scheint zweifelhaft.
Wichtig für weitere Arbeit ist klare Fragestellung und experimentelle Vor¬
arbeit, auf die sich Heilversuche stützen können.
Besprechung: Herr Straub und Herr David.
Herr David demonstriert Kranke mit maligoen Tumoren, die unter
Röntgenbehandlung ganz wesentlich gebessert sind:
1. 17 jähr. Mädchen von infantilem Habitus (vollständiges Fehlen der
sekundären Geschlechtsmerkmale), das mit Zeichen schwerster Dyspnoe
und mit, heftigsten Rückenschmerzen eingeliefert wurde. Es fand sich ein
Mediastinaltumor und ein grosser Lebertumor., Die klinische Wahrscheinlich¬
keitsdiagnose lautete: maligner Thymustumor mit Lebermetastasen, der auf
die Ncrvenwurzeln drückt. Durch Röntgenbestrahlungen gelang es den
Tumor so weit zu beseitigen, dass das Mädchen wieder voll arbeitsfähig
geworden ist.
2. 24 jähr. Mann mit einem malignen Granulom des Mediastinums. Rönt¬
genologisch ist Verschwinden des Tumors nachzuweisen; subiektiv be¬
schwerdefrei.
3. 40 jähr. Mann mit ebenfalls malignem Granulom des Mediastinums,
wodurch stärkste Dyspnoe und Zirkulationsstörungen ausgelöst wurden.
Venendruck 330. Eosinophilie 9 Proz. Durch Bestrahlung verschwand die
Dyspnoe, der Venendruck sank auf 160, die Eosinophilie auf 1 Proz.
4. 30 jähr. Mann mit Pseudoleukämie. Grosse Drüsenpakete, vergrösserte
Milz. Leukopenie. Mit kleinen verteilten Röntgendosen gelang es die
Leukozytenzahl zu steigern und trotzdem die Tumoren einzuschmelzen.
5. 2 jähr. Kind mit stark vergrössertem Thymus. Die starke Dyspnoe
liess sich durch Röntgenstrahlen wesentlich bessern.
Herr Leonhard K o e p p e: Die neuesten Fortschritte der binokularen
stereomikroskopischen Apparatur und Ihre klinische Bedeutung. (Mit Demon¬
strationen.)
Nach kurzem Ueberblicke über die bei grösserem Objektabstande mit
zwei getrennten Mikroskopen arbeitenden bisherigen stereomikroskopischen
Apparaturen, welche vor allem durch Aubert. Greenough, Czapski-
Schanz, W e s t i g e n, Z e i s s u. a. in die wissenschaftliche Mikroskopie
eingeführt wurden, kommt der Vortragende auf die für kleine Objektabstände
mit nur einem Objektive armierten stereomikroskopischen Apparaturen zu
sprechen.
Diesem Typus, der den wissenschaftlichen Mikroskopiker vorwiegend
interessiert, liegen durchweg zwei Konstruktionsprinzipien zugrunde. Ent¬
weder bediente man sich der geometrischen Teilung der einfachen
Objektöffnung resp. des Objektstrahlenbündels, indem man mittels Spiegelung
oder Brechung in Prismen das vom Objektive kommende Strahlenbündel in
mannigfacher Weise in zwei getrennte Hälften teilte und den beiden Okularen
mittels ein- oder mehrmaliger totaler Prismenreflexion zuführte, oder man
verwendete das Prinzip der physikalischen Teilung, wobei jeder
einzelne Strahl des Objektivstrahlenbüschels durch partielle Reflexion und
Brechung an einer dicken Glasplatte oder dünnen Luftschicht in zwei zerlegt
wird, von denen wiederum jeder auf direktem Wege resp. durch nochmalige
einfache oder mehrfache totale Reflexion zu den Okularen hingeleitet wird.
Während der erstere Typus durch die Konstruktionen der älteren Autoren
wie Riddel, Nachet, Wenham, Stephenson, Tolles, Leitz
u. a. vertreten wird, war der letztgenannte Typus zunächst in den Appara¬
turen von P o w e 11 und Lealand, Wedham-Schröder und Abbe
resp. Z e i s s verkörpert.
Speziell bei dem .Abbe sehen Stereoskopokular wurde zur
partiellen Reflexion und Brechung des Objektivstrahlenbüschels eine zwischen
zwei Glasprismen eingefügte hinreichend dünne Luftschicht benutzt und der
dort reflektierte Strahl durch nochmalige Reflexion an der Basis eines total
reflektierenden Prismas zu dem einen Okulare hingeworfen, dessen Achse
um etwa 14 ® zu der anderen Okularachse geneigt war, während der Pupillar-
abstand durch geringes Verschieben des ersteren Okulares innerhalb gewisser
Grenzen regulierbar war. Abbe erreicht? den stereoskopischen Effekt
durch zwei halbkreisförmige Blendendeckel, die er den Okularen so auf¬
setzte, dass sie entweder die beiden Innen- oder Aussenhälften derselben
abblendeten. Auf diese Weise wurde die eine Objektivstrahlenbüschelhälfte
dem einen, die andere Büschelhälfte dem anderen Beobachterauge zugeführt
und es entstand die stereoskopische Gesamtwirkung. Diese war in bezug auf
die wahren Tiefenverhältnisscv des Objektes bei Abblendung der beiden
Innenhälften der Okulare orthoskopisch, zeigte also vorn und hinten im Bilde
richtig, bei Abblendung der beiden Aussenseiten der Okulare jedoch um-
•) Ausführliche Veröffentlichung in der Zeitschr. f. Immunitätsforschung.
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. rcbruar 1921 .
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
155
gekehrt in b«zug auf die Wahrnehmung von vorne und hinten, also
pseudoskopisch.
Alle die mit geometrischer Teilung arbeitenden Methoden krankten an
' dem Nachteil, dass die benutzbare Objektiv- und Okularvergrösserung relativ
beschränkt blieb, weil einmal infolge der im Verlaufe des Strahlenbündels
vorhandenen Aperturbeschränkung das Auflösungsvermögen litt, sowie die
sphärischen und chromatischen Fehler des Systems sich vergrösserten.
Andererseits durfte überhaupt die Apertur oder der Oeffnungswinkel des
Objektives nur verhältnismässig klein sein, um nicht schwerere Störungen
der Abbildung zu bekommen. Drittens war bei den Methoden mit physi¬
kalischer Teilung die Beleuchtung der beiden okularen Gesichtsfelder infolge
der nngleichen Verteilung des vom Objektive kommenden Lichtes z. B. an
der dünnen Luftzwischenschicht im A b b e so ungleich, dass dieses Miss¬
verhältnis beim Abbe etwa 3: 1, bei der Apparatur von P o w e 11 und
L e a 1 a n d noch grösser war, wodurch die Vergrösserung beschränkt blieb.
Diese Mängel beseitigte das von Jentzsch im Jahre 1913 veröffent¬
lichte binokulare Mikroskop der Firma Leitz in Wetzlar.
Dieses benutzt, wie der Vortragende an einer Zeichnung erläutert, parallele
Okulare, bewirkt dadurch keinerlei Ermüdung der Beobachteraugen und ent¬
hält vier Prismen in solcher Anordnung, dass durch partielle Reflexion an
einer halbdurchlässig versilberten Glaszwischenschicht des ersten Prismas
die notwendige partielle Spiegelung und Brechung des Objektstrahlenbüschels
so erfolgt, dass etwa gleiche Intensitäten der gespiegelten und gebrochenen
Strahlen entstehen. Während der Pupillarabstand auch hier durch Parallel¬
verschiebung der Okulare einzustellen ist, wird die orthoskopische Stereo¬
skopie durch leichte weitere Annäherung der beiden Okulare erreicht, weil
dabei der Beobachter nur durch die temporalen Okularhälften hindurchblickt.
Die Abbe sehen Biendendeckei sind bei der Leitz sehen Konstruktion
weniger geeignet, weil sie hier zu nahe an die Hornhaut des beobachtenden
Auges herangebracht werden müssten. Näheres darüber in der ausführlichen
Arbeit von Jentzsch (Zschr. f. wissensch. Mikrosk. XXX, 1913).
Kürzlich wurde von der Mikroabteilung des Zeisswerkes zu Jena
ein neuer binokularer Tubusansatz durch H. Siedentopf
herausgebracht, welcher ebenfalls mit parallelen Okularachsen und, wie der
Vortragende an einer Zeichnung demonstriert, mit einem Prismensystem
versehen ist, das eine halbdurchlässig versilberte Glaszwischenschicht enthält.
Während dabei in dem gewöhnlichen „B i t u m i‘* eine Umkehrung des ge¬
sehenen Bildes wie bei allen übrigen genannten Konstruktionen erfolgt, ge¬
stattet eine weiterhin abgeänderte Prismenkombination im „Ortho-
b i t u m i“ eine doppelte Umkehrung des Bildes, also das stereo¬
skopische Sehen im aufrechten Bilde, was für alle klinischen
Zwecke von grösstem Vorteile ist. Durch Drehungen um eine gemeinsame
und mit der Mikrotubusachse koinzidierende Achse wird der Pupillarabstand
leicht und beliebig eingestellt. Durch richtiges Aufsetzen der halbkreis¬
förmigen Blendendeckel wird bei dieser Konstruktion die stereoskopische
Wirkung erzielt; dabei genügt, ähnlich wie beim Abbe, das Abblenden nur
einer Okularöffnungshälfte.
Zu Messzwecken wurde ferner ein Huygenssches Oku¬
lar 3 mit graduiertem Achsenkreuz und abdunkelbarer
Skala versehen, um Mikromessungen auch in beliebig dunkelem lebenden
Gewebe ausführen zu können. Die Beleuchtung der Skala erfolgt dabei von
der Seite her durch eine elektrische Glühlampe, deren Licht durch einen seit¬
lichen Schlitz auf die versilberte Fassung des Strichglases auffällt und daselbst
nach allen Seiten reflektiert wird, wobei streifende Beleuchtung der beiden
senkrecht aufeinanderstehenden Skalen erfolgt. Nach Eichung der Skala an
einer Blutkörperchenzählkammer können bei allen beliebigen Objektiv- und
Okularvergrösserungen unter Wegfall jeder anstrengenden Konvergenz der
Augenachsen und unter völliger Entspannung der Akkommodation sowohl im
umgekehrten als im aufrechten stereoskopischen Bilde ausser den gewöhn¬
lichen Beobachtungen stereoskopische Mikromessungen ausgeführt werden. |
Für Beobachter mit zwei verschiedenen Augen ist eine besondere Korrektur-
" einrichtung vorgesehen. Näheres in der Druckschrift Mikro 355 von Z e i s s.
Die stereoskopische Tiefenwirkung und Plastik des aufrechten sowie
umgekehrten Bildes ist auch bei den stärkeren und stärksten Vergrösserungen
hervorragend. Nicht nur am toten Präparate, an Pigmentzellen mit sich ver¬
flechtenden Ausläufern, an verschlungenen Gefässverläufen etc., sondern z. B.
auch am lebenden Auge unter Verwendung der Gullstrand sehen Nernst¬
spaltlampe erhält man ausgezeichnete Bilder. Durch Abnehmen des resp. der
Blendendeckel kann man das nicht stereoskopische Bild beidäugig studieren.
Die Anwendung des Bitumi sowie des Orthobitumi ist ausserordentlich be¬
quem, da man den Tubusansatz auf jeden Mikrotubus von Z e i s s auf¬
schrauben kann. Unter Einschaltung eines analysierenden Nikol sehen
Prismas in den letzteren kann man die stereomikroskopischen Untersuchungen
mit der neuen Apparatur auch im polarisierten Lichte durchführen.
Das gesamte Auflösungsvermögen der Mikroskope wird — abgesehen
von dem als sehr gering zu veranschlagenden Lichtverluste infolge von
Reflexion und Absorption an den Prismen — kaum berührt. Es gilt bei Ver¬
wendung des Bitumi resp. Orthobitumi gleichfalls das Gesetz, dass bei
Dimensionen, die sich unterhalb der halben mittleren Wellenlänge des Lichtes
bewegen, die punktförmigen resp. linearen Objekte auch stereomikroskopisch
nicht mehr objektähnlich, sondern nur als Beugungsscheibchen resp.
Beugungsstreifen abgebildet werden können und im letzteren Falle das sog.
Azimutgesetz befolgen, dessen Prinzip der Vortragende kurz erläutert.
Auch bei diesen ultramikroskopischen Objekten resp. Beugungs¬
scheibchen kann man noch stereoskopische Tiefenwirkung wahrnehmen, wie
sich der Vortragende in der Mikroabteilung des Zeisswerkes an feinst
verstäubten, ultramikroskopisch kleinen und im Dunkelfeld mit Bogenlicht
beleuchteten Qoldteilchen überzeugen konnte.
(Es folgt die stereomikroskopische Demonstration einiger Prä¬
parate bei mittlerer und starker Vergrösserung.)
Aerztlicber Verein in Hamburg.,
(Eigener^ Bericht.)
Sitzung vom II. Januar 1921.
Herr Kafka bespricht eine Methode, die zum Ziel hat, die Ergebnisse
derSachs-Georgi sehen Reaktion durch Zusatz von aktivem Schweine- ;
Serum und 1 Stunde später von 1 proz. Hammelblut makroskop. sicht¬
bar zu machen, indem dann ein grosser Parallelismus zwisch::n Stärke der
Ausflockung und Hemmung der Hämolyse besteht. Wo WaR. und S.-Q.-R.
nicht übereinstimmen, folgt das Ergebnis der S.-Q.-R.
Herr Nonne demonstriert einen Patienten, bei dem es durch Schuss¬
verletzung zu isolierter Lähmung des N. plantaris medial, und lateralis mit
Atrophie in den kleinen Fussmuskeln und entsprechenden elektrischen Ver¬
änderungen bei erhaltenem Ach.-S.^Reflex gekommen war. Diese Lähmung,
die erhebliche Beschwerden macht,' wird oft übersehen und fälschlich Simu¬
lation angenommen.
Herr E. Fraenkel demonstriert a) Schädeldach mit Cholesteatom des
Scheitelbeins, einer sehr seltenen Affektion, die Vortr. zum ersten Male zu
Gesicht kam. b) zwei Fälle von Karzlnombildung ln einem Harnblasendiver¬
tikel. deren eines angeboren, das andere — nach Prostatahypertrophie —
erworben war. Der eine Fall war durch besonders grosse Malignität in
Gestalt massenhafter Metastasen, auch des Skeletts — bei Blasenkarzinom
eine grosse Seltenheit — ausgezeichnet.
Herr Becker: 1. Nachprüfung der von Rheindorf behaupteten
ätiologischen Beziehungen zwischen Oxyuren und Appendizitis ergab Ueber-
einstimmung mit A s c h o f f s älteren Anschauungen über die Appendicopathia
oxyurica. In mehr als der Hälfte der operativ entfernten histologisch unver¬
änderten Appendices finden sich Oxyuren. 2. Demonstration von mikro¬
skopischen Bildern, die die bei akuter Appendizitis stets eintretende, zu
Infektion der Pfortaderwurzeln führende Thrombophle¬
bitis im Mesenteriolum zeigen.
Herr B r ü 11 bespricht die Diagnose der Pylephlebitls nach Appendizitis,
welche bei Bestehen von Ikterus, Anämie, Milz- und Lcberschwellung. ev.
positivem bakteriellem Blutbefund, auch bei Fehlen von Schüttelfrösten zu
stellen ist. Therapeutisch kommt Unterbindung der V. ileocolica in Be¬
tracht. Demonstration eines geheilten Patienten.“
Herr S 11 e b e 1 demonstriert eine Reihe von Patienten — Neurotiker
mit Enuresis, Schlafstörung etc. — die er durah Hypnose geheilt hat. um zu
zeigen, dass auch der beschäftigte Kassenarzt mit gutem Erfolg diese Methode
anwenden kann.
Besprechung des Vortrags des Herrn Kleinschmidt: Patho¬
genese und Behandlung der akuten Ernährungsstörungen des Säuglingsalters.
Herr N o r d h e i m hat in der Praxis noch kein Kind an akuter Er¬
nährungsstörung verloren. Nach dem Hungertag gibt er K u f e k e.
Schleim, der fast keine Nährstoffe enthält, verwirft er. Im Sommer gibt
er die Milch zuerst teelöffelweise geeist.
Herr Kleinschmidt (Schlusswort) zieht künstlichen Mehlpräparaten
die reinen Mehle vor.
Vortrag des Herrn Bruck: Hautkrankheiten und Allgemeinbehandlung.
Unter Ausschluss der physikalisch-chemischen und Lichtbehandlung be¬
spricht Vortr. 1. diejenigen Methoden, die den Gesamt- oder den H a u t -
Stoffwechsel beeinflussen oder Allergie herbeiführen und 2. solche,
die den Krankheitserreger oder die Krankheitsprodukte
in besonderer Weise angreifen, ad 1. werden durchgegangen die die Emp¬
findlichkeit der Haut herabsetzende K a 1 k t h e r a p i e. bei der jedoch
grosse Dosen (bis 15 g täglich) lange Zeit hindurch erforderlich sind,
die abführenden Mittel, wie Schwefel. Ichthyol, die Organismus¬
waschungen mit Aderlass und Kochsalzinfusion, von denen ersterer
der wichtigere ist, die Serum- und Eigenblutinfusion, die Milch-
und Terpentininjektionen. ad 2. Der Wert der Arsentherapie
wird oft überschätzt. Vortr. hält sie nur bei zugrunde liegender Anämie
und bei Lichen ruber planus für indiziert. Er bespricht dann weiter die
Wirkung des Jods auf Lues III, Sporotrichose und Blastomykose, des
Golds und Kupfers auf Tuberkulose, des Chinins auf Pemphigus
vulgaris, des Urotropins auf gewisse Impetigoformen und Herpes zoster, sowie
endlich die Anwendung des Atropins. Adrenalins, Pilokarpins (bei Prurigo),
während er die spezifischen Mittel wie Tuberkulin, Trichon, Staphylokokken¬
präparate nur kurz streift. F. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. Juni 1920,
Vorsitzender: Herr W i l m a n n s.
Schriftführer; Herr Beck.
Herr Bettmann: Krankenvorstellung.
Herr Viktor Hoff mann: Ueber Wunddiphtherie. (Klinische und bak¬
teriologisch-serologische Untersuchungen.)
Vortr. teilt die Wunden, auf denen sich echte (virulente) Löffler-
sche Diphtheriebazillen vorfinden. In 3 Gruppen ein: erstens in solche von
relativ charakteristischem Aussehen, zweitens in Wunden, an deren
Infektion der Diphtheriebazillus beteiligt ist, aber keine „spezifischen" Ver¬
änderungen hervorgerufen hat und drittens in solche, auf denen er lediglich
als Schmarotzer lebt. Für die Diagnose ist die bakteriologische Untersuchung
unbedingt nötig. Das klinische Bild der Wunddiphtherie wird in folgendem
skizziert unter Zugrundelegung der Erfahrungen, welche die Untersuchungen
in der Heidelberger chirurgischen Klinik brachten. Zur Ergänzung der Klinik
der Wunddiphtherie wird über serologische Untersuchungen berichtet. Es
wurden Antitoxinbestimmungen im Blute nach der Römer sehen Intrakutan¬
methode (Meerschweinchen) bei einer Reihe von Kranken ausgeführt. Auf
diese Weise kann man vor allem diphtheriekranke, aber uncharakteristisch
aussehende Wunden von solchen unterscheiden, auf denen der Diphtherie¬
bazillus nur als Schmarotzer lebt und mit dem Qesamtorganismus nicht in
Beziehung tritt. Kranke mit Wunddiphtherie wiesen meist einen
hohen Antitoxingehalt des Blutes auf, während Kranke ohne
Diphtherieinfektion der Wunden niedrigen Antitoxin¬
titer zeigten. Das Aussehen der Diphtheriebazillen („Kümmerformen") und
das schlechte Resorptionsvermögen der Granulationen erklärt, dass die eigent¬
liche Wunddiphtherie — „die Diphtherie der Granulationen" — auffallend
gutartig verläuft. Die Mischinfektion spielt eine wesentliche Rolle.
Diskussion: Herren Ernst, Rost, Fr e u n d, W. H o f f m a n n,
V. H 0 f f m a n n.
Herr K 1 8 s 11 n g: 3 fälle von Lungengangrän.
Diskussion: Herr K r e h 1.
Digitized by CjOOQle
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
156
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sitzunjj vom 9. Juiii 1920.
Waldemar M fi 11 e r: Vereinfachte sparsame Röntgenuntersuchung.
Einfachheit und Sparsamkeit bei der Röntgenuntersuchung wird immer
notwendiger, weil di5 Unkosten in letzter Zelt ausserordentlich gestiegen
sind, so dass die Einnahmen nicht entsprechend folgen konnten. Die
Rentabilität vieler Röntgenabteilungen ist deshalb bald in Frage gestellt.
Wir müssen die Unkosten bei der Röntgenuntersuchung herabsetzen.
Wenn wir einen technischen oder kaufmännischen Betrieb vereinfachen
oder sparsamer gestalten wollen, dann wenden wir am besten die Methoden
des Taylorsystems an, welches die Unkosten bis auf die Hälfte, ja sogar
unter Umständen bis auf den vierten Teil der bisherigen Kosten herabzusetzen
imstande ist.
Das Taylor System bezweckt die Vereinfachung und Verbilligung jeder
geistigen und körperlichen Arbeit in Fabrik und Kontor durch Einrichtung
vollautomatischer Maschinen an Stelle der halbautomatischen, welche noch
einen Teil Ueberlegung des Arbeitenden erfordern, ferner die Zerlegung jeder
nicht durch automatische Maschinen ausführbaren Tätigkeit in einfachste Teil¬
arbeiten, welche kaum Ueberlegung beanspruchen und deshalb rascher aus¬
geführt werden können, die Vereinfachung und Verbilligung aller unentbehr¬
lichen Maschinen und Apparate nach dem Grundsätze: „Mit wenig Umstand
viel erreichen“, die Beseitigung aller unnötigen Hebel, Vermeidung unnötiger
Handgriffe bei Schaltungen, Schaffung billig in Massen herstellbarer Normal¬
apparate statt unnötig vieler Modelle, Normung der Ersatzteile zur Ver¬
meidung von zeitraubenden und teuren Reparaturen, Vermeidung unnötiger
Wege innerhalb des Betriebes durch zweckmässige Gruppierung der Maschinen
in der Reihenfolge ihrer Benutzung, Besorgung aller Wege innerhalb und
ausserhalb des Betriebes durch regelmässig Rundgängc ausführende Boten
an Stelle. des Personals, Anordnung telegraphisch kurzer aber gründlicher
Bedienungsvorschriften gut sichtbar an jeder Maschine, Gruppierung des
Personals an die entsprechenden Stellen des Betriebes nach vorheriger
Eignungsprüfung seiner geistigen und körperlichen förderlichen und hinder¬
lichen Eigenschaften, Vermeidung jeder Tätigkeit eines Vorgesetzten, die ein
Untergebener ebenso gut ausführen kann, um den Vorgesetzten für höher¬
wertige Arbeit freizumachen. Abweisung aller Grenztätigkeit auf Nachbar¬
gebiete, räumliche Trennung des Lagers vom Betriebe, Ersatz der Nummern¬
buchführung durch Kartenregister, vereinfachte Buchführung und Buchstaben¬
mappen, Ersatz aller Rohstoffe durch gleichwertige aber billigere Ersatz¬
stoffe, und endlich durch Zeitversuche zur Auffindung besserer, schnellerer
und sparsamerer Arbeitsmethoden.
Als ich kürzlich derartige Grundsätze des Taylor Systems in einem
Vortrage vor der Beamtenschaft einer bekannten Fabrik näher ausführte, kam
mir während des Vortrages der Gedanke, dass auch in den ärztlichen Be¬
trieben vorwiegend technischer Art sehr viel Zeit und Geld gespart werden
könnte, wenn die Grundsätze des Taylor Systems darauf angewendet
würden.
Das gilt in erster Linie für die Röntgenuntersuchung.
Mit Rücksicht auf die Zeit will ich mich kurz fassen. Auf besonders
erwünschte Einzelheiten will ich gern in der heute sich anschliessenden oder
vielleicht an einem anderen Abend stattfindenden Aussprache näher eingehen,
wenn nötig auch mit Bildern, wie seinerzeit bei meinem Vortrage über neu¬
artige Röntgenbilder hier im gleichen Raume.
Bei der Einrichtung einer Röntgenabteilung, in welcher nur Röntgen¬
untersuchungen ausgeführt werden würde ich unter den heutigen schwierigen
Umständen folgendermassen verfahren. Ich würde wählen:
FunkenincTuktor statt Gleichrichter, Schlagweite bei Durchschnitts¬
anlagen 40 cm. Gasunterbrecher statt Wehnelt. Verdeckte Hochspannungs¬
leitung. Wasserkühlröhren beliebiger Firmen. Wolframantikathode und
Pressluftventil. Platinantikathode und Osmoventil. Schalttisch statt Wand¬
montage. Standentwickler 20 Minuten, statt Schalenentwicklung. Stand¬
fixierbad statt Schalenfixierbad. Fliessende Standwässerung. Ecken¬
stereoskop statt teurer Apparate. Negativpapier statt Trockenplatte. Funken¬
strecke statt Ventilröhre. Fernregulierung mit Schlauch. Dreifachschaltung
jeder Röntgenaufnahme. Selbstgegossene Verstärkungsfolie eingeklebt. Drei¬
hebelschaltung statt der üblichen Vielhebelschaltung. Abtrennung der Be¬
strahlungsabteilung nach der Hautabteilung. Transportables Holzröntgenhaus.
Kein Lager in oder neben der Abteilung weg§n Abnutzungsgefahr. Ein
Hauptbuch statt vieler kleinerer Bücher. Doppeltes Geräteverzeichnis.
Häufiger Wechsel der liefernden Firmen. Kartenregister und kaufmännische
Buchführung. Buchstabenbriefmappen mit Durchschlägen. Durchschreib¬
packung bei Negativpapier. Möglichst wenig Durchleuchtungen. Zwei¬
zeitenbilder von Herz, Lunge und Magen. Kanicraabzüge auf Negativpapier.
Verkleinerte optische Bilder des Leuchtschirnis auf Trockenplatten. Mit¬
photographieren des Härtemessers und einer Bleitnarke. Halbwattlampe statt
Tageslichtkopie. Verstärkung missratener Bilder nach meinem Oberflächen¬
verfahren. Qrossröntgenabteilungen nur in Form von Genossenschaften.
Diese kurzen Angaben stützen sich auf recht teuer erkaufte Erfahrungen,
welche ich während und nach der Kriegszeit bei der Einrichtung und tech¬
nischen Leitung einer Röntgenröhrenreparaturwerkstätte und Glasbläserei, bei
der ärztlichen und technischen Leitung bzw. Einrichtung von vier Röntgen¬
abteilungen pnd bei der Besichtigung von etwa vierzig Röntgenabteilungen
gesammelt habe. Sollte ich mich in dem einen oder anderen Punkte meiner
Ratschläge irren, so bitte ich mich in der anschliessenden Aussprache darauf
aufmerksam machen zu wollen. Ich würde mich gern den Erfahrungen
anderer Herren anschliessen, wenn durch diese eine weitere Verbilligung und
Vereinfachung der Röntgenuntersuchung sich erzielen lassen sollte.
Aussprache: Erggelet erinnert an die Adaptationsbrille von
Trendelenburg, die dem Untersucher erlaubt, in der vorbereitenden
Adaptationszeit vor der Durchleuchtung am Schirm sich zu beschäftigen; er
braucht also nicht untätig im Dunkeln zu sitzen, um zu adaptieren.
Müller (Schlusswort) betont die Wichtigkeit genügender Dunkel¬
anpassung zur Schirmuntersuchung.
Magnus: Das Prinzip der funktionellen Anpassung ln der Orthopädie.
Eine Belastungsdeformität tritt ein als Ausdruck der Insuffizienz eines
Systems: es besteht ein Missverhältnis zwischen Tragfähigkeit und Be¬
lastung, das System wird dekompensiert; und hat das Durchbiegen erst einmal
begonnen, dann läuft ein Circulus vitiosus, die Tragfähigkeit wird desto
schlechter*, je weiter die Form zerstört wird. Diesem Gedanken steht scharf
gegenüber die Lehre von der funktionellen Anpassung, die ein Erstarken
unter dem Druck und gegen denselben behauptet und beweist. Wo eine
Beanspruchung erfolgt, nimmt die Tragfähigkeit des Systems zu. Sehr
deutlich zu demonstrieren ist dieser Umbau auf eine neue Funktion an Tier¬
gelenken, die lange in Kontraktur gestanden haben. Vortr. bespricht eigene
Experimente und zeigt, wie an diesen Gelenken sich der Winkel zweier
Knochen langsam zu einem viel besser tragenden Bogen verändert, und wie
auch die Spongiosaarchitektur diesen Umbau mitmacht. — Die experi¬
mentellen Erfahrungen werden bestätigt durch ein Präparat vom Menschen,
ein Knie, das vom 8. bis zum 22. Jahre nach erfolgter Resektion in extremer
Beugekontraktur gestanden hatte; und zwar war es mit Hilfe eines sehr
hohen Schuhes dauernd belastet worden. Dieses Gelenk zeigt genau die¬
selben Veränderungen wie die Tierpräparate: Umbau des Winkels zum Bogen
sowohl in der groben Form wie in der Spongiosaarchitektur, Verstärkung des
Knochens an den Stellen der grössten Belastung, also an der Konvexität und
Konkavität, dort wo Zug- und Druckspannungen in diesen krummen Knochen
bei der Belastung entstehen. Ausserdem sieht man quer oder radiär ver¬
laufende Spongiosabälkchen, die am normalen Knochen fehlen, und die hier
eine Verstärkung gegen die Beanspruchung auf Knickung bedeuten. — Be-
lastungsdeformität im Sinne der alten Drucktheorie von V o 1 k m a n n und
H u e t e r tritt also ein, solange ein System krank ist, — ganz gleich, welches
Leiden zugrunde liegt. Ist die Krankheit abgelaufen, dann stellt sich der
Körper auf die neue Funktion ein, die Materie passt sich der Funktion an
durch Ausübung derselben,
Wagner: Ueber experimentelle Cholellthlasls.
Bei Typhuskeimträgern finden sich sehr häufig Gallensteine; 18 Obduk¬
tionsberichte von solchen, die bis 1916 in der Literatur veröffentlicht waren,
weisen 15 mal Steinbildung auf. Vortr. hat in Gemeinschaft mit E. Emme¬
rich-Kiel bei 10 experimentell — durch Impfung in die Gallenblase — zu
Typhuskeimträgern gemachten Kaninchen 7 mal Konkremente in der Galle
gefunden, die in 5 Fällen nach Grösse und Konsistenz wohl als Gallensteine
bezeichnet werden dürfen. Es wurden hierbei als Dauerausscheider nur
solche Tiere angesehen, die noch nach mindestens 100 Tagen Typhuskeime
im Kot hatten. Vortr. demonstriert die Gallenblase eines 2% Jahre hindurch
beobachteten, Typhuskeime tragenden Kaninchens, die einen kleinerbsen¬
grossen Stein enthält. Die Gallenblasen aller Typhuskaninchen zeigten mehr
oder weniger — je nach der Dauer der Infektion — die Merkmale der
chronischen Cholezystitis, die ebenfalls in den oben erwähnten Obduktions¬
berichten ein häufig vermerkter Befund ist. Die Annahme eines ursächlichen
Zusammenhanges zwischen der Gallenstcinbildung und der Ansiedelung der
Typhuskeime in der Gallenblase scheint hiernach experimentell begründet,
wobei offen bleiben muss, ob nicht die Entzündung das Primäre und die
Stcinbildung das Sekundäre ist. Keinesfalls ist anzunehmen, dass lediglich
die Typhuskeimc imstande sind, die beobachteten Störungen hervorzurufen.
Bei weiteren, allerdings an Zahl geringen Versuchen, die mit Paratyphus¬
bakterien beider Typen (A und B) angestellt wurden, ergab sich in einem
mit A-Bakterien infizierten Falle der gleiche Befund. Daraus geht zum
mindesten hervor, dass auch Paratyphuskeime Anlass zur Steinbildung geben
können. Dass nicht etwa der durch die Injektion der Keime in die Gallen¬
blase bedingte operative Eingriff für die beschriebenen Veränderungen ver¬
antwortlich ist, wird dadurch bewiesen, dass die Gallenblase der Tiere, bei
denen die Infektion nicht haftete, normale Verhältnisse zeigte.
Sitzung vom 30, Juni 1920.
Vorsitzender: Herr S t i n t z i n g,
Schriftführer: Herr Erggelet.
Fortsetzung der Aussprache über den Vcfftrag des Herrn Göbcl:
Ueber Encephalitis lethargica (Sitzung v. 12. V. 1920). D. Wschr. Nr. 3 S. 90.
Herr Hüne: Von 11 klinisch sicheren oder verdächtigen Enccphalitis-
lethargica-Kranken zeigte bereits am 12. V, 20 besprochener Fall Keime, dic^
den von W i e s m e r beschriebenen Diplo-Streptokokken glichen. In 3 weiteren
Fällen wurden ähnliche Kokken festgestellt, deren Agarkulturen statt farblos
und klar durchsichtig, gelblich und trübe aussahen; auch zeigten sie keine
Säurebildung in Milchzucker-Lackmus-Pcptonwasser. Protozocnartjge Ge¬
bilde (s. H i 1 g e r m a n n) fanden sich nicht.
Herr T i 1 i n g berichtet über 2 Fälle, bei denen neben zerebralen Sym¬
ptomen (deliranten Zuständen, grosser Mattigkeit, einem epileptiformen An¬
fall und Augenmuskelstörungcn) spinale Erscheinungen im Vordergründe stan¬
den. Beginn mit Schwäche in den Beinen, Blasen-Mastdarmlähmung. Tick¬
artigen Zuckungen der Bauch- und Beinmuskulatur, die in einem Falle schliess¬
lich in ein choreiformes Zustandsbild ausarteten.
Herr R ö s s 1 e weist mikroskopische Präparate von gleichzeitiger Mye¬
litis bei Encephalitis lethargica vor, macht darauf aufmerksam, dass die
pathologisch-anatomischen Befunde den klinischen Unterscheidungen hinsicht¬
lich der Lokalisation der Herde im Gehirn nicht immer parallel gehen.
Herr Wagner erinnert hinsichtlich der Befunde von Streptococcus pleo-
morphus (W i c s m e r) daran, dass |n der Literatur der Grippe ebenfalls
ein früher nicht bekannter Diplo-Streptococcus epidemicus (Bernhard)
als ein die Krankheit, wenn auch nur sekundär, beeinflussender Keim eine
grosse Rolle spielt. Der Vortr. hat ihn auffallend häufig beobachtet (diese
Wschr. 67. 1919. S. 252). Es wäre für die Beurteilung des Zusammenhanges
der Encephalitis lethargica mit der Grippe wichtig, zu wissen, ob beide
Keimarten identisch sind.
Herr Becker: Ein schwer züchtbarer Gasbildner.
Bei der bakteriologischen Untersuchung von bräunlich-gelblichen Schaum
absondernden Lebernekrosen eines 44 jährigen, nach einer Gallensteinoperation
verstorbenen Mannes wurde ein gasbildender, stinkenden Geruch entwickeln¬
der, mässig Jv.-positiver, anaerober Bazillus gezüchtet, der morphologisch den
in den mikroskopischen Schnitten gefundenen völlig gleicht. Die Weiterzüch¬
tung gelang nur in Tarozziröhrchen. (Nach 24 Stunden stürmische Gas¬
entwicklung, stinkender Geruch, reichlich grobflockiger Bodensatz.) Aerobe
Kulturen blieben immer steril. Ueberimpfung auf feste Nährböden gelang
nicht. Tierversuch nur einmal erfolgreich (Meerschweinchen, intraperitoneale
Impfung. Blutig-schaumiger Erguss in einer Pleurahöhle. Blutige Anschop¬
pung der rechten Lunge in allen Teilen; dazwischen nahezu linsengrosse Oas-
blasen. Ausstriche zeigten einzelne der bisher gesehenen Bazillen im Ge¬
sichtsfeld.) Aerob angelegte Kulturen blieben steril; mit den Organen dieses
Meerschweinchens angele^e Tarozziröhrchen ergaben den bisherigen Bazillus.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
157
Die Lebensenergie aller Kulturen war immer sehr gering, trotz täglicher Er¬
neuerung der Bouillon und Einführung von frischen sterilen Organstücken.
Die vom Meerschweinchen gewonnenen Kulturen zeigten nur am ersten Tag
Mürmische Gasbildung und waren dann nicht zum Weiterwachsen zu bringen.
Per unbewegliche Bazillus, der in den Kulturen keine Sporenbildung zeigte,
ist wohl in die von Pfeifer aufgestellte Gruppe der fäulniserregenden
Gasphlegmonebazillen einzuordnen.
Herr Voigt: Voriühning von Tuberkelbazillenpräparaten, die nach der
Uhlenhuth-Hundesihagen sehen Anreicherungsmethode angefertigt
sind (Zbl. f. Bakt. v. 21. Sept. 1918). In einem Gesichtsfeld Originalausstrich
und Anreicherung zugleich. Die Anreicherung ist bedeutend bazillenreicher als
der Ausstrich. Ein stark positives Sputum in Anreicherung sieht fast aus wie
der Ausstrich einer Reinkultur.
Aussprache: Herr N i e d e n fragt, wie weit sich das beschriebene
Anreichcrungsverfahren für die Untersuchung kleiner Urinmengen bei der
iujjkrionellen Nierenuntersuchung verwerten lässt. Besonders wichtig wäre
es wenn dadurch der Tierversuch, der jetzt bekanntlich auf Schwierigkeiten
>tösst, überflüssig würde. Den Anlass zum operativen Eingriff bildet in der
funktionellen Nierenprüfung häufig allein der Bazillennachweis.
Herr B 1 e i b t r e u bedauert das Versagen bei den mit Blutungen ein¬
hergehenden Tuberkulosen des uropoetischen Systems, bei welchen trotz ein-
ttjudfreien klinischen Befundes der Bazillennachweis ohne Anreicherung oft
nicht gelingt.
Herr Quieke betont, wie wichtig es für den Chirurgen wäre, Tuberkel-
bazillen im Urin sehr frühzeitig nachweisen zu können, wie wichtig ander¬
seits aber es ist, dass der Nachweis ein absolut zuverlässiger ist, da der
Operateur nach Freilegung der Niere diese im Frühstadium äusserlich oft völlig
unverändert findet, und lediglich auf den Tuberkelbazillennachweis im Urin
dieser Niere hin zur Exstirpation schreiten muss.
Herr Magnus: Ein Fall von VlerfUsslergang bei Kinderlähmung.
Der 7 jährige Junge ist am Ende des ersten Lebensjahres normal gelaufen,
hat im Beginn* des zweiten eine Poliomyelitis durchgemacht und ist durch
fast völligen Ausfall beider Beine zum Handgänger geworden. Mit 6 Jahren
worden ihm am rechten Bein das Knie und beide Sprungelenke festgestellt,
so dass er statt der schlaff gelähmten Extremität eine steife Stelze bekam.
Mit einigen vorderen Glutäusfasern und einem Rest des M. tensor fasciae
lutae kann er dies in starker Innenrotation nach vorn bringen. Links hat
er eine spärliche Funktion des Ileopsoas und kann ausserdem durch Kontrak¬
tion der Beuger und des Tensor fasciae latae das Knie in Ueberstreckung
feststellen. Mit diesen Mitteln hat er den Handgang aufgegeben und läuft
jetzt auf allen Vieren, wegen der Arthrodese am rechten Bein nicht auf
Knien und Händen, sondern auf Füssen und Händen. Die Aehnlichkeit mit di m
Gange der Menschenaffen ist sehr stark: die Form des Aufsetzens und Ab-
Ibsens der vier Sohlen, die Art, Kopf und Schultern zu bewegen etc. Ausser¬
dem läuft der Knabe aber noch auf andere Weise: er hebt die Beine völlig
auf und geht auf den Händen, den Kopf nach unten, das Gesäss hoch er¬
hoben und beide Beine schlaff herabhängend. Auch in dieser grotesken Stel¬
lung bewegt er sich ziemlich schnell und gewandt. Schulter- und Rücken-
muskulatur zeigen eine fast athletische Ausbildung .
Herr D u k e n: Ueber Zwei- bzw. Elnglledrlgkelt von Fingern und Zehen,
zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der familiär kongenital auftretenden Miss¬
bildungen an Händen und Füssen.
Berichtet über eine wenig bekannte Missbildungsform an Händen und
Füssen, nämlich über Verschmelzungserscheinungen von Phalangen der Fin¬
ger und Zehen, die teils zu einer vollkommenen Assimilation einer Mittelpha-
kinge durch die Endphalange (bei Kleinzche), teils zur Fusion (bei den mitt¬
leren Fingern und Zehen), dann aber auch zur Synostose und zur Koaleszenz
führen. Vorführung einer Frau mit ihrem 9 Monate ^Iten Kind. Bei beiden
sind die Verbildungen nahezu ganz gleichartig aufgetreten. Ein verstorbenes
Kind und der Vater der Mutter hatten ähnliche Finger. Erscheint ausführlich.
Medizinische keseilschaft zu Kiei.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18, November 1920.
Herr Emmerich demonstriert ein kindskopfgrosses Teratom bei einer
Frühgeburt im 3. Monat.
Herr Stoeckel: Ueber Behandlung der Harninkontinenz der Frau bei
Verletzung des Blasenschllessmuskels.
An der Hand einer grossen Reihe epidiaskopischer Bilder werden die
üirekte Muskelpiastik (Vernähung der Harnröhren-Blasenbodenmuskulatur an
der Rissstelle), die Pyramidalisplastik (Bildung eines Pyramidalis-Faszien-
rmges um den Blasenhals), ihre Konkurrenzmethoden von R a p i n (Seiden¬
fadenring) und von Solms (Lig, rot.-Ring), sowie die Levatorplastik und
die Uterusinterposition besprochen und in ihren Indikationen abgegrenzt.
• Erscheint ausführlich im Zbl. f. Gynäkol. ifi2l Nr. 1.)
Diskussion: Herren Oöbell, Anschütz, Brandes, Runge,
Jores, Stoeckel.
Herr Hornung: Ein Fall von/kriminellem .Abort mit bemerkenswerten
Kompllkat Ionen.
Bei einem Abtreibungsversuch mittels Ballonspritze wurde, trotz Ante-
flexion des im 3. Monat graviden Uterus, die vordere Zervixwand
durchstossen und eine Blasen-Zervix-Fistel gesetzt, welche auf Verweilkathe¬
ter spontan ausheilte. Ausserdem traten unmittelbar nach der Injektion
'Schwere Zirkulationsstörungen, Bewusstlosigkeit sowie multiple Blutungen in
die Haut und Netzhaut auf. Da jeglicher sonstige Anhalt für toxische Schädi-
iangen fehlte, werden die Erscheinungen auf Luftembolie zurückgeführt.
• Erscheint ausführlich im Zbl. f. Gyn.)
Diskussion: Herren Frey, Ziemcke, Käppis, Hornung,
Schittenhelm, Jores.
Herr Glesecke: Zur Behandlung des Vulvakarzinoms.
Die Ursachen für die bekannte ungünstige Prognose des Vulvakarzinoms
liegen einmal in dem 'meist hohen Alter der von ihm befallenen Frauen
i^nd zum andern in der Lokalisation dieses Krebses.
50 Proz. der einschlägigen Fälle an der Kieler Frauenklinik aus den
letzten 10 Jahren waren Frauen im Alter von über 60 Jahren, fast 30 Proz.
waren über 70 Jahre alt. In der Hälfte der Fälle, bei denen die exstirpierten
Leistendrüsen mikroskopisch untersucht wurden, fanden sich sichere Drüsen-
metastasen bei zum Teil noch nicht lange bestehenden Karzinomen. Q. gibt
"^ann einen kurzen Ueberblick über die Entwicklung der Operationstechnik
des Vulvakarzinoms, sowie über die Erfahrungen der Stoeckel sehen
Klinik mit Operation oder Bestrahlung resp. der Kombination dieser beiden
I Verfahren bei dem Krebs der Vulva. (Ein ausführlicher Bericht erscheint
demnächst im Zbl. f. Gyn.) Die besten Erfolge (31 Proz. Dauerheilung)
wurden mit der Radikaloperation und nachfolgender Bestrahlung erzielt, ein
Verfahren, das stets bei operablen Fällen nicht zu alter Frauen angewandt
wurde. Operable Fälle bei Greisinnen und alle inoperablen Fälle werden
wie bisher, so auch in Zukunft, der Strahlenbehandlung überwiesen.
Statistiken und Zeichnungen dienten zur Erläuterung der Ausführungen.
Diskussion: Herr Stoeckel. Auf Vorschlag des Herrn
Stoeckel gibt Herr G i e s e c k e zum Schluss noch eine nähere Erklärung
der neuerdings von S e i t z und W i n t z empfohlenen Methode der Röntgen¬
fernfeldbestrahlung.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 26. Juli 1920,
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr H ü t z e r.
Herr A. Frank: Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate.
Herr Cords: Ueber ansteckende Augenkrankheiten ln Köln.
Nach kurzem Eingehen auf die Gonoblennorrhoe und die ziemlich seltenen
Fälle von Influenzakonjunktivitis bespricht Cords genauer zwei jetzt bei
Kindern in Köln ausserordentlich häufige Bindehauterkrankungen:
1. Koch-Weeks scher Katarrh. Schon im November 1919 fand er
vereinzelte Fälle dieser Erkrankung bei Schulkindern. Die Fälle traten
sporadisch auf, blieben an Zahl beschränkt. Ende Juni 1920 setzte im An¬
schluss an die starke Hitzewelle hingegen eine Epidemie der Erkrankung ein.
Sie betraf vor allem Schulkinder, welche sich in Schulen, Badehäusern oder
auf der Strasse infizierten. Die ungeheure Verbreitung, welche die Er¬
krankung jetzt in der Stadt genommen hat, führt C. auf die grosse Hitze
zurück und erinnert an eine Bemerkung von Meyerhof, nach welcher in
Aegypten der Koch-Weeks-Katarrh erst epidemisch wird, wenn die Tages¬
temperatur auf 18® C steigt.
C. unterscheidet eine akute, völlig typisch verlaufende Form und eine
mehr chronische. Bei der ersteren treten nach einer Inkubationszeit von
24—48 Stunden Schwellung der Lider, enorme schleimig-eitrige Absonderung,
sehr oft auch Blutungen in die Augapfelbindehaut ein und schon nach 4 bi.s
5 Tagen klingt die Erkrankung ab. Nach 10—14 Tagen, bei geeigneter Be¬
handlung nach 8—10 Tagen, tritt völlige Heilung ein. Als Komplikationen
beobachtete C. Membranbildung. Phlyktänen und bei Erwachsenen selten
Hornhautgeschwüre. Als Therapie empfiehlt er mehrmals täglich Spülungen
mit dünner Sublimatlösung und Einstreichung einer Salbe von Hydr. oxy-
cyanat. 1: 500.
Es werden einige allgemeine Bemerkungen Ober Geschichte und Ver¬
breitung der Erkrankung gegeben. Betreffs der Prophylaxe empfiehlt C.
die erkrankten Kinder vom Schulbesuch solange auszuschliessen. bis durch
Kultur keine Bazillen mehr nachweisbar sind. Er weist darauf hin, dass
manche. Patienten auch noch nach Abklingen der klinischen Erscheinungen
Bazillenträger bleiben. Betreffs einer Uebertragung durch das Badewasser
äussert er sich skeptisch, wenn auch feststeht, dass viele der Patienten sich
in Badeanstalten infizierten. Besonders gefährlich scheint feuchte Wäsche
zu sein. Hingewiesen wird darauf, dass Jungen wesentlich mehr befallen
werden als Mädchen. Es gelang C. Internate (Waisenhäuser) von der Krank¬
heit freizuhalten, indem er jedes verdächtige Kind einige Tage dem Kranken¬
hause zuführte.
2. Die Körnerkrankheit. Cords betont, dass er nirgends
(Leipzig, Bonn, Königsberg) so starke Körnerbildung bei Schulkindern beob¬
achtete, wie in Köln. Bei der Massenuntersuchung von Schulen und Waisen¬
häusern fand er bei 20 Proz. der Kinder die Bindehaut nicht glatt. Es stimmt
dies nahezu mit früher von Greeff und Schmidt-Rimpler ange-
stellten Erhebungen überein. Unabhängig von früheren Einteilungen unter¬
scheidet C. drei Gruppen: Bei der Gruppe 1 (10 Proz. der Fälle) sind ganz
kleine sandkornähnliche Erhabenheiten nahe den Lidrändern, besonders im
Unterlid vorhanden. Diese Fälle sind völlig belanglos und beruhen vielleicht
auf mechanischen, chemischen Reizen. In der Gruppe 2 sind stecknadelkopf¬
grosse Körner besonders in der unteren Uebergangsfalte vorhanden, aber
auch die obere Uebergangsfalte ist nicht frei, während im Tarsus keine Ver¬
änderungen nachzuweisen sind. In der Gruppe 3 sind sagokorngrosse Körner
vorhanden, welche sich oft zu dicken Wülsten zusammenschliessen, die beim
Ektropionieren der Lider prall hervorspringen. Die Körner greifen auch auf
die Conjunctiva bulbi über und sind auch im Tarsus des oberen Lides nach¬
weisbar, wo sie als kleine erhabene, gelbliche Punkte auffallen. Die so er¬
krankten Bindehäute bluten leicht und es lässt sich ohne Mühe sagoähnlicher
Inhalt aus den Körnern herauspressen. Die Erkrankung ist ausserordentlich
hartnäckig, die konservative Therapie versagt manchmal, so dass zu einer
Ausquetschung der Körner gegriffen werden muss.
Diese 3. Gruppe sowie ein Teil der 2. Gruppe sind sicher ansteckend.
Sehr häufig waren mehrere Mitglieder derselben Familie befallen, auch verlief
ein Uebertragungsversuch positiv.
Es gelang C. in einer Anzahl dieser Fälle Halberstädter-
Prowaczek sehe Körperchen in den Epithelzellen nachzuweisen, die den
bei Trachom gefundenen durchaus ähnlich sahen. In vielen Fällen waren
gleichzeitig mit diesen oder auch ohne solche, Koch-Weeks sehe Bazillen
vorhanden.
C. glaubt nicht, dass diese Körnerkrankheit der Kinder in Köln mit dem
östlichen Trachom zu identifizieren ist, wenn auch das Bild in manchen Fällen
daran erinnert. Er gibt dafür folgende Gründe an: a) Narbige Prozesse an
den Lidern blieben niemals zurück. In hunderten von Fällen sah C. nur eine
wahrscheinliche Ausnahme, indem bei einem 17 jähr. Mädchen, deren kleinere
Geschwister der Gruppe 3-angehören, feine strahlige Narben an dem Oberlid¬
knorpel Vorhanden waren, die indes keinerlei Einfluss auf die Lage und
Stellung des Lidknorpels hatten, b) Auch Komplikationen von seiten der
Hornhaut kommen nicht vor. c) C. machte einen Uebertragungsversuch auf
sich selbst. Er Hess die Bindehaut seines linken Auges mit einem Epithel¬
abstrich eines Kindes der Gruppe 3 impfen. Nach 3 Tagen trat eine leichte
Rötung auf. nach 7 Tagen eine heftige Bindehautentzündung mit starker
.-•Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
15^
Scbvelluns und leichter Membranbilduns. ln der Folgezeit liess die Sekretion
nach, aber es bildete sich eine auffallende Lidschwere aus und in der Gegend
der oberen Uebergangsfalte traten reihenweise flache Körner auf, die das Bild
trachomverdächtig erscheinen liessen. Nach 6 Wochen gingen aber schon
unter leichter Behandlung alle Erscheinungen zurück und es trat ein Restitutio
ad integrum ein. C. erinnert an die Uebertragungsversuche, welche Q e b b
mit dem Virus der Einschlussblennorrhoe Neugeborener anstellte, d) Der
grösste Teil von echtem Trachom bei Erwachsenen stammte von Patienten,
die vom Osten zugewandert waren oder mit osteuropäischen Arbeitern in
Berührung gekommen waren.
C. wirft die Frage äuf, ob vielleicht zwischen den chronischen Koch-
Weeks-Katarrhen und der Körnerkrankheit irgendwelche Beziehungen be¬
stehen und führt eine Anzahl Momente auf, die darauf hinzuweisen scheinen.
Er glaubt sich aber vorläufig noch eines Urteils darüber enthalten zu müssen.
Herr Pesch: Ueber die Bakteriologie der Kölner KcK:h-Weeks-Epidemle.
(Der Vortrag erscheint im Zentralblatt für Bakteriologie.)
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Mai 1920.
Vorsitzender: Herr B a h r d t.
Schriftführer; Herr H u e b s c h m a n n.
Herren Brinkmann und Schmoeger: Erfahrungen über Tuberku¬
losebehandlung nach Deycke-Much.
Brinkmann entwickelt die Theorie der Partigenbehandlung nach
Deycke und Much. Abgelehnt werden muss die von Müller an¬
genommene Albumintüchtigkeit der Phthisiker und Fettüchtigkeit der sog.
chirurgischen Tuberkulosen, zuzustimmen ist dagegen dem von Altstadt
aufgestellten physiologischen und pathologischen Immunitätsbilde. Der Intra¬
kutantiter gibt, wenn nur oft genug aufgestellt, neben dem Verfolg der Tem¬
peratur- und Gewichtskurve ein brauchbares Prognostikon. Bei Gefahr
etwaiger Antigenübertragung hat es sich durchaus bewährt, erst den Organis¬
mus mit allen Mitteln diätetischer und physikalischer Therapie bis zu einem
besseren Intrakutantiter zu fördern und dann erst aktiv mit Partialantigenen
vorzugehen.
Schmoeger berichtet an der Hand von 142 im letzten Jahre im
Krankenhaus St. Georg mit Partigenen behandelten Tuberkulosen (39 I. und
ie 51 II. und III. Stadium) über die dabei gemachten Erfahrungen und die er¬
zielten Anfangserfolge (insgesamt 56,7 Proz.). Des weiteren wurden die in
der Literatur niedergelegten Statistiken zum Vergleiche heran- und einer
eingehenden Kritik unterzogen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
die Partigene einen Fortschritt in der Kenntnis des Wesens der tuberkulösen
Erkrankung und ihrer Behandlung bedeuten, und dass ihre Anwendung Er¬
folge bezüglich des Allgemeinbefindens, der Entfieberung, Hebung des Ge¬
wichtes und Wiederkehr regelmässiger Menstruationen zeitigt, ohne den
Patienten den Gefahren auszusetzen, die ev. eine Tuberkulinbehandlung mit
sich bringt. — Eine ausführliche Mitteilung über unsere Erfahrungen
soll später in der D.m.W. erfolgen.
Herr Wandel spricht in Ergänzung der beiden Vorträge über die
Theorie und den praktischen Wert der Hautreaktion und deren Ausbau nach
Deycke-Much.
Der quantitativ abgestufte Kutantitcr ist vorläufig die wertvollste, w'enn
nicht einzigste Methode, das Immunitätsbild des Organismus bei der Tuber¬
kulose zu verfolgen. Zur Frage der spezifischen Tuberkulosetherapie macht
er geltend, dass die Partigenb''’iandlung insofern einen Fortschritt bedeutet,
als die sorgfältige Abstufung und Steigerung der Dosierung und die Aus¬
schaltung gewisser giftiger Elwcisskörper aus der Substanz der Tuberkel¬
bazillen den Eintritt von Tuberkulinschäden so gut wie unmöglich macht.
Die A n g r i f f s t c I 1 e für eine wirksame Tuberkulosetherapie ist der
im Körper sitzende tuberkulöse Herd, welcher entweder durch Auflösung oder
durch Abkapselung unschädlich gemacht werden muss.
Jede spezifische Tuberkulosetherapie verfolgt den Zweck, möglichst
unter Nachahmung der natürlichen Heilungsvorgängc, wie sie sich bei der
Mehrzahl der tuberkulös infizierten Menschen abspielen, eine Luxusproduktion
von Antikörpern gegen die Tuberkulose so anzuregen, dass immer ein Ueber-
schuss dieser Schutzstoffe im Säftestrom zur Verfügung steht. Das Ziel
des Kampfes muss die Vernichtung des tuberkulösen Herdes sein, möglichst
bis zu dem Grade, dass eine Fernwirkung von dem Krankheitsherd weder
auf die Umgebung, noch auf den Gesamtorganismus mehr zustande kommt.
Erlischt die tuberkulöse Fernwirkung, so würde also derselbe Zustand erreicht
sein, wie er beim nichtinfizierten Organismus vorhanden ist, d. h. der Körper
muss dann wieder unempfindlich gegen zugeiührte spezifische Antigenc sein.
Der Weg zu diesem Ziele führt bei jeder spezifischen Tuberkulosetherapie
über die bestmögliche Steigerung der Antikörperbildung durch Zuführung
immer grösserer künstlicher Antigendosen. also über eine Steigerung der Re¬
aktivität, wie sie sich in einem möglichst empfindlichen, kräftigen Kutantiter
apsspricht, während das Endziel des entfachten Kampfes in einem Er¬
löschen der Reaktivität, auch in dem Erlöschen des Kutantiters, sich aus¬
prägen wird.
Die Anregung der Antikörperbildung wird durch die Partigenbehandlung
nach Deycke-Much zw'eifellos gut und in unschädlicher Weise erreicht.
Ob das ideale Endziel, die Vernichtung und Unschädlichmachung der tuber¬
kulösen Herde bis zum Eintritt der Unempfindlichkeit gegen die spezifischen
Antigene aber durch dieses Verfahren erreicht wird, erscheint zweifelhaft.
Der Weg bis zur Vernichtung des tuberkulösen Herdes ist kaum anders denk¬
bar, als über die am Herd selbst entstehende reaktive Entzündung, die Herd¬
reaktion. den Ausdruck des Kampfes, der erst zur anatomischen Ausschaltung
oder biologischen Vernichtung des tuberkulösen Virus und des tuberkulösen
Produktes führen kann.
Es scheint, als ob die Partigentherapie vor diesem Ziele stehen bleibt.
Mag dies auch in vielen Fällen ein Vorzug der Methode sein — es bleibt eben
dann den natürlichen Heilungsmcchanismen im Körper überlassen, den Ab¬
schluss. die Herdvernichtung oder -abkapselung. herbeiziiführen — so ist es
doch allemal ein Stehenbleiben vor dem Ziel, welches zu erreichen vielleicht
doch nur den Volltuberkulinen, wie sie sich bei den natürlichen Hei¬
lungsvorgängen bMden, Vorbehalten ist.
Zum Schluss geht W. auf die Gefahren der passiven Immunisierung
ein, die leicht zur akuten Endotoxinüberschwemmung führen könne.
Herr K o h i m a n n spricht über die Klinik und Röntgendiagnose der nnil-
tiplen Myelome. '
Au.sführliche Veröffentlichung mit Röntgenbildern erfolgt in den Fort- ‘
schritten a. d. Gebiete d. Röntgenstrahlen. i
Herr Reinhardt: Pathologisch-anatomische Priparate von drei Mye¬
lomfällen.
Die 3 Fälle sind echte multiple Myelome, die wichtige und interessante
Besonderheiten aufweisen und im Pathologischen Institut zu St. Georg i
anatomisch, histologisch und röntgenologisch von mir untersucht und fest¬
gestellt wurden. j
Fall 1. 63 jährige Frau. In allen untersuchten Knochen fanden sich zahl¬
reiche weiche Tumoren. Ein Tumor im 1. Lendenwirbel hatte die Caud;i i
equina komprimiert, wodurch eine intra vitam beobachtete Blasen-Mastdarm- |
lähmung und Parese der Beine zustandegekommen war. Histogenetisch ge- '
hört dieser Fall zu den Myeloblastoinen.
F a 11 2. 46 jähriger Mann. Dieser Fall ist bemerkenswert wegen der
enormen Amyloidose, die sich in allen Knochenmarkstumoren und Organen
findet. Interessant ist an diesem Falle, dass nach einer von mir von Herrn
Prof. L e X e r (damals in Jena) auf Anfrage zugegangenen Mitteilung, zirka
2 Jahre vor dem Tode von ihm eine Resektion der oberen Humerushälfte
j wegen zentralen, im Bereiche einer Fraktur gelegenen Tumors, vorgenomirien
und eine Fibula implantiert worden ist. Dieser Knochen ist tadellos ein¬
geheilt.
F a 11 3. 46 jähriger Mann. Dieses multiple Myom ist charakterisiert
durch Verkürzung der Wirbelsäule (infolge Zusammensinkens der durch Tumor
infiltration hochgradig osteoporotisch gewordenen Wirbelkörper), durch Ver¬
biegung und Einknickung des Brustbeines infolge Rippeninfraktionen und An¬
näherung des Rippenbogens an Darmbeinkämme. Die schnelle Einschmelzuiig
der Knochen hatte hier in den inneren Organen zu einer ausgesprochenen
Kalkmetastasierung im Sinne V i r c h o w s geführt.
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom II. März 1920.
Herr Höstermann: Beitrag zur epidemisch auftretenden Enzephalitis.
Herr Wendel demonstriert einen Fall von spontanem, infantilem Myx¬
ödem, hervorgerufen durch ungenügende Funktion bzw. Mangel der Schild¬
drüse.
Es handelte sich um ein jetzt 11 Jähriges Mädchen, welches seit dem
8. August 1918 beständig in der Behandlung des Vortragenden ist. Es machte
bei der Aufnahme einen stark verblödeten Eindruck und zeigte eigenartige
Hautverändcriingen, welche man unter dem Namen des Myxödems zusammen¬
zufassen pflegt. Auch jetzt sind noch Reste davon vorhanden (Demonstra¬
tion!). Die Haut war eigenartig trocken, neigte zu Ekzemen, und offenbar
sind aus solchen Ekzemen durch Kratzen die erwähnten Erysipele entstan¬
den. Ferner bestand bei der Aufnahme eine Keratitis parenchymatosa und
Konjunktivitis mit ausserordentlich starker Lichtscheu. Es sprach so gut wie
gar nicht, war im Wachstum zurückgeblieben und zeigte einen infantilen In¬
tellekt; das Körpergewicht bei der Aufnahme betrug 24/^ kg. Irgendwelche
Verkrümmungen oder Missbildungen liessen sich nicht nachweisen, der ganze
Knochenbau machte aber, wie auch jetzt noch, einen plumpen Eindruck. Das
Unterhautfett war immer sehr reiclilich vorhanden und verlieh zugleich mit
einer grossen Blässe dem Kinde das pastöse Aussehen, das für Myxödem
charakteristisch ist. Man kann durch Palpation auch nicht den kleinsten Teil
einer Schilddrüse nac^^weisen, womit natürlich nicht gesagt ist, dass nicht
funktionelle, mikroskopisch kleine Teile am Halse oder an einer anderen
Stelle vorhanden sind. Dass der Ausfall an Schiiddrüsenfunktion die Ursache
dieser Erkrankung ist, beweist ausser den Beobachtungen an entkropften
Menschen und Tieren der Erfolg der Tlierapic. Durch Verabreichung von
Thyreoidin haben wir auch hier eine ganz auffallende Besserung erreicht.
Die Behandlung wird ganz konsequent jetzt seit etwa 14 Monaten durch¬
geführt, und zwar wurden regelmässig 3 Tabletten pro Tag gegeben, welche
zeitweise bis auf 3 mal 2, vorübergehend auch auf 3 mal 3 Tabletten täglich
gesteigert werden mussten. Die ziemlich hohen Dosen wurden in langsamem
Anstieg gefahrlos und ohne jede Beinträchtigung der Patientin erreicht. Da¬
neben wurde Allgemeinbehandlung mit Höhensonne, Lebertran usw. vor¬
genommen und die Ekzeme und Schrunden der Haut und die Augen¬
erkrankung natürlich entsprechend behandelt.
Als Thyreoidin schlecht vertragen zu werden schien, weil wiederholt
Erbrechen beobachtet wurde, habe ich den Versuch gemacht, vorübergehend
rohe HammelscliüddrQse zu verabfolgen, welche mir der hiesige Schlachthof
durch Vermittlung des Herrn Kob eit regelmässig in dankenswerter Weise
lieferte, doch liess sich diese Therapie auf die Dauer nicht durchführen, da
das Kind sich zu sehr ekelte und auch bei der Verteilung in feinem Zustande
zwischen anderer Nahrung die Schilddrüse sehr bald herausschmeckte und
dann die Aufnahme verweigerte oder, wen man sie zwingen wollte, Er¬
brechen bekam.
Das Körpergewicht stieg besonders in der letzten Zeit der Behandlung
und beträgt jetzt 38,5 kg. Am 7. Februar d. J. haben wir die Thyreoidin-
medikation fortgelassen mit dem Erfolge, dass das psychische Verhalten im
wesentlichen unverändert blieb, dass aber tageweise, ja bisweilen nur
stundenweise, sich wieder ein starkes Oedunsensein des Gesichts einstelltc.
Das Körpergewicht, welches im Beginn der Schilddrüsenentzichung 40 kg
betragen hatte, ging innerhalb von 8 Tagen um 2,6 kg zurück, so dass wir
nach etwa dreiwöchiger Pause jetzt wieder Thyreoidin und zwar 3 Tabletten
täglich verabfolgen. Das Körpergewicht steigt seitdem wieder an. hat aber
noch nicht ganz die ursprüngliche Höhe erreicht. Erbrechen jetzt nicht mehr
vorhanden.
Wir werden jetzt zu bestimmen haben, mit welcher Minimaldosis an
Thyreoidin das Kind auskomnien kann und werden dann den Versuch machen,
es in einer geeigneten Anstalt unterzubringen, in welcher ausser der ärzt¬
lichen Ueberwachung auch ein Unterricht möglich ist. Innerhalb der hiesigen
Behandlungszeit von 14 Monaten ist es den Schwestern gelungen, dem Kinde
die einfachsten elementaren Kenntnisse im Schreiben und Lesen beizubringen,
so dass zu hoffen ist. dass ein den geistigen Fähigkeiten angepasster Unter¬
richt bei gleichzeitig fortgesetzter ärztlicher Ueberwachung Wer weitere
Früchte zeitgen wird.
Herr W e 1 n e r t: Demonstratloa.
Digitized by CjOuQie
Original frorri
— UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
159
Sitzung vom 25. März 1920.
Herr Kay ser: Demonstration einer Vaginaielektrode für Diathermie.
(V»:I. d. Wschr. 1920 S. 1020.)
Frau Marie Elise K a y s c r. geb. Schubert: Frauenmilchsammelstelle.
Zweck der Sainmelstelle ist die Nutzbarmachung der überflüssigen
Frjuenmilch für ernährungsgestörte Kinder. Hinzugezogen zur Beteiligung
wurden hauptsächlich Frauen gebildeter Stände. Die Zahl der Lieferantinnen
betrug vorläufig 12 bis höchstens 15. Von diesen wurden abgeliefert in den
letzten 6 Monaten 431 Liter. Monatlich wurden mit dieser Milch versorgt
j—ö Kinder. Die Frauen erhalten für die abgegebene Milch Lebensmittel-
iD'siizinarken, in Ausnahmefällen fand ausserdem eine Geldvergütung stau.
Die Milch wird durch einfaches Abspritzen mit der Hand gewonnen,
aui das Arbeiten mit Pumpen muss der grossen Umständlichkeit halber ver-
jxhicj werden. Der Unterschied zwischen „Pumpmilch“ und einfach gc-
druciter Milch ist praktisch von keiner Bedeutung. Die Milch der Sammel-
stel.'e wird zur sicheren Verhütung voJi Infektionen vor der Abgabe ab-
Kt’fioclit. (Selbstverständlich sind die liefernden Mütter und ihre Kinder ärzt-
ii:;: auf ihre Gesundheit untersucht.)
Die Erfolge mit der abgekochten Milch bei schwer ernährungsgestörten
Kindern waren durchwegs ausgezeichnet. (Vgl. auch M.m.W. 1919 S. 1323.)
Herr W e I n e r t: Anatomische Tuberkulose bei gesunden Soldaten.
Sitzung vom 8. April 1920.
Herr Schreiber: Beitrag zum Digitalisproblem.
Münchener gynäkologische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. März 1920.
Vorslandsneuwahl: 1. Vorsitzender: D ö d e r l e i n. 2. Vorsitzender:
Weber. Schriftführer: A I b r e c h t, Kassier: Eisenreich.
Herr Schölten (^. Q.): Ueber Infusion und Bluttransfusion.
Geschichtliches Referat.
Herr J a e g e r: Vergleichende tierexperimenteile und klinische Versuche
nit Sekaleersatz.
Testobjekt: Meerschweinchenuterus. Methode: Kehrer. An der Hand
von Kurven werden die Wirkung von Sekakornin und Pituglandol — als
Standardwerte —, der Hirtentäschelkrautpräparate (Styptysat, Sikkostypt,
Styptural, Thlaspan) und schliesslich die synthetischen Präparate (Histamin,
Tyramin, Tenosin) besprochen und die tierexperimentellen F.rgebnisse in Be¬
ziehung gebracht zu den klinischen Erfahrungen. Das Resubat ist folgendes:
Die Hirtentäschelkrautpräparatc haben die Erwartungen nicht erfüllt; sie
reichen zum internen Gebrauch gerade aus; in allen Fällen, wo es sich um
rasche Wirkung handelt, also bei Injektionen, kann man nur sehr bedingt
diese Mittel empfehlen; bei der unzuverlässigen Wirkung muss man auf
erneute Blutung gefasst sein. Von.den synthetischen Präparaten hat sich das
Tenosin ausgezeichnet bewährt: es hat sich im Tierversuch, wie in 8 jähriger
klinischer Erprobung als vollwertiger Sekaleersatz erwiesen: es wirkt rascher
als das Sekale; die Dauer der Wirkung ist allerdings eine kürzere. (Autoref.)
Sitzung vom 25. November 1920.
Herr D öder fein: Nachruf auf Wert heim.
Herr J a e g e r: a) Die rektale Untersuchung In der Geburtshilfe.
Die rektale Untersuchung leistet im Grunde genommen das nämliche,
wie die vaginale. Eine Gefahr der Infektion oder Verletzung der Mastdarm-
'izhleimhaut ist bei richtiger Anwendung nicht zu fürchten. Für den Unter¬
richt für Studenten und Hebammen eignet sie sich nicht, sie lässt sich für den,
der die vaginale Untersuchungstechnik beherrscht, von selbst erlernen. Nach
»ie vor bleibt aber der Grundsatz bestehen, möglichst mit der äusseren
Lniersuchung auszukommen und nur zur Kontrolle über den Fortschritt der
ieburi die rektale Untersuchung vor der vaginalen auszuführen. (Autoref.)
Diskussion: Herr D ö d e r 1 e i n.
b) Kurze Mitteilung über wiederholte gleichartige Missbildung der Frucht
^ der gleichen Frau (zweimaliger Anenzephalus).
Diskussion: Herr D ö d e r I e i n.
Herr v. Seuffert: Ergebnisse der Strahlenbehandlung.
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr A. Mayer.
Schriftführer: Herr H a r t e r t.
Herr W. Albrecbt: Ueber die neueren Methoden zur* direkten Kehl-
topfeiostellung für grössere Eingriffe (Schwebelaryngoskople, Stützautoskopie).
A. bespricht zunächst die technische Entwicklung der Schwebelaryngo-
kopie und die neueste Konstruktion des Instrumentariums. Er beschreibt
■ e grossen Vorteile der Methode und ihre Schattenseiten, und demonstriert
-ie von ihm angegebene Stützautoskopie (Gegendruckautoskopie mit Seiten-
:.itzen). welche dasselbe leistet wie die Schwebelaryngoskopie, für den Pa-
ienten jedoch schonender ist.
Herr E. Schmidt: Ueber Salvarsanscbädlgungen.
Lokale Schädigungen durch das Mittel selbst werden heutzutage nicht
"lehr allzu häufig gesehen, da die intramuskuläre Injektionsmethode des Sal-
•irsans zugunsten der intravenösen von den meisten Syphilistherapeuten ver¬
dien worden ist. Länger, anhaltende Fiebersteigerungen sind an der Tübin-
fv: Hautklinik kaum beobachtet worden. Auch vorübergehende hohe Tem-
■tr^turerhöhungen bis auf 39 und 40® w'urden kaum jemals gesehen, obgleich
"ir das Wasser der Warmwasserleitung, wie es aus dem Hahn kommt, zur
^-v'arsaninjektion verwendet wurde. Hohe Temperaturen traten nur dann
wenn das L i n s e r sehe Neosalvarsan-Sublimatgemisch sofoit als erste
-itktion angewandt wurde, während sonst erst von der zweiten ab Sal-
'ürsaa und Quecksilber gemischt gegeben wurde. Hand in Hand damit er-
■ ipe ein rascher Spirochätentod, so dass das hohe Fieber nach der ersten
-ävarsan-QuecksilberinJektion als durch den raschen Spirochätenzerfall und
die dadurch freiwerdenden Endotoxine bedingt erachtet wird, da nach spä¬
teren Injektionen des L i n s e r sehen Gemisches keine nennenswerten Tem¬
peratursteigerungen mehr beobachtet werden.
Länger anhaltende Magen- und Darmstörungen treten bei vorsichtiger
Dosierung nicht auf.
Bei den Salvarsanschädigungen an der Haut wird zwischen urtikariellen
und fixen Salvarsanexanthemen und richtigen Dermatitiden unterschieden. Bei
den ersteren handelt es sich wohl um eine Ueberenipfindlichkeit des betreffen¬
den Individuums gegen einen im Salvarsan enthaltenen Stoff, während die
Dermatitiden als richtige Intoxikationen aufzufas.sen sind.
Leberschädigungen, die sich als.Früh- oder Spätikterus dokumentieren,
sind die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen während oder nach einer
Salvarsankur. Der Zusammenhang der Leberaffektion mit dem verabreichten
Salvarsan ist noch in keiner Weise völlig geklärt. In manchen Fällen, be¬
sonders von Frühikierus scheint eher eine syphilitische Afiektion der Leber
vorzuliegen. Er,st bei erneuten Salvarsangabcn sah der Vortragende ein
Schwinden der bis dahin jeder Behandlung trotzenden Gelbsucht.
Ncurorezidive sind heutzutage bei den meist kräftig durchgeführten Kuren
selten. Wo sie aber unter gewissen Umständen einmal auftreten, muss eine
fortgesetzte Salvar.santherapie dringend gefordert werden.
Reine Salvarsantodesfälle sind glücklicherweise ebenso selten, besonders
dann, wenn über eine bestimmte Dosierung (bei Männern O.b. bei Frauen 0,45 g
Neosalvarsan) nicht hinausgegangen wird. Obgleich an der Tübinger Klinik
recht kräftige Kuren bis zu einer Gesamtmenge von 3,6 und 4,8 g Neo¬
salvarsan bei gleichzeitigen Gaben bis zu 0,5 g Sublimat durchgeführt wer¬
den, ist hier seit Beginn der Salvarsanära überhaupt nur 1 Todesfall nach
Salvarsan beobachtet worden, den der Vortragende an Hand der Kranken¬
geschichte und des Sektionsprotokolls eingehender besprijiht und der ausführ¬
licher an anderer Stelle veröffentlicht werden w’ird. Da sich bei der Sektion
ausser einer Encephalitis haemorrhagica auch eine hämorrhagische Broncho¬
pneumonie gefunden ht, so glaubt der Vortragende, eine Salvarsanschädigung
nicht mit Sicherheit annehmen zu können, weil der Verdacht an eine zuvor be¬
stehende Grippe mit nachfolgender Encephalitis lethargica nicht ganz von
der Hand zu weisen ist. Die geringe, unberechenbare Gefahrenchance, die
beim Neosalvarsan nach Angabe der Salvarsankommission einen Todesfall auf
162 800 Injektionen beträgt, im Vergleich zu der ausserordentlich günstigen
Beeinflussung der luetischen Erscheinungen und der WaR. rechtfertigt durch¬
aus die weitere Verwendung des Salvarsans.
Herr Göz berichtet über die operativen Erfajirungen der Klinik bei
otogener Thrombophlebitis des Sinus cavernosus und des Bulbus venac jugu-
laris (erläutert durch einige Zeichnungen). Beim Sinus cavernosus w'urde die
Operation versucht, ausgehend von dem Gedanken, dass wie in einem kurz
vorher beobachteten Falle, ein Durchbruch gegen das Dach der Keilbeinhöhle
vorliegen könne. Es wurde paranasal durch die Keilbeinhöhle vorgedrungen
und bei völlig intakter Dura die Operation als der Voraussetzung nicht ent¬
sprechend und aussichtslos abgebrochen.
Der vereiterte Bulbus jugularis wurde bei Miterkrankung der Venae
jugularis, nach der Tandler sehen Methode, deren Vorzüge gegenüber der
G r u n e r t sehen angeführt werden, 6 mal operiert. 3 Fälle kamen, trotz
schon bestehender Gelenk- und leichter Lungenmetastasen, zu völliger Aus¬
heilung.
Würzburger Aerzteabend.
(Amtliche Niederschrift.)
Sitzung des Aerztlichen Bezirksvereins am 7. Dezem¬
ber 1920.
Herr RIetschel: 1. Typhus abdominalis bei 9iährigem Knaben.
39,5®. Ausser Leukopenie 6800 (!) keine anderen Zeichen, nur Aggluti¬
nation, 1: 1000 für Typhus positiv, im Blut und Stuhl Typhusbazillen. Ein
zweiter Typhusfall kam moribund ins Krankenhaus. Sektion ergab au.sser
einer Milzschwellung nichts Besonderes. Keine Schwellung der P e y e r -
sehen Plaques, keine Darmgeschw'üre. Mikroskopisch ip der Leber typische
Typhuslymphome. Bakteriologisch in den Organen Typhusbazillen.
2. Icterus haemoivticus familiarls.
6 jähriges Mädchen, subiktcrisches schlechtes Aussehen. Kein Bilirubin
im Urin. Deutlich palpabler Milztumor. Leber nicht vergrössert, keine
Aszites. Wassermann negativ. Im Blutserum nicht deutlich Bilirubin nach¬
weisbar (Probe nach Hymans van den Bergh). Im Harn Urobilin¬
probe positiv. Die osmotische Resistenz der roten Bhitkörperchen ist beim
Kinde nicht besonders herabgesetzt.
E. = 4,5 Mill., L. = 7600, Ly. 42 Proz., Poly. 35 Proz.. Mono. 15 Proz.
Eo. 2 Proz., Uebergangsz. 6 Proz., Hämogl. 65 Proz., Thromboz. 800 000.
Der Vater weist dasselbe Kolorit auf, seit seiner Geburt. Keine deutliche
Milzschwellung. Im Blut geringe Mengen Bilirubilin nachweisbar. Im Harn
deutlich Urobilin. Beginn der Hämolyse des Blutes bei 0,7 Proz., komplette
Hämolyse 0,42 Proz. Fühlt sich subjektiv völlig normal, keine Anämie,
E. = 4 150 000, L. = 7900, Poly. 67 Proz., Ly. 25 Proz.. Eo. 2 Proz..
Mono. 5 Proz., Mastz. 1 Proz., Hämogl. 80 Proz., Thromboz. 186 000,
Das Krankheitsbild des Icterus haemolyticus fa-
miliaris liegt hier zweifellos vor. Auffallend ist. dass bei dem
Kinde die verminderte Resistenz der roten Blutkörperchen fehlt und dass
bei Beiden keine Anämie besteht, so dass man von einer guten Kompensation
sprechen kann. Die familiären Fälle scheinen im allgemeinen die leichteren
zu sein, durch das familiäre Auftreten kommen sie auch leichter zur
Diagnose.
3. Pachymeningltis haemorrliaglca Interna.
Säugling, 7 Monate, erkrankt plötzlich unter dem Zeichen des akuten
Hirndruckes, Kein Schnupfen. Fontanelle prall gespannt. Kopfumfang an¬
wachsend. Im Augenhintergrund multiple Netzhautbiutungen mit ausge¬
sprochener Stauungspapille beiderseits. Bei der Fontancllenpunktion stark
erhöhter Druck, blutige Flüssigkeit (bernsteingelb, ohne Gerinnsel sich ab¬
setzend). Wiederholte Punktion der Fontanelle. Ablassen von ca. 200 ccm
blutiger Zerebrospinalflüssigkeit während zweier Wochen. Langsame Besse¬
rung. Eiweissgehalt: 12 Prom. Heilung.
4. Encephalitis epidemica bei einem 7 Monate alten Singliog.
Beginn unter geringem Fieber und heftiger Unruhe. Leichter Opisto-
thonus, Strabismus links, geringe Anisokorie. Die rechte Hand wird stets
gebeugt gehalten, krampfhaftes Zusammenpressen der Finger beider Hände,
olt abwechselnd mit athethotischen Bewegungen; stark gesteigerter Lumbai-
Digitized by Go».)sle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
160
MÜNCHENcR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
druck, keine Zelleleinente, Nonne und bakteriologisch völlig negativ. Nach
der Einlieferung des Kindes in die Klinik schlafähnlicher Zustand. Allmäh¬
licher Rückgang der Erscheinungen. Der Eall wird aufgefasst als Ence¬
phalitis epidemica.
5. Hydrocephalus internus.
13 jähriger Junge. Vor 5 Jahren Meningitis serosa mit Hirndruck. Stau- ,
ungspapille und sekundärer Optikusatrophie. Hirndrucksymptome in letzter j
Zeit wieder aufgetreten. Auffallend gut genährter Junge. Fettpolster be- i
sonders an Rumpf und Beckengegend stark entwickelt, keine Anzeichen
von Pubertätsentwicklung. Kleinheit des Penis und Hoden. Doppelseitige
Atrophie des Sehnerven. Patellarreflexe* nicht besonders gesteigert, Babinski |
beiderseits ++. Gang schwankend, taumelnd, keine Parese. Der Fall wird
aufgefasst als Hydrozephalus unter dem Bilde einer beginnenden Dys¬
trophia adiposo-genitalis durch Druckatrophie der Hypophyse. Die spätere
Sektion ergab starken Hydrocephalus internus, verursacht durch ein zysti¬
sches Gliom des Kleinhirns.
6. Ponstumor.
10 Jähr. Kind, links Abduzenslähmung, Fazialislähmung links, rechts
Hemiparese spastischer Art. Keine Stauungspapille, kein Hirndruck. Dia¬
gnose: Tumor in der Pons der linken Seite (Sektion ergab Gliom der Pons).
7. Diffuses, masernähnliches Exanthem bei einem 12 i.’ihr. Knaben mit
Chorea nach Nlrvanoldarreichuns.
Typisch distal cinsetzend mit Fieber nach 14 tägiger Nirvanoldarrcichung.
Unter dem Fieber schnelle Heilung der Chorea. Besprechung, wie es zum
Zustahdekommen des Exanthems nach solchen Arzneien kommt.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 26. Januar 1921.
Vor der Tagesordnung gedenkt der Vorsitzende Herr Orth des dahin¬
geschiedenen Prof. W. V. W a 1 d e y e r - H a r t z.
Tagesordnung: Die neuen Satzungen.
Der Vorstand legt die nach langen Beratungen fertiggestellten neuen
Satzungen vor. Abgesehen von formalen und stilistischen Abänderungen ist
besonders der vermehrte Einfluss der von der Gesellschaft direkt gewählten
Ausschussmitglieder hervorzuheben und die erfreuliche Tatsache, dass bei
Anträgen von Mitgliedern der Vorstand nicht wie bisher einfach den Ueber-
gang zur Tagesordnung empfehlen kann, sondern dem Antragsteller Gelegen¬
heit geben muss, seinen Antrag in der Vorstandssitzung selbst zu begründen.
Wolff-Eisner.
Verein der Aerzte in Steiermark.
Sitzung vom 17. Dezember 1920.
Herr E flacher hält seinen Vortrag: lieber die Heilerfolge bei Rachitis
nach Ouarzllchtbestrahlung.
Die von Huldschinsky angegebene systematische Ouarzlichtbe-
strahlung der Rachitiker wiff-de von Erlacher an 24 Fällen durchgeführt.
In der Ernährung der Kinder, die teils ins Spital aufgenommen, teils ambulant
behandelt wurden, wurde nichts geändert, insbesondere keine Medikamente
verabreicht. Bestrahlt wurde jeden Tag 5 Minuten und um 2 steigend bis
30 Minuten. Später wurden Bauch und Rücken täglich je 5 Minuten und um
1 steigend bis je 15 Minuten bestrahlt. Diese Behandlung wurde durch
2 Monate fortgesetzt und ihre Wirkung durch allmonatliche Röntgenaufnahmen
der Epiphyse des rechten Unterarmes kontrolliert. Die Aufhellung der Ver¬
kalkungszone, die becherförmige Aushöhlung der Diaphyse und das Ver¬
schwinden der Grenzlinie zwischen Dia- und Epiphyse sind typische Zeichen
der Rachitis im Röntgenbild. Unter der Bestrahlung sehen wir
nun wieder die Verkalkungszonc lichtundurchlässiger
werden; es macht sich dort eine starke Kalkablagerung
bemerkbar. . Allmählich wird die Diaphysengrenze wieder sichtbar und
ist durch den dichten Kalkschatten deutlich erkennbar; schliesslich wird
das Röntgenbild nach einigen Monaten wieder normal. Spontanfrakturen
werden unter der Behandlung wieder fest und die vor oder während der Be¬
strahlung ausgeführten Osteoklasen und Osteotomien heilen nach 4 bis
6 Wochen mit festem JKallus; eine Pseudarthrose wurde nie beobachtet. Die
klinische Besserung tritt erst nach 6 wöchentlicher Bestrahlung auffallender
in Erscheinung, die Kinder werden lebhafter, schreien nicht mehr, spielen und
fangen an zu gehen. Aehnlich lauten auch die Berichte der Eltern ambulant
behandelter Kinder. Da durch die Bestrahlung die Knochen ihre Festigkeit
wieder erlangen. mü.ssen Deformitäten vorher beseitigt werden; der ange¬
legte Gipsverband beeinflusst die Heilwirkung der Bestrahlung in keiner
Weise. Es kann somit eine Frühbehandlung der Deformitäten wie
der Rachitis überhaupt Platz greifen; vielleicht kann sogar dadurch das Auf¬
treten rachitischer Verkrümmungen vermieden werden. Die Wirkungsweise
der ultravioletten Strahlen kann man sich’ vielleicht so denken, dass durch
eine Umstimmung des Körpers eine vermehrte Kalkretention eintritt, vielleicht
ähnlich wie wir uns die Wirkung der Vitamine vorstellen müssen.
In der Wechselrede weist Herr M i r 11 darauf hin, dass er regelmässig
eine Vermehrung der azidophilen Granula im Blute nach Ou T’I'clttbestrahlung
beob.aehtet hai. E.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 7. Januar 1921,
Herr Riehl: Ueber Dermatoiyse.
Es wird ein 13 jähr. Mädchen vorgestellt, dessen Gesicht dem einer alten
Frau gleichsieht. Die Hautfalten sind vertieft und starr, die Bewegungsfurchen
stark ausgepr^t. Erhobene Hautfalten schnellen nicht zurück, sondern bleiben
stehen.
Diese Hautveränderungen gehören in die Gruppe der Dermatoiyse
(Albert), in die verschiedenartige Prozesse gerechnet werden. Die Haut¬
veränderung hat ihre Ursache in einer oftmaligen, die Elastizitätsgrenze
erreichenden Dehnung, wie z. B. bei der Dehnung der Bauchwand in der
Gravidität.
Sitzung vom 14. Januar 1921.
Die Herren Steiskal. Exner. Lauter und P r an t er: Wir¬
kung der intravenösen Inlektion von hochprozentigen Tr^nbenzuckerlösungen.
Intravenöse Injektionen von hypertonischen Salzlösungen wurden in thera¬
peutischer Absicht von Gärtner und Beck. Schreiber, namentlicli
aber von van der Velden vorgenommen.
Der letztgenanme verwendete dieses Verfahren, um l>ei schweren Blu¬
tungen auf diese Weise einen Strom vom Gewebe ins Blut zu erzeugen
und so die Gerinnbarkeit des Blutes zu erhöhen. Vor 3 Jahren machte
Büdingen in Konstanz Mitteilung über die Wirkung der intravenösen
Injektion von 12,5 proz. Traubenzuckerlösungen bei Herzmuskelerkrankunge
die er für Ernährungsstörungen ansah.
Ausgehend von dieser Mitteilung hat St. Versuche ähnlicher Art angc-
stellt. aber nicht nur bei Herzkranken. An diese Versuche auf der internen
Abteilung schlossen sich Versuche über die Wirkung dieses Verfahrens in
der Chirurgie. Augenheilkunde und Dermatologie. Wie schon
, die ersten Fälle zeigten, kommt es nach der. Injektion von 25 proz. Zucker-
lösung zu einem allgemeinen Sklerom. 20 Stunden nach der Injektion be¬
obachtet man, dass die Resorption von injizierter physiologischer Kochsalz-
j lösung sehr beschleunigt wird. Auch die Resorption stomachal aufgenommener
Lösungen von Jodkali und die Ausscheidung von Jodiden im Speichel wird
beträchtlich beschleunigt: der Jodnachweis im Speichel ist schon 1 Minute
j nach der Aufnahme der Lösung möglich. Die Resorption von physiologischer
I Kochsalzlösung ist von der sechsten Stunde an beschleunigt, am meisten
' in den Stunden 12—20 nach der Injektion von Traubenzucker. Auch von
den Schleimhäuten aus erfolgt die Resorption viel raschei; so wurde in
einem Falle der Beobachtung eine Allgemeinwirkung des Kokains durchaus
unbeabsichtigt und übrigens ohne jeden Schaden herbeigeführt. Nach der
anfänglichen Steigerung der Ausscheidung von Jod tritt später eine Hem¬
mung ein. Nicht nur konzentrierte Lösungen von Traubenzucker, sondern
! auch solche von Kochsalz, Harnstoff bewirken prinzipiell ähnliche Phänomene.
Die Versuche in der Chirurgie ergaben, dass das Exzitationsstadium Ixm
der Narkose fast vrillständig oder vollständig fehlt, auch bei Trinkern. Auch
die Nachwirkungen der Narkose sind minimal. Der Verbrauch an N:'’‘kotikuin
scheint geringer zu sein.
In der Augenheilkunde trat bei exsudativen Erkrankungen des hinteren
Bulbusabschnittes (Neuroretinitis) beträchtliche, auch objektiv nachweisbare
Besserung der Sehleistung ein.
Auch in der Dermatologie wurden günstige Erfolge erzielt.
Herr H. Abels: Zur Lehre von der Perkussion. K.
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Notizen.
Zur Behandlung der Grippe'und der Enzephalitis.
Während einer schweren Epidemie von Grippe und Encephalitis lethargica,
die im Jahre 1920 an der Westküste von Sumatra auftrat, wendete Dr. J. A.
Voorthuis in Sinabang laut brieflicher Mitteilung die künstliche Abszess¬
bildung durch subkutane Injektionen von Terpentinspiritus (Fixationsabszesse
rtach F 0 c h i e r, s. d. W. 1920, S. 532) mit so gutem Erfolge an. dass er in
dieser Methode „eine wunderbar wirksame wirkliche Heilmethode gegen
Encephalitis lethargica'* sieht.
Bei Grippe erzielte er schnelle und sichere Erfolge mit subkutanen In¬
jektionen einer 10 proz. Lösung von Kreosot in Oel. Jeder Patient mit Bron¬
chitis erhielt sofort Kreosotpastillen, bei Fieber oder bei beginnender Erkran¬
kung der kleineren Luftwege und bei Laryngitis wurde sofort 1 ccm Kreosotöl
injiziert. V. glaubt in dieser Behandlungsweise eine unübertroffene Heil¬
methode gegen Influenza zu besitzen.
Refraktäre Fälle gibt es selbstverständlich auch bei diesen Methoden,
doch waren die Erfolge derart, dass es V. für seine dringende Pflicht hält,
seine Erfahrungen in weitesten Kreisen bekannt zu machen. R. S.
Die Spezifität derWassermannschen Reaktion unter¬
zieht D u r u p t einer kritischen Untersuchung, die ihn zu folgendeif Schlüssen
führten. Alle Reaktionen müssen wenigstens mit 2 Antigenen, Herz und
Leber eines Erbsyphilitischen, ausgefiihrt werden. Die Resultate, welche diese
beiden .Antigene liefern, können, wie folgt, erklärt werden: 1. In Fällen von
allgemeiner Syphilis gibt das .Antigen Leber meist eine ausgesprochenere
positive Reaktion, als das Antigen Herz. 2. Bei positiver Reaktion, die mit
den beiden Antigenen gleich stark ist, kann es sich* noch um Syphilis handeln,
wenn der Grad der Reaktion ein hoher ist; wenn sie aber mit beiden Anti¬
genen gleich schwach ist. liegt die Möglichkeit vor, dass eine andere Ursache
als Syphilis vorhanden ist, 3. Wenn die Reaktion mit Antigen Herz negativ
und mit Antigen Leber positiv ist. kann es sich bandeln um einen Erb¬
syphilitischen, um einen Syphilitischen, der behandelt worden ist und auf
dem Wege der, Heilung sich befindet, um einen behandelten Syphilitiker,
dessen negativ gewordene Reaktion positiv zu werden beginnt, um einen
Tabetiker und einen alten Syphilitiker. 4. Wenn die Reaktion mit allen
Antigenen negativ ist. besteht grosse Wahrscheinlichkeit, dass Syphilis nicht
im Spiele ist, trotzdem muss man daran denken, dass die alten Syphilitiker,
speziell Tabiker, oft eine negative Reaktion haben und die Untersuchung des
Liquor cerebiospinalis eine nicht zu umgehende Kontrolle bildet. In allen
Fällen aber muss das gesamte klinische Bild seine entscheidende Stellung
haben und auch bei negativer Reaktion die Einleitung der Behandlung (spe¬
zifischen) ermöglichen. (Presse mödicale 1920 Nr. 65.) St.
Intravenöse Injektionen von Natriumsilikat empfehlen
L. S c h e f f 1 e n - St. Etienne und A. Sartory - Strassburg bei Arterio¬
sklerose, nachdem sie schon in wiederholten Arbeiten seit 1908 darauf
hingewiesen haben, dass dieselbe zum Teile wenigstens auf einem Mangel
an Silikaten im menschlichen Organismus beruhe. Es wird mit einer Dosis
von % mg' (auf 2 ccm Wasser) begonnen, und allmählich die Injektionen
alle 2 Tage wiederholend, steigt man auf 0,01 und 0,015 g pro Injektion,
wovon im Durchschnitt 10 gemacht werden. Im allgemeinen vermindert
sich der Gefässdruck bei den behandelten Patienten, die Atemnot nimmt ab.
das Allgemeinbefinden wird besser. Die Symptome, welche mit Verkalkung
der Qehirngefässe Zusammenhängen — Kopfschmerzen, SchwindelgefQhle —,
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. Februar 1921,
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ibl
schienen am raschesten sich zu bessern,-selbst wenn die arterielle Spannung
nicht merklich sich vermindert, was beweist, dass die Wirksamkeit des
Mittels nicht ausschliesslich dem Einfluss auf die letztere zuzuschreiben ist.
Was die Fälle von Angina pectoris betrifft, so führen Verfasser u. a. einen
solchen an, wo Patient seit seiner Jugend an Syphilis behandelt, die Angina
aber durch diese spezifischen Mittel in keiner Weise beeinflusst wurde; die
Injektionen von Na. silicat. riefen ausgesprochene Besserung hervor; weniger
schmerzhafte und weniger häufige Anfälle; hört man mit der Siliziumbehand¬
lung auf. so stellen sich die Anfälle in ihrer alten Häufigkeit und Stärke ein.
Wie alle therapeutischen Mittel und alle Behandlungsmethoden, die gegen
ausgesprochen chronische Krankheiten sich richten, so geben die intravenösen
Injektionen von Natriumsilikat um so bessere Resultate, je früher sie ange¬
wendet werden und sogar in prophylaktischer Weise bei Personen, die selbst
oder in ihrer Anamnese eine Prädisposition zu .Arteriosklerose zeigen. Die
Methode ist natürlich trotz ihres therapeutischen Wertes nicht mehr wirksam
ira letzten Stadium der Arteriosklerose, bei moribunden Asthmatikern u. a. m.
Selbstverständlich sind auch bei dieser Behandlung die hygienischen Mass¬
nahmen und speziellen Diätvorschriften zu beachten. Schliesslich erwähnen
Verfasser noch als bedeutungsvoll, dass diese Injektionen ihnen berufen
scheinen, auch bei Lungentuberkulose eine wichtige Rolle zur Remineralisation
des Organismus zu spielen — worüber eine spätere Arbeit berichten wird
(Presse mddicale 1920. Nr.' 82.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 2. Februar 1921.
— Die Vereinbarung zwischen Aerzten und Kranken¬
kassen in Berlin, über die wir früher berichteten (S. 94) ist neuer¬
dings durch eine unerwartete Forderung der Krankenkassen in Frage gestellt,
ln der zur Unterzeichnung des Vertrags anberaumten Sitzung wurde nämlich
der Abschluss des Vertrages davon abhängig gemacht, dass die Honorare
durch den Kassenverband selbst an die einzelnen Aerzte ausbezahlt werden.
Die Kasse erklärte sich bereit, die von den Aerzten für allgemeine Zwecke
beschlossenen Abzüge von Honorar ihrerseits vorzunehmen und der ärztlichen
Organisation zukommen zu lassen. Es ist klar, dass die Aerzte auf diese
Forderung nicht eingehen können. Die Einkünfte der ärztlichen Organisation
beruhen zum überwiegenden Teil auf Abzügen vom kassenärztlichen Honorar.
Wenn die Verteilung des Honorars an die Aerzte direkt von den Kassen
erfolgte, könnten und würden diese Abzüge im Falle eines Streikes ohne
weiteres gesperrt werden und die ärztliche Organisation wäre von vorne-
herein lahmgelegt. In Erkennung ihrer grundsätzlichen Bedeutung hat der
wirtschaftliche Verband des Qross-Berliner Aerztebundes diese Forderung
bzw. die Unterzeichnung des Vertrages abgelehnt. Er ist aber bereit zu
einer vertraglichen Verpflichtung, dass die Ausschüttung des Honorars un¬
verzüglich nach Fertigstellung der vierteljährlichen Abrechnung erfolgt. So-
ferne nicht der Verband der Krankenkassen bis zum 5. Februar auf seine
weitergehende Forderung verzichtet, behalten sich die Aerzte vom 6, Februar
ab volle Entschliessungsfreiheit vor. Auch die Berlin-Brandenburgische
Aerztekammer hat sich diesem Standpunkte angeschlossen und erlässt einen
Aufruf an alle Aerzte Berlins, sich geschlossen hinter ihre Führer zu stellen.
— Wie wir mit Genugtuung hören, sind ungefähr 45 jüngere Münchener
Kollegen, die wegen Verzögerung ihrer Aufnahme in die Abteilung für
freie Arztwahl in Nr. 3 d. W. vom 21. Januar die Flucht in die
Oeffentlichkeit ergriffen, mit Schreiben vom 28. Januar in die Abteilung ^uf-
genommen worden. {
— Das preuss. Gesetz über die Einführung einer Alters¬
grenze bestimmt den Rücktritt der Hochschullehrer mit Vollendung des
68. Lebensjahres. Nach Erreichung dieses Lebensalters werden sie vom Lehr¬
auftrag, von der Teilnahme an den Prüfungen und von den Verwaltungs¬
geschäften der Fakultät entbunden. Sie halten also keine planmässigen Vor¬
lesungen mehr und haben keinen An.spruch mehr auf gesetzlich gewährleistete
Kolleggelder. Es steht ihnen aber frei, sonst Vorlesungen zu halten und
an den Fakultätssitzungen mit beratender Stimme teilzunehmen. Von dieser
Massnahme werden an den preuss. Universitäten insgesamt 33 Professoren
der Medizin betroffen, viele davon in voller körperlicher und geistiger
Rüstigkeit.
— Geven die Straffreierklärung der Abtreibung hat
der Qeschäftsausschuss des Deutschen Aerztevereinsbundes in einer Eingabe
an den Reichsminister des Innern und an den Deutschen Reichstag Einspruch
erhoben. Die mit gewichtigen Gründen gestützte und in eindringlicher Sprache
abgefasste Eingabe (Aerztl. V.-Bl. N. 1226) wird, wie wir hoffen, ihren Ein¬
druck bei den gesetzgebenden Stellen nicht verfehlen und zur Abwendung eines
dem deutschen Volke drohenden Unheils beitragen.
— In der Universität München beabsichtigt man zur Selbsthilfe
in der Büchererzeugung zu schreiten durch Gründung einer
Druckerei für wissenschaftliche Arbeiten. Die aufzulassende Druckerei des
früheren Kriegsministeriums soll pachtweise mit den Beamten und Werk-
führern übernommen werden, das technische Personal sollen Studenten bilden,
die sich neben ihren Studien hier täglich vier Stunden beschäftigen, um
sich das Existenzminimum zu sichern. So will man durch .Ausschaltung der
Zwischengewinne das Erscheinen der jetzt ungedruckt bleibenden wissen¬
schaftlichen Arbeiten ermöglichen und andererseits der Not der Studierenden
steuern.
— Man schreibt uns aus Bonn: Am 25. Gedenktag der Entdeckung der
Röntgenstrahlen veranstaltete die Bonner Röntgenvereinigung
fine Festsitzung, zu der von der Universität, der Stadt und von wissen¬
schaftlichen Vereinigungen eine grosse Zahl Gäste erschienen waren. Nach
einer Begrtissungsansprache des Vorsitzenden der Röntgenvereinigung hiel¬
ten die Direktoren der chirurgischen, der Frauen-, der Haut- und der Poli¬
klinik und der Physiker Prof. Konen Vorträge über die Entwicklung der
Röntgenstrahlcn in den vergangenen 25 Jahren. — Die Universität ehrte
Röntgen durch die Ernennung zu ihrem Ehrenbürger. Die
Urkunde, die der Rektor der Universität verlas, lautet; „Die Rheinische
Friedrich-Wilhelms-Universität verleiht Sr. Exzellenz Prof. Konrad v. Rönt¬
gen aus Lennep hiedurch zur Erinnerung an den 25. Jahrestag der Ent¬
deckung der Röntgenstrahlen das akademische Bhrenbürgerrecht. Sie be-
kandet damit den Stolz der engeren Heimat auf den grossen Sohn des Rhein¬
landes und ihren Wunsch, seinen Namen dauernd mit der rheinischen Hoch¬
schule zu verknüpfen.“ — Ferner ernannte die Niederrheinische Ge¬
sellschaft für Natur - und Heilkunde diftch ihren Vorsitzenden
den grossen Forscher zum Ehrenmitgliede. — Die Gesellschaft der
Freunde undFörderer der Universität hat unter Führung ihres
Vorsitzenden, Herrn Geh. Rat Duisburg aus Leverkusen unter ihren Mit¬
gliedern und anderen Interessenkreisen eine Sammlung für die Errichtung
eines Institutes für Röntgenforschung in Bonn ver¬
anstaltet. die bisher bereits^ die Summe von fast einer halben Million ergeben
hat. Damit soll dem rheinischen Landsmann Röntgen ein besonderes Denk¬
mal in seirier Heimat gesetzt werden. Der Verwaltungsrat der Gesellschaft
hat ausserdem beschlossen. Röntgen zum Ehrenmitglied dieser Vereinigung
zu ernennen. Die eindrucksvolle Feier schloss mit einem Hoch auf
Röntgen.
— Man schreibt uns aus Wien; Die Krankenversicherungs¬
anstalt der Bundesangestellten, die Krankenkasse der Staats¬
beamten, hat ihre Satzungen bekanntgegeben. Angehörige der Anstalt sind
ausser den versicherungspflichtigen Beamten und Beamtinnen Familienmit¬
glieder und „Verwandte in auf- und absteigender Linie“. Die gesetzlichen
Leistungen der Krankenversicherungsanstalt sind Krankenhilfe (ärztliche Hilfe,
operativer Beistand, geburtsärztliche und zahnärztliche Hilfe, Versorgung mit
Heilmitteln, Heilbehelfen und Zahnersatz), Wochenhilfe und Sterbegeld. Es
gibt auf Grund einer freien Arztwahl, die sich auf Sprengel erstreckt, Ver¬
tragsärzte und Sprengelärzte. Die Honorarfrage der Aerzte hat zu mannig¬
faltigen Debatten geführt. Es werden Vertrags-, Sprengel- und Fachärzte
unterschieden; letztere sollen über Anregung der Vertrags- und Sprengelärzte
herangezogen und im Durchschnitte viel besser honoriert werden als die Ver¬
trags- und Sprengclärzte. Nach 3 Monaten werden in neuerlichen Konferen¬
zen auf Grund der gewonnenen Erfahrungen die Honorarfragen der Aerzte
nochmals durchberaten werden; denn es ergibt sich für Oesterreich, wo
nur Doktoren der gesamten Medizin Praxis, auch zahnärztliche Praxis, aus-
üben dürfen und wo jeder Arzt verpflichtet ist. Jedermann erste Hilfe zu
leisten, eine Schwierigkeit nach der anderen bei der Beantwortung der Frage:
Wer ist Facharzt? K.
— In Bern hat am 28. November v. J. eine Sitzung der schweizerischen
Sektion der Internationalen Gesellschaft für Chirurgie stattgefunden, in der
über die Umstände,- die zum Ausschluss der den Zcntralmächten angehörenden
Mitglieder der Gesellschaft führten, gesprochen wurde. Wie wir der Schweiz,
med. Wochenschr. (Nr. 4) entnehmen, hat das Schweizerische Komitee zum
Ausdruck gebracht, „dass die Hochschätzung der Leistungen der deutschen
Wissenschaft von seiten der schweizerisen-m Chirurgen und die Dankbarkeit
für das, was dieselben von ihr empfangen haben, durch die gegenwärtigen
Vorkommnisse nicht berührt werden. Es hält es für seine Pflicht, daran mit¬
zuarbeiten, dass die Grundlagen geschaffen werden, auf denen eine wirk¬
liche Internationalität wieder aufgebaut werden kann.“ . . . Die Anwesen¬
den (19 von 32 Mitgliedern der schweizerischen Sektion) beauftragten das
Komitee, „im geeigneten Moment in Verbindung mit den iolländischen und
skandinavischen Mitgliedern Schritte anzubahnen zur Wied^anerkennung der
deutschen Sprache als Kongresssprache, unabhängig von der Wiederauf¬
nahme der Mitglieder der Zentralmächte. Sie erklären ihre Zustimmung zu
dem bisherigen Vorgehen des Komitees und beauftragen es. im gleichen
Sinne weiter zu arbeiten und die Wiederaufnahme der internationalen Be¬
ziehungen ermöglichen zu helfen, sobald es die Umstände erlauben. Die
Mehrheit der Anwesenden spricht dabei den Wunsch aus. es möchte von
seiten der deutschen Wissenschaft ein Schritt unternommen werden, der ge¬
eignet wäre, die noch fortdauernde Wirkung des Manifestes vom Oktober 1914
zu beseitigen.“ Der versöhnliche Ton dieser Erklärungen ist unverkennbir
Wenn aber, wie es hiernach den Anschein hat. auf Seite der schweizerischeji
Chirurgen der ehrliche Wunsch besteht, die Gegensätze auszugleichen und
vorhandene Schwierigkeiten zu beseitigen, so hätte nicht von neuem die
Forderung des Widerrufes des Manifestes vom Oktober 1914 erhoben wer¬
den dürfen. Dieser in der Zeit höchster vaterländischer Not ergangenen, von
vaterländischem Empfinden eingegebenen Kundgebung so vieler ausgezeich¬
neter deutscher Männer hat sich die deutsche Wissenschaft nicht zu schämen
und kein Mann von Ehre wird sich dazu herbeilassen, sie zu verleugnen,
— In Bamberg wurde am 26. Januar unter Leitung des Vorsitzenden des
Zentralkomitees der deutschen Vereine vom Roten Kreuz. Landesdirektor
V. W i n t e r f.e 1 d t, nach zweitägiger Beratung die Gründung des
Deutschen Roten Kreuzes, d. h. der Zusammenschluss der sämt¬
lichen Roten Kreuzvereine zu einer einheitlichen Institution vollzogen. Da¬
durch sind nach mehr als einjährigen Vorbereitungen langwierige Verhand¬
lungen zum Abschluss gebracht.
— Das Deutsche Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen veranstaltet
im März d. Js. eine zehntägige ärztliche Studienreise, die
den Besuch der folgenden im besetzten Gebiet belegenen Bäder Ems. Wies¬
baden, Kreuznach. Münster a. St„ Godesberg, Neuenahr in Aussicht ge¬
nommen hat. — Die Reise soll am Dienstag, den 15. März in Marburg be¬
ginnen und am Donnerstag, den 24. März in Nauheim enden. Der Preis
für die ärztliche Studienreise vom 15. März morgens bis zum 24. März nach¬
mittags wird einschliesslich aller Eisenbahnfahrten in reservierten Wagen
3. Klasse, sowie Unterkunft und Verpflegung (mit Ausnahme der Getränke
und Trinkgelder bzw. Bcdienungszuschlag) etwa 950 Mark betragen. Mel¬
dungen an das Zentralkomitee, Berlin W. 9. Potsdamerstr. 134 B.
— Vom 14. bis 18. März d. J. findet in München ein Fortbildungs¬
kurs über Säuglings- und Klcipkinderfürsorge für Be¬
zirksärzte und praktische Aerzte statt. Zu diesem Kurs werden staatliche
Beihilfen geleistet, und zwar für Bezirksärzte Fahrkostenersatz und 300 M..
für praktische Aerzte, die die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst bestan¬
den haben, soweit sie nicht in München wohnen, 200 M. Alles Nähere, sowie
der reichhaltige Lehrplan des Kurses, ist aus der unten abgedruckten Be¬
kanntmachung ersichtlich, auf die wir ausdrücklich verweisen.'
— Zu Pfingsten d. J. (12.—14. Mai) findet in Nürnberg eine Versamm¬
lung des Vereins deutscher Laryngologen und der deutschen oto-
logischen Gesellschaft statt. Anmeldungen von Vorträgen und Demon¬
strationen sind an den Schriftführer des Vereins deutscher Laryngologen.
Prof.. K a h 1 e r, Freiburg i. B. zu richten.
— Sonntag, den 13 März 1921, vormittags 10 Uhr wird im Saale des
Kunstgewerbevereins, München, Pfandhausstr. 7. die 9. ordentliche Mit¬
gliederversammlung des bayerischen Landesverban¬
des zur Bekämpfung der Tuberkulose unter dem Vorsitz von
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
162
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 5.
Geh. Sanitätsrat Dr. May stattfinden. Ausser den geschäftlichen Mitteilungen
sind an Vorträgen vorgesehen: Oberregierungsrat Dr. Frickhinger: „Zu¬
sammenarbeit der Tuberkulosebekämpfung und der Säuglingsfürsorge auf dem
Lande", Medjzinalrat Dr. Seiffert: „Tuberkulosesterblichkeit und Tuber¬
kulosefürsorge in der Kriegs- und Nachkriegszeit".
— Der Stadtrat a. D. Dr. med. L o t z e in Dresden vollendete in erfreu¬
licher geistiger und körperlicher Frische sein 80. Lebensjahr.
— In Paris hat von Mai bis Oktober v. J.. wie fetzt erst bekannt
wird, eine Pestepidemie geherrscht; es durfte jedoch nichts darüber
in die Oeffentlichkeit kommen. „Lancet“ bemerkt dazu mit Recht, die Pariser
Behörden täten besser daran, in solchen Fällen die Bevölkerung ins Ver¬
trauen zu ziehen; denn die Pest könne nur unter Öffentlicher Mitwirkung
bekämpft werden.
— Cholera. Polen. Nach vorliegenden Nachrichten sind weitere
Choleraausbrüche festgestellt worden in den ehemaligen preussischen Kreisen
Posen und Thorn, ferner in Warschau und dem Gefangenenlager Wadowice
(Galizien); ausserdem in Bialystock, Lida und Wilna.
— In der 2. Jahreswoche, vom 9. bis 15. Januar 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Aachen
mit 20,7, die geringste Neukölln mit 4,9 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. Vöff. RGA,
Hochscbul nach richten,
Bonn. Am 18. Januar hatte die Bonner Studentenschaft zu Ehren der
50 jährigen Wiederkehr des Tages der deutschen Reichsgründung einen
Fackelzug in Bonn geplant, der aber von der französischen Besatzungsbehörde
nicht erlaubt wurde. Man wählte nunmehr die rechte Rheinseite und ver¬
anstaltete die Feier in Königswinter. Es nahmen ca. 1500 Studenten
und etwa 50 Professoren am Fackelzugc teil. Der Zug bewegte sich durch
die Stadt hindurch auf die Höhen des Drachenfelsens im Siebengebirge, wo auf
einem freien, den Rhein beherrschenden Gelände durch eine studentische be¬
geisternde Rede und durch Absingen des Liedes Deutschland über Alles dem
Wunsche.v Deutschland möge vereint Zusammenhalten, Ausdruck gegeben
wurde. Dann begab man sich hinunter an den Rhein und warf auf un¬
besetztem Gebiet die Fackeln zusammen, womit die erhebende Feier ihr
Ende fand.
Breslau. Dem Privatdozenten Dr. Richard Friedrich Fuchs ist ein
Lehrauftrag zur Vertretung der Physiologie für Studierende der Zahnheil¬
kunde erteilt worden, (hk.)
Erlangen. Der durch die Uebersiedelung des Geh. Hofrats Prof,
S e i t z nach Frankfurt erledigte Lehrstuhl für Geburtshilfe und Gynäkologie
ist Prof. Dr. Otto Pankow, ord. Mitglied der Akademie für praktische
Medizin und Direktor der Frauenklinik in Düsseldorf, angeboten worden, (hk.)
Frankfurt a. M. Für innere Medizin habilitierten sich: 1. Prof.
Julius Baer (früher Strassburg); Thema der Antrittsvorlesung: Zur Er¬
nährung bei Stoffwechselkrankheiten. 2. Dr. Alfred Pongs (früher Marburg),
Assistent der medizinischen Klinik; Thema der Antrittsvorlesung: lieber den
völlig irregulären Puls.
Giessen. Zahl der immatrikulierten Studierenden in diesem Winter¬
semester 2108, davon 389 in der medizinischen Fakultät, (hk.)
Halle. Der Direktor der Landesheilanstalt Nietleben. Privatdozent für
Psychiatrie und Nervenheilkunde an der Universität Halle Prof. Dr. Berthold
Pfeifer wurde zum Honorarprofessor ernannt, (hk.)
Königsberg. Für das Jahr 1921 wird folgende Prefsaufgabe ge¬
stellt: Die anatomischen und physiologischen Beziehungen des Sympathikus
zur quergestreiften Muskulatur sollen untersucht werden. Die Preisarbeiten
sind spätestens bis zum 18. Dezember 1921 in Begleitung eines versiegelten
Zettels mit dem Namen des Verfassers und mit einem äusserlich verzeichneten
Kennwort, demjenigen der Arbeit selbst entsprechend, an den zuständigen
Dekan abzuliefern, (hk.)
Marburg. Im laufenden Winterhalbjahr weist die Universität Marburg
2625 immatrikulierte Studierende auf. Die medizinische Fakultät zählt 852.
davon 261 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.) — Die medizinische Fakultät
ernannte den a. o. Professor und Direktor des zahnärztlichen Instituts Hans
Seidel in Anerkennung seiner erfolgreichen Arbeiten auf dem Gebiete der
wissenschaftlichen Zahnheilkunde und seiner Verdienste um die Förderung
des zahnärztlichen Unterrichts zum Ehrendoktor, (hk.)
(Berichtigung.) In Nr. 3, S. 89, Sp. 1, Z. 24 v. u. (Heilung eines
Karzinoms der Papilla Vateri) ist statt 17 jährig zu lesen: 67 jährig.
Korrespondenz.
Kann Dentschland sich selbst ernähren?
Von W. H. Cassel.
Zu der Abhandlung in Nr. 46 der M.m.W. hat Herr Qeheimrat v. Q r u -
b e r in einzelnen Punkten einen abweichenden Standpunkt vertreten (1920.
S. 1323).
Es kann indessen festgestellt werden, dass in der wesentlichsten, für
die Praxis entscheidenden Frage beiderseits Uebereinstimraung besteht. Wie¬
wohl von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehend, kommt sowohl Herr
Geheimrat v. Q r u b e r wie der Verfasser zu dem Resultat, dass der deutsche
Boden bei Ernten wie vor dem Kriege — also ohne weitere Produktions¬
erhöhung — die gegenwärtige Bevölkerung von 60 Millionen vollständig zu
ernähren vermag!
Das theoretische Problem, wieviel Menschen das Land maximal ernähren
könnte, tritt dieser Tatsache gegenüber in den Hintergrund als eine vornehm¬
lich akademische Erörterung, auf die nochmals einzugehen der beschränkte
Raum nicht zulässt.
Auch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen vegetabilischer und ani¬
malischer Nahrung ist der Unterschied der beiderseitigen Auffassung ein
geringer, Herr v. G r u b e r errechnet einen Anteil von 29 Proz. animalischer
zu 71 Proz. vegetabilischer Kost, der Schreiber einen etwas höheren Pro¬
zentsatz der — erreichbaren — animalischen Kost. Ausgenommen England
und Deutschland im letzten Jahrzehnt vor dem Kriege hat kein grösseres
europäisches Land einen stärkeren Verbrauch animalischer Produkte auf¬
zuweisen.
Aus der heute gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnis die Folgerungen
für die heimische Wirtschaft zu ziehen, wird eine der wichtigsten Aufgaben
aufbauender Staatskunst sein.
Verlag von J. F. Lehmann In Mfindien S.W. 2, Paul Heyseatr. 26. —
Amtliches.
Nr. 5025 e 1. (Bayern.)
Staatsminlsterium des Innern.
Bekanntmachung.
Betreff: Aerztlicher Fortbildungskurs Uber Säug¬
lings- und Kleinkinderfürsorge, veranstaltet vom Landesver¬
band für das ärztliche Fortbildungswesen in Bayern und dem Landesverband
für Säuglings- und KleinkinderfUrsorge in Bayern mit Unterstützung des
Bayerischen Staatsministeriums des Innern in der Zeit vom 14. bis 18. März
1921 in München.
In der Zeit vom 14. bis 18. Mäiz findet in München ein Fortbildungskurs
über Säuglings- und KleinkinderfUrsorge für Bezirksärzte und praktische
Aerzte statt. Der Kurs umfasst in Vorträgen, Besichtigungen und Vor¬
führungen die wichtigsten Gebiete aus der Physiologie des gesunden und
kranken Säuglings, die Hauptkrankheiten im Säuglings- und Kleinkindesalter
sowie die sozialhygienischen Fürsorgemassnahmen für Säugling und Kleinkind.
Zu dem Kurs werden 24 Bezirksärzte zugelassen, und zwar aus jedem
Kreise 3. Zunächst kommen solche Bezirksärzte in Frage, die seither noch
keinen Fortbildungskurs mitgemacht haben. Den Teilnehmern wird für die
Dauer des Kurses und der Reise ein ausserordentlicher Urlaub gewährt.
Fahrtkosten werden ersetzt, weiterhin werden jedem Teilnehmer 300 M.
für Verpflegskosten gewährt.
Die Gesuche um Zulassung sind bei den Regierungen, Kammern des
Innern, bis zum 15, Februar einzureichen. Diese entscheiden über die Zu¬
lassung und haben die Namen der Teilnehmer dem Staatsministerium des
Innern bis 1. März anzuzeigen.
Die Aufrechnung für die Fahrtkosten der Bezirksärzte sind bei den Re¬
gierungen, Kammern des Innern, einzureichen und auf das Reiseaversum der
Bezirksärzte aufzurechnen. Die Zuschüsse für die Verpflegskosten werden
den Teilnehmern durch das Staatsministerium des Innern ausgezahlt.
An dem Lehrgang können neben den Bezirksärzten praktische Aerzte
teilnehmen. Anmeldungen sind bis längstens 15. Februar an die Geschäfts¬
stelle des Landesverbandes für das ärztliche Fortbildungswesen in Bayern,
München, Lessingstr. 4, einzureichen. Die Einschreibgebühr beträgt 30 M. Es
können an Aerzte, die die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst bestanden
haben und nicht in München wohnen, sowie an auswärtige Aerzte, die in der
Säuglings- und Kleinkinderfürsorge tätig sind, Zuschüsse in der Höhe von
200 M. in beschränkter Zahl gegeben werden. Gesuche um Zuschüsse sind
bis 15. Februar beim Staatsministerium des Innern einzureichen.
Der Lehrgang beginnt Montag, den 14. März 1921 im Hörsaal des
Arbeitermuseums München. Pfarrstr. 3 (Strassenbahnhaltestelle Max¬
monument).
Vorträge: Lehrplan.
Geh. Sanitätsrat Dr. Meier: Die natürliche Ernährung des Säuglings.
Hofrat Dr. Rommel: Künstliche Ernährung des Säuglings.
Prof. Dr. Kaup: Krankheit und Sterblichkeit im Säuglings- und Kleinkindes¬
alter.
Privatdozent Oberarzt Dr. Husler: Klinische Untersuchungsmethoden beim
Säugling und Kleinkind.
Prof. Dr. Hecker: Ernährung des Kleinkindes.
Prof. Dr. T r u m p p: Hygienische Lebensweise des Säuglings und Kleinkindes.
Ministerialrat Dr. Koelsch: Erwerbstätige Frauen und ihre Nachkommen¬
schaft.
Prof. Dr. Schmincke: Pathologische Demonstrationen über Säuglings- und
Kleinkinderkrankheiten.
Privatdozent Dr. Benjamin: Ernährungsstörungen im Säuglingsalter.
Obc^medizinalrat Prof. Dr. Seitz: Tuberkulose im Säuglings- und Klein¬
kindesalter.
Prof. Dr. Hecker: Säuglingsfürsorgestellen.
Geh. Sanitätsrat Dr. Meier: Krippen und Kindergärten.
Prof. Dr. V. P f a u n d 1 e r: Konstitutionsanomalien des Kindes,
Privatdozent Dr. Drachter: Kinderchirurgie.
Hofrat Dr. Re in ach: Rachitis.
Oberamtmann Dr. Ja eg er: Mutterschutz (Reichswochenhilfe).
Geh. Hofrat Prof. Dr. Lange: Ursachen der Verkrüppelung im Klndesdlter
und ihre Behandlung.
Medizinalrat Dr. Seiffert: Hygienische Volksbelehrung auf dem Gebiete
der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge.
Prof. Dr. Uffenheimer: Infektionskrankheiten im Säuglings- und Klein¬
kindesalter.
Bezirksarzt Dr. Sei derer: Das Pflegekind und seine Aufsicht.
Oberregierungsrat Dr. Frickhinger: Bezirksarzt und BezirksfOrsörge-
rinnen in der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge.
Hofrat Dr. Re i nach: Mütterheirae.
Prof. Dr. Gött: Psychische Anomalien im Kindesalter,
Lichtbilder und kinomatographische Vorführungen aus dem Gebiet der Säug¬
lings- und Kleinkinderfürsorge.
Teilnahme an den Beratungsstellen für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge.
Besichtigungen und Vorführungen: Säuglingsheim, Frühlingsstrasse 26/27
(Hofrat Dr. R e i n a c h). — Orthopädische Klinik und Landesanstalt für
krüppelhafte Kinder, Kurzstrasse 2 (Geh. Hofrat Prof. Dr. Lang e). —
Peterskrippe, Reisingefstrasse 11 (Geh. Sanitätsrat Dr. e i e r), —
Arbeitermuseum, Ausstellung für Säuglings- und KleinkinderfUrsorge (Medi¬
zinalrat Dr. Seiffert).
Zeiteinteilung.
Tag
9-10 Uhr
110-11 Uhr
11-12 Uhr
Nachmittag
1 abends 8 ühf
Montag
CU. März)
Meier
Rommel
Kaup
Husler
(4-6 Uhr)
Dienntag I
(15. März) 1
Hecker
1 Trnmpp |
Koelsch 1
Schmincke |
(4-6 Uhr) 1
1 -
Mittwoch 1
(16. März) 1
Benjamin
^ Seitz 1
Hecker |
Meier (4-6 U.)|
t Krippe
j Pfaundler
Donnerstag '
(17, März)
j Drachter
1 R einach 1
1 Jaeger
[Lange(4-6U.)|
1 ortb. Klinik |
[Seiffert (7 biä
19 Uhr) Liehth.
Freitag
(18. März)
jlTffenheimer
1 Seiderer |
Frick- 1
hinger |
Rein ach (4 bisl
6U.)SäugL-Heim|
1 Gött
München, den 25. Januar 1921. I. A. D i e u d o n n 6.
von E. MflhUhaler*! Buch- nnd Kunstdmekerei A.O., Mflnehon.
Digitized by Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
i'icij der einzelnen Nummer 2.— Jl. • Bezujjspreis in Deutschlanu
, . • und / usi&nd siehe unten unter Bezui;sbedingungen. • • •
Anzeigenschluss immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitu^: Amulfstr. 26 (Sprechstunden Uhrb
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heyseatrasse Mi
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE,
Nr. 6. 11. Februar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behüt sich das ausschliessliche Recht der VervielfÜtigung und Verbrdtong der in dieser Zdtschrift zum Abdruck gelangenden Originaibeiträge vor.
Originalien.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Berlin.
HeilentzUndung und Heilfieber mit besonderer Berück¬
sichtigung der parenteralen Proteinkürpertherapie.
Von Prof. August Bier.
Die Lehre von der spezifischen Behandlung der Infektionskrank¬
heiten ist in den letzten Jahren erheblich erschüttert worden, nicht am
Welligsten durch den von Schmidt eingeiühiten Begriff der „pareiu-e-
ralen Proteinkörpertherapie" und duich die theoretischen Erklärungs¬
versuche von W e I c h a r d t. Ich gedenke im folgenden zu zeigen, dass
.iins diese Arbeiten nichts grundsätzlich Neues gebracht haben, und dass
vor allem die Erklärungsversuche für die Erfolge der Proteinkörper-
therapie nicht glücklich sind ‘).
I. (Jeschichfliehes. Ich habe als erster Proteinkörpertherapie
bewusst getrieben*). Ich wies hin auf die Erfolge der Tierbluttrar.s-
iusion bei kranken Menschen. Diese Erfolge erstreckten sich nicht nur
aui die Heilung oder Besserung von Krankheiten, sondern auch auf
bedeutende Hebung des Wohlbefindens, der Nahrungsaiitnahrne, der Er¬
nährung, der Blutbeschaffenheit, kurzum auf eine zuweilen grossartige
Förderung des Allgemeinbefindens mit ansehnlicher Ciewichtszunahme.
Ich erklärte, dass die von vielen Seiten mitgeteilten Erfolge der
rran.sfusion nicht einfach weggeleiignet werden dürften, und dass das
Vcriahrcn nur in Verruf gekommen sei. weil man es praktisch verkehrt
aiiiasste und von gänzlich falschen theoretischen Voraussetzungen aiis-
m. Die praktisch verkehrte Anwendung lag in der zu hohen Dosierung,
und die theoretischen Voraussetzungen waren falsch, w'cil man das
iremde Blut transplantieren oder zur unmittelbaren, wie man jetzt sagt
..parenteralen" Ernährung gebrauchen wollte. Unter der vernichtenden
Kritik Pan ums und Landois’ brach diese Ansicht rettungslos zu¬
sammen. Sie konnte auch von den eifrigsten Verfechtern der Ticrblut-
iiansiusion nicht mehr aufrecliterhalten werden, Ihr Hauptvetrreter und
Wiedcrerweckcr in damaliger Zeit, Hasse®), der mit seinen Versuchen
am Menschen grosses Aufsehen erregte, wurde bald geächtet und als
Schwindler behandelt. Das war er nicht, denn er hat gut beobachtet.
F.r hatte seine grossen Echler, war aber so weit besser als sein Ruf,
viass er mir fast als Märtyrer ercheint. Vergeblich suchte er die Ueber-
tragung von fremdartigem Blut (er benutzte Lammbliit) durch Aenderung
seiner Ansicht zu retten. Er gestand zu, dass das gespendete Blut im
hmpfänger aufgelöst werde, dass es aber als solches den Organen des
Körpers als Nahrung diene, was vor ihm schon viele behauptet hatten.
Aber Hasse Hess diese Nahrung in erster Linie den Verdauungsdrüsen
■iigute kommen, einschliesslich Leber und Pankreas, die dadurch zu leb-
uftcr Tätigkeit befähigt würden, und in zweiter Linie den blutbcreiteii-
Lcn Organen, denen durch das aufgelöste Blut Stoff zur Bereitung von
wucn meiisclilichen Blutbestandteilen geboten würde. So suchte er die
immer wiederkehrende Beobachtung durchaus zuverlässiger Aerzte zu er-
röären, die sich dahin zusanimenfa.sseri lässt: Die Transfusion von art-
Iremdem und arteigenem Blut führt zu einem merkwürdigen Woll-
ethagen, zur Hebung des Allgemeinbefindens und zur Oewichtszunalim:.
la. er ging so w’eit, hierin die einzige Heilwirkung des übertragenen
bhues zu sehen. Er behauptete, dieses wirke überhaupt nicht auf die
Krankheitsherde, sondern lediglich auf das .Allgemeinbefinden und auf die
F-rnährung. Der so gestärkte Körper überwinde dann die Krankheit,
her Rückzug half Hasse nichts. Die Transfusion von fremdartigem
Blut war durch Landois und P a n u m begraben. Die Leichenrede
heit Ihr V, Bergmann*), der sogar die Transfusion arteigenen Blutes
in Grund und Boden verdammte.
Ich suchte die Transfusion durch eine neue Betrachtungsweise, die
"ich im Rahmen von Arbeiten bew'egte, die mich seit dem Jahre 1891
i eschäftigten. zu frischem Leben zu erwecken. Als Anhänger des Heil-
Lbers und der Heilentzündung suchte ich beide, besonders aber die
h Die Hauptarbeiten über die Proteinkörpertherapie, die in den medi-
-’inischen Wochenschriften erschienen sind, darf ich wohl als bekannt voraus-
^-^tzen. Ich erwähne sie deshalb der Räumet sparnis halber nicht.
^ A, Bier: Die Transfusion von Blut, insbesondere von fremdartigem
Blut, und ihre Verwendbarkeit zu Heilzwecken von neuen Gesichtspunkten
^trachtet. D.m.W. 1901 Nr. 15.
*) Hasse: Die Lammbluttransfusion beim Menschen. St. Petersburg
Leipzig 1874, Und: Ueber Transfusion. Virch. Arch. 64. Bd. 1878.
*)v. Bergmann: Die Schicksale der Transfusion im letzten Dezen-
'ium. Rede zur Feier des Stiftungsfestes der' militärärztlichen Bildungs-
^’^talten. 2. August 1883.
Nr. 6.
letztere zu erzeugen oder zu verstärken durch allerlei Mittel, in erster
Linie aber durch Steigerung ihrer vornehmsten und am meisten in die
Augen fallenden Erscheinung, der Hyperämie. An den (jliedmassen, am
Kopfe und am Rumpfe gelang mir das durch einfache pliysikalische
Massnahmen. Ich suchte nach einem Mittel, um dasselbe an inneren Kör¬
perteilen zu erreichen und verfiel auf das artfremde Blut mit folgender
Vorstellung'’): Bei der Einspritzung artfremden Blutes, die ich an¬
fangs nur in die Venen vornahm, ist gerade der gefürchtete Zerfall des
Blutes das Wirksame. Das zerfallene Blut wirkt als Reiz aui alle
Zellen des Körpers (Hcilfieber), besonders aber auf den Entzündung üicrd
— und fast alle Krankheitsherde befinden sich im Zustande der Ent¬
zündung — weil seine Zellen eine höhere Reizbarkeit besitzen als die
Zellen des übrigen Körpers (Heilcntzünduiig). Auf diese Heilentzündung
kam es mir in erster Linie an. Vor allem wollte ich chronische Ent¬
zündungsherde akut machen, ein, wie ich schon oft auseinandergesetzt
habe, seit uralten Zeiten gebräuchliches und immer unter verschiedeneil
Vorstellungen wiederkehrendes Mittel.
Ausser defibriniertem Blute benutzte ich Serum, durch Zentrifugieren
gewonnene und dann in physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmte
rote Blutkörperchen und Brei von Leber und Milz, den letzteren nur zu
Einspritzungen unter die Haut und in die Muskeln, kehrte aber bald
zum defibrinierten Blut zurück. Das ist doch wohl „Proteinkörper¬
therapie“ in allerneuester Auffassung.
Ich sprach auch schon in meiner ersten Arbeit aus, dass ich . eine
Art künstliche Infektionskrankheit mit der Tierbluteinspritziing er¬
zeugen wollte, mit allen ihren Erscheinungen. Denselben (.icdankeii
haben später andere wiederholt.
Schon vor mir hatte, wie ich später erfuhr, M a 11 h e s ®) alle Re¬
aktionen des Tuberkulins durch Albumosen erzeugt. Indessen ist der
einzige praktische Vorschlag, den er aus dieser Erfahrung machte, das
teure Tuberkulin durch Deuteroalburninose zu ersetzen. Durch diese
Entdeckung hat er den Glauben an die spezifische Wirkung des Tuber¬
kulins erschüttert, ebenso wie von anderer Seite die spezifische .Wirkung
der Heilsera bezweifelt wurde, aber der (jedanke der „Proteinkörper¬
therapie" ist ihm nicht gekommen.
11. Die Haupterschcinungeii der Protei nkörper-
einspritzung sind seit langem bekannt und im wesentlichen von
den alten Transfusoren richtig beobachtetD nämlich: Fieber mit allen
Ausführlich habe ich mich über die Heilenty.ündung geäussert a) in
meinem Buche „Hyperämie als Heilmittel", Leipzig bei Vogel. Das Buch
ist vergriffen. Zu einer Neuauflage habe ich mich nicht entschliesson können,
weil es für einen praktischen Chirurgen, der sich schliesslich doch rer
nebenher mit solchen Dingen beschäftigen k.onn, kaum möglich ist, die un¬
geheure Literatur auf diesem Gebiete genügend zu berücksichtigen, um
das Buch auf der Höhe zu erhalten, zumal mich andere biologische Arbeiten
jetzt mehr interessieren und meine Zeit in Anspruch nehmen. Wo von dem
Buche die Rede ist. beziehe ich mich auf die beiden letzten Auflagen aus
dem Jahre 1907 (5 und 6), die einzigen, die ein Inhaltsverzeichnis haben.
■ b) A. Bier: Ueber die Entzündung. Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1908 Nr, 32.
•) Matthes: Ueber die Wirkung einiger subkutan einvcrleibtcr Albu-
‘ mosen etc. D. Arch. f. klin, M. 54. Bd. 1895. Und: Ueber das Zustandc-
I kommen der fieberhaften Allgemeinrcaktion nach Injektionen von Tuber¬
kulin beim tuberkulösen Organismus. Zbl. f. inn. M. 1895 Nr. 16.
Die Literatur über die Bluttransfusion erstreckt sich auf 250 Jahre. Die
i erste Transfusion (mit Lammblut) beim Menschen wurde 1667 von Denis
ausgeführt, nachdem sic schon geraurhe Zeit vorher erörtert und am Tiere
. erprobt war. Einen Ueberblick über die Literatur erhält man aus folgen-
j den Büchern: a) Scheel: Die Transfusion des Blutes und Einspritzung der
1 Arzencien in die Adern. Kopenhagen 1802/3. b) Dieffenbach: 1. Die
! Transfusion des Blutes. Berlin 1828. 2. Infusio et Transfusio in Rusts
i Theoretisch-praktischem Handbuch der Chirurgie 9. Bd. 1833. c) Eckert:
I Objektive Studie über die Transfusion des Blutes, Wien 1876, d) Jürgen-
I s e n in Ziemssens Allg, Therapie 1, Bd. 2. e) Landois: Die Transfusion
j des Blutes, Leipzig 1875. f) Pan um: Zur Orientierung in der Transfusions¬
frage. Virch, Arch. 63. Bd. g) A. Köhler: Transfusion und Infusion seit
I 1830. V. Leutholds Gedenkschrift 2. Bd., Berlin, bei Hirschwald, 1906. —
In diesen Schriften findet man die Literatur angeführt. Die Uebersichten von
Dieffenbach. Jürgensen und Köhler geben ein unvollständiges
und lückenhaftes Bild, weil sie von der grundsätzlichen Verwerfung und der
vollständigen V^erkennung der heilenden Hauptwirkungen der Ticrbluttrans-
j fusion ausgehen. Wie wenig Köhler, dessen Arbeit 5 Jahre nach meinem
! Vorschläge erschien, mich verstanden hat, geht aus seiner Litcraturübersicht
j hervor. Dort steht hinter dem Titel meiner Abhandlung: „Günstig rezensiert
j in Sem. mdd. p. 126!‘‘. Für mich bedeutet solch ein Ausrufungszeichen den
1 Höhepunkt wegwerfender Kritik. Es soll heissen: Den Narren ernsthaft zu
j widerlegen lohnt sich nicht. Will man die von mir geschilderten Beobach-
j tungen über die Wirkung der Transfusion kennen lernen, so muss man die
in diesen Abhandlungen erwähnten Arbeiten durchsehen, die besonders bei
I Landois übersichtlich bis 1875 zusammengestellt sind.
3
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
164
MÜNCHENEI? MfiDl^lHlSCHE WÖCHENSCHfilFT.
seinen Nebenerscheinungen bei verhältnismässigem Wohlbefinden (ent¬
sprechend dem „aseptischen Fieber“ V o 1 k m a n n s, das in der Chirur¬
gie eine grosse Rolle spielt). Mit dem Abklingen des Mebers das Gefühl
des Behagens und der erhöhten Leistungsfähigkeit (Euphorie der neuen
Beobachter). Verschwinden von Schmerzen und Mattigkeit. Vor
allem war genau bekannt und wurde immer wiener betont die wonr-
tätige Wirkung auf den ganzen Verdauungsapparat, auf die Blutbildung
und auf die Ernährung, wovon ich schon sprach (nach Hasse Speisung
aller Verdauungsdrüsen und der blutbildenden Organe durch das fremde
Blut). Erhöhte Tätigkeit der Muskeln und des Gehirns. (Auch das führt
Hasse auf die „parenterale“ Ernährung dieser Teile zurück.) Aus allen
diesen Gründen gab Hasse ausser der akuten und chronischen Blut¬
armut als Hauptanzeige der Tierbluttransfusion „icgliches Siechtum nach
akuten und chronischen Krankheiten“ an. Aeltere Beobachter benutzten
deshalb das Verfahren schon gegen alle möglichen Arten der Erschöp¬
fung, gegen „Schlaffheit und Stumpfheit", Geistes- und Nervenkrank¬
heiten. Vielfach wird die umstimmende Wirkung der Transfusion auf
den ganzen Körper erwähnt. Ferner war bekannt ihr anregender Ein¬
fluss auf die glatte Muskulatur, die sich in mächtiger Peristaltik des
Magendarmkanals, in der Erhöhung des Tonus der Gefäss- und in der
Zusammenziehung der Uterusraaskulatur ausserte. Deshalb bezeichnet
Martin die Transfusion als das beste und nachhaltigste Reizmittel auf
den erschlafften Uterus.
Bekannt war ferner die schlafmachende Wirkung der Transfusion.
„Es stellt sich tiefer wohltuender Schlaf ein, aus welchem der Patient
mit neuem Kräftegefühl erwacht.“ Es wird mitgeteilt, dass die Trans¬
fusion bestehende Schlaflosigkeit beseitige. Bei Lungenschwindsucht und
schweren Bronchialkatarrhen erzeugt die Transfusion starken Hustenreiz
und, im wahrsten Sinne des Wortes, massenhaften Auswurf, worauf für
einige Zeit Husten und Auswurf sich ausserordentlich vermindern oder
ganz aufhören. Vorher bestehende Nachtschweisse verschwinden vor¬
übergehend ganz nach dem mit der Transfusion verbundenen sehr starken
Schweissausbruche. Im übrigen beobachtete man bei vorher nicht fie¬
bernden und schwitzenden Leuten starken Schweissausbruch.
Zu alt diesen im allgemeinen günstigen Wirkungen kommen die
schweren sog. „Transfusionserscheinungen“, Erstickungsanfälte, Ohn¬
mächten, Blutharnen usw., die ich auf eine allzu hohe Dosis zurückführte,
und die das Gegenteil von dem wohltätigen Einflüsse hervorbrachten,
den man beabsichtigte.
Wie ausgiebig die Transfusion bei allen möglichen Krank¬
heiten angewandt wurde, geht aus L a n d o i s’ Uebersicht her¬
vor, die er am Schlüsse seines Buches gibt. Ich erwähne:
1 Blutungen nach Verletzungen, Geburten, Uterusblutungen allerlei
Art, Blutungen aus dem Magendarmkanal und solche wegen
Blutanomalien, z. B. Hämophilie, Skorbut. Morbus maculosus,
Purpura, W e r 1 h o f f sehe Krankheit, Nasenbluten, alle -möglichen
anderen Blutungen, z. B, aus Geschwülsten. 2. Hochgradige Schwäche,
Anämie, Chlorose, Leukämie. 3. Vergiftungen. 4. Wundfieber, Pyämie,
Sepsis, Puerperalfieber. 5. Geisteskrankheiten, Epilepsie, Nervenkrank¬
heiten. 6. Verdauungsschwäche. Katarrhe und alle möglichen anderen
Krankheiten des Magendarmkanales. 7. Lungenschwindsucht und sonstige
Tuberkulosen. 8. Andere Infektionskrankheiten, z. B. Cholera, Typhus.
9. Diabetes. 10 Unvermögen der Nahrungsaufnahme. Hier beabsichtigte
man „parenteral“ zu ernähren. Damit sind die Krankheiten, bei denen
man transfundierte, keinesfalls erschöpft
Man sieht aus der obigen Zusammenstellung, dass die wichtigsten
Folgezustände der Proteinkörpereinpritzung den Transfusoren genau be¬
kannt waren. Ich konnte sie vollkommen bestätigen. Besonders fiel
auch mir ausserordentlich das Wohlbefinden, der gesunde Hunger, das
bessere Aussehen und die Gewichtszunahme auf, die z. ß. bei einem
Todeskandidaten im Laufe von 2 Monaten 18 Pfund betrug. Das
alles sind ja Erscheinungen, wie man sie nach akuten Infektions¬
krankheiten bei Genesenden beobachtet, wo die Kraft der Re¬
generation, bzw. der Rekonstruktion im Sinne R u b n e r s aufs
stärkste angefacht wird, Appetit und Nahrungsaufnahme sich steigern
und der ganze Mensch aufblüht. Das bewog mich, die Transfusion
als eine künstliche und, richtig angewandt, unschädliche Infektions¬
krankheit zu bezeichnen, die ausserordentlich nützlich sein könne. Als
wirklich neue und von jenen alten Aerzttn noch nicht gemachte Be¬
obachtungen kann ich nur folgende gelten lassen: 1. Die vermehrte
Harnabsonderung. Im Gegenteil dazu beobachteten die Transfusoren,
dass diese in der ersten Zeit nach der Transfusion ganz erheblich herab¬
gesetzt war. Offenbar lag dies an der Ueberdosierung. Mir, der ich
geringere Mengen Blut einspritzte, ist diese Harnverminderung nicht auf¬
gefallen. Allerdings sind Bestimmungen der Harnmengen nicht gemacht
worden 2. Vermehrte Milchabsonderung, die Weichardt bei ge¬
wissen Ziegen beobachtete. 3. In den neueren Beobachtungen über
Proteinkörperwirkung vermisst man den heftigen Durst und Trocken¬
heit im Munde. Dieser kann nicht nur durch die Wasserverluste erklärt
werden, die die heftigen Transfusionserscheinungen (massenhafter
Schweiss, Durchfälle, Ausw'urf und zum Teil sogar die Oedeme der
Serumkrankheit) hervorrufen. Denn ich selbst beobachtete, dass nach
meinen Tierbluteinspritzungen die Trockenheit des Mundes zunächst trotz
reichlicher Wasseraufnahme bestehen blieb. Auch hier liegt wohl, wie
bei der Niere, eine Herabminderung der Drüsentätigkeit durch .Ueber¬
dosierung vor, die auch in meinen ersten Fällen, wenigstens für die
Speicheldrüsen, noch da war. 4. Obwohl man sah, dass Blutungen
(Uterusblutungen, hämophile Blutungen) nach der Transfusion standen,
ist, soviel ich gefunden habe, keinem der alten Transfusoren die blut¬
Nr. 6.
stillende Wirkung der Transfusion auf gefallen, während man später mit
Erfolg eigenes und fremdes Serum und neuerdings auch Proteinkörper
dazu verwendete. Auch das liegt wohl an der zu hohen Dosierung.
Denn häufig sah man, dass Menschen und Tiere, denen man viel Blut
eingeführt hatte, hämophii wurden, worauf ich zurückkommen werde.
Nicht neu dagegen ist die W e i c h a r d t zugeschriebene Entdeckung,
dass die eingeführten Proteinkörper auf alle Organe des Körpers
wirken. Das haben viele der alten Transfusoren beobachtet und
ausgesprochen. Sie führten das fast durchgehends auf die Wirkungen, die
man von dem transfundierten Blut erwartete, die Transplantation und
die „parenterale“ Ernährung zurück. Ganz vereinzelt taucht aber auch
der Gedanke auf, dass das eingeführte Blut als Reiz wirke So steht bei
Eckert zu lesen: „Das eingeführte Blut wirkt nicht nur als Mengen¬
ersatz, sondern auch als chemischer Reiz auf alle Organe, insbesondere
auf die Nervenzentren und das Herz, weiches der Grund einer kräf¬
tigeren Aktion und einer als Folgezustand sich einstellcnden besseren
Ernährung werden kann.“ Schliesslich liegt eine solche Auffassung auch
schon in Ausdrücken, wie „Umstimmung des ganzen Körpers und He¬
bung des ganzen Stoffwechsels“.
Ich habe dem eingespritzten Tierblut lediglich die Rolle eines
solchen Reizes zugeschrieben und habe nie daran gezweifelt, dass dieser
den ganzen Körper träfe, allerdings nicht gleichmässig. wie wir
gleich hören werden, denn ich fügte zu den bekannten Erscheinungen
der Bluttransfusion die besonders erhöhte Reaktion des Entzündungs¬
herdes hinzu, deren Erzeugung mein Hauptziel war. Auch gesunde
Organe dürften verschieden stark auf den Reiz reagieren, wenn auch
schwer zu sagen ist. ob die Teilq^ an denen die T ransfusionserschei-
iiungen am heftigsten sind (Haut, Lunge, Magendarmkanal, blutbildende
Organe), wie man es jetzt beim Röntgenlicht nennt, „elektiv“ ge¬
troffen werden.
III. ln der Erklärung der Proteinkörperwirkung
spielt Weichardts „Protoplasmaaktivierung“ eine
grosse Rolle Man liest aus dep Veröffentlichungen über diesen
Gegenstand heraus, dass das für eine neue und grosse Entdeckung ge¬
halten wird. Beim Lesen solcher Arbeiten frage ich mich: Hat
denn für diese Aerzte der grösste medizinische Forscher der ver¬
flossenen Zeitspanne, Riidolf V i r c h o w, nicht gelebt? Hat man seine
Reizlehre schon ganz vergessen? Da das der ball zu sein scheint, so
muss ich darauf genauer, zum Teil mit V i r c h o w s eigenen Worten
eingehen “).
Nachdem V i r c h o w auseinandergesetzt hat, dass das Charakte¬
ristikum des Lebens in seiner Tätigkeit beruht, fährt er fort:
„Diese Tätigkeit (Aktion) des Lebens geht, soviel wir wenigstens be¬
urteilen können, nirgends, an keinem einz gen teile durch eine ihm etwa von
Anfang an zukommende und ganz in ihm abgeschlossene Ursache vor sich,
sondern überall sehen wir, dass eine gewisse Erregung dazu notwendig
ist. Jede Lebenstutigkeit setzt eine Lrreguug, wenn man will, eine Rei¬
zung voraus. Diese besteht in einer passiven Veränderung (passio,
Pathos), welche das lebende Llemcnt durch eine äussere Einwirkung erfährt,
welche aber nicht so gross ist, dass die wesentliche Einrichtung des Elements
dadurch zerstört wird. Auf diese passive Veränderung (Irritamentum) folgt
ein aktiver Vorgang, eine positive Leistung des Elementes
selbst, von der wir annehmen, dass sie aus den lebendigen Eigenschaften des
Elementes als ein selbständiges Ereignis folge. Daher erscheint uns die Er¬
regbarkeit der einzelnen Teile als das Kriterium, wonach wir beurteilen,
ob der Teil lebt oder nicht“. Einige Seiten weiter fährt Virchow fort:
„Es sind aber die verschiedenen Tätigkeiten, welche auf Grund einer
äusseren Einwirkung hervorgerufen werden können, wesentlich dreierlei
Art.** „Entweder nämlich handelt es sich bei dem Hervorrufen einer be¬
stimmten Tätigkeit um die Verrichtung, oder um die Erhaltung, oder um die
Bildung eines Teiles: Funktion, Nutrition, Formation. Darnach
lassen sich sämtliche physiologische und pathologische Elementarvorgängc
in drei grosse Gruppen zerlegen: funktionelle, nutritive (trophische) und
formative (plastische).“
Die Reiztheorie V i r c h o w s ist, was den funktionellen Reiz an¬
langt, allgemein anerkannt, was den nutritiven und formativen betrifft,
aufs heftigste bekämpft worden Ich habe mich sehr entschieden zu
V i r c h 0 w s Lehre bekannt und dargetan, dass der am meisten be¬
kämpfte formative Reiz*) eine noch weit grössere Rolle spielt, als
Virchow selbst geglaubt hat, und dass auch der nutritive “) nicht
zu entbehren ist.
In unserem Falle haben wir aber, wie sich, um Beispiele heraus¬
zugreifen, aus der vermehrten Tätigkeit der Drüsen ergibt,, einen funk¬
tioneilen, wie die Gewichtszunahme zeigt, einen nutritiven und
auch einen formativen Reiz (Neubildung von Blutbestandteilen, Zell¬
teilung im Entzündungsherde) vor uns, der, soweit solche biologische
Dinge erklärbar sind, alles erklärt. Wozu wird da das neue Wort
„Protoplasmaaktivierung" (gegen das Wort „Leistungssteigerung“ habe
ich nichts einzuwenden) erfunden, das nichts als eine obendrein
schlechte Uebersetzung von Reizung ist, denn während Virchow
(S. 338) selbst annimmt, dass der funktionelle Reiz im wesentlichen nur
das Protoplasma treffe (was übrigens auch nicht einmal sicher ist. da
nach V e r w 0 r n bei der Tätigkeit der Amöben besonders die Kemstoffe
verbraucht werden), so ist das beim nutritiven mindestens sehr unwahr-
®) Zellularpathologie 4. Aufl. 1871 S. 334. Ferner: Virchow: Ueber
Reizung und Reizbarkeit, Virch. Arch. 14. Bd. 1858, und: Ueber die Reiz¬
barkeit. ebenda 49. Bd. S. 146.
*) Bier: Beobachtungen über Regeneration beim Menschen. II. Abh.:
Die Ursachen der Regeneration. D.m.W. 1917 Nr. 27—30, und eine Reihe der
nachfolgenden Abhandlungen.
“) Derselbe: Weitere Ursachen der Regeneration: Ernährune
Ebenda 1917 Nr. 40.
Digitized by Goi^isle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. Pebmar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
165
scheinlich^) und der formative Reiz trifft ohne Zweifel in erster Linie
den Kern der Zelle Deshalb* bleiben wir doch lieber bei Reizung.
Welchardt sagt: Protoplasmaaktivierung ist gesteigerte Leistungs¬
fähigkeit, V i r c h 0 w: Die Anregung zu gesteigerter Tätigkeit nennen
wir einen Reiz“). Wo bleibt da der Unterschied?
Nun könnte man sagen, Protoplasmaaktivierung sei doch etwas
anderes als Reiz. Dieser löse eine mehr vorübergehende, jene eine
langdaueriide Tätigkeit aus, W e i c h a r d t habe mit dem Wort ungefähr
das sagen wollen, was die alten Aerzte Ufnstimmung nannten. ’ Ist
doch diese Bezeichnung gerade für die Transfusion häufig gebraucht
worden, weil man sah, dass nach einer einzigen Blutübertragung ge¬
sunder Hunger, bessere Verarbeitung der Nahrung und Gewichtszunahme
einiraten. Dagegen ist einzuwenden: 1. Geht die Wirkung der Trans¬
fusion, wie die der Einverleibung sonstiger Proteinkörper doch gewöhn¬
lich schnell vorüber; soll sie nachhaltig sein, so muss man wiederholt
einspritzen. So habe ich die Gewichtszunahme von 18 Pfund in 2 Mo¬
naten bei einem Menschen, der an sehr schwerer Lungen- und Hoden¬
tuberkulose litt, durch mehrere Einspritzungen erreicht, und gerade bei
der Lungentuberkulose sah ich. dass die Besserung der eigentlichen
Krankheit nur kurze Zeit anhielt und nach Jeder Einspritzung wieder
eintrat 2. Widerspricht das dem Sprachgebrauche, weil wir gewohnt
sind, auch dem einmaligen Reize Dauerwirkungen zuzuschreiben. Die
künstliche Befruchtung ohne männliche Samenzellen zeigt, welch’ nach-
haliige Wirkung ein einmaliger Reiz — hier der formative — auslösen
kann. Ebenso gute Beispiele gibt es für die Dauerwirkung des funkto-
neiien Reizes. Eine einmalige Einspritzung von Neohorihonal kann die
hartnäckigsten, Jahrzehnte lang bestehenden Stuhlverstopfungen auf die
Dauer heilen. Und dieses Mittel, ein Hormon, wird doch wohl jeder
als Reizmittel anerkennen.
Sollte W e i c h a r d t den Begriff der Aktivierung aus der Ferment-
lihre und der Immunitätsforschung auf das Protoplasma übertragen
haben, was ich nicht weiss, so sehe ich nicht ein. was dadurch dem
Reize gegenüber gewonnen sein sollte.
IV. Durch das überflüssige Schlag wort „Proto¬
plasmaaktivierung“ geraten wir in Gefahr, den Be¬
griff des Heilfiebers und der Heilentzündung, wie
sooft, wieder einmal als abgetan zu betra^chten, was
ich für sehr bedauerlich halten würde. So sagt Reiter“) mit einer ge¬
wissen Geringschätzung, die Annahme, dass das Fieber Krankheiten
günstig beeinflusse, sei unbewiesen. Demgegenüber bemerke ich, dass
das stimmt, dass aber viel klarer und durchsichtiger die H e 1 1 e n t z ü n -
dang ist, die in der ganzen Frage von den neueren Schriftstellern,
ausser Mayr“) niemand bisher erwähnt hat. Wohl gehören Fieber
und Entzündung so eng zusammen, dass man sie als untrennbaie Vor*
gange bezeichnen muss. Haben sie doch auch dieselbe Ursache, die
Schädigung, die mit einer Zerstörung von Körpergewebe einhergeht. Auf
diese Schädigung, mag sie kommen, woher sie will, reagiert der Kör¬
per mit Fieber und Entzündung. Beide werden erregt durch den Reiz
der Zersetzungsprodukte, die die Zerstörung hervorbringt, w'oran sich zer¬
fallene Bakterien, Proteinkörper etc., die dem Körper ein verleibt wur¬
den, beteiligen. Trennt man aber beide Vorgänge, die auf jede Schädi¬
gung des sonst gesunden Körpers mit der Regelmässigkeit eines Natur¬
gesetzes sich einstellen, aus praktischen Gründen künstlich voneinander,
so sind die Erscheinungen der Entzündung viel sinnfälliger, viel leichter
zu beurteilen und auch viel leichter zu beeinflussen als die des Fiebers,
Deshalb wollen wir uns hier auf die Entzündung beschränken, wobei
i«h ausdrücklich hervorhebe, dass ich das Heilfieber nicht geringer ein¬
schätze, und nur von ihm absehe, weil ich den Beweis für seine Wirk¬
samkeit nicht so sicher führen kann Dass aber die Entzündung ein
Heilmittel ist, glaube ich unwiderleglich bewiesen zu haben. Will man
ia dieser Beziehung klar sehen, so muss man unbedingt zwei Dinge
voneinander scheiden: 1. das Passive, die Schädigung, 2. das Aktive,
die Reaktion auf die Schädigung. Nur die letztere ist das Heilende.
So selbstverständlich das scheint, so hat doch niemand vor mir diese
Dinge scharf auseinandergehalten. Ihr Duqpheinanderwürfeln würde zu
1 der verrückten Schlussfolgerung führen können, dass auch der Tod eine
I Reaktion auf die Schädigung sei. Ich bewies nun. dass zu den 4 klassi-
I sehen Kardinalsymptomen der Entzündungsreaktion eins ganz gewiss
nicht gehört, der Sdhmerz. Er ist lediglich eine Folge der
Schädlichkeit, genau so wie es Brand und Tod sind. Denn ich
zeigte, dass die einzelnen Reaktionen, die sich im wesentlichen aus der
Hyperämie entwickeln, den Schmerz lindem oder beseitigen. Nur
zögernd und widerwilig hat die Chirurgie diese Tatsache anerkannt,
I und ais sie sie nicht mehr leugnen konnte, da wurde von den Gegnern
(^er Heilentzündung mir vorgeworfen, ich verschleiere das Krankheits¬
bild, weil ich durch die Verstärkung der Entzündungsreaktion den war¬
nenden Schmerz beseitige, und infolgedessen Arzt und Kranken über die
“) Siehe Virchow: Reizung und Reizbarkeit. Virch. Arch. 14 Bd,
S.31.
**) Deshalb halte ich den Versuch Weichardts für höchst unglücklich,
iach die Entstehung des Karzinoms auf „Protoplasmaaktivierung“ zurück-
zafähren, ganz abgesehen davon, dass er überflüssig ist. Denn dass der Reiz
als die unbestrittenste Ursache des Karzinoms angesehen wird, ist allbekannt,
es ist eigentlich das einzig Feststehende in der Lehre von der Entstehung
3« Karzinoms.
“) Der Gedanke findet sich an den verschiedensten Stellen in V i r -
I : h 0 w s Schriften. Kurz ist er z. B. ausgedrückt in Virch. Arch. 44. Bd.
167.
I “) Reiter: Ueber MUchtherapie. D.m.W. 1918 Nr. 37.
1 **) Mayr: Ueber die Behandlung chronischer Gelenkentzündungen beim
Haustier ctc. D.m.W. 1918 Nr. 36.
Schwere der Erkrankung hinwegtäusche. In der übrigen Medizin hat,
sich die Tatsache der Schmerzlinderung durch die Entzündungsreaktion'
bzw. die Hyperämie, aus der sich jene entwickelt, noch immer nicht
genijgend Bahn gebrochen“).
Ebenso hat das fünfte Kardinalsymptom, das man später zu den
vier klassischen hinzufügte, die functlo laesa nichts mit der Entzündungs¬
reaktion, etwa dem Druck des Exsudates, zu tun. Es ist lediglich die
Folge der Schädlichkeit, denn ich zeigte, dass die Verstärkung der Ent¬
zündungsreaktion im Gegenteil die gewöhnliche Funktion wiederherstellt
(Möglichkeit in Zwangsstellung stehende unbew^egliche Glieder wieder
zu bewegen usw.), hauptsächlich aber, dass der entzündete Teil zwar
seine gewöhnliche Arbeit einstelit, aber ganz neue Funktionen bekommt
odtr, besser gesagt, allgemeine Zellfunktionen ausserordentlich steigert
(Bildung von Antikörpern, Abbau und Aufbau von Geweben, Abtötung
von B^terien, Auffangen und Festhalten von Bakterien und allen mög¬
lichen anderen Stoffen, die Fähigkeit, trotz allerspärlichsten Zuflusses,
Blut im Ueberfluss zu sich heranzuzwingen usw.). Ich habe deshalb
vorgeschlagen, von einer veränderten Funktion des Entzündungsherdes
zu sprechen, die aufs allerhöchste gesteigert ist. Aus diesem Grunde habe
ich auch die Entzündungsreaktion mehrfach eine gewaltige Kraftleistung
des Körpers genannt. Schon um eine solche Kraftleistung höchsten
Grades ausüben zu können, muss er die gewöhnliche Arbeit ruhen lassen.
Daraus erklärte ich die Erfahrung, dass die Ruhigstellung zu den vor¬
nehmsten Mitteln gehört, eine „entzündliche“ Krankheit zu heilen.
Ich suche meinen Hörern diesen Vorgang durch folgendes Beispiel ver¬
ständlich zu machen: Ein diphtheriekrankes Kind, das sich in Erstickungs¬
gefahr benndet, sammelt alle Kräfte lediglich zur Bekämpfung der
Atemnot. Es macht keine überflüssige Bewegung. Nicht einmal zum Sch’’eien,
dem Natürlichsten für ein leidendes Kind, bleibt Zeit und Kraft übrig. Muskeln,
die sonst anderen Zwecken dienen, gebraucht es zum Atmen. Kurzum, es lässt
alles andere ruhen, um die drohende Lebensgefahr zu überwinden. Genau
so verhält sich der Entzündungsherd. Hier geht es um Tod oder Leben
eines örtlich beschränkten Körperteiles. Dieser ringt genau so um sein Da¬
sein, wie im angeführten Beispiel der ganze Mensch, und verhält sich ge¬
radeso, d. h. er lässt jede überflüssige Arbeit ruhen, um alle seine Kräfte
bis zur höchsten Anspannung gegen die ihm drohende Gefahr brauchen zu
können.
Daraus ersieht man, wie wenig ich mit R i b b e r t übereinstimme, der
sagt: „ein erkranktes Organ leistet stets weniger, niemals mehr als sonst“.
Man sehe sich doch einmal einen akuten Schnupfen an. Zwar riecht die
Schleimhaut nicht mehr, aber sie sondert, ganz abgesehen von vielem anderen,
was sie tut, solche ungeheure Masse« von Schleim ab, dass man von einer
hochgradig gesteigerten Tätigkeit sprechen muss, wie sie bei dem gesunden
Organe niemals vorkommt. Es ist zweifellos, dass die im Innern des Körpers
liegenden Entzündungsherde ebenso verstärkt arbeiten. Nur fällt uns das
mcht so auf.
Der Entzündungsherd zeigt eine erhöhte Reizbar¬
keit. Wer, wie ich, sich mit der Verstärkung der Entzündung befasst
hat, weiss, dass die geringsten Reize, deren Einfluss auf den unveränder¬
ten Körper gar nicht bemerkbar ist, sie auf das heftigste steigern können.
Virchow betonte schon die erhöhte Reizbarkeit des Entzündungs¬
herdes, vor allem aber hat Hugo Sc h u 1 z, mit dessen Lehre ich mich
gleich beschäftigen werde, immer wieder darauf hingewiesen, dass für
kranke Organe Reize sehr stark sein können, die für gesunde kaum als
solche aufzufassen sind Als man die Tuberkulin Wirkung kennen lernte,
brach sich diese Tatsache in weiten Kreisen Bahn. Wie ich schon er¬
wähnte, war diese erhöhte Reizbarkeit der Hauptgrund für mich, auf
die Transfusion zurückzugreifen
Später habe ich hinsichtlich der Reizbarkeit des Entzündungsherdes
meine Anschauungen erweitert. Ich machte die Beobachtung, dass der
chronische Entzündungsherd die Eigenschaft von Lymphdrüsen, Milz,
Knochenmark annimmt, allerlei in den Kreislauf gelangte fremdartige
Stoffe aufzufangen und festzuhalten “). Dadurch wirkt in ihm das Reiz¬
mittel in viel grösserer Menge (in höherer Dosis) als im übrigen Körper.
So kommt zu der erhöhten Reizbarkeit des Entzündungsherdes die er¬
höhte Massenwirkung des Mittels in ihm.
Daher lassen sich die chronischen Entzündungen durch allerlei Reiz¬
mittel akut machen. Auf diese wichtige Tatsache habe ich in meinen Arbeiten
immer wieder hingewiesen und betont, dass dieses Verjähren uralt ist, zu den
verschiedensten Zeiten unter anderen Vorstellungen immer wiederkehrt,
und in der Volksmedizin eine grosse Rolle spielt. Bei den chronischen
Entzündungen ist aber die aktive Tätigkeit des Entzündungsherdes ab¬
geschwächt oder erloschen. Deshalb heilen sie nicht aus. Facht man die
erloschene Tätigkeit der erschlafften Zellen durch ein Reizmittel an.
In grundlegenden Fragen des Fiebers und der Entzündung kann man
kaum etwas sagen, was man nicht bei genauer Durchforschung der Literatur
schön einmal, und sei es nur in Form einer Ahnung, ausgesprochen fände. Das
ist natürlich. Denn über die Bedeutung dieser wichtigsten aller Natur¬
erscheinungen* in der Pathologie haben die bedeutendsten Köpfe nach-
gedacht, so lange und länger als es eine Medizin gibt. Die Schraerz-
linderung durch die Entzündungsreaktion aber habe ich nirgends erwähnt ge¬
funden. Ein hervorragender Geschichtsforscher der Medizin entgegnete mir
auf diese Bemerkung: auch das stehe schon im H i p p o k r a t e s. Ich
bat ihn um Angabe der Stelle. Sie lautet (Aphor. II, 47): „Schmerzen (und
Fieber) entstehen mehr zu der Zeit, wenn der Eiter sich erst bildet, als
wenn er schon gebildet ist“. Der Ausspruch ist bekannt, bedeutet natürlich
etwas ganz anderes und hat nicht verhindert, dass man seit Hippo-
k r a t e s’ Zeiten bis heute immer dis etwas Selbstverständliches hin¬
genommen hat, dass der Druck des entzündlichen Exsudates usw. den Schmerz
hervorrufe, den es in Wirklichkeit lindert.
‘D B i o n d i und J a k o b y (Hofmeisters Beitr. 7. Bd.), L ö b und
M i c h a n d (Biochem. Zschr. 3. Bd.), von der Velden (Biochem. Zschr.
21. Bd.) u. a. wiesen nach, dass auch Arzneimittel, wie Salizylsäure und Jod
in Krankheitsherden aufgefangen und aufgespeichert, werden.
r
^Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
166
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
so erzielt man dadurch oft die günstigsten Heilwirkungen oder wenigstens
Besserungen “).
Vor allen Dingen müssen chronische Oedeme beseitigt werden,
worauf ich schon oft hingewiesen habe. Sie machen die befallenen
Körperteile empfänglich für alle möglichen Schäden, insbesondere auch
für schwere Infektionskrankheiten und speichern schädliche Toxine auf,
die, wie ich an anderem Orte auseinandersetzen werde, Gelenke. Sehnen¬
scheiden usw. vernichten. Das akute Oedem dagegen wirkt genau
entgegengesetzt, also heilend.
V. Kleine Mengen der Proteinkörper wirken um¬
gekehrt wie grosse, jene anregend, diese lähmend.
Sie wirken auch individuell verschieden und auf
Kranke anders als auf Gesunde. Die richtige Do¬
sierung ist deshalb von ausschlaggebender Wichtig¬
keit. Dass man dies als etwas Neues ansieht, ist nur zu begreifen
aus einem völligen Totschweigen der Lehren Hugo Schulz’*®) und
durch die Nichtbeachtung meiner Arbeiten, in denen ich immer wieder
auf diese Lehre hingewiesen und ihre Richtigkeit durch Beispiele be¬
legt habe. Das gesperrt Gedruckte kann man wörtlich als Arndt-
Schulz sches Gesetz ‘®) stehen lassen, wenn man statt Proteinkörper
Mittel sagt. Denn alle Mittel**) verhalten sich so. Zwar spricht
Schulz in seiner ersten Arbeit n\ir von Arzneiwirkung, aber es geht
aus dieser Abhandlung und aus späteren Bemerkungen hervor, dass er
sein Gesetz auf alle Reize und nicht nur auf Arzneireize ausdehnt. Ging
er doch von dem elektrischen, also einem physikalischen Reize aus.
So übertrug ich denn auch das Arndt-Schulz sehe Gesetz auf die
physikalischen Heilmittel. Gerade von der nützlichen oder schädlichen
Wirkung der Stauungshyperämie habe ich immer wieder betont, dass
sie eine reine Dosierungsfrage sei, daher die Erfolge oder Misserfolge
der verschiedenen Aerzte bei denselben Krankheiten. Ferner übertrug
ich die Lehre, wie schon gesagt, auch auf die Transfusion von Tierblut.
Ich war wohl der einzige, der die überragende Bedeutung des
Ar ndt-Sch ulzschen Gesetzes, als ich es vor reichlich 20 Jahren
kennen lernte, damals sofort richtig einschätzte. Ich hielt es für so
wichtig, dass ich es in dem zweiten Abschnitte meines Buches „Hyper¬
ämie als Heilmittel“ (S. 248), der über die Behandlung von Krankheiten
mit Hyperämie handelt, an die Spitze stellte. Gar manchen inneren
Mediziner und mehr als einen Pharmakologen habe ich für dies Ge¬
setz zu interessieren und von seiner Bedeutung zu überzeugen versucht,
ohne Gegenliebe zu finden. Stets erhielt ich die Antwort: Schulz
ist ein halber Homöopath, oder: er ist ein Sonderling. Ich aber bekenne,
dass dieser „Sonderling“ mein allgemein medizinisch-therapeutisches Den¬
ken und Handeln sehr weitgehend beeinflusst hat. Dass diese Beein¬
flussung vorteilhaft war, ersehe ich daraus, dass alle möglichen an¬
geblich neuen Entdeckungen auf diesem Gebiet mir seit zwei Jahr¬
zehnten so in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass ich sie selbst¬
verständlich finde.
Mehr und mehr wird Schulz’ Lehre bestätigt **). Nach Er-
Meine Anschauungen über die Entzündung findet man über das ganze
Buch zerstreut in der „Hyperämie als Heilmittel“, kurz zusammengefasst in
„Lieber die Entzündung“, Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1908 Nr. 32.
**) Schulz: a) Zur Lehre von der Arzneiwirkung. Virch. Arch.
108. Bd. Nr. 32. b) Vorlesungen über Wirkung und Anwendung der un¬
organischen Arzneistoffe. Leipzig, bei Thieme. Einleitung. Ich weise ferner
auf den klassischen Hefeversuch von H. Schulz hin (Pflügers Arch. 1888
42. Bd.).
*®) S c h u 1 z stützt sich auf das von Arndt (Die Neurasthenie 1885
und Biologische Studien 1892) aufgestellte biologische Grundgesetz. Es
lautet: „Schwache Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittelstarke fördern
sie, starke hemmen sie, stärkste heben sie auf.“ Uebrigens hatte Arndt
auch schon in V i r c h o w einen Vorläufer, der in seinem Archiv 14. Bd.
1858 S. 24 sagt: „Geringe Reize bringen mehr funktionelle Erregung, stärkere
wirken auf die nutritive Tätigkeit, noch stärkere lösen formative Leistungen
aus, die stärksten ertöten/*“
**) Auch die Wirkungen des von W e i c h a r d t entdeckten Kenotoxins
(wenn es überhaupt ein solches gibt, und nicht, was mir w'ahrscheinlicher ist,
alle Stoffwechselprodukte in genügender Menge Ermüdungstoxine sind) fallen
ganz natürlich unter das Arndt-Schulz sehe Gesetz. Weichardt
(M.m.W. 1907 Nr. 39) wies nach, dass Kenotoxin in geringer Menge die
Zellen zu gesteigerter physiologischer Tätigkeit erregt, in ‘ grosser
Menge dagegen sie lähmt und schliesslich tötet. K o c h m a n n, ein
Schüler Hugo Schulz’ (Einfluss des Acthylalkohols auf die Hefegärung,
Biocheni. Zschr., 16. Bd. 1909) hat die Reizwirkung der Umsatzprodukte in
allgemeinerer Weise im Sinne des Arndt-Schulz sehen Gesetzes in An¬
griff genommen. Er wies nach, dass geringe Mengen Alkohol die fermentative
Tätigkeit der Bierhefe anregen, während grosse Mengen die Hefezellen be¬
kanntlich töten. Er knüpft daran die Bemerkung, dass auch die Stoffwechsel¬
produkte des Menschen sich geradeso verhalten, so die Kohlensäure die
Atmung, die harnfähigen Stoffe die Nierentätigkeit, der Harnstoff die Herz¬
tätigkeit anregen, wenn sie in geringen Mengen wirken, während sie in grossen
Mengen lähmende und tötende Gifte sind. Ich hege keinen .Zweifel, dass
diese Stoffe in der.selben Weise erregend, lähmend oder tötend auch auf
andern Körperzellen im Sinne des Arndt-Schulz sehen Gesetzes wirken.
Ihre „spezifische“ Wirkung auf die Organe, durch welche diese Stoffe aus¬
geschieden werden, ist eine sinnfällige.
**) Ich verweise bei dem in Rede stehenden Gebiete auf folgende Be¬
obachtung: Man findet in der Literatur hämophile Blutungen beschrieben, die
durch Transfusion gestillt wurden. Ebenso wissen wir jetzt, dass das durch
Einspritzung von Menschen- oder Tierserum gelingt. Ueberträgt man da-
? :egen sehr viel Blut, so werden die vorher gesunden Versuchstiere hämophil
S. P a n u m: Virchows Arch. 63. 1875. S. 65). Aehnliche Beobachtungen
machte man beim Menschen nach grösseren Transfusionen. Das schob man
fälschlicherweise auf die Plethora, die nach übertriebenen Transfusionen ein-
treten sollte. — Ferner gerinnt das Blut von Versuchstieren nicht, die durch
eine übermässige Transfusion fremdartigen Blutes akut getötet sind.
fahrungen, die man mit Röntgenlicht (kleine Dosen erzeugen,
grosse vernichten das Karzinom), mit Fieber und anaphylaktischem
Schock, mit positiver und negativer Chemotaxis, mit Hormonen, mit
Proteinkörpern usw. gemacht hat, wird man wohl bald sagen, sie sei
eine „bekannte Tatsache“ und Schulz weiter totzuschweigen ver¬
suchen, weil man es nicht mehr versteht, was es bedeutete, mit den Er¬
fahrungen, die man im Jahre 1887 hatte, ein solches Gesetz herau's-
zufinden. Fusst Schulz auch auf dem Arndt sehen biologischen
Grundgesetze, das für physiologische Verhältnisse aufgestellt ist, so war
es doch eine grosse Tat, dies auf die Pathologie und vor allem auf die
Wirkung aller Heilmittel auszudehnen. Ich hoffe deshalb, dass Schulz
es noch erleben wird, dass ihm und seinem Vorgänger Arndt die An¬
erkennung zuteil wird, die den Entdeckern eines so grossen und prak¬
tisch wichtigen biologischen Gesetzes gebührt. ’
VI. Unspezifische Reize wirken heilend auf al-Ie
möglidhen Krankheiten. Unter ihrem Einflüsse bil¬
den sich Antikörper etc. Hierüber kann ich mich kurz fassen.
Ein Blick in mein Buch „Hyperämie als Heilmittel“ beweist, dass ich
diesen Standpunkt lange (die 1. Auflage erschien 1903) vertreten habe.
Dort hab^ ich dargetan, dass die allerverschiedensten Mittel, die sog.
Derivantien (d. h. die Unzahl der hautrötenden Mittel, die in der Nähe
des Entzündungsherdes angewandt werden) und die Revulsiva (d. h.
ähnliche Mittel, die fern vom Entzündungsherd irgendwo angebracht
werden), Qlüheisen, Haarseile, Fontanellen, Moxen, Wärme (heisser
Sand, Wasser, Moor, Heizkissen, Kataplasmen, heisse Luft), Fremd¬
körper (Bougies bei der Strikturbehandlung), sogar gemeines Wasser
(durch (Quellung), Licht, vor allen Dingen die Stauungsbinde, zerfallene
Körperbestandteile, fremdartiges una eigenes Blut, oder wie wir jetzt er¬
weitert sagen, Proteinkörper, in die Blutbahn gespritzte Medikamente,
„Antiseptika“ usw., alle im gleichen Sinne wirken, nämlich im Sinne der
Verstärkung der Heilentzündung (und des Heilfiebers). Das zeigt sich
praktisch in erster Linie in der allen gemeinsamen Schmerzlinderung,
die, wie ich ausführte, eine Folge der Entzündungsreaktion ist.
Auch die Wirkung des verbreitetsten Revulsivums, des Aderlasses,
ist ähnlich zu erklären. Im letzten Feldzuge habe ich wieder oft gesehen,
dass starke Blutungen Fieber hervorrufen. Das erkläre ich folgender-
massen: Der Verlust von ernährendem Blute bringt Teilchen der schlecht
ernährten Zellen zum Absterben. Diese Zerfallsprodukte machen Fieber
und, was bei der Einheitlichkeit des Reizes (s. später) selbstverständlich
ist, erhöhte Tätigkeit aller Körperzellen und besonders derjenigen einps
etwa vorhandenen Entzündungsherdes Ist der Aderlass so klein, dass
Fieber und Entzündung dadurch nicht erregt werden, so kann immerhin
noch der physiologische funktionelle, nutritive und formative Reiz aus¬
geübt werden. („Störung“ im Sinne Virchows.)
Die Wirkung der Revulsiva und des Lichtes (das Sonnenlicht heilt
i. B., wenn auch langsamer und unvollkommener, die Tuberkulose, selbst
wenn der tuberkulöse Herd überhaupt nicht, sondern wenn nur gesunde
Teile bestrahlt werden) zeigt, dass diese Mittel Fernwirkungen aus¬
üben.
Es ist nur zu begrüssen, dass die einseitig bakteriologisch geschulten
Aerzte sich jetzt auch zu dem gesperrt gedruckten Standpunkt be¬
kennen. Hierbei bemerke ich ausdrücklich, dass die spezifischen Re¬
aktionen und die spezifische Immunität damit keineswegs geleugnet
werden sollen, und von mir auch niemals geleugnet sind. Nur sind sie
grundsätzlich von jenen Vorgängen nicht verschieden.
Dabei komme ich auf die Frage der „Allheilmittel“. Man hat mir
vorgeworfen, ich behandle kritik- und unterschiedslos alle möglichen
Krankheiten mit hyperämisierenden Mitteln, was bei der Mehrzahl der
Fälle auf eine Verstärkung der Entzündung herauskommt; es gäbe aber
kein Mittel, das für die verschiedenartigsten Krankheiten brauchbar sei,
diese erfordern ganz verschiedene Mittel. Nun befindet sich aber fast
jeder Krankheitsherd im Zustande der Entzündung. Fassen wir diese als
das grosse Heilmittel der Natur auf, und gesteht man nunmehr zu,
dass nicht jede Krankheit mit einem spezifischen Mittel behandelt
werden müsse, so fällt dieser Vorwurf in sich zusammen. Aeusserst
wichtig und bisher nicht genügend gelöst, ist die Dosierung ' dieser
entzündungserregenden Mittel.
VII. Zahlreiche Mittel wirken durch Spaltung des
eigenen Eiweisses des Behandelten. Etwas Aehnliches
habe ich längst ausgesprochen in folgender Form: Jedes Mittel, das eine
Zersetzung von Körpergewxbe hervorbringt, macht Fieber und Entzün¬
dung und kann somit Heilwirkungen hervorrufen. Ferner habe ich fol¬
genden weitergehenden nicht gedruckten Ausspruch seit vielen Jahren
in jedem Semester bei der Erörterung von Kollargol- und anderen Ein¬
spritzungen meinen Studenten gegenüber getan: „Spritzen Sie irgend¬
etwas ein, was Fieber und Entzündung macht — und was bewirkte das
in genügender Menge und Konzentration nicht? — so werden sie unter
Umständen Krankheiten günstig beeinflussen.“ Ich rechnete zu diesem
Irgendetwas sogar die „physiologische“ Kochsalzlösung, denn ich sah
ausser den bekannten Schüttelfrösten, die danach vorkamen, bei sehr
reichlichem intravenösen Einführen dieses Mittels (wir verwandten früher
bei Sepsis bis zu 6 Liter täglich) hämolytischen Ikterus auftreten. Es
sind also nicht nur Stoffe, welche das isotonische Gleichgewicht stören,
die eine Zersetzung von Körperteilen hervorbringen.
Dass solche Mittel im allgemeinen durch Eiweisszersetzung wirken,
geht schon aus den Erfahrungen hervor, die man mit den früher so be¬
liebten Infusionen von allen möglichen Dingen machte. (Es gibt kaum
einen Stoff, den man in dieser Beziehung nicht schon benutzt hätte, vom
Wasser bis' zu Urin und Milch, Säuren, Alkalien. Terpentin, Wein,
viele Salze und Arzneimittel, sogar Oele usw.) So spritzte der
Digitized by Goi'Sle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
167
II. ftbruar 1921
Tierarzt Viborg’**) kranken Pferden und Kühen Veratrin, Arnika und
andere Mittel in die Venen ein und erzeugte damit die sog. Transfusions¬
erscheinungen, die man von der Transfusion, besonders von fremdartigem
Blut, kannte, und die zweifellos vom Zerfall von Eiweiss herrühren.
Auch beobachtete er danach die anerkanntesten Folgen der Transfusion,
vermehrte Fresslust und erquickenden Schlaf.
Auch wissen wir seit langem, dass Eiweissspaltprodukte Fieber und
Entzündung machen. Aber warum sollen das andere Spaltprodukte und
körperfremde Stoffe nicht auch tun? Beweist doch der klassische Ver¬
such Hugo Schulz’**), dass chemische Gifte in verschiedenen Kon¬
zentrationen auf die Hefezelle angewandt, dieselben biologischen Wir-
k'JTigen auf diese Pflanzenzellen ausüben, wie die eingespritzten Pro-
leinkörper auf die tierischen Zellen”). Dafür, dass dasselbe auch für
die tierische Zelle gilt, sprechen eine Reihe neuerer Beobachtungen.
Allerdings kann man dabei annehmen, dass jene Mittel erst mittelbar
durch Spaltung des Eiweisses der Zelle selbst wirken.
VIII. Wirkung des Proteinkörperreizes.
Die Entzündung hat, wie ich schon früher ausgeführt habe, das Un-
Klück gehabt, lange Zeit hauptsächlich anatomisch und wenig physio¬
logisch und biologisch erforscht zu werden. Da sie mm aber einen
physiologischen Vorgang darstellt, so ist das ebenso widersinnig, als
wollte man die Verdauung im, wesentlichen anatomisch erforschen.
Natürlich haben wir in beiden Fällen die morphologischen Unterlagen
dringend nötig, aber der Hauptteil der Erforschung bleibt doch die physio¬
logische Seite. (Das betont neuerdings auch Asch off.) Viele Eigen¬
schaften der Entzündung sieht der pathologische Anatom überhaupt
nicht, und ich glaube kaum, dass irgendein Praktiker zu dem unglück¬
lichen Vorschlag hätte kommen können, den ein pathologischer Aanatom
machte, den Entzündungsbegriff fallen zu lassen.
Für diejenigen Aerzte, die, wie ich, auf dem teleologischen Stand¬
punkt stehen, die Entzündungsreaktion als etwas Nützliches anzusehen,
ist es etwas Selbstverständliches, dass dieses grosse Verteidi¬
gungsmittel bei den allerverschiedensten Schädigungen in Tätigkeit tritt,
und uns sagte Weigert”) nichts Neues als er erklärte die Entzündung
ist die Reaktion auf jede Schädlichkeit. Aber trotzdem ist dieser Satz
W’ e i g e r t s von grosser Bedeutung gewesen weil er die Entzündungs¬
reaktion anatomisch zu ergründen und sie auf grob mechanische Weise
zu erklären suchte. Denn in dem hinter uns liegenden Abschnitt der
Medizin war jede „teleologische“ Auffassung so verpönt, dass „exakte
Forscher“ — und wer, der die Feder ergreift, rechnete sich nicht zu
ihnen? — sie anständigerweise nicht teilen konnten. Jede grob¬
mechanische Erklärung, die zu demselben Schlüsse kam, war dagegen des
Beifalles sicher. So hat man sich denn im allgemeinen die Weigert-
sche Anschauung zu eigen gemacht.
Schon V i r c h 0 w hat die vollkommene Wesensgleichheit des funk¬
tionellen, nutritiven, formativen und entzündlichen Reizes betont und
darauf hingewiesen, dass nicht die Art, sondern die Stärke des Reizes
dafür ausschlaggebend ist, ob das eine oder das andere eintritt. Auch
VV e i g e r t liess Funktion, Nutrition, Formation durch denselben Vorgang
entstehen, wie die Entzündung, und zwar durch die Schädigung der be¬
treffenden Gewebe, während er den Reiz leugnete. Er erklärte, auch
die Funktion gehe mit Zerstörung lebendiger Substanz einher. Nach
seiner bekannten Annahme, dass das Verlorengegangene infolge der Weg-
räumung von Wachstumshindemissen sich wiederbilde und zwar so, dass
die Masse des Neugebildeten immer die des Fortgefallenen übersteige,
erklärte er die funktionelle und entzündliche Hypertrophie durch den¬
selben Vorgang. Gerade so, nur besser und nicht so grobmechait|sch, er-
•<lärte schon vor ihm Pflüger”) die funktionelle Hypertrophie.
Nun gibt es wohl kaum ein Beispiel, das besser bewiese, dass der¬
selbe Reiz Tätigkeit, Ernährung, Neubildung und Entzündung hervor-
üft, als die Wirkung der Proteinkörper. Ich brauche in dieser Be¬
gehung nur aul den oben geschilderten Einfluss der Transfusion hinzu-
^eisen.
Ferner wissen wir, dass in einzelnen Fällen die Funktion gleichbe- i
deutend ist mit einem Untergang des tätigen Gewebes (z. B. der sezer- I
r.ierenden Zellen bei der Milchabsonderung). Es steht deshalb nichts I
:m Wege, daran festzuhalten, dass Funktion, Ernährung, Neubildung, Ent¬
zündung durch denselben Reiz hervorgerufen werden auf dem Umwege
*’) Mitgeteiit von Scheel.
**) Hugo Schulz: Pflügers Arch. 42. r.388. Dieser grundlegende Ver¬
such ist später von anderen Forschern auf alle möglichen Lebewesen über¬
tragen und durchaus bestätigt worden.
**) H. Schulz sprach schon in seinen ersten Arbeiten den Satz aus:
..dass jeder Reiz auf eine einzelne Zelle oder auf die aus Zellgruppen be¬
gehenden Organe entweder eine Vermehrung oder eine Verminderung ihrer
physiologischen Leistungen bedinge, entsprechend der grösseren oder ge¬
ringeren Intensität des Reizes.“
*•) Uebersiclitlich zusammengefasst in Weigert: Neue Fragestellungen
in der pathologischen Anatomie. 65. Versammlung d. Oes. d. Naturforscher u.
.Merzte, Frankfurt 1896.
Ich habe bei anderer Gelegenheit (Bier: Beobachtungen über Re-
;:eneration beim Menschen. VII. Abh. Wahre Regeneration in grösseren Lücken.
D.m.W. 1917 Nr. 46—48) auseinandergesetzt, dass ich bei aller Anerkennung
•icr fruchtbaren Anregungen, die Weigert gegeben hat, zu seiner „Schiwa-
theorie“, die die V i r c h o w sehen Reize aus.schalten will, im schroffsten
Gegensätze stehe, und die Arbeit Pflügers (..Die teleologische Mechanik
itr lebenden Nafur, Bonn 1877)), der dasselbe Gebiet in viel allgemeinerer,
omfassenderer und zutreffenderer Weise in Angriff nahm, weit höher ein-
•chätzte. Leider ist diese vortreffliche Arbeit zu ihrer Zeit nur von wenigen
leachtet und wird deshalb nur selten erwähnt. Es ist zu begrüssen, dass
kleine inhaltsreiche Schrift jetzt mehr Aufmerksamkeit erregt.
”) Orth: Rückblicke. Virchows Arch. 2(K). Bd.
der Schädigung, die je nach ihrer Abstufung das eine oder das andere
bewirkt.
Wem es aber widerstrebt, in der physiologischen Reizung eine
Schädlgüng zu sehen, der stelle sich auf den schon in der Anmerkung ”)
erwähnten Standpunkt Virchows: „Geringe Reize bringen mehr
funktionelle Erregung, stärkere wirken auf die nutritive Tätigkeit, noch
stärkere lösen formative Reize aus, die stärksten ertöten“, oder, noch
allgemeiner ausgedrückt, auf den Boden des A r n d t-S c hu Izschen
Gesetzes..
Wie überlegt auch hier V i r c h o w vorging, sehen wir
daraus, dass er statt „Schädigung“ „Störung“ sagte. Wie Orth”)
in einer sehr lesenswerten Abhandlung über die V i r c h o w sehe Reiz¬
lehre ausführt, versteht V i r c h o w unter Störung keineswegs immer
eine Schädigung, sondern auch eine blosse Aenderung des Zustandes der
Gewebe.
Das sind aber untergeordnete Fragen. Die Hauptsache ist, dass ein
.und derselbe Reiz, je nach seiner Stärke und nach der Reizbarkeit der
Gewebe, Tätigkeit, Ernährung, Neubildung, Entzündung und Tod aus-
lösen kann. /
Die alte Frage, ob sich auch das Blut entzünden könne, ist als an¬
geblich unwissenschaftlich verneint worden. Ich bejahe sie unbedingt.
Denn, warum sollte nicht der Entzündungsreiz das Blut ebenso, oder
(bei intravenöser Einspritzung des Reizmittels z. B.) noch viel mehr
treffen als alle anderen Gewebe, also, um eins von vielen herauszugreifen,
die roten Blutkörperchen zu verstärkter oder veränderter Atemtätigkeit
und zu anderen Leistungen, die ihnen sicherlich noch ausserdem obliegen,
erregen? Das würde für den ganzen Körper von grösster Bedeutung
sein. Denn zweifellos hat doch die gewaltige Blut- und Säftemasse mit
die allerwichtigsten Funktionen im Körper zu verrichten. Ich brauche
deshalb nicht weiter auszuführen, was für eine Rolle die Steigerung
seiner Leistungsfähigkeit für den ganzen Körper spielen würde. Nicht
minder wichtig würde es für den Entzündungsherd sein, denn dje Ge-
fässe führen immer neues Blut ihm zu, das im Entzündungsherde, von
dem dort in erster Linie tätigen Entzündungsreize getroffen, sich an der
erhöhten Leistung des Herdes beteiligt. Andererseits nimmt es den
Entzündungsreiz dort in sich auf, trägt ihn zu den entferntesten Körper¬
stellen und reizt sie zur Mitarbeit, wirkt also auch in dieser Beziehung
wieder auf den ganzen Körper. So fllessen die Begriffe der Entzündung
und des Fiebers, die. wie ich schon erwähnte, untrennbar zusammen¬
gehören, ineinander über.
Hier erwähne ich eine merkwürdige Beobachtung, die ich die heisse
Stauung genannt habe: Legt man bei gewissen akuten Entzündungen
eine Stauungsbinde so locker an, dass sie an gesunden Gliedern kaum
eine sichtbare Aenderung der Blutfülle hervorrufen würde, so wird die
Entzündung so gewaltig verstärkt, dass dem Uneingeweihten angst
und bange dabei werden kann. Schnell schwellen die Glieder weit über
den Entzündungsherd hinaus um das Doppelte an, werden feurig rot und
heiss und bedecken sich zuweilen mit Blasen und nässenden Hautaus¬
schlägen. Fast sofort verschwinden die Schmerzen und die gemeine Funk¬
tionstörung und die Krankheit hellt in der Regel überraschend schnell
aus. Nun klingen in demselben Masse die Hyperämie und ihre Folge¬
zustände ab, die Haut runzelt sich und legt sich in Falten, obwohl die
Binde unverändert liegen bleibt. Ja, nach der schnellen Heilung schlägt
das Glied In das Gegenteil um; denfi. zieht man die Stauungsbinde jetzt
so fest an, dass am gesunden Gliede eine erhebliche Hyperämie ent¬
stehen würde, so bleibt diese hier völlig aus.
Die Beobachtung zeigt, dass die sogen, passive Hyperämie, die die
Stauungsbinde erzeugt, bei Entzündungen sehr starke aktive Kräfte aus¬
löst. Wahrscheinlich handelt es sich hier u. a. um eine Zurückhaltung
des chemischen Entzündungsreizes im Krankheitsherd”).
Bemerkenswert ist auch der Umschlag in das Gegenteil. Mit vollem
Rechte kann man hier behaupten, der betreffende Gliedabschnitt sei
jetzt „immun“ geworden gegen die Erzeugung einer Hyperämie.
Aehnliche Erfahrungen, wie hier mit der Stauungshyperämie machte
ich auch mit anderen die Entzündung verstärkenden Mitteln.
Diese heisse Stauung erzielt man leider nur sehr selten auch bei
chronisch entzündeten Gliedern, z. B. bei Gelenktuberkulose und erlebt
dann ganz unglaublich schnelle Heilungen.
Hier weise ich noch auf eine zweite Eigenschaft des Entzündungs¬
herdes hin. die ich schon mehrfach beschrieb. Der Entzündungsherd
zwingt ganz unabhängig vom Blutdrucke und, wenn die zuleitenden Blut¬
bahnen bis auf die geringsten Reste zerstört sind, ja, oft sogar unter
künstlicher Blutleere, das Blut im Uebermass zu sich hin. so dass eine
starke Hyperämie entsteht. Ich werde “bald an anderem Orte eine neue
Erklärung dafür geben.
Nochmals komme ich auf den Gedankengang Hugo Schulz’ zurück,
den ich nach meinen praktischen Erfahrungen durchaus richtig befunden
habe: „Ein krankes Organ verhält sich gegen Reize ganz anders als ein
gesundes und ein chronisch entzündetes ganz anders als ein akut ent-
”) Meine Schüler Joseph (Einige Wirkungen des natürlichen Oedetns
usw. M.m.W. 1905 Nr. 40) und Joseph und S c h 1 i e p (Der Gewebsstrom
unter Stauungshyperämie. D.m.W. 1908 Nr. 16 u. 17) haben gezeigt, dass
das Stauungsödern, welches die Binde an einem Gliede erzeugt, in diesem
befindliche Stoffe zurUckhält, uuslaugt und gleichmässig über das ganze ge¬
staute Glied verteilt. Ferner, dass es Stoffe, die an beliebiger Stelle und
auf' beliebige Art dem Blute zugeführt werden, zurückhält. Sie treten in
das Oedem über. Ein anderer meiner Schüler (Salomon: Ueber lokale
Jodretention durch Stauungshyperämie. Grenzgeb. 27.) zeigte, dass innerlich
genommenes Jod ebenso in gestauten Gliedern abgefangen und zurückge¬
halten wird, und zwar hauptsächlich im Stauungsödem.
Digitized by Goiigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
I
168
MONCHENER medizinische WOCHEf^SCHRlFT.
Nr. 6 .
2fln<letet*‘, dafür hab« ich ln meinem Buche „Hyperämie als Heilmittel“
Beispiele angegeben, und Dr. Zimmer wird über dieses Verhalten bei
den Proteinkörpern nächstens aus unserer Klinik berichten. Ich will
hier nur erwähnen, dass meiner Ansicht nach auch bei diesen das Akut^
machen chronischer oder subakuter Entzündungen wie bei anderen ähnlich
wirkenden Mitteln wohl die Hautrolie spielt
Es liegt nahe, ein Verfahren, das den ganKen Körper so eirtSclineidend
beeinflusst, wie die Transfusion, bei frischen akuten Infektionen zu be¬
nutzen, zumal die biologische Verwandtschaft zw'lschen Hämolyse und
Bakteriolyse klar zutage liegt. Ich habe damit behandelt akute Sepsis,
Pyämie, schweres Erysipel und (nicht veröffentlicht) Syphilis bei Aus¬
bruch der sekundären Erscheinui^en. Ich hatte dabei nur Misserfolge,
ausser bei akut entzündeten Trippergelenken. Hier hatte das in der
Nähe der Gelenke subkutan eingespritzte Blut sehr gute Wirkungen,
Ich verliess aber das Verfahren, weil die bequemere StaüungsWnde
dasselbe leistetet
Ich möchte Inneren Aerzten die Anregung geben, die Proteinkörper,
ausserdem zu vibrsuchen, um die Ernährung und daS schlechte BefindCh
heruntergekommener Menschen zu verbessern. Ich sah dabei von
wiederholten Bluteinspritzungen ganz vortreffliche Erfolge. Hier scheint
mir Blut viel wirksamer zu sein als andere PToleinkörper, denn die
Kaseosaneinspritzungen, die Z i m m e r in unserer Klinik vomahm, wirkten
bei weitem nicht in dem Masse. Allerdings hatte ich grosse Erfolge
nur bei den intravenösen Bluteinspritzungen, die, wie mehrfach er¬
wähnt, dieselben Folgeerscheinungen wie akute Infektionskrankheiten
haben. Ob man dasselbe auch mit wiederholten subkutanen oder intramus¬
kulären Bluteinspritzungen erreicht, kann ich, trotzdem ich diese oh ausge¬
führt habe, nicht sicher sagen. Immerhin sah ich oft, dass Menschen mit
Knochenbrüchen, die infolge grosser Blutergüsse das „aseptische“ Fieber
V. Volkmannns aufwiesen, sehr starken Appetit bekamen und
ausserordentlich an Gewicht Zunahmen.
Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich die Wirkling der
Transfusion von Menschenblut im ganzen ebenso auffasse, wie die von
Tierblut. Denn, wie bei allen Tranr.plantationcn, geht auch hier ein
posser Teil des Uebertragenen zugrunde, wie die bekannten „Trans¬
fusionserscheinungen“ auch bei der Ueberpflanziing von Menschenblut
beweisen. Das Zugrundegehende dürfte aber in der Heilwirkung vkl
wichtiger sein als das Ueberlebende, der Reiz wichtiger als das Trans¬
plantat, was ja schon daraus hervorgeht, dass diese Einspritzungen, wenn
auch_schwächer, wirken, wenn sie nicht in die Blutbahn gemacht werden.
Ferner bemerke ich. dass ich den eingeführten Ausdruck „Trans¬
fusion teils aus Bequemlichkeit, teils, um die geschichtliche Ueberliefe-
rung zu wahren, für die im allgemeinen sich zwischen 2 und 20 ccm be¬
wegenden Mengen intravenös eingespritzten Blutes beibehalten habe,
Ich mache auf die ganz augenfällige Besserung aufmerksam, die sehf
schwer pkrankte Lungenschwiiidsüchtige nach der Transfusion tremd-
artigen Blutes zeigen. Besonders ist dies der Fall nach der cKt wleder-
tiolten &nfuhruhg geringer Mengen fremdartigen Blutes, die ich in
solchpi Fällen vomahm. Die Kranken fühlen sich im wahrsten Sinne
des Wortes „neugeboren“. Vor allem fällt das Aufhören der Nacht-
sch\^isse, des quälenden Hustens, des Auswurfes, das mehrere Tage nach
Qcr Transfusion anhält, auf. Meines Erachtens müssen auch diese Ver¬
suche mit vorsichtiger Dosierung wieder aufgenommen werden. Ich
habe noch von keinem anderen ProtÄlnkörper gehört, der dieselben über¬
raschenden Wirkungen hätte.
II ^chlipslich betone ich, dass man die hyperämislerende Wirkung
aller der beschriebenen Heilmethoden die aus einem Gesichtspunkte be¬
trachtet werden müssen, nicht aus dem Auge verlieren sollte. Zwar bin
^n ein Anhänpr der VI r c h o w sehen parenchymatösen Entzündung *®).
Denn, obwohl ich es für sicher halte, dass der störende Reiz nicht
allein die Ze len, sondern auch die Säfte trifft, so macht die
bch^igung der Zellen in erster Linie erst die Entzündungsreaktion, die
die Heilung besorgt, und an der alle Zellen des Entzündungsherdes und
Gdässwände sich lebhaft aktiv beteiligen. Aber für
die Entstehing der Reaktion ist die HjDerämie von ausschlaggebender
Bedeutung, sicherlich viel mehr als V i r c h o w angibt. Der hohe Wert
des „ubf Stimulus ibi affluxus“ bleibt bestehen. Wenn man aber den
affluxus künstlich hervorruft, so unterstützt man einerseits dadurch die
Wirkung des Reizes und andererseits zeif^t die beschriebene heisse Stau-
img, dass wie die Hyperämie vom Reize, so andererseits der Reiz von
der Hyperämie abhängt und unterstützt wird.
puzeitliche Proteinkörpertherapie, die ich in ihrem theoretischen
tntll V musste, hat uns praktisch einen
possen Vorteil gebracht: Sie h^anstelle anderer Mittel, die grundsätz¬
lich gleich wirken, entmisch rein darstellbare und leicht dosierbare Stoffe
m-t wemg unangenehmen Nebenwirkungen gesetzt, die für die allgemeine
Anwenduiig ausgezeichnet brauchbar sind. Unsere Hauptaufgabe dürfte
sein, für die Anwendung bei den einzelnen Krankheiten die richtige Do-
Indikation herauszufinden. Sicherlich haben sie,
obwohl grundsätzlich in derselben Richtung wirkend, trotzdem nicht
P^ä^^Ijschen Erfolge. Ich habe mich sogar oft gefragt,
ob nicht auch das alte Haarseil, die Fontanelle und das Glüheisen einmal
werden, obwohl wir andere, weniger eingreifende Mittel
haben, die Im gleichen Sinne wirken. So wird vielleicht auch die un-
^fel? b^r unter den Proteinkörpern doch noch ihre
IhLuhif/ ^ u parenchymatöse Entzündung letzt fast all-
wie ich, am nutritiven und formativen
Reize festhält, muss sie anerkennen.
Aus der Universitäts-PräuenkÜnik Tübingefl.
(Vorstand: Prof. Dr. Aug. Mayer.)
Uebef das Uteruskarzinom und seine moderne
Behandlung*).
Von Prof. Aug. Mayer.
Die ersten Versuche, das Uteruskarzinom operativ zu behandeln,
reichen über 100 Jahre zurück. Wir finden dort Männer mit klangvollem
Namen am Werk, wie Oslander und L a n g e n b e c k. Ein würdiger
Nachfolger erstand Ihnen während der letzten Dezennien des verflossenen
Jahrhunderts ln C z e r n y^ Sie suchten alle auf vaginalem Wege
ihr ^el zu erreichen.,
Der heute herrschende abdominale Weg wurde erst 1878 be¬
schritten düi-ch Wilhelm Alexander Freund. Seine Operation hatte
aber eine primäre Mortalität von über 70 Proz. und konnte sich nicht
einbürgera. Ihre Schrecken verlor sie erst etwa 20 Jahre später, Ende
des letzten Jahrhunderts, durch die bessere Ausgestaltung der Technik.
Unter den Operateuren, die sich damit befassten, möchte ich v. Rost-
horiTnicht unerwähnt lassen. Das Hauptverdienst gebührt aber wohl
W e r t h e i m, der jetzt vor kurzem erst starb. Nach ihren zwei Haupt¬
begründern führt die Operation auch den Namen „die Freund-Wert-
he im sehe“ Operation. Als solche ist sie seit Anfang dieses Jahrhun¬
derts allgemein bekannt.
Während bisher ein ganzes Jahrhundert hindurch die Technik nur
langsam vorankam, ging es jetzt mit Riesenschritten vorwäi^. Dennoch
aber Hess sich die Operation ihfef besonderen Schwierigkeiten und Ge*
fahren nicht entkleiden. Das Operationsgebiet hat seine eigenen Tücken;
es liegt zwischen Blase und Ureter einerseits, grossen Oefässen und Rek¬
tum anderseits. Da zwischen Scylla und Charybdis immer richtig hin¬
durchzusteuern, heisst an das technische Können und die Erfahrung des
Operateurs auch heute noch grosse Anforderungen stellen.
Meisterhafte Operateure und begeisterte Anhänger der modernen
Operation, wie Krönig, hatten sie daher schnell verlassen und sich
ebenso begeistert der Strahlenbehandlung zugewendet seitdem Per¬
thes u. a. über erfolgreiche Bestrahlung von Hautkarzinomen berichte¬
ten. Schon auf unserem letzten grossen Kongress 1912 in Halle konnten
Krönig, Döderlein und Bumm ganz überraschende primäre Er¬
folge der Bestrahlung mitteilen. Man sprach schon bald von der „opera-
tionslosen Behandlung des Uteruskarzinoms“. Ja. man hörte da und dort
die Operation eigentlich als ein Unrecht fast als ein Verbrechen be-
zeichnert. /
Werthei m fürchtete, dass auf unserem letzten Kongress im Mai
cl. J. der Operation das Todesurteil gefällt und sein Lebenswerk als über¬
lebt bezeichnet würde. Er starb kurz vorher und hat das Urteil nicht
gehört. Wir wollen sehen, ob die W e r t h e i m sehe Befürchtung be¬
rechtigt war und was die Operation leistete. Wir sind zu dieser Unter¬
suchung vielleicht besonders berechtigt aus besonderen Gründen. Die
Tübinger Klinik konnte sich an den Anfängen der Strahlenbehand¬
lung leider nicht systematisch beteiligen. Heute noch fehlt es an
ausreichenden Mengen von Radium, und ausreichende Röntgenapparate
stehen erst seit ca. 3 Jahren zur Verfügung. Wir mussten also lange
Zeit notgedrungen der Operation treu bleiben. Ich hatte es in den
letzten Jahren manchmal mit schlechtem Gewissen getan. Aber wir
haben uns so eine grosse Erfahrung über die Operation gesammelt. Das
Wichtigste daraus möchte ich kurz vortragefi.
Ich beziehe mich auf die ganze Zeit, seit der die Operation an der
hiesigen Klinik gemacht würde, seit 1. Januar 1902 bis 31. Dezember
1919, also 18 Jahre. Das Material der Döderleinseben Zeit habe
ich früher schon bearbeitet, das andere habe Ich alles persönlich erlebt.
Die Einheitlichkeit der Bearbeitung ist also gewährleistet. Bei der Zu¬
sammenstellung des Materials haben mir die Doktoranten L ü p k e und
Lenz und in letzter Zeit noch Herr Dr. Pape'wichtige Dienste ge¬
leistet.
In dem genannten Zeitraum von 18 Jahren kamen im ganzen 999
Utemskarzinome zur Beobachtung.
Ehe wir die erzielten Heilerfolge besprechen, möchte ich kurz auf
Grund dieser rund 1000 Karzinome einige allgemeine Fragen
streifen.
Zunächst ein Wort über die Häufigkeit des Uteruskarzinoms
unter den gynäkologischen Krankheiten. Sie betrug 5,6 Proz.; es hat
also unter den Unterleibskranken etwa jede 16. Frau ein Uteruskarzinom.
Diese relativ grosse Häufigkeit rechtfertigt die Unsumme von Arbeit,
welche von den Gynäkologen in den letzten zwei Dezennien im Kampf
gegen diesen heimtückischen Feind unserer Frauen aufgebracht wurde.
Auffallend ist die Abnahme der Häufigkeit seit dem Jahre
1916. Wir hatten früher zuweilen nahe an 80 Karzinome im Jahre, durch¬
schnittlich aber 55; in den letzten Jahren sank der Durchschnitt auf 40.
Ich kann diese Abnahme nicht genau erklären.
Sollte etwa das Karzinom seltener geworden sein? Ich kann
das nicht recht annehmen, da es nach mancher Ansicht sonst überall
häufiger wurde.
Vermutlich sind die Frauen nur seltener in die Klinik gekommen. Das
Ist freilich sehr merkwürdig, da sonst die Frequenz durchweg sehr zu¬
nahm. Aber zur Erklärung lässt sich doch an manches denken, z. B.
eine Abwanderung der Kranken in andere Kliniken des Landes, wo sie
•) Vortrag im Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Verein TObinRen.
Juli 1920.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. rebmar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
169
vielleicht bestrahlt werden konnten, während wir lange Zelt zu ope¬
rieren gezwungen waren. Direkte Anhaltspunkte dafür habe ich aber
nicht.
Möglich ist auch, dass die durch übermässige Arbeit erschöpften und
dazu infolge der Hungerblockade geschädigten Frauen dem Karzinom
rascher erlagen, ehe sie Zeit fanden, die Klinik aufzusuchen. Ich muss
aber alle diese Fragen unentschieden lassen.
Von weiterem Interesse ist sodann die Verteilung der 1000
Üteruskarzinome auf den Uterushals und den Uteruskörper.
Es sind 815 Kollumkarzinome und 184 Korpuskarzinome. Auf rund
80 Kollumkarzinome kommen also nur 20 Korpuskarzinome; die Kol¬
lumkarzinome sind also rund viermal häufiger als die Korpuskarzinome;
leider, denn die Kollumkarzinome verhalten sich in jeder Richtung viel
ungünstiger als die Korpuskarzinome.
Bezüglich der A e t i o 1 o g i e der Karzinome haben wir versucht,
auch der Frage der Vererbung nachzugehen. Es hat sich ergeben,
dass bei 161 genauer durchforschten Fällen von Kollumkarzinom
7.3 Proz. auch in der Aszendenz Karzinom aufwiesen. Aber ehe wir
noch eine entsprechend grosse Anzahl von Nichtkarzinomkranken in der¬
selben Weise untersucht haben, kann uns diese Zahl nichts sagen. An
manchen Einzelfällen freilich gewinnt man sehr den Eindruck einer
Erbanlage. ,
Vielleicht Hesse sich als Träger dieser Erbanlage ein be¬
sonderes Verhalten des Bindegewebes anschuldigen. Ich gehe da¬
bei davon aus, dass nach manchen Anschauungen das Karzinom zur
Entw icklung kommt, sobald das Bindegewebe dem Wachtstumsdrang der
epithelialen Gebilde keinen genügenden Widerstand entgegensetzt. Ich
erinnere auch daran, dass in Uebereinstimmung damit die Heilungsvor¬
gänge nach Röntgenbestrahlung neben Auflösung der Epithelzellen in
einer starken Bindegewebswucherung beruhen. Danach könnte man sich
denken, dass jene Anlage in einer konstitutionellen Min¬
derwertigkeit des Bindegewebes beruht.
Wir hätten dann nur zu frag?fen, ob diese sich klinisch generell
irgendwie nach weisen lässt. Ich glaube ja, und zwar bei unseren
Frauen mit hypoplastischem Genitale. Da finden wir neben
anderem ein sehr dürftiges Unterentwickeltes Bindegewebe. Für
diese konstitutionell minderwertigen Frauen haben wir in ge¬
wissem Sinne wieder ein Erkennungszeichen am Eintritt der ersten
Periode. Dfese soll hierzulande zwischen dem 15. und 16. Jahr auf-
treten. Es ist darum vielleicht kein Zufall, dass unter 243,. in dieser
Richtung durchforschten Kollumkarzinomen bei rund 45. Proz. die
Menarche erst mit dem 17. Jahr und später eintrat.
Auch bei Annahme einer Erbanlage muss man aber eine auslösende
Ursache fordern, die jene Anlage mobilisiert und schliesslich zum Kar¬
zinom führt. Auch in dieser Richtung zeigt unser Material bemerkens¬
werte Unterschiede. In Uebereinstimmung mit anderen Beobachtungen
findet sich, dass das Karzinom hauptsächlich eine Krankheit der
niederen Bevölkerungsschichten ist. Das Kollumkarzi-
noin fand sich unter den Saalkranken (5,6 Proz.) 8 mal häufiger als bei
den Privatpatienten (0,7 Proz.).
Auf diesen auffallenden Unterschied fällt vielleicht Licht, wenn man
hört, dass die Saalkranken durchschnittlich fast 2mal
mehr Kinder geboren haben als die Privatpatienten
(4.52; 2,65). Dazu kommt noch, dass die Frauen mit Uteruskarzinom
wieder öfter geboren als die anderen unserer Klientel (6,2:4,52). Man
kann da vielleicht doch daran denken, dass die mit der Geburt ver¬
bundenen mechanischen Schädigungen die Karzinomentwicklung aus-
'öseii (T h e i 1 h a b e r), wie man auch an andern Organen mechanischen
Schäden einen Einfluss auf die Karzinomentstehung zuschreibt.
Da diese mechanischen Geburtsschädigungen naturgemäss an dem
sub partu gewaltsam erweiterten Kollum viel intensiver sind als am
Korpus, Hesse sich damit am Ende auch erklären, warum das Uterus¬
karzinom seinen Sitz so sehr viel häufiger im Kollum hat als lifi Korpus.
In Uebereinstimmung damit steht wohl ein anderer, sehr bemerkens¬
werter Unterschied zwischen den Trägerinnen eines Kollumkarzinoms
und denen eines Korpuskarzinoms: Von den ersteren hatten fast alle
(96,3 Proz.) geboren, von den letzteren nur gut K (78,6 Proz.). Sodann
hat beim Kollumkarzinom die einzelne Frau durchschnittlich viel
öfter geboren als die beim Korpuskarzinom (6,7:3,6). Unter den^
Kollumkarzinomen befinden sich wenig Weniggebärende und viele Viel¬
gebärende, bei den Kcrpuskarzinomen ist es gerade umgekehrt.
Die geringe Geburtenzahl bei den Korpuskarzinomen fällt um so mehr
auf, als die maximale Häufigkeit des Korpuskarzinoms durchschnittlich
fast um ein Jahrzehnt später auftritt als die des Kollumkarzinoms.
Es hätten also die Trägerinnen eines Korpuskarzinoms viel länger Zeit
gehabt. Kinder zu bekommen, Die Geburt scheint somit tat¬
sächlich einen Einfluss auf die Entstehung des Kar¬
zinoms zu haben.
Im Anschluss daran erhebt sich die mehrfach diskutierte Frage, ob
die Schwangerschaft einen Einfluss auf die Ausbreitung
des Karzinoms hat. Die klinischen Ansichten stehen einander
scharf gegenüber. Die meisten Autoren glauben, dass das Karzinom
in der Schwangerschaft sehr schnell wachse (H o f m e i e r, S e 11 h e i m),
weil die Auflockerung des Gewebes und die Erweiterung der Saftlücken
jTid Kapillaren das Fortschreiten des Karzinoms begünstige. Dazu
könnte stimmen, dass der gegenteilige Vorgang, die Gewebeeintrocknung
im Senium die Karzinomausbreitung hemmen soll.
Andere wollen aber von der Schwangerschaft das Gegenteil gesehen
haben (T h e f I h a b e r) und glauben, dass die Hyperämie resp. di^ saft¬
reiche Bindegewebszelle in der Schwangerschaft der Ausbreitung des
Karzinoms sich erfolgreich entgegenstellt.
Vom tierexperimentellen Standpunkt aus durfte man eine
hemmende Wirkung durch die Schwangerschaft erwarten im Sinne
der sog. atreptischen Immunität. Diese beruht auf der Beobachtung,
dass von 2 Tumoren, die gleichzeitig oder nacheinander ein und dem¬
selben Tier implantiert werden, der eine, mit grösserer Wachstums¬
energie begabte, wächst, während der andere der Resorption verfällt.
Man kann nun das wachsende Ei mit seinen biologischen Eigenschaften
in mancher Richtung einem malignen Tumor mit grosser Wachstums¬
energie gleichsetzen, ich erinnere an das Chorioepitheliom. Tatsächlich
fand F i c h e r a, dass Impfung von embryonalem Gewebe bei trächtigen
Tieren schlechter angeht als bei nichtträchtigen, ln Uebereinstimmung
damit steht, dass bei trächtigen Ratten und Mäusen Impfsarkome oder
Impfkarzinome stets w'eniger wuchsen als bei nichtträchtigen (Graff,
Frankel). Nach dem Gesetz der atreptischen Immunität kann es da¬
her in der Schwangerschaft zu einem Daseinskampf zwischen Ei und
Karzinom und damit zu einer Hemmung des Karzinoms kommen!
Ich kann zu diesen Fragen klinisch einigermassen Stellung
nehmen an 31 Fällen von Kollumkarzinom, wo z. T. gleichzeitig eine
Gravidität bestand oder nicht allzulange vorher vorausging.
Unter 31 Fällen sind inoperabel 6, also nur rund 20 Proz. Das ist
auffallend wenig im Vergleich zum Durchschnitt, der mindestens 33)^
betrug.
Ebenso auffallend sind auch manche Einzelbeobachtungen.
So trat z. B. in einem Fall von Kollumkarzinom und Gravidität zwar
3 Jahre nach der Operation ein Rezidiv auf, aber nach der Rezidivopera¬
tion blieb die Frau nicht weniger als 2% Jahre gesund. Dann entwickelte
sich ein neues Rezidiv, das erst nach weiteren IK Jahren zum Tode
führte; also gewiss ein sehr langsamer Verlauf trotz der vorausgegan¬
genen Schwangerschaft.
. Und in einem anderen Falle wurde fast ein Jahr vor der Karzirom-
operation vom Arzt sub partu an der karzinomatösen Muttermundslippe
eine hühnereigrosse Geschw'ulst abgetragen, trotzdem war fast ein Jahr
nachher das Karzinom noch operabel, wenn freilich auch nur unter Re¬
sektion der Harnblase; die Drüsen waren vergrössert. aber nicht kar-
zinomatös. Die Patientin blieb länger als 5 Jahre rezidivfrei, war also
geheilt.
Danach finden wir vom klinischen Standpunkt
aus die allgemeine Anschauung, dass die Schwanger¬
schaft Karzinom Wachstum und Ausbreitung be¬
günstige, zum mindesten nicht bestätigt.
Das könnte nun mit der geäusserten Auffassung, dass durchgemachte
Geburten die Karzinom entstehung begünstigen, in Widerspruch
stehen. Dem ist aber nicht so. Wir haben zwei verschiedene Dinge:
Karzinom entstehung und Karzinom ausbreitung. Dort han¬
delt es sich um mechanische Gewebsschädigung durch den physikalischen
Hergang der Geburt, hier handelt es sich um biologische Eigenschaften
durch die Schwangerschaft. Jene kann die Entstehung eines Karzinoms
begünstigen, während diese seine Ausbreitung hemmen können.
Will man überhaupt ein besonderes Verhalten der Schw^angerschaft
dem Karzinom gegenüber annehmen, so könnte man zur Erklärung
ausser den zwei genannten Möglichkeiten auch noch an eine dritte
denken. Die Keimdrüse resp. ihr Verhalten in der
Schwangerschaft.
Mehrere Autoren (F i c h e r a, T h e i 1 h a b e r) schreiben der Keim¬
drüse überhaupt einen das Krebswachstum fördernden Einfluss zu.
Ihr Fehlen würde also das Tumor Wachstum hemmen. Tatsächlich soll
bei kastrierten Mäusen das Wachstum implantierter Karzinome Zurück¬
bleiben. Man könnte nun die Schwangerschaft als temporäre physiologische
Kastration ansprechen und damit die erwähnte experimentelle Erfahrung
über Hemmung des Tumorwachstums in der Gravidität und meine mehr
in diesem Sinne sprechenden klinischen Beobachtungen erklären.
Aber gegen all das lassen sich Einwände erheben. Im Gegensatz
zum fördernden Einfluss der Keimdrüse nehmen andere einen
h e m m e nd e n an (L a u t e r b o r n). Sie weisen auf die monströse
Geweihbildung beim Rehbock hin, wie sie nach Kastration vorkommt.
Sodann geht es nicht an, die Gravidität als Kastration anzusprechen.
Wenn auch die ln der Form der Menstruation sichtbare Tätigkeit des
Eierstockes ruht, so braucht doch die innere Sekretion nicht zu ruhen.
Mit der Annahme eines Einflusses der Keimdrüse auf das Karzinom¬
wachstum stossen wir also auf Widersprüche.
Denselben Widersprüchen begegnet man, wenn man die verschie¬
dene Häufigkeit der Krankheit in den verschiedenen Lebensaltern
sich vorstellt. Die Seltenheit des Karzinoms in der Jugend ist bekannt.
Nach Freund und K a m i n e r liegt der Grund dafür darin, dass das
Blutserum jugendlicher Menschen die Krebszellen zu zerstören vermag.
Im Alter fehlt diese Eigenschaft und darum ist das Karzinom häufig.
Die grösste Häufigkeit liegt nach dem 50. Jahre. Nun haben
w’ir in beiden Lebensaltern keine Eierstocktätigkeit, und zwar
in der Jugend noch keine und im Alter keine mehr: es müsste
also das Fehlen der Eierstocksfunktion eine ganz entgegengesetzte Wir¬
kung haben, in der Jugend hemmend, im Alter fördernd. Bei diesem
Widerspruch muss man annehmen, dass die Keim-
drüse mit diesen Dingen überhaupt nichts zu tun hat,
wenigstens direkt nicht.
Dennoch begegnen wir dieser Vermutung noch einmal bei der oben
schon gestreiften Frage, ob der Grad der Malignität der Kar¬
zinome sich im Alter ändert. Manche Autoren stehen auf
dem Standpunkt, dass die Malignität im Alter abnimmt, Zweifel
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
170
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
z. B. hat gesagt: „Je jünger die Frauen, um so rapider der Verlauf des
Karzinoms“. Umgekehrt würde also, wie schon angedeutet, gelten,
die Karzinomausbreituiig erfolgt um so langsamer, je älter die Frauen
sind. Angenommen das sei so, dann könnte man die Keimdrüse dafür
indirekt insofern anschuldigen, als das senil geschrumpfte Gewebe der
Aubreitung des Karzinoms Widerstand entgegensetzt, wie nach mancher
Ansicht die Auflockerung in der Schwangerschaft sie begünstigen soll.
Indes kann man von einer Begünstigung in der Gravidität nach
unseren Beobachtungen nicht sprechen, eher vom Gegenteil. Jedenfalls
dürfte die Erklärung dieses anderen Verhaltens der Karzinome im Alter
nicht in der Tätigkeit der Keimdrüse liegen.
Wie verhält es sich aber mit der Hauptfrage. Sind tatsäch¬
lich die Karzinome im Alter gutartiger?
Wohl nimmt jenseits der 60 er Jahre die Inoperabilität ab.
Aber das kann daher rühren, dass gleichzeitig die Häufigkeit im ganzen
abnimlnt. Auch das Sinken der Rezidivkurve im höheren Alter kommt
sicher zum grossen Teil davon her, dass von den im höheren Alter
operierten Frauen ein grösserer Teil sowieso stirbt, ehe sich ein Re¬
zidiv entwickeln kann und lässt sich nicht an sich als Zeichen einer ge¬
ringeren Malignität des Karzinoms im Alter deuten.
Vielmehr drängt sich einem ein ganz anderer Gedanke auf: Die
grössere Häufigkeit des Karzinoms und seine maximale Operabilität
fallen auf dasselbe Lebensalter. Im Gegensatz dazu Hegt die
grösste Inoperabilitätsfrequenz zeitlich erheblich nach dem Alter der
höchsten Häufigkeit des Karzinoms überhaupt. Dazu sind die Karzinome
in der Zeit ihres häufigsten Auftretens, also in den jüngeren Jahren,
öfter operabel als es ihrer Häufigkeit für dieses Alter entspricht Dem¬
gegenüber sind sie im höheren Alter viel öfter inoperabel als cs ihrem
durchschnittlichen Vorkommen entspricht (Fig. 3). Da muss man doch
an eine grössere Malignität im Alter denken. Das stünde
keinesw'egs in Widerspruch mit der aus unserem obigen Material sich !
ergebenden Vermutung, dass ln der Gravidität die Ausbreitung gehemmt
sei. Aber leider sind das ajles unentschiedene Fragen.
Ich verlasse nun dieses Gebiet der wissenschaftlichen Theorien und
wende mich praktischen Fragen zu, nach der Leistungsfähigkeit
der Operation. Ich berücksichtige dabei nur die Kollumkarzinome ‘).
Obenan steht die O p e r a b i 1 i t ä t. Es ist eine traurige Tatsache,
dass eine Reihe von Frauen erst zum Arzt kommen, wenn es zu spät
ist. Daran ist nicht immer die Indolenz der Frauen schuld. Auch wir
Aerzte verfallen zu leicht der Gefahr, eine Unterlassungssünde an den
Patienten zu begehen. Ich habe dabei Fälle im Auge, w'o Frauen im
Klimakterium wegen Blutungen zum Arzt gingen, der Arzt in der
Annahme einer reinen klimaktcri.schen Blutung eine Arznei verordnete
ohne innere Untersuchung, wo dann die Patientin erst mit dem in¬
operablen Karzinom in die Klinik kam. Hier ist das Nichtuntersuchen
eine Unterlassungssünde und das Verordnen einer Arznei eine Tatsünde:
Aus dem Rezept bekommt die Frau die falsche Vorstellung, dass nun
alles für sie geschehen sei, was geschehen kann und trägt darum ge¬
trost nach Hause, was sie schw^arz auf weiss besitzt.
Die Operabilität erreichte zeitweilig rund 80 Proz., betrug aber im
Durchschnitt doch nur rund 65 Proz. Im grossen ganzen ist also bei der
Operationsbehandlung jede dritte Frau mit Kollumkarzinom zum vorn¬
herein verloren.
Naturgemäss hat man anfänglich für diese inoperablen Fälle
besondere Hoffnung auf die Bestrahlung gesetzt. Diese Hoffnung
hat sich nun leider nicht erfüllt, wenigstens nicht in vollem Umfang.
Manchmal scheint es, als ob die Strahlen eine Reizwirkung ausüben und
das Ende beschleunigen. Da Karzinomgewebe zugrunde gehen muss,
w'enn die Strahlen überhaupt wirken, .so hat man in diesen weit fort¬
geschrittenen Fällen durch die Gewebeeinschmelzung zudem noch mit
dem Einbrechen des Karzinoms in die Umgebung, also mit Peritonitis und
Fisteln zu rechnen.
Es sind Stimmen laut geworden, man soll gerade bei weit fort¬
geschrittenem Karzinom allenfalls noch die Operation als ultimum rc-
fugium versuchen, aber nicht bestrahlen, da das ein Versuch am un¬
tauglichen Objekt sei. Das klingt paradox, charakterisiert aber doch
die Situation recht gut.
Indes berichtet Wa r n e k r o s aus der Bum m sehen Klinik doch
über 9 Proz, Heilung. Das ist immerhin mehr als nichts. Aber die
B u m m sehe Klinik setzte die Operabilität gegen früher sehr erheblich
zurück, nämlich bis herunter auf etwa 42 Proz. Damit wurde mancher
Fall als inoperabel der Bestrahlung zugeführt, der bei höher gesteckter
Operabilitätsgrenze am Ende noch mit der Operation hätte geheilt wer¬
den können.
Abpr auch dann halte ich die Strahlen beim inoperablen Karzinom
doch nicht für wertlos. Einmal stellen sie für die armen Patientinnen
einen Trost dar. Dann bringen sie durch Verminderung von Jauchung I
und Blutung oft einen bemerkensw-erten Gewinn. Einige Male habe ich 1
auch inoperable Fälle durch Bestrahlung operabel gemacht und dann '
mit Erfolg operiert. Wir w'erden das, wo es angeht, auch weiter tun.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die primäre Mortalität.
Sie betrug durchschnittlich 20 Proz.. im Anfang aber rund 35 Proz.
und sank bis auf rund 9 Proz. W^enn ein so glänzender Operateur wie
Döderlein anfänglich eine Mortalität von .35 Proz. hatte, so musste !
die Operation ihre besonderen Tücken haben. Das hatte sie auch: sic i
heissen Ureter und Blase, mit denen man in Kollision gerät. Bei jener
Aiifangsmnrt ilität spielten daher nebe-.i der häufigsten postoperativoii !
Todesart. der Peritonitis, die Folgen der S c h ä d i g u n g v o m H a r ii - ,
') Ueber die Korpuskarzinonie elc. Zbl. f. Gyn, 1920 Nr. 24. '
apparat eine nicht unwesentliche Rolle, ln der Tat kommen von
der durchschnittlichen primären Mortalität von 2U Proz. nur rund
II Proz. auf die Peritonitis.
Es musste darum das Streben dahin gehen, Schädigungen des Harn¬
apparates auszuschalteii. Zu diesem Zweck hat wohl jeder Operateur
die ursprüngliche Technik etwas modifiziert. Ueber unser Vorgehen
habe ich an anderer Stelle belichtet Damit sind Nebenverletzungen
seit Jahren überhaupt nicht mehr vorgekommen und unsere Mortalität
sank im Minimum auf rund 9 Proz.
Neben wenigen Fällen von Lungenembolie ist an der Operations¬
mortalität fast ausnahmslos die p o s t o p e r a t i v e Peritonitis
schuld. Wir können nicht annelmien, dass wir bei der Operation die
Keime in den Körper hineinbringen, da unsere moderne Asepsis zu
hoch entwickelt ist, und da wir nach Operationen an aseptisch-em Ge¬
biet so gut wie nie eine postoperative Peritonits sehen. Die Keime
müssen also schon ante operationem im Gewebe selbst sein. Das sind
sie auch und bei dem Zerfall des Karzinoms ist das nicht zu verwundern.
Unsere weiteren Bestrebungen müssen mm dahin gehen, auch die
postoperative Peritonitis nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Aufgabe
ist schwer. Es stehen uns aber zwei Wege für die Bekämpfung jener
Keime zur Verfügung. Der erste ist, den infizierten Herd in sich ab¬
geschlossen zu entfernen und die Umgebung davor zu schützen, besser
als das bisher möglich wmr. S e 11 h c i m hat zu diesem Zweck die sehr
sinnreiche H a r t e r t sehe D a m p f k 1 e m m e modifiziert, aber der Platz
reicht leider nicht aus.
Der andere Weg besteht darin, die Keime vor der Operation oder
unter der Operation im (jewebe abzutöten. Wir haben zu diesem
Zweck nach Versuchen mit der künstlichen Höhensonne seit längerem die
modernen Methoden der T i e f c n a n t i s c p s i s mit V u z i n versucht.
Die Versuche iniiscn aber für ein Urteil noch weiter fortgesetzt werden.
Vielleicht gelingt cs auch, diircli die der Operation vorangehende,
die präventive Röntgenbestrahlung, den Keimgelialt zu
vermindern. Auch In dieser Richtung sind wir am Werke.
Vorerst aber bleibt die Operation noch mit durchschnittlich 10 Proz.
Peritonitis-Todesfällen belastet. In diesem Punkt ist ihr natürlich die
Bestrahlung weit überlegen. Da gibt es kaum eine primäre Mortalität.
Dennoch kann man der Bestralilung noch nicht den Vorzug geben,
ehe man die weiteren Schicksale der Operierten oder
d'cr Bestrahlten kennt. Ich habe diese in Fig. 1 etwas scbemitisch
nebeneinandergestellt.
flesuU'abp
Dädj ßpstrdfjlang noch Opprai ion
(angef Ergebnis d.6yn.}^nqr (dm eigenen
Berlin 1320) Mdberidl)
Bleiben wir zunächst bei der Leistungsfähigkeit der Operation.
Rund Ya, ist zum vornherein verloren, da die Operation nicht
mehr in Betracht kommt.
Bei '■'/a kann die Operation versucht werden. Etwa Vs von ihnen
erliegt den Operationsfolgen.
Etwas über die Hälfte der ursprünglichen Zahl kommt primär ge¬
heilt zunächst zur Entlassung, von ihnen werden rezidiv.
Der Rest, Vs der primär Geheilten und ^/.-v aller beobachteten Kar¬
zinome sind dauernd geheilt. Wir erzielen also mit der Operation eine
absolute Heilung von rund 20 Proz.
Das ist im Vergleich zu dem grossen Aufwand an Mühen und Sorg¬
falt leider Gottes nicht viel, aber doch nicht nichts. Die Operation kann
immerhin jede fünfte aller karziiiomkrankcn Frauen dauernd heilen.
A. Mayer: Ueber die Präparatiun von Ureter und Uterina cte.
Zsclir.^f. Geburtsh. ii. Gyn, I3d. 75 S. 399.
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
II. Februar 1921.
MÜNCHENKR MKHIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
171
Ich kann mich darum nicht dem Standpunkt mancher alter Aerzte an-
schliessen, die Kranken seien doch verloren, das operative Handeln führe
zum selben Ziel wie das Nichtstun.
Fragen wir uns nun, wie wir mit operativen Mitteln die Zahl der
dauernd Geheilten, also die Säule H (Fig. I) erhöhen können, so möchte
man in erster Linie die. postoperativen Rezidive (Säule R) einschränken.
Das führt mich zu der Frage, wovon die Rezidive abhängen.
Das Karzinom hat eine sehr grosse Neigung, auf das umgebende
parametrane Bindegewebe und die Drüsen überzugreifen.
Um ein Rezidiv zu verhüten, muss man daher n\öglichst viel von diesen
beiden Gew’ebelagern mitnehmen. Das zeigen'die mit der vaginalen
Operation früher erzielten Resultate. Da kann man von den Fara-
metrien höchstens nur wenig, von den Drüsen nichts entfernen. Darum
waren auch die Ergebnisse der vaginalen Operation so unbefriedigend
und die Rezidive so häufig.
Die Wichtigkeit der Mitentfernung der Parametrien ergibt sich
auch bei der W e r t h e i rn sehen Operation. Ich habe gefunden, dass
die Rezidive zu ’/s sich aus den FäJlen mit erkrankten Farametrien re¬
krutieren, und dass die Fälle mit erkranktem Parametrium in der Mehr¬
zahl rezidiv werden.
Daneben aber hat sich auch ergeben, dass unter den Rezidivfreien
eine beträchtliche Anzahl mit erkrankten Parametrien sind. Hier kann
die Rezidivfreiheit nur die Folge der Mitentfernung der Parametrien sein.
Cs ist also wichtig, die Operation möglichst ausgedehnt zu machen. Bei
dieser Bedeutung der Parametrien hat man nicht zu Unrecht die Kar¬
zinome schon vor der Operation in drei prognostisch verschiedene
Gruppen eingeteilt:
1 . Parametrien klinisch frei, Prognose gut;
2 . Parametrien geringgradig infiltriert. Prognose zweifelhaft;
3. Parametrien hochgradig infiltriert, Prognose schlecht.
Neben den Parametrien slielen bei der Rezidiventwicklung und
daher bei der Prognose die Drüsen eine grosse Rolle.
Leider können wir den Zustand der Drüsen nicht wie den der Para¬
metrien durch den klinischen Tastbefund schon vor der Operation be¬
urteilen. Ihre Lage hindert uns daran und macht es uns nur selten
möglich; auch vergrösserte Drüsen wirklich zu fühlen. Es ist deswegen
klar, dass oft Drüsen da sind, wo wir keine fühlen. Aber indirekt können
wir uns über den Zustand der Drüsen doch ein ungefähres Bild machen,
nämlich an dem eben besprochenen Verhalten der Parametrien. Im
grossen ganzen läuft das Ergriffenseiti der Drüsen dem der Parametrien
konform, wie Fig. 2 zeigt.
Häufigkeit der
kttrziiiomatöseii
Drüsen in Proz.
bei den ver¬
schiedenen 7,11-
ständeDu der
PiirHmotrien,
I Prognose gut. 11 Progn. fraglich. III Progn.schlecht.)
(Parametr. frei.) (Par. wenig beteil.) (P.hochgr.beteiligt.
Während w'ir sonst durchschnittlich nur bei einem Drittel der Fälle
vergrösserte Drüsen fanden, zeigten unter deif" Fähen mit stark er¬
griffenen Parametrien fast 50 Proz. auch ergriffene Drüsen. Diese Fälle
sind also die hauptsächlichsten Rezidivkandidaten.
Von dieser Regel gibt es natürlich Ausnahmen. Wir stosseri zu¬
weilen auf karzinomatöse Drüsen bei freien Parametrien, wo wir Drüsen
nicht vermutet hatten. Wir erleben andererseits, dass nichtvergrösserte
Drüsen karzinomatös sind und dass vergrösserte Drüsen nichtkarzingma-
tös sind. Man hat daher von mancher Seite die Drüsenentfemiing als
nicht so w’ichtig aufgegeben. Man hat dabei betont, dass die Drüsen¬
suche die Biudegewebswunde vergrössere und die Operationsmortalität
wahrscheinlich steigere. Und man hat gehofft, dass der Körper mit etwa
zurückgebliebenen mikroskopisch kleinen Karzinomherden selbst fertig
würde.
Wertlos ist indes die Drüsensuche nicht. Denn es liegen 25
einw'andfreie Beobachtungen vor (D ö d e r 1 e i n), wo bei der Operation
ausweislich des mikroskopischen Befundes sicher karzinomatöse Drüsen
entfernt wurden und die Patientinnen dennoch länger als 5 Jahre rezidiv-
frei waren. 3 davon entstammen meinem Material.
Aber den Einwand, dass die Drüsensuche die primäre Operatior.s-
gefahr steigere, kann ich nicht als ganz unberechtigt ablehnen. Wir
haben daher seit längeren Jahren eine mittlere Linie eingeschlagen und
in der Regel die Drüsen nicht prinzipiell entfernt, sondern nur die fühlbar
vergrösserten. Wir sind dabei nicht khlecht .gefahren, die Rezidive
haben bis jetzt nicht nachw’eisbar zugenommen. Freilich hatten wir die
Operierten prophylaktisch mit Röntgenstrahlen behandelt, also die
operative Drüsenentfernung nachträglich durch
postoperative Bestrahlung ersetzt.
Der zweite Weg, die Dauerresultate zu bessern, ist der, die pri¬
märe Mortalität zu verringern. Gelänge es, diese von 20 Proz. auf
5 Proz. herabzudrücken, so stiege die absolute Heilungsziffer unter
sonst gleichen Verhältnissen von 20 auf 25 Proz. Die zur Verfügung
stehenden Möglichkeiten habe ich oben angedeutet.
Nr. 6.
Endlich wäre nun noch zu erörtern, wie w'eit wir die Heilungs¬
resultate durch Ausdehnung der Operationsgrenze nach
oben beeinflussen können. Der Einfluss einer
solchen Ausdehnung kann sicli äu.ssern an der so*!—————
primären Mortalität und an den Rezidiven. _
R-ezidivkurve und Operabilitätskurve laufen
einander ungefähr konform, beide steigen oder 70-
sinken zusammen (Fig. 3). Also je mehr operiert _ /
wfrd, desto mehr Rezidive treten auf, d. h. je ^ :
weiter die Operationsgrenze nach oben aus- ^_ j Oomviuit
gedehnt wird, desto mehr Rezidivkandidaten
sind von vornherein unter den Operierten. Bei 55--
üiesen ändert die Operation den Verlauf des
Leidens nicht mehr wesentlich, sondern modi- ^ ~
fiziert ihn nur. Ohne Operation wäre das Kar- ^5 _,_ ^ _
zinom unaufhaltsam fortgeschritten und die Frau /\ /
schliesslich dem inoperablen Karzinom erlegen. 40 —f-v —
mit Operation wird das Fortschreiten des Kar- ^ ,
zinoms vielleicht etwas aufgehalten und die ^
Frau erliegt dem Rezidiv resp. der unvoll- 30 _ Xi- _
ständigen Operation. \ v
Rezidivkurve und die Kurve der primären 25—-
Mortalität divergieren. Wo die primäre Mor- _ \
talität steigt, sinkt die Rezidivkurve und um- ^ \
gekehrt. Da die primäre Mortalität sich haupt- ,5_
säcidich aus den weit fortgeschrittenen Fällen
zusammensetzt. heisst das. je mehr fort- <»
geschrittene Karzinome — je mehr Rezidiv- ^ 1
1902 1903 1904 1905 190«Jahrj
8- Beziehuiipen zwisclien
Kandidaten — durch primären Tod ausschei- oferHbiiität, Mortalität und
den, desto weniger Rezidive treten sekundär Bezidiv.
in Erscheinung. Nach all dem kann durch Aus¬
dehnung der Operationsgrenze nach oben nichts w'eiter erreicht
werden.
Hören wir nun kurz, was die Bestrahlung leistet. Zum Teil
haben wir das schon gesehen.
Unter den inoperablen Fällen kann sic bis jetzt eine Dauerheilung
kaum erzielen. Trotzdem hat sie hier, wie schon erwähnt, den grossen
palliativen Wert durch Einschränkung von Jauchung und Blutung. Auch
ist der Anteil .dieser für die Behandlung zum vornherein uilgeeigneten
Fälle bei der Bestrahlung etwas kleiner als bei der Operation; dort sind
30 Proz.. hier 33'A Proz. ausgeschlossen. Das Anwendungsgebiet der
Strahlen ist also ein klein wenig grösser.
Das Gebiet, auf dem zum vornherein eine Heilung nicht mehr zu
erwarten steht, ist bei den Strahlen etwas kleiner als bei der
Operation. Dazu ist hier die Bestrahlung im Gegensatz zur Operation
nicht ganz leistungsunfähig. Beides bedeutet ein Plus der Operation
gegenüber.
Zum besonderen Ausdruck kommt dieses Plus bei der primären
Mortalität: eine primäre Mortalität gibt es bei der Bestrahlung so gut
wie nicht; die bestrahlten Fälle kommen zunächst in der Mehrzahl zur
Entlassung.
Aber die Mehrzahl wird rezidiv. Was letzten Endes übrig bleibt,
sind auch nur 20 Proz. (Fig. 1 ). Von einer evidenten Ueber-
legen heit der Strahlen über die Operation kann man
alsobisjetztnichtsprechen.
Es kommt noch hinzu, dass die Fälle von Dauerheilung nach Be¬
strahlung erst 4 Jahre beobachtet sind, w'ährend die nach Operation
alle über 6 Jahre zurückliegen. Es wird also dort wohl noch manches
abgehen. »Wohl fand ich. dass 80 Proz. der Rezidive nach Operation
innerhalb der ersten 3 Jahre auftraten, aber zwischen dem 3. und 5. Jahr
kamen doch noch 20 Proz. Rezidive zur Erscheinung, ja ich habe
vereinzelt nach 6 und 8 Jahren noch Rezidive gesehen. Mögen nun
auch die Rezidive nach Bestrahlung früher auftreten, so scheint mir
doch, die 20 Proz. Dauer heilung nach Röntgenbestrah¬
lung sind noch kein so sicherer Besitz wie die nach
Operation.
Das zeigt sich auch noch an etwas anderem. Der Ausfall an Men¬
schenleben vom Beginn der Behandlung bis zur Dauerheilung ist beim
Bestrahlen und beim Operieren ungefähr gleich gross, wmc Fig. 1 zeigt.
Der Verlust entsteht nach Bestrahlung lediglich durch Rezidiv, nach
der Operation durch primäre Mortalität und Rezidiv. Obwohl also die
Operation durch primäre Mortalität keinen kleinen Ausfall hat, sind ihre
Endresultate gleich. Das kommt davon her, dass sie w'eniger Rezidive
hat Man muss daher annehmen, dass die operative Entfernung der Ge¬
bärmutter besser vor Rezidiv^ schützt als die Bestrahlung.
Somit ist also der Operation das Todesurteil
nicht gefällt. Die Frage „Messer oder Strah 1?“. w i e
man sich ausgedrückt hat, ist nicht entschieden.
Beides ist berechtigt.
Mir scheint am besten Messer und Strahl, d. h. wir operieren und
wenden zur besseren Verhütung der Rezidive prophylaktisch Bestrahlung
an, wie ich das schon andeutete.
Eigene Erfahrungen über Dauerrcsultate dieser Methode habe
ich noch nicht, weil wir früher keinen ausreichenden Röntgen¬
apparat hatten. Die B u rn m sehe Klinik berichtet aber, dass von
den nur Operierten 35 Proz. geheilt blieben. 64,3 Proz. rezidiv
wurden. Von den nach der Operation Bestrahlten sind
71,8 Proz. geheilt, 28 Proz. rezidiv. Also eine völlige Um¬
kehr der Verhältnisse. Das fällt um so mehr aut, als Perthes
vom Mammakarzinom eine ähnliche günstige Wirkung der prophylak-
I
Digitized b)
Goi-igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
172
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tischen Bestrahlung nicht fand. Ein definitives Urteil über
die prophylaktische Bestrahlung beim Uteruskarzi¬
nom kann darum noch nicht abgegeben werden. Viel¬
mehr sind weitere Beobachtungen durchaus nötig.
Die prophylaktische Bestrahlung, von der wir die Abtötung Im
Beckenbindegewebe oder in den Drüsen etwa zurückgebliebener Kar¬
zinomkeime erwarten, nehmen wir zur Zeit nach der Operation vor:
erst in der Mitte, dann rechts, dann links, in drei zeitlichen Etappen
(Seitz und Wintz). Man wirft dieser Methode vor. dass sie unter
Umständen eine Reizwirkuiig ausüben kann und dass sie ein Vierteljahr
Zeit in Anspruch nimmt, während der manche Frauen wegbleiben.
Neuerdings hat man nun von der Grossfelderbestrahlung
ln einer Sitzung ebenfalls die Vernichtung von Karzinom in Para¬
metrien und Drüsen erhofft. Wir werden daher nach Abschluss unserer
gegenwärtigen Serie künftig diese Form der Bestrahlung anwenden, und
zwar schon einige Wochen vor der Operation, weil dann durch die
Verminderung der Jauchung die Operation weniger gefährlich scheint,
weil eine Reizwirkung weniger zu fürchten ist und weil bei der Be¬
strahlung in einer Sitzung ein Wegbleiben der Kranken von weiteren
Bestrahlungen ausgeschlossen ist.
Die in der Diskussion zu diesem Vortrag von Perthes geäusser-
ten Bedenken über Erschwerung der Operation und Beeinträchtigung der
Wundheilung nach Röntgenbestrahlung habe ich nach meinen, bis¬
herigen, allerdings nicht grossen Erfahrungen nicht bestätigt gefunden.
Fasse ich zusammen, so ist es leider nur wenig, was im Kampf
gegen das Uteruskarzinom erzielt wurde. Ich hoffe aber, jene behalten
nicht Recht, die meinen, man durchstudiert die gross’ und kleine Welt,
um es am Ende gehen zu lassen, wie es Gott gefällt. Ich glaube viel¬
mehr, wir sollen Weiterarbeiten und nicht verzagen.
Literatur.
Bai sch: Der Wert der Drüsenausräumung bei der Operation des
Uteruskarzinoms. Arch. f. Gyn. 75. S. 283. — Döderlein: In Krönig-
Döderlein; Operative Gynäkologie 3. Aufl. — Fichera: Zit. bei Graff
1. c. — Frankl: Naturforscherkongress Wien 1913 S. 477. — v. Graff:
Geber den Einfluss der Gravidität auf das Wachstum maligner Tumoren.
W.kl.W. 1914 S. 7. — Martert: Ein neuer Weg zur Wahrung voll¬
kommener Asepsis bei Magendarnioperationen. Bruns Beitr. 99. H. 3. —
Hofmeier: Naturforscherkongress Wien 1913 S. 477. — Kehrer: Die
Radiumbestrahlung bösartiger Neubildungen. Verhandl. d. deutsch. Gesellsch.
f. Gyn. Berlin 1920. — Lenz: Statistischer Beitrag zum Uteruskarzinoni und
zur Uteruskarzinomoperation. Inaug.-Diss. Tübingen 1917. — Lüpke: Statist,
Beitr. z. Uteruskarz. u. z. Uteruskarzinomoperation. Inaug.-Diss. Tübingen
1914. — Mayer A.: Geber das Uteruskarzinom und die Ergebnisse
seiner Behandlung mit Totalexstirpation nach W e r t h e i m. Msohr. f. Geb.
u. Gyn. 23. 1911. S. 701. —Mayer A.: Was leistet die Freund-
Wertheimsche Karzinomoperation? ^ Zbl. f. Gyn. 1920 Nr. 24. —
Opitz: Naturforscherkongress Wien 1913 S. 478. — Seitz und Wintz:
Die Röntgenbestrahlung bösartiger Neubildungen. Verhandl. der deutsch. Ge¬
sellschaft f. Gyn. Berlin 1920. —- Seilheim: Naturforscherkongress Wien
1913 S. 477. — Zweifel: Naturforscherkongress Wien 1913 S. 477. —
Warnekros: Die biologische Strahlenwirkung und Bestrahlungstechnik
des Uteruskarzinoms. Verband!, d. deutsch. Ges. f. Gyn. Berlin 1920. —
Weise: Geber Uteruskarzinom und Schwangerschaft. Inaug.-Dissertation
Jena 1913. ^
Aus der Medizinischen Poliklinik zu Rostock.
Die perniziöse Anämie im Greisenalter.
Von Prof. Hans Curschtnann.
In der Literatur herrscht allgemein die Ansicht, dass die perniziöse
Anämie vorwiegend eine Erkrankung des mittleren Alters sei. In der
Statistik von Lazarus^) (240 Fälle) fielen 67 in das 4.. 47 in das 5.,
30 in das 6.. 7 in das 7. und 2 in das 8. Jahrzehnt. Die Statistik von
Cabot*) (1200) bestätigt die Bevorzugung der mittleren Jahre.
P. ^orawitz®) gibt dasselbe an und schreibt dazu: „Es sind verein¬
zelte Fälle auch im Kindesalter und Greisenalter beobachtet worden."
Er verweist dabei — anscheinend als Rarität — auf einen von N a e g e 1 i
beschriebene^ Fall einer 62jährigen Frau. Naegell*) selbst be¬
zeichnet einen 74 jährigen Mann als den ältesten beobachteten Fall.
Auch von H. Schlesinger®), Laache®), SchaumannD und
Roth®) liegen vereinzelte derartige Beobachtungen vor. immer unter
Betonung ihrer Seltenheit.
Dieser Meinung möchte ich heute entgegentreten und zeigen, dass
die B i e r m e r sehe Anämie im Senium — wenigstens in meinem
Beobachtungsbezirk — durchaus nicht selten, ja sogar ziemlich häufig
ist. Das ist nun nicht etwa Folge der Kriegs- oder Nachkriegs¬
ernährung, sondern wurde von mir berits vor dem Krieg, an meinem
Mainzer und Rheinhessischen Krankenmaterial, beobachtet. Ich habe
in Mainz allein 3 Fälle von sicherer B i e r m e r scher Krankheit (zwei
autoptische bestätigt) von 65, 70 und 75 Jahren gesehen. Fälle im
Anfang der 60 er, Ende der 50 er Jahre waren auch dort keine Selten¬
heiten.
Diese relative Häufigkeit der B i e r m e r sehen Anämie im Senium
hat nun nicht nur statistisches Interesse. Sie wird uns zu einer
Nothnagels Handbuch Bd. 8. Lazarus.
zit. nach Lazarus. Mohr-Staehelins Handbuch Bd. 4.
Blutkrankheiten etc. Aufl, 1919. Krankheiten des Greisenalters.
®) Die Anämie. Christiania 1883
Volkmanns klin. Vortr. N. F. 1900 Nr. 287. *) M. Kl. 1910.
Nr^6.
nicht unwichtigen Besprechung des Verhältnisses konstitutionell ver¬
ankerter Krankheiten zum Senium, bzw. zum Erkranken im Greisenalter
führen; einem in der Konstitutionslehre bisher noch nicht genügend be¬
rücksichtigten Kapitel. Auch der Charakter der Greisenanämie, die
Frage, ob sie andersartig, etwa eine vorwiegend „apiastische“ Form sei
(was mir in einigen Fällen möglich schien), bedarf der Besprechung.
Wissen xyir doch, dass eine andere Blutkrankheit, die leukämische
Myelose, in anscheinend gesetzmässiger Weise durch das Greisenalter
modifiziert wird [Hans Curschmann und Döneke•)] und zwar in
dem Sinne, dass sich hier auffallend niedrige Leukozyten- und
Myelozytenzahlen und bemerkenswert häufig aleukämische
Myelosen finden. Es ist das wohl darauf zurückzuführen, dass das
senil atropliierende Mark nicht mehr der schrankenlosen leukämischen
Wucherung fähig ist.
Bereits von H. Schlesinger ist der von ihm und Clarke^®)
als typisch angenommene, auffallend rasche, remissionslose Verlauf der
senilen Anämie auf einen endogenen, der Greisenkonstitution wahrschein¬
lich eigentümlichen Faktor, die abnorme Erschöpfbarkeit des Knochen¬
markes bzw. dessen Altersatrophierung zurückgeführt worden. Es war
darum theoretisch wohl denkbar, dass gerade im Greisenalter die
apiastische Form der Anämie, als mehr oder weniger primäres Produkt
der mangelhaften Regenerationsfähigkeit des Marks, zu finden sei. Be¬
kanntlich bedarf die Frage der apiastischen Anämie als Sonderform des
Leidens noch der Klärung; eine Anzahl der Hämatologen will ihr diesen
Sondercharakter, wie ihn Ehrlich, Morawitz und Pappenheim
annahmen, nicht, mehr zubilligen im Gegensatz zu N a e g e I i, der mit
Recht die aregenerativen, d. i. apiastischen Anämien lediglich als bio¬
logische Varianten beliebig verursachter Anämjen (z. B. nach Blut¬
verlusten, Lauge- und Säurevergiftungen, Sepsis etc.) ansieht, aber unter
diesen auch die perniziöse Anämie als in seltenen Fällen apiastisch ver¬
laufend nennt
Zum Zweck der Beantwortung dieser Fragen Hess ich Herrn
E. Korff^) das Material der senilen Anämien der Rostocker medi¬
zinischen Klinik und Poliklinik bearbeiten.
Angeregt wurde ich hierzu durch den folgenden Fall meiner Beob¬
achtung. den ältesten bisher in der Literatur bekannten voh genuiner
Anaemia gravis.
Adolfine A., 7 8 j ä h r i g. Familienanamnese ohne Belang. Als Kind
und junges Mädchen gesund. Bleichsucht in den Reifejahren. Mit 13 Jahren
menstruiert Periode stets sehr schwach, 1 bis 2 Tage lang
und völlig unregelmässig, meist nur alle 6 bis 8 ja
12 Wochen; bisweilen Aussetzen der Menses über 54 Jahr. End¬
gültige Menopause bereits mit 26 Jahren, Heirat mit
24 Jahren. Keine Aborte, keine Gravidität. Mann war gesund und ge¬
schlechtlich normal, ln mittleren Jahren oft Gesichtsrose mit Fiebe». Seit
etwa 2 Jahren bestehen starke Schmerzen und Wundsein der Zunge
besonders beim Essen; seit dieser Zeit fühlte sie sich matt und konnte ihre
Arbeit nicht mehr ordentlich verrichten. Der Appetit ist gut, besonders
auf Fleisch. Die Verdauung war früher oft gestört, es wechselten zeit¬
weise Diarrhöen und Obstipation, die letztere war häufiger. Zurzeit ist der
Stuhlgang normal. Erbrechen ist niemals aufgetreten. Auch über Schwindel,
^hweisse, Herzklopfen, Atemnot hat sie nie zu klagen gehabt. Die Beine
schwollen in letzter Zeit stark an. Sehstörungen werden nicht angegeben.
Nasen- und Zahnfleischblutungen will sie nie gehabt haben.
Status praesens: Schwächliche, mittelgrosse Greisin in leid¬
lichem Ernährungszustand und mit relativ gutem Fettpolster. Die Haut
ist mässig blass, trocken und welk, die Schleimhäute sind mässig durch¬
blutet. Das Gesicht ist leicht gedunsen und weist mehrere braune Pigment¬
flecke von verschiedener Grösse auf. Der Mund ist zahnlos. Zahnfleisch
und Gaumen sind sehr blass, Petechien sind nicht vorhanden. Die Zunge
ist in ganzer Ausdehnung geschwollen, besonders stark Spitze und Ränder,
An diesen Stellen starke Rötung. Ulzeration besteht nicht.
An beiden Unterschenkeln ziemlich starke Oedeme.
Qefässsystem: Pulsfrequenz und Spannung ist normal. Blutdruck
150 systolisch. Am Herzen über Spitze und Pulmonalis ein weiches systoli¬
sches Geräusch. Keine Tachykardie, keine Dilatation.
Lunge: o. B.
Milz: nicht vergrössert.
Leber: nicht palpabel.
Harnbefund: Der Urin ist von hellgelbem Aussehen, keine Trübung,,
spez. Gew. 1020. Zucker, Albumen, Urobilin und Urobilinogen anfangs
negativ, später (bei Arsenbehandlung) positiv.
Magen: Nach Probefrühstück werden 4 ccm einer gelblich-braunen
Flüssigkeit mit kleinen Brocken entleert. HCl-Defizit — 20. Qesamtazidität 40.
Milchsäure —.
Nervensystem: Sehnenreflexe etwas herabgesetzt, besonders die
Patellarreflexe, keine Sensibilitätsstörungen, keine Ataxie. Hirnnerven o. B.
Temperatur: normal.
Blutbefund: Farbe blass. Hb. 49® Sahli = 61 Proz. Erythr.
1 875 000, Leuk. 3800, F.J. 1,6, Polyn. 65 Proz., Lymphoz. 25 Proz., Eos.
7 Proz., Monon. 2 Proz., Ueberg. 1 Proz., Mastz. 0 Proz. Keine Myelo¬
zyten, keine Myeloblasten. Blutplättchen 151 875. Keine Polychromatophilie,
keine basophile Körnelung der lErythrozyten. Reichlich Makrozyten und
Mikrozyten. Hantel-, Birnen- und dergl. Formen relativ selten. Keine
Normoblasten, keine Megaloblasten in zahlreichen Präparaten.
Auf Solarsonbehandlung rasche Besserung, völliges Verschwinden
der Oedeme; Appetit, Kräfte und Hautfarbe werden vor¬
züglich. Nach 3 Monaten Blutbefund: Hg 100 Proz., E. 3 000 000. L. 6200,
F. J. 1,75. — Polym. L. 75 Proz., Ly. 17 Proz., Monon. 2 Proz., Eo. 2 Proz.,
Ueberg. 4 Proz. Anisozytose deutlich, keine Erythroblasten, keine Poikilo¬
zytose, keine Polychromasie.
®) M. Kl. 1920 Nr. 30. *®) zit. nach Schlesinger.
“) Dissertation Rostock 1920.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
173
Epikritisch betrachtet können wir wohl nach dem klinischen Verlauf
und dem Blutbild an der Diagnose „B i e r m e r sehe Anämie" nicht
zweifeln. Zwar Hessen das Fehlen von Jugendformen der Erythrozyten
(Er^lhroblasten). das Fehlen von polychromatösen und basophilen
Erythrozyten, die geringe Poikilozytose und das anfängliche Fehlen des
Urobilins in dem hellen Urin an eine „apiastische" Anämie denken.
Aber das völlige Fehlen der hämorrhagischen Diathese und der relativ
harmlose, schleichende Verlauf sprachen klinisch gegen diese Form der
Anämie, wenigstens im Sinne von Morawitz und Frank. Auch die
normale Zahl der Blutplättchen sprach gegen diese Annahme: man hat
bei aplastischer Anämie meist hochgradige Thrornbopenie gefunden. Es
ist aber nicht ausgeschlossen, dass hier neben der üblichen hämo¬
lytischen bzw. erythrotoxischen Anämisierung auch eine Verminderung
der reaktiven Funktion des senilen Knochenmarkes vorliegt und dass
beide Faktoren sich zum Zustandekommen der Anämie vereinigen.
Letzteres ist um so eher möglich, als man einerseits bei echt hämo¬
lytischer Anämie (S t o n e), andererseits bei Anämien, die durch Blut¬
gifte hervorgerufen waren, aplastisches Mark gefunden hat.
Die Frage, ob der Oreisenanämie auch klinisch mit einiger Kon¬
stanz Züge der aregenerativen Form eigen sind, bedurfte um so mehr
der Bearbeitung, als einzelne Fälle von aplastischer Anämie im Senium
bereits beschrieben worden sind. (S t e f a n o w i s z. K u r p i u e i t,
L u ck s c h.)
Herr Korff hat nun mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Geh. Rat
Marti US das Material der medizinischen Klinik von 1914 bis 1920
durchsucht und in diesen 5 Jahren nicht weniger als 12 Fälle
zwischen dem 61. und 71. Lebensjahr gefunden, über deren
erste 7 Fälle kurz die folgende Tabelle Auskunft gibt. Die restierenden
5 Fälle w^aren sämtlich ausgesprochene B i e r m e r sehe Anämien des
gleichen Typus von Fall 2—8.
Bezüglich des Blutbefundes sei bemerkt: Die Hämoglobinwerte
schwankten je nach Stadium zwischen 18 und 56 Proz.. der Färbeindex
zwischen 1,09 und 2,3. Jedenfalls war der Färbeindex stets erhöht, meist
nur mässig auf ca. 1,3. Ausgesprochene Leukopenie fehlte nur in
2 Fällen: die Zahl der Leukozyten sank bis auf 2211. Dabei war die
Zahl der Monozyten, ganz entsprechend dem von N a e g e 1 i besonders
betonten Verhalten bei der Biermersehen Anämie, stets niedrig, im
Gegensatz dazu war die Zahl der eosinophilen Leukozyten normal oder
an der oberen Grenze: stets fand sich ausgesprochene Lymphozytose
(bis 75 Proz.).
Anisozytose und Poikilozytose waren in allen Fällen (nur in einem
gering) ausgesprochen. Makrozyten waren in fast allen Fällen ziem¬
lich reichlich vorhanden. Die Polychromasie war in 3 Fällen negativ,
in 5 vorhanden. Basophil granulierte Erythrozyten fanden sich nur in
2 Fällen, fehlten in 6.
Bezüglich der Erythroblasten sei bemerkt, dass sie in 3 Fällen
dauernd völlig fehlten; in einem Falle fanden sich Normoblasten sehr
spärlich, in einem anderen reichlich, ohne dass Megaloblasten gefunden
werden. Nur in einem Falle, dem schwersten mit 18 Proz. Hg., fanden
sich kurz vor dem Exitus reichliche Normo- und Megaloblasten, in zwei
anderen beide in sehr geringer Menge.
In drei Fällen, die zur Obduktion kamen, zeigte das Mark der
Röhrenknochen die rote Beschaffenheit des kompensatorisch funk-
' tionierenden Organs. Ausserdem fand sich Hämosiderosis der Leber.
Gerade diese drei Fälle sind für unsere anfängliche Fragestellung nach
I der Möglichkeit des Ueberwiegens aregenerativer Vorgänge bei der
i Greisenanämie von Wichtigkeit. Sie zeigen, dass bei dem Fehlen der
j Urobilinuie, sehr geringen Mengen von Erythroblasten und Makro¬
zyten, dem Fehlen von basophil gekörnten Erythrozyten eine gewöhn-
I liehe, nicht apiastische Anämie vorliegen kann (woran ja auch kein
Alter
Geschlecht
Hämorrbag.
Diathese
l'rin 1
Hgb.
Rote Bl.j
Weisse Bl.
F. J.
Anisozytose
Makrozyten
Polychro¬
masie
Basophile
rote j
Erythroblasten
Glossitis
Ner\'öse
Störungen
Obduktion
:i J. Fr.
Petechien,
Blut i. Stuhl
u.Mageninh.
Urobilin und
Urobilinogen 0
l’ro/,.
57
288 000
2211
Monozyt, i ® j
1 Kos. 1 2%
1 Ly. 29-75 ®/„
2,3
K • 1
sehr gering,
spärlich
1
keine
sehr spärlich,
keine Megalo¬
blasten
0
Areflexie
Rotes Mark der
Röhrenknochen
« J Fr.
keine
Urobilin und
Urobilinogen 0
24
1 l'SOOOj
.5770
Eos. 0,5 %
1 Ly . 590/0
1,09
deutlich,
Makrozyten
reichheh
-f
keine
Normo- und Me¬
galoblasten -f 1
-H
Hyporeflex.
Par-
ästhesien
rotes Mark
Siderosis der
Leber
(6 J. M.
1
keine
Urobilin -f
13
948 000
3033
Monozyt. 1 %
Eos. 1
Ly. 51 o/o
1,4
reichlich
Makrozyten
Poikilozyt. -f-f-
stark -}-
reichlich
Normo- und
Megaloblasten
sehr zahlreich
schwach
+
Hvpo-
reflexie
An¬
ästhesien
rotes Mark
Hämosiderosis
der Leber
66 .1. M.
keine
28
1818 000
Monozyt. 1 o/j
Eos. 3 , 30/0
Ly. 40 %
1,15
Poikilozytose
stark, \nel Ma-
krozyien
deutlich
keine
spärliche
Normo- und
Megaloblasten
-F
keine
61 .1. M.
keine
Urobilin 0
5G
2 190 OfjO
8822
Monozyt. 2 V,
Eos. 3,2 0 /,
' r.y. 49.6 0 /,
Poikilozyt.-j—F,
Makrozyten-F+
keine
keine
keine
^abinski
An¬
ästhesien
keine
6t J. M. 1
keine
53
1410 000
4420
Monozyt. 1 %
' Eos. 4 %
Ly. 51 0/0
Poikilozyt. -f-.
Makrozyten-H-
keine
keine
keine
-i-
Hypo-
reflexie
An¬
ästhesien
keine
61 J M.
keine
Urobilin 0
38 '
1 400 000
! 242^
[Monozyt. 1,5 “o
1 Eos. 1 %
Ly. 49 %
1,3
1
Poikilozyt. -H"
+
reichlich
reichlich
Normoblasten
Areflexie
Rombei^ -F
An¬
ästhesien
keine
Üeberblicken wird die Ergebnisse: Es zeigt sich erstens, dass die
I echte Biermer sehe Anämie im Greisenalter nicht selten
ist 13 Fälle zwischen dem 61. und 78. Jahr innerhalb einer Be-
, ciachtungszeit von 5 Jahren beweisen das und bestätigen durchaus den
; fäidruck, den ich bereits an meinem rheinhessischen, an Biermer-
ehen Anämien reichen Krankenmaterial gehabt habe. Warum sie für
selten gehalten wurde, erklärt sich leicht aus diagnostischen Irrtümern;
I oft wird bei nur klinisch beobachteten Fällen die Diagnose eines Magen-
oder okkulten Karzinoms zu Unrecht gestellt. Nicht selten sehen die
Kranken — auch in relativ schweren Stadien — nicht eigentlich wie
! perniziöse Anämien aus, sondern eher wie die gewöhnliche Vereinigung
von Altersmarasmus und Herzinsuffizienz mit der ihnen entsprechenden
Pseudoanämie, zumal sie ja auch meist Oedeme der Beine zeigen. Auch
die Patientin I sah durchaus nicht eigentlich wie eine Biermer sehe
Anämie aus. Wenn solche Fälle nicht über Zungenschmerzen klagen
und dadurch eine Blutuntersuchung veranlassen, bleiben sie meist unent-
deckL Ich vermute, dass, wenn man noch öfter die bei Greisinnen so
ausserordentlich häufige Glossodynie als Veranlassung zur Aufnahme
des Blutstatus nehmen würde, sich die Zahl der Fälle, die nicht an
inscheinendem Marasmus senilis, sondern an Anaemia gravis leiden,
; noch recht vergrössern würde. Ungemein charakteristisch ist für diese
f Art Fälle dann die Tatsache, dass sie nicht durch Digitalis, sondern erst
j durch eine energische Arsenkur von ihren Oedemen befreit zu werden
päegen, wenn es gelingt, sie in den Zustand der Remission zu bringen,
i Bezüglich des Befundes ist weiter zu sagen, dass bei unseren
l senilen Fällen die Glossitis bzw. der Zungenschmerz genau so konstant
[ waren, wie im mittleren Alter. Dasselbe gilt von den mannigfachen
I finalen Symptomen (Areflexie, Hyperreflexie. Anästhesien, Parästhe-
1 sien, Alexie etc.) Urobilin und. Urobilinogen fanden sich nur
I rweimal und sehr spärlich; es ist das bemerkenswert. Symptome
I öer hämorrhagischen Diathese waren nur einmal vorhanden, also auf-
I tolieod selten.
Zweifel bestand). Wir werden daher zur Vorsicht gemahnt, in unseren
anderen Fällen, in denen niemals Erythroblasten. Polychromasie.
Basophilie der Erythrozyten. Urobilinurie etc.'beobachtet wurden, eine
apiastische oder wenigstens vorwiegend aregenerative Form anzu¬
nehmen,-wie das noch bisweilen geschieht.
Trotzdem möchte ich, gestützt vor allem auf die Seltenheit bzw'.
das häufige Fehlen der Erythroblasten, der basophil gekörnten Erythro¬
zyten und auch der Urobilinurie — Tatsachen, die mir bereits früher
bei Greisenanämien aufgefallen waren —, doch glauben, dass hier eine
Verminderung der regenerativen Funktion des senilen Marks häufig vor¬
kommt. w'enn auch sonst die Genese der Anämie die gewöhnliche,
primär erythrotoxische ist.
Es würde damit, wenn auch nicht der Genese, so doch dem Ab¬
lauf des Leidens in vielen Fällen der Stempel der senilen Körper¬
funktion bzw. -reaktion aufgedrückt, ganz analog dem bereits erwähnten
Verhalten der leukämischen Myelose.
Ich halte es mit H. Schlesinger für wohl möglich, dass die
senile Reaktionsverminderung des Marks auch die Hauptursache des
abnorm raschen, reniissionslosen Verlaufs mancher, nach Schle¬
singers Meinung sogar vieler Fälle ist. Allerdings ist dieser bös¬
artige Verlauf durchaus nicht so häufig oder gar typisch, als einige
Autoren annahmen. Unter meinem Material befinden sich einige mit
mildem, schleichendem Verlauf und Neigung zu wiederholten, heilungs¬
ähnlichen Remissionen, genau wie im mittleren Alter. Es ist be¬
merkenswert, dass diese „mitigierte" Form sich gerade bei dem ältesten
bisher beschriebenen Fall, unserer 78 jährigen Patientin, fand.
“) Nach M 0 e w e s (Zschr. f. klin. Med. 1920 Bd. 89), dessen Befunde
die Untersuchungen meines Doktoranden Heine bestätigten (Dissertation
Rostock 1921) findet sich bei Karzinomen meist Lymphopenie im Gegen¬
satz zu der meist vorhandenen Lymphozytose der B i e r m e r sehen Anämie;
ein neues, nicht unwichtiges Mittel der Differentialdiagnose.
4*
Digitized by Goc’Sle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
174
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6
Die Beeinflussung des Ablaufs der beiden genannten Blutkrankheiten
durch das Senium zeigt uns aufs neue, wie ^vichtig neben der er¬
erbten Anlage diejenigen Organ- und Funktionseveränderung, die der
physiologische Ablauf des Lebens mit sich bringt also ein Teil der
Kondition im Sinne Tandlers, für Krankheitsbereitschaft und besonders
-ab 1 auf sind. Diese physiologischen Phasen veränderter
Kondition, wie sie iHibertät Menstruation, Gestationsvorgänge,
Menopause und endlich Rückbildungsalter und Senium mit ihren typischen
endokrin-vegetativ bedingten Umstimmungen der Funktionen erzeugen,
bedürfen, aber entbehren zurzeit derselben eingehenden Berücksichtigung,
die die keimplasmatische Konstitution sich heute erworben hat.
Je länger nun das Leben läuft, desto wichtiger wird, sollte man
meinen, der Faktor der Kondition im obigen Sinne und desto mehr
scheint der der Konstitution in ihrer engeren Bedeutung an Einfluss ein-
zubüssen. Diese Ueberlegung führt uns auch zu der naheliegenden Frage:
Welche Bedeutung hat die von uns konstatierte Häufigkeit der Biermer-
schen Anämie im Qreisenalter für die heute herrschende Anschauung
einer vorwiegend konstitutionellen -Genese der Erkrankung?
Der besonders von Schau mann Fr. Martins und seinen
Schülern vertretenen Lehre von der konstitutionellen Bedingtheit der
perniziösen Anämie wurde in letzter Zeit nicht nur von Knud F a b e r.
sondern auch von N a e g e 1 i widersprochen, der das exogene, toxische
Moment durchaus in den Vordergrund stellt und an der Notwendigkeit
der Annahme einer konstitutionellen Bereitschaft für die Erkrankung
überhaupt zweifelt. Man könnte nun meinen, dass jenseits des 60. Jahres
die ererbte Krankheitsdisposition keine Rolle spiele; dass Erkrankungen,
die echte Heredodegenerationen darstellen, ausnahmslos in der Jugend
oder wenigstens im mittleren Alter (wie z. B. bei familiärer Gicht,
Diabetes mellitus, Neoplasmen etc.) auttreten.
Es ist keine Frage, dass die Häufigkeit der Biermerschen
Anämie im Qreisenalter tatsächlich ein ernsthaftes Argument in die
Diskussion des konstitutonellen Moments in der Pathogenese der
Erkrankung darstellt. Sie wird vielleicht sogar dazu führen, dass man
mehr, als dies heute Martius, Schaumann und J. B a u e r tun,
anerkennt, dass es Gruppen von perniziöser Anämie gibt, in denen die
ererbte Konstitution keine wesentliche Rolle spielt gegenüber den
exogenen toxischen und anderen Schäden.
Und doch spricht die Häufung einer Krankheitsform im Rückbildunvs-
alter nicht prinzipiell gegen ihre echt konstitutionelle Bedingtheit. Ich
erinnere nur neben dem familiären Karzinom an die gar nicht seltene
familiäre Atherosklerose, bei der die Erkrankung durchaus nicht immer
im mittleren Alter aufzutreten braucht. Es sind reicnliche Erfahrungen
gesammelt über Familien, in denen Mitglieder z. B. gesetzmässig und
generationsweise um das 60 er Jahr herum an bestimmten Lokalisationen
der Sklerose, besonders des Gehirns und der Nieren, zugrunde gehen:
während in anderen Sklerosefamilien die Mitglieder bereits in den 40 er
Jahren erkranken und sterben. Im ersteren Fall vermag das Individuum
kraft irgend welcher endogener oder exogener Wirkungen die ange¬
borene Minderwertigkeit des Qefässapparates auf lange hinaus zu kom¬
pensieren; im letzteren Fall versagen die Abwehrkräfte schon früher
und die regressive Umbildung befällt das minderwertige Organsystem
vorzeitig.
Genau so könnte es sich auch mit der senilen Anämie verhalten:
bei den meisten Individuen mit Achylie und anderen degenerativen
Stigmen versagen die Abwehrkräfte gegen die — unbekannte, erythro-
toxische — Noxe schon früher; in anderen, nicht wenigen Fällen aber,
wie wir sahen, erreicht der Disponierte doch ein hohes Alter, bis er
jener Schädigung zum Opfer fällt, wahrscheinlich in derjenigen Lebens¬
phase, in der sein blutneubildendes Organ, das Mark, senil insuffizient
wird und die Wirkung der sicher ausserordentlich lange im Individuum
schlummernden Noxe nicht mehr kompensieren kann. In diesem Sinne
wäre es von grosser Bedeutung, wenn die senilen Anämien in über¬
wiegendem Masse die Zeichen der aregenerativen zeigen würden. Dass
dies nur bedingt, aber in einem gewissen Umfang zugegeben w'erden
kann, habe ich oben ausgeführt.
Uebrigens entbehren senile Anämien durchaus nicht immer des
konstitutionellen Einschlags. Gerade unser ältester Fall I, die 78 jährige
Frau, beweist das: sie war von der Pubertät an amenorrhoisch, bzw.
hypomenorrhoisch, konzipierte nie un4.^trat bereits mit 26 Jahren in
die Menopause. Auf die Bedeutung des Hypogenitalismus und Infantilis-
mus für die Disposition zur B i e r m e r sehen Anämie ist zwar nur
selten hingewiesen worden fJ. Bauer. Hans Curschmann^®)].
Natürlich kann der Hypogenitalismus in solchen Fällen auch al« unspe¬
zifisches Stigma der Entarfung aufgefasst werden. Aber ich halte es
auch für sehr möglich, dass die ovarielle Regulation für die Blut¬
regeneration und deren Dauerhaftigkeit auch bei der perniziösen Anämie
(und nicht nur bei der Chlorose) von Bedeutung sein kann. Dass sich
in allen Fällen Achlorhydrie oder Achylie fand, würde ich im Senium
für w'eniger beweisend für die konstitutionelle Veranlagung halten, als
im jugendlichen und mittleren Alter, da wir wissen, dass die Zahl der
Achlorhydrien mit dem Alter st|rk zunimmt, zumal bei Patienten mit
manifester Kreislaufschwäche.
Neben ihrem Interesse in konstitutionspathologischer Hinsicht haben
*■') Zschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionslehre. Bd. 6, S. 258 ii. f.
Konstitution und Vererbung. 1914.
^*) Die konstitutionelle Disposition etc. 1917.
^*) M. Kl. 1917 Nr. 2 (Vergleichung der Bedeutung der konstitutionellen
Anlage bei der Entstehung der Hyperglobulie und der essentiellen Anämie).
Digitized by Goiisle
meine Beobachtungen, wie ich nochmals hervorheben möchte, auch für
den Praktiker eine gewisse Bedeutung. Denn sie zeigen: Die
perniziöse Anämie ist im Qreisenalter nicht selten.
(Jft verbirgt sie sich unter der Maske des senilen
Marasmus und der Herzinsuffizienz. Man untersuche
bei jeder senilen Glossodynie das Blut auf Biernier¬
sehe Anämie! Sie ist nicht selten, genau wie die des min¬
ieren .Alters, einer energischen Arsenbehandlung zu¬
gängig, durch die weitgehende, h e i 1 u n g s ä h n 11 c h e und
lange Remissionen erzielt werden können.
Anmerkung bei der Korrektur. In den letzten 14 Tagen
habe ich wieder 2 Fälle von perniziöser Anämie bei Greisen gesehen:
1. Frau S., 70 j ä h r i g, seit ca. 3 Jahren leicht krank. Hg. 23 Proz..
E. 825 000, L. 11 800, F. J. 1,4, Poly. 57 Pro/.. Ly. 36 Proz., Eo.-. Mono-
und Uebergangszcllen 4 Proz., Mastz. 2 Proz., Myelozyten 2 Proz. Starke
Anisozytose und Poikilozytose, keine Polychromasie, nur 1 Normoblast in
zahlreichen Präparaten. Plättchen stark vermindert. Keine hämorrhagischen
Symptome. Achylie. Rascher Verlauf (nach erster stärkerer Verschlimme¬
rung) in 2—3 Monaten, keine Remission. Exitus. Keine Obduktion.
II. Herr B.. 61 Jahre. Glossitis seit 5 Jahren, seit % Jahren krank.
Achylia gastr. Hg. 23 , E. 750 000, F. J. 1,5, L. 3400., Poly. 48 Proz..
Ly. 49 Proz., Eo. 1 Proz., Monoc. 2 Proz. Keine basophil. E.. vereinzelte
Normoblasten. Polychromasie, Poikilo- und Anisozytose. Plättchen sehr ver¬
mindert. Im Harn Urobilin und Urobilinogen. Keine hämorrh-igischen
Symptome.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Haniburg-Eppenduri.
(Prof. Heyne mann)
Eine neue quantitative Bestimmungsmethode von Bilirubin
im Blutserum.
Von Dr. Qustav iiaseltiorst, Volontärarzt der Klinik.
1. Wesen des Ikterus.
Das Wesen des Ikterus beruht auf einem abnorm hohen Bilirubiu-
gehalt des BlutserumSi und die Gelbfärbung von Haut und Geweben
sowie das Auftreten von Bilirubin im Urin sind nur Folgeerscheinungen
davon. Es ist bekannt, dass die letzteren Symptome in ihrer Intensität.
Menge und ihrem zeitlichen Auftreten nicht dem Grade des Biliriibin-
gehaltes des Blutserums parallel gehen. Es liegt daher auf der Hand,
dass man seit dieser Erkenntnis als Massstab für die* Schwere eines
Ikterus den Gehalt an (jaljenfarbstoff im Serum zugrunde zu legen be¬
müht gewesen ist.
2. Kurze Ueberslcht über bereits bestehende Methoden des Bilirubin-
nachweises.
a) H a m m a r s t e n ') extrahierte den Galienfarhstoff aus dem Blut¬
serum und Hess ihn auskristallisieren. Bei diesem Verfahren ist jedoch nül
einem Verlust von Bilirubin zu rechnen, ausserdem ist es für den praktischen
Gebrauch viel zu umständlich.
b) Spektroskopisch gibt Bilirubjif eine Verdunklung der stärker brechen¬
den Hälfte des Spektrums. Durch Messung der WelUnlänge an der Grenze
der Verdunklung, ev. unter Zuhilfenahme von Verdünnungen ist diese Methode
in der Hand geübter Untersucher anwendbar. Es ist allerdings zu berück¬
sichtigen, dass auch andere Stoffe, wie Hämatin und Lutein an dieser Ver¬
dunklung teilhaben können.
c) Noch schwieriger und auch umständlicher und deswegen praktisch
nicht in Frage kommend ist die spektrophotometrische Methode, wie sie von
Hüfner geübt wird.
d) Bestimmte Farbreaktionen mit Methylenblau, Methylviolett und
anderen Anilinfarben, wie'sie in der Literatur angegeben, aber nirgends näher
erläutert sind.
e) Die meisten Methoden beruhen auf einer Oxydation -des Bilirubins zu
Biliverdin, wobei es also zu einer Grünfärbung kommt. Als Reagentien
dienen Nitritmischungen, Chlor, Jod u. a. Es sind eine Reihe von Verfahren
ausgearbeitet worden. Ich führe die wichtigsten kurz an:
Methode von Gilbert und Scheel"): Bilirubinhaltiges Blutserum
-f Salpetersäure, der einige Tropfen salpetriger Säure zugesetzt sind, gebe:
in dem unteren Teile einer aiisgefällten Eiweissschicht einen blau-grünlichev
Ring.
Probe mit Hammarstens Reagens®): Nach tropfenweisem ZusatJ
von Serum zum Reagens entsteht ein Eiweissgerinnsel, das bei Anwesen
heit von Bilirubin gelb-grün bis rein grün wird.
Gegen die Oxydationsproben ist einzuwenden, dass auch andere Stoffe
wie Lutein, Hämatin und Oxyhämoglobin an der Reaktion beteiligt sein ode:
zum mindesten störend wirken können.
f) Die von Ehrlich angegebene Diazoreaktion *), die neuerdings voi
van den Bergh au.sgearbeitet worden ist.
Alkoholische Bilirubiiilösung -f Diazoniumsalz gibt in saurer Reaktioi
eine Kuppelung unter Bildung eines rot-violetten Farbstoffes. Da Biliverdin
Lutein, Hämatin u. a. die Reaktion nicht geben, ist sie für Bilirubin spe
zifisch.
3. Brauchbarkeit der erwähnten Methoden zur quantitativen Bestimmun]
von BUlrubin.
Von einer Methode, die brauchbar und praktisch ist und sich auc!
zur Anwendung in kleineren Anstalten eignet, verlangen wir, dass si
leicht ausführbar ist, dass sie neben Spezifität quantitativ Kcniigen
genaue Resultate gibt, und nicht, was heute wohl berücksichtigt werde
muss, zu kostspielig ist.
^) V a n' d e n Bergh: Der Gallenfarbstoff iin Blute. 1918, S. 7.
^) van den Bergh: Der üallenfarbstoff im Blute. 1918, S. 13—14.
®) Feig! und 0 u e r n e r: Biliriibinämie. Zschr. f. d. ges. exp. A'
1919 Bd. 9. ’) P. E h r 1 i c h: Zschr. f. analyt. Chemie 1883 Bd. 23.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
II. Kcbruar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
175
Das Verfahren unter a) fällt wegen seiner Umständlichkeit, die, Me¬
thoden unter b) und c) fallen wegen der Notwendigkeit teurer Apparate
und der hohen Anforderungen an den Untersucher von vornherein aus
dem Rahmen der Diskussion.
Näher befasst habe ich mich mit den unter d) genannten, durch
Amlinfarben hervorgerufenen Farbreaktionen. Ich benutzte bei meinen
Versuchen hauptsächlich Methylenblau. Als ich zunächst einem sicher
biliriibinhaltigen Serum einige Tropfen einer 1 prom. wässerigen Me-
tiiylenblaulösung zusetzte, erhielt ich eine schöne, intensiv grüne Färbung.
Her Farbenumschlag trat sofort ein. Es galt nun, diese angebliche
Rsikiinn. die ihrer Einfachheit halber zunächst imponierte, näher zu
yruicn.
Vüi: einer alkoholischen Bilirubinlösung (reines Bilirubin von
'it’iüchar d) von bestimmter Konzentration ausgehend, wurden wässerige
IMmn im Verhältnis 1:25 000. 1:50 000, 1:100 000 und 1:200 000
iirffestellt und nun Methylenblaulösung zugesetzt. In der Tat erhielt
mj/i durch Zusatz von 1 Tropfen einer Methylenblaulösojng 1:3000 zu
desen Bilirubinlösungen gut zu unterscheidende Farbtöne, von einem
<anen bis zu einem schwachen Grün. Die Grünfärbung trat augenblick-
Lch ein. Die Schnelligkeit der Reaktion hei einem sonst'beständigen
Farbstoff (Methylenblau) sowie der Umstand,/ dass nach 24 Stunden
die schwächeren Lösungen nicht mehr grün, sondern blau waren,
machten mich Stutzig.
Meine Vermutup'^ dass d'’" Auftreten der grünen Farbe nicht auf
tircr Reaktion, sondern auf physikalisch-optischer Farbenmischung be-
nihe. glaube ich durch folgende Versuche Und Ueberlegun<^en bestätigt
eirunden zu haben.
Zunächst die Blaufärbung am foho^nden Tage: Bilirubin in I ösungen.
/L'unl künstlichen, neigt ausserordentlich zur Oxydation in Biliverdin.
In dem vorher erwähnten Bilirubinmethylenblaugemfsch fällt dadurch
die Kclbe Komponente aus und das Blau überwiegt.
Von der Ueberlegung ausgehend, dass die grüne Bilirubinmethylen-
VjBlösung. wenn man ihr die blaue Kom^^onente entzöge, wieder gelb
werden müsse, wurde das Methvlenblau durch Zusatz von schwefeligei
Säure zerstört. In der Tat, es traf wieder Gelbfärbung ein. Zus'^tz
'(eisrender Mengen von Methylenblau führte wieder zur Grün-, schliess-
iicn zur Blaufärbung. Dagegen behalten reine Bilirubinlösungen nach
Ziisarz von schw'efliger Säure ihre gelbe Farbe bei; anscheinend wird
'iallenfarbstoff durch die Säure nicht verändert.
Ferner wurde Methvlenblau zu Lösungen von Lutein (alkoholischem
F.xrrakf aus Eigelb). Hämoglobin und Hämatin zugesetzt, und das
l?esultat war eine Grünfärbung. Das konnte meine Annahme der physi-
Msch-optischen Farbenmischung nur bestätigen, zeigte aber auf jeden
Fall, dass Methylenblau und Verwandte zum Nachweis von Bilirubin
wnzlich ungeeignet sind.
Am meisten zur quantitativen Bestimmung herangezogen hat man
in Oxydationsproben.
Gilbert und Scheel stellten durch Zusatz einer künstlichen Ei-
ulsslösung zum Serum verschiedene Verdünnungen her und beob¬
achteten. wann durch Salpeter- + salpetrige Säure zuerst der blass-
criine Ring aiiftrat. F e i g I und 0 u e r n e r arbeiten seit längerem mit
Humniarstens Reagens, indem sie aus der Intensität der grün-
chen Färbung des Gerinnsels verschiedene Abstufungen der Reaktion
i^'eiten (Spur, schwach +. +, -H-. +4-+).- Noch eine Reihe anderer
difikationen der Oxydationsreaktion hat map zur quantitativen Be-
'wmmung heraiu^ezogen, deren Anführung im Rahmen dieser Arbeit zu
ic t führen würde.
Abgesehen davon, dass man keine Gewissheit hat. ob auch alles
in Biliverdin übergeführt wird, haben sich diese Methoden
■sher nicht recht einzubürgern vermocht, wohl, weil sie umständlich
weil sie grössere Uebung voraussetzen, und auch wohl, weil sie
ät absolut spezifisch sind.
Ich komme nun Zu der unter f) erwähnten Ehrlich sehen Diazo-
caktion.
Sie verdient schon deshalb den Vorzug, weil sie. wie van den
fftr^h nachgewiesen hat. und sich aus eigenen Versuchen mit Bili-
■erdin, Lutein, Hämatin. Oxyhämoglobin ergab, für Bilirubin spezifisch
van den Bergh hat die Methode auch benutzt, mittels einer
^'::irhodanidlösung in Aether als Vergleichsflüssigkeit im Auten-
■’cth.scheu Kolorimeter den Bilirubingehalt im Blutserum ouantitativ
■c bestimmen. .ledoch erfordert das Arbeiten mit dem Autenrieth-
^w’Fen Kolorimeter, zumal hier die Vergleicbsfiüssirkeit jedesmal neu her-
ci-stellt werden muss, grosse Sorgfalt und Opfer an Zeit. Ferner lässt
’is Ablesen, besonders in den niedrigen Werten, der subjektiven Auf-
’j^sans: weiten Spielraum.
k Eigene kolorimetrische ouantltalive Bestlmmungsniethode mit der
Diazoreaktion.
a) Physiologische Vorbemerkungen.
Nach van den Bergh enthält jedes normale menschliche Blut-
Jm Bilirubin. Der Gehalt schwankt bei verschiedenen Individuen
i'^rlnlb ziemlich weiter Grenzen, etwa zwischen 1:500 000 und
’ 2fKMKM). Ich möchte die letzte Zahl aus später zu erörternden
’JnJen als die obere Grenze betrachten, und Gehaltsgrade, die darüber
"uisgeheru als pathologisch ansehen. Es gibt jedoch einzelne
^ividiien. die konstarrt höhere Werte zeigen, bis 1 :100 000. bei bester
•^.indheit. Das Sind jedoch Ausnahmen.
Erwähnt sei noch, dass Neugeborene einen sehr viel höheren Bili-
r^rgehalt im Serum aufweisen, etwa zwischen 1 : 75 000 und I : 25 000,
Digitized by Goiisle
der häufig in den ersten Lebenstageri noch ansteigt (Icterus neonatorumV
dann aber langsam abfällt.
b) Verdünnungsmethode.
Ich habe nun'den Versuch gemacht, die Ehrl ich sehe Diazo-
reaktion zu einer quantitativen Methode auszubauen, die einfach und
von jedermann leicht ausführbar ist. Es handelt sich um ein
kolorimetrisches Verfahren. Es wurde wiederum ausgegangen von
alkoholischen Biürubinlösungen von bestimmtem Gehalt. (1:25 000;
1:50 000; 1:100 000; 1:200 000) und damit die Reaktion angestellt.
Zum Vergleich wurden, um für den Gallenfarbstoff möglichst dasselbe
Medium zu schaffen, wie das Blutserum, alkoholische Billrubinlösungen
weiter mit Wassor verdünnt und danach in bestimmtem Verhältnis sehr
bilirubinarmes Serum zugesetzt. Es zeigte sich, dass der Ausfall der
Reaktion sowohl der rein alkoholischen, als auch der durch Serumzusatz
modifizierten Bilirubinlösungen praktisch gleich ist. ferner auch, dass bei
den verschiedenen Verdünnungen die Farbintensität für eine quantitative
Bestimmungsmethode wohl brauchbare Unterschiede abgibt. Als Ver¬
fahren wurde das Verdünnungsprinzip gewählt.
Da es praktisch nutzlos ist, den physiologischen Bilirubingehalt
genau zu bestimmen, so wurde die Anordnung so getroffen, dass ables¬
bare Zahlenwerte erst an der Grenze zwischen dem physiologischen und
dem pathologisch erhöhten Bilirubingehalt beginnen.
Zur Festsetzung dieser Grenze wurden die Sera von 60 Er¬
wachsenen, 40 weiblichen und 20 männlichen (Aerzte, Schwestern,
Personal und Patienten ohne nacliw'eisbare
innere Erkrankungen) unter-
sucht. Die gefundenen
folgende Zahlen zeigen:
Werte waren
keineswegs
einheitlich, wMe
A u j
i f a1 1 der R e a
k t i o n:
bei 40 weiblichen
bei
20 männlichen
keine Reaktion --
18
2
schwach + ~
12
6
deutlich + =
7
6
fast 1 : 200 000 ^
3
5
über 1 : 200 000 =
0
1
Aus vorstehenden Zahlen geht deutlich hervor, dass das Verhältnis
1 :200 000 dem Grenzwert am besten entspricht, ferner aber auch, dass
einzelne Individuen einen höheren Bilirubingehalt haben können (in
diesem Falle ein gesunder Kollege) und schliesslich noch, dass Männer
im allgemeinen höhere Werte aufweisen, als Frauen.
Ich habe also diese Zahl 1 :200 000 als Grenzwert gewählt. Die
Skala des Versucjisröhrchens bewegt sich zwischen 1:200 000 und
1:25 000; es ist das ein Spielraum, wie er den praktischen Bedürf¬
nissen am besten genügen dürfte. Nicht als ob 1:25 000 den höchsten
vorkommenden Wert angeb?n soll — es gibt Sera, die einen Bilirubin¬
gehalt von 1:5—10 000 aufweisen —, sondern eine Weiterführung der
Graduierung über diese Zahl hinaus würde das Versuchsglas sehr lang
und unhandlich gestalten. Von der Messung solch hoher Werte, die
selten sind, soll später die Rede sein. Die Graduierung wurde durch
Verwendung künstlicher Bilirubinlösungen in eiweisshaltigem Medium
empirisch gefunden.
c) Vcrgleichsflüssigkeit.
Der-schwierigste Teil der Arbeit war die Herstellung der Verglcichs-
flüssigkeit.
Ideal und optisch einwandfrei wäre wohl nur eine Azobilirubin-
lösung selbst. Jedoch ist bei einem so veränderlichen und chemisch
wenig bekannten Stoff wie dem Bilirubin vorderhand nicht daran zu
denken, haltbare und kolorimetrisch zu verwendende Verbindungen her-
zustelleri. Jedenfalls ist das bisher nicht gelungen. Von einer Ver¬
gleichsflüssigkeit verlangen wir, dass sie erstens genau den gew^ünschten
Farbton besitzt, zweitens möglichst lange haltbar und farbenbeständig
ist oder doch sich schnell hersteilen lässt. Ich will den Leidensweg
der langwierigen Versucjje hierüber ersparen und nur das Wesentlichste
mitteilen.
Zunächst wurde versucht, die von van den Bergh angegebene
Ferrirhcdanidlösung in Aether in stärkerer Verdünnung zu verwenden.
Die 'Verdunstung des Aetliers wurde durch Zuschmelzen des Ver¬
gleichsröhrchens verhindert, ein Kunststück, das einem geschickten Glas¬
bläser jedoch gelang. Schon nach 24 Stunden war der Inhalt nicht
mehr violett, sondern grün-gelb, und an der Innenfläche des Glases
hatte sich ein Niederschlag von derselben Farbe gebildet. Damit w^ar
es also nichts.
Ich ging dazu über, mir aus geeigneten Farbstoffen in verschiedenen
Lösungsmitteln die gew ünschte Vergleichsflüssigkeit herzustellen. Es fand
sich, dass Carmin rubrum In konzentriertem Salmiakgeist (25proz.) im
Verhältnis 1:125000 genau denselben Farbton und dieselbe Farbintensität
besitzt, wie sie bei der später zu beschreibenden Diazoreaktion mit einem
Serum vom Bilirubingehalt 1 :200 000 entsteht. Die Hoffnung, hiermit
am Ziele zu sein, w'urde bald zunichte, als sich herausstellte, dass auch
diese Karminlösung in Salmiakgeist schon nach einigen Tacken abblasste.
Trotzdem w^ar es ein grosser (lew'inn, insofern nämlich, als diese jeder¬
zeit frisch herstellbare Lösung als Vergleichsfarbe für weitere Versuche
diente und die jedesmalige Herstellung der schnell veränderlichen Azo-
bilirubinlösiing überflüssig machte.
Nach weiteren ergebnislosen Versuchen gelang es schliesslich, eine
Vecgleichsflüssigkeit zu finden, die den gewünschten Anforderungen ge¬
nügend entspricht. Es ist das eine Bordeaurotlösung (Bordeaurot
Merck) in Alkohol im Verhältnis 1:150 000, der etw'as alkoholische
Methylenblaulösung zugesetzt ist.
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
176
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Herstellung;
Bordeaurot 0,01
Aqua dest. 7,G
alkoholische 96 proz. Mcthylenblaulösuiig 0,01 : 50,0 3,0
Alkohol 96 proz. ad 100.0
ad vitr. nigr.
Diese Lösung dient als StamniflüssiKkeit. Meine Beobachtungen
über ihre Haltbarkeit erstrecken sich über 6 Wochen. Bisher habe ich
keine Veränderungen wahrnehmen können. Sollte sich jedoch heraus¬
steilen, dass sie nicht absolut farbenbeständig ist. so lässt sie sich von
Zeit zu Zeit leicht neu herstellen.
Die Vergleichsflüssigkeit erhält man nun. indem man zu 14 ccm
96 proz. Alkohols 1 ccm der Stammflüssigkeit setzt. Voraussichtlich
besitzt die so erhaltene stärkere Verdünnung dieselbe Haltbarkeit wie
die Stammflüs^igkeit.
d) Beschaffenheit des Apparates.
Der von mir konstruierte Apparat
ist nebenstehend abgebildet. Er be¬
steht aus einem Holzrahmen (12,5:5 cm)
in den zwei Glasröhrchen eingelassen
sind; das eine für die Vergleichsflüssig¬
keit, das andere für die Reaktion be¬
stimmt. Die Röhrchen stehen vor einer
Milchglasscheibe, die an der Rückseite
des Rahmens angebracht ist. Eines
der Röhrchen trägt die Graduierung.
Siehe Figur! Abgelesen wird nur bei
Tageslicht und beim Halten des Appa¬
rates gegen ein helles Fenster.
c) Ausführungder Reaktion.
1. Gewinnung des Serums;
Durch Venenpunktion werden 5 ccm
Blut gewonnen und nach der Gerinnung
zentrifugiert. Will man die Gefahr der
bfeim Zentrifugieren eventuell auftreten¬
den Hämolyse vermeiden, so lässt man
durch Hinstellen im Rcagenzglase das
Serum sich von selbst abscheiden. Wenn
man nach der Gerinnung des Blutes
die Verklebung mit der Glaswand mit¬
tels eines Glasstäbchens oder der
Platinnadel löst, so kann man schon
nach 2—3 Stunden genügend klares
Serum abgiessen.
2. Reaktion:
Zuverlässige Resultate nur beim Gebrauch sauberer Gläser und einwand¬
freier Reagentien!
In einem Zeiitrifugiergläschen werden zu 1 ccm klaren Serums 2 ccm
96 proz. Alkohols hinzugesetzt, umgeschüttelt und durch Zentrifugieren das
durch den Alkohol ausgefällte Eiweiss abgesondert.
Mit der überstehenden, gewöhnlich etwas trüben Flüssigkeit wird das
graduierte Röhrchen bis zur Marke S angefüllt (1 ccm). (Für genaue Be¬
stimmungen nur mit der Pipette einzumessen!) Dann werden 2 Tropfen
Diazoreagenz (frisch bereitete Lösung von 5 ccm Diazo 1 und 2 Tropfen
Diazo 2) zugefügt.
Bei Vorhandensein von Gallenfarbstoff tritt — verschieden schnell! —
eine violette Verfärbung auf, meist von unten nach oben aufsteigend. Es
wird jetzt 5 Minuten abgewartet und darauf etwas 96 proz. Alkohol zugesetzt
bis zur Marke A. Durch kurzes Umschütteln lösen sich die die Trübung
verursachenden Fettsäuren in dem Alkohol und die Flüssigkeit wird klar.
Ist nun der entstandene rotviolettc Farbton intensiver als die Vcrg-eiclis-
farbe, so haben wir es mit einem pathologisch erhöhten Bilirubingehalt zu tun.
Wir setzen unn tropfenweise Aqua dest. hinzu und schütteln um, bis wir
beiderseits gleiche Parbenintensität haben.
Müssen wir z. B. bis 100 verdünnen, so heisst das; das Serum hat
einen Bilirubingehalt von 1 : 100 000; bis 45 = 1 ; 45 000.
Einige wichtige Zusätze:
1. Einzelne Sera, besonders häufig solche mit hohem Bilirubin^halt,
geben (natürlich erst nach 5 Minuten zu vergleichen!) einen mehr^gelb-
rot-braunen Ton. Durch Zusatz eines weiteren Tropfens Reagens
kommt dann gewöhnlich die rot-violette Farbe zum Vorschein. Wird
auch dann der Farbton der Vergkichsflüssigkeit nicht ganz erreicht,
so ergibt doch die Vergleichung der Farbintensität genügend genaue
Werte. Ein zu starker Blauton sagt aus. dass man ^ viel Reagens zu¬
gesetzt hat.
2. Die Graduierung gestattet nur ein Ablesen bis 1 :25 000. das
Röhrchen würde sonst unhandlich lang werden. Ist bei stark positivem
Serum dann noch keine Farbengleichheit erreicht, so genügt wohl im
allgemeinen die Angabe, Bilirubingehalt grösser als 1:25 0()0
Will man jedoch genau bestimmen, so ist dazu eine zweite Re¬
aktion mit dem durch Aqua dest. im Verhältnis 1 :1 oder 1 :2 verdünnten
Serum oder auch der enteiweissten Flüssigkeit nach dem Zentrifugieren
erforderlich. Die abgelesene Zahl, z. B. 30. ergibt dann einen Bilirubin¬
gehalt von I : 15 bzw. 1 : 10 000.
f) Fehlerquellen des Verfahrens.
1. der Diazoreaktion überhaupt:
Beim Zentrifugieren wird mit dem Eiweiss ein Teil des Bilirubins
zu Boden gerissen, was man an der Gelbfärbung des Bodensatzes er¬
kennt. Doch ist diese Gelbfärbung wohl zum grössten Teil auf Gallen¬
farbstoff zu beziehen, der in der Flüssigkeit gelöst ist, die sich zwischen
den Eiweisspartikelchen befindet. Wie jedoch van den Bergh ge¬
Digitized by
Go 'gle
zeigt hat, ist ein — wenn auch nur geringer Teil — fest an das Eiweiss
gebunden und entgeht dadurch dem Nachweis.
Da es sonst keine genaue Methode der quantitativen Bilirubin¬
bestimmung gibt, so musste die Graduierung durch Reaktionen mit
künstlich hergestellten Lösungen bestimmt werden. Solche Lösungen,
wenn auch in eiweisshaltigem Medium, kann man nun nicht einfach
natürlichen Sera gleichsetzen. Es besteht darin immerhin die Möglich¬
keit gewisser Fehlerquellen.
Wenn ich mir nun zum Schluss ein eigenes Urteil erlauben darf, so
glaube ich annehmen zu dürfen, dass das angegebene Verfahren der
quantitativen Bilirubinbestimmung neben guten Resultaten eine grosse
Vereinfachung gegenüber bereits bestehenden Methoden bedeutet.
Eine kritische Nachprüfung möge entscheiden, ob es geeignet ist als
diagnostisches Hilfsmittel zu weitgehendem Gebrauch herangezogen zu
werden.
Anmerkung: Der Bilirubinometer ist durch DRGM. Nr. 762 .349 ge¬
schützt. Der Apparat wird gebrauchsfertig mit Vergleichsflüssigkeit geliefert
von der Firma A. D a r g a t z, Hamburg 1. Pferdemarkt 66. Es empfiehlt sich,
die Vergleichsflüssigkeit fertig mitzubeziehen, da absolut sorgfältige Her¬
stellung derselben für genaue und übereinstimmende Resultate Vorbedin¬
gung ist.
Aus der medizinischen Abteilung des Krankenhauses r. d. J.
(Prof. Sittmann)
lieber zwei Fälle von Meningismus bei Perforations¬
peritonitis.
Von Dr. Franz Qroebbels, ehemaligem Assistenten der
Abteilung.
Im Jahre 1919 kamen im Krankenhaus r. I. zwei Krankheitsfälle
zur Beobachtung, die neben anderen Erscheinungen auch die des
Meningismus boten. Da die Sektion bei beiden ziemlich gleiche, klinisch
nicht erwartete Befunde feststellte, da ferner der beobachtete Sym-
ptomenkomplex des Meningismus in diesem Zusammenhang noch nicht
beschrieben ist, möchte ich auf die beiden Fälle kurz eingehen und lasse
zunächst die Krankengeschichten folgen:
Fall 1. L. S., Monteur. 72 Jahre, aufgenommen 24. V. 19, gestorben
22. X. 19.
Hat am 23. 11. 19 wegen Krankheit aufgehört zu arbeiten. Familien¬
anamnese o. B. Als Kind Typhus. Später Bronchitis, vor 6 Jahren Herz¬
schwäche, vor 5 Jahren Rheumatismus im rechten Bein. Vor 2 Jahren
Venenentzündung im linken Bein.
Am 23. II. 19 Brustschmerzen und Kurzatmigkeit. Schlechter Schlaf,
ln ärztliche Behandlung.
Befund: 50 kg, 166 cm, mässiger Ernährungs- und Kräftezustand. Tem¬
peratur normal. Leichter Ikterus der Bindehaut. Blasse Gesichtshaut.
Schleimhaut mässig durchblutet. Keine Schilddrüsenvergrösserung. Leisten¬
drüsen fühlbar vergrössert, schmerzlos. Fassform des Thorax. Schachtelton.
Spitzenstand beiderseits gleich. Geringe Verschieblichkeit der unteren
Lungengrenzen. Bläschenatmen. Giemen, nichtklingendes Rasseln. Husten.
Schleimig-eitriger Auswurf. Herzfigur nicht verbreitert. Herzstoss nicht
fühlbar, reine Töne, unregelmässiger Puls. Rigide Gefässe, Pulsation in der
Achselhöhlen und Ellcnbeugen. Blutdruck 100/80. RR. Flacher Leib, weich.
Leber vergrössert, derb. Milz nicht zu fühlen. Leistenbruch beiderseits
Krampfadern.
Massiges Unterschenkelödenl. Reflexe in Ordnung. Urin ohne patho
logischen Befund.
15. VI. Oedeme geschwunden. Im Bett subjektiv beschwerdefrei.
1.* VII. Livide Hautfarbe. Bei Bewegungen dyspnoisch.
5. VIII. Rheumatische Beschwerden im rechten Oberschenkel. Herz¬
töne unrein.
22. VIII. Dauernd bettlägerig.
18. X. Rheumatische Beschwerden in linker Schulter. Ohrensausen.
Isst nicht. \
20. X. Hat plötzlich die Sprache verloren, Worlver-
ständnis erhalten. Passive Bettlagc. Links zeitweis i;
P t o s i s. Leib nicht gespannt. Kein Kahnbauch. Aeusserung stärkster
Schmerzen bei Druck unter dem rechten Rippenbogen und auf die Magen¬
grube. Beine gestreckt.
Am 21. X. Atmung 44. Beiderseits hinten unten tyrnpanitischer Lungen¬
schall und Schallverkürzung. Links bronchiales Ex- und Inspirium. rechts
unbestimmtes Atmen, Rasseln. Interkostalräume bei der Atmung eingezogen.
Leise Herztöne.
Kernig. Andeutung von Nackenstarre. Somnolen?.
Am 22. X. moribund. Exitus.
Ständige Gewichtsabnahme. Temperatur vorübergehend auf subfebrile
Werte steigend. Stuhl anfangs regelmässig, später Durchfälle wechselnd
mit Verstopfung.
Im Urin in den letzten Tagen Opaleszenz, Urobilinogen.
Klinische Diagnose: Myodegeneratio cordis, Arteriosklerose. Stauung .-
organe. Lungenemphysem. Hypostatische Bronchopneumonie beider Unte -
lappen. Leistenbruch. Meningismus.
Anatomische Diagnose: Rezidivierende verruköse Endokarditis. Dilatat o
und Hypertrophia cordis. Disseminierte bronchopneumonische Herde beidi r
Unterlappen. Milzinfarkt. Grosses, zerfallenes, das Pankreas
einschmelzendes Karzinom der Magenhinterwand mit
Perforation und abgekapseltem Abszess an der Leber¬
unterfläche. Peritonitis circumscripta im rechten
Hypochondrium. Lebermetastasen, Arteriosklerose. Prostatahype '-
trophie, Balkenblase. Gehirn zeigt ausser vermehrtei* Durchfeuchtung d :r
weichen Häute keinen pathologischen Befund.
Fall 2, J. D., Gastwirt, 79 Jahre, aufgenommen 13. X. 19, gestorb« n
17. X. 19,
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
U. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
177
Anamnese nicht zu erheben. Spontansprache fehlt. Passive Bettiage.
Lässt unter sich gehen. Nach Angabe der Hauswirtin über ein Jahr
krank, bettlägerig, Erbrechen nach der Mahlzeit, Abmagerung.
Befund: Sehr verminderter Ernährungs- und Kräftezustand. 175 cm.
Temperatur normal. Haut trocken, gelblich, schilfernd. LymphdrQsen nicht
vergrössert. Keine Zähne. Zunge rot, trocken. Stimme undeutlich, schwach.
Alterskyphose. Thorax eingesunken. Ausdehnung bei der Atmung gering.
I inks tympanitischer Lungenschall. Verschieblichkeit gering. Bläschen-
atraen. Herzfigur nicht verbreitert. Reine Töne. II. Aortenton laut. Hoch¬
gradige Arteriosklerose. Leib gespannt. Kahnbauch. Kein Oedem. Steife
Gelenke. Dekubitus. Wirbelsäulensteifigkeit. Nacken¬
starre. Kernig. Beine manchmal an den Leib gezogen.
Reflexe in Ordnung. Durchfälle. Im Urin Opaleszenz und Urobilinogen.
Am 16. X. Opisthotonus. Beine gestreckt.
17. X. Exitus.
Klinische Diagnose: Marasmus senilis. Arteriosklerose. Kachexie. Me¬
ningismus.
Anatomische Diagnose: Dilatatio cordis. Emphysema senile. Terminales
Lungenödem. .Arteriosklerose. Chronisches Ulcus ventriculi
rotundum mit Andauung des Pankreaskopfes und Per¬
foration in die Bauchhöhle. Abgekapselte zirkum¬
skripte Peritonitis.
Gehirnbefund: Weiche Häute über der Konvexität vermehrt durch¬
feuchtet, Jtiirnkammern beträchtlich erweitert, wässeriger Inhalt.
Duprd [l] prägte als erster das Wort „Meningismus“ und hielt
diesen Symptomenkomplex für funktionell.
Nachdem man aber in vielen Fällen das infektiös-toxische Moment
sowie entzündliche Veränderungen leichterer Art. wie Oedem. Hyper¬
ämie, seröse Ergüsse am Zentralnervensystem erkannt hatte, fasste man
das Krankheitsbild enger und bezeichnete es als Meningitis infectiosa
circumscripta (Plaut, Rehm und Schottmüller [2]), „Meningitis
sine meningitide (S c h u 11 z e [3]), Pseudomeiiingitis (Oppen¬
heim [4], Krannhals (5]). Es wurden Fälle beobachtet bei denen
im Gehirn Bakterien gefunden wurden, während der Liquor steril war,
so bei septischen Erkrankungen [2].
Als klinische Symptome des Bildes wurden beschrieben Koma.
Kernig, Nackenstarre und Ausfallserscheinungen, nach Sc Kult ze [3l
motorische und sensorische Aphasie, anarthritische Störungen.
Schlesinger [6] hat dieses Krankheitsbild speziell im Senium
beobachtet Er weist auf eine postpneumonische Form hin. die sich
durch Wirbelsäulensteifigkeit auszeichnen soll und wochenlang die Pneu¬
monie — mit meist günstigem Ausgang — überdauert.
Was unsere beiden Fälle betrifft so dürfte beim ersten ein Zu¬
sammenhang mit der Pneumonie kaum anzunehmen sein, da die Er¬
scheinungen des Meningismus gleichzeitig mit denen des pneumonischen
Prozesses auftraten.
Eine Beziehung zur Perforationsperitonitis, also zu einer infektiös¬
toxischen Noxe, die in beiden Fällen eine leichte Meningitis serosa her¬
vorrief, dürfte naheliegen. Diese Annahme vorausgesetzt sind die
beiden Fälle ätiologisch bemerkenswert um so mehr, als sie beide die
von anderen beschriebenen aphasischen und anarthrischen Ausfalls¬
erscheinungen zeigten. Worauf die beiden Kardinalsymptome des
Meningismus, Kernig und Nackenstarre beruhen, wissen wir nicht Es
wäre aber der Gedanke in Betracht zu ziehen, ob es sich bJer nicht um
Stellreflexe handelt die dann auftreten, wenn die Grosshirnrinde aus
irgend einem Grunde (hier toxisch-infektiöse Noxe) in ihrer Funktion
doppelseitg ausgeschaltet ist
Literatur.
1. Congrds de Lyon 1894. Sdance II. Manuel de M6dedne. — 2. Leit¬
faden zur Untersuchung der Zerebrospinalflüssigkeit Jena 1913. — 3. Noth¬
nagels Hb. IX. Bd. 3. 1901. — 4. Lehrbuch der Nervenkrankheiten. V. Aufl.
1908. Bd. II. — 5. Arch. f. klin. Med. 54, — 6. D. Zschr. t Nervhlkd. 45.
und Ncurol. Zbl. 31. Nr. 20.
Ein Beitrag zur intravenösen Strophanthintherapie bei
gleichzeitiger Digitalisanwendung.
Von Dr. Wilhelm DüII, II. Arzt der Heilstätte Wasach
bei Oberstdorf.
Anschlressend an den Artikel von M o r y in Nr. 20, 1920 d. Wochen¬
schrift über intravenöse Strophanthinanwendung in ihrem Verhältnis
zur Digitalisbehandlung, möchte ich in folgendem kurz einen Fall be¬
richten, der aufs deutlichste die überaus günstige Wirkung des Strophan¬
thins zeigt und zwar bei gleichzeitiger Digitalisanwendung.
Es handelt sich um einen 56 Jahre alten Herrn B. Familienanamnese
0 . B. Als Kind Masern, Scharlach, mit 16 Jahren rechtsseitige trockene Pleu¬
ritis. Mit 26 Jahren linksseitiges Exsudat. Vor 2 Jahren in Behandlung
wegen Herzschwäche.
Am 1. VIII 20 Erkrankung in Wasach mit Schüttelfrost, heftigen Schmer¬
zen im Nacken, Hüften und Waden.
Am 5, Vlll 20 wurde ich zugezogen. Diagnose: Schwere doppelseitige
Pneumonie. Temp. 39,7, Puls klein, ziemlich beschleunigt, unregelmässig,
häufige Extrasystolen. Beiinden sehr schlecht. 01. camph. forte 2 ccm sub¬
kutan. Inf. Fol. Digit, titr. 1,0/150,0, 2 stündL 1 Esslöffel.
6. VIII. 20. Ausser Digit. 3 ccm Kampfer, abends l Ampulle Digalen intra¬
venös. Temp. 40,4 ®.
7. VIII. 20. Digitalisinfus. 3 Uhr nachm.: 1 ccm Kampfer. 7 Uhr abends:
Digalen intravenös, 10 Uhr nachts: 2 ccm Kampfer.
8. VIII. 20. In der Nacht vom 7. auf 8. Zustand äusserst ernst. Früh
1 Uhr 30 Min. 54 mg Suprarenin, 4 Uhr. 30 Min. 2 ccm Kampfer, 7 Uhr 30 Min.
Digalen intravenös. Von da ab 1—2 stündlich Kampferinjektionen, ausser dem
Digitalisinfus.
Wenn sich auch der Puls zeitweise nach den Einspritzungen, zuletzt nach
Einflössen von Sekt etwas besserte, so liess er allmählich doch immer mehr
nach. Patient verfällt immer mehr. Exitus schien unvermeidlich.
Um 11 Ulir 30 Min. wird als letztes Mittel Strophanthin intravenös
0,2 mg tropfenweise injiziert. Bereits nach 1 Stunde tritt ein Umschwung
ein. IJer Puls wird kräftiger, langsamer und regelmässiger. Im Laufe des
nachmittages werden die Kampferinjektionen und Digitalisgaben fortgesetzt.
Gegen Abend lässt das Herz wieder etwas n.-ich. Abends 9 Uhr 30 Min.
nochmals Strophanthin intravenös 0,4 mg.
9. VIII. Puls ziemlich gleichmässig, voll, 80—100. Schläge pro Minute.
Die Dieitaliswirkung macht sich nun deutlich bemerkbar. Die Temperatur
füllt in den nächsten Tagen lytisch ab.
10. VIII. Puls voll und kräftig, 60—80 Schläge pro Minute, regelmässig,
und bleibt von da ab so.
Bei diesem Falle kommt also dem Strophanthin die lebensrettende
Wirkung zu. Erst nach dessen Anwendung ist auch die Digjtaliswärkung
zum Vorschein gekommen. Ich möchte daher die Ansicht von M o r y
und V 0 1 h a r d unterstreichen, dass die Gefahr einer Kumulations-
W'irkung bei gleichzeitiger Digitaliswirkung überschätzt wird. Ein Herr
aus der Rombergschen Schule, Neffe des Patienten, der den Fall
mit beobachtete, hätte sich nicht getraut. Strophanthin anzuwenden, da
doch „eine bestimmte Zeit nach der letzten Digitallsgabe verstrichen
sein müsse“.
Dass diese Ansicht nicht zu Recht besteht, lehrt auch dieser Fall.
Hinzufügen möchte ich noch, dass wir auch in der Anstalt selbst
(leitender Arzt Dr. Schaefer) in letzter Zeit bei einigen Fällen bei
mangelnder Digitaliswörkung gleichzeitig Strophanthin angewendet haben
und günstige Erfolge sahen, w’cnn sich auch bei zw ei derselben (schwere
destruktive Lungenphthisen) der schliessliche Exitus nicht vermeiden
liess.
lieber die Streustrahlung und ihre Bedeutung für die
Röntgentherapie.*)
Von Privatdozent Dr. R. Q lock er, Leiter des Röntgen¬
laboratoriums an der Technischen Hochschule in Stuttgart.
Jeder von Röntgenstrahlen getroffene Körper w'frd selbst wieder
zur Quelle neuer Strahlungen, die unter dem Gesamtnamen „Sekundär¬
strahlung“ zusammengefasst werden und die sich zweckmässig in fol¬
gende 3 Klassen gliedern lassen:
1. die zerstreute Röntgenstrahlung.
2. die charakteristische Sckundärstrahlung (Eigenstrahlung oder Fluo¬
reszenzröntgenstrahlung).
3. sekundäre Kathodenstrahlung.
Die grössten Unterschiede gegenüber der cyifallenden primären Rönt¬
genstrahlung besitzt die 3. Gruppe. Hier handelt es sich nicht mehr um
Aetherschwingungen, wie bei den Röntgenstralilen, sondern um eine sog.
korpuskulare Strahlung, d. h. um eine Strahlung, die aus einer sehr
grossen Anzahl elektrisch geladener kleinster Teilchen besteht, w'elche
mit grosser Gescluvindigkeit den Raum durcheilen. Die zw^eite Gruppe
ist eine richtige Röntgenstrahlung. Ihre Härte hängt einzig und allein
von der chemischen Natur des'betreffenden Körpers ab und ist voll¬
ständig unabhängig von der Qualität und Quantität der auffallenden pri¬
mären Röntgenstrahlung. Im Gegensatz hiezu steht die erste Gruppe,
die sog. zerstreute Strahlung (Streustrahlung). Die Streustrahlung besitzt
denselben Charakter w'ie die auffallende primäre Röntgenstrahlung; ist
diese homogen, so ist die Streustrahlung ebenfalls homogen und von
gleicher Härte. Wird der Körper von einem Strahlengemisch getroffen,
so ist die zerstreute Strahlung ein Strahlengemisch von genau derselben
Zusammensetzung, und zwar ganz unabhängig von der chemischen Natur
des bestrahlten Körpers.
Von diesen verschiedenen Sekundärstrahlungen hat nun die erste
Gruppe eine grosse Bedeutung für die praktische Röntgentherapie er¬
langt. Denken wir uns ans dem in Fig. 1 dargestellten Wasservolumen
I-
Fig. 2.
in der Tiefe von 10 cm einen kleinen Würfel von 1 ccm Inhalt heraus¬
geschnitten, so erhält dieser Würfel nicht bloss die direkte Strahlung
von der Röntgenröhre, welche auf dem Weg von A nach B eine gewisse
Schwächung erleidet, sondern auch eine Zustrahlung von allen übrigen
Wasserteilchen in dem gesamten bestrahlten Volumen (eini^'c dieser
Streustrahlen ^) sind durch die von E, F, H ausgehenden Pfeile an-
gedeutet). Fragen wMr nach der Dosis in dem betrachteten Würfel B,
•) Auszug aus einem Vortrag in der Münchener Röntgenvereinigung am
9, Dezember 1920.
*) Diese Streustrahlen erleiden ihrerseits wieder einen Absorptions¬
verlust auf dem Wege vom Ort ihrer Entstehung (E, F u. s. f.) nach dem
Würfel B.
Digitized b
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
178
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 6.
so setzt sich diese zusammen aus der Dosis infolge der direkt von A
nach B gehenden primären Röntgenstrahlung und der Streuzusatzdosis,
herrührend von den Strahlungsbeiträgen durch die Streustrahlung der
übrigen Wasserteilchen; d. h. es gilt folgende einfache Beziehung:
primäre Dosis -h Streuzusatzdosis = wahre Dosis.
Wie .Friedrich -Freiburg zuerst experimentell gezeigt hat, ist
der Beitrag der Streustrahlung ein überraschend grosser. Die Slreu-
zusatzdosis kann in 10 cm Tiefe bei grossem Bestrahluiigsfeld und hoch-
gefilterter Strahlung das Mehrfache der Dosis betragen, die vor¬
handen w’äre, wenn keine Streustrahlung auftreten würde. Aus der Figuf
ist auch ohne weiteres zu ersehen, dass die Grösse des Bestrahlungs-
feldes von wesentlichem Einfluss auf die Tiefendosis ist. Bei grossem
Bestrahlungsfeld werden sehr viel mehr Wasserteilchen zur Aussendung
hrer Streustrahlung veranlasst und es wächst die Streuzusatzdosis und
damit auch die wahre Dosis in dem betrachteten Raumteil.
Es ist für die praktische Strahlenbehandlung eine Frage von funda¬
mentaler Bedeutung, die Tiefendosis in B im Verhältnis zur Oberflächen¬
dosis in A sicher messen zu können, lieber dieses Problem lagen bis vor
kurzem nur 2 Arbeiten vor. Eintj experimentelle Ausmessung der Strahlen¬
dosis in einem Wasserphantom'mittels einer kleinen Ionisationskammer'^)
und eine theoretische Berechnung auf Grund der Annahme, dass die Stren-
strahlung nach allen Richtungen des Raumes gleichmässig verlaufe
Da sich zwischen diesen beiden Arbeiten in bezug auf den Wert der
Streuzuwachsdosis überraschend grosse Differenzen ergeben haben
(Friedrich erhält eine Streuzusatzdosis von über 300 Proz.. während
die Rechnung nur 50 Proz. liefert), so sind auf meine Veranlassung hin
in Stuttgart und Tübingen seit einem halben Jahr in Gemeinschaft mit
den Herren Schönleber und Jüngling Versuche im Gang, mit
anderen Methoden Aufschlüsse über die Grösse der Streuzusatzdosis zu
erhalten.
Durch eine briefliche Mitteilung von Herrn Professor Dessauer
erhielt ich Kenntnis davon, dass in seinem Institut ausgedehnte Mess¬
reihen in Bezug auf eine photographische Bestimmung der Streuzusatz¬
dosis aufgenommen worden sind*).
Als Hauptforderung für die Eignung einer Messmethode zur Aus¬
messung der Strahlungsverteilung in einem Phantom oder im mensch¬
lichen Körper ist folgende Bedingung aiifzustellen: Das Messgerät muss
so beschaffen sein, dass Strahlen beliebiger Richtung bei gleicher In¬
tensität gleiche Wirkung ausüben. Wenn nämlich das Verhältnis von
Oberflächen- zu Tiefendosis bestimmt wird, so rührt die Hauptwirkung
auf das Messgerät bei der Oberflächendosismessung von der primären
Strahlung her, welche eine ganz bestimmte Richtung gegenüber dem
Messgerät besitzt, während bei der Messung der Tiefendosis die Haupt¬
wirkung von den Streuitrahlen herrührt, welche unter allen beliebigen
Richtungen in das Messgerät einfallen. Es lässt sich nun leicht zeigen,
dass bei der Ionisationskammer, wie sie in Fig. 2 gezeichnet ist, eine
ausgesprochene Richtungsabhängigkeit des Resultates vorhanden ist.
Lässt man (ohne Wasserphanthom) stark gefilterte Röntgenstrahlen einer
etwa 1 m entfeniten Röntgenröhre einmal in Richtung 1 und dann in
Richtung II einfallen, so ergibt der Versuch bei gleicher Intensität der
Strahlung im letzteren Fall eine 3 mal so grosse lonisationswirkung.
Die Folge davon ist, dass die Tiefendosis relativ zur Oberflächendosis
bei der Messung zu gross gefunden wird. Auch bei der photographischen
Methode der Streustrahlejimessung ist zu erwarten, dass sich eine Rich¬
tungsabhängigkeit der Messung geltend macht; senkrecht auf die Schicht
treffende Strahlen werden bei gleicher Intensität eine geringere Schwär¬
zungswirkung ausüben als Strahlen, welche tangential zur Schicht ein-
treffen.
f Die idealste Lösung der oben aufgestellteii Gi-undforderurig bieten die
chemischen Methoden. Ein kleiner kugelförmiger Glasballon von 1 ccm
Inhalt wird mit einer Flüssigkeit gefüllt, welche unter Einwirkung der
Röntgenstrahlen eine chemische Veränderung erleidet (Verfärbung.
Niederschlag usw.). Da hiebei der Absorptions veg für Strahlen be¬
liebiger Richtung gleich gross ist, so ist auch die Wirkung der Strahlen
auf das Messgerät unabhängig von der Richtung, aus welcher die Strahlen
eintreffen. Solche Versuche sind zurzeit noch im Gange. Dagegen hat
eine andere Methode, und zwmr eine solche biologischer Art bereits zu
einer Reihe sehr bemerkenswerter Resultate geführt. Die von Jüng-
1 i n g '^) zuerst eingeführte Methode, aus der Wachstumshemmung von
Bohncnkeimlingen quantitative Schlüsse auf die Intensität der einwirken
den Röntgenstrahlen zu ziehen, entspricht in hohem Grade der Forderung,
dass das Messgerät nach allen Richtungen des Raumes svmmctrisch ge¬
baut sein soll. Wie Jüngling durch besondere Versuche nach¬
gewiesen hat, kommt für die Wachstumshemmung nur die Bestrahlung
des sehr kleinen Keimlings in Betracht und dieser darf näherungs¬
weise als ein Messkörper von der oben geforderten Gestalt be¬
trachtet werden. Wie zahlreiche Kontrollen gezeigt haben, liefern diese
Bohnenversuche bei Beobachtung gewisser Vorsichtsmassregehi ein¬
wandfreie Resultate. Das Hauptergebnis dieser Versuche b'ldet nun die
Feststellung, dass bei einer Strahlung von etwa 4 cm Halbw-ertschicht
in Wasser und einer Feldgrösse von 17 X 17 cm und 50 cm Fokus¬
distanz die Tiefendos-'s unter 10 cm Wasser nur etwa 29 Proz. beträgt
') K r ö ri i c und Friedrich: Physikalische und biologische Qrund-
la>:en di-r Strahlentlu-rapie lUls.
■b Oil o c k e r: I^hys. Zschr 1U18
*) Anm. bei der Korrektur: Vorläufige Mitteilung hierüber ist inzwischen
erschienen in F-’hysikal. Zschr. 21. 1920. Nr. 21.
'■') Strahlentherapie 1919.
Digitized by Goi-isle
anstatt 43 Proz. bei Friedrich (Feldgrösse 15 X 15 cm, Härte etwas
geringer, 3/4 cm H. W. S., so dass bei unseren Versuchen der Einfluss
der Streustrahlung eher grösser sein müsste). Wenngleich eine Be¬
stätigung dieser Resultate mit Hilfe der chemischen Methoden noch aus¬
steht, so darf es doch auf Grund der oben besprochenen Richtungs¬
abhängigkeit der Ionisationskammer, sowie auf Grund der annähernden
Ucbercinstirnmung der von Des sauer“) kürzlich mit Hilfe einer photo¬
graphischen Methode gewonnenen Werte mit den von uns erhaltenen
biologischen Werten, als sicher gelten, dass die bisherigen Anschauungen
von der Grösse vier Tiefendosis nicht richtig waren. Wenn eine
Geschwulst in 10 cm Tiefe des Körpers bestrahlt wird,
so erhält diese nur etwa */» des Wertes, den man auf
Grund der vorliegenden lonisationsmessungD zu
erhalten glaubte. Ich brauche nicht besonders zu betonen, von
welch fundamentaler Bedeutung diese Feststellung für die praktische
Röntgentherapie ist. (In der anschliessenden Diskussion wurde von
Dr. Winter darauf hingewiesen, dass sich hieraus für die Grösse der
Karzinomdosis, wenn man überhaupt an die allgemeine Existenz einer
solchen glauben wolle, nunmehr ein Wert ergibt, der kleiner ist, als die
Erythemdosis der Haut)
In diesem Zusammenhang ist von Interesse, zu erw^ähnen, dass es
den Bemühungen der Herren Chaoul und Winter gelungen ist, in
sinnreicher Weise die Streustrahlung zu einer Erhöhung der Dosis zu
benützen. Mit Hilfe eines aus Paraffin bestehenden Körpers von beson¬
derer Gestalt wird ein Teil der Strahlung, welche bisher gewissermassen
ungenützt die Röntgenröhre verlassen hat, in Strcustrahlung verwandelt
und auf den Patienten hingelenkt. Es ist besonders bemerkenswert
dass sich, w'ie ich mich selbst durch Messungen überzeugt habe, nicht
bloss eine Erhöhung der Oberflächendosis, sondern auch eine mindestens
ebensogrosse Erhöhung der Tiefendosis erreichen lässt und zwar be¬
trägt diese etwa 40 Proz. Die Anwendung dieses Strahlensammlers in
der Röntgentherapie bietet w'csentliche wirtschaftliche Vorteile.
In der gleichen Zeit können mit dem gleichen Personal und mit den
gleichen Aufwendungen für Röntgenröhren. Stromverbrauch usw. künftig¬
hin iVcnial soviel Patienten bestrahlt werden als bisher, so dass sich
die Kosten für eine Bestrahlung beträchtlich verringern. Bestrah¬
lungstechnisch bietet der Strahlensammler den Vorteil, dass das
Bestrahlungsfeld in der Tiefe. iiisbe.sondere nach den Rändern zu, homo¬
gener durchstrahlt w-ird.
Gerade das Problem der Streustralilung zei.gt auf das deutlichste,
dass die weitere erfolgreiche Entwicklung der Röntgenthe/apie ein enges
Ineinandergreifen der Arbeit des Physikers und des Arztes erfordert.
Erst wenn die Möglichkeit gegeben Ist. einem bestimmten in der Tiefe
des Körpers liegenden Organ in allen vorkommenden Fällen stets genau
dieselbe Strahlung in bezug auf Härte und Intensität zu applUieren —
im wesentlichen ein ph y s i k a 1 i s c h e s Problem —, ist Aussicht vor¬
handen. sichere Kenntnisse über die Sensibilität der verschiedenen
Organe und Prozesse. sowMe über die individuellen biologischen Schwan¬
kungen der Sensibilität zu erhalten. Der Fall liegt hier ganz ähnlich,
wie w'cnn in der Arzneimittelkunde die Dosierung des Heilmittels nicht
mit Hilfe einer genauen W'ägung, sondern durch eine mehr schätzungs¬
weise Beme.ssung vorgetunnrnen werden würde. Hier ist es ohne wei¬
teres klar, dass es bei einem solchen rohen Verfahren aussichtslos er¬
scheint. Schlüsse über Oleichlieit oder Ungleichheit der biologischen Wir¬
kung bei verschiedenen Patienten zu erhalten. In einem ähnlichen, wenig
entwickelten Zustande befindet sich aber leider noch heutzutage die Do¬
sierung in der Röntgentherapie. Und es w'ird eine der Hauptaufgaben
des in -Stuttgart neuerrichteten Röntgenforschiingslaboratoriums sein,
an einer Bessening dieser ainhaltbaren Zustände mitzuarbeiten durch eine
systematische Untersuchung der -physikalischen Grundlagen der Röntgen¬
strahlenmessung.
Ueber eine in der praktischen Medizin verwendbare
JodlSsung (Pregi).
(Bemerkung: zu dem zusammenfassenden Bericht in Nr. 1,
Seite 30, 1921, dieser Wochenschrift.)
Von Sanitätsrat Dr. Peyser, Harburg a. C.
In dem Bericht aus dem Verein der Aerzte Steiermarks wird der
ausserordentliche Erfolg bei der Anwendung der Pregi sehen Jod¬
lösung hervorgehoben und die Frage aufgeworfen, ob die saure Reaktion
einer Gewebsflüssigkeit, des Organinhalts oder der Umgebung der Bak¬
terien eine notw^endige Vorbedingung für die Wirkung der Jodlösung
darstelle.N Ich möchte diese aus folgenden Gründen bejahen:
Seit längerer Zeit verwende ich bei chronischer Gonorrhöe, männ¬
licher wie w'eiblicher, Jothion elektrolytisch. Nach der Theorie muss
sich das an der Anode freivverdende Jod mit dem Wasser des in der
Urethra resp. in dem Zervikalkanal befindlichen Sekrets zu Jodwasser-
stoffsäiire verbinden. Die Erfolge bei diesem Verfahren sind, wie ich
dies in einem Vortrage der „Hamburger Dermatolog. Oesellschaft“, der
“) Briefliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. D e s s a u e r.
Anm. bei der Korrektur: In dein am 20. XII. 20 ausgegebenen Heft
der Strahlentlierapie finden .sich neue Messreihen aus dem Friedrich sehen
Institut. Sämtliche Werte sind etwas kleiner als die 1918 veröffentlichten,
z. B. Feldgrösse 14 X 14 cm, Fokusdistanz 50 cm. Tiefendosis in 10 cm
Wassertiefe 33,7 Proz., für eine Strahlung von der Halbwertschicht 3^ cm.
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
179
in nächster Zeit in der Dermatol. Wschr. zum Abdruck kommen wird,
auseinandergesetzt habe, sehr günstige, übertreffen diejenigen bei weitem,
die bei einfacher Einführung des Jothions bei der Gonorrhöe zu ver¬
zeichnen sind. In letzterem Falle wirkt das Jod nur in alkalischer
Lösung.
Die Bakterien stellen nun kolloide Systeme dar, auf die die Katione
in alkalischer Lösung denaturierend wirken, während die Anione die
Fällung aufheben. Die grösste hemmende Wirkung haben Jod und
Rhodan. In saurer Lösung ist jedoch nach Hob er das umgekehrte
der Fall, so dass Jod und Rhodan dort die erste Stelle einnehmen, welche
Kolloide fällen. Hieraus erklärt sich der ausserordentlich günstige Er¬
folg bei Alveolarpyorrhöen, bei denen sich Jod und Rhodan (letzteres
findet sich ja im Speichel) in ihrer Wirkung potenzieren.
Den Umstand, dass nach P r a u s n i t z bei hoher Konzentration die
bakterizide Wirkung der Jodlösung auf Koli und Staphylokokken sicher
vorhanden ist, möchte ich als weiteren Beweis ansehen, dass die saure
Reaktion die Ursache des Erfolges ist; denn bei der hohen Konzentra¬
tion wird eine entsprechend grössere Zahl der Wasserstoffione frei und
das Massenwirkungsgesetz zur Geltung kommen.
Für die kolloide Fällung spricht auch die P e y r e r sehe Beobachtung
der Hämolyse der Erythrozyten und der Zerfall und Verlust der Kerne
der Leukozyten. Eine offene Frage bleibt, warum nicht alle Bakterien
und Kokken gefällt werden Ich möchte hierzu, veranlasst durch die Be¬
obachtungen bei der Gonorrhöe, bemerken, dass es zunächst auf die
elektrische Ladung der Mikroorganismen ankommt und ferner, dass diese
in solchen Schlupfwinkeln sitzen können, in welchen sie nicht zu er¬
reichen sind. Bisher nahm man an, dass die Bakterien sich sämtlich
elektrisch negativ laden. Für den Gonokokkus trifft dies zu, er folgt
der Anode, doch hat S z e n t G ö r g y nachgewiesen, dass dies nicht für
alle Mikroorganismen der Fall ist. Ausserdem dürfte es auf das Dis¬
persionsmittel ankommen, in welchem sich diese befinden und schliess¬
lich ist noch ungeklärt, 'ob sie nicht ihre elektrische Ladung wechseln
können, je nachdem sie in einer alkalischen oder sauren Lösung vor¬
handen sind.
Soziale MziD ond aerztiiche standesanoeieoeimeiten.
Das hygienische Studium.
Von Privatdozent Dr. Christian.
Bei der eingehenden Beschäftigung mit den Ausbildungsfragcn des
Personals der Wohlfahrtspflege im allgemeinen und der sozialen Hygiene
irn besonderen, ist mir immer wieder der grosse Mangel an Zielsicherheit
in den heute herrschenden Bestrebungen aufgestossen. Die Hygiene ist
schon seit längerer Zeit ein Fach geworden, das sich in den wichtigsten
Punkten von dem der Heilkunde unterscheidet. Zunächst sind die
äusseren Merkmale beider Fächer schon recht verschieden. L. Pick
hart zuerst die Bezeichnungen Heilarzt und Sozialarzt einander gegen¬
übergestellt. Die letztere ist aber wenig glücklich und wird von der
Mehrzahl der Fachleute, unter anderen von Grotjahn, abgelehnt. Zu¬
treffender ist der von Gottstein geprägte Ausdruck Verwaltungs-
mediziner. Am zweckmässigsten dürfte wohl der Name Medizinal¬
beamte sein, der bisher nur für die staatlichen Amtsärzte Verwendung
fand, in Zukunft aber auch für die im Dienste der Gemeinden, Kommunal¬
verbände und sonstiger Seibstverwaltungskörper, bzw. öffentlicher Kör¬
perschaften angestelite Hygieniker anwendbar sein wird. Während
also der Heilarzt im freien Berufe der Behandlung Kranker obliegt, und
nur ausnahmsweise in Krankenhäusern usw. ein festes Gehalt bezieht,
der Hvgieniker als Medizinalbeamter ein regelrechter Beamter, und
seine Stellung weist alle Vorzüge und Nachteile des Beamtenverhält-
■iisses auf. Welchen Einfluss die freie Berufstätigkeit und das Beamten¬
verhältnis auf die gesamte Berufsauffassung hat. braucht hier nicht aus¬
einandergesetzt zu werden. Stärker aber als die äussere Form ist die
innere Einstellung auf die unmittelbaren Berufsaufgaben. Der Heilarzt
muss den physiologischen und pathologischen Vorgängen jedes einzelnen
Köroerteils auf das sorgfältigste nachgehen» auf die gerinfügigsten
Symptome einer krankhaften Veränderung achten, eine grosse Reihe von
subtilen Untersuchungsmethoden beherrschen und innere sowie äussere
Heilverfahren der verschiedensten Form und des verschiedensten Um¬
fanges in allen möglichen Kombinationen anzuwenden lernen. Immer
aber bleibt das Objekt der einzelne Mensch, der sowohl für den For¬
scher wie den Praktiker den Mikrokosmos darstellt. Anders der Medi¬
zinalbeamte. Auch er muss die Physiologie und Pathologie des Men¬
schen beherrschen, braucht aber nicht in alle Einzelheiten der Anatomie,
Physiologie und Pathologie nebst deren Hilfswissenschaften einzudringen
und kann auf die Kenntnis der subtilen Untersuchungsmethodik und Hjeil-
wissenschaft verzichten. Dahingegen muss er sich eingehendere Kennt¬
nis derjenigen Untersuchungsmethoden verschaffen, die für die Fest¬
stellung von Volks-, Massen- oder Gruppenerkrankungen notwendig sind.
Also bakteriologische bzw. epidemiologische und statistische Erhebungen.
Bei ihm hat der Einzelmensch nur insofern ein Interesse, als er ein Glied
der Bevölkerung ist und als solches in dem Gesundheitsstand des Volks¬
körpers eine positive oder negative Grösse darstellt, wobei die letztere
besonders anwächst, wenn er einen Ansteckiingsherd beherbergt. Es
konnte so scheinen, als ob diese Unterschiede zwischen Heilarzt und
Medizinalbeamten gesucht wären und in der Tat sind sie noch nicht allzu
schroff in die Erscheinung getreten, vielmehr fangen sie sich erst lang¬
sam an abzuzeichnen und allerhand Uebergänge sind vorhanden. Das
Digitized by Goiisle
liegt aber nur daran, dass bisher nur eine verschwindend geringe Zahl
von hauptamtlichen Medizinalbeamten aagestellt war. Die Mehrzahl der
Kreisärzte war gezwungen, den grössten Teil ihres Lebensunterhaltes
durch heilärztliche Praxis zu verdienen. Die Zahl der hauptamtlichen
Medizinalbeamten im Staats- und Kommunaldienst war so gering, dass
sie im Verhältnis zu den Heilärzten überhaupt keine Rolle spielten. Erst
jetzt ist die Wandlung in den allgemeinen Anschauungen und in den
Aufgaben der Verwaltungsmedizin so weit fortgeschritten, dass die
Bildung des neuen Standes der Medizinalbeamten als bevorstehend
erachtet werden muss. Dieser Tatsache ins Gesicht zu sehen und die
richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen ist Aufgabe der jetzigen
Generation. ^
Welchen Umfang der Stand der Medizinalbeamten allmählich ein¬
nehmen wird, lässt sich zurzeit nicht übersehen, jedenfalls werden rund
tausend untere Verwaltungsbezirke eigene Kommunalärzte anstellen.
Ferner wird eine nicht unbeträchtliche Zahl von Schularztstellen in
Betracht kommen. Auch auf anderen Fürsorgegebieteiv ist die Verwen¬
dung von beamteten Aerzten nicht unwahrscheinlich. ▼ Weiterhin sind
hierher zu rechnen die Leiter und Assistenten der hygienischen und bak¬
teriologischen Untersuchungsämter. Endlich gehören hierher die staat¬
lichen Medizinalbeamten, die Dezernenten der verschiedenen Selbstver¬
waltungskörper, z. B. der Magistrate und Provinzialverwaltungen, so¬
wie die Angestellten sozialhygienischer Organisationen. Inwieweit die
Vertrauensärzte der Versicherungsanstalten und die ärztlichen Mitglieder
der Versorgungsämter zu den hygienischen Medizinalbeamten zu
rechnen sind, muss die nähere Bestimmung ihrer Berufspflichten ergeben.
Jedenfalls ist in der Medizinalbeamtenschaft ein Stand in der Bildung
begriffen, für den es sich lohnt die Zweckmässigkeit der in Geltung be¬
findlichen Ausbildungsvorschriften einer sachlichen Prüfung zu unter¬
ziehen.
Die hygienische Ausbildung während des ärztlichen Studiums be¬
schränkt sich im allgemeinen auf eine theoretische Vorlesung in der all¬
gemeinen Hygiene während zweier Semester und die Erlernung der
Impftechnik, worüber in der Staatsprüfung der übliche Kenntnisnachweis
verlangt w'ird. Nur selten wird darüber hinaus von den Studierenden
eine Vorlesung in der sozialen Hygiene oder ein Kursus der bakterio¬
logischen oder hygienischen Untersuchungsmethodik besucht. Eine Aus¬
nahme stellt es dar, wenn einmal ein Student der Medizin volkswirt¬
schaftliche oder sozialwissenschaftliche Vorlesungen besucht. Für die
.Ablegung der Kreisarztprüfung wird nach den in Preussen geltenden Be¬
stimmungen auf hygienischem Gebiete ein bakteriologisch-hygienischer
Kursus als Vorbildung verlangt. Neuerdings ist von der preussischen
Medizinalverwaltung bekanntgegeben w'orden, dass bei der Anstellung
von Kreisärzten ausser den bisherigen Anforderungen der Nachw^eis der
Teilnahme an einem viermonatlichen Lehrgänge einer der drei neu-
begründeten sozialhygienischen Akademien verlangt werden w'ürde. In
diesen Lehrgängen ward das gesamte Gebiet der Individual-, Sozial- und
Rassenhygiene sowie der sozialwissenschaftlichen Grenzgebiete in Form
eines vielseitigen Lehrplanes zusammengedrängt. Jede weitere Betufs-
vcrbildung wird der freien Initiative auf dem Wege des Volontierens,
Assistierens und der Einarbeitung im eigentlichen Berufe überlassen.
Tatsächlich wird also ein Mediziner, der Medizinalbeamter zu werden
wünscht, nach fünfjährigem Studium und Staatsexamen ein praktisches
Jahr, zwei bis drei Jahre ärztliche Praxis, einen viermonatigen
Kurs der Sozialhygiene und die bestandene Prüfung als Kreis¬
arzt naebzuweisen haben, ehe er die Befähigung zum Medizinal¬
beamten beglaubigt erhält, und auch dann noch einige Jahre als Assistent
oder Praktikant auf irgend einem Gebiete der Hygiene oder Heilkunde
hinbringen müssen, um bestenfalls mit 30 Jahren in eine auskömmliche
Stelle einrücken zu können. Das ist kurz gesagt eine Vcrschw'endung
von Zeit Kraft und Geld, die wir uns aus den verschiedensten Gründeti
heute nicht mehr leisten können. Daher muss unbedingt nach einer Ab¬
hilfe gesucht werden.
Wenn man darüber nachdenkt, wo bei der Ausbildung der Medi¬
zinalbeamten eine Ersparnis erzielt werden kann, so wird man in erster
Linie auf den Gedanken verfallen, dass ein Medizinalbeamter, der keine
ärztliche Praxis betreiben darf oder kann, nicht unbedingt auf die Fein¬
heiten der medizinischen Diagnostik und Behandlungstechnik angewiesen
ist die bei dem Heilarzt den wesentlichsten Bestandteil seiner Fach¬
kenntnisse ausmachen. Wir stehen heute vor der Frage, wne w'ir das
medizinische Studium gewinnbringender für den angehenden Arzt ge¬
stalten sollen. Die allgemeine Meinung, vertreten auf dem vorletzten
Aerztetav. geht dahin, dass das Studium der Hilfswn'ssenschaften zu¬
gunsten der klinischen Ausbildung auf 4 Semester verkürzt und vereinfacht
wird. Mit Recht wird Wert darauf gelegt dass die klinische Diagnostik
und Therapie in den Mittelpunkt des gesamten Studiums tritt und dem¬
entsprechend auch die meiste und beste Zeit beansprucht Jeder Medi¬
ziner weiss, dass das Arbeitgebiet gew'altig ist und fast mit jedem Jahre
noch weiter anwächst. Die klinischen' Fächer nehmen die geistige
Fassungskraft der Studierenden so in Anspnich. dass für andere Fächer
kaum noch etwas übrig bleibt. Infolgedessen sind von jeher die Hvmene
und die ihr verwandten Disziplinen stark in den Hintergrund gedrängt
w'orden. Zwar waren während der klinischen Semester zwei Halbjahre
mit je einer vierstündigen Vorlesung in der Hygiene vorgesehen, und
gelegentlich wurden auch andere hygienische Vorlesungen und Kurse ab¬
gehalten, aber im ganzen kann man wohl behaupten, dass w'ährend
des medizinischen Studiums die Hygiene nicht mit dem erforderlichen
Ernst betrieben wurde. Es ändert nichts an dieser Tatsache, dass für
das Staatsexamen eine Prüfung in der Hygiene vorgeschrieben ist. denn
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
ISO
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1
Nr. 6.
die zum Bestehen der Prüfung notwendigen Kenntnisse lassen sich be¬
kanntlich in wenigen Tagen oder Wochen während des Examens er¬
werben. Für die Sozialhygiene sind an fast allen Universitäten ausser¬
ordentliche Professuren und in Berlin neuerdings die erste ordentliche
Professur errichtet worden. Nichtsdestoweniger ist die Sozialhygiene
in dem Organismus des medizinischen Studiums ein Fremdkörper ge¬
blieben und muss es bleiben, weil die Beschäftigung mit ihr eine methodo¬
logische Einstellung verlangt, die von dem nach der Erfassung der Heil¬
wissenschaft ringenden Denkvermögen nicht verlangt werden kann.
Wenn man hier Reformvorschläge machen will, muss man sich darüber
klar sein, dass das gesamte Denken der Studierenden von der Stufe
der Individualwissenschaft auf die der Sozialwissenschaft gehoben werden
muss und diese Notwendigkeit beansprucht einen methodologischen Ent¬
schluss. Was zunächst die Methodik anlangt, so wird man von dem
Gesichtspunkte ausgehen müssen, dass während des Studiums nicht die
Beherrschung aller der Wissensgebiete erreicht werden kann, die mit
dem Fragenkomplex der Hygiene in Verbindung stehen. Wohl aber kann
man es dahin bringen, dass die Fähigkeit zur Bearbeitung und Ver¬
arbeitung aller einschlägigen Probleme herangebildet werde und ein
ausreichendes Urteilsvermögen entsteht. Da es sich letzten Endes bei
der Hygiene immer um soziologische Tatsachen und Schlussfolgerungen
hancielt, müssen die soziologischen Methoden stets im Vordergrund des
Unterrichts stehen. Darüber ist man sich anscheinend an massgebender
Stelle noch nicht hinreichend klar. Wenn auch die hygienische Technik
von Grund aus erlernt werden muss, so wird doch erst die Fertigkeit,
aus dem Rohmaterial der hygienischeii Erhebungen die Schlussfolge¬
rungen für die Gesunderhaltung des Volkskörpers zu ziehen, den
Hygieniker ausmachen. Es ist eine eigene Wissenschaft, die sich hier
immer mehr ans Tageslicht ringt. Sie hat weit engere Beziehungen
zur Rechts- und Staatswissenchaft, zur Ethik, zur Wirtschaftslehre und
zur Politik als die Heihvissenschaft und ist dazu berufen, im Staats¬
und Volksleben eine gewichtige Rolle zu übernehmen.
Um nun zu einem praktischen Vorschläge zu kommen, möchte ich
folgendes anregen: Das medizinische Studium bleibt bis zum Vorexamen
nach dem Vorschläge der Aerzteschaft vereinfacht und auf 4 Semester
reduziert, das Gleiche wie bisher. Nach dem Vorexamen werden
3 Semester dazu bestimmt, die Einarbeitung in die klinischen Fächer
zu übernehmen. In dieser Zeit sollte je eine Semestervorlesung in der
chirurgischen, medizinischen, psychiatrischen, Nerven-, Frauen-, Ge¬
schlechtskranken-, Augen-, Ohren- und Halsklinik gehört werden, die
Ferien sollten grundsätzlich zum Famulieren in Krankenanstalten benützt
w'crden. Bis zum Schluss des siebenten Semesters wäre die Ausbildung
für alle Medizinstudierenden gemeinsam. Vom 8. Semester an aber
sollte sich der Ausbildungsgang gabeln. Ein Examen am Schluss des
siebehten Semesters erscheint überflüssig, doch Hesse sich über seine
Zweckmässigkeit streiten. Die Jünger der Heilwissenschaft hätten das
achte bis zehnte Semester dazu zu verwenden, ihre klinischen Kennt¬
nisse durch Praktizieren in den Kliniken und Laboratoriumsarbeit zu ver¬
tiefen. Im ganzen wäre also ihr Studiengang ungefähr derselbe wie
bisher. Die Teilung der klinischen Semester in einen vorbereitenden und
einen gründlichen Teil würde keine nennenswerte Lehrplanänderung
bringen.
Diejenigen indes, die sich mit Abschluss des siebenten Semesters zur
hygienischen Laufbahn entschlossen hätten, würden die letzten drei
Semester ausschliesslich hygienischen Fächern wndmen. Neben all¬
gemeinen und besonderen hygienischen Vorlesungen hätten sie die
Technik in den hygienischen, bakteriologischen und medizinalstatistischen
Untersuchungsmethoden zu erlernen, sich die Grundzüge der Volks¬
wirtschaftslehre und der Sozialpädagogik anzueignen und die in den kli¬
nischen Semestern erworbenen Kenntnisse in den sozialhygienischen Ein¬
richtungen (Fürsorgestellen, Schulen, Bemfsämtern, Wohnungsämtern
usw.) zu erweitern. Den Hauptteil ihrer Tätigkeit würde aber das sozial¬
hygienische Seminar bilden, in dem die eigentliche Erziehungsarbeit für
die wässenschaftlich-praktische Tätigkeit des soziologisch vorgebildeten
Hygienikers vor sich ginge. Das hygienische Abschlussexamen würde
die klinischen Fächer insoweit umfassen, als sie für die Hygiene von Be¬
deutung sind. Die Einflüsse von Familie, Beruf, Stand, Wirtschaftslage,
der Sitten und Gebräuche und der sonstigen Umw-eltbedingungen wären
besonders zu berücksichtigen. Die hygienische Prüfung bedarf keiner
näheren Erläuterung, sie würde sich auf die bisher im Staatsexamen und
der Kreisarztprüfling vorgesehenen Fächer erstrecken, aber als Haupt¬
fach ein oder zwei wissenschaftliche Arbeiten und eine mündliche Prü¬
fung der eigentlichen Sozialhygiene umfassen. Ob nach dem Staats¬
examen noch ein praktisches Jahr anzuschliessen wäre, ist eine Frage
für sich; ich würde dies für nicht unbedingt erforderlich halten, gebe
indes zu, dass manches dafür spricht.
So lautet in kurzen Zügen mein Vorschlag. Ich wiederhole, dass er
hervorgerufen wurde durch die Notwendigkeit, dem neu entstehenden
Stande der Medizinalbeamten eine zweckmässige Vorbildung zu ver¬
schaffen, ohne sie aus wirtschaftlichen und ethischen Gründen mit un¬
nötigem Ballast zu belasten. Ich bin mir dessen bewusst, dass mein
Vorschlag zunächst eine allgemeine Ablehnung erfahren wird, aber die
Frage wird nicht zur Ruhe kommen, bis eine Lösung gefunden ist, die
den jetzigen ungesunden Zuständen ein Ende macht.
Forthiidungsvortraoe und ueherslGhtsreiente.
Aus der inneren Abteilung des St. Marien-Hospitals
Mülheim-Ruhr.
lieber die Bedeutung der Blutdruckmessung und Funktions-
prOfung der Nieren vermittelst der Volhardsehen Ver-
dünnungs- und Konzentrationsprobe für die Diagnose und
Prognose der Nierenkrankheiten*).
Von Dr. med. M. John.
M. H.l Zweifellos ist nicht bloss die moderne Nierendiagnostik auf
Grund zahlreicher, durch autoptische Befunde bestätigter Funktions¬
prüfungsversuche, sondern auch mancher von Ihnen aus den Erfahrungen
der Praxis heraus längst zu der Ueberzeugung gelangt, dass die bisher
geübte chemische und mikroskopische Untersuchung des Urins, selbst bei
gleichzeitiger Bestimmung des spezifischen Gewichtes durchaus nicht
immer ein Urteil über Art und Umfang der Nierenerkrankungen ermög¬
licht. Dürfen wir doch selbst beim Vorhandensein beträchtlicher
Albumenmengen und reichlichen Sedimentbefundes keineswegs stets eine
primär© Erkrankung der Nieren diagnostizieren, ebensowenig, wie Ge¬
räusche am Herzen in jedem Falle die Annahme einer anatomischen Er¬
krankung rechtfertigen oder hinreichenden Aufschluss über die Leistungs¬
fähigkeit des Organs geben, auf die es doch in erster Linie ankommt.
Der Krieg hat zur Genüg© dargetan, dass Herzen mit ausgedehntem
physikalischen Befund sich viel leistungsfähiger erweisen können als
andere, ohne irgendwelche Anzeichen für eine anatomische Erkrankung.
Auch wir haben Leute gesehen, die mit ihrer Mitralinsuffizienz oder mit
einer Aorteninsuffizienz + Mitralstenose die grössten Anstrengungen aus¬
hielten. Genau so liegen die Verhältnisse hinsichtlich der Nieren. Es
gibt Fälle, die trotz reichlicher Eiweissausscheidung und erheblichen
Sedimentbefundes prognostisch relativ günstig zu beurteilen sind,
während anderseits bei schwersten Erkrankungen selbst Eiweiss gar nicht
einmal nachweisbar zu sein braucht. Derartige Fälle nichtsdestoweniger
in ihrer Bedeutung genau erkennen zu können, dazu verhilft uns ganz be¬
sonders die häufig wiederholte Messung des Blutdnicks und die Prüfung
der Leistungsfähigkeit der Nieren. Am besten und leichtesten, auch von
Ihnen draussen in der Praxis, ist diese Funktionsprüfung vorzunehmen
durch die sog. Volhard sehe Verdünnungs- uikI Konzentrationsprobe,
wie ich sie bei einer nach hunderten zählenden Reihe von Patienten seit
14 Jahren durchgeführt habe.
Ehe ich auf die Einzelheiten dieser Nierenfunktionsprüfungsmethode
eingehe, möchte ich noch in möglichster Kürze einiges sagen über die
Einteilung der Nephritiden nach dem übersichtlichen und zur raschen
Orientierung besonders gut geeigneten pathogenetischen System von
Volhard, über die Bedeutung patholoo-ischer Blutdrucksteigerung,
ferner über die Physiologie der Nieren und endlich über zwei bei Nieren¬
erkrankungen so häufig zu beobachtende krankhafte Erscheinungen, das
Oedem und die Urämie.
Volhard teilt die Nierenerkrankungen in drei grosse Gruppen ein:
I. Gruppe: DegenerativeErkrankungen. Das sind die sog.
Nephrosen, bei denen pathologisch-anatomisch degenerative Prozesse
hauptsächlich am Epithel der gewundenen Harnkanälchen und kaum bzw.
in viel geringerem Umfange auch am Epithel der Glomeruli vorliegen.
Diese Erkrankungsformen wurden früher als tubuläre Nephritiden, bzw.
in Verkennung ihrer Sonderstellung als parenchymatöse Nephritiden be¬
zeichnet, welch letztere ja aber ebensogut (Jlomerulonephritiden mit
sekundären Parenchymveränderungen sein können.
Als Vorstadium der eigentlichen Nephrosen kann die bei Infektions¬
krankheiten wie Pneumonie, Typhus, Ruhr, Influenza u. a. auf tretende
sog. febrile Albuminurie, die Fiebernephrose Munks, gelten. Hierbei
findet sich lediglich trübe Schwächung der Epithelien, klinisch nur manch¬
mal erheblichere Eiweissausscheidung, die indes nach Ablauf der be¬
treffenden Erkrankung wdeder verschwindet.
Meist ohne irgendwelchen Urinbefund, und daher kaum Jemals dia¬
gnostizierbar. verläuft die fettige Degeneration der Epithelien als häufige
Begleiterscheinung bestimmter Erkrankungen (perniziöse Anämie,
Leukämie. Morbus Basedow, Vergiftungen: Phosphor. Arsenik, Chloro¬
form. Kohlenoxyd, Munks Fettnephrose).
Die eigentliche Nephrose, die klinisch durch normalen Blutdruck,
meist sehr ausgesprochenen Hydrops, grosse Albumenmengen und das
Vorhandensein von doppellichtbrechenden Fettkömehen im Sediment
charakterisiert ist beruht auf einer lipoiden Degeneration der Epi¬
thelien (Lipoidnephrose Munks), die pathologisch-anatomisch als
Butterniere bzw. auch als grosse weisse Niere imponiert. Die Aetio-
logie dieser Erkrankung ist soweit nicht Lues dafür verantwortlich ge¬
macht werden kann, unklar. Nach Munk ist „der pathologische Zu¬
stand der Nierenzellen die Folge einer bestimmten allgemeinen kon¬
stitutionellen Veränderung der Blutbeschaffenheit“. Häufig ist bei fet¬
tiger oder lipoider Degeneration der Tubulusepithelien eine Amyloident¬
artung der Glomeruli, Nierengefässe und Tunica propria der Harn¬
kanälchen anzutreffen (grosse graugelbe Niere, die auf dem Durchschnitt
ein eigenartig glasiges Aussehen hat — Speckniere). Allerdings kann
•) Nach einem Vortrag, gehalten am 30. Mai 1920 in der 40. wissenschaft¬
lichen Wanderversammlung der Aerztevereine Duisburg, Mülheim-Ruhr. Ober¬
hausen etc.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
11. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
181
Amyloid auch ohne lipoide Degeneration der Epithelien Vorkommen,
wobei dann im Urin nur gelegentlich Spuren von Eiweiss und im Sedi¬
ment Fettkörnchenkugeln zu finden sind (Amyloidnephrose Munks).
Die' amyloide Degeneration scheint nach den Untersuchungen von
Frank durch die Toxine der Friedländer sehen Kapselbazillen ver¬
ursacht zu sein. Das im ganzen selten zur Ausbildung gelangende
Endstadium der Nephrose, zumal der mit Amyloid komplizierten ist die
sogen, nephrotische Schrumpfniere, bei der zwar Symptome von Nieren¬
insuffizienz. wie Polyurie, und Herabsetzung des Konzentrationsver¬
mögens. niemals aber Blutdrucksteigerung. Urämie oder Retinitis albu¬
minurica zu beobachten sind.
Ganz anders als die eigentlichen Nephrosen verhalten sich in kli¬
nischer Hinsicht die durch gewisse chemische Gifte (Chrom. Sublimat)
oder Bakteriengifte (Diphtherie, Typhus, Cholera) hervorgerufenen
Schädigungen des tubulären Apparates, die häufig zu einer Nekrose der
Zellen führen (nekrotisierende Nephrose V o 1 h a r d s. Nekronephrose
Munks). Hierbei kommt es nicht zur Oedembildung, wohl aber zu
schweren Funktionsstörungen bis zur vollständigen Anurie, gelegentlich
auch, indes lediglich infolge der Anurie. zur Blutdrucksteigerung und
Krampfurämie.
11. Gruppe: Entzündliche Erkrankungen, eigentliche
Nephritiden.
A. Herdförmige Nephritiden ohne Blutdrucksteigemng. Dazu ge¬
hören die klinisch pieist symptomlos. insbesondere nach Scharlach,
nekrotisierender Angina und Wundinfektion auftretende septisch-inter¬
stitielle Herdnephritis, bei der histologisch lediglich im Zwischen¬
gewebe Lymphozyteninfiltrate ohne Veränderungen des spezifischen
Parenchyms anzutreffen sind, ferner die embolische Herdnephritis mit
dem das Krankheitsbild beherrschenden Symptom der Hämaturie,
welch letztere durch eine Embolisierung mehr oder weniger zahlreicher
Gefässknäuel mit infektiösem Kokkenmaterial, z. B. bei Endocarditis
lenta, zustande kommt, endlich eine klinisch ebenfalls durch Hämaturie
charakterisierte, gleichzeitig mit der verursachenden Grundkrankheit, bei-
spielsw-eise Angina, einsetzende herdförmige Glomerulonephritis, deren
Existenz von L ö h 1 e i n bestritten, von ihm vielmehr als eine eitrige
Ausscheidungsnephritis aufgefasst bzw^ der embolischen Herdnephritis
zugerechnet wird.
B. Hinsichtlich der diffusen (jlomerulonephritis sind 3 Stadien zu
unterscheiden:
I. das akute Stadium. Häufigstes Symptom ist jdie Blutdruck¬
steigerung, die nur bei '^anz leichten Fällen fehlt oder von so kurzer
Dauer ist, dass sie der Feststellung entgeht, wenn nicht täglich Blut¬
druckmessungen vorgenommen werden. Je höher und je länger an¬
haltend die Blutdrucksteigerung, um so schwerer im allgemeinen die
Erkrankung. Oedeme sind in stärkerem Grade etwa in der Hälfte
der Fälle anzutreffen und zw'ar die höchsten Grade in der Regel auch
bei den schweren Formen, Hämaturie sehr häufig, Eiweissgehalt wech¬
selnd, Harnmenge vermindert bei hohem spezifischen Gewicht, ge¬
legentlich Auftreten von urämischen Erscheinungen.
II. Das chronische Stadium ohne Niereninsuffizienz Blutdrucksteige¬
rung in der grossen Mehrzahl der Fälle vorhanden, Oedeme nicht allzu
häufig, Eiweissmengen meist gering in Spuren bis zu 1—2 Prom., bei
Mischformen (nephrotischem Einschlag) auch bis 10 Prom., keine Stö¬
rungen der Nierenfunktion, keine Polyurie. Die Kranken fühlen sich
meist beschwerdefrei.
III. Das Stadium der Niereninsuffizienz. Hierbei selten Blutdruck-
werte unter 160 mm Hg, Oedeme häufig, Harn stets hellgelb. Je nach
dem Grade der Niereninsuffizienz besteht Polyurie. Pseudonormalurie
oder Oligurie bei nur wenig oder fast gar nicht variierendem spezifischen
Gewicht. Bei Nachlassen der kompensatorischen Polyurie kommt es in
der Regel zu urämischen Erscheinungen. Charakteristisch für das End¬
stadium ist auch das Vorhandensein einer Retinitis albuminurica und
einer Anämie mit erheblicher Reduktion de^ Blutkörperchenzahlen und
des Hämoglobingehaltes.
Ich will hier nicht näher auf die makroskopischen und mikro¬
skopischen Befunde eingehen, die bei den einzelnen Formen der
Glomerulonephritis erhoben werden, und nur darauf hinweisen. dass bei
der Glomerulonephritis häufig auch degenerative Parenchymverände-
rungen anzutreffen sind (Mischformen, Glomerulonephritiden mit nephro¬
tischem Einschlag). Bezüglich der Pathogenese möchte Ich aber doch
die V 0 1 h a r d sehe Anschauung nicht unerwähnt lassen, dass bei der
Glomerulonephritis der eigentliche krankhafte Vorgang durch eine akut
einsetzende Ischämie d6r Glomerulusschlingen, gew'issermassen durch
eine Drosselung des Blutstroms oberhalb der Kapillaren ausgelöst werde.
Auf welche Weise die angiospastische Nierenischämie zustande komme,
sei freilich noch unaufgeklärt. Ebenso verdient kurz erwähnt zu werden
eine von Munk geäusserte Ansicht, dass die Nephritis stets eine All-
geineinerkrankung ist, was u. a. daraus hervorgehe, das nach den Unter¬
suchungen von Otfried Müller und W e i s s bei allen Nephritiden
die Hautkapillaren gegenüber denen gesunder Menschen erheblich ver¬
ändert gefunden würden.
III. Gruppe: Arteriosklerotische Erkrankung = Skle¬
rose.
A. Die blande, gutartige Hypertonie = reine Sklerose der Nieren-
gefässe.
B. Die Kombinationsform = maligne genuine Sch rümpf riiere = Skle¬
rose -f Nephritis.
Das pathologisch-anatomische Substrat der gutartigen Hypertonie
ist. wie ich bereits 1907 an der V o 1 h a r d sehen Klinik bei mehreren
Digitized by Goiigle
derartigen Fällen feststellen konnte, entweder eine vollkommen glatte,
makroskopisch nicht veränderte oder die sogen, rote Granulaniere
(J 0 r e s), das der „Kombinationsform“ kann gleichfalls eine normal¬
grosse fast glatte oder verkleinerte granulierte Niere sein, die sich aber
meist in der Farbe von der vorgenannten Form unterscheidet, indem
Ober- und Schnittfläche nicht gleichmässig braunrot, sondern mehr ge¬
sprenkelt mit zahlreichen Fleckchen und Streifchen durchsetzt, ferner
die Zeichnung zwischen Rinde und Mark mehr oder weniger verwaschen
erscheinen. Wenn der pathologische Anatom von arteriosklerotischer
Schrumpfniere spricht, so dürfen wir daraus keine Rückschlüsse auf das
klinische Verhalten des betreffenden Falles ziehen, denn einerseits
brauchen bei arteriosklerotischer Schrumpfniere nicht die geringsten
Nierenfunktionsstörungen Vorgelegen zu haben, anderseits kann klinisch
bereits das Krankheitsbild der Schrumpfniere in voller Ausbildung be¬
standen haben, ohne dass am Sektionstisch geschrumpfte Nieren vor¬
gefunden werden. Die mikroskopische Untersuchung deckt bei beiden
Formen mit grosser Regelmässigkeit Veränderungen an den kleinen und
kleinsten Nierengefässen auf, die wir als sklerotische bezeichnen können
und die, wie wir gleich sehen werden, in einem sehr engen Zusammen¬
hang mit der pathologischen Blutdrucksteigerung stehen.
Wenn von gutartiger Hypertonie die Rede ist, so soll damit nur
gesagt sein, dass bei derartigen Fällen niemals Niereninsuffizienzerschei¬
nungen zu beobachten sind, dass diese vielmehr iahre- oder jahrzehnte¬
lang keine nennenswerten Krankheiterscheinungen aufzuweisen brauchen,
allerdings jeden Augenblick von einer Apoplexie oder einem Herztod
bzw. einer Herzinsuffizienz betroffen werden können.
Zu bösartigen Erkrankungen werden die Hypertonien, sobald
sich bei ihnen mehr oder weniger ausgesprochene Nierenfunktions¬
störungen bemerkbar machen und zwar, wie V o 1 h a r d sich anfänglich
vorstellte, durch Hinzutreten eines die Glomeruli betreffenden nephriti-
schen Momentes. Daher auch seine Bezeichnung Kombinationsform,
die von Jores, Löh lein u. a. mit aller Entschiedenheit abgelehnt
wird, da die bei solchen Nieren wahrnehmbaren Glomerulusverände-
rungen nicht entzündlicher, sondern gleichfalls arteriosklero¬
tischer Natur oder Folgezustand sklerotischer Prozesse an den
Arteriolen seien. V o 1 h a r d macht neuerdings auch für diese
Glomerulusveränderungen das Einsetzen einer Ischämie der Nieren ver¬
antwortlich, die begreiflicherweise nicht mehr rückbildungsfähig sein
kann wie jene bei der Glomerulonephritis und spricht daher anstatt von
Kombinationsform auch von einem ischämisierenden oder einem ischä¬
mischen Stadium der Sklerose. Tatsächlich sind bei den bösartigen
Formen, die wir bisher klinisch als genuine Schrurr»^fnieren bezeichneten,
Merkmale für eine verschlechterte Durchblutung des Körpers, für eine
allgemeine Ischämie zu finden und zwar bereits zu einer Zeit wo die
Niereninsuffizienzerscheinungen noch nicht recht ausgebildet zu sein
brauchen. Volhard empfiehlt daher eindringlich, bei Hypertonikern
auf diese Symptome allgemeiner Ischämie wie Blässe der Hautfarbe,
Müdigkeit. Denkunlust, Retinitis albuminurica und eine infolge der ver¬
schlechterten Blutzirkulation einsetzende Kachexie genau zu achten und
sie für die Frühdiagnose der malignen Form zu verwerten.
Auf welche Weise kommt nun bei der diffusen Glomerulonephritis
und den Nephrosklerosen die Blutdrucksteigerung zustande? Hinsicht¬
lich der erstgenannten Erkrankungsform unterliegt es kaum einem
Zweifel, dass die Erhöhung des Blutdrucks durch die Nierenerkrankung
selbst bedingt Ist, und zwar sollen im akuten Stadium retinierte harn¬
fähige oder andere toxische Substanzen, nach Volhard die akut ein¬
setzende Ischämie der Glomerulusschlingen das auslösende Moment sein,
während die im 2. oder 3. Stadium der Glomerulonephritis zu beob¬
achtende Hypertonie von Volhard als Folgezust^nd end^rteriitischer
Oefässveränderungen aufgefasst wird, wie sie sich im Anschluss an die
Glomerulusveränderungen und diese überdauernd entwickeln. Ob
seine Anschauung über die Pathogenese der Blutdrucksteige¬
rung bei der akuten und chronischen Nephritis zutrifft oder nicht
darüber lässt sich wohl noch kein definitives Urteil fällen. Bemerkens¬
werferweise habe ich bei Nephrosen mit ausgedehnter amyloider De¬
generation der Glomeruli und Gefässwandungen das Lumen der kleinen
Gefässe gleichfalls sehr eingeengt gefunden, ohne dass klinisch jemals
eine Blutdrucksteigerung beobachtet werden konnte. Selbst eine neben
ziemlich ausgedehnter Glomerulusverödung bestehende erhebliche Binde-
gewebseptwicklung bei gleichzeitieer Erkrankung des noch vorhandenen
sezernierenden Parenchyms (Fall 1 unter C) scheint an sich noch keine
Blutdruckerhöhung zur Folve haben zu müssen, nach einer weiteren
Beobachtung auch dann nicht, wenn bereits Niereninsuffizienzerschei¬
nungen (fixiertes spez! Gewicht) ausgebildet sind. Wenn bis in die
letzte Zeit hinein von vielen Klinikern nicht bloss die der akuten und
chronischen Nephritis eigentümliche, sondern jede pathologische Blut¬
drucksteigerung überhaupt als Symptom und Folge einer Nierenerkran¬
kung gedeutet worden ist, so trifft das sicher nicht zu. Bereits in den
Jahren 1907/08 konnte ich. wie Volhardt in seiner Monographie „die
B r I g h t sehe Nierenkrankheit“ hervorhebt, bei der histologischen Unter¬
suchung von Hypertonikernieren zunächst das Fehlen jeglicher entzünd¬
licher Erscheinungen, dann aber auch das Vorhandensein yon Gefäss-
veränderungen — Verfettungserscheinungen und elastisch-hyoerplastische
Intimaverdickung der Vasa afferentia —. allerdings nicht bloss in der
Niere, nachweisen. Im Anschluss an diese Untersuchungen hat Fahr
weiter gefunden, dass die Arteriosklerose der kleinsten Gefässe in keinem
Organ so häufig anzutreffen ist als gerade ln der Niere. Demgemäss glaubt
Volhard. jede nicht im Gefolge einer akuten oder chronischen Nephritis
auftretende Hypertonie auf eine durch Arteriosklerose der kleinsten
Original from
UNIVERSiTY OF CALIFORNtA
182
MÜNCHENER MEDIZINISCHI! WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Nier^engefässe bedingte Einengung des Nierenkreislaufs, also, wenn man
so will, doch auf renalen Ursprung, zurückführen zu müssen, während
andere Forscher, insbesondere Gull und Sutton, eine Einengung des
üesamtquerschnittes der Blutbahn infolge Erkrankung sämtlicher klein¬
ster Gefässe (arterio-capillary-fibrosis) für die pathologische Blutdruck¬
steigerung verantwortlich gemacht hatten. Ich selbst habe bei der histo¬
logischen Untersuchung einer Reihe auf der Abteilung beobachteter
Hypertonien (benigner Nephrosklerosen) nicht den Eindruck ge¬
wonnen, dass die Nierengefässe so vorzugsweise erkrankt sind
und, was mir noch weit wichtiger erscheint, habe ich bei
einem diesbezüglichen Falle, den ich 1913 beschrieb und der
auch von J o r e s nachuntersucht worden war, gerade an den
kleinsten Nierengefässen keine arteriosklerotischen Veränderungen
vorgefunden. Ich zog daraus den Schluss, dass nicht in jedem Falle
von Hypertonie deren ursächliches Moment unbedingt in Oefässver-
änderungen gesucht werden darf, dass vielmehr eine hochgradige Gefäss-
spannung sämtlich-er Arteriolen als der primäre und die nach meinen
Erfahrungen durchaus nicht immer auf die Nieren beschränkten Gefäss-
veränderungen als der sekundäre Zustand zu gelten haben. Dieselbe
Auffassung vertritt auch L ö h l e i n, der in der essentiellen Hypertonie
ohne Gefässveränderungen das Vorstadium der Arteriosklerose der
Nierengefässe erblickt. Gleichviel, ob nun die Arteriosklerose der
kleinsten Nieren- bzw. Körpergefässe oder kurz gesigt die Arterio¬
sklerose als Ursache oder als Folgezustand der niehtncrhritischen Hyper¬
tonie arfzus'ehen ist, darüber dürfte kaum ein Zweifel herrschen, dass
das rein mechanische Moment der funktionell oder aintomisch bedingten
Einengung des Kreislaufs ünd zwar,in der Gegend der Arteriolen zu einer
Steigerung des Blutdrucks und damit auch zu Herzhypertrophie Veranlas¬
sung geben muss. Jedenfalls darf man die Hypertonie wohl mit der
Arteriosklerose der kleinsten Gefässe, der Arteriolosklerose, in
einen gewissen Zusämmenhang bringen, insofern, als in den
allermeisten derartigen Fällen tatsächlich charakteristische Gefässver¬
änderungen vorhanden sind, aber nicht ganz allgemein die
Hypertonie mit der Arteriosklerose überhaupt
identifizieren. Denn arteriosklerotische ' Erkrankungsprozesse
werden sehr häufig bei der Autopsie an grösseren Gefässen angetroffen,
ohne dass intra vitam auch nur die geringfügigste Blutdruckstegerung
vorhanden war.
Durch welche Einflüsse die gar nicht so selten erblich auftretende
erhöhte Spannung im Gefässsystem und im Anschluss daran die Arteriolo¬
sklerose zustande kommt, ist noch ganz ungeklärt. Alkohol. Tabak,
Lues spielen sicherlich keine nennenswerte Rolle. Eher kann man viel¬
leicht an innersekretorische Ursachen (Nebennieren, Keimdrüsen) und
psychische Momente denken.
Als Vorstadiiim der permanenten Hypertonie können wohl jene
transitorischen Blutdrucksteigerungen auf 180—200 mm Hg angesehen
werden, die nach einigen Tagen Bettruhe, ohne dass irgendwelche Be¬
handlung stattgefunden hat, wieder verschwunden sind.
Dass man durch Befühlen des Pulses allein auch nur die ungefähre
Höhe des Blutdruckes zu ermitteln imstande wäre, dürfte kaum
Jemand zu behaupten wagen; nur durch regelrecht durchgeführte Blut¬
druckmessungen lässt sich die Höhe des Blutdruck.s bestimmen.
Selbsverständlich darf man sich niemals mit nur einer Blutdruckmessung
begnügen. Es ist eine ganz bekannte Erscheinung, dass Neurastheniker
bei den ersten Messungen höhere Blutdruck werte aufweisen. Eine
pathologische Blutdrucksteigerung ist erst d^rn nnzunehmen wenn auch
nach mehrfach wiederholten Messungen der. Blutdruck noch über 140 bis
150 mm Hg erhöht gefunden wird. Gan^i. besonders wichtig und oft
direkt aus^hlaggebend für die richtige Diagnose ist die Bestimmung
des Blutdrucks bei allen Patienten jenseits des 40. und 50. Lebensjahres,
was Ihnen bei Besprechung der Kurven noch gezeigt werden soll.
Lediglich, wxil die Blutdruckmessung unterblieben war. ist beispiels¬
weise in dem einen Fall (Fall 5 unter C) immer nur eine falsche und
sehr zum Schaden des Patienten niemals die richtige Diagnose gestellt
worden. .
Die Bedeutung der Niere als Ausscheidungsorgan besteht darin, dass
sie Wasser, Salze und die Abbauprodukte des Eiweissstoffwechsels zu
eliminieren hat, während die Endprodukte des Kohlehydrat- und Fett-
stoffw-echsels durch die Lungen in Form von Wasser und Kohlensäure
aus dem Körper herausgeschafft werden. In welcher Weise die Niere
sich dieser Aufgabe entledigt, ist noch nicht bis in alle Einzelheiten
geklärt. Nach den Anschauungen des bekannten Physiologen LudwMg
soll in dem dünnw^andigen Kapillarnetz der Glomeruli aus dem Blute
heraus eine diesem an Konzentration gleiche Flüssigkeit durch die
Kapillarw'^and hindurch filtriert und beim Abfliessen durch die Harnkanäl¬
chen infolge von Rückresorption von Wasser wieder einf^edickt, kon¬
zentriert werden, während nach Heidenhain die Urinabsonderung
auf einer aktiven Tätigkeit der Nierenzellen, auf einer Sekretion von
Wasser und festen Bestandteilen beruht. Ich kann hier nicht darauf ein-
gehen, w’clche Argumente die Verfechter der einen oder 'änderen Theorie
für ihre An.schauungsweise ins Feld führen. Man darf aber wohl an¬
nehmen. dass die einzelnen harnfähigen Stoffe nicht etwa jeder an einer
bestimmten Stelle des harnbereitenden Systems abgeschieden werden,
d. h. Glomeruli und Tubuli unterscheiden sich nicht, wie Volhard cs
ausdrückt, in dem was sie sezernieren. sondern nur in dem. wm" e sie
sezernieren bzw. wie sie sezernieren können und wie nicht. Die Höchst¬
leistung der Glomeruli be.steht in einer Ausscheidung sehr grosser
Wassermengen, die der Tubuli in einer Absonderung grosser Mengen
fester Bestandteile, mit anderen Worten, die Sonderleistung der Glo-
Digitized by Goüsle
meruli ist die Verdünnung, die Sonderleistung der Kanälchen die Kon¬
zentration. Wenn wir nun die Höchstleistung der Niere bezüglich ihrer
Verdünnungs- und Konzentrationsfähigkeit ermitteln, so können wir da¬
mit aber nicht etwa herausbekommen, ob in dem einen Falle die Glo¬
meruli. in dem anderen die Tubuli in ihrer Funktion gestört sind, sondern
nur ganz allgemein, w'as die Niere als Ganzes leistet.
Selbstverständlich ist die Leistungsfähigkeit der Niere, insbesondere
die Entfaltung der Höchstleistung, in hohem Masse davon abhängig, dass
die Zufuhr der harnfähigen Substanzen zu der Niere ungehindert erfolgt.
Wenn beispielsweise bei Kreislaufstörungen die Blutzirkulations¬
geschwindigkeit herabgesetzt ist. und infolgedessen die Niere in der
Zeiteinheit von weniger Blut durchströmt wnrd. oder wenn ein Abstrom
von Blutflüssigkeit in die Gewebe erfolgt, wie es beim Oedem der Fall
ist, dann kommt die Niere ja gar nicht in die Lage, ihre Höchstleistung
entfalten zu können. Daher ist auch eine Funktionsprüfung der Nieren,
solange Herzinsuffizienz und Wassersucht vorhanden sind, nur von be¬
schränktem Werte. Allerdings kann, wie wir aus zwei Kurven noch
ersehen werden, auch trotz erheblicher Oedeme eine jedenfalls
quantitativ normale Wasserausscheidung vonstatten gehen.
Die Pathogenese der Oedeme ist sicherlich keine einheitliche. Die
seinerzeit fast gleichzeitig von S t r a u s s und W i d a l geäusserte An¬
schauung, dass infolge der Nierenerkrankung zuerst eine Kochsalzreten¬
tion und dann erst eine Flüssigkeilsretention erfolge, besteht längst nicht
mehr zu Recht. Strauss selbst hat schon einige Jahre später ..die
Entstehung des Hydrops nephroticus klar als die Folge zweier Vor¬
gänge, nämlich 1. einer speziellen Hvdropsietendenz und 2. einer nephro¬
genen Kochsalzretention bezeichnet“. Wenn überhaupt, dann wird man
mit Fr. v. Müller wohl nur in manchen Fällen renale Ursachen für
die Entstehung der Oedeme annehmen dürfen. Nach Volhard ist die
Nierenwassersn^ht' sogar immer unabhängig von der Nierenfunktion,
extrarenal, bedingt. Bemerkenswert ist jedenfalls die von ihm hervor¬
gehobene und auch von uns beobachtete Tatsache, dass beim nephro¬
tischen Hvdrops die Fähigkeit der Niere. Kochsalz in guter Konzentration
auszuscheiden, keineswegs gelitten zu haben braucht. Auch beim hoch¬
gradigen essentiellen Oedem haben wir eine gute prozentuale Kochsalz¬
ausscheidung und im Diureseversuch eine quantitativ normale Wasser¬
ausscheidung gesehen. Diese Befunde sprechen doch sehr gegen die
S t r a u s s sehe Annahme, dass beim nephrotischen Hydrops die Kochsalz¬
retention renal bedingt ist, ganz abgesehen davon, dass beispielsweise
bei Diabetikern nach Zufuhr grosser Natriummengen Oedeme auftreten
können, ohne dass überhaupt ein Kochsalzangebot erfolgt.
Als Conditio sine qua non für das Zustandekommen der Oedeme
wird von Volhard eine abnorme Durchlässigkeit der Gefässe infolge
Schädigung der Kapillarwand vorausgesetzt. Wodurch diese Gefäss-
endothelschädigung bedingt wird, mit anderen Worten, welches der sog.
hydropigene Faktor ist. das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Bei
der Oedemkrankheit sind nach den interessanten Forschungsergebnissen
von Jansen ..Kalkverlust und Lipoidverarmung des Körpers und die
dadurch entstehende Störung in den chemischen Wechselbeziehungen der
beiden Substanzen vielleicht das Wesen der krankhaften Gefässdurch-
lässigkeit“. Nach einer neueren Anschauung v^n Munk sollen beim
Oedem nicht bloss Veränderungen der Oefässwand. sondern der Körper¬
zellen überhaupt anzunehmen sein. Eine denrtige Zellverändenwig oder
wie Munk sagt „eine auf alle Körnerkolloide sich erstreckende nhysi-
kalisch-chemische Zustandsänderung“ scheint wenigstens bei den J^eph-
rosen auf Orund so mancher krankhafter Erscheinungen (pseudocliylöse
Trübung des Serums und der Transsudatflü^sivkeit infolge Ausflockung
der am leichtesten fällbaren Substanzen des Euglobulin) durchaus im
Bereich der Möglichkeit zu liegen. Auf ähnlichen Vorstellungen basiert
die Oedemtheorie von M. H. F i s c h e r. die als Ursache für die Oedem-
bildung eine durch Einwirkung von Säuren zustandekommende Steigerung
der Quellbarkeit der Gewebe annimmt. Ich will hier nicht näher auf
Einzelheiten seiner Theorie eingehen, zumal sie in der vorgebrachten
Fassung kaum annehmbar erscheint. So viel ist wohl sicher, dass die
Pathogenese des nephrotischen Hvdrops nicht die gleiche ist, wie die
des nephrltischen und kardialen. Nicht bloss bei dem kardialen, sondern
nach V 0 1 h a r d s Untersuchungen auch bei dem nephrltischen Hydrops
spielen zirkulatorische Momente eine grosse Rolle. Eine gewisse Be¬
stätigung erfährt diese Anschauung durch die von uns beobachtete Er¬
fahrungstatsache (Roderburg: Ueber intravenöse Strophantbin-
therapie, d. Wschr. 1920 Nr. 6). dass bei schweren hydropischen Nephri¬
tiden. dagegen nicht bei Nephrosen, durch Strophanthininiektionen, also
durch Herzmittel, noch eine Entwässemng bewirkt werden kann, nachdem
andere therapeutische Massnahmen w'irkungslos geblieben sind. Selbst
die in den Endstadien der chronischen Neohritis anzutreffenden Oedeme
sind häufig noch kardialen Ursprungs. Wenn in solchen Fällen kein
sog. Stauungsharn, sondern der dünne Schrumofnierenharn produziert
wird, so liegt das eben an der Konzentrationsunfähigkeit dsr Niere.
Während es also durchaus zweifelhaft ist ob und in welchem Um¬
fange die Wassersucht etwa durch eine Beeinträchtigung des Wasser-
und Kochsalzausscheidungsvermögens der Niere mitverursacht ist, wäh¬
rend wir also das Oedem nicht unbedingt als Folgczustand einer Nieren¬
insuffizienz deuten dürfen, ist bisher eine Verschlechterung der Harn¬
stoffausscheidung immer als Anzeichen für eine ausgesprochene Schä¬
digung der Nierenfunktion gewertet worden. Sobald die Abbauprodukte
des Eiweissstoffwechsels nicht mehr voflständlg ausgeschieden werden
können, was sich in einer Vermehrung des sog. Reststickstoffs im Blute
zu erkennen gibt, kommt es klinisch schliesslich zu den Erscheinungen
der Urämie. Urämie, eigentlich Ureahämie. bedeutet Ueberschwemmung
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA /
11. Februar 1921.
MÜNCHENEI? MEDtZINrsCHE WOCHENSCHRIFT.
183
k* r
des Blutes mit Harnstoff. Deswegen sollte auch der Begriff Urämie
allein für denjenigen Symptomenkomplex Vorbehalten bleiben, der immer
nur bei Retention stickstoffhaltiger Abbauprodukte in die Erscheinung
tritt. Die charakteristischen Züge der sog. echten Urämie, der Azot-
ämie, sind kurz gesagt: ein eigenartig dösiger, zuweilen verworrener
Zustand, häufig in verschiedenen Muskelgnippen auftretende Zuckungen,
unüberwindlicher Widerwille gegen Speisen, Würgreiz bzw. hart¬
näckiges Erbrechen, Singultus, gar nicht so selten Durchfälle, lästiges
Hautjucken, meist ein charakteristischer urinöser Geruch der Atemluft
und schliesslich, wenn die längere Zeit hindurch an Intensität wechseln¬
den Erscheinungen in Koma übergehen, tiefe, unregelmässige Atmung.
Nun wird der Begriff Urämie aucn für Krankheitserscheinungen ge¬
braucht, die ein ganz anderes charakteristisches Gepräge aufw^eisen.
Es sind dies bald plötzlich einsetzende, bald durch Vorbofen wie heftige
Kopfschmerzen und Erbrechen angekiindigte tonisch-klonische Krämpie.
die sich nach kürzeren oder längeren Hausen mehrfach w iederholen und
sehr grosse Aehnlichkeit mit der genuinen Epilepsie oder Eklampsie
haben. Wir sahen den Krämpfen gelegentlich eine Amaurose voran¬
gehen, die sich aber ebenso wie vorübergehende Lähmungen, Hemi¬
anopsie, Nackensteifigkeit, Reflexstörungen erst im Anschluss an die
Krämpfe einstellen kann. Dieser selten bei chronischer, am häufigsten
bei akuter Nephritis zu beobachtende Symptomenkomplex wird von
Volhard als eklamptische Urämie bezeichnet, zum Unterschied gegen
die erstgenannte, die echte oder Retentionsurämie. Endlich sind noch
gewisse bei Hypertonikern ohne Niereninsuffizienz, also bei Nephro¬
sklerosen, auftretende Störungen wie Kopfschmerz, Schwindelgefühl,
Aphasien, Hemiparese, Amaurose, epileptiforme An^lle, Verwirrtheit,
psychische Erregungszustände, als urämische aufgefasst worden, aber, w'ie
Volhard hervorhebt, sehr zu Unrecht, da diese Fällb keine nennens¬
werte Erhöhung des Reststickstoffs H Blute erkennen lassen und des¬
wegen eher die Bezeichnung Pseudourämie verdienen
Dass die Aetiologie dieser drei verschiedenen Formen von Urämie
keine einheitliche sein kann, wird wohl niemand bezw^eiieln. Hinsichtlich
der Pathogenese der sog. echten Urämie, der Azotämie, vermag nur
gesagt zu werden, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
Retention stickstoffhaltiger Substanzen und Auftreten urämischer Erschei¬
nungen nicht als einwandfrei erwiesen gelten darf. Abgesehen davon,
dass die im Blute gefundenen Reststickstoffw-erte durchaus nicht pro¬
portional der Schwere der klinischen Erscheinungen sind, kann eine Er¬
höhung des Reststickstoffgehaltes auch ausserhalb der chronischen
Nephritis, beispielsweise bei fiebernden Kranken unmittelbar vor dem
Tode nachweisbar sein, ohne dass die ausgesprochenen typischen Er¬
scheinungen der Urämie sich -bemerkbar machen. Hier kommt die Azot-
äinie wohl durch toxischen Eiw'eisszerfall zustande. Da auch beim Aus¬
fall d^r Nierenfunktion ein toxischer Eiweisszerfall zu beobachten ist,
spricht Veil von der Möglichkeit, „dass die Azotämie nicht der Aus¬
druck der schlechten stickstoffausscheidenden Funktion der Niere, wie
sie Widal und Volhard u. a. als das Wahrscheinlichste aqnehmen,
sondern der einer Umgestaltung des gesamten EiweisssioTiwechsels ist,
die aus einer zur Niere in Wechselwirkungen stehenden, unbekannten
Funktion, vielleicht der Leber, resultiert“.
Die Krampfurämie soll nach Widal durch eine Chlorretention in den-
Hirnzentren, nach Volhard durch ein Hirnöden^bedingt sein. Eigen-
'artigerweise lassen sich durch eine Lumbalpunktion die Krämpfe kupieren,
und nach Abklingen des eklamptischen Zustandes kann man bisweilen
eine gesteigerte Kochsalzausscheidung im Harn beobachten. Was die
Pathogenese der pseudourämischen Zustände anbelangt, so ist es durch¬
aus wahrscheinlioh, das diese durch spastische Gefässkontraktionen in
einzelnen Gefässgebieten im Sinne der Gefässkrisen Pals verursacht
sein könnten. (Schluss folgt.)
BQcheranzeigen und Referate.
L.Krehl:J. V. Merings Lehrbuch der inneren Medizin. I. Band
mit 120 Abbildungen im Text. II. Band mit 214 Abbildungen und
8 Tafeln. 12., durchgesehene und verbesserte Auflage. Jena, Gustav
Fischer, 1920. 1536 Seiten. Preis 100 M.
Seit 1915 vier neue Auflagen! ln dieser, der 12., ist das weit¬
verbreitete Lehrbuch der in der Kriegszeit nicht möglichen, umfassenden
Neubearbeitung unterzogen werden. Es wäre ja auch bei der raschen
Entwicklung und Ausdehnung der inneren Medizin nicht möglich, ein
solches Werk auf der erreichten Höhe zu erhalten und immer grösserer
Vollkommenheit zuzuführen, wenn nicht jeder Mitarbeiter bestrebt wäre,
mit jeder neuen Auflage auch eine neue Arbeit zu liefern. Freilich bringt
die Neubearbeitung auch einen grösseren Umfang (ein Mehr von 134 Sei¬
ten) mit sich, was wegen der Steigerung des Preises im Sinne unserer
Studierenden als nicht erfreulich anzusehen ist. Kürzen ist bekanntlich
für jeden Autor eine schwierigere Aufgabe als Neues hinzuschreiben.
Aber es lässt sich, glaube ich, auch in dieser Hinsicht manches erreichen.
So könnten manche der älteren Abbildungen, aber auch einige neue
ohne Schaden wegfallen. Die interessanten Bilder der Chondrodystrophie
gehören mehr in eine Spezialabhandlung als in ein Lehrbuch für Stu¬
dierende. — Von den Neubearbeitungen sei vor allem das Kapitel über
Blutkrankheiten hervorgehoben, das O. N a e g e 1 i, der bekannte hervor¬
ragende Forscher auf diesem Gebiet, übernommen hat. Dann seien die
Kriegskrankheiten und -Schädigungen erwähnt, die eingehende Berück¬
sichtigung gefunden haben. Unter diesen möchte ich besonders auf die
vorzüglichen Darstellungen von F. Müller (Kriegsnephritis), R o m -
Digitized by Goiisle
b e r g (Infektionskrankheiten), K r e h l (Herz der Kriegsteilnehmer).
Kraus (Wirkung der Hungcrblcckade) hinweisen. — Wenn ich einem
solchen bewährten Meisterwerke gegenüber einige Ausstellungen machen
darf, so betrifft die eine das Register. Wenn der Leser Aufklärung über
den t>egrirt der „Vagotoriie ‘ haben will, so sucht er unter diesem Sticii-
w’ort, nicht unter Vagolabilität, und die „Oedemkrankheit“ findet er auch
nicht. Ferner möchte ich die Beschwerde intelligenter Studierender
nicht verschweigen, dass die wuchtigen Darstellungen der Stoffwechsel-
und Kreislaufstörungen sow'ie der Neurosen, die gerade m. E. sachlich
zu den besten des Lehrbuchs gehören, für den Anfänger zu schwer ver¬
ständlich geschrieben seien. Vielleicht bringt eine neue Auflage auch In
dieser Richtung noch weitere Vervollkommnung. Im übrigen bin ich
der Ueberzeugung, dass das Werk voll und ganz die Aufgabe gelöst
hat, die der Herausgeber mit den schönen Schlussworten der Vorrede
kennzeichnet: „Wir wollen Aerzte heranbilden, die aufwachsend auf dem
Boden streng biologischer Schulung, diese doch nur verwenden, um
ihren Kranken ein Helfer zu sein in aller ihrer Not, Aerzte. die damit
zugleich unserm geliebten Volke und Vaterlande treu und selbstlos
dienen.“ Penzoldt.
Handbuch der Geburtshiiie in drei Bänden, herausgegeben von
A. üöderl ein- München. Dritter Band. Mit 120 Abbildungen
im Text und 1 Tafel. Münenen und Wiesbaden 1920, Verlag von
J. F. Bergmann. Preis 100 M. (Bd. I uad II erschienen 1915/16.)
Von dem D.schen Handbuche der Geburtshilfe liegt nunmehr der
letzte l^and vor; an der Abfassung sind folgende 6 Mitarbeiter beteiligt:
„Die Pathologie der Geburt“ ist von K. B a i s c h - Stutt¬
gart verfasst, behandelt werden die Anomalien des Beckens, der weichen
Geburtswege, der Wehen, der Eihäute und Nabelschnur, Anomalien in¬
folge fehlerhafter Haltung, Stellung und Lage der Frucht, fehlerhafte
Gestalt und Grösse derselben, Asphyxie des Neugeborenen. Die ein¬
zelnen Kapitel sind prägnant und klar geschrieben, sie enthalten eine
Fülle von Wissensw’ertem; ein Eingehen auf Einzelheiten würde den
Rahmen eines kurzen Referates überschreiten.
F. Weber-München behandelt „Die mehrfache S*chwan-
g e r s c h a f t“ und „Die Entzündung der Brustdrüs e“.
„Das Ki ndb e 11 f i eb e r“ ist von dem Altmeister der Geburts¬
hilfe P. Z w e i f e 1 - Leipzig bearbeitet; dadurch, dass er selbst auf
diesem Gebiete dauernd gearbeitet hat, erscheint er besonders für die
Abfassung dieses Abschnitts berufen. Eingeteilt ist dieser umfangreichste
Teil des Buches in die Kapitel: A. Die Verhütung. B; Die ausgebrochene
Krankheit. C. Die Behandlung des Kindbettfiebers. D. Die plötzlichen
Todesfälle in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Bezüglich der
Händedesinfektion steht Zw. auf dem Standpunkt, dass wir zurzeit eine
ausreichende Desinfektion nicht besitzen, dass deshalb der Gebrauch
von Gummihandschuhen zu empfehlen ist und dass bei Berührung mit
iniLkiiöscm Material eine mehrtägige Karenz eingehaiien werden muss.
Bei pathologischem Sekret der Schwangeren empfiehlt Zw. Spülungen
mit (i,5pioz. Milchsäurelösung. Bezüglich der Behandlung des Kindbett¬
fiebers kommt Zw. zu dem Schlüsse: „nichts weniger als er¬
freu l i c h“, „alles ist aufzubieten zur Verhütung der
K r a n k h e i t“.
Das nächste Kapitel „Genitalblutungcn bei Wöchne¬
rinnen“ ist von P.. W. Siegel- Giessen verfasst.
Es folgen „Die Harnorgane in der Schwangerschaft,
während der Geburtund im Wochenbett“, in ausgezeichne¬
ter Weise von W. Stoeckel -Kiel wiedergegeben.
Den Schluss bilden die „Krankheiten des Neugeborene n“
von J. I b r a h i m - Jena; in knapper, gedrängter, aber sehr übersicht¬
licher Darstellung ist eAje Fülle von Material niedergelegt.
Die Ausstattung des Buches ist eine vorzügliche, die Abbildungen
sind zahlreich und instruktiv. Das Buch, w'elches in der Bibliothek eines
auf der Höhe seiner Wissenschaft stehenden Facharztes nicht fehlen
darf, muss auch jedem Praktiker zum Zwecke des Nachschlagens und
der Fortbildung wärmstens empfohlen werden.
A. Rieländer -Marburg.
Prof. Bleu 1er- Zürich: Lehrbuch der Psychiatrie. 3. Auflage.
Berlin, Julius*S p r i n ge r, 1920. 539 Seiten.
Innerhalb des kurzen Zeitraumes von 4 Jahren erscheint schon die
3. Auflage des Bleuler sehen Lehrbuches, ein Beweis, welch schnell
wachsender Beliebtheit sich das Werk erfreut. Bei einem Vergleiche der
Auflagen tritt deutlich hervor, wie sich Bleuler bemüht, der Schwierig¬
keiten psychiatrischer Diagnostik und mehr noch des Einblicks in das
Zustandekommen der eigenartigen psychischen Vorgänge immer besser
Herr zu werden; mit besonderer Freude muss jeder Fachmann empfinden,
dass Bleuler diesen Schwierigkeiten nicht aus dem Wege geht und
erst recht nicht sich durch künstliche Aufstellungen fragwürdiger Ge¬
dankengänge selbst zu täuschen versucht. Gerade die unbestechliche
Ehrlichkeit und der Ernst seiner Forschungsart sind besondere Vorzüge
Bleulers, denen ich seine Fähigkeit zu feinen Beobachtungen und die
Klarheit und Schärfe seiner Beweisführungen an die Seite stellen möchte.
Manches ist umgestellt, manches umgestaltet; insbesondere hat die
Gruppe der psychopathischen Reaktionsfonnen eine Erweiterung und
Vertiefung erfahren-. Der Fachmann wird immer wieder aus den Aus¬
führungen Bleulers neue Anregungen gewinnen. Der Student aber
und der Arzt, die sich in das Buch vertiefen, werden nicht nur ah Wissen
bereichert werden; sie werden vor allem lernen, was es bedeutet, sich
in die Persönlichkeiten ihrer Kranken einzuleben und damit leichter und
besser den Weg zu finden, der ihnen das Vertrauen Ihrer Kranken ge-
Original from
UNfVERSITV OF CALIFORNIA
184
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
winnt; und sie werden nicht wieder vergessen, dass jeder Arzt — und
nicht nur der Psychiater — Kranke zu behandeln hat, nicht Krankheiten
oder gar Krankheitserscheinungen. Aschaffenburg -Köln.
Dr. F. W. Bach: Untersuchungen Uber Lebensmlttelratlonierung im
Kriege. (Aus dem Hygienischen Institut in Bonn.) München, Verlag
G. D. C a 11 w e y, 1920.
In einer äusserst genauen, auf amtlichen Grundlagen der Lebens¬
mittelverteilung in Bonn aufgebauten Analyse der Lebensmittelversor¬
gung mit rationierten Lebensmitteln hat Dr. Bach für den Zeitraum
vom 1. VII. 1916 bis zum 28. XII. 1918, also für 2/4 Jahre die Versorgung
der Bonner Bevölkerung ermittelt. Für jedes einzelne Nahrungsmittel
wird das Gewicht, sowie Nähr- und Kalorienwert der Verausgabung fest¬
gestellt und ein Vergleich mit dem Friedenskonsum gezogen. Da letz¬
terer besonders interessant ist, möchte ich eine kleine Statistik der
Resultate Bachs auch hier bringen, woraus sich der ausserordentliche
Mangel an einzelnen Lebensmitteln am deutlichsten erkennen lässt. Die
Rationierung 1916/17 in Bonn deckt den Friedensbedarf an Käse zu
2,46 Proz., an Reis zu 3,9 Proz., an Schmalz zu 13,9 Proz. an Hülsen¬
früchten zu 14,2 Proz., an Eiern zu 18,3 Proz., an Butter zu 22 Proz., an
Fleisch zu 31,2 Proz., an Zucker zu 48,5 Proz., an Mahlprodukten zu
52,2 Proz., an Kartoffeln zu 70,8 Proz. Als Vergleich wurden heran¬
gezogen die Friedenswerte, die Eltzbacher berechnet hat. Beson¬
ders wertvoll an der Bach sehen Arbeit ist das grosse Tabellenmaterial
das in sehr übersichtlicher Zusammenfassung auf die fortschreitende
Verschlechterung der Versorgung hinweist, die Schwankungen in der
Versorgung bezeichnet und über Verlust durch Abfall, sowie über Aus¬
gleichsmöglichkeiten berichtet. Auf Unzulänglichkeiten der bestehenden
Lebensmittelorganisation in wirtschaftlicher und physiologischer Hin¬
sicht wird hingewiesen, Ausgleichsmöglichkeitcn durch den freien Handel
und den Schleichhandel berücksichtigt, sowie über die Folgen in gesund¬
heitlicher Hinsicht. Es wäre zu wünschen, dass zahlreiche, ähnlich ge¬
naue und schöne Untersuchungen vorgenommen würden, dann könnte
man einen Ueberblick über die ganzen schweren Folgen der Unter¬
ernährung erhalten. Die Arbeit wird hiermit Medizinern und Statistikern
auf das allerdringlichste empfohlen. F i s c h 1 e r - München.
R. A. Pfeifer: Myelogenetlsch-anatoiiiische Untersuchtingen Uber
das kortikale Ende der fförleltung. Abhandl. d. Sächs. Akademie d.
Wissensch., math.-physik. KI. XXXVII, 2, 1920. Mit 31 Tafeln. 54 S.
Einzelpreis M. 4.80 ohne Zuschlag.
Die Untersuchungen bestehen einmal in makroskopischen Studien
über die Variationen der vorderen Ouerwindung des Schläfenlappens;
die vordere temporale Ouerwindung wird mit Flechsig als alleinige
kortikale Endstätte der Hörleitung angesehen. Sodann wird auf dem
Wege des Studiums der Myelogenese der Verlauf der Hörstrahlung unter¬
sucht, von welcher nur der allermedialste Anteil in der Markleiste längs
der Querwindung verläuft, während die übrigen Abschnitte „in grossem
Bogen von vorne unten her in die Ouerwindung eintreten“, eine „Tat¬
sache, durch welche die anatomischen Grundlagen der sensorischen
Aphasie auf eine neue Basis gestellt werden“. Speziell wird die H e n -
s e n sehe Theorie hiervon betroffen. — Auf eine Polemik pro Flech¬
sig contra Brodmann bezüglich Abgrenzung der Hörsphäre nach
myelogenetischen oder zytoarchitektonischen Gesichtspunkten kann hier
nicht näher eingegangen werden; es dünkt, dass hier das letzte Wort
noch nicht gesprochen worden ist. Hu. S p a t z - München.
C. Oppenheimer: Kleines Wörterbuch der Biochemie und
Pharmakologie. Berlin und Leipzig, 1920. Vereinigung wissenschaft¬
licher Verleger. Walter De Gruyter & Co. 228 Seiten. Preis geb.
16 M.
Auf engstem Raume findet sich hier eine grosse Summe von Wissens¬
wertem zusammengedrängt. Es ist ein Wörterbuch bester Art gegeben,
welches sich den auf andern Gebieten bereits vorhandenen ähnlichen
Zusammenstellungen — es sei nur an das Klinische Wörterbuch von
0. Dornblüth erinnert — würdig an die Seite stellt. Für jeden, der
auf den Gebieten der Biochemie und Pharmakologie eine kurze Wort¬
orientierung wünscht, sei dieses kleine Nachschlagewerk angelegent¬
lichst empfohlen. Schade- Kiel.
Moritz Holl und Karl Sud hoff: Des Andreas Vesallus sechs
anatomische Tafeln vom Jahre 1538 ln Lichtdruck neu herausgegeben
und der 86. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zur Feier
der 400. Wiederkehr des Jahres seiner Geburt dargeboten. Leipzig, bei
Johann Ambrosius Barth, 1920. Folio mit 12 Seiten Text. Preis geb.
60 M.
Der von Klein zum Vesaljubiläum 1914 geplante Neudruck der
Fabrica von den Originalholzstöcken ist leider durch den Krieg ver¬
eitelt worden. Dafür bieten uns Holl und Sudhoff in der Ausgabe
der sechs anatomischen Tafeln vom Jahre 1538 noch etwas Wertvolleres.
Die Tafeln hat der 24 jährige V e sa 1, der schon Professor in Padua war,
als „Schulatlas“ für seine Zuhörer zum Teile selbst entworfen und aus¬
geführt, zum Teile durch Johann Stephan von Kalkar nach
einem gefertigten Skelett zeichnen lassen. Das Tafelwerk ist heute eine
grosse Seltenheit, es ist nur mehr in zwei Exemplaren vorhanden; der
Neudruck ist daher sehr verdienstlich. Zwei der Tafeln betreffen das
Venensystem, eine das Arteriensystem, drei das Skelett. Holl hat
\om anatomischen Standpunkt eine eingehende und scharfsinnige Er¬
läuterung beigegeben, aus der bervorgeht, dass Vesal noch sehr viel
Tieranatomie, und zwar Hundeanatomie bringt und sehr stark Rücksicht
auf Galen nimmt. Man sieht, wie schwer es gewesen ist, die neue
Anatomie zu schaffen. Die sechs Tafeln bilden eine sehr interessante
Zwischenstufe zwischen V e s a 1 s Vorgängern und dem grossen Haupt¬
werk der Fabrica. H o 11 s Kritik an V e s a l s Leistung und an V e s a 1 s
Biographen Roth ist in allen Punkten durchaus richtig, erscheint aber
doch etwas zu säuerlich, wenn man bedenkt, wie ausserordentlich
weit schon die sechs Tafeln alle vorangegangenen Leistungen über treffen
und wie weit auch Roth schon die Vesalforschung trotz, mancher Irr-
tümer gefördert hat. Dass Vesal an genialer Erfassung des statisch¬
mechanischen am Knochengerüste, überhaupt des Geistigen in der Ana¬
tomie, weit hinter Leonardo da Vinci zurücksteht, wird freilich
auch aus diesem Werke klar. Kerschensteiner.
Zeitschriften-Uebersicht.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 33. Heft 1.
Heft 1. S e i 11 e r - Ueberruhr: Brustschflsse und Limgeatuberkalose.
An der Hand einer Anzahl von Fällen wird nachgewiesen, dass das
Wiederaufflammen alter tuberkulöser Krankheitsherde auf den Lungen durch
Lungenschüsse häufiger vorkommt, als man anfangs glaubte. Anscheinend
kommt zur Wirkung des Schusses noch die Ueberanstrengung, mangelhafte
Ernährung und alles das hinzu, was der Feldkrieg mit sich brachte. Meist
entwickeln sich nach dem Schuss Verwachsungen, über deren Prognose
man erst später urteilen kann, da Spätfolgen nicht ausgeschlossen sind.
Frisch hier - Beelitz: „LungenschUsse und Lungentuberkulose**, eine
letzte Beobachtungsreihe und Schlussbetrachtungen.
Auch diese letzten Beobachtungen bestätigen, dass die Aktivierung einer
wirklich latenten Lungentuberkulose zwar vorkommt, aber selten ist.
K i e f f e r - Mannheim: Zur Klinik und Pathologie der Nierenerkran¬
kungen Im Verlaufe der Lungentuberkulose. (Fortsetzung folgt.)
Q r u b e r - Mainz: Bemerkungen über Phthise bei Senegalnegern.
Bei Senegalnegern tritt die Tuberkulose, wie uns aus ähnlichen Ver¬
hältnissen bekannt, nicht in der üblichen chronischen Form unserer Er¬
wachsenen auf, sondern wie beim Kinde, wesentlich bedenklicher als bei
den Europäern. Ursache: Ihre Lymphwege befinden sich noch in einem so
guten Zustande, wie sie bei uns nur die Kinder haben.
Schulte-Tigges -Heilstätte Rheinland: Die Behandlung schwererer
Fälle von Lungentuberkulose mit den Deycke-Much sehen Partlalanll-
genen und die Bedeutung der Immnnltätsanalyse bei der Behandlung der¬
selben.
Die den Inhalt klar zusammenfassenden Sätze sagen, „dass:
1. die Partigentherapie auch in schweren Fällen oft noch imstande ist,
einen günstigen Einfluss auszuüben in bezug auf Allgemeinbefinden. Lungen¬
befund, Entfieberung. Gewichtszunahme.
2. In schwierigeren Fällen empfiehlt sich die Anwendung der Intrakutan¬
behandlung mit Partigenen.
3. Die Intrakutananalyse gibt bei der Behandlung manchen wertvollen
Fingerzeig für die Art des Vorgehens, ihre Ergebnisse sind jedoch nur unter
Berücksichtigung des klinischen Befundes richtig zu würdigen."
B o 11 e - Moabit: Zur Kenntnis der symptomarmen, wahrscheinlich auf
dem Blutwege entstandenen Formen der chronischen Lungentuberkulose.
(Zerstreute, kleinherdförmige Tuberkulose.)
Es gibt eine Form chronischer Lungentuberkulose, bei der man kliniscl^
wenig findet, die „symptomarme Form". Für diese ist das Röntgenbild ein
„unersetzliches diagnostisches Hilfsmittel". Man sieht eine weitverbreitete,
an Miliartuberkulose erinnernde Punktierung.
Heft 2.
K i e f f e r - Mannihim: Zur Klinik und Pathologie der Nierenerkrankungen
Im Verlaufe der Lungentuberkulose. (Fortsetzung folgt.)
Gertrud Müller-Graz: Ueber die Zunahme der Sterblichkeit der
Frauen an Tuberkulose.
Die Zunahme der Frauensterblichkeit an Tuberkulose wird statistisch
untersucht und nach Altersklassen und Berufen analysiert.
Orth-Berlin: Trauma und Tuberkulose. (46. bis <50. Obergutachten.)
Dieses Heft enthält einen ausführlichen Bericht über den deutschen Kon¬
gress für KrOppelfürsorge. auf dem sehr viel über Tuberkulose gesprochen
wurde.
Heft 3.
B r a e u n i n g - Stettin: Tuberkulöse Erkrankungen bei Schwestern In¬
folge von Ansteckung Im Dienst und Ihre Verhütung.
Durch eine Statistik weist der Verfasser nach, dass Krankenschwestern
nicht öfter an Tuberkulose erkranken, als der Durchschnitt der erwerbstätigen
Frauen. Ausser dieser interessanten Feststellung sind Einzelheiten nach¬
zulesen.
K i e f f e r - Mannheim : Zur Klinik und Pathologie der Nlerenerkran-
kungen Im Verlaufe der Tuberkulose. (Schluss.)
Bei der Lungentuberkulose kommen spezifische und nichtspezifische
Nierenerkrankungen vor, aber auch die letzteren sind in der grossen Mehr¬
zahl der Fälle nicht etwa nur rein zufällige Nebenbefunde, sie stehen vielmehr
meist doch in recht innigem Zusammenhänge mit dem Grundleidcn der Rhthise
selbst. Besprochen werden zuerst die spezifischen Veränderungen, und zwar:
1. Tuberkel in der Niere, die meist keine klinischen Erscheinungen
machen, oft aber durch ganz leichte Blutungen zu finden sind.
2. die spezifische interstitielle und Glomerulonephritis, meist ohne sicht¬
bare Ursachen plötzlich typische Hämaturie, bei vorgeschrittenen Fällen
von Lungentuberkulose und Darmtuberkulose mit Exitus.
3. die Nierentuberkulose, die nach des Verf.s Beobachtungen sehr selten
vorkommt. Ausführliche Krankengeschichten mit zusammenfassender Epi¬
krise schildern diese.
Als Therapie kommt, soweit man nicht gleichzeitig mit der Lungen¬
therapie die Nieren erreicht oder symptomatisch arbeiten muss, in Fällen von
einseitiger Nierentuberkulose chirurgischer Eingriff in Frage.
Von nichtspezifischen Nierenveränderungen werden besprochen:
1. die entzündlichen Nierenerkrankungen: die Nephritiden;
2. die degenerativen Nierenerkrankungen: die Nephrosen;
3. die arteriosklerotischen Nierenerkrankungen: die Sklerosen.
Was sonst über Therapie gesagt wird, muss pessimistisch stimmen.
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
11. Februar 1921.
• MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
185
Deutsche Zeitschrift für ChlrurKle. 160. Band. 3.—4. Heft.
Benjamin Chatzkelsohn; Qefaschlene mit elastischer Extension bei
Frakturen der nnteren Extremität.
Portativer Verband nach dem Prinzip des Lorenz sehen Qeh-
ppsverbandes bei der Koxitis.
Roderich Sievers: Durchführung des Samenstrangs durch das
Foramen obturatorlum. Ein neuer Vorschlag zur Behandlung der Retentlo
testis bei absolut verkürztem Samenstrang und zur Dichtung der Bauch-
deckennaht bei der Radikaloperation grosser Leistenbräche und Rezidive.
(Aus der Chirurg. Abteilung der Universitäts-Kinderklinik.)
Führt die typische Radikaloperation des Leistenhodens — die Mobili¬
sierung des Samenstrangs mit Durchschneidung des Processus vaginalis
ptritonei — nicht zum Ziele, so soll von Fixation und Extension nach einer
der bekannten Methoden Abstand genommen werden, sondern eine weg¬
verkürzende Operation, die Durchführung des Samenstrangs durch den
medialen Abschnitt des Foramen obturatorium nach der vom Verfasser auf
(/rund von Leichenversuchen ausgearbeiteten Technik ausgeführt werden.
Auch für be^sonders grosse oder rezidivierende Hernien kommt das Ver¬
fahren in Frage.
H. W. V. Salis: Ueber das Sarkom des Duodenum. Insbesondere das
.Hyosarkom.
Klinisch das Bild eines Pankreasabszesses, die Obduktion ergibt ein
Myosarkom des unteren Duodenalabschnittes mit Duodenalfistel ohne Er¬
weiterung, ohne Stenose des Darmlumens.
E. Nägelsbach: Die Entstehung der Kältegangrän.
Die Entstehung der Kältegangrän durch unmittelbare Einwirkung niederer
Temperatur auf die Gewebe ist möglich. Oberhalb des Gewebsgefrier-
punktes handelt es sich dabei um Veränderungen des Kolloidzustandes des
Zellprotoplasmas im Sinne S c h a d e s, unterhalb des Gefrierpunktes kommt
die Konzentration des Zellinhaltes durch auskristallisierendes Eis hinzu.
Erst beim Versagen der reaktiven Gefässerweiterung infolge innerer oder
äusserer Ursachen kommt eine Herabsetzung der Gewebstemperatur zu¬
stande. Die Spätgangrän lässt sich so erklären, dass manchmal zu der
Käliestörung noch eine Ernährungsstörung des Gewebes hinzukommt entweder
durch funktionelle Qefässverengerung, durch Intimawucherung oder Throm¬
bose. Die Gefässlähmung als Ursache der Kältegangrän wird abgelehnt.
Hermann H ueck: Zur Technik der Osteotomie des Genu varum adoles-
centinm. (Aus dem städt. Krankenhaus Solingen.)
Von H ü ! s m a n n wurde mit gutem Erfolge die Durchmeisselung der
Tibia unter der Tuberositas in Verbindung mit einer Kontinuitätsresektion
ans der Mitte der Fibula ausgeführt.
Franz Honigmann: Eine selbständige Form akuter eitriger Speichel-
drfisenentzündung.
Auf Grund von 4 beobachteten Fällen beschreibt Verf. eine selbständige
Form der akuten eitrigen Speicheldrüsenentzündung, vorwiegend der Ohr¬
speicheldrüse. Infektion vom Munde oder vom Blutwege aus, stürmischer
Verlauf mit septischen Allgemeinerscheinungen. Frühzeitige chirurgische Be¬
handlung rettete alle Fälle.
F. Karewski: Ueber Massenblutung bei Nierentuberkulose.
Ueber 20 Jahre sich wiederholende Hämaturien mit leichtem Schmerz¬
gefühl bildeten das einzige Symptom einer sehr langsam zu vollständiger
Zerstörung des Organs führenden Nierentuberkulose, die wegen Verblutungs¬
gefahr schliesslich die Nephrektomie' nötig machte. Alle diagnostischen Hilfs¬
mittel versagten.
Wilhelm Krause: Zur Kasuistik und operativen Behandlung der
blBorrfaagiscfaen MHzzysten. (Aus der Revaler Prlvatklidik Hesse und
dem 1. Revaler Kriegshospital.)
2 Fälle, die Diagnose war nicht gestellt, ira l. Falle Einnähen der
Zyste, Exitus an Lungenembolie, im 2. Falle Exstirpation mit Heilung.
O. M. C h i a r i: Zur Operation der Fusswurzelkarles nach Klrschner.
1 Aus der chirurgischen Klinik Innsbruck H a b e r e r.)
Das Verfahren, Aufklappung der Fusswurzel durch einen Schnitt
parallel der Planta pedis, bewährte sich in einem Falle von ausgedehnter
Karies der Fusswurzel gut.
Rudolf Kötter: Sechs Fälle von subkutaner Olekranonfraktur, gehellt
■ach einem Verfahren von H fi 1 s m a ft n.
Zunächst dorsaler Schienenverband in voller Streckstellung, keine Punk-
f:on des Ergusses, Abnahme des Verbandes am 2. Tage, sodann wird die
Spitze des Olekranon mit Daumen und Zeigefinger erfasst und in der
Richtung des Unterarmes nach unten gedrängt, langsames Flektieren des
Vorderarmes mit Fragment, das solange wiederholt wird, bis der rechte
Winkel erreicht ist, dann Verband wieder in voller Streckstellung, Wieder¬
holung in 2—3 tägigem Intervall, sehr gutes anatomisches und funktionelles
Resultat. H. Flörcken -Frankfurt a. M.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 2 u. 3.
W. H a u b e n r e i s s e r - Leipzig: Lymphdrainage bei Elephantiasis
crufla.
Verf. schildert die an der Leipziger Chirurg. Klinik seit 1912 geübte
Lymphdrainage, die darin besteht, dass ein breiter Streifen aus der Fascia
Uta exzidiert und die freigelegten Muskeln mit den freien Faszienrändern
an jeder Seite durch Seidenknopfnähte an das Unterhautzellgewebe vernäht
werden, so dass die Haut ohne stärkere Spannung bei der Muskelbewegung
mitgeht. Exakte Hautnaht. Gummibinde, Suspension des Gliedes. Wesent¬
licher Erfolg bei 4 nachuntersuchten Fällen.
Friedr. Sonntag: Beitrag zur Aktlnotheraple maligner Tumoren, Ins¬
besondere ein mit Röntgenstrahien geheiltes Oberarmsarkom.
Auf Grund der therapeutischen Ergebnisse kommt Verf. zu folgenden
Leitsätzen: Radium und Mesothorium eignet sich nur für die Bestrahlung
von oberflächlichen, leicht zugänglichen Tumoren. Die kombinierte Radium-
Röntgentherapie sollte vor jeder Operation, auch bei vorgeschrittenen Tu¬
moren, besonders in der Gynäkologie Anwendung finden. Bei sehr weit
vorgeschrittenen, inoperablen Tumoren oder wenn das Allgemeinbefinden die
Operation verbietet, lassen sich mit Röntgenstrahien noch grosse Erfolge,
ogar Heilungen erzielen. Besonders das Sarkom, zumal bei iugendlichen
Personen, reagiert vorzüglich auf Röntgenstrahien, wie eine eigene Beobach-
urg aus 1915^16 beweist; dieser Fall ist bis heute rezidivfrei geblieben.
Arth. H o f m a n n - Offenburg: Operative Invaginatlon des Wurmfort¬
satzes.
Verf. empfiehlt für die Früh- und Intervalloperation die Invaginatlon des
Wurmfortsatzes: nachdem der Inhalt des Fortsatzes nach dem Zoekum zu
ausgestreift und das Mesentcriolum abgebunden ist, wird mit einer Pinzette
die Wurmspitze in den Wurmschlauch eingestülpt; eine eingefülirte Sonde
stösst dann den invaginlerten Teil sow'cit in das Zoekum hinein, dass nur
noch ein ganz kleiner Teil über das Niveau des Zoekums hervorschaut; nun
wird die Basis des Wurinbürzels abgebunden, ein Faden in die Ouetsch-
furche gelegt, stark angezogen und geknüpft. Ueber dem Bürzel Naht der
Darniserosa. Der invaginierte Wurm verfällt in wenigen Tagen der Nekrose;
er stösst sich ab und lässt sich im Stuhl nachweisen. Ebenso stösst sich
die Ligatur des Wurmbürzels mit ab, wie Verf. bei einer Obduktion sehen
konnte. Verf. empfiehlt seine Methode zur weiteren Nachprüfung.
P. V u 1 p i u s - Heidelberg: Zur Frage des Messermeisseis.
Verf. benützt seit mehreren Jahren einen ähnlichen Meissei wie ihn
Payr in Nr. 41 1920 empfiehlt, nur mit der Verbesserung, dass auch die
Seitenflächen in einer Länge von 1—2 cm messerscharf geschliffen sind, wo¬
durch auch das Absplittern der Ecken vermieden wird.
Fr. L ö f f 1 c r - Halle a. S.: Die Behandlung der Adduktorenspasmen mit
der intrapelvlnen extraperitonealen Resektion des Nervus obturatorlus.
Verf. empfiehlt zur Behandlung der Adduktorenspasmen die intrapelvine
totale Resektion des N. obturatorius, die er von einem Längsschnitt in
der Medianlinie aus vornimmt; die einfache Technik der Resektion des
Nerven wird kurz beschrieben.
H. B u r c k h a r d t - Marburg: Ueber endständigen Brand am Finger
bei Panarltium.
Verf. kommt nochmals auf seine Arbeit in Nr. 29 1920 zurück und
betont Kaiser (in Nr. 43) gegenüber, dass die schwarze Farbe des
Endgliedes ihm das Wesentliche ist; diese schwarze Farbe kommt vom
Blut her; die endständige Nekrose an der Fingerspitze stellt .sich also in
bluthaltigem Gewebe ein, während die Nekrose am Ort der Entzündung in
einem durch entzündliches Oedem blutleer gewordenen Gewebe auftritt.
B o d e - Homburg v. d. Höhe: Zur Verhütung des posttraumatischen
Narbenzuges an der Gehlrnoberfläche nach Operationen.
Die vom Verf. in einem Falle schwerster Epilepsie mit bestem Erfolge
angewandte Methode besteht darin, dass er nach Exstirpation der Narbe
und aller Verwachsungen das dadurch entstandene Loch in der Hirnsubstanz
mit einem vom Pat. selbst steril entnommenen T h i e r s c h sehen Haut¬
lappen derart bedeckt, dass die Wundseite nach aussen gegen die Schädel¬
öffnung sieht; auf diesen Lappen wird dann ein Fettlappen gelegt, der den
Defekt völlig ausfüllt und zugleich den Hautlappen gegen das Gehirn andrückt.
Diese Methode erzielte vollen Erfolg und verdient weitere Nachprüfung.
E. G1 a s s - Hamburg: Seltene multUokuläre Zyste der Haut anr
Unterarm.
Verf. hat kürzlich an der Streckseite in der Mitte des Unterarmes
eine hühnereigrosse Geschwulst exstirpiert, die sich als eine multilokuläre
Zyste mit Schleim und Dermoidbrei gefüllt erwies. Wahrscheinlich ist sie
aus versprengten Hautkeimen entstanden und zu den Dermoidzysten im
weiteren Sinne zu zählen. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Oynäkologie. 1921. Nr. 3.
K. Reifferscheid -Göttingen: Die operative Heilung der Inconti¬
nentia urinae bei Eplspadle durch die Goebell-Stoeckel sehe Operation.
Bericht über einen mit gutem Erfolge operierten Fall mit Illustration.
H. E y m e r - Heidelberg; Ueber Schwangerschaft und Geburt nach Uterus¬
resektion.
Bei einer Patientin war wegen eines puerperalen Ovarialabszesses nach
Versagen aller konservativen Mittel eine ergiebige Uterusresektion vorge¬
nommen mit Fortnahme der linken Adnexe. Nach 4 und 5 Jahren wurde
Pat. schwanger und kam beidemale hiie Komplikationen nieder.
L. Nürnberger - Hamburg: Ueber die Bezeichnung der Muttermunds¬
grösse.
Die Bezeichnung nach Mark-, Taler- und FfinfmarkstQck. Kronen und
anderen Münzen muss, nachdem es jetzt nur noch Papiergeld gibt, verlassen
werden. Die Bezeichnung nach Querfingerbreite ist einfach und genügend
anschaulich. Die Darstellung in Zentimetergrösse geschieht dann nach Verfs.
Berechnungen. Der Muttermundsdurchmesser beträgt bei 1 Querfingerbreite
rund 1,5 cm. bei 2 = 3,5 cm, bei 3 ~ 4,5 cm, bei 4 = Kleinhandtellergrösse
= 7,5 cm, bei Handtellergrösse rund 9 cm.
E. V 0 g t - Tübingen: Experimentelle und klinische Untersuchungen über
die Einwirkung von Uzara auf den Uterus.
Verf. berichtet über schon vor dem Kriege an dem Pharmakologischen
Institut in Marburg (Direktor Prof. A. G ü r b e r) ausgeführte Versuche, die
Uzara als hervorragendes Antidysmenorrhoikum empfehlen lassen. Weitere
Versuche zur Erkennung der klinischen Uzarawirkung auf den Uterus sind
im Gange.
K. E. B r ü n n e r - Braunschweig: Ueber Mutterhals-Scheidenfisteln nach
Geburten und Fehlgeburten.
Im Anschluss an einen Fall von Abriss der hinteren Muttermundslippe
bei einer* älteren Erstgebärenden stellt Verf. 27 Fälle von Abriss bzw. Fistel¬
bildung nach Fehlgeburten und 7 bei Geburt am Schwangerschaftsende zu¬
sammen und bespricht Aetiologie (Minderwertigkeit der hinteren Zervix-
wand) und Therapie (Naht mit eventuell später sich als notwendig ergebenden
Amputation).
H. Becker - Kiel: Ein Beitrag zur Frage der Aortenkompression.
Die Frage, ob durch prophylaktische Aortenkompression der physio¬
logische Blutverlust bei einer Entbindung zu vermindern ist. hat B. an
mehreren Reihen von je 100 Geburten zu beantworten versucht. Das Riss¬
mann sehe Kompressorium wurde 10 Minuten lang angewandt. Eine Ver¬
minderung des Blutverlustes trat nicht auf. Im Durchschnitt betrug der
Blutverlust der unbehandelten Frauen etwa 100 ccm weniger als der der be¬
handelten. An sich ist die Kompression kein gefährlicher Eingriff. Eine
sichere Stillung uteriner Blutungen erfolgt nicht durch sie.
M. F r a n k - Altona: Vorschlag zur „prophylaktischen“ Nachbehandlung
operierter Karzinome.
In 2 Fällen von weit fortgeschrittenem Karzinom (1914 nach W e r t -
heim, 1916 nach S c h a u t a operiert) ist das sicher erwartete Rezidiv aus-
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
186
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. •___Nr. 6.
geblieben. Beide hatten in der Rekonvaleszenz eine über Wochen sich
hinziehende Eiterung durchzumachen. Ob nicht durch diese Resorption art¬
fremder Stoffe die Rezidivfreiheit bedingt ist, was mit der relativ gucen
Prognose der alten Qlüheisenanwendung in Zusammenhang gebracht werden
könnte, glaubt Verf. betonen zu müssen. Er benutzt jetzt für diese ..Protein-
körpertherpie“ die 2—3 mal wöchentlich systematisch durchgeführte Injektion
von Blut von jüngeren, gesunden Frauen in die Qlutaeen.
H. Riedinger - Brünn: Ein Fall von Operation der Inversion nterl
Inveterata.
Mitteilung eines Falles. Die Inversio Uteri ist an der mährischen Landes¬
gebäranstalt kein allzu seltenes Vorkommnis, auffallend viel häufiger jeden¬
falls als in den aus anderen Instituten hervorgegangenen Statistiken.
Werner- Hamburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Band XIX. Nr. 2.
E. M o r o: Bemerkungen zur Drittelmilch.
Verf. verlangt, dass aus dem Ernährungsschema der Säuglinge die
Drittelmilch gestrichen und an ihrer Stelle Halbmilch von den ersten Lebens¬
tagen an empfohlen wird.
E. F r e i s e und P. Rupprecht; Untersuchungen über den' Einfluss
der^Vegetabllienzufuhr auf den Kalk- und Phosphorstoffwechsel des gesunden
und des rhachltischen Kindes.
Die Stoffwecliseluntersuchungcn der Verf. bestätigen und betonen nach-
drücklichst die auf (Jrund klinischer Erfahrungen erhobene Forderung nach
Vegetabilienzufuhr lür den Rhachitiker. ln den Versuchen übersteigt die Wir¬
kung des frischen Vegetabilienpresssaftes diejenige des erhitzten ganz er¬
heblich, ebenso wie die des gekochten Gemüses. Das legt nahe, diesen fri¬
schen ungekochten Presssaft auch beim älteren rhachitischen Kinde zu ver¬
wenden, in gleicher Weise, wie bereits jetzt bei jungen Säuglingen infolge der
Unmöglichkeit, zcllulosereiches Gemüse zuzuführen, Presssaft zu 50 und
JOO ccm pro Tag und mehr mit Erfolg gegeben wird. Der frische Presssaft
wird entweder dem auf Esstemperatur abgekühltcn gekochten Gemüse nach¬
träglich beigefügt oder den Kindern roh zu trinken gegeben. Er wird i. A.
gern genommen. ^
Hans üelpke: Zur Frage der kongenitalen Defektbildungen ln den
unteren Rückenmarksabschnitten (Myelodysplasie).
Auf Grund eigener Untersuchungen erkennt Verf. die Spina bifida und
ihre Rudimentärformen als Symptome der Myelodysplasie nicht an. Myelo¬
dysplasie und Sp. bif. occulta ktinneii gemeinsam nebeneinander Vorkommen,
aber niemals koordinierte Erscheinungsformen der gleichen Entwicklungs¬
störung. ln den „Rudimentärfornien der Sp. bif. occ." erblickt 0. De¬
generationszeichen. die einen wertvollen Hinweis auf eine etwa daneben
bestehende Sp. bif. occ. geben können. Das F u c h s sehe Krankheitsbild der
Myelodysplasie wird aK nicht zu Recht bestehend abgelehnt. Der Begriff der
Myelodysplasie könnte höchstens auf gewisse, anders nicht erklärbare Krank¬
heitsbilder, die auf eine Erkrankung des Rückenmarks hindeuten, angewendet
werden. Oppenheimer hat solche Fälle beschrieben.
Walter Schwarzburger: lieber den Mastdarmvorfall Im Klndesalter
und die Dauererfolge seiner operativen Behandlung nach T h 1 e r s c h.
Die Operation nach T h i e r s c h ist in ihren Resultaten zufriedenstellend
und zu empfehlen, wenn die grundsätzlich zu bevorzugende diätetische und
erzieherisch pflegliche Behandlung nicht in ausreichendem Masse durchzu¬
führen ist oder wenn sie — auch bei klinischer Behandlung — nicht inner¬
halb längstens einiger Wochen zur Heilung führt. In jedem Falle aber muss
die diätetisch erzieherische Behandlung, so weit wie irgend möglich, ver¬
sucht werden, und es darf über dem Prolaps das zugehörige Kind nicht
v^ergessen werden. j
Referate. Albert Uff^nheimer - München.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. 26. Band. Heft 3—5. 1920.
Fritz L ö b e n s t e i n - Berlin: Ueber die Bakterlenbesledelung der Haut
belnl gesunden und exsudativ-dlathetlschen Kind.
Der Keimgehalt der Haut ist bei e.'sudativen Kindern kein anderer
als bei normalen; lediglich die erkrankten Hautpartien enthalten bedeutend
mehr Keime.
M. S t r 0 h - Frankfurt a. M.:*Zur KUnlk der Varizellen, mit besonderer
Berücksichtigung des Blutbefundes.
Der Blutbefund ist ausgezeichnet durch eine in der Inkubation beginnende
Senkung der Gesamtleukozytcnzahl; die Lymphozytenwerte sind dabei erhöht,
Eosinophilie tritt erst nach Abheilung der Erkrankung ein.
Erwin K o b r a k - Berlin: Beiträge zur Kenntnis der Ansteckungswege
des Scharlachs.
Versucht darzulegen, dass die Verbreitung des Scharlachs durch das
Sekret der Nasenrachenorgane erfolgt, wobei eine be.sondere Gefahr von jenen
Individuen ausgeht, die scheinbar nur an Angina erkraijkt waren, ('efährdet
.sind be.sonders die gut ernährten Kinder.
Klotz- Lübeck; Kriegsernährung und Frauenmilch.
Bericht über 2 Säuglinge, die infolge zu kalorienarmer Muttermilch (beide
Male verringerter Fett-, einmal auch verringerter Eiweissgehalt) nur sehr
langsam gediehen.
Benno L e w y; Mehrmalige Erkrankung an Masern.
Beschreibt den gut beobachteten Fall seines eigenen 'Kindes, das 2 mal
an sicheren Masern erkrankt gewesen sei.
Hans L a n g e r - Charlottenburg: Die Bedeutung der initialen Frauen-
mllchernäbrung für den Schutz vor Verdauungsstörungen.
Bei Kindern mit Dyspepsie oder Neigung zu Dyspepsien enthält die Darm¬
flora zumeist Kolistämme von starkem Wucherungsvermögen; mit aus diesem
Grunde kommt cs eben zur Dyspepsie, Bei natürlich ernährten Kindern über¬
wiegen weit, offenbar unter dem Einfluss der Muttermilch, Kolirassen mit
geringerem Wucherungsvermögen; in dieser Zurückdrängung der dyspepsie¬
fördernden starkwuchernden Kolibakterien besteht die Bedeutung der initialen
Frauenmilchernährung.
Heinrich D a v i d s o h n - Berlin: Ueber die gegenwärtige Ausbreitung
der Tuberkulose und der tuberkulösen Infektion unter den Berliner Kindern.
Gegenüber dem Jahre 1913 tritt die tuberkulöse Infektion jetzt in
früheren Lebensjahren ein; unter den zweijährigen Waisenkindern ist nun¬
mehr jedes zweite, unter den sechsjährigen sind von drei zwei mit Tuber¬
kulose infiziert. Die Pirquet sehe Reaktion erwies sich bei den Unter-
’suchungen des Verfassers der ‘ Intrakutanreaktion unterlegen, was auf ver¬
minderte Antikörperproduktion bei den auch durch Unterernährung ge¬
schwächten Kindern beruhen soll.
Franz O p p e n hfe i m - München: Ueber den hämorrhagischen Nieren¬
infarkt der Säuglinge, ein anatomischer Beitrag zu dem Kapitel der toxischen
Kapillarwandschädigung.
Der bei Säuglingen mit schweren (bakteriell entstandenen) Durchfällen
nicht so seltene Niereninfarkt beruht nicht auf einer Thrombose der Nieren¬
venen. sondern auf toxischer Schädigung der Kapillarw'ände der Qlomeruli.
Kurt Huldschinsky- Berlin-Dahlem: Die Beeinflussung der Tetanie
durch Ultraviolettlicht. Ein Beitrag zur Frage der zerebralen Rachitis.
Bei 6 mit Ultraviolettlicht behandelten spasmophilen Rachitikern schwan¬
den die tetanischen Symptome innerhalb 4 Tagen bis 4 Wochen; Laryngo-
spasmus und Eklampsie traten nach der ersten Bestrahlung nicht mehr auf.
Tetanie kann bei heilender Knochenrachitis auftreten. wohl weil dann der
heilende Knochen den übrigen Geweben Kalk entzieht. Bei Bestrahlung von
Rachitikern soll man daher im ersten Bestrahlungsmonat Kalk darreichen.
Friedrich Lehncrdt und Max W c i n b e r g - Halle: Tebelon In der
Behandlung der menschlichen Tuberkulose.
Bei Kindern ist die Behandlung anzuraten, wenn der Prozess gut lokali¬
siert ist. keine akuten Manifestationen nachweisbar sind und der Allgemein¬
zustand gut ist; Gebiet der Tebelonbehandlung ist im weitesten Umfang die
kindliche Skrofulotuberkulose.
Josef H u s 1 e r - München: Bemerkungen zur genuinen Epilepsie im
Kindesalter.
Auch bei echter Epilepsie kann der erste Anfall durch einen Schreck
oder schw’eren Affekt ausgelöst sein; nach Verfassers Material beginnt die
Epilepsie auffallend oft im 4. Lebensjahr, seltener um die Zeit der Einschulung:
nahezu ein Drittel der Beobachteten starb vor dem 20. Lebensjahr; Fälle
■mit vorwiegend kleinen Anfällen sind nicht bösartiger als die übrigen; ab
und zu hatten auch bei nicht organischer Epilepsie operative Eingriffe am
Schädel günstigen Erfolg.
K. ßlühdorn- Göttingen: Kenchhnstenkrämpfe und Spasmophllle.
Bei den Keuchhustenkrämpfen konkurrieren ätiologisch Meningitis serosa
und Spasmophilie; Verf. sucht, ohne meines Erachtens recht überzeugend
zu wirken, die Bedeutung der letzteren zu unterstreichen. O ö 11.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 4.
E. H o f f m a n n - Bonn: Die Bedeutung des Dunkelfeids für die Unter¬
suchung der Gelbfieber-, Syphilis- und anderer Spirochäten, sowie sonstiger
Mikroorganismen und kleinster Gebilde in gefärbten Ausstrichen und Schnitten
(Leuchtbildmethodc). Vergl. Bericht S. 56 der M.m.W. 1921.
M, G o I d s t e i n - Halle a S.: Das Syndrom der psychischen Schwäche.
Verf. geht davon aus. dass der Begriff der Demenz, ebenso wie jener der
Intelligenz eine Allgemeinvorstellung ist. aus der beim Versuch der De¬
finition nur Teile licrausgelöst werden. Er zeigt dies durch eine nähere Er¬
örterung der so verschiedenen Krankheitsbilder, bei welchen auch Demenz
zu beobachten ist, und untersucht zugleich die klinischen Aeusserungen der
verschiedenen Formen von Demenz. Wissenschaftlich kann die Diagnose
„Demenz" niemals genügen, w’eil es kein einheitlicher Begriff ist. Verf. weist
auch auf die nach den verschiedensten Infektionskrankheiten zurückbleibenden
psychischen Schwächezuständc hin, die nur selten dem Begriff der Demenz
entsprechen.
A. M o c 11 e r - Berlin: Meine Kaltblütertuberkelbazlllen und das Fried-
m a n n sehe Mittel. Siehe Bericht S. 1423 der M.m.W. 1920.
N a g e 1 s c h m i d t - Berlin: Methodik zur Behandlung oberflächlich ge¬
legener maligner Tumoren (Vertiefungsmethode).
Die im einzelnen beschriebene Methode ist auf dem Prinzip aufgebaut,
oberflächliche Karzinome etc. in Tiefenobjekte zu verwandeln und der er¬
probten Technik der Tiefenbestrahiung zu unterwerfen. Wesentlich ist dabei
die genaue Berechnung der Schichtdicke, die räumliche Adaption an die zu
bestrahlende Fläche und die Vermeidung jeder direkten Bestrahlung der¬
selben.
S. G r ä f f - Freihurg i. Br.: Leukozytenbewegung im Blute.
Vergl. Berichte der M m.W. über die Naturforscherversammlung in Nau¬
heim 1930.
F. Schlesinger und J. S c h o e p s: Die Technik der Intravenösen
Salvarsaninlektion.
Verf. empfehlen, die Stauung bis nach Beendigung der Iniektion bestehen
zu lassen, und erst nach Abnahme der Binde die Spritze aus der Vene zu
nehmen.
Kurze Bemerkungen zwischen F. F. F r i e d m a n n und A. B u s c n k c.
G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 2.
P. Manteufel und H. Z s c h u c k e - Berlin: Experimentelle Ver-
glelchsprülunf» von Schutzmitteln gegen Geschlechtskrankheiten.
Auch bei der Oonorrhöcprophylaxe sind die Ouccksilbersalze aus¬
reichend wirksam und den Silbersalzen mindestens gleichwertig. Hg-Salze
in Salhenform wirken etwas schwächer als die wässerigen Lösungen; doch
kann , dieser Nachteil durch entsprechend höhere Konzentration ausgeglichen
werden. Somit ist mit einem 0.3 proz. Sublimatlanolin eine gleichzeitige
Prophylaxe gegen Syphilis und Gonorrhöe möglich. (Antilugonlanolin der
Firma Dr. Thal. Böhm & Co., Berlin N. 24, Oranienburgerstr. 67.)
F. L e s s e r - Berlin: Neuere Probleme der SyphlllsbebandlunK.
Schluss folgt.
G. L e h m a n n - Berlin: Die Blutdruckveränderung nach Adrenalinlnlek-
tlonen ^Is Gradmesser für den Tonus Im autonomen und sympathischen
Nervensystem.
Es ist nicht möglich, schon %—14 Stunde nach der Injektion von 1 ccm
einer Adrenalinlösunv l: 1000 durch Blutdruckmessung Aufschluss Ober das
Verhalten des vegetativen Nervensystems zu erhalten.
E. H. F i 11 i p a I d i - Neapel: Eine neue, schnelle Methode zum Nach¬
weis von Albumosen und Peotonen Im Harn.
C. B e c h e r - München: Ueber Indikan bei Nlerenkrankhelten.
Bei mechani.sclier Anurie steigt der Indikangchalt des Blutes parallel
dem Rcst-N, bei Niereninsuffizienz der akuten Nephritis jedoch relativ :^pät
und in geringerem Grade, bei chronischer Niereninsuffizienz früher und viel
stärker. Bei Azotämie der Infektionskrankheiten und Herzinsuffizienz wird
kein vermehrter Indikangehalt des Blutes gesehen. Auch nach Nephrektomie
findet keine vermehrte Indikanbildung statt. Bei Niereninsuffizienz wird
Indikan nicht nur, wie normaler Weise, im Blut, sondern auch in den
Geweben, in Exsudaten und im Liquor gefunden.
Digitized by
Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
II. rebniar 192L
MÜNCfICNCR MKPIZlNiSCHC WOCHENSCHRirT.
117
L. V. Friedrich und K. E. N e u ni u n n - Neukölln: Neuere Erfah-
rangen mit dem Aikoholprobefrtihstfick.
Das Alkoholprobefrtihstück (20 ccm 70 proz. Alkohol auf 300 ccm H 2 O)
hat sich in dreijährigem Gebrauche durchaus bewährt. »Die nach einer halben
Stunde vorzunehmende Ausheberung gelingt ohne Schwierigkeiten auch mit
dünnster Sonde; die Durchsichtigkeit der Flüssigkeit erleichtert das Erkennen
von Beimengungen aller Art. Zur Feststellung etwaiger Veränderungen der
Magenschleimhaut durch Gastritis, Ulcus, Karzinom u. ä. wird zur Abend¬
mahlzeit Baryum oder Karmin beigefügt. Tierkohle empfiehlt sich wegen
allzu festen Haftens nicht. Durch den verstärkten Rückfluss beim AlWohol-
prübefrühstück sind die Säurewerte, besonders für die Gesamtazidität, gegen¬
über Boas-Ewald etwas herabgesetzt. Doch konnte nur in 25 Proz.
der Fälle eine gallige Verfärbung des Mageninhaltes wahrgenommen werden.
W. Patschke - Hamburg; Zur Therapie der Vulvovaginitis gonor¬
rhoica infantum.
Durch Hinzufügung von Suprarenin zur Spülflüssigkeit ist es möglich,
fine 2 proz, Albarginlösung zu verwenden, wonach die Behandlungsdaucr
wesentlich verkürzt wurde.
Jentzsch-Graefe - Giessen; Dosierbare Llcbttberapie.
Das Fürstenau-Aktinimeter wird als ungeeignet bezeichnet für die ver¬
gleichende Messung ultravioletter Strahlen, zumal diese auf das Selen so gut
wie keine Wirkung ausüben.
H. Hirsch- Altona: Die Kocb-Liüenfeld sehe Röiitgenapparatur:
Der Radiosilex.
Vergleichende Prüfungen ergaben eine Ueberlegenheit gegenüber anderen
Apparaturen.
Ginzberg - Danzig: Allgemeines Exanthem nach lokaler Röntgenbe¬
strahlung.
Bemerkungen zu der Mitteilung von Dr. R. S c h I i c h t i n g in Nr, 48
d. VV. — Das als Röntgenwirkung .ingesprochene Exanthem ist mit grosserer
Wahrscheinlichkeit als ein Nirvanolexanthem zu bezeich;ien.
L Dub-Prug: Die Vertilgung der PedicuÜ pubts.
Unguent. diachyl. Hebrae sine Ol. Lavandul 50,0, Acid. salicyl. i, 0 .
Die Salbe wird zur Hälfte 10 Minuten lang eingerieben, zur anderen Hälf:e
ebenso nach 10 Minuten langer Pause; Badehose. Am nächsten Morgen
Waschen mit heissem Essigwasser und Auskämmen der Nisse. Wiederholung
am nächsten Abend und nach 8 Tagen.
E. B r ü c h m a n n - Berlin; Ueber ein neues Chiulnextrakt: Extractum
Chinae „Dr. S c h ro i t z*\
Ein dem holländischen (N a n n i n g) vollkommen ebenbürtiges Präparat
von über 5 Proz. Gehalt an Chinaalkaholoiden, frei von Alkohol.
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin; Ophthal mologlsche Rat¬
schläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Im Druck erschienene Inausuraldlssertationen.
Universität Greifswald. September—Dezember 1920.
Dellman n Franz: Metastatische Prozesse am Auge bei Endocarditis Icnta.
fiese Joh.: Gerichtsärztliche Aufklärung einer Vergiftung mit Amanita
phalloides.
Heinrich Otto: Ueber kompensatorische Hypertrophien.
Hilgert Fritz: Ein Fall von nichtparalytischer Psychose bei Tabes dorsalis.
Hirsch Ferdinand: Ueber die Geburtsgeschwulst, mit besonderer Berück¬
sichtigung der doppelten Kopfgeschwulst.
Krüger August: Episodische Schlafzustände (Lethargien).
Mackensen Georg; Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und der
gleichnamige Reichsge.setzentwurf. (Jur. Diss.)
?bvekamp Theodor: Die Prostatektomien der letzten 10 Jahre an der
Chirurg. Universitätsklinik zu Greifswald.
Trost Walter; Hypernephrom in einer kongenital-dystopen Niere.
'Wassermann Rob. v.: Volkswirtschaftliche Betrachtungen zur Steigerung
der Tuberkulosesterblichkeit w'ährend des Krieges. (Staatswiss. Diss.)
Willecke Emil: Die gegenwärtige Auffassung der Lehre vom Pemphigus
acutus.
Universität Jena.
Craemer Otto: Zur Psychopathologie der religiösen Waljnbildung.
Aoif Johannes: Leibesübungen oder Werkarbeit? Zur Reform der körper¬
lichen Erziehung unserer Jugend durch die Schule.
Drei tu ng H.r Ein Beitrag zur Kenntnis der psychischen Störungen nach
Kohlenoxydvergiftung. (Zwei Fälle von Leuchtgasvergiftung.)
Müller Friedrich Werner Jost; Grosstabarz im Thüringer Wald als
klimatischer Kurort.
Schmidt Walther: Zur Kenntnis des Vorfalls der weiblichen Harnröhre
im Kindesalter.
Schütter Alfred: Retroflexio Uteri gravidi cum incarceratione: Pr<»lapsus
Uteri gravidi totius.
Krieger Marie: Ueber die Atrophie der menschlichen Organe bei Inanition.
Leder Gerhard: Angeborene Geschwülste der Haut und der inneren
Organe.
Dagel Pauline: Die engen Becken an der Frauenklinik Jena in den
Jahren 1910—1918.
Universität Kiel. April—Dezember 1920.
Banse Martin: Ueber Encephalitis lethargica.
Li’^cher Ella: Ueber linkseitige interlobäre Exsudate.
Fischer Wilhelm: Ueber einen Fall von Meningitis typhosa ohne Typhus
abdominalis.
H;isenbein Hans; Zur Kasuistik der tuberkulösen Splenomegalie.
Halpert Anny: Ueber Mikrokapillarbeobachtungcn bei einem Fall von
Raynaud scher Krankheit.
Heitmann Heinrich: Ein bemerkenswerter Tumor des Ziliarkörpers.
Murnung Richard; Die vom 1 . April 1910 bis 31. März 1914 an der
Universitäts-Frauenklinik in Kiel beobachteten Fälle von Lues und
Schw'angerschaft.
Kjüffmann Friedrich: Eine Nachprüfung des C o h n h e i m sehen Ent¬
zündungsversuches.
K 1 fi c k m a n n Heinrich: Elephantiasis vulvae.
Krumbeck Edith: Ein Beitrag zur Kasuistik der Extremitätengangrän bei
Erysipek
Lichtenstein Paul Hellmuth: Beitrag zur Lehre von den Psychosen nach
Infektionskrankheiten. (2 Fälle von Amentia nach Grippe.)
Meyer Erich: 5 Fälle von Encephalitis lethargica. Ein kasuistischer Beitrag.
Restemeier Wilhelm: Eine Missbildung der Hand und des Unterarms
infolge Doppelbildung der Ulna bei fehlendem Radius.
Sarnighausen Hans: Die Bedeutung der erworbenen Immunität ah Diph¬
therie, untersucht an der Hamburger Diphtherieepidemie der sechziger
Jahre.
Schwarzkopf Erisdrich: Ueber Pantoponismus.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Unterzeichnung des Vertrages mit den Krankenkassen.
Der 4. Februar stellt den langersehnten Wendepunkt in der Geschichte
des Berliner Krankenkassenwesens dar, an diesem Tage wurde nach un¬
endlichen Mühen und langwierigen Verhandlungen der Vertrag, der die freie
Arztw'ahl sichert, von den Vertretern des Gross-Berliner Aerztebundes und
des Verbandes der Berliner Krankenkassen unterzeichnet. In sehr wesent¬
lichen Punkten war schon vorher eine Einigung erzielt. Die freie Arztwahl
war für die Dauer von 5 Jahren zugestanden. Die Verrechnungsart, über die
die Ansichten der Aerzte selbst auseinander gingen, an der aber auch die
Kassen ein Interesse haben, soll eine Kombination von Gutschein und Bq-
zahlung der Einzelleistung sein in der Art, dass für die am häufigsten vof-
kommenden Leistungen in der Sprechstunde der Monatsgutschein gilt, während
alle besonderen Leistungen einzeln bezahlt werden; als solche wird auch der
Besuch im Hause des Kranken gerechnet. Eine Ungerechtigkeit, Ober die
von jeher die Fachärzte mit Recht sich beklagten, war die Nichtbezahlung der
Operationen, die in Kliniken ausgeführt werden; sie beruhte auf einer Be¬
stimmung des Gesetzes, nach der im Falle der Krankenhausbchandlung die
übrigen Leistungen der Kasse wegfallen. Man hatte damals nicht daran ge¬
dacht, dass die öffentlichen Krankenhäuser nicht ausreichen und die Privat¬
kliniken nicht entbehrt werden können. Das ist aber längst der Fall, und so
geschah es nicht selten, dass die Besitzer solcher Kliniken nicht nur für ihre
Arbeit nicht entschädigt wurden, sondern auch noch selbst Unkosten hatten.
Auch das wird aufhören. Ueber verschiedene andere Differenzpunkte war
man ebenfalls einig geworden, und die Verhandlungen schienen unmittelbar
vor dem Abschluss zu stehen, da entstand im letzten Augenblick eine neue
Schwierigkeit von verhältnismässig untergeordneter Bedeutung, die aber doch
eine Zeitlang das Zustandekommen des Vertrages bedrohte. Sie betraf .lie
Art und Weise der Honorarauszahlung an die Aerzte. Die Kassen wünschten,
dass sie von ihnen unmittelbar an die einzelnen Aerzte geschehe, während
die Aerztevertreter es als selbstverständlich betrachtet hatten, dass sie durch
den Aerztebuad bzw. seine Wirtschaftliche Abteilung erfolge. Es ist für den
Fernstehenden schwer ersichtlich, warum dieser Frage eine so grosse Be¬
deutung beigemessen wurde, und doch ist sie in der Tat nicht unwesentlich.
Die Kassen befürchteten, dass, wenn ihnen jede Kontrolle über die Ver¬
wendung der Gelder fehle, ein erheblicher Teil zur Entschädigung der früheren
Kassenärzte verwendet werden könnte, dass also diese Entschädigung ge-
wissermassen auf Kosten der Kassen erfolgen würde. Sie wollten auch den
Aerzten für den Fall ..eines künftigen Streiks nicht die Mittel hierzu liefern.
Die Aerzte wiederum wollten sich nicht bevormunden lassen und wollten freie
Hand haben, um die Mittel zur Schaffung ärztlicher Wohlfahrtseinrichtung'in
zu gewinnen. Dazu kommen noch technische Schwierigkeiten in der Ver¬
rechnung und Verteilung. Auffallend war nur. dass dieser Streitpunkt erst
in letzter Stunde auftauchte. Im übrigen aber muss man jeder der beiden
Parteien die Anerkennung zuteil werden lassen, dass sie für die Wünsche und
Aufgaben der andern volles Verständnis hatten. Es herrschte bei den Ver¬
handlungen nicht Kampfstimmung, sondern der Wunsch, zu einem be¬
friedigenden Abschluss zu kommen; und das ist schlfesslich gelungen. Die
wesentlichsten Punkte des Uebereinkommens über diese letzte Streitfrage
sind folgende: Die Honorarsumme steht vom 15. des Monats ab zur Ver¬
fügung der Aerzte und wird verzinst. Von der Gesamtsumme wird sofort
1 Proz. der Wirtschaftlichen Abteilung des Aerztebundes zu beliebiger Ver¬
wendung überwiesen. 2/4 Proz. fliessen dem Entschädigungsfonds zu; er¬
weist sich dieser Betrag als zu niedrig, so kann er bis zu 5 Proz. gesteigert
werden, erweist er sich als zu hoch, so wird er herabgesetzt. Er darf aber
nur zu Entschädigungszwecken verwendet werden, etwaige UeberschOsse
fliessen dem allgemeinen Honorarfonds zu. Ferner werden die Verwaltungs¬
kosten in der vorhandenen Höhe abgespalten, und die Kassen tragen davon
die Hälfte, bis zu 100 000 M. jährlich. Erweist sich diese Summe als zu
niedrig, so wird über eine Erhöhung verhandelt. Ferner wird diejenige
Summe abgespalten, die vom Aerztebund für Wohlfahrtszwecke, z, B.
Kollektivversicherung der Aerzte, Unterstützungen an kranke oder arbeits¬
unfähige Aerzte, beschlossen wird. Auf der Grundlage der dann verbleibenden
Summe und der geleisteten Arbeit berechnet der Aerztebund das Honorar für
den einzelnen Arzt, teilt es den Kassen mit und diese überweisen es an die
Aerzte. Das Ergebnis der Verhandlungen wird vielleicht nicht alle voll be¬
friedigen, und doch müssen wir es als einen Erfolg, vor allem in der Ent¬
wicklung der kassenärztlichen Verhältnisse überhaupt, begrüssen. Es wäre
undenkbar gewesen, wenn unsere Vertreter an dieser verhältnismässig unter¬
geordneten Frage nach monatelangen Verhandlungen das ganze Werk hätten
scheitern lassen. Am 1. März beginnt‘auf einer neuen Grundlage die ärztliche
Versorgung der fast l34 Millionen Versicherten durch ca. 3000 Aerzte. Diesen
Aerzten. von denen ein grosser Teil bisher von der Kassenpraxis ausge¬
schlossen war. erwachsen damit neue Rechte aber auch neue Pflichten.
Hoffen wir, dass sie zu beiderseitiger Befriedigung und beidcrseitijgem Nutze i
erfüllt werden. M. K
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nt. 6.
IW
Hamburger Brief.
AU Nachtrag meines letzten Briefes in Nr. 4 Seite 120 habe ich das
Schlussergebnis der Bürgerschaftsberatungen über das „Hochschulgesetz" zu
melden. Aus dem Wirrwar der Anträge zur 2. Lesung des Gesetzes, die
zum Teil in den Fraktionen erst in den Stunden unmittelbar vor der Sitzung
gefasst worden sind, seien die hauptsächlichsten Beschlüsse zusammengefasst:
Ks bleibt bei der kollegialen Hochschulbehörde, nur ist ihre
Zusammensetzung etwas den in der 1. Lesung ausgesprochenen Wünschen
zufolge geändert worden; insbesondere gehört ihr ein Mitglied des kauf¬
männischen Beirats des Weltwirtschaftsarchivs an. F.benso dem wissen¬
schaftlichen Ausschuss, ln der Angelegenheit der Ernennung der
Professoren wurde ein Antrag des Kollegen Knack angenommen, nach
dem die Fakultäten das Vorschlagsrecht haböi; die Vorschläge werden von
der Behörde an den Senat gebracht; will die Behörde eigene Vorschläge
machen, so hat sie die Fakultäten zu hören. Der § 9 Abs. 2, der von den
Honorarprofessoren handelt, ist in folgender Fassung genehmigt:
„Der Senat kann ausserhalb der Universität stehende Personen, die sich
durch hervorragende wissenschaftliche Leistungen auszcichnen und an der
Universität zu lehren bereit sind, auf Antrag der zuständigen Fakultät zu
Honorarprofessoren ernennen." Die Frage des Titularprofessors,
die bis zur 2. Lesung aufgeschoben war, hat durch folgenden, von den
Sozialdemokraten schweren Herzens angenommenen Anf»-ag Dr. Mittel¬
steins (D. V.) Lösung gefunden: Der Senat kann wissenschaftlich her¬
vorragend bewährten Privatdozenten nach einer zehnjährigen Lehrtätigkeit
an deutschen Hochschulen auf Antrag der zuständigen Fakultät für die Dauer
ihrer Zugehörigkeit zur Hamburgischen Universität die Amtsbezeichnung
Professor beilegen. Der § 29, der über die Zusammensetzung des Uni¬
versitätssenats handelt, ist in derselben Form, wie bei der L Lesung
angenommen. Es findet also keine Studentenvertretung im Senat
statt. Die §§ 35—40, die über die Studentenschaft Bestimmungen treffen,
sind im wesentlichen in der Fassung der 1. Lesung angenommen; die be¬
schlossenen Aenderungen sind nur redaktionell.
Wie die Annahme dieses Gesetzes bei den übrigen deutschen Uni¬
versitäten aufgenommen wird, ist eine Frage, deren Beantwortung hier mit
Spannung erwartet wird. Hamburgs Grösse beruht zu einem bedeutenden
Teil auf seinem „D e p u t a t i o n s" - Wesen. Die Lei«5tnne aller unserer
Behörden untersteht einem Zusammenarbeiten von phronamtlich tätigen
Bürgern mit den respektiven Sachverständigen bzw. Leitern des betreffenden
Ressorts; und diese Art der Geschäftsführung hat sich bisher sehr bewährt.
Möge auch die junge Hamburger Universität durch diese neue Deputation zu
weiterem Ausbau und Aufschwung gedeihen!
In der Angelegenheit der Verschmelzung des ärztlichen Vereins mit dem
Leipziger Verband (jedes Mitglied des ärztlichen Vereins soll auch Mitglied
des Verbandes sein bzw. w'erden müssen, Neuaufnahmen dürfen nur bei Zu¬
gehörigkeit zum Verbände erfolgen) fehlte bei der gut besuchten Besprechung,
als es zur Abstimmung kam, eine Stimme, um statiitcngemäss dem Beschluss
Gültigkeit zu verschaffen. Zwei weitere ad hoc einberufene Generalver¬
sammlungen sind also noch notwendig. Dass die Einigungs- und Organi¬
sationsbestrebungen aber von der Mehrzahl anerkannt werden und bei ihr
Verständnis finden, ergibt sich auch aus dem Programm der nächsten Sitzung
des ärztlichen Reclmungsvereins. Auch hier lautet der 1. Punkt der Tages¬
ordnung: Stellungnahme des Vereins wegen Beitritts in corpore oder seiner
Mitglieder zum Leipziger Verband.
In.der Abortfrage 218 u. ff. des B.Q.B.) ergab die gemein«^me
Sitzung der forcnsisch-psychologischen Gesellschaft und des ärztlichen Vereins
eine ebenso anregende wie interessante Besprechung. Bei der Wichtigkeit
des Gegenstandes und der grossen Zahl der noch vorliegenden Diskussions-
anmeldungen wurde eine Vertagung und weitere Fortsetzung der Debatte über
den gleichen Gegenstand beschlossen. Werner- Hamburg.
Vereins- und Kongressberichte.
Berlinar msdizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 2. Februar 1921.
Vor der Tagesordnung stellt Herr Holländer eine Patientin mit idio¬
pathischer Thrombosie der Vena axillaris vor.
Dazu Herr Kraus und Herr Bier.
Tagesordnung.
Herr Kepplch aus Budapest (a. G.): Künstlich erzeugte Magenge¬
schwüre. (Kurze Mitteilung.)
Vortr. erzeugte Geschwüre durch elektrische Vagusreizung oder Re¬
sektion des Vagus in der Bauchhöhle. Es handelte sich meist um Formen
des chronischen Geschwürs. Auch beim Menschen finden sich oft Vagus¬
erscheinungen als Begleiter des Magengeschwürs.
Dazu Herr Katzenstein. Herr Kraus und Herr Hans K o h n.
Herr A. Bier: HeilentzUndung und Hellfleber mit besonderer Berück¬
sichtigung der Proteinkörperbehandiung.
Dieser Vortrag erscheint unter den Originalien der Münch, med. Wschr.
(S. S. 163 d. Nr.) __ Wolff-Eisner.
Verein fDr innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 31. Januar 1921.
Vor der Tagesordnung stellt Herr C i t r o n einen Fall von Gelenk-
rheumatisjimus vor, der in Sepsis überging und bei dem Eucupin und
Argochrom völlig ohne Erfolg angewendet wurden. Die Blutkultur ergab
Gonokokken Tm Blut, und die Anwendung von Meningokokkenserum, das an¬
gewendet wurde, weil es das Gonokokkenserum im Handel nicht gibt, führte
zu völliger Heilung.
Herr Dr Neustadt (a. G.) hat bei der Kombination von Novasurol
mit Neosalvarsan bei einem 19 jähr. graviden Mädchen epileptiforme Krämpfe
auftreten sehen, welche zum Tode führten. Die Sektion ergab: Multiple
Gehirnblutungen und eine typische Nephrose mit isolierter Verfettung der
Tubuli.
Tagesordnung.
Herr Martin H. Fischer aus Cincinnati (a. G.): Kolloldchemlsche
Probleme in Medizin und Physiologie.
Die Nephritis stellt nur einen Unterfall des grösseren Problems des
Oedems dar, und wie die Festhaltung des Wassers in den Geweben zu¬
stande kommt, ist das eigentliche Rätsel. Es gibt eine osmotische Theorie
und die C o h n h e i m sehe Lehre, dass nach Erhöhungen des Kapillardrucks
mehr Wasser in die Gewebe kommt. Beide Theorien sind unhaltbar, denn
keine Zelle des lebenden Körpers gehorcht den Gesetzen des osmotischen
Drucks. Es ist zwar zutreffend, dass Oedeme nach Unterbindung der
Nierenvenen zustande kommen. Der gleiche Erfolg tritt aber auch nach
Unterbindung der Nierenarterien ein. also auch ohne dass der Blutdruck als
vis a tergo in Erscheinu^ig tritt.
Die Erklärung liegt in kolloidchemischen Erscheinungen. Fibrin erfährt
durch Säuren eine reversible Quellung, in gleicher Weise durch die Hinzu¬
fügung eines Neutralsalzes. Die Reihe der Salze bei der Entquellung geht
von NH 4 zu Hg und beherrscht die gesamte Biologie insofern, als alle
Gewebe den gleichen Quellungsgesetzen wie das Fibrin folgen. Und das
Oedem nach Unterbindung der Nierenarterie bezieht er auf die duich die
Nieren-Arterien-Unterbindiing gesetzte Milchsäurebildung, wodurch die nor¬
malen Kolloide vermehrt Wasser aufgenommen haben. Bei der Nephritis
handelt es sich um kolloidchemische Veränderungen. Als Ursache ist eine
abnorme Anhäufung von Säuren oder von Säureäquivalenten anzusehen. Bei
der Nephritis ist daher der Urin stets sauer und die Alkaleszenz des Blutes
ist herabgesetzt. Nach Säuerung auf intravenösem Wege tritt eine voll¬
kommene Stockung der Wasserausfuhr ein und es treten die Symptome
der akuten Nephritis in den Vordergrund Er meint, dass nach schwerer
körperlicher Arbeit konstant eine Albuminurie als Zeichen der bestehenden
Nephritis (mit Harnzylindern) auftritt und ebenso bei Herzfehlern im Stadium
der Inkompensation, wodurch es, einfach infolge der vermehrten Säuerung
infolge verminderter Oxydationskraft des Körpers zu epileptiformen An¬
fällen kommt.
Toxine reduzieren in gleicher Weise wie Schwennetalle die Oxydie¬
rungsfähigkeit der Gewebe. Die Wirkung der dann eintretenden Säuerung
ist insofern eine verschiedene, als die Albumine sofort quellen, die
Globuline schrumpfen. Hierbei entsteht das Bild der trüben Schwel¬
lung. Durch Anwendung von Normal-Milchsäure ist es stets möglich,
künstlich Zylinder herzustellen. Die Diapedese der roten Blutkörperchen er¬
folgt nach seiner Ansicht nicht durch Hindurchtritt durch die Stromata,
da sonst auch das Blutserum mit hindurchtreten müsste. Die Diapedese ist
nichts anderes, als ein Hindurchsickern, ganz analog wie bei der angesäueften
Gelatine, oder bei dicken Scifcnlösnngen. Nach Nierenexstirpationen tritt
niemals Oedem auf, nach Uraninjektion dagegen auch bei entnierten Tieren.
Die Erscheinungen der Urämie entstehen ganz 'allein durch das Auftreten
des Gehirnödems.
Die Versuche ergeben, dass Tiere noch mit einem Viertel ihrer ur¬
sprünglichen Nierensubstanz gut leben können, ohne dass irgend eine Blut¬
druckerhöhung eintritt. Diese erfolgt entweder durch Qehirnödem oder
durch eine Erkrankung der Blutgefässe, welche eine toxische Qefässkontrak-
tion zur Folge hat. Die Schrumpfniere ist als eine sekundäre, herdförmige
Nierenerkrankung aufzufassen. Die Therapie besteht darin, zur Verhinderung
der Quellung und Oedembildung Alkalien zur Neutralisation zu verwenden.
Und zwar in genügenden Mengen. Vortr. hat z. B. bis 120 g Natrium
bicarbonicum verabreicht; am besten wird die Medikation als gemischtes
Salz etwa als Marmor plus Magnesium-Oxydiilhydrat plus Salzen verab¬
reicht, wobei zu bemerken ist, dass Kochsalz entgegen der gewöhnlichen
Ansicht in stärkeren Konzentrationen eine Entwässerung der Kolloide be¬
wirkt. Am stärksten wirkt in dieser Beziehung Magnesiumsulfat.
Vom Vorsitzenden wurde eine Diskussion des Vortrages nicht herbei¬
geführt, vielleicht weil er befürchtete, dass der einmal losgelassene kritische
Geist mit einer Reihe von Behauptungen, die schwer aufrecht zu erhalten
sind, gegenüber dem Gaste allzu unsanft umspringen würde. Es kann aber
keinem Zweifel unterliegen, dass eine vielleicht etwas einseitige Einstellung
neue beachtenswerte Wege erschlossen hat, auf denen sicherlich für die
klinische Medizin sich noch viele Fortschritte ergeben werden.
Wolff-Eisner.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)^
Sitzung vom 16. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr Braunschweig.
Schriftführer: Herr Fielitz.
Herr K a ii f f m a n n: Demonstration einiger Fälle von Autohypnose.
Nach Besprechung der Methoden, die Hypnose einzuleiten, nämlich der
Monotonie und der Suggestion, werden verschiedene Befehle suggeriert. Die
Suggestion fasst der Vortragende auf als eine unbewusste Beeinflussung.
Einige Hypnosen und Beispiele von suggerierten Halluzinationen, von
kataleptischen Erscheinungen werden gezeigt.
Dass für die Hypnose besonders die eigene Tätigkeit der Person in
Betracht kommt, wird an der Hand von 4 Selbsthypnosen erläutert. Die
Personen versetzen sich in Schlafzustand teils durch Ansehen eines Spiegels,
teils durch Fixierung der Nasenspitze nach der alten indischen Methode. Die
von den Personen früher aufgeschriebenen Punkte werden ausgeführt. Ein
Fall versetzt sich in kataleptische Starre, so dass er auf 2 Stühle gelegt
werden kann.
Der Vortragende erklärt zum Schluss, dass den autohypnotischen Zu¬
ständen ekstatische und Trancezustände gleichzusetzen sind, was besonder.s
bei der heutigen Ausbreitung der okkultistischen Bewegung bemerkenswert
erscheine.
Herr Roux: Gestatten Sie, Ihnen meinen herzlichsten Dank für die
Ueberreichung der schönen Adresse zu meinem 70. Geburtstag auszu¬
sprechen. Sie anerkennen .darin meine entwicklungsmechanische Tätigkeit.
Ich muss dazu, wie ich immer schon betont habe, hervorheben, dass die
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11, Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
189
Eotwickiuogsnitchdtiik sthr viel«! den Pathologen und Klinikern verdankt.
Sil haben das menschliche Material, welches uns die gestaltenden Reaktions¬
weisen der Gewebe und Organe bekundet und weiches zugleich lehrreicher
ist als vieljährige äusserst kostspielige Experimente an Tieren, die zudem
vielfach nicht in gleicher Weise möglich sind, weil den Tieren der Zwang
zu manchen Leistungen fehlt, den beim Menschen die Berufstätigkeit und
der Wille ausüben. Alle diese klinischen und pathologischen Erfahrungen
müssen kausal analysiert werden, um für jedes Gewebe die Fähig¬
keiten zu gestaltenden Reaktionen und deren qualitative, quanti¬
tative und zeitliche Verschiedenheiten in den vier kausalen Perioden .des
Menschenlebens zu ermitteln. Z. B. sind an der Entstehung und Heilung
einer Skoliose I^orpel-, Knochen-, Bindegewebe, ferner die gleichsam wie
„hydraulische Polster" (Roux) wirkenden Zwischenwirbelscheiben *).
Muskeln, Nerven, Blut- und Lymphgefässe beteiligt. Die typischen und
atypischen B i 1 d u n g s - und Erhaltungsursachen der gestaltenden
k«=akfionen jedes dieser Gewebe sind zu erforschen. (Roux: Gesam.
AbhdI. II. S. 1063, Orthopädie, und Arch. f. Entw.-Mech. 25. S. 492,
1 S. 31—36, 5. S. 265, 273, 19. S. .374.
Zu den bezüglichen anatomischen Untersuchungen und den kausalen
Analysen haben die Kliniker keine Zeit und die Pathologen sind leider,
wie sich gezeigt hat, gleichfalls von anderen Aufgaben ganz in Anspruch
genommen. Deshalb müssen junge Chirurgen und Orthopäden sich mit jungen
Anatomen zu gemeinsamer Arbeit verbinden, um diese klinischen Fälle in
dieser Weise auszunutzen und um ergänzende Experimente an Säugetieren
aozustellen.
Auf Grund dieser Forschungen und ihrer Ergebnisse kann dann zu der
funktionellen Orthopädie eine allgemeine kausal-analyti¬
sche Orthopädie entstehen, oder mit anderen Worten, es wird eine
chirurgische Biologie und auf Grund dieser, wie Erwin Payr
mir kürzlich schrieb, eine biologische Chirurgie entstehen. Beide
werden den Stoff zu je einer neuen, sehr nützlichen Vorlesung abgeben. Wie
in der Technik erst die reine Empirie, dann auf Grund kausaler Analyse
die Theorie entstand und diese dann rasche hochgradige Förderung der
Praxis durch neue Verbesserungen und Erfindungen bewirkte, so kann auf
Orund der kausalen Gewebeforschung die chirurgische- und orthopädische
Praxis, die ja bereits besonders an Kriegsverletzten Bewundernswürdiges
geleistet hat, wohl noch weiter gefördert werden. Zu dieser Tätigkeit
möchte ich die jungen Kollegen des Aerztevereins anregen.
Herr Beneke: Zur Frage der Entstehuag der Herzmlssblldungeu.
Wilhelm Roux, dessen 70. Geburtstag der Verein der Aerzte jüngst
raitfeierte, hat in seiner Dissertation „Ueber die Verzweigungen der Blut¬
gefässe des Menschen" (1878) die Grundlagen für das^ Verständnis des
Baues des Gefässsystems, insofern die hydromechanischen Funktions¬
beanspruchungen ihn bestimmen, geschaffen. Wir wissen seitdem, wie dii
Formen und Richtungen der Gefässwände den primären Zuständen der ein-
gescfilossenen Blutsäule, deren Transport sie vermitteln, sich jederzeit genau
anpassen; spätere Arbeiten Roux’ haben in dieser Richtung den ursprüng¬
lichen Gedanken des funktionellen Baues immer weiter befestigt. Zum Ver¬
ständnis der Zustände irgend eines Gefässabschnittes gehört demnach vor
allem die Kenntnis der Verhältnisse des primären Blutstroms; die Lehre
Roux’ ist aber auch bereits so stark gesichert, dass umgekehrt aus dem
^u eines Gefässabschnittes Rückschlüsse auf die Art der Zirkulation
an dieser Stelle gezogen werden können. Am einfachsten ist dies wohl an
den Kapillaren. Die Richtung ihrer Endothelien, die Festigkeit ihrer Wand,
die Weite ihres Lumens ermöglicht eine ^Abschätzung der auf ihnen Jeweils
lastenden Druck Wirkungen, auf welche ich, im Gegensatz gu T h o m a,
der In der Geschwindigkeit des Stroms das massgebende Prinzip
erblickt, den Hauptnachdruck legen möchte. Seitendruck und Geschwindig¬
keit (= Axialdruck) kombinieren sich bei der Qesamtwirkung naturgemäss;
dass das bildsame weiche Protoplasma der Endothelien dem ersteren sich
anpasst, ist leichter verständlich als die Annahme einer spezifischen Erregung
durch die Geschwindigkeit (also doch wohl die Reibung), wie T h o m a es
aufzufassen scheint. Dementsprechend deuten gewiss auch einzelne Be¬
sonderheiten, wie z. B. die Existenz der v. K u p f f e r sehen Sternzellen in
den Leberkapillaren, auf die Strombesonderheit; sicher muss der Strom un-
semein langsam und drucklos verlaufen, wo solche Zellen sich im Kapillar-
lamen ausspannen können. "
Gewiss nicht weniger gilt die mechanische Bedeutung des primären Blut-
''troms (dessen letzte Ursache m. E. in der Saugkraft der Parenchyrazellen
liegt) für die komplizierten Formen des Herzens, ln einer kürzlich er¬
schienenen kleinen Abhandlung habe ich den Versuch gemacht, die Ent¬
stehung der Herzformen auf die im Embryo ursprünglich vor¬
handenen hydromechanischen Verhältnisse an der zentralen Sammelstelle des
Blutes zurückzuführen. Das wesentliche Moment ist offenbar die (z. T. aus
ererbter Tendenz resultierende) ^) Entwicklung kontraktiler Substanz an
einer^ scharf begrenzten Stelle, dem Herzschlauch vom Ohrkanal an. Von
dieser Stelle an erfährt der Blutstrom eine jähe Beschleunigung, das Lumen
ist demgemäss enger als an dem vor der Stelle gelegenen Sammelbassin, dem
Vorhof; durch die Kontraktion wird es zeitweilig völlig verschlossen. Dem¬
gemäss ist es verständlich, dass einerseits das Blut in dem Vorbassin sich
reichlicher ansammelt, andererseits seine Strömung vor der engen
Stelle in Seitenwirbeln auseinanderweicht. Diesen
Wirbeln entsprechen offefibar die Herzohren, deren Weite und Lage zu den
absolut regelmässigen Attributen des embryonalen Herzens gehören.
Je schärfer die Gegensätze zwischen Vorhof und Ohrkanal-Ventrikel sich
infolge der zunehmenden Kontraktionskraft der Muskulatur ausbilden, um so
stärker wird auch die Wirbelform in ihrer formbestimmenden Kraft für die
Vorhofswand hervortreten. Entsprechend ihren divergierenden Abschnitten
•) S. Roux: Terminologie der Entwicklungsmechanik. Leipzig 1912.
‘) Dass diese nicht allein ausschlaggebend ist, vielmehr auch für
die Herzentstehung die mechanische Beanspruchung von Anfang
an von höchster, formbestimmender Bedeutung ist, lehrt die Existenz der
Acardii. Es ist nicht einzusehen, Weshalb der Acardius nicht ebensogut wie
der kräftige Zwillingsbruder eine Herzanlage bekommen sollte; der von
Anfang an bestehende Ausfall der Beanspruchung macht offenbar
die Entwicklung des Herzens unnötig und veranlasst so den höchsten Grad
der Herzmissbildung, nämlich den vollständigen Defekt.
Digitized by Goiisle
wird die anschliessende Endotheliagc di« Möglichkeit haben, sie zu um¬
wachsen und in Gestalt der S e p t a allmählich dauernde Scheidenwänd« zu
bilden. Die Entstehung der Septa kann nur aus der Präexistenz der Wirbel
verstanden werden; die Septa können sich nur (im Gebiet der Fenestra
ovalis) definitiv zu einer lückenlosen Platte schliessen, wenn die Wirbel sich
selbständig voneinander abheben; wo letztere etwa sich konfundieren. muss
ein Foramen ovale apertum bestehen bleiben.
Der einmal geschaffene Doppelstrom tritt wohl als solcher, in wenn auch
dicht aneinander gepressten Parallelströmen durch den Ohrkanal in den
Ventrikel und erfährt hier, der durch des letzteren Krümmung geschaffenen
Stromhemmung entsprechend, anscheinend eine neue Teilung in die Strö¬
mungen des rechten und linken Herzens, deren anatomischer Ausdruck
wiederum eine Wirbel- und Septumbildung ist; weder das Septum fibrosum
noch das Septum musculare könnten entstehen, wenn nicht die Stromrichtung
des Blutes mit ihrer einseitigen (axialen) Propulsion und ihrem Mangel an
Seitendruck an bestimmten Stellen es gestatteten. Wiederum würde eine
dauernde Konfusion der beiden hier angenonimenen Stromwirbel an irgend
einer Stelle ihrer Oberfläche zu einer Septumlückc führen müssen
— Vorkommnisse, wie sie seltener als ini Vorhof, doch immerhin häufig genug
zustande kommen.
Das Prinzip der primären Trennung mehrerer, wenn auch eng neben¬
einander laufender Ströme voneinander lässt sich auch auf die Trennung des
Truncus arteriosus communis in Aorta und Pulmonalis vom Gebiet des
VI. Aortenbogens an bis zum Herzen ausdehnen. Diese Trennung entsteht
bekanntlich durch von beiden Seiten in den sich immer mehr oval formenden
Hauptkanal vorwachsende Leistenwucherungen des Endothels, deren Zu¬
sammentreffen im Inneren des Kanals zuletzt dessen definitive Spaltung dar¬
stellt. Dies Vorwachsen kann nur an Stellen möglich sein, an welchen der
Seitendruck relativ gering oder ~ 0 ist; eine solche Vorstellung deutet auf
die Existenz zweier, spitzwinklig auseinanderweichender Ströme hin. Dem¬
gemäss kann, bei unvollkommener Trennung der Ströme, ein Septumdefekt
auch hier entstehen mit dem Resultat der seltenen Missbildung der Per¬
sistenz des Truncus communis im untersten Abschnitt; ferner
würde die sog. Transposition der beiden Arterienstämme aus den primären
Lageanomalien der massgebenden Blutströme sich leicht verstehen lassen.
Die häufigsten Anomalien der Herzbildung sind die angeborenen
Klappenveränderungen, namentlich die Veränderungen der Semi-
lunafklappen; Verschmelzung (Aortenklappen) oder Vermehrung (Pulmonal¬
klappen), Stenose im Sinne der sog. fötalen Endokarditis. Alle diese Ver¬
änderungen sind wohl sicher mindestens in der Hauptsache auf die Anomalien
der Wirbel zurückzuführen, welche in den Stämmen im Anschluss an das
Einspritzen des Blutes vom Konus aus entstehen und meiner Ansicht nach,
die ich in früheren Arbeiten *) begründet habe, die mechanische Ursache des
Klappenwachstums überhaupt abgeben. Diese Wirbel können zu gross oder
zu klein sein, oder ganz ausbleiben, je nach der Art der jeweiligen Blut¬
strömung. Hierdurch wird die Form der Klappen bestimmt, welche sich ja
allmählich aus den „Endokardkissen" herausbildet; sie können bis zur Ver¬
klumpung oder bis zum völligen Defekt missbildet sein. 'Entsprechend den
iJrössendifferenzen der beiden primären Ströme der Aorta und Pulmonalis
ist es gewiss erklärlich, dass die Aortenklappen weitaus am häufigsten Ver¬
schmelzungen (namentlich der rechten und linken Klappe), die Pul¬
monalklappen Vermehrungen (namentlich zwischen den hinteren
Taschen) aufweisen. Eine fötale Endokarditis als Ursache der Schrumpfungen
anzunehmen, ist angesichts der bisher gemachten Beobachtungen durchaus
unhaltbar; auch Fischers neueste Angaben in die.ser Beziehung sind
mehrdeutig, jedenfalls nicht beweisend; die Herzmuskelverkalkung, welche er
als Anhalt für eine entzündliche Veränderung des Herzens ansieht, kann kein
Beweis für eine Klappenendokarditis sein und sich auch aus anderen Gründen
erklären.
Eine besondere Stütze erhält die Anschauung von der Entstehung der
Herzmissbildungen im Anschluss an Veränderungen der primären Blut¬
strömung durch die altbekannte Tatsache der Kombinationen der ver¬
schiedenen Herzmissbildungen im Einzelfall, z. B. Stenosen der Klappen mit
offenstehenden Septumdefekten. Im Einzelfall bietet es immer ein besonderes
Interes.se, diesen Kombinationen analytisch nachzugehen und das primäre
Moment von dem sekundären abzulösen.
Kann die hier nur kurz skizzierte Auffassung als gültiges und viel¬
erklärendes einfaches Prinzip anerkannt w'erden. so erhebt sich natürlich
weiterhin die Frage nach den Ursachen der Eigenart der pri¬
mären Strömungen. Ich fasse alle Flüssigkeitsbewegung im Organis¬
mus der Tiere wie der Pflanzen als eine durch den Stoffwechsel der Zellen,
d. h. also eine Saugwirkung und Abstossung, bedingte auf, und
stelle mir vor, dass ihre Anfänge als Rinnsale im weichen Parenchym
zum morphologischen Ausdruck kommen, etwa nach Art der regellosen Netze
der Fruchthofgefässe. Roux hat bereits damals darauf hingewiesen, wie
diese Regellosigkeit durch den^ allmählich wirksam werdenden Herzpuls
geregelt wird und charakteristische Verzweigungen der Fruchthofgefässe
nunmehr als Ausdruck mechanischer Beanspruchung hervortreten. Diese
Verhältnisse gelten wohl für alle Organe; aus den Rinnsalen werden
gröbere Ströme, welche nach den Stellen geringsten Widerstandes hin-
fliessen müssen. Sie sammeln sich zu Reservoiren, die dann aber — dies
würde das zweite Prinzip sein — von ihrer Lage im Embryo abhängig
sind; äussere Wirkungen (Druck, Krümmung etc.) können dann die Form
der Reservoire und damit die' Form der Blutströme beeinflussen. Dem
entspricht die Tatsache, dass Formanomalien an anderen Organen des
Embryo, namentlich auch gröbere des ganzen Organismus, so leicht mit Herz¬
anomalien verbunden sind. Da letztere nicht die Ursache der ersteren sein
können, so muss es umgekehrt sein, d. h. die Herzmissbitdung folgt einer
Körpermissbildung, falls diese abnorme Stromrichtungen oder Stromkräfte
des Blutes veranlasst. Somit würde die letzte Ursache der Herzmissbildungen
in den meisten Fällen auf die primäre Abweichung der Organe in bezug auf
die Kraft ihres Stoffwechsels (Ansaugung) oder in bezug auf die gesamte
Lage des Embryo in der Eihöhle zu suchen sein.
Ich schliesse diese kur-ze Zusammenfassung mit dem Hinweis darauf,
dass die Anerkennung des Prinzips, dass die primären Blutströme die Herz¬
bildung und die Herzmissbildung bedingen, auch die Möglichkeit gibt, be-
*) Arch. f. Entwicklungsmechanik XXX, 1910, sowie Med. Klin. 1910, 41.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
190
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
stimmte Einzelheiten bezüglich der Konstanz und Energie einzelner Strömungs¬
besonderheiten annähernd abzuschätzen. Je konstanter eine bestimmte
Strömung an einer bestimmten Stelle ist. um so seltener wird diese Stelle
eine Missbildung aufweisen. Die Statistik der Herzmissbildungen ermöglicht
also durch den Hinweis, welche Formen am häufigsten, welche am seltensten
sind und welche möglichen Erscheinungen überhaupt n i e auftreten, Rück¬
schlüsse auf die Art der Zirkulation im embryonalen Herzen.
Besprechung: Herr Roux: Herr Beneke hat meine Lehre von
der gestaltenden Anpassung der Intima an die Eigengestalt des Blutstromes
sehr viel w^eiter ausgedehnt, als ich es vor 42 Jahren getan habe.
Wie weit nun noch die vererbten Oestaltungspotenzen die normalen
Einzelgestaltungen zu bestimmen vermögen, kann aus experimentellen
Amphibienembryonen (durch teilweise Abschnürung von Halsgefässen) er¬
schlossen w'erden, denn aus den danach stattfindenden Abweichungen von der
normalen Gestaltung können wir auf die Grösse der Anpassung an die ab¬
geänderte Strömung schliessen. Dasselbe lässt sich unter Verwendung der
von dem zu früh verstorbenen Bruno W o 1 f f erfundenen Methode, den
schwangeren Säugetieruterus wiederholt zu eröffnen und zu schliessen. auch
an Säugetierembryonen ausführen.
Ich möchte noch auf eine andere Möglichkeit der Entstehung von Herz¬
missbildungen hinwciscn. Normalerweise sind, wie ich vor 40 Jahren teils
durch Messung ermittelte teils erschlossen hatte, ohne es bis jetzt zu
publizieren, die Herzmuskelfasern derart gelagert, dass sie bei der Systole
alle und zwar jede Faser in ihrem ganzen Verlauf sich gleichviel Prozent
und gleichstark kontrahieren, also auch gleichstark abnutzen, so dass die auf
jede Systole folgende Herzpause, die Restitutionspause (R o u x), für alle
Fasern und in allen Teilen derselben genügt. Das ist eine sehr wichtige
Gestaltung, ohne welche das Herz bald an vielen Stellen durch Ueber-
anstrengung degenerieren würde. Es wäre nun zu erwarten, dass bei Herz¬
missbildungen, also in abnormen Verhältnissen, diese Gestaltung nicht gleich
regulatorisch in genügendem Masse hergestellt werde. In diesem Falle
müssten sich Stellen zeigen, wo die Muskelfasern durch Ueberanstrengung
entartet, grau verfärbt sind. Von diesen geschwächten Stellen aus könnten
dann auch noch Formabweichungen und Herzruptur entstehen. Es ist also
darauf zu achten, ob sich bei starken Herzmissbildungen, welche aber längere
Zeit, das ganze Embryonulleben oder auch noch Jahre lang im Extrauterin¬
leben, bestanden haben, sich solche Degenerationsstellen zeigen. Ist dies
nicht der Fall, so beweist das eine bisher nicht ' bekannte strukturelle
funktionelle Selbstregulation.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Januar 1921.
Herr K a e d 1 n g verwendet bei der intralumbalen Salvarsanbebandlung
zur Verdünnung physiologische NaCl-Lösung statt des abgelassenen Liquors,
da letzterer als toxische Stoffe enthaltend betrachtet werden könne. Er hat
nie Schädigung davon gesehen.
Herr Timm berichtet über einen Fall von Aktlnomykose. 'Bei dem
Pat. trat zunächst eine Schwellung der einen Schulter auf. Probe-
exzidierte Stücke Hessen bereits bei histologischer Untersuchung die aktino-
mykotische Natur der Affektion erkennen. Später traten L ungenerschei-
n u n g e n auf. In dem erst nach längerer Zeit entleerten hämorrhagischen
Sputum waren nun auch bakteriologisch als Aktinomykose diagnostizierbare
Körnchen nachweisbar. Bei der Sektion fand sich eine aktinomykotische
Induration der Lungen und eine aktinomykotische Karies der Hals- und
Brustwirbelsäule. Demonstration der Präparate. Die Frage, ob eine im Krieg
erlittene Unterschenkelverletzung als Eingangspforte angzusehen sei, musste
nach dem Sektionsbefund verneint werden.
Herr Plaut demonstriert die in dem Falle gewonnenen Kulturen und
bespricht die bakteriologischen Befunde. Er zeigt, dass die pallisadenartig
angeordneten Gebilde und die Keulen am Rande der „Minimalkörnchen",
welche für die Aktinomyzesdruse charakteristisch sind. Degenerations¬
erscheinungen darstellen, entstanden durch die Abwehrkräfte des befallenen
Organismus. Sie sind nur im histologischen Präparat, nie in der Kultur
zu finden. Vortr. tritt aufs Neue dafür ein. an der Bezeichnung Strepto-
thricheen für die fragliche Gruppe festzuhalten und die hier vorliegende
Art als Streptothrix actinomyces zu bezeichnen.
Herr E. Fraenkel bemerkt zu den Demonstrationen Ober Aktinomv/.e'i.
dass während die Kultur des Keimes unter anaSroben Verhältnissen leicht
gelang, eine Uebertragung auf das Tier noch nie glückte. Als Eingangs¬
pforte in dem besprochenen Fall kommt vielleicht die linke Tonsille, an
der sich eine ungewöhnliche, umschriebene Narbe fand, in Frage, dafür
spricht auch der Verbreitungsmodus, bei dem es zu einer Infektion des
retropharyngealen und peripleuralen Gewebes und von da aus einerseits der
Pleura und Lunge, andererseits der Wirbelsäule kam. Dass eine solche
Spondylitis actinomycotica röntgenologisch nicht nachweisbar ist, kann nicht
auffallen, da die Form der Wirbelkörper ganz intakt bleibt. Fr. zeigt dann
in Ergänzung zu seiner vormaligen Demonstration 2 Präparate von Intra-’
kraniellem echtem Cholesteatom. Ungewöhnlich war, dass die Perigeschwulst
in dem einen Falle an der Schädelbasis und nicht an der Pia. in der die
Geschwulst stets zur Entwicklung kommt, hängen blieb, und dass beide Male
ganz junge Kinder befallen waren. Nach B o s t r o e m handelt es sich um
Epidermoide; die zugrunde liegende Keimversprengung muss spätestens in
der 4.—5. Woche des Fötallebens erfolgt sein. Ferner zeigt Fr. Präparate
von falschen Cholesteatomen des Mittelohrs, welche mit den echten nichts zu
tun haben und durch Hineinwachsen von Epidermis in die Paukenhöhle
zustande kommen. Weiter zeigt Fr. mikroskopische Bilder eines durch
Fremdkörper (Tupfermaterial) entstandenen kleinen Tumors in der Bauch¬
höhle mit zahreichen sehr grossen Fremdkörperriesenzeilen. Endlich zeigt
Fr. das Bild eines Mannes mit ungewöhnlich hochgradiger
Tätowierung, auch auf einer Glatze.
Herr Römer berichtet über einen Fall, bei dem auf Grund von
dauernden Schüttelfrösten, Ikterus und Leberdruckempfindlichkeit die Diagnose
auf Pylepblcbitis gestellt wurde. Bei der zwecks Unterbindung der A. ileo-
colica ausgeführten Operation fanden sich die Pfortaderwurzeln jedoch frei.
Die Sektion bestätigte die völlige Intaktheit der Pfortaderwurzeln, ergab
aber einen Abszess in der Leber und eitrigen Inhalt der umgebenden Pfort¬
aderäste. An dem Beispiel eines Palles thrombophlebitischer
Puerperalinfektion erläutert er die Wichtigkeit, rechtzeitig zur
Unterbindung der erkrankten Vene zu schreiten.
Herr Jacobsthal: Die Unterscheidung zwischen Streptococcus
haemolyticus. vlrldans und Pneumokokkus ist nicht immer durchzuführen.
Spritzt man einer Maus nicht sehr virulente hämolytische Streptokokken
ein, so lässt sich aus den Organen nachher der Viridans züchten. Vortr.
führt dies auf das Bestreben des Organismus, den Streptokokkus in eine
weniger virulente Form umzuwandeln, zurück und bringt es in Beziehung
zu den Beobachtungen B o r d e t s, nach denen Kolibazillen. die in die
Bauchhöhle eines mit Koli vorbehandelten Tieres injiziert wurden, die erb¬
liche Eigenschaft erhalten, andere Kolistämme abzutöten. Vortr. zeigt ferner,
dass sowohl der Str. viridans wie der Pneumokokkus bisweilen in Stäb¬
chenform wachsen können. F. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr Wilmanns.
Schriftführer: Herr Beck.
Herr Gans: Ueber Lupustheraple. (Mit Demonstrationen.)
Der einzelne Krankheitsherd wird in der bekannten Weise mit eine*’
10 proz. Pyrogallolsalbe (Anästhetikum) so lange behandelt, wie es der Kranke
erträgt. Unter dem täglich zu wechselnden Pyrogallolsalbenverband bildet
sich der bekannte nekrotische Gewebsherd aus. Der Schorf wird durch 3 stün-
dig zu wechselnde Verbände von 3 proz. Wasserstoffsuperoxyd oder physiol.
NaCl-Lösung unter wasserdichtem Stoff zur Abstossung gebracht. In die
gereinigten Herde hinein erfolgt die Röntgenbestrahlung. Opti¬
male Dosis 20 X — 4 mm Aluminiumfilter. Darüber hinauszugehen hat sich
bis jetzt als nicht notw'endig erwiesen. Nach der Bestrahlung Entlassung
zur Abheilung. Ueberhäutung in 4—6 Wochen. Demonstration von über
30 Fällen, von denen ein Teil schon über ein Jahr zurückliegt, und rezidiv-
frei ist.
Aussprache: Herr Kümmel.
Herr Brenner: Ueber künstliche Scheldenblldnng. nebst Mlttellnng
eines nach Morl operierten Falles. (Erscheint in der Mschr. f. Qeburtsh.
u. Gyn.)
Medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sitzung vom 24. November 1920.
Vorsitzender: Herr S t i n t z i n g.
Schriftführer: Herr E r g g e I e t.
Herr S p i e t h o f I stellt vor einen Fall von ausgedehnten Geschwüren
an beiden Unterschenkeln, einen Patienten mit hflmolytischer Anämie: einen
Fall von Morbus Darier; 5 jähr. Zwillingsgeschwister mit Lupus vulgaris:
einen ausgedehnten, schnell fortschreitenden Fall von Lupus vulgaris bei
einem 8 jähr. Kinde: tertiären Phagedänlsmus; selten dichtstehende», über
den ganzen Körper, einschliesslich Gesicht, behaarten Kopf ausgebreitetes
lentikuläres Syphilid. *
Herr B u c h h o 1 z: Allgemeines über Röntgentiefentherapie.
Aussprache: Herr Th ie mann berichtet über chemo-röntgeno-
logische Versuche zur Diagnostik und Therapie maligner Tumoren und der
Tuberkulose.
Herr Wetzel: Ueber Röntgenschädigung mit und ohne Beteiligung
der Haut. (Erscheint ausführlich an anderer Stelle.)
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
fOffizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. Dezember 1920.
Herr Hoppe-Seyler berichtet über Beobachtungen, die Herr
Dr. J e b e n s in 7 Fällen von Maul- und Klauenseuche beim Menschen im
Krankenhause in Itzehoe gemacht und mitgeteilt hat. Sie wurden meist als
Grippe-, seltener als Typhusfälle eingeliefert. Erkrankung meist kurz nach
Auftreten der Krankheit beim Viehbestand des betreffenden Bauern nach
Genuss von Milch und Milchsoeisen. Meist waren an den rissigen Linnen
nur einzelne Bläschen, Schwellung des Zahnfleisches. Beginn oft plötzlich
unter Schüttelfrost und höherem Fieber, am 3. Tage manchmal roseolaartiges
Exanthem auf Brust, Rücken und Beinen, Schwellung von Leb^r und Milz,
Urobilinurie, niedriger Blutdruck (73—75 mm’ Quecksilber), vorübergehende
Zylindrurie. Auffallend ist die Kreislaufschwäche, die auch beim Vieh in
dieser schweren Epidemie hervortritt und vielfach die Todesursache ist. Die
Fälle verliefen alle günstig. Intravenöse Kollargolinjektionen hatten guten
Erfolg, auch wo Silbersalvarsan versagt hatte.
Herr Emmerich: Zur pathologischen Anatomie der Maul- und Klauen¬
seuche.
An Hand einer grossen Reihe von frischen und konservierten Präparaten
wurden die bei Maul- und Klauenseuche auftretenden Veränderungen bei
Tieren (Rind, Schaf, Schwein) besprochen und besonders die charakteristischen
Befunde an der Maulschleimhaut, der Zunge, der- Zahnplatte des Oberkiefers,
sowie an den Klauen demonstriert und durch Projektion mikroskopischer
Präparate näher erläutert. Besonders wird hingewiesen auf die häufig beob¬
achteten schwersten Formen von Myokarditis bei der bösartigen Form der
Maul- und Klauenseuche, die zuweilen zu einer hochgradigen Verkalkung der
degenerierten Muskelfasern führt.
(Der Vortrag erscheint ausführlich an anderer Stelle.)
Diskussion über beide Vorträge: Herren Hanssen, Konjetzny,
J o r e s, Frau Dr. Schütz, Herren Höppli, Bürger, Kisskalt.
Hoppe-Seyler.
Digitized by Göiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
191
Herr Qirtner: Ueber die Ursache der Seltenheit der Paralyse bei
unkultlylerien Völkern.
Diskussion: Herren Qennerich, Stoeckel. Jores.
Runee. Kisskalt, Gärtner.
Sitzung vom 16. Dezember 1920.
Vor der Tagesordnung.
Herr Brandes demonstriert einen Knaben mit motorischer und sen¬
sibler Lähmung des ganzen linken Armes, hervorgerufen durch eine Ver¬
letzung an einer Windmühle, in deren Flügeln der Knabe mit dem Arm
hängen blieb und wiederholt durch die Luft geschleudert wurde. Es wird
sich um eine Zerreissung von Wurzeln der Segmellte C 5—D 1 handeln (oder
Hm eine Ausreissung dieser Wurzeln aus dem Rückenmark) und nicht um
eine Plexusverletzung zwischen Klavikula und Rippe oder zwischen Klavikula
and Ouerfortsatz des 7. Halswirbels, da auch eine Störung der okulo¬
pupillären Sympathikusinnervation vorliegt (Ptosis, Miosis, Retractio bulbi).
ohne dass zugleich vasomotorische Störungen der linken Qesichtshälfte be¬
stehen. Die Sympathikusläsion muss also an der Wirbelsäule zwischen
Abgang der Fasern aus dem Rückenmark (D. 1.) und der Vereinigung mit
dem übrigen Halssympathikus liegen, und demnach muss aych in nächster
Nähe der Wirbelsäule die motorische und sensible Läsion angenommen
werden. Bei solchen Verletzungen hat wiederholt operative Freilegung der
Wurzeln die Richtigkeit dieser Ueberlegung ergeben (V o 1 h a r d. Reichte).
Herr An schütz: Ueber Erfolge der Röntgennachbestrahlung radikal
(^»erlerter Mammakarzinome.
* Das statistisch sehr genau verarbeitete Material der in der chirurgischen
Klinik zu Kiel seit 1908 operierten 230 Mammakarzinome (nach Abrechnung
der 8 operativen Todesfälle und der 8 unermittelten Fälle, bei Einrechnung aller
später eventuell auch interkurrent Verstorbenen) wurde in zwei Serien,
nach der Operation bestrahlter (A) und nicht bestrahlter (B) Fälle eingeteilt.
Es ergab sich, dass die an sich schon relativ günstige Heilungsziffer
der Serie A (118 Fälle) von 46,6 Proz. bei 3jähr. und 37,9 P r o z.
bei Sjähr. Beobachtung durch die methodische Nachbe¬
strahlung in Serie B (112 Fälle) auf 62,5 Proz. r e s p. 57,3 Proz.
a n $ t i e g. Jede derartige Statistik muss auch erkennen lassen, wieviel
leichtere und schwerere Fälle sie enthält, sonst ist eine Beurteilung der
Erfolge nicht möglich. Es wurde die Gruppierung zunächst nach dem aller¬
dings nicht ganz vollkommenen Schema S t e i n t h a 1 vorgenommen (I keine
Drüsen, Karzinom nicht verwachsen. II. Drüsen, Karzinom häufig ver¬
wachsen. III. Supraklavikulardrüsen, Karzinom fest verwachsen). Daher
ergab sich, dass bei I ohne und mit Bestrahlung die Erfolge sehr gut waren
(iOO Proz. bei 7 [A] resp. 6 IB] Fällen nach 3 und 5 Jahren). B e i
Gruppe II der numerisch stärksten Gruppe waren die
deutlichsten Erfolge namentlich bei Sjähr. Beobach¬
tung: Serie A: 103 Fälle, 3 Jahre 44 Proz., 5 Jahre 35 Proz,,
Serie B: 96 Fälle mit 62 resp. 56 Proz. Auch bei Gruppe UI
A 8 Fälle, B 10 wurde 3Jähr. die Heilungsziffer von 25 Proz. auf 40 Proz.
gtsteigert, doch hiejt nach 5 Jahren der Erfolg nicht an. Bei den mit
aller möglichen Kritik aufgestellten Berechnungen kann die erfreuliche Steige-
rüng der Heilungsziffern nur auf die Röntgennachbestrahlungen der radikal
operierten Fälle bezogen werden.
Bestrahlt wurde bis 1916 mit Induktorapparat: 50 cm Parallelfunken¬
strecke (Burger und Müller-Siederöhre), 2 Milliamperes Fokusabstand 22 cm.
Dann mit Lilienfeldapparat 2 —ZVi Milliamperes Fokusabstand 30 cm. .Alu-
miniumßlter 3' resp. 4 cm. Dosierung mit Sabouraudtabl. p. Feld 15 X 1
(4—3 Felder'. Im Laufe des ersten Jahres 9—10 X Bestrahlung. Häulig
wurde vq^le Frythemdosis erzielt.
Diskussion: Herren Konjetzny, Neuber, Stöckel, Gie^
secke, Wels, Hellmann, Käppis, Jores, Anschütz.
Herr Brandes: Ueber die praktische Bedeutung der Antetorslon bei
der angeborenen Hßftluxation und Ihre Korrektur.
Infolge hochgradiger Antetorsion des Femur kann das Repositionsresultat
wieder zerstört werden, daher ist in gewissen Fällen die Korrektur der
Ante(»rsion angebracht, um sichere Dauerresultate zu erhaben.
Die bisher vorgeschlagene Methode von Schede, Oaleazzi („Detorsio
tarda‘*)> Reiner („Detorsio praeliminaris“)» Lorenz („Detorsio simul-
tanea“) besitzen gewisse Nachteile, Kompliziertheiten oder Unzulänglichkeiten,
welche wohl Schuld daran gewesen sind, dass alle diese Verfahren sich
bisher nicht eingebürgert haben.
Ein Verfahren, welches seit 1908 in der Kieler Klinik ausgebildet ist,
hat sich bisher stets gut bewährt, wie jahrelange Beobachtungen und
wiederholte Nachuntersuchungen ergeben haben.'
Dasselbe verläuft folgendermassen: Nach erfolgter Reposition, die nach
jeder Methode vorgenom'rc n werden »kann. Gipsverband in Lorenz scher
Piimärstellung (90“ Flexion, 90® Abduktion). Der erste Verband bleibt
ca. 4—6 Wochen liegen, dann erfolgt in Lorenz scher Primärstellung
Osteoklase suprakondylär im unteren Femurdrittel und Detorquierung um den
Grad der vorhandenen und zu beseitigenden Antetorsion. Dabei wird der
in Lorenz scher Primärstellung festliegende; proximale Femurabschnitt
nicht gedreht, sondern zunächst das untere Fragment mit gebeugtem Knie¬
gelenk um den Grad der Antetorsion nach aussen rotiert und ein neuer
Qipsverband angelegt, um die Fraktur der Osteoklase zu heilen und das
Hüftgelenk weiter in Lorenz scher Primärstellung zu fixieren. Nach 4 bis
6 Wochen wird dann das ganze Bein im Hüftgelenk einwärtsgedreht bis
der im Kniegelenk rechtwinklig gebeugte Unterschenkel wieder horizontal
steht (beim liegenden Kinde).
Damit ist die Korrektur der Antetorsion erreicht. Der nächste Gips¬
verband wird in 70® Flexion und 70® Abduktion angelegt.
Die Detorquierung wird mit diesem Verfahren während der üblichen
Fixationszeit nach der Reposition erreicht, welche gewöhnlich 6 Monate
danert. Bei späterer Parallelstellung der Beine steht der Schenkelhals frontal
zum Becken.
Das Verfahren ist einfach, ohne Gefahr und Schwierigkeit durchzuführen.
Komplikationen wurden bisher nicht erlebt
Projektion erfolgreich so behandelter Fälle, welche infolge hochgradiger
Antetorsion vorher einmal reluxiert waren.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 18. Oktober 1920.
Vorsitzender: Herr Strohe I.
Schriftführer: Herr H u e t z e r.
Herr A. Dietrich: Die Gehirnblutungen, Ihre Formen und Be¬
dingungen.
Die Gehirnblutungen bieten nach ihren Erscheinungsformen, den Be¬
dingungen ihres Zustandekommens und ihren Folgen eine grosse Vielfältig¬
keit der Bilder. Die kleinsten Formen, die „flohstichähnlichen“ Blutungen,
die bei dichter Aussaat Über den Balken oder die weisse Substanz der
Hemisphären die Purpura cerebri bilden, zeigen dies bereits. Ausser
kleinsten Blutaustritten in die Gefässlymphscheide, den Virchow-Robin-
schen Raum, oder Kugelblutungen um kleine Gefässchen ist die typische
Form die Ringblutung, richtiger Schalenblutung, um eine Präkapillare. Deren
Entstehung führte M. B. Schmidt mit Recht auf Diapedese zurück, erklärte
aber die Bildung des freien Hofes in der Mitte durch Wegschwemmen
der roten Blutkörperchen infolge eines Transsudatstromes. Auf Grund zahl¬
reicher Beobachtungen solcher Blutungen aus traumatischer Ursache (Ver¬
schüttung), toxischer Einwirkung (Phosgenvergiftung, Salvarsanschädigung)
und toxisch-infektiösen Einflüssen (Grippe, Pneumonie, Nephritis u. a.), auch
örtlichen Schädigungen (Tumoren, Abszessen) Hess sich aber die Ueber-
zeugung gewinnen, dass Oefässschädigungen im Vordergrund stehen, vereint
mit örtlichen und meist auch allgemeinen Kreislaufstörungen. Im Bereich des
geschädigten Endothels unterbleibt die Diapedese der roten Blutkörperchen,
es tritt fibrinöse Aufquellung oder Nekrose des angrenzenden Bezirkes, ring¬
förmig oder nur einseitig, ein, um den sich die Blutung aus dem anschliessen¬
den Gefässabschnitt, im Zustand der Prästase, ergiesst. Die Blutungen
können mit entzündlichen Vorgängen vereint sein, aber sie dürfen nicht
schlechthin als Enzephalitis bezeichnet werden.
Ein Schritt weiter führt von der Purpura cerebri zur hämorrhagischen
Erweichung und diese kann bei gesteigerten örtlichen Bedingungen zur voll¬
ständigen hämorrhagischen Einschmelzung werden. Die Durchlässigkeit der
Gefässwände ist hierbei zur völligen Undichtigkeit (Diärese, Marchand)
geworden. Neuere Untersuchungen legen es nahe, dass ein Teil der apoplek-
tischen Blutungen, selbst mit erheblicher Zerstörung von Hirnsubstanz, auf
diese Weise, also durch höchste Kreislaufstörung, aber ohne Gefässzerreissung
entsteht (R o s e n b I a t h). Bei den Blutungen durch Gefässzerreissung, die
immer noch die Vorstellung beherrschen, müssen wir, abgesehen von den trau¬
matischen (auch den traumatischen Spätblutungen infolge traumatischer
Aneurysmen), die meningealen Blutungen aus Aneurysmen der basalen Arterien
hervorheben. Den Lieblingssitz dieser, oft in jugendlichem Alter auftretenden
Aneurysmen am Ramus communic. anter. hat Busse auf Entwicklungs¬
störungen zurückführen können, denen sich Atherosklerose zugesellen kann.
Andere Aneurysmen der äusseren und inneren Hirngefässe sind allein durch
Atherosklerose bedingt: luetische Gefässerkrankung hat an Hirnblutungen
fast gar keinen Anteil. Eine andere Form steilen die embolischen Aneurysmen
dar, besonders bei Endokarditis; sie sind Rupturaneurysmen an zerstörter
Gefässstelle und ihre zarte Wandung bricht sekundär gegen Meningen oder
Hirnsubstanz durch.
Gegenüber diesen grösseren Aneurysmen ist gerade bei den typischen
Blutungen in den Stammknoten viel erörtert die Rolle der miliaren Aneurysmen
(C h a r c 0 1 - B 0 u c h a r d), die manchmal zu Dutzenden in der Wand des
Zertrümmerungsherdes Vorkommen. Nur zum Teil sind diese aber vor-
gebildet, der grösste Teil auch nach meiner Ueberzeugung nur Blutsäckchen
an geschädigten Gefässen im Gefolge der Blutung. So kann die Darstellung
dieser kleinen Aneurysmen allein noch nicht die Entstehung einer Blutung
erklären, es muss die genaue Untersuchung erst ihre primäre oder sekundäre
Natur und ihre frische Berstung sicherstellen. Dadurch wird aber ihre
Bedeutung eingeschränkt werden zu Gunsten der Blutungen durch Diärese,
im Zusammenwirken von Gefässschädigung und Kreislaufstörung eines Ge¬
bietes.
Medizinische Uesellschafl zu Leipzig.
(Offizielles Prctokoll.)
Sitzung vom 1. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr Bahr dt.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr v. Strümpell: Ueber die letzt herrschende epidemische Enze¬
phalitis.
(Ist in der Deutschen medizinischen Wochenschrift erschienen.)
Herr Herzog: Zur pathologischen Anatomie der sog. Encephalitis
epidemica.
Ebenso wie klinisch können auch pathologisch-anatomisch die 5 Todes¬
fälle von sog. Encephalitis epidemica, die in Leipzig von Ende Januar bis
Ende März d. J. aufgetreten sind, mit denen identifiziert werden, die
V. Economo 1917 in Wien beobachtet hat. *
Schwerste Veränderungen einer sog. nicht eitrigen, akuten Enzephalitis
fanden sich am Boden des vierten Ventrikels, im Bereich des Aquädukt, der
Grosshirnschenkel und z. T. auch des Thalamus, wobei auffälligerweise der
basilare Brückenteil, die Pyramidenbahnen und die Olivenkerne des ver¬
längerten Markes so gut wie frei waren, während die mehr dem Ventrikel
zugelegenen Abschnitte, auch die Vierhügel und die Brachia conjunctiva, hoch¬
gradig befallen waren. Einzelne, kleinere Herde waren im Schwanz- und
Linsenkern, in der Qrosshirnrinde, in der Marksubstanz des Kleinhirns und
im Rückenmark nachzuweisen.
Die Veränderungen bestehen einmal in einer hochgradigen Z e 11 v e r -
mehrung im Gewebe. Lymphozyten- und Lymphoblasteiiformen.
Plasmazellen, Endothelsprossen, abgelösten Adventitialzellen, entsprechende
Elemente mit hellen, länglichen Kernen durchsetzen das meist aufgelockerte
und blutreiche Gewebe. Zu ihnen gesellen sich reichlich gewucherte Glia-
zellen mit z. T. recht unregelmässigen Kernformen, so dass sie namentlich
von den letzterwähnten adventitiellen Elementen oft sehr schwer zu unter¬
scheiden sind. Häußg sind die Zellen in kleinen Herden angeordnet, die
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
^21 _ , _ MUENCH£NER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. ___^Nr. 6.
mitunter auch isoliert Vorkommen und in der Regel kleinen Qefässen sich an-
schliessen. Hervorzuheben ist das ziemlich häufige und in allen Stadien zu
beobachtende Vorkommen von sog. Neuronophagie, wodurch gleichfalls ein
Teil der schon bei schwacher Vergrösserung auffälligen Zellherdchen bedingt
wird; nicht selten gehen auch Ganglienzellen durch Schrumpfung oder Auf¬
lösung zugrunde.
Ferner werden die Geiässe in den betroffenen Bezirken von z. T. sehr
dicken Zellmänteln begleitet. Den kleineren Gefässen liegen über¬
wiegend Plasmazellen an, deren Entstehung aus Adventitialzellen zu er¬
weisen ist. In den Lymphscheiden der grösseren Gefässe herrschen Lympho¬
zyten vor, dazwischen sind lymphoblastische Formen, mitunter in Teilung,
vorhanden, so dass wohl sicher ein Teil der Lymphozyten in loco entsteht:
ebenso wie v. £ c o n o in o konnte auch ich Ablösung von Zellen der
Adventitialscheide und ihre Uebergänge in Lymphoblastenformen wahrnehmen.
Zu erwähnen ist ferner der mehrmalige Nachweis von Durchtrittsbbdern
von Lymphozyten durch die Gefässwand. Von den perivaskulären Infiltraten
gehen Zellen in grosser Zahl ins Gliagewebe über.
Ausserdem finden sich in der Hirnrinde und den Zentralganglien Wuche¬
rungen der Satelliten der Ganglienzellen und der die kleinen Gefässe be¬
gleitenden Gliaelemente.
Diskussion: Herr Wandel sah 15 Fälle von Enzephalitis, die
sich gut in die von v. Strümpell aufgestellten Formen einreihen lassen.
Er beobachtete auch ataktische und in anderen Fällen Meningealsymptome.
Aetiologisch kämen Influenza und toxische Schädigungen in Betracht.
Herr 0 u e n s e l erinnert an die von ihm in der Sitzung vom 27. 1. 20
beschriebenen Fälle. Die Zugehörigkeit dieser Fälle, bei denen leichte Hirn¬
nervenstörungen und lethargisches Verhalten fast stets vorhanden sind, ist
jetzt kaum noch zu bezweifeln. Ausser 3 derartigen Fällen beobachtete er
noch einen solchen mit Chorea, zwei der lethargischen Form, einen weiteren
mit meningitischen Symptomen. Von diesen sind zwei gestorben, zwei an¬
nähernd geheilt, die übrigen zeigpn einen sehr chronischen Verlauf.
Herr Reinhardt erinnert an seine Demonstrationen in der Sitzung
vom 5. August 1919 (s. M.m.W. 1919 S. 1458/59). Seitdem hat er noch einige
Fälle von Encephalitis lethargica obduziert und konnte den typischen Befund
der perivaskulären Infiltrate usw. in der grauen Substanz hauptsächlich im
Pons, und Hyperämie feststellen.
Herr Harzer: lieber epigastrische Paipation der rechten Herzkammer.
Vortr hat bei Mitralfehlern die Beobachtung gemacht, dass die vom
hypertr. bzw. dilat. und hypertr. rechten Ventrikel ausgehende, hebende
Pulsation deutlicher und regelmässiger zu palpieren ist, wenn die Palpation
in folgender Weise ausgeführt wird:
1. im Epigastriuin zwischen Proc. xiph. und linken Rippenbogen.
2. im forcierten, maximalen Inspirium, wenn nötig
3. in rechter Seitenlage des Patienten.
Da unter diesen Bedingungen auch eine bei ruhiger Atmung nicht oder
kaum fühlbare epigastrische Pulsation deutlicher und ausgesprochen hebend
nachzuweisen ist, so empfiehlt H., die Palpation im physiologischen
Z w e r c h f e 111 i e f s t a n d für die Diagnose der Hypertrophie des rechten
Ventrikels. Die bisherige Literatur geht vom pathologischen Zwerchfelltiet-
stand (Emphysem) aus. Auch bei herznormalen Individuen und in aufrechter
Stellung ist unter obigen Bedingungen die Pulsation des rechten Ventrikels
zu lunlen, normalerweise über nicht hebend. Ausführliches im D. Arch. f. klin.
Med. 134. 1920.
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 6. -Mai 1920.
Herr Vogt: Udier Buttermehlnahrung.
Die von Czerny und Kleinschmidt angegebene Buttermehl¬
nahrung, über die bereits von Stolte, Thiemich, Ochsenius,
R i e t s c h e 1, Türk u. a. günstige Berichte vorliegen, ist soweit erprobt,
dass sie mit ausreichender Sicherheit als ein Fortschritt in der Säuglings¬
ernährung empfohlen werden kann. Die eigenen Erfahrungen erstrecken
sich auf 2 jährige Verwendung und Beobachtungen an annähernd 100 Säug¬
lingen. Die Herstellung ist einfach und in jedem Haushalt möglich. Infolge
ihres hohen Fett- und Kohlenhydratgehaltes ist die Buttermehlnaltrung sehr
kalorienreich. Sic muss in grösseren Mengen verabreicht werden, als man
nach dem Kaloriengehalt erwarten sollte, ein Umstand, der wohl durch die
von Stolte festgestellte, verhältnismässig geringe Resorption seine Erklä¬
rung findet. Die Buttermehlnahrung ist von Czerny und Kleinschmidt
in erster Linie für die Ernährung sehr junger und frühgeborener Säuglinge
empfohlen worden. Sie ist nicht als Heilnahrung für frische Ernährungs¬
störungen zu verwenden. (Lange!) Dagegen bewährt sie sich ausge¬
zeichnet in der Erholung nach solchen, wenn die heftigen Erscheinungen ab¬
geklungen sind, so z. B. zum Absetzen von der Eiweissmilch. Ebenso
wertvoll ist ihre Anwendung bei älteren Säuglingen, die gegen jede höhere
Kohlehydratzufuhr mit der Nahrung empfindlich sind und infolgedessen mit
den bisherigen Hilfsmitteln, wo ausreichende Mengen Frauenmilch nicht zu
Gebote standen, oft monatelang nicht zur Gewichtszunahme* zu bringen
waren. Die Butcermehlnahrung ist sehr wohl als Dauernahrung zu ver¬
wenden, da die Beobachtung der Kinder hinsichtlich ihrer Hautfarbe, des
Turgors, der Widerstandskraft gegen Infektionen, der Neigung zu Rachitis
keine Nachteile erkennen lässt. Als wesentlichen Punkt für die günstige
Wirksamkeit der Buttermehlnahrung betrachtet der Vortragende die Tat-
•sache, dass sich in dieser Form so hohe Fettmengen dem Säuglmg zuführen
lassen, wie es bisher nur bei Ernährung mit Frauenmilch möglich war. Die
Vertretbarkeit des Fettes durch Kohlehydrate gilt nur für die Wärmelieferung,
jedenfalls nicht für das ganze Bereich des Stoffwechsels. Die Entfernung
der flüchtigen Fettsäuren durch das Erhitzen scheint für die Verträglichkeit
der Buttermehlnahrung nicht entscheidend zu sein. Vielleicht ist das gegen¬
seitige Verhältnis, in dem Fett und Kohlehydrate in der Nahrung vertreten
.sind, von grösserer Bedeutung, wofür die schon vor Jahren von H e 1 b i c h
mitgeteilten Beobachtungen sprechen,
Herr Albrecht Wagner: Ueber seltene Hüfterkrankangen bei Kindern
und Adoleszenten. (Lichtbilder.)
W. beschreibt an der Hand von Lichtbildern 2 Fälle von Osteo-
Digitized by Goiigle
chondritis deformans juvenilis, einseitig bei einem 10 Jährigen Mädchen und
doppelseitig bei einem 10 jähr, Knaben. Er hebt besonders die das Wesen
der Erkrankung bildende Weichheit des Knochens hervor, die voriffehmlich
im Kopfe und den juxtraepiphysären Kollumpartien deutlich ist. Er ver¬
gleicht mit dieser ersten Gruppe 2 Fälle von Coxa vara, die bei Vater
und Sohn im Alter von 16 und 17 Jahren aufgetreten ist, und die bei diesen
während der Beobachtungszeit in den letzten beiden Jahren zu Infraktionen
im Schenkelhälse geführt hat. W. nimmt auch für diese Fälle eine abnorme
Weichheit der Knochen im oberen Femurteile an, die sich jedoch dadurch von
der Osteochondritis deformans unterscheidet, dass der Schenkel hals be¬
fallen ist. In allen 4 F^en liegen als ätiologisch gleichartiges, nur ver¬
schieden lokalisiertes Leihen osteomalazische Prozesse vor. (Ausführliche
Mitteilung erfolgt im Arch. f. orthop. u. Unfallchirurgie.)
Herr Sandmann: Eine Schwlmmbad-Konlunktlvltls-Endemle ln Magde¬
burg. (Mit Demonstrationen.)
Im ganzen sind bisher von den hiesigen Augenärzten 32 Fälle, die
alle in demselben Schwimmbassin gebadet haben, beobachtet worden, davon
war ca. H beiderseitig befallen. — Ich sah 6 Fälle; alles junge Leute
von 17—25 Jahren, bis auf einen 51 jähr. Alle begannen einseitig. —
Es sind davon 5 schwere und ein mittelschwerer Fall. Bei letzterem e'-
krankte nach 14 Tagen das zweite Auge, und zwar, was ungewöhnlich,
stärker als das erste Auge.
Typisches Krankhaitsbild: Mässige Schwellung der Lider, reichliche
schleimig-eitrige Absonderung, Lider morgens verklebt. — Sehr hochgradige
Schwellung und Rötung der Conjunctiva tarsi et fornici.s, die mit grossen,
dicken — nicht in Reihen stehenden —, dicht aneinandergedrängten Follikeln
besetzt ist. Genau dasselbe Bild wie beim akuten Trachom. Bei Einzelfällen
kann nur der weitere Verlauf die Diagnose sichern. Das vielfach hervorge¬
hobene stärkere Befallensein der unteren Uebergangsfalte fand ich bei meinen
Fällen nicht. — Immer war auch die Conjunctiva bulbi mit mässiger bis
lebhafter Injektion beteiligt, immer auch die Hornhaut. — Diese in Form
von mehr minder leichter Schwellung und Vaskularisation entweder des
oberen oder ganzen Limbus, und mehrmals mit allerdings nur mit dem
Kornealmikroskop sichtbaren Epithelerhebungen im oberen Drittel der Horn¬
haut. In 2 Fällen sah man auch kleinste punktförmige Infiltrate in den
vordersten Parenchymschichten, die einmal bis ins Pupillargebiet reichten
und den Visus auf % herabsetzten. Bel einem 19 jähr. Patienten typische
Randphlyktäne oben.
Die Untersuchung des Sekrets auf Bakterien (Meftzlnaluntersuchungs-
amt Dr. Thomas) ergab auch kulturell ein völlig negatives Resultat; auf
Einschlusskörperchen wurde nicht untersucht. — Die Behandlung bestand in
Fernhaltung äusserer Schädlichkeiten, antiseptischen Umschlägen und Ad-
stringentien. — Einträufelungen von 2 proz. Protargol und Vk Arg. erzielten
keine nennenswerte Wirkung, dagegen gingen mehrmals nach wenigen Pinse¬
lungen mit 2 proz. Arg. Reizerscheinungen und Absonderung auffallend schnell
zurück. Im Anschluss daran schwanden dann auch die Veränderungen an
der Hornhaut. — Gegen die Follikel wurden Sublimatabreibungen, Terminql-
salbe, Blaustift angewandt, ohne dass ich den Eindruck einer schnelleren
Rückbildung hatte. — Das Leiden ist sehr hartnäckig. Ganz geheilt ist
noch keiner meiner Fälle, auch nicht der älteste, der vor Vi Jahr in Be¬
handlung kam und als Tjachom angesehen wurde. Die Follikel sind jetzt
zwar geschwunden, die Hornhaut ist klar geworden und geblieben, aber die
Conjunctiva tarsi et fornicis ist noch gerötet und verdickt und es besteht
noch eine leichte Ptosis.
Die subjektiven Beschwerden und Reizerscheinungen waren bei ilem
schweren Fällen so stark, dass Befreiung von der Schule bzw. Arbeit erfofeg!^'
musste.
Ich glaube, dass die Infektion durch das Wasser erfolgt, wenn auchi
ausnahmsweise andere Infektionsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen siid'.
Ueber die Inkubationszeit — die auf 2—3 Wochen angegeben wird —
kann ich keine Aussagen machen, da die Kranken, alles Mitglioder von.
Schwimmklubs, seit Monaten regelmässig das Bassin benutzt haben *).
Wenn es auch hier feststeht, dass die Zahl der Erkrankten grösatr als-
die zur Beobachtung gekommenen Fälle, so ist sie doch gering im Verhältnis
zu der Menge Badender, die täglich das s. Z. einzige Schwimmbad M.s auf¬
gesucht haben. Ich glaube, dass auch zu dieser Erkrankung eine Disposition,
notwendig ist, dass es Individuen gibt, die auf Reize verschiedener Art
mit starker Follikelbildung reagieren. Als Beispiel zeige ich Ihnen diesen
jetzt 22 jähr. Pat. mit einer typischen Badekonjunktivitis des R. A. —^ Der¬
selbe kam bereits vor 7 Jahren (Mai 1913) in meine Behandlung mit einer
hochgradigen Entzündung des l. A. — Die Lider waren wulstartig ge¬
schwollen, nach Ektropionierung springen riesige Exsudatwülste hervor, die
ohne wesentlichen Substanzverlust der Unterlage sich abziehen lassen. —
Man sieht nun, dass die ganze Konjunktiva voll grosser prominenter FoUiket
ist. Die Untersuchung der mächtigen, fast 2 mm dicken Membranen (Patho¬
logische Anstalt Prof. R i c k e r), ergab, dass sie aus Fibrin und mehr minder
zerfallenen, mehrkernigen Zellen aufgebaut, stark gelblich gefärbte Fremd--
körper enthielten, deren Natur nicht bestimmt zu erkennen, die Prof. R > c k e r
aber für pflanzlich zu halten geneigt war. — Kein verwertbarer Mikro¬
organismenbefund. — Membranbildung und Sekretion gingen damals langsam*
zurück, die Follikel blieben noch monatelang trotz aller Behandlung und
schwanden erst nach Ausquetschung ohne Hinterlassung von Narben. — Ende
November 1913, also 6 Monate nach dem linken, erkrankte dann das rechte
Auge ohne Exsudatmembranen und weniger heftig, sonst aber unter dem
gleichen Bilde: die ganze Conjunct. tarsi et fornicis voll grosser prominenter
Follikel. Die mannigfaltigste Behandlung hatte keinen sichtbaren Einfluss.
Ohne operativen Eingriff gingen im Laufe eines halben Jahres Entzündungs¬
erscheinungen einschliesslich Follikel restlos zurück. — Beiderseits war die
Hornhaut unbeteiligt geblieben. — Dieser Patient reagiert also augen¬
scheinlich auf verschiedenartiges Virus mit starker Follikelbildung.
Wenn auch bisher dauernde Schädigungen der Augen durch die Bade¬
konjunktivitis nicht beobachtet sind, so hat dieselbe doch sehr oft so erheb-
*) Z. Z. habe ich einen 12 jähr. Jungen mit einer einseitigen akuten
Konjunktivitis mit Follikelbildung in Behandlung, bei dem die Entzündung
7 Tage nach erstmaligem Besuch des Schwimmbades ausbrach, doch ist das-
Bild noch nicht charakteristisch für eine Schwimmbadkonjunktivitis.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
II. Februar 1921.
MÜNCMNEk MtSDiZiNlSChE WOCilENSCHRlPT.
193
liebe, iangdauernde, subiektive Beschwerden und dadurch bedingte Arbeits¬
unfähigkeit zur Folge, dass in jedem Falle eine energische Prophylaxe ge¬
fordert werden muss. — Auf meine Meldung hat der Kreisarzt das Bad
schJicssen und gründlich desinfizieren lassen. Seither sind neue Erkrankungen
nicht zur Beobachtung gekommen.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 21. Januar 1931.
Herr K. M a r e s c h: Die Venenmuskulatur der menschlichen Neben¬
niere.
Vor mehr als 40 Jahren hat Brunn darauf hingewiesen, dass die
Nebennieren Venen eine von den anderen Venen verschiedene Struktur auf-
weisen. In. der verhältnismässig dicken Wand der Vena centralis finden
sich grobe Züge von glatter Mrskulatur, deren Fasern longitudinal verlaufen.
Verfolgt man auf einer Schnittserie die Vene gegen das Organinnere, so
findet man, dass der Muskelmantel auf die gröberen Aeste übergeht, sich
aber bei den feineren Aesten nicht mehr als geschlossener Mantel nach-
weisen lässt und sich in vereinzelte Stränge und Fasern auflöst. Kleinere
.4este enthalten besonders im Mark nur zum Teil in der Wand Muskel¬
fasern; im allgemeinen kann man sagen, dass umso weniger Muskulatur
vorhanden ist. je kleiner die Gefässe sind. Schliesslich strahlt die Muskulatur
in das Stroma aus. Diese Muskulatur entwickelt sich erst während des
Kindesalters und erreicht zur Zeit der Pubertät ihre definitive Stärke. Im
allgemeinen ist man, gestützt auf die Analogie mit der Struktur der Darm-
waod. der Meinung, dass längsverlaufende Muskulatur, die einen Hohl¬
raum umgibt, das Lumen erweitert. Diese Auffassung, die sich auf die
Tatsache stützt, dass die sich kontrahierenden Muskelfasern dicker werden,
kann aber nur statthaben, so lange der Längsmuskelbelag einen geschlossenen
Mantel vorstellt. Die bei den meisiten Nebennierenvenen bestehenden ana¬
tomischen Verhältnisse gestatten wohl die Annahme, dass die lokale Kon¬
traktion zu einer Drosselung des Blutstromes beitragen und Volumschwan¬
kungen des Organs veranlassen kann.
Herr E. Freund: Wirkungen des galvanischen Stromes auf die Haut.
Es wurde bei Untersuchungen über Jontophorese langandauernde Latenz
von Wirkungen und Spätreaktionen beobachtet. Die Haut zeigt an der Stelle
der Applikation der Anode mehr Rötung, an der Kathode mehr Gefässver-
engerung und Gedunsenheit. Die Reaktionen sind bei Anwendung von destil-
iierteni Wasser oder Ouellwasser stärker als bei Verwendung von physio¬
logischer oder stärker konzentrierter Salzlösung. Die Wirkungen der Lösung
anderer Salze will Vörtr. nicht besprechen. Vortr. ging bei seinen Unter¬
suchungen genau nach den Vorschriften von Frankenhäusser vor.
Stromdauer und Stromstärke wurden vielfach variiert. K.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztilclier Bezirksvereia Erlaogen.
Sitzung.vom 24. Januar 1921.
Herr Hauck: Demonstration von 2 Fällen von Dermatitis exioUativa.
Herr Euler: Ueoer Selen an Stelle von Arsen zur Nekrotisierung.
Das Wichtigste aus den Versuchen ist folgendes:
Eine 30proz. Lösung hat ungefähr die gleiche Wirkung wie die Ver¬
wendung der reinen Substanz. Auf gesundes Gewebe äussert sich die
nekrotisierende Wirkung des Selen fast prompter wie die des Arsenik;
bei kranken Geweben geht die Nekrotisierung langsamer vor sich wie beim
Arsen, ist auch nicht so umfangreich. Histologisch fallt die geringere Wirkung
.iof die Blutgefässe auf: keine Hämorrhagien, nur mässige üefässerweiterung
und Stauung. Die Färbbarkeit der Gewebskerne ist auch nach mehrtägiger
finwirkung des Selen eine auffallend gute, dagegen leiden die Bindegewebs-
fustrn in sehr hohem Masse.
Herr Haas: Ueber den gegenwärtigen Stand der Itpithelkörperchen-
irage.
Geschichtlicher Ueberblick über die Erforschung der Epithelkörper, Dar-
äellung ihrer topographischen und histologischen Verhältnisse, ferner ihrer
Physiologie bzw. pathologischen Physiologie. Die verschiedenen Formen
üer Tetanie werden eingehend besprochen, die angenommenen Beziehungen
zwischen den Epithelkörpern und den anderen endokrinen Organen erörtert.
Hinweis auf die zwei verschiedenen Theorien vom Wesen der Tetanie. Be¬
sprechung der Behandlung. „Die beste Therapie ist die in der guten
Operalionstechnik liegende Prophylaxe!" Ein etwa entferntes Epithelkörper¬
chen ist, soferne rechtzeitig bemerkt, unter den entsprechenden Kautelen
sofort an anderer Körperstelle zu reimplantieren. Bei dieser Autotransplan-
tation ist voller Erfolg möglich. Unsicherer ist die Homoioplastik, aussichts¬
los die Alloplastik. Zu vermeiden ist die Verwechslung von Lymphdrüsen
oder Fettträubchen mit Epithelkörpern! Mit oraler Einverleibung von
Epithelkörpersubstanz kann in leichtwen Fällen ein Versuch gemacht werden,
bis der zurückgebliebene Rest der E.-K. sich kompensatorisch angepasst hat;
die Meinungen über diesen Weg sind noch sehr geteilt, Vorsicht in der
Erfolgsbewertung ist nötig.
Geschäftliches: Kassenbericht und Neuwahlen.
Kleine Mitteilungen.
Thaapeutlsche Notizea
Ueber Tartarus boraxatus und die Bormedikation
bgi der Behandlung der Epilepsie berichten Pierre Marie,
0 r 0 u z o n und B o u 11 i e r (Presse mddicale 1920 Nr. 73). Da trotz der
?Btem Erfolge der Bromtherapie bei Epilepsie sehr häufig mit derselben
Nebenerscheinungen, wie Verdauungsstörungen, Akne ur.d besonders psy¬
chische Depression, die längere Anwendung des Mittels schwierig gestalten,
•erbunden sind, so führten Verfasser obiges Mittel ein, dessen Wirksamkeit
^ich mit jener des Broms vergleichen lässt, das aber frei von jeder schwe¬
reren Nebenerscheinung zu sein scheint. Ohne natürlich die Anfälle voll*
Digitized by Goiisle
Ständig zum Verschwinden zu bringen, bewirkt der Tartarus boraxatus «iue
oft beträchtliche Abnahme derselben sowohl an Zahl, wie Intensität. Es
wird nun nach verschiedenen Versuchen eine einfache Lösung von 20 g Tarf.
bor. auf 300 ccm destillierten Wassers, wovon man 3 Esslöffel voll täglich
nimmt, verschrieben; diese tägliche Dosis von 3 g kann je nach Erfordernir
der Behandlung beträchtlich erhöht werden, da das Mittel bis zur Dosis von
20—30 g in 24 Stunden (als Laxans) ohne Nachteil gegeben wird. Unter etwa
hundert Fällen einfacher Epilepsie wurden 10 ausgewählt, die eine Intoleranz
gegen Brom zeigten und lange Zeit kein Mittel erhalten hatten. Die Anfälle
gingen unter der Bormedikation von ca. 30,5 pro Monat auf 18 im ersten,
11,5 im zweiten und 9 im dritten Monat zurück; ausserdem zeigt sich die
Wirksamkeit der Behandlung auch darin, dass sich die Krampfanfälle in
einfache Schwindelanfälle umwandelten und allmählich die Intensität der¬
selben abnahni. Vom dritten Monate der Behandlung an bleibt der Zustand
der Kranken der gleiche, die Anzahl der Anfälle nimmt nicht mehr ab, ihr
psychischer Zustand ist im allgemeinen gebessert und fast nie wurde, wie
so oft nach längerer Bromdarreichung, psychische Depression oder Magen¬
verstimmung beobachtet. Wenn wirklich sich Anzeichen von letzterer be¬
merkbar machten, so genügte es, auf einige Tage mit der Bormedikation
auszusetzen; einige Patienten gebrauchen das Mittel bereits 4 Monate ohne
Unterbrechung und befinden sich sehr wohl dabei. Diese vollständige Tole¬
ranz des Tartarus boraxatus ist eines der Hauptvorzüge vor den anderen
Borsubstanzen; Eiweiss wurde dabei niemals im Urin gefunden. Auch Kin¬
der vertragen sehr gut das Mittel (in der Dosis von 1—2 g pro Tag) und
auch bei ihnen nahmen die Anfälle bedeutend ab. Gleichzeitig Brom und
Borpräparate zu geben, erwies sich nicht als zweckmässig, aber zuweilen
von Vorteij, abwechselnd beide Mittel zu verabreichen. In gewissen
Fällen schien es sehr geeignet, gleichzeitig mit Tartarus boraxatus ein
Schlafmittel, Luminal oder Veronal (0,15—0,25 alle 2 Tage) zu geben. Die
Erfahrung hat aber gelehrt, dass die Erfolge nicht viel bessere sind, wie
mit den Bormitteln allein und von diesen schien der Tartarus boraxatus das
Mittel der Wahl gegen Epilepsie zu sein.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 9. Februar 1921.
Eine Begriffsbestimmung des Wortes „G e h.e i m m i 11 e 1" geben die
Ausführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz im § 62. Es heisst dort:
I. Unter den im § 15 11 Nr, 16 des Gesetzes angeführten Geheimmitteln sind
solche zur Erkennung. Verhütung, Heilung oder Linderung von Krankheiten.
Leiden oder Körperschäden aller Art oder zur Vermehrung oder Verminderung
körperlicher Leistungen bei Menschen oder Tieren bestimmten Stoffe oder
Zubereitungen zu verstehen, hinsichtlich deren die Annahme begründet er¬
scheint. dass sie entweder gesundheitsschädlich wirken (insbesondere auch
dadurch, dass sie von dem Gebrauche geeigneter Heilmittel oder ärztlicher
Hilfe abhalten) oder doch nicht gesundheitsfördernd wirken, oder dass sie
zur Ausbeutung oder zur Irreführung durch die Art ihrer Ankündigung oder
Anpreisung dienen können. 11. Umstände, nach denen die eine oder andere
Annahme (I) begründet erscheint, sind insbesondere darin zu erblicken, dass
1. die Stoffe oder die Bestandteile der Zubereitungen und deren Mengen¬
verhältnisse für jedermann geheimgehalten werden, oder 2. die Bestandteile
der Zubereitungen nach Art und Menge nicht bekamit sind oder nicht ohne
weiteres feststehen, oder 3. die Verbraucher über wesentliche Eigenschaften
des Mittels im dunkeln gehalten werden, oder 4. die Verbraucher durch An¬
gaben über Herkunft, Ursprung oder Herstellungsweise des Mittels in den
irrtümlichen Glauben an eine im besonderen Masse wirksame geheimnisvolle
Heilkraft versetzt werden, oder dass beim Vertriebe des Mittels täuschende
oder übertriebene Angaben über die HTeilkraft gemacht werden, oder 5. er-
fahrungsgemäss die Zusammensetzung der Zubereitungen willkürlich ge¬
wechselt wird, oder 6. von einer Heilwirkung bei den Stoffen oder Zu¬
bereitungen überhaupt nicht oder doch nicht gegenüber den in den An¬
kündigungen oder Anpreisungen angegebenen Krankheiten die Rede sein kann,
oder 7. der Preis der Mittel im Verhältnis zu den Herstellungskosten ausser-
gewöhnlich hoch ist. Der Umstand, dass Zubereitungen starkwirkende Stoffe
in nicht unbedeutender Menge enthalten, begründet für sich allein noch nicht
die Behandlung als Geheimmittel. III. Dagegen sind nicht als Geheimmittel
anzusehen solche Zubereitungen, die in das Arzneibuch für das Deutsche
Reich aufgenommen sind und unter der dort angewandten Bezeichnung -m-
geboten werden, und ferner dieienigen, die in der medizinischen Wissenschaft
und Praxis als Heilmittel allgemeine Anerkennung gefunden haben. IV. Das
Verzeichnis der hiernach unter die Geheimmittel fallenden Stoffe und Zu¬
bereitungen (§ 16 Satz 1 des Gesetzes) wird nach Anhörung des Reichs¬
gesundheitsamts und je eines Vertreters des Deutschen Aerztevereinsbundes,
des Reichsverbandes deutscher Tierärzte, des Deutschen Apothekervereins,
des Deutschen Drogistenverbandes von 1873, E. V., des Zentralverbandes der
chemisch-technischen Industrie, E. V., des Verbandes pharmazeutischer
Fabriken, E. V . und des Verbandes der Fabrikanten von Markenartikeln,
E. V., vom Reichsminister der Finanzen endgültig aufgestellt und im Reichs¬
steuerblatte veröffentlicht.
— In nachahmenswerter Weise haben die Kreisärzte der schlesischen
Kreise Waldenburg und Landeshut in den Kampf gegen die Tuber¬
kulose einpegriffen. Sie haben die Betriebsräte des Waldenburger Reviers
veranlasst dahin zu wirken, durch eigene Arbeit der Arbeiter und Angestellten
die Geldmittel aufzubringen, die zur Errichtung und Unterhaltung von
LungenheilstäHen nötig sind. Zu diesem Zwecke wird während eines Jahres
jeden Monat eine Stunde mehr gearbeitet. Aus der Bezahlung dieser Mehr¬
stunde. der „Wohlfahrtsstunde", wird der „Wohlfahrtsfonds" gebildet. Jedes
weitere Jahr wird eine Wohlfahrtsstunde geleistet. Von 37 000 Arbeitern
verfahren zurzeit etwa 10 000 die Wohlfahrtsstunde. In Rothenbach im Kreise
Landeshut wurde kürzlich für eine Heilstätte für die Bergarbeiterkinder eine
Ueberschicht verfahren, deren Betrag, ca. 200 000 M.. die Errichtung der
Heilstätte gesichert hat.
— Die preussische Regierung hat in Uebereinstimmung mit den in den
übrigen deutschen Ländern getroffenen Massnahmen gestattet, dass bis auf
weiteres in Krabbenkonserven 0,5 v. H. Borsäure verwendet
werden. Der Zusatz ist auf den Umhüllungen deutlich anzugeben. Be¬
stimmend für dieses Zugeständnis war der Umstand, dass ohne Borsäure
eine verkehrsfähige Ware nicht angefertigt werden kann, ferner, dass die
Bevölkerung Krabbenkonserven nicht regelmässig und nicht in grossen
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
194
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 6.
Mengen geniesst. Die Verwendung von Borsäure bei der Haltbarmachung
von Lebensmitteln bleibt auf Krabbenkcnserven beschränkt.
— In der tschechoslowakischcnRepublik trat am 1. Januar
d. J. eine Novelle zum Krankenversicherungsgesetz in
Kraft. Die wichtigste Neuerung ist die obligatorische Einführung der Fa¬
milienversicherung mit gleichzeitiger Erhöhung der Einkommensgrenze. Von
der Familienversicherung sind diejenigen ausgenommen, deren steuerpflichtiges
Einkommen 20 000 Kr. übersteigt Die Krankenunterstützung wurde von
39 Wochen auf 1 Jahr erhöht, das Krankengeld, bisher höchstens 6 Kr.
täglich, auf 24 Kr. Jedoch kann noch eine 14. und 15. Lohnklasse mit
einem Krankengeld voa 26 und 28 Kr. errichtet werden. Die bisherige
Karenzzeit für die ersten 2 Krankheitstage ist aufgehoben. Schwanger¬
schaftsgeld in der Höhe des Krankengeldes wird durch 6 Wochen vor der
Entbindung ausbezahlt. Das Krankengeld, das bisher durchschnittlich 66 Proz.
der Lohnklasse betrug, kann bis zu 90 Proz. erhöht werden, bei längerer
Krankheitsdauer ist eine weitere Erhöhung von 30 Proz. möglich.
Schw'angerschafts- und Wöchnerinnenunterstützung kann auch den Familien¬
versicherten durch je 6 Wochen vor und nach der Niederkunft gewährt
werden. — Um die Mittel für die erhöhten Leistungen zu gewinnen, werden
die Lohnklassen obligatorisch bis auf 36 Kr., fakultativ bis auf 42 Kr. erhöht,
die Qesamtbeiträge der Versicherten können bis auf 8 Proz. des durch¬
schnittlichen Verdienstes (bisher 6,6 Proz.) bestimmt werden. Arbeitgeber
und Versicherte zahlen je die Hälfte (bisher H zu *' 3 ).
Die bedeutungsvollste Aenderung für die Aerzte ist die Einführung der
freien Arztwahl. Das Oesundheitsministerium hat den Aerzten die Richt¬
linien für die Einführung der freien Arztwahl zur Abgabe eines (Jutachtens
übermittelt. Es steht zu hoffen, dass die im Gesetz vorgesehene paritätische
Kommission bald einberufen wird und die freie Arztwahl bald zur Zu¬
friedenheit aller Beteiligten durchgeführt werden kann.
— Das Reichsfinanzministerium hat entschieden, dass die Bezüge der
Aerzte aus der Kassenpraxis dem 10 proz. Steuerabzug nicht
unterliegen. ,
— Am Geburtshaus des kürzlich verstorbenen, in Bonn geborenen
Physiologen N. Z u n t z ist eine Gedächtnistafel angebracht worden.
Die Professoren P. Krause und Max V e r w o r n hielten bei der Feier
Ansprachen.
— Rockefeiler hat den drei medizinischen Fakultäten Oesterreichs,
Wien, Graz und Innsbruck, zur Anschaffung von Lehrmitteln den Betrag von
60 000 Dollar gespendet.
— In Madrid ist ein Institut für Biologie gegründet worden, das den
Namen „Institut Ramon y Cajal“ führt. Es besteht aus vier Ab¬
teilungen: für menschliche und vergleichende Histologie, für Neurologie,
Physiologie und vergleichende Pathologie.
— Der Vorstand der Gesellschaft deutscher Natur¬
forscher und Aerzte hat wegen der wirtschaftlichen Not in Deutsch¬
land davon abgesehen, in diesem Jahr eine Versammlung der Gesellschaft ab¬
zuhalten. Die 87. Versammlung wird 1922 nach Leipzig als dem Ort, in dem
vor 100 Jahren die erste Versammlung stattfand, einberufen werden. — Die
Erträgnisse der der Gesellschaft gehörenden Tränkle- und Adelheid-Bleich-
röder-Stiftung, die für die Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten auf
dem Gebiete der Naturwissenschaften und Medizin bestimmt sind, werden im
laufenden Jahr zur Verjgebung kommen. Bewerbungen sind in fünf Exem¬
plaren an Prof. Dr. R a s s 0 w - Leipzig, Nürnbergerstr. 48, als den geschäfts¬
führenden Sekretär zu richten.
— Der Bund der Organisationen technischer Assistentinnen an wissen¬
schaftlichen und industriellen Instituten (Botawi) hat sich ein Organ ge¬
schaffen in der Zeitschrift: „Die Technische Assist^nti n‘‘.
Monatsschrift für technische und wissenschaftliche Hilfsarbeit. Das Blatt will
sein: Mittler zwischen Nord und Süd und Sendbote dessen, was der Bund für
die Mitglieder erstrebt und. in gemeinsamer Arbeit durchzuführen hofft. Schrift¬
leiterin ist Elise Wolff, Berlin-Wilmersdorf. Bezugspreis für Nicht¬
mitglieder 12 M. jährlich.
— Die „Bayerische* Vereinigung wissenschaftlicher Hilfarbeiterinnen"
hat in ihrer letzten Vereinssitzung den Beschluss gefasst, ihren Namen in
„Bayerische Vereinigung technischer Assistentinnen
an wissenschaftlichen Instituten" abzuändern.
— Der soziale Ausschuss des Aerztlichen Bezirksvereins Nürnberg ver¬
anstaltet mit Unterstützung des Ministeriums des Innern und des Ministeriums
für soziale Fürsorge in der Zeit vom 6.—12. März im Luitpoldhaus in
Nürnberg Sozialhygienische Kurse. Das Programm ist auf
Seite 6 des Anzeigenteils d. Nr. mitgeteilt.
— Der 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für
Innere Medizin findet vom 18.—21. April 1921 in Whsbiaen unter dem
Vorsitze des Herrn Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Q. Klemperer - Berlin statt.
Hauptverhandlungsgegenstand ist: Die Behandlung der Lungentuberkulose.
Referate haben übernommen: Herr L. A s c h 0 f f - Freiburg über die natür¬
lichen Heilungsvorgänge bei der Lungenphthise, Herr U h l e n h u t h - Berlin-
Dahlem über die experimentellen Grundlagen der Tuberkulosetherapie, Herr
D. Gerhardt - Würzburg über die klinische Behandlung der Lungentuber¬
kulose, Herr L Brauer -Hamburg über die operative Behandlung der
Lungentuberkulose. Ausserdem findet eine Aussprache über d:n jetzigen
Stand der Diabetestherapie statt; den einleitenden Vonrig hat Herr
V. Noorden - Frankfurt a. M. übernommen. Bestellungen von Wohnungen
sind bis zum 1. April 1921 spätestens bei dem Städtischen Verkehrsbureau,
Abteilung Aerztliche Kongresse, erbeten.
— Die 45. Tagung der Deutschen Qcsellschaft für Chi¬
rurgie findet vom 30. März bis 2. April d. J. in Berlin statt. Vorsitzender
für das Jahr 1921 ist Geh. Rat Sauerbruch - München.
— Der Vorstand der Deutschen Dermatologischen Ge¬
sellschaft ersucht die Mitglieder der Gesellschaft dringend, bis spätestens
den 15. März ihre genauen Adressen — auch wenn sie sich nicht verändert
haben — und die Anmeldungen von Vorträgen und geschäftlichen Anträgen
an Geheimrat Jadassohn - Breslau, Maxstr. 1 einzusenden. Wer an dem
Kongress teilnehmen will, muss dies bis zum 15. März Herrn Prof. A r n i n g -
Hamburg, Klopstockstr. 18 mitteilen. Die ausführlichen Programme können
nur an diejenigen versandt werden, welche sich in dieser Weise angemeldet
haben.
— Für den XVI. Kongress der Deutschen Orthopädischen
Gesellschaft 1921 ist als Versammlungsort Berlin und als Zeit die
Pfingstwoche, vermutlich der 18.—20. Mai in Aussicht genommen. Am ersten
Tage soll über Knochen- und Gelenktuberkulose, am zweiten Tage über
Rachitis verhandelt werden.
— Die 12. Tagung der Deutschen Röntgen-Gesell¬
schaft wird am 3. und 4. April 1921 im Langenbeck-Virchow-Hause,
Berlin NW. 6, Luisenstr. 58—59 stattfinden. Ankündigung von Vortrügen bis
20. Februar an den Vorsitzenden R. Graessner, Köln, Bürgerho.spital.
Nichtmitglieder (nur Aerzte, Physiker, Techniker) können die Tagung be¬
suchen gegen Lösung einer Teilnehmerkarte zu 30 M. bei Herrn M e 1 z e r.
Langenbeck-Virchow-Haus.
— Das im Verlag von F. Enke in Stuttgart erscheinende, von A. Ba¬
gin s k y und A. M 0 n t i begründete Archiv für Kinderheilkunde
hat nach 40 jährigem Bestehen eine den Bedürfnissen der Neuzeit ent¬
sprechende Umgestaltung erfahren. Es will mehr als bisher durch Original¬
arbeiten und Referate den Bedürfnissen des Kinderarztes sowohl in der
Praxis wie im Fürsorgewesen entgigenkommen. Das Archiv wird von Erich
Müller- Berlin und C. Noeggerath - Freiburg i. B. geleitet. Es er¬
scheinen 2 Bände im Jahr zum Preis von je 60 J^.
— Unter der Schriftleitung des Herrn Oberarzt Dr, Klare in
Scheidegg wird eine neue Zeitschrift: „Die Kindertuberkulose“ im
Verlag der Aerztlichen Rundschau Otto Q m e 1 i n in München erscheinen.
Sie wird vorerst in zwanglosen Heften ca. 6 m*»’ jährlich herausgegehen
werden. Bezugspreis jährlich 20 M.
— Die Bibliothek W a 1 d e y e r s ist in den Besitz des Anti¬
quariats Paul Graupe in Berlin übergegangen.
— Pest. Senegal. Vom l. Januar bis 15. Oktober v. J. 6426 Er¬
krankungen und 4782 Todesfälle. — Brasilien. Von Januar ois Oktober v. J.
78 Erkrankungen (und 49 Todesfälle). — Ecuador. Vom 1. Januar bis
15. September v. J. in Guayaquil 53 Erkrankungen und 9 Todesfälle.
— Fleckfieber. Deutsches Reich, ln der Woche vom 23. bis
29. Januar wurde 1 Erkrankung in Berlin festgestellt. — Polen. Im Juni
v. J. wurden in Polen ausschliesslich der Kreise Minsk. Wilna und Brest-
Litowsk 12 337 Erkrankungen (und 1517 Todesfälle) gemeldet.
— In der 3. Jahreswoche, vom 16—22. Januar 1921, hatten von
deutschen Städten mit 10 000 und mehr Einwohner die grösste Sterblichkeit
Breslau mit 21,8, die geringste Neukölln mit 6,9 Todesfällen pro Jahr und
1000 Einwohner. Vöff. R.-Q.-A.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Der Zahnarzt Dr. Paul W. Simon hat die Leitung der
orthopädischen Abteilung des Berliner zahnärztlichen Universitätsinstituts mit
Beginn dieses Jahres übernommen, (hk.)
Bonn. Schüler und Freunde des Geh. Obermediz.-Rates Friedrich
S c h u 11 z e, früheren Direktors der medizinischen Klinik, hatten dem Jubilar
zu seinem 70. Geburtstage eine Büste zugedacht, die am 30.. Juni in der
Vorhalle der Klinik Aufstellung fand. Als Vertreter seiner Schüler nahm
Prof. Finkelnburg das Wort, dann sprach der jetzige Direktor der
Klinik Geh. Rat Hirsch. Der Gefeierte dankte mit bewegten Worten.
Die Büste ist in Marmor von dem Bonner Künstler Carl M e n s e r au'-
geführt worden. — Der ord. Honorarprofessor für gerichtliche Medizin.
Kinderheilkunde und Impftcchnik Geh. Med.-Rat Dr. Emil Ungar tritt zum
1. April d. J. in den Ruhestand, Der dadurch erledigte Lehrstuhl für gericht¬
liche Medizin ist dem a, 0 . Profess.ir an der Universität Königsberg Geh. Mi !.-
Rat Qerichtsarzt Dr. Georg Puppe angeboten worden, (hk.) — An Stelle
des in den Ruhestand tretenden Geh. Rat K u h n t wurden dem Ministerium
vorgeschlagen: An erster und gleicher Stelle Birch-Hirschfeld-
Königsberg und Wessely- Würzburg, an zweiter Stelle Schick- Halle,
an dritter Stelle Römer- Greifswald.
Halle a, S. Der Oberarzt der Ohren-, Nasen- und Kehlkopfklinik
Dr. Theodor Nühsmann hat sich für Oto-Rhino-Laryngologie habilitiert, —
Der Assistent am Physiologischen Institut Dr. phil. ct med. Ernst Q e 11 h 0 r n
hat sich für physiologische Psychologie habilitiert. — Dem Dozenten lür
Elektrotechnik am Polytechnikum in Cöthen Dr. phil. Müller ist ein Lehr¬
auftrag für Technik der Elektromedizin erteilt worden.
Leipzig. Dr. Josef Schüller, Assistent am Pharmakologischen
Institut der Universität, habilitierte sich für Pharmakologie mit einer Antritts¬
vorlesung: „Die physiologischen und pharmakologischen Stoff wecbsel-
synthesen,“ Habilitationsschrift: „Physiologische und pharmakologische Ver¬
suche am Rektum des Frosches." — Im laufenden Wintersemester w'eist die
Universität 5793 immatrikulierte Studierende auf, davon in der medizinischen
Fakultät 878, ausserdem 391 Studierende der Zahnheilkunde, (hk.)
Marburg. Privatdozent Prof. Dr. Friedrich L ö n i n g hal seit dem
1. Januar d. J. die Leitung der inneren Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses Harburg a. E. übernommen.
München. Die Universität zählt im Wintersemester 1920/21
8305 immatrikulierte Studierende, darunter 2570 Mediziner, einschliesslich
478 Studierende der Zahnheilkunde. — Der bisherige Privatdozent an der
Universität Bonn und nunmehrige Oberarzt der chirurgischen Abteilung des
Krankenhauses München-Nymphenburg Dr. Walter Capelle i.st als Privat¬
dozent für Chirurgie an der Universität zugelassen worden, (hk.) —
Dr. Georg Groethuysen, Assistenzarzt an der Universitäts-Augenklinik
in München wurde als Privatdozent für Augenheilkunde zugelassen, (hk.)
Tübingen. Von der medizinischen Fakultät wurden für Besetzung des
Ordinariats der Augenheilkunde an erster Stelle vorgeschlagen aequo loco;
Prof. Dr. Fleischer in Erlangen und Prof. Dr. Stock in Jena.
W ü r z b u r g. Als Privatdozent für innere Medizin wurde Dr. Alfons
Förster, Assistent an der medizinischen Klinik, zugelassen, (hk.)
Todesfälle.
In Stettin verschied am 2. Februar der chirurgische Chefarzt am dortigen ,
städtischen Krankenhause Prof. Dr. Heinrich H a e c k e 1 im 62. Lebens¬
jahre. Der ausgezeichnete Chirurg war 1859 zu Freienwalde a. Oder ge¬
boren, Von 1890—1897 wirkte er an der Universität Jena als Privatdozent 1
bzw’. als a. o, Professor. Später war er Chefarzt des Krankenhauses j
„Bethanien" in Stettin, von wo er an das dortige städtische Krankenhaus i
übersiedelte. Prof. H a e c k e 1 war 13 Jahre lang Vorsitzender des w issen- ,
schaftlichen Vereins der Aerzte in Stettin, (hk.) I
(Berichtigung.) In dem Bericht über den von Wendel vor- 1
gestellten Fall von inf. Myxödem (Med. Ges. Magdeburg Nr. 5, S. 158) ist in
der Anamnese die Erwähnung mehrfacher Erysipele unterlassen, auf die in I
der weiteren Krankengeschichte Bezug genommen ist. Schrftl.
"^^^ück
Verlag von ). P. Lehnana ta München S.W. 2. Paul Heysestr. 26.
von E. Mühlthaler*t Buch- und Kunstdr*ckerei A.O.. Mftnchm.
Digitized b]
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Prdsder dtizelnen Nummer 2.~ Jt. • Bezug^spreis in Deutschlana
. • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingung^en. • • •
Ansdccnschlusa Immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitung: Amnlfstr. 26 (Sprechstunden 8)^-1 Uhr),
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 7. 18. Februar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann. Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behält sich daa aoBSohlieaaliohe Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vdr.
Originalien.
Aus der Medizinischen Poliklinik Rostock.
Klinisches und Experimentelles Ober das anaphylaktische
8ronchialasthma der Fellfärber.
Von Prof. Hans Curschmann.
Die Asthmabehandlung der ärztlichen Praxis ist immer noch eine
ganz überwiegend symptomatische. Das ist — besonders bei der
Schwiere und Chronizität des Leidens — sehr bedauerlich und verlangt
nach Abhilfe. Diese kann nur einer zunehmenden Erkenntnis der
mannigfaltigen ätiologischen Faktoren entspringen. Solche ätio¬
logisch bedeutsamen und gleichzeitig der Therapie Handhaben bietende
Faktoren sind durchaus nicht so häufig, als man nach den Veröffent¬
lichungen spezialistischer Asthmabehandler anzunehmen geneigt war.
Die lange Zeit hochgeschätzte Nasen- und Rachenbehandlung (Anästhe¬
sierung, Aetzungen. operative Eingriffe) zeitigt nach der Erfahrung
der Internisten nur selten Dauerheilungen des Bronchialasthmas: das¬
selbe gilt von anderen Formen des „reflektorisch“ ausgelösten Asthmas,
dem Asthma uterinum, dyspepticum etc. Auch die Fälle von wirklich
psychogenem Asthma, das einer vorwiegend psychotherapeutischen
üebungsbehandlung (z. B. Sängers) zugänglich ist scheinen mir
nicht häufig; noch seltener solche, die ihr Heil in der Hypnose oder
Psychoanalyse finden. Unter allen meinen derartigen Patienten ist ein
einziger, der regelmässig durch Hypnosen (und nur durch sie) beein¬
flusst wird.
Dazu kommt, dass die genannten exogenen Momente allermeist nur
die Rolle der Auslöser spielen, dass das Leiden selbst aber in der
grossen Mehrzahl der Fälle endogen bedingt ist, in der vagotonischen
Konstitution oder Kondition des Kranken wurzelt. Alles das erklärt
und entschuldigt bis zu einem gewissen Grade die öde Symptomtherapie
und die geringen Fortschritte der ätiologischen Behandlungsweise des
.Asthma.
Wo liegen nun die Wege zur Besserung? Ich will diese Frage
durch den Hinweis auf nur zwei dieser Wege beantworten, die ich durch
eigene Erfahrung gangbar gefunden habe. Erstens halte ich es für not¬
wendig und lohnend, in allen Fällen der etwaigen konditionalen Rolle
des endokrinen Systems nachzugehen. IchD habe unlängst ge¬
zeigt, inwieweit Veränderungen der korrelativen Arbeit dieses Systems
(z. B. der Funktionsänderung von Ovar, Nebenschilddrüse. Schilddrüse,
Hypophyse, Thymus) für die Asthmagenese bedeutsam sein und zu einer
rationellen, weil kausalen Behandlung desNLeidens führen können. Es
?ilt das ganz besonders bezüglich des amenorrholschen und klimak¬
terischen und des parathyreogenen Asthmas, der Bronchotetanie. Die
engen Beziehungen zwischen der endokrinen Dyshormonie und anaphy¬
laktischen Reaktionen habe ich dabei ebenfalls erörtert. In den letzteren
liegt der andere Weg der Pathogenese und Therapie des Leidens.
Der anaphylaktische Schock als Auslöser eines
Bronchialasthmas — experimentell längst bekannt — ist klinisch
viel zu selten berücksichtigt worden. Man hat zwar das Heuasthma
als Ueberempfindlichkeit gegen das Polleneiweiss aufgefasst (neuerdings
sind meines Erachtens nicht berechtigte Zweifel an der anaphylaktischen
Natur der Erkrankung geäussert worden). Bei der eigentlichen „Serum¬
krankheit“ ist die Asthmakomponente, die ja auch meist gegenüber den
anderen Symptomen recht zurücktritt, kaum beachtet worden. Auch
hei den anaphylaktischen Wirkungen gewisser Nahrungsmittel hat man
sich stets mehr mit den Haut- als den Bronchialsyrnptomen be¬
schäftigt. Das gleiche gilt von der Ueberempfindlichkeit gegenüber
den halogenen Salzen. Von anaphylaktischen asthmaerzeugenden Wir¬
kungen der Pharmaka sind eigentlich nur die der Rad. Ipecacuanha in
Gestalt des „Apothekerasthmas“ bekannt geworden.
Dabei ist die anaphylaktische asthmaerzeugende Eigenschaft sowohl
individuell spezifisch wirkender Nährstoffe, als auch chemischer
Stoffe, z. B. der Industrie, der weiter ausbauenden Berücksichti¬
gung sehr bedürftig und zugänglich.
In ersterer Beziehung er>vähne ich die Untersuchungen von
J. A. T u r n b u 11 *), der nicht nur das Heufieber, sondern auch vaso-
D D. Arch. f. klin. Med. 132. H. 5 u. 6.
*) Boston med. a. surg; journ. Bd. 182 Nr. 20 zit. n. Kongr. C. Bl.
Bd. 13 H. 7. T. schildert 6 derartige Fälle, von deren Injektionsresultaten
ich folgende bervorhebe: F. 2. Ekzem und Asthma. Reaktion positiv auf
Weizen, Reis, Huhn, negativ auf Ei und andere Nahrungsmittel. F. 3.
Nr 7.
Digitized by Got 'Sle
mötrische Rhinitis und Bronchialasthma als anaphylaktisches Syndrom
gegenüber bestimmten pflanzlichen oder tierischen Eiweissarten auf¬
fasste und verlangte, dass alle derartige Fälle auf ihre Ueberempfindlich¬
keit „nicht nur gegen Vz, Dutzend, sondern gegen viele Eiweisse“ mittels
Injektion geprüft werden sollten.
In letzterer Beziehung weiße ich auf die Schädigungen durch den
z. Zt. dominierenden Farbstoff der Fellindustrie, das U r s o 1 hin, dessen
anaphylaktische Wirkung bisher völlig unbekannt war und mir
durch die Beobachtung des folgenden Falles klar wurde:
Kürschner V., in der Jugend völlig gesund, keinerlei Zeichen der exsuda¬
tiven Diathese, keine Neigung zu Bronchitis und Schnupfen. Seit 8 bis
10 Jahren typische schwere Anfälle von Bronchialasthma, anfangs ohne
ihm bekannte Ursache. Später bemerkte er, dass die Anfälle ganz regel¬
mässig nach Manipulieren mit dunkel gebeizten, d. i. mit U r s o 1 gefärbten,
Fellen auftraten, und zwar stets 8—12 Stunden nach der Arbeit mit den¬
selben. Zuerst empfand er regelmässig auffallende Trockenheit im Munde
mit abscheulichem Geschmack, dann Kopfweh, Schwindel, häufige Entleerung
von wasserhellem, reichlichem Urin; oft fleckige Röte und Nesselausschlag
der Haut und zum Schluss heftiger Husten mit Atemnot. Rasseln und Pfeifen
auf der Brust, Expektoration von glasigem, zähem Schleim. Dauer der An¬
fälle 3 —4 Tage. Besonders heftige Anfälle, nachdem er 2 Monate vorher
eingehend mit Ursol experimentiert hatte. W-ährend der Arbeit keine
besondere Störung, nur auffallender Bleigeschmack im Munde. Seit der Ver¬
schlimmerung bisweilen interparoxysmal und ohne Asthma Durchfälle, Er¬
brechen, Speichelfluss und Schwellung des Gesichtes. Ohne Ursolarbeit
niemalsAsthmaanfälle.
Befund im Anfall: Lungenblähung, starkes exspiratorisches Giemen und
Pfeifen. Im Blut 10 Proz. eosinophile Zellen. Im glasigen Sputum massen¬
haft eosinophile L., keine Spiralen. Herz- und Nervenbefund o. B. Keine
Tetaniesymptome. Urin o. B.
Da ich ein rein anaphylaktisches Asthma annahm, verordnete
ich Calc. chlorat. CGlykalz. Ritsert), das — trotz weiterer Arbeit mit
Ursolfellen — „tadellos gewirkt habe"; später Rückfälle, aber deutlich
gemildert.
Auf meine Veranlassung hat nun Herr C. Ger dom nach analogen
Fällen gesucht und in Rostock, einer an Kürschnereien armen Stadt,
nicht weniger als 6 weitere Ursolasthmatiker entdeckt*). .
Bei allen 6 Fällen sprachen ebenfalls für ein rein anaphylaktisches
Asthma folgende Momente: 1. Ungestörtes Arbeiten mit Ursol während
V 4 bis 10 Jahren; 2. akuter Beginn, aber nie sofort sondern meist
mehrere bis 24 Stunden nach dem Arbeiten mit Ursolfellen; 3. Auslösung
des Anfalls durch die geringsten Mengen* des Farbstoffs; 4. jedesmaliges
Repetieren des Asthmas auf die spezifische Noxe hin. auch, wenn nach
monate- bis jahrelangem Aussetzen dieser Arbeit und des Asthmas der
Färbebetrieb nur 8—14 Tage wieder aufgenommen wurde; 6. dauerndes
Aufhören des Asthmas sofort nach Entfernung aus dem schädigendem
Betriebe; 7. besondere Geruchs- und Geschmacksempfindungen für das
Ursol bei Ueberempfindlichen bzw. Asthmatikern (das für Normale völlig
geruchlos ist); 8. in keinem Falle konstitutionelle oder konditionelle Dis¬
position, weder hereditäres oder familiäres Auftreten, noch exsudative
Diathese der Jugend.
Die Symptome waren bei jenen 6 Fällen im übrigen ganz ähnlich
wie im Fall 1. nur traten in einigen Exophthalmus und Oedeme hinzu. Das
Symptom des ausgesprochenen Exophthalmus ist bemerkenswert, da es
im Asihmaanfall recht selten ist. Ich erinnere dabei an das von-mir*)
beschriebene Symptomenbild des kompletten intermittierenden Basedow
im Verlauf von Asthmaanfällen.
, Der Kürze halber möchte ich auf diese 6 Fälle nicht im einzelnen
eingehen, sondern nur einige besonders charakteristische Einzelheiten
der Fälle 6 und 7 erwähnen.
Fellfärber L., 68 Jahre, früher nie asthmatisch. 1903 Beginn der Ursol¬
arbeit, ein Jahr später schweres Bronchialasthma stets > 2 —1 Stunde nach
jener Arbeit, schliesslich alle halbe Stunden Repetieren der Anfälle; Pat.
„räuchert“ dagegen. Nach % Jahr verliess er den von ihm als schädlich
erkannten Betrieb und arbeitete in einer Färberei (Tuche!), lange Zeit auch
in einem Kalkofen. Er glaubte anfangs, bei dieser sehr
staubigen Arbeit sein Asthma wieder zu bekommen;
es blieb aber völlig aus, vom Tag^der Entfernung aus
der Fellfärberei an bis zum April 1912, d. i. 8 Jahre lang.
In der Annahme, nun endgültig geheilt zu sein, begann er im April
Vasomot. Rhinitis und Asthma. Positiv auf Rind, Schwein, Lachs, Lein¬
samen, negativ auf Weizen, Hafer, Mais, Roggen, Reis. Heilung auf Aus¬
schaltung dieser Nahrungsmittel, Rückfälle bei Genuss derselben. Die An¬
gaben T u r n b u 11 s bedürfen dringend der Nachprüfung!
*) Alle näheren klinischen und experimentellen Einzelheiten sind aus der
Arbeit C. Q e r d 0 m s: Zbl. f. Qew.-Hyg. 1920, Sept., Okt., Nov. zu ersehen.
*) Zschr. f. klin. Med. 76. H. 3 u. 4.
4
Original frDm
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
196
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
1912 wieder die Fellfärberei mit Ursol, um prompt nach
14 Tagen die alten, schwersten Asthmaanfälle wieder
auftreten zu sehen. Er hörte deshalb 4 Wochen später mit dieser
Arbeit auf. Seitdem — d. i. seit 8 Jahren — trotz seiner 68 Jahre
völlig asthmafrei.
Bemerkenswert ist auch Fall 7: Ein jetzt 45 jähr. Kürschner, der seit
dem 28. Jahr an Ursolasthma litt, durch Jodkali, Nasenopera¬
tionen (!) etc. nie gebessert wurde und als Soldat im Felde —
trotz schwerster Strapazen und klimatischer Einwirkungen — zu seiner
Verwunderung sein Asthma sofort und dauernd verlor.
Endlich sei noch das unwillkürliche Experiment meiner Laborantin
Frl. S., die bei der Herstellung: des Farbstoffs half, erwähnt: Sie trug seit
einigen Monaten einen frisch schwarz gefärbten Pelz (wegen der Kälte
auch oft im Zimmer). 2 Stunden nach jener Arbeit mit Ursol erlitt sie
plötzlich einen sch'Ä^eren anaphylaktischen Schock: Uebelkeit, Brech¬
reiz, „schauriger Geschmack“ im Munde, heftiger trockener Husten mit
Dyspnoe, aufsteigender Hitze, Schwindel etc. Im Blut 7 Proz. eosino¬
phile Leukozyten. Dauer des Anfalls 2 Stunden.
Vorher und hinterher (nach Aussetzen der Ursolarbeit) nie ähnliche
Anfälle.
Dieser Fall macht es wahrscheinlich, dass auch das Tragen eines
neuen ursolgefärbten Pelzes sensibilisierend für das Ursolasthma wirken
kann. Wir werden allerdings sehen, dass das Experiment (Mehl) diese
aktive Sensibilisierung durch eine allerdings nur kurz dauernde, wenn
auch intensive Inhalation nicht erweisen konnte.
lieber die Natur des genannten Ursolfarbstoffes sei kurz folgendes er¬
wähnt: 1888 entdeckte Erdmann'^), dass aus dem p-Phenylendiamin
durch schwache Oxyd:ition auf der tierischen Faser (Fell) sich ein tief-
.\H..
\
.schwarzer Farbstoff bildet. Das p-Phenylendiamin I I geht bei der Oxydation
NH
/\ xn,
mit HaOs in Chinondiimin i I über. Dieses ist in wässeriger Lösung nur
Nil
kurze Zeit beständig. Es lagern sich 3 Moleküle Chinondiimin zu polymeri-
siertem' Chinondiimin zusammen.
XH XII
l' ^ - XJ1<'~>-1I - f ^1
XM XU
Der auf der tierischen Faser entstehende eigentliche (durch Beimengung
weiterer Farbstoffe nuancierte) Farbstoff ist natürlich viel komplizierter als
der obige. In der Industrie heissen diese Farbstoffe Ursol D. DD und P.
Die Hauptgefährdung der Arbeiter geschieht nun anscheinend da¬
durch, dass der überschüssige Farbstoff in Staubform von den Fellen
abgerieben und dabei verstäubt und inhaliert wird. Die Aktiengesell¬
schaft für Anilinfabrikation Berlin SC. 36, die Herstellerin des Ursols,
hat deshalb sehr genaue Vorbeugungsmassregeln für die betreffenden
Arbeiter erlassen, die in der Anwendung von (^iummifingern, Inhalatoren,
Arbeiten unter Abzug und bei Staubsaugevorrichtung, Spülung (nicht !
trockener Bürstiing) der Felle und nachträglicher Händedesinfektion be¬
stehen. Sie haben in den Grossbetrieben die Zahl der Ursolasthmatiker
tatsächlich sehr veripindert; in den Kleinbetrieben und Kürschnereien,
die diese Massregeln meist nicht durchführen können, sind die Fälle aber,
wie wir sahen, noch recht zahlreich.
Die grosse praktische Bedeutung dieses Färbemittels und damit
seiner Schädlichkeit liegt nun darin, dass die Ursolfärbung einfacher,
rascher und namentlich billiger als jede andere Dunkelbeizung ist, also
angesichts der derzeitigen Unmöglichkeit, in Deutschland das teuere, j
ausländische „Blauholz“ zu bezahlen, die Färbung billigerer Pelzwaren i
konkurrenzlos beherrscht und noch auf Jahre beherrschen wird.
E r d m a n n und V a h 1 e n haben nun bei Versuchen mit Chinon¬
diimin. bzw. dessen beständiger Verbindung, dem Chinondiimin chior-
hydrat gefunden, dass es per os gegeben toxisch wirke (Ekzeme,
Durchfälle, Oedeme, Salivation etc.), intravenös und subkutan (ein¬
malig) eingespritzt jedoch nicht. Es war also möglich, dass sich aus
dem an und für sich ungiftigen Stoff durch die Verdauungssäfte ein giftiger
sich abspalte. P. Meissner“) hat neuerdings die enterale Toxizität
des p-Phenylendiamins bestätigt, allerdings bei Darreichung enormer
Dosen (0,29—0,52 g bei Kaninchen von 1300—2300 g); für den Menschen
von 60 kg würden das bis über 15 g bedeuten, eine Menge, die im
Färbereibetriebe unmögliah aufgenommen werden kann, lieber die
etwaige anaphylaktische Wirkung des Stoffs, die, wie wir sahen in praxi
allein in Frage kommt, hat Meissner nicht gearbeitet.
Vor bereits 18 Jahren (noch vor. Erdmann und Vahlen) hat
V. Criegern') über 40 Fälle von „Vergiftung“ mit Chinondiimin
bei Fellfärbern berichtet, die sich in Asthma bronchiale äusserte, mit
der bedeutsamen Feststellung, dass eine Gewöhnung an das Ursol nicht
erfolge, vielmehr mit der Zeit eine zunehmende Empfindlichkeit gegen
kleinste Mengen.
Meine, klinisch begründete, Anschauung, dass die Wirkung des
Chinondiimins in praxi nicht, wie E r d m a n n und Vahlen.
V. Criegern und neuerdings Meissner annahmen. eine t o x i -
®) E. Erdmann und Vahlen: Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm.
33. 1905. ^
*) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharm. 84. H. 4 u. 5.
^) Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1902 S. 457. Die auf¬
fallenderweise ganz unbeachtet gebliebene Arbeit war uns bei Beginn unserer
Untersuchungen übrigens noch nicht bekannt.
sehe, sondern rein anaphylaktische sei. bedurfte nun dei
Nachprüfung durch das Experiment, das auf meine Veranlassung Herr
C. Q e r d 0 m “) (unter Anleitung von H. Reiter. Hygien. Institut)
durchführte.
Es wurden Standardlösungen von J^hinondiimin frisch hergestellt
(0,5 g Ursol D in 10 ccm Wasser bei 80“ gelöst, dazu 10 ccm 5 proz.
HaOs) Meerschweinchen injiziert (0,1 und 0.2 intravenös und subkutan),
ohne dass nennenswerte Vergiftungserscheinungen auftraten.
Bei parenteraler Einverleibung besteht also, ganz entsprechend den
Untersuchungen von E r d m a n n und Vahlen, keine primäre Toxizität.
Das Blutserum des Ursolasthmatikers V. (Fall 1) erwies sich als
wesentlich toxischer, als Normalserum (Schock, Temperatursenkung
von 38,3 unter 35“, aber rasche Erholung der Tiere).
Der Versuch auf passive Anaphylaxie ergab:
a) 2 Meerschweinchen. Am 1. Tag 2,4 ccm Serum von Fall V., tags
darauf Chinondiimin (C. d.) 0.1 intravenös. Heftiger Schock, Tem¬
peratur bis 33,4 “. Kontrolltier (ohne Serumvorbehandlung) verträgt die
C. d.-Injektion ohne Schock.
b) Derselbe Versuch mit 2 und 3 Tagen Pause zwischen Serum V.- und
C. d.-Injektion (3 Tiere). Schock viel stärker, z. T. schweres klinisches
Asthma. Tier 6 t. Obduktion: schon makroskopisch Lungenblähung,
siibpleurale Blutungen; mikroskopisch: Venen stark gefüllt, Arterien
' verengt, Schleimhaut der kleinen Bronchien verdickt, Alveolen z. T. gesprengt.
c) Subkutane Injektion von C. d. bei mit Serum V. .sensibilisierten
Tieren ergibt geringen Schock und desgl. Temperatur.senkung; C. d.-Schock
aber doch deutlich stärker als bei nicht vorbehandeltem Kontrolltier.
d) Inhalation des C. d. - Staubes von frisch gefärbten Fellen,
ln allen 3 Fällen zuerst 1.8 ccm Serum V„ dann nach 2, 3 und 7 Tagen
C. d.-Inhalation von 6 Minuten Dauer. In beiden ersten Fällen schwerer
Schock, Asthma und 4 bzw. 5 Tage nach der Inhalation Exitus, im
3. Falle schwerstes Asthma und Schock, langsame Erholung.
1 Nicht vorbehandelte Kontrolltiere: .Auf intensive C. d.-Inhalation nur
i kurze konjunktivale und nasale Reizung, sonst völlig gesund geblieben. Bei
^ der Obduktion der Asthmatiere fanden sich: Lungenblähung, subpleurale
Blutungen. Alveolen erweitert, z. T. gesprengt. Bronchiallumina verengt,
z. T. völlig geschwunden; also alle Zeichen des akuten Asthmaanfalls.
Die Versuche auf aktive Anaphylaxie ergaben:
a) bei intravenöser Reinjektion: Bei 2 Tieren zuerst 0,45ccm
I C. d.; nach 18 und 16 Tagen intravenöse Reinjektion von 0,1 C. d.;
1 heftiger Schock. Temperatursenkung bis 34 ziemlich rasche Erholung.
b) Bei subkutaner Reinjektion nach 14 bzw. 17 Tagen (Sensibili-
j sierung mit C. d.) nur geringer Schock, rasche Erholung.
Die Blutuntersuchung ergab bei mehreren Tieren mit an. Schock und
I Asthma Eosinophilie bis 13 Proz. (bei Kontrolltieren nicht); ausserdem tiel eine
Vermehrung der Mastzellen (bis 5 Proz.) auf, die wohl auf eine anaphy-
j laktische Reizung der hämatopoetischen Organe zu beziehen ist.
Wir können also zusainmenfassen: Der anaphylaktische
Schock an passiv anaphylaktisch gemachten Tieren durch nach¬
folgende intravenöse Injektion von C. d. ist erwiesen: bei sub¬
kutaner Injektion ist er sehr wahrscheinlich.
Bei passiv überempfindlich gemachten Tieren gelingt es durch
nachfolgende Inhalation von C. d. schwersten Schock und Asthma
hervorzurufen.
Im aktiven anaphylaktischen Versuch gelingt es ebenfalls, bei
intravenöser Reinjektion von C. d. 15—18 Tage nach der ersten
Einspritzung ausgesprochenen Schock und Asthma hervorzurufen, bei
subkutaner Reinjektion nur geringer ausgesprochenen Schock.
Die Bronchialasthmakomponente dieses ausgesprochenen Schocks
wurde durch die klinische Beobachtung, den makroskopischen und mikro¬
skopischen Lungenbefund und die Eosinophilie des Blutes der Tiere be¬
wiesen.
Es ist damit experimentell erwiesen, dass, wie bereits die klinischen
Ergebnisse vermuten Hessen, das Chinondiimin auf nicht*
primär toxischem, sondern rein anaphylaktischem
Wege Asthma bronchiale hervorruft.
Das Chinondiiminasthma tritt also in direkte Analogie zu dem
bereits erwähnten, ebenfalls anaphylaktischen Ipekakuanhaasthma und
I dem Asthma der Pferdeknechte.
! Es sei hier erwähnt, dass auch gegen andere Arzneistoffe bei
I individueller Idiosynkrasie Anaphylaxie festgestellt worden ist und zwar
I im passiven Versuch, d. i. nach Sensibilisierung durch Einspritzung des
1 Serums von Leuten, die gegen Brom, Chinin (M a n i I o f f) *), gegen
I Jodoform und Antipyrin (Bruck)^®), gegen Arsen (Stäub li)’D u. a.
j überempfindlich waren.
I Die Feststellung der anaphylaktischen Natur des Ursol-
j asthmas hat nun nicht nur wissenschaftliches, sondern auch praktisches
! Interesse, Einerseits in gewerbehygienischer Beziehung (ich will darauf
! der Kürze halber nicht näher eingehen), andererseits für die individuelle
j Prophylaxe und Therapie.
Wenn eine rein toxische Wirkung vorläge, so wäre die Therapie
ziemlich machtlos^ Dem anaphylaktischen Schock hingegen
kann man — bisweilen — durch prophylaktische Kalziumbehandluiig,
wie W right zuerst, besonders für die Serumkrankheit gezeigt hat,
Vorbeugen.
Seine Anwendung lag um so näher, als sich das Kalzium bereits bei
„genuinem“ Asthma (Kaiser, J a n u s c h k e), Heuasthma und dem
parathyreogenen Asthma, der Bronchotetanie (Hans C u r s c h m a n n,
Lederer, Rietschel) bewährt hatte.
] ") 1. c. ®) Zschr. f. Imm.-Forsch. u. Tlicr. Orijj. XI. 5. 425,
'") Arch. f. Derm. 96. 1909.
' ”) D.m.W. 1912 S. 2482.
Digitized by Goiisle
■ Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
IN. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
m
Andere antianaphylaktische Methoden, insbesondere die Vor- |
behandlung mit unterschwelligen Dosen der spezifischen Noxe ver- |
sprachen gerade beim Ursolasthma keinen Erfolg. Zudem hatte das
Kalzium per os bei Pat. 1 ja auch entschieden gewirkt, deutlich stärker,
als alles, was Pat. bisher je angewandt hatte.
Herr Otto M e h 1 untersuchte deshalb auf meine Veranlassung,
ebenfalls unter freundlicher Anleitung von Herrn Kollegen H. Reiter,
die etwaige prophylaktische Wirkung des Calc. chlorat. gegenüber der
Chinondiiminanaphylaxie.
Da ich frisches Ursol-Asthmatikerserum leider damals nicht be¬
schaffen konnte, veranlasste ich Mehl, seine Versuche im aktiven
.4.-Versuch zu machen und zu diesem Zweck zuerst nochmals die Mög¬
lichkeiten der aktiven Sensibilisierung mit C. d. festzustellen. Er fand,
dass bei intravenöser und subkutaner Sensibilisierung der Meer¬
schweinchen mit C. d. (0,15) die intravenöse Reinfektion von C. d.,
17—18 Tage später, stets anaphylaktischen Schock, z. T. Asthma her¬
vorruft, die subkutane Reinjektion und die Reinhalation von C. d.
jedoch nicht. Auch lässt sich die Sensibilisierung durch kurze Inhalation
von C. d. nicht bewirken (d. i. im Experiment! die Praxis besorgt
zweifellos die Sensibilisierung ausschliesslich durch die allerdings
monatelang fortgesetzte Inhalation).
Wurde den Tieren nun 10 Minuten bis 1 Stunde vor
der intravenösen Reinjektion — nach dem Vorgänge von
W. H e u b n e r und R o n a ^*) — 2 ccm einer 5proz. Lösung von
Calc. chlorat. eingespritzt, so blieben ausnahmslos
anaphylaktischer Schock und Asthma völlig aus,
während die Kontrolltiere (ohne Kalzium) zum Teil dem anaphylaktischen
Schock erlagen, zum Teil schwer krank und asthmatisch wurden
Es ist also auf dem Wege einer sicheren raschen, wxnn auch nur
kurzfristigen pharmakologischen Einwirkung des Kalziums, wie ihn
W. H e u b n e r durch seine Kalziuminjektions- und -inhalationsversuche
neuerdings gezeigt hat, theoretisch höchstwahrscheinlich möglich, dem
menschlichen Ursolasthma vorzubeugen (und nicht nur ihm. sondern
auch anderen Formen des Asthmas, insbesondere dem anaphylaktischen).
•Allerdings halte ich die intravenöse oder subkutane Injektion auf
die Dauer für praktisch unmöglich, zumal die subkutane Injektion (Kal-
zine sowohl, wie die H e u b n e r sehe Dosierung) im Experiment leider
recht häufig sterile Abszesse erzeugte.
Hier könnte die Inhalation des Chlorkalziums, die nach
W. H e u b n e r den Kalziumspiegel des Blutes (im Tierexperiment) an¬
nähernd in demselben Masse auf kurze Zelt erhöht, wie die subkutane
und intravenöse Einspritzung, vielleicht von grosser Bedeutung werden.
Diese Inhalation (80 Proz. der gesättigten Calc.-chlorat.-Lösung), die
wie meine Erfahrungen gezeigt haben, überraschend gut vertragen
werden und in manchen Fällen ganz ausgezeichnet und prompt zur
Beendigung der jeweiligen Asthmaperiode führt, bedarf allerdings zur
wirklichen ausreichenden Resorption nach W. Heubner eines Drucks
von 1,2—1,5 Atmosphären, ist also, da dieser Druck durch kleine Ap¬
parate mit Handgebläse nicht erreicht werden kann, einstweilen auf die
bekannten grossen, elektrisch betriebenen Apparate, d. i. auf Inhalatorien
und Krankenhäuser beschränkt.
Einen Versuch zur „Sanierung“ der Ursolasthmatiker unseres Be¬
zirks mit dem Kalzium-Inhalationsverfahren wird unternommen und über
ihn berichtet werden.
Zusammenfassung: Das p-Phenylendiamin- (UrsoD- Asthma
der Felifärber und Kürschner, eine in kleineren, hygienisch noch unvoll¬
kommeneren Betrieben relativ häufige und schwere Erkrankung, zeigt
klinisch alle Symptome der Anaphylaxie. j
Es gelingt sowohl im passiven als im aktiven Versuch an Meer-
ifchweinchen den anaphylaktischen Charakter dieses Ursolasthmas nach¬
zuweisen, besonders schw'er, wenn nach Sensibilisierung mit Ursol-
jsthmatikersefum die Aufnahme des Stoffes mittels Inhalation erfolgt.
Durch prophylaktische Kalziuminjektionen gelingt es regelmässig,
dem anaphylaktischen Schock und Asthma völlig vorzubeugen.
Die Kalziumprophylaxe in Form der Inhalation wird für die Arbeiter
der Fellfärberei und Kürschnereien vorgeschlagen.
-Aus der Universitätsklinik und Poliklinik^ für Hautkrankheiten
zu Greifswald. (Vorstand: Prof. W. Schönfeld.)
Ueber die einzeitig kombinierte intravenöse Quecksilber-
salvarsanbehandlung der Syphilis unter besonderer BerOck-
sichtiguog von Novasuroi-Silbersalvarsanmischungen*).
Von Prof. W. Schönfeld.
Der römische Kliniker Guido Baccelli [ll hat als erster (1894)
d e Syphilis mit intravenösen Ouecksilberinjektionen in Form von täglichen
Iprcm. Sublimateinspritzungen erfolgreich behandelt. B lasch ko [2l
berichtet dann auf der Naturforscherversammlung in Wien 1894 über
Hine Erfahrungen mit dieser Methode. Er hatte eine 0,3 bzw. 0,6 proz,
8ublimatlösung genommen.
Aber diese Art der Behandlung der Syphilis scheint, in Deutschland
wenigstens, in Vergessenheit geraten zu sein, wohl weniger wegen ihrer
*’) Dissert. Rostock 1920, erscheint 1921 im Zbl. f. Gew.-Hyg.
Biochem. Zschr. 93. H. 3 u. 4.
*) Teilweise als Vortrag gehalten in dem Med. Ver. zu Greifswald,
^!t^u^g vom 10. XII. 1920.
Erfolglosigkeit als wegen der Umständlichkeit’) der Anwcnduiigswcise
und den örtlichen Nebenerscheinungen an den benutzten Venen
(Thrombenbildung!).
Li ns er [8] hat dann (1919) wieder die intravenöse Sublimat¬
behandlung der Syphilis aufgegriffen und als etwas Neues die gleich¬
zeitige intravenöse Anwendung einer Mischung von Neosalvarsan bzw.
Salvarsannatrium und einer 1 proz. Sublimatlösung in die Behandlung
eingeführt. Qine Art der Behandlung, die wir nach dem Vorschlag von
Bruck [3] wohl am besten „als einzeitig kombinierte Behandlung“ be¬
zeichnen.
Ausser L i n s e r (81 und seinem Schüler Z i r n 112l haben sich bisher
noch Bruck [3], Out mann (6], Holzhäuser (7], Löwen-
stein [9] und andere mit diesen Sublimats^lvarsaniniektionen beschäf¬
tigt bzw. darüber etwas veröffentlicht. Sie konnten im grossen und
ganzen die Erfahrungen L i n s e r s bestätigen, nämlich eine gute Be-
einflussbarkeit der klinischen Erscheinungen, eine bequeme Art der An¬
wendung und gute Verträglichkeit. Ueber die Beeinflussung der WaR.
gehen die Ergebnisse auseinander. Out mann f6l erzielte nicht die
gleich gute Wirkung wie L i n s e r [8], Z i r n [12] und Bruck f3l.
Ueber die Dauerwirkung finden wir aus naheliegenden Gründen nur
etwas in den Arbeiten von Linse r [S] und Zirn fl2l, deren Beob¬
achtungen sich auf 2 Jahre erstrecken.
Li n s e r [8] kennt „kaum ein paar Fälle, bei denen nach einer voll¬
ständigen Kur die WaR. nicht dauernd negativ geworden w'äre“ und
Zirn [12] kommt zu dem Ergebnis: die „Dauererfolge, soweit sie über
2 Jahre beobachtet werden konnten, sind gut“.
Bruck und Becher [4] haben dann bei einer weiteren Reihe
von Fällen als neues Ouecksilberpräparat statt des Sublimats das Nova-
surol (Fa. Bayer, Elberfeld) verwendet, besonders weil das Novasurol
„neben lokaler guter Verträglichkeit die Einführung relativ hoher Hg-
Dosen ermöglicht“.
Zieler [11] hat inzwischen auch im Anschluss an das L i n s e r -
sehe Verfahren über ähnliche Versuche wie Bruck und Becher [4]
an 64 Fällen berichtet. Er findet ebenfalls die Wirkung auf die klinischen
Erscheinungen gut und schnell, die Dauerwirkung (WaR. usw.) noch
nicht beurteilbar.
Unsere eigenen Versuche liegen seit Mitte Juli 1920 zurück und um¬
fassen die Fälle bis zum 31. XII. 20. Ueber einen Teil habe ich bereits
im Medizinischen Verein zu Greifswald in der Sitzung vom 10. XII. 20
berichtet.
Wir haben zwei Hauptgruppen von Versuchen angestellt
In der I. Gruppe gaben wir
a) das Neosalvarsan (NS.) l. in Verbindung mit 1 proz. Sublimat-
b) das Silbersalvarsan (SS.) f lösung,
in der II. Gruppe gaben wir
a) das Neosalvarsan (NS.) )
b) das Salvarsannatrium (Sn.) | in Verbindung mit Novasurol.
c) das Silbersalvarsan (SS.) ]
Bisher woirden im ganzen nach diesen Methoden 154 Fälle mit
1277 Einspritzungen behandelt.
Da über die gleichzeitige intravenöse Anwendung von Sublimat
und NS. schon mehrere Veröffentlichungen vorliegen, da wir ebenso
über die Kombination von NS. bzw. Sn. mit Novasurol schon •einiges
wissen, so kann ich mich über unsere eigenen Fälle, sow'eit sie mit
diesen Mitteln behandelt worden sind, kurz fassen.
EtNyas eingehender sind die Fälle mit SS.-NovasuroI zu betrachten,
. da über diese Art der Beandlung noch keine Erfahrungen vorliegcn
• bzw. noch nichts veröffentlicht worden ist.
Ueber die chemische Zusammensetzung der Mischungen ist noch
nichts Eindeutiges bekannt, obwohl man sich mit dieser Frage bereits
beschäftigt hat (v. Bülow und Schmitz [5], Pharmazeutische Ab¬
teilung der Elberfelder Farbw^erke, siehe auch bei Bruck und
Becher [4]).
la. Mit dem Neosalvarsansublimatgemisch (nach
Linse r) wurden 12 Fälle mit 93 Einspritzungen behandelt (1 Syphilis
latens mit .+ WaR., die anderen frische unbehandelte Fälle von
Syphilis II).
l b. Mit den Silbersalvarsansublimatgemischen
wurden 5 Fälle mit 41 Einspritzungen behandelt (5 Syphilis I u. II mit
Erscheinungen).
Bei den zu Ende behandelten Fällen bestand eine vollständige Kur
in etwa 10—12 Einspritzungen mit durchschnittlich 4,5—5,5 NS. bei
Männern, bei Frauen mit 4,0—4,5 g NS.; beim SS. ebenfalls in 10—12 Ein¬
spritzungen mit 2,0—2,5 SS. beim Manne, bei der Frau mit 1,5—2,0,
dazu Sublimat in der Gesamtmenge von 0,35^,4 beim Manne, von
0,25 —0,3 bei der Frau mit einer durchschnittlichen Einzcidosis beim
Manne von 0,03, bei der Frau von 0.02.
Die Kur verteilte sich auf 5—6 Wochen, die Injektionen erfolgten
im Abstand von 3—4 Tagen.
Die Dosierung der Mittel ist im grossen und ganzen, besonders die
des Sublimats, höher als es L i n s e r angew-andt hat. Sie ist selbst¬
verständlich keine rein schematische, sondern sie hat unter Berück¬
sichtigung von Alter, Geschlecht, Gewicht und sonstigem Körperzustand
zu erfolgen.
*) Vor der intravenösen Anwendung des Salvarsans Wurde zweifellos
die intravenöse Anwendung von Arzneimitteln, dazu noch die tägliche bei
den Sublimatinjektionen als ein mehr oder Weniger grosser umständlicher
operativef Eingriff empfunden! —
4*
Digitized
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
m
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Die Rückbildung der klinischen Erscheinungen tral durchschnittlich
nach 4—5 Injektionen innerhalb der ersten 14 Tage bis 3 Wochen ein.
Drüsenschwellungen wurden allerdings in dieser Zeit
nicht beeinflusst.
Soweit man aus diesen wenigen Fällen einen Schluss auf das Ver¬
halten der WaR. ziehen darf, ist die Wirkung auf die serologische Kurv6
nicht schlechter gewesen, als bei der alleinigen Silbersalvarsanbehand-
lung (s. u.).
An Nebenwirkungen sahen wir ausser einer geringen Hg-Stomatitis
und zweimaligen Temperaturen über 38,5® bei der ersten Injektion nichts
besonderes. Bei höheren Einzelgaben als 0,03 Sublimat trat allerdings
eine Verhärtung der Venenwand, unter Umständen auch eine vollständige
Thrombosierung ein.
Ehe ich auf Einzelheiten unserer Ergebnisse bei den Salvarsan-
novasurolfällen (Gruppe II a, b, c) eingehe, sei die Zubereitung der
Lösungen, die Technik der Anwendung, das Behandlungsmass. wde es
sich allmählich ausgebildet hat, kurz erwähnt.
Die Zubereitung der Lösungen: Zu dem in etwa 5—6 ccm
frisch destillierten Wassers in einer Glasspritze' (keiner Rekordspritze)
aufgelösten NS., Sn., SS. (von 0,45—0,6 g NS. bzw. Sn., 0,25 SS. bei
Männern; 0,3—0,45 NS. u. Sn. bzw. 0,15—0,2 SS. bei Frauen) werden
0,5—1,0—1,5—2,0 ccm Novasurol aufgesaugt.
Die Glasspritzen werden ständig in Alkohol aufbewahrt und vor
der Anwendung mit sterilem destilliertem Wasser durchgespritzt.
. Die Lösungen greifen die Nadeln sehr an, daher nur mit gut ver¬
nickelten Nadeln arbeiten!
Die Technik der Anwendung unterscheidet sich natürlich in
nichts von der sonst bei der intravenösen Anwendung von undurchsich¬
tigen Lösungen üblichen. Empfehlenswert ist eine langsame Ein¬
spritzung.
Als Mass der Behandlung haben wir folgendes zugrunde
gelegt:
1. Tag 0,45 NS. bzw. Sn. bzw. 0,2 SS. + 1,0 Novasurol,
4. „ 0,6 NS. ., Sn. „ 0,2^ SS. + 2,0
8. „ 0,6 NS. „ Sn. „ 0,25 SS. -h 2,0 „ usw.
Bei Frauen (s. unter Zubereitung der Lösungen) beginnen wir mit
0,3 NS. bzw. Sn. oder ^,15 SS. + 0,5 Novasurol und steigen beim NS.
und Sn. nicht über 0,45, beim SS. nicht über 0,2, beim Novasurol nicht
über 1,5.
Die Zahl der Einspritzungen beträgt bei einer Syphilis I mit nega¬
tiver WaR. und unter der Kur bei wöchentlicher Untersuchung auch
negativ bleibenden WaR. 8—9, bei einer Syphilis I mit positiver WaR.
und Syphilis II durchschnittlich 12 Einspritzungen.
Die durchschnittliche Gesamtmenge beträgt bei Männern bei einer
Kur 5,0—5,5 g NS. bzw. Sn. und 2,5 g SS. + 15—20 ccm Novasurol,
bei der Frau 4,0—4,5 g NS. bzw. Sn. und 1,8—2,0 g SS. Die Novasurol-
gesamtdosis ist hier etwa 12—15 ccm.
Die Dauer der Kur beträgt 6 Wochen.
Es ist selbstverständlich, dass man im Einzelfalle auch wieder je
nach der persönlichen Verträglichkeit die E^psen und auch die Zwischen¬
räume zwischen den einzelnen Einspritzungen unter Umständen um-
ändera muss.
Bei sämtlichen Frühfällen, ausschliesslich einer Abortivkur bei einem
W%R. neg. PA., wird nach 4—5 Wochen, wenn irgend angängig, eine
Nachkur von derselben Höhe eingeleitet
In solcher Weise haben wir nun in der Gruppe II bisher behandelt
a) mit Novasurol -f NS. 10 Fälle mit 145 Einspritzungen,
b) mit Novasurol + Sn. 17 Fälle mit 156 Einspritzungen,
Verwertbar zur Gesamtbeurteilung sind von diesen beiden Versuchs¬
reihen 16 Fälle mit 179 Einspritzungen.
c) mit Novasurol + SS. 101 Fälle mit 842 Einspritzungen.
Im ganzen verfügen wir also. bei diesen Salvarsannovasurol-
gemischen über 137 Fälle mit 1143 Einspritzungen.
IIa u. b. Bei den Neosalvarsannovasurol- bzw. Sal-
varsannatriumnovasurolgemischen war die Beeinflussung der
klinischen Erscheinungen ebenfalls recht günstig, vielleicht sogar noch
etwas schwer als bei den mit Sublimat behandelten Fällen.
Aber die Drüsenschwellungen gingen auch nur langsam zurück.
Die Beeinflussung der WaR. war kaum anders als bei den Sublimat-
salvarsangemischen; sie reicht an die günstigen Erfahrungen Brucks
und Bechers f4l nicht heran.
Die Verträglichkeit war gut bei dem Neosalvarsannovasurol, beim
Sälvarsannatriumnovasurol dagegen erlebten wir des öfteren Schüttel¬
fröste und Erbrechen, besonders bei poliklinischen Patienten, deshalb
geben wir es nicht mehr. Arzneiexantheme wurden nicht beobachtet.
IIc. Silbersalvarsannovasurolfälle: Mit der Kom¬
bination von SS. und Novasurol haben wir die meisten Fülle behandelt,
deswegen, weil das SS. ja an sich ein wirksameres Präparat ist als das
Neosalvarsan und darum die Annahme, theoretisch wenigstens, gerecht¬
fertigt ist, dass es auch in Verbindung mit Novasurol kräftiger wirken
würde als das Neosalvarsan.
Bei der Beeinflussung der klinischen Erscheinungen und der Haut
fiel uns kein deutlicher Unterschied in die Augen gegenüber der Wirkung
der anderen Salvarsannovasurolgemische.
Schleimhauterscheinungen im Munde waren allerdings fast immer
schon nach zwei Einspritzungen verschwunden: das dauerte bei den
anderen Gemischen vielleicht etwas länger.
Drüsenschwellungen wurden auch langsam betinflusst.
Bei dem Verhalten der WaR. bzw. ihrer B^einflussbarkeit durch die
Behandlung sind ja von vornherein je nach der Art des Falles Ver¬
schiedenheiten zu erwarten. %
Bei seropositiver Primärsyphilis und frischem Erstlingsexanthem
wird eine positive WaR. im aligemeinen bei geringerer Dosierung und in
kürzerer Zeit negativ werden, als bei länger bestehenden Rückfalls¬
erscheinungen. Das Krankheitsalter, die Güte der vorausgegangenen
Kur, nicht zuletzt die Körperbeschaffenheit des Kranken selbst sind hier¬
für ebenfalls von Bedeutung.
Um einen Einblick in das Verhalten der WaR. bei der alleinigen
Silbersalvarsanbehandlung zu bekommen, hatten Birnbaum und
ich [10] seinerzeit an der Würzburger Hautklinik bei solchen Fällen
wöchentliche WaR.-Untersuchungen angestellt. Unsere damaligen Er¬
gebnisse waren folgende:
„Die Wirksamkeit (des Silbersalvarsans) auf das serologische Ver¬
halten ist eine wechselnde. Frühsyphilis mit positiver WaR. und kurz
zurückliegendem Krankheitsbegir^i wird durchschnittlich in Vs der Fälle
nach 6 Wochen negativ, bei % der Fälle trotzt die WaR. der Behand¬
lung. Aeltere allgemeine Syphil^ mit positiver WaR. verhielt sich bei
der von uns geübten Dosierung (11—12 Injektionen, innerhalb von
8—12 Wochen. Gesamtdosis 2,95) refraktär.“
Hier in Greifswald war es mir nicht möglich, bei den in Betracht
kommenden Fällen die WaR. wöchentlich anzustellen, sondern höch¬
stens zweimal, am Anfang und gegen Ende der Kur, ausser bei WaR.-
negativen Primärfällen, mehr zahlen die Kassen und die Patienten auch
nicht. Ein Vergleich mit den eben erwähnten Silbersalvarsanfällen ist
daher nur annähernd möglich.
Es ergibt sich aber, dass die WaR. bei WaR.-positiven Primärfällen
in etwa 5 Wochen bei einer Gesamtdosis von 2,5 SS. -\- 20,0 ccm No¬
vasurol negativ wird, bei frischen Sekundärfällen etwas nach dieser
Zeit.
Es gibt auch besonders schwere Erstiingsexantheme, bei denen die
positive WaR. auch bei einer zu Ende geführten Kur noch nicht um¬
geschlagen war. Vergleichen wir den Ausfall mit dem bei alleiniger
Silbersalvarsanbehandlung. so ist er etwas besser als der bei dieser
Methode erzielte. Er scheint aber doch nicht an den heranzureichen, den
man bei kombinierter zweizeitiger Behandlung früher erreichen konnte.
Die Einwirkung auf die WaR. ist im allgemeinen
bei Frühsyphilis befriedigend zu nennen, jedenfalls
besser als bei alleiniger SS.- Behandlung.
An Nebenwirkungen haben wir bej den Silbersalvarsan-Novasurol-
gemischen bisher nur kurz vorübergehende gesehen.
Stomatitis wurde 6 mal bemerkt, Albumen im Urin in keinem Fall,
Exantheme 4 mal, Ikterus 1 mal.
Bei den hier auftretenden Exanthemen wird natürlich die Frage
mitunter kaum lösbar sein, ob das Exanthem der Hg- oder Salvarsan-
komponente zuzuschreiben ist.
Ueber die Dauerwirkung lässt sich noch nichts Endgültiges sagen.
Ist nun diese Art der einzeitigen kombinierten
intravenösen Ouecksilber-Salvarsanbehandlung ein
Fortschritt bzw. eine Bereicherung uns-erer bis¬
herigen SyphilisbehandLung?
Bis auf wenige Ausnahmen stehen heute fast alle erfahrenen Syphi-
lidologen auf dem Standpunkt, dass man am besten den Syphilitiker,
womöglich jeden Stadiums, zum mindesten solche, die bereits eine posi¬
tive WaR. im Blut haben, gleichzeitig mit Hg -f- Salvarsan behandeln
soll, und zwar in der Weise, dass man das Salvarsan intravenös, das
Hg intramuskulär oder perkutan gibt.
Durch die intravenösen Salvarsangaben erreichen wir eine schnellere
Beeinflusung der klinischen Symptome, durch die intramuskulären Hg^
Gaben eine nachhaltendere Wirkung besonders auf die WaR. Bei den
frischen Fällen (PA. mit negativer WaR., PA. mit positiver WaR.;
fflsche Erstlingsexantheme) können wir nun nach unseren Erfahrungen
vielleicht daran denken, dadurch, dass wir gleichzeitig das Hg mit intra¬
venös geben, auf die intramuskuläre Hg-Therapie ganz zu verzichten,
eine Wiederholung der Kur womöglich nach 4—5 Wochen vorausgesetzt.
Wir sind in letzter Zeit dazu übergegangen, besonders bei älterer
unbehandelter Syphilis,* diese Silbersalvarsannovasurolmischungen auch
intramuskulär zu geben, und zwar im Laufe einer Kur 2—3 intramuskuläre
Einspritzungen. Das Salvarsanpräparat wird dabei in 1 ccm Novasurol
gelöst. Als Injektionsstelle dient die Johainjektionsstelle im M. glutaeus
medius. Es sind dazu 6—7 cm lange Nadeln erforderlich.
Die Schmerzhaftigkeit wird verschieden angegeben, für gewöhnlich
halten die Schmerzen nur 2—3 Stunden an. Ob auf diese Weise eine
längere Dauerwirkung erzielt wird, müssen weitere Beobachtungen er¬
geben.
Die klinischen Erscheinungen werden durch diese einzeitig intra¬
venös kombinierte Behandlung schnell beseitigt und somit die Infektions¬
gefahr und Uebertragungsmöglichkeit herabgesetzt, ein Vorzug, der ge¬
rade heutzutage bei der grossen Zunahme der extragenitalen Ueber-
tragung der Syphilis von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.
Die Einwirkung auf die WaR. ist eine zufriedenstellende.
Für den Kranken ist es noch von besonderem Vorteil, dass die intra-
venösea Injektionen nicht schmerzhaft sind, eine genaue intravenöse
Technik vorausgesetzt. Man kommt mit weniger Einzeleinspritzungen aus
(oft mit der Hälfte der früher üblichen), dabei sind nur geringgradige
Nebenwirkungen vorhanden. Dies ist heute uiji so wichtiger, als wir jetzt
immer noch genau wie im Kriege infolge der schlechten Erp^ährungs-
Digitized b]
. Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IS. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
199
Verhältnisse viel häufiger unangenehme Hg-Nebenwirkungen bei der
intramuskulären Anwendung auch bei kleinen Gaben erleben.
Sollte diese Art der Behandlung nun auch eine kräftige Dauer¬
wirkung entfalten, so wäre sie zweifellos ein Fortschritt. Als eine Be¬
reicherung unserer Syphilisbehandlung möchten wir sie schon heute
betrachten und die Anwendung besonders bei frischer Syphilis empfehlen.
Welches von den verschiedenen Gemischen ist das
empfehlenswerteste?
Ganz allgemein ausgedrückt wird jenes am meisten zu empfehlen
sein, das die kräftigste und nachhaltendste Wirkung ausübt und'die ge¬
ringsten Nebenerscheinungen macht.
L i n s e r |8l, Z i r n [121, G u t m a n n [61 u. a. sind mit der Methode
der intravenösen Sublimat salvarsanbehandlung recht zufrieden.
Bruck und Becher [4l, Zieler haben von der intravenösen Neo-
salvarsan-N ovasurolbehandlung noch besseres gesehen.
Wir können die Angaben beider bestätigen und noch hinzufügen,
dass vielleicht die Silbersalvarsan-Novasurolbehandlung beiden Methoden
etwas überlegen ist, besonders in ihrer Wirkung auf die WaR.
Aengstliche Gemüter können sich natürlich daran stossen, dass man
gerade bei dieser Therapie intravenös dem Körper auf einmal drei Gifte
zuführt (Ag. Hg. As), die Praxis hat uns aber keine Veranlassung ge¬
geben, aus diesen theoretischen Erwägungen heraus etwa nicht die Be¬
handlung einzuführen.
Auch die kombinierte zweizeitige Anwendung von Hg und SS. hatte
sich ja seinerzeit als besonders brauchbar erwiesen.
Einen Zweck hat diese Kombinierung natürlich nur dann, wenn sie
von ausgesprochenem Vorteil gegenüber der alleinigen SS.-Anwendung
ist, und der Vorteil liegt unserer Ansicht nach in der schnellen Beeinfluss-
barkeit der klinischen Erscheinungen und der besseren Beeinflussbarkeit
der WaR.
Von den Hg-Präparaten würden wir zur intravenösen Anwendung
das Novasurol nach unseren Erfahrungen dem Sublimat vorziehen, von
den Salvarsanpräparaten das NS., und das SS., und zwar die Neo-
salsarsan-Novasurolgemische für mildere Kuren bei Frauen und Kindern
und die Silbersalvarsan-Novasurolgemische bei Männern und besonders
bei der Abortivbehandlung beider Geschlechter.
Sollte die weitere Beobachtung ergeben, dass das Silbersalvarsan-
Novasurol eine längere Dauerwirkung hätte als das Neosalvarsan-Nova-
suroi, so würden wir nur jenes anwenden und geringe Nebenerschei¬
nungen mit in Kauf nehmen.
Zusammenfassung.
1. Die einzeitige intravenöse Hg-Salvarsanbehandlung Ist eine Be¬
reicherung unserer bisherigen Methoden der Syphilisbehandlung: sollte
ihre Dauerwirkung eine zufriedenstellende sein, so ist sie auch als Fort¬
schritt zu betrachten. '
2. Die Art der Behandlung ist bequem für den Patienten, völlig
schmerzlos und wird gut vertragen; sie erfordert weniger Einspritzungen
als die zweizeitig kombinierte Hg-Salvarsanbehandlung der Syphilis.
3. Von den verschiedenen Gemischen sind Salvarsan-Novasurol-
gemische den Salvarsan-Sublimatgemischen vorzuziehen.
Von den Salvarsanpräparaten empfehlen wir zur Kombinierung das
Neosalvarsan und das Silbersalvarsan. .lenes besonders bei Frauen und
Kindern, dieses bei Mäimefn und zu Abortivkuren bei beiden Ge¬
schlechtern.
4. Beide Gemische lassen sich auch intramuskulär geben.
5. Die Wirkung der Silbersalvarsan-Novasurolgemische auf die'WaR.
scheint besser zu sein, als die der Neosalvarsan-Novasurolgemischc.
6. lieber Dauererfolge haben weitere Untersuchungen Aufschluss zu
ieben.
Literatur.
I. G. Baccelli: B.kl.W. 1894 Nr. 13 S. 301. — 2. A. Bla sch ko:
B.klAV. 1894 Nr. 45 S. 1019. — 3. C. B r u c k: M.m.W. 1920 Nr. 15 S. 423. —
4. C. Bruck und H. Becher: M.m.W. 1920 Nr. 31 S. 901. — 5. B ü 1 o w
und Schmitz: M.m.W. 1919 Nr. 38 S. 1098. — 6. C. Gutmann: Med.
Klin. 1920 Nr. 34 S. 873. — 7. Holzhäuser: D.m.W. 1920 Nr. 44 S. 1222. —
Linse r: Med. Klin. 1919 Nr. 41 S. 1026. — 9. W. Löwenstein:
Med. Klin. 1920 Nr. 9 S. 233. — 10. W. S c h ö n f e 1 d und C. Birnbaum:
M.m.W. 1919 Nr. 38 S. 1087. — 11. K. Zieler: M.m.W. 1920 Nr. 46
5. 1335. — 12. C. Zirn: M.m.W. 1920 Nr. 35 S. 1017.
Aus dem Orthopädischen Spitale Wien.
Ausnützung von Ausweichbewegungen zur Korrektur
von Deformitäten.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Hans Spitzy-Wien.
I. Aktive Einlagen.
Abwehrbew’egungen auf ein absichtlich zugefügtes Trauma nützen
wir in der Diagnosestellung aus. Die Nadelreaktion bei Untersuchungen
von Lähmungen bei Kindern beruht darauf. Ein Nadelstich wird so ge¬
richtet, bzw'. die Nadel so gehalten, dass nur jene Abwehrbewegung, die
c-er Funktion des untersuchten Muskels entspricht, die Gliedmasse ausser
Nadelwirkung bringen kann. Bleibt die Abwehrbewegung aus, so ist
mit Sicherheit anzunehmen, dass die Bewegung nicht ausführbar ist,
da kaum daran gedacht werden kann, dass ein Kind absichtlich in dieser
schmerzhaften Stellung verharren wird, wenn es sich durch eine Ab¬
wehrbewegung dieser entziehen kann.
Bei Betrachtung dieser Abwehrbewegung kam mir der Gedanke,
dies zur Therapie auszunützen und ich wurde durch zwei Beobachtungen
darin bestärkt. Bei einem jungen Mann entwickelte sich an einem
Plattfuss über der Einlage ein kleines Geschwür; der Patient legte die
Plattfusseinlage weg, hielt aber selbst den Fuss beTm Gehen derart,
dass er mit dem entstehenden Abszess nicht auf dem Schuh- bzw. Fuss-
boden ankam. In einem anderen Fall hatte sich bei einem Patienten
an der Aussenseite der Fusssohle eine Warze gebildet; die Warze wurde
schmerzhaft, der Patient trat infolgedessen in Pronationsstellung auf,
um dem Druck auf die Warze auszuweichen, ähnlich wie wir bei
Fussentzündungen nach dem Auftreten gewisser Störungen den Sitz
des Herdes lokalisieren können.
Der weitere Schluss war einfach. Wenn ich nun einen Patienten
zwingen würde, mit einem Nagel im Schuh an der Stelle der Wölbung
zu gehen, müsste er den Fuss so halten, dass er der Nagelspitze dauernd
ausweicht, ein Verfahren, das W'ir bei Bergpartien mit schlecht genagelten
Schuhen auch gelegentlich Anschlägen müssen. Ich begann nun damit,
Kindern einen kantigen Gegenstand, kleine Würfel aus dem Baukasten,
in die Fusswölbung zu bindert oder zu kleben und sah sehr bald, dass
das Kind in dem Bestreben, nicht auf diesen kantigen Gegenstand zu
treten, den Fuss aktiv wölbte.
Aus dem Versuch wurde ein System. Wenn wir einen Schuhboden •
nach dem Schuh zuschneiden und genau in der Stelle der Wölbung eine
Glaskugel befestigen und nun das Kind damit gehen lassen, so kann
zweierlef eintreten. Entweder das Kind ist imstande, die Fusswölbung
aktiv so hoch zu halten, dass diese die Kugel nicht berührt; es ward
also aktiv eine Art „Schedeübung“ machen durch stets steigende Zeit, oder
es ist nicht in der Lage, den Fuss in dieser Stellung zu halten; dann wird
an der Stelle, wo die Kugel sitzt, ein roter, bald schmerzhaft werdender
Abdruck, schliesslich eine Blase entstehen, die das weitere Tragen der
Kugel unmöglich macht. So w’elt wird man es natürlich nicht kommen
lassen, sondern den Durchmesser der Kugel verringern, bzw. eine Kugel
mit einem kleineren Durchmesser nehmen. Das System besieht nun
darin, dass vorerst durch Versuche ermittelt wird, mit welchem Kugel¬
durchmesser zu beginnen ist. Diese Kugel wird nun am Schuhboden
befestigt oder auf einem Stift, der aus dem Schuhboden bzw. aus einer
dieser anliegenden Einlage vorragt, aufgesteckt und wenn das Kind mit
der Kugel ohne weiteres einen halben, einen ganzen Tag gehen kann,
wird eine Kugel mit einem um 1 mm grösseren Durchmesser genommen.
Fij?. 1. starke Kniekfüsae, P ig. 2 Reohts Einlage F'ig. 3 Nach mehrmonat-
links starker als rechts, im Schuh, links diese lichem Tragen der Kugel-
danebenstehend. einlagen Selb^tkorrcktur
der Fusstellung möglich.
Der gewöhnliche Verlauf ist nun folgender: Zuerst beginnen die
Kinder nach Ermittlung der Höhe eine Viertelstunde unter Aufsicht mit
der Kugeleinlage zu gehen; die Zeit, während welcher sie die Einlage tra¬
gen, wird langsam gesteigert, in der Zwischenzeit werden gewöhnliche,
supinierende Einlagen getragen. Die Tragezeit verschiebt sich nun so,
dass die aktiven Einlagen immer länger, die passiven immer kürzer
getragen wurden und der Durchmesser der Kugel solange erhöht wird,
als dies durchführbar ist. Das höchste zu erreichende Mass ist leicht
an der richtigen Fussstellung bzw. an der leichten Uebertreibung der
Supinationsstellung der Ferse zu sehen. Ist dieser Grad erreicht, dann
geht man um 1 bis 2 Kugelnummern zurück, entfernt die passiven Ein¬
lagen vollständig und lässt das Kind nur mit den aktiven Einlagen gehen.
Durch diesen Zwang gelingt es, den Fuss nun aktiv in der richtigen
Stellung zu halten. Dass diese Einlagen, wenn sie überhaupt vertragen
werden, einer passiven Einlage überlegen sind, bedarf keiner weiteren
Erklärung.
Die Versuche gehen jetzt auf IV 2 Jahre zurück; es tragen gegen-
w’ärtig 53 Kinder diese Einlagen.
Das gleiche System der Ausweichbewugung wunde ich auch bei
anderen Deformitäten, Skoliosen. Rundrücken, an. deren Auswurtung
ich in nächster Zeit veröffentlichen werde.
Bis zur endgültigen Erledigung der Patentangelegenheit für ortho¬
pädische Apparate durch den hierfür eingesetzten Ausschuss der Deutschen
Orthopädischen Gesellschaft sind die zu diesem Verfahren dienenden
Behelfe zum Patent angemeldet.
Digitized by Goi. '3le
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
200 _ MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT._Nr. 7.
Die Nachahmung des natürlichen Kniegelenkes.
• Von Privatdozent Dr. Schede in München.
In einer grösseren Arbeit: „Theoretische ürundlagen für den Bau
von Kunstbeinen“, die als Sonderband der Zeitschrift für orthopädische
Chirurgie 1919 bei Enke erschienen ist, habe ich darzulegen versucht,
wodurch das natürliche Kniegelenk dem künstlichen Kniegelenk der
gebräuchlichen Kunstbeine so unendlich überlegen ist, auch wenn man
von der Muskeltätigkeit ganz absieht. Der Grund liegt darin, dass das
natürliche Kniegelenk kein Scharniergelenk ist, sondern ein sogen,
(ileitgelenk. Unterschenkel und Oberschenkel bewegen sich nicht um
einen festen Drehpunkt gegeneinander, die Kondylen des Oberschenkels
bilden vielmehr eine Art Rolle, welche sich in einer bestimmten Rich¬
tung auf ihrer Unterlage dahinw'älzt, wobei die Drehungsachse in der
gleichen Richtung wandert.
Was dieser Vorgang mechanisch zu bedeuten hat, habe ich in
der genannten Arbeit eingehend erörtert. Die Verwirklichung meiner
Ideen habe ich in erster Linie meinem Mechaniker Haber mann
zu verdanken. Das praktische Endresultat, wie es sich nun seit
über zwei Jahren an über 300 Amputierten bewährt hat, möchte ich
hier vorlegen.
Der Schnitt des Beines zeigt, dass dem künstlichen Knie das natür¬
liche zum genauen Vorbild diente. Die (ielenkkörper zeigen die gleichen
Formen wie das menschliche Skelett und sind miteinander durch ein
kleinvis Gelenkviereck aus Stahlschienen verbunden. Bei der Beugung
des Unterschenkels wandert der Drehpunkt der Unterscbenkelbewegung
nach rückwärts — genau wie beim natürlichen Gelenk. Der Unter¬
schenkel beschreibt nicht einen Kreisbogen mit be¬
stimmtem Radius wie bei den gebräuchlichen Kunst¬
beinen, sondern eine flachgedehnte Kurve.
Unser Kniegelenk gleicht also dem natürlichen
Gelenk in Form und Funktion. Schon wiederholt ist ver-
suclit worden, ein solches Gelenk herzustellen, aber stets haben die
betreffenden Konstrukteure gerade in den wesentlichsten Punkten auf
die Naturtreue verzichtet. Man hat zwar die Form der Gelenkkörper
nachgeahmt, aber beide durch ein Scharniergelenk verbunden, wodurch
d|e Wirkung der Gelenkkörperform völlig ausgeschaltet wird! Alle diesv
Gelenke unterscheiden sich in ihrer Funktion durchaus nicht von den ge¬
bräuchlichen Scharniergelenken. Ihre kondylenähnliche Form ist mecha¬
nisch bedeutungslos.
Erst der Verzicht auf die feststehende Gelenk-
achse und ihr Ersatz durch ein Gelenkviereck führte
uns dem natürlichen Kniegelenk näher.
Erst dadurch wurde erreicht, dass die breiten Gelenkflächen mit dem
ganzen Druck der Körperschw’ere aufeinanderliegen. Es ergibt sich
daraus eine S'ehr vermehrte Standfestigkeit, teils infolge des
Aufeinanderliegens fast ebener Flächen hei gestrecktem Bein, teils infolge
der vermehrten Reibung, die sieb durch eine besondere Vorrichtung
beliebig einstellen lässt.
Weitere Vorteile ergeben sich aus der Abflachung und Dehnung
der Unterschenkelbewegungskurvc, sow'ie durch die Rückwärtswande¬
rung des Drehpunktes bei der Beugung.
Jedes gewöhnliche Kunstbein kann bis zu einem gewissen Grade
mit gebeugtem Knie belastet werden. (Siehe „theoretische Grundlagen“
S. 85 u. f.) Je weiter der Drehpunkt des Kniegelenkes nach rückw'ärts
/erlegt wird, um so weiter werden bekanntlich die Grenzen der Stand¬
festigkeit. Indem nun der Drehpunkt unseres Kniegelenkes bei der
Beugung nach rückw'ärts wandert, läuft die Beugung gewissermasseu
dem Drehpunkt nach. Der Moment des Einknickens wird dadurch
hinausgeschoben, die Standfestigkeit bei Beugung wird unvergleichlich
grösser. Die Beuge- und Streckbew^egungen des gewöhnlichen Kunst¬
beines sijid, wenn es belastet wird, schnelle Fallbewegungen nach vor¬
wärts oder rückwärts, die dem Willen fast ganz entzogen sind. Die
Bew'egungen uneres Kunstbeines sind dagegen ein ruhiges Gleiten, das
vom Stumpf aus ohne Mühe beherrscht w'erden kann.
Der Fuss des Kunstbeines ist gewissermassen eine Umkehrung des
Kniegelenkes. Das untere Ende des Oberschenkels bildet eine nach
rückwärts gerichtete Rolle, die sich auf dem feststehenden Unter¬
schenkel nach rückwärts wälzt. Das untere Ende des Unterschenkels
dagegen bildet eine nach vorwärts gerichtete Rolle, die auf dem
Boden nach vorwärts wandert. Die Vorteile dieser Fussform: Efer
fördernde Schritt, die weiche Bewegung, die Dauerhaftigkeit, sind von
jeher bekannt und sind von D o 11 i n g e r. Schanz u. a. bereits hin¬
reichend begründet. Das Besondere dieses Fusses liegt in der Ver¬
bindung mit einem kosmetischen Fuss und dessen seitlicher Beweglich¬
keit. Die Rolle ist längs geschlitzt. In dem Längsschlitz ist die Längs¬
achse des kosmetischen Fusses um eine frontale Achse drehbar gelagert.
Der Längsachse ist hinten die Ferse, vorne der Vorderfuss aufgesetzt.
Der Vorderfuss ist um die Längsachse drehbar, lässt sich also pro-
nieren und supinieren und zwar findet die Drehung an der Stelle statt,
die dem C hopart sehen Gelenk ungefähr entspricht. Die sonst üb¬
liche Anbringung der seitlichen Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk
entspricht nicht der Physiologie und beeinträchtigt die Standfestigkeit.
Die praktischen Erfahrungen mit dem Kunstbein haben meine theo¬
retischen Erwägungen bestätigt und haben ausserdem noch einige an¬
genehme Ueberraschungen gebracht. Es zeigte sich bald, dass der Gang
mit unserem Kunstbein ein von dem gewohnten Gang der Amputierten
wesentlich v'^rschiedener war. Es w'ar zunächst nicht leicht, ihn zu
erlernen. Vor allem solchen Amputierten, die bereits längere Zeit auf
Scharniergelenken gegangen waren, boten sich erhebliche Schwierig¬
keiten. Wenn aber der Gang einmal erlernt war, wurde er über¬
raschend sicher und natürlich. Ersteigen von Treppenstufen,
Laufschritt. Abspringen von der Trambahn auf das
Kunstbein, Bergtouren — das sind Leistungen, die ich heute
auch von Oberschenkelamputierten mit kurzen Stümpfen in der
Regel zu sehen bekrtmme. Die Amputierten müssen die Furcht vor
dem Einknicken und das Bestreben, das Bein gestreckt aufzusetzen,
völlig vergessen. Das Bein wird sogar stets gebeugt auf¬
gesetzt und erst während des Vorschreitens all¬
mählich gestreckt.
Von besonderer Wichtigkeit ist ausserdem folgendes: Der gesunde
Mensch beugt beim Gehen das Standbein am Ende der Standperiode.
Dabei ist der Körper gegen das Bein zurückgelehnt, die Hüfte über¬
streckt. das Knte gebeugt. Der Bedeutung dieser Kniebeugung des ab-
stossenden Beines hat H, v. Meyer schon vor 60 Jahren eine gründ¬
liche Arbeit gewidmet. (Siehe auch Verfasser: „ITieoretische Grund¬
lagen“.) Sie liegt vor allem darin, dass sie die vertikale Gangkurve
abflacht, die Fallbew'egung auf dem Standbein nach vorn verlangsamt
und daher dem schwingenden Bein ein ruhiges und gleichmässiges Aus¬
schreiten ermöglicht. Der Amputierte mit einem gew'öhnlichen Kunst¬
bein kann diese Beugung des Standbeins vor der .Ablösung nicht machen.
Der Amputierte vermeidet an und für sich eine Belastung des Kunst¬
beins mit zurückgelegtem Körper und überstreckter Hüfte, weil das Bein
in didser Haltung an Standsicherheit verliert. Wird dazu noch das
Knie gebeugt, so ist eine Belastung überhaupt ausgeschlossen. Infolge¬
dessen macht der Amputierte am Ende jeder Belastungsperiode des
Kunstbeins eine sehr charakteristische Bew’eguiig. Er sucht mit dem
gesunden Bein möglichst rasch den Boden zu gewinnen und überträgt
ihm alsbald die Körperlast, w'obei er eine Rumpfbeugung nach vorne
macht. Der Schritt mit dem gesunden Bein ist wesentlich kürzer, wie
der mit dem Kunstbein.
Ganz anders mit dem physiologischen Kniegelenk
unseres Kunstbeins. Es behält seine Standfestigkeit, auch wenn es in
Beugestellung und mit zurückgelegtem Körper belastet wird. Der Am¬
putierte hat also keine Veranlassung, anders zu gehen als der Gesunde.
Er beugt das Kunstbein vor der Ablösung und belastet es dabei. Die
Körperlast ruht bis zum letzten Moment fest auf der Tuberstütze. Der
Körper bleibt aufrecht, die Hüfte ist gestreckt. Das gesunde Bein
schreitet ohne Hast weit aus. Das Kunstbein kann nun auch in der
gleichen Länge gebaut werden wde das gesunde.
Hierin liegt w’ohl die augenfälligste Besonderheit unseres Kunst¬
beines.
Und noch etwas hat die Erfahrung ergeben: Dass es vielmehr auf
den Sitz wie auf das Gewicht des Beins ankommt. Ein Patient,
der über das Gewicht seines Beins klagt, hat meist ein schlecht
sitzendes Bein. Sitzt das Bein gut. so wird das Gew-icht kaum emp¬
funden. Wir bauten zunächst die Beine möglichst leicht. Die grosse
Standsicherheit des Beins bedingt aber eine grosse Beanspruchung. So
kamen wdr auf den Wunsch der Patienten dazu, die Beine schwerer zu
bauen und geben jetzt hin und wieder auf besonderes Verlangen Heine,
die wesentlich schwerer sind als die üblichen, ohne dass bisher jemals
über das Gewicht geklagt wurde.
Die Herstellung und Anpassung der Beine erfolgt unter meiner Auf¬
sicht durch das Orthopädiewerk Habermann, München.
Digitized by
Goc'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
201
Aus dem hygienischen Institut der Universität Köln.
(Direktor: Prof. Dr. Müller.
Experimenteller Beitrag zu den Beziehungen zwischen
Phtyktänen und Tuberkulose, nebst Bemerkungen Uber
abazilläre Tuberkulose.
Von Dr. Quillery, Augenarzt in Köln.
Im Archiv für Augenheilkunde Bd. 68, 72, 74, 76 u. 78 habe ich eine
Reihe von Arbeiten veröffentlicht über die Wirkung von Fermenten auf
das Kaninchenauge. Die betreffenden Lösungen, deren Darstellung ich
eingehend angegeben habe, wurden teils intraokular, teils nur intravenös
angewendet. In allen Fällen iiess sich eine besondere Empfindlichkeit
der Uvea in allen ihren 3 Teilen feststellen, welche sich in einer teils
herdförmigen, teils diffusen Infiltration mit Lymphozyten und epitheloideii
Zellen zu erkennen gab. Am reinsten trat dieses Bild natürlich zutage
hei den intravenösen Einspritzungen (Ohrvene), welche ohne jeden intra¬
okularen Eingriff vorgenommen wurden. Etwa eine Stunde nach einer
solchen Einspritzung treten ganz typische und auffällige Veränderungen
an beiden Augen des Tieres auf. Bezüglich der klinischen und anatomi¬
schen Einzelheiten muss ich auf die Originale verweisen.
Ich konnte damals mit Recht diese Befunde mit dem bekannten Bilde
der sympathisierenden Entzündung des Auges in Parallele stellen, ein
Hinweis, der nicht ohne Widerspruch geblieben ist, w'eil die herrschende
Lehre von der Pathogenese der sympathischen Ophthalmie für die
toxische Entstehung derselben wenig übrig hatte. Die eben erschienene
Neubearbeitung des Gegenstandes von Peters im Handbuche von
Graefe-Saemisch beweist, dass in dieser Auffassung ein erheblicher
Wandel eingetreten ist. an welchem meinen Arbeiten ein nicht un¬
wesentlicher Anteil zugeschrieben wird. Das weitere Studium dieser
Veränderungen führte mich nun zu der experimentellen Erzeugung von
Phlyktänen.
Allerdings bestehen zwischen Phlyktänen und sympathischer
Ophthalmie keine unmittelbaren Beziehungen, Sie gehören aber beide
jji die grosse Gruppe derjenigen Prozesse, welche anatomisch einen mehr
oder w'cniger ausgesprochen tuberkuloiden Bau zeigen bei negativem
ßazillennachweis, negativem Impfexperiment und fehlender Verkäsung.
Was ihre klinischen Beziehungen zur Tuberkulose betrifft, so sind die¬
selben hinsichtlich der Phlyktänen so oft erörtert, dass ich sie als be¬
kannt voraussetzen darf. Bezüglich ^ der sympathischen Ophthalmie
brauche ich auf diese Frage hier ebenfalls nicht zurückzukommen, nach¬
dem ich sie erst kürzlich an anderer Stelle D eingehend besprochen habe.
Ich hatte mir nun seit längerer Zeit die Aufgabe gestellt, zu unter¬
suchen, inwieweit das Tuberkelgift für sich allein, also ohne Anwesenheit
des Bazillus, imstande ist, tuberkuloide Veränderungen hervorzurufen.
Am normalen Gewebe scheint dasselbe eine solche Wirkung nicht zu
haben. Systematische Untersuchungen über seine toxischen Wirkungen
an bereits krankhaft veränderten Geweben liegen bisher meines Wissens
nicht vor. Hierfür schien mir nun gerade das Auge ein geeignetes
Untersuchungsfeld, weil wir mit Hilfe der erörterten Fermentwirkungen
in der Lage sind, an der Uvea Veränderungen zu erzeugen, welche für
sich allein schon eine weitgehende Aehnlichkeit mit tuberkuloiden Ver¬
änderungen zeigen. Es sollte der Versuch gemacht werden, inwieweit
diese Aehnlichkeit durch gleichzeitige Anwendung von Tuberkulin sich
würde steigern lassen. Bezüglich der Uvea konnte ich diese Versuche
roch nicht abschliessen und denke an anderer Stelle darüber zu berichten.
Wie in den Originalarbeiten nachzulesen, erzeugt die Ferment-
■ irkung noch an einem anderen Teile des Auges eine ganz typische Ver-
inderung, nämlich am Hornhautlimbus. Etwa eine Stunde nach der
rtravenöseii Einspritzung entwickelt sich eine breite und intensive peri¬
korneale Rötung, die tagelang anhält. Ich durfte also nach meinen Voraus¬
setzungen erwarten, dass bei gleichzeitiger Anwendung von Tuberkulin
sich auf diesem Boden tuberkuloide Bildungen, d. h. in diesem Falle
Phlyktänen entwickeln würden. Diese Erwartung ist denn auch voll¬
kommen eingetroffen. Die Veränderungen, welche sich klinisch durch
jene perikorneale Injektion zu erkennen geben, genügen offenbar, um
den Boden für den Angriff des Tuberkulins vorzubereiten.
Dass es sich bei den von mir erzeugten Gebilden um dasselbe
Handelte, was wir beim Menschen als Phlyktänen bezeichnen, beweist
nicht nur ihre klinische Erscheinungsform, sondern aucn der anatomische
Bau •). Selbstredend wurde durch die Sektion festgestellt, dass die Ver-
vjchstiere frei waren von Tuberkulose, sowie auch, dass in den Schnit¬
ten keine Bazillen nachzuweisen waren. Gelegentlich findet man in der
'legend der Gefässe am Hornhautlimbus von normalen Kaninchenaugen
e ne Infiltration, welche schon zu irrtümlichen Deutumren Anlass gegeben
nit. Da ich diese zuerst beschrieben^), werde ich wohl nicht in den
Verdacht kommen, meine Phlyktänen damit verwechselt zu haben.
Näheres über den Befund, wie auch die Einzelheiten der Versuchs-
Anordnung gedenke ich in einer augenärztlichen Fachzeitschrift zu ver-
"ncntlichcn. Ich möchte hier nur noch einige Erörterungen allgemeiner
Natur anknüpfen, welche auch für den nichtophthalmologischen Leser
•Hn Interesse sein dürften.
‘) Arch. f- Augenheilk. Bd. 86 S. I.
*) Die Präparate wurden am 27. II. 20 bei einem Vorträge im Verein
Jer Aerzte des Regierungsbezirks Köln vorgelegt.
*) Arch. f. Augenheilk. Bd, 72 S. 122 und Tat. X Fig. 9.
Die Erzeugung von Phlyktänen auf endovenösem Wege war bisher
nicht bekannt. Ich habe sie auch bei meinen zahlreichen Ferment-
Injektionen niemals gesehen, weder klinisch noch anatomisch, ebenso-
w-enig bei Tuberkulininjektionen allein, wonach sie meines Wissens auch
sonst niemals beobachtet sind.
Man kann Phlyktänen bekanntlich an tuberkulösen Menschen
und Tieren hervorrufen durch die Einträufelung von Tuberkulin, des¬
gleichen bei nichttuberkulösen Tieren, welche man mit Tuberkulin sub¬
kutan vorbehandelt hat. Man kann ferner statt des Tuberkulins auch
Sta'phylokokkengift zu den Einträufelungen am vorbehandelten Tiere
benutzen^). Andere Methoden. Phlyktänen oder phlyktänenähnliche
Gebilde zu erzeugen, interessieren uns hier nicht. Es kommt nur auf
die Frag« an, wieweit sie durch blosse Giftwirkung entstehen können.
Diese letzteren 'Versuche haben alle einen gemeinsamen Zug, den
ich darin erblicke, dass ein an Ort und Stelle angreifendes Gift mit-
wirken muss, um dem in den Körper eingeführten oder (beim Tuberku¬
lösen) bereits darin vorhandenen Tuberkclgifte seine Örtliche Wirkung
zu ermöglichen. Da das Staphylokokkcngift bei der Einträufelung ebenso
wa'rkt, wie das Tuberkulin, kann nicht die Rede davon sein, dass die
Einträufelung selbst einen spezifischen Einfluss auf die Entstehung des
tuberkuloiden Knötchens haben müsse. Eine ähnliche Rolle scheinen
sehr verschiedenartige Reize, sogar Kopfläuse, spielen zu können. Dass
gerade an demjenigen Teile des .Auges, der durch die vorderen Ziliar-
gefässe besonders blutreich ist, das in diesem Blute vorhandene Tu¬
berkelgift besonders wirksam einsetzen kann, ist verständlich.
Ebenso denke ich mir nun die Wirkung der Fermentinjektion. Sie
betätigt sich schon dadurch als Reiz für diese Gegend, dass sie, wie
wir sahen, gerade in der Umgebung der Hornhaut eine lebhafte Gefäss-
erweiterung hervorruft. Ob damit allein die Disposition dieser Stelle
zur Bildung kleiner tuberkuloider Geschwülste ausreichend erklärt ist.
halte ich allerdings nicht für sicher. Zu dem Zeitpunkte, wo ich bei
den früheren wie den jetzigen Versuchen, die unter der Einwirkung
der Fermenteinspritzung stehenden Tiere tötete, hatte die perikorneale
Injektion schon ihren Höhepunkt überschritten und war erst wieder
lebhafter geworden durch das Auftreten der Phlyktänen. Ich kann also
über die anatomischen Veränderungen, welche die Fermentinjektionen
allein am Limbus machen, einstweilen nichts Bestimmtes aussagen.
Offenbar sind dieselben aber geeignet, der Tuberkulinwirkung einen
günstigen Boden vorzubereiten.
Nach dieser Auffassung würde die Phlyktäne eine abazilläre Tuber¬
kulose sein, lediglich auf uibcrkulotoxischem Wege erzeugt in einem
besonders vorbereiteten (jebiete. Damit soll nicht gesagt sein, dass
echte, d. h. bazilläre Tuberkelknötchen nicht gelegentlich auch unter
dem Bilde der Phlyktäne aufträten. Es ist aber von besonderem
Interesse, dass auf rein toxischem Wege, also ohne Anwesenheit eines
lebenden Erregers, ganz umschriebene Herde sich bilden können.
Die Möglichkeit, auf dem Blutwege durch Tuberkulin Phlyktänen
hervorzurufen, scheint mir für die Tuberkuloseforschung eine grundsätz¬
liche Bedeutung zu haben, insbesondere für die Beurteilung der sogen,
skrofulösen Prozesse und der tuberkuloiden Bildungen.
Es ist hier nicht der Ort, auf die umfangreiche Literatur dieses
Gegenstandes einzugehen und die Gründe zu erörtern, mit denen mm
bisher diese Möglichkeit bekämpft hat. Sic dürften nunmehr durch die
Tatsache widerlegt sein. Das Für und Wider einer tuberkiilotoxischen
Entstehung von Phlyktänen ist kürzlich von Wessely^) eingehend
besprochen worden.
Mir scheint nun, dass es von Interesse wäre, die bezüglich der
Phlyktäne gewonnene Erfahrung bei den sogen, bazillenarmen und viel¬
leicht abazillären Prozessen mit tuberkulösem oder tuberkuloidem Bau
der entstandenen Gewebsveränderungen zu berücksichtigen. Vielleicht
würde es deren Verständnis ^fördern, wenn die Forschung ihr .Augen¬
merk auf ein Zusammenwirken, des Tuberkelgiftes mit anderen Gewebs-
giften richten wollte. Gerade am Auge sind die bazillenarmen Bil¬
dungen wohlbekannt. Selbst ausgedehnte tuberkulöse Wucherungen
zeigen auch an Stellen lebhaftesten Fortschreitens oft genug gar keine
oder sehr massige Ausbeute an Bazillen. Ich erinnere ferner an die
Hauttuberkulide, den Lupus, die Perlsucht. Diese Bazillenarmut hat
bekanntlich zur Annahme einer besonderen Erscheinungsform des Viius
in Gestalt der Much *;chen Granula geführt, über deren Bedeutung
bisher die Ansichten geteilt sind.
Kyrie'') hat neuerdings die tuberkulöse Natur des Boeckschen
Lupoids nachweisen können, indem er in den frischen Infiltraten, die
noch keinen tuberkuloiden (Charakter hatten, zahlreiche Bazillen fand.
Er nimmt an. dass sic durch das Auftreten der epitheloiden Zellen
phagozytiert werden und ihre Färbbarkeit verlieren. Ob diese An¬
schauung für die Erklärung der bazillenarmen Prozesse eine generelle
Bedeutung gewinnen kann, scheint mir zweifelhaft, schon deshalb, weil
die Wirkung des Tuberkclbazillus auf das befallene Gewebe nicht all¬
gemein in dieser Form verläuft. Man braucht dazu die Hilfshypothese
einer gewissen Abschwächung des Virus, ein Begriff, der bisher nicht
ausreichend geklärt ist.
Ich sehe kein Hindernis gegen die Vorstellung, dass durch geeignete
Giftwärkung, z. B. in dem zerfallenden (jew'ebe selbst sich bildender
Stoffe, der Angriff des im Körper kreisenden Tuberkelgiftes vorbereitet
und erleichtert wird. Gerade die bekannte Bazillenarmut der Uveal-
I Rubert: Klin. Mbl. f. Augenheilk. 1912 II S. 273.
b Jahreskurse f. är/.tl. Fortbildung, Nov. 1919.
1 ■') Arch. f. Dermatol, ii. Syphilis Bd. 125.
Digitized by Goiisle
Origiriial frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
202
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
tuberkulöse scheint mir hierdurch einer Erklärung zugänglich, nachdem
durch meine früheren Versuche die geradezu spezifische Empfindlichkeit
der Uvea gegen die verschiedensten enzymatischen Gifte — und um
solche handelt es sich doch wohl bei dem Gewebszerfall — erwiesen •
ist Hiermit soll natürlich die Feststellung, welche Kyrie iri dem von
ihm untersuchten Falle gemacht hat, nicht bestritten werden.
Für manche dieser bazillenarmen Veränderungen ist der Gedanke
nicht neu, dass sie zum Teil wenigstens auf tuberkulotoxischem Wege
entstehen, d. h. ohne unmittelbare Anwesenheit der Bazillen, sondern
nur durch Fernwirkung mittels der von ihnen ausgehenden Gifte. Dass
Tuberkelgift für sich allein solche Wirkungen hervorrufen könnte, ist
aber bisher nicht bewiesen. Als neu führe ich nun den Gesichtspunkt
ein, dass es gemäss meinen früheren Feststellungen Giftstoffe gibt, die
ganz analoge Veränderungen erzeugen können und darum geeignet er¬
scheinen, den Boden für die Wirkung des Tuberkelgiftes vorzubereiten
und dieselbe zu unterstützen. Die von mir erzeugten Phlyktänen be¬
weisen, dass dies möglich ist und zwar auch auf dem Blutwege und ge¬
rade an einer Stelle, die sich einer vorbereitenden Gittwirkung in auf¬
fälligem Masse zugänglich erweist. In welchem Umfange diese Er¬
fahrung Anwendung findet, müssen weitere Versuche lehren.
Aus dem Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Barmbeck.
Zur Pathogenese der Konvulsionen im frühen Kindesaiter.
Von Prof. Dr. F. Reiche.
In der Analyse von 29 Fällen konvulsivischer Zustände, die ich auf
meiner Keuchhustenabteilung in den letzten Jahren beobachtete, festigte
sich uns die Ueberzeugung, dass es eine echte Keuchhusten¬
meningitis gibt, eine Aeusserung des spezifischen Krankheitsvirus an
den Hirnhäuten, und dass entsprechend dem Lebensalter dieser Kinder
und begründet wahrscheinlich durch gewisse krampffördernde Ernäh¬
rungsstörungen diese Meningitis unter eklamptischem Bilde ver¬
läuft ^). Die von manch anderer Seite geäusserte Hypothese, dass
obiger Ablaufform der Tussis convulsiva eine spasmophile Diathese
zugrunde liegen müsse, schien uns für nahezu alle unsere damaligen Be¬
obachtungen unzutreffend, ohne dass wir an sich es ablehnen wollten,
dass gelegentlich auch durch den Keuchhusten eine Steigerung vor¬
handener Krampfdisposition stattfinden könne.
Schon die nächste Folgezeit nach Drucklegung der Arbeit lehrte uns
ein typisches Beispiel dieser letzteren Affektion kennen neben einem
weiteren Fall von unter Lumbalpunktion ausgeheilter meningitischer
Reizung. Wenn ich beide gleichsam anhangweise zu dem früheren Auf¬
satz mitteile, so geschieht dieses, um den therapeutischen Wert der
Spinalpunktion noch einmal hervorzuheben und aus dem Wunsch nach
möglichster Klärung der ätiologischen Bedingungen dieser schwersten
aller Pertussiskomplikationen. Und doch sollen diese Beobachtungen
nur die Ueberleitung bilden zu einem dritten Fall, der uns auf anderem
Wege eigenartige und überraschende Momente erschloss,
welche möglicherweise für die Pathogenese mancher
Krampfformen von prinzipieller Bedeutung sind.
I. A. B., 2/4 Jahre, aufg. 3. XII. 19. Stets schwächlich gewesen. Vor
1 und vor H Jahr Krämpfe. Blasses, elendes, geistig stark zurückgebliebenes
Kind. Schwere Rhachitis. Aufgetriebener' Leib. Lebhafte Sehnenreflexe.
Chvostek positiv. Körpergewicht 8,6 kg. Schwere Keuchhustcnanfälle (seit
14 Tagen) mit Zyanose. Leukozytose 21 200. Wassermann 16. XII.:
Temperatur bislang 36,6—37,8®, heute .Anstieg bis 39,6 und 40.3®; Leuko¬
zyten 43 000. Erbrechen. 17. XII.: Temperatur 39,8®. Konvulsionen. Glot¬
tiskrampf. Tracheotomie. Exitus. Bei der Autopsie wurden bronchopneu-
monische Herde in beiden Lungen aufgedeckt.
II. H. D., 13 Monate, aufg. 11.11.20. Gut gebildetes, ausreichend ge¬
nährtes Kind, wegen Krämpfen und Keuchhusten eingeliefert. Temperatur
nicht erhöht. Leukozyten 18 600. 7 mal Krämpfe, Lumbalpunktion: Druck
150 mm, Liquor sanguinolent, bakteriologisch steril. 16.11: Nach 4 Tagen
Ruhe heute wieder 10 schwere konvulsivische Anfälle; Lumbalpunktion: Liquor
sanguinolent, bakteriologisch steril, Ninhydrinreaktion positiv. 17.11.: Leuko¬
zyten 25 000, polynukleäre Neutrophile 25,7 Proz., mononukleäre Neutrophile
2 Proz., kleine Lymphozyten 61,7 Proz., Eosinophile 1,7 Proz., Uebergangs-
zellen 9 Proz. Aus bislang normaler Temperatur heute Anstieg bis 38,2'.
Keuchhustenattacken ziemlich schwer. Augenhirftergrund frei. 4 starke
Krampfanfälle; Spinalpunktion: Liquor klar, bakteriologisch steril, Zellen
104/3. 18.11.: Temperatur 36,9—37,2®. Leukozyten 21 000, polynukleäre
Neutrophile 14,3 Proz.. kleine Lymphozyten 76,7 Proz., grosse 0,3 Proz.,
Eosinophile 0,7 Proz., Uebergangszellen 8 Proz. Zwei leichte Krampfanwand¬
lungen, sonst sehr gebessertes Befinden. 1. III,: Keuchhusten mässig schwer
ablaufend. Leukozyten 13 200. 29, IV.: Keine Krämpfe mehr seit fast
9 Wochen. Vor äbgelaufenem Keuchhusten gegen Rat abgeholt.
III. G. H., 11 Monate, aufg. 17.11.20. Gut ernährtes Kind, seit 8 Tagen
Keuchhusten. Temperatur 36,8—37,7®. Leukozyten 19 800. Geringe rha-
chitische Auftreibung der Unterschenkelepiphysen. 23. II.: Starke, nicht sehr
reichliche Keuchhustenattacken, Heute zuerst werden vereinzelte kurz¬
dauernde Krampfanfälle beobachtet, meist im Anschluss an starken Husten,
zuweilen sicher auch ohne einen solchen. Kein Chvostek. Lumbalpunktion:
Druck 430 mm, Liquor sanguinolent, steril. 24. II.: Leukozyten 19 200; poly¬
nukleäre Neutrophile 20,7 Proz., mononukleäre 3,3 Proz., kleine 70,3 Proz.,
grosse Lymphozyten 0,7 Proz., Eosinophile 0,7 Proz., Uebergangszellen
5 Proz. Lumbalpunktion: Liquor steril, Zellen 105/3. 6. III.: Fieberfrei.
Dauernd flüchtige Krampfattacken. Lumbalpunktion: Druck 550 mm, nach Ab¬
lassen von 20 ccm 180 mm, steriler Liquor. Zellen 3^3. 15. III.: Nach mehreren
Tagen Pause erneute Krämpfe, deren Zahl nicht bestimmbar ist. da bei ihrer
Zschr. f. Kinderheilk. 25. H. 1—3.
Kürze manche der Feststellung entgehen. Lumbalpunktion: Druck 550 mm.
15 ccm abgelassen, Liquor klar, Globulinreaktion j0 ^, Wassermann .0^, Zellen
6/3, steril. 30. III.: In 100 ccm Liquor »ind 80 mg Urea-N enthalten. 4. IV.:
Die Keuchhustenattacken haben an Zahl und Intensität zugenommen. Krämpfe
unverändert nach Häufigkeit und Schwere; eine deutliche vorübergehende
Beeinflussung durch die Lumbalpunktionen ist nicht zu bemerken. Tempera¬
tur dauernd normal oder ganz leicht (bis 37,8 und 38,4") erhöht. Gesamt¬
befinden nicht verschlechtert. 500 g Gewichtszunahme. Leukozyten 7700.
Pruok
in mm
ZeUen
kulturell
abgelussen
(ccm)
j Chloride |
(mg in 100
Kalzinm
ccm Liqn.^
23. III.
600
3 8
steril
so
_
27. III.
590
5/3
30
860 1
—
SO. III.
über 600
7 3
^ 1
30
8. IV.
360
8/3
25
U iv.
.^>00
11/3
80
785
—
80. IV.
über 650
' 4/3
45
790
10
10. V.
über 65i)
1 5^3
40
750
85
18. V.
über 650
1 3 3
45
795
21
80. Vl.
600
1 43
0765
—
19. Vir.
;2o
1 3 S
1
20
770
—
4. Vlll.
über 550
m
20
öS5
18
8. I.\.
470
3 :j
. 20
899
-
8. IV.: Die letzten 4 Tage stärkere Bronchitis mit Fieber bis 39®, heute
Abfall. 24.1V.: Kalziumgehalt des Blutes 23,8 mg in 100 ccm, 10. V.: Keuch¬
husten ziemlich schwer. Krämpfe unverändert. ClNa-Gehalt 624 mg in
100 ccm Blutserum, Kalzium 21mg. 28. V.: Fieberlos. Krämpfe unbeeinflusst.
Mixt, bromata (10 200), 3 mal täglich 5 ccm. Im Augenhintergrund stark über¬
füllte Venen. Chvostek -0^, Kein Kernig. Keuchhusten unverändert. 30. VI.;
Seit 1. VI. ist nur noch einmal ein kurzer Krampf beobachtet. Viel besseres
Allgemeinbefinden, gute Gewichtszunahme. Reststickstoffgehalt des Liquors
32 mg, Chlornatriuin 765 mg, Brom positiv: 2,1 g Br in 100 g CI. d. h..
aktuelles ClNa 748 mg, ang. BrNa 17 mg. 19. VII.: 3 mal täglich 15 ccm
Mixt, bromata. Keuchhusten sehr gebessert. Chloride im Blutserum: 440 mg
auf 100 ccm. 4. VIII.: Steigendes Befinden, Grosse Fontanelle fast ge¬
schlossen. Augenhintergrund normal. Im Liquor Brom (als NaBr) ca. 5,3 mg.
8. IX.: Im Blutserum ClNa 580 mg. Alle physiologisch-chemischen Unter¬
suchungen wurden von Dr. J. F e i g 1 ausgeführt.
Die beid'cn ersten Fälle bedürfen keines Kommentars. ,In dem 1.
bilden bei einem stark zurückgebliebenen schwer rhachitischen Kinde
mit anamnestischen Krämpfen und positivem C h v o s t e k sehen Phä¬
nomen die bei einer fieberhaften Wendung der Pertussis einsetzenden
Konvulsionen unter Spasmus glottidis den letalen Abschluss. Der 2 ist
durch seinen günstigen* Verlauf erwähnenswert; zusammen mit diesen
letzten 3 Beobachtungen haben wir jetzt 5 Heilungen unter 20 reinen
Fällen von Keuchhustenkrämpfen..
Zu ihnen gehört auch unser Fall 3, in welchem die bei dem vorher
gesunden, an der Wende des ersten Jahres und damit in dem dem Eintritt
von Krämpfen günstigsten Lebensabschnitt stehenden Kinde ziemlich
früh im Verlauf des Keuchhustens beginnende Eklampsie zu Anfang von
einer deutlichen Pleozytose (154:3) begleitet war. Alle Anzeichen
für Spasmophilie, auch die für ihre Diagnose ausschlaggebende Vermin¬
derung des Ca-Gehaltes im Blute, die nach H o vv 1 a n d und Mac
K. Marriott*) durchschnittlich 5,6 mg in 100 ccm betrug* fehlten; im
Gegenteil, er war mit 23,8 und 21 mg weit über die Norm (10—11 mg)
erhöht. Die Krämpfe blieben dann unabhängig von dem'" späteren
Dekursus und bei — nach der zytologischen Liquoruntersuchung — völlig
geschwundener Meningealirritation bestehen und man hätte nach ihrer
regellosen Art und der prompten Wirkung der schliesslichen Brom¬
medikation an eine echte Epilepsie denken können, wenn nicht unge¬
wöhnlich gesteigerte, exzessive Druckverhältnisse im
Spinalkanal dem Fall ein ganz besonderes Gepräge gegeben hätten.
Sie erreichten zuhöchst 720 mm und ersetzten sich rasch wieder nach den
zahlreichen Entlastungen: über 6 Monate wurden mit 14 Punktionen
400 (darunter binnen 57 Tagen 275) ccm bei dem Säugling abgelassen.
Es ist möglich, dass wir für jenes Moment eine hinreichende Erklärung
in dem Gehalt der Lumbalflüssigkeit an Chloriden ge¬
wonnen haben; der physiologische Wert von 620—650mg in 100 ccm
wurde hier weit übertroffen, wo in 7 maliger Feststellung durch
3%. Monate Zahlen zwischen 735 und 860 mg gefunden wurden. Ein der¬
artiger Reichtum an Chloriden muss nach osmotischen Gesetzen die
Menge des Liquors und damit den Druck, unter dem er sich befindet,
stark beeinflussen. Wenigstens solange ihm nicht eine gleiche Ver¬
mehrung dieser Salze im Blutserum gegenübersteht. Der Gehalt an
Chloriden in ihm. physiologisch zwischen 540 und 580 mg sich be-wegend,
war bei unserem Kind einmal in leichter Erhöhung 624 mg (gegenüber
735 mg im Liquor), das andere Mal nur ‘440 mg (gegenüber 770 mg),
zuletzt wieder 580 (gegenüber 680 mg). Des Weiteren halte ich es für
nicht ausgeschlossen, dass ein derartig gehobener Druck in diesem
Lebensalter Konvulsionen auszulösen oder richtiger die Bedingungen für
sie verzubereiten vermag; alleiniges Moment dafür kann er jedoch
weder nach dem ungesetzmässigen Sicheinstellen der Krämpfe noch
nach dem ungenügenden Effekt der einzelnen Erleichterungen durch
Fhinktionen gewesen sein. An diesem Punkt müssen Nachuntersuchungen
einsetzen. Desgleichen, um zu erklären, welche Ursachen der
primären Steigerung der Chloridmengen in der Lumbal¬
flüssigkeit in solchen Fällen zugrunde liegen.
Mit Bezug auf die Wirkung unserer Bromtherapie ist der Nach¬
weis von Brom im Liquor spinalis von Interesse: der Gehalt
daran ging jedoch nicht der Höhe der Zufuhr parallel.
*) Quart, journ. of med., Juli 1918.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. Februar 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
20,^
lieber den Verlauf eines seit 3 Jahren mit RSntgen-
strahlen behandelten Aderhautkarzinoms.
Von Prof. Dr. Fritz Salzer in München.
Die Versuche, die bösartigen Geschwülste des Augapfels der
Strahlenbehandlung zuzuführen, sind ganz neuen Datums.
1916 berichtete A x e n f e 1 d der Heidelberger Ophth. Gesellschaft
über ein durch dieses Verfahren gebessertes Glioma retinae, ein Melano-
sarkom der Papille und ein Irissarkom. Nach 2 Jahren teilte er ebenda
über den weiteren Verlauf mit, dass das Gliomauge wegen per¬
forierender Geschwürsbildung der Hornhaut entfernt werden musste und
die anatomische Untersuchung das Vorhandensein eines Rezidivs ergab;
iemer, dass der Iristumor auf Bestrahlung mit Mesothorium ver¬
schwunden sei. Der Papillentumor blieb unbeeinflusst. Bei metastali-
schem Karzinom der Uvea versagte das Mesothorium.
Bezüglich der Sarkome der Uvea äussert A x e n f e 1 d sich dahin,
dass nach seiner Meinung alle einseitigen Tumoren dieser Gattung sich
nicht für die Strahlentherapie eignen. In derselben Versammlung be¬
richtete Kümmell über einen seit yj Jahr erfolgreich bestrahlten Fall
von Glioma retinae, auf dem diesjährigen Röntgenkongress Albers-
Schönberg-Hamburg über einen Fall von mit Röntgenstrahlen er¬
folgreich behandeltem Melanosarkom der Sklera.
Weitere Mitteilungen scheinen nicht vorzuliegen; es dürfte daher
der im folgenden geschilderte Fall von einigem Interesse sein.
Am 5. März 1918 stellte sich mir eine 58 jährige Dame wegen einer
Erkrankung ihres linken Auges vor. Die Anamnese ergab, dass ihr im Jahre
1914 eine kleine Geschwulst vor dem rechten Ohr entfernt worden war,
welche nach Mitteilung der behandelnden Aerzte bei der mikroskopischen
Untersuchung sich als malign erwies.
Den Beginn der Erkrankung des linken Auges führt die Patientin auf
eine Verletzung zurück, die sie im Oktober 1917, also vor 6 Monaten er¬
litten hatte. Sie zwängte sich damals im Wald eilig durch ein Strauch¬
werk, wobei ihr ein Zweig in das linke Auge schlug. Allerdings gab sie
später an, dass sie schon seit Mitte Juli 1917 öfters Flimmern bemerkt habe:
das Schlechtsehen sei aber erst vor 3 Wochen aufgetreten.
Die Untersuchung ergab: R, + 0,75, ^/s, L. ohne Glas S. = ®/m. Gläser
bessern nicht.
Das Gesichtsfeld zeigt nach oben, besonders oben aussen, einen Defekt,
der für Rot durch eine ziemlich gerade Linie bezeichnet wird, die von 70 Grad
temporal auf der Horizontalen nach 40 Grad auf der Vertikalen läuft. Für
Weiss ist er etwas kleiner.
Schon bei enger Pupille zeigt sich unten innen hinter der Linse ein
erbsengrosser Tumor von gelber Farbe, mit leicht höckeriger Oberfläche,
offenbar vom Ziliarkörper ausgehend. Die Kuppe des Tumors ragt nicht
ganz bis zur Augenachse; die Oberfläche lässt stellenweise Gefässe, sonst
aber keine Einzelheiten, auch kein Pigment erkennen. Nach unten ist eine
hintere Synechie sichtbar, sowie eine leichte, streifige Linsentrübung in dei
hinteren Rindensubstanz. Die Netzhaut ist an der Stelle des Tumors ab¬
gehoben, doch reicht die Ablösung nicht weit in die Umgebung, die völlig
normal aussieht. Ein Flottieren der Netzhaut ist nicht wahrzunehmen.
Im unteren inneren Abschnitt der Lederhaut zeigen sich die Skleral-
gefässe erweitert und geschlängelt. Dicht neben den Qefässen, besonders
schön mit dem Hornhautmikroskop zu sehen, Züge von verwaschenen schwärz¬
lichen Fleckchen, die den Eindruck von Pigment in den Lymphscheiden
machen. (Sie wurden in der Folgezeit besonders genau beobachtet, da sie
den Eindruck einer sich vorbereitenden Weiterwucherung in der Lederhaut
machten.) Die allgemeine Körperuntersuchung ergab ein negatives Resultat,
nur eine Drüse an der linken Halsseite war raässig angeschwollen.
Nach Erweiterung der Pupille durch Atropin war der Tumor besser zu
überblicken; im übrigen konnte nichts weiter festgestellt werden. Es wurde
nun, da die Erweiterung der Pupille nach unten innen noch ungenügend
war, Atropin verordnet. Der Druck war immer normal und blieb es bis heute.
Nach diesem Befund wurde die Diagnose auf einen malignen Tumor
bestellt, und zwar konnte es sich um ein Sarkom oder allenfalls ein meta-
uatisches Aderhautkarzinom handeln.
Ich sprach also der Patientin von der Entfernung des Auges, worauf
äie mir mitteilte, dass ihr dies auch schon von anderer Seite geraten worden
ici. dass sie sich aber nicht leicht dazu entschliessen könnte; ob es denn
Star keine andere Möglichkeit der Behandlung gäbe?
Die Gründe, die in diesem Falle es möglich erscheinen Hessen, von der
Enukleation abzusehen, und einen Versuch mit der Strahlenbehandlung zu
machen, erhellen aus den späteren Ausführungen.
Die Behandlung wurde von Herrn Sanitätsrat Müller- Immenstadt, der
über eine besonders reiche Erfahrung auf dem Gebiete der Tumorbehandlung
verfügt, und Herrn Dr. Stumpf vorgenommen, nachdem ersterer den
Fall als durchaus geeignet bezeichnet hatte.
Am 11. März 1818 begannen die Röntgenbestrahlungen, die sich auf einen
Zeitraum von 3 Monaten erstreckten. In dieser Zeit wurde das Auge mit
zwei Hauteinheitsdosen unter 0,5 Zinkfilter bestrahlt. Dabei wurden möglichst
kleine Einfallsfelder gewählt.
Am 15. März erschien die Geschwulst nicht wesentlich verändert, nur
eiw'as flacher geworden. Ausserdem war eine sehr periphere hellweisse
Stelle sichtbar, die bei der ersten Untersuchung nicht konstatiert werden
konnte. Das (Gesichtsfeld war unverändert, die Sehschärfe dagegen auffallend
gebessert, ohne Glas Vis. Ob es sich hier um eine wirkliche Besserung
vier vielleicht nur um den Einfluss der Atropinwirku.ig gehandelt hat. vermag
ich nicht anzugeben.
19. III. Die weisse Stelle hat sich in ihrer Gestalt etwas verändert: es
sind jetzt zwei Flecken. Auch an anderen Stellen des Tumors treten feine
weisse Pünktchen auf. Die Abflachung ist noch ausgesprochener, ausserdem
besteht eine kleine Hornhauttrübung und • ein Erythem massigen Grades in
iiT Umgebung des Auges.
30. III. Nach sieben Bestrahlungen ist das Auge selbst leicht gerötet, es
histeht KralzgefüliL Die Pupille etwas unregelmässig, auf Atropin zeigen sich
mten vermehrte Synechien. «
Die Geschwulst sieht total verändert aus: ihre Farbe ist ein schmutziges
verwaschenes Braun, in dem die erweiterten Gefässe hervortreten; die
Nr. 7.
Difitized by Goi>gle
Grenzen erscheinen wie von einem leichten Schleier umhüllt, ausserdem
ist sie stark abgeflacht. Ihr Aussehen verhält sich zu dem früheren etwa
wie das eines geschmorten Apfels zu einem frischen.
Die weissen Stellen sind bei der jetzigen Pupillenform nicht zu erkennen.
2. IV. Pupille nicht weiter. Das Aussehen der Lidhaut entspricht einer
leichten Röntgenverbrennung II. Grades: Rötung, Exkoriationen, Pig¬
mentierung.
5. IV. Visus: L. —1,5. S. — ’'/ao. Patientin hat gestern eine, grössere
Zahl Punkte vor dem Auge bemerkt. Synechien gelöst, die weissen Massen in
der Peripherie sind wieder etwas zu sehen. Der Gesichtsfelddefekt ist gegen
den Befund vom 5. III. grösser geworden.
9. IV. Erythem abgeheilt. S. -- (mit —1,5).
27. IV. S. — Vöo. Gesichtsfeld nimmt weiter ab. Seit der gestrigen
Bestrahlung stärkere Rötung des Auges, auch ziliare Injektion, die auf Kokain
und Suprarenin nicht verschwindet. Keine Schmerzen. Die Pigmentierung in
der Sklera nicht vermehrt.
Am 3. VI, Hornhaut leicht getrübt, Auge stark injiziert, tränt. Pupille
trotz reichlich Atropin schlecht erweitert. Medientrübung hat zugenominen.
Geschwulst nur noch undeutlich sichtbar, anscheinend verkleinert.
17. VI. Man hat den Eindruck, dass die im ganzen verkleinerte Ge¬
schwulst in Fibrin und Netzhautfallen gehüllt ist. Die Farbe scheint
schmutzig gelblich, Einzelheiten sind nicht mehr zu unterscheiden. L. — 1.5.
S ” “/öo, Gesichtsfeld noch. weiter eingeschränkt.
30. XII. Nach etwa 30 Bestrahlungen Augapfel äusserlich unverändert,
Pupille auf Atropin mittelweit, Beschläge auf der vorderen Linsenkapsel.
Linse diffus getrübt, schwer zu durchleuchten. Mit dem Hornhautmikroskop
erkennt man noch den Tumor an der früheren Stelle. Die weissen Massen
in der Peripherie sind noch vorhanden. Die Hauptmasse der Geschwulst ist
bräunlich. Einzelheiten wegen der Medientrübung nicht zu erkennen.
S ~ Vso.
22.1. 19. Die pigmentierten Stellen in der Lederhaut haben etwas
zugenommen. Längs eines Gefässes verläuft ein schwarzer Strang.
25. VIIL 19. Seit Juni nicht mehr bestrahlt. Auge äusserlich blass, Pu¬
pille auf Atropin wenig erweitert, schräg oval. Linse stärker getrübt, haupt¬
sächlich die hintere Rinde, vom Tumor seihst nur noch undeutlich die helle
Stelle zu erkennen. S. — ‘/so. Lederhautpigmentierung ziemlich unverändert,
nur die unteren grösseren Flecken treten schärfer hervor. Ziliargefässc nach
wie vor erweitert.
20. IV. 20, Visus: ‘/so, Befund unverändert, ebenso Mitte September, wo
Herr Sanitätsrat Müller die Patientin zuletzt untersuchte.
Die Deutung des eben geschilderten Verlaufes bietet in mehr als
einer Hinsicht Schwierigkeiten.
Einmal bleibt es vorläufig ungeklärt, ob es sich um ein nach Ver¬
letzung entstandenes primäres Sarkom der Aderhaut. resp. des Ziliar¬
körpers oder^ um ein metastatisches Sarkom oder Karzinom handelt;
hierüber könnte erst eine etwaige anatomische Untersuchung Auskunft
geben, ebenso über die Frage, ob es sich um ein Leukosarkom handelt.
Die Möglichkeit, dass ein Pseudogliom, ein Zystizerkus, ein Tuberkel
vorliegen könnte, erscheint fast ausgeschlossen, mit Hinsicht auf den
für Tumoren charakteristischen Befund der erweiterten und von Pig¬
mentzellen eingescheideten vorderen Ziliarvenen, der sich immer wieder
in den betreffenden Krankengeschichten erwähnt findet. Auch die Mög¬
lichkeit. dass es sich um eine traumatische Bildung, wie sie ja gelegent¬
lich vorkommt, handeln könnte, erscheint nach dem ganzen Bilde aus¬
geschlossen. Völlige Sicherheit könnte freilich auch hier nur die ana¬
tomische Untersuchung bringen.
Wenn es sich also mit grosser Wahrscheinlichkeit um einen bös¬
artigen Tumor handelt, so ergibt sich die Frage: Ist der Verlauf durch
die Röntgenbestrahlung beeinflusst worden? Hier ist zu bedenken, dass
alle die im Laufe der dVi Jahre aufgetretenen Erscheinungen, Katarakt¬
bildung, Synechien, Beschläge der Linsenkapsel, zunehmende Netzhaut¬
ablösung, iridozyklitische Reizung auch ohne Bestrahlung auf treten
können. Es könnte also jemand einwerfen, dass es sich um einen sehr
langsam wachsenden Tumor handelt, der im Laufe der nächsten Jahre
das Auge zerstören und vielleicht zu Metastasen führen wird.
Diese letztere Möglichkeit vorbehaltlos zugegeben, muss aber doch
festgestellt werden, dass eine höchst auffällige Veränderung des Tumors
direkt nach den ersten Bestrahlungen und gleichzeitig mit dem die
Wirksamkeit der Strahlen anzeigenden Erythem der Lider aufgetreten
ist. Die Verkleinerung der Geschwulst war sehr ausgesprochen und
mag schätzungsweise ein gutes Drittel ihres Umfanges betragen haben.
Dass auch die Linsentrübung, obwohl sie in Anfängen bereits vor¬
handen war, grossenteils auf Kosten der Bestrahlung zu setzen ist, er¬
scheint sicher und stijnmt gut mit den früheren Angaben über die
physiologische Wirkung der Röntgenstrahlen und mit der von A x e ii -
feld geäusserten Ansicht überein, dass diejenige Strahlendosis, die
einen Tumor des Augeninnern zum Verschwinden bringt, regelmässig
auch Linsentrübung bewirken wifd.
Nehmen wir nun an, dass eine nachhaltige Beeinflussung des Tu¬
mors stattgefunden hat, oder dass seine wuchernden. Zellen völlig ver¬
nichtet worden sind, so lässt sich damit der klinische Verlauf wohl
ebenfalls in Einklang bringen. Dass die Geschwulst nach der Abtötung
noch sichtbar bleibt, wenn auch in reduziertem Zustande, dass in ihrer
Umgebung allerlei reaktive Vorgänge, Exsudalbildung, Synechien, Netz¬
hautschrumpfung sich einstellen, ist selbstverständlich. Die Abnahme
der Sehschärfe und des Gesichtsfeldes braucht also nicht auf einem
Wachstum des Tumors, oder gar auf einer Zerstörung der Nervenschicht
durch die Strahlen zu beruhen, sondern kann leicht durch diese sekun¬
dären Veränderungen erklärt werden. •
Weiterhin spricht das Ausbleiben von Drucksteigerung und von
Durchw'ucherung der Lederhaut, obwohl diese letztere durch
die verdäc^jtigen Pigmentstreifen längs der vor¬
deren Ziliarvenen schon vorbereitet scheinen
konnte, durchaus dafür, dass der Tumor jetzt nicht weiter wächst.
5
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
204
MÜNCHENER MEDIZINISCHI: WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Die efw-ähnten Pigmentstreifen können übrigens auch so gedeutet
werden, dass hier ein Abtransport von zugrundegegangenen Geschwulst¬
zellen in den Lymphscheiden stattfindet.
War es nun.richV^i oder falsch, von der Enuklea¬
tion abzusehen? Wäre diese imstande, eine sichere Heilung zu
verbürgen, so wäre die Antwort nicht schwer. Dies ist aber durchaus
nicht der Fall. Nach Fuchs entstehen Metastasen auch in den Fällen,
in denen sehr frühzeitig operiert wurde. (Lehrbuch der Augenheilkunde.
11 . Aufl., S. 442.) In seiner 1882 erschienenen Monographie*) stellt
Fuchs 259 Fälle zusammen, darunter 22 eigene. Im ganzen konnten
nur 6 Proz. Heilungen festgestellt werden; in 36 Fällen Rezidiv, in
46 Metastasen. Der grösste Teil der Fälle konnte aber nicht lange genug
beobachtet werden.
Unter 67 Fällen der Monographie von Rosa Kerschbaumer*)
(1900) sind 12 Metastasenfälle nach der Operation notiert jind zwar
erfolgte der Tod nach einer Frist von 3 Monaten bis längstens 4 Jahren;
nur 4 Fälle zeigten eine Heildauer von über einem Jahr. Bedenkt man
aber, dass die weitaus überwiegende Mehrzahl dieser Fälle überhaupt
nicht länger beobachtet werden konnte, so sind also fast alle
beobachteten Fälle verhältnismässig bald nach der
Operation gestorben. Fuchs stellt in seiner Monographie
selbst die Frage, ob unter solch trostlosen Aussichten überhaupt zu
operieren sei. Er bejaht diese schliesslich mit Rücksicht auf die
schmerzensparende Wirkung der Entfernung des kranken Augapfels und
wendet sich gegen die schon damals aufgetauchte Ansicht, dass die
Operation die Rezidive und Metastasen nur beschleunige. Aber wenn
auch eine Anzahl von Fällen nach der Operation frei von Metastasen
bleibt, so ist doch zu bedenken, dass der Verlauf der Aderhautsarkome
ein ausserordentlich langsamer sein kann. Fuchs zitiert einen Fall
von S 10 e b e r, der 17 Jahre bestand, operiert wurde und dann noch
10 Jahre gesund blieb.
Nun Ist aber, wie früher schon, auch neuerdings wieder durch
O. Lange®) die Frage aufgeworfen worden, ob die Operation
nicht überhaupt in den früheren Stadien geradezu
schädlich wirkt und daher kontraindiziert ist.
Lange teilt zunächst einen Fall mit, in dem er ein schweres, schon
durchgebrochenes Melanosarkom der Aderhaut mit subperiostaler Ex¬
enteration entfernte, aber im Foramen opticum Geschwulstmasse zurück¬
lassen musste. Das bestimmt erwartete Lokalrezidiv blieb aus, nach
6 V 2 Jahren war die Frau noch gesund. Er teilt aus der Literatur mehrere
ähnliche Fälle von Wintersteiner, v. Schröder. Fuchs u. a.
mit Diesem Verhalten gegenüber stellt er die Fälle, in denen ganz
kleine Aderhauttumoren trotz frühzeitiger Entfernung schnell zum Tode
führende Metastasen machten. Fuchs stellte fest dass Metastasen
ziemlich gleichoft sich einstellen, mag die Geschwulst frühzeitig oder
spät operiert worden sein. Champonniöre sagt: „Op 6 rez aussitöt
que vous vgudrez, le rösultat sera toujours fatal“ und: „J’ai toujours vu
Topöration donner un coup de fouet ä la maladie et provoquer une
recidive suraigue“.
Lange erörtert dann ausführlich die neueren Anschauungen über
die Entstehung der Geschwülste und knüpft daran sehr berücksichtigens-
werte Erörterungen. So unterstreicht er die nach Händel und
Schönburg feststehende Tatsache, dass die rezidivfreie Operation
genügend ausgewachsener Tumoren eine stark ausgesprochene Immu¬
nität zur Folge hat, dass dagegen nach der junger Tumoren Immunität
bei Nachimpfung mit eigenem oder fremdem Tumor nicht eintritt. Kommt
es zu einem Lokalrezidiv, so bleibt die Immunität aus. ,
Lan.ge glaubt nun, dass es in seinem Falle zur Bildung von Anti¬
körpern, somit zu einer aktiven Immunität gekommen sei; dass dies nicht
öfter beobachtet werde, liege vielleicht an der zu frühen Operation,
gegen die er sich also mit Championniere ausspricht.
Was nun die Metastasen betrifft so sieht er darin im Einklang mit
den Anschauungen von Cohnheim, Ribbert, Albrechtu. a. nicht
einfach verschleppte Herde im Sinne V i r c h o w s, sondern vermutet
ihre Entstehung aus versprengtem Keimmaterial, das im allgemeinen un¬
schädlich im Körper hegen bleibt, unter bestimmten Bedingungen aber
in Wucherung gerät. (Ehrlichs Wuchsstoffe!) Wenn nun Im Sinne
E h r 1 i c h s der primäre Tumor eine gewisse Schutzwirkung ausiibt
indem er die Wuchsstoffe an sich zieht die sonst benachbarte Ge¬
schwulstkeime zur Entfaltung bringen könnten, so könnte in der Tat seine
Entfernung schädlich resp. beschleunigend wirken.
Ich glaubte diese Ausführungen L am g e s eingehend berücksichtigen
zu sollen, da sie sehr geeignet sind, ziun Nachdenken über unsere ge¬
wohnte Therapie bei dieser bösartigen Erkrankung anzuregen. Ob die
von dieser Anschauung supponierte und mit »den klinischen Tatsachen
gut zu vereinbarende Gefährlichkeit der Frühoperation auch für die Ver¬
nichtung der wuchernden l'umorzellen durch Röntgenstrahlen gelten
wird, muss dahingestellt bleiben. Es wäre sehr wohl möglich, dass ge¬
rade die Wirkung der Strahlen auf wuchernde Zellen einerseits die Meta¬
stasen hintanhält, andererseits die hemmende Wirkung des Primär¬
tumors nicht völlig aufhebt.
E. Fuchs; Das Sarkom des Uvealtraktus. Wien 1882, bei Braun¬
müller.
®) R. P. Kerschjbaumer; Das Sarkom des Auges. Wiesbaden 1900,
bei Bergmann.
®) O. Lange: Zur Lehre vom Sarkom der Aderhaut mit Berücksichti¬
gung der experimentellen Geschwulstforschung. Klin. Mbl. f. Augenheilk.
1913, 51, 11- N. F. XVI.
Doch möchte ich das Gebiet der Spekulation nicht betreten, sondern
nur darauf hinweisen, dass doch neben den Versuchen, mit Enukleation
das Leben der Patienten zu retten, auch die Röntgenbestrahlung gerecht¬
fertigt ist. Wer die Metastasenbildung nach V i r c h o w vertritt, muss
zugeben, dass gerade die Operation durch Eröffnung von Lymph-
bahnen u. a. m. in dieser Richtung Schädlichkeiten entfalten kann, welche
die Strahlentherapie vermeidet
Wenn die Aderhautsarkome, wie dies längst bekannt ist und viel¬
leicht auch in unserem Falle zutrifft, vielfach nach Verletzung entstehen,
wenn sie sich, wie dies aus der bekannten Arbeit von Leber und
Kranstöver hervorgeht, häufig in phthisischen Augen entwickeln,
so wird man sich vielleicht geradezu hüten müssen,
in solchen Fällen neue Narben zu setzen.
Die Entscheidung über die Wahl der Therapie hängt eben neben der
praktischen Erfahrung auch von den theoretischen Vorstellungen ab, die
sich der Einzelne über das Wesen der Geschwülste gebildet hat. Sieht
man in der Geschwulst eine Art von Parasiten, der seine Eier in der
Umgebung ablegt, so wird man ihn so schnell als möglich mit Stumpf
und Stiel auszurotten trachten. Sieht man in der Geschwulstbildung
aber nur den Ausdruck eines durch irgend eine Ursache gestörten Gleich¬
gewichtes der Zellverbände, so wird man in der Zerstörung der Wuche¬
rung selbst, sei es durch Operation sei es durch ein anderes physi¬
kalisches Agens, überhaupt nicht den massgebenden Faktor der Therapie
erblicken.
Wenn der vorliegende Fall fast 3 Jahre von nachweisbarer Meta-'
stase freigeblieben ist, und der Tumor auch lokal kein Fortschreiten hat
erkennen lassen, obwohl ein solches nach dem ganzen klinischen Bild
mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, so darf daraus wohl
der Schluss gezogen werden, dass die bisherige Therapie nicht un¬
richtig war.
Sollte eine frische Proliferation eintreten, womit jederzeit gerechnet
werden muss, so könnte jederzeit die Enukleation vorgenommen werden,
wozu die Patientin ihre Zustimmung gegeben hat. Freilich könnte sich
eine solche, nachdem der Einblick in das Augeninnere durch die Linsen¬
trübung verhindert und eine Staroperation nach den eben vorgetragenen
Erwägungen kontraindiziert ist, sich dann der Beobachtung entziehen,
wenn sie etwa nach hinten zu erfolgen sollte. Nach dem Sitz des
Tumors ist dies aber* wenig wahrscheinlich, da der Durchbruch in die
vordere Kammer und Sklera doch näherliegt.
Sollte dieser Fall eintreten und das Auge noch entfernt werden
müssen, so würde die vorausgegangene Strahlenbehandlung vielleicht
einen gewissen Schutz gegen Metastasenbildung geboten haben.
Ueber den weiteren Verlauf des Falles werde ich seinerzeit wieder
berichten.
Bemerkungen zur Röntgenstrahlenbehandlung
intraokulärer Tumoren.
Von Sanitätsrat Dr. Christoph Mue 11 er-Immenstadt.
Im vorliegenden Falle galt es vor Inangriffnahme der Strahlen¬
behandlung über folgende Fragen sich Rechenschaft zu geben:
Sind der Sitz des Tumors, seine Empfindlichkeit gegen Strahlung und
die der ihn umgebenden gesunden Gewebsarten derartige, dass ohne
nennenswerte Schädigungen der letzteren die Tumorzerfallsdosis appli¬
ziert werden kann? Ich habe früher schon auf Grund meiner Erfahrungen
bei Bestrahlungen von Mautkarzinomen am Auge und sonstigen Schädel¬
bestrahlungen darauf hingewiesen, dass kein Teil des Auges empfind¬
licher gegen Strahlung ist als die Haut. Diese Erfahrung wurde unter
genauer ophthalmologischer Kontrolle im vorliegenden Falle bestätigt.
Und heute lassen sich, als Resultat weiterer zahlreicher Beobachtungen
bei Grossfernfeldbestrahlungen am Schädel, bei denen die Augen mit¬
bestrahlt wurden, unter Zugrundelegung der Hauteinheitsdosis von
100 Proz. folgende biologische Mittelwerte als zahlenmässiger Ausdruck
für die Empfindlichkeit angeben:
Konjunktiva und Sklera 100 Proz.
Kornea 120—130 Proz.
Linse 90—100 Proz.
Es konnte also in diesem Falle die Sarkomdosis von 65 Proz. leicht
mit 2 —3 Einfallsjfforten im Tumor zur Absorption gebracht werden.
Die heutige Bestrahlungstechnik mit (jrossfernfeldern, dem günstigeren
Tiefenquotienten und der Ausnützung der Streustrahlung benötigt hierzu
nur ein Feld direkt auf das Auge.
Die nächste Frage war, ob nicht durch einen eventuellen vergeb¬
lichen Bestrahlungsversuch der Zeitpunkt der Operabilität versäumt
wird. Auch diesbezüglich war nichts zu fürchten. Ich kenne keine
Stelle im Organismus, die durch die Zystoskopie beobachtbaren Blasen¬
wandtumoren vielleicht ausgenommen, wo ein im Innern des Körpers
gelegener Tumor so exakt kontrolliert werden kann wie im Auge. Die
derzeitige Bestrahlungstechnik maligner Tumoren geht darauf hinaus, die
lumorzerfallsdosis möglichst auf einmal oder längstens innerhalb 2 bis
3 Tagen in den Tumor zu bringen. Die Reaktion auf diese Bestrahlung
muss sich bis zum Einsetzen der, Zerfallserscheinungen spätestens in
3 Wochen geltend machen. All die hierbei in Frage kommeiiden Vor¬
gänge lassen sich im Auge in allen ihren Phasen von der ersten
reaktiven Hyperämisierung an verfolgen. Reagiert der Tumor wirklich
fficht,. dann sind nach Ablauf von 3 Wochen die Bedingungen für die
Operation sicher keine ungünstigeren geworden.
Digitized by
Goi.igle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
].s. Februar 1921.
MÜNCHJENER Mf^DlZlNlSCHE WOCHENSCHRIFT
203
Endlich musste noch Stellung: genommen werden zu der Frage, ob
die Möglichkeit des Auftretens eines Rezidives oder von Metastasen
grösser ist nach erfolgreicher Bestrahlung als nach stattgehabter
Enukleation. Die letzte Entscheidung hierüber wird nur die Statistik
treffen können. Aber soviel darf jetzt schon behauptet werden, dass die
Rezidivierungs- und Metastasierungsmöglichkeit nach Bestrahlung nicht
(ffösser, wahrscheinlich geringer ist als nach der Operation. Voraus¬
gesetzt, dass richtig bestrahlt wurde. Wir wissen, dass Rezidive nach
(Operierten Karzinomen sehr häufig zuerst in den Operationsnarhen auf-
treten. und zwar zu einer Zeit, in der die Narbe anfängt derber zu
Vierden. In diesem schlecht ernährten Gebiete ist Jedenfalls eine Prä¬
dilektionsstelle für Karzinomentstehung. Es leuchtet ein. dass die Narbe,
die ein durch, Bestrahlung zum Verschwinden gebrachter Tumor hinter-
:isst, um ein vieles kleiner ist als die Operationsnarbe, die das ganze
erkrankte Gebiet in weitem Umfange umzieht. Es leuchtet weiter ein,
dass neben der grossen Gewebsschädigung bei der Operation die Er¬
öffnung von Lymphbahnen und Gefässen Verschleppungsmöglichkeiten
bietet, und so lässt sich behaupten, dass wegen der weniger intensiven
und wenig umfangreichen Gewebsschädigung an sich geringere lokale
Vorbedingungen für ein Rezidiv und für Metastasenbildung gegeben sind.
Wenn allerdings die Bestrahlung zu intensiv war, d. h. wenn die ge¬
sunden Partien des Auges und seiner Umgebung so schwer geschädigt
wurden, dass bleibende Gewebsveränderungen im Gesunden gesetzt
wurden, dann ist es denkbar, dass in einem solchen falsch behandelten
Gebiete eher Rezidive entstehen als wie nach der Operation.' Zu der
Eorderung. also inindestens soviel Strahlung dem Auge zu applizieren,
dass der Tumor auch wirklich zerfällt, kommt die zweite Forderung, unter
keinen Umständen so intensiv zu bestrahlen, dass das gesunde Gewebe
dauernd geschädigt wird, oder kurz ausgedrückt: exakte Dosierung der
Strahlung nach unten und oben.
Zusammenfassung.
1. Intraokuläre maligne Tumoren sind der Strahlenbehandlung zu-
jrängig. Grundbedingung ist exakte Dosierung nach oben und unten.
2. Die günstigen Beobachtungsverhältnisse im Auge lassen bei
einem vergeblichen Bestrahlungsversuch ein Versäumen des Zeitpunktes
der Operabilität als ausgeschlossen erscheinen.
3. Ob nach Strahlenbehandlung häufiger Rezidive oder Metastasen
aufireten als nach erfolgter Enukleation, entscheidet letzten Endes die
Statistik.
Oie prozentual abgestufte Ponndorf-Impfung.
Von Dr. H ans Koopmann, Hausarzt des Diakonissenheims
Bethlehem, Hamburg.
Der Haut als des Ortes der Applikation von spezifischen Mitteln
iCffen Tuberkulose und zur Erkennung von Tuberkulose bedienen sich
eine Reihe von Methoden. Die Autoren, welche diese Methoden an-
s'aben, gingen teilweise empirisch (Spengler [12],Petruschky[7j,
Moro [6]), teilweise nach theoretischen Ueberlegungen (v. Pir-
uuet [8], Pöppelmann [9], Ponndorf [10]) von der Tatsache
dus. dass die Haut e i n Sitz der zellulären Immunität ist. Die Methoden
Jer erstgenannten Autoren sind perkutane, die der letzten kutane Impf-
^erfahren. Von diesen Methoden fand die weiteste Verbreitung die
Impfung nach v. Pirquet mit konzentriertem Alttuberkulin, die von
1;erm a n n und Erlandsen 12] zu einem Verfahren mit prozentual
jös^estuftem Alttuberkulin ausgebaut wurde, P ö p p e 1 m a p n [9] zu
siner Methode veranlasste und auch als der Vorläufer der mit der
Pöppelmann sehen nahe verwandten Ponndorf sehen Methode
iriusprechen ist. Ueber die v. Pirquet sehe Impfung liegt eine zahl-
^;he Literatur vor. die im ganzen ein warmes Zeugnis für die Brauch¬
barkeit der V. Pirquet sehen Impfung vornehmlich zu diagnostischen
Zwecken, aber auch zu therapeutischen Zwecken abgibt. Sehr geringes
Lieraturmaterial liegt jedoch über die Brauchbarkeit der Poppel¬
mann sehen und der Ponndorf sehen Methode vor. Der Pöppel¬
mann sehen Methode wurde so gut wie keine Beachtung in Fachkreisen
zuteil. Ausführlichere Arbeiten über die Brauchbarkeit des Ponn-
-iürfsehen Verfahrens sind bisher nur von Wichmann [131 und
riaserodt [3] veröffentlicht worden. Eine Reihe anderer Autoren
-w ahnen die Ponndorf sehe Methode nebenbei (W o l f f -
risner [14l, Sch reus [11] und Arnsperger [l]). Das Urteil
aieser Autoren spricht für die Brauchbarkeit dieses 'Verfahrens, be-
^mders für therapeutische Zwecke. So schlossen Wichmann [13]
mid Haserodt [3] ihre Arbeiten mit den Worten: Wo Alttuberkulin
’iüiziert erscheint, soll nach der Ponndorf sehen Methode verfahren
Würden! Nur v. Hayek [4] gibt ein reserviertes Urteil über den
‘Vert der Ponndorf sehen Impfung ab.
Ein Hauptvorteil der kutanen und perkutanen Tuberkulinapplikations-
^ihoden ist ohne Zweifel ihre Gefahrlosigkeit, d. h.. dass man durch sie
m allgemeinen keine merkbaren Herdreaktionen hervorzurufen pflegt.
" ne Ausnahme macht in dieser Beziehung die Ponndorf sehe Kutaii-
meihode. Nach Ponndortsehen Impfungen sind in der Tat Herd-
=a.ktionen beobachtet worden. Diese Herdreaktionen, deren Wirkungs¬
weise (nützlich oder schädlich) man bei der Verwendung von konzen-
■ entm .Alttuberkulin nicht in der Hand hat, sind es, die H a y e k [4] zu
•m reservierten Werturteil über die Ponndorf sehe Methode ver-
' iasst haben. Und zweifellos ist die fehlende Dosierbarkeit der
'''igmalmethode-Ponndorf ein Nachteil des sonst brauchbaren Ver¬
fahrens, sowohl zu diagnostischen, wie auch zu therapeutischen Zwecken.
Dieser Nachteil der Originalmethode-Ponndorf brachte mich auf den Ge¬
danken in Anlehnung an die von Eil er mann und Erlandse.n [2l
angegebene prozentuale Abstufung der v. Pirquet sehen Impfung, eine
solche prozentuale Tuberkulinabstufung auch nach der Ponndorf sehen
Methode in Anwendung zu bringen. Ich verwende bei dieser prozentual
abgestuften Ponndorf sehen Methode wie E11 e r m a n n und
Erlandsen [2] bei ihrem abgestuften v. Pirquet 1 proz.. lOproz.,
25 proz., 50 proz. und konzentriertes Alttuberkulin. Natürlich steht einer
Anwendung feinerer Abstufungen nichts im Wege. Ueber die Erfah¬
rungen, die ich mit dem abgestuften Ponndorf machte, die zur Fort¬
setzung dieses Verfahrens ermutigen, soll später ausführlich berichtet
werden.
Was die Verwendung des abgestuften Ponndorf zu diagnostischen
Zwecken anbetrifft, so vermeidet man mit dieser Methode schädliche
Herdreaktionen mit Sicherheit, andererseits ist z. B. eine positive
Reaktion auf 1 proz. Alttuberkulin, die ich in mehreren Fällen von Ver¬
dacht auf Lungentuberkulose erzielte, bei voller Würdigung des klinischen
Befundes eines Patienten eine wertvolle Antwort des tuberkulös infizierten
Organismus nicht nur auf die Frage: Liegt eine Tuberkulose vor oder
nicht? sondern auch auf die Frage: Liegt eine zur Proliferation oder
Induration neigende Tuberkulose vor? 'Orosseji Wert hat m. E. der ab¬
gestufte Ponndorf ebenso in seiner therapeutischen Verwendung. Wenn
ich' auch zurzeit^ noch nicht über abgeschlossene Tuberkulinkuren mit
dem abgestuften Ponndorf berichten kann, so möchte ich hier doch an¬
geben, dass ich bei der therapeutischen Verwendung des abgestuften
Ponndorf im Sinne des Anergisten Krämer [5] verfahre, ich impfe
so lange mit 1 proz. Alttuberkulin, bis ich mit diesem eine positive
Anergie (Hayek [4]) erzielt habe, und so fort
Zusammenfassung.
Durch die prozentual abgestufte Alttuberkulinimpfung nach der
Ponndorf sehen Methode wird eine Dosierungsmöglichkeit dieses an
sich schon recht brauchbaren Verfahrens erreicht und dte Gefahrlosigkeit
desselben garantiert Wegen dieser Gefahrlosigkeit eignet sich der ab¬
gestufte Ponndorf ganz hervorragend zur Anwendung in der ambulanten
Praxis.
Literatur.
1. Arnsperger; M.m.W. 1920 Nr. 33. — 2. Eller mann und
Erlandsen: D.m.W. 1909 Nr. 10. — 3. H a s e r o d t: M.m.W. 1919 Nr. 14.
— 4. V. H a y e k, Berlin, Springer, 1920. — 5. Kraemer: Beitr. z. Klin. d.
Tbk. 36. 1917. — 6. Moro: M.m.W. 1908 Nr. 5. — 7. Petruschky:
Beitr. z. Klin. d. Tbk. 30. 1914. — 8. v. Pirquet: B.kl.W. 1907 S. 644. —
9. Pöppelmann: B.kl.W. 1910 Nr. 42. — 10. Ponndorf: M.m.W.
1914 Nr. 14 u. 15. — 11. S c h r e u s: B.kl.W. 1920 Nr. 26. — 12. S p e n g l e r:
Beitr. z. Klin. d. Tbk. 31. 1914. — 13. Wichmann: B.kl.W. 1917 Nr. 23
und Derm. Wschr. 1920 Nr. 28 — 14. W o 1 f f - E i s n e r: Zschr. f. ärzti.
Fortbild. 1919 Nr. 22.
Die Ponndorfsche Kutanbehandlung.
Von Dr. Kroschinski, Herz- und Nervenarzt, Hannover.
Ponndorf-Weimar hat soeben seine „Heilung der Tuberkulose
und ihrer Mischinfektionen durch Kutanimpfung“ im Selbstverlag er¬
scheinen lassen. Er fordert alle Vertreter seiner Methode auf, ihre Be¬
obachtungen zu veröffentlichen. Bei dem grossen Interesse, das die
Befiandlungsmethode verdient möchte ich meine fünfjährige Erfahrung
mit wenigen Worten niederlegen. Meine Fälle waren hauptsächlich:
N-euralgien, Neuritiden, Neurasthenie, Neurosen (Basedow), rheumatoide
Erkrankungen und lanzinierende Schmerzen bei 'Tabes. Meine Beob¬
achtungen bei Lungentuberkulose sind für abschliessendes Urteil nient
umfangreich genug, bei akuten fieberhaften Erkrankungen glaubte ich
nach einigen unangenehmen Zwischenfällen die Methode nicht anwenden
zu dürfen.
Die Anwendungsweise‘) war dieselbe wie die von Ponndorf
angegebene — ich verdanke ihm auch die Anregung —, nur habe ich
ausser Alttuberkulin Koch gelegentlich auch Tuberculinum bovinum,
Bazillenemulsion und Zusatz von Staphylokokkenvakzine benutzt Was
die Resultate anlangt so wi^l ich gleich zusammentassend sagen, dass
dieselben in geeigneten Fällen ausgezeichnet ja manchmal so frappierend
waren, dass die Patienten an eine Wunderkur glaubten. Was die Theorie
der Wirkung anlangt so muss ich mich streng auf den biologischen
Standpunkt stellen. Ich schiebe die Wirkung auf 4 Momente:
1. wird die Haut zu innersekretorischer Tätigkeit angeregt — da¬
durch wird die zelluläre Abwehr in hohem Masse gefördert;
2. wirkt die Vakzine auf die unabgestimmte humorale Abwehr an¬
regend wie jedes Antigen;
3. wird wenigstens bei dem Gebrauch der Tuberkulinpräparate auch
die spezifische Bakteriolysinebildung je nach Körperzustand angeregt;
4. wird nachhaltig — ähnlich wie bei akuten Infektionen vorüber¬
gehend — die Reizbarkeit des Nervensystems herabgesetzt besonders
auch - die der Gefässnerven, so dass eine bessere Zirkulation statthat,
besonders auch durch Beruhigung des Akzeleranssystems.
Dementsprechend waren auch die Erfolge: die Patienten fühlten sich
frischer, neurasth'enische Erscheinungen Hessen nach. Basedow-
*) Ponndorf macht mit der Impflanzette eine Anzahl knapp finger¬
langer Hautschnitte, so tief, dass sie eben bluten möchten, und reibt dann
3—5 grosse Tropfen Alttuberkulin in die Impfwunden ein. Wiederholung
je nach Fall nach 8—10 Tagen resp. nach Wochen oder Monaten.
5
Digitized b
»Gotigle
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
206
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
beschwerdeii wurden häufig staunenswert beeinflusst, rheumatoide Be¬
schwerden gingen zurück, auch die lanzinierenden Schmerzen der
Tabiker. Trotz häufig ziemlich stürmischer Reaktion verlangten die
Patienten meist energisch die Weiterbehandlung, weil sie zum erstenmal
eine Methode spürten, die das Uebel an der Wurzel packte. Man darf
die Impfungen aber nicht zu früh wiederholen, sonst lässt die Reaktions¬
fähigkeit des Körpers nach, es wird kein weiterer Vorteil geschaffen,
im Gegenteil, die Patienten sind matt und hinfällig.
Ganz besonders möchte ich noch die günstige Wirkung auf manche
Formen der Dysmenorrhöe und manche Hautkrankheiten anführen, be¬
sonders auch Akne und Furunkulose.
P 0 n n d 0 r f sagt, dass Tuberkulose der Schrittmacher der von ihm
als Mischinfektion bezeichneten Krankheiten ist, dass die Kokken im Blut
sich nur entwickeln können, weil die Tuberkulose den günstigen Nähr¬
boden stellt. Aehnl'iches behaupten ja viele Forscher von der Tabes und
Paralyse, nämlich, dass auch die Syphilis nur die Vorbedingungen schafft,
dass aber bei diesen beiden Krankheiten noch andere disponierende
Momente dabei sein müssen. Mag man sich zu der Theorie stellen, wie
man will — der Erfolg würde sich in jedem Fall schon dadurch erklären
lassen, dass durch die Kutanbehandlung in ganz besonderer Form die
Sicherheitspolizei im Blut und in den Zellen mobilisiert wird, die allen
Infektionen zugute kommt, während beispielsweise die Salvarsantherapie
mehr auf das Totschlägen der Einbrecher bedacht ist — dabei freilich —,
wenn nicht alle Keime vernichtet werden, dem Körper einen Teil des
Anreizes zur Antikörperbildung nimmt. Auffallend ist. dass die Injektions-
methode mit Tuberkulin keineswegs dieselben Resultate gibt wie die
Kutanbehandlung — ich habe mich bei denselben Kranken häufig davon
überzeugt.
Ist die P 0 n n d 0 r f sehe Methode auch kein Allheilmittel, so ist sie
in der Hand des Erfahrenen doch ein Hilfsmittel wi-e wir kaum ein
zweites besitzen.
Ueber Lipodystrophie nebst Mitteiiung eines Feiles*).
Von Prof. Dr. H. Klien-Leipzig.
Seit die Kenntnis des zuerst 1911 von Simons [21—24] be¬
schriebenen Krankheitsbildes der Lipodystrophie eine allgemeinere ge¬
worden ist, sind in letzter Zeit häufiger Fälle dieser eigenartigen Er¬
krankung mitgeteilt worden. Soweit ich die Literatur übersehe, dürften
bei Berücksichtigung nur der sicher hierher zu zählenden Fülle bisher
ca. 20 beschrieben worden sein.
Das Krankheitsbild besteht im wesentlichen darin, dass — meist
beginnend in der späteren Kindheit — ein Fettschwund im Bereich der
oberen Körperhälfte eintritt, zu dem sich dann später bei weiblichen
Wesen eine Fetthypertrophie in der Becken-, Gesäss- und Wadengegend
gesellen kann. Die Fettverarmung der oberen Körperhälfte beginnt in
der Regel im Gesicht; sie kann allmählich bis zum fast absoluten Fett-
schwknd fortschreiten, kann aber auch auf dem Wege dazu in jeder
Phase stehenbleiben. Schliesslich tritt ein stationärer Zustand ein. Ab¬
gesehen von der Fettatrophie resp. Dystrophie bestehen in unkompli¬
zierten Fällen keinerlei Störungen; namentlich erfreuen sich die Pa¬
tienten in der Regel eines guten Allgemeinbefindens; sie sind auch
geistig und körperlich in jeder Beziehung leistungsfähig und leiden im
wesentlichen unter der Hässlichkeit und dem krankhaften Aussehen ihres
eingefallenen Gesichts.
Ueber das Wesen der Krankheit tappt man bisher ganz im Dunkeln.
Simons, der sich am eingehendsten mit der Erforschung dieses
Leidens befasst hat, ist der Meinung, dass es sich um eine Heredo-
degeneratlon, um eine „Schwesterkrankheit der Muskelatrophie“ handle.
Eine Begründung dieser Annahme gibt er aber nicht und meines Wissens
ist nicht ein einziger Fall bekannt, in dem das Leiden erblich oder bei
Geschwistern oder auch nur in Zusammenhang mit anderen sicher
heredodegenerativen Erkrankungen vorgekommen wäre. Nach
Simons weist nichts darauf hin, dass eine Funktionsstörung irgend¬
einer bestimmten endokrinen Drüse die Ursache des Leidens wäre, wohl
aber könne vielleicht irgendeine kombinierte Störung von seiten
mehrerer endokriner Drüsen eine Rolle spielen. Simons und mit ihm
die meisten Autoren, die sich mit der Frage der Aetiologie beschäftigt
haben, weisen aber mit Recht darauf hin, dass man aus einer Störung
der Blutdrüsensekretion schw'er erklären könne, warum die Fettatrophie
auf die obere Körperhälfte beschränkt bleibt, und dass man aus diesem
regionär verschiedenen Verhalten des Fettpolsters auf eine Beteiligung
des Nervensystems schliessen müsse.
Ich möchte im folgenden darauf hinweisen. dass man aus der Analyse
der bisher bekannten Fälle m. E. doch noch einige Hinweise auf den
Mechanismus der Erkrankung entnehmen kann, die mir wichtig genug
erscheinen, um in künftigen Fällen besonders beachtet zu werden, da ich
glaube, dass wir vielleicht auf W'eiterverfolgung dieser Fährte einmal zur
Erklärung des Krankheitsbildes gelangen können.
Ehe ich hierauf eingehe, möchte ich einen Fall eigener Beobachtung
mitteilen, der auch durch seine komplizierenden Symptome wichtig
erscheint.
Hans B., geb. den 23. IX. 1910, trat in meine Beobachtung am 1. VIII. 18.
Von Nerven- oder Stoffwechselkrankheiten in der Familie nichts bekannt.
Arische Rasse. Eltern gesund, nicht blutsverwandt. 1 Schwester, gesund.
Rechtzeitig geboren. Normale Geburt. In den ersten Lebensjahren völlig
•) Vortrag und Pernonstration in der Medizinischen Gesellschaft Leipzig
am 4. Mai 192Ü.
normale Entwicklung. Bis zum 4. Lebensjahre war er, wie ich mich aus
einer Photographie überzeugen konnte, ein wohlgenährter, pausbäckiger
Knabe. Vor Beginn des jetzigen Leidens keine Kinderkrankheiten. Im
6. Lebensjahre Masern, im 7. Spitzpocken.
Ende 1915 bemerkten die Angehörigen eine auffällige Abmagerung des
Knaben. Im Januar 1916 wurde der Knabe von einem Strassenbahnwagen
erfasst und ein Stück geschleift. Keine Bewusstlosigkeit, kein Erbrechen,
dagegen am Tage des Unfalls auffällige Schlafneigung. Seit diesem Unfall
— für den übrigens Entschädigungsansprüche nicht gemacht werden — soll
nach Angabe der Mutter die Abmagerung rapide Fortschritte gemacht haben;
dabei beobachtete die Mutter schon, dass die Abmagerung nur Gesiebt,
Arme und Oberkörper, nicht auch die Beine betraf. Bald nach dem Unfall
habe sich dann eine ganz auffällige Behaarung des Gesichts einzustcllen
begonnen, die dann in den Jahren 1917/18 noch mehr zugenommen habe.
Seit Beginn der Abmagerung müsse der Knabe auch sehr häufig, am Tage
oft alle /\—% Stunde, Urin lassen, auch habe sich seitdem öfters Bettnässen
eingestellt; der Urin sei auffällig hell, nie trüb. Nie Kopfschmerzen. Seit
der Erkrankung habe sich eine andauernde wässerige Nasenabsonderung ein¬
gestellt, so dass der Knabe meist täglich 2—3 Taschentücher vollständig
durchnässe. Beim Trocknen würden diese Taschentücher hart und steii.
Seit Ende 1915 machten sich bei dem Knaben leichte Drüsenanschwellungen
am Halse bemerkbar.
Das subjektive Befinden des Knaben ist ein gutes. Er ist von guter
körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit und seinen Kameraden auch bei
Prügeleien usw. nicht unterlegen. Er ist nur unglücklich über sein Aussehen,
da ihn die Kameraden damit necken, ihn „Totenkopf“ u, ähnl. schimpfen.
Status: Normale Entwicklung des Skeletts und der Muskulatur.
Keine Anzeichen überstandener Rachitis. Gesicht hochgradig abgemagert,
Wangen tief eingefallen; beim Lachen bilden sich um die Mundwinkel vier
konzentrische Falten. Das Oberlid ist etwas eingesunken, es besteht leichter
Enophthalmus. Die Oesichtshaut ist etwas blass, im übrigen von normalem
Aussehen. Im ganzen Gesicht findet sich ein ganz auffällig starker Lanugo,
in hohem Grade ist derselbe entwickelt an den Schläfen, wo er in die Augen¬
brauen übergeht, sowie in den oberen Halspartien, von wo er auf die Wangen
übergeht. Nur die Nase ist ganz frei davon. An der Stirn haben diese Haare
schon fast nicht mehr den Charakter von Lanugo, sondern sind hier länger
und stärker und ähneln schon mehr dem Haupthaar.
Die Stirnnaht springt stark hervor, die Haut der Arme ist äusserst mager
und in ganz dünnen Falten abhebbar. Unter der dünnen Haut springt das
Relief der gut entwickelten Muskeln stark hervor. Die rohe Kraft der Arm¬
muskeln ist gut. Unter der dünnen Haut der Arme scheint das Netz der Haut¬
venen stark durch. An der Streckseite der Oberarme abnorm starke Be¬
haarung. Abgesehen von dem Fettmangel keine trophische Störung der Haut,
keine auffällige Pigmentierung, keine trophische Anonwlie der Nägel, keine
vasomotorische Störung. Auch der Oberkörper ist stark abgemagert, so dass
die Knochen stark hervortreten.. Von der Beckengegend abwärts ist die
Fettentwicklung eine völlig normale. Ueberhaupt macht der Unterkörper
einen völlig normalen Eindruck, nur findet sich wieder an den Beinen eine
übernormale Behaarung. Geschlechtsteile infantil, keine Schamhaare, Hoden
deszendiert. Am ganzen Körper besteht eine ziemlich derbe Schwellung der
Lymphdrüsen: im Gesicht ist eine präaurale Lympheirüse sichtbar ge¬
schwollen; ebenso treten die submaxillaren und einige Halslymphdrüsen
sichtbar hervor. Kubital-, Axillar- und Leistendrüsen sind geschwollen.
Tonsillen ohne Befund. Herz, Milz, Leber, Lunge ohne Befund. Schilddrüse
fühlbar, vielleicht etwas klein. Keine Thymusdämpfung. Keine Erweiterung
der Sella turcica im Röntgenbild. Der systolische Blutdruck beträgt 96, der
diastolische (nach K o r o t k o f f) 64. Nach Injektion von % ccm Adrenalin
nach 10 Minuten 102 systolisch und 56 diastolisch. Die Pulszahl schwankte
zwischen 61 und 72. Es bestand eine eigenartige Irregularität in Form von
frequenterem und langsameren Schlagserien, ohne dass diese von der Atmung
abhängig waren (längere Perioden), keine Inäqualitäten von Schlag zu Schlag.
Druck auf den Bulbus und Druck auf den Vagus hatten keinen deutlichen
Einfluss auf die Pulsfrequenz. Der Urin ist hell, von niedrigerem spezifischen
Gewicht: 1013. Urinmenge IVa bis gegen 2 Liter bei gewohnheitsmässig sehr
geringer Flüssigkeitsaufnahme. Er enthält kein Eiweiss, keinen Zucker, keine
abnormen Formelemcnte. 40 g Galaktose wurden restlos verarbeitet. Nach
Injektion von Va ccm Adrenalin keine reduzierende Substanz im Urin. Keine
Aldehydreaktion, keine Phosphaturie. Drang zur Urinentleerung stellt sich
alle Va—Y i Stunden ein. Die Pupillen sind beiderseits gleich und mittelweit,
reagieren prompt auf Licht und bei Akkommodation. Einträufelung von
3 Tropfen Adrenalin führte zu keiner Pupillenerweiterung. Einträufelung von
2 proz. Kokain führte zu starker Pupillenerweiterung. Die sympathische
Erweiterung der Pupille bei Schmerzreizen erfolgt prompt. Airgen frei be¬
weglich, kein Nystagmus. Hirnnerven ohne Besonderheit. Sämtliche Reflexe
zeigen völlig normales Verhalten. Sensibilität, Gesichtsfeld und Augenhinter¬
grund normal. Aus der Nase entleert sich andauernd helle, klare, dünne
Flüssigkeit, so dass täglich 2—3 Taschentücher völlig durchnässt werden.
Beim Eintrocknen werden dieselben steif. Diese Rhinorrhöe, die jahrelang
in gleicher Weise bestanden hatte, Hess nach Injektion von 1 ccm Pituitrin
so bedeutend nach, dass im Laufe eines Tages nur noch die Hälfte bis ein
Drittel des Taschentuches durchnässt wurde. Ich selbst konnte feststellcn,
dass in der 11. Stunde vormittags nur wenige Tropfen im Taschentuch
waren (ca. ^/m der Fläche), während sonst um diese Zeit schon das 1. Taschen¬
tuch fast vollständig durchnässt war. Diese Verminderung der Nasensekretion
nach Pituitrin hielt ca. 1 Woche an, ging dann wieder zurück und nach
2 Wochen bestand wieder der alte Zustand mit täglichem Verbrauch von
2—3 Taschentüchern. Jetzt wurde eine Injektion von 0,8 ccm Epiphysin
(Freund und Redlich) gemacht. Hierauf ging die Nasensekretion noch
mehr zurück als auf die 1. Pituitrininjektion; 5 Tage danach gab der Pa¬
tient an, dass er seit der Injektion das Taschentuch überhaupt noch nicht
habe wechseln brauchen. 2 weitere Tage später wurde nochmals 1 ccm
Epiphysin eingespritzt und am 3. Tage danach gab der Kranke an, dass seit
dieser Einspritzung die Nase fast überhaupt nicht mehr laufe. Sowohl nacl
dem Pituitrin wie nach dem Epiphysin trat mit der Verminderung der Nasen¬
sekretion auch ein Rückgang der Diurese auf etwa VA Liter und eine be
trächtliche Verminderung des Harndrangs ein. 14 Tage tiach der 2. Epi
physininjektion hatte sich etwas mehr Nasenabsonderung eingestellt, wem
auch bei weitem nicht in dem Masse wie früher; die Urinmenge war wiede
auf ca. IYa—2 Liter gestiegen und die Pollakisurie machte sich wieder itieh
bemerkbar. Jetzt bekam Pat. am 9. V. mittags Ya ccrfi Adrenalin subkutan v
der Absicht, das Verhalten des Blutdrucks und der Zuckerausscheidung ir
Hinblick auf die Sympathikusfunktion zu prüfen, worüber oben berichte
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IS. Februar 1931.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
207
ibt. Merkwürdigerweise blieb nach dieser Adrenalininjektion den ganzen
Nachmittag die Urinentleerung ans und die Diurese ging auf weniger als
S Liter zurück!
Genauere Untersuchungen über den Stoffwechsel konnten leider nicht vor-
gcnonimen werden, da der ambulant behandelte Patient weder zu regelmässi¬
gen Urinmessungen noch zu regelmässigem Erscheinen in der Sprechstunde,
geschweige denn zu einer klinischen Beobachtung zu bewegen war.
Es zeigt sich also Im vorliegenden Falle die Lipodystrophie ver¬
gesellschaftet mit Rhinorrhöe, Hypertrichose, Pollakis¬
urie und mit leichter Polyurie. Es sind dies Symptome,
die wir bei intakten Nieren und Harnwegen entweder auf endo¬
krine Störungen oder auf sympathische Erkrankungen zurückzu-
iiihreri pflegen. Die Frage, ob zwischen diesen komplizierenden
Symptomen und der Lipodystrophie ein tieferer Zusammenhang besteht
oder ob es sich um eine zufällige Koinzidenz handelt, können wir vor¬
läufig nur dadurch zu beantworten versuchen, dass wir feststellen, ob
sich Komplikationen dieser Art bei der Lipodystrophie erheblich häufiger
finden, als es dem blossen Zufall entsprechen könnte. Eine Durchsicht
der bisher beschriebenen Fälle ergab mir, dass dies durchaus der Fall
ist. Unter 23 genauer beschriebenen Fällen fanden sich (unter Hinzu-
iiahme meines Falles):
Imal trophische Störung der Haut (Jolow icz (12]),
Imal trophische Störung der Fingernägel (Qerhartz |9j),
Imal schmutziggraue Verfärbung der Haut (Simons),
Imal scheinbare Pachydermie der Gesichtshaut, (Holländer flO]),
3mal Hypertrichose (Gerhartz (9l, Oppenheim (191, Klien),
I mal Trockenwerden'der Haare (Feer I [8l),
Imal abnorme Talgdrüsensekretion (Campbell (5l),
3mal abnorme Schweisse (Gerhartz. Cohn).
1 mal A k r o z y a n 0 s e (Feer II I8l).
Imal Zyanose einer Hand (Gerhartz),
1 mal Hitzewellen (Gerhartz).
1 mal P o 1 y u r i e (K1 i e n),
1 mal Oligurie (Qerhartz),
Imal Glykosurie (Weber f27l),
1 mal alimentäre Glykosurie (Gerhartz).
1 mal Rhinorrhöe (Klien).
Diese Symptome verteilen sich auf 11 Fälle. Berücksichtigt man
die Seltenheit der meisten dieser Symptome an sich und be¬
sonders im kindlichen Alter, so erscheint es zweifellos, dass hier eine
Häufung vorliegt, die nicht bloss auf zufällige Koinzidenzen zurückgeführt
werden kann.' Bei der grossen Verschiedenartigkeit dieser Symptome
und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in einer grossen Anzahl
von Fällen Symptome dieser Art fehlen, kann der Zusammenhang natür¬
lich nur ein derartiger sein, dass diese Symptome und die Lipodystrophie
als koordiniert zu betrachten sind. Ich komme hierauf später zurück.
Von vielen dieser Symptome ist es nicht zu entscheiden, ob sie auf eine,,
direkte Störung der sympathischen Innervation oder auf eine endokrine
Beeinflussung des Sympathikus oder schliesslich auf eine endokrine Be¬
einflussung des Erfolgsorgans zurückzuführen sind.
Unter den endokrinen Drüsen sind es vor allem vier, die einen be¬
sonderen Einfluss auf den Fettansatz ausüben: die. Schilddrüse, die Keim¬
drüsen, die Hypophyse und die Epiphyse. Die Schilddrüse wirkt
hemmend auf den Fettansatz. Die Keimdrüsen wirken im allgemeinen
hemmend, partiell aber auch fördernd. Die hemmende Wirkung zeigt sich
in dem Fettansatz der Kastraten und der ovariektomierten Frauen; die
partiell fördernde Wirkung zeigt sich in dem Fettansatz, der sich im Be¬
reich der weiblichen sekundären Sexualmerkmale zur Zeit der Ovarien¬
reifung einstellt (Brüste, Hüften. Oberschenkel etc.). Die Hypophyse
wirkt ebenfalls hemmend, wie sich aus dem Eintreten der Dystrophia
adiposogenitalis bei Ausfall der Hypophysenfunktion zeigt. Nur die
Epiphyse hat einen fördernden Einfluss auf den Fettansatz, da bei ihrer
vollständigen Zerstörung allgemeiner Fettschwund eintreten kann (siehe
Biedl r2al, As ebner fll). Diese Drüsen unterliegen wieder unter¬
einander einer mannigfachen wechselseitigen Beeinflussung. Der Mecha¬
nismus, durch welchen sie auf den Fettansatz einwirkem, ist ein ver¬
schiedener. Bei der Schilddrüse und den Keimdrüsen handelt es sich
zweifellos um eine Beeinflussung durch echte Hormone, durch direkt in
die Blutbahn abgegebene Sekrete, die vom Blute aus auf den Fettansatz
wirken. Dieser echt hormonale Einfluss kommt aber bei der Hypophyse
und Epiphyse nur zum Teil in Frage. Hier sind vielmehr noch
andere Mechanismen in Funktion. Wir wissen, dass die Dystrophia
adiposogenitalis nicht bloss durch Erkrankung der Hypophyse zustande
kommt sondern auch durch Erkrankung der subthalamisehen vegetativen
Zentren (Erdheim, Kankeleit fl2al. Aschner fll) und dass
diese Zentren unter dem Einfluss des Hypophysensekrets arbeiten,
das auf sie nicht oder wenigstens nicht nur auf dem Wege über die
Blutbahn als echtes Hormon wirkt, sondern das ihnen direkt von der
Hypophyse auf Sekretstrassen, die im Hypophysenstiel verlaufen, zu-
strömt.
Ohne Künstelei kann man sich nach analogen Organisationen im Gehirn
vorsteilen, dass dieses subthalamische Zentrum für Fettersatz lokalisa-
torisch differenziert ist so dass z. B. bestimmte Regionen dieses Zen¬
trums den Fettansatz in der oberen, andere in d6r unteren Körperhälfte
regulären. Man könnte also auch annehmen, dass durch partielle
Atrophie dieses Zentrums, wie sie z. B. nach Analogie der Zerebellar¬
atrophie oder der Möbiusschen Kernschwäche eintreten könnte, eine
Störung des Fettansatzes nur in der oberen oder unteren Körperhälfte
stattfinden könnte. Da eine Zerstörung des Zentrums aber zur Fett¬
Di gitized by Goiisle
hypertrophie führt, könnte man sich auf diese Weise nur die Entstehung
einer Fetthypertrophie, nicht einer Fettatrophie der oberen oder
unteren Körperhälfte vorstellen; man müsste denn gerade die Existenz
eines zweiten, entgegengesetzt auf den Fettansatz wirkenden Zentrums
annehmen, wofür aber keinerlei Hinweis existiert.
Ebenso würde es, wenn man an eine partielle Verlegung der Hypo¬
physensekretstrassen denken wollte, auf diesem Wege höchstens zu
einer lokalisierten Fetthypertrophie, nicht Fettatrophie kommen können.
Auch aus einer hypophysären Störung lässt sich also das Krankheitsbild
der Lipodystrophie nicht erklären. Es bleibt nun noch die Frage zu
erörtern, ob durch ein^e Erkrankung der Epiphyse die Möglichkeit
einer auf die obere Körperhälfte beschränkten Fettatrophie gegeben ist.
Nach Aschner (ll ist cs sehr wahrscheinlich, dass die Wirkung
der Epiphyse auf den Fettansatz durch eine Einwirkung der Drüse auf
das Zentrum im Hypophysenthalamus zustande kommt. Nach A s eb¬
ne r sollen auch von der Epiphyse direkte Sekretstrassen zu den
sympathischen Stoffwechsclzentren in der Regio subthalamica laufen.
Doch scheint mir diese letzte Annahme Aschners nicht ganz b^
gründet. Denn Loewy (I6l. auf den sich Aschner beruft, spricht
nur von zusammenhängenden Lymphräumen zwischen den perizellulären
Räumen der Zirbelzellen und den perizeliulären Räumen der Zellen des
Plexus chorioideus. Aber auch wenn ein solcher direkter Zufluss des
Zirbelsekrets zu den subthalamisehen Zentren erwiesen wäre, so dürften
doch bei dem relativ weiten Wege dtese Sekretbahnen kaum so getrennt
verlaufen, dass man annehmen könnte, dass durch eine partielle Zirbel¬
degeneration oder durch partielle Verlegung der Zirbelsekretbahnen nur
der dem Oberkörper, entsprechende Teil des den Fettansatz regulierenden
Zentrums nicht schwer beliefert würde. Auch würde sich bei solcher
Annahme die Doppelseitigkeit der Affektioh schwer erklären lassen.
Die Beziehungen zwischen der Epiphyse und den subthalamisehen
Zentren wird aber nun anscheinend auch noch durch Nervenbahnen ver¬
mittelt. Aus der Epiphyse laufen zahlreiche markhaltige Fasern in die
Commissura habenulae und von da in die Taenia thalami. Diese
strahlt an der Hirnbasis zum Teil in das Grau des Rhinenzephalons,
zum Teil weiter nach hinten nach dem subthalamisehen Grau (Infundi-
bulargegend) aus. ohne dass das Genauere über diese Endigungen fest¬
steht. Eben in dieser Gegend Iregt aber das Zentrum für den Fettansatz.
In der Zirbel legen sich die Endigungen dieser Fasern mit knopf¬
förmigen Gebilden an die spezifischen L’irüscnzellen an. Dass sie die
Sekretion regulieren, ist wohl nicht wahrscheinlich, da sich an die
drüsigen Zirbelzellen ebenso wie an zahlreiche andere Drüsenzellen
sympathische Fasern, ebenfalls mit knopfförmigen Endigungen, an-
legen. Diese sympathischen Fasern sind offenbar die sekretorischen
Fasern und man könnte wohl vermuten, dass die sich anlegenden
markhaltigen Fasern sekretempfindliche Fasern sind, die geeignet er¬
scheinen könnten, einen Einfluss des Zirbelsekrets auf die subthalami-
schen Zentren zu vermitteln. Wäre dies der Fall, so bestünde wohl
auch die Möglichkeit, eine auf die obere oder untere Körperhälfte be¬
schränkte Fettatrophie zu erklären, sobald nur in der oben besprochenen
Weise eine gewisse Lokalisation in dem Zentmm und damit auch In
den aus der Zirbel zuströmenden Fasern und damit schliesslich auch in
der Zirbel selbst anzunehmen wär 2 . In der Zirbel beginnen sich etwa
vom 6. Lebensjahre ab ausgedehnte Involutionsvorgänge abzuspielcn.
Die Drüse verliert dabei ihren die Sexuakntwicklung hemmenden Ein¬
fluss, behält aber ihre Wirkung auf den Fettansatz. Bei dieser In¬
volution geht viel Drüsensubstanz zugrunde und es bilden sich Zysten,
Glia^laques, Konkremente, Corpora amylacea. bindegewebige Schrump¬
fungen etc. Man könnte sich sehr wohl vorstellen, dass durch be¬
sondere Bedingungen gewisse Teile der Zirbeldrüse besonders geneigt
sind, durch ein abnormes .Ausmass dieser partiellen Rückbildungsvor¬
gänge vollständig in ihrer Funktion vernichtet zu werden, und dass dies
gerade die Teile sind, mit denen diejenigen Fasern in Verbindung
stehen, die zu dem Teil des Fettansatzzentriims in Beziehung stehen,
welcher den Fettansatz in der oberen Körperhälfte reguliert. Es ist
übrigens auch ein Fall bekannt, in welchem sich die Fettatroohte auf
den ganzen Körper erstreckte, wo man also ein Zugrundegehen der
ganzen Drüse annehmen müsste.
Mit Rücksicht auf diese Uebcrlegungen ist es nun sehr bemerkens¬
wert, dass der Beginn der Lipodystrophie in den allermeisten Fällen
ungefähr in die Zeit des 6. Lebensjahres fällt: Unter 18 Fällen, bei
denen genauere Angaben über den Beginn des Leidens vorlicgen. waren
die Lebensalter des Beginns folgende:
4 — 6. 6, 6, 6, 6, 6, 6. 6. 6‘). 6^ — 7 - 8, 8=) 11 -- 13
erwachsenes Alter.
Diese ganz auffällige Koinzidenz der Entstehungszeit der Lipo¬
dystrophie mit der physiolcgischen Zirbelinvolution kann doch bei der
theoretischen Möglichkeit eines Zusammenhanges als ein beträchtliches
Indizium für das wirkliche Vorhandensein eines solchen Zusammen¬
hangs betrachtet werden. Wenn das Leiden gelegentlich auch einmal
in späteren Jahren einsetzt, so ist erstlich zu bedenken, dass sich auch
noch im späteren Leben Involutionsvorgänge in der Zirbel abspielen,
dann aber könnten ja auch andere Erkrankungen der Zirbel zu dem
gleichen Erfolge führen (Tuberkulose, Lues. Sklerose). Es liegt mir
fern, zu glauben, mit diesen Darlegungen schon eine einigernnssen
*) Fall Nobel, ist allerdings in mehreren BeziehunRcn sehr atvoisch.
^ Fall LeiRUcl-Levastini *■'). Hier wurden zwar die ersten Anzeichen mit
8 Jahren, die richtige Entwicklung des Leidens aber erst mit 22 Jahren be¬
obachtet.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
208
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
begründete Hypothese cter Lipodystrophie gegeben zu haben, sie sollen
nur ein Hinweis sein, auf welchen Bahnen u. a. sich unsere Ueber-
legungen bei dem Mangel gesicherter physiologischer Kenntnisse auf
diesem Gebiete bewegen können, solange andere Erklärungsmöglich-
kehen noch nicht vorliegen.
Feer [8] dachte an die Möglichkeit einer Hyperthyreose, da bei Myx¬
ödem die abnorme Fettablagerung auch nicht gleichmässig den ganzen Kör¬
per, sondern vorwiegend das Gesicht und den Schultergürtel betreffe. Doch
finden wir bei Hyperthyreose keine derartige Lokalisation der Abmagerung
wie bei der Lipodystrophie und umgekehrt finden wir bei Lipodystrophie
keinerlei sonstige auf Hyperthyreose hinweisenden Symptome. Feer führt
noch einen Fall B i 11 o r f s 13] an, der gewissermassen das Gegenteil von
Lipodystrophie dargestellt habe und durch Thyreoidin geheilt worden sei.
Es handelt sich dabei um eine symmetrische Fetthypertrophie an Schultern,
Nacken, Oberarm, Brust. Kinn, Epigastrium, etwas auch an Hüften und Innen¬
seite des Oberschenkels bei gleichzeitiger Druckempfindlichkeit der Schild¬
drüse. Nicht beteiligt an der Fetthypertrophie waren das Gesicht und die
Unterarme; dagegen hatte die Zunge deutlich an Dicke und Breite zu¬
genommen. Es ist doch offensichtlich, dass sich in diesem Falle die Fett¬
verteilung keineswegs gegensätzlich zur Lipodystrophie verhielt. Denn
gerade das Gesicht, dessen Abmagerung Ja bei der Lipodystrophie stets
so besonders in die Augen springend ist, zeigte keine Fettwucherung und
anderseits fand sich eine solche an den Oberschenkeln. Ferner finden wir
bei der Lipodystrophie nie eine Beteiligung von Muskeln am atrophischen
Prozess, während hier die Zunge verdickt war. M. E. können wir aus
dem B i 11 o r f sehen Falle keinerlei Schlüsse auf die Pathogenese der Lipo¬
dystrophie ziehen.
Bei dem von mir vorläufig vermuteten Entstehungsmodus der
Lipodystrophie bliebe doch der abnorme Fettansatz an Hüften, Gesäss
und Oberschenkeln zu erklären Dieses Symptom ist bisher nur bei
Frauen beobachtet worden, und sein Auftreten fällt im allgemeinen in
die Zeit der Pubertät, wenn man sie etwas weit fasst. Hier dürfte die
Reifung der Ovarien ausschlaggebend sein. Die Ovarien haben ja
— wie erwähnt — zwar einen hemmenden Einfluss auf den Fettansatz
im allgemeinen, dagegen einen fördernden Einfluss auf den Fettansatz,
so weit er zu den sekundären Geschlechtsmerkmalen gehört. Man
könnte sich sehr wohl vorstellen, dass diese durch ovarielle Hormone
bedingte Förderung des Fettansatzes im Bereich der weiblichen sekun¬
dären Geschlechtsmerkmale besonders intensiv ausfällt, wenn in Fällen
von Lipodystrophie infolge d'er Nichtverwendung in der oberen Körper¬
hälfte besonders reichliche Bausteine für den Fettansatz iin Blute kreisen.
Es wäre nun noch die Frage aufzuwerfen, inwieweit die bei Lipo¬
dystrophie so verhältnismässig oft beobachteten sympathischen Sto¬
rungen mit einer Zirbelaffektion in Verbindung gebracht werden können.
Bekannt ist dass Behaarungsanomalien, wie sie unter den beschriebenen
Fällen 4 mal vermerkt sind, auch bei anderen Zirbelerkrankungen beob¬
achtet worden sind, lieber die Beziehung der sonstigen bei Lipo¬
dystrophie beobachteten, auf den Sympathikus beziehbaren Symptome
zur Zirbelfunktion ist bisher nichts bekannt geworden. Die Zirbel steht
möglicherweise in doppelter Beziehung zum Sympathikus. Einmal liegen,
wie gesagt, im Hypothalamus sympathische Zentren, deren besondere
Funktionen durchaus noch nicht vollständig erforscht sind: die Fasern,
welche die Zirbel mit diesen Zentren verbinden, könnten sehr wohl eine
vermittelnde Rolle bei der Entstehung dieser Symptome spielen. Zweitens
aber finden sich in der Zirbel sehr zahlreiche Aufsplitterungen von sym¬
pathischen Fasern, die aus den Gefässplexus hereintreten und sich
ebenso wie die Fasern aus der Commissura habenulae mit Endknöpfchen
an die spezifischen Zellen anlegen (Walter [26]). Wahrscheinli^
handelt es sich dabei um sekretorische Fasern, da wir auch in anderen
Drusen mit innerer und äusserer Sekretion ähnliche, knoofförmig
endende Sympathikusfasern haben, die als sekretorische Fasern be¬
trachtet werden. Es ist aber fraglich, ob die Funktion der sympathischen
Fasern der Zirbel nur eine sekretorische ist oder ob nicht diesen Fasern
noch andere Funktionen zukomnren. M^m könnte sich durchaus denken,
dass etwa die den Zellen anliegenden Fasern z. T. auch sekreternpfindlich
sind und dass dann durch sie Einwirkungen des Zirbelsekrets auf das
.symoathische System übertragen werden könnten. Nähere Gedanken
über diese Dinge könnte man sich aber erst machen, wenn einmal unsere
physiologischen Kenntnisse auf diesem Gebiet weiter fortgeschritten sein
werden. '
Die Tatsache, dass im vorliegenden Fall Pituitrininjektion zu einer
eklatanten und lange anhaltenden Verminderung der Rhlnorrhöe und auch
zu einer Verminderung der Polyurie und Pollakisurie führte, kann nicht
dahin gedeutet werden, dass der Krankheit eine Hypofunktion der Hypo¬
physe zugrunde liegt; man darf nicht vergessen, dass Pituitrin zweifellos
etwas ganz anderes ist als Hypophysensekret, was allerdings in der
Literatur oft nicht beachtet wird. Pituitrin wirkt erwiesenermassen
sekretionshemmend auf alle möglichen Drüsen mit innerer und äusserer
Sekretion (Pal [19a]), ohne dass dies vom Hypophysensekret bekannt
wäre. Dazu kommt, dass im vorliegenden Fall auch die Injektion von
Epiphysin und auch von Adrenalin zu dem gleichen Erfolg, sogar in noch
höherem Grade, führte.
Zusammenfassend sei als Ergebnis nochmals hervorgehoben, dass
beträchtliche Indizien für einen Zusammenhang der Lipodystrophie mit
abnormen Vorgängen bei der ZirbeHnvolution. gelegentlich auch mit
anderen Erkrankungen der Zirbel bestehen.
Literatur.
1. A sehn er: Die Blutdrüsenerkrankungen des Weibes. Wiesbaden,
Bergmann, 1918. — 2. Barraquer: Referat Neurol. Zbl. 1907 S. 1072. —
2a) Biedl: Innere Sekretion. 1916 S. 197 ff. — 3. Bittorf: B.kl.W. 1912
S. 1072. — 4. Bessert-Rollet; Mschr. f. Kinderhlk. 1916 S. 230. —
5. Campbell: Transaction of the clinical society of London 1907. 40.
5. 272; zitiert nach Simons [23]. — 6. Christiansen: Lipodystrophie
progressiva. Hospitalstid 57. 1914. Ref. Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych.
9. S. 750. — 7. Cohn; Demonstration eines Falles von Lipodystrophie. Zschr.
f. d. ges. Neurol. u. Psych. 7. S. 725. — 8. Feer: 2 Fälle von Lipodystrophie.
Jb. f. Kinderheilk. 32. 1915. S. 1. — 9. Qerhartz: Lipodystrophia pro¬
gressiva. M.m.W. 1916 S. 823. — 10. Holländer: Zschr. f. d. ges. Neurol.
u. Psych. 5, 1911. S. 633..— 11. Husler: Ueber symmetrischen progressiven
Fettschwund im Kindesalter. 1914. Orig. X. S. 116. — 12. Jolowicz:
Lipodystrophia progressiva. Neurol. Zbl. 1915 Nr. 24. — 12a. Kankeleit;
Arch. f. Psychiatrie 58. — 13. Laignel-Lavastine und Viard;
Adipöse sdgmentaire des membres infdrieurs. Nouv. Iconographie de la
Salp6tri6re 25. 19124 S. 473. — 14. Lewandowsky: Zschr. f. o.
ges. Neurol. u. Psych. Ref. 7 S, 726. — 15. Lewandowsky;
Neurol. Zbl. 1913 S. 866. — 16. Loewy: Obersteiners Arbeiten a. d.
Neurol. Inst.tut Wien 20. S. 130. — 17. Meyer: Ueber Lipodystrophia
progressiva-, Physikal.-med. Ges. Würzburg, 31. X. 18. — 18. A. Nobel;
Lipodystrophie bei einem 11 jährigen Mädchen. W.kl.W. 32. S. 359. Ref.
Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 19. S. 182. — 19. Oppenheim: Lehrbuch,
6. Aufl. — 19a. Pal: D.m.W. 1916 Nr. 30 S. 1030. — 20. P i c et 0 a r d 6 r e:
Lyon mddic. II. 61. 1909; zit. nach Simons [21, 23]. — 21. Simons: Zschr.
f. d. ges. Neurol. u. Psych. 5. 1911. Orig. S. 29. — 22. Derselbe: Ebenda
19. 1913. S. 377. — 23. Derselbe: Ebenda Ref. 7. S. 726 — 24. Der¬
selbe: Zsch". f. Kinderhlk. 11. 1914. S. 508. — 25. Strasburger:
lieber umschriebenen Fettschwund des Gesichts. M.Kl. 1908. — 26. Wal¬
ter: Beiträge zur Histologie der menschlichen Zirbeldrüse. Zschr. f. d. ges.
Neurol. u. Psych. 17. S. 65. — 27. Webe r, Parkes: Lipodystrophia pro¬
gressiva. Ref. Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. Ref. 9. S. 565.
Aus dem städtischen Krankenhaus in Offenburg.
Rhombus und automatisch wirkende Extensionsschiene
zur Behandlung von OberarmhrOchen.
Von Dr. Arthur Hofmann, Chefarzt.
Im Jahre 1909 habe ich ein Verfahren zur Behandlung der Oberurm-
brüche veröffentlicht, welches ich seitdem in vielen Fällen angewandt
habe. Von den beiden Schienen stellte die eine den Rhombus dar,
die andere die automatisch wirkende Extensionsschiene.
Da die Schienen Eingang in Lehrbücher wie die von W u 11 s t e i n -
WilmsD und Helfer ich*) gefunden haben, und seitdem eine Modi¬
fikation erfahren haben, so halte ich es für angebracht, diese Verände¬
rungen an der Stelle, wo die erste Veröffentlichung stattfand, zu be¬
schreiben.
Christen*) hatte an den Schienen auszusetzen gehabt, dass der
Vorderarm ähnlich wie bei der M i d d e 1 d o r p f sehen Triangel mit dem
a b
d
Oberarm zusammen anbandagiert wurde. Er’ hatte insofern Recht, als
dadurch eine Drehung des unteren Oberarmfragmentes nach innen be¬
wirkt wird, während das obere Bruchstück durch die Auswäftsdreher
in eine Dislocatio ad peripheriam zum unteren Fragmente gebracht wird.
Die Auswärtsdreher sind nämlich bestrebt, bei übermässiger Anspannung
das obere Fragment gegen das untere zu verschieben.
In Würdigung dieses Umstandes habe ich nun die Schienen so ver¬
ändert, dass an beiden Schienen der Teil, welcher den Vorderarm auf¬
nimmt, in eine horizontale Lage gebracht ist Dadurch wird eine Ent¬
spannung der Auswärtsdreher erzielt Eine Dislocatio ad peripheriam
ist nicht mehr möglich.
Die beiden Schienen sind in dieser Veränderung abgebildet Fig. a
zeigt den Rhombus, Fig. b die automatische Extensions¬
schiene.
*) Lehrbuch der Chirurgie von Wullstein-Wilms.
*) Helfe rieh: Frakturen und Luxationen. 8. Aufl. S. 161.
*) Christen: M.m.W. 1909.
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
209
Es sei nur in Kürze erwähnt, dass der Rhombus aus 4 Teilen
besteht, welche miteinander gelenkig verbunden sind. Es können so
aktive und passive Bewegungen ausgeführt werden. Auch der Vorder¬
arm kann mit dem horizontalen Ansätze gebeugt und gestreckt werden.
Die Ex tensionsschiene besteht gleichfalls aus 4 Schienteilen.
Die Teile, welche Ober- und Unterarm tragen, rutschen gewissermassen
durch Eigenschwere von der schiefen Ebene des Brustwandteiles herab.
So wird auf das untere Ende des gebrochenen Oberarmes eine Extension
ausgeübt: also Umsetzung des Eigengewichtes in Extension.
Die Abbildungen c und d erklären die Anwendungsweise zur Ge¬
nüge.
Die beiden Schienen: werden hergestellt von den Firmen: Dr. Paul
Koch, Neuffen (Württ.) und Franz Rosset, Fneiburg i. B.
Zur Salbenbehandlung der Hämorrhoiden.
Von Dr. W. von Noorden, Geh. San-Rat, Bad Homburg.
Man hat therapeutisch zu unterscheiden zwischen der so ungemein
häufigen Form der leichten und der schweren Form von Hämorrhoiden.
Letztere sind mit fortgeschrittenen anatomischen Veränderungen am
After, an der Mastdarmschleimhaut, im submukösen Gewebe, mit Ent¬
zündungen usw. verknüpft. Solche Fälle gehören .dem Chirurgen.
Die Unterlassung einer entsprechenden Operation kann das Leben
nahezu unerträglich machen, sogar gefährden. Die Wahl des Eingriffes
hängt von örtlichen, zeitlichen und individuellen Verhältnissen ab und
schwankt zwischen der Knotenverödung durch Injektionen mit oder ohne
vorherige Ausaugung, einer jüngst von Boas empfohlenen glänzenden
Methode (Boas: Arch. i. Verdauungskrankh. Bd. 26 H. 1—2 S. 1) und
Eingriffen, für welche die Namen Allingham, Langenbeck,
Zuckerkand 1, Roux, Ou6nu, Riedel, Lange. Mikulicz,
Whitehead u. a. Marksteine bedeuten.
Für letztere Fälle ist Nohäsasalbe nicht ausreichend, so wenig wie
andere Hämorrhoidaisalben, Stuhlzäpfchen u. dergl.
Nohäsasalbe ist ein wesentlich symptomatisches Mittel. Eine
Hämorrhoidalsalbe muss ausserordentlich weich und schmiegsam sein,
weil der erkrankte Hämorrhoidarier gegen mechanische Reize, über-
emofindlich ist; sie soll frei sein von toxisch wirkenden Bestandteilen,
soll desinfizierend und gleichzeitig adstringierend wirken, Schmerz
lindern und keine Beschmutzung der Wäsche verursachen.
Diesen Anforderungen genügt die von dem Chemisch-Pharmazeuti¬
schen Werke Bad Homburg A.-G. hergestellte Nohäsasalbe, welche als
Hauptbestandteile Kampferchloral-Menthol in geeigneter Bindung mit
Salbengrundlagen in Friedensqualität enthält.
Die Anwendung der Nohäsasalbe erfolgt durch täglich mehrfache
vorsichtigste Einreibung und kann durch nächtliche Einführung von
Suppositorien unterstützt werden. Die Applikation verursacht bei über¬
empfindlichen Patienten im Anfang ganz leichtes Brennen; dem folgt das
Gefühl der Kühlung und schnelle Schmerzlinderung.
Man kann verschiedene Formen von Hämorrhoiden für Nohäsa-
behandlung unterscheiden.
Die erste Gruppe mit* leichten Erscheinungen klagt gemeinhin
nur Jucken, Brennen und Fremdkörpergefühl.
Gerade in solchen Fällen leistet Nohäsa subjektiv und objektiv
Hervorragendes. Es ist vielfach bewiesen, dass der regelmässige Ge¬
brauch bei Frühsymptomen die Hämorrhoiden auf Jahre oder sogar
dauernd beseitigen oder wenigstens deren Verstärkung aufhalten kann,
so dass man in solchen Fällen von relativer Heilung sprechen darf. Den
Erfolg schiebe ich auf die ionisierende Wirkung der Salbe am Afterring.
Es wird Ruhe im gereizten Gebiete geschafft und mechanische Dauer¬
reize hören auf. Wir sehen kleine Randwülste verschwinden uud damit
ist die Heilung angebahnt.
Die zweite Gruppe umfasst neben Uebergangsformen vor¬
geschrittene Fälle,
Es machen sich gelegentliche solitäre oder multiple Knotenbildungen
mit Einklemraungserscheinungen bemerkbar. Sie gehen gewöhnlich
unter allerhand Manipulationen und antiphlogistischer Behandlung oder
durch Platzen des Knotens zurück, bis sich das Spiel nach harter De-
fäkation unliebsam und verstärkt wiederholt Aus dem akuten Anfall
wird überaus häufig ein chronischer Zustand.
Auch in diesen Fällen leistet Nohäsa reizmildernd noch Wesentliches,
subjektiv und objektiv. Die Empfindlichkeit des Afters erfordert aber
bedeutend vorsichtigere Einreibung, und oft ist es wegen der Schmerzen
kaum möglich, Salbenmasse intraanal einzuführen. Hier tritt kombinierte
Salben- und Suppositorienbehandlung in ihr Recht da es selbst bei hoch-
walliger, hämorrhoidaler Afteröffnung meist gelingt Suppositorien ein¬
zuführen; zurücksickernde Massen sind wirksam. Die Kranken, welche
jede. Bewegung auf Unbequemlichkeit und Schmerz am After einstellen
mussten, fühlen sich erleichtert und schmerzfrei.
Hieran schliesst sich eine dritte Gruppe, jene Fälle, welche die
Operation gebieterisch verlangen, wie andererseits auch postoperative
Zustände. Jene Fälle unterscheiden sich qualitativ von den beiden
anderen Gruppen durch Komplikationen, wobei die Schmerzen im
Vordergrund stehen, sowie quantitativ durch Ausdehnung venöser
Ektasien mit deren Folgen für die Defäkation, Zustände, welche oftmals
unvermutet den Hämorrhoidarier befallen und ihn als schwer erkrankten
Menschen dem Arzte zuführen. Auch solche Fälle wurden noch mit
Nohäsa behandelt und ist es oft gelungen, qualvolle Stunden bis zur
Operation ohne Narkotika erträglich zu machen. Die Defäkations- und
Spannungsschmerzen, deren Intensität den Kranken bis zum äussersten
treiben können, werden durch die Salbe wesentlich gemildert.
Jeder der bekannten Operationsmethoden, mögen sie an sich auch
als ideal bezeichnet werden, könrien postoperative Belästigungen
nachfolgen, manchmal erst nach Jahren. Wie in Anfangsstadien, so tritt
auch in solchen Füllen die Salbe in ihr Recht.
Zusammenfassung.
Ohne je Schaden hervorzurufen leistet die Nohäsasalbe, wenn sie
genau nach Vorschrift zusammengesetzt ist, in den chamäleonartigen
variablen Zuständen der Hämorrhoidenerkrankungen Vorzügliches und
erfüllt vor allem die Forderung der schnellen Linderung.
Ich stehe weiterhin nicht an, dem Präparat in vielen Fällen durch
die Möglichkeit der Beseitigung von Reiz- und Entzündungser^cheinungen
auch eine indirekte heilende Wirkung zuzuschreiben.
Nochmals zur Frau der Erblichkeit vagotonisch be-
dmgter Krankheiten.
(Erwiderung zu den Bemerkungen von F. Lenz in Nr. 51,
1920, dieser Wochenschrift.)
Von Dr. F. Heissen.
Lenz bemängelt an meiner Abhandlung zunächst, dass ich die Be¬
griffe der verschiedenen Formen der Erbanlagen nicht klar präzisiert
habe. Dieser Einwurf ist berechtigt insofern, als ich den Unterschied
zwischen der dominanten Erbanlage und den Formen rezessiv und
polymerer bedingter Erblichkeit ebenso, wie die Autoren, deren Resul¬
tate ich nachprüfen wollte, nicht deutlich betont habe. We*hn Lenz
ferner die Technik meiner Statistik als zu primitiv bemängelt, so über¬
sieht er, dass sie eben Vergleichswerte schaffen wollte gegenüber Unter¬
suchungen, die'mit der gleichen statistischen Technik gemacht worden
waren. Was jedoch die Bemerkung Lenz- angeht, dass der Begriff der
Kondition im Sinne Tandlers etwas anderes sei. wie der von mir
gebrauchte (nämlich die ätiologische Bedeutung von Umweltseinflüssen
für eine Krankheitsdisposition), so deckt sich meine Auffassung vom
Konditionsbegriff durchaus mit dem B a u e r s D. der darunter die mannig¬
fachen intra- und extrauterinen Akquisitionen, Beeinflussungen und An¬
passungen des Organismus versteht (während des ganzen Lebens,
jeweils bis zum Moment der Erkrankung).
Nun glaubt Lenz auf Grund seiner Kritik einiger Begriffsbestim¬
mungen zu der Annahme berechtigt zu sein, die Schlussfolgerungen, die
ich aus den Ergebnissen meiner umfangreichen Explorationen gezogen
habe, als von falschen Voraussetzungen ausgehend, überhaupt zu ver¬
werfen*
Zunächst handelte es sich doch darum, einmal an Hand grösseren
Materials, und zwar des grössten bisher bearbeiteten, statistisch nach¬
zuweisen, dass die in den bekanntesten Lehrbüchern (K r e h 1 und
Mering, v. Strümpell, Baemeister, J. Bauer) vertretene
Anschauung, dass Asthmatiker in de r Regel -oder sehr häufig
eine positive Familienanamnese (im Sinne gleichartig erkrankter
Familienmitglieder) aufweisen, zu Unrecht besteht. Dasselbe gilt von
der Literatur, die sich mit den familiären Verhältnissen des Ulcus
pepticum befasst. Wenn diese in der Literatur vertretene Anschauung
richtig wäre, so spräche das eben dafür, dass es sich um eine Ver¬
erbung dominanter Anlagen handele, wie bei der Myopie oder Hemi-
kranie — eine Auffassung, die hinlänglich widerlegt erscheint und wohl
keiner weiteren Diskussion bedarf.
Was nun die Erwägung der Bedeutung der verschiedenen Formen
rezessiver und polymerer erblicher Bedingtheit angeht so bemerkte ich
in der Arbeit schon, dass „man gegen meine Ausführungen immer die
Annahme einer latenten Erbanlage würde ins Feld führen können“. Den
Anteil der endogen hereditären Komponente bei den in Frage stehenden
Krankheiten habe ich nie bestritten, sondern im Gegenteil gesagt :'l,Wenn
es sich auch in den meisten Fällen um eine konstitutionell-
konditionelle Disposition handelt, also um eine Kombination beider
Faktoren, so dürfte es doch von Interesse sein zu erfahren, welchem
von beiden die grössere Bedeutung zukommt.“ Nach meiner Meinung
wird aber der konstitutionelle Faktor gegenüber dem konditionellen auf
dem Gebiet der vagotonischen Erkrankungen zu sehr überschätzt, auch
von Lenz, der schreibt, „dass die meisten Erfahrungen für die idio-
typische Bedingtheit der Vagotonie sprächen“. Die an dem Rostocker
poliklinischen Material gemachten Erfahrungen bezüglich des Asthmas
und der Ulcera ventr. sprechen jedenfalls gegen diese Ansicht. „Dass
bei rezessivem Erbgang ein krankes Kind ge/adezu regelmässig gesunde
Eltern hat, ein kranker Elter regelmässig gesunde Kinder“, ist nach dem
Gesetz der Erblichkeit schon verständlich, aber nicht, dass in vier
Generationen (diese umfasst meine Statistik) nicht häufigere
Manifestationen nachweisbar sind. Hier geht man meines
Erachtens zu weit, wenn man die latente Erbanlage zur Erklärung
heranzieht.
Die hervorragende Bedeutung alimentärer, also exogener Ein¬
flüsse bei der exsudativen Diathese. bei der ich die Beteiligung einer
endogen-konstitutionellen Komponente nie angezweifelt habe, erhellt
schon aus der Tatsache, dass es gelingt, anscheinend vorher völlig ge-
‘) J. Bauer: Die konstitutionelle Disposition der inneren Krankheiten.
1917 S. 3.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
210
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
sunde Kinder durch Nährschäden exsudativ zu machen und konstitutionell-
diathetisch veranlagte Kinder durch zweckmässige Ernährung anschei¬
nend völlig von ihrer Diathese zu befreien. In diesem Sinne sollte mein
„hauptsächlich“ verstanden werden, w^s Lenz völlig übersehen hat.
Die in der Abhandlung schon erwähnten Formen des anaphylak¬
tischen Asthmas (auf Salizyl, Ipekakuanha, Ursol) lassen die Wichtigkeit
von Aussenwelteinflüssen besonders deutlich erkennen: es kann völlig
Gesunde befallen, was Hans Curschmann vor allem für das auf
Ursolintoxikation beruhende Asthma betont, und verschwindet nach
Wegfall der toxischen Einwirkungen wieder ganz.
Den Einfluss exogener Faktoren für die Genese des Ulcus pep-
ticum haben uns die Kriegserfahrungen besonders gelehrt. Es nahm
während des Krieges ganz erheblich zu (Kümmel 1), teilweise sogar
um das Doppelte und mehr gegenüber den Friedensjahren (Munk).
Schlechte Ernährung und Erregung\iii wurden dafür von diesen Autoren
verantwortlich gemacht, beides exogene Einflüsse.
Die Dementia praecox vergleichend in den Bereich unserer Er¬
örterungen einzubeziehen, ist eben deshalb nicht berechtigt, weil es sich
wie Lenz ganz richtig sagt — erfahrun j^s^g e m ä s s um eine ganz
überwiegend erblich bedingte Erkrankung handelt, die durch exogene
Faktoren, auch die des Kriegs, kaum beeinflusst worden ist.
Ich glaube aber, dass eine eingehende, mehrereGenerationen
umfassende Exploration einen wesentlich höheren Prozentsatz an posi¬
tiven Ergebnissen haben würde, als von mir für das Asthma und Ulcus
gefunden ist.
Ich kann also nach dem Gesagten nicht anerkennen, dass die Be¬
merkungen von Lenz geeignet sind, meine Ausführungen inhaltlich,
insbesondere hinsichtlich. der Schlussfolgerungen zu erschüttern.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen mir in der Abhandlung
unterlaufenen Irrtum richtigstellen: die auf Seite 1407 erwähnte Arbeit
über experimentelle Uleuserzeugung durch künstliche Vagusreize stammt
nicht von Katsch, sondern seinem Mitassistenten W e s t p h a L
Foiihlidunosvoptriiiie nnd uehersiciitsreferate.
Aus der inneren Abteilung des St. Marien-Hospitals
Mülheim-Ruhr.
Ueber die Bedeutung der Blutdruckm^sung und Funktions¬
prüfung der Nieren vermittelst der Volhardsehen Ver-
dünnungs- und Konzentrationsprobe für die Diagnose und
Prognose der Nierenkrankheiten.
Von Dr. med. M. John.
(Schluss.)
Wie schon hervorgehoben, ist die sog. echte Urämie immer ein
Zeichen dafür, dass schwere Niereninsuffizienz vorliegt. Wenn somit die
Diagnose der ausgesprochenen Niereninsuffizienz keine Schwierigkeiten
bereitet, so sind weniger weit vorgeschritterre Stadien derselben bzw.
die ersten Anfänge nicht so ohne weiteres aus dem klinischen Befunde
zu erkennen. Störungen der Nierenfunktion können lange Zeit symptom¬
los ertragen werden. Sie trotzdem rechtzeitig aufzudecken, ist das Be¬
streben zahlreicher Forscher gerade in den letzten Jahren gewesen.
Das kann natürlich nur dadurch geschehen, dass man der Niere ge-
wisserrnassen eine dosierte Arbeitsleistung aufgibt und genau verfolgt, in
welcher Weise sic unter bekannten Arbeitsbedingungen diese Aufgabe
erledigt. Dabei sollte es von vornherein am zweckmässigsten erscheinen
festzustellen, wie die Nieren bei genauer Kontrolle der Wasser-, Salz-
und Stickstoff-Zu- und Ausfuhr eine Wasser-. Salz- und Stickstoffzulage
bewältigen. Derartige Untersuchungen lassen sich naturgemäss nur im
Laboratorium des Krankenhauses und niemals in der Praxis anstellen.
Tatsächlich vermögen wir aber, wie von uns in zahlreichen Fällen vor-
gcnopimene vergleichende Untersuchungen zur Genüge dargetan haben,
durch ein viel einfacheres, auch in der Praxis anwendbares Verfahren
einen genauen Einblick in die Leistungsfähigkeit der Niere zu bekommen
und zwar durch den Volhardschen Wasser- und Könzentrations-
versuch. Diese Funktionsprüfungsmethode basiert auf folgenden Beob¬
achtungen:
Die gesunde Niere scheidet eine dem Körper zugeführte grosse
Flüssigkeitsmenge sehr rasch wieder aus. Ebenso schafft sie die täg¬
lichen Stoffwechselschlacken (etwa 50—60 g Salze und Harnstoff) unter
allen Urnständen aus dem Körper heraus, ganz gleichgültig, ob ihr viel
oder, wie das beim Dursten oder im Fieber der Fall ist, nur wenig
Lösungswasser zur Verfügung steht. Mit anderen Worten, die normale
Niere vermag in hohem Masse ihr spezifisches Gewicht zu variieren, sie
kann einen sehr dünnen, fast farblosen Urin mit einem spezifischen Ge¬
wicht von 1002—1001 und c. ien sehr, konzentrierten dunkelgefärbten,
sog. hochgestellten Urin mit dem spezifischen Gewicht von 1030—1036
und darüber produzieren. Wenn wir uns nun einen brauchbaren Mäss-
stab für die Funktionsfähigkeit der Nieren verschaffen wollen, so müssen
wir die Grösse und Art der Wasseraussrheidung nach einer Flüssigkeits¬
zufuhr von beispielsweise iVi Liter Wasser und das höchste spezifische
Gewicht, das beim Dursten zu erreichen ist. bestimmen, und das ge¬
schieht folgendermassen:
Der Patient bekommt morgens nüchtern, nachdem er noch einmal
die Blase entleert hat. am besten zwischen 7 und 8 Uhr, DU Liter
Digitized by Goiisle
Wasser oder dünnen Tee je nach Wahl zu trinken. Er muss dann nach
beendeter Flüssigkeitszufuhr 4 Stunden lang alle halben Stunden in
bereitstehende Gläser urinieren und während der ganzen Zeit ohrte
weitere Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme Bettruhe bew^ahren. Beim
Umhergehen fällt der Versuch anders aus. Von den einzelnen Urin¬
portionen wird die Menge und das spezifische Gewicht mit einem
Areometer gemessen, das am besten gleich mit einem Thermometer
versehen ist. Denn es ist durchaus nicht gleichgültig, bei welcher Tem¬
peratur die Feststellung des spezifischen Gewichtes erfolgt. Wenn sich
dieselbe nicht bei 15® Urintemperatur vornehmen lässt, soll man für je
3® über oder unter 15® Urintemperatur einen Teilstrich zu- oder ab-
ziehen. Nach Beendigung des Wasser Versuchs darf der Patient am
selber» bzw\ auch noch am folgenden Tage keine Getränke oder flüssige
Speisen zu sich nehmen, von den jeweilig entleerten Urinportionen muss
gleichfalls Menge und spezifisches Gewicht gemessen werden. Uebrigens
genügt es auch, wenn nach Beendigung des Wasserversuchs die Gesamt¬
menge und das spezifische Gewicht des im Laufe des Tages noch ent¬
leerten Urins bestimmt wird.
Normalerweise wird nun die eingeführte Flüssigkeitsmenge schon
in den ersten 2—3 Stunden in grossen halbstündigen Einzelportionen
wieder ausgeschieden. Die grösste halbstündige Urinmenge kann zur
Zeit der stärksten Harnflut 500—700 ccm betragen bei einem ausser¬
ordentlich niedrigen spezifischen Gewicht von 1002—1001. Gar nicht so
selten und zwar hauptsächlich bei leicht erregbaren Neurasthenikern
übertrifft die (jesamtausscheidung die Flüssigkeitszufuhr. Möglicher¬
weise ist in diesem Falle ebenso eine Uebererregbarkeit der Nieren-
gefässe (S c h 1 a y e r) anzunehmen, wie im Ausheilungsstadium der
Nephritis und bei essentielle.r Hypertonie, wo wir ja gleichfalls sehr
häufig eine überschiessende Gesamtausscheidung beobachten. Man kann
sich aber auch vorstellen, dass die Höhe der Gesamtausscheidung in weiL
gehendem Umfange durch den Wassergehalt der Gewebe beeinflusst
wird. Bei erhöhtem Wassergehalt würde die zugeführte Flüssigkeits¬
menge noch Gewebswasser mit fortschwemmen, bei ausgesprochener
Wasserverarmung dagegen zum Teil zurückgehalten werden. Bei fieber¬
haftem Zustande, starkem Schwitzen. Durchfällen oder Erbrechen ist
daher der Wasserversuch besser zu unterlassen. Auch Zirkulations¬
störungen infolge Herzinsuffizienz müssen nach früher Gesagtem die
Grösse der ausgeschiedenen Menge reduzieren, d. h. den Wasserver¬
such quantitativ beeinflussen. Während also die Gesamtausscheidung
grösseren Schwankungen unterworfen ist, und zwar durch extrarenale
Faktoren, und deswegen nur bis zu einem gewissen Grade für die Be-
. urteilung der Nierenfunktion mit verwendet w^erden kann, ist aus ,der
Art der Ausscheidung weit besser zu erkennen, ob eine Störung der
Nierenfunktion vorliegt oder nicht. Charakteristisch für eine gut er¬
haltene Nierenfunktion ist die Absonderung grosser halbstündiger Einzel¬
portionen in den beiden ersten Stunden; charakteristisch für eine ge¬
störte Nierenfunktion ist eine deutliche Verzögerung der Diurese auf
4 Stunden und länger, wobei etwa gleichgrosse oder an Menge nicht
sehr untereinander differierende Einzelportionen abgesondert werden.
Allerdings haben wir gelegentlich einmal eine 4 Stunden und länger
andauernde Diurese beobachtet und zw^är besonders bei entzündlicher
Affektion der Blase bzw^ der Harnw'ege oder bei benigner Nephro¬
sklerose, ohne dass wir mit absoluter Sicherheit aus diesem Verhalten
eine Schädigung der Nierenfunktion hätten folgern w’ollen. Bel der
histologischen Untersuchung der Niere eines Hypertonikers, der stets
diesen Ausscheidungstypus gezeigt hatte, erhoben wir wenigstens
keinen anderen Befund, als sonst bei benigner Nephrosklerose auch.
Die Gefässveränderungen und die Bindegewebsentwicklung waren sogar
besonders geringfügig. Das Ausbleiben des Diureseabfalls mag in
solchen Fällen durch reflektorische Einflüsse (Reizung der Blasen- oder
Nierenbeckenschleimhaut?) oder aber bei abnormem Wasserreichtum
der Gew'ebe durch Mobilisation von Gew-ebsw^asser bedingt sein. Jeden¬
falls ist dann die Qesamtausscheidung eine überschiessende und das
spezifische Gewacht einzelner Portionen ein sehr niedriges, d. h. die
Verdünnungsfähigkeit der Niere ist nicht beeinträchtigt. Wir haben
ja gesehen, dass beim sogen. Normalw'asserversuch das spezifische
(jewicht der grössten Einzelportionen auf 1002—1001 absinkt, freilich
nicht unbedingt in allen Fällen. Minimalwerte von 1003—1004 dürfen
selbst bei grosser Gesamtausscheidung noch als normal hingenommen
werden, insofern, als sich der durch die reichliche Flüssigkeitszufuhr
ausgeübte diuretische Reiz auch in vermehrter Ausschwemmung fester
Bestandteile geltend machen kann.
Noch bedeutungsvoller für die Beurteilung der Funktionsfähigkeit
der Nieren als der Wasserversuch (Gesamtausscheidung, Ausscheidungs¬
typus, Verdünnungsfähigkeit) ist die ErmittluiiPi der Konzentrationsfähig¬
keit der Nieren, d. h. also des höchsten spezifischen Gewichtes, das im
Durstversuch zu erzielen ist. Ich erinnere daran, dass normalerweise
Werte von 1030—1036 und darüber gemessen werden und zwar schon
nach 6—Sstündigem Dursten D. Nun scheint aber nach unseren Er¬
fahrungen in vereinzelten Fällen die Konzentrationsfähigkeit bis zu
einem gewissen Grade gleichfalls durch unbekannte, vielleicht nervöse
Momente ebenso wie der Ausscheidungstypus im Wasserversuch beein¬
flussbar zu sein. Dass Nerveneinflüsse tatsächlich das Konzentrations¬
vermögen der Niere in sehr weitgehendem Masse beeinträchtigen
können, sehen wir ja beim Diabetes insipidus. Unter Berücksichtigung
dieser Eventualität wird man sagen können, dass Höchstgewichte unter
^) Die Tagesurinmenge am Dursttage beträgt in der Regel nicht mehr als
•400—600 ccm.
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
18. Februar 1921.
MÜNCHFNER MFDIZINISCHF WOCHENSCHRIFT.
211
1025—1026. zumal wenn sie erst am zweiten Dursttage erreicht werden,
auf eine bereits vorhandene BeeinträchtiKung der Konzentrationstähig-
keit hindeuten. Je stärker nun die KonzentrationsfähiKkeit herabgesetzt
ist. um so hochgradiger im allgemeinen die Niereninsuffizienz, die indes
bei sehr stark eingeengter Variabilität des spezifischen Gewichtes, einem
Zustand, den wir Hyposthenurie nennen, noch relativ gut ertragen werden
kann, solange im Wasserversuch die Wasserausscheidung wenigstens
quantitativ befriedigend ausfällt. Sobald aber bei schlechter Kon¬
zentration auch das Wasserausscheidungsvermögen erheblich herab-
^:esetzt ist, als Anzeichen dafür, dass nun die kompensatorische Polyurie
fehlt, muss die Prognose als äusserst ernst gestellt werden. In solchen
Fällen sind denn auch stets urämische Erscheinungen vorhanden.
Die Prognose der Nierenerkrankungen — darauf möchte ich noch
ausdrücklich hinweisen — ergibt sich aber keineswegs ausschliesslich
aus dem Grade der Funktionsstörung, sondern wird noch wesentlich von
tinem anderen Faktor mitbestimmt. Es kommt nämlich sehr darauf an,
ob und wie lange das Herz unter den durch die Erkrankung geschaffenen
ungünstigen Bedingungen standzuhalten vermag. Besonders gefährdet
ist dasselbe ja bei der akuten diffusen Glomerulonephritis, weil es hier
infolge der plötzlichen Blutdrucksteigerung gewissermassen unvor¬
bereitet die enorme Erschwerung der Blutzirkulation überwinden muss.
Aber auch im Verlaufe der chronischen Nephritis kann zuweilen ein
plötzlicher Herztod einen ungünstigen Ausgang herbeiführen, ohne dass
eine Niereninsuffizienzgefahr Vorgelegen hat. Sobald also bei der Unter-
,suchung Zeichen von Herzinsuffizienz zu finden sind, wie Vergrösserung
der Herzdämpfung. Leberschwellung, Stauung der Halsvenen. Stauungs¬
bronchitis, Dyspnoe u. dgl.. dann dürfen die Ergebnisse der Nieren¬
funktionsprüfung nur unter Berücksichtigung dieser wichtigen Momente
für die Prognose verwertet werden.
Ehe ich zum Schluss an einigen Kurven zeige, wie sich
der Blutdruck "sowie die Verdünnungs- und Konzentrationsprobe bei den
verschiedenen Formen der Nierenerkrankungen verhalten und was sie
uns besonders in prognostischer Hinsicht besagen können, möchte ich
nur ganz kurz hervorheben, dass es selbstverständlich ausser der
auch nach anderweitigen Erfahrungen, z. B. der Umber sehen Klinik
{Rosenberg und Mackwitz) so ausserordentlich brauchbaren und
vielsagenden Volhardsehen Verdünnungs- und Konzentrationsprobe,
noch andere Methoden zur Prüfung der Nierenfunktion gibt. So ver¬
abreicht Schlayer an einem Tage eine sogen. Nierenprobemahlzeit
von bestimmter Zusammensetzung, die insbesondere durch Beigabe von
Kaffee einen stärkeren diuretischen Reiz ausüben soll. Am Versuchs-
tage wird der Urin 2 stündlich entleert, Menge und spezifisches Ge¬
wicht, event. auch Kochsalzgehalt der einzelnen Portionen und des
Nachturins gemessen, wobei sich für die verschiedenartigen Nieren-
siörungen ganz bestimmte Ausscheidungstypen ergeben sollen. Diese
Methode soll, wie Schlayer behauptet, eine noch grössere dia¬
gnostische Verwertbarkeit haben, als die Verdünnungs- und Kon¬
zentrationsprobe. Ob diese Behauptung wirklich zutrifft, vermag ich
nicht zu sagen; wir sind erst dabei, diesbezügliche Erfahrungen zu
sammeln. Die gleichfalls von Schlayer in früheren Arbeiten emp¬
fohlene Prüfung der Nierenfunktion durch körperfremde Substanzen (Ver¬
abreichung von Jod und intravenöse Iniektion einer 10 proz. Milch¬
zuckerlösung) wird wohl kaum noch vorgenommen. Wir haben sie
jedenfalls schon seit mehreren Jahren aufgegeben, zumal von mancher
Seite Nierenschädigungen nach Milchzuckerinjektion beobachtet worden
waren. Ferner ist das Ausscheidungsvermögen der Niere für Farbstoffe,
das bei Erkrankungen deutlich verändert angetroffen wird, als Kriterium
für ihre funktionellen Leistungen verwertet worden, beispielsweise in
der bekannten von G e r a g h t y und R o w n t r e e angegebenen Phenol-
sulfophthaleinprobe. auf deren Methodik ich nicht näher eingehen will.
Nur so viel: die Probe ist bei weitem nicht so einfach durchführbar, als
der Wasser- und Konzentrationsversuch, ganz abgesehen davon, dass,
wie Munk hervorhebt, die Ausscheidung der Farbstoffe in hohem
Masse von zufälligen extrarenalen Faktoren abhängig Ist und der zeit¬
liche Spielraum „ihrer Elimination kein brauchbares Kriterium für zu¬
verlässige Schlüsse über die Nierenfunktion abgibt“,
M. H.! Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Begreiflicherweise
konnte ich die für die Pathologie der Nierenkrankheiten so wichtigen.
Kapitel Physiologie der Nierenfunktion. Blutdruck. Oedem. Urämie nicht
erschöpfend behandeln. Ich wollte Ihnen nur zum Bewusstsein bringen,
dass zwar viele Probleme noch nicht zweifelsfrei geklärt sind, dass wir
aber nichtsdestpweniger in der Erkenntnis der krankhaften Vorgänge
sehr viel weiter gekommen sind und zwar nicht zum mindesten durch
regelmässig durchgeführte Blutdruckmessungen und Nierenfunktions¬
prüfungen. Dadurch lassen sich, um es noch einmal kurz hervorzuheben,
zwar durchaus nicht immer, aber doch häufig folgende wichtige Fragen
entscheiden:
1. Ob bei ödematösen Nierenerkrankungen ein nephrotischer oder
nephritischer Typus vorliegt. Erhöhter Blutdruck und eine besonders
in qualitativer Hinsicht deutliche Aenderung des Wasserausscheidungs-
vermögens spricht für Nephritis.,
2. Ob es sich bei einer anhydrooischen Nierenerkrankung um eine
gutartige Herdnephritis oder eine ernst zu nehmende diffuse Glomerulo¬
nephritis handelt. Auch hierbei entscheidet eine etwa vorhandene Blut-
drucksteigerung seihst beim Fehlen von Nierenfunktionsstörungen immer
für die Diagnose Glomerulonephritis.
3. Ob eine Glomerulonephritis zur Ausheilung gelangt ist. Bei er¬
höhtem Blutdruck oder bei Vorhandensein von Störungen der Nieren-
iunktion (renaler Ausscheidungstypus, Herabsetzung des Konzentrations¬
vermögens) muss diese Frage verneint werden, selbst wenn klinisch
vollständiges Wohlbefinden vorhanden ist.
4. Ob und in welchem Umfange im chronischen Stadium der
Glomerulonephritis eine schon bedrohliche Niereninsuffizienz anzunehmen
ist. Je schlechter bei aufgehobener Konzentrationsfähigkeit der Wasser¬
versuch ausfällt, um so ernster die Prognose.
5. Ob wir eine konstante Blutdruckerhöhung auf 200 mm Hg und
darüber als eine gutartige Hypertonie (benigne Nephrosklerose) oder
als eine bösartige (maligne Nephrosklerose, genuine Schrumpfniere) an¬
zusehen haben, wol)ei allerdings zu berücksichtigen ist, dass einerseits
im Frühstadium der Schrumpfniere Niereninsuffizienzerscheinungen noch
fehlen können und anderseits auch, bei der gutartigen Hypertonie ge¬
legentlich einmal eine massige Einengung des Konzentrationsvermögens
beobachtet wird.
Sicherlich werden wir auch durch die Blutdruckmessung und Nieren¬
funktionsprüfung durchaus nicht immer alle Fragen hinsichtlich Diagnose
und Prognose der einzelnen Erkrankungsformen restlos entscheiden
können. Das ist ja auch ganz selbstverständlich. Jeder Untersuchungs¬
methode, beispielweise auch der anerkanntermassen für die innere Medizin
so ungemein bedeutungsvollen Röntgendiagnostik muss im Hinblick auf
unsere vielfach noch unvollständigen Kenntnisse über so viele physio¬
logische und pathologische Vorgänge im menschlichen Körper von vom-
herein eine gewisse Unzulänglichkeit anhaften. Nichtsdestoweniger
haben gerade Blutdruckmessung und Nierenfunktionsprüfung eine im Ver¬
gleich zu früher sehr viel exaktere Diagnose- und Prognosestellung
auf dem Gebiete der Nierenerkrankungen ermöglicht und auch unser
therapeutisches Handeln massgebend beeinflusst. Und darum ver¬
dienen diese leicht erlernbaren Untersuchiingsmethoden es wohl, in das
diagnostische Rüstzeug des Praktikers aufgenommen und so häufig wie
nur irgend möglich angewandt zu werden.
Wasser- und Konzentrations versuch
A. hei einem Nierengesunden [Kurve 1 ’)].
Gesarntausscheidung etwas überschiessend, in späteren Versuchen der
Zufuhr entsprechend, nach 1 tägigem Dursten auf 850 ccm verringert, ln
sämtlichen Versuchen normaler Aus¬
scheidungstypus, steiler Diurese-
apstieg in grossen Einzelportionen,
Diureseabfall schon nach 2 Stunden.
Niedrigstes spez. Gew. 1003, höch¬
stes spez. Gew. 1027.
B. bei einem an essentiellem
Oedem erkrankten 39 jährigen Sol¬
daten (1917 auf der Abteilung be¬
obachtet).
Urin stets frei von Albumen und
Formbestandteilen, Kochsalzkonzen¬
tration über 1 Proz., Blutdruck
110 mm Hg. Oedeme weder durch
fetthaltige Diät und Bettruhe noch
durch Strophanthininjektionen oder
durch Diuretin, ebensowenig durch
Injektionen von Kalziumchlorid und
Menschenserum, auch nicht durch
Schilddrüsenpräparate beeinflussbar.
Im Wasserversuch Gesamtaus¬
scheidung 1950 ccm, grösste Einzel¬
portion 350 ccm. aber erst nach 3 Stunden entleert, also kein normaler
Diureseabfall. Variationsbreite des spez. Gew. 1005—1026.
Beurteilung: Trotz der beträchtlichen Oedeme wenigstens quantitativ-
normale bzw. sogar überschiessende Wasserausscheidung. Der ..renale“ Aus¬
scheidungstyp ist in Anbetracht der vorhandenen Oedeme nach früher Ge¬
sagtem nicht unbedingt als Anzeichen für eine etwa vorhandene Nierenschädi¬
gung zu deuten.
Der Patient stellte sich vor kurzem wieder vor. Die Oedeme sind bis
jetzt bestehen geblieben. Er hat aber dabei gearbeitet. In einer Urinprobe
kein .Albumen, kein Sedimentbefund, Kochsalzkonzentration 1,3 Proz., Blut¬
druck 125 mm Hg.
C. bei verschiedenen Nierenerkrankungen
1. Nephrose (mit Amyloid) bei einer 23 jährigen Verkäuferin, die im
14. Lebensjahr wegen tuberkulöser Knochenerkrankung am Brustbein, linken
Oberarm und rechten Unterschenkel operiert und 7 Jahre später (1 Jahr vor
der Krankenhausaufnahme) an linkseitiger Oberlappcntuberkulose erkrankt
war. Bereits während des ersten Krankenhausaufenthaltes vom 17. II. bis
13. VI. 1917 Oedeme mässigen Grades, 3 Prom. Albumen. ohne Sediment¬
befund. normaler Blutdruck. Zweiter Krankehhausaufenthalt von 2. Vlll. bis
3. XI. 1917.
Damit aus den Kurven, von denen aus äusseren Gründen nur 3 bei¬
gegeben werden konnten, mit einem Blick alles Wissenswerte herausgelesen
werden kann, sei zu deren Verständnis folgendes gesagt:
Die leicht schräge Säule gleich am Beginn der Kurve entspricht der
innerhalb 1 Stunde zugeführten Flüssigkeitsmenge von 1500 ccm. die darauf¬
folgenden, vom Fusspunkte der Kurve aus sich erhebenden Säulen mar¬
kieren die einzelnen halbstündigen Urinportionen, und zwar überragen nor¬
malerweise die ersten 4 an Grösse bei weitem die folgenden 4—5. Von den
beiden Linien veranschaulicht die eine anfangs steil, dann langsam bis
1500 ccm oder darüber hinaus ansteigende die Gesarntausscheidung die andere
(gestrichelte) das spez. Gew. der halbstündigen Harnmengen (Verdünnungs-
fäbigkeit). Die Säule neben der* graphischen Darstellung des Wasserver¬
suchs bringt die Höhe des Blutdrucks zum Ausdruck. Normalerweise soll
sie niedriger sein als die der Flüssigkeitszufuhr entsprechende. Sobald sie
die Höhe der letztgenannten erreicht oder gar übersteigt, liegen pathologische
Blutdruckwerte vor. Am Ende der Kurve ist der Konzentrationsversuch dar¬
gestellt entweder in Form von Doppelsäulen, von denen die solide der Tages¬
urinmenge. die schraffierte dem spez. Gew. entspricht oder in Form von
• mehreren Säulen (einzelne Urinportionen) und einer Linie (jeweilige Höhe des
spez. Gew.).
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Google
Kurve 1.
212
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Im Wasserversuch (13. VIII. 17) Qesamtausscheidung von 1500 ccm,
grösste Einzelportion 500 ccm. Normaler Ausscheidungstypus. Variations¬
breite des spez. Gew. 1002—1029, Kochsalzkonzentration über 1 Proz.
Funktionell also vollkommen normales Verhalten.
Selbst als die Patientin am 24. II. 1918 zum dritten Male, und zwar in
sehr schwerem Krankheitszustande (hochgradige Oedeme, Fieber, Durchfälle),
ins Krankenhaus kam, keine erhebliche Störung der Nierenfunktion. Wenn sich
im Wasserversuch auch nur eine Qesamtausscheidung von 805 ccm ergab,
und zwar grösste Einzelportion von 215 ccm und die folgenden zwischen
50 und 75 ccm, bei einem spez. Gew. von 1008—1009, so darf in Anbetracht
der vorhandenen Durchfälle und des hohen Albumengehaltes (8 Prom.) dieser
Wasserversuch nicht allzu ungnstig beurteilt werden. Die täglichen Urin¬
mengen betrugen an den Tagen besonders starker Durchfälle 400—500 ccm,
bei einem spez. Gewicht von 1030, an anderen Tagen bis 3000 ccm
bei einem spez. Gewicht von 1008. Also eine ziemlich erhebliche Variabilität
des spez. Gewichts.
Exitus am 30. IV. 1918 an frischer Pneumonie. Bei der Autopsie: rechts¬
seitige Unterlappenpneumonie (als Todesursache), linksseitige Oberlappentuber¬
kulose mit 2 Kavernen, Ileozoekaltuberkulose, grosse weisse Niere; mikro¬
skopisch: typische Nephrose mit amyloider Degeneration zahlreicher Glomeruli.
und Gefässwandungen. Erhebliche Bindegewebsvermehrung.
Beurteilung: In diesem Falle von schwerer, mit Amyloid komplizierter
Nephrose hat also bis zuletzt keine bedrohliche Störung der Nierenfunktion
bestanden. Trotz der Oedeme normaler Wasserversuch! Bemerkenswert ist
auf der einen Seite die nicht sehr erhebliche Beeinträchtigung der Nieren¬
funktion (Variationsbreite des spez. Gew. 1008—1032 bzw. unter Berück¬
sichtigung des hohen Albumengehaltes etwa 1005—1029), auf der anderen
Seite die weitgehende Erkrankung im pathologisch-anatomischen Sinne.
2. Chronische Nephritis ohne Insuffizienzerscheinungen (wahrscheinlich
diffuse Glomerulonephritis). 31 jähriger Ingenieur, bei dem gelegentlich einer
Untersuchung für die Lebensversicherung Eiweiss gefunden wurde und der
abgesehen von einer seit 4—5 Jahren bestehenden Müdigkeit nichts über den
Beginn der Erkrankung zu sagen vermochte.
Keine Oedeme. Blutdruck 110—120 mm Hg. gelegentlich auch (psychisch
bedingte Steigerung?) 140—145 mg Hg, %—1 Prom. Albumen, im Sediment
granulierte Zylinder, niemals Erythrozyten. Jod nach 55 Stunden, Milch¬
zucker nach 4 Stunden ausgeschieden. Bei Stickstoff- und Kochsalzbela.stung
normale Ausscheidung.
Im Wasserversuch Qesamtausscheidung 1050 ccm. grösste Einzelportion
250 ccm, Diureseabfall nach 2 Stunden, Variationsbreite des spez. Gewichts
1004—1027.
Da der Blutdruck jedenfalls nicht konstant erhöht ist, kann man im
Zweifel sein, ob es sich um eine chronische diffuse oder, trotz der fehlenden
Hämaturie um eine herdförmige Glomerulonephritis handelt. Jedenfalls ist
in Anbetracht der guten Variabilität des spez. Gewichts und der quantitativ
zwar etwas verringerten, qualitativ etwa normalen Ausscheidung eine nennens¬
werte Nierenfunktionsstörung auszuschliessen, die Prognose als relativ günstig
zu stellen. — In der Folgezeit hat sich dann der Patient auch beschwerdefrei
gefühlt. November/Dezember 1918 wurde er wegen einer 8 Tage dauernden
fieberhaften Erkrankung in Kiel (Med. Klinik) behandelt. Dort, wie ein mir
freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. Schittenhelm zugestelltcr Bericht
besagt, „während des Fiebers im Urin 6 Prom. Eiweiss und massenhaft rote
Blutkörperchen mit vielen hyalinen und granulierenden Zylindern. Der Urin¬
befund besserte sich nach Abklingen des Fiebers sofort insofern, als die
Albumenmenge auf % Prom. zurückging und der hämorrhagische Charakter
sich verlor. Der Blutdruck war nie erhöht (110). Die funktionelle Nieren-
prOfung ergab eine geringe Veizögerun«^ der Wasserausscheidung und ein
schlechtes Konzentrationsvermögen (bis 1018)“. Seit der Entlassung aus der
Klinik ist es dem Patienten wieder gut gegangen.
3. 10 Wochen bestehende akute diffuse Glomerulonephritis bei einem
34 jährigen Offizier.
Im Beginn hochgradige Oedeme, grosse Albumenmengen. Hämaturie.
Blutdruck 195—200 mm Hg. vorübergehend urämische Erscheinungen. Am
Tage des Wasserversuchs ödemfrei. Albumen in Spuren, vereinzelt Frythro-
z\^en. Leukozyten.
Im Wasserversuch Ge.samtausscheidung 1300 ccm, grösste Einzelportion
450 ccm. normaler Ausscheidungstypus. Variationsbreite des spez. Gewichts
1003—1023.
Beurteilung: Abgesehen von der noch vorhandenen Albuminurie und dem
Sedimentbefund deutet nur die Blutdruckerhöhung und die leichte Einengung
des Konzentrationsvermögens daraufhin, dass noch keine Ausheilung ein¬
getreten ist. Der Wasserversuch ist quantitativ und qualitativ normal.
In der Folgezeit Besserung des Konzentrationsvermögens. Urin wird frei
von Eiweiss. Sediment ohne Befund. Blutdruck aber noch im Dezember
(919 um 145—150 mm Hg, Mitte Juni 1920 dauernd um 120 mm Hg. Im
Wasser- und Konzentrationsversuch am 20. VI. 20. also iJ^ Jahre nach Krank¬
heitsbeginn, etwas Überschiessende Gesamtausscheidung in normalem Aus-
scheidung-stypus. Variationsbreite des spez. Gewichts 1002—1028, Urinbefund
negativ. Blutdruck 124 mm Hg.
Demnach bestehen keine Anzeichen mehr für eine noch vorhandene
Nierenschädigung. In dem von der Behörde angeforderten Gutachten habe
ich den Patienten allerdings noch nicht für gesund erklärt, sondern zur
definitiven Entscheidung dieser Frage eine Nachuntersuchung nach 1 Jahre
für erforderlich gehalten.
4. Benigne Nephrosklerose bei einem wegen Dysbasia angiosclerotica
auf der Abteilung behandelten 62 jährigen Arbeiter.
Keine Oedneme. Urin chemisch und mikroskopisch ohne Befund. Blut¬
druck 190—210 mm Hg. Augenhintergrund o. B. Milchzucker nach 9 Stunden.
Jod nach 60 Stunden, Kochsalz- und Stickstoffzulage in normaler Weise aus-
geschieden.
Im Wasserversuch Gesamtauscheidung 2020 ccm, wiederholte Einzel¬
portionen von .300 ccm. und zwar noch nach 3K Stunden. Spez. Gew.
variierend zwischen 1002 und 1031.
Beurteilung: Der im Wasserversuch von der Norm abweichende Aus¬
scheidungstypus (flacher Diureseanstieg, fehlender Diureseabfall) spricht hier
nach früher Gesagtem nicht unbedingt für eine Nierenfunktionsstörung, zumal
bei der sehr guten Variabilität des spez. Gew.
Bei demselben Fall ergibt sich 7 Jahre später folgendes Verhalten: Blut¬
druck 175—192 mm Hg. Augenhintergrund o. B. Erhebliche Oedeme, die
durch Strophanthininjektionen zwar vermindert, aber hie ganz zum Schwin¬
den gebracht wurden. Deutliche Dyspnoe. Im Urin Spuren von Albumen,
gelegentlich auch Zylinder.
Im Wasserversuch Gesamtausscheidung 1150 ccm in einzelnen Portionen
von 200 ccm, Diurese die ganzen 4 Stunden hindurch andauernd, spez. Gew.
variierend zwischen 1003 und 1029.
Am 7.1. 20 rechtsseitige Unterlappenpneumonie. 19.1. 20: Empyem nach¬
weisbar, das operativ behandelt wurde. 10.11.20: Exitus. Autopsie: Hyper¬
trophisches Herz 550 g. Nieren von normaler Grösse, ohne jegliche Granu¬
lierung. Mikroskopisch: An einigeo kleinsten Nieren- und Milzgefässen Ver¬
fettungserscheinungen massigen Grades, elastisch-hyperplastische Intimaver¬
dickung an grösseren und mittleren und nicht so häufig auch an den kleinsten
Gelassen. In den Nieren kleine Bindegewebsherde, keine wesentliche Par-
enchymveränderungen,
Zusammenfassung: Trotz schwerer Herzinsuffizienz im Wasserversuch
noch ein relativ gutes Ausscheidungsvermögen. Sehr gute Variabilität des
spez. Gew., jedenfalls keine Nierenfunktionsstörung. Bemerkenswert bei der
histologischen Untersuchung ist die geringfügige, dabei nicht auf die Nieren-
gefässe beschränkte Arteriosklerose.
5. Anfangsstadium einer malignen Nephrosklerose (genuine Schrumpf¬
niere) bei einem 46 jährigen Major. (Kurve 2.)
Aus der interessanten Vorgeschichte kurz folgende Daten: Vor 20 und
12 Jahren Nierenkoliken, vor 4 Jahren in Kleinasien Malaria. Etwa seit dieser
Zeit linksseitige, migräneartige, bis in den Nacken ausstrahlende Kopfschmer- ^
zen, die sich auf gar keine Behandlungsweise irgendwie besserten. Vor *
etwa 1 Jahr für einige Stunden erschwerte Sprache und Steifigkeit der lin¬
ken Körperseite. Ein namhafter Breslauer Neurologe diagnostizierte eine
Hirngeschwulst. Diese Diagnose wurde zwar von einem bekannten Berliner
Hirnchirurgen unter Mitwirkung eines Neurologen abgelehnt, die richtige Dia¬
gnose aber nicht gestellt. Der Blutdruck wurde nicht gemessen. «Der Patient
machte trotz stets negativen Wassermanns für alle Fälle noch eine Schmier¬
kur durch. Als er am 8.1. 14 in meine Sprechstunde kam. fand sich ein Blut¬
druck von 190—200 mm Hg. im Urin Spuren von Albumen. Augenhinter¬
grund o. B.
Im Wasserversuch Gesamtaus.scheidung 840 ccm, also deutlich ver¬
ringert. Einzelportionen von 100—160 ccm, also flacher Diureseanstieg und
fehlender Diureseabfall, spez. Gew. variierend zwischen 1006 und 1024.
Beurteilung: Deutliche, wenn auch noch nicht sehr hochgradige Nieren¬
funktionsstörung.
Ich riet daher dem Patienten dringend, seinen Abschied einzureichen,
wozu er sich aber nicht entschliessen konnte. Er zog dann noch mit ins Feld,
musste Mitte Mai 1915 nach Deutschland zurück, da sich Atemnot und Oedeme
eingestellt hatten, und ist dann am 31. X. 15 in einem Berliner Lazarett im
urämischen Koma verstorben.
Es sei hier noch ein Fall von maligner Nephrosklerose mit ausserordent¬
lich raschem Verlauf angeführt, der darauf aufmerksam machen soll, dass
bei Nephrosklerosen der Grad der Nierenfunktionsstörung nicht immer allein
für die Prognose massgebend ist, dass vielmehr gerade bei der malignen
Nephrosklerose, selbst bei noch nicht beträchtlich gestörter Nierenfunktion,
unter Umständen mit dem baldigen Einsetzen einer absoluten Niereninsuffizienz
gerechnet werden muss.
35 jähriger Krankenwärter, der niemals ernstlich krank gewesen und nur
seit mehreren Wochen über lästige Kopfschmerzen zu klagen gehabt haben
will. Während der I. Lazarettbeobachtung vom 3. IV. bis 8. VI. 15 Blutdruck
220—240 mm Hg. anfangs 3 Prom., bald aber nur noch Spuren von Albumen;
mikroskopisch hyaline Zylinder und Erythrozyten. Retinitis albuminurica.
Im Wasserversuch Gesamtausscheidung 1420 ccm. 4 Einzelportionen von
etwa 250 ccm, spez. Gew. variierend zwischen 1004 und 1019.
Der Patient, der nach 6 intravenösen Strophanthininjektionen am 8. VI. 15
mit leidlichem Wohlbefinden entlassen werden konnte, gelangte bereits am
29. VI. unter schweren urämischen Erscheinungen wieder zur Aufnahme.
Tägliche Urinmengen jetzt nur noch 500—800 ccm. Im Wasserversuch Ge¬
samtausscheidung 330 rem bei nur wenig variierendem spez. Qew. von
1006—1011. Am 3. VIII. 15 im urämischen Koma Exitus. Bei der Sektion ,
ein hypertrophisches Herz (Wandstärke des linken Ventrikels 22—25 mm).
Nieren etwas vergrössert, fein granuliert, von graurötlicher Farbe und etwas
fleckigem Aussehen.
Beurteilung: Noch relativ kurz (3/4 Monate) ante exitum quantitativ
normales Wasserausscheidungsvermögen. Konzentrationsvermögen zwar
etwas herabgesetzt, aber leidliche, jedenfalls grössere Variationsbreite des
spez. Qew. als bei sekundärer Schrumpfniere.
6. Sekundäre Schrumpfnierc mit ausgesprochener Niereninsuffizienz
(Hyposthenurie mit kompensatori‘;cher Polyurie) bei tineni 37 jährigen
Schneider. (Kurve 3.)
Beginn wahrscheinlich in der Zeit von August 1914 bis Januar 1915
infolge vielfacher Durchnässungen im Dienst. Seit Anfang 1918 nachts Atem¬
not. Druckgefühl in der Herzgegend. Seit 14 Tagen Verschlechterung der
Sehkraft.
Digitized by Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IS. Februar 1921
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
213
Blutdruck 220—240 mm Hg, biassgelbe Gesichtsfarbe, Netzhautblutungen.
Lidödem. 1 —% Prom. Albumen, Sediment o. B.
Im Wasserv^rsuch Gesamtausscheidung 1100 ccm, Cinzelportionen nicht
über 200 ccm, kein Diureseabkll, spez. Gew. variierend zwischen 1003 u.id
1009.
Beurteilung: Die Konzentrationsfähigkeit spricht für eine schwere Nieren-
insuffizienz, die indes noch nicht als unbedingt lebensbedrohend angesehen
zu werden braucht, da im Wasserversuch eine leidlich gute Oesamtausschei¬
dung und eine Verdünnungsfähigkeit bis 1003 zu beobachten ist.
Der Patient wurde nach einigen Strophanthininjektionen beschwerdefrei,
keine nennenswerte Atemnot mehr. 16 Monate später von neuem auf die
Abteilung mit mässigen Oedeinen und stärkerer Atemnot aufgenommen. Im
Wasserversuch etwa das gleiche Verhalten wie im Vorjahr. Variations¬
breite des spez. Gew. 1005—1010. Deutliche Retinitis albuminurica, leichte
urämische Erscheinungen, Albumen in Spuren, ohne Sedimentbefund.
BQcheranzeigen und Referate.
J. Kowarschlk: Elektrotherapie, ein Lehrbuch mit 255 Ab¬
bildungen und 5 Tafeln. Berlin, J. Springer. 1920. Preis 40 M.,
geb. 46.80 M.
Der unverkennbare Aufschwung, den die Elektrotherapie in neuerer
Zeit wieder genommen hat, ist grossenteils den Neuerungen in der
Technik zu verdanken. Die Vielgeschäftigkeit in der elektrotechnischen
Iqdustrie ist aber der ärztlichen Tätigkeit dank der oft allzu willfähiigen
Aufnahme des Gebotenen zur Gefahr geworden. Denn nicht immer ist
das durch die Krankheit gegebene Bedürfnis, sondern lediglich eine tech¬
nische Neuheit, ein blendender Apparat, das Leitmotiv für die Anwendung
einer neuen Behandlungsart. Es ist daher ein Verdienst des auf diesem
Oebieta angesehenen Verfassers, dass er in dem vorliegenden Werke
auf Grund reicher eigener Erfahrung versucht hat, „aus der Masse von
Gutem und Schlechtem, das uns die Elektromedizin von heute bietet...
das wenige Brauchbare und dauernd Wertvolle herauszulesen“. Und
dieser Versuch ist dem Verf., wie wir glauben, sehr gut gelungen, wenn
auch das Werk trotz der getroffenen Auswahl noch einiges Entbehrliche
enthält. Von der Ueberzeugung ausgehend, dass nur der Arzt wirksame
Elektrotherapie betreiben kann, der die Technik beherrscht, hat Ko-
warschik zweckmässiger Weise mehr als ein Drittel seines Buches
den „physikalischen Grundbegriffen“ und der „Technik der Elektro¬
therapie“ gewidmet. Die Einführung in die modernen Lehren und in
die Technik wird dem Leser sehr erleichtert durch die übersichtliche,
leichtfassliche Darstellung und durch die Beigabe zahlreicher muster-\
gültiger Abbildungen.
Aus dem dritten Teile, der die „physiologischen Grundlagen der
Elektrotherapie“ enthält, sei als besonders lesenswert hervorgehoben
das Kapitel über die chemisch-physikalischen Wirkungen des elektrischen
Stromes- K. verwirft, worin wir ihm nur beipfUchten können, zur Er¬
klärung der therapeutischen Wirkungen die elektrotonisierenden Eigen¬
schaften des galvanischen Stromes (z. B. die Anodenbehandlung bei
Neuralgien). Er bringt vielmehr unsere Heilerfolge mit den elektro¬
chemischen Wirkungen; der lonenwanderung und der dadurch bedingten
Bildung neuer chemischer Verbindungen in den Geweben, in ursäch¬
lichen Zusammenhang. Leider sind uns aber die genaueren Vorgänge,
die sich hierbei abspielen, unbekannt. Und es erscheint sehr fraglich, ob,
wie Verf. vermutet, gerade jede Dissimilation wieder eine Assimihtion.
und zwar ein dem gewollten Zwecke entsprechender Wiederaufbau
folgen muss.
Im vierten Teile — „therapeutische Anzeigen der Elektrotherapie“ —
offenbart sich wieder der gewandte Techniker, der in dem Ersinnen
mannigfaltiger Applikationen und dem Anpassen an besondere Zwecke
f^rosse Findigkeit besitzt und dem Leser zahlreiche oraktische Winke gibt.
Er empfiehlt im Gegensatz zu älteren Vorschriften Sitzungen von längerer
Dauer (20—30 Minuten und mehr). Seine Ratschläge lassen eine be¬
sondere Vorliebe für die Diathermie erkennen. Mag auch der Erfolg
seinen Voraussetzungen nicht immer entsprechen, so sind die Methoden
doch meist wohl durchdacht, und sein Optimismus, ohne den keine
Therapie gedeihen kann, nur zu begrüssen.
Der Verf. steht ganz auf dem Boden der modernen Forschung und
Technik. Weniger Hegt ihm die historische Betrachtung. Wenigstens
vermisst der Eingeweihte an vielen Stellen den Hinweis auf die Lei¬
stungen verdienter Forscher, auf deren Schultern die wissenschaftliche
Elektrotherapie ruht. Diese kleine subjektive Ausstellung kann uns
•»ber nicht hindern, das vortreffliche n^ue Lehrbuch zur Einführung in die
Elektrotherapie und als zurzeit besten Ratgeber für zweckdienliche Aus¬
wahl der elektrotherapeutischen Methoden angelegentlich zu empfehlen.
S t i n t z i n g.
Prof. Dr. Franz Rost: Pathologische Physiologie des Chirurgen
(experimentelle Chirurgie). Ein Lehrbuch für Studierende und Aerzte.
Leipzig. F, C. W. Vogel. 1920. 613 S.
Beim Erscheinen des Rost sehen Buches fühlte man sich — zu¬
nächst nur durch den T i t e I — in seinem chirurgischen Empfinden nach
zwei Richtungen hin bewegt. Einer „pathologischen Physiologie des
Chirurgen“ war man geneigt, mit etwas negativistischen Gefühlen
entgegenzutreten, da man die Komponenten — die Physiologie und
Pathologie — sich nicht /echt in einseitiger chirurgischer Betrachtungs¬
weise dargestellt denken konnte und Krehls klassisches Werk den
allgemeinen Bedürfnissen des Mediziners zu entsprechen schien.
Mit Spannung und Freude dagegen las man den Untertitel „Experi¬
mentelle Chirurgie“, der vielversprechend eine Darstellung von Arbelts-
Digitized by Goiisle
methoden und deren Ergebnissen verhiess, die unserem Fachgebiet noch
nahezu vollkommen fehlt. Wer auf dem Gebiet der experimentellen
Chirurgie sich versucht hat, wird mir beistimmen, wie mühsam und durch
wie viele Enttäuschungen hindurch man gezwungen wird, sich einen
Boden zu schaffen, statt da anfangen zu können, wo andere aufgehört
haben. Die Ausfüllung dieser empfindlichen Lücke erhoffte man von dem
Rost sehen Buch. Die Lektüre des Werkes enttäuscht jedoch in
diesen Erwartungen, verwandelt aber auch den Negativismus der „patho¬
logischen Physiologie des Chirurgen“ gegenüber in Gefühle der
»grössten Anerkennung. Gerade ein Vergleich mit dem K r e h 1 sehen
Werk zeigt die absolute Selbständigkeit, mit welcher Rost das^ un¬
geheure (Gebiet unter einem bewundernswerten Aufwand von Fleiss und
Wissen bearbeitet hat. Und nur unter diesen Vorau.ssetzungen war es
ihm möglich, mit so glücklichem Griff alles herauszuheben, was praktisch
und theoretisch für den Chirurgen von Bedeutung ist Man kann kein
Kapitel lesen, ohne eine Fülle von Anregung und Belehrung zu finden,
und jeder, der sich mit dem Studium des Buches befasst hat, wird
es mit grösster Befriedigung aus der Hand legen. Trotzdem bleibt der
Wun.sch narh der Rif'htung der experim''ntellen Chirurgie bestehen, da er
unbefriedigt ist. Bücher wie das Rost sehe, die gewissermassen
Tagesfragen behandeln, veralten naturgemäss rascher als andere.
Es ist zu erwarten und zu wünschen, dass rasch aufeinander folgende
Neuauflagen — wie bei K r e h 1 — immer die Höhe der Zeit einhalten.
Man muss sich nur fragen, ob es dann nicht besser wäre, den Unter¬
titel „Experimentelle Chirurgie“ zu streichen. Noch schöner wäre es,
wenn uns der Verfasser wirklich mit einer solchen beschenken wollte,
wozu zweifellos niemand geeigneter wäre als Rost selbst. Die*Fragen
der Transplantation, Regeneration usw., wie sie in den Lehrbüchern
der allgemeinen Chirurgie abgehandelt werden, bilden keine Ergän¬
zung zu der Rost sehen Ausführlichkeit und Gründlichkeit, wie er allzu
bescheiden meint. Aber — um nur einige Beispiele herauszugreifen —
Wundheilung, Entzündung. Immunität. Parabiose. Konstitution und Ver¬
erbung u. V. a. sind Dinge, zu denen auch die experimentelle Chirurgie
unablässig wertvolle Beiträge liefert, die man bei Rost nicht missen
möchte. Das Buch würde damit den Rahmen eines Bandes sicher¬
lich überschreiten, aber in noch viel höherem Masse Gemeingut der
chirurgischen Welt werden, als es ihm jetzt .schon zu wünschen ist.
Kreuter - Erlangen.
Beurteilung und Behandluiis der Nierenkrankhelten auf der Grundlage
der klinischen Pathologie, für Studierende und Aerzte dargestellt von
Prof. Siebeck. Tübingen, L C. B. Mohr. 1920. 252 Seiten. Preis
20 Mark.
Schon der Titel sagt, dass hier ein Versuch gemacht wird, von
Nierenkranken und nicht vor Nierenkrankheiten zu sprechen. Die Dar¬
stellung selbst ist klar. S. teilt gewissermassen horizontal und vertikal
ein in „krankhafte Erscheinungen“ im einzelnen und die „klinischen Zu¬
sammenhänge“, die er wieder In typische Zustandsbilder und typische
Zusammenhänge In der Entwicklung unterteilt. Das ist nach manchen
Seiten anregend, aber dem Leser ergeben sich daraus ermüdende Wieder¬
holungen und zeigen, dass das Prinzip seine Nachteile in dieser Art
der Darstellung hat.
Die Stellung .S.s zu Hen Problemen der Nierennathologie .selbst ist
die. welche sein Lehrer K r e h 1 in der letzten Auflage seines Buches
Pathologische Physiologie dargelegt hat; er wendet sich gegen jeden
Dogmatismus und Schematismus und verlangt Beobachtung am Kranken¬
bett ohne Voreingenommenheit, unter scharfer Betonung, dass jeder
Nierenkranke ein Fall für sich sei und für sich betrachtet werden
müsse. Das ist mit Rücksicht auf die Uebertreibungen des Schemati-
sierens in der letzten Zeit sicher sehr nötig zu sagen. Aber schon
droht nach meiner Ansicht auch dieser Gedanke wieder übers Ziel hinaus-
zuschiessen; aus Angst vor dem Dogmatismus kann leicht der Adog-
matlsmus zum Dogma werden! O^e leitenden Gedanken und ohne
doch meist verknüpfte neue Methoden, nur durch einfache Kranken¬
beobachtung kommen wir nicht vorwärts. Weil Irren oder Dogmatis¬
mus damit verbunden sein kann, ist das doch kein Grund, vor dem
Sur.hpn zusammet^f’ssenden grossen Leitlinien für d^s Verständnis
des Geschehens zurückzuschrecken. " Schlayer.
V ö 1 c k e r und W o s s 1 d 1 o: Urologisctae Operationslehre. 2. Ab¬
teilung mit 220 teils farbigen Abbildungen Leipzig 1921, bei Thieme.
M. 54.—. Gesamtwerk 581 S. Gebunden M. 100.—.
Der 2. Teil des bereits 1917 in einem 1. Band erschienenen Werkes
über die chirurgischen Eingriffe am Harnsystem bringt eine Reihe ausser¬
ordentlich interessanter Artikel. V ö 1 c k e r - Halle behandelt die blutigen
Operationen der Harnblase. Der Vorzug dieses Teils scheint mir in der
völlig subjektiven Erarbeitung des Stoffes zu liegen: überall nur eigene
Erfahrungen, eigene Anschauungen eines Kenners und Könners. Küm-
mell- Hamburg, dessen ausgezeichnete Schilderung über Operationen
an den Nieren und Nierenbecken wir ja auch schon aus dem Handbuch
Bier-Braun-Kümmell kennen, hat seine Erfahrungen auf diesem Gebiet
noch mehr im einzelnen dargestellt. Oesterreichs bedeutendster Urologe
Zuckerkandl und sein Assistent P a s c h k i s hat den allgemeinen
Teil über die Operationen an den Harnleitern beigestcuert. Ganz aus¬
gezeichnete, keiner früheren Arbeit entnommene Bilder zeigen die intra-
und extraperitoneale Aufsuchung des Ureters. Den speziellen Teil hat
K ü m m e 11 übernommen. Die Operationen des Hodensackes, des
Hodens und seiner Hüllen, sowie des Samenstranges erfuhren ihre Be¬
arbeitung durch Orth- Halle. Sehr interessant sind die Ausführungen
Kneises-Halle über die urologischen Operationen beim Weibe, in
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
214
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
dieser Uebersichtlichkeit und ins einzelne gehenden Beschreibung wohl
noch nicht dargestellt.
Die mm vollständig vorliegende Operationslehre ist wohl das beste
und ausführlichste zurzeit vorliegende Werk über chirurgische Mass¬
nahmen am Harnsystem; sie reiht sich dem Albarr an sehen Lehrbuch,
das bei dem schnellen Fortschreiten der Wissenschaft ja wohl mancher
Berichtigung und Ergänzung bedurfte, ebenbürtig an. Druck und Aus¬
führung des Werkes sind vollkommen friedensmässig.
Kielleuthner - München.
R. Tb. V. J a sch k e und O. Pan ko w: Lehrbuch der Geburtshilfe.
9. Auflage; 721 Selten. Springers Verlag, Berlin 1920. Preis
geb. 78 M.
Es handelt sich um eine Neubearbeitung von Runges aus¬
gezeichnetem Lehrbuch der Geburtshilfe. Das Werk steht nun wieder
auf der Höhe der Forschung und beide Verfasser haben das Ziel erreicht,
ernste Wissenschaftlichkeit mit eindringlicher Anschaulichkeit der Dar¬
stellung und einer stets fesselnden Schreibart zu verbinden. Das Lesen
des Buches wurde dadurch dem Berichter nicht nur zu einer Quelle der
Belehrung, sondern auch zu einem Genuss. Es darf gesagt werden,
dass die Fülle gerade des Praktisch-Therapeutischeb das
Werk Jaschke-Pankows zum besten Assistenten des Geburts¬
helfers macht. Für jede Frage wird er eine sichere und wirkungsvolle
Antwort finden. Die Ausstattung mit den zahlreichen, meist prachtvoll
gelungenen, vielfach mehrfarbigen Abbildungen lässt das allgemeine
Buchelend der Gegenwart vergessen. Papier und Druck sind muster¬
haft. Die deutsche geburtshilfliche Wissenschaft darf auf dieses Werk
stolz sein. • W. S. F1 a t a u - Nürnberg.
Hoffa: Technik der Massage. 7. Aulage, herausgegeben von
fl. G o c h t, mit 47 teilweise farbigen Textabbildungen. F. E n k e, Stutt¬
gart, 1920.
Das kleine Buch, welches für die vielen in den letzten 2 Jahrzehnten
erschienenen Leitfaden der Massage das Vorbild gewesen ist, bedarf
keiner besonderen Empfehlung mehr. Eine eingehendere Besprechung
hätte meines Erachtens die Massage des Muskelrheumatismus auf Grund
der Arbeit von Müller- Gladbach verdient.
F. Lange- München.
A. Fi scher -Karlsruhe: Die FamiUenversichenuig In Baden. Ein
Bericht an das Badische Arbeitsministerium. 24 u. 20 Karlsruhe i. B.
1920. C. F. Mül 1ersehe Hofbuchhandlung.
Eingehende Untersuchungen, dbren statistische Unterlagen in einem
umfangreichen Anhang beigegehen sind, mit dem Ergebnis, dass, an¬
gesichts der folgenden Tatsachen: geringer Ausbaii der Familien Ver¬
sicherung in Baden, nachweislicher gesundheitlicher Nutzen, insbesondere
Erleichterung der Inanspruchnahme der ärztlichen Behandlung durch die¬
selbe, Wunsch der massgebenden Kassen nach Einführung der obliga¬
torischen Familenversicherung. geringere Höhe der Ausgaben, als vielfach
befürchtet wird (nur rund 8 Proz. der Ges'amtausgaben), der badischen
Regierung empfohlen wird, bei der Reichsregierung ein Gesetz zu er¬
wirken, das sämtlichen Krankenkassen die Flicht auferlegt, Familien¬
hilfe zu gewähren, d. h. insbesondere die Kosten für die ärztliche Be¬
handlung und Arzneien zu übernehmen: in diesem Gesetz ist anzu¬
ordnen, dass die Gemeinden (Kreise), die (jliedstaaten und das Reich
den Kassen zur Durchführung angemessene ZuscTiüsse gewähren.
Abgesehen von ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Forderung
der obligatorischen Familienhilfe bietet die Schrift ein reichhaltiges Ma¬
terial über Einzelfragen und die Art der Durchführung der Familienver¬
sicherung, deren Inkrafttreten ja wohl nur eine Frage der Zeit ist.
M. Schwab -Berlin-Wilmersdorf.
Dr. Franz Jäger: Gesundshettslehre des Weibes. 92 Seiten. Ver¬
lag Otto Gmehlin, München 1920. Preis 10 M.
Das einfach, volkstümlich und doch eindringlich geschriebene Büch¬
lein, das auch einige gut verständliche Bilder enthält, darf empfohlen
werden. Bei der zurzeit starken Strömung in breiten Volksschichten,
‘-Aufklärung und Wissen gerade auch auch dem Gebiet des Sexuallebens
zu suchen, wird die Arbeit vielen Aerzten willkommen sein, die fragenden
Müttern und reifen Mädchen eine gesunde Schrift in die Hand geben
wollen. W. S. F l a t a u - Nürnberg.
Alfred Erich. Deutsche Nacht I. Bielefelds Verlag. Frei¬
burg i. B., 1920. Buchschmuck von Erwin Schweitzer. 33 Seiten.
Ein schmales gelbes Bändchen, etwa 30 Sonette, weht uns ein
Zufall auf den Tisch. Drei klare, einfache, schöne Holzschnitte ... und
eine tiefe Wirkung geht aus von dem wahren erschütternden Empfinden,
das diese Gedichte ans Licht bringen musste. Wie der Totenchor in
alten griechischen Tragödien tönt die Klage in unser Herz: die Klage
um die verlorenen Söhne, um das verlorene Vaterland. Kein Haus im
armen deutschen Lande, in dem nicht „nach des Schlummermohnes Ver¬
gessen der Tag springt wie ein wildes Tier uns an die Kehle“. Kein
Haus, dem nicht ein Vater fehlt, ein Sohn, ein Bruder, wahrlich so ist
das deutsche Haus geworden, allüberall, wie es das Gedicht ausspricht
des pseudonymen ärztlichen Verfassers:
Das öde Haus.
Dies war sein Platz in wilder Knabenzeit;
von Eifer glühten seine Kinderwangen,
im Blicke aller Zukunft Glücksverlangen;
so heiss die J ii g e n d und der Abend weit.
Nun lastet schwer das Haus in Dunkelheit;
die Wände taub, die seinem Lachen klangen.
die Treppen tot, wo seine Füsse sprangen.
in leeren Winkeln nur wacht stumm das Leid. '
Und führen Nächtens heimwärts mich die Schritte,
ist mir’s, als hörte ich im Schall der Tritte,
was, ach wie oft, in goldner Jahre Lauf
als seiner Mutter Warnungswort erklungen:
„Sprich leise; still! Du weckst uns noch den Jungen"
— — Sei unbesorgt; wir wecken ihn nicht auf!
Max Nassauer - München.
Zeitschriften- Uebersichf.
Zeitschrift für klinische Medizin. 89. Band. 5. u. 6. Heft.
W. Stepp: lieber die Gewinnung von Gaiienblasenintaait mittels der
Duodenalsonde durch Einspritzung von Witte-Peptonlösung ins Duodenum.
Die bei der Duodenalsondierung im nüchternen Zustand erhaltene Duo-
denalflOssigkeit besteht vorwiegend aus dünner Leberealie. Die Absonde¬
rung dünner Lebergalle zwingt zur Annahme, dass unter den Bedingungen
der Sondierung die Papilla Vateri offen steht und die Lebergalle direkt ins
Duodenum abläuft. Qullenblascninhalt erhält man meist nicht, zur Er¬
kennung von Galleiiblascnveränderungen ist d»*' Gewinnung von Blasengalle
unbedingt notwendig. Durch Eingabe von Wittepepton erhält man dunkle,
zähere Blasengalle. Folgt auf Peptoneinspritzung tiefdunkle Galle, die bbi
der mikroskopischen Untersuchung keine Leukozyten erkennen lässt, so kann
man mit Sicherheit eine vollkommen normale Gallenblase annehmen und
entzündliche Veränderungen ausschlicssen. Bei Erkrankungen der Oallcn-
blase findet sich häufig dieser normale Wittepeptonreflex nicht d. h. die
Dunkelfärbung der Galle bleibt in solchen Fällen aus. Wird bei Verdacht auf
Cholezystitis die normale Reaktion auf Wittepepton vermisst, so spricht dieser
Befund für die Annahme von Veränderungen an der Gallenblase. Im übrigen
entscheidet der mikroskopische Befund in den Gallenproben vor und nach
Wittepepton. Die reichliche Anwesenheit von Leukozyten kann die Diagnose
Cholezystitis erlauben. Bei drei Fällen von Choledochusverschluss gelang
es nicht, eine nennenswerte Menge von Duodenalflüssigkeit zu erhalten.
Rehfisch: Der Doppelsinn dei Intervalls. Kritische Bemerkungen
zur Lehre von den Reizleitungsstörungen.
Man ist oft gar nicht in der Lage, die Ursache eines Ausfalls einer
Ventrikelsystolc aus einer einzigen Kurve, sei sie die eines Elektrokardio¬
gramms oder einer Venen- und Arterienpulsaufnahme zu bestimmen. Erst
wiederholte Aufnahmen können die Klärung des Krankheitsbildes ermöglichen.
Die allmähliche Zunahme des Intervalls und der im Anschluss daran erfolgte
Ausfall einer Ventrikelsystole btaucht keineswegs immer die Folge einer
Herabsetzung des Leitungsvermögens lediglich der Verbindungsfasern zu sein.
Sie kann ebenso bedingt sein durch eine Beeinträchtigung der Leitungsfähig¬
keit des ganzen Herzens, d. h. sowohl der des eigentlichen Reizleitungs¬
systems als auch der der Herzmuskelzcllen selbst als Folgeerscheinung der
verminderten Anspruchsfähigkeit des ganzen Herzens. In einzelnen Fällen ,
ist nicht die Herabsetzung des Reizleitungsvermögens, also die Abnahme
der Geschwindigkeit, sondern eine verminderte Reizstärke, d. h. eine Ein¬
schränkung der Intensität des geleiteten Reizes die Ursache für den Ausfall
einer Ventrikelsystole.
S. R o b i n s k i: Knochen- und Qelenkerkrankungen bei Erkrankungen
des Zentralnervensystems.
Wir sind gezwungen, zur Erklärung der Spontanfrakturen eine be¬
sondere Knochenbrüchigkeit anzunehmen, die in Veränderungen des Knochens
selbst zu suchen ist. Die Verbindung resorptiver Vorgänge mit unarchitek-
tonischeni Aufbau ist als Ursache der Knochenbrüchigkeit anzusehen. Die
durch unzählige Fälle bewiesene Tatsache, dass ein „Unfall" zum Zustande¬
kommen einer Arthropatl^e oder eines Spontanbruches nicht erforderlich ist,
muss in praxi mehr beräcksichtigt werden.
A. Rothacker: Wirkung des Militärdienstes aui Stubenarbelter, unter
besonderer Berücksichtigung des Biutbefundes.
Die Mittelzahlen zeigen, dass der Hämoglobinwert des Blutes im ganzen
gestiegen ist. Die Zunahme der Erythrozyten beweist, einen wie grossen,
fördernden Einfluss der Aufenthalt im Freien auf die Bildung der roten
Blutkörperchen hat. Auch bezüglich der Leukozytenzahl bewirkte das Ver¬
setzen in günstigere äussere Verhältnisse bei den Stubenarbeitern, dass
nicht normale Werte in den meisten Fällen wieder normal wurden. Der
Brustumfang hatte selbst bei älteren Leuten in 13 Fällen um 1 cm zuge¬
nommen.
H. Dembowski: Ueber typhöse Erkrankungen und Ffinltasefieber,
sowie zur Frage der Schienbeinschmerzen. Epidemiologisch-klinische Beob¬
achtungen bei einer Armeegruppe bzw. einer Armee vom Beginn des Krieges
bis zum Frühjahr 1918.
Das klinische Bild des echten Typhus hat sich unmittelbar nach und
infolge der 2. Schutzimpfung mit polyvalentem Impfstoff derart verändert,
dass leichte und leichteste Fälle die Regel, schwerere die Ausnahme bilden
Zur Erkennung leichter Typhen wichtig ist die Milzschwellung. — Die
Sterblichkeit paratyphöscr Erkrankungen ist gering. Zur erfolgreichen Be¬
kämpfung der typhösen Erkrankungen im Heere während des Krieges ist
vor allem Schutzimpfung notwendig. Ausscheider echter P^ratyphus-B-
Bazillen finden sich nur dort, wo Paratyphus-B-Bazillen auch als Krankheits¬
erreger Vorkommen. Die Zahl der Ausscheider von Paratyphus-B-Bazillen
im Heere lässt deren Isolierung durchaus zu. Im Heere tritt der Para¬
typhus B fast ausschliesslich unter dem klinischen Bild des echten Typhus
oder der Ruhr, nicht des akuten Brechdurchfalls auf. Die typhösen Er¬
krankungen zeigen auch im Krieg grosse Schwankungen nach den Jahres¬
zeiten. Das Fünftagefieber tritt gehäuft im Dezember bis Mai auf, gerade
in den Monaten, in denen die typhösen Erkrankungen die geringste Ver¬
breitung zeigen. Schienbeinschnierzen kommen in erster Linie bei Fünftage¬
fieber, aber im Felde auch sicher bei typhösen Erkrankungen, besonders
leichteren, vor. Kämmerer.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
18. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 4.
E. Payr- Leipzig: Elngeweldesenkung und Konstitution.
Die kritische, sehr instruktive und klare Arbeit verdient eingehendes
Studium im Original, da sie sich zu kurzem Referat nicht eignet.
J. Dorn-Bonn: Primärer Wundschiuss oder Drainage nach Strum-
ektomie.
In Erwiderung auf die Arbeit von Hubs in Nr, 42 1920 schildert Verf.
kurz seine Erfahrungen beim primären Wundschiuss nach Strumektomie, die
wesentlich günstiger sind als bei der Drainage. Verf. legt bei der Opera¬
tion grossen Wert darauf, möglichst wenig Fremdkörper in die Wunde zu
bringen und möglichst physiologische Verhältnisse zu schaffen: die Hals¬
muskulatur wird zusammen mit der Faszie durch Knopfnaht vereinigt; vor
den letzten Hautnähten wird nochmals durch Kompression des Halses von
aussen die Luft und das etwa ängesammelte Blut aus der Wundhöhle entfernt
Zuletzt komprimierender Verband. Nur bei sehr blutreichen, doppelseitigen,
retrosternalen Strumen kommt der primäre Wundverschluss besser nicht zur
Anwendung, sondern Drainage.
F r i e d e m a n n - Langendreer: Verbesserungen Im Verfahren der Intra¬
venösen Dauertropfinfusion (Wärmeapparat, Sauerstofizufuhr).
Verf. hat einen Apparat konstruiert, der es ermöglicht, dass die Koch¬
salzlösung stets die gleiche Temperatur hat und der gleichzeitig die Zufuhr
von Sauerstoff gestattet. Mit 1 Abbildung.
C. H a m m e s f a h r - Magdeburg: Zur Technik der freien Fettgewebs¬
transplantation.
Um das Fetttransplantat möglichst schonend an Ort und .Stelle zu
bringen, geht Verf. so vor, dass er nach stumpfer Tunnelierung der Haut
und exakter Blutstillung das Transplantat mit langen Fadenzügeln, die an
der Peripherie des Bettes herausgeleitet werden, an Ort und Stelle zieht
und dann die Fadenzügel durch die Einstichstelle einfach herauszieht. Mit
1 Abbildung.
J. K e p p i c h - Zürich: Ueber das Ulcus peptlcum lelunl nach Pylorus-
aosscbaltung.
Verf. hat durch vielfache Tierversuche bewiesen, dass nach Ausschaltung
des pylorischen Magenteiles das Gleichgewicht der Absonderung des Magen¬
saftes gestört wird und ein Jejunalgeschwür entsteht; das Geschwür entsteht
nach Pylorusausschaltung auch dann, wenn durch die Hindurchleitung des
Duodenalsaftes durch den Magen der Magensaft neutralisiert wird. Durch
diese Tierversuche kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass die AusschaltunjA
des Pj'lorus nach v. Eiseisberg nur in Ausnahmefällen und mit der
grössten Zurückhaltung ausgeführt werden darf.
E. Heim- Schweinlurt-Oberndorf.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkolofde. 83. Band. 1. Heft.
Stuttgart 1920. F. Enke.
M. Stickel und B. Zondek - Berlin: Das Menstrualblut.
Untersuchungen über Morphologie und physikalische Eigenschaften des
aus dem Cavum uteri entnommenen Blutes im Vergleich mit dem Blut men¬
struierender Frauen. Die korpuskulären Elemente sind auf etwa */5 des
Qesamtblutes in der Raumeinheit vermindert. Der Hämoglobingehalt ist
infolgehämolytischer Prozesse relativ erhöht, so dass der Färbeindex über 1
beträgt. Das Blutbild zeigt eine charakteristische Verschiebung zugunsten
der Lymphozyten auf Kosten der Neutrophilen. Ein Zusammenhang der
Höhe der Lymphozytenzahl mit der Stärke der Blutung Hess sich nicht
feststellen. Die anderen Zellarten zeigen keine typischen Veränderungen.
Das spezifische Gewicht des Menstrualblutes ist gesunken, auch die moleku¬
lare Konzentration (Gefrierpunkt) ist vermindert. Deutliche Hämolyse des
Menstrualblutes geht mit dem Verlust der Gerinnungsfähigkeit einher.
J. Mack- Giessen: Ueber Hyperemesls gravidarum.
Auf Grund von 50 Fällen (1904—19) von Hyperemesis entwickelt Verf.
die Anschauungen der Autoren über dieses Leiden, das er nicht als Reflex¬
neurose, sondern als Schwangerschaftstoxikose (ausgehend vom Ei) auffasst.
Entsprechend sind auch die therapeutischen Massnahmen, deren Erfolge sehr
gut sind. Ein tödlich endender Fall, in dem die exspektative Behandlung zu
weit ausgedehnt wurde, wird beschrieben.
M. Peukert - Magdeburg: Ueber embolische und thrombotische ,Ex-
trenltätengangrän.
Einleitend gibt Verf. einen kritischen Literaturbericht über die letzten
15 Jahre. Dann berichtet er über 3 Fälle, die ins Kapitel der Spontan¬
gangrän gehören und zur Klärung der Frage der Entstehung nicht uninter¬
essante Einzelheiten bieten: 1. Fall von Mitralinsuffizienz, intravenöse Digalen-
injektion, anschliessend Thrombose der Arteria und Vena cubitalis. Vorder¬
armgangrän. Amputation. 2. Retentio placentae partialis nach normaler
Entbindung. Septikämie. Abszess im linken Oberarm, Thrombose mit nach¬
folgender Gangrän des Unterschenkels. Amputation. 3. Parametritis mit
septischen Erscheinungen nach Abort. Abszessbildung im S c a r p a sehen
Dreieck mit Arrosion der Art. il. ext., Unterbindung, trotzdem keine Ex¬
tremitätengangrän.
K. F i n k - Königsberg: Beitrag zur Frühdiagnose des Chorloneplthelloms
nach Geburt lebensfähiger Kinder.
Im Anschluss an einen auffallend früh erkannten und dadurch recht¬
zeitig durch Totalexstirpation geheilten Fall erhebt F. folgende Forderungen:
Bei akuten und chronischen Blutungen, im Wochenbett namentlich, wenn
die Geburt verfrüht eintrat und atonische Blutungen beim Partus bestanden,
soll man mit der Möglichkeit rechnen, dass alle diese Erscheinungen auch
von einem Chorionepitheliom ausgehen können. Exakteste mikroskopische
Untersuchung ist zu fordern.
F. Tschirdewahn - Breslau: Ueber Ovulation, Corpus luteum und
Menstruation.
ln der bekannten Streitfrage stellt Verf. sich sehr warm auf die Seite
seines Lehrers L. Fraenkel. Die Zahl der Fälle, bei denen bei einer
Oj^ration ein Befund an den Ovarien in ihren Beziehungen zur letzten und
auf die Operation folgenden Menstruation erhoben werden konnte, wird um
t^l erhöht. Kritische Besprechung der Literatur.
O. Polano -München: Ueber wahre Zwitterbildung beim Menschen.
Beschreibung eines Falles (nebst 24 Abbildungen) von Hermaphroditismus
verus. dessen eine Keimdrüse einen funktionierenden ovariellen Bestandteil
und einen nicht ausgereiften Hodenbestandteil aufweist, mit gleichzeitig gut
funktionierendem weiblichem und männlichem, innerem sekretorischen Apparat.
21.S
Ein Vergleich mit den bisher bekannten Fällen von sog. wahrem Herni:»-
phroditismus beweist, dass auch diese Fälle nichts Einheitliches darstellen,
dass vielmehr bei ihnen ein weiblicher und männlicher Typ getrennt werden
muss.
M i 11 w e g - Osnabrück: Die einseitige Alexander sehe Operation
und Ihr Dauerresultat. ,
Die nur einseitig ausgeführte Alexander-Adams sehe Operation
ist nicht geeignet, die eigentliche doppelseitige Alexander-Operation völlig zu
verdrängen. Für eine gewisse Zahl ausgewählter Fälle scheint das einseitige
Operieren zu genügen. Auszuschliessen sind Fälle mit grossem, .schwerem
Uterus und mit dünnen schwachen Ligamenten, körperlich schwer arbeitende
oder zu Aborten neigende Frauen.
H. Martins - Bonn: Der abdominale Kaiserschnitt.
In den letzten 7 Jahren ist 137 mal der Kaiserschnitt gemacht. Technik,
Indikationsbreite und Leistungsfähigkeit der verschiedenen Operationsarten
werden untersucht und möglichst zahlenmässig bearbeitet.
Werner- Hamburg.
Monatsschvift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 52. Heft ö.
Dezember 1920.
C. K u r t z - Berlin: Alimentäre Amenorrhöe.
An 142 weiblichen Insassen der Berliner städtischen Anstalt für Epi¬
leptische zu Wuhlgarten konnte K. den Verlauf der Menses während der
Kriegsjahre beobachten. Bei 90,8 Proz. haben die Menses längere Zeit aus¬
gesetzt und es Hess sich ein deutlicher Zusammenhang des Ausbleiben der
Menses mit dem Sinken des Kaloricnw'crts der Nahrung und der Abnahme
des Körpergewichts feststellen, ebenso wie später mit der Besserung der Er¬
nährung sich allmählich die Menses wieder einstellten. Das Körpergewicht
war im Dezember. 1916 durchschnittlich um */io gesunken und bei Rückkehr
der Regel um */m gestiegen. Bei 62, fast der Hälfte der Kranken war bei
Abschluss der Arbeit im März 1920 die Regel noch nicht wieder zurückgekehrt,
von diesen haben nur 22 das Anfangsgewicht wieder erreicht. Ein Teil von
diesen 62 Kranken dürfte allerdings inzwischen die Klimax erreicht haben.
K. schlägt auf Grund seiner lesenswerten Zusammenstellung vor, statt von
einer Kriegsamenorrhöe von einer „alimentären Amenorrhöe" zu sprechen.
E. M u s c h a 11 i k - Breslau: Ueber die kombinierte intravenöse und
Intramuskuläre Injektion des Chinins als Wehenmittel.
Die Breslauer Hebammcnlehranstalt hat mit der enteralen Darreichung
des Chinins als Wehenmittel bessere Erfolge erzielt, als mit der kom¬
binierten intravenösen und intramuskulären Injektion. Die Methode ist um¬
ständlich, besonders für die allgemeine Praxis, sie ist daher der einfachen
Darreichung des Chinins per os und der subkutanen Injektion von Hypo-
pliysenpräparaten unterlegen.
K. Fink- Königsberg: Luft- und Gasdepots am schwangeren und frisch
entbundenen Uterus als subakute Lebensgefahr und Todesursache.
Bei Eintritt von Luft in die Venen des graviden oder frisch entbundenen
Uterus braucht es nicht sofort zur Embolie zu kommen, sondern es können
sich erst Gasdepots bilden, die subakut einige Stunden oder Tage später zur
Embolie und zura Tod führen können. F. teilt einen einschlägigen Fall ausführ¬
lich mit. Eine Kranke starb beim Eintritt in die Klinik. Bei der 2 Stunden
später ausgeführten Sektion konnten Luftdepots im Uterus festgestellt werden.
Pat. hatte 3 Tage vorher einen Abtreibungsversuch mit einer Gummiballspritze
vorgenommen. Ebenso kann nach einer operativen Entbindung, z. B. einer
kombinierten Wendung bei Placenta praevia Luft in das Gefässsystem ein-
treten und später zur Embolie führen. Bei manchem Spättodesfall nach
grösserem Blutverlust bei der Entbindung ist nach Ansicht des Verf. die
Todesursache in einer Luftembolie zu suchen und bei der Autopsie danach
zu fahnden, da bei ausgcbluteten Frauen ein kleines, in das rechte Herz ein¬
dringendes Luftquantum genügen kann, um zur Embolie zu führen. Verf.
bringt dazu eigene Beobachtungen und Fälle aus der Literatur als Belege.
R. Stix-Prag: Aktive oder konservative Behandlung des febrilen
Abortus.;
Die in letzter Zeit unverkennbare Zunahme der Aborte ist auf eine
Steigerung der kriminellen Fruchtabtreibung zurückzuführen. Der cin-
zuschlagende Weg bei der Behandlung ist abhängig zu machen von dem
Verhalten der Temperatur und der Blutung.
Alle febrilen, selbst subfebrilen Fälle sind konservativ zu behandeln.
Das Ergebnis der bakteriologischen Sekret- und Blutuntersuchungen abzu¬
warten ist einerseits für den Praktiker zu zeitraubend; es liefert anderer¬
seits noch nicht genügend eindeutige Anhaltspunkte für die Therapie. Das
Verhalten der Temperatur genügt in den meisten Fällen als Indikator, ob
der vorliegende Fall aktiv oder konservativ zu behandeln ist. Die konserva¬
tive Behandlung soll nur unterbrochen werden, wenn eine plötzlich ein¬
tretende starke Blutung zu einem raschen und energischen Eingriffe auf¬
fordert.
W. B u c h a c k e r - Mainz : Krieg und Neugeborenenblennorhöe.
Die Fälle von Augenentzündungen bei den Neugeborenen an der Heb¬
ammenlehranstalt Mainz haben seit 1917 in erheblichem Masse zugenommen.
Diese Vermehrung steht mit der allgemeinen Steigerung der gonorrhoischen
Erkrankungen in engem Zusammenhang. Ausserdem nimmt Verf. eine Viru¬
lenzsteigerung der Gonokokken oder ein Festwerden gegenüber den Silber¬
präparaten an und empfiehlt daher, in Zukunft den Hebammen statt der
1 proz. Höllensteinlösung die 5 proz. Sophollösung zur Blennorrhöeprophylaxe
vorzuschreiben. K o 1 d e - Magdeburg.
Zeatralblatt für Gynäkolosle. 1921. Nr. 4.
W. Z a n g e m e i s t e r - Marburg: Die Prophylaxe der Eklampsie.
Z.s Ansicht, dass der Hydrops gravidarum die Grundkrankheit der
Eklampsie ist, hat ihn systematisch vorbeugende therapeutische Massnahmen
treffen lassen. Mit den erzielten Resultaten ist er zufrieden.
W. L a h m - Dresden: Die kongenitale Aetlologle der Salpingitis Isthmlca
nodosa.
Kritische Beschreibung mehrerer einschlägiger fälle, die die kongenitale
Aetiologie gegenüber der entzündlichen Ursache zu beweisen scheinen.
P. B r ö s e - Berlin: Ueber die Verwendung der Muscnli pyramidales bei
der operativen Behandlung der Incontinentia urlnae.
Kasuistischer Beitrag zu dieser jetzt im Vordergründe gynäkologischen
Interesses stehenden Operation nach Qoebel-Stoeckell. Die Anlage
von Paraffindepots genügte immer nur für gewisse Zeit, erst die Muskel¬
plastik führte zur Heilung.
Digitized by Goo
gle
Original frurri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
216
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
H. B 0 r e 11 - Düsseldorf: QlelchzeKige Schwangerschaft beider Tuben
(mit spontaner Schwangerschaftsrtickblldung der einen Seite).
P. W o 1 f f - Darmstadt: Geplatztes Ovarialhämatom mit Hämatozelen-
btldung bei gleichzeitiger Tubenblutung der anderen Seite.
Beide Arbeiten berichten über interessante, seltene Vorkommnisse.
Werner- Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilhundeu Band 93. Heft 2.
Q. Anton: Das Kopfröntgenbild bei sog. genuiner Epilepsie. Bedeutung
des vergrösserten Klelnhlroprofils. (Aus der Klinik für Geistes- und Nerven¬
kranke in Halle a. d. S.) (Hierzu zwei Tafeln.)
Wertvolle Studie über die Klinik der Epilensie sowohl in ätiologischer
Beziehung als auch in Bezug auf die verschiedenen Behandlungsmethoden
mit besonderer Berücksichtigung chirurgischer Eingriffe. Dazu kommen als
neue Feststellungen die Beobachtungen, dass bei genuiner Enilepsie in erheb¬
lichem Prozentsätze auch am lebenden Kltinhirn-Röntgenprofile Vergrösserung
festzustellen ist, sowie dass in einem grossen Teile dieser Fälle die epi¬
leptische Demenz ausbleibt oder wenigstens lange Zeit verzögert ist. .
H. Eliasberg und W. Neuland: Die epituberkulöse Infiltration
der Lunge bei tuberkulösen Säuglingen und Kindern. (Aus der Universitäts¬
kinderklinik in Berlin.) 1. Mitteilung.
Die Verfasser schildern eine besondere Form infiltrativer Lungenprozesse,
wie sie mehrfach in den letzten Jahren zur Beobachtung kamen. Zumeist
bei Kindern innerhalb der ersten drei Lebensjahre aus tuberkulösem Milieu
ergab sich ein Lungenbefund von massiver Dämpfung eii\ps ganzen Lungen¬
lappens mit lautem Bronchialatmen. Meist keine Rasselgeräusche — dabei
wenig gestörtes Allgemeinbefinden. Kinder meist blass und abgemagert,
Husten, Appetitlosigkeit. Positiver Pirquet'. Keine Tuberkelbazillen im
Auswurf. Im Röntgenbild intensiver Schatten. Milztumor, Trotz dieses
ominösen Befundes bildet sich langsam oft erst nach Monaten der betreffende
Lungenherd zurück, die Kinder erholen sich. Die Verfasser gebkn ohne
zu präiudizieren der Affektion den Namen „epituberkulöse Infil¬
trat i o n“, wobei sie auf eine hypothetische Erklärung für die Ursache
des eigentümlichen Verlaufes verzichten.
Karl G. Fab er: Ueber angeborene Stenosen am Magenausgang und
Duodenum Im Kindesalter. (Aus der Göttihger Univers.-Kinderklinik, Dir.:
Prof. F. Q ö p p e r t.) Hierzu eine Tafel.
Bericht über zwei einschlägige Fälle von angeborener Pylorusstenose —
wobei die Stenose im einen Falle eine tiefsitzende Duodenalstenose im
unteren horizontalen Schenkel des Duodenums war, wie durch das Röntgen¬
bild festgestellt werden konnte. Literaturübersicht mit klinischer Epikrise.
Llteraturberlcht, zusammengestelit von A. Niemann - Berlin.
O. Rommel- München.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 88. Band.
3. u. 4. H'eft.
M. Cloetta - Zürich: Zur Kenntnis der Chemie und Pharmakologie des
Digitoxins und seiner Spaltungsprodukte.
Verf. beschreibt eine Methode, nach der man reines Digitoxin aus den
Digitalisblättern gewinnen kann. Dieses Produkt unterscheidet sich aber
bedeutend von den bisher als Digitoxin oder Digitalin bezeichneten Sub¬
stanzen, Die Eigenschaften des Digitoxins, die Darstellung und Eigenschaften
seiner Spaltungsprodukte werden im einzelnen mitgeteilt. Praktisch wichtig
ist, dass die Untersuchung verschiedener Handelspräparate eine sehr un¬
gleiche Zusammensetzung derselben und daher auch abgeschwächte Wirkung
ergab.
S. Q. Z o n d e k - Berlin: Die Bedeutung der Kalzium- und Kaiiumlonen
bei Giftwirkungen am. Herzen. II. Mitteilung: Arsen und Chinin.
Die Wirkung von Arsen und Chinin auf das Herz (diastolischer Stillstand
infolge Verlust der Kontraktionsfähigkeit) kann durch Kalzium behoben, durch
Kalium gesteigert werden. Strophanthin wirkt wie Kalzium. Verf. nimmt an.
dass die Wirkungsart des Arsens, Chinins und Strophanthins keine rein
chemische, sondern eine physikalisch-chemische ist, wie die der Kalzium-
und Kaliumionen.
E. Billig heimer - Frankfurt a. M.: Ueber einen Antagonismus
zwischen Pilokarpin und Adrenalin.
Adrenalin hemmt den Spontanschweiss, verzögert den Pilokarpin-
schweiss. Diese antagonistische Beeinflussung erklärt sich durch die Wirkung
des Adrenalins auf schweisshemmende Elemente. Während für die Schweiss-
förderung eine doppelte Innervation zu bestehen scheint, ist für die Schweiss-
hemmung nur eine Innervationsart erwiesen.
Fühner: Untersuchungen Uber den Synergismus von Giften.
V. Guanidin-Barytmischungen,
J. Bock und J. Buchholtz - Kopenhagen: Ueber das Minutenvolum
des Herzens beim Hunde und Uber den Einfluss des Koffeins auf die Grösse
des Minutenvolums.
Bei Tieren im Ruhezustand, bei denen die erregende Wirkung des
Koffeins auf das Zentralnervensystem sich wegen tiefer Narkose nicht oder
nur wenig geltend machen konnte, bewirkte das Koffein sogar in ziemlich
grossen Dosen keine Veränderung des Minutenvolumens. Man darf daraus
jedoch nicht schliessen, dass derartige Koffeingaben ohne Einfluss auf das
Herz sind, denn nach früheren Untersuchungen Bocks ist es nicht unwahr¬
scheinlich, dass auch bei Tieren mit normalem Kreislauf schon mittlere
Koffeingaben die Leistungsfähigkeit des Herzens beeinflussen, dass aber das
Minutenvolum im Ruhezustand durch kompensatorische Regulation auf seine
normale Grösse eingestellt wird.
H. F r e u n d - Heidelberg: Wärmeregulation und Eiweissumsatz.
Kaninchen mit Ausschaltung der Wärmeregulation durch Morphin oder
Äntipyrin zeigten eine beträchtliche Mehrausscheidung von Stickstoff infolge
Mehrverbrauchs von Eiweiss. Verf. nimmt an, dass auch für den Eiweiss¬
stoffwechsel ein zentralnervöser Mechanismus besteht, der mit den wärme¬
regulierenden Zentren in Beziehung steht. Vielleicht gibt es auch beim Fieber
einen solchen nervös ausgelösten Eiweisszerfall, der nicht im eigentlichen
Sinne „toxogen“ ist. L. Jacob- Bremen.
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. 24 . Band. 3. Heft.
(Zur Eröffnung des Pathologischen Instituts der KrankenanstaU in
Bremen.) (R. B o r r m a n n.)
R. Borrmann: Das neue pathologische Institut der Krankenanstalt
in Bremen.
M. Brandes: Zur Onkologie der Speicheldrüsen. Ueber Karzinom-
entwickiung In Mischgeschwülsten der Parotis.
Nichts wesentlich Neues. Verfasser geht auf die häufige Karzinomem-
wicklung in Parotistumoren ein, die eine frühzeitige Radikaloperation aller
Parotistumoren indiziert erscheinen lässt.
Otto Brand: Ein Fall von Spindeizellsarkom der Thymus, zugleich ein
Beitrag zur Frage und Bedeutung des Vorkommens drüsiger Elemente In der
Thymus. Kasuistik.
Meyer-Pantin: Zur Frage der Einheilung von Nadeln Im Herzen.
Prädilektionsstelle ins Herz einwandernder Nadeln ist die linke Kammer;
erklärt wird diese Bevorzugung durch eine physiologische Biegung des Oeso¬
phagus in nächster Nähe des linken Ventrikels, ferner durch die Anziehung,
die Systole und Diastole des Herzens auf ihre Umgebung ausüben. Im mit¬
geteilten Fall sass die Nadel in einem Papillarmuskel, sie war von Rost be¬
deckt und vollständig abgekapselt. Nebenbefund.
Johann Heinrich Buschmann: Beitrag zur Kenntnis des primären
Sternalsarkoms. Myelogenes Rundzellensarkom.
Emil Karl Frey: Das Psammokarzinom der Haut mit besonderer Berück¬
sichtigung seiner Verkalkung.
Das Psammokarzinom entsteht durch embryonale Abschnürung unfertiger
Talgdrüsenzellen, also eines Plattenepithels, das die doppelte Fähigkeit der
Horn- und Fettbildung, beide unvollkommen und gestört, besitzt; das Pro¬
dukt dieser Zellen ist aus unv'ollkominenen Hornsubstanzen und aus unvoll¬
kommenen Fettsäuren gemischt und fällt der Verkalkung 'anheim. Die Tu¬
moren sind meist gutartig.
Paul Ger lach; Ueber die Abgrenzung der echten Karzinome des
Wurmfortsatzes von den sogen. Karzinoiden oder kleinen Appendixkarzinomen.
Neben echten Karzinomen komrfien, wie bekannt, nicht selten auch kar¬
zinomähnliche Bildungen, die als Karzinoide oder kleine Karzinome be¬
schrieben worden sind, vor. Sie verdanken ihre Entstehung embryonal ver¬
sprengten Keimen. Beschreibung von 2 Karzinoiden und einem echten Kar¬
zinom. Oberndorfer - München.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 5.
Nachruf auf A. W a I d e y e r.
H. V i r c h o w: Zur Anatomie des Hallux valgus.
V. liefert einen Beitrag zum Problem des Hallux valgus in anatomischer *
Hinsicht, indem er das Verhalten der Zehen der Extensores hall, longus
et brevis erörtert, sowie das nach Form zusammengesetzte Skelett eines
Fusses bespricht, bei welchem die 2.—4. Zehe durch die unter sie ge¬
schlagene grosse Zehe luxiert und auf ihre Metatarsalien hinaufgeschoben
waren.
H. E r n s t - Augsburg: Ueber das Vorkommen von Milben Im Magen¬
inhalt.
Das Ergebnis der mitgeteilten Untersuchungen ist: Im Erbrochenen
und Stuhl der Menschen können sich Milben und ihre Eier und Larven
in grosser Zahl finden, sie rühren meist von aufgenommenen Speisen, be¬
sonders getrockneten Früchten und Käse her. Es kann angenommen werden,
dass in manchen Fällen ein echter Parasitismus möglich ist, der aber nur
als ganz kurz vorübergehender zu betrachten ist. Manchmal können die
Milben auch pathologische Bedeutung, wenn auch geringe, für den Menschen
gewinnen.
G. Rosenfeld - Breslau: Vergiftung mit Kartoffelmehl.
In dem beobachteten Falle stellte es sich heraus, dass das in Frage
kommende Kartoffelmehl Chlorbaryum enthielt. Alle 4 befallenen Personen
genasen.
L. W o 1 p e.- Berlin: Ueber Fermentausscheidung und Hypophysen¬
wirkung bei Diabetes Insipldus.
Bei Anwendung einer bestimmten Methodik konnte Verf. im Harn der
Patientin Pepsin und Diastase auffinden. Trypsin jedoch nicht. Im Harn
Nierengesunder, bei denen im unverdünnten Qesamturin Pepsin und Diastase
dauernd nachweisbar war, gelang der Nachweis im verdünnten Harn viel
seltener, so dass die Diluierung des Harns wesentlich den Nachweis der
Harnfermente zu erschweren scheint. Auf Pituglandoleinspritzungen ver¬
minderte sich die Harnmenge nur vorübergehend.
E. Schweitzer - Berlin: Ueber den Einfluss des Wüstenklimas auf
die motorische Leistungsfähigkeit.
Aus den ergographischen Kurven ergab sich, dass die Leistungsfähig¬
keit eines Muskels im Laufe eines längeren Wüstenaufenthaltes zunimmt; es
kommt eine Gewöhnung des Körpers an das Klima zur Wirkung, darüber
hinaus aber wahrscheinlich eine Steigerung der absoluten Leistungsfähigkeit.
Jedenfalls ist ein erschlaffender Einfluss des Wüstenklimas nicht nachweisbar ^
Lediglich der Grad der Luftfeuchtigkeit ist der wirksame Faktor.
W. Worm-Berlin: Experimentelle Beiträge zur SyphlUsprophylaxe,
Nach einer geschichtlichen Uebersicht über die früher zur persönlichen
Prophylaxe gegen Syphilis angewandten Mittel kommt Verf. auf die Ergeby
nisse mit der Chininsalbe zu sprechen, welche zugleich-mit einem Glyzerin-
Gelatine-Protargolpräparat in einer Armee systematischjerprobt worden ist.
Verf. hat nun die Versuche mit der Chininsalbe an Tieren weitergefülirt
und berichtet von günstigen Erfahrungen auch in den Fällen, wo das Mittel
erst längere Stunden nach dem infizierenden Koitus angewendet worden war.
R h e i n d o r f: Erwiderung auf A s c h o f I s Aufsatz^ Müssen wir unsere
Anschauungen über die Aetlologie der W*irrafortsatz*ntzündunflt ändern?
in der B.kl.W. 1920 Nr. 44. ^ L u
Schluss folgt. Grass^ann - München.
Schweizerische medizinische Vi^ochenschrlft. 1920. Nr. 50 u. 51.
Nr. 50. Sahli-Bern: Ueber das Wesen und die Entstehung der
Antikörper. Schluss folgt. . . .
A. Fi sc her-Bern: Zur Frage der Beeinflussung der sekretorischen
Magenfunktion durch äussere allgemeine und lokale Wärmeanwendungen.
Auf Grund früherer Versuche an Magenblindsackhunden lehnt Verf. die
von Lüdin u. a. benutzte Methode der Bestimmung der Sekretionsverhältnisse
(Ausheberung nach Probefrühstück) vor und nach lokaler Wärmeanwendung
ab. Er selbst fand, im Gegensatz zu Lüdin eine quantitative Herabsetzung
der Magensaftsekretion um 50 Proz. nach Heissluitbehandlung und. nimmt
an, dass auch eine prozentische Herabsetzung an HCl e^ne gewisse, wenn
auch untergeordnete Rolle dabei spielt.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IN. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
217
E. S c h I i 11 e n - Basel: lieber Komplikationen und Lebenssefährllchkeit
der Nebenhöhlenelteruneen. (Schluss.)
Ausführliche Beschreibung des Krankheitsbildes schwerer Nebenhöhlen¬
eiterungen an Hand van 7 Fällen. Tötlicher Ausgang ist selten (0,13 Proz.),
Komplikationen sind häufiger (1 Proz.). Alle Fälle schwer entzündlicher
Prozesse des Gesichtsschädels sind möglichst bald in ein Krankenhaus auf-
^unehmen und zu operieren, was in der Praxis noch viel zu wenig geschieht.
Nr. 51. Sahli-Bern: lieber das Wesen und die Entstehung der Anti¬
körper. (Schluss.)
Nach einer eingehenden Kritik der Ehrlich sehen Seitenkettentheoric,
die Verf. ablehnt, entwickelt er ausführlich seine Theorie der Entstehung
der Antikörper vom kolloidchemischen Standpunkte aus, d«» er in dem Satz
zusammenfasst: „Die Antikörperbildung ist nichts anderes
als eine Form der physiologischen B 1 u t r e g e n e r a t i o n
und Ueberregeneratio n“. Voraussetzungen für diese Auffassung
sind: Die unendliche Mannigfaltigkeit der Antikörper, ihr Vorkommen als
normale Blutbestapdteile, die Tatsache, dass Antigen und Antikörper sich
itegenseitig kolloidal binden (wodurch der Antikörper funktionell ausgeschaltet
wird), die Annahme, dass der Organismus auf jede Veränderung, besonders
jedes Defizit seines Blutbestandes auf das feinste reagiert durch sekretorischen
Nachschub. Diese Prämissen werden im Einzelnen unter Ausführung zahl¬
reicher Beispiele begründet, insbesondere auch die Annahme, dass das
Blut kein Clewebe, sondern ein Sekret ist. Im 2. Teil der umfangreichen
Arbeit bespricht Verf. auf Grund seiner neuen Theorie die Fragen der un-
spezifischen Eiweisstherapie, der Autoantikörper, Autozytotoxine, histogenen
Imraunitätserscheinungen, Ueberempfindlichkeit, Grenzen der Wirksamkeit
der Immunserumtherapie etc. Es ist nicht möglich, in eipem kurzen Referat
die zahlreichen Tatsachen und neuen Ausblicke wiederzugeben und es muss
daher das genaue Studium der grundlegenden und interessanten Arbeit ange¬
legentlich empfohlen werden.
K. Siegwart - Basel: Zur Frage nach dem Vorkommen und Wesen
des Biendungsschmerzes.
Bei Untersuchung von 48 Blinden war durch direktes Sonnenlicht nie¬
mals ein Blendungsschmerz auszulösen; er ist abhängig von der Funktion
der Netzhaut. Der Sitz des Blendungsschmerzes ist der Hauptsache nach
m den Ziliarnervenendigungen der Corpus ciliare und der Iris zu suchen.
Unsichtbare Strahlen lösen nicht den geringsten Schmerz aus, auch nicht
an hochgradig lichtscheuen Augen. L. Jacob- Bremen.
Oesteneichische Literatur.
Wiener kiinlscbe Wochenschrift
Nr. 3. E Brückl - Innsbruck: Zur Theorie der Intrazentralen Hem¬
mungen.
R. Latzei-Wien: Ueber gefisserwelternde Wirkung des Chinins.
L. berichtet über gute Erfolge des Chinins (Ch. bimuriat. oder bisulfur
0.5 in 10 proz. Lösung intravenös oder Chin. mur. in Dosen von 0,25 g
innerlich) bei Raynaud scher Krankheit und bei arteriosklerotischen
Angiospasmen, vor allem einer schweren Dysbasie.
W. Pe w n y - Pressburg: Zytologische Untersuchungen tuberkulöser
Gelenkergfisse.
Die zytologischen Ergebnisse in einer Reihe von Fällen lassen erwarten,
dass auf diesem Wege differentialdiagnostische Behelfe gewonnen werden
können z. B. gegenüber dem Gelenkrheumatismus oder der gonorrhoischen
Arthritis.
L F 1 e s c h - Wien: Die Neuritis des Ganglion genlcull am Fazlalisknle.
Dieser Neuritis entspricht ein von F. wiederholt beobachteter Sym-
ptomenkreis: Schmerzen im Ohr, Fazialisparese, Herpes zoster und Schmerzen
im Trigeminusgebiet, Oeschmacksstörungen. Beim Fehlen anderer auf eine
Polyneuritis verschiedener anderer Hirnnerven hinweisender Symptome ist
eine solitäre Affektion des Ganglion geniculi anzunehmen.
M. Richter-Ouittner und H. Hoenlinger - Wien: Die Be¬
stimmung des Reststickstoffes mittels Uitrafiltration.
Beschreibung einer vereinfachten Methode für klinische Zwecke.
Nr. 2 u. 3. C. R e i 11 e r - Wien: Sparsamer KUchenbetrieb und spar¬
same Kostverschreibung in Spitälern.
Nr. 4. E. Finger: Die Syphilis des Zentralnervensystems. Ihre
Ursachen und Behandlung.
Bemerkungen zu der unter diesem Titel erschienenen Schrift 0 e n n e -
ri c h s.
K. Stejskal -Wien: Ueber Intravenöse Therapie und die Wirkung
iitravenös verabreichter hypertonischer Lösungen.
A. Ex n er-Wien: Ueber den Einfluss Intravenöser Zuckerlniektlonen
auf Narkosen.
H. La über-Wien: Zur Behandlung exsudativer Augenorkrankungen
mittels intravenöser Zuckereinspritzungen.
V. P r a n t e r - Wien: Zur Anwendung von intravenösen Injektionen
hypertonischer Traubenzuckerlösungen auf dem Gebiete der Dermatologie
BQd Syphilis.
Ueber vorstehende vier Vorträge ist in der M.m.W. 1921 S. 160 berichtet.
F. Hamburger - Graz: Ueber Nährmehle.
Die in Oesterreich Z. allein erhältlichen Nährmehle (Nestle und Thein¬
hardt) haben eine mehr abführende Wirkung. Als Ersatz für das mehr
stopfende Kufeke-Nährmehl empfiehlt H. das von ihm angegebene Stumpfsche
Nährmehl (dcrch Backen mässig aufgeschlossenes Weizenmehl mit Zusatz von
etwas Rohrzucker und Kalk).
A. Sa xl-Wien: Ueber die Arbeitsleistung des transplantierten Muskels.
Wiener Archiv für innere Medizin. II. Band. 1. Heft.
C. Mfinzer - Prag: Gefässsklerosen.
Ueberblick: 1. Die Sklerose der Aorta und der grösseren Arterien
(Arterio - oder Atherosklerose) ist eine Erkrankung des Alters,
besonders bei Männern, charakterisiert sich durch Schlängelung der peri¬
pheren Arterien, grossen Puls ohne Aenderung des Blutdruckes, Schmerz¬
anfälle an einzelnen Organen.
2. Die Sclerosis arteriolo-capillaris mit Kapillarschwund (Kapillar-
k 1 e r o s e) findet sich auch in der Jugend, gleich häufig bei beiden Ge¬
schlechtern und weist auf: a) dauernde, zunehmende Blutdruckerhöhung
b) Hypertrophie des linken Ventrikels, c) mässige, oft vorübergehende Poly¬
zythämie; ausserdem spezielle Störungen der erkrankten Organe. Unter den
Ursachen der Erkrankung spielt neben akuten Infektionskrankheiten (u. a.
, Scharlach, Fleckfieber) die Gicht eine Rolle.
3. Die Pulmonalarterie und ihre peripheren Zweige können ähnlich
der Aorta erkranken; ebenso bildet die Sklerose der Arteriolokapillaren der
Pulmonalis eine besondere Erkrankung. Sie bedingt das wahre rarefizierende
Emphysem, charakterisiert durch Zyanose, Hypertrophie des rechten Ven¬
trikels und hochgradige Polyzythämie.
Die Frage der Pfortäder-Kapillarsklerose (atrophischen Leberzirrhose)
wäre noch zu untersuchen.
A. D e c a s t e 11 o - Wien: Ueber das Verhalten der Bakteriämie bei
Abdominaltyphus und über Ihre Beeinflussung durch die Vakzinebehandlung
D. konnte bei erfolgreicher Vakzinebehandlung des Typhus stets vor
der Entfieberung ein Verschwinden der Typhusbazillen aus dem Blut fest¬
stellen. wobei auch eine raschere Beseitigung der Bazillen aus den inneren
Organbezirken anzunehmen war. Wo die Entkeimung des Blutes nicht statt¬
fand. fehlte auch die Entfieberung. Demnach muss der Vakzine eine anti-
bakterielle Wirkung zukommen.
O. W e 11 m a n n - Wien: Zur Pathologie der Oedemkrankhelt.
In 3 Fällen von Oedemkrankheit wurde wahrscheinlich als Folge der
Krankheit eine Atrophie und Funktionsstörung des — wohl konstitutionell
minderwertigen — Pankreas gefunden, die an dem trotz gün‘-ti<T‘t**r Er¬
nährung erfolgten Tode ursächlich mitgewirkt hat.
S. Bondy und R. S t r i s o w e r - Wien: Ueber die Beeinflussung der
Kältehämogloblniirle durch hypertonische Salzlösung.
In zwei Fällen gelang es den Verfassern durch intravenöse Inlektion
einer hypertonischen (Dinatriumphosphat-Kochsalz) Lösung die Anfälle von
Kältehämoglobinurie völlig zu unterdrücken oder abzuschwächen. Ausser
dieser wenigstens tagelang anhaltenden Wirkung auf die Anfälle war auch
eine Besserung des Allgemeinzustandes im Zusammenhang mit einer nach¬
weisbaren Besserung des Blutbildes unverkennbar. B e r g e a t - München.
Im Druck erschienene InauKuraldissertationeiL
Universität Jena. Januar 1921.
Voigt Gerhard: Untersuchungen über die praktische Verwendbarkeit der
Anreicherungsmethode mittels Antiformin zum Nachweis von Tuberkel¬
bazillen im Sputum.
Weingartner Alfred: Beitrag zur Kenntnis der Gehirnveränderungen bei
Malaria.
Vereins- und Kongiyssberichte.
Gesellschaft fUr Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Vereinsamtliche Niederschrift.)
Sitzung vom 24. April 1920.
Vorsitzender: Herr P ä s s 1 e r.
Schriftführer: Herr Gvr u n e r t und Herr W e m m e r s.
Vor der Tagesordnung.
Herr Schnbert stellt einen Fall von primärer Polyglobulie vor.
Tagesordnung.
Herr Hugo Krüger demonstriert das Präparat eines Sanduhrmagens
und bespricht anschliessend zwei Fälle von Nierentuberkulose.
Aussprache: Herren Lindner, Pfister, Georg Hesse.
Keydel, Seidel, Krüger. •
Herr Emst Anlhorn: Antisepsis mit Anilinfarbstoflen.
Nach einleitender Erwähnung der Versuche von Brunner - Münster-
lingen über vorbeugende Antisepsis und der Verfahren von Carrel-Dakin
und Klapp berichtet Vortr. zunächst über die Ergebnisse, die er — an¬
geregt durch die Arbeit Baumanns — bei der vorbeugenden Behandlung
von 600 frischen Granatwunden mit Methylviolett erhalten hat.
Die 'Wunden wurden nicht angefrischt, sondern nur Ein- und Ausschuss
erweitert, lose Splitter und Gewebstrümmer entfernt, nötigenfalls Gegen¬
öffnungen angelegt. Statt der sonst zur Drainage verwandten sterilen Gaze
wurde die mit Methylviolett imprägnierte „Blaugaze” (hergestellt nach B a u -
mann von der A.-G. Paul Hart nva n n) verwendet.
Unter 400 genügend lange beobachteten Fällen waren nur 17 Eiterungen
zu verzeichnen, darunter 57 Schussbrüche mit 8 Eiterungen. Diese Eiterungen
verliefen gutartig, mit verlängerter Inkubationszeit. Die übrigen Wunden
heilten ohne Entzündung und ohne Fieber, mit vermehrter, aber nur seröser
Absonderung. Erster Verbandwechsel nach 4 —5 Tagen, mit Erneuerung der
Blaugaze, zweiter V.-W. nach wieder 4—5 Tagen, Blaugaze entfernt, wenn
I nötig durch sterile ersetzt. Die vermehrte Absonderuag hindert Verklebung
der Gaze mit der Wunde und Verklebung der Wundränder miteinander, ver-
' hütet somit Verhaltungen und gestattet Einschränkung der Drainage.
In geeigneten Fällen erfolgreiche Naht über Blaugazedocht, auch
Muskel- und Sehnennähte, ohne Anfrischung.
Bei mehrfachen Wanden desselben Patienten heilten die mit Blaugaze
versorgten reizlos, nicht versorgte vereiterten.
Die Verwendung* der Gaze und 5 proz. Lösungen ergab weder allge¬
meine noch örtliche Schädigungen, wie letztere bei Verwendung des Farb¬
stoffes in Substanz in Gestalt oberflächlicher Nekrosen Vorkommen.
Ferner hat Vortr. 400 Fälle bereits entwickelter Eiterungen — Wunden.
Furunkel, Panaritien, Abszesse verschiedener Herkunft — mit Methylviolett
und mit Auramin behandelt. Uebereinstimmend mit den Beobachtungen Bau¬
manns wurde rasches Aufhören der Eiterung und rasche Rückbildung der
Infiltration erzielt. Bei Sehnenscheidenphlegmonen und akuter eitriger Osteo¬
myelitis konnten Nekrosen verhütet werden.
Sitzung vom 8. Mai 1920.
Vorsitzender: Herr P ä s s 1 e r.
Schriftführer: Herr O r u n e r t und Herr W e m m e r s.
Vor der Tagesordnung.
Herr Friedrich Hesse stellt einen nach der Sauerbruch sehen
Methode operierten Oberarmamputierten und einen Fall von Wunddipli-
theric vor.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
21S
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Tasesordnune.
Herr Becker: Nochmals die operative Behandlung höchstgradiger
Kurzsichtigkeit nach F u k a 1 a. (Vorstellung von Operierten.)
Becker hat bereits 1907 und 1910 höchstgradig Kurzsichtige, welche
nach F u k a l a operiert waren, in der Gesellschaft vorgestellt. Er zeigt einen
neuen Fall von exzessiver Kurzsichtigkeit, der in den letzten Monaten nach
F u k a l a im Johannstädter Stadtkrankciihaus operiert worden ist und stellt
ausserdem noch 2 Patientinnen vor, welche 1903 und 1905 operiert wurden,
um über die Spätresultate der Myopieoperation Mitteilung zu machen.
Weiter berichtet Becker noch nach brieflicher Nachricht über ein Fräulein,
welches er vor 10 Jahren operiert hat.
Bei der zu Anfang dieses Jahres letztoperierten Patientin handelte es
sich um ein 22 Jahre altes, stark erblich belastetes Fräulein, welches bei
progressiver Myopie mit 6, 8, 11. 13, 20 Jahren die Brillengläser wechselte.
Vor der Operation wurde für das später operierte rechte Auge mit einem
Hohlglas von 27 D. als beste Sehschärfe ^/23, für das linke Auge mit
einem Konkavglas von 26 D. ‘/ss festgestellt. In der Nähe las das rechte Auge
Snellen 0,5 in 2 cm, das linke in 4 cm. Objektiv wurde skiaskopisch
beiderseits eine Myopie von 35 D. gefunden. Ophthalmoskopisch fand man
ausser grossen hinteren Staphylomen keine chorioiditischen Veränderungen.
Die Gesichtsfelder zeigten keine Defekte. Weil das Fräulein ebenso wie
die früher Operierten wirtschaftlich sehr geschädigt war, ging sie auf den
Vorschlag der operativen Behandlung des höchstgradig kurz- und schwach¬
sichtigen rechten Auges ein. Es wurde wie bisher stets nur einseitig und
mit runder Pupille operiert, die diszidierte und getrübte Linse entfernt und
der Nachstar beseitigt. Bei der Entlassung hatte das operierte Auge ohne
Glas eine Sehschärfe von ^/la; Gläser verbesserten das Sehvermögen nicht.
In der Nähe las dieses Auge mit + 3,0 Nieden 1. Vier Wochen später
war die Sehschärfe auf */i5 gestiegen.
Bei einer anderen, bereits 1903 operierten Frau und bei einem 1905
operierten Fräulein hatte die Nachuntersuchung folgendes ergeben. Erstere
hatte 15 Jahre lang mit dem operierten rechten Auge gut gesehen (V — *lio
mit + 2.0). Seit 2 Jahren hat aber die Sehschärfe beider Augen infolge von
Chorioretinitis centralis abgenommen (rechts V - ’^/zs). Bei dem linkseitig
operierten Fräulein E. hatte sich die Sehschärfe in den seit der Operation
verflossenen 15 Jahren ebenfalls verringert und zwar beim nichtoperierten
Auge in höherem Grade als beim operierten (1907: 1. V. — '‘/is; 1920:
1. V. ®/35 —®/? 5 ).
Brieflich hat Becker dann noch von einem jungen Mädchen, welches
vor 10 Jahren im Alter von 17 Jahren nach Fukala operiert wurde, die
Nachricht erhalten, dass das operierte linke Auge „sich um keinen Grad
verschlechtert habe“. Bei der Entlassung im Juni 1910 hatte dieses Auge
ein Sehvermögen von fast **/i5. In der Nähe las es mit + 1,5 Nieden 2
in 24 cm. Das rechte Auge hatte mit — 13,0 eine Sehschärfe von ^/so. P.
war mit der Operation sehr zufrieden.
Zum Schluss erwähnt Becker, dass die Fukalaoperation nur noch
sehr selten ausgeführt wird, seiner Ansicht nach auch mit Recht.
So lange Gläser oder die Z e i s s sehe Fernrohrbrille ein genügendes Seh¬
vermögen schaffen und vertragen werden, darf nicht operiert werden. Sodann
darf nur einseitig und nicht unter 16 Dioptrien operiert' werden, nachdem
die P. vollkommen über die Gefahren, welche mit der Operation verbunden
sein können, aufgeklärt worden sind.
Nach den hier mitgeteilten Resultaten — die so gefürchtete Netzhaut¬
ablösung wurde nicht beobachtet — liegt kein Grund vor, die Fukala¬
operation ganz zu verwerfen. Es wird immerhin Fälle von höchstgradiger
Kurzsichtigkeit geben, wo die Fukalaoperation besond aus wirtschaftlichen
Gründen bei ihrem Gelingen eine Wohltat und einen grossen Segen darstellen
kann. Die hier in Betracht kommenden 4 Patienten waren sehr zufrieden.
Diskussion: Die Herren F. Schanz und M. Schmidt.
Herr Oehmlg (a. G.): lieber das epidemische Auftreten von Enze¬
phalitis in Dresden.
Vom 15. II. bis 30. III. 20 sind in der städt. Heil- und Pflegeanstalt
zu Dresden 24 Fälle von Enzephalitis von mir untersucht worden.. In fast
allen Fällen war ein Vorstadium nachweisbar, das vornehmlich in Kopf- und
Gliederschmerzen, vielfach neuralgiformen Charakters, bestand und öfters mit
Erkältungserscheinungen, Mandelentzündung, Luftröhrenkatarrh. Fieber ver¬
bunden war. Dann plötzlich Trübung des Bewusstseins. Unruhe und in
sämtlichen Fällen delirante Störungen. Von Herdsymptonien 7 mal Ab-
duzens-, 2 mal Internusparesen, 1 mal Okulomotoriuslähmung, 3 mal fibrilläre
Fazialiszuckungen, 6 mal Nystagmus, 1 mal Pupillendifferenz, 3 mal sehr
träge Pupillenreaktion, mehrfach gestaute Retinalvcnen, 1 mal Neuritis retro-
bulbaris, 2 mal Hypoglossuslähmung; 7 mal beiderseits, 1 mal einseitig fehlende
Bauchdcckenreflexe, 2 mal fehlende, 1 mal sehr schwache Patellarsehnen-
3 mal fehlende Achillessehnenreflexe, 2 mal positiver Babinski, I mal Patellar-,
2 mal Achillesselinenklonus; 5 mal starke Hypotonie der Arm- und Bein¬
muskeln, 1 mal Chvostek einseitig; 1 mal vorübergehende Hemiplegie,
3 mal Retentio urinae et alvi, 4 mal Dysarthrie, 3 mal Beteiligung des
Atemzentrums (starke Dyspnoe), 4 mal Erythem, 3 mal scharlachähnlich, 1 mal
masernähnlich. 7 mal leichter Ikterus. 1 mal Eiweiss im Urin, 5 Prom.
Esbach.
2 Fälle kennzeichneten sich als zur Encephalitw lethargica gehörig.
13 zeigten choreatische, mehrfach zu heftigen Jaktationen gesteigerte Be¬
wegungsstörungen, Encephalitis hyperkinetica, 1 mal Myoklonie im Rectus
abdominis und Diaphragma; 1 Fall zur Enceph. hypokinetica gehörig, die
übrigen Mischformen.
Das Symptom Ikterus ist mir in den bisherigen Veröffentlichungen nicht
entgegengetreten; wird aber in der Symptomatologie der W e r n i c k e sehen
Polioencephalitis acuta superior, zu der die epidemische Encephalitis ja in
naher Beziehung steht, erwähnt. Es handelt sich wohl lediglich um Ikterus
infectiosus.
Das gleichzeitige Auftreten der Enceph. epid. mit der herrschenden
Grippeepidemie und das auf Grippe hinweisende Vorstadium der ersteren
weist auf einen Zusammenhang der epidemi.schen Enzephalitis mit der Grippe
hin. Worauf diese .Affinität beruht, ist noch unklar, die Hauptrolle spielt
wohl eine hämatogene Infektion. Von meinen 24 Fällen wurde bei 17 eine
bakteriologische Blutuntersuchung gemacht, 8 ergaben ein negatives Resultat,
4 mal wurden Streptokokken. 4 mal Staphylokokken, dann 1 mal Diplococcus
Bernhard gefunden, 1 mal Pneumokokken.
Mortalität 50 Proz., da ausnahmslos sehr schwere Fälle.
Pathologischer Befund makroskopisch ausser mehrfach Hyperämie o. B.
Mikroskopisch wurden in* der grauen Substanz, besonders der Thalamus¬
gegend. der Regio subthalamica und der Haubengegend Neuronophagien und
perivaskuläre Infiltrate und gliöse Wucherungen gefunden. .Auffallend war.
dass von den 5 ersten Verstorbenen bei der Sektion 3 ausgesprochenen
Status thymico-lymphaticus zeigten und der 4. die für den letzteren charak¬
teristische Engigkeit des Aortensystems. Ob hier besondere Beziehungen
vorliegen, ist zunächst nicht zu entscheiden.
lieber die Art der Uebertragung von Fall zu Fall ist noch nichts Zu¬
verlässiges bekannt, es handelt sich wohl um Tröpfcheninfektion auf dem
Wege der Nase und des Rachenraumes, weitere Verbreitung dann durch
die Lymphbahnen. Innerhalb der hiesigen Anstalt wurde keine Infektion
beobachtet, obwohl Absonderung von anderen Kranken nicht durchgeführt
werden konnte.
Therapeutisch wurde anfangs ohne Wirkung Arsen (F o w l e r sehe
Lösung) gegeben. Dann vielfach Kollargol Heyden intravenös oder per
Klysma; auch ohne besonderen Erfolg; 5 mal das Grippeserum der säch.s.
Serumwerkc, innerhalb 2 mal 24 Stunden 2 mal 50 g intramuskulär; nur ein¬
mal konnte sichtbare Besserung wahrgenommen werden. Sonst sympto¬
matische Behandlung: Amylen, Chloral, Veronal in hohen Dosen gegen die
Jaktationen nur von kurzer Wirkung. Als recht gut bewährten sich hier¬
gegen trockene Packungen. Grosse Sorgfalt ist stets der Herztätigkeit und
der Hautpflege zuzuwenden. Gegen die neuralgiformen Schmerzen Anii-
neuralgika, ohne starken Erfolg. Vaccineurin wird empfohlen.
Es erscheint angebracht, die Encephalitis epidemica zur anzeigepflichtigen
Krankheit zu machen.
Aussprache: Herr Mittasch: Ich habe unter dem Sektions¬
material des oath.-anat. Instituts in Dresden-Friedrichstadt bisher 18 Fälle
von Encephalitis choreatica beobachten und untersuchen können. Es handelte
sich um 9 Männer und 9 Frauen im 18. bis zum 40. Lebensjahre. In 8 Fällen
fand sich eine Influenzapneumonie, in den übrigen Fällen unwesentliche oder
sekundäre Veränderungen an den Atemwegen und den Lungen. 1 mal bestand
ein eitriger, 1 mal ein hämorrhagischer Katarrh der Keilbeinhöhle, 1 mal eine
Otitis rnedia, 3 mal fand ich einen Status thymolymphaticus. 1 mal Gravidität.
Die Obduktion des Gehirns bot makroskopisch nur einen geringen Be¬
fund. Eine mehr oder minder ausgesprochene Hyperämie des Gehirns, oft
von lokaler fleckiger Anordnung, besonders in den Zentralganglien, Hirn¬
schenkeln und Brücke und mehrfach ein geringes Oedem des Gehirns waren
die einzigen Veränderungen. Ein einziges Mal fanden wir einige punkt¬
förmige hämorrhagische Herde in der Gegend der Hirnschenkelhaube.
Die Meningen zeigten ebenfalls wechselnde Hyperämie, niemals Infiltra¬
tion oder Blutungen. Mikroskopisch fand sich 3 mal mässige Zellinfiltratiön
mit Lymphozyten, polym. Leukozyten und wenigen Plasmazellen.
Von unseren 18 Füllen sind bisher 9 eingehend mikroskopisch untersucht
worden. An den Blutgefässen fand ich ausgedehnte perivaskuläre Zell-
infiltrate. Die Gefässe sind von einem mehr oder weniger dichten Zellmantel
umgeben, der sich in der Hauptsache aus Zellen hämatogener Herkunft
(Lympho- und Leukozyten), vereinzelten Plasmazellen und gliösen Elementen
zusammensetzt. Die Anordnung der Infiltrate ist verschieden. Hier findet
sich nur hie und da ein infiltriertes Gefäss, dort sind auf einem örtlich be¬
grenzten Bezirk fast alle Gefässe infiltriert, hier sieht man eine eben be¬
ginnende nur aus einer einzigen Zellreihe bestehende Infiltration, dort dichte
Zellanhäufung. Stellenweise bestehen Hämorrhagien in dem perivaskulären
Raum und auch kleine diffuse Blutungen.
In der Glia treten starke Wucherungen der Gliazellen in Form von herd¬
förmigen Infiltraten hervor, häufig findet sich auch eine mehr diffuse Ver¬
mehrung der gliösen Elemente. Neben den rundlichen, hellen Gliazellen finden
sich auch stäbchenförmige, längliche Formen, ausserdem wenige Lymphozyten,
Ausserordentlich hochgradige Veränderungen zeigten die Ganglienzellen.
Erstens fand sich als Ausdruck einer akuten Schädigung diffuse Färbbarkeit
und Aufblähung der Zellen. Und zweitens bestand eine sehr hochgradige
Neuronophagie. Die Trabantzellen nagen die Ganglienzellen an, höhlen sie
aus und zerstören sie endlich ganz. Ganglienzellen, die der Neuronophagie
anheimfallen, erscheinen zunächst kleiner, dunkler gefärbt, der. periganglionäre
Raum breit. Dann beginnen die Trabantzellen die Zelle anzunagen und zu
zerstören, und endlich bleibt ein Zellhäufchen übrig, von dem man nicht
immer sagen kann, ob es sich um eine Gliawucherung oder um einen Neu-
ronophagenhaufen handelt.
Perivaskuläre Zellinfiltratc, oft mit Blutungen in den perivaskulären
Raum, herdförmige und diffuse Gliawucherungen und Neuronophagien sind
also in der Hauptsache das Ergebnis der mikroskopischen Unt^ersuchung.
Auffallend ist die Lokalisation. In besonderem Masse waren bei der Ence¬
phalitis choreatica befallen die Regio subthalamica, besonders die Hauben¬
gegend, in geringerem Masse Zentralganglien und Brücke. Ich habe nach
eingehenden Untersuchungen an 56 Influenza-Enzephalitis-Gehirnen den Ein¬
druck, dass doch all diesen klinisch so verschiedenen Enzephalitisformen ein
einheitlicher Prozess zugrunde liegt, und dass die vielgestaltige klinische
Symptomatologie in der verschiedenen Lokalisation des Prozesses ihre
Ursache hat.
Herr R o s t o s k i hält die Beziehungen zur Grippe noch nicht für ge¬
klärt. Bei der ersten Grippeepidemie 1915 hat man nichts von Enzephalitis
gehört, bei der zweiten traten vereinzelte, bei der dritten viele Fälle auf
Im JohannstädterKrankenhaus sind in den letzten Monaten 19 sichere Fälle
beobachtet worden. Zum klinischen Bild möchte R o s t o s k i bemerken, dass
er nie Hauthyperästhesie konstatiert hat; ein hypokinetischer Fall verlief wie
eine Paralysis agitans. Die Lumbalpunktion ergab oft ganz normale Re¬
sultate, manchmal Vermehrung der Zellen, in einigen Fällen positive Kom¬
plementablenkung und Pandische Reaktion. Die Pro*»iose ist nach R.s
Material günstiger zu stellen, bei 19 Fällen 4 Proz. Todesfälle
Herr Ganser weist auf die grosse Vielgestaltigkeit des Krankheits¬
bildes hin. Der Sitz des pathologischen Prozesses muss auch ganz ver¬
schieden sein.
Herr Panse fragt nach der Differentialdiagnose von Enzephalitis und
Meningitis, ferner nach therapeutischen Erfahrungen mit Lumbalpunktion und
Urotropin.
Herr Arnsperger: Namentlich im Beginn der Erkrankung können
hysteriforme. Symptome zu diagnostischen Irrtümern Anlass geben. Im
Lumbalpunktat finden sich meist keine hochgradigen Veränderungen. Der
Lumbaldruck schwankt zwischen 125 und 160. Bei zwei Kranken mit
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
IcS. Februar 1921
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOPHENSCHRIFT.
219
schwerster Encephalitis choreatica wurden intralurabale Infusionen von
Grippeserum vorgenommen; beide Kranke sind bald nach der Infusion ge¬
bessert, der eine jetzt bereits nahezu geheilt, aber auch andere Kranke mit
schwerster Encephalitis choreatica sind zur Heilung gekommen. Immerhin
ist der Versuch gerechtfertigt. Ein Zusammenhang der Enzephalitis mit
der Grippe ist noch keinesfalls erwiesen.
Herr S c h m o r 1 konnte bei den ersten beiden Grippeepidemien
in 33 Proz. bzw. 25 Proz. der F^le seines Sektionsmaterials hämorrhagische
Enzephalitis feststellen, in diesem rrühjahr dagegen nur in 2 Proz. Dafür trat
die Encephalitis lethargica auf. Ein Zusammenhang zwischen Grippe und
Enzephalitis muss angenommen werden. Erwähnenswert ist bei dieser noch
die sehr starke Schwellung des Gehirns. Die Protozoen Gilgenmanns
bat er nicht gefunden.
Herr Conradi: Der ätiologische Zusammenhang zwischen epidemischer
Enzephalitis und Influenza ist noch unsicher. Es ist bisher nicht eeelückt,
auf direktem Wege durch Züchtung von Influenzabazillen diesen Nachweis
zu arbringen. In Betracht kommt aber auch ein indirekter Weg, nämlich die
Agglutinationsreaktion gegenüber Influenzabazillen. Selbst bei abgelaufenen
fällen von Enzephalitis lässt sich mit dem Blutserum der Patienten, deren
Agglutinationsvermögen gegenüber Influenzabazilien feststellen. Diesem Ver¬
fahren kommt daher für die Aufdeckung eines etwaigen Zusammenhangs
zwischen epidemischer Enzephalitis und Influenza eine in der Literatur
noch nicht beachtete Bedeutung zu.
Herr Werner: Es hat den Anschein, als ob die Enzephalitis bisweilen
zu Verwechslungen mit Typhus Anlass gibt. Ich schliesse das daraus, dass
die Zahl von Typhusmeldungen im Medizinalbezirk Dresden-Neustadt wäh¬
rend der letzten 2—3 Monate diejenige früherer Jahre um das Doppelte bis
Dreifache übersteigt, dass in der Mehrzahl der Fälle eine Ursache für die
Infektion mit Typhus nicht nachzuweisen war und dass auch mir
mehrere Male von den behandelnden Acrzten Zweifel ausgesprochen wurden,
ob der positive Ausfall der W i d a 1 sehen Reaktion in dem betreffenden Falle
die Annahme eines Typhusfalles reehtfertige. Es wäre mir interessant, von
den Bakteriologen etwas darüber zu erfahren, ob bezüglich des Vorkomm ms
der W i d a 1 sehen Reaktion bei Enzephalitis Beobachtungen vorliegen.
Herr F. Schanz: In den letzten Monaten hat Schanz 11 Fälle von
Augenmuskellähmungen gesehen, die durch ihren raschen Hcilungsvcrlauf
auffielen. In einem Falle entwickelte sich eine schwere Enzephalitis. Bei den
anderen Patienten wurde vergeblich auf Symptome der Grippe geachtet,
doch möchte Schanz diese isolierten Augenmuskellähmungen als leichte
Fälle jener Encephalitis gripposa ansehen.
Herr E. S c h m o r 1 berichtet über einen Fall von Encephalitis lethar¬
gica aus seiner Praxis bei dem die Schlafsucht in ausgesprochenstem Masse
4 Wochen anhielt ,und zunächst an Fischvergiftung gedacht worden war.
Herr Qeipel hat bei seinem Sektionsmaterial die hämorrhagische
Enzephalitis bei allen Grippeepidemien in gleicher Weise beobachtet. Der
anatomische Befund bei der Encephalitis lethargica ist sehr wechselnd aus¬
geprägt. G. erwähnt eine Mitteilung aus der Literatur, wonach ein Fall von
Encephalitis lethargica der rnyoklonischen Form unter der Diagnose Ileus
operiert worden ist.
Herr Seidel erwähnt einen Fall, der unter der Diagnose Appendizitis
auf seine Abteilung gelegt wurde und auch ähnliche Symptome bot. Doch
iiess eine auffällige Somnolenz und eine Augenmuskellähmung sofort an
Enzephalitis denken, welche Vermutung sich im weiteren Verlauf als richtig
erwies.
Herr Hans Hänel: Zur Mannigfaltigkeit des Syniptomenbildes Enze¬
phalitis: Die beiden Typen der lethargischen und hyperkinetisclien Form
können sich auch bei einem und demselben Patienten vereinigen. Ich be¬
obachte einen jungen Mann von 16 Jahren, der im Februar mit Delirien,
motorischen Reizsymptomen (Zwangslachen, Singultus), Pupillendifferenz akut
erkrankte und der jetzt nachts an einer allen Mitteln trotzenden Schlaflosigkeit
mit Unruhe und Jaktationen leidet, während er bei Tage eine ebenso
unbeeinflussbare Schlafsucht zeigt. Ein anderer Fall meiner Beobachtung
war durch eine totale Ophthalmoplegia externa et interna ausgezeichnet,
verbunden mit Somnolenz; dieselbe ist jetzt nach 6 Wochen bis auf geringe
Reste geschwunden. Alle 7 Fälle meiner Beobachtung sind in Genesung
ausgegangen.
Herr P ä s s 1 e r bemerkt zur Differentialdiagnose, dass man eigentliche
.N'aekenstarre bei Enzephalitis nicht finde, dass aber der Rigor der Nacken¬
muskeln dem Unerfahrenen eine meningitische Nackensteifigkeit Vortäuschen
könne, die im Beginn der Erkrankung in Verbindung mit allmählich ein¬
setzender psychischer Veränderung und Blasenstörungen das Bild beginnen¬
der tuberkulöser Meningitis in den Kreis differentialdiagnostischer Er¬
wägungen einbeziehe.
Herr Oehmig: Bei mehreren Fällen konkurrierte Pneumonie als
Todesursache. Urotropin ist nicht gegeben,worden. Bei dem Falle des
Herrn E. S c h m o r 1 hat es sich vielleicht um eine Fischvergiftung gehandelt,
bei der Encephalitis haemorrhagica vorkommt.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 30. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr Braunschweig.
Schriftführer: Herr F i e 1 i t z.
Herr Strauch: Magendariokrankheiten in Ihren wesratllchen Be¬
ziehungen zur Kriegsernähritng.
(Der Vortrag ist in d. Wschr. 1920, S. 1507 erschienen.)
Besprechung: Herren David. Grote, Voelcker, Volhard,
Winternitz.
Herr Neuendorff: Beiträge zur Behandlung der Syphilis mit Silber-
»fvarsan und Sulfoxylat
Auf der Polizeiabteilung behandelte Ref. 74 Fälle mit Silbersalvarsan und
Siilfoxylat (664 Silbersalvarsan-, 230 Sulfoxylatinjektionen). Gesamtmenge
beim Silbersalvarsan 2,0—2,70 Silbersalvarsan (12 Einspritzungen), beim
Sulfoxylat (10 proz.) bis 41 ccm bei meist 10 Injektionen. Mit Silbersalvarsan
allein ohne Quecksilber gute schnelle klinische und serologische Wirkung auf
irische Lues I und 11. Ebensolche klinische Wirkung bei Lues III und kind¬
licher Lues. Von 3 Tabesfällen zeigten 2 Verschwinden der lanzinierenden
Digitized by Gotigle
Schmerzen. Gute Heilung eines Neurorezidives, durch mangelhafte Queck-
silberbehandlung entstanden. Aeltere Lues papulosa blieb
selbst bei hohen Dosen häufig serologisch positiv.
Auffallend schlechte Wirkung auf D r ü s e n s c h w e 1-
lungen bei Lues II. Nach Silbersalvarsan 3 leichtere Exantheme.
Sulfoxylat wurde meist für seropositive Lues latens, zuweilen mit Silber¬
salvarsan kombiniert, verwandt. Immer ohne Quecksilber. Es zeigte die
beschriebene Depotwirkung. Im allgemeinen mehr Beschwerden nach ihm.
Ein Exanthem bei seiner Anwendung.
Sitzung vom 14. ^uli 1920.
^Vorsitzender: Herr Braunschweig.
Schriftführer: Herr F i e l i t z.
Herr Anton stellt ein 11 jähr. Kind mit einer Erkrankung der Hypophyse
vor. Balkenstich und Kalkeinspritzungen werden empfohlen.
Bei einem 27 jähr. Kretin ist die Hypophyse um das zweifache ver-
grössert.
Besprechung: Herr Voelcker empfiehlt Schilddrüsentrans¬
plantation bei wachsendem Individuen.
Herr Kochmann berichtete im Anschluss an die therapeutischen Be¬
merkungen des Vorredners über die wichtige Entdeckung von K e n d a 11
und Osterberg, denen es gelungen ist, das Hormon der Schilddrüse in
reinem Zustand zu isolieren und auch synthetisch darzustellen. Es handelt
sich um einen jodierten Abkömmling der Oxy-ß-Indolpfopionsäure, der alle
Eigenschaften und Wirkungen der Schilddrüse besitzt.
Herr B r a u n s c h w e i g: Das Vorgehen auf die Hypophyse nach
Herunterklappen der Nase ist ein Eingriff, der sich ohne nennenswerten Blut¬
verlust vornehmen lässt und die Drüse besser freilegt und zugänglich macht
als eine dianasale Operation. Im Hinblick auf die Möglichkeit, dass eine
einfache Zyste vorliegt, deren Eröffnung den Krankheitsprozess beendigt,
muss man bei schweren klinischen Symptomen, z. B. drohender Erblindung,
trotz der unsicheren Prognose zur Operation raten. In einem Falle, der
im vorigen Jahre zur Beobachtung kam, wurde die Diagnose auf Grund
des Gesichtsfeldbefundes, rasch fortschreitender Optikusatrophie, zunehmender
Adipositas auf Tumor der Hypophysö gestellt und durch die Röntgenauf¬
nahme gestützt. Die Operation (Prof. H a a s 1 e r) zeigte einen Tumor,
der die ganze Hypophyse einnahm und nur zum kleinsten Teil entfernt
werden konnte. Trotz fast unblutig verlaufener Operation und normalen
Wundverlaufes starb der Kranke nach 3 Tagen an Herzschwäche. Die künst¬
liche Verkalkung dürfte in ihren Folgen unübersehbar, daher äusserst be¬
denklich sein; fraglich erscheint es auch, ob sich der angestrebte Operations¬
effekt überhaupt erreichen lässt.
Herr Anton spricht über die Venenwege im Gehirn und Gehirn¬
desinfektion. 0
Die Arbeit (Anton -Voelcker) erschien ausführlich in der M.m.W.
1920 S. 951.
Besprechung: Herr Voelcker.
Herr Roux: Ich will bloss zu einem nebensächlichen Punkte etwas
bemerken, zu einem Punkt, der aber in letzter Zeit wieder eine sehr wichtige
Bedeutung in der Naturwissenschaft erlangt hat.
Herr Anton sagte: Das „Bedürfnis" macht die Emissaria weiter.
Wenn er selber das wohl auch nicht ganz wörtlich gemeint hat. so ist aber
die Auffassung, dass das Bedürfnis etwas Aktives, Produktives sei, jetzt
wieder erweckt und bei amechanisch, teleologisch denkenden Naturforschern
und Philosophen im Gebrauch. Auch Pflügers angebliches Gesetz der
„teleologischen Mechanik“ wird so ausgedeutet, als hätte er das Bedürfnis
als etwas Tätiges, als direkt zweckmässig Produzierendes aufgefasst. Das
ist eine metaphysische Auffassung, die ich seit 40 Jahren durch eine rein
mechanistische Eigenschaft der Gewebe, welche das zur Selbsterhaltung des
Individuums in neuen funktionellen Verhältnissen Nötige als einfache Reaktion
in gewissem Masse von selber leisten muss *), zu ersetzen mich bestrebt
habe. Das habe ich für die Knochen, Blutgefässe und bindegewebigen
Organe sowie für die Regeneration im allgemeinen getan.
Was nun den vorliegenden Fall angeht, so ist bei starker rascher
Steigerung des Blutdruckes in den Venen des Schädels die Anpassung
der Knochen durch Knochenschwund an den Emissarien zwar deutlich, aber
nicht ausreichend.
Bei venösen Stauungen, z. B. bei Insuffizienz der Trikuspidalis, werden
die Venenkanäle in allen Knochen weiter. Dies beweist, dass beständiger
Druck auch schon von gewisser, sehr geringer Stärke auf das P e r i o s t
den Knochen zum Schwund bringt. Das steht in seltsamem Widerspruch
zu den Tatsachen, dass der sehr starke Druck, der durch den Tonus der
Muskeln und durch den Muskeldruck der Kontraktionsanode, durch die
Belastung einwirkt, aber von dem Knorpel aus übertragen wird, jahrelang
ausgehalten. wird und im Gegenteil Knochenanbildung veranlasst. Dieser
Gegensatz und insbesondere der Knochenschwund durch beständigen Druck
auf das Periost, den ich vor Dezennien aufgestellt habe, wird immer noch
von manchen Autoren in Abrede gestellt, obgleich Knochenpräparate des
Schädels wie das eben von Prof. B e n e k e herumgegebene von Herniae
cerebri den Druckschwund direkt beweisen.
Herr S c h i e c k.
Herr B e n e k e: Ich wollte dasselbe sagen wie Kollege S c h i e c k. Die
Injektion der gesamten Grosshirnsubstanz von den Karotiden aus i^t leicht
möglich, wie mir meine Versuche mit Almatein bewiesen haben. Diese
Substanz besteht aus Kügelchen von der Grösse von Milchtröpfchen; sie
lässt sich leicht in Suspension bringen und injizieren. Ich konnte bei
solchen Versuchen (welche zum Zwecke der Nachahmung von Hirnfettembolie
ausgeführt worden waren) in allen Grosshirnteilen die Injektion der Kapillaren
durch reichliche Kügelchen erweisen (Vergl. Beneke: Versuche über
Almatein. Arch. f. klin. Chir. 105, 4. und Mai da: Zschr. f. d. ges. exper.
Med. 2. 1913. 3.)
*) Siehe Roux: Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881
(vergriffen), und Gesam. Abhdig. Bd. I. Ferner: Die Selbstregulation, ein
charakteristisches und nicht notwendig vitalistisches Vermögen aller Lebe¬
wesen. Halle 1914, Nova acta der Leopoldina, Bd. 100. M. 5. — Zuletzt:
Bemerkungen zur Analyse des Reizgeschehens und der funktionellen An¬
passung etc. Archiv f. Entwicklungsmech. 46. 1920. S. 511.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
220
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(M e d i z i n,i s c h e Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Juli 1920.
Herr Hildebrandt: lieber die sog. „Nierendichtung*' gegen Zucker
beim experlmenteilcn Adrenalindiabetes. (Erschien im Arch. f. exp. Patli.
11 . Pharm. 88. Bd. S. 80.)
Aussprache; Herren ü o 11 l i e b, 0 r o s s, H i 1 d e b r a n d t,
Freund, G e s .s 1 e r, O r o W i l m a n n s.
Herr Sicbeck: lieber Störungen des Wasser- und Satzwechsels bei
Nierenkranken.
Im ersten Stadium der akuten Nephritis ist die Wasserausscheidung sehr
oft eigentümlich fixiert; ganz unabhängig von der Elüssigkeitszufuhr und von
der Wasserausscheidimg auf anderen Wegen wird eine ganz bestimmte Menge
Harn ausgeschieden. Beispiel (Beobachtung vom 10. Krankheitstage an):
Zufuhr: 500 300 1000 700 700*) 800
Harnmenge: -lOO 400 400 500 600 1100
Gewiclitsänderung: — — 1000 + 700 — 200 ■— 600 —1300
Allmählich steigt die Harnmenge an; dabei wirken kleine Dosen diure-
tischer Mittel (z. B. 1,0 Theobromin) oft recht günstig.
('ninz ähnlich verhält es sich mit der Salzausscheidung; zuweilen kann
man beobachten, dass die Salzdiurese vor der Wasserdiuresc ansteigt. (Bei¬
spiel s. Sieb eck: Die Beurteilung und Behandlung der Nierenkranken.
1020. S. 58.) — Es besteht hier also zweifellos eine Funktionsstörung der
Nieren, die Oedeme beruhen nicht nur auf extrarenalen Prozessen.
11. Bei chronischen, hydropischen Nierenkranken wird der Salz Wechsel
meist nach der Zeit beurteilt, in der eine bestimmte Salzzulage ausgeschieden
wird. Wenn man aber Kranken, die eine einmalige Zulage nur sehr lang¬
sam ausscheiden. in längeren Perioden langsam ansteigende Zulagen gibt,
so steigt die Salzausscheidimg erheblich an. die Kranken sind auch bei
höherer Salzzufuhr im Gleichgewicht. Der Unter.schied vom normalen Ver¬
halten zeigt sich darin, dass es einmal länger dauert, bis das Gleichgewicht
erreicht wird und dass zweitens der Bestand des Organismus grössere Ab¬
weichungen erleidet. Im Serum steigt der Chlorgehalt bei länger dauernder
Belastung nur vorübergelmd an. (Vgl. Post, l.-D. Heidelberg, 1920 und
Scherer, ebenso.)
Herr Diehl: Ueber die Störung der Wärmeregulation durch koilaps-
machende Gifte. (Erschien im Arch. f. exp. Path. ii. Pharm. 87. S. 206.)
Sitzung vom 27. Juli 1920.
Herr W i I m a n n s: Nachruf für Hans A h r e n s.
Bericht und Vorstandswahl.
Herr Kleinschmidt: Zur therapeutischen V^wendung des Pneumo-
periioneiims.
Vorschlag, geeignete Tumoren des Abdomens oder das Operationsfeld
bei der Nachbehandlung unter Anlegen des Pneumoperitoneums zu bestrahlen.
Dadurch wird die hautnahe Lage mancher Geschwülste in eine genügend
hautferne, ähnlich der des Uterus, verwandelt, so dass ohne Gefahr 110 bis
120 Proz. der Hautdosis an die gewünschte Stelle gebracht werden können,
.Aussprache; Herr H e d ä u s.
Herr Schneider: Zum Problem der Syphiüslatenz. (Demonstration.)
(Erschien in dieser Wochenschrift 1920, S. 1259.)
Aussprache: Herren Kümmel, B e 11 m a n n.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. Januar 1921.
He. r v. S t p r c k stellt 4 Fülle von geheiltem Pylorospasmus com^enlt.
vor (Pyloroplastik nach W e b e r - R n m rn s t e d t in der Chirurg. Klinik
durch Geheimrat A n s c h ü t z). Das jüngste der vorgestellten Kinder ist
7 Wochen alt und w urde vof 10 'l agen operiert. Die Beschwerden schwinden
mit dem 'lag der Operation. Ein Erfolg von dem Eingriff ist aber nur
dann zu erwarten, wenn die Operation möglichst frühzeitig vorgenommen
wird, bevor die Kinder in ihrem Ernährungszustand zu sehr herabgesetzt sind.
Herr v. S t a r c k bespricht die |Stcllimg der Kinderklinik in der f'rage
der Dlphthcrie-Heilserum-Bchandlung. An Tabellen und Kurven wird gezeigt,
dass seit Einführung der Hcilserumbchundlung auch in Kiel die Mortalität
wesentlich zurückgegangen ist. Aus den Ringel sehen Untersuchungen
darf wohl der Schluss gezogen W'erden. dass dem Serum im Heilserum
neben dem Antitoxin eine gewisse Bedeutung zukommt, .so dass man mit
Czerny den Standpunkt vertreten kann, dass den Di-Krankcn neben
der nötigen Menge Antitoxin auch eine entsprechende Menge Serums zuge¬
führt werden muss. Die Wirkung des Serums ist wohl die parenteral zuge-
führter Proteinkörper, doch ist die Menge beim hochwertigen Serum zu
gering, um wirksam zu w'crden. Um eine deutliche Proteinköroerwirkung
liervorzuriifen sind 5—10 ccm Serum notw'endig. es wäre deswegen zweck¬
mässig, sich für prophylaktische Injektionen des nur 100 wertigen Rinder¬
oder Hammelserums zu bedienen, W’eil dadurch die nötige Scrummenge er¬
reicht wird, oder cs wäre zu erwägen, ob das 100 wertige Pferdehcilserum
wieder freizugeben wäre. Die Gefaiir einer Anaphylaxie ist nicht gro.'Js und
zweckmässigerweise durch Injektion ganz kleiner Mengen vor der Haupt¬
injektion fast vollständig auszusclialten. Bei grossen A-Dosen genügt die
darin vorhandene Serummenge. Emofohlen werden bei schweren Fällen von
Diphtherie möglichst frühzeitige Injektionen grosser Dosen, halb intramuskulär
hall) intraven()s. Die Dosierung des Antitoxins erfolgt nach dem Vorschläge
von Schick. lOi) A.-E. pro Kilo Körpergewicht bei leichten Fällen, bei
'chwcrcn bis 500 A.-E.
Diskussion: Herren S c h i t t e n h e 1 m, K i s s k a 11. A n s c h (i t z.
H o p p c - S e y I e r, J o r e s. M c n d e 1 s o h n. v. Stark.
Emmerich.
') Heisse Packung.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 15. Juni 1920.
Vorsitzender: Herr B a h r d t.
Schriftführer: H.err Huebschmann.
Herr Anton- Halle (a. Q.): lieber venöse Druckentlastung des Gehirns.
(Erscheint als Originalartikel.)
Aussprache: Herr Payr hält die Anregungen Antons für sehr
dankenswert und die Herstellung einer Verbindung zwischen intra- und exlra-
kraniellen venösen Blutbahnen technisch für durchführbar, macht mehrere
hierhergehörige Vorschläge.
Herr Payr demonstriert:
1. ein 10 monatiges Kind mit Hydrocephalus internus. Balkenstich ergibt
375 mm HsO-Druck. Rückgang der Stauungspapille.
2. 5 jähriges Kind mit Hydrozephalus. Balkenstich 320 mm Wasser¬
druck. Sehr bedeutende Besserung.
3. 6ja jähriges mit Wasserkopf nach Zangengeburt. Kopfumfang 01 xni.
noch nicht operiert; Erörterung der Frage, ob Ventrikeldrainage nach der
Methode des Vortragenden oder Balkenstich.
4. 12j-i jähriges Kind mit ausgedehnter komplizierter Impressionsfraktur
über dem rechten Scheitelwandbein, Entfernung der Knochenbruchstücke.
Deckung des Knochendefektes soll erst nach 2 Jahren erfolgen.
5. 12 jähriger Knabe mit J a c k s o n scher Epilepsie nach schwerem
Kopftrauma vor 8 Jahren. Krampfbeginn im rechten Bein, Uebergang auf
rechten Arm, endlich Fazialis. Die 'Trepanation ergab eine der vorderen
Zentralwindung entsprechend über deren Grenzen noch sich ausdehnende
Mikrogyrie und sehr erhebliche Meningitis serosa externa. Die zahl¬
reichen Arachnoidalzysten werden ungeschützt und entleert, Zufügung des
Balkenstichs. Bedeutende Besserung.
6. Resektionspräparat eines Magenkarzinoms am Antrum, das aus dem
histologischen Befund doppelseitiger, vor mehreren Monaten exstirpierter
Krukenberg scher Ovarialtumoren trotz Fehlens Jeglicher kli¬
nischer Erscheinungen radiologisch diagnostiziert worden ist. Glatter Verlauf.
Operation am 21. V. 1920 (Payr), bei der nächsten Untersuchung Ende
November 1920 völliges Wohlbefinden. Der Full wird anderwärts ausführlich
mitgetcilt (Dr. F r a n k e n t h a 1).
Herr Huebschmann berichtet über den Sektionsbefund des am
4. Mai 1920 von Herrn Frank demonstrierten Falles von Pubertas praecox.
Es würde der klinischen Annahme entsprechend ein über walnussgroser
Tumor der Zirbeldrüse fcstgestellt. Mikroskopisch handelt es sich um einen
kleinzelligen, epithelialen Tumor. Für ein Teratom kann die Geschwulst auf
Grund der bisherigen Untersiichungsresultate nicht gehalten werden. An den
übrigen Organen sind besonders auffallend die kräftige Entwicklung des Her¬
zens, der grosse männliche Kehlkopf, die gut ausgebildeten Nebennieren und
besonders die vollkommen entwickelten Hoden. Mikroskopisch wurden in
den letzteren Spermatogenese und ziemlich reichliche Zwischenzellen fest¬
gestellt. Die Struktur des Tumors und die neueren Angaben der Literatur
sprechen für die Annahme, dass der Zirbelkranke als solcher mit der Ent¬
wicklung der vorzeitigen Pubertät in Zusammenhang steht. Es müsste aller¬
dings noch die Frage geprüft werden, ob dabei auch eine Schädigung des
Zwischenhirns durch den Tumor in Betracht kommt.
Herr W e i g e 1 d t stellt einen Fall von Pubertas praecox vor, der an der
Grenze der physiologischen Varietät von Frühreife steht. 13 Jahre 8 Monate
altes Mädchen mit ausgesprochen femininen Formen. Mammae vor 2 Jahren
halbkugelig, jetzt mehr hängend und auffallend gross, Warzenhöfe sehr gross,
braun pigmentiert. Achselhaarc und Pubes sehr reichlich. Kopfhaare blond,
sehr stark und lang. Pat. hat 3 mal normal menstruiert. Genitalien: Kleine
Labien auserordentlich lang, hängen schürzenförmig weit aus den Pubes
hervor. Uterus von normaler Grösse, etwa 50 mm lang. Das rechte Ovariuin
steht tiefer, ist erheblich vergrössert. anscheinend zystisch. Wie immer hat
die psychische und intellektuelle Entwicklung mit der körperlichen keineswegs
Schritt gehalten. Keine Rasseneigentümlichkeiten oder NebenHierensymptome.
Pat. leidet seit 6 Jahren an Rindenepilepsie, die auf einen Prozess (wahr¬
scheinlich sklerotischer Herd) in den linken Zentralwindungcn hinweist
(Krämpfe im rechten Fazialis, rechten Arm und rechten Bein, aphasischc
Störungen).
Der Hypergcnitalismus könnte entweder durch Uebergreifen des sklero¬
tischen Prozesses auf die Epiphyse oder durch das vergrösserte rechte
Ovariurn bedingt sein.
(Nachtrag: Operation durch Geh. Rat Payr ergab auffallend starkes
Schädeldach und derbe Narbe an erwarteter Stelle, Unterschneidung der Narbe.
Wesentliche, 4 Monate anhaltende Besserung.)
Diskussion: Herr Thiemich glaubt, dass man bei dem vor¬
gestellten Kinde nicht von einer Pubertas praecox sprechen könnte. Er be¬
richtet weiter, dass das Kind während des Krieges längere Zeit in der
Kinderklinik gelegen habe, in die es in einem schweren Status epilcpticus
eingcliefert wurde. Nur unter grossen Luminaldosen klang nach tagelanger
Dauer dieser Zustand allmählich ab, dagegen sind die vom Vortragenden
geschilderten Anfälle vom Jackson sehen Typus trotz dauernden Luminal-
brauchs nie ganz zu unterdrücken gewesen.
Sitzung vom 29. Juni 1920.
Vorsitzender; Herr B a h r d t.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr Payr bespricht ein Verfahren zur Anästhesierung des II. Trige-
minusastes durch Einstich oberhalb des Irisbogens bis zur Fissura orbitalis
inferior.
Herr H. Günther sprach über physiologische und pathologische Be- i
deutung des Hämatoporphyrins. Es wurde kurz auf die chemischen Eigen¬
schaften der nativen Hämatoporphyrine („Hp.“), spezielle Uro-Hp. und Entero-
Hp. (für welche die gewohnte Bezeichnung „Hämatoporphyrine“ bcizubehalten j
ist) und deren Unterschiede von den Laboratoriumsprodukten, besonders dem
Hp.-Ncncki eingegangen. Beschreibung einer quantitativen (spektroskopischen)
Methode, welche für klinische Untersuchungen in grösserem Stile genügende
Genauigkeit bietet mit Demonstration eines Spektroskopiertroges mit Skala i
und empirischer Eichung. Ferner Demonstration eines Apparates, welcher
die spektrokopischen Untersuchungen nicht zu stark konzentrierter und klarer
Urine von 80 cm Schichtdicke abwärts ermöglicht (Vertikalrohr mit Abfluss,
rechtswinkliges Prisma, Bogenlampe). Erwähnung des Hp.-Wärmespektrums.
Demonstration der Fluoreszenzprobe (rot) des Hp.-haltigen Urins nach Zu- ^
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IS. Februar 1921.
MÜNCHENKR MI-:D1ZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
221
sit/ von HCl und einigen Tropfen Eisenchloridlösung. Es gelingt, durch
intravenöse Injektion von Hp. in geeigneten Mengen die Oei^amtblutmenKe
beim Tier zu bestimmen. Angaben über Vorkommen von Hp. irn Integument
von Mollusken und bei Anneliden bedürfen der Revision. Physiologisches
Vorkommen von Spuren Hp. im Urin, Galle und Kot des Menschen und in
relativ grösserer Konzentration im Mekonium, wobei möglicherweise das
physiologische Einwandern der Bakterienflora Bedeutung hat.
Quantitative Untersuchungen an einem grossen Material ergeben, dass
iikute Vergiftungen, Infektionskrankheiten, Lebererkrankungen, Blutkrank-
heiten etc. keine pathologische Vermehrung der Bildung und Ausscheidung
von Hp. bedingen.
Es gibt aber eine partielle Stoflwechselanomalie der Hp.-Ueberproduktion,
welche klinisch sich manifestiert als konstitulfenelle Anomalie des Por-
p h y r i s m u s.
Der Porphyriker gehört in die neurologische Gruppe der Neuropathen
oder Psychopathen, neigt zu stärkerer Hautpignicntation und scheidet Hp.
jm Urin und Kot in normal gesteigerten Mengen aus.
Auf der Basis des Porphyrismus können unter noch unbekannten Um¬
ständen Krankheiten entstehen, welche unter dem Gruppennamen „Hämato-
p 0 r p h y r i e‘‘ (nicht zu verwechseln mit dem Symptom ..Hämatoporphyrin-
II r i e”) zi^ammengefasst werden. Man unterscheide die zw'ei Hauptformen
der Haematoporphyria acuta und Haematoporphyria
congenita. Die erstere zerfällt wieder in die genuine (kryptogenetische)
und die toxische Form. Das Symptomenbild der akuten toxischen Form
irleicht dem der genuinen Form, nur finden sich hier Typhus, Saturnisnuis,
Sulfonalismus etc. als kombinatorische oder au^lösende Momente, w'elche aber
nicht als „die Ursache“ zu bezeichnen sind. Der akute Anfall, der sich mehr¬
mals wiederholen kann, ist durch Darmspasmen mit äusserst heftigen Schmer¬
zen, Gallebrechen, schwerer Obstipation, Oligurie (ev. Ischurie), pathologisch
vermehrte Ausscheidung von Urop.-Hp. und Entero-Hp., Urofuszin, „Urobilin“
charakterisiert; ferner häufige Beteiligung der peripheren Nerven (Polyncuritis)
und mitunter letaler Verlauf unter dem Bilde der aszendierenden Paralyse.
Das genauere Beobachtungsergebnis zweier Fälle ist im D. Arch. f.
klin. M. Bd. 134 niedergclegt. Fehldiagnosen, Cholelithiasis, Appendizitis,
Ileus etc. sind in solchen Fällen vorgekommen.
Die kongenitale Hämatoporphyrie zeigt ein völlig ver¬
schiedenes Symptomenbild. Hier ist der Porphyrismus seit frühester Kind¬
heit in viel stärkerem Masse ausgeprägt, der Urin zeigt meist eine rotbraune
bis schwarze Farbe. Die schweren Attacken der akuten Form werden hier
nicht beobachtet. Der Hauptunterschied besteht darin, dass das Hp. in sensi¬
bilisierungsfähiger Form an gewissen Prädilektionsstellen der Körperober¬
fläche deponiert wird und eine Lichtempfindlichkeit dieser Teile
bedingt, welche zu schweren Hautschädigungen und im Laufe der Jahre zu
erheblichen Mutilationen führt. Die anormale Beschaffenheit der Haut äussert
sich auch in einer hochgradigen Pigmentfrühreaktion, indem un¬
mittelbar nach der Bestrahlung eine Schwarzfärbung des Bestrahlungsgcbietes
infolge Pigmentbildung vornehmlich in den Basalzellen der Epidermis auftritt.
Hp. lässt sich mikrospektroskopisch in der Haut nicht nachweisen. De¬
ponierung von Hp. (und ev. auch eines braunen Pigmentes) findet auch in
anderen Qewebsteilen, besonders in den Knochen und im Zahnzement statt.
Ein demonstrierter Knochcnschliff eines Zahnes, aus dem Hp, durch Extraktion
entfernt war, zeigte noch eine auffallend starke Braunfärbung des Dentins und
Zementes (mikrospektroskopisch inaktiv). Das Blut lässt keine besonderen
Abnormitäten erkennen.
Aussprache: Herr v. Strümpell hebt noch einmal die klinische
Bedeutung der Hämatoporphyrie hervor. Sie wird gewiss häufiger gefunden
werden, sobald erst die Aufmerksamkeit auf sie^ erweckt ist. Bisher wurden
die Fälle zunächst fast immer falsch diagnostiziert. In den beiden letzten
Fällen der Leipziger Klinik W'urde zuerst Darmstenose bzw. Gallensteinleiden
angenommen. Auch mit Ulcus duodoni und mit nervösen Enteralgien kann die
Hp. verwechselt werden. Treten bei der kongenitalen Hämatoporphyrie
'chwerere Verstümmelungen der Finger auf, so kann fälschlich eine Syringo¬
myelie angenommen werden.
Herr Thomas; Ueber chronisch-familiären Ikterus. (Erscheint als
Originalartikel.)
Aerztticher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Dezember 1920.
Herr R. Tisebner: Die Homöopathie und die moderne wissenschaft¬
liche Erfahrung.
Man bestreitet der Homöopathie (H.) gemeinhin jeden Lebenswert für
unsere Zeit und hält sie keinerlei Beachtung für wert, man. ist vielmehr der
Meinung, dass die Geschichte schon ihr Urteil gesprochen hat. Deshalb ist es
wohl angebracht, einmal d.irauf hinzuweisen, dass hicE noch mannigfache
Probleme liegen, die man nicht durch Ignorieren löst. Hier soll jedoch nichf
die Frage der Richtigkeit und Wirksamkeit der homöopathischen thera¬
peutischen Praxis zu beantworten gesucht werden, sondern nur gezeigt
werden, dass die theoretischen, biologisc h*e n Grundlagen
der H. durchaus rationell sind.
Hahnemann galt seinerzeit, wie Hufcland einmal sagt, als einer
der ..ausgezeichnetsten, geistvollsten und originellsten Aerzte“. — Natürlich
ist cs nicht schwer manche seiner Ansichten von unserm heutigen Standpunkt
Ulis zu widerlegen oder auch lächerlich zu machen, das gilt aber mindestens
in demselben Masse von den Grössten wie Hippokrates und Para¬
celsus, und doch lauscht man auch jetzt noch ihren Worten. Während die
Zeitgenossen Hahnemanns vielfach mit reinem Denken das Wesen der
Krankheit zu ergründen suchten, ist er in seiner besten Zeit im wesentlichen
Empiriker, er spekuliert nicht über das Wesen der einzelnen Krankheiten und
gibt seine eigenen Ansichten nur nebenbei und ganz im allgemeinen. Wenn
für ihn die Krankheit nur der „Inbegriff der Symptome“ ist, so erinnert das
direkt an den modernen Positivismus, für den ein Gegenstand aus der Summe
seiner Eigenschaften und sonst nichts besteht. Mit seiner Arzneiprüfung am
Uesunden ist er der Schöpfer der ersten experimentellen Pharmakologie ge¬
worden, das muss trotz aller ihrer Mangelhaftigkeit betont werden. (Vgl.
Tischner: Hahnemann und die hippokratische Medizin. Ein histo-
nscli-inethodologischer Versuch; demnächst im „Janus“, internationale Zcit-
•'chrift für (jeschichtc der Medizin.)
Nun sei in Kürze und scliematisch einiges über die biologischen Grund¬
lagen der H. gesagt. (Näheres s. „Das biologische Grundgesetz in der
Medizin.“ Verlag G m e 1 i n, München, 1914. Preis 3 M.) Der erste Haupt¬
satz ist „Similia similibus curantur“, er klingt zweifellos paradox, ja absurd.
Ist er das wirklich? Der bekannte Kliniker Strümpell sagt einmal:
„Darin, das.s trotz einer Ergotintabes das Ergotin auch als Mittel gegen Tabes
empfohlen wird, liegt nur ein scheinbarer Widerspruch. Es ist sehr wohl
möglich, dass dasselbe Mittel, das in grossen Dosen gewisse Fasersysteme
zur Atrophie bringt, in kleinen Dosen irgendwie günstig auf dieselben ein¬
wirkt.“ — Hier wird also von einwandfreier Seite betont, dass etwas Der¬
artiges nicht absurd und kein Widerspruch in sich ist. Auch sonst sind viel¬
fach in der Therapie Mittel üblich, die in grossen Dosen gerade die Er¬
scheinungen hervorrufen können, gegen die sie in kleineren Dosen gebraucht
werden, wie z. B. Argent. nitric. sowie Jod und L u g o 1 sehe Lösung gegen
Erbrechen, die Ammoniumsalze als „Antispasmodika“, obwohl Ammoniak
Krämpfe erzeugt (Harnack); man wendet Röntgenstrahlen und Radium bei
Hautkrankheiten und -Karzinomen an. während sic in grossen Dosen der¬
artiges erzeugen. Aehnliches gilt von Arsenik, das bei anämiscneii Zuständen
gegeben vVird und anderseits in grösseren Dosen Anämie hervorruft. Kalomel
wird bei Durchfällen in kleiner Dosis gegeben, „obwohl“ cs in grösserer
Durchfall erzeugt usw.
Doch sind das in der „Schulmedizin“ nur isolierte Tatsachen, ohne dass
sie unter einem Gesichtspunkt zusammengefasst werden. Verständnis er¬
öffnet erst das biologische Grundgesetz (b. G.) von Arndt-
Schulz: „Kleine Reize fachen die Lebenstätigkeit an
mittelstarke fördern sie, starke hemmen sie und
stärkste heben sic au f.“ — Kleine Dosen wirken demnach umgekehrt
wie grosse. Sublimat tötet in starker Konzentration Mikroorganismen schnell
ab, in schwächeren Lösungen langsamer, 1: 100 000 ist unwirksam. Während
man sonst geneigt ist, zu sagen: damit hört die Wirksamkeit auf, ging
Schulz am Leitseil des b. Q. weiter und fand bei 1 : 700 000 eine Erhöhung
der Lebenstätigkeit, die sich an der Menge der erzeugten Kohlensäure genau
messen lässt. Im Prinzip dasselbe fand Schulz für Jod, Brom, Arsen.
Ameisensäure usw. Auch beim Menschen zeigte Schulz in quantitativen
Versuchen am Spektralapparat die Richtigkeit des b. G.. indem er nachwies
dass kleine Dosen Digitalis die Schwelle für die Grünempfindung herabsetzen,
grosse dagegen umgekehrt wirken, während von Rot das Entgegengesetzte gilt.
Unabhängig von Schulz zeigten andere Forscher, dass für sämt¬
liche Gebiete der Biologie das b. G. zu Recht besteht. So sagt der
Botaniker Bokorny: „Ich zweifle kaum mehr daran, dass es bei den
meisten Giften Verdünnungen gibt, in denen sie fördernd auf das Wachstum
einwirken.“ Der berühmte Zoologe Jennigs schreibt: „So kann derselbe
Stoff in schwächerer Lösung eine positive und in stärkerer eine negative
Reaktion hervorrufen, und alle Substanzen, in deren schwächerer Lösung die
Spirillen sich ansammcln, werden in stäikeren Konzentrationen gemieden.
Es ist in der Tat eine für die Bakterien allgemein gültige Regel.“ Der be7
kannte Botaniker M o l i s c h sagt über die Radiumemanation; „Die Emanation
muss nicht hemmend oder tötend auf die Pflanzen wirken, sie kann auch,
wenn sic in geringen Mengen geboten wird, eine Förderung der Entwicklung
hervorrufen.“ — Und das alles ist ja .schliesslich auch gar nicht so wunderbar,
biologischem Denken sollte cs eiiileuchten, dass kein Reiz in kleinster Dosis
sofort lähmend wirkt, eine reizende Phase ist direkt zu erwarten und zu
folgern, man sollte sich deshalb den Einblick in das Gebiet nicht verbauen,
indem man .solche umgekehrte Wirkung kleiner Dosen mit t-inem „jedoch“
oder „dagegen“ anführt, falls man das auf Grund des b. 0. verstanden hat,
wird man vielmehr ..infolgedessen“ oder . also“ sagen müssen.
Begründet ist diese umgekehrte Wirkung kleiner und grosser Dosen
darin, dass die reizende Wirkung in die lähmende umschlägt; um so merk¬
würdiger ist es. dass das grosse Spezialwerk von V e r w o r n „Reizung und
Lähmung“ das b. G. mit keinem Wort erwähnt. — Der heurisiische Wert des
b. G. leuchtet aus dem Gesagten schon von selbst ein.
Das b. Ci. eröffnet nun Verständnis für das Simileprinzip, ja man kann
letzteres als das therapeutisch gewendete b. G. ansehen, indem, wenn ich die
Wirkung grosser Dosen kenne, ich auf Grund des b. G. die Wirkung kleiner
Dosen erschliessen und sie anwenden kann.
Die zweite Eigentümlichkeit der H., die Verwendung kleiner Dosen ist
damit von seihst gegeben; denn es ist klar, wenn ich bei einer Krankheit das
nach dem Simileprinzip gewählte Mittel in grosser Dosis geben würde, dann
würde das Leiden schlimmer werden. Die kleine Dosis folg: aber nicht nur
aus dem Wesen der Sache, auch sonst ist für die Wirkung kleiner Dosen
manches zu sagen. Biologie und Chemie haben neuerdings vielfach die
Wirkung kleinster Dosen gezeigt. Kupfer- und andere Salze wirken noch
in einer Verdünnung von 1:1 000 000 000 (9. Verd.) abtötend auf Mikro¬
organismen; gemäss dem b. G. ist al.so zu erwarten, dass noch stärkere Ver¬
dünnungen anregend wirken. ln der als Schwefelquelle geschätzten
Aachener Kaiserquelle ist der Schwefel in der 5.—6. Verdünnung enthalten,
in der Levicoquelle das Arsen gar in der 6.—7. Das für den Gesunden ganz
unschädliche und wirkungslose Pollentoxin wirkt auf den Hc’ifiebcrkranken
noch in einer Dosis von millionstel Gramm. Tuberkulin wird in der
Allopathie von manchen Aerzten in der 9.—11. Verdünnung gegeben, während
es Homöopathen gibt, die nie unter die 6. Verdünnung heruntergehen. Man
sieht die Dosenfrage ist nur von sekundärer Bedeutung, infolgedessen sei
auch nicht auf die Frage der sog. Hochpotenzen eingegangen, du sie vom
W'esentlichen abführt. Jedenfalls zeigen die vorgebrachten und viele andere
Tatsachen, dass die Wirkung kleiner Dosen nicht von vornherein als un¬
möglich bezeichnet werden kann.
Das dritte Grundprinzip, die Arzneiprüfung am Gesunden darf gleichfalls
mehr Beachtung beanspruchen, als Ihm zuteil wird. Gewiss sind viele An¬
gaben Hahnemanns falsch, jedoch haben die Nachprüfungen durch
Schulz und seine Schüler wesentliche Teile bestätigen können. Modernes
biologisches Denken sollte auch dafür Verständnis haben können, denn es
leuchtet bei der artspezifischen Beschaffenheit des menschlichen Protoplasmas
und Fettes ein, dass die feineren Wirkungszüge eines Mittels nur am
Menschen gefunden werden können. Am gesunden Menschen muss
man aber prüfen, da man nur so reine, durch keine Krankheitssymptome ge¬
störte Erfahrung erhalten kann.
Besondere Schwierigkeiten pflegen dem Aussenstehenden gewisse in dem
Wesen der Sache begründete Eigenheiten des homöotherapeutischen Denkens
zu machen. .Man kann nach Anschauung der H. nicht nach Stellung einer
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
222
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
Diagnose ein entsprechendes Mittel geben, die H. sucht jedem Eall mehr
individualisierend näherzukommen, es gilt ein Mittel zu finden, das den
jeweiligen Erscheinungen des einzelnen Falles nach dem Simileprinzip ent¬
spricht ; es gilt eine „Arzneimitteldiagnose“ zu stellen.
Dass das Simile in kleinster Dosis starke Wirkungen haben kann, zeigt
ja das Pollentoxin und das Tuberkulin.
Ein Glanzpunkt der modernen Therapie ist die Vakzinetherapie. Much
bezeichnet sie als das aussichtsreichste Heilverfahren der Zukunft. Ihr
Grundprinzip ist, den Kranken mit denselben oder ähnlichen S offen zu be¬
handeln, die an der Krankheit Schuld tragen (Much). Ja M u c h spricht
direkt von „biologischer Homöopathie“ (Patholog. Biologie 1920). Schon
Behring und Hüppe haben auf die Verwandtschaft der Vakzinetherapie
mit der H. aufmerksam gemacht, während man in der vorbakteriologischen
Zeit für das „Pneumophthisin“, „Variolin“ der H. nur Spott hatte. Much
lässt der H. auch sonst im Prinzip Gerechtigkeit angedeihen, während er für
die Schulmedizin ausserordentlich scharfe Worte findet und davon spricht,
sie stände vor dem Bankrott, und er sei unvermeidlich, falls nient die Umkehr
kommt. Ich will mir die Worte nicht zu eigen machen, aber ich glaube eine
solche Aeusserung ‘eines angesehenen Forschers nicht verschweigen zu dürfen
vielleicht macht das doch etwas ‘ stutzig und stimmt bedenklich.
Wenn nun die Vakzinetherapie als rationell begründet ungesehen wird
dann ist nicht einzusehen warum andere Verfahren der H. keine Beachtung
verdienen. Bei den Infektionskrankheiten besteht die Möglichkeit, aus der
gegebenen Hauptbedingung, der sog. Ursache, d. h. den Mikroorganismen das
wirksame Prinzip zu isolieren und auf diese Weise mit den Substanzen in
kleinster Dosis die Krankheit zu heilen, die an der Krankheit Schuld tragen.
Das ist nun allerdings bei den endogenen Krankheiten licht der Fall. Da
aber besteht eben die Möglichkeit, auf Grund homöopathischer Gedanken¬
gänge das bei den Infektionskrankheiten angewendete Verfahren sinngemäss
abgeändert auch hier zu benützen, indem man Substanzen nimmt, die eine
ähnliche Betriebsstörung hervorrufen können. Von vornherein lässt sich
gegen diesen Gedankengang kaum etwas einwenden, da kann nur die Er¬
fahrung die Lehrmeisterin sein, und die ist bei der Homöopathie, die be¬
hauptet auf diese Weise Erfolge zu haben. Damit soll aber nicht das Zutode-
hetzen des Prinzips und der Symptomdeckerei das Wort geredet werden.
Um die heuristische Bedeutung des b. G. zu zeige»«, einive W'orte über
die Therapie des grauen Stares. Sekale erzeugt bekanntlich in grossen Dosen
Linsentrübungen, demnach ist zu erwarten, dass kleine Dosen von günstigem
Einfluss auf den grauen Star sind, eine Erwartung, die mir von der Erfahrung
bestätigt w'orden ist.
Abgesehen aber von vielen Einzelpunkten unterscheidet sich die H. von
der Schulmedizin noch insofern, als sie vitalistisch ist, während d’e Schul¬
medizin — trotz Abschwächung im einzelnen — im Grunde immer noch
mechanistisch gerichtet ist; wer das nicht berücksichtigt, wird die H. nie
verstehen.
Alles in allem wird man §agen dürfen, dass die biologischen Grund¬
lagen der H. dem modernen Denken durchaus rationell erscheinen müssen
so dass es nicht möglich ist, das übliche Verdikt zu fällen. Wer die Zeichen
der Zeit versteht, sieht, dass die Zeit der mechanistischen Anschauung
abgelaufen ist, eine neue Periode zieht herauf, es wäre zu wünschen, dass
man diese Zeichen beizeiten beachtet, und dass man, auch wenn man nicht
seinen eigenen Standpunkt aufgeben will oder kann, der anderen Anschauung
nicht das Lebensrecht bestreitet und sie zu Wort kommen lässt. Es ist anzu¬
nehmen, dass in der Medizin der Zukunft homöopathische Gedankengänge
eine legitime und nicht unbedeutende Rolle :piclcn werden. (Eigenbericht.)
Diskussion: Herren Gräme r, Salzer und T i s c h n e r.
Herr P. Tesdorpf: Ueber die Bedeutung der Insuffizienz der geraden
inneren Augenmuskeln (Musculi recti intern! oculorum) für die ärztliche
Praxis.
Vortragender betont die Notwendigkeit der Kenntnis der Insuffizienz der
Musculi recti interni oculorum für die praktischen Aerzte und schildert ein¬
gehend die mannigfachen subjektiven Beschwerden und objektiven Störungen
dieses weit verbreiteten und in vielen Fällen mit schweren psychischen Er¬
scheinungen einhergehenden Leidens. Die mangelhafte Berücksichtigung des¬
selben seitens der deutschen Aerzteschaft sei um so auffallender, als es
deutsche Augenärzte, vor allem Albrecht v. Gräfe und sein gleichaltriger
Vetter Alfred Karl Gräfe, gewesen seien, die dasselbe schon vor Jahr¬
zehnten eingehend erforschten. Von diesen, insbesondere vom Erstgenannten,
seien wertvolle Untersuchungsmethoden zur genauen Bestimmung der In¬
suffizienz der Musculi recti interni oculorum angegeben worden. Mittelst des
sog. „Albrecht v. Gräfe sehen Gleichgcwichtsversuches“ lasse sich auch
der Grad der jeweiligen Insuffizienz bequem feststellen. Tesdorpf be¬
richtet, dass er seit dem Frühjahr 1893, in welchem ihm der erste Fall ge¬
nannter Insuffizienz zu Gesicht kam. dem Leiden fast täglich in seiner Praxis
begegne und dass er mit dem Erfolge der von ihm eingeschlagenen Behand¬
lung äusserst zufrieden sei. Es komme vor allem darauf an, die betreffenden
Kranken über die Natur der hei ihnen bestehenden Augenmuskelinsuffiziehz
aufzuklären und ihnen entsprechend ihrer Berufstätigkeit und sonstigen
Lebensweise genaue Weisungen für die Art, wie sie ihre Augen zu gebrauchen
hätten, zu geben. Tesdorpf fasst diesen Teil seines Vortrages unter der
Bezeichnung „Augendiätetik“ zusammen und stellt ihn dem Teile gegenüber,
in welchem er von der Behandlung mittelst Prismengläsern und besonderer
Schieioperation spricht. Aus dem Hinweis auf das Vorkommen der Insuffizienz
der Recti interni bei Neurasthenikern, Hysterikern und Epileptikern ergibt sich
für ihn eine Reihe wichtiger Gesichtspunkte. Ebenso gebe die eigenartige
Aetiologie eine Veranlassung zu zahlreichen vorbeugenden Massnahmen. Sein
besonderes Augenmerk wendet der Vortragende den Beziehungen der In¬
suffizienz der Mm. rect. int. zur gerichtlichen Medizin zu. Eine Anzahl von
einschlägigen gerichtlichen Fällen, in denen der Vortragende als Sachverstän¬
diger zu Worte kam. finden die gebührende Würdigung. Auch über die
Pathogenese und das Wesen der in Rede stehenden Insuffizienz liefert Tes¬
dorpf seine eigene Auffassung. Im Hinblick darauf, dass Vortragender sich
die Aufgabe stellte, auch über die Beziehungen der Insuffizienz der Recti
interni zu einer Reihe anderer Krankheiten ein übersichtliches Bild zu liefern,
sprach er in der auf seinen Vortrag folgenden Diskussion, in welcher er u. a.
Herrn Oberstabsarzt Dr. Rudolf v. H e u s s für die warme Anerkennung
dankte, welche dieser den Ausführungen des Vortragenden zollte, die Absicht
aus. den Vortrag im ganzen Umfange als besondere Schrift bzw. als Sonder¬
druck erscheinen zu lassen. (Eigenbericht.)
Sitzung vom 26. Januar 1921.
Herr Rdssbach: Demonstrationen.
1. Zwei Fälle von Salvarsanikterus. Vortr. sah im ganzen schon ca. 15
einwandfreie Fälle von Salvarsanikterus. Das Typische ist das Auftreten
einige Monate nach Abschluss der Kur, serienweises Auftreten.
2. Ein Traktionsdivertikel des Oesophagus in die Lunge, der als Folge
eines gesenkten retro-pharyngealen Abszesses gedeutet werden muss. Pat,
war 39 Monate wegen Lungentuberkulose in Sanatorien etc. in Behandlung.
Eine Lungentuberkulose ist auszuschliessen.
A u s s p r a c h e: Herr Neubauer sah Salvarsanikterus auftreten nach
Einspritzung von Salvarsan bei Lichen ruber planus, wo also eine Lues gar
nicht in Betracht kommen Mn.
Herr Kämmerer und Herr Böhm haben einen Fall von Erweiterung
der Speiseröhre gesehen mit Kardiospasmus, der eine gewisse Aehnlichkeit
mit dem von R. demonstrierten Fall hat.
Herr Ranke: Die Differentialdiagnose der Tuberkulose bei Oesophagus-
divertikel gehört mit .zu den schwierigsten, die es gibt.
Herr v. Ilattingberg: Ueber Hypnose und Suggestion in der
Allgemelnpraxis.
(Der Vortrag erscheint als Originalarbeit in der Münch, med, Wschr.)
Aussprache: Herr Schindler hat bei Hautkrankneiten aus¬
gezeichnete Erfolge mit Hypnose gesehen, z. B. bei Urtikaria.
Herr F u l d, der in der Kommission zur Beurteilung der Filmbilder ist.
berichtet über ein Filmdrama, bei dem die Hypnose eine grosse Rolle spielt
und das auf seine Veranlassung hin verboten wurde.
Herr H e y e r weist auf die schweren Schädigungen hin, die die Hypnose
durch Laien in der Bevölkerung bewirkt. Im Krankenhaus wurden 7—8
solcher Schädigungen durch Laienhypnose eingewiesen. Um die bestehenden
Verfügungen kümmert sich kein Mensch in Deutschland. Die Aerzte sollen
von sich aus gegen diese überhandnehmenden Schädigungen Stellung nehmen.
Herr Weiler: Durch die wilde Hypnose werde bei Patienten, wo es
notwendig ist. Abneigung gegen die ärztliche Hypnose verursacht. Die Aerzte
haben also allen Grund, sich gegen die wilde Hypnose zu wenden; da der
Staat nicht hilft, ist Selbsthilfe der Aerzte geboten durch Aufklärung usw.
Herr v. Hattingberg (Schlusswort): „Selbstverständlich ist eine
besondere Veranlagung des Hvpnotiseurs notwendig.“ Bemerkenswert ist.
dass trotz des Themas „Hypnose und Suggestion in der Allgemeinpraxis** kein
praktischer Arzt für oder wider das Thema gesprochen hat, sondern nur
Neurologen. Rossbach.
Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 18. November 1920.
Herr H u s I e r; Demonstrationen.
a) Zwei Fälle von akuter hämorrhagischer Nephritis im Gefolge inipeti-
ginöser und pustulöser Hauterkrankung. Die dermatogene Nephritis beim
Kinde wird offenbar nicht nach Gebühr gewürdigt. Seit der Kaum-
h e i m e r sehen Publikation ist nur wenig darüber bekannt geworden, ln
München ist sie — wenigstens in den letzten Jahren — viel häufiger
als die Scharlachncphritis, die doch sonst als Prototyp der hämorrhagischen
Nephritis betrachtet wird. Man kann mitunter, wie z. B. im letzten Viertel¬
jahre. epidemische Häufung beobachten. Viele Impetigokranke tiberstehen
hämorrhagische Nephritis, ohne dass diese beachtet wird. Bei systematischer
Prüfung und Harnuntersuchung bei Impetiginösen konnten wir erstaunlich
häufig Albuminurie, makroskopische und mikroskopische Blutbeimengung bei
Fehlen subjektiver Störungen feststellen. — Therapeutisch scheint das Wich¬
tigste zu sein' Eröffnung aller eiternden Hautpartien und Entfernung aller
Krusten und Borken! Es muss der Grund jeder einzelnen Effloreszenz
blossliegen und nach aussen sezernieren. So können (wie Dem. lehrt)
schw»erste urämische Fälle in wenigen Tagen albumenfrei werden.
In der Aussprache erörtert Herr v. Pfaundler die möglichen
Zusammenhänge zwischen Haut- und Nierenaffektion und legt die Stellung
der Hautnephritis in dem System der Nephropathien dar.
b) Zwei Knaben mit E n s 11 n schem Symptomkomplex. Die druck¬
entlastende Schädeloperation sollte möglichst frühzeitig, pronhylaktisch vor¬
genommen werden. Das Abwarten bis zum Auftreten okularer Symptome
ist gefährlich: Nach jahrelanger Beschwerdelosigkeit kann Amaurose u. a.
sich in wenigen Tagen entwickeln (Dem.); eine Rückbildung solcher Störungen
nach Trepanation ist aber nicht immer zu erhoffen. Der 2. Fall war
von uns bereits vor 11 Jahren beobachtet. Damals angeborener Turmschädel.
Trepanation wurde angeraten, aber nicht durchgeführt. Jetzt: Plötzlicher
Strabismus, Doppeltsehen, Kopfweh etc.
Aussprache: Herr v. Pfaundler plädiert nach den Erfahrungen
Antons für Balkenstich bei Bedrohung des Sehvermögens infolge Turm¬
schädelbildung und zwar auch dann, wenn keinerlei Hydrozephalie zu ver¬
muten ist, da auch in solchen Fällen der Eingriff Druckentlastung bewirken
kann. ^
Herr Gossmann und Herr Drachter.
c) 14 jähr. Mädchen mit Zeichen der iuvenilen Paralyse und der Hirn-
lues. Dabei exzessive Adipositas.
Herren J. Husler und v. Falkenhayn: Ueber das Scblcksal
choreatischer Kinder und über perennierende Chorea.
Der Vortrag erscheint an anderer Stelle ausführlich.
Aussprache: Herren G o e 11 und v. Pfaundler.
Hauptversammlung vom 16. Dezember 1920.
Herr Oberndorfer (a. G.): Demonstrationen.
Aussprache: Herren Schmincke und G o e 11.
Herr Beck: Ueber das Cholesterin und seinen Stoffwechsel beim
Säugling.
Der Vortrag erscheint ausführlich an anderer Stelle.
Aussprache: Herren Goett, Benjamin. Beck.
Albert Uffenheinier - A^ür.che::.
Digitized by Goiisle
Original froiri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IS. Februar 1921-
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
21.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin.
Sitzung vom 7. Dezember 1920.
Vorsitzender: Herr H a e c k e 1.
Schriftführer: Herr Q e h r k e.
Herr Haeckel: Pathologische Anatomie, klinische Erscheinungen und
Operationsmethoden der Rückenmarkstumoren. (Vorführung von 2 mit Erfolg
operierten Kranken.)
Bei der einen Patientin, 44 Jghre alt, begann das Leiden vor 15 Jahren
mit ziehenden Schmerzen im linken Bein; seit 2 Jahren Schwäche beider
Beine, dann Naclischleppen des linken Beines, seit 8 Wochen Unmöglichkeit,
spontan zu urinieren, seit 4 Wochen kann sie nicht mehr gehen. Komplette
Lähmung beider Beine und Anästhesie von Nabelhöhe an abwärts. Bei der
Operation hndet sich ein haselnussgrosser Tumor, links der Innenfläche der
Dura flach ansitzend in Höhe des 4. und 5. Brustwirbels. Nach seiner Ent¬
fernung völlige Heilung. Gang ist flott ohne jede Unterstützung, Urin wird
spontan gelassen; alle Oefühlsqualitäten sind wiedergekehrt. — Die andere
Patientin, 55 Jahre alt, kann seit /4 Jahre nicht mehr gehen, unwillkürliche
Beuge- und Streckbewegungen der Beine. Anästhesie von unterhalb der
.Marnmillarhöhe ab; Stuhl sehr träge. Die Operation fördert in Höhe des
2. Brustwirbels haselnussgrossen, der Dura innen flach ansitzenden Tumor
zutage, von rechts her d^ Rückenmark eindellend. Heilung mit voll¬
ständiger Wiederherstellung der Sensibilität und Mctilität. In beiden fällen
erwes sich der Tumor'' als psammöses Endotheliom, von der Dura oder
Arachnoidea ausgehend.
Vortragender betont die Vorteile der Durchführung der Operation in
Lokalanästhesie und den einzeitigen Weg; die Operationen fanden statt in
voller Bauchlage. Von Wichtigkeit ist, die Dura mit fortlaufender Naht ganz
zu schliessen. die . Weichteile durch Matratzennähte möglichst zusammen-
zuziehen, Vermeidung jeglicher Drainage. Nach der Operation wurden die
Kranken einfach auf den Rücken gelegt, mit gutem Polster für die Operations¬
stelle, ohne jeden fixierenden Verband. > _
Diskussion: Herr Lichtenauer: Einen Rückenmarkstumor habe
ich am 5. III. 20 operiert. Die Kranke war leider infolge schweren Dekubitus
III septischem Zustande und ist einige Tage nach der Operation der Seosis
erlegen. Der Tumor sass hier in Höhe des 1. Brustwirbels und hatte eine
vollkommene Querläsion des Rückenmarks verursacht. Die Höhendiagnose
lautete auf die Höhe des 6. Halswirbels. Hier fand sich eine Meningitis
serosa circumscripta, etwas weiter distal dann der Tumor, der sich leicht
entfernen Hess. Die Laminektomie wurde mittelst Fraise und Dahlgren-
scher Zange ausgeführt, wodurch die Opeiation erleichtert wird. Schuld an
dem ungünstigen Ausgange war hier die späte Operation. Die Kranke war
vorher über ein Jahr lang behandelt worden, ohne dass die Diagnose ge¬
stellt wurde. ,
Herr Neisser: Die Höhendiagnostik des Rückenmarkstumors ist eine
in der Regel einfache Sache, die Diagnose des Rückenmarkstumors selbst
aber, im Hinblick auf die praktische Folge der Indikationsstellung, häufig
genug noch recht schwierig. Gewiss ist mit Recht gewünscht worden eine
schnelle Diagnose zu stellen; worauf ich aber selbst hier aufmerksam machen
wollte ist der Umstand, dass gerade beim extramedullären Tumor sehr lange
Zeit vergehen und abgewartet werden kann, ohne dass Komplikationen ins¬
besondere Dekubitus entstünden. Der erste in Deutschland operierte Rticken-
markstumor von Lichtheim-Mikulicz hatte das Rückenmark auf
Papierdünne zusammengedrückt, trotzdem bestand kein Dekubitus und erholte
Mch das Rückenmark vollständig. Die Entwicklung der Symptome bei einem
längeren Zuwarten, bei ständiger oder oft wiederholter Beobachtung, das
Au.sbleiben von Komplikationen oder von Symptomen, die die Diagnose in
andere Bahnen lenken (z. B. Auftreten von Taubheitsgefühlen in den Fingern
bei einer multiplen Sklerose, die einen Tumor des Dorsalmarks vortäuschte)
haben uns in vielen Fällen, so auch in den beiden hier vorgestellten, aus¬
gezeichnete Dienste getan. j
Herr Holste: Ueber den zervikalen Kaiserschnitt.
Vortragender befürwortet das transperitoneale zervikale Ver¬
fahren und berichtet über 21 an der Provinzial-Hebammenlehranstalt beob¬
achtete Fälle. "Die Operation wurde 13 mal bei engem Becken, 7 mal bei
Eklampsie und 1 mal bei Placenta praevia ausgeführt; 8 mal wurde bei noch
sehender Blase operiert. Die höchste Temperatur zu Beginn des Eingriffs
betrug 38®. Besondere Komplikationen im Wundverlauf sind nicht ein¬
getreten. Eine Patientin starb 2 Stunden nach der Operation an ihrer
schweren Eklampsie. Sämtliche Kinder kamen lebend zur Welt, abgesehen
von der Placenta praevia, wo die Frucht schon vorher abgestorben und hoch¬
gradige Anämie der Mutter den Anlass zur Operation bot. Die Temperatur¬
verhältnisse im Wochenbett waren durchweg günstig. 5 von den Wöch¬
nerinnen konnten zwischen dem 10. und 14. Tage entlassen werden, 7 zwischen
15. und 21. Die übrigen, die länger blieben, waren die Eklampsiepatientinnen;
bei zweien von ihnen wurde die Rekonvaleszenz durch eine Broncho¬
pneumonie verzögert.
Sitzung vom 4. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr Hager.
Schriftführer: Herr M ü h 1 in a n n.
Herr Selig: Beobachtungen an schwer deformierWn Händen und ihre
Behandlung.
Die Beobachtungen wurden an 64 Händen angestellt, 62 davon gehörten
der grossen Gruppe der Polyarthritis chron. progress. an, 2 der Arthritis
«rica. Alle diese Hände zeigten I. schwere Veränderungen im Hohlhand-
hogen, 2. Veränderungen im II. Metakarpophalangealgelenk, 3. Abduktions-
'‘tellung der Hohlhandbogen war meistens so stark pathologisch verändert,
dass er statt dorsal-konvex volar-konvex er.scliien. Normalerweise zeigt das
Metakarpale V eine viel grössere Bewegungsmöglichkeit (aktiv und passiv)
als das Metakarpale II; in diesen schweren, deformierten Fällen fand sich
eine vollständige Starre des gesamten Hohlhandb.T'jens. Durch Schrumpfungen
in den Kapseln und in der Synovia und durch starke Atrophie der Interossei
ira Verein mit dieser pathologischen Stellung des Knochensystems war die
Funktion ganz schlecht; oft bestand Funktionsunfähigkeit. Der Hauptwert
wurde zuerst darauf gelegt, die Starre irti Hohlhandbogen zu beseitigen, weil
erst dadurch normaler Faustschluss ermöglicht wird. Das konvex nach oben
verschobene II. M^akarpophalangealgelenk wird im Fensterverband herunter-
Digitized by Gotigle
gedrückt. Durch orthopädische Massnahmen, wiederholte Redressemönts in
Narkose, durch Wiederaufrichten des Handbogens, Massage und Elektrizität
gelingt es nach intensiver, oft monatelanger Behandlung funktionell gute
Resultate zu erzielen. Ausgiebiger Gebrauch wurde dabei auch von Caseosan-
und Kollargoleinspritzungen gemacht. In einem Fall bestand extreme Kon¬
trakturstellung der rechten Hand, die im Verlauf von 15 Jahren bei dauernder
interner Behandlung entstanden war. Es wurde auch hier ein funktionell
gutes Resultat erzielt, in allen übrigen nicht so schweren Fällen war auch
das anatomische Resultat recht gut. Würden von vornherein bei den in
Frage kommenden Krankheiten prophylaktische Massnahmen ergriffen, so
wäre ein grosser Teil der hier gezeigten Veränderungen überhaupt nicht
entstanden.
Diskussion: Herr Neisser: Die gichtischen Prozesse der Hände,
das' Chiragra, gehört hier zu den ausserordentlich seltenen Prozessen, alle
anderen Erkrankungen der Hand- und Fingergelenkc sind unendlich viel
häufiger; Es ist sehr dankenswert sich dieser zum Teil so trostlosen, chro¬
nischen, deformierenden Prozesse der Hand- und Fingcrgelenke fachärztlich
anzunchmen. Ich möchte aber meinen, dass im wesentlichen diejenigen Fälle
Erfolg versprechen, bei denen ein mehr stationärer Zustand erreicht ist, und
die Progredienz nicht wie so häufig unaufhaltsam ist. An solchen Fällen hatte
auch K i 11 e 1 - Franzensbad seine wesentlichen Erfolge, dessen Methoden
ebenfalls mechanische waren und der zum Teil überraschende Erfolge hatte.
Herr Lichtenauer begrüsst, dass es bei den Fällen von chronisch
fortschreitenden Arthritiden der Finger und Handgelenke möglich ist durch
wiederholte Redressements nicht nur die Stellung zu bessern, sondern auch
ein funktionelles Resultat für die Dauer zu erreichen.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tfibingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. Juni 192U.
Vorsitzender: Herr A. Mayer.
Schriftführer; Herr H a r t e r t.
Herr W eitz: Ueber den Einfluss der Kälte auf den Magen.
Es wurde bei einer grosseren Anzahl von Fällen zweimal die röntgeno¬
logische Magenform aiifgeriommen, das eine Mal im warmen geheizten, das
andere Mal im kalten, ungeheizten Zimmer. Dabei zeigte sich, dass bei der
überwiegenden Mehrzahl der Untersuchten in der Kalte der Magen eine
starke Tonuszunahme zeigte, der untere Magenpol rückte oft sehr beträcht¬
lich höher, der kaudale Magenteil begrenzte sich, der kraniale wurde durch
den emporgedrängten Magenbrei erweitert, die Magenblase verkleinerte sich,
aus der Angelhakenform bei Wärme wurde in der Kälte oft eine Stierhorn¬
form. Der unterste Mageiitcil (Canalis egestorius und Sinus nach F o r s e 1 1)
war gelegentlich so stark kontrahiert, dass der Brei sich nur im Magenkörper
befand. Ein in der Wärme atonischer Magen konnte in der Kälte von nor¬
maler Form sein.
Die Ursache der Veränderung der Magenform wird in einer Erregung
des Nervus vagus durch die Kälte gesehen, die sich auch an anderen Organen
zeigen kann, z. B. an der Neigung zu vermehrter Peristaltik und zu ver¬
mehrtem Harndrang in der Külte, an dem Auftreten von Anfällen gewisser
Leute bei Applikation kalter Duschen, an den plötzlichen Todesfäjlen bei
Eintauchen des erhitzten Körpers in kaltes Wasser.
Der geschilderte Einfluss der Kälte auf den Magen erklärt die häufig zu
beobachtende Verschlimmerung von Schmerzen bei Magen- und Duodenal¬
geschwür infolge äusserer Kältceinwirkung; er lässt die günstige Wirkung
der Bettruhe bei der Behandlung des Magengeschwürs zum Teil als Folge
der gleichraässigen Bettwärme und dadurch bedingten Tonusverminderung
erscheinen; er spricht für die Schlesinger sehe Tonustheorie der Ent¬
stehung des Stierhornmagens.
Die Untersuchungen des direkten Einflusses der Kälte auf den Magen
(vor und nach Applikation einer Magenblase und nach Einnahme eines warmen
und eines kalten Breies) ergab, dass die örtlich wirkende Kälte in der
Mehrzahl der Fälle einen tonusvermindernden Einfluss ausübt. Diese Tonus¬
abnahme wird dui^h eine gewisse Lähmung der Nervenendigungen der den
Tonus bedingenden Nerven erklärt..
Diskussion; Die Herren A. Mayer, Borchers.
Herr W eltz: Ueber herzdynamische Fragen.
Vortr. erwähnt zunächst, dass die Herzrevolution aus Anspannungszeit,
Austreibungszeit, Entspannungs- und Anfüllungszeit besteht. Nach seinen
tierexperimentcllen Untersuchungen wird die Anspannungszeit durch hohen
Aortendruck und geringe Vcntrikelfüllung verlängert und durch niedrigen
Aortendruck und grosse Ventrikelfüllung verkürzt, w'ährend die Austreibungs¬
zeit umgekehrt durch kleinen Ventrikelinhalt und hohen Aortendruck ver¬
kürzt und durch grossen Ventrikelinhalt und niedrigen Aortendruck verlängert
wird.
An zahlreichen mit dem Frank sehen Apparat aufgenommenen mensch¬
lichen Kardiogrammen, an denen sich die einzelnen Phasen der Herzaktion
genau bestinjmen lassen, stellte er fest, dass die Anspannungszeit bei Er¬
wachsenen durchschnittlich ®/iüo Sekunden betrug, dass bei kürzeren Herz-
revoliitioncn die Anspannungszeit gegenüber den längeren Herzrevolutionen
nicht verkürzt, dass bei Tachykardien ohne Herzerweiterung sogar deutliche
Verlängerung zu beobachten war. Bei Hypertensionen wurde Verlängerung
der Anspannungszeit nur in der Minderzahl der Fälle gesehen. Bei Mitral¬
insuffizienzen und -Stenosen und bei Aortenstenosen w'urde oft verlängerte
Anspannimgszeit, bei Aorteninsuffizienz fast immer verkürzte Anspannungszeit
gefunden. Die Anspannungszeit des extrasystolischen Hcrzschlag$ war ver¬
kürzt, w'cnn die Kontraktion in die Entspannungszeit, verlängert, wenn sie in
die Austreibungszeit fiel. Bei Zuständen von Herzschwäche, die mit Dila¬
tation cinherging. war meist verkürzte Anspannungszeit vorhanden.
• Die Austreibungszeit zeigte eine viel deutlichere Abhängigkeit von d«r
Dauer der Herzrevolution, als man im allgemeinen denkt. Sie betrug bei
Erwachsenen mit normaler Pulsfrequenz im allgemeinen ^/loo Sek. und
schwankte zwischen bei Tachykardien und ®^’®/ioo Sek. bei starker Puls¬
verlangsamung im A d a m s - S t 0 k e s sehen Anfall. Aorteninsuffizienzen
höheren Grades wiesen immer Verlängerung der Au.streibunRszejt auf.
Bei Hypertension war normale Dauer der Anspannungszeit vorhanden.
Bei gebrechlichen Greisen war, einerlei ob Blutdruckerhöhung vorhanden
war oder fehlte, fast regelmässig eine beträchtliche Verlängerung der An-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
224
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 7.
spannung.s-, der Austreibungs- und der Entspannungszeit vorhanden, die sich
wohl nur durch einen langsameren Ablauf der Herztätigkeit infolge Altcrs-
veräiidcrungen des Herzens erklären lässt.
Die Entspannungszeit betrug bei Erwachsenen durchschnittlich ‘‘/loo Sek.,
bei Kindern diirchscnnittlich ’/ioo Sek., sie war im allgemeinen bei schnellerer
Herzaktion kürzer als bei langsamer und zeigte im übrigen ziemlich grosse
Schwankungen.
Die Antüllungszeit zeigte starke Abhängigkeit von der Dauer der Herz-
revolution, ihre Dauer betrug bei normalen Fällen fast die Hälfte, bei einigen
Tachyieardien aber nur \'h der Uesamtdauer der Herzrevolution, was eine
mangelhafte Anfüllung des Herzens bedingen muss.
Die Tatsache, dass bei Herzerweiterung die Anspannungszeit des Her¬
zens oft verkürzt ist, spricht dafür, dass in der Herzerweiterung ein die
Herztätigkeit günstig beeinflussendes Moment liegt. Auch Ergebnisse anderer
Autoren haben das g 2 lehrt.
Die Frage ist nur, ob das Herz um so günstiger arbeitet, je stärker es
erweitert ist, oder ob eine über ein gewissen Mass hinausgehende Herz¬
erweiterung schädlich ist. Der Ansicht Franks, dass aus dem Vergleich
der Tätigkeit der Herzmuskeln mit der Ueberlastimgszuckung des Skelctt-
muskcls zu schliesscn sei, dass mit zunehmender Herzerweiterung das Herz
immer günstiger arbeite, wird entgegengetreten, unter Anführung der Tat¬
sache, die sich leicht mathematisch darlegen lässt (näheres s. D. Arch. f.
klin. M. Bd. 131 1919), dass mit zunehmender Erweiterung zur Erzielung des
gleichen Schlagvoluinens bei gleichbleibcndem Widerstund (Aortendruck) die
Muskelfasern des Herzens sich immer weniger stark verkürzen und dafür
eine immer grössere Kraft aufwenden müssen. Es muss bei einer mittleren
Kraft, wie sie bei einer mittleren Herzerweiterung aufzuwenden ist, die ge¬
leistete Arbeit, das Produkt aus Kraft und Muskelverkürzung am grössten
sein, wie das auch bei der Skelettmiiskulatur der Fall ist. Selbst wenn
die bei immer grösserer Herzerweiterung zunehmende Anfangsspannung einen
zunehmend günstigen Einfluss ausübt, wörd dieser Einfluss durch die un¬
günstige Verteilung von Kraft und Muskelverkürzung bei sehr grosser Herz¬
erweiterung überkompensiert werden müssen.
Nicht nur beim Herzen, sondern auch bei den anderen Hohlorganen gilt
dasselbe, dass bei einer mittleren Füllung die Bedingungen zur Entleerung
günstiger sind, als bei einer kleinen und einer zu grossen. Deshalb die
häufige Unfähigkeit der'Blase (Residualliarn) und des Magens, sich gegen
einen Widerstand völlig zu entleeren, und anderseits die Uniahigkeit Oicser
Organe, besonders der Blase, bei zu grosser Ausdehnung sich zu kontra¬
hieren.
Die Tatsaclie, dass eine sehr grosse Herzdilatation das Herz unter un¬
günstige Bedingungen setzt, ermutigt den Vortragenden zu dem Vorschlag,
bei akuten Fällen von Herzdilatation mit unmittelbarer üefahr des Todes
eine Punktion der Herzhöhlen und Ablass der schädlich wirkenden Blutmenge
zu versuchen. Der Eingriff an sich kann wöc die in letzter Zeit so häufig
vorgenommenen intrakardialen Injektionen nicht gefährlich sein. Beide Ein¬
griffe können miteinander verbunden werden, d. h. an die Entleerung eine
Einspritzung angeschlossen werden. Zu versuchen wäre die Punktion des
linken Ventrikels vor allem auch bei der kardialen Form des Lungenödems.
Diskussion: Herr A. Mayer: Die zuletzt noch erw.iii: ic \ •'Tlke-
punktion habe ich auf Vorschlag von Herrn W e i t z bei einem Fall von
kardialem Lungenödem gemacht. Die Situation war ganz desolat, dazu war
die Punktion leider technisch auch nicht ganz richtig. Sie hat also nichts
genützt und konnte nichts nützen. Daher kann der Misserfolg keinesfalls
gegen das Verfahren angeführt werden. Wenn ich dennoch auf diesen Fall
hinweise, so geschieht es gerade um für die Methode einzutreten resp. um
mich gegen ihre etwaige Ablehnung aus mehr menschlichen Gründen zu
wenden. Es ist etw^as Neues und uns bisher etw'as ganz Ungewohntes, einen
lebenden Menschen mit einer langen Nadel ins Herz stechen zu sollen und
dabei zu hoffen, ihm mit diesem sonst so gefürchteten Stich noch zu nützen.
Ich denke daher, dass mancher von Ihnen dabei ein gew’isses inneres Wider¬
streben empfindet. Es ging mir zunächst ebenso. Von dem, der die Sache
zum erstenmal macht, wird auch eine gewisse Entschlusskraft gefordert, das
will ich zugeben. Aber diese müssen w'ir Operateure ja jeden Tag auf¬
bringen. Dazu sind uns von Narkosezufällen her Injektionen in den Herz¬
muskel nicht unbekannt; ich habe selbst einen sehr gutey Erfolg davon ge¬
sehen. Vom intramuskulären Herzstich bis zum intraventrikulären ist es aber
nur noch ein kleiner Schritt.
Ich gebe auch zu, es ist nicht gerade ein sympathischer Anblick, an dem
Ausschlag der Nadel die Bewegungen des angestochenen Herzens zu sehen.
Aber auch hier haben wir eine Vorschule, seitdem w’ir nach dem Vor¬
schlag von Herrn Vogt (D.m.W. 1919 Nr. 32) bei scheintoten Neugeborenen
intrakardiale Adrenalininjcktionen machen. Dort sehen wir diese Pulsationen
regelmässig an der eingestochenen Nadel. Es ist also auch hier nur noch der
Schritt vom Neugeborenen zum Erwachsenen zu tun.
Alles in allem also meine ich, sollten wir uns durch diese Dinge nicht
bestimmen lassen, diese theoretisch durchaus gut begründete Methode prak¬
tisch deshalb nicht anzuwenden, weil sie uns ungew'öhnlich ist. Ich glaube
vielmehr, da sie nichts schadet, sollten wir uns im Gegenteil hüten, sie aus
mangelnder Entschlusskraft zu spät zu machen.
Aus den übrigen hochwissenschaftlichcn Ausführungen von Herrn W c i t z
möchte ich nur einen Punkt herausgreifen, der für uns Geburtshelfer praktisch
sehr wichtig ist, die Abklemmung der Aorta abdominalis. Sie führt nach den
Ausführungen von Herrn Weitz zu einer Zunahme der Ventrikelfüllung;
die Ventrikelfüllung beeinflusst Austreibungszeit und Anspannungszeit, grosse
Ventrikclfüllung verlangsamt die Austreibung. Von der Abklemmung der
Aorta abdominalis machen wir Geburtshelfer oft Gebrauch, w'enn wir ge¬
burtshilfliche Blutungen mit dem Momburgschlauch oder einer anderen gleich¬
sinnigen Methode behandeln. Diese Methoden wurden seinerzeit von den
(ieburtshelfern mit grosser Begeisterung aufgenommen. Ich hatte von Anfang
an zur Vorsicht gemahnt, einesteils weil ich tierexperimentell Nierenschädi-
gungen sah, vor allem aber, weil ich beim Anlegen des Schlauches und bei
der Wiederabnahme des Schlauches ganz bedenkliche Kollapse beobachtete.
Wir w'enden seitdem den Momburgschlauch nicht mehr an. bei den meisten
anderen Geburtshelfern aber steht er heute noch in Ansehen. Die Sache ist
also für uns von enormer praktischer Bedeutung. Ich möchte daher Herrn
Weitz fragen, ob er nach seinen Untersuchungen den Momburgschlauch
für unbedenklich hält, oder ob er meint, dass es. für eine etwaige Gefahr
auf den vorher schon bestehenden Zustand des Herzens ankommt. oder auf
die vorhandene Blutmenge, d. h. auf den Grad des vorausgegangenen Blut-
verliwtes. Freilich muss ich noch erwähnen, dass wir eine reine Aortakom-
Digitized by Google
pression nicht machen, sondern gleichzeitig dabei aucii die \ ena cava ver¬
logen.
Herr Pqrisius: Greifreflex bei Hirntumor. (Erscheint ausführlich in
der D. Zschrl f. Nervenklk.)
Bei einer 47 jährigen Frau mit einem mächtigen Endotheliom der Dura
mater, ausgehend von der Konvexität am rechten Scheitellappen, wurde bei
Bestreichen der Vola manus ein Qreifphänomen beobachtet Die Hand schloss
sich auf den sensiblen Reiz hin rein reflektorisch und liess den ergriffenen
Gegenstand nicht mehr los. Spontan war dagegen Faustschluss weder auf
Aufforderung noch als Nachahmung möglich. Das gleiche Phänomen wird
normalerweise bei jungen Säuglingen beobachtet. Im späteren Lebensalter
fand es sich nur bei 2 Fällen, die J a n i s c h e w s k y in der Revue neuro-
logique 1914 veröffentlicht, ln einem Fall handelte es sich um Paralysis
agitans, im anderen mit grösster Wahrscheinlichkeit um Hirntumor. In
Analogie zu ähnlichen Reflexbewegungen, die im Säuglingsalter normaler¬
weise, im späteren Leben nur bei schweren pathologischen Veränderungen
(Pseudobulbärparalyse, Diplegia spastica infantum, epileptisches Koma) be¬
obachtet werden (O p p e n h e i m scher Fressreflex, Moros Umklamme-
rung.sreflex und ähnliche) wird an die Möglichkeit gedacht, dass im Thalamus
opticus das Reflcxzentrum des Greifrcflexes liegt und der motorischen Rin¬
denregion hemmende Einflüsse zufallen. Hiernach wäre es möglich aus dem
Auftreten des Reflexes lokalisatorische Schlüsse zu machen. Es müssten
kortiko-tlialamische Bahnen zerstört sein.
Würzburger Aerzteabend.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Januar 1921.
Herr König: Fortbildungsvortrag über Appendizitis. (Mit Demon¬
stration von Präparaten und Vorstellung von Kranken.)
Neuere Erfahrungen, sowie die Stellungnahme in Literatur und modernen
Lehrbüchern lassen cs angebracht erscheinen, den Stand der Apper.dizitisfragc
wieder einmal zu revidieren. Wieweit haben Riedels Forderungen, mit
der von ihm erreichten höchsten Heilungsziffer der Appendizitis gesiegt?
K. geht auf Fragen der Aetiologic und Diagnoscnstellung näher ein.
bevor er die Therapie bespricht. Für ihn ist mit der sicheren
Diagnose Appendizitis auch die Indikation zur Opera¬
tion gegeben — cs gibt nur ganz wenig Ausnahmen davon. Und
diese Operation hat sofort ein zusetzen — das Verschieben
ins Intervall ist als veraltet und unberechtigt abzuweisen.
K. begründet seinen Standpunkt sowohl für die leichteren Fälle., wie
für die hingezögerten Fälle von App. destructiva, den intraperitonealen
Abszess; in allen Fällen soll sofort operiert werden.
Wir sind von diesem Ideal noch weit entfernt. Von 212 daraufhin
untersuchten akuten Appendizitiden ergab die Berechnung, dass sie durch¬
schnittlich erst 3*,3 Tage nach Anfang der Erkrankung zur Operation
geschickt wurden; im einzelnen waren hei den Fällen mit App. Simplex
und destructiva, d. h. Phlegmone, (jangrän etc. ebenso wie bei denen
mit Peritonitis 3 Tage, bei denen mit Abszess aber 5 Tage verflossen.
Gerade beim Abszess wird vielfach ein abwartendes Verfahren bevorzugt,
was gerade durch die Stellung der Lehrbücher Nahrung findet.
Im Einzelnen begründet K. seinen Rat, auch den Abszess in jedem
Stadium zur sofortigen Operation zu senden. Seit 1901 operiert er den
Abszess durch die freie Bauchhöhle hindurch. Nur so werden auch mehr¬
fache Abszesse erkannt. Unter seinen hierhergehörigen Fällen aus der
obengenannten Zahl, gegen 50, ist nur 1 gestorben, und zwar nach l Monat,
weil die auf Grund alter Schwielen eingetretene Eiterung nicht zum Still¬
stand kam. Alle anderen sind geheilt. Der Grund, man müsse diese Fälle,
des Tumors, des Abszesses, abwartend behandeln, die Furcht, bei der
Operation könne die freie Bauchhöhle infiziert w^erden, ist nicht stichhaltig.
Das Ideal ist auch hier: möglichst rasch zur Operation.
Die Erfolge bei der diffusen Peritonitis sind schlechter; von 28 Fällen
sind 14 50 Proz. gestorben. Zum Teil ist die zu späte lEinlieferung
— Durchschnitt 3 Tage! — daran schuld, z. T. komplizierende Erkrankungen
— Pneumonie! Zwei Fälle fallen technischem Vorgehen zur Last. Die
neueren Bestrebungen, die Bauchhöhle nach Entfernung des erkrankteii
Wurms und Ausspülen der Bauchhöhle auch bei schweren Fällen zu schliesscn.
können ebenso verhängnisvoll werden, wie die komplizierten Bauchwand-
schnittc bei gangränösen Formen. Hier entsteht Muskel- und Fasziengangrän,
dort Neuinfektion der Bauchhöhle von Infektionsresten.
Die Gesamtmortalität von 7,5 Proz. stimmt zwar auch mit neueren
Mtteilungen, z. B. von K r e c k e, überein. Sie ist aber unbefriedigend und
muss bedeutend besser werden. Vor allem darf beim Arzt kein Schwanken
bestehen über die Auffassung, dasseine einmal erkannte Appen¬
dizitis die sofortige Operation erfordert, je früher umso
besser; dass aber auch, wenn er zu einem Appendizitisanfall gerufen wird,
dessen Beginn länger wie 48 Stunden und mehr zurOckliegt, diese Tat¬
sache allein keinen Grund abgibt, von der baldigen
Operation abzuweichen.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 28. Januar 1921.
Herr E. Wessely demonstriert einen Beleuchtungsapparat, der es ge¬
stattet. den Larynx und das Trommelfell stereoskopisch mit beiden Augen zu
beobachten.
Das von einer zwischen den Augen des Beobachters angebrachten
Lampe kommende Licht beleuchtet das zu beobachtende Objekt in seiner
ganzen Zugänglichkeit und die von dem Objekt ausgehenden Strahlen werden
durch eine geeignete Optik so geführt, dass sie in die beiden Augen des Be¬
obachters fallen, wodurch ein stereoskopisches Bild entsteht. Alle Teile des
Apparates sind exakt sterilisierbar.
Herr Mart. H a u d e k berichtet über die merkwfirdigeii Schicksale einer
im Oesophagus steckengebliebenen Sldierheitsnadel.
Eine 25 jährige Frau hatte vor einer Woche eine offene Sicherheitsnadel
geschluckt und verspürte seither Schmerzen beim Schlucken und konnte nur
Original frorri ß
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
I
18 . Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
225
fein gekaute Speisen schlucken. Die Durchleuchtung im 1. schrägen Durch¬
messer ergab, dass die Nadel offen war und dass bei dem Schluckvorgange
die Spitze der Fixpunkt der Drehung war. Vortr. verwendete ein Verfahren,
das er schon früher mit Erfolg angewendet hat. Er liess die Patientin eine
mit Baryumsulfat gefüllte Kapsel schlucken, was nach einigen psychisch be¬
dingten Schwierigkeiten gelang, und dann eine Suspension von Baryumsulfat
in Wasser trinken. Tatsächlich wurde die Nadel in den Magen mitge¬
schwemmt. Patientin ass Kartoffeln, Kraut etc. in grosser Menge, um die
Nadel gefahrlos per vias naturales zum Abgänge zu bringen, erbrach aber und
die Nadel steckte wieder in der Wand des Oesophagus. Das Verfahren mit
der Kapsel gelang auch diesmal prompt; doch die Nadel ging nun bei der
Patientin, bei der H a b e r e r vor 2 Jahren eine Gastroenterostomie ge¬
macht hatte, in den Anfangsteil des Duodenums hinein, wurde aber nach
einigen Tagen wieder im Oesophagus gefunden. Das Kapselverfahren be¬
förderte auch diesmal die Nadel in den Magen und nun wurde die Nadel von
Herrn Friedländer durch Operation entfernt.
Der Fall ist interessant, weil das Zirkulieren der Nadel ein Novum ist,
ferner weil die Behandlung eines Oesophagus-Fremdkörpers vor dem Röntgen¬
schirm demonstriert wurde und weil die Nadel die offenstehende Kardia
passierte.
Herr M. Oppenheim: Schnelikur bei Skables. (Modifikation der
H a r d y sehen Methode.) K.
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Notizen.
lieber eine neue, durch Filaria bedingte Hautkrank¬
heit (Scabies filariensis) berichten Montpellier und L a -
croix (Presse mödicale 1920 Nr. 62). Dieselbe kommt ausschliesslich bei
Schwarzen vor und wird verursacht durch die in die Haut eindringenden
Embryonen von Onchocerca volvulus. Sie befällt Rumpf, Extremitäten, beson¬
ders deren Aussenfläche, im Gesicht die Parotisgegend, Hals und Nacken;
sonst sind Gesicht, behaarter Kopf, Geschlechtsteile, die Zwischenfinger¬
raume, die Innenfläche der Hände und die Fusssohlen davon verschont. An
der Oberfläche der lederartig veränderten Haut finden sich zahlreiche Papeln
verschiedenster Grösse (Miliaria bis zu Fünfzigpfennigstückgrösse), die hef¬
tiges Juckgefühlt auslösen. Eine Verwechslung mit S k a b i e s ist sehr wohl
möglich; diese hat aber meist eine andere Lokalisation und die antiska-
biösen Mittel sind absolut wirkungslos gegen die Filariadermatose. Ber
derselben findet man die Embryonen von Onchocerca volvulus in den ober¬
flächlichen Hautschichten, und zwar im Bindegewebe, völlig ausserhalb des
Gefässnetzes; sie sind um so zahlreicher, je weniger entzündliche Reaktion
von seiten der Haut vorhanden ist, sind ungefähr 8 u breit und 400 lang.
Diese Embryonen, die man nicht im Blute findet, gelangen durch die
Lyraphwege von Drüsen, die konstant, besonders in der Leistengegend, ver-
grössert und hart sind, und von subkutanen fibrösen Zysten, deren Träger
diese Patienten sind, in die Haut. In diesen Zysten leben Männchen und
Weibchen einer von L e u c k a r t 1892 beschriebenen, einige Zentimeter langen
Nematode (Filaria), welche den Namen Onchocerca volvulus hat. lieber die
Art der Uebertragung dieses Parasiten, der auch als Erreger der Elephantiasis
gilt, können Verfasser keine bestimmten Angaben machen. Ebensowenig war
in den etwa 30 beobachteten Fällen die Therapie irgendwie von Erfolg, ob¬
wohl verschiedene Mittel, wie die gegen Skabies, Arsenobenzol u. a. m. an¬
gewandt worden sind. Weitere Versuche werden in dieser Beziehung, wie
bezüglich der Aetiologie noch am bakteriologischen und klinischen Institut
von Algier ausgeführt. St.
Asthma und Appendizitis bespricht Renö A. G u t m a n n als
eine der vielen Arten von reflektorischem Asthma (Presse mödicale 1920
Nr. 80) und zwar im Anschluss an einen Fall von chronischer Appendizitis,
wo Druck auf den Wurmfortsatz einen Asthmaanfal! auslöste, die Kranke
operiert und auch von ihrem Asthma geheilt wufde. Diese Fälle von Asthma
liönnen ganz plötzlich bei vorher gesunden Leuten (Erwachsenen) ausbrechen
und in jedem Falle, wo Asthma im späteren Alter auftritt, muss man bei
der Diagnose einer solchen essentiellen Form vorsichtig sein. Wenn fernerhin
die Palpation der Fossa iliaca oder der rechten Beckengegend eine schmerz¬
hafte Stelle ergibt, sollte stets die radioskopische Untersuchung zur Sicherung
der Diagnose angeschlossen werden. Vervollständigt oder gesichert wird
dieselbe noch durch das Auslösen von wirklichen Asthmaanfällen bei Betastung
des Wurmfortsatzes, wie es Delageni^re mit experimenteller Genauig¬
keit in einem unter 3 Fällen erlebte, wo der Anfall in dem Augenblicke,
wo der Chirurg den Wurmfortsatz mit der Pinzette fasste, auftrat. Was die
Pathogenese dieses Zusammenhangs betrifft, so scheint sie vor allem
mit einer Affektion oder Reizbarkeit des Pneumogastricus zusammenzuhängen,
der die Atemtätigkeit reguliert und bei einer peripheren Störung seiner Ver¬
zweigungen (Lunge, Darm, Wurmfortsatz) entweder vorübergehend oder
immer wiederkehrend (konititutionell) die Ursache zu wirklichem Asthma
abgeben kann. Diese Form Asthma nähert sich also der durch Dyspepsie
ö.a.m. hervorgerufenen. Eine radikale Behandlung muss also in Entfernung
der als ursprünglich erkannten Ursache bestehen und G. hält es beim
Appendizitisasthma für besonders wichtig, durch ergiebige Inzision die
erkrankten Teile möglichst radikal zu entfernen. St.
Das M a g e n k a r z i n 0 m und dessen chirurgische Be¬
handlung besprechen Viktor P a u c h e t und Maurice D e 1 o r t (Presse
m^dlcale 1920 Nr. 81). Das Magenkarzinom bildet die Hälfte der Krebs¬
fälle der Verdauungsorgane und ein Drittel aller Krebsfälle, Yk der Magen¬
krebse entwickeln sich auf einem alten Ulcus, das in der Mehrzahl nicht
erkannt wird. Auf ein Magengeschwür muss man Verdacht haben, wenn
hartnäckige, langdauernde Dyspepsie vorhanden oder eine solche mit fixen
Schmerzgefühlen verbunden ist; in allen verdächtigen Fällen muss man
chemische Untersuchung des Magensaftes und röntgenologische vornehmen.
Es ist fast unmöglich, das frische, medikamentös heilbare vom chronischen,
•unheilbaren Geschwür zu unterscheiden. Kurz die klassische, mit Schmerzen,
Erbrechen und Blutungen verbundene Form ist viel seltener wie die latente,
schwer zu erkennende. Jedes chronische Geschwür muss operiert werden,
3 Verfasser gehen so weit, zu erklären, dass jedes mit Symptomen ver¬
bundene Geschwür bei Individuen von 40 Jahren und darüber sofort
{
operiert werden muss, ohne mit einer medikamentösen Behandlung Zeit
zu verlieren. Die einzelnen Abschnitte der Operation sind genau beschrieben,
aber wohl nur mittelst der beigcfüglen (l.A) sehr anschaulichen Abbildungen
verständlich. St.
Ueber Aneurysmen dei Aorta, ihre Häufigkeit,
Aetiologie und Verlauf berichtet Alfred M a r t i n e t, der Gelegen¬
heit hatte, 29 Fälle, die auch durch das Röntgenbild bestätigt wurden, zu beob¬
achten. Das Alter der Patienten schwankte zwischen 18 und 80 Jahren, nur 4
betrafen Frauen, so dass man rechnen muss, die Männer seien viermal so
häufig vom Aneurysma befallen, wie die Frauen, Die Prognose ist zwar eine
sehr ernste, aber immerhin kann man mit der Möglichkeit langer Lebensdauer
und einer zuweilen beträchtlichen Lebensfähigkeit rechnen. Die Syphilis
scheint die bei weitem häufigste Ursache des Aortenaneurysmas zu sein. Eine
intensive Behandlung der Syphilis ist wahrscheinlich die wirksamste pro¬
phylaktische Behandlung der Aneurysmen. Syphilis zusammen mit Alkoholis¬
mus ist besonders gefährlich. Die Aneurysmakranken sterben zur Hälfte, wie
alle Herzkranken, an durch Asystolo-Asphyxie bedingten Kachexie, zur anderen
Hälfte an plötzlich auftretender foudroyantcr Gehirnblutung oder -erguss,
(Presse mödicale 1920 Nr. 75.) St.
Mit Hyperparotidie bezeichnet D a 1 c h ö ein Krankheitsbild, das
in keine Klasse der wohlausgeprägten Entzündungen der Parotis einzureihen
ist, in einer plötzlich auftretenden Vergrösserung der Ohrspeicheldrüse be¬
steht und besonders bei Frauen zur Zeit der Menopause, aber auch während
einer Schwangerschaft beobachtet wird. Diese Schwellung der Ohr.speichel-
drüse, mit dem Aufhören der Menses zusamraenfallend, kann nur kurze
Zeit anhaltcn, aber alle 4 Wochen oder 2 Monate sich immer wieder ein¬
stellen oder auch länger bestehen bleiben und zwar dann gleichzeitig mit
Basedow-artiger Vergrösserung der Schilddrüse. Zweifellos besteht irgend
ein Zusammenhang zwischen der Ohrspeicheldrüse, den Geschlechtsdrüsen
und auch den anderen Drüsen mit sog. innerer Absonderung. Die Hyper¬
trophie der Parotis ist in der Regel eine doppelseitige, mehr weniger die
ganze Drüse oder nur einzelne Lappen betreffend, die Palpation meist un¬
empfindlich, Kaubeschwerden selten vorhanden; von anderen Speicheldrüsen
können die submaxillären befallen sein. Die Speichelabsonderung ist selten
verringert, meist sogar erhöht oder bleibt normal. Differentialdiagnostisch
kommen ausser dem Mumps die Fälle akuter Entzündung der Ohrspeichel¬
drüse bei Typhus, Erysipel. Scharlach, Pneumonie usw., die toxischen Ent¬
zündungen (durch Quecksilber, Jod, Blei), bei Urämie, Aktinomykose u.a.m.
in Betracht, sind aber leicht durch das Fehlen jeglicher Entzündungserschei¬
nung auseinanderzuhalten. Prognostisch lässt sich nicht viel sagen: meist
hat die Affektion zu Beginn progressiven Charakter und bleibt dann stationär,
seltener verschwindet sie nach raschem Verlauf ebenso rasch wieder. Bei
der Behandlung weist die Natur des Leidens auf die Opotherapie hin
(mit Schilddrüsen- oder Ovariensubstanz), aber auch Radiotherapie erscheint
sehr angezeigt und bei Verdacht auf Syphilis entsprechende Behandlung.
Auch beim Manne sollen solche Fälle von Ohrspeicheldrüsenvergrösserung
Vorkommen und zwar meist bei ungenügender Entwicklung der Geschlechts¬
organe und mit oder ohne Veränderung anderer Drüsen mit innerer Ab¬
sonderung. (Presse mödicale 1920 Nr. 80.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 16. Februar 1921.
— Den zahlteichen Kundgebungen im Reiche gegen das Pariser Diktat
ist auch der Aerztliche Verein München mit folgender einstimmig
gefassten Entschliessung gefolgt. „Die im Aerztlichen Verein in
München zur Pflege der Heilkunst zusammengeschlossenen Aerzte be¬
schwören die Reichsregierung, die Forderungen der
Feinde abzulehnen und fest zu bleiben. Selbst die schlimmsten
Zwangsmassregeln, welche zügellose Rachgier der Feinde ersinnen könnte,
wären weniger grausam als der Jammer, der uns erwartet, wenn wir
die mit List erdachten, unausführbaren Bedingungen annehmen wollten:
Hoffnungslose Sklavennot, Elend und Hunger würden nach Entwaffnung der
ordnungsliebenden Elemente zur Auflösung jeder Zucht und Ordnung, zum
Krieg aller gegen alle, zur qualvollen, langsamen Vernichtung unseres Volkes
führen. Lieber mögen die Feinde versuchen, ob ihnen die Macht gegeben
sei. uns zur Erfüllung unmöglicher Leistungen zu zwingen und uns zu
ihren Knechten zu machen. Wir wollen nicht freiwillig in die Knecht¬
schaft gehen,"
— Das Ergebnis der ärztlichen Prüfungen in Bayern im
Prüfungsjahr 1919/20 war an den drei Landesuniversitäten folgendes: Zuge¬
lassen waren im ganzen 896 Kandidaten der Medizin gegen 351 im Vor¬
jahre, und zwar in München 453 gegen 209, in Würzburg 270 gegen 77 und
in Erlangen 173 gegen 65; davon haben bestanden mit der Zensur sehr gut
in München 71 gegen 15 im Vorjahre, in Würzburg 76 gegen 26 und in
Erlangen 54 gegen 19. mit der Zensur gut in München 304 gegen 162, in
Würzburg 160 gegen 29 und in Erlangen 106 gegen 42, mit der Zensur
genügend in München 30 gegen 12, in Würzburg 13 gegen 6 und in Er¬
langen 10 gegen 4. Nicht bestanden bzw. zurückgetreten sind 48 Kandidaten
in München gegen 20, 21 in Würzburg gegen 16 und 3 in Erlangen gegen 0
Die Approbation als Arzt haben erhalten 329 Kandidaten der Medizin in
München gegen 178 im Vorjahre, 190 in Würzburg gegen 57 und 150 in Er¬
langen gegen 55.
— In Dresden wurde am 5. II. 21 ein R e i c h s a u s s c h u s s für
hygienische Volksbelehrung gebildet. Der Vorstand besteht aus
dem sächsischen Minister des Innern als dem Vorsitzenden des Verwaltungs¬
rates der Lingner-Stiftung, dem Ministerialdirektor Geh. Rat Dr. v. P f 1 u g k
als dem Vorsitzenden des Sächsischen Landesausschusses, dem Ministerial¬
direktor Dr, Hamei als Vertreter des Reichsministeriums des Innern, dem
Ministerialdirektor Prof." Dr. G o 11 s t e i n als dem Vorsitzenden des preussi-
schen Landesausschusses, Prof. Dr. Philaletes Kuhn als Vertreter des
Deutschen Hygienemuseums, dem Vorsitzenden des Deutschen Aerztevereins-
bundes und dem Generalsekretär Dr. N e u s t ä 11 e r.
^ — Der Reichsarbeitsminister hat auf eine Anfrage an die Regierung, ob
eine Aenderung der Reichsversicherungsordnung in der
Richtung beabsichtigt sei, dass die Krankenkassen ermächtigt werden, Aerzte
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
226
MÜNCHENER MEDIZINISCHI: WOCHENSCHRIFT.
Nr. 7.
von der Kassentätigkeit auszuschliessen, geantwortet, dass das dem Reichsrat
vorliegende Abänderungsgesetz das Verhältnis zwischen Aerzten und Kassen
nicht grundsätzlich neu ordne. Das Schreiben stellt eine solche Regelung
jedoch für später etwa in Form obligatorischer Schiedsinstanzen auf gesetz¬
licher Grundlage in Aussicht und sichert beiden Parteien die Gelegenheit zur
ausgiebigen Darlegung ihrer Standpunkte vor dieser endgültigen Regelung zu.
— Der Krankenkassenverband des Landkreises Insterburg sucht
ärztliche Nothelfer für die 10 000 Mitglieder seiner beiden Krankenkassen.
Cs ist zu erwarten, dass kein deutscher Arzt sich durch die Anzeigen des
Kassenverbandes bewegen lassen wird, der Organisation in den Rücken
zu fallen.
— Der Verkehr mit S ü s s s t o f f ist mit Erlass vom 25. November
V. J, beschränkt freigegeben worden. Die beiden Süssstoff herstellenden
Fabriken, vorm. Fahlberg, List & Co., Magdeburg und Chem. Fabrik
V. Heyden, Dresden-Radebeul haben unter der Firma „Deutsche Süssstoff-
Gesellschaft“ ni. b. H. Berlin ein Verkaufsbureau errichtet, das den Verkauf
inzwischen aufgenommen hat. Geliefert werden, Hauspackungen mit iK g
75 proz. Kristallsüssstoff (Preis 75 Pf.) und Grossverbraucher-Packungen mit
je 500 Tabletten 20 proz. Süssstoff (Preis M. 5.55).
— Man schreibt uns aus Graz: Das Land Steiermark hat auf der
Stolzenalpe bei Murau (Fernbahnstrecke Wien-Villach, Zweigbahn
Unzmarkt-Murau) 1200 m über dem Meere eine Sonnenheilstätte eröffnet.
Für die Wahl des Ortes war bestimmend seine ausgezeichnete klimatische
Lage (siehe Dr. Klein: Höhensonne in den Ostalpen. W.kl.W.
1912 Nr. 21). Die bisherige Anlage reicht aus für die Unterbringung von rund
50 Kindern. Eine Erweiterung erscheint leicht möglich, da der Eigenbesitz
des Landes 128 ha beträgt. Aerztliche Oberleitung Prof. Dr. A. W i 11 e k.
Graz. Schriftliche Anfragen sind zu richten an die Geschäftsstelle
für Heilstätten, Graz, Landhaus (Schmiedgasse), 3. Stock.
— Die Dozentenvereinigun" für ärztliche Ferien¬
kurse in Berlin hat ihre Lehrtätigkeit in erweitertem Umfange wieder
aufgenoramen. Sie wirc^ in den Monaten März bis Oktober Ferienkurse.
Monatskurse. Abendkurse und Gruppenkurse veranstalten, über die im An¬
zeigenteil Seite 6 der vorliegenden Nummer Näheres mitgeteilt ist.
— Der nächste Kurs für Röntgentechnik im Frankfurter
Universitätsinstitut für physikalische Grundlagen der Medizin (für Aerzte
und Physiker, Zulassung von Pflegepersonal nur auf besonderen Antrag) be¬
ginnt am 7. März 1921. Dauer 14 Tage. Prospekte durch das Sekretariat
des Instituts für physikalische Grundlagen der Medizin, Frankfurt a. M.,
Theodor Stern-Haus, Weigertstrasse 3.
— Die diesjährige ordentliche Tagung der Gesellschaft für Kin¬
derheilkunde findet am 12. und 13. Mai in Jena statt. Als Referate
sind in Aussicht genommen: „Die Uebertragung ansteckender Krankheiten“
(Ref.: V. S z 0 n t a g h-Pest und Kleinschmid t-Hamburg) und „Enterale
Infektion bei Säuglingen“ (Ref.: B e s s a u - Marburg und M o r o - Heidel¬
berg). — Anmeldungen zur Teilnahme im Interesse guter Unterbringung bis
spätestens 10. März nur an Herrn Dr. G o e b e 1, Universitäts-Kinderklinik
Jena, Meldung von Vorträgen, sowie Mitteilung von Wohnungsänderungen
der Mitglieder an den Schriftführer der Gesellschaft, Prof. Brüning-
Rostock, baldigst erbeten.
— „M edizinische Blätter für Ausländsdeutsche.
Monatsschrift für Gesundheitspflege und hygienische Technik“ ist der Titel
einer als Organ des Verbandes deutscher Kolonial- und Auslandsärzte er¬
scheinenden, von Medizinalrat Prof. Dr. L. Külz herausgegebenen Zeit¬
schrift, .deren 1. Nummer soeben im Verlag von Fr.‘W. Thaden ausgegeben
wurde. Der Zweck der Zeitschrift ist, den Ausländsdeutschen und solchen,
die in Zukunft durch die Not der Heimat zur Arbeit auf fremder Scholle
gezwungen sein werden, ein Ratgeber zu sein in allen möglichen Fragen,
insbesondere auf dem Gebiete der Gesundheitspflege. Sie will ferner den
besonderen Interessen der im Verband deutscher Kolonial- und Auslands¬
ärzte zusammengeschlossenen Aerzte dienen und endlich Bahnbrecher werden
für den Wiederaufbau der Achtung, vor dem Deutschtum und seinen Lei¬
stungen im Auslande. Der reiche Inhalt des ersten Heftes zeigt, dass eine
erfolgreiche Förderung dieser Ziele von der neuen Zeitschrift zu erwarten
ist. Der Preis von 12 Mark für den Jahrgang von 12 starken Heften ist
ungewöhnlich niedrig.
— Pest. Türkei. Vom 1.—12. Dezember v. J. in Beirut 8 Pestfälle.
— Griechenland. Vom 23. Oktober bis 5. November v. J. in Athen 4, vom
23. Oktober bis 12. Dezember v. J. in Piräus 4 Erkrankungen. — Britisch-
Ostindien. Im Oktober v. J. 9125 Todesfälle, im November 5284. — Ceylon
Vom 19. September bis 25. Oktober v. J. 24 Erkrankungen in Colombo. —
Hongkong. Vom 10. September bis 16. Oktober v. J. 3 Erkrankungen und
3 Todesfälle — Aegypten. Vom 11. November bis 9. Dezember v. J.
wurden 17 Erkrankungen gemeldet. — Tunis. In Zarzis (Südtunis) wurde
eine Anzahl Pesterkrankungen mit 4 Todesfällen festgestellt. — Mexiko.
Vom 5.—11. Dezember v. J. 5 Erkrankungen und 3 Todesfälle.
— Cholera. Litauen. Laut Mitteilungen vom 27, u. 31. Januar ist das
Auftreten der Cholera in Litauen festgestellt worden; in Kowno wurden 12 Er-
krankun^^en und 4 Todesfälle ermittelt. — Polen. Laut Mitteilung vom 3. Fe¬
bruar sind in Kopnitz und Mariendorf (Kreis Bomst, frühere preussische
Provinz Posen) je 2 Cholcrafälle fcstgestellt worden. — Britisch-Ostindien.
Vom 10. Oktober bis 13. November v. J. 192 Erkrankungen (und 185 Todes¬
fälle) in Kalkutta, vom 16.—30. Oktober v. J. 3 (3) in Madras, in Burma
vom 10. Oktober bis 6. November v. J. 2 (2) in Rangun.
— In der 4. Jahreswoche, vom 23.—29. Januar 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Aachen
mit 18,3, die geringste Neukölln mit 8,2 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. Vöff. R.-G.-A.
Hochschulnachrichten.
Breslau. Dr, Otto B o s s e r t hat sich für Kinderheilkunde habilitiert.
Frankfurt a: M. Prof. Dr. med, et phil. Otto Schnitze hat einen
Lehrauftrag für Pädagogik bekommen. — Der Generaloberarzt a. D. Prof. Dr
Heinrich H e t s c h wurde zum planmässigen w'issenschaftlichen Mitglied des
Instituts für experimentelle Therapie ernannt, (hk.)
Halle. Für das Fach der Physiologie habilitierte sich in Halle Dr. med
et phil. Ernst G e 11 h o r n. Assistent am physiologischen Institut, mit einer
Schrift: „Physiologische und psychologische Untersuchungen über Uebung und
Ermüdung“, (hk.) ^
Heidelberg. Die Ueberfüllung des zahnärztlichen Instituts der
Universität zwingt dazu, den Lehrgang für konservierende Zahnheilkunde
VerUg von |. F. Lf hminii In Mflncbni S.W. J, Paul Heysestr 76. —
Digitized by Goiisle
für Kliniker und die Poliklink der Zahn- und Mundkrankheiten im Sommer¬
semester 1921 für Studierende zu sperren, die von anderen Universitäten m\
Sommersemester 1921 neu zuziehen. Ausgenommen von dieser Massnahme
bleiben die badischen Studierenden der Zahnheilkunde.- (hk.)
Köln. Im laufenden Wintersemester weist die Universität Köln
immatrikulierte Studierende auf, davon in der medizinischen Fakultät 535. (hk.)
Marburg. In der medizinischen Fakultät habilitierte sich Dr. Otto
M o o g mit einer Antrittsvorlesung über die „Bedeutung der RöntgenoVogl«
für die Herzdiagnostik“.
München Geheimrat Prof. Dr. Emil K r a e p e l i n, Direktor der
psychiatrischen Klinik, ist von der philosophischen Fakultät der UmvetsUät
Königsberg zum Ehrendoktor ernannt worden, (hk.)
W ü r z b u r g. Im physikal. Institut der Universität fand eine Feier
statt zum Gedächtnis des Tages, an dem vor 25 Jahren Geh. Rat Röntgen
in der Physikal.-Medizin. Gesellschaft die erste Mitteilung über die von ihm
entdeckten Strahlen machte. Geh. Rat K. B. Lehmann schilderte den
Verlauf der denkwürdigen Sitzung am 23. Januar 1896. Prof. Stark gab
eine Geschichte der Röntgenstrahlen.
Prag. Dr, Otto S i 11 i g, Assistent der psychiatrischen Klinik, wurde
als Privatdozent für Psychiatrie und Neurologie an der deutschen Univer¬
sität in Prag zugelassen, (hk.)
(Berich tigunge n.) In der Besprechung des Handbuches der path.
Protozoen von v. Prowazek (d. W, 1920 Nr. 53 S. 1525) bezieht sich die
Preisangabe auf den ganzen Band II, nicht, wie angenommen werden könnte,
auf die 7. Lieferung.
In der Arbeit des Dr. H a s e l h o r s t, Bilirubinbestimmung im Blute
(Nr. 6) ist aut S. 176, Sp, 1, Z. 7 v. o. zu lesen: „Meine Beobachtungen
über ihre Haltbarkeit er.strecken sich über 6 Monate“ (statt 6 Wochen)
Zu Nr. 5301 c 38. Abdruck.
Amtliches.
Leitsätze über Massnahmen zum Schutze der Krankenpflegepersonen gegen
Erkrankung an Tuberkulose.
(Angenommen in der Sitzung des Reichs-Gesundheitsrats am 30. April T920.)
1. Nach dem Ergebnis der angestellten statistischen Erhebungen war
beim Krankenpflegepersonal bis zum Jahre 1910 die Tuberkuloseerkrankungs¬
ziffer nicht besonders hoch. Mit einer Steigerung ist jedoch bei jeder allge¬
meinen Zunahme der Tuberkulose zu rechnen.
2. Die Gelegenheit zur Tuberkuloseübertragung auf das Pflegepersonal
wird wesentlich vermindert, wenn in den Krankenhäusern besondere Ab¬
teilungen für tuberkulöse Lungenkranke eingerichtet werden. Mindestens
sollten ansteckende Tuberkulöse gesondert von anderen Kranken unter¬
gebracht werden.
3. Personen, die nach Körperbau oder körperlicher Entwicklung als
weniger widerstandsfähig erscheinen oder die die Zeichen einer latenten
Tuberkulose erkennen lassen oder früher Tuberkulose der Drüsen, Knochen
Gelenke usw überstanden haben, eignen sich wegen ihrer besonderen Ge¬
fährdung, an Tuberkulose zu erkranken, nicht für den Krankenpflegeberuf.
Die Auswahl des Pflegepersonals für Tuberkuloseabteilungen und Lungen¬
heilstätten ist nach einer sorgfältigen ärztlichen Untersuchung zu treffen.
Während der Dauer der Beschäftigung ist das Personal mit Bezug auf seinen
Gesundheitszustand ständig ärztlich zu überwachen; insbesondere ist auch
das Körpergewicht regelmässig festzustellen.
4. Wird eine Pflegeperson von einer Krankheit befallen, durch die die
Empfänglichkeit für Lungentuberkulose erfahrungsgemäss sich erhöht, so ist
sie im Pflegedienst nicht eher wieder zu beschäftigen, als bis sie von der
Krankheit völlig wiederhergcstellt ist.
Bei verdächtigen Erscheinungen (Blutarmut, Rückgang des Körper¬
gewichts, leichten Erhöhungen der Körperwärme, Husten) ist das Pflege¬
personal von dem Krankenpflegedienst bei Tuberkulösen solange zu befreien,
bis eine sorgfältige ärztliche Untersuchung die volle Dienstfähigkeit festgestellt
hat. In Lungenheilstätten und ausnahmsweise auch in Sonderabteilungen für
Tuberkulöse dürfen Pilegepersonen, die mit nicht ansteckender Tuberkulose
behaftet sind, nach ärztlichem Ermessen beschäftigt werden.
5. Das Personal ist alsbald nach seinem Eintritt in die Krankenanstalt
über die Verbreitungswege der Tuberkulose zu belehren und fortlaufend so
zu erziehen, dass alle Massregeln gegen die Uebertragung von ihm beachtet
werden. Insbesondere ist dem Personal die Bedeutung der Tröpfcheninfektion
und der Einatmung von vertrocknetem und verstäubtem Lungenauswurf.
namentlich auch beim Ordnen der Lagerstätten und beim Handhaben der ge¬
brauchten Wäsche, ebenso die Bedeutung der Hände als Vermittler der Ueber¬
tragung einzuprägen. Auch ist das Personal auf die Wichtigkeit eines ver¬
ständigen und ordentlichen ^Lebenswandels hinzuweisen.
Die Kranken der Anstalt andererseits sind hygienisch zu erziehen und
in der fortlaufenden Desinfektion ihres Auswiirf^ zu unterrichten.
6. Auf Abwechslung und auf eiweiss- und fettreiche Kost für das Tuber-
kulosepflegepcrsonal ist Bedacht zu nehmen. Es ist ihm die Möglichkeit zu
geben, seine Mahlzeiten getrennt von den Kranken, womöglich in eigenen
Räumen, einzunehmen. Die Schlafräume für Pflegepersonen sollen nicht in
unmittelbarem Zusammenhang mit den Schlafräumen von Kranken stehen.
7. Alljährlich soll dem Tuberkulosepflegepersonal ein angemessener Ur¬
laub, dem ständigen Personal in der Dauer von mindestens 4 Wochen,
während der warmen Jahreszeit gewährt werden. Im übrigen ist für
Schaffung von Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien, auf sonnigen Plätzen, mit
Ruhegelegenheiten Sorge zu tragen.
8. In den Tuberkuloseabteilungen und in den Lungenheilstätten ist nur
ausgebildetes, mit den Vorbeugungsmassregeln gegen die Uebertragung der
Tuberkulose gut vertrautes Pflegepersonal zu verwenden.
Es ist in seiner Beschäftigung, wenn möglich, einem regelmässigen
Wechsel hinsichtlich der Krankenabteilung in nicht zu grossen Zeitabständen
zu unterwerfen.
9. Eine erhöhte Uebertragungsgefalir besteht auch in den unreinen und
in den Siechenabteilungen der Irrenanstalten. In diesen Abteilungen der
Irrenanstalten ist daher den Abwehrmassnahmen gegen Tuberkulose ganz
besondere Achtsamkeit zuzuwenden. Die Kranken, bei denen Tuberkulose
festgestellt ist, sind von den übrigen Kranken abzusondern.
Druck von C. Mfihlth«lcr*i Buch- und Kunttdruckerei A.O., M&ndi««.
Original frDrri '
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Prei> der einzelnen Nnmmer 2.— <M. • Bezagzoreis in Oentechlano
. • » und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Inzelgenuchlan immer 5 Arbeitatege eor Eruchetnea.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
fBr die Schriflleitu^: Amulfstr. 26 (Sprechstunden 8H—1 Uhr),
fir ^ug, Attzcigeo und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 8. 25. Februar 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lefamann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behJUt skh das anaadiBcstliche Recht der Vervielfiliigiiiig and VerbreHuog der in dieser Zdtadirift n
in Abdruck gelangenden Orfginalbeitrige vor.
Originalien.
\as dem Pathologischen Institut der Universität Giessen.
Zur Gewebslehre bei der Eingewetdesyphilis*).
Von Dr. Walther Stoeckenius, I. Assistent am Institut.
Im Laufe der letzten Jahre war mir mehrfach Gelegenheit gegeben,
Organe von Leichen zu untersuchen, bei denen die verschiedenartigsten
Bilder von Syphilis der Eingeweide Vorgelegen haben. Wesentliches
Interesse beanspruchen darunter vor allem eine Anzahl von
irischen Fällen, d. h. solchen, bei denen der Beginn der Erkrankung
erst verhältnismässig kurze Zeit zurfickliegt. Einigermassen schwierig
gestaltete sich deren Deutung durch das kiinischerselts angenommene
Hiwinspielen einer Salvarsanvergiftung, da dieses hochwertige Arsen¬
präparat in einem Fall als Altsalvarsan. in den anderen als sog. Sulfoxylat
zur Behandlung in den üblichen Mengen, unter den gebräuchlichen Vor-
sichtsmassregeln verabfolgt worden war. Eingehender sind die näheren
Umstände in zwei ausführlichen Arbeiten von mir auseinandergesetzt
worden, die leider infolge der durch die Zeit bedingten Verhältnisse nocti
nicht im Druck erscheinen konnten.
Um überhaupt Veränderungen an der Leiche als
Syphilis ansprechen zu können, ist man meist nur auf
die rein anatomischen, insbesondere geweblichen
Beobachtungen angewiesen, denn der Erreger de^ Syphilis,
als welcher zurzeit die in ihrem Entwicklungsgang unbekannte Spiro-
chaeta pallida gilt, ist ein Gebilde, das in bezug auf seine Darstellungs¬
möglichkeit vor allem in den Geweben grosse Eigenheiten hat. Es
findet sich zwar im sog. Primäraffekt und in manchen Abwehrbildungen
des Körpers während der sog. Sekundärperiode, oft aber auch, und das
in grossen Mengen, besonders bei der sog. kongenitalen Form, an
Stellen, wo gewebliche Veränderungen kaum oder gar nicht naChge-
w Fesen werden können, ln vielen Erzeugnissen der Syphilis dagegen,
darunter in den Gummen, die doch der Ort sind, wo zweifellos die
stärkste Schädigung stattgefunden hat, wenn anders der alte Grundsatz
V i r c h o w s noch seine Gültigkeit hat, dass es einer gewissen
Grösse, einer gewissen Energie der spezifischen
Substanz bedarf, um spezifische Bildungen hervor¬
zubringen, sucht man vergeblich nach den Spirochäten. Andere Er¬
scheinungsformen des Syphiliserregers sind zurzeit nicht genügend sicher
festgestellt, und auch die klinisch eine wichtige Stütze bildende, charak¬
teristische Wassermann sehe Reaktion ist, an Leichenmaterial an-
Kestellt. noch viel unsicherer als beim Lebenden.
Zwar können rein gewebliche Beobachtungen, niemals so unbedingte
Sicherheit für das Bestehen einer bestimmten Erkrankung geben, wie
der Nachweis des Erregers der Schädigung selbst; trotzdem aber kann
mit ihrer Hilfe die Erkenntnis des Vorgangs weitgehend gefördert und
seine Eigenart mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest-
bestellt werden. So ist es auch mir nur durch eingenende gewebliche
Untersuchung gelungen, möglichst wahrscheinlich zu machen, dass nidht
eine Salvarsanvergiftung, sondern eineganzakuteAusbreitung
der Syphilis in den verschiedenen Organen Vorgelegen hat, deren
Auslösung allerdings ohne Frage der Anwendung des Salvarsans zu ver¬
danken ist. Nirgends fanden sich primäre Parenchymschädigungen, ins¬
besondere keine Verfettung von Leber, Niere und Herz, wie sie zweifellos
bestanden haben würden, hätte das Salvarsan, bzw. das in ihm wirksame
Arsen, den schädigenden Einfluss dargestellt. Auch die scheinbare
Regellosigkeit des Wechsels und der Stärke Im Befaltensein der einzelnen
Organe macht das Bestehen einer Salvarsanvergiftung, als einer Schä¬
digung durch ein starkes mineralisches Gift, unwahrscheinlich, wobei in
den beobachteten Fällen noch als besonders bemerkenswert gerade die
Leber die allergeringgradigsten Veränderungen überhaupt aufzu-
'xeisen hat.
Ist so das Vorhandensein einer Salvarsanvergiftung nach den ge¬
weblichen Befunden nicht zu beweisem so wird das Bestehen einer
SyiAilis als Ursache der Gewebsveränderangen, auch ohne dass Spiro-
ebiten gefunden werden konnten, äusserst wahrscheinlich. Denn
überall stC'hen im Vordergründe Erscheinungen, die
ursprünglich auf den Qefässbindegewebsapparat be¬
schränkt sind, die erkennen lassen, dass das Gift im Zwischen-
zew’cbe der drüsigen, oder diesem entsprechenden Teilen der anderen
•) Vortrag, gehalten auf der «6. Versammlung Deutscher Naturforscher
und Aerzte vom 19. bis 25. September 1920 in Bad-Nauheim.
Nr. 8,
Organe angegriffen hat Dabei ist in den stärkeren Veränderungen
zweifellos eine mehr oder weniger ausgedehnte Schä¬
digung der Wandung kleiner und kleinster Gefässe
als äusserst eigenartig hervorzuheben, welch letztere
mit gutem Recht als eigentümlich für dfe Gewebsveränderungen bei
Syphilis betrachtet werden kann. Sind so in allen Fällen Störungen im
Aufbau der Gewebe nachzuweisen, die von den bei Syphilis vorhandenen
nicht abweichen, so liegt m. £. nichts näher, als sie auch wirklich als
durch das syphilitische Gift hervorgebracht aufzufassen, da doch bei
jedem einzeltieit Kranken klinisch einwandfrei Syphilis Vorgelegen hat
Diese ganz akute Ausbreitung der Syphilis er¬
weist sich In bezug auf ihre Gewebsveränderungen
der sog. kongenitalen Form äusserst ähnlich, was be¬
sonders für die Nieren- und Bauchspeicheldrüsenveränderungen gilt;
aber auch die Störungen im Aufbau von Milz, Lymphknoten, Herz usw.
ordnen sich mühelos ein. Und selbst bei den Störungen im geweblichen
Aufbau der Haut, der sog. „Salvarsandermatitis". können Anklänge an
den Pemphigus syphiliticus der Neugeborenen nicht ausgeschlossen
werden. Auch in einem Fall noch vorhandene Reste des Primäraffektes
weichen nicht ab.
Besonders hervorgehoben zu werden verdient aber die Art der
geweblichen Veränderung. Zweifellos ist das Wesentliche ein
Entzündungsvorgang im Zwischengewebe und selten
dürfte sich in der Pathologie wieder ein so ausgezeichnetes Beispiel
dafür finden lassen, dass die verschiedenen Formen der Entzündung nur
als Abstufungen eines einzigen Vorgangs, nämlich der Gegenwirkung
des Zelienstaates auf einen schädigenden Reiz anzusehen sind. So
bestehen in den verschiedenen Fällen und in diesen
wiederum in den verschiedenen Organen, je nach der
Stärke des die Schädigung veranlassenden Giftes
und je nach der Widerstandsfähigkeit bzw. geweb¬
lichen Beschaffenheit des betreffenden Organs, bald
nur einfache Hyperämie mit eben beginnender Ex¬
sudation, bald aber schon, sich zu dieser gesellend,
eine lymphozytäre Zellvermehrung, teils wohl noch
exsudativer, teils jedoch sicherlich schon prolifera¬
tiver Natur. An Stellen stärkster Schädigung und
grösster Widerstandskraft sind dann noch die Reti-
kuIo-Endothelien die Zellen, die neben Exsudation
und Vermehrung der Lymphozyten in lebhafter
Wucherung sind, die selbst zur Bildung wirklicher
kleins^r Granulations-Qeschwülstchen, miliarer
Gummen oder richtiger wohl Syphilome führt, in
denen sich teils noch neue Nekrosen als Zeichen des
fortwirkenden Giftes und. vielleicht im Verein
damit, als Folge schlechter Ernährung bei mangel¬
hafter Oefässversorgung usw. bilden, aber auch
schon Wucherung von Fibroblasten das Ende
des ganzen Entzündung zu nennenden Vorgangs
einleitet. Entwicklung echten. allerdings oft
„elenden“ jungen Bindegewebes bildet den Schluss¬
stein — die Narbe. Die erwähnten Nekrosen sind jedoch nie so
hochgradig wie bei der Tuberkulose, wo in Gestalt'der Verkäsung nur
völlig unkenntliche Massen übrig bleiben; sondern entsprechend dem
weniger stark wirkenden syphilitischen Gift sind als besonders eigen¬
tümlich überall noch Reste des Gewebsaufbaues schattenhaft vorhanden.
Selbstverständlich vermag nur eingehendste Beobachtung diese
Grundzüge aus dem unendlichen Zellgewirr des Granulationsgewebes
berauszulesen; denn Entartungen aller möglichen Glieder des Zellstaates,
sowohl im Sinne der Anpassung, der Umwandlung, als auch schon der
Vernichtung, verwischen das Bild sehr. Dabei drängt sich immer wieder
die Ueberzeugung auf, dass einzelne, zunächst scharf abzugrenzende Zell¬
arten laufend ineinander übergehen, insofern rein morphologisch ihre
Unterscheidungsmerkmale sich mehr und mehr ^ausgleichen. so dass
schliesslich oft nicht mehr zu sagen ist, ob em Leukozyt oder ein
Lymphozyt bzw. eine Plasmazelle, eine Abart eines Lymphozyten oder
eine Retikulo-Endothelzelle oder ein Fibroblast vorliegt
Alle diese Erscheinungen stehen als Entzündung natürlich zu den
Gefässen in engster Beziehung, und zwar.so, dass oft eine Kapillare oder
ein präkapillares Gefäss bei den stärkeren Veränderungen, z. B. In den
Lymphknoten, den Mittelpunkt bildet. Die Wandung dieser Gefässe Ist
dabei mehr oder weniger geschädigt Nicht selten aber Ist
deutlich zu erkennen, dass zweifelsohne die Schädi¬
gung des Gefässes in Gestalt von ExsudatbiIdnng I«
Digitized by
Goi.igle
Original frum
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
den äusseren und mittleren Schichten kleinster
Venenoder ArteriendasWesentliche ist. Oft bilden sich
dabei mehr oder weniger typische Formen von Riesenzellen, unter denen
sowohl echte La ngh ans sehe als auch Fremdkörperriesenzellen unter¬
schieden werden können. Oft aber auch kann man sich cks Eindrucks
nicht erwehren, dass, zwar vornehmlich im Herzmuskel, jedoch auch in
anderen Organen, in balken- und bandartige Exsudatmassen, die an
Reste von quergestreiften Muskelfasern erinnern könnn; nachträglich
Zellen, wohl zur Verteilung, eingewandert sind. Auffällig selten kommt
es trotz hochgradigster Wandzerstörung in Gestalt von Aufquellung,
Exsudatbildung, Aufsplitterung und Zelldurchsetzung, selbst richtiger
kleinster Aneurysmabildung, zur Thrombosierung. Indessen ist letztere
schön zu beobachten eigentlich nur im Darm eines Falles, wo sie dann
auch die Grundlage scharf umschriebener kleiner Geschwürsbildung ab¬
gibt. Allen diesen Gefässveränderungen ist eben eigentünüich, dass im
allgemeinen nur die äusseren und mittleren Schichten in ihrem Aufbau
gestört sind, während das Endothel selber äusserst selten derartig ge¬
schädigt ist, dass es seinen physiologischen Aufgaben nicht mehr nach-
kommen kann. Hervorzuheben wäre bei diesen üefässschädigungen noch
die grosse Unregelmässigkeit im Befallensein: neben höchstgradig ge¬
schädigten Kapillaren, kleinen Venen und Arterien finden sich überall
auch unveränderte kleine und kleinste Gefässe.
Wie schon wiederholt angedeutet, sind alle diese Erscheinungen
nicht gleichmässig, typisch angeordnet, sondern müssen fast immer
erst aus einem grossen Wust nebensächlicher Veränderungen heraus¬
geschält werden. Schwierig, oft unmöglich wird dies aber, wenn
sekundäre Schädigungen auftreten, wie sie z. B. durch Kokkeneinwande¬
rung bedingt sind. Gelegenheit hierzu ist neben Haut und Darm vor¬
nehmlich in der Lunge gegeben, in der denn auch nur in einem Fall
das Bestehen von durch das syphilitische Gift bedingten Veränderungen
wahrscheinlich gemacht werden konnte, die zudem noch gelegentlich der
Sektion für eine verkäsende, peribronchale Tuberkulose gehalten
wurden, was aber geweblich sich nicht bestätigte, da keinerlei Anhalts¬
punkte für typisches tuberkulöses Granulationsgewebe sich fanden und
Tuberkulosestäbchen durchaus nicht nachgewiesen werden konnten. In
den übrigen Fällen waren die Lungenveränderungen in Gestalt von bis
zur Abszessbildung fortschreitender Infiltration so allgemeiner Natur,
dass nur auf Grund der Kenntnis der früher untersuchten Uebergangs-
hilder Syphilis vermutet werden konnte. Ohne Berücksichtigung dieser
Verhältnisse hätte wohl nichts näher gelegen, als die Beteiligung der
Lunge bei einem erst kürzlich sezierten Manne, der auch unter den kli¬
nischen Erscheinungen einer „Salvarsanvergiftung“, vornehmlich einer
sog. „Salvarsandermatitis“. gestorben w'ar, für eine gew^öhnliche inter¬
kurrente Entzündung, z. B. für die Folge einer Grippe zu halten. Denn
auch die Veränderungen in den anderen Organen, z. B. in den Herz¬
beutelblättern und in der Milz, waren in diesem Falle nicht über eine
unspezifische Exsudation und Lymphozytenvermehrung hinaus gediehen.
Sehr verstärkt wurde die Auffassung des Vorganges als ursprüngliche
Syphilis auch durch die gewebliche Untersuchung einer sog. angeborenen,
klinisch einwandfreien Syphilis bei einem 4 Monate alten Knaben, der
nur wenige Stunden vor Eintritt des Todes 0.045 g Neosalvarsan intra¬
muskulär verabfolgt erhalten hatte. Auch hier, wo zunächst nur eine
einfache Bronchopneumonie festgestellt wurde, war bei eingehender Be¬
trachtung selten schön zu sehen, wie wiederum Knötchenbildung, hier
meist aus lymphozytenähnlichen Zeilen bestehend, um hochgradig ver¬
änderte kleinste Gefässe herum, den ganzen Vorgang beherrschte. In
diesem Falle waren auch die Schädigungen der kleinen Milzg^sse her¬
vorragend ausgebildet. So war in den Bälkchen vornehmlich die Wand
kleiner Venen, und zwar als besonders eigentümlich nur in Bruchstücken,
betroffen; in den Follikeln aber bestand hauptsächlich Exsudatbildung
im Bereich der Zentralarterien und Durchsetzung dieser nekiobiotischen
Massen mit den Zellen des oben erwähnten Granulationsgewebes. Da¬
durch ergaben sich Bilder, nicht unähnlich denen, wie sie K u c z i n s k y
als Folge von Salvarsanschädigung bei Syphilis beschrieben hat, wie
sie anderseits aber auch in dem zuletzt erwähnten Falle angedeutet
waren.
Ist schon bei diesem Kinde eine Auslösung des EntzündungsVorganges
durch das Salvarsan auszuschllessen, da die Menge, Art und Weise,
sowie zeitliche Verhältnisse der Verabfolgung durchaus dagegen sprechen,
und liegt nur die schon erwähnte Aehnlichkeit der akuten
frischen Syphilis mit der sog. kongenitalen Form
vor, die ja aber im Grunde auch gar nichts anderes
dar Stelltals die Ausbreitung einer frischen Syphilis,
so finden sich doch ebenso Uebereinstimmungen mit den sich über
längere Z^it hin erstreckenden Formen, die gemeinhin als sog. Tertiär¬
periode zusammengefasst werden.
Hierzu hatte ich Gelegenheit, einen etwa 50 jährigen Landwirt zu
sezieren, dem, da er an unbestimmten Beschwerden im Bauch litt,
schliesslich der Wurmfortsatz entfernt wurde. Er starb an den Folgen
dieser Operation und'es fand sich als Ursache des ganzen Symptomen-
kornplexes ein grosses typisches Gumma der Leberpforte, ähnlich wie
es V i r c h 0 w im II. Band seines Geschwulstwerkes abgebildet und
beschrieben hat. Die gewebliche Untersuchung bestätigte den makro¬
skopischen Befund durchaus und zeigte in der Hauptsache bindegewebige
Narbenbildung, in der unter Beteiligung der kleinen Gefässe mehr oder
weniger Nekrosen in jungem Granulationsgewebe auftraten; lympho-
zytäre Zellvermehrung belebte das Bild, wälzend in der Leber selbst rein
exsudative Erscheinungen in den Hintergrund traten. Die Befunde in
(Jen periportalen Lymphknoten aber glichen noch mehr den Verände¬
rungen der vorhin erörterten frischen Fälle, ebenso wie sich die Ent¬
zündungserscheinungen in den angrenzenden Teilen der Bauchspeichel¬
drüse zwanglos dem oben entworfenen Bilde einfügten
Aber auch in mehrgien Fällen von syphilitischer Mesaortitis,
darunter einem mit mehrfacher Aneurysmabildung, stimmen die Ver¬
änderungen mit den von mir beschriebenen Fällen frischer Syphilis
überein, selbstverständlich immer unter Berücksichtigung der jeweils
etwas anderen Verhältnisse. Auch hier bilden stets die kleinsten Vasa
vasorum den Mittelpunkt der Entzündungsvorgänge, so dass ich nicht
anstehe, die sog. tertiärsyphilitischen Veränderungen unter dem gleichen
Gesichtswinkel zu betrachten wie die beschriebene frische Syphilis
und zu behaupten, dass in bezug auf die geweblichen Ver¬
hältnisse bei der Syphilis, die alte Einteilung in Pri¬
märaffekt, Sekundär- und Tertiärerscheinungen nur
rein äusserlich ejne Brücke für den Arzt darstellt.
Denn notwendigerweise entwickelt sich bei allen
dreien immer wieder derselbe Vorgang der Entzün¬
dung. indem je nach der Stärke desuns unbekannten
Giftes und je nach der Widerstandsfähigkeit des be¬
treffenden Organs mehr oder weniger unvermittelt
aus der ursprünglichen Hyperämie die verschieden¬
sten Grade der Exsudation, lymphozytären Zellver¬
mehrung, retikulo-endothelialen Zell Wucherung und
bindegewebigen Narbenbildung entstehen.
Am Schluss möchte ich aber nicht unterlassen, noch einmal hervor-
zuheben, dass das Salvarsan in den von mir untersuch¬
ten Fällen nicht das anatomische Bild einer Arsen¬
vergiftung erzeugt sondern eine ganz akute Aus¬
breitung einer mit grösster Wahrscheinlichkeit als
Syphilis zu deutenden Entzündung herbeigeführi
hat nicht unähnlich den Verhältnissen, wie sie auch bei ungeeigneter
Behandlung der Tuberkulose u. a. als miliare Aussaat gefunden zu werden
pflegt. _
Aus der Medizinischen Klinik Kiel.
(Direktor: Prof. Dr. A. Schittenhelm.)
Untersuchungen über Blutgerinnung bei Splenektomierten.
Von Dr. fned. et phil. EdgarWöhlisch, Assistent der Klinik.
Nach R. Stephan [1] ruft eine Reizröntgenisierung der Milz eine
mächtige Steigerung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes hervor. Diese
äussert sich beim normalen Individuum in einer innerhalb von 2 bis
4 Stunden nach der Bestrahlung auftretenden Verkürzung der Gerinnungs¬
zeit (GZ.) in vitro, die nach einigen weiteren Stunden wieder zu
ihrem Anfangswert zurückkehrt Als Ursache der gesteigerten Ge¬
rinnungsfähigkeit ist eine Erhöhung der Konzentration des Fibrinfermen¬
tes im Serum anzusprechen, die sich am einfachsten durch die von
Stephan eingeführte Methode der Bestimmung des „Oerinnungs¬
beschleunigungsfaktors“ (GBF.) nach weisen lässt. Als Qerinnungs-
beschleunigungsfaktor wird bezeichnet der Quotient aus der Qerinnungs-
zeit eines beliebigen normalen Kontrollblutes und der unter den gleichen
Bedingungen gemessenen Gerinnungszeit desselben Blutes mit Zusatz
einer bestimmten Menge des zu prüfenden Serums.
Eine erste Bestätigung fanden die Stephanschen Angaben über
die Verkürzung der Qerinnungszeit durch Milzröntgenisierung in einer
Arbeit von S z e n e s [2] aus der Eiseisberg sehen Klinik. Leider
geht dieser Autor auf den wichtigen Gerinnungsbeschleunigimgsfaktor
nicht ein.
Eine ähnliche Steigerung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes, die
sich ebenfalls durch Verkürzung der Gerinnungszeit und Ansteigen der
Konzentration des Fibrinfermentes im Serum äussert. fanden Nonnen- i
bruch und Szyszka l3l nach Diathermie der Milzgegend, nur tritt
diese Wirkung bereits wenige Minuten nach der Diathermie auf und hält |
nur 1—2 Stunden an. Die beiden Verfasser berichten ausserdem über
Tierversuche an Kaninchen l4], in denen sic durch intramuskuläre oder 1
intravenöse Verabreichung von Derivaten des Aethylendiamlns eine J
ganz analoge Steigerung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes erreicht ;
haben, ein Erfolg, der beim splenektomierten Tier ausbleibt. ;
Stephan ebenso wie Nonnenjliruch und Szyszka ziehen '
aus ihren Versuchen den Schluss^ dass der . Milz eine hervorragende
Bedeutung für die Bildung des Fibrinfermentes zukomme. i
Auf Grund eigener Versuche kann ich die Stephan sehen An¬
gaben über die Wirkung der Milzbestrahlung auf die Blutgerinnung be- '
stätigen. Ich arbeitete ebenso wie Stephan mit der F o n i o sehen
Uhrschälchenmethode zur Bestimmung der Gerinnungszeit fST und hielt
mich im übrigen an die .Angaben, die Stephan f6l über seine
Technik zur Bestimmung der Gerinnunssdaten macht. Ich möchte nur
gleich erwähnen, dass ich stets höhere Werte des Gerinnungsbeschleuni¬
gungsfaktors fand wie Stephan, ohne diese Abweichungen von seinen
Daten bisher erklären zu können. In einer späteren Arbeit, die sich mit
der Normierung der Gerinnungsdaten beschäftigen soll, werde ich darauf
zurückkommen.
Audi ein Vergleich meiner Gerinnungszeiten mit denen von
Stephan Ist bisher leider nicht möglich, da Herr Stephan laut per¬
sönlicher Mitteilung seine Gerinnungsversuche bei Zimmertemperatur
vornimmt. Ich legte bei meinen Versuchen den grössten Wert auf Ein-
Digitized b)
Goi-igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921-
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
naltune einer streng konstanten Temperatur, da, wie schon B ü r k e r [7]
,d. [QZ.]\
gezeigt hat, der Temperaturkoeffiztent der Oerinnungszeit (——j
gerade für das in Betracht kommende Temperaturgebiet in der Nähe
der Zimmertemperatur sehr gross ist. Ich stelle daher die Uhrschälchen
zum Gerinnungsversuch in einen einfachen Thermostaten eigener Kon¬
struktion.
Meine Angaben über Gerinnungszeiten beziehen sich — wenn nicht
ausdrücklich eine andere Temperatur angegeben ist — auf 25® C.
Die wichtige Frage, ob wir wirklich gerade in der Milz, und nur in
dieser, das Organ zu sehen haben, das auf den Röntgenreiz mit einer
Leistungssteigerung des Gerinnungssystems antwortet, hat Stephan
auf Grund systematischer Bestrahlungsversuche an anderen Organen,
wobei sich die Milz ausserhalb des Strahtenkegels befand, im be¬
jahenden Sinne entscheiden zu müssen geglaubt. Den gleichen Schluss
ziehen aus den gleichen Gründen Nonnenbruch und Szyszka für
ihre Diathermieversuche.
Eine Prüfung unserer Frage auf dem zweiten denkbaren Wege,
nämlich durch Untersuchung des Einflusses einer Röntgenisierung der
Milzgegend bei splenektomierten Individuen, liegt bisher noch nicht vor.
Eine Bestimmung der Gerinnungsdaten vor und nach der Splenektomie
bietet aber noch aus einem anderen Grunde besonderes Interesse:
kommt der Milz tatsächlich eine zentrale Stellung in der Physiologie
der Blutgerinnung zur^'so ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Ent-
iernung dieses Organs unter Urnständen zu schweren Störungen der
(ierjnnungszeit des Blutes führt.
Ich habe in 3 Fällen, die aus verschiedenen Gründen zur Splenek-
iomie kamen, eine Untersuchung des Gerinnungssystems unter diesen
Gesichtspunkten vorgenommen.
f a 1 ] 1 (Frau A. M., 31 Jahre). Leidet seit Jahren an Ulcusbeschwerden,
mehrmals starke Magenblutungen. Vor 3 Wochen abermals plötzlich heftiges
Blutbrechen, das sich innerhalb von 2 Tagen 5 mal wiederholt. Dabei dauernd
quälende Magenschmerzen mit bedeutender Verschlimmerung sofort nach der
Mahlzeit. Röntgenologisch wurde ein Ulcus penetrans der Magenrückwand
diagnostiziert. Wegen dauernd rezidivierender foudroyanter Blutung wird
am 29. VII. 20 die Operation vorgenommen (Geheimrat A n s c h ü t z). Es
findet sich ein grosses Ulcus an der Rückwand, das in die Milz perforiert ist.
Anfangs wird versucht, den unteren Milzpol zu resezieren; es gelingt zwar
gut, die parenchymatöse Blutung zu stillen, doch kommt es zum Einreissen
einer grösseren Vene, wodurch eine Milzexstirpation nötig wird, die ohne
wesentliche Blutung gelingt. Jetzt lässt sich der Magen gut mobilisieren.
Quere Resektion. Schluss der Bauchwunde. Glatter Wundverlauf.
10. VIII. 20. Thrombose der rechten Vena saphena. Hohe Unterbindung
in Lokalanästhesie.
Ara 26. VIII. hat sich die Patientin soweit erholt, dass mit der Blut-
untersuebung begonnen werden kann.
Bestimmung der Gerinnungszeit: (6 cm Uhrglas, Temp. = 21 ® C)
GZ. = 45 Min.
Dieser Wert ist, wie ich durch Kontrollen mit Normalblut unter den
gleichen Bedingungen feststellte, durchaus normal.
Für den Qerinnungsbeschleunigungsfaktor des Serums ergab sich der
Wert; GBF. = 4,0.
Ich bestimmte ausserdem die Gerinnungszeit des Kapillarblutes nach der
Burk er sehen Methode. (1 Tropfen Fingerblut -f 1 Tropfen destilliertes
Wasser. Temp. = 25® C.) Ich fand die Werte 6)4 Min. und 7/4 Min., die
ebenfalls der Norm entsprechen.
Am 28. VIII. wurde eine Röntgendosis von 8 X auf die Milzgegend appli¬
ziert (Lilienfeld-Instrumentarium, Filterung: )4 mm Zn, 1 mm AI).
Die Untersuchung des Venenblutes nach der Bestrahlung er^ab folgende
W'erte, die sich ebenfalls auf die Temperatur von 21 ® C beziehen.
Zeit nach Bestrahlung
GZ
GBF.
1/4 Std.
65 Min.
S.9
8 ‘*
41 „
4.1
6 »»
76 „
3.8
80 „
6.4
Vergleichen wir diese Gerlnnungszeiten mit dem Werte 45 Min. vor der
Bestrahlung, so können wir einen gerinnungsfördernden Einfluss der Be¬
strahlung nicht feststellen, denn die Differenz von 4 Min. gegenüber dem
Minimalwerte von 41 Min., wie er sich 3'A Stunden nach der Bestrahlung
fand, ist so gering, dass ich ihn als zufällige kleine Schwankung auffassen
möchte, zumal er beinahe die Fehlergrenze der Methode erreicht. Sehr auf¬
fallend ist dagegen das starke Ansteigen der Gerinnungszeit in den späteren
Stunden. Pie geringe Zunahme des Gerinnungs-Beschleunigungsfaktors um
1.4 Einheiten 11 Stunden nach der Bestrahlung dürfte keine Bedeutung
nahen.
Mit der B ü r k e r sehen Methode ergaben sich nach der Bestrahlung
die folgenden Daten:
Zeit nach Bestrahlung
GZ.
1 » 4 Std.
7V, Äün.
8 V 4 „
1 ' 7V, „
' 6
8 „
1 11 ..
7/, .,
Wir haben also ein Konstantbleiben der Gerinnungsfähigkeit des
I Kapillarblutes.
I Die Exstirpation der Milz lässt also in diesem Falle nach
I ^ Wochen keinen nachteiligen Einfluss des Verlustes dieses Organs auf
I die Blutgerinnung erkenrren.
Der negative Ausfall der Röntgenisierung der Milzgegend nach
Splenektomie scheint mir für die Stephan sehen Angaben über die
Bedeutung dieses Organs für das Eintreten einer Gerinnungsbeschleuni-
zu sprechen.
Digitized by Goi)gle
Fall II (Frau Cz., 42 Jahre). Es handelte sich um eine Pat., die mit
den Erscheinungen einer schweren perniziösen Anämie (hämolytische Form)
hl die Klinik kam. Die positive W a s s e r m a n n sehe Reaktion im Blut
Hess einen Zusammenhang der Erkrankung mit einer luetischen Infektion ver¬
muten. Die Pat. erhielt demgemäss eine Salvarsankur und ausserdem zur
Bekämpfung der Anämie Milch- und Blutinjektionen. Trotzdem trat keine
wesentliche Besserung der Anämie ein, vielmehr entwickelte sich im Laufe
der Beobachtung ein Krankheitsbiid mit den Erscheinungen einer Tabes in¬
ferior: Schwinden der Patellarreflexe, geringe Störungen der Oberflächen-
und starke Störungen der Tiefensensibilität an den unteren Extremitäten.
Im Liquor war die Wassermann sehe Reaktion, ebenso die
Nonne sehe und P a n d y sehe Reaktion negativ, es fand sich keine
Zellvermehrung. Wegen des negativen Liquorbefundes war das Bestehen
einer echten Tabes nicht wahrscheinlich und es wurde daher das Krankheits¬
bild ^Is anämische Hinterstrangdegeneration aufgefasst. Es wurde deshalb
der versuch gemacht, durch Exstirpation der vergrösserten Milz eine Besse¬
rung der Anämie und damit womöglich auch der Schädigung des Zentral¬
nervensystems herbeizuführen.
Ich habe in diesem Falle das Gerinnungssystem der Pat. sowie dessen
Reaktion auf Röntgenbestrahlung vor und nach der Milzexstirpation unter¬
suchen können.
18. X. 20. Bestimmung der Gerinnungszeit (8 cm Uhrglas, Temp. 25 ® C):
GZ. = 18)4 Min. GBF. = 6.8.
Nach der Untersuchung wurde auf die Milz eine Röntgendosis von 12 X
appliziert (Filter: )4 mm 7n, 1 mm Al).
Die Wiederholung der Blutuntersuchung 3)4 Stunden nach Beendigung
der Bestrahlung ergab folgende Daten: GZ. = 12 Min., GßF. = 9,7.
Wir haben also ein völlig der Norm entsprechendes Abfallen der
Gerinnungszeit und Ansteigen des Gerinnungsbeschleunigungsfaktors als
Reaktion auf die Milzbestrahhmg.
Sehr schön lässt sich übrigens die Verkürzung der Oerinnungszeit
durch Röntgenbestrahlung der Milz am geronnenen Blute des Anämikers
ad oculos demonstrieren, wie ich auch bei einem 2. Falle von perniziöser
Anämie beobachten konnte. Ich bewahre das Blut zur Gewinnung des
Serums in kleinen Reagenzgläsern auf. Bevor in den Gläsern der
Gerinnungsvorgang einsetzt, macht sich beim Blute des Anämikers mit
seiner geringen Erythrozytenzahl eine sehr deutliche Sedimentierung
bemerkbar. Wir haben dann nach Eintritt der Gerinnung über den
Erythrozyten eine mehr oder minder hohe erythrozyienfreie, aus ge¬
ronnenem Plasma bestehende Schicht (die Crusta phlogistica der alten
Aerzte). Diese Crusta phlogistica, deren Höhe ceteris paribus annähernd
umgekehrt proportional der mittleren Geschwindigkeit des Gerinnungs¬
vorganges sein dürfte, durch dessen Eintritt ja die weitere Sedimen¬
tierung verhindert wird, war in unserem Falle vor der Bestrahlung
11 mm hoch. Das 3% Stunden nach der Milzbestrahlung entnommene
Blut zeigte dagegen in- einem gleichkalibrigen Reagenzröhrchen eine
Crusta phlogistica von nur ca. 4 mm Höhe.
23. X. Exstirpation der Milz in Aethernarkose (Prof. K o n 1 e t z n y).
Glatter Wundverlauf.
5. XI. Abermalige Untersuchung des Venenblutes: GZ. = 21 Min.,
GBF. = 8,5.
Darauf Röntgenbestrahlung der Milzgegend genau wie vor der Splen¬
ektomie.
4 Stunden nach der Bestrahlung: GZ. = 20 Min., GBF. = 10,0.
Vergleichen wir diese Werte mit den vor der Splenektomie er¬
haltenen, so ergibt sich für unseren Fall:
1. Ein schädigender Einfluss der Milzexstirpation auf die Gerinnungs¬
fähigkeit des Blutes ist 14 Tage nach der Operation nicht nach¬
weisbar.
2. Eine Reizröntgenisierung der Milzgegend ruft nach der Splenek¬
tomie keine Verkürzung der Gerinnungszeit hervor.
3. Während der GBF. vor der Splenektomie durch die Röntgen¬
bestrahlung in 3)4 Stunden um 2,9 Einheiten = 44 Proz. des
Anfangswertes ansteigt, nimmt er nach der Splenektomie in
4 Stunden nach einer Bestrahlung der Milzgegend um nur .1,5 Ein¬
heiten = 18 Proz. des Anfangswertes zu, obwohl in diesem Fall
wegen des grösseren zeitlichen Abstandes zwischen Bestrahlung
und Blutentnahme der von Stephan [1] für das normale Indi-
’ viduum aufgestellte Verlauf der Kurve des GBF. eher einen
höheren Wert erwarten Hesse. ^
Ob ein Vergleich der OBF.-Werte vor der Exstirpation mit denen
nach der Exstirpation zulässig ist, kann ich noch nicht entscheiden, da
diese Werte mit Benutzung verschiedener Kontrollblute gewonnen sind,
während ich zur Feststellung der GBF.-Werte vor und nach je einer
Bestrahlung stets dasselbe Kontrollblut benutzte. Nach meinen bis¬
herigen Erfahrungen scheint es so, als wenn die absoluten Werte des
GBF. nicht unabhängig von der Art des benutzten Kontrollblutes sind,
doch sind zu einem endgültigen Urteil hierüber noch weitere Versuche
nötig, ebenso wie die Frage nach der Abhängigkeit bzw. Unabhängig¬
keit des GBF. von der Temperatur noch experimenteller Klärung bedarf.
Wir haben also bei einen^ Individuum, dessen Gerinnungssystem die
normale Reaktion auf Röntgenisierung der Milzgegend bei vorhandener
Milz auf weist, einen Ausfall dieser Reaktion 14 Tage nach Entfernung
dieses Organs.
Fall 3. Familienanamnese: o. B., insbesondere kein Fall von chro¬
nischem Ikterus.
Pat. war bis zum 12. Lebensjahre stets gesund. In diesem Alter trat
zum ersten Male ein Ikterus auf, der trotz ärztlicher Behandlung immer
wiederkehrte, um schliesslich überhaupt nicht mehr ganz zu schwinden.
Seit dem 13. Lebensjahre machten sich gewisse geistige Störungen in Form
von Zerstreutheit, Schwerbesinnlichkeit und mangelhafter Auffassungsgabe
bemerkbar, so dass er in der Schute schlecht vorwärts kam. Diese Be¬
schwerden haben in der letzten Zeit zugenommen, weshalb Pat. die Nerven-
klinik auLsuchte, von der er dann zu uns kam.
3
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
230
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Es handelt sich um einen körperlich gut entwickelten jungen Mann mit
leicht ikterischer Färbung der Haut, sowie der Skleren. Er ist sehr wortkarg
in seinem Denken offenbar stark gehemmt und begreift z. B. Anweisungen
des Arztes oder der Schwester meist erst nach mehrmaliger Aufforderung.-
Sinnesorgane, Nervensystem sonst o. B.
Die Milz ist in rechter Seitenlage deutlich fühlbar, der untere Pol tritt
bei tiefer Inspiration eben unter dem Rippenbogen hervor. Sonst kein patho¬
logischer Organbefund. Urin: Eiweiss und Zucker negativ, Bilirubin nega¬
tiv, Urobilin stark positiv, Urobilinogen vermehrt. Stuhl: dunkelbraun, ge¬
formt. Urobilin positiv. Blutbild: normal.
Milzfunktionsprüfung: Eine Injektion von 0,001 Adrenalin subkutan führte
zu der charakteristischen Veränderung des Blutbildes mit Zunahme der
weissen Zellen und prozentualer Vermehrung der Lymphozyten. Eine Dys¬
funktion der Milz ist also durch die Adrenalinprobe bei clem Pat. nicht
nachweisbar.
Eine Funktionsprüfung der Leber im Lävulose- und QalaktoseversucH er¬
gab ebenfalls normales Verhalten.
Resistenzbestimmung der roten Blutkörperchen: Beginn der Hämolyse
bei 0.5 Proz. NaCl. Wir haben also eine eben angedeutete Herabsetzung der
osmotischen Resistenz der roten Blutkörperchen.
Der chronische, zeitweise stärker auftretende Ikterus, die Milzschwel¬
lung, der Nachweis von Urobilin und Urobilinogen im Harn, die, wenn auch
nur geringe Herabsetzung der osmotischen Resistenz der roten Blutkörper¬
chen führte zu der Diagnose „Hämolytischer Ikterus“.
Seitens der Nervenklinik wurde ein Zusammenhang der geistigen Stö¬
rungen mit dem chroni.schen Ikterus für möglich gehalten und wir konnten
deshalb hoffen, durch eine Splenektomie. die zur Heilung des hämolytischen
Ikterus führt, auch die psychischen Beschwerden des Pat. zu beheben.
Untersuchung des Qerinnungssystems vor der
Splenektomie, 6. IX. 20: GZ. = 37 Min., GBF. = 5,0.
Darauf Milzbestrahlung mit 10 X. 5 Stunden nach Bestrahlung
GZ. 28 Min., GBF. 5,0. 5 Stunden nach Bestrahlung GZ. 43 Min., GBF. 5,0.
Wir finden also in diesem Falle ein von der Norm abweichendes
Verhalten des Gerinnungssystems insofern, als dieses auf Bestrahlung
der MWz nur mit einer Verkürzung der GZ., nicht aber mit einer Er¬
höhung des GBF. antwortet.
14. IX. 20. Splenektomie (Prof. Käppis). Wundverlauf ungestört.
25. IX. 20. Abermalige Blutuntersuchung. GZ. = 48 .Min.. GBF. = 4,0.
Ob die Zunahme der GZ. um 11 Minuten auf die Splenektomie
zurückzuführen ist. lässt sich nicht entscheiden. Von einer Schädigung
des Gerinnungssystems duch die Milzexstirpation kann redenfalls nicht
die Red'e sein.
Am selben Tage Bestrahlung der Milzgegend. (Durch ein Ver.'^ehen
erhält Pat. 12 X, anstatt 10 X wie vor der Operation.)
314 Stunden nach Bestrahlung: GZ. = 16 Min., GBF. = 2,0. 4% Stun¬
den nach Bestrahlung GZ. — 12 Min., GBF. -- 2,5.
Das Resultat — cir.'e enorme Verkürzung der GZ. trotz gleich¬
zeitigen Absinkens des GBF.-Wertes — ist so paradox, dass ich den
Versuch wiederholte, als der Patient sich nach einem Monat abermals
in der Klinik vorstellte.
22. X. 20. Vor der Bestrahlung: GZ. = 34 Min., GBF. *- 15,0.
Darauf Bestrahlung der Milzgegend, wieder mit 12 X. 4/4 Stunden
nach der Bestrahlung: GZ. 17i4 Min., GBF. = 13,0.
Das Resultat entspricht also ganz dem des vorigen Versuches, nur
sind die Ausschläge in der GZ. und GBF. kleiner.
Die starken Schwankungen der (iBF.-Werte bei den Untersuchungen
an verschiedenen Tagen:
6. IX. 20. GBF. vor Bestrahlung) “ 5,0.
25. IX. 20. ,. „ .. 4,0.
22. X. 20. „ 15,0.
scheinen mir, wie ich dieses schon weiter oben bemerkte, dafür zu
sprechen, dass Vergleiche der mit verschiedenen Kontrollbluten er¬
haltenen -GBF.-Werte untereinander nicht recht zulässig sind.
Ob das abweichende Verhalten des Falles 3 charakteristisch für den
hämolytischen Ikterus ist, muss vorläufig dahingestellt bleiben.
Zusammenfassung.
Es wurden in drei Fällen Untersuchungen angestellt über die Ein¬
wirkung der Splenektomie auf das Gerinnungssystem, sowie über den
Effekt eirier Röntgenisierung der Milzgegend auf die (ierinnungszeit und
den Gerinnungsbeschlounigungsfaktor. In einem Falle konnten die Ver¬
suche nur nach der Splenektomie vorgenommen werden, in den beiden
anderen Fällen wurde die Untersuchung in gleicher Weise vor und nach
der Milzexstirpation durchgeführt. Eine Schädigung des Gerinnungs¬
ablaufes durch den Verlust der Milz konnte in keinem Falle nach¬
gewiesen werden, in zwei Fällen trat nach der Splenektomie eine ge¬
rinnungsfördernde Wirkung einer Röntgenbestrahlung der Milzgegend
nicht auf.
Der dritte Fall — ein leichter hämolytischer Ikterus — zeigte ab¬
weichendes Verhalten: Er reagiert schon vor der Milzexstirpation auf
die Röntgenbestrahlung nur mit einer Verkürzung der Gerinnungszeit,
während der Gerinnungsbeschl'eunigungsfaktor keinen Anstieg zeigt.
Nach der Milzexstirpation tritt auf eine Röntgenbestrahlung »der Milz¬
gegend hin ebenfalls eine starke Abnahme der G’erinnungszeit ein,
während gleichzeitig der Gerinnungsbeschleunigungsfaktor paradoxer¬
weise absinkt.
Literatur.
. :1. R. Siephan: M.ni.W. 1920, Nr. 11. — 2. Szencs: M.m.W. 1920
Nr, 34. — 3. N 0 n n e n b r u c h und S z y s z k ü: M.m.W. 1920' Nr. 37. —
4. N pn n e n b r u c h: Kongr. t inn. M., Dresden 1920. — Nonnenbruch
und S z y s z k a: Arch. f. klin. M. 134. 1920. Nr. 3/4. — 5. F o n i o: Grenzgeb.
d M. u. Chir. Bd. 27. — 6. R. S t e p h a n: D.m.W. 1920 Nr. 26. — 7. B ü r -
k e-r: Pflügers Arch. 118. 1907. S. 452.
Digitized by Goiisle
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Hamburg. Eppendorier
Krankenhaus. (Prof. Dr. Heynemän.)
lieber präsakrale Injektionen zu therapeutischen
Zwecken*).
Von Privatdozent Dr. Nürnberger, Sekundärarzt der Klinik.
Eine nicht geringe Zahl von Kranken, die in die Sprechstunde des
Gynäkologen, aber auch des inneren Mediziners kommt, klagt über Be¬
schwerden, die im Kreuz lokalisiert werden und von hier aus häufig nach
einer oder nach beiden Unterextremitäten ausstrahlen. In weitaus
den meisten Fällen gelingt es, durch eine eingehende, vor allem auch
gynäkologische Untersuchung den ursächlichen Zusammenhang mit
iigendeiner organischen Erkrankung nachzuweisen und so die Be¬
handlung ätiologisch zu orientieren. Bei einem gewissen Prozent¬
satz dieser Patienten ist es aber trotz sorgfältigster Untersuchung
nicht möglich, irgendeine anatomische Unterlage für die geklagten
Beschwerden aufzufinden. Derartige Kranke werden dann allen
möglichen medikamentösen, mechanischen, hydriatrischen. elektrischen
und anderen Prozeduren unterzogen. Viete von ihnen werden geheilt,
viele gebessert. Manche irrren aber von einem Arzt zum andern ohne
mehr als vorübergehende Besserungen ihres Leidens zu finden. Wenn
man derartige Kranke dann zu sehen bekommt, nachdem sie durch die
erfolglose Anwendung der verschredenen Behandlungsmethoden mutlos
und skeptisch geworden sind, dann folgt ein füL Arzt und Patient gleich
unerquicklicher Zustand, der nur allzu leicht in fatalistische Resignation
ausartet.
ln mehreren derartigen Fällen haben wir nun mit einem relativ ein¬
fachen Verfahren derart gute Resultate erzielt, dass wir glauben, auch
weitere Kreise auf unsere Methode aufmerksam machen zu dürfen.
Ein bekanntes therapeutisches Mittel bei verschiedenen Neuralgien
ist die Injektion von Flüssigkeit in die schmerzenden Nervenstämme
oder in ihre Umgebung. Nachdem schon seit den sechziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts die mannigfachsten Lösungen 'dazu ver¬
wendet wurden, empfahl Schleich im Jahre 1894 die Einspritzung
eines Morphium-Kokaingemisches in die schmerzhaften Partien. Dieser
Empfehlung wurde im allgemeinen aber wenig Aufmerksamkeit ge¬
schenkt. Im Jahre 1904 schlug dann Lange vor, 7U—150 ccm einer
1 prom. Lösung von /i-Eukain in 0,8 proz. Kochsalzlösung direkt in die
erkrankten Nerven einzuspritzen. Das Verfahren von Lange hat sich
in jeder Hinsicht bewährt (Opitz, Alexander, Umber, Krause.
Strümpell u. a.) und „ist zu einer wertvollen Heilpotenz in der Be¬
kämpfung der Neuralgie gemischter Nerven, besonders des Ischiadikus
geworden“ (O p p e n h e i m).
Wir haben nun das Verfahren von Lange in der Weise modifiziert,
dass wir bei Schmerzen im Kreuz usw. 0,1 proz. Eukain-B-Lösung G
nach Art der parasakralen oder besser „präsakralen“ (Martius)
Anästhesie injizieren.
Die Technik ist genau die gleiche wie sie von Braun und
Siegel für die parasakrale Leitungsanästhesie angegeben wurde. Die
Patientin befindet sich in Steinschnittlage mit leicht erhöhtem Becken.
Um auch die geringsten Schmerzen auszuschalten, haben wir die Injek¬
tionen immer in leichtem Choräthylrausch gemacht. Je nachdem die
Schmerzen nur einseitig oder doppelseitig geklagt werden, markiert man
sich in der Höhe der Steissbeinspitze iVa,— 2 cm lateral von ihr den
Einstichpunkt. Von diesem Punkte aus führt man eine 15 cm lange
Injektionsnadel in horizontaler Richtung und parallel der Medianebene vor.
bis man auf den Knochen gelangt. Man befindet sich dann in der Gegend
des 1. Sakralloches. Nun injiziert man. nachdem man die.Nadel etw^as
zurückgezogen hat, in diese Gegend unter ziemlich kräftigem Druck
20 ccm der Eukain-B-Lösung. Hierauf zieht man die Nadel mehrere.
Zentimeter zurück und hebt den Konus um etwa 15®. so dass die Spitze
sich senkt. Schiebt man dann die Nadel in dieser newn Richtung vor,
dann gelangt man in die Gegend des 2. Sakralloches. Hier injiziert man
wieder 20 ccm der Lösung. Durch weiteres Zurückziehen und noch
steileres Vorschieben gelangt man in die Gegend des 3. Sakralloches.
Hier injiziert man weitere 20 ccm. Durch noch stärkeres Hieben der
Nadel kommt man schliesslich in die Nähe des 4. und 5. Sakralnerven und
des Plexus coccygeus. Hier wird der Rest der Lösung eingespritzt. — Bei
beiderseitigen Injektionen haben wir für jede Seite nicht 100 ccm, sondern
nur 70 ccm, also insgesamt 140 ccm der Eukain-B-Lösung verwendet.
Von dieser diffusen ein- oder doppelseitigen Verteilung der Eukain-B-
Lösung an die’ Rückwand des kleinen Beckens sind wir in den Fällen
abgegangen, in denen uns daran lag. die Injektionsflüssigkeit an eine be¬
stimmte Stelle, besonders also an den Nervus Ischiadicus heranzubringen.
Be! derartigen Kranken haben wir den Ischiadikus an seiner Durchtritts-
, stelle durch das Foramen infrapyriforme aufgesucht und an dieser Stelle
dann die gesamten 100 ccm injiziert. Dass man den richtigen Punkt
zur Injektion in den Ischiadikus hat erkennt man leicht an dem Zucken
des Beins beim Einstechen der Nadel. — Der Gefahr einer Einspritzung
in die Blutbahn entgeht man dadurch, dass man zuerst die Nadel ein¬
sticht und die Spritze erst dann ansetzt, wenn es aus der eingeführhen
Nadel nicht blutet.
ln dieser Weise haben wir jetzt 7 Fälle von Schmerzen, die im
kleinen Beck en oder im Kreuz lokalisiert wurden und zuweilen auch
G Im Auszug vorgetragen auf der Versammlung Deutscher Naturforscher
und Aerzte in Bad-Nauheim, Sept. 1920.
*) Eukain B 0,1, Natr. chlorat. 0,8, Aq. dest. ad 100,0.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
231
von hier aus nach unten oder oben ausstrahlten, in ganz auffallend
günstiger Weise beeinflusst.
Ueber die erzielten Resultate mögen die nachfolgenden kurzen Aus¬
züge aus den Krankengeschichten Auskunft geben.
1. R. Karoline. 1918 „Entfernung des rechten Eierstocks“ aus nicht be¬
kannter Ursache. Pat. klagt jetzt über ziehende Schmerzen im Kreuz, be-
sjoders auf der rechten Seite, ferner über Uebelkeit und „allgemeine Ueber-
empündlichkeit“. Organe ohne nachweisbaren krankhaften Befund. Reflexe
leftht auslösbar, Dermographismus. Luesreaktionen negativ. Diagnose: Neur¬
asthenie, Adhäsionsbeschwerden (?). Nach Injektion von je 70 ccm Eukain-B-
Lösung waren die Kreuzschmerzen dauernd verschwunden.
2. H. Maria. Im Anschluss an einen fieberhaften Abort traten Schmerzen
im kleinen Becken auf, die nach dem linken Bein zu ausstrahlten. Wegen
ständiger Zunahme der Schmerzen suchte Pat. die Klinik auf. Befund: Pat.
hinkte auf dem linken Bein. Die Mitte der linken üesässfalte auf Druck
schmerzhaft, Lass^gue und Kernig negativ. Gynäkologisch eine mobile
Retrotlcxio. Im übrigen liess sich — auch röntgenologisch — kein krank¬
hafter Organbefund erheben. Trotz Aufrichtens des Uterus und Einlegen
eines Pessars bestanden die ins linke Bein ausstrahlenden Schmerzen in un¬
verminderter Heftigkeit fort. Pat. lag dauernd im Bett, beim Versuche auf¬
zustehen, konnte sie sich nicht auf das linke Bein stützen. Unmittelbar
im Anschluss an eine Injektion von 100 ccm Eukain-B-Losung waren die
Schmerzen verschwunden. Pat. konnte am nächsten Tage aufstehen und
ohne Hinken, sowie überhaupt ohne jegliche Beschwerden umhergehen. Bei
einer Nachkontrolle — 6 Wochen später — war das Befinden unverändert
gut.
3. M. Erna, 38 J. Pat. hat früher wiederholt „Gebärmutter- und Eileiter-
entzOndung“ durchgemacht. Seit einem halben Jahr Schmerzen im Rücken
und im rechten Bein. Moorbäder und Elektrisieren waren erfolglos. Auf
Dampfbäder und Massage hin war eine Verschlechterung des Zustandes ein¬
getreten. Gynäkologisch fand sich nur eine umschriebene, äusserst schmerz¬
hafte Druckstelle am unteren Rande des rechten Musculus pyriformis. Im
übrigen war kein krankhafter Organbefund zu erheben. Nach der Eukaininjek-
tion waren alle Schmerzen „wie weggeblasen“. Pat. wurde 2 Tage später
geheilt entlassen (Beobaebtungsdauer 5 Monate).
4. C. Karoline, 44 J. Pat. war angeblich früher immer gesund und hat
3 mal spontan geboren. Seit etwa einem halben Jahre werden die Menses
seltener und schwächer. Seit dieser Zeit besteht auch ein unangenehmer
ziehender Schmerz im Kreuz, der nach den Schulterblättern zu ausstrahlt.
Die Untersuchung ergibt ausser einigen vasomotorischen Stigmata keinen
krankhaften Befund. Diagnose: Klimakterischer Kreuzschmerz. Nach Injek¬
tion von je 70 ccm Eukain-B-Lösung beiderseits verschwanden die Schmer¬
zen dauernd.
5. G, J.uise, 48 J. Pat. klagt seit längerer Zeit über „Schmerzen am
Steissbein“ und ist deshalb wiederholt schon ohne Erfolg behandelt worden.
Ein krankhafter Befund ist an der angegebenen Stelle und auch im übrigen
Körper nicht zu erheben. Diagnose: Klimakterische Coccygodynie. Nach
Injektion von 100 ccm Eukainlösung an die Vorderfläche des Steissbeins ver¬
schwanden die Schmerzen dauernd.
6. E. Paula, 23 J. Pat. klagt über Schmerzen im Kreuz und im kleinen
Becken. Ausser einem infantilen Genitale ist kein krankhafter Befund
zu erheben. Diagnose: Asthenischer Kreuzschmerz. Da die Beschwerden
jeder Therapie trotzten, so wurde schliesslich ein Versuch mit einer prä¬
sakralen Eukaininjektion gemacht, die prompt Heilung brachte.
7. S. Frieda, 26 J. Pat. kommt in die Klinik mit Klagen über Kreuz¬
schmerzen. Ausser einem mässigen genitalen Infantilismus ist kein krank¬
hafter Befund zu erheben. Auch hier führte ein Versuch mit Eukaininjektionen
zur Heilung.
Auf die Tatsache, dass wir bisher immer schon im Anschluss an die
erste Injektion Heilung; auftreten sahen, möchten wir kein allzujirosses
Gewicht legen. Der Standardfehter ist bei der relativ geringen Zahl
unserer Beobachtungen noch zu gross. Sollte also die erste Injektion
in einem Falle von keinem oder nur einem geringen vorübergehenden
Erfolg begleitet sein, dann erscheint uns — eine richtige Diagnose vor¬
ausgesetzt — ein Versuch mit weiteren Injektionen durchaus gerecht¬
fertigt. Irgendwelche Nebenwirkungen haben wir von den Injektionen
nie gesehen.
Die Wirkung der präsakralen therapeutischen Injektionen ist in
manchen Fällen zweifelsohne auf suggestive Momente zurückzuführen,
^nso sicher scheint uns aber zu sein, dass für andere Fälle diese Er¬
klärung nicht ausreicht. Dagegen sprechen schon einmal die zahlreichen
Heilungen von Ischias mit dem Verfahren von Lange, über die in der
Literatur berichtet wird. Man muss wohl mit Lange annehmen, dass die
injizierte Lösung eine mechanische Wirkung auf den Nerven und seine
Umgebung ausübt. Die relativ grosse, unter Druck in den Nerven
injizierte Flüssigkeitsmenge führt zu einem Auseinanderweichen seiner
Elemente. Lange setzt diese mechanische Einwirkung in Parallele
zu der stumpfen oddr blutigen Nervendehnung. Bei den präsakralen
Injektionen darf man ausserdem wohl auch noch eine quellende und er¬
weichende Wirkung auf allenfalls vorhandene narbige Schwielen im
Beckenbindegewebe annehmen.
Neben der hydrodynamischen Wirkung muss unseres Erachtens
den Eukaininjektionen aber doch auch eine gewisse pharmakologische Be¬
deutung zuerkannt werden. Umber glaubt zwar jede derartige Wirkung
aosschliessen zu können, da er bei Ischias nach Injektion von physio¬
logischer Kochsalzlösung (bis zu 170 ccm) ebenfalls gute Erfolge sah.
Es ist zuzugeben, dass die injizierte Flüssigkeit allein schon eine
mechanische Wirkung ausüben kann und dass bei rein funktionellen Neur¬
algien das Trauma der Injektion an und für sich schon zur Heilung
führen kann. Daneben darf man aber doch auch nicht vergessen, dass
selbst isotonische NaCl-Lösung kein pharmakologisch indifferentes Mittel-
fur den menschlichen Körper ist (Thies, RössIe. Straub, Ver¬
fasser).
In noch höherem Grade gilt dies von dem Eukain B. Dieses, das
Benzoylvinyldiazetonaikamin besitzt infolge seines benzovlierten
ekgoninähnlichen Kernes die anästhesierenden Eigenschaften des
Kokains (Vinci. Braun. H e i n z e). Daneben hat es aber auch
kurareartige Wirkungen. Es lähmt die motorischen Nervenendigungen,
den Vagus und auch den Sympathikus. Infolge dieses letzteren Um¬
standes erzeugt es Hyperämie. Endlich ist es ein auch in grosser Ver¬
dünnung noch wirksames Protoplasmagift. —
Nach alledem ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die injizierte
Eukain-B-Kochsalzlösung, trotz ihrer passageren Anw'esenheiL zu chemi¬
schen und physikalischen Umsetzungen in den mit ihr Infiltrierten Ge¬
weben führt und dass diese „passiven Gewebsläsionen“ dann im Sinne
Weigerts aktive, zur Heilung führende Prozesse auslösen können.
Die unerlässliche Vorbedingung für den Enfoll: therapeutischer
präsakraler Injektionen ist eine sorgfältige ätiologische Differenzierung
der geklagten Schmerzen. Nur dadurch bleibt man vor sicheren, in der
Natur der Dinge liegenden Versagern bewahrt.
So müssen bei Klagen über „Kreuzschmerzen“ zahlreiche Affek¬
tionen ausgeschieden werden, ehe man sich zu präsakralen Injektionen
entschliesst. Es kann hier natürlich nicht auf die komplexe .Aetiologie
und die oft so schwwrige diagnostische Analyse der Kreuzschmerzen
eingegangen werden. Es sei nur kurz darauf hingewiesen, dass die ge¬
rade beim weiblichen Geschlecht so häufige Enteroptose und Ob¬
stipation, dass ferner auch ein Pes planus und Erkrankungen der Arti-
culationes sacro-iliacae (Gonorrhöe. Gicht, statische Momente), sowie
beginnende Osteomalazie intensive Kreuzschmerzen auslösen können.
Nach Ausscheidung auch dieser Möglichkeiten neben den bekannteren
internen und gynäkologischen, bleiben für die präsakralen Injektionen
zunächst einmal die durchaus nicht so seltenen „klimakterischen" Kreuz¬
schmerzen übrig. Diese vom Becken aus oft bis zum Hinterkopfe auf-
steigenden schmerzhaften Sensationen trotzen nur allzu häufig jeder
Therapie. Opitz bringt sie, wohl mit Recht, in Zusammenhang mit
dem Grenzstrange des Sympathikus. Da nun die präsakral injizierte
Flüssigkeit zweifelsohne auch mit dem pelvinen Teile des Sympathikus
in Berührung kommt, so erklären sich leicht und ungezwungen die guten
Erfolge, die wir mit der Injektionstherapie erzielten. — Eine weitere
Domäne für die präsakralen Injektionen sind die sog. „funktionellen“
Kreuzschmerzen, wie sie vor allem bei allgemeiner Neurasthenie
und bei Hysterie Vorkommen. Endlich gehört hierher auch der
Kreuzschmerz bei einigen gynäkologischen Affektionen, nämlich einmal
der beim Krankheitsbilde der „Parametritis posterior" und dann der bei
pelveo-peritonitischen Adhäsionen in der Exavatio vesico-uierina. —
Wenn wir auch mit M a t h e s und einer grossen Reihe anderer Gynäko¬
logen der Ansicht sind, dass es eine isolierte, primäre Entzündung
des bindegewebigen Kernes der Douglasfalten nicht gibt, so führt be¬
kanntlich doch die chronische, sklerosierende Form der Parametritis
häufig auch zu zirrhotischen Prozessen in den an sympathischen Nerven
und Ganglien so reichen (Frankenhäuser. Knüpfer, Roith,
Kehrer) Ligamenta sacro-uterina und im präsakralen Bindegewebe.
In diesen Fällen dürfte die injizierte Lösung schon allein durch ihr
Volumen dehnend auf die narbigen Schwielen wirken. Dazu kommt
dann die erweichende Wirkung der Flüssigkeit und der Eukainhyper-
ämie. — Auch bei peritonitischen Adhäsionen in der Excavatio recto-
uterina haben wir Gutes von den präsakralen Injektionen gesehen. Die
Beckenperitonitis führt ja in der Regel auch zu einer mehr oder minder
intensiven Beteiligung des subperitonealen Bindegewebes. Auf diese
Weise kann sie durch Druck und Zug auf die im kleinen Becken ver¬
laufenden Nerven neuralgiforme Beschwerden auslösen. — Es soll hier
durchaus nicht kritU^losen Einspritzungen bei den genannten beiden
Affektionen das Wort geredet werden. Die Indikationsstellung zu den
präsakralen Injektionen ist oft recht schwer und dies um so mehr, als
man gerade bei der Pelveoperitonitis chronica adhaesiva nicht ohne
weiteres alle subjektiven Klageu lokaler und allgemeiner Natur in Zu¬
sammenhang mit dem Lokalbefund bringen darf (P a n k o w). Immerhin
zeigen aber doch unsere Erfolge, dass man bei nicht allzu groben
anatomischen Veränderungen den Zustand günstig beeinflussen kann.
Ein weiteres Anwendungsgebiet für präsakrale Injektionen ist in der
Coccygodynie gegeben. Wenn hier Verletzungen des Steissbeins,
Erkrankungen der Genitalien und des Rektums (Fissuren. Fisteln, Neu¬
bildungen usw.>, sowie endlich Tabes und ein Pes planus als ätiologische
Momente ausgeschaltet sind, dann erscheint ein Versuch mit Eukain-
injektionen zum mindesten als erlaubt. Aber auch bei Neuralgien des
Plexus coccygeus infolge von periostitischen Prozessen post partum
erscheint eine Besserung oder Heilung durch Injektionen nicht aus¬
geschlossen.
Von den Extremitätensc h'm erzen kommt in erster Linie
die Ischias in Frage. Bei der polyvalenten Aetiologie neuralgiformer
Symptome im Ischiadikusgebiet ist eine sorgfältige differential¬
diagnostische Sichtung durchaus nicht leicht. Sie ist aber unbedingtes
Erfordernis.
Von den primären Erkrankungen des Nervenstammes scheiden die
akuten Entzündungen naturgemäss aus. Dagegen sahen wir in einem
als chronische Ischias anzusprechenden Falle, der einen charakteristi¬
schen Druckpunkt am Austritt des Nerven aus dem kleinen Becken bot,
einen eklatanten Erfolg. Auch bei schwieligen Prozessen im Becken¬
bindegewebe mit konkomitierenden Neuralgien im Ischiadikusgebiet
konnten wir Heilung erzielen. — Von einer gewissen Bedeutung ist die
Tatsache, dass bei Neuritis eines Extremitätennervenstammes dei'
Schmerz oft nur in die distalen Teile der betroffenen Extremität, also in
das periphere Astgebiet verlegt wird (0 r t n e r). So klagen Kranke mit
Neuritis des Ischladikus zuweilen nur über “Schmerzen Im Knie .oder . in .
der Ferse. Auch in diesen Fällen darf man von präsakralen Eukain-
3*
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
232
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT^
Nr. 8.
injektonen Erfolg erwarten. — Prompte Wirkung sahen wir auch in
einem JFalle von klimakterischer Neuralgie im Ischiadikusgebiet. — lieber
die BL^einflussung von Ischias infolge von Perisigmoiditis haben wir
keine Erfahrung. Sind die Ischiassymptome durch Varizen oder un¬
gleiche statische Belastung etwa infolge eines Plattfusses bedingt, dann
sind präsakrale Injektionen natürlich nutzlos. — Bei beiderseitiger Ischias
sind intramedulläre und intraspinale Prozesse. lerner Diabetes, Gicht,
chronische Obstipation, Lues, beginnende tuberkulöse Peritonitis und die
gerade bei Frauen so häufige Insufficientia vertebrae auszuschliessen ®).
Den Vorzug unserer kleinen Modifikation sehen wir darin, dass
man sich nicht auf dip Beeinflussung eines ein^nen Nervenstammes zu
beschränken braucht, sondern dass man den ganzen Plexus und auch
den pelvinen Abschnitt des Sympathikus unter die Wirkung der injizierten
Flüssigkeit setzen kann.
Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass wir in den präsakralen
Injektionen nicht viel, mehr als ein symptomatisches Mittel erblicken.
Symptomatische Behandlungsmethoden haben aber' immer etwas Miss¬
liches und Unbefriedigendes. Trotzdem glauben wir unsere Modifikation
empfehlen zu dürfen, da sie einfach und unschädlich ist und da sie; wie
unsere Beobachtungen zeigen, in manchen refraktären Fällen zu dauern¬
dem Erfolge führen kann.
Aus der IIL medizinischen Universitätsklinik (Vorstand: Prof.
F. Chvostek) und der Universitätsklinik für Dermatologie
und Syphiliddlogie (Vorstand: Hofrat Prof. Q. Riehl) in Wien.
lieber eine Hautveränderung bei chronischer Zirkuiations-
störung.
Von L. Hess und W. Kerl.
Wenn man 1m Verlaufe kardiovaskulärer oder renaler Erkrankungen
sein Augenmerk den Veränderungen zuwendet. die sich an der Hautdecke
des Körpers abspielen, so lassen sich mehrere Stadien mit ziemlicher Deut¬
lichkeit differenzieren. Parallel zum Höhestadium der Erkrankung finden
sich, in wechselndem Grade ausgebildet, ödematöse Hautschwellungen,
die mit Blässe oder Zyanose einhergehen und für deren Lokalisation und
Entwicklung mehrere Momente massgebend sind: Neben dem Einfluss
der Schwere lokale Gefässwandalterationen und die Textur der binde¬
gewebigen Hautschicht. Den sichtbaren Oedemen bei Zirkulationsstörungen
gehen aber unzweifelhaft Störungen im Wasserhaushalt voraus, deren
Ausdruck unter anderem der scheinbare Gewichtsanstieg ist. der bei
vielen kardialen Erkrankungen beobachtet wird, noch bevor Oedeme
oder Hydropsien konstatiert werden können und der bei Bettruhe unter
Ansteigen der Diurese alsbald absinkt. Diesem präödematösen Gewichts¬
anstieg entspricht eine Veränderung der Haut,- die an verschiedenen
Lokalisationsstellen verschieden in Erscheinung tritt.
Im Gesicht fällt eine eigentümliche Blässe und pastöse' Beschaffen¬
heit der Wangen auf, ohne dass das Bestehenbleiben des Fingereindruckes
nachweisbar wäre. Bei Berührung der Arme, der Bauchdecke, ins¬
besondere bei leichtem Darüberstreifen hat man das Gefühl einer Locke¬
rung des Konnexes zwischen den oberflächlichen Epidermislagen und
den tieferen Hautschichten. Die ersterwähnten Veränderungen in der
Haut des Gesichtes überwiegen an Häufigkeit. Sie erinnern an die
pastöse Hautbeschaffenheit bei der Chlorose sowie an vermehrte
Turgeszenz der Haut, wie sie bei Menstruierenden oft in Erscheinung
tritt. Diese Schwellungszustände unterscheiden sich aber durch ihre Flüch¬
tigkeit von den in Rede stehenden Veränderungen bei Zirkulations¬
störungen und renalen Erkrankungen.
Bei den letzteren Erkrankungen kann das präödematöse Sta¬
dium nach verschieden langer Dauer in echtes Oedem übergehen, ln
seltenen Fällen aber, auf die wir im Folgenden die Aufmerksamkeit len¬
ken wollen, kommt es weder zu echter Oedementwicklung noch auch zur
Rückbildung der Haut zur Norm, sondern der durch Monate
stabile Zustand führt sekundär zu ganz bestimmten
klinischen Veränderungen, fürdie auch histologische
Belege zu erbringen sind.
Die Haut an den unteren Extremitäten ist vorzugsweise befallen.
Die deutlichsten Veränderungen finden sich am Fussrücken und an der
Streckseite der distalen Hälfte des Unterschenkels, gelegentlich auch in
der Nabelgegend. Die Haut fällt durch Blässe oder Zyanose
auf, die Oberfläche schilfert bis>^eilen kleinlamellös ohne wesent¬
liche Aenderung des Oberflächenreliefs ab. Die Haut erscheint ge¬
spannt und liegt den unterliegenden Schichten innig an. Sie in Falten
abzuheben gelingt nicht. Die Konsistenz der Haut ist in toto vermehrt.
Bisweilen finden sich die geschilderten Veränderungen auch an der
Rück- und Innenfläche der Oberschenkel. Erweiterung der oberfläch¬
lichen Venen in dem Ouellgebiet der Vena saphena fehlen, ebenso sind
Veränderungen, wie sie nach entzündlichen Vorgängen, insbesonders bei
Varizen häufig auftreten, Pigmentverschiebungen, Atrophien etc., nicht
festzustellen.
Dem klinischen Befund entsprechen anatomische Veränderungen, die
sowohl das Epithel, als auch die bindegewebigen Schichten der Haut
betreffen. Die ersteren scheinen mehr sekundärer Natur zh sein: sie
’) Anmerkung bei der Korrektur: Vor kurzem hat Gudzent (M.m.W.
1921: Nr. 4 .S. 121) darauf hingewiesen, dass auch eine Spina bifida occulta
klinisch als 'Ischias in Erscheinung treten kann.
Digitized by Goiisle
dokumentieren sich als eine Verbreiterung des Stratum corneum. das
stellenweise von den Lagen des Rete abgehoben ist. Das Rete Malpighi
ist grösstenteils verschmächtigt, an vielen Stellen sind die Zellagen auf
2—3 reduziert; der Zellverband erscheint gelockert. Um die Zellkerne
finden sich helle Höfe; die Zellen selbst erscheinen aufgequollen. Die
Schichte der Basalzellen enthält reichlich körniges Pigment. Die Rete¬
zapfen sind seicht, unregelmässig, zuweilen verzweigt, im allgemeinen
verkürzt und verschmächtigt. Dementsprechend sind die Papillen der
Kutis verbeitert, kurz, plump. Die Faserzüge des Bindegewebes sirili
verquollen, die fibrilläre Struktur ist vorwiegend in den oberen Lagep
fast verschwunden. Das Protoplasma der BindegewebszeUen zeigt
Vakuolisierung. Auffallend weite, blutleere Gefässlumina sind bereits in
den oberen Bindegewebsschichten wahrnehmbar. Zwischen den ge¬
quollenen Bindegewebsbündeln verlaufen insbesondere parallel zur Haut¬
oberfläche gerichtete Saftlücken und Spälten (Oedem). Im ganzen
Korium sind die Gefässe stark erweitert.
Veränderungen an den Arterien lassen sich in der Kutis und in der
Subkutis nachweisen; Die Intima ist gewulstet, so dass das Gefässlumen
verengert wird. Die Media und Adventitia sind in geringem Grad ver¬
dickt. Schwere Veränderungen zeigt das elastische Gewebe. In der Pars
papillaris und in den oberen Lagen der Pars reticularis fehlt es voll¬
kommen, in den folgenden Schichten des Koriums sind die elastischen
Fasern verschmälert. Erst in den tieferen Bindegewebsschichten findet
man das elastische Gewebe wieder annähernd der Norm entsprechend.
Es handelt sich also imi eine ödematöse Durchtränkung der gesamten
Hautdecke, die am intensivsten in den bindegewebigen Schichten des
Koriums ausgeprägt ist und die Ouellung der Faserzüge bis zu voll¬
kommener Undeutlichkeit der Struktur zur Folge hat^m auffallendsten
ist im histologischen Bild das vollkommene Fehlen i^s elastischen Ge¬
webes in den 'oberen Schichten des Koriums. Das Epithel zeigt neben
ausgesprochener Atrophie Parakeratose und Hyperkeratoser Entzündliche
Veränderungen, wie sie Ziegler auch bei Stauungsödemen in ge¬
ringem Grade findet, fehlen vollständig. Damit ist ein Unterschied ge¬
geben gegenüber dem Oedepi, sei es entzündlicher Natur oder mecha¬
nischer Genese.
Von der Sklerodermie trennt sich der Prozess durch das Fehlen von
regressiven Vorgängen im Bindegew^ebe ab, sowie auch klinisch durch
das Fehlen von Zeichen der Atrophie.
Beim varikösen Symptomenkomplex, dessen klinische Manifestation
der hier beschriebenen Hautveränderung sehr nahestehen kann, handelt
es sich nach den Untersuchungen von Nobl um perivaskuläre ent¬
zündliche Vorgänge: in unseren Fällen konnten Entzündungserschel-
nungen, wie schon bemerkt wurde, nicht nachgewiesen werden.
Literatur.
Nobl Q.: Der variköse Symptomenkomplex. Wien 1910. — Zieg¬
ler K.: Histologische Untersuchungen über das Oedem der Haut und des
Unterhautzellgewebes. Zieglers Beitr. 36. 1904. S. 435.
Aus der Medizinischen und Nervenklinik Tübingen.
(Vorstand: Prof. Dr. O. Müller)
Beobachtung der SchweissdriisenausfOhrungsgänge mit
dem Kapillarmikroskop.
Von Dr. W. Parrisius, Assistenzarzt der Klinik.
Bei Beobachtung der Kapillaren an der Nagelbasis nach der
Müller-Weisssehen Methode fand ich, dass man ausser den Kapil¬
laren auch noch die Schweissdrüsenausführungsgänge sehen kann. Will
man sie zu Gesicht bekommen, so stellt man am besten zur Orientierung*
zunächst die Kapillaren nach Betupfen der Nagelwurzel mit Oel bei
schwacher Vergrösserung und auffallendem Licht scharf ein, dann hebt
man den Tubus durch Drehen des groben Triebes um etwa 5 bis 10“.
also etwa um einen Zahn der Tubusregulierung, was etwa einer Er¬
hebung des Tubus um 1 mm entspricht. Es werden nun die Kapillaren
eben undeutlich, dagegen fallen einem nunmehr spiralige Gebilde auf,
von perlgrauer Farbe, in Abständen von einander parallel verlaufend,
die etwa dem Raum entsprechen, den 5 bis 10 Kapillaren neben einander
einnehmen. Sie sind mehr oder weniger geschlängelt, je nach Füllung
mehr oder w^eniger dick, etwa doppelt so dick wie der venöse Schenkel
der Kapillaren von mittlerer Stärke. Die voedersten dieser Gebilde
sah ich noch über die vordersten Kapillaren hinausreichen. Das proxi¬
male Ende verliert sich in der Tiefe. Am distalen Ende sieht man
häufig, was beim Aufsuchen geradezu wegweisend sein kann, einen mehr
oder weniger grossen Schweisstropfen, der sich bei einiger Uebung leicht
von Luftblasen unterscheiden lässt. Diese sind hellglänzend, stark
spiegelnd, jene sind matter, etwa von perlartiger Farbe, häufig nicht ganz
rund, sondern mehr eiförmig, oder sogar nach dem distalen Ende der
Ausführungsgänge zu sich stark einschnürend. Hie und da sieht man
eine solche Schweissperle sich lösen und durch das Oel. davon¬
schwimmen, manchmal wiederholt sich dieses Spiel mehrere Mal hinter¬
einander, wenn die dazugehörige Drüse gerade lebhaft arbeitet.
So kann man die Schweisssekretion gut studieren: Lässt man den
Finger einige Zeit zur Beobachtung liegen, so wird er durch den auf¬
fallenden Lichtstrahl warm; es tritt lebhafte Blasenbildung am Ende der
Ausführungsgänge auf, die häufig erst jetzt sichtbar werden. Schon vor¬
handene Blasen vergrössern sich zu ganz grotesken Gebilden, einzelne
nahe stehende können zusammenfliessen. Durch Adrenalininjektion ist
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
233
die vorher durch die Wärme erzeugte Vergrösserung der Schweiss-
blasen zu kupieren, ja es können die Gänge hierbei sogar wieder un¬
sichtbar werden. Durch Pilokarpin wird die Schweissbildung gefördert,
ebenso durch psychische Erregung (Angst vor der Injektion, oder ähn¬
liches). Dass es sich tatsächlich um die Schweissdrüsenausführungs-
gänge handelt, steht nach obigen Beobachtungen ausser Zweifel. Man
vergleiche auch mit unserer Abbildung die Reproduktion eines senk¬
rechten mikroskopischen Schnittes dftrch die Haut im „Lehrbuch der
Histologie“ von S t ö h r (in der Ausgabe von 1910 auf Seite 358). W’ir
müssen uns ja denken, dass am Nagelfalz die Hautpapillen von ihrer senk¬
rechten Lage in die wagrechte übergehen (vergleiche hierzu die dies¬
bezüglichen Angaben in den Arbeiten von W e i s s und N i e k a u). Hier¬
aus erklärt sich, dass wir am Nagelfalz die Schweissdrüsenausführungs-
gänge auf eine längere Strecke verfolgen können, während dies an
anderen Hautstellen nicht gelingt, da man hier ja senkrecht auf die
Mündung der Schweissdrüsenaiisführungsgänge sieht.
Unsere Abbildung ist auf Grund einer nach dem Leben gemachten
Zeichnung hergestellt und stammt von einem Patienten mit Basedow,
bei dem die Schweisssekretion besonders lebhaft war. Der auf dem
Bilde gezeichnete Massstab ist *,5 mm lang, jeder seiner 5 Teile ist
160 ß lang. Die Vergrösserung, mit der wir die Gänge sahen, betrug
36—40. Die Zeichnung fertigte Herr Universitätzeichner Dettel-
ba c h e r an.
Wie ein Kollege an unserer Klinik nachträglich fand, finden sich die
Schweissdrüsenausführungsgänge bereits in der ersten Arbeit von
Weiss über Kapillarbeobachtungen im D. Arch. f. klin. Med. Bd. 119
in der ersten Abbildung photographisch wiedergegeben, ohne dass sie
als solche beachtet und erkannt worden wären.
Literatur.
1. Beobachtung und mikrophotographische Darstellung der Hautkapillaren
am lebenden Menschen von E. Weiss mit einem Vorwort von O. Müller:
Arch. f. klin. Med. 119. 1916. — 2. Nie kau: Anatomische und klinische
Beobachtungen mit dem Hautkapillarmikroskop. Arch. f. klin. Med. 132, 1920.
Aus der Universitäts-Kinderklinik Erlangen.
(Direktor: Prof. Dr. Ja min.)
Zur Kenntnis der Stenose der oberen Luftwege bei Grippe.
Von Privatdozent Dr. Ernst Stettner.
Ueber die Verengerungen der oberen Luftwege bei der Grippe sind
seit den ersten Veröffentlichungen während der grossen Epidemie vor
2 Jahren eine Reihe von Erfthrungen bekannt gegeben worden; auf
einige noch nicht völlig geklärte, aber praktisch wichtige sei hier die
Aufmerksamkeit gelenkt.
Sehr schwierig ist meist die Differentialdiagnose gegen¬
über der diphtherischen Stenose. In beiden Fällen kommt es zu Aus¬
schwitzungen auf Trachea und Kehlkopf. Die vorzügliche Lokalisation
auf Kehlkopf bei der Diphtherie und das häufigere Befallensein der Tra¬
chea bei der Grippe ist nicht so konstant, dass etwa aus den Verschieden¬
heiten des Atemmechanismus bindende Schlüsse abgeleitet werden
können. Dagegen ist der pathologische Vorgang auf der Schleimhaut
bei beiden Erkrankunge» ein verschiedener. Klinisch macht sich dies,^
an dem Vorherrschen von katarrhalischen Erscheinungen bei der Grippe
in Bronchien und oberen Luftwegen bemerkbar, während diese bei
reinen Fällen von Diphtherie fehlen. Das Stenosengeräusch der Diph¬
therie erscheint daher trocken, bei der Grippestenose feucht, rasselnd,
unrein. Bei der Untersuchung des Rachens wird bei den Grippekindem
im Gegensatz zu den Diphtheriekindern ungemein reichlich eitriger
Schleim hervorgewürgt, der meist von zäher, manchmal klumpiger Be¬
schaffenheit und grüngelber Farbe ist. Der Nachweis des begleitenden
Digitized by Google
Katarrhs, einer reichlich schleimig-eitrigen Exsudation gibt also brauch¬
bare differentialdiagnostische Handhaben.
Dieser Umstand leitet aber auch unser therapeutisches Han¬
deln. Wolff-Eisnerhat zur Grippebehandlung, insbesondere bei
Lungenkomplikationen, die Vernebelung von Adrenalinpräparaten vor¬
geschlagen. Wir haben uns dieser Massnahme bei der Behandlung
unserer Grippestenosenkinder bedient und mit Hilfe des S p i e s s sehen
Medikamentenverneblers Glycirenan mit Sauerstoff atmen lassen. Es
zeigt sich dabei, dass durch die Wirkung des feinverteilten Medikamen¬
tes die Exsudation der Schleimhäute sehr bald nachlässt und dadurch
die Luftwege für die Dauer der Wirksamkeit des Mittels wesentlich
freier werden. Mit dem Wegfall der durch die Flüssigkeitsbeimengung
auftretenden Begleitgeräusche nimmt nun das Grippestenosengeräusch
klinisch völlig den Charakter des trocken klingenden Diphtheriestenosen¬
geräusches an. Da die Adrenalinatmung nicht ununterbrochen angewandt
werden kann, schalteten wir Pausen ein, die jeweils unterbrochen, wur¬
den, wenn die Rückkehr der Flüssigkeitsausschwemmung es verlangte
(etwa alle halbe Stunde 2—3 Minuten Adrenalinatmung). Auf solche
Weise gelang es selbst in schweren Fällen Herr der Lage zu werden.
Als sonstige unterstützende Mittel kommen Senfwickel, Herztonika
etc. in Betracht. Seruminjektionen wird man sich gerne bedienen, von
ihnen aber keine spezifische Wirkung erwarten. Gegen Vornahme einer
Intubation spricht die Neigung zur Nekrose des Gewebes und das Vor¬
handensein des reichlichen katarrhalischen Sekretes, welches die Kanüle
immer wieder verstopft. Die Indikation zur Tracheotomie hängt von der
Lokalisation des Atmungshindernisses ab, ist der Prozess auf den Kehl¬
kopf beschränkt, so wird man sich ihrer auch bei der Grippe mit Erfolg
bedienen, ist aber, was meistens der Fall ist, die stärkste Ausschwitzung
über der Trachea, so wird durch den Eingriff nur eine neue Komplikation
geschaffen.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. Dr. Schmieden.)
Ein neues Verfahren der Gasfüllung für das Pneumo¬
peritoneum.
Von Dr. Otto Ooetze, Oberarzt und Privatdozent.
Die pneurnoperitoneale Röntgendiagnostik wird heutzutage -wegen
ihrer bestechend schönen Resultate sowohl bei der Durchleuchtung wie
im Photogramm allenthalben in zahlreichen Krankenhäusern geübt. Der
Beifall der Fachärzte auf dem Röntgenkongress 1920 ging augen¬
scheinlich unter dem Eindruck der vorgeführten Lichtbilder allzu gnädig
über den wunden Punkt der ganzen Methode hinweg, nämlich über die
theoretisch ungenügend begründete und darum fragliche Sicherheit der
Technik der Insufflation und die tatsächlich mitgeteilten Nebenver-
letzungen.
Es sind trotz vorschriftsrnässiger Punktion Magen-, Dünndarm- und
Dickdarmverletzungen vorgekommen; allerdings sind alle diese Fälle re¬
aktionslos geheilt. Die mit der Kanüle gesetzten Darmwunden sind ja
auch so winzig, dass es kaum verständlich erscheinen würde, wenn der
Verlauf ein weniger günstiger gewesen wäre. •
Und dennoch, die Eleganz und Werbekraft der Methode muss durch
derartige Vorkommnisse arge Einbusse erleiden.
Ich habe nun einen grundsätzlich anderen Weg eingeschlagen, der,
so hoffe ich, allgemein besser befriedigen und als Fortschritt empfunden
werden wird.
Ich habe das Prinzip des Verdrängens der Bauch¬
organe durch Druck beim Einstich ausführlich genug bereits in
meiner ersten Publikation (M.m.W. 1918 Nr. 46 S. 1275) in seinen Mög¬
lichkeiten entwickelt: In dem Augenblick, wo man mit der Hohlnadel,
durch die der Sauerstoff einströmen soll, das Peritoneum parietale über¬
schreitet und die Bauchhöhle betritt, müssen die anliegenden Organe
unverletzt zurückgedrängt werden. Als verdrängendes Medium kann ein
fester, ein flüssiger oder ein gasförmiger Körper benutzt
werden. Auch Kombinierungen zweier dieser Körper sind gut brauchbar
(automatische Kanüle, D e n e k e sehe Nadel, Schmidt sehe Nadel etc.,
Einstechen einer Hohlnadel unter strömender Luft oder strömender Koch¬
salzlösung).
Alle bisher angegebenen Verfahren beruhen auf diesen Prinzipien.
Es ist aber noch ein anderer Weg gangbar. Ich wies in der gleichen
Publikation darauf hin, dass ich bei annähernd aufrecht gestellten Pa¬
tienten nach Einblasen von nicht zu viel Gas exspiratorisch einen nega¬
tiven Druck, einen Sog im subphrenischen Raum messen konnte.
Eigene Versuche zur Physiologie der Zwerchfellbewegungen hatten
mir efiesös Verhalten schon lange als wahrscheinlich erscheint lassen.
Auch Pro pp in g (Arch. f. klin. Chir. Bd.92 H.4 und Bd. 114 H.3)
schliesst in seinen Arbeiten über den intraabdominalen Druck auf eine
konstante Zone unteratmosphärischen Druckes im obersten Bauchraum.
Diese Zone liegt aber so hoch, meist oberhalb der unteren Pleura¬
begrenzungen, dass die Aussichten auf eine glückliche Punktion dieser
Stelle nicht aussichtsvoll sind. Auch die Masse blutreicher weicher
Organe, Leber und Milz, stört allzusehr.
Es ist aber klar, dass beim kopfabwärtsgehängten Körper die
unteratmosphärische Druckzone im Becken entstehen
muss; und das lässt sich in der Tat gut nachweisen.
Auf dieser Basis baut sich mein Verfahren auf:
Der Patient wird, selbstverständlich nach gründlicher Entleerung
seiner Därme und der Blase (wie vor einer Operation) in rechte
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
234
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
S e i l c n 1 a K t* und in dieser in starke H e e k e n h o c h 1 a k e -
ruiiK gebracht: 45*’ haben sich stets als ausreichend erwiesen. Der
Patient darf dabei das Gefühl der sicheren Laj;eriin^ nicht verlieren: dann
bleiben die Bauchdecken schlaff und werden unterhalb der linken Spina
iliaca ant. sup. passiv stark eiiiKezuKen; ihr PiKeriKewicht kann in dieser
I-aRc nicht mehr druckverstärkend wirken: die BaucheiiiKeweide sinken
in die tief liegenden weiten subphrenischen Räume etc. Sticht man
nunmehr etwa 3- 4 UuerfinKer nabclwärts von der Spina iliaca ein
(s. Abb.). so wird Luft aiiKesoyten, wie bei einer Pleurapunktion, und
niaji hat einen ebenso sictieien Beweis, mit der Nadel die freie Bauch¬
höhle wirklich erreicht zu liaben. Lrst dann darf die eigentliche Lüllunt;
beginnen. Bei einfacher ISeckenliochla.ueriniK (in RiickenlaKc) lie.uen die
Verhältnisse erheblich un;;ünstiuer. da man der Isiase wejien etwa in der
Mitte zwischen Nabel und Svmphyse einstechen und da das (iewicht der
Bauchdecken überwunden werden muss: man müsste sehr hohe Grade
der Steilstelliniic mit dem Kopf nach unten anwenden, ehe man negativen
Druck gewinnen würde, wenn das überhaupt möglich ist.
Der Linstichpunkt bleibt am besten lateral vom Ik-reich des Mus-
culus rectus. (lefässverletzungen werden dann vermieden. Lokal¬
anästhesie und Stichinzision in die Haut erleichtern den Akt wesentlich.
Als Nadel benutze icli eine S—10 cm lange Lumbalpunktionskanüle von
etwa 1.4 mm Dicke: ihre Spitze ist halbscharf, etwas abgerundet, wie
sie bei einfachem Abschliff in einem Winkel von ca. 3(1*^ von selbst oval
entsteht. Sie noch meh.r abzustumpten. halte ich für verfehlt, weil man
dann nicht ohne Druck durch die Bauchdecken kommt. Die Nadel ist
an ein Wassermanometer angeschlossen und w ird langsam und vorsichtig,
unter sehr geringem Drücken, unter ständigem Drehen eingeführt. Die
einzelnen Bauchdeckenschichten fühlt man ganz gut. Sowie man die
freie ILmehhöhle erreicht, fällt der Druck im Manometer auf 2 bis
— 5 etn Wasser. Man kann dieses Ansaugen noch verstärken, wenn
man mit der linken Hand eine Hautfalte etwas nabelwärts von der Lin-
stichstelle emporzieht.
Hat man. w ie es zweckmässig ist. eine Zw eiw eghahnverbindung zum
Manometer und zum Gebläse, oder irgendeinen der eingeführten Gas¬
spender. so ist es nur ein Griff, um die Luft resp. den Sauerstoff cin-
strömen lassen zu können.
Ich benutze eine Kanüle ) mit länglichem, geriffeltem Griff, der sich
bequem zw isciien D.nimen und zw eitem und drittem Finger hin und her
drehen lässt. .Auf das möglichst drucklose Linbohren der Nadel unter
ständigem Drehen lege ich grossen \\ ert. w eil man so am wetiigsten
die Bauchdecke niederdrückt, wodurch sonst der so erwünschte intra¬
abdominale Sog in einen positiven Druck umgewandelt werden würde.
Der Schlauch wird mit einem Metallkonus auf die Kanüle gesetzt: man
kann dann so oft man will, bei stilliegender Nadel den Schlauch bequem
absetzen, das Manometer auf i) zurückschwingen lassen, wieder den
Schlauch auf die Kanüle setzen und somit wiederholt kontrollieren, ob
man sich in der freien Bauchhöhle befindet, d. h. ob jedesmal das Mano¬
meter wieder absinkt.
Ls ist empfehlenswert, die Gasfüllung der Bauchhöhle in der an¬
gegebenen Lage zu vollenden, weil w ir sonst bei den starken Muskcl-
verschiebungen die Aufsicht über die Lage der Nadelspitze verlieren.
Das neue Prinzip besteht also darin, dass die Därme nicht verdrängt,
weggedrückt oder weggeblasen werden, sondern dass sie die Möglich¬
keit gewinnen, dem (iesetze der Schwere folgend abzusinken, aktiv
auszuweichen, sobald sie nicht mehr durch den Sog in einer Zwangslage
hoch gehalten werden.
Ich habe fast von Anfang an, wie ja auch in meiner ersten Publi¬
kation angedeutet ist, fortgesetzt mich bemüht, an einer brauchbaren
Stelle künstlich einen iinteratmosphärischen Druck herzustellen: durch
einfache Beckenliochlagerung. durch Aufsetzen von Saugglockcn am
Oberbauch bei einfacher Beckenhochlagerung, oder durch Ziehen an
aufgcklebten Hestpflasterstreifen etc. Ich versuchte auch in Knieellen¬
*) Firma I)r<-ll. brankiiirt. K.uscrstr. 42 .
bogenlage vom hinteren Scheidengewölbe Luft ansaugen zu lassen.
Das alles muss im Vergleich zur seitlichen Beckenhochlagerung als wenig
geeignet bezeichnet werden.
Meine praktischen Erfahrungen habe ich nicht nur an Patienten mit
schlaffen, sondern auch an solchen mit sehr festen Bauchdecken gemacht,
z. B. an einem jugendlichen schlanken, sehr muskelkräftigen Sportsmann,
er zeigte 4 cm Wasserjiruck unter Null an.
Ich hoffe, dass sich die auf dieser Grundlage fassende Technik der
Gasfüllung für das Pneumoperitoneum als zuverlässig erweisen wird und
dass ihre Theorie und Praxis die allgemeine Anerkennung finden wird.
Denn wenn es auf andere Weise, wie ich allein in Hunderten von
Fällen gesehen habe, auch geht, so ist doch das Bessere stets der Feind
des (iuten, zumal wenn das Bessere auch unserem anatomischen Denken
und Fühlen Genüge tut.
Aus dem Hygienischen Universitätsinstitut (Direktor: Qeh. Rat
Prof. Dr. N ei SS er) und der Chirurgischen Universitätsklinik
(Direktor: Prof. Dr. Schmieden) zu Frankfurt a. iVl.
Ueber den Bacillus dertnophilus; ein Beitrag zur Wund¬
diphtheriefrage.
Von Dr. med. Carl Rohde, Assistenzarzt der chirurgischen
Universitätsklinik.
Neben pathogenen Keimen kommen in Wunden sehr häufig harm¬
lose Hautschmarotzer vor, die keinerlei klinische Bedeutung haben, und
denen insbesondere jegliche Invasionskraft und Toxinbildung fehlt. Ge¬
legentlich bakteriologischer Studien über die Flora der granulierenden
Wunde fanden wir in zahlreichen Fällen dem echten Diphtheriebazillus
morphologisch und kulturell auffallend ähnliche Stäbchen. In der Fassung
des Diphtheriebazillenbegriffes stehen wir mit Neisser auf dem Stand¬
punkte, dass alle Stäbchen, die abgesehen vom negativen Ausfälle des
Tierversuches noch in mehr als einem wesentlichen Punkte hinsichtlich
des morphologischen und kulturellen Verhaltens vom echten Diphtherie¬
bazillus abweichen, keine echten Diphtheriebazillen, sondern Diphtheroide
sind. DiQse Stäbchen, also die Diohtheroiden im Sinne N e i s s e r s,
die Pseudodiphtheriebazillen, die Paradiphtheriebazillen, die Xerose-
bazillen und andere hierhergehörige Stäbchen, haben mit dem echten
Diphthcriebazillus nichts gemein und sind harmlose Hautschmarotzer.
Wir haben für diese ganze Gruppe daher den Namen Bacillus der¬
mo p h i 1 u s (hautliebend) vorgeschlagen und wollen durch Vermeidung
eines Namens, in dem „Diphtherie“ irgendwie vorkommt, besonders her¬
vorheben, dass es sich dabei um ein ganz anderes Stäbchen handelt, das
weder bakteriologisch mit dem echten Diphtheriebazillus etwas zu tun hat,
noch klinisch irgendw'elche, ganz besonders aber keine diphtherischen,
Veränderungen hervorzurufen vermag. Ausserdem sind wir der Ansicht,
dass dadurch Verwechslungen, besonders hinsichtlich ihrer Bedeutung
für die Klinik, vermieden werden.
Wir fanden bei der Untersuchung von 117 Wundabstrichen (klinisch
diphtherieverdächtige und unverdächtige Wunden), abgesehen von 6 Fäl¬
len mit echten Diphtheriebazillen. 18mal den Bac. dermophilus; in 132
Eiter- bzw. Sekretuntersuchungen aus geschlossenen Phlegmonen und
Abszessen war er 3 mal vorhanden. Wir unterscheiden dabei 3 Unter¬
gruppen, einen langen Typ, einen kurzen Typ und einen Xerosetyp.
Einige Stämme wiesen zahlreiche Eigenschaften des echten Diphtherie¬
bazillus auf, so dass sie von uns anfänglich als echte Diphtheriebazillen
angesprochen wurden. Nur die genaue Prüfung aller morphologischen
und kulturellen Merkmale einschliesslich Tierversuch ermöglicht die
Unterscheidung vom echten Diphtheriebazillus, und zwar derart, dass
wir feststellen können: die Differentialdiagnose echter Diohtheriebazillus
— Bac. dermophilus ist bei Anwendung der einschlägigen Prüfungen
mit Sicherheit möglich. Wir möchten an dieser Stelle nicht auf diese
bakteriologischen Untersuchungsmetheden eingehen: sie finden anderen¬
orts genauere Erwähnung *).
An dieser Stelle wollen war nur darauf hinweisen. dass war den
Bac. dermophilus stets in Begleitung anderer Bakterien fanden, und zwar
sowohl auf klinisch stark diphtherieverdächtigen Wunden wie auch in
gleicher Weise auf völlig diphtherieunverdächtigen Wunden.
ln keinem Falle konnten wir Menschenpathogenität feststellen, wie
auch Tiervirulenz völlig fehlte. Die 3 Befunde von Bac. derm. in Phleg¬
monen bzw. Abszessen (stets mit anderen Bakterien zusammen) betrafen
oberflächlich liegende, subkutane Eiterungen, ausgehend von Hautver¬
letzungen; in tieferen Eiterungen wurde er niemals gefunden. Wir
sehen hierin eine w'eitere Stütze unserer Annahme des Bac, derm. als
eines harmlosen Hautschmarotzers ohne Invasionskraft.
Wir möchten somit im Gegensatz zu dem seltenen Vorkommen von
echten Diphtheriebazilien auf das häufige Vorkommen des Bacillus dermo¬
philus in Wunden und auf die Schwierigkeit seiner Differentialdiagnose
gegenüber dem echten Diphtheriebazillus hinw^eisen. Es ist bei den
so häufig mitgeteilten zahlreichen Befunden von echten Diphtheriebazillen
in Wunden wichtig, die Aufmerksamkeit auf diese Dinge zu lenken, um
Verwechselungen, die zu ganz falschen Schlüssen in der Frage der Wund¬
diphtherie führen, zu vermeiden.
•) Erscheint .ausführlich in Bruns' Beitr. z. klin. Chir.
Digitized by
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
_ _
25. Februar mh _^_ MÜI^HEWCR MTfliZlNISCMC WOCncr^nR^fT.
Aus der bakteriologischen Untersuchungsanstalt München.
Wassermannsche und Sachs-Georgische Reaktion
bei Syphilis.
(III. Mitteilung.)
Von Tr. Baumgärtel, Leiter der serologischen Abteilung.
Die vergleichenden Blutuntersuchungen nach Wassermann,
Kaup und Sachs-Georgi. über welche ich in meiner zweiten
Mitteilung^) berichtet habe, ergaben auffallende Empfindlichkeitsunter¬
schiede zugunsten der Sachs-Georgi sehen Ausflockungsreaktion j
gegenüber den beiden Alexinbindungsmethoden und bei diesen zum Vor¬
teil der a u p sehen Modifikation im Vergleich zur Wassermann-
schen Reaktion. Wie ich in m'einer ersten Mitteilung^) bereits hervor¬
gehoben habe, zeigte sich nämlich, dass die Untersuchungsergebnisse
der S a c h s - G e 0 r g i sehen Reaktion mit den Befunden der Kaup-
schen Modifikation bei weitem besser übereinstimmen, als mit denen
der Wassermann sehen Reaktion, indem bei den meisten Fällen
mit positiver Sachs-Georgi scher Ausflockung und nur schwach
positiver, zweifelhafter oder völlig negativer Wassermann scher
Reaktion die Kaup sehe Modifikation der Komplementablenkung positiv
ausfiel. Auffallendeinx'eise betraf dieser Befund vorwiegend jene spe¬
zifisch behandelten Luesfälle, bei welchen die nacii 2, 24 und 48 ständiger
Erw’ärmung der Versuchsröhrchen auf 37® abgelesene Sachs-
Georgische Reaktion ein verspätetes Auftreten der Flöckchenbildung
erkennen liess.
sehen Reaktion miteinander verglichen wurden. Jede dieser VerSuchi»-
reihen umfasst 500 in der hiesigen Anstalt fortlaufend untersuchte ^eren.
Zwecks besserer Uebersicht habe ich im folgenden zunächst ohne
Rücksicht auf die klinischen Befunde nur die serologischen Ergebnisse
dieser 3 Versuchsreihen nach dem zeitlichen Auftreten und der Be¬
ständigkeit der Sachs-Georgi sehen Ausflockung einerseits und
dem Ausfall der Wassermann sehen und Kaup sehen Reaktion
anderseits zusammengestellt. Wie in meiner früheren Mitteilung habe
ich die Versuchsresultäte mit positiv (+), schwach positiv (±), zweifel¬
haft ( + ) und negativ (—) bezeichnet, je nachdem eine völlige, deutliche
bis spurenweise Hemmung der Hämolyse bzw. eine starke, schwache
! bis feinste Ausflockung oder ein gänzlich negativer Reaktionsausfall be¬
obachtet werden konnte. Ich habe ferner — wie früher — die Ergeb¬
nisse der Wassermann sehen und Kaup sehen Reaktion nach der
Stärke des Reaktionsausfalls unterschieden und die Befunde so grup¬
piert. dass ich die Fälle mit positivem bzw. schwach positivem Aus¬
fall der Wassermann .sehen und Kaup sehen Reaktion zusammen¬
stellte und diese Fälle von jenen trennte, bei welchen nur die Kau psche
Reaktion bzw. nur die Wassermann sehe Reaktion positiv ausfiel
octer sowohl die Wassermann sehe als auch die Kaup sehe Re¬
aktion versagte. Um die Ergebnisse der klassischen Wassermann-
schen Reaktion mit denen der modifizierten Wassermann sehen
Methode vergleichen zu können, habe ich die Ziffern, welche die jeweils
ein.schlägigen Fälle angeben, bei der verfeinerten M-ethode durch ein
O-Zeichen hervorgehoben.
In Tabelle 1 sind die Ergebnisse der ersten Versuchsreihe auf-
, geführt, bei welcher 500 Blutproben nach Kaup, Sachs-Georgi und
Tabelle 1.
1 I Sucbs-Georgische Re.iktion uacli 2-, 24- und 48atündiger Verauchsdauer;
Ä
iS
X
+
+
+
±
-f
4-
-H
±
+
+
+
+
-f
i
4-
4-
+
_
I++I 1
+
+
+ •
Sa.
+
+
56 (62)
_
- (1)
4 (5)
- (1)
.
_
- (D
_
•
60 (70)
-f
6(9)
- (i)
2 (4)
1 (1)
—
—
- (1)
- (D
- U)
—
—
—
9 (18)
+
—
—
— (1)
—
—
—
—
—
1 (l)
—
1 (2)
±
T
1 (3)
- (!)
—
-d)
—
- (i)
—
—
- (0
—
-CI)
—
-
—
1 (8)
-4-
8 i4)
(1)
1 (-;
1 <1)
1 (1)
—
—
- (3)
2 (-)
- (I)
1 (1)
- (1)
—
14 (13)
—
+
6 (1)
2 (-)
4 (1)
2 (1)
1 (1)
1 (1)
—
7 (3)
—
2 (1)
1 (-)
1 (0
28 (10)
-t-
+
1 (-) 1
1 (-)
—
1 (-)
1 (1)
1 -
—
—
- (2)
—
1 (-)
—
5 (3.
—
1 <-) 1
—
1 (1)
1 2 (1)
—
—
3 (-)
—
1 (1) 1
—
1 1 (-) 1
1 (1)
10 (4)
-f 1 +
1 - 1
LZ.-fJ
1 - 1
1 - 1
1 —
l_r:_
1 - i
1 - 1
1 - 1
1 1 (1) 1
—
1 - 1
iHi
1 _1J1)_1
1 2 (2)
+
1 (1) 1
1 _
_
—
_
1 _
_
_
_
_
1 (D
1 (1) 1
—
-(1)
- (1)
j _ 1
_
1 (1> 1
—
—
- (1)
—
—
—
- (8)
—
1 (l) 1
—
1 2 (1) 1
2 (1'
—
2 (2)
—
1 (-)
1 (1)
—
356 (856)
369 (.366)
Sa.
81 (81) j
,.4)|
1 (1)
14 (14) '
8 (8)
1 3 i8) i
. 1
1 CD 1
12 (12) 1
2 (2) 1
6 6) 1
3 (3) i
2 (2)
1 (1)
359 (359)
500 (.’iOO)
Diese Feststellungen veranlassten mich, neue Versuche anzustellen,
bei welchen die methodisch beabsichtigte Unempfindlichkeit der klassi¬
schen W a s se r m a n n sehen Reaktion auf ein Minimum beschränkt
werden sollte, um auf diese Weise eine verfeinert-c Wassermann sehe
Reaktion zu erhalten, welche zur Klärung jener fraglichen Divergenz¬
fälle an Stelle-der versuchst-echnisch schwierigen Kaup sehen Modifika¬
tion herangezogen werden kann. In engster Anlehnung an die Unter¬
suchungen K a u p s habe ich zu diesem Zweck den bei der Wasser-
mann sehen Originalmethode üblichen. Komplementüberschuss herab¬
zumindern versucht und zwar dadurch, dass ich — unter sonst gleichen
Versuchsbedingungen — 1. die doppelte Serumm-enge. 2. die einfache
Serummenge mit halber Komplementdosis und 3. die doppelte Serummenge
mit halber Komplementdosis nach Wassermann untersuchte. Die
vorliegenden Untersuchungen umfassen somit drei Versuchsreihen, bei
welchen die Ergebnisse der Original - Wassermann sehen, K a u p -
sehen, Sa chs-Georgi sehen und der modifizierten Wassermann-
M.m.W. 1920 Nr. 36 S. 1034—1036 -) M.m.W. 1920 Nr. 15 S. 421—423.
sowohl in einfacher (1:5) als auch in doppelter (1 :2,5) Serumkonzen¬
tration nach Wassermann untersucht wurden. Bei 144 dieser
500 Seren konnte mit irgend einer der 4 angewendeten Methoden ein
positiver Befund eirhoben werden; die übrigen 356 Seren reagierten
mit sämtlichen Methoden vollständig negativ. Im Hinblick auf die vor¬
liegende Frage seien die verschiedenen Kombinationen der einzelnen Ver-
suchsresultate zunächst ausser acht gelassen und nur die Gesamt¬
ergebnisse der S a c h s - G e 0 r g i sehen Reaktion mit denen der
Kaup sehen Modifikation und diese Befunde mit denen der klassischen
bzw. modifizierten Wassermann sehen Methode verglichen. Es
ergibt sich, dass von obigen 144 Fällen (60 + 9+1 + 1+2=) 73
(= 50,7 Proz.) nach der W a s s er m a n n sehen Originalmethode,
(70+ 18 + 2 + 8 + 2=) 100 (= 69,4 Proz.) nach der modifizierten
Wassermann sehen Reaktion, (60 + 9+1 + 1 + 14 + 28 + 5 + 10 =)
128 (= 88,5 Proz.) nach 'Kaup und (81+4 + 1 + 14 + 8 + 3+1 + 1
+12+ 2 + 6 + 3 + 4 + 1 =) 141 (= 97.9Proz.) nach Sachs-Georgi
positiv sind. Es bestehen somit (141 —73=) 68 (= 47,2 Proz.) Diver¬
genzfälle zwischen Sachs-Georgi scher und Original -Wasser-
Tabelle 2.
Sachs
-Georgische Reaktion nacli 2-,
24- und 48!.tündiger Veisuchsdauer:
x
3
+
+
±
4:
* +
4-
4-
-
-
-
4-
-
■ —
-
+
+
-
Sa.
u;
-f
4-
±
4-
-f
±
±
+
+
+
4-
+
4-
—
■ —
—
4-
+
4-
4-
+
4-
4-
4-
4:
t
4-
±
-F
—
—
4-
+
4-
72 (86)
1(6)
1(2)
_
2 (2)
3(5)
- (2)
_
-
_
1 (2)
-
— (2)
_
_
-d)
80 (108 )
±
6 (7)
4(8)
- d)
- (1)
1(5)
2 (8)
-
2(1)
1 (1)
—
—
+(-)
-d)
2(4)
—
—
• —
1 (2)
20 (.34)
_±
±
2 (1)
-
—
—
(2)
1 1)
- d)
-
- (2)
—
- (D
—
— (1)
—
—
—
—
-
3(9)
' 4-
— (1)
-
—
-
—
- (1)
-
—
—
—
—
—
—
—
—
-(2)
13 CD
1W4)
2(->
1 (-)
4(-)
3(1)
—
1 (-)
-(8)
—
—
~d)
l(-)
4(—)
—
— 1)
1 ' -)
41(11)
—
+
3(-)
3(1) 1
-
—
1(1)
l(-)
—
—
4(1)
—
—
1 (-)
2 (2)
—
—
—
l(-)
4 (% .)
20(8)
+
—
' — ■ 1
! —
—
l(-)
-d)
—
—
2(-)
—
H-)
—
1 d)
- (D
— 1
—
—
-d)
" 5 (4)
— 1
±
1 <1)
— 1
! —
—
l(-)
2( )
1C-)
— 1
— 1
-
—
1' —
1(—)
1 (-)
— 1
i —
—
1 (—)
8(1)
2(2)
-d) 1
1 -
—
- (1)
—
- 1
1 -
— 1
—
' —
—
—
—
; _
—
2(3)
4(7)
+
1"^
—
— 1
1 -
—
—
—
— i
r -
— 1
—
—
1 -
—
—
—
1 - ,
— (1)
—
-(!)"
.4^'
-±_
—
— 1
1 —
—
>-
—
— '
' -
—
—
—
1 —
1 -
—
—
—
1 (-)
—
1C-)
' -
1 +
— 1
— !
—
—
1(1) 1
— ■
— 1
—
— 1
—
—
—
Id)
l(-)
l(-) '
‘ —
T(—)'
— 1
—
1" 3 (3)
—
—
—
—
—
—
l.(-)
-
—
2 (8) 1
2(2)
—
-
1 d) 1
— '
' 2 2)
--
2 >2'
— 1
I~ —
1 d)
1 d)
—
i.399(399
418(414)
102 (102)1
22 (22) '
3(3) 1
1 d)
12 (12) 1
12 ;12) 1
1(1)
4(4) 1
i. ^
' 3 ^3)
Id)
5(5) '
> 5(5) 1
7(7
u.> 1
1(D 1
2 (9)
409 (4Ü9j
500 (50«''
Digitized by Go 'sle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
236
MÜNCHl:Nt:K MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
mannscher Reaktion und von diesen sind (128—73=) 55 (+ 80,9 Proz.)
nach Kaup und (100 — 73=) 27 (= 39,7 Proz.) mit der modifizierten
Wassermannschen Reaktion positiv. Also 27 (= 39,7 Proz.) der
68 Dlfferenzfällö zwischen der Original - Wassermann sehen und
der Sachs-Qeorgisehen Methode gaben mit der modifizierten
Wassermann sehen Reaktion ein übereinstimmend positives Re»-
sultat, während die Kaup sehe Reaktion in 55 (= 80,9 Proz.) dieser
68 Divergenzfälle edn positives Ergebnis sicherte. Die Verdoppelung
der Serummenge bei der Wassermann sehen Reaktion bewirkte
somit, dass 49,1 Proz. der nach Kaup positiv und Original-Wassermann
negativ reagierenden Fälle positiv wurden.
Tabelle 2 enthält dte serologischen Befunde der zweiten Ver¬
suchsreihe, bei welcher — neben Kaup und Sachs-Qeorgi —
die Wassermann sehe Reaktion mit den Komplementdosen von
1:10 und 1 :20 angestellt wurden. Wie aus der Uebersicht hervorgeht,
reagierten 201 der 500 untersuchten Seren mit mindestens einer dieser
4 Methoden positiv, die übrigen 399 vollständig negativ. Positiv waren
(80 + 20 + 3 + 4=) 107 (= 53,2 Proz.) Fälle nach der Wasser¬
mannschen Originalmethode (108 + 34 + 9 + 2+8=) 161 (=80,1 Proz.)
Fälle nach der modifizferten Wassermann sehen Reaktion (80 + 20
+ 3 + 41 +20 + 5 + 8=) 177 (=88,1 Proz.) Fälle nach Kaup und
(102 + 22 + 3+1 + 12+ 12 + 1+ 4 + 9 + 3 + 1+ 5 + 5 + 7 + 1 + 1=)
189 (94,0 Proz.) Fälle nach Sachs-Qeorgi. Von den (189 —107 =)
82 (= 56,6 Proz.) Divergenzfällen zwischen Sachs-Qeorgi scher und
Original - W a s s e r m a n n scher Reaktion waren somit (177 — 107=)
70 (= 85,4 Proz.) nach Kaup und (161 — 107 =) 54 (= 65,9 Proz. nach
der modifizierten Wassermannschen Reaktion positiv Die Ver¬
minderung der Komplementdosis von 1 :10 auf 1:20 hat somit bewirkt,
dass 77,1 Proz. der nach Kaup positiven und nach Original-Wasser¬
mann negativen Fälle positiv reagierten.
Kaupscher und S ach s- Q e o r gi scher Reaktion deutlich erkennen,
indem die W a s s e r m a n n sehe Originalmethode durchschnittlich nur
in 50,6 Proz., die Kaup sehet Modifikation in 89,4 Proz. und die
Sachs-Qeorgi sehe Reaktion sogar in durchschnittlich 97,3 Proz.
der Fälle positiv ausfiel. Ferner zeigte sich, dass die Modifikation der
Wassermann sehen Reaktion bei der I. Versuchsreihe (doppelte
Serumdosis) in 69,4 Proz., bei der II. Versuchsreihe (halbe Komplement¬
dosis) in 80,1 Proz. und bei der III. Versuchsreihe (doppelte Sen>mdosis
und halbe Komplementdosis) in 82,4 Proz. der Fälle positiv war.
In vollem Einklang mit meinen früher mitgeteilten Beobachtungen
fiel die Kaup sehe Modifikation in der weit überwiegenden Mehrzahl
der Fälle positiver Sachs-Qeorgi scher und negativer Original-
Wassermannscher Reaktion positiv aus. Das beseitigt meines Er¬
achtens jeden Zweifel an der diagnostischen Verwertbarkeit jener Aus-
flockungsbeifunde; um so mehr als auch die durch Verdoppelung der
Serumkonzentration sowie durch Verminderung der Komplementdosis
verfeinerte W a s s e r m a n n sehe Reaktion bei einem grossen Teil
dieser Differenzfälle positiv wurde.
Zur weiteren Ergänzung meiner früheren Befunde habe ich die ver¬
schiedenen Kombinationen der obigen Resultate der Original-
Wassermann sehen, Kaup sehen und Sachs-Qeorgi sehen Re¬
aktion in Tabelle 5 zusammngestellt und dabei wie früher die Fälle
einerseits geschieden, je nachdem Wassermann und Kaup positiv
(Rubr. 1), nur Kaup (Ruhr. 2) bzw. nur Wassermann (Ruhr. 3) positiv
oder Wassermann und Kaup (Rubr. 4) negativ ausgefallen waren;
anderseits die Fälle mit bleibender Ausflockung binnen 2 Stunden
(Rubr. a) sowohl von denen mit .Ausflockung nach 24 (Rubr. b) bzw.
48 Stunden (Rubr. c), als auch von denen mit wiederverschwindender
(Rubr. d) bzw. völlig fehlender (Rubr. e) Ausflockung gesondert.
Diese Zusammenstellung ergibt folgendes: Unter 1500 insgesamt
Tabelle 3.
o;
d
a;
o.
ue,
Sachs-Georg!sehe Reaktion nach 2-,
24-
und 48stündiger Versuchsdauer:
Sa.
+
-f
+
■f •+ 1+
±
+
4-
+
! +
+
4-
±
+
±
-f
+
+
±
4-
+
+
-
-f
56 (62)
4 (5)
-d)
_
_
_
_
-(1)
_
_
_
_
_
6») (70)
±
-f
6.9)
-d)
—
2 (4)
1 1 (1)
—
—
—
(-)l
! - d»
—
d)
-
9 18)
±
—
—
—
—
— d)
—
—
—
—
—
—
—
—
1 (1)
—
1 (2)
±
±
1 (3)
- (1)
—
-<1)
—
- d)
—
—
-(»>
‘ —
— (1)
—
-
-
—
1(8)
-±-
+
8(4,
-d)
i(-)
1 (1)
1 (»
—
—
-(3)
2(-)
- (11
1 d>
- d)
—
-
14 (I8i
—
+
6(1)
2(-)
—
4(1)
2(1)
1 . n
1 (t)
—
7(3)
—
2 d)
1 (—)
K-)
—
1 (1)
^(lÖ) ” '
+ \
±
l(-)
l(-)
—
K—)
!{-)
_
—
-
" — (2)
—
1 (-)
—
- d)
-
5(8)
—
“+
1.-)
—
—
KD-
2.1)
■_
^ —
3 (—» !
—
Id)
—
i 1 (-) ■
-
1 d)
10 .4)
+ i
—
—
—
—
—
■
—
1 —
— ’
—
1(1)
—
1
—
id)
2(2)
+ i
1(1)
—
—
—
1 ~
-
—
—
-
-
—
—
1 (1)
.-f-_
—
—
—
-
-d)
i -d)
—
—
! 1 d)~
—
-
-(1.
—
—
— ,
■ f3)
—
1(1)
_iJi2_
—
2(1)
1 2(1)
—
—
2^21 ””
—
: 1.-)
^Kl)
2 (2)
—
356 3.'.6)
369 (366)'
Si
81(81) 1
4(4)
Kl)
14(14)
8 (8) I
8 (3) j
1 d) i
1 r\)
12(12)
2 (2)
1 6 (C)
1 3(3)
4 (4)
Id)
359 (859)
600.500)
In Tabelle 3 sind die Ergebnisse der dritten Versuchsreihe zu- |
sammengestdlt, bei welcher die Seren sowohl nach Kaup und
Sachs-Qeorgi als auch nach Wassermann und zwar^einerseits |
in der Verdünnung von 1:5 mit der Komplementdosis 1 :10 und ander¬
seits in der Verdünnung von 1:2,5 mit der Komplementdosis von 1 :20
untersucht wurden. Von den 500 verarbeiteten Proben reagierten 136
mit irgendeiner dieser 4 Methoden positiv; die übrigen 364 Seren
waren sämtlich negativ. Von den 136 Seren waren positiv (49 + 16=)
65 (= 47,8 Proz.) Fälle nach der Wassermann sehen Original-
method-e (80 + 31 + 1 =) 112 (= 82,4 Proz.) Fälle nach der modifizierten
Wassermannschen Reaktion, (49 + 16 + 19 + 34 + 5 =) 123
(=91,2 Proz.) Fälle nach Kaup und (72 + 3+ 1 +7 + 2 + 28 + 4
+ 7 + l+4 + 5 + I + l=) 136 (+ 100,0 Proz.) Fälle nach Sachs-
Qeorgi. Von den 1(136 — 65=) 71 (=52,2 Proz.) Divergenzfällen
zwischen Original - Wassermann scher und Sachs-Qeorgi scher
Reaktion waren somit (123 — 65=) 58 (=81,7 Proz.) Fälle nach
Kaup und (112 — 65=) 47 (=66,2 Proz.) Fälle mit der modifizierten
Wassermannschen Methode positiv. Die Untersuchung der Seren
in der Verdünnung von 1 : 2,5 bei gleichzeitig von 1 : 10 auf 1 : 20 ver¬
minderter Komplementdosis bewirkt hiernach, dass 81,0 Proz. der nach
Kaup positiven und nach Original-Wassermann negativen Fälle als
positiv befunden wurden.
Einen besseren Ueberblick gewährt die Tabelle 4, in welcher die
vorstehenden Ergebnisse der drei Versuchsreihen (1. II. III) vergleichs¬
weise gegenübergestellt sind.
Tabelle 4.
Reaktion nach
Ve;
^ 1
rsuchsrei
! “
ihe
nr
1 Im
’ Durchschnitt
Sachs-Georg! . ...
97,9
9t,0
100,0
97,3
Kaup . .
8«,l
91 2
89,4
Wassermann (Originalmethode)
50,7
63,2
47,8
50.6
Wassermann (Modifikation) .
69,4
80,1
82,4
77,3
Jede Versuchsreihe lässt die gleichen auffallenden Unterschiede
in der Zahl der positiven Befunde zwischen Wassermann scher.
I untersuchten Serumoroben reagierten (144 + 201 + 136=) 481 mit
irgendeiner dieser Methoden positiv und zwar fiel hiervon die Sachs-
I Qöorgische Reaktion (290+ 110 + 62 + 4=) 466 (= 96,6 Proz.) mal
früher oder später positiv aus; (239+ 189=) 428 (=88,98 Proz.) mal
war die Kaup sehe Reaktion und (239 + 6 =) 245 C= 50,9 Proz.) mal
die Wassermann sehe Reaktion positiv.
In 212 Fällen stimmte die binnen 2 Stunden aufgetretene. in 20 Fällen
die nach 24 Stunden und in 5 Fällen die nach 48 Stunden festgestelltc
Ausflockung mit dem positiven Ausfall der Wassermann sehen und
Kaup sehen Reaktion überein und ebenso in 1 Falle, bei welchem die
bei 2 ständiger Ablesung Vorgefundene Ausflockung nach 24stündiger
Versuchsdauer nicht mehr beobachtet werden konnte. Bei weiteren
(64 + 71 + 44 + 1 =) 180 Fällen waren Sachs-Qeorgi und Kaup gleich¬
falls übereinstimmend positiv, die Wasse r mann sehe Reaktion negativ,
so dass von sämtlichen 466 nach Sachs-Qeorgi positiven Fällen
(212 + 20 + 5+ 1 + 180=) 418 mal auch die Kaup sehe Modifikation
positiv ausfiel. Umgekehrt ware>n#bei (2+1=) 3 Fällen Sachs-Qeorgi
und Wassermann positiv, während Kaup versagte, und ferner war 45 mal
Sachs-Qeorgi in irgendeinem Stadium positiv, Wassermann und Kaup
dagegen negativ. Demgegenüber war Sachs-Qfeorgi 1 mal negativ bei
positivem Wassermann und Kaup. 9 mal negativ b&i negativem Wasser¬
mann und positivem Kaup, und 3 mal negativ bei positivem Wassermann
und negativem Kaup. v
Es bestanden somit (180 + 45 + 1 +3=) 229 mal grobe Unter¬
schiede zwischen Sachs-Qeorgi und Wassermann, (3 + 45 + 1 + 9 =)
58 mal grobe Unterschiede zwischen Sachs-Qeorgi und Kaup und
(180 + 3 + 9 + 3=) 195 mal grobe Unterschiede zwischen Wassermann
und Kaup. 45 Fälle reagierten nur nach Sachs-Qeorgi positiv, 9 Fälle
nur nach Kaup. 3 Fälle nur nach W'assermann und 1 Fall nur nach
Wassermann und Kaup.
Am auffälligsten sind die be-iden (Tab. 5. 4 e) Fälle, bei denen Ori¬
ginal-Wassermann, Kaup und Sachs-Qeorgi negativ ausfielen, die modifi¬
zierte W a s s e r m a n n sehe Reaktion (vgl. Tab. 2) aber positiv war.
Sie betrafen 1 Fall von Abduzenslähmung und 1 Fall von Pneumonie.
Obwohl ich mir keines solchen bewusst bin. halte ich doch einen Ver¬
suchsfehler für die wahrscheinlichste Erklärung. Sehr auffallend
Digitized b]
V Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25 . Februar l92l.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCH^lFt.
sind dann die 3 Differenzfälle (Tab. 5. 3e) mit positivem Wasser¬
mann neben völlig n'Cgativem Kaup und Sachs-Georgi. Klinisch handelt
es sich um 2 Fälle von Erysipel und 1 Fall von Tuberkulose. Auffällig
sind ferner die 9 Fälie (Tab. 5, 2 e) mit positivem Kaup und negativem
Wassermann und Sachs-Georgi. Die klinische-n Diagnosen lauten:
1 Furunkulose, 1 Tuberkulose, 1 Scharlach. 1 perniziöse Anämie, 1 Tabes
und 4 behandelte Syphilis (1. Lues I, 1 Lues II und 2 Lues latens). Bei
dem in Tabelle 5, 1 e aufgeführten Fall mit positivem Wassermann und
Kaup und negativem Sachs-Georgi handelt es sich um eine akute Endo¬
karditis. Ich glaube bei allen diesen Differenzfällen elrie unspezifische
Hemmung der Hämolyse annehmen zu können.
Entsprechend fand sich bei den
1. 239 F'ällen mit
positivemWasser-
munn und Kaup
2. 189 Fällen mit
Kaup allein
positiv
8.47 Fällen mit ne¬
gativem Wasser¬
mann und Kaup
eine Ausflockung a)nach 2Std.
Proz.
88,7
Proz.
88,9
Proz.
24,7
bjuacb 24Std
o)nach 48 Std.
Analog meinen früheren Feststellungen zeigte sich hiernach, dass die
nach Wassermann (und Kaup) positiven Fälle meist schon nach
Tabelle 5.
Sache-Georgi'sche Reaktion
a 1 b 1 c
Summe von
a-c
d
Summe von
a - d
e
Summe von
a - e
-t oder -1-
auf dTe Dauer nach
-1- od + nach
2 Std. später
0
oder
4-
2 Std.
1 24 Std. 1
48 Std.
1.
Kaup und WYissermann
-f- oder +
63 -f- 86 -f- 63 ^
7 4-12-f-l '
441
70 4- 102 -f- 65
1
71 4- 102 -f 65
1
71 + 103 + 65
212
ßü 1
5
237
238
65 4- 67 -P 68
239
2.
Kaup allein
-f- oder ±
20 4- 34 -f 10
15-f 21 4 35
20 - 1 - 12 -f 12
44
554 67 4 57
179
1
2 + 7
57 + 74-1-58
64
71
180
9
189
Kaup insgesamt -f oder -F
(Summe von 1 und 2)
8.3 + 120 -p 73
22 4 33 -f 36 1
2J-|-16-t-13
125 4- 169 4 122
= 416
1 + 1
126 -f 169 4- 123
= 418
2 4 8
128 4 177 +123
276
91
49
2
10
428
8.
Wassennann allein
-f- oder -P
2
i
1
•1
8
-
1 + 2
1 + 2
8 + 8
3
8
6
4.
Kaup und "VVassormann
- oder
3-f6-}-3
• 6 P84-6 1
64-24-4
14 -f 16 -f 13
'43
2
14 + 18-p 13
45
2
14 + 20 + 13
12
19 '
12
47
Summe von 1—4
86-1-128-1-76
; 27 -f 41 4- 42
110 1
27 4 18 4-17
140-1- 187 4- 135
= 462
14 - 24-1
141 4- 189 1.S6
= 466
8 4-12
144 + 201 + 186
290
62
4
15
481
Wie aus Tabelle 5 weiterhin hervorgeht, war die Ausflockung bei
290 Fällen schon nach 2 Stunden vorhanden; bei (212 + 2=) 214
(=r 73,8 Proz.) dieser Fälle war die Wassermann sehe, bei
(212 + 64 =) 276 (= 95,2 Proz.) die K a u p sehe Reaktion positiv. Dem¬
gegenüber fand sich bei den 110 Füllen, wo die Ausflockung erst nach
24 Stunden sichtbar war, nur 20 (= 18,2 Proz.) mal positiver Wasser¬
mann und (20 + 71 =) 91 (= 82,7 Proz.) mal positiver Kaup und bei
den 62 Fällen, wo die Ausflockung erst nach 48 Stunden festgestellt
werden konnte, war die Wassermann sehe Reaktion nur (5 + 1 =)
6 (= 9,7 Proz.) mal. die Kaup sehe Modifikation (5 + 44=) 49
(+79,0 Proz.) mal positiv. Umgekehrt gaben 212 (= 88,7 Proz.) der
239 Fälle mit positivem Wassermann und Kaup schon nach 2 Stunden
eine Ausflockung, nur 20 (= 8,3 Proz.) Fälle erst nach 24 Stunden und
nur 5 (= 2,9 Proz.) der Fälle erst nach 48 Stunden. Von den 189 nur
nach Kaup positiven Fällen zeigten 64 (= 33,9 Proz.) schon nach
2 Stunden. 71 (+ 37,6 Proz.) erst nach 24 Stunden und 44 (= 23,4 Proz.)
erst nach 48 Stunden eine deutlich wahrnehmbare Ausflockung, v;ährend
2 Stunden, die nach Wassermann negativen, nach Kaup aber posi¬
tiven Fälle ebenso wie die nach Wassermann und Kaup negativen
Fälle vornehmlich erst nach 24 bzw. 48 Stunden einen positiven Sachs-
Georgi lieferten.
Besondere Erwähnung beanspruchen noch die in Tabelle 5. d aufge¬
führten Fälle, bei denen die nach 2 Stunden Vorgefundene Ausflockung
im Verlauf von weiteren 22 Stunden wieder verschwand. Klinisch
handelt es sich bei Fall l.d mit positivem Wassermann und Kaup um
Tuberkulose, bei 2. d mit Kaup allein positiv um rezidivi£rende Lues
latens und bei den beiden Fällen 4d, wo Wassermann und Kaup negativ
ausfielen, 1 mal um einen frischen Primäraffekt und 1 mal um rezidivie¬
rende Lues latens. Werden die hier und oben bereits genannten (ins-
gvjsamt 11) Fälle von Tuberkulose (4), Erysipel (2), Abduzenslähmung (1),
Pneumonie (1), Furunkulose (1), Scharlach (1) und perniziöser Anämie (1)
ausser acht gelassen, so lag nach den Angaben der Aerzte bei den
übrigen 470 der 481 mit mindestens einer der angewendeten Methoden
positiv reagierenden Fälle Syphilis vor.
Tabelle 6.
Nach den Angaben der Aerzte
...
Sachs
Georgi4
oder 4-
Keine Ausflockung
Summe
der
Fälle
1. Typisch nach 2 Stunden
2. Nach 24 Std
auf die Dauer
3. Nach 48 Std. auf die Dauer
4. Nach 2 Std., aber verschwind.
In Frage
stehende
Bnitforin
unbehandelt oder
behandelt
Zahl
der
Fälle
W^aR
-F
oder
-T-
K^R
oder
4-
WaR
u.
KpR
od. 4
Zahl
der
Fälle
WuR
+
oder
KpR
4
oder
4
WaR
u
KpR
od~4
Zahl
der
Fälle
WaR
,r 4
oder
KpR
+
oder
4
WaR
u.
Kp R
od. hI
Zahl
der
Fälle
W R
+
oder
4
KpR
4
oder
4
W'aH
u.
KpR
od. 4
Zahl
der
Fälle
WaR
oder
KpR
-t-
oder
4
WaR
u.
KpR
od. 4
I.
unbehandelt
32
31
82
5
3
5
_
,
1
38
behandelt
4
3
8
1
5
3
6
—
4
1
—
—
—
—
1
—
—
—
18
IT .
unbehandelt
75
73
75
—
3
3
3
—
8
—
3
_
—
_
—
_
—
—
—
81
behandelt
34
19
32
2
23
1
18
5
20
2
15
5
—
—
—
—
l
—
—
78
in.
unbehandelt
55
40
53
2
19
■t
17
2
9
4
6
2
_
_
_
_
1
1
_
_
84
behandelt
25
6
22
3
18
2
16
2
8
-
7
1
—
—
—
~
—
-
—
—
öl
latens
unbehandelt
29
22
29
-
18
1 ^
12
1
2
_
2
' _
1
_
1
_
_
^ _
_
45
1 behandelt
28
14
! 22
4
20
1 3
14
6
13
10
3
1
—
—
1 1
2
2
—
—
64
con¬
1 unbehandelt
6
5
1
-
1 1
—
—
1 '
1
—
—
—
—
—
1 —
—
1 ~
7
genitalis
behandelt
2
1 1
1 2
1 -
1
1 1
—
1
1 1
—
—
1 —
—
—
-
1 —
—
—
4
unbehandelt
197
1
1 194
1 ^
40
1 1-
r~J7 1
t 0
15 1
t ^ i
1 10
2
' 1
1 1
1
1 1
1 _
1 —
255
insges.
behand'elt
93
43
1 82
1 9
70
1 8
1 .54 !
1 16
47 i
2 1
37 i
2
1
j
1 _
1 1
4
1 4
—
1 -
215
-
insgesamt
290
214
‘ 276
1 12
110
1 20
1 91
1 19
62
0
1
12
3
1 -
1 1 2
5
1
1 -
! -
470
bei 47 nach Wassermann und Kaup negativen Fällen 12
(= 24,7 Proz.) mal nach 2 Stunden, 19 (= 40,4 Proz.) mal nach
24 Stunden und 12 (= 24,7 Proz.) mal nach 48 Stunden ein positiver
Ausflockungsbefund erhoben werden konnte. Die zeitlich, differierenden
Arten der Ausflockung verteilen sich somit folgendermassen auf die ver¬
schiedenen Versuchsresultate nach Wassermann und Kaup.
Es gaben von den
u) 290 nach 2 Std.
positiven Fällen
b) 110 nach '4 Sld.
positiven Fällen
c) 62 nach 48 Std.
positiven Fällen
1. einen positiven Wassermann
2. einen positiven Kaup .
78,8 Proz.
95,2 Proz.
18,2 Proz.
8$,7 Proz.
9.7 Proz.
79,0 Proz.
Nr. 8
Wie Tabelle 6 zeigt, verteilen sich diese Fälle folgendermassen auf
die verschiedenen Formen und Stadien der Syphilis. Es handelt sich um
(38+ 18=) 56 Fälle von Lues I, (81 + 78=) 159 Fälle von Lues II.
(84 + 51 =) 135 Fälle von Lues III, (45 + 64 =) 109 Fälle von Lues
latens und (7 + 4 =) 11 Fälle von Lues congenitalis. Hiervon waren
(38 + 81+84 + 45 + 7 =) 255 unbehandelt und (18 + 78 + 51 + 64 + 4=)
215 behandelte Fälle.
In vollem Einklang mit m'einen früheren Angaben findet sich die von
mir festgestellte Kombination der Versuchsresultate: das Versagen der
Wassermann sehen Reaktion, der positive Ausfall der Kaup sehen
Modifikation und das verspätete Auftreten der Sachs-Georgi sehen
Ausflockung vorwiegend bei behandelten Syphilisfällen, während bei un-
4
Digrtized by Gov ’Sle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
238
Nr. 8.
behandelten Fällen meist ein übereinstimmend positiver Befund nach
Wassermann, K a u p und Sachs -OeorKi (unverzöKcrt) erhoben
werden kann.
Es gaben von den
Ferner war bei den
Demgegenüber war bei den
A;
I. positiven Sacha-Georgi:
a) nach 2 Std. l. bleibend . . .
2. verschwindend
b) nach 24 Std.
c) nach 48 Std.
n. negativen Sachs-Georgi . ...
255 nnbehandelten
Fällen
B. 2l5 behandült ii
Fällen
Pro*.
197=77,8
2= 0,7
40=16,7\
16= 6,9/
1= 0,4
21,6
Pro*.
98 =48,8
1= 0,4
70=82,6
47=21,8
4= 1,9
255 unbehandelten Fällen
1. Wof'sermann positiv.
2 . Kauji positiv . . .
8. Wassermann und Kaup negativ . . .
<171-t-12i 4-f 1 = ) 188 = 73,7 Proz.
(194+37 + 12^1=) 244=95.7 Proz.
(3+8+10+1 = ) tt=6,7_
215 behandelten Füllen
!. Wnssormann positiv..
Kaup» positiv ..
3. Wassüniiiinn und Kaup negativ , . . .
(43+8 + 24 4=) 57 = 50,2 Proz
(82+54+37=) 173 = 80,5 Pro/.
(9+16+2 + 1=) 28=18,0 Proz
Erwähn, /a werden verdienen noch jene Fälle, bei welchen auch
ohne spezifische Behandlung eine Divergenz der serologischen Ergeb¬
nisse beobachtet wird. Nach Tabelle 6 gilt dies bezüglich der Fälle mit
negativem Wassermann, positivem Kaup und typischem Sachs-ücorgi
für (32 — 31 =) 1 Fall von Lues I, (75 — 73 =) 2 Fälle von Lu'es II,
(55 — 40 + 2=:) 17 Fälle von Lues III, (29 —22=^:) 7 Fälle von Lues
lateiis und (6 — 5=) 1 Fall von Lues congeiiitalis. Von diesen ins¬
gesamt 28 Fällen entfallen also nicht weniger als 17 (= 60.7 Proz.) auf
tertiäre und 7 (= 25,0 Proz.) auf latente Syphilis. Ganz ähnliche Ver¬
hältniszahlen ergeben sich für die unbehandelten Fälle mit verzögertem
Ausflockungsbefund. Hier treffen (5 — 3 =) 2 Fälle auf Lues 1. kein Fall
auf Lues II, dagegen (19 — 4 + 2=) 17 i- (9 — 4 + 2=) 7 == 24 Fälle
auf Lues III, (13 — 2+1=:) 12 -- 2 = 14 Fälle auf Lues lateiis und
1 Fall auf Lues congeiiitalis. Von sämtlichen 41 Füllen sind 24
(=r 58,5 Proz.) solche von Lucs III und 14 (=: 34.2 Proz.) solche von
Lues latens. Das verspätete Auftreten der Ausflockung, der negative
Befund nach W a s s e r rn a n n und der positive Ausfall der Kaup sehen
Reaktion kann hiernach auch bei unbehandelter tertiärer und latenter
Syphilis beobachtet werden. Für beide Formen der Syphilis ist das
häufige Versagen der W a s s .e r m a n n sehen Peaktioii allgemein bekannt.
Ueber Leistungssteigerung und Herdreaktion.
•Von Dr. L. Veilchenblau in Arnstein (Ufr.).
Wenn in letzter Zeit von Leistungssteigerung gesprochen wurde,
so war fast stets die unspezifische gemeint, wie sie von Weichardt[l]
besonders ihre wissenschaftlich-experimentelle Grundlage erfahren hatte
auf (jrund der graphischen Darstellung der Erhöhung der Typhus¬
agglutination. Die sp-ezifische Leistungssteigerung war in den Hinter¬
grund getreten vor der ungeahnten Perspektive neuer Möglichkeiten
durch die unspezifische Aktivierung. Es kam der heute noch nicht aus-
getragene Streit zwischen beiden: B i ii g e 1 s Diphthericbeliandlung mit
Pferdeserum — Kolbes neue Versuchsreihe über die spezifische Wir¬
kung des Diphtherieserums; die Wahrheit liegt wohl auch hier in der
Mitte: Das Diphtherieserum hat eine unleugbare Wirkung dadurch, dass
es dem Körper Antitoxin zuführt und die vom Körper selbst gebildeten
Antitoxine im Kampf verstärkt, so dass bei günstiger Konstellation —
bei nunmehr stets im Ueberfluss vorhandenen Antitoxinen — die Krank¬
heit ihre schleunig’e Erledigung findet; aber mit dem Antitoxingehalt
ist die Serumwirkung nicht erschöpft, Diphtlierieserum ist eben nicht
nur Antitoxin, sondern auch artfremdes Serum; und in dieser Eigen¬
schaft vereint es seine Erfolge mit den Binge Ischen. Kurz gesagt:
man darf heute nicht mehr von spezifischer und unspezifischer Leistungs¬
steigerung allein sprechen, sondern auch von gemischter.
Die Wirkungen der spezifischen Leistungssteigerung sind bekannt;
über die d’cr unspezifischen habe ich bereits in einer früheren Arbeit [2j
den Nachweis erbracht, dass die Kunst der unspezifischen Aktivierung
eine Dosierungsfrage ist. und die Forderung aufgestellt, dass von jedem
in Frage kommenden Heilmittel das Optimum, d. h. eine Dosis efficiens,
gefuiul-en werden muss, ober- und unterhalb deren Grenzen die Erfolge
geringer sind. Ich konnte zeigen, dass bei der Behandlung des Erysipels
mit Diphtherieserum eine Krankheitsabkürzung, sowohl hinsichtlich der
Zeit des Fortschreitens nach der Einspritzung als auch der ganzen
Krankheitsdauer, zu erzielen war, und licfand mich hier zugleich in
Uebercinstimmung mit Boyksen. Diese guten Erfolge ergaben sich
bei der Einspritzung von 4500 I.-E. = IVA ccm. Weniger günstig
waren die Resultate bei Einverleibung von 15 ccm, noch schlechter bei
noch grösseren Dosen; Boyksen 131 hatte seine guten Erfolge bei
Gaben von 10 ccm.
Hieraus sind nun für die Frage der Wirkung der unspezifischen
Leistungssteigerung folgende Schlüsse zu ziehen und folgende Ergeb¬
nisse zu fordern.
Die Einverkibung eines neuen Agens stellt eine, wenn auch in den
nveisten Fällen recht harmlose, Noxe dar. Der Körper_lst gezwungen,
gegen diese neue Noxe, gleichgültig, ob sie eine chemisebe Infektion
(Terpentin) oder eine artfremde Eiweissabbauaufgabe (Milch. Kaseosan,
Serum) darstellt, eine neue Armee aufzustellen. Folgende drei Fälle sind
nun möglich:
1. Der Körper befindet sich in einem alten Gleichgewicht gegen¬
über der ursprünglichen Noxe; seine Depots sind noch gefüllt. Er stellt
eine neue Armee auf, die Depots (Pappenheim l4l) werden mobili¬
siert, d. h. aus ihrem sessilen Zustand in den mobilen überführt. Diese
Armee überwindet die neue Noxe und stösst kampfgestärkt zur alten
Armee. Diese Verstärkung (positive Phase) bedeutet die absolute
Leistungssteigerung (bei richtiger Dosierung!).
2. Die Depots reichen eben nur noch zur Bekämpfung der neuen
Noxe hin (kein Erfolg).
3. Die Depots reichen nicht aus — sei es dass keine vorhanden
waren, dass der Körper schon früher „erschöpft“ war, oder dass die
Noxe zu gross gewesen ist; der Körper ist gezwungen Teile seiner alten
.Armee auf den neuen Feind zu werfen, bzw. in die neue Armee hinein:
a) bei gutem Ausgang kehren alte und neue Armee, soweit sie heil
zurück|\ommen, gegen den neuen Feind (negative und positive
Phase).
b) bei schlechtem Ausgang hat der Körper von seinen alten Truppen
noch so und so viele eingebüsst: absolute Verschlechterung.
Diese Wirkungen imponieren nun klinisch als Herdreaktion. Wäh¬
rend man früher hierunter nur das Aufflackern des Prozesses verstand,
ist diese nun weiter aufzufassen als die Störung des augen¬
blicklich in gleicher Bahn sich bewegenden Ver¬
hältnisses zwischen Angriff und Körperabwehr.
Diese Aenderung im Zustand kann nur eine Lyse oder eine Exazer¬
bation sein; so braucht die Herdreaktion an sich noch kein gutes
Zeichen zu sein.
Unterscheidet man eine spezifische und eine unspezifische Herd-
reaktion. so ist die spezifisch bedingte meist eine Lyse des Krankheits¬
prozesses, die Heilung (Di.-Serum in seinem spezifischen Teil. Ab¬
lösung der Membranen).
Die unspezifische H-erdreaktion scheidet sich in eine unspezifische
Hauptreaktion und eine unspezifische Nebenreaktion. Auf die Gefalir
der unspezifischen Nebenreaktion, als in keiner Weise beabsichtigt, habe
ich bereits früher hingewiesen l3j. Sie entsteht bei latenten Krank¬
heiten ( Tuberkulose, Lues), wenn im Verlauf einer interkurrenten Er¬
krankung letztere therapeutisch und durch Impfungen (Arthigon, Typhus
u. dgl.) beeinflusst bzw. vermieden werden soll.
Im übrigen sind die unspezifischen Herdreaktionen jene (Haupt-)
Reaktionen, die man, wenn nicht beabsichtigt, so doch berücksichtigt
im Verlauf der Therapie der eigentlichen Erkrankung, sei es durch
parenterale Eiweissmedikation oder durch rein chemisch versuchte
Leistungssteigerung. Die Arten der Reaktionen sind verschieden je
nach dem Kräfteverhältnis zwischen Reserven und Angriffsstärke, wie
es oben näher geschildert wurde.
Dies dürfte besonders bei den rein chemisch bedingten Reaktionen
in Erscheinung treten. Ich rechne hierher in erster Linie einmal das
Terpentin und dann das Krysolgan; das Natrium nucleinicum dürfte den
Uebergang bilden. Kollargol, Elektroferrol dürften in vielen Fällen eben¬
falls hierher zu rechnen sein. Die Terpentiniiijektionen dürften wohl in fast
allen indizierten Fällen (Gonorrhöe, Bubo, Abszesse) zum ersten .Stadium
(s. 0 .) zu rechnen sein. d. h. sein Anwendungsgebiet beschränkt sich bis
jetzt auf Fälle, wo genügend Depots Reserven aufzustellen vermögen,
die nach Bildung einer neuen Armee die günstige Entscheidung durch
Zusammenschluss der neuen Armee mit der alten bilden. Anders beim
Krysolgan; seine guten und schlechten Erfolge sind zu wenig geschieden
nach den oben geschilderten Stadien; es mag im ersten Kräftestadium
bei Tuberkulose gute Erfolge haben; im dritten Kräftestadium ist es
kontraindiziert, wenn es in einer Dosis gegeben wird, die statt eine
neue Armeebildiing aus den Depots zu veranlassen, auch noch Kräfte
der ursprünglichen Armee bindet und verschlingt. Aehnlich mögen die
Verhältnisse beim Kollargol und der Sepsis liegen.
Die Frage der unspezifischen Behandlung ist eine Doppelfrage ge¬
worden: die der Indikation und die der Dosierung. Für Terpentin bildet
sich die Tropfendosis, für Milch, Kaseosan. Aofan die 5-ccm-Dosis, für
Serum die 10-ccm-Dosierung als normale Dosis für das erste Stadium
heraus. Czerny 16| erzielte günstige Erfolge bei kindlicher
Tuberkulose mit täglicher Verabreichung von Vz —2 ccm Serum. Je
nach dem Kräftestadium variiert auch die Dosierung, da eine Dosis, die
im ersten Stadium noch heilend wirkt, im dritten durch zu starke
Krüftebindung* verschlimmernd wirkt; mit einem \Vort: beide Fragen,
ob und wieviel gegeben werden soll, lassen sich nur im Zusamirrenhang
lösen. Auch die Applikationsart bedingt Untersdiiede in der Dosierung,
subkutane und intrakutane Einverleibung von Milch bedingen Aenderung
der Dosis, die ihre Erklärung in dem starken Immunisierungssystem der
Haut finden (siehe meine Arbeit: Ueber die Schutzfunktion der Haut;
Derm. Zbl. 1920, Augustheft).
Gegenüber den beiden (spezifische und unspezifische) Reaktionen
möchte ich die gemischte unterscheiden, z. B. beim Diphtheriesenim,
wie ich oben angedeutet habe, und auch bei der Tuberkulinbehandlung.
Digitized by
Goi.igle
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
239
Ganz abgsehen davon, dass die Dosierungsfrage auch hier nur im
Zusammenhang mit der Indikationsfrage gelöst werden kann, erblicke
ich in allen Tuberkulinen wohl eine spezifische Komponente, zugleich
aber auch die parenterale Eiweisswirkung; wohl wird es nicht gleich¬
gültig sein, ob man. Milch oder ein Tuberkulin spritzt, aber immerhin
sind beide Wirkungen, die spezifische und die unspezifische hierin nicht
von einander zu trennen. Und bei einer Kräftekonsiellation, wie sie
im Stadium 3 b gegeben ist, ist eben alles, ebenso wie Krysolgan,
kontraindiziert; es heisst eben Dosen zu finden, die Konstellationen^
möglichst nach Stadium 1 schaffen. '
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass in gewissen Fällen eine
Herdreaktion auch genau so wirken kann (besonders bei schleppendem
Gang der Krankheit), wie eine Anfrischung der Wunde mit dem
scharfen Löffel.
So ist die Frage der Herdreaktion . im doppelten Lichte zu be¬
trachten, ihre Entstehung den drei oben geschilderten Kräfbestadien und
der Dosierungsfrage nach zu untersuchen. Die Möglichkeit, die Herd¬
reaktion hervorzurufen, bedeutet wohl höchstens Latenz der Krankheit,
nicht aber Qeheiltsein. Dass C o n r a d i und S k 1 a r e k (71 es gelungen
ist, durch 1 ccm Typhusimpfstoff eine Umkehr der WaR. hervor-
zurufen, ohne dass dies durch Milch bzw. Choleraimpfstoff gelungen
wäre, beweist nur, dass die Dosierung eben die entsprechende'gewesen
ist; freilich ist auch zuzugeben, dass es sicher für einzelne Krankheiten
verschiedene Mittel gibt, die leichter bzw. schwerer die Herdreaktion
hervorrufen; es kommt eben darauf an, ob die neuzubildende Armee
dann auch, wenn sie zur alten stösst, genügend gewappnet ist — die
eine Noxe braucht mehr Artillerie oder Kavallerie, die änderte mehr
Infanterie, d. h. es werden sicher auch qualitative Unterschiede be¬
stehen in der Leistungssteigerung (Agglutinine, Präzipitine), was in der
Auswahl d«r Therapie entsprechend berücksichtigt werden muss (s. auch
Leuko- und Lymphozytose), doch ist mangels jeglicher experimentellen
Grundlage hiefür erst die Erfahrung nnassgebend.
Dass wir hierin erst am Anfang unserer Anschauungen sind, ergibt
sich von selbst; vielleicht w’erden wir einst einen grossen Teil unserer
therapeutischen Handlungen, soweit sie nicht rein symptomatisch sind,
vom leistungssteigemden Standpunkt aus betrachten.
Literatur.
1. Weichardt und Schräder; lieber unspeziiische Leistungs¬
steigerungen (Protoplasmaaktivierung). M.m.W. 1919 Nr. II. — 2. Veil¬
chenblau: Zur unspezifischen Serumbehandlung des Erysipels. Therapie d.
Qegenw. 1919, Juniheft, — 3. Boyks:»:!: Zur Serumbehandlung des Ery¬
sipels. D. Zschr. f. Chir. 1916. — 4. Pappen he im: Blutveränderungen
im allgemeinen (Kraus-Brugsch, Spez. Path. u. Ther. inn. Krankh. 1915). —
5. Veilchenblau: Die Gefahren der unspezifischen Herdreaktion. Thera¬
pie d. Qegenw. 1920, Juniheft. — 6. Czerny und E 1 i a s b e r g: Die Pro¬
teinkörpertherapie der Kachexie tuberkulöser Kinder. Mschr. f. Kinderhlk. 18.
1920. H. 1. — 7. Conradi und Sklarek: Verh. d. 32. Kongr. f. inn. M.,
20. bis 23. IV. 20.
lieber die Masttuberkelbazilleneinheitsvakzine Tubar.
Von Prof. Dr. med. A. Strubell-Dresden.
M. H.! Die Grundbegriffe einejp Immunität gegen die Tuberkulose
sind festgrelegt durch Robert K o c Iv
1. Es gibt eine Immunität gegen Tuberkulose.
2. Zur Immunisierung gegen Tuberkulose soll man sich nicht der
unzerlegten Tuberkelbazillen bedienen, vielmehr die Bazillen prä¬
parieren, zerlegen. Jetzt nennt man das „Aufschliessen“.
Auf diese Weise entstand das Tuberkulin Koch und alle verwandten
Präparate. Die Bedeutung und das Schicksal des Tuberkulins sind ja
bekannt.
Aus der von Koch festgestellten, durch Römer besonders erhär¬
teten Grundwahrheit: Tuberkulose schützt gegen Tuber¬
kulose, schöpfen wir die Hoffnung, nein die Gewissheit, dass es ge¬
lingen muss, die Immunisierung gegen Tuberkulose bei Anwendung der
geeigneten Massnahmen erfolgreich durchzuführen. Nur war uns bis vor
einiger Zeit keine Methode bekannt, deren Anwendung diesen Erfolg
auch mit Sicherheit verbürgt hätte. Durch Deycke und Much sind
wir darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Einspritzung der
wasserlöslichen fiebermachenden Ausscheidungsprodukte des Tuberkel¬
bazillus, der Hauptbestandteile des Tuberkulins, wie auch des nach Zer¬
legung des Bazillus gewonnenen Eiweissbestandteiles, aus welchen
beiden Faktoren ja das Tuberkulin Koch zusammengesetzt ist, nicht
genügen, um richtige Immunität gegen Tuberkulose zu erzeugen, dass
vielmehr auch die Fettbestandteile des Bazillus nötig seien, um dieses
Ziel zu erreichen. Erst durch Einverleibung ijer Summe aller Teil-
nnmunitäten sei dies der Fall und zwar nach Abzug der flüssigen fieber¬
machenden giftigen Komponente, welche vielmehr die Immunisierung
stört. Diese Lehre wurde wissenschaftlich gestützt durch serologische
Feststellung der Teilantikörper gegen die Teilantigene und durch analogen
Nachweis der Teilüberempfindlichkeiten bei Einspritzung der Teilgifte
in die Haut. Klinisch wurden auf breiter Basis Erfahrungen gesammelt,
die die Behauptung von der besseren Wirksamkeit eines solchen von
den beiden Autoren empfohlenen Vorgehens zu stützen geeignet waren.
Es haben sich'ziemlich viele Autoren um die neue Methode bemüht,
die ja schqn theoretisch viel bestechendes hat,^ und es sind genug Aus¬
lassungen unbestochener Zeugen vorhanden, dass man sagen darf, hier
liegt ein heuristisches Moment vor, eine neue klinische Wirkung, obwohl
Digitized by Goiisle
man nicht verschweigen darf, dass nicht alle Nachprüfungen sich auf eine
günstige Schlussformel über das Verfahren haben festlegen wollen.
Warum das Verfahren nicht rascher durchgedrungen ist und allge¬
meinere Zustimmung erworben hat. ist nicht leicht zu sagen. Es dürften
da wohl verschiedene Momente mitsprechen.
Viele .Aerzte dürften sich wohl haben absclirecken lassen durch die
vielen theoretischen Erörterungen, mit denen besonders der eine Vater
der neuen Lehre hervorgetreten ist, andere durch die sehr strengen
Forderungen an die Technik bei der Anwendung des Verfahrens, die der
andere Vater der Lehre aufgestellt hat und aufstellcn liess und die unter
dem Namen der ,d.übecker Vorschriften“ bekannt sind. Die
Verwendung von drei verschiedenen Impfstoffen, die Ausführung der
Intrakutanreaktion nach den genannten Vorschriften erschien Vielen als
eine in der Praxis schwer durchführbare komplizierie Methode, die
allenfalls in Kliniken und Sanatorien beschränkte Anwendung finden
könne. Die klinischen Erfolge der Therapie erschienen Vielen angesichts
der Mühewaltung weniger wertvoll. Auch die A n t i g e n q u a 1 i t ü t
der Fettstoffe ist — meiner Ueberzeugung nach zu Unrecht — ange-
zweifelt worden.
Da ich nun seit vielen Jahren mich mit der Materie intensiv be¬
schäftigte, auch durch die analoge Zerlegung des Staphylokokkus in seine
Teilgifte hervorgetreten bin und klinisch über genügende Erfahrungen
verfüge, so bin ich in der Lage, ein Zeugnis in der Sache und für die
Sache abzulegen.
Dasselbe geht dahin, dass ich mich theoretisch unbedingt auf den
Boden der Lehre Deycke-Muchs stelle, wenn ich auch nicht ver¬
kenne, dass diese Lehre noch nicht den letzten Schritt auf dem Wege
zur Erkenntnis auf diesem Gebiete bedeutet, indem die sich über¬
kreuzenden Wirkungen der einzelnen Teilgifte uns schliesslich doch auf
die von Maragliano und seiner Schule besonders postulierte bio¬
logische Unität des Tuberkelbazillus und dementsprechend
auch der Immunität gegen denselben hiriweisen. Klinisch praktisch stehe
ich auf dem Standpunkt, dass jede Immunisierungsmethode gegen Tuber¬
kulose, bei der wir tuberkulöses Antigen in den Organismus bj-ingen, einen
gewissen Prozentsatz von Heilungen erzielen muss. Es fragt sich nur
wie hoch dieser Prozentsatz ist. Die Einbringung sämtlicher Partial¬
antigene erscheint mir aber als das Verfahren, das den grössten Erfolg
verspricht. Etwas anderes ist es freilich, ob das Einbringen sämtlicher
Partialantigene des Tuberkelbazillus in den zu schützenden Organismus
sich nicht auf einfachere und dem praktischen Arzt genehmere Weise
durchführen lässt, als bisher gefordert wurde, und das führte mich zu
Erwägungen, die mich allmählich auf eine neue Bahn gedrängt haben,
Einmal glaube ich mich davon überzeugt zu haben, dass es klinisch nicht
notwendig ist, die Intrakutanreaktion als Kontrolle der Be¬
handlung dauernd und immer wieder zu verwenden, und ferner glaubte
ich und glaube auch heute noch, in dem MTbR., das die Gesamt¬
heit der Partialantigene enthält, das Präparat sehen zu sollen, das
in der Praxis Anwendung verdient, indem die Einverleibung
der getrennten Bestandteile des Tuberkelbazillus nicht nötig
erscheint, mir auch, soweit ich sie verwendete, keine überraschenden
klinischen Resultate ergab. Auch an der Hand der Intrakutanreaktion
war das Resultat der getrennten Einspritzung von Lipoiden ein be¬
scheidenes zu nennen. Nun bleiben aber die Fälle, die nach Deycke-
Much einer besonderen Aufbesserung ihrer Immunität
gegen die Lipoide bedürfen, und hier setzen meine Forschungen
ein, die auf die Züchtung und Mästung von Bakterien, insbesondere des
Staphylokokkus und des Tuberkeibazillus gerichtet waren. Es war
möglich, grosse Mengen von Lipoiden des Staphylokokkus durch das
in meinem Laboratorium ausgearbeitete Mästungsverfahren darzustellen.
Später ist dasselbe auch für den Tuberkelbazillus verwendet worden.
Die nunmehr gemästeten Tuberkelbazillen wurden nach meinem eben¬
falls in meinem Laboratorium ausgearbeiteten Verfahren so weit auf¬
geschlossen, dass die flüssige fieber machende Tuberkulin¬
komponente (L- Komponente nach Deycke-Much. Toxin¬
komponente nach Maragliano) ausgeschaltet werden konnte.
Auf diese Weise ist eine Masttuberkelbazilleneinheits-
Vakzine zustande gekommen, für welche ich den Namen „Tuba r“
habe schützen lassen. Dieselbe enthält also in einem Präparat sämtliche
Partialantigene des Tuberkelbazillus, die Lipoidantigene a n ge¬
reichert. Die Verwendung der Vakzine, mit der ich nunmehr seit
SVa Jahren klinisch arbeite, und die ich auch der Beurteilung geschätzter
Kollegen unterbreitet habe und noch weiter unterbreiten werde, ist
wiegen ihrer milden Wirkung frei von den Fesseln der Intrakutan¬
reaktion und geschieht nach rein ärztlichen Grundsätzen. „Tuba r“
wird in Aufsch\yemmungen auf 1 :100 000 Millionen steigend bis zu
1:10 000 so verwendet, dass von jeder Aufschwemmung 14, %
und 1 ccm (0,25, 0,5, 0,75 und 1 c,cm) subkutan gespritzt werden, die
ganze Behandlung also bei 8 Aufschwemmungen 32 Injektionen bei
tiglichem oder wcchentäglichem Injektionsmodus umfasst. Darnach
tritt eine Pause von 6—8 Wochen ein und die Behandlung wird noch
2 oder 3 mal wiederholt. Die Resultate sind gute. Fieber tritt nicht
ein. Die Entfieberung der Patienten mit hoher Ausgangs¬
temperatur tritt fast typisch bei Anwendung der 4. Aufschwemmung ven
unten gerechnet ein. Das klinische Befinden bessert sich bei ver¬
nünftiger Auswahl der Patienten fast durchweg. Natürlich dürfen wir
mit einer aktiven Immunisierung keine schwer herabgekommenen
und weit fortgeschrittenen Fälle behandeln. Die noch vorhandene Re¬
aktivität des Patienten ist die natürliche Voraussetzung auch für die An¬
wendung von „T u b a r“. Husten, Auswurf und auskultatorische Phäno-
4 ’
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
mene gehen zurück. Bei den höchsten Dosen (1:10 000) kann infolge
der Hyperämie leichte Herdreaktion auftreten, auch ist dem
Patienten in dieser Zeit etwas grössere Schonung anzuraten, damit die
Hyperämie in der Umgebung der erkrankten Herde nicht zur
Hämoptoe führt. Die klinische Reaktion auf T u b a r ist dem
MTbR. gegenüber eine mildere zu nennen, was sich ja aus dem
grösseren Lipoidreichtum der Vakzine erklärt. Auch an der
Hand der Intrakutanreaktion, die ich selber zu dem Studium der Frage
selbstverständlich auch ausgeführt habe, lässt sich eine mildere Wir¬
kung des „Tubar“ ersehen, wobei die interessante Tatsache zu ver¬
zeichnen ist, dass die Impfungen mit „Tuba r“, gewonnen aus Tuberkel¬
bazillen vom bovinen Typ, häufig stärkere Reaktionen ’geben, als mit
„Tuba r“ vom Typus humanus.
Das Verfahren ist so, wie ich es jetzt ausgearbeitet habe, für den
Kliniker und Sanatoriumsleiter, aber auch besonders für die Praktiker,
zur ambulatorischen Behandlung fertig. Nach einer kürzeren, noch
der Nachprüfung gewidmeten Spanne Zeit wird „Tuba r“ überall zu
haben sein. Vorläufig stelle ich die Vakzine geschätzten Kollegen für
die klinische Auswertung gerne zur Verfügung.
Zusammenfassung: „Tubar“ ist eine aufgeschlossene, aus
menschlichen, nach meinem Verfahren gemästeten Tuberkel¬
bazillen bestehende Einheitsvakzine zur klinischen und ambulatori¬
schen Behandlung bei Menschen, und zwar besonders bei Lungentuber¬
kulosen I. und II. Grades, aber auch bei chirurgischer Tuberkulose.
Die Durchprüfung der Wirkung von „Tubar“ vom Typus bo¬
vin u s zur prophylaktischen Immunisierung von Rindern im grossen
Stile ist seit Jahren im Gange und hat bisher befriedigende Ergebnisse
erzielt.
Aus dem Bürgerhospital Saarbrücken (Chef: Qeh. San.-Rat
Dr. Mertz) und dem Institut für Infektionskrankheiten in
Saarbrücken (Direktor: Prof. Dr. Hilgermann).
Zur Darstellung des Streptobazillus des weichen
Schankers mit Rongalitweiss nach Unna.
Von Dr. Walther Krantz.
Der Nachweis der Streptobazillen des Ulcus molle war mit den bis¬
her üblichen Methoden (beispielsweise mit polychromem Methylenblau
und Diiierenzierung mit Glyzerinäthermischung oder Xylolalkohol, mit
Karbolfuchsin, nach Gram, nach Pappenheim) verhältnismässig
schwierig und zeitraubend. Als „eine verbesserte Darstellung des
Streptobazillus des weichen Schankers“ empfalil P. G. Unna') die
Rongalitweissfärbung. Ich stellte auf Anregung von Prof. Hilger¬
mann mit dieser Färbemethode Versuche an, die recht befriedigende
Ergebnisse hatten.
Es liegt nicht in meiner Absicht, in dieser kurzen Mitteilung mich mit
den theoretischen Grundlagen der Rongalitweissfärbung auseinander¬
zusetzen, sondern ich begnüge mich mit einigen Bemerkungen zur Technik
und den Ergebnissen der Färbung. Meine Versuche erstreckten sich aus^
schliesslich auf eine Reihe von Ausstrichen von Ulcus molle-Eiter. nicht
auf Schnitte.
Bezüglich Einzelheiten der Technik verweise ich auf die aus^
führliche Arbeit von Unna*) und beschränke mich hier darauf, nur das
notwendigkste anzuführen. Für die Herstellung der Farblösung gibt
Unna*) folgende Vorschrift: Man hält sich 100 g einer M proz. Lösung
von Methylenblau vorrätig, die man mit ca. 7 Tropfen einer 25 proz.
Salzsäureloiung angesäuert hat. Von dieser werden 10 ccm in einem
Reagenzglase mit 0,3 Rongalit gelinde erwärmt, bis Entfärbung eintritt.
Wird die Lösung nach dem Erkalten trübe, so ist sie zu filtrieren. Für
die Färbung von Ausstrichen empfiehlt Unna*): die lufttrockenen Aus¬
striche werden ohne Erhitzen 2 Minuten in ein Standgefäss mit
Rongalitweiss gebracht. Zur Auswaschung lässt man sauerstofffreies
Wasser über den Objektträger laufen.
Im Verlaufe meiner Versuche erhielt ich die besten Ergebnisse mit
einigen Abänderungen der Originalvorschrift. Dass ich die jew^eils zur
Herstellung einer Farblösung gebrauchten 10 ccm Ya proz. Methylenblau¬
lösung für sich vorsichtig mit der entsprechenden Menge Salzsäurelösung
ansäure, ist unwesentlich. Die lufttrockenen, nicht erhitzten Ausstriche
bringe ich für 2 Minuten in Rongalitweiss. (Das Material für die Aus¬
striche wurde in der bekannten Weise, mit einem Skalpell unter dem Ge¬
schwürsrande her zu schaben, gewonnen.) Sodann spüle ich die Objekt¬
träger kurz unter dem Strahl der Wasserleitung ab und erwärme kurz
m der Bunsenflamme. Sofort lasse ich dann eine Lösung von Liq.
Ammon, caust. 1:10 Wasser reichlich auf den Ausstrich tropfen, der sich
dabei bläut, spüle wieder kurz unter der Wasserleitung und trockne
unter leichter Erwärmung über der Flamme. Die Ausstriche können so¬
fort unter dem Mikroskop betrachtet werden: auf lichtblauem Grund
sieht man die tief dunkelblau gefärbten Züge der Streptobazillen.
Die Vorzüge der Rongalitweissfärbung der Streptobazillen liegen
gegenüber den älteren Färbemethoden vor allem in der einfachen Technik
und ganz besonders in der leichten Auffindbarkeit der Streptobazillenzüge.
Auch in dichten Stellen des Ausstrichs treten die Streptobazillen überaus
deutlich hervor. Die Ausstriche, welche ich in der angegebenen Weise
P. Q. Unna: Eine verbesserte Darstellung des Streptobazillus des
weichen Schankers. Derm. Wschr. 69. 1919.
*) P. Q. Unna: Die Sauerstofforte und Reduktionsorte. Eine histo-
ghemische Studie. Arch. f. mikr. Anat.
färbte, waren von klinisch, sicheren Ulcera mollia gewonnen, ohne dass
eine Vorbehandlung, wie oberflächliche Desinfektion und Abschluss des
Ulcus durch ein Kollodiumhäutchen für 24 Stunden, stattgefunden hätte
oder dass vorher eine Inokulationspustel angelegt worden wäre, wie
man das in der Literatur empfohl-en findet. Auch in Ausstrichen von
schon länger bestehenden Ulcera mollia erhielt ich gute Resultate (z. B.
von einem Geschwür, das nach Angabe des Kranken bereits 6 Wochen
bestanden haben soll) im Gegensatz zu der Ansicht, dass sich allenfalls
noch Sekret eines ganz jungen originären Ulcus molle für den Strepto-
bazillennachweis eignet. Die Sicherheit, mit der diese Färbung gelingt,
die leichte Sichtbarkeit der so gefärbten Streptobazillen. lassen mir das
Rongalitweiss für den Nachweis des Erregers des Ulcus molle als recht
empfehlenswert erscheinen.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik München.
(Direktor: Geh. Hofrat Prof. Dr. Sauerbruch.)
Ueber das Herrichten von Novokain-Tropakokain-
Suprarenin zum Betäubungsverfahren.
Von Dr. Georg Schmidt.
Das Bereitstellen von Novokain-Tropakokain-Suprarenin-L ö s u n g e n
in Glasbehältnissen besonderer Art wird empfohlen; doch
sind dagegen in neuerer Zeit lebhafte Bedenken geltend gemacht worden.
Andere rühmen die Tablettenform; aber auch sie hat Ein¬
wände hervorgerufen.
Schliesslich ist das Aufbewahren als Trockenpulver, zumal in
abgeteilten Mengen, umfangreich durchgeführt.
Was sich am meisten bewährt, darüber besteht keine Einigkeit.
Doch ist die Frage wichtig, da letzthin häufigeres Versagen der ört¬
lichen Betäubungsverfahren, insbesondere der Lumbalanästhesiemass¬
nahmen, berichtet und die Ursache, z. B. durch Bracht, Bungart,
Calmann, Hosemann, Kirsch ne r, im Gegensätze zu anderen
Forschern, in der Minderwertigkeit der Mittel oder ihrer Behältnisse ge¬
sucht wird. Vorausgesetzt, dass die Arzneistoffe selbst in alter Güte
geliefert werden, kommt für die Beurteilung ihrer zweckmässigsten Bereit¬
haltungsart folgendes in Betracht:
A. Novokain allein.
I. Lösungen in Glasbehältnissen besonderer Art.
Nach Braun lässt sich Novokainlösung, ohne sich zu zersetzen,
durch Hitze entkeimen und hält sich dann, keimfrei aufbewahrt, lange
unverändert. Vorbedingung ist, dass die Glasbehältnisse aus einwand¬
freien Stoffen angefertigt und zweckmässig gestaltet. Füllung und Auf¬
bewahrung unbedenklich sind. Budde stellt scharfe Prüfungsbedingungen
zumal an die Alkalifreiheit des hierfür verw^endeten Glases. Im Kriegs¬
glase sonstiger Gefässe fanden sich nach Bracht in der Charitee-
apotheke-Berlin erhebliche chemische Abweichungen gegen frühere
Glasarten; erstmalig gekochte Reagenzgläser schieden viel Fluor und
Kieselsäure aus. Hosemann war mit Novokain wegen einer grossen
Zahl von Lumbalanästhesienachwirkungen (leichte Kopfschmerzen)
neuerdings nicht mehr zufrieden; Lösungen in zugeschmolzenen Glas¬
röhren sind, wie er vermutet, vielleicht durch Einfluss des Glases
empfindlicher als feste Stoffe.
II Tabletten.
Braun zieht sie jeder anderen Bereitstellungsart vor als sehr be¬
quem, einfachst und zuverlässigst weiter zu verarbeiten, ausserhalb der
chirurgischen Anstalten einzig zulässig, einfachst und zuverlässigst insbe¬
sondere auch im Kriege. Günstig urteilt auch Calmann, allerdings von
solchen Novokaintabletten, die auch Suprarenin enthalten. Abweichendes
ergaben die auf Veranlassung der Heeresverwaltung angestellten Unter¬
suchungen. So sagt Budde: „Die Erfahrungen, die im Hauptsanitäts¬
depot mit alkaloidhaltigen Tabletten (Kokain) gemacht worden waren,
sprechen gegen die Tablettenform. Durch das Anreiben im Mörser,
noch mehr aber beim Pressen des Pulvers in der Tablettenmaschine
sind den Salzen alkalische Bestandteile nicht sicher femzuhalten. Als
solche kommen in Frage: Ammoniakgehalt der Luft, kleinste Sodateile
der Mörser und am meisten das dem Alkali gleichwirkende Metall der
hablettenmaschine.“
III. Trockenpulver.
Für die Münchener chirurgische Klinik wird Novokainpulver in der
klinischen Apotheke vorrätig gehalten. Davon werden dort kleine Men¬
gen mit destilliertem Wasser zu 0,5 bis 2 proz. Lösungen verarbeitet, die
frisch sterilisiert in kleinen entsprechend ausgestatteten Flaschen inner¬
halb von sterilisierten Kästen jeweilig in die Operationssäle geliefert
werden. ,
B. Tropakokain allein.
I. Lösungen in Glasbehältnissen besonderer Art.
Auch Tropakokainlösung lässt sich an sich, ohne sich zu zersetzen,
durch Hitze entkeimen und müsste sich dann, keimfrei aufbewahrt, lange
Zeit halten, in Glasbehältnissen, die sicher alkalifrei sind und bleiben.
Kirscnner und Calmann hatten Fehlschläge, sobald die Be¬
täubungsmittel in zugeschmolzenen Glasröhren geliefert wurden. Cal¬
mann führt seine schlechten Ergebnisse sowie die Lumbalanästhesie-
Misserfolge Kirschners auf diese Glasröhrenform zurück, während
Kirschner selbst mehr allgemein „Verunreinigung, fehlerhafte Zu¬
sammensetzung, Zersetzung, falsche Dosierung“ des Mittels vermutet
Digitized by
Got'gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
241
Ca 1 m ann bezieht auch Flörckens üble ErfahrunRen mit 5proz.
Tropakokain zur Rückenmarksbetäubung auf die Ampullenform, in der
Annahme, dass Flörcken diese verwendet habe. v. Brunn be¬
nutzt die Merck sehen zugeschmolzenen Glasröhren zu 1 ccm 5 proz.
Tropakokainlösung mit 0,6 Proz. Kochsalz, „steril“, für die Rücken¬
marksbetäubung und beobachtete keine auffallend häufigen Versager.
Ebenso geht die Münchener chirurgische Klinik vor. Hierbei wurden
Schädigungen der Kranken, wie sie Kirschner, Flörcken, Cal-
m a n n sahen, im allgemeinen n*icht bemerkt. Doch besteht auch bei uns
der Eindruck, dass der Betäubungserfolg zwar selten ganz ausbleibe, aber
manchmal seine Vollwirkung schneller verliere oder überhaupt nur
schwächer und von kürzerer Dauer sei, als früher. Wir legen Wert auf
Sterilisieren des Gerätes im Wasserdampfe (im „Messersterilisationsrohr
nach Dr. Gross e“) und auf 4—6 maliges Ansaugen und Zurückspritzen
des Liquor.
II. Tabletten.
lieber deren lebhafte Empfehlung durch Braun vergleiche das bei
Novokaintabletten Gesagte. Calmann glaubt, dass sich die eben¬
erwähnten schlechten Ergebnisse, die Kirschner mit Tropakokain-
lösung in zugeschmolzenen Glasröhren und Flörcken anscheinend
mit derselben Form hatten, in Erfolge verwandeln würden, wenn Ta¬
bletten benützt werden würden.
Dagegen gibt nach Budde schon die Herstellungsart der Tabletten
Grund zu ihrer Zersetzung. Die Tropakokaintabletten ertragen zwar das
Verfahren, das allein sie wirklich keimfrei macht, nämlich die Vi bis
I stundlge Erhitzung im Trockenschranke. Werden sie dagegen in Glas,
selbst in Jenaer Glas, eingeschlossen dieser Erhitzung unterzogen, so
schwärzen sie sich, aus noch unbekannter Ursache. Beim Erhitzen auf
150® werden die die Röhrchen verschliessenden Korke brüchig, Watte-
zwischenlagen bräunlich, unelastisch und faserig.
III. Trockenpulver.
Erfahrungen fehlen. Vergl. das unten bei Tropakokain-Suprarenin
Gesagte.
C. Suprarenln allein.
I. Lösungen in Glasbehältnissen besonderer Art.
Die Haltbarkeit des Inhalts ist nach Braun trotz aller Vorsicht
sehr beschränkt. Indessen verwandte die Heeressanitätsverwaltung im
Frieden und im Kriege umfangreich 1 prom. Suprarenin in zugeschmol¬
zenen Glasröhren zu 5 ccm, sowie in Flaschen zu 10 ccm keimfreier Lö¬
sung ohne Nachteile.
ln der Münchener chirurgischen Klinik werden die besonders ver¬
packten Flaschen der Farbwerke Meister, Lucius & Brüning, Höchst a. M.,
zu 25 ccm des 1 prom. Suprarenin hydrochlor. synthet. (DAB. 5) in keim¬
freier 0,9 proz. Kochsalzlösung benutzt.
II. Tabletten.
Braun unterstreicht seine allgemein günstige Beurteilung der
Alkalitabletten insbesondere bei dem so leicht veränderlichen Suprarenin-
Es hält sich angeblich in der trockenen und luftsicher verpackten Ta¬
blette jahrelang. Dagegen sind nach Budde bei der Empfindlichkeit
des Suprarenins und bei seiner Schädigung .während der Tablettenhcr-
stellung haltbare Tabletten unwahrscheinlich. Härtel zieht Suprarenin-
tabletten heran, wenn Novokain und Suprarenin erst im Gebrauchsfalh
gemischt werden sollen.
III. Trockenpulver.
Erfahrungen sind nicht veröffentlicht, doch verträgt angeblich das
basische Suprarenin Hitze bis zu 1000®, ohne sich zu zersetzen.
D. Novokain und Suprarenin, von vornherein vereinigt.
I. Lösungen in Glasbehältnissen besonderer Art.
Nach Braun sind solche Mischlösungen in zugeschmolzenen Glas¬
röhren bei den Zahnärzten sehr beliebt, aber am wenigsten zu empfehlen,
Tm teuersten und für die Aerite kaum zu brauchen; denn das empfind¬
liche Suprarenin mache Vorsicht nötig. Dem entspricht, dass derartige
Röhrchen in der Kriegssanitätsausrüstung nicht vorgesehen wurden, ob¬
wohl sie aus dem Felde von Aerzten, die die Gegengründe wohl nicht
kannten, wiederholt beantragt wurden. Calmann vermisste Erfolge
und sah üble Nachwirkungen so lange, als er Novokain-Suprareninlösung
aus den Höchster Röhrchen, statt, wie sonst, in Form von Tabletten,
anwendete. Dagegen erachtet Frank die sterilisierte Novokain-Supra-
reninlnsung der zugeschmolzenen Höchster Glasröhren für un¬
schuldig an Fehlschlägen. Auch Härtel fand Wirksamkeit und Keim¬
freiheit dieser Mischlösungen (2 Proz. Novokain mit allen Zusätzen, in
2 oder in 5 ccm) einwandfrei und bezeichnet das Arbeiten damit bei ge¬
wissen kleineren Verfahren der Leitungsanästhesie, z. B. am Trigeminus,
in der Zahnheilkunde, als die bequemste, wenn auch nicht billigste Form
der Anwendimg.
II. T a b 1 e 11 e n.
Braun tritt warm für seine Lokalanästhesie-Tabletten A zu 0,125 g
Novokainchlorhydrat und 0,00012 g synthetischem weinsaurem Suprarenin
(Höchst) ein. Calmann hatte stets Erfolg, wenn er sich dieser Tabletten
und nicht der Ampullen bediente. Die Tabletten sind angeblich steril und
steril verpackt, doch ist ihre Keimfreiheit widerlegt worden (Hoff¬
man n, K u t sc he r). Es gelingt nicht, Novokain-Suprarenintabletten
im strömenden Wasserdampfe von 100® oder durch einstündiges Trocknen
bei 60—70® an 3 aufeinanderfolgenden Tagen zu entkeimen. Die Tablet¬
ten werden nur während 'A —1 Stunde bei 150® keimfrei, wobei zwar
nicht das Novokain, wohl aber das Suprarenin zersetzt wird, was
Digitized by Gocigle
Übrigens auch schon bei 100 ® erfolgt. Deshalb empfiehlt Härtel, sie
vor der Verwendung nicht einfach in keimfreier Kochsalzlösung aufzu¬
lösen, sondern in ein wenig Kochsalzlösung nochmals aufzukochen und
dann erst der übrigen keimfreien Kochsalzlösung zuzugiessen. Bracht
lässt am Abend vor der Lumbalanästhesie die Höchster Tabletten C
(Novokain 0,05 g, Sunrareinin 0,000083 g) in physiologischer Kochsalz¬
lösung lösen und einige Male aufkochen und schreibt die Schuld an den
von ihm und anderen nach der Lumbalanästhesie mit dieser Arzneiform
beobachteten toxischen Pia mater-Reizungen dem an der Luft ver¬
änderten Adrenalin in Gemeinschaft mit dem Betäubungsmittel zu. Nach
Budde bringt bereits das Herstellungsverfahren den Tabletten Schaden.
III. Trockenpulver.
Auf Gmnd seiner, im Aufträge der Heeressanitätsverwaltung aus¬
geführten Untersuchungen konnte Budde nur die Trockenpulver¬
mischung von Novokain und Suprarenin in Einzel Packung, und zwar in
zugeschmolzenen Glasröhren empfehlen. Aber auch beim Herstellen dieser
Abgabeform muss man besondere Vorsicht üben (u. a. Trocknen der Salze
über Schwefelsäure, der Glasröhren unmittelbar nach dem Füllen). Wäh¬
rend des Weltkrieges sind die zugeschmolzenen Lokalanästhesie-Glas¬
röhren der Sanitätsausrüstung zu Novokain 0,5 g, Suprarenin bit^rtaricum
0,00182 g, Natrium chloratum 0,6 g in grösstem Umfange angewendet
worden; der Inhalt einer Glasröhre war kurz vor dem Gebrauche in
100 (= Va Proz.) oder 50 (= 1 Proz.) oder 25 (= 2 Proz.) ccm Wasser
zu lösen, die Lösung aufzukochen. Braun hält den Kochsalzzusatz für
unzw'eckmässig, weil dieser, falls starke Novokainlösung angefertigt
wird, in ihr zu gross wird und die Nerven schädige, erkennt aber an,
dass sich die Lieferungsform im allgemeinen bewährt habe. Auch H ä r -
t e 1 lobt sie sehr, selbst unter den schwierigen Verhältnissen des Be¬
wegungskrieges. Nur empfindet auch er die Kochsalzmenge dann un¬
bequem, wenn aus dem Inhalte einer Glasröhre die stärkere Lösung
(2 proz.) hergestellt wird. Auf diese Einschränkung sollte die Heeres¬
verwaltung bei der Gebrauchsanweisung aufmerksam machen.
E. Tropakokain und Suprarenin, von vornherein vereinigt.
I. Lösungen in Olasbehältnissen besonderer Art.
Bekannt sind die von Pohl, Schönbaum b/Danzig, und von
Merck- Darmstadt gelieferten Glasröhren nach Bier und D ö n i t z,
die 1,25 ccm 5 proz. Tropakokainlösung und 0,000125 g Suprarenin
„steril“ enthalten. Hosemann hält die Glasröhrenform, vielleicht
durch den Einfluss des Glases, empfindlicher als feste Stoffe, hat
aber doch seit dem Ersätze des neuerdinFS nicht mehr befriedigrenden
Novokains durch Tropakokain in den Pohl sehen Röhrchen wieder gute
Lumbalanästhesieergebnisse. Auch Frank lobt die Pohl sehen
Röhren.
II. T a b 1 e 11 e n.
Erfahrungen fehlen.
III. Trockenpulver.
Die Heeresverwaltung lieferte bisher Tropakokain-Suprarenin-
Trockenpulvermischungen (zugeschmolzene Glasröhren zu Tropakokain,
hydrochlor. 0,05 g, Suprarenin. bitartar. 0,000182 g; der Inhalt mit 1 ccm
0,8 proz. Kochsalzlösung zu lösen und zu kochen), worüber die gleichen
Beobachtungen vorliegen, wie für die Novokain-Suprareninpulver in zu¬
geschmolzenen Glasröhren der Heeresverw'altung. Da indessen Tropa¬
kokain die gefässverengende Kraft des Suprarenins ganz besonders schä¬
digt, rät B r a u n ab, Tropakokain und Suprarenin zu mischen. Vielleicht
entschliesst sich die Heeressanitätsverwaltung dazu, aus ihren Tropa¬
kokainröhren das hiernach überflüssige und zudem leichtzersetzliche
Suprarenin wegzulassen, sowie wohl auch die viel zu hohe Kochsalzbei¬
gabe (Braun) und den zu grossen Durchmesser der Lumbalhohlnadeln
(B a r u c h) zu vermindern.
F. Novokäln und Suprarenin, erst im Gebrauchsfalle zu mischen.
Es können vereinigt werden:
a) in Glasbehältnissen besonderer Art vorrätige Novokainlösung, oder
b) aus Tabletten frisch hergestellte Novokainlösung, oder
c) aus vorrätigem Trockenstoffe frisch angefertigte Novokainlösung,
mit
d) in Glasbehältnissen besonderer Art vorrätiger Suprareninlösung,
oder
e) aus Tabletten frisch hergestellter Suprareninlösung, oder
f) aus vorrätigem Trockenstoffe frisch angefertigter Suprareninlösung.
Braun lässt ausser der frischen Zubereitung der zur Operation
nötigen Lösung aus seinen Novokain-Suprarenintabletten noch als zweites
Verfahren das nach a 4 - d tu. Ebenso Härtel. Dieser hält es aber bei
grossem Verbrauche für einfacher, im Wasserbade sterilisierte Novokain-
Kochsalzlösung bereit zu haben und ihr kurz vor dem Gebrauche Supra¬
reninlösung hinzuzufügen; am sichersten verfährt man dabei nach a -f- c
(Lösen von Suprarenintabletten und Aufkochen).
In der Münchener chirurgischen Klinik wird nach c4-d vorgegangen:
die klinische Apotheke liefert aus Trockenstoff frisch hergestellte keim¬
freie Novokainlösung, der wir kurz vor dem Verabfolgen an den zu
Operierenden keimfreie Suprarehinlösung aus den Höchster Flaschen
hinzutropfen.
Schluss.
Wer Novokain-Tropakokain-Suprarenin seltener oder unter beson¬
deren Verhältnissen (ira Kriege, auf dem Lande usw.) braucht und eine
recht handliche und einfache Zubereitungsform wünscht, wähle Ta-
I bletten, falls er sich mit den Budde sehen Einwänden abzufinden ver-
‘ mag und die Tablettenlösung nochmals aufkocht, oder die Pulver- und
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
2A2
MÜNCHKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. S.
Misclipulverforin nach Art der Heerespackungen, wofern bei ihrer Zu¬
sammensetzung Brauns Winke berücksichtigt werden.
Für sonstige Zweck-e, insbesondere grössere Kliiiikbetriebe, können
die Verfahren der Münchener chirurgischen Klinik empfohlen werden.
Die Zuverlässigkeit flüssiger Einzelgaben in zugeschmolzenen Glas¬
röhren ist aber zurzeit umstritten. Keinesfalls dürfen sie längere Zeit
auf Vorrat lagern.
D II e 1 I e II n u c h w e i s:
I. B a r u c h, B.kl.W. 1920 S. 29S. — 2. B r a c h t, Zschr. f. Oeburtsh. u. Gyn.
81. 1920. S. 61 (mit Quellennachweis). — 3. Heinrich Braun, Die örtliche Be¬
täubung usw. 5. Aufl., 1919. — 4. D e r s., in Bier. Braun u. Küinmell, Chirur¬
gische Operationslehre 3. Aufl. 1920 1. l^d. S. 71, 73, 98. — 5. v. B r u n n. Zbl.
f. Chir. 1920 S. 581.— 6. Th. Budde, H. 45 (1911) S. 100 und H. 52 (1912)
S. 79 der Vöff. a. d. Geb. d. Militärsanitätsw. — 7. Bungart, Zbl. f. Chir.
1921 'S. 7. — 8. C a 1 ni a n n. Ebenda 1919 S. 798. — 9. Plörcken,
Ebenda 1919 S. 556. — 10. P r a n k, D.m.W. 1919 S. 41. — 11. Härtel,
Die Lokalanästhesie. Neue D. Chir. Bd. 21 2. Auil. 1920. — 12. Heeresarznei¬
heft 1918. — 13. W. H 0 f f m a n n. D.m.W. 1909 S. 1146. — 14. H o se¬
in a n n, Zbl. f. Chir. 1920 S. 49. — 15. Kürschner, Ebenda 1919 S. 322. —
16. K. H. Kutscher, D.m.W. 1910 S. 1129. — 17. Mayer, Ebenda 1920
S. 1325. — 18. Georg S c h m i d t, D. militärärztl. Zschr. 1909 S. 710.
^Eine neue Bruchbandage mit Suspension am horizontalen
Schambeinast.
Von Dr. Paul .M o 11 e ii li a ii e r, Berlin-Zehlciidorf.
Während des Krieges und seiner Folgezeit hat sich die Zahl der
Bruchkranken ausserordentlich vermehrt. Vorhandene Bruchanlagen bei
Jugendlichen wie älteren Personen führten infolge der ungewohnten An¬
strengungen im Felde zur Ausbildung schwerster Bruchformen. In der
Heimat bedingt bis rur Gegenwtrt die Knappheit der Nahrungsmittel be-
si-nders bei früher korpulenten Patienten einen zum Teil enormen Fett¬
verlust und damit Erschlaffung der Bauchdecken, die dann ihrerseits der
Bruchbildung Vorschub leistet.
Man sollte erwarten, dass die operative Therapie einen der Häufung
dtr Bruchkranken entsprechenden Aufschwung genemmen hätte. Ob¬
wohl die ausgezeichneten Resultate der Radikaloperation dazu berechti¬
gen würden, kann nun im allgemeinen eine Verstärkung der Neigung zur
konservativen Behandlung beobachten. Das hat verschiedene Gründe:
In den Lazaretten waren während des Krieges die Bruchoperationen
eingeschränkt worden, weil mm beobachtet bitte, dass die Leute sich
dazu drängten, um längere Zeit dem Heeresdienst entzogen zu werden.
Jetzt nach dem Kriege sind die Kosten für Privatoperationen einschl.
Klinikai'fenthalt so gestiegen dis.s sich nur wenige diesen „Luxus“
leisten können. Anderseits sind die Operationsmöglichkeiten für Un¬
bemittelte durch Ueberfüllurig der Krankenhäuser beschränkt. Handelt
es sich um Patienten, die infolge eines erheblichen Fettverlustes tinei
Bruch erwarben, dann ziehen viele Operateure auch die konservative
Behandlung vor, veil die crsclilifftcn, überdehnten Bauchdecken eine ver¬
hältnismässig grosse Gefahr des Rezidivs bedingen.
Demnach ist der konservativen Bruchbehandlun.g ein grösseres Feld
denn je entstanden und damit ist die Bruchbandfrage wieder besonders
akut geworden.
Es gibt kaum ein anderes Gebiet der Bandagen, auf dem so viele
Versuclie mit den verschiedensten Erfindungen gemacht sind, wie mit
den Bruchbändern. Die Zahl der Patente und Gebrauchsmuster ist
fast unübersehbar, und wenn sich trotzdem heute immer noch das alte
Bruchband mit ovaler oder dreieckiger (sog. anatomischer) Pelotte der
häufigsten Verwendung erfreut, so kann man daraus den Schluss ziehen,
dass diese Pclrttenform in den mei.stcn Fällen den erforderlichen An¬
sprüchen genügt, aber ein geeigneter Ersatz besonders für schwere Bruch¬
formen bisher trotz der vielen Erfindungen nicht .geschaffen ist.
Es scheint mir daher berechtigt, auf eine neue Pelottenform hin¬
zuweisen, die ich gemeinsam mit der Firma H. Loewi, Berlin kon¬
struiert habe und die sich besonders bei grossen Skrotalhernien be¬
währt hat.
Da es bei diesen schweren Fällen häufig die grössten Schwierigkeiten
macht, die Pelotte sicher über der Bruchpforte zu fixieren und zu ver¬
hindern, dass der Bruchinhalt zwischen unterem Pelottenrand und hori¬
zontalem Schambeinast durchgleitet. hat die neue Pelotte eine Form be¬
kommen, vermöge der sie sozusagen auf dem Schambeinast reitet und
von ihm derart suspendiert wird, dass eine Verschiebung unmöglich wird.
Die Form wird aus Pig. 1 und 2 ohne weiteres verständlich. Obwohl das
Pelottcnblech in der Vorderansicht (Fis. 1) der Porm der anatomischen
Pelotten entspricht, ist die PoIsternnR eine wesentlich andere. Der obere
Teil trägt alieiri den die Briichpforte schlie.sscnden Wulst (d), während der
untere, fingcrartige Portsatz (e) ganz, dünn gehalten ist. Der obere Wulst
ist nun auch nicht, wie bei den alten ovalen Pelotten als senkrechter Kegel
aufgesctz.t, sondern seine abgerundete Spitze (g) überragt die Basis nach
unten derart, dass sic mit dem fingerartigen Fortsatz einen spitzen
Winkel (f) bildet. ln diesen Winkel senkt sich nun beim An¬
legen der Bandage der horizontale Schambeinast so ein. dass die
Pelotte unverschieblich suspendiert wird (Pigur 3 und 4). Der Bruch¬
inhalt kann, wie die Erfahrung bei schwersten Fällen gelehrt hat, diese
Unterschneidung der I’elotte nicht überwinden und wird von der un¬
verrückbaren fiandage sicher gehalten. Es stellte sich ferner bei den
Versuchen heraus, dass diese neue Pelottenform einen wesentlich schwächeren
Pcderdruck zum Zurückhalten des Bruchinhaltes erforderte, als die gewöhn¬
lichen I3and.tgen. bei denen die Bruchbandfeder nicht nur den Innendruck der
Eingeweide überwinden, sondern auch noch das Abrutschen der konischen
Pelotte vom Schambein verhindern muss. Damit fällt der oft recht lästige
Druckschmerz auf den Rücken fort. Schliesslich ergab sich als weiterer
Vorzug die Leichtigkeit, mit der auch ältere Personen das Band auf die
richtige Stelle placieren konnten. Nur zu häufig finden wir sonst die Pelotte
in der Umgebung der Bruchpforte, besonders gern a u f dem Schambein sitzen.
Wenn der Patient einmal den richtigen Sitz gefühlt hat, wird er bei dieser
Fig. 1. Die neue Pelotte in
der V^ordcr.insicht.
Fig. 3. Eine Skrotalhernie vor dem An¬
legen. ePatient hält das Bruchbnnd.)
Fig. 2. Die Pelotte
in derSeitenansicht.
Fig. 4. Das Bruchband angelegt.
neuen Pelotte die Unterschneidung immer wieder auf das Schambein auf¬
setzen und damit ist die richtige Position gesichert.
Da die Richtung des horizontalen Schambeinastes bei den einzelnen Per¬
sonen verschieden schräge verläuft, wurde bei der Fabril^ation der Pelotten ')
darauf Rücksicht genommen und die für die eigenartige Polsterung notwendige
Lochung des Pelottenbleches verschieden schräge und einstellbar hergerichtet.
Grundsätzliches zur Frage der Abortivheilung der Syphilis.
(Bemerkungen zu dem gleichn. Aufsatz von Meirowsky
und Leven in Nr. 4 dieser Wochenschrift.)
Von Karl Zieler.
Meiner AeusseninR zu dieser Frage gelegentlich einer Kranken¬
vorstellung auf dem Würzburger Aerzteabend (d. Wschr. 1920 Nr. 46)
habe ich sachlich nichts hinzuzufügen, da neue Gesichtspunkte nicht
beigebracht werden. Verwahrung muss ich aber einlegen dagegen, wie
Meirowsky und Leven mir eine wesentliche Aenderung meiner
Ansichten innerhalb weniger Monate zuschreiben.
Meirowsky und Leven schreiben: „Bezüglich der
Dauer der Infektion verlangt Zieler nunmehr 3, höchstens
4 Wochen, in seinem Leitfaden dagegen lässt er auch Fälle zu, deren
Infektion bis zu 5 Wochen *) zurückliegt.“
Der richtige Sachverhalt ist folgender:
In meinem Grundriss lasse ich die sog. Abortivbehandlung gelten für
„Fäll e, bei denen die WaR. negativ ist und auch im Verlauf der
Behandlung dauernd negativbleibt. In diese Gruppe fallen
nur die Kranken, deren Ansteckung nicht länger als 3—4 (bis höchstens
5 Wochen) zurückliegtr*
Ich habe dort auch für diese Fälle empfohlen, bei alleiniger Salvar-
sanbehandlung sich nicht mit einer Kur zu begnügen.
Der fragliche Abschnitt aus dem Bericht über den Würzburger
Aerzteabend lautet:
Liegt die Ansteckung „länger als 3 bis höchstens
4 Wochen zu rück, so ist ei ne *. bortivheilungmit einer
Kur wenig w-a h r s c h e i n 1 i c h“. Der dauernd negative
Ausfall der WaR. ist auch hier als Vorbedingung betont!
Es* ist jM e i r 0 w s k y und Leven, die mir somit etwas 'ganz
Anderes zuschreiben, als ich gesagt habe, Vorbehalten geblieben, hier
cMien Gegensatz zu finden. Wenn ich an der einen Stelle (Grund¬
riss) mögliche Ausnahmen („bis höchstens 5 Wochen“)
erwähne, so erübrigt sich die Erwähnung solcher Ausnahmen in einem
Aerztevereinsbcricht. Aus dem gegebenen Wortlaut dieses Berichtes
geht aber wohl für jeden Unbefangenen ebenso klar und deutlich her¬
vor, dass eine sog. Abortivheilung mit einer Kur, auch nach 4 Wochen
gelegentlich noch möglich, aber nicht als Regel („wenig wahrscheinlich“)
zu erwarten ist.
^) Die Firma H. Loewi, Berlin, Dorotlieenstrasse, hat sich die Bandage
schützen lassen und den Vertrieb übernommen.
•) Sperrungen usw. von Meirowsky und Leven!
Digitized by
Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25 . Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Für die Praxis.
/n dieser Spalte beabsichtigen wir kurze, für die besonderen
Bedürfnisse des praktischen Arztes geschriebene Aufsätze zu
bringen, in denen Fragen von hervorragender praktischer Be¬
deutung, besonders solche, die öfters zu diagnostischen Irrtämern,
zu therapeutischen Versäumnissen und Fehlern in der Praxis
Anlass geben, in gedrängtester Form behandelt werden sollen.
Diese Ergänzung des übrigen wissenschaftlichen Inhalts unseres
Blattes wird, wie wir hoffen, vielen Lesern willkommen sein,
zumal in einer Zeit, in der so mancher Arzt durch die Ver¬
hältnisse genötigt war, mit noch nicht ganz gefestigten Kennt¬
nissen in die Praxis zu gehen. Die Aufsätze werden alle Ge¬
biete der praktischen Medizin, auch die Spezialfächer, soweit
sie für die Tätigkeit des praktischen Arztes in Betracht kommen,
in zwangloser Folge berücksichtigen; auch werden wir gerne aus
unserem Leserkreis Wünsche bezüglich bestimmter Fragen ent¬
gegennehmen, deren Bearbeitung wir veranlassen werden. Es soll
sich dabei nicht um Lehrbuchausschnitte handeln, nicht um
eine nüchterne, möglichst vollständige Zusammenstellung be¬
kannter Anweisungen und Formeln, sondern jeder Aufsatz soll,
aas der reichen Erfahrung eines einzelnen hervorgegangen, die
persönliche Note seines Verfassers tragen. Dadurch werden die
Arbeiten an Wert und Interesse für den Leser gewinnen. Um
dieses Ziel zu erreichen, haben wir die Bearbeitung der Aufsätze
in die Hände bekannter akademischer Lehrer und Fachärzte ge¬
legt und viele der besten Namen der deutschen Medizin haben
sich in dankenswerter Weise zur Mitarbeit bereit erklärt.*)
Schriftleitung.
Aus der chifurgischen Universitätsklinik in Berlin.
Die Behandlung der sogenannten chirurgischen Tuber¬
kulose durch den praktischen Arzt.
Von Prof. August Bier.
Mit einem hohen Grade von Sicherheit heilen wir heute die sog. chi¬
rurgische Tuberkulose der Knochen, Gelenke, Drüsen, der Haut durch
nichtoperative Mittel. Am^besten geschieht dies ohne Zweifel in eigens
ilazu hcrgerichtetHin Anstalten. Die Not der Zeit aber macht es uns
unmöglich, dies durchzuführen. Die Zahl der Tuberkulösen ist ungeheuer
gewachsen. Grössere Anstalten für die chirurgische Tuberkulose gibt
es in Deutschland nur sehr wenig und an eine grosszügige Neueinrich¬
tung solcher Anstalten ist heute nur in beschränktem Masse zu denken.
Deshalb erhebt sich die Frage, ob nicht der praktische Arzt imstande ist,
einen grossen Teil dieser Tuberkulösen selbst zu behandeln. Ich glaube
diese Frage bejahen zu können und gebe im folgenden die Vorschriften
für die Behandlung, die meines Erachtens mit gewissen, noch zu er¬
wähnenden Einschränkungen jeder tüchtige und gewissenhafte praktische
Arzt mit Erfolg durchführen kann. Er muss sich aber auch wirklich an
die Vorschriften halten. Was wir von sogenannter Sonnenbehandlung
auch von seiten gutgeleiteter Krankenhäuser sahen, war meist mangel¬
haft und deshalb immer unwirksam.
I. Das Hauptmittel gegen die chirurgische Tuberkulose ist die von
Bernhard und Ro11 ier eingeführte Sonnenbehandlung. Sie wird
in folgender Weise, im wesentlichen nach den Vorschriften Rolliers
angewandt:
Zunächst wird der Kranke an die freie Luft gewöhnt Ist er bett¬
lägerig, so wird er mit dem Bett ins Freie gefahren; am 1. Tag eine
Stunde, am 2. Tag zwei Stunden, am 3. Tag drei Stunden. Er ist dabei
zugedeckt. Am 4. Tage beginnt die Sonncnbchandlung der Vorderseite
des Körpers. Es werden 3 mal 5 Minuten beide Fiisse bestrahlt, jedesmäl
mit einer halben Stunde Zwischenpause.' 5. Tag: Es werden 3mal 5 Mi¬
nuten beide Füsse und Unterschenkel, und weitere 3 mal 5 Minuten
beide Füsse bestrahlt 6. Tag: Es werden 3 mal 5 Minuten Füsse. Unter¬
schenkel und Knie, 3 mal 5 Minuten Füsse und Unterschenkel. 3 mal
5 Minuten die Füsse bestrahlt. So geht es langsam weiter. Die
Rückseite des Körpers wird in entsprechender Weise in Behandlung
genommen. Im Laufe von 14 Tagen soll der ganze Körper an die
Sonnenstrahlen, gewöhnt sein.
Vom 7. Tage ab wird ausserdem mit der Bestrahlung des tuberku¬
lösen Herdes begonnen. Die Bestrahlungsdauer desselben beträgt an¬
fangs 3 mal 5 Minuten mit je einer halben Stunde Pause und wird weiter
*) In den nächsten Nummern warten wir u. a. folgende Bdfräg^ bringen:
i'. Pfaundler, Zur Masemprophylaxe; v.. Zumbusch, Die Therapie des
Ekzans; H. Curschmann. Die hausärztliche Behandlung des Bronchial-
asffimas; E. Bumm, Die Indikationsstellung bd geburtshäflichen Operationen;
D. Gerhardt, Ulcus duodeni; A. Krecke, Die Frühdiagnose des Mastdarm-
Karzinoms,
Digitized by Goiigle
M
täglich um 3 mal 10 Minuten gesteigert Die höchste allgemeine kkI
örtliche Bestrahlungsdauer beträgt 7 Stunden.
Alte und selir schwache Leute werden noch langsamer an die Be*
Strahlung gewöhnt und deren Dauer nicht über 5 Stunden gesteigert.
Kranke, die zu Herzklopfen neigen, bekommen während der Sonnen¬
behandlung kühle Umschläge auf die Herzgegend Die Bestrahlung wird
bei ihnen an heissen Tagen in den Mittagsstunden unterbrochen. Bei
allen Kranken werden der Kopf während der Bestrahlung durch eine
weisse Mütze (Südwester) und die Augen durch eine blaue Brille vor der
Einwirkung der Sonnenstrahlen geschützt.
In der praktischen Ausführung ist es von grosser Wichtigkeit, ob der
Kranke gehen kann oder nicht. In ersterem Falle ist die Behandlung
sehr einfach. Der Kranke sucht zwecks der Bestrahlung freie Plätze auf.
Bettlägerige Kranke (d. h. alle an Tuberkulose der Wirbelsäule, des
Beckens und der Beine leidenden) liegen in einem mit Rollen versehenen
Bett. Es muss ein überdachter oder verdeckter, im übrigen frei der
Luft aiisgesetzter Raum vorhanden sein, in dem sie bei eintretendem
Regen Schutz finden. Jeder Sonnenstrahl wird äusgenutzt, indem der
Kranke gleich wieder herausgefahren wird. Daraus folgt, dass eine sehr
sorgfältige Wartung nötig ist.
• Im Winter tritt anstelle der allgemeinen Besonnung die Freiluft¬
behandlung mit Entblössung der örtlich erkrankten Stellen in den Vor¬
dergrund. In. den Mittagsstunden entblösst man im Winter grössere
Körperteile, aber mit Vorsicht und je nach der Empfindlichkeit des
Kranken.
An sonnenlosen Tagen ersetzt man die stets vorzuziehende
Sonnenbehandlung durch die künstliche Bestrahlung. Für den prak¬
tischen Arzt kommt wegen der grossen Kosten in erster Linie die
örtliche künstliche Bestrahlung in Betracht.
Von den Bestrahliingsapparaten ist der verbreitetste die sog. „künst¬
liche Höhensonne“, die ultraviolette Strahlen in grosser Menge erzeugt.
Das grosse Ansehen dieses Apparates in der Behandlung der Tuberku¬
lose beruht auf der irrtümlichen Anschauung, dass bei der Sonne und
bei anderen Lichtquellen ausschliesslich oder in erster Linie die ultra¬
violetten Strahlen wirken. Das ist nach unserer Erfahrung nicht der
Fall. Viel besser wirkt, auch bei der örtlichen Bestrahlung der Tuberku¬
lose, eine Lichtquelle, die sämtliche Sonnenstrahlen (besonders auch
die Wärmestrahlen) enthält. Ich empfehle in dieser Beziehung den
Scheinwerferapparat von Kisch (hergestellt von den Zeisswerken,
Jena; Kosten 12i!0 M.; die Gebrauchsanweisung ist beigefügt, so dass
ich auf die Beschreibung verzichten kann).
, Der Apparat ist imstande dieselben hohen Wärmestrahlen wie die
Sonne (70® C Stralilungstemperatur) zu erzeugen.
Bestrahlung mit Röntgenlicht hat sich besonders bei der weichen
Form der Drüsentuberkulose bewährt. Bezüglich der Technik muss ich
auf die betreffenden Spezialwerke verweisen.
Der praktische Arzt muss nötigenfalls auch ohne künstliche Be¬
strahlung auskommen.
II. Das zweite Mittel ist die Stauungshyperämie, die in Verbindung
mit der Bestrahlung sich sehr bewährt hat. Sie ist für den praktischen
Arzt nur anzuwenden an den Gliedern und am Kopfe. Sie wird 3 mal
täglich 4 Stunden mit je einer Stunde Pause angewandt. Die Binde
wird bei den Gliedern stets am Oberarm oder am Oberschenkel, beim
Kopfe am Halse angelegt. Das Anlegen der Binde muss man sorgfältig
erlernen. Fast allgemein wird der Fehler beobachtet, dass sie zu stark
angezogen wird. Die erste Rcgcf ist, dass sie niemals Schmerzen oder
Unbequemlichkeiten macht.
III. Das dritte Mittel besteht in der innerlichen Verabreichung von
Jodnatrium. Die Tagesgabe beträgt für den Erwachsenen 3,25, für
10—I4]ährige 1,0, für Kinder unter 10 Jahren 0,5 g. Das Mittel wird
10 Minuten vor dem jedesmaligen Anlegen der Stauungsbinder d. h. also
in 3 einzelnen Gaben, verabreicht, bzw. bei Fällen, bei denen die Stau¬
ungshyperämie nicht anwendbar ist, in entsprechenden Zw’ischenräumen.
Die Behauptung, dass däs Jod, lange genommen, Drüsen und besonders
Hoden und Eierstöcke schädige, trifft nicht zu. Die Nebenerscheinungen
des Jods (Akne, Schnupfen, Verdauungsstörungen) sehen wir nur ausser¬
ordentlich selten und in geringem Grade. Sie verschwinden, w^enn das
Mittel für einige Tage ausgesetzt wird und stellen sich nach neuerlicher
Verabreichung gewöhnlich nicht mehr ein. Das Jod vermindert und be¬
schränkt das Auftreten kalter Abszesse und fördert die Resorption ab¬
gestorbener Massen, besonders auch die der Knochensequester. •
Ausserdem ist noch folgendes zu beachten;
Gänzlich verbannt ist die Ruhigstellung der tuberkulösen Gelenke,
wogegen ich seit mehr als 25 Jahren einen Kampf führe. Das tuberkulös
erkrankte Gelenk soll nicht ruhiggcstellt, sondern entlastet werden. Des¬
halb braucht man an den oberen Gliedmassen weder Verbände, noch
Apparate. Die unteren Gliedmassen, die Wirbelsäule und das Becken
werden bis zum Ausheilen der Tuberkulose durch Bettliegen entlastet.
Da wir die bettlägerigen Kranken ins Freie fahren, so hat diese Bettruhe
keine besonderen Schäden zur Folge. Stets lassen wir mit den erkrank¬
ten Gelenken vorsichtige Bewegungen ausführen und erreichen dadurch,
wenn die Zerstörungen nicht bereits allzu stark waren, fast regelmässig
sehr gut bewegliche Gelenke. Feststellende Verbände vernichten da¬
gegen diese Beweglichkeit. Da die genannte Behandlung die Schmerz¬
haftigkeit in kurzer Zeit beseitigt, macht die Ausführung dieser Be¬
wegungen keine Schwierigkeiten. Hauptregel ist dabei, dass die Be¬
wegungen niemals Schmerzen verursachen dürfen.
Operationen führen wir bei der chirurgischen Tuberkulose kaum
noch aus.
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
244
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Kalte Abszesse werden unter keinen Umständen gespalten, sie
müssen frühzeitig erkannt und frühzeitig punktiert werden, und zwar
nicht mit dem Trokar, sondern mit einer möglichst feinen Hohlnadel,
durch die mit einer grossen Saugspritze der Inhalt entleert wird. Man
soll stets vom oberen Rande her und aus dem Gesunden heraus
schräg den Abszess anstechen, damit nicht Fisteln entstehen. So kann
man bis 2 mal täglich den Abszess aussaugen, ohne dass er zum Durch¬
bruch kommt. Die Punktion ist unter Umständen bis zu 100 mal not¬
wendig, meist aber verschwinden die kalten Abszesse schnell. Jodo-
formglyzerin oder andere Mittel werden niemals eingespritzt.
Knochensequester werden nicht operativ entfernt, sie resorbieren
sich unter der geschilderten Behandlung ausnahmslos. Ebenso schliessen
sich grössere Höhlen, die mit sonstigen abgestorbenen Massen aus¬
gefüllt sind, mit Knochen.
Die bei Beginn der Behandlung nur allzu häufig bereits vorhandenen
krankhaften Gelenkstellungen (Zwangsstellung, Subluxation, X-Beine etc.)
werden durch Lagerungsmethoden beseitigt, die den Zutritt der Sonnen¬
strahlen nicht behindern. Nach der klinischen und röntgenologischen Aus¬
heilung der erkrankten Gelenke der unteren Gliedmassen lassen wir
durchschnittlich für 3 Monate im Gelenk bewegliche Entlastungsapparate
tragen, um den Kranken an die Benutzung und Belastung der ausgeheiltcn
Glieder allmählich wieder zu gewöhnen.
Meines Erachtens kann der praktische Arzt ohne weiteres folgende
Fälle auf die geschilderte Weise selbst behandeln:
1. alle Fälle von Drüsentuberkulose;
2. alle Fälle von tuberkulösen Hauterkrankungen:
3. alle Fälle von Knochen- und Gelenktuberkulose, die nicht bereits
zu schweren Zerstörungen und verkehrten Stellungen der Wirbelsäule,
der Glieder und der Gelenke geführt haben.
Will er auch die letzteren Fälle behandeln, so muss er eine,
wenn auch nur bescheidene klinische Abteilung zur Verfügung haben
imd vor allem muss er sich genaue Kenntnisse verschaffen über die
Lagerungs- und Zugapparate, mit denen die verkehrte Stellung (der ,
Buckel bei der Wirbelsäulenentzündung, Beugekontrakturen, Subluxa- |
tionen) beseitigt wird. Für die Behandlung der schwierigen Fälle sind
auch gewisse spezialistische chirurgische Kenntnisse notwendig. Der
Arzt, der diese Vorbedingungen nicht erfüllt, sollte die Hände von solchen
schweren Fällen lassen.
Wir wenden grundsätzlich nur die einfachsten Apparate an, die sich
auch hier als das Beste erwiesen haben, ln einem demnächst erscheinen¬
den Buche meines Assistenten Kisch, der die Tuberkuloseabteilung
unserer Klinik leitet, sind diese Verfahren genau beschrieben. Aerzte, die
sich für die Erlernung des Heilverfahrens der chirurgischen Tuberkulose
interessieren, sind uns willkommen. Sie können es in der unserer
Klinik angegliederten Heilanstalt in Hohenlychen, die 250 Betten hat,
erlernen, ln der nächsten Zeit eröffnen wir in Berlin ein grosses Ambu¬
latorium für 400 Kranke, das unserer Klinik angegliedert wird. Diese
Anstalt verdanken wir dem Entgegenkommen der Stadt Berlin und des
preussischen Kultusministeriums. Sie ist errichtet auf einem früheren |
Exerzierplatz. Ich hoffe, dass auch diese Anstalt eifrigst von Aerzten j
besucht wird. Die Not der Zeit erfordert esf dass auch der praktische |
Arzt sich mit der Behandlung unserer verderblichsten Volksseuche be- :
fasst. Wer nähere Auskunft haben will, wende sich an Dr. Kisch,
Berlin, Ziegelstrasse 5/9, Universitätsklinik. ;
Ich bemerke noch, dass die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose
ausserordentlich dankbar ist. Wir treffen keinerlei Auslese und nehmen i
selbst die allerschwersten Kranken, sogar solche mit Amyloidentartung, j
auf. Wegen grossen Zudranges zu unserer Anstalt müssen wir sogar
die leichteren Fälle meist zurückstellen und vorläufig ambulant behandeln;
trotzdem heilen wir in Hohenlychen nach unserer bisherigen Erfalirung
über 70 Proz. der Fälle aus. Der Prozentsatz würde noch viel höher
sein, wenn wir nicht so häufig aus äusseren Gründen, d. h. weil die
Geldmittel fehlen, die Kranken vorzeitig wieder entlassen müssten.
Könnten wir wirklich die Behandlung durchführen, so wie es sein sollte,
so würde meines Erachtens nur ein ganz geringer Prozentsatz ungeheilt
bleiben, um so mehr, wenn wir weniger vorgeschrittene Fälle in Be¬
handlung bekämen. Aber auch die allerschwersten Fälle heilten häufig
über alles Erwarten aus.
Jedenfalls stehen die Heilerfolge, die wir mit der oben erwähnten
kombinierten Behandlung erreichen, in keiner Weise hinter denen im
Hochgebirge zurück.
Wir hatten in der Hohenlychener Anstalt 3.8 Proz. Todesfälle
(siebenjähriger Durchschnitt). Die Haupttodesursachen waren Meningitis
tuberculosa (deren Ausbruch durch die genannte Behandlung nicht ver¬
hütet wird). Amyloid, von den übrig bleibenden Fällen in der grössten
Mehrzahl über Krankheiten, die mit der Tuberkulose nicht in Zusammen¬
hang standen.
Die Behandlung währt bei schwereren Fällen durchschnittlich
etwa 10 Monate. Es ist zu empfehlen, dass die Kranken nach ihrer
Ausheilung gewohnheitsmässig Sonnenbäder weiter nehmen.
Vor allem muss die Diagnose sorgfältig gestellt werden. Uns wurden
nicht nur Fälle mit entschuldbaren Fehldiagnosen (Syphilis der Knochen
und Gelenke, Gonorrhöe, chronischer Rheumatismus der Gelenke, chro¬
nische, nichttuberkulöse Drüsenschwellungen, Knochensarkome) zuge-
geschickt, sondern wir sahen, dass gemeine Ganglien, Plattfüsse, Bein¬
geschwüre. akute Lymphadenitis als Tuberkulosen mit dem Fried¬
mann sehen Mittel gespritzt waren.
Soziale Medizin und oerztiiciie standesanneieoeniieiteB.
Eingabe der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde
und der Gynäkologischen Gesellschaft Dresden an den
Deutschen Reichstag
betreffs der eine Abänderung der §§ ^18—220 des StGB,
verlangenden Oesetzesvorlagen').
Mit tiefer Sorge hat die überwiegende Mehrzahl der Aerzte Deutsch¬
lands Kenntnis genommen von den dem Reichstag eingereichten beiden
Anträgen auf .Abänderung bestehender Gesetzesvorschriften. wonach
die Abtreibung der Leibesfrucht tür straflos erklärt w-erden soll.
Auch der Verein für Natur- und Heilkunde und die Gynäkologische
Gesellschaft Dresden erachten sich, durchdrungen von dem Ernst der
Lage, für verpflichtet, gegen diese Abänderungsvorschläge schärfsten Ein¬
spruch zu erheben sowohl im Interesse der gesamten Volkswohlfahrt wie
der ginzen Aerzteschaft. Denn die Aerzte sind es, denen die praktische
Durchführung der vorgcschlagenen Bestimmungen tatsächlich übertragen
würde. Sie dürfen daher auch in allererster Linie das Recht bean¬
spruchen als Obcrgutacliter in diesen Fragen gehört zu werden.
Die beiden ärztlichen Gesellschaften sind zwar nicht der Meinung,
I dass der A n t r a g A d e r h 0 1 d u n d G e n o s s e n, der die gänzliche
Aufhebung der sog. Abtreibungsparagraphen verlangt,
von ärztlicher Seite aus ernstlich erörtert werden kann. Aber auch gegen
den milderen, von Frau Schuch und Prof. Radbruch eingereichten,
von einer Anz dil Abgeordneter unterstützten Antrag, der folgenden Zu¬
satz zu den Gesetzesparagraphen verlangt:
„Die in den §§ 218 und 219 des StGB, bezeichneten Handlungen
sind nicht strafbar, wenn sie von der Schw'angercn oder einem staat¬
lich anerkannten (approbierten) Arzte innerhalb der ersten 3 Monate
der Schwangerschaft vorgenommen worden sind.“
müssen schwerwiegende Bedenken erhoben werden. Auch bei Annahme
dieses Antrags — der sich in seinen Orundzügen übrigens mit dem¬
jenigen deckt, der im Mai 1919 dem Grossen Rat des Kantons Basel-
Stadt eingcreicht, aber infolge der Erkenntnis breitester Volksschichten
und vor allem dank einer von Prof. L a b h a r d t verfassten Eingabe der
Medizinischen Gesellseliaft Basel abgelchnt worden ist — würde nicht
nur die Frucht im Mutterleibe schutzlos, sondern es würde auch das
^ soziale Interesse der Volksgcsamthcit zurückgedrängt werden hinter
j individualistische Ansprüche einzelner Glieder, die die Betonung ihrer
Eigeninteressen für wichtiger erachten.
Aufgabe einer medizinisciien Gesellschaft kann es nicht sein, in eine
genauere Erörterung der gelegentlich betonten Motive einzutreten, die
zu dem Verlangen nach Abschaffung oder Einschränkung der Gesetzes-
niragraphen geführt Inben. Nur auf die innerhalb des mediziniscli-
hygienisch-ethischen Gebietes liegenden Begründungen sei hier hin¬
gewiesen.
Die Erschwerung der Erwerbsmöglichkeiten, die
ungeheure Verteuerung derLebenshaltung, insbesondere
die jetzt bestehenden Schwierigkeiten in der Beschaffung von Wohnung.
Wäsche. Kleidunvr usw.: ferner die zunehmende Häufigkeit von
Geburten schwächlicher oderkrankerKinder infolge
der jetzt so grossen Verbreitung der Syphilis können
zur generellen Abtreibung der Leibesfrucht keine Berechtigung geben.
Denn vom Standpunkt des Arztes muss darauf hingewiesen w^erden, dass
der ärztliche Berater hier wie dort andere Hilfs- und Heilmittel kennt als
eine so einschneidende Massnahme, wie sie die Unterbrechung einer be¬
stehenden Schwangerschaft bedeutet.
Auch die Motivierung, dass der Schw^angeren das „freie Ver¬
fügungsrecht über den eigenen Körper zustehe“, berührt
neben dem juristischen und gesellschaftlichen schon ärztliches Gebiet.
Denn abgesehen von der Frage, ob nicht die Frucht im Mutterleibe neben
der Mutter und dem Erzeuger ein drittes Wesen ist. das der Staat aus
eigenstem Interesse wie aus sozialen und ethischen Gründen zu schützen
für unbedingt notwendig erachten sollte, mag auch ärztlicherseits darauf
hingewiesen werden, dass die schwangere Frau in ihren Ent^^chir.-vson
doch meistens von ihrem Partner abhängig ist, der sich der Unterhalts¬
pflicht für das zu erwartende Kind allzu oft schon beizeiten zu ent¬
ziehen sucht und dadurch der hoffenden Frau körperlich und seelisch
häufig genug schweren Schaden zufügt.
Was die Folgen der Annahme des Gesetzentwurfs Schuch-Radbrucfi
anbelangt, so würde sie bedeuten:
1. die Gefahr einer weiteren beträchtlichenHerabsetzung
der Kinderzahl., also der Gesamtbevölkerung. Wenn manche die
Ansicht vertreten, dass eine Bevölkerungs Zunahme zu*- J"*tzt-
zeit nicht erwünscht sei, weil sie eine Erschwerung des Erwerbs und
der Ernährung bedinge — eine Auffassung, gegen die bekanntlich ge¬
rade bei sozialer Betrachtungsweise gewichtige Einwände erhoben wor¬
den sind —. so dürfte doch nicht zu bestreiten sein, dass ein weiterer
Rückgang der Geburtenziffer nach allen Folgen des Krieges und der
fortgesetzten Blockade eine vernichte*Hle Wirkung auf das deutsche
Volkstum ausüben würde. Schon jetzt beträgt die HäufigkrH Prui_
gebürten in Gressstädten 20 Proz. aller Geburten gegenüber 10 Proz. der
Vorkriegszeit!
I ') Verfasst und vorgetragen von üelieimrat E. Kehrer, staatl. Frauen-
' klinik Dresden.
Digitized by
Goi.igle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
245
2. Die schwerstenOesündheitsschädigungen würden
zum mindesten bei den Frauen eintreten, die nach dem Gesetzesvor-
schlage selbst abtreiben dürfen; sie werden aber auch bei einem nicht
geringen I^ozentsatz der vom Arzt eingeleiteten künstlichen, oder besser
gesagt kunstgerecht ausgeführten Fehlgeburten nach wie vor zu er¬
warten sein. Diese Schädigungen ergeben sich im wesentlichen aus
drei Gründen: aus dem beträchtlichen Blutverlust, der fast bei
jeder Fehlgeburt unvermeidbar einzutreten pflegt, aus Verletzungen
der Scheide und Gebärmutter oder anderer Organe der Bauch¬
höhle und aus den Infektionen, die mit hohem Fieber und Schüttel¬
frösten verbunden sind und durch Blutvergiftung (Sepsis) und
eitrige Bauchfellentzündung (Peritonitis) erfahrungsgemäss häufig zum
Tode führen. Diese sog. fieberhaften Aborte sind im günstigen Falle von
lang anhaltendem Siechtum und dauernder Unfruchtbarkeit im Verein
mit körperlicher und seelischer, oft nicht mehr zu beseitigender Schwä¬
chung begleitet. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass es sich bei den
Unehelichen, die von den Folgen der Annahme der Gesetzesvorlagen in
erster Linie betroffen würden, in der Regel um junge, blühende Men¬
schenleben und bei den Verheirateten nicht selten gerade um oie Muiie
zahlreicher, im zarten fürsorgebedürftigen Alter befindlicher Kinder
bandelt.
3. Durch das Bewusstsein der leichten Abtrelbungs-
moglichkeit würden viele Männer und vor allem unverheiratete
Frauen, die Bedenken und die Hemmungen, zu denen sie die Möglichkeit
einer ^hwangerschaft veranlasst, verlieren und dazu geführt werden,
röcksichtslosund verantwortungslos auf antikonzep¬
tionelle Massnahmenzuverzichten. Dadurch aber würden
die Frauen — eheliche wie uneheliche — einer noch wesentlich häufi¬
geren Zahl von Schwangerschaften und Fehlgeburten ausgesetzt, wie
schon bisher, und durch die Summat'on der Aborte würden alle
vorhin erwähnten Gefahren vermehrt. Und der Brutalität des Mannes
gegen die Frau und der Unsittlichkeit und Verrohung breitester Volks¬
kreise würden dadurch Tür und Tor geöffnet.' Und es wäre wiederum
die Frau,' die auf diese Weise weit mehr zu leiden hätte als durch Aus¬
tragung ihrer Schwangerschaft, oder durch eine kunstgerecit geleitete
Geburt, oder selbst gar durch eine Bestrafung der Abtreibung nach den
bisherigen Gesetzesparagraphen.
4. Die Gewissheit der leichten Abtreibungsmög¬
lichkeit müsste auch zu^ einer noch grösseren, fast schrankenlosen
Zunahme des ausser ehelichen Geschlechtsverkehrs
und damit vor allem der Geschlechtskrankheiten führen. Da¬
durch würden die gerade in der jetzigen Zeit so notwendigen und erfolg¬
reichen Bestrebungen zur Einschränkung dieser Erkrankungen ausser¬
ordentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht.
Auf die Bedeutung der beiden letztgenannten volkshygienischen Ge¬
fahren, denen vor allem die Jugend ausgesetzt wird, kann von ärztlicher
Seite aus nicht dringend genug hingewiesen werden.
5. Die Durchführung der Gesetzesvorschläge würde auch eine Min¬
derung der für unverletzlich und heilig angesehenen
Mutterpflichten bedeuten. Auch hierin berührt sich das ärztliche
Interesse innig mit dem ^sozial-ethischen, weil gerade der Arzt als Hel¬
fer und Berater dazu berufen ist, die Pflichtauffassung innerhalb der
Familie zum Nutzen und Frommen der Nachkommenschaft und somit
im Interese des Staates und der Gesellschaft soweit wie möglich zu
fördern.
6. Die Annahme der Gesetzentwürfe würde auch den morali¬
schen Niedergang des deutschen Volks herbeiführen und
damit eine grosse Kulturaufgabe in einem freilich recht einfachen nega¬
tiven Sinne zur Lösung bringen. Es ist eigenartig genug, aber es findet
seine Vorbilder in der Geschichte der dem Untergang verfallenen Völker,
dass Frauen es sind, die das beliebige Verfügungsrecht über den eigenen
Körper, selbst im Zustande der Schwangerschaft, so sehr betonen, und
es ist schwer zu verstehen, dass gerade von ihrer Seite aus der dem
Reichstag vorliegende Gesetzentwurf gefördert worden ist. Und doch
sollte man meinen, dass gegen derartige einschneidende Massnahmen
gerade die Frauen die allergrössten Bedenken haben sollten, und zwar
vom Standpunkt der Hygiene ihres eigenen Körpers, ihrer Stellung gegen¬
über dem Manne, ihrer sozialen Aufgabe gegenüber der kommenden
Generation und dem von der modernen Naturwissenschaft betonten
Fwigkeitswert der Leibesfrucht.
Aber auch mehr technische Bedenken sind es, die gegen die
geplanten Aenderungen der Gesetzesparagraphen zu erheben sind.
7. Ganz irrig ist die, wenn auch weitverbreitete Ansicht, dass die
Schwangerschaftsunterbrechung in den ersten 3 Monaten ein harm¬
loser Eingriff sei. Das ist sie selbst dann nicht, wenn sie durch
Aerzte nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und
Technik vorgenommen wird. Sie ist — im Gegensatz zu den Gebur¬
ten — in der Regel an ein operatives Verfahren geknüpft und mit den
bereits hervorgehobenen Gefahren belastet.
8. Sodann ist es unmöglich, die 3-Monats-Grenze generell
oder im Einzelfall mit genügender Genauigkeit zu bestimmen. Abgesehen
davon, dass über die Ansicht, dass vor Ablauf des 3. Schwangerschafts-
rnonats der Nasciturus nur ein „pars viscerum mulieris“ und noch kein
Mensch sei, weil er noch keine Seele besitze, hier nicht gesprochen
werden kann, so ist doch zu betonen, dass die Angaben der Frauen über
die zuletzt stattgefundene Menstruation oft sehr trügerisch sind. Auch
ist der Tag des befruchtenden Beischlafs meist unbekannt. Eine objektive
Untersuchung auf Schwangerschaft setzt grosse Uebung und Erfahrung
voraus und kann trotzdem vor Irrtümern nicht immer bewahren. Und
wie soll die Schwangerschaft bestimmt werden? — im Sinne der dem
Arzt geläufigen Mondmonate oder, dem Laien entsprechend, nach Kalen¬
dermonaten? Das alles sind Khppen genug, an denen ein Scheitern
möglich ist, und dieses Scheitern kann bei der geplanten Gesetzes¬
abfassung einer gerichtlichen Bestrafung des Arztes gleichkommen, wenn
er, statt vor der 12., erst in der 13. oder einer späteren Woche die
Schwangerschaft unterbricht, was etwa durch Bestimmung der Länge
der abgegangenen Frucht festgestellt werden könnte. Und wenn man
einwenden wollte, dass der Arzt für einen solchen Rechenfehler kaum
verantwortlich gemacht werden, geschweige denn eines fahrlässigen
oder gar schuldhaften Eingriffs bezichtigt werden dürfte, so ist doch die
Rechtslage für den Arzt eine so ungewisse, dass er gut daran tun wird,
sein Vertrauen nicht in sie zu setzen. Zum mindesten müsste doch der
Gesetzesvorschlag lauten: „ungefähr innerhalb der ersten 3 Monate“.
9. Die Annahme der Abänderungsanträge würde endlich auch eine
Degradation des Aerztestandes bedeuten. Denn mancher
Arzt, der in den verhältnismässig seltenen Fällen von künstlichem Abor-
tus bisher den strengen Indikationen der medizinischen Wissenschaft und
Erfahrung folgte, der also den Eingriff nur im Falle bestehender Gefahr
für Leben oder Gesundheit der Schwangeren, vornahm, sofern diese Ge¬
fahr durch kein anderes Mittel abgewendet werden konnte, mancher Arzt,
der sich bei rein spezialen und rassehygienischen (eugenischen) Gesichts¬
punkten bisher der Schwangerschaftsunterbrechung gegenüber ablehnend
verhielt, würde durch eine Gesetzesbestimmung in der angeregten Form
dazu verleitet werden, dem Wunsche der Schwangeren auf Vornahme
der Abtreibung zu entsprechen und sich damit zu einem indikations-
und schrankenlosen Abtreiben nach dem Willen des Laien hj"zug''ne’-'.
Die Anzeigestellung zur Schwangerschaftsunterbrechung würde somit
r'm Arzt auf die Schwangere oder, tatsächlich, meistens auf den Er¬
zeuger der Frucht, als den intellektuellen Urheber des Ansinnens, über¬
gehen und dtfm Manne würde zugleich das Recht zuerkannt werden, die
Gesundheit der Frau zu gefährden.
Es kommt hinzu, dass sich einzelne Aerzte der genannten Art infolge
dieser Eingriffe gegen das keimende Leben Vorteile zuwenden würden,
auf welche die anderen — und das ist und bleibt die weit überwiegende
Mehrzahl aller deutschen Aerzte — kraft ihrer ethischen Ueberzeugung
und ihrer wissenschaftlich-medizinischen Erfahrung verzichten müssten.
Auf der einen Seite würde also den weitesten Kreisen des Aerztstandes
ein ernster Schaden zugefügt, auf der anderen Seite würde die ärztliche
Ethik grossen Gefahren ausgesetzt und einer Heranzüchtung minder¬
wertiger Persönlichkeiten, wie sie in keinem Stande ganz fehlen^ Vor¬
schub geleistet.
Aber die Gefahren für den Aerztestand sind noch grösser. Da der
Antrag von Frau Schuch und Prof. Radbruch fordert, dass jede
schwangere Frau die Fehlgeburt selbst einleiten darf, so kann jeder
Arzt bei einer etwaigen Ablehnung des von ihm verlangten Eingriffs in
einen ernsten Gewissenskonflikt dadurch kommen, dass ihm die
Schwangere erklärt, sie werde nun selbst, wenn auch auf die Gefahr
schwerer fieberhafter oder gar tödlicher Infektion hin, die Frucht ab¬
treiben. In solchen Fällen könnte ein Arzt unter Umständen in die Lage
kommen, die künstliche Fehlgeburt einleiten zu müssen, um die Frau vor
der drohenden Lebensgefahr zu bewahren, in die sie sich mangels Kennt¬
nis des richtigen Verfahrens fast unvermeidlich begeben würde.
Und wie . endlich, wenn die Oeffentlichkeit aus dem gedachten
Gesetz eine Verpflichtung zur ärztlichen Schwanger¬
schaftsunterbrechung herleitete? Könnte dann nicht der
Fall eintreten, dass der Arzt für die tödliche Infektion, die sich die
Schwangere selbst — im Falle der erfolgten Ablehnung des Eingriffs
durch den Arzt — beigebracht hat, von den Angehörigen haftbar ge¬
macht werden würde?
Eine letzte Folge des geplanten Gesetzes für den Aerztestand und
damit auch für die ganze Volkswohlfahrt wäre, dass sich dem Studium
der Medizin künftig Unfähige und Unstrebsame in grösserer
Zahl zuwendeten, die nun wissen, dass sie dereinst auch ohne tiefere
Kenntisse der medizinischen Wissenschaft als ärztlche. Abtreiber mühelos
ihr Brot verdienen können.
Das alles sind Gründe, welche die vorgeschlagerien Gesetzesände¬
rungen als unannehmbar nicht nur für den einzelnen Arzt und für den
gesamten Aerztestand, sondern in allererster Linie als in höchstem Masse
bedenklich, ja gefährlich für die gesamte Bevölkerung erscheinen lassen.
Es halten daher der Verein für Natur- und Heilkunde und die Gynäko¬
logische Gesellschaft Dresden für ihre Pflicht, vom medizinisch-hygie¬
nisch-ethischen Sfandpunkt aus in letzter Stunde eindringlich ihre war¬
nende Stimme zu erheben. Alle diejenigen, die bedingt oder bedingungs¬
los für die Gesetzvorschläge eingetreten sind, seien zu einer erneuten
Nachprüfung derselben aufgefordert damit nicht das wahrlich schwer
genug leidende deutsche Volk in noch tieferes Elend herabsinke und
damit nicht ein furchtbarer Irrtum zu spät und am Grabe derjenigen
Frauen sich offenbare, welche der für die Einzelne wie für die Gesamt¬
heit gleich gefährlichen Idee der straflosen Abtreibung zum O^er ge¬
fallen, ja — so würde man dereinst sagen müssen — geopfert worden
sind.
Mit der Ablehnung der genannten Aenderungsvorschläge bestehen¬
den Rechtes seitens der beiden medizinischen Gesellschaften Dresden
soll aber nicht gesagt sein, dass sie die sog. Abtreibungsparagraphen
in ihrer jetzigen Form aufrechtzuerhalten wünschen. Sie sind vielmehr
im Einklang mit weit verbreiteten Anschauungen medizinischer, juristi¬
scher und anderer Kreise der Auffassung, dass die dem alten preussischen
Landrecht entsprungenen Paragraphen des Strafgesetzbuches für das
Deutsche Reich bei der in Vorbereitung begriffenen Strafgesetzreform
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
246
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
in fast jeder Hinsicht verbesserungs- und abänderungsbedürftig sind,
dass sie insbesondere eine mildere Fassung für die schwan-
gereFrau erhalten sollten, während aflf der anderen Seite ein ver¬
schärftes und beschleunigtes Vorgehen gegen die
professionellen kriminellen Abtreiber — etwa auf der
Grundlage einer Straffreierklärung der anzeigenden schwangeren Frau —
dringend geboten erscheint. Vor allem möchte die jetzt vorgesehene
Strafe, insbesondere die entehrende Zuchthausstrafe, für die Schwangere
nicht mehr beibehalten, der Versuch der Abtreibung, falls schädliche
Folgen ausbleiben, in anderem Sinne wie bisher beurteilt werden; auch
möchte der Schwangeren Strafaufschub bis nach Ablauf der Schwanger¬
schaft im Interesse üirer selbst wie besonders der Leibesfrucht zu¬
gebilligt werden. Durch diese Vorschläge würde dem modernen Volks¬
empfinden in etwas der Notlage, welche zurzeit viele Abtreibungen
gerade nach den Erfahrungen der Aerzte veranlasst, In weiterem Um¬
fange Rechnung getragen werden. Und die schwangere Frau bliebe
vor manchen Gefahren des Leibes und der Seele bewahrt, denen sie bei
den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen leider allzusehr ausgesetzt ist.
FortüiidungsuQiiraoe und ueuersichtsreierate.
Zur Diagnose und Behandlung des Magengeschwüres*).
Von Hofrat Dr. Hans Dörfler in Weissenburg i. B.
1. Zur Diagnose des* Magengeschwüres.
M. H.! Auf 161 von 1903 bis Dezember 1919 von mir ausgeführte
Laparotomien wegen Magenkrankheiten treffen 64 Bauchschnitte wegen
Magengeschwüres und seiner Folgen. Zu den Erfahrungen dieser
Autopsien in vivo sind seit 1914 die diagnostischen Erfahrungen, die uns
durch die Röntgenuntersuchung zuteil geworden sind, getreten Bei der
Häufigkeit des in Rede stehenden Leidens erscheint es mir erlaubt, in
unserem Kreise von praktischen Aerzten diese Erfahrungen zusammen¬
gefasst mitzuteilen und mit Ihnen zu besprechen hauptsächlich hinsicht¬
lich der Diagnose und der heute am zweckmassigsten erscheinenden
Behandlung.
Die verlässlichsten Zeichen eines unkomplizierten Ulcus rotund. ven-
triculi sind, wie Sie alle wissen, Magenblutung, Schmerzen nach Auf¬
nahme schwerer Kost, bestimmt lokalisierter Druckschmerz bei gleich¬
zeitiger Chronizität des Leidens; als weiteres brauchbares Symptom,
das für ein rundes Magengeschwür spricht, wurde bisher seine temporäre
Heilbarkeit durch eine L e u b e sehe Ulcuskur angesehen. Im folgenden
möchte ich auf Bekanntes nicht weiter eingehen, sondern nur das Vor¬
bringen, was meine Erfahrung die bisherige Lehre ergänzend oder auch
von ihr abweichend gelehrt hat.
Dass das Blutbrechen das zuverlässigste Zeichen eines Magen¬
geschwüres ist, steht fest; haben wir dieses durch die Anamnese fest¬
gestellt, so haben wir festen Boden unter den Füssen. Blutungen aus
dem Oesophagus oder aus geplatzten Blutgefässen, wie sie bei der
Leberzirrhose beobachtet werden, sind so extrem selten, dass sie an der
Bedeutung der Magenblutung für die Diagnose „Magengeschwür“ nichts
zu ändern vermögen. Differentialdiagnostisch wertvoll ist mir hierbei
der Umstand erschienen, dass die Zirrhosenblutung meist wie der Blitz
aus heiterem Himmel und meist nur bei Potatoren vorkommt, während
bei Ulcusblutung eine Ulcusanamnese mit hochgradiger Emofindlichkeit
gegen schwere Speisen nicht zu fehlen pflegt; immerhin habe ich auch
solche überraschende Ulcusblutungen ohne eine solche Anamnese in
ganz seltenen Fällen beobachtet.
In differentialdiagnostischer Beziehung kommt
sonst eigentlich nur die Unterscheidung in Betracht, ob die Blutung aus
einem Ulcus rotundum oder einem Magenkarzinom stammt
In seltenen Fällen, besonders bei jugendlichen Individuen, kann hier in
der Tat eine Schwierigkeit entstehen; für gewöhnlich ist die Entschei¬
dung aber nicht schwer. Bei Karzinom, das zur Magenblutung führt, ist
gewöhnlich ein Tumor zu fühlen und doch auch bereits eine gewisse
Kachexie, die ja gerade bei den Ulcuskranken fehlt, vorhanden. Das
fahle Aussehen, die seit Monaten beobachtete Abmagerung, der Ekel
vor Fleisch etc. lassen uns doch schon gleich das Richtige vermuten.
Dann ist auch das Aussehen des Erbrochenen beim Krebskranken aller¬
meist von dem des Ulcuskranken deutlich zu unterscheiden. Die ganz
seltenen Fälle, wo auch bei Magenkarzinom reichliche geronnene
schwärzliche und bräunliche Massen erbrochen werden, ausgenommen,
erbrechen die Krebskranken meist die bekannte kaffeesatzbraune, oft
übelriechende Flüssigkeit, hie und da mit Blutgerinnsel vermischt,
meistens ohne solche, da bei blutenden Karzinomkranken meist die
Blutungen in das Mageninnere kontinuierlich und in kleinen Mengen
erfolgcni^nd so eine innige Vermengung des Blutes mit den Magen¬
säften, eine weitergehende Verdauung desselben und so stärkere Ver¬
änderung des Blutfarbstoffes eintritt. als dies bei der meist abundanten
und damit rasch zum Brechen reizenden Magengeschwürsblutung der
Fall ist. Dann besteht für mich kein Zweifel, dass das richtige Blut¬
erbrechen bei Magenkarzinom überhaupt an sich ein viel selteneres
Ereignis darstellt als bei Ulcus, so dass eine richtige Magenblutiing uns
eher noch in Zweifelsfällen die tröstliche Aussicht auf das Vorhanden¬
sein eines Ulcus, also eines gut heilbaren Leidens, eröffnet. Wenn wir
VortraK, gehalten in der Aprilsitzung 1920 des Aerztl. Bezirksvereins
für Siidfranken.
Digitized by Goüsle
allerdings Fälle vor uns haben, die wir seit Jahrzehnten als Ulcus-
kranke mit durchgemachter Blutung kennen, bei denen sich infolge Ver-
säumens der richtigen. Therapie ein Karzinom aus dem Ulcus entwickelt
hat und nun nach Jahren eine neue Blutung auftritt, kann die Diffenential-
diagnose schwierig werden. Der allgemeine Habitus, die charakteristi¬
sche Krebskachexie w^erden uns aber auch hier gute Wegweiser sein.
Bei den grossen Mägenblutungen — und diese sind es fast aus¬
schliesslich, mit denen wir in der Praxis zu tun haben — fehlt natür¬
lich Blut im Stuhl niemals. Dass es sich dabei nicht um Ent¬
leerung von hellem oder dunklem Blut wie es für Hämorrhoiden
charakteristisch ist sondern um Abgang der bekannten schwarzbeerbrei-
oder teerfarbigen, dünnbreiigen Stühle, dem Resultate der Blutver¬
änderung unter Einwirkung der Verdauungssäfte handelt wissen Sie alle:
auch das bei Magengeschwüren erbrochene Blut ist meist infolge ier
Einwirkung der Magensäfte von schwärzlicher oder dunkelbrauner Faiüe,
zum Teil koaguliert, häufig anfangs mit Speiseresten vermischt; sein
Ursprung kann schon mit Rücksicht auf die hellrote und schaumige
Beschaffenheit der Lungenblutung und besonders mit Rücksicht darauf,
dass die genaue Nachfrage immer ergeben muss, dass bei Magenblutung
das Blut nicht durch brüsten, sondern durch einen Brechakt hcrauf-
befördert wird und sofort ausbleibt wenn das Erbrechen fehlt um so
weniger zweifelhaft sein, als für Lungenblutung charakteristisch gelten
kann, dass nach geschehener Blutung mindestens einige Stunden, oft
mehrere Tage bei jedem Räuspern und Husten wieder kleinere oder
grössere Blutbeimengungen mit dem Auswurf herausbefördert werden. Im
Hinblick auf diese Kardinalunterschiede ist eine Täuschung für den Arzt
unmöglich, der sich nur einigermassen die Mühe gibt hier bei der
Anamnese die nötige Sorgfalt walten zu lassen.
' Was die Lebensgefahr des Bluterbrechens oder der
Magenblutung — das Erbrechen von Blut kann ja. wie Sie wissen, trotz
der Blutung auch fehlen und nur durch Abgang des Blutes aus dem
Darm erkannt werden — anlangt so kann ich mich in den 34 Jahren
meiner Praxis keines Falles erinnern, die an Verblutung, d. h.*an töd¬
licher Anämie zugrunde gegangen wäre; dass aber solche nach Be¬
obachtungen jedenfalls Vorkommen, steht fest. Dagegen sah ich in
einem Fall nach einet stärksten Magenblutung plötzliche und andauernde
Erblindung auf beiden Augen, in einem Falle Tod in tiefem Koma
mehrere Tage nach Aussetzen der Blutung eintreten. Ich glaube,
dass in beiden Fällen Thrombös-en von Venen des Gehirns, im
ersten Fall des gemeinsamen Stammes der Vena ophthalmica, im
anderen des Sinus longitudinalis die Ursache für den traurigen Ausgang
abgegeben haben. Jedenfalls bin ich noch niemals durch noch so massige
Blutung zu sofortigem operativen Eingreifen gezwungen worden. Zu
einem solchen Vorgehen geben uns glücklicherweise. also allermeist
die Magenblutungen keinen Anlass. Wenn in der Literatur Fälle an¬
gegeben werden, fn denen angeblich die zunehmende Anämie infolge
von immer wiederkehrenden kleineren Blutungen, die hier nur in den
Darmentleerungen festgestellt werden, die Operation schliesslich not¬
wendig machten und dadurch Heilung erzielt wurde, so müssen diese
doch als grosse Ausnahmen bezeichnet werden.^ Ganz anders hinsicht¬
lich der Operationsbedürftigkeit sind aber solche Blutungsfälle zu be¬
urteilen, bei denen die Blutung die Begleiterscheinung einer der
sonstigen lebensbedrohenden Ulcusfolgen darstellt. Hier wird sie uns,
wie wir sehen werden, geradezu als willkommener Wegweiser zur rich¬
tigen, d. h. operativen*) Behandlung des chronischen Ulcus ventriciili
dienen können. Dass die augenblickliche Magenblutung als solche
eigentlich fast niemals eine Indikation zu sofortigem operativen Vorgehen
abgibt, dürfen wir als ein grosses Glück für urtsere Patienten be¬
trachten. Denn einerseits handelt es sich doch immer um hochgradig
geschwächte Patienten, die einen, grossen Eingriff, wie sie, eine Magen¬
geschwürsoperation darstellt, wenig Widerstandsfähigkeit entgeeen-
stell-en können, fürs andere hat die Erfahrung .gezeigt, dass es bisher
den Chirurgen nicht geglückt ist, das sichere Auffinden der Blutuno^s-
stelle zu garantieren, ja dass bei versuchter Exzision eines gefundenen
Ulcus der Tod durch eine Blutung aus einem zweiten Geschwür des
nnnm-ehr durch die Operation geschwächten Kranken eingetreten ist, der
Tod, der vielleicht bei exspektativem. die Operation auf einen günsti¬
geren Zeitpunkt verschiebenden Verfahren hätte vermieden werden können.
Damit soll nicht gesagt sein, dass nicht in seltenen Ausnahme-
fällen — ich meine die seltenen, immer wiederkehrenden Blutungen —
auch die Blutung als solche zur Operation zwingen kann. Dass hier
der Eingriff ein möglichst schonender, am besten wohl die rasch und in
Lokalanästhesie ausführbare einfache Gastroenteroanastomese und
Pylorusaitsschaltung duren einfache Abschnürung^it Ihren für die Hei¬
lung des Ulcus so günstigen Bedingungen sein muss, ist klar, ln der Tat
ist hierdurch auch schon Heilung in solch verzweifelten Fällen auf
operativem Wege erzielt worden. Nun fehlt aber das Svmntom des
Bluterbrechens sicher in der Mehrzahl gerade der schweren Fälle; so
haben von den von mir durch Operation festgestellten 64 .Magen-
Vor kurzem erlebte ich allerdings auch einmal Erbrechen k a f f e e -
satzartiger, mikroskopisch als Blut festgestellter kleiner Mengen Magen¬
inhaltes bei einem blühenden 44 iährigen Manne, bei dessen 1 Jahr später
an interkurrenter Krankheit erfolgtem Tode die Sektion als Quelle der ge¬
ringen Blutbeimischun<r kleine zahlreiche E k c h y m o s*e n in der ganz
atrophischen Magenschleimhaut sich erwiesen.
*) Unter den von mir operierten 64 Ulcusfüllen wurden mir nur 2 w'egen
bedrohlicher Anämie und infolge von zurückliegenden Ulcusblutungen zur
Operation zugewiesen und durch Operation geheilt. In diesen Fällen kam die
Blutstillung als solche bei der Operation nicht in Frage.
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Z47
Geschwüren nur 9, also nur 14 Proz. Bluterbrechen in der Anamnese
aufzuweisen. Diese niedrige Prozentzahl gilt, wie gesagt nur für die
schweren Fälle, die schliesslich zur Operation geführt haben; wenn ich
die zahlreichen Fälle von Ulcusblutungen, die mir im Laufe der Jahre
vorgekommen sind und bis heute nicht operiert wurden, mir ins Ge¬
dächtnis zurückrufe, möchte ich fast glauben dass gerade die blutenden
fälle nicht so häufig zu schweren Operationskomplikationen führen, als
die Fälle, die niemals eine Blutung gehabt haben.
Das Alter der blutbrechenden Patienten kann uns für die Diagnose
keinen Anhaltspunkt geben; denn die Erfahrung hat mich gelehrt dass das
Ulcus rotundum sich keineswegs auf jugendliche Individuen,
wie bleichsüchtive Mädchen, beschränkt sondern dass Erwachsene jeden
Lebensalters, auch solche des sogen. Karzinomalters von 45—60 Jahren,
an Ulcus leiden können. Das allerdings scheint mir auch festzustehen,
dass Magenblutungen bei Individuen unter 14 Jahren eigentlich so gut
wie nicht Vorkommen. Das von Moro bei Säuglingen beobachtete
Bluterbrechen dürfte zu den allergrössten Seltenheiten zu rechnen sein.
In welchem Alter stehen die Ulcuskranken? Von meinen durch Autopsie
in vivo erwiesenen 64 Ulcusfällen standen
2 im Alter von 15—20 Jahren 22 im Alter von 40—50 Jahren
3 . 20—30 23 . 50-60
12 „ ., „ 30—40 „ 2 ..60—70
Aus dieser Operationsstatistik geht nicht hervor, dass überhaupt
jugendliche Individuen selten oder nur ausnahmsweise an Magen¬
geschwüren leiden, sondern dass weitaus die meisten Fälle erst nach Ab¬
lauf der ersten vier Jahrzehnte, also im Alter von 40—60 Jahren, zur
Operation kommen. Die einzige Lehre, die wir daraus entnehmen können,
ist die, dass Magenblutungen im Alter von 40—60 Jahren recht wohl auf
einfachem Ulcus beruhen können und nicht ohne weiteres den Verdacht
auf Karzinom erwecken müssen. Wir müssen uns also von dem Glauben
frei machen, dass schwere Magenerscheinungen in den Fünfzigern immer
für ein Karzinom und selten für ein Ulcus sprechen. Sicher kommen in
diesem Alter beide Krankheiten wenigstens bei unserer ländlichen Be¬
völkerung gleichhäufig zur Beobachtung und Behandlung. Das zu wissen
ist aber deswegen so wichtig, weil wir aus der Kenntnis dieser Tatsache
heraus mit viel grösserem Vertrauen auf operative Heilbarkeit der Krank¬
heit an der Eingriff heranzugehen berechtigt sind und uns deshalb auch
hieraus die Pflicht erwächst, viel häufiger als bisher geschehen, die
explorative Laparotomie vorzuschlagen.
Bei der nicht operativen Behandlung der Ulcusblutung resp. des Blut¬
erbrechens hat sich mir am besten bewährt: 3—4 Tage überhaupt nichts,
auch keine Flüssigkeit genfessen zu lassen. Alle 3—4 Stunden 8 Tropfen
Suprarenin in 1 Esslöffel frischem Wasser ist das Einzige, was ich
solchen Patienten erlaube; vom 4.—8. Tage gestatte ich kleine aber
häufige Mengen kalten Tees und Eismilch, erst vom 8. Tag an warme
Milch. Die ersten 8 Tage lege ich eine Eisblase auf die Magengegend,
am 9. Tag beginnt die 14 Tage dauernde Leu besehe Ulcuskur mit
Breiumschlägen und warmer Milch. Zur L e n h a r t z sehen Ulcuskur, die
sehr bald leichtverdauliches weiches Fleisch und Brei gestattet, habe ich
mich noch nicht entschliessen können. So viel über die Magenblutung
und ihre Behandlung.
Was das Geschlecht der Ulcuskranken anlangt, so gibt uns dasselbe
keinen Fingerzeig für die Diagnose. Bei meinem Material verteilen sich
die Ulcuspatienten auf beide Geschlechter gleichmässig. Von den 64 ope¬
rierten Patienten waren 33 weiblichen, 31 männlichen Geschlechts. Eine
grosse Bedeutung für die Diagnose kommt der Anamnese zu. Patho¬
snostisch für Ulcus ventriculi ist die Chronizität des Leidens; fast alle
Magengeschwürskranken geben an. dass sie „seit Jahren magenleidend
SvHen“. Das schliesst nicht aus, dass man in seltenen Ausnalimefällen
ru einer Magenblutung gerufen wird, die den Patienten ganz unvor-
'vreitet überrascht hat, der keinerlei Magenbeschwerden, „höchstens
£twas Sodbrennen“ vorausgegangen sind; von solchen Patienten hört
man dann den Ausspruch, dass sie bis zur Stunde „alle Speisen glänzend
vertragen hätten“. Solche Fälle sind aber solch extreme .Ausnahmen,
dass sie unberücksichtigt bleiben dürfen. Entweder handelt es sich dabei
um Fälle, bei denen infolge eines besonders geschützten Sitzes des Ulcus
dieses beim Verdauungsakt nicht bis zur Schmerzempfindung gereizt
wird, oder um ein ganz frisch entstandenes Ulcus, das sofort zur Blutung
geführt hat. Da wir über die eigentliche Entstehungsursache des Ulcus
nichts Bestimmtes wissen, sind wir bei der Erklärung solcher Ausnahme-
iäile auf Vermutungen angewiesen. Wir tun jedenfalls gut, bei unseren
diaenostischen Bemühungen an der Chronizität des Magengeschwüres
iestzuhalten. Charakteristisch'ist ferner für Ulcus, dass bei demselben
iast niemals fehlen Schmerzten nach der Nahrungsaufnahme und zwar
auftretend bald oder in den ersten 2 Stunden nach der Mahlzeit; be¬
sonders gegen schwere Speisen wie Rettige, Gurken. Kraut und Schwarz¬
brot sind Ulcuskranke meist ausgesprochen empfindlich. „Ja. solche
Speisen kann ich schon jahrelang nicht mehr vertragen“, ist der ge¬
wöhnlich zu hörende Ausspruch. Wir Landärzte müssen allerdings i abei
bedenken, dass gerade unsere bäuerliche B«evölkerung nicht allzu
empfindlich ist und trotz der Beschwerden jahrein, jahraus die schwer-
•erdaulichsten Speisen bei bestehendem Ulcus zu sich nimmt, dieselben
2 !^o ..vertragen“ zu können angibt, wobet der Patient aber unter Ver¬
trauen der Speisen versteht dass er sie nicht erbrechen muss. Erst wenn
Erbrechen auftritt oder die Beschwerden nach der Nahrungsaufnahme
-men unerträglichen Grad erreicht haben, pflegt der bäuerliche Patient
^ich zum Arzt zu begeben.
In differentialdiagnostischer Beziehung gegenüber nervösen Magen-
- Digitized by Goüsle
beschwerden sind aber solche Angaben der Unverträglichkeit schwerer
Speisen wichtig, da man gerade bei Magennervösen im Gegenteil oft
vom Patienten hört: „ja bei aller Empfindlichkeit meines Magens ist es
merkwürdig, dass ich beispielsweise Kraut sehr gut vertrp<^en kann“.
Das hören Sie von einem Ulcuskranken nie, höchstens von einem solchen,
der aus Furcht vor Operation sich und dem Arzte etwas Vormacht, was
nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht.
Dann klagen die Ulcuskranken über Aiifstossen und zwar auf Be¬
fragen meist über saures Aufstossen, Hochkommen von Speisen oder
bitterem Wasser, richtiges Wasserbreeben, und Brennen entlang der
Speiseröhre; diese Angaben sind wichtig gegenüber dem Luftaufstossen^
der Nervösen, das meist ohne Geschmack und ohne Speisen erfolgt.
.,Wasserbrechen“, ein bei unserer Landbevölkerung eingebürgerter Aus¬
druck. kommt bei nervösen Kranken fast niemals vor und spricht ent¬
weder für Ulcus oder für Magenkarzinom. Das ist aber auch sicher von
mir beobachtet worden, dass mancher von mir als Ulcuskranker durch
Operation agnoszierter Kranker jegliches Erbrechen und Aufstossen über¬
haupt vermissen Hess und das Krankheitsbild nur von den unerträglichen
Schmerzen nach der Nahrungsaufnahme l>eherrscht war. Wie die Ope¬
ration dann zeigte, handelte es sich bei solchen Fällen um Ulzera, die ent¬
weder mit Vorliebe an der kleinen Kurvatur oder auch am Pylorus ihren
Sitz hatten, bei denen aber jegliche Stenose und so Gelegenheit zur
Stauung der Speisen im Magen fehlte. Der von Reichmann be¬
schriebene uikI nur bei Neurasthenischen oder Hysterikern gebildeter
Stände vorkommende sog. „periodische Magensaftfluss“, wobei unter
heftigen Kopfschmerzen und Prostration mehr oder weniger grosse
Mengen sauren Magensaftes erbrochen werden, und die auf Lues resp.
Tabes beruhenden gastrischen Krisen mit einem ganz ähnlichen Krank¬
heitsbild sind für uns Landärzte so seltene Ereignisse, dass wir sie
höchstens bei einem auf das Land versetzten Assessor oder aus der
Grossstadt verpflanzten Luetischen beobachten, bei unserer Landbevöl¬
kerung mit Fug und Recht diese Krankheiten bisher abelr ausser Berechnung
lassen konnten. Leider wird als Kriegsfolge dieser segensreiche Umstand
eine gefährliche Aenderung erfahren. Erbrechen ist also für das einfache
Ulcus nicht charakteristisch; wir vermissen es sogar, wenn wir bei der
Operation ein tiefst in die Magenwand eingefressenes Ulcus callosum
feststellen, besonders bei Sitz an der kleinen Kurvatur. Wenn es zu
Pylorusstenose oder Sanduhrmagen gekommen ist. vermissen wir das
Erbrechen im Gegenteil fast niemals. Immerhin beobachtet man aus¬
nahmsweise auch Ulzera, die wegen ständigen Erbrechens ohne nach¬
weisbare Pylorusstenose zur Operation Veranlassung geben.
Soviel über die Ergebnisse der Ulcusanamnese.
Wenden wir uns zur Untersuchung des Ulcuskranken. so kann als für
Ulcus charakteristisch eine bestimmt lokalisierbare Druckempfindlichkeit
des Geschwürssitzes angesprochen werden. Da die meisten Ulzera an
der kleinen Kurvatur oder am Pylorus ihren Sitz haben, werden wir,
allerdings mit der Lage des Magens wechselnd, dort den Schmerz
lokalisiert nachweisen können. Dicht unter dem Processus xiphoideus.
am unteren Rand des linken Leberlappens bei Sitz an der kleinen Kur¬
vatur, rechts von der Mittellinie, etwas medial von der Gallenblasen¬
gegend oder auch bei Sitz des Ulcus mehr kardialwärts unter dem linken
Rippenbogen, hier oft mit perigastritischem entzündlichen Tumor ver¬
gesellschaftet. werden wir also bei Ulcus eine bestimmt lokalisierte
Druckempfindlichkeit feststellen können. Wenn bei sorgfältiger länger¬
dauernder Untersuchung immer wieder an der gleichen Stelle der Patient
zusammenziickt und diese Stelle als druckempfindlich bezeichnet, so
muss dies sehr für ein Ulcus sprechen. Oefters habe ich auch als für
Ulcus charakteristisch folgendes Svmptom erkannt: Wenn man mit dem
gebogenen Perkussionsfinger die Magengegend behämmert wie bei der
Perkussion ohne untergelegten Zeigefinger der anderen Hand und gelangt
mit der aufklopfenden Fingerkuppe auf das Ulcus, so zuckt Patient sofort
und immer an gleicher Stelle leicht aber deutlich zusammen. Dasselbe
Symptom hat mir Fink- Karlsbad auch sehr schön bei Gallenblasen¬
entzündung nach Cholelithiasis demonstriert. Das Phänomen ist eben für
alle entzündlichen, das Peritoneum mit in Leidenschaft ziehende Pro¬
zesse charakteristisch. Für Ulcus spricht es natürlich nur dann, wenn
Oallenblasenentzündung nach der ganzen Anamnese und dem sonstigen
Befund überhaupt nicht in Frage steht.
Rückenschmerz ist bei Ulcus recht häufig, besonders dann, wenn das
Ulcus zu Verwachsungen mit dem Pankreas oder dem die Wirbelsäule
überziehenden Peritoneum parietale geführt hat. die von B o a s so lebhaft
betonte Druckempfindlichkeit links von der Brustwirbelsäule habe ich
oft vergeblich gesucht. Recht charakteristisch und erwähnenswert
scheint mir für die Differentialdiagnose zwischen Ulcus ventriculi und
einem nervösen Magenleiden der Umstand zu sein, dass der Ulcuskranke
fest und verlässig immer nur über Magenbeschwerden und sonst keinerlei
Beschwerden an anderen Körperregionen klagt, während der nervöse
„Magenkranke“ bei der geringsten diesbezüglichen psychischen An¬
reizung sofort mit allen mö£:lichen sonstigen Beschwerden des periphen
und zentralen Nervensystems hei der Hand ist. Der Ulcuskranke beharrt
bei seiner lokalisierten Magenklage, der Magenneurastheniker springt ab.
Dieses sozusagen psychische Examen hat mich in Zweifelsfällen recht
oft auf den richtigen Weg geführt, wie sich dann aus der erfolgreichen
Behandlung des Nervenleidens mit bewusster Brüskierung des Magens
ergeben hat.
Der Grad der Schmerzäusserung ist sehr verschieden, je nach der
Art des Individuums, das wir vor uns haben. Man sieht Patienten, die
sich nach jeder Nahrungsaufnahme winden vor Schmerz und auf die
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
248
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Operation dringen, man sieht aber auch viele, die an den nach der
Nahrungsaufnahme auftretenden Schmerz sich gewöhnt haben, denselben
durch entsprechende Diät oder Einnehmen von Natr. bicarbon. oder
B a r e 11 a sehen Magenpulver jahrelang zu mildern wissen und so jahre¬
lang ihr Ulcus tragen, bis eine Blutung, Perforation oder gar eine
karzinomatöse Degeneration dem friedlichen Bilde ein Ende macht.
Ein allerseits anerkanntes und relativ brauchbares Mittel die Ent¬
scheidung darüber herbeizuführen, ob ein Ulcus vorliegi oder nur eine
nervöse Magenerkrankung, ist die probatorische Durchführung einer
strengen Leu besehen Ulcuskur. Bei der auf 14 Tage anzusetzenden
reinen Milchdiätkur schwdnd'en die Ulcusschmerzen meist augenblicklich,
besonders solange nichts Festes genommen wird, bei nervösen Magen¬
erkrankungen steigern sich dagegen allerm^eist die Beschwerden bei
dieser reinen Milchdiät resp. Hungerdiät oder die Diätkur erzielt wenig¬
stens keinerlei Wendung zum Besserwerden; auch in der 3. bis 4. Woche
der L e u b e sehen Kur, wo Milch-, Liege- und Breiumschlagkur vollendet
und leichte Ulcuskost wde Bries, Hirn, geschabtes Beefsteak etc. erlaubt
werden, bestätigen die Ulcuskranken voll Freude und Dankbarkeit, dass
sie nunmehr diese leichteren Speisen vorzüglich vertragen, w^ährend die
Magenneurastheniker täglich w^eiterklagen und um so mehr, je länger
diese leichte Kost durchgeführt wird. Freilich darf man nicht vergessen,
dass es Ulcera rotunda gibt, die zwar auf die L e u b e sehe Ulcuskur in
den ersten 2—3 Wochen, solange die Kost ganz flüssig ist. brillant hin¬
sichtlich der Schmerzen reagieren, sofort aber wieder die alten heftigen
Magenschmerzen äussern, w-enn die Kost wieder gröber zu werden
anfängt. Das sind meines Erachtens die älteren seit Jahren bestehenden
tief in die Magenw^and eingefressenen Qeschw'üre mit wallartigen
Rändern, die überhaupt durch interne Behandlung nicht geheilt w'erden
könnn und meiner Ansicht nach viel aktiver und häufiger, als bisher ge¬
schehen, operativ angegangen werden sollten. Hat eine Leubekur vollen
Dauererfolg, so hat es sich entweder um ein frisches oder nicht allzu
altes Ulcus oder überhaupt um kein Ulcus gehandelt.
• Was die Bewertung der mit der Magensoride auszuführenden Unter¬
suchungsmethoden betrifft, d. h. der Untersuchung der Motilität des
Magens und seiner Saftausscheidung, so lassen sie wohl meistens für die
Diagnose eines einfachen Ulcus im Stielte. Die L e u b e sehe Probe¬
mahlzeit ist 6—7 Stunden nach ihrer Einnahme, insbesondere wenn keine
Pylorusstenose besteht, vollständig verdaut, freie Salzsäure ist allermeist
vorhanden. So viel die Röntgenuntersuchung des Magens für die Folge¬
erscheinungen des rund-en Magengeschwüres, besonders für das kallöse
Magengeschwür leistet, so gering ist die Ausbeute bei dem einfachen
frischen Ulcus. Ein Ulcus Simplex ist z. Z. röntgenologisch direkt nicht
diagnostizierbar. Immerhin bietet es verschiedene indirekte Symptome,
die das Vorhandensein eines Ulcus doch recht wahrscheinlich machen.
Fürs erste besteht beim Ulcus meist eine Steigerung der Sekretion. Im
Röntgenbild zeigt sich dies durch das Vorhandensein einer besonders
grossen Intermediärschicht, d. h. eines besonders grossen, weniger
starken, helleren Schattens oberhalb des dunklen Baryumbreischattens.
„Dann finden wir häufig eine Steigerung der Peristaltik des Magens
sowie eine Steigerung des Tonus bis zu den Bildern ausgesprochener
Hypertonie. Die Peristaltikvermehrung dokumentiert sich in abnorm
starker Wellenbewegung der Magenkontur bei der Durchleuchtung, die
Hypertonie in einer Verlangsamung der Entfaltung der Magenwände
und stärkerer Ansammlung des Kontrastbreies in den oberen Teilen.
Wir konstatieren eine grössere Breite des Füllungsbildes proximal,
grössere Enge desselben distal und eine auffallende Steilheit des ab¬
steigenden Schenkels“ (Schlesinger). Ausserordentlich häufig
finden wir beim Ulcus ventriculi einen echten und intensiven Pyloro-
spasmus. eine krampfige Einziehung des Kontrastbildes distal vom
Pylorus oder auch in der Mitte des Magens. Auch ohne Pylorusstenose
oder grosse narbige Verengung des Magens können durch den Reiz,
den das Ulcus auf die Magenmuskulatur ausübt, sogar die Bilder des
Sanduhrmagens entstehen. Dieser Spasmus kann aber auch durch eine
Neurose bedingt sein. Zu erkennen ist die Entstehungsursache des
Spasmus dadurch, dass beim Ulcus der Spasmus stets an gleicher Stelle
sich zeigt, während bei der Neurose Ort und Intensität der Ein¬
ziehung wechseln. Für uns Praktiker, die wir ja auch allmählich in
unseren Krankenhäusern über Röntgenapparate verfügen, scheint mir
das Wichtigste die Betonung, dass die Erkennung dieser Zustände grosse
Erfahrung im Deuten von Röntgenbildern erfordert und wohl für den
Anfang am besten dem Spezialisten wenigstens zur Nachkontrolle über¬
lassen bleibt da wir doch allermeist nicht die Zeit und das Material
haben, das zu solch »einer Erfahrung gehört. Dass zunehmende Uebung
auch hier uns die Spezialisten entbehrlich macht ist nicht zweifelhaft
Viel ergiebiger ist die Röntgenoskopie bei den Folgeerscheinungen des
»•unden Magengeschwüres, in deren Besprechung wir nun eintreten
wollen. Ihre Symptome sind vrel eindeutiger als die des einfachen Ulcus
und darum die Diagnose leichter zu stellen. Als Folgen des runden
Magengeschwüres beschäftigen uns Praktiker die Pylorusstenose, der
Ulcustumor, der Sanduhrmagen und die Magenperforation.
Die Pylorusstenose erkennen wir aus dem allen Hellbestrebungen
sich vvidersetzenden, meist kopiösen Erbrechen der Speisen, nicht
selten solcher, die vor Tagen genommen waren, ferner dem Ausfall
der Magenausheberung früh nüchtern oder nach Leu bescher Probe¬
mahlzeit die allermeist in beiden Fällen reichlich Speisereste aufweist
und der bei längerem Bestehen des Leidens fast nie fehlenden Abmage¬
rung. Gerade durch diese Abmagerung gelingt es der Palpation und
Inspektion der Magengegend oft auffallend leicht, eine vermehrte
Digitized by Got-'Sle
Magenperistaltik durch den sich aufbäumenden Magen als sogen.
Magensteifung oder eine starke Senkung des Magens nachzuweisen.
Eine Menge charakteristischer Symptome, die jedem Praktiker zugäng¬
lich sind. Das Röntgenbild gibt dabei besonders wertvolle Aufschlüsse;
„bei der unkomplizierten Pylorusstenose reicht der erweiterte Magen
weit unter den Nabel, durchaus nicht selten bis zur Symphyse herab, er
ist längsgedehnt und reicht meist auch weit nach rechts hinüber“
(Schlesinger). Man spricht dabei von der Rechtsinstanz des
Magens, worunter man die Entfernung der rechten Magengrenze von der
Medianlinie versteht. Durch diese Breitenausdehnung erscheint der
Magen in seinen unteren Konturen als weit in die rechte Abdominal-
hälfte reichender Halbmond. Die Peristaltikvermehrung, unter Um¬
ständen auch eine lebhafte Antiperistaltik, ist oft leicht zu sehen. Sehr
bezeichnend ist das Restbild einer Pylorusstenose, eine tief unter dem
Nabel liegende Sichel (Schlesinger), das man auch bei kallösem
Ulcus als Ausdruck des Pyloruskrampfes selten vermisst. Der Ulcus¬
tumor wechselt von Fingerglicd- bis zur Mannesfaustgrösse; er
sitzt entweder in der Pylorusgegend oder an der kleinen oder
grossen Kurvatur, auch mehr gegen die Kardia zu. dann am linken
Rippenbogen, bei beweglichem Magen oft unterhalb des Nabels tastbar;
bei abgemagerten Patienten können wir ihn häufig der Palpation zu¬
gänglich machen. Er imponiert uns gar zu leicht als Karzinom, aber
nicht nur vor der operativen Eröffnung der Bauchhöhle, auch nach der¬
selben ergeben sich die grössten' Schwierigkeiten in seiner richtigen
Bewertung; oft ist in der Tat diese Unterscheidung sogar bei’ ge¬
öffnetem Abdomen nicht möglich. Für einen Ulcustumor sprechen vor
allem das Aussehen des Patienten, das Fehlen der Kachexie, die wir
bei gleichgrossem Karzinomtumor kaum vermissen, das Alter, obwohl
auch bei Jugendlichen Karzinome keineswegs zu den Seltenheiten ge¬
hören, und das Fehlen einer höckerigen Beschaffenheit; nach der Eröff¬
nung der Bauchhöhle wird die glatte Beschaffenheit der Geschwulst,
das Fehlen von Aszites, das Fehlen von grossen Drüsen- und sonstigen
Metastasen, vor allem aber werden die chronisch-entzündlichen Ver¬
änderungen der den Ulcustumor bedeckenden oder benachbarten
Magenserosa und die daraus sich ergebenden Verwachsungen, die wir
beim Ulcustumor fast nie vermissen, uns einigermassen richtig führen.
Soviel steht wohl fest, dass jeder erfahrene Magenoperatem schon oft
fälschlicherweis« einen Ulcustumor für ein Karzinom angesehen und um¬
gekehrt und danach auch seine operativen. Massnahmen in unrichtige
Bahnen gelenkt hat. Auf die für die Therapie sich hieraus ergebenden
Konsequenzen komme ich gleich noch zurück. Der sogen. Sanduhr¬
magen, uns bisher als eine durch die geschwürige Narbenschrumpfung
bedingte Abschnürung des Magens in zwei mehr weniger gleiche
Hohlsäcke geläufig, ist durch die Röntgendiagnostik erst in seiner klini¬
schen Bedeutung erkannt worden; zwar gelingt es bei stark abge¬
magerten Leuten hie und da, das Doppelkissen, wenn der Sanduhr¬
magen durch Luft oder Flüssigkeit aufgebläht ist. durch die Bauchdecken
durch zu palpieren und zu sehen. An einen Sanduhrmagen kann man
bei • vorhandener Ulcusanamnese auch denken, wenn bei der Magen¬
ausspülung entweder die eingegossene Flüssigkeit sehr bald oft schon
nach Einfliessen von nur V* Liter oder in unerklärlichen Absätzen durch
Erbrechen wieder ausgestossen wird. Besonders dann, wenn bei der
Expression durch den Schlauch anfänglich der meist nur spärliche Inhalt
des kardialen Sackes gewonnen wurde oder, wenn dieser leer war,
nichts herausbefördert wurde, dann aber ganz unvermutet grössere und
meist gärende und zersetzende Massen durch Spülung oder infolge
starker Expressionsbewegung zum Vorschein kommen (Schlesinger),
muss man an diese Komplikation des Ulcus denken. Die. Sanduhrform
des Magens wird im Röntgenbilde sehr häufig festgestellt. Wir haben
da zu unterscheiden zwischen dem anatomischen Sanduhrmagen
und dem funktionellen oder spastischen Sanduhrmagen ohne ana¬
tomische Formveränderung des Magens. Beim letzteren unterscheidet
Schlesinger den intermittierenden und den persistierenden Sand¬
uhrmagen. Die feineren Einzelheiten der betr. Röntgenbilder zu er¬
heben, wird grosse Uebung erfordern und dem Spczialarzt in der Haupt¬
sache Vorbehalten bleiben. Immerhin bietet der Sanduhrmagen durch
den Schirm so charakteristische Abzweigungen von der Norm, dass
sie auch dem weniger geübten Praktiker auffallen müssen und als
Wegweiser dienen können. Lässt man im Stehen den Patienten den
Kontrastbrei trinken und betrachtet den Magen während des Einfliessens
desselben in und auf den Grund des Magens, so sieht man zuerst den
kardialen Teil des Magens sich füllen, dann mehr oder weniger schnell
den pyloruswärts gelegenen Magenteil erscheinen und beide Teile ent¬
weder durch eine starke wie mit der Schnur hervorgerufene Teilung
des Magens in zwei Hälften getrennt oder beide Hälften räumlich
4—5 Ouerfinger von einander getrennt und nur durch einen schmalen
röhrenförmigen Gang, durch welchen der Kontrastbrei durchgepresst
wird, verbunden. Die Distanz zwischen dem kardialen und dem pylori-
schen Magenteil kann so gross und die Enge des verbindenden Kanals
so bedeutend sein, dass der Kontrastbrei von dem ersteren in den
letzteren kaskadenförmig herabfällt. Man spricht dann von einem
sogen. Kaskadenmagen. Ein solcher in zwei Hälften geteilter und
scheinbar nur durch einen langen Kanal verbundener Magen kann aber
bei der Operation ganz und gar die Gestalt eines normalen
Magens haben; er braucht anatomisch nicht verändert zu sein. Wir
sprechen dann von einem funktionellen Sanduhrmagen im Gegensatz
zum anatomischen Sanduhrmagen. In der Bewertung für unsere prak¬
tischen Zwecke bedeutet diese Unterscheidung allerdings nicht allzuviel:
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
Ir Februar i92\.
MÜNCHHNER medizinische WOCHENSCHl^IFT.
249
da beide Zustände, auch der funktionelle Sanduhrmagen, fast ausnahms- |
los auf ein Ulcus callosum und zumeist der kleinen Kurvatur hinweisen. j
Dieser lokale Spasmus wird offenbar durch den Reiz, den der Kontrast- '
brei auf das im Duodenum oder Pj-dorus oder an der kleinen oder grossen
Kurvatur liegend'C Ulcus ausübt. Er wird bei wiederholten Unter¬
suchungen imm-er wieder erscheinen und zwar immer an derselben Stelle
und dadurch zugunsten der Diagnose eines Ulcus unterschieden werden
von der intermittierenden Sanduhrmagenbildung, wie er bei Neurastheni¬
kern oder hochgradig Nervösen beobachtet wird.
Ein wichtiges röntgenologisches Symptom eines kallösen vor¬
geschrittenen Magengeschwürs ist die sogen. H a u d e k sehe Nischen-
bildung. Eine soldie Haudeksche Nische wird im Röntgenbild
des Magens dann sichtbar, wenn ein die Magenwand durchsetzendes
Magengeschwür zu so intensiven Verwachsungen mit seiner Umgebung
geführt hat, dass kleine divertikelartige Ausziehungen der Magenwand
entstehen. Gelangt in ein solches Divertikel durch das Ulcus Bariumbrei,
so muss neben dem Magenschatten, abgesetzt von dems'elben, also ganz
isoliert, oder auch durch einen röhrenförmigen Strang verbunden ein
weiterer Schatten, der sogar mit einer Luftblase gekrönt und darum be¬
sonders augenfällig ist, entstehen. Es ist klar, dass wenn ein solcher
Befund festgestellt ist — leider gehört zu dessen Darstellung auch viel
Uebung — ein die Magenwand durchsetzendes Ulcus mit Sicherheit
angenommen werden kann. Als wichtigste für ein kallöses Ulcus charak¬
teristische Röntgenbefunde bezeichnet auch K l o i b e r aus der R e h n -
sehen Klinik zusammenfassend folgende vier Zeichen: Die Haudek¬
sche Nische, der Sanduhrmagen, die vergrösserte Intermediärschicht
und der 6-Stunden-Baryumrückstand. Er meint: „Das «eine oder andere
dieser wichtigen Symptome wird immer vorhanden sein und uns wohl
stets auf die richtige Spur lenken." In der nächsten Sitzung will ich
über die Behandlung des Ulcus berichten.
Bücheranzeigen und Referate.
Lehrbuch der Perkussion und Auskultation, mit Einschluss der er¬
gänzenden Untersuchungsverfahren der Inspektion, Palpation und der
instrumentellen Methoden. Von Dr. Emst Edens, a. o. Professor an
der Universität München, zurzeit St. Blasien. Mit 249 Abbildungen.
Verlag von Julius Springer, Berlin 1920. 498 Seiten. Preis brosch.
M. 64.—.
Das Lehrbuch erscheint als Teil der Enzyklopädie der klinischen
Medizin, als deren Herausgeber Langstein, Noorden. Pirquet
und Schittenhelm zeichnen. Es ist gegliedert in die Untersuchung
der Atmungsorgane, der Kreislauforgane und der Bauchorgane, von denen
die beiden ersten je 200 und 240 Seiten, der letzte nur. rund 50 Seiten
umfasst. Das Lehrbuch verrät in jeder Zeile den erfahrenen Kliniker,
der selbst mit allen einschlägigen Untersuchungsmethoden vollkommen
vertraut ist, sie in Theorie und Praxis gleichmässig beherrscht. Gleich¬
zeitig spricht aus dem Werk die grosse langjährige Erfahrung als Lehrer
an der grössten medizinischen Fakultät Deutschlands und die gediegene
Schulung Friedrich v. Müllers, für deren zahlreiche Schüler und An¬
hänger das Werk eine hochwillkommene Gabe sein wird. Edens
Buch kann jedem Arzt aufs wärmste empfohlen werden. Kritische,
historische und sachliche Belehrung gehen in glücklichster Weise Hand
in Hand und werden dem Buch immer seine Stellung unter den Besten
sichern, die über diesen Gegenstand geschrieben sind.
Karl Ernst R a n k e - München.
Garrö, Küttner und Lex er: Handbuch der praktischen Chi¬
rurgie« 5. Auflage. Verlag Ferd. Enke in Stuttgart, 1920. I. Lieferüng.
Preis 25 M.
Die erste Lieferung des Werkes liegt vor, die Chirurgie des Schädels
und der weichen Schädeldecken, bearbeitet von Küttner. Die Dar¬
stellung — Text und Abbildungen — ist bereich-ert. zumal durch die
reichen Erfahrungen des Verfassers im Weltkriege. Der chirurgische
Eacharzt wie der strebende praktische Arzt werden beim Studium
Freude und Gewinn haben. Dürfte Referent eine kleine Bemerkung
machen, so wäre es für die Operation der Atherome am Kopfe die Emp¬
fehlung eines die Basis reichlich zur Hälfte umfassenden Bogenschnittes,
von welchem aus die meist locker aufsitzende Basis leicht abzulösen
und die Geschwulst von innen heraus „aufrollend“ bequem zu ent¬
fernen ist Helfe rieh.
G. v..IIIyes: Erfahrongen in der Nlerenchinirgie. Mit 7 farbigen
und 12 schwarzen Tafeln. Leipzig 1914. Werner Klinkhardt.
173 S. Preis M. 18.—.
Die mit Unterstützung der ungarischen Akademie der Wissenschaften
vollendete Arbeit ist im wesentlichen eine Darstellung einer Reihe von
Nierenoperationen. Nach Besprechung des Untersiichungsganges und
cer Untersuchungsmethoden, wie sie von I. angewendet werden, folgt
eine gesonderte, durch Krankheitsgeschichten, Operations- und ev.
Sektionsergebnisse, sowie durch tabellarische Zusammenstellung ein¬
gehend zergliederte Darstellung der einzelnen Erkrankungstormen.
Steinkrankheit und Tuberkulose sind besonders ausführlich besprochen.
Ein Vorzug des Buches ist es, dass Fehler und Irrtümer nicht ver¬
schwiegen werden. Kiolleuthner - München.
Julius Ries: Die rhythmische Hlmbewegung. Beiträge zur funk¬
tioneilen Bedeutung der Hirnhäute und Furchen für die Zirkulation des
Liquor und die Ernährung des gesamten Nervensystems, 103 S. Ver¬
lag von Paul Haupt, Bern, 1920. Preis: 12 M.
Digitized by Goiisle
Das Buch bringt spekulative Betrachtungen über Entstehung, Funk¬
tion und Strömungsverhältnisse des Liquors. Nach Ansicht des Autors
kommt nicht nur der Plexus chorioideus für die Produktion des Liquors in
Betracht, sondern die ganze Pia vermag Liquor auszuscheiden. Der
Liquor dient der Ernährung der Ganglienzellen, ist „Ernährungsliquor,
Emährungsplasma, Ernährungssaft“. „Wie die Pflanze nach Sonne und
Wasser, so strebt jede Ganglienzclle bei der Entwicklung darnach, mög¬
lichst dem Ernährungssaft nahezukommen." Die Furchen und Windungen
haben die Bedeutung, die Oberfläche der Rinde zu vergrössern zu dem
Ziele, die Hirnsubstanz in möglichster Ausdehnung der Umspülung durch
den Liquor zugänglicb zu mathen; ferner ermöglichen sie bei den pul-
satorischen Hirnbewegungen eine Gehirnentfaltung ohne Dehnung und
Streckung, ähnlich wie bei einem Blasebalg. Durch die rhythmischen
Hirnbewegungen werden zirkulationsbefördernde Wirkungen auf den Li¬
quor ausgeübt, die eine systolische Druck- und eine systolische Saug¬
wirkung durch die Nervenfibrillenscheiden bis in die feinsten Nerven-
fibrillen hinein veranlassen.
An diese Erörterungen schliessen sich allerlei Meinungen über, die
körperlichen Auswirkungen psychischer Vorgänge, über die zweck-
mässigste Art, die Hypnose therapeutisch zu verwenden, über die Be¬
deutung von Autointoxikationen für die Entstehung der Psychosen,
über den Arsengehalt des Epilepfikerblutes, und manches mehr. Den
Schluss .bilden einige Untersuchungen an Seris von Geisteskranken
mittels dfcr Kottmannsehen Soreymreaktion. F. Plaut.
Dr. S. Thalbitzer: Stimmungen, Gelüble und Gemüts¬
bewegungen. Neuer nordischer Verlag Berlin. 102 S. (Deutsche Ueber-
setzung von Erwin Magnus.)
Nach einer ausführlichen Einleitung beschreibt Verfasser, der früher
unter anderem eine angesehene Arbeit über manisch-depressives Irresein
geschrieben, die Affektivität und ihre Nüancen jn dieser Krankheit.
Er geht dann auf die Theorie der Gefühle ein und weist in ziemlicher
Ausführlichkeit die dynamische Theorie A. Lehmanns zurück, der
er dadurch wohl nur etwas zu viel Ehre erweist. Verfasser selber denkt
sich unter Ablehnung des V e r w o r n sehen Begriffs des Biotonus ein
Gefühlszentrum, dessen starker Tonus der Lust, geringerer der Unlust
entsprechen würde. „Das Gesetz von der spezifischen Energie der
Schwelle auf das Gehirn angewendet", kommt zum Ausdruck in dem
intellektuellen Zentrum im Stirnhirn, dem psychomotorischen in der
vordem Zentralwindung, dem emotiven im Okzipitalhirn. Für diese
letztere Auffassung möchte Referent schon noch mehr Beweise wün¬
schen und namentlich eine Ausführung der Idee im einzelnen.
Bleuler- Burghölzli.
H. Brun, O. Veragutb, H. Hössly: Zur Diagnose und Be¬
handlung der Spätfolgen von Kriegsverletzungen. Rascher, Zürich,
1919. V. und VI. Lieferung, Preis jeder Lieferung 9 Frs.
Die vorliegenden Lieferungen bringen 8 Aufsätze über Erfahrungen
mit Dak in scher Lösung, Extensionsbehar\dlung der Frakturen, Arthro-
plastik, Kriegsaneurysmen etc. F. L a n g e - München.
Tb. Ziehen: Ldtfaden der physiologischen Psychologie ln
16 Vorlesungen. 11., umgearbeitete Auflage. Mit 77 Abbildungen im
Texte. Jena, Fischer, 1920. 592 S. Preis brosch. M. 60.—.
Das Buch ist in der M.m.W. oft besprochen worden. Die vor¬
liegende Auflage ist dem Fortschritt der Wissenschaft entsprechend
weiterbearbeitet. Sie hkt die Vorzüge früherer Auflagen in der Dar¬
stellung beibehalten, ebenso wie die extreme assoziationspsychologische
Gnmdauffassung. I s s e r 1 i n.
Leben und Tod am Südpol. Von Douglas Mawson. Mit 104 Ab¬
bildungen, darunter 5 Panoramen, 6 bunten Tafeln und 7 Karten. 2 Bände.
292 resp. 263 Seiten stark. Verlag von F. A. Brock haus, Leipzig,
1921 Preis 110 M.
Die Aufgabe, in diesem Werke der Allgemeinheit eine zusammen¬
hängende und auch allgemein verständliche Darstellung vom Verlauf und
den Hauptergebnissen der Australischen Antarktischen Expedition zu
geben, ist in diesem Prachtwerk glänzend gelöst. Diese Expedition
dauerte von 1911 bis 1914 und schloss sich also zeitlich an die letzte
deutsche, von W. Fi Ich er geführte (1911) an und war noch gleich¬
zeitig mit jener so tragisch geendigten von Scott. Dr. M a w s o n,
ein Australier, war der Hauptleiter und die Seele des Unternehmens,
das grösstenteils aus australischen Mitteln ausgestattet wurde. Hier
kann nicht näher die Rede sein von den eigentlichen wissenschaftlichen
und namentlich geographischen Resultaten dieser mit ungemeiner Kühn¬
heit und heroischer Ausdauer aller Teilnehmer diirchgeführten Reise ins
Innere des 6. Erdteiles. Was erreicht wurde, ist der Zusammenarbeit,
der reiflichsten Ueberlegung in der Vorbereitung, der Benützung aller
technischen und wissenschaftlichen Hilfsmittel und dem durch keine noch
so rohe Naturgewalt besiegbaren heldischen Geiste der ausführenden
Männer zu verdanken. Die ungemein fesselnde Darstellung der Er¬
lebnisse wird in ausserordentlichem Grade unterstützt durch die gerade¬
zu einzig schönen Leistungen des Photographen der Expedition. Den
bekannten einzigartigen Bildern von S c h i 11 i n g aus dem Innern Afrikas
treten diese wunderbaren Aufnahmen zur Seite aus dieser Welt der
fürchterlichen Stürme, mit ihrer Tierwelt, die in ihrer Ursprünglichkeit
gleichsam ein Paradies des ewigen Eises darstellt Für die Zoologen
unter den Aerzten werden gerade auch diese Darbietungen des Werkes
von grösstem Reize sein. Die Kenntnis des australischen Quadranten
des 6. Kontinents hat durch die Fahrten der „Aurora“ einen Bewunderung
heischenden Fortschritt gemacht! Grassmaan.
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
250
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 8.
Zeitschriften-Uebersicht.
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 33. Heft 4.
W. Unverricht - Berlin: Erfahrunsen mit dem Friedmann sehen
T uberkulosehellmlttel.
Unter Mitteilung einer tabellarischen Zusammenstellung von ^3 Fällen
kommt der Verf. zu dem Schlüsse: Fassen wir die Ergebnisse unserer
2% jährigen Beobachtungen mit dem Friedmann sehen Mittel zusammen,
so haben wir bei den vorgeschrittenen Formen keinen günstigen Einfluss auf
den Verlauf der Erkrankung gesehen. Die leichteren Fälle, die sich für die
therapeutische Beurteilung eines Mittels am besten eignen, sind in der
grössten Mehrzahl verschlechtert und haben zum Teil Tuberkulose anderer
Organe dazubekommen. Bei klinisch Gesunden ist das Auftreten einer mani¬
festen Erkrankung nicht verhindert worden.
WaltherSchmid-Tentschach -Klagenfurt: Kri^ und Tuberkulose.
Der Aufsatz baut sich auf dem Paradoxon auf, dass die Nichtdisponierten
im Kriege sich als mehr disponiert gezeigt hätten, als die Disponierten, d. h.
Menschen, die schon durch Kinderansteckung eine gewisse Immunität gegen
Tuberkulose erworben hätten, ertrugen die Kriegsmühen leichter, als die
gegenteilige Art. Diese fielen der Tuberkulose viel öfter und eher und
schwerer zum Opfer.
Walter F i n k - Giessen: Behandlung der Tuberkulose der Haut mit
Lecutyl.
Als geeignete Fälle für diese Behandlung kobimen in Betracht: 1. Krank¬
heitsherde bis zu Handtellergrösse der Extremitäten, wenn es- sich um
skrofulodermatische Geschwüre handelt, oder um Lupus unter gelchwflriger
Oberhaut; 2. Tuberkulose der Schleimhaut des Naseninneren, wenn ihr Sitz
die Lecutylsalbenverwendung ermöglicht. Der Verf. kommt zu folgendem
Ergebnisse: 1. Es findet fraglos durch Lecutylsalbe, wenn sie innig genug
mit den Krankheitsherden in Verbindung gebracht wird, bis zu einem ge¬
wissen Grade eine sehr feine, elektive Zerstörung des tuberkulösen Granula¬
tionsgewebes statt. 2. Die Lecutylsalbe eignet sich sehr gut zur Behandlung
skrofulodermatischer Geschwüre und vob Lupus exulcerans, wenn die
Krankheitsherde nicht überhandtellergross sind, und wenn sie sich an den
Extremitäten befinden. Die Behandlung ist dann auch ambulant durchführbar.
3. Ebensogut eignet sich die Lecutylsalbe für die Behandlung der Schleim¬
hauttuberkulose des Naseninnern, wenn diese so lokalisiert ist, dass die
Salbe dauernd mit ihr in Verbindung zu bringen ist. 4. Man kann bei Lupus
vulgaris die Lecutylbehandlung mit der Strahlenbehandlung so kombinieren,
dass vor der Bestrahlung mit der Salbe zuerst ein Aufschluss der lupösen
Infiltrate erzielt wird. Dabei ist es aber auch Voraussetzung, dass die
Krankheitsherde nicht zu umfangreich sind, in Anbetracht der Schmerzhaftig¬
keit der Lecutylsalbenbehandlung.
W a r n e c k e - Görbersdorf: Ueber die Beziehungen zwischen Erkäl¬
tungskatarrhen und der Tuberkulose.
„Es gibt Erkältungskrankheiten und Kälteschäden, wie es eine individuelle
Disposition zur Erkältung gibt, die meist in angeborener oder erworbener
konstitutioneller Schädigung der Körperverfassung beruht.
Durch häufig sich wiederholende Erkältungskatarrhe werden Schleimhäute
und Lymphsysteme für eine Tuberkuloseinfektion vorbereitet, latente Tuber¬
kulosen können unter dem Einfluss einer akuten Bronchitis aufflackern, aktive
und progrediente Tuberkulose verschlimmert, geschlossene in offene ver¬
wandelt werden.
Die Tuberkulösen sind nicht selten besonders empfindlich gegen Er¬
kältung, einmal wegen ihrer konstitutionellen Minderwertigkeit, dann wegen
der häufig beobachteten toxischen Schädigung des nervösen Apparates.
Es ist nicht angängig, die Beziehungen von Erkältungskrankheiten und
Tuberkulose in Abrede zu stellen. Ein Eingehen auf die konstitutionelle
Eigenart des Kranken, besonders in der Heilstätte ist unerlösslich, unbe¬
schadet aller bisherigen bewährten therapeutischen Massnahmen, die aber
im gegebenen Fall einer Abänderung bedürfen."
L. Rickmann-St. Blasien: Ueber Schädigungen nach Krysolgan-
tniektlonen
Das Krysolgan scheint in vielen Fällen geeignet zu sein, die Kehl¬
kopftuberkulose günstig zu beeinflussen, während es in einzelnen Fällen ohne
Wirkung bleibt und ein weiteres Fortschreiten des tuberkulösen Prozesses
nicht aufzuhalten vermag. Für die Lungentuberkulose scheint es ohne be¬
sondere Bedeutung zu sein. Die Kombination des Krysolgans mit der
Röntgenbestrahlung ergibt besonders gute Resultate. Die Krysolgantherapie
ist kein indifferentes Heilverfahren, sondern führt häufig zu Komplikationen,
die in der Hauptsache in Form von Schädigungen der Haut und Schleim¬
häute zum Ausdruck kommen. Es ist aber eine strenge Indikationsstellung
erforderlich und stets zu versuchen, mit möglichst kleinen Dosen auszu¬
kommen.
Emil Als-Faksinge Sanatorium, Dänemark: Ein Fall von Tuberculosis
miliaris subacuta mit Hämatemesls als Todesursache.
Liebe- Waldhof-Elgershausen.
MiUeilufiKen aus den Grenzgebieten der Medizin imd Chirurgie.
32. Band. Heft 5. Jena 1920, Gustav Fischer.
Alfo^ Foerster (Med. Klinik Wflrzburg); Klinische und röntgeno¬
logische Beobachtungen bei adhäsiven Prozessen am Duodenum.
Studie an 9 operierten Fällen. Männer und Frauen der mittleren Jahr¬
zehnte mit Ulcus-duodeni-Anamnese, anfallsweise auftretenden Magenbe¬
schwerden. Druckpunkte verschieden, Säurewerte ebenfalls, Stuhl blutfrei.
Röntgen: Tiefe Peristaltik, Pylorus anfangs offen; Entleerung anfangs rasch,
dann aber fast immer Rest von 6 und mehr Stunden. Stets Dauerfüllung
der Pars sup.: manchmal erweitert, auch verzogen. Bei der Operation
fand sich nur einmal eine ulcusverdächtige Stelle, sonst nur Verwachsungen
unbekannter Herkunft. In der Hälfte der Fälle kamen die gelösten Ver¬
wachsungen und die Beschwerden wieder, doch jvar auch die interne Be¬
handlung nur vorübergehend wirksam gewesen.
Joh. Volk mann. Ueber die Form des Magens, mit besonderer Be¬
rücksichtigung der A sc ho ff sehen Lehre vom Isthmus ventricnll. (Aus
dem path.-bakt. Institut des Landeskrankenhauses Braunschweig.)
Untersuchung von 545 Leichenmägen. Bei frühzeitiger Sektion, insbe¬
sondere wenn die Leiche sofort in aufrechte Stellung gebracht wild, findet
sich die Hakenform des Röntgenbildes (Totenstarre) häufiger als man bisher
annahm. In 12 Proz. fand sich der A s c h o f f sehe Isthmus, wobei der
trichterförmige obere Magenabschnitt gröberen Inhalt zurückhält und die
Schleimhautfalten unterhalb einen engen Kanal formen. Von 15 chronischen
Geschwüren sassen 11 an der kleinen Kurvatur, aber nur 5 im Bereich des
Isthmus; V. schlägt folgende Namen vor: Gewölbe (Fornix), obere Ein¬
schnürung (Sulcus Superior), Körper (Corpus), mittlere Einschnürung (Sulcus
medius), in dieser Gegend bisweilen der Isthmus ventriculi am Uebergang
zum Magenboden (Fundus); untere Einschnürung (Sulcus inferior) und Vor¬
hof (Vestibulum).
Alfred Szenes (I. chir. Univ.-Klinik Wien): Ueber die Beelnflussbarkelt
der Blutgerinnung durch thromboplastisch wirkende Substanzen.
Versuche mit intravenöser hypertonischer ClNa-Lösung, mit Organ¬
extrakten und Kalziuminjektionen. Bestimmung der Blutgerinnung nach
W r i g h t. Besprechung der Gerinnungstheorien . und Iniektionswirkung.
Praktische Ergebnisse: Beim blutenden Bluter ist die lokale Blutstillung, auch
bei kapillarer Blutung, das Wichtigste; dann thromboplastisch wirkende Sub¬
stanzen: am schnellsten wirkt intravenöse Kalziuminjektion, dann Koagulen
intravenös in hypertonischer Kochsalzlösung, ev. Bluttransfusion, auch Ver¬
such mit 10 proz. NaCl intravenös neben Organextrakt subkutan und lokal.
Vorbereitung eines Bluters zur Operation durch mehrtägige reichliche Kalzium¬
präparate per os; wenn nur wenige Stunden verfügbar: 40 ccm 10 proz. NaCl
intravenös 2 Stunden vor der Operation oder kombiniert mit *Organpressaft-
lösung 1—2 Stunden ante op. subkutan, Kalziumgelatine intramuskulär 3 bis
4 Stunden oder Kalzium intravenös 1—2 Stunden ante op.; postoperative
Prophylaxe: kalkreiche Diät, Milch etc., Kalzium intern, ev. 5 ccm 10 proz.
Calcium lacticum intravenös.
Walter Lehmann und Elisabeth Jungermann (Chir. Klinik Göt¬
tingen): Ueber das Verhalten der Lappensenslbllltät nach Femplastlken.
In transplantierten (ungestielten) Lappen kehrt fast stets zuerst das
Druckgefühl — nie vor 4. Woche, manchmal erst nach Monaten —.wieder,
dann folgen Berührungs-, Schmerz-, Temperaturempfindung. Nerven mit vor¬
wiegend sensiblen Fasern versorgen rascher als solche mit vorwiegend
motorischen. Trigeminus, Medianus, Ulnaris und Tibialis sind günstiger als
Radialis, Femoralis, Peronaeus.
Karl W e s t p h a l (Med. Klinik Marburg): Ueber die Engen des Magens
und ihre Beziehungen zur Chronizität der peptischen Ulzera.
Es gelang trotz verschiedenster Versüchsanordnung nur ausnahmsweise,
am Magen im Stehen ausgesprochene Engen im Sinne des A s c h o f f sehen
Isthmus oder der F o r s s e 11 sehen Einteilung hervorzurufen. Die Konsistenz
der Speisen hat nur geringen Einfluss auf die Art der Dehnung des Magens,
da alle zunächst von der an der kleinen Kurvatur präformierten Magenstrasse
aufgenommen werden und von hier aus den Magen entfalten. Am „Isthmus“
d. h. dicht am Angulus, Grenze zwischen Korpus und Sinus, fanden sich
Ulzera selten; sie häuften sich dagegen oberhalb, besonders an der „Taillen¬
enge"; diese ist weniger durch Druck von aussen (Kleidung) und durch
Kontraktion als durch die Elastizität der Magenwände bedingt und ist als
erste Passageenge bei beginnender Magenfüllung mechanischen Reizen be¬
sonders ausgesetzt. Verf. bespricht die zahlreichen ineinandergreifenden
anatomischen, mechanischen, nervösen, chemischen Anlässe zur Qeschwürs-
entwicklung. Zur Beseitigung der Spasmen empfiehlt er energische Atropin¬
gabe und besonders die ausgedehnte Anwendung möglichst heisser Kata-
plasrpen (2—3 mal 3 Stunden täglich nach den Mahlzeiten) ;• zur Herab¬
setzung der mechanischen Reize mindestens K Jahr lang möglichst fein
zerteilte, zellulosearme Diät und mindestens 4 wöchige Liegekur.
Hans Sauer (II. chir. Abteilung St. Georg-Krankenhaus Hamburg):
Ueber den kongenitalen hämolytischen Ikterus und die Erfolge der Milz¬
exstirpation.
5 operierte Fälle; 3 Dauererfolge (1, 3 und 7 Jahre zurückliegend).
Ein Fall starb infolge Blutverlustes bei Lösung ausgedehnter Verwachsungen,
einer an Sepsis; ausgehend von kleinem Abszess am Milzhilus nach geringer
Pankreasverletzung. Bei den Geheilten rasche Erholung des Blutbildes bis
zur Norm, allmähliche Besserung der Resistenz. Bei dem einen, 1 Jahr
zurüpkliegenden Fall kamen noch leichte ikterische Nachschübe.
Grashey - München.
Bruns Beititige zur klinischen Chirurgie, red. von Garr^, Kirtt-
n e r und v. Brunn. 121. Bd., 1. Heft, mit 36 Abbild, und 8 färb. Tafeln.
Tübingen, L a u p p. 1920.
Aus der Leipziger Künik berichtet Josef H o h 1 b a u m über die A''tio-
logle der Pateliarluxation (ein Beitrag zur Entwicklung der unteren Extremität,
ihrer Difformitäten und Gelenke), er geht auf die noch auseinandergebenden
Ansichten der Autoren über die Aetiologie der Patellarluxation (Q o e b e 11,
Perthes, Hübscher, Dreesmann etc.) näher ein und legt nach ent¬
sprechenden Untersuchungen dar, dass die Ursache in dem Auftreten einer
der Beugung beigemischten Kreiselung im Kniegelenke zu suchen ist. Das
Auftreten einer stärkeren Kreiselung im Kniegelenk ist in einer stärkeren
Divergenz der Gelenkachsen der Kniegelenkskörper begründet. Die Divergenz
der Gelenkachsen der 3 Hauptgelenke der unteren Extremität erklärt sich
aus der Entwicklung der ganzen Extremität, sie wird durch Muskelwirkung
unter dem Einfluss der Statik sowohl in der Phylogenese wie in der extra¬
uterinen Entwicklungsperiode allmählich ausgeglichen. Bei Störungen im
Muskelgleichgewicht kann eine stärkere Divergenz der Gelenkachsen be¬
stehen bleiben. Die Muskulatur der unteren Extremität ist zopfartig durch¬
flochten, die einzelnen Muskelgruppen wirken auf die intrauterin neben¬
einanderliegenden Extremitätenabschnitte in entgegengesetztem Sinne drehend,
die einzelnen Extremitätenabschnitte werden gewissermassen ineinander ver¬
schraubt. Durch vermehrte oder zu geringe Drehungen der einzelnen
Extremitätenabschnitte werden unter dem Einfluss der Statik die Variationen
und Difformitäten geschaffen. Statik und Dynamik formen zusammen die
Extremität
Günther W o 1 f f gibt aus der Göttinger Klinik einen Beitrag zur Lehre
von den epithelialen, bösartigen Geschwülsten der Schilddrüse, „wuchernde
Struma". Unter Mitteilung von 3 Fällen geht W. auf die histologischen Be¬
funde bei diesen Strumen unter Beigabe farbiger mikroskopischer Abbildungen
ein, er bespricht die einzelnen von Langenhans aufgestellten Formen;
die wuchernde Struma macht nach W. den typischen nur verspäteten Ent¬
wicklungsgang der normalen fötalen Schilddrüse durch.
Gustav P a 11 i n berichtet aus der Klinik in Lund über die Lage der
Hepatlkozystlkuskonflneuz und den Verlauf der extrahepatischen Qallenwege.
Nach Untersuchung von 45 Fällen liess sich eine ungeheure Mannigfaltigkeit
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIEX.
251
in der Hepatikozystikuskonfluenz konstatieren (hohe Einmündung in 18,
niedere in 27), die sich schon im fötalen Leben vorfind|n.
Der gleiche Autor bespricht das Karzinom des Ductus hepatlco-chole-
docbus und seine chirurgische Behandlung betr. Vorkommen, Lokalisation,
histologischen Befund, Pathogenese, Syniptome und Verlauf und geht
speziell auf die Behandlung und Operation desselben unter Mitteilung von
entsprechenden Tabel.en näher ein.
Aus der Bonner Klinik gibt Gertrud Bodewig eine Arbeit über ent¬
lastende Trepanation und bespricht in einzelnen Gruppen das betreffende
Material der G a r r ö sehen Klinik, in der ausser bei C u s h i n g immer ein
Hantmuskellappen gebildet wurde (auch bei Trepanation der tiinterhaupts-
schuppe). Die entlastende Trepanation ist nur bei einem langsam ansteigen¬
den Druck mittlerer Stärke verwendbar.. Durcksteigerung durch Liquor-
vermohrung ist sie nicht gewachsen. Für solche Fälle empfiehlt sich die
Trepanation über dem Hinterhaupt als Operation am Liquorsystem. Der
gegebene Ort für die entlastende Trepanation ist das Widerlager, aber es
gibt Fälle, wo eine Entlastung am Widerlager kontradiktorisch ist und ar.derer-
seits kann sie auch am Gegenpol noch gute Wirksamkeit entfalten. Jeder
Fall von chronischem Hirndruck, der trepaniert werden soll, muss bezüglich
seiner Druckverhältnisse aufmerksam untersucht sein. Der Hirnstamm muss
vor Druckverschiebungen bewahrt werden.
Niedlich gibt aus dem Knappschaftskrankenhause im Fi^chbachtal
eine Arbeit; Appendix und Appendizitis im Bruchsack und unterscheidet
nach 13 eigenen und 82 aus der Literatur gesammelten Fällen: Hernien mit
Appendix allein ohne Einklemmung und Entzündung (15 Fälle), Hernien
mit Appendix und Darmteilen ohne Einklemung (28 Fälle), Hernien, in denen
eine Appendix allein liegend entzündet ist (27 Fälle), Helrnien, in denen
eine Appendizitis mit Darmteilen gefunden wird (13 Fälle), Hernien, in denen
die Appendix allein eingeklemmt liegt (13 Fälle), Hernien, in Henen die
Appendix mit anderen Darmteilen eingeklemmt liegt (12 Fälle). Auf 111 Fälle
konstatiert N. 10 Todesfälle (3 zwischen 60 und -70 Jahren, 2 im Säuglings¬
alter) und gibt kurze krankengeschichtliche Bemerkungen der Fälle nach den
einzelnen Gruppen.
Adolf Sohn berichtet aus der chirurgischen Abteilung von St. Georg
in Leipzig über die Spülung des kleinen Beckens bei der Behandbipg der
diffusen eitrigen Peritonitis und teilt darin die günstigen Erfahrungen an
107 Fällen mit dem Läwen sehen Spülkatlieter mit. Grösserer Median¬
schnitt ist wegen der Gefahr des Prolapses (Eventration) tunlichst zu vermeiden
und bei dem Läwen sehen kleinen Einschnitt (nur ca. 3 cm lang), der die
Gefahr thermisch-mechanischer Schädigungen vermeidet, eine Ausspülung des
Douglas (der sozusagen Schlammfang ist) schnell und schonend und gründlich
ohne Eventration auszuführen. U. a. tritt S. sehr warm für die intravenöse
Dauertropfinfusion von Adrenalin-Kochsalzlösung bei peritonitischen und
postoperativen Kollapsen ein.
H. Klose referiert aus der Frankfurter Klinik über die Regeneration
des Herzmuskels ln Wunden und berichtet über eigene experimentelle Unter¬
suchungen, die ergaben, dass ein Defekt in offener Wunde durch, narbiges
Flickwerk ersetzt wird; Katgutnähte verursachen im Herzmuskel eine wesent¬
lich stärkere chemische Reaktioik als Seidennähte, die nach 4 Wochen fast
ohne bindegewebige Reaktion eingeheilt sind, Herzmuskelwunden sind deshalb
am besten mit Seidenknopfnähten zu versorgen.
Walther Speck gibt aus dem Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt
einen Beitrag zur Behandlung der Knlescheibenbrücher in dem er als ein¬
fachsten und am schnellsten auszuführenden Eingriff die indirekte Patellarnaht
(zirkumpatellare Longitudinalnaht) empfiehlt, die die» Durchbohrung des
Knochens vermeidet; der erste Verband wird in Beugefixation von K rechten
Winkel angelegt, baldiges Einsetzen von Massage und Uebungsbehandlung
empfohlen. Der Draht wird nach 6 Wochen in örtlicher Betäubung entfernt.
Walther Müller berichtet aus der Marburger Klinik über die Deckung
von Defekten der Fingerkuppen durch die frei transplantierte. Zehenbeere.
Im Anschluss an zwei betreffende kurz mitgeteilte Fälle empfiehlt er diese
Methode zu allgemeiner Anwendung. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 5.
Alb. Fromme- Göttingen: Ueber die sog. Osteochondritis coxae und
ihre Identität mit der Arthritis deformans coxae.
Verf. fasst in einer ausführlichen Arbeit seine Ansicht dahin zusammen,
dass die Osteochondritis nichts anderes darstellt, als eine Störung im nor¬
malen Ablauf der Ossifikation der Epiphysen; ätiologisch kommen ver¬
schiedene Momente in Betracht, am häufigsten abef kommt Rachitis und
ein leichtes Trauma, das bei der mangelnden Kalkeinlagerung der Rachitis
die Zellen schädigt, pathogenetisch in Frage. Die Osteochondritis und die
Arthritis deformans sind gleiche Krankheitsbilder, nur mit dem Unterschied,
dass in einem Fall der wachsende, im anderen Falle der erwachsene Knochen
befallen wird.
Sofus V/ i d e r ö e - Christiania: Zur Aetiologle und Pathogenese des
Malum coxae Calvd-Perthes.
Verf. begründet an der Hand zahlreicher Röntgenblder eines Falles seine
Auffassung, dass das Malum coxae Calvö-Perthes stets traumatischen Ur¬
sprunges; mehrere kleine Traumen können die für die Entwicklung der Er¬
nährungsstörung nötigen epiphysären Verschiebungen helvorrufen. Mit
2 Röntgenbildern.
H. B r ü 11 - Hamburg: Atypische vordere Gastroenterostomie bei hoch¬
gradigem Ulcus-Sanduhrmagen mit hochsitzender Stenose.
Verf. musste in einem genauer beschriebenen Falle von hochgradigem
Sanduhrmagen durch die anatomischen Verhältnisse gezwungen eine atypische
vordere Gastroenterostomie anlegen, indem er die für die vordere Gastro¬
enterostomie ziemlich lange Jejunumschlinge im entgegengesetzten Sinne des
Uhrzeigers, um 180® drehte und an den oberen Magensack in der Weise
anlegte, dass sie, schräg von rechts oben nach links unten verlaufend, der
distalfen Hälfte des proximalen' Magensackes anlag; nun Hess sich leicht
eine breite Anastomose ausführen. Der Erfolg der Operation war für den
Pat. sehr gut; die Gastroenterostomie funktionierte vortrefflich. Diese Me¬
thode schliesst den Circulus vitiosus aus, da die Anastomose fast senkrecht
verläuft, ermöglicht eine breite Anastomose, verhütet'das Auftreten eines
UIc. pept. Jejuni und ist auch bei sehr kleinem, hochstehendem, kardialen
Magensack noch ausführbar. *
E. C 0 r d u a - Harburg a. d. Elbe: Bemerkungen zur Exstirpation der
Nebenniere zur Behandlung von Krämpfen in Nr. 43 1920.
Verf. ist noch sehr skeptsch gegen die Erfolge Brünings; die anfalls¬
freie Zeit von einigen Monaten erscheint ihm noch zu kurz, um von einer
Heilung reden zu können. Verf. selbst hat einmal nach einer sehr blut¬
reichen Trepanation die Anfälle aufhören sehen, bis sie nach einer Reihe
von Jahren wieder in der alten Stärke auftraten.
E. Heim- Schweinfurt-Obe'-ndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 5.
H. M a r t i u s - Bonn: Der prophylaktische Kaiserschnitt.
Analog der prophylaktischen 'Wendung will Verf. den prophylaktischen
Kaiserschnitt'für diejenigen Fälle reserviert wissen, in denen bei Mehrgebären¬
den, die bereits ungünstige Probegeburten durchgemacht haben, durch scharfe
Indikationsstellung die Therapie der Geburt beim engen Becken verbessert
wird. Der günstigere und glattere Verlauf des Eingriffs rechtfertigt die
prophylaktische Indikationsstellung zur Sectio caesarea.
A. Kütting-Giessen: Ueber die Geburtsgewichte und Entwicklung
der Kinder in den ersten Lebenstagen, sowie über die Stilliähigkeit während
des Krieges.
Statistik: Stadt- und Landmaterial bietet hübsche Vergleichsmöglichkeit.
Die intrauterine Entwicklung der Kinder bleibt durch Kriegsernährung unbe¬
einflusst. Die Zahl der über 10 Proz. ihres Geburtsgewichtes abnehmenden
Neugeborenen ist in den letzten Kriegsjahren erheblich grösser geworden.
Parallel damit geht eine erhebliche Abnahme der Stillfähigkeit der Mütter.
Diese Kurve steigt allerdings im letzten Quartal 1918 wieder erheblich.
G. Seiss Hamburg: Ueber freie Netztransplantation bei chronischen
Unterleibsentzündungen.
Warme Empfehlung der genannten Operationsmethode zur Peritoniti-
sierung der bei Adnexoperationen etc. geschaffenen breiten Wundflächen.
G. S c h u b e r t - Beuthen (Oberschi.): Zur Hautnaht.
Bemerkungen zu dem Artikel von R. Asch. Technische Ergänzungen.
J. A. B e r u t i - Buenos Aires: Ein neuer und einfacher Apparat zur
Darstellung und Erläuterung der Geburtsmechanik.
Ohne die zugehörigen Abbildungen ist der ausserordentlich lehrreiche
und für Unterrichtszwecke empfehlenswerte, leicht herstellbare Apparat
nicht zu beschreiben. Werner- Hamburg.
Monatsschrift für KinderheUkunde. Bd. XIX. Nr. 4.
Er. Schiff und B. Epstein: Ueber das Vorkommen von Hefepilzen
Im Säuglingsalter.
Die Untersucher fanden bei darmkranken Kindern gehäuft Hefen im
Stuhle; diese ähnelte-i morphologisch den in der Butter und Milch auftretenden
Hefepilzen und wuchsen gleich diesen auf 60 Proz. Rohrzucker enthaltenden
Nährböden. Ob diesen Hefen bei den beobachteten Fällen eine ursächliche
Rolle zukam, vermögen die Verfasser nicht zu sagen.
E. Stadelmann: Zur Symptomatologie und Dlfferentialdiagnose der
Polioeucephalitis epidemica im Kindesalter.
Die Polioencephalitis epidemica befällt Kinder und Säuglinge ebensowohl
wie Erwachsene. Im Säuglingsaltcr wird das Krankheitsbild beherrscht von
allgemeinen und lokalen Krämpfen. Die bulbären Störungen scheinen oei
dieser Altersstufe zurückzutreten. Auffallend häufig ist eine meist zum Tode
führende Affektion des Atemzentrums. Die während des akuten Stadiums
auftretenden Lähmungserscheinungen bilden sich mit wenigen Ausnahmen
meist vollständig zurück. Ausgang in Demenz kommt vor. Polioencephalitis
epidemica und Poliomyelitis acuta stellen wahrscheinlich eine ätiologische
Einheit dar. Eine Beziehung der Polioencephalitis epidemica zur Grippe bzw.
Influenza ist unverkennbar.
Fritz Müller: Der Phosphatgehalt des Säuglingsbarns bei künstlicher,
insbesondere fettreicher Ernährung.
Die Angaben von Moll über die Phosphatarmut des Harns gesunder
Brustkinder . werden bestätigt. Einmalige Untersuchungen des Phosphat¬
gehaltes sind aber weder diagnostisch noch .prognostisch verwertbar. Die
Erhöhung der Phosphorsäureausscheidung stellt nur einen häufigen Neben¬
befund enteraler und parenteraler Störungen dar, ohne jedesmal der Schwere
der Erkrankung parallel zu gehen.
Georg Fischer: Die Ursachen des protrahierten Fiebers bei atypisch
verlaufender Nasopharyngltls.
Die Ursache des in der Ueberschrift genannten Fiebers sind entzündete
und vergrösserte Bronchialdrüsen. Es handelt sich dabei um Grippeinfektionen
im Sinne Finkeisteins.
Erich Krasemann: Zur Kenntnis der Menstruatlo praecox.
Beschreibung eines Falles, der bereits mit H Jahr zu bluten begann. Die
Untersuchung im 6. Lebensjahre ergab eine gleichzeitige allgemeine früh¬
zeitige körperliche Reife (Evolutio praecox totius organismi), insbesondere
entsprach das Knochensystem einem Alter von 14—15 Jahren. Aetiologie
unaufgeklärt.
M o U: Bemerkungen zur Mitteilung Dr. O. Weidmanns. PolemUc
Referate. Albert Uffenheimer - München.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 88. Band.
5. u. 6. Heft.
C. F a h r i g - München: Ueber die Vergiftung durch Pilze aus der
Gattung Inocybe (RIsspllze und Faserköpfe).
Verf. beobachtete bei 3 Mitgliedern einer Familie nach Genuss einer
Inocybeart eine Muskarinvergiftung und konnte auch nachweisen, dass die
Pilze mehr als 20 mal so viel Muskarin enthalten als der Fliegenpilz. Im Tier¬
versuch beseitigte Atropin prompt die Vergiftungserscheinungen.
H. Kämmerer -München: Bakterien und Blutfarbstoff.
S. Ref. in d. W. 1920 S. 915.
W. Storm van Leeuwen und L. E s 1 a n d - Utrecht: Adsorption
von Giften an Bestandteile des tierischen Körpers. I. Das Bindungsvermögen
von Serum und Hlrnsubstanz für Kokain.
Durch Zusatz von Serum, Hirnsubstanz, Lezithin kann man die Kokain¬
wirkung erheblich hemmen infolge einer physikalischen Bindung des Kokains
an diese Substanzen.
W. Storm van Leeuwen und C. v. d. Broche: Experimentelle
Beeinflussung der Empfindlichkeit verschiedener Tiere und überlebender
Organe für Gifte. I. Mitteilung.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized b'
I
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Im Serum verschiedener Tiere kommen Stoffe vor, die die Wirkung
von Pilokarpin auf den überlebenden Darm verstärken. Die gleiche Wirkung
hatten Cholesterin und Zerebron sowie Pepton, letzteres bindet zum Teil
Pilokarpin.
W. Storin van Leeuwen und M. v. d. Made: II. Mitteilung.
Im Tierblut gibt es Stoffe, die die Adrenalinwirkung erhöhen. Min
kann ihre Menge vermehren durch Injektionen von Pepton Witte, wenigstens
bei einem Teil der Tiere. *
W. J a CO bl-Tübingen: Pharmakolosische Wirkungen am peripheren
QefSssapparat und Ihre Beeinflussung auf Grund einer spezifischen Verände¬
rung der Permeabilität der Zellmembranen durch Hydroxyllonen.
Die Durchlässigkeit der Epidermis der Froschschwimmhaut für Medika¬
mente (Suprarenin, Strychnin) wird gesteigert durch Einwirkung von
Hydroxylionen (Veronalnatrium, Natriumhydroxyd und -karbonadlösungen),
jedoch kommt auch dem Veronal selbst ein Einfluss zu. Es handelt sich
dabei um eine spezifische Beeinflussung der Membran, die reversibel ist,
und zwar um eine Dekondensation der Kolloide des Zellprotoplasmas und
der Lipoidmerabranen, die die Quellungsfähigkeit der Eiweisskolloide und
die Durchlässigkeit derselben wie der Lipoide für Wasser steigert.
J 0 a c h i m o g l u - Berlin: Vergleichende Untersuchungen über die Wir¬
kung des d-, 1- und f-Kampfers. IV. Mitteilung: Die Wirkung auf die glatte
Muskulatur des Blutegels. ^ L. J a c o b - Bremen.
Archiv für Hygiene. 1920. Band 89. Heft 7 u. 8.
Willy B e h m e r - Bromberg: Beiträge zur Biologie und Biochemie des
Bacillus proteus und Versuche zur Isolierung pathogener Mikroorganismen
aus proteushaltigem Material mittels Agarplatten mit Karbolsäurezusatz bzw.
EichloffbUuplatten.
Um aus bakteriologischen Gemischen, die Proteus im Ueberschuss
enthalten, andere Bakterien zu isolieren, hat Verf. nach dem Vorgang
anderer von neuem versucht, durch Zusatz von Karbolsäure bzw. durch
Verwendung des E i c h 1 o f f sehen Blauagars die Isolierung zu erleichtern.
Setzt man 2 ccm einer Sproz. Karbolsäurelösung auf 100 ccm Agj^r zu, so
wird das Schwärmen der Proteusorganismen aufgehoben, was die Isolierung
anderer Keime wesentlich erleichtert. Rotlauf, Typhus und Paratyphus
wachsen trotz der Säure gut, Milzbrand nur zum Teil, Geflügelcholera gar
nicht. Beim E i c h 1 o f f sehen Nährboden (gewöhnlicher Drigalskiagar, bei
dem das Fleischextrakt durch ein nach E i c h 1 o f f hergestelltes Extrakt aus
Magermilch ersetzt ist) konnten noch etwas bessere Resultate erzielt werden,
da auf ihnen alle untersuchten pathogpnen Bakterien wuchsen, mit Ausnahme
des Milzbrandes.
H. S a c h s - Frankfurt a. M.: Zur physikalischen Theorie der Anaphyla-
toxlnbildung. (Historische Bemerkungen zu der Arbeit von H. D o I d:
„Anaphylatoxin, charakterisiert durch eigenartige Flockungsphase der Serum¬
globuline“.)
Verf. nimmt für sich die Begründung der physikalisch-theoretischen Auf¬
fassung in der Anaphylaxielehre in Anspruch.
Karl V. A n g e r e r - Erlangen: Ueber die aktuelle Reaktion Im Innern
der Bakterienzelle.
Die Reaktion in der Bakterienzelle erwies sich alkalisch, im Gegen¬
satz zur Pflanzenzeile. Die Alkaleszenz liegt etwa zwischen dem physikalisch¬
chemischen Neutralpunkt und dem Phenolphthaleinpunkt.
B. M ö 11 e r s - Berlin: Beitrag zur Epidemiologie der Well sehen
Krankheit.
Ein Bericht über 70 Fälle von Weil scher Krankheit, die sich an der
Westfront ereignet hatten. Aus den epidemiologischen Ermittelungen ergibt
sich, dass die Weil sehe Krankheit wasserreiche Gegenden bevorzugt und
hauptsächlich in den heissen Sommermonaten auftritt. Kontaktinfektionen
wurden nie beobachtet, trotz reichlicher Gelegenheit zu solchen. Wie -die
Uebertragung der Krankheit vor sich geht, steht noch nicht fest. Manches
spricht für die Uebertragung durch Ratten, manches auch für die Beteiligung
eines Zwischenträgers, wie Stomoxys calcitrans oder Stechmücken, doch
liegen keine exakten Beweise dafür vor.
Karl Süpfle und Alfred M ü 11 e r - München: Ueber die Rolle der
Adsorption bei der Einwirkung von Sublimat auf Bakterien.
Es konnte nachgewiesen werden, dass Sublimat die Bakterien nicht so¬
gleich abtötet, sondern dasselbe verhältnismässig lange Zeit an der ‘Zelle
adsorbiert bleibt. Den Beweis führten die Verfasser dadurch, dass sie die
Bakterien mit Holzkohle wieder entgifteten, und nun zeigte sich, dass z. B.
Milzbrandbazillen in 5 proz. Sublimatlösung noch 11 Tage, in 3 proz. noch
38 Tage, in 1 und 2 proz. noch 40 Tage am Leben geblieben waren.
Ph. Nickel- München: Ueber den Wirkungsbereich der Alexine Im
Blutserum der Haustiere.
Zur Verwendung kamen das Serum von Pferd, Rind, Schwein, Schaf und
der Ziege. Von den Seren erwies sich das Ziegenserum 'als das wirksamste.
Es entwickelte sich darin nur Micr. pyogenes. Abgetötet wurden Bact.
pneumoniae Friedländer, typhi muricum, coli und pyocyaneum. Bact.
pyocyaneum vermehrte sich in allen anderen Seren, ebenso Strept. pyogenes,
hämorrhagische Septikämie, Proteus und Schweinerotlauf. Von anderweitigen
Stoffen wurden auch Plakine angetroffen. Sie töteten Milzbrand^, Subtilis,
Mesenterikus und Sarcina tetragena.
Alfred M ü 11 e r - München: Die Resistenz der Mllzbrandsporen gegen
Chlor, Pickelflüssigkeit, Formaldehyd und Sublimat.
Die Einzeltatsachen lassen sich unverkürzt nicht wiedergeben.
Hermann D o 1 d - Halle: Ueber das seroskopische Verhalten der Sera
nach Einsaat von Kaolin, Agar, Inulin und Stärke.
Während die Abgüsse der mit Kaolin behandelten und 10 Minuten lang
zentrifugierten normalen Meerschweinchenseren frei von trüben Flockungen
befunden werden, finden sich solche noch häufig bei den nach Bordet
behandelten Seren mit Agar trotz sehr langen Zentrifugierens. Die Seren, die
mit Inulin oder Stärkekleister behandelt sind, zeigen zunächst meist keine
Flöckchen. Die Tatsache, dass aber beim Lagern später doch noch solche
auftreten, scheint zu beweisen, dass sie nicht restlos entfernt werden können.
R. 0. Neumann - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 7.
K. H e 11 m u t h - Hamburg-Eppendorf: Peroneuslähmungen nach gynäko¬
logischen Laparotomien in Aflgemelnnarkose (Narkosenlähmungen).
In beiden näher mitgeteilten Fällen handelte es sich um Lähmung des
linkseitigen Peroneus, die beide ca. 30 Tage nach. ^iner Laparotomie in
Allgemeinnarkose eftitraten. Verf. erörtert das Zustandekommen dieser Affek-
tionen, deren Prognose vom Ausfall der elektrischen Untersuchung wesent¬
lich abhängt. Auch in den Fällen von nichthysterischer oder nichttoxischer
Lähmung kann nach den Erörterungen des Verf. eine Verurteilung des be¬
treffenden Arztes wegen Fahrlässigkeit oder aus Gründen der Haftpflicht nicht
statthaben. .
G. J oa c hi moglu-Berlin: Die Pharmakologie des Trlchloräthylens.
Das TrichlorätHvlen wirkt bei Applikation in gewissen Dosen nicht als
Stoffwechselgift. Die mitgeteilten Untersuchungen ergeben, dass gegen die
Anwendung desselben als Lösungsmittel in der Industrie ode/“ als Arznei¬
mittel bei der Trigeminusneuralgie Einwände nicht erhoben werden können.
Fr. K r a m e r - Berlin: Die Behandlung der Trigeminusneuralgie mit
Chlorylen (Trlchiorätliylen). ..... . . t
108 Kranke wurden mittelst Einatmungen des Medikamentes, das auf
Watte gebracht w'urde, behandelt. In einem erheblichen Teile der Fälle konnte
eine günstige Wirkung wahrgenommen werden, besonders auöh in den Fällen,
die sich gegen andere Behandlung refraktär verhalten hatten.
H. O p i t z - Breslau: Ueber eine neue Form von Pseudohämophilie.
Die näher mitgeteilte Beobachtung wurde an einem 8^ Monate alten
Mädchen gewonnen, .das petechiale Blutungen und eine derbe Schwellung des
einen Oberschenkels darbot, während die Gerinnungsfähigkeit des Blutes
völlig fehlte. Das ‘Kind starb einige Zeit nachdem mittelst der F ranke-
schen Nadel einige Einstiche in die Haut gemacht worden waren. Wahr¬
scheinlich liegt eine innere Blutung vor. Bezüglich des totalen Fibrinogen¬
mangels ist wohl an eine angeborene Anomalie zu denken.
H. P u t z i g - Berlin: Die Protoplasmaakti^ierung bei der Atrophie der
Säuglinge. -
Es gelang durch aktivierende Seruminjektionen eine Besserung ira Allge-
meinzustand und einen beträchtlichen und andauernden Gewichtsanstieg zu
erzielen, der vorher, trotz ausreichender und sonst zweckmässiger Ernährung
ausgeblieben war.
A. Glaser- Berlin: Ulzeratlonen Im Magen-Darmkanal und chronische
Bleivergiftung.
Nach den mitgeteilten Untersuchungen kommen bei einer sehr grossen
Zahl von Bleikranken Ulzerationen im Magen und Duodenum vor. welche sich
in nichts von sonstiger. Magengeschwüren unterscheiden. Zu ihrem Auf.
treten ist aber nicht — wie sonst — eine besondere Disposition nötig. Die
Behandlung ist möglichst intern bei Fernhaltung weiterer Bleizufuhr durchzu-
füHren.
Eugen Joseph: Ueber eine neue Operationsbeleuchtung.
Es handelt sich um eine sog. Tageslichtlampe mit einem besonderen
Glasfilter, welches die roten und gelben Strahlen abfiltriert.
E. Hoffmann - Bonn: Nachtrag zu meiner Arbeit über die Leuchtblld-
methode.
Hiezu ist das Original einzusehen.
L. S t a n 0 j e V i c - Agram: Bemerkungen zur Arbeit von Professor
H. Cur sch mann: Ueber Syrlngomyelia dolorosa etc. in B.kl.W. IV^u
Nr. 50.
Verf. teilt einen einschlägigen Fall aus seiner Beobachtung mit.
Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 3.
R. Th. V. J a s c h k e - Giessen: Das Ineinandergreifen mechanischer und
biologischer Faktoren ln dem Qeburtsvorgang beim engen Becken.
Für Prognose und Therapie kommen neben dem Grade der Beckenver¬
engung auch die spezielle Form, ferner die Grössenverhältnisse des Geburts¬
kanals zu dem bestimmten Geburtsobjekt und endlich konstitutionelle und
konditionelle Momente wesentlich in Betracht.
Busse- Zürich: Ueber die G r a w 11 z sehen Schlummerzellen.
Eine Antwort auf die Erwiderung von Herrn Prof. Marchand.
£. Hoffmann - Bonn: Ueber die Verwendung des Dunkelfeldes zur
Auffindung des Gelbfieber-, Gelbsucht-, Syphilis- und anderer Spirochäten
ln fixierten und gefärbten Ausstrich- und Schnittpräparaten.
Das Dunkelfeld eignet sich auch zur Untersuchung von fixierten und
gefärbten Präparaten. Ein Nachteil ist hier das Fehlen der oft charakteristi¬
schen Eigenbewegung der Mikroorganismen.
A. B u s c h k e und E. Langer - Berlin: Ueber die Lebensdauer und
anaSrobe Züchtunv der Gonokokken.
2—3 ccm unverdünntes, eine halbe Stunde auf 60® erhitztes Menschen¬
serum, aus den von der WaR. übrig gebliebenen Resten gewonnen, wurde
mittels Kapillarpipette mit Gonokokken versetzt, mit Paraffin, liquid, über¬
schichtet und bei 37® bebrütet. Derartige Kulturen behielten lange Zeit
ihre Lebensfähigkeit und Virulenz, wie durch gelegentliche Uebertragung
auf Blutagar geprüft wurde. Schwankungen in der Bruttemperatur erwies
sich bei diesen anaöroben Kulturen nicht als schädlich.
F. L e s s e r - Berlin: Neuere Probleme der Syphilisbehandlung. (Schluss
aus Nr. 2.)
Vortrag, gehalten im Ver. f. inn. Med. in Berlin am 1. November 1920
(Bericht in Nr. 46/1920 der M.m.W.).
R. W e i c h b r 0 d t - Frankfurt a. M.: ExpdHmentelle Untersuchungen
zur Salvarsantherapie der Paralyse.
Nach intraffenöser Injektion von Salvarsanpräparaten gehen erhebliche,
bei den einzelnen Präparaten wechselnde Mengen Arsen in den Liquor über.
S. Rothman - Giessen: Ueber das Wesen der intravenösen Subllmat-
Salvarsaneinspritzung nach L i n s e r.
Die Kombination von Sublimat und Salvarsan führt zur Bildung von
kolloidalem metallischem Quecksilber, dem neben der Dispersitätsveränderung
des Salvarsans die günstige therapeutische Wirkung zugeschrieben wer¬
den muss.
A. Scherliess - Charlottenburg: Heisswasserspülungen bei Gonorrhöe.
Die Heisswasserspülung, mit der günstige Erfolge erzielt wurden^ ge¬
schieht mittels eines eitienen Spülkatheters. (2 Abbildungen.)
Kern-Torgau: Zur Serumbehandlung der Meningokokken-MenluKitls.
3 Krankengeschichten.
B u r c h a r d i - Potsdam: Ueber die Verwendung des Ibols für Ohr und
Nase.
Ibol setzt sich zusammen aus 5 proz. metallischem Jod, Tierkohle und
steriler Bolus alba, ist ein desinfizierendes desodorisierendes und fein zer-
Digitized b)
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. Februar 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
253
stäubbares Pulver, das sich zur Behandlung der chronischen Otitis media
und zur Nachbehandlung bei Nasenoperationen gut eignet.
F. R e 11 i g - Berlin: Versuche zur medizinischen Lichtdosierung.
Die Messung der Wirkung ultravioletter Strahlen durch titrimetrische
oder kolorimetrische Bestimmung der ausgeschiedenen Jodmenge ist nicht
zuverlässig und nicht einfach, für den Praktiker überdies viel zu zeit¬
raubend.
H. Q. A u s t g e n • Beelitz: Skarlatlnöses Exanthem nach Quarzlampen-
licht (künstliche Höhensonne). Kasuistik.
Bauer meist er-Braunschweig: Zur Eubarytllteratur.
Polemik gegen Lenk (M.m.W. 1920 Nr. 27) und E s p e u t (Nr. 49
d. W.).
M. R e i c h a r d t - Würzburg: Der letzige Stand der Lehre von der
Hystmte. Uebersicht.
A b e 1 s d 0 r f f und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologlsche Rat¬
schläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Amerikanische Literatur.
H. Noguchi und I. J. Kl i gier: Immunologische Studien an einem
Stamm von Leptospira, welcher von einem Qelbfleberlall ln Merlda, Yucatan,
Isoliert wurde. (Journ. Exper. Med., Baltimore, 1920, XXXII., Nr. 5.)
Die Leptospira icteroides, welche letztes Jahr von Noguchi als die
Ursache des Gelbfiebers erkannt wurde, wurde auch in dem vorliegenden
Falle aufgefunden. Die Identifizierung wurde erreicht durch ein Anti-
ikteroides-Serum, das in einem Pferde mit mehreren Quyaquilstämmen
von Leptospira icteroides bereitet wurde. Das Immunserum zeigte eine
Schutzwirkung von hohem Titer gegen den Meridastamm, wodurch sein
Wert als therapeutisches Mittel gegenüber diesem Stamm festgestellt wurde.
Polyvalentes Antiikteroides-Immunserum vom Pferde oder monovalente Anti-
ikteroides-Sera von Kaninchen hatten eine deutliche devitalislerende Wirkung
auf den Meridastamm, während Immunsera auf gleiche Weise mit Iktero-
hämorrhagiaestäramen zubereitet, keine merkliche Wirkung auf den Merida¬
stamm ausübten. Sera von Qelbfieberrekonvaleszenten in Merida ergaben efne
positive Pfeiffer sehe Reaktion mit dem Meridastamm von Leptospira
icteroides. Die Reaktionen zwischen den Quyaquilstämmen und zweien dieser
Sera von Rekonvaleszenten schwankten zwischen einem deutlich positiven
und zweifelhaften Resultat, was wahrscheinlich einer Verminderung der
aktiven Immunprinzipien in den Sera infolge ungünstiger Verhältnisse des
langsamen Transportes zugeschrieben werden muss.
H. Noguchi und I. J. Kligler: Experimentelle Studien über Gelb¬
fieber In Merida, Yucatan. (Jo&r. Exper. Med., Baltimore, 1920, XXXII.,
Nr. 5.)
Intraperitoneale Einspritzungen von Blut. und Emulsionen von Leber
und Nieren von an Gelbfieber Verstorbenen erzeugten bei Meerschweinchen
naclr einigen Tagen eine erhöhte Temperatur, welche mehrere Tage anhielt.
Wenn die Tiere in diesem Stadium getötet wurden, fanden sich ausnahmslos
hämorrhagische Partien verschiedener Grösse in den Lungen und, obgleich
seltener, in der gastrointestinalen Mukosa, begleitet von allgemeiner Hyper¬
ämie der Leber und der Niere. In einem der Tiere, welches mit einer
Leberemulsion behandelt wurde, zeigte sich am neunten Tage ein leichter
Ikterus. ’ Einspritzungen von Blut- oder Leber- und Nierenemulsion von solchen
Tieren erzeugten bei eesunden Meerschweinchen fieberreaktionen und
viszerale Läsionen. Die meisten der Tiere, welche am Leben gelassen
wurden und welche die Infektion überstanden, erholten sich schnell. Wenn
diese überlebenden Tiere nach 2 Wochen untersucht wurden, fand man
immer alte hämor’-»*agische Herde in den Lungen. ^
H. Noguchi: Chemotherapie und Serotherapie bei der experimentellen
Infektion mit Leptospira icteroides. (Jour. Exper. Med., Baltimore. 1920,
XXXIL, Nr. 4.)
ln diesem Artikel zeigt Verf., dass Salvarsan und Neosalvarsan bei der
Behandlung des Gelbfiebers der Serotherapie überlegen sind.
A. B. Hirsch: Diathermie als Hilfsmittel hei der Empyembehandlung.
(Med. Record, N.Y., 1920, XCII., Nr. 25.)
In einem Falle von Empyem, in welchem mehrere operative Eingriffe
resultatlos geblieben, wurde die Diathermie angewandt, wobei die eine
Elektrode direkt über der entzündeten Region, die andere an der Seite
des Brustkorbes angelegt wurde. Die Ansetzung der Elektroden wurde
allmählich nach unten verschoben. Man begann mit 300 M.-A. während
40 Minuten. Die Stromstärke wurde nach und nach vergrössert bis auf
650 M.-A. während 60 Minuten. Die Besserung nahm, so schnell zu, dass
bald auch die ultravioletten Strahlen in Anwendung gebracht werden
konnten.
F. E. Peckham: Kalkmangel als Ursache vieler orthopädischer De¬
formitäten, die sterilisierter und pasteurisierter Nahrung zugeschrieben wer¬
den müssen. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV., Nr. 20.)
Beobachtungen an einer Anzahl von Fällen von Rückgratverkrümmung
und anderen Deformitäten bei Kindern führen Verf. zu dem Schloss, dass
sterilisierte und pasteurisierte Milch im Organismus des Kindes einen Kalk¬
mangel herbeiführe und Anlass zu diesen Deformitäten gebe.
J. M. W h e e 1 e r: Wiederherstellung des Lidrandes und anliegender Teile
des Augenlides durch freie Transplantation des unteren Teiles der Augen¬
braue. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV., Nr. 16.)
Um das Augenlid mit Wimpern zu versehen, schieidet Verf. ein linsen¬
förmiges Hautstück unmittelbar unter der Augenbraue aus, wobei der obere
Rand einen Teil der Haare einschliesst. Dieses linsenförmige Hautstück
wird dann mit den Haaren nach unten auf das obere Augenlid verpflanzt.
Um das untere Augenlid wieder herzustellen, wird ein gleiches Hautstück
aus der Augenbraue des anderen Auges verpflanzt.
R. Sonnenschein: Radiumbehandlung bösartiger Geschwülste der
Nase and des Rachens (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV.,
Nr. 13.)
Ein 62 iähriger Mann hatte einen haselnussgrossen Tumor am rechten
hinteren Gaumenbogen. Die histologische Untersuchung ergab eine Misch¬
geschwulst vpn Spindel- und Rundzellensarkom. Bei der Behandlung wurden
zwei Platinnadeln, von denen jede 12,5 mg Radium enthielt, in das Gaumen¬
segel und die rechte Gaumenmandel gestochen und während 10 Stunden
in situ gelassen. Zu gleicher Zeit wurden 6 Radiumplättchen doppelter
Stärke, jedes mit 120 mg Radium, auf eine Entfernung von 9 mm hinter
einem Silberschirm während 12 Stunden auf der rechten Seite des Halses
Digitized by Goiisle
aufgestellt. Vierzehn Tage später wurden zwei Nadeln mit 12,5 mg Radium
während 6 Stunden in die rechte Gaumenmandel gesteckt. Nach weiteren
20 Tagen wurden drei Qlasröhrchen, von welchen jedes 25 mg Radium ent¬
hielt, während 5^ Stunden hinter einem Qoldschirm an die rechte Gaumen¬
mandel gelegt. Es fanden ziemlich starke Verbrennungen am Gaumensegel
und an der rechten Seite der Zunge statt, die jedoch geeigneter Behandlung
wichen. Die Geschwulst verschwand vollständig und Patient wurde geheilt
entlassen.
A. Mosenthal: Einfluss der Protelnnahrung auf erhöhten Blutdruck.
(Am. Journ. Med. Sciences, Pbila.,. 1920, CLX., Nr. 6.)
Die Beobachtungen wurden an neun Patienten mit chronischer inter¬
stitieller Nierenentzündung gemacht. Dabei ergab sich, dass eine Verminde¬
rung der Proteinnahrung den Blutdruck nicht erniedrigt und dass eine Ver¬
mehrung der Eiweissnahrung den Blutdruck nicht erhöht. i
J. B. Nichols: Ueber gutartige Dezidualtumoren der Gebärmutter.
(Am. Journ. Med. Sciences» Phila., 1920, CLX., Nr. 5.)
Dezidualtumoren können sich während der Schwangerschaft entwickeln.
Sie erscheinen als aus dem Gebärmuttermund herausragende Polypen oder
als intrauterine Tumoren, die bei der Geburt entdeckt werden. Obgleich
das mikroskopische Bild dem des Epithelioms ähnlich ist, sind diese Ge¬
schwülste gutartig und sollten zu keinem operativen Eingriff Anlass geben.
Ob diese Geschwülste von der Dezidua entspringen oder schon vorher be¬
standen haben, kann nicht entschieden werden. Das erstere scheint das
wahrscheinlichere zu sein. Die Erkennung des dezidualen Charakters dieser
Polypen ist eine Indikation bestehender Schwangerschaft.
R. Donk: Transfusion des Duodenalinhaltes. (Journ. Am. Med. Assoc.
Chicago, 1920, LXXV., Nr. 20.)
Verf. schlägt bei gewissen Erkrankungen des Verdauungskanals Trans¬
fusion des Duodenalinhaltes vor. Diese Heilmethode wurde bei einer Pa¬
tientin, die an Gelbsucht und Entzündung des Zwölffingerdarms und der
Gallenwege litt, angewandt. Es wurde Duodenalinhalt von einer gesunden
Person gewonnen. Die Duodenalröhre wurde über Nacht in situ gelassen
und am Morgen vor dem Frühstück der Inhalt mittels der Säugpumpe ent¬
fernt (40—100 g). Bei der Patientin wurde zuerst ein Duodenalschlauch ein¬
gelegt und durch denselben der Duodenalinhält dargereicht. Dies wurde
während zwei Wochen fortgesetzt. Die Patientin zeigte bedeutende Besse¬
rung und gewann an Gewicht, musste aber später operiert werden. Verf.
glaubt, dass diese Methode von Wert sein dürfte bei akuten Infektionen
der Leber und des Pankreas. Die Methode ist namentlich geeignet die
Azidose, welche Aushungerungszustände zu begleiten pflegt, zu verhindern.
A. J. Bedell: Aethylhydrokupreln bei Augenkrankhelten. (Journ. Am.
Med. Assoc., Chicago, 1920, LXXV., Nr. 14.) '
Aethylhydrokuprein (Optochin) wurde zuerst von Morgenroth und
L e V y bei der Behandlung der Lungenentzündung angewandt. Da in der
Augenheilkunde von mehreren Fällen von Blindheit berichtet wurde, wurde das
Mittel wieder aufgegeben. Aethylhydrokuprein tötet tlen Pneumokokkus, aber
in ganz kleinen Dosen befördert es das Wachstum der Pneumokokken. Ob¬
gleich das Mittel auf das Auge anästhesierend wirkt, verursacht es keine
permanente Trübung der Hornhaut. Es kann mit Atropin kombiniert werden
ohne seine keimtötende Kraft zu verlieren. Die besten Resultate werden nur
erzielt durch öftere Erneuerung der Lösung, wenigstens alle 2 Stunden
beim Beginn einer schweren Infektion. Das Mittel wurde mit Erfolg ange¬
wandt bei Blepharitis, bei akuter und chronischer Pneumokokkenkonjunktivitis,
bei gonorrhoischer Konjunktivitis, Dakryozystifis, Hornhautgeschwüren und
phlyktänulärer Erkrankung. Verf. empfiehlt einen häufigeren Gebrauch deS
Mittels und versichert, dass dasselbe eine wertvolle Behandlungsmethode
bei schweren Fällen von Augeninfektionen bildet.
W. S. Lawrence: Tonsillektomie und Rezidiven des akuten Gelenk¬
rheumatismus und der Chorea. (Jour. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920,
LXXV., Nr. 16.)
FUnfundachtzig Kinder, von denen jedes vor der Operation rheumatische
Symptome zeigte, wurden während 3/^ Jahren nach der Operation beobachtet.
Die \Qaumenmandeln waren stark hypertrophiert in 13 Proz. aller Fälle,
mässig hypertrophiert in 69 Proz. und frei von Hypertrophie in 18 Proz.
Bei 73 Proz. aller Fälle konnten von der Ausscheidung rezidivierende
Mandelentzündungen festgestellt werden. Die Lymphdrüsen waren ver¬
grössert in allen Fällen, bevor die Operation ausgeführt wurde, während
sie in 59 Proz. der Fälle nach der Operation als normal befunden wurden.
Ein oder mehrere Anfälle von akutem Gelenkrheumatismus kamen vor der
Operation in 42 Fällen vor, nach der Operation wurden keine Rezidiven
mehr beobachtet in 35 Fällen. In 40 Fällen kamen vorher ein oder mehrere
Fälle von Chorea vor, während nach der Operation keine Rezidive stattfanden
in 20 Fällen. Bei 61 Fällen zeigten sich vor der Operation Myositis und
Gelenkschmerzen. Unter diesen kam in 47 Fällen kein Rezidiv vor. In
58 Fällen bestand organische Herzerkrankung, während sie nach der Opera¬
tion nur in einem Falle vorkam. Die vollständige Entfernung der Tonsillen
ist nach Verf. das beste Mittel, dem akuten Gelenkrheumatismus und ver¬
wandten Zuständen vorzubeugen.
S. H. Blodgett: Die Harnstoffabsonderung als eine praktische Probe
der Nierenfunktion. (N.York Med. Jour., 1920, CXIL, Nr. 14.)
Die Fähigkeit der Nieren, die metabolischen Abbauprodukte abzusondern,
kann in vielen Fällen durch die sogen. Nierenfunktionsproben nicht festge¬
stellt werden. Dies kann aber leicht erreicht werden, indem man einer
Person, die vorher eine basische Diät befolgt, eine bestimmte Menge Stick¬
stoffnahrung zukommen* lässt und indem man dabei die Harnstoffabsonderung
beobachtet. Mit dieser Kenntnis kann man die Diät so regulieren, dass die
Person das Maximum von Stickstoffhahrung zu sich nimmt, deren Abbau¬
produkte die Nieren zu bemeistern fähig sind.
Q. Baehr und H. Lande: Glomerulonephritis als Komplikation sub¬
akuter Streptokokkenendokarditis. (Jour. Am. Med. Assoc., Chicago, 1920,
LXXV., Nr. 12.)
Von 77 Fällen von subakuter Streptokokken-Endokarditis starben neun
Patienten an Urämie nach akuter Glomerulonephritis. Da aber in allen
diesen Fällen keine Streptokokken in den Glomeruli gefunden werden konnten,
kann der Streptokokkus nicht als die unmittelbare Ursache der Glomerulo¬
nephritis angesehen werden. Dennoch muss der Streptokokkus bei diesem
Krankheitsprozess eine Rolle spielen, denn die Komplikation einer akuten
Glomerulonephritis kommt soweit nur im bakteriellen Stadium der Endo¬
karditis Vor, d. h. wenn die Streptokokken im strömenden Blut. gefunden
werden.
Origin&l frurri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
254
MÜNCHlfNEK MEDlZlNiSCHt: WüCHifNSCHRlFT.
Nr. 8.
C. F. Cruig: Zur Aetlologie des. Denguefiebers. (Jour. Am. Med.
Assoc.; Chicago, 1920, LXXV., Nr. 18.)
Verf. glaubt, dass das Denguefieber durch einen Parasiten verursacht
wird, der dem Erreger des Gelbfiebers sehr nahe verwandt ist. N o g u c h i
hat mit beinahe völliger Gewissheit gezeigt, dass Leptospira icteroides die
Ursache des Gelbfiebers ist. Die anaerobische Kulturmethode N o g u c h i s
welche bei der Kultivierung der Spirochäten so erfolgreich war. wird mit
grosser Wahrscheinlichkeit auch zur Entdeckung des Erregers des Gelb¬
fiebers führen.
H. J. John: Giykose als HUfsmlttel bei der Behandlung der Lungen¬
entzündung. (Am. Jour. Med. Sciences, Phila., 1920, CLX,. Nr. 4.)
Bei der Behandlung von 819 Fällen von Lungenentzündung in einem
Feldlager machte Ve»‘f. günstige Erfahrungen mit intravenösen Einspritzungen
einer wässerigen Glykoselösung. Dabei kam er zu folgenden Schlüssen; Diese
Behandlung ist mit keinerlei Gefahr verbunden. Der Patient fühlt sich dabei
wohl und schläft gut. Der Körper wird im Kampfe gegen die Infektion
gekräftigt. Die Temperatur fällt. Das überarbeitete Herz erhält die not¬
wendige Nahrung. Die Ausscheidungen durch die Nieren und die Haut
werden vermehrt. Bei Serumbehandlung kann das Antipneumokokken- oder
Antistreptokokkenserum in der Glykoselösung verabreicht werden. Die Ver¬
wendung der Giykose ist eine streng physiologische Massnahme und muss
als solche gebraucht werden.
F. C. Blake und L C. Russell; Experimentelle Streptokokkus-
haemolytlcus-Pneumonle beim Affen. (Jour. Exper. Med., Baltimore, 1920,
XXXII., Nr. 4.)
Die Experimente wurden an neun Affen (Macacus) ausgeführt. Es
wurden intratracheale Einspritzungen von Bouillonkulturen des Streptococcus
haemolyticus gemacht. Die Experimente führten zu folgenden Schlussfolge¬
rungen: Der Streptococcus haemolyticus kann beim Affen eine primäre Pneu¬
monie hervorrufen. wenn eine hinreichende Menge in die Luftröhre einge¬
spritzt wird. Einspritzung einer geringen Menge verursacht leicht eine aus¬
gedehnte sekundäre Pneumonie. Die Infektion der Lungen durch Strepto¬
coccus haemolyticus geschieht beim Affen in erster Linie durch das inter¬
stitielle Gewebe der Lungen und durch die Lyinphwege und die Krankheit
scheint nicht eine primäre Infektion der Endbronchioli zu sein. Obgleich
der Infektionsprozess beim Menschen wahrscheinlich auf gleiche Weise erfolgt,
darf man doch keinen voreiligen Schluss ziehen, da die Streptokokken¬
pneumonie beim Menschen gewöhnlich nur als eine Sekundärinfektion nach
einer vorhergehenden Bronchialentzündung auftritt.
’ A 11 e m a n n - Washington.
Im Druck erschienene Inauguraldissertationen.
Universität Königsberg. April-Dezember 1920.
Batt Gertrud: Beitrag zur pathologischen Anatomie während der Königs¬
berger Grippeepidemie.
Cor in th Margarete: Ueber einen Fall von Aktinomykose des Ganglion
Gasseri.
Falkenheim Curt: Der Einfluss der sozialen Lage auf die Sterblichkeit
des Kleinkindes in Königsberg i. Pr. während der Jahre 1914—1918.
Fuchs Heinrich Walther: Zur Behandlung der spastischen Pylorusstenose
der Säuglinge nach Weber-Rammsted t.
Popp Fritz: Die Erscheinungen und der Spättod nach Erhängungsversuchen.
Schwarzkopf Georg: Zum Kapitel der Orbitalphlegmone.
Vereins* und Kongressberichte.
Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauen¬
krankheiten.
Sitzung vom 36 . Januar 1921 in Nürnberg, Luitpoldhaus.
(Berichterstatter: W. S. F I a t a u - Nürnberg.)
D ö d e r 1 e i n, als Vorsitzender, eröffnet die Sitzung mit einer kurzen
Ansprache, die die Wiederaufnahme der regelmässigen Sitzungen in Aussicht
stellt. Er gedenkt ferner der Toten, die die Gesellschaft zu beklagen hat,
besonders so hervorragender Mitglieder, wie Josef Albert A m a n n und
Gustav Klein.
Seitz und Wintz: Klinische Erfahrungen und technische Neuerungen
In der Röntgenbehandlung der Karzinome.
Die 5 jährigen Beobachtungen von 58 vorwiegend mit Röntgen¬
strahlen, kombiniert mit kleinen Mengen von Radium (1 mal 50 mg Radium-
Element intrazervikal für 24 Stunden) behandelten Kollumkarzinomen
ergab eine Dauerheilung und eine absolute Heilungsziffer von 20,7 Proz.
Diese Zahl ist im allgemeinen etwas höher als die absolute Heilungsziffer
mit der ausschliesslichen Radiumbehandlung des Karzinoms und
stimmt auch mit der mittleren absoluten Heilungsziffer nach der radikalen
W e r t h e i m sehen Operation überein. Die Strahlenbehandlung ist
jedoch schwer durch den Zugang von ganz besonders ungünstigen Fällen
belastet und ausserdem dadurch, dass manche Kranken sich nicht allen
drei nach unserer Mettmde erforderlichen Bestrahlungen unterzogen (unge¬
nügend Bestrahlte). Auch . ist zu bedenken, dass die Röntgenbestrahlung
erst in der Entwicklung, die Operation ein im Laufe von Jahrzehnten aus-
gebildeter Eingriff ist. Von den noch sicher operablen, mit vorwiegender
Röntgenbestrahlung behandelten Kollumkarzinomen sind nach 5 Jahren noch
50 Proz. am Leben; die vielleicht noch operablen mitgerechnet 27 Proz.
Von den ungenügend bestrahlten Fällen lebt nach 5 Jahren keiner mehr. Von
den genügend Bestrahlten dagegen sind noch 20 Proz. am Leben. Nach
4 Jahren leben von 49 Fällen noch 24 Proz., also eine deutliche Besserung
zu Gunsten der völlig durchstrahlten Fälle.
Der Vergleich der ausschliesslichen Röntgenbestrahlung (sog
Röntgen-Wertheim) mit unserer vorwiegenden Röntgenbestrahlung
ergibt an nunmehr 2 jährigen Beobachtungen, dass das Resultat bei beiden
Methoden ungefähr das gleiche ist und dass die vorläufig 2 jährige absolute
Heilungsziffer 53 und 56 Proz. beträgt.
Von den primär bestrahlten 24 Mammakarzinomen sind nach
2, 3 und 4 Jahren noch die meisten am Leben und gesund. Die Resultate
der Bestrahlung von Rezidiven war in den früheren Jahren weniger
befriedigend, in den letzten 2—3 Jahren, seit wir zu der Fernfeldbestrahlung
Digitized by Goiisle
bei diesen Formen übergeganien sind, sind sie weit besser geworden. Die
Nachbestrahlung operierter Mammakarzinome hat ebenso wie die
Nachbestrahlung von. operierten Uteruskarzinomen, das Auftreten von Rezi¬
diven sehr vermindert..
Im Laufe der letzten 7 Jahre haben wir systematisch eine die Röntgen¬
tiefentherapie des Karzinoms unterstützende Methode ausgearbeitet. Die Idee
zu diesem Verfahren liegt bereits mehr als 12 Jahre zurück. Das Verfahren
besteht darin, dass auf elektrolytischem und kataphoretischem Wege Kupfer
und Kupfersalze in das zu bestrahlende Gewebe gebracht werden. Wir
nennen das Verfahren „Die Verkupferung des Karzinoms". Der Wert be¬
steht einerseits in der Entstehung der Sekundärstrahlen (Streustrahlen
Fluoreszenzstrahlen und sekundäre Betastrahlen) andererseits aber konnten
wir eine oligodynamische Wirkung des eingebrachten Kupfers feststellen. Zu
diesem Schlüsse berechtigt die auffallend rasche Verheilung bzw. Umwand¬
lung des Karzinomgewebes in normales Gewebe, die mit der Zu'satzdosts
durch die Sekundärstrahlung allein nicht erklärt werden kann.
Die Methode wird des Genaueren besprochen, ihre physikalisch
chemischen und biologischen Grundlagen erörtert. Im Lichtbilde und am
Patienten wird gezeigt, wie mit der neuen Methode behandelte Fälle in
rasche Heilung übe'-gehen, wie das Karzinom durch das Wachstum des
frischen Granulationsgewebes ersetzt wird und auch gesundes Epithel an
Stelle des wild gewucherten tritt.
v. Seuffert - München: Klinische Erfahrungen mit der Karzlnombe*
Strahlung.
Die Sicherheit der Heilung durch eine genügend verabreichte Röntgen¬
dosis bei Metropathien und Myomen ist jetzt so gross, dass das Gebiet d^r
Gegenanzeigen immer mehr zusammenschrumpft. Auch die Ischurie bei tief-
sitzenden Myomen ist heute kein Grund zur Operation! — Aussichtsvoll i|t
die Behandlune der Dysmenorrhoea idiopathica durch eine Röntgentherapie
die die Ovarialdosis nicht erreicht; dagegen wird eine zeitw'eilige Amenot-
rhöe erzielt, die nach Monaten wieder weicht und die dysmenorrhoischen
Beschwerden zum Schwinden gebracht hat. Die Furcht einer cv. späteren
Fruchtschädigung, wenn ein Ovulum aus einem so bestrahlten Ovar be¬
fruchtet werden sollte, ist durchaus grundlos! Die Münchener (D ö d e r 1 e i n)
Schule i?ibt noch eine „Trostdosis“, wenn die Menstruation nach der ersten
Serie wiederkehrt. — Pruritus wird erfolgreich mit hartgefilterten Strahlen
behandelt, v. S. neigt dazu, bei Blutungen jüngerer Frauen und Mädchw
die sog. „halbseitige Kastration“ auszuführen. — Die Erfolge bei Bestrahlung
des Gebärmuttcrhalskrebses mit Radium, Mesothorium und mit Röntgen-
Strahlen decken sich stark bestätigend mit den von Seitz und W i n t z
aus Erlangen mitgeteilten Zahlen.
F I a t a u - Nürnberg berichtet über 2 Fälle von Schwangerschaft nach
verabreichter Ovarialdosis; im ersten Fall, einem grossen Myom, trat die
Schwangerschaft nach jähriger Amenorrhoe bei einer 41jährigen I.-pa a
ein, die jedoch im 6. Monat durch den Spontanabort einer durchaus wohl
gebildeten Frucht beendet wurde. Im zweiten Fälle wurde ein mikrozephales
Kind (Aztekentyp) geboren. Doch ist bei der Unsicherheit der anamnestischen
Daten nicht mit Sicherheit zu sagen, ob nicht bei der Bestrahlung (eine
Serie) schon Schwangerschaft mit Myom bestanden hat oder ob nicht das
Kind zu früh (VII.—VIII. Mens.) geboren wurde. Fl. erwähnt noch die
Sicherheit, mit der ein gravider Uterus auf eine Kastrationsdosis mit Abortes
reagiert, was in 2 Fällen von Osteomalakie therapeutisch ausgenum wurde.
In der Aussprache meint H o f m e i c r, dass die Ausfallserschei¬
nungen nach Röntgenkastration ungleich stärker auftreten; was jedoch von
mehreren Rednern sofort bestritten wird. F 1 a t a u stellt als wichtigstes
technisches Ziel die Verabreichung der gesamten Karzinom dos is
in einer einzigen Bestrahlungsscrie auf. Er bestrahlt mit Hilfe der Dc$-
sauer-Warnekros sehen Brücke das Uteruskarzinom so, dass nach
48 ständigem Einlegen eines Radiumträgers (50 mm Radiumelement) in die
Zervix, das Becken von je 1 abdominalen und dorsalen Feld aus (30 ccm
Fokusabstand, 0,8 Kupfer, 2 MA., 200 000 Volt Spannung je 90—100 Minuten
Dauer) durchstrahlt wird und ferner noch mit 2 seitlichen Feldern (je 70 Mi¬
nuten). Wintz meint, dass zwar messtechnisch so die Karzinomdosis er¬
reicht werden kann, dass aber die Verhältnisse an der Lebenden einen
bindenden Vergleich nicht erlauben. Eine „Trostdosis“ wird von F I a t a u
und Wintz abgelehnt; da überflüssig.
A 1 b r e c h t - München erwähnt auch die Geburt eines Mikrozephalus
nach Bestrahlung einer schon Schwangeren. Er empfiehlt dringend, in solchen
Fällen lieber den Abortus einzuleiten, als die Gefahr herauszufordern, einer
Missbildung zum Leben zu verhelfen.
F 1 a t a u - Nürnberg: Eine neue Technik der tubaren SterlllslerunK.
Da mit Ausnahme der gänzlichen Entfernung beider Eileiter alle Arten der
Eileitersterilisierung mit einem hohen (6—10 Proz.) Prozentsatz von Miss¬
erfolgen begleitet sind, kam Fl. auf den Gedanken, die vom L i g. 1 a t u m
abgetrennte Tube fest zu verknoten. Die Technik ist veif-
blüffend einfach, blutleer und wenn eine Analogie mit der Ureterknotung
nach Stöckel-Kawasoye gestattet ist, auch durchaus erfolgsicher
(Erscheint im Zbl. f. Gyn.)
H o f m e 1 e r - Würzburg: Zur operativen Behandlung der weiblichen
Epispadle.
H. hat in einem besonders hartnäckigen Falle die Verwendung von
Pyramidalis-Rektus-Faszienbändern nach Goebell-Stöckel mit vollem
anatomischen und funktionellen Erfolg durchgeführt.
Nassauer - München: Findelhäuser in neuzeitlichem Ausbau.
N. gibt eine kurze Darstellung seiner den Lesern der M.m.W. bekannten
Ansichten und bringt durch den Vorsitzenden folgende Entschliessung zur
einstimmigen Annahme:
„Die bayer Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten sieht
in der staatlichen Einrichtung von neuzeitlichen Findelhäusern eine wirk¬
same Waffe zur Bekämpfung des Kindermordes an Ungeborenen.“
Weber- München: Ueber chirurgische Behandlung des Puerperalfiebers.
Die Erfahrungen W.s decken sich mit den bekannten heutigen An¬
schauungen, wie sie insbesonders K ö h 1 e r - Wien mustergültig in seiner
Arbeit (besprochen in d. Wschr. 1921 S. 51) niedergelegt hat. Die früh¬
zeitige Venenunterbindung wird empfohlen; die Laparotomie hei allgemeiner
eitriger Peritonitis abgelehnt.
Arthur M u e 11 e r - München: Die Extraktion der Schultern nach
A. M u e 11 e r.
Anstatt des Herabhplens der hfnaufgeschlagencn Arme hat M. bekanntlich
schon vor 21 Jahren die von ihm methodisch ausgebildete Extraktion des
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
25. Tebruar 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
255
Scbultergürtels empfohlen, die natursemässer und sicherer ist. M. bringt das
Verfahren, das sich langsam aber sicher Anhänger erwirbt, in Erinnerung und
erwähnt insbesonders die Resultate der Budapester Frauenklinik.
L 0 V r i c h empfiehlt auf Qrund der Erfahrung in 300 Fällen die Arthur
M u e 11 e r sehe Schulterextraktion wegen ihrer Einfachheit, Schnelligkeit und
Sicherheit für Mutter und Kind und wegen ihrer guten Wochenbettsmorbidität
als die allgemein gültige, während die Armlösung nur in Ausnahmefällen
{cmacht werden soll.
Elsen reich - München: Ueber extraperitonealen Kaiserschnitt.
E berichtet über 328 Fälle aus der Klinik Döderlein; 20 Mütter sind
gestorben; davon aber nur 9 an Infektion. Zu bemerken ist, dass % schon
untersucht zur Operation kamen und viele sogar schon fiebernd. 16 Kinder
sind tot gewesen: davon 9 an Asphyxie. Anzeichen sind enges Becken,
Weichteilschwierigkeiten, alte Erstgebärende; jugendliche Eklamptische;
Placenta praevia. Die Sicherheit des extraperitonealen Kaiserschnittes ist
so gross, dass Döderlein, Weber und Eisenreich gemeinsam über
eine Serie von 96 Fällen ohne Todesfall verfügen. Da also die Aussichten
für Mutter und Kind, insbesonders in reinen Fällen, so gute sind, kann der
Eingriff auch bei sehr grossen Kindern und enger Vagina ausgeführt werden.
In den letzten 100 Fällen ist ein Ausreissen des Bauchfells nur 10 mal ver¬
zeichnet. 13 mal wurde es absichtlich eröffnet, um sterilisierende Eingriffe
an den Eileitern ausfOhren zu können.
Döderlein - München demonstriert die Kunstfilme, die die Eröffnung
des Muttermundes bzw. des unteren Uterinsegments, die Plazentarlösung und
Ausstossung, den Mechanismus bei Beckcnendlagen so ausserordentlich
lebendig und belehrend verfolgen lassen. Ferner ein Laufbild, das den Durch¬
tritt eines Kopfes in Qesichtslage durch die Vulva zeigt (Naturaufnahme).
Gesellschaft für Natur* und Heilkunde zu Dresden.
(Vereinsamtliche Niederschrift.)
Festsitzung zur Hundertjahrfeier in der Aula der
Technischen Hochschule am 18. April 1920.
Vorsitzender: Herr P ä s s 1 e r.
Schriftführer: Herr Q r u n e r t und Herr W e m m e r s.
Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit einer Begrüssung der
üäste und weist auf die Bedeutung des T-ages und die Ziele der Gesell¬
schaft hin: „Wissen und Helfen, Helfen durch Wissen“. Es werde auch
in Zukunft das Bestreben der Gesellschaft sein, die Natur in allen ihren
Weiten und Tiefen zu erforschen und zu erkennen, urn der leidenden
Menschheit so viel als möglich zu helfen.
Herr Geheimrat Prof. Foerster überbringt die Glückwünsche des
Rektors und Senats der Technischen Hochschule zu Dresden.
Herr Qeheimrat Prof. Baum begrüsst die Gesellschaft im Namen des
Rektors und des Professorenkollegiums der Tierärztlichen Hochschule zu
Dresden,
Herr Hofrat Prof. H u e p p e im Namen der Gesellschaft „Isis“ zu
Dresden.
Herr F a u st gibt einen Rückblick auf die Zeit vor 100 Jahren, auf
die Entstehungsszeit und Gründung der Gesellschaft und den Stand der
medizinischen und der Naturwissenschaft zu jener Zeit.
Herr Scbmorl hält den Festvortrag über: Dus Geschwulstproblem
ln Uchte neuerer Forschung.
Der Vortrag erscheint ausführlich an anderer Stelle.
Der Vorsitzende gibt die Namen derjenigen Mitglieder der Gesell¬
schaft und der auswärtigen Aerzte und Gelehrten bekannt, welche die Gesell¬
schaft anlässlich der hundertjährigen Jubelfeier zu Ehrenmitgliedern und
korrespondierenden Mitgliedern zu ernennen beschlossen hat.
Herr Geheimrat Prof. Renk dankt im Namen der anwesenden neuen
Ehrenmitglieder der Gesellschaft für die erwiesene Ehrung.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 28. Juli 1920.
Vorsitzender: Herr Brapnschweig.
Schriftführer: Herr F i e 1 i t z.
Herr QI e s e: Die Verwendung psychologischer Methoden in der
Medizin.
Herr 'H S r t e I: Fall von partiellem angeborenem Riesenwuchs der
oberen Extremität.
Die angeborenen Missbildungen der Hände lassen sich in folgender
Weise gruppieren:
1. Anomalien der Zahl in querer Richtung. Polydaktylie — Syndaktylie
— Spalthand.
2. Anomalien der Zahl in der Längsrichtung. Hyperphalangie — Hypo-
phalangie — Ektrodaktylie. _
3. Anomalien der Massverhältnisse, Riesenwuchs, Zwergwuchs. Makro-
daktylie — Mikrodaktylie.
Beim Riesenwuchs muss' man wieder den wahren von dem
falschen unterscheiden: beim wahren Riesenwuchs sind sämtliche Bestand- !
teile vergrössert, beim falschen nur die Weichteile, so dass elefantiastische
Formen entstehen.
Demonstration elrtes Falles von angeborenem wahren Riesenwuchs des '
i. und 2. Fingers, nebst elefantlastischer Vergrösserung des ganzen Arms.
Herr Q i e s e. i
Besprechung; Herr Pfeifer. i
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.) j
Sitzung vom 8. Februar 1921. . 1
Herr G 1 a s s berichtet Ober eine sehr seltene Form einer traum^tls'*»’ei*
Pseadofaemle des M. blceps; nach einer sehr starken Kontraktion des Muskels
waren seine beiden Bäuche auseintfndergetrieben und bei Benutzung des l
Muskels trat der M. brachialis intern, als Wulst, zwischen ihnen
hervor. Operative Heilung.
Herr Q 0111 n g empfiehlt zur Blutstillung die intravenöse Injektion von
10ccm einer 10proz. Kalziumlösung in 3proz. Gummi arabicum.
Sie verbindet die schnell eintretende Wirkung des Kalks mit der anhaltenden
der Gelatine; die Verkürzung der Oerinnungszeit steigt rasch auf 43 Proz.
und im Laufe von 8 Stunden noch weiter auf 45 Proz. Oute praktische Erfolge.
Herr Regler bespricht an Hand eines Falles die Schwierigkeit der
Erkennung einer lymphogeden Mlllarkarzlnose der Lungen gegenüber der
Miliartuberkulose. In dem fraglichen Fall, bei dem ein kleines Karzinom der
kleinen Magenkurvatur gänzlich symptomlos verlaufen war, liess auch die
Röntgenuntersuchung im Stich, die ein Bild ergab, das zwar nicht
ganz dem der Miliartuberkulose der Lungen, wohl aber dem der lymphogenen
disseminierten Tuberkulose entsprach.
Herr Z u n t z berichtet Ober gute Erfolge der Kalktherapie (Calcan) bei
chronischen Diarrhöen auf nervöser Grundlage. Demonstration von zwei
Patienten, deren einer basedowoide Symptome bot und 8 Jahre lang an
Durchfällen gelitten hatte.
Herr S I m m o n d s zeigt Röntgenbilder von Fällen multipler Myelome.
Nach seinen Erfahrungen sind Plasmazytome weitaus die häufigste Form.
Vortrag des Herrn KU m mell: Ueber Diagnose sowie seltene Beglelt-
und Folgeerscheinungen der Appendizitis.
Vortr. beleuchtet die SeWierigkeiten der Erkennung der chronischen
Appendizitis. Zwei Punkte verschleiern besonders das Bild: die Lage der
Druckpunkte und der Magenschmer 2 . Was erstere betrifft, so
fand K. in Fällen, wo der Mac Burney sehe und der L a n z sehe Punkt
unempfindlich waren, mit grosser Regelmässigkeit einen Punkt
kurz rechts unten vom Nabel druckempfindlich. Bei Vorliegen
dieses Druckpunktes deckte die Operation regelmässig einen kranken
Wurmfortsatz auf. Für die Entstehung des Druckpunktes in der Magengegend
ist Fortleitung auf dem Wege des Sympathikus verantwortlich zu machen.
Die Appendizitis beginnt schon in der Kindheit. Viele Fälle von „Nabel-
k o 1 i k“ der Kinder sind durch sie bedingt. Ist in solchen Fällen der
K 0 m m e 11 sehe Punkt druckempfindlich, so soll man operieren, ohne einen
akuten Anfall abzuwarten. Nicht selten ist eine Pyelitis durch Appen¬
dizitis bedingt und kann durch Appendektomie geheilt werden. Das gleiche
gilt in der Regel für die bei Appendizitis aüftretende Hämaturie, die
stets einer infektiösen hämorrhagischen Nephritis ihre Entstehung verdankt.
Die meist am 8.—9. Tage nach Appendektomie auf tretenden Darm¬
blutungen sind nach K.s Erfahrungen durch Ulcus duodeni als
Folgekrankheit der Appendizitis bedingt.
Besprechung: Herr Schmilinsky: Umgekehrt wie bei dem
Magenschmerz bei Appendizitis wird der Schmerz bei Mag-in- und Duodenal-
ulcus oft in die Blinddarmgegend verlegt und fälschlich zur Operation ge¬
schritten. Schm, legt daher auf die Druckpunkte wenig Wert. In zweifel¬
haften Fällen soll man einen medianen Laparotomieschnitt anlegen.
Herr D r e i f u s s fand bei Nachprüfung den K ü m m e 11 sehen Druck¬
punkt mehrfach als diagnostisch wertvoll bewährt.
Herr R ö p e r warnt vor Verwechslung mit dem bei Neuropathen und
auch Gesunden so oft empfindlichen Paraumbilikalpunkt.
Herr Grube weist auf die oft gleichzeitig bestehende Pyosalpinx hin.
Herr H ö n c k fand bei Appendizitis die oberen Sakralwirbel druck¬
empfindlich.
Herr Allard: 75 Proz. der Fälle von UJeus duodeni waren bereits
appendektomiert; um bei Prüfung der Druckpunkte ihre Lokalisation in den
Bauchdecken auszuschliessen, muss bei gespannten Bauchdecken — am im
Bett sitzenden Patienten — nachgeprüft werden;
Herr David: Bei verschiedenen Untersuchungen regelmässig sich
findende Druckpunkte sind stets verwertbar. Bei Kindern schützt Beob-
I achtung der Reaktion vor Suggestionswirkung.
Herr Oehlecker: Bei den Attacken der Kinder sind Kotballen
in der Appendix oft die Ursache.
Herr Rino^el: Man soll lieber zu oft operieren als riskieren, dass ein
Patient fern von ärztlicher Hilfe einen akuten Anfall bekommt. Bei Kindern
ist oft die Differentialdiagnose gegenüber Hirschsprung scher Krankheit.
Meckel schem Divertikel u. a. schwierig.
Herr Grüneberg: Sicher beruht nur ein kleiner Teil der Nabcl-
koliken der Kinder auf Appendizitis.
Herr 0 u e r n e r empfiehlt zur Unterscheidung von Erkrankungen der
Gallenblase die Untersuchung des Serums auf G a 11 e n f a r b s t o f f.
Herr K ü m m e 11 (Schlusswort). Fr. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 27. Januar 1921.
Herr Llnzenmeier: Wetter und Eklampsie.
Wenn man Beziehungen zwischen Wetter und Eklampsie nachweisen
will, ist es notwendig, dass verschiedene Vorbedingungen für eine statistische
Beweisführung erfüllt sind. 1. Die Zahl der Fälle muss möglichst gross sein.
2. Es muss ein engbegrenzter Landkomplex gewählt werden, der die Gewähr
gibt, dass alle seine Bewohner unter dem gleichen Einfluss der Witterung
stehen. 3. ^Alle Daten der Meteorologie müssen ausgenutzt werden.
Verfasser fand diese Bedingung für Berlin in fast idealer Weise erfüllt.
Ein Vergleich von Wetter- und Eklampsiehäufigkeit für 1912 und 1913 In
Berlin ergab folgendes: Im Herbst bis Dezember und Frühjahr (April/
Mai) sind es besonders die Tage mit nasskaltem Wetter und Nordwestwind,
die mit einer Häufung von Eklampsib zusammenfallen. Nach der Wetterkarte
waren dann kritische Tage für Berlin, wenn ein „Tief“ über Berlin oder nahe
an Berlin rasch vorüberzieht, oder wenn Berlin mitten zwiscb<*n zwei „Tief“
zu liegen kommt. Im Sommer kommt eine ganz andere Wetterlage in Frage:
Hohe Temperatur und mit Wasserd;unpf fast gesättigte Luft, die sog. Gewitter¬
schwüle. Das Zusammentreffen der beiden Wettertypen mit Eklanisie*
häufungen war so regelmässig, dass ein blosser Zufall ausgeschlossen werden
kann. Verfasser nimmt an, dass das Wetter als auslösendes oder disponie¬
rendes Moment für den Ausbruch der Eklampsie angesehen werden kann.
Diskussion: Herren Bürger, Bauercisen. Schade, Frey
Gärtner, Jores, Linzenmeier.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nt. S.
306
Herr B n g g e: Impf nagen bei der Maul- und Khmensenche.
Versuche, gesunde Rinder durch aktive Immunisierung gegen die Maul¬
und Klauenseuche zu schützen, führten nicht zu praktisch verwertbaren
Ergebnissen, dagegen gelang es durch grössere Mengen hochwertigen Serums
einen leichten Krankheitsverlauf herbeizuführen. 1920 trat die Seuche zu¬
nächst in Süddeutschland äusserst bösartig auf. so dass in vielen Beständen
50—80 Proz. der ergriffenen Tiere eingingen. Chemische Mittel brachten be¬
friedigende Ergebnisse. Später impfte man die erkrankten Tiere mit Serum
oder Blut von 2 —3 Wochen vorher durchseuchten Rindern mit 300—400 ccm
und steckte die gesunden in den Herden an. Im Sommer impfte Referent in
Schleswig-Holstein mit Blut und stellte bald ein konserviertes haltbares
Serum her. Blut lässt sich nur 24—36 Stunden verwenden. Zur Scrum-
herstellung benutzte er Alfa-Separatoren und erhielt aus dem defibrinierten
Blute bis 65 Proz. Serum. Die Impfmenge konnte auf 12 ccm pro Zentner
herabgesetzt werden, Ferkel und Kälber erhielten die 2—3 fache Menge,
schon erkrankte Tiere 25 Proz. mehr. Mit ca. 1500 Liter Serum und Blut
sind 20—25 000 Rinder, Kälber, Schweine, Ziegen mit einem Verlust von
0,2—3 Proz. geimpft worden. Das Ergebnis der Impfung ist sehr befriedigend
und sind dadurch der Landwirtschaft und dem Volksvermögen Werte von
vielen Millionen und der Fleisch- und Milchversorgung Deutschlands nicht zu
ersetzende Werte erhalten worden.
Herr Pan Isen: Domestikationserscheinungen beim Menschen.
Zu kurzer Wiedergabe nicht geeignet. E.m m e r i c h - Kiel.
Medizinische Geseilechafl zu Leipzig.
(Offtzielle, Protokoll.)
Sitzung vom 13. Juli 1920.
Vorsitzender: Herr Bahr dt.
Schriftführer: Herr Hueb^chmann.
Herr Payr be.spricht
1. ein Verfahren zur Behandlung der FazIalislShmung durch Einpflanzen
von fächerartig aufgeschnittener Faszie in das Fazialisgebiet und in den
Musculus temporalis und macht Bemerkungen über das Wesen der Faszien¬
transplantation.
2. Demonstration eines Mannes, dem der Daumen durch die grosse Zehe
ersetzt wurde und bei dem zu gleicher Zelt eine Rindenepilepsie durch
Operation geheilt wurde.
Herr Herzog demonstriert den Uterns einer 72 lährigen Nullipara, der
durch eine diffuse karzinomatöse, mikroskopisch strangförmige oder mehr
adenomatöse, zum grossen Teil nekrotisch gewordene Infiltration die Qrösse
einer frisch puerperalen Gebärmutter angenommen hat. In anderen Organen
fehlen Geschwulstbildungen.
Herr Schweitzer: Die letzten Fortschritte ln der operativen Be¬
handlung des Uteruskarzinoms und die Strahlenbehandlung.
Unbestreitbar bedeutet die erweiterte abdominale Methode (Rumpf-
W e r t h e 1 m) den grössten Fortschritt in der Entwicklung der Karzinom¬
operation. Sie führt den Kampf gegen das drohende Rezidiv am erfolg¬
reichsten. Der Kampf gegen die Sepsis zur Erhöhung der Lebenssicherheit
der Operation war von vielen Operateuren aufgehommen; doch vermoch-
•ten die zahlreichen Vorschläge nur in geringem Masse eine Herabsetzupg
der primären Mortalität zu bringen
Zweifel hat 1909 die sog. Extraperitonisierung des Uterus
als ein Verfahren ausgearbeitet, welches als Ziel verfolgt die Einschrän¬
kung der postoperativen Peritonitis und Pyelonephri¬
tis. Er hat zu der von W e r t h e i m schon früher vorgeschlagenen Ver¬
senkung des Uterus unter ein Peritonealdach vor der vaginalen Exstirpation
noch die Blasenraffnaht hinzugefügt. Dadurch wird eine Uebertragung der am
Karzinomherd sitzenden pyogenen Keime auf das Peritoneum vollkommen ver¬
mieden und ferner die postoperative Zystitis als Ursprung der nicht so
selten tödlichen Pyelitis durch das Fördern des sofortigen Spontanurinierens
und das Ausschalten der Harnblase aus der Beckenwunde ausserordentlich
selten gemacht.
Die statistische Bearbeitung der 322 Fälle von Extraperitonisierung von
1910 bis 1920 zeigt den tatsächlichen Gewinn.
Während früher bei der Operation des Collumkarzino ms nach
Wertheim die primäre Mortalität 14 Proz. betrug, ist sie d e t z t
auf 5 Proz. herabgedrückt.
Die Peritonitissterblichkeit ist letzt 1 Proz., während sie
früher allerniedrigst 4—5 Proz. war. Nur die Fälle sterben noch an Bauch¬
fellentzündung, wo bereits in Drüsen oder Pararaetrien pyogene Keime ein¬
getragen sind.
Auch der zweite Zweck der Operation nach Wertheim-Zweifel
Ist erreicht, indem die postoperative Zystitis auf die ungemein niedrige Zahl
von 8 Proz. reduziert ist.
Den überaus günstigen primären Resultaten lassen sich ebenso günstige
Dauerfolge anreihen.
Did Nachforschungen und Nachuntersuchungen der 177 Fälle, welche
länger als 5 Jahre post operationem zurückliegen, ergeben eine Dauer-
h e i I u n g für die Frauen, welche die Operation überstanden haben, von
rund 55 Proz. (nach Winter) und, wenn wir die Operatlonstodesfälle
nicht abziehen, eine relative Heilung von 51 Proz.
Auch die absolute Heilung, welche angibt, wieviele Kollum-
karzinome bei Berücksichtigung aller die Klinik oder Poliklinik aufsuchender
Karzinomkranker durch diese Operation dauernd geheilt werden können, zeigt
ebenfalls eine Besserung der früheren Resultate, indem sie rund 25 Proz.
(ohne Abzug) beträgt.
Die Resultate bei den Korpuskarzinomen, welche dieselbe Operations¬
methode zeitigte, sind ebenfalls überaus günstig. Bei einer primären Mor¬
talität von 2,4 Proz. haben wir eine Dauerheilung von 86 (nach Winter)
bzw. 80 Proz. und eine absolute Heilung von 75 Proz.
Die Extraperitonisierung verbindet die Vorzüge der abdominalen mit
denen der vaginalen Operation und umgeht deren Nachteile. Sie bietet
grösste Radikalität bei grösster Lebenssicherheit und
bedeutet so einen wesentlichen, vielleicht allerdings letztmöglichen Fort¬
schritt in der Entwicklung der Karzinon-operation.
Die Strahlentherapie wurde in der Leipziger Klinik hauptsächlich
zur Behandlung inoperabler und nur ausnahmsweise operabler Kollumkarzi-
iiome herangezogen.
•Die primären Resultate, welche mit Mesothorium bzw. Radium
Digitized by Goi-isle
erzielt wurden, waren immer wieder überraschend gut. Doch gelang die
Durchführung der Behandlung bis zur primären Heilung bei inoperablen Fällen
nur in etwa 32 Proz,, bei operablen in 75 Proz., da ein Teil der Kranken sich
der Weiterbehandlung zu entziehen pflegt, im anderen Teil der Fälle infolge
Auftretens von Komplikationen die Behandlung abgebrochen werden muss. Es
gibt auch eine primäre Mortalität der Strahlentherapie.
Die Dauerheilung ist, wenn wir der Forderung der mindestens
5 Jahre fortgesetzten Beobachtung genügen, für die inoperablen KoUum-
karzinomc. doch insofern befriedigend, als doch fast 5 Proz. dauernd
geheilt werden, Fälle, welche in der ausschliesslich operativen Aera alle
heute nicht mehr lebten. Bei operablen Fällen werden wir bei aus¬
schliesslicher Mesothoriumbestrahlung etwas enttäuscht, da wir nur
25 Proz. (statt über 50 Proz. bei Operation) zur Dauerheilung bringen.
Die Beobachtung, dass un vollkommen operierte Fälle, bei
welchen grössere Karzinomreste zurückgeblieben sind, durch Meso¬
thorium nachträglich dauernd geheilt wurden, lässt diese
„ergänzende“^ Nachbestrahlung warm empfehlen.
Der Standpunkt der gemischten Th e r a p i e in der Karzinom-
behandlung, den wir bis heute haben gelten lassen, hat uns für das Jahr 1914,
in dem wir mit den Bestrahlungen anfingen und das für die echte Dauer¬
heilung in Frage kommt, eine absolute Totalheilung aller in diesem
Jahr gesehener Kollunikarzinome gebracht von 31 Proz., eine Zahl, welche
durch keine Methode der alleinigen Strahlentherapie an gleichlang beobachte¬
tem Material erreicht, von anderer Seite mitgeteilt werden konnte.
Eine wesentliche, weitere Verbesserung der operativen Resultate ver¬
sprechen wir uns von der prinzipiellen „prophylaktischen" Nach¬
bestrahlung, die wir in den hier gestreiften Fällen noch nicht zur An¬
wendung gebracht haben. Dass insbesondere die Röntgenstrahlen viel
grössere, noch nicht zu überschauende Aussichten geben für eine wirksame
Bekämpfung des Karzinoms als die radioaktiven Substanzen ist zweifellos.
Die Qross-Feldbestrahlung, auf kürzest mögliche Zeit beschränkt, erscheint
mir die erstrebenswerte Methode.
Wir hoffen weiter noch auf Unterstützung durch Sensibilisierungsmög¬
lichkeit der Karzinomzelle zum besseren Schutze des gesunden Gewebes, wir
hoffen auf praktisch leicht verwendbare Messeinrichtung und auf weitere Ver¬
besserung der Röntgenapparatur, die uns nur der Physiker geben kann.
Viele bemerkenswerte Einzelheiten des Vortrags blieben in diesem Referat
unberücksichtigt und werden an anderer Stelle ausführlich mitgeteilt werden.
* Diskussion: Herr Zweifel: Die Herren Kollegen werden sich
vielleicht noch der Sitzung dieser Gesellschaft vom Jahre 1914 erinnern. In
der unser Standpunkt über die Bestrahlungsbehandlung angegeben wurde,
bei welcher Gelegenheit, trotz aller Anerkennung für die Wirksamkeit dieses
neuen Verfahrens, doch daran festgehaljen wuide, dass vorerst die Operation
der Krebse das aussichtsvollere Verfahren sei und wir, wo eine radikale
Operation noch durchführbar ist, diese ausführen und die Mesothorium¬
behandlung für Fälle, in denen die Operation durch Komplikationen von
seiten des Herzens und der Nieren u. dergl. ausgeschlossen ist. und zur
Nachbehandlung gegen etwa zurückgebliebene Krebsnester Vorbehalten wollen.
Diese Grundsätze haben wir die 6 Jahre lang befolgt und die Ergebnisse
sind so. dass wir diesen zurückhaltenden Standpunkt nicht zu bereuen
brauchen. Erstens sind die Ergebnisse der Operation gerade in bezug auf
die Primärerfolge so günstig, dass sie sehr für die von uns angewandte Ex¬
traperitonisierung sprechen und die Danerheilungsziffern von Herrn
Schweitzer fielen so günstig aus. dass sie uns zum Festhalten dieser
Grundsätze ermuntern. Andererseits muss anerkannt werden,' dass die zwei
Fälle, in denen wegen Undurchführbarkeit der Operation Reste des Kar-
zinoms z u r ü c k e e l a s s e n werden mussten und die nach
einer kräftig d u r c h g c f ü h r t e n Strahlenbehandlung
Jetzt, nach 5 Jahren, noch völlig rezidivfrei sind, das
sicherste Zeugnis für die grossartige Wirksamkeit
des Mesothoriums ablege n.
Das Gesamtergebnis berechtigt zu dem Schlüsse, dass man nicht einseitig
die Losung aufstellen soll. Operation oder Strahlenbehandlung, sondern
Operation und Strahlenbehandlung.
Unsere Ergebnisse beziehen sich ausschliesslich auf die Metallstrahlen,
weil wir vor 6 Jahren noch nicht Röntgenapparate gegen Karzinome an¬
wandten und darüber bisher keine Erfahrungen besitzen. Die bedeutsamen
Erfolge der Kollegen S e i t z und W i n t z in Erlangen mit dem neuen
Symmetrieapparat bestimmen uns, auch mit dieser Behandlung gegen den
Krebs vorzugehen. Sie hat den Vorteil, in kürzerer Zeit und vielleicht auch
tiefer wirkend die Strahlenbehandlung auszufOhren.
Radium- wie Röntgenstrahlen haben zerstörende Eigenschaften, ja ver¬
mögen mit den n- und ß-Strahlen unmittelbar zu verbrennen. Sie erinnern
an gelegentliche Wunderkuren mit übermässiger Verschorfung, wo in der Ver¬
gangenheit ausnahmsweise ein Karzinom völlig ausgetilgt wurde.' Und sie
erinnern an Fälle, bei denen Eiterungen über Karzinome hinwegzogen die
eine merkwürdige Besserung des Krebses bewirkten, so dass die Krankheit
1—2 Jahre lang völlig geheilt erschien. Aber diese Fälle wurden später
— in einem erinnere ich mich erst nach 4 Jahren — doch rückfällig und
ie Kranken starben am weiterschreitenden Krebs. Diese Verzögerung im
erlauf der Krankheit ist ein Umstand, welcher allein der Strahlenbehandlung
zugute kommt, und es notwendig macht, mit dem Ausspruch der Dauer¬
heilung noch zurückhaltender zu sein, als bei den Operationen. Und selbst
bei diesen hat Herr Schweitzer noch zwei Rezidive im 6. und 7. Jahr
gefunden.
Herr B r e t s c h n c i d e r hat die Methode der Peritonisierung
nach der Methode Zweifel noch nicht ausprobiert; die mit dieser
Methode erreichten Erfolge können jedenfalls zur Nachahmung ' an¬
spornen. Aus den Ausführungen des Herrn Vortragenden geht hervor, dass
in der hiesigen Universitäts-Frauenklinik die operablen Karzinome noch prin¬
zipeil operiert werden, während die Bestrahlungsmethode den inoperablen
vorzubehaltcn zu bleiben scheint. Trotzdem eine Anzahl führender Männer
in der Gynäkologie alle Karzinome, also auch die gut operablen, grundsätzlich
bestrahlen und man ihnen auf Grund ihrer Resultate und der ihnen zu Gebote
stehenden Hilfsmittel das Recht zu einem derartigen Vorgehen nicht mehr
absprechen kann, muss dennoch für die Allgemeinheit vorläufig noch der
Grundsatz Gültigkeit haben, dass alle operablen Karzinome zu operieren sind
und dass die Strahlentherapie nur für die inoperablen und als sogen, prophy¬
laktische Nachhestrahlung zur Anwendung kommen soll. Die Bestrahlungs¬
methode ist jedenfalls noch nicht so weit ausgebaut bzw. soweit in der Ent¬
wicklung vorgeschritten, dass sie überall mit Sicherheit dieselben oder bessere
Erfolge garantiert wie die operativen Methoden. Da aber bereits einzeTne
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
35. Februar 1921 .
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHl^lFT.
257
Strahlentherapeuten in der Gynäkologie mit der Bestrahlung annähernd die¬
selben Erfolge erzielen wie mit der früher von ihnen geübten Operation, so
liegt es sehr nahe, dass mit dem weiteren Ausbau der Strahlentherapie die
Frage: Operieren oder bestrahlen? zugunsten der Strahlentherapie entschieden
werden wird. Zwar dürfte die Bestrahlung mit radioaktiven Substanzen am
Ende der Entwicklung sein, und wenn sie auch das nicht gehalten hat, was
viele von ihr erwartet haben und wie man nach ihren verblüffenden Anfangs¬
erfolgen zu erwarten berechtigt war, so dürfte doch das Radium (bzw.
Mesothorium) dauernd seinen Platz in der Behandlung der inoperablen Uterus¬
karzinome beibehalten und auch mit der Kombination mit Röntgenstrahlen
kaum entbehrlich werden. Was nun aber die Röntgentiefentherapie und alle
diejenigen Methoden anbetrifft, die darauf liinauslaufen, die Karzinomzelle
radioseiisibler zu machen, die gesunde Gewebszelle bzw. den ganzen Organis¬
mus im Kampfe gegen das Karzinom zu unterstützen (intra- bzw. para-
tumora^e, intravenöse Injektionen, Bluttransfusion etc.), so befinden wir uns
hier noch mitten in der Entwicklung, ja wie manche behaupten erst am An¬
fang. Hier sind noch verschiedene Probleme zu lösen, die der Bestrahlung
sicher noch zugute kommen. Erst dann, wenn dies geschehen, wenn die
Strahlentherapie am Ende ihrer Entwicklung' angekommen und genügend
ausprobiert ist, wird sich entscheiden lassen, ob die weiblichen Genital¬
karzinome besser operiert oder bestrahlt werden. Soviel lässt sich aber
schon jetzt mit Sicherheit sagen, dass die Strahlentherapie nun und nimmer¬
mehr wieder aus den Behandlungsmethoden der Genitalkarzinome ver¬
schwinden wird, da sie ja schon jetzt in vielen fällen mehr geleistet hat
als die operativen Methoden. Das beweisen die zahlreichen und auch schon
reichlich lange genug nachbeobachteten fälle von D a u er¬
be i I u n g e n inoperabler Karzinome und solcher Fälle, von denen der Herr
Vortragende zwei anführt, nämlich solcher, wo bei der versuchten Radikal¬
operation sicher Karzinomreste zurückblieben und die dann durch Strahlen¬
behandlung doch noch zur Dauerheilung gebracht werden konnten.
Diese letzteren Beobachtungen führen ferner mit dringender Notwendigkeit
dazu, die sogefn. prophylaktische Nachbestiahlung nach radikalen Karzinom¬
operationen grundsätzlich zu fordern. Der Dauerheilungsprozentsatz der
durch die radikale Operation vorläufig geheilten* Karzinomkranken kann, wie
Schäfer auf dem letzten Gynäkologenkongress statistisch einwandfrei
nachgewiesen hat, durch die Nachbestrahlung um 50 Proz. verbessert werden.
Unter Hinweis auf seine eigenen, vor ca. 1 Jahre in der Gynäkol. Gesellschaft
in Leipzig mitgeteilten Resultate fasst B. seinen Standpunkt nochmals kurz
dahin zusammen, dass man der Aerzteschaft und dem Publikum gegenüber
daran festhalten müsse, operable Genitalkarzinome auch weiterhin noch zu
operieren und die Strahlenbehandlung nur bei der Behandlung der inoperablen
Karzinome und als sog. prophylaktische Nachbestfahlung (Verabreichung der
Karzinomdosis!) in ausgiebigster Weise in Anwendung zu bringen, jedenfalls
sei es verfehlt, schon jetzt aus dem Vergleich der Resultate beider Methoden
allgemein gültige Schlüsse zu ziehen, da die Bestrahlungsmethode sozusagen
noch in den Kinderschuhen stecke, während die operative Methode, wie der
Herr Vortr. ganz richtig bemerkt habe, wohl kaum noch yerbesserungsfähig
sein dürfte.
Herr Sievers teilt im Anschluss an die Ausführungen des Vortragen¬
den über die Gefahr der Peritonitis nach der W e r t h e i m sehen Radikal¬
operation einen operativen Vorschlag mit, dem er selbst in 2 Fällen im Jahre
1918 gefolgt ist: nach sorgfältiger Desinfektion des Vaginalrohrs wird die
Scheide quer zirkulär durchtrennt, der zentrale Stumpf über einen auf dhs
Karzinom gelegten antiseptischen Tupfer sackartig zusammengezogen und
schichtweise sorgfältig vernäht. Darauf verschliesst man in gleicher Weise
den peripheren Stumpf, so dass bei der nun folgenden abdominellen Uterus¬
exstirpation ein zuverlässiger Abschluss des infektiösen Scheidenlumens vor¬
liegt, eine Berührung des Bauchfells mit ihm ausgeschlossen ist. Die an die
Durchtrennung der Vagina angeschlossene Auslösung derselben erleichtert
gleichzeitig ihre Auffindung vom Bauche aus bei Verwachsungen. Die vofl-
ständige abdominelle Durchführbarkeit des Wertheim im Anschluss an die
vorgeschlagene Massnahme erscheint dem Diskussionsredner ein beachtens¬
werter Vorteil gegenüber dem in der Zweifel sehen Klinik geübten Peri¬
tonealisierungsverfahren.
Herr L i 11 a u e r: Dass die Zweifel sehe Klinik .bei ihren Operationen
der Uteruskarzinome die allerbesten Resultate hat, wird allgemein zugegeben.
Bei den schönen Erfolgen der Operationen erklärt sich auch, dass an der
hiesigen Klinik die Strahlentherapie anscheinend mit weniger Liebe betrieben
wird, wie die Behandlung mit dem Messer. Sonst wäre es kaum zu ver¬
stehen, dass von 41 Patientinnen des Herrn Prof. Schweitzer 10 sich
der Strahlenbehandlung entzogen haben und bei 14 diese Therapie dicht zum
Ende geführt wurde. Um so mehr fällt ins Gewicht, dass sich unter den
übrig gebliebenen 17 mit Mesothorium behandelten Frauen zwei befinden,
die als inoperabel bezeichnet und doch durch die Strahlentherapie voll¬
kommen geheilt worden sind. Eigentümlich muss es uns erscheinen, dass die
Resultate, der ausschliesslich oder vorzugsweise operativ behandelnden Gynäko¬
logen ungefähr dieselben sind, wie die Resultate der Strahlentherapeuten,
gleichgültig, ob sie mit Radium, mit Röntgenstrahlen oder mit beidem be-,
handeln. Während aber die operative Technik allem Anschein nach die
Höchstgrenze des Erfolges bereits erreicht hat, ist die Strahlentherapie
noch in der Entwicklung begriffen. Wenn sich durch Verbesserung der
Röntgenapparate oder der Röhren eine Steigerung der Wirksamkeit um
10 Proz. erzielen lässt, dann werden wir so weit sein, dass wir mit der
Zweifelderbestrahlung überall ins Becken die .HED. 110 hineinbekommen,
welche genügt, um alle Karzinomzellen abzutöten. Dieser Methode gehört
sicher die Zukunft.
Herr Thies: Zum Beweis der Wirksamkeit der Strahlentherapie wird
immer darauf hingewiesen, dass von den inoperablen Karzinomen 5 bis
H Proz. durch Strahlenbehandlung geheilt sein sollen. Es fehlt aber die
Beweisführung, dass diese Fälle in der Tat inoperabel gewesen sind. Auch
nichtkarzinomatöse Prozesse im Becken können die Inoperabilität. Vor¬
täuschen. Wenn der Schluss beweisend sein soll, dass durch Radium- und
Röntgenbestrahlung 5—8 Proz. inoperabler Karzinome geheilt sind,-»ist vor
der Bestrahlung Feststellung des abdominellen Befundes durch Laparotomie
notw'endig. Als beweisend könnten die 2 von Herrn Schweitzer ange¬
führten Fälle, in denen die Operation abgebrochen wurde, gelten.
Ich habe in der Zeit von 1911 bis Juli 1914 sämtliche Karzinomfälle, die
zu mir in Behandlung kamen, operiert bis auf.2 vollständig inoperabele.
ln 6 Fällen habe ich die Blase reseziert und die Ureteren in die gebildete
Rektumblase eingepflanzt. Von diesen Fällen waren einer über 3 Jahre am
Leben, ein zweiter über 5 Jahre (diese Patientin ging während des Krieges an
Unterernährung und Lungentuberkulose zu Grunde, sie wurde 1912 in der
hiesigen Gesellschaft vorgestellt). Ein weiterer Fall mit Resektion eines
Teiles der Harnblase ist jetzt noch frei von Rezidiv. Das würden also auf
7 Fälle von absoluter Inoperabilität 2 Dauerheilungen sein.
Die Bestrahlung mit Radium garantiert bislang keine Einschmelzung
und Heilung von entfernt sitzenden Metastasen. Erst kürzlich operierte ich
eine Patientin, bei der durch Radiumbestrahlung die lokalen Prozesse im
Uterus zurückgebildet waren, aber an der Teilungsstelle der lliaca und Hypo¬
gastrica und höher sassen Metastasen, die breit und fest dem Becken und den
Gefässen aufsassen. Der Uterus wurde entfernt, die Drüsen sollen mit Röntgen¬
strahlen behandelt werden. M. E. ist die Radiumbestrahlung nicht genügend weit¬
reichend, sobald das Karzinom über den Uterus hinausgreift. Es entstehen
später dann Rezidive. Aüch die Röntgenbehandlung ergibt bis jetzt derartige
Resultate, dass wir die Indikation zur Operation nicht einschränken sollen,
sondern diese ist so weit wie möglich auszudehnen, die Operation soll nicht
an den benachbarten Organen Halt machen.
Herr Schweitzer (Schlusswort): Was den Operatiousvorschlag des
Herrn Sievers betritt, so hat er bereits Vorläufer In Methoden, wie sie
B u m m eine Zeitlang übte und ich sie bei r a u r e in Paris sah. Die
Bildung auch eines unteren Scheidenblindsackes vor dem abdominalen Teil
der Operation dürfte den Abfluss des zwischen der Karzinomhaube und dem
unteren Scheidenabschluss sich ansammelnden Sekretes verhindern und so
die Möglichkeit der Infektion doch nicht ganz ausschalten.
Bei der Diagnose der Inoperablität eines Falles wird man, wie Herr
Thies betont, stets im Bewusstsein der grossen Verantwortung nicht allein
auf Grund klinischer Untersuchung, sondern erst nach direktem Versuch der
Operation, also mindestens erst nach Incisio probatoria die Entscheidung tref¬
fen, die uns auch über den anatomischen Charakter der erwarteten Infil¬
tration oder die Ursache der erkannten Unbeweglichkeit besser aufklärt und
manchen Fall noch operabel macht.
Bei der ausschliesslichen Strahlentherapie haben wir über die tatsächliche
Ausbreitung des Karzinoms keine Kontrolle mehr. Es ist deshalb immer die
absolute Gösamtleistung anzugeben, wenn man sich trägt, ob die eine oder
andere Behandlung besser ist.
Auch wir haben, wie Herr L i 11 a u e r, uns der Erfolge bei inoperablen
Fällen gefreut, die aber oft nur Augenblickserfolge sind. Auch wir sehen,
wie ich schon 1914 in der hiesigen Gesellschaft betont habe, in der Be¬
strahlung der inoperablen Fälle eine wertvolle Bereicherung der Therapie,
die wir nicht mehr entbehren möchten. Dass man aber selbst bei grösstem
Aufwand von Liebe zur Sache an dem Material einer öffentlichen Klinik nicht
so dankbare Erfolge erzielen kann als an dem doch wesentlich günstigeren
Material einer Privatklinik, dürfte klar sein. Insbesondere ist die Herrn
L i 11 a u e r auffallende Beobachtung, dass ein nicht kleiner Prozentsatz
an Bestrahlungsfällen sich bald der Behandlung entzieht, eine allgemein mit¬
geteilte und beklagte Erscheinung,, die selbstverständlich die Resultate der
Strahlentherapie immer trüben wird, solange sie nicht mit einer Serie
heilt. Entweder ist es die unangenehme Ueberanstrengung durch die Be¬
strahlung oder die Heilungstäuschung, welche die Frauen von weiteren Be¬
strahlungen zurückhält.
Die von Herrn Bretschneider aufgeworfene Frage, bestrahlen oder
operieren, möchte ich heute einfach so beantworten: Wer mit seinem Ope¬
rieren schlechtere Resultate hat als mit seinem Bestrahlen, der möge be¬
strahlen und umgekehrt.. Sa wird jeder zur Karzinomheilung sein Möglichstes
beitragen.
Berliner medizinieche GeeellschafL
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. Februar 1921.
Demonstration vor der Tagesordnung:
Herr R. Cass 1 erer und Herr F. Krause: Frühdiagnose einer lials-
markgeschwulst. Operation. Heilung.
beit 4 Jahren bestanden bei der Patientin zunehmende Schmerzen, die
vom Nacken nach dem rechten Bein und linken Arm ausstrahlten. Der neuro¬
logische Befund ist in der Originalmitteilung nachzulesen. Es wurde ein
Tumor extramedullär in der Höhe des 8. Zervikalsegraentes angenommen.
Bei der Operation sass der Tumor auf der Vorderseite des Rückenmarks,
etwas höher wie angenommen; es wurde der 4. bis 7. Halswirbelbogen ent¬
fernt. ;Die Entfernung des an der Vorderseite des Rückenmarks sitzenden
Fibrosarkom führte zur völligen Heilung.
Tagesordnung:
Herr A. Federmann: Beiträge zur Pathologie und Therapie des
Magengeschwürs.
Vortr. hat 90 Fälle von Magen- und Duodenalgeschwüren operiert. Nach
seinen Erfahrungen ist die hämorrhagische Erosion ein Vorstadium des echten
Ulcus, das daraus unter besonderen anatomischen und chemischen Bedingungen
entsteht.
Für Operationen kommen nur schwere Fälle von Ulcus in Betracht,
nachdem innere Behandlung erfolglos angewandt worden ist. Irh Stadium
einer Blutung selbst soll nur ausnahmsweise eine Operation ausgeführt wer¬
den, wohl aber nach überstandener Blutung. Die hintere Gastroenterostomie
(am erfolgreichsten bei abgelaufenen Prozessen in der Nähe des Pylorus), die
Querresektion und die Resektion des Pylorus, die besonders bei noch floriden
Prozessen, ebenso bei Prozessen an der kleinen Kurvatur vorzuzichen sind.
Vortr. hat bei 54 Gastroenterostomien 3, nach 22 Resektionen 3, und bei
14 anderen Magenoperationen keinen Todesfall.
Aussprache: Herr E. U n g e r: Er hat 68 Operationen vorgenommen.
Nach Querresektionen, die überhaupt bessere Resultate geben, als die Gastro¬
enterostomie, sah er nach Monaten und Jahren die Hyperazidität ver¬
schwinden.
Herr Nordmann: Es fehlen zur Zeit noch klare Indikationsstellungen.
Nicht das Ulcus ventriculi an sich, sondern nur das kallöse Ulcus und peri-
gastritische Prozesse können zur Operation führen. Das Röntgenogramm lässt
nur in seltenen Fällen diagnostisch im Stich. Der Querresektion ist die Seg¬
mentresektion vorzuziehen, weiche auch bei perforiertem Ulcus anzuwen¬
den ist.
Herr S t r a u s s hat schon seit langem den Standpunkt vertreten, dass
hereditäre Dispositionen in der Ulcusätiologie vorherrschen, was er in
25 Proz. jetzt bestätigt fand. Da der Chirurg die Dispositon nicht beseitigen
kann, treten häufig Rezidive auf. Jedem Ulcus sind nervöse Erscheinungen
beigesellt.
Herr Alkan: Er behandelt geeignete Fälle von Ulcus penetrans der
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
258
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
kleinen Kurvatur mit Jelunostomie und durch Ernährung mit vorverdautcr
Nahrung, unter Umgehung des Magens.
Herr Katzenstein hat Misserfolge der Rönfgendiagnost'ik besonders
bei Stenosen gesehen. Und auch er zieht die Querresektiön der Gastroentero¬
stomie vor.
Herr Boas: Wegen der typischen Krankheitserscheinungen, der Unter¬
stützung der Diagnose durch Röntgenogramm und Stuhluntersucbung auf
okkultes Blut ist die Frühdiagnose sehr erleichtert. Hierdurch wird die er¬
folgreiche Behandlung sehr erleichtert. Die Spätformen sind vor allem das
Objekt chirurgischer Behandlung. Vor zu vielem Operieren ist zu warnen,
da nach Gastroenterostomien man häufig Rezidive sieht. Diese können durch
interne Nachbehandlung verringert werden.
Jlerr Federmann: Schlusswort. W.
Sitzung vom 16. Februar 1921.
Aussprache über den Vortrag des Herrn A. B1 e r: Heilentzfindung
und Heilfieber mit besonderer Berficksichtigung der Protelnkörperbebandlnng.
Herr Westenhoefer: Es ist richtig, wie Bier gesagt hat, dass
die Entzündung keine Herabsetzung,, sondern eine Steigerung der Lebens¬
erscheinungen darstellt. Westenhoefer .macht den bisherigen For¬
schungsprinzipien in dieser Frage vor allem zum Vorwurf, dass alles aus
wenigen Symptomen erklärt werden soll. Alle Entzündungserscheinungen
haben das Gemeinsame, dass in dem Entzündungsprodukt Eigenschaften ver¬
einigt sind, die man als artspezifisch betrachten muss. Exsudations- und
proliferative Erscheinungen sind Beispiele dafür. So kommt Westen¬
hoefer zu seiner Definition der Entzündung: Mobilisierung der artspezifi¬
schen Eigenschaften, aber nach Ort, Zeit und Crad gesteigert. Auch der
Begriff der parenchymatösen Entzündung wird wieder lebendig. Die Zelle
antwortet auf den Reiz mit Abscheidung einer artspezifischen Schutzhülle.
Herr Goldscheider: Unstreitig ist B i e r ein Vorkämpfer der
Proteinkörpertherapie. Seine Blutinjektionen sind nichts weiter als Eiweiss-
injektionen. Bier hat Recht, wenn er das Wesen der Wirkung in der Reiz¬
wirkung sieht. Weichardt, Schittenhelm u. a. haben das Ver¬
dienst. festgestellt zu haben, dass durch den Reiz eines nichtspezifischen
Eiweisses spezifische Wirkungen ausgelöst werden können. Voraussetzung
dabei ist die Bereitschaft der Zelle zur Bildung spezifischer Körper aus art¬
fremdem Eiweiss. Goldscheider betont den Unterschied zwischen
spezifischer und nichtspezifischer Therapie. Er hält erstere für entschieden
wirksamer, immerhin könne man auch mit unspezifischer Proteinkörper¬
therapie beachtenswerte Resultate erzielen. Wenn die Entzündung als Ab¬
wehrmassnahme insuffizient ist, dann ist die Proteinkörpertherapie am Platze,
also vor allem bei chronischen Krankheiten, die ja nichts sind als der Aus¬
druck dafür, dass die Zellen mit der Krankheit nicht allein fertig geworden
sind. Jeder Reiz bewirkt sofort eine Dissimilation, eine Abnahme der Reiz¬
barkeit. Daran schliesst sich die Assimilation; so wird die normale Reiz¬
barkeit wieder erreicht, ja gesteigert. Die neugebildeten Eiweissstoffe
reagieren auf dieselben Reize in erhöhter Weise. Die Proteinkörpertherapie
wird so gewissermassen zu einer Erweiterung des Joh. Müller sehen Satzes,
dass bei den Sinnesnerven jeder Rpiz, auch der unspezifischc, eine spezifische
Wirkung hervorruft. Die Wirkung wird bestimmt nicht nur durch den Reiz,
sondern auch durch das Organ, das gereizt wird. Die Dosierung ist jeden¬
falls der Kernpunkt des Problems. Nicht immer wirken schwache Reize
erregend, starke hemmend.
Herr S t i c k er weist in längeren, vorwiegend historischen Ausführungen
auf die Bedeutung der B i er sehen Gedanken hin. Bier hätte schon vor
20 Jahren durch Bluttransfusion und -injektion bewusste Proteinkörper¬
therapie getrieben.
Herr P1 e h n weist darauf hin, dass bei gewissen Naturvölkern eine
Stauungstherapie der Entzündung schon lange üblich sei. Spezifische oder
unspezifische Therapie sei aber durchaus nicht gleichgültig. Auch die Be¬
handlung mit Metallen kommt bis zu einem gewissen Grade auf eine spe¬
zifische Behandlung durch Vernichtung des Erregers und dessen nachfolgende
Wirkung als unschädliches Antigen heraus. Die Reaktion entspricht aber nicht
immer der therapeutischen Wirkung. Bluttransfusionen sind keine Protein¬
körpertherapie, da es sich immer um arteigenes Eiweiss, gewissermassen um
Transplantationen handelt. Nur Injektionen artfremden Blutes
kann man als Proteinkörpertherapie betrachten.
Herr Zimmer: Das Problem gipfelt in 2 Fragen: 1. Kommen den
Proteinkörpern klinisch besondere Eigenschaften zu oder wirken sie
nur als Reizkörper? 2. Wie verhält es sich mit der Dosierung? ad L
Bier hat Recht: auch nichteiweisshaltige Stoffe können spezifische Wir¬
kungen auslösen. Z i m m er hat selbst mit den verschiedensten Mitteln
ganz ähnliche Wirkungen erzielt, ad 2. Dreierlei Gewebe sind zu unter¬
scheiden: das gesunde, das akut entzündete und das chronisch erkrankte Ge¬
webe. Auf das erstere hat das artfremde Eiweiss keine Wirkung, bei dem
akut entzündeten ruft es eine schnell vorübergehende Steigerung der Ent¬
zündung hervor, bei dem chronisch erkrankten eine sehr langsam verschwin¬
dende. Hier wird durch Ueberdosierung ev. eine starke Schädigung er¬
zeugt. Die allerkleinsten Dosen sind dann angebracht. Die genauere Kennt¬
nis der Dosierung kann nur empirisch im Einzelfalle gewonnen werden und
muss sich danach regulieren. A.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Neuer Standesverein Münchener Aerzte.
Sitzung vom 11. Februar 1921.
Der 1. Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit einem tiefempfundenen Nach¬
ruf auf das jüngst verstorbene Mitglied Hofrat R ö h 1 i n g e r, worauf die
Versammlung den Verblichenen durch Erheben von den Sitzen ehrte.
Den Hauptpunkt der Tagesordnung bildete eine Aufforderung der seiner¬
zeit in einer allgemeinen Aerzteversammlung gewählten Kommission zu Ver¬
handlungen behufs Herbeiführung einer Arbeitsgemeinschaft der beiden Mün¬
chener Standesvereine. Nach eingehender Diskussion wurde der Beschluss
gefasst, der Neue Standesverein solle sich an solchen Verhandlungen be¬
teiligen, wenn der Bezirksverein München eine solche Arbeitsgemeinschaft
wolle und Erörterungen über eine Auflösung des Neuen Standesvereins bei
den Verhandlungen ausgeschlossen würden. Es solle auch darauf hingewiesen
werden, dass bereits von 1914—20 eine solche Arbeitsgemeinschaft gut ge»
arbeitet habe, dass diese aber ohne Zutu.i des Neuen Standesvereines auf¬
gehoben worden sei.
Nr. 8.
In der Aussprache wurde immer wieder betont, dass eine Arbeitsgemein¬
schaft nur dann möglich sei, wenn sich die beiden Vereine als gleichberechtigt
daran beteiligten. Der Neue Standesverein hat im übrigen noch nie versagt,
wo es sich um die Interessen der ärztlichen Allgemeinheit handelte und
werde auch künftig nicht versagen.
Die nun folgende Vorstandswahl und Wahl zum Ehrengericht ergab nur
insofern eine Aenderung, als für den verstorbenen Ersatzmann für das Ehren¬
gericht Becker Herr G r u b e r gewählt wurde.
Neu eingeführt wurde, einer Anregung der Vorstandschaft entsprechend,
die regelmässige Zuziehung zweier Mitglieder zu den Vorstandschaftssitzungen.
Für dieses Jahr wurden hiezu die Herren Jordan und B e s n a r d und als
Ersatz Herr G r u b e r durch Los bestimmt.
Herr B e r g e a t empfahl noch die künftige Zuziehung eines Juristen zum
Ehrengericht und die Trennung des Vorsitzenden im Ehrengericht von der
Person des Vorsitzenden des Vereins zur Erwägung. Sehr erfreulich war
die Mitteilung, dass seit Bestehen des Vereines das Ehrengericht noch nie in
Tätigkeit zu treten hatte.
Es folgte noch der Bericht des Kassiers über einen günstigen Stand der
Kasse. Seinem Antrag entsprechend wurde der Jahresbeitrag auf 15 M. fest¬
gesetzt, einschliesslich des erhöhten Beitrages zum Aerztevereinsbund.
Den Schluss der Sitzung bildete die Aufnahme eines neuen Mitgliedes.
Dr. Q o e r t z.
Aerztllcber Bezirksverein Müneben-Stadt.
Vollversammlung vom 15. Februar 1921.
Vor Eintritt in die Tagesordnung wurde die folgende, mit lebhafter Zu¬
stimmung aufgenommene, von dem Vorsitzenden Herrn K a s 11 gezeichnete
Entschliessung einstimmig gefasst:
„Der ärztliche Bezirksverein München-Stadt erhebt feierlich und mit
grösster Entschiedenheit Einspruch gegen die unerhörten Vergewaltigungen
des deutschen Volkes durch die Entente, die mit dem Waffenstillstand be¬
gonnen. im Pariser Diktat ihren Höhepunkt erreicht, aber immer noch kein
Ende gefunden haben. Die Hungerblockade mit ihren grauenvollen Wirkungen,
die viele Hunderttausende von unschuldigen deutschen Frauen. Kindern und
Greisen hingemordet hat und deren weitere Folgen immer noch unabsehbar
sind, bedeutet eine gewissenlose Missachtung der Menschlichkeit, gegen die
wir deutschen Aerzte vergeblich unsere Stimme erhoben. Und wieder holt
die Entente zum schwersten Streiche aus gegen das wirtschaftliche Bestehen
und die staatliche Freiheit des deutschen Volkes. Wir Aerzte wenden uns
wiederholt an das Gewissen der gesitteten Welt, dass sie die Gefahren,
die der europäischen Kultur mit Vernichtung drohen, erkenne und abwenden
helfe. — Von der Reichsregierung verlangen wir, dass sie diesem grössten
Verbrechen der Weltgeschichte ein unweigerliches „Nein“ entgegensetzt. Wir
sind gemeinsam mit unserem Volke gewillt, alle daraus entstehenden Folgen
auf uns zu nehmen und dem Vernichtungswillen des Feindes Trotz zu bieten.“
Auf der Tagesordnung stand die Besprechung des Referats Weller:
Der Arzt In der Kriegsbeschädigtenfürsorge.
Weiler hat die wesentlichsten Punkte seines Vortrages in Leitsätze
gefasst, welche die Billigung der Versammlung fanden. Für die praktische
Durchführung der Vorschläge waren Anträge Grünwald-Weiler an¬
gefügt. deren erster (in der Fassung Pettenkofer) lautet: „Es ist un¬
zulässig, ärztliche Gutachten ohne Aufforderung von Behörden und ohne Vor¬
lage der Gesamtakten abzugeben.“ Das Gutachten muss also von der
Instanz, zu deren Behelf es dient, eingefordert werden. Ein nicht geforderter
Rat wird ja nicht bedankt, am wenigsten von den Behörden, ein unaufge¬
fordert abgegebenes Gutachten besitzt kein grosses Ansehen. Das Akten¬
material mit allen dienlichen Behelfen muss dem Gutachter nicht bloss zur
Einsichtnahme in einem fremden Raume überlassen werden, sondern muss
ihm so vorliegen, dass er es in Ruhe genau studieren kann. — Tief in das
praktische Leben einschneidend und schwer durchführbar erscheint Punkt 2:
„Gegen die Ausstellung von Bescheinigungen oder Krankheits¬
berichten zuhanden von Behörden besteht kein Einwand; im Gegen¬
teil ist die Einholung solcher sehr erwünscht. Unzulässig ist es jedoch,
solche dem Kranken auszuhändigen.“ Trotz der scheinbar scharfen Ab¬
grenzung verschwimmt in der Praxis recht oft die Grenze zwischen Gut¬
achten und ärztlichem Zeugnis. Bericht und Zeugnis des behandelnden
Arztes sind für den Gutachter die allerwichtigsten Behelfe, ufn einen
lückenlosen Tatbestand zu erhalten. Hier weist Kerschensteiner auf
die alle Teile befriedigende Uebung in den Krankenhäusern hin und schneidet
insbesondere die Frage an, inwieweit ist der Kranke berechtigt, eine Be¬
scheinigung über seinen Zustand zu verlangen? Was kann man dem
Kranken aushändigen und was nicht? Auf Aushändigung des Sektions¬
berichtes, der oft das Allerwichtigste ist, haben die Angehörigen ein Recht.
In der weiteren, sich immer angeregter gestaltenden Aussprache wird die
Aufstellung dieser Grundsätze als eine Fesselung des Praktikers durch
die eigenen Standesgenossen gekennzeichnet, als ein Eingriff in das Ver¬
trauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. Viel würde den Aerzten
genommen, wenn die Bescheinigungen und Berichte nur an die betreff“ndc
Behörde geliefert werden dürften. Wie steht es da mit den geforderten
Gutachten über Kriegsfolgen an die Ortskrankenkasse? Und wer zahlt?
Sollen die Aerzte warten und herumstreiten bis einmal die richtige Behörde
gefunden ist und zahlt! Man dürfe nicht zu weitgehen, die gewöhnlichen
kleinen Zeugnisse müssten für alle Fälle frei bleiben. Zugegeben werden
von allen Seiten die krassen Missstände im ärztlichen Zeugnis- und Qut-
achterwesen. So könne es nicht weiter gehen! Subjektiv und objektiv werde
verwechselt, kritisch werde überhaupt nicht gearbeitet. Als Gutachter sind
wir nicht Partei, nicht im Dienste des Patienten, sondern im Dienste der
Allgemeinheit (Rentensucht). Seine Freiheit muss dem Gutachter nach Jeder
Richtung gewahrt bleiben. Darum ist der Gedanke der Verstaatlichung ein¬
zelner Sparten der Gutachtertätigkeit nicht von der Hand zu weisen. —
3. Punkt: „Der Bezirksverein wählt eine Kommission mit dem Aufträge, bei
allen einschlägigen Behörden dahin zu wirken, dass unaufgefordert eingehende
Gutachten überhaupt nicht, Berichte und Bescheinigungen nur unmittel¬
bar von Aerzten angenommen werden.“ Das ist eine radikale Massregel.
Verhindert wird durch sie nebenher das Betteln auf Grund der Zeugnisse
und die Quälerei der Arbeitgeber. Die Kommission wird die Einzelheiten
jedenfalls noch schärfer fassen müssen unter Zuziehung eines Juristen. Mit¬
glied der Kommission ist auch der Vorsitzende des Bezirksvereins „um die
Autorität des Bezirksvereins zu vertreten und zu wahren“ (Pettenkofer).
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
:5. Februar 1921._ MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _^
— Die Beratung; des Punktes 4. Gutachten der Fachärzte betr., wird zurOck-
gesiellt.
A^nfänRÜch war man der melmihg, ’es Sollten die Grundsätze lediglich
für die Begutachtung der Kriegsbeschädigten gelten, dann wurde beantragt,
sie auf das Rentenverfahren auszudehnen, schliesslich wurden sie für das
gesamte Gutachterwesen gutgeheissen und angenommen.
Freudenberger.
Berlin-Brandenburger Aerztekammer.
Sitzung vom 29. J a n u a r 1921 i m L a n d e s h a u s c.
Vorsitzender: Herr S t ö t e r.
Schriftführer: Herr Joachim.
Den abwesenden Oberp;‘äsidenten vertritt Herr Geh. Regierungsrat
V. Q n e i s t. ‘ “
Der Vorsitzende gedenkt der verstorbenen früheren Mitglieder L. Lan¬
dau und V. W a 1 d e y e r. Die Kammerberichte werden von jetzt ab'nicht
mehr durch Kurzschrift nachgeschrieben; leder Redner reicht fortan seine
Niederschrift dem Schriftführer ein. Mahhung an die Aerzte, für die Reise
nach Oberschlesien Stimmung zu machen. Mitteilung,, dass Dr. J e n d r i t z a
90 000 M. der Unterstützungskasse vermacht hat.
Der Bericht über die Tätigkeit des Vorstandes liegt
gedruckt vor. Aus ihm geht die gewaltige Vermehrung und Ausdehnung
der Tätigkeit des Vorstandes hervor. So ist eine Auskunftstelle über Ein¬
holung von Rat in ärztlichrechtlichen Fragen (Steuer-, Honorar-, Facharzt¬
fragen usw.) eingerichtet worden. Zahlreiche Eingaben an Behörden sind
gemacht: Gegen Erhöhung der Fernsprechgebühren, wegen Beschlagnahme
von Arztwohnungen, in Steuerfragen; Verhandlungen mit Landesversiche¬
rungsanstalten. Die Verteilung der von den schwedischen und finnischen
Aerzten gespendeten Butter hat einen Erlös von fast 88 000 M. erbracht,
der dem deutschen Aerztevereinsbund übetwiesen worden ist. Eingaben aus
Anlass des Streikes in den Tagen des Kapp-Putsches. Verhandlungen bei
Ausdehnung der Versicherungspflicht. Einrichtung eines Arbeitsnachweises
für stellensuchende Aerzte., Zahlreiche sonstige Eingaben und Bearbeitung
laufender Tagesfragen.
Aus dem gedruckten Bericht des Ehrengerichts geht hervor, dass
zu den 71 vom Vorjahre übernommenen Sachen 169 neu hinzugekommen
sind. Der Zuständigkeit des Ehrengerichts unterworfen waren 5225 Aerzte.
Der Bericht über die Unterstützungskasse weist eine erireu-
licha Zunahme der Einnahmen und Leistungen auf. Ausser den 65 000 M.,
die die Aerztekammer bewilligt hatte, waren durch freiwillige Spender^ und
Erwerbung immerwährender Mitgliedschaft etwa 50 000 M. eingegangen, so
dass 95 000 M. an Unterstützungen verteilt und „über 20 000 M. dem Grund¬
stock zugeführt werden konnten Das Vermögen der Kasse betrug am
31. XII. 1920 548 000 M.
Der Bericht über die Tätigkeit des Kuratoriums für Kriegs¬
entschädigung ergibt, dass im Jahre 1920 nur 59 212 M. an Kriegs¬
geschädigte Aerzte ausgezahlt worden sind und dass ein Betrag von fast
780 000 M. noch vorhanden ist, fü’* den eine Verwendung noch nicht ge-'
funden ist! ■
Der Bericht der Vertragskommission zeigt, dass ihre
segensreiche Tätigkeit immer mehr von den Kollegen anerkannt wird und
dass sie in zahlreichen Fällen auf Besserung der in Berlin ausserordentlich
verschieden gestalteten Vertragsverhältnisse einwirken konnte.
Der Bericht der Kurofuscherei-Kommission teilt mit, dass
die Reklame, die die Firma R a d - J o mit dem Namen des Prof. Zangen-
m e i s t e r getrieben hatte, der Fakultät in Marburg zur Kenntnis gebracht
wurde, so dass hierdurch endlich eine- öffentliche Abwehr gegen diese uner¬
hörte Reklame ins Leben gerufen worden ist.
Es folgt dann der Kassenbericht über das Jahr 1920 und der
Voranschlag für 1921: Wegen der gewaltig gestiegenen Kosten für
Gehälter und sonstige Verwaltungsausgaben mussten die Einnahmen erhöht
werden. Der Kassenführer (Herr S. Alexander) beantragt deshalb die
Beiträge von 10 M. auf 30 M. zu erhöhen und von den Aerzten, die mehr
als 5000 M. versteuern, ausser einer Grundgebühr von 40 M. einen Zuschlag .
von 5 v, H. von der Einkommensteuer zu erheben. Die ordentlichen Ein¬
nahmen der Ae.-K. sollen dadurch auf 316 000 M. erhöht werden (gegenüber
einer Ist-Einnahme von f51 000 M. im Jahre 1920). Unter den Ausgabep,
die zu den sonstigen gegen früher sehr gesteigerten Verwaltungskosten i^eu
hinzugekommen, ist bemerkenswert ein Posten von 30 000 M., der als
Dienstaufwandsentschädigung für die 6 am meisten be¬
lasteten Aerzte dienen soll, nämlich je 5000 M. für den Vorsitzenden, den
Kassenführer, den Schriftführer, den Vorsitzenden des Ehrengerichts, den
Vorsitzenden und das schriftführende Mitglied der Vertragskommissioh. Wenn
es auch sehr bedauerlich ist, dass damit der Grundsatz der rein ehren¬
amtlichen Tätigkeit der Kollegen für die Kollegen durchbrochen ist. so tnu.ss
doch anerkannt werden, dass diese Tätigkeit im Laufe der Jahre e^en
Umfang erreicht hat, dass sie ohne ein gewisses Entgelt nicht länger durch¬
geführt, noch billiger Weise angenommen werden konnte. Es ist nur zu
hoffen, dass sich hieraus nicht die Gepflogenheit herausbildet, nun auch
alle möglichen sonstigen kollegialen Mühewaltungen nur gegen eine Ver¬
gütung auf sich zu nehmen! Ein weiterer Posten von 10 000 M. wurde
bestimmt, um einen ärztlichen Arbeitsnachweis (für Vertretung
und Stellenvermittlung der Aerzte) ins Leben zu rufen. Der Unterstützungs¬
kasse sollen 100 000 M. (statt früher 65 000 M.) überwiesen werden.
Der Voranschlag wurde einstimmig angenommen.
Es folgt der Bericht des Herrn R. Lennhoff: Ueber Neuregelung
der kassenärztlichen Verhältnisse.
Lennhoff schildert die Schwierigkeiten, die dem endgültigen Abschluss
der Verträge mit dem „Verband der Krankenkassen Gross-Berlin” in letzter
Stunde noch entgegenstehen und mahnt die Aerzte zum Festhalten an ihren
Führern.' (Bekanntlich ist inzwischen der Vertrag unterschrieben und somit
die Freie Arztwahl für Gross-Berlin durchgesetzt!).
Der Bericht des Herrn Bauer: Ueber die Ausgestaltung des köm-
mnsalärztlichen Dienstes schloss mit der Empfehlung einer Reihe von Leit¬
sätzen, die angenommen wurden.
Herr Kö^te befürwortete die von der rheinischen Kammer VÖr--
götohlageilen Grundsätze für die Verträge der leitenden Krankenhgusärzte,
die die Zustimmung der Ae.-K. fanden. •
Herr Benda und Herr Falkenberg berichteten über die Miss¬
stände der Müllabfuhr, der mangelhaften Strassenreintgung und die dadurch
herbeigeführte öffentliche und private Qesundheitsgefährdung. Die Aus¬
sprache verlor sich in weit entlegene Gebiete, nahm einen politischen Cha¬
rakter an und wurde, da kein Antrag genügende Unterstützung fand,
schliesslich ohne Ergebnis abgebrochen.
Schluss der Sitzung 7MUhr. R. S c h a e f f e r.
;
Kleine Mitteilungen.
Zur Frage der Karenzzeit In München.
Wir werdert um Abdruck der nachstehenden Erklärung ersucht:
Die in Nr. 3, 1921 der M.m.W. über „Karenzzeit in München” er¬
schienene Notiz Sollte lediglich orientierenden Charakter haben, indem sie
i weitere Kreise auf unsere besonders missliche, ungeklärte Lage aufmerksam
machte. Wir bedauern, dass der Artikel zu Missverständnissen Anlass ge¬
geben hat. die in keiner Weise beabsichtigt waren.
Inzwischen hat die Ortskrankenkasse nach Verhandlungen mit dem „Verein
' für freie Arztwahl” sich mit unserer Zulassung zur Kassenpraxis mit rück¬
wirkender Kraft ab 1. Januar einverstanden erklärt.
München, den 31. Januar 1921.
I. A. der Kollegen, die sich um die Aufnahme in den Verein „für freie
Arztwahl“ beworben haben
I Dr. W e i h l Dr. R ü 11 e n a u e r Dr. R i e g e r.
Es ist nicht recht ersichtlich, was mit dieser Erklärung bezweckt wird.
Denn in Bezug auf die Mitteilung von der Zulassung der Kollegen zur
Kassenpraxis ist sie durch unsere Notiz in Nr. 5 S. 161 überholt und im
•übrigen ist sie völlig inhaltslos und selbstverständlich, vor allem berichtigt
sie keine der sachlichen Angaben des Artikels, auf den sie sich bezieht.
Immerhin bedeutet sie ein Abrücken der Unterzeichner der Erklärung von
den Kollegen, die in ihrem Auftrao’e den Artikel in Nr. 3 veröffentlicht
haften, und dadurch doch vielleicht nicht ganz ohne Einfluss auf die danach
überaus rasch erfolgte Aufnahme der Bewerber in den Verein für freie
Arztwahl gewesen sind. Ein solches Verhalten ist nur verständlich, wenn
man weiss, welcher Druck auf diejenigen ausgeübt wurde, welche sich
weigerten, die Erklärung zu unterzeichnen. Diesen würde nämlich, wie uns
mitgeteilt wird, vom Geschäftsführer des Verein für freie Arztwahl, Herrn
San.-Rat Dr. Scholl, bedeutet, dass si? durch ihre Weigerung den Anschein
erweckten, dass sie gegen die Organisation seien und dass ein gedeihliches
Zusammenarbeiten im Verein für freie Arztwahl mit ihnen nicht möglich sei.
, Nach § 12, 3e der Satzungen des Münchener Aerztevereins für freie Arztwahl
. kann der Ausschluss eines Mitgliedes erfolgen, wenn „ein gedeihliches Zu¬
sammenarbeiten mit ihm im Verein unmöglich geworden ist”. Die Erklärung
' des Herrn Dr. Scholl ist also die Androhung des Ausschlusses
im Falle der Nichtunterzeichnung. Ein Kommentar zu solchem Vorgehen er¬
übrigt sich. Schriftleitung,
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 23. Februar 1921.
— Ueber einen höchst betrüblichen Fall von ehrlosem Verrat deutscher
Interessen berichten uns die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer
& Co. in Leverkusen folgendes: Vier bei den Farbenfabriken vorm. Friedr.
Bayer & Co. in Leverkusen ausgebildete und seit vielen Jahren dort in Ver¬
trauensstellungen tätige Chemiker, Dr. Josef Flachsländcr aus Ober¬
hausen in Bayern, Dr. Heinrich Jordan aus Köln. Dr. Otto Runge aus
Nürnberg und Dr. Max Engclmann aus Krefeld, haben im Laufe des Ver¬
gangenen Jahres noch während der Dauer ihrer ungekündigten Anstellungs¬
verträge mit der amerikanischen Firma J. J. Du Pont de Nemours- & Co.,
Wilmington, Delaware, die früher Pulver und Sprengstoffe herstelltc und jetzt
1 Farbstoffe machen will, unter Verletzung der ihnen vertraglich obliegenden be¬
zahlten Karenzverpflichtungen Anstellungsverträge abgeschlossen. Danach
verpflichten sie sich ausdrücklich gegen Zusicherung der Auszahlung hoher
Summen neben dem Gehalt ihre ganzen bei den Leverkusener Farbenfabriken
gesämmehen Kenntnisse' und Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. An¬
gebahnt und vermittelt wurde dieses streng geheimgehaltene Komplott durch
einen in Zürich wohnenden Vertreter dör amerikanischen Firma, einen Herrn
Dr. K u n der sich gemäss den Intentionen der Firma Du Pont ausschliess¬
lich in dieser Richtung betätigt. Schon dieser grobe Kontraktbruch der vier
Herren verdient schärfste Verurteilung. Durch ihn werden nicht etwa nur die
eigenen Kenntnisse und Erfahrungen, sondern auch die der mit ihnen tätigen
mehreren hundert Arbeitskollegen und cs gesamten Werkes zu persönlichem
Unrechten Vorteil preisgegeben. Die Chemiker gingen aber noch weiter und
' entwendeten den Farbenfabriken vorm. Fried. Bayer & Co. eine grosse An-
, zahl wichtiger, unter Ausnutzung ihrer Vertrauensposten ausgekundschaftetcr
Vorschriften. Durch einen Zufall wurde der heimliche Transport eines mit
Schriftstücken und Zeichnungen gefüllten Koffets über die holländische Grenze,
bei dem auch der obenerwähnte Dr. Kunz persönlich mitwirkte, entdeckt.
Darauf wurde der Koffer kurz vor der Abfahrt des für die Ueberfahrt nach
^ Amerika in Aussicht genommenen Dampfers von der holländischen Staats-
s anwaltschaft auf Ersuchen des Untersuchungsrichters Köln, der inzwischen die
Voruntersuchung eröffnet hatte und später auch gegen die vier Chemiker
einen Haftbefehl erliess, beschlagnahmt und nach Köln überführt.
Die Anstifter und Haupttäter Dr. Flachsländer und Dr. Runge
fuhren am 21. Dezember 1920 mit dem holländischen Dampfer „Ryndam” von
Rotterdam nach New York und wurden, trotz der auf Grund des deutschen
Haftbefehls von der holländischen Staatsanwaltschaft angeordneten Verhaftung
von der amerikanischen Behörde unter dem Protest des holländischen Kon¬
suls von dem holländischen Dampfer geholt und der amerikanischen Firma
, zur Ausübung ihres verräterischen Engagements zugeführt. Den unmittelbar
an die amerikanische Firma gerichteten telegraphischen Hinweis auf den gro¬
ben Kontraktbruch und Diebstahl glaubte die Firma J. G. Du Pont de Nemours
& Cö. mit dem Bemerken beantworten zu können, sie würden die, Herren „in
: Uebereinstimmung. mit den gesetzlichen . Bestimmungen Amerikas“ bei sich
, beschäftigen.
. Die Verwerflichkeit des ganzen Vorganges macht die Wahl schwer, ob
mäh das Verhaften der vier Chemiker oder die skrupellosen Machenschaften.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
360
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. S.
deren sich die bedeutende amerikanische Firma zur Gründung einer chemischen
Fabrik hier bedient hat, mehr verurteilen Soll; jedenfalls muss der ganze
Vorgang öffentlich und für alle Zeiten gebrandmarkt werden.
— Durch Entschliessung der bayer. Ministerien vom 31. Oktober v. J.
wurde beim Ministerium für Soziale Fürsorge ein Landesberufs-
b e r a t e r aufgestellt, dem die Anregung und Förderung aller der Berufs¬
beratung dienenden Massnahmen, sowie die Aufsicht über die mit der Be¬
rufsberatung befassten Steifen und Einrichtungen obliegt. Dieser Landes¬
berufsberater, Herr Münch in Nürnberg, wendet sich an die Bayerische
Landesärztekammer mit der Bitte, bei den bayerischen Aerzten um die un¬
erlässliche Mitarbeit* bei der Berufsberatung zu werben. Die allgemeine
ärztliche Mitwirkung bei der Berufsberatung sei geradezu eine Lebensnot¬
wendigkeit für ein gedeihliches Wirken. Ueberall, auch auf dem Lande, müsse
im vornherein und ganz besonders in Zweifelsfällen, durch den Arzt die
physische Eignung oder Nichteignung des Jugendlichen für bestimmte Berufs¬
gruppen festgestellt werden. Herr Münch stellt für die Zusammenarbeit
der Aerzte mit der Berufsberatung folgende Grundsätze auf: 1, Der Berufs¬
beratung soll in allen Fällen ein ärztliches Gutachten über die die Schule
verlassenden Kinder vorausgestellt werden. 2. Bei der Begutachtung sei
nicht nur der jeweilige augenblickliche Gesundheitszustand zugrunde zu legen,
sondern es seien bei der Urteilsbildung die ganze Entwicklung des Kindes
und die Verhältnisse des Elternhauses zu verwerten. 3. Die unmittelbare
Tätigkeit des Arztes bei der Berufsberatung brauche nur eine begutachtende
zu sein, das heisst eine auf sein spez. Fach sich beschränkende. Er solle
nicht selbst als Berater wirken. Dementsprechend werden die Aerzte ge¬
beten, bei der Gründung und Leitung von Berufsberatungsstellen, die durch
die Landesberufsberatung nunmehr vielerorts gefördert werden soll, aktiv
mitzuwirken und mit allen in Betracht kommenden Faktoren, wie Schule,
Jugendpflege, Jugendfürsorge, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisatior.en,
Frauenvereinigungen, Gewerbeinspektionen etc. Fühlung zu nehmen und durch
eigene Initiative die neue soziale Einrichtung in ganz Bayern fördern zü
helfen. Das werde ihnen umso leichter fallen, als sie auf dem Lande und in
kleinen Städten in hohem Grade auch ausserhalb ihrer. Berufstätigkeit Ver¬
trauenspersonen und vor allem auch sorgende Freunde der Jugend seien.
— Bei den bisher stattgehabten Beratungen der Aerzteschaft und der
Fakultäten über die Neuordnung des medizinischen Studiums
ist den Studenten zugebilligt worden, ihre Ansichten und ihre Wünsche zu
äussern. Darauf fussend hat die Münchener Medizinerschaft nach längeren
Beratung unter Heranziehung von Vertretern der Aerzteschaft und der
Fakultät ihre Bedenken gegen eine Verlängerung des medizinischen Studiums
um ein Jahr in einer Denkschrift zusammengefasst und Vorschläge gemacht,
die eine Erfüllung des geplanten Ausbaues und eine Vervollkommnung des
medizinischen Studiums gestatten und die gleichzeitig andere Wege zur Ver¬
minderung des Zudranges zum medizinischen Studium zeigen. Die gesamten
deutschen Medizinstudierenden sollen in letzter Stunde zu diesen Fragen
Stellung nehmen und durch den Vorstand des Verbandes Deutscher Mediziner-
schaften an den entscheidenden Stellen vorstellig werden. Die von der
Münchener M^dizinerschaft gestellten Anträge lauten: 1. Das medizinische
Studium besteht aus 4 vorklinischen, 6 klinischen Semestern und einem prak¬
tischen Jahr. 2. Verlängerung der Semesterzeit auf dH bzw. 4’Monate mit
in Deutschland einheitlich gleichem pünktlichen, für Studenten und Dozenten
verpflichtenden Beginn und Schluss. 3. Verschärfung der Vorprüfung und des
Staatsexamens mit nur einmaliger Wiederholung. Ablegung der theoretischen
Prüfungen vor einer Kommission. 4. Einführung eines obligatorischen Kranken¬
pflegedienstes. 5. Wegfall der kostspieligen medizinischen Doktordissertation:
Verleihung des Doktortitels mit bestandenem Staatsexamen auf Grund einer
besonderen, der bisherigen schriftlichen Doktorarbeit entsprechenden Arbeit.
6. Einführung eines Numerus clausus.
— Die Gesellschaft für Natur- und Heilkunde und die Gynäkologische
Gesellschaft in Dresden haben in einer dem Reichstage eingereichten aus¬
führlichen Resolution gegen die Abänderungsvorschläge der § 218/219 Str.G.B.s
(die Abtreibung betr.) entschiedene. Stellung genommen. Trotzdem
halten beide Gesellschaften die genannten Paragraphen in ihrer jetzigen
Form für veraltet und nach im einzelnen vorgeschlagenen Richtungen hin
für dringend verbesserungsbedürftig. Die Eingabe ist auf S. 244 d. Nr. ab¬
gedruckt.
— Der Preis der Deutschen Hortus-Gesellschaft von 1000 M. für die
beste experimentelle Arbeit zur chemischen Erforschung der wichtigsten
Bestandteile des Hirtentäschelkrautes (Capsella bursa pastoris)
wurde den Herren Prof. Dr. H. B o r u 11 a u, Leiter der physiolog.-
chemischen Abteilung des städt. Krankenhauses im Friedrichshein in Berlin
und dem Apotheker H. Cappenberg in Berlin, Leiter des ehern. Labora¬
toriums der Sicco A.-G. zuerkannt.
— Ein Berliner Kaufmann, der ungenannt bleiben will, hat der Preussi-
schen Akademie der Wissenschaften ein Kapitel von 150 000 Mark mit der
Bestimmung überwiesen, das Kapital und seine etwa auflaufenden Zinsen zur
Herstellung der im J^ahmen des Corpus Medicorum in Aussicht genommenen
Ausgabe der Werke des Hippokrates zu verwenden, (hk.)
— Eine Anzahl von Hochschullehrern aus Argentinien ist zum
Besuche und zum Studium unserer Hochschuleinrichtungen in München
eingetroffen.
— Die Landesorganisation für die Aerzte Steiermarks hat folgende
Kundgebung gegen die mutwilligen Streiks erlassen: „Im Falle
eines neuerlichen, offensichtlich ohne wirklich unabweisbare Gründe herbei¬
geführten. mutwilligen Streikes im Bereiche solcher Einrichtungen und in
einem solche^'Umfang, dass dadurch wichtige Interessen einer breiten Allge¬
meinheit schwer getroffen werden, wie z. B. im Verkehrs- und Nachrichten¬
wesen, oder in der Kohlen-, Licht- und Lebensmittelversorgung, werden
sämtliche Aerzte ohne Ausnahme ihre Tätigkeit gegen¬
über den Streikenden und allen ihren Angehörigen
vollkommen und in allen Belangen einstelle n.“ In der
Begründung heisst es: Die Aerzteschaft glaubt dem Viterlande und der
Gesamtheit der^ ordnungsliebenden Mitbürger einen Ditnst zu erweisen,
wenn sie durch ihren Entschluss, rücksichtslos Gleiches mit Gleichem zu
vergelten, versucht, dem bereits alle Schranken übersteigenden Streikübermut
gewisser Berufsklassen einen Damm entgegenzusetzen und es allen ein¬
dringlich klarzumachen dass es eine wahnwitzige Verblendung wäre, zu
glauben, dass um den Preis der Vernichtung unseres armen Volkes die selbst¬
süchtigen Interessen einzelner Berufsstände wirklich gefördert werden können.
— Der Leiter der inneren Abteilung des Krankenhauses am Friedrichs
hain in Berlin, Geh. San.-Rat Prof. Dr. E. Stadelmann tritt am 1. April
in den Ruhestand, An Stelle des verstorbenen Direktors der äusseren Ab¬
teilung des Krankenhauses Friedrichshain, Prof. Dr. N e u m a n n, wurde
Dr. Braun gewählt.
— Das bekannte Kindersanatorium des verstorbenen Dr. H. Spie¬
gelberg in Ebenhausen (Isartal) bei München ist in den Besitz
des Herrn Dr. Erich Benjamin, Privatdozenten für Kinderheilkunde in
München, übergegangen.
— Eine „Hygiene-Mess-Ausstellung“ findet vom 6. bis
12. März in Leipzig statt. Alle Instrumente und Apparate für die ärztliche
und zahnärztliche Praxis, Einrichtungen für Xrankenhäuser, orthopädische
Artikel, dann Erzeugnisse der Chemie u. a. kommen zur Ausstellung. (Näheres
in der Anzeige in d. Nr.)
— Der Frühjahrskurs für ärztliche Fortbildung an der medizini¬
schen Fakultät der deutschen Universität in Prag findet in
in der Woche vom 14.—20. März 1. J. statt. Programme auf Wunsch vom
Dekanate der deutschen medizinischen Fakultät, Prag, Krankenhausgasse. Der
Kurs ist unentgeltlich. Einschreibgebühr 20 Kr. Anmeldungen, begründete
Gesuche um Kursstipendien and um Freiquartier in gemeinsamen Räumen
ehestens an das Dekanat.
— Die Jahresversammlung des Deutschen Vereins für
Psychiatrie findet am 25. und 26. April 1921 in Dresden statt. Als
Referate sind vorgesehen 1. Schaffung eines neuen Irrengesetzes (Ref.:
E. S c h u 11 z e - Göttingen; jurist. Korref.: K a h 1 - Berlin). 2. Die Spiro¬
chäten im Zentralnervensystem bei progressiver Paralyse und multipler Skle¬
rose (Ref.: J a h n e 1 - Frankfurt a. M. und Hauptmann - Freiburg i. B.).
Vortragsanmeldungen an Dr. Hans L a e h r, Wernigerode, Organistenstr. 1.
— Cholera. Litauen. Laut Mitteilung vom 5. Februar wurden
in Kowno 3 Neuerkrankungen festgestellt. — Polen. Laut Mitteilung vom
4. Februar ist in Birnbaum (frühere preussische Provinz Posen) 1 tödlich
verlaufener Cholerafall festgestellt worden.
— Fleckfieber. Deutsches Reich. Im Interniertenlager Parchim
(Mecklenburg-Schwerin) wurden vom 30. Januar bis 1. Februar 5 Erkran-
^ kungen festgestellt. — Oesterreich. Vom 23.—29. Januar 20 Erkrankungen in
Wien. — Polen. Laut Mitteilung vom 4. Februar herrscht in Culm (frühere
preussische Provinz Westpreussen) sowie in Weidenhof und anderen Dörfern
der Umgegend Flechkfieber.
— ln der 5. Jahreswoche, vom 30. Januar bis 5. Februar 1921, hatten
von deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Halle, a. S. mit 20,5, die geringste Barmen mit 6,0 Todesfällen pro Jahr
und 1000 Einwohner. Vöff. R.-G.-A.
Hochschulnachrichten.
Berlin. 12 532 immatrikulierte Studierende weist die Friedrich-
Wilhelms-Universität zu Berlin im laufenden Wintersemester auf, davon in
der medizinischen Fakultät 3182, darunter 608 Studierende der Zahnheil-
kunde. — Der Privatdozent für pathologische Anatomie, Prof. Dr. Ludwig
Pick, wurde zum Honorarprofessor ernannt, (hk.)
Greifswald. Der durch die Emeritierung des Geh. Med.-Rats Prof.
P. G r a w i t z freiwerdende Lehrstuhl der pathologischen Anatomie und
allgemeinen Pathologie an der Greifswalder Universität wurde dem a. o. Pro¬
fessor Dr. Walter Gross in Heidelberg angeboten. (hk.)
Heidelberg. Im laufenden Winterhalbjahr zählt die Rupprecht-
Karls-Universität 2767 Studierende, davon in der medizinischen Fakultät 812.
Leipzig. Dem Assistenten am pharmakologischen Institut, Dr. phil. et
med. Josef Schüller wurde die Lehrberechtigung für Pharmakologie
erteilt, (hk.)
Dorpat. Die Zahl der Studenten der als estnische Landesuniversität
wieder aufgerichteten Dorpater Hochschule ist bereits auf 20(X) angewachsen.
Am stärksten besucht ist die medizinische Fakultät mit 600 Studenten. Das
Lehrerkollegium umfasst im laufenden Semester 100 Personen, von denen
34 Ausländer sind.
Todesfälle,
Am 13. Februar starb in Berlin der Geh. San.-Rat Dr. Ferdinand
S e I b e r g im 78, Lebensjahre. Dem weit über die Grenzen Berlins hinaus
,hochangesehenen Kollegen widmet die Berl. Ae.-Korr. folgende Worte:
Mit S e 1 b e r g ist einer der bedeutendsten und markantesten Aerzte Gross-
Berlins aus dem Leben geschieden. Auf dem Gebiete des ärztlichen Vereins¬
und Unterstützungswesens stand er seit Jahrzehnten Tn der vordersten Reihe.
Die Ausgestaltung des letzteren war sein Lebenswerk. Seine unermüdliche
Tätigkeit und sein umfangreiches Wissen stand in den verschiedenen Depu¬
tationen im Dienste der Stadt, seine nimmerermüdende Arbeitskraft widmete
er als Mitglied der Aerztekammer und des ärztlichen Ehrengerichtshofes der
Allgemeinheit der Aerzteschaft.
In Leipzig starb am 16. Februar der ordentliche Professor für Kinder¬
heilkunde, Dr. Martin T h i e m i c h, im Alter von 51 Jahren.
In Lund starb der ehemalige Professor der inneren Medizin Dr. S&vcd
R i b b i n g, 76 Jahre alt.
Der erste Ehrenbürger der Universität Heidelberg, Herr Fritz B eh¬
rin g e r, der Begründer des Instituts für Eiweissforschuna
an der Universität Heidelberg, Mitinhaber der Firma Dr. Oetker in Biele^
feld, ist gestorben, (hk.)
(Berichtigung.) In der Arbeit Bier, Heilentzündung und Heil¬
fieber etc. in Nr. 6 i.st auf S. 163, Sp. 1, Anmerkung 2 statt D.m.W. zu
lesen: M.m.W. 1901 Nr. 15. — Ferner in derselben Arbeit, S. 165, Sp. 1,
Anm. 15 ebenfalls M.m.W. 1918, Nr. 36, statt D.m.W.
Korrespondenz.
Spritzen mit exzentrischer AnsflussöSnung.
In d. W. 1918 Nr. 7 S. 189 bat Herr Dr. H. L o e b in Mannheim
eine von ihm angegebene Spritze zur intravenösen Injektion beschrieben,
deren Besonderheit in dem exzentrisch angebrachten Ausflusszapfen besteht;
dadurch wird ermöglicht, die Nadel horizontal in die Vene einzufflhren und
in dieser Stellung, während der Injektion zu erhalten. Die Spritze zeigt
ferner eine Vorrichtung, die das Absetzen von Niederschlägen und deren
Eintritt in die Blutbahn verhindert. Herr Dr. D u h o t - Brüssel erinnert uns
daran, dass eine ganz ähnliche Spritze von ihm schon im Jahre 1913
angegeben wurde. Sie ist beschrieben in d. W. 1913 Nr. 20.
V*rUf VO» r IfbMailM
Mfincliefi $.W. ^ Pml Heytettr. 2i. — Druck voa E. MQbiuiaier’« Such «nb Knnvtdr'ckcrd A.O., MOnctacfu
Digitized by
Google
Original frorri.
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
IT’
rahdcr dazelnen Nummer 2.— Jt. • Bezugspreis in Deutscfabao
• • • and Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
AflzdfenuchlaM Irnmur 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
ZnseadwigeB sind za richten
ttr die SchriftleHu^: Amulfstr.26 (Sprechstunden §^-1
für Bezug, Anzeigen and Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse ».
Medizinische Wochenschrift.
Nr. 9. 4. März 1921.
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnnlfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag beh< iri oh das anasohlieesUotie Baoht der TervlelfiUtignng und Yerbreitong der in fieser Zdtsohzift sum Abdroak gelangenden Originalbeitriige vor.
Originalien.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik zu München.
(Vorstand: Prof. F. Sauerbruch.)
Die chirurgische Behandlung der Lungentuberkulose.
Von F. Sauerbruch.
Die Zunahme der Lungentuberkulose in Deutschland und die Not¬
wendigkeit häufiger als bisher ihrer operativen Behandlung näher zu
treten, veranlassen mich einem grösseren Kreise von Aerzten das Er¬
gebnis eigener Bemühungen auf diesem Gebiete kurz zusammenzustellen.
Ich benutze als Unterlage die ausführliche Erörterung der chirurgischen
Behandlung der Lungentuberkulose, die in dem kürzlich erschienenen
Buche „Die Chirurgie der Brustorgane“ enthalten ist. Die Gesamt¬
erfahrungen lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Es ist mög¬
lich, schwere, namentlich einseitige Tuberkulosen durch operative Mass¬
nahmen so günstig zu beeinflussen, dass eine erhebliche Besserung, ja
vollständige Ausheilung eintritt. Je nach Lage des Einzelfalles wird
dieses Ziel unter besonderer Indikationsstellung und geeigneter Methodik
erreicht. Verständnis für die Grundlagen chirurgischer Tuberkulose¬
behandlung ist für jeden unerlässlich, der an dieser wichtigen Aufgabe
mitarbeiten will. Keineswegs alle Formen der Lungentuberkulose eignen
sich für eine Operation, Ja, es können sogar unter dem Ein¬
fluss eines Eingriffes Verschlechterung und Tod des Kranken
eintreten. Die Kunst besteht nicht nur in der Auswahl zweckmässiger
Verfahren und in ihrer Ausführung, sondern weit mehr in richtiger
klinischer Bewertung des Einzelfalles. In dieser Beziehung ist jedem
Chirurgen das Zusammenarbeiten mit einem erfahrenen Internen warm
zu empfehlen. Erst durch die Aussprache mit einem Arzte, der die Tuber¬
kulose kennt und den jeweiligen Befund diagnostisch und prognostisch
richtig beurteilt, kann der Chirurg lernen, seine Massnahmen richtig und
zuverlässig einzuschätzen.
Die weitaus verbreitetste chirurgische Behandlung einseitiger Er¬
krankung ist die Pneumothoraxtherapie. Dass sie unter der
Voraussetzung richtiger Indikationsstelhing und Technik heute ein wert¬
volles Hilfsmittel zur Bekämpfung der Tuberkulose ist, steht ausser
Zweifel. Ebenso sicher ist aher, dass die Pneumothoraxbehandlung ge¬
rade deswegen, weil sie einen kleinen Eingriff darstellt, zu häufig an¬
gewandt wird und dass ihre Grenzen übersehen und verkannt werden.
Sogenannte „leichte Erkrankungen“ bedürfen der Pneumothoraxtherapie
nicht. Ihre „Erfolge“ sind infolgedessen auch nicht der Behandlung zuzu¬
schreiben. Voraussetzung für erfolgreiche Pneumothoraxtherapie ist eine
allseitig nachgiebige Lunge, vor allen Dingen ehie Lunge, die an dem
Haupterkrankungsgebiete über dem Oberlappen, nicht durch Verwach¬
sungen fixiert gehalten wird. Immer noch versuchen einige Aerzte
in solcher Fällen durch Steigerung des Druckes die Verwachsungen zu
sprengen und auf diese Weise den Lungcnlappen zur Retraktion zu
bringen. Die vorliegenden Erfahrungen zwingen, dringend vor diesem
j Vorgehen zu warnen. Viele Kranke werden durch schwere Schädigungen
I ein Opfer dieser Behandlung. Bei ausgedehnten Verwachsungen ist der
Pneumothorax grundsätzlich abzulehnen; bei umschriebenen und be-
;:renzten Fixationen der Lunge an der Brustwand ist er in Verbindung
mit entsprechenden Rippenresektionen zu empfehlen. Auch die Dauer¬
resultate des künstlichen Pneumothorax werden überschätzt. Nach
überraschender und erfolgreicher Wirkung, die in der Besserung des
.411gerneinzustandes, in der Abnahme des Auswurfes und des Fiebers
klinisch zum Ausdruck kommt, tritt erneut Verschlechterung ein, ge¬
wöhnlich dann, wenn man die Lunge sich wieder ausdehnen lässt. Sehr
oft mussten wir bei solchen Kranken durch Rippenres^ktion eine dauernde
Retraktion der Lunge erzwingen. Schliesslich muss auf das häufige Auf¬
treten der Exsudate hingewiesen werden. Meist bedeuten sie keine
fiefahr und verschwinden bei richtiger Behandlung. Oft aber ver¬
ursachen eitrige Ergüsse Arzt und Kranken Mühe und Sorge Häufig
führen sie sogar zum Tode, trotz an sich günstigem Verlauf der Tuber¬
kulose. Es ist bemerkenswert, dass viele Aerzte, denen Vergleichs¬
erfahrungen zwischen der Pneumothoraxtherapie und der operativen
Behandlung der Tuberkulose zur Verfügung stehen, ie länger je mehr
die bessere und andauernde Wirkung der ausgedehnten Rippenresektion
anerkennen.
Die zweite Methode der chirurgischen Behandlung der Lungentuber-
i<ui/ose kanir als extrapleurale Lungeneinengung gekenn-
yiiehnet werden. Sie wird am sichersten und besten erreicht durch
Resektion der Rippen. Es hat sich gezeigt, dass sich dieser Eingriff
auf alle Rippen von der XI. bis I. im allgemeinen erstrecken muss. Ist
bei einer Oberlappentuberkulose der Unterlappen freibeweglich, so kann
die Resektion auf die oberen Rippen beschränkt und der Unterlappen
durch Pneumothorax eingeengt werden. Gerade diese Verbindung be¬
deutet einen grossen Fortschritt in der Behandlung kavernöser Phthisen
des Oberlappens. Bei ausgedehnten Verwachsungen der Lunge mit der
Brustwand ist die Resektion der XI. bis I. Rippe dagegen grundsätzlich
zu fördern. Durch Verbesserung der Methodik und Technik hat dieser
Eingriff seine früheren Bedenken verloren. In der Paravertrebrallinie
werden die XI. und I. Rippe reseziert, während in den mittleren und vor¬
deren Abschnitten des Brustkorbes ihre Kürzung sich meist erübrigt.
Die primäre Operationsinortalität bei richtiger und schneller Aus¬
führung des Eingriffes beträgt an unserer Klinik 2 Proz. Hinzu kommen
allerdings die nach Wochen und Monaten eintretenden Todesfälle durch
Verschlechterung der anderen Seite, durch Aspirationspneumonien oder
als Folge unrichtiger Indikationsstellung (12 Proz.). Man wird im allgemeinen
in einer Sitzung die Operation zu vollenden suchen. Anderseits aber
zwingen Allgemeinzustand, grosse Auswurfmenge und besondere örtliche
anatomische Verhältnisse oft zu einer zwei- und mehrzeitigen Durch¬
führung des Eingriffes. Hier wird der Erfahrene manche Fehler ver¬
meiden, die sonst möglich sind. Man beginne immer mit der Plastik
über dem Unterlappen und vermeide eine Einengung des erkrankten
Oberlappens, bevor der Unterlappen komprimiert ist.
Ausser Pneumothorax und operativer Brustkorbeinengung stehen
uns noch andere Methoden zur Verfügung, die Intrapleurale
Pneumolyse; Eine der häufigsten Ursachen ungenügender Pneumo¬
thoraxtherapie sind Verwachsungen des Oberläppens und der Lungen¬
spitze mit der Brustwand. Gerade das Haupterkrankungsgebiet der
Lunge kann sich nicht zusammenziehen und bleibt darum von der
Pneumothoraxwirkung unbeeinflusst. Wir sahen, dass In solchen Fällen
als Ergänzung des künstlichen Pneumothorax eine umschriebene Plastik
über dem Oberlappen das Verfahren der Wahl ist Ist die Fixation des
Oberlappens nur durch einzelne Stränge oder kleine, flächenhafte Ver¬
wachsungen der Spitze bedingt so kann ein anderes Vorgehen erwogen
werden. Man kann von einem kleinen Schnitt aus diese Stränge intra¬
pleural durchschneiden oder durchbrennen. Jakobäus hat die intra¬
pleurale Lösung zur Methode erhoben. Unter Zuhilfenahme, eines
Thorakoskopes suent er die Stränge auf und durchtrennt sie mit einer
Glühschlinge. Da sich in diesen Strängen Gefässe und sehr oft kleine
Bronchien befinden, sind Blutungen und Infektion des Pleuraraumes nach
diesem Eingriffe möglich. Wir empfehlen darum die intrapleurale
Lösung durch die Kombination von Pneumothorax und Rippenresektion
zu ersetzen.
An Stelle der intrapleuralen kann die extrapleurale Lösung
treten. Sie wird in Verbindung mit einem Pneumothorax oder einer
Rippenresektion ausgeführt. Ganz besonders ist sie dann angezeigt,
wenn nach der operativen Brustwandeinengung ein Teil der Lunge,
meistens der Oberlappen, ungenügend beeinflusst wurde. Man legt ihn
erneut frei und löst den Stumpf aus dessen Umgfebung aus. Der ent¬
stehende Hohlraum wird fest tamponiert. Die Lunge wird dann gewöhn-
fich nach 8—10 Tagen nachgiebig und weicht den drückenden Kom¬
pressen aus. Dadurch wird eine genügende Einengung des Kavemen-
gebietes erreicht Es ist erstaunlich, wie man auf diese Weise selbst
grosse Hohlräume bis auf einen kleinen Spalt beseitigen kann.
Die extrapleurale Pneumolyse kann man nach Baers Vorschl^
mit einer Plombierung verbinden. Die Plombe entspricht in ihrer Wir¬
kung einer partiellen Einengung der Lunge. Sie kann erwogen werden
bei unvollständigem Pneumothorax zur Einengung des Oberlappens.
Ferner kommt sie in Frage als Ergänzung einer ungenügenden totalen
Bnistwandeinengung zur Kompression des Oberlappens. Wir ziehen
die operative Einengung des Brustkorbes der Plombierung vor. Die
Plombe führt oft zu unangenehmen Störungen, sie wird äusgestössen
und verursacht langdauernde Höhleneiterung oder sie bricht in deii
Pneumothorax oder in den Bronchialbaum durch und kann dann ernste
Gefahren bedingen. Eine seltene Anzeige für eine partielle Plombe
findet sich bei Kranken, deren Tuberkulose unter Zurückbleiben von
Kavernen ausgeheilt ist. Hier ist nicht die Behandlung der Tuberkulose,
sondern nur noch die mechanische Einengung der Kavernen wünschens¬
wert
Bei gewissen Formen der kavernösen Longenphtbise genügen die
geschilderten operativen Massnahmen nicht So beobachtet man starr-
wandige Höhlen, die durch mechanische Kompression der Lunge nicht
nennenswert verkleinert werden können, ln ihrem Innern besteht ge-
L
bigitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
2^
wölinlicli eine starke Sekretretention, oft mit putrider und jauchiger Zer¬
setzung; dabei kann der spezifische tuberkulöse Prozess der Lunge zum
Stillstand, ja zur Ausheilung gekommen sein. Schüttelfröste, die nach
langen Intervallen regelmässig wiederkehren, toxischer Verfall der Kräfte
lind reichlicher Auswurf kennzeichnen das klinische Bild. In solchen
h'ällen liegt der Vergleich der tuberkulösen Lungenkaverne mit einem
clironischen Lungenabszess nalie. Der Zustand des Kranken drängt
geradezu zur operativen Eröffnung der Kaverne. Dieser Eingriff lasst
sich unter Ausnutzung der Erfahrungen, welche die chirurgische Behand¬
lung der Lungentuberkulose gebracht hat, heute sehr wohl rechtfertigen
und mit Erfolg durchführen. Eine derartige Kavernenöffnung darf nicht
als ultimum refugium aufgespart werden. Eine wichtige Voraussetzung
für ihren Erfolg ist die vorherige operative Einengung der Lunge durch
Rippenresektion. Besonders bei sehr grossen Kavernen, deren Aus¬
dehnung klinisch nicht selten einen Pneumothorax vortäuscht, ist die
präliminare Thoraxeröffnung unerlässlich. Je nach der Lokalisation
des Hohlraumes kommen verschiedene Wege in Frage. Die Eröffnung
von vorn, von hinten oder von der Achselhöhle aus hat sich bewährt.
Anifallend ist. wie schnell Absonderung und Auswurf nachlassen.
Nach 2—3 Monaten frühestens, meistens erst nach 6—8 Monaten,
kann man in einer zweiten Sitzung die zurückgebliebene Lungenfistel
durch eine Weichteilplastik schliessen.
(iegenüber diesen kurz beschriebenen Verfahren operativer Behand¬
lung der Lungentuberkulose tritt die künstliche Lähmung des
Zwerchfells als selbständiger Eingriff zurück. Die Herabsetzung
der Tätigkeit der erkrankten Lunge und die Kompression ihres (iewebes
sind für einen nennenswerten Heilerfolg zu unbedeutend. Dagegen hat
sich in anderer Beziehung die künstliche Lähmung des Zwerchfells be¬
währt. Die Phrenikotomie wdrd von uns häufig aus diagnostischen Grün¬
den als eine Art Funktionsprüfung angewandt. Es handelt sich dann
iini Kranke mit verdächtigen älteren Herden auf der anderen Seite. Nach
der klinischvM) Beobachtung blieb unklar, wie. sich bei der zu erw^arten-
deii Mehrarbeit die andere Lunge verhalten würde. Treten nach der
Phrenikotomie Fieber und Vermehrung des phy.sikalischen Befundes auf
der anderen Seite ein. so ist von einem grösseren Eingriff dringend
abzuraten.
Ls bliebe noch übrig, kurz auf die chirurgische Behandlung der b e -
g i n n enden l ii b e r k u l o s e einzugehen, wie sie Freund und
später Hart und Harr a s vorgeschlagen haben. Abgesehen davon,
dass die anatomisclie und pathologische Begründung der Frcundschcn
Lehre von der Entstehung der Spitzentuberkulosc mehrfach angefochten
lind auch in wichtigen Punkten erschüttert ist. kann auf Grund klinischer
Leberlegung dieser Eingriff kaum ernsthaft empfohlen werden. Nur unter
ganz besonderen Verhältnissen wäre die Resektion der ersten Rippe
prophylaktisch zu erwiigen.
Als vor nunmehr 14 Jahren die ersten Erfolge chirurgischer Mass¬
nahmen bei einseitiger Lungentuberkulose bekannt w'urden, war eine
weitgehende i^kepsis gegenüber den Daucrresultaten berechtigt. Bei dem
wechselvollen Bild der 1'uberkulose und der Unbcrechcnbarkeit ihres
Verlaufes war ein kritischer, ablehnender Standpunkt durchaus verständ¬
lich. Heute aber sollte angesichts der vorliegenden Ergebnisse die chirur¬
gische Behandlung der Lungentuberkulose anders beurteilt werden.
Selbst sehr vorsichtige Aerzte müssen anerkennen, dass sie eine grosse
Bedeutung erworben hat. Man muss zugeben, dass auf dem Boden
.inatomischcr und biologischer Veränderungen der Lunge und des Orga¬
nismus w eitgehende Besserungen und Dauerheilungen erzielt werden.
Gewiss ist es gewagt, das Wort „Dauerheilung“ bei schwerkranken
Phthisikern ohne Einschränkung zu gebrauchen. Wenn aber heute, nach
N—10jähriger Beobachtungszeit klinische Gesundheit, Arbeits- und Le¬
bensfähigkeit in vollem Masse bei vorher schwerstkranken Phthisikern
bestehen, so entspricht dieser Zustand dem Begriff der klinischen Heilung
vollkommen.
Einige werden darauf hinweisen. dass schwere kavernöse Phthisen
liie und da spontan ausheilen. Auch ich habe solche Kranke gesehen.
Bei geeignetem Organismus schufen Retraktion und Schrumpfung der
Lunge so günstige anatomische Verhältnisse, dass die Krankheit zum
Stillstand kam. Gerade solche Erfahrungen sprechen aber nachdrücklich
für die Berechtigung operativer Massnahmen. Was dort ausnahmsweise
unter besonderen mechanischen Bedingungen von selbst eintritt, soll
in zaiilreiclien anderen Fällen durch die Operation ermöglicht werden.
LJeberall dort, w o das natürliche Heilbestreben vorhanden ist, aber an der
Starrheit und Unnachgiebigkeit des Brustkorbes scheitert, sind die besten
Voraussetzungen für einen Heilerfolg nach chirurgischer Mobilisation
gegeben.
Die Bedeutung der chirurgischen Behandlung der Lungentuberkulose
wächst um ein Beträchtliches, wenn man zu der Zahl der als „geheilt“
geltenden Kranken noch die ..erheblich gebesserten“ hinzunimmt.
In meiner Zusammenstellung habe ich bis 1919 über 381 tuberkulöse
Kranke berichtet, die sich operativer Behandlung unterzogen. Von
ihnen wurden 134 - 35 Proz. praktisch geheilt. Es sei ausdrücklich her-
vorgehohen, dass bei diesen Kranken in gemeinsamer Beratung rhit In¬
ternen die Indikation zum Eingriff gestellt wurde. Immer ging ihm eine
mehrjährige klimatisch-diätetische Behandlung voraus. Stets handelte
es sich um chronisch schw^erste Formen der Tuberkulose, bei der eine
Heilung kaum zu erwarten w^ar.
Die Zahl der erheblich Gebesserten lässt sich auf etwa 40 Proz.
berechnen.
Die Grösse des Gesamterfolges steht im geraden Verhältnis zu dem
angewandten Verfahren. Wer mit kleinen Mitteln das grosse Ziel der
Iiibcrkuloseheilung verfolgt, wird Enttäuschungen erleben. Aus diesem
I Grunde sollte die chirugische Behandlung der Lungentuberkulose durch
! sogenannte „gefahrlose“ Methoden vom internen Arzte nicht betrieben wer¬
den. Wer die chirurgische Verantwortung für einen grossen, technisch nicht
immer einfachen Eingriff mangels genügender Schulung nicht übernehmen
kann, der ist nicht berechtigt Lungenchirurgie zu treiben. Der Interjic
soll durch Verschärfung der Diagnostik, durch Klärung der Anzeigestel¬
lung die technische Arbeit des Chirurgen unterstützen. Sein Verdifenst ist
um nichts geringer als das des Chirurgen, der seinerseits die Methodik
verbessert und die Operationsgefahren herabsetzt.
Immer wieder wird darauf hingewdesen, dass die Pneumothoraxthera¬
pie einfacher sei und dieselben Erfolge habe. Ein Vergleich der chirur¬
gischen Massnahmen mit der Pneumothoraxbehandlung ist unzulässig.
Die beiden Verfahren können sich nicht gegenseitig ersetzen. Das opera¬
tive Vorgehen kommt überhaupt da erst in Frage, wo der Pneumothorax
unmöglich oder unzweckmässig ist. Anderseits sei aber noch einmal
vor nicht berechtigten Pneumothoraxversuchen dringend gewarnt. Die
schlechten Erfolge nach solchen Fehlern trüben die Prognose dieses
Verfahrens ganz erheblich. Im allgemeinen sind die Erkrankungen, die
sich für die extrapleurale Thorakoplastik eignen fortgeschrittener. Beide
Behandlungsarten haben ihre eigene Indikationsstellung.
Es kann bei der grossen praktischen Bedeutung der Frage ein
letzter Einwand nicht umgangen werden. Man hört oft die Ansicht
äussern, dass die operative Behandlung nur bei wohlhabenden Kranken
angezeigt sei; nur ihnen sei nach der Operation ein ruhiges Leben der
Erholung möglich. Fast könnte man das Gegenteil behaupten. Die
schönsten Erfolge erzielten wir bei Leuten einfachen Standes, die bei
ihrem Berufe bleiben oder zu ihm zurückkehren mussten. Auch das
Ergebnis der operativen Behandlung der tuberkulösen Kriegsteilnehmer
ermutigt zu grundsätzlicher Empfehlung der Methode. Bei ihnen ist das
Ergebnis doppelt zu bewerten, sie werden gesund und unabhängig von
der sozialen Fürsorge. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der
Staat ein grosses Interesse an der allgemeinen Durchführung dieser
Operationverfahren hat.
Die Tuberkulosebekämpfung krankt an einem grundlegenden Fehler.
Die Sanatorien sind in der Regel bestimmt für beginnende, sogenannte heil¬
bare Tuberkulosen; die unheilbaren Kranken mit Kavernen und grossen Aus¬
wurfmengen, die durch ihre Ansteckungsfähigkeit tine Gefahr für ihre
Umgebung bedeuten, bleiben in der Familie. Unter ihnen befinden sich,
darüber kann kein Zweifel sein, sehr viele, die durch zweckmässigen
Eingriff Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zurückerhalten könnten. Es
wäre eine lohnende Aufgabe für diese Leute ebenso zu sorgen, wie man
es für die Leichttuberkulösen seit langem tut. Freilich sind die Hinder¬
nisse zur Erlangung eines solchen Zieles gross. Nur in gemeinsamer Ar¬
beit können die praktischen Aerzte, der innere Facharzt und der Chirurg,
an diese schwere Aufgabe herantreten. Die Aerzte der Fürsorgestellen
und der Versorguiigsämter sollten mit den Zielen und den Erfolgen der
operativen Tuberkulosebehandlung vertrauter sein, als dies wohl noch
oft der Fall ist. Die Chirurgen aber müssen sich mit dem Krankheitsbild
der Tuberkulose ebenso ernsthaft befassen, wie sie es auch sonst auf
dem Neuland chirurgischer Aufgaben zu tun gewohnt sind.
Heute, wo gewaltige Summen zur Wiederherstellung unserer kranken
Kriegsteilnehmer geopfert werden, sollte von den amtlichen Behörden
grundsätzlich auf operative Therapie in geeigneten Fällen gedrungen
werden.
Besondere Erfolge sind zu erwarten, Wenn nach gelungenem Ein¬
griff eine Nachkur im Hochgebirge ermöglicht wird. Aus diesem Grunde
wäre die Beibehaltung des Deutschen Kriegerkurhauses in Davos für
unsere Invaliden dringend erwünscht. Sein Fortbestehen zur Behandlung
Leichtkranker Hesse sich angesichts der grossen Geldkosten dagegen
kaum rechtfertigen. Für mich besteht kein Zweifel, dass die zielbewusste
Durchführung eines solchen Planes das Gesamtergebnis der Tuberkulose¬
bekämpfung um ein ganz Bedeutendes bessern würde.
Die günstigen Erfahrungen, die an der Münchener Klinik in der Be¬
handlung gerade der Kriestuberkulösen gemacht wurden, berechtigen zu
diesem Vorschlag.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Freiburg i. Br.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. Opitz.)
Vergleichende Untersuchungen Ober die Wirkung des
geburtshilflichen Dämmerschlafes bei verschiedener
Dämmerschlafiechnik.
Von Dr. H. Lembcke, Assistent der Klinik.
Bald nach Uebernahme der Freiburger Frauenklinik hatte Geheimrat
Opitz die Erfahrung gemacht, dass bei dem Siegelsghen Schema
des vereinfachten Skopolamin-Amnesin-Dämmerschlafes die Kinder be¬
sonders oft Rauschwirkungen zeigten und dass die Apnoen sich durch
grosse Tiefe und lange Dauer auszeichneten. Besonders auffällig war
ihm ausserdem das gelegentliche Vorkommen von unerklärlichem plötz¬
lichem Schwinden der Herztöne unter der Geburt. Diese Beobachtungen
veranlassten ihn, eine systematisch durchgeführte möglichst genaue öe-
obachtung der im S i e g e 1 sehen Skopolamin-Amnesin-Dämmerschlaf ge¬
borenen Kinder anstellen zu lassen. Mir wurden damals diese Unter¬
suchungen, bei denen mich mein Mitassistent Dr. Rittershaus unter¬
stützte. übertragen.
Sie erstreckten sich zunächst auf 60 unkomplizierte Geburten im
Siege Ischen schematischen vereinfachten Skopolamin-Aranesin-
Dämmerschlaf.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
4. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
263
Wir wollen hier kurz das Resultat des mütterlichen Erfolges vorweg
nehmen. Es entsprach mit 87 Froz. vollkommener Amnesie und 5 Proz.
teilweiser Amnesie, also einem amnestischen Erfolg von 92 Proz., den
bisherigen Erfahrungen.
Wenn wir sodann zu dem Hauptpunkt unserer Untersuchungen, dem
klinischen Erfolg übergehen, so erscheint es wünschenswert, hier zu¬
nächst kurz die einzelnen Kriterien zu besprechen, w'elche uns für die
Beurteilung des kindlichen Zustandes geeignet erschienen. Um sub¬
jektive Komponenten von vornherein auszuschalten, beschränkten wir
uns auf die Registrierung rein objektiv fassbarer Zeichen. Es wurde bei
den einzelnen Kindern besonders der Zeitpunkt des Atembeginns post
partum, der Verlauf der Atmung, Pulszahl und Pulsverlauf notiert. Be¬
sondere Aufmerksamkeit wurde .dem Ablauf einzelner Reflexe gewidmet.
Während die uns bekannten Reflexe (z. B. Verziehen der mimischen
Muskulatur auf Anblasen oder Nasenstüber. Schreien. Heben der ge¬
schlossenen Lider) an Kindern bei Wachgeburten oder solchen bei
Dämmerschlaf ohne Rauschwirkung prompt und vollkommen ablaufen,
ist der Verlauf bei den DämmerschJafkindern m i t Rauschwirkung mehr
oder weniger stark im Eintritt \erzögert, im Ablauf verlangsamt, so
z. B. dass das Kind auf den Reiz hin träge die Lider hebt und ebenso
träge wieder sinken lässt. Ja, der Reflex kann gewissermassen auf
halbem Wege stehen bleiben, so dass der zum Schreien geöffnete Mund
offenstehen bleibt, trotzdem das Kind zu schreien aufhörte. Bei den
höchsten Graden von kindlicher Rauschwirkung sind solche Reflexe
manchmal schwer auslösbar, so dass dann eine gewisse Aehnlichkeit mit
der blassen Asphyxie bestehen kann. Da wir nun einen gewissen
Parallelismus zwischen dem Grad dieser Rauschwirkung am Kinde und
der Dauer der Apnoe fanden, so habe ich geglaubt, mich damit begnügen
zu können, dass ich unsere Beobachtungen über die Beeinflussung der
Atmung mitteile, um sie als relativen Gradmesser der kindlichen Beein¬
flussung zu verwerten. Wir haben nun bei den hier berichteten Ge¬
burten ein Kind als a p n o i s c h bezeichnet, wenn es erst später als eine
Minute post partum den ersten Atemzug macTite und dann über den
mehr oder weniger lange dauernden oligopnoischen Zustand zur nor¬
malen Atmung gelangt. Oligopnoisch haben wir ein Neugeborenes
genannt, wenn es früher als vor Ablauf einer Minute post partum
zu atmeri beginnt und nur wenige verschieden tiefe Atemzüge
in verschieden langen, sich meist schnell verkürzenden Intervallen tut.
Wir erklären uns die verzögerte Atmung als Folge einer Erhöhung der
Reizschwelle des Atemzentrums infolge des Dämmerschlafnärkotikums.
Die Dämmerschlafapnoe ist von der Dämmerschlafoligopnoe demnach
nur graduell verschieden; bei ihr liegt die Reizschwelle des Atem¬
zentrums nur höher als bei der Oligopnoe.
Es bedarf noch der Abgrenzung des Begriffes der Apnoe gegen
den der. A s p h y x i e. Ist eine solche Abgrenzung möglich? Wir finden
sie in der Literatur nirgends scharf durchgeführt. Tatsächlich ist sie
auch nur gegen den Begriff der blassen Asphyxie möglich. Die Apnoe
unterscheidet sich von dieser durch das Vorhandensein des Muskel¬
tonus und der Reflexerregbarkeit, deren Fehlen uns beim blassen
Scheintod ja die hohe Lebensgefahr, in der sich das Kind befindet, an¬
zeigt. Nun kann aber bei den tiefen Apnoen Muskeltonus und Reflex¬
erregbarkeit mehr oder weniger herabgesetzt sein und daher bei hierauf
weniger aufmerksam gerichteten Beobachtungen der Unterschied beider
an sich differenter Zustände verwischt erscheinen. Da die tiefe Apnoe
aus diesem Grunde in der Literatur oft als Asphyxie bezeichnet worden
ist, so erscheint es uns aus diesem Grunde zweckmässig, auch hier
die Asphyxien mit den Apnoen in einer Gruppe zu vereinigen, trotzdem
beide Zustände ursprünglich etwas durchaus verschiedenes sind und nur
die Fälle tiefster Apnoe zu Verwechslungen Veranlassung geben können.
Bei den nach den oben angeführten Gesichtspunkten beobachteten
60 im Siegel sehen vereinfachten schematischen Skopolämin-Amnesin-
Dämmerschlaf geborenen Kindern, fand sich nun folgendes:
Es waren lebensfrisch . 23 (= 38,3 Proz.)
oligopnoisch . . 8 (= 13,3 Proz.)
apnoisch 28 (= 46,6 Proz.)
asphyktisch 1 (= 1,7 Proz.).
Es wurde somit nur wenig mehr als % der Kinder lebensfrisch
geboren, fast die Hälfte war bei der Geburt apnoisch. ein Kind asphyk-
tiseb und der Rest oligopnoisch. Das bedeutet zweifellos eine sehr starke
Beeinflussung unserer Kinder durch das Dämmerschlafnarkotikum. Her¬
vorheben möchte ich an dieser Stelle, dass wir bei diesen Beobachtungen
die Apnoe stets scharf gegen die Asphyxie abgrenzen konnten.
Wir haben uns nun die Frage vorgelegt, warum Siegel in seinen
Freiburger Beobachtungen mit seinem Schema 86 Proz. lebensfrische
Kinder erhielt, während wir an derselben Klinik unter ganz denselben
Bedingungen so verhältnismässig viel weniger lebensfrische Kinder
hatten. Die Ursache für einen so grossen Unterschied konnte u. E. nur
in einem verschiedenen Inhalt des Begriffes „lebensfrisch“ liegen. Wir
Hessen uns nun von den pnter Siegels Aufsicht im schematischen
vereinfachten Dämmerschlaf ausgebildeten Kreissaalhebammen bei einer
Anzahl von Neugeborenen den Zustand derselben angeben und konnten
dabei zu unserer Ueberraschung feststellen, dass die Kinder dann als
lebensfrisch bezeichnet wurden, wenn sie gleich nach der Geburt einen
Atemzug taten, auch wenn der nächste Atemzug erst nach mehreren
Minuten erfolgte, so dass nach unserer Auffassung eine deutliche, von
der Norm abweichende Atmungsform bestand, die wir nach der ausführ¬
lichen Beschreibung von Gauss^) als Oligopnoe bezeichnen zu müssen
glauben. Da — wohl infolge des Aerztemangels während des Krieges —
Nr. .
die klinischen Hebammen bis zur Zeit unserer Untersuchungen die Ein¬
tragung über den Zustand des Kindes meist selbständig auszuführen
pflegten, so halten wir hierdurch die obigen statistischen Beobachtungs¬
differenzen genügend geklärt.
Dass nun aber nicht nur der Prozentsatz der Apnoen bzw. Asphyxien
gross war. sondern auch die Apnoen sehr tief waren, g^ht aus ihrer
Dauer hervor. Sie betrug wie folgt:
bis 3 Minuten bei 14 Kindern
4
„ 5
M 6
.. 7
.. 8
M 15
Die normale Atmung begann bei den apnoischen Kindern nach einem
der Apnoe folgenden Stadium der Oligopnoe, das zwischen 9 und
^ 30 Minuten dauerte.
Diese rein objektive Registrierung der Beobachtungen an einer
wenn auch verhältnismässig kleinen Zahl von Kindern, die bei exakter
Anwendung des nach Siegels Vorschriften ausgeführten vereinfachten
Amnesin-Skopolamin-Dämmerschlaf-Schemas geboren sind, bestätigen
also den von Geheimrat Opitz gewonnenen Eindruck einer verhältnis¬
mässig starken Beeinflussung der Kinder durch diese Form des Dämmer¬
schlafes. Auf Grund unserer Resultate ist daher dei
von Siegel vertretene vereinfachte schematische
Amnesin-Skopolamin-Dämmerschlaf an der Uni¬
versitäts-Frauenklinik in Freiburg aufgegeben
worden.
Es erhob sich nun für uns die Frage, ob man zum individualisierenden
Dämmerschlaf zurückkehren sollte. Da derselbe zweifellos an Arzt und
Hebamme grosse Anforderungen stellt, so lag es nahe, das bis dahin ver¬
wendete Schema so zu ändern, dass nach Möglichkeit ohne wesentliche
Beeinträchtigung der Dämmerschlafwirkung bei der Mutter doch die
unerwünschte Beeinflussung des Kindes vermieden würde.
Die Erfahrungen, die Gauss zu Beginn seiner Dämmerschlaf¬
versuche gemacht hatte, führten ihn schon damals dazu, in der Morphin¬
komponente die Hauptursache einer tiefen kindlichen Apnoe zu sehen.
Ein Vergleich der bei beiden Methoden applizierten Durchschnittsdose
zeigte nun, dass die Morphiummenge beim Sie ge Ischen Schema um
60—80 Proz. höher war, als bei der individualisierenden Methode. Wir
können deshalb das Siegel sehe vereinfachte Amnesin-Skopolamin-
Schema als morphiumreiches Dämmerschlafschema bezeichnen. G a u s s
schreibt hierzu in seinen „Kritischen Beobachtungen“*) folgendes: „Da
es (Morphium) nicht wie das Skopolamin mit dem Urin ausgeschiedeii
wird, so muss es nach einer persönlichen Mitteilung von Geheimrat
Straub zu "einer Speicherung im kindlichen Körper kommen. Wenn
wir uns jetzt des beim vereinfachten Dämmerschlaf des öfteren beob¬
achteten plötzlichen Verschwindens der kindlichen Herztöne erinnern,
so kommt man unwillkürliÄi zu der Vermutung, es könne sich dabei um
einen durch Morphium bedingten Herzblock gehandelt haben. Für eine
Morphiumwirkung spricht auch die von uns und anderen Beobachtern
gemachte Erfahrung, dass die Kinder bei der hohen Morphindosis des
schematischen Dämmerschlafes auffällig oft in tiefster Apnoe geboren
werden und auch noch in den ersten Tagen post partum manchmal eine
Wiederholung des apnoischen Zustandes zeigten, die nach unseren
früheren Untersuchungen sicher zu vermeiden ist, wenn die Morphium¬
dosis von 0,01 g nicht oder doch nur in besonderen Fällen überschritten
wird.“
Wollten wir also weiterhin schematisch dosieren, so mussten wir
dieser Erfahrung Rechnung tragen. G a u s s stellte nun als Richtlinie
für die Ausarbeitung eines neuen besseren Schemas die folgenden Leit¬
sätze auf *): „Da es nach den vorliegenden Erfahrungen im wesentlichen
das Skopolamin ist. das den für den Dämmerschlaf charakteristischen
Zustand hervorruft, während das Morphium zur Einleitung und Unter¬
haltung des Dämmerschlafes im Prinzip unnötig ist, so muss ein weit¬
gehender Verzicht auf regelmässig wiederholte Morphiumgaben ge¬
fordert werden. Eine Anfangsdosis von 0,01 Morphium mur. ist zur Be¬
schleunigung ' des Dämmerschlafeintrittes erwünscht und zugleich für
Mutter und Kind unbedenklich. Weitere Morphiumdosen sind möglichst
zu vermeiden. Eine gelegentliche Wiederholung bei bestimmten Indika¬
tionen (Wiederbeginn des unterbrochenen Dämmerschlafes, Steigerung
der Schmerzen gegen das Geburtsende, abnorme Schmerzempfindlichkeit
bei nervösen Frauen, erhöhte Schmerzempfindlichkeit bei aussergewöhn-
licher Weichteilquetschung) ist nach den Erfahrungen des Dämmerschlafes
alten Stiles jedoch erlaubt.“
Von einer solchen ausnahmsweisen Wiederholung der Morphium¬
dosierung haben wir bisher durchweg Abstand genommen, um zunächst
ein klares Bild von der Leistungsfähigkeit des reinen Schemas zu
gewinnen. a
Bei unseren Bemühungen, für das Kindoessere Re¬
sultate zu gewinnen unter gleichzeitiger Erzielung
möglichst optimaler Amnesiezahlen für die Mutter,
sind wir nun nach anfäng 1 ichen mehrfachen Aendc-
run.gen zudem folgenden Schema gelangt:
^)Qauss: Geburten im künstlichen Dämmerschlaf. Arch. f. Gyn.
78. 1906.
*) Zbl. f. Gyn. 1920 Nr.-11.
*) loco cit.
3
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
264
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
8 Uhr 0,00045 Skopolamin + 0,03 Narkophin
8^ „ 0,00045 „ ohne
9 ^ .. 0.00021
10% „ 0,00021
11% .. 0,00021 ., „ ., usf.
Diese Technik ist also dem Siege Ischen Schema gegenüber
charakterisiert:
1. durch den Verzicht auf wiederholte Einzelmorphindosen,
2. durch die für die ganze Dämmerschlafperiode zugeführte wesent¬
lich geringere Gesamtmorphindosis,
3. durch das Fehlen des Chinins, das Siegel zwecks Kompen¬
sation der durch die starke Morphindosis verursachten Wehen¬
schwäche in seinem Amnesinpräparat zuführt.
4. durch eine geringe Erhöhung der Skopolamindosis.
Wir werden nun im folgenden zu den mit dem neuen Schema be¬
handelten Geburten übergehen und die Resultate der beiden zur Kritik
stehenden Schemata einander gegenüberstellen. Der Einfachheit wegen
wollen wir kurz von dem morphinarmen und dem morphinreichen
Schema sprechen, und dabei unter „Morphin“ das Morphinäquivalent des
betreffenden Medikamentes (Amnesin bzw. Narkophin) verstehen.
Zur Beurteilung der mit unserem morphinarmen Schema gemachten
Erfahrungen liegen bis zum Abschluss dieser Arbeit 321 Geburten mit
327 Kindern vor. Da ich selber das morphinarme Dämmerschlafschema
nur klinisch ausarbeitete, die nach seiner endgültigen Festlegung damit
durchgeführten Entbindungen aber durch meine Mitassistenten Dr. Behne
und Dr. D r e y e r geleitet und beobachtet wurden, die auch den Zustand
des Kindes kritisierten, so fällt damit jeder Vorwurf einer subjektiven
Beobachtung fort.
Ich habe nun in Kolonne 1 und 3 der beistehenden Tabelle die
Resultate zweier gleich grosser, nach den beiden in Vergleich stehenden
Schemata entbundenen von 336 bzw. 321 Fällen einander gegenüber¬
gestellt, wie sie durch Horn*) und durch P e t e r m a n n ®) bei ihrer
Zusammenstellung gefunden wurden.
In einer zweiten Kolonne habe ich das Ergebnis der von mir mit
Rittershaus unter besonderer Berücksichtigung der Kinder gewon¬
nenen Beobachtungen angeführt. Eine Absonderung der operativen von
den Spontangeburten wurde nicht vorgenommen, da^ die zum Vergleich
herangezogene Horn sehe Statistik der morphinreichen Dämmerschlaf¬
geburten die operativen Fälle einschliesst und die Operationsfrequenz
nicht wesentlich bei beiden Geburten differierte.
Siegels vereinfachter schematischer
Amnesin - Skopolamin-Dämmerschlaf
886 FäUe 1 60 Fälle
(Horn) 1 (Lembcke)
.Wuer morphin-
«rmer schematisch
Skopolaniin-
Däinmerachlaf
sn Fälle
(Petermann)
Proz.
Proz.
Proz.
Vollkommene Amnesie .
Unvoll k ommene Amnesie
76,8
n
76
17,8
81.8
Amnestischer Erfolg . .
88,6
98
97,8
Kein Erfolg
Lebensfris^ . .
7,6
8
2,2
76,6
88,3
88,8
Oligopnoisch
Apnoisch bezw. asphyk-
17
18,8
7,8
tiioh.
7.5
48,8
(46,6 apnoisch-f 1,7
aspnyktisch)
8,8
Die Tabelle lehrt uns nun, dass bei den 321 im neuen morphin¬
armen schematischen Dämmerschlaf geleiteten Ge¬
burten in 76 Proz. der Fälle eine vollkommene Am¬
nesie erzielt wurde, während die von Horn zusammengestellten,
im morphinreichen schematischen Dämmerschlaf
Entbundenen in 75 Proz. vollkommene Amnesie aufweisen. Der Prozent¬
satz vollkommener Amnesien ist mit 21,8 Proz. beim morphinarmen
Dämmerschlaf ebenfalls noch etwas höher als beim morphinreichen
Schema. Mithin ist also der amnestische Erfolg von 93 Proz. auf
98 Proz. gestiegen. Die Zahl der vollkommenen Versager ist dement¬
sprechend von 7,5 Proz. auf 2,2 Proz. verringert. Ob diese Steigerung
des amnestischen Erfolges auf die geringe Erhöhung der Skopolamindosis
zurückzuführen, oder zufällig ist, möge dahingestellt bleiben. Auf alle
Fälle haben diese Erfahrungen uns gelehrt, dass unser neues morphin¬
armes (Narkophin-Skopolamin) Schema dem morphinreichen (Amnesin-
Skopolamin) Schema hinsichtlich des amnestischen Erfolges nicht
nachsteht.
Der Hauptprüfstein für die Brauchbarkeit des
morphinarmen Schemas war natürlich der Zustand
des Kindes bei und nach der Geburt. Von den 327 im mor¬
phinarmen Dämmerschlaf geborenen Kindern waren 83,8 Proz. lebens¬
frisch, nur 7,8 Proz. oligopnoisch und 8,3 Proz. apnoisch bzw. asphyk-
tisch. Horn^gibt zwar in seiner Zusammenstellung 75,5 Proz. im
morphinreichen Dämmerschlaf geborene Kinder als lebensfrisch an, doch
sahen wir oben, dass dieses anscheinend günstige Ergebnis wohl nur als
die Folge eines unscharfen Begriffes „lebensfrisch“ angesprochen werden
darf. Wenn wir uns daran erinnern, dass bei genauester Beobachtung
des Zustandes der Neugeborenen bei dem vereinfachten Schema des
Dämmerschlafes nur 38,3 Proz. lebensfrische Kinder und fast die Hälfte
apnoisch bzw. asphyktisch waren, so hat sich durch diese Qegenüber-
*) Horn: Inauguraldissertation, Freiburg f. B. 1920.
Petermann: Inauguraldissertation, Freiburg i. B. 1920.
Digitized by Goüsle
Stellung unsere Annahme als berechtigt erwiesen, dass eine Ver¬
ringerung der Morphindosis bei leichter Erhöhung
der Skopolamindosis mindestens den gleichen Erfolg
bei derMuttergewährleistet, wie Siegel ihn vom morphin¬
reichen Amnesin-Skopolamin-Schema berichtet, und dassdiestarke
Beeinflussung der Kinder beim morphinreichen
Dämmerschlafschema in erster Linie auf eine Ueber-
dosierung mit Morphium zurückzuführen ist.
Vergleichen wir die in den einzelnen Beobachtungsserien verab¬
folgten mittleren Dämmerschlafdosen, so ergibt sich
folgendes:
Bei dem morphinreichen Skopolamin-Amnesin-Schema verzeichnete:
Horn (336 Fälle) 1,62 mg Skopolamin + 18,42 mg Morphin.
Bei unserem jetzigen morphinarmen Schema (321 Fälle) wurde da¬
gegen 1,83 mg Skopolamin + 10,0 mg Morphin gegeben.
Es erhielten also die im morphinarmen Dämmerschlaf Entbundenen
nur 0,2 mg Skopolamin für die ganze Geburtszeit mehi als die nach dem
morphinreichen Dämmerschlafschema Entbundenen, dagegen aber fast
nur die Hälfte der Morphindosis.
Wir haben bisher die kindliche Mortalität bei den in Ver¬
gleich gestellten Dämmerschlafgruppen noch nicht erörtert.
Mayer®) hat nun in seiner Inauguraldissertation alle kindlichen
Todesfälle (bis zum 9. Tage) der Freiburger Universitäts-Frauenklinik
seit Beginn des (morphinreichen) schematischen vereinfachten Skopo-
lamin-Amnesin-Dämmerschlafes analysiert und in zwei Gruppen getrennt
zusammengestellt Wir geben im folgenden dessen zusammenfassende
Zahlen wieder. In der ersten Gruppe werden die unter dem alten
morphinreichen Schema gestorbenen Kinder den in der gleichen Zeit
gestorbenen, ohne Dämmerschlaf entbundenen Kindern gegenübergestellt,
in der zv^eiten Gruppe die kindlichen Todesfälle bei dem neuen morphin¬
armen Schema und bei den in dieser Zeit ohne Dämmerschlaf Ent¬
bundenen.
Was ergibt nun die Gegenüberstellung der verschiedenen Mortalitäts¬
ziffern?
In den be>iden Gruppen der ohne Dämmerschlaf entbundenen Kinder
ist die Mortalität mit 3,65 Proz. bzw. 3,85 Proz. annähernd die gleiche.
Daraus dürfen wir wohl den Schluss ziehen, dass auch die in dem gleichen
Zeitabschnitt ausgeführten Dämmerschlafgeburten unter etwa gleichen
Bedingungen stattfanden. Dann muss aber eine Differenz der Mortalitäts¬
ziffern der beiden Dämmerschlafgruppen zugunsten bzw. ungunsten der
einen der beiden Schemata sprechen.
Nun fand Mayer bei dem alten morphinreichen Schema eine kind¬
liche Mortalität von 2,98 Proz., bei unserem jetzigen morphinarmen
Dämmerschlafschema dagegen nur 1,67 Proz.
Auffallend ist hier zunächst die höhere kindliche Mortalität bei den
dämmerschlaflosen Geburten gegenüber den Dämmerschlafgeburten im
allgemeinen, dann aber ferner die geringe kindliche Mortalität bei den
morphinarmen schematischen gegenüber den morphinreichen Dämmer¬
schlafgeburten. Mayer hat nun weiterhin, um die Mortalität der ohne
besondere Komplikation und demnach wahrscheinlich allein an Geburts¬
schädigung gestorbenen Kinder zu gewinnen, alle anderen an greifbaren
Ursachen (Placenta praevia, enges Becken, vorzeitige Lösung der Nach¬
geburt u. a.) zugrunde gegangenen Kinder abgesondert und kommt dann
zu dem folgenden Ergebnis:
Es starb infolge einer Geburtsschädigung beim morphinreichen
schematischen (Amnesin-Skopolamin) Dämmerschlaf 1,1 Proz. der
Kinder, bei dem morphinarmen schematischen (Amnesin-Skopolamin-
Narkophin) Dämmerschlaf nur 0,5 Proz.
Wir glauben berechtigt zu sein, diese beiden von Mayer fest¬
gestellten kindlichen Mortalitätsziffern als ein Wertmass für die beiden
verschiedenen Schemata betrachten zu dürfen.
Unsere Erfahrungen mit dem neuen morphinarmen schematischen
Dämmerschlaf lassen sich also in die folgenden Sätze zusammenfassen:
1. Die Rauschwirkung bei den Kindern ist bei dem morphinarmen
schematischen (Narkophin-Skopolamin) Dämmerschlaf wesentlich ge¬
ringer als bei dem morphinreichen vereinfachten schematischen (Amnesin-
Skopolamin) Dämmerschlaf, da bei dem letzteren dem Kinde im Verlauf
der Dämmerschlafmedikation durchschnittlich 84 Proz. mehr Morphin zu¬
geführt werden.
2. Die kindliche Mortalität ist bei dem morphinarmen schematischen
Dämmerschlaf geringer als bei dem morphinreichen vereinfachten
schematischen Dämmerschlaf.
3. Das neue morphinarme Schema erzielt bei der Mutter mindestens
den gleichen amnestischen Erfolg, wie das morphinreiche Schema.
Der morphinarme schematische Dämmerschlaf
hat die dem morphinreichen schematischen Dämmer¬
schlaf nachgesagtenVorteile, ohnedie ihm anhaften¬
den Nachteil e.
Der morphinarme Dämmerschlaf ist daher dem
morphinreichen Dämmerschlaf vorzuziehen.
*) Mayer Rudolf: Inauguraldissertation, Freiburg i. B. 1920.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
4. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRlFf.
265
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg.
(Direktor: Qeh. Rat Menge.)
Geburten im hypnotischen Dämmerschlaf.
Von Dr. v. Dettingen, Assistent der Klinik.
Vor 15 Jahren führte Qauss den Moiphin-Skopolamin-Dänimerschlai
in die Geburtshilfe ein. Diesem war nicht das Schicksal beschieden, als
in sich abgerundete und abgeschlossene Methode widerspruchslos von
den Kliniken und Entbindungsanstalten aufgenommen zu werden. Die
Kesultate waren zu verschieden. Neben vorzüglichen, glatten Dämmerschlai-
ergebnissen erlebte man eine grosse Anzahl von Schädigungen bei Kind
und Mutter. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich eine statt¬
liche Literatur über diesen Gegenstand angesammelt hat. in der heftig
für und gegen den- Dämmerschlaf gestritten wird, und dass es nicht an
Versuchen gefehlt hat, 'den Morphin-Skopolamin-Dämmerschlaf an sich
zu modifizieren oder gar neue Wege einzuschlagen, den Dämmerschlaf
herbeizuführen, wie dies kürzlich Rapin in Lausanne durch ein theo¬
retisch wohldurchdachtes Verfahren tat, das aber mit nicht weniger als
5 Arzneimitteln in verschiedenen Geburtsphasen arbeitet.
Die Erfahrungen, die viele Autoren den Morphin-Skopolamin-
Dämmerschlaf ablehnen lassen, sind zu bekannt, um sie hier noch einmal
ausführlich erörtern zu müssen. Wir selber haben im Verlauf des ver¬
gangenen Sommers erneute Versuche mit ihm gemacht und erhielten die
gleichen unerfteulichen Resultate: Hinschleppung des Geburtsablaufes
durch Verzögerung der Eröffnung- wie Austreibungsperiode infolge deut¬
licher Lähmung der Wehen und mangelhafter Initiative der im tiefen
Dämmerschlaf liegenden Kreissenden, die ein aktives Mitpressen oft
völlig vermissen Hessen; Störungen in der Nachgeburtsperiode, Plazen¬
tarretention, atonische Blutungen; Schädigungen des Kindes durch die
Ueberschüttung mit narkotischen Stoffen und Druckschädigung infolge
verlängerten Aufenthaltes im mütterlichen Geburtskanal; endlich Er¬
regungszustände der Kreissenden, die die geburtshilfliche Asepsis auf das
schwerste zu gefährden vermögen und eine geordnete Leitung der Ge¬
burt erschweren können. Diese Resultate sind an kleinem Material ge¬
wonnen und berechtigen deshalb nicht zu bindenden Schlüssen. Sie
stimmen aber überein mit zahlreichen Publikationen, besonders auch der
letzten Jahre, so dass wir uns für berechtigt halten, aus der Ueberein-
stimmung mit anderen Autoren Schlüsse auf die keineswegs zu leug¬
nenden Nachteile des Verfahrens zu ziehen.
Es ist zweifellos wichtig, bei der Beurteilung des Skopclamin-
Morphin-Dämmerschlafes die mehr oder weniger voilendete Tecimik zu
berücksichtigen. Eine Klinik mit grosser Dämmerschlaferfahrung. m’t
allen äusseren Einrichtungen (schallsicheren Boxen iisw.), wird wesent¬
lich bessere, vielleicht auch einwandfreie Resultate erzielen können.
Es ist dann eben die Methode nur solchen Anstalten zugänglich. Unser
Streben ist es aber, ein Dämmerschlafverfahren zu besitzen, das ohne
Schädigung der Beteiligten, der Mutter und des Kindes, in weitem
Kreise anwendbar ist. Alle Methoden, die mit narkotischen Mitteln
arbeiten, finden ihre Beschränkung in sich selber. Der empfindfiche
kindliche Organismus, der empfindliche nervöse Apparat der Wehen¬
funktion setzt unüberschreitbare Grenzen.
Den schlechten Erfahrungen, die zahlreiche Kliniker mit dem Däm¬
merschlaf machten, ist wohl auch die Abneigung, die jedem Verfahren,
ja jedem Versuch ein solches Verfahren auszuarbeiten, von mancher
Seite entgegengebracht wird, zuzuschreiben. Und in der Tat! Wer
einen schlechten Skopolamin-Morphium-Dämmerschlaf gesehen hat. mit
heftig erregter Patientin, schleppender Wehenarbeit, asphyktischem Kinde,
dem muss die Forderung sich aufdrängen, den an sich physiologischen
Oeburtsvorgang nicht durch diese unphysiologischen Verhältnisse zu
stören, sondern physiologisch ablaufen zu lassen. Und damit nähert man
sich der Frage der Berechtigung des Dämmerschlafes und des Suchens
nach einem geeigneten Verfahren.
Von nicht wenigen klinischen Leitern wird diese Berechtigung ge¬
leugnet. Es klingt hier und da ein Ton der Geringschätzung an in ihren
Worten, wenn sie Arzt und Gebärender die fehlende Notwendigkeit zur
.Ausführung des Dämmerschlafs auseinandersetzen. Ich kann hier
nicht ganz folgen. Mir scheint die Frage diskutabel, ob in der Tat der
(ieburtsschmerz beim menschlichen Weibe durchaus in den Grenzen des
Physiologischen sich hält. Wer häufig Tiergeburten zu beobachten Ge¬
legenheit hatte, wird sich wohl des Eindruckes nicht erwehren könneit
dass Tiere um vieles leichter, schneller und weniger schmerzhaft ge¬
bären als der Mensch. Der Mensch und vor allem die Frau, als höher
potenziertes Wesen, mit feinerem Organismus und diffizileren nervösen
Komponenten, leidet unter dem Geburtsvorgang weitaus stärker. Und
ich empfinde es doch als ärztliche Pflicht des Geburtshelfers, hier nach
Möglichkeit helfend einzugreifen. Wenn Winckei einmal gesagt hat:
,J)ie Gynäkologie ist der Dank der Wissenschaft an die Frauen für
alles, was sie für uns tragen, dulden und leiden“, so gilt dies sicher nicht
zuletzt für die Geburtshilfe. Nur gilt es, ein Dämmerschlafverfahren zu
finden, das den normalen Ablauf der Geburt in keiner Weise zu be¬
einträchtigen vermag.
Wir glauben den Weg zu einem solchen Verfahren gefunden zu
haben: Der Weg ist die Hypnose.
Es ist eine altbekannte Tatsache, dass durch die Hypnose eine An¬
ästhesie erzielt werden kann. Schon im Jahre 1821 wendete R6-
camier die Kraft der Suggestion bei zahlreichen operativen Ein¬
griffen an. 1826 entfernte C l o q u 6 einen Brustkrebs in Hypnose. Gö¬
rin e a u amputierte 1859^^ den Oberschenkel eines Mannes, v. Schrenck-
Notzing berichtet über eine Entbindung in Hypnose, ebenso L e h -
Digitized by Google
mann und Forel; Broca, Broid, Pozzi, Wood über ander¬
weitige Eingriffe.
Ha Hauer sprach 1909 in einer Sitzung über eine neue Anwen¬
dungsform der Suggestion in der Gynäkologie, indem er mit an sich
unzureichenden Mengen von Chloroform oder Aether eine Narkose ein¬
leitet, dabei Schlaf und Schmerzlosigkeit suggeriert und gewöhnlich
auch erreicht. Die in der Geburtshilie längst gepflegte „narcose ä la
reine“ beruht wohl letzten Endes in üirer Wirkung auf dem gleichen
Moment, der Suggestion.
Es ist schwer, ein Bild zu gewinnen über den Mechanismus der
Hypnose und Suggestion. Wir bewegen uns da im rein Theoretischen,
und doch möchte ich versuchen, in knappen Strichen eine Skizze dieser
Theorien zu entwerfen. Sie wird das Verständnis für die Erfolge mit
der Hypnose und die unbefangene Einstellung ihr gegenüber erleichtern.
Forel versteht unten Hypnose den veränderten Seeienzustand
eines Menschen im suggestiven Schlaf. In ihm ist die Tätigkeit der
Gedanken, der Empfindungen, des Nervenlebens überhaupt rein funktio¬
nell, stark dissoziiert. Eine Folge davon ist unter anderem eine erhöhte
Beeinflussbarkeit für 'die Eingebungen des Hypnotiseurs.
Fragt man nach den physiologischen Veränderungen, die diesem
hypnotischen Zustande zugrunde liegen, so nehmen einen breiten Raum
solche Erklärungen ein, die eine partielle oder allgemeinere Anämie der
Grosshirnrinde annehmen, durch die die subkortikalen Ganglien und Him-
rindenzellen wie die verbindenden Nervenfäden funktionsuntüchtig
werden.
Andere Autoren denken an das Gegenteil, an hyperämische Zu¬
stände. Und so nimmt Schleich an, dass durch Hyperämie eine
stärkere Plasmafüllung der die Achsenzylinder isolierenden Neuroglia-
zellen zustande käme, so dass hierdurch eine Reizleitung gehemmt,
ja unterbrochen werden kann.
Interessant ist eine Theorie von van de Lanoitte und Pupin,
die von dem Gedanken ausgehen, dass die Achsenzylinder in ihren End¬
verzweigungen nicht durch Kontinuität, sondern durch Kontiguität mittels
der Protoplasmafortsätze verbunden seien. Lockerung oder Lösung eines
solchen Kontaktes muss Hemmung oder Ausfall, der Leitungsfähigkeit
bedeuten. Da man nun den Nervenzellen amöboide Bewegungen ur¬
sprünglich zuschrieb, so könnte eine Lösung dieses Kontaktes wie eine
innigere Schliessung auf diesem Wege schon denkbar sein.
Die Definition des Begriffes „Suggestion“ ist sehr verschieden.
Bergmann definiert: „Suggestion ist eine Vorstellung, welche in¬
folge ihrer Intensität mit triebhafter Notwendigkeit sich realisiert.“
Forel hingegen nennt die Suggestion das Erzeugen einer dynami¬
schen Veränderung im Nervensystem eines Menschen durch einen
anderen Menschen, in dem die Vorstellung hervorgerufen wird, dass
. irgend etwas eingetreten sei oder eintreten werde. Es geschieht dies
durch die Lautsprache, Verbalsuggestion. Oder genauer: Suggestion ist
ein Eingriff in die ekphorische Dynamik unserer Seele, d. h. in die Fähig¬
keit der Seele, Sinneseindrücke aus dem Unterbewusstsein zum Bewusst¬
sein zu heben. Infolgedessen parekphoriert die Seele, was wohl asso¬
ziiert lag, sie hebt ungeordnet und verworren aus dem Unterbewusstsein
heraus, was wohl geordnet und richtig miteinander verknüpft war, und
verbindet dies neu. So kommt es, dass die parekphorisehe Grossbirn-
dynamik des Hypnotisierten, der wohlassoziierten, konzentrierten Dyna¬
mik des Hypnotiseurs unterlegen ist Ihre Tätigkeit wird biegsam,
plastisch, schmiegt sich mehr oder weniger stark der gegebenen Sug¬
gestion an. Unterstützt wird dieser Vorgang durch den Schlafzustand, in
aem das Grosshim schon an und für sich in einem Zustand der Schwäche,
der Hypotaxie, sich findet
Gebe ich nun einem infolge Hypnose derart dissoziierten Gehirn
einer Graviden die Suggestion, sie werde in der (jeburt keinen Wehen¬
schmerz empfinden, tief schlafen und erst nach erledigter Geburt ohne
jede Erinnerung aufwachen, so haftet diese Suggestion — in den aller¬
meisten Fällen wenigstens —, erzeugt eine dynamische Veränderung im
Zentralnervensystem derart dass beim Eintritt der Wehen durch Blok-
kierung gewisser Bahnen, vielleicht auch Reizableitung auf andere Zen¬
tren, der Wehenschmerz nicht zum Bewusstsein kommt
Unser Material über den hypnotischen Dämmerschlaf ist nur klein.
Es umfasst 16 Fälle, von denen 14 gelungen sind, 2 Fälle Versager waren,
die später ihre Erklärung finden werden. Gewiss ist die Versuchsreihe
zu klein, um aus ihr die Brauchbarkeit und Vollkommenheit der Methode
mit Sicherheit ableiten zu wollen. Es lässt sich aber doch schon ge¬
nügend beobachten und berichten, um ein Bild zu entwerfen, das von
anderen Kliniken und Anstalten nachgeprüft werden wag.
Die Technik des Hypnotisierens ist einfach. Es gehören weder be¬
sondere spirituelle Kräfte, noch hypnotische Ausstrahlungen dazu, die
Hypnose beherrschen zu lernen. Sie verlangt ein bestimmtes, ruhiges
Auftreten, das den Patienten von dem Uebergewicht des Arztes und der
Gewissheit seiner Darlegungen überzeugt, und eine liebevolle, im Anfang
mit Geduld durchgeführte Beschäftigung mit den theoretischen wie prak¬
tischen Fragen der Hypnose. Fehlschläge, die zunächst unvermeidlich
sind, dürfen den Glauben an die Methode nicht erschüttern und wanken
machen. Nur dann wird man die persönliche Sicherheit und Ueber-
zeugtheit haben, die den Erfolg bedingen.
Wir haben uns zunächst mit unseren Versuchen nur an die Haus¬
schwangeren gewandt, die schon etliche Wochen vor der Entbindung
im Hause leben, da eine hypnotische Vorbereitung erwünscht ist. Und
zwar verfahren wir folgendermassen:
3 Wochen vor dem Endtermin beginnt die Behandlung. 3—4 Haus¬
schwangere werden zu gleicher Zeit in einem Raume eingeschläfert.
Es empfiehlt sich, in Gruppen zu hypnotisieren, da die gegenseitige Be-
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
266
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
ruhigung und Steigerung der Suggestion ein wesentliches Hilfsmiticl be¬
deuten. Es wird nun die Suggestion gegeben, dass der Schlaf die Fähig¬
keit verleihen könne, immer leichter und tiefer einzuschlaten, wenn es
angeordnet würde, und dass in diesem Schlafe jede Schrnerzempfindung,
vor allem der Wehenschmerz, völlig aufgehoben sei. Man prüft am
l^esten den Erfolg der Suggestion, indem man eine Empfindungslosigkeit
des Armes suggeriert und mit tiefen Nadelstichen sich von der Wirkung
überzeugt. Ist die Anästliesie total, so ist die Patientin genügend vor¬
bereitet.
Kommen die Patienten mit Wehen auf den Saal, so schlafen sie
gewöhnlich sehr leicht ein, in ganz seltenen Fällen war es etwas schwie¬
rig, aber doch stets zu erreichen. Sie liegen zunächst tief und ruhig
schlafend da, während Wehe auf Wehe abläuft. Ein leichtes Stöhnen
oder eine geringe motorische Unruhe in der Wehe zeigt an, dass die
Geburt nicht stilisteht. Häufig werden gegen die Austreibungsperiode zu
die Gebärenden unruhiger. Jede Wehe löst lautes Aechzen aus. Zu
Erregungszuständen, wie wir sie im Skopolamin-Morphin-Dämmerschlaf
gesehen haben, ist es aber nie gekommen. Ich habe in solchen haiui
rektal 3—4 g Paraldehyd in einer 5 proz. Lösung gegeben, die den Schlaf
vertiefte. Es ist eine kleine Dosis, die von psychiatrischer Seite als un¬
wirksam angesehen wird. Ich glaube aber meinen Beobachtungen nach
doch an ihre Wirksamkeit. Zweimal gab ich zu Beginn der Austrei¬
bungsperiode eine Spritze Skopolamin-Amnesin. Der Erfolg war promp¬
tes Nachlasen der Wehentätigkeit
Es ist im Anfang schwer zu beurteilen, ob eine Kreissende noch
in der Hypnose liegt Es klingt dies paradox. An einem Falle möchte
ich es erläutern: Eine Hausschwangere mit engem Becken kam eines
Freitags nachts auf den Saal, war vorbereitet schlief gut ein. Sie kreisste
während des Sonnabends, während der Nacht zum Sonntag, bekam hier
und da etw^as Milch, schlief in den Wehenpausen fest. Am Sonntag
morgen machte sie mir einen so wachen Eindruck, dass ich ihr sagte, es
hätte keinen Zweck mehr zu schlafen, sie müsste nun ihr Kind im
wachen Zustande bekommen. Am Nachmittag des Tages gebar sie in
Vorderhauptslage. Auf meine Fragen am folgenden Tag, wie lange sie
geschlafen habe, gab sie zur Antwort sie sei aufgewacht, als ich cs ihr
befohlen habe mit den Worten, weiterer Schlaf sei zwecklos. Ich habe
in Unkenntnis des Bildes damals die Hypnose selber abgebrochen.
Die Austreibungsperiode geht im allgemeinen prompt vonstatten.
Es wird auf Anordnung gut mitgepresst doch habe ich hier und da den
Eindruck gew'onnen, als ob die Presstätigkeit nicht ganz so aktiv aus¬
geübt würde, wie bei völlig wachen Kreissenden. Ich glaube aber, durch
die entsprechenden Suggestionen lässt sich diesem Uebelstande abhelfen.
Die Nachgeburtsperiode war stets glatt. Nur in einem Falle, in dem
Skopolamin-Amnesin gegeben worden war, machte die Ablösung der
Plazenta Schwierigkeiten. Wegen der Blutung wurde Crede gemacht.
Es ist damit nicht gesagt dass das Skopolamin-Amnesin schuld ist
Die Katamnese über den Qeburtsverlauf nahm ich stets am folgenden
Tag erst auf. Unter 14 Fällen hatte ich 6 mal eine völlige Amnesie,
in 8 Fällen eine zerlöcherte. Die Wöchnerinnen erinnerten sich dann
an Einzelheiten der Geburt Die eine erzählte, das Klappern einer
Schere gehört zu haben, die andere erinnerte sich an Menschen, die um
das Bett gestanden hatten, eine dritte hatte unter der Austreibung auch
einen Wehenschmerz verspürt Diese Erinnerungsinseln waren aber
stets ganz unklar, mit einer gewissen Anspannung wurden die Erinne¬
rungen zusammengesucht und verwischten sich im Laufe der folgenden
Tage. Es ist ähnlich dem Zustande, den wir erleben, wenn wir leb¬
haft geträumt haben und uns einzelner Traumvorgänge am Morgen noch
erinnern, die bald zu verblassen pflegen.
Es war auffallend, dass häufig die vorbereiteten Hausschwangeren
auf den Kreisssaal kamen mit der Angabe, die Blase sei gesprungen,
richtige Wehen hätten sie noch nicht verspürt Die innere Untersuchung
ergab dann regelmässig, dass der Kopf schon fast oder ganz auf dem
Beckenboden stand. In einem solchen Falle — es handelte sich um
eine Zw'eitgebärende, die nur mit Schrecken an ihre erste, sehr
schmerzhafte Geburt dachte — unterliess ich es, den Schlaf herbei¬
zuführen. Es war nun zu beobachten, wie Wehe auf Wehe ablief, ohne
dass ein Wehenschmerz verspürt wurde und die Geburt schnell und
schmerzlos zu Ende ging. Es handelte sich zweifellos um die Aus¬
wirkung der im hypnotischen Zustande gegebenen Suggestion der
Wehenchmerzlosigkeit, die hier auch im Wachzustände wirksam blieb.
Zwei Fälle, die als Versager gebucht werden müssen. Ittten an
Gegensuggestionen, die ihnen von ihren Angehörigen gegeben wurden.
Sie waren ängstlich gemacht worden durch die Vorstellung, sie könnten
in der Hypnose Schaden erleiden. Sie schliefen ein. wachten aber bald
wieder auf und waren nicht mehr einzuschläfern. Mit diesen gegen
unseren Willen arbeitenden Mächten muss man rechnen. Mit der nötigen
Uebung und der zunehmenden Sicherheit wird man sie überwinden
können.
Fasse ich zusammen, so darf ich wohl sagen, wir haben in der
Hypnose ein wirksames Mittel, durch Suggestion den Wehenschmerz zu
beseitigen, zum mindesten stark herabzusetzen. Es fallen bei dem
hypnotischen Dämmerschlaf die oft bedeutenden narkotischen Dosen,
die bei jeder anderen Form des Dämmerschlafs gegeben werden müssen,
fort. Diese bedeuten aber stets eine Gefahrenquelle für den ungestörten
Ablauf der Geburt und das Wohlbefinden des Kindes. Die Anwendung
der Hypnose verlangt eine gewisse Uebung und Geduld. Sie kann aber
ln der Hand des Arztes, der sich eingearbeitet hat, eine Quelle des Segens
für unsere gebärenden Frauen sein.
Digitized by Goiisle
Aus dem pathologischen Institut der Universität Kölm
(Direktor: Prof. Dr. A. Dietrich.)
Ueber das Hautpigment und seine Beziehung zur
Addisonschen Krankheit*).
Von Dr. K* Heudorfer, Assistent am Institut.
Das hervorstechendste Symptom der Addisonschen Krankheit,
die Braunfärbung der Haut, war von jeher auch dasjenige, für welches
am wenigsten eine befriedigende Erklärung gefunden wurde. Vor allem
trägt an dieser Unsicherheit die Tatsache schuld, dass der Vorgang der
Pigmentbildung in der Haut noch nicht vollauf geklärt ist. Als ich mich
anlässlich eines Falles schwerer Nebennierentuberkulose ohne Bronze¬
haut („weisser Addison“) für diese Frage interessierte, war es mir bald
klar, dass man zu einer eigenen Anschauung nur durch die Klarstellung
bestimmter Vorgänge bei der Pigmentbildung .gelangen konnte, zumal
ia feststelit, wie ich auch selbst bestätigen kann, dass Addisonpigment
und Hautpigment morphologisch und chemisch identisch sind. Man
musste in erster Linie darüber Aufschluss zu erlangen suchen, ob, wie
M e i r o w s k y und R ö s s 1 e annehmen, der chemische Körper des Pig¬
ments selbst von den Epithelzellen gebildet wird, oder ob, wie Bloch
auf Grund seiner Dopareaktion glaubt, die Haut nur ein spezifisches Fer¬
ment produziert, welches eine bereits im Säftestrom fertig vorhandene
Aminosäure zu Pigment oxydiere. Einen Einblick in diese Vorgänge
glaubte ich erhalten zu können durch die Nachprüfung der Bloch sehen
Dopaversuche und durch die Feststellung der Ursachen des
Meirowsky sehen Phänomens der postmortalen Pig-
mcntbildung.
Meirowsky fand, dass gewisse Hautstückchen bei mehrtägigem
Aufenthalt bei 55“ stark nachdunkeln. Seine Untersuchungen wurden
fortgeführt von Königstein, Bauer, Neubürger, ohne dass
dieses Phänomen in seinen Ursachen endgültig geklärt worden wäre.
Ich machte nun eigene Versuche mit Leichenhaut aller Körperregionen,
besonders solcher vom Penis wegen des schon physiologisch höheren
Pigmcntgehaltes. Alle Versuche wurden eingehend histologisch nach¬
geprüft. Dabei stand mir in der Eigenschaft des Pigments und seiner
farblosen Vorstufen, Silbernitrat zu reduzieren und sich mit dem metal¬
lischen Silber zu schwärzen, ein wichtiges Hilfsmittel zur Verfügung. Das
Ergebnis meiner Untersuchungen war folgendes:
Makroskopisch ist die Stärke der Nachdunkelung der einzelnen
Hautstückchen ganz verschieden. Dabei besteht ein gesetzmässiger Zu¬
sammenhang zwischen der bereits vorhandenen Pigmentierung und ihrer
Verstärkung, indem letztere um so intensiver wird, je stärker erstere war.
Mikroskopisch entsteht die Pigmentverstärkung sowohl durch Dunk¬
lerwerden der .schon vorhandenen Pigmentgranula wie durch Auftreten
von neuen solchen von der gleichen Form, Lage und chemischen Eigeny
Schaft. Dabei entsprechen diese neuen Granula ganz dem Ort und der
Stärke der durch die Silberniederschläge neben dem Pigment dargestell¬
ten farblosen Pigmentvorstufen, so dass man allein schon auf Grund der
Silberrcaktion bestimmt sagen kann, wo und wieviel neues Pigment beim
Erwärmen entstehen wird.
Dieser ganze Vorgang wird durch Kochen eher beschleunigt; damit
kann die Mitwirkung autolytischer oder anderer Fermente ausgeschlossen
werden. Die Ursache des Meirowsky sehen Phänomens ist daher
einfach darin zu suchen, dass in der betreffenden Haut noch farblose
Vorstufen von gleicher Form und chemischer Eigenschaft wie das Pig¬
ment selbst vorhanden sind, welche nun in der Wärme zum Farbkörper
umgewandelt werden.
Der gesetzmässige Zusammenhang der Menge des Pigments und
derjenigen der farblosen Vorstufen, die bestimmte Granulaform der letz¬
teren und ihr alleiniges Vorhandensein in den Pigmentzellen führen hin¬
sichtlich des biologischen Vorganges der Pigmententstehung zwingend
zum Schluss, dass die chemische Substanz des Pigments
selbst es ist, welche durch die Tätigkeit des Haut-
epithels gebildet wird, und zwar zuerst als farblose
Granula, welche sich dann allmählich durch einen
chemischen Vorgang, wahrscheinlich eine Oxyda¬
tion, in braune-Pigmentk'örnchen umwandeln. Dieser
Schlus.sfolgerung steht entgegen die Deutung der
Dopareaktion Blochs.
Bloch ging von der Voraussetzung aus, dass das Pigment durch
die Einwirkung eines oxydierenden Ferments auf bestimmte Eiweiss^
abba^produktc entstehe. Zum Nachweis dieses Ferments brachte er
Hautgefrierschnitte in die Lösungen einer Reihe von leicht oxydablen,
farbstoffbildenden Substanzen, wie Pyrogallol, Brenzkatechin, Adrena¬
lin u. a., ohne ein Ergebnis zu erzielen, bis er eine von Guggenheim
aus Bohnenschalen dargestellte neue Aminosäure, das Dioxyphenylalanin,
von ihm kurz Dopa genannt, benutzte; hier trat in der Epithelschicht
eine auffallende Veränderuug ein. Das ganze Epithel färbte sich rauch¬
grau, in den Basalzellen traten bald mehr, bald weniger schwarze Granula
auf, die oft in kappenartiger Anordnung dem Kern aufsassen. Im all¬
gemeinen war diese Reaktion um so stärker, je grösser der Pigment¬
gehalt der Zellen war.
Für den Vorgang der Pigmentbildung zieht Bloch folgenden Schluss.
In den Basalzellen der Epidermis wird ein spezifisches Oxydatior.s-
•) Nach einem Vortrag, gehalten am 9. XI. 1920 in der mediz.-wissen-
schaftl. Vereinigung an der Universität Köln.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. .März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ferment produziert. Diesel Ferment bewirkt die Pigmentbildung, indem
es die im Säftestrom fertig angebotene Pigmentmuttersubstanz zu Pig¬
ment oxydiert.
Meine eigenen Versuche machte ich ganz nach den Angaben
Bloch s mit 1 prom. Dopalösung: später nahm ich Verdünnungen vqn
1:10000. Die Ergebnisse waren im allgemeinen entsprechend den Be¬
funden Blochs. Je stärker pigmentiert die Hautschnitte^waren, desto
intensiver war auch die Reaktion,
Ein Ferment ist ein in einem Organismus entstandener Stoff, wel¬
cher. ohne selbst verbraucht zu werden, ganz bestimmte chemische Vor¬
gänge auszuiösen imstande ist. Zu seinen wesentlichen Eigenschaften
gehört erstens die grosse Empfindlichkeit gegen Temperaturen über 70®
und zweitens die Substratspezifität, d. h. das Eingestelltsein auf einen
ganz bestimmten chemischen Körper. Auch Bloch stützt seine Fer¬
mentannahme auf diese Definition. Bei seinen Versuchen erhit:^e er
Oefrierschnitte in Dopalösung auf über 80® und erhielt dabei nach seiner
eigenen Angabe schwer deutbare'Reaktionen: er kommt iedoch zürn
Schluss, dass die oxydierende Substanz vernichtet werde, also ein Fer¬
ment sei. Nachdem ich mich von der Unmöglichkeit, dünne Gefrier¬
schnitte zu kochen, überzeugt hatte, machte ich die Versuche so. dass
ich Hautstückchen, frisch und fixiert, Vk —2 Stunden kochte, nach Ge¬
frieren schnitt und mit diesen Schnitten /dann die Dopareaktion bei
37® anstellte. Das Ergebnis war überraschend. Die Dopareaktion zeigte
überhaupt keine Abschwächung gegenüber frischen Schnitten, die oxv-
dierende Kraft war also durch Kochen nicht geschädigt. Auch die
zweite wichtige Fermenteigenschaft, die Substratspezifität, nahm Bloch
für sich in Anspruch, weil trotz Verwendung zahlreicher oxydablor Stoffe
nur Dioxyphenylalanin oxydiert wurde; er hielt das Ferment daher für
cTip/'ü'fr'h e’^^gp^t^Ht “^uf Dona. Eigene Ver.'suche m’t Brenzkatechin und
P^Togallol (1:2000 bis 1:15 000) hatten das Ergebnis, dass an den
t;leichen Orten, wo bei Dopa Schwarzfärbung auftrat, dasselbe eintrat
bei Brenzkatechin, während sich diese Orte mit Pyrogallol mahagoni¬
braun färbten. Beide Stoffe wurden also einwandfrei oxydiert.
Damit kann als erw'iesen gelten, dass die Dopa¬
reaktion keinen Fermentprozess darstellt. Nun war
schon Bloch aufgefallen, dass die Silberreaktion und die Dopareaktion
nach Lage und Stärke oft auffallend übereinstimmen. Auch bei meinen
Versuchen war die Identität des Ortes und der Stärke beider Reaktionen
so augenfällig, dass ein anderer, innigerer Zusammenhang als ein bloss
örtliches Nebeneinander, wie Bloch es annahm, sehr naheliegend war.
Sind doch schliesslich Oxydation und Reduktion ganz zusammen¬
gehörige Reaktionen. Schon Hoppe-Seyler hat die Oxydation bej
den Gärungsprozessen auf die Wirkung des reduzierenden Wasserstoff¬
moleküls zurückgeführt, H? -f- O 2 = H 2 O 0. wobei unter Aufspaltung
des Sauerstoffmoleküls Wasser und zur Oxydation besonders geeigneter
Atomsauerstoff entsteht. Ebenso kann man auch die Oxydation des
Dopa durch die primär reduzierende Eigenschaft des Pigments und seiner
Vorstufen erklären. P -f- O 2 + D = PO -h 0 + D = PO + DO. Die
reduzierende Kraft des Pigments P spaltet das Sauerstoffmolekül O 2
unter Aufnahme eines Atomes 0 auf, während das andere Atom 0
zur Oxydation des Dopa D frei wird.
Ich machte nun eine Reihe Experimente im Reagenzglas, indem ich
zu 1 prom. Lösungen leicht oxydabler, farbstoffbildender Substanzen
andere sich nicht sichtbar verändernde, reduzierende Stoffe, wie Harn¬
säure. Formel, Natriumbisulfit ziisetztc. In gewissen Fällen, z. B. bei
Dopa plus Harnsäure tritt folgendes ein: Nach 3—4 Stunden entstehen,
von der freien Oberfläche ausgehend, schwarze, wolkige Trüungen. die
mehr und mehr nach unten senken. Bei Luftabschluss bleibt die
Lösung unverändert, ebenso natürlich die Kontrolle ohne Harnsäure-
zusatz: unter dem Einfluss der primär reduzierenden Harnsäure war also
eine Beschleunigung der Oxydation des Dopa eingetreten.
Damit ist die Möglichkeit, dass es sich bei der Dopareaktion um
eine Oxydation infolge der primär reduzierenden Eigenschaft des Pig¬
ments und seiner Vorstufen handeln könnte, experimentell erwiesen.
Zu meinen weiteren Versuchen nutzte ich nun die Tatsache aus. dass
die reduzierende Eigenschaft des Pigments durch die Einwirkung chemi¬
scher Stoffe, wie Natriumbisulfit, Wasserstoffsuperoxyd u. a. ab¬
geschwächt und schliesslich aufgehoben werden kann. Es erg'^b sich
nun. dass der Abschw'^f'hung bzw. Aufhebung der Silberreaktion
genau parallel eine ebensolche der Dopareaktion geht. Damit ist schliess¬
lich der vollgültige Beweis dafür erbracht, dass die gleiche chemische
Kraft die Ursache der Reduktion des Silbernitrats und der Oxvdation
des Dopa darstellt. DieDopareaktionistalsoihremWesen
nach nur ein anderer Ausdp/dck für die primär redu¬
zierende Eigenschaft de^ Pigments, und ihre Be¬
deutung entspricht derjenigen der Silberreaktion.
Damit wird allen weitgehenden Schlussfolgerungen Blochs der
Boden entzogen; besonders fällt damit der einzige Grund weg, der
zegen die durch das Meirowskysehe Phänomen so gut begrütidete
Anschauung spricht, dass die chemische Substanz des Pigments selbst
von den Epithelzellen produziert wird. Nach dieser Auffassung muss da¬
her immer einer gesteigerten Pigmentierung eine Steigerung der Tätig¬
keit des Epithels zugrunde liegen.
Ich kehre zu meinem Ausgangspunkt, zur
Addisonschen Krankheit
zurück. Nachdem mit der Entdeckung des Adrenalins ein wichtiger Teil
uer .Addisonsyitiptome im Ausfall dieses Nebennierenhormons eine be-
Digitized by Goiisle
367
friedigende Erklärung fand, setzten bald Bestrebungen ein, auch die
Braunfärbung der Haut zum Adrenalin in Beziehung zu bringen. Man
stellte sich einen chemisch-mechanischen Zusammenhang zwischen Pig-,
ment und Adrenalin so vor, dass man die gleiche Muttersubstanz für die
Bildung des Adrenalins und des Pigments annahm; bei Ausfall der
Produktion des ersterem würde nun mehr Muttersubstanz zur Bildung
von Pigment verfügbar sein und so zur Hyperpigmentierung führen.
Meirowsky, Bittorf, Bauer u. a. stellten in diesem Sinne Theo¬
rien auf. Bloch hat nun diese Grundidee durch die Deutung seiner
Dooareaktion in eine ganz bestimmte Form gebracht, welche immer
mehr zur Anerkennung kommt. Er hat 3 Fälle von Addison untersucht
und gefunden, dass die Dopareaktion dabei nicht verstärkt sei gegen¬
über normaler Haut; es sei also das spezifische Oxydationsferment in
den Zellen nicht vermehrt, sondern die Ueberpigmentierung werde nur
durch ein gesteigertes Angebot von Pigmentmuttersubstanz hervor¬
gerufen, sei also ein rein passiver Vorgang. So bestechend diese Theorie
auf den ersten Blick erscheint, hält sie doch einer näheren Prüfung nicht
stand. Bloch kommt vor allem mit seiner eigenen Lehre der Pigment¬
entstehung in Widerspruch. Er führt die Vermehrung des Pigments z. B.
nach Bestrahlung auf eine verstärkte Produktion des spezifischen Fer¬
ments durch das Epithel zurück, welches dann auch mehr Material zu
Pigment oxydieren könne; da muss er also doch annehmen, dass sol¬
ches Material im Ueberschuss vorhanden ist. Nun soll plötzlich bei
weiterer Steigerung dieses Ueberschusses die Pigmentbildung rein
passiv möglich sein? Warum werden diese Stoffe überhaupt im Körper
zurückgehalten und nicht etwa ausgeschieden? Aus dieser Sackgasse
führt kein Ausweg. Zudem hat ja der Stützpfeiler der ganzen Theorie,
die Dopareaktion, eine ganz andere Ursache. Ich habe selbst 3 Fälle
von Addison untersucht und dabei einwandfrei gefunden, dass die Stärke
der Dopareaktion der Stärke der Silberreaktion upd damit dem Gehalt
an Pigment und dessen Vorstufen entspricht.
Es muss sich wie bei jeder Ueberpigmentierung um eine gesteigerte
Tätigkeit des Epithels handeln. Woher kommt diese Steigerung beim
Addison? Meines Erächtens sehen wir die Haut noch viel zu sehr
als reine Oberflächenschutzdecke des Körpers an, anstatt in ihr ein
lebenswichtiges Organ mit noch unbekannten, innersekretorischen Funk¬
tionen zu sehen, wie ja in anderer Hinsicht neuerdings vxm verschie¬
denen Seiten betont wird. Gerade die Beteiligung am Symptomenkom-
plex des Morbus Addisoni möchte ich als deutliqhen Hinweis auf eine
solche .Bedeutung der Haut ansprechen. Schon vor Jahren haben
W i n t e r n i t z und Meirowsky gezeigt, dass Hautextrakte auf das
enukleierte Froschauge im Sinne 'Ciner Pupillenerweiterung, also Sym¬
pathikusreizung, wirken. In neuester Zeit hat Br ahn mit von Sal-
kowski rein dargestelltem Pigment dargetan, dass dieses Pigment
schon in kleinsten Dosen gefässverengernde Wirkung ausübt. Diese
Versuche wurden gemacht, um den chemischen Zusammenhang zwischen
Adrenalin und Pigment zu erweisen. Ich möchte sie in ganz anderem
Sinne deuten, und zwar als deutlichen Hinw'eis darauf, dass die Haut
in Beziehung auf den Sympathikus eine gleichsinnige Funktion wie die
Nebennieren ausübt, dass sie also ein noch unbekanntes Hormon produ¬
ziert, welches den Blutdruck regulieren hilft. Bei Ausfall der Neben¬
nierenfunktion wird mit sinkendem Blutdruck das Hautepithel durch
einen physiologischen Reiz zu gesteigerter Tätigkeit angeregt, um den
Ausfall der Nebennierenfunktion wettzumachen. Als sichtbarer Ausdruck
dieser gesteigerten Funktion tritt eine verstärkte Pigmentierung auf.
Dabei möchte ich es vollkommen dahingestellt sein lassen, ob das Pig¬
ment und seine Vorstufen selbst oder ob ganz andere Stoffe es sind,
welche den Sympathikus beeinflussen. Im letzteren Falle wäre die Pig¬
mentbildung eben eine Teilerscheinung der aMjremeinen Funktionssteige¬
rung des Hautepithels. Ich möchte also die Pigmentierung beim Addison
definieren als den sichtbaren Ausdruck einer gesteigerten Tätigkeit der
Haut, welche den Versuch einer Kompensation des Nebennlerendfkfalles
darstellt.
Zum Schluss will ich noch einen therapeutischen Versuch, der auf
diesen Anschauungen basiert, erwähnen. Vor ca. 8 Wochen wurde auf
meine Anregung hin ein Mädchen mit deutlichen Addisonsymptomen, wie
stafke Pigmentierung der unbedeckten Körperteile, des weichen Gaumens
und Blutdrucksenkung auf 95 mm Hg mit künstlicher Höhensonne am
Rumpf ausgiebig bestrahlt. Schon nach 4 Tagen war der Blutdruck unter
ausgesprochener Besserung des Allgemeinbefindens und starker Pigmen¬
tierung auf 120 mm Hg gestiegen und blieb bis heute unter fortdauernder
Bestrahlung auf dieser Höhe. Dieser einzelne Versuch kann natürlich nur
als,Anreiz zu weiteren Versuchen in dieser Richtung, die ja zugleich
Therapie bedeuten, bewertet werden.
Ueber Kriegsendokarditis'>.
Von Dr. med. et phil. Erwin Becher.
In den letzten Jahren beobachtete ich in mehreren Kliniken und
Lazaretten ein häufiges Auftreten von schw'eren Endokarditiserkrankungen
bei Kriegsteilnehmern. Das klinische Bild erinnerte sehr an das der
Endocarditis lenta, zeigte aber andererseits auch gewisse Besonderheiten.
Ich sah die Affektion im letzten Kriegsjahr und besonders auch im ersten
Jahre nach dem Kriege bei Leuten, die im Felde gewesen waren. In
den ersten Kriegsjahren habe ich die Erkrankung nicht beobachtet. Wie
D Die Beobachtungen wurden grösstenteils in der medizinischen Klinik
in Giessen und in Halle während der Jahre 1918 und 1919 gemacht.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
268
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nt. 9.
weit das letztere auf Zufälligkeiten beruht, vermag Ich nicht zu ent¬
scheiden. Ich glaube' aber ein gehäuftes Vorkommen der gleich zu
schildernden Krankheit in letzter Zeit annehmen zu können. .
Die Erkrankung hatte schleichend beeonnen, nicht selten erst zu
einer Zeit, nachdem die Patienten monatelang wieder aus dem Felde
zurück^ekehrt waren. Gelegentlich hatte dieselbe erst deutliche Er¬
scheinungen gemacht, nachdem die Leute schon nahezu ein Jahr lang
wieder in der Heimat waren. Es handelte sich meist um Kriegsteilnehmer
in den mittleren Jahren, seltener sah ich die Erkrankung bei jungen
Soldaten auftreten. Die Leute gaben in der Regel an, vorher nicht herz¬
leidend gewesen zu sein, was mir durchaus glaubwürdig erschien. Seltener
hatte sich die Affektion an ein früheres Vitium angeschlossen; ein Soldat
gab an, im Anschluss an eine Mandeloperation erkrankt zu sein. Meist
waren jedoch keine besonderen Ursachen ausser den üblichen Schädlich¬
keiten des Felddienstes festzustellen.
Die Beschwerden waren lange Zeit recht gering, so dass die Fest¬
stellung des Beginnes der Erkranjmng dadurch sehr erschwert war.
Manchmal fiel den Patienten nur die zeitweise auf tretende Schwellung
ihrer Füsse auf. Herzbeschwerden allgemeiner Art fehlten nicht selten.
Das subjektive Wohlbefinden stand oft in einem unheimlichen Gegensatz
zum objektiven Befund. Einer meiner Patienten verliess noch kurz vor
seinem Exitus auf eigene Verantwortung die Klinik, nachdem er mir
immer wieder versicherte, ihm fehle nichts. In den letzten Lebens¬
wochen der fast immer zum Exitus führenden Erkrankung wurden die
subjektiven Beschwerden stärker.
Was den objektiven Befund anbelangt so fanden sich gewisse
Symptome regelmässig bei allen Fällen wieder. Die Patienten zeigten
alle eine auffallende Blässe, von einer objektiv feststellbaren Anämie
herrührend. Dieselbe kann in den letzten Stadien der Erkrankung hohe
Grade erreichen. Die Milz war perkutorisch und palpatorisch ver-
grössert, auch wenn keine Stauungserscheinungen bestanden. Geringe
Albuminurien waren häufig, makroskopisch erkennbare Hämaturien habe
ich nie gesehen, während mikroskopisch Erythrozyten im Urinsediment
gefunden wurden. Auftreten von kleinen Hautblutungen und von Stoma¬
titis wurde gelegentlich beobachtet. Manchmal kam es zu metastatischen
Abszessen in Nieren und im Gehirn, wodurch die Diagnosenstellung er¬
schwert werden kann*). Die Herzveränderungen standen in der Regel
ganz im Vordergrund des objektiven Befundes. Charakteristisch war
das vorwiegende Befallensein der Aortenklappen. Neben Aorten¬
insuffizienzen massigen Grades kamen solche vor, bei denen die ganzen
Symptome des Vitiums mit auffallender Deutlichkeit feststellbar waren.
Dementsprechend zeigte auch die Herzform und -grösse entsprechende
Verschiedenheiten von der ersten Andeutung des Aortenherzens bis zu
der typischen Ausbildung dieser Herzform. Der Herzbefund deutete
jedoch selten auf eine reine Aortenerkrankung hin. Meist bestanden
gleichzeitig Symptome, die auf eine Mitbeteiligung der Mitralis
schliessen Hessen. Ich beobachtete gelegentlich neben diem charak¬
teristischen Aorteninsuffizienzgeräusch ein präsystolisches Geräusch,
welches sehr wechselte und zeitweise ganz verschwand. Wahrschein¬
lich handelte es sich dabei um das F1 i n t sehe Geräusch infolge relativer
Mitralstenose. Dass indessen wirkliche Veränderungen an der Mitral¬
klappe Vorkommen, zeigten die zur Sektion gekommenen Fälle.
Einigermassen typisch ist der Sitz der endokardi tischen Veränderungen
an der Aortenklappe und die Ausbreitung derselben von dort am Wand¬
endokard entlang zum Aortenzipfel der Mitralis, der manchmal hoch¬
gradige Veränderungen aufweist. Die Herzform und das Verhalten des
2. Pulmonaltons liess auch intra vitam die Mitbeteiligung der Mitralis
nicht selten erkennen. Manchmal wechselte der auskultatorische Herz¬
befund innerhalb kurzer Zeit. Relativ häufig war das Auftreten von Irregu¬
laritäten und zwar von ventrikulären Extrasystolen mit manchmal kurz
hinterehtender wechselnder Reizursprungsst^lle in den Tawaraschenkeln.
Die Extrasystolen traten vereinzelt, gelegentlich an normale Systolen
zu Bigeminien gekuppelt (ohne Digitaliswdrkung) oder in grösseren
Serien hintereinander auf. Das Elektrokardiogramm erlaubte nicht selten
erst die sichere Feststellung der Art der Irregularität. Perikardial¬
exsudate kamen in manchen Fällen vor, seltener auch Pleuraexsudate.
Die ersteren können so gross werden, dass sie entleert werden müssen,
einmal trat ein solches erst kurz vor dem Exitus auf. Das Blutbild
zeigte neben der erwähnten sekundären Anämie eine nicht hochgradige
Leukozytose mit Neutrophilie. Fieber fehlte manchmal lange Zeit voll¬
kommen. war oft nur gering, hatte aber in manchen Stadien der Er¬
krankung deutlich septischen Charakter. Das Sensorium blieb bis zuletzt
frei, wenn nicht metastatische Abszesse im Gehirn das klinische Bild
veränderten.
Es Hessen sich bezüglich des Verlaufs der Erkrankung zwei ver¬
schiedene Typen feststellen. Bei einem Teil der Fälle beherrschte die
Herzerkrahkung vollkommen das klinische Bild. Es kam dabej langsam
zu zunehmender Herzinsuffizienz mit Oedemen. die sich vorübergehend
beseitigen Hessen. Ein Teil der Soldaten ging an allmählich zunehmender
Herzschwäche gelegentlich mit starken Oedemen zugrunde. Ein Fall,
der sich bei der Sektion als eine solche Kriegsendokarditis erwies, ging
unter dem Bilde einer durch starke Herzschwäche komplizierten akuten
Feldnephritis mit hochgradigen Oedemen zugrunde. Der andere Teil der
Fälle kam mehr unter dem Bilde einer schleichend verlaufenden Sepsis
ohne Oedeme ad exitum. Bei einem Soldaten endete die nach dem
*) Es kann zu ausgedehnter embolischer Herdnephritis mit Rest-N-
Erhöhung in Blut und Geweben kommen.
Digitized by Gotigle
Sektionsbefund auch hierher gehörige Erkrankung unter dem Bilde einer
schweren hochfieberhaften Sepsis mit metastatischer Abszessbildung.
Dem letzten Stadium war aber ein lange anhaltendes mit relativem
Wohlbefinden vorausgegangen. Nur einmal sah ich die Erkrankung mit
Hinterlassung eines Vitiums ausheilen; zum Unterschied von den oft
lange anhaltenden trügerischen Remissionen gingen bei diesem Patienten
die Erscheinungen mit Ausnahme des Vitiums zurück. Insbesondere auch
die Anämie, die sonst in den Stadien subjektiven Wohlbefindens den
Ernst der Erkrankung sofort erkennen liess.
Die bakteriologische Blutuntersuchung ergab nur selten den Strepto¬
coccus viridans seu mitior, meist war das Resultat ein negatives. Es
konnte allerdings nicht bei allen Fällen die Blutuntersuchung gemacht
werden, insbesondere war die notwendige Wiederholung derselben aus
äusseren Gründen vielfach unmöglich. Ich halte es aber trotzdem für
wahrscheinlich, dass es sich um Fälle von Viridanssepsis handelte.
Der ausgesprochen chronische Verlauf, die relativ geringen subjektiven
Beschwerden, die Anämie und die Milzschwellung sprechen im Verein
mit der Endokarditis und dem Urinbefnnd für diese Diagnose.
Die Veranlassung zu dieser Publikation war das häufige Vorkommen
der geschilderten Affektion bei Feldzugsteilnehmern, was in keinem
Verhältnis steht zu der relativen Seltenheit der Endocarditis lenta bei
Nichtfeldzugsteilnehmern. Der mir wahrscheinlich erscheinende Zu¬
sammenhang der Erkrankung mit dem Felddienst ist für die Dienst¬
beschädigungsfrage von Bedeutung. Die relativ lange zwischen Feld¬
dienst und Stärkerwerden der Beschwerden gelegene Zwischenzeit
nahezu vollkommenen subjektiven Wohlbefindens kann den angenom¬
menen ätiologischen Zusammenhang übersehen lassen. Wie derselbe
im einzelnen zu deuten ist, und ob die Erkrankung als solche allemal im
Felde schon begonnen hatte, vermag ich nicht zu entscheiden. Die
Kenntnis des häufigen Vorkommens*) der Affektion ist in differential-
diagnostischer Hinsicht wichtig. Solche Fälle können bei geringer Aus¬
bildung der Herzerscheinungen mit einer Blutkrankheit mit akzidentellem
Herzbefund und andrerseits auch wegen der allmählichen Entwicklung
der Aorteninsuffizienz bei älteren Patienten mit einer luetischen Er¬
krankung verwechselt werden, was gelegentlich auch vorkam. Ich
glaube, dass wir von einer Kriegsendokarditis in ähnlicher Weise
sprechen können, wie von einer Kriegsnephritis, zumal da die Erkran¬
kung auch gewisse Besonderheiten auf weist, wie das häilfige Fehlen
eines alten Vitiums vor ihrem Beginn, die aussergewöhnlich lange
Dauer und die erwähnte Lokalisation des endokarditischen Prozesses.
Therapeutisch konnte ausser einer vorübergehenden Besserung der
Herzkraft nichts erreicht werden, einem Versuch mit kolloidalen Silber¬
präparaten soll indessen nicht abgeraten werden.
Zusammenfassung: In den letzten Jähen wurde bei Feld¬
zugsteilnehmern. die vorher meist nicht herzkrank waren, eine unter dem
Bilde der Viridanssepsis verlaufende chronische Endokarditis relativ
häufig beobachtet.
Die Erkrankung ging mit Milzschwellung und Anämie einher und
führte fast immer an allmählich zunehmender Herzschwäche mit
Oedemen oder unter septischen Erscheinungen ad exitum.
Die endokarditischen Veränderungen fanden sich vorwiegend an den
Aortenklappen und gingen von dort aus kontinuierlich auf die Mitral¬
klappen über.
Zwischen dem Auftreten der stärkeren Beschwerden und dem Feld¬
dienst lag meist eine relativ lange Zeit, in welcher 'sich die Patienten
ziemlich wohl fühlten.
Anmerkung bei der Korrektur: Die Erkrankung kommt bei
Kriegsteilnehmern auch jetzt immer noch vor. Der Sepsisherd (wahrscheinlich
anfänglich geringe endokarditische Veränderungen) kann also relativ lange Zeit
latent bleiben.
Blockade und innere Sekretion.
Von Dr. E. Sehrt, Freiburg i. Br.
Die verheerende Wirkung, die grosse Kriege durch die mit ihnen
stets verbundenen Hungerzeiten unter den Völkern angerichtet haben
— die nicht selten die wahre Ursache des Zusammenbruchs ihrer Kampf¬
kraft waren —, die Tatsache, dass mit und nach diesen Evolutionen
Krankheiten auftraten, die dezimierend auf die Bevölkerung einwirkten,
dies alles ist allbekannt. Es ist, glaube ich. nicht ganz richtig, auch ge¬
rade beim Zustandekommen der verheerenden Epidemien der früheren
Jahrhunderte allein den Mangel an uns jetzt erst bekannten hygie¬
nischen Massnahmen verantwortlich zu machen, die durch die in jenen
Zeiten viel grössere allgemeine Not bedingte höhere Empfangsbereitschaft
des geschwächten Organismus spielte vielleicht eine ebenso grosse oder
wenigstens nicht viel kleinere Rolle. Man hat ja bei diesen Dingen von
ie der mangelhaften Ernährung eine grosse Bedeutung beigelegt und
die Annahme einer allgemeinen Schwächung der Widerstandskraft
ist eigentlich mehr volkstümlich geworden als wissenschaftlich exakt
bewiesen. Wohl weiss man heutzutage (aber auch darin hat die
Wi<!cpns^b?ft eine Grosse Wandelb'^rkelt ihrer Anschauungen bewiesen^,
dass eben eine gewisse Menge von Kohlehvdraten, Fetten und Eiwefssen
nötig ist zur Aufrechterhaltung der Gesundheit, aber es bleiben in dieser
*) Voraussichtlich wird die Kriegsendokarditis letzt immer seltene’’
werden. Bei aus der Gefangenschaft zurflekkehrenden Soldaten kam sie
übrigens auch vor.
, Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
i März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
269
Rechnung immer noch grosse unbekannte Faktoren stehen, die wir nicht
übersehen. Es kommt sicherlich darauf an, wie beschaffen diese Nah¬
rungsmittel in ihrem, allgemein gesagt, funktionellen Werte sind. Che¬
misch oder auf irgend eine andere Weise ist das ja gar nicht zu eruieren,
aber es ist gar nicht zu bezweifeln, dass z. B. ein Stück Fleisch von
einem unter günstigen Bedingungen lebenden Tiere eine ganz andere
Energie als Nahrungsmittel haben muss als das von einem solchen,
dessen Emährungsoptimum eben gerade an die mögliche Grenze heran¬
reicht. Und so wird es mit den meisten anderen Nahrungsmitteln stehen.
Wir dürfen hier nicht mit den an sich doch unendlich groben Begriffen der
Kalorien rechnen, so fein diese Erkenntnisse auch an dem Massstabe
menschlicher Erkenntnisfähigkeit gemessen sind, wdr müssen uns doch
darüber klar sein, dass wir auch da im Grunde noch an klinkenlosen
Pforten der Natur stehen und vielleicht immer stehen werden.
Von vornherein ist änzuhehmen, dass eine Ernährung mit unter-
wertigen Nahrungsstoffen auch auf die innere Sekretion des tierischen
Organismus einwirken muss. Nun ist ja im Grunde noch jenes Gebiet
50 unbekannt trotz aller Sammelarbeit seiner Erscheinungsformen, wie
die Chemie der Eiweisskörper. Das aber können wir mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit annehmen, dass durch es die Zusammenarbeit der Organe
des tierischen Organismus geleitet und gelenkt wird, dass in dessen guter
Funktion der eigentliche Begriff des Gesundseins basiert. Manches
wenigstens glauben wir auf jenem Gebiete relativ exakt feststellen zu
können und es empfiehlt sich gerade jetzt, wo der tierische und mensch¬
liche Organismus durch eine in der Geschichte wohl einzigartig dastehende
allgemein organisierte Unterernährung beeinträchtigt ist, die Schwankun¬
gen zu fixieren, die die innere Sekretion aufweist. Können wir doch aus
diesen Verschiebungen Schlüsse auf Dinge ziehen, deren Geschehen weder
chemisch noch histologisch festgelegt werden kann, zum mindesten kann
sich aus der Kenntnis dieser Dinge ein neuer Weg der Forschung er¬
geben. Dass wir gerade hier natürlich auch Schlüsse über unbekannte
Faktoren hinweg ziehen müssen, ist natürlich klar, wie das ja überall
in der Naturbetrachtung der Fall ist. Wir müssen uns bei allen Schluss¬
folgerungen eben darüber klar sein, dass noch niemand das innere
Sekret einer Drüse gesehen hat, dass wir dessen Vorhandensein nur an
Lebensäusserungen des Organismus erkennen. Das was wir fassen
können, ist höchstens die chemische Natur der Sekrete, der Presssäfte,
üer Nachw^eis der Funktion, nachweisbar bei Wegfall oder Erkrankung
eines innersekretorischen Organs. Das Inkret ist unbekannt.
Es sollen hier die Veränderungen zweier innersekretorischer Organe
besprochen werden, der Schilddrüse und Nebenniere.
Zum Verständnis der Besprechung sei ein kurzer Ueberblick über
die Schilddrüsenfunktionsprüfung gegeben, die sich mir als ausserordent¬
lich sicher erwiesen hat. Die innere Sekretion oder besser gesagt die
innere Wirkung der Schilddrüse ist vielleicht noch am besten von
allen innersekretorischen Drüsen übersehbar. Seit Jahren mit Unter¬
suchungen über die Funktion der Schilddrüse beschäftigt, konnte ich
im Jahre 1913 feststellen, dass jene schweren Blutungen der Frauen
mit normalem, vielleicht etwas verkleinertem Uterus auf einer typischen
Unterfunktion der Schilddrüse beruhen. Während bei diesen hämor¬
rhagischen Metropathion wiederholte Auskratzungen, jahre¬
lange Anwendung styptischer Mittel keine oder nur kurze Wirkung
haben können, wirkt die Darreichung von Schilddrüsensubstanz mit der
Exaktheit eines physikalischen Experimentes. Die Blutungen werden
nach einer bestimmten Anzahl von Pulvern (0,3 p. d.) dauernd (weil es
sich um eine Reiztherapie handelt) geringer, dies kann sich bei
weiterer Medikation bis zur Amenorrhöe steigern. Zugleich mit den
Blutungen verschwinden dann auch die mit denselben häufig verbundenen,
als Ausdruck des Myxoedem fruste anzusehenden, nervösen Beschwerden
(Si'hwindel, Kopfschmerzen. Depressionen, Haarausfall, snastische Obsti¬
pation), es tritt eine völlige Umwandlung der Persönlichkeit nach der
gesunden, vollkräftigen Seite hin ein. Dassmicht selten bei nachlassender
Blutung vorher jahrelang sterile Frauen gravid werden, sei nebenbei
erwähnt. Es kann nicht bezweifelt w'erden, dass der habituelle Abort
gerade bei den hämorrhagischen Metropathien häufig ganz unbemerkt
sich abspielt. Umsomehr müssen wir das .annehmen, als wir aus dem
Tierexperiment wissen, dass der habituelle Abort zu dem Bilde der
Hypothyreose gehört. Auf diese Frage näher einzugehen, gehört nicht
hierher. — Die Schilddrüsenmedikation darf natürlich nur unter vier-
wöchentücher Blutkontrolle bzw\ Schilddrüsenfunktionsprüfung vorge¬
nommen werden. Hierzu eignet sich einwandfrei am besten die Ko¬
cher sehe Methode. Die Schilddrüsenunterfunktion äussert sich in Be¬
schleunigung der Gerinnung, bei der sowohl der Gerinnungseintritt ver¬
früht wie der Qerinnungsablauf beschleunigt ist, in einer relativen und
absoluten Leukopenie und in einer relativen Lymphozytose. Bei
der Schilddrüsenmedikation wurde nun in einer sehr grossen Anzahl
von Fällen regelmässig nachgewiesen, dass Hand in Hand mit dem
Schwinden der klinischen Symptome eine Normalisierung der Blutver¬
hältnisse ein tritt: Gerinnungszeit wird normal, es bildet sich ein nor¬
males Verhältnis zwischen Leuko- und Lymphozyten aus. die Hämo-
globinw'erte steigen oft in direkt monströser Weise. Wird nun dem
Organismus noch weiter Schilddrüsensubstanz zugeführt, ändert sich das
Blutbild ebenso wie das klinische Verhalten nach, der B a s e d 0 w s e i t e
hin. Der Gerinnungseintritt wird immer später, der Ablauf der Gerinnung
immer langsamer, es tritt wieder eine relative Leukopenie und
eine relative Lvmphozytose ein. — Ueber die Genese der Lympho¬
zyt o s e n wissen wir recht wenig. Sicher gibt es verschiedene Ur¬
sachen, der Schluss ist aber naheliegend, dass die Basedowlymphozytose
ursächlich anders bewertet werden muss als die der Hypothyreose. Aus
Digitized by Google
der Tatsache nun, dass bei Schilddrüsenfütterung die Aenderung des
Blutzustandes zugleich mit der Aenderung des klinischen Verhaltens mit
der Exaktheit vor sich geht, wie wir es sonst nur von physikalischen
Experimenten her gewöhnt sind, berechtigt dazu, die Exaktheit der
Kocher sehen Prüfungsart als nahezu vollkommen zu betrachten und
lässt vor allem klar sehen, dass wir es bei dieser Methode mit einer
Forschungsart zu tnu habn, die ein siche^rer Indikator für den Funk¬
tionskomplex des Organismus ist, in dem die Schilddrüsentätigkeit zum
mindesten die wichtigste Rolle spielt. Bei der Verwaschenheit der An¬
sichten über innersekretorische Dinge selbst in wissenschaftlichen Kreisen
ist diese Fixierung nötig, nur dann, wenn wir eine wirklich sichere Me¬
thode haben, lassen sich Befunde erst richtig bewerten. — Während nun
vor dem Kriege die geschilderten Blutverhältnisse in den betreffenden
Fällen sich exakt zeigten, ist dies jetzt nicht mehr der FalL Durch die
Blockadezeit ist der Gerinnungseintritt ebenso verfrüht
bei der Hypothyreose wie früher, der Gerinnungsablauf ist aber
erheblich d i 1 a t i e r t. Dann aber kann noch etwas anderes festgestellt
werden. Während vor dem Kriege durch Darreichung von 'Schilddrüsen-
substanz die geschilderten Erfolge nach einer gewissen Anzahl von Pul¬
vern eintraten, ist das jetzt nicht mehr der Fall, man braucht eine
erheblich grössere Quantität. Dies führte dazu, die Verhältnis.se der
Tierschilddrüse zu untersuchen und da zeigte sich, wie mir von
der chemischen Industrie mitgeteilt wird, dass die deutsche Hammel¬
schilddrüse chemisch erhebliche Aenderungen aufweist. Der J o d g e -
halt der deutschen Hammelschilddrüse war in den
vergangenenJahren sogering. dass oft nur eine ganz minder¬
wertige Ausbeute möglich war. Dazu muss angenommen werden, dass
durch die Ernährungsverhältnisse (Mangel an Kraftfutter infolge mangeln¬
der Düngung des Bodens) eine Umstellung der Chemie der Blockade¬
schilddrüse eingetreten ist, dass der dem Jodothyrin zugrunde liegende
komplizierte, jodhaltige Eiweisskörper anders zusammengesetzt ist bzw.
hinsichtlich seiner physiologischen Wirkung unterwertig umgebildet sein
dürfte. Seither war es infolge der hohen Kosten unzweckmässig, Aus¬
landshammelschilddrüse, von der sich jede einzelne auf
mehrere Mark stellte (!!), zur Fabrikation zu verwenden, ln der letzten
Zeit aber scheint es wieder gelungen zu sein, hochwertigeres Jodothyrin
darzustellen.
Wir können also sowohl an der t i e r i s c h e n wie an der m e n s c h-
1 i ch en Schilddrüse, an der letzteren durch die Funktionsprüfung — che¬
mische Untersuchungen von Leichenschilddrüsen sind meines Wissens
noch nicht gemacht — erhebliche, durch die Blockade- bzw.
Hungerzeit bewirkte Veränderungen feststellen.
Noch einiges zur Kenntnis des Blutbildes der heutigen Zeit.
Bei der Hypothyreose finden sich mikroskopisch dieselben Verände¬
rungen wie vor dem Kriege, mit der Einschränkung, dass so hohe Werte
der Ly^’^hozyten damals nicht festgestellt werden konnten. Die meisten
Lymphozyten werte sind um und ü b e r 50 Proz. — Eine ein¬
gehendere Besprechung der Lymphozytosefrage haben in der
letzten Zeit L ä m p e und S a u p e gebracht. Diese Autoren untersuchten
im ganzen 50 gesunde Menschen und fanden durchschnittlich 36.6 Proz.
relative Lymphozytose, von 50 Personen wiesen 13 über 40 Proz. Lym¬
phozyten auf. Als Ursache dieser hohen Werte glauben die Verfasser
die schlechten Emährungsverhältnisse ansprechen zu können, wobei sie
betonen, dass sie einen eesetzmässigen Unterschied zwischen Menschen
mit und ohne neurasthenische Symptome nicht finden konnten, ln der
Frage, ob der Grippeinfektion des Jahres 1918 und 1919 ein Einfluss auf
die zurzeit auch den Gesunden eigentümliche hohe Lymohozvtose zu¬
zusprechen sei, kommen die Verf. zu einem negierenden Standpunkte.
In Bezug auf die Ursachen der Lymphozytose kann man sich wohl den
Verf. anschliessen, ich möchte nur die Ansicht dahin präzisieren, dass
diese hohen Lymphozytenwerte als der Ausdruck einer durch die
schlechten Ernährungsverhältnisse bedingten, mehr oder weniger allge¬
meinen, darniederliegenden Srhilddrüsenfunktion aufzufassen sind. Die
Frage, ob die Grippe eine Rolle dabei spielt, muss man meines Erachtens
unentschieden lassen, da man nicht sagen kann, ob d i e Menschen, die
hohe Lymphozytenwerte haben, leichter an Grippe erkrankten oder ob die
Grippe die Lymphozytose erst hervorgerufen hat. Die postinfektiöse
Lymphozytose Ist m. E. noch recht problematisch, vielleicht verwechselt
man hier, wie so eft schon in der Medizin-. Ursache und Wirkung.
Was nun die Nebenniere betrifft, so sind vor allem an der
Tiernebenniere greifbare Veränderungen nachweisbar, die man
im Frieden nicht kannte. Im verflossenen Jahre musste die natür¬
liche Adrenalinproduktion an manchen Stellen überhaupt
eingesteillt werden, weil aus dem Extrakt des Organs
überhaupt kein Adrenalin gewonnen werden konnte!
Diese Veränderung des Organs kann nur auf die abnormen Futterver¬
hältnisse zurückgeführt werden.
An der menschlichen Nebenniere sind m. W. derartige
Untersuchungen noch nicht gemacht. Hier sind wir auch auf Funktions¬
äusserungen des Adrenalinsystems angewiesen. Hier haben wir vor
allem die Tatsache der Herabsetzung des Blutdrucks zu
registrieren, die von verschiedenen Seiten übereinstimmend festgestellt
v'erden konnte. So haben in der jüngsten Zeit L ä m d e und S a u p e be’’
einer grösseren Anzahl von Gesunden relativ niedrige Blutdruckwerte
von 100—115 mm Hg Riva-Rocci festgestellt. Ebenso fand R 0 s 10 s k i
während des Krieges nicht selten bei gesunden, ausgeruhten Soldaten
M’-^en Blutdruck von 90—100 mm. Diese auffallenden Verschiebungen der
Werte gengenüber denen der Friedenszeit dürften vielleicht mit Neben¬
nierenstörungen in Zusammenhang stehen. (Den Untersuchungs-
'Driginal from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
270
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
resultaten von Lämpe-Saupe, Rostoski KCgenüber wurden aller¬
dings von anderen Seiten solche abnorme Werte nicht festgestellt.)
Klinisch ist wohl jedem Chirurgen in den letzten beiden Jahren
die vorher in dieser Häufigkeit nicht gekannte Neigung zu postopera¬
tiven Hämatomen auf gefallen. Trotz vorsichtigster Blutstillung treten
sie immer wieder auf. Eine befriedigende Erklärung dieser Hämatome
lässt sich nicht finden, wenn man nicht eine Aenderung der Konstitution
des Organismus, und da kommt in erste! Linie die Nebenniere in Be¬
tracht. annehmen will. Uebrigens sind diese Blutungen so in die Augen
springend, dass manche Chirurgen prinzipiell vor grösseren Operationen
Milzbestrahlungen, ich glaube aber ohne grossen Erfolg, vornehmen.
Jedenfalls geht aus den vorliegenden Mitteilungen hervor, dass wir
greifbaren Grund haben, in dieser Zeit der Unterernährung eine nicht
unbeträchtliche Schädigung des Nebennieren- und Schilddrüsenkomplexes
der inneren Sekretion anzunehmen. Umsomehr muss man eine solche
annehmeii, wenn man bedenkt, dass die Organschädigung beim Tiere so
gross ist. dass' sie chemisch ohne weiteres nachweisbar ist, dass ferner
die Schädigung der menschlichen Organe wahrscheinlich noch erheb¬
licher ist, da ja unsere Ernährung zweifellos viel grösseren Wertschwan¬
kungen unterlegen war und noch ist, wie die des Tieres. Jedenfalls
empfiehlt es sich, dahingehende Untersuchungen an grösseren Leichen¬
materialien zu machen.
Bedenkt man weiter, dass es sich um Unterwertigkeiten von lebens¬
wichtigen Organen handelt, deren Hauptaufgabe in der Entgiftung des
Organismus und der Regelung der Zirkulation besteht, deren Wirkung
aufs engste mit dem nervösen und psychischen Apparat des menschlichen
Körpers zusammenhängt, dass aller Voraussicht nach diese Schädigung
im deutschen Volke der Nachkriegszeit weit verbreitet ist. so wird
man etwas besser die Unfähigkeit und „den Missmut unserer Tage“
verstehen können, vom Standpunkte des Naturforschers aus gesehen.
Aus der Chirurg. Abteilung des Marienhospitals zu Stuttgart
(Vorstand: Prof. Dr. A. Zeller.)
Ein Fall von Spätgasphlegmone.
Von Dr. E. Schellenberg, Assistenzarzt der Abteilung.
Den französischen Forschern H. Vincent und G. S t o d e l [1] ge¬
lang es, nach der mir zur Verfügung stehenden Literatur wohl als ersten,
im Tierexperiment zu zeigen, dass sich die Erreger des Gasbrandes in
der Wunde lebend erhalten konnten, ohne die klinischen Symptome der
Erkrankung herv’orzurufen, und bis zu 12 Tagen latent im Gewebe vor¬
handen waren. Systematische Untersuchungen über das Vorhandensein
von Gasbranderregern in den Wunden Kriegsverletzter Hess Mar¬
wedel [2] an seinem grossen .A.achener Material anstcllen. Mar¬
wedel schreibt, „dass der Pathologe Dr. W e h r s i g unter 53. Schus.s-
wunden seines Lazarettes, die ohne klinische Zeichen einer Gasinfektion
verliefen, 39 mal im Sekret der Wunden anaerobe Gasbazillen, meist be¬
wegliche, seltener unbewegliche Typen nach weisen konnte, und zwar
mikroskopisch wie kulturell. Das entspricht also einem Prozentsatz von
73,6 Proz. positiver Gasbrandbazillenbefunde ohne klinische Zeichen einer
Gasinfektion.“ Irgendein charakteristisches Zeichen an diesen Wunden,
das mit einiger Sicherheit auf die Anwesenheit der Gasbranderreger
schliessen Hess, konnte Marwedel jedoch nicht festcstellen. Auf Grund
dieser Feststellungen ist es nun auffallend, dass bei den zahllosen Kriegs¬
verletzungen, die zurzeit noch der chirurgischen Behandlung bedürfen, nur
wenig Fälle bekannt geworden sind, in denen nach Wochen oder Mona¬
ten im Anschluss an einen erneuten operativen Eingriff eine Gasphleg¬
mone auftritt. Die wenigen einschlägigen Fälle aus der Literatur führe
ich kurz an. ^,
K ü 11 n e r [3] beobachtete das Auftreten eines Gasabszesses um
den Splitter nach 13 Monaten bei einem Soldaten mit gehciltetri
splittersteckschuss des Oberschenkels, nachdem sich der Mann beim
Kohlenschleppen überanstrengt hatte.
Simon [4] berichtet über eine tödlich verlaufende Gasphlegmone,
die 11 Monate nach der Verletzung, 5 Monate nach der Heilung sämt¬
licher Fisteln eines Oberschenkelschussbruches auftrat, im Anschluss an
die blutige Reposition des in schlechter Stellung geheilten Bruches.
Marwedel beschreibt einen ebenfalls tödlich verlaufenden Gas¬
brand 6 Monate nach der Verwundung. Auch hier handelte es sich um
einen Oberschenkelschussbruch, bei dem eine osteoplastische Operation
vorgenommen wurde.
Einerseits das seltene Vorkommen einer Spätgasphlegmone, ander¬
seits die Wichtigkeit, bei der Behandlung unserer Kriegsverwundeten an
die Möglichkeit einer solchen zu denken, veranlasst mich zur Mitteilung
einer Spätgasphlegmone, die wir in der letzten Zeit auf unserer Ab¬
teilung zu beobachten Gelegenheit hatten.
Vizefeldwebel R. Spr., 35 Jahre alt, wurde am 16. VIII. 18 bei Roye
angeblich durch Granatsplitter verwundet, und erhielt einen Bauchschuss, der
alsbald nach der Verwundung in einem Feldlazarett operiert wurde. Ein
Krankcnblatt aus diesem Feldlazarett fehlt leider, so dass wir keinerlei An¬
haltspunkte dafür haben, wieviel Stunden nach der Verwundung die Operation
vorgenonimen. und welcher Operationsbefund erhoben wurde. Nach Aussage
des Pat. soll aber der Darm mehrmals verletzt gewesen sein, und der Ge-
schosssplittcr bei dieser ersten Operation entfernt worden zu sein. Aus
den vorhandenen Krankenpapieren geht hervor, dass Spr. bis zum 19. IX. 18
in verschiedenen Feldlazaretten behandelt wurde. Die Bauchwunde zwischen
Nabel und Symphyse hatte sich bis auf eine Fistel geschlossen, so dass
Digitized by Goiisle
Spr. am 19. IX. 18 mit Lazarettzug nach Deutschland abtransportiert wurde.
In der Folge bildete sich ein Bauchdeckenabszess, der eröffnet wurde. Am
13. XI. 18 wurde Spr. in ein Lazarett Mitteldeutschlands verlegt. Während
der Fahrt verschlimmerte sich der Zustand, und der Aufnahmebefund dieses
Lazarettes lautet: „Elender, blass aussehender Mann in sehr schlechtem Er¬
nährungszustand. In der Mittellinie des Leibes findet sich eine etwa 10 cm
lange, gut verheilte, frische Operationsnarbe. In der rechten Unterbauchseite,
3 Ouerfingcr ober- und unterhalb des Leistenbandes, ist ein über mannsfaust¬
grosses Infiltrat fühlbar, über dem Darmschall und Gurren wahrnehmbar ist.
der übrige Leib ist weich, und nicht druckempfindlich“. Am 21. XL 18 wurde
eine Operation vorgenommen, und dabei ein grosser Beckenabszess eröffnet,
der reichlich stinkenden Eiter enthielt. Spr. erholte sich rasch, und wurde
am 8. II. 19 rach Stuttgart verlegt, und auf unserer Abteilung aufgenommen.
A u f n a h m e b e f u n d. In der Mittellinie des Leibes findet sich zwi¬
schen Nabel und Symphyse eine etwa 12 cm lange Narbe, die im oberen
Drittel eine markstückgrosse Lücke in der Bauchwand zeigt. In der lleo-
zoekalgegend besteht eine 10 cm lange Narbe, und in der Mitte derselben
eine Fistel, die von Granulationen wallartig umgeben ist, und etwa 5 cm in
die Tiefe reicht. Am 28. II. wurde bei uns eine Operation gemacht, und
hierbei aus der Tiefe der Fistel ein etwa 3 cm langes Stück eines Qummi-
drains entfernt. Eine Heilung erfolgte jedoch nicht, sondern es bildete sich*
wieder eine Fistel, die am 15. V. gespalten wurde. Dabei wurden einzelne
Knochensplitter vom Darmbein entfernt. Dip gewünschte Heilung trat wieder
nicht ein. Unser Verdacht, dass der Geschosssplitter noch zurückgeblieben
und die Ursache der fortwährenden Eiterung sei, wurde von Spr. mit aller
Entschiedenheit zurückgewiesen, und bestimmt erklärt, dass bei der ersten
Operation im Feldlazarett der Granatsplitter entfernt worden sei. Bekräftigt
wurde die Aussage noch durch Vorzeigen eines Granatsplitters, den Pat. im
Portemonnaie bei sich trug. Trotz dieser Versicherungen des Patienten ent¬
schlossen wir uns zur Röntgenaufnahme des Beckens, und diese zeigte ein
Infanteriegeschoss auf der rechten Darmbeinschaufel. Die Lage des Ge¬
schosses wird nun durch eine Röntgenstereoaufnahme (Dr. K o e t z 1 e) genau
bestimmt, und am 9. X. 19 erfolgt erneute Operation in Laudanon-Skopolamin-
Aethernarkose (Prof. Dr. Zeller).
Schnitt über die Spitze der rechten Spina ant. sup. der rechten Darm-
beiischaufel bis in die Leistenbeuge. Von der Innenseite der Darmbeinschaufel
wird das Periost teils stumpf, teils scharf abgehebelt. Nachdem die Weich¬
teile genügend zurückgeschoben, sieht man in der Tiefe auf der Darmbein-
schaiifel einen Granulationsherd, der mit dem scharfen Löffel gereinigt wird.
Dabei werden sehr übelriechende Tiichfetzen und Knochensplitter entfernt.
Um die Höhle im Knochen zugänglicher zu machen, müssen noch Knochen¬
stücke von der Darmbeinschaufei mit dem Meissei abgeschlagen werden.
Nunmehr kommt in der Tiefe das Geschoss zu Gesicht, und lässt sich leicht
entfernen. Es handelt sich um ein französisches Infanteriegeschoss, dessen
Aeusseres stark zerfressen ist. Auskratzen der Wundhöhlc, Einlegen eines
Drains, Verkleinerung der Wunde durch 2 tiefgreifende Nähte.
10. X. In der Nacht hatte Pat. schon starke Schmerzen. Morgens gibt
er an, dass er das Gefühl habe, als ob das rechte Bein angeschwoilen. und
der Verband zu eng sei. Temperatur 39.4' ; Puls sehr klein und schnell,
130—140. Es wird sogleich an eine Gasphlegmone gedacht, und der Verband
entfernt. Die Haut des rechten Oberschenkels erscheint auffallend blass.
Deutliche Venenzeichnung von der Leistenbeuge bis handbreit über das Knie.
Die Haut der Leisten- und Schenkelbeuge zeigt gelbliche bis kupferbraune
Verfärbung. Deutliches Luftknistern besteht von der Mitte des Oberschenkels
bis zur Leistenbeuge. Beim Beklopfen ausgesprochener Schachtelton von dem
Leistenband bis zur Mitte des Oberschenkels. Sofortige Operation in Aether-
narkose. Nach Durchtrennung der Haut entweicht hörbar Gas. Nach Spaltung
der Faszie sieht man zwischen den Muskeln zahlreiche Gasbläschcn. Die
Muskulatur zeigt missfarbenen Ton, die einzelnen Muskelfasern sind schmierig.
Alles erkrankte Gewebe, und die der Gangrän verfallenen Muskelstränge
werden ohne Rücksicht auf eventuellen Funktionsausfall entfernt. Zwischen
die Gewebsspalten werden dicke Drains eingelegt, und ausgiebig Ortizonpulver
zwischen die Muskelbündel eingestreut. Die ganze Wunde bleibt offen.
Täglich erfolgt mehrmals Verbandwechsel, bei dem jedesmal reichlich Ortizon-
nulvcr eingestreut wird. So gelingt es, den Prozess zum Stillstand zu bringen.
In den nächsten Tagen fällt die Temperatur langsam ab. die Wunde reinigt
sich rasch. Nur die Herztätigkeit und der Puls erholen sich trotz reichlicher
Exzitantien langsam. Vom 13. Tage ab rst Pat. fieberfrei und erholt sich gut.
Mitte Januar ist die Wunde nahezu verheilt, und die Funktionsfähigkeit des
rechten Beines nur in ganz geringem Grade behindert.
Ans unserem Falle sind 2 Umstände besonders auffallend. Erstens
machten sich nach der ersten Operation, die alsbald nach der Verwundung
»"rfolgt sein soll, keinerlei Anzeichen einer Gasphlegmone bemerk¬
bar. Dann wurden noch 4 weitere operative Eingriffe gemacht, und
erst beim letzten trat. 15 Monate nach der Verwundung, infolge der Ent¬
fernung des Geschosses die gefürchtete Komplikation" auf. Es ist dies
ein Beweis dafür, dass sich die Erreger in unmittelbarster Umgebung
des Geschosses eingekapselt hatten.
In unserem Falle betraf die Gasphlegmone eine Körpergegend, in
der sich die Erreger in den dicken Mu^elmassen der Gesäss- und Ober¬
schenkelgegend besonders bösartig einzunisten pflegen. Dass ein wei¬
teres Fortschreiten der Erkrankung verhindert würde, glaube ich neben
der radikalen Entfernung der erkrankten Gewebsteile wohl der reich¬
lichen Sauerstoffzufuhr durch das Ortizon zuschreiben zu dürfen.
Zweck dieser Mitteilung ist, erneut darauf hinzuweisen, dass auch
jetzt noch bei chirurgischen Eingriffen an den Kriegsverwmndeten mit
dem Auftreten einer Gasphlegmone gerechnet werden muss.
Literatur.
1. H. Vincent und G. Stodel: Referat M.m.W. 1910 Nr. 48. —
2. Marwedel: Ueber offene und ruhende Gasinfektion. D.m.W. 1917 Nr. 25
bis 27. — 3. K ü 11 n e r: Bruns* Beitr. 103 H. 2. — 4. Simon: Chirursren-
tagung, Heidelberg 1915.
I
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT/
271
Aus der dermatologischen Klinik der Universität Leipzig.
(Direktor: Obermedizinalrat Prof. Dr. Rille.)
lieber eine neue Modifikation der Hg-Salvarsantherapie:
Behandlung durch Neosalvarsan und Cyarsal in Misch¬
spritze.
Von Dr. med. et phil. F. W. O e I z e, Assistent der Klinik.
Die hervorragende klinische Wirkung auf die Erscheinungen der
Lues, die dem Salvarsan eignet, scheint zu einem gewissen Schematismus
in der Behandlung geführt zu haben. Auch wenn man etwa 6 Wochen¬
gaben Salvarsan mit einer Anzahl intraglutäal verabreichter Hg-Dosen
kombiniert, ist der nachhaltige Erfolg einer solchen ..Normalkur“ doch
Ott auf die Dauer mangelhaft. Ebenso ist die Abortivheilung der sero¬
negativen Lues I erst neuerdings wieder umstritten, nach meinen Er¬
fahrungen auch mit Recht. An Salvarsanpräparaten haben wir zurzeit
fünf, an Hg- und Jodpräparaten eine grosse Anzahl. Die verschiedensten
Kombinationen stehen also zur Verfügung, um die individuell so ver¬
schieden verlaufende Syphilis auch individuell zu behandeln. Man mag
aber intravenös verabfolgtes Neosalvarsan mit noch so viel verschie¬
denen Hg-Körpem intraglutäal vereinigen, alle diese verschiedenen Zu¬
sammenstellungen sind doch recht ähnlich, Paraphrasen über ein ge¬
gebenes Thema.
L i n s e r [1] dagegen greift die Kombinationstherapie von einer ganz
anderen, neuen Seite an; er mischt die Neosalvarsanlösung mit einer
1 proz. Sublimatlösung in derselben Spritze. Es entsteht so augen¬
blicklich ein schwarzer, grober Niederschlag, so dass die Lösung völlig
schwarz, fast schmutzig aussieht Nur ein kühner Experimentator konnte
eine solche Aufschwemmung intravenös injizieren. Dass eine eventuelle
Thrombosierung nicht so bedenklich ist, wie oft angenommen, hatte
L i n s e r schon bei seiner Varizenbehandlung durch Sublimat festgestellt,
auch die Erfahrungen von Howard [2], der Jodnatrium in heroischen
Dosen intravenös einspritzte, sprechen dagegen. Wird zur Lins er¬
sehen Salvarsanmischung tücht allzuviel Sublimat genommen, so kommt
es übrigens gar nicht zur Verlegung grösserer Venen. Die Nach¬
prüfungen der Littserbehandlung von Zirn [3], Gutmann f4| und
B ü 1 o w [5] sind durchweg ausserordentlich günstig. Zirn hebt be¬
sonders die gute Verändemng der WaR. hervor, nach Beendigung einer
Kur nach L i n s e r waren z. B. seronegativ geworden von Lues I sero-
positiv 76 Proz., Lues II 56 Proz., Lues III 47 Proz.; bei 315 Patienten,
die 12 Spritzen Neosalvarsan 0,6 g plus 18—24 Spritzen Embarin
intraglutäal erhalten hatten — also eine recht energische Behandlung —,
waren Lues 1 seropositiv negativ geworden 51 Proz.. Lues 11 49 Proz.
und Lues III 36 Ppaz., also eine erheblich'schlechtere Wirkung. Geradezu
kläglich fiel die von Zirn vorgenommene Nachuntersuchung von 114 Pa¬
tienten aus, die anderweitig 3—^5 Spritzen Salvarsan und 6 Hg intra¬
glutäal erhalten hatten; von diesen 114 Patienten hatten nur 11 einen
negativen Wassermann!
An der hiesigen Klinik wurde die Linsermethode gleichfalls ange¬
wandt. Die vortrefflichen Resultate sind als Dissertation von H a g i 11 e [6]
bearbeitet. Sehr günstig war auch bei uns die spirochätozide Wirkung
der Li ns ersehen Mischung. Durchschnittlich 12—15 Stunden nach der
ersten Injektion waren die Pallidae verschwunden. Dass im übrigen
durch eine Salvarsaninjektion die Spirochäten nur von der Oberfläche
der Primäraffekte verschwinden, habe ich [7] schon angedeutet, bekannt
ist ja auch, dass es salvarsanresistente Spirochäten gibt, ich habe auch
mehrere Male dieses Verhalten konstatieren können. Gut mann [4]
beschreibt übrigens auch einen Fall von Lues II, der auf L i n s e r s Be¬
handlung gar nicht reagierte, auch gegen Silbersalvarsan war dieser
Fall resistent, erst energische Kalomelbehandlung brachte Erfolg. Neuere
an hiesiger Klinik ausgeführte Versuche über Vorkommen von Pallidae
auf den Tonsillen während der Latenz, die auf Angaben von Hoff-
raann basieren, zeigen auch, dass die Syphilisspirochäte doch nicht so
spurlos verschwindet, wie dies manchmal angenommen werden mag.
Jedenfalls ist die Linsersehe Methode, was spirochätozide Wirkung
anlangt, keineswegs nach den bisherigen Erfahrungen einer anderen
Methode unterlegen.
Bruck [8] bestätigte gleichfalls die guten Erfahrungen L i n s e r s.
ln einer zweiten Arbeit führen Bruck und Becker eine Modifikation
ein: statt mit Sublimat misphen sie Neosalvarsan mit Novasurol. Es
entsteht gleichfalls ein Niederschlag, der die Lösung ganz undurchsichtig
macht, doch hat dieser Niederschlag viel feineres Gefüge. Die Bruck-
sche Modifikation soll klinisch gleichfalls vorzüglich wirken.
Natürlich kann man, da L i n s e r einmal den Weg gewiesen hat. die
Mischung mannigfach abändern. Herbeck [9] verwendet statt Sub¬
limat E m b a r 1 n. „Beim Mischen des Embarins mit Neosalvarsan ent¬
steht eine getrübte, schmutzige, grüngelbe Flüssigkeit die jedoch nicht
derart getrübt ist dass sie nicht in der Spritze beim Aufsaugen das Ein¬
treten des Blutstromes bemerken Hesse.“ Störend ist der schaumige
Charakter dieser Mischung. Klinisch soll die Mischung gleichfalls recht
sut wirken, soweit sich dies aus einem kleinen Material ersehen lässt
Bei der Mischung des Salvarsans mit Hg-Lösungen gehen tief¬
greifende Veränderungen vor sich, eine Fülle von Reaktionen spielt sich
offenbar ab; welcher Art diese Umsetzungen sind, darüber wissen wir,
wie auch aus den Ausführungen von B ü 1 o w und Schmitz [5] und
Bruck und Becker [10] hervorgeht sehr wenig. Unbeschadet der
guten klinischen Wirkungen der Mischungen ist es also ein Arbeiten mit
Nr. 9.
ziemlich unbekannten Stoffen, das der Arzt ausführen soll. Im
wesentlichen dürfte es sich um eine Reduktion des Hg-Präparates durch
das Salvarsan handeln, die schliesslich zum metallischen Hg führt Diese
Reaktion verläuft naturgemäss bei den ionisierten Hg-Salzen, wie Sub¬
limat langsamer als bei den verschiedenen kemmerkurierten Hg-
Präparaten. Rothmann [12] gibt über die Umsetzung vom kolloid¬
chemischen Standpunkt einen Betrachtungsversuch.
Sehr bald, nachdem ich mich von der guten Wirkung der Linse r-
schen Mischung überzeugt hatte, legte ich mir die Frage vor, ob es nicht
möglich sei, ein lösliches Hg-Präparat darzustellen, das sich mit Sal¬
varsan möglichst wenig verändert implicite auch der Mischung die klare
hellgelbe Farbe belässt, die die Injektion namentlich dem allgemeinen
Praktiker so sehr erleichtert.
Gemeinsam mit dem Chemiker Dr. Boedecker -Tempelhof
arbeitend, wurden eine Anzahl Versuche durchgeführt, es gelang dann
die Synthese einer Gruppe von chemisch einheitlichen Verbindungen, die
dasHgsofestgebunden enthalten, dass weder das Schwefel¬
ammonium noch das Salvarsan das Hg bei kurzer Einwirkung bei
gewöhnlicher Temperatur herauszureissen imstande sind. Verschiedene
dieser Präparate wurden auch von anderer Seite pharmakologisch und
therapeutisch geprüft das wirksamste musste, da sich zunächst auch
Komplexverbindungen gebildet hatten, noch einem besonderen Dar¬
stellungsverfahren unterworfen werden. Mit diesen Verbindungen habe
ich über 1600 Injektionen ausgeführt davon über 1200 mit dem zur
weiteren Erprobung bestimmten Salze, dem Cyarsal.
Cyarsal ist das Kaliumsalz einer kemmerkurierten Oxybenzoe-
säure, es enthält 'rund 46 Proz. Hg. Das Hg ist in diesem Präparat mit
einer Wertigkeit fest an Kohlenstoff, mit der anderen Wertigkeit komplex
an die Isocyangruppe gebunden. Es ist eine schön kristallisierte Ver¬
bindung, die aus Wasser unzersetzt umkristallisiert werden kann und in
wässeriger Lösung vollkommen beständig ist Bei gewöhnlicher Tem¬
peratur ist es in Wasser etwa 1:10 löslich. Man kann also hohe Oueck-
silberkonzentration erreichen. Ich halte aber die Uebertragung der
während eine Kur intramuskulär verabfolgten Hg-Menge auf die
intravenöse Applikation nicht ohne weiteres für richtig. Die
klinische Erfahrung macht es wahrscheinlich, dass man intravenös mit
kleineren Hg-Dosen auskommt. Das von der J. D. R i e d e 1 A.-G. Berlin-
Britz hergestellte Cyarsal wird daher so in sterilem Wasser gelöst dass
jedes Kubikzentimeter gerade 0,01 g metallisches Hg enthält Die Lösung
wird in Ampullen zu 2,2 ccm abgefüllt.
Man ist gewöhnt ein zur Kombination mit Salvarsan bestimmtes
Hg-Präparat zunächst auf seine alleinige Wirkung hin zu unter¬
suchen. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass ein Kombinations¬
präparat eigentlich vor allem als solches geprüft werden sollte. Gerade
bei dem Quecksilber, das so sehr zur Bildung von Komplexverbindungen
im Organismus nei^, wäre es möglich, dass ein an sich gutes Hg-Salz
doch zur Kombination nicht geeignet ist Das Cyarsal zeigt nun eine
recht gute Wirkung bei alleiniger, intramuskulärer Anwendung. Es wird
recht gut vertragen, macht bei richtiger Injektion tief in den äusseren
oberen Quadranten der Glutäen nicht mehr Beschwerden, als die
anderen „schmerzlosen“ Salze. Die klinische Wirkung war gut ebenso
auf di»» WaR. ln einigen Fällen von Lues I seropositiva gab ich
4 Wochen jeden zweiten Tag 6 ccm Cyarsal, die Sklerosen waren in 2,
bei ausgedehnten in 3 Wochen verheilt. Die WaR. besserte sich von
der dritten Woche an. Auffällig war, dass sich durch Drüsenpunktion,
sowie durch Punktion der abgeheilten Sklerose noch Pallidae nach-
weissen Hessen. In Parallelversuchen mit Novasurol konnten gleichfalls
noch nach 3 Wochen energischer Behandlung sehr lebhafte Pallidae ge¬
funden werden. Die klinischen Wirkungen der alleinigen Novasurol-
behandlung waren weniger befriedigend. Die Patienten vertrugen die
doch ziemlich energische Cyarsalbehandlung recht gut Nebenwirkungen
sah ich nicht auch keine Darm- oder Nierenreizung. Auffällig war, dass
die meisten Patienten an Gewicht Zunahmen.
Wendet man Neosalvarsan intravenös und Cyarsal intramuskulär an,
so ist der Erfolg der gewohnte der bisherigen Kombinationstherapie.
Indessen war ja der Zweck der Cyarsalsynthese ein für die Mischung
mit Salvarsan besonders geeignetes Quecksilber zu finden. Löst man
z. B. 0,45 g Neosalvarsan in etwa 5 ccm Wasser und zieht dann ln der
die Salvarsanlösung enthaltenden Spritze die Cyarsallösung aut so bleibt
die Mischung völlig glasklar, erst nach einer Minute entsteht eine
ganz leichte Trübung, die die Durchsichtigkeit aber nicht verhindert.
Lässt man die Mischung versuchsweise im Reagenzglase stehen, so ist
sie erst nach einigen Stunden ganz trübe.'geworden, am nächsten Morgen
hat sich das Quecksilber abgeschieden.
Man kann also die Mischung genau so injizieren,
wie eine reine Salvarsanlösung, das Eintreten des Blutes in
die Spritze, zum Zeichen, dass die Kanüle richtig liegt, lässt sich genau
so gut, wie bei der reinen Salvarsanlösung beobachten. Ich möchte
diese Art der Behandlung, nach Li ns er und ihre Variationen als Be¬
handlung mit M i s c h s p r i t z e bezeichnen, der Ausdruck „gleichzeitig,
kombiniert“ wird schon für die bisherige Kombinationsbehandlung z. B.
von Arzt gebraucht.
Die Dosierung bemesse ich reichlich, nach den vielen Er-
fahmngen die vorliegen, siehe z. B. Zirn [3] und Weigeldt [ll]
nehme ich für die Durchschnittskur etwa 6 g Neosalvarsan und 0,25 g
metallisches Hg als Cyarsal. Die Dosierung muss individuell sein,
sowohl was die Gesamtmenge, wie was das Verhältnis von Hg und
4
Digitized by
Goi.igle
' Original from
UNI\/ERSITY OF CALIFORNIA
272
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Salvarsan zu eina;ider anlangt. Die nachfolgend beschriebenen Durch¬
schnittskuren sollen also nur einen ungefähren Anhalt geben.
Als Durchschnittskur für einen Mann normaler Konstitution gebe
ich 2 mal wöchentlich 0,45 g Neosalvarsan und 2 ccm Cyarsal. Im
ganzen 14 Spritzen. Die erste Injektion gestalte ich abweichend, ln
den Fällen, wo ein reichliches, frisches Exanthem vorhanden ist, man
also mit einem „Spirochätenfieber“ rechnen müsste, gebe ich als erste
Spritze nur 0,15 g Neosalvarsan und Vi ccm Cyarsal; trat keine Reaktion
ein, gebe ich nach 2 Tagen bereits 0,3 g Neosalvarsan und 1 ccm
Cyarsal, dann weiter wie üblich. Handelt es sich jedoch um primäre
seronegative Lues, so halte ich es für richtig, gerade am Anfang recht
energisch vorzugehen. Ich gebe daher als erste Spritze 0,6 g Neo¬
salvarsan und 2 ccm Cyarsal, dann wie üblich. Es erhält so ein mittel¬
kräftiger Mann in 7 Wochen etwas über 6 g Neosalvarsan und 0,26 g
metallisches Quecksilber. Je nach der Konstitution und dem thera¬
peutischen Effekt wird der Arzt die Dosis etwas nach oben oder unten
verändern müssen.
Bei Frauen spielt die Rücksicht auf Konstitution und Ernährungs¬
zustand eine noch grössere Rolle, als bei Männern. Man wird in der
Einzeldosis bei Verabreichung von wöchentlich 2 Spritzen im allge¬
meinen nur eine Spritze zu 0,3 g Neosalvarsan und 2 ccm Cyarsal mit
einer Spritze zu 0,45 g Neosalvarsan und 1 ccm Cyarsal abwechseln
lassen: man würde so durchschnittlich etwas über 5 g Neosalvarsan
und 0,21 g Hg geben. Die erste Spritze, je nach dem Befund, gleich¬
falls wie bei Männern besonders stark oder schwach. Bei schwächlichen
Frauen wird man überhaupt nur Spritzen zu 0,3 g Neosalvarsan event.
noch weniger mit I ccm Cyarsal geben können.
Bei den 1^4 Tausend Injektionen, die ich mit -dieser Mischspritzen-
behandlun^ ausgeführt habe, habe ich ernstere Schädigungen überhaupt
nicht erlebt. Qanz vereinz'elt trat gelegentlich ein Temperaturanstieg
auf, so wie man es auch beim reinen Salvarsan zuweilen erlebt. Er¬
brechen, Durchfall wurden nicht nach den Spritzen beobachtet. Auch
Stomatitis trat nicht auf, trotz starken Rauchens vieler Patienten. Be¬
sondere Vorsichtsmassregeln während der Injektion sind unnötig, man
kann rasch injizieren (im klinischen Betrieb etwa 40 Spritzen in der
Stuhde).
Die klinischen Wirkungen der Cyarsalmischbehandlung sind aus¬
gezeichnet, Erscheinungen primärer wie sekundärer Lues werden rasch
und gründlich beeinflusst. Die Patienten nahmen meist an Körpergewicht
zu, ein grosser Teil erheblich. Ich möchte mich nicht eingehender bei
einer ausführlichen Schilderung der guten Erfolge aufhalten, sondern
lieber zur Nachprüfung auffordern, das Cyarsal wird dazu in jeder
Menge abgegeben. Nur bei maligner Lues möchte ich etwas ver¬
weilen. In diesen Fällen erwies sich die Mischspritzenbehandlung
als besonders wirksam. Ein Fall ist auch anamnestisch besonders
interessant. Es wurde ein Patient eingeliefert, der völlig abgemagert
w'ar und so schwach, dass er sich nicht allein im Bett aufrichten konnte.
Zwei Monate zuvor hatte Patient ein kleines Geschwür am Penis
bemerkt; er suchte einen Spezialarzt auf, der ihm eine Neosalvarsan-
injektionuind Jodoformpulver verordnete. An demselben Tage suchte
der Patient aber auch einen „Naturarzt“ auf; dieser behandelte ihn mit
kalten Umschlägen und Tee. Patient ging nur bis zur zweiten Neo-
salvarsaninjektion zum Spezialarzt, dann nur noch zu dem „Naturarzt“.
Das Leiden wurde aber immer schlimmer, der mächtige Ausschlag nahm
immer mehr geschwürigen Charakter an. schliesslich musste Patient in
die Klinik getragen wurden. Ueber den ganzen Körper verstreut bis
4 cm breite Pusteln, zum Teil auch Borkenauflagerungen, auch tiefe
trichterförmige Ulcera, Penis und Tonsillen befallen, ebenso das
Capillitium. In den Effloreszenzen sind Pallidae reichlich nachzuweisen,
WaR. Zuerst mit kleinen, aber häufigen Mischspritzen be¬
handelt, war Patient bereits nach 14 Tagen wesentlich gekräftigt, nach
3 Wochen waren die Geschwüre, die in den ersten Tagen noch weiter
um sich gegriffen hatten, fast abgeheilt, nach 4 Wochen war alles ver¬
heilt. Patient hat während der Kur 8 Pfund zugenommen. Er geht
seinem Beruf wdeder nach. Ein anderer Fall von schwerer ulzeröser
Lues, besonders im Gesicht, konnte bereits nach genau 14 Tagen in
ambulante Behandlung entlassen weden.
Die Wirkung eines Medikamentes wird in erster Linie aus dem kli- ,
nischen Verhalten erschlossen; nicht mit Unrecht nennen die Amerikaner
gerade bei der Lues den klinischen Versuch den „Vital Test“. Die Wir¬
kung auf die WaR. ist bei der Cyarsalmischspritzenbehandlung gleich¬
falls eine befriedigende. Ueber die Dauerwirkung wird sich allerdings
erst in Jahren ein endgültiges Urteil abgeben lassen. Jedenfalls scheint
mir die neue Kombination wohl einer eingehenden Nachprüfung
unterzogen zu werden.
Literatur.
1. I. inser: Ueber eine neue kombinierte Salvarsan-Quecksilberanwen-
dung bei der Syphilis. M.Kl. 1919 H. 41 S. 1026. — 2. Howard, R. C.:
Intraven. Injections of Sodium jodide in massive doses in obstinate Syphilis.
American Journal of Syphilis 1916 S. 550. — 3. Z i r n, C.: Die Syphilis¬
behandlung mit Hg-Salvarsan. M.m.W. 1920 H. 35 S. 1017. — 4. Q u t m a n n,
C.: Ueber die L i n s c r sehe Salvarsan-Sublimatbehandlung der Syphilis.
M.Kl. 1920 H. 34 S. 873. — 5. B ü 1 o w und Schmidt: Ueber die Einwirkung
von HgCl auf Salvarsan. (Med.-Naturw. Verein Tübingen.) M.m.W. 1919
Nr. 38 S. 1099. — 6. Hagitte: Ueber die intravenöse Behandlung des
Syphilismittels Neosalvarsan und Sublimat. Dissertation, Leipzig 1920. —
7. O e I z e, F. W.: Ueber die Bewegung der Spirochaete pallida. M.m.W.
1920 H. 32 S. 921. — 8. Bruck C.: Ueber Erfolge mit der einzeitig kom¬
binierten Salvarsan-Quecksilberbehandlung der Syphilis nach L i n s e r.
M.m.W. 1920 H. 15 S. 423. — 9. H e r b e c k, O.: Einzeitige intravenöse Be-
Digitized by Goiisle ■
handlung der Syphilis mit Embarin und Neosalvarsan. D.m.W. 1920 H. 48
S. 1334. — ID. Bruck und Becker H.: Ueber die einzeitig kombinierte
Neosalvarsan-Novasurolbehandlung der Syphilis. M.m.W. 1920 H. 31 S. 901. —
11. Weigel dt W.: Zur Dosierung des Salvarsans. D.m.W. 1920 H. 43
S. 1193. — 12. R o t h ni a n n, St.: Ueber das Wesen der intravenösen Sublimat-
Salvarsaneinspritzung nach L i n s e r. D.m.W. 1921 H. 3 S. 71.
Zur Behandlung der Rachitis mit Lebertran.
Von Prof. Dr. W. Stoeltzner, Direktor der Universitäts-
Kinderklinik in Halle a. S.
Ueber die sog. Phosphorbehandlung der Rachitis scheinen ausser¬
halb der engsten kinderärztlichen Fachkreise nicht überall klare Vor¬
stellungen zu herrschen. Der Umstand, dass ein Stoff seiner chemischen
Natur nach eine Phosphorverbindung ist. berechtigt keineswegs dazu, ihm
antirachitisghe Wirksamkeit zuzuschreiben. Ausschliesslich der giftige
gelbe elementare Phosphor wirkt, aber auch dieser ausschliesslich in der
Form des Phosphorlebertrans. So ist z. B. die Verordnung von Phos¬
phor in Oliven- oder Mandelöl vollständig unwirksam. Jeder Arzt, der
sich die Mühe genommen hat, mit Phosphoröl behandelte Rachitisfälle
genau zu beobachten, wird dem zustimmen. Da es jedoch misslich wäre,
sich in dieser Frage nur auf die ärztliche Erfahrung berufen zu können,
so ist cs als ein Verdienst von SchabadO anzusehen, dass er auch
durch einwandfreie Stoffwechselversuche zahlenmässig nachgewiesen hat,
dass der Phosphor ohne Lebertran die Kalkretention bei Rachitis unbeein¬
flusst lässt. Es kann also überhaupt nicht schlechthin von einer wirk¬
samen Phospliorbehanühing der Rachitis gesprochen werden, sondern nur
von einer wirksamen Behandlung mit Phosphorlebertran.
Die Einführung des Phosphors in die Behandlung der Rachitis durch
1 Kassowitz^*) fusst bekanntlich auf den berühmten Tierversuchen von
Wegne#^), der die Entdeckung gemacht hat, dass unter dem Einfluss
kleiner Gaben von gelbem Phosphor sich bei gesunden jungen Tieren
an Stelle der weitmaschigen Spongiosa ein sklerotisches Knochen¬
gewebe bildet. Ich selber habe in den Jahren 1896 bis 1898, wie vorher
auch K a s s o w i t z, die Angaben von W e g n c r nachgeprüft und be¬
stätigt gefunden *). Die Phosphorsklerose tritt jedoch nur unter be¬
stimmten Versuchsbedingungen ein; sie ist nicht ohne weiteres jedesmal
wenn Phosphor verabreicht wird zu erwarten. In 3 Fällen von genügend
lange mit Phosphorlebertran behandelter Rachitis, über die ich 1903
berichtet habe, habe ich keine Spur ..von Phosphorsklerose gefunden®).
Gelegentlich könnte vielleicht die Behandlung mit z, B. Phosphoröl eine
die Rachitis komplizierende Osteoporose, günstig beeinflussen. .Aber ab¬
gesehen von der Unsicherheit des Eintrittes dieser Wirkung wäre das
noch lange keine heilende Einwirkung auf die Rachitis. Denn von einem
Rachitisheilmittel ist zu verlangen,’ nicht dass es die rachitischen und
rachitisch bleibenden Knochen sklerotisch macht, sondern dass es die
auf einem..ganz anderen Blatte stehende spezifisch rachitische Störung
des Knochenwachstums beseitigt.
Im Gegensatz zu dem Phosphor ohne Lebertran besitzt der Leber¬
tran ohne Phosphor antirachitische Wirksamkeit. Auch hier hat S c h a -
bad®) die praktische Erfahrung durch Kalkstoffwechselversuche be-
stätigt. Und zwar ist die Lebertranwirkung in doppeltem Sinne spe¬
zifisch; indem einerseits die Vermehrung der Kalkretention infolge von
Lebertraiidarreichung nur bei rachitischen, nicht aber bei nichtrachitischen
Individuen eintritt'); und anderseits den übrigen bisher untersuchten
Gelen, dem Olivenöl, dem Sesamöl, dem Lipanin, die Fähigkeit bei
Rachitis die Kalkretention zu erhöhen abgeht*). Der Lebertran wirkt
also auf die Rachitis als spezifisches Heilmittel, nicht etwa bloss als Fett.
Erwähnt sei, dass nach den Feststellungen Schabads*) der weisse
Lebertran ebenso kräftig auf die Kalkretention wirkt wie der gelbe.
Sehr merkwürdig ist nun, dass die antirachitische Kraft des Leber¬
trans durch einen kleinen Zusatz von dem an sich gegen die Rachitis
unwirksamen gelben Pho.sphor gesteigert wird. Dass dem so ist, steht
ebenso nach der ärztlichen Erfahrung wie nach den Ergebnissen der Kalk¬
stoffwechselversuchefest. Eine Erklärung ist zunächst nicht leicht
zu geben; um sich eine vorläufige Vorstellung zu machen, mag man an¬
nehmen. dass der Lebertran neben dem wirksamen Bestandteile eine
*) Schabad: Phosphor, Lebertran und Sesamöl in der Therapie der
Rachitis Ihr Einfluss auf den Kalk-, Phosphor-, Stickstoff- und Fettstoff¬
wechsel. Zschr. f. klin. M. 69. 1910. H. 5 u. 6.
*) Kassowitz: Ueber die Phosphorbehandlung der Rachitis. 56, Vers.
D. Naturf. u. Aerzte in Freiburg 1383. — Die Phosphorbchandlung der Rachitis.
Zschr. f. klin. M. 7. 1884.
®) Wegner: Der Einfluss des Phosphors auf den Organismus. Virch
Arch. 55. 1872.
*) Miwa und Stoeltzner: Hat die Phosphorbehandlung der Rachi¬
tis eine wissenschaftliche Begründung? Jahrb. f. Kinderhlk. 47. 1898. H. 2 u. 3.
®) Stoeltzner: Die Einwirkung des Phosphors auf den rachitischen
Knochenprozess. 75. Vers. D. Naturf. u. Aerzte in Kassel 1903.
®) S c h a b a d: a. a. O.
Schabad: Der Phosphorlebertran in der Therapie der Rachitis
Sein Einfluss auf den Kalkstoffwechsel. Ther. d. Qegenw., Juni 1908.
*) Schabad: Zschr. f. klin. M. Bd. 69. — Schabad und So-
rocho witsch: Lipanin als Ersatzmittel des Lebertrans bei Rachitis
Sein Einfluss auf den Stoffwechsel.* Mschr. f. Kinderhlk. 9, 1911. Nr. 12.
*9 Schabad und Sorochowitsch: Ist der weisse Lebertran bei
der Behandlung der Rachitis dem gelben gleichwertig? Arch. f. Kinderhlk
57. 1912. H.4—6.
*®) Schabad: Ther. d. Qegenw., Juni 1908. Diese Feststellungen von
Schabad werden nach meiner Ansicht durch Versuche von Schloss,
der zu anderen Ergebnissen kommt, nicht widerlegt.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
März 1921.
MONCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT.
273
Vorstufe zu diesem enthält, die durch den Phosphorzusatz irgendwie,
wenn auch nicht quantitativ, in die wirksame Modifikation umgewandelt
wird-
Wenn man bedenkt, wie klein die Zahl der spezifisch wirksamen
Heilmittel noch immer ist, so muss man die Einführung des Phosphor¬
lebertrans in die Behandlung der Rachitis durch Kassow'itz als eine
sehr bedeutende Leistung bew'erten. Nichtsdestoweniger liegt das Be¬
dürfnis vor, an die Stelle des Phosphorlebertrans etwas Besseres zu
setzen.
Zwar die gew'öhnlich gegen den Phosphorlebertran vorgebrachten
Anschuldigungen, dass die Kinder ihn nicht gern nehmen und nicht gut
vertragen, sind unbegründet. Er wird meist gern genommen und
meist gut vertragen. Aber man kann vom Lebertran ohne Phosphor
kleinen Kindern nicht gut mehr als höchstens 3 Teelöffel täglich, und
vom Phosphorlebertran 0,01:100,0 nicht gut mehr als höchstens 2 Tee¬
löffel täglich verabreichen. In grösseren Mengen widersteht der Tran
den Kindern; und die, wenn auch nur vereinzelt, vorgekommenen Fälle
von Phosphorvergiftung durch Phosphorlebertran “) mahnen zur Vorsicht.
In den genannten möglichen Dosen aber sind Lebertran und Phosphor¬
lebertran für schwere Rachitisfälle vielfach zu schwach wirksam. Das
ist w^ohl auch der ürund, w'cshalb einige ausgezeichnete Kliniker, die
ihre Beobachtungen vorzugsweise an den besonders schweren Fällen an¬
stellten, wie sie sich in den Kinderkliniken zusammenzufinden pflegen,
hnge Zeit hindurch den Nutzen des Phosphorlebertrans nicht haben
anerkennen wollen.
Aus dem Lebertran den wirksamen Bestandteil darzustellen, ist
verschiedentlich versucht worden. Im Falle des Gelingens eröffnet
dieser Weg die Aussicht auf ein dem Phosphorlebertran überlegenes
Rachitismittel, das ohne Gefahren oder Unzuträglichkeiten in Dosen ge¬
geben werden kann, die auch für eine schnelle Besserung und Heilung
schw’erer Rachitisfälle ausreichen.
Ich habe mich in den Jahren 1910 bis 1914 bemüht, aus dem Leber¬
tran oder dem Phosphorlebertran den wirksamen Bestandteil in einer
für die praktische Anwendung beim rachitischen Kinde brauchbaren Form
zu gewinnen. Obwohl ich mich 1911 bis 1914 der Mitarbeit von nam¬
hafter chemischer Seite zu erfreuen hatte, blieb unseren Bemühungen
der Erfolg versagt, so dass wir sie im Juni 1914 aufgaben.
Erst im Jahre 1917 habe ich das Thema wieder aufgenommen. Ein
Anknüpfen an die Versuche der Jahre 1910 bis 1914 erschien mir als
aussichtslos. Ich sah mich deshalb für die neu aufzunehmende Arbeit
nach einem anderen Ausgangspunkte um.
In der verkalkten Orundsubstanz des normalen Knochengevebes
sind die Erdalkalisalze völlig homogen verteilt: auch mit den stärksten
Vergrösserungen lassen sich keine Ungleichheiten in der Verteilung er¬
kennen. Schon 1901 habe ich mich darüber folgendennassen ausge¬
sprochen: „Die Imprägnation des Knochengew'ebes mit Erdsalzen Int
ausserordentliche Aehnlichkeit mit der Färbung desselben Gewebes mit
Silber, oder auch mit irgendeiner Farbe. In beiden Fällen handelt es
sich urn eine molekulare Durchdringung des Gewebes mit dem impräg¬
nierenden Stoffe, um eine* starre Lösung
Der Begriff der starren oder festen Lösung, der meines Wissens vor
1901 auf die verkalkte Knochengrundsubstanz nicht angew^endet worden
w^ar, geniesst in der Chemie seit langem Bürgerrecht. Um einige Bei¬
spiele zu nennen, so fallen unter den Begriff der starren Lösung durchr
sichtige, gleichmässig gefärbte Gläser, ferner der Palladiumwasserstoff
und die übrigen Wasserstofflegierungen der Metalle. Eine besonders
grosse Bedeutung hat der Begriff der starren Lösung für die Farbchemie:
sehr viele Färbungen sind als starre Lösungen der Farbe in dem gefärbten
Substrat aufzufassen.
Im neugcbildeten Zustande ist auch die normale Knochenerundsub-
stanz kalklos, osteoid. Als osteoide Substanz hat sie nicht die Fähigkeit,
sich mit den Erdsalzen der fertigen, verkalkten Knochengrundsubstanz
zu imprägnieren; gleichzeitig ist ihr färberisches Verhalten dadurch
charakterisiert, dass sie sich mit sauren Farben leicht und intensiv färbt,
während sie basische Farben nicht ohne w-eiteres annimmt. Tritt dann,
wne normalerw^eise meist sehr bald, die Verkalkung ein. so ist die
organische Grundlage der nunmehr verkalkten Knochengrundsubstanz
gleichzeitig basophil geworden; sie färbt sich jetzt mit Saffranin**),
Methylgrün Dahlia ‘^), sehr gut auch mit Fuchsin während ihre
osteoide Vorstufe diese basischen Farben ablehnt.
Soll die osteoide Substanz mit basischen Farben gefärbt werden,
so muss sie vorher eine Zustandsänderung erfahren, sie muss ..gebeizt“
werden.
Es liegt hiernach nahe, aiizunehmen, dass im Verlaufe der normalen
Entwicklung des Knochengew^ebes innerhalb des lebenden Körpers auf
die neugebildete ostaoide Substanz eine physiologische „Beize“ einwirkt,
die sie wie für basische Farben so auch für die Erdsalze aufnahmeiähig
oder, wie ich cs genannt habe, die sie potentiell kalkhaltig macht. Erst
nach Einwirkung dieser Beize würde also die bis dahin kalklose Knochen-
grundsiibstanz die Erdsalze aufnebmett-und dadurch zur reifen, aktuell
kalkhaltigen Knochengrundsubstanz werden können.
Das Wesen,der rachitischen Störung des Kiiochenwachstums besteht
darin, dass das neugebildcte osteoide Gewebe nicht zur rechten Zeit
**) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen 15: 1887. S. 151.
**) Stoeltzner und Salgc: Beiträge zur Pathologie des Knochen-
wachslurns. Berlin, 1901, S. Karger. S. 43.
Pommer: Untersuchungen über Osteomalazie und Rachitis. Leip¬
zig 1885.
Salge und Stoeltzner: Eine neue Methode der Anwendung
des Silbers in der Histologie. B.kl.VV. 1900 Nr. 14.
Digitized by Goiisle
potentiell kalkhaltig wird, sondern dass es osteoid bleibt. Hier würde
' also die physiologische Beize fehlen; und das Ziel der Behandlung müsste
sein, eine geeignete Beize, die das oxyphile und kalklose osteoide Ge¬
webe basophil und für die Erdsalze aufnahmefähig macht, zuzuführen.
Bis hierher werden meine Ausführungen für diejenigen Leser, welche
meine früheren Rachitisarbeiten kennen, kaum etwas Neues enthalten.
Im Jahre 1917 legte ich mir nun die Frage vor, welcher chemischen
Natur eine solche Beize, die geeignet wäre, das rachitische osteoide Ge¬
webe potentiell kalkhaltig zu machen, wohl sein könnte. Einen un¬
erwarteten Hinweis geben die Stoffe, die in der Färbeindustrie als
Beizen für basische Farbstoffe benutzt werden. Das ist einerseits das
Tannin, anderseits das Türkischrotöl. Tannin ist eine Trioxybenzoc-
säure; Türkischrotöl ist eine sulfurierte und oxydierte Rizinusölsäure
(Di- oder Trioxystearinsäure) Beides sind also Oxysäuren. Es
drängt sich die Vorstellung auf, dass auch das gesuchte Racljitisheiimittel,.
das das rachitische osteoide Gewebe kalkaufnahmefähig machen soll,
unter den Oxysäuren zu finden sein wird. Selbstverständlich wird für
den besonderen Fall der Beizung des rachitischen Gewebes zwecks
Ueberführung in den potentiell kalkhaltigen Zustand nicht jede beliebige
in kler Färbetechnik für basische Farben übliche Beize brauchbar sein.
Auch in der Färberei bestehen da schon je nach der Farbe, mit der ge¬
färbt werden soll, Unterschiede. So eignet sich das Türkischrotöl be¬
sonders für Färbungen mit Rhodaminen, Auraminen und Safraninen ‘®).
Nach diesen entscheidenden Ueberlegungen war der gesuchte neue
Weg. auf dem ich hoffen kennte die Lösung des Lebertranproblems zu
erreichen, vorgezeichnet. Der Lel)^^rtran enthält Oxysäuren: er enthält
ausserdem in reichlicher Menge ungesättigte Fettsäuren, die durch Oxy¬
dation in Oxysäuren übergehen können. Es erschien mir als das Ge¬
gebene. den Lebertran zu oxydieren und zu untersuchen, ob sich die Kalk¬
salze der erhaltenen Lebcrtranoxysäureri in der Form eines gut ein¬
nehmbaren Pulvers darstellen lassen. Dann winkte die weitere Aufgabe,
die verschiedenen Präparate, die sich voraussichtlich je nach der Ver¬
suchsanordnung ergeben würden, auf ihre antirachitische Wirksamkeit
zu prüfen. Ob die ganze Untersuchung zu einem befriedigenden Ab¬
schluss führen würde, hing ja schliesslich davon ab, ob es gelingen wüijde,
'zu einem nicht nur gut einnehmbaren, sondern auch an antirachitischer
Wirksamkeit dem Phosphorlcbertran überlegenen Präparate zu gelangen.
Die Verstärkung der antirachitischen Wirkung des Lebertrans durch
einen kleinen Zusatz von gelbem Phosphor wird man sich, wenn die
Wirkung an den Oxysäuren des Lebertrans haftet, so vorzustellen haben,
dass der Phosphor in einem gewissen Umfange die Oxydation von un¬
wirksamen ungesättigten Säuren zu wirksamen Oxysäuren katalytisch
beschleunigt.
Von völlig anderen Gesichtspunkten als ich ausgehend, haben
Freudenberg und Klocrnan*') schon 1913 versucht, aus dem
Lebertran durch Oxydation ein Mittel von gesteigerter Wirksamkeit zu
gewinnen. Auch die Vorstellung, dass im Phosphorlebertran der Phos¬
phor als Sauerstoff übertragender Katalysator wirkt, findet sich schon
bei Freude nb erg und K 1 o c rn a n klar ausgesprochen.
Das erste Präparat, das Freudenberg und K1 o c m a n beschrei¬
ben, bezeichnen sie als Lipocalcin. Es ist dies ein oxydierter Lebertran,
in dem die seiteriständigen Oxygruppen der Oxyfettsäureglyzeride an
Kalzium gebunden sind. Das Lipocalcin ist eine pulverisierbare Masse,
die sich sandig anfühlt, und die in Wasser gar nicht, in Alkohol und Aether
sehr wenig löslich ist. Es wird ungern genommen und geht mit dem
Stuhl zum Teil wieder ab. Fs ist praktisch nicht brauchbar.
Freudenberg und K1 o c m a n gingen deshalb über zur Ver¬
abreichung der Muttersubstanz des Lipocalcins. „des komplett oxydierten,
aber nicht kalzierten Lebertrans“. Hergestellt wird dieses als „Oxy-
produkt“ bezeichnete Präparat durch Oxydation des Lebertrans mit
Wasserstoffsuperoxyd bei Gegenwart bestimmter Katalysatoren
(Osmiumsäure, Uranylnitrat u. a.). Dieses „Oxyprodukt“ wurde in
Form einer dicken Emulsion in der Dosis von täglich 2 Teelöffeln an
spasmophile Kinder verabfolgt und bewirkte eine auffällig schnelle und
weitgehende, der Wirkung des Phosphorlebertrans entschieden über¬
legene Besserung der spasmophilen Erscheinungen. Von der Rachitis ist
in der Veröffentlichung von Freudenberg und K1 o c m a n nicht
die Rede.
Ich fahre nach dieser Unterbrechung in dem Berichte über meine
eigenen Untersuchungen fort.
Ob die Kalksalze der Lebertranoxysäuren sich in der gewünschten
Pulverform gewinnen lassen, war nur durch den Versuch zu entscheiden.
Nach einigen Vorversuchen machte ich im November 1917 den leitenden
Herren der Chemischen Werke Grenzach den Vorschlag, die
Frage in ihren Laboratorien bearbeiten zu lassen. Es zeigte sich, dass
meine Vermutung zutraf. Ich erhielt aus Grenzach in der Folge im gan¬
zen 26 verschiedene Präparate, die nach verschiedenen Verfahren her¬
gestellt waren und die sich durch den verschieden hohen Grad der Oxy¬
dation und in gewissem Masse auch durch ungleiche Korngrösse und
Färbung unterschieden; alle aber, mit vereinzelten Ausnahmen, waren
weisse oder hellgelbe, annähernd geschmack- und geruchlose, gut ein¬
nehmbare Pulver. Zu dem „Oxyprodukt“ von Freudenberg und
K1 0 c m a n stehen diese Pulver in einem ähnlichen Verhältnis wie das
Sajodin zum Jodipin.
Möhlau und Buchener: Farbenchemisches Praktikum. Leip¬
zig 1908, Veit & Co., S. 324.
Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Höchst a. M.: Kurzer
Ratgeber für die Anwendung der Teerfarbstoffe 3. Aufl. 1908 S. 109.
Freudenberg und K I o c rn a n: Untersuchungen zum Spasmo-
philieproblem. Jahrb. f. Kinderhlk. 78, 1913 H. 1 und 79. 1914, H. 6.
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
274
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Die Jodzahlen der Präparate waren, entsprechend der Abstufung der
Oxydation, sehr verschieden. Der Kalziumgehalt betrug, auf die freien
Säuren berechnet, ziemlich gleichmässig etwa 6 Proz.
Die klinische Prüfung der vielen Präparate beschäftigte uns natur-
gemäss eine lange Zeit, von Dezember 1917 bis November 1920. Zum
Vergleich mit den aus Lebertran gewonnenen Präparaten wurden auch
solche anderer Herkunft in die Prüfung einbezogen; ein Präparat aus
dem bezüglich der Jodzahl dem Lebertran nahestehenden Hanföl; ein
Präparat aus Leinöl; ferner dioxystearinsaures. linusinsaures, isolinusin-
saures und satfvinsaures Kalzium.
Die klinische Prüfung ergab, dass die nicht aus Lebertran hergestell-
ten Pulver wirkungslos war^n. Die aus Lebertran dargestellten Prä¬
parate waren mehr oder weniger wirksam; die besten von ihnen be¬
wirkten in Tagesdosen von 1 g auch in schweren Fällen, die nach
aller Erfahrung auf Phosphorlebertran nicht reagiert hätten, schon vor
Ablauf dct ersten Woche eine über jeden Zweifel sichere Besserung
der Rachitis.
Eine vorläufige Schwierigkeit lag darin, dass es durch das gleiche
Herstellungsverfahren nicht jedesmal gelang, gleich wirksame Präparate
zu erhalten. Diese Schwierigkeit hätte sich wohl überwinden lassen;
im November 1920 entschlossen wir uns aber aus anderen Gründen, die
Versuche abzubrechen. Ich verweise diesbezüglich auf weitere Ver¬
öffentlichungen.
Zum Schluss möchte ich ausdrücklich hervorheben, dass ich die
Untersuchungen nicht hätte durchführen können, wenn mich nicht die
Chenfiischen Werke Grenzach durch jahrelange Aufwendungen
an Zeit und Arbeit in dankenswertester Weise unterstützt hätten.
Zusammenfassung.
1. Die spezifisch antirachitische Wirksamkeit des Lebertrans be¬
ruht auf seinem Gehalt an bestimmten Oxysäuren.
2. Der an sich antirachitisch unwirksame Phosphor erhöht die
Wirksamkeit des Lebertrans dadurch, dass er die Oxydation von im
Lebertran enthaltenen ungesättigten Säuren zu antirachitisch wirksamen
Oxysäuren katalytisch beschleunigt
3. Durch technische Oxydation des Lebertrans lassen sich anti¬
rachitisch sehr wirksame, dem Phosphorlebertran entschieden überlegene
Präparate gewinnen, in Gestalt der Kalksalze der Lebertranoxysäuren
auch in Form gut einnehmbarer Pulver. Einführung dieser Pulver in die
therapeutische Praxis wird nicht beabsichtigt (hierzu wird auf weitere
Veröffentlichungen verwiesen).
4. Die Untersuchungen bestätigen in wesentlichen Punkten die Er¬
gebnisse, zu denen Freudenberg und K 1 ocman von ganz anderen
Gesichtspunkten aus gelangt sind.
Aus dem Krankenhause der jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Ueber hereditäres und familiäres Vorkommen von Ulcus
ventriculi et duodeni.
Von H. Strauss-Berlin.
In Nr. 49 dieser Wochenschrift hat Heissen die Frage der
Erblichkeit des Ulcus pepticum einer kritischen Betrachtung unterzogen.
Bei einer Gegenüberstellung der Stimmen, welche eine Erblichkeit für
häufig erklären und derjenigen Ansichten, welche ein solches Vor-
• kommen für selten halten, ist er auf Grund seiner eigenen, an der
Curschmannsehen Poliklinik zu Rostock angestellten anamnestischen
Nachforschungen zu der Anschauung gelangt, dass die Erblichkeit in
der Pathogenese cles Ulcus ventriculi keine besondere Rolle spielt.
Wenn man von den Mitteilungen derjenigen Autoren absieht, welche
nur über wenige „Ulcusfamilien“ berichten — dass das Ulcus pepticum
familiär Vorkommen kann, wird von niemand bestritten —, sondern für
. die Erörterung der Frage, ob das hereditäre Moment bei der Entstehung
des Ulcus ventriculi et duodeni häufiger Zutage tritt, als in • der
Anamnese von Gesunden, nur die grösseren Statistiken in Betracht
zieht, so kommt ausser einer Mitteilung von Huber und derjenigen
von Heissen selbst nur die Statistik von Spiegel in Frage.
Heissen fand bei 296 Fällen von Ulcus ventriculi oder duodeni oder
superazider Dyspepsie nur 16 mal — also in knapp 5/4 Proz. — eine
positive Familienanamnese, während Spiegel unter 121 Fällen von
Ulcus ventriculi bei 26 Proz. in der Familie ulcusverdächtige Erkran-
kung»en antraf im Gegensatz zu einem Verhältnis von 5.5 Proz. bei
Magengesunden. Erwägt man demgegenüber, dass die Zahl der Fälle
von hereditär-familiärer Disposition von Huber mit 15 Proz., von
Westpha 1 auf etwa ^4 der Fälle und von Bernhard sogar auf
etwa H der Fälle geschätzt wird, so sind zur Klärung der Frage weitere,
an grossem Material auszuführende Erhebungen unbedingt erforderlich.
Da ich selbst schon seit Jahren der Auffassung huldige, dass ein nicht
ganz kleiner Prozentsatz der Fälle von Ulcus ventriculi et duodeni
hereditär oder familiär gekennzeichnet ist, so möchte Ich als Beitrag
zur vorliegenden Frage das Ergebnis von Erhebungen wiedergeben, das
ich in einem grossen Sonderlazarett für Verdauungs- und Stoffwechsel-
kranke gewonnen und bereits in meinen „Magenkrankheiten durch
Kriegseinwirkungen“^) kurz besprochen habe. Ich tand dort unter
*) H. S t r a u s s: Magenkrankheiten durch Kriegseinwirkungen. Biblio¬
thek V. Coler-v. Schjerning, Bd. 41, Berlin, Htrschwald, 1919. Be¬
züglich der übrigen Literatur s. d. Arbeit von Heissen 1. c.
Digitized by Gotigle
218 Fällen von Magen- bzw. Duodenalgeschwür nicht
weniger als 70 mal, d. h. in nahezu K der Fälle. Angaben über Magen¬
krankheiten in der Familie. Ueber die Art der betr. Magenkrankheiten
konnte allerdings nicht immer genaues festgestellt werden. 17 mal
handelte es sich jedoch um Karzinom. Zieht man diese Fälle ab, so
bleiben 53 = 24,3 Proz., bei welchen eine familiäre bzw. hereditäre
Belastung vorlag. Eine erbliche Belastung lag vor von selten der
Mutter 31 bzw. 21 mal (10 mal Karzinom), von seiten des Vaters 22 bzw.
17 mal (5 mal Karzinom), und 17 mal waren Eltern und Geschwister
gleichzeitig magenkrank. Nach dem Ergebnis dieser Statistik spielen
also hereditär-familiäre Verhältnisse in der Patho¬
genese des Ulcus ventriculi et duodeni für eine Reihe
von Fällen eine durchaus beachtenswerte Rolle.
Meine Beobachtungen des Vorkommens von Karzinom bei 7,8 Proz.
der Familien von Geschwürskranken reiht sich in gewissem Sinne den
Feststellungen von Spiegel und Bernhard insofern an, als auch
diese Autoren Karzinom in der Familie Ulcuskranker relativ häufig
antrafen. Gewiss stellt nur ein Teil der von mir erwähnten 53 Fälle
von familiärer Magenerkrankung eine Ulcuserkrankung dar. Es lässt
sich aber nicht nur wegen der Schwierigkeiten der Ulcusdiagnostik,
sondern auch ganz allgemein wegen der Schwierigkeiten der Erl^ebung
von Anamnesen an grossem Material nicht so leicht ein Urteil über die
Frage gewinnen, wie häufig gerade Geschwüre in der Aszendenz
bzw. Familie von Geschwürskranken verkommen. Ich selbst habe aller¬
dings mehr als ein Dutzend solcher Geschwürsfamilien in Erinnerung.
Trotz der aus den Verhältnissen sich ergebenden allgemein gehaltenen
Fassung halte ich aber doch die Feststellung, dass familiäre Magen-
erkrankungen verschiedener Art den Boden für die
Entstehung eines Geschwürs vorbereiten können, für
recht beachtenswert. Ist sie doch auch in dieser Form imstande, die
auch von mir schon vor 10 Jahren geäusserte Auffassung zu stützen,
dass in der Pathogenese zahlreicher Fälle von Ulcus
ventriculi et duodeni eine „Disposition“ oder eine
„Diathese“ eine mehr oder weniger bedeutsame Rolle
spielt. Nach den Erfahrungen verschiedener Autoren sowie auch
nach zahlreichen eigenen Beobachtungen bestehen nicht ganz selten
Beziehungen zwischen Ulcus ventriculi und Qastroptose bzw. Habitus
asthenicus in der Art, dass die genannte Konstitutionsanomalie unter
Hinzutritt bestimmter Bedingungen zur Entstehung eines Geschwürs
disponieren kann. Wie ich wiederholt beobachtet und an anderer Stelle
betont habe, sind auch .Jconstitutionell schwache“ Mägen auch ohne das
Bestehen eines Habitus asthenicus mehr als gesunde Magen zu UIcus-
entstehung disponiert. Man trifft dabei solche konstitutionell schwache
Mägen nicht nur als familiär oder hereditär schwache Magen, sondern
zuweilen auch In offenkundigem Zusammenhang mit endokrinen Stö¬
rungen. Ich erinnere hier nur an thyreogene Verdauungsstörungen,
ferner an eine Reihe von mir beobachteter, in meinen „Magenkrank¬
heiten durch Kriegseinwirkungen“ angeführter Fälle, bei welchen weib¬
licher Behaarungstypus, auffällig zarte Haut; feminine Fettentwicklung
und in einzelnen Fällen typischer Eunuchoidismus oder mehr oder
weniger ausgeprägte Dystrophia adiposo-genitalis auf endokrine Stö¬
rungen hinwies. Funktionell und nervös sind dabei nicht immer
kongruente Begriffe, wenn auch bei der Mehrzahl der konstitutionell
bedingten Funktionsalterationen das Nervensystem und insbesondere das
vegetative Nervensystem mehr oder weniger labil gefunden wird. Das
letztere Moment das ich vor kurzem bei der Erörterung von Be¬
ziehungen zwischen nervöser Dyspepsie und konstitutioneller Qastro-
pathle®) genauer besprochen habe, ist insofern von besonderem Interesse,
als pch meiner Ansicht nach die Darlegungen v. Bergmanns über
Beziehungen zwischen Disharmonien im vegetativen Nervensystem und
Ulcusentstehung für eine Reihe von Fällen — wenn auch keineswegs für
alle Fälle — zutreffen dürften. Allerdings dürfte es sich empfehlen, mit
dem Wort Vagotonie in dem vorliegenden Zusammenhang zurück¬
haltender zu sein, als dies vielfach geschieht weil man. wie ich schon
vor Jahren betont habe *), bei den hier ins Auge gefassten Fällen gar
nicht selten gleichzeitig auch Erscheinungen eines gesteigerten Sym-
pathikotonus feststellen kann. Man könnte in solchen Fällen eher von
einer vegetativen Neurodysergie sprechen. Ganz allgemein
sollte aber der ,.konstitutionell schwache“ Magen, der nicht nur in dia¬
gnostischer Beziehung, sondern auch in theoretischer Richtung reiche
Gelegenheit zur Erörterung von Fragen der Beziehung des Nerven¬
systems zur Entstehung von Magenbeschwerden abgibt in der Klinik
der Magenkrankheiten mehr Beachtung finden, als dies auch jetzt noch
vielfach geschieht Bel der Frage der Ulcusentstehung spielen m. E. in
einer nicht ganz geringen Zahl von Fällen neben mechanischen Mo¬
menten Konstitutionsfragen und zuweilen auch Nervenfragen, die ihrer¬
seits wieder nicht selten eine konstitutionelle Grundlage besitzen, eine
solche Rolle, dass für die Erörterung der Ulcusentstehung nicht bloss
eine genaue, auf die Feststellung von Konstitutionsanomalien gerichtete
Untersuchung, sondern auch exakte, auf die Ermittelung von Konstitu¬
tionsanomalien gerichtete, anamnestische Erhebungen notwendig sind.
Weil aber beim Material des Einzelnen, auch wenn dasselbe recht er¬
heblich ist, immerhin Zufälle eine grosse Rolle spielen können, halte auch
ich weitere Erhebungen auf dem vorliegenden Gebiete für erwünscht.
Soweit aber das Ergebnis meiner eigenen Feststellungen, welche nicht
P H. Straus s: M.Kl. 1911 und Zschr. f. ätztl. Fortbild. 1913 Nr. 4.
*) H. Straus s: Münchener Jahreskurse f. ärztl. Fortbild. 1920.
) H. Strauss: Arch. f. Verdauungskraukh. 22. 1916.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
275
nur an einem grossen, sondern auch einheitlich untersuchten Material
gewonnen sind, ein Urteil zulässt, glaube ich die Bedeutung von hereditär
•der familiär wirksamen Faktoren für die Entstehung des Ulcus ventriculi
nach der grundsätzlichen Seite ohne weiteres bejahen zu dürfen. Jeden¬
falls stehen die von mir erhobenen Prozentzahlen, selbst wenn sie durch
Zufall zu gross ausgefallen sein sollten, so weit von den Verhältnissen
ab, wie sie Spiegel bei Gesunden gefunden hat, dass sie — namentlich
im Verein mit den Feststellungen von Huber. Westphal. Bern¬
hard und Spiegel — Anlass gaben, das hereditär-familiäre Moment
bei der Erörterung der Pathogenese des Ulcus ventriculi et duodeni voll
zu berücksichtigen.
Aus dem städtischen Krankenhause Prenzlau.
(Direktor: Dr. Uhlig, Spezialarzt für Chirurgie.)
Rattenbisskrankheit in Deutschland.
Von Dr. Friedrich Vorpahl, leitender Arzt der inneren
Abteilung am Krankenhause.
Am 4. August 1920 kam folgender Krankheitsfall zur Aufnahme in
das Krankenhaus.
forgeschichte: Zwölfjähriger gesund, nur
schon immer etwas schwächlich und blass. Patient wurde am 11. Juli 1920
von einer Ratte in den 5. Finger der linken Hand gebissen. Die Wunde
heilte zunächst zu und war am 3. Tage nach dem Biss vollkommen reizlos.
Ara 24. VII. schwoll der Finger mit der Bisswunde an und wurde schmerz¬
haft. Einige Stunden später trat ein Schüttelfrost mit Temperatur von 39
ein. Am folgenden Tage, dem 25. VII.. wieder Schüttelfrost. Temperatur
bis 40®. ln den folgenden Tagen war das Befinden ganz gut, bis sich am
29. wieder ein Schüttelfrost mit 39,6® einstellte. Am 30. wurde hier im
Krankenhause ambulant an der Stelle der Bisswunde inzidiert, wobei sich
etwas Eiter aus der bereits geschlossenen Bissstelle entleerte. — Da sich
am 3. und 4. August wieder hohes Fieber mit Kopfschmerzen einstellte, so
wurde Patient am 4. VIII. in das Krankenhaus .gebracht.
Befund: Abends nach der Aufnahme am 4. VIII. Temperatur 37,9®,
während am Morgen noch 39® gemessen wurden. — Fettpolster gering.
Muskulatur dem Alter entsprechend entwickelt. Gesichtsfarbe blass, sicht¬
bare Schleimhäute ganz gut durchblutet. — Leichtes Oedem der oberen
Augenlider. Die Bindehaut beider Bulbi etwas injiziert. Leichte Lichtscheu.
Keine Drüsenschwellungen.
Auf der Streckseite des linken Oberschenkels, etwa in seiner Mitte,
findet sich eine blaurote, längliche Verfärbung der Haut von ungefähr der
Grösse eines Zehnpfennigstückes, die zunächst den Eindruck einer Haut¬
blutung nach Stoss macht. Diese Stelle fühlt sich nicht derber an als
die Umgebung, ist nicht erhaben und nicht schmerzhaft.
Zunge: Weisslich belegt, feucht.
Rachen: Etwas gerötet, Tonsillen etwas grösser als normal, mit
mehreren kleinen, gelben Pfröpfen. Keine Schluckbeschwerden.
Herz und Lungen ohne Besonderheiten.
Leib: Weich, nirgends druckempfindlich. Milz und Leber nicht fühlbar,
nicht nachweisbar vergrössert.
Urin: Klar, frei von Eiweiss und Zucker.
Nervensystem ohne Besonderheiten.
Die Fingerwunde ist bereits geschlossen, zum grössten Teil überhäutet
und vollkommen reizlos.
5. und 6. VIII. ist Pat. fieberfrei und ohne Beschwerden. Das Oedem
der oberen Augenlider ist etwas zurückgegangen. Der Hautfleck am linken
Oberschenkel ist abgeblasst. Leukozyten 6000.
7. VIII. Hohes Fieber, kein' Schüttelfrost, Kopfschmerzen. Exanthem
in Gestalt von vereinzelten, blauroten Flecken, die unregelmässig begrenzt
sind und allmählich in die normale Hautfarbe übergehen, auf dem Abdomen
und auf der Streckseite der Ober- und Unterschenkel. Die einzelnen Flecken
wechseln von Flohstich- bis Zehnpfennigstückgrösse und gleichen in ihrem
Aussehen und ihrer sonstigen Beschaffenheit vollkommen dem zuerst be¬
schriebenen Hautfleck am linken Oberschenkel. Das Exanthem hat am meisten
Aehnlichkeit mit Peliosis rheumatica, aber ohne die bei dieser Erkrankung
vorhandenen Schmerzen bei Druck, ohne die Derbheit und ohne die Er¬
habenheit über das übrige Hautniveau. Das Oedem der oberen Augen¬
lider ist wieder deutlicher, die Milz ist nicht fühlbar. Leukozyten 6300.
Im- frischen Blutstropfen finden sich keine Rekurrensspirillen und ist
auch sonst nichts Abnormes. Auch in Blutausstrichen (nach G i e m s a und
May-Grünwald gefärbt) zeigen sich keine Spirillen oder Spirochäten, keine
Malariaparasiten und auch sonst nichts von Mikroorganismen. Das Blutbild
der Leukozyten im Ausstrich ergibt ausgezählt: Neutrophile 75 Proz., Lympho-
zirten 16 Proz., Eosinophile 9 Proz.
Therapie: Pyramidon 0,2.
8. VIII. Befund derselbe, Temperatur sinkt.
9. und 10. VIII. Fieberfrei, ohne alle Beschwerden. Exanthem noch
sichtbar, aber sehr abgeblasst.
10. VIII Temperaturanstieg auf 38,7®. Zweimal 0,5 Chin. mur.
11. VIII. Temperatur steigt in ganz kurzer Zeit auf 40,8® ohne Schüttel¬
frost. Zweimal 0,5 Chin. mur. Exanthem in gleicher Form wie vorher, hat
sich aber auch auf Brust, Oberarme, und Gesicht, dort an den Wangen
and am Kinn, ausgebildet, aber stets nur in vereinzelten Flecken. Blutaus¬
striche gefärbt und frische Blutstropfen wieder ohne jeden Befund.
12. VIII. Befund derselbe: zweimal 0,5 Chin. mur. Wegen Verdacht
auf Sepsis wird Blut zur Kultur entnommen, zugleich auch für Wassermann.
Mittags 12 Uhr werden 5 ccm Fulmargin intravenös injiziert. Abendtempe-
ratnr normal.
13. und 14. VIII. Temperatur normal An beiden Tagen zweimal
0,5 Chin. mur.
15. und 16. VIII. Wieder hohes Fieber, Exanthem sehr deutlich sichtbar,
aber keine neuen Stellen. Chinin abgesetzt. Am 15. VIII. Fulmargin 5 ccm
intravenös.
17. und 18. Vin. Fieberfrei. Die Blutkulturen sind sterU geblieben.
Nr. 9.
Die WaR. ist positiv. Es werden deswegen am 18. VIII. 0,5 Silbersalvarsaa
intravenös gegeben.
19. und 20. VIII. Temperatur normal.
21. VIII. 0,05 Silbersalvarsan.
22. VIII. Temperatur am Abend 37,6®. Geringer Kopfschmerz. Exan¬
them wieder deutlicher als in den letzten Tagen.
25. VIII WaR. im Blute wieder positiv, schwächer als beim ersten
Male. 0,1 Silbersalvarsan. Leichter Frost. Temperatur 38,6.
28. VIII. 0,05 Silbersalvarsan.
31. VIII. 0,1 Silbersalvarsan. Temperatur seit dem 27. unter 37®, Allge¬
meinbefinden gut. Exanthem noch ganz schwach sichtbar. Patient ist in den
letzten Tagen schon ausser Bett.
1. IX. Entlassen Weiterbehandlung ambulant mit Silbersalvarsan zwei¬
mal wöchentlich wird gut vertragen.
3. X. Exanthem wieder deutlich sichtbar für 24 Stunden. Die Tem¬
peratur bleibt dabei normal, keine Kopfschmerzen. Die Injektionen waren
seit zehn Tagen ausgesetzt worden.
8. XI. Kur beendet nach 1,75 Silbersalvarsan im ganzen. Exanthem
ganz geschwunden, keine Beschwerden. Nur am Tage der Einspritzung traten
meist gegen Abend Kopfschmerzen auf.
Der eigenartige Krankheitsfall interessierte mich lebhaft, da er
keinem der mir bekannten Bilder zu entsprechen schien. Am meisten
wurde ich an Febris recurrens oder atypische Malaria erinnert. Doch
fehlten Rekurrensspirillen auf der Höhe des Fiebers, auch war der Ver¬
lauf der Kurve zu unregelmässig, die Fieberperioden zu kurz. Malaria-'
Plasmodien waren ebenfalls nicht nachweisbar, die Milz nicht ver¬
grössert, Chinin ohne Einfluss. Nun machte mich Herr Prof. Mora-
Witz- Greifswald, dem ich meine Beobachtung mitteilte, auf die von
japanischen Aerzten beschriebene, in Japan scheinbar nicht seltene
„Rattenbisskrankheit“ aufmerksam. Und hier fand ich tatsächlich des
Rätsels Lösnng, indem mein Fall alle Charaktere dieser Krankheit in
typischer Ausprägung zeigte.
Nach Miyake [l] (1900). durch den die Krankheit zum erstenmal
in der deutschen Literatur bekannt wurde, ist sie den japanischen Aerzten
schon seit alter Zeit vertraut. Bis 1900 lag aber in der europäischen
Literatur keine Mitteilung über die Rattenbisskrankheit vor. Die ge¬
samte ältere, lediglich japanische Literatur ist bei Miyake [1] be¬
sprochen.
Die Krankheit beginnt nach einer Inkubation von meist 1—3 Wochen
plötzlich mit hohem Fieber und mit entzündlicher Reaktion der bereits
geheilten Bisswunde. Die nächsten Lymphdrüsen schwellen an. Das
Fieber zeigt einen intermittierenden Typ, indem Fieberanfälle von 2 bis
3 Tagen Dauer mit fieberfreien Intervallen von 2 bis 6 Tagen abwechseln.
Die Temperatur kann 40® bis 41® erreichen. Die Kurven, die
Miyake [1] in seiner Arbeit gibt, entsprechen z. T. völlig der hier
abgebildeten meines Falles.
Das zweite charakteristische Symptom ist das Exanthem. Es ist
erythematös oder papulös, kann sich an den verschiedensten Teilen des
Körpers zeigen und erinnert am meisten an ein Erythema exsudativum.
Doch können die Flecken bis Handtellergrösse erreichen. Das Exanthem
steht mit dem Fieber im Zusammenhänge, es erscheint mit dem ersten,
zuweilen aber auch mit dem zweiten oder dritten Anfalle und ver¬
schwindet in der fieberfreien Zeit. Gegen Ende der Erkrankung sieht
man statt des Exanthems zuweilen einen juckenden urtikariaähnlichen
Ausschlag. Von nervösen Störungen, die aber nur in schweren Fällen
stärker hervortreten, seien besonders Gliederschmerzen, Kopfdruck,
Lichtscheu, Parästhesien der Extremitäten erwähnt Zuweilen war der
Patellarreflex aufgehoben.
Die Erkrankung tritt nicht immer in. dieser klassichen Form auf.
Es gibt Fälle, die afebril verlaufen und hauptsächlich mit neuritischen
Erscheinungen einhergehen. Die Dauer der Rattenbisskrankheit beträgt
1—3 Monate, die Mortalität nach Miyake [1] etwa 10 Proz.
In der neuem Literatur habe ich nur 2 *) Arbeiten über Rattenbiss¬
krankheit gefunden, die mir leider nur im Referat zugänglich sind:
Blake [2] beschreibt einen tödlich verlaufenden Fall den er als Rat-
•) Nachtrag bei der Korrektur: Eine 3. Arbeit (Referat aus norwegischer
Literatur) ist nach Abschluss meiner Mitteilung kürzlich in dieser Wochen¬
schrift 1920 Nr. 49 S. 1423 erschienen: N. Aars Nicolaysen: „Ein Fall
von Rattenbissfieber (Sokudo)“. Patientin war eine 23 jährige Frau. Ein¬
gangspforte wahrscheinlich ein Biss am rechten Ringfinger (von einer Katze?).
Sie wurde mit Salvarsan vollkommen geheilt.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
276
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tenbisskrankheit auffasst. Doch fand sich bei der Sektion eine ulzeröse
Endokarditis. Aus dem Blute wurde eine Streptothrixart gezüchtet, die
von Blake [2] als Erreger der Rattenbisskrankheit angesprochen wird.
Tierversuche mit diesem Streptothrixstamme blieben ergebnislos. Man
hat überhaupt den Eindruck, dass der Fall von Blake [2] als Misch¬
infektion oder als einfache Sepsis aufgefasst werden muss. Für die
Aetiologie der Erkrankung wichtiger scheint die Arbeit von F u t a k i [3]
und seinen Mitarbeitern. Ihnen gelang die Uebertragung auf Affen, Meer¬
schweinchen und Ratten, ln Hautstücken und in einer exzidierten Lymph-
drüse konnten im Dunkelfelde und mit Tuschepräparat Spirochäten nach¬
gewiesen werden, die kleiner waren als die Sp. Obermeieri, grösser als
die Spirochaete pallida. Ein Kranker wurde mit Quecksilber, ein anderer
mit Salvarsan behandelt. Beide Patienten genasen.
Wenn auch in meinem Falle der Nachweis von Krankheitserregern,
trotzdem ich im Blute besonders auf Spirochäten geachtet habe, nicht
erbracht werden konnte, halte ich den Fall auf Grund der so ungemein
charakteristischen klinischen Erscheinungen und der Wirkung der Salvar-
sanbehandlung für eine sichere „Rattenbisskrankheit“. Soviel ich sehen
kann, ist es in Deutschland der erste Fall dieser Art. Es würde sich viel¬
leicht lohnen, der Frage experimentell nachzugehen und zu prüfen, ob
infizierte Ratten, die die Krankheit übertragen können, auch bei uns
häufiger Vorkommen. Da die Infektion auch bei Meerschweinchen
Krankheitserscheinungen hervorruft, ist der Weg hierzu gewiesen.
Literatur.
1, Miyake: Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. V. 1900. (Dort
ältere Literatur.) — 2. Blake: Journ. of exper. Med. 23. 1916. S. 39. —•
3. Futaki, Takaki, Tanigunhe und O s u m i: Journ. of exper. Med.
23. 1916^ S. 249. (Kef. nach Arch. f. Schiffs, u. Trop.Hyg. 20.)
400 Jahre Bad Kreuth.
(Zur Erinneruug ao die Grundsteinleguug der Kuranstalt
Bad Kreutli durch König Max Josef I. 1820.)
Von Dr. Wilhelm May, leit. Arzte des Wildbades Kreuth.
Adalbert und Otkar, zwei Brüder aus fürstlichem burgundischen
Stamme, von einer Mutter agilofingerschen Geschlechts geboren, gründe¬
ten die Abtei am Tegernsee um das Jahr 754 und schenkten derselben
all ihr Besitztum in dortiger Gegend. Schon vor 918 hatte sich der Be¬
sitz des Klosters bis nach Italien ausgedehnt, so. dass Schrittsteller dtJ
damaligen Zeit erzählen, dass der Abt von Tegernsee auf einer Rom¬
reise jede Nacht in einem seiner Höfe schlafen konnte. Ein Bestandteil
dieses Besitzes war auch die Gegend von Kreuth und blieb es bis zur
Säkularisation 1803.
Nach der Schreibart der ältesten Urkunden, sowie nach der Volks¬
sprache heisst die Gegend des Bades „im Kreith“; nach anderen Ur¬
kunden soll sie „Kreuth“, auch „Kreithh“ genannt bzw. geschrieben wor¬
den sein; nach der Fortsetzung der Chronik von Tegernsee (Pez. thes.
anektod. T. III) und der neueren gewöhnlichen Schreibart ist man ge¬
wöhnt, „Kreuth“ zu lesen. Die Bezeichnung dieser Gegend stammt der
Sache und dem Wort^ nach höchst wahrscheinlich von „Gereut“, „aus¬
reuten“.
Zuerst wird jedenfalls Dorf Kreuth entstanden sein. Die heute noch
stehende reizende Kirche wurde nach der Tegemseer Chronik 1491 von
Abt Konrad errichtet an Stelle einer im Jahre 1184 zu Ehren St. Leon¬
hards errichteten Kapelle. Als die rodenden Mönche dann bis ins heutige
Bad Kreuth vorgedrungen waren, errichteten sie oberhalb des Ursprungs
der Schwefelquelle ein Kreuz; daraus erklärt sich der Satz im Parnass,
boic. 1722: „... so findet man innerhalb des Creutzes an einem wilden
Orthe ein Wildbad
Obgleich das Jahr unbekannt ist, in welchem die aus dem Hohlen¬
stein entspringende Heilquelle zum Hl. Kreuz entdeckt wurde, so ist doch
nach einem alten Stiftsbriefe soviel gewiss, dass diese Quelle schon
unter dem Abte Maurus Leirer 1523 als Heilquelle bekannt und mit
einem Badehause versehen war.
In den Reisen durch das Königreich Bayern, Jos. v. Obernberg, Mün¬
chen 1815, heisst es sogar: „... der entferntere Brunnen, das Wildbad
innerhalb Kreuths (des Kreutzes), gegen 3 Stunden von Tegernsee ent¬
fernt, wurde vom Abte Heinrich im Jahre 1511 gebraucht, der auch
ein neues Badehaus errichten liess, welches 58 Pfennige und 5 Heller
kostete.“
Der Parnass, boic., erste Unterred., München 1722, berichtet: .. so
findet man innerhalb des Creutzes (Kreuts) an einem wilden Orthe ein
Wildbad, welches Philippus Appianus und Philipp Fünk in ihren Mappis
Bavariae anmerken, allwo das Wasser ganz frisch aus einem Felsen
hervorschiesset, Schwefel und Saliter mit sich führend, ist abei* dieses
Wildbad wegen Rauche des Orthes und Abgang der Akkommodation
nit besonders berühmt, wird auch meistenfalls nur von den Bauersleuthen
wegen ofen alten Schäden und Lähme der Glid gebraucht.“
1523 wurde nach einem alten Stiftsbriefe die aus dem Hohlenstein
entspringende Quelle an Wolffgang Weisselibacher auf 6 Jahre gegen all¬
jährlich abzureichende 6 Pfund Pfennige überlassen.
Das noch Jetzt stehende Haus, altes Bad genannt, hat Johann
Rixner 1628 erbaut, nachdem die Wohnung des Badmeisters 1616 und
1627 ein Raub der Flammen geworden war. 1696 liess Abt Bernardus
Wenzel die kleine Badkapelle erbauen und 1706 wurde diese durch Abt
Quirinus eingeweiht.
Nr. 9.
In den alten bayerischen Landtafelu des Philippus Appianus, Mün¬
chen 1568, ist das Bad zum hl. Creutz deutlich eingezeichnet. Der Berg,
an dem die Quelle entspringt, jetzt Hohlenstein, ist in jener alten Karte
als Sulfurstein bezeichnet: ein Beweis, dass man den Schwefelgehalt des
Wassers schon damals kannte.
Der bayerische Arzt und Gelehrte J. F. Grünwald sagt in dem neu
fortgesetzten Parn. boic. 5. Vers, über die Heilkraft der Quelle zum
hl. Creutz: „Nebst deme hat der staete Gebrauch und viljährige Erfahrung
genugsam erwiesen, dass unser mineralisches Wasser ein schon genug
bekannte Tugend und Würkung habe: als zu erwörmen, den Schmerz
zu lindern, zu eröffnen, zu zertheilen, zu reinigen, und zu heylen, sonder¬
lich dinet es in Gicht und anderen Gliderschmerzen, Hüft- und Lenden-
Wehe, Stein-Schmertzen auch allen Lähmungen; item Magen- und
Bauchwehe: in allerhand Verstopfung, Unfruchtbarkeit, in der bleichen
Krankheit, in der Milzkrankheit, Gelbsucht, ausgehenden Geschwülsten,
absonderlich derer, die post alios morbos graviores aut male curatos
zuruck gebliben, in dem Rothlauff, auch wenn der Schaden schon
schwerer verletzet, jedoch noch frisch ist, ist ein unfehlbares Mittel.
Endlich heilet auch unser Brunn alle äusserlich alte und frische Schäden
und Wunden, welchen Effekt auch ohne Baden prästieret der Schlamm,
so sich hin und wider anhänget beim Ursprung, von gleicher Würkung
seynd auch die in Badkesseln Finger-dick hinterlassene Tophi und Bad¬
stein, die klein zerstossen ein trefflich Vulnerarium abgeben: Ueber dem
reinigt es die Haut von der Krätz, Aussatz, Schuppen und andere^.“
Die Quelle selbst wird beschrieben: „An dem hohen Alpen-Gebürg,
dem berühmten Benediktiner-Kloster Tegernsee in Oberbayern gehörig,
prudelt fast unten an einem Berg, woselbst einige Gold- und Silber-
Mineren verborgen seyn sollen, aus einem Felsen heraus ein edler eyss-
kalter Gesund-Brunn von ausnehmender Würkung ...“
Die ersten Versuche einer Analyse des Wassers zum hl. Creutz
(wahrscheinlich im 16. Jahrhundert) gehören einem Mönche von Tegern¬
see, Augustin Lehner, an, der eine „geschribene kurtze Nachricht“ davon
zwar angefangen, aber nicht vollendet; die Hauptkouienta desselben
bestehen in Schwefel, Vitriol, Alaun, Bergsaft etc. „Ich habe“, fährt
Dr. Grünwald im Parnass, boic. 173 fort, „in loko 10 Mass Baad-Wasser
evaporireri lassen und davon ein aschenfärbiges 150 Gran schwehres
Pulver bekommen. So man Linsen und dergleichen darinn sidet, kommen
sie steinhart heraus.“
Diese Quelle war früher in Holz gefasst und bloss mit einem Deckel
versehen, erhielt aber 1827 eine Fassung von Marmor und darüber das
heutige Häuschen.
Nach Aufhebung des Klosters 1803 kam Kreuth in den Besitz eines
Bauern. Dieser benützte das Badhaus (altes Bad und Neubau) zur
Oekonomie, die umliegenden Gründe dienten dem Vieh zur Weide.
1817 wurde von König Max Josef I. die Graf von Drechselsche Be¬
sitzung Tegernsee übernommen (Kloster Tegernsee).
„Gleich bei dem ersten Besuche des Kreuther Thaies zog die Arm¬
seligkeit des Badehauses die Aufmerksamkeit des Königs auf sich. Er
untersuchte und besah alles und mit den Worten „ich thue in Tegernsee so
viel für mein Vergnügen, ich will auch hier etwas für die leidende Mensch¬
heit thun‘, war das Samenkorn in den Boden geworfen, durch welches
bis jetzt schon Tausende von Leidenden erquickt worden und dessen
üppiges Gedeihen noch den späteren Geschlechtern ein Denkmal bleiben
wird seiner Grossmut und Menschlichkeit. Auf seinen Betehl wurde
1818 ein Teil des Anwesens gekauft. 1820 (Bild der Grundsteinlegung im
bayer. Nationalmuseum) das südliche Haupthaus, 1824 das nördliche
Haupthaus errichtet, beide durch einen Korridor verbunden. 1825 der
Kursaal (heutiger Speisesaal) erbaut und die Dampf-, Dusch- und Tropf¬
bäder eingerichtet. 1822 war die Molke nach Appenzeller Muster und
1824 die Abgabe von Kräutersaft eingeführt worden.
Vor seinem 1825 erfolgten Tode stiftete König Max 50 000 fl. zur
unentgeltlichen Aufnahme von Kranken; diese Stiftung verdoppelte dann
seine Wittwe, Königin Karoline; diese Segnungen der ..Armenbad¬
stiftung“ geniesst auch heute noch jährlich ein Teil von Bedürftigen
Auf Königin Karoline folgte im Besitze ihr zweitgehnrener Sohn
Prinz Karl; nach dessen Tode des Königs Enkel Herzog Karl Theodor;
diesem folgte der älteste Sohn Herzog Ludwig Wilhelm.
Als Aerzte wirkten seit 1820 in Bad Kreuth Dr. J. F. sen-
m e r k e 1 (1820—25), Dr. Karl Philipp Krämer, Dozent der Universität
München (bis 1836), Hofrat Dr. Stefan (bis 1876). Hofrat Dr. Heinrich
May (bis 1912).
TJiese bewiesen durch Tat und Schrift, dass sie nicht nur mit ihrem
ganzen Wissen und Können den Gedanken des hohen Stifters in die Tat
umzusetzen verstanden, sondern mit Liebe und Sorgfalt erhielten sie in
Bad Kreuth trotz seines Weltrufes das Juwel in Biedermalerfassung,
dessen voller Wert dem flüchtigen Beschauer stets verschlossen bleibt.
Beschreibung des Mineralbades Kreuth bei Tegernsee von Dr. J F
Rosenmerkel. München 1822. 'f- Die Molken- und Badanstalt Ki'eutli
von Dr. Karl Philipp Krämer. München 1829. — Neueste Beschreibung des
Tegern- und Schliersees von Adolf v. Schaden. München 1832 —
Tegernsee und Umgebung von Dr. Josef v. H e f n e r. München 1838
Aelteste Geschichte von Tegernsee, aus den Quellen bearbeitet von Max Frhrn
V. Freyberg. München' 1822. — Bad Kreuth und seine MolKenkuren vori
Dr. H. Pletzer. München 1875. — Bad Kreuth und seine Kurmittel
von Dr. Felix Beetz. München 1879. — Bad Kreuth im bayerischen Hoch¬
gebirge von Dr. H. May. Grell Füssli & Co., Zürich 1880.
Digitized
V Gok »gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
l März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
277
Für die Praxis.
Zur Masernprophylaxe.
Von M. Pfaundler, München.
Das Maserngift ist nach dem heutigen Stande unsieres Wissens
ausserhalb des infizierten menschlichen Körpers wenig haltbar. Nur
auf kurze Strecken und nur während einer begrenzten Krankheitsperiode
wird es vom Erkrankten auf den disponierten Gesunden übertragen.
Verhindert man solche Uebertragung, so muss der betreffende Stamm
des unbekannten Erregers erlöschen. Würde man derartige Vorsorge
aber zu einem bestimmten vereinbarten Termin auf der ganzen Erde
sleichzeitig treffen, dann wären sämtliche Generationsketten dieses Gif¬
tes abgeschnitten und die Masern damit aus der Welt geschafft. Leider
müssen wir Pirquet recht geben, wenn er den Gedanken an solche
radikale Prophylaxe, für die keine andere Krankheit so günstige Be¬
dingungen darbietet, vorläufig als utopisch bezeichnet.
Im Einzelfalle besondere Vorkehrungen gegen den Ausbruch der
Masernkrankheit zu treffen, mag manchem Arzte überflüssig erscheinen;
wird doch von diesem als ziemlich harmlos geltenden Uebel bei uns
zu Lande jedermann früher oder später sicher ereilt! Besagte Harm¬
losigkeit gilt für gewisse Bedingungen, etwa für jene der Praxis aurea
bei Schulkindefn. Da erkennt man aber nicht das wahre Gesicht der
Krankheit. Tatsächlich sterben an Masern im ganzen nicht weniger
Kinder als an Scharlach, sondern oft viel mehr, beispielsweise in Wien
von 1907—1910 (ohne besondere Epidemie!) ungefähr so viele, wie an
Scharlach, Diphtherie und Keuchhusten zusammengenommen (R. J a h n).
Die tödlich endenden Masernfälle betreffen zum weit überwiegenden
Teile rachitische Säuglinge und Kleinkinder der Armenbevölkerung. Diese
sind die Gefährdeten mit einer Masernletalität von 20—30 Proz.
und darüber. Gegen die Einschulungszeit hin sinkt die Letalität auf
Bruchteile von Prozenten. Würden unsere Kinder erst im Schulalter
von Masern hetrofien. dann betrüge bei gleichbleibend'er Häufigkeit der
Krankheit irn ganzen die Zahl der Maserntodesfälle nur mehr einen ver¬
schwindenden Teil der jetzigen. Solcher Aufschub, nicht aber die
dauernde Verhütung der Infektion ist das Ziel einer rationellen öffent¬
lichen Masernprophylaxe, über deren Organisation früher Vorschläge
erstattet wurden (s. M.m.M. 1916 Nr. 32).
Die individuelle Vorbeugung gegen Masern wird sich
gleichfalls zweckmässig auf die oben gekennzeichnete Gruppe der Ge¬
fährdeten beschränken. Aufgabe des Arztes bei Einbruch der Infektion
in eine Familie ist cs also, die Säuglinge und Kleinkinder — zumal wenn
sie rachitisch, mit Tuberkulose angesteckt oder sonst wenig widerstands¬
fähig sind — vor den Folgen des Uebels zu bewahren. In manchen
Lehrbüchern ist wohl diese Forderung auigestellt, aber nicht gesagt, wie
inan ihr genügen kann. Denn dass die Entfernung der gesunden oder
iene der kranken Individuen aus dem Hause ..vielfaclT* zum Ziele führe,
ist ein Irrtum. Mir ist es jedenfalls noch nicht ein einziges Mal ge-,
lungen, nach Feststellung von Masern, sei es auch im- Stadium Flindt-
Koplikscher Eleckeri. im Privaihausc rechtzeitig Geschwister zu iso¬
lieren. Die Ansteckung zu verhindern ist praktisch unmöglich und
wird es bei der ausscrgewöhnlich hohen Kontagiosität der Morbillen in
den vorexantlieniatischen Stulien wohl bleiben: aber den Ausbruch
der Krankheit bei gefährdeten Kindern zu verhindern, ist neute
mit eMti'sM an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit möglich.
Das Verfahren, das die^sem Zwecke dient, ist nach den Beobach-
lungen von D e g k w i i z an der Münchener Kinderklinik ^) die intramus¬
kuläre Injektion einer gew ssen Menge Masernrekonvaleszentenserums,
längstens am 6. Tage nach stattgehabter Ansteckung bzw. nach erst¬
maligem Kontakte mit einem ansteckungsfähigen Masernkranken. In¬
jiziert man zu wenig, dann erzielt man allenfalls eine Absclnvächung und
einen Aufschub der Erkrankung, injiziert man aber zu spät. d. i. zwischen
dem 7. und dem 11. Tage der Inkubation, dann erzielt man in der
Regel nichts. Das Rekonvaleszentenblut wird von einem kräftigen, sonst
gesunden, insbesonders von Lues und Tuberkulose freien Masernkranken
gewonnen, und zwar tunlichst am 7. bis 9. Tage nach der Entfieberung
und nach unkompliziertem Verlauf. Das Rekonvaleszeiitenserum ist,
wenn es unter Phenolzusatz im Vakuum getrocknet wiiitie. mindestens
durch mehrere Monate, aber auch in flüssigem Zustande sieid gewonnen
und" aulbewahrt durch längere Zeit haltbar. Zweckmässig arbeitet man
mit Mischserum von verschiedenen Kranken. Von solchem beträgt die
I rficiie Schulzdosis, die eine ..Schiitzeinheit“ enthält, nach bisherigen Er¬
fahrungen etwa 31^—4 cm. Diese Dosis genügt bei Injektionen vor dem
5. Tage der Inkubation. Am 5. und 6. Tage verwendet man die doppelte
.Menge. Da die Gewinnung des Masernschutzserums ausserhalb von An¬
stalten gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt, werden sich mit ihr
/Aveckmässig geeignete zentrale Krankenanstalten befassen. Für gefähr¬
dete Kinder, insbesondere für Anstaltskinder in München kann das Serum
his auf weiteres und soweit der Vorrat reicht, durch die Münchener
Kinderklinik bezogen werden. Bezüglich der Abgabebedingungen siehe
diese Nummer der Wochenschrift
Wie lange der durch Iniektion von Masernserum verliehene
Schutz daueit, steht noch nicht fest und wird vermutlich unter anderem
vom Injektionstermin abhängen; jedenfalls handelt es sich um Monate.
Spritzt man spät in der Inkubation, etwa am 5. bis 6. Tage ein, dann
dürfte es sich um eine kombinierte passive und aktive Immunisierung
landein, von der erheblich längere Dauer zu gewärtigen ist.
*) Münchener Gesellschaft für Kinderheilkunde 21. V. 1920. Zschr. f.
Kindhik. 25 u. 27.
Da hierzulande fast alle Erwachsenen einmal im Leben Masern durch¬
gemacht und damit aktive Feiung gegen die Krankheit erlangt haben,
liegt es nahe, an Stelle von kindlichem Rekonvaleszentenserum das
leichter in erheblicher Menge zu beschaffende Serum eines beliebigen
gesunden Erwachsenen zu benützen. Solches enthält zwar Schutzstoffe,
aber nach bisherigen Erhebungen leider nicht in ausreichender Konzen¬
tration, um praktisch in Betracht zu kommen, wenn ein zuverlässiger,
voller Erfolg erstrebt wird. Hingegen liefern bemerkenswerter Weise
mit Masern infizierte Kinder, die etwa am 6. Inkubationstage erfolg¬
reich gegen den Ausbruch der Masern geschützt worden sind, ihrerseits
ein wirksames Schutzserum.
Von irgendwelchen Schädigungen durch das vorgeschlagene Ver¬
fahren ist bei vielen hundert bisher mit Masernschutzserum behandel¬
ten Kindern nichts bekannt geworden. Auch Serumkrankheit oder ana¬
phylaktische Erscheinungen anderer Art werden stets vermisst, da es
sich um arteigenes Eiw^eiss handelt.
Besonders wertvoll erwies sich das Verfahren für den Anstaltsarzt
bei der Bekämpfung . von Mas-ern-Hausepidemien in Säuglingsheimen,
Krippen und ähnlichen Einrichtungen.
Soziale Medizin nnd eerztnche standesanoeieoeeheiten.
Die dringlichsten Aufgaben der Volksgesundheitspflege*).
Von Prof. Philalethes Kuhn.
Die Volksgesundheitspflege bezweckt ein^ volkstümliche Ueber-
mittlung der Lehren der Hygiene an alle Schichten des Volkes. Ihre
Aufklärung erstreckt sich auf das Gesamtgebiet der Hygiene, über das
wir uns daher zunächst einen Ueberblick verschaffen müssen.
Die Hygiene wird zumeist als derjenige Teil der medizinischen
Wissenschaft bezeichnet, der sich mit den schädlichen Einflüssen der
Umwelt des Menschen befasst. Ihr Zweck, die Gesundheit zu erhalten
und zu stärken, wird dabei nicht ausdrücklich betont und infolgedessen
die Mitarbeit des Menschen selbst vielfach nicht ernst genug genommen.
Wir wollen daher die Hygiene kennzeichnen als die Lehre von der
Gesunderhaltung, sie ist die Pflege der Gesundheit. So stellen
wir den Menschen in den MiUcipiinkt unserer Betrachtungen und Be¬
strebungen. Damit befinden wir uns in Uebereinstimmung mit derjenigen
Rijjihtung der Hygiene, wclclic in der durch Lingner begründeten
Hygieneaussteilung 1911 itiren besonderen Ausdruck gefunden hat. Mit
dieser Erklärung ist weiier gesagt, da^s die Hygiene nicht allein eine
Wissenschaft ist. die beschreibt und forscht, nein, sie greift tatkräftig
ein, sie ist zugleich eine Kunst, die einen festen Willen erfordert.
Im Verfolg dieser Auffassung unterscheiden wir am einfachsten die
persönliche oder I n d i v i d u a 1 h y g i e n e, die (iesundheitspflege des
Einzelmenschen, die S o z i a ) h y g i e ri e, die Gesundheitspflege ganzer
sozialer Gruppen und Schichten unseres Volkes, ja des ganzen Volkes,
und die R a s s c n h y g i e n c. die Gesunderhaltung der Rasse, d. h. der
biologischen Lcbcnscinhcit des Volkes, des jetzt lebenden, einschliess¬
lich aller kommenden (ieschiechter. Die Rassenhygiene ist also nach
dieser Auffassung das wciiergcliende, sie umfasst gewissermassen auch
die soziale Hygiene und die Jndividualhygiene, soweit sie eben durch
die Gesundethaluiiig des Einzdmenschen und durch die Gesunderhaltung
ganzer sozialer Volksschichten zum Fortschritt der Rasse beitragen.
Sie unterscheidet dabei nicht Systemrassen, sondern will die Gesund¬
erhaltung der Erbmassen unseres Volkes, wie es sich als deutsches Volk
aus verschiedenen Systemrassen entwickelt hat.
Wenn wir nun die Aufgabe übernehmen, die auf den drei Gebieten
gewonnenen Lehren dem Volke in volkstümlicher Weise zu vermitteln,
so wollen wir von der persönlichen Hygiene ausgehen; für sie hat jeder¬
mann aus dem Volke zunächst Sinn und Verständnis. Dann leiten wir
über zur sozialen Hygiene und enden bei der Rasienhygiene.
Damit erfüllen wir zugleich eine Forderung, welche ich an die
Spitze meiner Betrachtung stellen will, wir müssen planmässig
in der Aufklärungsarbeit vergehen. In jedem Landesverband zur
hygienischen Volksbelehrung, in jedem Bezirk muss eine bestimmte
Planung eingehalten werden. Und wenn ich "jetzt nur auf die dring¬
lichen Aufgaben der volksgesundheitlichen Auf¬
klärung eingehe, so soll damit gesagt sein, dass wir das Wichtigste
länger und eindringlicher behandeln sollen, ohne eben die planvolle
Darbietung des Gebietes aus dem Auge zu verlieren. Ein einfacher
klarer Plan ist die Vorbedingung jeder volkstümlichen Aufklärungsarbeit,
die Darbietung von zusammenhanglosen Bruchstücken führt nicht zum
Ziele.
Und so ergibt es sich von selbst dass wir innerhalb der persön¬
lichen Gesundheitspflege mit der Vermittlung der Kenntnis
vom Bau und Haushalt des menschlichen Körpers beginnen. Wir zeigen
dem Einzelnen, welch ein Wunderbau der Körper eines gesunden Men¬
schen ist. und lehren, dieses kostbare (jebüde zu achten und zu pflegen.
Nur so können wir bei einem jeden die Erkenntnis von dem. was not
tut vorbereiten und die Verantwortlichkeit erwecken, die Schädlichkeiten
aus dem Weg geht Dabei dürfen wir die Seele nicht aus dem
Spiele lassen, sondern zeigen, wie Körper und Seele Zusammenhängen
und auf Blühen und Gedeihen oder auf Verderb mit einander verbunden
•) Rede gehalten bei der Gründung des Reichsverbandes für hygienische
Volksbelehrung am 5. Februar 1921 zu Dresden.
Digitized
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
278
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1/.
sind, wie Pflichterfüllung und Frohsinn den Körper gesund erhalten,
Laster, Kummer und Sorge ihn niederdrücken.
Zur Lehre vom menschlichen Körper gehört auch die Kenntnis der
wichtigsten Ergebnisse der Vererbungsforschung. Das Erschei¬
nungsbild ist bedingt durch die ererbten Eigenschaften und die Einflüsse
der Umwelt. Wem der Bau des Körpers klar werden soll, muss die
Macht der Vererbung begreifen lernen, muss einsehen. wie er ererbten
guten und schlechten Anlagen hier eine Hilfe zu geben, dort eine
Fesselung anzulegen hat. Wenn wir z. B. in volkstümlichen Kursen
klarmachen, dass die Anlage zum Leistenbruch vererblich ist. nicht der
Leistenbruch selbst, so fördern wir nicht nur das Verständnis für den
eigenen Körper, sondern wir erleichtern zunächst die Berufswahl; ein
junger Mann aus einer mit Leistenbruchanlage behafteten Familie wird
nicht ohne Not Steinträger werden. Und wir steigern das Verantwort¬
lichkeitsgefühl, denn der denkende, sozial empfindende Mensch wird
danach trachten, dass eigene krankhafte Anlagen sich nicht zum Leiden
auswachsen. der Erzieher, der Vorgesetzte, der Mitmensch wird für den
andern erst das wahre Verständnis gewinnen, wenn er weiss. wieviel von
den ererbten Gütern und Mängeln in letzterem steckt. Wir öffnen erst
durch einen Einblick in die Vererbungslehre unserem Volke die Augen
über das Heer der Geisteskranken und geistig Minderwertigen, welches
im Leben der Nation eine erschreckende Rolle spielt.
Hier wird ' man vielleicht einwenden, die Tatsachen der Ver¬
erbungslehre sind noch nicht gesichert und umfangreich genug, um sie
dem Volke zu vermitteln, die Lehre ist noch zu neu. Darauf erwidere
ich, dass die so sprechen, nur beweisen, dass sie noch nicht Zeit gehabt
haben, sich mit diesen Dingen eingehender zu beschäftigen. Es liegt
eine gewaltige Fülle von Forschungsergebnissen vor, und es ist auch hier
die Aufgabe der Volksgesundheitspflege, die klar zu übersehenden Tat¬
sachen volkstümlich darzustellen und dem Verständnis des ein¬
fachsten Mannes nahezubringen. Auch alle anderen Wissenschaften
sind in einem dauernden Fluss, was heute gilt, ist morgen vielleicht schon
von neuer Erkenntnis angenagt, überall haben wir in der volkstümlichen
Darstellung nicht mit lautem Ton unumstössliche Wahrheiten zu ver¬
künden, sondern zu zeigen, wie die Wissenschaft die Dinge
zurzeit sieht.
Die Kenntnis des menschlichen Körpers führt uns ganz von selbst
zur Gesundheitspflege, wie sie von H u f e 1 a n d und Hermann Weber
gelehrt und vorgelebt wurde, wie sie in manchen Kreisen unseres Volkes
bereits verständnisvoll ernst und dankenswert betrieben wird. Die
Kunst, ein langes Leben zu erreichen und damit der Volksgemeinschaft
lange Zeit wertvolle Dienste zu leisten, die Makrobiotik, wie sie
H u f e 1 a n d nannte, wird nicht ein langes Leben voller Entbehrungen,
aber ein Erdenlauf voller Verantwortung gegen das eigene Ich und
gegen die Mitwelt sein.
Die Kräftigung des Körpers durch Atemübungen. Waschungen. Frei¬
übungen, Spazierengehen. Wandern, kurz das, was man kostenlose
Hygiene genannt hat, die verständnisvolle Ausnützung des Achtstunden¬
tages durch Arbeit, gesundheitsgemässe Erholung, möglichst in
freier Luft bei Turnen, Spiel und Sport, und Schlaf, alles das fällt
zunächst in das Gebiet dieser Kunst. Mit der körperlichen Reinlich¬
keit muss der Kampf gegen das Ungeziefer aller Art verbunden
werden. Weiterhin ist die Abwehr der Infektionskrankheiten
durch persönliche Reinlichkeit und Vermeidung übler Gewohnheiten zu
fördern, ohne dass eine allgemeine Bazillenfurcht grossgezogen wird.
Wenn wir nun aus den besonderen Zweigen der Körperpflege einige
dringliche Gebiete herausgreifen, so möchte ich zunächst die Zahn¬
pflege betonen. Sie liegt bei unserem Volk noch gar zu sehr im
argen. Wer die Klassen unserer Schulen durchmustert, findet er¬
schreckende Zustände. Und je mehr wir annehmen müssen, dass die
ungünstigen Etnährun^sverhältnisse des Krieges vor und nach dem Frie¬
densschluss von Versailles auf die Zähne von Einfluss sind, desto mehr
müssen wir dem Volke die Augen über die Schäden öffnen, die von den
ungepflegten, oft halb verfaulten Gebissen der Jugendlichen herrühren.
Wir müssen ihnen zeigen, wie hier ein Circulus vitiosus, ein Kreislauf der
Fehler vorliegt, der aber wie alle solche Kreise an einer Stelle unter¬
brochen werden kann. Bei solchen Darbietungen ist besonders auf den
Wert des sorgfältigen K a u e n s einzugehen.
Weiter ist der Schaden des unsinnigen Rauchens besonders der
Jugendlichen darzustellen. Durch die Förderung, welche der Tabaks¬
genuss aus militärischen Gründen während des Krieges in unserem
Heere erfahren hat, hat sich besonders das bedenkliche Zigaretten¬
rauchen bei der Jugend immer mehr eingebürgert. Gefässkrank-
heiten und Herzmuskelentzündungen haben zugenommen,
zumal die ausgebreiteten sportlichen Uebungen starke Anstrengungen
des Gefässsystems bedingen.
Die Schilderung der Gefahren, die durch den Alkoholgenuss
drohen, ist ebenfalls eine dringliche Aufgabe der Volksgesundheitspflege,
weil der Alkoholismus, der im Kriege stark abgenommen hat der schon
fast totgesagt wurde, wieder sein Haupt zu erheben beginnt und unserem
Volk von den Alkoholgewerben Schritt für Schritt wieder nähergebracht
wird. Müssen wir es doch in jüngster Zeit erleben, dass ein Professor
der Gärungskunde in einer volkstümlichen, naturwissenschaftlichen Zeit¬
schrift *) Alkoholkuren für Tuberkulöse empfiehlt Wie viel Schaden
wird dieser kritiklose Aufsatz im Volke anrichten!
Wie wir bei der Darstellung des menschlichen Körpers die Ge¬
schlechtsorgane nicht nach alter Weise schamhaft mit einem Blatt um-
Prof. Lind n er: Die Vorbedingungen für die günstige Wirkung des
Alkohols bei der Tuberkuloseheilung. Kosmos 1921, H. 1.
hüllen dürfen, so müssen wir auch die Aufklärung über ge¬
schlechtliche Vorgänge als Ziel setzen. Hier liegt eine der
dringlichsten Aufgaben vor uns. Die Bewahrung vor geschlechtlichen
Ausschweifungen sowie vor der Onanie bei Jugendlichen muss unser
Ziel sein. Auch vor den Gefahren der seuchenhaft jetzt in unserem
Volk um sich greifenden gleichgeschlechtlichen Beziehungen
und Betätigungen bei Männern und bei Frauen muss eindringlich gewarnt
werden. Wenn das Laster weiter so schamlos um sich greift gehen
wir Deutschen zugrunde wie Griechen und Römer. Ich rufe ins Ge¬
dächtnis, wie in Platos „Gastmahl“ die gleichgeschlechtliche Liebe zu
Männern als etwas Selbstverständliches behandelt wird. Wehe uns,
weitn wir so weit kommen! Es gilt keine Zeit zu verlieren. Ueber-
lassen wir Aerzte diese Fragen nicht dem marktschreierischen Treiben
Unberufener und gewissenloser Schädlinge, die aus der Behandlung des
Geschlechtslebens vor dem Volk einen Gelderwerb machen. Sorgen
wir dafür, dass unser Volk seine Forderung nach Aufklärung nicht in den
lüsternen Stücken dumpfer Kinoräume befriedigt!
Wie sehr die Hygiene des Körpers mit der der Seele zusammen¬
hängt, dafür an dieser Stelle ein Beispiel. Der Kampf gegen den
Schmutz in Buch und B i 1 d ist in unserem Volke nötiger als je. Voll
Ekel sehen wir auf diese Fäulnis, die sich jetzt breit macht vor ihr
haben wir uns wie vor manchen anderen Erscheinungen zu schämen,
nicht vor den Gewalttaten der Entente. Auch dieser Kampf ist Volks¬
gesundheitspflege. Die Flut der lüsternen Darstellungen und Bilder zer¬
stört nicht nur die Seele, sie zermürbt auch den Körper durch die Laster
und die Ausschweifungen, zu denen sie verlockt und sie treibt unsere
Jugend geradeswegs in die Arme der Prostitution und der Geschlechts¬
krankheiten.
Jetzt stehen wir bereits mitten im Gebiet der sozialen
Hygiene. Wir dürfen dem Volke nicht verschweigen, dass viele
Uebel ihre Hauptwurzel in sozialen Missständen haben und nur durch
rücksichtslose Massnahmen beseitigt werden können, die tief in das Leben
der Nation eingreifen. Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten
ist wohl die allerdringlichste Aufgabe der Volksaufklärung. Je mehr die
Kenntnis des Erregers und damit die serologischen und pathologisch¬
anatomischen Kenntnisse von der Syphilis gewachsen sind, desto
grösser ist ihr Schuldkonto geworden. Und wir können den sozialen
Kampf gegen die grösste der Volksseuchen nur führen, wenn wir im
Volke Verständnis zur Mitarbeit erwecken.
Auch über die Tuberkulose und den Alkoholismus sind
neben den Belehrungen der Individualhygiene anschauliche Schilderungen
der notwendigen sozialen Massnahmen zu bieten. Nicht zu vergessen
ist eine Einführung in die Berufskrankheiten und ihre Verhütung. Im
Rahmen der sorgfältigen Planung der Volksbelehrung auf sozial¬
hygienischem Gebiet muss endlich die Säuglingspflege auch heute
noch als dringlich bezeichnet werden, trotzdem besonders durch die
Reichswochenhilfe während des Krieges ein hochbedeutsamer Rückgang
der Säuglingssterblichkeit eingesetzt hat. Aber die übrigen dringlichen
Aufgaben haben ihre Wurzeln in der Säuglingspflege, die persönliche
Gesundheitspflege und der Kampf gegen die Seuchen müssen im
frühesten Kindesalter beginnen.
Und nun noch ein Blick auf die Rassenhygiene. Wenn wir
heute fordern, dass jeder einzelne Bürger des Staates sein Leben in
den Dienst des Staates stellen muss, so heben wir uns heraus über
Zeiten, in denen jeder nur an sich oder seine Sippe dachte. Aber besser
und edler ist es, nicht nur an die mit uns lebenden zu denken, sondern
ebensowohl an die kommenden. Das ist Sozialismus im edel¬
sten Sinne, mögen wir unserem Volke die Augen öffnen, Auslese
bei der Gatten wähl zu treffen oder mögen wir die Fortpflanzung der
Familien mit schweren vererbbaren Krankheiten zu verhindern suchen.
Ich habe versucht, die dringlichsten Aufgaben, die für die Volks¬
belehrung vor uns liegen, zu kennzeichnen. Ich habe es vermieden, auf
Einzelheiten der Art und Weise einzugehen, in der wir diese Lehren
der Hygiene aus allen Gebieten dem Volke näherbringen. Aber ich
möchte dpch wenigstens eines betonen: Wir müssen vor allen Dingen
in den Landesausschüssen und in dem Reichsausschuss für hygienische
Volksbelehrung dahin kommen, dass die, welche die gesundheitlichen
Lehren verbreiten, auch selbst das Leben Vorleben, das sie den Volks¬
massen predigen. Der deutsche Arzt hat die Pflicht nicht nur zu
heilen, sondern ein Vorbild im Tun und Lassen zu sein, auf welches das
Volk mit Vertrauen blickt. Der Hochschullehrer darf nicht nur Wissen
und Können vermitteln, sondern soll durch tiefes Eingehen auf die per¬
sönliche Hygiene unseren jungen Nachwuchs auf den Universitäten so
heranbilden, dass er geeignet ist die Führer des Volkes auf dem Gebiete
der Gesundheitspflege zu stellen und dass er nicht in die Verlegenheit
kommt sich von Anhängern der Vereine für naturgemässe Lebensweise
beschämen lassen zu müssen.
Ich habe vorher auseinandergesetzt wie Körper und Geist Zu¬
sammenhängen, wie Freude und Leid auf den Körper wirken. Und wenn
wir nun hineinblicken in die Not unserer Zeit und sehen, wie Kummer
und Hoffnungslosigkeit die Gesundheit in breiten Kreisen unterwühlt
haben, wie wir erleben mussten, dass mancher, der uns nahestand, ge¬
brochenen Herzens in das Grab gesunken ist. so möchte uns Mutlosig¬
keit ankommen, ob viel zu erreichen ist Da haben wir unserem Volk
klarzumachen, wie hier ein Kreislauf der Fehler vorliegt den wir
unerschrocken, allen Gewalten zum Trotz, an einer Stelle unterbrechen
müssen. Und wir zerreissen ihn dadurch, dass wir alles aufbieten, um
die hygienische Aufklärung in unser Volk hineinzutragen.
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
l März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
379
Fsrtbiidonosvortrage ond uehersichtsreierate.
Zur Diagnose und Behandlung des Magengeschwüres*).
Von Hofrat Dr. Hans Doerfler in Weissenburg i. B.
II. Zur Behandlung des Magengeschwüres.
M. H.! Die Behandlung des Magengeschwürs lag bisher fast aus¬
schliesslich in den Händen des Hausarztes resp. des Internisten In den
letzten Jahren beginnt sich allmählich eine Aenderung nach der Richtung
der Chirurgie hin zu vollziehen. Es steht ja wohl zweifellos fest, dass
einfache und frische, noch nicht länger als ein halbes oder ganzes
Jahr bestehende Geschwüre durch eine geeignete interne Therapie
ohne Operation geheilt werden können. Dies beweisen Ulcusnarben,
die man bei Sektionen als zufälligen Befund feststellt und geheilte Fälle
von Geschwüren mit Blutung, die jeder beschäftigte und auch zur
schärfsten Kritik geneigte Arzt zur Verfügung hat. Ich erinnere mich
beispielsweise unseres früheren Bürgermeisters, der im Alter von etwa
33 Jahren eine lebensbedrohende Magenblutung mitten aus vollster
Gesundheit heraus und ohne Vorläufererscheinungen — „höchstens etwas
Sodbrennen“ — bekam, eine sorgfältige, über mehrere Monate sich ver¬
breitende Leu besehe Magenkur durchmachte, seitdem — es mögen
etwa 28 Jahre darüber hinweggegangen sein — vollständig gesund ge-
blfeben und seitens des Magens sich überhaupt keinerlei Krankheit mehr
bewusst geworden ist. Also der eine oder andere geheilt gebliebene
Magenblutungsfall wird wohl jedem beschäftigten Arzt bekannt sein.
Dagegen wird dem langjährigen, gut beobachtenden Hausarzte, der Jahr¬
zehnte lang die gleiche Klientel zu behandeln Gelegenheit hat, mit zu¬
nehmender Erfahrung die Erkenntnis immer mehr aufdämmern, dass
die radikale, allen Insulten des Lebens trotzende
Heilung eines Ulcus rotundum ventriculi doch zu
den Seltenheiten gehört und dass, wenn man das Ulcus noch so
schön geheilt glaubt, nach Jahr und Tag die Patienten mit ihren Magen¬
klagen wieder auftauchen und als nicht geheilt sich erweisen. Dass die
Ueberzeugung von der wirklichen und sogar häufigen Heilbarkeit des
Ulcus durch eine Leu besehe Kur sich so jahrelang aufrecht erhalten
konnte, beruht meines Erachtens darauf, dass solche temporäre und
scheinbar geheilte Patienten im Anschluss an eine Kur wohl monate¬
lang besonders bei Beibehaltung der entsprechenden leichten Kost
nahezu beschwerdefrei waren, dann aber jahrelang eine gewisse Emp-
findKchkeit des Magens als ,>Iarbenschmerz“ mit Stoizismus ertragen —
dies trifft sicher besonders für unsere Landbevölkerung zu — und oft
erst nach Jahrzehnten wiederkehren, jetzt aber wegen einer Blutung oder
Stenose oder eines Karzinoms oder gar einer Perforation sich bei uns
einfinden. Das monate-, jahre-, ja jahrzehntelange Intervall hat eine
Heilung vorgetäuscht. Der „empfindliche Magen“, der zwar eine ge¬
wisse und befriedigende Kostabwechslung gestattet, aber bestimmte
schwere Speisen im Laufe der Zeiten vom Speisezettel verschwinden
lässt, ist ein so populärer Begriff, dass man sich nicht wundern darf,
wenn die grössere Mehrzahl der sich geheilt dünkenden Ulcuskranken
darin ihren Trost findet, sich zwar für geheilt, aber eben noch empfind¬
lich gegen schwere Speisen hält. Wie oft hat auch der Arzt selbst nach
vollendeter Ulcuskur sich damit getröstet. Meines Erachtensund
meiner Erfahrung nach heilen die allermeisten Ulcus
ventriculi überhaupt nicht aus; besonders die Ulcera mit
wallartigen Rändern oder die Ulcustumoren, die ja^nur eine Aggravation
der gewöhnlichen Ulcera darstellen, können meiner Ansicht nach ihrem'
ganzen anatomischen Baue — starke bindegewebig verhärtete gefäss-
arme Ränder des fortgesetzt den Verdauungssäften und Speisen aus-
gesetzten Geschwüres — überhaupt nicht ohne Operation zur Aus¬
heilung gebracht werden. Wenn man dann wieder erlebt dass das sog.
gehellte Ulcus nach Jahr und Tag doch wieder aufflackert und schKess-
lich durch seine Endkomplikation eine stete Gefahr für das Leben dar¬
stellt wenn man weiss, wie solchen Geduldigen das Leben durch die
ewige Schonungsnotwendigkeit verdorben wird, da, meine ich, müsste
der Standpunkt des Therapeuten dem Magengeschwür gegenüber «eine
kräftige Aenderung erfahren. Ich stehe nicht an, es auszusprechen, dass
mir der einzig richtige Standpunkt dem chronischen Magengeschwür
gegenüber der zu sein scheint: Gelingt es nicht, durch eine Ulcuskur
nach L e u b e alle Beschwerden nach Ablauf eines halben oder ganzen
Jahres zum Verschwinden zu bringen, dann ist das Ulcus nicht geheilt
und nicht heilbar; dann tritt die gerade bei Ulcus so ungemein segens¬
reiche chirurgische Therapie in ihr Recht ein. Auf diesen Standpunkt
kann man sich natürlich nur dann stellen, wenn die Ungefährlich¬
keit des chirurgischen Eingriffes feststeht, mindestens nicht grösser ist
als die zu erwartende Behandlung mit Anwendung innerer Mittel. Und
dass diese Ungefährlichkeit wirklich erwiesen, das zeigen die heute von
unseren chirurgischen Kliniken und Autoritäten bei der chirurgischen
Therapie des Ulcus erreichten Erfolge. Auch meine eigenen operativen
Resultate sind so gleichmässig gute, dass es nicht wundernehmen wird,
wenn auch ich Ihnen zur Umschwenkung ins Lager der Chirurgen bei
Ihren chronischen Ulcuskranken mit allem Nachdrucke zu raten mir
erlaube.
.Ausser Zweifel stand schon bisher die Notwendigkeit des chirurgi¬
schen Eingriffes bei der Pylorusstenose.
Die Pylorusstenose führt einfach durch das schliesslich immer
•) Vortrag, gehalten in der Maisitzung des Aerztlichen Bezirksvereins
lür SQdfraaken.
häufiger werdende Erbrechen zur Inanition und so zur Operation. Es
gibt aber auch kaum eine segenreicher wirkende Operation als die der
Beseitigung der Pylorusstenose. Wie die Verhungerten, von ständigen
Schmerzen Gequälten nach der Operation aufleben und wie sie zeit¬
lebens zu den dankbarsten Patienten des Arztes gehören, das muss
man nur erlebt haben, um ein begeisterter Anhänger dieser hier einzig
richtigen Therapie zu werden. Wie soll auch eine noch so häufig vor¬
genommene Magenausheberung das Leiden beseitigen, wenn ein eisen¬
harter Ring den Magenausgang verschliesst? Die Operation der Wahl
ist die Gastroenterostomie und zwar anerkanntermassen am besten die
G. retrocolica posterior nach v. Hacker. Es besteht kein Zweifel,
dass durch diese harmlose, heute fast 0 Proz. Sterblichkeit ergebende
Operation allein schon In vielen Fällen Heilung erzielt werden kann. Das
Hindernis ist beseitigt «ein etwa noch bestehendes Ulcus heilt durch die
ständige Ableitung des Speisebreies auf dem neuen Matrenausgangsweg
und durch die Beseitigung der Hyperazidität vermittels des ln den
Magen einfliessenden alkalischen Duodenalsekretes allermeist aus. Aller¬
meist — aber nicht immer. Und darum ist es empfehlenswert neben der
Gastroenterostomie noch eine Operation anzufügen, die die Reizung des
Ulcus durch heranfliessenden Mageninhalt aus«5chliesst. Diese Operation
der sogen. Rylorusausschaltung kann in mehrfacher Weise aus¬
geführt werden. Die einzig sichere und beste Methode Ist die Methode
nach V. E i s e 1 s b e r g, der den Magen oralwärts vom Ulcus quer
durchtrennt und beide Magenöffnungen blind verschliesst. Diese Methode
empfiehlt sich besonders, wenn es sich um noch nicht zu sehr ge¬
schwächte Individuen handelt und soviel Magen vorhanden ist
dass die Ouervernähung beider Magen Öffnungen ohne ^''hwierigkeit
ausgeführt werden kann. Sonst hat man den Pylorus ausgeschaltet durch
eine einfache Zwirnligatur des vor dem Pylorus liegenden Magenteils
und Uebernähen der Ligaturstelle mittels L e m b e r t scher Nähte. Die
Methode soll den Nachteil haben, dass der Faden allmählich durch¬
schneidet und schliesslich die Ausschaltung bei späteren Operationen nicht
mehr als vorhanden konstatiert werden musste. Auch durch Abschnürung
der betr. Magenpartie durch ein Stück der Rektusfaszie oder das Liga¬
ment Suspensorium hepatis hat man die Ausschaltung des Pylorus mit
Erfolg versucht und erzielt Ich habe kein Urteil darüber, da ich diese
Methoden nicht angewandt habe. Ich führe die Pylorusausschaltung,
wenn die Abkürzung der Operation angezeigt erscheint oder starke Ver¬
wachsungen des Ulcus die E1 s e 1 s b e r g sehe Operation kontra¬
indizieren, s 0 aus. dass ich durch das kleine und grosse Netz an ihrem
Magenansatz stumpf eine Lücke setze, vom grossen Netz einen Zipfel
abspalte, durch die Lücke des grossen Netzes hinter dem Magen und
durch die Lücke des kleinen Netzes über die vordere Magenwand bis
zum Eintritt des Netzzipfels an der Lückenstelle des grossen Netzes
zurückführe. Wenn ich nun den Netzzipfel an seiner unteren Eintritts¬
stelle der Lücke des grossen Netzes mit einigen Nähten am Magen
fixiere, habe ich einen festen Punkt, der mir es ermöglicht einen so
festen Zug an dem über die vordere Magenwand zurücklaufenden Netz¬
stücke auszuüben, dass der Magen hier stark eingefaltet wird. Wenn
man dann die Einfaltungsstelle noch durch tief und weitfassende L e m -
b e r t sehe Einstülpungsnähte vertieft so gelingt es. eine derartig starke
Faltung des Magens zu erzielen, dass der tastende Finger das Gefühl
hat: hier können keine Speisereste zum Pylorusulcus mehr hindurch.
Ich habe den Eindruck, dass diese Methode recht gut ist und empfohlen
werden kann. Ich habe mich auch bei einem so operierten Patienten
durch die Schirmbeobachtung, allerdings kurz nach erfolgter Heilung,
mit Röntgen überzeugt dass aller Bariumbrei durch die neue Gastro¬
enterostomie und nichts durch den Pyloms mehr hindurchging. Die
Patienten befinden sich nach d'er Operation, wie die nach v. Eiseis-
b e rg‘Operierten ganz beschwerdefrei; haben aber vor diesen voraus,
dass sie das gleiche Resultat auf ganz ungefährliche Art erreicht haben.
Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt das Resultat hinsichtlich des
Dauerabschlusses durch Sektion oder Nachoperation nachzuprüfen. Ich
kann nur sagen, dass es mich und vor allem die Patienten voll be¬
friedigt hat Solche Patienten sind eben wirklich ganz schmerzfrei,
was man nach der einfachen Gastroenterostomie selten findet. Jeden¬
falls ist soviel sicher, dass bei Pylorusstenose wie auch bei Ulcus pylori
duodeni und der kleinen Kurvatur die Dauerresultate um so befriedigender
sind, je mehr man sich an den Grundsatz hält sich nicht auf die einfache
Gastroenterostomie zu beschränken, sondern entweder durch eine gute
Pylorusausschaltung oder noch besser durch eine Resektion des Ulcus
das Geschwür aus dem Verdauungsprozess auszuschalten. Diese Grund¬
sätze gelten auch besonders für den U1 c u s t u m o r, der weiteren Folge
des runden Magengeschwüres. Die Erfahrung hat gelehrt, dass es Ulcus¬
tumoren gibt die an Grösse den mächtigsten Karzinomtumoren gleich-
komnwn. Wo es die Umstände erlauben und die Operation hierdurch
nicht viel gefährlicher wird — dies ist besonders bei gutem Kräftezustand,
Fehlen von stärkeren Verwachsungen und Ulcustumoren der kleinen oder
der grossen Kurvatur der Fall —. sollte man unbedingt die Resektion des
Ulcustumor ausführen. Im übrigen Ifegen gerade aus der letzten Zeit
Berichte von namhaften Chirurgen vor. die auch bei starken Ver¬
wachsungen mit dem Pankreas, der Leber etc. durch die Ouerresektion
glänzende Erfolge erreicht haben. Solche Patienten sind eben mit ein«m
Schlage sicher gehellt und befreit von allen Beschwerden — während
die nur Gastroenterostomierten doch immerhin eine ziemliche Prozentzahl
von Patienten stellen, die auch nach der Operation nicht ganz frei von
mehr oder weniger starken Magenbeschwerden geworden sind, ja sogar
später doch noch an ihrem Ulcus zugrunde gehen.
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
280
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. Q.
Einige Worte zur Behandlung des echten Sanduhrmagens. Ueber
seine diagnostische Bedeutung habe ich nlich im ersten Teil meines Vor¬
trages bereits ausgesprochen. Bin Sahduhrmagen kann durch in der
Magenwand sich abspielende Krankheitsprozesse, hier in den meisten
Fällen durch das Ulcus, oder auch durch von aussen, d. h. auf die Aussen-
seite des Magens wirkende Ursachen hervorgerufen werden. Weitaus
die Mehrzahl der Sanduhrmägen dürfte entstehen auf dem erstgenannten
Wege. Ein Ulcus ventricuH, besonders das an der kleinen Kurvatur
gelegen«, infiltriert die umgebende Magenwand mit entzündlichen Pro¬
dukten, diese führen durch bindegewebige Schrumpfung zu so starken
Formveränderungen des Magens, dass in der Tat der Magen in zwei
Hälften geteilt sein kann. Die Beseitigung dieser Zustände gelingt nur
auf chirurgischem Wege entweder dadurch, dass man beide Magen¬
hälften durch eine Oastrogastrostomie verbinde^, oder dass man den oral
gelegenen Teil durch eine Qastrojejunostomie mit dem Dünndarm in Ver¬
bindung setzt oder am besten dadurch, dass man die Enge mitsamt dem
Ulcus querreseziert, die beiden Magenöffnungen miteinander durch die
Naht verbindet oder beide durch die Naht verschliesst und am oralen Teil
eine Gastroenterostomie anlegt. Nicht ganz selten scheinen aber auch
Sanduhrformen des Magens durch von aussen einwirkende Momente
hervorg»erufen werden zu können. Wenn eine von einem Ulcus aus¬
gegangene Peritonitis, also eine Perforationsperitonitis, meist wohl un¬
erkannt abgelaufen, zur Ausheilung kommt, so können die davon zurück¬
bleibenden ausserhalb und vor oder hinter dem Magen gelegenen Ver¬
wachsungen zu derartigen starken Verzerrungen der Magenwand führen,
dass richtige Sanduhrformen entsteh'en. Gerade diese nach früheren
Perforationen auftretenden Magenverziehungen sind oft so hochgradig,
dass sie zu einer Quelle entsetzlicher jahrelanger Qualen für solche
Patienten werden können; hier ein kurzangeführtes Beispiel einer
Kranken, die allmählich das Opfer einer schweren inanition geworden
ist und erst durch den operativen Eingriff einer relativen Heilung zuge¬
führt worden ist.
Frau W., 53 Jahre alt. Früher magenleidend. Von einer Bauchfell¬
entzündung ist ihr nichts bekannt. Vor 5 Jahren von Frauenarzt Laparotomie.
Damals sollen angeblich Verwachsungen des Magens gelöst worden sein.
Heute extrem abgemagerte Frau. Gewicht 33 kg. Fortdauernd starke Be--
schwerden in der Magen-, Nabel- und Lendengegend. Häufiges Erbrechen.
Seit 1 Jahr ganz bettlägerig. Puls klein und weich. Probemahlzeit L e u b e s
nach 7 Stunden verdaut bis auf einige Speisereste. Laparotomie 12. I. 1919.
Der vorliegende Magenteil ist die Pylorushälfte, dieselbe ist klein; der Magen>
ist leber- und zwerchfellwärts dicht mit seiner Umgebung verwachsen, so
dass der am Pylorus anstossende Teil der kleinen Kurvatur nicht zu Gesicht
gebracht werden kann. Der vorliegende Pylorusteil des Magens ist mit einer
starken Netzplatte fest verwachsen; unter dem linken Rippenbogen entd?ckt
man den von Verwachsungen freien grösseren kardialen Magenteil, der stark
gebläht ist und in seiner Fortsetzung zur Pylorushälfte sich nach oben hin
gegen die Verwachsungsstelle der kleinen Kurvatur verjüngt. Die Ver-
wachsuhg ist hier so- fest, dass die verengte Partie, die offenbar der Mitte
des Magens entsprechen muss und ganz nach oben gegen den Zwerchfell-
Schwertfortsatz gezogen ist, überhaupt nicht zu Gesicht gebracht werden
kann. Gastfoenterostomia anterior am kardialen Teil und Enteroanastomose
nach Braun; glatte Heilung und langsame Erholung der total entkräfteten
Frau. Verschwinden aller Magenbeschwerden. Es stellt sich guter Appetit
ein. 12 Monate später: Gewichtszunahme 32 Pfund. 1919: Von seiten des
Magens bester Befund. Hysterische Schwäche der Beine, die seit der Ope¬
ration nicht ganz geschwunden; bester Ernährungszustand.
In diesem Fall war. also ein Sanduhrmagen durch Narbenver-
zfehungen. die auf die äussere Magenwand einwirkten, hervorgerufen
worden. Die/Verwachsungen durch eine Operation dauernd gelöst zu
erhalten, ist ein vergebliches Beginnen. Dass eine Gastroenterostomie
Bestes wirken kann, beweist der Fall.
Als letzte und gefährlichste Ulcusfolge soll noch kurz die Per¬
foration des Magenulcus in den Bereich unserer Betrachtung
gezogen werden. Diese lebensbedrohende Komplikation des Magen¬
geschwüres hat heute noch eine so grosse Mortalität und bricht so
katastrophal über ein scheinbar gesundes Menschenleben herein, dass
gerade sie in allererster Linie allen Aerzten eine Mahnung sein müsste,
die interne Ulcusbehandlung ein für allemal mit grösstem Misstrauen zu
betrachten und jedes Ulcus, das nicht restlos einer L e u b e sehen Ulcus-
kur weicht, dem Chirurgen zuzuführen.
Wer die Magenkranken seiner Klientel kennt, besonders die Ulcus-
verdächtlgen, welche entweder eine L e u b e sehe Ulcuskur ohne Erfolg
durchgemacht oder ihre Durchführung verweigert haben, muss sofort an
eine Magenperforation denken, wenn er hört, dass der betreffende Patient
plötzlich unter furchtbaren Schmerzen in der Magen- oder oberen auch
unteren Bauchgegend und Erbrechen erkrankt, sofort zusammen¬
gebrochen sei und nunmehr schwer krank darnieder liege. In solchen
Fällen muss der Arzt sofort zur Hand sein, da wenige Stunden über das
Leben entscheiden: unter keinen Umständen darf eine Nacht zwischen
Erkrankung und ärztlichem Eingreifen dahingehen. Wenn auch eine
12 Stunden nach -erfolgter Perforation ausgeführte Operation in seltenen
Fällen hie und da noch Hilfe gebracht hat. so ist doch durch zahlreiche
Statistiken festgestellt, dass die besten Operationserfolge erzielt werden,
wenn die Operation vor Ablauf von 4 Stunden nath erfolgter Per¬
foration ausgeführt wird, dass sie sich aber um so mehr verschlechtert,
ie mehr sie sich von dieser günstigen Grenze entfernt. Die Prozentzahl
der nach Ulcusperforation Gestorbenen steigt mit jeder Stunde rapid in
die Höhe und erreicht nach 12 Stunden meist 100 Proz. Da heisst cs
also sofort zur Hand sein, sogleich die richtig« Diagnose stellen, sofort
transportieren, auch mit dem primitivsten Fahrzeug, wenn anderes nicht
zu erreichen und sofort operieren. Ohne Operation ist der Patient un-
Digitized by Goiisle
rettbar verloren. Da gibt es also keine Wahl und kein Zögern. Das
Bild der frischen Perforation ist aber auch kaum zu verkennen.
Ulcusanamnese — hochgradigst« Bauchdeckenspannuiig besonders der
Magengegend, aber auch des ganzen Leibes, enorme DruckempfindUch-
keit der Magengegend und des Leibes, tiefliegend«, starkumränderte
Augen, grosses subjektives Angstgefühl des Kranken. Erbrechen,
Trockenheit d«r Zunge, Durst und allgemeine Unruhe sind die m-arkante-
sten Symptome. Eine Verwechslung ist in frischen Fällen nur möglich
mit einer schweren Qallensteinkolik, die ja auch genau das geschilderte
Krankheitsbild uns vor Augen stellen kann. Das Fehlen der Ulcus-
anamn«se. das Freisein der abschüssigen unteren Bauchpartien von
Muskelspannung und Dämpfung, die doch recht oft zu ermöglichende
Lokalisation der Schmerzempfindlichkeit auf Gallenblase und Leber¬
rand ermöglichen doch allermeist die Untersch«idung. Kommen dazu
die bei Ulcusperforation rasch auftretenden Dämpfungen in den unteren
Bauchhälften und der Lendengegend, V«rschwinden der Leberdämpfung
durch Luftaustritt und die für Perforation charakteristische trockene
Zunge, so können wir nicht mehr zweifelhaft sein. Freilich habe ich
es auch einmal erlebt, dass ein Dienstmädchen, bei welchem 2 T a g e
vor ihrem Spitaleintritt die Perforation erfolgt war und von dem betr.
Arzt draussen Blinddarmentzündung diagnostiziert worden war, nach
dieser Frist von 50 Stunden zu Fuss sich ins Krankenhaus begab, be¬
sonders wegen der nun in der Blinddarmgegend stärksten Druck¬
empfindlichkeit und Tumorbjjdung sofort operiert wurde und dabei aber
eine vorgeschrittene Peritonitis, ausgehend vom Durchbruch eines
Magengeschwürs, aufwies, und in wenigen Tagen an dieser zugrunde
ging. Alles in allem ist die Diagnose bei einigem Bemühen recht wohl
zu stellen und ihr Verfehlen ein schwerer ärztlicher Kunstfehler. Der
schwere Kollaps, die halonierfen Augen, der verfallene Gesichtsaus¬
druck, die Qualität des anfangs verlangsamten, dann aber bald rascher
werdenden Pulses werden unsere diagnostische Kunst zur äussersten
Kraftanstrengung anspornen und uns auf den richtigen Weg führen. Ist
die Diagnose gestellt, so hängt, wie gesagt, alles davon ab. ob es mög¬
lich ist, noch zu rechter Zeit zu operieren. Leider ist dies«r Termin bei
den verschiedenen Kranken nicht gleich. Ich habe Patienten 4 Stunden
nach erfolgter Perforation pulslos auf dem Operationstisch vor der
Operation gesehen und dann trotz derselben immer im Kollaps zugrunde
gehen sehen; ich habe aber auch solche, bei denen die Perforation schon
8—10 Stunden vorher geschehen war, durch die Operation genesen
sehen. Jedenfalls darf uns di« Qualität des Pulses oder die Schwere des
Kollapses keine Minute von der Operation abhalten, etwa in der Mei¬
nung, dass der Kollaps vorübergelassen und dann unter günstigeren Um¬
ständen operiert werden sollte. Zweifellos macht die akute Ueber-
schwemmung des Bauchfelles mit Mageninhalt diesen Kollaps aus; je
rascher dieser Mageninhalt entfernt wird, um so eher w'ird die Ursache
der lebensbedrohenden Herzschwäche schwänden. Dass der eine Patient
sich vom Kollaps nach der Operation wieder erholt, der andere nicht,
ist zweifellos sowohl durch die verschiedene Widerstandsfähigkeit d«s
Kranken (geringe Widerstandskraft der Fettleibigen) als auch durch die
Verschiedenheit der Virulenz des Mageninhaltes bedingt.
Da die Technik nur in einem Krankenhaus mit genügender Assistenz
und Einrichtung zu beherrschen ist, muss d«r Transport dahin aus¬
geführt werden, mag der Patient noch so sehr als transportunfähig er¬
scheinen. In jedem Falle wird er mehr Chancen haben, durchzukommen.
wenn er sofort zw^ar mit dem Mageninhalt in der Bauchhöhle transpor¬
tiert wird, als w-enn die kostbare Zeit der ersten 4—6 Stunden ver¬
säumt wird. Die Operation eines perforierten Magengeschw’üres ge¬
staltet sich zu einem der dramatischsten Ereignisse Im Leben des
Chirurgen und stellt an Ruhe und Geistesgegenwart desselben keine
geringen Ansprüche. Die Technik der Operation gestaltet sich folgender-
massen:
Ohne Bad Desinfektion der Bauchdecken in üblicher Weise, Baiich-
schnitt bei unter den Rücken geschobenem Polster, das die Magen¬
gegend dem Auge möglichst entgegenhebt. Ohne sich um die vor¬
strömenden Speiseteile zu kümmern, rasches Aufsuchen der Perforations¬
stelle; diese liegt zumeist an der vorderen Magenwand im Bereich« des
Pylorus, der kleinen Kurvatur und des Duodenalanianges. Der Magen
wird möglichst hervorgezogen und so die Perforationsstelle, die meist
infolge ihrer starren Ränder erbsen- bis bohnengross klafft und gut sicht¬
bar ist und an den hervorquelfenden Speiseteilen gut erkennbar ist. der
operierenden Hand nahe gebracht. In 5 meiner operierten Fälle war
die Perforationsstelle wenigstens so gut vorziehbar. <i^ss die Naht
tadellos ausgeführt werden konnte; in einem Falle allerdings — es
handelte sich um eine abnorm fettleibige Dame mit riesig dicker Bauch¬
decke — gelang die Freilegung des noch dazu unter der Leber ad-
härenten Magens nur ganz ungenügend und war die Naht überhaupt
nicht ausführbar. Die Art und Weis«, wie der Nahtverschluss des per¬
forierten Ulcus ausgeführt wird,-ist. von grosser Wichtigkeit für den Er¬
folg desselben. Ein einfacher Nahtverschluss, wie etwa nach einer
Schussperforation gelingt niemals. Die nächste und w^eitere Umgebung
des Ulcus, oft in Ausdehnung eines Fünfmarkstückes, ist immer in derbes,
solides, unnachgiebiges Narbengewebe ungewandelt, das einem ge¬
wöhnlichen Nahtverschluss unüberwindlichen Widerstand durch Durc!;-
schneiden der Fäden resp. des Gewebes entgegensetzt. Die von
S e i d e 1 - Dresden angegebene Methode der Naht des perforierten
Magnulcus habe -ich in allen meinen 6 Fällen in Anwendung gebracht
und als zuverlässig befunden. Seidel legt oberhalb und unterhalb
der Perforationsöffnung, die ganze Magenwand und so das derbe Gewebe
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
l März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
28t
durchdringend, je einen starken, querverlaufenden Faden, ohne ihn zu
knüpfen. Diese Ougrfäden sollen für die folgenden Nähte als Halte-
barrieren dienen. Die folgenden starken Zwirn- oder Seidenfäden
werden senkrecht auf diese Uuerfäden, ebenfalls di-e ganze Magenwand
durchsetzend und peripher von denselben ein- und ausgestochen, an¬
gelegt. Knüpft man nun diese Fäden, so findet jeder Längsfaden an
dem ihn kreuzenden Ouerfaden einen starkerj Widerhall und es gelingt
ohne Zerreissung des Gewebes, selbst bei Anwendung grosser Kräh,
die Wundränder der Perforationsöffnung gut aneinander zu bringen und
die Oeffnung verlässlich zu schliessen. heilich. nicht im Sinne dieser
zuverlässigen L e m b e r t sehen Naht. Das ist auch nicht notwendig.
Versichert man die so grobmechanisch verschlossene Perforationsöffnung
noch mit einem Netzstück der Nachbarschaft oder gar durch über-
xenähte gesunde Magenwand nach L e m b e r t durch mehrere Nähte,
so hat man das Gefühl der absoluten Zuverlässigkeit. Wie ich mich
in meinen Fällen überzeugt habe, haben diese Seidel sehen Ver¬
schlussnähte in allen Fällen, in denen sie ausführbar, tadellos gehalten.
WVnn von diesen 6 Fällen nur 2 genesen sind, so lag es nicht am Nach¬
geben der Fäden, sondern an dem zu späten Termin der Operation. Ist
der Nahtverschluss gemacht, dann eine schnell auszuführende Gastro-
enierostomia retrocolica oder antecolica, je nach Lage des Geschwürs,
und schliesslich reichliche Ausspülung der ganzen Bauchhöhle, besonders
der D 0 u g 1 a s sehe» Räume, der Zwvrchfellkuppelräume ober- oder
unterhalb der Leber mit abgekochtem Wasser oder steriler Kochsalz¬
lösung. solange trfs die Flüssigkeit klar und hell abläuft und keine
Speisereste mehr klSiheiner. Ist die Operation frühzeitig genug aus-
geführt, so pflegt sich der Puls hiebei zu bessern, während er bei zu
spät ausgeführter Operation immer kleiner und unfühlbarer zu werden
pflegt. Nun kompletter Nahtverschluss der Bauchhöhle vielleicht bis
auf eine Oeffnung für ein Glasdrain, das in zweifelhaften Fällen auf die
Nahtstelle geführt wird, deren direkte Berührung durch das darüber-
gifiähte Netzstück ja ausgeschlossen ist. Der Heilverlauf kann nun ganz
glatt vor sich gehen, er kann sich auch etwas komplizieren durch mehr¬
tägige leichte peritonitische Darmlähmung und mehr oder weniger starke
zirkumskripte Exsudatbildung zwischen den Darmschlingen besonders im
ur.t’v'ren Bauchraum. Die letzteren gehen entweder spontan zurück, oder
erfordern noch später, wenn alle beängstigenden peritonitischen Erschei¬
nungen abgeklungen sind, eine Abszessöffiiung event. bei Frauen vom
Douglas resp, hinteren Scheidengewölbe aus. Die schlechteren Fälle
sterben entweder in den nächsten 24 Stunden pulsjos infolge der akuten
Peritonealsepsis oder im Verlauf der nächsten Tage an langsam ver¬
laufender Peritonitis, vielleicht kompliziert mit Pneumonie.
Ich habe Ihnen geschildert, wie ich in solchen Fällen vorgegangen
bin. Ob man nun in jedem Falle die Gastroenterostomie ausschliessen
ka/in und soll, darüber lässt sich '•beiten. Sicher ist. dass die Drainierung
des Magens durch eine neue Abflussöffnung erstens die Nahtstelle resp.
das Geschwür ungestörter zur Heilung kommen lässt und dass auch dnreh
tmfliessen des alkalischen Duodenalinhaltes durch die Gastroentero-
storniewmnde dieser veränderte Magenchemismus die Heilung des Ulcus
begünstigen muss. In ganz desolaten Verhältnissen wird man sich natür¬
lich auf den Nahtverschluss beschränken und eine zweite Operation
(Querresektion) einem späteren Zeitpunkt Vorbehalten. Auch die ein¬
fache Anlegung einer W i t z e 1 sehen Magenfistel über ein durch die
Penorationsöffnung eingeführtes Gummirohr ist für solche schlimme
Kollapsfälle mit Erfolg ausgeführt worden und sicher in verzw'eifelten
Fällen die einzige noch bleibende Rettungsmöglichkeit.
Fasse ich zum Schluss das gesamte Material meiner chirurgisch
behandelten Ulcera statistisch zusammen, so ergeben sich fol¬
gende Gesichtspunkte und Zahlen:
Von 1904 bis 1919 wurden wegen Ulcus ventriculi von mir 64 Magen¬
operationen ausgeführt. Während in den früheren Jahren die einfache
Oastroenterostomia retrocolica nach v. Hacker bevorzugt wurde, ist
^egen der nicht ganz befriedigenden Dauerresultate — die Beschwerden
pflegen nicht ganz zu verschwinden und die Gefahr einer neuen Blutung
und Perforation durch Ulcus besteht fort — diese immer mehr von der
Ouerresektion oder einer Kombination von Gastroenterostomie und
Pyionisausschaltug verdrängt worden, wenn auch die einfache Gastro¬
enterostomie auch heute noch ihren bestimmten Platz für gewisse Fälle
behauptet Es wurden ausgeführt:
Einfache Oastroenterostomia posterior retrocolica nach v Hacker
26 mal mit 26 Heilungen.
Einfache Oastroenterostomia anterior nach W ö I f f 1 e r, kombiniert mit
Enteroanastomie nach B r a u n, 5 mal mit 4 Heilungen, 1 Todesfall.
Die Resektion des Pylorus nach Billroth II, kombiniert mit Gastro-
enterostomia retrocol. nach v. Hacker, 10 mal mit 10 Heilungen.
Die einfache Ouerresektion des Magens 4 mal mit 4 Heilungen
Die Gastroenterostomia post, nach v. Hacker, kombiniert mit
Pylorusausschaltung nach meiner Methode, 10 mal mit 10 Hei¬
lungen.
Die Vernährung des perforierten Magengeschwürs nach Seidel
6 mal mit 2 Heilungen und 4 Todesfällen.
Es treffen also bei 64 wegen Magengeschwür ausgeführten Opera¬
tionen auf 58 Heilungen 5 Todesfälle = 9,2 Proz. Mortalität. Wenn wir
cie 4 Todesfälle bei Ulcusperforation mit einer Mortalität von 66 Proz.
2 US meiner Statistik der Operation des einfachen Magengeschwüres
3>scheiden, konstatieren wir die erfreuliche Tatsache, dass bei
Magenoperationen, wiegen Ulcus ventriculi ausgeführt, nur 1 Todesfall
^leh ereignete. Die Mortalität beträgt somit nur 1,7 Proz. Eine Mor-
/
Digitized by Goiisle
talität von 1,7 Proz. oder 1 Todesfall auf 60 Ulcusoperationen beweist
aber, dass die operative Behandlung des Magengeschwüres eine so ge¬
ringe Sterblichkeitsziffer aufw'eist, dass die operative Behandlung sicher
als der internen Ulcusbehandlung überlegen zu bezeichnen ist.
Mein Standpunkt in der Auswahl der verschiedenen Operations¬
methoden des Ulcus ventriculi hat sich im Laufe der Jahre folgender-
massen gestaltet:
Die Querresektion des Magens ist bei allen kallösen Ulceras
der kleinen Kurvatur und grossen Kurvatur die beste Methode. Hiebei
werden die Magenhälften nach Wegfall des Ulcus einfach glatt ohne
Gastroenterostomie vereinigt. Sie entfernt mit einem Schlag alles
Krankhafte, stellt sofort physiologische Verhältnisse wieder her und gibt
daher die besten augenblicklichen und Dauerresultate. Da man einem
kallösen Ulcus niemals ansehen kann, ob nicht die karzinomatöse De¬
generation schon auf dem Wege ist, ist diese Methode auch das beste
Vorbeugungsmittel gegen ein Karzinomrezidiv.
Die Resektion des Pylorus nach Billroth II oder I gibt
aus denselben Gründen die besten Resultate bei Sitz des Ulcus am
Pylorus. Bedingung der Ausführbarkeit ist, dass das Duodenum hiebei
so weit und sicher frei gemacht und erhalten werden kann, dass der
Verschluss des Duodenum gesichert ist. Die hiebei notwendige Gastro¬
enterostomia post, retrocolica nach v. H a c k e r ist so schnell ausführbar,
dass sie die Operationsdauer nicht wesentlich beeinflusst.
Die Gastroenterostomia posterior retrocolica nach
V. Hacker bleibt für die Ulcera, die zu so schwerer Verwachsung mit
der Umgebung geführt haben, dass die Resektion zu gefährlich erscheint.
Sie wird am besten mit der Pylomsausschaltung nach von E i s e 1 s -
b e r g bei guter Zugänglichkeit und gutem Kräftezustand 'des Patienten
kombiniert. Bei geschwächten Individuen ist die Pylorusausschaltung
nach meiner Methode, also mit einem Netzstück ausg^führt. eine recht
empfehlenswerte, weil einfache Methode.
Dte Gastroenterostomia anterior nach v. W ö 1 f f l e r. immer kom¬
biniert mit der Enterostomie nach Braun, bleibt für alle Fälle reser¬
viert, bei denen die hintere Wand des Magens aus irgend einem Grund
nicht zur Verfügung steht.
Die Naht des perforierten Ulcus ventriculi wird am besten nach
Seidel ausgeführt und womöglich durch die Gastroenterostomie ge¬
sichert.
M. H.! Nach den glänzenden Resultaten der heutigen operativen
Behandlung des Ulcus ventriculi haben Sie mehr wie bisher die Pflicht,
Ihre Ulcuskranken dRser chirurgischen Heilmethode zuzuführen. Das
chronische Ulcus ventriculi ist allermeist ohne.
Operation nicht heilbar. Der nicht operierte Ulcuskranke
leidet aber beständig und ist stets in Gefahr, entweder an einer Per¬
foration oder an einem Karzinom- zu erkranken. Nach diesen Er¬
fahrungen werden Sie im Interesse Ihrer Patienten und in Ihrem eigenen
Interesse gut tun, in Zukunft jedes Ulcus als eine exquisit chirurgische
Krankheit zu betrachten und darnach Ihre Ratschläge einzurichten. Sie
als Hausärzte haben die Entscheidung über das Leben solcher Patienten
in Ihren Händen.
Bücheranzeigen und Referate.
Gottfried Ewald: Die Abderhaldensche Reaktion mit be¬
sonderer Berücksichtigung ihrer Ergebnisse in der Psychiatrie. 210 Seiten.
Verlag von S. Karger, Berlin, 1920. Preis: M. 24.—.
Das Buch gibt zunächst eine umfassende Darstellung der Voraus¬
setzungen und der Entwicklung von Abderhaldens Lehre. Hieran
schliessen sich Erörterungen betreffend die vielumstrittenen Fragen über
Herkunft, Natur und Spezifität der Abwehrfermente. Ewald, der selbst
bedeutsame Beiträge zu diesem Forschungsgebiet geliefert hat, bekundet
eine wohltuende Sachlichkeit. Alles für und wider wird mit hervorragen¬
der Sachkenntnis und mit sorgsältigem kritischen Eingehen erörtert. Die
Bedeutung, welcher der Abderhalden sehen Lehre für die Erweite¬
rung unserer theoretischen Vorstellungen von den Störungen der inneren
Sekretion zukommt, wird klar hervorgehoben.
Der praktische Teil bringt die Resultate der Literatur und der eigenen
Untersuchungen auf dem Gebiete der Psychiatrie. Ueber das am meisten
diskutierte Kapitel der Dementia praecox äussert sich Ewald wie folgt:
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei Dementia praecox in
ca. 80 Proz. aller Fälle irgendein Organabbau nachweisen lässt gegenüber
nur 50 Proz. positiver Befunde bei Hysterikern und Psychopathen und
60 Proz. bei manisch-depressivem Irresein. Von den positiven Re¬
aktionen bei Dementia praecox zeigen etwa 50 Proz. die Kombination
Gehirn-Genitale, und 40 Proz. die Trias Gehirn-Genitale-Schilddrüse.
Diese Kombinationen wurden nahezu ebenso oft bei Hysterikern und
Psychopathen beobachtet, dagegen recht selten bei manisch-depressiven
Erkrankungen; insonderheit scheint der Abbau der Trias Gehirn-Genitale-
Schilddrüse bei Erkrankungen der manisch-depressiven Krankheitsgruppe
— unter Ausschluss der schwer verworrenen und hochgradig erregten
Zustandsbilder — ein sehr seltenes Vorkommnis zu sein.“
Ewald lehnt eine serologische Krankheitsdiagnostik ab und wendet
sich besonders eindringlich gegen die forensische Verwertung der Re¬
sultate^ .,Die Methode eignet sich im wesentlchen nur zur Feststellung
grosser Gemeinsamkeiten an grossem Material.“ Den „wunden Punkt
der gesamten Methodik“ sieht Ewald in der vorläufigen Unmöglich¬
keit, Adsorptioosvorgänge, die positive Reaktionen Vortäuschen können,
auszuschliessen, F. Plaut.
Original frsm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
282
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Diagnose der Simulation nervöser Symptome auf Grund einer
differentialdiagnostischen Bearbeitung Är einzelnen Phänomene. Ein
Lehrbuch für den Praktiker von Prof. Dnifekigmund Erben- Wien. Mit
25 Textabbildungen und 3 Tafeln. Zweite Auflage. 254 S. Berlin und
Wien 1920. Urban & Schwarzenberg. Preis 38 M., geb. 50 M.
Das vorzügliche Werk E r b e n s, das, wie der Titel jetzt bereits an¬
gibt, nach den einzelnen Phänomenen seine Stoffeinteilung und -be-
arbeitung erfahren hat und deshalb einen bewährten Ratgeber im Einzel¬
fall (sowohl für die Diagnose der Simulation wie für Verineidung un¬
begründeten Aussprechens dieses schwerwiegenden Verdachtes), nicht
nur eine ausführliche Aneinanderreihung aller in Betracht kommenden
Tatsachen und Ueberlegungen darstellt, hat in der vorliegenden zweiten
Auflage eine grosse Zahl von Ergänzungen und Verbesserungen, haupt¬
sächlich auf (3rund der Kriegserfahrungen, erhalten. Diese Aenderungen
und Zusätze beziehen sich auf alle Kapitel, besonders auf die Darstellung
der Funktionsprüfung des Herzens und der Neurosen, der Ischias, des
Zitterns, des Ganges, des Schwindels u. a. m. Neu ist ein besonderer
Abschnitt über die Haltungsanomalien, sowie über die Depression und
hypochondrisch-querulatorische Verstimmung. Bezüglich der Unter¬
scheidung zwischen Hysterie und Simulation, die von einzelnen Autoren
für möglich gehalten wird, nimmt E. folgenden Standpunkt ein: Wird
ein Funktionsausfall demonstriert, der bei Ablenkung der Aufmerksam¬
keit und Aenderung der äusseren Verhältnisse verschwindet, nachher aber
trotzdem wieder hervorkommt, so ist dies Simulation, denn der Unter¬
suchte wollte die fragliche Leistung nicht vollbringen, konnte sie aber
vollbringen. Auch in der Sphäre psychischer Erscheinungen werden
Orientierungsmomente gegeben, die Folgen vorbedachter, ausgeklügelter
Pläne zur Erlangung von Vorteil von den Folgen der aus dem Unter¬
bewusstsein hervorgegangenen Vorstellungen .auseinanderzuhalten.
Erben unterscheidet zwischen unbewusster Uebertreibung des Hysteri¬
kers, der auf die Umgebung nur Eindruck machen will, und zwischen
dem Simulanten, dessen zielbewusste Ueberlegung einer möglichst hohen
Entschädigung zugewendet ist. So bietet das Werk auch für dieses
besonders schwierige Gebiet wertvolle Anhaltspunkte mit objektiviertem
Untergrund.
Leider ist die Mehrzahl der Druckfehler und Stilwidrigkeiten der
ersten Auflage stehen geblieben. M. Schwab -Berlin-Wilmersdorf.
Wo. Pauli: Kolloidchemle der Eiweisskörper. 1. Hälfte mit 27 Ab¬
bildungen im Text und zahlreichen Tabellen. Dresden und Leipzig, Ver¬
lag von Theodor Steinkopf, 1920. 111 Seiten. Preis geh 10 M.
Bei dem stetig zunehmenden Interesse, welches die physikalische
Chemie der Eiweisse auf den verschiedensten Gebieten der Medizin be¬
anspruchen muss, ist es sehr zu begrüssen, dass Wo. Pauli, der
führende Forscher auf diesem Gebiet, sich entschlossen hat, seine Vor¬
lesungen in Form einer monographischen Darstellung der Allgemeinheit
zugängig zu machen. Die noch fehlende zweite Hälfte des Buches soll
in Jahresfrist erscheinen. Jeder, der sich über die neuesten Ergebnisse
auf diesem Gebiet zu unterrichten wünscht, wird das Buch mit grösstem
Nutzen studieren. Es ist klar geschrieben und gibt in geschickter Grup¬
pierung ein Bild unseres heutigen Wissens von der Physikochemie der
Eiweisse. H. Schade -Kiel.
Die KUnlk der Tuberkulose. Handbuch und Atlas der gesamten
Tuberkulose für Aerzte und Studierende. Von Dr. Bandelier, Chef¬
arzt des Sanatoriums Schwarzwaldheim Schömberg, und Prof. Dr.
Roepke, Chefarzt der Heilstätte Melsungen b. Kassel. 4., vermehrte
und verbesserte Auflage, 1. u. II. Bd. Mit 125 Abb. u. 18 Kurven im
Text, sowie 196 Abb. auf 44 farbigen und 6 schwarzen Tafeln. 1113 Sei¬
ten. Preis geb. 200 M. Verlag von Curt Kabitzsch, Leipzig 1920.
Die Klinik der Tuberkulose hat sich ebenso rasch wie das Lehrbuch
der spezifischen Diagnostik und Therapie der Tuberkulose der gleichen
Autoren Eingang in die Aerztewelt verschafft. Durch die neue Auflage
hat das Werk zweifellos noch wesentlich ^n Wert gewonnen. Es ist
tatsächlich ein Handbuch, in dem man über alle wichtigen Fragen Auf¬
schluss erhalten kann. Die Literatur ist weitgehend berücksichtigt und
die verschiedenen Meinungen kommen ohne Voreingenommenheit zum
Wort. Die guten Abbildungen erhöhen den Wert des Werkes.
Karl Ernst R a n k e - München.
L Cohn: Urologlscbes Praktikum für Aerzte und Studierende unter
besonderer Berücksichtigung der Instrumentellen Technik. Mit 29 zum
Teil farbigen Abbildungen im Text und auf 3 Tafeln. Berlin und Wien,
Urban & Schwarzenberg, 1919. 391 S. Preis M. 25.—.
In einem kleinen Band und handlichen Format hat C. eine Ein¬
führung in die Diagnostik und Therapie der Harnkrankheiten gegeben.
In klarer, übersichtlicher Darstellung behandelt er in einem 1. Teile die
einzelnen Untersuchungsmethoden. Die technischen Einzelheiten sind,
was besonders zu betonen ist, eingehend beschrieben. Durch eine
Reihe eindrucksvoller Abbildungen werden die bei dieser Disziplin so
wichtigen instrumentellen Eingriffe veranschaulicht. Der 2. Teil be¬
steht in einer vollständigen Zusammenstellung der Krankheits Sym¬
ptome. Dem Zweck des Buches entsprechend werden im 3. Teil, wel¬
cher der Beschreibung der Erkrankungs f o r m e n gewidmet ist. die
grossen Eingriffe der Urologie nur erwähnt, dagegen die vom prak¬
tischen Arzt auszuführenden therapeutischen Massnahmen bis ins ein¬
zelnste geschildert.
Das kleine Werk ist in seiner Klarheit und Einfachheit der Diktion
und des Aufbaues — besonders bei dem jetzigen Mangel an neuen Auf¬
lagen guter urologischer Bücher — aufs wärmste zu empfehlen. Erstaun¬
lich gut sind die beigegebenen kleinen kystoskoplschen Bilder.
Kiellenthner - München.
19]4_1918. Kriegsmedizinlscbe Erfabningen Im bayer. Feldlazarett
Nr, 42, in 22. Einzelarbeiten von P/ot^Josepb A r n e t b - Münster.
Leipzig 1920. Werner K1 i n k h a r d t. Seiten.
22 Einzelarbeiten rein klinischen Inhalts aus allen Gebieten der
inneren xMediziii, welche der Feldzug dem im Feldlazarett Tätigen vor
Augen brachte. Freude an klinischer Beobachtung und Behandlung mit
starkem Subjektivismus verrät sien allenthalben und hat zu fleissiger
Ausnutzung des Materials nach allen klinischen Richtungen geiül-.rt.
Infektionslffankheiten, Kriegsnephritts und Lungenschüsse bilden den
Hauptinhalt. Schlayer.
H. Krukenberg: Der Gesichtsausdruck des Menschen. 2., neu¬
bearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 259 Textabbildungen, meist
nach Originalzeichnungen und photographischen Aufnahmen des Ver¬
fassers Stuttgart, Enke. 328 S. Preis geh. 28 M.
Die erste Auflage dieses Buches ist im Jahrgang 1915 besprochen;
die vorliegende neue, 2., ist sowohl im Text neubearbeitet, wie beson¬
ders durch prachtvolles weiteres Bildmaterial vermehrt. Die Ausstattung
ist ganz hervorragend. Das Buch kann jedem Interessierten warm
empfohlen werden. I s s e r 1 i n,
J)er Gerichtsarzt“. Leitfaden für die forensische Praxis für Aerzte
und Juristen. Mit Berücksichtiguvg der deutschen Gesetzgebung im
Anhänge. Von Dr. Gustav Paul, Hofrat, Direktor der Staatsimpfanstalt
in Wien, em. I. Assistent der Lehrkanzel für Gerichtliche Medizin an der
Deutschen Universität in Prag. Mit 12 in den Text gedruckten Ab¬
bildungen und einer Tafel. 2., völlig umgearbeitete Auflage. Wien und
Leipzig, Franz Deut icke, 1920. 373 Seiten. Preis 27 M.
Wir lenken gerne die Aufmerksamkeit der Kollegen auf den hier
15 Jahre nach seinem ersten Erscheinen nunmehr in 2., wesentlich er¬
weiterter und vervollkommneter Auflage vorliegenden Leitfaden, der
dem Andenken Maschkas, als dem Lehrer und Meister des Verf.
gewidmet ist. Berücksichtigt er auch in erster Linie die österreichischen
Verhältnisse, so hat Verf. doch auch im Nachtrag die einschlägigen
deutschen Gesetzesbestimmungen noch mit aufgenommen. Das Büchlein
enthält auch manche praktische persönliche Erfahrung des Verf.
Für die Juristen und für die jüngeren, noch weniger geübten Kollegen
mag auch die umfangreiche Terminologie (S. 294—331) — die
Verdeutschung der meisten dem Arzte schwer entbehrlichen Fach¬
ausdrücke — eine praktische Einrichtung sein, auch erleichtert ein gutes
Sachregister die Benützung des Werkchens.
Herrn. Merkel- Miinclien.
Kurt Laubenheimer, a. o. Professor für Hygiene und Bakterio¬
logie an der Universität Heidelberg: Lehrbuch der Mikrophotographie.
220 Seiten. Mit 116 zum Teil farbigen Abbildungen im Text und
13 mikrophotographischen Aufnahmen auf 6 Tafeln. Urban
& Schwarzenberg, Berlin, 1920. Preis M. 36.—, geb. M. 50.—.
Nach einleitenden Worten über die Bedeutung der Mikrophoto¬
graphie für Wissenschaft, Forschung und Unterricht erläutert VerL zu¬
nächst das zur Mikrophotographie nötige Instrumentarium, Mikroskop,
Kamera und Beleuchtungseinrichtungen ausführlich. Es folgen dann
Kapitel über die Aufnahme, über Vorrichtungen für besondere Aufnahmen
und über die zur Aufnahme bestimmten Präparate. Sodann wird die
Herstellung des negativen und positiven Bilds genau besprochen. Den
Schluss bildet ein Abschnitt über die Mikrophotographie in natürlichen
Farben. Alle diejenigdVi, welche wie der Referent an Theorie und
Praxis der Mikrophotographie ihre Freude haben, werden das mit
Genuss lesen. Es ist so geschrieben, dass auch der Erfahrene aus ihm
lernen kann. Trotz der für die Mikrophotographie besonders teuren Zeit
stelle ich ihm eine günstige Prognose; es ist als Lern-, Lehr- und Nach-
schlagebuch in gleicher Weise zu empfehlen.
Schmincke - München.
Die Bedeutung Salernos für die Medizin. Von Dr. med. Walter
V. Brunn, Privatdozent an der Universität Rostock. (Sonderabdruck
aus „Neue Jahrbücher für das klassische Altertum und deutsche Literatur
und für Pädagogik“. Leipzig, B. G. T e u b n e r, 1920.)
Von den 31 literarischen Quellen, aus welchen Walter v. Brunn,
zufolge des von ihm gelieferten Literaturverzeichnisses, den Stoff zu
seiner Arbeit „Die Bedeutung Salernos für die Medizin“
schöpft, entstammen nicht weniger als 11 dem unter Leitung Prof. Dr.
Karl S u d h 0 f f s stehenden Leipziger Institute für Geschichte der Medi¬
zin. Es ist dies ein erfreuliches Zeichen für die neuerdings erfolgende
Erstarkung der Pflege der Medizingeschichte. Die im Mittelalter
blühende Medizinische Schule Salernos verdient in der Tat das rege
Interesse der medizinischen Geschichtsforschung. Bildete doch Salerno
gleichsam den Brennpunkt, in welchem sich die aus klassischer Griechen-
und Römerzeit und aus der arabischen Blütezeit ausgegangenen ärzt¬
lichen Geistesstrahlen sammelten, um sich von dort aus wieder in die
übrige Geisteswelt zu zerstreuen. Es gelingt Walter v. Brunn auf
den 12 Seiten seiner Schrift, eine lehrreiche Darstellung der medizinischen
Verdienste Salernos zu liefern. Wir erfahren darin, wie die Ent¬
wicklung sowohl des ärztlichen Standes wie der ärztlichen Praxis dort
gleichen Schritt hielt mit der Pflege der Diätetik, der Arzneimittellehre,
der Anatomie, der Chirurgie und Augenheilkunde. Zur Vervollständi¬
gung einer ernsten Salemoforschung gehört indessen auch die Erwähnung
der grundlegenden Arbeiten Johann Christian Gottlieb Ackermanns,
August H ensch e 1 s, Antonius Mazzas, Salvatore de R e n z is,
Baudry de Balzacs und Charles Darembergs. Wir fügen diese
Namen dem seitens Walter v. B r u n n s gelieferten Autorenverzeichnisse
noch hinzu. Dr. Paul Tesdorpf-München.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
l März 1921.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRlf^.
283
Zeitschriften-Uebersicht
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 160. Band, 5.—6. Heft.
Heinrich K. Bauer: lieber Identität und Wesen der sog. Osteo*«’
psathyrosls Idlopathica und Osteogenesis Imperiecta. Zugleich ein Beitrag
zur Konstltutlonspathologle chirurgischer Krankheiten. (Aus der Chirurg.
Universitätsklinik Göttingen.)
Die sog. Osteopsuthyrosis idiopathica ist nach klinischen Erscheinungen,
tüstologischen Bildern und Röntgenbildern identisch mit der Osteogenesis
unperfecta (Osteogenesis impeifecta tarda). Bei der Osteogenesis imper¬
fecta congenita und tarda liegt ein vitium primae formationis nicht nur
des Endosts und des Periosts, sondern sämtlicher Stützgewebe des Körpers,
des ganzen Mesenchyms vor. Die Anomalie ist vererbbar und bestimmt
weitgehend gesetzmässig Habitus, Konstitution und Temperament des be¬
treffenden Individuums.
Karl Köster; Das/ Blutbild bei chirurgischer Tuberkulose unter Frei-
lult-Sonnenbebandlung Im Hochgebirge. (Aus der Klinik für freiluft-Sonnen-
behandlung von Maximilian Bäcker, Riezlern bei Oberstdorf im Algäu.)
Die Zahl der roten Blutkörperchen stieg in den meisten Fällen an,
sank aber auch oft bei günstig verlaufenen Fällen, der Hb-Qehalt stieg
überwiegend sehr erheblich an. Die weissen Blutkörperchen nahmen in der
Hälfte der Fälle zu, in der Hälfte ab, dabei zeigten die polynukleären in
’/s der Fälle Abnahme, in ^/s Zunahme, die Lymphozyten in der Hälfte
Abnahme, sonst Zunahme, die Monozyten prozentualiter in reichlich ^/s der
PäJIe Zunahme oder Gleichbleiben, in nicht ganz M Abnahme, absolut in
fast */3 Zunahme, in ^ Abnahme, die Eosinophilen in reichlich der Hälfte
der Fälle Zunahme. Die Durchschnittszahl für alle Patienten liegt etwa an
der unteren Grenze des Normalen oder gerade im Normalen. Die Zahl
der Monozyten bleibt weit hinter den N a e g e 1 i sehen Werten zurück; ihre
Prozentzahlen und absoluten Zahlen steigen ebenso, wie die der Poly¬
nukleären, stufenweise an und erreichen beim Erwachsenen die höchsten
Werte, bei den Lymphozyten und Eosinophilen ist das Umgekehrte der
Fall. Die Oesamtdurchschnittszahlen der Weissen nehmen bei offenen, un¬
günstig verlaufenden Fällen stark zu. Die Lymphozyten nehmen bei un¬
günstigen Fällen z. T. sehr stark ab. Das Verhalten der Monozyten ist
vielfach dem der Polynukleären gleich, dem der Lymphozyten entgegen¬
gesetzt. Die Zahlen der Eosinophilen und Mastzeilen Hessen keine
Schlüsse zu.
Ernst O. Schmidt: Aneurysmaoperatlonen. (Aus der 1. chirurgischen
Abteilung [Prof. Sudeck] und der II. Chirurg. Abteilung [Oberarzt Dr. Oehl-
e c k e r] des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbeck).
36 operierte Aneurysmata mit 4 Misserfolgen, darunter 2 mal Blutung,
4 mal wurde die Naht ausgeführt, sonst lediglich die Ligatur. Einmal war
die Unterbindung eines kommunizierenden Aneurysmas der Arteria carotis
communis und der V. jugular. int. tödlich (Erweichungsherd), einmal die
Unterbindung der A. poplitea nach Exstirpation eines Aneurysmas von der
Gangrän des Fusses gefolgt. Der geringe Prozentsatz von 6 Proz. Miss¬
erfolgen bei der einfachen Unterbindung ist von den Mitteilungen anderer
Autoren recht verschieden; die rigoros geforderte Ablehnung der Unter¬
bindung besteht nach Ansicht des Verfassers nicht zu Recht. Im Uebrigen
wird die mehr oder weniger grosse Gefahr der Unterbindung beim Aneurysma
der Carotis interna und communis, der Subklavia zentral vom Skalenus, der
Axillaris (brachialis), der Iliada communis, externa, femoralis und poplitea
anerkannt und nach neuen Methoden mit besseren Resultaten gesucht. Als
solche kommen in Frage einmal die zentrale Ligatur am Orte der Wahl
(für die Therapie des Aneurysma zumeist ungeeignet) und ferner die Be¬
nutzung peripherer Arterienäste zu einem Uragehungs- oder Rückkreislauf.
Bei der Unmöglichkeit der Naht käme demnach in Frage: beim Aneurysma
der Carotis int. Endzuseitanastomose der Carotis externa oder eines Astes
' in die distale Carotis interna, beim Aneurysma der Carotis communis End¬
zuseitanastomose der Carotis externa in die Carotis communis (nicht interna!
Ref.!) beim Aneurysma der Subklavia Endzuseitanastomose der Transversa
Scapulae und colli in die Anonyma oder der Carotis externa in die distale
Subklavia, in ähnlicher Weise wäre bei der Iliaca communis die Femoralis,
bei der Poplitea die Tib. post, zu verwenden. (Die „Ultima refugio“ ist
wohl eine Frucht der Oberrealschule. Ref.)
A. Steiger: Vier Fälle von Leber- und Darmverletzungen. (Aus der
Chirurg. Abteilung des Elisabethkrankenhauses Essen-Ruhr [Dr. C r o c el.)
H. Flörcken -Frankfurt a. M.
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie einschliesslich
Balneolofde und Klimatologie. 1920. Heft 12.
Zöckendörfer - Marienbad: Ueber Gldubersalzquellen.
Die pharmakologische Wirkung der Glaubersalzquellen ist von ihrer
Konzentration abhängig: die abführende Wirkung kommt im allgemeinen erst
bei einer Konzentration von ca. 140 mg-Aequivalenten zustande, da bei einer
Konzentration von 150 mg-Aequivalenten die Glaubersalzquellen isotonisch
sind. Die niedriger konzentrierten wirken nur diuretisch. Der erfahrungs-
gemässen Indikationsstellung der Kurorte entspricht diese Scheidung voll¬
kommen.
P. S c h a n z - Dresden: Untersuchungen über den Gehalt des Lichtes an
Ultraviolett.
Untersuchungen an Pflanzen zeigten, dass das ultraviolette Licht die Ge¬
staltung der gesamten Vegetation beeinflusst, es wirkt retardierend auf das
Wachstum. Eine heilende Wirkung kommt vor allem den Strahlen von
A 400 A',“ — ^ 320 Länge zu, während die von weniger als A 320
destruktuierend wirken. ,Die ersteren ermöglichen es dem Körper durch
Zufuhr erhöhter Energie auch schwere Störungen zu überwinden. Weiterhin
beschreibt Verf. einen Apparat zur Messung des ultravioletten Lichtes und
geht ausführlich auf die Wirkungen der ultravioletten Strahlen auf das
Auge ein. Aus dem Studium der Lichtschädigungen werden wir weiteren
Einblick erlangen in die physiologischen Wirkungen des Lichtes.
L. Jacob- Bremen.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 6.
Kulenkampff: Die Bekämpfung schwerer Erregungszustände während
der Narkose durch Chloräthyl.
Verf. empfiehlt bei Erregungszuständen während der Narkose eine reich¬
liche Dosis Chloräthyl in sehr rascher Tropfenfolge zu geben. Wie mit einem
Schlage wird dann die Narkose tief und ruhig. Vorsicht ist aber am Platze;
Digitized by Goiisle
sobald die Erregung nachzulassen beginnt, muss die Chloräthylinhalation
sofort abgebrochen werden.
K. Scheele - Frankfurt a. M.: Beitrag -cur Diagnostik der Hernia
duodeno)e]unalls
Verf. stellt als diagnostisches Merkmal für die Hernia duodenoleiunaiis
eine bogenförmige untere Grenzlinie des hochstehenden Dünndarmschattens
fest, die sich röntgenologisch nachweisen lässt. Diese tritt dann in Er¬
scheinung, wenn die Dünndarmschlingcn das untere Ende des Bruchsackes
ausfüllen. (Mit 2 Skizzen.)
L. Drüner - Quierschied: Ueber einen Fall von Naht der rechten Carotis
communis und die zeitweilige Unterbtodung grosser Gelässstämme.
Verf. schildert einen Fall von Naht der rechten Carotis communis nach'
Abtragung eines Aneurysma arteriovenosum unter zeitweiligem Verschluss
der rechten Carot com. Nach 17 Stunden Exitus, bedingt durch eine Thrombo¬
sierung in der Carot. com., ausgehend von der Nahtstelle an der Gefässwand.
Dieser Fall zeigt, dass Thrombenentwicklung nach Wiedereröffnung einer
festen Fadenumschnürung sehr zu fürchten ist; zeitweilige Unterbindungen
dürfen daher nie mit Seide gemacht werden; grössere Qefässe sollen auch
nie direkt unter dem Abgang erheblicherer Seitenäste unterbunden werden.
Verf. glaubt als Ursache für die vor dem Tode auftretende Hemiplegie nicht
die Embolie sondern ungenügende Blutzufuhr bei freiem Blutweg ansehen
zu sollen.
Albr. W a g n e r - Magdeburg: Zur Frage der Osteochondritis delormans
coxae iuvenllis.
Verf. weist auf seine Arbeit in Bd. 18 H. 3 des Arch. f. orthopädische
u. Unfallchirurgie hin, in der er darlegt, dass es sich hier um das Bild
der osteomalakischen Rachitis handelt.
Joh. Volkmann - Halle: Die Behandlung chronischer Unterschenkelge¬
schwüre mit Nervendehnung.
Verf. empfiehlt für die Behandlung chronischer Unterschenkelgeschwüre
die Nervendehnung: er beschreibt kurz die Technik der Freilegung der in
Frage kommenden Nerven (N. saphenus, N. cutan. sur. medial, oder .lateral.
N. peroneus conim. oder superficial.), sodann die Technik der Dehnung
und die Nachbehandlung der Geschwüre, die ganz einfach nur mit Borzink¬
salbe erfolgt; der Erfolg beginnt schon am 3. Tage am Geschwür sich zu
zeigen, das reinen Geschwürsgrund zeigt und sich rasch überhäutet. Verfs.
Erfolge sind so günstig, dass eine weitere Nachprüfung sehr zu wünschen
wäre. E. H e i m - Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 6.
B. Liegner - Breslau: Die Bewertung der Rektaluntersnehung während
der Geburt.
Sehr schwer ist die Diagnose bei hochstehendem Kopfe, über den er¬
folgten oder nicht erfolgten Blasensprung, die Entscheidung, ob Steiss oder
Kopflage vorliegt. Mit diesen Einschränkungen ist die Rektaluntersuchung
aber recht leistungsfähig, besonders für denjenigen, der durch Uebung und
Erfahrung die vaginale Methode beherrscht.
H. Hinselmann - Bonn: Kapillarbeobachtung der Striae e gravldltate.
Die Beobachtung mit dem L e i t z sehen Hautkapillarmikroskop hat
allerlei interessante, in ihrer Deutung noch zweifelhafte Ergebnisse gebracht.
R. Costa- Novara: Partialsymphysiektomle (Exzlslou des oberen
Teiles der Schossfuge). Eine neue Operation für die Therapie des engen
Beckens mit bleibender Wirkung.
Die Operation ergibt eine Verlängerung der Conjugata vera urfi 23^ bis
3 cm. Sie ist leicht und unblutig und sogar noch während der Geburt aus¬
führbar, lässt keine Gchstörungen oder andere Unbequemlichkeiten nach und
hinterlässt ein Resultat, das auch für die folgenden (Jeburten bleibt.
W. B e n t h i n - Königsberg: Zwillingsschwangerschaft Im atretlschen
rudimentären Horn bei Uterus duplex.
Beschreibung des seltenen Falles.
O. B a t h c - Berlin-Neukölln: Eine seltene Indikation zur künstlichen
Unterbrechung der Schwangerschaft.
In dem beschrieberfen Falle von Myopia excessiva mit Netzhautblutungen
und Chorioiditis, kombiniert mit Gravidität, sind die durch die fünfte
Schwangerschaft hervorgerufenen krankhaften Veränderungen nach Unter¬
brechung der Schwangerschaft wieder verschwunden. Das Grundleiden, die
Myopie, konnte nicht gebessert werden. Werner- Hamburg.
Jahrbuch für Krnderhellkunde. Band 93. Heft 3.
A. N i e m a n n und Käthe F o t h: Für und wider die Buttermehlnahrung.
(Aus dem Säuglingsheim in Berlin-Halensee.)
Die Verfasser versuchen das Indikationsgebiet für die Buttermehlnahrung
fester zu umgrenzen. 1. Der grösste Wert dieser Nahrung besteht darin, dass
dieselbe für untergewichtige, tropholabile Säuglinge (die „Schwächlinge“) als
fettreiche konzentrierte prophylaktische Heilnahrung mit gutem Erfolg gegeben
werden kann, wodurch es gelingt, die künstliche Ernährung sehr wesentlich
zu verbessern. 2. Eine zweite wichtige Indikation für die Buttermehl¬
ernährung bilden die Fälle von konstitutioneller Irritabilität des Darmes,
die bei gewöhnlichen Milchverdünnungen dauernd zur Entleerung von
dünnen Stühlen neigen ( .chronische Dyspepsie“ mancher Autoren). Teils
noch bessere Erfolge erzielten die Verfasser mit einer Kombination der
Buttermehlnahrung mit Buttermilch, besonders bei ganz jungen Säuglingen.
(Vergleiche die Originalarbeit.)
J. C. Schippers: Bestlmmnns der Blutllpolde nach Bang. (Aus
dem Emma-Kinderkrankenhaus in Amsterdam.)
Aus den Untersuchungen geht hervor, dass der Gehalt an Neutralfett
bei Säuglingen, älteren und kranken Kindern, ziemlich gleich, jedoch ist der
Gehalt des Blutes an Neutralfett bei exsudativen Kindern um die
Hälfte kleiner als bei normalen. Der Cholesteringehalt ist bei allen unter¬
suchten Gruppen derselbe. Der Gehalt an Cholesterinester ist bei älteren
Kindern doppelt so gross wie bei kranken und exsudativen. Es scheint
der Estergehalt mit dem Alter zu wachsen. Zwischen Estergehalt des
Blutes und Widerstandskraft des Körpers scheint ein gewisses Abhängigkeits¬
verhältnis zu bestehen. Angaben über Verdauungslipämie.
Erich Schiff und Albrecht Peiper: Ueber den Einfluss von
Adrenalin und Pilocarpin auf den Kalkumsatz Im Säugllngsalter. (Aus der
Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Adrenalininjektionen vermehrten die Kalkabscheidungen und verschlech¬
terten die Resorption. Die Wirkungen von Pilokarpin auf den Kalkstoff-
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
284
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 9.
Wechsel waren nicht eindeutig. Jedenfalls zeigen die Versuche, wie innig
die Beziehungen zwischen Stoffwechsel und Nervensystem. Zudem ergibt
sich aus den mitgeteilten Versuchen, dass die Rachitis mit Nebennieren¬
substanz therapeutisch nicht zu beeinflussen ist.
Ferdinand S a c h s - Darmstadt: Untersuchungen über den Einfluss des
Ultraviolettlichtes auf latente Säuglingstetanie.
Der Autor fasst seine Untersuchungen, welche nicht zu unterschätzende
praktische therapeutische Bedeutung haben, wie folgt zusammen: „Unter¬
wirft man Kinder mit latenter Tetanie (mechanische und galvanische Ueber-
erregbarkeit) der Bestrahlung mit Ultraviolettlicht, so sieht man keine mani¬
festen Symptome auftreten. — Die Besonnung scheint daher an dem Früh¬
jahrsgipfel der Tetanie kaum beteiligt zu sein. Dagegen verschwinden
nach 10—20 Bestrahlungen die mechanische wie auch die galvanische Ueber-
erregbarkeit. Diese Wirkung der Ultraviolettstrahlen kann vielleicht erklärt
werden durch Einflüsse der photokatalytisch entstandenen Eiweissabbau¬
produkte auf die Drüsen mit innerer Sekretion. Bei schweren Fällen von
Kindertetanie dürfte die Bestrahlung mit „künstlicher Höhensonne" ein will¬
kommenes Unterstützungsmittel der übrigen therapeutischen Massnahmen
bilden."
Carl Vahlensieck: Ernährungserfolge Im zw.elten Lebenslahre bei
gesunden und kranken Kindern. (Aus dem Barmer Säuglingsheim. Dir. Arzt
Dr. Th. H 0 f f a,» Stadtkinderarzt.)
Die erzielten Erfolge müssen als sehr günstige bezeichnet werden und
sprechen für die Wahl der Ernährungsmethode, welche modernen pädiatrischen
Grundsätzen entspricht. Milch nur ausnahmsweise über % Liter pro die.
viel Vegetabilien, Obst, Breie, Gebäck. Die Zugabe von Eiern und Fleisch
scheint danach wirklich für diese Altersperiode überflüssig. Auch Rachitiker
und Tuberkulöse wurden erfolgreich mit diesen Kostformen ernährt unter
Vermeidung sog. ,,kräftiger Kost". Erwähnenswert erscheint die Beobach¬
tung, dass die Kinder des zweiten Lebensjahres besser gediehen und lebhafter
waren bei fünf Mahlzeiten als bei vier.
Sitzungsberichte. Literaturbericht von A. Niemann - Berlin.
O. Rommel- München.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 91. Band. 3. Heft.
1921.
Wilhelm K 1 e i n s o r g e n - Trier: Ueber den zeitlichen Ablauf der
Gruber-Widal sehen Reaktion, speziell über die Abgabe der Diagnose
nach 2—24 Stunden.
Aus den mitgeteilten Beobachtungen ergibt sich, dass es zweckmässig ist,
das Ergebnis der beim Typhus und Paratyphus auftretenden Agglutination
nicht schon nach 2 Stunden endgültig abzulesen, sondern unter Umständen
bis 24 Stunden zu warten, da z. B. beim Typhus in 50 Proz. der Fälle
und beim Paratyphus in 23 Proz. der Fälle die Agglutination noch nicht ab¬
geschlossen war. ln 80 Proz. der Fälle beim Typhus und in 67 Proz.
der Fälle beim Paratyphus konnte noch eine wesentliche Zunahme der
Agglutination konstatiert werden. Weitere Einzelheiten im Original.
O. K ü h n e - Berlin: Ueber den Bakterlengehait des Rückenmarkes der
Wutkaninchen und seine mögliche Bedeutung für die während der Schutz¬
impfung auftretenden Impfschädigungen.
Sowohl irn frischen wie im trockenen und glyzerinierten Rückenmark der
Passagetiere finden sich sehr häufig zahlreiche Mikroorganismen, darunter
Kokken. Sarzinen, Stäbchen, auch Streptokokken und Sporenträger. Als patho¬
gen wurden diese Bakterien jedoch nicht befunden. Immerhin dürften
Rötungen und Infiltrate an der Injektionsstelle auf sie zurückzufUhren sein.
Vielleicht machen sie auch das Passagevirus aggressiv.
Ernst Friedrich M ü 11 e r - Hamburg: Ueber bakteriologische Organ¬
befunde bei Grippe mit besonderer Berücksichtigung des Hirns und des
roten Knochenmarkes.
Von 242 in den Monaten Januar bis März 1920 gestorbenen Grippe¬
kranken wurden 102 Fälle bakteriologisch untersucht, und zwar das Herzblut,
Bronchialsekret, Lunge, Abstriche aus Nebenhöhlen. Milz. Leber. Hirn, Wir¬
belmark. sowie rotes und gelbes Mark eines Femur. Neben einer grösseren
Menge von Influenzabazillen in den Nebenhöhlen fanden sich in der über¬
wiegenden Zahl der Fälle Streptoc. lanceolatus, und zwar um so reiner, je
entfernter die Organe von den Atmungsorganeii lagen. Das traf auch für das
Gehirn, das Wirbel- und Femurmark zu. Dem Pfeiffer sehen Bazillus wird
eine grosse Bedeutung beigemessen.
Paul R ö r n s t e i n - Berlin: Ueber die Veränderung des Rezeptoren¬
apparats der Proteusbazillcn durch chemische und physikalische Einflüsse.
Die Versuche ergaben, dass die auf neutralem Agar gezüchteten Proteus¬
bazillen einen Rezeptorenapparat haben, der auch alle Teilrezeptoren der
«andern Modifikationen — der gekochten und der Karbolbazillen — umfasst.
Durch Agglutinations- und Absättigungsversuche lässt sich der Unterschied
zeigen, der zwischen der normalen Form und den beiden andern Formen,
aber auch innerhalb der Karbolform und der gekochten Form besteht. Es sind
1 graduelle Unterschiede, die sich aus der chemischen und physi¬
kalischen Veränderung der gekochten x-Formen, der Karbolbaktericn und
der Hungerformen (Erschöpfung) gegenüber den normalen x-Formen ergeben.
... Ba rdach-Düsseldorf: EH Jahre Diphtherie an der Infektions-
iklinlk der städtischen Krankenanstalten zu Düsseldorf.
Statistik über Morbidität und Mortalität.
. P>’|edr. Fried land-ILalle: Die neueren Anreicherungsverfahren für
den Tiiberkelbazillennachwels Im Sputum und Ihre Anwendung bei den Unter¬
suchungsämtern.
Die Untersuchungen erstreckten sich auf das Antiforminverfahren, der
Schulte sehen Modifikation, das Ditthorn-Schultz- und das
S c h m i t z - B r a u e r sehe Verfahren. Das Antiforminverfahren ist zu den
zuvenässigsten Methoden zu rechnen, es bedarf aber der genauen Befolgung
der Originalvorschrift.
Paul B ö r n s t e i n- Berlin: Beeinflussung der W e 11 - F e 11 x sehen Re¬
aktion durch verschiedene Chemikalien.
... nach, dass selbst sehr stark verdünnte Sublimatlösungen einen
störenden Einfluss auf die Proteusagglutination ausüben können. Ebenso be¬
einflusst Salzsäure noch bei Verdünnungen von 1:3000, auch Essigsäure ist
nicht unbedenklich. Im Gegensatz zu den Säuren ist Natronlauge bedeutungs¬
los. Aber Soda schädigt die Reaktion. Kontrolluntersuchungen mit dem
Bier scheu Diagnostikum ergaben, dass dasselbe als zuverlässig gelten kann,
wenn es auch einer lebenden Xi»-Kultur nicht gleichzustellen ist.
Bruno L a n g e - Berlin: Ueber den Einfluss bewegter Luft auf das ther-
nische Verhalten des Menschen.
Wolfgang M i c h a e 1 i s - Berlin: Der Einfluss des Nährbodens auf die
W e 11 - F e 11 X sehe Reaktion.
Züchtet man den Stamm Xi« auf zuckerfreiem Agar, so wird, der Stamm
von Kaninchenimmunserum nur bei grösserer Konzentration agglutiniert, auf
Treaubenzuckeragar steigt die Agglutination bis zur Spontanagglutinaüon.
Setzt man Nutrose zu diesem Agar, so wird diese Erhöhung des Agglutina¬
tionstiters zur Norm zurückgeführt. Milchzucker beeinflusst den Titer nicht.
W. B a u m g a r t e n - Berlin: Chemotherapeutische Versuche mit Akridin¬
präparaten an choicralnfizierten Meerschweinchen und Mäusen.
Diamino ikridinnitrat und Trypaflavin zeigten in kleinen Dosen bei Meer¬
schweinchen. die mit Cholera infiziert waren, bis Vi Stunde nach der Infektion
eine deutliche Heilwirkung. Bei Mäusen konnte die Beobachtung noch nach
% Stunde gemacht werden. Verf. sieht darin eine bakterizide Wirkung.
Sublimat und Karbol waren unwirksam. Der therapeutische Index von Nitrat
und Trypaflavin, d. h. das Verhältnis von Dosis maxima tolerata und der
kleinsten wirksamen Dosis beträgt bei Meerschw'einchen für Nitrat etwa Vio,
ist also günstig. Durch Kombination von Nitrat und Immunserum kann eine
Verstärkung der Heilwirkung erzielt werden. R. O. Neumann - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 8.
P. G. U n n a - Hamburg: Zur feineren Anatomie der Haut
Der Inhalt dieser 4 Vorlesungen nebst den dazugehörigen histologischen
Abbildungen erfordert Einsicht des Originals, ln Kürze entsprechen den
Furchen an der Hautoberfläche an der uns abgewendeten Oberfläche der
Kutis Partien mit strichförmigem Mangel der Papillen, anderseits sind die
Hautwülste zwischen den Furchen Ausdruck mächtiger Verdickung der
Stachelschicht.
O. Hauser: Herzmuskelerkrankungen Infolge von Pertussis.
Verf. beobachtete neuerdings bei einem 4 jähr. Kinde nach Pertussis
einen tödlichen Ausgang, wobei die Sektion ein hochgradig dilatiertes und
hypertrophisches Herz ergab. Klinisch hatten sich Anfälle von Ohnmacht
und Kollaps gezeigt.
Ad. Ohly-Kassel: Beitrag zur Aetiologle der rezidivierenden Nabel-
kollken bei älteren Kindern.
Auf Grund näher mitgeteilter 6 Fälle lässt sich fe^tstellen, dass wir es
bei obiger Krankheit mit einem Symptomenkomplex zu tun haben, der nicht
allein durch Hysterie, sondern auch durch eine Reihe anderer organischer
Krankheiten bedingt, sein kann, z, B. die chronische Appendizitis, verdickte
Mesenterialdrüsen chronische Magen-Dickdarmkatarrhe.
H. Hase- Berlin: Ein Fall von Myasthenia gravis als Beitrag zur Kon¬
stitutionspathologie.
In dem eingehend mitgeteilten Fall handelte es sich um einen typischen
Fall von myasthenischer Paralyse. In der Aszendenz fand sich mehrfach eine
pathologische Konstitution.
M. Berliner - Berlin: Ueber die bakterientötende Wirkung einiger
Metalltrypaflavinverblndungen.
Die Versuche ergaben eine ausgiebige bakterientötende Wirkung der
Präparate durch Wirkung bakterizider, weniger katalysatorischer Eigen¬
schaften.
O. Tiefenbrunner - München: Mitlgal. ein neues Mittel gegen
Skabies.
Mitigal ist eine organische S-Verbindung. Es bildet ein goldgelbes
Oel, das von eben so sicherer Wirkung ist, als die bisherigen Antlskabiosa.
Schädliche Nebenwirkungen traten nicht auf, ' Der Preis ist relativ billig,
die Beliandlungsweise einfach.
Erich H o f f m a n n - Bonn: Die Entwicklung der Röntgenbehandlung in
der Dermatologie. Vortrag.
Max L e V y-D o r n - Berlin: Ein Röntgeninstitut, einzig in seiner Art.
Es handelt sich in dem beschriebenen Institut um ein Staatsinstitut in
Petersburg, dessen oberste Leitung ein früherer Mitarbeiter von Röntgen
führt. Näheres im Original!
Haupt und P i n o f f - Görlitz: Der erweiterte Röntgen-Wertbelm.
Das Verfahren, das ein weiteres Angriffsfeld für die Röntgenenergie zum
Ziele hat. wird als ein ideales Verfahren beim Korpuskarzinom bezeichnet,
beim Kollumkarzinom im F3eginn der Entwicklung. Die schmerz- und blut¬
stillende Wirkun«^ ist imposant,
V. S c h i 11 i n g - Berlin: „Verschiebungsleukozytose", besser „Vertel-
lungsleukozytose".
Bemerkungen zu der Arbeit von S. Gräff. Nr. 4 der B.kl.W.
Orassmann - München.
Schweizerische medizinische Wochenschrift. 1920. Nr. 52 u. 53.
Nr. 52. J. Aebly: Mittlere Lebensdauer der ln der Schweiz, von 1911
bis 1915 an Carzinoma mammae Verstorbenen.
Bemerkungen zu der gleichnamigen Broschüre von Dr. F. L u k a e.
F. de Quervain: Bemerkungen zu obenstehendem Artikel von
Dr. J. A e b I y.
E. Frey-Bern: Weitere Beobachtungen über die mit Salvarsan be¬
handelten Luetiker der Universitätsklinik für Hautkrankheiten in Bern. Bei¬
trag zur Feststellung der fraglichen Abnahme des Heileflektes des Neosalvar-
sans im Laufe der Kriegslahrc und des besseren therapeutischen Resultates
bei Verwendung hoher Neosalvarsan-Gesamtdosen.
Schluss folgt.
E. Jost- Barmelweid: Die Behandlung der Frostbeulen mit QuecksUber-
Quarzllcht.
Sehr gute Erfolge auch bei ulzerösen Formen. Anfangs 5 Minuten Be¬
strahlungsdauer in 30—50 cm\ Abstand, bei jeder Sitzung 5 Minuten länger.
Nr. 53. W. R ü t i m e y e r - Basel: Glioma sarcomatodes des Rücken¬
marks mit difiuser Gliomatose der Leptomenlnx splnalis.
Ausführliche klinisclie und anatomische Beschreibung eines Falles und
eingehende Diskussion der bisher bekannten 15 Fälle der Literatur.
E. Frey-Bern: Weitere Beobachtungen über die mit Salvarsan be¬
handelten Luetiker etc. (Schluss.)
Bericht über ca. 560 Fälle. Abnahme der Erfolge in Bezug auf die
WaR. im Blute gegenüber den Altsalvarsanfällen. Verbesserung dieses Re¬
sultates im Primär- und Sekundärstadium durch Erhöhung der Dosis des
Neosalvarsans. Refraktäre Fälle des UL Stadiums konnten auch durch die
doppelte bis vierfache Dosis nicht umgestimmt werden. Die Gesamtzahl der
Rezidive wurde kleiner, Neurorezidive kamen nicht mehr vor, Neben¬
wirkungen wurden seltener. L. Jacob- Bremen.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. März 1921.
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
285
Oesterreichlscfae Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift
Nr. 5. O. Singer-Wien: Zur Pathogenese und Klinik des Duodenal¬
geschwüres. S. Bericht M.m.W. 1920 S. 1396.
R. M a r e s c h-Wien: Die Venenmuskulatur der menschlichen Neben¬
nieren and ihre funktionelle Bedeutung. S. Bericht M.m.W.1921' S. 193.
L. Rethi-Wien: Mandeloperationen bei Sepsis.
Bekannterweise sprechen verschiedene Umstände gegen die allzu liberale
Indikation der Tonsillektomie (u. a. besonders bei Sängern). R. begnügt
sich in neuerer Zeit bei septischen Allgemeinerscheinungen, mit kleineren
Eingriffen, meist Schlitzungen der Mandeln und kommt damit regelmässig
zum Ziel. Frische Entzündungen bilden eine Kontraindikation. Die Enuklea¬
tion der Mandel kommt in der Regel nur für maligne Neubildungen in Betracht.
H. Faschingbauer und H. Nothnagel - Wien: Zur Kenntnis des
K 0 r a n y I sehen Phänomens.
Die Verl kennzeichnen das K o r a n y i sehe Phänomen dahin, dass bei
gebeugter Stellung die obere Grenze tuberkulös erkrankter Lungenspitzen,
nicht, wie beim Gesunden, nach oben rückt, sondern unverändert bleibt.
In selteneren Fällen rückt sie scheinbar nach unten.
H. P I a n n e r - Wien: „Cehasol“ In der Dermatologie.
Das Cehasoi, ein reizloses Ichthyolpräparat eignet sich wegen seiner
sekretionsmindernden, gefässverengernden Wirkung gut zur Behandlung akuter
and chronischer Hautentzündungen.
Nr. 6. F. Eisler und J. Hass-Wien: Ein gehäuft auftretendes
typisches Krankheltsblld der Wirbelsäule (Wirbelmalazie).
Das meist im mittleren Alter bei beiden Geschlechtern vorkommende
Leiden äussert sich vor allem durch Schmerzen im Rücken und im Kreuz,
teilweise mit ischiadischen Ausstrahlungen, besonders beim Erheben aus
sitzender Stellung, aber auch im Liegen auftretend, zunehmende Abge-
schlagenheit. Zittern der Beine, Schlaflosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Bettlägerig-
keit; objektiv mässige Totalkyphose, wechselnde Druckempfindlichkeit,
mässige Bewegungsbehinderung der Wirbelsäule, Behinderung des Ganges.
Das Auffallendste ist das unverhältnismässige Schmerzgefühl. Die Diagnose
nimmt zunächst meist Rheumatismus. Neuralgie, Spondylitis an, sie wird
durch den Röntgennachweis von Form- und Strukturänderungen an den
Wirbelkörpern gesichert. Die Therapie. Phosphor, Quarzlampe, ev. ent¬
lastender Gipsverband, ist meist erfolgreich.
J. Pal-Wien: Hypertonie, Hypertension und Arteriosklerose.
Aus einem Fortbildungsvortrag.
O. S t ö r k - Wien: lieber Gefässpathologle.
Aus einem Fortbildungsvortrag.
K. Stejskal: lieber Intravenöse Therapie und Wirkung Intravenös
verabreichter hypertonischer Lösungen.
Grundsätzliche Bemerkungen. Als Kontraindikationen für die intravenösen
Zuckerinjektionen sind schwere zerebrale Arteriosklerose und schwere
Inanition mit Wasserverarmung zu bezeichnen.
A. Exner-Wien: Nachträgliche Mitteilung über Beeinflussung der
Narkose durch Zucker.
Ausser der Milderung der Schockwirkung und der Beruhigung des
Nervensystems sind günstig die verstärkte Morphiumwirkung und der ver¬
ringerte Verbrauch des Narkotikums. Aehnlich, wenn auch milder wie intra¬
venös, wirkt der Zucker auch als Klysma (SOproz. Lösung 50 g, 1—2 Stun¬
den vor der Operation).
M. Strassberg - Wien: Zur spezifischen Behandlung der tiefen
Trichophytie.
Ara meisten hat sich das Wiener Trichophytin und zwar gleich in konzen¬
trierter, von starker Lokal- und Allgemeinreaktion gefolgter Anwendung be¬
währt: an 2 symmetrischen Stellen der Rückenhaut je 0,2 ccm des konzen¬
trierten Präparates, hoch intrakutan. Epilation. Nach 3—4 Tagen erneute
Injektion; mehr als 4 Injektionen waren niemals erforderlich. Unterstützende
Lokalbehandlung mit Jod, H 2 Ö 2 . Wilkinson, Hohensonne usw. Bei Kerion
Celsi bewährt tägliche Aetzung mit Acid. carbol. liquefact und 10 proz.
Kupfersalbe (tägliche Entfernung des Aetzschorfes),
A. Kirch-Wien: Ueber Oligurie nach Tuberkulinlnjektlonen.'
Die Oligurie hat in manchen Fällen die Bedeutung des einzigen Symptoms
einer Herdreaktion; in einer Gruppe bedeutet sie eine Herdreaktion bei
Tuberkulose seröser Herde, in einem anderen Falle („kardiale“ Gruppe) war
sie von ernsteren Erscheinungen wie Atemnot, Oppression begleitet und
erweckte den Verdacht einer Myodereneratio cordis oder fibrösen Mediasti-
nitis-Pericarditis tuberculosa. Namentlich bei letzterer Gruppe spricht die
Oligurie für eine Ueberdosierung und fordert das Herabgehen mit der Dosis
oder die Einstellung der Tuberkulinbehandlung. Bei der kardialen Gruppe
hat sie im allgemeinen eine ungünstige prognostische Bedeutung.
M i 1 i c i c - Agram: Eine elastische Dlstraktionsbrücke.
M. erörtert die Verwendung seiner elastischen Distraktionsbrücke, auch
zur Nachbehandlung von Gelenksankylosierungen mit Bezug auf den Stolz-
schen Kontensionsapparat. B e r g e a t - München.
Im Druck erschienene InauKuraldissertationen.
Universität Leipzig.
Pickenwirth Siegfried: Ueber die Krankheiten der Zunge.
Hausdorff Hans: Ueber eine Missbildung durch amniotische Verwach¬
sungen und deren Entstehung.
Dietze Kurt: Ein Fall von Chininexanthem.
Kann Gustav: Die Therapie des Ulcus cruris mit Locopansalbe.
Roch Georg: Ueber Pagets Karzinom.
Wucherer Herbert: Ein Fall von Veronalvergiftung an der Grenze der
empirisch tödlichen Dosis mit Erhaltung des Lebens durch ärztliche
Kunstbilfe.
Wolf Johannes: Beitrag zur pathologischen Histologie der gonorrhoischen
Epididymitis.
Grassmück Johannes: Untersuchung eines Falles von akuter Poliomyelitis
bei einem Erwachsenen.
Wiede mann Kurt: Beiträge zur Statistik der Epididymitis gonorrhoica
auf Orund von 2195 Fällen der Leipziger Dermatologischen Klinik.
Uhlig Margarete: Ueber den Schneeberger Lungenkrebs.
Scheele Alexander: Ueber Spirochätenuntersuchungen nach Abheilung :
syphilitischer Erscheinungen in der Mundhöhle. I
Koenigsberger Otto: Ueber Morphinvergiftungen.
Tischendorf Rudolf: Die Beckenverhältnisse bei Doppelmissbildungen
der inneren weiblichen Genitalien.
Nadel Bernhard: Die Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten.
Lignitz Wilhelm: Ein Fall von Gravidität bei amyotrophischer Lateral¬
sklerose.
Hart ig Fritz: Beitrag zur Schriftblindheit unter Mitteilung von 3 Fällen.
O e k e n Wilhelm: Die Anwendung der Wärmestrahlen in der Ohrenheilkunde.
Schelchcr Raimund: Ueber Vergiftung durch Trinken chloroformhaltiger
Flüssigkeit.
Naundorf Friedrich: Zur Aszendenz und Deszendenz der Paralytiker.
Schön lein Fritz: Untersuchungen über den Wert und die Bedeutung der
heutigen Behandlungsmethoden der Pyorrhoea alveolaris.
Behrens Hans: Ueber einen Fall von Pseudopankreaszyste.
Hett Johannes: Die Nikotinwirkung am isolierten Froschherz.
Q r ö g e r Adolf: Zur Frage der Koliinfektion im Wochenbett bei kongenitaler
Rektovaginalfistel.
Benedict Karl Heinrich: Die Demonstratio anatomica corporis animalis
(H e n s c h e I) auf «Grund einer Nachprüfung des Breslauer handschrift¬
lichen Textes und eines Vergleiches mit einer Erfurter Handschrift neu
herausgegeben.
Haarmann Paul: Neuere Färbungsverfahren für Tuberkelbazillen.
Hilgendorf Walter: Zur klinischen Bedeutung der Gefässstreifen am
menschlichen Körper mit besonderer Berücksichtigung des Sahli sehen
Gefässkranzes.
Rossberg Paul Gerhard: Der Einfluss der Kriegshungerjahre 1917/19 auf
die Gewichte der Neugeborenen.
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Orde-ntliche Generalversammlung vom 23. Februar 1921.
Tagesordnung der wissenschaftlichen Sitzung:
Aussprache über den Vortrag des Herrn A. Bier: Hellentzfindung
und Heilfieber mit besonderer Berücksichtigung der Proteinkörperbehandlung.
Herr B e n d a gibt eine Darstellung der Weigert-Aschoff sehen
Entzündungslehre. Letztere ermöglicht keine strikte morphologische Ein¬
teilung, sie ist also im Wesentlichen teleofogisch. Die reparatorischen
Vorgänge sind von den entzündlichen abzugrenzen, entsprechend seinen Be¬
funden bei der produktiven Endarteriitis. Als rein formativer Reiz bleibt
nur der der Geschwulstbildung Die produktiven Vorgänge stehen in keiner
direkten Beziehung zu den exsudativen, sie sind daher keinfe Steigerung
der letzteren.
Die Zwangsläufigkeit der Reaktionen, wie sie Westenhöfer annimmt,
erlaubt nicht die Frage nach der Zweckmässigkeit. Die Phagozytose der
Tuberkelbazillen ist nicht zweckmässig, ebensowenig bei formativen Pro¬
zessen die Perikarditis, die Endarteriitis u. a
Herr B e r g e 1 betont, dass die Entzündungsform von der Entzündungs¬
ursache abhängt, der die Art der Entzündung angepasst ist. Die immuno-
biologische Analyse des Entzündungsprozesses ergibt eine Analyse der hier
bestehenden Arbeitsteilung. Darum kann die Proteinkörpertherapie nicht auf
alle Krankheitsprozesse heilend einwirken.
Herr Fritz Meyer gibt eine Stütze der Goldscheider sehen
Theorie der Reizkörpertherapie. Er hat sie bei Tuberkulose, chronischen Ge¬
lenkerkrankungen und bei chronisch verlaufenden Typhusfällen angewandt.
Bei 120 Tuberkulosefällen ergaben sich zwischen der Wirkung von Na.
nucleinicum und Tuberkulin nur in 8 Fällen Differenzen. In der Typhus¬
rekonvaleszenz sinken plötzlich nach intravenöser Injektion von Na. nucleini¬
cum die Agglutinine ab, um danach über den Ausgangspunkt zu steigen.
Ebenso bewirkt Na. nucleinicum bei sensibilisierten Tieren das Ausbleiben
des Anaphylaxietodes.
Herr Z i e m a n n hat bei perniziöser Anämie mit sog. „abgestimmten“
Blut erhebliche Erfolge erzielt; jedoch nicht dauernd und in allen Fällen.
Mit Caseosan sah er Erfolge (zusammen mit Chinin) in Fällen von chinin¬
resistenter Malaria. Jedoch sah er nach Caseosananwendung bisweilen
schwere Symptome eintreten, die von Zersetzung des Präparates herrühren.
Mit Collargol, das der Proteinkörpertherapie nahesteht, hat er günstige Be¬
einflussung des Maltafiebcrs erzielt. W.-E.
Verein fDr innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. Februar 1921.
Herr Richard Landsberger: Der Mechanismus des Zahndurchbruchs.
Demonstration zahlreicher histologischer Schnitte, welche zeigen, wie der
Milchzahn durch den Alveolarfortsatz des bleibenden Zahnes verdrängt wird.
Das Ziehen von Milchzähnen kann daher niemals Stellungsanomalien be¬
dingen.
Herr I. Pelser: Ueber obfektive Beurteilung des kindlichen Ernährungs¬
zustandes.
Sämtliche Methoden zur Beurteilung des Ernährungszustandes ergeben
keine präzisen Resultate. Am besten ist noch die zuerst von O e d e r ein¬
geführte Methode, die Dicke des Fettpolsters der Haut zu messen. Wichtig
ist hierbei, die Messinstrumente wegen der Fehlerquellen einheitlich zu ge¬
stalten. Sein Material bestand aus 50 Kindern einer Berliner Tuberkulose-
Fürsorgestelle, bei denen sich die Di(Ae der Bauchhaut unter dem Nabel
bei Knaben 2,5 (5). bei Mädchen von 6—14 Jahren 3,35 (5), 3,8 (7), 4,67 (11),
7,3 (13) cm ergab. Die entsprechenden Zahlen in Klammern sind diejenigen,
welche 1912 Neumann bei Berliner Kindern gefunden hatte.
Aussprache: Herren Berliner und Czerny.
Herr Maas: Zur Pathogenese der rachitischen Wachstumsstörung.
Vortr. bezieht die Wachstumsstörungen auf mechanische und nicht auf
organische Momente. Die Ursache ist der Kalkmangel, welcher die De¬
formitäten des Skelettes bedingt. Selbst Verdickungen und Auftreibungen
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
286
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. y.
sind keine Hypertrophien, sondern nur eine andere Anordnung der Knoohen-
bälkchen.
Aussprache: Herr Westenhoefer.
Sitzung vom 21. Februar 1921.
Leyden>Vorlesung: Herr Jacobäus - Stockholm (a. Q.): L'eber
Thorakoskopie.
Im Jahre 1914 hat Vortr. die Endoskopie des Bauchfells demonstriert,
mit der es gelingt, Zirrhosen, Tuberkulose und andere Krankheiten des
Bauches zu diagnostizieren und zwar ist die Anwendung dieser Laparoskopie
genannter Methode (im Anschluss an die am besten die Röntgenographie vor¬
genommen wird) jetzt möglich, ohne dass Aszites besteht. Auch die Thorako¬
skopie ist eine einfach anwendbare Methode, mit der es bei der sog.
idiopathischen Pleuritis meist gelingt, tuberkulöse Knötchen nachzuweisen.
Beim Pneumothorax kann man auf diese Weise leicht die Adhäsionen sehen,
welche gerade hier, wie sich aus einer Statistik der Saugmann sehen
Klinik ergibt, in sehr wesentlicher Weise das Resultat gefährden. Nach
dieser Statistik sind nach 3 und mehr Jahren nach der Pneumothoraxanlegung
beim Fehlen von Adhäsionen arbeitsfähig 23 = 70, Proz. und gestorben
11 = 23 Proz. Beim Vorhandensein lokaler Adhäsionen sind arbeitsfähig
14 — 33 Proz., gestorben 28 = 66 Proz. Die Verhältnisse bei unvoll¬
ständigem Pneumothorax mit ausgedehnten Verwachsungen liegen: arbeits¬
fähig 5 = 11,1 Proz.,, gestorben 39 = 86,7 Proz. Es lag nahe, unter
diesen Umständen an die Operation, die mit Hilfe des galvanischen Thermo¬
kauters vorgenommen wird, unter Kontrolle der Thorakoskopie zu denken.
Es sind jetzt etwa 100 Fälle operiert, davon 45 vom Vortragenden und 19
aus der Saugmann sehen Klinik. Die Operation ist leicht und erfolgreich
bei einzelnen Adhäsionen, besonders bei gutgelegenen und bietet grosse
Schwierigkeiten technischer Natur bei ausgedehnten Verwachsungen. Vor
allem muss man sich davor hüten, dass man Blutungen dadurch herbeiführt,
dass man mit zu heisser Schlinge kauterisiert.
Hautemphysem als Folge der Operation ist häufig noch ohne Belang,
pleuritische Exsudate zeigen folgende Statistik: 19 Fälle blieben ohne Exsudat,
geringfügiges zeigten 12, langdauernde Exsudate 3 Fälle. Empyeme wurden
im ganzen — ich glaube zusammen mit Saugmanns Fällen — 4 beob¬
achtet, durch Anreissen einer Kaverne odet bei der Lösung breitbasiger
Verwachsungen.
Der Vortr. gibt folgende Erfolgstatistik: Beim Sitz der Verwachsungen:
an der Spitze 2 gute Erfolge. 1 schlechten; lateral 23 gute Erfolge, 9 schlechte:
am Diaphragma 1 guter Erfolg. 2 schlechte.
Der Vortragende zeigt dann eine weitere Anwendung der Thorakoskopie,
durch welche es gelang, 4 Lungentumoren (Fibromyome) mit Erfolg zu
operieren. Indem man einen künstlichen Pneumothorax herstellt, gelingt es,
sich ein Urteil über den Zusammenhang des Tumors mit der Lunge zu
bilden, der durch die Röntgenographie dann noch kontrolliert wird. Maligne
Tumoren und* in einem Fall ein diagnostisch verkannter Lungensol^tärtuberkel
geben natürlich auch heute noch nicht die Möglichkeit einer erfolgreichen
Operation. Wolff-Eisner.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1806. ordentl. Sitzung Vom 6. September 1920, 7 Uhr abends,
in Dr. Senckenbergs Bibliothek.
Vorsitzender: Herr E m b d e n.
Schriftführer: Herr M e h 1 e r.
Herr H. B. Fischer; Pathologisch-anatomische Präparate.
Herr H. Grosser: Forschung und Praxis der Säugllngsernätirung.
Del' lebendige Zusammenhang von Theorie und Praxis in der Lehre
von der Säuglingsernährung ist im Laufe der vergangenen zw'ei Dezennien
nicht immer gewahrt worden, da die junge Wissenschaft sich zeitweilig zu
stark auf das Laboratoriumsexperiment stützte und die praktische Erfahrung
etwas von oben herab behandelt wurde. Theorien wurden als unurnstösslich
vertreten, dann wieder bekämpft, neue aufgestellt, wodurch die Aerzte in Ver¬
wirrung gerieten, zu einem fruchtlosen Skeptizismus neigten und das Stu¬
dium des Spezialfachs vermieden. Dies wurde ihnen nicht schwer gemacht,
da sich ja erst in allerjüngster Zeit die Kinderheilkunde ihren Platz im Hoch¬
schulunterricht zu erobern beginnt. Auch die Aufstellung verschiedener
Systeme der Lehre hat dieser selbst geschadet. Es ist zu begrüssen, dass
wir Jetzt einer einheitlichen Nomenklatur nahe zu sein scheinen; wodurch es
erst möglich wird, die Aerzte in diesem wichtigen Fache gründlich auszu¬
bilden. Die Lehre von den akzessorischen Nährstoffen hat auf die Forschung
befruchtend gewirkt, und es scheint, als ob wir von ihr gerade für die
Säuglingsernährung noch viel zu erwarten haben. Die Erfolge mit der
Czernjf-Kleinschmidt sehen Buttermehlschmelze sind wohl .luch in
diesem Sinne zu deuten, da der Butter nicht nur kalorische, sondern nach
den neuen englischen Untersuchungen auch wesentliche akzessorische Funk¬
tionen zukommen, ^n welcher Form die Butter zugesetzt wird, scheint gleich¬
gültig zu sein, da das Auslassen keine Rolle für die Bekömmlichkeit spielt.
Vortragender hat in der Privatpiaxis mit mit Butter angereicherter Nahrung
vorzügliche Erfolge gesehen. Er gab sie vor allen jungen schwächlichen
Säuglingen und Frühgeburten, wobei besonders die Kombination mit geringen
Mengen Frauenmilch günstig w?r. Auch zur Behebung des Gewichtsver¬
lustes nach schweren Dyspepsien — nach Heilung der Darmcrschcinungcn
durch Eiweissmilch — hat sich die Nahrung bewährt. Besonders auffallend
ist das Allgemeinverhalten der Kinder. Sie gleichen gesunden Brustkindern
mit ihrer rosigen Farbe und dem festen, niemals schwammigen Fett, das sich
an den physiologischen Prädilektionsstellen ansetzt. Auf Hauterkrankungen
wirkt die Nahrung günstig ein. Sic wurde monatelang, in einzelnen Fällen
während des ganzen ersten Jahres gegeben. Die Entwicklung der Musku¬
latur und der Knochen war gut, die statischen Funktionen normal. Kranio-
tabes wurde ebenso häufig beobachtet, wie sonst bei künstlich genährten
Kindern, dagegen niemals ausgesprdchene Rachitis an den Rippen oder den
Epiphysen. Die Beobachtungen lassen sich dahin zusammenfassen* dass die
mit Butterzusatz ernährten Kinder sich ebenso gleichmässig entwickelten
wie Brustkinder,
Schluss SVx Uhr.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 27. Oktober 1920.
V o 1 h a r d stellt einen Fall von vollständigem Herzblock vor, der infolge
Unterbrechung der Ueberleitung zwischen Vorkammer und Kammer im His-
schen Bündel eine Pulsverlangsamung auf etwa 30 Schläge darbietet. Seit¬
dem diese beständig geworden ist, hat der Kranke keine Schwindelanfällc
und Ohnmächten mehr. Das entspricht älteren Beobachtungen V o 1 h a r d s.
der etwa 20 Fälle dieser seltenen Erkrankung gesehen hat. Die nach
Adams-Stokes genannten Anfälle kommen infolge Hirnanämie während
des Herzstillstandes zustande, der beim Uebergang von gestörter zu aufge¬
hobener Ueberleitung eintritt, bis der selbständige Rhythmus der Kammer
die Kammerautomatie erweckt. (D. Arch. f. kl. Med, 97. 1909.) Die Un¬
abhängigkeit der Kammerschlagfolge von der der Vorkammer war an dem
auch im Stehen sichtbaren Venenpuls leicht zu erkennen.
V 0 e 1 c k e r stellt mehrere geheilte Fälle von Keilresektionen schwerer
Klump- und Plattfüsse vor.
W. Roux erinnert an das Brisement forcö Julius W o l f f s beim Klump-
fuss junger Menschen, deren Gelenkknorpel sich noch in Roux’ Periode 1,
der des ererbten selbständigen, d. h. afunktionellen Wachstums, befinden.
Die einzelnen Fussknochen nehmen hier nach gew'altsamer Herstellung und
künstlicher Fixierung der normalen äusseren Gestalt die normale Gestalt
wieder an. Nach Roux’ Theorie geschieht das dadurch, dass an
den abnormen, stark gedrückten Stellen das erwähnte Knorpelwachstum
gehemmt wird, und dass andererseits an den jetzt entlasteten Stellen
das selbständige Knorpelwachstum abnorm stark stattfindet. Beides
geschieht so lange, bis an allen Stellen einer Knorpelfläche der
Qelenkknorpel fast gleich stark gedrückt w'ird. Diese so vorgebildete, den
neuen Druckverhältnissen angepasste Knorpelgestalt jedes Skeletteiles wird
dann beständig durch endochondrale Knocbenbildung soweit in Knochen über¬
geführt, bis nur noch Gclenkknorpel von funktionell bedingter Dicke vor¬
handen ist. Damit ist Gleichgewicht zwischen Gestalt und Funktion des
Fusses geschaffen. (Roux’ gesammelte Abhandlungen über Entwicklungs¬
mechanik. 2. S. 48 und 1058, 1895.)
Voeicker berichtet ferner über die Technik der S t e 1 n a c h sehen
Unterbindung der Samengänge. In Lokalanästhesie wird das Bündel der
Samengänge zwischen Hoden und Nebenhoden unter sorgfältiger Schonung
der Blutgefässe unterbunden. Definitive Erfolge sind noch nicht zu be¬
richten. Patienten mit wirklichen Erkrankungen müssen abgelehnt werden,
so hat V. Fälle von Arteriosklerose, verstecktem Karzinom usw. zurück¬
gewiesen.
W. Roux bemerkt dazu, dass die Unterbindung zwischen Hoden und
Nebenhoden offenbar nicht das Wesentliche sei, sondern dass der gleiche-
Verjüngungserfolg auch durch Unterbindung der Ductus deferentes an jeder
beliebigen Stelle hervorgebracht wird. Die seit vielen Jahren beobachtete
Auffrischung des Menschen nach Verschluss der Ductus deferentes ist also
eine spezifische Wirkung dieses Verschlusses. Da durch diese aber keine
auffallende Verlängerung des Lebens bewirkt worden ist, so ist auch in
Zukunft eine Lebensverlängerung als Folge der Steinach sehen Operation
nicht zu erwarten. Indes wird erst in einer Reihe von Jahren ein sicheres
Urteil gewonnen werden können.
Voeicker zeigt ferner einen Fall von Abriss eines Ureters dicht an der
Niere durch Ueberfahrenwerden. Die Ansammlung einer grossen Urinmenge
neben der Niere hatte keine stürmischen Erscheinungen gemacht.
Als Duraersatz schlägt H a e r t e 1 unter Vorstellung eines Falles die
Tunica vaginalis propria des Patienten vor.
F 1 e 111 z glaubt, dass bisher ein Mittel, neue Verwachsungen des Hirns
zu vermeiden, nicht gefunden worden ist ^
Fernef spricht H a e r t e 1 über die verschiedenen Formen der Flnger-
elterungen und die bei der Behandlung zu verfolgenden Richtlinien.
Loe.ffler gibt eine neue extraartikuläre Operation für die habituelle
Schulterluxation, indem er ausserhalb des Gelenkes als Hemmungsband
Faszje am Tuberculum maius und Akromion anbringt (Zbl. f. Chir. 1920
H. 14). In 6 Fällen w'urde ein vorzügliches funktionelles Resultat erzielt.
Bei Patienten mit schwersten Abduktionskontrakturen der Beine infolge
L i 111 e scher Krankheit schlägt L o e f f 1 e r die doppelseitige intrapelvine
extraperitoneale Resektion des Nervus obturatorius vor.
Boennlnghaus berichtet über die Darstellung der menschlichen
Harnblase vor dem Röntgenschirm.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. November 1920,
Herr Slauck: Ueber Aphasie und Agrammatismus. (Demonstration.)
Herren A. Kossel und G. Glese: Ueber den Chloromfarbstoff. (Aus
dem Institut für Eiw'eissforschung, Stiftung Fritz Behringer, der Uni¬
versität Heidelberg.) -f
Der grüne Farbstoff des Chloroms, welcher zugleich der Farbstoff des
grünen Eiters ist und bisher seinem Wesen und seiner Herkunft nach völlig
unbekannt war, wird von den Verfassern als Ferrosulfid nachgewiesen. Die
Farbstoff bildende Substanz ist in siedendem Alkohol unlöslich, wird durch
Säuren schnell entfärbt und verschwindet langsam unter der Einwirkung
der Luft. Durch Schwefelammoniurn können die gebleichten Gcwebsteile,
auch nachdem sie mit Alkohol ausgekocht sind, wieder grün gemacht werden.
Alle diese Eigenschaften stimmen mit denen des Ferrosulnts, welches in
feuchtem Zustand an der Luft langsam in Sulfat übergeht, überein. Be¬
merkenswert ist auch der relativ hohe Eisengehalt, welcher von den Ver¬
fassern durch Vergleichung mit anderen Geweben festgestellt wurde. Die
Analysen der Verfasser ergeben folgende Zahlen:
Chloromgewebe
Eiter
Pankreas (Rind)
Thymus (Kalb)
Muskel (Rind)
0,062 Proz. Fe
0,031 „
0,021 ,.
0,014 .,
0,011 „ ,.
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRirT.
367
Hierdurch wird eine Analogie der Chloromatose und der Pseudomelanose
iestgestellt, die letztere wird durch die Bildung des schwarzen, erstere durch
die des grünen Schwefeleisens charakterisiert.
Aussprache: Herren Ernst, Moro, T e u t s c h 1 ä n d e r,
A. K 0 s s e 1.
Herr Freund: Heber die Beeinflussung pharmakologischer Reaktionen
durch Zerfallsprodukte.
Sitzung vom 16. November 1920.
Herr Holthusen berichtet auf Grund des Materials der Heidelberger
Medizinischen Klinik über die klinischen Beobachtungen während der dies¬
jährigen Enzephalitisepidemie. Die 46 stationären und 11 ambulant be¬
obachteten Fälle gehören bis auf 3 in eine epidemiologische Gruppe. Der
(jipfel der Epidemie war im März. Bei dem häufigen Beginn der Erkrankung
mit einem akuten Infekt wurden doch die Symptome der Grippe vermisst.
Auch wurde eine Grippeepidemie gleichzeitig nicht beobachtet. "Die Be¬
obachtungen sprechen gegen eine Zusammengehörigkeit beider Erkrankungen.
Das Symptoraenbild ist durch seine Vielgestaltigkeit charakteristisch, wobei
Lethargie und zentralmotorische Symptome im Vordergrund stehen. Die
'Sterbeziffer ist mit 8 Todes^llen unter 57 Erkrankten weniger hoch als bis¬
her meist angenommen, ofie Restitutio ad integrum konnte aber nur in
einem kleinen Bruchteil der Fälle beoachtet werden. Die charakteristischen
Restzustände, unter denen psychomotorische Hemmungen und Amyostasien
neben Schlafstörungen vor allem zü nennen sind, werden den Arzt voraus¬
sichtlich noch längere Zeit beschäftigen.
Herr Steiner: Heber Encephalitis letharglca. (Erscheint in der Zschr.
f. d. ges. Neurol. u. Psych.)
Herr Reichert: Heber Encephalitis letharglca. (Erscheint im Zbl. f.
Bakt. u. Parasitenk.)
Herr W. Gross: Heber Encephalitis letharglca.
Gross berichtet über den histologischen Befund von 10 < Fällen. Es
finden sich einmal eigentliche Herde in der nervösen Substanz, bestehend
aus Gliawucherung, Untergang von Nervenzellen mit und ohne Umklamme¬
rung durch wudiernde Glia und einzelnen Plasmazellen, dann adventitiellc
Infiltrate aus Lymphozyten, Plasmazellen und Histiozyten und endlich ver¬
schieden starke piale Infiltrate. Die Herde liegen im verlängerten Mark, de
Brückenhaube, der Regio subthalamica, dem Thalamus und dem Corpus
Striatum, spärlich auch in der Grosshirnrinde, dagegen nicht selten auch mehr
oder weniger weit im Rückenmark. Kokken fanden sich spwohl in den pialen,
wie in den adventitiellen Infiltraten, nicht aber in den eigentlichen Herden
der nervösen Substanz. Die lockere Gliawucherung der Herde und die
adventitiellen Infiltrate sind offenbar restlos rückbildungsfähig, es bleiben
dann nur kleine Gliaknötchen übrig, die meistens die Stellen bezeichnen,
wo Nervenzellen untergegangen sind. Man findet Fälle mit vorwiegender
Ansiedelung der Herde im verlängerten Mark oder im Rückenmark, und
andere, bei denen die Herde vorwiegend weiter frontal im Hirnstamm liegen.
Es kamen aber nie ganz reine Fälle der einen oder anderen Art zur Be¬
obachtung, so dass Enzephalitis mit ihren zahlreichen kleinen zerstreuten
Herden wenig geeignet erscheint, um Aufschluss zu erhalten über die Krank¬
heitserscheinungen, die nach Lokalisation von Herden in bestimmten Hirn-
teileH'-jzuStande kommen.
Aussprache: Herren Hirsch, Homburger, Moro, Wil-
manns, Gross, Grafe, Steiner.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Februar 1921.
Herr ZInimerinann: Ein Beitrag zur Behandlung der eitrigen Menin¬
gitis, Insbesondere der otogenen.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Wandlungen, die im Laufe der
Jahre unsere Auffassung von der Heilbarkeit der otogenen Meningitis durch¬
gemacht hat, werden in grossen Umrissen die uns zurzeit zur Verfügung
.stehenden modernen operativen und medikamentösen Meningitisbehandlungs¬
methoden skizziert. Der Vortragende zeigt, wie für die Art des operativen
Eingriffes am Schläfenbein »zwecks Ausräumung des primären Infektions¬
herdes ganz bestimmte Gesichtspunkte massgebend sind, die ihrerseits
wiederum normiert werden durch die besondere Form des Ueberleitungs-
w'eges, den der Infekt bei seinem Uebergang vom Mittelohr zum Schädel-
innern im Einzelfall beschritten hat. An Hand zahlreicher Diapositive wird
insbesondere auf die Bedeutung hingewiesen, die dabei den von Witt-
m a a c k, festgestellten Gefässanastomosen zwischen Duraperiost und Mittel-
ohrschleimhaut zukommt, und \4ie deren Persistenz von Störungen in der
Pneumatisation des Schläfenbeins abhängt.
Unter den medikamentösen Methoden erscheint neuerdings die intra¬
lumbale Behandlung mit den Morgenroth sehen Chininderivaten aussichts¬
reich. Besprechung der bisher in der Literatur niedergelegten Erfahrungen
über intraspinale Optochih-Eukupin- und Vuzinbehandlung der Meningitis und
Vorführung eines eigenen, geheilten, schweren F'alles diffuser eitriger otogener
Meningitis, der durch Kleinhirnabszess und eitrige Sinusthrombose kompliziert
und endolumbal vuziniert war. Gewisse Richtlinien für Dosierung und Technik
der intraspinalen Vuzinbehandlung lassen sich letzt schon aufstellen.
Diskussion: Herren Klingmüller, Konjetzny, Schitten-
helm, Käppis, Runge v. Stark, Bauereisen, Zimmermann.
Emmerich.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Nachtrag zur Sitzung vom 26. Juli 1920.
Herr Cords: Heber ansteckende Augenkrankhelten ln Köln. (Siehe
in Nr. 5 d. Wschr.)
Diskussion: Herr Pincus weist darauf hin. dass man das
epidemieartige Anschwellen der sonst in Köln nur sporadisch vorkommenden
Koch-Weeks-Konjunktivitis ziemlich genau vom 22. Juni ab datieren könne.
Seine Patienten seien in der weit überwiegenden Mehrzahl Knaben im schul¬
pflichtigen Alter; die Erkrankung befalle fast stets von vornherein beide Augen
oder wenigstens das zweite kurz nach dem ersten; ein Zusammenhang der
Infektion mit dem Besuche der Schwimmbäder scheine nicht vorzuliegen.
Ganz im Gegensätze dazu beobachte er aber seit Monaten eine erheblich
seltener auftretende Konjunktivitis, die nach dem Krankheitsbilde und nach
der Art ihres Auftretens der oft, besonders von Berlin aus, beschriebenen
sog, „Schwimmbadkonjunktivitis“ entspreche. Sie befalle fast ausschliesslich
männliche Patienten, mit Vorliebe Mitglieder von Schwimmvereinen, die sehr
oft und sehr lange im Bade blieben und viel unter Wasser schwämmen, und
halte sich keineswegs an das schulpflichtige Alter, in dem von P.s Kranken
nicht einmal die Hälfte standen. Die Erkrankung sei und bleibe in über der
Hälfte der Fälle einseitig und erinnere in ihrem klinischen Bilde ungemein
an schwere Trachome akutester Form. Der Verlauf sei zwar langwierig, aber
durchaus gutartig; nach einigen Wochen, manchmal aber erst nach einigen
Monaten, heile die Erkrankung folgenlos |us, anscheinend auch ohne Jede
Behandlung. _ - - ...iw-, infral
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 27. Juli 1920.
Vorsitzender: Herr B a h r d t. ^
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr Joetten: Beziehungen der Qonokokkenarten zur Schwere der
Infektion. (Originalmitteilung in Nr. 37 d. W.)
Herr Nussbaum stellt einen 591ährigen Patienten vor mit einem
linksseitigen, erworbenen, sog. falschen Zwerchfellbruch *).
Anamnestisch interessiert ein Trauma vor 2 Jahren: Fall auf die linke
Körperseite von einem Bahnsteig aus 2 m Höhe. Anfänglich geringe Er¬
scheinungen. Erst Januai 1920 heftige Schmerzattacken. Charakteristische
subjektive Symptome in der linken Brustgegend: Gefühl des Wundseins, Kälte¬
empfindung bei Wassergenuss. Oppressionserscheinungen. Objektive Sym¬
ptome: Tympanitische Zone links neben der Herzfigur, auskultatorisch
Gurren; Fehlen des L i 11 e n sehen Phänomens links. Die radiologischen
Ergebnisse schaffen vollkommene Klarheit über die vorliegende Erkrankung.
An Hand von 4 Radiogrammen beleuchtet Vortr. die Frage der röntgeno¬
logisch-diagnostischen Hilfsmittel. Frontale Aufnahme: Bogenlinie parallel
zum linken Herzkontur im linken unteren Lungenfeld. Aufnahme im schrägen
Durchmesser (sin. 40®): Ovale Figur mit zapfenförmiger Ausziehung zum
Zwerchfellkontur hin 3. Bild mit eingeführter Bleisonde; diese schlägt in
Zwerchfellhöhe schleifenförmig in das linke untere Lungenfeld um und taucht
dann erst in den Abdominalschatten. 4. Bild: Seitenaufnahme mit Kontrast¬
brei und COa-Aufblähung; 2 Flüssigkeitsspiegel, eih subphrenischer und ein
supraphrenischer. letzterer im Kreisgcbilde. In diesem Bilde Schnittstelle des
Zapfens mit dem Zwerchfellkontur (Bruchpforte) deutlich. Es fallen zugleich
kleinere Kreisfelder im bezeichneten Bezirk auf. Bei der Durchleuchtung zeigt
die Bogenlinie paradoxe respiratorische Verschieblichkeit, die Zwerchfell-
kontpren haben synchrone (links verzögerte) Bewegung, bemerkenswert ist
die wechselnde Gestaltsveränderung des Kreisgebildes bei normaler Lage des
Mittelschattens. Diagnose ist auf Hernia' diaphragmatica spuria sinistra mit
Durchtritt des Magenfundus und Kolonteilen (Netz?) zu stellen. Wegen der
Seltenheit der Diagnose, die intra vitam gestellt wurde, ist der Fall von
Interesse.
Herr Payr: Heber die Steinach sehe VeHfingungsoperatlon. (Ist in
Nr. 37, 1920 des Zbl. f. Chir. erschienen.)
Sitzung vom 2. November 1920.
Vorsitzender: Herr Marchand.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr O e 11 e r: Bericht über eine Typhnsepldemle.
An Hand einer grösseren, in sich geschlossenen Typhusepidemie
(49 Fälle), deren Entstehungszeit sich annähernd genau ermitteln lasst, weiueu
an zahlreichen Kurven und Schilderungen der verschiedenartigsten ?u-
standsbilder die Begriffe Inkubation, Prodrome, Haupterkrankung, Rezidiv und
Rekonvaleszenz erörtert, wobei gezeigt werden kann, dass diese Begriffe
nicht, wie oft angenommen, fest umschriebenen Stadien entsprechen, sondern
dass sie nur relativ sind, abhängig von der Individualität des einzelnen
Organismus. Im allgemeinen konnte beobachtet werden, dass Fälle mit
schwerem Verlauf eine relativ kurze Inkubation und Prodromalzeit haben,
während die leichteren Verlaufsarten und namentlich die atypischen Fälle im
allgemeinen längere Zeit dem Infekt Widerstand leisten, so dass eine schein¬
bare Verlängerung der Inkubation und des Prodromalstadiums resultiert.
Durch einzelne schon im fieberfreien Stadium beobachtete und genau durch¬
untersuchte Fälle kann aber gezeigt werden, dass der Typhusbeweis schon
in diesem Stadium durch eine stark schwankende Leukozytenkurve, nament¬
lich durch die Bakteriämie erbracht werden kann. (Weitere Ausführungen
als Originalmitteilung der M.m.W.)
Herr Dorner: 1. Vorstellung eines 33jährigen Zwerges von 1,46 m
Grösse, bei dem neben hyilophysär^m Zwergwuchs eine Perthes sehe Er¬
krankung beider Hüftgelenke bestand und sich in den letzten Jahren Zeichen
von Akromegalie entwickelt hatten. Bis zum 5. Lebensjahre war bei dem
erblich nicht belasteten, jetzt 36 jährigen Manne die körperliche Entwicklung
vollkommen normal gewesen, dann Zurückbleiben des Wachstums bei guter
Entwicklung der Intelligenz; keine Zeichen von Fettsucht oder Myxödem,
dagegen gute Ausbildung der Muskulatur und des Genitale. Kein Diabetes
mellitus oder insipidus. Blutzuckergehalt 0,1 Proz. In den letzten Jahren
erhebliche Zunahme des Kopfumfanges und Vergrösserung der Hände und
Füsse. Dazu trat Körperschwäche, besonders in den Unterschenkeln auf,
starke rheumatische Beschwerden, Blutandrang zum Kopfe, Flimmern vor
den Augen und Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr. Röntgenuntersuchung:
Erhaltensein der Epiphysenfuge am linken Unterschenkel, Lösung beider
Epiphysenfugen in den Hüftgelenken mit Verschiebungen des Halses nach
oben und pilzartigem Ueberstehen des Kopfes nach unten nach Art der
Perthesschen Kranjcheit; erhebliche Vergrösserung der Sella turcica.
Verdickung des Schädels, für Akromegalie typische Veränderungen an Händen
und Füssen. Ausserdem bestanden klinisch eine starke Hautfalte am Nacken,
weites Auseinanderstellen der Zähne im Unterkiefer, eine stark vergrösserte
Zunge, erhebliche Steigerung der Reflexe und Uebererregbarkeit der Muskeln
auf mechanische Reize, Herabsetzung der elektrischen Leitfähigkeit der Haut
*) Ausführliche Abhandlung erscheint in der Med. Klinik.
Digitized by
Gotigle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
288
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4 .
Nr. 9.
an den Händen und Füssen, starke Leukopenie mit einer L 3 miphozytose
von 39 Proz. ohne Eosinophilie, im übrigen normaler Hämoglobin- und
Erythrozytengehalt im Blut. Der Zwergwuchs wird für einen hypophysären
angesehen, wahrscheinlich infolge von Zystenbildung des vorderen Teiles
der Hypophyse. Die Akromegalie wird dann aufgefasst als hervorgerufen
durch sekundäre, adenomartige Wucherung der noch erhaltenen Drüsenzellen,
in Anlehnung an die bekannte Tatsache, dass sich z. B. aus einem Myxödem
ein Basedow entwickeln könnte. Das Auftreten der Perthes sehen Erkran¬
kung im Anschluss an hypophysären Zwergwuchs erweitert den schon be¬
kannten Zusammenhang jener mit innersekretorischen Störungen, z. B. Hypo¬
thyreoidismus, wie er von L ä w e n, Roth u. a. beschrieben ist.
Therapeutisch wurde dem +Patienten eine Behandlung mit Röntgen¬
strahlen vorgeschlagen.
2. Vorstellung von zwei Brüdern, die ins Krankenhaus mit blutendem
Ulcus ventriculi zu gleicher Zeit eingeliefert worden waren. Vortr. erörtert
im Anschluss an die beiden Fälle den Zusammenhang zwischen konstitutio¬
neller Anlage zum Ulcus ventriculi, der besonders durch die Arbeiten
von Bergmann und Rössle in den Vordergrund gerückt ist. Dis¬
harmonie im vegetativen Nervensystem in Form von den bekannten Stigmata
war bei beiden Brüdern vorhanden. Ausserdem spielen aber die Er¬
nährungsverhältnisse wohl unzweideutig auch eine Rolle, da ia den letzten
Jahren im Krankenhause viel mehr Magengeschwüre bei einer geringeren
Gesamtbelegzahl als im Frieden behandelt wurden und auch der Prozent¬
gehalt an schweren Blutungen von durchschnittlich 14 auf 25 in die Höhe
gegangen war. Besonders das ausserordentlich minderwertige Schwarzbrot
und der amerikanische Speck scheinen bei konstitutioneller Veranlagung ätio¬
logisch bei der Entstehung des Ulcus mitzuwirken.
Sitzung vom 16. November 1921.
Vorsitzender: Herr Marchand.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr Adler: Zur Physiologie und Pathologie des Blasenmechanismus.
Vortr. zeigte eine Anzahl Kurven den Blasendruckablauf betreffend vor
und erörterte die verschiedenen Kurven von Patienten mit normalem Blasen¬
mechanismus und von solchen, die an verschiedenen Krankheitszuständen,
wie Rückenmarksleiden, Meningitis, Tetanus, Eklampsie, Tabes, Prostata¬
hypertrophie und Blasenneurosen litten. Sodann werden die Druckkurven
an der Hand der Nervenversorgung der Blase besprochen, die der Vortr.
an dem Schema erläutert, das er in den Mitt. a. d. Qrenzgeb. f. Med. u.
Chir. 30., gebracht hat.
Es folgt die Auseinandersetzung über Blasenreflexe und über den Unter¬
schied zwischen Blasenstörungen bei suprakonalen und konalen Läsionen.
Die Theorie des Harndranges, die Vortr. entwickelt, gipfelt in dem Satz,
dass es Kontraktionen des Sphinkter externus sind, die sich dem inneren
Schliesser mitteilen und die den Harndrang hervorrufen, in dem sie den
sich anstemmenden Urin zurückhalten.
Die Bedeutung der subkortikajen Blasenzentren (Corpus Striatum, Tha¬
lamus) liegt in der Aufgabe, den intravesikalen Druck während der ganzen
Dauer der Entleerung auf der gleichen Höhe zu halten, damit der Sphinkter
so lange es notwendig ist, geöffnet bleibt und so die völlige Oeffnung
der Blase garantiert wird.
In der Hirnrinde gibt es vornehmlich 3 bzw. 4 Stellen, die der Blasen¬
tätigkeit vorstehen. Ref. legt diese klar an einer Reihe von Abbildungen,
die er in der D. Zschr. f. N. 63. H. 1 u. 2 gebracht hat.
Die Notwendigkeit der Existenz der Qrosshirnrinden-Blasenzentren (Qyr.
fornicat. — Harndrangzentrum. Lob. paracentr. — Entleerungszentrum; Qyr.
centr. ant. — Hemmungszentrum und eine allen diesen vorstehende Stelle
im Stirnhirn: Intentionszentrum) ergibt sich aus Reizversuchen in den Tier¬
experimenten (vergl. obengen. Arbeit, sowie die Darlegungen des Vortragen¬
den in N. C. 1919, Sept. und M. Kl. 1920 Nr. 7).
Aerztlicher Verein zu Marburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. November 1920.
Herr M o o g: lieber Kreislaufstörungen Im Anfangsstadlum der akuten
diffusen Glomerulonephritis.
Das bisher meist übliche Verfahren, den Blutdruck in Abständen von
mehreren Tage" oder höchstens täglich einmal zu messen, reicht nicht aus,
um ein vollständiges Bild von dem Ablauf der Blutdrucksteigerung zu ge¬
winnen. Es ist hierzu die Bestimmung des morgendlichen und abendlichen
Blutdruckes erforderlich, da erhebliche Tagesschwankungen Vorkommen, die
bis zu 50 mm Hg betragen können. Es werden Blutdruckkurven demon¬
striert, die auf diese Weise gewonnen wurden. Die Kurven zeigen grosse
Aehnlichkeit mit einer Fieberkurve, z. B. mit der Temperaturkurve eines
Typhus. Im allgemeinen ist der Blutdruck abends deutlich höher als am
Morgen, in einigen Fällen konnte das umgekehrte Verhalten beobachtet
werden.
Der Verlauf der Kurven scheint dafür zu sprechen, dass
1. die Blutdrucksteigerung bei der akuten Nephritis ebenso wie das
Fieber, eine im wesentlichen funktionelle Störung ist, also nicht direkt durch
pathologisch-anatomische Veränderungen bedingt wird,
2. die Ursache der Blutdrucksteigerung in einer Störung des zentralen
Regulationsmechanismus zu suchen ist.
Die Beobachtungen der Hautkapillaren nach E. W e i s s scheinen dafür
zu sprechen, dass bei der akuten Nephritis oberhalb des Stromgebietes
der Haargefässe ein passagerer, d. h. funktioneller Verschluss stattfindet.
Solange jedoch die Strömung bei Gesunden, bei denen auch ähnliche Ver¬
hältnisse, wenn auch nicht in so ausgesprochenem Masse, festgestellt werden
können, nicht genauer erforscht ist, muss man mit der Deutung der W e i s s -
sehen Befunde, die für eine Reihe von Fällen zutreffen, noch vorsichtig
sein. Eine Kapillaritis kann nicht bewiesen werden.
Der genaue und sichere Nachweis der Herzveränderungen bei akuter
Nephritis kann nur durch häufige orthodiagraphische Kontrollen erbracht
werden. Eine Beteiligung des Herzens im Anfangsstadium der Nephritis
bildet die Regel. Mit grösster Wahrscheinlichkeit ist die Veränderung des
Herzens im Anfangsstadium der Erkrankung durch eine Kombination von
Hydroperikard mit akuter Dilatation gekennzeichnet. Sie pflegt mit dem
Höhlenhydrops, dem Anasarka der Haut und den Stanungserschelnungen an
den inneren Organen sehr rasch wieder zurückzugehen. Die Hypertrophie
der linken Kammer wird erst nach Verlauf von mehreren Wochen nach-
. weisbar.
An der Hand von zahlreichen Orthodiagramraen werden die Herzver¬
änderungen nachgewiesen (siehe hierzu die Arbeit von A 1 w e n s und M o o g:
D. Arch. f. klin. Med. 133. 1920. H. 5 u. 6).
Sitzung vom 15. Dezember 1920.
Herr Qlese: Reflektorische Pnplllensiarre nach Encephalitis lethargica.
Kein Anhalt für Lues. Wassermann in Blut und Liquor negativ.
Herr Läwen: Demonstration chirurgischer Präparate.
1. Zwei Zähne mit anhängenden Zysten aus zwei rezldlvlerten Unter¬
kieferzysten (181ähr. Mann).
2. Hypernephrom einer SSIähr. Frau. Transperiton. Nephrektomie.
Beschwerden reichen 15 Jahre zurück.
3. Pagets Karzinom der Brustwarze und -drUse, seit 3 Jahren be¬
stehend.
4. Zwei Wurmfortsätze, am 3. Tage des appendizitischen Anfalles ent-,
fernt, mit vollkommener Ummäntelung durch das Netz.
5. Gallenblase mit einem Stein an der Kuppe In die freie Bauchhöhle
perforiert. Für schwere Zustände nach freier Perforation wird die Chole-
zystotomie ohne Annähung der Gallenblase an die Bauchwand empfohlen.
Bei der Ektomie kommt es zu Blutdrucksenkung durch Herabziehung der
Leber und Zug an der Leberpforte.
6. Fremdkörper durch Gastrotomle einem unter Verdacht eines schweren
Verbrechens stehenden Manne entfernt: 16 dicke Draht-, 4 Eisenstücke,
1 Nagel, 4 Blechstücke, ein ca. 15 cm langes Holzstück, 4 Glasscherben
und ein 15 cm langer Draht, der die Magenwand perforiert hatte und von
Netz umgeben in die Bauchhöhle ragte.
Alle Patienten geheilt oder in Heilung.
Herr Kehl: Demonstration von zwei Isoliert stlelgedrehten Tuben.
Der Vortrag wird in Bruns Beitr. ausführlich veröffentlicht.
Herr CI a n s s: Bericht über Untersuchungen betreffend Uebergang
pathogener Keime zwischen der Kreissenden, Wöchnerin und dem Neuge¬
borenen.
Erscheint in der Zschr, f. Qeburtsh.
Herr Harms:. Das Problem der Geschlechtsbestlmmung und die sogen.
Verjüngung (nach Untersuchungen an Meerschweinchen und Hunden) mit
Demonstrationen.
Wird später an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Februar 1921.
Herr Hofrat Prof. Dr. Walkhoff: Darstellung lelnster Strukturen
durch ultraviolettes Licht.
Der Vortr. zeigte eine Reihe Verbesserungen und neuer Einrichtungen,
die es auch dem Praktiker ermöglichen brauchbare Bilder zu erhalten. Eine
Menge neuer Strukturen wurde gezeigt besonders in der Schmelzsubstanz
und bei Bakterien.
Herr Prof. Dr. Marcus: Weitere Resultate und Demonstratlonmi an
Spermien, Blut, Muskel, Herz, Nerv usw.
Dieser Vertrag wollte im wesentlichen methodologisch wirken durcli
Vergleich mit gewöhnlicher Mikrophotographie. Als Vorteile der ultra¬
violetten Strahlen für die Mikrophotographie wurden folgend^ vier Punkte
zusammengefasst:
1. Grössere Auflösung: Zwei Punkte, die sonst zusammenfliessen, werden
als distinkte Gebilde erkannt, z. B. konnte am menschlichen Spermium eine
Becherhülse, Rand und Querreifen sowie ein Hals- und Kopffaden vom Mittel¬
stück zur Spitze des Kopfes demonstriert werden, Gebilde, die etwa ^fs u
dick sind, während sonst die untere Grenze der Sichtbarkeit ‘/s u beträgt.
2. Grössere Schärfe: Gebilde an der Grenze der Sichtbarkeit werden
auch bei monochromatischem Licht dicker als* sie wirklich sind (an den
Zwischenstreifen erläutert).
3. Gleichzeitig sieht man an Ultraphotogrammen, was sonst nur durch
verschiedene Methoden darstellbar ist.
4. Die ultravioletten Strahlen scheinen ähnlich wie die Röntgenstrahlen
ein Mass für die Dichte abzugeben.
Medizinisch-Naturwissenschaftircher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 12. Juli 1920.
Vorsitzender: Herr A. Mayer.
Schriftführer; Herr H a r t e r t.
Herr Stemmer: Ueber einen Splrocbätenfund im weiblichen Genital¬
kanal und seine klinische Bedeutung.
Bei einer von Lues und Gonokokken freien Patientin fanden sich in
Zervikalkanal, Scheide und Harnröhreneingang Spirochäten von drei ver¬
schiedenen Formen, die von den Mundhöhlenspirochäten derselben Patientin
nicht zu unterscheiden waren. Reinkultur gelang nicht, jedoch Mischkultur
ohne Schwierigkeit. Auf Grund des Randwulstes der oligodynamischen
Wirkungen wurde versucht, mit Arsenzusätzen in hohen Verdünnungen An¬
reicherung der Spirochäten durch auswählende Förderung ihres Wachstums
zu erzielen. Die Versuche haben noch kein eindeutiges Ergebnis gezeitigt und
werden fortgesetzt.
Klinisch handelte es sich um einen typischen Fall der sog. Tricho-
monadenkolpitis. Innerhalb der 3monatigen Beobachtungszeit waren Jedoch
Trichomonaden nur 6 Wochen lang nachweisbar, in schwankenden Mengen.
Die Spirochäten nahmen nach Aspiringaben wegen rheumatischer Beschwer¬
den ab, erholten sich wieder, und gingen auf neue Aspiringaben wieder zu¬
rück. Dieser offenbar zwangsläufige Zusammenhang ist theoretisch von Be¬
deutung, da er die Möglichkeit der Einwirkung auf vaginale Vorgänge durch
innere Behandlung nahelegt. Nach ihrem 2. Zurückgehen erholten sich die
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4. März 1021.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
289
Spirochäten nicht wieder zur anfänglichen Menge. Das klinische Bild war
bis dahin von den Schwankungen der Scheidenmikroben unbeeinflusst ge¬
blieben. Auf Bacillosanbehandlung befriedigende Besserung des klijjischen
Bildes, ohne wesentliche Veränderung des bakteriologischen Bildes.
Unbeschadet der tatsächlichen Einheitlichkeit des klinischen Bildes, das
Höhne unter dem Namen Trichomonaskolpitis zusammeiigefasst hat, kann
weder die Trichomonas, noch die Spirochäten, noch die Begleitflora als Er¬
reger der Kolpitis gelten. Diese ist vielmehr bedingt durch primäre Ver¬
änderungen der biologischen Verhältnisse der Vagina, welche ihrerseits im
einzelnen Fall auf konstitutionellen, konditionellen oder örtlichen Momenten
beruhen kann. Aehnliche Anschauungen werden von verschiedenen Autoren
in der Literatur, und von Prof. Aug. Mayer bei Betrachtung genitaler Ver¬
änderungen als Symptomen von Allgemeinkrankheiten seit Jahren in der
Vorlesung vertreten. (Vorzeigung von Präparaten und Kulturen.)
Diskussion; Herr A. Mayer.
Herr Pape: lieber halbseitige Röntgenkastratlon. (Erscheint ausführlich
in „Strahlentherapie" Bd. fl 1920.)
Diskussion: Herren A. Mayer und E. Vogt.
Herr E. Vogt: lieber die Kombination der operativen Therapie der
Geoitaltuberkulose mit der Röntgenbestrahlung. (Erscheint ausführlich in der
M.ni.W.)
Herr A. Mayer: lieber das Uteruskarzlnom und seine moderne Be¬
handlung. (Ausführlich erschienen in d. W. 1921, Nr. 6, S. 168.)
Diskussion; Herr Perthes und Herr A. Mayer.
Würzburger Aerzteabend.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung des Aerztlichen B e z i r k s v e r e i n s vom 1. Fe¬
bruar 1921.
Herr Gerhardt demonstriert:
a) Blutkrankheiten mit Milzvergrösserung.
1. Polyzythämie. 29 jähr. Frau, kam wegen Magenbeschwerden,
Schwindel und Blutandrang zum Kopf ins Spital. Blaurotes Gesicht, Milz
handbreit vor dem Rippenbogen, auffallend wenig verschieblich, oft druck¬
schmerzhaft (Perisplenitis), Hgb. 135, R. 8—10 000 000, W. 23,000. Herz
und Blutdruck o. B. Wassermann negativ. Unter täglichen Einspritzungen
von Phenylhydrazin (nach E p p i n g e r) R. bisher unverändert, Hgb. auf 120,
VV. auf 17 000 gesunken, subjektiv wesentliche Besserung.
2. Perniziöse Anämie. 45 jähr. Frau, seit % Jahre allgemeine Mattig¬
keit; Hgb. 35, R. 1,4 Mill., W. 5700, starke Poikilozytose. Nach 5 Wochen
As-Behandlung in der Klinik wesentliche Besserung, Hgb. stieg auf 60, R. auf
4,1 Mill. Nach 3 Monaten Rückfall, Hgb. wieder 40, R. 2 Mill., starke Poikilo¬
zytose, viel Tüpfelzellen; diesmal As ohne Erfolg. Milzexstirpation beab¬
sichtigt; Milz reicht bis zum Rippenbogen.
3. und 4. B a n 11 sehe Krankheit. 35 jähr. Mann, seit 6 Jahren 5 mal
schwere Magenblutungen, schon vor 4 Jahren sprach man von Leber- und
grosser Milzschwellung; dem Blutbrechen ging öfters wochenlang starke An¬
schwellung des Leibes voraus, die mit dem Blutbrechen wieder verschwand.
flWlz 3 Finger vor dem Rippenbogen, Leber wenig vergrössert, zweifelhafter
Aszites; Hgb. 66 Proz., R. 4 200 000, W. 2600.
25 jähr. Mann, seit 4 Jahren wechselnde Magenbeschwerden, seit 2 Jahren
4 mal reichliches Blutbrechen (2 —3 Liter), neuerdings bei Anstrengung
Dyspnoe und links Seitenstiche; vor 6 Wochen vorübergehende Anschwellung
des Leibes und der Knöchelgegend. Haut blass, Milz fast bis zur Mittel¬
linie, schmerzhaft. Leber .0". Hgb. 35 Proz., R. 4 300 000, W. 2100.
Bei beiden Fällen ist bemerkenswert das frühzeitige Auftreten der
schweren Magenblutungen. Mehr, als zur typischen B a n t i sehen Krankheit
stimmt dieses Verhalten zu dem kürzlich von E p p i n g e r beschriebenen
Bild der"» Milzvenenthrombose. Der erste Pat. ist beschwerdefrei, der zweite
dauernd matt. Falls Arsen und Milzbestrahlung keine Besserung bringen,
wird Milzexstirpation in Frage kommen.
b) Herzfäile.
1. Schwere Mitraliitsaffizienz mit sehr starken 'Oedemen, gegen alle
Digitalispräparate und Diuretika refraktär, durch Skarifikation nur vorüber¬
gehend gebessert. Nach Einspritzung von 1,1 Novasurol prompter
Anstieg der Diurese in den nächsten Stunden, Tagesmenge 3^ Liter
statt, wie sonst, K Liter. Aber am nächsten Tage wieder das frühere
Verhalten. Auch bei den folgenden Injektionen (alle 4 Tage) immer nur
Tageserfolg; die doppelte Dosis verursacht Unbehagen und Dyspnoe, ohne
stärker diuretisch zu wirken.
2. 68 jähr. Melker, kommt lediglich wegen Magenbeschwerden. Rat.
war vor 12 Jahren wegen Apoplexie mit rechter Hemiparese, vor 4 Jahren
wegen kruppöser Pneumonie in der Klinik; er hatte jedesmal typische
Arhythmie perpetua, dabei jetzt massige Vergrösserung des Herzens und
der Leber. Pat. ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Herz trotz jahre¬
langer Arhythmia perpetua durchaus leistungsfähig
bleiben kann.
Herr Rietschei: Zur Prophylaxe mit Masernrekonvalcszentenseruro
nach D e g k w 11 z.
Auf der Kinderabteilung der Würzburger Klinik wurde ein Masernfall
eingeschleppt und in zwei Zimmern wurde je ein Kind masernkrank. Daraufhin
wurden in dem einen Zimmer die drei nicht gemaserten Kinder mit je 10 ccm
defibrinierten Blutes eines Masernrekonvalcszenten gespritzt (3. Tag) und
blieben völlig frei von Masern. In einem anderen Zimmer wurden 3 un¬
gemaserte Kinder mit je 10 ccm defibrinierten Blutes eines Kindes gespritzt,
das vor 4 Jahren Masern hatte, und blieben ebenfalls frei. Die Masern¬
epidemie war damit erloschen. Die D e g k w i t z sehen Beobachtungen
konnten an dem kleinen Material völlig bestätigt werden. R. erörtert die
Frage, ob es technisch möglich ist, wie es Degkwitz fordert, dass in der
Praxis das Serum rekonvaleszenter Kinder zur Prophylaxe der kleineren
Kinder verwendet wird. Zweifellos ist die Degkwitz sehe Feststellung
ein Kolumbusei und theoretisch von grösster Tragweite. Praktisch werden
aber den prophylaktischen Impfungen mit menschlichem Rekonvaleszenten¬
serum grosse Schwierigkeiten entgegenstehen. R. schlägt nun vor, praktisch
so vorzugehen, dass man zur prophylaktischen Impfung das Blut der Mutter
benützt. Degkwitz hat ähnliche Versuche auch schon gemacht, aber
nicht die entscheidende Wirkung gesehen, muss aber immerhin zugeben, dass
ein Teil der Kinder masernfrei blieb, bei einem andern Teil der Kinder die
Masern leichter verliefen. Die prophylaktische Impfung durch das Blut der
Mutter wäre technisch leicht möglich, weil iede Mutter ohne Gefahr ihrem
eigenen Kinde Blut geben kann und auch geben wird. Wenn die prophylak¬
tische Impfung in der Praxis Erfolg haben soll, muss sie mit dem Blut der
Mutter erfolgen.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. Februar 1921.
Herr F. Schlemmer demonstriert mehrere Kranke, die wegen
tonsillogener septischer Erkrankungen tonsillektomlert wurden, und bespricht
die. Indikations^tellung für diese Operation, die nach der Meinung der meisten
Fachärzte lebensrettend zu wirken vermag.
Herr S. Fein demonstriert ein Instrument zur Spülung der Nasenhöhle
durch einen von hinten nach vorn laufenden Strom. Es werde durch die
Spülung von vorn nach hinten das Ohr gefährdet und das Sekret der Nase
nur ungenügend entfernt.
Herr L. B a 1 n e s: Das Leben und die Medizin bei den Daiakstämmen
Zentralborneos.
Vortr, hat gelegentlich eines mehr als 2 Jahre währenden Aufenthalts in
Zentralborneo viele Beobachtungen unter den Eingebornen machen können.
Sie bewohnen in Gruppen von 20—30 Familien Häuser, die Unterhäuptlingen
unterstehen. Sie stehen hinsichtlich ihrer Lebensauffassung auf der Stufe
des Animismus und fürchten durch Verletzung oder Ausserachtlassung der
zahlreichen religiösen Vorschriften die Geister zu erbosen. Sie beobachten
den Vogelflug und treiben Eingeweideschau, um Vorzeichen für die Zukunft
zu gewinnen. Zur Abwendung von Krankheiten opfern sie Tiere oder auch
nur Eier. Auf Uebertretungen der Gesetze sind auch die Erkrankungen
zurückzuführen. Aszites und Hämoptoe sind anrüchige Erkrankungen. Um
der Rache der Geister (Krankheit, Tod) zu entgehen, wird der Name ge¬
ändert; dann kann der Geist den Beleidiger nicht finden. Eine besondere
Rolle in der Medizin spielen die Bezoare. Eine Gruppe der Ursachen von
Erkrankungen sind Diätfehler. Als Heilmittel bei Magenerkrankungen dienen
z. B. getrocknete Insekten; Hirschfleisch ist verboten.
Vortr. berichtet über Apotropaia und Panaceen, zu denen z. B. Steine
aus den Speicheldrüsen giftiger Schlangen gehören, sowie getrocknete
Stachelschweinfäzes. Die Gallenblase gilt als Sitz des Verstandes. Vortr.
berichtet über die Verheerungen, welche die Malaria anrichtet, und Ober die
durch endemische Malaria hervorgerufenen Rassenveränderungen, über die
Framboesia tropica, über die auf Borneo häpfig vorkommende parasitäre
Hautkrankheit Finnia imbricata. Kretinismus ist sehr häufigj Epidemien sind
selten. K.
Kleine Mitteilungen. ^
Therapeutische Notizen.
Ein holländischer Arzt, Dr. E. v. D i e r e n in Amsterdam, übersendet
uns eine Arbeit, in der ein Mittel zur Bekämpfung der Maul- und
Klauenseuche empfehlen zu können glaubt, das ihm vor vielen Jahren
von einem holländischen Viehhändler mitgeteilt wurde und durch das der
Seuche zwar nicht vorgebeugt, aber ein viel milderer Verlauf erzielt werde.
Wird auf einem Bauernhof eines der Tiere von der Krankheit ergriffen,
so nehme man. ein Tuch und reibe damit das Maul des kranken Tieres
ab; dann trockne man dieses Tuch eine halbe Stunde lang am Ofen und
reibe dann mit dem eingetrockneten Schleim die Mäuler der übrigen Ticre.
Nach einiger Zeit entwickelt sich eine leichte Erkrankung, bei der die Tiere
nur wenig abmagern und auch die Milchabsonderung nur wenig vermindert
wird. Es handelt sich also um eine Impfung mit abgeschwächtem Virus,
die vielleicht durch Impfung in die Haut mit einet minimalen Quantität Mund¬
schleim oder mit dem Inhalt einer Mundblase eines erkrankten Tieres ersetzt
werden könnte. Die erste schon oft erprobte Methode wird am besten
so ausgeführt, dass man das infizierte, dünne, leinene oder baumwollene
Tuch mit der beschmutzten Seite nach oben eine halbe Stunde lang auf
einem Roste über einem gut brennenden Ofen liegen lässt.
Zur Behandlung der kleinen, im täglichen Leben so oft vorkommenden
oberflächlichen Schürfwunden eignet sich vorzüglich an Stelle
der teueren Jodtinktur Kal. permang. in 10 proz. Aufschwemmung, das sich
ja schon bei der Furunkelbehandlung bewährt hat (M.m.W. 1917 Nr. 48
und 1919 Nr. 39). Wenn die Lösung längere Zeit steht, muss sie vor
Gebrauch umgeschüttelt werden. Die genügend aufgetragene Lösung lässt
man eintrocknen, was bald geschehen ist, worauf die Wunde von einem
festsitzenden Schorf bedeckt ist, der auch beim Waschen standhält und erst
nach einiger Zeit sich löst. Das Aufträgen der Lösung verursacht ein
leichtes, rasch vorübergehendes Brennen. Das Mittel eignet sich als Haus¬
mittel, das unbedenklich einigermassen verständigen Leuten in die Hand
gegeben werden kann. Entstandene Flecken lassen sich durch eine schwache
Säure (z. B. Essigsäure) entfernen. Der trockene Schorf auf der Wunde
färbt nicht mehr ab. Dr. Hochstetter - Ulm.
Der Liquor cerebrospinalis bei der Kohlenoxyd¬
vergiftung ist nach den Untersuchungen von L e g r y und L e r m o y e z
von besonderer Bedeutung insoferne, als sie ergaben, dass die schweren
Formen dieser Vergiftung weniger auf diese selbst als auf einen kongestiven
und hämorrhagisenen Prozess der Hirnhäute zurückzuführen sind. Der Gehalt
des Liquor cerebrospinalis — durch Lumbalpunktion gewonnen und zentri¬
fugiert — an Blutkörperchen, veränderten und normalen, vielkernigen und
einkernigen Leukozyten entspricht der mehr weniger zentralen Lokalisation
der anatomischen Störungen der Hirn-Rückenmarkshäute. Bei einem Indi¬
viduum, wo man Verdacht auf Vergiftung mit Kohlenoxydgas hat, aber noch
genügend Zeit zu Erholung, unterstützt oder nicht durch Sauerstoffinhalationen,
war, kann es, besonders in gerichtsärztlicher Beziehung, von grosser Wich¬
tigkeit sein, festz'ustellen, ob es wirklich sich um eine Vergiftung handelt.
Wenn die meningeale Blutung eine abundante ist und man frühzeitig eingreift,
so kann die Lumbalpunktion und der Befund des dabei gewonnenen Liquor
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
290
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 0.
cerebrospinalis und darin enthaltenen Blutes entscheidende Richtlinien für die
Diagnose geben, die ohne diese Spezialuntersuchung unmöglich oder zum
Mindeste^y hypothetisch geblieben wäre. (Presse mödicale 1920 Nr. 83.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 2. März 1921.
— In Berlin hat sich nach dem Kriege in erheblichem Umfange die
Gepflogenheit eingebürgert, dass die in öffentlichen und privaten Kranken¬
häusern angestellten Assistenzärzte ausserhalb ihres Krankenhauses
Privatpraxis ausüben. Diese für die praktischen Aerzte nicht un¬
wichtige Frage ist Gegenstand einer Aussprache in der Gross-Berliner Ver¬
tragskommission gewesen, an der u. a. Vertreter des Verbandes leitender
Krankenhausärzte und der angestellten Aerzte teilnahmen. Die Vertreter
der Chefärzte sprachen sich dabei mit Entschiedenheit dahin aus, dass das
private Praktizieren der Assistenzärzte durchaus zu missbilligen sei; es sei
auch in den Anstellungsverträgen meist ausdrücklich untersagt. Es beein¬
trächtige den geregelten Anstaltsbetrieb, .sei unvereinbar mit den über¬
nommenen Pflichten und bilde eine unbillige Konkurrenz gegenüber der prakti¬
zierenden Aerzteschaft. Es werde überdies zu einer Verringerung der
Assistenzarztstellen führen, wenn die Krankenhausleitungen sähen, dass die
Assistenzärzte nicht voll beschäftigt seien. Die Vertreter der angestellten
Aerzte führten als mildernde Umstände ins Feld die ungenügende Bezahlung
der Assistenzärzte, die teilweise schlechter gestellt seien als andere gleich¬
altrige und nicht akademisch vorgebildete Anstaltsangestellte. und die
starke Verschiebung des Lebensalters der heutigen -Assistenten nach oben.
In der weiteren Besprechung wurde festgestellt, dass den Assistenzärzten
das Existenzminimum gesichert sei; mehr sei nicht nötig, da die Assistenten¬
zeit nicht zum Geldverdienen, sondern zum Lernen bestimmt sei. Die
Standesvertretung bemühe sich, dieses Existenzminimum überall durchzu¬
setzen. Darüber hinauszugehen sei verfehlt, sonst würde das Ideal, durch
entsprechende Vermehrung der Stellen allen angehenden Aerzten die Möglich¬
keit einer Assistententätigkeit zu verschaffen, verschüttet. (B. Ae.-Korr.) .
— Der Ausschuss des Deutschen Reichstags für Bevölkerungspolitik
fordert in einem Antrag die möglichst schnelle Vorlage eines Gesetzes zur
Bekämpfung der Trunksucht und ferner die Schliessung der im Deutschen
Reiche noch bestehenden Bordelle sowie Beseitigung der Kasernierung.
— Man schreibt uns: In letzter Zeit macht sich in Chile auf verschie¬
denen Gebieten eine Bewegung bemerkbar, welche den ausgesprochenen
Zweck hat, den Wettbewerb Fremder möglichst auszuschalten. Diese Er¬
scheinung zeigt sich besonders auf dem Gebiete des ärztlichen Berufes. Es
besteht zwar schon seit längerer Zeit ein Gesetz, welches die Ausübung ärzt¬
licher Praxis in Chile von der Absolvierung des chilenischen Staatsexamens
abhängig macht. Bisher war je tnch in dieser Hinsicht sehr milde verfahren
worden und das Praktizieren fremder Aerzte wurde in zahlreichen Fällen still¬
schweigend geduldet. Es blieb einem englischen Arzte, der kürzlich nach
Valparaiso über.sicdelte, Vorbehalten, die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese
Zustände zu lenken, indem er den Chefarzt des dortigen englischen Hospitals
denunzierte, dass er den ärztlichen Beruf ausübe, ohne das chilenische Staats¬
examen abgelegt zu haben. Dieser Angriff veranlasste verschiedene andere
englische Aerzte sich mit dem angegriffenen Kollegen solidarisch zu erklären
und aus der dortigen medizinischen Gesellschaft auszutreten. Hierdurch wurde
der Skandal immer grösser und die Presse beschäftigte sich lebhaft mit
der Angelegenheit. Der medizinischen Gesellschaft blieb unter diesen Um¬
ständen nichts anderes übrig, als die gesamte Frage aufzurollen und in eine
Prüfung der Patente aller fremden Aerzte einzutreten. Hierdurch wurden
u. a. die drei am deutschen Hospital in Valparaiso unter der Oberleitung des
Chefarztes Dr. Münnich arbeitenden deutschen Aerzte betroffen; sie haben
bisher kein chilenisches Staatsexamen abgelegt und sind daher dem General¬
direktor des Gesundheitswesens wegen „ejercicio ilegal de la profesion
mödica“ angezeigt worden. Mit ähnlicher Schärfe wie gegen die Aerzte wird
neuerdings auch gegen fremde Zahnärzte vorgegangen; ein deutscher Zahn¬
arzt, der in Valparaiso eine gute und aussichtsreiche Praxis hatte, ist eines
der ersten Opfer. Er hat Valparaiso bereits verlassen.
— Auf eine Anfrage in der französischen Abgeordnetenkammer," ob die
Steuerbehörde von einem Arzt die Vorlage seiner Bücher verlangen
könne, aus denen die Namen der Kranken und die Art ihrer Krankheit er¬
sichtlich sei, womit also eine Verletzung des ärztlichen Berufsgeheim¬
nisses verbunden sei. wurde von Regierungsseite die Auskunft erteilt:
Der Arzt ist zur Vorlage der Bücher verpflichtet. Er macht sich dadurch
keiner strafbaren Verletzung des Berufsgeheimnisses schuldig, da er damit
nur eine gesetzliche Vorschrift erfüllt und überdies die Steuerbeamten
selbst der Schweigepflicht unterliegen.
— Zum Gedächtnis des 50. Todestages Albrecht v. G r a e f e s veran¬
staltete die Berliner Augenärztlicbe Gesellschaft eine Feier im Virchow-
Langenbeckhause. Julius H i r s c h b e r g, der letzte noch lebende Schüler
G r a e f e s, hielt die Gedächtnisrede.
— Die K. Belgische Akademie der Medizin hat einen Preis von
2000 Franken ausgesetzt für die beste experimentelle Arbeit über den Ein¬
fluss der endokrinen Drüsen auf die Erscheinungen der
Immunität. Schluss der Bewerbung 15. Juli 1922.
— Die Ententeteilnehmer an dem 2. internationalen Kongress
für vergleichende Pathologie, der im April d. J. in Rom statt¬
finden sollte, hatten verlangt, dass die deutschen Teilnehmer vorher schrift¬
lich Deutschlands Schuld am Kriege eingestehen sollten. Das vorbereitende
Komitee (gez. Prof. E. P e r r o n c i t o) hat daraufhin ein Schreiben an die
betreffenden Ententemitglieder gerichtet, in dem es sein Bedauern ausspricht,
dass man selbst auf dem Felde der Wissenschaft noch weit davon entfernt
sei, diejenigen herzlichen Beziehungen (entente cordiale) hergestellt zu haben,
die für den erspriesslichen Verlauf eines internationalen Kongresses uner¬
lässlich seien. Da unter diesen Umständen die Abhaltung des Kongresses im
April unmöglich sei, das Komitee aber anderseits entschlossen sei, seine Be¬
mühungen um Wiederanknüpfung der wissenschaftlichen Beziehungen ohne
jede Ausnahme fertzusetzen, so habe es beschlossen, den Kongress auf einen
späteren Zeitpunkt, den es bald festsetzen zu können hofft, zu verlegen.
— Der Verein für innere Medizin und die Berliner Uro-
logische Gesellschaft werden am 7. und 8. März 1921 im grossen
Saal des Langenbeck-Virchow-Hauses, Lnisenstr. 58/59, eine gemeinschaft¬
liche Sitzung abhalten mit der Tagesordnung: Die funktionelle Nieren¬
diagnostik. Berichterstatter die Herren: P. F. R i c h t e r - Berlin, L. C a s p e t -
Berlin, Voelcker - Halle. Zur Besprechung sind eine grössere Zahl be¬
kannter Kliniker und Urologen, auch von auswärts, vorgemerkt. Den Vorsitz
führen die Heren Kraus und P o s n e r.
— Die 9. ord. Mitgliederversammlung des Bayer. Landesver¬
bandes zur Bekämpfung der Tuberkulose findet am 13. März
vorm. 9 Uhr im Hörsaal der 1. med. Klinik in München statt.
— Der nächste Aerztekurs der Staatsanstalt für Kranken¬
gymnastik und Massage in Dresden findet von 4.—30. April
statt. (Siehe die Anzeige.)
— Die sozialhygienischen Kurse des ärztlichen Bezirks¬
vereins Nürnberg (vergl. Nr. 6 S. 194) finden vom 7. (nicht 6.) März bis
12. März 1921 statt.
— In Baltimore erschien das erste Heft einer neuen dem Qesamtgebiet
der Hygiene gewidmeten Zeitschrift: The American Journal of
Hygiene. Sie wird herausgegeben von William H. Welch, dem be¬
kannten Hygieniker der Johns Hopkins-Universität, und ist ausschliesslich für
die Veröffentlichung originaler Untersuchungen bestimmt. Der Preis des
Jahrgangs, der 6 Hefte umfasst, ist 6 Dollars für Amerika, 6,50 Dollars für
das Ausland.
— Pest. China. Laut Mitteilung vom 7; Februar ist in de^ Mandschurei
die Beulenpest ausgebrochen, ln Chailar wurden mehrere Erkrankungen fest-
gestellt.
— Cholera. Litauen. In Kowno wurden zufolge Mitteilung vom
8. Februar 8 Neuerkrankungen und 2 Todesfälle festgestellt. — Polen. Laut
Mitteilung vom 5. Februar herrscht in Skalmierzize (Kreis Ostrowo, frühere
preussischc Provinz Posen) Cholera. ,
— In der 6. Jahreswoche, vom 6. bis 12. Februar 1921, hatterf von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Augsburg
mit 19,8, die geringste Neukölln mit 6,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. Vöff. R.-Q.-A.
Hochschul nachrichten.
Bonn. In der med. Fakultät habilitierte sich Dr. Emil Z u r h e 11 e,
erster Assistent an der Hautklinik, für das Fach der Dermatologie, Seine
Antrittsvorlesung handelte über: Einige Beziehungen der dermatologischen
Forschung zur Gesamtmedizin.
Erlangen. Der Assistent am pathologischen Institut Dr. Max Busch
wurde als Privatdozent für allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie
in die medizinische Fakultät der Universität Erlangen aufgenommen. —
Vom Staatsministcrium für Unterricht und Kultus wurde der ordentliche Pro¬
fessor für Geburtshilfe und Gynäkologie und Vorstand der Frauenklinik und
Direktor der Hebammenschule in Erlangen, Geh. Hofrat Dr. Ludwig S e i t z,
vom 1. April lfd. Js. an wegen Annahme eines Rufes an die Universität
Frankfurt a. M. auf Ansuchen aus dem bayerischen Staatsdienst unter An¬
erkennung seiner vorzüglichen Dienstleistung entlassen.
Frankfurt a. M. Dr. Bruno Valentin, Assistent der ortho¬
pädischen Universitätsklinik, hat sich für Chirurgie habilitiert. Thema der
Antrittsvorlesung: Die Beziehungen der Orthopädie zu ihren Grenzgebieten.
F r e i b u r g i. B. a. o. Professor der Zoologie Dr. Bai ‘ z e r (ein
Schüler B o v e r i s) wurde als Ordinarius nach Bern berufen.
Halle a. S. Der Privatdozent für Augenheilkunde Dr. Leonhard
K 0 e p p e hat von der medizinischen Fakultät der Universität Mad id sowie
der „Spanischen Gesellschaft zur Erweiterung der Studien“ die offiz Ile Auf¬
forderung erhalten, in den spanischen Universitäten Kurse und Vor esungen
über die „Mikroskopie des lebenden Auges" sowie seine dazugehörir m For¬
schungsmethoden abzuhalten. Dr. K o c p p e wird der Aufforderun*^ Folge
leisten und Ende März auf zwei Monate nach Spanien gehen.
Rostock. In der med. Fakultät habilitierte sich der Oberar/ der
derraatol. Univ.-Klinik Dr. Felke mit einer Probevorlesung: Biologischer
Krankheitsnachweis aus dem Blutserum.
Tübingen. Der Privatdozent Dr. Eugen W e i s s ist zum R^ieri^ngs-
Medizinalrat beim Versorgungsamt Heilbronn ernannt worden. — Dr. W i ^ s -
m a n n hat sich für Augenheilkunde habilitiert.
Todesfälle.
In Augsburg starb der Augenarzt Hofrat Dr. Emst M a y r im 56. Lebens¬
jahre. Er war langjähriger Vorsitzender der schwäbischen Aerztekammvr
und Vorsitzender des Aerztlichen Bezirksvereins Augsburg.
Am 24. d. M. starb im Alter von 61 Jahren der Ordinarius für Hals- unc
Nasenheilkunde an der Berliner Universität Geh. Med.-Rat Dr. Qusta\
K i 11 i a n, ein Schüler von A. Hartmann und Krause. Lange Jahre
leitete K i 11 i a ri die Klinik und Poliklinik für Hals- und Nasenkranke in Frei¬
burg i. B. Seit 1911 war er Bernhard F r ä e n k e l s Nachfolger in Berlin, (hk.)
Amtsärztlicher Dienst.
(Bayern.)
Die Bezirksarztstelle in Schrobenhausen ist erledigt. Bewerbungen sind
bei der Regierung, Kammer des Innern, des Wohnorts bis 10. März 1921 ein-
zureiejhen.
Korrespondenz.
Abgabe von Masernschutzserum nach D e g k w 11 z.
(Vergleiche den Aufsatz von M. Pfaundler in dieser Nummer S. 277.)
Von der Universitäts-Kinderklinik in München kann eine beschränkte
Menge dieses Serums an Aerzte in der Stadt abgegeben werden zur Vor¬
beugung gegen den Ausbruch der Masern bei besonders gefährdeten Kindern,
die einer Ansteckung ausgesetzt waren. Die Abgabe erfolgt unter der Be¬
dingung, dass innerhalb der ersten 6 Tage nach der mutmasslichen Ansteckung
injiziert und dass über das Ergebnis der Injektion ein kurzes Formblatt aus-
gefüllt werde. Das Serum ist in Fläschchen enthalten, die je e i n e Schutz¬
einheit enthalten. Ein Betrag von 10 Mark pro Schutzcinheit dient zur
Deckung der Selbstkosten. Eine Abgabe nach auswärts ist leider bis auf
weiteres und namentlich mit Rücksicht auf die gegenwärtig sehr geringe
Frequenz der Masernabteilung untunlich. Antragstellende Aerzte wenden
sich durch die Pförtnerschwester an den Dienstarzt (T. 55 621).
Die Direktion der Universitäts-Kinderklinik.
Verleg voa J. r. Lehmioa ta Minchoi S.W. I, Paul Heytcttr. M. — Dnick v<m E. Maiiltlulcr*t Bach- nad Kuaitdmckerci A.O.. Münch«.
Digitized b]
Goi-igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
piris der einzelnen Nummer 2.— * Bezugspreis in DeutschUna
... und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Anzeisen*cbtum Immer 5 ArbelteUige vor Erach^neti.
MÜNCHENER
Ingen sind —-
für die SchflWeituM: Amulfstr.26 (Sprechstunden 8^-1 Uhrt,
ffir Bomg, Anxeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 10. 11. März 1921.
Schriftleitung: Dr. B, Spate, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmaim, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag beWUt lidi das Recht der VervielflUtigmig und Verbrdtnng der in dieser Zdtschritt zum Abdruck gelangenden Originaibeiträge ror.
Originalien.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik München.
(Direktor: Qeh. Hof rat Prof. F. Sauerbruch.)
Die praktische Ausnützung der Streustrahlung
in der Tiefentherapie.
(Der Strahlensammlen)
Von H. Chaoul, Oberarzt des Röntgeninstituts.
Röntgen hatte schon bei der Entdeckung der Röntgenstrahlen die
Beobachtung gemacht, dass Substanzen, die von Röntgenstrahlen ge¬
troffen werden, neue sekundäre Röntgenstrahlen aussenden.
Diese Tatsache fand eine Bestätigung durch die Untersuchungen von
Perrin, Sagnac, 'Fownsendu. a.
Den weiteren Untersuchungen von Barkla, Barkla und Sad¬
le r, Crowter. Owen, Hüll und Rice, Dorn, und besonders den
neueren grundlegenden Arbeiten von G1 o c k e r und Friedrich ver¬
danken wir eine genauere Kenntnis der sekundären Röntgenstrahlen.
Wir wissen heute, dass alle Stoffe, die von Röntgenstrahlen ge¬
troffen werden, sekundäre Röntgenstrahlen aussenden. Wir wissen fer¬
ner. dass diese Strahlen sich aus grundverschiedenen Komponenten zu¬
sammensetzen, die zu ihrer Einteilung in verschiedene Klassen geführt
haben.
Zwei Formen, charakteristische Sekundärstrahlung und sekundäre
Elektronenstrahlung, können für diese Arbeit ausser Betracht bleiben.
Dagegen spielt eine dritte Kategorie .von sekundären Strahlen, nämlich
die S t r e u s t r a h 1 u n g, für die Praxis der Röntgentherapie eine be¬
sondere, erst in letzter Zeit richtig gewürdigte Rolle.
Das Studium ihrer Eigenschaften hat in letzter Zeit zu richtigeren
Anschauungen über die Strahlenverhältnisse in der Tiefe des Qew'ebes
geführt und neue Wege der Bestrahlungstechnik eröffnet.
Die Streustrahlung entsteht durch diffuse Zerstreuung eines Teiles
der primären Röntgenstrahlen in dem getroffenen Körper. Man muss
sich diesen Vorgang folgendermassen vorstellen: Wird ein Körper von
Röntgenstrahlen getroffen, so pflanzt sich ein Teil der Strahlung gerad¬
linig in der Einfallsrichtung fort. Ein anderer Teil dagegen wird aus
seiner ursprünglichen Richtung nach allen Seiten abgelenkt. Dieses
Phänomen lässt sich sehr gut mit der diffusen Zerstreuung des sicht¬
baren Lichtes in einem Milchglas vergleichen.
Da die Streustrahlen demnach nichts anderes sind als abgelenkte
primäre Röntgenstrahlen, so besitzen sie im Gegensatz zu den anderen
Arten von sekundären Strahlen die gleiche Wellenlänge bzw.
Härte wie die primären Röntgenstrahlen.
Ueberlegen wir uns, was geschieht, wenn eine homogene Röntgen¬
strahlung perkutan einen in einer bestimmten Tiefe eines Körpers ge¬
legenen Raumteil treffen soll. Noch vor kurzem wurde allgemein die
in der Tiefe vorhandene Strahlenenergie aus dem Quadratgesetz und
der Absorption berechnet. Friedrich konnte als erster zeigen, dass
das nicht angängig ist. Abgesehen von dem Verlust nach dem Quadrat-
gesetz erfahren nämlich die Röntgenstrahien bei ihrem Eindringen in
dem Körper eine doppelte Abschwächung: Ein Teil von ihnen wird in
den Schichten des Körpers absorbiert (Absorptionsabschwächung). ein
anderer wird zerstreut (Zerstreuungsabschwächung). Die Einführung der
Bezeichnung Abschwächungskoöffizient für die Summe der Absorptions¬
und Zerstreuungskoeffizienten durch Glöckner hat also ihre volle
Berechtigung. Die durch Zerstreuung eingetretene Abschwächung der
Strahlenintensität, in einem bestimmten Punkt, bleibt nicht in ihrer
ganzen Grösse erhalten, da dieser Punkt wiederum diffuse abgelenkte
Strahlen aus der Umgebung erhält. Die aus ihrer Richtung abgelenkte
gestreute Röntgenstrahlung geht nämlich nur bei Betrachtung eines ganz
dünnen Strahlenbündels vollständig verloren. Bei Verwendung eines
grösseren oder grossen Strahlenkegels dagegen wird der erwähnte
Strahlenverlust durch „Zusatzstreustrahlung“ aus der Umgebung des
betrachteten Raumteiles mehr oder weniger paralysiert. Der Betrag der
Zusatzstreustrahlen kann sogar unter gewissen Bedingungen so be¬
deutend werden, dass er nicht nur die Streuabschwächung kompensiert,
sondern sogar die Intensität der direkten Strahlen übertrifft
Durch dahingehende Untersuchungen konnte Friedrich die in
der Tiefe vorhandene Intensität der sekundären und primären Strahlen
im Verhältnis zur Gesamtstrahlung bestimmen. Er fand, dass bei einer
Oberflächengrösse von 15 X 15 cm in 8 cm Wassertiefe die Sekundär¬
strahlung bei einer durch 3 mm Aluminium gefilterten Röntgenstrahlung
Nr. 10.
75 Proz. der Gesamtstrahlung beträgt diei primäre dagegen 25 Proz
Bei einer durch 10 mm Aluminium gefilterten Strahlung betrug sie
83 Proz. und die primäre 28,5 Proz. Wurde 1 mm Kupfer als Filter
verwendet, dann betrugen die entsprechenden Werte 823 Proz. für die
Sekundärstrahlung und 31,5 Proz. für die primäre.
Es kann also die Streustrahlung In der Tiefe unter besonders gün¬
stigen Verhältnissen ein Vielfaches der durch Absorption und qua¬
dratische Abnahme abgeschwächten primären Strahlenintensität betragen.
Hieraus geht hervor, welche Wichtigkeit der Streustrahlung in der
Röntgentiefentheräpie zukommt. Unser Bestreben ist ia in der Tiefen¬
therapie, die Tiefendosis, die durch Absorption und quadratische Ab¬
nahme stanc verkleinert wiri möglichst zu steigern.
Dazu bieten uns die’Streustrahlen bei richtiger Ausnützung ein Mittel
von eminenter Bedeutung.
Die hierdurch geschaffenen Verhältnisse sind aber in der Praxis
äusserst komplizierter Natur, Eine Berechnung der Tiefendosis aus der
Absorption und dem quadratischen Abstand ist, wie bereits erwähnt,
irrtümlich. Auch bei Berücksichtigung des Streufaktors stösst die Be¬
stimmung der Tiefendosis auf rechnerischem Wege auf fast unüberwind¬
liche Schwierigkeiten. Für praktische Zwecke kommt Jedenfalls diese
Berechnung nicht In Frage. Erst die direkte Messung Im Körper oder
unter gleichen Bestrahlungsbedingungen am Wasserphantom kann zum
Ziele führen.
Der Grund für diese Schwierigkeiten liegt darin, dass eine grosse
Anzahl von Bedingungen für die Grösse der Streustrahlungsdosis von
Einfluss ist Die Streustrahlenintensität ist je nach der Härte der ver¬
wendeten primären Röntgenstrahlen, nach der Tiefe des Eindringens
der Strahlen ins Gewebe, nach der Grösse des verwendeten Strahlen¬
kegels bzw. des Einfallsfeldes verschieden.
Dass der Härtegrad der angewendeten primären Strahlung einen
grossen Einnuss auf die Strahlenintensität in der Tiefe des Gewebes hat,
geht aus folgenden einfachen Ueberlegungen hervor:
1. Härtere Strahlen werden weniger durch Absorption abgeschwächt
als weiche. Sie dringen also tiefer imd in grösserer Menge in das Ge¬
webe ein. Der grösseren Menge von primärer Strahlung in einer be¬
stimmten Tiefe entspricht daim eine grössere Streustrahlungsintensität
an dieser Stelle.
2. Wissen wir, dass die Streustrahlen die gleiche Härte wie die
primären Röntgenstrahlen besitzen. Daraus folgt, dass bei harten pri¬
mären Strahlen die Streustiahlen einen grösseren Wirkungsbereich haben
werden, wie bei weichen, die vom Gewebe In höherem Masse absorbiert
werden. Ein betrachtetes Raumteilchen wird daher noch aus grösserer
Entfernung und damit mehr Streustrahlen erhalten.
Die Intensität der Streustrahlen im Verhältnis zur Intensität der
primären Röntgenstrahlen wird also unter sonst gleichen Umständen bei
härteren eine dementsprechend grössere sein wie bei weicheren.
Bis zu einer bestimmten, von der Strahlenhärte und der Dicke des
bestrahlten Körpers abhängigen Tiefe nimmt weiter die .Streustrahlen¬
intensität im Verhältnis zur Intensität der primären Strahlung wie aus
der Berechnung von Glöckner hervorgeht, zu.
Diese Tatsache lässt sich durch folgende Gründe erklären: Mit Zu¬
nahme der durchstrahlten Schicht nimmt in einem bestimmten Punkte
die primäre Röntgenstrahlung durch Absorption und Dispersion immer
mehr ab, während die Streustrahlungsintensität dadurch verstärkt wird,
dass mit Zunahme der über dem betrachteten Punkt gelegenen Schicht
die Streustrahlung zunimmt. Diese spielt schon deshalb eine wesentliche
Rolle, weil gerade in der Einfallsrichtung der primären Röntgenstrahien
die grösste Ausbeute an Streustrahlen vorhanden ist.
Den weitaus grössten Einfluss aber auf die Streustrahlenintensität
in einer bestimmten Tiefe hat zweifellos die Grösse des einfallenden
Strahlenkegels. Es Ist leicht begreiflich, dass je mehr Strahlen einen
Körper treffen und je grösser das streuende Volumen desselben ist, nm
I so mehr Strahlen auch zerstreut werden. Bei einem Strahlenkegel c d
I (Fig. 1) wird z. B. die einfallende Strahlenmenge viel geringer sein wie
bei einem SttahJenkegel ab. Ausserdem ist das streuende Volumen
edef, auch kleiner wie abgk. Die Folge davon wird sein, dass ein
Punkt P, z. B. im zweiten Falle von viel mehr Streustrahlen getroffen
wird als im ersten angenommem
Ueber den Einfluss der Feldgrösse auf die Erhöhung der Sekundär¬
strahlen wurde schon 1913 von Ch. Möller und Janus berichtet
Aber erst durch die systematischen Untersuchungen von Friedrich
wqrde die Bedeutung der Feldgrösse ffir die Tiefendosis in ihrem ganzen
Ui^ange erkannt und zahlenmässig festgestellt
Es zeigte sich, dass mit Zunahme der Feldgrösse die in der Mitte
des Feldes gemessene Strahlenintensität zunimmt, und zwar in der Tiefe
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
292
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10,
noch viel mehr als an der Oberfläche. Friedrich stellte weiter fest,
dass die Zunahme der Intensität in der Mitte des Feldes sich nicht be¬
liebig mit der Vergrössefung desselben steigern lässt. Er fand, dass die
Vergrösserung des Feldes über 20 X 20 cm keine Besserung der Ver¬
hältnisse mehr,mit sich bringt. Die Erklärung hierfür wäre darin zu
suchen, dass bei einem grösseren Emfallsfeld die sekundären Strahlen,
die vom getroffenen Volumen in den peripheren Abschnitten ausgehen,
durch Absorption so stark abgeschwächt werden, dass sie die Mitte
des Feldes nicht mehr erreichen können.
Bei einer Versuchsanordnung, wie die Fig. 2 sie zeigt, würden z, B.
die durch die Strahlung des Kegels Abb' entstandenen Streustrahlen
(Sb) noch in praktisch erheblicher Menge den Punkt P treffen, während
die übrigen, von den peripheren Teilen ausgesendeten Streustrahlen (Sc)
unterwegs praktisch.absorbiert werden, daher den Punkt P nicht mehr
treffen.
Diese Feldgrösse von 20 X 20 cm dürfte aber, unseres Erachtens,
nicht als absolute Grenze zu betrachten sein. Denn es ist wohl sicher,
dass bei Anwendung noch härterer Strahlen, bei denen die Absorption
eine geringere wird, auch der Wirkungsbereich der sekundären Strahlen
ein dementsprechend grösserer sein muss.
Eigene Untersuchungen zeigten uns, dass bei den uns heute zur
Verfügung stehenden harten Strahlen die Grenze der optimalen Feld¬
grösse 20X20 cm, sicher schon überschritten ist. Bei weiterer Ver¬
grösserung des Feldes ist es, wenn auch nicht in beträchtlichem Masse,
doch noch möglich, die Streustrahlenintensität zu erhöhen.
Der Strahlensammler.
Die Tatsache, dass ein von Röntgenstrahlcn ge¬
troffener Körper nach allen Seiten hin Streustrahlcn
aussendet, führte uns zu der Idee, die unäusj^enützte,
ausserhalb des eigentlichen Bestrahlungsfeldes
fällende Röntgenstrahlung durch Zwischenschal¬
tung zerstreuender Massen, teilweise auf das Be¬
strahlungsfeld zurückzuienken und damit eine Er-
höhungderStrahlenintensitätzuerreichen. Es handelt
sich dabei um diejenige Strahlung, welche bisher vom Röhrenschutzkasten
bzw. durch Abblendung zurückgehalten werden musste.
Die von uns zu diesem Zwecke
verwendete Anordnung, die wir in
Nr. 30 d. M.m.W. schon beschrieben
haben und hier in Kürze wieder¬
geben, war folgende:
Es seien (Fig; 3) R eine Rönt¬
genröhre, BB' die Blendenöffnung.
RS die aus der Röhre ausgehenden
Röntgenstrahlen. FF' das Bestrah¬
lungsfeld. Das Bestrahlungsfeld F.F
wird nur von einem Strahlenbündel
a 2 L getroffen. Die Strahlen, die sich
im Kegelmantel a b a' b' befinden,
fallen ausserhalb des Bestrahlungs¬
feldes und werden gewöhnlich von
der Blendenvorrichtung des Röhren¬
kastens aufgehalten. Sie bedeuten
also eine beträchtliche Energiever¬
geudung.
Legen wir jetzt zwischen das
Bestrahlungsfeld F F und ditv Röhre
ein streuendes Volumen ST von der Fortn eines Pyramidenstumpfe n
mit zentraler Aushöhlung so werden die in diese Masse eindringenden
Strahlen. durch Zertreuung nach allen möglichen Richtungen abgelenkt.
Ein Teil der zerstreuten Strahlen wird auf das Bestrahlungsfeld gelenkt,
so dass dieses jetzt nicht nur von den einfallenden primären Röntgen¬
strahlen des Bündels a a' getroffen wird, sondern auch von den zer¬
streuten Strahlen ss.
Damit war also die Möglichkeit geschaffen zu der auf ein Bestrah¬
lungsfeld einfallenden primären Röntgenstrahlenintensität durch Streu¬
strahlen einen entsprechenden Intensität.szusatz hinzuzufügen^
Um die Intensität dieser Zusatzstrahlung möglichst zu erhöhen, lag
cs auf der Hand, möglichst viel von den Strahlen des unausgenützten
Strahlenkegels auf die zerstreuende Masse fallen zu lassen. Aus diesem
Grunde wurde die zerstreuende Masse nicht nur unterhalb der Röhre,
sondern in Form eines dicken Zylinders um die Röhre herum angeordnet!
Damit die innerhalb der zerstreuenden Masse entstandenen Streu¬
strahlen durch Absorption so wenig wie möglich abgeschwächt werden,
empfiehlt es sich, als Streustrahler eine Substanz von geringerem spe¬
zifischem Gewicht zu wählen. Zu diesem Zwecke erschien uns das
Paraffin besonders geeignet. Zahlreiche spätere, gemeinsam mit Win¬
ter ausgeführte Untersuchungen zeigten uns nun, dass die durch diese
Anordnung erzeugte Zusatzintensität bei verschiedenen Versuchsbedin-
’gungen verschieden gross war.
Es ist leicht begreiflich, dass z. B. der Härtegrad der primären
Strahlung bei dieser Anordnung eine besondere Rolle für die Höhe der
erzielten Streustrahlenintensität spielt. Harte Strahlen dringen viel
tiefer in den untersten Teil des Sammlers, wodurch die ausgelöste Streu¬
strahlenintensität in den untersten Teilen des Sammlers eine grössere
sein wird, wie bei Strahlen von geringerem Härtegrad. Ausserdem wer¬
den die harten Streustrahlen im Sammler selbst weniger absorbiert, wie
die weicheren. Aus dieser Tatsache folgt, dass die Zusatzstrahlung bei
Strahlen verschiedener Härte eine verschiedene ist und bei harter Strah¬
lung die Wirkung des Strahlensammlers eine dementsprechend stär¬
kere ist.
Es ergab sich weiter, dass die Entfernung des Sammlers von der
Oberfläche des bestrahlten Körpers, die Entfernung der Röhre vom
Sammler Veränderungen in der Zusatzintensität durch den Sammler be¬
wirken.
Durch eftie grosse Anzahl von iontoquantimctrischen Messungen
wurde die durch den Sammler erreichbare Zusatzintensität an der Ober¬
fläche und in 10 cm Wassertiefe untersucht. Dabei zeigte sich die schon
vorher vermutete Tatsache, dass die durch den Sammler erzeugte Zu¬
satzintensität in der Tiefe kleiner war als an der Oberfläche, d. h. dass
der Dosenquotient verschlechtert wurde.
Dies führte uns zu einer Umarbeitung unseres bisherigen Modells,
wobei ins Auge gefasst wurde, die Verhältnisse so zu gestalten, dass die
Zusatzintensität für Strahlungen verschiedener Härte und bei veirschie-
denen Fokus-Hautabständen möglichst konstant blieb und die Ver¬
schlechterung des Dosenquotienten möglichst ausgeglichen wurde.
Um die Intensitätsveränderungen bei Strahlen verschiedener Härte
auszugleichen, muste die Lichteweite des Sammlers und die Dimensio¬
nierung der Wände modifiziert werden.
Da es sich weiterhin zeigte, dass eine Veränderung der Entfernung
der Röhre vom Sammler oder des Sammlers vom Körper Aenderungen
in der Sammelwirkung zur Folge hatten, versuchten wir konstante Ab¬
stände in beiden Fällen durch Zweiteilung des Sammlers beizubehalten,
wobei dann der Fokus-Körperoberflächenabstand durch Veränderung der
Entfernung der beiden Sammlerteile voneinander bewirkt wurde.
Durch Entfernung des oberen Sammlerteiles von der Körperober¬
fläche wird nämlich die Sammelwirkung primär abgeschwächt, jedoch
dadurch wieder kompensiert, dass nun eine grössere Masse des unteren
Sammlerteiles von direkter Strahlung getroffen werden kann (Fig. 4
und 5).
Um die Tiefendosis zu erhöhen, wurde die streuende Masse nach
unten so angeordnet, dass sie das zu bestrahlende Körpersegment be¬
gleitet. ln der Höhe der Körperoberfläche wurde sie durch entsprechende
Anordnung so gestaltet, dass sie die Senkung des Körperoberflächen¬
niveaus an beiden Seiten ausgleicht (Fig. 4 u. 5, A A').
Fig. 4. Einstellung des Strahlenssmmleri)
für 85 om Focus-Hautabatand. (Der obere
Teil 00' liegt direkt auf dem Grundteil GG').
K = Körper. F = Filter. AA' = Ansätze.
Fig. 5. Einstellung des Strahlensammlers
für 50 cm Focus-HautabsUind. (Der obere
Teil 00' wird um cm oberhalb des
Grundteilea GG' erhöht, dadurch werden
die Flächen aa' aa' des Grundteiles von
direkter Strahlung getroffen.) ^
K = Körper. F = Filler. AA'* Ansätze
Nach zahlreichen, gemeinsam mit Winter ausgeführten Unter¬
suchungen haben wir zum Studium dieser Verhältnisse eine Anzahl
Modelle angefertigt, von denen das im folgenden beschriebene uns die
günstigsten Bestrahlungsbedingungen zu erfüllen scheint.
Das neue Modell (Fig. 6 u. 7) besteht aus 2 Teilen. Der obere (0)
hat die Form eines kurzen Pyramidenstumpfes von rechteckigem Quer¬
schnitt, dessen zentrale Aushöhlung ebenfalls die Form eines Pyamiden-
stumpfes besitzt. Die Breite der Oeffnung ist so ausgerechnet, da.ss bei
entsprechender Röhrenstcllung die inneren Flächen reichlich von Röntgen¬
strahlen getroffen werden. Der untere Teil (Grundteil) ist viereckig
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHK WOCHENSCHRIFT.
293
und besteht aus vier dicken Wandungen, von denen 2 einander gegen-
iiberliegende, kürzere bis zur Körperoberfläche reichen (L). während
die 2 anderen (M) länger und dazu bestimmt sind, den zu bestrahlen¬
den Körperteil auf beiüen Seiten zu begleiten. Diese den Körper be¬
gleitenden Teile haben den Zweck, die Streustrahleiiintensität besonders
in der Tiefe des Körpers und in den seitlichen Körperteilen zu erhöhen.
Zu gleichem Zweck trägt das Modell in der Höhe der Körpcroberflüclie
an den seitlichen Wänden keilförmige, nach innen vorspringende Ansätze
(Eig. 4 u. 5, A A').
Kig. 6.
Die Feldgrösse für- direkte Strahlung beträgt etwa 20 X 20 cm. '
Die Distanz zwischen den beiden seitlichen Wandungen unterhalb der !
keilförmigen Ansätze, kann durch Verschiebung der beiden Teile (UU')
nach aussen oder innen, je nach dem Breitendurchmesser des zu be¬
strahlenden Körperteiles, verbreitert oder verkleinert werden.
Der Paraffinzylinder, der ursprünglich um die Röhre herumgelegt
war. um die Sammelwirkung zu erhöhen, wurde wegen der Nachteile,
die damit verbunden waren (Schmelzen des Paraffins durch Erhitzung i
durch die Röhre), weggelassen.
Der Strahlensammler in seiner jetzigen Ausführung ist so gebaut,
dass cs möglich ist, durch Erhöhung oder Senkung des oberen Teiles
samt Röhre den Fokus-Hautabstand zu Verändern. Mit dem jetzigen
Modell können Fokus-Haiitabstände zwischen 35 und 60 cm eingestellt
werden.
In welchem Verhältnis zur primären Röntgenstrahlenintensität die
durch den Sammler gewonnene Zusatzintensität an der Oberfläche und
in der Tiefe steht, werden wir im folgenden klarzustellen versuchen. |
Beurteilung der Wirkung des Strahlensammlers. |
Drei Gesichtspunkte sind für die Beurteilung der Wirkung des Strah¬
lensammlers von grösster Bedeutung:
a) die Zusatzintensität an der Oberfläche.
b) die Zusatzintensität in der Tiefe.
c) die Dosisverteilung im bestrahlten Gebiet.
Um uns von der Wirkung des Sammlers ein Bild machen zu können.
inu.ssten zuerst genaue Werte für die Verhältnisse ohne Sammler unter
Einhaltung bestimmter Bedingungen festgelcgt werden. Wir nahmen zum
Vergleich diejenigen Verhältnisse, die uns eine Einfallsfeldgrösse 20 X 20
bietet '
Nr. 10.
Difitized by Go». 'Sle
Diese Feldgrösse erschien uns schon deshalb zum Vergleich zweck¬
mässig, wpil sie meistens bei der Grossfeldermethode verwendet wird
(K r ö n f g - F r i e d r i c 11 . Opitz, v. J a s c h k e und Siegel u. a.)
und etwa der Feldgrösse entspricht, die bei Verwendung des Sammlers
der direkten primären Strahlung ausgesetzt ist
Sämtliche Messungen vvurden mit lontoquantimeter (W u 1 f f sches
Elektrometer mit Friedrich scher Kammer) ausgeführt. Mit Aus¬
nahme der Kammer war die ganze Zuleitung zum Elektrometer durch
einen dicken Bleimantcl gegen Röntgenstrahlen geschützt Das Instru¬
ment selbst war durch eine dicke Blciverkleidung aussepdem durch eine
Bleiwand gegen Röntgenstrahlen gesichert (Fig. 8).
ri;'. 8. E = Elektrometer. T = Phantom BW = Bleiwund. St = Strahlensammler
Als Phantom benutzten wir ein von uns zu diesem Zwecke an¬
gefertigtes Wasserphantom, wobei unser Bestreben darauf gerichtet war,
die Verhältnisse möglichst so zu gestalten, w'ic sie bei der Bestrahlung
eines Körpersegmentes gegeben sind. Das Phantom P (Fig. 8 u. 9) be-
Fig. 9, Anordnung bei der ^re^?ung ohne Strahlensammler.
P = Phantom. R = Phantomblende. RB = Regulierbare Blende am Rölirenkasten.
A = Arm zum Herausziehen der Blende.
stand aus einem mit Wasser gefüllten Paraffingefäss, das annähernd die
Form und Dimensionen des unteren Leibsegmentes besass (18 cm Tiefe,
32 cm Breite, 38 cm Länge). Eine seiner Wände bestand aus Blech
und tmg einen eingepassten Metallschieber, in dessen Mitte ein Messing¬
rohr eingelötet war. Dieses war an seinem in das Gefäss hineinragenden
Ende durch einen eingepassten Gummifingetling gegen das Eindringen
3
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
294
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
von Wasser gesichert. In dieses Rohr wurde die Kammer eingeführt und
reichte bis zur Mitte des Phantoms.
Der Metallschieber gestattete, die Kammer von der Oberfläche des
Wassers bis zu einer Tiefe von 10 cm zu verstellen.
Djs Elektrometer stand auf einem verstellbaren Stativ. So konnte
gleichzeitig mit der Senkung der Kammer auch das Elektrometer ge¬
senkt werden (Fig. 8).
Für unsere Messungen benutzten wir den Intensiv-Reform nach
D e s s a u c r mit Coolidge-Röhren der AEG., Müller-Hamburg und
Sieniens-Halske.
Damit die Vergleichsmessungen möglichst unbeeinflusst von den
Netzschwankungen und anderen Betriebsstörungen blieben, wurde die im
Schutzkasten befindliche Röntgenröhre in dem zu messenden Abstand
auf die Messkammer zentriert, fixiert (Fig. 9). Der Sammler selbst be¬
fand sich auf verschiebbaren Holzschienen. Durch wiederholtes, steh
rasch folgendes Hinein- und Herausziehen des Strahlensammlers zwischen
Röhre und Messgeräte (Fig. 10), konnte eine grosse Anzahl zuverlässiger
Vergleichsmessungen mit und ohne Sammler gewonnen werden.
Fig. in. Anordnung für die Me-^siing mit Strahlensammler.
(Sammler auf Holzscbienen unter die Köhre geschoben.)
Bei der Vergleichsmessung ohne Sammler (Fig. 9) wurde jedesmal
ausser der unteren Blende (B) von 20 X 20 cm Oeffnung, die auf das
Phantom gelegt war, eine regulierbare Blende (RB) unter dem Röhren¬
kasten angebracht, die w'ährend des Betriebes von der Seite heraus¬
gezogen werden konnte. Sie wurde für jeden Fokus-Wasseroberflächen¬
abstand immer so eingestellt, dass an der Wasseroberfläche das von
ihr freigelassene Feld etw'as grösser war als die Oeffnung der auf das
Phantom gelegten Blende.
Dies erschien uns unbedingt notwendig, da sonst bei unabgeblende-
ten Röhrenkasten die ganze umgebende Luft, die von Röntgenstrahlen
getroffen wird, Streustrahlen erzeugt, die für Vergleichsmessungcn eine
praktisch in Betracht kommende Fehlerquelle ergeben.
Es würde uns zu weit führen, wenn wir hier die Verhältnisse bei
verschiedenen Anordnungen und Versuchsbedingungen, wie wir sie aus¬
führten, wiedergeben würden. Wir werden uns begnügen, cie Resuuaie
unserer Messungen zu geben, bei den Versuchsanordnungen, die für die
Praxis in Betracht kommen.
Zuerst sollen die: vom Strahlensammler bei verschiedenen Fokus-
Wasseroberflächenabständen gewonnenen Zusatzintensitäten zur Er¬
örterung gelangen bei den Betriebsverhältnissen, wie sie von modernen
Apparaten für Zwecke der Tiefentherapie geboten werden (hohe Span¬
nungen, starke Filterung). Ferner die Verhältnisse bei Verwendung
weniger leistungsfähiger Apparate. Zum Schluss sollen die Resultate
unserer Messungen betreffend die Verteilung der Dosis im Zentrum und
in den peripheren Teilen des Bestrahlungsfelde^S mit und ohne Strahlen¬
sammler angeführt werden.
Die angegebenen Zahlen sind Durchschnittszahlen und wurden durch
zahlreiche, sehr mühsame Messungen gewonnen. Sie sind von anderer
Seite auch, im ganzen (W i n t e r - München, von Dechend - Hamburg)
oder teilweise (G 1 o c k e r) kontrolliert worden.
Bestimmung der durch den Strahlensammler gewonnenen Zusatzintensität
an der Oberfläche und in der Tiefe.
A. Bei einer Röntgenstrahlung, gefiltert durch 1 mm
Kupfer und erzeugt durch eine sekundäre Maximal¬
spannung von 210000 Volts, entsprechend einer paral¬
lelen Funkenstrecke von 38 cm (Transformator), bei
1,5 Milliampere.
1. Fokus-Wasseroberflachenabstand ^ 50 cm.
Die Messanordnung war folgende:
Ohne Strahlensammler: Blendenöffnung an der Wasseroberfläche
20X20 cm: 10 cm unterhalb von der Antikathode Abblendung
6X6 cm.
Mit Strahlensammler: Beide Blenden werden entfernt; der auf
Schienen befindliche Sammler (eingestellt für 50 cm FHA.) wird währeiiü
des Betriebes unter die Röhre geschoben. Entfernung der Antikathode
von der oberen Sammlerfläche = 10 cm.
Durclilaufszeit von 5 Sknlenteilen des
Elektrometers in Sekunden
Ohne Strahlen- | Mit Strahlen¬
sammler Sammler
Durch den Strahlen-
Sammler gewonnen**
Zusatzintensität in
Proz. (
Oberfläche
Tiefe (10 cm Wasser)
1'iefeudusis in lO cm
Wasser
16,0
15,8
16,2
11,4
11,2
11,8
36,8
87,0
86.6
28,9
24,8
24.5
16.0
86,8
24,4
: 50.5 Proz
2. Fokus-Wasseroberflächenabstand = 45 cm.
Messanordnung:
Ohne Strahlensammler: Blendenöffnung an der Wasseroberfläche
= 20 X 20 cm. 10 cm unterhalb der Antikathode Abblendung 7 X 7 cm.
Mit Strahlensammler: Fokus-Sammleroberfläche — 10 cm. Sammler
eingestellt für 45 cm FHA.
Duruhlaufszeit vun 5 Skalen'eilen des
Elektrometers in Sekunden
Ohne Strahlen- | Mit Struhlon-
summler | Sammler
Durch den Strahlen-
sitmniler gewonnene
Ziisatzintensität in
Proz.
Oberfläche
12,6 8,6
12,8 j 8,9
12,4 1 8,9
= 43,0 Pro,..
Tiefe (10 cm ll aseer)
29.8 1 19,7
29.9 19,5
29,7 1 19,6
'1 leieudosia in 10 cm
"Wasser
^ = 42.2 Proz. 1 = 45,0Proz.
29,8 1 19,6
3. Fokus-Wasseroberflächenabstand = 40 cm.
Messanordnung:
Ohne Strahlensammler: Blendenöffnung an der Wasseroberfläche
= 20 X 20 cm. 10 cm unterhalb der Antikathode Abblendung
8X8 cm.
Mit Strahlensammler: Fokus-Sammleroberfläche = 10 cm. Samm¬
ler eingestellt für 40 cm FHA.
Dujclilatifszeit von 5 Sknlenteilen des
Elektrometers in Sekunden
.summier gewouiM ii**
Ohne Strahlen-
Mit Strahlen-
Zusatziutensität ut
Sammler
Sammler
Proz.
Oberfläche
10,0
7,6
10,8
7,6
^ = 40.5 Proz
10,0
7,6
7,6
Tiefe (10 cm Wasser)
25,0
18,0
25 2
25,3 j
17,6
^ = 49 • Proz
26,4 !
17,8
17,8
Tiefendosis in 10 cm
10,1
7,6
Wasser
257 * * 40,2 Proz.
- - = 42,7 Proz.
1 17,8
4. Fokus-Wasseroberflächenabstand = 35 cm.
Messanordnung:
Ohne Strahlensammler: Blendenöffnung an der Wasseroberfläche
= 20 X 20 cm. 10 cm unterhalb der Antikathode Abblendung 8X8 cm.
Mit Strahlensammler: Fokus-Sammleroberfläche = 10 cm. Oberer
Teil des Sammlers direkt auf dem Grundteil.
Durchluufszeit vun 5 Skalenteilen des
Elektrometers in Sekunden
Ohne Strahlen- | Mit Strahlen-
saramler | Sammler
Durch den Strahlen
Sammler gewonnene
Zusatzintensität in
Proz.
< )bei fläche
8.5
8,7
8.3 1
6.8
6.0
5,9
8,5
= 44,0 Proz.
0,9
liefe t.lO cm Wasser»
22,1
1 14,6
5 9
2^,2
14.8
~ = 50,0 Proz.
22,0
1 14.7
14,7 ’
. .t.ii*..av 2 eis in 10 ciii
Wasser
— .33,5 Pro*.
40,2 Proz.
Aus diesen Tabellen ist ersichtlich, dass bei
einer durch 1 mm Kupfer gefilterten Röntgenstrah¬
lung, erzeugt durch eine sekundäre Maximalspan¬
nung von 210 000 Volts, entsprechend einer parallelen
Funkenstrecke von 38 cm (Verhältnisse, die im all¬
gemeinen bei Verwendung moderner Tiefeptherapie-
apparate üblich sind), die vom Strahlen Sammler >.■
wonnenen Zusatzstrahlen Intensitäten bei ver¬
schiedenen Fokushautabständen, an der Oberfläche
ca. 40 Proz.. in der Tiefe ca. ,50 Proz. der Intensitäten
ohne Strahlensammlcrbei einer Feldgrösse 20X20 cm
betragen.
Durch die grössere Erhöhung der Zusatzstrahlenintensität in der
Tiefe gegenüber der Oberfläche ist der Dosenquotient durch den Strahlen¬
sammler soweit gebessert, dass bei 50 cm Fokus-Hautabstand in 10 cm
Digitized by
Qo 'gle
Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
295
Tiefe noch 46,3-Proz. der Oberflächendosis vorhanden sind gegenüber
43,5 Ptoz. ohne Strahlensammler.
B. Bei einer Röntgenstrahlung, gefiltert durch 0,5 mm
Kupfer und erzeugt durch eine sekundäre Maximal¬
spannung von 180000 Volts, entsprechend einer paral¬
lelen Funkenstrecke von 31 cm, bei 1,5 Milliampere.
1. Bei Fokus-Wasseroberflächenabstand = 50 cm.
Messanordnung: wie vorstehend beim gleichen Abstand.
Durchlaufszeit von 6 Skalenteilen des
Elektrometers in Sekunden
Ohne Strahlen- | Mit Strahlen-
sammler summier
Durch den Strahlen-
Sammler gewonnene
Zusatzintenaität in
Proz.
Oberfläche
12,2 r,_
^ S= 40,0 Proz
Tiefe (IO cm "Wasser)
(
81,7
81,9
81,5
21,0
21,8
21,8 1
= 50,0 Proz.
Tiefendosis in lO cm
Wasser
2. Bei F(
Messanordnung
= 1 i? = 4t.0Pro.,
Dkus-Wasseroberflächenabsta;id —
: wie vorstehend beim gleichen 1
40 cm.
Durchlaufazeit von
Elektrometer
Ohne Strahlen-
^aromle^
5 Skalenteilen des
3 iu Sekunden
Mit Strahlen-
sammler
Durch den Strahlcni-
sammler gewonnene
Zusatzintensität in
Proz.
Oberfläche
Tiefe (lO cm Wasser,
8,2
7,8
8,0
6,6
6,7
6,5
^ = 43,0 Proz.
0,0
22,0
22,4
22,2
14,4
14,8
14.6
22,2 „ « ^
ü76 =
Tiefendosis in lO cm
Wasser
^ = 36,0 Proz.
=: 38,3 Proz.
14,.6
•
Diese Tabellen zeigen uns, dass auch bei gerin¬
gerer Spannung und Filterung, also bei Betriebsver¬
hältnissen wie siebei Anwendung wenigerleistungs-
fähiger Apparate für Therapie vorliegen, die durch
den Sammler gewonnenen Strahlenzusatzintensi¬
täten w'iederum ca. 40 Proz. an der Oberfläche und
50 Proz. in der Tiefe der Intensitäten ohne Strahlen¬
sammler, bei einer Einfallsfeldgrösse von 20X20 cm.
betragen.
Heber den Einfluss des Strahlensanunlers auf die Dosisverteiiung in der
Mitte und in den seitlichen Partien des Bestrahlungsfeides.
Seit den Untersuchungen von Friedrich wissen wir, dass inner¬
halb eines Bestrahlungsfeldes die Dosis nicht an allen Stellen des Feldes
gleich gross ist, sondern dass sie nach den Rändern des Feldes zu ab¬
nimmt.
Die Erklärung ist folgende: Ein Punkt P (Fig. 11) in der Mitte eines
Bestrahlungsfeldes z. B. wird aus der ganzen durchstrahlten Umgebung
Streustrahlen erhalten, währenddem ein PunKt R
am Rande des Bestrahlungsfeldes mur aus der
zentralwärts gelegenen Umgebung noch Streu¬
strahlen empfängt.
Bei einer Feldgrösse von 12X12 cm mit
durch 1 mm Kupfer gefilterten Röntgenstrahlung
fand Friedrich, dass in einer Wassertiefe
von 8 cm die Differenz der Dosen in der Mitte
und an einem Punkt, der 4 cm von der Mitte
des Feldes entfernt ist, 11 Proz. beträgt, während¬
dem am Rande des Feldes der Dosenverlust
etwas mehr wie 20 Proz. ausmacht.
Wir hatten nun Orund zur Annahme, dass
diese äusserst ungünstigen Verhältnisse durch die
den Körper begleitenden Teile des Sammlers ver¬
bessert werden. Mussten doch diese besonders
in den seitlichen Teilen des Bestrahlungfeldes ihre
Wirkung entfalten. Um diese zahlenmässig fest¬
zulegen. wurden folgende Messungen ausgeführt:
Bei einer durch 1 mm Cu gefilterten Strahlung', erzeugt durch eine
sekundäre Maximalspannung von 210 000 Volts, bei 1,5 Milliampere und
einem Fokus-Wasseroberflächenabstand von 50 cm, unter 10 cm Wasser
wurde die Strahlenintensität in der Mitte des Feldes und in 7 cm Ent¬
fernung nach der Seite zu einmal ohne Sammler bei einer Einfallsfeld-^
grosse von 20 X 20 cm, und einmal mit Sammler, bestimmt.
Dureblaufszeit vor
Elektrometers
Ohne Strahlen¬
sammler
L 6 Skalenteilen des
1 in Sekunden
1 Mit Strahlen¬
sammler
Milte des Feldes
7 cm seitlich
87,0 =r ICO Proz
42,2 = 88 Proz
24,5 = 100 Proz.
, 26.2= 97 Proz
In 10 cm Tiefe ist demnach ohne Sammler in einer Entfernung von
der Mitte von 7 cm, ein Intensitätsabfall von 12 Proz, vorhanden.
Digitized by Goiisle
Dieser kann durch den Sammler auf den praktisch
kaum in Betracht kommenden Betrag von 3 Proz. Ver¬
lust reduziert und damit eine ausreichende Seitenhorao-
genisiening des Feldes erzielt werden.
Zusammenfassung:
Die Anordnung’ streuender Massen zwischen Röntgenröhre und
Körperoberfläche, sowie an den Seiten des Körpers (Strahlensammler)
ergibt für verschiedene Strahlenhärten und bei verschiedenen Fokus-
Hautabständen:
1. Ander Oberfläche eine Erhöhung der Strahlen-
Intensität um ca. 40 Proz., damit eine Herabsetzung
der Bestrahlungszeiten um etwa 30 Proz.
2. In dcrTiefe von 10 cm Wasser eine Erhöhung der
Strahlen Intensität um 50 Proz. und damit eine
wesentliche Besserung des Dosenquotienten (er¬
höhte Tiefenwirkung).
3. Ebenso eine wesentliche Verbesserung der
Dosisverteilung in der Mitte und in den Randpartien
des Bestrahlung.sgebietes, d. h. praktisch eine fast
volle Seitenhomogenisierung.
Wir gewinnen so die Möglichkeit, bei einem Fokus-Hautabstand
von 50 cm, einer durch l mm Kupfer gefilterten Röntgenstrahlung, er¬
zeugt durch eine sekundäre Maximalspannung von 210 000 Volts, von
nur zwei Eintrittsfeldern aus, bei einem Körperdurchmesser von 20 cm,
in der Mitte desselben 90 bis 93 Proz. der Oberflächendosis bei fast
vollkommener Seitenhomogenisierung, zu applizieren.
Aus der medizinisclien Klinik und dem pathologischen Institut
der Hamburgischen Universität.
Ueber vernarbende Lymphogranulomatose.
Von Willy Weis und Eugen Fraenkel.
Das klinische und anatomische Bild der sog. Lymphogranulomatose
darf jetzt im allgemeinen als ein so charakteristisches angesehen werden,
dass die Erkennung am Krankenbett und Sektionstisch für gewöhnlich
nicht auf irgend welche Schwierigkeiten stösst. Ja. man darf dreist
behaupten, dass, wenn bisweilen in der klinischen Deutung bis zürn
Schluss der Erkrankung eine gewisse Unsicherheit besteht, diese bei
der anatomischen Untersuchung, und zwar schon auf Grund der makro¬
skopischen Befunde an bestimmten Organen, mühelos überwunden wird.
Aber auch das Umgekehrte kann vorkomfmen, wie der nachstehend zu
berichtende Fall, der ein von dem gewöhnlichen durchaus abweichendes,
makroskopisch nichts weniger als eindeutiges Sektionsergebnis bot, be¬
weisen soll.
Er betrifft einen Ende November 1919 im Krankenhaus aufgenommenen
28 jährigen Schiffsingenieur; seit März 1919 war etwas Husten, seit dem
Sommer Drüsenschwellungen am Halse und Gewichtsrückgang aufgefallen. Es
fanden sich nun bei dem schwächlichen, blassen, leicht fiebernden jungen
Manne Drüsenschwellungen am Halse, in den Achselhöhlen und in den Leisten¬
beugen. Die Drüsen waren bis bohnengross, derb, nicht verbacken, ver¬
schieblich und unempfindlich; daneben bestand ein ziemlich erheblicher, derber
Milztumor. Sonst war der körperliche Befund, abgesehen von ganz ge¬
ringen Er.scheiniingen über den Lungenspitzen, negativ. Irn Urin negative
Diazoreaktion. Im Blute fand sich neben einer geringen Anämie eine Leuko¬
zytose von 16 000 Gcsamtleukozyten, die später noch etwas anstieg und eine
Vermehrung der polymorphkernigen Leukozyten bis auf 85 Proz.; die eosino¬
philen Zellen waren verschiedentlich bis zu 4 Proz. vertreten, im übrigen
zeigte das weisse Blutbild nichts Erwähnenswertes. Irn Röntgenbild waren
die Hiliis- und Mediastinaldrösen vergrössert. Wassermann- und Tuberkulin¬
reaktion fielen negativ aus. Da nach diesen Befunden echte und Pseudo-
Leukämie, das syphilitis(;)ie und das tuberkulöse Lymphogranulom auszu-
schliessen waren, blieb nur das maligne Granulom, der echte Hodgkin, übrig.
Zur Sicherstellung der Diagnose wurde nun eine Halsdrüse exstirpiert und
untersucht; aber schon bei der makroskopischen Betrachtung äusserte der
Untersucher Zw’eifel, ob es sich um Lymphogranulom handele, und die mikro¬
skopische Untersuchung bestätigte diesen Zweifel; es fanden sich für Lympho¬
granulomatose charakteristische Veränderungen nicht vor. Es wurde daher
Exstirpation einer weiteren Drüse empfohlen, die aber der Patient nicht zu¬
geben wollte. Wenn nun auch die Diagnose klinisch hinreichend gesichert
erschien, so würde der negative histologische Befund doch etwas störend
empfunden. Die Behandlung bestand, wie üblich, in Arsendarreichung und
Röntgenbestrahlung; im übrigen muste abgewartet werden, ob der Krank¬
heitsverlauf weitere Aufschlüsse bringen würde. Die Temperaturen waren
zwischen 38—39” mit mässigen Remissionen, später gin|:en sie höher, die
Drüsen wurden kleiner, aber der Allgemeinzustand ging zurück, der Patient
nahm ab und wurde im Laufe der Wochen ziemlich erheblich melanclnlisch.
5 Wochen nach Krankenhauseintritt trat ein Zustand ein. der Klärung zu
bringen schien, der Patient bekam nämlich Husten, zunehmende Zyanose und
Dyspnoe und über allen Lungenabschnitten feinstes Knisterrasseln bei tym-
panitiscliem, kaum gedämpften KlopfschalL Puls und Temperaturkurve
kreuzten sich, die Diazoreaktion im Urin wurde positiv. Kurz, man hatte
das Bild der akuten Miliartuberkulose vor sich. Augenhintergrund frei; nur
wenig, etwas schaumiges, Sputum ohne Tuberkelhazillen. In diesem Zustand
ging der Patient einige Tage später zugrunde, nachdem die Zyanose eine
ausserordentlich starke geworden war und im Verein mit der bestehenden
Melanose eine eigentümlich dunkle Verfärbung bedingt hatte; ausserdem waren
ganz enorme Schweisse aufgetreten. Es war die Annahme gemacht worden,
dass es sich doch um eine tuberkulöse Lymphdrüsenerkrankung gehandelt
habe, dio durch Einbruch in die Lympli- oder Blutbahn zu einer Miliar¬
tuberkulose Veranlassung gegeben hatte. Die negative Tuherkulinreaktion
konnte zur Not mit der Schwere der Erkrankung erklärt werden. Die Sektion
ergab aber, dass die ursprüngliche Annahme des Lymphograniiloms zu Recht
3*
Original frDrri <
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
296
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
bestanden hatte; der Befund war, wie weiter unten ausgeführt werden soll,
ein höchst auffallender. Die Lungenerscheinungen waren durch eine pneu¬
monische Inhltratioii aller Lungenabschnitte verursacht worden.
Hier in Kürze das Wichtigste aus dem Sektionsproto¬
koll. Sekt.-Nr. 101/1920, 165 cm lange Leiche eines mageren Mannes
mit kräftiger Starre. Ueber
der Mitte des Schlüsselbeins
eine, diesem parallele, 4 cm
lange Narbe, von der nach
unten zwei zu ihr senkrecht
stehende Schenkel abgehen,
nach oben einer. In der er-
Öffneten Bauchhöhle liegt
die, an ihrer Ober¬
fläche zahlreiche,
zum Teil tief-nar¬
bige Einziehungen
Vernarbende Lymphogranulomatose der Leber. aufweisende Leber
in fast handtellergrosser Aus¬
dehnung vor ... L. L u n g e ziemlich schwer, der Oberlappen bis auf eine
dreiQueriingerbreite, der Mitte des vorderen Randes benachbarte Zone hepati-
sie.rt, feingekörnt; Schnittfläche grau, z. T. hämorrhagisch gesprenkelt.
Analog der Unterlappen, in dem die hämorrhagischen Einsprengungen erheb¬
lich zurücktreten. Der rechte Oberlappen total hepatisiert, nur in der Um¬
gebung des vorderen Randes etwas lufthaltig. Im Mittellappen in einzelnen
Herden auftretende, auf dem Durchschnitt graue, pneumonische Infiltrate,
gleiclibcschaifen der Unterlappen. Im Hilus bis walnussgrosse Lymphknoten,
derb, auf dem Durchschnitt granitfarben. An der Teilungsstelle der Luftröhre
ähnliche Lymphknoten. Entlang der Trachea, besonders an der 1. Seite, eine
Kette ziemlich derber, teils mehr gelber, teils anthrakotischer‘Lymphknoten.
Milz 18: 10,5: 5,4. Im Hilus ähnliche Drüsen wie neben der Luftröhre. In
der Pulpa eine Anzahl in der Grösse wechselnder Knoten, die über die
Schnittfläche stark prominieren, ein gclbrötliches Aussehen darbieten und wie
aus feinsten Knötchen zusammengesetzt erscheinen. Das knotenfreie Gewebe
ist braunrot, ohne erkennbare Zeichnung. 5,5 cm unterhalb des oberen Pols
und 0,5 cm vor dem hinteren Rand sitzt subkapsulär ein, durch einen fibrösen
Ring gegen die Umgebung abgegrenzter, reingelber, überquellender Herd.
Nur in der r. Leistenbeuge eine derbweiche, auf dem Durchschnitt weisslich-
graue, doppeltbohnengrosse Lymphdrüse. In der Mitte des Lig. gastro-col.
ein paar derbere Lymphknoten. Die mesenterialen Lymphdrüsen
spärlich klein. Nur imHilusderl. Niere zahlreiche derbe Lymph¬
knoten... Im Mesenteriolum des Wurmfortsatzes eine kleine, zentral ver¬
kalkte Lymphdrüse. Eine gleichfalls verkalkte, walnussgrosse, am Uebergang
des Gallenblasenhalses in den D’uet. cyst. ... Leber: 28: 19:9. Auf
dem Durchschnitt, neben Bezirken mit deutlicher Läppchenzeichnung, unter
dem Niveau der Schnittfläche liegende, narbige, z. T. den Einziehungen an der
Oberfläche entsprechende, blassgraugelbliche Partien ohne Struktur, die kurz-
strahlige Ausläufer in die Umgebung senden. Am Darmkanal nichts Be¬
merkenswertes. Die retroperitonealen Lymphknoten umlagern
die grossen Bauchgefässe, spez. die Aorta, ausserordentlich fest, ohne ihr
Lumen zu verengern. Sie sind von besonders derber, schwieli¬
ger Beschaffenheit. Wirbelsäule und der (untersuchte) rechte
Femur auf dem Sägedurchschnitt frei von Herden.
Wenn nach dem vorstehenden, anatomischen Ergebnis Zweifel über
die, durch die pneumonische Erkrankung beider Lungen gegebene, direkte
Ursache des Todes nicht obwalten konnten, so herrschte über die Auf¬
fassung des übrigen Sektionsbefundes nichts wenigei als Klarheit. Für
die, seitens des Klinikers von Anfang an geäusserte, Ansicht, dass es
sich um eine Lymphogranulomatose handele, sprach Im Grunde ge¬
nommen nichts. Weder das Verhalten der Lymphdrüsen, die fast sämt¬
lich in ein mehr oder weniger derbes, schwieliges Gewebe umgewandelt
waren, noch die Beschaffenheit der Milz, die von der, für Lymphogranulo¬
matose spezifischen, sog. Porphyr- oder Bauernwnirstmilz total ver¬
schieden war, vollends aber nicht das Aussehen, der, an der Oberfläche
tiefe Narben aufweisenden Leber, welche dadurch eine nicht zu ver¬
kennende Aehnlichkeit mit einer gelappten syphilitischen zeigte. Es
blieb also nichts übrig, als die anatomische Diagnose in suspenso zu
lassen und das definitive Urteil von dem Ausfall der mikroskopischen
Untersuchung der erkrankten Organe abhängig zu machen. Dabei wurde
folgendes festgesteilt.
Die in der Milz als grosse geschwulstartige Knoten imponierenden Bil¬
dungen setzen sich mikroskopisch zusammen aus dicht nebeneinander liegen¬
den, nur z. T. durch derbere und breitere Bindegewebszüge voneinander ge¬
trennten, kleinen Knötchen, die bald einen für Lymphogranulomatose charak¬
teristischen Bau darbieten, bald aus^ einem mehr fibrösen, von scholligem
gelben Pigment infiltrierten Gewebe bestehen. Das umgebende Milzgewebe
zeichnet sich durch sehr weite Bluträume aus, bietet sonst nichts Bemerkens¬
wertes.
Einen hiervon wesentlich abweichenden Befund liefert die Untersuchung
verschiedener, der Leber entnommener Stücke. Hier sieht man, ganz in
Uebereinstimmung mit den makroskopischen Feststellungen, das Parenchym
von derben, vielfach grobschofliges oder feinkörniges gelbes Pigment führen¬
den, unregelmässige Lebergewebsinseln umschnürenden, kernarmen Binde-
gewebszügen durchsetzt, zwischen und in denen in der Grösse wechselnde,
fast ausschliesslich aus polynukleären Leukozyten bestehende, von dünn¬
wandigen Kapillaren durchzogene Zellherde auftreten. Einzelne derselben ent¬
halten, nur ganz sporadisch, mehrkernige, in etwas an das Aussehen der, in
echten lymphogranulomatösen Herden vorkoninienden erinnernde Zellen. Ein
irgendwie typischer Befund, wie ihn echte Lymphogranulomknötchen liefern,
fehlte aber durchaus.
Ebensowenig charakteristisch war das Verhalten der untersuchten
Lymphdrüsen. Der derben, fast sehnigen, makroskopischen Beschaffen¬
heit entsprachen auch die mikroskopischen Bilder. Vielfach war das eigent¬
liche Lymphdrüsengewebe vollständig durch ein kernarmes, meist grob¬
faseriges Bindegewebe ersetzt; an einzelnen Stellen schlossen breitere und
schmalere Züge desselben, wechselnd grosse Inseln von lymphatischem Gewebe
ein, das zwar nirgends Lymphfollikelbau erkennen Hess, in dem aber auch
legliche, im Sinne von granulomatösem Gewebe zu verwertende Zusammen¬
setzung vermisst wurde.
Es ist also mit Hilfe des Mikroskops möglich gewesen, wenigstens
an einem Organ, nämlich der Milz, trotz ihres von dem der echten
Porphyrmilz so wesentlich abweichenden Aussehens, den sicheren
Beweis dafür zu erbringen, dass die als grössere Ge¬
schwulstknoten imponierenden Bildungen wenig¬
stens stellenweise den Bau des Lymphogranuloms
darboten. Und weiter haben wir uns an dem gleichen Organe
davon überzeugt^ dass neben diesen spezifischen, granulomatosen
Massen uncharakteristisches, derbes, schwieliges Bindegewebe an der
Zusammensetzung der Knoten beteiligt war. Ihr gelbrötliches Aussehen
ist durch den histologisch erbrachten Nachweis scholligen gelben Pig¬
mentes im Gewebe erklärt. Dass es sich dabei um ein Blutfarbstoff¬
derivat handelt, ist füglich nicht zweifelhaft, ob ein eisenhaltiges oder
eisenfreies, kommt nicht in Betracht.
Wir haben also einen, von den bisher bekannten, in verschiedener
Hinsicht abweichendenFallvonLymphogranulomatose
vor uns, dessen Besonderheiten in der Rapidität des Ver¬
laufs und in der Ungewöhnlichkeit des anatomischen
Befundes, sowohl in bezug auf Lokalisation, wie
makroskopisches und mikroskopisches Verhalten
der Krankheitsprodukte, gegeben sind. Namentlich der letzte
Punkt hat uns veranlasst, den Fall ausführlich zu berichten.
Immerhin verdient »auch die Schnelligkeit des Verlaufs
innerhalb des knappen Zeitraums von 9 Monaten erwähnt zu werden;
aber weit interessanter als dieser Umstand ist das Ergebnis
der anatomischen Untersuchung, und zwar, abgesehen
von dem Auftreten der gewaltigen tumorartigen Pro¬
dukte in der Milz, die Lokalisation in der Leber, einem
Organ, das durchaus nicht regelmässig und, wenn überhaupt, in ganz
anderer Form an dem Krankheitsprozess beteiligt zu sein pflegt, als wir
es hier gefunden haben. Man beobachtet in ihr, di6 übrigens ausnahms¬
weise auch einmal isoliert bei der Lymphogranulomatose erkranken kann,
entweder überhaupt keine, oder nur vereinzelte, als weissliche Knötchen
oder Streifen imponierende, die Oberfläche bisweilen etwas vorwölbende,
kleinere Herdchen, so dass die Beschaffenheit der Schnittfläche ein
keirfeswegs charakteristisches, etwa mit dem der Milz vergleichbares
Bild darbietet. Ganz anders der Befund in unserem Fall. Nirgends
etwas von Knoten oder Streifen, sondern ausgesprochene, an der
Oberfläche als tiefe Einziehungen imponierende, nicht im ent¬
ferntesten an die von M a r e s c h erwähnten, seichten zentralen Dellen
oberflächlich gelegener Knötchen erinnernden Narben und auf dem
Durchschnitt ein herdweise lokalisiertes, strahlige Ausläufer in die Um¬
gebung entsendendes, derbes Narbengewebe, innerhalb dessen, wie in
der Milz, scholliges und feinkörniges Pigment abgelagert ist. Durcii
diesen Prozess iM es zu einer, wenn auch nicht ausgesprochenen, aber
doch erkennbaren seichten Lappungder Leberoberfläche und
dadurch zu der bereits eingangs erwähnten Aehnlichkeit mit
einem Hepar. 1 o b a t. s y p h i 1 i t. gekommen. Ich habe ein der¬
artiges Vorkommnis unter der grossen Zahl der von mir selbst beob¬
achteten Lymphogranulomatosefälle nie gesehen, auch in der Literatur
nicht erwähnt gefunden. Das bedarf freilich einer gewissen Einschrän¬
kung, insofern als bekannt ist, dass die granulomatös erkrankter»'Lymph¬
drüsen sowohl, als die in den einzelnen Organen vorhandeiwn spe¬
zifischen Herde, namentlich bei längerem Bestehen des Leidens, in ein
derbes schwieliges Gewebe umgewandelt werden können. Speziell
wissen wir das von den Lymphdrüsen, an denen wir es ja auch in
unserem Fall festgestellt haben. Aber gerade an der Leber scheint
dieser Ausgang bisher nicht beobachtet worden zu sein. Ziegler
erwähnt allerdings in seiner Monographie über die „Hodgkinsene
Krankheit“ (1911 S. 151) gelegentlich der Besprechungen über die Be¬
teiligung der Leber an dem Leiden „bindegewebige Induration ist' auf¬
fallend selten. Im allgemeinen scheinen die zelligen Stadien die binde¬
gewebigen zu überwiegen“. Von Veränderungen, die zu einem dem
unseren ähnlichen Bild geführt hätten, schreibt dieser Autor nichts.
Es fragt sich nun, wie ist der geschilderte Befund zu deuten. Es
kann keinem Zweifel unterliegen, dass in der Bildung dieses
zellarmen Narbengewebes ein Heilungsvorgang zu
erblicken ist, der zwar in einem Teil der Fälle von Lymphograiiuloihatose
in einzelnen Krankheitsherden anzutreffen ist. aber doch, wie ich gegen¬
über Fabian (cf. dessen ausgezeichnetes Sammelreferat über Lympho¬
granulomatose im Zbl. f. allg, Path. 22. S. *160) auf Grund eigener
Erfahrungen behaupten möchte, in grösserem Umfange und so aus¬
gesprochenem Grade zu den grossen Ausnahmen gehört. Er vollzieht
sich auch nie so vollständig, dass nicht an einzelnen Stellen grössere
und geringere Reste lymphogranulomatösen Gewebes vorhanden sind,
die auf eine Fortwirkung der krankheitserregenden Ursache hinweisen.
So erklärt es sich, dass eine vollkommene Heilung aleses, ätiologisch
noch nicht restlos geklärten, Leidens bisher überhaupt nicht beobachtet
worden ist, weder eine spontane, noch durch irgend eines der vielen
dagegen angewandten Heilmittel herbeigeführte. Es unterliegt zwar
keinem Zweifel, dass es Fälle gibt, die sich durch eine ungewöhnliche
Langsamkeit, i. e. Gutartigkeit ihres Verlaufes, auszeichnen und Jahre, ja
länger als ein Jahrzehnt sich hinziehen können, und dass es dabei zu
einer Verkleinerung der erkrankten Lymphknoten durch Schrumpfung des
spezifischen Gewebes und Umwandlung in Schwielengewebe, nicht etwa
durch eine Rückbildung zur Norm, kommen kann, und es darf weiter als
feststehend angesehen werden, dass ein solches Ereignis auch durch
manche Behandlungmethoden, vor allem durch Anwendung von
Röntgenstrahlen, zu erzielen ist. Aber auch dann ist nach solchen
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER ^lEDlZINlSCHE WOCHENSCHRIFT.
297
scheinbaren Besserungen der Tod nicht aufzuhalten, und nicht selten
machen sich schon während der Bestrahlung Verschlimmerungen, durch
Auftreten von Tumoren an alten Stellen, oder durch Bildung neuer Lymph-
drüsenschwellungen und durch Verschlechterung des Allgemeinbefindens,
bemerkbar, lieber eine hierher gehörige interessante Beobachtung be¬
richtet Carl Mayer in einer Arbeit über „histologische Veränderungen
des Lymphogranuloms unter der Wirkung der Röntgenstrahlen (Frank¬
furter Zschr. f. Pathol. 22. Heft 3). Bei dem sich über 7 Jahre
hinziehenden Fall trat schliesslich, trotz sehr energischer, in verschie¬
denen Jahren der langen Krankheit vorgenommener, Röntgenbestrahlung
doch der Tod ein. Auch in dem Mayer sehen Falle war es, vor allein
in bestimmten Lymphdrüsengruppen, zu einem Untergang des spezifischen
Granulationsgewebes und zu Bindegewebsneubildung gekommen, and
Mayer ist geneigt, diesen Effekt auf die Wirkung der Röntgenstrahlen
zurückzuführen. Zu dieser Auffassung veranlasste der Umstand, dass
während der Bestrahlung ein Rückgang der Lymphdriisengeschwülste
bemerkt wurde. Aber absolut zwingend ist dieser Schluss nicht. Denn
der Fall ist äusserst chronisch verlaufen, und zwischen der ersten An¬
wendung def Rörrtgenstrahlen und der w-ahrnehmbaren Verkleinerung de
geschwollenen Lymphdriisen liegen 3 Jahre, innerhalb deren die Röntgen¬
therapie sehr ausgiebig zur Anwendung kam. Nun liegt es mir durchaus
fern, in Abrede stellen zu wollen, dass die Röntgenstrahlen überhaupt
imstande sind, lymphogranulomatöses Gewebe zur Schrumpfung zu
bringen. Derartige Beobachtungen sind von den verschiedensten Autoren
gemacht, u. a. von A r n i n g, in dessen Fall eine so weitgehende Ver¬
kleinerung der Lymphdrüsen erfolgte, dass A r n i n g geneigt war, den
Patienten als geheilt zu betrachten. Aber auch da trat Innerhalb Jahres¬
frist der Tod desselben ein.
Was den von uns mitgeteilten Fall anlangt, so kann von einer Rück¬
bildung der in schwielig-narbiges Gewebe umgewandelten Lymphknoten
als einer Folge der Röntgenbestrahlung gar keine Rede sein. Es haben
im ganzen in Zwischenräumen von 3 Wochen je 3 Röntgenbestrahlungen
stattgefunden, die sich vor allem auf die sichtbar vergrösserten Lymph¬
knoten beschränkten und die Leber überhaupt nicht betrafen. Und trotz¬
dem diese ungewöhnlich w'eFtgehende schwielige Umwandlung, besonders
der retroperitonealen Lymphdrüsen, und ganz speziell in der Leber.
Der Prozess ist soweit gediehen, dass man tatsächlich von einer Heilung
hätte sprechen können, wenn nicht die Milzknoten deutliche Herde
lymphogr^nulomatösen Gewebes aufgewiesen hätten. Ganz besonders
bemerkenswert ist es, dass dieser Ausgang nicht bei einem
chronischen, sich über Jahre erstreckenden Fall, wie wir es sonst
zu sehen gewohnt sind, eingetreten ist. sondern bei einem un¬
zweifelhaft in die Reihe der mehr akut verlaufenden
Lymphogranulomatosen zu rechnenden, der in knapp 9 Monaten
zum Tode geführt hat. Die Kenntnis dieser Tatsache ist deshalb wichtig,
weil sie lehrt, dass der histologische Nachweis einer schwieligen Lymph¬
adenitis in Fällen, in denen klinisch der Verdacht auf Lymphogranu¬
lomatose besteht, zur Vorsicht in der Deutung mahnt und keinesfalls dazu
berechtigt, die klinische Diagnose abzulehnen. Das ist auch in dem vor¬
liegenden Fall nicht geschehen, vielmehr erklärt worden, dass histologiscn
keine Veränderungen vorliegen, die für die anatomische Diagnose
Lymphogranulomatose verwertbar wären. Die gewünschte Entfernung
einer andern Lymphdrüse für weitere Untersuchungen wurde von dem
Patienten verweigert. Weiter aber gestatten solche schwielig veränderte
Lymphdrüsen in Fällen von Lymphogranulomatose keinerlei Schlüsse
über den ferneren klinischen Verlauf etwa im Sinne einer relativ gün¬
stigen Prognose. Bei dem ln Rede stehenden Fall ist freilich der Tod
in letzter Instanz nicht sowohl durch das Grundleiden, als vielmehr durch
eine ungewöhnlich ausgedehnte Pneumonie erfolgt. Aber das Mikroskop
hat uns darüber belehrt, dass der spezifische Krankheitsprozess, speziell
in der Milz noch fortbestand, und es ist möglich, dass,, wenn von sämt¬
lichen erkrankt befundenen Lymphdrüsen Stücke untersucht worden
wären, in einzelnen derselben noch Ivmphogranulomatöses Gewebe hätte
festgestellt werden können. Immerhin war die indurative Qe-
websschrumpfung in dem vorliegenden Fall doch bis
zu einem, einer völligen Heilung sehr nahekommen¬
den Grade gediehen und zwar, wie wir hervorheben möchten,
spontan, ohne Einfluss der Röntgenstrahlen.
Auch von diesem Gesichtspunkt aus erschien uns seine Mitteilung
erwünscht und berechtigt.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Qraz.
Ueber die Indikation zur Intubation.
Von Prof. Franz^Hambürger.
Die Frage, wann man ein stenotisches Kind intubieren soll, ist
merkwürdigerweise viel weniger Gegenstand der Diskussion als man
erwarten sollte. Sind doch die Folgen der Intubation, so günstig auch
die Erfolge zweifellos einerseits sind, anderseits doch sehr unangenehme
und schädliche. Man ist sich einig darüber, dass die Intubationsschäden
bei nichtdiphtherischen Larynxstenosen sich leichter entwickeln als bei
der diphtherischen, und man ist daher bei ersterer ziemlich allgemein
für eine baldige Tracheotomie. Ich will mich hier mit der nichtdiphthe¬
rischen Larynxstenose nicht beschäftigen. Ich will nur die Frage be¬
sprechen: Wann soll man bei der diphtherischen Larynxstenose in¬
tubieren? Meine Antwort ist darauf kurz und klar: Möglichst spät. Die
bisherigen Grundsätze für die Indikationsstellung zur Intubation sind
Digitized by Go».i3le
ziemlich verschieden. Die einen intubieren schon bei den geringsten Er¬
scheinungen von Stenose, die anderen erst bei schwereren, z. B. bei
der Tätigkeit ddr Atmungshilfsmuskeln. Ein Hauptgrund für die früh¬
zeitige Intubation ist vielfach die Ueberlegung, dass man das ohnehin
durch die Diphtherie gefährdete Herz nicht auch noch allzu lange der
Kohlensäureschädigung aussetzen soll.
Seit vielen Jahren intubierte ich im allgemeinen möglichst spät, das
heisst erst dann, wenn starke Zyanose besteht, und zwar nur dann,
wenn sie konstant wird. Bei den besonders durch die Aufregung ge¬
förderten Erstickungsanfällen intubierte ich nur dann, wenn sie sehr rasch
hintereinander auftreten und sich auch bei Fehlen von psychischen
Reizen zeigen. Von einer Schädigung des Herzens durch dieses Vor¬
gehen habe ich nie etwas Ueberzeugendes gesehen. Auch die Reintubation
wird möglichst hinausgezogen und es gelingt oft durch langes Zuwarten
Fälle vor der 3. oder 4. Reintubation und der sekundären Tracheotomie
zu bewahren, indem man die Kinder, trotz oft ziemlich hochgradigen
Lufthungers eben nicht intubiert. Wir haben auf diese Weise Fälle
ohne Intubationsschäden und ohne Tracheotomie durchgebracht, die bei
der sonst gewöhnlich üblichen Behandlung ziemlich sicher entweder
einer schweren Intuhationsschädigung oder der oft folgeschweren
Tracheotomie anheimgefallen wären. Intubationsschäden habe ich,
seitdem ich mich dieser äusserst konservativen und lange zuwartenden
Intubationsanwendung bediene, niemals gesehen. Dass man den Tubus
nicht allzu lange liegen lassen soll, ist heute ziemlich allgemein an¬
erkannt. Auch ich vertrete diesen Standpunkt und cntschliesse mich
ziemlich rasch zur sekundären Tracheotomie. Doch kommt es auch dazu
gewöhnlich selten, weil man eben die Kinder besonders dann, wenn man
sie vor Aufregungen bewahrt, anderseits die vielfach gebräuchliche An¬
wendung von Beruhigungsraitteln heranzieht, durch die gefährliche Zeit
..durchschleppen“ kann.
Die Indikation zur Intubation ist leider sehr häufig eigentlich nicht
vom Arzt gestellt, sondern von einer allzu ängstlichen Krankenschwester
dem Arzt sozusagen suggeriert. Es ist eine der allerwichtigsten Auf¬
gaben, dass der Arzt sich dieser suggestiven Beeinflussung zu entziehen
weiss und wirklich nur im äussersten Notfall intubiert; dann werden
wir eine ganze Anzahl von Fällen überhaupt ohne Intubation durch¬
bringen, eine grosse Anzahl von Fällen mit ein öder zweimaliger In¬
tubation retten körnen.
Zum Schluss möchte ich der Meinung Ausdruck geben, es wäre gut,
wenn man in den Mittelpunkt des ärztlichen Interesses nicht mehr so
sehr die Frage: primäre oder sekundäre Tracheotomie? stellen, sondern
sich vielmehr mit der Frage beschäftigen würde, die ich hier zu be¬
handeln versuchte; sollen wir früh oder sollen wir spät intubieren?
Ich für meine Person entscheide mich für das letztere. Vielleicht werden
weitere Untersuchungen und Beobachtungen noch Klarheit in gewissen
feineren Fragen dieser Richtung bringen.
Aus der medizinischen Universitäts-Poliklinik zu Rostock.
(Direktor: Prof. Dr. Hans Curschmann.)
Blutuntersuchungen beim Myxödem*).
Von Dr. Gustav Deusch, Assistenzarzt der Poliklinik.
In ausgeprägten Fällen des Myxödems erfährt, wie wir durch die
Untersuchungen Magnus-LevysD u. a. wissen, der gesamte Kraft¬
wechsel und dementsprechend der Sauerstoffverbrauch eine beträchtliche
Verminderung. Die Einschränkung der Oxydatitmsvorgänge äussert sich
in erster Linie in einem kleinen Eiweissstoffwechsel, es wird Eiweiss
Rngesetzt. und zwar, wie Magnus-Levy^) meint, nicht nur im
Gewebe, sondern auch „in den krankhaften, das Gewebe durchtränkenden
Säften“. Durch die Untersuchungen Eppingers^) haben wir neuer¬
dings den Einfluss der Schilddrüse auf den Wasserwechsel kennen ge¬
lernt, der sich beim Myxödem in einer Verzögerung der Wasserausschei¬
dung zeigt. Diese Veränderungen des Stickstoff- und Wasserwechsels
beim Myxödem veraniassten mich zur Untersuchung der.Frage, ob mit
dem Eiweissansatz im Gewebe auch eine Vermehrung des Eiweiss¬
gehaltes des Blutserums einhergeht und ob die Verzögerung der Wasser¬
ausscheidung zu einer Aenderung der Serumkonzentration führt. Ich
h’ibe zu diesem Zwecke bei 7 Fällen von Myxödem Bestimmungen der
Viskosität und des Lichtbrechungsvermögens des Serums vorgenommen.
Ueber diese Untersuchungen wird an anderer Stelle’) ausführlich be¬
richtet: es sei hier nur in Kürze ihr Ergebnis raitgeteilt. Die Viskosität
des Serums war.in der Mehrzahl der Fälle erhöht, z. T. sogar beträcht¬
lich, in den übrigen Fällen hielt sie sich an der oberen Grenze der Nor¬
malwerte. Die ebenfalls untersuchte innere Reibung des Gesamtblutes
dagegen zeigte kein charakteristisches Verhalten, was ja bei dieser von
so zahlrichen und verschiedenen Einzelfaktoren abhängigen Grösse auch
nicht anders zu erwarten war. Die refraktometrische Untersuchung des
Blutserums ergab durchweg eine hohe, in einigen Fällen sogar beträcht¬
lich erhöhte Konzentration des Blutserums, also eine Vermehrung
des Eiweissgehaltes des Serums. Und zwar ist diese nicht
etwa nur eine relative, bedingt durch Abwanderung von HzO in das
•) Nach einem am 21. VIl. 20 in der Naturforschenden Gesellschaft zu
Rostock gehaltenen Vortrag.
*) Zschr. f. klin. Med. 33 u. 52.
’) C. V. N 0 0 r d e n s Hb. d. Path. d. Stoffwechsels II.. 2. Aull.
Zur Pathologie und Therapie des menschlichen Oedems. Springer 1917.
’) D. Arch. f. klin. Med. 134. 1920. H. 5. u. 6.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29 »
MÜNCHENÜR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 1(.
(jewebe, soihjctii eine absolute, ganz analog dem Eiweissansatz in den
Zellen.
In der Mehrzahl der Fälle konnte ich auch den Einfluss des Thyreoi¬
ditis auf die Eiweisskonzentration des Serums beobachten und sah gleich¬
zeitig mit der klinischen Besserung der Fälle auch die Serumkonzen¬
tration sinken und sich der Norm nähern.
Die refraktometrische Untersuchung des Serums ermöglicht es uns
also, beim Myxödem rasch einen Ueberblick über die Verhältnisse des
Eiweissstoffwcchsels zu gewinnen und gröbere Störangen aufzudecken,
wenn sie natürlich auch niemals den exakten Stickstoffwechselversuch
ersetzen kann. Ferner werden wir durch diese Untersuchungsmethode
in die Lage versetzt, auf einfache Weise objektiv festzustellen, ob eine
Wirkung der Thyreoidinbehandlung bereits eingetreten ist, was unter
Umständen auch für die Beurteilung der Wirksamkeit der einzelnen Prä¬
parate von Wert sein kann. Schliesslich kann sie uns ein differential¬
diagnostisches Hilfsmittel sein, um auch weniger ausgesprochene Myx¬
ödemfälle von klinisch mitunter ganz ähnlich imponierenden Krankheits-
bildem, z. B. leichteren Fällen von Hungerödem abzugrenzen, da ja
bei diesen im Gegensatz zum Myxödem die Serumkonzentration nach
den Untersuchungen Jansens“) herabgesetzt ist.
Den physikalischen Veränderungen des Blutes beim Myx¬
ödem wurde bisher im allgemeinen weniger Beachtung geschenkt. Die
Mehrzahl der vorliegenden Arbeiten beschäftigt sich mit den morpho¬
logischen Veränderungen, die das Blut bei Störungen der Schild¬
drüsenfunktion erfährt. Die Angaben der zahlreichen Autoren [Th.
Kocher*) und seine Schule u. a.] stimmen im wesentlichen darin über¬
ein, dass sich beim Myxödem fast stets eine absolute neutrophile Leuko¬
penie und eine relative Lymphozytose findet. Die • übrigen von
Th. Kocher in manchen Fällen gefundenen Veränderungen, Eosinophilie
und geringe Vermehrung der Mastzellen, sind inkonstant. Ich habe in
den von mir untersuchten Myxödemfällen auch stets das Verhalten der
roten und weissen Blutzellen untersucht.
Die Zahl der Erythrozyten fand sich in fast allen Fällen
m ä s s i g v e r m i n d e rt auf 3,5—4,0 Millionen. Der Hämoglobingehalt
(nach Sahli) war normal oder wenig herabgesetzt. Veränderungen
an den einzelnen Blutkörperchen, Makro- oder Mikrozytosc. wie sie
von einzelnen Autoren gefunden wurde, konnte ich nicht beobachten.
Die Zahl der Leukozyten war in allen Fällen bis auf einen ver¬
mindert und schwankte zwischen 4200—5W)0. Die Pn.zentzaM der
Lymphozyten war stets über 30, und schwankte zwischen 33 und
58 Proz. In 3 Fällen fand sich auch vorübergehend eine geringe Ver¬
mehrung der Eosinophilen und der Mastzellen, doch war diese sehr in¬
konstant.
Meine Beobachtungen stehen also durchaus im Einklang mit denen
der obengenannten Autoren. Während die Angaben der einzelnen Unter-
suchung’en über die Veränderungen des weissen Blutbildes beim Myx¬
ödem im w'escntlichen übereinstimmen, gehen bezüglich der Deutung
dieser Befunde die Ansichten auseinander. Th. K o c h e r D vertritt den
Standpunkt, dass die Blutveränderung „auf dem Wege der Schilddrüse,
resp. durch den Ausfall des Schilddrüsensekretes (oder dessen Ver¬
mehrung oder chemische Veränderung) auf die blutbildenden Or-
g me ausgeübt wird. Die Lymphoyzytose ist also nach seiner Ansicht
die Folge einer Reizw'irkung seitens der funktionell erkrankten Schild¬
drüse aut die lymphatischen Organe. Demgegenüber bestreiten andere
Autoren (J. Bauer®), M o e w e s ®) u. a.l diese Abhängigkeit der
Lymphozytose von dem Funktionszustand der Schilddrüse. Sie haben
nachgewiesen, w^as auch wir auf Grund unserer Erfahrungen bestätigen
können, dass sich das sog. Kocher sehe Blutbild auch bei anderen
Störungen im endokrinen System, bei funktionell nervösen und asthe¬
nischen Zuständen, bei Geisteskrankheiten, Fettsucht, Diabetes usw.
findet. Sie betrachten daher die Lymphozytose als den Audruck einer
allgemeinen konstitutionellen Minderw-ertigkeit des Organismus. Bauer
spricht von einem „degenerativen weissen Blutbild“, in dem er ein
wichtiges Hilfsmittel zur Beurteilung der Konstitution erblickt. Das
Wesen dieser Abartung sieht er weniger in der Lymphozytose selbst,
als in einer Labilität des hämatopoetischen Apparates, in seiner Ten¬
denz, auf irgendwelche Gleichgewichtsstörungen im Organismus mit einer
Prononcierung des Blutbildtypus zu antworten. Begründet ist diese Ten¬
denz, wie Bauer meint, in einer Persistenz eines infantilen Zustandes,
‘’iner Hvpoplasie des Granulozytensystems, und er sieht dementsprechend
in der Lymphozytose ein degeneratives Stigma von mehr oder minder
grossem Werte für die Beurteilung der Konstitution.
Bauer und Hinteregger, ebenso M o e w e s verhalten sich
entsprechend ihrer Auffassung der Ly^mphozytose und auf Grund ihrer
Beobachtungen auch ablehnend gegenüber dem Standpunkt
Th. Kochers, der in dem Verhalten der Lymphozyten auf Thyreoidin-
zufuhr ein Mittel zur Funktionsprüfung der Schilddrüse bei funktionellen
Störungen dieses Organs erblickt. Je nachdem die Lymphozytenzahl
auf Tliyreoidin zu- oder abnimmt, handelt es sich nach Kocher um
eine Hyper- oder Hypofunktion der Schilddrüse. Ich konnte Kocher«
Beobachtungen an unserem Material insoweit bestätigen, als sich durcli-
weg ].] unseren Myxödemfällen bei Beginn der Schilddrüscrizufukr
schon nach kurzer Zeit eine Abnahme der Lymphozyten zeigte. Doch
hielt fast stets diese Annäherung des weissen Blutbildes an die normale
“) D. Arch. f. klin. Med. 131.
*) Arch. f. klin. Chir. 87 u. 99.
1 Vgl. A. Kocher: Mitt. a. d. Qrenzgeb. 29.
’') Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten. Bauer
und Hinteregger: Zschr. f. klin. Med. 76.
“) D. Arch. f. klin. Med. 120.
Leukozytenformel nicht stand und mit der Besserung der übrigen sub¬
jektiven und objektiven Symptome gleichen Schritt, sondern die Lymphe -
zyteiizahl stieg bald wieder an trotz fortgesetzter Thyreoidinzufuhr, hie t
sich aber dabei stets unter dem Höchstwert bei Beginn der Behandluni;.
Wenn demnach meine Beobachtungen für einen gleichmässigen Einfluss
der Thyreoidinzufuhr beim Myxödem auf die Lymphozytenzahl im B(-
ginne der Behandlung sprechen, so lassen sie doch eine Bewertung
des Verhaltens der Lymphozytenzahl bei Thyreoidinzufuhr als Indikatcr
des jeweiligen Funktionszustandes der Schilddrüse nicht zu.
Auf Grund unserer Erfahrungen über das Vorkommen einer Lymphe-
zytose bei mannigfachen Krankheitszuständen, wie sie oben erwähnt
wurden, und nach diesen Ergebnissen meiner Untersuchungen beim
Myxödem möchte ich annehmen, dass die Lymphozytose beim
Myxödem wie auch bei anderen funktionellen Er¬
krankungen der Schilddrüse bedingt ist sowohl
durch einen konstitutionellen Faktor als auch durch
den Einfluss der sei es nun quantitativ oder quali¬
tativ gestörten Funktion der Schilddrüse. Man geht
wohl nicht zu weit mit der Annahme, dass das Myxödem, soweit ts
nicht wie in den Fällen der Thyreoaplasia congenita (P i n e 1 e s) über¬
haupt ein angeborener Zustand ist, sich stets auf dem Boden einer kon¬
stitutionellen Unterwertigkeit entwickelt, sei es. dass diese den Organis¬
mus in seiner Gesamtiieit betrifft oder nur in einer angeborenen SchiUl-
drüsenschwäche besteht ^®). Nicht selten offenbart sich diese konstitutio-
neUe Minderwertigkeit in Gestalt deger.erativer Merkmale, in anderen
Fällen ist sie latent. Entweder bedingt sie allein schon eine „konstitutio¬
nelle“ Lymphozytose oder es besteht die Tendenz auf irge.ndwei''}’''
Gleichgewichtsstörungen mit einer Lymphozytose zu reagieren. Vei-
minderung oder Ausfall der Schilddrüsenfunktion lassen dann die Lympho¬
zytose in Erscheinung treten oder bewirken, wo sie schon besteht, ihre
Steigerung.
Eine zuverlässige Erklärung für die Entstehung der „konstitutio¬
nellen“ Lymphozytose gibt es bisher nicht. H a r t *‘) glaubt mit grosser
Wahrscheinlichkeit „eine Störung im endokrinen System heranziehen
zu dürfen, in deren Rahmen dem Thvmus und den Keimdrüsen ein be¬
sonderer, gegen den physiologischen gesteigerter Einfluss auf die Bildung
der Lymphozyten zukommt.“ Auch O. N a e g e 1 i ^*) hält es für wahr¬
scheinlich, dass bei der Regulation der Lymphozytenbildung überhaupt
innersekretorische Einflüsse wirksam sind. Ich glaube, dass damit eher
das Richtige getroffen ist als mit Bauers Annahme einer Hypoplasie
des Granulozytensystems, die auch Hart als bisher durch Tatsachen¬
material nicht begründet ablehnt. Die Ursache der Labilität des Blut¬
bildes und der obenerwähnten Neigung auf irgendwelche Reize mit
einer Lymphozytose zu antworten, sehe ich demnach nicht in der von
Bauer angeiiominencn infantilen Schw’äche des Granulozytensystems,
sondern in der innersekretorischen Störung, Ob der Einfluss auf die
Lymphozytenbildung nun gerade an die Funktion des Thymus und der
Keimdrüse gebunden ist oder durch den Antagonismus der beiden be¬
stimmt wird, halte ich für fraglich. Viel eher möchte ich annehinen,
dass auch Funktionsstörungen anderer endokriner Drüsen und auch Stö¬
rungen in der Korrelation dieser Organe dieselbe Wirkung ausüben
können; ebensowohl kann worauf auch N a e g e 1 i und Hart Hinweisen,
die Funktionsstörung einer endokrinen Drüse in ihrer Wirkung auf die
Leukopqese durch den kompensierenden Einfluss einer anderen ausge¬
glichen werden, wodurch das Fehlen der Veränderung des Blutbildes in
manchen Fällen von Myxödem, M. Basedowii und anderen innersekre¬
torischen Störungen erklärt würde. Auf welchem Wege die Beein¬
flussung der Leukopoese durch den endokrinen Apparat sich vollzieht,
darüber wissen wir noch nichts Sicheres. Nach den Untersuchungen
B e r t e 11 i s ‘^), F a 11 a s und S c h w e e g e r s u. a., die durch Ein¬
führung autonomotroper Substanzen in den Körper Veränderungen des
weissen BUi^bildes erzielten, halte ich es für sehr wahrscheinlich,
dass das vegetative Nervensystem, ebenso wie es die hormo¬
nalen Reize zu zahlreichen anderen Organen leitet, auch die Ver¬
bindung zwischen dem endokrinnen und dem hämato¬
poetischen System vermittelt.
lieber akute Appendizitis bei Tabes.
Von A. Kr ecke in München.
Dass die akute Appendizitis bei manchen Krankheiten einen be¬
sonders heimtückischen Verlauf nimmt, ist bekannt. Die meisten Autoren
stimmen darüber überein, dass eine im Verlauf der Schwangerschaft ein-
setzendc Blinddarmentzündung einen recht gefährlichen Charakter zu
tragen pflegt. Bekannt ist auch, dass die Appendizitis bei Zuckerkran¬
ken durch schnell einsetzende gangränöse Veränderungen ausgezeich¬
net ist.
Einen recht eigentümlichen Verlauf der Appendizitis hatte ich bei
einem Tabiker zu beobachten Gelegenheit, Die Krankengeschichte ist
folgende:
Herr B., 47 Jahre alt, aufgenommen am 30, V. 1914.
Der Patient steht schon seit Jahren wegen Tabes und einer durch dic-
.selbe bedingten Arthropathie im rechten Fussgelenk hier in Behandlung.
**) Vgl. die demnächst erscheinende Arbeit von Hans Curschmann
über dieses Thema, D. Zschr. f. Nervhlk. 1921.
Med. Kl. 1920 Nr. 10.
Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. 3, Aufl. 1919.
Zschr. f. klin. Med. 71.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
299
Seine Jetzige Krankheit begann am 18. Mai 1914 vormittags mit einem
heftigen Schüttelfrost und einer angeblich mehrere Stunden lang dauernden
Bewusstlosigkeit. Vom behandelnden Arzt wurde ein Aderlass vorgenommen,
ln der Nacht vom 18. zum 19. Mai trat wiederholt heftiges Erbrechen auf und
gleichzeitig mehrmaliger, wässeriger Durchfall. Die Durchfälle dauerten 4 bis
5 Tage an und nunmehr setzte eine .3 Tage lang dauernde Verstopfung ein.
ln den letzten Tagen vor der Aufnahme wurde der Stuhl breiig bei einmal
täglicher Entleerung.
Schmerzen waren während der ganzen Krankheitsdauer nicht
vorhanden.
Vom zweiten Tage ab bestand hohes Fieber zwischen 39 und 40, und am
29. Mai trat wiederum ein Schüttelfrost mit nachfolgender hoher Temperatur¬
steigerung ein. Ein weiterer Schüttelfrost ereignete sich heute Morgen 7 Uhr.
Ganz zufällig bemerkte der Patient vor einigen Tagen in der rechten
Unterbauchseite eine Geschwulst und machte seinen Arzt darauf aufmerksam.
Irgendeine schmerzhafte Empfindung bestand an dieser Stelle nicht, höchstens
ein unbedeutendes Druckgefühl.
Der Befund bei der Aufnahme ergab folgendes:
Patient ist ziemlich gross, von gutem Ernährungszustände, mittlerer
Muskulatur, normaler Hautfarbe, Puls 84, Temperatur 40,0. Der Kranke zeigt
die deutlichen Zeichen der Tabes: Pupillenstarre, fehlende Patellarreflexe,
Analgesie an beiden unteren Extremitäten, unförmige Schwellung des rechten
Pussgelenkes, Defekt der linken zweiten Zehe und starke Verkrüppelung sämt¬
licher linksseitiger Zehen.
Das Abdomen nicht aufgetrieben, Bauchdecken überall weich, gut ein-
drückbar.
in der lleozökalgegend befindet sich ein etwa frauenfaustgrosser, gut
abgegrenzter Tumor, der Darmbeingrube aufliegend, ohne jede Druckempfind¬
lichkeit, von ziemlich praller, elastischer Konsistenz.
Leukozytenzah! 19 000.
Sofortige Operation in Aetti^rnarkose. Pararektalschnitt. Das Netz an
das Zökum und an das parietale Bauchfell nach rechts fixiert. Nach Ab¬
lösung des Netzes und des Zökums kommt man hinter dem Zökum auf einen
stinkenden Abszess mit etwa 100 " Inhalt. Die Appendix liegt in der hinteren
Abszesswand, nach unten und einwärts ziehend, an der Spitze perforiert.
Appendizektomie. Zigarettendrain, versenkte Katgutnähte, Hautnaht, Verband.
Der Verlauf war ein ungünstiger. Die Temperatur fiel nicht ab und vom
zweiten Tage ab setzten neue Schüttelfröste ein. Die Schüttelfröste kehrten
nahezu alle Ta^- wieder, oft im Tag mehrere Male. Intravenöse Elektrargol-
injektionen und intravenöse Ko''»’salzlösungen blieben ohne jeden Erfolg.
Unter allmählicher Zunahme des KräfteverfaPes ^erfolgte am 30. Juni
der Exitus.
Das Besondere an diesem Falle von destruktiver Appendi¬
zitis mit umschriebener Abszessbildung besteht darin, dass er einher¬
ging ohne jede subjektive und objektive Schmerzemp¬
findung. Als Ursache für dieses Fehlen der Schmerzempfindung muss
die Tabes angesehen werden. Der Beginn der Appendizitis erfolgte ohne
jede Schmerzäusserung, nur unter den Zeichen der allgemeinen septischen
Infektion. Auch in dem weiteren {Verlauf trat in der Blinddarmgegend
keine Spur einer Schmerzhaftigkeit auf, und so kam es, dass die Appendi¬
zitis 12 Tage lang sich der-Diagnose völlig entzog. Erst wie der Patient
selbst zufällig einen Tumor in der rechten Unterbauchseite entdccKtc,
kennte dieser Tumor als die Krankheitsursache erkannt, und die Diagnose
Appendizitis gestellt werden. Bei wiederholter Untersuchung konnte auch
jetzt keinerlei Schmerzhaftigkeit an dem appendizitischen Tumor nach¬
gewiesen werden.
Soweit mir die Literatur bekannt ist, ist eine Appendizitis bei einem
Tabiker bisher nicht beobachtet worden. Wenn die Affektion bei den
Tabikern demnach ziemlich selten zu sein scheint, so muss man doch
die Besonderheiten derselben kennen, um im gegebenen Falle vor üblen
Erfahrungen geschützt zu sein. Auf Grund unserer Beobachtung scheint
es mir erwiesen, dass die schwerste Form der Appendizitis bei einem
Tab’ker ohne jeden Schmerz verlaufen kann. Findet man daher bei einem
Tabiker Zeichen, die auf eine schwere Darmerkrankung oder auf eine
vorhandene allgemeine Infektion hinweisen. so soll man immer die Mög¬
lichkeit einer Appendizitis ins Auge fassen und eine sorgfältige, dem¬
entsprechende Untersuchung vornehmen. Ein Tumor der Ileozoekal-
gegend wird uns eine Appendizitis annehmen lassen, auch wenn keine
Spur einer Schmerzhaftigkeit besteht. Von besonderer Bedeutung scheint
in solchen Fällen zur Sicherung der Diagnosestellung die Vermehrung der
Leukozyten zu sein.
Der völlig schmerzlose Verlauf der Appendizitis bei einem Tabiker
erklärt sich aus dem Wesen der Erkrankung d^s Rückenmarks, die zu
einer Entartung des peripherischen sensiblen Neuronsystems führt.
Dieser merkwürdige schmerzlose Verlauf der Appendizitis erinnert sehr
an den schmerzlosen Verlauf der Geburt bei tabeskranken Frauen, wie
er in vielen Fällen nachgewiesen worden Ist Besonders M i r a b e a u,
Jakob u. a. haben darauf hingewiesen, dass bei Tabikerinnen die Ge¬
burt fast ohne jeden Wehenschmerz einhergeht, nur einen geringen Druck
im Leib verursacht und ausserordentlich schnell verläuft. M i r a b e a u
nennt darum die Tabikerin eine ideale Kreissende. Was aber bei der
Gebärenden als ein gewisser Vorteil der Tabes angesehen werden darf,
ist bei der Appendizitis ein schwerer Nachteil. Wenn die Schmerzen des
Patienten durch die Tabes auch völlig ausgeschaltet w'erden, so ist da¬
durch andererseits die' Diagnose sehr erschwert, und es kann wie in
unserem Falle der günstige Moment zu dem chirurgischen Eingriff ver¬
säumt werden. Es kann daher nicht dringend genug geraten werden,
bei einer unklaren fieberhaften Allgemeininfektion die Untersuchung auf
Tabeserscheinungen nicht zu versäumen und gegebenen Falles die Mög¬
lichkeit einer Appendizitis ins Auge zu fassen.
Literatur.
Jakob: Zbl. f. Gyn. 1911, 36. — Mirabeau: Zbl. f. Gyn. 1902.
Digitized by Goiisle
Ueb6r Wundbehandlung mit nicht entfettetem Mull
(Rohmull, Rohgaze)').
Von Dr. K-J^ropping, Privatdozent in Frankfurt a. M.
Während seit der Einführung der Baumwolle in die Wundbehandlung
durch L i s t e r stets ihre Entfettung gefordert wurde, damit sie aufsaugen
könne, hat Sachs"), soviel ich sehe, als erster, für bestimmte Zwecke
der Wundbehandlung, nämlich für die Blutstillung, die Entfettung als
nachteilig bezeichnet und nicht entfettete Watte („Polsterwatte“) als
Tamponademittel empfohlen*).
Die Rohwatte wirkt nach Sachs dadurch, dass sie sich nicht voll¬
saugt, wie ein die Gefässöffnungen komprimierender Finger, sie lässt
also überhaupt kein Blut austreten. Sachs empfahl ausserdem nicht
entfettete Gaze zur Umhüllung der Wattetampons und auch als selb¬
ständiges Tamponadematerial, z. B. bei Uterusblutung.
Für mich war diese Veröffentlichung von Sachs der Anlass, nicht
entfetteten Mull für weitere Zwecke der Wundbehandlung zu ver¬
suchen, und zw^ar leitete mich dabei vor allem der Wunsch, die äusserst
unangenehme Verklebung, die die hydrophile Gaze gewöhnlich mit der
Wunde eingeht, zu vermeiden. Es w’ar naheliegend, anzunehmen, da.ss
durch ZwMSchenschaltung einer Isolierschicht zwischen Baumwollfaser
und Wundfläche, wie wnr es bei der Salbenbehandiung tun, die Ver¬
klebung vermieden werden könne, meine Versuche, hydrophile Gaze mit
Fetten zu imprägnieren, hatten jedoch zu keinem greifbaren Resultat
geführt. Beim Lesen des Aufsatzes von Sachs fiel es mir dann wüc
Schuppen von den Augen, dass uns ja die Natur selbst die Baumwolle
gewissermassen im imprägnierten Zustand als fetthaltige Gaze an¬
bietet und dass es demnach ein unnötiger Umweg ist, zuerst durch Ent¬
fettung hydrophile Gaze herzustellen und diese hinterher durch Fette
zu imprägnieren. Ich machte also Versuche mit Rohmuil oder Roh-
gaze D.
Der Rohmull sieht leicht bräunlich aus, etwa wie Polsterwatte, fühlt
sich angenehm glatt an, glatter wie hydrophile Gaze, und ist schmiegsam.
Legt man ein Stückchen auf Wasser, so schwimmt es tagelang auf der
Oberfläche, ohne sich zu imbibieren, während sich bekanntlich hydro¬
phile Gaze in kurzer Zeit vollsaugt und dann untergeht. Füllt man zwei
Reagenzgläschen etwa zur Hälfte mit Wasser und hängt in das eine von
ihnen einen Docht aus hydrophiler Gaze, in das andere einen solchen
aus Rohmull, so wird das Wasser durch die hydrophile Gaze in einigen
Tagen leergesaugt, wobei sich der Docht bis in seine Spitzen anfeuchtet,
während der Wasserspiegel im anderen Reagenzglas kaum verändert
wird und der Rohmulldocht über Wasser trocken bleibt. Mit anderen
Worten, die Kapillarität des Rohmulls ist gleich Null.
Um mir ein Urteil über die Verklebung des Rohmulls zu bilden,
verfuhr ich so, dass ich die Streifen, die ich in frisch inzidierte Wunden
der kleinen Chirurgie (Furunkel, Phlegmonen) einlegte, bereits am ersten,
oder zweiten Tage ohne weitere Lösungsmittel wieder entfernte. Es
stellte sich heraus, dass in der Tat die Verklebung viel milder ist, wie
bei der hydrophilen Gaze. Sie fehlt meist nicht ganz. Der Streifen liegt
also in der Regel nicht als loser Fremdkörper in der Wunde, man muss
einen gelinden Zug ausüben, um die Verlötung zu lösen. Der Streifen
weist an manchen Stellen frischblutige Imbibition auf, und empfindliche
Menschen klagen auch über leichte Schmerzen. Aber der Unterschied
gegen die hydrophile Tamponade ist doch in die Augen springend. Hier
ist der Schmerz doch oft unerträglich trotz Wasserstoffsuperoxydes und
warmen Bades, und eine heftigere Blutung nach der Lösung, die Bildung
des bekannten Blutsees, ist fast die Regel. Solche Blutungen werden
bei Rohgaze bei einiger Vorsicht sicher vermieden, die Wunde bleibt
so gut wie trocken und ist gut übersehbar. Die Verklebung der Roh¬
gaze geschieht also offenbar nicht in so innigem Kontakt mit der Zell¬
schicht der Wunde, ein tieferes Aufreisien der Gewebsspalten und eine
intensivere Zerrung der Nervenendigungen wird vermieden. Ich stelle
mir vor, dass‘sich zwischen Rohmullfaser und Zellschicht eine Koagu¬
lationsschicht bildet, die bei der Entfernung des Streifens durchrlssen
werden muss, wobei an manchen Stellen auch eine oberflächliche Läsion
der Zellschicht eintritt.
Die Unterschiede in der Verklebung sind demnach graduell, mehr
cuantitativ als qualitativ, aber der Unterschied ist gross genug, um den
Rohmull in der Frage der Verklebung bei weitem überlegen erscheinen
zu lassen *).
Ich brauche nicht zu betonen, dass der Vorteil der geringeren Ver¬
klebung nicht nur ein humaner ist sondern auch ein objektiver: Die
Forderung der Wundruhe, des List ersehen „to be let alone“ wird
besser gewährleistet jede neue Eröffnung der Gewebe, die bei der
*) Auszugsweise vorgetragen auf der Naturforscherversammlung in Nau¬
heim am 23. IX. 20.
=*) M.m;W. 1919 Nr. 15.
*) Dabei ist es interessant dass Li st er selbst die Gaze, mit der
er die Wunde bedeckte, mit einer Mischung von Karbolsäure, Harz und
Paraffin imprägnierte, weil dadurch das Karbol länger wirksam war wie in
wässeriger Lösung. L i s t e r beraubte also selbst durch diese Massnahme
die Gaze der Imbibitionsfähigkeit (A. W. Schulze: Volkm. Sammlg. klin.
Vortr. 1872 Chir. I. S. 348 u. f)
*) Ueber meine Erfahrungen habe ich im Zbl. f. Chir. 1920 Nr. 18
kurz berichtet.
*) Dass die Verklebung nicht noch mehr -vermieden wird, liegt wohl an
dem verhältnismässig geringen Fettgehalt des Rohmulls, der nach Mitteilung
der Verbandstofffabrik P. Hartmann 2—2,5 Proz. beträgt.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30Ü
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. lü.
hydrophilen Gaze fast unvermeidlich ist, bedeutet bei infizierten Wunden
neue Infektion und eine grobe Störung der* Wundheilung
Zu Versuchszwecken habe ich den Streifenwechsel bereits am
ersten und zweiten Tage vorgeaommen eine andere Frage aber ist, ob
das notwendig und nützlich war. bekanntlich muss der hydrophile Tam¬
pon nach spätestens zweimal 24 Stunden gewechselt werden, weil er
dann nicht mehr ableitet, sondern verstopft (L e x e r ®)1. E s h a t s i c h
nun herausgestellt, dass der Rohmullstreifen, ohne
Verhaltungen zu machen, länger liegen bleiben kann,
etwa 4 bis 7 Tage. Das hat den grossen Vorteil, dass in der Zwischen¬
zeit der schützende Granulaticnswall mehr oder weniger fertig aus¬
gebildet ist und dass nach dieser Zeit die Entfernung des Tampons nun
in der Tat schmerzlos geschehen kann, weil seine anfängliche Ver-
lötung in der Zwischenzeit aufgelöst wurde.
Eine Ausnahme von dieser Regel machen aseptische Wunden, die
man prophylaktisch tamponiert hat. Bei diesen bleibt die Verlötung
bestehen, offenbar weil keine Zersetzung der verlötenden Koagulations¬
schicht stattfindet. Ebenso tritt nicht selten eine Verlötung mit den
Wundrändern, da wo das Sekret unter der Einwirkung der Luft ein¬
trocknet, ein. Beides sind Ereignisse, die sich schwer vermeiden lassen.
Das von L e x e r empfohlene Bestreichen der Wundränder mit Salbe
kommt für die frische Inzisionswunde, die ich hier als Beispiel stets int
Auge habe, nicht in Betracht, weil die Salbe auf den blutenden Wund¬
rändern nicht haftet.
Wenn der Rohmull längere Zeit in der Wunde bleiben kann, ohne
Verhaltungen zu machen, so besagt das. dass seine Drainage Wir¬
kung besser ist, wie die der hydrophilen Gaze. Es
könnte wundernehmen, dass ein Stoff, der keine Kapillarität hat, besser
drainieren soll als ein anderer mit Kapillarität. Aber ich glaube, dass
die Wirkung der Kapillardrainage in der Wundbehandlung stark über¬
schätzt wird. Man hat immer zu sehr an die Aufsaugungsfälligkeit für
Wasser gedacht. S c h e d e D sagt aber mit Recht, dass die Saugkraft
für Wasser nicht aufschlussgebend sei für die Saugkraft für Wundsekrete.
Füllt man die Hälfte eines Reagenzglases statt mit Wasser mit
einer Auflösung von 3 proz. Gummi arabicum in Ringer scher Lösung,
die nach K e s t n e r *) isoviskös mit Blutserum ist, und hängt einen
hydrophilen Docht hinein, wie oben beschrieben, so ist auch in einer
Woche keine Austrocknung erreicht, und nehme Ich gar dünnen
Eiter zur Füllung, so ist die Kapillardrainage gleich Null ®). Darnach
wirkt also die Streifendrainage schon für Serum viel schlechter als für
Wasser und sie wird ganz ungenügend iür Eiter ‘®).
Wenn daher die hydrophile Gaze den Wundeiter überhaupt ab¬
leitet, so kann das offenbar gar nicht auf Kapillarität beruhen, sondern
auf einer anderen Kraft, und diese sehe ich in dem Sekretions¬
druck der Wundflüssigkeit. Wie gross dieser Druck ist, ist
unbekannt. Man könnte denken, dass er etwa dem Kapillardruck, also
.20 mm Hg, entspricht, es könnte sich aber auch um ein kolloidchemisches
Phänomen handeln, um sog. Synüresis, wie es Ostwald (l. c.) hin¬
stellt. (Dass es einen Sekretionsdruck gibt, sieht man am besten an
einem Douglasdrain, das etwa am 3. Tage nach seiner Einführung,
wenn es also sicher von der freien Bauchhöhle abgeschlossen ist, ent¬
gegen der Schwere Wundsekret ableitet) Der Sekretdruck ist
es also, der bei der Rohgaze die Wundflüssigkeit
durch die Maschen und Spalten treibt. Die (jaze wirkt
vergleichsweise wie eine Summe kleir^er Gummiröhren, d. h. ohne ihre
Kapillarität Bei der hydrophilen Gaze wirkt offenbar der Sekretdruck
schlechter, und das kann an zwei Faktoren liegen: Einmal an der innigen
Verlötung mit der Zellschicht der Wunde, wodurch die Bildung einer im
Sinne Ostwalds sezernierenden Koagulationsschicht verhindert und
die Gewebsspalten verschlossen werden, und zweitens daran, dass die
Gaze infolge ihrer Kapillarität das Serum der Wundflüssigkeit (resp. des
Eiters) aufsaugt (analog dem Kapillaritätsversuch im Brutschrank) und
dadurch das Sekret noch mehr eindickt so dass es rein mechanisch die
Maschen verstopft ^0. (Von den Verhaltungen, die duroh Gerinnungs¬
vorgänge in den obersten Schichten des Tampons, die der Einwirkung
der Luft ausgesetzt sind, entstehen, muss man hier absehen. Solche Ge¬
rinnungen kommen natürlich auch bei der Rohgaze vor.) Die Drai¬
nagewirkung der hydrophilen Gaze wird also durch
ihre Kapillarität eher ungünstig beeinflusst, es ist
®) Lex er: Lelirb. d. allgem. Cliir. Stuttgart 1918, S. 199.
P Schede; D. Zschr. f. Cliir. 133. 1915.
*) Ke st n er: M.m.W. 1919 Nr. 38.
®) Einen analogen Versuch teilt I s e l i n (Bruns Beitr. 102.) mit, der
sich eines mit Gaze umwickelten Drainrohres bediente.
‘®) Stelle ich das Reagenzglas mit dem Eiter in den Brutschrank, so
steigt das Serum des Eiters in dem Docht eine Strecke weit hoch, aber
eine nennenswerte Fliissigkeitsverininderung und eine richtige Ableitung
kommt auch dann nicht zustande. Die Erklärung für das verschiedene Ver¬
halten der Flüssigkeiten ist auf kollofdchemischem Gebiete zu suchen. Der
Hauptgrund ist, dass die Viskosität und damit die Kapillarfähigkeit parallel :
geht dem Disper.sitätsgrad der kolloidalen Lösung. (Vergl. W. Ostwald: !
Die Welt der vernachlässigten Dimensionen. 3. Auf!., Dresden und
Leipzig 1919.)
**) Das einfache Vollsaugen des Tampons kann nicht schuld sein, denn
auch ein nasser hydrophiler Tampon lässt Flüssigkeiten ohne Schwierig¬
keit durchtreten, und ebenso ist es verkehrt, sich vorzustellen, dass etwa
die einzelnen Baumwollfäden unter der Wirkung der Kapillarität aufquellen
und dadurch die Zwischenräume verengern. Der Faden quillt nicht, wie
die mikroskopische Betrachtung lehrt, die Kapillardrainage geht also praktisch
entlang den Fäden, nicht i n den Fäden vor sich.
Digitized by Goiisle
darum folgerichtig, auf die Kapillarität ganz zu ver¬
zichten und die Gaze im nicht kapillarfähigen Zu¬
stande zu benutzen.
Als klinisches Zeichen der guten Drainage Wirkung der Rohgaze fand
ich in der Regel ein rasches Schwinden des kollateralen Oedems und dt.s
Entzündungsschmerzes nach der Spaltung des Entzündungsherdes, ln
beiden Punkten lässt die hydrophile Gaze oft zu wünschen übrig.
Bezeichne ich somit die bessere Drainage des Rolimiills als ihren
Hauptvorteil so ist das gerade das Gegenteil von dem, was Sachs
an der nicht entfetteten Watte rühmte, nämlich die Unterdrückung jeder
Blutung und jeder Sekretion. Man könnte deshalb glauben, dass in bezug
auf Blutstillung die Rohgaze unbrauchbar sein würde. Dem ist aber nicht
so. Legt man in eine frische Inzisionswunde den Rohmullstreifen locker
ein — selbstverständlich wird nie gestopft —, so läuft zwar zunächst an
verschiedenen Stellen Blut zwischen Streifen und Wundrand hervor.
Befestigt man aber unbekümmert darum den hydrophilen Verband auf
der Wunde, so ist man beim nächsten Verbandwechsel erstaunt, wie
gering die Nachblutung war. Sachs hat die Rohwatte auch zur
temporären Kompression während der Operation empfohlen (Kom¬
pression 5—10 Minuten lang). Ueber diesen Punkt habe ich noch nicht
genügend Erfahrung gesammelt. Ich halte cs aber für angezeigt in
Fällen, wo es auf bluttrockenes Operationsfeld ankommt (plastische
Operationen!), Versuche mit Rohgaze zu machen. Zweimal habe ich
schwer stillbare .Alveolenblutungen nach Zahnextraktion mit einmaliger
Rohgazeeinlage und folgender 10 Minuten langer Kompression zürn
dauernden Stehen gebracht. Also auch bei Blutungsneigung (Gallenstein¬
chirurgie, Prostatektomie) und bei Hämophilie sollte die Rohgaze an
Stelle der hydrophilen Gaze treten. Warum die Rohgaze trotz ihrer
Drainagewirkung blutstillend wirkt, darüber Hypothesen aufzustellen, ist
müssig. Mechanische Momente: die Kompression im Sinne Sachs, die
Zerteilung des Blutstromes in zahlreiche kleine Kanäle, die dadurch be¬
dingte Stromverlangsamung werden die Hauptrolle spielen.
Zum Schluss möchte ich noch ein Moment zugunsten der Rchgize
ins Feld führen, das ist die bessere Regeneration der Wunde. Wenn
Bier**) von diesem Gesichtspunkt aus die Einführung eines Qaze-
tampons für ein grosses Uebel erklärt, weil der Fremdkörper einen
schädlichen Reiz attsübe, durch Austrocknung der Wunde die Nekrose
fördere und durch Entziehung des notwendigen feuchten ..Nährbodens"
die Regeneration verhindere, so ist der Rohmullstreifen vielleicht ge¬
eignet, die Schädlichkeit auf ein erträgliches Mass zurückzuführen. Man
mache ausgedehnte Versuche mit Sehnenscheidenphlegmonen, um zu
sehen, ob sich die Sehne nicht häufiger erhält wie bei der alten Tam¬
ponade mit hydrophiler Gaze. Ich verfüge leider erst über einen Fall,
der am zweiten Tag nach der Infektion inzidiert wurde (dicker Eiter in
der Sehnenscheide) und .bei dem die 'Sehne funktionsfähig erhalten blieb.
Qretsel*®) meint, dass man an Stelle.der Rohgaze auch Staniol
verwenden könne. Ich kann mir nicht denken, dass Staniol bei frischen
Inzisionswunden wegen Furunkel, Phlegmonen etc. brauchbar ist. weil
ihm die styptische Wirkung fehlt. Ebenso steht es mit dem von
Esch er**) empfohlenen Pergamentpapier. Beide Mittel werden sich
für akzidentelle und für frisch granulierende Wunden gut eignen. Ob die
von Seemann*“) empfohlenen Perlbänder styptisch wirken, scheint
mir ebenfalls fraglich. Aber selbst, wenn eines von diesen oder ein
anderes Mittel brauchbar wäre, sp wäre wohl keins so einfach wie die
nicht entfettete Gaze*®).
Die Vorteile der Rohgaze als Tamponade und Drainagemittel seien
noch einmal kurz zusammengestellt:
Die Rohgaze verklebt bedeutend weniger wie die hydrophile Gaze,
sie ist darum humaner.
Die Rohgaze ermöglicht eine gute Drainage der Wunde. Der
Streifen kann deshalb liegen bleiben, bis er locker ist. Dadurch werden
Blutung und Verletzung der Wunde beim Tamponwechsel vermieden.
Die Rohgaze hält die Wunde feucht und unterstützt dadurch die
Regeneration. Die Rohgaze wirkt blutstillend.
Aus der Universitäts-Frauenklinik der Charite Berlin.
(Direktor: Qeh. Med.-Rat Prof Dr. K. Franz.)
Tiefenthermometrie.
(VI. Mitteilung.)
Von Dr. Bernhard Zondek, Assistent der Klinik.
Ueber Tiefenwirkung in der physikaiischen Therapie.
C. Der Priessnitzsche Umschlag.
In der Praxis wird die lokale Kälteapplikation am häufigsten in der
Form des P r i e s s n i t z sehen Umschlages geübt. Er wird meist bei
entzündlichen Affektionen angewandt, sowohl bei Prozessen, die sich im
oberflächlichen Gewebe abspielen, wie bei den in der Tiefe liegenden.
Kann man nun durch den feuchten Umschlag überhaupt einen physi; -
logischen Effekt bewirken, kann man das Gewebe Irgendwie thermisch
beeinflussen?
**) Bier: B.kl.W. 1917 Nr. 9 u. lü und D.rn.W. 1917 Nr. 33.
*®)Gretsel: Zbl. f. Chir. 1920. Nr. 26.
**) Esche r; Zbl. f. Chir. 1920 Nr. 32.
*“) Seemann: Zbl. f. Chir. 1919 Nr. 31.
'®) Die Verbandstofffabrik Hartmann, Heidenheim a. Br. (Württ.)
hält Rohmullpackungen, auch imprägniert mit Airol und Jodoform, vorrätig.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
n. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
301
Die Wirkung lokal-thermischer Applikationen wurde bisher fast
ausschliesslich in ihrem Einfluss auf den Gefässapparat unter¬
sucht, der sekundär die Blutfülle des behandelten Gewebes beeinflussen
muss. Für ä^s Studium thermischer Wirkungen auf die Gefässe stehen
uns eine Reihe von Untersuchungsmethoden zur Verfügung, die aber fast
sämtlich eine eindeutige und ins einzelne gehende Schlussfolgerung nicht
zulassen. Die älteste der Methoden, die direkte mikroskopische Be¬
trachtung der Gefässe und Kapillaren an der Froschschwimmhaut oder
den Fledermausflügeln (Hastings, Gilbert d’Hercourt, Schwann
u. a.) hat nach M a 11 h e s nur noch historisches Interesse. Auch die
makroskopischen Untersuchungen, wie z. B, die Beobachtung der sich
verändernden Piagefässe nach Schädeltrepanation beim Kaninchen
[Schüller^)], oder das Studium des vasomotorischen Verhaltens der
gut sichtbaren Gefässe am Kaninchenohr [Pfalz^)], oder endlich die
direkte Betrachtung der Blutfülle eines Gewebes bei der Sektion
[W e c h s b e r g ®)] sind zu ungenau und lassen dem subjektiven Er¬
messen einen zu weiten Spielraum. Unter den physiologischen Metho¬
den, die die Kontraktionsänderungen der Gefässe kurvenmässig dar¬
stellen, ist besonders die Plethysmographie und die Sphygmornanometrie
zu nennen. Letztere, die besonders von W i n t e r n i t z *) zur Unter¬
suchung der Wirkungsweise hydriatrischer Prozeduren viel benutzt wurde,
birgt so viel Fehlerquellen in sich, dass nach Matthes®) brauchbare
Schlüsse über den Zustand des Gefässsystems aus den gewonnenen Kur¬
ven nicht zu ziehen sind. Die Plethysmographie gibt durch die Volum-
raessung einer bestimmten Körperregion sowohl über den arteriellen Zu¬
fluss wie über den venösen Abfluss Aufschluss. i)ie Kurven lassen den
Rhythmus des Herzschlages und respiratorische Veränderungen deutlich
erkennen und werden durch psychische oder physikalische (thermische)
Reize in charakteristischer \Veise verändert. So einfach die Methode
auf den ersten Blick erscheinen mag, so zahlreich und versteckt sind,
wie ich an anderer Stelle ausführlich auseinandergesetzt habe®), die
Fehlerquellen. Die plethysmographischen Untersuchungen von M o s s o ^),
W i n t e r n i t z u. a., zeigten, dass das Volumen des Armes sicli durch
Kälteapplikation vermindert, durch Wärme vergrössert, ohne dass ein
genaues proportionales Verhältnis zwischen diesen beiden Faktoren zu
bestimmen wäre. Interessant sind die Befunde von S. A m i t i n *). Sie
konnte feststellen, dass die durch eine Temperatur von 43® maximal dila-
tierten Gefässe nicht gelähmt seien und durch bestimmte psychische
Reize beliebig verengert werden konnten. Die Plethysmographie
(E. Weber®)] kann ebensowenig wie die von Krieg*®) angegebene
Tachographie oder die von Grunmach**) beschriebene Methode der
Pulsverspätung über den Zustand der Gefässveränderungen in den ein¬
zelnen Gewebsschichten Aufschluss geben, sondern nur einen Ueberblick
über das Gesamtverhältnis in einem grösserer Körperabsthnitt. Nun
spielt aber in der Beurteilung physikalisch-therapeutischer Methoden die
Frage eine grosse Rolle, in welcher Weise die einzelnen Gewebspartien
vasomotorisch oder sonstwie beeinflusst werden. Nehmen wir an, dass
z. B. am Oberarm eine Kälteapplikation wirkt, so wird dieselbe, wie
M a 11 h e s angibt, die oberflächlichen und bei genügender Intensität
auch die tieferliegenden Gefässe verengern; es wird also, vorausgesetzt,
dass der allgemeine Blutdruck nicht steigt, weniger Blut in die peripheren
Gefässe gelangen. W i n t e r n i t z suchte dies durch Temperatur¬
messungen zu beweisen und fand peripher von der Applikationsstelle
(Hohlhand) eine Verminderung, zentral von der Reizstelle (Achselhöhle)
eine Erhöhung der Temperatur- die er als Stauung oberhalb des strik-
turierten Gefässgebietes auffasst. Wie die Gefässwirkung bei der Hitze¬
applikation auf die peripheren und lokalen Gefässe wirkt, ist noch immer
nicht genau geklärt Bier“) ist der Meinung, dass die alte Anschauung
von der Revulsion der tiefen Gewebsabschnitte im Sinne Frangois
F r a n c k s *®) zu Unrecht besteht, und dass die hyperämisierende Wir¬
kung lokaler Erhitzung sämtliche Gewebe des der Erwärmung aus¬
gesetzten Gliedes in der gleichen Art und Weise beeinflusst
Untersuchungen, die sich mit der thermischen Tiefenwirkung
physikalisch-therapeutischer Methoden beschäftigen, liegen bisher
nur spärlich vor und sind im wesentlichen an Tieren • aus¬
geführt Wenn aber hierbei komplizierte Versuchsanordnungen
notwendig waren (Aufbinden, Narkose, Kurarisierung, Eröffnung
*) Schüller: Experimentelle Studien über die Veränderungen der
•Hirngefässe unter dem Einfluss äusserer Wärmeapplikationen. D. Arch. f.
klin. M. 14. 1874. S. 566; B.kl.W. 1874 S. 294.
*) Pfalz: lieber das Verhalten verschiedener Tiere gegen Temperatur¬
differenz und elektrische Reize. Inaug.-Diss., Königsberg 1882.
®) Wechsberg: lieber den Einfluss chemischer Gegenreize auf Ent¬
zündungen. Zschr. f. klin. M. 37. S. 360.
•) Winternitz: Hydrotherapie auf physiologischer und klinischer
Grundlage. Neue Ausgabe 1912.
*) M a 11 h e s: Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie, S. 19.
•) B. Z 0 n d e k in Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeits¬
methoden: Vasomotorische Methodik der psychologischen Ermüdungsmessung.
^ Mosso: L’aetion du chaud et du froid sur les vaisseaux sanguins
Archives Italiennes de Biologie 1889 S. 346.
®) S. Ami t in: lieber den Tonus der Blutgefässe bei Einwirkung der
Wärme und Kälte. Zschr. f. Biol. 35. 1894.
®) E. Weber: Der Einfluss psychischer Vorgänge auf den Körper, ins¬
besondere auf die Blutverteilung. Springer 1910.
*®) V. Kries: Studien zur Pulslehre. Freiburg 1892.
**) G r 11 n m a c h: lieber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Puls¬
wellen. Arch. f. Anat. u. Phys. Physiol. Abt. 1879 S. 417.
A. Bier: Hyperämie als Heilmittel. S. 22.
Francois Franck: lieber die wichtigsten örtlichen und Allgemein¬
wirkungen der kutanen Revulsion auf die Zirkulation. Ins Deutsche übersetzt
von T. Fodor, Blätter f. klin. Hydrotherapie, II. Jahrg., Nr. 11, 1892.
Nr 10
Digitized by Goiisle
des Abdomens etc.) oder wenn die Messungen beim Menschen in Fisteln
am Knochen oder an Körperhöhlen vorgenommen wurden (S c h l i k o f f,
V. Esmarch, Schultz e, Quincke, Salomo n) so sind, wie in
der IV. Mitteilung“) auseinandergesetzt ist, die Fehlerquellen so zahl¬
reich, dass die Resultate nur mit grosser Vorsicht verwertet werden
können.
Die Feststellung bzw. dauernde Registrierung der unter dem Einfluss
hydriatrischer Prozeduren sich verändernden Gewebsthmperatur ist
klinisch in zuverlässiger Weise mit dem von mir angegebenen Tiefen¬
thermometer möglich. Es war nun von Interesse, über die Wirkung
des so vielfacht angewandten feuchten Umschlages Untersuchungen aus¬
zuführen. Folgende Fragen wurden gestellt: Kann man überhaupt durch
den Priessnitz einen j)hysiologischen Effelrt erzielen? Ist dabei die Art
des Verbandes ausschlaggebend, d. h. ist es zweckmässig den Verband
durch einen undurchlässigen Stoff abzudichten? Kann man auch eine
Tiefenwirkung erzielen und wie weit reicht eine solche?
Aus der Fülle der diesbezüglichen Untersuchungen, üi denen die Ver¬
suchsanordnung nach allen Seiten hin modifiziert wurde, seien nur einige
kurz herausgegriffen. Die Versuche wurden zuerst am Unterarm ausge¬
führt, ich bin aber dann zur Untersuchung der Wirkungsweise der Um¬
schläge am Abdomen übergegangen. Einmal wird der Priessnitz ja am
häufigsten am Rumpf angewandt, andererseits war aber die in der
III. Mitteilung*®) beschriebene Beobachtung massgebend, dass die durch
Wärmeabgabe bedingte dauernde Temperaturverschiebung im Gewebe
am Abdomen viel geringer ist als an den Extremitäten. Dadurch dürften
die vorliegenden Untersuchungen an Exaktheit gewinnen.
I. Das Tiefenthermometer wurde in der Medianlinie des Epigastriums
in tangentialer Richtung so eingeführt, dass der Teller etwas unterhalb
des Schwertfortsatzes zu liegen kam. Hüllt man jetzt den Bauch in den
Umschlag ein, so befindet sich das Ansatzstück und die Skala des Thenno-
meters ausserhalb des Verbandes (Fig. I). Man kann den Verband nun
beliebig lange liegen lassen und den Temperatur verlauf dauernd kon¬
trollieren. ln Tabelle 1 ist ein Versuch wiedergegeben, wo bei einer
mageren Patientin die Wirkung eines Priessnituschen Umschlages
(feuchter Umschlag, Wolldecke, kein Gummistoff) auf die Subkutan¬
temperatur geprüft wurde. (Das. zum Priessnitz verwandte Wasser
wurde auf die Lufttemperatur eingestellt.)
Tabelle 1. Wirkung des Priessnitzschen Umschlages
(ohne Gummistoff) auf die Subkutantemperatur am
Hypogastrium bei dünnem Fettpolster.
Zeit
Temperatur in der Sub-
kutis des Fpigastnums
Zeit
Temperatur in der Sub-
kutis des Epigastriums
10»
86.8
10»
36
KX»
Umschlag angelegt
11
86.2
10«*
86.2
11“
86.8
10»
85.2
11»
36.5
10“
86.25
11“
86.6
10“
85.4
12»
36.5
10“
86.7
1
36.5
10“
86
Die Hauttemperatur betrug in diesem Falle 33®. Sie wurde durch
den Umschlag, da das zum Umschlag verwandte Wasser eine Temperatur
vous 17,5® hatte, stark abgekühlt. Schon nach kurzer Zeit geht die
Subkutantemperatur abwärts, allerdings nur um 0,6®. Dies dauert aber
nur einige Minuten. Nachdem der Verband 8 Minuten gelegen hat, be¬
ginnt das Thermometer schon zu steigen, d. h. nach dieser kurzen Zeit
ist die abkühl^nde Wirkung des Priessnitz sehen Umschlages
vorüber, um einer das Gewebe erwärmenden Platz zu machen. Es folgt
ein allmählicher Temperaturanstieg, der in der ersten Stunde etwa 0,25®
in je 10 Minuten beträgt. In der zweiten Stunde nur noch geringes
Steigen der Temperatur, um sich dann bei 36,5® konstant zu halten.
Die erste Frage ist damit entschieden: Wir können durch den
Priessnitzschen Um schlag die Gewebstemperatur
der.Subkutis beeinflussen, einer kurz dauernden Ab¬
kühlung folgt eine langanhaltende Erwärmung.
II. Ist es nun gleichgültig, ob man den Umschlag mit undurchlässigem
Stoff (Billrotbattist, Gummidecke) umgibt oder nicht? Die Antwort gibt
Tabelle 2. Hierbei wurde unter denselben Bedingungen wie iffi 1. Ver¬
such die Einwirkung des Priessnitzschen Umschlages auf die Sub¬
kutantemperatur geprüft, nur dass hierbei der Umschlag mit einer Giimmi-
**) B. Zondek: Tiefenthermometrie. IV. Mitteil, lieber physikalische
Therapie.'M.m.W. 1920 Nr. 28.
*®) B. Zondek: Tiefenthermometrie. III. Mitteil. Die Temperaturver-
schiebung im Gewebe durch Wärmeabgabe. M.m.W, 1920 Nr. 9.
4
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
302
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
decke umgeben wurde. Im Unterhautzellgewebe wurde 36 “ gemessen,
die Hauttemperatur betrug 33®. Lufttemperatur 19,5®. Wassertempe¬
ratur 19®.
Tabelle 2. WirkungdesPr
(mit Gummistoff) auf die
Hypogastriums bei <
Zeit
Temperatur in der Fubkutis
des Epigastriums
10“
36
10“
Umschlag angelegt
10“
85.4
10"
85 3
10“
85.5
10“
86.0
10“
86.2
iessnitzsclien Umschlages
Subkutanternperatur des
iünnem Fettpolster.
Zeit
Temperatur in der Subkutis
des Epigastriums
11
86.6
1110
86.7
11“
87.0
11“
87.1
12
87.2
12“
87.4
1
87.4
Die Tabelle ergibt: zunächst kurz dauernden Temperaturabfall
(10 Minuten), dann Ansteigen. Aber wir erhalten höhere Werte in
gleicher Beobachtungszeit! Vorher (im Vergleich zur Anfangstemperatur)
ein Pius von 0,7®, jetzt ein solches von 1,4®.
Durch die Umhüliung des Priessnitzschen Uni-
schlagQsmiteinem undurchlässigenStoffkönnen wir
also die thermische Wirkung auf das Subkutangewebe
verstärken. Die Durchwärmung geht schneller vor sich und ist
intensiver. Ais Erklärung müssen die durch den Gummistoff verschlech¬
terten Bedingungen der Wärmeabgabe und Verdunstung angeführt wer¬
den. Man wird den erreichten Wärmeeffekt im Gewebe aber nicht nur
auf die direkte Leitung durch den langsam sich erwärmenden Umschlag
zurückführen können, sondern man muss bei diesen relativ starken Tem¬
peraturerhöhungen an vasomotorische Einflüsse mit den dadurch be¬
dingten physiologischen Wärmeänderungen denken. Wenn wir die Haut
durch Wasser von Zimmerwärme (durchschnittliche Differenz von 15®)
abkühlen, so bekommen wir auch im Unterhautzellgewebe eine Tem-
peraturemiedrigung und Vasokonstriktion, die dann von reaktiver Hyper¬
ämie und Temperaturerhöhung im Sinne von Bier gefolgt ist.
III. Kann man durch den Priessnitzsehen Umschlag auch eine
Tiefenwirkung erreichen? Geht die Gewebserwärmung über das sub¬
kutane Fettpolster hinaus in die Muskulatur und darunter? Tabelle 3
gibt die positive Antwort. In diesem Versuch wurde das Tiefenthermo¬
meter an der Linea alba epigastrica in schräger Richtung so eingeführt,
dass die Spitze des Thermometers nahe am Peritoneum etwa 3)4 cm
unter der Haut lag. Das Fettpolster war gering. Der Umschlag war,
um eine intensivere Wirkung zu erzielen, durch Gummistoff umgeben
(Rektaltemperatur betrug 37,3®, Lufttemperatur 18®, Wassertempera-
tur 18®).
Tabelle 3. Der Einfluss des P r i e s s n i t z s c li c n Um¬
schlages auf die Temperatur in der Tiefe (hintere
Rektusscheide).
Zeit
Temperatur in der Subkutis
des Epigastriums
10»
86.7
IO“
Umschlag umgelegt
10“
86.4
KF»
86.3
10»
86.3
10»
86.4
10“
36.6
Zeit
Temperatur in der Subkutis
des Epigastriums
10“
86.8
11
86.9
lO'ö
87.0
11»
87.2
12
37.8
12»
37.8
1
87.8
Der Versuch ergibt: Auch in der Gewebstiefe eine schnell be¬
ginnende, kurzdauernde Abkühlung (20 Minuten), die von einer stetig
steigenden Temperaturerhöhung gefolgt ist. Nach 3 ständiger Beobach¬
tungszeit ein Plus von 0,6 ® im Vergleich zur Anfangstemperatur. Damit
muss dem Priessnitzschen Umschlag auch bei Pro¬
zessen in der Tiefe (z. B. am Peritoneum) therapeutische
Wirksamkeit (Tiefenwärmung, reaktive Hyperämie)
zugesprochen werden. Die Untersuchungen beweisen ferner,
dass die tiefen Gewebsabschnitte in gleicher Weise thermisch beeinflusst
werden wie die oberflächlichen Schichten. Und wenn wir in der Tiefe
eine Temperaturerhöhung erhalten, so müssen wir auch auf eine sekun¬
däre Tonusänderung der Gefässe (Vasodilatation) schliessen. Die An¬
schauung von der Revulsion der tiefen Gewebspartien muss demnach
zurückgewiesen werden, die Versuche bestätigen die von B i e r in seinen
Untersuchungen über die Hyperämie dargelegten Grundsätze.
Die Wirkung des feuchten Umschlags ist aber nicht in allen Fällen
die gleiche, da neben der Gewebstiefe vor allem die Gewebsart eine
Rolle spielt. In der IV. Mitteilung war der Einfluss des Fettpolsters
bei thermischen Applikationen erläutert worden. Dieselben Bedingungen
gelten auch für den feuchten Umschlag. Führt man das Tiefenthermo¬
meter in eine Bauchdecke mit starkem Fettpolster, so kann man fest¬
stellen, dass die reaktive Wirkung des Priessnitz sehen Umschlages
um so kleiner ist, je stärker die Fettschicht ist. Hierbei muss aber er¬
wähnt werden, dass die erreichten Temperaturerhöhungen
doch stärker waren, als man nach der Dicke des zu
durchdringenden Fettpolsters hätte annehmen kön¬
nen. Als Qrund muss wohl die allmähliche und langdauernde Einwir¬
kung des feuchten Umschlages angenommen werden, jedenfallseine
Eigenschaft, die den Priessnitz für die Praxis be¬
sonders wertvoll macht.
Aus der Badischen Heilanstalt Illenau.
(Direktor: Med.-Rat Dr. Thoma.)
Ueber das Verhalten des Liquor cerebrospinalis
bei der artifiziellen Remission der Paralyse.
Von Assistenzarzt Dr. O. H. Sc hm eich er.
Die Zahl der Beobachtungen, nach denen durch Behandlung mit
Salvarsanpräparaten der Liquorbefund bei Paralyse in gewisser Weise
verändert wird, mehrt sich in der letzten Zeit.
Während noch Nonne (Syphilis und Nervensystem, 1915, S. 806)
die antisyphilitische Behandlung der Tabes und Paralyse, bis die WaR.
in Blut und Liquor negativ wird, „für ein aussichtsloses Regime“ erklärt,
während noch Eskuchen (Die Lumbalpunktion. 1919, S. 158) sagt:
,X)ie Therapie der Paralyse ist ohne jeden Einfluss auf den Liquorbefund“,
konnte Weichbrodt (D.m.W. 1918 Nr. 44) in 5 von 14 Fälien durch
Behandlung mit Sulfoxyiatsalvarsan negative WaR. im Blut und in
2 Fälle negative WaR. in Blut und Liquor erzielen. Auch Knauer
berichtet (M.m.W. 1919 Nr. 23), dass nach intraarterieller Silbersalvarsan-
behandlung die WaR. im Blut bei 12 von 19 Fällen negativ wurde;
im Liquor ging sie ebenfalls in der Mehrzahl quantitativ zurück, 5 mal
wurde sie zum Verschwinden gebracht; auch die übrigen Reaktionen
wurden merklich beeinflusst.
.4ehnliche Erfolge weisen D r e y f us (bei Tabes), Alt. Alter,
Drossaers, Raecke, Runge, Plaut, Scharnke u a. nach.
Dagegen sahen neuerdings keine Einwirkung der spezifischen Behand¬
lung auf Liquorreaktionen: Friedländer, Hoppe, Jansky.
Zweifellos ist das Verhalten der verschiedenen Reaktionen in der
Lumbalflüssigkeit eines der wichtigsten objektiven Kriterien des Erfolgs
der Behandlung. Auffallenderweise scheint aber nach den bisherigen
Veröffentlichungen die klinische Besserung mit dem Verschwinden der
pathologischen Reaktionen durchaus nicht Hand in Hand zu gehen ^). Es
ist aber von hohem Interesse festzustellen, wie sich überhaupt der Liquor
bei der Remission der Paralyse verhält.
Wir haben in der letzten Zeit 5 Paralysefälle verschiedener Stadien
mit Silbersalvarsan behandelt und haben in allen Fällen eine so
weitgehende klinische Besserung gesehen, dass alle Patienten zum Teil
als nicht mehr anstaltsbedürftig in häusliche Pflege, zum Teil erwerb¬
fähig entlassen werden konnten.
Die Fälle seien kurz angeführt; die Liquorreaktionen vor und nach
der Behandlung sind jeweils in ein Schema als Kurven eingezeichnet.
Fallt. V. L., Major, 48 Jahre. Infektion vor 18 Jahren, mehrere
Schmierkuren! Nervöse Beschwerden und starre Pupillen seit 1914. Wegen
Verschwendung, hochgradiger Erregtheit, Wahnideen, Nahrungsverweigerung
am 3. März 1920 aufgenommen. Befund: Pupillen weit, völlig lichtstarr, Knie¬
sehnenreflexe nicht auslösbar kein Babinski, deutlicher Romberg, ataktischer
Gang, Blasenstörungen, starke artikulatorische Sprachbehinderung. Seelisch:
Nicht völlig orientiert, stumpf, gleichgültig, Wahnideen, starke Störung der
Merkfähigkeit. Erhielt im ganzen 2,7 g Silbersalvarsan intravenös in Gaben
von 0,1 bis 0,3 in viertägigen Zwischenräumen. Bei der Entlassung am
am 30. April 1920: Neurologischer Befund unverändert, Spraohstörung und
Gang gebessert, Blasenstörung behoben. Orientierung klar, Stimmung ge¬
hoben, Benehmen ruhig und geordnet. Die Besserung hat bis heute (1. II. 21)
angehalten; der Kranke berichtet selbst, dass es ihm gut gehe, dass er allein,
spazieren gehen könne und z. T. erwerbende Tätigkeit ausübe. Die An¬
gaben werden von der Frau bestätigt.
80
geo
:=l40
<ü
N20
0
4 fff
/
ff +
ft
t
f
1 _
^—.
r
! _
128456789
L e g e n d e* f ü r K u r v e 1 bis 5.
1 = Druck. 2 *s Aussehen. 8 = Zellen. 4 = Gesamteiweiss. 5 = Globuline.
6 = Kolloid.-R. 7 = Waß.-Liq. 0,1. 8 = Waß.-Liq. 0,5-1,0. 9 = WaR.-BIiit.
vor der Behandlung. -nach der Behundluug.
F a 11 2. S., Ingenieur, 36 Jahre. Infektion vor 10 Jahren. Schmier¬
kuren. Beginn der Paralyse Ende März 1920 mit Unruhe und tiefer de¬
pressiver Verstimmung. Wegen starker Erregung am 2. April 1920 auf¬
genommen. Befund: Pupillen reagieren gut, Kniesehnenreflexe sehr lebhaft,
kein Babinski, kein Romberg, keine Gehstörung; artikulatorische Sprach¬
t 4 f+
80
/r
—
g^O
fff
t
f-H Af)
tt
r
^20
0
+
--
1
2
3
4
5
" 6 ’
”7
8
9
störung. Seelisch: Verwirrt, unruhig, einsichtslos, starke.Merkstörung. Er¬
hielt im ganzen 3,8 g Silbersalvarsan in Gaben von 0,1 bis 0,3 in viertägigen
Intervallen. Bei der Entlassung am 1. Juli 1920: Neurologischer Befund un-
*) Weichbrodt: D.m.W. 1918 Nr. 44.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3Ö3
verändert. Die Orientierunsf ist klar; StimmuiiK zehoben, Krankheitseinsicht
fehlt. Das Benehmen ist durchaus geordnet. Der Kranke betätigt sich seither
zuhause und berichtet in sachlichen Briefen über sein Befinden.
Fall 3. St., Diplomingenieur, 42 Jahre. Infektion vor 19 Jahren.
Schraierkuren. Beginn 1918 in Australien in englischer Gefangenschaft mit
Qrössenideen, Hochstapeleien, vorübergehender starker Sprachbehinderung.
Nach Deutschland abgeschoben; in Holland verhaftet, dann ausgewiesen.
Reist ohne Pdss nach dem Eisass, verlobt sich mit Hochstaplerin, die ihn aus¬
beutet, wird verhaftet und als geisteskrank über die Grenze geschoben. Auf¬
nahme 16. Januar 1920. Befund: L. Pupille rund, lichtstarr, Konvergenz¬
reaktion erhalten. R. Pupille entrundet, queroval verzogen, minimale Licht-
reaktion. Konvergenzreaktion erhalten, Patellarreflexe leicht gesteigert, kein
Babinski, kein Romberg, starker grobschlägiger Tremor der Hände, starke
artikulatorische Sprachstörung. Seelisch: Nicht völlig klar. Expansive
Grössen- und Rt'chtumsideen, Ideenflucht, Tätigkeitsdrang, starke Merkstörung;
spricht und schreibt englisch, deutsch, holländisch durcheinander. Fehlende
Krankheilseinsicht. Erhielt ini ganzen 8.6 g Silbersalvarsan in Gaben von
0,1—0,5 in viertägigen Zwischenräumen; die Injektionen wurden ohne jede Re¬
aktion ertragen. Nach ATjschluss der Behandlung: L. Pupille reagiert träge
auf Licht, R. unverändert. Die Sprachstörung ist fast ganz verschwunden.
Sonst neurologisch keine Aenderung. Ruhig, geordnet. Hat von sich aus das
Verlöbnis aufgehoben, betreibt umsichtig und mit Geschick seine schwierigen
australischen Vermögensverhältnisse. Ist arbeits- und erwerbsfähig. Ent¬
lassen, ' 2 t
F a 11 4. B., Kaufmann, 28 Jahre. Infektion unbekannt. Beginn 1918
in englischer Gefangenschaft. Nach Heimkehr fortschreitender geistiger Rück¬
gang. Wegen starker motorischer Unruhe, Verwirrtheit und völliger Auf¬
hebung des Sprachvermögens am 6, Mai 1920 aufgenommen. Befund: Pupillen
reagieren gut auf Lichteinfall und Nahsehen. Kiiiesehncnreflexe sehr lebhaft.
Kann nicht sprechen. Seelisch: Lächelt vor sich hin, gibt auf Fragen keine
Antwort. Aufforderungen werden richtig befolgt. Diagnose aus dem Liquor¬
befund. Erhielt im ganzen 8,3 g Silbersalvarsan in Gaben von 0,1—0,5 in
viertägigen Zwischenräumen. Nach der letzten Injektion von 0,5 trat ein
Exanthem an Rumpf und Extremitäten auf, das ohne Beschwerden nach
3 Tagen verschwand.
Bei der Entlassung am 29. August 1920: Neurologischer Befund un¬
verändert. Der Kranke ist klar orientiert, kann sprechen bei massiger arti-
kulatorischer Störung. Die Merkfähigkeit ist herabgesetzt, Stimmung heiter;
F a 11 5. N., Arbeiter, 51' Jahre. Infektion vor 30 Jahren. Beginn 1919
mit Stimmungsschwankungen, Erregungszuständen, sexuellen Ausschweifungen.
Wegen tätlichen Angriffs auf die Ehefrau am 4. Juni 1920 aufgenommen. Be¬
fund: Beide Pupillen lichtstarr, Konvergenzreaktion erhalten. Patellarreflexe
gesteigert, kein Babinski, kein Romberg. Silbenstolpern. Seelisch: De¬
pressive Verstimmung leichteren Grades, mässige Krankheitseinsicht. Merk¬
fähigkeit in Ordnung. Erhielt im ganzen 8,1 g Silbersalvarsan in Gaben von
0,1—0,5, die ohne Reaktion ertragen wurden. Bei der Entlassung am
27. August 1920: Neurologisch unverändert; Sprachstörung behoben. Seelisch
ohne jede Auffälligkeit. Ist arbeits- und erwerbsfähig.
Ueb€r das Klinische der angeführten Fälle ist nicht viel zu sagen.’
Dass die durch den Krankheitsvorgang gesetzte anatomische Läsion
des Funktionsgewebes im Zentralnervjeiisystem durch keine Behandlung
in integrum ausheilt, ist ohne weiteres klar. Wenn es gelingt, den
akuten Prozess im Fortschreiten aufzuhalten, sei es auch nur vorüber¬
gehend, so ist viel gewonnen. Kann der Kranke irgend einer Tätigkeit
wieder zugeführt oder auch nur der häuslichen Pflege und Beaufsichti¬
gung übergeben werden, so darf man mit Recht von einer wirtschaft¬
lichen Heilung bzw. Besserung sprechen. Das eine oder andere ist
uns in allen spezifisch behandelten Fällen gelungen. Serologisch ergeben
sich interessante Schlüsse. Durch die üblichen Silbersalvarsangaben
bis 3 g waren die diagnostisch wichtigen Liquorreaktionen nicht zu
beeinflussen. Nur die Pleozytose verschwand. Diese verringert sich
aber erfahrungsgemäss oft schon spontan auf längere Bettruhe. Die
Liquorkurven bei den Fällen 1 und 2 unterscheiden sich nicht wesentlich
von solchen, die man auch bei spontanen Remissionen sieht. Durch
fortgesetzte Behandlung mit hohen Einzelgaben (Ü,5) bis zu einer Ge¬
samtmenge von 8—9 g Silbersalvarsan Hess sich jedoch die WaR. in
Blut und Liquor wesentlich verändern. In einem Falle wurde sie völlig,
in 2 Fällen in Blut und Liquor negativ. Auch die Eiweiss- und Qlobulin-
gesamtmengen verringerten sich wesentlich, hielten sich jedoch in
allen Fällen in pathologischen Grenzen. Die Kolloidreaktionen *) blieben
in allen Fällen im charakteristischen Typus unverändert. Die Aus¬
flockung bis weiss vollzog sich vor der Behandlung von Vio bis ^Itao oder
Vaso, nach der Behandlung von Vio bis Vio oder ^/so. Die Goldreaktion
erscheint mithin als der konstanteste und sicherste Nachweis der
Paralyse.
Die hohen Einzelgaben von Silbersalvarsan wurden ohne jede Re¬
aktion ertragen. Den angioneurotischen Symptomenkomplex sahen wir
bei unseren seelisch gleichgültigen Paralytikern nie. Wir halten ihn für
psychogen bedingt. Alle behandelten Kranken haben auffallend an Ge¬
wicht zugenommen, in einem Falle um 10 kg.
Die Besserung der klinischen Erscheinungen der Paralyse ist, wie
wir an Spontanremissionen sehen, zweifellos nicht verknüpft mit dem
Verschwinden der pathologischen Reaktionen im Liquor. Die beste
Remission sehen wir jedoch im Falle 3, der den weitesten Kurvenabstand
der Liquorreaktionen vor und nach der Behandlung zeigt.
Aus theoretischen Erwägungen scheint uns der Schluss berechtigt,
dass die durch spezifische Behandlung bewirkte Aenderung der Reaktions¬
weise des Liquors der eingetretenen Remission prognostisch günstigere
Aussichten bietet.
Aus der Landesirrenanstalt zu Eberswalde.
(Direktor: Sanitätsrat Dr. Zinn.)
Azetylnirvanol, ein anscheinend atoxisches und
zuverlässiges Nirvanolderivat.
Von Dr. Michalke, Oberarzt an der Anstalt.
Nachdem vor ca. 4 Jahren das Schlafmittel „Nirvanol“ im Handel
erschienen war, lauteten die ersten Berichte über dasselbe relativ
günstig. Zwar wurde bald über ungünstige Nebenwirkungen desselben
geklagt und auch ich machte in einer Notiz auf gelegentliche nach
Nirvanol auftretende Exantheme mit Fieber aufmerksam, jedoch er¬
schienen mir die Schädigungen durch Nirvanol bei vorsichtiger Dosierung
nicht bedrohlich, so dass ich es unter Ausschaltung der gegen dasselbe
empfindlichen Kranken in der Anstaltspraxis besonders bei sehr erregten
Kranken weiter verwandte. Später mehrten sich nach und nach aber
die Stimmen, die dem Nirvanol recht unangenehme Nebenwirkungen zu¬
schreiben. Von den Nirvanolvergiftungen durch sehr grosse Dosen ab¬
gesehen, wurde von verschiedenen Seiten, u. a. von M a j e r u s *),
Froboese®), Scblichtegratt^) und besonders von Reye®)
sehr vor dem Nirvanol gew'arnt, da es Fieber, Exantheme mit ent¬
stellenden Pigmentierungen, Gesichtsödeme etc. her vorrufe und sogar
unter Umständen hämorrhagische Nephritis mit letalem Ausgange zur
Folge haben könne.
Auf Grund solcher das Nirvanol stark diskreditierender Berichte
musste die chemische Industrie, die sich mit der Fabrikation des Mittels
befasste, stutzig w'erden. Die chemische Fabrik v. Heyden zog
daraus die Lehre und war unablässig bemüht, an dem Nirvanol Ver¬
besserungen zu schaffen resp. das toxische Agens desselben auszu¬
schalten. Eine mir von der Firma zur Verfügung gestellte Kalzium¬
verbindung des Nirvanols wirkte in gleicher Weise toxisch wie das
Originainirvanol. Ganz bestmmte Patienten, die schon auf 0.5 des
Originalpräparates mit Fieber und Exanthemen reagiert hatten, taten
dies in gleicher Weise auch nach dem Kalziumderivat.
Vor ca. einem halben Jahre wurde ich von der Firma v. Heyden
gebeten, meine Versuche mit einem neuen Präparat, einer Essigsäure¬
verbindung des Nirvanols zu wiederholen (chemisch: Acetylphenyläthyl-
hydantoin). Ich ging mit der gleichen Skepsis an die Sache heran, wie
bei Kalziumnirvanol, war aber gleich von Anfang an angenehm ent¬
täuscht. Die gleichen Versuchspatienten, die die kleinsten Dosen Nirvanol
und Kalziumnirvanol früher nicht vertragen hatten, reagierten weder mit
Fieber noch mit Exanthemen auf das neue Präparat Acetylnirvanol; es
trat nur die erstrebte Schlafwirkung bzw. Beruhigung bei erregten
Kranken ein. Nach Zustellung grösserer Mengen wurde das Mittel all¬
gemein in der Anstalt an etwa 200 Patienten auf der Frauenseite durch
3 Monate hindurch erprobt und zwar wurden 0.3—0.9 pro dosi und
0.6—1,8 pro die verabreicht. Es trat in der ganzen Zeit bis zum gegen¬
wärtigen Zeitpunkte nicht wieder ein einziger Fall von unangenehmen
Nebenwirkungen zutage; Fieber bzw. Exantheme wurden überhaupt nie
wieder danach gesehen und auch das bei einzelnen Kranken früher nach
längerer Nirvanolverabreichung beobachtete Benommenheitsgefühl mit
taumelndem Gang war nach Acetylnirvanol nicht wahrnehmbar; auch
*) Beide in Nisslröhrchen nach Teilstrichen gemessen. Als Globulin¬
reaktionen wurden in allen Fällen die nach Pandy, Nonne und Weich-
b r 0 d t angestellt. •) Qoldreaktion nach Lange.
D.m.W. 1918 Nr. 14 S. 380.
*) D. Zschr. f. Nervheilkde. 63. H. 5—6.
») D.m.W. 1920 Nr. 7.
*) B.kl.W. 1920 Nr. 26 S. 611
®) M.ra.W. 1920 Nr. 39 S. 1120.
Digitized by
Gotigle
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
304
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
sonst wurde eine kumulative Wirkung trotz 10—12tägiger Verabreichung
nie bemerkt, so dass das anfängliche Misstrauen gegen das Mittel all¬
mählich gänzlich schwand und dasselbe an Stelle des alten Nirvanols
gern und häufig auch von den anderen hiesigen Kollegen verordnet wurde,
die alle die gleichen günstigen Erfahrungen machten.
Die Dosierung des Mittels war allgemein die oben angegebene, zu
höheren Dosen habe ich bis jetzt nicht gegriffen. Bei leichter Agrypnie
und bei nicht Geisteskranken dürften einmalige Dosen von 0.3 völlig ge¬
nügen.
Damit scheint, wenn nieine günstigen Ergebnisse allgemein von
anderer Seite bestätigt werden, die Nirvanolfrage. die in letzter Zeit
recht brennend geworden war — es bestand seitens der chemischen
Industrie die Absicht, das Nirvanol ganz aus dem Handel zu ziehen
gelöst und endlich ein Schlaf- und Beruhigungsmittel gefunden zu sein, das
allen Anforderungen des praktischen Arztes wie des Psychiaters gerecht
zu werden verspricht. Das Mittel wird von der Firma v. Heyden-
Radebeul hergestellt und dürfte wohl bald im Handel erscheinen, so dass
jedem Gelegenheit gegeben -ist, sich von den guten Eigenschaften des
Acetylnirvanols im Vergleich zum Originalnirvanol zu überzeugen.
Angeborene seitliche Halsfistel.
Von Dr. Levin ge r-München.
Angeborene seitliche Halsfisteln sind nicht so überaus selten, dass
sich die Beschreibung eines einzelnen Falles lohnt. Die letzte er¬
schöpfende Arbeit vpn Leegaard (Arch. f. Lar. Bd. 26 Heft 1) bringt
alles Wissenswerte Über dies Tliema und sei daher besonders auf sie
verwiesen.
Da aber ein von mir beobachteter Fall doch Einiges von Belang
bietet, so sehe ich mich veranlasst, über ihn in Kürze zu berichten.
Im April 1918 musste ich ein 13 jähriges Mädchen wegen einer akuten
Mastoiditis der rechten Seite operieren. Nahe der Spitze bestand
bereits unter der Haut ein breiter Durchbruch des Warzenfortsatzes und ich
musste den Hautschnitt etwas Ober die Spitze hinab verlängern. Weder der
Operationsbefund noch der weitere Verlauf bot an sich etwas Besonderes,
die Opcrationshühle heilte in gewohnter Weise, nur hatte sich am unteren
Ende des Hautschnitts eine kleine Fistelöffnung gebildet, aus der sich etwas
gelbliches Sekret entleerte. Da auf Argentum nitr.-Aetzung sich die Fistel
alsbald schloss, wurde dieser Umstand zunächst nicht weiter beachtet und
Patientin als geheilt entlassen.
Im Mai 1919 stellte sich mir nun die Patientin wieder vor und erzählte
mir, dass sofort nach ihrer Entlassung im vorigen Jahre die kleine
Fistelöffnung wieder aufgebrochen sei und seitdem sich speziell
beim Kauen reichliche Flüssigkeit aus ihr entleere, die ihr über den Hals
hinabrinne. Weitere Belästigung ausser einer Beschmutzung ihrer Wäsche etc.
verursache das Leiden der Patientin nicht. Der Befund war: Etwa 1 cm
unterhalb der Warzenfortsatzspitze am vordem Rand des Sternokleido-
mastoideus findet sich im Bereich der Operationsnarbe, an deren unteren
Ende, eine kleine, dünnflüssiges helles Sekret absondernde Fistelöffnung. Die
Haut in ihrer Umgebung nach unten ist etwas gerötet und infiltriert. Eine
dünne Sonde gelangt etwa VA cm tief hinein.
Kein Zweifel, dass es sich um eine kongenitale Halsfistel
handeln musste.
Patientin hatte, wie sie auf ausdrückliches Befragen angab und wie
ihre Mutter bestätigte, sicher früher nie eine solche Fistel am Halse und ’
auch mir, der ich sie vor der Operation 3 Wochen lang genau beob¬
achtete, wäre wohl eine solche Fistel nicht entgangen.
Zur Klärung der Diagnose spritzte ich Patientin am 18. VI. mittelst
einer Pravazspritze eine Zuckerlösung in den Fistelgang ein und Patientin,
der nichts von der Zusammensetzung der Lösung vorher gesagt wurde,
gab sofort das Auftreten süssen Geschmacks im Munde an.
Somit war sichergestellt: Es handelte sich um eine komplette
seitliche Halsfistel, was ja auch die Angabe der Patientin, dass
die Absonderung hauptsächlich beim Kauen sich bemerkbar mache, schon
annehmen Hess.
Alsbald nach Sicherung der Diagnose wurde mittelst Pravazspritze
konzentrierte Trichloressigsäurelösung in den Fistelgang
injiziert mit dem Erfolg, dass am 23. VI. 19 schon das Nässen aufgehört
hatte und ich am 4. VII. 19 Patientin mit zugeheilter Fistel entlassen
konnte. Eine Nachkontrolle am 1. X. 1920. also nach 1V4 Jahren, lässt
von der Fistel im Bereich der Narbe nichts mehr erkennen, nur ist an
der Stelle, wo sie sich früher befand, die Narbe etwas breiter.
Bemerkenswert an meinem Fall ist, dass die äussere Fistelöffnung
im Gegensatz zu anderen Fällen so hoch, nämlich dicht unter der Warzen¬
fortsatzspitze sass, besonders aber, dass es sich zweifellos ur¬
sprünglich um eine innere, aber wohl ziemlich nahe an die Haut
heranführende, nicht zystisch erweiterte inkomplette Fistel
handelte, die erst durch einen zufällig vorgenommenen ope¬
rativen Eingriff in eine komplette Halsfistel ver¬
wandelt wurde, die dann infolge von Infektion unter dem eiter-
durchtränkten Verband zu sezernieren begann.
Auch bezüglich der Therapie gibt mein Fall Anlass zu einigen Be¬
merkungen.
Angeborene seitliche Halsfisteln bedürfen in der Regel nur einer
Behandlung, wenn sie den Träger durch ihre Sekretion stark belästigen.
Für inkomplette äussere Fisteln, soweit sie nicht mit einer Er¬
weiterung im Verlauf des Fistelgangs verbunden sind, empfiehlt
Leegaard den Versuch einer Injektionsbehandlung mit Aetzmitteln
und zw'ar hat er als erster hiefür in einem Fall konzentrierte Trichlor-
cssigsäurelösung (an der Luft verflüssigte Kristalle) mit Erfolg verwendet.
Digitized by Goiisle
Komplette Fisteln dagegen hält der Autor für diese Behandlung nicht
für geeignet und zwar aus dem Grunde, dass nur dann ein Erfolg zu er-
w'arten sei, wenn die eingespritzte Flüssigkeit alles Epithel zerstört und
dass deshalb das Aetzmittel bis an die innere Oeffnung gelangen müsste
und damit die Gefahr einer Verätzung des Pharynx drohe.
Daher rät er für komplette Fisteln, wenn ihre ^ Beseitigung
wünschenswert ist, stets zur operativen Auslösung des Fistelgangs. Dass
diese Operation wiegen der Dünnheit der Fistelwände nicht so ganz ein¬
fach und wegen der Nachbarschaft zu den grossen Halsgefässen und zu
den Halsnerven nicht so ganz harmlos ist ist klar.
Darum möchte ich in Anbetracht des guten Erfolgs in meinem
Fall auch für komplette Fisteln, wenn keine Dilatation des
Ganges anzunehmen ist, zu einem vorherigen Versuch einer
Injektionsbehandlung mit konzentrierter Trichlor¬
essigsäure raten.
Eine Verödung auch des innersten Teils des Fistelgangs ist vielleicht
in vielen Fällen gar nicht nötig, da möglicherweise oft nur der äussere,
von aussen infizierte Teil' an der Sekretion beteiligt ist In solchen
Fällen genügt dann auch ein massigerer Druck bei der Injektion, so dass
die Aetzflüssigkeit gar nicht in grösseren Mengen in den Pharynx ge¬
langt. Bei meiner Patientin, die sich allerdings erst am 5. Tag nach der
Injektion wieder vorstellte, sah ich im Rachen keinerlei Aetzwirkung.
Auch glaube ich. wäre es wohl möglich in Fällen, in denen es ge¬
lingt die innere Oeffnung festzustellen — und bei Beobachtung während
der Zuckerlösungdurchspritzung wird dies meist erreichbar sein —, erst
diese Oeffnung vom Mund aus mittelst einer feinen Sonde, die mit
dünnster Watteschicht umwickelt ist und in Trichloressigsäurelösung ge¬
taucht ist zu verätzen und dann nach mehrtägigem Zuwarten nach Ver¬
klebung dieser Oeffnung nunmehr von aussen her unter Druck das gleiche
Aetzmittel zu injizieren.
Zudem erachte ich eine nicht zu ausgiebige Verätzung des Phärynx
mit Trichloressigsäure, die ja nur oberflächlich ätzt nicht für sehr be¬
denklich und eine stärkere, ausgedehntere Verätzung Hesse sich auch
vielleicht dadurch verhüten, dass, wenn die innere Oeffnung sichtbar ist,
gegen diese Stelle während der Injektion ein Tampon fest angedrückt
oder eventuell vorher festgenäht wMrd.
Eine Modifizierung d. h. Improvisierung des Wehnettschen
Unterbrechers.
Von Dr. LadislausRothbart, Leiter des Zentralröntgen¬
institutes des K. ung. Militärspitales Nr. 16 in Pest
Heutzutage, wo die Preise der Edelmetalle, so riesig hoch gestiegen
sind, glaube ich, wird diese kleine Mitteilung nicht ganz unnütz sein.
Man nimmt eine Glastube von ungefähr 3 mm Hohlraum, deren
eines Ende zugeschmolzen ist. Dartn wird ein ungefähr 1—1,5 cm
langes Stück des in den bakteriologischen Laboratorien gebräuchlichen
Platindrahtes in das zugeschmolzene Ende des Glasrohres (das auch
kugelförmig geblasen ^ein kann) so eingeschmolzen, dass das Ende
des Drahtes in den Hohlraum der Tube hineimieicht.
Das Rohr wird mit Quecksilber gefüllt: das Kabel wird in das
Queckilber getaucht (s. Fig. 1).
Der so verfertigte Stift — abhängig von der Dicke und Länge des
ange.wendeten Platindrahtes — lässt 10—20 Amp. passlefen.
Um stärkeren Strom zu gebrauchen, schmilzt man in das kaigel-
förmig aufgeblasene Ende anstatt einem, drei, vier Drähte ein, so dass
sie 35—50 Amp. leicht durchlässt.
Die so verfertigten Stifte sind recht dauerhaft; ich selbst und auch
der Glastechniker Habel in Pest arbeiten mit stark in Anspruch
genommenen Unterbrechern monate-, sogar jahrelang.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
f
305
Die Unterbrechungszahl Ist eine sehr hohe und die^ Unterbrechungen
folgen gleichmässig nacheinander. Das Fixieren des Stiftes kann mittels
Durchziehen des Rohres durch einen ausgebohrten Kork geschehen, der
in das über dem ülasgefäss liegende durchlöcherte Brett passt (s. Fig. 2).
Ich empefhle zur Ausprobe die angeführte Technik, in der be¬
stimmten Hoffnung, dass sie zufriedenstellende Dienste leisten wird.
Für die Praxis.
Die hausärztliche Behandlung des Bronchialasthmas.
Von Prof. Hans Curschmann-Rostock.
Die Behandlung darf sich nicht auf die Bekämpfung des Anfalls be¬
schränken, sondern muss vor allem eine Besserung bzw. Aus¬
schaltung der endogenen und exogenen dispositio¬
neilen Umstände und eine fortlaufende prophylak¬
tische Therapie in der anfallsfreien Zeit berücksichtigen.
Die meisten Fälle von jugendlichem A. br. wurzeln in der exsudativen
Diathese der Kindheit und der oft (nicht immer) rnit ihr verbundenen
neuropathischen, insbesondere vagotonischen Konstitution des Kranken,
die beide meist erst durch das Hinzukommen von mannigfachen exo¬
genen Momenten (Infekte, anaphylaktische Wirkungen spezifischer Noxen,
Dyshormonien innersekretorischer Natur, klimatische Einwirkungen etc.)
zur manifesten Erkrankung führen.
Die Konstitution (im engeren Sinne) beim Erwachsenen umzu-
stimmen, vermögen wir nur in geringem Umfang. Beim Jugendlichen
können fleisch- und salzarme Kost, körperliches und psychisches Trai¬
ning in mass- und planvoller Weise, Abhärtung und Bekämpfung grober
Stoffwechselstörungen bisweilen etwas (vgl. die gute Wirkung des Feld¬
dienstes nicht nur auf Hemikraniker u. a. Vasomotoriker, sondern auch
auf Asthmatiker!).
Von „k 0 n di tion eilen“ Faktoren seien berücksichtigt:
1. Innersekretorische Störungen: die Chlorose mit A- und Dys¬
menorrhöe, die pathologisch gefärbte Klimax, Dys- und Hyperthyreosen,
Störungen der Nebenschilddrüsenfunktion („Bronchotetanie“). wahr¬
scheinlich auch Thymus- und Hypophysen-Funktionsänderungen. Sie
alle sind nach den bekannten Regeln zu behandeln: die Chlorose mit
Eisen-Arsen, die klimakterische Neurose mit Ovarpräparaten, die Hypo-
parathyreose mit Kalzium usf.
2. Die anaphylaktischen Faktoren, die a) durch die fort¬
gesetzte, also sensibilisierende Aufnahme von chemischen Stof¬
fen (z. B. Ipecacuanha, Ursol-Fellbeize bei Fellfärbern, gewissen Stoffen
der Pferdestalluft [Hippursäure aus dem Urin?], vielleicht auch Brom
und Jod) und b) durch die Aufnahme bestimmter, individuell idiosyn-
krasisch wirkender pflanzlicher und tierischer Ei weisskörper*) auch der
Nahrung wirksam werden. Man glaubt durch Hautimpfung festgestellt
zu haben, dass Leute, die z. B. auf Mais, Reis und Huhn „positiv“, auf
Weizen, Hafer und Rind „negativ“ reagieren, durch Weglassen der ersten
Nahrungsmittel geheilt wurden. Man achte also künftig auf diese
etwaigen Idiosynkrasien!
3. P s y c h i s c h e Fa k 1 0 r e n, die bisweilen — ja nicht häufig —
bei Dysponierten die Ueberschreitung der Reizschwelle zum Erkranken
an A. br. veranlassen. Genaue Psychoanamnese. auch Berücksichtigung
sexueller Dinge, und verständige psychotherapeutische Behandlung sind
hier notwendig; in seltenen Fällen hat man zur Hypnose und Psycho¬
analyse gegriffen; mit gutem Erfolg.
4. Körperanomalien von „reflektorischer“ Wir¬
kung auf die Asthmaentstehung, die m. E. aber lange überschätzt wur¬
den. vor allem Verengerungen oder empfindliche Stellen im Nasen- und
Rachenraiim (Entfernung von hypertrophischen Muscheln und Rachen¬
mandeln und Deviatio septi, Kokainisierung von „Reizstellen“ mit 5 proz.
Lösung etc.); Lageanomalien und Myome des Uterus; chronische Ob¬
stipation; Supersekretion und -azidität des Magens etc. Diese Anomalien
bedürfen der entsprechenden Behandlung, die bisweilen, oft nur vor¬
übergehend, gut wirkt.
Die Behandlung in anfallsfreier Zeit Sie hat alle eben auf¬
geführte nkonditionellen Dinge dauernd zu berück¬
sichtigen. Ausserdem vor allem folgendes: Der wirksamste Faktor
ist oft der K1 i m a w e c h s e 1. Die diesbezügliche Entscheidung gibt die
Empirie! Hoch- und Mittelgebirge wirken meist am günstigsten,
Binnenland besser als „Waterkant“, Nordsee (Sylt, Wyk) meist günsti¬
ger, als die „mildere“ Osts^eküste. Berufswahl für jugendliche auch nach
klimatischen Grundsätzen!
Die physikalische Behandlung der auch anfallsfreien Zeit
geschehe durch Disziplinierung der Atmung („Zählverfahren“
von Sänger, „Summverfahren“ von Hofbauer. Kuhn sehe Saug¬
maske, die ich sehr empfehlen kann; eventuell, wenn vorhanden, Hof-
b a u e r scher Exspirator, Rossbach scher Atmungsstuhl u. a.). Rönt¬
genbestrahlungen (Dosierung schwierig) und künstliche Höhensonne sind
gerühmt worden. Regelmässige Schwitzprozeduren, z. B. Qlühlichtbäder,
wirken zeitweilig gut, sind aber allzu riskant. Inhalationen von* Salzen
(Ems, Reichenhall, Soden) wirken insbesondere bei chronischen Katarrhen
oft gut, versagen aber auch sehr häufig.
Medikamente: Ihre Wahl hängt vor allem von der Form des
A. ^)r. ab. Bei „trockener“ Bronchitis und peinlicher Er¬
schwerung der Expektoration wähle man das altbewährte
I Jod (Jodnatrium 4X0,25, Sajodin, Lipojodin etc., 3—4 Wochen lang,
I etappenweise Wiederholung; cave Idiosynkrasie, Hyperthyreosen, Unter-
I ernährung!).
Bei A. br. mit reichlicher Sekretion, womöglich aus¬
gesprochenen vagotonen oder gar parathyreogenen Stig¬
men (Fazialisphänomen) wähle man K a 1 k s a I z e (Wirkung durch
Dämpfung der autonomen Erregbarkeit und „Abdichtung“ des Gefäss-
endothels): Calc. eWorat. pur. crist. 10,0, Sir, Rub. ad 30,0, Aq. dest.
ad 200, M.D.S. 4—5 mal 1 Esslöffel in Milch (trotzdem schlecht schmek-
kend!); besser; Glykalz -Ritsert 3—5 mal 1 Kaffeelöffel, Kalzan-
tabletten 3—5 mal 2 Stück. Intravenöse Anwendung unbequem, sub¬
kutane (Kalziumgelatine „Calzine“ u. a.) nach meiner Erfahrung oft
schmerzhaft und Infiltrate, sogar Abszesse machend.
Ausgezeichnet wirkt bisweilen die Kalziuminhalation
nach W. Heubner: 50—100 ccm von Calc. chlorat.-Lösung (80 Proz.
der gesättigten Lösung) inhaliert durch elektrisch getriebenen Inhala¬
tionsapparat bei 1,2—1,5 Atm. Druck; kleine Apparate mit Hand¬
gebläse reichen also nicht aus. Die Inhalation wird stets gut vertragen
und wirkt besonders gut prophylaktisch 1—2 Stunden vor dem zu er¬
wartenden Anfall, also meist nachmittags oder abends. Dasselbe In-
dikationsgebict, wie das Ca, hat die Atropin kur: Pillen zu 0,0005
Atropin, sulfur., anfangs 1 Pille pro Tag, jeden 3. bis 5. Tag um 1 Pille
steigend bis zur Erreichung von 3 mg pro die. Indikation: nur schwere
Fälle, Erwachsene, Dauer höchstens 3 Wochen. Bekannte, unangenehme
Nebenwirkunjgen! Idiosynkrasie!
Bei Anämie und Asthenie hat man bisweilen mit Arsen und Eisen,
ev. mit Chinin Besserungen erzielt; in schweren Fällen versagen sie
m. E. stets.
Behandlung des Anfalls: Zu den Mitteln, die, ähnlich wie das Atropin
und die Kalksalze, dem jeweiligen Anfall Vorbeugen sollen, gehört auch
das Diuretin (durch Erweiterung der Bronchiolen). Man gibt mehrmals
täglich, besonders abends, 0,5 bis 1,0 in Wasser gelöst; es wirkt bis¬
weilen ausgezeichnet, versagt aber nicht selten besonders im Anfall.
Der eigentliche Anfall soll stets so rasch als möglich bekämpft werden,
in der Praxis am besten durch Medikamente.
Morphin und andere Opiate (Codein, Dionin, Heroin, Pantopon etc.)
sind oft wirksam, aber bei der Gefahr der Gewöhnung infolge der
Chronizität des Leidens am besten ganz zu vermeiden. Sehr wirk¬
sam waren zweifellos das Tuck ersehe Geheimmittel und sein Ersatz
durch Einhorn.
Sie werden ersetzt durch die folgenden Inhalationen: 1. Suprarenin
Hoechst (1:1000, d. i. Stammlösung), 2. Atropin, sulf. 0,01, Cocain, muriat.
0,25, Aq. dest. 10,0. D.S. von 1. 18 Tropfen, von 2. 2—5 Tropfen in
einem kleinen Sprayapparat (von S p i e s s oder S t ä u b l i).
Ausgezeichnet und sehr prompt wirken auch Suprarenin Vz —1 ccm
der Stammlösung subkutan oder besser dessen Kombination mit Hypo-
physin.’dis „Astlimolvsln“. I ccm. Viele Asthnnkranke schwören allein
auf diese Injektion. Sie dauernd anzuwenden, erscheint bei den experi¬
mentell nachgewiesenen Arterien-, insbesondere Aortenschädigungen
durch Adrenalin bedenklich, wenn auch beim Menschen derartige Adre-
nalin-Arterionekrosen meines Wissens nicht sicher nachgewiesen worden
sind- Hypophysenpräparate allein (subkutan) werden auch gerühmt,
haben sich aber infolge vieler Versager nicht eingebürgert; sie hätten
den Vorzug grösserer Harmlosigkeit gegenüber dem — auch öfters
Kollapse erzeugenden — Suprarenin.
Sehr wirksam und harmlos sind die allbekannten Räuchermittel.
Statt teurer Patentmrttel und „Asthmazigaretten“ empfehle ich: Fol.
stramonii. Kal. nitr. a^ä 30. m. f. Pulv. siibtilfm. D.S. 1 Kaffeelöffel auf
einem Teller verbrennen, Rauch einathmen. Auch die alte Charta nitrata
hilft vielen Wenn ein Schworkranker durch Räucherung Linderung er¬
fährt, so verleite man ihn ja nicht zum Adrenalin. Atropin oder Opiaten!
Von Atropininjektionen (0,0005—0,001) im Anfall habe ich wenig
Gutes gesehen. Baemeister empfiehlt auch das durch SympathUcus-
reizung krampflösende Koffein in Gestalt des Migränins (Antipyrin 0,8.
Coffein, natrosalicyl. 0,2 m. f. Pulv. 1 Pulver im Anfall).
Von den Nitriten (Nitroglyzerin, Amynitrit u. a.), die ebenfalls
bronchodilatierend wirken sollen, habe ich im Asthmaanfall nur selten
günstige Erfolge gesehen.
In vielen Fällen ist wegen eintretender Gewöhnung ein Wechsel
des Asthmamittels angezeigt: man beginne stets zuerst mit Räuche¬
rungen, greife dann eventuell zum Migränin, dann zur Inhalation (s. o.)
und zur Suprarenininjektion und nur im äussersten Notfall zu Opiaten!
Von den letzteren wäre das Papaverin (0,02—0,03 subkutan) weiterer
Versuche besonders wert!
Im Anfall soll der Husten womöglich unterdrückt werden, da er
(genau wie bei Pertussis) in circulo vitioso den Anfall verschlimmert und
verlängert. Auch Disziplinierung der Atmung ist wichtig: nicht tief und
forciert einatrnen! Ohne Pressen, langsam und lange ausatmen! Dies
erleichtert u. a. die Sängersche Zählmethode: langsame.s, massig
lautes Zählen mit gedehnten Vokalen: auf jede Zahl ca. 1 Sekunde. Der
Kranke soll auf diese VVeise so lange zählen, als seine Ausatmung irgend¬
wie zu lässt; dann Inspiration von der Dauer einer Zahl (1 Sekunde) und
weitcrzählen.
Diese und andere Methoden wirken natürlich auch durch den psychi¬
schen Faktor der Ablenkung und Beruhigung; er ist besonders für Kinder
und Jugendliche und ausgesprochene Neuropathen auch im Anfall sehr
zu berücksichtigen. Es gibt reine Suggestionserfolge auch hier. Der
Kurpfuscher nützt sie (leider) häufiger, als der Arzt!
•) Vgl. die anaphylaktische Wirkung des Polleneiweiss beim Heuasthma.
Nr. 10.
Digitized b]
^Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
300
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Soziale MedizlD und Aorztilche standesauoeieoenhelten.
Die Neuordnung des Deutschen Strafrechts.
Von Theodor von der Pfordten, Rat am Obersten
Landesgericht in München.
1. Allgemeines.
In der jüngsten Zeit ist auf Anordnung des Reiclisjustizministeriums
der Entwurf 1919 zu einem Deutschen StGB, veröffentlicht w^ordenD. Der
E. ist kein amtliches Werk, sondern zunächst nur ein persönlicher Vor¬
schlag der mit der Ausarbeitung betrauten Verfasser. Die zuständigen
Behörden haben vorerst zu ihm keine Stellung genommen. Voraus¬
sichtlich wird er aber die Grundlage für die weiteren Arbeiten an einer
Neuordnung des Deutschen Strafrechts bilden. Seine Veröffentlichung
soll zunächst Gelegenheit zum Austausch der Meinungen geben. Es ist
wichtig, dass sich auch die Aerzteschaft mit seinen Grundzügeii ver¬
traut macht. Der Arzt muss nicht nur wdssen, in welcher Richtung
sich das sein Arbeitsgebiet so stark beeinflussende Strafrecht w^ahr-
scheinlich weiter entwickeln wird, es ist vielmehr auch wünschensw’ert,
dass sich rechtzeitig ärztliche Stimmen mit Bedenken oder Anregungen
äussern. Diese Abhandlung soll dem Arzt einen kurzen Ueberblick über
alles geben, was ihn an dem Entwurf besonders fesseln wird.
Der E. bewegt sich auf der mittleren Linie zwischen den beiden
Strömungen, die in den letzten Jahrzehnten um die Vorlierrschaft im
Strafrecht leidenschaftlich, ja vielfach sogar erbittert gerungen haben.
Er sucht nach einem Ausgleich zwischen den Grundsätzen der älteren
sog. klassischen Strafrechtschule und den Forderungen der jüngeren sog.
soziologischen Richtung. Die ältere Schule, stark beeinflusst von der
formalistischen Ethik Kants, z. T. auch von Hegel, betonte im
Stilafrecht einseitig den Vergeltungsgedanken. Sie wollte sozusagen die
vom Täter verneinte und gestörte Rechtsordnung durch Zufügung eines
dem Mass der Störung angeglichenen Uebels ideell wieder herstellen.
Indem sie in dieser Wiederherstellung den eigentlichen Zw'eck der Strafe
sah, verlor sie die Frage nach der praktischen Wirkung der Strafe auf
den Täter und die Gesamtheit aus den Augen. Die moderne Strafrecht¬
schule dagegen — die übrigens in Feuerbach und Schopen¬
hauer in gewissem Sinne Vorläufer hat — betrachtete das Verbrechen
mehr von der naturwissenschaftlichen Seite und sah in ihm eine Krank-
heitser-scheinung innerhalb des menschlichen Gemeinschaftslebens, der
durch Massnahmen verschiedener Art. je nach dem Ursprung des Uebels,
entgegengetreten werden müsse. Sie stellte deshalb als Zwecke der
Strafe vor allem die Heilung, Erziehung und Besserung des Täters,
allenfalls auch seine Unschädlichmachung, so>vie die Verhütung des Ver¬
brechens durch vorbeugende Massregeln in den Vordergrund. Der Streit
w'urde manchmal so heftig, dass ein Ausgleich kaum möglich* schien.
Und doch muss er zu finden sein *).
Eigentlich ist kein Zweifel darüber denkbar, dass das StrafrechL
wie jede andere Erscheinung des Staats- und Rechtslebens einen be¬
stimmten praktischen Zweck haben muss, dass es so wenig wie die
Rechtsordnung überhaupt um seiner selbst wdllen da ist. Die Lehre der
klassischen Schule musste bei scharfer Ausprägung schliesslich dazu
führen, dass dieser einleuchtende Gedanke verneint wurde. Wird nur
gestraft, damit vergolten sei, fallen Wesen und Zweck der Strafe in der
Vergeltung zusammen, so heisst das nichts anderes, als: es wird ge¬
straft, damit gestraft sei. Damit ist nichts erklärt, man hat sich nur
im Kreise herumgedreht. Will man weiter kommen, so muss man zu¬
nächst zugestehen, dass das Strafrecht den äusseren Bestand der Rechts¬
ordnung sichern soll. Die Strafe muss so eingerichtet werden, dass sie
diesen Zw'cck möglichst nachhaltig und wirksam erreicht. Insofern hat
die neuere Strafrechtsschule vollständig recht: die natürlichen Ursachen
des Verbrechens und die Wirkungen der Gegenmassregeln dürfen nicht
unbeachtet bleiben. Es genügt nicht, dass gestraft wird, es muss auch
vernünftig und zweckmässig gestraft werden. Gleichwohl behält der
Vergeltungsgedanke auch von diesem Standpunkt aus gesehen seine Be¬
deutung. Die richtig bemessene Strafe wird eben in der Tat vom Uebel-
täter als gerechte Vergeltung empfunden und soll so empfunden werden.
Sie wirkt zur Sicherung der Gesellschaft, wenn sie dem Täter und den
Rechtsgenossen zum Bewusstsein bringt, dass der Staat auf ein gemein¬
schädliches Verhalten mit einem Gegendrücke antwortet. Der Kantische
Satz „Du kannst, wenn Du sollst“, darf nicht schlechthin aufgegeben
werden, wenn sich der Staat nicht seines wirksamsten Mittels zur Er¬
zielung eines gesetzmässigen Verhaltens begeben will. Würde er den
Gedanken grosszichen, dass der Rechtsbrecher eigentlich nur ein armer,
krankhaft veranlagter Mensch sei, der mehr der zärtlichen Fürsorge als
der Strafe bedarf, so würde er sein Ansehen unheilbar untergraben*).
Die soziologische Schule übersieht zu leicht, dass sie ihrem eigenen
Zwecke, der Sicherung der Gesellschaft, zuwiderhandelt, w^nn sie das
Gefühl der Verantwortlichkeit auflöst. Es steht hier ähnlich wie in der
*) Der Entwurf (im folgenden mit E. bezeichnet) ist zugleich mit dem
E. der Strafrechtskommission von 1913 ausgegeben worden. Er ist im
wesentlichen eine Umarbeitung des E. von 1913 auf Grund der Erfahrungen
der Kritgsjahre. angepasst an den durch die innere Umwälzung geschaffenen
neuen Rechtszustand.
*) Gute Ausführungen darüber finden sich z. B. neuerdings in einer
Abhandlung von Goldschmidt im Arch. f. Kriminologie 73. S. 81 ff,
*) Die furchtbare Zunahme der schweren Verbrechen in der Gegenwart
zeigt erschreckend, wohin die Lockerung der Staatsgewalt und die Verzärte¬
lung in der Strafjustiz führen müssen.
Digitized by Goi-isle
Ethik. Die formalistische Sittenlehre Kants vermag das Wesen der
Sittengesetze nicht aufzuhellen, weil sie die dem menschlichen Handeln
seiner Natur nach innewohnenden Wirkungen ausser acht lässt. Gleich¬
wohl wird sie mit üirem strengen Hinweis auf unbedingte Pflichtgebote
immer ihren erzieherischen Wert behalten.
Der E. erhält sein Gepräge durch den Versuch, einerseits den be¬
rechtigten Kern des Vergeltungsgedankens zu erhalten, andererseits den
Sicherungszweck der Strafe stärker als bisher zu betonen. Er sucht dies
vor allem dadurch zu erreichen, dass er den Umständen des Falles und
den persönlichen Eigenschaften des Täters im Einzelfalle besser Rechnung
tragen will. Das StGB, von 1871 hatte darin gefehlt, dass es das Gleich¬
gewicht zwischen Verbrechen und Vergeltung durch mehr oder weniger
willkürlich bemessene starre Strafrahmen herzustellen suchte. Das er¬
gab vielfach eine lästige Bindung des Richters. Gelegenheitsvergehen
mussten oft ungebührlich hart geahndet werden, das gewerbs- und ge-
wohnheitsmässige Verbrechertum kam glimpflich davon. Im ersten
Falle konnte durch Begnadigung nachgtniolfen werden, im zweiten gab es
keinen solchen Ausgleich: der Unverbesserliche wurde nach einer be¬
stimmten Zeit wieder im alten Zustand auf die Menschheit losgelassen.
Der E. gibt demgegenüber dem Richter w'eitgehendc Freiheit, je nach
Bedarf milder oder schärfer aufzutreten und so den Besonderheiten des
Falles gerecht zu werden. Daneben führt er sichernde Massnahmen ein,
die neben oder an Stelle der Strafe treten sollen; ob er dabei in seinen
Vorschlägen immer glücklich ist, soll später untersucht werden.
11. Willensfreiheit. Zurechnungsfähigkeit.
Das Abbiegen des E. von einer veralteten Dogmatik nach der natur¬
wissenschaftlichen Seite und damit die Annäherung an die Medizin zeigen
sich recht deutlich in der veränderten Stellung zu der grundlegenden
Frage der Willensfreiheit. Dieser zw^eideutige Begriff galt verrannten
Vertretern der klassischen Schule als unentbehrlich, ohne ihn glaubten
sie das Strafrecht überhaupt nicht halten zu können. Mit Recht gibt
ihn der E. (§ 18) auf und ersetzt die ..freie Willensbestimmung“ in § 51
des alten StGB., die crux der ärztlichen Gutachter, durch „die Fähigkeit,
das Ungesetzliche der Tat einzusehen und seinen Willen dieser Einsicht
gemäss zu bestimmen“. Damit ist zugegeben, dass das Strafrecht recht
wohl ohne eine Fiktion der Willensfreiheit auskommen kann. Dass es
im Weltgeschehen keine gesetz- und beziehungslosen Erscheinungen
gibt, ist eines der sichersten Erkenntnisse des an der Hand der Erfahrung
forschenden Men.schengeistes. Der durchgängige ursächliche Zusammen¬
hang mag im Geistesleben nicht mit der gleichen Bestimmtheit nach¬
zuweisen sein, wie in der Körperwelt. Sein Vorhandensein wird immer¬
hin stückweise erkannt und wir können nicht umhin, ihn auch da voraus¬
zusetzen, wo wir den Faden nicht mehr finden; wir müssten sonst jedes
Forschen als nutzlos aufgeben. Der vo;i Kant für den mundus intelli-
gibilis geprägte Begriff emer transzendentalen Freiheit ist für das prak¬
tische Strafrecht unverwertbar; er ist selbst für das philosophische Den¬
ken schwer fassbar. Wenn wir von Freiheit sprechen wollen, so können
wir darunter das Vermögen eines Wesens verstehen, sein Handeln durch
den vernünftigen Willen von sinnlichen Triebregungen unabhängig zu ge¬
stalten ^) — wdr nähern uns damit dem vom E. in § 18 aufgestellten Be¬
griff einer gesetzlichen Willensbestimmtheit — oder auch die sittliche
Beurteilung (Wertung) des Geschehens im Gegensätze zur kausalen Er¬
kenntnis®), niemals aber das Eingreifen eines unbekannten Ueberwelt-
lichen in die Kausaireihe.
Die auf den erfahningswissenschaftlich richtigen Boden gestellte neue
Begriffsbestimmung der Unzurechnungsfähigkeit im E. § 18
wird dem Juristen und dem Arzt ein reibungsloses Zusammenarbeiten
ermöglichen. Unzurechnungsfähig ist hiernach (Abs. 1), wer wegen Be¬
wusstseinsstörung ®), wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder
wegen Geistesschwäche 0 unfähig ist, das Ungesetzliche der Tat ein¬
zusehen oder seinen Willen dieser Einsicht gemäss zu bestimmen. Das
„Oder“ zeigt an, dass der Mangel sowohl auf dem GebFete des Ver¬
stands wie auf dem des Willens liegen kann.
Im Zusammenhang mit E. § 18 steht § 130. der einen Jugend¬
lichen (zwischen 14 und 18 Jahren — E. §9 Abs. 1 Nr. 2) für un¬
zurechnungsfähig erklärt, wenn er wegen zurückgebliebener Entwicklung
oder mangels geistiger oder sittlicher Reife das Ungesetzliche seiner
Tat nicht einsehen oder seinen Willen nicht einsichtsgemäss bestimmen
kann. Eine ähnliche Vorschrift sieht E. § 19 Abs. 1 für den Taub¬
stummen vor, jedoch beschränkt sie sich auf den Fall zurückgebliebener
geistiger Entwicklung. Das geltende Recht stellt in diesen Fällen nur auf
die Erkenntnis der Strafbarkeit ab (§§ 56, 58 StGB.). Der E. bringt
dieses Erfodernis in Beziehui^ zum Eiitwicklungszustande des Täters und
nimmt Zurechnungsfähigkeit nur an, wenn auch die richtige Bestimmbar¬
keit des Willens nicht fehlt.
Der E. erkennt die Minderung der Zurechnungsfähig¬
keit grundsätzlich und im besonderen beim Taubstummen als all¬
gemeinen Strafmilderungsgrund an (§ 18 Abs. 2, § 19 Abs. 2 in Verb, mit
§111). Sie wird aber als solcher nur berücksichtigt, wenn sie in hohem
Grade hervortritt, und bleibt ausser Betracht bei Bewusstseinsstörungen.
*) Pa u Isen: Immanuel Kant (Frommans Klassiker der Philo¬
sophie VII): 6. Aufl. 1920 S. 249 ff.
®) Eugen Huber: Recht und Rechtsverwirklichung. Probleme der Ge¬
setzgebung und der Rechtsphilosophie. Basel 1920, S. 159 ff. insbes. S. 174.
®) Bisher zu eng: „Bewusstlosigkeit“.
’) Nur zur Vermeidung von Missverständnissen eigens hervorgehoben.
Die Denkschrift gibt zu, dass eine genaue Abgrenzung gegenüber der
Geistesstörung nicht möglich ist. Im § 51 StGB, fehlt die Geistesschwache.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
307
die auf selbstverschuldeter Trunkenheit beruhen*). Jedoch besteht
die Möglichkeit, bei geringeren Graden geminderter Zurechnungsfähigkeit
und bei verschuldeter Trunkenheit der Strafe innerhalb des ordentlichen
Strafrahmens zu mildern. Gemindert Zurechnungsfähige sollen beim
Strafvollzug ihrem Geisteszustand gemäss behandelt, wenn nötig in be¬
sonderen Anstalten oder Abteilungen untergebracht werden (E. §52).
UI. Massregeln der Besserung und Sicherung.
Der E. behandelt diese Massregeln im 12. Abschn. (§§ 88—1Ü5).
Mancher wird geneigt sein, in diesen Vorschlägen das beste Stück des
E. zu sehen. Eine nüchterne Betrachtung wird zunächst darauf ver¬
weisen, dass es bei diesen gewiss gutgemeinten neuen Massnahmen
vor allem auf den Vollzug ankommt. Und leider lässt schon der E. selbst
erkennen, dass es dabei an Schwierigkeiten und Hemmungen nicht
fehlen wird. Die Denkschrift gibt dem Zweifel Ausdruck, ob denn die
trübselige Finanzlage des Reichs und der Länder einen wirksamen Voll¬
zug gestatten wird. Und es gibt zu denken, dass der E. nur ganz all¬
gemeine Richtlinien aufstellt, die ganze Regelung im einzelnen aber
einem Strafvollzugsgesetz zuweist (E. § 105) oder den Ausführungs¬
vorschriften der Länder überlassen will. Man ersieht daraus, dass sich
solche neue Gedanken nicht so einfach verwirklichen lassen, wie man
gemeinhin annimmt.
Die Vorschläge sollen hier nur besprochen werden, soweit sie für
den Arzt von Bedeutung sind.
1. Verwahrung gemeingefährlicher Geisteskran¬
ker und vermindert Zurechnungsfähiger. Das geltende
Recht hat es im wesentlichen dem Ermessen der Verwaltungsbehörden
überlassen, die Verwahrung anzuordnen und durchzuführen. Für Bayern
kamen die wohl allgemein als unzulänglich erkannten Vorschriften im
Art. 80 des Polizei-StGB. in Betracht. Nach dem E. (§88) muss die
Verwahrung in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt angeordnet
werden, wenn jemand als unzurechnungsfähig freigesprochen oder ausser
Verfolgung gesetzt oder wenn er als vermindert zurechnungsfähig ver¬
urteilt wird (s. oben unter II letzter Abs.) und die öffentliche Sicherheit
die Verwahrung fordert. Die Verwahrung soll in der Regel nicht über
2 Jahre dauern; sie muss gegebenenfalls durch gerichtliche Entscheidung
verlängert werden, wobei zugleich bestimmt wird, wann eine neue
Entscheidung einzuholen ist (§ 90 Abs. 2). Die Verwahrung bewirkt
die Landespolizeibehörde (§89 Abs. 1). Sie bestimmt auch über die
Entlassung (§90 Abs. 1): ein nicht unbedenklicher Vorschlag, weil zu er¬
warten ist, dass hier wieder unsachliche Rücksichten aut den Kosten¬
punkt, insbesondere auf die Leistungsfähigkeit der Armenverbände mit¬
spielen werden. Merkwürdig berührt auch die kurze Bemessung der
regelmässigen Verwahrungsdauer. Ist wirklich zu erwarten, dass in
2 Jahren so schwere geistige Störungen gehoben oder gemildert werden
können, wie sie der Natur der Sache nach hier vorliegen müssen?
Verfährt die Polizeibehörde schematisch und entlässt sie den Geistes¬
kranken nach 2 Jahren, ohne eine neue Entscheidung des Gerichts herbei¬
zuführen, so wird der geisteskranke Verbrecher halb oder gar nicht ge¬
heilt wieder auf die Gesellschaft losgelassen. Es ist bekannt, dass die
Veifwaltungsbenorden in solchen Fällen geneigt sind, den bequemeren
Weg zu gehen, zumal dann, wenn ihnen die Angehörigen mit Bitten
und Zusicherungen in den Ohren liegen, und dass die Anstalten solche
vielfach unbequeme Personen möglichst bald wieder abschieben wollen,
um Raum zu gewinnen.
2. Wirtshausverbot. Wird eine zu Ausschreitungen im
Trünke geneigte Person wegen einer in selbstverschuldeter Trunkenheit
begangenen Straftat oder wegen sinnloser Trunkenheit (E. § 274; s.
oben Anhi. 8) verurteilt, so kann ihr das Gericht für eine Frist zwischen
3 Monaten und einem Jahre (nach Rechtskraft des Urteils oder Voll¬
streckung der Freiheitstrafe) verbieten, sich in Wirtshäusern geistige
Getränke verabreichen zu lassen (§91). Die Verfehlung gegen dieses
Verbot wird in E. §201 mit Strafe bedroht; die Strafvorschrift trifft auch
den Inhaber einer Schankwirtschaft und seinen Vertreter, wenn sie
wissentlich einer unter Wirtshausverbot stehenden Person in den Wirt¬
schaftsräumlichkeiten geistige Getränke verabreichen. Die Massregel
kann also einfach dadurch umgangen werden, dass sich der Trinker den
Stoff durch einen anderen aus der Wirtschaft holen lässt und ihn daheim
zu <sich nimmt Der Verkauf in Läden wird überhaupt nicht getroffen.
Aber auch innerhalb ihres beschränkten Wirkungskreises sind die Vor¬
schriften praktisch kaum durchführbar. Die Denkschrift gibt selbst zu.
dass in Grossstädten nichts oder doch wenig mit ihnen anzufangen ist,
sie verspricht sich nur Erfolg für das platte Land und die kleinen Städte.
Sie scheint mir auch darin noch zu vertrauensselig zu sein. Die Ge¬
wohnheitstrinker sind zum grossen Teil Personen, die auf den Wirts¬
hausverkehr angewiesen sind (ledige Gewerbsgehilfen, Taglöhner, Rei¬
sende, Hausierer u. dgl.); solchen Personen das Trinken verbieten wollen,
heisst ihnen das Wirtshaus überhaupt verbieten und da wird das Gesetz
an der Macht der tatsächlichen Verhältnisse scheitern.
3. Unterbringung von Trinkern. Ungefähr unter den
nämlichen Voraussetzungen wie das Wirtshausverbot ist gegenüber
Trunksüchtigen die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt vorgesehen.
Das Gericht ordnet sie neben der Strafe an, wenn sie erforderlich ist,
um den Trinker an ein gesetzmässiges und geordnetes Leben zu ge¬
wöhnen (§ 92). Die Unterbringung bewirkt die Landespolizeibehörde,
®) Bei Ausschluss der Zurechnungsfähigkeit wird auch die selbst¬
verschuldete „sinnlose“ Trunkenheit wie bisher berücksichtigt. Jedoch soll
nach E. § 274 unter besondere Strafe gestellt werden, wer sich schuldhaft in
Trunkenheit versetzt und in diesem Zustand eine Handlung begeht, wegen
deren er. als unzurechnungsfähig nicht bestraft werden kann.
Digitized by Goiisle
regelmässig im Anschluss an die Strafvollstreckung (§ 93). Die Polizei
entlässt auch den Verurteilten, sobald der Zweck der Massregel erreicht
ist, sie kann ihn auch unter Bedingungen entlassen und die Entlassung
widerrufen. Mit Ablauf von 2 Jahren von der ersten Unterbringung
an müssen aber alle Massnahmen auf Grund der gerichtlichen Anordnung
ihr Ende erreichen (§ 92). Also auch hier wieder Halbes und Unzureichen¬
des! Die bei den Vorschriften über die Verwahrung Geisteskranker auf¬
tretenden Bedenken (s. oben Nr. 1) kehren hier wieder*).
Die Einheit des Medizinstudiums.
Von Obermedizinalrat Dr. Grassl.
Privatdozent Dr. Christian verlangt in dieser Wochenschrift
Nr. 6, dass nach dem 7. Medizinstudiumsemester eine Gabelung der Vor¬
bildung stattfinden sollte. Die Medizinalbeamten, zu denen er die Ver¬
waltungsbeamten jeder Art, die Aerzte der bakteriologischen Anstalten,
die Kommurialärzte, Schulärzte usf. rechnet, sollten 3semestrige sozial¬
hygienisch-bakteriologische Ausbildung geniessen. die Heilärzte sollten in
diesen 3 Schlusssemestern die feinere Technik erlernen.’ Die Vorbildung
zum Arzte auf der Hochschule sollte also je nach dem Zwecke geregelt
werden. Dieser Vorschlag hat eine prinzipielle und eine aktuelle prak¬
tische Seite. Die Medizin hat schon einmal eine solche Teilung der Vor¬
bildung durchgemacht. Die Chirurgie und die Geburtshilfe zweigten sich
schon im 3. Jahrhundert in der Vorbildung ab, zu ihrem eigenen Schaden.
Erst die Wiedervereinigung mit der Stammutter brachte wieder Leben.
Die Pharmazie, ursprünglich eine ausschliesslich medizinische Sparte,
leidet heute noch an dieser Abspaltung und die medizinischeWissenschaft
hat sich gerade wegen der Abzweigung der Heilmittellehre in einem der
wichtigsten Zweige der Heilkunst recht wenig entwickelt. Gegenwärtig
hat lediglich die Zahnheilkunde Zweckstudium und auch hier drängen die
Zahnärzte zum Vollstudium. Die Geschichte der Medizin beweist es.
dass die grossen, umwälzenden Entdeckungen und Gedanken nicht von
Spezialisten im engeren Sinne des Wortes geoffenbart wurden, sondern
von jenen Aerzten, die das gesamte Wissen der Medizin beherrschen.
Die Synthese hat kich als die stärkere Säule der Erkenntnis erwiesen als
die Analyse. Alle unsere Führer betonen mit Recht die Notwendigkeit
der Zusammenfassung, ja auch der geschichtlichen, organischen Ent¬
wickelung, so z. B. B i e r in der gleichen Nummer dieser Wochenschrift.
Und diesen wiederholt als verfehlt erkannten Weg der Absplitterung
sollen wir wieder beschreiten einzig allein aus dem Grunde, weil wir
arm geworden sind? Einen anderen Grund vermag Chr. nicht anzugeben.
Der Vorschlag enthält, soweit davon die Gerichts- und Verwaltungs¬
ärzte getroffen werden sollen — und diese sind wohl der Hauptstamm
der zu reformierenden Aerzte —, eine für einen Aerzteerzieher befremd¬
liche Unkenntnis über den Wirkungskreis dieser Aerzte. Mindestens die
Häifte der Gesamttätigkeit dieser Beamtenärztekategorie besteht in der
Begutachtung der positiven oder negativen pathologischen Befunde und ihrer
Bewertung. Die Begutachtung physischer und psychischer Erkrankungen
vor Gericht und in Verwaltungsangelegenheiten, die Untersuchung der
Staatsdiener bei der Aufnahme, bei Erkrankungen, beim Abgang, der
Krieger und ihrer Angehörigen, der Arbeitsverweigerer, der Auswan¬
derer usf.. die spezialdiagnostische Differenzierung der Infektionskrank¬
heiten und deren Abscheidung von Krankheiten mit ähnlichen „phäno¬
typischen“ Bildern erfordern nicht selten die Anwendung des gesamten
Rüstzeuges der Medizin. Und auch die Schüleruntersuchung, die Dia¬
gnose der Geschlechtskrankheiten, der Tuberkulose in den verschieden¬
sten Formen, der Kinderkrankheiten, der Gewerbe-, Berufs- und Woh¬
nungskrankheiten ist ohne Anwendung aller Mittel, die die Heilkunst gibt,
eine mangelhafte. Sollen nun für diese Aufgaben Vollärzte mit dem
ganzen diagnostisch-therapeutischen Können aufgestellt werden, also
doch wieder eine Beamtenkategorie mit Vollbildung oder soll für diese
Kranke eine Allgemeindiagnose begnügen? Und glaubt wirklich der
Verfasser, dass sich diese Leute heute in dem demokratischen Staate
die Entscheidung ihrer oft recht belangreichen Angelegenheiten durch
Halb- und Dreiviertelärzte gefallen lassen werden? Die Einrede der
mangelhaften Kenntnisse der Amtsbegutachter wird so häufig erhoben
werden, bis der Staat wieder davon abkommt. Dass die soziale Gesetz¬
gebung den Heilärzten Vorbehalten werden muss, versteht sich von
selbst und die Not wird dann wiederum zu Beamtenärzten in der
sozialen Gesetzgebung führen. Von den psychiatrischen Begutachtungen
schweigt der Verfasser. Soll auch diese dem Vollarzt zugewiesen
werden oder soll sie bei den hygienisch-bakteriologischen Aerzten
bleiben?
Und wenn wir tatsächlich so arm sind, dass wir den kulturell so
verhängnisvollen Rückschritt in der Ausbildung der beamteten Aerzte
machen müssen, herrscht dann diese Not nicht auch bei den Heilärzten?
Glaubt wirklich ein Lehrer der Aerzte. dass ein Augenarzt die hygieni¬
schen Verhältnisse eines Friedhofes zur Ausübung seiner Heiltätigkeit
braucht oder dass ein Landarzt je einmal in seiner Tätigkeit die Fein¬
diagnostik der Erkrankungen des Augeninnern betreibt? Also weg damit!
Und alle ernste Reform muss mit der Reform des Reformators beginnen,
sonst kommt er in Gefahr angeschuldigt zu werden. Herr Christian
möge daher in seiner Fakultät den Antrag stellen, dass bei den Anatomen
das Studium der Hygiene und anderer Fächer auf den notwendigen Teil
•) Weitere Abschnitte weiden folgen. Sie werden behandeln die den
Arzt und seine Tätigkeit unmittelbar berührenden Fragen und bemerkenswerte
Einzelheiten (insbesondere im Hinblick auf die Qutachtertätigkeit).
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
308
MÜNCHENER MCDIZINISCHC WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
eingeschränkt wird; also Zweckvorstudium der Medizinalprofessoren. —
.Aus der Praxis fliesst dem Arzte ein hohes MaSs der Erkenntnis und der
Selbsterziehung zu. Prof. Richter fasste in einer Versammlung deut¬
scher Aerzte auf der Hygieneausstellung in Dresden in seinem Sarkasmus
dies zusammen in dem Ausspruche: man müsse nicht bloss Gelehrsam¬
keit sondern auch Verstand haben und diesen Verstand übe man in der
Praxis am meisten. Dabei machte er uns bayerischen Amtsärzten eine
tiefe Verbeugung, uns, die wir erst nach sehr langer Praxis zur Amts-
ansteliung kommen. Und Dieudonne anerkennt es laut, dass die
Kraft der bayerischen Amtsärzte aus dem Kreise der Landärzte mit ihrer
Allgemeinpraxis stamme; ein Ausspruch, der um so höher zu bewerten
ist, als der Autor selbst spezialistischen Kreisen entstammt, allerdings
ergänzt und abgetönt durch Erfahrungen am Krankenbett. Ich glaube
nicht, dass Dieudonne seine praktische Tätigkeit für überflüssig
hält. — Bisher war das Verhältnis zwischen Heilarzt und Amtsarzt das
beste. Wir Amtsärzte erhielten die besten Anregungen aus dem Kreise
der Heilärzte. Aber wir nahmen sie nicht unbeschaut auf, sondern
passten sie den Verhältnissen an. Wenn wir nicht mehr Vollärzte sind,
so fällt der Zusammenhang mit den Kollegen weg. Beide Teile gehen
ihren eigenen Weg zum Schaden des Volkes und der Aerzte selbst und
auch der Wissenschaft. Ein Amtsarzt ohne Korrektur der Praxis wird
Paragraphenmensch, wird Sanitätsinspektor, wie sie in England als
Aerzte zweiten Grades sind. Dem Amtsarzt soll der Famulus die höchste
Stufe der Vorbildung werden, dem Heilarzt der Assistent!
Herr Christian möge es mir nicht verübeln oder er möge es
meiner Rückständigkeit zuschreiben: 3 Semester Hochschulstudium für
den medizinischen Teil der Amtsärzte halte ich für zu lange.
Vieles, was man da hört, kommt überhaupt nicht zur Verwendung. Die
ganze Bakteriologie, und auf diese scheint Christian den Hauptton
zu legen, wird auch den zukünftigen Verwaltungsarzt bloss theoretisch
beschäftigen. Die auch von einigen Stürmern unter den Amtsärzten
erhobene Forderung, dass jeder Amtsarzt sein eigenes bakteriologisches
Laboratorium besitzen müsse, ist doch der Ausfluss recht bescheidener
Fachkenntnis. Der zukünftige Amtsarzt wird also, um die 3 Semester
auszufüllen, staatswissenschaftliche Vorlesungen hören müssen. Das wird
ihm sicher nützen im Leben, nur muss sich der Amtsarzt hüten, in den
Fehler aller jener zu verfallen, die bloss ein Segment eines Wissen¬
schaftszweiges beherrschen.
Ich halte also den Vorschlag Christians für prinzipiell und tech¬
nisch verfehlt. Wir Amtsärzte lassen uns von unserer Stammutter Heil¬
medizin als Gänze nicht abdrängen; wir wollen Aerzte bleiben und
nicht Aerztejuristen werden.
ForthiidungsvortriiDe und uehersichtsreierate.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.
(Direktor: Prof. Dr. A. Mayer.)
Welchen Gewinn brachte die Kriegechirurgie der Frauen¬
heilkunde*)?
Von Privatdozent Dr. E. Vogt, Oberarzt der Klinik.
Die Chirurgie fand während des Weltkrieges durch die ungeheure
Zahl und Vielseitigkeit der Verletzungen ein riesiges Arbeitsfeld, so dass
durch das Massenexperiment der Kriegserfahrungen eine Reihe wich¬
tiger grundlegender Fragen der klinischen, operativen und allgemeinen
Chirurgie ungeahnt gefördert oder bis zu einem gewissen Abschluss ge¬
bracht werden konnten. Neue Ideen und Vorschläge tauchten auf,
längst vergessene Methoden erlebten ihre Auferstehung.
Die moderne Gynäkologie ist nach Fritsch letzten Endes nichts
weiter als Abdominalchirurgie des Weibes. Die Jetztzeit wird als die
chirurgische Aera der Geburtshilfe bezeichnet, wir übersehen dabei, dass
schon ein alter Meister, Peter Dionis, 1718 sagte, „die Geburt ist
eine Operation, die von der Chirurgie dependieret“. Während des
Krieges war es mir selbst vergönnt, im Felde jahrelang als Chirurg tätig
zu sein. Aus all diesen Gründen erscheint es wohl angebracht, fest¬
zustellen, welche der im Krieg gewonnenen chirurgischen Erfahrungen
für die Gynäkologie und Geburtshilfe als Fortschritt und Verbesserung
zu überenhmen sind. Jede Verbesserung der Frauenheilkunde fällt ganz
besonders schwer dann ins Gewicht, wenn wir uns darüber Rechenschaft
geben, dass die Erneuerung Deutschlands ebenso abhängig ist von der
wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie beruht auf der deutschen Frau,
auf ihrer Fähigkeit, für einen genügenden gesunden Nachwuchs zu
sorgen. Nur dann können wir die ungeheuren Menschenverluste durch
den Krieg, die weitaus kostbarsten Opfer, einigermasesn ausgleichen. Es
handelt sich dabei um mehrere Millionen, die sich zusammensetzen aus
direkten und indirekten Opfern: darunter rechnen mindestens 1531000 Ge¬
fallene, die an Krankheit oder Kriegsschäden überhaupt Gestorbenen,
der Geburtenausfall durch den Verlust der Blüte unserer männlichen
Volkskraft, sowie die Zunahme cler Sterblichkeit durch die Unter¬
ernährung und die grössere Verbreitung der Tuberkulose und Infektions¬
krankheiten.
Von Fragen aus dem Gebiet der Frauenheilkunde, welche durch den
Krieg befruchtet oder ntui belebt wurden, sind zu erörtern: der Wund-
•) Im Auszug als Antrittsvorlesung gehalten unter Vorführung zahlreicher
Abbildungen und Photographien.
Digitized by Goiisle
schütz und die Wundbehandlung mit einigen Sonderfragen, die Schmerz¬
betäubung, Blutstillung, Blutsparung und Blutersatz.
Entsprechend dem Worte von Pirogoff: „der Krieg ist eine
traumatische Epidemie“, muss die Chirurgie im Kriege eine Chirurgie
der Prophylaxe sein. Deshalb beginne ich das Kapitel über Wundschutz
und Wundbehandlung mit der Desinfektion.
Die Frage der Händedesinfektion ist insofern geklärt,
als man im Kriege fast allgemein die Alkoholdesinfektion in irgend
einer Form bevorzugte. Das muss für den Geburtshelfer A h 1 f e 1 d,
welcher die Methode angegeben hat, eine grosse Genugtuung sein. Die
Desinfektion mit Alkohol gestaltet sich technisch höchst einfach und
lässt sich überall improvisieren. Sie leistete dem Truppenarzt im Be¬
wegungskrieg und im Sanitätsunterstande die gleich guten Dienste bei
einer provisorischen Blutstillung wie dem Fachchirurgen im Kriegs- oder
Heimatlazarett bei einer plastischen Operation. Gerade bei der Fülle
der Notoperationen im Felde, bei welchen der Erfolg des Eingriffs oft
von Minuten abhing, bewährte sie sich ausgezeichnet. <
j Die Alkoholdesinfektion der Hände, mit welcher wir
I an unserer Klinik schon jahrelang arbeiten, ist zweifellos dazu berufen.
I die Desinfektionsmethode der Wahl für den Geburtshelfer zu werden,
1 welcher ja so oft unter ungünstigen äusseren Bedingungen ganz rasch
eingreifen muss, wie z. B. bei Nabelschnurvorfall, wie bei Blutungen
durch Placenta praevia oder in der Nachgeburtsperiode.
Eine noch grössere Bedeutung erlangte der Gebrauch der Gummi¬
handschuhe, die nach K ü 11 n e r mit zum eisernen Bestand gehören,
seitdem sie F r i e d r i c h in die Chirurgie und D ö d e r 1 e i n in die
Geburtshilfe und Gynäkologie eingeführt haben. Ihr Wert ist so gross,
dass in der Geschichte der Desinfektion die Jetztzeit einfach und
treffend als das Zeitalter der Gummihandschuhe bezeichnet wird. Nur
unter ihrem Schutz konnte der Chirurg, dem Grundsatz „nihil nocere“
gerecht werdend, im Felde seine vielseitige Tätigkeit mit Erfolg aus¬
führen, ohne die im anvertrauten Menschenleben zu gefährden. Prak¬
tisch ging man so vor, dass man meistens aseptische Eingriffe ohne
Handschuhe machte. Bei allen unreinen Fällen wurde mit Handschuhen,
die womöglich trocken sterilisiert werden, operiert.
Für den Arzt in der allgemeinen Praxis, welcher Geburtshilfe treibt,
liegen die Verhältnisse genau so, wie für den Feldchirurgen. Beide
'müssen fast gleichzeitig oder unmittelbar hintereinander aseptische Ein¬
griffe vornehmen und dann wieder hochinfizierte Wunden versorgen.
Heute spaltet der praktische Arzt einen Nackenkarbunkel oder eine
Phlegmone und morgen muss er mit der gleichen Hand wegen lebens¬
gefährlicher Blutung aus vitaler Indikation eine manuelle Lösung der
Plazenta, den gefährlichsten geburtshilflichen Eingriff, vornehmen.
Arbeitet der Praktiker grundsätzlich bei allen nicht reinen Fällen unter
Gummischutz, dann kann er an jede aseptische geburtshilfliche Opera¬
tion ohne Bedenken heraiigchen. Auf der anderen Seite aber darf man
nicht zu w-eit gehen und den Wert der Gummihandschuhe verkennen
oder überschätzen. Es genügt darauf hinzuweisen, dass F. Krause
seine Erfolge in der Rückenmarkschirurgie, ein äusserst feiner Prüfstein
für die Asepsis, ohne den Gummischutz der Hand erreicht hat.
Genau so wesentlich wie die Desinfektion der Hände selbst, die
objektive Asepsis, ist die N o n i n f e k t i o n, die Prophylaxe, die sub¬
jektive Asepsis, für den Chirurgen und Geburtshelfer. Schon Ignatius
Semmelweis, welchem wir die Antiseptik, die grösste Errungen¬
schaft und der Stolz der Medizin des 19. Jahrhunderts, verdanken, sagte:
„Nicht infizieren ist besser als desinfizieren.“ Wenn einzelne Operateure
in der vorantiseptischen Zeit schon erstaunlich gute Operationscrfolge
hinsichtlich der Infektion aufzuweisen hatten, so liegt das nicht nur
in der meisterhaften Technik, sondern mindestens zum gleichen Teile
auch in ihrer subjektiven Asepsis begründet. Von Theodor Kocher,
einem der grössten und vielseitigsten Chimrgen der Gegenwart, stammt
der Ausspruch: „Wenn der Chirurg ausgeht, so trägt er Handschuhe.“
Und von Alfred He gar, dem Altmeister der Gynäkologie, ist bekannt,
dass er die Infektionsabteilung überhaupt niemals betrat. Instinktiv
haben die führenden Geister schon vor der Einführung der Asepsis den
richtigen Weg beschriften.
Die Vbrbereitung der Patienten zur Operation wuj-de
unter den Verhältnissen der Feldchirurgie notgedrungen praktisch er¬
heblich vereinfacht. Rasieren, Abreiben mit Benzin oder Aether, An¬
streichen der Haut mit Jodtinktur, das war das Verfahren, das sich
tausendfach bewährt hat. Die Jodtinktur ist so ungefährlich, dass unsere
Gegner, Franzosen. Italiener, Engländer, ihre Soldaten mit einer Ampulle
Jodtinktur zur Frühantiseptik der Wunden ausrüsteten. Immer mehr
begnügte man sich in neuerer Zeit nach dem Vorschläge von K ü 11 n e r
mit einer 5 proz. Jodlösung.
Wir bereiten unsere Patientinnen zu allen Operationen schon seit
längerer Zeit damit vor, ohne jeglichen Schaden. Wir gebrauchen dabei
nur die eine Vorsichtsmassregel, dass wir die Stelle des Hautschnittes
selbst zweimal mit Jodtinktur bestreichen.
Der Widerstreit über das beste Nahtmaterial ist durch den Krieg
noch nicht abgeschlossen. Mit Zweifel und K r ö n i g nähen wir
selbst schon lange Jahre vor dem Kriege nur mit Katgut und zwar mit
dem selbstbereiteten Jodkatgut.
Wir wollen uns jetzt der eigentlichen Wundbehandlung zu¬
wenden. Schon in den ersten Monaten des Krieges zeigte sich, dass
wir mit der Asepsis allein bei den Kriegsverletzungen, die ja fast alle
als infiziert oder verunreinigt aufzufassen sind, nicht auskommen. Man
musste auf die Antisepsis zurückgreifen. Zur feuchten antiseptischen Bc-
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNf^
n. März 1921.
MÜNCHENER MEDlZiNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
309
handluiig der Wunden bediente man sich des Wasserstoffsuperoxyds,
der Dakin-Carrel sehen Lösung und der v. Bruns sehen Hypo¬
chloritlösung. Hier möchte ich daran erinnern, dass Semmelweis
schon 1847 das Waschen der Hände mit solutio chlori durchführte. Ein
Urteil über den tatsächlichen Wert der Chlorlösungen kann man vorerst
nicht abgeben, da besondere in die Augen springende Vorzüge keines
. dieser Antiseptika bietet.
Nur das Wasserstoffsuperoxyd wird kaum mehr ver¬
drängt werden können.
Das Hauptproblepi der Abdominalchirurgie, die peritoneale
Wundbehandlung, steht auch heute noch im Mittelpunkt der Dis¬
kussion. Die Häufigkeit der Bauchschussverletzungen, welche zwischen
15 Proz. und 25 Proz. aller Verletzungen schwankt, und ihre von
Schmieden, Enderlen, Perthes. Kraske empfohlene aktive
Behandlung, verschaffte den Chirurgen im Operationsgebiet eir\ grosses
Material zur Prüfung dieser Frage. Nur ganz wenige Chirurgen spülen
die Bauchhöhle grundsätzlich nicht. Die meisten spülen mit physio¬
logischer Kochsalzlösung nach L. R e h n. Unsere Klinik selbst spülte
eine Zeitlang bei allen infizierten Laparotonpen mit Da k in scher
Lösung und auch mit Vuzin, ohne aber davon eine einwandfreie Besse¬
rung der Operationsresultate beobachten zu können.
Die Uterusspülungen mit Hypochlorit- und Chlorpräparaten
bei infizierten Aborten oder septischen operativen Entbindungen haben
wir bald wdeder aufgegeben.
Nur dieAetherbehandlung der Peritonitis hat den
Krieg überlebt und Eingang in die Friedenschirurgie gefunden. Im Felde
habe ich davon günstige Resultate gesehen, während die Erfahrungen an
den geburthilflichen und gynäkologischen Fällen nicht unbedingt ein¬
deutig sind.
Wenn Blutergüsse in der Bauchhöhle nach Schuss¬
verletzungen möglichst entfernt wurden, weil sie oft schon primär infiziert
waren, so bestätigt das nur die Anschauung der Gynäkologen, welche
fast allgemein das Blut in der Bauchhöhle bei der Operation einer Extra¬
uteringravidität, bei Uterusruptur und Uterusperforation möglichst ent¬
fernt haben.
Ueber die operative Behandlung der Peritonitis
nach Schussverletzungen, infolge Appendizitis, herrscht heute soweit
Klarheit, dass die Operation nur dann Zweck hat, wenn man mit dem
Eingriff vor der 12. Stunde nach dem Trauma oder Anfall kommt. Diese
Frage wird für den Geburtshelfer aktuell bei Uterusruptur, bei krimineller
Uterusperforation, bei geplatzter Pyosalpinx. Hier muss mit Nachdruck
betont werden, dass die Aussichten für die operative Behandlung einer
puerperalen Peritonitis von vornherein aus den verschiedensten Gründen
viel schlechter sind.
Der Versorgung der Bauchdecken musste im Felde be¬
sondere Aufmerksamkeit gewidmet werden bei der Unzahl der infizierten
und drainierten Fälle und bei der Möglichkeit jederzeitigen Abtransportes.
So ist es leicht verständlich, dass die durchgreifenden extraperitonealen
Nähte mit unresorbierbarem Nahtmaterial, welche auf H e g a r,
.Fritsch und Leopold zurückgehen, wieder mehr zu .Ansehen
kamen. Schmieden hält das Unterlassen dieser Naht sogar für einen
Kunstfehler. Er näht selbst mit Drajit, Braun. Burkhardt und
L a n d 0 i s mit Bleiplatten.
Bei derNachbehandlung der Laparotomien legten wir
zur Behebung der Darmparalyse den grössten Wert auf die halbsitzende
Lage, auf die dauernde trockene Erwärmung des Leibes mit elektrischem
Qlühlichtbogen, der sich übrigens auch im Felde überall improvisieren
iiess, und weiterhin auf intravenöse Kochsalzeinspritzungen mit Hypo-
physin nach Holzbach.
Das Frühaufstehen spielte in der Kriegschirurgie kaum eine Rolle,
wie sich überhaupt für die Vermeidung der postoperativen Thrombose
und Embolie keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben.
Beachtenswert ist der Vorschlag von H. Braun. Eine Thrombose
der Vena saphena führt entweder zur Embolie oder aber zur aufsteigenden
Thrombose in die Vena femoralis und sekundär in die Beckenvenen.
W. Müller und H. Braun legen deshalb oberhalb des Thrombus die
Vene frei und binden sie vor ihrer Einmündung in die Vena femoralis ab.
Diese Erfahrungen müssen auch für die Gynäkologen die Richtlinie
bilden bei Verletzungen des äusseren Genitales infolge von- Strassen-
geburten oder grober Verunreinigung des kindlichen Nabels bei Sturz¬
geburten, sowie bei Pfählungsverletzungen. Unfälle Im landwMrtschaft-
lichen Betrieb sind hier besonders gefährlich.
. Bei der Therapie der Gasbazilleninfektion, welche
nach kriminellen Aborten gar nicht so selten vorl^mmt und bisher eine
absolute schlechte Prognose hatte, müssen die in den letzten Kriegs¬
jahren gewonn^en bedeutsamen Fortschritte über das Wesen dieser
Krankheit berÜOTSichtigt werden. Da man bei der puerperalen Gas¬
bazilleninfektion nur selten Gelegenheit haben wird zur örtlichen Be¬
handlung, so muss man in jedem Falle die Allgemeinbehandlung in den
Vordergrund stellen: intravenöse Injektionen von Höchster polyvalentem
Gasödemserum, das bakterizid wirkt, Hyperämieerzeugung mit rhyth¬
mischer Stauung nach Thiess, durch Dauerstauung nach Bier ui.id
Kataplasmen und dann noch Adrenalininjektionen in grossen Dosen zur
Bekämpfung der vasomotorischen Lähmung als Folge der Einwirkung
der Toxine auf das Adrenalinsystem (E. V o g t).
Die Tiefenantisepsis mit Chininderivaten, eine
chemische Prophylaxe der Infektion, ist theoretisch durch Morgen-
roth und Wassermann sehr wohl begründet. Das Vuzin wirkt
Digitized by Goiisle
auch in ei weisshaltiger Flüssigkeit, es ist kein Protoplasmagift und
schädigt die Gewebe nicht. Klapp strebte mit Vuzin eine Prophylaxe
der Infektion mit gleichzeitiger primärer Wundexzision an. Nach den
Eindrücken des letzten Kriegsjahres und späteren Beobachtungen im
Frieden ist das Verfahren aber noch nicht so weit spruchreif, dass es in
unserem Spezialfache ausser bei Mastitis und Nabelinfektion besondere
Indikationsgebiete finden könnte. Die Hoffnungen, welche man auf die
Tiefenantisepsis setzte zur Behandlung der Streptokokkeninfektion bei
Zervixkarzinomen, haben sich nach unseren Erfahrungen leider nicht
erfüllt.
Zu hoher Blüte gelangte durch den Krieg dieTransplantation
von Gewebe und von Organen, ebenso wie die plastische Chi¬
rurgie. In der Gynäkologie verwenden wir die Faszientransplantation
zur operativen Behandlung der Rektumprolapse, zur Suspension des
Uterus, zum Decken von Defekten der Bauch wand, zur Verstärkung der
Naht bei Hernienoperationen.
Um die freie Fetttransplantation hat sich L e x e r be¬
sonders verdient gemacht. Das Humanol, ausgelassenes menschliches
Fett, wurde bei der Nachbehandlung von Kriegsverletzten sehr wertvoll
als Füllungsmittel für alle möglichen Defekte. In die Gynäkologie wurde
es von Prof. Mayer eingeführt zur Behandlung der Incontinentia
urinae infolge Schwäche des Blasenschliessmuskels.
Eine dankbare Aufgabe der plastischen Chirurgie ist die Bildung
einer künstlichen Vagina aus dem Mastdarm nach Schubert
oder mit Ausschaltung einer Dünndarmschlinge nach Baldwin-
H a e b e r 1 i n. Nicht unerwähnt lassen will ich die Pyramidalisplastik
nach Göbell-Stöckelbei Schwäche des Musculus sphincter vesicae
und die Bildung einer Blase bei Ectopia vesicae aus dem Zoekum, wie
auch die Einschaltung eines Darmstückes bei mangelhafter Kapazität
einer Schrumpfblase (Birnbaum, A. Mayer).
Die VenenunterbincTung zur Behandlung der Pyämie, aus¬
gehend von einer Thromboohlebitis der Vena ileocolica nach Appendizitis
wurde von W i 1 m s und H. B r a u n mit Erfolg ausgeführt. Auf gleiche
Weise lässt sich die Pyämie kupieren, wenn eine Thrombophlebitis der
■^ena saphena oder Vena femoralis oder Venen der oberen Extremität
die primäre Infektionsquelle darstellen.
Die Nierendekapsulation wurde wieder empfohlen von
K ü m m e 11 bei Anurie, Nephritis dolorosa und hämorrhagischer Nephritis,
wenn die internen Massnahmen versagen. Bei Eklampsie mit Anurie
wird man immer wieder auf diese chirurgische Behandlung zurück¬
greifen. Die Forderung von K ü m m e 11, dass kein Nierenkranker
sterben darf, ohne dass der Versuch gemacht worden wäre, ihn durch
Dekapsulation der Niere fu retten, wird immer mehr anerkannt.
Dem Kapitel über die Schmerzbetäubung möchte ich das
Wort von Hippokrates „divinum est opus sedare dolorem“ voran¬
stellen. Der Krieg bot Gelegenheit, die verschiedenen Formen der
Anästhesie nach allen Richtungen hin auszuprobieren. Die Inhala¬
tionsnarkose mit Chloroform behält nach wie vor ihren
Wert, wenn sie auch wiegen ihrer Gefahren stark eingeschränkt wurde
durch die Mischnarkose und die reine Aethernarkose. Chloroform ist
ein allgemeines Zellgift, daher zu vermeiden bei Kranken mit Dekubitus
und schweren Allgemeinzuständen, dann nach Lex er bei Trans¬
plantationen, ferner bei Leberschädigung, also in jedem Falle von
Schwangerschaftstoxikose, sowie bei Bluttransfusionen wegen der hämo¬
lytischen Wirkung.
Die reine Aethernarkose oder die Mischnarkose verdient
heute den Vorzug für die gewöhnlichen Fälle wegen Ihrer Ungefähr¬
lichkeit.
Für kürzer dauernde Operationen kam im Krieg die Rauschmethode
mit Chloräthyl oder Aether immer mehr auf. Am verbreitetsten war
der Chloräthylrausch. Für die Geburtshilfe ist er bequem an¬
wendbar bei dem Dammschutz, bei Episiotomien, bei Austastung, bei
Tamponade usw.
Mit dem Chloräthylrausch tritt noch in eine gewisse Konkurrrenz
der Aetherrausch.
Wenn in neuerer Zelt verschiedene Chirurgen wie Kraus und
Sauerbruch gegen die Lokalanästhesie Front machen und hervo’r-
heben, dass man den psychischen Einfluss der Vollnarkose doch nicht
zu gering einschätzen darf, so können wir nur mit Einschränkung zu¬
stimmen. Unbestritten bleibt, dass der psychische Einfluss der Voil-
narkose besonders wertvoll ist. Auf der anderen Seite erleben wir es
aber nicht so selten, dass die Patienten direkt verlangen, bei erhaltenem
Bewusstsein operiert zu werden. Das stimmt wieder mit den Beob¬
achtungen überein, welche wir in der Geburtshilfe machen können, indem
Mütter jede Schmerzbetäubung bei der Geburt ablehnen, sie wollen das
beispiellos grossartige Erlebnis der Geburt auch psychisch von Anfang
bis zu Ende auskosten.
Das Kapitel über die Narkose möchte ich nicht abschliessen, ohne
auf dieNarkosezufälle und ihre erfolgreichere neuere Behandlung
hingewiesen zu haben. Narkosezufälle werden relativ häufig beobachtet
bei Patienten mit sog. Status thymo-lymphaticus oder Status hypo-
plisticus. Die Kriegspathologie hat auch bei anderen Fällen unklarer
Todesursache diese Zusammenhänge mit Störungen im Gleichgewicht
der innersekretorischen Drüsen, besonders häufig aufdecken können.
Die intrakardiale Infektion fand im Kriege bei Narkose¬
zufällen immer mehr Verbreitung. Es sind jetzt schon mehrere Fälle mit
glücklichem Ausgang bekannt, so von von den Velden, Henschen
und Opitz. Die Fälle unserer Klinik sind noch nicht veröffentlicht bc’
*
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
310
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
einem war es möglich, nach absolutem Herzstillstand die Frau durch
intrakardiale Injektion von Adrenalin noch 24 Stunden am Leben zu
erhalten.
Die Fortschritte der Lokalanästhesie, die wir H. Braun
verdanken, werden unumwunden anerkannt.
Die Lumbal-Sakral-Anästhesie und die verschiedenen
Formen der Leitungsanästhesie kamen so selten zur Anwendung, dass
dadurch die Stellungnahme des Abdominalchirurgen zur Narkose nicht
beeinflusst werden konnte.
Die Lehre über die Behandlung von Blutungen aus grös¬
seren Qefässstämmen verdankt der Eigenart des modernen
Stellungskrieges, welcher zu sehr zahlreichen und blutigen Verletzungen
durch die Einwirkung von groben Geschossarten führte, ungemein viel.
So betrugen im letzten Kriegsjahre die Artillerieverletzungen bis 80 Proz.
Die Blutstillung wird nach wie vor von der Unterbindung der
Gefässe beherrscht, die älteste und vornehmste Methode, deren Be¬
deutung in Diefenbachs Worten liegt: „Was die Erfindung des
Schiesspulvers für den Krieg, diejenige der Buchdruckerkunst für die
Wissenschaft, die der Eisenbahn für den Verkehr, das bedeutet die
Unterbindung der Blutgefässe für die Chünrgie.“ Natürlich wird man
die Unterbindung grösserer Gefässe auch bei gynäkologischen Ope¬
rationen womöglich zu umgehen suchen’und unter Umständen die Gefäss-
naht bevorzugen. Längs- und Ouerwunden grösserer Arterien und Venen
lassen sich einfach nähen. Die zirkuläre Gefässnaht ist nur
ausführbar, wenn das Biutgefäss gut zugänglich, das Operationsgebiet
picht schwer infiziert ist und die Umhüllung mit Muskel später möglich ist.
Das Liegenlassen von Klemmen zur Stillung arterieller
Blutungen wurde auch im Kriege von G a r r ö als Notbehelf empfohlen,
wenn die definitive Versorgung eines Gefässes aus irgendeinem Grunde
nicht möglich war. Wir können dieser Methode auch für den praktischen
Arzt und Geburtshelfer nach unseren Erfahungen in der Klinik und
geburtshilflichen Poliklinik nur w arm das Wort reden zur Behandlung von
Blutungen aus Zervixrissen oder geplatzten Varizen oder dem Plexus
der Klitorisgegend.
Die Momburgsche Blutleere ist wegen ihrer Gefahren für
Herz, Nieren und Darm in der Geburtshilfe und Gynäkologie wohl
nur ein Ausnahmeverfahren für Notfälle.
Neben der M o m b u r g sehen Blutleere erwähne ich noch den
Gaussschen Apparat, das Rissmann sehe Aortenkompressorium.
Diese Instmmente bieten nur noch historisches Interesse, sie sind ver¬
drängt durch die Sehrtsche Klemme. Die Sehrt sehe Klemme
führt im Gegensatz zum M o m b u r g sehen Schlauch zur tatsächlichen
Blutleere, das venöse Blut kann durch die Vena'cava inferior ungehemmt
zurückfliessen. Es kann arterialisiert werden. w^odurCh eine Art Auto¬
transfusion hervorgerufen wird
Gegenüber der direkten Blutstillung haben die blutsparenden
Methoden nur eine untergeordnete Bedeutung, aber auch auf diesem
Gebiete verdanken wir dem Krieg verschiedene Fortschritte. Von
blutsparenden Mitteln, welche im Krieg ein gewisses Ansehen erlangt
haben, führe ich nur Cpagulen Kocher-Fonio und Clauden an. Coagu-
1 e n lässt sich lokal verwenden. K ü 11 n e r sah bei intravenöser Ein¬
spritzung Erfolge bei der Bekämpfung der so unangenehmen par¬
enchymatösen septischen Nachblutung. H. Braun, Hotz, Kocher,
de Quervain bestätigen die hämolytische Wirkung des Mittels bei
parenchymatösen Blutungen. Im Gegensatz zu Coagulen ist Clauden
nur lokal verwendbar.
Für die Geburtshilfe kommt Coagulen intravenös in Betracht bei den
hämorrhagischen Diathesen Neugeborener, dann bei der Melaena, hier
auch lokal per os.
Der Lokalanästhesie verdanken wir dann noch die Supra-
reninanämie der Gewebe, welche wir in der Gynäkologie auch
bei plastischen Operationen und bei Fisteloperationen verwerten.
Schwer stillbare Blutungen aus Leber und Milz können durch
freie Transplantation zum Stehen gebracht werden. Netz,
Muskel, Fett und Faszie besitzen wohl die gleiche thrombokinetische
Eigenschaft. In der operativen Gynäkologie kommen solch unangenehme
Blutungen vor aus dem paravaginalen und paravesikalen Gefässgebiet
bei Radikaloperationen. Wir haben schon in solchen Fällen einfach
Muskelstückchen vom Musculus rectus abdominis abgetragen, auf die
blutende Stelle aufgelegt und dadurch die Blutung gestillt.
Das Problem des Blutersatzes wurde durch den Krieg prak¬
tisch gelöst. Von dieser Grosstat der Chirurgie ziehen verschiedene
Grenzgebiete Nutzen. Theoretisch ist das Verfahren begründet durch
die Experimente von Goltz und Zeller. Zeller hat Tiere völlig
aiisbluten lassen und hat dann noch das Gefässsystem mit Kochsalz¬
lösung durchgeschwemmt und diese Tiere mit allen Zeichen des Ver¬
blutungstodes wieder zum Leben erweckt durch arterielle Bluttrans¬
fusion. Klinische Untersuchungen haben dann bewiesen, dass trans¬
fundiertes. körperfremdes Menschenblut erhalten bleibt, wenigstens eine
Zeitlang, bis der sonst tödliche Kollaps überwunden ist. Allmählich ver¬
schwändet das Blut und wird wie jedes artfremde Gewebe durch Re¬
generation ersetzt.
Die direkte vitale Bluttransfusion ist technisch schwierig und er¬
fordert ein eigenes Instrumentarium. Prof. G. Perthes hat diese
Methode schon vor dem Kriege an unserer Klinik wiederholt ausgeführt
lici schweren Blutungen infolge von Placenta praevia. Die Möglichkeit
einer Thrombenbildung an der Nahtstelle ist gegeben ebenso wie die
Digitized by Goiisle
Gefahr einer Infektionsübertragung von dem Spender auf den Empfänger.
Malariaübertragungen sind so beschrieben.
Die indirekte Transfusion mit Kanülen und Prothesen ist
im allgemeinen auch noch zu kompliziert, als dass sie Eingang in die
allgemeine Praxis finden könnte.
Es bleibt jetzt nur noch die indirekte Bluttransfusion
übrig. Diese Methode ist höchst einfach und deshalb fand sie auch die
grösste Verbreitung. Fehlt übrigens Natriumzitrat so kann man das'
Blut mechanisch durch Schlagen defibrinieren, durch Gaze filtrieren
und dann mit einem gewöhnlichen Infusionsapparat einverleiben. Das
ist die Methode des praktischen Arztes.
Das transfundierte Blut wirkt als Ersatz für verloren
gegangenes Blut es füllt das Gefässsystem, dann regt es durch die Reiz¬
wirkung auf das Knochenmark die Regeneration des Blutes an. der
Hämoglobingehalt steigt die Erythrozyten nehmen zu. Die direkt hämo-
styptische Wirkung des Blutes ist nicht minder wichtig, ebenso wie die
Aktivierung des Protoplasmas entsprechend der Proteinkörpertherapie
durch parenterale Eiweisszufuhr.
Als allgemeine Indikation für die Bluttransfusion
gilt die lebensbedrohliche Anämie. Zyanose der Lippen bei Blässe des
Gesichtes, Lufthunger, schnappende, unregelmässige Atmung. Trotz
dieser Zeichen ist es sehr schwer, rechtzeitig die Schwere eines Blut¬
verlustes richtig zu beurteilen. Im Kriege musste man das immer wieder
erfahren. Der Körper reagiert auf Blutverluste ganz verschieden, je
nach Alter, Geschlecht des Kranken und Tempo des Blutverlustes. Akute
Blutverluste wurden schneller verhängnisvoll, wie solche, die sich über
längere Zeit hinziehen. Dem entspricht auch das anatomische Bild:
bei Myom- und Karzinomblutungen beobachtet der Pathologe die höch¬
sten Grade von Anämie, leichtere Grade aber bei Verletzungsblutungeii,
z. B. bei Uterusruptur. Mit der Infusion ist hier nichts mehr zu
bessern, weder mit Kochsalz allein, noch mit Zusatz von Herzmitteln,
noch durch intravenöse Kochsalz-Kampfer-Infusionen nach Hosemann,
noch mit Sauerstoffzusatz • nach K ü 11 n e r oder Kalziumchlorid,
Traubenzuckerlösung oder Locke sehe Lösung oder durch Sauerstoff¬
inhalation ohne oder unter Ueberdruck nach J e h n. Die Infusion könnte
hier nur die Lehre des Qefässsystems beseitigen, damit das Herz nicht
leerpumpt ohne einen Ersatz zu bieten für die Lebenselemente, die
Sauerstoffträger, die roten Blutkörperchen. Nur die Zufuhr von leben¬
dem Blute ermöglicht dann noch ein Weiterleben, andernfalls wird der
Stoffwuchsei und der Gasaustausch ungenügend. Sodann hat die In¬
fusion sogar noch gewisse Gefahren. Sie verdünnt das Blut, sie über¬
lastet das Herz, welches ja durch die schlechte Blutversorgung auch von
seiner Anpassungsfähigkeit eingebüsst hat.
Die Bluttransfusion, wulche im Kriege hundertfach erprobt wurde,
auch auf der Seite unserer Gegner, hat in der Geburtshilfe und
Gynäkologie eine Reihe wohlbegründeter Indikationen. In erster
Linie lebensgefährliche partale und postpartale Blutungen, chronische An¬
ämien, unstillbare Menorrhagien, Blutungen im Verlauf von Blutkrank¬
heiten, Hämophilie und dann noch Melaena der Neugeborenen. Ver¬
giftung mit Kohlenoxyd, mit Pilzen, wodurch Methämoglobln gebildet
wird, die Chloroformasphyxie bilden dann noch weitere seltene klinische
Indikationen für'die Bluttransfusion.
Ganz auffallend ist die Beeinflussung bösartiger in¬
operabler Tumoren durch Bluttransfusion unter gleichzeitiger
Röntgenbestrahlung nach den Erfahrungen von Bumm und War-ne-
kros. Neugeborenenblut zeigt dabei die stärkste Wirkung. Wie weit
es sich dabei um eine tatsächliche Sensibilisierung der Karzinomzellen
für die Strahlenwirkung oder um eine gewöhnliche Protoplasmaakti¬
vierung oder um die direkte karzinomzerstörende Wirkung des Serums
handelt, das bei Neugeborenen 21 mal stärker wirkt wie beim Er¬
wachsenen, ist noch nicht zu entscheiden.
Die Eigenbluttransfusion. die Rücktransfusion körper¬
eigenen Blutes, kam überhaupt erst im Kriege auf und hat sich jetzt
schon als eine der wertvollsten Kriegserrungenschaften in der Chirurgie,
Geburtshilfe und Gynäkologie Bürgerrecht erworben. Die Methode
ist natürlich und einfach. Blut ist genügend vorhanden, es geht keine
Zeit verloren, die Gefahr der Hämolyse und Embolie fällt fort. Infektion
ist ausgeschlossen. Das in Pleura- oder Peritonealhöhle aus Ver¬
letzungen ergossene Blut bleibt längere Zeit flüssig. Es wird bei der
Operation ausgeschöpft, durch mehrere Lagen von Gaze filtriert und
sofort intravenös eingespritzt. Leberverletzungen, Milzzerreissungen,
Blutungen bei geplatzter Extrauteringravidität sind, sofern keine Mit¬
verletzung des Magendarmkanals besteht, besonders dafür geeignet. Das
Blut muss nur die eine Vorbedingung erfüllen, dass es keimfrei ist. Das
Alter des Blutes ist weniger wichig. Die Gynäkologen ,T h i e s und
Lichtenstein haben die Methode zuerst bei geplatzter Extrauterin¬
gravidität angewandt. Daraufhin wurde sie dann auclf im Felde ver¬
schiedentlich bei Leber- und MTTzfupturen. bei Bauchschussverlctzungen
und bei lebensgefährlichen Blutungen in der Brusthöhle versucht. Der
Einfluss der Eigenbluttransfusion ist. wie wir selbst wiederholt festgestellt
haben, direkt ein zauberhafter. Mit einem Schlage kehrt das Leben,
das am Entfliehen war, zurück. Mit Braun muss man daher heute ver¬
langen, dass ohne Eigenbluttransfusion kein wegen einer intraabdominalen
aseptischen Blutung Operierter zugrunde gehen darf.
Sehr bewährt und einfach sind die Klistiere mit Blut. Das
Blut, das bei der Operation irgendwie gewonnen wird, wird aufgefangen
und mit der Hälfte physiologischer Kochsalzlösung vermengt. Diese
Blutkochsalzmischung lässt man langsam in den Mastdarm einlaufen.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
311
Die Sterilität des Blutes ist dazu nicht unbedingt Voraussetzung. Mit
dieser einfachen Methode ist es möglich, auf bequeme Weise schnell
körpereigene Flüssigkeit von hohem Nährwert einzuverleiben und zwar
auch bei Bewusstlosen, ferner bei Patienten, die andauernd erbrechen,
oder wenn Nahrungszufuhr durch den Mund aus irgendeinem Grunde
sich verbietet. Die Blutnährklistiere gehörten schon im Felde 1917 zu
unserem Rüstzeug für die Bekämpfung hochgradiger Anämie, und auch
in der Klinik haben wir in den letzten Jahren oft davon Gebrauch ge¬
macht.
Am Schluss dieser Erörterungen über die Verwertung der chirur¬
gischen Erfahrungen im Weltkrieg für die Frauenheilkunde, in der sich
viele äussere Berührungspunkte zeigten, möchte ich den Punkt, welcher
die Gebiete innerlich miteinander verbindet, in den Vordergrund stellen.
Die Kriegschirurgie hatte die Aufgabe, die Wunden der wehrfähigen
Volksgenossen zu heilen, welche im Kampfe für die Erhaltung der
Volksgemeinschaft im Glaulren an Deutschlands Zukunft gekämpft, ge¬
litten und geblutet haben. Die Frauenheilkunde sieht ihre vornehmste
Aufgabe darin, die Wunden und Schäden zu heilen, welche die deutsche
Frau im Dienste der Vermehrung der Nation davonträgt. Jeder Fort¬
schritt, den die Geburtshilfe und Gynäkologie aus den theoretischen und
praktischen Erfahrungen der Kriegschirurgie zieht, ist nur zu begrüssen
vom nationalen und rein menschlichen Standpunkt aus. Der Krieg, der
so unendlich viel Opfer gefordert hat. direkte an Männern, indirekte
an schwachen Frauen und unschuldigen Kindern, wirkt dann früchte¬
tragend in segensreichem Sinne fort und fort Das Blut das die Besten
der Nation für uns vergossen haben, wird so ein wundertätiger Lebens¬
quell. Und-so kann ich schliessen mit dem biblischen Worte: Der Tod
ist die Quelle des Lebens.
BQcheranzeigen und Referate.
N. Z u n t z und A. L o e w y - Berlin : Lehrbuch der Physiologie des
Menschen. Unter Mitwirkung der Herren duBois-Reymond - Ber¬
lin, Ellenberger - Dresden, S. E x n e r - Wien, H ü r t h 1 e - Breslau,
J oh an SS on-Stockholm, K e s t n e r - Hamburg, A. Kreidl-Wien,
V. Kries- Freiburg, M e t z n e r - Basel, Joh. Müller- Düsseldorf,
Scheunert -Berlin, C. Spiro-früher Strassburg, Trendelen¬
bur g-Tübingen, Verworn-Bonn und 0. W e i s s - Königsberg.
3. Auflage. 789 Seiten mit 302 Abbildungen und 3 Tafeln. Verlag von
F. C. W. Vogel, Leipzig 1920. Preis 38 M., geb. 48 M.
Von dem an dieser Stelle schon zweimal referierten Lehrbuch ist
nunmehr die dritte Auflage erschienen, nachdem die zweite schon längere
Zeit vergriffen war.
An die Stelle der durch Tod ausgeschiedenen Mitarbeiter Nagel,
Schenck und Langendorff sind die Herren v. Kries, Tren¬
delenburg und H ü r t h 1 e getreten, welche die Kapitel „Sinnes¬
physiologie“, „Gesichtssinn“ und „Kreislauf“ übernommen haben. Durch
diesen Wechsel haben einige Kapitel eine völlige Neubearbeitung er¬
fahren. Neu sind auch die Literaturangaben^.so dass der interessierte
Leser bis zu den Quellen Vordringen kann.
Der Name der Mitarbeiter bürgt für die Güte des Inhalts. Den
bisherigen Erfahrungen nach muss dem in der Physiologie bis jetzt
einzigarten Lehrbuch eine günstige Prognose gestellt werden.
H. B ü r k ® r - Giessen.
Fr. Czapek: Biochemie der Pflanzen. 2. umgearbeitete Auflage.
II. Band. Jena, Verlag von G. Fischer, 1920. 541 Seiten. Preis
geh. 66 M., geb. 77 M.
Bei den zahlreichen Beziehungen, welche die Medizin mit der Bio¬
chemie der Pflanzen verbindet, ist es nützlich, auch in einer medizini¬
schen Zeitschrift auf das Erscheinen dieser Biochemie der Pflanzen zu
verweisen. Der jetzt herauskommende 2. Band der II. Auflage gibt
wiederum einen Beweis des ganz ausserordentlichen Könnens des Ver¬
fassers. In dein Buch ist solches Stoffmaterial in einheitlicher, überaus
durchsichtig angeordneter Weise zu einem Nachschlagewerk vereinigt,
wie es in gleichem Umfange selten von einem einzelnen Autor be¬
herrscht wird. Wenn der Arzt Belehrung auf den Gebieten der Pflan¬
zenbiochemie wünscht, wird er das Buch mit grösstem Nutzen zur Hand
nehmen und in ihm, soweit der Referent es beurteilen kann, bei allen
gewünschten Fragen einen zuveriässigen Ratgeber finden. Für die
medizinischen Bibliotheken und ebenso für die Büchersammlung selbst¬
tätig forschender Aerzte wird die Biochemie der Pflanzen eine wichtige
Bereicherung bedeuten. H. Sch ade-Kiel.
Felix Klemperer: Die Lungentuberkulose, ihre Pathogenese,
Diagnostik und Behandlung. Mit 16 Abbildungen im Text und 5 Tafeln.
Berlin 1920. Urban & Schwarzenberg.
Aus reicher Erfahrung und unter Zugrundelegung einer umfangreichen
Literatur behandelt Verfasser auf dem knappen Raum von 164 Seiten
in äusserst übersichtlicher Anordnung und fesselnder Darstellung die Ent¬
stehung der Lungentuberkulose, ihre pathologische Anatomie. Sympto¬
matologie. Diagnose, die besonderen Lokalisationen, Prognose, Prophy¬
laxe und Therapie. Fünf Tafeln mit ausgezeichneten Röntgenogrammen
ergänzen den Text. Einen breiten Raum nimmt die Therapie ein, die
alle neueren Behandlungsmethoden in streng sachlicher Form,
was ich für einen ganz besonderen Vorzug des Buches halte, bespricht.
Dem praktischen Arzt, der sich im Zusammenhang über den heutigen
Stand der Tuberknloseforschung informieren will, kann das vor-
Digitized by Goüsle
treffliche Buch wärmstens empfohlen werden. Es wird ihm viel
Anregung geben und ihm, namentlich in Fragen der Therapie, ein oft
willkommener Ratgeber sein. Ausstattung und Druck des Werkes sind
sehr gut. Klare- Scheidegg.
Arthur Pappenheim t: Morphologische Hämatqrie. 2 Bände.
Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Hans Hirschfeld.
Leipzig, Verlag Klinkhardt. Preis geh. 36 M., geb. 4l M.
Dieses jüngste und letzte Werk Pappenheims lässt sich am
besten als sein hämatologisches Vermächtnis bezeichnen, das uns in ein¬
dringlicher Form die Unsumme von Forscherarbeit vor Augen führt, die
mit dem Tode Pappenheims ihren Abschluss fand, und die uns von
neuem mit Bewunderung für die P. eigene Beherrschung und Durch¬
dringung seiner Spezialdisziplin erfüllen muss.
Von den drei Abschnitten, in die sich das umfangreiche Werk
gliedert, und die die morphologische Hämatologie auf zytogenetischer
Grundlage, die normale und pathologische Histologie des Blutes und der
hämatopoetischen Organe und endlich die klinische Hämatologie um¬
fassen, hat Pappenheim selbst nur den ersten Teil fast bis zu Ende
durchgearbeitet. Dieser ist denn auch besonders ausführiieh ausgefallen.
Die übrigen Kapitel haben eine B.earbeitung durch Hans H i r s c h f e 1 d
erfahren, der es verstanden hat, das ihm übergebene Material in ebenso
pietätvoller wie geschickter Form dem von Pappenheim vorge¬
zeichneten Rahmen einzufügen. Dass theoretische Erörterungen den
überwiegenden Anteil des Werkes bilden, ist bei der ausgesprochen
spekulativen Forschungsrichtung Pappenheims nicht weiter ver¬
wunderlich. So erklärt es sich auch, dass der Abschnitt über klinische
Hämatologie gegenüber den ausserordentlich umfangreichen theoretischen
Abschnitten etwas kurz ausgefallen ist. Die Art aber, wie Pappen¬
heim sich mit den verschiedenen Problemen auseinandersetzt, hat
etwas ungemein Fesselndes und ist hervorragend geeignet, dem Leser
immer wieder die Vielgestaltigkeit der hämatologischen Fragestellungen
vor Augen zu führen. Es ist allerdings nicht immer eine leicht verständ¬
liche Ausdrucks weise, deren sich Pappenheim bedient, und unwill¬
kürlich drängt sich einem auch bei diesem Werke des hochverdienten
Forschers die Frage auf, ob die ihm eigene Vorliebe für neugeprägte, an
sich oft sehr prägnante, dem Fernerstehenden aber nicht geläufige Wort¬
formen nicht bisweilen eine seinen Absichten entgegengesetzte Wir¬
kung haben.
Die dem zweiten Bande beigefügten farbigen Tafeln, die noch unter
P.S Leitung entstanden sind, sind vortrefflich und geben auch ihrerseits
Zeugnis von der respektheischenden Forscherarbei^ Pappenheims.
V. Domarus-Berlin,
Karl Birnbaum: Psycho-pathologlsche Dokumente. Selbst¬
bekenntnisse und Fremdzeugnisse aus dem seelischen Grenzlande.
Springer, Berlin 1920. 322 S. Preis 42 M., geb. 49 M.
Die Pathologie, die auf Selbstbeobachtung nicht verzichten kann,
leidet darunter, dass die wenigsten Leute, und von den Kranken erst
recht nur wenige, fähig sind, gute Selbstbeobachtungen zu liefern.
Birnbaum gibt nun eine ausgezeichnet ausgewählte Sammlung von
Aussprüchen kranker und psychopathischer Männer, deren Namen dafür
bürgt, dass hinter ihren Beobachtungen auch wirklich etwas steckt.
Ferner enthält das Buch zuverlässig scheinende Beobachtungen von
andern an solchen Männern. Unter dem Buchstaben B. zum Beispiel
sind aufgeführt: Baeiz, Beaudelaire, Beardsley, Beethoven, Berlioz,
Beyle-Stendhal, BiUroth, Bismarck, Blake, Bloem, Blücher, Blüthgen,
Böhme Jakob, Bourignon, Brentano Clemens, Brugsch, Byron. Ge¬
ordnet ist der Stoff nach psycho-pathologischen Gesichtspunkten mit
kurzen verbindenden und beleuchtenden Zwischenbemerkungen. Das
Buch bietet ein prächtiges Material zum direkten Studium und ist ander¬
seits eüi willkommenes Nachschlagewerk für denjenigen, der die meisten
dieser Aussprüche schon kennt, aber sie im Bedarfsfälle auch zur Hand
haben möchte. B 1 e u l e r - Burghölzli.
Qraefe-Saemlsch: Handbuch der gesamten Augenheilkunde.
3., neubearbeitete Auflage. Berlin, Verlag von Julius Springer, 1920.
1361 Seiten, mit 93 Figuren im Text und 12 Tafeln. Preis geh. M. 98.—,
geb. M. 118.—. A. Groenouw: Beziehungen der Allgemeinleiden
und Organerkrankungen zu Veränderungen und Erkrankungen des Seh¬
organs. Abteilung I, und zwar: Abteilung I A: Erkrankungen der
Atmungs-, Kreislaufs-, Verdauungs-, Harn- und Geschlechtsorgane, der
Haut- und der Bewegungsorgane. Abschnitt I—VII, Abteilung IB: Kon¬
stitutionsanomalien, erbliche Aügenkrankheiten und Infektionskrankheiten.
'Abschnitt VIII—X.
Gegen die 2. Auflage hat der vorliegende Band eine Vermehrung um
500 Seiten erfahren; auch die Abbildungen und die Tafeln sind vermehrt.
Eingegangen ist die Arbeit im Juli 1914; das Wenige, das über das
Thema während des Krieges erschienen ist, ist in einem 10 Seiten um¬
fassenden Nachtrag bejücksichtigt. Das Werk wird ein unentbehrliches
Nachschlagebuch für jeden auf diesem Gebiete Interessierten sein, wie
,es die früheren Auflagen waren. Die Ausstattung durch den Verlag steht
lauf gewohnter Höhe. S a 1 z e r - München.
Rohleder: Vorlesimgep über das gesamte Geschlechtsleben des
Menschen. III und IV. Je M. 40.—. 4. Aufl. Berlin 1920. Fischers
med. Buchhandlung. H. Kornfeld.
Eine genaue Kenntnis der gesamten vita sexualis humana gehört
heutzutage zum imerlässlichen Rüstzeug für die Berufsausübung des
Arztes, Richters und GeistUchen: wer als Angehöriger eines dieser Be-
Originalfrom
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
M2
rufe seine Mitmenschen wirklich gerecht beurteilen will, der muss die
wissenschaftliche Ueberzeugung sich zu eigen gemacht haben, dass die
libido sexualis die unumschränkte Beherrscherin des menschlichen Geistes
und Körpers ist, ganz gleichgültig, zu welcher Menschenklasse der zu
Beurteilende gehört!
In der grossen Zahl von literarischen Erscheinungen auf diesem Ge¬
biete, die teils von Fachwissenschaftlern, teils — leider — auch von |
Laien herrühren, nimmt R.s vierbändiges Werk einen hervorragenden ;
Platz ein: ist einerseits die Darstellung bei aller möglichen Kürze denk- .
bar klar und wissenschaftlich, so erbringt das Buch andrerseit den Beweis,
dass die moderne Sexologie eine eigene Wissenschaft für sich geworden
ist. Was der Interessent bisher nur in einzelnen Monographien finden |'
konnte, das bringt R.s Buch zum erstenmal von A bis Z in erschöpfen- i
der Weise systematisch verarbeitet: der ärztliche Praktiker findet hier
die gesamte Theorie der Sexualwissenschaft als auch alles, was für die |
Beratung und Beurteilung bei sexualpsychopathischen Zuständen, für Ehe |
und Beruf, bei körperlichen und seelischen Sexuaileiden, in Betracht 1
kommt. ^ .
Wie nicht anders zu erwarten, steht R. auf dem Standpunkte, dass
§ 175 RStrGB. mit den wissenschaftlichen Forschungsergebnissen nicht
mehr vereinbar und damit die bisherige Rechtsprechung eine verfehlte
ist: Homosexualität ist eine unverschuldete, embryonale Entwicklungs¬
störung, deren Folgen, der homosexuelle Trieb, ebensowenig, strafbar
sein könne wie andere embryonale Entwicklungsstörungen! Wenn man
erlebt hat, welche Verderbnis urnisch veranlagte Aerzte. Lehrer und
Geistliche über die Jugend ganzer Ortschaften gebracht haben, dann kann
man diesem Standpunkt nur unter Vorbehalt zustimmen: gerade von
derartigen Leuten muss man auf Grund ihrer Bildung und Lebensstellung
verlangen, dass sie ihren als mindestens unrein geltenden Trieb soweit
wenigstens beherrschen, dass er nicht unter die Paragraphen, die von der
Verführung und vom öffentlichen Aergernis handeln, fällt: diese Para¬
graphen werden hoffentlich immer bestehen bleiben, trotz aller uns viel¬
leicht noch bevorstehenden Umwälzungen. B1 u m m - Hof a. S.
Zeitschriften- Uebersicht
Deutsches Archiv für klliüsche Medizin. 134. Band. 3. u. 4. Heft.
F. Rabe: Physiologisch begründete Diätetik. (Aus dem physiologischen
Institut und der med. Klinik der Universität Hamburg [Krankenhaus Eppen-
dorfj.)
Die Diätetik ist d^s Gebiet der Therapie, das am wenigsten von der ex¬
perimentellen Forschung befruchtet ist. Neue Methoden der Säugiings-
ernährung werden meist subjektiv vom Arzte begründet, ebenso spielt in der
Diätbehandlung der Erwachsenen diu subjektive Empfindung des Kranken die
Hauptrolle, da die Reaktion auf bestimmte Diätformen individuell sehr ver¬
schieden ist. In der Diätetik wird mit den Begriffen leicht und schwer ver¬
daulich von jeher operiert, als seien sie feststehend und eindeutig, während
doch vielerlei Funktionen (Sekretion, Resorption, Weiterbeförderung) daran
beteiligt sind, und Speisen, die für den Magen leicht verdaulich sind, dem
Dünndarm eine Mehrarbeit auferlegen und umgekehrt, so dass eigentlich kein
Nahrungsmittel unter allen Umständen leicht verdaulich ist. Ein einseitiges
Schema der Leichtverdaulichkeit benützt als Grundlage die Entleerungs¬
geschwindigkeit des gesunden Magpns, andere wieder den Sekretionsgrad.
Besonders störend ist dies z. B. bei den Diätformen für Magengeschwür, wo
manche Autoren in der ersten Zeit jede Nahrung per os ablehnen und die
Kranken mit Einläufen behandeln wegen der Blutungsgefahr, während das ,
L e u b e sehe Diätschema die stärksten Safttreiber (Bouillon- und Fleisch¬
lösung) enthält, und die R o s e n i e 1 d sehe Sahnebehandlung die Saftabsonde¬
rung hemmt. Während das Schicksal der Nahrungsstoffe bei nur einseitiger
Fütterung mit einem Nahrungsmittel (z. B. Fleisch) bekannt ist, stellt die aus
verschiedenen Nahrungsstoffen zusammengesetzte Nahrung noch viele Fragen,
wobei sich Widersprüche zwischen den Regeln der Diätetik, die die Erfahrung
als richtig erwiesen hat, und den Ergebnissen experimenteller Forschung
herausstellen, insbesondere wirft sich die Frage auf, ob der erkrankte und
entzündete Darm nicht einen anderen Typ der Aufsaugung und Absonderung
zeigt als der gesunde. Die Erkrankung jedes Teils des Verdauungskanales
beeinflusst weitgehend die angrenzenden und entfernteren Abschnitte, z. B. bei
Fehlen der Salzsäure erfolgt zu rasche Magenentleerung infolge Fehlens des
Pylorusreflexes und Durchfall infolge Dünndarmreizung, anderseits infolge
übermässiger Salzsäureabsonderung Verstopfung durch Dünndarmhemmung.
Auch Dünndarm und Dickdarm, Magen- und Dickdarm stehen in Wechsel¬
wirkungen, die noch weiterer Klärung bedürfen. Bei Ruhr mit ihrer heftigen
Dickdarmentzündung kann der Dünndarm völlig unverändert sein, ja Dünn¬
darmverstopfung bestehen bei gleichzeitigen Dickdarmdurchfällen, was für die
Ernährungstherapie der Ruhr wichtig ist, da man an Stelle der längeren
Schonungsdiät bald eine schlackenfreie, nahrhafte gemischte Kost setzen kann,
ähnliches gilt für den Typhus. Natürlich muss die Konstitution des Kranken
bei allen diätetischen Massnahmen berücksichtigt werden, besonders bei Mast-
und Entfettungskuren (Rasse, Familie, individuelle Eigenart, innere Drüsenfunk- ^
tion). Was die Mehl- und Schleimsuppen bei akuten Verdauungsstörungen,
besonders Durchfall, anlangt, so sind diese für den Magen leicht verdaulich,
den sie rasch passieren. Im Darm geht die Aufsaugung der Suppen langsam
vor sich, ein dünner Brei passiert den ganzen Dünndarm und tritt in er¬
heblicher Menge in den Dickdarm über. Den wesentlichsten Anteil hieran
haben die Schleimstofie, die reizmildernd auf die Schleimhaut einwirken, auch
auf die des Dickdarms. Die Milch wirkt günstig auf die Sekretion des im
Zustande der Superazidität befindlichen Magens. Bei gutem Kauen ist die
Ausnützung der gebräuchlichen Nahrungsmittel eine fast optimale; eine wei¬
tere Verlängerung des Kauens (Fletschern) ermöglicht keine weitere Nutz¬
barmachung der Speisen. Fett und Eiw'eiss halten die Kohlehydrate länger im
Magen zurück und fördern dadurch ihre Verdaulichkeit; bei geringer Getreidc-
ausmahlung können allerdings die im Brote verloren gehenden Stickstoff¬
mengen auch bei erheblich verlängerter Berührung mit den bei Fleischgenuss
vermehrten Sekreten nicht nutzbar gemacht werden. Die feine Zerteilung der
pflanzlichen Nahrung (Erbsen, Bohnen) beeinflusst die Menge der Sekrete
und die Aufsaugung im Dünndarm nicht wesentlich. Für die Verarbeitung
zellulosehaltiger Pfbnzcnnahrung auch bei weitgehender mechanischer Zer¬
kleinerung spielt der Dickdarm die Hauptrolle; eine Schonung des erkraukten
Dickdarms lässt sich nur erzielen durch eine Nahrung, die schon im oberen
Dünndarm resorbiert wird (Fleiscli, Zucker, Weissbrot, Milch). Die diätetische
Behandlung der Leberkrankheiten zeigt eine Fülle widersprechender .Metho¬
den; jedenfalls sind häufige Mahlzeiten das beste galletreibende Mittel. Für
die. Behandlung v’oii Chlorose und Anämie mit ihren meist niederen Säure¬
werten ist die Kombination von Eisen -f Arsen (Arsenferratose) zweckmässig,
da As eine leichte Steigerung der Magenresektion bedingt. Bei Blutarmut nach
Magengeschw'ür wird man besser nur Eisen geben. Die Wirkung der HCl
auf die Magensekrelion ist mehr sekundär zu denken. Die HCl reguliert die
Magenentlcerung und mit den motorischen werden auch die sekretorischen
Impulse wieder zur Norm gebracht.
W. Weitz: Ueber Herzgeräusche. (Aus der med. und Nervenkliuik
zu Tübingen.) (Mit 2 Abbildungen.)
Die Herztöne und Geräusche müssen in ihr zeitliches Verhältnis zu den
einzelnen Phasen der Herzaktion, der Anspannungszeit, der Austreibungszeit,
der Entspannungszeit und Anfüllungszeit gesetzt werden. Der 1. Herzton fallt
nicht in den Anfang der Anspannungszeit, in dem eine geräuschlose Schliessung
und Vorwölbung der Mitralklappen gc.schieht, sondern in den letzten leil
der Anspanriungszeit, in dem der ansteigende Ventrikeldruck die geschlossenen
Kluppen und die Venirikelwand in Schwingungen versetzt. Der 2. Ton fällt
unmittelbar hinter den Aortenklappenschliiss in den Beginn der Entspannungs-
zcit. Das Geräusch bei einer Mitralinsuffizienz beginnt theoretisch nach er¬
folgter Vorwölbung der Mitralklappen und dauert an, solange der Ventrikel¬
druck den Vorhofsdruck überschreitet; cs erstreckt sich von der Mitte der
Anspannungszeit bis zum Ende der Eiitspaiinuiigszeit. In Wirklichkeit wer¬
den die für gewöhnlich starren Mitralklappen dem Blutstrom nicht schnell ge¬
nug folgen, und das an ihren Rändern vorbeiströmende Blut wird Strom¬
wirbel erzeugen. Das Geräusch wird dann im Beginn der Anspannungszeit
anfangen und gewöhnlich am Ende der Austreibungszeit aufhören. Bei der
Mitralstenose, in reiner Form ohne Gelenkrheumatismus bei asthenischen
Frauen häufig vorkoniint, fällt das kurz vor dem 1. Ton hörbare, rauhe, in
seiner Intensität zuncliniende sog. Kreszcndogeräusch in den Anfang der An¬
spannungszeit und ist durch die Strömung des Blutes an den Rändern der
sich nicht genügend .schnell schliessenden Mitralklappen bedingt. Der häuiig
hörbare 3. Ton ist ein kurzes Geräusch und hat seine Ursache in der
Strömung des Blutes an den Rändern der sich verzögert öffnenden Mitral¬
klappen im Beginn der Anfüllungszeit. Sicher beweisend für Mitralstenose ist
ein Geräusch in der Anfüllungszeit. Das Aorteninsuffizienzgeräusch beginnt
unmittelbar nach dem 2. Herzton in der Entspannungszeit, nimmt wahrend der
Austreibungszeit an Stärke ab und hört gewöhnlich ini letzten Teil der Aus¬
treibungszeit auf Die zeitliche Differenz zwischen Karotis- und Radialispuls
ist bei Aorteninsuftizienz viel deutlicher als normalerweise zu fühlen. Das
Aorteristenosengeräusch fällt in die Austreibungszeit und schliesst sich direkt
an den ersten Ton an. Bei anatomisch normalen Klappen können die Ge¬
räusche durch relative und muskuläre Mitralinsuffizienz verursacht sein,
wie dies häufig bei Hypertension durch Steigerung des intrakardialen Druckes *
bedingt ist. Die Mehrzahl der akzidentellen Geräusche wird nach Ab¬
lehnung der kardiopulmonalen und der Strombeschleunigungstheorie durch
Konfigurationsänderuiig der Arteria pulmonalis erklärt.
Nonne 11 bruch und W. Szyska: Ueber einige neuartige Mittel
(Enphyllin und andere Amine) zur Beschleunigung der Blutgerinnung. (Aus
der med. Klinik zu Würzburg.)
Aethylendiamiii, besonders als essigsaures Aethylendiamin und Theo¬
phyllin aethylendiamin - - Euphyllin, sowie Piperazin haben eine stark gc-
rinnungsbeschleunigende Wirkung, die auch für Koffein und Theophyllin wahr¬
scheinlich ist. Ihre Wirkung beruht wahrscheinlich auf einer Vermehrung
des Fibrinfermentes. Intravenöse Injektion von 0,48 Euphyllin wirkte in
mehreren Fallen von Hämoptoe rasch blutstillend.
R. Meyer-Bi sch; Ueber die Wirkung des Tuberkulins auf den
Wasserhaushalt. (Aus der deutschen med. Universitätsklinik Strassburg i. E.
und dem Festungslazarett 16 Strassburg.) (Mit 5 Kurv'en.)
Trotz der zurzeit wieder besonders aktuellen Bedeutung des Tuberkulins
ist man sich über den Mechanismus seiner Wirkung nicht im klaren. Bei pro¬
gnostisch günstig erscheinenden Tuberkulosefällcii fand sich nach Tuberkulin¬
injektion eine deutliche, zum Teil ganz erhebliche Gewichtszunahme in weni¬
gen Tagen, deren Grund in einer erhöhten Wasserretention zu suchen ist.
Beobachtungen an Gesunden ergaben, dass jeder Mensch im Laufe des Tages
an Gewicht zunimmt, um im Laufe der Nacht zum Morgengewicht des Vor¬
tages zurückzukehren; die Tagesschwankungen bewegen sich zwischen 500
und 1500 g. Gleichzeitig mit der Gewichtszunahme vermehrt sich abends der
prozentuale Eiweissgehalt des Blutserums, das bis zum nächsten Morgen
wieder ausgeglichen ist. Im Gegensatz dazu findet sich beim Tuberkulösen
zwar auch eine Gewichtszunahme; der Eiweissgehalt des Sörums ist jedoch
am Morgen nüchtern am höchsten, abends am niedrigsten, der tuberkulöse
Organismus hat also abends ein dünneres, .wasserreicheres Serum. Die Zu¬
nahme der Gewichtskurve beim Tuberkulösen zeigt, dass auch der tuber¬
kulöse Körper wie der Gesunde im Laufe des Tages Wasser retiniert. D i e
Umkehrung der Serumkurve jedoch ergibt, dass der
normale W a s s e r a u s t a u s c h zwischen Blut und Gewebe
gestört ist, was als eine spezifische Wirkung des vom
tuberkulösen Herd in die Blutbahn gelangenden Giftes
anzusprechen ist, ebenso durch eine Tuberkulin injek-
tion erreicht werden kann. Die Einwirkung des Tuberkulins auf
den Wasseraustausch zwischen Blut und Gewebe ist eine spezifisch toxische
und beruht auf seinen lymphagogenen Eigenschaften, es handelt sich um
einen unter den Begriff der Allergie fallenden Reaktionsmechanismus Üebri-
gens ist diese Wirkung ähnlich der Arsenw'irkung, mit dem Unterschied, dass
As auf den Wasserhaushalt beim Normalen und Tuberkulösen, Tuberkulin
n u r beim Tuberkulösen wirkt. Die Bedeutung der „Wasserreaktion“ liegt
nicht nur darin, fest/ustelleif, ob Tuberkulose überhaupt vorliegt, sondern be¬
sonders darin, ob sich ein Fall für eine Tuberkulinkur eignet oder nicht.
Ersteres trifft besonders für vorher „ausgetrocknete“ Fälle zu. die unter
Tuberkulin Wasser ansetzen und dauernd an Gewicht zunehmen.
Ed. Schott: Zur Frage der Chinldintheraple. (Aus der II. med. Klinik
der Universität Köln.) (Mit 2 Kurven.)
Die Behandlung des Vorhofflimmerns bzw. des Pulsus irregularis perpet.
mit Chinidin sulf. ist meist erfolgreich, es lässt sich das Vorhofflimmern oft
beseitigen und reguläre Schlagfolge mit gut ausgeprägter Vorhofzacke und
regulärer Usberleitungszeit erzielen. Auch wenn sich der Puls, irreg. perp.
nach mehr weniger langer Zeit wieder einstellt, darf schon in der nur
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHIfNER MhlDlZlNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
313
vorübergehenden Regularisierung der Herztätigkeit ein günstiges Moment für
den Kreislauf erblickt werden.
E. Clir. Meyer: lieber Kreatin- und Kreatininausscheidung bei Krank¬
heiten. (Aus der nied. Klinik Greifswald.)
Bei 3 Fällen von Dystrophia musc. progr. fand sich konstant neben
niedrigem Ges.-Kreitininkoeffizienten Kreatin, ebenso bei amyotrophischer
Lateralsklerose, bei 2 Fällen von Myotonia atrophica fand sich keine Krea-
tinurie. Bei Polyneuritis postdiphtherica fand sich nie Kreatin, dagegen hohe
Kreatininausscheidiing im Stadium völliger Machtlosigkeit der Muskulatur,
geringerer Kreatininkoeffizient bei zunehmender Gebrauchsfühigkeit der Mus¬
kulatur. Die Veränderungen des Kreatin- und Kreatiiiinstoftwcchscls bei diesen
Muskelerkrankungen sprechen für die Beteiligung des Muskels an Kreutin-
bildung und -Umwandlung. Bei perniziöser Anämie und bösartigen Ge-
schwüsten mit Kache.vie tritt im allgemeinen keine Kreatinurie auf; erst in
Verbindung mit Leberaffektionen zeigt sich Kreatin. Bei Scharlach, 'l'yphus
und Diphtherie fand sich Kreatinurie als Folge der spez. Infektion, nicht des
Fiebers.
G. Baumgardt und M. H e u b e r: Zur Frage der Fettblldung aus
Kohiefaydraten beim Menschen. (Aus der Krankenabteilung des Waisenhauses
der Stadt Berlin in Rummelsburg und dem Tierphysiologischen Institut der
landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin.)
Die Fettbildung aus Kohlehydraten im menschlichen Organismus konnten
die Verff. irn Selbstversuch einwandfrei sicherstellen.
Q. Den ecke: lieber Faserstoffmangel im Blute bei einem Falle von
Hämophilie. Eine Bemerkung zu der Arbeit von Robe und S a 1 o m o n
(dieses Archiv Bd. 139, S. 240). (Aus der med. Klinik zu Greifswald.)
Die Diagnose des obigen Falles ist nicht gesichert; an Stelle des an¬
gewandten Magnesiumsulfatplasmas wäre es sicherer gewesen, eine Ham-
in a r s t e n sehe Fibrinogenlösung zu benützen.
Besprechungen. B a m b e r g e r - Kronacli.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 161. Band. I.—2. Heit.
Werner Budde; Zur Frage des plastischen Ersatzes schlelmhautbekleide-
ter Röhren: I. Urethra virllis, II. Oesophagus. (Aus der chir. Universitäts¬
klinik Halle a/s.)
In der vorderen Harnröhre können Defekte (einschliesslich Hypospadie)
durch Mobilisation und Distensionsplastik i. a. bis zu 3—4 etn Länge ge¬
deckt werden. Bei Defekten der hinteren Harnröhre kommt vor allem für
den distalen Stumpf Mobilisierung in Frage, die allerdings besonders durch die
periurethralen Schwielen bei der Gonorrhöe erschwert wird. Für Plastiken
sind Flüchestillappen prinzipiell vorzuzichen. Für Defekte der hinteren Harn¬
röhre wird die praktisch erprobte Deckung durch einen flächenhaft am Sep¬
tum scroti gestielten Lappen der Skrotalhaut vorgeschlagen. Die Erfolge
der freien Transplantation (Haut. Wurmfortsatz, Vene, Faszie) sind weit un¬
sicherer.
Auf Grund von Erfahrungen an Leichenversucheii wird für Defekte nach
Resektion des Oesophagus eine intrat'iorakale, extrapleurale Oesophagoplastik
in Anregung gebracht in der Weise, dass ein subkutan gestielter (Fettgewebe,
Faszie, Muskel) Lappen über der Ansatzstelle des Musculus triceps an der
Spina Scapulae gebildet, zur Röhre vernäht und nach hinterer Mediastinotomie
in den Oesophagiisdefekt eingenäht wird.
Alban Manuwald: Ein Beitrag zur Myositis ossificans multiplex pro¬
gressiva (Aus der Universitäts-Kinderklinik Heidelberg.)
Typischer Fall bei einem 4 jährigen Mädchen. Für die Entstehung
wird die Stempel sehe Theorie akzeptiert, der die Knochenbildung aus
einer mangelhaften Differenzierung des Mesenchyms erklärt. Die Prognose ist
infaiist, therapeutisch kommt Röntgenbestrahlung in Frage.
H. Fischer; Ueber Cbolin und seine Einwirkung auf den Organismus
bei chirurgischer Tuberkulose. (Aus der chir. Universitätsklinik Köln-Linden¬
burg.),
Verwendet wurde intravenös das Werner sehe Enzytol nach der Vor¬
schrift W e r n e r s für die Karzinomtherapie (von 1,0 steigen bis 4,0, Ver¬
dünnung mit physiologischer NaCl-Lösung). Die Zahl der weissen Blutkörper¬
chen sinkt zunächst nach der Injektion, steigt dann erneut wieder an, bis
nach 48 Stunden wieder die alten Werte erreicht sind. Die 7 mal angestellte
Inmiunitätsanalyse (D e v c k e - M u c h) ergab vielleicht eine Zunahme der
Albuniinantikörpcr und der Fettsäurclipoidantikörper. Das auftretende Fieber
wird als Toxämie (Lipase und Tiiberkelbazillengiftstoffresorption nach Unter¬
gang der Lymphozyten) erklärt. Klinisch war eine lebhaftere Sekretion und
ein beseres Aussehen der Granulationen zu beobachten.
Alfred Schubert; Wacbsturasunterschiedc und atrophische Vorgänge
am Skelettsystem. (.Aus der chir. Universitätsklinik Königsberg.)
Auf Grund eines umfangreichen Literaturstudiums und zahlreicher kli¬
nischer Beobachtungen führt Verf. aus, dass die Krcislaufbceinflussiingen der
Wachstumszone für die Wachstumsiintcrscliiede massgebend sind, abgesehen
von der direkten Zerstörung der Epiphysenknorpcl mit nachfolgender Ver¬
kürzung. ,,Nur ein Kapülarnetz, das sich dem weeliselnden Bedürfnis des F.pi-
physenknorpels arjzupassen vermag und dessen zentrale Regulierung ungestört
ist, kann den hochgestellten Anspriiclien der Wachstumszone genügen. Die
Annahme besonderer tropliischer Nervenfasern wird abgelehnt. Durch Stö¬
rungen der Vasomotoren lassen sich ^am einfachsten sowohl atrophische Vor¬
gänge als auch Wachstumsstöruiigen erklären.“
Oscar Orth: Klinischer Beitrag zur Magenchirurgie. (Aus der chir.
Universitätsklinik Halle a. S.)
Kallöses Ulcus der kleinen Kurvatur mit Penetration in die Leber, ».leich¬
zeitig ein 2. Ulcus am Pylorus und ein 3. penetrierendes Ulcus der hintern
Mägenwand. Nach Lösung des mittleren Magens Kollaps, schnelle Beendi¬
gung durch Resektion der Mitte und Gastrojejunostoinic mit dem oralen
Magenqiierschnitt, das Ulcus am Pylorus wird belassen, der aborale Magen¬
stumpf übernäht und versenkt. Heilung. Für schwer resezierbare Ulzera und
Karzinome wird die quere Durchtrennung kardialwärts mit Gastrojejuno-
stomic nach K r ö n 1 e i n vor der Gastroenterostomie bevorzugt. Die Be-
.furchtungen einer Stauung im ausgeschalteten Magenteil hat meistens
keine Berechtigung, Bei absolutem Pylorusverschluss Anlegung einer Fistel,
als Notoperation.
E. Boerner - Erfurt: Fln Beitrag zur Luxatio pedis sub taio.
Die Beobachtung betrifft eine 62 jährige Patientin und ist daher bemer¬
kenswert. Daneben bestand eine Fraktur der Tuberositas metatarsi V.
Leichte Reposition in Narkose, gute Funktion.
Fritz Hollenbach: Zur Ausführung der Rippenresektion beim »kiiten
Pleuraempyem. (Aus der chir. Abt. des Marienkrankenhauses in Hamburg.)
Ebenso wie Oe h lecker inacfte Verf. mit der Tamponade der Pleura
anstelle der komplizierteren Saugmethoden günstige Erfahrungen, besonders
auch beim Grippeempyem. H. Flörcken - Frankfurt a^M.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie einschfiessHch der Heil¬
gymnastik und Massage. XL. Band. 3. u. 4 . Heft.
3. Heft.
Erich S ü n n t a g - Leipzig; Ein Fall von kongenitaler radioulnarer
Synostose • .
Beschreibung eines Falles von doppelseitiger angeborener Synostose des
Radius mit der Ulna. Therapeutisch kann nur operativ vorgegangen werden;
bisher 8 Fälle bekannt, wovon 50 Proz. Missresultate. Die Fortschritte auf
dem Gebiete der Gelenkmobilisationen werden auch hier das Zahlenverhältnis
bessern.
ü. S c h ü s s 1 c r - Zwickau: Ueber gekreuzte Atrophie nach Verletzungeti
der Wirbelsäule.
Verf. macht an Hund verschiedener Krankengeschichten auf die bisher
wenig bekannte Tatsache aufmerksam, dass nach Verletzungen der Wirbel¬
säule zuweilen eine Muskelatrophie des einen Oberschenkels und des anderen
Unterschenkels Vorkommen („gekreuzte Atrophie"). Die Ursache dieser
merkwürdigen Erscheinung ist noch ijicht geklärt. Jedenfalls kommt sie nur
bei Mitbcteiligiing des Knochens vor. Sie scheint stets bei Beckenfrakturen
vorhanden zu sein, welche die Kreuzdarmbeinfuge betroffen habe, nicht aber
immer bei Lendenwirbelbrüchcn, so dass es wahrscheinlich ist, dass die Nerven
am Ort der Verletzung geschädigt werden, welche die betreffenden Mnskel-
gruppen versehen.
Siegfried Ro mich-Wien: Ueber statische und dynamische Belii-
deformitäten.
Bei der statischen Gruppe der Beindeformitäten erkennt man das Be¬
streben der Natur, durch Anpassung den schädigenden Einflüssen zu bc-
geghen und mögliciist günstige mechani.sche Bedingungen zu schaffen. (Bei
Pes valgus findet eine Vergrösserung der Auftrittsfläclie statt und dadurch
eine günstige Verteilung der Druckpunkte.) Bei den dynamischen Deformi¬
täten hilft sich die Natur auf dieslbe Weise (bei Pes varus Verkleinerung der
Auftrittsfläche, die eine rasche Abwicklung des Fusses ermöglicht bei kurz¬
dauernder Belastungsmöglichkeit).
Die Fähigkeit des Organismus, die schädliche Wirkung der Deformations¬
komponente kompensatorisch auszugleichen, findet ihren Ausdruck durch den
Einwärtsgang eines mit Pes valgus behafteten Individuums. Bei beginnendem
Plattfiiss daher Abnützen des Schuhes auf der Aussenseite. Diese Selbst¬
korrektur bei beginnendem Plattfuss fehlt beim fixierten Plattfuss. Aehnlich
liegen die Verhältnisse beim Genu valguni, wo wir oft als kompensatorischen
Vorgang den F’es varus antreffen und erst bei höherem Grade den Pes valgus.
Viele gute Abbildungen.
Bruno K ü li n e - Berlin-Steglitz: Ueber habituelle symmetrische Ver¬
renkung des Sternoklavikulargelenks.
Bisher 7 Fälle in der Literatur von symmetrischer Luxation im Sterno-
klavikulargelenk bekannt. Beschreibung eines eigenen Falles, der besonders
interessant ist wegen der gleichzeitig bestehenden angeborenen Hüftverren¬
kung. Verf. kommt durch verschiedene Ueberlegungen zu dem Schluss, dass
die nicht traumatische Luxation der Klavikula am Sternalende meist nicht als
fertige Deformität angeboren ist, dass sie sich vielmehr erst später im Kindes¬
alter auf Grund angeborener Verhältnisse und unter Mitwirkung funktioneller
Belastung allmählich entwickelt.
4. Heft.
K. O a u g e l e - Zwickau: „Schonet die Adduktoren!“ Beitrag zur Ein¬
renkung der angeborenen Hüftgelenksverrenkung.
Die heute fast allgemeine übliche brüske Zerreissung der Adduktoren bei
Finrenkungsversu:hcn angeborener Hüftverrenkungen hat, da die Adduktoren
auch neben der .Adduktion noch andere Funktionen haben, verschiedene Nach¬
teile, die sich später in der Stellung des Hüftgelenks äussern: leichte Adduk-
tions- und Flexionsstelliing in der Hüfte, Aussenrotation des Beines, Hohl-
kreuzbildimg und breitspuriger Gang; deshalb verzichtet Qaugele auf die
Ueberdehnung der Muskulatur und renkt die Hüften meist über dem hinteren
oberen oder hinteren unteren Pfannenrande ein, gibt frühzeitig eine Luxa-
tionsbandagc und lässt baldige Bewegungen machen,
A. M ü 11 e r - München-Gladbach: Die Bedeutung der Muskulatur iür die
Entstehung, Behandlung und Beurteilung der funktionellen Verletzungsfolgen.
Versteifungen nach Verletzungen sind nicht nur auf das Schuldkonto der
i Fixation zu setzen, sondern es ist nach Verf. sehr häufig die Muskulatur, die
sich in einem Erkrankungszustand (Hypertonus) befindet, schuld (Schmerz,
Schwellung, pathologisch-anatomisch nekrotische Herde in der Muskulatur
ohne nachweisbare Oefässvcrletzung). Dieser hypertonischen Muskelerkran¬
kung entspricht der des Muskelrheumatisnius, nur dass die traumatische die
akute, die rheumatische die chronische Form der hypertonischen Muskel¬
erkrankung vorstellt. Der Hypertonus verschwindet nie vollkommen, er
bleibt latent, auch wenn keine Beschwerden mehr vorliegen. Bei Beinampu¬
tierten wirkt er besonders störend als Stumpfelend. Therapie: frühzeitige
.Massage der befallenen Muskelgruppen.
O. Schlesinger und K. Meyer: Die Muskelkräfte im amputierten
Arm und Ihre Nutzbarmachung. (Das Zusammenwirken von Chirurg und
Ingenieur.)
Die Arbeit eignet sich nicht zu einem Referat, sie muss im Original
nachgelesen werden.
M. S c h w a m m - Wien: Zur Pathologie und Therapie des paralytischen
Hackenhohifusses.
Nach Besprechung der Veränderungen im Skelett und den Weichteilen
des paralytischen Hohlfusses (Steilstellung des Kalkaneus, Verschiebung des
Kalkantms und Talus unter sich, Veränderung der Kalkaneusform, Veränderung
der M. peronaei etc.) geht Verf. zu den verschiedenen Operationsniethoden
über; Sehnenvcrpllanzung, osteoplastische Methoden, Keilresektionen. Verf.
selbst übt die schon von anderen beschriebene kombinierte osteoplastische
Methode am Kalkaneus mit Verpflanzung der Peronaei auf den abgemeisseltcn
und nach rückwärts verschobenen Teile des Kalkaneus unter Tenotomie der
Plantarfaszie. W. Pürckhauer.
Zentrafblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 7.
E 11 d e r 1 e n - Heidelberg: Zur Behandlung des Volvulus der Flexura
sigffloidea in Nr. 48 1920 und Wie kann man sich die Operation des Wolfs¬
rachens erleichtern? von A. Neudörfer in Nr. 50, 1920.
Verf. weist darauf hin. dass die von Neudörfer empfohlene Ana-
stoinose 'der Fusspunkte beider Schlingen wegen der Gefahr der Drehung
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
314
MÜNCHtiNlSR MüDlZlNlSCm WOCliENSCHRiFT.
Nr. 10.
schon vor ca. 25 Jahren als gefährlich bezeichnet und deshalb bereits 1896
von Eiseisberg die Resektion empfohlen wurde. Hinsichtlich der Er¬
leichterungen bei der Operation des Wolfsrachens betont Verf., dass Neu-
d ö r f e r entweder nichts Neues gebracht hat, oder seine Vorschläge nicht
uls besser oder gar ideal zu betrachten sind.
E. P 0 1 y a - Pest: Zur Otoplastlk.
Verf. beschreibt, wie es ihm gelang, den Defekt der halben Ohrmuschel
durch eine Plastik aus der übrig gebliebenen Ohrmuschel zu decken. Aus
’4 Skizzen ist seine Methode der Plastik leicht zu ersehen; der kosmetische
Erfolg war gut, nur wurde die Ohrmuschel kleiner, niedriger und schmäler,
erhielt aber annähernd wieder normale Form.
Ed. Melchior- Breslau; Neue Methode zur operativen Behandlung der
Epispadla totalis.
Verf. ist bei einer Epispadia totalis, die bereits vor 24 Jahren mit
nur teilweisem Erfolg operiert worden war, so vorgegangen, dass er im
Skrotum eine Falte bildete, diese an der Basis tunnelierte und dann den
Penisstumpf durchzog und einnähte. Durch Anfrischung der Basis der Falte
oberhalb des Blasenspaltes entstand eine breite dorsale Abdachung der
Penisrinne und des Blasenostiums, die später durch ventrale Vereinigung
zum Rohr geschlossen wurde. Eine kleine an der Anheftungsstelle der
Bauchwand zurückgeb'’ebene Fistel schloss sich erst nach wiederholten Ein¬
griffen. Der Erfolg zeigte sich darin, dass sich durch eine federnde Klemme
die als Penis geformte Harnröhre gut verschliessen und damit die be¬
stehende Inkontinenz teilweise beseitigen Hess. Mit 2 Abbildungen. Freilich
kann sie keine aktive Kontinenz schaffen; doch ist sie einfach und gefährdet
nicht das Leben.
P o 1 y a - Pest: Zur operativen Behandlung der Analfissuren.
Verf. geht so vor, dass er nach Dehnung des Sphinkters das kleine
Geschwür mitsamt dem aus dem Analring hervorragenden Schleimhautklümp¬
chen („Vorpostenfalten") mit 2 ovalen Schnitten umschneidet, vom Sphinkter
ablöst und dann die Wundränder der Schleimhaut der äusseren Haut annäht.
Heilung erfolgt rasch in 8—10 Tagen. Mit 2 Skizzen.
L. Drüner - Quierschied: Ueber die Eplthelkörperchenfiberpfianzung bei
postoperativer Tetanie.
Verf. macht auf folgende Tatsachen aufmerksam: eine sichere Erkennung
der Epithelkörperchen ist bei der Operation nicht möglich; durch Verwechs¬
lung mit Lymphdrüsen kann einmal eine tuberkulöse Drüse überpflanzt wer¬
den. Auch die mikroskopische Untersuchung ist nicht ganz sicher, da in
den Epithelkörpern beim Erwachsenen auch lymphoide Teile sich vorfinden.
Sichere Epithelkörperchen findet man nur in dem Teil der Schilddrüse,
der bei der Strumektomie erhalten bleibt; Transplantation in Muskel oder
Knochenmark ist nötig unter Schonung der Qefässe der Epithelkörperchen,
deren Verletzung schon die Lebensfähigkeit gefährden kann. Die alleinige
Gewähr gegen posfoperative Tetanie bildet die sichere Schonung der Epithel¬
körperchen bei der Operation,
H. T e s k e - Plauen: Ueber die Femurosteotomie bei osteogener Knle-
kontraktur kurzer Stümpfe.
Verf. empfiehlt bei kurzen Stümpfen über 7—8 cm die keilförmige supra-
kondyläre Femurosteotomie bei osteogenen Kontrakturen mit Aussägung eines
Knochenkeiles und mit nachträglicher S t e i n m a n n scher Extension. An
1 Fall ist die Technik kurz geschildert.
L i n n a r t z - Oberhausen; Wie lässt sich die Spannung der Sehnen-
stämpfe bei der Naht alter Sehnenverletzungen ausschalten?
Verf. ging bei 1 Fall so vor. dass er an dem zentralen Sehnenstumpf
eine Extension anbrachte und diese 48 Stunden bei einem Gewicht von
2 Pfund wirken Hess. Durch diese Extension, die genau beschrieben ist,
erzielte Verf. vollen Erfolg, so dass er sein Verfahren zur Nachprüfung
empfehlt.
Fr. N e u g e b a u e r - Mähr. Ostrau: Motilitätsstörungen des Magens
und Vagusresektion. Zum Aufsatz von E. Horchers in Nr, 51.
Verf. bestätigt auf Grund mehrfacher Beobachtungen bei Magenopera¬
tionen die Ansicht von B o r c h e r s, dass der Vagus nicht der motorische
Nerv des Magens sein kann Verf. fand den Pylorus fest verschlossen
nach querer Magendurchtrennung, ohne dass am Pylorus ein Geschwür sich
fand. E. H e i m - Schweinfurt-Oberndorf.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 54. Heit 1.
Jjnuir 1921.
Rud. Th. V. J a s c‘h k e - Giessen: Die für die Verhütung der postopera¬
tiven Thrombose und Emb 9 lle massgebenden Faktoren.
I, Zur Vermeidung postoperativer Thrombosen ist das Wichtigste, vor
der Operation durch systematische Digitalisierung die Leistungsfähigkeit von
Herz und Gefässen zu steigern, um die Erhaltung genügenden Stromgefälles
möglichst sicherzustellen.
2. Peinlichste Asepsis.
3. Sorgfältigste Blutstillung und schonendste Behandlung der Gefässe,
möglichst Einzelligatur ohne vorherige Abklemmung. Vermeidung zu langer
und zu steiler Bcckcnhochlagerung, die so anzuordnen ist, dass schädlicher
I^ruck auf die Venen des Unterschenkels und der Kniekehle vermieden wird.
4. Systematisches Frühaufstehen mit Massage, passiven Bewegungen und
systematischer Atemgymnastik als Ergänzung.
D y r 0 f f - Erlangen: Ein Fall von Scheidenwandabriss.
Kasuistischer Beitrag,
Konrad K a y s e r - Magdeburg: Kohabitatlonsverietzung des hinteren
Scheidengewölbes im Puerperium.
2 Fälle: Beim ersten Koitus nach der Entbindung, das eine Mal 6 Wochen,
bei dem zweiten Fall 10 Wochen nach der Entbindung kam es zQ einer
perforierenden Verletzung des hinteren Scheidengewölbes. Das hintefe Schei¬
dengewölbe ist im ersten Vierteljahr nach der Entbindung leicht zerreisslich.
19,7 Proz. der in der Literatur niedergelegten Fälle von Verletzungen des
hinteren Scheidengewölbes intra coitum kamen mehrere Wochen nach einer
Entbindung zustande.
Erwin Zweifel -München: Ueber einen Fall von akutem Oedem der
Portio bei der Geburt.
Kasuistischer Beitrag. Die Entbindung erfolgte bei der 42 jährigen
Zweitgebärenden spontan.
Max Böttger; Ein Beitrag zum verhornenden Plattenepithelkarzinom
des Övaiinms«
59 jährige Frau mit doppelseitigen Ovarialtumoren. Der Tufnor der
rechten Seite war ein Dermoidkystom, verbunden mit einem Teratom und
gleichzeitiger Karzinomentwicklung. Das Karzinom war ein verhornender
Plattenepithelkrebs.
W. Benthin - Königsberg: Strahlentherapeutische Elnzelbeobachtnngen.
Bei 2 Frauen, die nach vaginaler Exstirpation des Uterus wegen Kollura-
karzinom bestrahlt wurden, entwickelte sich während der Bestrahlung ein
Ovarialkarzinom. In einem anderen Falle wurde eine starke allgemeine
Pigmentierung der Haut des ganzen Körpers beobachtet, obwohl nur der
Unterleib bestrahlt worden war. Bei einer erst 26 jährigen bestrahlten Frau
trat Schwangerschaft ein und wurde normal mit gesundem Kind ausgetragen.
Die letzte Beobachtung bringt die Beschreibung eines Radiumulcus des Mast¬
darms, das irrtümlicher Weise als Rektumkarzinom operiert worden war.
H. Treber - München: Dauerergebnisse der Aktlnotheraple bei Uterus¬
halskarzinom.
Vergleichende Zusammenstellung der Erfolge bei Strahlenbehandlung des
Uterushalskarzinom an der gyn. Poliklinik (Q. Klein) mit den Erfolgen
anderer Kliniken. Durch die Operation der operablen Fälle wird weniger
erreicht, als durch die Bestrahlung allein. In letzter Zeit wurde aber an
der Münchener Poliklinik erst bestrahlt und zwar mit gemischtem Kreui-
feuer, 8—12 Wochen darauf der Uterus nach W e r t h e i m exstirpiert, dann
wieder bestrahlt. K o 1 d e - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 7.
A. M a y e r - Tübingen: Ueber chirurgische Behandlung der Schrumpf¬
blase.
Verf. berichtet über einen der seltenen Fälle von Schrumpfblase, bei
dem er eine Implantation eines Stückes der Flexura sigmoidea vorgenomraen
hat. Diese künstliche Erweiterung gelang vollkommen, obwohl die Blasen-
uand selbst tuberkulös erkrankt und obwohl der Urin eiterhaltig war.
Q. S c h u b e r t - Bcuthen O.-S.: Die Bildung der Scheide bei Vaginal-
defekt.
Der Vater der Methode einer Scheidenplastik aus dem Rektum bei an¬
geborenem Vaginaldefekt bringt eine kritische Gegenüberstellung von 33 nach
seiner Methode operierten Fällen und 32 Dünndarmplastiken nach
Baldwin, Mori, Haeberlin. Besseres Endresultat und geringere
Gefahr sprechen für Schuberts Vorgehen.
A. Z i m m e r m a n n - Jena: Vbrgetäuschte Plattenepithelmetaplasie des
Uterusepithels.
Ergebnis eines Kurettements bei einer chronischen Endometritis, lehr¬
reiche Illustrationen.
P. W'e r n e r - Wien: Scheidenstenose mit seltener Aetlologle.
Es handelt sich um Kontraktionszustände der Ringmuskelschicht der
Vagina, die bei Annäherung des untersuchenden Fingers ausgelöst werden,
also um eine Art Vaginismus in den höher oben gelegenen Teilen der
Scheid';. Auslösendes Moment: Koitusversuch. Unter der Annahme einer
funktionellen Störung war der Erfolg der Suggestivtherapie (schwache fara-
dische Ströme) verblüffend.
H. H a n s - Limburg a. d. Lahn: Ein Sicherungsverfahren beim klassi¬
schen Kaiserschnitt.
Technische Ratschläge für eine besondere Nahtmethode (cf. d. Wschr.
1920 Nr. 26). Werner- Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 9.
A. V. Wassermann - Berlin; Neue experimentelle Forschungen über
Syphilis.
Siehe Sitzungsbericht in der M.m.W. 1920 S. 1530.
G. E m a n u e I - Charlottenburg: Beeinflussung der Wassermann-
schen Reaktion des normalen Kaninchens durch Quecksilber und Salvarsan.
Verf. verweist neuerdings auf seine aus eigenen Untersuchungen gezogenen
Schlüsse, wozu auch gehört, dass Hg keine grundsätzlich vom Salvarsan
verschiedenen Organwirkungen besitzt. Die von Wassermann mitge¬
teilten experimentellen Tatsachen über die Beeinflussbarkeit der WaR. des
Kaninchenscrums waren bereits bekannt, bezüglich der Deutung durch W.
warnt Verf, vor zu weitgehenden Schlüssen. Das vorübergehende Negativ¬
werden der Reaktion beim Menschen nach Salvarsanbehandlung kann nicht
ohne weiteres als Beweis für den therapeutischen Effekt des Salvarsans ange¬
sehen werden.
E. F r ä n k e l - Berlin: Ueber das Wesen der Gerinnung und der Lues¬
reaktionen (Wassermann. Sachs-Georgi, Hlrschfeld-Kllnger).
Allen 3 Reaktionen gemeinsam ist die Reaktion des Luesserums mit
denselben Extraktivbestandteilen. Vielleicht ist die herabgesetzte Schutz¬
wirkung luetischer Sera gegen flockende kolloidale Lipoidlösungen von Be¬
deutung. Verf. stimmt mit Wassermann in der Auffassung überein, dass
es sich bei den verschiedenen Luesreaktionen nur um verschiedene Indika¬
toren für denselben Flockungsvorgang handelt, der stets an denselben Be¬
standteilen der Extraktlipoide angreift und. vorwiegend physikalischer
Natur ist.
G. Hammerstein - Breslau: Zur Therapie der Syphilis des Zentral¬
nervensystems.
. Die Ther. magna steril, ist auch in^dieser Richtung noch nicht gefunden.
Therapie der Paralyse z. Z. noch gänzlich hohffnungslos. Aus einer Aende-
rung des Liquors nach spez. Behandlung darf man noch keine günstigen
Schlüsse ziehen. Für die Tabes liegen die Erfahrungen etwas besser, es
können eine Reihe hartnäckiger tabischer Symptome günstig beeinflusst wer¬
den. Die Lues cerebrospinalis wird am besten durch intralumbale Salvarsan-
einspritzungen beeinflusst.
A. P i n c s o h n - Breslau: Oesophagusstenose Infolge vertebraler Exo¬
stosen.
Mitteilun?' der Krankengeschichten und des Sektionsbefundes eines
solchen Falles. Der Grund des Sondierungshindernisses lag in diesem Falle
auch in einer Einkeilung des untersten Speiseröhrenabschnittes zwischen
Wirbelsäule. Aorta, Exostosen und hochgedr-ängtem Zwerchfell.
M. K a s t a n - Königsberg: Das Verhalten der Lipasen im Blute Geistes¬
und Nervenkranker während der Zelt der Ernährungsknappheit.
Der Verfasser konnte im Blute das Vorhandensein von Lipasen als
sicher feststclien und zwar in vermehrtem Masse bei Psychosen und organi¬
schen Nervenleiden. Die Art und der Ausgang der Psychosen haben keine
unterschiedliche Beziehung zum Lipasengehalt. Ein prognostischer Anhalts¬
punkt liess sich bei der Kürze der Beobachtung nicht gewinnen.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
II. März 1921.
MÜNCHtNER MEDIZINISCHE WOCHENSClIRiO:.
315
H. A r n d t - Charlüttenburg: Das spezifische Gewicht des menschlichen
Serums und Blutserums.
Aus den 8 Schlusssätzen sei angeführt; Das wirkliche spez. Gewicht des
normalen menschlichen Blutes beträgt bis zur 2. Dezimalen 1,02, das des Blut¬
serums 1,01, diese Werte sind die neuen Blutkonstanten. Sie sind unabhängig
von der Zahl der roten und weissen Blutkörperchen unter normalen Verhält¬
nissen. Die Biutkonstanz 1,02 ist sehr wahrscheinlich der Ausdruck des nor¬
malen 0-Bindungsvermögens des Hämoglobinmolcküls. Die Untersuchungen
wurden mit dem Mik'’o-Pyknometer angestellt.
fi. B e u m e r - Königsberg: Uebe/ die Wirksamkeit peroraler Adrenalin-
an Wendung bei gleichzeitiger Zufuhr von Traubenzucker.
Einige Versuche zeigten, dass auch bei Zusatz grosser Mengen von
Glykose oder Lävulose die perorale Adrenalinzufuhr keine Wirkung auf den
Sympathikus hat.
E. H i r s c h - Berlin: Beitrag zur Diagnose Hernla diaphragmatlca vera.
Vergl. S. 825 der M.m.W. 1920.
Hanauer - Frankfurt a. M.: Die Krebssterblichkeit in Frankfurt a. M.
während des Krieges
Vergl. die Berichte der M.m.W. über die Naturforscherversammlung in
Nauheim 1920. Qrassmann - München.
Vereins- und Kongres.sberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 2. März 1921.
Vor der Tagesordnung stellt Herr J. Joseph eine Reihe von Nasen¬
plastiken an einigen seiner Patienten vor und demonstriert den Entwicklungs¬
gang der Anheilung an anschaulichen Lichtbildern.
Tagesordnung
Herr O. Schlesinger: Klimakterische Biutdrucksteigerung.
Die Meinung, dass das Klimakterium regelmässig von einer Blutdruck¬
steigerung begleitet sei, haben nur etwa die Hälfte aller Autoren, die darüber
berichtet haben, vertreten. Die andere Hälfte ist entgegengesetzter Meinung.
Redner weist auf eine Reihe wichtiger, grossenteils konstitutioneller Faktoren
hin, die beim Zustandekommen von Blutdrucksteigerungen in der Klimax
eine entscheidende Rolle spielen, und erklärt, dass cs deshalb unmöglich
sei, eine glatte Antwort auf die aufgeworfene Frage zu geben. Scheinbar
geringfügige Momente, wie der volle oder leere Magen des Patienten bei
der Messung, seien ungleiche Versuchsbedingungen, die die Richtigkeit der
gewonnenen Resultate in Frage stellten. Die Stärke der Blutdruckschwan¬
kungen, um die es sich mehr handelt als um eigentliche dauernde Blutdruck¬
steigerungen, ist wesentlich abhängig von dem plötzlichen oder allmählichen
Aufhören der Ovarialfunktionen, vor allem, weil das endokrine System Ze.t
braucht, um sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Eine plötzlich ein¬
setzende Klimax ruft also grössere Blutdruckschwankungen hervor als die
allmählich beginnende. Die subjektiven Beschwerden sind meist auf psycho-
neurotisch konstitutionelle Momente zurückzuführen. Die Klimax bewirkt
nicht Blutdrucksteigerungen, sondern Blutdruckschwankungen, also eine La¬
bilität des Blutdrucks. Nicht Herabsetzung, sondern Stabilisierung des Blut¬
drucks ist deshalb das therapeutische Ziel. Hierfür kommen vor allem zwei
Dinge in Frage: die Bestrahlungs- und die Organtherapie.
Diskussion zu dem Vortrag des Herrn A. Bier: Heilentziindung
und Helifleber mit besonderer Berücksichtigung der Proteinkörperbehandiung.
Herr Lubarsch: Die Stärke der Rückwirkung ist umgekehrt pro¬
portional der Stärke des Reizes. Je schwächer der Reiz ist. umso stärker
ist die örtlich beschränkte Rückwirkung, V i r c h o w hat gesagt, das
Spermatozoon wirkt wie ein Ferment auf das Ei. nicht wie ein Reiz. Wei¬
gert meint, dass es keinen direkt bioplastischen Reiz gibt, dass vielmehr
die Neubildung von Zellen im fertigen Organismus auf einem Fortfall von
ausserhalb der Zellen liegenden Hindernissen beruht. Dazu hat man später
noch den Fort^ll innerer Widerstände hinzugefügt und sich somit dem
V i r c h o w sehen Begriff des formativen Reizes genähert. Das Lebendige
besteht vor allem in der Arbeit fortwährenden Zerfalles und Aufbaues. Wenn
Mikroorganismen sich im Körper ansicdeln, so bleibt es niemals bei den
spezifischen Funktionen des Körpers, sondern durch das Zugrundegehen von
Zellen werden Stoffe frei, die sich dem Prozess beimengen. Es besteht also
immer ein Gemisch von spezifischen und unspezifischen Reizen. Der Begriff
der Entzündung wurde allmählich so verwässert, dass er mit dem Begriff
der lokalen Erkrankung zusammenfiel. Die Entzündung ist die Summe von
flüssigen und zelligen örtlichen Reaktionen, die auf das Eindringen von
Schädlichkeiten hin entstehen. Nur dann liegt Entzündung vor, wenn alter¬
native, exsudative und produktive Erscheinungen in ihrer Vereinigung auf-
ireten. Rein biologisch aufgefasst ist Entzündung eine defensive Reaktion
ebenso wie das Fieber. An den Bier sehen Standpunkt erfolgt eine An¬
näherung, wenn man Entzündung die Summe der autonom eintretenden
Regulationen auf Anhäufung von Schädlichkeiten nennt.
Herr Hallau^r fürchtet für die praktische Anwendung der P'rotein-
körpertherapie Diskreditierung durch einmal indlkationsloses, dann aber auch
zu hoch dosiertes Spritzen. Eigene Versuche mit Kasein, Albumosen,
Trypsin, Pepsin u. a. haben ergeben, dass alle diese Eiweissstoffe aseptisches
Fieber und aseptische Entzündungen erzeugen. Sie wirken als Parenchym-
gifte, da sie Entzündungen an Leber und Niere hervorrufen. Fragt man
sich, was aus den parenteral einverlcibten Eiweissstoffen wird, so kann man
nachweisen, dass der grösste Teil von ihnen, ja annähernd die ganze Menge,
durch Galle und Urin wieder ausgeschieden werden. Beim Kaninchen führen
sie bei der Wiederholung intravenöser Injektionen zu anaphylaktischen
Schocks schwerster Art. Für die.therapeutische Anwendung beim Menschen
ist also höchste Vorsicht geboten und dauernde Kontrolle des Urins vorzu¬
nehmen Bei den Pflanzenfressern ist im Blut ein tryptisches Ferment nach¬
zuweisen. Dies ist auch beim Menschen zu vermuten und anzunehmen, dass
durch dieses Ferment die hydrolytische Spaltung des körperfremden Eiweisses
erfolgt.
Herr A. Mayer: Wann und wie macht man nun eigentlich Protein¬
körpertherapie? Die Dosierung ist. was Herr Bier nicht hervorgehoben
hat, wesentlich dürch Konstitution und Kondition bedingt. Auf diesen Fak¬
toren als Grundlage sollte das Problem der Dosierung aufgebaut werden. Ein
wichtiges Moment der Dosicrungsfrage ist die pyrogenetische Reaktionsfähig¬
keit des Menschen. Bei der Tuberkulose sieht man häufig auf kleine Reize
hin grosse Wirkungen entstehen, häufig sieht man genau das Umgekehrte. Die
jugendlichen Lymphatiker reagieren im Gegensatz zu den Asthenikern schnell
und intensiv auf Proteinkörper. Das sind die prognostisch günstigeren Fälle.
Auch die spezifische Therapie ist in hohem Masse unspezifische Reiztherapie.
Die Zukunft der Proteinkörpertherapie liegt in der ausgedehnten Anwendung
unspezifischer Vakzine.
Herr Morgenrot h: Die Virchow sehe Reiztheorie der Entzündung
ist ein bewusster Gegensatz zu den Neuristen und Animisten und darf nicht
mit den Weichardt sehen Anschauungen identifiziert werden. Zu for¬
dern ist die weitere Anwendung der alten spezifischen Immunitätstherapie.
Der Ausdruck Protoplasmaaktivierung ist in das Bereich des Mythologischen
zu verweisen. Ebensowenig lässt sich heute eine Brücke schlagen zwischen
chemischer Therapie und Protoplasmaaktivierung.
Herr Hirse hberg weist darauf hin. dass C e 1 s u s gar nichts ge¬
funden oder entdeckt hat, sondern nur ein damals bekanntes Buch ins
Lateinische übersetzt hat. Darin ist eine Definition der Entzündung im
übrigen nicht enthalten.
Herr A. Bier (Schlusswort): Herrn Westenhöfer kann man Recht
geben, dass Fieber und Entzündung nichts weiter als eine Steigerung physio¬
logischer Vorgänge ist. Fieber ist nicht nur Temperatursteigerung. Es gibt
Fieber, die mit dem Thermometer kaum oder gar nicht nachweisbar sind.
Jede Injektion Y^rursacht zunächst Schmerz. Reaktion darauf ist die Ent¬
zündung, sie lindert den Schmerz. Dieser hat nichts direkt mit der Ent¬
zündung zu tun, er ist die Folge der Schädlichkeit und wird durch Fieber
und Entzündung gemildert. Redner wendet sich dann noch kurz gegen einige
Einwendungen der Diskussionsredner. A.
Aerztlicher Verein zu Danzig.
Sitzung vom 21. Oktober 1920.
Herr v. Holst: lieber die hfiuRgstea Berührungspunkte zwischen
Nerven- und Frauenheilkunde.
Die unter H e g a r s Führung vertretene Ansicht, dass jede pathologische
Veränderung der Gebärmutter, der Eierstöcke und Tuben Hysterie im Ge¬
folge habe, wird abgelehnt.
Auf Grund eigener Erfahrungen werden sämtliche Grenzfragen einer
kritischen Besprechung unterzogen.
Sitzung vom 4. November 1920.
Herren H. S t a h r und Adolf Wailenberg: Demonstrationen im
städtischen Krankenhause.
Sitzung vom 18. November 1920.
Herr Fuchs: 1. Zur operativen Behandlung der weiblichen Blasen¬
inkontinenz.
Ein mittels der Goebell-Stoeckel sehen Pyramidalis-Faszien-
plastik geheilter Fall von schwerer Inkontinenz.
(Erschien ausführlich im Zbl. f. Gyn. 1921 Nr. 2.)
2. Kollumkarzinom nach Amputatio uteri supravag.
Wegen Rezidiv im Kollum hält F. es für geboten, die supravaginale
Uterusamputation zu Gunsten der Panhysterektomie aufzugeben.
3. Intrauteriner Kindsschrei.
Mitteilung einer eigenen Beobachtung Der intrauterine Kindsschrei
zwingt nicht zu sofortigem Eingriff, da der plazentare Gaswechsel dabei nicht
unterbrochen zu sein braucht.
Herr Barth: lieber Prostatektomie.
99 Fälle mit einer Gesamtmortalität von 23 Proz., die hauptsächlich
den 70 er Jahren zur Last fällt. B. hat sich von der perinealen ganz der
transvesikalen Methode zugewendet, welche technisch einfacher ist und vor
Komplikationen besser schützt. 7 mal wurde wegen Prostataatrophie Operiert,
jedesmal mit vollem Erfolge, davon 1 mal nur das Orif. int. gespalten und
erweitert, 10 mal wegen Karzinom, wobei immer Rezidiv. Zwei 82 jährige
wegen Hyperplasie Operierte kamen durch und verjüngten sich zusehends.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Vereinsamtliche Niederschrift.)
Sitzung vom 4. Oktober 1920.
Vor der Tagesordnung.
Herr Mann: Demonstration zweier Fälle von angeborener Kehlkopf-
missbildung.
Die beiden Fälle von angeborener Kehlkopfmissbildung, welche ich Ihnen
hier vorführe, sind vor ca. 14 Tagen zufällig zusammen in die Sprechstunde
gekommen.
Die erste Patientin, 52 Jahre alt, war nie ernstlich krank, aber seit
früher Kindheit heiser. Im Winter 17/18 war sie eine zeitlang völlig stimmlos.
Die Angst, tuberkulös zu sein, hat sie bestimmt, unsere Sprechstunde auf¬
zusuchen.
Zwischen den vorderen. drei Fünfteln der Stimmbänder findet sich eine
rötliche, auf der Oberfläche leicht höckerige Masse, die nach hinten mit einem
konkaven Rand endigt. Man glaubt zunächst Papillome vor sich zu haben,
die sich in der Mitte berühren. Lässt man aber sehr tief einatmen, so weichen
die Massen nicht auseinander, sondern das Ganze spannt sich zu einer
flachen Haut aus. die zwischen den Stimmbändern befestigt ist.
Es handelt sich um ein sog. Diaphragma laryngis. Nach W e i n g ä r t -
n e r s Zusammenstellung sind bis jetzt nur 34 solcher Fälle beschrieben.
Der zweite Patient wurde uns wegen einer Kieferhöhlenerkrankung zu¬
gewiesen. Er war auswärts als Kehlkopftuberkulose angesprochen und be¬
handelt worden. .
Bei ruhiger Atmung liegt die Epiglottis als eigentümlich roter, kompakter
Zapfen der Glottis nahezu auf, so dass man nichts von den Stimmbändern
sieht. Erst bei lautem Hä-singen richtet sich der Zapfen auf und man sieht
nun, dass an Stelle des freien Randes der Epiglottis eine Art geschlossener
Haube aufsitzt, die an ihrem vordersten Rand eine leichte Einkerbung zeigt.
Diese rote, grosse Haube ist daran schuld, dass trotz Aufrichtung des Kehl-
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
316
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
deckels nur etwa das hintere Drittel der Stimmbänder sichtbar wird. Eine
besonders mächtige Ausbildung zeigt noch das Ligamentum glossoepiglotticum.
Es ist weit stärker als sonst, nahezu % cm hoch und inseriert nicht nur
am Fuss des Kehldeckels, sondern reicht mit einigen Fasern hinauf bis zur
Haube. Beim Hä-sagen hat man deutlich den Eindruck, dass es die Haube
aufrichtet. Da im übrigen keinerlei pathologische Veränderungen vorhanden
sind, Narben oder dergl., so kann es sich nur um eine kongenitale Miss¬
bildung handeln.
Etwas ähnliches ist mir aus der Literatur nicht bekannt. Nur soviel ist
sicher, dass im allgemeinen Missbildungen des Kehldeckels noch viel seltener
sind als die an den Stimmbändern.
Tagesordnung.
Herr Mann: Röntgendiagnostik und klinisches Biid der Fremdkörper
in den tieferen Luftwegen.
Der Vortrag erscheint ausführlich an anderer Stelle.
Aussprache: Herren W i e b e, F i n d e i s e n, Weiser und Mann.
Sitzung vom 18. Oktober 192U.
Vor der Tagesordnung.
Herr Wiebe demonstriert das Lungenpräparat von dem in voriger
Sitzung erwähnten Fall von Aspiration einer Kornähre in den rechten Haupt¬
bronchus.
Tagesordnung.
Herr Schmorl: Pathologisch-anatomische Demonstrationen.
Herr G ö c k e berichtet über Beobachtung mehrerer Fälle von abnormem,
bis 5 cm betragendem Längenwachstum eines Oberschenkelknochens bei
jugendlichen Kriegsverletzten, bei denen eine Sequestereitcrung nach Teil¬
schussbrüchen dicht über der unteren Epiphysenlinie längere Zeit bestanden
hatte.
Herr Bennewitz: Zur Diagnose und Therapie des chronischen und
habituellen Schnupfens nach neueren Anschauungen. (Mit Lichtbildern.)
Ist eine Restitutio der Koryza nach Ablauf von 8—14 Tagen nicht
erfolgt, so liegt eine Komplikation vor entw'eder von seiten der Nebenhöhlen
oder infolge bestehender chronischer Verstopfung der Nase oder infolge
atrophischer Zustände der Mukosa, bei denen ja die Nebenhöhlen sehr oft
in gleichem Sinne beteiligt sind. Vortr. will sich nur mit den die Symptome
des chronischen und habituellen Schnupfens bedingenden Nebenhöhlenerkran¬
kungen befassen und ist — im Gegensatz zu den herrschenden Anschauungen
— überzeugt, dass das Siebbein — also nicht die Kieferhöhle — die immer
zuerst und damit am häufigsten erkrankende Nebenhöhle im pneumatischen
System der Nase darstellt. Auf je 3 kranke Siebbeine entfallen 2 kranke
Kieferhöhlen — an dem Krankenmaterial der ambulanten Praxis —, so dass
der Wert der in den grossen Krankenliäusern aufgemachten Statistiken nicht
angetastet zu werden braucht. Demzufolge dürfen aber auch die Sektions¬
ergebnisse nicht auf die allgemeine Praxis übertragen werden; stellen sie
doch nach O'p p i k o f e r fast ausschliesslich akute, terminale Krankheits¬
zustände dar. wie die so häufigen terminalen Mittelohreiterungen.
Die Ursache der Verkennung liegt darin, dass wohl die meisten
Etlimoiditen latent verlaufen und nur durch das Röntgenverfahren mit
Sicherheit nachweisbar sind.
Diese latenten Siebbeinerkrankungen — mit und ohne sekundäre Be¬
teiligung der Stirnhöhle — bieten der intensiven Wärmeapplikation ein dank¬
bares Gebiet. Sie gehören also an Stelle der KieferhöhlenentzUndungen in
den Mittelpunkt der Nebenhöhlendiagnostik, denn von ihnen breitet sich fast
immer die Entzündung auf das übrige pneumatische System erst aus.
Sitzung vom 25. Oktober 1920.
Herr O e d e r - Niederlössnitz (als Gast): Ueber eine Ernährungs-
kontrollubr.
C) e d e r legt dar, dass eiij spezielles Ernährungskontrollhilfsmittel
unbedingt gebraucht wird, weil die bisherigen entweder (wie Zeituhr.
Spiegel, Halskragen) als zu kümmerlich oder (wie die Wage) als unzulänglich
oder (wie der Hunger) als objektiv unkontrollierbar oder (wie die subjek¬
tiven Ihspektionsurteile über den vorhandenen Ernährungszustand) infolge
der Verschiedenheit der damit arbeitenden Untersucher als willkürlich und
ungleich sich erwiesen haben. Zur Entscheidung aller Ernährungs¬
kontrollfragen gehören Zahlen. Die durch Gesamtkörperwägung erhält¬
lichen Ist- Qewichtzahlen — die einzigen bisher gebrauchten Kontrollzahlen
— können jedoch mit ihrer absoluten Zahlenhöhe direkt überhaupt
nichts Eindeutiges über den Ernährungszustand aussagen, weil
sie nicht nur nach dem Grad des Ernährungszustandes, sondern gleichzeitig
auch nach dem Alter. Geschlecht und der Körpergrösse der Untersuchten sehr
stark verschieden sind. ‘ Sie müssen deshalb in jedem Einzelfall
immer erst an einem eindeutigen Soll- Gew'icht der betreffenden Person
gemessen werden. Dieses Soll- Gewicht entspricht dem Ist-Gewicht bei
Vorhandensein der* mittelsten Stufe der Wohlgenährtheit und
lässt sich innerhalb eines Spielraumes von ± 3,5 kg als s t u f e n typi¬
sches Durchschnittsgewicht aus allen Stufeneinzelgewichten für über
95 Proz. aller Untersuchten (444 Einzelgewichte) zuverlässig aus der „pro¬
portioneilen Körpergrösse“ (= 2 mal „Oberlänge“) nach von O e d e r ange¬
gebenen Formeln jederzeit, überall und von jedem Untersucher gleich-
m ä s s i g und objektiv für 95 Proz. aller untersuchten Erwachsenen be¬
rechnen. I s t - Gewicht; S o 11 - Gewicht des Einzelfalls dividiert ergibt
in Form einer Dezimalzahl eine absolute Verhältniszahl, welche bei
gleicher Ernährungsstufe der gleichen und der verschiedenen Personen ohne
Rücksicht auf deren Alter, Geschlecht und Körpergrösse stufengleich
ist, wenn nicht ausserhalb der Ernährung liegende Umstände auf das Ist-
Gewicht eingewirkt haben. Diese Verhältniszahl nennt O e d e r den
„Index ponderis des Ernährungszustandes“ oder das „er¬
nährungsspezifische Gewicht“. Die Einzelzahlen dieses Index ponderis gehen
bei O e d e r s Studienmaterial (3270 Ist-Gewichte) von rund 0,500 bis rund
1,750 bzw. 2,000. Um je 0,005 abgestuft hat er sie benützt zur Teilung des
Ziffcrblattkreiscs einer sog. „E r n ä h r u n g s k o n t r o 11 u h r“ und hat zu
bestimmten Zahlenbreitcn die 3 Hauptstufenbreiten des Ernährungszustandes,
nämlich „Magerkeit“, „Wohlgenährtheit“ und .Fettleibigkeit“ mit je 3 Unter¬
stufen auf dem Zifferblatt in räumliche Beziehung gesetzt. Die Zahlenbreiten
gehen für Magerkeit“ von 0.500—0,920, für ..Wohlgenährtheit“ von 0,925
bis 1,075, für „Fettleibigkeit* von 1,076—1,750 bzw. 2,000. Ausserdem hat
er zu den Zifferblattzahlen in Beziehung gesetzt Abstufungen von Er¬
na h r u n g $ g c f a h r z o n c n für Leben. Arbeitsfähigkeit, Stimmung, Ge¬
sundheit und Krankheit. Ein handbeweglicher Z e i g e r mit 3 Spitzen ermög¬
licht nun die Einstellung des einzelnen Prüfungsindex auf die gleiche
Teilungszahl des Zifferblatts und gleichzeitig auf die Angaben über die
dabei zu erwartende Stufe des Ernährungszustandes und der einzelnen Ge¬
fahrenzonen, so dass alle diese Angaben einfach abgelesen zu werden
brauchen. Gelegentliche Abweichungen der wirklichen Befunde beim Prüf¬
ling von den Angaben des Zifferblattes sind auf mit der Ernährung nicht
zusammenhängende Ursachen zurückzuführen. Mit Hilfe der Kontrolluhr
können also die wirklich Ernährungsbedrohten aus jeder Bevölke¬
rungsgruppe zahlenmässig ausgesucht werden. Diese objektiven
Zahlen schalten — soweit das menschenmöglich ist — jede V e r -
schiedenheit und Willkür bei der Urteilsfindung durch verschiedene
Untersucher und an den verschiedenen Orten glatt aus. Die Hilfe kann
dann für die Wirklich-Ernährungs hilfsbedürftigen leicht
reserviert, auf sie beschränkt und konzentriert werden. Ferner können mit
den Index-ponderis-Zahlen die verschiedensten Bevölkerungsgruppen auf die
bei ihnen vorhandene Ernährungszustandsstufe s t«a t i s f i s c h untersucht,
ausgezählt und auch der Einfluss ihrer Arbeit, ihres Berufes, ihrer Eigeii-
ernährung. sowie etwaiger Krankheiten auf ihren Ernährungszustand festge¬
stellt werden, und zwar so rechtzeitig, dass eine Ernährungsabhilfe
n i c.h t zu spät zu kommen braucht. Die statistisch en Auszäh¬
lung e n der Gleichgenährten nach den 3 Haupternährungsstufen mit Hilfe
der entsprechenden Zahlenbreiten sind bei dem O e d e r sehen Studienmaterial
(3270 Einzelfälle) auf 0,25 Proz. der Gesamtzahl genau gewesen.
Aussprache: Herrn Ganser ist aufgefallen, dass sich bei der
Auszählung des Materials des Vortragenden mittelst der einfachen Besich¬
tigung fast dasselbe Resultat ergeben hat wie bei der Auszählung nach
dem Index ponderis. Was hat dann die Methode für einen besonderen Wert
für die Praxis?
Herr Oedbr: Wenn bei der Auszählung meines Materais mittelst der
Inspektion ein anscheinend ebensogutes Resultat wie mit dem Index ponderis
herausgekommen ist, so liegt es daran, dass sie von ein und demselben
Untersucher vorgenommen ist. Bei Beteiligung mehrerer Untersucher wäre
sicher ein grösserer Unterschied herausgekommen. Die Inspektion hat
ausserdem den Nachteil, dass sie Nacktbesichtigung erfordert. Oe der be¬
richtet noch über seine Versuche zur Feststellung des spezifischen Gewichtes
des Menschen. V
Ferner Herren Mann. Flachs, Leonhard, O e d e r.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1808. ordentlicheSitzungvom Montagden 18. Oktober 192U,
abends 7 Uhr, in der Dr. S e n c k e n b e r g ischen Bibliothek,
Vorsitzender: Herr E m b d e n.
Schriftführer: Herr M e h 1 c r, später Herr R a u s c h o f f.
Herr Otto Q o e t z e: Doppelter Ileus, zugleich ein Beitrag zur Systematik
des Duodenal- und Magenlleus.
Mitte Mai 1920 diagnostizierte und operierte ich bei einer 40 jährigen
Patientin einen vollständigen doppelten Ileus, nämlich dicht oberhalb der
B a u h i n sehen Klappe und im Bereich des Duodenums. Der seltene Fall
gibt mir Anlass, .luf die akuten Verschlüsse im Bereich des Duodenums und
des Magens näher einzugehen. Sie sehen auf diesen zwei grossen Tabellen,
dass es richtig sein dürfte, prinzipiell alle Ausdrücke wie akute Magendila¬
tation, Qastroduodenalverschluss etc. fallen zu lassen und nur von Heus des
Duodenums, Ileus des Magens zu sprechen. Sie sehen, dass sich die für den
Darmileus bewährte W i 1 m s sehe Klassifikation des dynamischen und mecha¬
nischen Heus, des Strangulatlons- und Obturationsileus ebensogut sowohl auf
das Duodenum wie auf den Magen anwenden lässt. Wenn man sich in der
Literatur umsieht, so findet man reichlich Krankengeschichten und Obduktions¬
befunde, um diese aus vielen der W i 1 m s sehen Systematik entsprechend
gewählten Unterabteilungen aufgebauten Tabelle zu füllen.
Die Seltenheit und der oft sehr rapide Verlauf zum klinisch gleich¬
machenden Endstadiuni erklären die heutigentags noch mangelhafte Diagnostik*
Bei dieser kommt es erster Linie darauf an, die Fälle herauszufinden, die
irgendwie konservativ behandelt werden dürfen. Entgegen manchen über¬
triebenen Empfehlungen der an richtiger Stelle vorzüglichen Lagerungstherapie
mache ich Sie auf die relativ durchaus nicht seltenen Fälle dieser beiden
Tabellen aufmerksam, wo sie aus anatomischen Gründen versagen muss und
wo nur der sofortige chirurgische Eingriff helfen kann.
Ueber die Systematik des Heus am Duodenum und am Magen, sowie
die Diagnostik und Therapie wird Vortr. ausführlich an anderer Stelle be¬
richten.
Der beobachtete Fall war folgender: Die wegen Peritonitis eingelicferte
Patientin zeigte das klassische Bild des akuten mesenterialen Duodenalileus:
Massiges, galliges, nicht die Spur kotiges Erbrechen, sehr deutlich gesteigerte
Magenperistaltik, dabei hochgradiger Verfall, so dass die Patientin nur lang¬
sam auf Fragen reagierte. Die Schnitzler sehe Bauchlage und Knie-
ellenbogenlage versagte. .Auffallend war einzig und allein, dass nach völliger
Ausheberung des Magens der Bauch nicht tief eingesunken erschien, sondern
noch eine, wenn auch nicht starke, so doch zum Krankheitsbild nicht pas¬
sende Füllung der Därme aufzeigte. Die sorgfältige Palpation ergab eine
empfindlicluj Resistenz in der Gallenblasenduodehalgegend und nach anamnesti¬
scher Feststellung eines älteren Gallensteinleidens einen rechts unterhalb des
Nabels deutlich zu fühlenden und auf der Wirbelsäule demonstrabel mit* den
Fingern zu fixierenden Gallenstein. So konnte die Diagnose auf
doppelten Ileus, nämlich Kompressionsileus des Duodenums und
Obturationsileus des unteren Heums, mit Sicherheit gestellt
werden. In Lokalanästhesie wurde ein grosser Stein dicht vor der Heo-
zoekalklappe aus dem stark gefüllten Darm entfernt und ein grosser ent¬
zündlicher Konglomerattumor in der Qallenblasengegend festgestellt. Trotz
der infolge gleichzeitiger Kochsalzinfusion sofort eintretenden äusserst er¬
freulichen Besserung im Kräftezustand wurde von einer Gastroenterostomie
Abstand genommen. Der Eingriff erwies sich jedoch als ungenügend, der
Duodenalileus bestand fort und die Patientin starb nach ca. 10 Stunden.
Die Obduktion zeigte einen maximal dilatierten Magen und einen Ver-
schlus des Duodenums von aussen durch eine mächtige Cholezystitis und
Pericholezystitis. Es fand sich eine fünfpfennigstückgrosse Perforalions-
Öffnung von der Gallenblase ins Duodenum; in der Gallenblase waren noch
zwei gut haselnusgrosse Steine vorhanden.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
317
Es wäre richtiger gewesen, trotz der schlimmen Allgemeinlagc des
Falles noch eine Gastroenterostomie hinzuzufügen.
Ich zeige Ihnen nun noch eine dritte Tabelle, die einen Ueberblick
über die Möglichkeiten des doppelten Ileus gibt.
Nach anatomischen Gesichtspunkten kann man die doppelte oder
mehrfachen Ileus erzeugenden Faktoren in 3 Gruppen sondern: Erstens
kann ein einziger Faktor vorliegen, der alsdann seiner Natur nach
den doppelten Ileus zugleich erzeugt (ein komprimierender Strang über
zwei Därme, eine Bruchpforte für zwei Darmschlingen, z. B. Zwerchfellhernie
mit Magen-Kolum-Einklemmung, die retrograde Einklemmung). Z w e i t e n s
kann ein einziger Faktor vorliegen, welcher seiner Natur nach stets
nacheinander den Ilues an mehreren Stellen macht (Absteigen eines
Gallensteines aus einem das Duodenum komprimierenden entzündlichen
Oallenblasentumor, indirekt durch Aufsteigen des Darminhaltes, welcher z. B.
bei Rektumkarzinom zu einer Kompression des Duodenums durch das gefüllte
Kolon führt, oder eine Scheineinklemmung in inneren oder äusseren Brüchen
macht; oder das durch den ersten Ileus gesetzte Erbrechen erzeugt direkt
Brucheinklemmungen). Drittens können primär multiple Fak¬
toren vorliegen, die einen doppelten Ileus zu gleicher Zeit wie auch hinter-
eiaander hervorrufen können (multiple Fremkörper, Gallensteine, tuberkulöse
Stenosen, Stränge, Bruchpforten, Sarkome).
Die Diagnostik des' doppelten Ileus darf in dem Mosaik der einzelnen
Symptome insbesondere kein widersprechendes positives Symptom dulden,
sie muss auf solche Faktoren fahnden, die mit Vorliebe multipel Vorkommen,
sie ist möglich, wenn anfangs Zeichen des hohen, später des tiefen Ileus,
oder umgekehrt, scharf von einander getrennt nachweisbar sind. Event,
ist das Wahl sehe Zeichen zweimal vorhanden oder man weist es neben
einem stricturierenden Rektumkarzinom nach, oder man tastet obturierende
Gallensteine etc. Röntgenologisch dürfte nur die Zwerchfellhernie einer Dia¬
gnose auf doppelten Ileus während der Operation zugänglich
sein. Nicht unwichtig ist die Diagnose auf doppelten Ileus während
der Operation (Befund eines Grundleidens mit m^ltipler Lokalisation,
gefüllte abführende Schlinge, grosse Gallensteinbruchstücke, Fremdkörperteile).
Bei der grossen Schwierigkeit, die Systematik des Ileus vollkommen
auswendig zu beherrschen und der stets drängenden Entscheidung empfiehlt
Vortragender das Aufhängen von Tabellen im Aufnahmesaal der chirurgischen
Kliniken. Anders dürften seltene Diagnosen nur dem Zufall zu verdanken sein..
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. Februar 1921.
Demonstrationen.
Herr B o n b o f f zeigt ein noch nicht einjähriges Kind, bei dem er wegen
Darminvagination eine Laparotomie ausgeführt und ein etwa 10 cm langes
Stück des Dünndarms reseziert hat. Die Invagination war so hochgradig
gewesen, dass man sie vom After aus mit dem Finger fühlen konnte.
Herr Deutschländer demonstriert 2 Fälle von Dextrokardle.
a) 14 jähriges Mädchen mit vollkommenem Situs inversus.
b) 13 jährigen Jungen, bei dem durch Eintritt von Baucheingeweiden in
die Brusthöhle durch Zwerchfelldefekt das Herz nach rechts verlagert wird.
(Demonstration von Röntgenbildern.)
c) Einen jungen Mann mit Deformität der Wirbelsäule, flachem Gibbus
in Höhe des 10. Brust- bis 1. Lendenwirbels. Der Pat. war als Kind von der
B^bywage herabgefallen; stärkere Beschwerden haben sich erst bei fort¬
schreitendem Wachstum gezeigt: Schwund der Wirbelscheiben zwischen 10.,
II. und 12. Brustwirbel und knöcherne Vereinigung der Wirbel miteinander,
also Spondylitis traumatica (K ü m m e 11).
d) Fehlen des Metacarpus V und Bildung eines Os centrale carpi.
(Röntgenbild.)
e) Kleine Exostose am Endglied der grossen Zehe, die Schmerzen ver¬
ursacht nach Art der Beschwerden eines eingewachsenen Nagels. (Röntgen¬
bild.)
Herr B r ti 11 stellt eine durch Operation geheilte Patientin vor, bei der
er eine Physometra exstirpiert hat. Derartige Fälle mit günstigem Ausgang
sind äusserst selten: B. zeigt noch Bilder von 4 weiteren exstirpierten
Uteri, deren Trägerinnen alle gestorben sind. In allen Fällen handelte es sich,
wie im ersten, um puerperale Infektionen mit dem Gasbrandbazillus, meist
infolge krimitieller Eingriffe.
Herr W e y g a n d:
a) Schwachsinnige Patientin mit Zwergwuchs, hochgradiger Fettsucht,
Glykosurie. Menses erhalten; trotzdem wahrschetnHch hsrpophysäre Störung.
b) Bild von einem Fettriesen, über 3 Zentner schwer, mit verkümmertem
Genitale, aber annähernd normalen geistigen Funktionen. Schädelumfang
64 cm, also Hydrozephalus, wahrscheinlich ebenfalls mit Beeinträchtigung
der Hypophyse.
c) Bild eines Mädchens, bei dem nach längerem Aussetzen und Wieder¬
eintreten der Menses erheblicher Fettansatz auftrat, anschliessend völlige
Erblindung. Sektion: Hypophysentumor.
d) Bild von Napoleon in seinem letzten Lebensjahr. Hochgradiger Fett¬
ansatz erkennbar und auch durch Sektionsprotokoll bestätigt, im Zusammen¬
hang mit vereinzelten epileptischen Anfällen während seines früheren Lebens,
wohl auch als hypophy^re Störungen bei leichtem Hydrozephalus zu deuten.
Herr D a n z I g e r:
a) Kleines Mädchen mit Missbildung ln der Mitte der Zunge, vielleicht
tiefsitzendes Lymphangiom.
b) DIHuse Osteomvelitls einer Beckenschaufel, nach Operation geheilt
mit relativ gutem Funktionsergebnis. '
c) Grosser Abszess Im Psoas, hervorgerufen durch einen Fremd¬
körper (Nadel), mit Usur der Beckenschaufel; ebenfalls durch
Operation geheilt.
Herr T r ö m n e r stellt einen jungen Mann mit motorischer Neurose
vor, die Vortragender nach Besprechung der differentialdiagnostisch in Be¬
tracht kommenden Störungen als Gehstottern bezeichnet.
Herr A 11 a r d spricht über die Abstammung der Blutplättchen und
schliesst sich, auf Grund seiner Beobachtungen, der Theorie an, dass sie
aus dem Knochenmark stammen. Er betont die prognostische Bedeutung
des Blutplättchenindex (normal 5 Mill. rote Blutkörperchen, 250 000 Blut¬
plättchen im Kubikmillimeter I. = 1.) bei der perniziösen Anämie: Steigen
günstig. Fallen ungünstig. ,
Herr Fahr bespricht die histologischen Befunde, Herr N e u m a n n die
klinischen Beobachtungen bei Encephalitis letharglca. Fahr fand die Ent¬
zündungsherde unregelmässig verteilt im Gehirn, der Hirnstamm war bevor¬
zugt, die Rinde intakt. Auf Grund der histologischen Befunde spricht er
sich dafür aus, dass Grippeenzephalitis und Encephalitis lethargica nicht
identisch seien: Bei der ersteren überwiegen die polynukleären, bei der
letzteren die mononukleären Elemente.
Herr Oehlecker demonstriert 3 Fälle von Neurom (Fibrom oder
Fibromyxom) des Nervus tibialls; differential-diagnostisch wichtig sind kleine
Geschwülste (auch Aneurysma oder Ganglion) in der Kniekehle. 0. zeigt
das Bild eines exstirpierten Ganglions, das auf den Nervus peroneus ge¬
drückt hatte.
Herr Lorenz: Röntgenbilder einer Hernia dlaphragmatlca. durch die
grössere Abschnitte des Magens in die Brusthöhle treten, bei verschiedener
Lagerung und verschiedener Fällung des Magens.
Herr Zimmern berichtet über 7 Fälle von Luesrezidiven während
oder kurze Zeit nach der Salvarsankur. ln allen Fällen: WaR. iSf. Es handelt
sich wahrscheinlich um Lues maligna.
Herr B 1 e m a n n zeigt die Kurve eines Patienten mit Rückfalifieber.
Pat. hatte früher eine lymphatische Angina; 1919 zunehmende Drüsenschwel¬
lung am Halse; seit Juni 1920 6 Fieberattacken, wechselnd mit fieberfreien
Intervallen; vergrösserte, derbe Milz. Eine herausgeschnittene Halslymph-
drtise lässt an Hodgkin denken. Diagnose zweifelhaft.
Herr Kirschbaum zeigt mikroskopische Bilder einer tuberkulösen
Meningoenzephalitis (Konglomerattuberkel des Kleinhirns, tuberkulöse End-
arteriitis, hyaline Degeneration der Media und Intima, Elastikadefekt).
Dr. Max Fraenkel.
Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.) ^
Sitzung vom 14. Oktober 1920.
Herr Sandmann: Nachruf auf den Geh. San.-Rat Dr. Paul Schreiber.
Herr Ernst Schreiber: Bedeutung der Elektrokardiagraphie für die
Klinik der Hirnkrankheiten.
Sitzung vom 28. Oktober 1920.
Demonstrationen:
Herr L e n h o f f : Mikrosporie.
Herr B 1 e n c k e: Demonstration eines Patienten mit Bluterknlen.
Es handelt sich um einen 17 jähr. jungen Menschen, der Dreher ist.
Infolge eines leichten Unfalls erlitt er einen linkseitigen Kniegelenkserguss;
nach Abheilung desselben nahm er die Arbeit wieder auf und am ersten
Arbeitstage bekam er wieder infolge eines Unfalls einen Bluterguss im rechten
Knie. Von da ab wiederholten sich die Ergüsse abwechselnd in beiden
Knien schon auf die leichtesten äusseren Einflüsse hin, ja manchmal über¬
haupt auch ohne solche. Die Punktion ergab reines Blut, das keinerlei
Neigung zur Gerinnung zeigte.
Die ersten Blutergüsse waren mit einer schmerzhaften prallen Schwel¬
lung des Gelenkes einhergegangen. Als Bl. den Patienten zum ersten Male
einige Zeit nach dem Unfall sah, bot das zuerst befallene Kniegelenk klinisch
ein der tuberkulösen Entzündung ähnliches Stadium dar, das zweite König-
sche Stadium des Bluterknies, das dann nach König in das dritte, in das
regressive Stadium überzugehen pflegt, in dem es zur Deformierung der
Gelenkenden, zur Verödung des Qelenkinnern, zur Bindegewebswucherung
der Gelenkflächen und zur Zerstörung des Knorpels und zur Bildung von
Gelenkkontrakturen kommen kann.
Herr Wessely: Pyonephrosepräparat mit Ventilverschluss des
Ureters.
Herr V öl sch: Nachruf auf Dr. Weinbrenner.
Herr E. Hartmann: Ueber spezifische Therapie der Lungentuber¬
kulose, Insonderheit über das Friedmann sehe Tuberkulosemittel.
Nach Erörterung der Gründe für die oft widersprechendsten Urteile
über den Wert eines bei der Lungentuberkulose geprüften Mittels (Schwierig¬
keit der Beurteilung infolge des wechselvollen Verlaufes der Krankheit, sub¬
jektive Beeinflussung des Beobachters, verschiedene Auswahl der Fälle (oft
nur „Verdächtige“ ohne nachweisbare aktive Erkrankung, Einfluss gleich¬
zeitig angewendeter anderer Heilfaktorerf bzw. wirksamer Behandlungsmass¬
nahmen, zu kurze Beobachtungszeit), gibt H. zunächst einen Ueberblick Über
die Entwicklung und den jetzigen Stand der Tuberkulinbehandlung
vom theoretischen und praktischen Gesichtspunkte aus. Er hält die Be¬
handlung mit kleinsten, homöopathischen Dosen für nicht nützlich und die
Anwendung grosser Dosen, die starke Herdreaktionen auslösen können, für
gefährlich und empfiehlt den Mittelweg unter Erhaltung der Allergie. Er
betrachtet das Tuberkulin als Unterstützungsmittel in geeigneten Fällen, die
sehr sorgsam ausgewählt werden müssen (Anergische und sehr stark
Allergische sollen nicht behandelt werden). Die kutane Applikationsmethode,
die H. etwas abweichend von P o n n d o r f mit abgestuften, dem Empfind¬
lichkeitsgrade des Einzelnen angepassteh Konzentrationen und variierender
Dosierung anwendet (zur Vermeidung Von Ueberempfindlichkeitszuständen,
Schädigung durch plötzliche Antigenüberlastung), scheint besonders bei Hilus-
prozessen und Skrofulotuberkulose wirksam zu sein.
H. erörtert sodann die theoretische Grundlage der Partialantigen¬
behandlung und das Ergebnis ihrer praktischen Prüfung. Der Intra¬
kutanreaktion kommt im allgemeinen der ihr ursprünglich beigemessene Wert
weder in diagnostisch-prognostischer Hinsicht noch als Wegweiser für die
einzuschlagende Therapie zu. Eine „quantitative mathematische Immunitäts¬
analyse“ lässt sie nicht zu; sie stellt, ebenso wie die Tuberkulinhautreaktion
in vielen Fällen nur eine lokale Ueberempfindlichkeitsreaktion dar und ist
mannigfachen Schwankungen unterworfen. (Verschiedener Ausfall an ver¬
schiedenen Körperstellen, Veränderung des Immunitätstiters durch Einwirkung
von Licht, Luft, Ernährung. Ruhe.)
Ueberraschende Heilerfolge wurden nicht gesehen. Die jetzige, gegen
früher sehr veränderte und zu der theoretischen Grundlage in mannigfachem
Widerspruche stehende Partigentherapie unterscheidet sich nicht mehr wesent¬
lich yon der Tuberkulinbehandlung — namentlich nach der letzten Anweisung
Muchs. Das Mittel teilt auch mit dem Tuberkulin dessen Gefährlichkeit.
Das Friedmannsche Mittel hat H. während zweier Jahre bei 190
Fällen von Lungentuberkulose — und zwar ausschliesslich aktiver manifester
Digitized b]
^Goi-igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
318
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Erkrankung — angewandt. Zur Beurteilung kamen 8 leichte, 20 mittel¬
schwere, 60 schwere Fülle; die übrigen waren zu kurze Zeit — weniger
als ein halbes Jahr — beobachtet. Technik und Dosierung erfolgte nach
den Friedmann sehen Richtlinien, Injektionsstelle war die Glutäalgcgend.
Bei mehreren Pat. wurde die Impfurq: (nach gegebener Indikation) wiederholt.
Die Injektion verbef in etwa der Hälfte der Fälle reaklionslos, sonst
wurden von Erscheinungen danach beobachtet bzw. angegeben; Allgemein¬
reaktion, bestehend in vorübergehender Störung des Befindens, Kopfschmerz,
Temperatursteigerung (in einzelnen Fällen bis annähernd 40*’). Herdreaktion
(Vermehrung von Husten und Auswurf, Ziehen und Spannungsgefühl in der
Brust); — objektiv waren Herdreaktionen bei der ambulanten Art der An¬
wendung -meist nicht feststellbar. Sehr häufig (in ca. % der Fälle) kam es
zur Bildung eines Impfinfiltrates, das in ca. % der Fälle nach Wochen
oder erst nacch Monaten abszedierte und nach aussen durchbrach unter
Hinterlassung einer oft monatelang sezernierenden, schwer heilenden Fistel.
Das Allgemeinbefinden war dabei meist — namentlich auf der Höhe der
Abszessbildung und bei lange anhaltender Sekretion — gestört, einigemale
auch der objektive Befund verschlechtert. H. konnte nach Selbstinjektion
des Mittels die Unannehmlichkeiten der grösseren Infiltrat- bzw. Abszess-
und Fistelbildung am eigenen Körper beobachten. (Die Reaktionserschei¬
nungen an der Impfstelle sind vermutlich von dem Empfindlichkeitszustande
des Betreffenden abhängig).
Hinsichtlich der Wirkung des Mittels wurde häufig zunächst eine
günstige Beeinflussung des Allgemeinbefindens (Nachlassen der Mattigkeit,
Besserung des Appetits und Kräftezustandes), vielfach auch Verringerung
von Ausw'urf und Husten angegeben. (Genauere Nachprüfung darüber, auch
über den Bazillenbefund ist schwierig, besonders in der ambulanten Praxis.)
Entfieberung trat bei etwa der fiebernden Fälle ein. Besserung des
Aussehens war öfter zu verzeichnen, auffallende Gewichtszunahme jedoch
nur sehr selten. Abnahme der feuchten Rasselgeräusche war in allen leichten,
in etwa Vs der mittelschweren und in etwa K«—V* der schweren Fälle
festzustellen. Dif genannten subjektiven und objektiven Besserungen waren
jedoch meist nur vorübergehend (ausser bei den leichten Fällen, die aber
als Massstab nicht dienen können); auch war perkutorisch und röntgeno¬
logisch im allgemeinen keine Besserung festzustellen. Nicht wenige gaben
subjektive Besserung an, während sie sich objektiv sogar verschlechterten,
so dass bei ihnen nur eine suggestive Beeinflussung anzunehmen ist. Kom¬
plizierende Kehlkopftuberkulose wurde nicht gebessert, die Entwicklung einer
solchen nicht verhindert. Tuberkulöse Halsdrüsen zeigten jedoch mehrfach
deutliche Besserung, Gestorben sind im ganzen 15 Patienten, die alle von
vornherein eine ungünstige Prognose boten; bei einem dieser Fälle war
eine Schädigung durch das Mittel offensichtlich. Ein Zusammenhang zwischen
der Injektion und objektiver Verschlechterung war sonst noch in einem
Falle sicher, in mehreren wahrscheinlich. Lungenblutungen traten viermal
nach der Impfung auf. Bei einem Pat. entwickelte sich wenige Wochen
nach der Impfung ein kalter Abszess über der einen Spina scap.
Das Resultat der Friedmann sehen Behandlung zeigt also nichts
Hervorragendes gegenüber dem, was wir bisher gewöhnt W'aren unter dem
Einfluss anderer bewährter Massnahmen oder gar bei spontanem Verlaufe
der Lungentuberkulose zu sehen. Eine eklatante Heil Wirkung war bei
keinem der behandelten Fälle sicher festzustellen. Wie das Mittel bei sog.
chirurgischer Tuberkulose wirkt, ist eine andere Frage. Dass das Mittel eine
spezifische Wirkung auf den tuberkulösen Körper hat, ist zw-eifellos; es
ist imstande, Herdreaktionen zu erzeugen. Es ist aber nicht unschädlich.
Es kann zu einem zu stürmischen Verlauf der Herdreaktion, zu Gewebs¬
zerfall und Freiwerden von Endotoxinen kommen. Schon die Anweisungen
F r I e d m a 11 n s, bei über das Anfangsstadium hinausgehender Lungentuber¬
kulose nur die ganz schwache Konzentration bei geringster Dosis zu nehmen
und nach vorausgegangener Blutung mindestens vier Wochen mit der An¬
wendung seines Mittels zu warten, sprechen nicht für die Gleichgültigkeit
desselben. Die von Friedmann inzwischen vorgenommene erhebliche
Einschränkung der Indikation erhöht die Schwierigkeit der Auswahl der Fälle.
Ungenau und schwierig ist auch die Dosierung. Besonders schwierig ge¬
staltet sich die Frage einer ev. Wiederholung der Friedmann-linpfung
(Indikation, Zeitpunkt, Dosierung). Bei den vielerlei Möglichkeiten, die n^ch
Friedmann einen Misserfolg des Mittels herbeiführen können, dürfte es
kaum schwer fallen, fast jedesmal ein Versagen des Mittels nicht diesem
selbst, sondern irgend einer dergleichen Ursachen zuzuschreiben.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 2. August 1920.
Vorsitzender: Herr A. Mayer.
Schriftführer: Herr H a r t e r t.
Herr Veit: „Entzündungsvorgänge** bei Kaninchen, die durch Benzol
aleukozytär gemacht worden sind.
Nachdem Selling, angeregt durch die Beobachtung, dass von 3 in
einer Zinnbüchsenfabrik an Benzolvergiftung erkrankten Mädchen 2 an aplasti-
scher Anämie starben, experimentell festgestellt, dass Benzol ein stark leuko-
toxisches Agens sei und zwar, dass nicht nur die Leukozyten des zirku¬
lierenden Blutes zerstört werden, sondern dass eine starke Schädigung des
gesamten hämatopoetischen Systems, des myeloischen mehr als des lym¬
phatischen, bis zur völligen Aplasie eintritt, haben verschiedene Forscher,
Pappenheim, Neumann u. a., diese Ergebnisse nachgeprüft und im
wesentlichen bestätigt. Besonders freudig begrüssten die Kliniker diese
Befunde als eine Bereicherung ihrer therapeutischen Rüstkammer bei den
bisher unheilbar leukämischen Bluterkrankungen und nachdem K o r a n y i als
erster eine sehr wirksame Beeinflussung des krankhaften Blutbildes bei allen
Formen der Leukämie und Besserung des Allgemeinzustandes festgestellt,
stimmen die zahlreichen Nachuntersucher mit ihm überein, dass Benzol
ein wertvolles Medikament für diese Erkrankungen darstellt, dass allerdings
äusserste Vorsicht geboten sei. Nach der Vorschrift von K o r a n y i be¬
handelte nun Neu mann eine chronische myeloische Leukämie: ^ach
.% tägiger Kur sanken die Leukozyten von 56 000 auf 5300. die Milz ver¬
kleinerte sich etwa um die Hälfte und das Allgemeinbefinden besserte sich,
dann aber nach Aussetzen des Benzols fielen die Leukozyten weiter bis
auf 200. dje Milz nahm weiter ab und nach 39 Tagen erfolgte der Tod
unter Kräfteverfall, Fieberanfällen, Durchfällen und Nasenbluten, Die Sektion
(M ö n c k e b e r g) ergab neben den spezifischen deletären Wirkungen des
Benzols auf das hämatopoetische System an verschiedenen Körperstellen
Veränderungen (hämorrhagische Infiltrationen in den Lungenunterlappen.
Ulzerationen im Dickdarm, Nase- und Mundhöhle), die gewöhnlich mit einer
starken Emigration von Leukozyten einherzugehen pflegen, jedoch war hier
nirgends ein polymorphkerniger Leukozyt zu sehen, also waren nach Benzol¬
behandlung akut entzündliche Prozesse ohne Beteiligung der typischen Ent¬
zündungsstellen zustande gekommen.
Dies im Tierversuch zu erzielen, war meine Aufgabe. Reines Benzol
wurde mit der gleichen Menge Olivenöl gemischt aseptisch unter die Bauch¬
haut von etwa 34 Jahr alten Kaninchen injiziert, vom 2. Tage vor Beginn
der Injektionen bis zum Tode der Tiere wurden täglich die weissen Blut¬
körperchen, zweimal wöchentlich die roten Blutkörperchen gezählt
und Ausstriche gemacht. Bei der experimentellen Untersuchung der
Benzolvergiftung waren von den Untersuchern verschieden grosse
Dosen angewandt worden: Selling gab täglich 1 ccm pro 1kg Körper¬
gewicht, N e u m a n n von 0,5 in der ersten Woche, steigend auf 1,5 ccm,
Pappen heim grosse Dosen von 2—3 ccm, etwa das Doppelte pro Kilo¬
gramm Körpergewicht. Die N c u m a n n sehe Methode erwies sich als un¬
geeignet, da die niedrigste Leukozytenzahl in ganz allmählichem Abfall erst
am Ende der 3. Woche erreicht wurde, die Tiere aber schon von der
zweiten Woche an hinfällig wurden und am Schluss in einem äusserst
schlechten Zustand waren, so dass der Tod infolge Benzolvergiftung fast un¬
mittelbar folgte und die gewünschten w'eiteren Untersuchungen kaum noch
möglich waren. Infolgedessen wurden daher täglich 2 ccm — also nach dem
Vorgehen von Selling etw^a 1 ccm pro Kilogramm Körpergewicht — ge¬
geben und damit in steilem Abfall nach etwa 5—7 Tagen (10—14 ccm Benzol)
die niedrigsten Leukozytenzahlen, etwa 1000 im Kubikzentimeter, erreicht,
ebenfalls mit grossen Dosen täglich 3 ccm nach Pappenheim, hier war
ein Tier schon nach 4 Injektionen, also 12 ccm Benzol, aleukozytär. ein
anderes brauchte allerdings 8 mal 3—24 ccm. Die Zahl der roten Blutkörper¬
chen zeigte nur geringe Abnahme, im Durchschnitt 800 000, der Gewichtsver¬
lust betrug im Durchschnitt 290 g. Der Vorteil der mittleren und grossen
Dosen zeigte sich einmal in dem schnelleren Erreichen der tiefsten Leuko¬
zytenzahl, zum anderen darin, dass die Tiere im Gegensatz zu den mit
kleinen Dosen behandelten erst ganz am Schluss hinfällig wurden, d. h.
schlecht frassen und teilnahmslos zusammengekauert in einer Ecke sassen,
jedenfalls aber zu weiteren Untersuchungen brauchbar blieben.
Nach diesen Feststellungen handelte es sich darum, den besten Weg
zur Erzielung einer Entzündung zu finden und zwar erschien eine eitrige,
für welche bekanntlich die grosse Masse der Leukozyten das Charakte¬
ristische ist, am geeignetsten. Nachdem bei einem Tiere der ersten Reihe
Injektion von Pneumokokken in Trachea und Pleuren sich als nicht zweck¬
mässig erwiesen, entschloss ich mich dazu, eine Pyämie herbeizuführen und
zwar zunächst bei zwei Tieren mit Streptokokken dann, als ich einen
frischen Eiter von einer Bursitis praepatellaris erhielt, bei den übrigen mit
Staphylokokken, von denen 24 stündige Agarkulturen frisch aus Krankheits¬
herden gewonnener Stämme’ in Dosen von */»— 34 Oese für Kaninchen
tödlich sind unter Bildung von Eiterherden in Niere, Herzmuskel und
Knochenmark. Ich injizierte also 34 Oese in die Ohrvene und konnte aus
dem an den darauffolgenden Tagen entnommenen Blute die Bakterien kulturell
nachweisen, auch aus dem Herzblut bei der Sektion, so dass also bei allen
Tieren zweifellos eine Bakteriämie bestanden hat. die Tiere überlebten die
Infektion 1—2 Tage, eines starb erst am 3. Tage. Nach der Infektion
zeigte sich bei einigen Tieren eine geringe Zunahme der weissen Blutkörper¬
chen und zwar, wie im Ausstrichpräparat festgestellt wurde, der Lymphozj^en.
Bei der Sektion fand sich die von allen Untersuchern festgestellte
Aplasie des hämatopoetischen Apparats: Das Knochenmark rötlich, wie
Lymphoidmark, die Milz mit leicht gerunzelter Kapsel, etwa um die Hälfte
verkleinert, etwas derb, braunrot,-die Lymphdrüsen (Hals bzw. Mesenterial)
stecknadelkopfgross gegen linsen- bis kleinbohnengross, ferner die lymphati¬
schen Organe des Darmes, vor allem im Appendix, hochgradig reduziert. Als
Folge der Infektion war bei der intratrachealen Pneumokokkeninfektion eine
lokale Gefässinjektion, bei den mit Streptokokken und Staphylokokken be¬
handelten Tieren eine allgemeine Hyperämie der Organe festzustellen, die
um so stärker war, je länger die Tiere die Infektion überlebten und bei dem
erst am 3. Tage verstorbenen Tiere „Abszesse“ in Nieren und Herz, sero¬
fibrinöse Perikarditis und Pleuritis. So war also beim Tier das Ziel, nach
festgestellter, niedrigster Leukozvtenzahl akut entzündliche Prozesse an ver¬
schiedenen Stellen des Organismus hervorzurufen, erreicht.
Die mikroskopische Untersuchung erstreckt sich vor allem
auf die Organe des hämatopoetischen Apparates: Knochenmark, Milz, Lymph¬
drüsen (Hals und Mesenterial), lymphatische Organe des Darms (Dünndarm.
Appendix), daneben wurden auch Lunge mit Trachea, Leber. Niere und Herz,
bei den beiden letzten Organen besonders die erwähnten Befunde studiert,
und zwar wurden durch Vejrgleich zahlreicher Präparate, unter Berück¬
sichtigung der von anderen gemachten Beobachtungen zunächst die durch
Benzol bedingten Veränderungen festgestellt, dann aber vor allem die
Wirkungen der Infektion.
Das Ergebnis ist folgendes: Beim Knochenmark wird durch
kleine, lang fortgesetzte Benzoldosen eine vollständige Aplasie nicht erreicht.
Wohl schwinden die Parenchymzellen in den zentralen Teilen, aber in der
Peripherie bleiben Riesenzellen zurück, verstreute kleine Lymphozyten und
Polyblasten — meist vom Typ der Plasmazellen — beherrschen das Bild,
bei mittleren und grossen Dosen finden sich nur noch diese, nach Infektionen
vermehren sich die kleinen Lymphozyten und zwar um so stärker, je länger
die Infektion wirkte. In der Milz bewirken sowohl kleine, als auch grosse
Benzoldosen Zerstörung der Lymphozyten, sie bietet das Bild von Granu¬
lationsgewebe mit reichlichen Plasmazellen, spärlichen Lymphozyten, kleinen
Leukozyten, nach Infektionen treten die kleinen Lymphozyten am stärksten
in den Follikeln wieder auf.
Die Lymphdrüsen zeigen gleichfalls Zugrundegehen der kleinen
Lymphozyten und Umbau in ein zellreiches Gewebe oben angegebener Art,
nach Infektion erscheinen die kleinen Lymphozyten wieder. Entsprechend
sind die Veränderungen an den lymphatischen Organen des Darmes: Beim
Appendix ist die das normale Organ zum grössten Teil bildende lym¬
phatische Submukosa unter Verlust der Lymphozyten in das heschriebene
Granulationsgewebe umgewandelt, nach Infektion finden wir sofort die kleinen
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNfA
11. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
319
Lymphozyten wieder, ebenso sind die Verhältnisse bei dem lymphatischen
Haufen des Dünndarms.
Zusammenfassend ist also zu sagen: Werden Kaninchen, deren
zirkulierendes Blut nach Benzol aleukozytär und deren hämatopoetischer
Apparat äplastisch wurde, mit Streptokokken oder Staphylokokken infiziert,
so vermehren sich sofort die kleinen Lymphozyten, diese spielen also offenbar,
wie Selling bei den regenerativen Veränderungen feststellte, auch bei den
reaktiven Prozessen eine wichtige Rolle.
Die übrigen genannten Organe boten nichts Wichtiges, besonderes Inter¬
esse erfordern aber die Befunde an Herz und Nieren des an Pyämie zugrunde¬
gegangenen Tieres, die makroskopisch die Bilder multipler Abszesse boten,
jedoch insofern von dem gewohnten Bilde abwichen, als die Herde nichts von
zentraler Einschmelzung zeigten vielmehr eine ziemlich derbe mehr käsige
Beschaffenheit aufwiesen. Die mikroskopische Untersuchung ergab nun
ausserordentlich interessante Befunde: In den Nieren fanden sich Kokken¬
embolien, sowohl in den kleinen Arterien, als auch in den mittleren und Haupt¬
ästen, ferner Ausscheidungsherde. Um die kleinen Kokkenhaufen zeigte die
Umgebung das Bild der Koagulationsnekrose, bei den grösseren fanden sich
im Zentrum verstreut Bakterien in nekrotischen strukturlosen, käseartigen
Massen, um diese ein ringförmiger Zelldetritus mit Chromatinbröckel, dann
ein weiterer Ring, vom Charakter der Koagulationsnekrose, das ganze ab¬
gegrenzt gegen das übrige Gewebe durch eine hyperämische Randzone, jeden¬
falls fehlte der bei einer Entzündung, zumal bei einer eitrigen, zu erwartende
Leukozytenwall, ferner die proliferativen Prozesse, so dass die Herde das
Bild einer zentrifugal abklingenden anämischen Nekrose mit kollateraler
Hyperämie darstellten, noch ausgesprochener ist dies im Bereich der durch
Kokkenembolien verstopften grösseren Arterienäste. Hier zeigt das Gewebe
in deren Versorgungsgebiet ganz das Bild des anämischen Infarktes. Im
Herzen sind die Befunde entsprechend: In ausgedehnt koagulations-
nekrotischen Gebieten finden sich von einer hyperämischen Randzone um¬
gebene Herde, die innerhalb eines Walls von mit Chromatinbröckel impräg¬
nierten Zelldetritis die Zeichen der vaskulären Degeneration aufweisen, auch
hier nirgends Charakteristika der Entzündung.
Cs sind also bei durch Benzol aleukozytär gemachten und mit eitrigen
Entzündungen bewirkenden Bakterien behandelten Kaninchen keine Ent¬
zündungen. sondern nur Nekrosen aufgetreten, oder aber die Nntzündungs-
vorgänge sind infolge Fehlens der typischen Entzündungszellen im ersten
Stadium — der Alteration — stehen geblieben.
(Die ausführliche Arbeit erscheint an anderer Stelle.)
Herr C. Jacobf: Zur Frage der Lokalisation und Erklärung ieiniger
spezifischer Nerven- und Muskelgiftwirkungen.
(Der Vortrag ist als Originalartikel in d. Wschr. 1921 Nr. 2 erschienen.)
Herr C. Jacob]: Neue Profektlonsdemonstration des Blutkreislaufes
in der Froschschwlmmhaut.
Die im 2. Vortrag besprochenen Wirkungen des Veronalnatriuras und
Suprarenins werden von C. J a c o b j unter Benützung einer neuen, in der
Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie Bd. 36, 1919, S. 273—314 be¬
schriebenen Mikroprojektionseinrichtung demonstriert. Mittelst eines neuen,
von der Firma Leitz in Wetzlar konstruierten Kollektorensystems wird dabei
das gesamte Licht der Lampe von 10 500 Kerzen auf dem lebenden Objekt
vereinigt, so dass es möglich , wird, selbst die Kapillaren und die sie
passierenden einzelnen Blutkörperchen den Zuhörern vorzuführen. Um bei
der ungeheuren Lichtstärke eine Erwärmung der Gewebe zu vermeiden, hat
J. nach seinem Entwurf von Herrn Mechaniker Haasis, vormals in der
Präzisionswerkstätte von E. Albr^cht, eine kleine Kammer mit Wasserspülung
und planparallelen Fenstern anfertigen lassen. In diese Kammer taucht die
auf einer Qlasolatte ausgespannte Pfote eines Frosches, welcher auf einem
an der Kammer befestigten Froschbrettchen fixiert ist. Die Kammer samt
Frosch ist auf das Stativ des horizontal liegenden Projektionsmikroskops
aufschraubbar und mittelst Mikrometerschrauben horizontal und vertikal ver¬
stellbar, so dass jeder Punkt der Schwimmhaut ins Gesichtsfeld des Mikro¬
skops eingestellt werden kann, während die Kühlflüssigkeit die Haut vor Er¬
wärmung schützt.
Bei dieser Demonstration konnte die unter Veronalnatrium verstärkte,
dann durch Suprarenin herabgesetzte, später nahezu aufgehobene Zirkulation
in allgemein sichtbarer Weise vorgeführt und auch den Anwesenden die be¬
schriebenen peripheren partiellen Kontraktionen der Gefässe, sowie das Ver¬
halten der Strom- und Netzkapillaren demonstriert werden.
Kleine Mitteilungen.
Das Hamburgisebe Hochschulgesetz.
Antrag für die Vollversammlung sämtlicher Dozenten der Hamburgi-
schen Universität (28. Februar 1921). — Der Antrag wurde mit 80 gegen
20 Stimmen bei 6 Stimmenthaltunofen angenommen.
Entgegen den ernsten Warnungen der deutschen Akademiker jeglichen
Grades hat die Hamburgisebe Bürgerschaft das neue Hochschulgesetz an¬
genommen. Die Mehrzahl der Dozentenschaft der Hamburgischen Universität
beklagt im fnteresse der jungen Hochschule diese Entscheidung auf das
tiefste.
Das Gesetz greift ohne eine erkennbare Veranlassung grundstürzend in
den Organismus der deutschen Universität ein, so wie er geschichtlich ge¬
worden und in allen Wandlungen der Zeit sich bewährt hat, indem es die
Hamburgisebe Universität im Gegensatz zu allen anderen deutschen Hoch¬
schulen nicht der obersten Staatsbehörde, vertreten durch ihren verantwort¬
lichen Minister oder Kommissar, unterstellt, sondern einer kollegial zusammen¬
gesetzten und tatsächlich unverantwortlichen Mittelbehörde, deren Mitglieder
in überwiegender Zahl durch eine politische Körperschaft auf Zeit in ihr
Amt berufen werden Dieser Hochschulbehörde sind weitgehende Befugnisse
zugewiesen. Ihrer Genehmigung unterliegeiK die Promotions- und Habilita¬
tionsordnungen. sowie die von den Organen der Univer.sität erlassenen Ord¬
nungen und Dienstanweisungen, namentlich die Zulassungsbedingungen für
das Studium an der Universität und die Prüfungsordnungen (§ 8). Sie erteilt
die Lehraufträge, begutachtet die Vorschläge der Fakultäten bei der Be¬
setzung von Lehrstühlen und kann sogar selbständige Vorschläge dafür machen
(§ 10). Abgewiesene Habilitanden können gegen die Entscheidung der Fakul¬
täten bei der Hochschulbehörde Einspruch erheben (§ 12), so dass die letztere
damit das Recht in Anspruch nehmen kann. Habilitationen bei den Fakultäten
zu erzwingen. Der Hochschulbehörde steht ferner die Entscheidung über
den Lehrplan des allgemeinen Vorlesungswesens der Universität zu (§ 25).
so dass sie selbständig Vorlesungen in den Lehrplan einsetzen oder aus
ihm tilgen kann.
Diese Befugnisse sind mit der Zusicherung des Gesetzes, dass die
Universität in allen Angelegenheiten der Forschung und der Lehre selbständig
sei (§ 5). unvereinbar; in der Tat bleibt von solcher Selbständigkeit gegen¬
über der Hochschulbehörde nichts Wesentliches mehr übrig.
Dazu kommt, dass die Hochschulbehörde bei ihrer Zusammensetzung
(§ 3) nicht als ein Organ angesehen werden kann, das imstande ist, über
die ihrer Beurteilune unterliegenden Fragen sachverständig zu entscheiden.
Nahezu alle diese Fragen erfordern eine so eingehende Erfahrung im akademi¬
schen Leben, eine so umfassende und kritische Personalkenntnis, eine so
gründliche wissenschaftliche Durchbildung, wie die Hochschulbehörde sie un¬
möglich aufzubringen vermag. Die Tatsache, dass der Rektor und ein
weiterer Vertreter der Universität, sowie in gewissen Fällen die Dekane (diese
nur mit beratender Stimme) der Hochschulbehörde angehören, ändert hieran
nichts, da diese Mitglieder der Universität sich in einer hoffnungslosen Minder¬
heit befinden, und die Beratungen des Gesetzes bereits dargetan haben, mit
welcher Unbedenklichkeit alle Einwendungen und Vorschläge der wissen¬
schaftlichen Vertreter beiseite geschoben werden können.
Von besonderer Bedeutung ist es, dass die Zusammensetzung der Hoch¬
schulbehörde in ihrer Mehrheit von der parteipolitischen Zusammensetzung
der Bürgerschaft abhängig ist. Dadurch wird es, wenn nicht notwendig,
so jedenfalls in hohem Masse wahrscheinlich, dass auch bei den Entschei¬
dungen der Hochschulbehörde parteipolitische Gesichtspunkte wirksam wer¬
den, damit aber gerät ein Element in den Gesamtorganismus der Universität,
das ihr w'escnsfremd ist und verderblich werden muss für die Einheitlich¬
keit ihrer Arbeit, für die Ungestörtheit der wissenschaftlichen Forschung und
für die unbedingte Freiheit der Lehre. Ein anderer schwerer Mangel des
Gesetzes besteht darin, dass die Universität mit ganz anders gearteten
Lehranstalten zusammengekoppelt wird.
Wir erklären hiermit ausdrücklich, dass wir in den Bestimmungen über
die Hochschulbehörde eine schwere Gefährdung der Lehr- und Forschungs¬
freiheit und damit eine ernste Bedrohung des Ansehens der Universität sehen.
Wir beugen uns dem Gesetz, weil wir seine Rechtsgültigkeit nicht bestreiten
können, aber wir werden nicht aufhören. seine Aenderung zu for.dern, und
wir werden mit allen Mitteln, die uns die Verfassung bietet, dahin streben,
diese Aenderung herbeizuführen. In diesem Kampf um die Freiheit und die
Selbstverwaltung unserer Universität rechnen wir. wie bisher, so auch weiter¬
hin, auf die Unterstützung des deutschen Hochschulverbandes, der deutschen
Studentenschaft und jeder einzelnen deutschen Hochschule.
Folgen die Unterschriften von 92 Harnburgischen Hochschullehrern.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 9. März 1921.
— Im bayerischen Staatshaushaltsausschuss wurde in der vorigen Woche
beim Kapitel „Gesundheitspflege“ die Forderung auf Bewilligung
bedeutender Mittel für Zwecke der sozialen Fürsorge beraten. Abgeordneter
Dr. Fr. Bauer (USP.) begründete einen Antrag seiner Partei, die Position
für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge von 200 000 M. auf 3 Millionen, für
Bekämpfung der Tuberkulose von 200 000 M. auf 6 Millionen, zur Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten von 50 000 M. auf 700 000 M., für Bekämpfung des
Alkoholmissbrauchs von 10 000 M. auf 270 000 M. zu erhöhen. Die ganze
Summe des Kapitels ..Gesundheitspflege“ würde sich damit von 590 000 M.
auf 10 Millionen erhöhen. Ein Antrag der Bayer. Volkspartei wünscht den
Posten auf 1 Million, ein sozialdemokratischer Antrag auf 5 Millionen zu er¬
höhen. Der Finanzminister bekämpft die Anträge mit Hinweis auf die Finanz¬
lage und will höchstens dem Anträge der Bayer. Volkspartei zustimmen. Der
Ausschuss entschied sich aber mit 14 : 13 Stimmen für den sozialdemokrati¬
schen Antrag (5 Millionen).
— Die neue preussische Prüfungso«rdnung für Kreisärzte
vom 9. Februar 1921 wird vom Amtsblatt des. preussischen Ministeriums für
Volkswohlfahrt Nr. 5 veröffentlicht. Die Prüfung zerfällt in einen schriftlichen
und einen praktisch-mündlichen Teil. In der schriftlichen Prüfung sind zwei
wissenschaftliche Ausarbeitungen und die Bearbeitung eines erdachten gericht¬
lichen Falles zu liefern. Genügen die Probearbeiten, so wird der Prüfling zu
den übrigen Prüfungsabschnitten zugelasscn. Diese umfassen: I. Medizinal¬
gesetzgebung und Medizinalverwaltung. II. Oeffentliche Gesundheitspflege und
hygienische Bakteriologie. III. Soziale Hygiene. IV. Gerichtliche JVledizin.
V. Gerichtliche Psychiatrie. Ein nicht bestandener Prüfungsabschnitt muss
wiederholt werden. Eine zweite Wiederholung der Prüfung ist nicht gestattet.
Die Bestimmung, wonach die Bestallung als Kreisarzt die Ausübung einer
fünfjährigen selbständigen praktischen Tätigkeit als Arzt erfordert, wird durch
die Vorschriften der neuen Prüfungsordnung nicht berührt. Diese tritt am
1. Oktober 1921 in Kraft. Die Gebühren betragen 300 M.
— Das ehrlose Verhalten von vier seit langen Jahren in den Farben¬
fabriken in Elberfeld tätig gewesenen Chemikern, welche wichtige
Geheimnisse dieses Beftiebes an Amerika verraten haben, begegnet auch in
der anständigen amerikanischen Presse der gebührenden Verachtung. So
schreibt das „Journal of Industrial and Engineering Chemistry“: .Im
Krieg erhält man Informationen soweit wie möglich von gefangenen Gegnern,
aber man gibt Uebcrläufern keine hervorragenden leitenden Stellungen. Alles
was auf Demoralisation in den amerikanischen Klassen hinzielt, ist eine
Sache von nationaler Bedeutung und der ernsteste Zug dieser neuen Politik
ist die erniedrigte Moral der wissenschaftlichen Angestellten der Du Pont,
die sich daraus ergeben wird. . . Noch ist es nicht zu spät, den Schaden
wieder gutzumachen. Es gibt immer Dampfer, die nach Osten über den
Atlantischen Ozean fahren. Mag die Fähigkeit dieser zwei Chemiker noch so
gross und mögen ihre speziellen Fabrikationskenntnisse noch so eingehend
sein — schickt sie heim und lasst die amerikanische Industrie sich voll
weiterentwickeln auf amerikanische Art und durch die Fähigkeit amerikani¬
schen Geistes.“ Das wird wohl so kommen. Zuerst wird man aber die
Kenntnisse der Ueberläufer amerikanischen Besitz werden lassen. Wenn das
geschehen ist, wird man ihnen den verdienten Fusstritt versetzen.
— Der Provinzialverband Hannover der Deutschen Gesellschaft zur
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hat ein von
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
320
MÜNCHKNER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
Nr. 10.
Kreisarzt Dr. L) o h r n und Senator Sch icke nberg verfasstes Merk¬
blatt lierausneRebcn das, unterstützt von drastischen Bildern, in knapper
und eindringlicher Weise auf die Oefahren der Oeschlechtskrankheiten und die
Wege ihrer Bekämpfung hinweist. Das Merkblatt verdient weite Verbreitung,
die auch durch den billigen Preis (51) Pfennig, bei grösseren Auflagen beträcht¬
liche Ermässigung) ermögl'cht wird.
— In einem beim Thüringer Landtage cingegangenen Gesuche beantragt
der Thüringische M e d i z i n a I b e a m t e n v c r e i n statt Kreisarzt
die Bezeichnung Medizinalrat und für die bei der Regierung beamteten Aerzte
den Titel Obermedizinalrat als Amtsbezeichnung einzuführen, (hk.)
— Im schwedischen Reichstag ist beantragt worden, das von Dr, Ragtiar
Berg geleitete Stoffwcchsellaboratorium des Dr. L a h m a n n -
sehen Sanatoriums in Dresden-Weisser Hirsch, das infolge der drückenden
wirtschaftlichen Verhältnisse geschlossen werden muss, anzukaufen und nach
Schweden zu überführen.
— Prof. P a wM 0 w' in Petersburg, der, wie bekannt, von der russischen
Revolution elend behandelt worden war und sich längere Zeit in grösster Not
befand, hat jetzt eine Genugtuung erfahren, indem durch einen Beschluss der
Sowjets eine Kommission eingesetzt wurde, die in Anerkennung seiner
grossen Verdien.ste einen Plan ausarbeiten soll, um die Arbeiten P a w 1 o w s
und seiner Mitaibeiter fortzusetzen. Eine Prachtausgabe der Werke P.s soll
veranstaltet werden. Die Wohnung P.s wird mit grösstmöglichern Komfort
neu eingerichtet und ihm und seiner Gattin für Lehen.szeit sichergestellt.
— Die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des
Kurpfuschertums versendet folgende Warnung: „Die Reklamen der
Ouarzlampen-Gesellschaft m. b. H. Hanau, nehmen Forftien an.
gegen die mit aller Energie Einspruch erhoben werden muss. Ohne den
therapeutischen Wert der künstlichen Höhensonne an sich bezweifeln zu
wollen, ist es sicher, dass die Höhensonne w-eder ein Allheilmittel ist. über
dem man etwa die ausserordentlich wichtige Frage der Ernährung in den
Hintergrund stellen darf, noch ist sie ein Heilmittel, das an sich wirksam ist.
Solange sich nun die Reklame an Aerzte wendet, ist immer der Faktor der
Kritik eingeschaltet. Jetzt scheut sich aber die Gesellschaft nicht davor, mit
riesigen Reklamen in den Zeitungen, unter Abbildung eines elenden rachitischen
Kindes, an die Kranken selbst heranzutreten und ihnen eine „Aufklärungs¬
schrift für Nicht-Aerzte" kostenlos änzupreisen. Da eine ganze Reihe von
hervorragenden Professoren in der Reklame genannt sind, wird der Eindruck
erweckt, als ob diese hinter der Anpreisung der Ouarzlampen-Gesellschaft
stünden. Besonders übel aber ist die Anzeige, weil sie auch die Tuberkulose
in den Kreis der Reklame hereinzieht. — Es wird Sache der Aerzte und
insbesondere auch des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose sein, gegen diese gefährliche Reklame Stellung zu nehmen."
— Die Berliner Mikrobiologische Gesellschaft und
das Kuratorium der Prof. Dr. Hans-Aronson- Stiftung vcranstaltea
am Dienstag, den 8. März 1921 eine Festsitzung im Hygienischen In.stitut der
Universität, in welcher, als am Todestage des Stifters, der Stiftungspreis zum
ersten Male, und zwar an Herrn Geh. Med.-Rat Prof, Dr. August v. W a s s e r-
m a n n, Direktor des Kaiser-Wilhclm-Institutes für experimentelle Therapie
zu Berlin-Dahlem, überreicht werden soll.
— Der XII. Kongress der Deutschen Dermatologischen
Gesellschaft findet Pfingsten 1921 in Hamburg statt. Beginn: Pfingst¬
sonntag. den 15. Mai. Referate: 1. Liquor und Syphilis. Referenten:
N o n n c-Hamburg, Finger-Kyrl e-Wien, Sachs- Heidelberg. Kafka-
Hamburg. 2. Die Behandlung der Haut- und Geschlechtskrankheiten mit
Organismuswaschungen und parenteraler Einführung uiispezifischej- Stoffe.
Referenten: Weich ardt - Erlangen, Kling müller - Kiel, L i n s e r -
Tübingen, M ü 11 e r - Wien. Eine kleine Fachausstellung und eine Ausstellung
mikroskopischer Präparate (keine Moulagen!) sind in Aussicht genommen.
Gesellschaftliche Vereinigungen in einfachem Stil befinden sich in Vorbereitung.
Wegen der grossen Wohnungsschwierigkeiten wird auf das Erscheinen von
Damen grundsätzlich verzichtet. Anmeldungen von Vorträgen und Demon¬
strationen, sowie von Anträgen für die Geschäftssitzung bis 15. März an
Herrn Geheimrat Jadassohn - Breslau, Maxstr. 1, erbeten. Anmeldungen
zur Teilnahme am Kongress (und sonstige Anfragen) werden bis 26. März
unter Einsendung eines Betrages.von M. 60.— (sechzig) an den Schatzmeister
Dr. Paul W i c h m a n n. Hamburg 37, Oberstr. .34. erbeten. Postscheck¬
konto: Hamburg, Nr. 48714.
— Man schreibt uns: Die schon früher an dieser Stelle erwähnte, von
den Proff. Brauer und N o c h t herausgegebene „R e v i s t a m c d i c a de
H a m b u r g o" hat Ihren 2. Jahrgang in wesentlich erweitertem Umfange
und in vorzüglicher Ausstattung beginnen können. Die vorliegende Nr. 1
bringt Arbeiten der deutschen Universitätslehrer Sauerbruch (München).
Fedor Krause (Berlin), v. Strümpell (Leipzig), P a s s o w (BcrIinL
Unna (Hamburg) und Salomon (Wien) sowie des bekannten spanischen
Klinikers Prof, Gil-Casares (Santiago de Galicia) und des brasilianischen
Forschers Prof, da Rocha-Lima, der seit dem Jahre 1909 am Ham¬
burger Tropeninstitut tätig Ist. . Auf dem Arbeitsprogramm für den neuen
Jahrgang stehen ausser dem weiteren Ausbau des therapeutischen Teiles ins¬
besondere die Einrichtung einer zahnärztlichen Abteilung unter
Mitarbeit der Professoren Williger (Berlin) und W a 1 k h o f f (München),
in der die wichtigsten Fortschritte auf diesem (Jebiete berichtet werden sollen.
Zu den 74 stär ''gen Mitarbeitern aus der deutschen Wissenschaft und
Praxis sind nunmehr auch 27 der hervorragendsten Univcr.sitätslehrer und
Praktiker aus Spanien und den ibero-amerikanischen Staaten hinzugekommen.
Zu den beiden deutschen Schriftleitern Prof. M ü h 1 e n s und Rabe sind noch
als Mitarbeiter hinzugetreten: Dr. J. M. R o s e 11 (Barcelona) und Dr. Susviela
G u a r c h (Montevideo-Berlin). Zum ersten Male haben sich somit hervor¬
ragende Vertreter der deutschen, spanischen und ibero-amerikanischen Aerzte-
.schaft zu gemeinsamer Arbeit, zu freundschaftlich-kollegialem Gedanken- und
Erfahrungsaustausch zusammengefunden. Das Ziel, die freundschaftlichen Be¬
ziehungen zu dem spanischen Kulturgebietc enger zu knüpfen, dürfte durch all
dieses wesentlich gefördert sein.
— Pest. Niederländisch Indien. Vom 6. Mai bis 1. Dezember v. J.
wurden auf Java 3672 Erkrankungen (und 3673 Todesfälle) gemeldet. — China.
Laut Mitteilung vom 12. Februar breitet sich die Bubonenpest in der Man-
d.schurei weiter aus. Auf der Sation Mandschurija wurden 46 Erkrankungen
festgestellt. Auf dem Dschalanow-Bergwerk erkrankten 50 Personen an
Lungenpest.
— Cholera. Litauen. In Kowno sind bis zum 15. Februar insgesamt
33 Erkrankungen und 10 Todesfälle festgestellt worden.
I — In der 7. Jalircswoche. vom 13. bis 19. Februar 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 OüU Einwohner die grösste Sterblichkeit Augsburg
1 mit 21.7. die geringste Neukölln mit 6.9 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein-
; wohner| Vöff. R.-Q.-A.
li 0 c h s c h u 1 n a c li r i c h t c II.
Berlin Zum Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Professor
Dr. 0. H e r t w i g ist der Direktor des Anatomischen Institutes in Heidelberg.
Prof. Dr. Hermann B raus in Aussicht genommen.
{ Bon n. An Stelle des ausscheidenden Geh. Rat Prof. Dr. W a 1 b.
I Direktor der Ohrenklinik, erhielt Prof. Dr. Lange in Göttingen einen Ruf
I hiehcr in gleicher Eigenschaft.
I Breslau. Dem Privatdozenten für Chirurgie, Oberarzt der ortho-
j pädischen Abteilung der chirurgischen Klinik Dr. Sigmund Weil, wurde ein
' Lehrauftrag zur Vertretung der Orthopädie erteilt, (hk.)
i F r a n k f u r t a. M, Prof. Dr. H. D o I d. Mitglied des staatlichen
! Instituts für Therapie, hat sich habilitiert mit einer Antrittsvorlesung über
den gegenwärtigen Stand der Anaphylaxiefragc.
! Halle. Die letzte Vorlesung Wilhelm Roux' gestaltete sich zu einer
j eindrucksvollen Abschiedsfeier. Dem Vernehmen nach ist beabsichtigt, als
Nachfolger Roux’ einen Vertreter der cntwicklungsmechanischen Richtung
zu gewinnen. Die zu Roux’ 70. Geburtstag von seinen Schülern ge.schaffene
I „W i 1 h c 1 m Roux- Sammlung für Entwicklungsmechanik" wird voraus¬
sichtlich, zunächst unter Roux’ eigener Leitung, in Halle verbleiben. Das
..Archiv für Entwicklun^smechanik" wird Roux auch nach seinem Rücktritt
vom Lehramt weiter herausgeben. — Dr. Karl Pönitz und Dr. Manfred
G o 1 d s t e i n haben sich für Psychiatric und Neurologie habilitiert.
Kiel. Prof. Dr, B a u e r e i s e n. erster Arzt der Universitäts-Frauen-
' klinik, wurde zum Direktor der städtischen Frauenklinik in Magdeburg ge-
j wählt. Er wird am 1. April sein Amt übernehmen.
I W ü r z b u r g. Der ordentliche Honorarprofessor an der Universität
i Münster i. W. Dr. (ieorg Sticker wurde zum ausserordentlichen Professor
für Geschichte der Medizin in der medizinischen Fakultät der Universität
Würzburg ernannt und ihm der Titel und Rang eines ordentlichen Professors
verliehen.
W i e n. Dr. Ma.v E n g 1 i n g wurde als Privatdozent für Hygiene an
der Universität Wien zugelassen, (hk )
Todesfälle.
In Wien starb der a. o. Profes.sor der allgemeinen und experimentellen
F^itliologie Dr. Gustav Gärtner im 63. Lebensjahre.
In Innsbruck starb Prof. Dr. Rudolf P ö c h, Vorstand des anthropologi¬
schen Universitätsinstitutes in Wien, im 51. Lebensjahre. Pöch war im
Jahre 190S auf der Klinik Nothnagel tätig und übernahm freiwillig den
Pflegedienst des infolge einer Laboratoriumsinfektion an Beulenpest erkrankten
! Assistenten Dr, Hermann Müller. Dieser starb und Pöch reiste nach
i Indien, um die Wirkungen der verschiedenen Pestsera zu studieren. In den
Folgejahren wandte er sich anthropologischen Studien zu; er leitete im Auf¬
träge der Wiener Akademie der Wissenschaften grosse Reisen nach Südafrika
! und Australien und organisierte den anthropologischen Dienst in den grossen
; Gefangenenlagern. Seine Publikationen über die bunt zusammengewürfelten
j Bewohner der Gefangenenlager haben die Aufmerksamkeit weiter KreFse
! erweckt. K.
Auf seinem Besitztum in der Nähe von London starb am 1. März der
j Laryngologe Sir Felix S e m o n im 72. Lebensjahre. Er kam 1874 nach
I London, wurde dort Assistent von Morell Mackenzie am Golden Square
Hospital und übernahm später die Abteilung für Halskranke an St. Thomas'
; Hospital. Er gelangte bald zu einer umfangreichen Praxis und wurde Leibarzt
^ der Königs Eduard, der ihn adelte. Er übersetzte Mackenzies Lehrbuch
der Halskrankheiten ins Deutsche und begründete das „Internationale Zentral¬
blatt für Laryngologie. Rhinologie etc.“ Seine wissenschaftlichen Arbeiten
; beschäftigten sich be.sondcrs mit den Bewegungsstörungen des Kelilkopfes.
j Als der Krieg mit England ausbrach, war S e m o n einer der ersten Deutschen
! Londons, die ihre alte Heimat verleugneten und in einer öffentlichen Erklärung
I für die Sache Englands cintraten.
^ Korrespondenz.
Thlersch-Blographle.
Vielen Wünschen aus ärztlichen und nichtärztlichen Kreisen nachkommend,
werde ich versuchen, ein Lebensbild meines im Jahre 1895 verstorbenen
Vaters, des Leipziger Chirurgen Carl T h i c r s c li zu entwerfen. Im Jahre
1922 vollenden sich 100 Jahre seit seiner Geburt. Bis dahin soll die Biographie
fertig sein. Sie soll den Verstorbenen aber nicht nur als Mediziner, sondern
mehr noch als Mensch. Berater und Erzieher schildern und für einen grösseren
Kreis als den rein ärztlichen bestimmt sein. Die Bedeutung Thierschs’
für die Chirurgie wird von einem Fachmann gewürdigt werden.
Um meiner Aufgabe ganz gerecht .zu werden, bedarf ich vor allem
der Mithilfe seiner früheren Schüler und Assistenten. Briefliches Material,
wie es bei Biographien sonst zur Verfügung steht, ist leider-nur spärlich
vorhanden. Es gilt deshalb, aus den Reihen Derer, die T h i e r s c h nahe-
standen, und das beschränkt sich nicht auf ärztliche Kreise, die Aus.sprüche
zu sammeln, die für ihn bezeichnend sind, Erlebnisse aus der chirurgischen
Klinik. Trinksprüche. Meinungsäusserungen über weite Gebiete des Wissen^
und Denkens. Viele Worte vom alten Geheimrat laufen noch heute um.
die wirklich von ihm stammen und andere, die ganz legendär sind. Dem
Biographen wird seine Aufgabe erleichtert, wenn nur Selbsterlebtes oder wa:'
von einwandfreien Zeugen beglaubigt ist. niitgcteilt wird. Wer auf diese
Weise an dem Werke mitzuarbeiten bereit ist, den bitte ich seine Beiträge
(auf einseitig beschriebene Blätter und wenn möglich in Schreibmaschinen¬
schrift) an* meine Adresse bis spätestens Ende April einzusenden.
Um dem Verlag eine gewisse Sicherheit wegen der Höhe der Auflage
zu geben, wäre es ferner erwünscht, schon jetzt zu wissen, auf wie viel Ab¬
nehmer die Biographie etwa zu rechnen hat. Der Ladenpreis wird voraus¬
sichtlich 40—50 Mark betragen. Wer als Käufer in Frage kommt, wird ge¬
beten. dies gleichfalls mitzuteilcn. Eine Verpflichtung zur späteren Abnahme
des Werkes ist damit natürlich nicht verbunden.
Dresden. Geliertstrasse 4, im März 1921.
Med.-Rat Dr. Justus T h i e r s c h.
Vtriag rom J. P. Lekmaan in Mflncken S.W. 2, Pani Heyacatr. 26. — Drude vm E. MflhHhaler'a Buch- and Kunstdrudeerei A.O., München.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Preis der einzelnen Nummer 2.—wK. • Bezugspreis in Deutschlana
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Ansftfgcaschlun immer 5 Arbeitatage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die SchrÜtleitu^: Amutfstr. 26 (Sprechstunden 8^-1 Uhr),
für Bezog, Anzeigen und Bolagea:
an J. F. Lehmann's Verlag, Paul Heysestrasse 26.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 11. 18. März 1921.
Schriftieitung: Dr.,B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behUt aioli daa anaaohlj
eaaliohe Beebt der Vervielfältigang emd Verbreitong der in dieser Zeitaohrift zom Abdraok gelangenden Originalbeitrttge vor.
Originalien.
Ueber die Arteriosklerose.
Von R. Thoma in Heidelberg.
Aerzte und Anatomen sind im Laufe der Zeit zu der Anschauung
gelangt,-dass die Arteriosklerose in der Regel allgemeinen Stoffwechsel¬
störungen verschiedener Art ihre Entstehung verdankt. Dass auch
mechanische Ueberanstrengungen der Gefässwand den gleichen Erfolg
haben können, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit anzunehmen, weil sie
geeignet sind, lokale Stoffwechselstörungen in der Gefässwand hervor¬
zurufen. Zweifelhaft bleibt es dagegen, ob auch angeborene, individuelle
oder familiäre Besonderheiten von Bedeutung sind. Aeltere Anatomen
waren geneigt, in einem kräftig angelegten Gefässsystem eine Vorbedin¬
gung für die Sklerose zu erblicken, während neuerdings Bins-
w a n g e r eine konstitutionelle Schwäche der Gefässwand als eine
wichtige Ursache frühzeitiger Angiosklerosen betrachtet.
Diese Lehre B i n s w a n g e r s enthält nichts Unwahrscheinliches
und dürfte für manche frühzeitige Angiosklerosen gelten. Für die grosse
Mehrzahl der Fälle jedoch ist eine der auffälligsten Eigenschaften der
sklerotischen Arterienwand gegeben in der grossen Dicke der Media, die
neben der Verdickung der Intima nicht übersehen werden kann. Im
übrigen scheint es mir unzulässig zu sein, wenn B i n s w a n g e r die
Massenzunahme der homogenen, zwischen den Muskelfasern der Media
gelegenen Interzellularsubstanz als eine Einwucherung von Bindegewebe
bezeichnet. Andere auffällige Befunde dieses Autors erklären sich in
einfacher Weise aus dem Umstande, dass versäumt wurde, die Gefäss-
wandungen vor der Fixierung mit Formol zu spannen und damit die
postmortalen Verwerfungen der Faserungen zu beseitigen. Endlich er¬
scheint es mir ganz unmöglich, eine Hypoplasie der Arterien wand ohne
sorgfältige Messungen paraffininjizierter Gefässe objektiv und sicher
nachzuw'eisen. Dagegen bleibt den Arbeiten von Binswanger das
grosse Verdienst, gezeigt zu haben, dass gewisse, zu frühzeitigen psychi¬
schen Störungen führende Debilitäten des zentralen Nervensystems ver¬
bunden sein können mit einer sehr schwachen Ausbildung des elastischen
(iewebes der Arterienwand, was meiner Ansicht nach vielleicht mit
geringem Blutdruck zusammenhängt.
Ueber die Bedeutung angeborener, individueller und familiärer Be¬
sonderheiten für die Genese der Arteriosklerose lässt sich somit heute
noch kein abschliessendes Urteil abgeben. Dagegen besteht kein Zwei¬
fel darüber, dass in der Regel allgemeine Stoffwechsclstörungen ver¬
schiedener Art als die wesentliche Ursache der Angiosklerose zu be¬
trachten sind. Meine anatomischen und • experimentellen Unter¬
suchungen haben dieses Ergebnis bestätigt und gezeigt, dass die Stoff-
w'eehselstörungen zunächst eine Schwächung der Gefässwand hervor-
rufen, welche sich bei dem physikalischen Versuche durch eine grössere
Dehnbarkeit derselben kundgibt. Ich habe diese Schwächung der Gefäss¬
wand als Angiomalazie bezeichnet. Sie bildet das erste Stadium
der Erkrankung, welches der sklerotischen Verdickung der Gefässwand
zeitlich vorangeht. Praktisch ist dieses erste Stadium von grosser Be¬
deutung, weil die angiomalazische Gefässwand, ehe sie durch die nach¬
folgende, sklerotische Verdickung der Intima eine Verstärkung erfahren
hat, bei vorübergehenden Steigerungen des Blutdruckes leicht einreisst
und zu lebensgefährlichen Blutungen und zu Aneurysmabildungen Ver¬
anlassung gibt.
Bei diesem Ergebnisse hat man zu beachten, dass die Angiomalazie
und später die Angiosklerose niemals alle Teile des Gefässsystemes
gleichzeitg und in gleichem Grade in Mitleidenschaft zieht. Es ist daher
keineswegs selten, dass das Arteriensystem in gewisser Ausdehnung
sklerotisch befunden wird, während einzelne Gefässprovinzen sich noch
ira Stadium der Angiomalazie befinden und diese Angiomalazie kund¬
geben durch anscheinend spontane Arterienrupturen, Blutungen und
Aneu’rysmabildungen. Arterien dagegen, deren Wandungen bereits stär¬
kere, sklerotische Verdickungen der Intima aufweisen, erleiden nur in
sehr seltenen Fällen spontane Rupturen.
Für den Arzt ergibt sich dabei die bedeutungsvolle Aufgabe, seine
Kranken, bei denen er angiomalazische Veränderungen oder die ersten
Zeichen der Sklerose wahrnimmt, vor allen Einwirkungen zu bewahren,
O. Binswanger und J. Schäkel: Arch. f. Psych. Bd. 58 1917.
— O- Binswanger: Zbl. f. allg. Path. 1918 Nr. 22.
*) R. Thoma; Virch. Arch. Bd. 104, 105, 106, *1886; Bd. 116, 1889. —
Untersuchungen Ober die Histogenese und Historaechanik des Qefässsystems.
Stuttgart 1893. — Virch. Arch. Bd. 204 1911. ~ Beitr. z. path. Anat. Bd. 66
1920 und a. a. O.
Nr. 11.
welche vorübergehende oder dauernde, stärkere Steigerungen des Blut¬
druckes zur Folge haben. Dies ist im allgemeinen erreichbar. Einige
Jahre später wird dann das Gefässsystem durch die weiterschreitende
Sklerose in dem Grade gefestigt sein, dass die Gefahr der Blutung und
der Aneurysmabildung im wesentlichen behoben ist
Von grosser Bedeutung wäre es daher auch, wenn die Angiomalazie
am Lebenden möglichst frühzeitig, vor dem Eintritt der häufig mit der
Angiomalazie verbundenen Verkalkung der Radialis erkannt werden
könnte. Die Angiomalazie führt zu einer Zunahme der normalen Krüm¬
mungen der Arteria temporalis. Doch ist dieses Zeichen unsicher, weil
auch ein Schwund des Fettgewebes und der quergestreiften Muskulatur
ähnliche Folgen haben. Vielleicht würde der palpierende Finger an der
Radialis Auskunft geben können, namentlich, wenn zuvor ausgiebige,
sphygmographische Untersuchungen die besonderen Eigenschaften des
Pulses der angiomalazischen Arterie klargelegt hätten. Denn es kann
nicht bezweifelt werden, dass die abnorme Dehnbarkeit der malazischen
Arterie in dem Sphygmogramm frühzeitig zum deutlichen Ausdrucke
kommen muss.
* * •
Die angiomalazische Dehnung der Gefässwand führt zu einer Er¬
weiterung der Gefässlichtung und auf diese folgt eine langsam vorschrei¬
tende Neubildung von Bindegewebe sowie von elastischen und musku¬
lären Elementen in der Intima, welche die erweiterte Gefässlichtung
wieder einschränkt, die Arterien wand festigt und zugleich weniger dehn¬
bar macht als normal, Sklerose der Arterie. Die Gewebsneubildung geht
dabei, wie eigene, neue, demnächst an anderer Stelle erscheinende Unter¬
suchungen mit grosser Wahrscheinlichkeit nach weisen, von dem Endo¬
thel der Gefässlichtung aus.
Die Ursachen, welche diese Gewebsneubildung hervorrüfen. sind in¬
dessen nicht leicht zu finden, wenn man siöh nicht mit allgemeinen Be¬
griffen, wie Entzündung, Anpassung oder Wachstumstendenz begnügen
will. Durch weitausgreifende Untersuchungen habe ich jedoch nach-
weisen können, dass unter normalen wie unter patho¬
logischen Bedingungen, jede dauernde Verzögerung
der Randzonen des Blutstroms unter einen bestimm¬
ten kritischen Wert Ursache wirdfür eine Verenge¬
rung der Gefässlichtung, während umgekehrt jede
dauernde Beschleunigung der Randzonen des Blut¬
stromes überden genannten kritischen Wert hinaus
zu einer Erweiterung der Gefässlichtung Veran¬
lassung gibt.
Wegen seiner allgemeinen und ausnahmslosen Gültigkeit habe ich
dieses Ergebnis als das erste histomechanische Gesetz der
Blutbahn bezeichnet. Histomechanisch aber habe ich dieses Gesetz ge¬
nannt, weil es eine Beziehung gibt, zwischen dem positiven und nega¬
tiven Wachstum der Gewebe einerseits und den mechanischen Bedin¬
gungen der Funktion anderseits. Es ist hier nicht der Ort, von neuem
zu zeigen, wie dieses Gesetz notwendigerweise aus der embryonalen
Entwicklung, dem postfötalen Wachstum und den pathologischen Um¬
formungen des Gefässsystems hervorgeht. Diese Ergebnisse haben viel¬
fache Anerkennung und ausgiebige Bestätigungen erfahren. Vielmehr
muss ich mich auf das Gebiet der Arteriosklerose beschränken.
Die Angiomalazie lokalisiert sich, ebenso wie die Arteriosklerose,
vorwiegend in den grossen und mittleren Arterien und führt zunächst zu
einer Erweiterung der Arterienlichtung, die verbunden ist mit einer Ver¬
zögerung der Randzonen des arteriellen Blutstromes. Die Widerstände,
welche der Blutstrom zu überwinden hat, sind, wie allgemein anerkannt
wird, im wesentlichen in den kleinen Arterien und Venen von weniger
als 0,4 mm DurcHmesser und in den Kapillaren enthalten. Die bei der
Angiomalazie eintretende Erweiterung der grossen und mittleren Arterien
von mehr als 0,4 mm Durchmesser hat daher keinen wesentlichen Ein¬
fluss auf die Durchflussmengen in der Zeiteinheit. Bei annähernd gleich¬
bleibender Durchflussmenge aber sind in den erweiterten, malazischen
Arterien die mittleren Geschwindigkeiten des Blutstromes und ebenso
die Geschwindigkeiten der Randzonen desselben notwendigerweise
ermässigt.
Die kleinen Arterien von weniger als 0,4 mm Durchmesser werden
in der Regel, wenn keine örtlichen Besonderheiten vorliegen, von der
A^iomalazie und Angiosklerose verschont. Vermutlich besitzt ihre
dünne Media günstigere Emährungsverhältnisse als die dicke, gefässarmc
Wand der mittleren und grossen Arterien. Angiomalazische Erweite¬
rungen der kleinen Arterien würden, wenn sie auf einzelne Qefässprovin-
zen beschränkt sind, bei normalem Verhalten der Kapillarbahn zu auf¬
fälligen arteriellen Hyperämien der peripheren Stromgebiete führen,
welche beinahe immer fehlen. Nur die Erscheinungen der Erythromelal-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
gie könnten vieleicht in manchen Fällen in diesem Sinne gedeutet wer¬
den. Doch sind dies seltenere Vorkommnisse, die sich ausserdem auf
kleinere Gefässbezirke beschränken und daher für die Strömung in den
mittleren und grossen Artferien kaum in Betracht kommen.
Fine angiomalazische Erweiterung der kleinen Arterien zahlreicher
oder aller Gefässprovinzen würde dagegen nicht ohne Einfluss auf den
gesamten Kreislauf bleiben. Sie würde die Widerstände für den Blut¬
strom in dem Grade ermässigen, dass bei erhöhter Durchflussmenge ent¬
weder der Blutdruck erheblich sinken oder die Herzarbeit erheblich an-
stelgen müsste. Es wäre immerhin möglich, dass bei manchen schweren
Allgemeininfektionen, z. B. beim Abdominaltyphus etwas derartiges
eintreten und unter den Erscheinungen der Herzschwäche zur nächsten
Todesursache werden könnte, ln dem regelmässigen Verlaufe der
Angiosklerose fehlen jedoch solche Erscheinungen, so dass man auch auf
diesem Wege zu der Erkenntnis gelangt, dass die kleinen Arterien in
der Regel von der Angiomalazie verschont werden.
Eine einfache Probe auf die Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen
ergibt eine Prüfung des Blutdruckes und der Herzarbeit. Die Erfahmng
hat gezeigt, dass bei unkomplizierten Angiosklerosen der Blutdruck und
das Gewicht des Herzens sich innerhalb der normalen Grenzen halten.
Aus dem normalen Herzgewicht darf man mit Sicherheit schliessen. dass
auch die Arbeitsleistung des Herzens sich in den normalen Grenzen hält.
Die Herzarbeit ist jedoch gleich der Durchflussmenge multipliziert mit
dem Blutdrucke. Bei normaler Herzarbeit und bei normalem Blutdrucke
muss daher bei solchen unkomplizierten Sklerosen auch die Durchiluss-
menge der Arterien sich innerhalb der normalen Grenzen halten. Aus
der normalen Durchflussmcnge aber folgt für die krankhaft erweiterten
grossen und mittleren Arterien eine Verzögerung sowohl der mittleren
Geschwindigkeiten des Blutstromes als der Geschwindigkeiten der Rand- ,
Zonen desselben.
In manchen Organen, welche in feste Kapseln eingehüllt sind, nament- ■
lieh in den Nieren und in der Milz werden jedoch Sklerosen der kleinen :
Arterien ausserordentlich häufig gefunden. Die Sklerose der Arterien '
ist in vielen Fällen wenigstens verbunden mit einer geringen Erhöhung '
der Durchlässigkeit der Kapillarwandungen, wie man durch Injektion |
physiologischer Kochsalzlösungen*) nachweisen kann. In den meisten
Gefässprovinzen hat dies in der Regel keine auffälligen Folgen. In den
Organen jedoch, welche In feste Kapseln eingehüllt sind, bewirken be¬
reits geringe Erhöhungen die Durchlässigkeit der Wandungen der
Kapillaren eine starke Erhöhung des Gewebsdruckes. Die Folge ist dann
einerseits eine lokale Schädigung der Gewebsemährung. welche zu einer
Malazie der kleinen Arterien führt und anderseits eine geringe Ver¬
engerung der Lichtung der Kapillarbahn, welche die Durchflussmenge des
Blutes erheblich herabsetzt. Damit sind dann die Bedingungen gegeben
für die Entwicklung einer lokalen Sklerose der kleinen Arterien, welche
in den Nieren begreiflicherweise zugleich mit Albuminurie und anderen
Störungen der Sekretion verbunden ist.
Indessen muss man im Auge* behalten, dass auch alle anderen Organe
zum mindesten von der Haut und den Faszien umhüllt sind. Wenn diese
Hüllen ungleich weicher und dehnbarer sind als die Kapseln der Nieren
und der Milz, so müssen sie doch notwendigerweise ähnliche Wirkungen
haben, die allerdings erst bei stärkeren Erhöhungen der Durchlässigkeit
der Kapillarwandungen bemerkbar werden. Man kann daher keine Qe-
fässprovinz namhaft machen, in welcher keine Sklerosen der kleinen
Arterien Vorkommen, wenn diese Sklerosen auch an keiner Stelle so
häufig getroffen werden als in den kleinen Arterien der Nieren und der
Milz.
• • •
Ausgedehnte Erfahrungen beweisen, dass die Wandungen der Ar¬
terien auf. eine Verzögerung der Randzonen des Blutstromes immer mit
einer Verengerung der Gefässlichtung reagieren, welche die Verzögerung
der Randzonen des Blutstromes wieder ermässigt oder aufhebt In dem
normalen Gefässsystem beginnt diese Reaktion mit einer Erhöhung des
Gefässtonus, also mit einer tonischen Verengerung der Gefässlichtung
und an diese schliessen sich sodann entsprechende Wachstumsvorgänge
in allen Schichten der Gefässwand an. Die Arterie wird enger und ihre
Wand entsprechend dünner. Wenn jedoch die Stromverlangsamung eine
so erhebliche Ist, dass der Tonus der Gefässwand nicht imstande ist,
die normale Geschwindigkeit der Randzonen des Blutstromes wieder
herzustellen, oder wenn infolge bestehender Angiomalazie oder Angio¬
sklerose der Tonus der Gefässwand geschädigt ist so tritt eine Gewebs¬
neubildung in der Intima, auf, welche die Gefässlichtung einschränkt und
damit die gesetzmässige Geschwindigkeit der Randzonen des Blutes her¬
stellt
Nach diesen, vorzugsweise bei Arterienligaturen und Amputationen
gewonnenen Erfahrungen ist die Verzögerung der Randzonen des Blut¬
stromes in den angiomalazisch erweiterten Arterien als der massgebende
Faktor anzusehen, welcher die sklerotische Gewebsneubildung in der In¬
tima herbeiführt Speziell für die Arteriosklerose jedoch ergibt sich
ein neuer Beweis für diesen Zusammenhang der Vorgänge aus der Tat¬
sache. dass die Bindegewebsneubildung an jeder einzelnen Stelle der
Intima immer genau soweit vorschreitet tiass die Gefässlichtung trotz der
oft sehr erheblichen, durch die Dehnung der Media herbeigeführten De¬
formationen, wieder eine regelmässige, auf dem Querschnitte in der
Regel annähernd kreisrunde Gestalt annimmt bei welcher zugleich die
Geschwindigkeit der Randzonen des Blutstromes wieder erhöht und an
allen Teilen des Gefässumfanges annähernd gleich gross ist
®) R. Thoma: Zwei Aufsätze in Virch. Arch. Bd. 71 1877. — Lehr¬
buch der all. path. Anat, Stuttgart 1894, S. 42.
Indessen findet der Anatom, welcher eine hochgradig sklerosicrtc
Arterie eröffnet nahezu immer eine grosse Anzahl knotiger, Ober die
Innenfläche stark vorragender Verdickungen der Intima, die häufig zu¬
gleich atheromatösen Zerfall und andere regressive Veränderungen
zeigen. Diese Promjnenz der knotigen Verdickungen der Intima ist
Jedoch eine Lefchenerscheinung. In der Agone, nach dem Schwinden
des Blutdruckes kontrahiert sich die Tunica media und diese Kontraktion
wird durch die nachfolgende Leichenstarre der Gefässwand nur ver¬
stärkt. Von der sich kontrahierenden Media aber werden, weil der Blut¬
druck weggefallen ist die Bindegewebsknoten der Intima in die Lichtung
der Gefässe vorgedrängt
Man ist jedoch imstande, diese Leichenverändemng im wesentlichen
zu beseitigen, wenn man die Arterien in situ mit Paraffin injiziert
und dann mit Formalin und Alkohol fixiert Nach diesen Vorbereitungen
erweist sich die Innenfläche der Arterien auch bei hochgradiger
Sklerose als vollständig glatt und auf dem Querschnitte erscheint die
Gefässlichtung annähernd kreisrund, indem die Media im Bereiche
der knotigen Verdickungen nach aussen vorgewölbt ist Die mikro¬
skopische Untersuchung aber zeigt dass die bindegewebigen, elastischen
und muskulösen Faserungen der Intima. Media und Adventitia, welche
in der entspannt fixierten Gefässwand nahezu überall erhebliche Ver¬
werfungen aufweisen, durch die Paraffininjektion einfache und regel¬
mässige, offenbar den mechanischen Spannungen der Gefässwand genau
entsprechende .Formen gewinnen. Es kann daher kein Zweifel darüber
bestehen, dass durch die Paraffininjektion nur die natürliche, während
des Lebens bestehende Anordnung der Gewebsbestandteile wieder her-
gestellt wird. Zweifel, die in dieser Beziehung geäussert wurden, be¬
ziehen sich auf Arterien, welche vor der Injektion, aus der Leiche ent¬
fernt und damit unter abnorme Längsspannungen gesetzt waren.
In der Regel findet man sodann, dass die stärkste Verdickung der
Intima zusammenfällt mit der ausgiebigsten Dehnung und Verdünnung
der Media. Die ausgedehnte Media ist in solchen Fällen nach aussen
vo* gewölbt, während die dabei entstandene Ausbauchung der Gefäss¬
lichtung durch die bindegewebige Verdickung der Intima wieder aus¬
geglichen ist. Dieser Befund beweist zugleich, dass die Dickenzunahme
der Intima zeitlich der Ausbauchung der Media nachfolgte, wie ich an
anderen Orten eingehend begründet habe. Würde dagegen die Dicken¬
zunahme der Intima die Veränderungen einleiten, so könnte sie aller¬
dings die Media etwas nach aussen drängen, doch müsste notwendiger¬
weise immer zugleich auch die Innenfläche der Intima in die Gefäss¬
lichtung vorgewölbt werden.
Solche Vorwölbungen fehlen in allen Fällen, wenn nicht nachträglich
regressive Metamorphosen der Gewebe eine Volumszunahme der Intima
bewirken. Es ist daher nicht zulässig, anzunehmen, dass Veränderungen
der chemischen Zusammensetzung des Blutes direkt die Gewebsneubil¬
dung in der Intima hervorrufen. Dies geschieht immer nur indirekt
durch das Zwischenglied einer malazischen Dehnung der Media, welche
eine lokale, die GewebsneubUdung in der Intima veranlassende Kreis¬
laufstörung, eine Verzögerung der Randzonen des Blutstroms auslöst.
Die malazische Dehnung der Media führt jedoch in manchen Fällen,
namentlich in den mittelgrossen Arterien, zugleich zu einer Verkrümmung
der Gefässachse. Die Achsenteile des Blutstromes, die Stromfäden
grösster Geschwindigkeit drängen unter diesen Bedingungen nach der
stärker gedehnten Seite des Strombettes hin. Die Verzögerung der Rand¬
zonen des Blutstromes und die Gewebsneubildung in der Intima macht
sich daher an den weniger gedehnten Teilen der Gefässwand geltend.
Man findet dann, wie bereits Reich*) bemerkte, dass die Media an
Stelle der knotigen Verdickungen der Intima dicker und weniger ge¬
dehnt ist als an den übrigen Teilen des Gefässumfanges. Nach den
Messungen von Reich aber scheint der Querschnitt der Arterieii-
Uchtung an einer solchen Krümmung zuweilen etwas kleiner zu sein
als vor und hinter der Krümmung. In der normalen Blutbahn machen
sich solche vorübergehende Verjüngungen des Querschnittes in der
Regel kurz hinter der Abgangsstelle eines Seitenzweiges bemerkbar.
In beiden Fällen aber dürften sie nur eine Folge der Richtungsänderung
des Blutstromes sein.
Bei der Sklerose der Arterien treten indessen geringe Abweichungen
von der Kreisform der Gefässlichtung nicht allzu selten auf, wenn Infolge
fortschreitender Dehnung der Gefässwand einzelne Teile des neu¬
gebildeten Bindegewebes der Intima hyalin oder schleimig aufquellen
oder durch eine Verflüssigung atheromatöser Herde an Volum zunehmen.
Der hohe Druck des quellenden Gewebes drängt in diesen Fällen die
Innenfläche der Intima in die Gefässlichtung vor. Stärkere, dem un-
bewaffneten Auge deutlich wahrnehmbare Abweichungen von der lO’eis-
form der Arterienlichtung sind dagegen sehr selten zu beobachten. Sie
werden entweder gleichfalls durch ausgiebige hyaline oder atheroma-
töse Degenerationen der verdickten Intima bewirkt oder durch erheb¬
liche Verkrümmungen der ganzen Arterie. Es zeigt sich jedoch, dass
auch diese nachträglichen Deformationen der Gefässlichtung mit der Zeit,
bei zunehmender Dehnung der Gefässwand wieder durch Bindegewebs¬
neubildungen einen Ausgleich finden in der Weise, dass die Kreisform
der Gefässlichtung wieder hergestellt wird.
* • •
Gegen diese Ergebnisse meiner Untersuchungen sind im Laufe der
Zeit einige Einwendungen erhoben worden, welche hier nicht übergangen
werden können, weil sie offenbar Infolge mangelhafter Kenntnis der
Literatur neuerdings wiederholt wurden. Zunächst haben R. B e -
*) F. Reich: Ueber Arteriosklerosis nodosa. Diss., Königsberg 1896.
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
323
klL
OSiffl;
'er c'i
k &
.ni s!
viiii?
iltfe
r vt:-
•Blü.
±m
ijizier
raia
adi^f
it die
•eicfe
iikrfr
sehe
'eidse
Ve:-
;ena.
rüber
ürecti
her-
■ be¬
eilt-
■der
nucs
.sser.
fass¬
aas-
hat
I ar
ken-
iier-
eer-
iss-
■lieh
im
gec
bil-
äi
er..
T-i
ec
ler
d-
h:
c
ir
i
i
n e k e *) und P e k e 1 h a r i n g ®) auf Grund einiger Doppelunterbin¬
dungen von Arterien behauptet, dass nicht eine Verzögerung der Rand¬
zonen des Blutstromes sondern eine Ermässigung des Blut¬
druckes die Ursache für die Bindegewebsneubildung in der Intima der
Arterien- abgebe, ln meiner Entgegnung habe ich 0 seinerzeit dareetan,
dass diese Behauptung durch zahlreiche andere Erfahrungen widerlegt
wird. Bereits die Tatsache, dass bei gleichzeitiger Erkrankung der Nieren
die Arteriosklerose bei erhöhtem Blutdruck reichlich Bindegewebe in der
Intima erzeugt, hätte diese Forscher auf die mangelnde Beweiskraft
ihrer Versuche aufmerksam machen sollen. Später hat sodann A. S o k o -
loff®) durch eine grosse Anzahl sorgfältiger Versuche gezeigt, da.ss die
Versuchsergebnisse von R. B e n e k e und Pekelharing irrige sind
und auf nachweisbaren Beobachtungsfehlern beruhen.
Nach einfachen Ligaturen in der Kontinuität der Arterien findet man
in einwandfreier Weise, dass die Bindegewebsneubildung in der Intima
auf der proximalen und auf der distalen Seite der Ligatur in gleicher Weise
verläuft, obwohl in diesem Falle der Blutdruck in der unterbundenen
Arterie aut der proximalen Seite der Ligatur dauernd höher ist als auf
der distalen Seite der Ligatur. Die Veränderungen, welche ich in dem
Stammarterien alter, längst geheilter Amputationsstümpfe beschrieben
habe, zeigen sodann, dass die I3indegewebsneubildung in der Intima auch
in diesen Fällen in strenger Abhängigkeit steht von der Verzögerung
der Randzoiien des Blutstromes.
Genau dieselben Beziehungen werden wirksam, wenn eine Qefäss-
provinz nicht durch das Operationsmesser des Chirurgen sondern durch
Nekrosen oder ulzeröse Prozesse zerstört wird. Ob es sich um einen
grossen Käseherd in der Lunge oder um eine tuberkulöse Lungen¬
kaverne oder um ein einfaches oder karzinomatöses Magengeschwür
oder um eine gangränöse Extremität handelt, immer wird man in
den Arterien, welche zuvor das Zerstörungsgebiet mit Blut versorgt
hatten, eine Bindegewebsneubildung in der Intima finden, welche
nach Dicke und Ausdehnung der eingetretenen Verzögerung der Rand¬
zonen des Blutstromes entspricht und am Rande des Defektes in der
Regel die Lichtung der Arterien völlig verschliesst. Wenn aber ge¬
legentlich Arterien, die durch eine tuberkulöse Lungenkaverne hindurch¬
ziehen, nicht völlig verschlossen sind, so kann man jedesmal nachweisen,
dass sie Blut zu unzerstörten Teilen des Lungengewebes führten. Damit
aber ist zugleich der Nachweis gegeben, dass niclit sogen. Entzündungen
die Verengerung und Obliteration der Arterien bewirken, sondern Kreis¬
laufstörungen und zwar Verzögerungen oder Unterbrechungen des Blut¬
stromes. Demgemäss sollte auch die gänzlich unbewiesene Lehre von
der obliterierenden Arteriitis völlig fallen gelassen werden.
Die Einwendungen, welche Fuchs®) gegen meine Arbeiten erhob,
habe ich^“) bereits wiederholt besprochen und widerlegt. Ich will uancr
nicht nochmals auf dieselben eingehen, um so mehr, weil ich die im An¬
schlüsse an die Geburt eintretenden Veränderungen der Aorta in¬
zwischen einer sorgfältigen Nachuntersuchung unterzogen habe, über
welche ich in nächster Zeit an einem anderen Orte ausführlichen Bericht
erstatten werde.
Gelegentlich hat man auch Erhöhungen des arteriellen
Druckes für die Neubildung des Bindegewebes in der Intima ver-
antw(^tlich gemacht. Wenn aber bei Insuffizienzen der Mitralis in der
Reger eine Neubildung von sklerotischem Bindegewebe in der Intima
der Arteria pulmonalis' beobachtet wird, so beweist dieses bei weitem
noch nicht, dass der erhöhte Druck in der Arteria pulmonalis die
Pulmonalsklerose veranlasst habe. Denn die Druckerhöhung in der Pulmo¬
nalis ist in diesem Falle mit einer Erweiterung der Lungenarterie ver¬
bunden, w^ährend die Durchflussmengen keincnfalls erhöht sind. Man
kann daher mit Bestimmtheit auf eine Verzögemng der Randzonen des
Blutstromes in der Arteria pulmonalis schliessen und es erscheint viel
wahrscheinlicher, dass diese Verlangsamung der Randzonen des Blüt-
stromes als die Ursache der Pulmonalsklerose aufzufassen sei.
Aehnlich gestaltet sich das Urteil, wenn ein Teil des Blutstromes
der Aorta in die A. pulmonalis einbricht und in dieser Arteriosklerose
hervorruft, oder wenn bei einer kongenitalen Stenose der Isthmus aortae
eine bis zum Isthmus reichende Sklerose des Aortenbogens auftritt.
Solche Beobachtungen führen auf sehr verwickelte mechanische Fragen
und sind daher nicht eindeutig genug, um bestimmte Schlüsse zu ge-
.statten. Durch die beiden letztgenannten Beobachtungen jedoch könnte
man vielleicht die Vermutung stützen, dass ein ungewöhnlich hoher Blut¬
druck imstande sei, die Media so stark zu beanspruchen, dass eine
Angiomalazie und weiterhin eine Sklerose der Arterienwand eintreten
kaiin-
Der Blutdruck ist jedoch für die Gewebsneubildung in der Intima
keineswegs gleichgültig. Er erzeugt die Spannung der einzelnen Ge-
wcbselemente der Gefässwand, die sogen. Materialspannung. Wenn die
Verlangsamung der Randzonen des Blutstromes die Gewebsneubildung in
der Intima auslöst und ihre räumliche Ausdehnung nach den drei Dimen¬
sionen des Raumes bestimmt, so ist die gleichzeitig bestehende Material¬
spannung der Intima massgebend für den histologischen Bau des neu-
gebildeten Gewebes.
®) R. Beneke: Beitr. z. path. Anat. Bd. 7 1890.
•) Pekelharing: Ebenda Bd. 8 1890.
^ R. Thoma: Ebenda Bd. 10 1891.
®) A. S 0 k 0 1 0 f f: Exp. Untersuchungen über die Veränderungen der
Gefässwand bei doppelter Unterbindung der Arterien. Diss., Dorpat, 1892.
•) R. F. Fuchs: Arch. f. Physiol. 1900. — Zschr. f. allg. Physiol. Bd. 2
1903.
«») R. Thoma: Virch. Arch. Bd. 204 1911. — Beitr. z. path. Anat.
Bd. 66 1920.
Nr. Jl.
Digitized by Goiisle
Wenn das neugebildete Gewebe der Intima nur geringe Matcrial-
spannungen zu tragen hat, so nimmt es die Eigenschaften eines einfachen
Bindegewebes an. Dieser Fall ist beispielsweise gegeben bei der Ob¬
literation ligierter Arterien. In der Wand der enger werdenden Arterie
nehmen die Materialspannungen stetig ab. Das neugebiidete Gewebe
der Intima ist daher von Anfang an so geringen Spannungen unter¬
worfen, dass es die Eigenschaften eines einfachen Bindegewebes
gewinnt
Wenn dagegen das neugebildete Gewebe der Intima hohe Material¬
spannungen zu tragen hat, so wird es derber und entwickelt eine grosse
Zahl von elastischen und muskulösen Fasern, wie dies z. B. in den
Anfangsstadien der Sklerose beobachtet wird. Bei der langsam zu¬
nehmenden Dehnung der malazischen Arterie steigen die Materialspan¬
nungen aller Schichten der Gefässwand, am stärksten jedoch, wie sich
rechnerisch leicht nachweisen lässt, die Materialspannungen der Intima.
Die neu entstehenden Gewebselemente der Intima gelangen daher bereits
in statu nascendi unter so hohe Materialspannungen, dass sie von Anfang
an sehr reich werden an elastischen und muskulösen Fasern.
Ich habe diesen Zusammenhang der Erscheinungen bereits an
anderen Orten eingehend besprochen. Er erklärt in sehr einfacher
\Veise die UnterscHiede der Vorgänge, welche J o r e s einerseits als ent¬
zündliche und regenerative Gewebsneubildungen der Gefässwand und
andererseits als hyperplastische Gewebsneubildungen derselben be¬
zeichnet hat. Zugleich erkennt man den Grund, weshalb bei der
Sklerose die Gewebsneubildung in der Intima zu Anfang sehr reich ist
an elastischen Fasern, während die später gebildeten Schichten der
sklerotischen Intima nicht selten aus reinem Bindegewebe bestehen.
Mit der zunehmenden Dicke der Gefässwand werden ihre Material¬
spannungen kleiner, so dass schliesslich nur noch Bindegewebe gebildet
wird.
Alle diese Ergebnisse finden ausgiebige Bestätigungen durch den
Tierversuch. Nachdem zuerst J o s u ö im Jahre 1903 durch Vergiftungen
mit Adrenalin auffällige, der Sklerose vergleichbare Veränderungen der
Aorta des Kaninchens hervorgerufen hatte, würden von zahlreichen
anderen Autoren ähnliche, jedoch nicht genau übereinstimmende Erfolge
erzielt durch andere Gifte, durch die Einführung pathogener Bakterien
und ihrer Stoffwechselprodukte, durch Cholesterin- und Lipoidzufuhr und
durch abnorme Ernährung anderer Art. Diese experimentell erzeugten
Stoffwechselstörungen hatten regelmässig geringere oder stärkere,
offenbar angiomalazische Erweiterungen der Aorta zur Folge, welche
verbunden waren mit der Ablagerung wechselnder Mengen von Kalk,
Cholesterin, Lipoiden und Fett in der Aorten wand und mit mehr oder
weniger ausgiebigen Gewebsneubildungen in der Intima.
Damit war von neuem dargetan, dass allgemeine Stoffwechsel¬
störungen zu den wichtigsten Ursachen der Angiomalazie und Angio-
sklerose gehören. Zugleich aber gelangt man zu der Erkenntnis, dass
die malazische Dehnung der Gefässwand und die Geschwindigkeit der
Gewebsneubildung in der Intima Unterschiede darbieten, welche nicht
nur von den oben besprochenen histomechanischen Bedingungen son¬
dern auch histochemisch von den chemischen Besonderheiten der Stoff¬
wechselstörung abhängig sind. Diese Erkenntnis ist für die Pathologie
des Menschen von grosser Bedeutung. Sie eröffnet die Aussicht auf
eine erfolgreiche Weiterfülirung der bereits von mehreren Seiten her in
Angriff genommenen Aufgabe, durch mikrochemische Untersuchungen
der Gefässwand und bestimmter, für den Blutstrom bedeutungsvoller
Organe tiefer in die Genese der verschiedenen Formen der Arterio¬
sklerose des Menschen einzudringen. Und schliesslich sollte es auch ge¬
lingen, diejenigen Stoffwechselstörungen zu erkennen und schadlos zu
machen, welche die schweren, zu lebensgefährlichen Gefässrupturen und
Aneurysmabilc^ngen führenden Formen der Angiomalazie erzeugen.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Qiessen.
(Prof. V o i t.)
lieber Speicherung von Jod im Karzinomgewebe.
(Ein Beitrag zur Frage der Erzeugung und Verwertung
von Sekundärstrablen durch Einbringung von Elgen-
strabiern in den Körper.)
Von Dr. Friedrich Jess, Assistenten der Klinik.
Die Frage der Jodspeicherung im Tumorgewebe Ist in früherer
Zeit in mehreren Arbeiten, auf die ich zurückkomme, vom pharmako¬
logischen Standpunkt aus erörtert worden. Neuerdings hat dieses Pro¬
blem für die Strahlentherapie ein grosses Interesse gewonnen, weil wir
wissen, dass das Jod als Element von hohem Atomgewicht zusammen
mit andern die Eigenschaft besitzt, neben den von allen Körpern aus¬
gehenden Sekundärstrahlen eine charakteristische Sekundärstrahlnng
(Fluoreszenzstrahlung), die sog. K-Strahlung zu erzeugen. S t e p p ‘) hat
in Gemeinschaft mit dem Physiker P. C e r m a k die Frage der Ver¬
wertung dieser Strahlungen an der Hand der grundlegenden Unter¬
suchungen von Bark 1 a und SadIer, ferner F. Harnaman-Jolin-
son, Gauss und Lembke*) u. a. erneut aufgeworfen und dabei die
Stepp: Ueber Röntsentiefentherapie in der inneren Medizin mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Erzeugung und Verwertung von Sekundär¬
strahlen durch Einbringung von Eigenstrahlern in den Körper. Strahlenthera¬
pie 10. 1920. S. 143.
=) M.m.W. 1918 Nr. 40 S. 1102. ■) Sämtlich zitiert nach Stepp t. e.
4
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
324
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
‘ Nr. II.
Aufmerksamkeit auf das Jod und das Silber als für die genannten Zwecke
geeignetsten Elemente gelenkt Die Begründung dieser Auffassung, deren
Einzelheiten ich hier nicht noch einmal aufführen möchte, findet sich in
der oben angeführten Arbeit von Stepp, auf die ich ausdrücklicl\ ver¬
weise.
Es war daher dringend erwünscht, die Frage der Speicherung des
Jods im Karzinomgewebe erneut zu untersuchen. Ich habe mich auf An¬
regung von Herrn Prof. Stepp dem Studium dieser Dinge gewidmet
wobei es zunächst erforderlich war, sich über die Resorptions- und Aus¬
scheidungsverhältnisse der Jodpräparate nach Möglichkeit klar zu wer¬
den. Für das Jodkali liegen umfangreiche Untersuchungen von Anten*)
vor mit einer eingehenden Literaturangabe. Danach beginnt die Aus¬
scheidung alsbald, eine bis wenige Minuten nach der Aufnahme und ist
bei geringen und einmaligen Gaben (0,5—1 g) in 30—48 Stunden er¬
ledigt Nach grösseren Dosen und wiederholter Verabreichung solcher
soll sie sich über 11- Tage ausdehnen können. Die Menge des aus¬
geschiedenen Jods schwankte bei den verschiedenen Autoren zwischen
60 Proz. und 89 Proz. (D u c h e s n e, D e p r e z. E h 1 e r s) ®). Es wird
also nicht alles Jod mit dem Harn ausgeschieden, und wir müssen uns die
Frage vorlegen, wo der Rest verbleibt Ausser im Harn hat man Jod
im Speichel, in der Träneaflüssigkeit nachgewiesen, ganz geringe Mengen
in den Fäzes und endlich in den Haaren [H o w a 1 d •)]. B i n e t ’) will
Jod im Schweiss gefunden haben. Diese Nachweise dürften wohl kaum
eine restlose Erklärung für den Verbleib von 11—40 Proz. des Stoffes
abgeben, welche nicht im Urin erscheinen, Anten hebt die unvollstän¬
dige Auscheidung des Jods ausdrücklich hervor: nur */$—^ erscheinen
im Harn wieder, im Gegensatz z. B. zur Borsäure [Sonntag*)], die
mit 100 Proz. vollständig im Urin ausgeschieden wird, „während der
Rest teils sich in den Haaren ablagert und mit diesen abgestossen wird,
teils auf anderen Wegen den Körper verlässt“. Ich glaube nicht, dass
diese Erklärung für das Verbleiben des erheblichen Restes, eine voll¬
ständige ist, nehme vielmehr an, dass auch anderes Gewebe as das der
Schilddrüse in der Lage ist, das Jod an sich zu reissen, für eine ge¬
wisse Zeit festzuhalten und erst nach und nach in kleinen Mengen wieder
abzugeben. In dieser Ansicht wurde ich durch einen Selbstversuch be¬
stärkt, den ich mit einem neueren Jodpräparat, dem Alival ausführte.
Von einer grösseren Menge Jods, die ich mir innerhalb von 5 Tagen
intramuskulär eingespritzt habe, verblieben nach dem Erlöschen der Jod¬
reaktion im Harn, welches 72 Stunden nach Absetzen des Mittels er-
'folgte, 71,6 Proz. = 850 mg vorläufig im Körper zurück. Die verhältnis¬
mässige Konstanz der Ausscheidung bzw. Retention von Jod bei wieder¬
holten, länger dauernden Gaben legte den Gedanken nahe, die absolute
Menge des retinierten Jods durch grössere, über einen längeren Zeit¬
raum verabfolgte Gaben zu vermehren im Sinne der Anlegung von Jod¬
depots in normalen und vor allem in pathologischen Geweben. L o e b *)
fand nun eine verschieden grosse Neigung der Organe, Jod abzulagern.
Ihre Reihenfolge nach dem Jodgehalt war: Schilddrüse, Blut, Haut,
Magen, Lunge, Muskel, Leber, Niere. Die Anlage von Joddepots in
anderen Organen durch Bildung von Jodeiweissverbindungen scheint
nach L 0 e b s Versuchen nicht unwahrscheinlich zu sein.
Die Frage, in welcher Form das Jod am besten zur Ablagerung
gebracht werden kann und ob die verschiedenen Jodverbindungen sich
grundsätzlich nach dieser Richtung hin unterscheiden, scheint mir nicht
genügend geklärt zu sein. Immerhin erbringt Loeb den Nachweis,
dass das Jod als Jodoform, Jodanilin und Jodäthyl lipotrop ist im Gegen¬
satz zum Jodkali. Loeb und v. 4 e n V e 1 d e n ‘®) nahmen für das Lipo-
iodin und Bachem^*) für das Jodostarin ebenfalls diese Eigenschaft
in Anspruch. Loebs Nachweis eines vermehrten Jodgehalts in einem
durch Terpentinöl hervorgerufenen aseptischen Abszess, ferner die von
ihm und Mich aud^*) gezeigte Tatsache der Speicherung von Jod im
tuberkulös erkrankten Gewebe leitet zu der wichtigen Frage der An¬
reicherung des Jods in pathologischen Geweben über. An der Hand von
Mitteilungen vonden Veldens‘®) über Speicherung von Jod im Kar¬
zinomgewebe und der Arbeit von Takemura**) über Speicherung von
Jod im Mäusekarzinom und Rattensarkom sind wir diesem Problem
wieder nähergetreten. Wir haben daher bei einem Fall von sicher dia¬
gnostiziertem Karzinom der Gallenwege, welcher unter zunehmendem
Marasmus dem Exitus entgegenging, nahezu 4 Wochen hindurch -grössere
Dosen Jod verabfolgt, und zwar intramuskulär in Form des Alivals
— täglich 3 Spritzen — und per os in Form des Jodipins — 3 mal
2 Tabletten — mit der Absicht, nach dem Ableben der Patientin die Ver¬
teilung des Jods in den Organen zu studieren. Aus den gleichzeitig im
Urin vorgenommenen Jodbestimmungen ging hervor, dass die aus¬
geschiedenen Jodmengen weit hinter der täglich zugeführten Dosis zurück-
*) Anten: lieber den Verlauf der Ausscheidung des Jodkalis im mensch¬
lichen Harn. Arch. f. exp. Path. 48. 1912. S. 331.
®) Zitiert nach Anten.
®) H 0 w e 1 d: Vorkommen und Nachweis des Jods in den Haaren. Zschr.
f. physiol. Chemie 23. 1897. S..209.
’) Zitiert nach Rost: Die Ausscheidung von Arzneimitteln aus dem
Organismus. Med. Klinik 1902 S. 179.
*) Zitiert nach A n t,e n.
®) Loeb: Die Jodverteilung nach Einfuhr verschiedener Jodverbindungen.
Arch. f. e.xp. Path. u. Pharm. 56. 1907. S. 320.
J®) L o e b und V. d. V e 1 d e n: Ther. Mh. 1911.
“) Bachem: Jodosterin, ein neues organisches Jodpräparat. M.m.W.
1911 Nr. 41.
Loeb und Michaud: Biochem. Zschr. 1907 Nr. 3.
*) V. d. V c 1 d e n: Zur Jodverteilung unter pathologischen Verhältnissen.
Bioch. Zschr. 9.. 1908.
**) Takemura: Hoppe-Seylers Zschr. f. phys. Chem. 72. 1911, S. 78.
blieben. Etwa 4 Wochen nach dem Beginn der Jodgaben trat der
Exitus ein. Die Sektion bestätigte die gestellte Diagnose. Es handelte
sich um ein ausgedehntes Karzinom der Gallenwege mit Metastasen
in der Leber. Ich habe die Organe in Anlehnung an die von Bau-
mann**) gegebenen Vorschriften verarbeitet, frisch und getrocknet
gewogen, pulverisiert und in ihnen das Jod bestimmt. Es wurden je
1 oder 2 g Trockensubstanz nach Zusatz von Wasser und Aetznatron
eingedampft, mit Salpeter verascht, aus der gelösten Schmelze das Jod
nach Ansäuern mit 20 proz. Schwefelsäure in Schwefelkohlenstoff aus-
geschüttelt und in diesem mit einer N/iae-Natriumthiosulfatlösung titriert.
Die sehr gute Uebereinstimmung meiner fast durchweg 4 fach aus¬
geführten Bestimmungen, die ich wegen Raummangels hier nicht mit-
teilen kann, bewies mir die Brauchbarkeit der Methode. Bau mann
weist auf Grund seiner Vorversuche darauf hin, dass bei der Veraschung
ein gewisser Verlust ein treten kann, der einmal 0,08, - einmal 0,1 mg
^betrug Bei meinen Versuchen betrugen die Differenzen in wenigen
'Fällen mehr als 0,1 mg; niemals haben sie 0,2 mg erreicht. Die ge¬
fundenen Jodmengen sind durchweg auf KJ berechnet und der Einfach¬
heit halber nicht auf Jod umgerechnet worden. Die Reihenfolge cer
Organe nach dem Jodgehalt, berechnet auf 100 g frische Substanz, ist
folgende:
1. Schilddrüse 50,6 mg K J auf 100 g frische Substanz
2. Verdauungskanal
28,2 „
9f *•
3. Haut
23,9 „
»f
4. Lunge
23.3 „
5. Blut
21.0
6. Tumor
21,0 „
7. Ovarium
17,0 „
8. Leber
14,6
ff ff
9. Mil?
13,9 „
10, Uterus
12.3 „
ff ff
11. Niere
11.5 „
12. Herzmuskel
8,6 „
13. Skelettmuskel
7,2 „
• M tt
Gegenüber den Versuchen Takemuras^®). die ich mit meinen
Ergebnissen vergleichen möchte, ist in der Versuchsanordnung ein Unter¬
schied festzusteljen Sie wurden am entbluteten Körper vorgenommen,
ein Vorgehen, das eben nur im Tierversuch möglich ist. Trotzdem
haben unsere Resultate eindeutige Uebereinstimmungen mit den Unter¬
suchungen Takemuras ergeben mit zwei Ausnahmen, welche den
Verdauungskanal und die Lunge betreffen. Es scheint also die Verteilung
des iodreichen Blutes in der Leiche keinen wesentlichen Einfluss auf das
Ergebnis gehabt zu haben, mit einer Ausnahme vielleicht, auf die ich
zurückkomme. Die überragende Rolle der Schilddrüse bei der Jod¬
anreicherung ist augenfällig. Bei Takemura, welcher die Schilddrüse
nicht untersuchte, stehen Haut und Blut als jodreiche Organe an der
Spitze, während Verdauungskanal, Niere, Lunge, Leber unter den jod¬
ärmeren .eine in einzelnen Versuchen etwas wechselnde Reihenfolge
zeigen. Uebereinstimmend mit uns fand er im Skelettmuskel am wenig¬
sten Jod. Für den grossen Jodgehalt des Verdauungskanals in unserem
Fall kann ich als möglichen Grund nur die Tatsache anführen, dass wir
erhebliche Mengen per os neben den Injektionen gegeben haben, w^ährend
Takemura nur mit letzteren arbeitete. Der auffallend hohe Jod¬
gehalt der Lunge ist vielleicht doch auf die Blutverteilung mit zurück¬
zuführen, weil erhebliche Hypostasen bestanden^ Auffallend ist der
hohe Jodgehalt des Ovariums und die Tatsache, dass die
glatte Muskulatur des Uterus wesentlich mehr Jod enthielt als Herz-
und Skelettmuskel, welche unter sich nur einen geringen Unterschied
zeigten. Im übrigen aber ergibt sich für das mensch¬
liche Kärzinomgewebe der gleiche Befund, wie ihn
Takemura für das Mäusekarzinom und weniger deut¬
lich für das Rattensarkom erhob. Es schiebt sich
zwischen die iodreichen und jodärmeren Gewebe ein
mit einem Jodgehalt, der sich dem der ersteren er¬
heblich nähert, in unserem Fall mit dem des Blutes
übereinstimmt. Vor allen Dingen ist das umliegende
Lebergewebe, obgleich sicher blutreicher, erheblich
jodärmer befunden worden. Es geht also aus diesem Versuch
mit Sicherheit hervor, dass nach wiederholten, über längere Zeit aus¬
gedehnten Gaben von grossen'Dosen Jod eine erhebliche Speicherung
dieses Elementes im Organismus stattfindet, wobei die Organe in gesetz-
massiger Weise eine verschieden grosse Neigung zur Anreicherung des
Stoffes zeigen. Das menschliche Karzinomgewebe hat
dabei eine auffällig starke Neigung, Jod in sich an¬
zureichern, bewiesen, wie das schon v. d. Velden (s. o.)
auf Grund eines Versuches mit einer grösseren Gabe
kurzvor dem Exitus eines Krebskranken und des da¬
nach erhobenen Befundes für wahrscheinlich hielt.
Die Tatsache, dass bei länger dauernder, gleichmässiger Verabfolgung
verhältnismässig recht grosse Mengen Jod im Körper zurückgehalten
und in der geschilderten Weise verteilt werden, bestätigt seine gute An¬
wendbarkeit bei den verschiedenen Prozessen, auf die es spezifisch zu
wirken scheint, insbesondere bei der Tuberkulose. Ob es möglich sein
wird, auf Grund der Fähigkeit des Tumorgewebes, einen Körper in sich
aufzuspeichern, der eine charakteristische Sekundärstrahlung zu * er¬
zeugen imstande ist, ein neues Moment mit Erfolg in die Röntgentherapie
maligner Neubildungen einzuführen, müssen zukünftige Untersuchungen
lehren.
”) Baumann: Hoppe-Seylers Zschr. f. phys. Chem. 21. S. 490 ff.
*•) s. oben.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 19^1.
■ MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
325
Aus der Medizinischen Klinik (Direktor: Prof. Morawitz)
und dem Hygiene-Institut in Greifswald- (Direktor: Prof.
Friedberger).
Die kOnstliche Ansiedelung von Bakterien in Mund- und
Rachenhöhle.
Von Dr. van der Reis, Assistenzarzt der Klinik.
Die gesunde Schleimhaut der Mundhöhle und des Nasenrachenraums
beherbergt ebenso wie die des Intestinaltraktus und der Vagina eine
Bakterienflora, die ihr angepasst ist und deren Formenkreis nahezu bei
allen Individuen derselbe ist. Durch die Kommunikation mit der Aussen-
welt und besonders durch die zugeführten Speisen werden zwar dauernd
die verschiedenartigsten Keime eingeschleppt; sie vermögen aber nicht
auf ihr bodenständig zu werden und zu wuchern. Nur unter besonderen
Bedingungen können pathogene Keime, wie Spirillen, Diphtherie- und
Tuberkelbazillen und Aktinomykosepilze zur Ansiedlung gelangen und
infektiös werden. .
Die Konstanz der Bakterienflora in der Mundhöhle wurde auf die
bakterizide Wirkung des Speichels zurüQjcgeführt. Aber in Reagenzglas¬
versuchen konnte ich gegenüber den verschiedensten Bakterien: Typhus-,
Ruhr-, Koli-, fleubazillen, Staphylokokken, Streptokokken und Prodigiosus
keinerlei keimtötenden Einfluss der Mundflüssigkeit nach weisen.
Auch in dem steten Erneuern des Speichels kann kaum der Grund
zum Persistieren nur bestimmter Keimarten auf der Schleimhaut der
Mund- und Rachenhöhle gesehen werden, weil nicht anzunehmen ist, dass
eine solche mechanische Spülwirkung sich nur gegen die fremden Keime
wendet, die obligaten aber verschont. Vielmehr dürfte die spezi¬
fische Reaktion der Schleimhäute einer der Faktoren sein,
die eine Selbstreinigung von nicht angepassten Mikroorganismen be¬
wirken.
Es kann nach diesen Erörterungen also nur gelingen, solche Keime
künstlich zur Ansiedlung zu bringen, die in ihren Lebensgpwohnheiten
den Schleimhäuten möglichst angepasst sind.
In der Mundhöhle sind bislang alle Versuche, fremde Bakterien sess¬
haft zu machen, fehlgeschlagen. Wohl gelang es, Staphylococcus pyo¬
genes aureus einige Stunden in der Mundhöhle zu halten
(Schiötz, Page, deWitt, Macdonald) und Prodigiosus 12 Stun¬
den bis zu 2 Tagen nachzuweisen (Hallwachs, Friedberger,
W eichar dt und Page), eine wirkliche Ansiedlung und ein Weiter¬
wuchern konnte jedoch nicht erreicht werden.
Systematische Untersuchungen mit Hilfe der Zählplattenmethode
zeigten mir nun, dass Keime, die künstlich in die Mundhöhle gebracht wur¬
den, nach dem Genüsse fester Speisen oder Getränke fast restlos in den
Magen gespült sind. Den Versuchspersonen wurde ähnlich wie bei Hall¬
wachs und Röse, z. B. mit einem Zerstäuber, eine Aufschwemmung
von 1 Million Prodigiosuskeimen resp.* Staphylokokken in die Mundhöhle
gebracht. Danach gurgelten sie mit einer geringen Menge physiologischer
Kochsalzlösung. Die verschiedenen Portionen der Gurgelflüssigkeit wur¬
den zu Platten verarbeitet und die Keime gezählt. Bis zu 14 Stunde
nach der Einstäubung kam die Zahl der so wiedergewonnenen Keime
der anfänglichen ziemlich gleich. Späterhin nahm sie schnell ab. Wenn
in einer 2. Versuchsreihe die Einstäubung der fremden Keime unmittel¬
bar vor dem Essen geschah, konnte hinterher in der Mehrzahl der Fälle
überhaupt kein Prodigiosus mehr nachgewiesen werden.
Niemals konnte ich Staphylococcus pyogenes aureus oder Prodigiosus
länger als 18 Stunden nachweisen (um Tabellen zu vermeiden, habe
Ich nur die Versuchsergebnisse angeführt).
Aus den Versuchen kann geschlossen werden, dass die genannten
Keime in der Mund- und Rachenschleimhaut nicht zur Ansiedlung ge¬
langen, sondern nur oberflächlich lagern und schnell abgespült werden.
Eine willkürliche Ansiedlung fremder Bakterien in Mund und Rachen
kann — wenn eine solche überhaupt möglich .ist — nur dann erzielt wer¬
den, wenn diese nicht nur oberflächlich liegen bleiben, sondern sich
ebenso wie die obligaten Mu'ndbakterien in den Winkeln und Buchten
der Schleimhäute einnisten. Diesen Bedingungen entspricht das Bact.
coli commune, das sich von allen untersuchten Bakterien den be¬
sonderen Verhältnissen der Mundhöhle am besten angepasst zeigt.
Ich stellte zuerst Versuche mit darmeigenen Kolibazillen an, und
zwar mit Bazillen von verschiedenem antagonistischem Index. 24 stän¬
dige Schrägagarkulturen wurden in Bouillon aufgeschwemmt — und zwar
6 Oesen in 10 ccm — und dann mit Stieltupfer oder vermittels Zer¬
stäubers in die Mundhöhle gebracht. Die Keime blieben noch nach
mehreren Tagen nachweisbar, trotzdem den Versuchspersonen der Ge¬
brauch antiseptischer Mundwässer ausdrücklich gestattet wurde. Selbst
nach 6—10 mal wiederholtem Gurgeln mit Kaliumpermanganat — in
mehreren Fällen wurde täglich öfters gegurgelt — blieben die Bazillen
stets nachweisbar. Man muss also annehmen, dass der Kolibazillus nicht
oberflächlich auf der Mundschleimhaut liegen geblieben ist, sondern gleich
den obligaten Mundbakterien wirklich zum Anwachsen gelangte.
Zur Bestätigung dieser Annahme untersuchte ich die Krypten der
Tonsillen. Die Gewinnung von Krypteninhalt gelingt leicht mit einer
Platinöse oder durch Ansaugen mittels einer feinen Qlaskapillare. Wäh¬
rend bei Kontrolluntersuchungen an Normalen nur die üblichen sapro-
phytischen Mundkeime, niemals aber koliähnliche Stäbchen gefunden
wurden, gelang es tagelang nach Abschluss der Pinselungen mit Koli-
bouillonaufschwemmungen aus der Tiefe der Lakunen Kolibazillen zu
züchten, auch wenn oberflächlich liegende Keime durch energische Gur¬
gelungen nacii Möglichkeit fortgeschafft oder durch Bestrahlungen mit
der Höhensonne (Friedberger) abgetötet waren. Bei Personen, die
3 Tage mit Koli gepinselt waren und gleichzeitig von uns hergestellte Koli-
agarwürfe! genommen hatten, konnten
in 1 Falle nach 6 Tagen,
2 Fällen ., 10 „
„ 8 „ „ 20—35 Tagen,
„ 18 M 35—52 „
„ 9 .. 52—54 ..
Kolibazillen aus den Lakunen gezüchtet werden. Sie wiesen die¬
selben kulturellen und biologischen Merkmale auf wie der Ausgangs¬
stamm.
Mit dieser Methode konnte aber nicht untersucht w'erden, ob die
Kolibazillen auch in die vielfachen kleinen Seitenkanäle der Krypten ei»:-
dringen. Der Nachweis war nur durch histologische Untersuchungen zu
führen. Durch das Entgegenkommen der Klinik für Hals-, Nasen- und
Ohrenkrankheiten war es mir möglich die Tonsillen eines von mir 3 Tage
lang gepinselten Patienten, 10 Tage nach Aussetzen der Pinse¬
ln n g zu untersuchen. In den von Herrn Dr. Herzog liebensw ürdiger-
weise angefertigten Schnitten (die Abbildung erfolgt anderenorts) finden
sich kurze Gram-negative Stäbchen nicht nur in den Hauptgängen der
Krypten, sondern vielfach in Häufchen auch in ganz engen Seitenkanälen
und Buchten, während sie in Schnitten normaler Tonsillen niemals nach¬
gewiesen werden konnten. So ist die Möglichkeit einer
längerdauernden Ansiedelung dieses Mikroorganis¬
mus erklärlich.
Weiterhin stellte sich heraus, dass nicht nur darmeigene Kolirassen.
sondern auch andere Kolistämme in der Mundhöhle sesshaft gemacht
werden können, wenngleich Unterschiede in der Dauer des Persistierens
beobachtet wurden. Diese Differenzen sind unabhängig von der ver¬
schiedenen Wachstumsintensität einzelner Rassen, die zahlenmässig durch
N i s s 1 e s antagonistischen Index erfasst wird. Vielmehr erscheint die
jeweilige Zusammensetzung der obligaten Mundflora dabei von gewisser
ursächlicher Bedeutung zu sein. So wird da Koliwachstum erschwert,
wenn Streptokokken besonders zahlreich vorhanden sind. Darmeigene
Kolistämme jedoch vermögen auch dieses Hemmnis zu überwinden
Besonders leicht haften diejenigen Rassen, die bereits in einer Mund¬
höhle ansässig gewesen sind. Die folgende Tabelle gibt eine Uebcrsicht
über die Dauer des Kolinachweises in insgesamt 68 Fällen:
Dauer der Pinselung: 3 Tage.
Zahl der Fälle: Dauer des Persistierens:
1 6 Tage
4
14
38
10
2
12 .,
20—37 Tage
37—52 ,.
52—56 „
73 Tage
In allen Fällen verschwindet der Kolibazillus von selbst wMeder aus
der Mundhöhle. 2 mal traten nach den Pinselungen Beläge auf den
Tonsillen auf, die in der Hauptsache Staphylokokken enthielten, daneben
aber auch Koli. Nach Aufsprayen von Wasserstoffsuperoxyd verschwan¬
den sie.
Die im Durchschnitt ausserordentlich langdauernde Ansiedlungsmöglich¬
keit von Kolibazillen ist aber nicht nur von theoretischer Bedeutung,
sondern beansprucht vor allem praktisches Interesse. Die Ansiedlung
gelingt nämlich auch bei Diphtheriepatienten, und wie ich zeigen konnte,
hat sich nicht allein gegenüber der üblichen harmlosen
Mundflora ein Antagonismus ergeben, sondern vor
allem a,uch gegenüber Diphtheriebazillen^). Es liegt also nahe,
mit der Ansiedlung der Kolibazillen die Einleitung einer Verdrängungs¬
therapie zu versuchen, und zwar weniger im akuten Stadium der Diph¬
therie, als vielmehr piophylaktisch und bei Dauerträgern. Die untersuch¬
ten Kolibazillen wirken nämlich in vitro gegenüber den verschieden¬
sten pathogenen Diphtheriebazillenstämmen nicht nur antagonistisch, son¬
dern bei geeigneter Dosierung sind sie imstande, sie binnen 15 Minu¬
ten vollständig zum Verschwinden zu bringen, wobei ich vorläufig un-
erörtert lasse, ob es sich um einen ursächlichen, elektlven Antagonismus
handelt oder um hochgradige Ueberwucherungsvorgänge.
Der Ausfall der bisherigen Tierexperimente und der Versuche an
Diphtheriekranken und Bazillenträgern hat uns veranlasst, den skizzierten
Weg einer rationellen Verdrängungstherapie weiter zu verfolgen.
Aus dem städtischen Krankenhaus Sandhof Frankfurt a. M.
Neurologische Universitätsklinik.
(Stellvertr. Direktor: Privatdozent Dr. W. Alwens.)
Das Problem der SchweissdrOseninnervation und seine
Bedeutung für die Klinik.
Von Dr. Ernst Bllligheimer, I. Assistent der Klinik.
Trotz wesentlicher Fortschritte, die wir auf dem Gebiet der Nerven-
lehre sowohl in anatomischer als auch in physiologischer Hinsicht zu
verzeichnen haben, müssen wir doch bekennen, dass gerade die vegeta¬
tive Neurologie noch vielerei Lücken aufzuweisen hat. Dies mag vor’
allem davon herrühren, dass das Interesse für das vegetative Nerven¬
system erst in jüngerer Zeit wach wurde. Es liegen ferner hier die
‘) Hierüber wird an anderer Stelle ausführlich berichtet.
4*
Digitized
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
326
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
anatomischen Verhältnisse viel verwickelter als bei dem animalen
System. So können wir oft nicht übersehen, ob in einem Nerven neben
sympathischen Fasern nicht auch parasympathische verlaufen. Die
grössere Lebenswichtigkeit der vegetativen Organe garantiert diesen
eine grössere Selbständigkeit; deshalb haben wohl die vegetativen
Apparate auch mehr Zentralstellen aufzuweisen als die animalen, wodurch
wiederum der Ueberblick über den Ablauf der vegetativen Funktionen
erschwert wird. Eine weitere Schwierigkeit der Erkennung der inner-
vatorischen Verhältnisse ist gegeben durch den in den meisten vegetativen
Organen stets schwankenden Tonus, sei er nun in dem ständigen Spiel
und Gegenspiel von Agonisten und Antagonisten, oder in' dem Erfolgs¬
organ selbst begründet. Mit am unübersichtlichsten liegen die Verhält¬
nisse bei der SchweisSdrüseninnervation, so dass diese erst in jüngerer
Zeit Gegenstand auch klinischer Forschung geworden Ist,
Was zunächst den tonischen Zustand der Schweissdrüsen anlangt,
könnte es scheinen, dass diesen normalerweise keine Impulse zufliessen.
Loewi^) meint denn auch auf Grund seiner Untersuchungen über die
physikalische Hautwasserabgabe, dass die Sekretion der Schweissdrüsen
nur auf Reiz hin stattfindet. So einfach scheinen mir die Verhältnisse
nicht zu liegen. Durch die Untersuchungen Veraguths kennen wir
den enormen Einfluss psychischer Vorgänge auf die Durchfeuchtung
der Haut, die dadurch fast ständigen Schwankungen unterliegt. Schwan¬
kungen, die allgemein auf die Aktion der Schweissdrüsen zurückgeführt
werden. Es ist unwahrscheinlich, dass bei so geringen 'Schweiss-
effekten wie auch bei ausgeprägterem Schwitzen das die physikalische
Hautwasserabgabe übertreffende Mehr der Schweisssekretion immer
einem ganz bestimmten Reiz der schweissfördernden Nerven entspricht.
Es müssten dann Reizeffekt und Schweisssekretion für alld Grade sich
in einer stets gleichen Relation befinden. Ein derartiges Verhalten
würde das Vorhandensein von schweisshemmenden Elementen ganz
überflüssig machen. Gerade das Bestehen von Hemmungsfasern scheint
mir aber dafür zu sprechen, dass sich auch die Schweissdrüsen in einem
tonischen Zustande befinden. Dieden^) hat in schönen Versuchen
an der Katze nachgewiesen, dass nach Degeneration der zur Katzenpföte
führenden Schweissnerven noch Fasern vorhanden sind, deren Reizung
den Pilokarpinschweiss hemmt. Normalerweise scheinen nun die hem¬
menden Impulse zu überwiegen. Beweisend dafür scheinen mir Fälle
mit zerebralen Schädigungen zu sein, auf die ich später noch zu sprechen
kommen werde.
Neue Schwierigkeiten erwachsen, wenn wir zur Differenzierung, ob
die Hemmungsfasem sympathischer oder vagischer Natur sind, als Prüf¬
stein das sympathikotrope Adrenalin heranziehen wollen. Dass Adrenalin
nicht ausschliesslich auf sympathische Nervenendigungen wirkt, sehen
wir an der durch Vaguserregung erfolgenden initialen Pulsverlangsamung
nach Adrenalininjektion, sei es durch direkte Reizung, sei es sekundär
durch die Blutdrucksteigerung; ferner im Tierexperiment, wo es unter
gewissen Bedingungen die Dilatatoren reizt deren nicht sympathische
Natur P e a r c e ®) in neueren Versuchen erwiesen hat. Auch beim
Menschen habe ich*) in einigen Fällen eine blutdrucksenkende Wirkung
des Adrenalins nachweisen können, die wahrscheinlich auch auf Reizung
von Dilatatoren zurückzuführen ist. Da Dieden berechtigte Gründe
für die Annahme hat, dass die hemmenden Fasern durch die hinteren
Wurzeln in den Ischiadikus der Katze gelangen, also nicht sympathischer
Natur sind, macht Adrenalin anscheinend auch hier eine Ausnahme.
A^enalin wirkt in der Tat auf Pilokarpin-Vagusschweiss hemmend,
wie ich®) an einer grössern Anzahl von Fällen der Klinik im Experi¬
ment nachweisen konnte. Um der Schwierigkeit aus dem Wege zu
gehen, könnte man sympathische und parasympathische Hemmungs¬
fasern annehmen. Dafür liegt aber keinerlei Beweis vor; denn Adrenalin
wirkt, wie ich an Schwitzern mit vegetativer Neurose. Thyreotoxikose
und einigen Hemiplegikern beobachten konnte, auch auf den Spontan-
und somit sicherlich auch auf sympathischen Schweiss hemmend. Des¬
gleichen werden beide Schweissarten durch elektrische Reizung im
hemmenden Sinne beeinflusst. Es scheint mir deshalb für die Schweiss-
hemmung nur eine Innervationsart erwiesen zu sein. Wir sehen, mit
welcher Vorsicht die pharmakologischen Prüfungen für die Beurteilung
der Innervation bewertet werden müssen, worauf auch schon Lewan-
d 0 w s k y ®) aufmerksam gemacht hat.
Die sympathische Innervation der Schweissdrüsen ist anatomsich
erwiesen. Gerade hier war der negative Ausfail der Adrenalininjektion
lange Zeit die Ursache, dass man trotz des anatomischen Nachweises
an dem Vorhandensein eines Sympathikusschweisses zweifelte. Auf
Grund der Schweisssekretion- nach Pilokarpin und der Hintanhaltung
durch Atropin nahm vor allem die Wiener Schule an, dass der Schweiss
ausschliesslich parasympathischer vagischer Natur sei. Diesen Zwie¬
spalt löste ebenfalls Dieden'), indem er der Katze den Ischiadikus
durchschnitt und damit die schweisshemmenden Fasern; nun trat auf
Adrenalin prompt Schweisssekretion auf. Mit dieser anatomischen und
pharmakologischen Uebereinstimmung scheint die sympathische för¬
dernde Innervation der Schweissdrüsen gesichert. Ein von mir be¬
obachteter klinischer Fall spricht wohl in demselben Sinne. Bei dem
*) Biochem. Zschr. 67. 1914.
5 D. Arch. f. klin. M. 117. 1915.
^ Zschr. f, Biol. 62. 1913.
*) D. Zschr. f. klin. M. (im Druck).
®) Arch. 1 exp. Path. u. Pharm. 88. 1920.
*) Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych., Orig., 14. 1913.
’) Zschr. f. Biol. 66. 1916.
Untersuchten trat auf Adrenalin am Arme bei gleichzeitiger örtlicher
Heisslufteinwirkung ^ine lokale Schweisssekretion auf. Doch soll hier
nicht verschwiegen werden, dass Reizung eines Systems, z. B. des
sympathischen durch Adrenalin, gleichzeitig auch eine gesteigerte Erreg¬
barkeit des antagonistischen hervorrufen kann. Ich erinnere nur wieder
an die initiale Pulsverlangsamung nach Adrenalin. Dieses würde also
hier auf, parasympathische Endigungen wirken. Oder aber es sind
aus irgendwelchen Gründen die hemmenden Impulse ausgeschaltet und
die sonst verdeckte Förderung der Schweissfasern tritt hier in Er¬
scheinung ®*).
Zweifelte man vordem an einer sympathischen Innervation der
Schweissdrüsen, so wäre es heute berechtigter, an der Beteiligung para¬
sympathischer Fasern zu zweifeln; das Problem spitzt sich auf die
Frage zu, wie erklärt man sich die Wirkung des vagotropen Pilokarpins
auf die anscheinend ausschliesslich sympathisch innervierten Schweiss¬
drüsen. Das Adrenalinbeispiel mahnt wiederum zur äussersten Kritik
des pharmakologischen Effektes in Beziehung zur nervösen Versorgung
der Schweissdrüsen.
Wenngleich wir nicht den exakten Nachweis einer parasympathi¬
schen Innervation liefern können, so sprechen doch einige Tatsachen
recht eindringlich für eine vagrsche Beteiligung beim Zustandekommen
der Schweisssekretion. Atropin hemmt den Pilokarpinnachweis, indem
es auf die Nervenendigungen lähmend wirkt, die durch Pilokarpin erregt
werden. Atropin bleibt aber sehr häufig wirkungslos bei dem Spontan-
schweiss von Schreckneurosen, was Knauer uivd Billigheim er*)
an mehreren Fällen beobachten konnten. Bei diesen handelt es sich
deshalb wohl meistens um ejne Schweissart. die durch eine Erregung
sympathischer Fasern hervorgerufen ist. Wir können jetzt per ex-
clusionem den Schluss ziehen, dass der Pilokarpinschweiss wirklich ein
Vagusschweiss ist, ein Schweiss, bei dem die vagischen Elemente zu¬
mindest im Vordergründe der Wirkung stehen. Für die mögliche Ver¬
schiedenartigkeit des Spontanschweisses von dem Vagusschweiss spricht
auch die auffallende Tatsache des Schweisstransfertes, den ich in aus¬
geprägtester Weise u. a. bei einem Fall von vegetativer Neurose be¬
obachten konnte. Der Patient schwitzte spontan Jeden Morgen und
Abend auf der rechten Körperseite, dagegen auf Pilokarpin zunächst
nur auf der linken Körperhälfte. Die verschiedene Anordnung in der
Verteilung des Spontanschweisses und des Pilokarpinschweisses scheint
mir ein weiterer Beweis, dass^ in solchen Fällen der eine in erster Linie
sympathischer, der andere vagischer Natur ist.
Ich darf ferner darauf hinweisen, dass Knauer und Billig-
h e i m e r auch auf Grund von Untersuchungen an eiuer grossen Anzahl
Schreckneurosen zu der Annahme einer sympathischen und vagischen
Innervation der Schweissdrüsen gedrängt wurden. Wir haben uns an
die Konstellation gehalten, in der unter anderen Symptomen auch der
Schweiss auftrat, und den Schluss gezogen, dass er auf dieselben inner-
vatorischen Wurzeln zurückgehen wird, wie durchsichtigere Begleit¬
symptome. So fiel gerade der Schweiss oft mit zweifellos sym¬
pathischen Reizsymptomen zusamgien, wie Pulsbeschleunigung, Pupillen¬
erweiterung etc.
Die nächstliegende Frage ist die, ob sich der Vagusschweiss irgend¬
wie von dem Sympathikusschweiss unterscheidet. Eine Möglichkeit,
dies zu untersuchen, wäre in chemischen Analysen gegeben. Die
Schwierigkeit, Differenzen in der Zusammensetzung von Sympathikus-
und Vagusschweiss zu finden, liegt darin, dass erstens schon Schweiss
nach Thee und Heissluft sich von einander unterscheiden, zweitens, dass
immer nur Schweiss von ein und derselben Körperstelle verwandt
werden dürfte, da der Schweiss von verschiedenen Körperregionen eine
differente Beschaffenheit zeigt. Es ist Sache der Methodik, hier den
geeigneten Weg zu finden. Dass in der Tat die chemische Zusammen¬
setzung des Schweisses von Fall zu Fall eine andere sein kann, lehrt
uns schon die Tatsache, dass z. B. der Angstschweiss viel klebriger
ist als der infolge Erhitzung ausgebrochene Schweiss. Somit kann
man sich vorstellen, dass die Bestandteile des Schweisssekretes sich
ändern, je nachdem die sympathischen oder vagischen Fasern sich in
Erregung befinden. Auch Meyer und Qottlieb*) nehmen neuer¬
dings an,' dass sich der Antagonismus der beiden Nervensysteme —
ähnlich wie bei den Speicheldrüsen — auf die Qualität des Sekretes
beziehen könnte. Ebenso wie Pilokarpin und Adrenalin nicht nur die
Erregbarkeit des antagonistischen Systems hemmen, sondern sogar
oft genug steigern können — wie ich*®) durch Stoffwechselunter¬
suchungen nachweisen konnte —, so beeinflussen sich an den Schweiss¬
drüsen die beiden Systeme, was Qualität betrifft, wahrscheinlich in
ergänzendem, was die Quantität anlangt, vielleicht in hemmendem
Sinne. Ich glaube, durch diese Anschauung wären die experimentellen
Tatsachen von Förderung und Hemmung an den Schweissapparaten am
besten erklärt.
Verfolgen wir nun den weiteren Verlauf der sudoralen Fasern. An
der Peripherie schliessen sie sich den sensiblen Nerven an, wie das
bereits Romberg bei der transplantierten Nase nachgewiesen hat
Auch viele periphere Nervenverletzungen im Kriege bewiesen hin-
*) Zschr. f, d. ges. Neurol. u. Psych., Orig., 50. 1919. S. 226 u. 233.
*•) Anmerkung bei der Korrektur: Freund (W.kl.W. 1920,
46) gelangte bei Untersuchungen Ober Adrenaliniontophorese zu ganz ähnlichen
Resultaten.
®) Experimentelle Pharmakologie. Urban & Schwarzenberg, 1919.
*’) D. Arch. f. klin. M. (im Druck).
Digitized by Gouszle
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNIA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
327
reichend den gemeinsamen Verlauf der beiden Faserarten [F ö r •
Ster“), Dieden”)].
Seit den Untersuchungen Luch Singers^®) und Schle¬
singers^*) ist das Vorhandensein von Schweisszentren im Rücken¬
mark unbestritten. Ich kann deshalb darüber hinweggehen. Auf die
Bahnen im Rückenmark komme ich sofort in Verbindung mit Hirnzentren
zu sprechen.
Zuvor nur noch ein Wort über das Schweisszentrum zwischen Hirn¬
rinde und Rückenmark. In der Medulla oblongata wurde vor allem von
Luchsinger, Vulpian und Nawrocki“^) ein Schweisszentrum
für alle vier Extremitäten angenommen. Seit den Untersuchungen von
K a r p 1 u s und K r e i d 1 verlegt man aus triftigen Gründen dieses
Zentrum in das Zwischenhirn, wo jetzt eine Zentralstelle für sämtliche
vegetative Funktionen angenommen wird. Der Vollständigkeit halber ist
zu erwähnen, dass einige wenige Autoren in dieser Stelle kein Zentrum,
sondern nur eine Durchgangsstation eng zusammengedrängter vege¬
tativer Bahnen sehen. *
Damit komme ich auf zwei weitere Probleme zu sprechen, nämlich:
Gibt es Schweissbahnen im Rückenmark und ferner gibt es Schweiss¬
und somit überhaupt vegetative Zentren in der Hirnrinde? In dieser
Frage stehen sich zwei diametral verschiedene Ansichten schroff gegen¬
über. Die eine dieser Richtungen ist — und das ist die grössere Zahl der
Autoren — in Bechterew. Lewandowsky und deren Anhänger,
die andere vor allem in P a w 1 o w und L. R. M ü 11 e r vertreten. Wäh¬
rend Bechterew auf Grund seiner Tierexperimentc. vor allem der
Beeinflussung vegetativer Funktionen durch die Psyche. Bahnen und
Rindenzentren annehmen zu müssen glaubt, hält Müller das Bestehen
derselben für ganz unwahrscheinlich. Ich will hier nur auf einige mir
wichtig erscheinende Punkte eingehen und verweise zur Orientierung von
Einzeltatsachen und Literatur auf das Sammelreferat von H i g i e r
Müller*®) setzt an Stelle der Bahnen und Zentren den Begriff des
Biotonus. Stimmungsschwankungen, Aenderungen im sympathisch¬
parasympathischen wie im psychomotorischen Gebiet sind verursacht
durch Aenderungen des Biotonus. Bei verschiedenen Stimmungen z. B.
werden jeweils entsprechende Ganglienzellen bioelektrisch in Erregung
versetzt. Müller ist der Meinung, dass man für sämtliche vegetative
Organe Bahnen und Rindenzentren annehmen müsste, wenn man diese
auch nur für eine vegetative Funktion gelten lassen würde. Da aber die
Bahnen für sämtliche Zu- und Fortleitungen aller vegetativen Funktionen
im Rückenmark einen zu beträchtlichen Raum einnehmen müssten, glaubt
er das Bestehen derselben verneinen zu können*®). Dieser Grund ist
meiner Ansicht nach nicht stichhaltig genug, solange es noch auf dem
Rückenmarksquerschnitt Regionen gibt, deren Bedeutung wir nicht kennen.
Wohl ist es so, dass die reflexogene Zone für einen vegetativen Reflex
die ganze Körperoberfläche bildet. Pupillenerweiterung, Pilomotoren-
erregbarkeit, Kontraktion der Hautgefässe ist von jeder Körperstelle
auszulösen. Dies gilt übrigens meinen Erfahrungen nach auch für die
Schweissdrüsen. Wenn Dieden*®) behauptet, dass nur in dem Bezirk,
wie z. B. Arm oder Bein, Schweiss auftritt, der von der heissen Luft des
Heissluftkastens umgeben ist, so ist dem nicht beizupflichten. Auch
W ö r n e r und Heise**) haben im Experiment zeigen können, dass nicht
nur in dem durch Wärme gereizten Bezirk, sondern gleichzeitig am
ganzen Körper Schweisssekretion, wenn auch geringeren Grades, zu be¬
obachten ist. Uns entgeht für gewöhnlich nur die geringe Schweiss¬
sekretion der nicht im Heissluftapparat sich befindenden Körperteile
durch rasches Abdunsten. Vergleichen wir diese Verhältnisse mit denen
beim animalen System. Nach der Ansicht Sherringtons ist auch
bei diesem, bei dem doch die Bahnen weitgehendst feststehen, die je¬
weilige reflexogene Zone über den ganzen Körper ausgebreitet. Jeder
efferente Weg steht durch die Grosshirnrinde mit jedem afferenten in
Verbindung. Synapsenwiderstände und Hemmungen halten die Ordnung
in dem Spiel der Reflexe aufrecht. Stellt man sich vor, dass bei dem
vegetativen System, das auf einer primitiveren Stufe steht als das
animale, diese Mechanismen in der differenzierten Weise wie' bei
dem letzteren fehlen, so wäre die ausgedehnte reflexogene Zone
für entsprechende vegetative Funktionen genügend erklärt, ohne dass die
Annahme einer Mehrheit von Bahnen Im Rückenmark notwendig wäre.
Eine dem vegetativen System eigentümliche Reflexhemmung besteht
in der Körpermitte, d. h. in der gar nicht seltenen Erschwerung des
Reflexüberganges von einer Körperhälfte zur anderen. Knauer und
BMligheimer**) haben über eine grosse Anzahl halbseitiger Stö¬
rungen, bei denen besonders der Schweiss**) eine grosse Rolle spielt.
**) Zschr. f. Nervenhlk. 59. 1918. S. 102.
**) a. a. O. (Arch. f. klin. M. S. 193/194.
**) Hermanns Handb. d. Physiol. Bd. 5, 1. Teil.
**) Arch. f. Derm. u. Syph., Festschr. Kaposi.
**) S. Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten. 1913.
*®) Arch. f. d. ges. Physiol. 129, 135, 143.
**) Erg. d. Neurol. u. Psych. 2. 1917.
*®) D.m.W. 1911 Nr. 13 und D. Zschr. f. Nervenheilk. 1912 S. 319.
*•) Die Fälle Schlesingers und den Fall Schwenkenbecher s,
bei dem nach Läsion des 8. Zervikalsegmentes Anidrose am gelähmten Teil
des Körpers auftrat-, glauben Dieden und mit ihm Müller durch die spi¬
nalen Schweisszentren allein erklären zu können.
*®) a. a. O., Arch. f. klin. M. S. 195.
**) Zentralbl. f. inn. M. 1919 Nr. 32.
**) a. a. 0. S. 261.
**) Von anderen vegetativen Störungen kamen vor allem noch Pupillen-
difierenzen und Unterschiede in der Oefässversorgung zur Beobachtung. An
Digitized by Goiisle
berichtet und eine Erklärung zu geben versucht. Wenngleich dieses
Phänomen auch vom Gehirn aus psychogen, z. B. bei Hysterikern, oder
durch eine organische Läsion verursacht sein kann, so ist die häufig beob¬
achtete Halbscitigkeit doch wahrscheinlich vor allem ln der doppel¬
seitigen Körperanlage begründet. Die sympathische Innervation beider
Körperhälften kann sich, was auf einer tieferen Entwicklungsstufe schon
normalerweise der Fall ist auch beim Menschen unter gegebenen Be¬
dingungen. wie der Neurose, unabhängig voneinander vollziehen. Wahr¬
scheinlich ist in solchen Fällen ein übergeordneter Reflexmechanismus,
der für die gleichmässige Innervation beider Körperhälften verant¬
wortlich ist, in seiner Funktion behindert, gelockert
Die Abhängigkeit des Schwitzens, und somit sämtlicher vegetativen
Funktionen von Affekten, die Beeinflussung der Schweisssekretion durch
Hypnose und über den Weg der Vorstellung, einseitige Schw'eiss-
störungen bei organischen Hirnschädigungen «sprechen sehr zugunsten
eines Schweisszentrums in der Hirnrinde. Gerade den letzten Punkt
benutzt Dieden **), um gegen ein Schweisszentrum Stellung zu nehmen.
Trotz mehrjähriger Beobachtung seien bei einem grossen hirnpathologi¬
schen Material niemals einseitige Ausfalls- oder Reizerscheinungen zu
beobachten gewesen. „Zum mindesten müssten die Bahnen, die von
dort ausgehen, ein oder das andere Mal gereizt werden.“ Ich habe in
relativ kurzer Zeit unter unseren vielen neurologischen Fällen zwei
Hemiplegien, eine senile Demenz und eine Epilepsie beobachten können,
bei denen Schweissstörungen vorhanden waren. Bei allen handelte es
sich um Hypersekretion auf der rechten Seite und zwar bei den ersten
beiden Fällen auf der ganzen Körperhälfte mit Bevorzugung der oberen
Extremität, bei dem dritten Patienten um Hemihyperhidrosis faciei und
bei dem vierten im Anfall um eine Hemihyperhidrosis der unteren
Extremität, besonders des Unterschenkels und Fusses. Die fast ständige
Schweisssekretion der beiden Hemiplegiker mit Bevorzugung des Armes
und der Hand scheint mir, auch in Rücksicht auf die Dauer der Schä¬
digung, kein Reiz-, sondern ein Ausfallssymptom zu sein. Die normaler¬
weise überwiegenden hemmenden Impulse, von denen ich schon im
Anfang sprach, fallen nach meiner Meinung bei diesen speziellen Gehirn¬
schädigungen weg, etwa analog der „Enthemmung“ durch Schädigung des
Pyramidensystems; so kommt es zum Schwitzen. Ob bei den Fällen
ein Zentrum oder nur Bahnen lädiert sind, wage ich nicht zu entscheiden.
Das umschriebene anfallsweise Schwitzen bei Epilepsie spricht für
Reizung einer zentralen Stelle. Es wäre nach den Beobachtungen nicht
ausgeschlossen, dass die Schweissendstellen in der Hirnrinde lokali-
satorisch gebunden sind an die Stellen der motorischen Regionen für die
einzelnen Körperteile.
.Zum Schlüsse noch einige Worte über da§ Verhalten der Schweiss-
apparate bei Neurosen. Ein psychogenes Versiegen der Schweisssekretion
scheint weitaus das seltenere zu sein; trotzdem kommt es vor. ‘Knauer
und B i 11 i g h e i m e r **) haben unter ihren Schreckneurosen einen
Patienten beschrieben, der nach zwanzigjahrelanger Unfähigkeit zu
schw^itzen erst durch Hypnose Schweissperlen wieder produzieren konnte.
Wir haben damals bereits angenommen, dass es sich um eine abnorme
Tonussteigerung in den schweisshemmenden Zentren bzw. Fasern handeln
muss. Sicher spielen meiner Meinung nach auch normalerweise Hem¬
mungen für die einzelnen vegetativen Organsysteme eine Rolle; denn
wäre dies nicht der Fall, so müssten die vegetativen Apparate, die an
sich schon das jeweilige ganze System leicht mit in Erregung versetzen,
bei jedem Reiz alle ohne Ausnahme mitirritiert werden. Der funktionellen
Anidrose steht die grosse Zahl der neurotischen Schwitzer gegenüber.
Bei diesen würde es sich dann nach meiner Anschauung um eine ge¬
wisse Funktionsuntüchtigkeit des Hemmungsapparates im Grosshim
handeln. Fällt der Hemmungsmechanismus weg, so kommt es zu der
bei der Neurose bekannten, in der Norm eben gehemmten, Vielheit und
dem Durcheinander der vegetativen Erscheinungen so auch zum
Schwitzen, wobei die Stärke des Reizes ohne wesentlichen Belang ist.
Wesentlich verschieden von dieser Art des Schwitzens ist wohl die
Genese dieses Vorganges beim Hysteriker aufzufassen. Gegenüber dem
passiven Ausfall beim Neurotiker würde es sich hier um ein
aktives Ausschalten auf dem Wege über die Vorstellung handeln. Es
ist erklärlich, dass nach Art des Insultes und nach dem Grade der
Leichtigkeit, mit der der Weg von der Psyche zum vegetativen bzw.
animalisch-motorischen Apparat für das Individuum begangen werden
kann, nach der Leichtigkeit, mit der jeweilige Hemmungsmechanismen
gelöst w^erden können, das Symptom (als hysterisches oder als Organ¬
neurose) oder die Symptome (als Allgemeinneurose)^ ausfallen. So kann
auch das Schwitzen einmal Begleitsymptom einer Allgcmeinneurose, ein
darstellen. Die mannigfache Gleichartigkeit der Symptome bei Neurose
und degenerativer Hysterie erschwert, was besonders im Kriege zu
beobachten war, oft sehr die Differentialdiagnose der beiden Erkran¬
kungen. Gerade das eingehende Studium der vegetativen Symptome
vermag uns vielleicht auch auf diesem schwierigen Gebiete weiter zu
bringen.
mir selbst konnte ich erst kürzlich beobachten, dass ein Reiz auf die Ohr¬
muschel prompt die Pilomotoren nur der entsprechenden Körperseite erregt,
ein Phänomen, das auch schon Mackenzie beschrieben hat.
*^) a. a. O., S. 182.
*®) a. a. O., S. 237.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
328
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Aus der staatlichen Frauenklinik Dresden.
(Direktor: Geh. Med.-Rat E. Kehrer.)
Klinisch-experimentelle Untersuchungen (externe Hystero-
graphie) zur Frage des synthetischen Mutterkornersatzes.
Von Prof. Dr, W. Rübsamen, Oberarzt der Klinik.
Die in letzter Zeit eingetretene Preissteigerung und die zeitweise
gänzliche Stockung in der Lieferung der Sekaledroge machen den Wunsch
nach einem gut wirkenden und billigen synthetischen Ersatz der Mutter¬
kornpräparate verständlich. Es sind in letzter Zeit wiederholt Veröffent¬
lichungen erschienen, die sich mit dieser Frage beschäftigen und be¬
sonders das Tenosin(-Bayer) ist neuerdings wieder von verschiedenen
Seiten als Mutterkornersatz wärmstens empfohlen worden und
auch die vielversprechenden Anpreisungen, die speziell dem Tenosin in
dem Anzeigenteil unserer Fachpresse gewidmet sind, erwecken den
Eindruck, als ob man bei seiner Anwendung das Mutterkorn voll und ganz
entbehren könnte. Die Zusammensetzung des zurzeit im Handel erhält¬
lichen Tenosins ist in der Veröffentlichung von Jäger- München im
Zbl. f. Qyn. 1919 Nr. 29 angegeben. 1 ccm Tenosin enthält demnach
0,000125 ;?-Imidazolyläthylamin und 0,00025 Paraoxyphenyläthylamin,
also die von Bar gor und D a h 1 e* seinerzeit als in erster Linie wirk¬
same Prinzipien des Mutterkorns isolierten Körper, welche auch in dem
von mir früher genauer ausprobierten synthetischen Wehenmittel E. VII
(Cewega) neben Phenyläthylamin und Isoamylamin enthalten sind.
Wenn auch im Experiment am überlebenden Uterus mit diesen Agentien
den Ergotinkurven ähnliche Wirkungen erzielt werden, so beweist doch
der klinisch-experimentelle Versuch, dass ihre Wirkungsweise auf den
Uterus des lebenden Menschen eine von dem Typus des Mutterkorn¬
effekts qualitativ so grundverschiedene ist. dass auch durch dieses Bei¬
spiel wieder in evidenter Weise gezeigt wird, dass man im Tierversuch
ein Präparat selbst wohl titrieren bzw. auswerten kann, aber nicht be¬
rechtigt ist, die tierexperimentellen Ergebnisse ohne weiteres quantitativ
und qualitativ auf den Menschen zu übertragen und daraus Schlüsse auf
die Anwendungsbreite eines Medikaments beim Menschen und die
klinisch erforderliche Dosierung zu ziehen. Der klinisch experimentelle
Versuch ist zur Ergänzung des Tierexperiments dringend notwendig, seit¬
dem man erkannt hat, dass durch Handauflegen auf den Uterus die Wehen
nur ungenau und Kontraktionsunterschiede noch weniger wahrgenommen
werden können.
Meine klinisch-experimentellen Versuche mit dem synthetischen
Wehenmittel E^ VII, welches in einem Herabsetzung und Steigerung dös
Blutdrucks ausgleichenden Verhältnis alle 4 wirksamen Amine des Mutter¬
korns kombiniert enthält, wurden mit meiner den muskulösen Härtegrad
des Uterus bestimmenden extern-hysterographischen Methode ausge¬
führt, die imstande ist, auch in der Nachgeburtsperiode einwandfreie
Wehenkurven zu registrieren D.
Der Effekt des synthetischen Kombinationspräparats E. VII in der
Nachgeburtsperiode bei intramuskulärer Injektion ähnelt, wie schon 1913
bewiesen wurde“), dem der Hypophysenextrakte; er beginnt etwas
rascher nach der Injektion als bei diesen, klingt dafür aber auch be¬
deutend rascher ab, wie der Vergleich der Kurve 3 mit Kurve 2 zeigt. •
Nachgeburtsperiode. Aufgenommen mit externer. Hysterographie.
t
J~L/Xi"\n/xr^y^ AyA/VAy>- -v
t
t
Tenosin
( Ster» ^«!l
»AOoiiS
Während der 6 Minuten nach intramuskulärer Injektion beginnende Pitu- i
glandoleffekt nach einer guten halben Stunde im Abklingen begriffen ist, I
setzt bei E. VII die Wirkung schon 2 Minuten nach der Injektion ein, um |
jedoch bereits 15 Minuten später verklungen zu sein. Ein ähnlicifcf nur
wenig schwächerer Wirkungstypus kommt dem zur Zeit gelieferten
Tenosin zu, während sich das 1912/13 von mir intramuskulär angewandte-
Tenosin als völlig wirkungslos erwiesen hatte. Es ist anzunehmen, dass
das heutige Präparat eine andere Zusammensetzung hat. als das mir
früher zur Verfügung g-estellte. Aehnlich wie beim E. VII beginnt auch
beim Tenosin die Wirkung bereits ca. 2 Minuten nach der intramusku¬
lären Verabreichung und ist ebenfalls nach 15 Minuten abgeklungen
(Kurve 4). Die synthetischen Amine sind ausserordentlich rasch resor¬
bierbar, was auch ihre intravenöse Anwendung verbietet da sonst die
unangenehmen Erscheinungen zu erwarten sind, wie sie von E. K e h r e r
seinerzeit in der Berner Klinik beobachtet worden sind®).
Die synthetischen Kombinationspräparate zeigen ähnlich wie die
Hypophysenextrakte eine rasch einsetzende wehenerregende Wirkung,
die aber nur vorübergehend bestehen bleibt. Im Gegensatz dazu steht
bei der graphischen Registrierung der Wirkungstypus der Mutterkorn¬
extrakte, bei denen der Effekt erst längere Zeit, oft erst 15—20 Minuten
nach der intramuskulären Injektion beginnt, dafür aber auch bedeutend
längere Zeit (stundenlang) gleichmässig bestehen bleibt. Di« Sekakomin-
kurve Nr. 1 illustriert dies in evidenter Weise.
Dieser Mutterkomeffekt, der uns in der Nachgeburtsperiotfe erwünscht
ist, kommt den synthetischen Kombinationspräparaten, wie'wir aus den
Kurven 3 und 4 ersehen, genau so wenig zu, wie den Hypophysen¬
extrakten, sie können in ihrer jetzigen Form also auch ebensowenig wie
diese als M u 11 e r k o r n ersatzmittel in Frage kommen, da ihr Wirkungs¬
typus von dem des Mutterkorneffekts grundverschieden ist. Eine Mutter¬
kornwirkung Hesse sich mit den Körpern vielleicht dann erzielen, wenn
es gelänge sie in schwer löslicher Form zur Anwendung zu bringen, um
dadurch ihre Resorption zu verlangsamen.
Bedauerlicherweise haben sowohl die aus dem Mutterkorn darge¬
stellten als auch die synthetischen Amine, wie ich an jahrelang auf¬
bewahrten Präparaten feststellen konnte, den grossen Nachteil, dass in
gelöster Form ihre Wirksamkeit genau wie beim Mutterkorn nach
1—2 Jahren bedeutend abntmmt. Voraussichtlich Hesse sich dieser Nach¬
teil ausschalten, wenn man die Amine ähnlich wie das Salvarsan als
trockenes Pulver in Qlasphiolen einschmelzen und erst zum Gebrauch in
Lösung bringen würde, wie ja auch die Mutterkorndroge im Exsikkator
aufbewahrt ihre Wirksapikeit jahrelang beibehält (Pharmakopöa
Helvetica).
Die Frage des Mutterkornersatzes ist vorläufig noch als un¬
gelöstes Problem zu bezeichnen, indem die vorhandenen Ersatzpräparate
den Anfoerderungen. die an sie gestellt werden müssen, noch nicht ge¬
nügen. Da die pharmakologischen Ergebnisse den klinisch-experi¬
mentellen Feststellungen nicht entsprechen, wird man in ernsten Fällen
nach wie vor immer wieder zum Sekakornin oder anderen guten Ergotln-
präparaten greifen und es ist zu hoffen, dass diese in Zukunft wieder
leichter beschaffbar sein werden.
Aus der chirurgi.^chen Universitätsklinik München.
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. F. Sauerbruch.)
Neuere Untersuchungen Ober die Infektions-, insbeson¬
dere Tetanusgefahr durch in Schusswunden mitgerissene
Teile scharfer Patronen, zumal Schrotpatronen.
Von Oberarzt Dr. Georg Schmidt.
In den Jahren 1903 und 1904 fl] [2] ist festgestelit worden, dass
Patronen-Fliesspappe-Pfropfen Wundstarrkrampferreger enthalten
und dass unter bestimmten Bedingungen derartige, in Schusswunden
gelangte Geschossteile Starrkrampf verursachen können.
Im Heeresbetriebe, dessen Angehörigen die besprochenen Ge¬
fahren lediglich von Platzpatronen her drohen, werden seitdem Vorsichts-
massregeln durchgefUhrt. Die Fliesspappemasse, aus der die Platzpatronen¬
pfropfen entstehen, wird vorher entkeimt. Der Platzpatronenpfropf-Tetanus
im Heere ist infolgedessen verschwunden.
Anders im bürgerlichen Leben. Man sollte meinen, dass
die Aufdeckung der Art des Eindringens eines so unheimlichen und tod¬
bringenden Feindes, wie es der Wundstarrkrampfkeim ist, eindrucksvoll
genug gewesen sei, um Aerzte und Nichtärzte, Gesetzgeber und
Fabrikanten zur Abwehr zu einen. Indessen sind immer noch Vor¬
gänge bekanntgeworden, die zeigen, dass man diese gefährlichen An¬
steckungswege nicht kennt oder darüber hinwegsieht.
Wiederholt ereigneten sich Unglücksfälle, die durchaus den Beob¬
achtungen gleichen, die seinerzeit in der v. Mikulicz sehen Klinik [2]
Anlass gaben„zum Untersuchen der verschiedensten Schrotpatronen-
pfröpfe.
Aus ungesichertem Gewehr oder Revolver entlädt sich durch Unvorsich¬
tigkeit oder bösen Zufall ein Schrotschuss. Er trifft den Schützen selbst oder
eine dicht bei ihm beändliche Person und setzt grössere zerrissene oder auch
nur kleine, zunächst unbedeutend erscheinende, aber gerade deswegen um so
verhängnisvollere Wunden. Wird die Verletzung gründlich versorgt und alsbald
Starrkrampf-Schutzserum eingespritzt, so kann alles noch leidlich abgehen.
Andernfalls schält sich — zuerst oft noch verkannt — das Bild des Wund¬
starrkrampfes heraus. Der Arzt muss sich schliesslich noch vor den An¬
gehörigen oder gar vor Gericht dagegen verteidigen, dass er die Qefahr
nicht rechtzeitig beachtet habe.
Abbildung und Beschreibung der Methode s. Arch. f. Gsm. 112.
“) M.m.W. 1913 Nr. 49. ®) M.m.W. 1912 Nr. 33.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
329
Aufsätze oder Lehrbücher, die die SchussverletzunKen behandeln,
erwähnen die Patronenschusstetanusgefahr gar nicht oder nur wenig
nachdrücklich oder beziehen sich nur auf Platzpatronenverletzungen. So
findet sich in dem soeben erschienenen „Grundriss der gesamten
Chirurgie" (1920) von Erich Sonntag als tetanusverdächtig ebenfalls
nur der Platzpatronenschuss aufgezählt.
In den Monatsheften des Allgemeinen Deutschen Jagdschutz¬
vereins und der Deutschen Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen
vom Jahre 1908 ist die Schrotpatronenfrage eingehend besprochen
worden im Anschluss an einen tödlichen Unfall derselben Art. wie sie
oben geschildert wurde. Die Deutsche Versuchsanstalt für Handfeuer¬
waffen äussert sich hierzu unter anderem wie folgt:
„Das in Jagdpatroneir zur Abdichtung der Pulveriadung und zum Ab¬
schluss der Hülsen verwendete Material ist von ganz verschiedenartiger Be¬
schaffenheit. Am häufigsten werden in Schrotpatronen Filzpfropfen und Blätt¬
chen, bei Kugelpatronen in einzelnen Fällen auch Fliesspappedeckel ver¬
wendet_
... ist die allgemeine Aehnlichkeit und die teilweise Gleichheit (Fliess¬
pappe) der zur Jagdmunition verwendeten Materialien mit dem von den
Militärbehörden geprüften Material von Fliesspappepfropfen für Platzpatronen
nicht von der Hand zu weisen.
Die Herstellungsart aller genannten Produkte enthält nicht einen einzigen
Vorgang, bei welchem eine nachhaltige Abtötung der in dem Roh-, Lumpen-
nnd Fasernmaterial reichlich vorhandenen Keime bewirkt werden könnte. ...
Wenn die verschiedenen Herstellungsvorgänge in der Wärme entstehen,
wird im Gegenteil reichlich Gelegenheit zur Vermehrung der im Lumpenbrei
enthaltenen Bakterien gegeben....
Das .... häufige Vorkommen von Tetanusbazillen in dem im Innern be¬
findlichen Fliesspappepfropfen steht durchaus im Einklang mit dem Keimreich¬
tum dieses Pappeniaterials überhaupt. Der Keimgehalt beträgt etwa 3 Mil¬
lionen auf einen Quadratzentimeter und steht im unmittelbaren Zusammenhang
mit dem zur Herstellung der Pappe verwendeten Rohmaterials sowie mit dessen
Verarbeitungsweise. Dass Schusspfropfen in Patronen durch das Abbrennen
des Pulvers und die dadurch erzeugte Hitze in nennenswertem Grade keimfrei
gemacht werden ist nicht anzunehmeil. Die Pfropfen sind stark zusammen¬
gepresst. haben eine erhebliche Dicke und können höchstens an der Be¬
rührungsstelle mit dem Pulver nach dessen Abbrennen in dünnster Schicht
keimfrei werden.“
Die Versuchsanstalt stellt schliesslich zur Erwägung, inwieweit das
Sterilisierungsverfahren des Heeres (Vorwärmen) der Pappe 10 Minuten
lang, dann Belassen im Dampfe bei 100—105® C 30—50 Minuten lang)
sich allgemein auf das Jägdmunitionsmaterial anwenden Hesse.
Die Frage wurde von Marx- Frankfurt a. M. auf¬
gegriffen (Monatshefte des Allgemeinen . Deutschen Jagdschutz¬
vereins 1909). Er ging davon aus. dass es sich „bei den Jagdpatronen
bekanntlich um Filze handle" und dass zwar die Möglichkeit eines Ge¬
haltes an Tetanusbazillen oder auch Milzbrandsporen gegeben, indessen
bei der Eigentümlichkeit der Filzfabrikation sehr unwahrscheinlich sei.
Diese Grundlagen sind nicht allgemein richtig, wie aus obigen Dar¬
legungen der Versuchsanstalt hervorgeht und sich auch weiter unten noch
zeigen wird. Marx erhielt von drei Patronenfabriken Proben und
brachte sie unter die Haut von 60 Mäusen. Keine erkrankte an Tetanus
oder Milzbrand. Manche Filze heilten glatt ein, andere wieder gaben
nach einiger Zeit zu umfangreichem Absterben der Haut Anlass. Dieses
Verhalten ist nach Marx durch die Verschiedenheit der Herstellung bedingt.
Marx reicherte weiterhin Filzproben in Nährböden 14 Tage lang an
und impfte das Filtrat unter die Haut von Meerschweinchen. Alle blieben
gesund. Er schliesst mit Sicherheit, dass die Patronenfilze der von ihm
untersuchten deutschen Fabrikproben frei von Erregern des Wundstarr¬
krampfes seien. „Vermutlich gilt das für alle Patronenfilze, da die
eventuell im Rohmaterial vorhandenen Sporen während der Fabrikation
abgetötet werden.“
Marx erwähnt die früheren Versuche der v. Mikulicz-
schen Klinik nicht. Da sie ganz Gegenteiliges ergeben
hatten und da die Marx sehe Veröffentlichung Aerzte, Jäger und
Fabrikanten in Sicherheit wiegen konnte, da ferner nicht ausgeschlossen
war. dass infolge der Kriegs- und Nachkriegsnot noch schlechtere Stoffe
zur Geschossherstellung verwendet werden, ist jetzt die Schrot-
patronenangelegenheit in der Münchener chi/urgischen Universitäts¬
klinik erneut geprüft worden.
Es wurde eine grosse Zahl aus Fabriken bezogener Gewehr- und
Revolver-Schrotpatronen zerlegt.
Oewehr-Schrotpatronendurch schnitt.
I = Metallhülse mit Zündladung. II = Röhre aus fester Pappe (oder seltener
aus Metall). III = Pulverladung. IV = Innere Kreisscheibe aus Strohpappe.
V = FUz- oder Filzitpfropf. zylindrisch, mit einem Kreisdeckel aus ge¬
teertem oder Glanzpapier hinten und vorn. VI = Mittlere Kreisscheibe aus
Fliess- oder Holzpappe. VII = Schrotladung. VIII = Aeussere Kreisscheibe
aus Stroh- oder Holzpappe.
Dabei fand sich die in der Abbildung dargestellte Zusammensetzung der
Oewehr-Schrotpatronen. Revolver- oder Pistolen-Schrotpatronen sind ähnlich
gestaltet. Nur fehlt bei den kleineren und anscheinend billigeren Arten der
eigentliche Patronenpfropf. Hier ist auf die Zündladung die Pulveriadung,
auf diese eine Pappscheibe, auf diese unmittelbar die Schrotladung aufgesetzt,
die durch die äussere Pappscheibe abgeschlossen wird.
Digitized by Goiisle
Das explodierende Pulver zersprengt nach allen Seiten hin die Papp¬
oder Metallzylinderröhre (III) und treibt in der Richtung des Geschosses
und mit diesem gegebenenfalls in den nahen tierischen oder menschlichen
Körper die innere, mittlere und äussere Scheibe sowie den Geschoss¬
pfropf.
Rein mechanisch kommen Pfropfen und Scheiben somit als Infek¬
tionserreger in Betracht, sofern die Art des Ursprungstoffes den Ver¬
dacht bekräftigt und sofern die Herrichtung ihn nicht zerstreut.
Nach Mitteilung einer grossen Munitionsfabrik werden heute Qewehr-
pfropfen aus folgenden Rohstoffen hergestcllt: 1. Filz, ?. Filzit, d. h. Mischung
von Pappe und Papierstoff mit Tierhaaren, 3. Fliesspappe, 4. Strohpappe,
5. Holzpappe. Hauptsächlich aus 1 und 2 bestehen die eigentlichen P itr'uien-
pfropfen (V, Abbild.); ich fand aber in Revolverpatronen auch Pfropfen aus
Fliesspappe. Die innere Scheibe (IV) besteht aus Strohpappe, die mittlere
(VI) aus Fliess- oder Holzpappe, die äussere (VIII) aus Stroh- oder Holz¬
pappe.
Es soll nach obiger Angabe der Versuchsanstalt ein fester, feiner, mög¬
lichst reiner Haar f i I z verarbeitet werden; doch wird das Material meist
lediglich einer Sonderung durch Auslesen unterworfen. Die Güte des
Filzes hängt neben der mehr oder weniger grösseren Reinheit von fremden
Beimischungen (Horn- und Hautabfällen, Steinchen, Schmutz usw.) und wesent¬
lich von dem gründlichen Durcharbeiten (Walkvorgang) der vorher ge¬
waschenen und ausgesuchten Haare ab. Besonders bei losem, minderwertigem
Filze werden die Platten, um die Festigkeit zu erhöhen, häufig noch in mit
Klebstoff (Leim, Stärke, Dextrin usw.) versetztes Wasser getaucht und unter
Druck getrocknet. Der Filz (Tierhaar) wird beim Appretieren auf etwa
100“ C erhitzt, mit Papier beklebt, in mässiger Wärme getrocknet und mit
etwa 60® C glatt gepresst. Aus den Filztafeln werden die Pfropfen maschi¬
nell geschnitten. Bei anderen Arten werden die Filzpfropfen noch am Rande
bei etwa 70" C Wärme mit Paraffin oder mit' Rinder- und Hammeltalg cin-
gefettet.
Die Tafeln aus Filzit werden geschöpft, bei etwa 100® C im Trocken-
kanale getrocknet, mit Papier überzogen und gepresst bei etwa 60®.
Wie ebenfalls die Versuchsanstalt mitteilt, wird die F 1 i e s s p a p p e aus
wollenen und halbwollenen Lumpen hergestellt, die abgesehen vom Sortieren.
Zerkleinern, Ausstäuben, nur einer Behandlung mit Wasser ausgesetzt, nach
Fertigstellen eines Breies gepresst und dann an der Luft getrocknet werden.
Das Bekleben mit Papier und das Pressen geschehen bei etwa 60® in der Pa¬
tronenfabrik. Aus den Fliesspappetafeln werden die Pfropfen maschinell ge¬
schnitten.
Man verarbeitet die Stroh - und Holzpappe so. wie sie aus der
Fabrik kommt, zu Patronenteilen. Einzelne Arten sind bereits mit Papier be¬
klebt, andere werden in der Patronenpfropfenfabrik mit Wachspapier (Teer)
überzogen und bei etwa 60® getrocknet.
Dem Ursprünge nach sollten verdächtig sein Filz, sofern die ihn zu¬
sammensetzenden Haare von kranken, z. B. Milzbrandtieren stammen, sowie
Filzit, sofern sein Papierstoff zum Teil aus Lumpenpapier besteht, und ist
aufs äusserste bedenklich Fliesspappe, wegen ihrer Abkunft, aus wollenen und
halbwollenen Lumpen.
Filz und Filzit durchwandern eine Wärrhe von 100®, später von 60—70“;
Fliesspappe, sowie einzelne Stroh- und Holzpappearten unterliegen einer Er¬
hitzung auf 60®.
Es fragt sich, ob die Rohstoffgefahr, die bei Filz, mehr noch bei Fil/it
und ganz sicher bei Fliesspappe vorhanden ist, durch diese Bearbeitung bei
60—100® beseitigt wird.
Soweit die AufklärunKsnachforschungen. Entscheiden konnte nur die
Verimpfung von Proben der Stoffmasse, sowie der endgültigen
Patronenteile auf das Tier und zwar auf das für Tetanus äusserst empfind¬
liche Meerschweinchen. Man schneidet in der Rückenhaut medial
vom rechten oder linken Hüftgelenk in die Haut ein, bohrt sich stumpf
einen Hautmuskelkanal nach den seitlichen Rumpfmuskeln hin und schiebt
das verdächtige Stoffstück möglichst weit in das ausgehöhlte Gewebe
vor. Sicherschliessende Hautnaht durch ein oder zwei Knopfnähte.
I. Folgende Proben heilten ohne jede Schädigung der Meerschwein¬
chen ein:
a) Aus fertigen Patronen:
Die äussere Pappscheibe sowie 4 verschiedenartige innere Papp¬
scheiben je einer von 5 verschiedenen Arten Revolver- oder Pistolen-
Schrotpatronen, der Fliesspappepfropf einer Revolver-Schrotpatrone,
dieser auch im wiederholten Versuche, die äussere und die innere Papp¬
scheibe einer Gewehrschrotpatrone „T", die äussere Pappscheibe cir.cr
Gewehr-Schrotpatrone „E‘‘.
b) Aus dem Patronenteillagef einer Patronenfabrik:
Frisch aus der Rohstoffabrik an die Patronenfabrik gelieferte Holz¬
pappe (drei verschiedene Proben) für ätissere und mittlere Patronen¬
scheiben, mit Wachspapier überzogene Strohpappe für innere Patronen¬
scheiben, beklebter ungefetteter und eingefetteter brauner oder weisser
Filzpfropf; 4 Wochen alte, eingefettete braune Filzpfropfen; 2 Jahre alte
mit Papier überzogene Strohpappe für äussere Patronenscheiben.
II. Es stlessen sich ab ohne Störung des Allgemeinbefindens der
Versuchstiere trocken der Filzpfropf einer Gewehr-Schrotpatrone „E"
sowie* unter Eiterung der Filzpfropf einer Gewehr-Schrotpatrone „T".
Auf die Einimpfung der mittleren Pappscheibe einer Gewehr-Schrot¬
patrone ,.E" folgten Eiterung an der Impfstelle und Phlegmone des
Unterhautgewebes des Rumpfes, mit Tod des Meerschweinchens 14 Tage
nach der Impfung.
III. Tetanus.
a) Mittlere Fliesspappescheibe einer Oewehrpatrone „T“. am
3. VIII, 20 eingeimpft. Das Meerschweinchen zeigt am 6. VIII. Starr¬
krämpfe aller Glieder und des Körpers und stirbt nach einigen Stunden.
In der Eiterung um den Pfropf nach Tierversuch und Züchtung Tetanus-
bazillen ^).
*) Dankenswerte Feststellungen der Bakteriol. Untersuchungsanstalt
München.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
330
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. .11.
b) In der Patronenfabrik seit 1914 lagernde, mit Papier beklebte
Fliesspappe für mittlere Patronenscheiben. Am 14. IX. 20 verimpft. Das
Meerschweinchen zeigt am 18. IX.. vöm linken Hinterbein ausgehende,
schnell sich verschlimmernde Streckkrämpfe und Tod. In der Eiterung
um den Pfropf nach Färbung und Züchtung Tetanusbazillen D. — Gleiche
Impfungen am 3. IX. und 6. IX. brachten ebenfalls Tetanustod.
c) In der Patronenfabrik seit 2 Monaten lagernder Filzit für Patronen-
pfröpfe. Am 3. VIII. 20 verimpft. Meerschweinchen tm 5. VIII. mit Hinter¬
beinstreckung tot aufgefunden. In der Eiterung um den Pfropf nach Tier¬
versuch und Züchtung Tetanusbazillen *). ~ Gleiche Impfung am 6. IX.
führte ebenfalls zum Tetanustod.
Zusammenfassung:
Wundstarrkrampf ist stets ausgeblieben bei den Ver¬
impfungen von Holzpappe, Strohpappe, Filz verschiedenster
Art, sowohl aus Fabrikmasse wie aus geöffneten Schrotpatronen.
Wundstarrkrampf stellte sich dagegen ein in regel¬
mässiger zeitlicher Frist mit bezeichnenden Krankheitsäusscrungen und
tödlichem Ausgange bei Filzit sowie Fliesspappen scheiben
eines Fabriklagers aus dem Jahre 1914 und bei aus geöffneten Gewehr¬
schrotpatronen gewonnenen Fliesspappescheiben. Indessen erwies sich
bei wiederholten, Versuchen der Fliesspappepfropf einer Revolver-
Schrotpatronenart als tetanusfrei.
Die Untersuchungsergebnisse der v. Mikulicz sehen Klinik
werden dadurch bestätigt. Während Pappe- und Filzteile der Gewehr-
und Revolverpatronen keine Gefahr bringen, sind Fliesspappe und
Filzit Tetanusträger. In Erweiterung der Breslauer Ergebnisse
zeigten sich also ausser Fliesspapier auch Filzit sowie auch Oewehr-
patronen in dieser Hinsicht als äusserst bedenklich. Anderseits ergibt
sich der schwache Trost, dass doch nicht alle Fliesspappeproben, sowie,
dass seltener, als es die Breslauer Forschungen ergaben, die gerade aus
den kleinen Revolver- und Pistolengeschossen stammenden Stückchen
Tetanusbazillen enthalten. Ob mehr wie früher schlechtere uiiii damit
im Sinne obiger Feststellungen gefährlichere Stoffe für die Patronen¬
gewinnung verarbeitet werden, darüber lässt sich auf Grund unserer
Versuche Abschliessendes nicht sagen. Die unheimliche Drohung der
Tetanusübertragung durch den Patroneninhalt bei Nah schussver-
letzungen tritt aber erneut scharf hervor. Gesetzgeber und Fabrikant
sollten Abwehrmassnahmen treffen. Jeder, der Gewehr. Revolver,
Pistole handhabt, muss entsprechend vorsichtig sein. Wer mit Ver¬
letzungen geschilderter Art zu tun hat, vor allem der Arzt, hat sich
über den Inhalt von Patronenschrot derselben Art, wie die betreffende
Unglückspatrone ist. Gewissheit zu verschaffen und jedenfalls rechtzeitig
und ausgiebig Tttanusschutzserum anzuwenden, sowie die Wunde gründ¬
lich zu versorgen. Diese Gesamtforderungen sind nicht sehr gross;
ihre Erfüllung rettet manches Menschenleben.
Literatur.
1. Schjerning: lieber die Bekämpfung des Tetanus in der Armee.
Heft 23 der Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Militärsanitätswesens.
Herausgegeben von der Medizinalabteihmg des Kgl. Preuss. Krieesmini-
steriums. (Kleinere Mitteilungen über Schussverletzungen.) 1903. — 2. Georg
Schmidt: Schrotschuss und Wundstarrkrampf. D.m.W. 1904 Nr. 9. —
Derselbe: Ueber Schrotschussverletzungen bei Heeresangehörigen. Mit
besonderer Berücksichtigung des Hinzutretens von Wundstarrkrampf. Bruns*
Beitr. z. klin. Chir, 43. 1904. H. 1. — Derselbe: Ueber den Zusammenhang
von Schussverletzungen und Wundstarrkrampf. Verh. d. D. Ges. d. Nalurf.
u. Aerzte 1904 II 2. Hälfte S. 92.
Aus der experimentell-biologischen Abteilung (P/of. H. Dold)
desStaatl.Institutes fürexperimentelleTherapieitiFrankfdrta.M.
(Direktor; Qeh. Med.-Rat Prof. Dr. W. Kolle).
Ueber die chemische Natur der bei der Sachs-Georgi-
und Meinicke-Reaktion, sowie bei dem Toxin-Antitoxin¬
nachweis nach Georgi auftretenden Flocken.
Von Dr. Paul Niederhoff, Assistent am Institut.
Die Schwierigkeit, die bei der Luesreaktion nach Wassermann
sich abspielenden Vorgänge klar zu erkennen, beruht zum grossen Teil
darauf, dass das primäre Reaktionsprodukt nicht in direkt fassbarer
Form vorliegt, sondern erst auf dem Umwege der Komplementbindung
und nach Zusatz des hämolytischen Systems in die Erscheinung tritt.
Demgegenüber bedeuten die Flockungsreaktionen nach Sachs-
Georgi und Meinicke eine sehr w-ertvolle Ergänzung und einen
Fortschritt, da sie uns das Reaktionsprodukt in einer Form und Menge
liefern, welche eine weitere Untersuchung desselben gestatten. Was
die Natur der in den positiven Fällen auftretenden Flocken angeht, so
liegen bisher direkte experimentelle Untersuchungen darüber nicht vor;
soweit die Autoren ihre Vermutungen bezüglich dieser Frage geäussert
haben, sind sie der Ansicht, dass es sich bei den Flockungen um eine
Globulinflockung, bedingt durch das Zusammenwirken von Extrakt und
Syphilitikerserum, handelt, oder dass die Serumglobuline zum minde¬
sten einen beträchtlichen, wenn nicht gar den Hauptbestandteil der
Flocken liefern. fVgl. H. Sachs. W. Georgi. E. Meinicke
u. a. m.‘).l
0 Während der Ausführung der dieser Arbeit zugrunde liegenden Unter¬
suchungen sind 2 Beiträge zur Sachs-Georgi-Reaktion erschienen, in denen
Digitized by Goiisle
Für die weitere Erforschung der bei der Luesreaktion sich ab¬
spielenden verwickelten Vorgänge schien es mir jedoch unerlässlich. zu
sein, die che;nische Natur des auftretenden Flockungsproduktes mög¬
lichst genau/zu ermitteln.
Ich gingl daher daran, die Flocken chemisch zu analysieren. Bevor
ich nun auf die Ausführung und Ergebnisse dieser Versuche eingehe,
will ich kurz einige mittels Färbemethode ausgeführte orientierende
Untersuchungen mittellcn, die bereits einen Hinweis auf die bei der
genannten chemischen Analyse zu erwartenden Resultate lieferten. Ich
setzte die auszentrifugierten und gesammelten Flocken einer Saclis-
Georgi-Reaktion, nachdem ich sie auf dem Objektträger ausgestrichen
hatte, den Dämpfen von Osmiumsäure im Exsikkator aus. Als Kon¬
trollen wurden gleichzeitig den Osmiumdämpfen im Exsikkator aus¬
gesetzt: 1. Serumeiweiss, das durch 96proz. Alkohol ausgefällt war,
2. der Rückstand der hierbei übrigbleibenden klaren Flüssigkeit, 3. der
abgedunstete Rückstand eines cholesterinierten alkoholischen 'Rinderherz¬
extraktes und zw^ar des gleichen Extraktes, der zum Ansetzen für die
Flockungsreaktion benutzt war und 4. der Rückstand einer 1 proz.
Cholesterinlösung. Nach 2—3stündigem Verbleiben der Präparate im
Exsikkator zeigte sich, dass die ausgestrichenen Flocken schwärzlich
gefärbt sind. Ebenfalls schwarz gefärbt erscheint der Extraktrückstand.
Das mit Alkohol gefällte Serumeiweiss weist einen bräunlichen Farbenton
auf und ebenso der Rückstand der bei der Serumfällung restierenden
Flüssigkeit. Bei der mikroskopischen Betrachtung der Flocken (Trocken¬
linse Zeiss D6 unter Entfernung des Ab besehen Kondensors) sieht
man homogene schwärzlich gefärbte Partien und ungefärbt© Kristall¬
bildungen. Ein gewisses ähnliches Bild zeigt der Extiaktrückstand,
während das Serumeiweiss nur braun gefärbte homogene Massen auf¬
weist. Der Rückstand der Serumrestflüssigkeit zeigt keine weiter
bemerkenswerten Färbungen oder Strukturbildungen. Der Rückstand der
alkoholischen Cholesterinlösung zeigt fast ungefärbte Kristalle.
Diese orientierenden Untersuchungen deuteten somit darauf hin, dass
die Flocken zu einem sehr grossen Teil aus fettähnlichen Stoffen be¬
stehen müssen, und dass, da das mikroskopische Bild der gefärbten
Flocken eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Extraktrückstande zeigt,
diese Lipoide wahrscheinlch zum Teil aus dem Extrakt stammen.
Jetzt ging ich daran, diesen Befund durch die chemische Analyse
sicher zu stellen ■). Um die für die Analyse notw'endige grössere Flocken¬
menge zu erhalten, wurde teils in der Weise vorgegangen, dass die bei
einzelnen regulären Versuchen sich ergebenden Flocken auszentrifugiert
und gesammelt w'urden, teils wurde die Flockungsreaktion auf einmal mit
einem Vielfachen der vorgeschriebenen Mengenverhältnisse angesetzt.
Durch dies letztere Vorgelicn gelingt es, verunreinigende Beimengungen
(z. B. der Glaswand oder von Wattefasern) auf ein Minimum herab¬
zudrücken. Nun wurde zunächst die feuchte Substanz gewogen und dann
bis zur Konstanz getrocknet. Hiernach wurde solange je 1 Stunde mit
Aether extrahiert, bis kein Gewichtsverlust mehr eintrat. Die Differenz
ergibt den ätherlöslichen Anteil. Hieran schloss sich eine Extraktion mit
96 proz. Alkohol, daran eine solche mit Aqua dest. Das Aqua dest.
wurde nach der Extraktion spektroskopisch auf etwaige Salze und mittels
Biuret- und Ninhydrinprobe auf Eiweisssubstanzen untersucht. Der noch
verbleibende Bodensatz wurde makro- und mikroskopisch untersucht,
ausserdem chemisch auf das Vorhandensein von Eiweiss geprüft. Das
Ergebnis der Untersuchung findet sich in der weiter unten stehenden
Tabelle.
Neuerdings hat W. Georg!®) gefunden, dass beim Zusammen¬
bringen von Diphtherietoxin mit Diphtherieantitoxin (sowie von Tetanus-
und Dysenterietoxin und ihren entsprechenden Antisera, jedoch hier mit
nicht so regelmässigem Ergebnisse wie bei Diphtherie) in geeigneten
, Mengenverhältnissen unter Zusatz von cholesteriniertcm Rinderlierz-
extrakt ebenfalls Flockungen auftreten. Es handelt sich bei diesem
' Toxin-Antitoxliinachweis um den Zusatz derselben Extrakte, die auch zur
j Wassermannreaktion und Sachs-Georgi-Reaktion verwandt werden. Es
war nun von grosser Wichtigkeit, auch diese „Georgiflocken“ in die
Untersuchungen hereinzubeziehen zum Vergleich mit den „Sachs-Georgi“-
und „Meinickeflocken“. Das Ergebnis ist in der folgenden Tabelle an¬
geführt.
Es zeigt sich, dass diese Flocken ebenfalls zum grössten Teil aus
äther- und alkohollöslichen Substanzen bestehen.
Untersuchungsbefund des Rückstandes.
Der Rückstand wurde in allen Fällen makro- und mikroskopisch
untersucht und bestand aus Fasern und Verunreinigungen, ln den
Fällen 3. 4 und 5 wurde eine undeutliche bis schwache Biuretprobe ge¬
funden, indem in Fall 3 nach Anstellung der Probe die Fasern eine
schwach violette Färbung aufwiesen, im Falle 4 der gelöste Rückstand
eine schwache Biuretprobe gab und im Falle 5 kleine feinste Häutchen
an der Wandung des Glases schwache Violettfärbung zeigten.
die Autoren sich bezüglich der ausgeflockten Substanzen dahin äussern, dass
es sich bei der Sachs-Georgi-Reaktion nicht um eine Ausflockung von Glo¬
bulinen, sondern von Lipoiden handelt, ohne allerdings einen direkten Be¬
weis zu liefern und ohne die sehr wichtige Frage nach der Herkunft der
Lipoide zu erörtern (M. Mandelbaum: M.m.W. 1920 Nr. 33 S. 962 und
R. Somogyi: M.m.W. 1920 H. 42 S. 1233).
^ Die im folgendeu beschriebenen Analysen sind in der chemischen Ab¬
teilung des Georg Speyer-Hauses ausgeführt worden, und es ist mir eine an¬
genehme Pflicht, Herrn Dr. H. Bauer für seine liebenswürdige Unter-
Stützung und Ratschläge auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aus¬
zusprechen. ‘) M.Kl. 1920 Nr. 41.
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
331
Ergebnisse der chemischen Analyse der geflockten
^ Substanzen.
&
Reaktion
Gewicht der
feuchten
Substanz
Gewichtder
trockenen
Substanz
S d i £=
'ö V £.2
o i -
iS
Gewichtder
Substanz n.
der Alkohol¬
extraktion
Gewichtder
Substoiiz n.
d. Aq. dest-
Extniktion
Demnach in
Aether -f-
Alkohol
übergegang.
Demnach in
Aq. dest.
uber¬
gegangen
Gewicht des
schliess-
lichenRück-
Btandea
1.
Sachs-Georgi
■ g
0,1100
g
0,0110
g
0,0042
g
g
g
0,0088*)
g
g
s.
0,0474
0,0064
, 0,0028
—
—
0,0086
—
—
5.
0,0619
0,no59
0,0017
0,0016
0,0002
0,0053
0,0004
0,0002
4.
Meinicke
0,0619
0,0091
0,0024
0,0012
0,0008
0,0079
0,0009
0,0006
6.
Toxin-Anti¬
—
0,0051
0,0014
0,0014
0,0007
0,0037
0,0007
0.0007
6.
toxin Nachweis
Georgi
n
0,0211 1
0,0044
0,0010
0,0009
0,0007
0,0035
0,0002
0,0007
•) Dieae beiden Zahlen stellen nur die Gewichte der in Aether übergegangenen
Substanzen dar, da die anschliessende- Alkoholextraktion wie auch die Aq. dest.-
Extraktion in diesen beiden Fällen aus äusseren Gründen nicht ausgeführt werden
konnten.
Besprechung des Ergebnisses. Durch die chemische
Analyse hat sich gezeigt, dass die aifcgeflockten Substanzen der positiven
^chs-Georgi- und Meinickereaktionen. sowie des Toxin-Antitoxin¬
gemisches sicher zmn grössten Teil, wahrscheinlich sogar ausschliesslich
aus äther- und alkohollöslichen Substanzen bestehen. Der Nachweis von
Eiweisssubstanzen in dem Rückstand durch die Biuretprobe ist in 3 Fällen
andeutungsweise bzw. in schwachem Grade gelungen. Eine angestellte
Ninhydrinreaktion verlief negativ. Bedenkt man, dass das Unter¬
suchungsmaterial aus einem stark eiweisshaltigen Medium stammt und
durch Zentrifugieren aus demselben gewonnen ist, so lässt sich das ge¬
legentliche- Auftreten einer schwachen Biurtreaktion auch durch die An¬
nahme erklären, dass beim Auszentrifugieren der Flocken Spuren von
Eiweiss mit gerissen sind. Jedenfalls Hess sich aus der Tatsache, dass
einige Male schwache Biuretreaktion gefunden wurde, nicht mit Sicher¬
heit auf eine Beteiligung von Eiweisssubstanzen an -dem Reaktions¬
produkt schliessen.
Zu erwähnen ist noch, dass spektroskopisch in dem Aqua dest.-
Extrakt nur Na. kein Ca nachweisbar war.
Es wäre nun noch die Frage zu beantworten, woher die Lipoide
stammen, aus dem Serum oder dem Extrakt. Schon bei den Färbungs¬
versuchen zeigte sich eine gewisse Aehnlichkeit im makro- und mikro¬
skopischen Bild zwischen gefärbten Flocken und gefärbtem Extrakt¬
rückstand.
.Die hieran geknüpfte Vermutung, dass die ausgeflockten Lipoide aus
dem Extrakt stammen könnten, wurde durch die Chornische Analyse in
weitgehendem Masse bestätigt. Es zeigte sich nämlich, dass in den
Flocken der Luesreaktion nach Sachs-Georgi und in denen der
Toxin-Antitoxinreaktion nach Georgi, bei welchen beiden Reaktionen
der gleiche Extrakt, nämlich der cholesterinierte Rinderherzextrakt, und
zwar in derselben Menge, verwandt wurde, ungefähr die gleichen Mengen
alkohol- und ätherlöslichen Substanzen nachgewiesen werden konnten,
obwohl an den Sachs-Georgi-Flocken 0,2 ccm Serum und an den Georgi-
flocken nur 0,0025 ccm Serum, also der 80. Teil, beteiligt waren. Prüfte
man dann weiter die mit Aether extrahierten Substanzen auf ihren
Cholesteringehalt, so erhielt man eine gleichstarke Cholesterinprobe,
woraus hervorgeht, dass die ausgeflockten Lipoidsubstanzen auch in ihrer
Zusammensetzung eine gewisse Uebereinstimmung zeigen.
Wenn man ferner mit einem und demselben positiven Serum einer¬
seits unter Benutzung von Meinickeextrakt, anderseits von Sachs-Georgi-
Extrakt die Flockungsreaktion anstellt, die in beiden Fällen gebildeten
Flockenmassen analysiert, und die Rücj^stände der Aetherextraktion auf
Cholesterin untersucht, so findet man in den Lipoidsubstanzen, die aus
den „Sachs-Georgi-Flocken“ gewonnen sind, bedeutend mehr Cholesterin
als in denen, die aus den „Meinickeflocken“ stammen, entsprechend dem
stärkeren Cholesteringehalt des Sachs-Georgi-Extraktes gegenüber dem
geringen Cholesteringehalt des Meinickeextraktes. Der Einwand, dass
M e i n i c k e mit völlig cholesterinfreien Extrakten arbeitet, wie er selbst
vermutet*), ist nicht haltbar, denn die von mir benutzte Operations¬
nummer 9 eines Meinickeextraktes gibt eine nicht sehr starke, aber
deutliche Cholesterinprobe.
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die chemische Zusammen¬
setzung der bei den Flockungsreaktionen sich bildenden Flocken in der
Hauptsache abhängig ist von den im Extrakt enthaltenen Lipoiden; und
während es bisher üblich war, von einer Ausflockung
resp. Ausflockbarkeitder positiven Sera zu sprechen,
dürfte es den tatsächlichen Verhältnissen mehr ent¬
sprechen, wenn man bei den Luesreaktionen von
einer Ausflockung der Extrakte durch die positiven
Sera spricht*).
*) Me in icke: Ueber die dritte Modifikation meiner Luesreaktion.
M.m.W. 1919 Nr. 33.
®) Nach Abschluss der Arbeit ist die Studie von P. Konitzer (Zschr.
f. Iramunforsch. Bd. 30 H. 3/4) erschienen. Der Autor gibt eine eingehende
Darstellung der bisherigen Anschauungen der Wassermannreaktion und der
luetischen Flockungsreaktionen, aus der hervorgeht, dass die meisten Autoren
die bei der Flockungsreaktion sich bildenden Flocken als Globulinflockung auf-
iassen, eine Anschauung, der sich der Autor offenbar anschliesst. Denn
er schreibt in derlZusanimenfassung: „9. Als Ursache der Globulinflockung
kann eine primäre Wasserentziehung der Globuline angesehen werden“.
Neben den Gründen, die er der Literatur entnimmt, sucht er die Richtigkeit
seiner Anschauungen durch die Beobachtung zu bekräftigen, dass er bei
Nt, 11
Zusammenfassung.
Die chemische Analyse der bei den positiven Luesreaktionen nach
Sachs-Georgi und Meinicke, sowie bei dem Toxin-Antitoxin¬
nachweis nach Georgi sich bildenden Flocken ergibt, dass diese sicher
zum grössten Teil, wahrscheinlich sogar ausschliesslich aus äther- und
alkohollöslichen Substanzen bestehen.
Eiweisssubstanzen konnten höchstens in Spuren nachgewiesen
werden, woraus auf fhre unmittelbare Beteiligung am Flockungsprodukt
nicht notwendig geschlossen werden kann.
Die äther- und alkohollöslichen Substanzen stammen in ihrer Haupt¬
menge aus dem zugesetzten Extrakt. Es'dürfte daher grössere
Berechtigung haben, von einer Ausflockung resp.
Ausflockbarkeit des Extraktes durch das Serum, als
wie bisher üblich, von einer Ausflockung resp. Aus¬
flockbarkeit des positive» Serums durch den Extrakt
zusprechen.
Aus der Universitäts-Kinderklinik Frankfurt a. M. (Direktor:
Prof. V. Mettenheim) und dem kolloidchemischen Institut
(Direktor: Prof. Bechhold).
Zur antibakteriellen Wirkung von Silber-^Adrenalinver-
bindungen*).
Von Dr. Alfons Mader, Assistent der Klinikl
Seit den grundlegenden Arbeiten von C. v. N a e g e 1 i 1893 ist es
bekannt, dass verschiedene Schwermetalle, besonders Kupfer und Silber,
eine stark desinfizierende Kraft besitzen.
Noch in einer Verdünnung von 1 zu mehreren Millionen, sogar in
der nahezu unglaublich winzigen Konzentration von 1:7 Trillionen konnte
N a e g e 1 i den bakteriziden Einfluss derartiger Lösungen nachweisen.
Diese Feststellung veranlasste ihn zu der hypothetischen Annahme, dass
es sich bei einem derartigen Prozess keineswegs mehr um eine rein
substantielle Wirkung des elementaren Metalls handeln könne, sondern
dass die keimtötende Ursache vielleicht auf strahlungsenergetische Vor¬
gänge zurückzuführen sei.
Unabhängig von Naegeli sind in den letzten Jahren andere
Autoren zu denselben Versuchsergebnissen, aber anderen Erklärungen
gekommen, u. a. Bechhold, Spiro und Streck.
Die bei den Versuchen in vitro gemachten Erfahrungen wurden in
grossem Umfange der therapeutischen Technik dienstbar gemacht; in
Gestalt des Kollargols, Elektrargols, Fulmargins. Dispargens und anderer
kolloiden Ag-Präparate bildet das Silber das Ausgangsmaterial für die
zur Bekämpfung septischer Strepto- und Staphylokokkeninfektionen an¬
gewandte Chemotherapie. Wenngleich nicht in allen zur Behandlung
kommenden Fällen septikämischer Erkrankungen der gewünschte Erfolg
eintritt, so ist aber zweifellos bei einer grossen Anzahl derselben die
ätiotrope Wirkung der genannten Mittel unverkennbar.
Es lag der Gedanke nahe, auch die Erreger der infektiösen Magen-
Darmerkrankungen dem deletären Einfluss des Silbers auszusetzen. Bei
unseren sich in dieser Richtung bewegenden von rein klinischen Gesichts¬
punkten geleiteten Versuchen bedienten wir uns der von Bechhold
nach eigenem Verfahren hergestellten Silberkohle. Dieselbe besteht aus
einer Tierblutkohle, deren einzelne Teilchen mit einer sehr feinen Silber¬
schicht überzogen sind, deren Dicke variiert werden kann. Für unsere
Zwecke benutzen wir vorwiegend die 2 und 5 proz. Ag-Kohle. Die Ver¬
suche, von denen an dieser Stelle nur einige angeführt werden können,
wurden folgendermassen angestellt: ein Gramm einer 5proz. Ag-Kohle
wird mit 15 ccm destilliertem Wasser zu einer Aufschwemmung verrührt.
Von dieser Mischung werden 2K ccm mit 0,1 ccm einer Kolikultur-
aufschwemmung beimpft. Nach ständiger Wirkung der Ag-Kohle
zeigt sich eine deutliche Entwicklungshemmung, nach 3 Stunden eine
völlige Abtötung der Keime, während die metallfreie Kohle das Wachs¬
tum der Bakterien nicht beeinträchtigt. Dieselben Resultate wurden an
Staphylokokken- und Streptokokkenstämmen erzielt Analoge Versuche
wurden auch mit 2 proz. Ag-Kohle angesetzt wobei sich herausstellte,
dass unter den gewählten Versuchsbedingungen diese Ag-Konzentration
nicht genügte, um zu nennenswerten Ergebnissen zu gelangen. Eine
Keimabtötung erfolgte nicht die Wachstumshemmung war gering.
Die Tatsache, dass bei einer Reihe von infektiösen Erkrankungen
des Intestinaltraktus die Sekretion der Verdauungsdrüsen (Magensaft und
Pankreas) häufig herabgesetzt ist veranlasste uns. das tryptische Fer-
wiederholtem Zusatz von positivem Luesserum zu den abzentrifugierten Ab¬
güssen der vorausgegangenen Sachs-Georgi-Reaktion von nenem Flockungen
bekam. Diese Begründung erscheint uns nicht sehr stichhaltig zu sein;
denn einerseits ist es uns bisher nicht gelungen, positive Flockungsreaktions-
gemische durch Zentrifugieren vollständig frei von Flocken zu be¬
kommen (eine experimentelle Nachprüfung der angegebenen Tatsachen ist uns
dadurch unmöglich gemacht), andererseits bedeutet das wiederholte Hinznfügen
von Serum zu den voransgegangenen Reaktionsgemischen in Wirklichkeit doch
keine Wiederholung der eigentlichen Sachs-Georgi-Reaktion. vielmehr werden
dadurch die Verhältnisse so kompliziert, dass das Auftreten uncharakte¬
ristischer Flocken nicht ganz unwahrscheinlich ist.
*) Nach einem am 23. September in Nauheim in der Versammlung
Deutscher Naturforscher und Aerzte gehaltenen Vortrag.
5
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
332
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
ment der Bauchspeicheldrüsen in einer physiologischen Konzentration
sowohl allein als auch in Verbindung mit 2proz. Silberkohle auf Mikro¬
organismen (Bacterium coli) einwirken zu lassen. Die Anordnung der
Versuchsreihen war im Prinzip -dieselbe, wie bei den bereits ge-
schiiderten. In beiden Fällen waren die Resultate unbefriedignd und
erlaubten keine praktisch verwertbaren Schlüsse.
Wesentlich anders gestalteten sich jedoch die Ergebnisse, als ich
für unsere Untersuchungen den Örganextrakt einer intrasekretorischen
Drüse, der Nebenniere in Gestalt des Suprarenins hydrochl. heranzog.
Wir waren uns darüber klar, dass die Verwendung dieses Hormons als
Antiseptikum zunächst einer theoretischen Basis zu ermangeln schien.
Der Ausfall der Versuche zeigte jedoch, dass seine Wirksamkeit sich
nicht auf die bekannten tonisierenden Erscheinungen am Qefässsystem
beschränkt, sondern dass es in Verbindung mit einem metallischen Des-
infiziens die Bakterizidie nicht unwesentlich verstärkt und beschleunigt.
Diese die Keimabtötung fördernde Eigenschaft besitzt nach den von
uns gefundenen Resultaten aber nur die oxydierte Losung des Supra¬
renins, während die allgemein gebräuchliche wasserklare Stammlösung
sich als wirkungslos erwies. Die Oxydation tritt in einer mit Leitungs-
wasser im Verhältnis 1:10 verdünnten 1 prom. Lösung im Sonnenlicht
regelmässig auch ohne Alkalizusatz nach etwa 2 Stunden ein. In destil¬
liertem Wasser, physiologischer Kochsalz- oder Ringerlösung geht die
Oxydation ohne Alkalizusatz nur sehr langsam in etwa 48 Stunden vor
sich. Bemerkenswert ist, dass eine sichtbare Wirkung bei einer bis
zur braunroten Verfärbung oxydierten Lösung nicht mehr eintritt.
Die Suprareninversuche unterscheiden sich von den früheren im
wesentlichen nur dadurch, dass anstatt einer Kulturaufschwemmung ein
mit Paratyphusbazillen künstlich infizierter dyspeptischer Stuhl eines
Säuglings, der ausserdem die bekannte Darmflora enthielt das zu des¬
infizierende Material bildete. Der Grund für diese Modifikation liegt
auf der Hand. Es wird dadurch eine Annäherung an die Milieuverhältnisse
erreicht, wie sie im Organismus vorliegen.
Es werden 4 Portionen zu je 1 g eines mit dem Darmrohr ent¬
nommenen dyspeptischen Stuhles mit 5 ccm NaCl-Lösung verrieben und
mit 0,1 ccm Paratyphusaufschwemmung infiziert Dieser Mischung
werden 0,2 bzw. 0,4, 0,8 und 1 g einer 2 proz. Silberkohle und 4 Tropfen
Suprarenln hinzugefügt Die einzelnen Gemenge werden in der Reib¬
schale zu einem homogenen Brei verrührt Nach 2 und Sstündiger
Einwirkung des Desinfektionsmittels im Brutschrank wird das
Material auf Endpagar ausgestrichen; bei dieser Anordnung werden
8 Platten beimpft; als Kontrolle dient ein gew'öhnlicher Stuhl¬
ausstrich, Zu gleicher Zeit werden zu Kontrollzwecken ein Versuch ohne
Suprarenin, ein anderer mit 5 proz. Ag-Kohle, ebenfalls ohne Suprarenin,
angesetzt Nach 24stündigem Aufenthalt im Brutschrank werden die
Resultate abgelesen. Bei den annähernd 50 Versuchen stellte sich fast
regelmässig heraus, dass die 2 proz. allein in dieser Versuchsanordnung
keine erhebliche Desinfektionskraft besitzt; in Verbindung mit Supra¬
renin gleicht sie in ihrer Wirkung der 5 proz. Silberkohle, d. h. es tritt
in den weitaus meisten Fällen nach 2 Stunden eine starke Hemmung,
nach 5 Stunden fast immer völlige Sterilität auf den beimpften Platten
ein. Die Resultatdifferenzen sind nie so erheblich, dass sie das Gesamt¬
urteil in Frage stellen.
Durch Suprarenin allein konnte keine nennenswerte Beeinträchtigung
des Bakterienwachstums hervorgerufen werden; auch Boullionkulturen
verhielten sich meist refraktär.
Worauf ist nun aber der günstige Ausfall der Adrenalinsilberkohlen-
versuche zurückzuführen? Will man willkürliche und unbeweisbare
Deutungen vermeiden, dann stösst die Beantwortung dieser Frage auf
nicht geringe Schwierigkeiten. Die Annahme einer reinen Giftwirkung
dürfte nach dem bisher gesagten nur bedingt zutreffen. Käme lediglich
eine Summation der beiden wirksamen Komponenten, Ag-Kohle + Supra¬
renin. in Frage, dann wäre eine, wenn auch geringe Wirkung des Supra¬
renins allein zu erwarten. Das ist aber nach unseren Erfahrungen auch
bei Anwendung verschiedener Konzentrationen nur in massigem Grade
der Fall. Auch das für den menschlichen Organismus überaus toxische
braunrote Oxydationsprodukt hat im Gegensatz zu der hellroten Lösung
im Abtötungsversuch auch mit 2 proz. Ag-Kohle eine nur unerhebliche
Wirkung. Andererseits ist es aber durchaus möglich, dass chemische
Prozesse, die sich zwischen dem Silber und der Adrenalinlösung ab¬
spielen, bei dem Metall eine seine keimtötende Wirkung verstärkende
Zustandsänderung herbeiführen.
Die von uns angewandten bakteriologischen Methoden machen keinen
Anspruch auf lückenlose Vollständigkeit, genügten aber zu einer für
klinische Zwecke orientierenden- Uebersicht. Aus technischen Gründen
ist bisher von exakten Keimzählungen und anderen noch in Frage
kommenden Kontrollprüfungen unserer Ergebnisse Abstand genommen
worden. Bei der Fortsetzung unserer Versuche wird das etwa noch
Fehlende ergänzt werden.
Ob es möglich sein wird mit diesem Verfahren ein geeignetes Darm-
desinfiziens herzustellen, sei zunächst dahingestellt. Die bisher an
Kranken und am Tier angestellten Versuche sind noch nicht abge¬
schlossen und erlauben daher noch kein hinreichend begründetes Urteil,
berechtigen aber zu gewissen Aussichten.
Aus der Dermatologischen Universitätsklinik Breslau.
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. Jadassohn.)
lieber die Quecksilberbehandlung von Warzen (und
spitzen Kondylomen).
Von Dr. Alois Ziegler, Assistent der Klinik.
Charles J. White [l] hat im Jahre 1915 bekannfgegeben. dass er
7 Fälle von planen Warzen mit Hydr. jodatum flavum in Pillenform be¬
handelt und alle mit Ausnahme eines geheilt habe. Ira Jahre 1916 [2]
hat er 4 weitere Fälle publiziert, von denen 3 ebenfalls unter Hydr. jod.
flav., einer unter Sublimat geheilt sind.
Jadassohn [3] hat 1917 ganz kurz über 6 bis 7 Kranke berichtet,
bei denen diese Warzen durch Pillen mit Hg. jod. flav. (2—3 mal täg¬
lich 0,01—0,02) in wenigen Wochen geschwunden sind; — ein Misserfolg.
Wir haben diese Behandlungsmethode sowohl ihres praktischen als
ihres theoretischen Interesses wegen weiter nachgeprüft
Von 22 Fällen mit typischen planen Warzen sind 10 restlos geheilt
davon 5 nach 30, 3 nach 60, einer nach 90 Pillen. Bemerkenswert ist
dass eine Patientin infolge eines Versehens des Apothekers 0,6 Hydr.
jod. flav. auf einmal nahm; — Folge: eine heftige Stomatitis und voll¬
ständiges Abheilen der Warzen. 5 mal war eine deutliche Besserung zu
konstatieren, — die Beobachtung ist noch nicht abgeschlossen. 1 mal
trat auf 30 Pillen noch keine Besserang ein; es wurde dann bei der
Patientin eine primäre seronegative Lues gefunden und sofort mit Sal-
varsan behandelt und zwar ohne Hg; aueb darauf keine Heilung. —
6 Kranke haben sich der Behandlung entzogen.
Dass es sich bei dieser Behandlung nicht um eine spezielle Wirkung
des Hg. jod. flav. handedt g&ht schon aus der oben zitierten Beobachtung
W h i t e s (Sublimatheilung) hervor. Ich selbst habe 2 Fälle mit Hydr.
oxydulatum tannicum (60 Pillen ä 0,03) geheilt; auch habe ich einen
Versuch mit Injektionen von Hg. salic. gemacht; leider habe ich den
Patienten nicht weiter verfolgen können.
Die Behandlung wird im allgemeinen sehr gut vertragen; natürlich
muss eine besondere Mundpflege befolgt werden. (Doch genügen 3 mal
täglich zu wiederholende Mundspülungen und sorgfältiges Putzen der Zähne.)
Bekanntlich reagieren die planen Warzen oft auch auf interne Arsen¬
behandlung. Dass es sich dabei um eine wirklich spezifische Wirkung
handelt wird durch die gelegentliche Beobachtung einer lokalen entzünd¬
lichen Reaktion vor dem Verschwinden der Warzen bewiesen; beim Hg
haben wir ähnliches noch nicht beobachtet Im allgemeinen scheint die
Arsenwirkung etwas langsamer einzutreten als die des Hydr. jod. flav.
Die planen Warzen sind — so unscheinbar sie auch meist sind —
doch eine vielen Menschen sehr unangenehme, weil entstellende Affek¬
tion. Ihre Behandlung war — wenn wir von den Arsenerfolgen ab-
sehen — bisher keineswegs einfach; freilich bezeichnet sie White
nicht mit Recht geradezu als „bisher unbehandelbar". Man kann sie mit
Röntgenstrahlen, mit Radium und Mesothorium, mit Doramad, mit Schäl¬
kuren zum Verschwinden bringen. Aber das alles ist wesentlich um¬
ständlicher als die, wie es scheint sehr oft wirksame Hg-Therapie.
Besonders interessant erscheint mir. dass bei der Hg-Behandlung
nicht bloss die planen Warzen, sondern, wie wir in einem Fall nach
90 Pillen beobachten konnten, auch gewöhnliche harte Warzen ver¬
schwinden können. In einem anderen Fall sind nach 60 Pillen sowohl
harte Warzen an den Händen als auch grosse spitze Kondylome im
Sulcus coronarius geheilt Sehr bemerkenswert ist auch, dass bei
einer Patientin mit sehr massigen spitzen Kondylomen der Vulva eine
starke Reizung mit Nekrotisierung der Wucherungen unter der Hg-Be-
, handlung eintrat; — leider entzc^ sich die Kranke der weiteren Beob-
I achtung. Bei einer anderen Patientin sind nach 60 Pillen grosse spitze
Kondylome verschwunden. Immerhin können wir schon jetzt sagen, dass
bei gewöhnlichen Warzen und spitzen Kondylomen der Erfolg augen¬
scheinlich viel weniger regelmässig eintritt als bei den planen Warzen,
wenn gleich auch bei diesen, ebenso wie beim Arsen, Versager Vor¬
kommen*).
Auffallend ist dass von der Wirkung des Hg auf plane und gewöhn¬
liche Warzen und spitze Kondylome bei der antisyphilitischen Hg-Be¬
handlung gar nichts bemerkt worden ist trotzdem doch Syphilitiker oft
genug nebenher -diese benignen Geschwülstchen an sich tragen.
Das theoretische Interesse dieser Beobachtungen liegt darin, dass
wir in den planen Warzen jetzt eine weitere Infektionskrankheit kennen¬
gelernt haben, welche ebenso wie die Lues auf As und Hg in einer
spezifischen Weise reagiert Es liegt ferner darin, dass auch die spitzen
Kondylome auf Hg reagieren können, welche ebenfalls wie die planen
Warzen infektiöse, im wesentlichen epitheliale Neubildungen sind. Bei
ihnen steht freilich der bei den Warzen geglückte Nachweis der Filtrier¬
barkeit ihres Erregers noch aus. (Versuche darüber sind bei uns im
Gange.) Es wäre noch zu prüfen, ob auch Mollusca contagiosa auf As
und Hg. und wie alle drei Prozesse auf Jod reagieren. Es ist bemerkens¬
wert dass die Krebse der Salmoniden durch Jod. Hg und As sehr leicht
beeinflusst werden sollen [4]
Literatur.
1. The Journal of cutan. diseas. 33. Nr. 11. S. 738. — 2. The Journal
of cutan. diseas. 34. Nr. 2. S. 361. — 3. Schweiz. Korr.Bl. 1917 Nr. 51. —
4. Zit. nach Wegelin: Die experimentelle Kropfforsch|ng 1917.
*) Herr Dr. L e n n h o f f • Magdeburg hat mir freundlichst gestattet mit¬
zuteilen. dass auch er bei spitzen Kondylomen Erfolge mit Hg. jodat., flavum
erzielt hat. _
Digitized by Go>.)Szle
Original frDm
UNtVERSITY OF CALIFORNIÄ
18. März 1931.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
333
Einige weitere Mitteiiungen Ober Ursoi-Scbädigungen
bei Fellfärbem.
Von Dr. Ritter, Bad Salzbrunn i. Schl.
Der sehr interessante Aufsatz von Herrn Prof. Dr. Hans C u r s c h -
mann in Nr. 7 dieser Wochenschrift: .»Klinisches und Experimentelles
über das anaphylaktische Bronchialasthma der Fellfärber“ veranlasst
mich in Kürze auch die Eindrücke aus meiner Praxis über Ursol-
schädignngen der Fellfärber mitzuteilen. •
Ich sehe seit einigen Jahren jeden Sommer hier in Bad Salzbrunn
vereinzelte Patienten aus der Fellbearbeitungsbranche, die ihr Leiden
entweder selbst auf Ursolschädigung zurückführen, oder es deutet der
objektive Befund im Zusammenhang mit der Anamnese darauf hin, dass
die Ursache der Erkrankung in der Berührung mit dem zur Schwarz¬
färbung der Felle verwendeten Farbstoff „Ursol“ zu suchen ist.
Ein Teil dieser Patienten zeigt typische Asthmaanfälle, wie sie von
Herrn Prof. Curschmann geschildert wurden; ein anderer Teil klagt
über heftige und sehr hartnäckige Reizzustände der Schleimhäute im
ganzen Gebiet der oberen Luftwege, ohne dass es zu typischen Asthma¬
anfällen kommt.
Bei beiden Gruppen habe ich objektiv immer eine nicht unbedeutende
Entzündung der Schleimhäute namentlich des Pharynx und des Larynx-
einganges beobachten können, so dass man eine immerhin schwere
chemische Läsion der Schleimhaut durch den Farbstoff mit Sicherheit
annehmen muss.
Mir haben auch Patienten berichtet, dass es manchmal sogar bis zu
einer Exulzeration der Schleimhaut kommen soll, doch habe ich bisher
einen derartigen Fall zu sehen noch nicht Gelegenheit gehabt.
Der erste Fall von Ursolerkrankung kam bei mir im Jahre 1917 zur
Beobachtung. Es handelte sich um einen Herrn aus der Pelzbranche
aus Leipzig; die Diagnose war bereits dort durch Herrn Prof. Barth
gestellt, mit dem ich auch, da mir die Erkrankungsursache damals noch
neu war, in Korrespondenz darüber getreten war.
Natürlich darf man die Fälle von Ursolasthma nicht verwechseln
mit dem Asthma, zu dem die Pelzklopfer und -bearbeiter überhaupt
neigen, wie die Müller und Bäcker, und das durch Inhalation des mit
zahlreichen Härchen durchsetzten Staubes hervorgerufen wird, also als
eine rein mechanische Schädigung aufzufassen ist im Gegensatz zu der
chemisch und mechanisch wirkenden des Ursols. Von diesen Fällen
lassen sich aber die Ursolerkrankungen in der Regel unschwer ab¬
grenzen.
Aus der I. med. Abt. des Krankenhauses München-Schwabing.
(Prof. Kerschensteiner.)
Mikuliczscher Symptomenkomplex und innere Sekretion.
Von Dr. Ernst W. Taschenberg.
Die symmetrische Anschwellung der Glandulae parotis, submaxillaris,
sublingualis, derNuhn-Blandinsehen Drüse und der Tränendrüse ist
als Mikuliczscher Symptomenkomplex bekannt. Er stellt in keiner
Hinsicht eine Einheit dar. Pathologisch-anatomisch bestehen die darauf
untersuchten Fälle manchmal aus Lymphomen der geschwollenen
Drüsen^ manchmal sind es chronisch-entzündliche Vorgänge, die wieder
gewisse Beziehungen zur Tuberkulose haben können; in wieder anderen
Fällen bestehen allgemeine Lymphomatöse oder Pseudoleukämie und die
Drüsenaffektion ist nur Teilerscheinung der allgemeinen Erkrankung.
Ebenso uneinheitlich wie das histologische Bild ist die Entstehung des
Syndroms. Schon seit langem wird auf den Zusammenhang mit einer
Affektion des gesamten lymphatischen Apparates hingewiesen. Ueber-
gänge zur Leukämie und Pseudoleukämie bestehen. Die ältere Literatur
suchte wesentlich nach anatomischen Gesichtspunkten. Gougerot
ordnete dann die Speicheldrüsen in das System der pluriglandulären
Blutdriisen und nahm ausdrücklich das Mikuliczsche Syndrom mit
hinein, fügte aber dazu; „avec symptömes d’hypoovarie Evidente, hypo-
thyreoidie et hypo6pineohrie probable.“ Beziehungen zwischen Genitale
und Speicheldrüsen sind auch sonst erwähnt. Es sei nur folgendes an¬
geführt: Mumps und Genitale, Ptyalismus während der Gravidität, vor
und während der Menstruation, manchmal vikariierend für letztere; Er¬
krankung der Parotis nach Exstirpation der Ovarien ähnlich der
Thyreoideaanschwellung nach Kastration. Namentlich hat Leo Mohr
bei uns die Mundspeicheldrüsen als Organe innerer Sekretion aufgefasst.
Aus einem Material von 17 Fällen stellt er Beziehungen zwischen dem
M ik u I i c zschen Syndrom und endokrinen Störungen her und findet
sie bei Oenitalinfantilismus, Hypoplasie und Hypofunktion der Genital¬
organe bei Basedow, Status thymico-lymphaticus und Fettsucht auf
endokriner Basis (Thyreoidea, Hypophyse, Genitale). In allen diesen
Fällen fand er mehr oder minder starke Schwellung sämtlicher Mund¬
speicheldrüsen, manchmal auch der Tränendrüsen. Mohrs Material
kann ich um eine einschlägige Beobachtung bereichern und gleichzeitig
weitere Kreise auf diese immerhin nicht hüufige Erkrankung hinweisen.
21 jähriges Mädchen, nervös belastet, 3 Geschwister „nervös“, als Kind
viel an „nervösen“ Kopfschmerzen krank; mit 12 Jahren erste Menstruation.
Menses unregelmässig, alle 2—4 Wochen. Dabei bemerkt Pat., dass vor und
während der Periode das Gesicht vor beiden Ohren anschwillt; dann geht die
Schwellung wieder zurück; bei der nächsten Menstruation wiederholt sich
der gleiche Vorgang.
Kräftig gebaut, gut genährt, nicht fettsflehtig, Schilddrüse normal gross.
Respiratorische Plilsunregelmässigkeit, starke vasomotorische Labilität
(Dermographie, Erythem der Brusthaut, wenn man Pat. untersucht), Würg¬
reflex fehlt, keine Hypalgesie, keine Druckpunkte; typische hysterische An¬
fälle. Normales Blutbild. Völlig normaler Oenitalbefund.
Geteilte Uvula. Näselnde „verschnupfte“ Sprache, Neigung zu Nasen¬
katarrhen. Nasenrachenraum, Tonsillen o. B. (keine Hypertrophie). Spina
septi nas., Tränendrüsen nicht vergrössert. Starke Schwellung beider Parotis,
Submaxillaris, Sublingualis, der N u h n sehen Drüse. Das Gesicht ist dadurch
deutlich entstellt. Die Vergrösserung der Drüsen fällt auf den ersten Blick
auf. Die Drüsen sind deutlich, wenn auch nicht stark druckempfindlich.
Zurzeit besteht Menstruation (6 Tage). 13 Tage später neue Blutung, 9 Tage
lang, 12 Tage danach 6 tägige Blutung, dann 14 Tage lang unregelmässige
Blutungen, dann erst wieder nach 25 Tagen 8 tägige Menstruation. In der
ersten Zeit der Beobachtung regelmässig Anschwellung der Drüsen synchron
mit der Blutung. Nach Regularisicrung der Periode sieht man kaum noch die
Schwellung der Parotis, die Drüsen sind sämtlich deutlich kleiner geworden.
Die Behandlung bestand in Thelygan, einem. Präparat, mit dem wir auch
sonst bei endokrinen Oenitalstörungen weitaus die besten Erfolge hattön.
Es ist kein Zweifel, dass der beschriebene Fall in die Bilder Mohrs
gehört. Interessant ist. dass die Drüsenschwellungen schmerzhaft waren;
weitaus in der Mehrzahl sind sie es nicht. Auf die hier vorhandene
Neigung zu Nasenkatarrhen beim Mikulicz sehen Syndrom weist sonst
nur Ziegler hin (respiratorische Störungen, besonders Verlegung der
Nasenatmung). Es frägt sich nur, in welche Gruppe der Mohr sehen
Fälle der hier beschriebene gehört. Weder zur Schilddrüse, noch zum
Status thymipo-Iymphaticus bestehen Beziehungen. Die Unregelmässig¬
keit der Menstruation lässt aber wohl daran denken, dass hier, trotz des
normalen anatomischen Befundes, eine Dysfunktion der Ovarien besteht.
In diesem Sinne spricht auch der Erfolg der Therapie: gleichzeitig mit
Rückgang der Drüsenschwellungen wurde die Periode regelmässig.
Literatur.
F a 11 a: Blutdrüsen, 1913 S 36. — G o u g^ r o t: Paris möd. 24 Juin 1911,
zitiert nach Falta. — Mohr*-StaeheIin: Handbuch Bd. 6 S. 203. —
Mohr: D. Ges. f. Gyn. Ref. M.m.W. 1913 S. 1348. — B r o n s: Lubarsch u.
Ostertag Erg.-Bd: 1910 S, 243, Erg.-Bd. 1914 S. 278. — Sch ick eie: Ergeb.
d. innern M. Bd. 15. — Nevermann: Dissertat. Freiburg 1916.
Ein eigenartiger Faii von familiärer Idiosynkrasie
gegen Pilze.
Von Dr. med. Leidig, prakt. Arzt, Biankenburg-Harz.
Zweck dieser Zeilen soll sein, über einen an mir selbst erlebten Fall
von eigenartiger Erscheinung nach dem Genuss von Pilzen zu berichten
und damit vor zu schneller Diagnose „Pilzvergiftung“ zu warnen.
Am 12. IX. 20 hatte ich vom Spaziergang Pilze heimgebracht, die mir als
essbare Wald-Ellerlinge bekannt waren und auch von anderen als solche be¬
stätigt wurden. Am Abend gab es sic, fein gehackt, als Pilztunke zu Kar¬
toffeln. Meine Eltern und mein 30 jähriger Bruder hatten 10 Minuten früher
mit d6m Essen begonnen, wie meine Frau und ich, da wir von einer Ge¬
sellschaft etwas später nach Hause kamen. Da wir schon satt waren, assen
wir beide nur etwas von den Pilzen und Kartoffeln, aber nichts mehr vom
Brot mit Aufschnitt und Tee. Wir waren alle fünf gesund und munter und
assen die Pilze, die ausgezeichnet schmeckten, mit Genuss ohne den ge¬
ringsten Gedanken daran, dass sie schlecht sein könnten. Nach Vk Stunde
äusserte mein Bruder, dass er stark schwitze; sein Gesicht war schweiss-
bedeckt. Im selben Augenblick sagte mein Vater, auch er bemerke dasselbe
an sich, seit einigen Minuten. Beide verspürten Druck in der Magengegend,
aber keine Uebelkeit und Schmerzen. Sie meinten, das wäre vielleicht von
den Pilzen, ich widersprach dem energisch mit der Behauptung, so schnell
könne eine Pilzvergiftung gar nicht zustande kommen. Die beiden legten sich
zu Bett, und 10 Minuten später (ich hatte la auch 10 Minuten später mit
dem Essen begonnen) setzte auch bei mir ein enormer Schweissausbruch ein.
Dazu trat wie bei den beiden anderen starkes Schütteln und Zittern des
ganzen Körpers auf, was ich aber nicht mit dem gewöhnlichen Schüttelfrost
vergleichen kann, da ich nicht fror. Auch ich legte mich zu Bett, hielt es aber
vor Unruhe darin nicht au.s. Bei allen dreien war, rektal gemessen, die Tem¬
peratur normal. Puls regelmässig, voll, kräftig und nicht beschleunigt (auf
die Pupillen habe Ich leider nicht geachtet). Schliasslich wurde ich selbst
ängstlich, es könne sich doch um eine Pilzvergiftung handeln, und machte
bei meinem Bruder eine Magenaussnülung. unterliess es aber bei meinem
Vater, da bei ihm die Symptome nicht so stark auftraten, und ich den
75 Jahre alten Herrn Ä:honen wollte. Ich Hess dann einen Kollegen zu uns
bitten, der auch gleich erschien. Anfangs erschien ihm die Sache unerklär¬
lich, doch lehnte er eine Pilzvergiftung ab und erklärte es für eine familiäre
Idiosynkrasie, gab uns aber zur Vorsicht einige Dosen Kalomel. Die Un¬
ruhe, das Zittern und kolossale Schwitzen dauerte bei meinem Vater und
Bruder noch 2 Stunden, bei mir noch Z'A Stunden an. Dann schliefen wir
ein, und waren am nächsten Morgen gesund und munter. Das Eigenartige
ist nun, dass von uns fünf die beiden angeheirateten Frauen nicht die gering¬
sten Folgeerscheinungen hatten, trotzdem es, wenn die Sache rein psychischer
Natur gewesen wäre, gerade bei ihnen hätte auftreten müssen, da sie nach¬
her die meiste Angst hatten, und meine Mutter jeden Augenblick auf „die
Krämpfe“ wartete, in die sie ihrer Meinung nach bei Pilzvergiftung fallen
müsse. Der Verdacht, dass unter den Pilzen ein schlechter gewesen sei. von
dem gerade wir 3 Männer gegessen hätten, ist m. E. hinfällig; denn es han¬
delte sich ja um eine Tunke, wo die Pilze fein zerhackt waren, und dann
hätten die schlechten Stoffe des einen Pilzes die ganze Tunke durchsetzt.
Auch um irgendein anderes Nahrungsmittel konnte es sich nicht handeln, hatte
ich doch nur von den Pilzen und Kartoffeln gegessen. Eine Solaninwirkung
halte ich auch für ausgeschlossen. Die Kartoffeln waren gut, nicht jung, und
wir assen ja täglich davon. Wir haben früher niemals irgendwelche Idio¬
synkrasie nach Nahrungsmitteln gehabt, wie z. B. die bekannten ürtikaria-
erscheinnngen, besassen stets ein gutes Nervensystem, so dass ich auch
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
334
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Hysterie ausschliessen muss, aul die natürlich auch der Verdacht sich lenken
musste. Aber ich habe bei uns dreien nie die geringsten Spuren emes
Hysterieverdachtes bemerkt. Am nächsten Mittag assen wir Parasolpilze,
ohne die geringsten Symptome des vorhergehenden Abends zu bekommen,
l.eider hatte ich bisher nicht wieder Gelegenheit, Wald-Ellerlinge nochmals
zu essen.
Es muss sich also in diesem Fall um eine familiäre Idiosynkrasie
handeln, wie sie mir in der Form noch nicht begegnet ist. Eigenartig
ist. dass das eine Symotom. der starke Wasserverlust (stundenlang floss
uns der Schweiss in Strömen übers Gesicht und den ganzen Körper),
sich auch bei der echten Pilzvergiftung findet (Knollenblätterpilz z, B.),
wovon aber weder mein Vater noch mein Bruder eine Ahnung hatten.
Auf den starken Wasserverlust führe ich auch die Tatsache zurück, dass
die 3 Dosen Kalomel ä 0,2 nicht widrten, sondern erst nach 2 Tagen
fester Stuhl auftrat.
Ich habe in der mir zur Verfügung stehenden einschlägigen Literatur
etwas Aehnliches nicht finden können, auch meinen hiesigen Kollegen
war die Sache fremd. Ich hielt es deshalb für angebracht, darauf pf-
merksam zu machen, und wäre dankbar, wenn von anderer Seite über
ähnliche Erscheinungen Mitteilung gemacht würde.
Stechapfelvergiftung.
Von Dr. F. Heinrichsen, Kandau-Lettland.
Vergiftungen init Tollkirschen, Bilsenkraut und Stechapfel sind bei uns
auf dem Lande nicht gar zu selten, da die zu den Solanaceen gehörigen
Atropa Belladonna, Hyoscyamus niger und Datura Stramonium in den
Gärten der Landleute bei uns als Zierpflanzen Vorkommen. Alle drei
enthalten die gleichen resp. ähnliche Zerebrospinalgifte und machen daher
auch die gleichen Vergiftungserscheinungen einer Atropinvergiftung, bei
allen dreien sind alle Teile der Pflanze gütig, besonders die Beeren und
Samen. Naturgemäss kommen diese Vergiftungen wohl fast nur bei
Kindern vor. da Erwachsene im Geniessen unbekannter .Früchte zurück¬
haltender sind.
So behandelte ich vor einigen Jahren eine Vergiftung mit den Samen des
Bilsenkrautes bei einem 5 jährigen Mädchen, das im Garten unbemerkt Bil¬
senkrautfrüchte gegessen hatte. Es wurde ca. 3 Stunden nachdem zu mir
gebracht. Es delirierte, hatte weite, starre Pupillen, hohe Temperaturen, ein
scharlachartiges Exanthem und starke Pulsbeschleunigung. Durch eine Magen¬
spülung Hessen sich noch viele Samen entfernen. Ausserdem injizierte ich,
wie üblich, subkutan Pilokarpin und Morphium. Am nächsten Tage war das
Kind bei klarem Bewusstsein und genas bald. Im letzten September wurden
zu mir vom Lande in der Nacht 3 Geschwister gebracht, die einen eigentüm¬
lichen Anblick darboten. 3 Frauen begleiteten sie, da jedes Kind eine Per¬
son voll in Anspruch nahm. Mathilde V., 3 Jahre alt, Alice V. 6 Jahre ^und
Lina V. 8 Jahre alt waren vor ca. 11 Stunden in Abwesenheit der Eltern
in den Garten gegangen, hatten Stecliapfelfrüchte gepflückt, geöffnet und die
Samen gegessen. Fine der grossen, grünen, stachlichen Früchte wurde mir
als Corpus delicti von der Mutter mitgebracht. Das jüngste Kind hatte etwas,
das älteste Kind stark erbrochen, das mittlere nicht. Dementsprechend war
das mittlere Knd am schwersten krank. Es war stark benommen, und deli¬
rierte nur leise vor sich hin, konnte nicht gehen, sah verfallen aus. Die
beiden Geschwister delirierten und tobten dagegen lustig, sprachen, schrieen,
lachten und schwatzten, ununterbrochen gestikulierend und Greifbewegungen
machend, sie mussten gehalten werden, da sie alle Augenblick aufspringen und
laufen woHten. Offen1>ar hatten sie massenhaft Gesichtshalluzinationen heiterer
Art. Es war ein Lärm und eine Unruhe in meinem Empfangszimmer mitten
in der Nacht, wie es nur schwer zu beschreiben ist. Bei allen Kindern bestand
hohe Temperatur, starke Pulsbeschleunigung, scharlachartige Rötung des Ge¬
sichts und Körpers, trockene heisse Haut und starke Mydriasis. Die beiden
leichter kranken Kinder antworteten auf Fragen, doch unverständlich, im Sinn
ihrer Delirien und Halluzinationen, sie waren völlig desorientiert und in be¬
ständiger grosser körperlicher Unruhe. Da die Aufnahme des Giftes schon
Ober 11 Stunden zur^icklag, war eine Mageirspülung zwecklos. Ich injizierte
allen Kindern Pilokarpin und Morphium und Hess sie dann nach Hause fahren.
Wie ich später erfuhr, haben die Delirien noch den ganzen nächsten Tag an¬
gedauert und sind allmählich vergangen. Alle 3 Kinder genasen.
ni
0
Ol.R.
M.H.
iid\
besserte Reich mann durch Einführung zweier aufeinant^r steck¬
barer, graduierter Röhren von je 30 ern Länge. Am unteren Steigerohr
ist rechtwinkelig abgebogen ein Ansatzrohr, das
durch einen kleinen Gummischlauch mit einer Nadel
mit seitlicher Ausflussöffnung verbunden ist. Ebenso
gestattet ein an diesem Rohr angebrachter Hahn das
Ablassen des Liquor unter Druckkontrolle und die
Verwertung der im System verbleibenden Flüssig¬
keitsmenge von 2—3 ccm bei einer Röhrendicke von
3,8 mm. Die vmi Eskuchen in seiner ausführ¬
lichen Monographie über die Lumbalpunktion ge¬
forderte, ideale Verbindung der Punktionsnadel nach
Kausch und der Druckmessung nach Reich-
m a n n scheint mir in sehr einfacher und praktischer
Weise in dem Lumbalbesteck nach Dr. A p t *) ver¬
einigt zu sein, das sich bei uns gut bewährt hat. Es
besteht aus einem schräg nach unten gerichteten
seitlichen Abflussrohr, dessen Konus C 1 auf jede
Rekordspritze passt (für intralumbale Injektion bei
Lumbalanästhesie, Salvarsanbehandlung usw.). Unter
diesem seitlichen Ansatz ist eine für Daumen und
Mittelfinger passende Einkerbung E, der .Mandrin
läuft hinten kolbig aus. so dass die Nadel mit zwei
Fingern gefasst, fest in der Hohlhand liegt. Der
Mandrin ist vorn konisch eingeschliffen. so dass eine
Verbindung zwischen Lumbalraum und Abflussrohr
erst besteht, wenn die konische Anschwellung hinter
die seitliche Abflussöffnung getreten ist. Da der
Konus dann auch hinten eingeschliffen ist, kann der
Liquor nicht am Mandrin entlang nach rück\yärts
abtropfen. Hat man einen Tropfen klaren Liquor
entleert, so verschliesst man durch da? Schieber¬
ventil (ohne Hahn) die Abflussöffnung sofort wieder
luftdicht. Man setzt dann das V-förmig gebogene
Mittelstück mit dem 40 cm langen Rohr Ma, das in
eine zur Hälfte aufgeschnittene Metallhülse MH mit
Graduierung eingelassen ist, auf, zieht den Mandrin
zurück und kann die steigende Liquorsäule an der
Markierung leicht ablesen und weiter koptrollieren
(Atemschwankungen, Hustenschwankungen usw.).
Die gelenkige Verbindung zwischen Mittelstück und
Steigerohr G gestattet dieses in jeder Lage des Pa¬
tienten senkrecht zu stellen. Der an diesem angebrachte r \ u
Hahn H erlaubt immer jede beliebige Menge Liquor (5—15 Tropfen) ab-
zulassen und dann den Druck zu messen ohne freinde Hilfe und ohne
Abnahme der Druckmessvorrichtung. Nach Beendigung der Punktion
kann man die im Manometerrohr befindlichen 1—3 ccm Flüssigkeit be¬
quem verwenden. Bei diesem Apparat fällt die Gefahr der Aspiration
durch Heberwirkung beim Senken des Schlauches, ebenso der Aerger
mit dem oft nicht gut passenden Gummischlauch (besonders bei Kriegs¬
gummi) und der Verlust des Liquor beim Ansetzen des Schlauches weg.
Dagegen ist das in eine Metallhülse eingeschlossene Manometer weniger
zerbrechlich, der oft verschieden lange und dicke Gummischlauch wird
überflüssig und eine Sterilisation ist auch für den Praktiker durch Aus¬
kochen möglich, indem auf das Steigerohr eine verschlossene KL auf
den Ansatz eine durchbohrte Kappe K 2 aufgesetzt wird, da die Trocken¬
sterilisation fast nur für Krankenhäuser in Frage kommt. Nach dem
Gebrauch muss, wie bei jeder Nadel, auch dieses Besteck durchgespüit
und getrocknet werden (auf den Hahn am Steigerohr passt wieder der
Rekordspritzenansatz C 2). Dieses handliche und praktische Lumbal¬
punktionsbesteck nach Dr. Apt wnrd sich wohl bald einführen, .'da alle
Forderungen der Sicherheit zur Vermeidung von unangenehmen Zwischen¬
fällen bei der heute so ungeheuer wichtig gewordenen Quincke sehen
Lumbalpunktion erfüllt zu sein scheinen.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Breslau.
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Minkowski.)
Das Lumbalpunktionsbesteck nach Dr. Apt.
Von Dr. P. Holzer.
Seit der Einführung der Lumbalpunktion durch Quiiicke haben
sich von den zahlreichen Methoden nur vier eingebürgert. Die
erste, von Quincke selbst angegebene, hat den Nachteil, dass in der
Zeit zwischen dem Herausziehen des Mandrin und dem Ansetzen der
Druckmessvorrichtung immer einige Tropfen Liquor verloren gehen, und
dass etwa 8 ccm Liquor in der alten Apparatur von Quincke nach
Reichmann sein sollen, die event. wieder in den Lumbalkanal
zurückgebracht werden müssen. Gegenüber den relativ dicken Röhren
nahm Krönig zur Druckmessung nur 1 mm weite Glasrohre, die wieder
den Nachteil der erhöhten Kapillaradhäsion haben und nach einem von
Reichmann angestellten Experiment nicht unerhebliche Fehler bei
der Druckmessung bedingen. Den Liquoi Verlust beim Einschalten des
Steigerohres beseitigte Kausch durch Anwendung einer Zweiwege¬
punktionsnadel, so dass man auch unter Druckkontrolle durch ab¬
wechselndes Oeffnen der Hähne Lumbalflüssigkeit ablassen kann (D.m.W.
1908 Nr. 51). Die alte Quinckesche Druckmessvorrichtung ver¬
Färbung mit hängendem Farbtropfen.
Von Dr. Leo Dub, Prag.
Im folgenden wird eine Färbeart beschrieben, die vielleicht wegen
ihrer Sparsamkeit und Sauberkeit von allgemeinerem Interesse ist. Ins¬
besondere scheint sie aber geeignet, beim Arbeiten mit niederschlags¬
reichen Farblösungen viel Zeit und Mühe zu ersparen.
Zunächst stellen wir uns einen kleinen Winkelheber her: wir er¬
hitzen ein etwa 15 cm langes Glaskapillarrohr 2 cm vom Ende mit
einem Bunsenbrenner bis der Endteil umknickt und mit dem anderen
Teil einen Winkel von 45® bildet.
Bei Vornahme der Färbung legen wir die fixierten Ausstrichpräpa¬
rate mit der Schichtseite nach untes auf eine Färbebrücke, die sich in
einer mit einem Deckel verschliessbaren Schale befindet. Dann senken
wir das kürzere Ende des Farbhebers in die in ein Uhrgläschen gegossene
Farblösung, worauf infolge der Kapillarwirkung die Flüssigkeit in das
Röhrchen steigt. Hierauf bringen wir das kürzere Heberende an die zu
färbende Stelle des Präparates, welche wir auf der Rückseite mit einem
Kreis bezeichnen, und blasen leise in das andere Ende. Die Farblösung
w'ölbt sich vor und breitet sich an der gewninschten Stelle aus. Darauf
•) Zu haben bei Mechaniker Richard G ii t, Breslau, Breitestrasse 20.
Preis 90 M.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. M^rz 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
335
wird zur Verhinderung der Verdunstung der Deckel auf die Schale ge¬
geben. Nach beendeter Färbung wird der Tropfen wieder mit dem
Heber abgesaugt.
Der Vorteil des geschilderten Vorgangs liegt in der niederschlags¬
freien Färbung und in der Möglichkeit, einen einzigen Objektträger¬
ausstrich zu gleicher Zeit und unter gleichen Bedingungen mit ver¬
schiedenen Farblösungen zu behandeln, wodurch ein Massstab für die
Beurteilung der Färbekraft der einzelnen Lösungen gegeben ist. Ver¬
wendet man nur eine Farblösung, so kann man auf einem Ausstrich die
einzelnen Stellen verschieden lang färben und durch die Differenz der
Färbezeit das Optimum für jeden speziellen Fall feststellen. .
Für die Praxis.
Die Indikationsstellung bei geburtshilflichen Operationen.
Von E. Bumtn.
Die geburtshilflichen Operationen, welche im Privathause ausgeführt
werden können, stellen an die Kunst des Arztes keine allzu grossen For¬
derungen. Zange, Wendung, Extraktion und Perforation kann jeder
kunstgerecht ausfiihren lernen, der über einige technische Geschicklich¬
keit in operativen Dingen verfügt. Trotzdem ist die Zahl der geburts¬
hilflichen Eingriffe, welche unglückldch verlaufen, zu langwierigen Er¬
krankungen, zu schweren und sogar tödlichen Verletzungen führen, keine
geringe. Es ereignet sich jede Woche, dass unsere Poliklinik bei miss¬
glückten Entbindungsversuchen zu Hilfe gerufen wird.
Gewöhnlich liegt der Grund des Missgeschickes nicht im technischen
Versagen des Arztes, sondern in der falschen Indikations¬
stellung. Im richtigen Zeitpunkt und an richtiger Stelle ausgeführt,
gehen die geburtshilflichen Operationen glatt, ohne Gewaltanstrengung
und Nebenverletzungen vor sich, zur Unzeit oder am falschen Platz an¬
gewandt können sie zu abschreckend rohen, blutigen, für Mutter und Kind
verderblichen Eingriffen werden.
Die Erw'eiterung, welche die Indikation zur künstlichen Unterbrechung
der Schwangerschaft in neuerer Zeit erfahren hat. bringt es mit sich,
dass sich die Aerzte häufiger wie früher mdt der Einleitung des
A b o r t u s und der Ausräumung des schwangeren Uterus beschäftigen.
Während sich die gewerbsmässigen Abtreiberinnen, durch die Erfahrung
gewitzigt, mit der Verletzung des Eies begnügen und alles weitere der
Natur oder der Klinik überlassen, wohin sie die Frauen .weisen, suchen
viele Aerzte dje Entleerung des schwangeren Uterus operativ zu
vollenden und unterschätzen dabei oft diie Schwierigkeiten des Unter¬
nehmens ganz bedeutend.
Das Ei liegt in den ersten Schwangerschaftsmonaten durch das fest¬
geschlossene, lange Kollum wohl geschützt im Grunde des Gebärmutter¬
körpers und die Versuche Fötus und Ei durch den engen Kanal hindurch
mit der Kürette oder der Abortzange herauszubefördern, führen in der
Regel nur zu einer unvollkommenen Entleerung und daneben noch nicht
selten zu Perforationen der Uteruswand. Wir haben neben vielen
leichteren Verletzungen und septischen Infektionen durch zurückgelassene
Eireste es in den letzten Jahren 12 mal erlebt, dass nach solchen Aus-
räumungsversuchen Frauen mit bis vor däe Vulva herabgezogenen Netz¬
stücken und Darmschlingen in die Klinik gebracht wTirden. 8 konnten
durch die sofortige Laparotomie und Darmresektion gerettet werden,
4 sind an Peritonitis gestorben. Die Aerzte erzählten alle die gleiche
Geschichte, sie waren ohne genügende Dehnung des Halskanales mit dei
Abort- oder Kugelzange in die Uterushöhle eingegangen, hatten von der
Perforation nichts gemerkt und im Glauben, mit dem Instrument im
Uterus zu sedn, zugefasst und zu ihrem Schrecken den Darm heraus¬
gebracht.
Die Kürette darf zum Abortus höchstens bis zu 2 Wochen nach dem
Ausbleiben der Menses benützt werden, d; h. solange als das Ei noch als
kleines Bläschen in der Schleimhaut sitzt und mit dieser abgeschabt
werden kann. Später führt die Kürette unfehlbar zu Zerfetzung des Eies
und zu unvollkommener Entleerung.
Die Durchführung des Abortus in einer Sitzung passt als keineswegs
einfache und leichte Operation nur für die Klinik. Im Privathause muss
der Praktiker, wenn er kein Unheil anrichten will, die Einleitung des
Abortus stets mit der Erweiterung des Halskanales beginnen, die zuerst
durch Ouellstifte, dann durch Gazetamponade des Kollum vorgenommen
ward und bis zur guten Durchgängigkeit des Kanales für 1 Finger und
vom 4. Monat an für 2 Finger etwa 2—3 Tage in Anspruch nimmt.
Dabei wird oft durch die Wehen das Ei von selbst zusammen mit dem
Tampon ausgestossen. Tritt dieser günstige Fall nicht ein, so lässt es
sich ohne Schwierigkeit mit dem eingeführten Finger ablösen und durch
Druck von oben herausbefördern. Man braucht keine Instrumente und
läuft keine Gefahr zu verletzen. Je weiter die Schwangerschaft fort¬
geschritten ist, desto gründlicher muss erweitert werden. Die Föten des
4 . und 5. Monats passieren einen engen Halskanal nur schwer und sind
aber zugleich so zerreisslich, dass bei den Extraktionsversuchen de.*
Fmchtkörper meist in Trümmer geht und man alle Mühe hat. den ab¬
gerissenen Kopf nachträglich zu entfernen.
Ebenso wie bei Fehl- und Frühgeburten ist auch für alle ent¬
bindenden Operationen am Ende der Schwangerschaft die
Vorbereitung der Weichteile, ihre Dehnbarkeit und die durch die Wehen
herbeigeführte Eröffnung von ausschlaggebender prognostischer Bedeu¬
tung. Es macht stets einen grossen Unterschied, ob die zu Entbindende
eine Erst- oder Mehrgebärende ist. Bei den letzteren findet die Zange,
Nr. 11
Digitized b
Gocigle
selbst wenn der Kopf noch hoch steht, in der Scheide und am Damm
kein merkliches Hindernis, ebenso lassen sich die Wendung und die
Extraktion ohne Schwierigkeit durchführen, wohingegen die straffe
Scheide Erstgebärender dem Zug der Zange beträchtlichen Wider¬
stand entgegensetzt und, wenn Gewalt angewandt wurde, platzt. Die
tiefen seitlichen Risse im Scheidengewölbe, die dabei entstehen und
stark bluten, sind mit den Hilfsmitteln des Praktikers am Gebärbette nur
schwer blosszulegen und zu nähen. Natürlich muss bei enger Scheide
auch die Zugkraft grösser sein, proportional mit ihr nimmt aber auch
der schädliche Druck auf den Kopf des Kindes zu. Wendung und Extrak¬
tion am Fusse bei Erstgebärenden bringen erfahrungsgemäss leicht tote
Kinder. Der alleinstehende Arzt wird es sich deshalb, wenn er klug ist,
zweimal überlegen, ehe er bei Erstgebärenden zu entbindenden Ope¬
rationen schreitet, und bei diesen die Unterstützung der natürlichen
Geburtskräfte bis zur äussersten Möglichkeit des Abwartens ausnutzen.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den Widerständen, welche durch
unvollkommene Eröffnung des Halskanales und des Orific. ext. bedingt
sind. Die natürliche Dehnung dieser Teile durch die Wehen geht mit
einer Umlagerung der Muskellamellen einher, welche jede Kontinuitäts¬
trennung ausschliesst, die gewaltsame Dehnung zerreisst das Gewebe und
führt zu den berüchtigten tiefen Einreissen des Kollum, aus denen sich
die Frauen verbluten, wenn nicht rasch durch die Laparotomie, Bloss¬
legung und Naht Hilfe gebracht werden kann. Es ist selten, dass die
natürliche Erweiterung nicht abgewartet werden kann. Wenn aber
wirklich einmal die Entbindung bei unvollkommener Erweitemng der
Zervix dringlich wird und nicht zu umgehen ist, so bleibt es viel sicherer,
das Kollum nach Abschiebung der Blase in der Medianlinie zu spalten,
als durch gewaltsame Sprengung des Hindernisses die gefährlichen seit¬
lichen Einrisse zu riskieren.
Auch am Damm ist die unschädliche seitliche Exzision dem spon¬
tanen Riss, der leicht durch den Sphinkter bis ins Rektum hinein weiter-
reisst, vorzuziehen und di^ alte Regel beherzigenswert, bei Erst¬
gebärenden mit enger Rima die Extraktion mit der Zange oder die
Wendung und die Extraktion am Steiss und Fuss mit einer Episiotomie
zu beginnen, die. wenn es schnell gehen muss, ohne Gefahr nach hinten
zu bis tief ins Fettpolster des Cavum ischiorectale erweitert werden kann
Sehr gewöhnlich sind Fehler in der Abschätzung des Standes des
Kopfes im Beckenkanal und des Kraftaufwandes, dessen es bedarf, um
ihn durchzuziehen. So wird im Drange zu helfen und die Geburt zu be¬
enden oft die Zange angelegt an einen Kopf, der noch unkonfiguriert ist
und erst anfängt in den Beckeneingang einzutreten, oder es wird die
Extraktion am Steiss schon begonnen, wenn dieser noch hoch steht und
nur mit vieler Mühe unter dem Risiko eines Schenkelhalsbruches heraus¬
befördert werden kann. Der Arzt erlebt an solchen gewaltsamen
Extraktionen in der Regel wenig Freude. Verletzungen des Kindes
werden ihm zeitlebens nachgetragen. Muss man, um den vorliegenden
Teil zu fühlen, den halben oder ganzen Zeigefinger in die Scheide ein¬
führen, so wird man sich in der Regel auf eine schwierige Extraktion
gefasst machen dürfen. Wenn die entbindende Operation leicht ver¬
laufen soll, müssen Kopf, Gesicht oder Steiss so tief stehen, dass man sie
beim Auseinanderziehen der Labien bereits sehen kann. Auf die Stellung
des Kopfes kommt viel weniger an. wie auf seine Konfiguration und seinen
Stand im Beckenkanal. Ein paar Stunden Zuwartens and kräftigen Mit-
pressens machen manche Operation unnötig und oft aus einem schweren
Eingriff einen leichten. Viel mehr Kinder sind durch verfrühtes Ein¬
greifen getötet als aus der Asphyxiegefahr gerettet worden.
Endlich ist beim Entschluss zur operativen Entbindung irnmer Eines
zu bedenken: Es gibt Schwierigkeiten, die mit den Mitteln, welche dem
Arzt im Privathause zur Verfügung stehen, überhaupt nicht ohne Schaden
für Mutter und Kind überwunden werden können. Früher hat sich die
Geburtshilfe in solchen Fällen mit der Opferung des Kindes geholfen,
heute stehen fast überall Krankenhäuser und Kliniken zur Verfügung, die
mit ihren Mitteln in ganz anderer Weise helfend eingreifen können, als
es der alleinstehende Arzt im Privathause vermag. Ebenso wie es jetzt
niemand mehr einfällt, z. B. eine akute Blinddarmentzündung oder eine
Brucheinklemmung zu Hause zu operieren, muss auch bei schweren
Geburtsstörungen der Entschluss zum Transport in die Klinik rechtzeitig
d. h. bevor durch langes Zuwarten schwere Schäden und eine Infektion
des Genitalkanales eingetreten sind, vom Arzte gefasst und bei der
Familie durchgesetzt werden. Das Auto erweist sich wie im Kriege
so auch unter solchen dringlichen Umständen als segensreiches und zu¬
weilen lebensrettendes Transportmittel. Die Klinik vermag mit der
modernen Technik des Kaiserschnittes Mutter und Kind mit einem
Minimum von Risiko über die Gefahren der Beckenenge, der Blutungen
bei Placenta praevia und der Eklampsie hinwegzubringen. Auch bei
schweren Nachgeburtsblutungen und Zerreissungen sind es oft allein die
Klinik oder das Krankenhaus, die duröh die sofortige Laparotomie und
gleichzeitige Bluttransfusion noch Hilfe bringen können.
Wir haben auf diese Weise schon eine Anzahl von Frauen retten
können, die sterbend im Auto ankamen, deren Gewebe beim Schnitt
schon wie an der Leiche keinen Tropfen Blut mehr gaben und sich erst
während der Operation durch die Transfusion wieder zu röten und zu
bluten anfingen. Es ist durchaus nicht nötig, den unglücklichen Ausgang
eines gewissen Prozentsatzes der Geburten als unabwendbares Ver¬
hängnis hinzunehmen. Wird durch eine sorgfältige iHdikationsstellung
der Leistungsfähigkeit der privaten und klinischen Geburtshilfe Rechnung
getragen, werden jener die einfachen, dieser die schwierigen operativen
Entbindungen zugeteilt, so muss die Zahl der schweren Erkrankungen und
Todesfälle bei der Geburt sich beträchtlich verringern.
-,-
6
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
336
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. II.
Soziale Riedizln und aerznictie standesanoeieoenheiten.
Die Neuordnung des Deutschen Strafrechts.
Von Theodor von der Pfordten, Rat am Obersten
Landesgericht in München.
iV. Die ärztliche Tätigkeit im aligemeinen.
1 . Die ärztlichen Eingriffe. Das geltende Strafrecht hat
auf diesem Gebiete keine ausdrücklichen Vorschriften gegeben, vielmehr
alles der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen. Das führte
zur Unsicherheit, vielfach auch zu unbefriedigenden Ergebnissen. Der
E. sucht dem durch zwei Sondervorschriften (§§ 313 u. 2ö8), sowie
durch Ausdehnung der Begriffe Notstand und Notliilfe (§ 22) abzuliclten.
Die vorgeschlagene Regelung würde einen unverkennbaren Fortschritt
bedeuten, sie ist indessen nicht ganz leicht zu übersehen D.
a) Der E. geht davon aus. dass eine Behandlung zu Heilzwecken
nach den Regeln der ärztlichen Kunst niemals Körperverletzung sein
kann, vielmehr nur als Eingriff in die persönliche Freiheit zu ahnden ist,
wenn sie gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen wird. Das
gilt für Aerzte und Nichtärzte, nicht aber für Eingriffe, bei der die
Regeln der ärztlichen Kunst vorsätzlich oder fahrlässig ausser acht ge¬
lassen werden; solche bleiben als vorsätzliche oder fahrlässige Körper¬
verletzung strafbar. Die Behandlung zu Heilzwecken umfasst nicht nur
die Heilung von Krankheiten, sondern auch die Beseitigung körperlicher
Fehler, dagegen nicht blosse wissenschaftliche oder praktische Versuche
an Menschen.
b) Eine ärztliche Behandlung zu Heilzwecken gegen den Willen
des Betroffenen soll nach E. § 313 (im Abschnitt „Verletzung der per¬
sönlichen Freiheit oder Sicherheit“) unter Strafe gestellt werden und
zwar sowohl dann, wenn der entgegenstehende (ausgesprochene oder
vermutete) Wille des Kranken oder seines gesetzlichen Vertreters*) vor¬
sätzlich missachtet wird, als auch dann, wenn das Einverständnis fahr¬
lässiger Weise angenommen wird. Die Verfolgung (ritt nur auf Antrag
ein; der Antrag ist zurücknehmbar. In besonders leichten Fällen kann
von Strafe abgesehen werden. Die bürgerlich-rechtliche Haftung für
etwa entstandene Nachteile ergibt sich aus § 823 Abs. 2 ßüB. (Ver¬
letzung eines Schutzgesetzes). Die Vorschrift richtet sich nicht nur
gegen Aerzte sondern gegen Jeden, der gewerbsmässig oder gelegentlich
zu Heilzwecken eingreiit.
c) Erweitert wird die Befugnis zu ärztlichen Eingriffen durch die
Bestimmungen über die Nothilfe (E. § 22). Nothilfe leistet, „wer unter
pflichtmässiger Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden Inter¬
essen eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, um von einem anderen
die gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr eines erheblichen
Schadens abzuwenden, den der andere zu tragen rechtlich nicht ver¬
pflichtet ist“ (§ 22 Abs. 3). Auch hier darf allerdings nicht gegen den
Willen des Bedrohten eingegriffen werden, doch braucht das Einver¬
ständnis nicht ausdrücklich zuvor festgestellt zu werden, vielmehr genügt
es für die Straflosigkeit, wenn ein entgegenstehender Wille des Ge-
fänrdeten weder ausurücklicli erklärt, noch nach den Uinstäiulcn zu ver-
mnten w'ar *). Die Notwendigkeit raschen Entschlusses soll berücksichtigt
werden, deshalb bleibt auch straflos, wer bei besserer Aufmerksamkeit
den entgegengesetzten Willen des Bedrohten hätte erkennen oder ver¬
muten müssen, ihn aber tatsächlich weder erkannt noch vermutet hat
(Abweichung vom Falle des E. § 313; s. oben b).
Belanglos ist, ob der Bedrohte die Gefahr selbst schuldhaft herbei¬
geführt hatte oder nicht (anders beim Notstand, wo der Gefährdete
selbst handelt; § 22 Abs. 2). Straflose Nothilfe kann also z. B. auch
einer Person ge.eistet werden, die bei einer von ihr selbst herbei¬
geführten Schlägerei verletzt wurde, oder dem Aufrührer, der bei einem
Strassenkampf einen Schuss erhalten hat. Bei der Nothilfe darf ferner
auch in die Rechtsgüter Unbeteiligter eingegriffen werden, freilich nur
„unter pflichtmässiger Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden
Interessen“ (ein Zaunstück wird abgerissen, um eine Tragbahre für einen
Verwundeten herzustcllen, oder ein Hausfriedensbruch muss begangen
werden, um Wasser herbeizuschaffen).
d) Ein besonderer Fall der Nothilfe ist die Unterbrechung der
Schwangerschaft oder die Tötung des in der Geburt begriffenen Kindes,
wenn sie vorgenommen wird, um von der Schwangeren eine nicht
anders abwendbare schwere Ciefahr für Leben oder Gesundheit abzu¬
wenden. Diese Eingriffe bleiben straflos, wenn sie nicht dem erklärten
oder vermuteten Willen der Schwangeren zuwiderlaufen (fahrlässige
Missachtung eines entgegenstehenden Willens bleibt anders als im Falle
des E. § 313 straffrei). Wird gegen den Willen der Mutter cingegriffen,
so tritt nicht die Strafe der Abtreibung oder Tötung ein, sondern es liegt
ein gesondert geregeltes, minder strafbares und nur auf Antrag verfolg-
bares Vergehen vor (E. § 288).
Der E. kommt hier dem Entschlüsse des Arztes insofern zu Hilfe,
- ^
*) Eine sehr klare und eingehende Darstellung gibt Ebermayer in
der D.m.W. 1921 Nr. 5 S. 134. Wer in den Stoff tiefer eindringen will, wird
auch die mit dem E. veröffentlichte Denkschrift ansehen müssen (insbesondere
S. 34 ff., 231 ff., 238, 259 ff.).
*) Nicht entscheidend ist der Wille der „Angehörigen", die nicht gesetz¬
liche Vertreter sind (z. B. des Ehegatten). Immerhin kann er mittelbar von
Bedeutung sein, wenn festgestellt werden soll, ob vorsätzlich oder fahrlässig
gehandelt wurde.
*) Ueberhaupt nicht zu beachten ist der entgegens^ehende Wille, wenn
er der Rechtsordnung oder den guten Sitten zuwiderläuft, z. B. der Wille des
Selbstmörders, der seiner Rettung widerstrebt (Denkschrift S. 38),
als dieser nicht mit sich darüber zu Rate gehen muss, ob die allgemeinen
Vorausetziuigen der Nothilfe nach § 22 Abs. 3 vorliegen, ob also die
Gefahr für die Schwangere eine gegenwärtige ist und ob diese rechtlich
verpflichtet ist, den ihr drohenden Schaden zu tragen. Der E. geht viel¬
mehr davon aus, dass die erste Frage stets zu bejahen, die z\K'eite stets
zu verneinen ist. Er entscheidet ferner den Widerstreit der Interessen
zwischen der Muttermund dem Kinde dahin, dass das Interesse an der
Erhaltung von Leben und Gesundheit der Mutter überwiegt, mutet also
dem Arzte nicht wie in anderen Fällen der Nothilfe ein Abwägen zu*).
Als Abtreibung oder Tötung bleiben Eingriffe strafbar, die nicht
die Abwendung einer anders nicht zu beseitigenden Gefahr für Leben
oder Gesundheit der Schwangeren bezwecken, sondern z. B. nur einer
wirtschaftlichen Not der Schwangeren begegnen wollen.
c) Wer bei ärztlicher Behandlung die Regeln der ärztlichen Kunst
nicht beachtet oder die Berufspflichten sonstwie nicht erfüllt, macht sich
je nach den Eolgen der fahrlässigen Tötung (E. § 290) oder der fahr¬
lässigen Körperverletzung (E. § 3U0) schuldig. Verschärfte Strafdrohungen
wegen der fahrlässigen Verletzung einer durch Amt, Beruf oder Gewerbe
geforderten besonderen Sorgfaltspflicht werden nicht mehr aufgestellt;
die fahrlässige Körperverletzung soll jedoch wie bisher auch ohne den
sonst erforderlichen Strafantrag verfolgt werden, wenn sie in oder bei
Ausübung eines Amtes oder in Ausübung eines Berufes oder Gewerbes
begangen worden ist (E. § 301 Abs. 1).
Den Begriff der Fahrlässigkeit bestimmt E. § 14 als die Ausseracht-
lassung der Sorgfalt, zu der jemand nach den Umständen und nach
seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und imstande ist. Hinzu¬
kommen muss, dass er infolge dieses Mangels an Sorgfalt nicht voraus¬
sieht, dass sich der Tatbestand verwirklichen könne, oder darauf ver¬
traut, dass es nicht geschehen werde, obwohl er es für möglich hält.
2. Behandlungs - und Fürsorgepflicht^). Der E. kennt
so wenig wie das geltende Recht eine allgemeine Pflicht zu ärztlicher
Beratung und Behandlung. Nur in einzelnen Fällen ergibt sich eine
solche mittelbar.
a) Schon jetzt kann jedermann bei gemeiner Gefahr oder Not von
der Polizeibehörde zur Hilfe aufgefordert werden und macht sich straf¬
bar, wenn er dieser Aufforderung nicht nachkommt (§ 360 Nr. 10 StGB.).
Das gilt auch für den Arzt. Die Verfehlung — z. Z. Uebertretung —
wird im E. § 199 zum Vergehen gestempelt und mit schärferer Strafe
bedroht. Die Hilfeleistung soll verweigern können, wer der Aufforderung
nicht ohne erhebliche eigene Gefahr oder nicht ohne Verletzung sonstiger
wichtiger Insteressen genügen kann. Unter „Gemeingefahr“ i. S. des
E. § 199 sind nach E. § 9 Nr. 8 Fälle zu verstehen, in denen Gefahr
für Menschenleben oder in bedeutendem Umfange für fremdes Eigentum
besteht.
b) Etwas weiter geht noch für einen ähnlichen Fall die dem gel¬
tenden Recht unbekannte Vorschrift des E. § 291. Strafbar soll sich hier¬
nach machen, wer es unterlässt, einen anderen aus einer Lebensgefahr
zu retten, obwohl er es ohne erhebliche Gefahr für sein eigenes Leben
oder seine eigene Gesundheit tun kann; das gilt aber nur. wenn der Ge¬
fährdete dann tatsächlich in der Gefahr sein Leben verliert oder eine
schwere Körperverletzung erleidet. Hier bedarf es keiner Aufforderung
der Polizeibehörde. Das Eingreifen darf auch nicht wegen der Gefahr
eines vermögensrechtlichen oder eines anderen Leben und Gesundheit
nicht bedrohenden persönlichen Nachteils unterlassen werden.
c) Nach E. § 289 Abs. 2 soll bestraft werden, wer einen Hilflosen in
hilfloser Lage lässt*), der unter seiner Obhut steht oder für dessen
Unterbringung. Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat. Eine
Fürsorgepflicht gegenüber Hilflosen kann für den Arzt nicht bloss ver¬
möge öffentlichen Amtes bestehen (Krankenhaus-, Irrenanstaltsarzt) son¬
dern auch infolge Vertrages oder deshalb, weil er Obhut oder Fürsorge
ohne Vertrag freiwillig übernommen hat (z. B. durch erste Hilfeleistung
an einem Bewusstlosen). Die ärztliche Ueberwachung und Behandlung
darf im letzteren Falle nicht aufgegeben oder unterbrochen werden, so
lange nicht andere ausreichende Hilfe gesichert ist. Das ist schon im
geltenden Rechte anerkannt.
3. Das ärztliche Berufsgeheimnis. Die derzeitige Vor¬
schrift in § 300 StGB, hat zu mancherlei Härten geführt und die Aerzte
mitunter in peinliche Gewissenbedenken verstrickt. Eine Ausnahme von
dem Gebote der Schweigepflicht wurde allgemein nur da anerkannt, wo
eine Rechtspflicht zur Offenbarung eines Geheimnisses bestand. Da¬
gegen haben sich Schrifttum und Rechtsprechung nur zögernd ent¬
schlossen, den Arzt von der Wahrung des Berufsgeheimnisses auch dann
zu entbinden, wenn Reden sittliche Pflicht ist. Immerhin hat das Reichs¬
gericht in der Entsch. Bd. 38 S. 62 nachgegeben und dem Arzt die Be¬
fugnis zugesprochen, die .Angehörigen eines Geschlechtskranken vor
der Ansteckungsgefahr zu warnen. Der E. (§ 355) lässt Ausnahmen
vom Schweigegebot in weitem Umfang zu. Die Offenbarung soll nach
Abs. 3 nicht rechtswidrig sein, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter
privater oder öffentlicher Interessen erforderlich war, vorausgesetzt, dass
dabei die sich gegenüberstehenden Interessen pflichtmässig berück¬
sichtigt worden sind. Die Warnung vor dem gemeingefährlichen Treiben
*) Vergleicht maq nur den Wortlaut von E. § 22 Abs. 3 und § 288, so
tritt das alles freilich nicht deutlich hervor. Aber die Denkschrift (S. 232)
spricht sich so bestimmt aus, dass wohl kein Zweifel möglich ist.
*) Siehe zu diesem Abschnitt meine Abhandlung über den Aerzte-
streik in d. Wschr. 1919 Nr. 14 S. 387 ff.
®) Der E. sagt im Gegensätze zum «reitenden Rechte (§ 221 StGB.) nicht
mehr ..verlässt", sondern „lässt“ und will damit ausdrOcken, dass es nicht
auf die räumliche Entfernung vom Hilflosen ankommt, sondern dass auch 4ie
blosse Untätigkeit strafbar sein kann.
Digitized by
Got-igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
337
Geschlechtskranker würde also danach für die Regel, nicht nur für Aus¬
nahmefälle freigegeben sein. Auch seine eigenen berechtigten Inter¬
essen dürfte der Arzt berücksichtigen, z. B. wenn er in ein Strafver¬
fahren verwickelt oder auf Schadensersatz belangt wird.
Sehr bestritten war bisher, inwieweit das Schweigegebot auch im
Zivil- und Strafprozess gelten solle, ob insbesondere der Arzt von dem
ihm gesetzlich zustehenden Rechte der Zeugnisverweigerung (§ 383
Nr. 3 ZPO.; § 52 Nr. 3 StPO.) Gebrauch machen müsse oder ob er
nach seinem Ermessen zwischen Reden und Schweigen wählen dürfe').
Die Frage wird im ersteren Sinne zu entscheiden sein®). Durch die
neue Bestimmung des E. würde sie nicht beseitigt, aber in ihrer Trag¬
weite doch wesentlich eingeschränkt werden. Denn selbstverständlich
könnte der Arzt auch als Zeuge erwägen, ob nicht überwiegende Rück¬
sichten auf ihn selbst, auf andere Personen oder auf das Gemeinwohl die
Offenbarung des Geheimnisses nöti& machen.
Im übrigen soll durch E. § 355 Abs. 2 die Schweigepflicht aus¬
gedehnt werden auf alle Personen, die berufsmässig die Heilkunde, die
Krankenpflege, die Geburtshilfe oder das 'Apothekergew^erbe betreiben,
und auf ihre berufsmässigen Gehilfen ®). Sie soll ferner nicht nur
wie bisher Geheimnisse umfassen, die kraft des Berufs oder der Be¬
schäftigung anvertraut worden sind, sondern auch solche, die nur aus
solchem Anlässe zugänglich geworden sind.
4. Aerztliche Zeugnisse. Nach E. § 242 Abs. 1 sollen
Aerzte, Zahnärzte und Tierärzte strafbar sein, wenn sie wissentlich über
den Gesundheitszustand oder über die Ursache des Todes eines Men¬
schen ein unrichtiges Zeugnis zum Gebrauche bei einer Behörde, einer
öffentlichen Versicherungsanstalt oder einer privaten Versicnerungs-
unternelimung ausstellen. Das entspricht mit kleinen Abweichungen
dem geltenden Rechte (StGB. § 278). Wegen des „wissentlich“ ist
auf E. § 13 Abs. 1 zu verweisen. Hiernach genügt nicht zur Strafbarkeit,
dass der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes nur für möglich
hält und für den Fall der Verwirklichung mit ihr einverstanden ist.
5. Prüfungswesen. In unserer Zeit macht sich überall der
Schwindel in grober und feiner Form bemerklich. Ganz passend ist
deshalb die Vorschrift im E. § 243; sie wird wohl auch dem Aerztestande
willkommea sein. Strafbar soll sein, wer bei einer Prüfung zur Erlangung
einer Anstellung oder eines Titels oder zum Nachweise der Befähigung
zu einem Amte oder Beruf versichert, dass er selbständig eine Prüfungs¬
leistung hergestellt habe, die er ganz oder teilweise durch einen anderen
hat anfertigen lassen. Auch der wirkliche Verfasser wifd bestraft,
und zwar schärfer, wenn er geschäftsmässig handelt. Verboten ist auch
das Erbieten zu solcher Hille, wenn es öffentlich oder durch Verbreitung
von Schriften geschieht. Hoffentlich kann mit dieser Vorschrift dem
Unwesen der Dissertationenfabriken wirksam entgegengetreten werden.
V. Bemerkenswerte’ Einzelheiten.
Im Rahmen dieser Abliandlung können nicht alle Vorschläge des E.
betrachtet werden, die für den Arzt als Berater oder Gutachter Be¬
deutung gewinnen können. Nur das Wichtigste soll hervorgehoben
werden.
1. Tötung. Der E. unterscheidet in §§ 282, 283 wie das geltende
Recht zwischen Totschlag und -Mord. Das Unterscheidungsmerk¬
mal soll nach wie vor darin liegen, ob mit oder ohne Ueberlegung ge¬
tötet wurde; doch braucht nach dem E. die Ueberlegung nicht wie jetzt
bei der Ausführung der Tat vorhanden gewesen sein, es genügt viel¬
mehr, wenn der Täter schon in einem früheren Zeitpunkt überlegt,
d. h. wie die Denkschrift (S. 226) sagt, sich die Gründe und Gegengründe
vor Augen geführt hat.
Die Todesstrafe ist für den Mord beibehalten, aber nicht mehr
schlechthin angedroht, sie kann wegen Irrtums über die Befugnis zur
Tat (E. §§ 12 Abs. 1 100), wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit
(E. §§ 18 Abs. 2, 19, Abs.' 2, § 111) oder wegen allgemeirf mildernder
Umstände (E. § 113) Wegfällen.
Beim Totschlag sind nicht mehr wie bisher einzelne mildere oder
schwerere Fälle besonders aufgezählt. Die Milderungsgründe ergeben sich
aus den allgemeinen Vorschriften des E. über die Strafbemessung
(E. §§ 106 ff.), für besonders schwere Fälle ist in § 282 Abs. 2 ein er¬
höhter Strafrahmen vorgesehen. Ein Fall solcher Art liegt nach E. § 117
vor, wenn der verbrecherische Wille des Täters ungewöhnlich stark und
verwerflich und (nicht oder) die Tat durch die besonderen Umstände
ihrer Begehung oder durch ihre verschuldeten Folgen ungewöhnlich
schwer ist.
Sonderfälle bilden die Tötung auf ausdrückliches und ernstliches Ver¬
langen (E. § 284) — hier ist im Gegensätze zum StGB, auch der Versuch
unter Strafe gestellt — und die Kindstötung (E. § 285), an deren Tat¬
bestand nichts geändert ist. Die fahrlässige Tötung (E. § 290) weist
nur die Neuerung auf, dass die Verletzung einer durch Amt, Beruf oder
Gewerbe gebotenen Pflicht zur Aufmerksamkeit nicht mehr straf¬
erhöhend wirkt und dass auf Einziehung der Gegenstände erkannt wer¬
den kann, die den Tod herbeigeführt haben.
2. Abtreibung. Der E. gibt nicht dem von manchen Seiten ins¬
besondere von sozialdemokratischen Stimmen erhobenen Verlangen
^ Eine Uebersicht über die Streitfrage findet sich bei Ebermayer-
Ei che I b a u m. Komm. z. StGB.. Bern. 7 Abs. 10 zu § 300 S. 847.
®) Dagegen ist der Arzt natürlich gedeckt, wenn das Gericht in einem
zweifelhaften Falle das Zeugnisverweigerüngsrecht nicht anerkennt und die
Anssage forde-*.
*) Die Denkschrift (S. 297) erwähnt, dass unter diesen Begriff auch fällt,
wer nur zu seiner Ausbildung Hilfsdienst leistet, und dass es nicht darauf
ankommt, ob die Tätigkeit bezahlt wird.
Digitized by Goi-sle
nach, die Abtreibung straffrei zu lassen, begnügt sich vielmehr damit,
die Strafdrohung zu mildern. Die einzelnen Tatbestände stellt er etwas
schärfer heraus als das in diesem Punkte nicht ganz klare geltende Recht.
Strafbar ist zunächst die Schwangere selbst, die ihre Frucht im
Mutterleibe oder durch Abtreibung tötet oder die Tötung durch einen
anderen zulässt (E. 286 Abs. 1). Strafbar ist ferner, wer an der Schwan¬
geren die Tötung der Frucht bewirkt; die Strafe wird erhöht, wenn
der Täter ohne die Einwilligung der Schwangeren handelt ^'’) oder wenn
er die Tat gegen Entgelt vornimmt oder wenn er der Schwangeren gegen
Entgelt die Mittel oder Gegenstände zur Tötung der Frucht beschafft
(E. § 286 Abs. 2).
Der Versuch ist ausdrücklich für strafbar erklärt. Hier spielt eine
besondere Rolle die bekannte Frage der Strafbarkeit des sog. untaug¬
lichen Versuchs; die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat sie ständig
trotz heftigen VViderspruchs im Schrifttum bejaht. Nicht nur werden zu
Abtreibungen häufig ganz untaugliche Mittel verwendet, sondern es lässt
sich auch vielfach nicht einmal feststellen, ob überhaupt Schwanger¬
schaft bestand, mitunter ist sogar erwiesen, dass die Beteiligte nicht
schwanger war. Auf den ersten Blick mag es freilich betreindlich sein,
dass der Versuch in solchen Fällen gestraft wird. Bei näherem Zu-
seiien zeigen aber gerade die „untauglichen“ Abtreibungsversiiche, dass
der Ansicht des Reichsgerichts doch eine gesunde praktische Erwägung
zugrunde liegt. Die vermeintlich Schwangere handelt eben auf ihre
eigene Gefahr, wenn sie bei unsicherer Lage zum Abtreibungsversuch
schreitet: das Strafwürdige liegt darin, dass im Augenblicke der Jat
häufig die Schwangere nicht übersehen kann, ob ein Erfolg möglich ist,
ja dass dies mitunter nicht einmal ein Sachverständiger sicher be¬
urteilen könnte ^).
Der E. lässt den untauglichen Versuch nicht straffrei, ermächtigt aber
den Richter, die Strafe nach freiem Ermessen zu mildern oder auch
ganz von Strafe abzuselien (§ 24 Abs. 2).
Neu und begrüssenswert ist die Vorschrift des E. §287. Sic will
die öffentliche Ankündigung von Abtreibungsmitteln u. dgl., ihre An¬
preisung in Schriften, Abbildungen und Darstellungen sowie ihre Aus¬
stellung an allgemein zugänglichen Orten unterbinden, und zwar auch
dann, wenn eine verschleiernde Form gewählt wird. Das gleicne gilt lür
ein Angebot eigener oder fremder Dienste zur Vornahme oder Förderung
von Abtreibungen.
Die ärztlichen Eingriffe bei Schwangerschaft wurden schon oben
unter IV 1 d behandelt.
3. Körperverletzung. Sie liegt wie nach geltendem Rechte
vor, wenn jemand körperlich misshandelt oder an der Gesundheit be¬
schädigt wird (E. §292). Die einzelnen Erschvverungsfälle sind m^hr auf
allgemeine Begriffe zurückgeführt als bisher; die bis ins Einzelne gehen¬
den Aufzählungen bestimmter latformen und Folgen sind aufgegeben.
Der E. unterscheidet:
a) Die gefährliche Körperverletzung (§ 293). Mass¬
gebend ist hier die Art der Begehung; es kommt darauf an, ob sie ge¬
eignet ist, den Körper oder die körperliche oder die geistige Gesundheit
schwer zu schädigen. Die Art der etwa benützten Waffe fällt deshalb
weniger ins Gewicht als die Art ihres Gebrauchs; der in der Praxis all¬
zu dehnbare Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ (StGB. § 223 a) ist
beseitigt. Auch Verletzung ohne Waffe oder Werkzeug kann unter
§ 293 fallen (z. B. heftiges Niederwerfen).
b) Die schwer öHK örperverletzung (§§ 294, 295). Sie
wird durch die schweren Folgen gekennzeichnet. Unterschieden werden
zwei nur allgemein umschriebene Grade: I. Schwere Schädigung des
Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit; 2. lange und
bedeutende Beeinträchtigung im Gebrauche des Körpers oder der Geistes-
kräfte. Verfallen in gefährliche und langdauernde Krankheit und lebens¬
gefährliche Verletzung. Der viehimstrittene, schwer abzugrenzende Be-
griff des „wichtigen Gliedes“ (StGB. § 224) wird nicht mehr verwendet.
War eine der unter 2 auigeführten schweren Folgen absichtlich herbei¬
geführt fmit Ausnahme dör lebensgefährlichen Verletzung“)], wird
besonders streng bestraft. Absichtlich — wohl zu unterscheiden von
vorsätzlich und wissentlich — handelt der Täter, wenn es ihm darauf
ankommt, den schweren Erfolg herbeizuführen (E. § 13 Abs. 2).
c) Körperverletzung mit Todesfolge (E. § 296).
In allen Fällen, die von schweren Folgen begleitet sind, lässt das gel¬
tende Recht die Strafschärfung eintreten, auch wenn die Folgen nicht von
der Schuld des» Täters umfasst sind; sie werden ihm auch dann zur
Last gelegt, wenn sie durch aussergewöhnliche Umstände herbeigeführt
worden sind, oder wenn eigene Unvorsichtigkeit oder Nachlässigkeit
des Verletzten mitgewirkt haben. Gegen diese reine „Erfolgshaftung“
sind heftige A ngriffe gerichtet worden. Schwerlich mit vollem Recht.
“) Das ist auch der Fall, wenn keine ausdrückliche oder stillschweigende
Zustimmung der Schwangeren vorliegt und der Täter diese, nur vermutet.
Andererseits braucht die Einwilligung nicht gerade in dem Augenblicke erklärt
zu werden, in dem die Tötung der Frucht oder die Abtreibung vorgenommen
wird (Denkschrift S. 229).
“) Insoferne liegt dieser Fall ganz anders als die Beispiele des untaug¬
lichen Versuchs, die man eigens — und zwar oft recht absonderlich — aus¬
denkt, um die Rechtsprechung ad absurdum zu führen. Wenn jemand mit
einer blind geladenen alten Pistole auf 1000 m Entfernung nach einem Baum
schiesst, den er für einen Mann hält, so ist freilich für jeden Menschen mit
gesunden Sinnen die Besorgnis einer Gefährdung ausgeschlossen. Nicht so
beim Abtreibungsversuch der nicht Schwangeren: man weiss eben zur Zeit
der Tat zumeist noch nicht, ob sie nicht doch schwanger ist. Und auch
Zweifel Ober die Wirksamkeit eines Mittels sind nicht ausgeschlossen.
“) War diese beabsichtigt, so liegt stets der Versuch einer vorsätzlichen
Tötung vor (Denkschrift S. 237).
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
338
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Wer dem Gesetze zuwider einen Ursachenverlauf in Gang bringt, der
sich nicht überschauen lässt, muss eben auch für unvorhersehbare Folgen
einstehen. Die strenge Haftung war recht wohl geeignet, das Bewusst¬
sein der Verantwortlichkeit zu schärfen. Der E. gibt sie auch nicht ganz
auf, schwächt sie aber in § 17 einigermassen ab. Der Täter soll
nur dann für die Folgen einstehen müssen, wenn er sie wenigstens
als möglich voraussehen konnte. „Möglich“ ist hier nicht im logischen
Sinne zu verstehen, also nicht mit „denkbar“ gleichzusetzen. „Un¬
möglich* ist, w'as nach menschlicher Erfahrung soweit ausserhalb des
regelmässigen Verlaufes der Dinge liegt, dass mit ihm nicht gerechnet
zu werden braucht (sog. praktische Unmöglichkeit, ungefähr zusammen¬
fallend mit höchster Unwahrscheinlichkeit). Dass es ein körperlich Ver¬
letzter unterlässt, rechtzeitig ärztliche Hilfe zu suchen und dass dadurch
schwere Folgen eintreten, wird in vielen Fällen, z. B. in ländlichen
Verhältnissen, sehr wohl als möglich vorauszusehen sein; die Erfolgs-
haftung würde hier also auch nach den Vorschlägen des E. bestehen
bleiben.
Aus den Sondertatbeständen der Körperverletzung sei noch die
Strafdrohung gegen die Misshandlung von Kindern oder anderen der
Fürsorge bedürftigen Personen hervorgehoben (E. § 297); sie wiederholt
im Wesentlichen den durch die Novelle vom 19. Juni 1912 in das
StGB, eingefügten § 223a Abs. 2^'*). Als überflüssig ist die besondere
Strafvorschrift für die Vergiftung in § 229 StGB, aufgegeben; es bleibt
hier bei den allgemeinen, auch für solche Fälle ausreichenden Bestim¬
mungen in E. §§ 292—296. Nicht eigens geregelt ist auch im E. die An¬
steckung mit einer Geschlechtskrankheit; sie ist gleichfalls im allgemeinen
Tatbestand der Körperverletzung inbegriffen. Daneben soll die Sonder¬
vorschrift in § 3 der. VO. zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
vom 11. Dezember 1918 in Geltung bleiben (RGBl. S. 1431); bekanntlich
bestraft sie schon die blosse Ausübung des Beischlafs durch eine Person,
die \vciss oder nach den Umständen annehmen muss, dass sie an einer
ansteckenden Krankheit leidet, und gilt auch, wenn keine Ansteckung
eingetreten ist. (Schluss folgt.)
Lungenspezialisten oder Tuberkuloseärzte?
Von Dr. Kurt Klare, leitender Arzt der Prinzregent
Luitpold-Kinderheilstätte Scheidegg.
Wenn man die Fachliteratur der letzten Monate verfolgt, die sich
mit Fragen der Tuberkulosebekämpfung und Tuberkuloseprophylaxe be¬
fasst, so macht man die Beobachtung, dass sich die Stimmen mehren,
welche den Schwerpunkt der Tuberkulosebekämpfung m die Behandlung
der Kindertuberkulose gelegt sehen wollen. Much fordert in der Dis¬
kussion über das Reichstuberkulosegesetz auf der Generalversammlung
des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, das
Haupttuberkulosegesetz zu einer Bekämpfung der Kindertuberkulose zu
machen, denn durch Zunichtemachung der Kindertuberkulose mache man
die Erwachsenentuberkulose zunichte. Das müsse die leitende Idee eines
umfassenden Tuberkuiosegesetzes sein. Selter tritt in einer Arbeit aus
dem hygienischen Institut der Universität Königsberg dafür ein, unsere
Volksheilstätten in den Dienst der Behandlung der kindlichen Tuberkulose
zu stellen. Töplitz macht in einer Denkschrift gar den Vorschlag,
Kinder mit positivem Pirquet zwangsweise einer Tuberkulinbehandlung
zu unterziehen, eine Idee, die das wirkliche Leben allerdings voll¬
kommen verkennt. Bräuning will in den Schulen Tuberkuloseunter¬
richt eingeführt sehen, um die heranwachsende Jugend schon frühzeitig
über das Wesen und die Bekämpfung der Tuberkulose aufzuklären. ’ In
den oberen Klassen aller Schulen soll zu diesem Zweck jährlich einmal
eine „Tuberkulosewoche“ abgehalten werden.
Man muss sich wundern, dass diese Umstellung der Angriffsfront
gegen dib Tuberkulose erst jetzt nach dent unglücklichen Ausgang des
Krieges so energisch von allen Seiten betont wird, dass man heute erst
die Tuberkulose als Allgemein erkrankung und nicht ihre eine Aus¬
drucksform. die Lungentuberkulose allein angreift. Nehmen wir also
an, dass die Front gegen den Erbfeind Tuberkulose völlig umgruppiert
wird, so müssen wir in erster Linie auch die Zusammensetzung der
Kampftruppe, wenn ich mich „militaristisch“ ausdrücken darf, reorgani¬
sieren, d. h. wir müssen ein anders durchgebildetes Heer gegen die
Tuberkulose haben, als wir es letzt besitzen. Wir dürfen nicht allein,
wie bisher, „Lungenspezialisten“ an die Front schicken, sondern müssen
in „Tuberkuloseärzten“ Organisationen schaffen, die gegen die Tuber¬
kulose in allen ihren Formen durchgebildet sind. Die Ausbildung
dieser Fachärzte würde freilich eine weit grössere Vorbereitungszeit
erfordern, als sie heute so im allgemeinen für die Spezialität .Lungen¬
krankheiten“ notwendig und üblich ist.
Ich denke mir die spezialistische Ausbildung dieser Tuberkuloseärzte
in der Weise, dass mindestens 2—3 Jahre dem Studium der Lungen¬
tuberkulose des Kindes und des Erwachsenen, 2 Jahre der
chirurgischen. Haut- und Weichteiltuberkulose ge¬
widmet würden, so dass nur der die Berechtigung hätte, sich als Tuber-
kulo^sefacl^arzt niederzulassen, der mindestens 4—5 Jahre sich mit der
Ausbildung auf allen Gebieten der Tuberkulose befasst hätte. Die Spe¬
zialisierung, wie sie heute besteht, lässt sich für die Dauer nicht mehr
rechtfertigen, schon allein aus dem Gesichtspunkt, dass für den Tuber¬
kulosearzt unbedingt eine längere Ausbildung in der Behandlung der
Kindertuberkulose notwendig ist. Nehmen wir nur einmal die Röntgen-
‘*) Wegen der fahrlässigen Körperverletzung siehe oben unter IV. 1 e.
Digitized by Goi'Sle
diagnostik der Kindertuberkulose Heraus, so wird nur derjenige imstande
sein, eine sichere Diagnose zu stellen und die sich daraus ergebende
Therapie einzuleiten, der an grossem Plattenmaterial Erfahrung ge¬
sammelt hat.
Die Front gegen die Tuberkulose wird wesentlich fester stehen,
wenn jede grössere Stadt wenigstens einen durchgebildeten Tuberkulose¬
arzt hat, der vor allem als beratender Facharzt den Krankenhäusern in
der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose zur Seite steht und der
nebenher vielleicht die Spezialtuberkuloseabteilung des Krankenhauses
leiten könnte, wenn man allgemein dazu überginge, den Krankenhäusern
der grösseren Städte Pavillons für Tuberkulöse aller Formen an-
zuschliessen, damit wenigstens die chirurgischen Tuberkulosen — heute
noch die (irux sämtlicher Krankenhäuser — aus den meist überfüllten
Sälen herauskämen und allgemein der Freiluft-Sonnenbehandlung, die sich
im Tiefland wie im Hochgebirge durchführen lässt, teilhaftig würden.
Heilstätten zu bauen, verbietet uns für lange Jahre die Not der Zeit,
deshalb müssen wir versuchen, mit den uns zur Verfügung stehenden
geringen Mitteln, das Optimum in der Bekämpfung der Tuberkulose
zu erreichen. Hier anregend zu wirken, sei der Zweck dieser kurzen
Zeilen.
Bücheranzeigen und Referate.’
Studles from the Rockefeller Institute for Medical Research. New
York. Bd. 19—34. 1914—1920.
Mehr vielleicht als irgend eine Disziplin wird die medizinische
Wissenschaft durch internationalen Ideenaustausch gefördert. Auch hier
hat der Krieg die vorher so sehr gepflegten Beziehungen mit dem Aus¬
land unterbunden; wir wurden auch geistig-wissenschaftlich blockiert.
Diese Art Blockade hat uns nicht so schwer bedrückt wie die leibliche,
jedenfalls in nicht sehr hochgradige geistige Unterernährung versetzt. Die
deutsche Wissenschaft hat sich während der Kriegs- und Nach¬
kriegszeit stark und selbständig genug gezeigt, um Hervorragendes
zu leisten, auch ohne die Mitarbeit des Auslandes, dieses möge
die abgebrochenen Brücken von neuem schlagen, ' von uns
verlangt unser nationales Ehrgefühl darauf zu warten. Es
ist erfreulich und wir begrüssen es mit besonderer Genugtuung,
dass gerade amerikanische Gelehrte unter den ersten sind,
die den Versuch einer Wiederanknüpfung der früheren wissenschaft¬
lichen Beziehungen machen. Dies geschieht u. a. durch Zusendung der
seit 1914 erschienenen Rockefellerstudien an die Schriftleitung der
Münch, med. Wochenschr. Die Arbeiten aus dem reich bemittelten,
glänzend ausgestatteten Rockefellerinstitut, an dem Forscher von an¬
erkannter Bedeutung tätig sind,’ haben sich schon vor dem Krieg in
Deutschland des besten Rufes erfreut. Ich folge gern dem Wunsch der
Schriftleitung, das Eintreffen der vorliegenden 14 Bünde anzuzeigen, die
der Bibliothek des Münchener ärztlichen Vereins einverleibt werden
sollen. Die Arbeiten der einzelnen Bände sind nach folgenden Gesichts¬
punkten geordnet: Pathologie und Bakteriologie, Physiologie und
Pharmakologie. Chemie, experimentelle Biologie, experimentelle Chi¬
rurgie, Krankenabteilung des Rockefellerinstituts, Tierpathologie. Die
Aufsätze sind in den ersten Bänden nicht ausschliesslich in englischer
Sprache geschrieben, ja man findet im Bande von 1914 mehrere deutsche,
das hört natürlich später ganz auf. Aus der Fülle der gründlichen, ja viel¬
fach sehr wichtigen und interessanten Abhandlungen auch nur die Haupt¬
sachen gebührend zu würdigen, ist hier unmöglich. Wir stossen
oft auf in Deutschland sehr wohlbekannte Namen. So finden sich
Arbeiten F1 e x n e r s über Poliomyelitis, epidemische Meningitis.
Noguchis über Kultivierung von Spirochäten, Trachomkörperchen,
des Qelbfiebererregers. des Vakzinevirus (den Münchener Aerzten wird
N 0 g u c h i aus seinem Vortrag im Münchener ärztlichen Verein kurz
vor dem Krieg erinnerlich sein), B u 11 s über Pneumonie, Murphys
über Gewebswachstum, Tumorentstehung usw. Im chemischen Teil sind
besonders Levene mit zahlreichen Studien (über Sphingosin, Cere-
bronsäure, Mucin, Cephalin, Chondrosamin usw.), Robinson, Unter¬
hill über Kohlehydrate, van S1 y k e mit Acidosestudien, über Protein¬
körperabbau, Harnstoffbestimmung mit Urease, Ringer über Zucker¬
bildung u. a. vertreten. Der Abschnitt über experimentelle Biologie
wird beherrscht von zahlreichen Arbeiten Jacques Loebs über Be¬
fruchtung und ihre physikalisch-chemische Beeinflussung, über künstliche
Parthenogenesis, heliotrope Erscheinungen bei Tieren usw. Im kli¬
nischen Teil finden sich interessante Studien von van S1 y k e,
Osborne, Robinson, Cohn. Cole u. a. aus den verschiedensten
Gebieten. Die Bände enthalten sehr schöne Bilder und Tafeln. Sämt¬
liche Arbeiten zeugen von den reichen Mitteln des Instituts, die alle
privaten Stiftungen entstammen. Da könnte den Deutschen der Neid
fassen. Möge es auch in Deutschland gerade jetzt in Zeiten, wo der
Staat seine wissenschaftlichen Institute unmöglich genügend unterstützen
kann, mehr und mehr Sitte, sozusagen „guter Ton“ werden, dass reiche
Leute (es fehlt gewiss nicht an ihnen!) sich zu grosszügigen Stiftungen
für Wissenschaft und Kunst entschliessen. Kämmerer -München.
A. Pappenhel.m t: Technik und Methodologie der klinischen
Bhituntersuchiing. Ein Leitfaden für Anfänger, Studierende und Aerzte.
2. völlig umgearbeitete und erweiterte Auflage mit zahlreichen Text¬
abbildungen. Leipzig, Klinkhardt. Preis geheftet 4.80 M.
Die vorliegende Neuauflage, ein Teil des Pa p p e n h e i m sehen
Grundrisses der hämatdlogischen Diagnostik, enthält auf 78 Seiten in
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 1921.
MÜNCHP.Nt:R MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
339
übersichtlicher Zusammenstelluiiß alles Wesentliche, was der Praktiker
an technischen Handgriffen und methodischen Ratschlägen für die haupt¬
sächlichen häinatologischen Untersuchungen braucht, wobei aus¬
führlichere theoretische Erörterungen vom Verfasser vermieden
werden. Eine Reihe gut gewählter Textabbildungen erleichtert das Ver¬
ständnis. In einem wenige Seiten umfassenden Anhang ist neben der
zytodiagnostischcn Färbeteclinik und der Resistenzprüfung der Erythro¬
zyten die Färbung hämatologischer Oewebsschnitte kurz und prägnant
beschrieben. Ueberall macht sich die grosse eigene Erfahrung des auch
um die Färbetechnik so verdienten Forschers geltend. Dem kleinen
Leitfaden ist auch in dieser neuen Auflage der Erfolg sicher.
V. Domarus - Berlin.
W. Stoeckel: Lehrbuch der Geburtshilfe, bearbeitet von
0. V. Franquö, O. Hoehne, R. Th. v. Jaschke. E. Opitz,
K. Reifferscheid. L. S e i t z. W. S t o e c k e 1. M. W a 11 h a r d.
Mit 554 zum grössten Teil farbigen Abbildungen im Text. Jena 1920.
G. Fischer.
In einem stattlichen Bande von über 1000 Druckseiten, wovon aller¬
dings die zahlreichen, durchwegs mustergültigen, den gegenwärtigen An¬
forderungen entsprechend, vielfach prachtvollen Abbildungen einen
grossen Teil einnehmen, ohne dass der Text dadurch an irgend einer
Stelle zu kurz kommt, liegt S t o e c k e 1 s neues Lehrbuch der Geburts¬
hilfe vor. Der Name des Herausgebers sowie jene seiner Mitarbeiter
bürgen von vorneherein für die sachiiche Gediegenheit des W'erkes,
dessen Ausstattung in jeder Beziehung den höchsten Anforderungen ge¬
recht wird. Inhaltlich zeigt die eingehende Bearbeitung des umfang¬
reichen Stoffes, welche selbstverständlich aiienthalben vollkommen auf
der Höhe der Zeit steht, eine durchwegs streng 'eingehaltene Einheit¬
lichkeit. Das Stoeckel sehe Lehrbuch wird als Neuerscheinung, trotz
des erfreulichen Wettbewerbes durch das Erscheinen erweiterter Neu¬
auflagen bekannter anderer Lehrbücher dieser Art, seinen verdienten
Rang zweifellos behaupten, daher wohl selbst bald eine Neuausgabe er¬
fahren. Für diesen Fall hätte Referent nur zwei Bemerkungen aii-
zubringen. Vor allem sollten die Beschreibung und Abbildung der
Dekapitation mittels des Braun sehen Schüsselhakens wegfallen,
indem Stoeckel selbst die Steigerung der Gefahr der Uterusruptur
bei diesem „ziemlich rohen Verfahren“ betont. K n a p p s Bougie zur
Einleitung der künstlichen Frühgeburt — auch diese Methode könnte
füglich mit der Bemerkung, dass dieselbe nicht mehr als empfehlenswert
gilt, übergangen werden —, ist nicht mit „biegsamem Metall umsponnen“,
sondern besteht aus einer durch Auskochen oder Ausglühen sterilisier¬
baren Metallspirale. Knapp- Prag.
W. Kleist: Die Influenzapsychosen und die Anlage zu Infektions¬
psychosen. Heft 21 der Monographien aus dem Qesamtgebiete der
Neurologie und Psychiatrie. Herausgegeben von O.Foerster -Breslau
und K. W i 1 m a n n s - Heidelberg. Berlin 1920. Verlag von Julius
Springer. 54 S. Preis 18 M.
Verf. verw'ertet die Ergebnisse des grossen Experimentes der
Natur über den Einfluss von Infektionskrankheiten auf das Nervensystem,
das die Influenzaepidemie 1918/19 für den Psychiater und Neurologen
darstellt und kommt auf Grund eigener zahlreicher Beobachtungen und
Erfahrungen anderer Forscher zu folgenden Schlüssen: ^
Die Influenza führte auch bei der Epidemie 1918/19 verhältnismässig
häufig- zu psychischen Störungen. Angesichts der pandemischen Ver¬
breitung der Seuche ist aber ihre bisher bekannt gewordene Zahl nicht
übermässig gross und bleibt hinter der Häufigkeit der Typhuspsychosen
und der Beteiligung der Psyche bei der infektiösen Chorea zurück. An¬
scheinend wurden Influenzapsychosen in den südlichen Rand- und Nach¬
bargebieten Deutschlands (Deutschösterreich, Schweiz, südl. Baden) und
:n den Küstengebieten an der Ost- und Nordsee zahlreicher beobachtet.
Im einzelnen Falle standen Auftreten und Grad der psychischen Störung
nicht im Verhältnis zur Schwere der körperlichen Erkrankung. Die.
influenzapsychosen bevorzugten — wie die Influenza überhaupt — das
mittlere Lebensalter. Sie sind überwiegend toxische Enzephalopathien
mit schweren und ausgedehnten Nervenzellveränderungen; vereinzelt
liegt ihnen eine leichte diffuse Meningoenzephalitis zugrunde, worauf im
klinischen Bilde leichte meningitische Zeichen und Herdsymptome hin-
weisen. Leichte oder schwere neuritische Erscheinungen sind mehr als
einem Drittel der Influenzapsychosen beigesellt. Die Hirnschädigungen
sind vorübergehende ausgleichbare Störungen und haben in keinem Falle
als solche den Tod herbeigeführt. Ausgang in chronische Psychosen utid
Defektzustände ist nicht erwiesen. Die influenzapsychosen traten als
grippöse mit kurzem und häufiger als postgrippöse Störungen mit meist
längerem Verlauf auf. Bei den postgrippösen Psychosen spielt die persön¬
liche oder erbliche Veranlagung eine grössere Rolle als bei grippösen Er¬
krankungen. Im Symptomenbiide beider bestanden keine durchgreifenden
Unterschiede; doch waren' Delirien und Halluzinose häufiger unter den
grippösen Erkrankungen; Dämmerzustände, Verwirrtheit, hyperkinetisch-
dkinetische Formen und Depressionen häufiger bei den postgrippösen
hallen. Unter den Symptomenbildern ^er Influenzapsychosen überwiegen
die heteronomen Bilder — Dämmerzustände und Delirien — bedeutend
gegenüber den homonomen. Das bestätigt einerseits Bonhöffers
Lehre von den Prädilektionstypen der symptomatischen Hirnschädigung,
zeigt aber anderseits, dass auch homonome Bilder stärker, als nach
Bonhöffer zu erw-arten wäre, unter den Grippepsychosen Vor¬
kommen. was bei Berücksichtigung der leichteren sypmtomatischen
i>törungen auch für die anderen Infektionspsychosen zutreffen dürfte.
Bei Abwesenheit manischer und paranoischer Verstimmungen sind es
Digitized by Gotigle
gerade die von Bonhöffer sonst vermissten depressiven Zustände
verschiedener Prägung, die bei Grippepsychosen beobachtet wurden.
Die schon bei der vorletzten Epidemie vermerkte Vorliebe der Influenza
für depressive Krankheitsbilder zeigt sich ferner daran, dass auch die
heteronomen Zustände überwiegend ängstlich, melancholisch, hypo¬
chondrisch gefärbt waren und zuweilen depressive Nachstadien hinter-
liessen, ferner in der Neigung der Influenza, endogene Depressionen bei
Entsprechender Veranlagung auszulösen. Die Influenza beweist von
neuem, dass jede Infektion doch auch ihre spezifischen Besonderheiten
auf psychischem Gebiet hat. Influenzapsychosen und andere Infektions¬
psychosen entstehen zu einem Teil unter Beihilfe verschiedenartiger
Konstitutionsanomalien, w'ie Imbezillität, psychopathische Veranlagung
u. ähnl. Es gibt ausserdem aber eine spezifische Veranlagung zu In¬
fektionspsychosen, die vorzugsweise individuell, zuweilen aber auch
familiär (bei Geschwistern) auftritt. Infolge einer solchen Veranlagung
treten scheinbare periodische Psychosen auf, die in- Wirklichkeit wieder¬
holte symptomatische Psychosen auf dem Boden einer spezifischen Dis¬
position zu infektiösen Qehirnschädigungen sind. Es gibt anscheinend
getrennte Dispositionen zu Delirien, Verwirrtheitszuständen, hyper¬
kinetischen Erregungen und Stuporzuständen. Ausser der schon be¬
kannten konstitutionellen „autochthonen Labilität“ der manisch-depres¬
siven Krankheitsgruppe und der „reaktiven Labilität“ der Hysterike»-
und der zu psychogenen Psychosen Disponierten, muss man daher noch
die dritte Art der „symptomatisch-labilen“ Konstitution anerkennen. Die
Influenza hat die besondere Neigung, bei entsprechender persönlicher
oder familiärer Veranlagung endogene Depressionen auszulösen. Ihr aus¬
lösender Einfluss auf andere Erkrankungen, besonders auf Dement’a
praecox, tritt dagegen zurück. Germanus F1 a t a u - Dresden.
Flat au: Kursus der Psychotherapie und des Hypnotismus. 2..
durchgesehene Aufl. Berlin, Karger, 1920. 175 S. Preis 16 M.
Einer Einleitung, die die notwendigen psychologischen Grundbegriffe
in klarer naturwissenschaftlicher Auffassung enthält, folgen kürzere Aus¬
führungen über die Bedeutung psychischer Einflüsse in der Behandlung
von Krankheiten im allgemeinen, und dann als Hauptteil des Buches
eine sehr hübsche Darstellung des Hypnotismus und seiner Anwendung.
Zur Psychanalyse sucht sich Verf. objektiv einzustellen; er lehnt sie im
wesentlichen ab; doch kann er natürlich der Sache auf 11 Seiten nicht
gerecht werden. Die Hypnose empfiehlt Verf, auch gegen Alkoholismus;
nach dem, was ich von dieser Behandlungsart kenne, fürchte ich davon,
dass das Anlass gebe, die Hauptsache zu vergesesn. obschon Verf. ausr
drücklich die Erziehung zur Abstinenz als das Wesentliche hinstellt.
Einen Fall von „Zwangsneurose“ (S. 131) würde ich nach der Beschrei¬
bung zu den Melancholien zählen und deshalb seine Heilung weniger
auf Rechnung der Hypnose als auf die der Zeit setzen. Das Büch
mit seiner knappen, klaren und objektiven Darstellungweise wird man¬
chem Kollegen willkommen sein, obschon oder weil es nicht das ganze
Gebiet der Psychotherapie behandelt. Bleuler-Burghölzli.
Albrecht Wetzel: Ueber Massenmörder. Ein Beitrag zu den
persönlichen Verbrechensursachen und zu den Methoden ihrer Er¬
forschung. Abhandlungen aus dem Gesamtgebiete der Kriminalpsycho¬
logie (Heidelberger Abhandlungen). Herausgegeben von K. v. Lilien¬
thal. S. Schott, E. W i 1 m a n n s. Heft 3. Berlin 1920. Verlag von
Jul. S pV i n g e r. 121 S. Preis 18 M.
Den Untersuchungen liegt ein kasuistisches Stammaterial von
153 Massenmordfällen zugrunde. Es ist ausgewählt unter Einbeziehung
aller Fälle, bei denen die Tat gegen mehr als ein Opfer sich richtete,
unter Beiseitelassung von Zufallsmassenmördern, von politischen und
Raubmördern und von professionellen Giftmördern. Unter den 119 hin¬
sichtlich der Grundfrage, gesund oder krank, durchschaubaren Fällen
überrascht der ausserordentlich hohe Anteil der Geisteskranken (-82).
Also nicht weniger als 69 Proz. der Täter haben ihre Mordtaten in aus¬
gesprochener Geisteskrankheit verübt. Nur 31 Proz. fallen in den
Rahmen der geistigen Gesundheit einschliesslich der psychopathischen
und intellektuellen Anomalien. Die weitaus grösste Mehrzahl der von
Geistesgesunden ausgeführten Massenmorde fällt unter die „Familien¬
morde“. ^ Von den Psychosen stellen die alkoholistischen und epilep¬
tischen Geistesstörungen und die Dementia praecox eine erhebliche ^hl
(66 Proz.) von geisteskranken Massenmördern, die Dementia praecox
allein 33 Proz. An zwei ausführlich beschriebenen Fällen von Massen¬
mord bei Dementia praecox wird gezeigt, dass die psychologische und
psychopathologische Verursachungsforschung imstande ist, das Material
für die Vertiefung der statistischen Ursachenforschung zu liefern. Der
Anhang bringt die übersichtliche Kasuistik des Massenmords, ausführ¬
liche Auszüge über die bereits von anderen Autoren veröffentlichten, an
Dementia praecox leidenden Massenmördern und eine graphische Ueber-
sicht über den Geisteszustand und die Opferwahl bei den verarbeiteten
119 Massenmördern. Germanus F1 a t a u - Dresden.
Ad. Sföckhardts Schule der Chemie oder erster Unterricht in
der Chemie, versinnlicht durch einfache Versuche. 22. Auflage, be¬
arbeitet von Lassar-Cohn, mit 200 Abbildungen und einer farbi¬
gen Spektraltafel. Braunschweig, Verlag von Friedr. Vieweg
& Sohn, 1920. 533 Seiten. Preis geh. 24 M., geb. 32 M.
Dieses in weitesten Kreisen bekannte Buch erscheint heute in
22. Auflage. Eine besondere Empfehlung dürfte sich daher erübrigen,
nur sei die geschickte Art hervorgehoben, mit der L a s s a r -
Cohn dem alten, pädagogisch vorbildlich gestalteten Bau dieses Buches
manches von den neuesten Ergebnissen der Wissenschaft eingefügt hat.
H. Schade-Kiel.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
340
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Zeitschriften • Uebersichi
Deiitsclies ArcUv für kUnische Medizin. 134. Band. 5. u. 6. Heft.
H. Günther: lieber die ekute Hümatoporphyrle. (Aus der med.
Klinik der Universität Leipzig.) (Mit 6 Abbildungen.)
Die konstitutionelle Anomalie, welche als Porphyrismus bezeichnet wird,
ist charakterisiert durch vermehrte Bildung und Ausscheidung resp. Gewebs-
ablagerung von Bämatoporphyrinen und findet sich bei neuropathischen
Individuen oder Psychopathen mit Neigung zu Hautpigmentierung. Auf der
Basis dieses Porphyrismus entsteht unter unbekannten Bedingungen die
. Haematoporphyria acuta, ein schweres, öfters letal endendes Krankheitsbild
mit schweren Darmkoliken, Erbrechen, hartnäckiger Obstipation und stark
vermehrte Hämatoporphyrinausscheidung in Stuhl und Urin, die intestinalen
Störungen können sich bis zum Ileusverdacht steigern. Bei der Palpation
fällt trotz des schweren Krankheitsbildes die Schlaffheit der Bauchmuskulatur
auf, was differentialdiagnostisch wichtig ist. Die Stuhluntersuchung ergibt
oft spastischen kleinknolligen Kot mit Beimengung von blutigem Schleim und
Hämatoporphyrin. Die Urinmenge ist während des Anfalles gewöhnlich
anfangs vermindert, der Urin stets sauer, die Farbe wird im Anfall als rot¬
braun, dunkelrot, portwein-kirsch-malagafarbig, rotviolett beschrieben, Hämato¬
porphyrin ist in allen Fällen nachgewiesen. Die Anfälle können sich wieder¬
holen und können dann unter den Erscheinungen der aszendierenden Paralyse
tödlich werden; die Autopsiebefunde brachten keine Klärung des Krankheits¬
bildes. Auch ätiologisch ist, abgesehen von einer gesteigerten Erregbarkeit im
Vagusgebiel und neuropathischer Konstitution nichts greifbares bekannt; die
sog. Haematoporphyria acuta toxica wird durch chronischen Gebrauch von
Sulfonal, Trional und Veronal mitbedingt. Therapeutisch empfiehlt sich im
Anfajle Opium, Morphium, Alkaligaben, Atropin erscheint unwirksam. Die
richtige Diagnose verhindert einen zwecklosen chirurgischen Eingriff.
Differentialdiagnostisch kommen le nach der Lokalisation der Kolikschmerzen
Appendizitis, Cholelithiasis, Nephrolithiasis, Magenkrämpfe, Ileus, arterio-
mesenterialer Duodenalverschluss, akute Pankreatitis in Frage.
C. Seifarth: Erfahrungen Uber tropische Malaria.
Die Beobachtungen erstreckten sich über mehr als 7000 Patienten mit
fast ausschliesslich tropischer Malaria, die in ungewöhnlich schwerer Form
auftretend in ganz kurzer Zeit zum Tode führte und keineswegs der üblichen
Lehrbuchschilderung entsprach, so dass die Diagnose anfänglich recht oft auf
Typhus lautete. Urplötzlich erkranken die Leute, einem gewaltigen Schüttel¬
frost folgt ein steiler Temperaturanstieg, schwerstes Krankheitsgefühl, heftige
Kopfschmerzen, Beklemmung in der Herzgegend, Muskelschmerzen in den
Extremitäten, besonders in den Schienbeinen quälen die Kranken, die Tem¬
peraturkurve bietet das Bild einer unruhigen Kontinua. Entgegen aller
Theorie folgt, kaum dass der erste gewaltige Fieberanfall vorüber ist, schoq
der nächste nach 2 oder 3 Stunden, eine Fieberattacke löst die andere ab,
und so bleibt die Temperatur bis zu 14 Tagen hoch, wenn die Krankheit nicht
erkannt und nicht Chinin gegeben wird. Meningitis, Anämie, Apoplexie, Hitz-
schlag, Dysenterie wurde als Todesursache angegeben, bis der Parasiten-
iiachweis im Leichenblut einen Malariatodesfall feststellte. Besonders
komatöse Formen, wo die Erkrankten plötzlich auf der Strasse zusammen¬
gebrochen waren und bewusstlos eingeliefert wurden, führten zu Fehl¬
diagnosen, auch dysenterieähnliche Fälle gaben zur Verwechslung Anlass.
Hier hilft nur die Blutuntersuchung, besonders auch bei Mischinfektion, wo
neben Malaria auch Komplikationen mit Rekurrens, Meningitis epidemica,
Typhus, Paratvphus und Fleckfieber beobachtet wurden. Neben der wert¬
vollen W e i 1 - F e I i X sehen Reaktion wurde stets eine sorgfältige bakterio¬
logische Stuhluntersucliung vorgenommen, und sofort bei Malaria eine perorale
und intramuskuläre Chinindosis verabreicht. Zu den gcfürchtetsten Kom¬
plikationen der Malaria zählt das Schwarzwasserfieber, eine in Form einer
akuten fieberhaften Hämoglobinurie verlaufende Folgeerkrankung, die be¬
sonders in der kalten Jahreszeit und bei Geschwächten auftritt; als eigentliche
auslösende Ursache kam am häufigsten Chinin in Betracht, sobald eine gewisse
„Schwellengabe“ überschritten war. Schon während des Anfalles entleeren
die Kranken unter heftigen Schmerzen in der Lendengegend kleine Mengen,
manchmal nur Tropfen schwarzroten Urins. So lange die Urinausscheidung
leidlich reichlich ist, besteht keine dringende Gefahr; bei länger dauernder
Anurie ist der Kranke fast stets verloren. Bei der Untersuchung des Leichen¬
blutes auf Malariaparasiten bewährte sich die Methode des „dicken Tropfens“.
Bei allen reinen Malariatodesfällen fand sich die Marksubstanz des Gehirns
von unzähligen punktförmigen Blutungen durchsetzt, die sog. Flohstich¬
enzephalitis. Ganz besonders charakteristisch für die perniziöse Hirnmalaria
ist das Auftreten von umschriebenen Knötchen von Gliazellcngcwebe — Ma¬
lariagranulome (D ü r c k). Beim Schwarzwasserfieber findet sich in allen
Organen schwerster Ikterus, die Nieren sind vergrössert und von auf¬
fällig grünlichschwarzer bis tintenschwarzer Färbung. Die Farbe der
Malariamilz wechselt von Schokoladebraun bis Qrauschwarz, das Höchstge¬
wicht eines Milztumors betrug 3250 g. Milzabszesse kamen 2 mal zur Autopsie,
Milzrupturen aus geringfügigem Anlässe wiederholt. Die orale Chinindar¬
reichung reicht bei der tropischen Malaria nicht aus, daneben ist parenterale,
intramuskuläre und intravenöse Chininbehandlung in Kombination mit Neo-
salvarsan nötig. Bei ganz hoffnungslos erscheinenden, schwersteti komatösen
Fällen wurde einige Male durch Chinin + inaktiviertes Blutserum (von ohne
Chinin geheilten Malariarekonvaleszenten, also mit Malariaantikörpern) ein
lebensrettender Erfolg erzielt.
L. Fuchs: Ventrikuläre Allorhythmle bei normaler Schlagzahl. (Aus
der med. Klinik Würzburg.) (Mit 3 Kurven.)
Das Wesentliche enthält die Ueberschrift.
E. Becker: Ueber die Verteilung des Indlkans Im Organismus unter
normalen und pathologischen Verhältnissen. (Aus der medizin. Klinik in
Giessen und der medizin. Klinik in Halle.)
Für das Verhalten des Indikans im Serum bei Niereninsuffizienz, insbe¬
sondere für seine manchmal im Vergleich zum Rest-N und Harnstoff relativ
stärkere Vermehrung kommt als ursächliches Moment die Verschiedenartigkeit
der Verteilung auf Blut und Gewebe mit in Frage. Sowohl bei kurz dauern¬
der als bei lange Zeit bestehender Niereninsufiizienz geht das Indikan in
kleineren Mengen in die Gewebe als ins Blut. Bei langer Dauer der Nieren¬
insuffizienz dringt das Indikan in etwas grösseren Mengen in die Gewebe
ein. aber auch dann enthält das Blut prozentual noch erheblich mehr. Bei
Azotämie der akuten Nephritis findet sich entsprechend der relativ geringen
Digitized by Goi'Sle
Indikanzunahme im Serum auch besonders wenig Indikan in den Geweben.
Das Gehirn nimmt am wenigsten Indikan auf. Im Gesamtblut findet sich
regelmässig weniger Indikan als im Serum; dasselbe geht nicht oder nur
wenig in die roten Blutkörperchen.
E. Becher; Ueber den Harn8(oB-N-(Bromlaage-N-)Qehatt der Gewebe
und über quantitative Beziehungen zwischen Harnstoff und Rest-N- ln den
Geweben und im Blut unter normalen und pathologischen Verhältnissen. (Aus
der med. Klinik in Giessen und aus der med. Klinik in Halle.) (Mit 1 Ab¬
bildung.)
Der Bromlauge-N-Gehalt des Blutes und der verschiedenen Gewebe
wurde bei menschlichen Leichen annähernd gleich gross gefunden, Fett ent¬
hält nur Spuren davon. Das gilt sowohl für Niereninsuffizienz als andere
Todesursachen. Der Rest-N verhält sich in dieser Beziehung anders, in den
Geweben sind wesentlich grössere Mengen von demselben abgelagert als
im Blut. Unter normalen und pathologischen Verhältnissen macht der Brom-
lauge-N in den Geweben vom Rest-N einen prozentual kleineren Teil aus
als im Blut. Bei Niereninsuffizienz jedoch entfällt ein grösserer Anteil (50
bis 77 Proz.) des Rest-N auf den Bromlauge-N als unter normalen Ver¬
hältnissen. wobei derselbe nur etwa 12—20 Proz. des Gewebs-Rest-N aus¬
macht. Der prozentual stärkere Anstieg des Harnstoffes in den Geweben
und im Blut erklärt sich dadurch, dass bei Niereninsuffizienz die normaler
Weise mit dem Harn ausgeschiedenen N-haltigen Stoffe retiniert werden,
von denen der Harnstoff den grössten Teil ausmacht. Der sich anhäufende
abiurete Stickstoff, der Retentions-N, hat eine andere Zusammensetzung als
der normale Gewebs-Rest-N, der Extraktiv-N, von dem der Harnstoff nur
einen kleinen Teil bildet. Der bei Niereninsuffizienz sich anhäufende Stick¬
stoff besteht grösstenteils aus Harnstoff-N. Die Zunahme des Gewebs-N bei
Niereninsuffizienz ist nicht viel grösser als die des Bromlaugc-N.
G. De u sch: Serumkonzentration nnd Viskosität des Blutes beim
Myxödem und Ihre Beeinflussung durch Tbyreoidln. (Aus der med. Uni¬
versitätspoliklinik zu Rostock.)
Die Hypofunktion der Schilddrüse führt in ausgeprägten Fällen von
Myxödem zu einer beträchtlichen Verminderung des gesamten Kraftwechsels,
die sich in einer erheblichen Herabsetzung des Sauerstoffverbrauches
äussert, die verminderte Eiweissverbrennung führt trotz reduzierter Nahrungs¬
aufnahme zu einem Eiweissansatz im Gewebe. Ein Teil des angesetzten
Eiweisses findet im Blutserum Platz. Die Viskosität des Gesamtblutes bei
Myxödem lässt eine spezifische Beeinflussung nicht erkennen; dagegen ist der
Eiweissgehalt des Blutserums hoch bzw. beträchtlich erhöht, wie seine
Viskosität und refraktometrisches Verhalten ergibt. Durch Thyreoidin erfolgte
bei Myxödem neben der klinischen Besserung eine beträchtliche Verminderung
der Eiweisskonzentration des Serums und seiner Viskosität, sowie eine echte
Gewichtsabnahme durch Ausscheidung des Eiweissansatzes. Bei der Forme
fruste des Myxödems und thyreogener Fettsucht konnte ein wesentlicher
Einfluss des Thyreoidins nicht festgestellt werden. Die Untersuchungen
zeigen, dass die beträchtliche Verminderung der Serumkonzentration durch
das Thyreoidin nur durch eine absolute Verminderung des Eiweissgehaltes
des Serums bedingt sein kann. Weitere Untersuchungen bei Basedow folgen.
G. Leendertz: Ueber das R a u c h f u s s sehe Dreieck. Zugleich
eine Erwiderung auf die gleichbetitelte Arbeit Deneckes. (Aus der med.
Klinik Königsberg.)
Das Auftreten eines paravcrtebralen Dämpfungsdreieckes bei Pleura¬
ergüssen auf der gesunden Seite wurde von verschiedenen Seiten beschrieben.
Rauchfuss sieht die Ursache in einer Verschiebung des Gesamtmediasti¬
nums, insbesondere des Recessus paravertebralis, fügt aber hinzu, dass ausser
Belastung des hinteren Mediastinums zweifellos die Flüssigkeitsansammlung
eine Rolle bei der Hemmung der perkutorischen Erschütterung der Wirbel¬
säule und der Rippen der gesunden Seite spiele. D e n e c k e meint, dass
die Anlagerung schwingungshemmender Massen auf der anderen Seite viel¬
leicht gar keine Rolle spiele, vielmehr sie zum Zustandekommen des para¬
vertebralen Dreiecks eine Verdrängung des Mediastinum posterius unbedingt
nötig. Auf Grund >von Lcichenversuchen kommt der Verf. zu dem Schluss,
dass auch ohne Verlagerung des Mediastinums bei Pleuraergüssen ein
Rauchfuss sches Dreieck entstehen kann, und dass dieses Dreieck bei
Seitenlage verschwindet bzw. bei Lage auf der dem Erguss entgegenge¬
setzten Seite sich in einen weiter hinaufreichenden paravertebralen Streifen
verwandelt. Eine seitliche Verlagerung des Mediastinums findet wohl in allen
Fällen bei grösseren Ergüssen statt. Ihre Bedeutung für die Entstehung
des paravertebralen Dreiecks liegt aber nicht in einer Kompression der ge¬
sunden Lunge, sondern in der schwingungshemmenden Wirkung auf die
Wirbelsäule. Eine gleiche schwingungshemmende Wirkung übt der Erguss
auf die hintere ßrustwand der anderen Seite aus. In beiden Fällen nimmt
diese Wirkung infolge des hydrostatischen Druckes nach unten konstant zu.
wodurch eine dreieckförmige paravertebrale Dämpfung entstehen muss.
G. Denecke; Bemerkungen zu vorstehender Arbeit. (Aus der med.
Klinik Greifswald.)
Die aus klinischen Symptomen und Beobachtungen an Leichen anzu¬
nehmende Atelektase der hinteren unteren paravertebralen Lungenpartien der
gesunden Seite bedingt das Rauchfuss sehe Dreieck.
Th. Fahr: Kurze Beiträge zur Frage der Nephrosklerose. (Aus dem
patholog. Institut des allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbeck.)
2 Formen von Nierensklerose müssen unterschieden werden, eine gut¬
artige, bei der es sich primär um rein arteriosklerotische Veränderungen
handelt und eine bösartige (genuine Schrumpfniere), bei der die Qefäss-
veränderungen sich durch das Vorhandensein entzündlicher und nekroti¬
sierender Vorgänge von der gewöhnlichen Arteriosklerose unterscheiden, und
bei deren Entstehung spezielle Gefässgifte (Lues, Blei, Gelenkrheumatismus,
teils unbekannter Natur) eine Rolle zu spielen scheinen. Die maligne
Sklerose betrifft vorwiegend jüngere, die benigne ältere Individuen, sie ist
mit grosser Regelmässigkeit mit einer Arteriosklerose der grossen Qefässe
vergesellschaftet, die bei der malignen Nephrosklerose häufig vermisst wird.
Die Hypertonie i^t lediglich ein Krankheitssymptom, aber kein selbständiges
Krankheitsbild. Immerhin kann man unterscheiden zwischen einer primären,
lokal entstandenen Arteriosklerose (Nephrosketose) mit sekundärer Hyper¬
tonie und einer essentiellen permanenten Hypertonie, ohne letzterer einen
wesentlichen Einfluss auf das Zustandekommen der Nephroskerose einzu¬
räumen.
Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNfA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
241
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 8.
L. Nicolas- Jena: lieber die Beeinflussung des Erysipels durch Novo-
kaln-Snprareninlniektlonen.
Verf. sucht das Erysipel durch Iniektion von 1 proz. Novokain-Supra-
reninlösung in die Peripherie des Entzündungsgebietes am Fortschreiten auf¬
zuhalten, seine Erfahrungen mit dieser Methode fasst er dahin zusammen,
dass das Erysipel sich durch Anästhetika nicht beeinflussen lässt, weder in
dem Weiterwandern noch in seiner Dauer; ein Stehenbleiben des Erysipels
an der umspritzten Zone hat er nie beobachtet.
W. Haubenreisser -Leipzig: Das Patellarfenster, ein kleiner Kunst¬
griff zur Verhütung von'Kniegelenksversteifungen infolge Gipsverbandes.
Bei allen das Kniegelenk fixierenden Verbänden wird an der Payr-
^hen Klinik ein Fenster über der Kniescheibe ausgeschnitten, wodurch dann
aktive und passive Bewegung im Verband ermöglicht wird. Das durch die
Wirkung des Patellarfensters freie Muskelspiel des Quadrizeps verhütet
myogene oder fibröse Versteifungen des Kniegelenks. Mit 1 Skizze.
Herrn. M g t h e i s - Graz: Zur Inlektionsbehandlung der Krampfadern.
Verf.. schildert seine Methode, die in der Injektion von 20—60 g iso-
tonischer Jodlösung (nach P r e g l) in die etwas gestaute Vene besteht;
nach 15 Minuten wird die Umschnürung gelöst, das Bein mit Trikotbinden
gewickelt und für 1—2 Tage strenge Bettruhe verordnet. Eine Einspritzung
genügt meist, um die Gefässe in dünne, harte Stränge zu verwandeln, die
noch weiter schrumpfen. Sehr günstig wird auch die Heilung der Unter-
schenkelgeschvi^üre beeinflusst.
Eug. Pölya-Pest: Verfahren zum Ersatz von gewissen lateralen De¬
fekten der Welcfatellnase und der Nasenspitze.
An der Hand von 4 Abbildungen schildert Verf. kurz seine Methode, die
darauf beruht, dass er bei dreieckigen Defekten der Nase aus der nächsten
Umgebung durch einen horizontalen Schnitt in die Wange einen Lappen
bildet, der so weit mobilisiert wird, dass er mit dem medialen Rand des
Defektes vereinigt werden kann.
W. G r ä f - Neuendettelsau: Pyreuol als Mittel zur Bekämpfung der
postoperativen Bronchitis und Bronchopneumonie.
Verf. empfiehlt bei postoperativer Bronchitis oder Bronchopneumonie
Pyrenol, däs lösend, sekretvermindernd, temperaturherabsetzend und stimu¬
lierend auf das Herz wirkt und gut vom Magen vertragen wird.
Herrn. M e y e r - Göttingen: Das Kochen der Instrumente. Erwiderung
auf die Arbeit von R e b u 1 a in Nr. 42 1920.
Verf. tritt für die altbewährt^ Sodalösung zum Kochen der Instrumente
ein; auch die Natronlauge verhindert das Rosten der Instrumente nur so
lange, als sie an ihnen haftet. Dagegen empfiehlt es sich, die ausgekochten
Instrumente sofort einem heissen, trockenen Luftstrom auszusetzen, der jede
Feuchtigkeit wegnimmt.
Eug. P ö 1 y a - Pest : Zur Meloplastlk.
Verf. benützt zum Ersatz der Wangenschleirahaut viereckige, am Masseter
gestielte Hautlappen aus dem Gesicht und Halse; die Haut der Wange
selbst (nach Exstirpation von Tumoren) ersetzt er durch einen Lappen
aus dem Gesicht und der Schläfe, dessen Stiel in der Gegend des Jochbeins
sitzt; der Sekundärdefekt in der Schläfe wird durch Transplantation gedeckt.
Aus 3 Abbildungen ist der Gang der Plastik gut ersichtlich.
Eug. Pölya-Pest: Ersatz der Unterlippe aus der oberen.
Das Verfahren des Verfassers besteht darin, dass die eine Hälfte des
Lippenrotes der Oberlippe in der Form eines aus der ganzen Dicke der
Oberlippe gestalteten Lappens in die kontralaterale Hälfte des ebenfalls läng¬
lich viereckig geformten Unterlippendefektes eingenäht wird. In der zweiten
Sitzung wird aus der anderen Hälfte der Oberlippe ein ähnlicher Lappen
gebildet und auf die zurückbleibende Hälfte des angefrischten Unterlippen¬
defektes transplantiert. Die rechte Hälfte der Oberlippe versorgt also die linke
Hälfte der Unterlippe und umgekehrt. Mit dieser Methode erzielte Verf.
bei seinen Fällen ein gutes kosmetisches und funktionelles Resultat. Mit
6 Skizzen, die den Gang der Operation gut veranschaulichen.
E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 54. Heft 2.
Februar 1921.
E. M a u t h n e r - Wien: Das Verhalten des Kapillarsystems b^ der
zyklischen Wandlung der Uterusmnkosa.
Die um das 10 fache verdickte Uterusmukosa wird bei der Menstruation
senkrecht auf ihren Dickendurchmesser komprimiert. Die Blutkapillaren
machen diese Phase entsprechend mit. Die senkrecht zur Oberfläche ziehenden
Gefässe werden längsgedehnt (lange, der Gefässachse parallele Endothelien)
und bfissen dafür an Kaliber ein. Die der Oberfläche parallel laufenden Ge¬
fässe werden, da eine Gesamtzunahme der Qberflächenausdehnung unmöglich
ist und aus obengenannten Gründen nicht stattfindet, in der Längsrichtung
komprimiert und sind geschlängelt, aber auch erweitert. (Endothelkerne mit
der Längsachse senkrecht auf die Gefässachse.)
O. Fellner -Wien: Ueber die Tätigkeit des Ovarlums ln der Schwan-
gerscluilt (Interstitldle Zellen).
Auf Grund von Tierversuchen kömmt F. zu folgenden Ergebnissen: 1. das
feminine Sexuallipoid ist nicht allein im Corpus luteum, in der Plazenta, in
den Eihäuten und in den interstitiellen Zellen des Hodens enthalten, sondern
auch in den interstitiellen Zellen des Ovariums; 2. die sekretorische Punktion
der interstitiellen Zellen des Ovariums ist ausserhalb der Schwangerschaft
sehr gering, in der Schwangerschaft nimmt*sie aber bedeutend zu, so zwar,
dass die sekretorische Kraft der interstitiellen Zellen eines Ovariums im träch¬
tigen Zustand mindestens ebenso gross ist, wie die eines Corpus luteum;
3. das Corpus luteum hat in der Schwangerschaft dieselbe sekretorische Kraft
wie ausserhalb derselben.
H, K a t z - Wien: Ueber unvollständige äussere Uterusmpiur.
Bel einer 45 jährigen Frau, die zum 10. Mal schwanger gewesen war und
Racb der Zangengeburt eines sterbenden Kindes unter den Zeichen der inneren
Verblutung gestorben war, fand sich bei der gerichtlichen Autopsie zirka
1900 ccm flüssiges Blut in der Bauchhöhle und an der hinteren Uteruswand
ein 12 cm langer Riss und mehrere kleinere Risse. Es bestand keine Kom¬
munikation mit dem Cavum Uteri. Mangels einer anderen auffindbaren Ursache
— es bestanden weder krankhafte Veränderungen noch Missbildungen an den
Unterlcibsorgancn. das Becken war weit, die Lage der Frucht normal —
lehrt Verf. die Entstehung dieser vom behandelnden Arzt nicht erkannten
KatMtrophe anf eine geringe Elastizität der Serosa und leichtere Zerreisslich-
Digitized by Goiisle
keit der Muskulatur infolge höheren Alters der i Frau, der vielen voraus¬
gegangenen Schwangerschaften und langen Laktation bei dem letzten Kind
zurück.
W. Liebe-Halle: Echte Eierstocksschwangerschaft.
Das Präparat stammt von einer 42 jährigen Frau, die zum vierten Mal
schwanger war. und erfüllt alle Kriterien Spiegelbcrgs, Werths und
Leopolds, nämlich: der Eierstock auf der linken Seite fehlt bzw. ist er in
den Fruchthalter aufgegangen, der Nachweis von Primärfollikeln in der Wand
des Fruchtsackes wurde mikroskopisch erbracht; der linksseitige Ovarial¬
tumor, der die Eihöhle enthält, wurde durch Unterbindung des Lig. inf. pelv.
und ovaric. entfernt, stand nicht in Verbindung mit der Tube, die als gesund
zurückgelasscn wurde; es bestanden auch keine Adhäsionsbildungen.
H. Hinterstoisser - Teschen: Ein Lithopädion. (Vorgezeigt am
Oynäkologenkongress in Berlin.)
Das Steinkiijd entstammt einer 59 jährigen Frau, wurde durch Operation
entfernt und war 34 Jahre getragen worden.
W. Zange me ister-Marburg a. L.: Ueber retroperltoneafe Zysten.
In einem Fall von retroperitonealer Zyste hatte der Inhalt derselben
einen auffallend hohen Gefrierpunkt, was auf eine Entstehung von fötal ver¬
sprengten Nierenanlagen hinweist. Z. macht daher auf die Wichtigkeit der
kryoskopischen Untersuchung zur Erklärung der Genese und zur Diagnose
aufmerksam.
M. Brenner-Heidelberg: Ein weiterer Fall von künstlicher Scbelden-
blldung nach Morl.
Genaue Beschreibung eines mit Erfolg operierten Falles.
K 0 1 d e - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 8.
W. Kronenberg - Düsseldorf; Ueber Terpentininfektionen bei Adnex-
eikrankung.
Terpentininjektionen haben in weitaus der Mehrzahl der Fälle keine
Einwirkung auf das Allgemeinbefinden. Sie beeinflussen nicht in irgendwie
nennenswerter Weise die Adne.xerkrankungen, insbesondere konnte keine
Abkürzung der Behandlungsdauer festgestellt werden. Schädliche Neben¬
wirkungen wurden nicht beobachtet. Die im Blutbild hervorgerufenen Ver¬
änderungen sind nicht sehr erheblich, doch scheihen sie nahezulegen, den
Angriffspunkt des Terpentins in das Knochenmark zu verlegen.
0. H o r n - Freiburg i. B.: Neue Erfahrungen über den vereinfachten
schematischen Dämmerschlaf in der Geburtshilfe.
Obwohl bei den meisten der publizierten 336 Fälle durch die ange¬
wandte schematische Technik der Dämmerschlaf erreicht wurde, machten
sich doch im Vergleich zu den Ergebnissen früherer Arbeiten ganz erheblich
mehr unangenehme Nebenwirkungen bemerkbar, deren Ursache in der durch
die Schematisierung des Dämmerschlafes sehr leicht eintretenden Ueberdosis
des Skopolamins und besonders auch des Morphiums zu suchen ist. Der
individualisierenden Methode des Dämmerschlafes ist demnach gegenüber
dem Siegel sehen Schema der Vorzug zu geben.
E. S 0 l m s - Charlottenburg: Die Anatomie der Fascla vesicae und Ihre
Bedeutung für die Prolaps- und Kollumkarzlnomoperatlon.
Anatomisch- und chirurgisch-technische Bemerkungen.
Amalie van Randenborgh - Jena: Die Feststellung der Erytfaem-
dosis unserer Mesothorlumpräparafe.
Der biologischen Feststellung der Erythemdosis für Mesothorium stellen
sich Schwierigkeiten entgegen dadurch, dass wegen der starken Divergenz
der Strahlen die Reaktion einer Hautstelle verschiedene Verbrennungsstadien
aufweisen kann und durch, die lange Reaktionszeit bei deren Vernachlässigung
falsche Resultate gefördert werden. Die Reaktionszeit ist um so länger, je
näher die Bestrahlungsdauer derjenigen der Erythemdosis kommt. Die lange
Dauer der Reaktionszeit (8—10 Wochen) erklärt die bei serienweiser Be¬
strahlung auftretende Fistelbildung. Die Extremitätenhaut ist weniger emp¬
findlich als die Haut des Stammes. Ein wesentlicher Unterschied in der
Empfindlichkeit der einzelnen Individuen besteht anscheinend bei Einwirkung
von Mesothorium auf die Haut nicht. Die Auswertung der Tiefenwirkung
des Radiums mit Kienböckstreifen bietet keine sicheren Resultate.
H. K r i t z 1 e r - Giessen: Zur Asüpsls des Dammschutzes.
Die Handfläche alter Gummihandschuhe benutzt Verf., um sie als Gummi¬
vorhang gegen Ende der Geburt mit Mastisol über dem Damm und die
seitwärts von ihm liegenden Gesäss- und Oberschenkelteile festzukleben
und damit den Anus aus dem Berührungsgebiet zu eliminieren.
Werner- Hamburg.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkimde. 67. Band. 5.—6. Heft.
M. N 0 n n e - Hamburg: Ansprache zur Feier des 80. Geburtstages von
Wilhelm Erb.
J. R o t h f e I d, J. Freund und J. Hornowski - Lemberg: Experi¬
mentelle Untersuchungen über die Pathogenese der multiplen Sklerose.
Die Nachprüfung der Kuhn-Steiner sehen Experimente, die die
Uebertragbarkeit des Virus der multiplen Sklerose auf Kaninchen zu beweisen
schienen, fiel negativ aus. Trotz zahlreicher Proben Hessen sich weder im
Blut noch in den Geweben der injizierten Tiere Spirochäten nachweisen, auch
ergab der pathologisch-anatomische Befund keine charakteristischen Ver-*
änderungen am Zentralnervensystem. Die Todesursache bei einem Teil der
gefallenen' Tiere war Tuberkulose und Coccidose.
W. W e i g e I d t - Leipzig: Die Goldsolreaktlon Im Llqnor cerebro¬
spinalis.
Die O.R. zeigt mit grösster Empfindlichkeit eine pathologische kolloidale
Zustandsänderung der Eiweisskörper an, welche in einer grösseren Labilität,
gröberen Dispersität begründet ist. Es ist ausserordentlich wahrscheinlich,
dass dieselben kolloidalen Zustandsänderungen den positiven Ausfall der
Reaktionen nach Sachs-Oeorgi, Meinicke und auch der Wasser-
m a n n sehen Reaktion herbeiführen. Technik: Das mittels Traubenzucker
reduzierte Ooldsol ist am geeignetsten. Das Gelingen der Goldsolbereitung
ist vom Grade der Neutralisation in weitgehendstem Masse abhängig, weniger
von der Sauberkeit, Reinheit der Chemikalien, Temperatur und Trauben¬
zuckermenge. Jedes Goldsol hat eine ihm spezifische Empfindlichkeit, die mit
dem Altern steigt. Der Kochsalzvorversuch ist im allgemeinen entbehrlich.
Die positive G.R. besteht in einer Verfärbung des purpurroten Goldsols nach
Blau, Blauweiss und Weiss. Man kann zwei Reaktionstypen unterscheiden:
a) Ausflockungsmaximum bei den Verdünnungen 1/40—1/80 (luetische Er¬
krankungen des Zentralnervensystems und multiple Sklerose), b) Maximum
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
ITIC .
342___MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.___Nr. II.
bei 1/640—1/1280 (nichtlue^ische Meningitiden und l^lutbeimcngungen). Die
positive Q.R. beweist nur einen sich im Zentralnervensystem abspielenden
pathologisch-anatomischen Prozess. Positive Q.R. in den Anfangsverdün¬
nungen bei bestehender Lues zeigt viel früher als die WaR. mit Sicherheit
einen luetischen Prozess im Zentralnervensystem an; eine Entscheidung aber
zwischen Tabes, Paralyse und Lues cerebrospinalis ist dadurch nicht möglich.
Die Q.R. am Leichenliquor ist, da immer positiv ausfallend, nicht verwendbar.
K. Qrosz und M. P a p p e n h e i m - Wien: Ueber das Kompressions¬
syndrom im Liquor cerebrospinalis mit besonderer Berücksichtigung des
Oueckenstedt sehen Symptomes.
Die grosse klinische ßedeutung der genannten Symptome wird an einem
Material von 14 Fällen dargetan. Renner- Augsburg.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 62. Bd. 3. Heft. 1921.
Felix Qeorgi: Beiträge zur Kenntnis des psycho-gaivanischen Phä¬
nomens. (Aus dem Institut für physikalische Therapie in Zürich.) (Mit 8 Ab¬
bildungen im Text.)
Das psycho-galvanische Phänomen scheint, wenn nicht ausschliesslich, so
doch im wesentlichen durch äusserst feine, affektiv ausgelöste, nur elektrisch
feststellbare Schweissdrüsenreaktionen bestimmt zu sein, ln der ohne wehere
Massnahmen ^durchgeführten Hypnose erhält man auf sensorielle Reize das
klassische psycho-galvanische Reflexphänomen. Dasselbe wird in der Hypnose
durch bestimmte suggestive Massnahmen beeinflusst; sein Erscheinen kann
durch Suggestion unterbunden werden.
E. M e y e r - Königsberg i. Pr.; Heber organische Nervenerkrankungen
Im Geioige von Grippe. (Mit 4 Abbildungen im Text.)
Einfe Reihe lehrreicher Fälle von Enzephalitis bzw. Enzephalomyelitis im
Kleinhirn (Wurm), allgemeiner toxischer Schädigung, von Poliomyelitis acuta
anterior, von metastatischer Abszessbildung im Gehirn von einem grippösen
Pleuraabszess aus, von Encephalitis lethargica und choreatica werden be¬
schrieben. ^
Casimir Frank: Die Störungen des Vibratioosgefühls bei den trau¬
matischen Verletzungen der peripheren Nervenstämme. (Anatomischer und
klinischer Beitrag.) (Aus der neuropathologischen Klinik der Kgl. Universität
Rom.) (Mit 5 Tafeln und 4 Textabbildungen.)
Mittelst der Stimmgabel kann man nur die Knochenperiostsensibilität
prüfen. Die Pallästhesie stellt eine besondere, von allen anderen Formen un¬
abhängige Tiefensensibilitätsform dar. Die Pallästhesie wird durch manche
gut individualisierte Periostnerven (nicht durch Diaphysennerven) fortgeleitet,
die wahrscheinlich spezialisierte, d. h. ausschliesslich zur Fortleitung der
vibratorischen Reize bestimmte pallästhesische Fasern enthalten. Dieselben
verlaufen wahrscheinlich in dem sog. „motorischen Kabel“ des peripherischen
Nervenstammes und nicht in dem „sensiblen“; sie sind widerstandsfähiger als
die motorischen. Bestehen pallästhesische Störungen, so findet man fast
immer (95 Proz.) EaR. in den von den Nervenstämmen, von denen die
Störungen herkommen, abhängigen Muskeln, einbegriffen die Fälle, in denen
die pallästhesischen Störungen auf das bisweilen vom Radialis und Medianus
abhängige Knochengebiet verbreitet sind und in denen die EaR. in dem
von einem von ihnen innervierten Muskelgebiete besteht. Eine vollständige
Leitungsunterbrechung der Nervenstämme des Ulnaris und des Ischiadikus ist
auszuschliessen (auch bei vollständiger Lähmung und Anästhesie), solange
die Pallästhesie auf den Knochen des oberen und des unteren Gliedes, die
ausschliesslich von den genannten Nerv'en versorgt werden, wahrgenomraen
wird. Umgekehrt ist bei aufgehobener Pallästhesie daselbst mit grösster
Wahrscheinlichkeit eine vollständige Leitungsunterbrechung des Ulnaris und
des Ischiadikus anzunehmen. Aus den pallästhesischen Störungen auf den
vom Radialis und Medianus innervierten Knochen «ist man nicht berechtigt,
auf eine vollständige oder unvollständige Leitungsunterbrechung eines oder
beider der eben genannten Nerven zu schliessen. Die Pallästhesiestörungen
bei Hirn- und Rückenmarksaffektionen lassen den Schluss zu, dass die für
die Pallästhesie bestimmten Fasern die Cornua anteriora des Rückenmarks
durchziehen und sodann im homolateralen Pyramidenseitenstrange aufsteigen
und dass die Pallästhesiestörungen ein konstantes Zeichen (viel konstanter
als der Babinski) einer Affektion der Pyramidenbahn selbst darstellen.
J. A. van Trotsenburg - Grave (Niederlande); Ueber Unter-
suebnng von Handlungen. (Mit 1 Tafel, 4 Abbildungen und 63 Kurven im
Text.)
Durch Kneifen eines Gummiballons wird ein Stift auf eine horizontale
Linie einer Kymographiontrommel gebracht und soll teils gesehen, teils un¬
gesehen auf dieser Linie gehalten werden. Diese einfache Handlung ^urde
von den zu untersuchenden Personen verlangt und an den Kurven der Einfluss
der Emotionen, der Ermüdung, der Entwicklung und der Aufmerksamkeit
studiert.
Scharnke; Zur Aetiologie der progressiven Paralyse.
Die Paralyse ist eine postsyphilitische Aufbrauchskrankheit. Ihre wahren
Ursachen sind die Syphilis und die angeborene Paralysefähigkeit, die ererbte
Paralysedisposition. Ein Trauma, die Influenza, der Alkohol, der übermässige
Aufbrauch von Nervensubstanz durcfi Ueberarbeitung und Mangel an Schlaf
sind immer nur der letzte Anlass,, gewissermassen der Tropfen, der das
volle Glas zum Ueberlauten bringt.
. Jar. Ssuchlik: Ueber die praktische Anwendung des Assoziatlons-
experlmentes. (Eine Programmstudic.) (Aus dem Krankenzimmer eines
Schützenregimentes.) (Schluss.)
„Jede psychische, akute oder chronische, rezente oder der Vergangen¬
heit angehörige, wichtige Begebenheit oder affektbetonte Lapalie betreffende
Situation lässt sich mit Hilfe des Assoziationsexperimentes nachweisen, auch
diejenige, die die Absicht einer Täuschung, eines Schwindeins begleitet. Auch
psychische Anomalien sind durch die Methode konstatierbar. Die von einem
begangenen Verbrechen in der Psyche haftenden Spuren ermöglichen den
psychologischen Nachweis desselben.“
Heinrich Herschmann: Ueber tuberkulotoxische Meningitis. (Aus
der psychiatrisch-neurologischen Universitätsklinik Wien.)
Der Arbeit liegen 2 eigene einschlägige Fälle zugrunde.
Wilhelm Mayer- München: Zum Problem des Dichters Lenz.
Verf. weist, angeregt durch die R. W e i c h b r o d t sehe Lenzpatho-
graphie auf das Lenz-Fragment Büchners hin. das für die Schizophrenie¬
frage ebenso wichtig ist, wie es gute Selbstschilderungen bringt.
45. Wanderversammlung der SUdwestdeutschen Neurologen und Irren¬
ärzte am 12. und 13. Juni 1920 in Baden-Baden. Offizieller Bericht.
Bücherbespreebungen und Notizen. Qermanus F 1 a t a u - Dresden.
Zieglers Beiträge zur pathologischen Anatomie und zur allge¬
meinen Pathologie. Band 66. Heft 2. 1920.
J. Aug. Ham mar: Beiträge zur Konstitutionsanatomie. Vil. Mikro¬
skopische Analyse des Thymus in einigen Fällen von Lues congenita. II. Teil
Kapitel II: Akzidentelle Involution des Thymus bei kongenitaler Lues.
Nachdem H. im ersten Teil seiner Arbeit die gummösen Nekrosen- bzw.
Sequesterbildungen und Sequesterzysten (D u b o i s sehe Abszesse) be¬
schrieben hat, untersucht er in der vorliegenden Arbeit 10 Fälle von kongeni¬
taler Lues sorgfältig analysierend hinsichtlich der Gesamtmasse des Thymus,
des Verhaltens des Parenchyms zum Zwischengewebe, der Zahl, Art und
Lymphozytendurchsetzung der H a s s a 1 sehen Kösperchen. Der Thymus
stellt dabei durchgehend ein kleines parenchyrnarmes Organ dar, das offenliar
schon während des Fötallebens eine akzidentelle Involution erleidet, aber
noch viel höhere Grade derselben aiifwcist, wenn die Kinder noch einige Zeit
nach der Geburt gelebt hatten; die starke Lymphozyteninvasion der
H a s s a 1 sehen Körperchen und die damit vielfach verbundene Vergrösserung
derselben ist bei Lues congenita häufig und auffallend, aber sie wird auch
bei Involution durch andere Krankheiten angctroffeii. Eine richtige Sklerose
des Thymus bei kongenitaler Lues kann H. nicht zugeben, die Zunahme des
Bindegewebes kann auch durch die Parenchymreduktion bedingt, also nur
eine scheinbare sein; anderseits kommen Verdickung und Verdichtung der
Qefässe und des perivaskulären Bindegewebes sowohl bei Lucs congenita wie
auch bei sonstiger akzidenteller Involution vor, sind also nicht spezifisch.
R..Th.oma: Ueber die Strömung des Blutes in der Gefässbahn und die
Spannung der Gelässwand. Ihre Bedeutung für das normale Wachstum,' für
die Blutstillung und für die Angiosklerose.
II. Teil; 5. Die Längsspannungen der Arterienwand. 6. Die Material*
Spannung der Qefässwand.
W. H u e c k: Ueber das Mesenchym. Die Bedeutung seiner Entwicklung
und seines Baues für die Pathologie.
In der vorliegenden umfangreichen Arbeit kommt H. auf Grund histo¬
logischer Untersuchungen und kritisch-theoretischer Betrachtungen zu einer
wesentlich neuen Auffassung des Mesenchyms. Nicht der Aufbau aus „Zellen.
Qrundsubstanz und Fasern“, sondern ein schwamm- oder netzartiges Syn-
cytiuni bildet 'die genetische Grundlage der gesamten Bindesubstanzen, ist als
solches auch im Aufbau der ausgerciften Bindehautsubstanzen zu erkennen
und bedingt die Festigkeit derselben. So bilden sich als morphologische
Differenzierungsprodukte Fasern, Fibrillen und Membranen, die sich einerseits
durch eine — vielleicht funktionell bedingte — Einlagerung von Kollagen und
Elastin w'eiter ausgestalten, anderseits durch Einlagerung von lebendem
Gewebe in die Poren des schwammigen Netzes zu den verschiedenen Arten
der Bindesubstanzgruppe weiter umbilden: so zu fibrillärem und retikidärern
Bindegewebe, ferner zu glatter Muskulatur, Knorpel- und Knochengewebe; zu
Blut- und Wanderzellen. Basalmembranen und Qitterfasergerüst der ein-
witthsenden epithelialen Gewebe und endlich auch durch Ausweitung und
Konfluenz der Poren zur Entstehung von Blutgefässen (autochthone Entstehung
von Blutkapillaren im mesenchymalen Gewebe!).
Zum Schluss weist H. darauf hin, weich wichtige Rolle für den gesamten
Stoffwechsel neben den Zellen auch der Grundsubstanz zukommt,
indem ein Saftstrom alle Gewebsteile durchdringt, der durch den dauernden
Wechsel der Eng- und Weitniaschigkeit (schlaffe und straffe Konstitution!)
quantitativen und chemisch-qualitativen Schwankungen unterworfen sein
dürfte.
Band 66. Heft 3. 1920.
R. T h o m a: Ueber die Strömung des Blutes in der Gefässbahn und die
Spannung der Gelässwand. Ihre Bedeutung für das normale Wachstum, für
die Blutstillung und für die Angiosklerose.
III. Teil: 7. Die vier histomechanlschen Gesetze der Blutbahn und die
Materialspannungcn der Gefässwand. 8. Angiomalazie und Angiosklerose.
L. Jores: Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung mecha¬
nischen Druckes auf den Knochen.
Durch Einbringen von mit Wasser gefüllten Gummibcuteln in die Rücken¬
muskulatur von Meerschweinchen und Kaninchen hat J. den Einfluss von
konstantem und von wechselndem Druck auf die Dornfortsätze der Wirbei-
körper untersucht; analog der Auffassung von Roux scheint Druck für das
Knochengewehe einen physiologischen Reiz darzustellen, wobei für die Dauer
des Druckes das Wachstum des Knochens gehemmt und die Resorption von
Knochen und Knorpel unter Ersatz von Bindegewebe veranlasst wird, während
hinwiederum Nachlassen des Druckes an den dem Druck ausgesetzt ge¬
wesenen Stellen eine Proliferation von Knochengewebe erzeugt. ’ Es treten
also bei konstantem Druck mehr die resorptiven, bei inkonstantem Druck
mehr die appositionellen Prozesse in den Vordergrund.
S. S tecke Imache r: Ueber die Beziehungen des Chondrioms
(Plasmosomen) zu den Strukturen der vitalen Färbung. ^
F. Schlagenhaufer: Ueber Wirbelkörperschwund (Osteolysls).
In den ersten vier beschriebenen Fällen handelte es sich (drei Männer
von 64, 55 und 54 Jahren und eine Frau von 58 Jahren) um einen isolierten
Schwund eines Wirbelkörpers, der zweimal zu den Erscheinungen der
Kompressionsmyelitis geführt hatte, während im dritten und .vierten Fall keine
myelitischen Symptome vorhanden wareq, da nur ein Lendenwirbel betroffen
war. Im vierten Fall (44 jähr. Köchin), in dem die Erscheinungen wesentlich
schwerer und stürmischer verliefen, fanden sich mehrere Brust- und Leiiden-
wirbel hochgradig porotisch verändert sowie auch Rippen und Sternum mit¬
erkrankt. Da die gewöhnlichen pathologischen Knochenprozesse wie Tuber¬
kulose, Tumor, Spondylitis. Osteomalazie und Halisterese etc. ätiologisch
nicht in Betracht kamen, auch ein Trauma wie bei der K ü m m e 1 1 sehen
Krankheit auszuschliessen war, so mussten die Fälle ungeklärt bleiben. Im
Hinblick auf die letztgenannte Krankheit macht Sch. darauf aufmerksam, dass
ein traumatischer Insult bei primärem Vorhandensein einer solchen ..Qsteo-
lysis“ auch nur ein zufälliges Akzidenz darstellen kann!
Kleinere Mitteilungen:
Walther Fischer und Ed. Birt; Ein Paraffingrannlom des Penis.
Die reaktiven Gewebswucherungen waren durch Injektion eines Parafün-
Lanolingemenges (zu therapeutisch-kosmetischen Zwecken vorRenomnien)
zustande gekommen.
Rob. Koritschoner; Ueber ein Chorlonepitheliom ohne Prlmär-
tumor mit abnorm langer Latenzzeit.
22 Jahre nach der letzten Geburt wurden bei einer 61 iähr. Frau ohne
das Vorhandensein eines Uterustumors typische metastatische Tumoren in
Digitized b)
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
343
Milz, Leber, Luniren wie auch in der Magenwand festgestellt; K. lehnt den
Magentumor als Primärgeschwulst ab und nimmt restlose Ausheilung eines
Uterustumors an mit Spätmetastasierung.
Walther Fischer: Zur Kenntnis' des einseitigen dystrophischen par¬
tiellen Riesenwuchses.
Beobachtung bei einem 52 jähr. Chinesen.
Ernst Billigheinrer: Kasuistische Beiträge zur Pathologie des Peri¬
toneums.
I. Primäres Lymphosarkom des Netzes und des ganzen Bauchfells
bei einem 26 jähr. Kriegsteilnehmer, das klinisch für chronische tuberkulöse
Peritonitis gehalten und erst bei der Probelaparotomie diagnostiziert
worden war.
II. Eigentümlicher Fall einer Missbildung des Peritoneums (wie auch der
Pleura) bei einem an Pneumonie verstorbenen 36 jähr. russischen Gefangenen;
B. nennt den merkwürdigen Befund: Peritoneum hyperplasticum
fluctuans; es handelte sich um eine spinnengewebsartige Hyperplasie des
ganzen Peritoneum viscerale. Herrn. Merkel- München.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 89. Band.
Heft 1 u. 2.
A. Fröhlich und M. Grossmann - Wien: Die Wirkung des
Kampfers auf das Wühlen des Froschherzventrikels.
Das elektrisch erzeugbare Wühlen des Froschventrikels, nach de B o e r
bedingt durch den schlechten metabilen Zustand der Kammer, kann durch
Kampfer verhindert werden, da dieser imstande ist, die reparatorischen Vor¬
gänge anzuregen und zu beschleunigen. Reizerzeugung und Erregungsleitung
werdfen dadurch günstig beeinflusst. Diese Wirkung stützt die Ansicht
de B o e r s, dass es sich nicht um eine multiple Reizbildung beim Kammer¬
wühlen handele.
E. Oppenheimer - Freiburg; Eine neue Methode zur Bestimmung des
Broms In kleinsten Mengen.
Derselbe: Gibt es eine spezifische Wirkung der Bromsaize?
Die Chlorverdrängung und damit -Verarmung des Organismus ist nicht,
wie V. W y s s annahm, die Ursache der Bromwirkiing, sondern nur die Be¬
dingung, die Voraussetzung dafür, dass Bromionen im Organismus zirkulieren
und in entsprechender M'.3nge an die Angriffspunkte gelangen. Verf. fand nun,
dass benzolunlösliches NaBr. wenn es im Tierkörper intensiv mit Lipoiden in
Berührung kommt,, wahrscheinlich durch kolloidchernische Vorgänge in eine
Form übergeht, dip benzollöslich ist. Wahrscheinlich hängt diese Erscheinung
mit der spezifischen Wirkung der Bromsalze zusammen.
H. Wieland- Freiburg: Entgiftung durch adsorptlve Verdrängung. Ein
Beitrag zur Erkenntnis der Ermüdung des überlebenden Froschherzens und
der tferzwlrkung des Kamofers.
Verf. betrachtet die Ermüdung (Hypodynamie) des ausgeschnittenen
Froschfterzens als eine Art Vergiftung durch einen bei der Herzarbeit ge¬
bildeten Stoff, der stets durch das Blut entfernt wird, nicht aber durch Ringer¬
lösung. Das an der Herzoberfläche gebundene Gift kann durch oberflächen¬
aktive Stoffe, Kampfer, Serum, Natriumobat etc. verdrängt und dadurch die
Ermüdung beseitigt werden. Die therapeutische Wirkung des Kampfers beruht
also auf Be.seitigung von Hemmungen und ist nicht spezifisch.
E. F r i e d b e r g - Freiburg i. Br.: Untersuchungen zur Physiologie und
Pharmakologie des fibrillären Bindegewebes (Sehne).
Verf, hat an frischen Sehnen von Rattenschwänzen die Dehnbarkeit, Ver¬
änderungen durch thermische Einflüsse, hypo- und hypertonische Lösungen,
Säuren und Alkalien, Ncutralsalzen und von Fibrolysin untersucht. Letzteres
bewirkte keine Erhöhung der Dehnbarkeit.
H, K i r s t e - Heidelberg: Ueber den Synergismus von Atropin und Blut¬
serum am muskarinvergifteten Froschherz. L. Jacob- Bremen.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 6. (Nachträglich.)
H. Strauss - Berlin: Ueber Trichinose.
Verf. berichtet im Anschluss an eigene, an 8 Fällen gemachte klinische
F^rfahrungen über verschiedene Fragen diagnostischer und therapeutischer
Natur. Gesichtsödem gehört darnach zu den wichtigsten Symptomen der
Krankheit. Von besonderem theoretischen Interesse ist u. a. das Verhalten
des Kernig sehen Phänomens. Die Komplementbindungsmethode ist bei
Trichinose zu beachten. Therap' utisch ergab sich nichts Neues. Für den
Verlauf ist das funktionelle Verhalten des Magen-Darmkanals wichtig.
M. H. Kuczynski - Berlin: Ueber die Wassermann sehe Reaktion
beim Kaninchen.
Verf. erörtert auf Grund seiner Untersuchungen die Bedeutung der
Kokzidiose für das Zustandekommen der WaR. beim Kaninchen. 'Dieselbe
stellt beim Kaninchen allem Anschein nach ein ziemlich getreues Abbild des
akuten Infektionsprozesses dar. Eine Ausnützung seiner Befunde für mensch¬
liche Verhältnisse möchte Verf zunächst vermeiden.
A. W olf-Bcrlin: Oer Einfluss verschiedener Kontrastmittel und deren
Konsistenz auf die Entleerung des Mäzens.
Alle Kontrastmittel haben dieselbe Austreibungszeit, nur das Bariumsulfat
und Citobariurn eine scheinbare Beschleunigung, durch geringes Volumen be¬
dingt. Die Normalaustreibungszeit schwankt zwischen 3—5 Stunden. Die
Konsistenz des Breies ist der Hauptfaktor, der die Entleerungszcit verändert.
Dünne Breie gehen rascher durch. Für Prüfung der Motilität soll ein möglichst
kompakter Brei verwendet werden. Die röntgenologische Methode stellt
iedoch irn ganzen nur eine grobe Untersuchung dar.
E. T a n c r d -Königsberg: Zum Phänomen des lleozökalgurrens an der
vorderen Brustwand.
ln den betr, seltenen Fällen, von denen 2 mitgeteilt werden, bildet sich
am Brustkorb an der primär erkrankten Brustseite eine schmerzhafte, etwa
Uustgrosse Geschwulst, welche bei Druck ein weithin hörbares Gurren hören
lässt. Voraussetzung: Offener Weg zwischen Lunge und Pleura par., weiterhin
vin solcher von der PI, cost., ins Unterhautzellgewebe. Das Phänomen muss
"ücht unbedingt ein. Sign, mali ominis sein.
A. P f e i f f e r - Altona: Störung der Biasenfunktion als Hauptfunktion der
Enzephalomyelitis epidemica. •
Verf. teilt 2 Fälle mit, in welchen die Dysfunktionen der Blase die
Hauptbeschwerden bildeten, während die vorhandenen Nebensymptome den
Zusammenhang mit der epidemischen Krankheit erwiesen. In beiden Fällen
bestanden Pyramidenreizerscheinungen.
Digitized by Gotigle
E. Frank- Breslau: Bemerkungen zu dem Aufsatz von 3* Qutherz:
Zur Sarkoplasmatheorie der tonischen Erscheinungen am quergestreiften
Muskel, B.kl.W. 1920 Nr. 49.
Verf. möchte sich vorläufig trotz der Beobachtungen von Qutherz
nicht entschiiessen, die Sarkoplasmatheorie fallen zu lassen.
H. K 0 h n - Berlin: Zur fmpetlgonephritls.
Ergänzung zum gleichnamigen Artikel in Nr. 2 der B.kl.W. 1921.
Rheindorf: Erwiderung auf A s c h o f f s Aufsatz: Müssen wir unsere
Anschauungen über die Aetiologle der Wurmfortsatzentzündungen ändern?
Vergl. B.kl.W. 1920 Nr. 44.
Betr. dieser eingehenden Auseinandersetzungen mit A s c h o f f müssen
wir auf das Original verweisen, Orassmann - München.
Nr. 10.
E. Friedberger und K. Oschikawa - Greifswald: Ueber die
Folgen der Einspritzung von artfremdem Senim, von Giften und von Anti¬
seren in die Karotis zentralwärts.
Die Verf. haben sich besonders mit den Forssma^nn sehen Versuchen
und Angaben in dieser Richtung befasst und können auf'Grund ihrer eigenen
Versuche, über welche sie im einzelnen berichten, die tatsächlichen Angaben
von Forssmann in allen wesentlichen Punkten bestätigen, wenn ihre
Deutung auch verschifften ist. Darnach rufen giftige Sera, statt intravenös,
in die Karotis — Richtung zum Herzen — eingespritzt, nicht das gewöhn¬
liche Bild der Anaphylaxie hervor, sondern einen davon verschiedenen Sym-
ptomenkomplex. Es scheint eine allgemeine Wirkung giftiger artfremder Sera
und vielleicht von Eiweissgiften überhaupt von der Karotis aus vorzuliegen.
R. Cassirer und F. Krause - Berlin: Frühdiagnose einer Halsmark¬
geschwulst, Operation. Heilung. Vergl. Bericht S. 257 der M.m.W. 1921,
F. Geppert - Eppendorf: Die Bedeutung der Blutsedimentierungsreak-
tlon nach F a h r ä u s für die Geburtshilfe und Gynäkologie.
Auf Grund ihrer Erfahrungen können die Verf. sagen: Die genannte
Reaktion gibt für die Diagnose der Schwangerschaft erst zu einer Zeit
brauchbare Werte, wo sich eine biologische Reaktion erübrigt. Bei der
Differentialdiagnose zwischen Tumor und Schwangerschaft jenseits des
4. Monats, sowie zwischen ektopischer Schwangerschaft und Adnexerkran¬
kungen ist lediglich der negative Ausfall der Reaktion zu verwerten, für
die Entscheidung des Zeitpunktes operativer Eingriffe bei entzündlichen
Adnexerkrankungen ist der negative Ausfall von praktischer Bedeutung, weil
er zeigt, dass frischere Entzündung oder Infektion nicht mehr vorhanden ist.
Endlich ist der negative Ausfall der Reaktion zu verwerten für den Aus¬
schluss infektiöser Prozesse vor der Vornahme einer Ausschabung.
M. Friedmann - Mannheim: Zur Fraee der Lues lateus.
Verf. bespricht eine von ihm gemachte Beobachtung, wo eine Lues lat.
vorhanden war, die makroskopisch keine Veränderungen zeigte, wo erst
mikroskopisch in einer Stelle des Penis, welche gar nicht verändert schien,
durch Anschaben des Gewebes das Vorhandensein der Pallidae konstatiert
werden konnte. Der betr. Patient war verhältnismässig gut behandelt wor¬
den und hatte doch seine Braut infiziert, während er klinisch für geheilt galt.
Herzog: Zur DlfferentlaldiaRnose der Encephalitis epidemica.
An Hand einer Reihe eigener Beobachtungen bespricht Verf. seltenere
Zustandsbilder der genannten Krankheit, psychische Störungen, ähnliche Zu¬
stände wie bei Paralysis agitans etc., die Ueberlagerung chronischer Krank¬
heiten durch die akute Infektionskrankheit und erörtert die hauptsächlichen
differentialdiagnostischen Merkmale.
Markus M e i e r - Kattowitz; Zur DifferentlaldiaKnose zwischen Perl-
chohdritls laryngis und Thyreoiditis bzw. Strumitls.
Verf. veröffentlicht einen ziemlich seltenen Fall einer akuten Strumitis
mit Einschmelzung eines grossen Teiles der Schilddrüse. Der tödliche Aus¬
gang erfolgte als Folge des Abszesses durch Sepsis.
R. Güterbok - Berlin: Einige Besonderheiten Im Verlauf der Phthisis
pulmonum unter den letzigcn abnormen Verhältnissen.
Verf, macht auf die Fälle aufmerksam, in welchen es trotz jeder Therapie
zu gehäuftem Auftreten allmähliger Verschlimmerungen bis dahin gutartiger
Tuberkulosen kommt, andererseits erörtert er die Zusammenhänge der Tuber¬
kulose mit den Qrippeerkrankungen.'^
^ Br. K ü n n e - Steglitz: Sehnenverpflanzungen unter Lokalanästhesie.
Verf. hat 6 Radialislähmungen in dieser Weise operiert und sieht in
der Vornahme der Oocrationen unter Lokalanästhesie grosse Vorteile, weil
durch das Wachsein des Patienten eine verständnisvolle Mitarbeit desselben
und damit wichtige Informationen des operierenden Arztes gegeben sind, was
für die unmittelbare Aufklärung über den Mechanismus der in Betracht
kommenden Sehnen und Muskeln von grosser Bedeutung ist.
A. Lautenschläger -Berlin: Zur Technik der Kieferhöhienpunktion,
Verf. hat bei ca. 20 000 Kranken die Kieferhöhle punktiert, ohne dass
es jemals zum geringsten schädlichen Zwischenfalle, wie tödlicher Luft¬
embolie etc. gekommen wäre. Dieses Ergebnis ist der Verwendung eines
vom Verf. vor Jahren konstruierten Apparates zu verdanken, zur Herstellung
und Aufbewahrung der Spülflüssigkeit (physiologische Kochsalzlösung). Be¬
schreibung und Abbildung des Apparates im Original!
Orassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 4 u. 5.
H. Pinkelstein - Berlin: Zur Frage des Stridor thymicus.
Vortrag in der Sitzung vom 14, November 1920 im Ver. f. inn. Med.
u. Kindhik,, Pädiatrische Sektion. (Bericht in Nr. 49. 1920 der M.m.W.)
W. Lasch- Berlin: Ueber den Einfluss der Salze auf den Wasserumsatz.
Am stärksten fördernd auf die Wasserausscheidung wirken die Kalium¬
salze, weniger die Kalziumsalze, während die Natriumsalze stark wasser-
retinierend wirken. Der entscheidende Faktor dabei ist das Kation, nicht
das Anion. Die diuretische Eigenschaft der erdig-alkalischen Wässer beruht
hauptsächlich auf ihrem Gehalt an Ca- und Mg-Ionen.
C. Pototzky- Berlin: Das Pubertätsbasedowold. Ein Beitrag zur
Klinik der Hyperthyreosen hn Pubertäisalter.
Unter Pubertätsbasedewoid wird im Gegensatz zum Hyperthyreoidismus
pseudochloroticus eine basedowoide Pubertätsneurose verstanden, bei welcher
zusammen mit diffuser Vergrösserung der Schilddrüse, Exophthalmus, auch
Gräfe schem Symptom allerlei nervöse Beschwerden bestehen. Tachykardie
jedoch fehlt. Meist handelt es sich dabei um junge Mädchen. Die in solchen
Fällen in der Regel wirkungslose Eisen-Arsentherapie wird besser durch
Organotherapie, Ovaraden (Triferrin) ersetzt.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1
344 MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 7. H. Pf e i f f e r - Innsbruck: Beobachtungen Aber Elwelsszerfalls-
toxikosen.
Bei verschiedenen Formen der Vergiftung durch parenteralen Eiweiss¬
abbau — Anaphylaxie, photodynamischer Lichtwirkung, Hämolysinvergiftung,
Peptonvergiftung thermische Allgemeinschädigung — bildet der Temperatur¬
abfall die hervorragendste Erscheinung und kennzeichnet durch seine Intensität
den Grad der Vergiftung. Demgemäss lag der Versuch nahe durch künst¬
liche Erwärmung die Wirkung der Vergiftung abzuschwächen, aufzu-
lieben oder zu verhindern. Versuche an photodynamisch geschädigten weissen
Mäusen haben diese Annahme bestätigt. Weiter hat Verf. auch gefunden, dass
prophylaktisch subkutan eingespritztes Olivenöl oder Lösungen von Lezithin
oder Cholesterin in Olivenöl einen gewissen Schutz gegen photodynamische
Schädigung oder Verbrühung bei Mäusen gewährten. Schliesslich hat sich
ergeben, dass das duren oben genannte Massnahmen (Wärraekasten, Oel-
einspritzungen) bewirkte Ueberstehen einer schweren Schädigung auch einen
gewissen zeitlich begrenzten Schutz gegen eine neue derartige Eiweisszerfalls¬
toxikose gewähren kann.
H. H. Meyer: lieber Herz- und Gefässmlttel.
Aus einem Fortbildungsvortrag
J. K. Friedjung: Erkrankungen des Kindesalters Infolge eines schäd¬
lichen Milieus (Millosen).
In der Probevorlesung weist F. auf die Milieuanomalien beim „einzigen
Kind'* hin und auf verwandte Schädigungen, die z. B. das „umkämpfte“ Kind
geschiedener Eheleute, den einzif^en Bruder oder die einzige Schwester, das
Lieblingskind, das spätgeborene Kind zu treffen pflegen und der psychischen
upd somatischen Behandlung besondere Aufgaben stellen. ■ *
A. S a X 1 - Wien: Tenodese der Quadrizepssehne.
Beschreibung des bis jetzt in 5 Fällen geübten Verfahrens,, das für
Individuen von unter 18 Jahren in Betracht kommt, wo die Arthrodese des
Knies nicht angezeigt erscheint.
A. Galambos - Pest: Die Anwendung des Baryumsulfats bei der Be¬
handlung von Magen- und Duodenalgeschwüren.
Das Baryumsulfat gleicht in seiner Wirkung vollkommen der des Bisraut,
subnitricum und hat den Vorzug des viel billigeren Preises.
L. Schönbauer - Wien: Ueber Kurarewirkung bei Wundstarrkrampf.
Bei einem Fall von schwerem Tetanus, wo das Tetanusserum versagte,
wurde neben Chloralhydrat anscheinend mit Erfolg täglich eine Kurareinjektion
(von 0,002 auf 0,005 g steigend, später auf täglich zwei Injektionen verteilt)
gegeben. Heilung.
C. C 0 r o n i n i - Wien: Parafflinöl, Petroleum und Tetralin als Vorharze
ln der Einbettungstecbnlk.
Als verhältnismässig billiges Ersatzmittel empfiehlt sich am meisten das
Tetralin.
E. Glas: Mandeloperationen bei Sepsis.
Gegenüber R e t h i (Nr. 7 der W.kl.W.) tritt G. mehr für die totale
Enukleation der chronischen Mandel ein, wofür bei schweren Allgemein-
erkrankungen die Schlitzung keinen Ersatz bietet; nur bei Sängern ist ver¬
mehrte Zurückhaltung angezeigt.
L. R e t h i: Mandeloperationen bei Sepsis.
R. hält daran fest, die Enukleation erst dann vorzunehmen, wenn die
Schlitzung nicht ausreichend war.
Nr. 8. A. Lug er-Wien: Ueber die paravertebrale Dämpfung beim
Karzinom des Oesophagus. ^
Das Auftreten und die zunehmende Ausbreitung einer paravertebralen
Dämpfung bei Oesophaguskarzinom ist eine ständige Erscheinung und verdient
bezüglich Diagnose, Therapie und Prognose vermehrte Beachtung.
A. Durig: Moderne Ernährungsfragen.
0. Sachs-Wien: Zur Behandlung der Zystopvelltls.
Nachprüfung der von Gross vorgeschlagenen Neosalvarsanbehandlung:
Das Resultat war in rund 70 Proz. negativ, in 30 Proz. Heilung oder Besse¬
rung. Intravenöse Urotropinbehandlung hatte 90 Proz. negative, 10 Proz.
positive Erfolge,
C. Massari - Wien: Abrissfraktur an der Nagelphalanx am Ansatz des
tiefen Fingerbeugers.
Beschreibung eines Falles. Durch Katgutnähte wurde das abgerissene
Fragment an normaler Stelle befestigt. Heilung.
G. S i n g c r - Wien: Ueber Intravenöse Tl^eraple und die Wirkung Intra¬
venös verabreichter hypertonischer Lösunge*«.
S. erinnert daran, dass er seinerzeit bereits mit Erfolg bei Bronchial¬
asthma und Bronchialblennorrhöe Injektionen von hypotonischer Ringer- oder
10—15 pfoz. Kochsalzlösung anwandte. Ebenso bewähren sich bei Ruhr
Injektionen von hypertonischer Kochsalzlösung (20 proz. bis zu 50 ccm).
P. S. Grünthal - Breslau: Beeinflussung der diabetischen Hyper¬
glykämie durch Bluttransfusionen.
Transfusion kleiner Mengen Normalblutes hatte beim Diabetiker eine
plötzliche Abnahme des Blutzuckergehaltes um 34 und 31 Proz. des Ausgangs¬
wertes zur Folge Noch erheblicher (42 Proz.) war die Abnahme bei der
Transfusion von hypoglykämischem Blute. Ursache dieser Erscheinung liegt
in Pankreashormonen des Blutes.
, A. E c k s t e i n - Freiburg: Herzmuskeltonus und postdiphtherische Herz¬
lähmung.
Die postdiphtherische Herzlähraung darf nicht ausschliesslich als eine
rein nervöse Schwäche (des Vagus und Sympathikus) angesehen werden,
sondern muss zum Teil auch auf ein Nachlassen des Herzmuskeltonus zurück¬
geführt werden.
C. Schaefer - Görlitz: Zur Behandlung der Dyspepsien mit Larosan.
Larosanmilch, mit Schleimabkochung oder Wasser in üblicher, dem Alter
des Säuglings angepasster Menge verdünnt, zuerst ohne, später mit Kohlen¬
hydraten gegeben, bewährte sich ausgezeichnet in der Behandlung der
Säuglingsdyspepsic. • Die Zubereitung ist einfach (Gebrauchsanweisung bei
jeder Packung) und der Geschmack den Kindern angenehm.
Fetscher -Tübingen: Ueber die Notwendigkeit von Mllchverdön-
nungen bei jungen Säuglingen.
Der von L e v y in Nr. 48 d. W. gebrachten Statistik liegt kein ge¬
nügend grosses Material zugrunde, um danach die bisherige Uebung, Kuh¬
milch für Säuglinge zu verdünnen, zu • verlassen.
E. Tiling-Jena: Zur Kasuistik der Encephalomyelitis disseminata.
Mitteilung zweier Fälle, bei denen tikartige, arythmische Zuckungen be¬
sonders auffällig waren.
F. Kalberlah -Hohemark: Zur Aetlologie der multiplen Sklerose.
In zwei noch frischen Fällen von multipler Sklerose gelang es, ähnlich
den früheren Beobachtungen von Kuhn und Steiner, durch Ueberimplung'
von Liquor und Blut auf Kaninchen, einmal Lähmungen der vorderen Extremi¬
täten und eine Spirochäte im Blute, das andere Mal zahlreiche Spirochäten
in den Blutgefässen und der Leber nachzuweisen. (2 Abbildungen.)
M. Deutsch - Berlin: Ueber die Wirkung des Magnesium sulfurlcum bei
verschiedenartigen Intoxikationen.
Beobachtungen günstiger, mindestens die Schwere und Dauer der Krank-
licitserscheinungen verringernder Wirkung des Magnesium sulfuricum bei
typhusälmlichen Erkrankungen, Fleckfieber, Grippe, Urtikaria. Dosis: 1 ge¬
strichener Esslöffel in Wasser gelöst, auf zweimal getrunken.
G e w a 11 - Berlin: Ueber Pemphigusbebandlung mit Terpentinein—
Spritzungen.
Besserung nach 15 intraglutäalen Einspritzungen einer 20 proz. Lösung
von Terpentinharz in Olivenöl (0,3—0,75 ccm).
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologlsche Rat-
Gcfiläge für den Praktiker.
Nr. 5. H. S e 11 e r - Königsberg: Die tuberkulöse Durchseuchung der
städtischen Bevölkerung und Ihre Bedeutung für die Tuberkulosebekämpfung.
Die tuberkulöse Infektion im Kindesalter ist unvermeidlich und kann mög¬
licherweise die Rolle einer natürlichen Schutzimpfung übernehmen; doch ist
sie gefährlich, wenn sie zu früh erfolgt, weshalb Säuglinge und Kleinkinder
von hustenden Tuberkulösen ferngehalten werden müssen. Infizierte Kinder
müssen so gekräftigt werden, dass sie nicht zur Erkrankung disponiert
werden; erkrankte Kinder sind heilungsfähig und sollen daher in Volksheil¬
stätten e’ntsprechend behandelt werden. Erwachsene können durch gute Er-
n.ährung vor dem Ausbruch der Erkrankung behütet werden.
F. Munk- Berlin: Ueber die therapeutische Wirkung der Protein-
korper. Insbesondere die Behandlung der Gelenkerkrankungen mit Kaseosan,
Sanarthrlt, Nukleinsäure und andere Substanzen.
Die theoretischen Grundlagen der „Proteinkörpertherapie“ werden zu¬
nächst erörtert. Ihr Hauptanwendungsgebiet sind die späten chronischen
Formen der infektiösen Arthritis, während die frischen infektiösen Arthritiden
zweckmässiger mit Argoflavin behandelt werden. Bei den primär chronisch
verlaufenden destruierenden Gelenkprozessen, wie sie häufig bei Frauen mit
Dysmenorrhöe und im Klimakterium gesehen werden, wird in solchen Fällen
vorteilhaft die Ovarialtherapie gleichzeitig mit der Proteinkörpertherapie
kombiniert. Gonorrhoische Gelenkentzündungen werden mit Arthigon «der
auch mit Argoflavin solche tuberkulöser Natur besser mit Tuberkulin be¬
handelt. Neben der Allgemeinbehandlung sind die örtlich angewandten Hilfs¬
mittel nicht zu entbehren.
A. Stühmer - Freiburg i. Br.: Die Abgrenzung der I. von der II. Krank-
heitspcrlode bei der Syphilis auf Grund experimenteller Trypanosomenstudien.
Zu kurzem Bericht nicht geeignet.
1‘. I c k e r t - Stettin: Typhus mit allergischer Fljeberkurve.
Bericht über einen einschlägigen Fall.
F. H 0 11 e n b a c h - Hamburg: Pseudoappendizitis, hervorgerufen durch
Tuberkulose der Mesenterlallymphdrüsen.
\Es ist besonders die Drüsentuberkulose des ileozoekalen Winkels, welche
der Appendizitis ähnliche Erscheinungen hervorzurufen vermag. In solchen
Fällen empfiehlt sich neben der Entfernung der Appendix auch die der erreich¬
baren Lymphome durch Inzision des Peritoneums und stumpfe Herausschälung.
A. Staffel- Wiesbaden: Zur Würdigung der Quadrlzepsatrophle.
Die Ouadrizepsatrophie ist eine sehr rasch eintretende Eolgeerscheinung
jeder Kniegelenkserkrankung. 3 Fälle.
M. F i s c h e r - Köln; Juvenile Paralyse und Kriegsdienst.
Bericht über einen derartigen Fall, bei dem irgendein schädigender Ein¬
fluss des Kriegsdienstes abgelehnt wird.
,R. F ü r s t e n a u - Berlin: Ueber die Grundlagen der medizinischen
Lichtduslerung.
Physikalisch-Technisches.
F. F. F r i e d m a n n - Berlin: Ueber das Friedmann sehe Tuber-
kuloseniittel.
Erwiderung auf die Artikel von Kolle. Schlossberger, Uhlen¬
hut h. Lange. Schwalbe und Knopf in Nr. 50'51 (1920) d. W.
W. Kolle und H. Schlossberger - Frankfurt a. M.: Schluss-
bemerkungen zu der Erwiderung von F. F. F r I e d m a n n.
P. Uhlenhut h und L. L a n g e - Berlin: Bemerkungen zu der Er-,
widerung von F. F. F r 1 e d m a n n.
.1. Schwalbe- Berlin: Erwiderung.
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmologlsche Rat¬
schläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Digitized by Goiigle
Wiener medizinische W'ochenschrift
Nr. 6. A. B i n g - Wien: Ueber die selektive Schallanalyse und Analoges
beim Farbensehen.
M. Kahane - Wien: Myalgie und Oxalurle.
Zur Klärung der rätselhaften Ursachen der Myalgien können die mittels
Galvanopalpation gewonnenen Befunde djenen, welche für leichte umschriebene
myositische Vorgänge als Grundlage des Muskelrheumatismus sprechen. Dies»
Reizzustände kommen vor allem am Rücken infolge der engen Schlichtung der
Muskulatur zu gesteigerter klinischer Wirkung. Dass die Attacken durch
lokale Ablagerung von Harnsäure- oder Oxalatkristallen bewirkt werden, ist
vorerst keineswegs erwiesen, wenn auch bei 5 Fällen des Verfassers durch-
gehends im Urin ein Sediment von oxalsaurem Kalk bestand. Bemerkens¬
wert ist. dass 1915 in 36 Proz. der Harne Oxalsedimente vorhanden waren,
während 1918, wo die Ernährung vorwiegend eine vegetabilische war, nur
23 Proz. einen Oxalatbefund aufwiesen.
Nr. 7. H. F i n s t e r e r - Wien: Ueber die „gedeckte** Magen- und
Duodenalperforation.
F. betont die Notwendigkeit der Operation bei den „gedeckten“ Ge¬
schwüren und gibt die Krankengeschichten von 4 erfolgreich operierten Fällen
(2 Magen-, 2 Duodenalgeschwüren). «Bemerkungen zur Pathologie.
A. J. Ce mach-Wien: Die Heliotherapie der Mlttelohrtuberkolose.
C.s Erfahrungen erstrecken sich auf — teils operierte, teils nicht-
operierte — 10 Fälle bei Erwachsenen und 11 bei Kindern und sind sehr
günstig. Der weitaus grösste Teil (etwa kam zur Heilung du^ch lange
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
345
fortgesetzte Sonnenallgemeinbehandlung. ergänzt durch künstliche Licht¬
bestrahlung, Mastkur. Tuberkulomuzin. Die Nichtgeheilten wurden fast aus¬
nahmslos beträchtlich gebessert. ,
Nr. 8. R. Bauer: Zur Malarlabehaudlung.
Die Grundlage der erfolgreichen Behandlung bildeten im wesentlichen
wenige, aber hohe Chiningaben, eventuell mit Beiziehung von Neosalvarsan,
und Einspritzungen von Eigenserum. Bergeat - München.
Im Druck erschienene InaUKuraldissertationen.
Universität Heidelberg. Januar—Februar 1921.
Brilmayer Wilhelm: Cataracta electrica nach Starkstroraverletzung.
. 3 Fälle, beobachtet in der Universitäts-Augenklinik Heidelberg.
Oertsmeier C. H.: Ueber ein Fibroadenoma mammae peri- et inter-
canaliculare cysticum sive lacunare degenerativum mit senilen Involutions¬
zysten im Tumoreebiet.
Mayer Alfred; Wie beeinflusst die Zangenentbindung die Kindersterblichkeit
unter der Geburt?
Schad von Mittelbiberach Hans; Mikroskopisch-anatomische Be¬
funde bei einem Fall von Contusio bulbi mit Dislokation.
Jung Otto; Spätfolgen einer Schrotschussverletzung mit pathologisch¬
anatomischem Befund.
Universität Jena.
Voigt Gerhard: Untersuchungen über die praktische Verwendbarkeit der
Anreicherungsmethode mittels Antiformin zum Nachweis von Tuberkel¬
bazillen im Sputum.
Weingartner Alfred: Beitrag zur Kenntnis der Gehirnveränderungen bei
Malaria.
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Besellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. März 1921.
Tagesordnung.
Herr Wilhelm Braun: Ueber Hautpropfungen. (Mit Krankenvor¬
stellung.)
Herr Fedor Krause hat das Verfahren der Transplantation mit ge¬
stielten Hautlappen zur höchsten Vollendung gebracht. Die damit erzielten
Resultate sind durchaus gut. Die so transplantierten Lappen bleiben fast
stets erhalten. Thier sch deckte in freier Transplantation die ganzen
Flächen mit dünnen Läpochen. R e v e r d i n wollte nur Ueberhäutungs-
zentren schaffen, Heteroplastik bleibt nach der Methode von Thier sch
auch unter Blutsverwandten meist erfolglos. Redner schildert dann sein
eigenes Verfahren: Kleine T h i e r s c h sehe Lappen werden in kleinste Stück¬
chen zerteilt und diese in die Tiefe der Granulation verpflanzt. Der Erfolg
bei den bisher behandelten Fällen ist befriedigend, auch bei sehr grossen
Defekten, Das Epithel des in die Tiefe verpflanzten Setzlings bricht nach
der Oberfläche durch und breitet sich dort aus. Die Stücke haben eine
Grösse von 2—4 qmm. sie w'erden 2—4 mm in die Tiefe der Granulation ver¬
senkt. Diese schiiessen sich darüber. Auf jeden Quadratzentimeter kommt
ein Setzling. Das Epithel der einzelnen Inseln und das der Randnarben
streben einander entgegen und konfluieren. So wird der Hautdefekt allmählich
vollständig gedeckt. Mit dieser Methode hat der Vortragende etwa 90 Proz.
Erfolge erzielt. Gelingt das Transplantat nicht beim ersten Male, so wird
ein zweiter Versuch gemacht, dann meist mit gutem Erfolge. Es werden
bis 500 Setzlinge gesteckt. Bei grossen Defekten, die Gelenkflächen über¬
ziehen, bleibt die Bewegungsfähigkeit in hohem Grade erhalten. Vortragender
zeigte an Patienten und Lichtbildern die vorzüglichen Resultate und den
Werdegang seiner Heilmethode: Nach 19 Tagen sieht man die ersten Inseln
aus dem Granulationsgewebe auftauchen, nach 29 Tagen bedecken sie einen
grossen Teil der ausgedehnten Granulationsfläche, bis sie nach 36 Tagen
zum grössten Teil konfluiert sind. Auch bei Ulcera cruris wurde die Methode
mit sehr gutem Erfolge angewandt. Sind die Narben starker Druck- ifnd
Zugwirkung ausgesetzt, ist die Gefahr des Wiederaufbruches gross, so er¬
weisen sich Nachoperationen mit Hilfe gestielter Hautlappen als vorteilhafter,
als wenn man von vornherein mit dieser Methode gedeckt hätte.
Aussprache: Herr Pick ergänzt den Vortrag des Herrn Braun
durch Darlegung der mikroskopischen Vorgänge: Im Gegensatz zu allen bis¬
herigen Defektdeckungen handelt cs sich bei Braun nicht um Trans-
■plantationen, sondern um Implantationen. Wie findet das Epithel seinen
Weg an die Oberfläche der Haut? Man ist versucht, an Erscheinungen wie
Geotropismus oder Heliotropismus zu denken, und doch kommt man mit einer
einfachen mechanischen Erklärung aus: Um das frische Implantat bildet sich
zunächst eine kleine Blutung: dieses Blut dringt nach aussen und bildet so
einen Kanal, den das Implantat benutzt, um an die Oberfläche zu gelangen.
Redner führt dann ira einzelnen aus, wie das implantierte Hautstück sich
infolge der elastischen Fasern zu einer runden Beere zusammenrollt und an
einem von der Oberfläche entgegenwachsenden Epithelstiel nach aussen ge¬
langt.
Herr K a u s c h| Verfechter der alten T h i e r s c h sehen Methode, er¬
kennt als Vorteil des Braun sehen Verfahrens, dass man sehr wenig Haut
braucht, um selbst grosse Defekte zu decken. Nach seinen Erfahrungen heilen
aber T h i e r s c h sehe Transplantate besser an, als man nach den Berichten
der Literatur glauben sollte. T h i e r s c h sehe Lappen heilen am besten
an frischen Wundflächen. Sind schon Granulationen da, so muss man zu¬
nächst diese abkratzen. Nachteilig ist die lange Zeit, die man nach der
Braun sehen Methode zur Heilung braucht. Für die Mehrzahl der Fälle
empfiehlt er doch die alte Methode nach T h i e r s c h.
Herr Katzenstein berichtet von den ausgezeichneten Resultaten, die
er mit der Braun sehen Methode erzielt hat. Das Verfahren hat theo¬
retisches und oraktisches Interesse. Es gibt zweifellos Fälle, die nach
T h i e r s c h überhaupt nicht, nach Braun dagegen rasend schnell heilen.
Herr K t a u s e berichtet über den Erfolg eines Implantats einer Augen¬
braue durch Streifen behaarter Kopfhaut. Es heilt also die Haut mit allen
ihren Bestandteilen: Haaren, SchweissdrUsen etc. ein. Dagegen heilt die
Haut nicht bei Heterotransplantaten ein, selbst wenn man von der Mutter
zum Kind transplantiert.
Herr Braun (Schlusswort): Das Wesentliche ist die Abkürzung des
Heilungsprozesses. Man braucht im Gegensatz zu Thiersch nicht 6—8,
sondern nur 3—4 Wochen. Ausserdem ist die Methode im allgemeinen
ziemlich schmerzfrei.
Herr Lot sch: Ein Fall von Echinokokkus.
Die Milz ist vergrössert und deutlich zu fühlen. Man fühlt eine derbe
^Geschwulst. Die Dämpfung geht kontinuierlich in die Milzdämpfung über.
Nach neun Monaten heftige Schmerzen, Vergrösserung der Geschwulst.
Eosinophilie: 16 Proz. Es ist nicht zu entscheiden, ob der Unke Leber¬
lappen oder die Milz das befallene Organ ist. Bei der Operation stellt
sich heraus, dass es sich um einen Echinokokkus des linken Leberlappens
handelt. Nach der Operation verschwindet die Eosinophilie sofort. Wichtig
ist zur Verhütung von Rezidiven die Totalausschälung des Echinokokkus. Zur
Vermeidung grösserer Blutungen in der Leber klemmt man das Lig. hepato-
duodenale mit allen Gefässen ab und wartet, bis die Leber vollständig
anämisch geworden ist.
Herr Kausch hält die Totalexstirpation des Echinokokkus für über¬
flüssig.
Herr B e n d a konstatiert, dass der Echinokokkus jetzt sehr selten ge¬
worden ist. Man muss aber bedenken, dass nicht jeder Echinokokkus Krank¬
heitserscheinungen macht, wodurch sich die Zahl der Echinokokkusfälle wieder
erhöht. A.
Verein fUr innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Gemeinsame Sitzung vom 7. März 1921.
Tagesordanng:
Die funktionelle Nierendiagnostik. Berichterstatter: die Herren P. F. Rlch-
t e r und L. C a s p e r.
Herr P. F. Richter: Während die Beobachtung über den Ausschei¬
dungsmodus nach Injektion körperfremder Substanzen, wie z. B. Indigokarmin,
für die innere Medizin bedeutungslos ist, muss man sich bei der Beurteilung
der Nicrenfunktion mit der Bestimmung der einzelnen Ausscheidungsstoffe
bescheiden. Allein das Phloridzin gewährt auf die Funktion der Nieren einen
gewissen Rückschluss. Durch Feststellung der Ausscheidung körpereigener,
harnfähiger Stoffe kann man bessere Resultate erhalten. Kranke Nieren halten
z. B. Harnstoff zurück, während gesunde Nieren damit in 2 Tagen fertig
werden. Dadurch, dass man im Blute den Reststickstoff nachweisen konnte,
ist man einen grossen Schritt weiter gekommen. D^r Harnstoffgehalt des
Blutes ist kein Massstab für die Harnstoffretention im Körper, weil die
Gewebe viel r.etinieren können. Auch die A m b a r d sehe Konstante ge¬
währt keine Rückschlüsse, die man als vollkommen einwandfrei betrachten
konnte, Kochsalzretention verrät sich am besten bei der Belastungsprobe,
doch muss man bei schweren Störungen mit der Anwendung vorsichtig sein,
da sie bei diesen nicht ungefährlich ist. Polyurie und Oligurie zeigen
gewisse funktionelle Abweichungen an. Wahrscheinlich sind schon bei der
gesunden Niere gewisse Wechselwirkungen zwischen vaskulärem und tubu¬
lärem Apparat festzustellen. Polyurie kann nicht nur eine reizbare Schwäche,
sondern auch eine erhöhte Tätigkeit anzeigen, doch hat sie meist eine kompen¬
satorische Bedeutung. Die Molekulärkonzentration ist kein Massstab für die
Niereiiarbeit. Beim Verdünnungsversuch ist nicht die Grösse der Gesamt¬
ausscheidung der massgebende Faktor, sondern die Senkung des spezifischen
Gewichts. Schlaycr-hat dem vaskulären und tubulären Apparat in der
Niere besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Vortr. kommt im ganzen zu
dem Schluss, dass die Funktionsprüfungen der Nieren uns nicht viel Neues
über die Nierenkrankheiten gebracht haben, besonders haben sie bei der
akuten Nephr:tis versagt. Der grösste Gewinn der Nierenfunktionsprüfung
liegt auf dem Boden der Therapie.
Herr Casper: Der Chirurg muss sich vor allem die Frage vorlegen,
wenn die operative Entfernung der einen Niere sich als nötig erweisen sollte,
wie die andere funktioniert, da diejenige Niere, die im Körper bleiben soll,
imstande sein muss allein die zur Ausscheidung bestimmten Stoffe zu elimi¬
nieren. Einen höheren Wert als die Ergebnisse des Verdünnungs- und Kon¬
zentrationsversuches, hat die Feststellung des Reststickstoffes. Jodkali, Milch¬
zucker. Farbstoffe und Fermente sagen nichts über die Suffizienz der Nieren
aus. Auch die Gefrierpunktsbestimmung gewährt keine derartigen Schlüsse.
Vortr. weist dann auf die grosse Bedeutung des Ureterenkatheterismus hin.
Eine grosse Bedeutung spricht auch er der Phloridzinprobe zu: 0,01 g machen
stets Glykosurie, die 2 Stunden anzuhalten pflegt, bleibt sie aus, so besteht
eine Nierenkrankheit. Es ist gelungen, durch ausgedehnte Anwendung dieser
Probe die Mortalität der Nierenoperationen von 26 auf 2—4 Proz. herabzu¬
drücken.
Diskussion: Herr P f 1 a u m e r - Erlangen: Der Ureterenkatheteris¬
mus ist nicht immer ungefährlich, da er leicht zu Infektion führen kann. Für
die Chromozystoskopie ist die intravenöse Injektion des Farbstoffes der sub¬
kutanen vorzuziehen.
Herr Schlayer: Durch die topische Nierendiagnostik können wir
weder die anatomische Art des Nierenleidens, noch eine Niereninsuffizienz
erkennen. Daher kam das Verfahren zunächst für praktische Ziele nicht
in Betracht. Nur unter Berücksichtigung des ganzen klinischen Bildes sind
die Ergebnisse der Methode zu verwerten. Wir können nur indirekt aus
der Funktionsprüfung Schlüsse über die Grösse der Ausdehnung eines Krank¬
heitsprozesses in den Nieren machen, ebenso lässt sich auch die Prognose
der Nephritiden durch diese Methoden nur in gewissem Umfang stellen. W.
Aerztlicher Verein zu Danzig.
Sitzung vom 2. Dezember 1920.
Herr Adolf Schmidt: Ileus im Röntgenbilde.
Im hiesigen Städtischen Krankenhause wurden 11 Fälle von Heus der
Röntgenuntersuchung nach K l o i b e r unterworfen und die Erfahrungen von
• K I 0 i b e r und H i n t z e bestätigt.
In den letzten 20 Jahren wurden 203 Fälle von Ileus operiert, davon
starben 112, geheilt wurden 91. Die annähernd Jährlich konstante Anzahl
der Ileusfälle erfuhr infolge des Fettmangels und der vermehrten Zellulose¬
nahrung im Kriege eine gewaltige Steigerung. (1917/18 25 Dünndarm- und
12 Dickdarmileusfälle.) Auffallend war die Häufigkeit des Volvulus der
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
.M6
Flexura sigmoidea. ln den letzten Jahren wurde nicht nur bei Dünndarm*
ileus, sondern auch bei Dickdarmverschluss eine primäre Resektion bevorzugt,
ohne dass sich die Resultate' verschlechterten.
Sitzung vom 16. Dezentber 1920.
Herr Kirchesch: Fernresultate von Magengeschwfirsoperatlonen.
Bei pylorusfernem Magengeschwür ist die Resektion die gegebene Me¬
thode, bei pylorusnahem kommt daneben die Gastroenterostomie in Frage,
doch ist die Pylorusresektion das gründlichere und damit bessere. Die
Resultate des Städtischen Krankenhauses (Geheimrat Prof. Barth) in den
Jahren 1909—20 sind folgende:
Neben 25 perforierten Magengeschwüren wurden 138 unkomplizierte
operiert, von diesen wurden unter
84 pylorusnahen 60 gastroenterostomiert, davon 6 Todesfälle — 10 Proz.
24 radikaloperiert 5 „ = 20 „
54 pylorusfernen 7 gastroenterostomiert ,. 4 „ = 57 „
47 radikaloperiert 11^ „ =23 ..
Geheilt wurden 112, nachuntersucht 31. Von letzteren starben 9 (3 an
interkurrenten Krankheiten, 3 an Karzinom, 3 an ihren Magenbeschwerden).
Von den übrigen 22 hatten 9 Beschwerden, 13 waren völlig gesund.
Gesellschaft fOr Natur- und Heilkunde zu Dresden.
Vereinsamtlicbe Niederschrift.
Sitzung vom 1. November 1920.
Vor der Tagesordnung.
Herr Wllh. Weber: Vorstellung eines Falles von pulsierendem trau¬
matischem Exophthalmus.
25iähr. Mann, im Oktober 1916 durch Maschinengewehrschuss verletzt.
Einschuss in der Gegend des linken Kiefergelenkes, Ausschuss im rechten Ohr.
Im Laufe der nächsten Wochen entwickelt sich das ausgeprägte Bild des
pulsierenden Exophthalmus. Versuche durch täglich mehrstündigen Druck auf
die grosse Halsschlagader den Zustand zu bessern, schlagen fehl. Daher
8 Monate nach der Verletzung einseitige Unterbindung der Carotis communis
ohne irgendwelche Störung vom Gehirn her und mit ausgezeichnetem End¬
erfolg. Die Unterbindung der grossen Schlagader bei dieser Erkrankung ha(
eine Aussicht auf Besserung oder Heilung in 60 Proz., auf Misserfolg in
30 Proz., auf Tod in 10 Proz. Die Unterbindung ist deswegen bei dieser
Krankheit so sehr viel gefahrloser als bei allen anderen, bei denen sie 54 Proz.
Sterblichkeit erreicht, weil hier zwischen Entstehung und Operation ein
längerer Zwischenraum besteht, und daher der Seitenkreistauf genügend Zeit
hat sich zu entwickeln.
Herr F 1 n d e I s e n demonstriert an einem 10 |ähr. Mädchen einen
Naevus plgmentoso-piloso-verrucosus, der sich an der Vorder- und Rückseite
des Körpers von der Mitte des Rumpfes bis über die Knie heraberstreckt:
Braunschwarze Haut mit starkem Haarwuchs und sehr zahlreichen grossen,
papillomartigen Geschwülsten, die sich jetzt sehr schlaff anfühlen, während
sie vor 3 Jahren noch weit starrer und fester waren. Einer der Tumoren
hat in letzter Zeit häufig grützeähnliche Körnchen abgesondert und ist fast
ganz geschwunden (Talgdrüsennävus). ' ,
Aehnliche Abbildungen in den Hautatlanten und Lehrbüchern weisen bei
gleichem, tierfellartigem Aussehen längst nicht so viel Tumoren auf wie der
demonstrierte Fall.
Herr Hans H a e n e I demonstriert einen Fall von LinsenkernerkrankunK
zu seinem vorjährigen Vortrag über dasselbe Thema.
Das vorgestellte 18 jährige Mädchen hat im Frühjahr ds. J. eine „Ge¬
hirngrippe“ mit 3 Monate langer Schlafsucht gehabt. Nach Heilung der¬
selben konnte sie eine Zeitlang leidlich ihre Hausarbeit verrichten, dann ent¬
wickelte sich langsam der jetzige Zustand, der folgende wesentliche Merk¬
male aufweist: alle Bewegungen sind langsamer, seltener, spärlicher ge¬
worden. sowohl die unwillkürlichen der Mimik und. Gesten, als auch die
willkürlichen. Pat. ähnelt immer mehr einer Wachspuppe, die sitzen und
stehen bleibt, wo sie hingestellt wird. Zu den einfachen Hantierungen,. An¬
kleiden, Essen u. ä. braucht sie stundenlang, oft bleibt sie bei einer Hand¬
lung (Stiefelzuschnüren) auf halbem Wege stecken. Im Sit?en fällt der Körper
meist tief nach vorn zusammen, im Stehen und Gehen besteht ausge¬
sprochene Retropulsion, bis Pat. wie ein Stock an eine Wand angelehnt
stehen bleibt. Die Fortsetzung einer derart unterbrochenen Bewegung ist
meist mit etwas Zittern begleitet, sonst besteht kein Tremor. Die Hand¬
schrift ist zu winzig engen und kleinen Buchstaben zusammengeschrumpft, die
mühsam einzeln gemalt werden. Objektiv fehlen alle Zeichen einer PyB-
Erkrankung, Sehnen- und Hautreflexe, grobe Kraft, Tonus der Muskeln sind
normal. Ebenso sind Auffassung, Intelligenz, Affektleben ungestört; be¬
merkenswert ist dagegen ein zwainrsmässig auch bei indifferenten Anlässen
auftretendes Lachen, das Pat. blöder aussehen lässt als sie tatsächlich ist. —
Es handelt sich also um einen Folgezustand der Encephalitis epidemica, der
ein Bild geschaffen hat, wie es zum Gebiete des ainyostatischen Symptomen-
komplexes von Strümpell gehört: es deutet darauf hin, dass der ent¬
zündliche Prozess hauptsächlich in den Zentralganglien, Linsenkern-Thalamus
sich abgespielt hat; dass auch anscheinend geringfügige Veränderungen in
dieser Gegend zum langsam progressiven Verlaufe neigen, wissen wir ja
von der Paralysis agitans, mit der die Kranke in manchem übereinstimmende
Züge aufweist.
Tat^esordnung.
Bericht der Rechnunosprfifer.
Herr Brückner: Die psychopathischen Kinder.
Der Vortragende definiert zunächst den Begriff der Psychopathie, deren
Aeusserungen am Reinsten während der Kindheit beobachtet werden können,
denn hier machen sich i. A. die Einflüsse des Lebens noch nicht in dem
Masse geltend wie im späteren Alter. Dann schildert der Vortragende die
hauptsächlichsten Typen der psychopathischeh Kinder und bespricht im An¬
schluss daran die Abgrenzung gegenüber dem psychisch gesunden, ver¬
zogenen oder verwahrlosten Kinde. Er erörtert die Bedeutung des Psycho¬
pathen für die Schule und für die Allgemeinheit und geht alsdann auf die
Prophylaxe und Behandlung ein. Er weist auf die Mängel des Fürsorge¬
gesetzes hin. tritt für eine bessere Organisation der Fürsorge ein und
empfiehlt in dieser Hinsicht die Einrichtung von psychiatrisch geleiteten Be¬
ratungsstellen und Beobachtungsstationen nach dem Vorbilde von Kicit;-
Meusdorf (Leipzig). Zum Schluss schildert er die heilpädagogischen Methoden
und empfiehlt als Ergänzung der erzieherischen Arbeit die Schutzaufsicht.
Aussprache: Herren Ganser, Thierse h, Flachs, Leon¬
hard, C. S c h m i d t. . „ ^ . X . J
Herr Brückner (Schlusswort): Die „Stigmata“ der Psychiater sind
bei der Diagnose Psychopathie nur mit Vorsicht zu verwerten, wie der
Vortr. am Beispiel der sog. Scapula scaphoidea nachweist. Auch der
Enuresis vermag er für die Diagnose nicht mehr die grosse Bedeutung bei¬
zumessen, wie es noch vielfach geschieht. Frühzeitig einsetzende Für¬
sorge ist für die Allgemeinheit das einzig wirksame Mittel, um wenigstens
einen Teil der Psychopathen zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft
■_..„.1 VAruroVirlncimar 711 ii(>Tirnhrl>tl
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 1. Dezember 1920.
Herr Q a n s: Demonstration eines atypisch beginnenden luetischen Se¬
kundärexanthems mit Papeln ln beiden Achselhöhlen.
Herr Arthur W. JH e y e r: Ueber seltene Verletzungen am Leberhllus.
Aussprache: Herren Freund, Grafe.
Herr Gräle: Stoffwechseluntersuchungen bei der Hypnose (gemeinsam
mit Dr. T r a u m a n n).
Die Hypnose wurde benutzt, um 2 wichtige Fragen der Stoffwechsel¬
physiologie und -Pathologie zu studieren: 1. die Frage nach dem Einfluss star¬
ker Affekte, 2. die Frage der Einwirkung abnormer Muskelspannungen auf
den (Jesamtstoffwechsel.
Die Untersuchungen wurden an 2 gut eintrainierten Kandidaten der Medi¬
zin (den Herren Läufer und Samson) angestellt und in 2 ständigen
Perioden im Respirationsapparate der Medizinischen Klinik durchgeführt.
I. Um Affekte zu erzeugen, wurden in der Hypnose starke Suggestionen
schwerer psychischer Depressionen (Erkrankungen an inoperablem Magen¬
karzinom, Gehirntumor, doppelseitiger Erblindung, Vermögensverlust etc.), die
während der Dauer der Respirationsversuche fortlaufend unterhalten wurden,
gegeben. Jede Muskelbewegungen oder Spannung, auch stärkere Atem¬
frequenz bzw. Vertiefung wurden durch besonders darauf gerichtete Sug¬
gestionen ausgeschaltet. Während bei der einen Versuchsperson gegenüber
der einfachen Schlafhypnose mit möglichster Gefühls- und Gedankenaus¬
schaltung keine sichere Veränderungen in mehrfachen Versuchen festzustellen
waren, traten bei der zweiten stets deutliche, bis 12,3 Proz. hinaufgehende
Steigerungen des respiratorischen Gaswechsels auf. Die verschiedenen Re¬
sultate sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass im ersteren Falle
die Versuche nicht glatt gelangen, indem z. T. ausgesprochene, der Versuchs¬
person auch nachher bewusste, Gegensuggestionen sich geltend machten,
während im zweiten Falle die Wirkung der Suggestion eine viel tiefere war
und vollkommene Amnesie bestand. G. ist daher geneigt, den positiven Ver¬
suchen die grös.sere Beweiskraft zuzuschreiben, hält aber das in Frage
stehende Problem natürlich durch eine positive Reihe für noch keineswegs
gelöst.
II. Um den Einfluss eines verstärkten Muskeltonus auf den Stoffwechsel
zu prüfen, war die hypnotisch erzeugte kataleptischc Muskelstarre besonders
geeignet. Wenn es auch nicht gelang, eine so starke Starre zu erzeugen, dass
der Körper längere Zeit nur auf Hacken und Hinterkopf ruhte, so bestand
doch während der ganzen Versuche eine deutliche starke Steifigkeit fast
der gesamten Körpermuskulatur. Bei beiden Versuchspersonen kam es zu
keiner Stoffwechselsteigerung gegenüber dem Vergleichsversuch mit «in¬
facher Schlafhypnose (Abweichung im Durchschnitt — 0,8 Proz., während
bei einer willkürlich erzeugten Starre der Umsatz bis zu 50,7 Proz. anstieg.
So sprechen diese Versuche in Uebereinstimmung mit älteren Beobach¬
tungen des Vortragenden an katatonischen Stuporen dafür, dass der Muskel¬
tonus ohne nachweisbaren Einfluss auf die Energieproduktion ist.
Aussprache: Herren Gottlieb, Wilmanns.
Herr v. Oettlngen: Geburten Iro hypnotischen Dämmerschlaf. (Der
Vortrag ist in Nr. 9 d. Wschr. erschienen.)
Aussprache: Herren Homburger. Wilmanns, Neu,
Meyer-Gross, Eymer, Kleinschmidt, Eymer, v. Bonin.
Gans, Gottlieb, Neu, Hinseie, Brauns, v. Oettingen, Kas-
baum, Hirsch.
Sitzung vom 14. Dezember 1920.
Herr Rost: Ueber das Fieber bei Gelenkeiterung, experimenteller Bei¬
trag. '
Gelenkeiteruni^n sind im allgemeinen mit höherem Fieber, schwererer
Beinträchtigung des Allgemeinbefindens verbunden als Weichteileiterungen.
Liegt das an einer besonders raschen und reichlichen Resorption der Toxine
durch die Gelenkinnenhaut? Um das zu prüfen, wurde Kaninchen Kochsalz.
Adrenalin, Staphylokokkentoxin u, a. abwechselnd ins Gelenk und subkutan
eingespritzt und dabei die geringste Dosis bestimmt, die gerade Fieber
machte. Es ergab sich, dass die Resorption gelöster Toxinstoffe und der
anderen geprüften Substanzen von seiten des Gelenkes aus nicht rascher und
reichlicher erfolgt, als vom subkutanen Gewebe aus. Die Ursache für das
hohe Fieber muss also in anderen Momenten gesucht werden. Hier komnit
in erster Linie in Betracht, dass aus anatomischen Gründen der Austausch
zwischen Gewebszellen und Bakterien im Gelenk kein so inniger ist als im
subkutanen Gewebe. Infolgedessen wird auch das Toxin im Gelenk wahr¬
scheinlich weniger ausgiebiger zerstört als im subkutanen Gewebe. Dieser
Austausch zwischen Gewebszellen und Bakterien wird dadurch geprüft, dass
den Tieren abgetötete Staphylokokken ins Gelenk und subkutan eingespritzt
werden. Die Höhe des Fiebers war bei beiden Einverleibungsarten die
gleiche. Es begann jedoch der Temperaturanstieg bei den intraartikulären
Einspritzungen wesentlich später, als bei den subkutanen. Von anderen Ur¬
sachen für die Fiebersteigerung bei Gelenkeiterung wird noch angeführt, dass
aus anatomischen (Jründen die Eitermenge im Gelenk stets eine sehr grosse
ist und dem Eiter im Gelenk schwer beizukommen ist, und dass, wie eben¬
falls durch Tierversuche nachgewiesen worden ist, durch die Gelenkeiterung
keine Abkapselung erzielt wird, vielmehr die entzündete Gelenkinnenhaut
genau so resorbiert wie die normale. Es ist also bei den Gelenkeiterungen
nach allem die Menge des resorptionsfähigen Toxins stets eine besonders
grosse, während die Art der Resorption des Toxins die gleiche wie beim
subkutanen Gewebe ist.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
18. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
347
Herr v. Bon In: lieber Erythrozytenresistenz and Röntgenstrahlen.
Nimmt gegen die Theorie von B o r d i n und Weiterer, dass die
Wirkung der Röntgenstrahlen durch Entladung und Ausfällung der Kolloide
erklärbar sei, Stellung: 1. fallen lyotrope Kolloide, zu denen u. a. das
genuine Albumin gehört, im isoelektrischen Punkte nicht aus. 2. hat Holt¬
husen gezeigt, dass die biologische Wirkung nicht proportional der Menge
der gebildeten Elektrizitätsträger, sondern der lichtelektrisch nachweisbaren
Energie der Röntgenstrahlen geht. 3. haben eigene Untersuchungen gezeigt,
dass das Verhalten von Erythrozyten in bezug auf Saponin- und osmotische
Resistenz durchaus verschieden ist, wenn man sie mit La*** entlädt und
wenn man sie bestrahlt Als Nebenbefund wird gezeigt, dass auch die
Saponinresistenz von der Festigkeit des Zellgefüges abhängig ist.
Herr Slauck: Beiträge zur Kenntnis der Mnskelveränderungen bei
Myxödem und Myotonia atrophlca.
Anatomischer Nachweis der von Heidenhain bei atrophischer Myo¬
tonie gefundenen quergestreiften Ringfibrillen beim Myxödemmuskel unter
Demonstration von Präparaten. Definitionsversuch der Progredienz der Mus-
kelveründerungen bei atrophischer Myotonie. Betrachtung der elektrischen,
verwandtschaftlichen Beziehungen der Muskulatur bei Myxödem und dys¬
trophischer Myotonie. Schlussbetrachtungen und Folgerungen aus oben¬
genannten Beobachtungen. Es wird auf die demnächst in der D. Zschr.
f. Nervenhlk. erscheinende Originalarbeit verwiesen.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzungen vom 7. und 14. Dezember 1920.
Herr Gg. B. Gräber spricht unter Vorweisung von Lichtbildern makro¬
skopischer und mikroskopischer Präparate über Tuberkel und Gummi. Aus¬
gehend von der Praxis, welche an den Mikroskopiker oft die Anforderung
stellt, an einem starren histologischen Momentbild, das aus einem recht
grossen Entzündungsgeschehen herausgegriffen ist, Feststellungen in ätio¬
logischer Hinsicht zu machen, verbreitet er sich zunächst über das Wesen des
Tuberkels als Reaktionsprodukt auf die Infektion mit Koch sehen Stäbchen
und stellt den Tuberkel, als Erzeugnis längerdauernder und produktiver Ent¬
zündung, den akuteren und exsudativen Entzündungsbildern gleicher Aetiologie
gegenüber. Des weiteren wird referiert, wie das Studium der allergischen
Erscheinungen des Organismus im Gefolge der Infektion mit Koch sehen
Stäbchen sich an Hand histologischer Feststellungen im Experiment fördern
lässt (L e w a n d 0 w s k y), wie andrerseits allerlei Eigentümlichkeiten der
entzündlichen Ausdrucksform im Verlauf phthisischer Erkrankungen, sei es
der Haut, des Auges oder der inneren Organe durch Aenderungen der
allergischen Fähigkeiten des Organismus erklärt werden können, eine Lehre,
zu der v. Rankes Untersuchungen neuerdings wichtige Gesichtspunkte
brachten. Aehnliches mag für Lues gelten. Jedenfalls herrscht aber in der
Benennung syphilitischer Reaktionsbilder eine gewisse Regellosigkeit. Nicht
alles, was als Gummi bezeichnet wird, ist auch ein Gummi. Akute und
subakute Ausdrucksformen der Gewebsreaktion müssen mehr Beachtung
finden; als gummöse Erscheinung kann nur ein ausgesprochen produktiv ent¬
zündliches Produkt mit zentraler Nekrosierung eine Rolle spielen. Miliare
Nekrosen oder miliare Abszesse, wie sie z. B. bei der fötalen Lues der Leber
Vorkommen, sind keine Gummen, wenn auch dann und wann die Leber
kongenital luetischer Kinder Bildungen enthalten kann, welche alle Eigen¬
schaften der gummösen Granulationsgeschwulst darbieten. Im Rahmen solcher
Betrachtungen der fötal luetischen Veränderungen ist auch die Neigung richtig¬
zustellen, entzündliche Bindegewebsvermehrungen oder durch die inter-
^tielle Entzündung bedingte regressive Erscheinungen am Parenchym weit¬
gehendst als einfache Hemmungsbildungen der Organentwicklung infolge Lues
anzusprechen, wenn auch gewiss die mächtige entzündliche interstitielle
Reaktion die endgültige Differenzierung der Parenchymteile bedeutend auf¬
halten oder gar verhindern kann (K i m 1 a, S t o e r c k). — Besonderer Hin¬
weis erfolgt auf die miliaren syphilitischen Leberherde kongenital luetischer
Früchte mit Vergleichsbetrachtung der jeweiligen Spirochätenverteilung in
den betreffenden Lebern Da sich leider in den späteren luetischen Stadien
der erworbenen Lues aber auch in den Frühstadien derselben, wenn sie
schon in Behandlung genommen, Spirochäten nicht mehr nachweisen zu lassen
brauchen, kann histologisch die ätiologische Diagnose nicht immer zweifellos
gestellt werden. Es bieten sich dann nur Aequivalentbilder am Gewebe dar,
die im Rahmen der Entzündungserscheinungen mehr oder weniger charak¬
teristisch für die Körperreaktion auf luetische Einwirkung sein können. Ein¬
zelne zelluläre Erscheinungen im Gebiet yon solchen Reaktionsprodukten, wie
z. B. epitheloide Zellen oder Riesenzellen, können nicht massgebend für die
Diagnose sein. — Im Anhang werden noch knötchenförmige Entzündungsherde
und Nekroseerscheinungen der Leber vorgezeigt, wie sie bei typhösen und
paratyphösen Erkrankungen gefunden worden sind.
Sitzung vom 15. Dezember 1920.
Herr Gg. B. G r u b e r hält einen Vorweisungsabend pathologisch*
anatomischer Befundstficke, von denen besonders interessierten ein Fall von
Zystenleber, Zystennieren und Ovarialzyste bei einer bejahrten Patientin,
sowie mehrere missbildete Föten mit Bauch-Blasen-Darmspalte und schwerer
Rückgratsverkrümmung, z. T. auch mit Spina bifida kompliziert.
Medizinische Geseilschafl zu Magdeburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. November 1920.
Demonstrationen:
Herr Kluge: Präparat eines Uterus perforat. bei sept. Peritonitis.
Herr Penkert: Hämatom der Vulva (Notzuchtversuch) (Bild). Kar¬
zinom der Vulva ins Rektum durchgebrochen. Auffallend grosse Blasenstelne,
durch Operation gewonnen. Lymphosarkomatose.
Herr Hirsch: Werner Hagedorn, Beitrag zur Einführung des
L i s t e r sehen Verfahren In Deutschland.
*) Von B 1 e i d 0 r n und v. B o n i n, werden in der Strahlentherapie
aosfflhrlich veröffentlicht.
Digitized by Goiisle
Herr Kluge: Zur Sozialisierung des Aerztestandes (Besprechung der
Broschüre von Röder).
Derselbe: Notwendigkeit der Anzelgepfllcht bei Typhus verdacht.
Sitzung vom 25. November 1920.
Demonstrationen:
Herr Kahn: Polyzythaemia hypertonica.
58 jähr. Mann mit Schwindelanfällen und Beschwerden in der Magen-
gegend. Vater soll schon vollblütig gewesen sein, ist mit 50 Jahren ge¬
storben. Mutter an Altersschwäche, 80 Jahre alt, verstorben, Geschwister
gesund. Der Kranke selbst will schon mit 12 Jahren sehr rot und voll¬
blütig ausgesehen haben, in den Jünglings- und Mannesjahren sei das Aus¬
sehen weniger auffällig gewesen. Seit 2.—3 Jahren ist er wieder sehr
rot im Gesicht, seit Yk Jahr sind die obenerwähnten Beschwerden aufge¬
treten.
Befund: Kräftiger Körperbau, leichte Abmagerung. Hochrotes Gesicht,
Ohren zyanotisch, Bindehäute und Rachen-Mundhöhlenschleimhaut blutüber-
füUt. Ganz leicht links vergrössert, 2. Aortenton verstärkt, drückender. Puls,
Blutdruck R.-R. 235 mm Hg. Linker Leberlappen vergrössert, Milz nicht
tastbar, anscheinend auch perkutorisch nicht vprgrössert.
Hb = 120 Sahli, rote Bl-K. == 7 Mill. F. J. > 1, Blut dickflüssig,
dunkel; mässige Aniso- und Poikilozytose.
Urin klargelb, Dichte 1014, Eiweiss in Spuren, im Sediment keine Form¬
elemente.
Der Fall entspricht im Befund und Verlauf dem von G e i s b ö c k auf¬
gestellten Krankheitsbild der P, hypertonica. Da über die Aetiologie der P.
sonst nichts bekannt ist, ist das erbliche und konstitutionelle Moment in
diesem Falle bemerkenswert.
Herr Max Baatz: Angeb. belders. Schlüsselbeindefekt bei ISlähr.
Mädchen.
Herr B1 e n c k e: Angeborener Klumpfuss.
B 1 e n c k e stellt ein 10 Monate altes Kind mit doppelseitigem Klump¬
fuss vor, bei dem wieder einmal den Eltern, die mit dem Kinde gleich
nach der Geburt zum Arzte gingen, gesagt worden ist, dass das Kind erst
ein Jahr alt werden müsse, ehe man an den Füssen etwas machen könne.
Da in der letzten Zeit derartige Fälle häufiger vorgekommen sind, möchte
Bl. extra noch einmal darauf hinweisen, dass mit der Klumpfussbehandlung
begonnen werden soll, sobald sich die Kinder als lebensfähig erwiesen
haben. Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser sind die Resultate,
desto kürzer dauert die Behandlung und desto billiger ist sie auch. Dass
natürlich auch noch Resultate zu erzielen sind bei älteren Kindern, steht
ja ausser Frage. Derartige Fälle machen dann aber weit mehr Schwierig¬
keiten bei der Behandlung.
B1 e n c k e zeigt einen 16 jährigen Patienten, den er acht Jahre vorher
als achtjährigen Jungen mit doppelseitigem schweren Klumpfuss unblutig be¬
handelt hat und der ein ausgezeichnetes Resultat ergeben hat, so dass man
den Füssen nicht mehr ansieht, dass eine Deformität Vorgelegen hat.
Herr Kirsch: Sport und Gymnastik.
Diskussion: Herr B 1 e n c k e und Herr B 1 e n c k e jr.
Sitzung vom 2, Dezember 1920.
Herr Hirsch: Dem Andenken Felix Niemeyers (100. Geburtstag).
Herr Habs: 2Siähr. Jubiläum der Röntgenstrahlen.
Derselbe: Besonders schwerer Fall von Barlo w scher Krankheit
(Röntgenbild).
Dieser Vorträg erscheint unter den Originalien der Münch, med. Wschr.
Herr O 11 e n: U^er Knochenmetastasen bei einigen Infektionskrank¬
heiten und Geschwülsten (Lichtbilder).
O. berichtet unter Vorführung zahlreicher Lichtbilder zunächst kurz über
Knochenmetastasen bei Staphylokokkensepsis, um dann die bei
Typhus abdominalis nicht so selten zu beobachtenden, allein durch
den Typhuserreger bedingten, oft jahrelang in Erscheinung tretenden Knochen¬
eiterungen (Periostitis, Osteomyelitis, Spondylitis) in ihrem pathologisch¬
anatomischen, bakteriologischen und klinischen Verlauf ausführlicher zu be¬
sprechen.
Anschliessend daran werden kurz seltenere Formen von Knochen¬
lues und schwere tabische Osteopathien erörtert und im Röntgen¬
bilde vorgeführt. Weiterhin bespricht O. unter Hinweis auf entsprechende
Röntgenbilder die Neigung einzelner bösartiger Geschwülste, besonders des
Prostatakarzinoms, zur Metastasenbildung am Knochensystem und
führt zum Schluss einige Fälle von Knochenmetastasen bei G r a w i t z -
schem Tumor und von Knochenzysten vor. unter Betonung der
Schwierigkeiten, die auch an Hand des Röntgenbildes für die Diagnosen¬
stellung. erwachsen können.
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. Februar 1921.
Vor der Tagesordnung wird die in Nr. 7 d. W. S. 225 bereits mitge¬
teilte Kundgebung gegen das Pariser Diktat einstimmig angenommen.
> Herr D e c k w 11 z: Ueber Masernrekonvaleszentensemm.
M a s e r n r e k 0 n v a 1 e s z e n t e n s e r u m lässt sich als Ma¬
sernschutzserum verwenden. Von 228 maserninfizierten Kin¬
dern konnten 227, die während der ersten 6 Inkubationstage prophylaktisch
behandelt wurden, vor der Erkrankung geschützt werden.
Die Konzentration der Masernschutzstoffe im Blutserum ist am 7. Tage
der Rekonvaleszenz höher als am 14. Die Befunde wutden an unkomplizierten
Masern erhoben und der 1. Tag nach der endgültigen Entfieberung 1. Rekon¬
valeszenztag genannt. 2,5 ccm eines Mischserums dreier Rekonvaleszenten
vom 7. Rekonvaleszenztage genügten, spätestens am 3. Inkubationstage intra¬
muskulär injiziert, vor der Erkrankung zu schützen. Werden Mischsera
von mindestens 3 Rekonvaleszenten verwendet, so beträgt praktisch für
Kinder bis zu 4 Jahren die Schutzdosis während der ersten 4 Tage der
Inkubation 3 ccm, am 5. und 6. Inkubationstage 6 ccm. Wird das Serum
später als zwischen dem 7. und 9. Tage der Rekonvaleszenz gewonnen,
so muss die Dosis erhöht werden, ebenso wenn keine Mischsera verwendet
werden können.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
348
Am 6. Inkubationstage gelingen Schutzinjektionen auch noch bei be¬
sonders massiver Infektion. Am 7. Inkubationstage ist der Erfolg zweifelhaft,
später verhüten auch enorme Dosen die Erkrankung nicht und schwächen
sie nicht ab. Gibt man dagegen zeitig in der Inkubation, bis spätestens
am 4. Inkubationstage, Serumdosen, die nicht hinreichen, die Erkrankung
zu verhüten, aber nahe der schützenden Dosis minima gelegen sind, so w**"^
die Erkrankung auf den 21.—23. Tag post infectionem verschoben und gleich¬
zeitig abgeschwächt. Die abgeschwächten Masern (12 Fälle) waren charak¬
terisiert durch das Fehlen der fieberhaften Prodrome, durch kurzdauernde
Temperatursteigerung auf 38—38,2“, spärliche oder fehlende Exantheme, durch
das Fehlen von Rhinitis, Konjunktivitis und Bronchitis und durch ein
auffallendes Fehlen jeglichen Krankheitsgefühls.
3 Kinder, die abgeschwächte Masern durchgemacht hatten, waren nach
11 Monaten wieder einer Maserninfektion ausgesetzt und erwiesen sich als
immun. Wie lange der Schutz bei solchen Kindern dauert, die erfolgreich
prophylaktisch behandelt wurden und keinerlei Krankheitszeichen dargeboten
hatten, ist unbekannt. Es handelt sich bei den Masernschutzirnpfungen um
eine kombinierte Immunisierung und es ist zu erwarten, dass der Schmtz
ceteris paribus umso länger dauert, je später in der Inkubation prophylaktiWh
behandelt wurde. Es liess sich 6 mal nachweisen, dass in dem Blutserum
solche Kinder, die am 6. Inkübationstage erfolgreich prophylaktisch behandelt
worden waren, Schutzstoffe in solchen Mengen auftraten, dass mit dem
Serum solcher Kinder dritte, maserninfizierte Individuen vor der Erkrankung
bewahrt werden konnten.
An Masern sterben mehr Kinder als an Scharlach und an Diphtherie
zusammengenommen. Gefährlich werden sie Säuglingen und Kleinkindern.
Unter allen Umständen sind vor Masern zu schützen Tuberkulose- und
Keuchhustenkranke und Kinder mit florider Rachitis. Masernepidemien sind
im Kinderkrankenhaus, Säuglingsheim; Krippe und Kindergarten sofort zu
unterbinden.
Der Arzt in der freien Praxis kommt selten dazu, Masernschutzserum
selbständig herzustellen, ausserdem muss eine Reihe von Vorsichtsmass-
regeln angewandt werden, um eine Uebertragung von Lues und Tuberkulose
vom Serumspender auf den Serumempfänger mit aller Sicherheit zu ver¬
meiden. Es wird deshalb vorgeschlagen, das oder die Krankenhäuser einer
Stadt, die Masernkinder aufnehmen, als Serumzentralen einzurichten, die
an Aerzte und Anstalten der Stadt Serum abgeben. In München soll der
Versuch gemacht werden, diese Vorschläge praktisch zu erproben:
„Bleibt die Frequenz der Masernstation der Universitäts-Kinderklinik
dieselbe wie bisher, so können jährlich 1200—1500 Säuglinge und Kleinkinder
bis zum 4. Tage post infectionem vor Masern geschützt werden. Als wich¬
tigste Aufgabe wird betrachtet, Masernepidemien in Krippen, Säuglings¬
heimen und Kindergärten zu verhüten, was bisher jedesmal geglückt ist.
Nach Angabe der Gründe zur Schutzinjektion (Lebensalter, bestehende
oder vorangegangene Schädigung) und des Standes der Inkubation wird an
Aerzte Serum zum Preise von 10 M. für die Schutzdosis abgegeben, soweit
der Vorrat reicht. Weist ein Arzt ein masernkrankes Kind, das als Serum¬
spender in Betracht kommt, ein, so wird für ihn eine Schutzdosis beiseite
gestellt, sodass für solche Aerzte jederzeit Serum verfügbar ist. Die Ge¬
schwister eines auf die Masernstation aufgenommenen Serumspenders haben
ein Anrecht, unentgeltlich vor Masern geschützt zu werden. Auch für solche
Fälle ist stets Serum vorhanden."
Das Problem, jederzeit Masernschutzserum in grösseren Mengen vorrätig
zu haben, scheint nur so lösbar, dass eine grössere Anzahl Freiplätze für
solche Kinder geschaffen werden, die als Serumspender in Betracht kommen
und von vornherein erkl^^’-en. sich gegen einen Freiplatz eine gewisse Menge
Blut abnehmen zu lassen, ln München erk.ranken jährlich 5000—6000 Kinder.
Gelänge es 300 als Serumspender heranzuziehen, so könnten alle Kinder unter
3 Jahren vor der Erkrankung geschützt werden.
Sache der örtlichen Fürsorgeorganisationen ist es, auf die Krankenhäuser
der verschiedenen Städte einzuwirken, sich der geringen Mühe der Serum¬
herstellung zu unterziehen. Die Technik kann jeder Arzt ohne weiteres aus¬
üben, das Instrumentarium ist für 200—250 M. zu beschaffen.
Bei 216 prophylaktischen Versuchen mit Scharlach-Rekonvaleszenten-
Serum wurde bei Gaben von 5—6 ccm 1 Versager gesehen, der 15 Stunden
nach der Injektion ein Exanthem bekam. Damit ist die Schutzwirkung des
Scharlach-Rekonvaleszenten-Serums so wahrscheinlich gemacht, dass sich
prophylaktische Versuche damit lohnen. Scharlach-Rekonvaleszenten-Serum
kann nicht nach aussen abgegeben werden, es erwerben aber die noch
nicht erkrankten Geschwister jedes mit einem frischen Exanthem eingelieferten
Kindes das Anrecht auf prophylaktische Injektionen.
Diskussion: Herr Pfaundler bestätigt die Zuverlässigkeit des
empfohlenen Verfahrens, das in dieser Hinsicht nur der prophylaktischen
Diphtherieheilseruminjektion an die Seite gestellt werden kann. Die Frage,
wie sich die Umwandlung der humoralen Immunität des Kindes in eine zellu¬
läre beim Erwachsenen vollzieht (Mechanismen von Ehrlich, Kasso-
w i t z u. a.) scheint insofern nicht aktuell, als auch bei Erwachsenen im
Blute Schutzkörper von D e g k w i t z nachgewiesen sind, die nur leider
nicht hinreichende Konzentration besitzen, um prakti.sch für die Uebertragung
der Immunität in Betracht zu kommen. Die wünschenswerte weite Verbreitung
des Schutzverfahrens wird nur dann erreichbar sein, wenn man mit Er¬
wachsenenserum zu arbeiten in der Lage ist. Vielleicht gelingt es durch Ein¬
bringung von Antigen (Ictus immunisatorius) den Antikörpergehalt des Blutes
Erwachsener zu vermehren. Dass auch beim Erwachsenen die Immunität
eine humorale sei; lehrt deren Uebertragung auf das Neugeborene in den
Fällen, in denen die Mutter die Krankheit überstanden hat.
Herr F. J a e g e r: Vergleichende tlerexperlmentelie und klinische Ver¬
suche mit Sekaleersatz.
Testobjekt: Meerschweinchenuterus. Methode: Kehrer. An der Hand
von Kuren werden die Wirkung von Sekakornin, Pituglandol, der Hirten¬
täschelkrautpräparate (Styptysat, Siccostyps, Styptural, Thlaspan), dann der
synthetischen Präparate (Histamin, Tyrosin, Tenosin) besprochen und die
tierexperimentellen Ergebnisse in Beziehung gebracht zu den klinischen Er¬
fahrungen. Die Resultate sind folgende: Die Hirtentäschelkrautpräparate
haben die Erwartungen nicht erfüllt. Sie sind unzuverlässig in ihrer Wir¬
kung. Von den synthetischen Präparaten hat sich das Tenosin ausgezeichnet
bewährt: es hat sich im Tierversuch wie in 8 jähriger klinischer Erprobung
als vollwertiger Sekaleersatz erwiesen: es wirkt rascher als das Sekale.
die Dauerwirkung ist allerdings eine kürzere. (Selbstbericht.)
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzungvom 4. August 1920.
Vorsitzender: Herr Mayer
Schriftführer: Herr H a r t e r t.
Herr R e i $ s: Der Fall H ä u s s e r. (Mit Demonstration.)
H., der innerhalb weniger Monate sich eine zahlreiche Gemeinde in ganz
Deutschland geschaffen und eine ganze Reihe Nachfolger gefunden hat, bietet
als Persönlichkeit besonderes Interesse durch die ungewöhnliche Durch¬
sichtigkeit seiner psychologischen Struktur, Den Kern bildet ein h 3 rpo-
manisches Temperament, das sich bis in die früheste Jugend zurück ver¬
folgen lässt und anch sonst in der Familie verbreitet zu sein scheint. Damit
verbinden sich Züge des pathologischen Schwindlers. Diese beiden Kompo¬
nenten vereinigt führen zu einer so weitgehenden Veräusserlichung, wie sie
sonst höchst ungewöhnlich ist. Nur noch Formales behält für ihn Geltung
und Wert. Dafür beherrscht er auch diese Seite des Lebens mit be¬
wundernswerter Geschicklichkeit. Als junger, 20 jähr. Kommis begründet er
in Paris ein glänzend gehendes Geschäft (Verkauf von Schwindeldiplomen,
später Sektfabrik und Rennw^ettbureau), gewinnt eine als Schönheit aner¬
kannte, vermögende Französin zur Frau und lebt als Grandseigneur in den
glänzendsten Verhältnissen, bis das Kriegsende auch seinen pekuniären Zu¬
sammenbruch herbeiführt und ihn scheinbar ganz unvermittelt in seine Pro¬
phetenrolle hinübergleiten lässt. Auch für diese höchst auffällige Wandlung,
die zu einer ganzen Umkehr seiner bisherigen Lebenswerte zu führen scheint,
lassen sich die wesentlichen ursächlichen Momente aufzeigen. Unverkennbar
und deutlich nachzuweisen besteht seit seiner frühesten Jugend ein tieferes
Interesse für religiöse Fragen, das sich dank erhaltener Briefe bis in sein
.späteres Leben hinein verfolgen lässt. Eine leichte, aber doch deutlich er¬
kennbare Steigerung seiner hypomanischen Grundstimmung im Sommer 1918
beseitigt alle Scheu vor öffentlichem Auftreten. Sein altes religiöses Interesse
fand in den aufkommenden pazifistischen und später kommunistischen Ideen,
die ja damals in seinem Aufenthaltsorte Zürich weitgehende Verbreitung
fanden, einen neuen günstigen Nährboden. So ist seine Lehre das alte christ¬
liche Ideal der völligen Abwendung von allem irdischen Besitz, verbunden
mit der Forderung sexueller Enthaltsamkeit. Ueberwindung des Geschlechts¬
triebes durch den Willen i.st der einzige positive Gedanke seiner derben, oft
die allgemeinen Schwächen der Menschen mit treffenden Worten geisseln-
den Kapuzinerpredigten. Dass gerade die sexuelle Abstinenz so im Vorder¬
gründe steht, ist auch wieder aus seinem individuellen Leben ohne weiteres
verständlich. Er hat die Not zur Tugend gemacht. Ein auffallend früh¬
zeitiges Versagen der Poteni, beginnend etwa im i^lter von 37 Jahren, hat
wohl den wesentlichen Anlass zum Verlassen der Frau und für sein persön¬
liches Hinneigen zur Lehre von der Ueberwindung des Fleisches gegeben.
Die noch erhaltene sexuelle Erregbarkeit führt wie so häufig zu exhibitionisti-
schen Handlungen, die er geschickt im Sinne seiner Propaganda als Beweis
sexueller Ueberwindung uradeutet. In einem Falle ist es zu Anklage wegen
Exhibitionismus, sonst zu zahlreichen Strafanzeigen wegen Beleidigungen ge¬
kommen. Für beide Deliktarten wurde Zurechnungsfähigkeit angenommen.
Herr M e z g e r: Ueber die sich bei dem Fall H ä a s s e r ergebenden
wichtigsten luristischen Gesichtspunkte.
Eine „Psychose" liegt nach dem Gutachten des Psychiaters nicht vor.
Als „krankhafte Persönlichkeit" wird man H. dagegen, auch wenn man einen
guten Teil schwindelhafter Mache abrechnet, bezeichnen müssen; bei einem
Intellekt, der eher über als unter dem Durchschnitt steht, zeigt sein affektives
Leben wesentliche Anomalien. Aber sie sind nicht derart, dass sie die „freie
Willensbestimmung“ im Sinne des § 51 St.G.B. „ausschliessen“ würden. Für
die Frage der verwaltungsrechtlichen Einweisung ist massgebend in Württem¬
berg § 16 der Vf. des Min. des Innern betr. das Statut der Staatsirren¬
anstalten vom 20. III. 1899 (Reg.-Bl. 249); 5. Mai 1904 (Reg.-BI. 98).
Eingewiesen werden kann nur ein „Kranker". Dieser Kranke muss
„für andere gefährlich oder für die öffentliche Sittlichkeit anstössig sein".
Es braucht also keine „Gemeingefährlichkeit" vorzuliegen; es genügt Gefährlich¬
keit für einen individuell bestimmten Kreis. „Gefährlich“ ist H, durch seine
mannigfachen Beunruhigungen der Oeffentlichkeit, durch sein systematisches
Unterwühlen der staatlichen Autorität-und durch seine nicht einwandfreien
sexuellen Beziehungen zu einzelnen seiner Jüngerinnen. Immerhin kommt
in Betracht, dass er gewaltsamen Umsturz weder predigt noch veran¬
lasst, sondern ausdrücklich und wirksam davon warnt und bis jetzt an¬
scheinend keine schwereren Störungen sexueller Natur verursächt hat. So¬
lange seine strafrechtliche Veranttvortlichkeit gegeben ist, kommt eine Ein¬
weisung nicht in Betracht. Sollte jedoch die weitere Entwicklung die straf¬
rechtliche Zurechnungsfähigkeit wirksam in Frage stellen, so müsste anch
unmittelbar der .Möglichkeit einer Internierung nähergetreten werden.
Würzburger Aerzteabend.
(Offizielles Protokoll.)
SitzungdesAerztlichenBezirksvereinsWürzburgvom
22. Februar 1921.
Herr Ma nasse stellt vor:
1. Einen Fall von Fibrom der Schädelbasis bei einem 21 jähr. Mann,
welcher vor 6 Wochen operiert wurde, sich jetzt wohl befindet. Der Fall
war, wie so häufig, bemerkenswert durch die abundanten Blutungen, welche
ausserordentlich bedrohlich waren.
2. Einen seltenen Fall von Chordoma mall^num der Schädelbasis bei
einem 30 jähr. Mann, Mikroskopisch fand sich das typische Gewebe: Struktur¬
loses, hyalines Netzwerk mit grossen, blasigen Zellen in den Maschen,
daneben aber richtige karzinomatöse Partien. Bestrahlung hat zweifellose
Besserung zur Folge gehabt.
3. 2 Fälle von Mittelohrtuberkulose mit typischen schnellen Zerfallserschei¬
nungen des Gewebes. Projektion einer grösseren Anzahl von Felsenbein¬
schnitten von Fällen mit Mittelohr- und Labyrinthtuberkulose.
Herr Nonnenbruch demonstriert einen Fall von sehr milde ver¬
laufender chronischer myeloider Altersleukämie, der wegen perisplenitischer
Schmerzen in die Klinik kam.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
349
18. März 1931.
GesellscbafI der Aerzte in Wien.
(Clsener Bericht.)
Sitzung vom 18. Februar 1921.
Herr Q. Riehl demonstriert einen Mann mit multiplen Xanthomen auf
der Haut des Stammes.
Herr L. Arzt zeigt drei Männer und eine Frau mit extraxenitaien
Primlraffekten. alle an der Unterlippe.
Irgend eine Abnormität des Geschlechtsverkehrs ist ausgeschlossen. Der
erste Patient, ein Tierarzt, hat sich in einem Gasthaus auf dem Lande infiziert.
Der letzte Geschlechtsverkehr liegt mehr als ein halbes Jahr zurück.
Es scheint, dass die steigende „Kultur" ausserhalb der Städte auch zu
einer Durchseuchung der bis dahin relativ luesfreien bäuerlichen Bevölkerung
geführt hat. Auch bei dem 2. und 3. Pat. ist es sehr wahrscheinlich, dass
die Infektion in einem Landwirtshaus erfolgt ist. Die Drüsentumoren sind
noch vorhanden.
Vortr. berichtet zugleich über vergleichende Untersuchungen des Liquors
von Patienten mit genitaler und extragenitaler Sklerose; bei ersteren war
der Befund in 50. bei letzteren in 30 Proz. positiv. Es hat sich dabei heraus¬
gestellt, dass bei Chancre cdphalique, also bei Sitz der Sklerose im Bereich
des Kopfes, die Veränderungen im Liquor nicht rascher und häufiger auftreten
als bei anderem Sitz der Sklerose.
Herr M. Hirsch demonstriert einen Mann, bei dem er wegen Torsion
des Netzes eine Laparotomie vorgenommen hat.
Herr H. Planner zeigt zwei Patientinnen mit Gummen des Rückens,
auf die Luetin prompt ein ge wirkt hat.
Herr H. Bleichsteiner stellt eine Pat. vor, die wegen einer
Orbitalphlegmone operiert wurde.
Die Entzündung ging vom 2. oberen Schneidezahn r. aus; es kam zur
Einschmelzung der Spongiosa. Der Bulbus ist verloren und wird exstirpiert
werden.
Der 2. obere Schneidezahn ist oft schon wegen des Verlaufes seines
Wurzelkanals Ursache schwerer Komplikationen gewesen.
Herr B. Breltner: Gefangenenlagerchirurgie. K.
Sitzung vom 25. Februar 1921.
Herr K e p p 1 c h aus Zürich: Ueber die künstliche Erzeugung von Magen¬
geschwüren.
Alle Versuche, auf dem Wege pharmakologischer Reizung Magen¬
geschwüre zu erhalten, schlugen fehl. K. hat sich der faradischen Reizung
mit Erfolg bedient. Die Vagi wurden bei Kaninchen mittels eines eingenähten
Kabels gereizt, das durch eine mediale Laparotomie eingeführt und durch die
letzte Rippe gestützt war. Von 26 Versuchstieren gingen 12 rasch zugrunde,
bei dreien brachen die Elektroden ab. Von den übrigblejbenden 11 Tieren,
deren Vagi wiederholt faradisiert wurden, hatten 10 Ulzera.
Herr Fröhlich, Herr Kyrie und Herr Planner: Eine neue Jod¬
verbindung zur Behandlung der Syphilis.
Herr B e n k ö lieferte ein Jodpräparat, das aus einem primären jod-
hältigen Kern besteht, der in ein Kolloid eingeführt ist.
Das neue Präparat, das den Namen „Mirjon“ führt, enthält 1,7 Proz. Jod.
Im Körper wird das Jod frei und kann seine Heilwirkung entfalten. Der Kern,
welcher das Jod enthält, gelangt bis zu den Stellen, wo die Krankheits¬
prozesse sitzen, dort wird das Jod frei und kann seine desinfizierende Wirkung
ausflben. Mirjon ist ungiftig. 30 cg davon werden von Kaninchen anstandslos
vertragen. Das Jod des neuen Präparates kommt 80 mal so leicht an den
Krankheitsherd heran wie das Jod der bekannten Jodsalze.
Herr Kyrie, Herr Finger und Herr Wagner erklären das Mirjon
als wertvolle Bereicherung unseres Arzneischatzes. K.
Aus ärztlichen Staiidesvereinen.
Wirtschaftlicher Verband Deutscher Zahnärzte.
Der Wirtschaftliche Verband Deutscher Zahnärzte hielt am 30. und
31. Januar d. J. seine 10. Hauptversammlung unter dem Vorsitz von
Dr. Pulvermacher - Berlin in Würzburg ab. Mit einer offiziellen Fest¬
sitzung im Zahnärztlichen Universitätsinstitut wurde die Versammlung durch
Begrössungsworte des Universitätsrektors feierlich eröffnet. An dieser Fest¬
sitzung nahmen die Vertreter der Staatsbehörden und der Regierung von
ünterfranken sowie Hofrat Prof. Dr. Michel als Vertreter der medizinischen
Fakultät und als Direktor des Zahnärztlichen Instituts teil. Die Festrede des
Generalsekretärs Dr. K a 1 d e w e y führte der Versammlung die Leitgedanken
des Wirtschaftlichen Verbandes und seine Stellungnahme zu den Problemen
unserer aktuellen Standes- und Wirtschaftsfragen vor Augen.
Dem Geschäftsbericht war zu entnehmen, dass dem Verband fast alle
deutschen Zahnärzte angehören. Zur Ausgestaltung der Geschäftsführung
wurden im Laufe des Jahres zwei weitere hauptamtlich tätige Beamte, ein
Zahnarzt und ein Volkswirt, angestellt. Der Verband hat sich der aus Elsass-
Lothringen vertriebenen Kollegen besonders angenommen und ist ihretwegen
wiederholt beim Reichsminister des Innern vorstellig geworden.
Am ersten Sitzungstage befasste sich die Versammlung mit Fragen einer
grundsätzlichen, der Neuzeit entsprechenden Reorganisation. Die besondere
Aufmerksamkeit galt der Tätigkeit des Krankenkassenausschusses. Der mit
den Krankenkassenhauptverbänden abgeschlossene Mantelvertrag fand die
Billigung der Versammlung. Zur Annahme gelangte ein Antrag, dass auch
Spezialärzte für Zahn- und Mundkrankheiten Mitglieder des Wirtschaftlichen
Verbandes werden können, sofern sie von ihren ärztlichen Bezirksvereinen
als .solche anerkannt sind.
Auf der Tagesordnung standen ferner: Der neue Entwurf zur RVO.
(Referent Dr. Kaldewey - Berlin), der Bericht des volkswirtschaftlichen
Beirats (Referent Dr. M e h n e - Berlin), ein Antrag auf Gewährung einer
wirtschaftlichen Beihilfe für die durch den Krieg geschädigten Zahnärzte
(Referent Dr. S a 1 o m o n - Charlottenburg), der Bericht des Ausschusses für
^hulzahnpflege (Referent Dr. U 1 k a n - Elberfeld).
In den Vorstand wurden die Herren Menzel- Berlin, L i n n e r t -
Nürnberg, K a I i s c h - Brandenburg, L i e s s - Lüneburg und D r e x 1 e r -
Ratingen neu gewählt.
Als Ört für die nächste Hauptversammlung wurde Halle a. S. bestimmt.
Kleine Mitteilungen.
Persönliche Vorslchtsmassregeln gegen Encephalitis lethargica.
Das englische Gesundheitsministerium hat eine Denkschrift herausgegeben
(Memor. 45/Med. H. M. Stationery Office) über Encephalitis lethargica, die
am Schluss eine Zusammenfassung der Vorslchtsmassregeln enthält, die für
den persönlichen Schutz gegen Ansteckung zweckmässig erscheinen:
Die übrigen Bewohner eines Hauses, in dem ein Fall von Encephalitis
lethargica vorgekommen oder in Behandlung ist, können darüber beruhigt sein,
dass die Ansteckungsfähigkeit gering ist und dass sie durch Verkehr mit dem
Kranken nur wenig Gefahr laufen. Immerhin ist es wünschenswert, dass
solcher Verkehr auf das beschränkt wird, was für Wart und Pflege des
Kranken notwendig ist und dass dieser in einem Sonderzimmer isoliert wird.
Schulkinder des betreffenden Haushaltes sollten vorsichtshalber für 3 Wochen
nach der Isolierung des Kranken von der Schule ferngehalten werden. Im
übrigen besteht keine Notwendigkeit, den freien Verkehr der Inwohner ein¬
zuschränken, vorausgesetzt, dass sie öfters untersucht werden und gesund
bleiben. Für solche die im unmittelbarem Verkehr mit dem Kranken stehen,
empfiehlt sich jedoch der Gebrauch antiseptischer Nasenduschen und -Zer¬
stäuber und Gurgeln mit Lösungen wie sie für Influenza verwendet werden.
U. a. werden beifoleende Lösungen empfohlen:
1. 1 proz. Lösung von Wasserstoffsuperoxyd,
2. eine Lösung von Kalium hypermang. 1,0 in 5 Liter 0,8 proz. Koch¬
salzlösung,
3. Liquor sodae chlorinatae 0.5 Proz.
Die Lösungen können als gewöhnliche Gurgelwasser benützt oder in die
Nase aufgezogen oder mit Zerstäuber angewendet werden.
Es empfiehlt sich, dass alle Mitglieder des betroffenen Haushaltes, die
an Halsweh oder an anderen Anzeichen beginnender Krankheit klagen, von
diesen Gesichtspunkten aus behandelt und soweit möglich, isoliert werden,
bis sie wieder hergestellt sind. Das Krankenzimmer sollte nach Abschluss
der Krankheit sorgfältig gereinigt und desinfiziert werden. (Lancet.)
Therapeutische Notizen.
Mit Asthenie durch Drüsenveränderungen syphi¬
litischen Ursprungs bezeichnen Merklen, A. Devaux und
A. Desmouliöre ein Krankheitsbild nervöser Schwäche, die gleichzeitig
mit Zuständen verbunden ist, welche von Veränderungen der Drüsen mit
innerer Sekretion abhängen: Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen, Frösteln,
lokalisierten oder wandernden Schmerzen, Gelenkschmerzen, Blässe, Dys¬
menorrhöe. Schlaflosigkeit, leichten Oedemen, Veränderungen des Charakters
und der Psyche, Veränderungen und besonders ständiger Abnahme des Blut¬
drucks. Oft geht schweren syphilitischen Erscheinungen, wie z. B. ver¬
schiedenen Formen von Oehirnsyphilis, von allgemeiner Paralyse usw. eine
Periode von Asthenie, die ja auch als Vorläufer der Tabes bekannt ist,
voraus. Manche Syphilitiker sind die ersten, welche feststellen, d^ss sie-
seit ihrer Infektion nicht mehr ihre frühere Energie und Kraftleistung haben.
Bei der Erbsyphilis ist die Asthenie keine Seltenheit; sie entwickelt sich
hier gewöhnlich ohne irgendein objektives Zeichen, das von diagnostischer
Bedeutung wäre und auch bei Individuen mit unbewusster oder alter Syphilis,
die seit langem keine Behandlung mehr durchgemacht haben, entweder für
sich allein oder mit den zahlreiohen, obengenannten Begleiterscheinungen.
Die Asthenie zieht nicht eher die Aufmerksamkeit auf sich, als sie eine
gewisse Intensität erreicht hat und Patient oder seine Umgebung von der
Bedeutung des anhaltendenden Ermüdungszustandes überzeugt sind. Manch¬
mal jedoch folgt die Schwäche auf eine Entbindung, eine Fehlgeburt, eine
akute Krankheit. Während in manchen Fällen die Ursache dieser Schwäche¬
zustände gar nicht oder nur mit ungeheurer Schwierigkeit festzustellen ist.
führen in anderen 3 Feststellungen auf die richtige Fährte: d. h. syphi¬
litische Erscheinungen bei dem Ehegatten, bei den
Eltern und vor allem die Blutuntersuchung, welche in den
Fällen von Asthenie immer ein positives Resultat gibt. Als viertes wichtiges
Moment kommt noch der Einfluss der spezifischen Behand¬
lung hinzu, die oft nach einer langen Reihe aller möglichen Behandlungs¬
methoden rasch und ergiebig zum Ziele führt, am besten in Form der
kombinierten Ouecksilber-As-Kuren. Kurz eine grosse Anzahl von F^len
allgemeiner Schwäche kommen bei Individuen, vor allem Frauen und Kindern,
vor, die von vorhergehender Syphilis frei zu sein scheinen, bei welchen
aber genauere Nachforschung eine solche — erworben oder ererbt — nach¬
weist und für Verfasser mit Erkrankungen verschiedener Drüsen ein Zu¬
sammenhang ohne Zweifel besteht. (Presse mödicale 1921 Nr. 14.) St.
Zur Behandlung der retropharyngealen Abszesse,
die bei Kindern des ersten Lebensalters ziemlich häufig und oft schwierig
zu diagnostizieren sind, hält C o m b y einen sofortigen, chirurgischen Eingriff
für notwendig. Da aber selbst in den Händen erfahrener Chirurgen das
Bistouri, dessen man sich bis jetzt zur Eröffnung dieser Abszesse
bediente, gefährlich ist, hat C. schon leit längerer Zeit auf das spitze In¬
strument verzichtet und bedient sich nur mehr irgend eines stumpfen, wie
einer Pinzette, einer gerieften Sonde, ohne zu sprechen von zufällig zur
Hand befindlichen Instrumenten, wie Haken, Stricknadeln uam., die natürlich
alle vorher im strömenden Dampf oder an der Flamme desinfiziert werden
müssen. Wenn am nächsten Tage der Abszess sich neu gebildet hat, so ritzt
man ihn wiederum auf und so fort mehrere Tage hintereinander, je nach
Erfordernis. Ausser dem eigentlichen retropharyngealen, kann jeder Rachen¬
abszess Un den Mandeln usw.) mit grösster Leichtigkeit nach dieser Methode,
die bei allen Altersstufen und unter allen Umständen anwendbar ist, geöffnet
werden. Bei kleinen Kindern kommt es zuweilen vor, dass man nicht
genau den Eiterherd lokalisieren und sogar Zweifel haben kann, ob ein
solcher vorhanden ist; mittelst der gerieften Sonde kann man abtasten und
gelingt es immer, den Abszess festzustellen, was mittelst Bistouri kaum
möglich sein wird Ueber Vorbereitung zur Operation, Lagerung des Pa¬
tienten usw. gibt C. noch genauere Vorschriften. (Presse mddicale 1920
Nr. 96.) St.
Den Kaiserschnitt zur Behandlung penetrierender
Verletzungen des Bauches und schwangeren Uterus
empfiehlt Paul Constantinesco für jene Fälle, wo es sich um pene-
Digitized by Goiigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
350
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 11.
trierende Verletzungen von Bauoh und Gebärmutter handelt, d. h. die Frau
unmittelbar nach der Verletzung zur Behandlung kommt und auch dann, wenn
dies erst 24—48 Stunden später der Fall und bereits Infektion eingetreten
ist: Kaiserschnitt und totale Hysterektomie und doppelte Drainage, deren
Wert ein unleugbarer sei, wenn sie rechtzeitig ausgefülirt und überwacht
wird. Wenn die Verletzung unmittelbar zur Behandlung kommt, so kann
durch den Kaiserschnitt und doppelte Drainage (abdominale und vaginale)
die Gebärmutter erhalten, das Leben zweier Wesen gerettet werden und
die Frau noch weiterer Empfängnis fähig bleiben — wie ein von C. genauer
beschriebener Fall lehrt. (Presse mddicale 1921 Nr, 14.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 16. März 1921.
— Ara 10. und 11. ds. Mts. hat endlich vor dem Amtsgericht München
die Verhandlung der vom Schriftleiter der M.m.W. im Dezember 1919
anhängig gemachten Beleidigungsklage gegen Medizinalrat
Dr. Bachmann, Kreisarzt in Hamm, stattgefunden. Dieser hatte in den
von ihm herausgegebene.i „Blättern für biologische Medizin“ H. 7. 8 1919 der
medizinischen Fachpresse im allgemeinen, insbesondere aber der Deutschen
med. und der Münch, nied. Wochenschrift, zum Vorwurf gemacht, sie unter¬
drückten die Freiheit der Wissenschaft, träten aus materiellen Gründen für
Dinge ein, die sie wissenschaftlich nicht vertreten könnten, und sie miss¬
brauchten ihr Ansehen und ihren Einfluss aus materiellen Gründen. Das ist
der Vorwurf der Korruption. Diese schwere Beschuldigung konnte von uns
nicht hingenommen werden; sie musste bewiesen oder, wenn dies nicht ge¬
lang, durch gerichtliche Strafe gesühnt werden. Die Verhandlung gestaltete
sich infolge des grossen, vom Beklagten veranlassten Zeugenaufgebots sehr
langwierig; waren doch so ziemlich alle Autoren, die in den letzten Jahr¬
zehnten aus bekannten Gründen durch die Fachpresse sich benachteiligt fühl¬
ten, als Zeugen geladen, der reine „Salon der Zurückgewiesenen“. Da er¬
schien, mit einem gewichtigen, mit „Material“ gefüllten Rcisekoffer aus¬
gestattet, der Salvarsangegncr Dr. D r e u w. der Entdecker der Schild-
kröten-Tuberkelbazillenvakzine Prof. F. F. F r i e d m a n n, der Augenarzt Graf
W i e s e r, der Kneipparzt Dr. K 1 e i n s c h r o d, der Homöopath Dr. Tisch-
n e r. Kommissarisch waren vernommen der Entdecker eines vermeintlichen
Syphiliserregers Dr. John Siegel, der Impfgegner B o i n g. Sanitätsrat
Sachs- Breslau, der Befürworter einer Bäderbehandlung der Wunden, und
endlich der Erfinder des Krebsheilmittels Kankroin, Prof. Adamkiewicz-
Wien. lieber Verhältnisse der Vereinigung der medizinischen Fachpresse
waren die Herren Prof. O. H e u b n e r. Geh. R. P o s n e r und Verleger
Springer vernommen worden. Von seiten des Klägers w^ar nur ein Zeuge
benannt worden; Prof. M u 1 z e r - München. Als Sachverständige äusserten
sich Geh. R. Sauerbruch und Prof. v. Zumbusch. Das Ergebnis
dieser umfangreichen Beweisaufnahme war das zu erwartende: der Anwalt
des Beklagten — Dr. Bach mann selbst war nicht erschienen — ver¬
mochte. auch nicht den leisesten Beweis für die Behauptungen seines Man¬
danten zu erbringen. Es musste daher die Verurteilung erfolgen. Das am
15. ds. verkündete Urteil lautet auf 500 M. Geldstrafe, Tragung sämtlicher
Kosten und Veröffentlichung des Urteils in den „Blättern für biolog. Medizin“
und in der M.m.W. Die Begründung des Urteils hebt hervor, dass der Wahr¬
heitsbeweis des Beklagten völlig missglückt sei. — Ein ausführlicherer
Bericht soll In unserer nächsten Nummer folgen.
— Der bayer. Landesverband zur Bekämpfung der
Tuberkulose hielt am 13. ds. seine 9. ord. Mitgliederversammlung ab.
Geh. San.-Rat F. May, der langjährige 1. Vorsitzende des Landesverbandes,
legte sein Amt nieder und wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt, eine wohl¬
verdiente Anerkennung der grossen Verdienste, die er sich in jahrzehnte¬
langer, selbstloser und erfolgreicher Arbeit um die Tuberkulosebekämpfung
in Bayern erworben hat. Zu seinem Nachfolger wurde Prof. v. Romberg
gewählt. Der Tätigkeitsbericht des Verbandes, der noch von Geh.-R. May
erstattet wurde, wies auf die grossen finanziellen Schwierigkeiten hin, mit
denen der Verband zu kämpfen habe. So mussten die meisten Betriebe der
Walderholungsstätten eingestellt werden. In die Prinzregent Luitpold-Heil¬
stätte konnten 160 Kinder aufgenommen werden. Ferner berichteten Ober¬
regierungsrat Dr. F r i c k h i n g e r über die Zusammenarbeit der T.-Be-
kämpfung und der Säuglingsfürsorge auf dem Lande, Med.-Rat Dr. S e i f -
f e r t über T.-Sterblichkeit und T.-Fürsorge in der Kriegs- und Nachkriegs¬
zeit und Prof. v. Zumbusch über die Tätigkeit des Lupusausschusses des
bayer. Landesverbandes.
— Im Prüfungsjahr 1919/20 wurden in Bayern 896 Kandidaten der
Medizin (gegen 351 im Prüfungslahr« 1918/19) geprüft und zwar in München'
453 (209), in Würzburg 270 (77). in Erlangen 173 (65). Hievon bestanden
mit der Zensur genügend 53, mit gut 570, mit sehr gut 201 (71 in München,
76 in Würzburg, 54 in Erlangen). Die Approbation erhielten 669 Kandi¬
daten (290).
— Dänische Nothilfe für die deutsche Wissenschaft.
Die erste Sendung dänischer Zeitschriften für Deutschland, ein Geschenk der
dänischen Verlegier, ist in Berlin eingetroffen. Es befinden sich darunter
sehr wertvolle medizinische, wirtschaftliche, technische und natur¬
wissenschaftliche Zeitschriften.
— Im englischen Unterhaus wurde mitgeteilt, dass von briti¬
schen Vereinigungen täglich über V* Million Kinder in Zentraleuropa gespeist
würden und dass die Zahl der von dem amerikanischen Hilfskomitee ge¬
speisten Kinder täglich 2 750 000 betrage.
— Zu dem Artikel über den Verrat von Geschäftsgeheim¬
nissen durch 4 Chemiker der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.
zu Leverkusen an die amerikanische Firma Du Pont de Nemours & Co., Wil-
mington, Delaware teilen wir ergänzend zur Vermeidung einer Verwechslung
mit anderen Herren gleichen Namens mit, dass es sich bei dem in dem Artikel
erwähnten Dr. Kunz, der an dem Verrat als Vertreter des amerikanischen
Hauses mitgewirkt hat, um den in Zürich, Titlisstrasse 17, wohnenden Herrn
Dr. Erik C. Kunz handelt.
— Vom 27.—29. April findet in Rostock ein Fortbildungskurs: „D i e
Syphilis auf allen Gebieten der Pathologie unter be¬
sonderer Rücksicht der Diagnostik und Therapie“ statt.
Vortragende sind die Professoren und Dozenten Martins, Körner, Pe¬
ters, v. Wa sielewski, Brüning, Friboes, Trendelenburg,
Rosenfeld, Curschmann, Walter, Reiter, Pol, v. Brunn
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26.
und Felke. Der Kurs beginnt am 27. April %9 Uhr im Hygienischen
Institut. Er ist unentgeltlich und nur für approbierte Aerzte bestimmt.
‘Rechtzeitige Anmeldungen erbittet Prof. Curschmann, Rostock, Medi¬
zinische Universitäts-Poliklinik*.
— Die Wiener medizinische Fakultät veranstaltet im Jahre 1921 eine
Reihe von Fortbildungskursen für praktische Aerzte des In- und
Auslandes. Der zweite Kursus findet in der Zeit vom 6.—18. Juni 1921 von
8—11 Uhr vormittags und 4—7 nachmittags unter dem Titel statt: Fort¬
schritte in der Chirurgie, Orthopädie. Gynäkologie, Pädiatrie.
— Für den 17. und l8. Mai d. J. (Dienstag und Mittwoch nach
Pfingsten) ist eine Tagung über Psychopathenfürsorge nach
Köln einberufen, welche von dem Deutschen Verein zur Fürsorge
für jugendliche Psychopathen, der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge
(Ciesundheitsausschuss und Ausschuss für Jugendgerichte und Jugendgerichts¬
hilfen) und dem Allgemeinen Fürsorge-Erziehungs-Tag veranstaltet wird.
Das Thema der Tagesordnung lautet; „Heilbehandlung und Er¬
ziehung psychopathischer Kinder und Jugendlicher mit besonderer Berück¬
sichtigung der Fürsorgeerziehung“. Es sind Referate vorgesehen über die
Zusammenarbeit zwischen dem Psychiater und den Organen der offenen
Fürsorge (Kleinkinderfürsorge, Schulkinderfürsorge, Ermittlung und Schutz¬
aufsicht, Fürsorge für vagabundierende Jugendliche) und zwischen Psychiater
und Fürsorgeerziehung (Beobachtungsstationen, Anstaltserziehung). Als Re¬
ferenten sind in Aussicht genommen die Herren Prof. Dr. Kramer-
Berlin, Kreisarzt Dr. Feld- Lennep, Kreisschulrat Fuchs- Berlin, Stadt¬
schularzt Prof. Dr. Thiele- Chemnitz, ferner Frl. Kohl- Berlin, Frl. D i t t-
m e r (Polizeipräsidium Berlin). Prof. G a u p p - Tübingen, Pastor Back-
hausen- Hannover, Prof. v. Düring- Stcinmühle, Oberarzt Dr. Reda-
p c n n i g - Göttingen. Dr. M ö n k e m ö 11 c r - Hildesheim, Dir. K n a u t -
Berlin. Die Teilnehmerkarte kostet 20 M., Anmeldungen bis
10. April an den Deutschen Verein zur Fürsorge für jugendliche Psychopathen,
Berlin N. 24, Monbijouplatz 3. Programme und Unterkunftsbeschaffung durch
denselben. Im Anschluss findet eine Tagung des Allgemeinen Fürsorge-
Erziehungstages statt.
— Sanitätsrat Dr. Karl Ui bei eisen ist nach 22 jähriger Tätigkeit
als leitender Arzt der Kuranstalt Bad Thalkirchen bei München nach Bad
Kissingen übergesiedelt und hat dort das Dr. Rheinboldt sehe Sanatorium
käuflich erworben.
— Die beiden altbekannten Zeitschriften „Die U m s c h a u“, Frank¬
furt a. M., sowie der von Otto N. Witt begründete „Prometheus“
werden vom 1. April 1921 ab vereinigt. — Die Zeitschrift wird unter dem
Titel „Die Umschau (vereinigt mit Prometheus) Wochenschrift über die Fort¬
schritte in Wissenschaft und Technik“ in Frankfurt a. M. erscheinen und
von Prof. Dr. H. B e c h h o 1 d herausgegeben werden. Die Verschmelzung
erfolgt, um eine Zersplitterung zu vermeiden und eine grosse deutsche Zeit¬
schrift zu schaffen, in welcher die führenden Männer der Wissenschaft,
Industrie und Technik den Le.ser in allgemeinverständlichen Aufsätzen an
deren Fortschritten teilnchmcn lassen.
— Die Firma 0 u e i s s e r & Co., Chem. Fabrik in Hamburg 19 ersucht
uns mitzuteilen, dass sie zur Förderung der Hypophysenforschung
Vorderlappenextrakt in beschränkten Mengen kostenfrei abgibt.
— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 27. Februar
bis 5. März wurde 1 Erkrankung in Berlin-Lichterfelde angezeigt. Nach¬
träglich wurden noch mitgeteilt für die Zeit vom 13.—19. Februar 2 Erkran¬
kungen bei Heimkehrern im Durchgangslager Osternothafen (Kreis Usedom-
Wollin, Reg.-Bez. Stettin); vom 20.—25. Februar 14 Erkrankungen im Inter-
nicrtenlagcr Par^him (Mecklenburg-Schwerin). — Oesterreich. Vom 13. bis
19. Februar 2 Erkrankungen, davon je 1 in Wien und Steiermark. — Italien.
Laut Mitteilung vom 19. Februar ist in Triest Fleckfieber ausgebrochen.
— Pest. Algerien. In Algier wurde am 1. Januar l tödlich ver¬
laufener Pestfall festgestellt.
— In der 8. Jahreswoche, vom 20.—26. Februar 1921. hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Augs¬
burg mit 21,4. die geringste Neukölln mit 6,9 Todesfällen pro Jahr und
1000 Einwohner.
Hochschulnachrichten.
Bonn. Dr. Emil Z u r h e 11 e, Oberarzt der Universitäts-Hautklinik
in Bonn hat sich für Haut- und Geschlechtskrankheiten habilitiert. Zur
Wiederbesetzung des Lehrstuhls der allgemeinen Pathologie und pathologi¬
schen Anatomie an der Universität Bonn (an Stelle H. R i b b e r t s) ist ein
Ruf an Prof. Dr. Robert R ö s s 1 c in Jena ergangen. — Der Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Paul Römer, Direktor der Augenklinik in Greifswald, hat einen
Ruf nach Bonn als Nachfolger von Geh.-Rat H. K u h n t erhalten.
Heidelberg. Dr. Maximilian Pfister wurde al^ Dozent für innere
Medizin an die chirurgische Medizinschule in Shanghai berufen. — Die medi¬
zinische Fakultät ernannte den Direktor des zahnärztlichen Instituts Prof.
Dr. Georg B 1 e s s i n g in Anerkennung seiner Verdienste um Wissenschaft
und Institut zum Dr. med. dent. honoris causa, (hk.)
Jena. Als Nachfolger von Prof. Wolfg. Stock wurde Prof. Brück¬
ner, Oberarzt der Augenklinik der Charitee in Berlin nach Jena berufen.
Die Liste lautete: primo et aequo loco Brückner - Berlin und K ö 11 n e r -
WOrzburg; sccundo ct aequo loco v. S z i 1 y - Freiburg und Stargardt-
Bonn.
Königsberg i. Pr. Dr. med. et phil. Alfred W i 11 e r hat sich
als Privatdozent für Hydrobiologie an der Universität Königsberg i. Pr.
mit einer Antrittsvorlesung über „Hydrobiologie als angewandte Wissen¬
schaft“ habilitiert. — Dem a. o. Professor für gerichtliche Medizin, Geh.
Med.-Rat Gerichtsarzt Dr. Georg Puppe, der erst vor kurzem einen Ruf
nach Bonn als Nachfolger U n g a r s erhalten hat. wurde zugleich der Lehr¬
stuhl der gerichtlichen Medizin in Breslau an Stelle des Geh. Med.-Rats
A. L e s s e r angeboten. (hk.)
München. Prof. Borst hat den Ruf als Nachfolger Marchands
abgelehnt.
Münster. Der a. o. Prof. Dr. Otto Kruramacher (Physiologie),
Abteilungsvorsteher am physiologischen Institut, wurde zum ord. Professor
ernannt, (hk.)
Todesfall.
Der Privatdozent für Kinderheilkunde an der Greifswalder Universität,
Dr. med. Erich Klose, ist in seiner Geburtsstadt Hirschberg (Schlesien)
im Alt er von 39 Jahren gestorben.
Druck von £. MuhlÜiaJer’s Buch- und Kunsldruckerei A.O., Müncheo-
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
^«is der cdnzelnen Nummer 2.— Jt. • Bezas:8preis in Deutschlano
* • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
AiizdgenschliiM Immer 5 Arbeitstage vor Erscbeiaefi.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu i_
für die Schiiftiieitn^: Ammfstr. 2A (Sprechstaatai tK—1 Übr),
für Mzng, Anzeigen und Beftq^t
an ). r. Lehmann's Verlag, Paul Heysestrssse tk
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE, ÄRZTE.
Nr. 12. 25. März 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag befallt dcb das anssdiUesaliche Recht der Verviemtignng and Verbreitutig der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrlge vor.
Originaiien.
Ausdemlnstitutfür experimentale KrebsforschunginHeidelber^.
Zur Biologie des Blutplasmas.*)
Von Prof. Dr. H. Sachs und Dr. Kj. von Oettingen.
Im letzten Jahrzehnt haben sich auch auf den Gebieten, mit denen
sich Immunitätslehre und Serumforschuns: beschäftigen, immer mehr
Tatsachen ergeben, die in dem Sinne sprechen, dass neben der chemi¬
schen Konstitution auch der physikalischen Struktur der Säfte und Ge¬
webe und ihren Veränderungen eine wesentliche Bedeutung zukommt.
Abgesehen von der physikalischen Deutung der bei den serodiagnosti¬
schen Methoden sekundär eintretenden Veränderungen (Agglutination,
Präzipitation, Komplementbindung usw.) hat auch die physikalische Be-
tiachtung in der Anaphylaxielehre immer mehr Anhänger gewonnen.
Man unterscheidet dabei zweckmässig zwischen der primären Antigen-
Antikörperreaktion, die wir von der Betrachtung an dieser Stelle aus-
schliessen wollen, und die wohl auch heute durch das von P. Ehrlich
eingefiihrte Prinzip der Rezeptorenlehre am leichtesten der Erklärung
zugänglich ist, und zwischen den sekundären Veränderungen, die die
Antigen-Antikörperreaktion bewirkt. Die letzteren erscheinen im Lichte
der physikalischen Betrachtungsweise als die Folge der physikalischen
Strukturveränderung, zu der die Antigen-Antikörperreaktion führt.
Im besonderen Falle der Anaphylaxie würde also im allgemeinen
die Antiven-Antikörperreaktion im lebenden Organismus vorangeheu,
und ihr Produkt würde gewissermassen durch die Veränderung der
physikalischen Struktur das Instrument darstellen, das' dem Organismus
zur schweren Noxe wird. Wenn dem aber so ist, so besteht natürlich
die Möglichkeit, dass gewisse Substanzen bereits von vornherein die
geeignete physikochemische Struktur besitzen, die bei der Antigen-Anti¬
körperreaktion erst aus dem Zusammenwirken der beiden Komponenten
resultiert. TatsächRch ist es ja gelungen, im Reagenzglas nicht nur durch
Antigen-Antikörperkomplexe, sondern auch durch Bakterien oder durch
geeignete Polysaccharide (Agar-Agar, Stärke, Inulin) bei Vorbehand¬
lung mit frischem Meerschweinchenserum „Anaphylatoxin“ herzustellen,
das Meerschweinchen, wie Friedberger gezeigt hat. unter denselben
Erscheinungen tötet, unter denen die Tiere bei der aktiven oder passiven
Anaphylaxie, d. h. bei der in vivo erfolgenden Antigen-Antikörper¬
reaktion. zugrunde gehen.
Folgt man nun der Auffassung, dass diesem Vorgang der „Gift-
bildnng“ eine physikalische Reaktion zwischen Substrat und Körper¬
flüssigkeit zugrunde liegt, so besteht die Möglichkeit anzunehmen, dass
auch beim Eindringen von Suspensionen oder von kolloidalen Stoffen in
die Blutbahn oder bei ihrer absichtlichen Zuführung zu therapeutischen
Zwecken Gelegenheit zu einem für den Organismus nicht gleichgültigen
physikalischerf Zusammenwirken gegeben ist. Es ergibt sich aber zu¬
gleich daraus, dass bei dieser Reaktion die Beschaffenheit
beider Komponenten von Einfluss sein muss, einer¬
seits diejenige desauf die Blutflüssigkeit wirkenden
Agens, andererseits diejenige der Blutflüssigkeit
selbst. Beide Faktoren werden die erforderliche
physikalische Struktur besitzen müssen, die die
gegenseitige Einwirkung ermöglicht.
Iit der besonderen normalen physikalischen Struktur des Blutes darf
man nun, wie der eine von uns auf Grund einer grossea Reihe von Unter¬
suchungen wiederholt ausgeführt hat 0, „einen w i c h t i g e n F a k t o r
für den normalen Ablauf der Lebens Vorgänge er¬
blicken. Die Veränderungen der physikalischen
Struktur könnte dann dem Durchbrechen einer
Schutzwirkung g 1 e i c h k o m m e n. das abnormen und für
den Organismus schädlichen Vorgängen freien Lauf
lassen würde“. So ergeben sich für Verständnis und Erforschung
der Entstehung von Gesundheitsstörungen, von Krankheitserscheinungen
und von Vergiftungen neue Ausblicke. In gleicher Welse kann man auch
das gemeinsame Moment bei der Proteinkörpertherapie darin
erblicken, „dass primär eine physikalische Aenderung
der Säftestruktur durch die verschiedenartigsten
Mittel bewirkt wird“. Es entspricht durchaus den angeführten
•) Nach einem im Naturhistorisch-Medizinischen Verein (Medizinische
Sektion) zu Heidelberg gehaltenen Vortrag.
Vergl. hiezu: H. Sachs. Kolloidzeitschrift 24. 1919. S. 113; Therapeut,
nalbmonatshefte 34. Jahrgg. 1920 S. 379.
Nr. 12.
Digitized by Gou tole
trüberen Darlegungen, w'enn Abderhalden neuerdings in ähnlichepi
Sinne von einem „Körper-, blut- und zellfremden Zustande“ bzw. von
„zustandsfremden Stoffen“ spricht.
Nach den vorangehenden Ausführungen muss der Grad der
Fremdartigkeit aber nicht allein von der physikalischen Kon¬
stitution der in den Organismus gelangenden Stoffe abhängen, sondert
zugleich durch den Zustand der Körpersäfte bedingt
s e i n. Der letztere wird freilich mit zahlreichen Momenten, mit de:
Individualität, der Ernährung (Tagesschw'ankungen), mit pathologischen
Vorgängen, so insbesondere mit Infektionen, Geschwulstwachstum usw*.,
variieren können. Möglicherweise spielt der jeweilige Zustand der Säfte
und Gewebe, ihre „K o 11 o i d s t a b i 1 i t ä t“, auch als Faktor der für die
Disposition oder Resistenz zu berücksichtigenden Momente eine mehr
oder weniger grosse Rolle.
Von diesem Gesichtspunkte aus erscheinen vergleichende Prüfungen
der Kolloidstabilität der Säfte, insbesondere des Blutes, von einem be¬
sonderen Interesse. Tatsächlich hat man das Serum in dieser Hinsicht
ja vielfach zur Untersuchung herangezogen, und insbesondere haben die
sich aus dem Studium der serodiagnostischen Reaktionen ergebenden
Untersuchungen vielfach gezeigt, dass die wechselnde Labilität bzw.
Stabilität der Bluteiweissstoffe von Einfluss auf das Ergebnis sein kann...
Es sei nur daran erinnert, wie sich die Eigenschaften des Blutserums
beim Altern oder bei dem sog. Inaktivieren (dem halbstündigen Erhitzen
auf 55®) infolge der eintretenden Stabilisierung verändern.
Es besteht aber kein Zweifel, dass bei der Untersuchung
des Serums wesentliche Möglichkeiten zur Feststel¬
lung merklicher physikalischer Unterschiede in der
eigentlichen Blutflüssigkeit durch die Willkür des
Experimentators ausgeschaltet und die im lebenden
Organismus bestehenden natürlichen V e r h ä 11 n i s s ev
keineswegs voll berücksichtigt werden. Folgt man der
Auffassung, dass die einzelnen Eiweissfraktionen des Blutes sich im
wesentlichen durch physikalisch-chemische Merkmale, den Dispersitäts¬
grad ihrer Teilchen, unterscheiden (vergl. hierzu Herzfeld und
K1 i n g e r) und von der labilsten Fibrinogenstufe über das Globulin ein
allmählicher Uebergang zu dem verhältnismässig stabilen Albumin be¬
steht, so fehlt eben im Blutserum durch die seiner Gewinnung voran¬
gehende Fibringerinnung die labilste, d. h. physikalisch am leichtesten
alterierbare Komponente, das Fibrinogen.
Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte daher in vieler Hinsicht ge¬
rade die Untersuchung des Blutplasmas keineswegs aus¬
sichtslos erscheinen, und in diesem Sinne haben- wir damit begonnen, das
Blutplasma verschiedener Individuen in bezug auf seine Stabilität ver¬
gleichend zu prüfen*). * '
Wenngleich sich unsere Untersuchungen bisher nur auf verhältnismässig
einfache Reaktionen beziehen, so glauben wir doch über sie kurz be¬
richten zu dürfen, weil sich zweife llos in den menschlichen
Blutplasmen verschiedener Herkunft Unterschiede
ergeben haben, wiemansie indieserSchärfe bei einer
entsprechenden Prüfung des Blutserums nicht erhält,
und die daher dafür sprechen, dass man sich durch die Ausschaltung der
Fibrinogenquote bei der Serumuntersuchung eines vielleicht in theore¬
tischer und praktischer Hinsicht nicht unwesentlichen unter •natürlicher.
Verhältnissen bestehenden Faktors begibt
Methodisch haben wir das Blut durch Zusatz von Natriumzitratlösüng
flüssig gehalten und dabei eine überschüssige Zitratmenge zu vermeiden ge¬
sucht. Meist wurde bei der Blutentnahme 1 Teil 2proz. Natriumzitratlösung
mit 9 Teilen Blut gemischt Diese Zitratmenge genügte bei menschlichen Blut¬
proben fast immer, um das Blut bzw. das durch Zentrifugieren gewonnene
Plasma während der VersUchszeit flüssig zu erhalten. Zuweilen haben wir
allerdings auch einen stärkeren Natriumzitratzusatz benützt (2 Teile Sproz.
Natriumzitrat auf 8 Telle Blut).
Für die Ueberlassung der Blutproben sind wir hauptsächlich der Uni¬
versitäts-Frauenklinik, sowie dem Samariterhaus und der Dermatologischen
Universitätsklinik zu grossem Dank verpflichtet.
Zu unseren Untersuchungen, die sich insgesamt auf die Prüfung von
etwa 250 Blutproben erstreckten, diente hauptsächlich das Blut von weib¬
lichen Individuen. Es war bei ihnen nämlich zugleich die Frage mass¬
gebend. ob Unterschiede, die sich im Plasma auffinden lassen, etwa der
verschiedenen Senkungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen ent-
*) Wir sind uns freilich dabei bewusst, dass durch den erforderlichen
gerinnungshemmenden Zusatz die Bedingungen nicht ganz den natürlichen
Vernältnissen entsprechen, glauben aber trotzdem aus vergleichenden Unter¬
suchungen hinreichende Schlussfolgerungen ziehen zu können.
3
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
352
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
sprechen. Seit den Untersuchungen von F a h r a e u s hat ja die erneut
festgestellte beschleunigte Senkung der roten Blutkörperchen in der
Schwangerschaft und bei gewissen Krankheitsprozessen das Interesse
ausserordentlich gefesselt. So erklärt es sich, dass wir zu unseren Unter¬
suchungen vorwiegend das Blut von Schwangeren bzw. Müttern und von
Neugeborenen (Nabelschnurblut) benutzten. Daneben haben wir aber
auch das Blut von normalen Individuen und, wenn auch nur gelegentlich,
von Krankheitsfällen zur Prüfung herangezogen.
Der einfachste Eingriff, dem wir das Blutplasma unterzogen, war
das sog. Inaktivieren, d. h. das Erhitzen im Wasserbad
von 55®. Während bekanntlich Blutserum bei derartigem Erwärmen
kaum eine äusserlich wahrnehmbare Veränderung aufweist, kann man
im Plasma wohl in allen Fällen eine mehr oder weniger stark opaleszente
Trübung bzw. Ausflockung feststellen, die der Ausdruck der niedrigeren
Koagulationstemperatur des Fibrinogens ist. Von besonderem Interesse
erscheinen aber die Unterschiede, die sich dabei in ver¬
schiedenen Plasmen ergeben, und die besonders bei
dem Vergleich des Plasmas von Graviden und von
Neugeborenen ausserordentlich markant waren. Man
erhält die schärfsten Unterschiede, wenn man das Plasma nur kurze
Zeit, etwa 3—5 Minuten lang, dem Einfluss der Temperatur von 55“ aus¬
setzt. Es ergab sich dabei, dass das Plasma von 50 (jraviden in 48 Fällen
stark und grobflockig ausfiel; in 2 Fällen, in denen zur Blutgewinnung
5 proz. Natriumzitrat verwendet wurde, war die Flockung nur mässig
stark. Im Gegensatz dazu ergab die Prüfung bei 20 Neugeborenen
15 mal überhaupt nur eine Trübung, 4 mal eine sehr feine Flockung, die
sich von der groben Flockung des Gravidenplasmas schärf unterschied,
und nur 1 mal eine gröbere Flockung. Das Blutplasma erwachsener
weiblicher Individuen stand zwischen den beiden Extremen, die das
Plasma der Neugeborenen und der Graviden darstellen. Bei der Unter¬
suchung von 35 Proben war in der Mehrzahl der Fälle (20) nur eine
feine oder massige Flockung vorhanden, während 15 mal nur eine Trü¬
bung eintrat.
Die Unterschiede zwischen Blutplasmen sind auch dann noch be¬
merkbar, manchmal sogar deutlicher, wenn das Palsma vor dem Er¬
wärmen mit gleichen Teilen physiologischer Kochsalzlösung verdünnt
\vird. Sie verwischen sich nach längerem (einhalbstündigem) Erwärmen,
sind aber auch dann in der Regel noch erkennbar.
Gleichsinnige Unterschiede haben wir nun auch mit verschiedenen
anderen Eingriffen feststellen können, die wohl alle als Reaktionen
auf dieStabilität des Blutplasmas aufgefasst werden dürfen.
Wir haben uns dabei hauptsächlich der Fällung mit verdünntem Alkohol,
sowie der partiellen Sättigung mit Kochsalz und Ammonsulfat bedient.
Nach zahlreichen orientierenden Versuchen ergaben sich dabei die
folgenden Optima für die Versuchsanordnung:
a) Alkoholfällung: 0,2 ccm Zitratplasma werden mit 1 ccm
6 fach mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnten Alkohols ge¬
mischt;
b) partielle Kochsalzsättigung: 0,5 ccm konzentrierten
oder zu gleichen Teilen mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnten
Plasmas werden mit 0,4 oder 0,5 ccm gesättigter Kochsalzlösung ge¬
mischt:
c) partielle Ammon Sulfatsättigung: 0,5 ccm Zitrat¬
plasma werden mit 0,2 ccm halbgesättigter Ammonsulfatlösung gemischt.
Es ergaben sich bei der Verwendung dieser Me¬
thoden übereinstimmend die gleichen Unterschiede,
wie wir sie bei der Prüfung auf Koagulationsfähig¬
keit beobachtet haben. Auch hier aber empfiehlt sich durchweg
eine kurzfristige* Kontrolle, da bei längerer Beobachtungszeit die Unter¬
schiede an Deutlichkeit abnehmen; in der Regel ist aber das Ergebnis
nach wenigen Minuten ablesbar. Meist war die Beurteilung mit blossem
Auge möglich, in zw'eifelhaften Fällen haben wir zur Kontrolle eine
schwache Lupenvergrösserung (das Agglutinoskop von Kuhn und
W 0 i t h e) herangezogen. ^
Was zunächst die Alkoholfällung betrifft, so naben wir unter
35 Gravjdenplasmen regelmässig eine ausserordentlich starke Ausflockung
(-h-f-H- Ws 4-4—}—f-1-4-X eintreten gesehen. Von 13 Kinderplasmen
ergaben dagegen zunächst 9 überhaupt keine Flockung (—), 2 wiesen
sehr geringe Flockung auf (±), und 2 zeigten Flockung mässlgen Grades
( 4 - bis 4 —[-). Die Plasmen von erwachsenen gesunden Individuen
standen wiederum in der Mitte Von 25 Proben ergaben 5 keine
Fällung (—), 9 eine sehr geringe Flockung (±), aber immerhin 11 eine
massige Flockung ( 4 - bis 4 - 4 -).
Die Prüfung mittels partieller Kochsalzsättigung
und Ammon Sulfatsättigung ergab damit überein¬
stimmende Resultate. Bei der partiellen Kochsalzsättigung er¬
gaben von 28 Gravidenplasmen 27 stärkste Ausflockung bzw^ Gerinnung,
während von 12 Kinderplasmen 8 negativ und 4 nur sehr geringgradig
reagierten. Das Plasma normaler Individuen stand wiederum in der
Mitte und ergab in der Mehrzahl der Fälle einen massigen Flockungs¬
grad.
Bei der partiellen Ammonsulfatsättigung waren die Ergebnisse
grundsätzlich ebenso, wenn auch nicht ganz so deutlich wie bei den
übrigen Reaktionen.
In völliger Uebereinstimmung ergibt sich jedenfalls, dass bei der
Untersuchung des Plasmas mittels der hier ange-
gegebenen Verfahren sich sehr wesentliche Unter¬
schiede beobachten lassen, die besonders das Blut-
Di gitized by Goiisle
plasma von Graviden und von Neugeborenen schari
scheiden. Im Sinne der einleitenden Betrachtung dürfen wir also
folgern, dass die Labilität des Blutplasmas in der Gravidität eine be¬
sonders grosse ist, während das Plasma des Neugeborenen besonders
stabil erscheint. Die Frage, ob diese Unterschiede als Folge des quantitativ
veränderten Fibrinogengehaltes aufzufassen sind, dürfte nicht von wesent¬
licher Bedeutung erscheinen, wenn man der Anschauung folgt, dass das
Fibrinogen überhaupt nur die labilste Quote in einer kontinuierlichen
Reihe der Bluteiweisskomponenten darstellt. Aber es dürfte zur Erklärung
hinreichen, Unterschiede der physikalischen Struktur verantwortlich zu
machen.
Das abweichende Verhalten des Blutes bei Graviden und Neu¬
geborenen spiegelt sich ja bekanntlich bis zu einem gewissen Grade auch
bei der Untersuchung des Blutserums wieder. So erhält man bereits
bei Ausführung der sogen. Klausner sehen Reaktion, d. h. beim Ver¬
dünnen des Serums mit salzfreiem Wasser, Abweichungen, indem das
Gravidenserum in der Regel eine geringgradige Trübung aufweist,
während das kindliche Serum klar bleibt. Auch die Globuline
weisen also in der Sciiwangerschaft eine erhöhte
Labilität auf. Nur sind die Differenzen eben weit markanter, wenn
man das Blutplasma als Prüfungsobjekt benutzt und damit den labilsten
Anteil, das Fibrinogen, hineinbezieht.
Auch bei anderen Untersuchungsverfahren sind ja entsprechende
Unterschiede zwischen Gravidenblut und dem Blut der Neugeborenen
beobachtet worden, und es sei nur darauf verwiesen, dass auch in ge-
w'issen Abweichungen vom typischen Verhalten der Wassermannreaktion
die gleichen Momente eine Rolle spielen können. So neigt das Gra¬
videnserum bei Verw'endung .nicht einwandfreier Extrakte leicht zu einer
unspezifischen Hemmung unter den Bedingungen der Wassermannreak¬
tion, die wir wohl als Ausdruck der erhöhten Labilität auffassen dürfen
Andererseits ist das nicht ganz seltene Versagen der Wassermannreaktion
bei kongenitaler Lues vielleicht auf die verhältnismässig grosse Stabilität
der Blutflüssigkeit beim Neugeborenen zurückzuführen Denn wenn
auch eine für Syphilis charakteristische Blutveränderung dem Syphi¬
litikerserum seine besondere Reaktionsfähigkeit verleiht, so kommt doch
noch zweifellos ein gewisser Labilitätsgrad als erforderliches Moment
hinzu, und man darf annehmen, dass aus diesem Grunde bei einer er¬
höhten Stabilität der Blutflüssigkeit die Wassermannreaktion trotz be¬
stehender syphilitischer Erkrankung zu einem negativen Ergebnis
führen kann.
Wenn nun für die hier beschriebenen markanten Unterschiede im
Verhalten des Blutplasmas die physikalische Struktur/ von massgebender
Bedeutung ist, so kann man erw'arten, auch durch vergleichende Prü¬
fung mittels rein physikalischer Methoden Unterschiede aufzufinden.
Wir haben bisher allerdings nur in wenigen orientierenden Versuchen
von physikalischen Eigenschaften des Plasmas die.. 0 b e r f 1 ä c h e n •
Spannung durch Feststellung der Tröpfenzahl mit
dem Traubeschen Stalagmometer zu bestimmen ver¬
sucht. Wir möchten diesen Versuchen bei ihrer geringen Zahl zu¬
nächst keine allgemeinere Bedeutung zusprechen, dürfen sie aber doch
nicht unerwähnt lassen, w^eil sich uns gewisse Unterschiede ergeben
haben, die wohl ausserhalb der Grenzen der Versuchsfehler stehen.
Wir benutzten ein Stalagmometer, dessen Tropfenzahl für Wasser bei
20® 52,2 Tropfen betrug und geben im folgenden nur die von uns er¬
haltenen direkten Tropfenzahlen (für unverdünntes Plasma) an, da wir
immer mit demselben Instrument unter gleichen Bedingungen arbeiteten.
Bemerkenswert dürfte jedenfalls sein, dass die Tropfenzahl des
Gravidenplasmas fast imiper eine merklich höhere war als diejenige
beim Neugeborenen. Sie betrug bei Graviden
3 mal 60 Tropfen,
3 .. 61
3 62
5 63
3 „ 64
1 66
umfasste also unter 18 Fällen 12 mal mindestens 62 Tropfen, bzw. durch¬
schnittlich 62,36 Tropfen. Im Gegensatz dazu betrug die Tropfenzah!
des Neugeborenenplasmas
2 mal 55 Tropfen,
4 .. 56
3 . 57
2 59
i .. 60
also durchschnittlich 56,91 Tropfen. Sie ging unter 12 Fällen 11 mal
nicht über 59 Tropfen hinaus. Das Plasma von gesunden erwachsenen
weiblichen Individuen stand in der Mitte:
2 mal 59 Tropfen,
2 ., 60
Soweit die verhältnismässig geringe Zahl der Untersuchungen einen
Schluss zulässt, darf man also folgern, dass das Gravide n-
plasma gegenüber dem Neugeborenenplasma eine
geringere Oberflächenspannung besitzt.
Beim Vergleich mit dem Blutserum ergab sich im Gravidenblut eine
Verminderung der Tropfenzahl des Serums gegenüber dem Plasma,
während Serum und Plasma von Neugeborenen gleiche Tropfenzahl oder
nur eine sehr geringradige Verminderung im Serum aufwiesen Die Unter¬
schiede, die zwischen Mutter und Kind bei der Plasmaprüfung bestanden,
schienen in den vergleichend geprüften Fällen im Serum aufgehoben
zu sein.
Original from
UNIVERSirr OF CALIFORNIA
:5. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
353
Erwähnenswert erscheint noch die Beobachtuiiß, dass die Abkühlung
des Plasmas auf 0” die Tropfenzahl des (jravidenplasmas herabsetzte,
wänrend sie diejenige des Ncugeborenenplasmas nicht oder nur un¬
wesentlich verminderte. Deutlicne Unterschiede, die die Prüfung des
zusammengehörigen mütterlichen und kindlichen Plasmas mittels des
Malagmometers bei Zimmertemperatur aufwics, erschienen daher zu¬
weilen in der Kälte geschwunden.
Diese Abhängigkeit von der Temperatur dürfte aucli insofern er¬
wähnenswert sein, als sie einen P a r a 11 e 1 i s ni u s zum Ver-
i; a 11 e n der schon erwähnten H 1 u t k ö r p c r c h e n s e n k u n g
d a r s t e 111. Der krasse Unterschied, der auch hier zwischen üravidon-
iirid Neugeborenenblut besteht, indem in der (iravidität die Blutkorper-
diensenkung stark beschleunigt, im Neugeborenenblut aber stark ver-
Liiißsamt ist, verwischt sich bekanntlich in der Kälte, da die letztere
die Senkung der Blutkörperchen im üravidenblut- ausserordentlich stark
iitmmt. Ueber die Trage der Blutkörperchensenkung soll an anderer
Stelle von dem einen von uns (v. Oettingen) eingehend berichtet
werden. Wir möchten aber bereits hier nicht unverwähnt lassen, dass
zwischen den in dieser Arbeit beschriebeinen
IMasmareaktionen und der Blutkörperchensenkung
ein auffallender Parallelismus bestand. Nacli unseicu
hrialirungen entspricht der gesteigerten Stabilität des Neugeborenen-
päsmas die Langsamkeit der Blutkörpercheiisenkung, während mit der
ausserordentlichen Labilität des (iravidenplasmas die starke benkungs-
^"sdileunigung einhergeht.
Die Uebereinstimniung ging so weit, dass sicli in 2 weiteren Fällen, in denen
;i.: Schwangeren die relative Stabilität des Plasmas aufnel, bei nachträglicher
rruiuiig auch eine sehr geringe Blutkörperchensenkung ergab, und umgekehrt
zeigte sich in einem Falle, in dem normales Blutplasma recht labil war. dass
jücli die Blutkörperchensenkung auffällig rasch verlief. Das Blut war zu-
ijllig während der Menstruation entnommen, bei der die Beschleunigung
Uer Bliitkörperchcnsenkung bereits beschrieben worden ist.
Es erscne!nt naheliegend, die Unterschiede der Plasmastabilität für
jie Verschiedenheit der Blutkörperchensenkung ursächlich verantwort¬
lich zu machen. Man darf wohl annehmen (vgl. Eahraeus, Höber,
1. i II z e n m e y e r), dass die Blutkörperchensenkung durch eine Adsorp-
[loii von Plasmabestandteilen zustande kommt. Wenn auch durch
Höber, Eahraeus und L I n z e n m e y e r erwiesen ist, dass die
Hlutkörperchen im rasch senkenden Schwangerenblut gegenüber dem
normalen und Neugeborenenblut an ihrer eiektronegativen Ladung ein-
gebüsst haben, und wenn man auch an nimmt, dass letzten Endes die
Lnterschiede der elektrischen Ladung die Ursache der verschiedenen
Seiikungsgeschwindigkeit darstellen, so ergibt sich doch aus der Tat¬
sache, dass die Schwangerenblutkörpercheri in physiologischer Koch¬
salzlösung (und auch in isotonischer Traubcnzuckerlösurig) ihr
Senkungsvermögen einbüssen, dass der Grad der bereits erwor¬
benen elektrischen Ladung von der Milieubeschaffenheit abhängig sein
muss. Höber und Linzenmeyer neigen daher auch zu der
Annahme, dass elektropositive Plasmabestandtciile, die besonders im
Schwangerenblut der Blutkörperchenoberfläche durch Adsorption an-
laiten, in Kochsalzlösung die Blutkörperchen wieder mehr oder weniger
verlassen. (Vergl. hierzu auch die Arbeiten von Brinkmann und
van Dan). Man könnte dann aber annehmeri. dass der Grad der Blut¬
körperchensenkung der Labilität des Plasmas proportional ist, wobei
freilich auch andere Faktoren (Oberflächenspannung, Viskosität usw.) von
Einfluss sein können. Vielleicht darf man sich vorstellen, dass auch die
Blutkörperchen gewHssermassen ein „Fällungsmittel“ leichtester Art dar-
i'.ellen und dadurch dem labilen Schwangerenpiasma leichter ihre Be¬
schaffenheit verändernde Teile* entnehmen als dem stabilen Neugeborenen-
pasma. Die Verschiedenheit der Blutkörpersenkung
würde dann zu einem wesentlichen Teil auch nur der
Ausdruck der verschiedenen Plasmastabilität sein,
\Gcsie durch die von uns beschriebenen Reaktione/i
V r k e n n b a r i s t ®).
Es wird nicht ohne Interesse sein, die Stabilität des Plasmas bei
verschiedenen Individuen und bei verschiedenen Krankheitsprozessen
verj^leichend zu prüfen. Bisher verfügen wir nur über Versuche orien¬
tierender Art bei Geschwulstkranken und bei entzündlichen Prozessen,
ts hat sich ergeben, dass auch hierbei in der Regel eine erhöhte
I.abilität des Plasmas besteht, und es würde dies dafür sprechen, dass
auch in dieser Hinsicht dieselbein Zusammenhänge zwischen Gravidität,
Heschwulstbildung und Infektionskrankheiten bestehen, wie man sie viel-
’aeh auch irn Verhalten des Serums und neuerdings bei der Blut¬
körperchensenkung beobachtet hatD.
Vorläufig können wir jedenfalls schliessen, dass Oraviden-
a s m a u n d Neugeborenenplasma sich in bezug auf
h Anmerkung während der Korrektur: Verwiesen .sei in
-icsem Zusammenhänge auf die inzwischen erschienenen Arbeiten von Lin-
n m e i e r (Pflügers Arch. Bd. 186 S. 272 1921) und S t a r 1 i n g e r
hiochem. Zschr. Bd. 114 S. 129 1921).
') Schon Eahraeus hat darauf hingewiesen, dass bei denjenigen Zu-
’änden (Gravidität, Geschwülste), die durch rasche Blutkörperchensenkung
Jasgezcichnet sind, auch das Abderhalden sehe Dialysierverfahren die
'"'■ten Ausschläge gibt. Nach unseren Feststellungen könnte man annehmen.
auch der positive Ausfall der Abderhalden sehen Reaktion im
*tscntlichen von dem Labiiitätsgrad der Blutflüssigkeit abhängt. Es wäre
verständlich, wenn man der von Sachs (1. c.) u. a. vertretenen Anschau-
‘nK folgt, nach der es sich bei der Abderhalden sehen Methode nicht um
r't wirkupg von Abwehrfermenten, sondern um die „Beseitigung von Schran-
die im Blutserum dem autolytischen Eiweisszerfall entgegenstehen“,
•^ndelt.
Digitizedby Goiisle
dieLabilität extrem verhalten, und dass das Plasma normaler
Erwachsener in der Mitte zwischen den beiden Extremen steht. Viel¬
leicht ist diese starke Verschiedenheit auch die Ursache für das häufige
Fehlen von „Antikörpern“ im Neugeborenenblut. Es ist möglich, dass die
normalen Antikörperwirkungen zu einem wesentlichen Teil durch die
physikalische Struktur der Blutflüssigkeit bedingt sind'’)*’). Wir selbst
haben beobachtet, dass nicht nur das Neugeborenenserum. sondern auch
das Neugeborenenplasma Agglutinationswirkuiigen gegenüber Bakterien
vermissen lässt, während Qravidcnseriim und Gravidenplasma aggluti¬
nierend wirken D. Zuw-eilen haben wir aber auch, insbesondere bei . Ver¬
wendung des Fleckfieber-Proteusstamme's x 19, feststellen können, dass
nur das (jravidenplasma, nicht das entsprechende Serum, die Agglutination
bewirkt (vergl. hierzu Höber). Jedoch konnten wir diese« Ergebnis,
das den Verhältnissen bei der Blutkörperchensenkung entsprechen würde,
bisher nicht regelmässig reproduzieren.
Während nun Graviden- und Neugeborenenplasma in bezug auf die
Labilität sich extrem verhalten, sind wohl alle möglichen
Zwischenstufen des Labilitätsgrades denkbar. Ab¬
gesehen von den schon erwähnten Veränderungen bei pathologischen
Vorgängen dürften auch bei demselben Individuum zeitliche Schwan¬
kungen vorhanden sein, und eine nähere Analyse in dieser Richtung
würde daher zugleich von praktisch-klinischem Interesse erscheinen
können. Es ist durchaus möglich, dass, insbesondere bei intravenösen
therapeutischen Eingriffen, zumal bei Verwendung von kolloidalen oder
semikolloiden Stoffen, Wirkung und Nebenwirkung von der jeweiligen
Stabilität der Blutflüssigkeit und der Säfte abhängig sind^), deren Grad
u. a. auch in der Geschwindigkeit der 131utkörperciiensenkung zum Aus¬
druck kommt. Dass auch günstige Wiikungcn auf Grund rein physi¬
kalischer Strukturveränderungen denkbar sind (Proteinkörpertherapie),
haben wir schon erwähnt. Man kann sich vorstellen, dass der
Organismus bereits durch die physikalische Strukturstörung, die für
ihn einen Defekt bedeutet, zu einer Ersatzleistung angereizt wird, um
den ursprünglichen normalen Zustand wieder herzustellen.
Wenn man dabei die von uns beschriebene Verschiedenheit der
Plasmastabilität berücksichtigt, so wird man vielleicht auf Grund dieser
physikochemischen Betrachtungsweise verstehen können, warum manche
therapeutische Eingriffe in Wirkung und Nebenwirkung individuell und
zeitlich mehr oder weniger variieren. Für Erfolg oder Miss¬
erfolg dürfte eben bis zu einem gewissen Grade die
Kolloidstabilität der Körpersäfte von Bedeutung
sein. Da aber, wie wir gesehen haben, Verschiedenheiten der
Stabilität im Plasma weit deutlicher zum Ausdruck kommen, als im Serum,
dürfte eine weitere systematische Untersuchung des Blutplasmas unter
Berücksichtigung der aus der Serumforschung bekannten Methoden be-
teutungsvoll und nicht nur in theoretischer Hinsicht, sondern auch unter
praktisch-klinischen Gesichtspunkten von Interesse erscheinen.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu München.
(Geh. Rat Prof. Dr. F. Sauerbruch.)
Die Behandlung der Pleuraempyeme.*)
Von Privatdozent Dr. W. Jehn, Oberarzt der Klinik.
Krieg und Grippe haben gezeigt, dass unsere heutigen Behandlungs¬
methoden der Pleuraempyeme in vielen Fällen versagen. Das beweistn
die Arbeiten und Statistiken der Kricgsliteratur. Es wird bewiesen durch
eine grosse Zahl von Abhandlungen über die Grippe mit ihren Kom¬
plikationen von seiten der Pleura und der Lunge. Ganz besonders aber
kam es zum Ausdruck auf dem diesjährigen Chirurgenkongress im Vor¬
trage K ü m m e 11 s, sowie in den sich ihm anschliessenden Diskussionen.
Zwar sind sich alle Autoren darüber einig, dass die Behandlung der
Empyeme, wie von alters her, eine chirurgische sein muss: sei es eine
einmalige oder öfter wiederholte Punktion, sei es die Drainage nach
Bülau oder schliesslich die Thorakotomie. Aber ebenso stimmen sie
überein in der Klage darüber, dass wir es nicht in der Hand haben, den
jew^eiligen Eingriff so durchzuführen, dass unter allen Umständen eine
vollständige Wiedercntfaltung der Lunge eintritt und somit eine partielle
oder totale Empyemresthöhle vermieden ward.
Und doch scheint uns die Antwort auf die Frage, warum in so
vielen Fällen- die Wiederentfaltung der retrahierten Lunge ausbleibt, so
*’) In diesem Sinne würden vielleicht auch Angaben über stärkere bak¬
terizide Wirkungen des Plasmas gegenüber dem Serum zu werten sein (vergl.
hierzu: v. G o n z e n b a c h und. U e m u r a).
®) Anmerkung w'ährend der Korrektur: ln Uebereinstim-
rnung damit steht die Auffassung von D o 1 d, von dessen Arbeit (M.Kl. 1921
Nr. 2) w’ir erst jetzt Kenntnis erhalten, dass „cs sich bei der sog. normalen
Agglutination um eine Ausfüllung gewisser labiler Quoten der Serumglobu¬
line handelt“, ln ähnlicher Weise hat man .sich ja auch das Wesen der
lytischen Scrumwirkung vorgestellt (vergl. Iwerzu: H. Sachs (l. c.) und
W. (j e 0 r g i).
') Anmerkung während der Korrektur: Vgl. die inzwischen
erschienene Arbeit von Vorschüfz. Pflügers Arch. Bd. 186 S. 290 1921
(siehe auch die Arbeiten von Löwenthal und Bertkau),
**) Verwiesen sei auf die Ausführungen von KoIle, Schlossberg er
und L e u p o I d. nach denen bei Syphilis eine grössere Empfindlichkeit gegen¬
über Salvarsanpräparaten besteht, als bei anderen Menschen. Es spielt viel¬
leicht auch hierbei eine grössere Plasmalabilität eine Rolle, zumal ja auch die
Blutkörperchensenkung bei syphilitischen Erkrankungen (Plaut. Runge)
beschleunigt sein kann.
*) Abgeschlossen: Weihnachten 1920.
Original fron:
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
354
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
leicht zu sein: weil unsere Therapie wohl dafür Sorge
trägt, dass das eitrige Exsudat der Pleura genügend
Abdluss findet, aber nicht irnmer während der Opera¬
tion, sowie vor allem in der Nachbehandlungszeit die
biologischen Verhältnisse der Lunge genügend be¬
rücksichtigt werden, indem häufig nicht früh genug,
leider oft auch gar nicht, die Wiederentfaltung der
Lunge als das wichtigste Moment während der
Operation und in der Nachbehandlung durchgeführt
wird. Weil wir, mit anderen Worten, meist nur die
anatomischen, nicht die biologischen Verhältnisse
der Pleura und Lunge berücksichtigen.
Es sei daher gestattet, auf Grund einer langen klinischen Erfahrung
an der Hand eigener Beobachtungen zu zeigen, wie es gelingt, durch
sachgemässe Massnahmen die Resultate der Empyembehandlung so zu
verbessern, dass wir in der Tat fast regelmässig in relativ kurzer Zeit
eine vollständige Heilung schwerer — totaler und partieller — Empyeme
eintreten sehen.
Die Einteilung dieser Empyeme findet am zweckmässigsten
nach klinischen Gesichtspunkten statt. Von den bezüglich ihrer Ent¬
stehung, ihres Verlaufes, ihres Einflusses auf die erkrankte Lunge be¬
sonders charakterisierten tuberkulösen Empyemen mit und ohne Misch¬
infektion sei hier abgesehen. Die übrigen teilen wir am zweck¬
mässigsten ein in
I. Traumatische Empyeme.
Sie können auftreten nach feder Verletzung der Pleura und Lunge, sei
es durch Schuss, Stich, Hieb, Pfählung oder auch nach einfacher Kontusion.
Sie sind in ihrem klinischen Verlaufe äusserst schwer, je nach Art der
Verletzung, ihren Komplikationen und vor allem der Infektion; wir kennen
sie als Pleuraphlegmonen, die meist in kurzer Zeit unter dem Bilde
der Sepsis zugrunde gehen, als Früh- und Spätempyeme, die harmloser
sind als die erste Gruppe, sowie schliesslich als relativ seltene, gas¬
haltige Empyeme der Pleura.
Sie entstehen bei einfach perforierenden Pleura-Lungenverletzungen
relativ selten und meist nur dann, wenn Fremdkörper und Schmutz mit
in die Tiefe gerissen werden; regelmässig bei Beteiligung der Pleura
in Form des offenen Pneumothorax, welcher stets infiziert wird, wenn
er nicht innerhalb bestimmter Zeit operativ versorgt wird. Häufig
treten sie auf bei solchen Verletzungen, bei denen ein Fremdkörper, vor
allem bei Schussverletzungen das Projektil, im Thorax in der Nähe der
Pleura stecken bleibt. .
Als traumatische Empyeme sind auch die Entzündungen der Pleura
aufzufassen, welche nach unsauberen Punktionen sowie gelegentlich nach
intrathorakalen Eingriffen eintreten, ganz besonders wenn diese nicht
-unter Druckdifferenz ausgeführt wurden.
Diesen von aussen herrührenden Infektionen der Pleura stellen wir
die von innen eintretenden gegenüber.
Zunächst möchten wir als
II. Autochthone Empyeme.
die seltene Form des Empyems bezeichnen, welche auf dem Boden einer
einfachen Pleuritis ohne Beteiligung der Lunge entsteht. Sie sind, wie
gesagt selten, und wegen der Art der Entstehung sowie ihres Verlaufes
gelegentlich schwer von tuberkulösen Pleuritiden abzugrenzen.
Weit häufiger sind die Empyeme bei oder nach Entzündung der
Lunge jeder Art.
III. Die para- oder metapneumonlschen Empyeme.
Bronchopneumonien, genuine Pneumonien, vor allem solche der
Grippe, sind als Komplikation dieser Erkrankung zur Genüge bekannt
und gefürchtet.
Ein pathologisch-anatomisch, wie klinisch besonders interessantes
Krankheitsbild bieten
IV. Empyeme bei Lugenabszesseti und Lungengangrän.
Sei es, dass diese sich im Anschluss an bronchopneumonische oder
pneumonische Herde, im Anschluss an Fremdkörperaspiration oder
embolisch — solitär oder multipel — entwickeln, stets kann auf dem
Lymphwege die Pleura infiziert werden. Meist tritt jedoch der Ein-
scHmelzungsherd der Lunge direkt mit der Pleura in Verbindung; indem
Kig. 1.
Schematische Darstellung des
Kmpyemes nach Durchbruch
eines Lungenabszesses in die
Pleura.
er in diese hineinperforiert (Fig. 1), infiziert er schlagartig das bis dahin
intakte Brustfell und schafft so eine äusserst gefürchtete Komplikation.
Klinisch sind diese Empyeme dadurch ganz besonders charakterisiert,
dass sich im Verlauf von Stunden der Lungen- bzw. Pleurabefund ändern
kann: an Stelle des bis dahin normalen Perkussionsbefundes der Lunge
tritt eine intensive Dämpfung auf, w^elche fast stets in ihren oberen
Partien mehr oder weniger deutlich die Symptome eines Pneumothorax
erkennen lässt. Meist verlieren die Patienten kurz nach der Perforation
des Abszesses für einige Tage ihren Auswurf, da dieser „in die Pleura
läuft“. I
Mit Eiritritt der Infektion der Pleura verschlechtert sich in der Regel
der Allgemeinzustand der Patienten.
Gleichfalls durch Perforation können Empyeme auftreten, wenn aus
dem Mediastinum verjauchte Oesophagus- oder Bronchialkarzinome in
die Pleura durchbrechen und so diese infiziert wird. .Diese Exsudate
sind ihrer Entstehung nach fast stets gleichfalls vergesellschaftet mit
einem Pneumothorax.
V. Empyeme nach Durchbruch entzündlicher Prozesse der Nachbar-
Organe.
Es folgen die Entzündungen des Brustfells, welche sich anschliessen
an entzündliche Vorgänge der Bauchhöhle bzw\ des subphrenischen
Raumes. Sowohl auf dem Lymphwege w^ie vor allem durch direkten
Durchbruch von Exsudaten der Bauchhöhle kann die Pleura infiziert
w erden. Bald sind es Empyeme, die nach Durchbruch paranephritische'
und subphrenischer Abszesse, nach Appendizitis, perforiertem Magen-
ulcus und Erkrankung des Oallensystems beobachtet werden, bald tritt
die Infektion nur durch ein Durchwandern durch die Lyraphspalten des
Zw^erchfells ein. In allen Fällen wird die Pleura, je nach der Herkunft
des Exsudates, eitrig, jauchig, gangränös, mit und ohne Gasbildung, bei
Perforationen aus dem Gallensystem unter Beimengung von Galle
infiziert.
Fig. 2. Schema der Fisr. 3. Schema der Fig.4. SchematiMho Darat^Uon^
partiellen Empyeme Totalempyeme. der Mediastinal Verdrängung bet
Totalem])yem. Linke ürustseite
stark erweitert, Trachea und
Herz nach der gesunden Seite
verdrängt.
Auf das klinische Bild der einzelnen Empyemformen kann an dieser
Stelle nur kurz eingegangen w^erden. Es sei betont, dass je nach Grösse
und Ausdehnung, vor allem aber nach Lage des Exsudates, häufig recht
komplizierte Bilder entstehen können. Dem partiellen Empyem der
Pleura (Fig. 2) stellen wir das Totalempyem (Fig. 3) gegenüber, welches
relativ häufig schwere Mediastinalverdrängung (Fig. 4) hervorrufen kann
£
Kig. 6. Schema der ab- Fig. 6. Schema der mehrkam- Fig.7. Schema der inter-
gekapselten Empyeme, merigen Empyemabkapselung, lobären Empyeme rK)
Wichtig ist, dass alle Empyeme sich abkapseln (Fig. 5) können und
vor allem, dass innerhalb der Empyeme es zur Fächerbildung kommen
kann und somit multiple abgekapselte Empyeme entstehen (Fig. 6).
Fig. 8. Schema der Fig. EJ. Schema der Fig. 10. Schemnder Fig. ll. Schema de.“
Empyeme über der epidiaphragmslen Empyeme zwischen Spontandnrcli-
TiiiDgensphze (E). Empyeme (E). Lunge und Media* bmches unter die
8 inum (.E). Haut des Thorax.
Von grosser praktischer Bedeutung sind die kleinen partiellen
Empyeme der Pleura mit bestimmter Lokalisation: interlobär (Fig. 7).
über der Lungenspitze (Fig. 8), zwischen Lungenunterfläche und Zw'ercli-
Fig. 12. Schema des
Spontandurchbruches
in den subphrenischen
Raum.
Fig. 18. Schema de.s
Spontandurchbnichea
in einen Bronchus.
Fig. U. Schema des
Spontandurohbruches
eines Interlobären Em¬
pyems in den Bronchus.
feil (Fig. 9) und vor allem zw ischen Pleura mediastinalis und^mediakr
Lungenfläche (Fig. 10).
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
25. Marz 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
35i
Erwähnt sei, dass das Gros der Empyeme einseitig ist, dass aber,
vor allem nach Traumen, doppelseitige Empyeme mit allen Modifika¬
tionen und Komplikationen entstehen können.
Das Schicksal dieser Ergüsse ist, dass Spontanheilung bei be¬
stimmten Formen infolge von Resorption Vorkommen kann: relativ
häufig perforieren sie in die Umgebung durch die Interkostalmuskulatur
(Fig. ll) unter die Haut, in den subphrenischen Raum (Fig. 12), in einen
Bronchus (Fig. l5), wie dies mit Vorliebe die interlobären Empyeme
(Fig. 14) zu tun scheinen.
Auch auf diese Weise kommen gelegentlich Spontanheilungen vor.
Indessen gilt die Regel, dass, wenn diese Empyeme nicht operativ
angegriffen werden, das Individuum an Infektion oder Mediastinalver-
drängung zugrunde geht.
Dass die Behandlung aller nicht tuberkulösen Empyeme eine
operative sein muss, ist seit langem anerkannt. Daher die verschiedenen
Methoden: der Punktionsbehandlung und der Thorakotomie. Beide haben
ihren Wert. Ist es doch zur Genüge bekannt, dass eine einmalige, selbst
kleine Punktion vor allem bei blander Infektion mit einem Schlage das
Exsudat zur Resorpti^ und somit zur Ausheilung bringen kann. Erhält
man den Eindruck, dass man mit der Punktionsbehandlung auf dem
rechten Wege ist, jedoch das Exsudat sich immer wieder von neuem
bildet, so sind wiederholte Punktionen von grösseren Mengen erforder¬
lich. Auch sie bringen in vielen Fällen Heilung.
Führen sie nicht zum Ziele, so galt die Thor^otomie bisher als
die Methode der Wahl. Erst der Krieg und die grossen Grippeepidemien
haben den Nachteil dieser einfachen Thorakotomie, vor allen denen,
die nicht über ein grosses Empyemmaterial verfügten, so recht vor
Augen geführt: die momentane Gefahr des offenen Pneumothorax, sowie
vor allem die Gefahr, dass relativ oft partielle, häufig totale Rest¬
höhlen, Zurückbleiben, welche ihrerseits wieder grosse, entstellende und
eingreifende plastische Operationen erfordern.
Schon lange vor dem Kriege wurde daher in der Züricher Klinik
eine Methode angewandt, welche sich schon in der Friedenschirurgie
als vollkommen erwies. Sie hat sich an einem grossen Material des
Krieges sowie vor allem während der Grippeepidemien wieder aus¬
gezeichnet bewährt. Sie geht von dem Gesichtspunkte
aus, die erkrankte Pleura möglichst vollständig und
vor allem schonend zu entlasten insofern, als schon
während der Operation sowie in der Nachbehandlung
die vollständige Blähung der retrahiertep Lunge
angestrebt und vor allem währendder Operation das
Eintreten eines offenen Pneumothorax möglichst
V e r m i e d e n w i r d.
Es wird daher ein jedes Empyem zunächst punktiert. Gelegentlich
beobachtet man die bekannte Tatsache, dass nach dieser einmaligen
Punktion unter Fallen der Temperatur, Besserung des Pulses und des
Allgemeinzustandes das Exsudat schnell resorbiert wird und nicht
wiederkehrt.
Kurve 1.
Empyemheilung nach
einmaliger Punki ion
Ist dies nicht der Fall, so werden einige, höchstens drei Punktionen
in Intervallen von 2—4 Tagen ausgeführt; in vielen Fällen haben sie
vollen Erfolg.
Kurve 2.
Empyeinhoilung nueh
dreimaliger Punktion
Da, wo diese Behandlung nicht zum Ziele führt, wird zur
Thorakotomie unter gleichzeitiger Anwendung der
Druckdifferenz geschritten: Am Abend vor der geplanten Opera¬
tion wird mit dem Dieulafoy eine möglichst ausgiebige Punktion der
Pleura ausgeführt. Der Patient erhält für die Nacht Morphium und
Digalen. Am nächsten Tage wird unter Druckdifferenz von 10—12 ccm
Wasser in Lokalanästhesie der TTiorax durch Resektion von 2—3 Rippen
breit eröffnet. Diese breite Eröffnung ist unbedingt notwendig: sie ge¬
stattet eine sorgfältige Revision der Pleura, eine genaue Besichtigung
und Untersuchung der geblähten Lunge 'nach event. bestehenden
Bronchialfisteln oder Fremdkörpern. Sie gestattet vor allem eine
restlose Entfernung der häufig reichlichen, frei im Exsudat herum¬
schwimmenden Fibrinmengen. Sie gestattet schliesslich die' definitive
Feststellung, ob die Lunge bereits an dieser oder jener Stelle strang-
fKler flächenförmig verwachsen ist und gestattet so schon eine gewisse
Prognosestellung. Dann wird die Lunge gut geblähr gehalten, jedoch
nicht so, dass sie vollkommen der Pleura parietalis anliegt, sondern ein
gewisser Zwischenraum zwischen Pleura pulmonalis ufid parietalis übrig
bleibt. In diesen wird ein grosser Mikulicztampon eingeführt und dieser
mit einer Anzahl Streifentampons beschickt. Dann wird „eine neue
Brustwand“ geschaffen, indem ein (Fig. 15) grosser, durch Mastix oder
[7
6
"T'
9
n
fS
/♦
u
*
PU!
mtic
’A*
tom,
_J
JL
4^
ys.
j\\
LTS
Pei/Ui
L
□
iz:
Zinkpaste fixierter, abdichtender Perthes scher Billrothbattistverband
angelegt wird. Damit ist die Operation beendet.
Kit;. !•»
Schema de^ Situs des Tliorax nach der
Operation: Die Lunge OL, ML, UL partiell
gebläht, der Reet der rieurahühle durch
eine Tamponade T ausgefüllt die Brust-
öffuung durch Pertheaverbaiid dicht ver¬
schlossen.
Sie geht stets ohne Zwischenfälle von statten. Die Patienten sind,
wenn ihr Allgemeinzustand vor der Operation nicht zu sehr gesctnvächl
war, fast nie in Kollaps, im Gegenteil, der Puls ist voll und kräftig, die
Atmung gleich, regelmässig und ausgiebig.
Prophylaktisch erhalten die Patienten die ersten Tage Morphium
und Digalen.
Dieser Verband bleibt mehrere Tage, mindestens 3 Tage lang,
liegen, auch wenn gelegentlich zwischen Billrothbattist und dem Körper
des Patienten an* einigen Stellen Eiter abläuft.
Am 3. bis 4. Tage wird wieder unter 10 bis 12 cm Wasserdruck
der erste Verbandwechsel vorgenommen. Meist fällt hierbei der mit
Eiter dicht getränkte Tampon schon beim Abnehmen des Billroth-
battistes an der Pleura heraus. Durch die in Granulation befindliche
Thorakotomiewunde sieht man in die Pleura hinein und kann erkennen,
dass die Lunge bereits an einigen Stellen flächenhaft verw'achsen ist.
Ein neuer Tampon wird eingelegt und die Pleura wieder luftdicht ver¬
schlossen. Dann folgt für etwa 8 bis 14 Tage — wenn man den Ein¬
druck erhält, dass die Fixation der Lunge noch nicht genügt, einige Tage
länger — der gleiche Verbandw-echsel. Nach rund 214 Wochen kann
der abdichtende Verband w’eggelassen werden.
Es ist erstaunlich,, wie‘rasch sich diese Patienten bei dieser Be¬
handlungsmethode erholen, wie rasch die Temperatur sinkt, der Puls
immer besser wird, der Patient ruhig atmet, gut schläft, reichlich isst
und trinkt, und sich somit erholt. In der Mehrzahl der Fälle kann er
bereits am 20. bis 21. Tage auf einige Stunden das Bett verlassen. Dann
granuliert die Wunde allmählich zu und endlich schliesst sich der
Defekt des Thorax restlos.
Es soll betont werden, dass gelegentlich kleine, schnell zu be¬
seitigende Komplikationen' von seiten der Pleura auftreten können: ist
die Blähung der Lunge in den ersten Tagen zu ausgiebig erfolgt, und ist
•es zu einer allzuschnellen Verklebung der beiden Pleurablätter ge¬
kommen. so zeigen gelegentlich wieder ansteigende Temperaturen, dass
irgendwo eine Verhaltung eingetreten ist. Nach Lokalisation derselben
lassen sie sich stets entleeren, wenn man vom Pleurafenster aus mit
einer Kornzange langsam und schonend zwischen den beiden Pleura¬
blättern eingeht und so den Abszess eröffnet.
Diese Temperaturen haben gelegentlich auch ihren Grund darin,
dass, ohne dass es zur Retention gekommen ist. offenbar infolge zu
ausgiebiger Blähung der Lunge, eine zu intensive Resorption toxischer
Substanzen eingetreten ist. Auch hier w-ird eine sorgfältige Dosierung
des Ueberdruckes Abhilfe schaffen. ,
Fast stets sehen wir Temperaturen von neuem eintreten. wenn mit
der Blähung der Lunge zu früh aufgehört wird. Auch diesem Umstand
können wnr begegnen. Diese kleinen Komplikationen stehen indessen in
keinem Verhältnis zu den gewaltigen Vorteilen, welche uns diese Me¬
thode geboten hat: der Vermeidung der unmittelbaren und mittelbaren
Folgen des offenen Pneumothorax.
Es fragt sich nun, in welchen Fällen die'se Methode Anwendung
finden soll.
Bei den Empyemen der ersten Gruppe, den schwersten traumatischen
Pleuraphlegmonen, w'elche sich durch ein äusserst schweres klinisches
Krankheitsbild charakterisiert, das meist unbehandelt in 3—4 Tagen
zum Tode führt, steht die Infektion im Vordergründe. Hierbei haben wir
die Erfahrung gemacht, dass unter allen Umständen eine ausgiebige Ent¬
leerung des meist streptckokkenhaltigen, hämolytisch veränderten Hämo-
thorax angestrebt werden sollte. Sie sollten daher für die ersten Tage
durch einfache Thorakotomie nach vorheriger entlastender Punktion be¬
handelt werden. Zeigt dann der weitere Verlauf, dass der Patient mit
seiner schweren Infektion fertig wMrd, so beginnen wir am 3. oder 4 Tage
mit lano^sam eingeleiteter, sorgfältiger Aufblähung der Lunge unter An¬
legung eines abdichtenden Verbandes.
In gleicher Weise sollte auch I\ei den relativ seltenen, in der
Friedenschirurgie meist, auf embolischem Wege entstandenen, im Felde
bei geschlossenem Hämopneumothor^x hier und da beobachteten Gas¬
empyemen vorgegangen werden. Da sie immer mit Mediastinalver-
drängung einhergehen, so ist unter allen Umständen einige Stunden vor
der Operation die entlastende Punktion der Pleura vorzunehmen.
Die Empyeme, welche im Anschluss an Abszess- und Gangrän-
durchbruch in die Pleura entstehen, sollten so behandelt werden, dass
man zunächst das Empyem nach vorheriger Punktion durch einfache
Thorakotomie restlos entleert und dann in einer zweiten Sitzung an die
Eröffnung der Abszesse oder Oangränhöhle herangeht.
Meist wird nach Entleerung des Empyems die fast nie fehlende
Bronchialfistel uns den Weg zu dem bereits vorher klinisch und röntgeno¬
logisch lokalisierten Einschmclzungsherde der Lunge zeigen. Sind die
Höhlen erst eröffnet und haben sie freien Abfluss nach aussen, so kann
Digitized by
Goi.igle
Original frDm
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
.SSf)
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
man trotz des Vorhandenseins der Bronchialfistel bald mit Aufblähen
der Liinsre beginnen. Allerdings muss man mit Vorsicht zu Werke
gehen.
Dass man bei Empvemen, welche durch Perforation.von Bronchiai-
oder Oesophaguskarzinomen meist in Form von gangräneszierenden
Empyemen auftreten, wenn überhaupt, nur als rein symptomatische Be¬
handlung die einfache Thorakotomie ausführt, liegt auf der Hand. Ebenso
ist klar, dass bei allen übrigen Empyemen nach Perforationen von Leber¬
abszessen, perforierten Magengeschwüren, subphrenischen und para-
iiephritischen Abszessen, von Fall zu Fall vorgegangen werden muss.
Diesen Typen der Empyeme, bei denen unsere Methode nur bedingt
anzuwenden ist, stehen solche gegenüber, bei denen sie unseres Er¬
achtens die Methode der Wahl darstellt.
Wir stehen in dieser Hinsicht nicht allein da. Setzt sich doch
auch Oder matt für das Prinzip dieser Methode ein und wurde sie
gerade im Felde von Wieting-Pascha und Hammer sowie
B u r k a r d t und L a n d o i s als richtig erkannt.
Unbedingt angewandt werden muss sie bei allen Empyemen, welche
mit einer schweren Verdrängung des Mediastinums einhergehen. Hier
würde eine sofortige Thorakotomie wohl ausnahmslos den Tod des
Patienten zur Folge haben; das Mediastinum hält die Druckschwankungen
im Thorax nicht aus. Bei ihm werden wir sorgfältig dem Exsudate
p r.
irnmniF
TfO >4
liC 59
m 31
90 tr
l'i
ÜJTP
Kurve 3,
8c h \\er.s to M ed i iist i iml v e r-
draiigfuiij? durch l*'.iii|*yem.
Heiluu^X nach Punktion und
Thorakotomie unter Druck¬
differenz.
seinen Eigendruck nehmen und dann nach einigen Tagen in der oben
skizzierten W'eise vergehen. Wir sahen von dieser Methode meist nur
Gutes. ' .
Ebenso ist die Methode absolut indiziert bei doppelseitigen Em¬
pyemen. Eine doppelseitige, gleichzeitige Thorakotomie hält der Kranke
wohl nur dann aus, wenn zufälligerweise beide Lungen durch alte Ad¬
häsionen so fixiert sind, dass sie trotz gleichzeitiger Eröffnung beider
Pleuren den Oaswechsel des Blutes durchführen können. Ist dies nicht
der Fall, so sollte nach Martens Vorschlag zunächst die eine, meist
schwerer erkrankte Seite nach Punktion thorakotomiert werden, und
dann, wenn nötig, einige Tage später in gleicher Weise die andere.
Diesen relativ seltenen Fällen tritt zur Seite das autochthone Em¬
pyem, das Früh- und Späternpvem nach Trauma, sowie vor allem alle
para- und metapneumonischen Empyeme nach Bronchopneumonie, krup¬
pöser Pneumonie und ganz besonders nach der Grippe.
Wie schon oben angeführt, ist die Abgrenzung der autochthonen
Empyeme gegenüber den tuberkulösen nicht leicht. Um so mehr ist hier
zunächst die Punktionsbehandliing geboten. Sie hat in vielen Fällen
vollen Erfolg. Ist der tuberkulöse Charakter des Empyems mit Sicher¬
heit auszuschliessen, so werden wir beim Versagen der einfachen
Punktionsbehandlung zur Thorakotomie unter Druckdifferenz mit ab¬
dichtendem Verbände übergehen.
Ganz besonders war diese Methode im Felde bei den häufigen Früh-
und Spätempyemen indiziert. Empyeme, welche auf dem Boden des
geschlossenen oder offenen Pneumothorax bei Durch- ufid Steckschüssen
der Lunge eintraten, boten ein weites, unseres Erachtens dankbares Feld.
Freilich trübt der Steckschuss der Lunge gelegentlich die definitiven
Resultate und erfordert gelegentlich in den Heimatlazaretten Nach-
operationen. Immerhin müssen wir die Resultate unserer Methode als
ausgezeichnet ansehen, im Vergleich zu den Resultaten der einfachen
Thorakotomie, welche leider allzu häufig grosse Empyemresthöhlen mit
all ihren Gefahren und Spätfolgen hinterliesscn.
Einige Originalkrankengeschichten mögen diese Verhältnisse charak¬
terisieren.
F. T r a u tn a t i s c h c s E r ü li c m p y e in l> c i geschlossenem
H :i Ml o p n c u ni o t h ü r a X o !i ri e M e d i a s t i n u l v c r ü r ä n g u n g.
1. Musketier W. Am 19. III. 18 verwundet durch Granatsplitter, Hämoptoe.
Kommt arn 20. III. 18 in das Lazarett. Hier am 3. IV. 18 übernommen: Patient
leicht reduziert im Allgerneinbcnndcn. Leichte Zyanose und Dyspnoe, Tem¬
peratur zwischen 38 und 39^*. An linker Brustscitc vorn in Höhe der
3. Rippe, handbreit vom Sternum, vernarbter Einschuss, links hinten unten
n<ämpfung des Angulus scapulae, Probepunktion ergibt Eiter, der fade riecht.
Es werden 75 ccm entfernt mit dem Resultate, dass die Temperatur zunächst
fällt, am 21. IV. 18 aber bereits wieder 39'’ erreicht. Nochmalige Punktion
von 200 ccm. Am 25. IV. 18 abends entlastende Punktion. Am 26. IV. 18
Operation unter Druckdifferenz im Aethcrrausch. Resektion der 8. und
9. Rippe 1. h. u.; cs entleeren sich etwa 500 ccm Eiter. Eingehen mit der
Hand. Es wird aus der freien Pleura der gut 1 ccm grosse Splitter entfernt.
Die Lunge, die nicht total kollabiert ist, bläht sich gut. Verband nach aus¬
giebiger Tamponade der Höhle mit abdichtendem Verband. 28. IV. 18; Paiient
sieht sehr gut aus, fieberfrei, Verbandwechsel, Höhle sezerniert nur wenig.
Vom I. bis 5. V. 18 regelmässiger Verbandwechsel mit dem Resultat, lass
die Lunge sich gut blähen lässt. Höhle fast noch 240 ccm. Patient muss aus
äusseren Gründen abtransportiert werden, kommt gut in ein Heimatlazarctt.
Hier wird die angegebene Behandlung weiter fortgeführt mit dem Resultat,
dass die Höhle vollkommen ausheilt. (Kurve 4.)
IL F r ü h e m p y e m mit schwerer M e d i a s t i n a Lv e r d r ä n g u u g.
Verdrängung.
2. Musketier E. Verwundet am 10. VL19 durch Granatsplitter. Am
ll.Vl, 19 Einlieferung ins Lazarett, guter Allgemeinzustand trotz Zyanose
und Dyspnoe. Durchschuss durch linke Lunge. Einschuss vorne 4. Intcr-
kostalraurn in vorderer Axillarlinie, Ausschuss hinten im 8. Interkostaliaum
neben Wirbelsäule. Temperaturen schwanken. Am 20. VL plötzlich aus
relativ gutem Allgemeinbefinden heraus schwere Mediastinalverdrätnjung.
daher sofort mit Dieulafoy Punktion von l Liter trüben Blutes mit dem
Resultat, dass Patient sich prompt erholt. Puls und Temperatur fallen zur
Norm. Arn 29. VL w ieder Anstieg von Temperaturen. Schwere Mediastinal-
verdrängung. entlastende Punktion von einem Liter. Tags darauf unter
Kurv« 5.
Kurv« eines iiaeli
vorheriger ent¬
lastender runktion
unter Druck¬
differenz operierten
Empyems.
Druckdifferenz in Allgemeinnarko.se Resektion der 8. bis 9. Rippe 1. Üi. u.
Ablassen eines Exsudates von gut lK> Liter, ausgiebige Temponade der Pleura.
Lunge gut zur Hälfte gebläht. Billroth-Mastixverband. Verlauf siehe Kurve.
Temperatur fällt steil zur Norm ab. Patient übersteht den Eingriff gut. Regel¬
mässige Verbandwechsel unter Druckdifferenz. Hierbei lässt sich leicht er¬
kennen, wie die Lunge sich von Tag zu Tag besser ausdehnt, gclegentlieli
werden frischere und ältere Fibrinmassen üiit der Hand entfernt.- Bereits am
15. VIL steht Patient auf. Er würd am 20. VlI. 18 wegen Räumung des
Lazarettes abtransportiert, nachdem - die Lunge sich fast vollkommen an¬
gelegt hat.
3. Wehrmann D. Am 23. IIL 18 verwundet durch Granatsplitter, starke
Hämoptoe; am 24.111. 18 Aufnahme ins Lazarett. Am 31.111. 18 übernommen;
in Heilung befindlicher Durcli.schuss der linken Brustseite: Einschuss 2 Ouer-
finger breit vom Sternum in Höhe der 2. Rippe. Ausschuss 1. h. u.. handbreit
von Vertebra über 8. Rippe. Dämpfung über 1. Lunge bis zur 3. Rippe vorn
oben. Keine Herzverdrängung. Verlauf: Vom 1. bis 10. IV. 18 normale Tem¬
peraturen bei gutem Allgemeüibefinden, dann iirerwartet staffelföriniges An¬
steigen von Teinp. am 13. bei gutem Puls. Mediastinum nicht verdrängt.
Am 14. 111. 18 morgens schwerste Mediastinalverdrängung unter Hochgehen
des Pulses auf 130. Sofort ProbepunTttion, ergibt Eiter.
Diagno.sc: Empyem der I. Pleura mit schwerster Mediastinalverdrängung.
Behandlung; Sofortige Punktion mit Dieulafoy; es entleeren sich
2'i’ Liter fad riechenden dünriflüssigen Eiters, nach deren Entleerung Puls
und Temperatur sofort fallen (s. Kurve 0). Mediastinum rückt zur normalen
Lage zurück.
Kurve t>.
Schwerste Mediastinal-
verdrängimg dureh
Kiiiiiyem. (rclieilt durch
Punktion und Thurak-
(itomie unter Druck¬
differenz.
Am 16. III. 18 erneute Punktion, ergibt 600 ccm Eiter, Puls erholt sich
sehr gut.
Am 17. 111. 18 reicht das Exsiidat wieder bis zur 3 Rippe, daher bei aus¬
gezeichnetem Allgemeinzustand des Patienten sofortige Operation. In kurzem
Aetherrauscli: Re.sektion der 8. und 9. Rippe 1. h. u. auf gut 10 cm: es
entleert sich etw'a 1 Liter Eiter. Einsetzen der Druckdifferenz: Lunge bläht
sich langsam, aber stetig. Die Blähung erreicht nicht den maximalsten Grad.
Breite Tamponade der Pleura mit Mikulicztampons nach allen Seiten hin.
Abdichtender Billroth-Mastixverband.
Pat. hat den Eingriff sehr gut überstanden.
21.111.18. Erster Verbandwechsel: Tampons reichlich durchtränkt, bleiben
liegen. Abdichtender Verband.
23. 111. 18. Verbandwechsel wie am 21. Tampons werden vorsichtig
gelockert.
25. IIL 18. Wie vofher.
27.111.18. Tampons werden vollständig entfernt. Lunge zu etwa *
ihres Volumens gebläht. Bläht sich unter Druckdifferenz weiter gut. Lockere
Tamponade. Abdichtender Verband.
29. IIL bis 3. IV. 18. Von anderer Seite unter Weglassen der Druck¬
differenz und vor allem des abdichtenden Verbandes vorgenommener Verband¬
wechsel hat sofortige Temperaturen zur Folge (s. Kurve), daher vom näch¬
sten Tag an wüeder regelmässiger Verbandwechsel wie vorher.
Der w'eitere Verlauf zeigt, dass Pat., der sich w'ährend der Belnndluiigs-
dauer im Allgemeinbefinden kaum verändert hat, bereits am 10. IV. 18 ab¬
transportiert werden kann: die Empyemhöhle hat sich bis auf einen kleinen
Spalt geschlossen, die Sekretion ist fast verschwunden.
Diesen auf tleni Boden eines geschlossenen Hämopneumothorax sich
entwickelnden Empyemen treten zur Seite alle die, welche nach einem
primär nicht versorgten offenen Pneumothorax leider in grossen Mengen
in unsere Behandj^ing kamen (Pyopneumothorax).
Häufig ist bei diesen Verletzungen die Thoraxöffnung für die Durch¬
führung der Behandlung nicht günstig gelegen. Ist sie in dem oberen
Thoraxabschnitt und läuft aus ihnen heraus ..die Pleura über“, als Aus-
Di gitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
25. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
357
druck dafür, dass ein grosses Empyem der Pleura sich vorfindet, welches
keinen Abfluss hat. so schlugen wir vor, diese Thoraxöffnung durch einen
luftdicht abschliessenden Verband abzudichten, dann am tiefsten Punkte
die Thorakotomie auszuführen und auf diese Weise die Empyembehand-
luiig durchzuführen. 'n,.
III. Pyopneumothorax nach offenem Pneumothorax.
4. Franzose V., verwundet am 31. Mai 1918 durch Granatprellschuss der
rechten vorderen Brustwand, angeblich viel Blut verloren, kein Blut aus¬
gehustet. Am 2. VI. 18 ins Lazarett aufgenommen, am 9. VI. 18 übernommen.
Schlechter Allgemeinzustand. Temp. bis 39,8“. Puls klein, weich, um 120.
ln r. vorderer Axillarlinie gut handtellergrosse Oeffnung in der Brustwand,
aus der sich gelber Eiter entleert. VVundränder schmierig belegt, zum Teil
buebtige Taschen darstellend, hier und da Rippenteile vorliegend. Durch
dieses Fenster sieht man in eine gut kindskopfgrosse Höhle, die Pleura,
deren mediale Wand von der sich paradox bei der Atmung bewegenden Lunge
gebildet wird.
P T.
ISO trO
9 9 H
ff f>
I
fj]
-
ts
rw
2,
IS.
Ä
st
YW
!l
VW
Ü
ili
*w
liL
VW
st
a
rw
Jl
VW
■
£
VW
TJO SO
*/€
n/’i
W7.
110 SO
ft
I
I
ä
J
90 ST
tn
\
r
\r
T
T
SÄ
1
Ä
1
I
i
T
T
V
V
Kurve 7. Heilung eines schweren Empyems bei offenem Pyopneumotbora.x
Diagnose: Offener Pyopneumothorax mit Sekretverhaltung.
Behandlung: Am 11. V. 18 in Narkose unter Druckdifferenz Erweitern
des Thoraxfensters unter Resektion mehrerer Rippenteile. Ablassen des
Resteiters, daher Einsetzen der Druckdifferenz, hierbei bläht sich die Lunge
so ausgezeichnet, dass sie sich vollkommen der Brustwand nähert Ab¬
dichtender Verband der Verletzungsstelle und der Thorakotomiewunde mit
Mastix-Billroth nach Tamponade.
4.1.18. ■ Pat. fühlt sich wohl. Erster Verbandwechsel. Die bei der
ersten Blähung bereits festgestellte ausgezeichnete Ausdehnung der Lunge
hält auch weiter an, derart, dass sie sich fast vollkommen der Brust¬
wand anlegt.
20. VI. 18. Unter gleichbleibender Behandlung fieberfrei.
25. bis 30. VI. IS. Unerwartet Fieberanstieg, als deren Ursache eine
Verhaltung von ungefähr 200 ccm angesehen wird. Nach deren Abfluss fällt
die Temperatur zur Norm. Pat. wird regelmässig unter Druckdifferenz weitci
verbunden mit dem Resultat, dass er am 6. Juli in ausgezeichnetem Zustana
mit fast vollständig verschlossener Wunde abtransportiert werden kann.
5. Schütze S. Am 3. VI, 18 verwundet durch Granatsplitter. Geringe
Hämoptoe, angeblich soll hinten am Rücken viel Blut abgelaufen sein. Am
18. VI. 18 übernommen. Sehr schlechter Allgemeinzustand, starke Abmage¬
rung, Dyspnoe, Zyanose. Puls klein. In Höhe der 9. Rippe in 1. hinterer
Axillarlinie Ausschuss, aus dem zeitweise trübes Exsudat vorquillt. Ein¬
schuss hinten zwischen 4. und 5. Rippe, dicht am lateralen Rande der Skapula.
Perkussion ergibt Differenzierung 1. h. u., darüber Tympanie.
Diagnose: Offener Pyopneumothorax.
Behandlung: Nach hermetischem Abschluss des Auschusses am 16. VI. 18
Punktion von 7\ Liter Eiter, der am
21. VI. 18 die zweite folgt: Entfernung von 1 Liter. Eine Besserung im
Allgemeinbefinden tritt nicht ein, daher am
2. VII. 18 Operation: Unter Druckdifferenz wird in Allgemeinnarkose die
8. und 9. Rippe 1. h. u. reseziert. Eingehen* mit der Hand lässt erkennen,
dass die Lunge zu etwa gebläht ist, es sich somit um ein partielles Ex¬
sudat gehandelt habe. Sie bläht sich unter Ueberdruck weiter sehr gut.
Austamponade der Pleurahöhle. Billroth-Mastixverband.
Pat. übersteht den Eingriff sehr gut.
6. VII. 18. Pat. sofort nach der Operation fieberfrei. Wunde sezerniert
noch reichlich. Tampons entfernt. Lunge bläht sich sehr gut.
10. VII. 18, Pat. fängt an sich zu erholen, Dyspnoe geschwunden.
Schläft gut.
12. VII. 18. Unter regelmässigem Verbandwechsel steht er zum ersten¬
mal auf.
15. VII. 18. Macht bereits kleine Spaziergänge.
19. VII. 18. Röntgendurchleuchtung ergibt rechte Lunge normal. Herz
desgleichen. L, Oberlappen total lufthaltig und ausgedehnt, links unten in der
Seite findet sich noch eine kleine schalenförmige Höhle, die regelmässig tam¬
poniert wird.
» 22, VII, 18 muss Pat. in sehr gutem Zustand wegen Räumung des
Lazarettes abtransportiert werden.
Die Resultate dieser Behandlungsmethoden waren ausgezeichnet.
Bedenkt man, wie schwer der Allgemeinzustand dieser Patienten ist,
wielange sie meist in Lazarettbehandlung weilen und vor allem, welchen
Gefahren sie meist früher oder später ausgesetzt sind, ja dass in vielen
Fällen eingreifende plastische Operationen ausgeführt werden müssen
lind vergleicht man hiermit unsere Zahlen, welche zeigen, dass wir allein
bei einer grossen Kampfhandlung von 20 solchen Verwundeten 18 geheilt
oder in Heilung entlassen konnten, so spricht diese Tatsache schon für
den Wert der Methode.
Die anatomischen Unterlagen können wir an der Hand von Kranken¬
geschichten zweier Patienten bringen, welche an interkurrenten Blu¬
tungen, die nicht auf die Methode zurückzuführen sind, darlegen: der
eine starb an einem geplatzten Aneurysma der A. subclavia, der andere
verblutete aus einer Verletzung der Mammaria interna, welche von
anderer Seite beim Versuch, den in der Brustwand steckengebliebenen
Splitter zu entfernen, gesetzt wurde.
6. Leutnant K. Am 28. VI. 18, 7 Uhr morgens verwundet durch Granat¬
splitter an r. vorderer Brustwand. Keine Hämoptoe; geht zu Fuss auf den
Hauptverbandplatz; kommt von dort, 11 Stunden nach der Verletzung ins Feld¬
lazarett. dort am 2. VII. 18 wegen Fiebers Entfernung des Splitters aus der
Brustmuskulatur,. Seit dieser. Zeit angeblich Auspfeifen von Luft aus der
ßrustwunde und Ausfliessen blutig-trüber Massen.
Am 5. VII. 18 übernommen nach einem etwa 10 km weiten Transport.
Befund: Schwerster Allgemeinzustand. Temp. 39“. Puls 150. Leichte
Benommenheit. Schwere Zyanose und Dyspnoe. In In Höhe des Angulus
Ludovicii, hart am Sternum, die 2. Rippe reseziert. Aus einem Drain, das
aus der Resektionsstelle schaut, pfeift Luft und sprudelt gelb-trübes Exsudat
heraus. Massive Dämpfung rechts hinten unten bis Spina scapuIae.
Diagnose: Grosser offener Pyopneumothorax.
I&ehandlung: Zunächst Bett¬
ruhe. Kampfer, Sauerstoff; nach¬
dem Pat. sich etwas erholt hat
noch am gleichen Tage: r. h. u.
Thorakotomie unter Druckdiffe¬
renz: es werden in kurzem
Aetherrausch 8. und 9. Rippe in
Ausdehnung von je 10 cm rese¬
ziert, die dazwischenliegende
Interkostalmuskulatur entfernt.
Es entleert sich ein gut 2H Liter
fassendes eitrig-seröses Exsudat.
Eingehen mit der Hand. Ab¬
tasten der entsprechend dem
Sekretabfluss und der Ueber-
druckamtung sich sehr gut blähenden Lunge. Sie hat keine Wunde,
Unter fortgesetztem Ueberdruck wird ein langer breiter Tampon in die
'Pleurawunde neben dem Sternum eingeführt, durch die Operationswunde wer¬
den mehrere schmale Mikulicztampons nach allen Seiten in die Pleura ein¬
geführt. Dann werden die beiden Brustwandöffnungen mit Billrothbattist
abgedeckt und so die Brustwunden hermetisch verschlossen. Jetzt Absetzen
des Ueberdruckes, sofort Verband und zurück ins Bett unter Sauerstoff und
Kampfer.
Die Nacht hindurch reichlich Kampfer, Digalen, Sauerstoff mit dem
Resultat, dass Patient sich ausgezeichnet erholt.
6. VII. 18. Morgens Temp. 37,8®. Puls 110. Pat. ist noch etwas un¬
klar. atmet frei und ruhig. Da eine ganz gewaltige Sekretion eingetreten ist:
im I3ett schnell Verbandwechsel unter Ueberdruckatmung. Tampons bleiben
liegen. Schnell Billroth-Mastixverband, Sauerstoff, Kampfer, Morphium.
7. VII. 18. Pat. erholt sich weiter gut. Temp. und Puls s. Kurve, Sen-
sorium frei. Appetit sehr gut. Atmung frei. Verbandwechsel unter Ueber¬
druck,
8. VII. 18. Weiter platter Verlauf: Sehr starke Sekretion. Verband¬
wechsel wie gestern. Pat. fühlt sich ausgezeichnet: isst und trinkt reichlich.
9. VII. 18, Befinden vorzüglich, Sekretion hat nachgelassen, so dass
heute mit Verbandwechsel ausgesetzt werden soll. Gegen 11 Uhr plötzlich
Verfall sofort nach Eintreffen des Arztes, der die Diagnose innere Blutung
stellte. Verbandwechsel. Nach Herausziehen der Tampons an der Thorak¬
otomiestelle quillt eine gewaltige Menge feinsten Blutes aus der Pleurahöhle
vor: Arteria intercostalis nicht verletzt. Feinste Tamponade. Revision der
Tampons an der Vnrderfläche der Brust wand. Hier strömt dunkles Blut
aus der Tiefe. Noch ehe die Winde weiter eröffnet werden kann, ist Pat.
so verfallen, dass zunächst nur eine feste Tamponade nach dem Mediastinum
hin yorgenommen werden kann.
Kampferrektalinfusion. Digalen und Sauerstoffüberdruckatmung helfen
nicht mehr. Patient stirbt' kurz darauf.
Die Sektion der Brustorgane ergibt: Linke Lunge und Hefz o. B, Nach
Lösen der Tampons der beiden Pleuraöffnungen entleert sich aus der rechten
Pleura gut 1 Liter feinsten ungeronnenen Blutes, einige Hände voll Koagula
werden noch entfernt Die rechte Lunge ist zu gut ein Drittel gebläht, mit
ihrem Unterlappen am Zwerchfell fast vollkommen, mit ihrer vorderen Fläche
im Bereich der Unterlapoen teilweise mit der Pleura parietalis verklebt. Es
zeigt sich, dass die Vena mamillaria interna einen gut % cm langen, schlitz¬
artigen Längsriss zeigt, der in gleicher Höhe sich befindet wie das Brustwand¬
loch in Höhe der 2. Rippe.
7. Musketier H. Am 2. VI. 18 verwundet durch Infanterieschuss. Starke
Hämoptoe. Am 12, VI. 18 übernommen in ziemlich schlechtem Allgemein¬
zustand. Dyspnoe und Zyanose. Temp. um 38—39®, Puls um 120. Ein¬
schuss über Unterklavikula, die.se frakturiert. Keine von aussen sichtbare
Qefässverletzung Puls der Art. radialis links wie rechts. Ausschuss 1. h. u.
über 7. Rippe in Skapularlinie. L. h. und I. v. mittelgrosser Erguss mit geringer
Verdrängung des Herzens. Zunächst abwartende Behandlung. Da sich das
Befinden nicht bessert, ja am 16. VI. 18 eine schwere Mediastin'>1verdränt*nng
einen Ichensbedrohenden Zustand hervorruft. Punktion l.h.u. von 500 ccm trOb-
grauroten, nicht übelriechenden Blutes, mit dem Erfolg, dass Temperatur und
Puls zwar nicht fallen, dass aber das Allgemeinbefmden sich wesentlich
bessert, sowie die Mediastinalverdrängung wesentlich zuröckgeht. Am
18, VI. 18 ausgiebige Punktion mit Dieulafoy von 2% Liter Exsudaten wie
im 16. VI. 18. .letzt tritt wesentliche Be.sscrimg ein; Das Herz rückt wieder
an normale Stelle. Puls geht von 120 auf 80 zurück. Temperatur fällt Ivtisch.
Subiektiv ausgezeichnetes Beenden. Dieser Zustand hält jedoch nur bis zum
23. VI. 18 an. dann Einsetzen erneuter Temperaturanstiege und hochgehenden
Pulses. Bakteriologische und morphologische Untersuchung des Exsudates
ergibt schwere Infektion. Diagnose: Empyem der Pleura mit Tendenz zur
Mediastin’»lverdrängung. Daher am
24. VIII, Operation: In kurzem Aetherrausch unter Druckdifferenz Re¬
sektion der 8. und 9. Rippe I. h. u. Es entleert sich etwa 1 Liter infizierten
Hämothorax, dessen Restpartien rein eitrig sind. Lunge blüht sich unter
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
358
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Ueberdruck sehr KUt, jedoch nicht auf maximalen Blähungszustund. Ausgiebige
Mikulicztamponade der Pleura, Billrothmastixverband.
Pat., der den Eingriff gut Überstunden hat, erholt sich spontan.
25.—27. VI. täglich Verbandwechsel, da reichliche Sekretion, am 27.
Lockern und Lösen der sehr durchfeuchteten Tampons. Lunge etwa zur Hälfte
gut gebläht, steigt vor allem mit ihrer Vorderwand breit an.
Auffallend ist, dass trotz des guten Sekretabflusses die Temperatur nicht
zur Norm fällt.
28. VI. 18. Morgens plötzlicher Verfall und Exitus unter dem Bilde einer
schweren Blutung.
Die Sektion ergibt: Stark anämische Lunge. Die Brusthöhle maximal an¬
gefüllt mit frischem Blut, dieses stammt aus einem geplatzten Aneurysma der
Arteria subclavia. Dieses gut kleinkinderfaustgrosse Aneurysma hat sich
ohne nach aussen hin irgendwelche Prominenz hervorgerufen zu haben,
schwalbenncstartig in die Plcurakuppe vorgedrängt. Die rechte Lunge zeigt
Durchschuss durch Lungenspitze mit starker Infarzierung des Gewebes.
Mittel- und Unterlappen ziemlich gut gebläht. Lungenbreite in breiter Aus¬
dehnung mit der Vorderwand der Pleurahöhle und dem Zwerchfell verklebt.
Diese von anderer Seite festgestellten Autopsiebefunde geben uns
die anatomische Unterlage für die klinischen Erfolge, welche wir mit
dieser Methode bei den meisten unserer Verwendeten erzielten. Sie
zeigen, wie schon früh zwischen den einander genäherten Pleurablättern
sich zarte und später derber werdende Adhäsionen bilden, welcjy die
Lunge an die Brustwand fixieren, die Totalempyemhöhle zunächst m eine
partielle umwandeln und somit der Lunge die Möglichkeit geben, sich
vollkommen zu entfalten.
Dass selbst alte Höhlen durch konsequente Ueberdnickatmung zum
Verschluss gebracht werden, ähnlich wie dies Perthes mit seinem
Saugverfahren gelang, könnten wir an Hand eines grossen Materials be¬
weisen. Es gehört jedoch diese Frage der Nachbehandlung solcher ver¬
alteter Empyemresthöhlen nicht zu unserem Thema.
Für die Friedenschirurgie dürfte das dankbarste Material abgeben
alle traumatischen sowie para- und metapneumonischen Empyeme, wie
wir sie in grosser Zahl nach Bronchopneumonie, kruppöser Pneumonie
und Grippepneumonie sehen.
Alle Ergüsse, welche bei noch bestehender Entzündung der Lunge
festgestellt werden, sollten solange wie möglich durch Punktion behandelt
werden, wenigstens noch solange sich physikalische Erscheinungen auf
der Lunge finden. Versagt diese Methode, so ist unser Verfahren anzu¬
wenden. Ist es doch bekannt, dass häufig der Lungenprozess gerade
nach einer einfachen Thorakotomie ungünstig verläuft.
Die metapneumonischen Empyeme nach Pneumonien und Grippe
bedürfen zunächst der gleichen Behandliing. Freilich ist zu sagen, dass
wir in vielen Fällen mit der einfachen Punktion nicht auskommen. Hier
hat die kombinierte Thorakotomie unter Druckdifferenz und Anlegung
eines abdichtenden Verbandes einzusetzen.
Es ist zu betonen, dass nach unserer Beobachtung unter dem
Wunsche, gerade den Patienten der letzten Gruppe die Thorakotomie zu
ersparen, häufig zu lange punktiert wird. Sie kommen daher mitunter
zu spät und in schlechtem Zustande in unsere Behandlung. Kommen sie
rechtzeitig, so sind die Resultate ausgezeichnet.
Etwa 30 in den letzten beiden Jahren von uns behandelte Empyeme,
meist nach Grippe, haben uns von der Richtigkeit der oben aufgestellten
Sätze überzeugt. Die Erfolge w^aren fast immer gut. Freilich ist gerade
bei der Grippe zu sagen, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle um
schwerkranke Individuen handelte, welche durch die schwere Infektion
in ihrem Allgemeinzustand äusserst geschwächt waren.
IV. Empyeme nach Pneumonien (kruppöse Pneumonie
u n d Q r i p p e).
8. K. L. Am 20. XII. 19 erkrankt mit Kopfschmerzen, Frösteln und Husten.
Starke Kreuzschmerzen und allgemeine Mattigkeit. Appetitlosigkeit. ■ Kein
Auswurf. Am 29. XII. 19 Aufnahme in die med. Klinik: Pneumonie des 1.
Unterlappens. Nach langem atypischem Verlauf 20.11.20 Temp. 39“.
Am 27. u. 29. II. Punktion. L. h. u.: 160 ccm rahmigen Eiters; desgleichen
am 5. IIL, 23. III., 1. IV., dann 3. IV. Verlegung in die chir. Klinik.
Status: Reduzierter Allgemeinzustand. Zyanose der Schleimhäute. Sub-
ikterische Farbe der Skleren. Perkussion: 1. h. u. Exsudat bei unterem Drittel
der Skapula. Rechts schmales R a u c h f u s s sches Dreieck. Herz: Grenze
r. um Daumenbreite den r. Sternalrand überschreitend. Puls 100; klein
und regelmässig.
Diagnose: Empyema pleurae sin.
3. IV. 20. Nachmittags Operation in Leitungsanästhesie. Die Punktion
ergibt 1. h. u. rahmigen Eiter. Res. cort. IX und VIII. Entleerung von 400 ccm
Eiter und dickem Gerinnsel. Unter. Ueberdruck dehnt sich die Lunge etwas
aus, legt sich jedoch nicht bis vor die Resektionsstelle. Drainage. Perthes-
verband.
8. IV. 20. Temperatur dauernd normal (Kurve 10). Sekretion spärlich.
Abdichtender Verband. Die Lunge bläht sich gut.
Kurve 10.
Geheiltes Grippeempyem
mit Druckdifferenz operiert.
11. IV. 20. Allgpmeinzustand gut. Lunge bläht sich gut. Pat. bläht jetzt
täglich ohne Sicherung aus und atmet gegen Wasserwiderstand.
21. IV. 20. Höhle wesentlich verkleinert. Allgemeinzustand gut.
1. V. 20. Pust dauernd lieber- und beschwerdefrei mit fast geschlosse¬
ner Höhle in ambulante Behandlung entlassen.
9. B. B. .Anfang November 1919 erkrankt mit multiplen Gelcnkschwellungen.
Seit 11. Februar im Anschluss an Grippe r. h. u. Dämpfung bei Spina scapu¬
♦
~T~~
ff
7
-n
R r.
150 S9
110 50
1
1
a
*9
9
_ - _
/W
TT
^ \
—i
A /l
H
i
K r
lae. Am 26. und 27. werden durch Probepunktion je 200 ccm eitrigen Ex¬
sudates entleert.
3.111.20. Schwer krank. Deliriert. Zyanose. Dyspnoe. Aengstlicher
Gesichtsausdruck. Herpes labialis.
Atmung 30 in der Minute. Seite schleppt. R. h. von Mitte Skapula
bis herunter Exsudat. Herz ^fark verdrängt nach hinten. Ueber dem Ex¬
sudat Pneumothorax.
Nach vorher entlastender Punktion wird in Lokalanästhesie die Thorak¬
otomie unter Ueberdruck ausgefübrt. H Liter Exsudat abgelassen. Lunge
bläht sich. Abdichtender Verband.
7. III. 20. Unter Ueberdruck Verbandwechsel. Pat. ist abgefiebert. Sen-
sorium frei. Wunde sezerniert ziemlich. Tamponade. Verband. Rasch Auf¬
blähen der Lunge.
Ueber den weiteren Verlauf ist zu sagen, dass Pat. sich darauf aus¬
gezeichnet erholt. Die Temperaturen bleiben normal, die Lunge bläht sich gut.
23. III. 20. Pat. ausser Bett. Fühlt sich wohl. Empyenihöhle fast voll¬
kommen geschlossen. In ambulante Behandlung entlassen.
Es bleiben noch kurz die Fermen der abgekapselten kleinen Em¬
pyeme zu nennen, welche meist bezüglich ihrer Lokalisation und be¬
züglich der Therapie die grössten Schwierigkeiten bereiten. Spitzen¬
empyeme sind vor allem unter Röntgenkontrolle leicht zu lokalisieren.
Weit grössere Schwierigkeiten bieten die zwischen Lungenunterfläche
und Zwerchfell, sowie die nach dem Mediastinum hin gelegenen. Inter¬
lobäre Empyeme können häufig, wenn sie in den Bronchus per¬
foriert sind, als Empyeme dem Abszess gegenüber nicht abgegrenzt
werden. Mehrkammrige bieten oft die verschiedensten Punktions¬
befunde, je nachdem, welche Kammer man erreicht hat. Es kommt vor.
dass in der einen sich klares Exsudat, in der danebenliegenden dicker
rahmiger Eiter findet.
Sie alle sind wie Abszesse zu behandeln, “ln ein oder mehreren
Sitzungen, je nach dem Verhalten des darüber gelegenen Lungen¬
gewebes und der Pleura, nach Alter und Dicke ihrer Schwarten. Die
Eingriffe sind gelegentlich ^oss. Da die Empyeme stets gegen ihre
Umgebung gut abgegrenzt sind, bedarf es der primären Druckdifferenz-
anwendung nicht, dagegen sollte sie, sobald das Empyem entleert ist,
frühzeitig angewandt w^erden, um die retrahierte Lunge möglichst bali
und möglichst vollständig zu blähen.
Es konnte somit gezeigt werden, dass bei gewissen Formen der
nicht tuberkulösen Empyeme, vor allem bei traumatischen, sowie* den
häufigen metapneumonischen Empyemen jeder Herkunft die einfache
Thorakotomie fallen zu lassen ist und dass an ihre Stelle eine einfache
physiologische Methode zu treten hat: die Thorakotomie unter An¬
wendung der Druckdifferenz nach vorheriger entlastender Punktion der
Pleura, mit nachfolgendem abdichtenden Verband nach Perthes.
Sie allein vermindert die unmittelbaren und mittelbaren Folge¬
zustände des offenen Pneumothorax, und wird sicherlich, rechtzeitig an¬
gewandt, die Notwendiekeit eingreifender, entstellender und lebens¬
gefährlicher plastischer Operationen ausschalten.
Ueber die Spätepilepsie der-Kopfschussverletzten.
Von Dr. Q. Voss, leitender Arzt der Nervenabteilung am
Versorgungslazarett III Düsseldorf.
Im Jahre 1917 habe ich in dieser Wochenschrift Ü über die Er¬
fahrungen berichtet, die ich im Laufe meiner Tätigkeit an der Militär-,
nervenklinik des ehern. VII. A.K. in Krefeld an 100 Schädelverletzten ge¬
macht hatte. Es handelte sich um eine Schilderung des Zustandes, den
die Verwundeten um den Februar 1917 boten.
Nachdem inzwischen 3K Jahre verflossen waren, hielt ich cs für
notwendig, den Versuch zu machen, mir Auskünfte über das Befinden
meiner damaligen Patienten zu verschaffen. Zu diesem Zweck sandte ich
im Juni 1920 Fragebogen an sämtliche 100 Schädelverletzte, durch
deren Ausfüllung ich einen annähernd genauen Ueberblick über ihr Be¬
finden zu erhalten hoffte. Wie nach den schweren Umwälzungen der
letzten Jahre, vor allem aber nach der Abtrennung grosser Landesteile,
und zwar gerade der westlichen, aus denen nicht wenige meiner Fälle
herstammten, zu erwarten war, ist das Ergebnis meiner Umfrage nur
lückenhaft geblieben.
Von 100 Fragebogen kamen 8 als unbestellbar zurück, und auf 15
erfolgte keine Antwort. 4 Fragebogen kamen mit dem Vermerk zurück,
dass die Patienten inzwischen gestorben seien. Da es sich um besonders
schwere Fälle handelte, ist mit Sicherheit anzunehmen, dass sie an Hlm-
abszess zugrunde gegangen sind. Uebrigens trug der eine Fragebogen
den ausdrücklichen Vermerk „an Hirnabszess gestorben“, und ein zweiter
und dritter Patient sind, wie ich in Erfahrung gebracht habe, im An¬
schluss an eine Hirnoperation gestorben.
Das Krankenmaterial, über das ich berichten will, setzt sich dem¬
nach erstens zusammen aus 76 Fällen meiner früheren Beobachtung,
zweitens aber kommen dazu 43 Kopfschüsse, die ich im Laufe der
Jahre 1919 und 1920 in dem mir unterstellten Düsseldorfer Nerveji-
lazarett beobachten konnte. Ich bemerke ausdrücklich, dass ich nur üb'er
solche Fälle berichte, die sich Wochen- oder monatelang auf der Ab¬
teilung befanden, zu deren Beurteilung mir also sow'obl die Akten, als
auch die Ergebnisse eigener Beobachtung zur Verfügung standen. Aur
die Verwertung des viel grösseren poliklinischen Materials habe Ich vor¬
läufig verzichtet.
Nervenär/.tliche Erfahrungen an 100 Schädelverlctztcn, 1917, Nr. 27,
S. 881—885.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNfA
25 . März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
359
Es kann nicht meine Aufgabe sein, an dieser Stelle einen umfassen¬
den Ueberblick über die Gesamtentwicklung meiner Fälle zu
geben. Ich beschränke mich darauf, einzelne praktisch wichtige Punkte
herauszugreifen, um die mehr theoretisch wichtigen Fragen an anderer
Stelle zu erörtern, wie das zum Teil schon geschehen ist*).
Ich wende mich an erster Stelle der Frage der traumatischen
Epilepsie zu, die ich in meiner ersten Veröffentlichung schon ein¬
gehender erörtert habe. Unter meinen damals verarbeiteten 100 Fällen
litten 37 an sicherer Epilepsie, während bei 6 Kranken Epilepsie nur
mit Wahrscheinlichkeit angenommen wurde. Von diesen 6 zweifel¬
haften Fällen haben sich in der inzwischen verflossenen Zeit 2 als sichere
Epilepsie entwickelt, während bei den 4 übrigen Kranken der Zustand
annähernd unverändert geblieben ist.
Neu aufgetreten ist die Epilepsie in 7 Fällen, wobei der
frühere Befund eine sichere Deutung des späten Auftretens nur ausnahms¬
weise gestattet. So ist einer von den Fällen von vorneherein als schwer
betrachtet worden (Bi.); nach einer beiderseitigen Hinterhauptsver¬
letzung mit Hemianopsie war bei ihm eine hochgradige Schädigung der
Gesamtpersönlichkeit ohne umschriebene Ausfallserscheinungen auf¬
getreten. Auf dem Boden der sehr umfangreichen Verletzung hat sich
dann die Epilepsie entwickelt. Ein zweiter Fall (Pod.) hatte schon
früher anfallsweise Schwindel gezeigt, aus dem sich dann später typische
lO’ampfanfälle heraus entwickelt haben. Bei den übrigen Patienten lässt
der Befund von 1917 das spätere Auftreten von Epilepsie durchaus
nicht vorausahnen. Sie boten das Bild der gewöhnlichen nervösen Folge¬
erscheinungen nach Kopfschuss: Kopfschmerz, Schwindel, Reizbarkeit
und schlechten Schlaf. Nur einer von ihnen zeigte neben geringen
Allgemeinerscheinungen grobe Ausfallserscheinungen, und zwar eine mo¬
torische Sprachstörung (Wei.).
Fragen wir auf Grund dieser Erfahrungen, ob aus dem jeweiligen
Befunde das spätere Auftreten einer Epilepsie, zum mindesten mit Wahr¬
scheinlichkeit, vorausgesagt werden kann, so lässt sich nur bemerken,
dass umfangreiche Verletzungen stets diese Gefahr nahelegen und ferner,
dass anfallsweise auftretender Schwindel wohl mit Recht als epileptische
Störung aufgefasst werden darf.
In der folgenden Tabelle sind die Zahlen über die Häufigkeit der
Epilepsie in den Jahren 1917 und 1920 zusammengestellt, wobei zu be¬
merken ist, dass die ersten Zahlen auf 100, die zweiten. Zahlen auf nur
73 Fälle zu beziehen sind.
Epilepsie 1917 37 (37,0 Proz.)
,. 1920 45 (61,7 „ )
Wahrscheinliche Epilepsie 1917 6 ( 6,0 „ )
1920 6 ( 8,7 „ )
Wir ersehen aus dieser Uebersicht, dass die Häufigkeit der Epilepsie
im Laufe der 3 Jahre um 27 Proz. zugenommen hat. eine wohl kaum
zu erwartende Entwicklung! Berücksichtigen wir dann ferner noch, dass
zu den, bis 1917 an den Folgen ihres Kopfschusses zugrunde gegangenen
3 Fällen noch weitere 4 Todesfälle hinzugekommen sind, so wird die
Schwere dieser Verwundungen in ein grelles Licht gerückt.
Vergleichen wir die bei meinem a\ten Material gefundenen Zahlen
mit der Häufigkeit der Epilepsie unter den 43 neuen Fällen, so sehen wir,
dass sich bei diesen letzteren, sichere Epilepsie 19 mal, wahrscheinliche
4 mal findet, in Prozenten ausgedrückt 41,8 Proz. und 9 Proz. Diese
Zahlen nähern sich den Ergebnissen von 1917 (37 und 6 Proz.).
Es fragt sich nun, ob die starke Zunahme der Epilepsie unter meinen
früheren Fällen sich mit der längeren Dauer des Krankheitszustandes in
ursächlichen Zusammenhang bringen lassen muss. Um das festzustellen,
habe ich meine sämtlichen Fälle nach den Jahren der Verwundung ge¬
ordnet.
_Epilepsie_
Zahl der Fälle:
sichere:
wahrscheinl.:
keine
1914
19
10 (52,6 Proz.)
2
7
• 1915
52
27 (51,9 „ )
2
23
1916
26
10 (36,0 „ )
2
14
Von 19 Fällen aus dem Jahre 1914 leiden heute 10 an sicherer und
2 an wahrscheinlicher Epilepsie; aus dem Jahre 1915 stammen 52 Fälle,
von denen 27 an sicherer und 2 an wahrscheinlicher Epilepsie erkrankt.
Aus der geringen Zahl von Fällen, die dem Jahre 1917 und 1918 ent¬
stammen, möchte ich keine Schlussfolgerung ziehen. Der Vergleich
zwischen 1914 und 1915 einerseits und 1916 anderseits lehrt, dass die
Epilepsie unter^den älteren Jahrgängen anscheinend stärker vertreten,
ist: 52,6 und 51,9 Proz. stehen 36 Proz. gegenüber.
Es gestattet also auch diese Art der Prüfung meines Materials den
Schluss zu ziehen, dass die längere Dauer des Leidens das
AuftretenderEpilepsiebegünstigt.
Bei meiner ersten Arbeit hatte ich feststellen können, dass diejenigen
Schädel verletzten am häufigsten an Epilepsie erkrankten, bei denen das
Scheitelhirn betroffen oder auch mitbetroffen war. Ich habe daraufhin
sowohl meine früheren, als auch die in letzter Zeit beobachteten Fälle
nachgeprüft. Es ergaben sich dabei folgende Zahlen: von insgesamt
113 Fällen waren 48, soweit sich das feststellen Hess, reine Scheitel¬
hirnverletzungen. Unter ihnen befanden sich 27 sichere, 4 wahrschein¬
liche und 17 nichtepileptische Fälle. Unter den 65 übrigen Kopfschüssen
dagegen liess sich nur 25 mal mit Sicherheit, 5 mal mit Wahrscheinlich¬
keit und 35 mal keine Epilepsie feststellen, das wären 56,2 Proz. sichere
*) Untersuchungen Ober die geistige Leistungsfähigkeit der Schädelhirn-
verletzten mit K r a e p e 1 i n s Methode der fortlaufenden Addition. (Zschr. f.
Psych. 75. H. 3.)
N»“ 12 ^ I
Digitizeil bv LjjOi
Epilepsie bei Scheitelhirnverletzungen und 38,4 Proz. sichere Epilepsie
bei anderen Himverletzten.
Noch stärker fällt dieser Ausschlag aus, wenn wir den 68 Fällen, in
denen das Scheitelhirn allein oder mit anderen Hirnteilen zusammen be¬
troffen war, die 45 gegenüber stellen, wo keine Scheitelhirnverletzung
bestand. Hier finden wir in der ersten Gruppe 39 mal sichere, 5 mal
wahrscheinliche und 24 mal keine Epilepsie, während bei der 2. Gruppe
die Zahlen 13,4 und 28 lauten, also bei den Scheitelhirnverletzungen
57,3 Proz. sichere Epilepsie, dagegen bei fehlender Scheitelhirnverletzung
nur 28,8 Proz.
Prüfen wir nun die übrigen Hirnteile einzeln, in bezug auf
die Häufigkeit der nach ihrer Verletzung auftretenden Epilepsie,
so sehen wir, dass auch das S t i r n h i r n . verhältnismässig stark
beteiligt ist. Von 33 reinen und komplizierten Stirnhirnverletzungcn
hatten 12 sichere Epilepsie, also 36,3 Proz., eine Zahl, welche den Durch¬
schnitt der nicht Scheitelhirnverletzten (28,8) erheblich übertrifft.
Besonders selten scheint • die Epilepsie bei den Hinterhaupts¬
verletzten vorzukommen, deren Zahl 15 betrug, von denen nur 4 sichere
Epilepsie aufwiesen (26 Proz.). Dagegen sind sämtliche 5 Fälle von
Hirndurchschuss, die sich unter meinem Material befinden, an
Epilepsie erkrankt, obwohl sie teilweise im Anfang ein auffällig leichtes
Krankheitsbild boten^ das sich allerdings später erheblich schwerer ge¬
staltet hat.
Verletzte Hirnteile: sichere: wahrscheinliche: keine Epilepsie:
1. Scheitelhirn allein . 27 (56,2 Proz.) 4 (8,4 Proz.) 12 (35,8 Proz.) = 48
Die übrigen Fälle . . 25 (38,5 „ ) 5 (7,7 „ ) 35 (53,8 „ ) — 65
2. Scheitclhirn allein ynd
mitbetroffen ... 39 (57,3 ., ) 5 (7,4 „ ) 24 (35,3 „ ) — 68
Die übrigen Fälle . . 13 (28.8 .. ) 4 (8,9 „ ) 28 (62,3 „ ) — 45
3. Stirnhirn allein oder
mitbetroffen ... 12 (36,3 „ ) von 33.
4. Hinterhauptshirn allein
oder mitbetroffen . 4 (26,0 „ ) von 15.
Auch wenn wir berücksichtigen, dass der Ort der äusseren Ver¬
wundung und der späteren Narbe nicht immer völlig genau mit der tat¬
sächlich erfolgten Zerstörung des Gehirns übereinzustimmen braucht,
so dürfen wir doch auf Grund unserer Erfahrungen, auch am Operations¬
tisch, im allgemeinen den Sitz der Narbe mit der Hirnverletzung gleich¬
setzen. Daraus ergibt sich auch die Berechtigung, die übrigen Schlüsse
über den Zusammenhang zwischen der Lokalisation der Verwundung,
d. h. dem betroffenen Hirnteil und dem Auftreten der Epilepsie aufrecht
zu halten.
In meiner ersten Arbeit habe ich auf die Schwierigkeiten der Ab¬
grenzung der Epilepsie gegenüber den, auch bei Hirnverletzten vor¬
kommenden, nicht seltenen psychogenen Störungen und Anfällen hin¬
gewiesen. Es scheint in dieser Beziehung jedoch eine gewisse Aende-
nmg in den Krankheitsbildern eingetreten zu sein, indem unter meinen
neubeobachteten Fällen die Zahl der psychogenen Störungen entschieden
geringer war. Es hat sich dadurch die Diagnose der Epilepsie einfacher
gestaltet. Immerhin gibt es Fälle, die noch Schwierigkeiten bereiten.
Durchaus nicht selten hören wir von unsern Kranken, dass sie im¬
stande sind, beginnendeAnfälle zu unterdrücken. Bekannt¬
lich kommt das auch bei der. genuinen Epilepsie vor, und zwar be¬
dienen sich unsere Kranken dazu verschiedenartiger Hilfsmittel. Die
Möglichkeit der Unterdrückung eines beginnenden Anfalles besteht
namentlich bei Anfällen mit motorischer Aura. Stellen sich z. B. in der
Hand zuckende Empfindungen oder aber Krampferscheinungen ein, so
presst der Kranke mit der gesunden Hand das krampfende Glied am
Handgelenk fest zusammen, oder er umschnürt es mit einem Tuch.
Andere Patienten lassen kaltes Wasser über das krampfende Glied
laufen. Ein Kranker mit mehrmals wöchentlich auftretenden Anfällen,
die mit Zuckungen in der linken Hand beginnen, sich auf die Hais¬
und Gesichtsmuskulatur weiterverbreiten und dann unter Eintritt vort
Bewusstseinsverlust in allgemeine Krämpfe übergehen, lässt sich von
Kameraden die linke Hand und den Kopf festhalten. Gelingt cs, oft nur
mit grösster Kraftanstrengung; die Zuckungen d»irch Fixierung zu ver¬
hindern, so tritt kein Bewusstseinsverlust ein, und der Anfall geht vor¬
über.
Die Unterdrückbarkeit der Anfälle lässt sich nach meinen Er-
falirungen diagnostisch durchaus nicht zugunsten des Vorliegens psycho¬
gener Stöningen verwerten.
Diagnostische Schwierigkeiten können entstehen bei Hirnverletzten,
die neben vereinzelten, echt epileptischen Anfällen, hysterische Anfälle
zeigen. Vielfach handelt es sich hier um psychopathische Individuen,
deren Hysterie entweder unabhängig von der Hirnverletzung schon
früher bestand, oder aber sich auf dem Boden der allgemeinen, durch
das Trauma bewirkten psychischen Veränderung entwickelte. In ein¬
zelnen Fällen habe ich den unmittelbaren Uebergang eines echt epilep¬
tischen Krampfanfalles in eine hysteriforme Phase beobachten können:
Die abklingenden, immer seltener werdenden, klonischen Schluss¬
zuckungen fingen allmählich an, wieder stärker zu werden, um dann in
ein ungeordnetes Umsichschlagen, Hinundherwerfen und Aufbäumen
überzugehen, das längere Zeit, bis zu einer Viertelstunde, dauerte und,
bei fortbestehender Bewu.sstlosigkeit, im Schlaf endigte. Aehnliche Be¬
obachtungen sind ja auch früher bei der genuinen Epilepsie gemacht und
vonBinswanger imNothnagelschenHandbuch eingehend beschrieben
worden.
Ich finde auch in solchen Fällen durchaus keine Veranlassung, von
„Hystero-Epilepsie“ zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um eine
hysteriforme Phase des epileptischen Anfalles, die nur
4
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
360
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12
dann zu diagnostischen Irrtümern führen kann, wenn dem Beobachter
der vorausgehende, kurzdauernde, echte epileptische Anfall ent¬
gangen ist. .
Die grosse Zahl von Epileptikern unter unserem Material, wird
gewiss vielfach den Gedanken wachrufen, dass die Abgrenzung der Epi¬
lepsie gegenüber den psychogenen Störungen nicht scharf genug ge-
handhabt worden ist Dagegen möchte ich behaupten, dass ich heute in
der Annahme von Epilepsie einen noch strengeren Standpunkt durch¬
geführt habe als früher. Das ergibt sich zur Genüge aus folgenden
Zahlen. Unter meinen im Jahre 1917 beschriebenen Eällen fand ich 37
Epileptiker, von diesen boten 19 allgemeine Anfälle, bei 3 Patienten be¬
standen Jacksonanfälle und bei 8 örtliche Krämpfe. In 7 Fällen grün¬
dete sich die Annahme* der Epilepsie auf Schwindel und kleine Anfälle,
sowie auf sensorielle und vasomotorische paroxysmale Störungen. Unter
den neubeobachteten 43 Kopfschüssen habe ich dagegen 19 mal die
Epilepsie aus echten Anfällen von allgemeinem Typus diagnostiziert,
dazu kam je ein Fall von Jackson uftd kleinen Anfällen. Die An¬
nahme der Epilepsie gründet sich demnach fast a4is-
nahmslos auf die Feststellung echter epileptischei
Krampfanfälle.
Nur darf allerdings der grosse Prozentsatz von Epileptikern unter
meinem neuen Material nicht verallgemeinert werden, da naturgemäss
meinem Lazarett und der, mit ihm Hand in Hand arbeitenden chirur¬
gischen Klinik der Städt. Krankenanstalten (Geh. Rat Witzei) ins¬
besondere diejenigen Hirnverletzen zugehen, bei denen schwerere Er¬
scheinungen entweder allgemeiner Art, oder aber insbesondere epi¬
leptische Störungen bestehen. Diese Feststellung macht jedoch meine
aus dem älteren K r e f e 1 d e r Material gezogenen Schlüsse bezüglich
der mit den Jahren zunehmenden Häufigkeit der Epilepsie bei Hirn ver¬
letzten durchaus nicht hinfällig, da sich das damalige Material nahezu
wahllos aus den Zuweisungen der Lazarette des Bereiches des ehern.
VII. A.K. zusammensetzte.
Alle unseren statistischen Zusammenstellungen, und zwar auch die¬
jenigen anderer Krankenanstalten, können uns sichere Zahlen über die
tatsächliche Häufigkeit der Epilepsie nicht geben, denn sie stützen sich
sämtlich auf ein mehr oder weniger künstlich zusammengesetztes Kran¬
kenmaterial. Dadurch wird jedoch ihr Wert nicht verringert, vor allem,
wenn die Beobachtung der Fälle über Jahre hinaus fortgesetzt wird.
Ueber die wirkliche Häufigkeit der Epilepsie nach Kopfschuss Hessen
sich vielleicht annähernd sichere Schlüsse ziehen bei einer Durchsicht
der gesamten bei einem Versorgungsamt befindlichen Rentenakten, aus
denen die Kopfschüsse auszusondem und in bezug auf ihren Verlauf ein¬
gehend zu betrachten wären. Aber auch auf diesem Wege wäre eine
Vollständigkeit nicht zu erzielen, da trotz der immer bekannter werden¬
den Bedeutung der Kopfschüsse nicht wenige Leute, die bisher von ihrer
Verwundung keine Beschwerden verspüren, gar nichts darüber verlauten
lassen. Ich habe schon mehrfach bei Gelegenheit von Begutachtung
wegen anderer Leiden als Nebenbefund einen Kopfschuss feststellen
können.
Es ist mir gar nicht zweifelhaft, dass unter diesen zurzeit symptom¬
losen Kopfschüssen sich nicht ganz wenige finden, bei denen eine spä¬
tere Verschlimmerung möglich ist
Es läge nahe, zu erwarten, dass- die jahrelange Zusammenarbeit
mit dem Chinygen mir einigermassen sichere Erfahrungen über den
Einfluss verschafft hätte, den die chirurgische Behandlung
auf den Verlauf der Epilepsie ausübt Die Beantwortung
dieser Frage wird jedoch durch die Ungleichartigkeit der vorgenommenen
Eingriffe und die Unklarheit vor allem über die im unmitttelbaren
Anschluss an die Verwundung meist im Feldlazarett auso*eführten
Operationen sehr erschwert. Ich muss mich deshalb zunächst darauf be¬
schränken, meinen persönlichen Eindruck wiederzugeben.
Während, wie ich schon bei meiner ersten Arbeit feststellen konnte,
der Erfolg der Operation (Meningolyse) für die Allgemeinerscheinungen
(Kopfdruck!) kaum zu bezweifeln ist scheint die operative Beeinflussung
der Epilepsie ungleich schwieriger zu sein. Nicht selten sehen wir nach
der Operation ein längeres Zurücktreten, oder auch ein Leichterwerden
der Anfälle. Nur selten dürfte eine endgültige Beseitigung zu er¬
zielen sein.
Auf die Schwierigkeiten der Erkennung und Behandlung des Him-
abszesses, dem so viele Himverletzte zum Opfer fallen, kann hier nicht
eingegangen werden.
Die innere Behandlung der Epilepsie nach Kopfschuss ver¬
fügt nicht über viele Mittel. Die eüifachen Bromsalze helfen vorüber¬
gehend, werden aber auf die Dauer oft schlecht vertragen. Das in man¬
chen Fällen recht gut wirkende Luminal ist leider wegen seines hohen
Preises den Lazaretten nicht zugänglich. Mit dem mir von der her¬
stellenden Firma in liebenswürdiger Weise überlassenen Brom-Calciril
habe ich in allerletzter Zeit bei mehreren ziemlich schweren Fällen
einen deutlichen Erfolg mit bis zu 5 g erzielt.
Von dem günstigen Einfluss der Eisbehandlung habe ich mich nur
in einzelnen Fällen überzeugen können, in andern Fällen wird sie nur
ungern von den Patienten ertragen und wirkt weder auf die Allgemein-
erscheinungcn, noch auf die epileptischen Anfälle ein. Einen sehr be¬
drohlichen Eindruck macht die, in einzelnen Fällen wie ein Blitz aus
heiterem Himmel auftretende Häufung der epileptischen An¬
fälle, der Status epilepticus. Oft versagen hier Morphium und Chlo-
ral, dagegen kann die Lumbalpunktion fast sofortiges Aufhören
der Anfälle bewirken. Es genügt etwa 10—20 ccm Liquor zu entleeren,
je nach der Stärke des Druckes, unter dem er hinausströmt.
Ein sehr lästiges und verhältnismässig häufig vorkommendes Sym-
Digitized by Goiisle
ptom nach Kopfschuss ist die Beeinträchtigung des Schlafes.
Zahlreiche Patienten klagen dauernd über eine Erschwerung des Ein¬
schlafens, andere wieder über grosse Unruhe und schwere Träume,
sowie über häufig tinterbrochenen und ungenügenden Schlaf. Die nach¬
folgende Tabelle gibt ein Bild von der Häufigkeit der Schlafstörung.
Gut .15 Proz.
Wechselnd.35 ..
Schlecht.40 .,
Ohne Angabe .... 10 ,.
Zum Schluss möchte ich im Anschluss an meine in der ersten Ar¬
beit mitgeteilten Erfahrungen über die E r w e r b s f ä h i g k e i t der Hirn¬
verletzten darüber berichten, wie sich diese bei meinen früheren Pa¬
tienten im Laufe der verflossenen Jahre gestaltet hat. Es ergibt sich
aus der folgenden Tabelle, dass zweifellos eine gewisse Zunahme der
Leistunpfähigkeit eingetreten ist, wenngleich nur in geringem Umfange.
Ich weise darauf hin, dass 3 Proz. der Fälle sich heute als vollwertige
Arbeiter betrachten. Die Zahl der um */* Erwerbsbeschränkten hat sich
um fast die Hälfte vermindert, während die ganz Erwerbsunfähigen nach
wie vor nahezu 20 Proz. betragen.
VoU
*/.
H .
% .
0
3 Proz.
25 „
11 M
40
21 „
Im Hinblick auf die von anderer Seite veröffentlichten Untersuchungen
über das Verhalten des Blutdrucks bei Hirnverletzten, insbesondere aber
auf ihre von Poppelreuter verfochtene diagnostische Bedeutung
für die Erkennung der Epilepsie, habe ich im Laufe der letzten IK Jahre
das Verhalten des Blutdrucks bei meinen Hirnverletzten geprüft. Ueber
die Technik und die Anordnung der, nach den von Poppelreuter
aufgestellten Grundsätzen ausgeführten Versuche wird auf meine Ver¬
anlassung Segerath in einer demnächst erscheinenden Dissertation
berichten, deren Ergebnisse ich hier in Kürze erwähnen will.
1. Die Hirnverletzten scheinen im allgemeinen gegenüber dem Nor¬
malen einen leicht und dauernd erhöhten Blutdruck zu besitzen.
2. Die von Poppelreuter gefundene konstante Erhöhung des
maximalen palpatorischen Blutdrucks haben wir bei unseren epilep¬
tischen Hiraverletzten nicht festgestellt; sie weisen im Verhalten ihres
Blutdrucks gegenüber den nichtepileptischen keine deutlichen Unter¬
schiede auf.
Die Ergebnisse meiner Arbeit fasse ich in folgenden Sätzen zu¬
sammen.
I. Unter den Hirnverletzten, über die im Jahre 1917 von mir be¬
richtet wurde, hat die traumatische Epilepsie stark zugenommen, und
zwar .von 37 bis auf 61,7 Proz.
II. Diese mit der Zeit eintretende Zunahme der Epilepsie geht auch
aus der Feststellung hervor, dass unter den Patienten von 1914 und 1915
bis zu 52,6 Proz. Epileptiker waren, während ihre Zahl unter den im
Jahre 1916 Verwundeten nur 36 Proz. betrug.
III. Meine Annahme, dass Verletzungen des Scheitelhirns, besonders
häufig zu traumatischer Epilepsie führen, wird durch die Weiterverfol¬
gung der früheren Fälle und die Prüfung der neu hinzugekommenen
Hirnverletzten durchaus bestätigt.
IV. Die Häufigkeit der psychogenen Störungen bei Hirnverletzten
hat abgenommen.
Die Unterdrückbarkeit der Anfälle kommt nicht selten bei echter
traumatischer Epilepsie vor.
V. Eine Mischung psychogener und epileptischer Anfälle im Sinne
der Hystero-Epilepsie wurde nie festgestellt, wohl aber das Neben¬
einandervorkommen hysterischer und epileptischer Anfälle, sowie der
Uebergang des epileptischen Anfalles in eine hysteriforme Phase. •
VI. Ein sicheres Urteil über die Beeinflussbarkeit der traumatischen
Epilepsie durch den chirurgischen Eingriff habe ich auch heute noch
nicht gewinnen könilen.
VII. Beachtenswert ist die Häufigkeit und die Hartnäckigkeit der
Schlafstörungen bei den Hirnverletzten.
VIII. Es lässt sich eine geringe Steigerung der Erwerbsfähigkeit
bei meinen Hirn verletzten seit dem Jahre 1917 feststellen.
IX. Das Verhalten des Blutdrucks der epileptischen und nichtepi¬
leptischen Hirnverletzten weist keine charakteristischen Unterschiede auf.
Aus dem hygienischen Institut der, Universität Leipzig.
(Qeh. Rat Kruse.)
Beitrag zu Aetiologie der Zahnkariee.
Von Prof. A. Seitz.
Die zahlreichen Zusammenhänge zwischen sozfalhyglenischen Miss¬
ständen, allgemeinen Störungen in der Ernährungshygiene und der Zahn¬
karies, legen es auch dem Hygieniker nahe, sich mit dieser zu befassen.
Mit zu den ersten und ausserordentlich früh festzustellenden Zeichen
allgemeiner Rachitis zählen ja beispielsweise die Kieferrachitis und die
Zahnhypoplasien; dass diese selbst aber Karies begünstigen und sie mit¬
samt sozialhygienische Prüfsteine sind, zeigen uns mannigfache Er¬
hebungen. Zweifellos kann man beobachten, dass gute hygienische Ver¬
hältnisse und günstige soziale Lage einzeln für sich einen Einfluss auf
die Karies ausüben derart, dass sie ihre Frequenz verringern, wie dies
auch ans einer kürzlich veranlassten, noch nicht abgeschlossenen &-
hebung unter den Proletarierschichten Leipzig hervorgeht. Wenn man
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
361
mit steigendem Einkommen manchmal im Gegenteil eine Zunahme der
Karies feststellen kann, so beruht dies auf, die guten Einflüsse para¬
lysierenden, Verhältnissen, die in diesem Zusammenhang überhaupt sehr
kompliziert sind. Gerade die Zahnkaries hat sich in den letzten Jahren
In ausserordentlichem Masse in unserer Bevölkerung ausgebreitet; neben
indirekten Ursachen sind beachtenswert unmittelbare, wie solche der
Ernährung. So haben die interessanten Versuche W a 1 k h o f f s (d. W.
Nr. 31 Jg. 64) mit verschiedenen Mehlsorten und Zähnen gezeigt, dass
gerade stark ausgemahlenes Mehl infolge der darin enthaltenen grösseren
Menge Kleie, wodurch auch der Gehalt an Kleber urvd Stärke erhöht ist,
in Verbindung mit Speichel sehr viel mehr Säure und Karies bildet als
die feinen Mehlsorten. Nicht ohne Einfluss konnte der stark vermetlrte
Genuss von Kohlehydraten in Gestalt von Schockoladen und Zucker¬
waren bleiben, wozu sich möglicherweise auch noch die Folgen langer
Marmeladezeiten unseligen Angedenkens hinzugesellten. Die Annahme
eines chemisch-parasitären Prozesses in der Entstehung der Zahnkaries
bietet ja die gangbarste Erklärung. Aus Resten von Kohlehydraten der
an Retentionsstellen zurückgehaltenen Speisen wird durch gärungsfähige
Bakterien Säure gebildet, die das Zahngewebe entkalken und das
weitere Eindringen von Bakterien in das nunmehr entkalkte Gewebe
ermöglichen. Das Dentin fällt weiter der proteolytischen Wirkung der
bakteriellen Fermente anheim. War dem so, musste sich der unter nor¬
malen Verhältnissen in der Mundhöhle abspielende Prozess der Zahn¬
karies auch künstlich im Laboratorium wiederholen lassen. Auch wir
nahmen tadellos erhaltene Zähne von Individuen zwischen 18 und
55 Jahren, Zähne, an denen auch mit Lupenuntersuchung keine Ver¬
letzung zu finden war. Ueberzieht man die Zähne mit einer Wachs¬
schicht, an der man an gewissen Stellen Lücken ausspart, und bringt die
so vorbereiteten Zähne in eine Mischung von Brot und Speichel, so
kann man mit grösster Regelmässigkeit künstliche Karies hervorrufen.
Jeder Zahn verblieb in der ersten Mischung Brot-Speichel zunächst
ungefähr 7 Tage bei 37®, dann wurde die Mischung erneuert, derart, dass
die Hälfte des alten Gläscheninhaltes ersetzt wurde durch eine neue
Mischung gleicher Art. So wurden Verhältnisse geschaffen, die denen
in der Mundhöhle möglichst entsprechen, wo die Speiseteilchen und ihre
Zersetzurigprodukte Ja auch zum Teil stets wieder entfernt werden. Die
ersten Spuren von Karies zeigten sich an einem Schneidezahn, der mit
Hypoplasien ausgewählt worden war, wie zu erwarten, bedeutend früher
als bei den übrigen vollkommen intakten Zähnen, wo die unversehrte
Schmelzdecke erst zu überwinden war durch den Prozess. Schon nach
33 Tagen konnte hier Erweichung und Verfärbung festgestellt werden.
Nach 56 Tagen wiesen auch die übrigen Zähne Erweichungen auf.
Nach 124 Tagen zeigten sämtliche Zähne vollausgebildete Karies und
zwar an der willkürlich gewählten Stelle, sei es nun an der mit Schmelz
überzogenen oder am Zahnhals — überall dieselben ßilder der
Usurierung. Im histologischen Bilde kein Unterschied gegenüber der
natürlichen Karies: zahlreiche gefärbte Schliffe zeigen alle Abstufungen
derselben, beginnend mit der Karies des Zahnbeins bis zu der charak¬
teristischen unterminierenden Schmelzkaries.
Die Annahme, dass auch reichlicher Marmeladen- und Konfitüren¬
genuss neben dem Brot seinen Anteil an der weiten Verbreitung der
Karies hätte, wurde merkwürdigerweise nicht bestätigt. Während durch
Gemische Brot-Marmelade-Speichel nach annähernd der gleichen
Zeit Karies erzeugt wurde wie bei den Zähnen der ersten Versuchsreihe,
zeigten die lediglich in Marmelade und Speichel eingebrachten Zähne
noch nach 61 Tagen keine Veränderung. Die präformierten Säuren und
auch die Spuren von Fruchtsäuren der Marmeladen scheinen also ziem¬
lich irrelevant zu sein, was die Begünstigung etwaiger Karies angeht.
Ausschlaggebend musste indessen neben dem vergärungsfähigen Kohle¬
hydrat die Bakterienflora des Mundes sein, welche in toto durch die Ein-
speichelung diesem beigemengt wird. Fast alle Keime besitzen die
Fähigkeit, aus Traubenzucker und anderen Kohlehydraten, auch aus Poly¬
sacchariden, wahrscheinlich auch aus Eiweiss, Milchsäure zu bilden.
Produziert wird Linksmilchsäure, Hauptsächlich aber Rechtsmilchsäure,
wenn auch das Gärvermögen sehr ungleich ist,' während das parallel
damit gehende Produkt der Essigsäuregärung meist zurücktritt. Der
erreichte Säuregrad scheint nicht sowohl von der Wachstumskraft der
Bakterien noch von der Widerstandskraft gegen ihre eigne gebildete
Säure abzuhängen, sondern muss wohl auf einer hiervon unabhängigen
Aeussemng ihrer Lebensenergie, resp. ihres Enzyms, der Laktolase,
beruhen. Am kräftigsten ist das Milchsäuregärunjasvermögen aber aus¬
geprägt bei den Bakterien der sogen, spontanen Milchsäuregärung, den
Abarten des Bacillus aerogenes und den dem Pneumoniekokkus ver¬
wandten Spielarten des Streptococcus lacticus Kruse. Es fehlte noch der
Nachweis, dass auch Reinkulturen von Bakterien der Mundflora im¬
stande sind, kariöse Prozesse zu setzen. Zu dem Zwecke wurden aus
kariösen Zähnen^ verschiedene Stämme isoliert, teils Streptococcus
lacticus, teils Staphylokokken und Bac. aerogenes-Arten und in deren
Traubenzuckerbouillonkultur Zähne in ähnlicher Weise eingebracht, wie
früher. Hier bei den Reinkulturen sahen wir den kariösen Prozess nun
schon bedeutend früher auftreten. Bereits nach 32—38 Tagen sehen
wir ihn beginnen, und bis das Bild der Karies voll ausgeprägt war ver¬
gingen etwa 62 Tage, also gerade die Hälfte der Zeit, welche die in
die Mischung Brot-Speichel eingebrachten Zähne gebraucht hatten. Je
nach der Wahl der zuckervergärenden Bakterienspezies und der Menge
der dabei gebildeten Rechtsmilchsäure sowie je nach der Länge der
Einwirkung kann der kariöse Prozess mehr oder weniger Intensiv ge¬
staltet werden. In sterilen Traubenzuckerlösungen konnten Kontrollzähne
monatelang liegen, ohne irgendwelche Veränderungen aufzuweisen,
Digitized by Gotigle
Die Beweiskette, dass die Zahnkaries ganz überwiegend rein che¬
misch-bakteriellen Ursprung hat, ist somit durch die verschiedenen Ver¬
suche wohl geschlossen.
Ueber die Anwendung des Kehlkopfkugelverfahrens
in der Friedenspraxis.
(Beseitigung professioneller Phonasthenie und anderer lang*
dauernden funktionelleii Stimmstörungen.)
Von Dr. O. Muck-Essen.
Das von mir im vergangenen Krieg ersonnene und an einer sehr
grossen Zahl von Fällen von funktioneller Stimmlosigkeit und seelischer
Stummheit mit Erfolg angewandte Kugelvcrfahren U hat vielfach erfolg¬
reiche Nachahmung von seiten einiger Fachkollegen gefunden. Be¬
stimmend für sie war wohl der unmittelbare Erfolg, der bei anderweitigen
herkömmlichen Behandlungsarten ausgeblieben war ^). Es war natürlich
naheliegend, den Kunstgriff, der bei. kriegsneurotischen Stimmstörungen
sich als brauchbar — cito et iucunde — erwiesen hatte, auch bei funktio¬
nellen Stimmstörungen in der Friedenspraxis anzuwenden. Dazu bot sich
mir begreiflicherweise oft Gelegenheit und über die Erfahrungen, die
ich auf diesem Gebiet gemacht habe, sei hier kurz berichtet.
Nicht allein Störungen der Stimme, die sich in Belegtsein, Heiserkeit
und Tonlosigkeit äusserten, wenn genannte Erscheinungen auf funktionell
bedingtem unvollständigen Stimmbandschluss zurückzufiihren waren und
Jahre- und jahrzehntelang bestanden, lassen sich erfolgreich
und dauernd beseitigen, auch die berufliche Stimmschwäche, die echte
Phonasthenie, bietet ein dankbares Behandlungsgebiet. Ich bin darauf
gefasst, dass massgebende Fachärzte mit meinem Beginnen nicht einver¬
standen sind, dass nämlich die Kugel in das stimmbildende Organ eifies
Schauspielers oder gar eines Sängers eingeführt werden soll. Die Be¬
denken, die etwa erhoben werden, sind rein theoretischer Natur. Es
kommt allein auf den Erfolg an. Stimmberuflich Geschädigte, die den
Wohlklang ihrer Stimme wieder vernahmen, erheben laut Einspruch
gegen derartige ängstliche Erwägungen.
Sängern, Predigern, Lehrern, Schauspielern, überhaupt Patienten
gegenüber, die kurz oder lang stiramberuflich, ohne organische Verände¬
rungen im stimmbildenden Apparat beeinträchtigt sind, wird man, wenn
sie sich in Behandlung begeben und, wenn das Kugelverfahren an¬
gewandt werden soll, nicht lange Auseinandersetzungen über die Art
der Erkrankung und über die Technik der Behandlungsart machen, son¬
dern etwa von einer einmaligen, kurzen Massage des Kehlkopfs
im Innern sprechen. Die Tatsache, dass bei den beruflich Geschädigten
das stimmbildende Organ in engster Beziehung zu der Psyche des Stimm¬
bildners steht, ist wohl zu beachten. Wenn die Störung beseitigt ist,
der Patient den Erfolg selbst feststellt, dann ist das Spiel gewonnen. Hier
spielt die psychotherapeutische Kunst bei der Beseitigung des „Hals-
leidens“ eine wichtige, aber nicht schwierige Rolle. Ein Beispiel sei
hier angeführt:
Ein Sänger kam nachmittags aufgeregt in mein Sprechzimmer. Er war
in der Probe in einer wichtigen Rolle plötzlich heiser geworden. Er war schon
vorher „indisponiert“, weil er eine Absage von einem andern Theater er¬
halten hatte und am Abend desselben Tages in einer Nachbarstadt „Probe“-
singen sollte. Befund; Stimme rauh, heiser, mit tonlosen Intervallen. Kehl¬
kopfbild bd Versuch der Intonation: Offenstehen der Knorpelgiottis. Sofortige
Einführung der Kugel, wodurch vollständiger Qlottisschluss und wohltönende
Stimme erreicht wurde. Er sang am selben Abend mit grossem Erfolg und
war mir sehr dankbar. Die Stimme blieb in der Dauer gut. Probatura est.
In diesem Fall hätte man mit langdauernden Stimmübungen geschadet. Der
eben geschilderte Fall bedarf wohf keines Kommentars.
Es ist zu bedenken, dass bei Anwendung des Kugclverfahrens, wenn
es nicht roh ausgeführt wird, eine Verletzung ausgeschlossen ist, dass
der Erfolg erzielt wird durch Auslösung des Stimmreflexes
unter Beteiligung sämtlicher Kehlkopfmuskein in
ihrem koordinierten Zusammenwirken, und darauf kommt
es allein an. Die Parästhesie des Fremdkörpergefühls, die den Patienten
vorübergehend beschäftigt ist kurzdauernd und verschwindet nach kurzer
Belehrung
Dass auch jahrelang bestehende professionelle Phonasthenie mit der
Kugel beseitigt werden kann, das zeige folgender Fall:
H. R., Leiter eines grossen industriellen Unternehmens, 40 Jahre alt,
musste als Offiziersaspirant seine Laufbahn aufgeben, weil vor 20 Jahren
seine Stimme durch Ueberanstrengung beim Kommandieren versagte. Er er¬
müdet sehr schnell beim Sprechen, die Stimme ist belegt, wird heiser, schliess¬
lich tonlos, kann nicht singen und telephonieren; bei Aufregungen versagt die
Stimme ganz. Kehlkopfuntersuchung: Beim Phonationsversuch das Bild der
Internusparese. Sonst o. B. Nach einmaligem Einführen der Kugel Stimme
klar laut, sagt spontan: „Das ist aber ganz anders“. Laryngoskopisch jetzt
vollständiger Stimmbandschluss. Er telephoniert mich am nächsten Tag mit
gut verständlicher Sprache an, erzählt, dass seine altersschwerhörige Mutter
ihn seit langer Zeit wieder verstehen könne, dass dem Schreibmaschinen¬
fräulein die laute Stimme auffiel, dass er beim Diktieren nicht mehr ermüde
usw. Der laut sprechende Patient berichtet nach einem Jahr, dass er mit
dem Erfolg sehr zufrieden sei, dass auch längere Vorträge ihn nicht aiistreng-
ten. Das Kehlkopfbild war normal. Interessant ist in diesem Fall, dass an
dem Stimmbandspanner organische Veränderungen nicht eingetreten waren.
*) M.m.W. 1916 Nr. 12, Nr. 22, Nr. 41, 1917 Nr. 5, Zschr. f. Ohrhlk. 74.
Heft 3.
Nadoleczny: Ueber funktionelle Stimmstörungen im Heeresdienst.
Arch. f. Laryng. u. Rhinol. 31. 2. H,
4*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
362
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Einen Misserfolg erlebte ich bei einem 45 jährigen Phonastheniker,
dessen Stimmstörung seit 30 Jahren bestand. In diesem Fail sind wohl
muskuläre Veränderungen anzunehmen. Das Kugelexperiment kann also
als Hilfsmittel angewendet werden, um die Diagnose ex juvantibus zu
stellen.
Weiterhin behandelte ich eine grosse Anzahi teils leichterer, teils
schwererer Grade von funktioneller Aphonie, auch nicht kriegsneurotischer
Art mit der Kugel Erstere von einigen Tagen, Wochen oder Monaten
Dauer waren von vornherein als leichtbeeinflussbar anzusehen und das
Symptom war schnell beseitigt. Ich konnte mich aber überzeugen, dass
auch Stimmstörungen, die sich in Stimmlosigkeit äusserten, nach jahre¬
langem Bestehen im Nu mit dem Kugelverfahren beseitgt werden konn¬
ten. Unter diesen waren Personen, die 7, 9, 12 und 20 (!) Jahre stimm¬
los waren und durch das Kugelverfahren auf die Dauer geheilt wurden.
Um einen objektiven Anhaltspunkt für die Beurteilung des Behand¬
lungserfolges zu gewinnen, wurden die Patienten angchalten, ihrer Um¬
gebung von der vorgenommenen Behandlung nichts zu berichten. Die
klare und laute Stimme fiel Angehörigen, Mitarbeitern usw. spontan auf.
Um die Dauerhaftigkeit des Erfolges zu kontrollieren wurden die Patien¬
ten nach K—1 Jahr wieder bestellt* und sofort nach Vorzeigen der Auf¬
forderungskarte Bemerkungen über die Bescljaffenheit der Stimme ge¬
macht: Die Stimme der Betreffenden war durchweg
laut geblieben. Vor allem waren die früheren Stimminvaliden
selbst mit dem Erfolg sehr zufrieden und brachten keine Klagen
mehr vor.
Eine seit 7 Jahren durch Pflege ihrer an Kehlkopftuberkulose leidenden
Schwester aphonisch gewordene 40 iährige Frau (laryngoskopisch: Bild der
Internusparese) bekam nach der Behandlung ihre klare Stimme wieder und
gab an, dass sie in der Kirche wieder singen konnte, was ihr vorher un¬
möglich war.
Eine Qesangschülerin, die über schnelle Ermüdbarkeit der Stimme und
Aultreten eines Nebengeräusches beim Singen klagte, wies im laryngoskopi-
schen Bild eine geschlängelte Stimmritze auf. Nach der Kugelbehandlung
Stimmbandschluss. Sie berichtete, dass das Nebengeräusch verschwunden
sei, dies sei auch von Zuhörern festgestellt worden; besonders freue sie sich
über die Klarheit der Mittellage.
Alle behandelten Patienten gaben an, dass das Sprechen jetzt „leich¬
ter“ sei.
Ein Mann von 30 Jahren, der seit dem 10. Lebensjahr nach Masern
dauernd eine auffällig belegte Stimme, hatte (Kehlkopfbild, Internusparese),
spricht klar und laut, (vollständiger Stimmbandschluss) teilt mir nach
4 Wochen mit, dass seinen Angehörigen die Aenderung sofort auf¬
gefallen war, die von der Behandlung nichts wussten, dass er seine Stimme
anders im Ohr höre und an seinem Trommelfell spüre. Er könne jetzt schreien
und singen, was früher unmöglich gewesen sei. Also liess sich nach 20 Jahren
die phonasthenische Stimme beseitigen, und zwar in der Dauer.
Dass das sog. verlängerte Mutieren der Stimme im Pubertätsalter
der Jünglinge schnell und dauernd beseitigt werden kann, sah ich an
einem zweiten Fall. Ueber den ersten vergleiche die bei J. F. Berg¬
mann-Wiesbaden erschienene Abhandlung®). Da solche Stimmstörung
in dieser kritischen Zeit für die psychische Entwicklung bei jahrelangem
Bestehen nicht gleichgültig ist und die bis dahin herkömmliche Behand¬
lung nur eine allmähliche Besserung bringt, empfehle ich mein Verfahren.
L. K., 19 Jahre alt, macht einen auffällig schüchternen Eindruck, spricht
mit hoher, lächerlich klingender Stimme — vox enuchoide —. Seminarist!
Ist von Vorträgen, Gesangsunterricht dispensiert, weil seine Mitschüler über
ihn lachten, wenn er sprach oder singen wollte. Falsettspalt. Vollständiger
Olottisschluss durch einmalige Anwendung der Kugel und die Männerstimme
erscheint und bleibt in der Dauer (2 Jahre beobachtet). Also auch hier eine
sofortige und bleibende Umstimmung wie im ersten Fall. Eltern, Lehrern und
Mitschülern fiel die Veränderung in der Stimme sofort auf. Dankesbrief der
Eltern nach einem Jahr.
Zum Schluss sei folgender interessante Fall mitgeteilt, der mir von
einem Fachkollegeti von auswärts zugewiesen war: .
Ein 17 jähriges Mädchen wurde im Anschluss an eine Mandeloperation
stimmlos. Bild der Traiisversusparese nach dem Bericht. Das von 2 Seiten
angewandte Kugelverfahren brachte nicht den gewünschten Erfolg. In statio¬
närer Beobachtung ergab sich folgender Befund: Bei spontanem Sprechen
und auch bei der Aufforderung zu sprechen, bringt die Patientin den
Thorax, ohne vorher zu Inspirieren, in Exspirationsstellung. Das „Sprechen'*
geht tonlos vor sich. Es entstehen schmatzende Geräusche von Seiten
der Lippen und Zunge und die jeweils in der Mundhöhle ’vtorhandene Luft
wird zum Sprechen benutzt. Nach tiefem Inspirieren wiederholt sich der
Vorgang. Bei ruhiger Atmung ist deutliches Nonnensausen zu hören. Dies
verschwindet beim oben geschilderten Sprechversuch, um in den Sprech¬
pausen wieder hörbar zu werden. Hieraus folgt, dass während des Sprechens
keine Luft durch die Stimmritze entweicht.
Nachdem Patientin unterwiesen wird, vor jedem Wort zu inspirieren
und die Aspirata vorauszuschicken, verwandelt sich die Dysphonia spastica
oralis, wie ich diese Stimmstörung, die ich einige Male während des Krieges
beobachtet habe, nennen möchte, in eine echte funktionelle Aphonie. Nachdem
Patientin einige Tage so mit normaler Atmung aphonisch gesprochen hatte ^)
und das Bild des unvollständigen Stimmbandschlusses zeij^e (Bild der Läh¬
mung sämtlicher Adduktoren), gelang das Kugelexperiment sofort. Der Fall
zeigt, dass solange die Dysphonia spastica bestand, das Kugelexperiment nicht
mit Erfolg anwendbar war, sondern erst, als diese in eine reine funktionelle
Aphonie umgewandelt wurde.
Die Stimmstörung hatte über ein Vierteljahr gedauert. Das Mädchen war
dadurch in eine erhebliche Gemütsverstimmung gekommen, die mit dem Er¬
scheinen der Stimme ins Gegenteil umschlug.
®) Muck: Beobachtungen und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet
der Kriegsneurosen der Stimme, der Sprache und des Gehörs. Wiesbaden,
J. F. Bergmanns Verlag. 1918.
•) Das Nonnengeräusch war nunmehr auch beim Aphonischsprechen
kontinuierlich.
Digitized by Goiisle
Der Zweck dieser Mitteilungen ist, eine Anregung zu geben, mein
Verfahren da, wo es angezeigt erscheint, d. h. wenn funktionell bedingt
eine wenn aucn noch so lang bestehende, durch unvollständigen Glottis¬
schluss bedingte Stimmlosigkeit vorliegt, zu versuchen. Da noch scharen¬
weise durch den Krieg funktionell Stimmgestörte, die in ihrem Beruf
durch den Stimmausfall geschädigt sind, ungeheilt umherlaufen, sind auch
für die Beratungsstellen der Kriegsbeschädigten, die Versorgungsänfler,
meine Mitteilungen wohl von Interesse. Stimmberuflich geschädigten
Patienten kann meiner Erfahrung nach in vielen Fällen noch geholfen
werden, in denen bis dahin ein Erfolg mit Hilfe der gebräuchlichen Mit¬
tel nicht zu erwarten ist. Es kommt auf den Versuch an, der richtig
aufkeführt, nicht schaden, wohl aber einen unerwarteten Erfolg bringen
kann. _
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Bonn.
(Direktor: Qeheimrat v. Franque.)
Ein einfaches ionisationsinstrument fUr das Rüntgen-
zimmeir.
Von Privatdozent Dr. Heinrich Martins, 1. Assistent
der Klinik.
In der Röntgentiefentherapie macht sich das Fehlen eines Ionisations-
Instrumentes, das der Allgemeinheit zugänglich ist, immer störender
bemerkbar. Unter den vielen Aerzten, die Tiefentherapie betreiben, sind
nur ganz vereinzelte in der Lage, lonisationsmessungeri auszuführen.
Aber wohl alle Röntgentherapeuten empfinden es als erheblichen Mangel,
sich nicht selber davon überzeugen zu können, wieviel von der der Haut
applizierten Röntgenstrahlenenergie in den verschiedenen Gewebstiefen
noch vorhanden ist, und auf die Angaben der grösseren Institute und
Firmen angewiesen zu sein. Diese Angaben beziehen sich immer nur
auf eine ganz bestimmte Betriebsweise, die dann eingehalten werden
muss, wodurch ein die Weiterentwicklung der Methodik hemmender
Schematismus zustande kommt.
Was die Kritik der nicht auf dem Vorgang der Ionisation beruhenden
Röntgenstrahlenmessmethoden, die sich,im Gebrauch befinden, anbetrifft,
genügt es, auf die zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Zeit über
diese Frage hinzuweisen. Wir wissen, dass die aur photochemischen
Reaktionen beruhenden Messmethoden (Kienböckstreifen und Sabouraud-
Noiretabletten) wegen ihrer geringen Empfindlichkeit gegenüber harten
Strahlen für die Tiefentherapie nicht in Betracht kommen. Auch die von
Baumeister0 erdachte, physikalisch korrekte Methode zur Bestim¬
mung der prozentualen Tiefendosis vermittelst Kienböcksfreifen führt
nicht zum Ziel. Nach Baumeister vergleicht man den Schwärzungs¬
grad mehrerer, verschieden lang belichteter, an ^ der Oberfläche eines
Wasserkastens angebrachter Streifen mit einem unter 10 cm Wasser
belichteten. Aus der Belichtungszeit des tiefen Streifens und des mit
diesem gleich geschwärzten Oberflächenstreifens wird nach einem ein¬
fachen Ansatz die Tiefendosis in Prozenten errechnet. Wenn alle
Streifen von derselben Emulsion stammen, gleichzeitig entwickelt und
nur unter sich verglichen .werden, vermeidet man die Entwicklungsfehler
und die Fehler, die in der Ungleichheit verschiedener Emulsionen liegen
können. Wir haben in zahlreichen Versuchen die Methode für den prak¬
tischen Gebrauch auszunutzen uns bemüht. Immer wieder wurde die
Genauigkeit der »Resultate durch die Unsicherheit in der Ablesung des
Schwärzungsgrades beeinträchtigt *).
Das verbreiitetste Messinstrument ist das Intensimeter von
Fürstenau, das auf der Widerstandsänderung des Selens durch
Röntgenstrahlen beruht. Das Selen hat die Eigentümlichkeit, im Dunkeln
den elektrischen Strom schlechter zu leiten, als wenn es von Licht- oder
Röntgenstrahlen getroffen wird. Die Widerstandsänderung des Selens
ist aber nicht konstant, sondern lässt während der Belichtung allmählich
nach. Die sogen. Ermüdungserscheinungen des Selens sind aber bei
längeren Messui>gen nur schwierig zu eliminieren. Abgesehen von
diesem prinzipiellen Fehler teilt das Intensimeter mit den oben genannten
Messmethoden den Nachteil der zu geringen Reaktionsfähigkeit gegen¬
über den harten Strahlen. Unser Instrument, das die Firma mit einer
neuen, hochempfindlichen Selenzelle ausgerüstet hat, schlägt bei 23 cm
Fokusoberflächenabstand und 13proz. mit 1,0 Zn. und 1,0 Al. gefilterter
Strahlung in 10 cm Wassertiefe nur bis etwa zum Skalenteil 1 aus, so
dass eine genaue Ablesung und Berechnung der Tiefendosis nicht mögMch
ist. Bei weicheren Strahlen ist das Instrument, wenn man die Er¬
müdungserscheinungen berücksichtigt, zur schnellen Orientierung über die
Konstanz des Betriebes und die relativen Intensitäten durchaus brauchbar.
Ganz zu verwerfen sind die genannten Methoden für vergleichende
Messungen von Strahlen ungleicher Wellenlänge wegen der Diskrepanz
des Absorptionsvermögens der benutzten Reagenzkörper gegenüber dem
Absorptionsvermögen von Wasser bzw. Gewebe bei verschiedenen
Strahlenhärten.
Auf die Forschungen von K r ö n i g und Friedrich®), die darauf
abzielten, die Ionisation der Luft durch Röntgenstrahlen für die in der
Therapie benutzten Wellenlängen nutzbar zu machen, soll hier ebenfalls
nicht näher eingegangen werden. Es wurde von den genanntem Autoren
gezeigt, dass in einer Ionisationskamme>r, sofern sie nur aus niedrig
^ Ther. d. Qegenw., Januar 1919.
®) Dissertation von Kothen, Bonn. 1920.
®) Sonderheft der Strahlentherapie 1919.
, Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
25 . März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
363
atomigen Stoffen (Horn, Holz, Zelluloid usw.) besteht, der Grad der
Leitfähigkeit proportional ist der Menge der absorbierten Strahlen¬
energie, da die Absorption von Strahlen verschiedener Wellenlänge in
der Luft und im Wasser bzw. Gewebe annähernd parallel geht. Dabei
muss allerdings die Grösse der Messkammer berück¬
sichtigt werden. Kleine Kammern messen, wie von Holthusen*)
gei^eigt wurde, die harten Strahlen zu niedrig, so dass für Messungen
von Strahlen verschiedener Wellenlänge eine gewisse Dimensionierung
der Kammer verlangt w'erden muss. Für Messungen von Strahlen
gleicher Wellenlänge, also auch bei Tiefenmessungem praktisch homogen
gefilterter Strahlen ist die kleine, niedrig atomige Ionisationskammer
einwandfrei.
Durch die Feststellungen von Friedrich und K r ö n i g war die
wissenschaftliche Orundlagei für eine physikalisch fehlerfreie Strahlen¬
messung geschaffen. Ihre Rückwirkung auf die Strahlentherapie blieb
nicht aus. Die grossen Fortschritte, die wir in der Verwendung der
Röntgenstrahlen für Heilzwecke in den letzten Jahren beobachten
konnten* verdanken wir in erster Linie der Möglichkeit physikalisch
exakter Messungen.
Aber die lonisationsmessungen selbst kamen aus
dem Laboratorium nicht heraus. Nur in den Forschungs¬
instituten und in e'inigen wenigen klinischen Anstalten wurden sie bisher
ausgeführt. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind rein äusserlicher
Art. Zurzeit gibt es auf dem Markt kein lonisationsinstrument, dessen
Anschaffungskosten das an und für sich schon sehr belastete Budget des
praktischen Röntgenbetriebes nicht weit übersteigt. Das einzige liefer¬
bare und nicht allzu teure, auf Ionisation beruhende Messinstrument ist das
ausgezeichnet durchgearbeitete Elektroskop nach Dessauer®).
Es ermöglicht exakte Härtemessungen und die Feststellung der prak¬
tischen Homogenität. Für den praktischen Betrieb hat es jedoch den
Nachteil, dass es zu Messungen der prozentualen Tiefendosis, also zu
Tiefenmessungen, die die Streuzusatzstrahlung berücksichtigen, nicht be¬
nutzt werden kann. Letztere müsste vielmehr erst auf Grund des Streu¬
koeffizienten und unter Berücksichtigung der Feldgrösse errechnet oder
von mitgelieferten Tabellen, von denen wir ja gerade unabhängig werden
wollen, abgelesen werden.
Das Wichtigste für den Tiefentherapeuten ist, selber feststellen
zu können, welche prozentuale Tiefendosis (W i n t z) bei den ver¬
schiedenen Apparaten, Betriebsweisen, F^ldgrössen und Abständen in den
verschiedenen - Tiefen noch vorhanden ist. Wir messen seit geraumer
Zeit mit einer nach den Friedrich sehen Angaben hergestellten kleinen
Kammer, die auf einWu 1 f schesZweifadenelektrometer®) auf¬
gesetzt ist. Es war nun unser Bestreben, das Instrumen¬
tarium möglichst zu vereinfachen und handlich zu ge¬
stalten, um die lonisationsmessungen weiteren
Kreisen der Röntg^nologen zugänglich zu machen.
Dazu musste zunächst das Fadenelektrometer fallen gelassen werden, da
es eine sehr lange «Lieferzeit hat und zu teuer ist. Festgehalten wurde
an der kleinen Kammer, da man mit ihr im Wasserphantom messen kann.
Auf die Messungen in absoluten Einheiten musste damit allerdings ver¬
zichtet werden; sie kommen aber für^den Praktiker vorläufig doch nicht
in Betracht.
So entstand durch Kombination der F r i e d r i c h sehen Kammer mit
einem Blättchenelektroskop ein Instrument das den Vorteil hinreichend
genauer Messresultate mit dem der geringen Herstellungskosten ver¬
einigt. Es soll im folgenden kurz beschrieben werden’).
Das Instrument (siehe halbschematische Abbildung) besteht 1. aus
dem eigentlichen Messinstrument 2. einer Aufladevorrichtung mit Hart-
gummistab und Katzenfell und 3. einem Wasserkasten.
I. Das Messinstrument.
» Wegen der Schwierigkeit der Materialbeschaffung wurde für die nach
v” F J i e d r i c h sehen Angaben hergestcllte Messkammer anstatt Horn
Zelluloid and anstatt Bernstein ein Schwefelausguss gewählt. Die Seele der
Kammer reicht bis in einen Bleikasten und dient als Träger des Aluminium-
hldttchens. Gemessen wird mit nach unten gerichteter Kammer, um diese
an jeder Stelle des nach oben offenen Wasserkastens direkt in das Wasser
*) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. Bd, 26 H. 3 und Fortschr. a. d.
^eb. d. Röntgenstr., Grebe-Martius, Heft 5, 1920.
Digitizedby Goiisle
hineinbringen zu können. Das Zusammenfällen des Blättchens wird durch
eine Spiegelvorrichtung parallaxenfrei an einer Skala abgelesen und dadurch
das Fernrohr gespact. Besonders zu berücksichtigen war der Schutz des
Instrumentes gegen elektrostatische Beeinflussung und ungewollte Strahlung.
2. Die Aufladevorrichtung.
Die Aufladevorrichtung besteht aus einem an der Bleikastenwand an¬
gebrachten Hebelsystem, durch das Reibungselektrizität in das Instrumen-
Urium hineingebracht wird, so dass sich das Blättchen von seinem Träger
äbspreizt. Trifft nun Röntgenlicht die Ionisationskammer, so wird die Luft
zwischen der Seele und der innen graphitierten Zelluloidhülle der Kammer
leitend und die vorhandene Aufladung wandert durch das geerdete Instrument
ab. Dabei sinkt das Blättchen allmählich abwärts, und zwar entspricht die
Zeit^ die es für die Durchwanderung bestimmter Skalenteile braucht, der
Menge der in der Kammer absorbierten Strahlenenergie.
3. Der Wasserkasten.
Derselbe hat die Masse 20 X 20^ 20 cm, um die volle Streustrahlung
auszunutzen. Kleinere Feldgrössen können durch Bleigummiblenden leicht
hinzugefOgt werden. Bei der Messung wird das Instrument am besten so
aufgestcllt, dass man in der in jedem RÖntgenzimmer vorhandenen Blei¬
schutzwand ein womöglich mif Schiebetür versehenes Fenster von 10 X 10 cm
anbringt und die gekippte Röhre mit Filter auf der einen Seite, den Wasser¬
kasten mit dem Messinstrument auf der anderen Seite des Fensters aufstellt
mit einem Fokuska.mmerabstand von sagen wir 30 cm.
Die Messung der prcrzentualen Tiefendosis wird so
ausgeführt, dass die Ablaufzeit des Blättchens einmal an der Oberfläche
des Wasserkastens (to) und einmal in 10^ cm Tiefe des Wasserkastens
(tio) mit der Stoppuhr festgestellt wird. Dann ist ^ 100 gleich der
prozentualen Tiefendosis in 10 cm Tiefe bei einem Fokushautabstand von
30 cm.
Da die Kammer an jede Stelle des Wasserkastens gebracht werden
kann, erlaubt das Instrument auch Messungen über die räumliche Ver¬
teilung der Dosen. Bel der Messung der Oberflächendosis muss der
Wasserkasten an der Kammer stehen, da auch an der Oberfläche Streu¬
strahlen wirksam sind.
Neben der prozentualen Tiefendosis ist für den Praktiker wichtig
zu wissen, ob genügend gefiltert ist; d. h. ob die praktische
Homogenität seiner Strahlung durch die Filterung erreicht ist.
Diese Feststellung geschieht am einfachsten dadurch, dass man die Fil¬
terung vermehrt und nachsieht, ob eine Verbesserung der prozentualen
Tiefendosis zustande kommt, indem man also, noch einmal wie oben
misst.
Die Messung der praktischen Homogenität kann aber auch durch
reine Abschwächungsmessungen gemacht werden, indem man nach
Dessauer*) mit verschiedenen Zusatzfiltem (2mal 10 mm Aluminium)
misst und die Quotienten der Ablaufszeiten, vergleicht. Solche Messungen
sind aber mit der kleineai Kammer nicht ganz korrekt, da Strahlen ver¬
schiedener Härte verglichen werden. Der in der kleinen Kammer
liegende Fehler ist aber so gerichtet, dass durch ihn der Homogenitäts-
punkt nach der Seite stärkerer Filterung hin verschoben wird, so dass
die Gefahr einer zu geringen Filterung nicht vorliegt.
Durch Abschwächungsmessungen in Aluminium könner ferner Härte¬
bestimmungen vorgenommen werden, indem vor und nach Durchgang
durch 10 mm Aluminium gemessen und nach der Dessauer sehen
Kurve *) die prozentuale Absclnvächuilg in 1 cm Gewebe abgelesen wird.
Diese Messungen sind bei praktisch homogen gefilterten Strahlen auch
mit der kleinen Kammer einwandfrei, da nur verschiedene Intensitäten
gleich harter Strahlen verglichen wer^den. Wenn wir unser
Instrument zu solchen Messungen benutzen, blenden wir das
Strahlenbündel mit einer Bfeiblende so weit aus. dass nur
die Kammer getroffen wird. Derartige Messungen
wurden mit dem Dessau ersehen Elektroskop
kontrolliert und führten zu denselbenRe-
s u 11 a t e n.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Messungen
mit dem beschriebenen Instrumentarium grosse Sorgfalt und
eine gewisse Uebung erfordern. Ihnen haften die
Schwierigkeiten einer jeden elektroskopischen Messung an.
Es sind erfolgversprechende Versuche im Gange, die Blätt¬
chenablesung durch eine einfache Fadenablesung zu er¬
setzen*®). Vorläufig muss die durch die Blättchenablesung
bedingte Unsicherheit durch eine genügende Zahl von Ab¬
lesungen ausgeglichen w^erden. Für jede Messung ist der
Durchschnittswert von mindestens 5 Ablesungen zu nehmen.
Dann gelingt es, die Messfehler so weit herabzudrücken,
dass sie gegenüber den Schwankungen in der biologischen Reaktion der
Gew ebe vernachlässigt w^erden können.
®) Veifa-Werke, Frankfurt a. M
•) Firma Günther & Tegetmeier, Braunschweig.
’) Prof. Grebe: Physikal. Institut Bonn, hat mich beim Ausbau des
Instrumentes in der liebenswürdigsten Weise unterstützt und beraten. Die
Ausführung des Instrumentes übernahm der Mechaniker des Physik. Instituts,
Eduard Günther - Bonn, der auch für die Herstellung weiterer Exemplare
gerne zur Verfügung steht. Die Herstellungskosten betragen etwa 800^—900 M.
*) Arch. f. Gyn. Bd. 3 H. 2.
•) 1. c. S. 70.
*®) Anmerkung bei der Korrektur; Das ist inzwischen ge¬
schehen; siehe Grebe, Zschr. f. Physik 1921.
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
364
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Aus der orthopädischen Universitäts-Poliklinik München.
(Direktor: Qeheimrat Dr. FritzLange; Oberarzt: Privat¬
dozent Dr. Franz Schede.)
Faziale Asymmetrie als Frühdiagnostikum zerviko-
dorsaler Skoliosen.
Von Herbert Alfred Staub, Assistenzarzt der Klinik.
Die faziale Asymmetrie hat als Symptom bei- der Diagnose der
Skoliosen verschiedentlich Beachtung gefunden. Eine Zahl von Autoren,
namentlich Schul thess, hat die faziale Asymmetrie im Verein -mit
der kranialen Asymmetrie als Symptom bei der kongenitalen Skoliose
beschrieben, eine Ansicht, der Putti in letzter Zeit widersprochen hat.
Es sind nun an der hiesigen Poliklinik auf Orund des reichhaltigen
Skoliosenmaterials Untersuchungen über die faziale Asymmetrie an¬
gestellt worden, bei denen sich ergeben hat, dass die Frage der fazialen
Asymmetrie hierbei doch eine grössere Rolle spielt, als man bisher
anzunehmen geneigt war. Bei der Differentialdiagnose zwischen
muskulär bedingter und ossärer Skoliose hat sich die faziale Asymmetrie
als gutes Differentialdiagnostikum bewährt. Es hat sich nämlich ergeben,
dass in den Fällen von muskulär bedingten Skoliosen, z. B. bei dem
„unsicheren Haltungstyp“, die faziale Asymmetrie fehlt während sie
in allen Fällen ossär bedingter Skoliosen vorhanden Ist Mit der stär¬
keren Ausbildung einer zervikalen oder zervikodorsalen Krümmung steigt
auch die faziale Asymmetrie. Sie ist zugleich der Indikator für das
längere oder kürzere Bestehen einer zervikalen oder zervikodorsalen
Skoliose. Wir haben die Messungen der fazialen Asymmetrie in
der Weise ausgeführt dass wir uns auf der Haut des Kinns die Höhe
der durchpalpierten Protuberantia mentalis durch einen feinen Punkt mit
dem Dermographen markierten und diesen Punkt gegen den Angulus
oculi lateralis beider (iesichtshälften massen. In Fällen leichter zervi¬
kaler Skoliosen haben wir Differenzen von 0.4 bis 1 cm, in schweren von
1—2 cm beobachten können. Die Messungen lassen sich mit einem
Zirkel, dessen Spitzen in feine Kugeln auslaufen, um Verletzungen des
Auges zu verhindern, messen. Man trägt die so gefundene Distanz
auf einem Zentimetermass mit Zentimeter- und Millimetereinteilung ab.
Für diese Zwecke ist das Leyden sehe Aesthesiometer oder eine von
uns angegebene Modifikation des C o 11 i n sehen Beckenzirkels *), jedoch
mit Millimeterablesung, geeignet. Bei der Messung ergibt sich unter
normalen Verhältnissen ein gleichschenkeliges Dreieck, dessen Basis die
Verbindungslinie der beiden Anguli oculi laterales und dessen Schenkel
die Verbindungslinie der Anguli oculi laterales mit dem mentalen Mar¬
kierungspunkte bildet. Bei einer zervikalen und zerviko-dorsalen
Skoliose wird dieses gleichschenkelige Dreieck in der Weise modifiziert,
dass der konvexen Seite der Krümmung der längere Schenkel des Drei¬
ecks entspricht.
Aus der Heidelberger Kinderklinik.
Die Perkutanreaktion mit diagnostischem Tuberkulin.
Von Prof. E. Moro.
In meiner ersten Abhandlung über diagnostisches Tuberkulin (d.
Wschr. 1920 Nr. 44) wurde bereits mitgeteilt, dass an obiger Klinik auch
über die Perkutanreaktion, die angesichts der misslichen Tuberkulin¬
verhältnisse sehr hilfsbedürftig ist. Untersuchungen im Gange sind. Sie
haben ergeben, dass die Einreibung mit diagnostischer
Tuberkulinsalbe der kutanen Impfung nach Pirquet
an Empfindlichkeit nicht nachsteht. Unsere Resultate
deckten sich vollkommen mit jenen der Hautimpfung. Wir beobachteten
bisher keinen Fall, der auf Einreibung negativ, auf Pirquet hingegen
positiv reagierte. Wer die Einreibung in die Haut (Brust oder Bauch)
der Impfung vorzieht, kann nunmehr beruhigt diese Methode anwenden.
Die Salbe wurde mit dem neuen diagnostischen Tuberkulin (d. T.)
hergestellt und zwar bediente ich mich zur \veiteren Verstärkung mit
Vorteil der Einengung nach Hamburger und S t r a d n c r (d. Wschr.
1919 Nr. 16). Während jedoch diese beiden Autoren ihr (Wiener) Tuber¬
kulin bis zur Gewichtskonstanz eindampften, wobei eine zähe, harz-
ähnliche Masse resultierte, durften wir uns mit der Einengung bis zur
Hälfte des ursprünglichen Volumens begnügen. Dieses doppelt konzen¬
trierte d. T. wurde hernach mit Lanol. anhydr. im annähernden Ver¬
hältnis von 2 :1 vermischt.
Auch mit der Einreibung von unverdünntem d. T. (2 Tropfen) allein
kann man brauchbare Resultate erzielen. Indes haben wir beobachtet,
dass die Einreibung mit d. T. allein etwas weniger empfindlich ist als
die Einreibung mit d. T.-Salbe. Da der Unterschied in der Konzentration
relativ gering ist, nehme ich an, dass die Salbenreaktionen deshalb
stärker ausfallen, weil die Salbenreste länger und besser in den Ver¬
tiefungen der Haut liegen bleiben und so gewissermassen als Depotreiz
wirken.
Die diagnostische Tuberkulinsalbe wird gleichfalls von E. Merck-
Darmstadt hergestellt. Als Autor der Perkutandiagnostik ist es mir
daran gelegen, dass das Verfahren möglichst zuverlässig arbeitet. Aus
diesem Grunde verwahre ich mich dagegen, dass minderwertige Prä¬
parate, wie es zurzeit seitens vieler Apotheken und anderer pharma-
•) Der von uns angegebene Zirkel ist bei der Fa. Frohnhäuser in
München zu beziehen.
Digitized by Goiisle
zeutischer Institute geschieht, unter meinem Namen angefertigt und in
Verkehr gebracht werden.
Intravenöse Novasurolinjektlonen bei Lues.
Von Dr. F. X. Müller und Dr. M. Pitzner, München.
Wie Prof. S c h ö n f e 1 d in Nr. 7 der M.m.W. erwähnt sind intra¬
venöse Ouecksilberinjektionen längst ausgeführt worden (Baccelli,
Bla sch ko). Linser hat 1919 die in Vergessenheit geratene intra¬
venöse Sublimatbehandlung der Syphilis aufgegriffen und die „einzeitig
kombinierte Behandlung“ eingeführt
Und die Aerzte, die grösstenteils auf ambulante Behandlung ihrer
Patienten angewiesen sind, haben die Methode nach Linser gerne
aufgenommen, da sie in vielen Fällen die Erfahrung machen mussten,
dass die Kranken die Behandlung frühzeitig unterbrachen. Das hatte
den Grund nicht so sehr in dem Unverstand der Patienten, als ob eine
Weiterbehandlung nicht mehr nötig sei. da ja alle Krankheitserschei-
iiungen abgeheilt seien, als vielmehr darin, dass eben alle Ouecksilber-
spritzen mehr oder weniger Schmerzen hervorgerufen haben.
Auch die eindringlichsten Gegenvorstellungen von seiten des Arztes
hatten oft wenig Erfolg.
So gingen auch wir sofort zur Linser sehen Methode über. Nur -
hatten wir dabei immer ein merkwürdiges Unbehagen, dem Kranken
etwas einzuverleiben, von dem man nicht weiss, was es eigentlich ist.
Aus die.sem Grunde injizierte erstmals Pitzner im Januar 1920
Novasurol allein und zwar so, dass zuerst 0,5 ccm Novasurol mit 10 ccm
sterilem Wasser oder 0,4 Proz. steriler Kochsalzlösung verdünnt intra¬
venös verabreicht wurden. Mit den folgenden Injektionen wurde auf
1 ccm, 1,5 und 2 ccm Novasurol gestiegen. Es stellte sich in der Folge¬
zeit heraus, dass es gleichgültig war, ob Novasurol verdünnt oder un¬
verdünnt gegeben wurde. Es war nur notwendig — was für eine intra¬
venöse Einverleibung eines Mittels selbstverständlich ist —, dass
Novasurol eben in die Vene kam und nicht anderswohin. Wir haben
damit bis heute keine Thrombosenbildungen oder ähnliches gesehen.
Es wurden wöchentlich ungefähr 2 Injektionen von Novasurol intravenös
gegeben. Die stets am nächsten Tage vorgenommenen Urinunter¬
suchungen haben gezeigt, dass das Mittel keinerlei Schädigungen der
Niere hervorgerufen hat. Neben dieser Behandlung mit Novasurol ging
die übliche Salvarsanbehandlung nebenher, so dass ebenfalls wöchentlich
1—2 mal Salvarsan intravenös entweder in Form von Neosalvarsan oder
Silbersalvarsan gegeben wurde.
Stomatitiden, wie sie nach Einreibungen oder intramuskulären Gaben
von Hg Vorkommen, sahen wir auch bei unserer Behandlungsart. Doch
nahmen diese nie schwereren Charakter an, da man mit der nächsten
Novasurolspritze nur kleinere Mengen des Mittels zu geben brauchte.
Ein völliges Aussetzen mit Novasuröl war nie nötig.
^Was die Resultate dieser „mehrzeitig kombinierten Behandlung“
— w^enn wir sie so nennen dürfen — betrifft, so standen sie den bisher
üblichen Behandlungsarten sicherlich nicht nach, sowohl was den Rück¬
gang der klinischen Erscheinungen als auch die Beeinflussung der sero¬
logischen Resultate anbelangt. Eine ausführliche Berichterstattung kann
erst dann folgen, wenn die Zeit verstrichen ist, die notwendig ist, um
von einem Erfolg einer Syphilisbehandlungsart sprechen zu können.
Wir glaubten jedoch, schon heute von unserer Art der Syphilis¬
behandlung Mitteilung machen zu müssen, um auch das Urteil anderer
Kollegen zu hören, die sich mit dieser Behandlungsart von nun an be¬
fassen werden oder schon befasst haben.
Aus der chirurgischen Klinik der Univer^sität Marburg a. L.
(Direktor: Prof. Dr. Läwen.)
Stelllagerung des Patienten Im Bett.
Von Prof. Dr. Hans Burckhardt, Oberarzt der Klinik.
ln Nr. 4 der M.m.W. beschreibt Mertens eine Vorrichtung, die
die Lagerung des Patienten mit erhöhtem Oberkörper erleichtern soll.
Die Vorrichtung besteht in einem Gestell, das ins Bett gelegt wird, und
auf das ein rollenartiges Kissen zu liegen kommt. Das Kissen liegt unter
den gebeugten Oberschenkeln des Patienten und verhindert diesen, nach
abwärts zu rutschen.
Ich habe w'ährend meiner Tätigkeit im Feld schon ini Jahre 1915
eine ähnliche Vorrichtung improvisiert, die denselben Zweck erfüllt, nur
viel einfacher ist und keinerlei Kosten verursacht. Die Vorrichtung ist
genau so, wie hier abgebildet, von 1915 bis heutfe von mir verwandt
worden. Im Feld ist sie mehrfach von mir bekannten Aerzten nach¬
geahmt worden. Auch in der chirurgischen Klinik der Charitee (Geh. Rat
Hildebrand) und in der chirurgischen Klinik zu Marburg (Prof.
Läwen) hat sie sich bewährt. Trotz der grossen Vorzüge und der ins
Auge springenden Einfachheit der Vorrichtung habe ich es nicht für der
Mühe wert erachtet, über sie eine Mitteilung zu machen. Ich habe sie
nicht einmal in meinen kriegschirurgischen Veröffentlichungen über
Bauch- und Lungenschüsse besonders hervorgehoben. Die Mitteilung
von Mertens zeigt mir. dass vielleicht doch eine kurze Veröffent¬
lichung gerechtfertigt ist.
Man nimmt einen Stock oder einen Besenstiel, der ungefähr die
Breite des Bettes hat. Darüber rollt man eine Decke, die vorher so zu¬
sammengelegt ist, dass nunmehr der Stock auf beiden Seiten noch hervor-
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
25. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
365
schaut. Die Decke wird mit Sicherheitsnadeln zusammengesteckt; je
nach Grösse der Decke kann man eine dicke oder dünne Rolle sich her-
stellen. Solange es reichlich wasserdichtes Zeug gab und Leinwand,
hatten wir uns Ueberzüge über die Rolle machen lassen. Diese Rolle
wird dem Patienten unter die Oberschenkel gelegt. Der Stock wird
durch Schnüre am Kopfende des Bettes befestigt. Die Schnüre sollen
zu Anfang unter starker Spannung angelegt sein. Besonders ist darauf
zu achten, dass genügend Kissen ins Kreuz kommen, damit die Patienten
nicht zusammensinken.
Alle anderen Methoden, welche die Steillage des Patienten zu
erreichen versuchen, hatten sich nicht bewährt. Sie verlangen entweder
ständige aktive Mitarbeit von seiten des Patienten, wie z. B. der Fuss-
klotz, an dem sich der Patient anstemmen soll, oder halten nicht lange
vor, wie z. B. das einfache unter die Kniee geschobene Kissen. Im
ersten Falle pflegt der Patient, wie auch Mertens hervorhebt, rasch
zu erlahmen, im zweiten Falle rutscht das Kissen nach vorn. In beiden
Fällen gleiten die Patienten von den Rückenkissen ab, sinken zusammen,
und es resultiert dann binnen kurzem eine Lage des Patienten, die
etwa dem Gegenteil jener entspricht, die eigentlich beabsichtigt war.
Der Brustkorb, der sich frei vorwölben soll, wird zusammengedrückt,
das Becken liegt nicht mehr steil, sondern horizontal im Bett und auch
der Inhalt der Bauchhöhle wird komprimiert. Diese Mängel lassen sich
mittels der'geschilderten Vorrichtung in fast idealer Weise beseitigen.
Alles Wesentliche geht aus der Abbildung hervor.
lieber die „Aktivierung“ durch unspezifische Therapie.
Von Prof. Wolfgang Weichardt, Erlangen.
A. B i e r, als bester Kenner der Entzündung und der älteren Literatur
auf diesem Gebiete überhaupt, hat seine Ansichten über neuzeitliche
Proteinkörpertherapie in Nr. 6 dieser Wochenschrift entwickelt [1] und
stellte weitere Mitteilungen aus seiner Klinik in Aussicht. Die weit¬
gehendste Förderung dieses wichtigen Gebietes ist dadurch zu erwarten.
In einer vor einigen Monaten aus der Klinik von Bter erschienenen
Veröffentlichung ist folgendes festgestellt [2]:
„In der modernen Therapie erzielt man durch parenterale Zufuhr
von chemisch einander sehr fernstehenden Mitteln in ihren Grundzügen
oft auffallend übereinstimmende Wirkungen, die man alle als unspezifische
Leistungssteigerung (Protoplasmaaktivierung) auffassen kann, eine
Theorie, die Weichardt für die Proteinkörpertherapie aufgestellt hat
und ebenfalls auf andere Stoffe und Vorgänge (Bestrahlung) angewendet
wissen will. Seine Arbeiten, die der praktischen Anwendung weit
vorausgeeilt sind, haben viele Anerkennung gefunden und gewinnen bei
dem schnell anwachsenden Anwendungsgebiet der parenteralen Protein¬
körpertherapie und ihrer verwandten Methoden immer mehr an Be¬
deutung.“
In der Zusammenstellung von Bier in Nr. 6 dieser Wochenschrift
finden sich aber nun nach der entgegengesetzten Seite Darstellungen
und Anschauungen, die m. E. unbedingt nicht richtig sind und denen
ich deshalb widersprechen muss, auch wenn sie von so autoritativer
Seite stammen.
Zunächst im Eingangssatz die so wichtige Spezifitätsfrage:
„Die Lehre von der spezifischen Behandlung der Infektionskrank¬
heiten soll in den letzten Jahren durch meine Erklärungsversuche er¬
heblich erschüttert worden sein.“
Ich mu.ss das entschieden bestreiten.
Von meiner Seite ist stets, sogar bei der Vakzinetherapie, scharf
zwischen spezifischer und unspezifischer Therapie unter¬
schieden worden. Zum Beweise mögen folgende Worte aus einer Ver¬
öffentlichung aus dem Jahre 1918 in dieser Wochenschrift dienen f3l:
,3ei der Bekämpfung infektiöser Prozesse sollte man m. E. von gut
dosierten spezifischen Impfstoffen nicht abgehen.... Es ist doch
keine Frage, dass bei Benutzung homologer Impfstoffe gleichzeitig die
Bildung spezifischer Schutzstoffe angeregt wird, die zum minde¬
sten für einen späteren Schutz von Bedeutung sind.“
So betrachte ich es entschieden für einen Fortschritt und etwas
Neues, dass auch scharf zwischen spezifischer und u n spezi¬
fischer Leistungssteigerung geschieden werde. Unter ersterer ver¬
stehe ich die Beseitigung und Absättigung lähmender Spaltprodukte
durch spezifisch darauf eingestellte nicht organotrope Mittel, unter
letzterer die Anregung möglichst vieler Organsysteme durch unspe¬
zifische organotrope Mittel oder im Körper entstehende Spaltpro-
dukt e ^)._
^) Es gibt natflrlich auch eine spezifische organotrope Leistungssteigerung.
Digitized by Gotigle
Beim weiteren Studium des Artikels kann man nun beim allerbesten
Willen nicht finden, dass Bier die von mir gegebenen Erklärungs¬
versuche nicht für richtig hält. Im Gegenteil, er bestätigt sie Punkt für
Punkt, nur weist er nach, dass die einzelnen Gesichtspunkte den älteren
Autoren durchaus bekannt waren und dass er selbst bewusst Protein¬
körpertherapie trieb, indem er „Hei 1 fieber“ und „Heilentzün¬
dung“ erzeugte *).
ln bezug auf Fieber und Entzündung sagt Bier: „In grundlegenden
Fragen des Fiebers und der Entzündung kann man kaum etwas sagen,
was man bei genauer Durchforschung der Literatur nicht schon einmal,
und sei es nur in Form einer Ahnung ausgesprochen fände. Das ist
natürlich.“
Das gilt für das ganze, so vielfach schon bearbeitete Gebiet.
Bier führt zahlreiche Beispiele an, wie die alten Transfusoren die
Haupterscheinungen der Proteinkörpertherapie schon gekannt haben,
z. B. die Wirkung auf alle Organe und andere „Entdeckungen“, die
mir zugesohrieben werden usf. (Jewiss, wir müssen auf diesem Gebiete
unsere geschichtlichen Betrachtungen noch viel weiter ausdehnen.
Ueberhaupt Ist man ja überrascht, beim Studium älterer Werke oft ganz
modernen Auffassungen zu begegnen. Ich verweise in dieser Beziehung
auf den Artikel „Lehrmeinungen von Vorläufern der Immunitätsforschung“
in Bd. 6 meines Jahresberichtes über die Ergebnisse der Immunitäts¬
forschung [4].
Man fragt sich aber doch, warum denn, wenn die Erkenntnis der
Faktoren, die für die Proteinkörpertherapie in Frage kommen, und
ihre Beziehungen zueinander so klarlagen, sie in ihrer
heutigen Form in konsequenter Weise mit steigendem Erfolge nicht schon
längst angewendet wurde? Warum beschränkte sich ihre Anwendung,
von den Transfusionen der älteren Aerzte abgesehen, nur auf Ver¬
suche, die gewöhnlich bald wieder aufgegeben wurden, jedenfalls keine
grössere Verbreitung gewannen? Es muss doch ein neues Etwas in
der neuzeitlichen Proteinkörpertherapie, zum mindesten eine Kombina¬
tion besonders günstiger Umstände stecken, da sie jetzt erst anfängt eine
allgemein brauchbare Form anzunehmen und andere Gebiete der Medi¬
zin zu befruchten. Das kann nicht an den ..chemisch rein darstellbaren
Mitteln“*), die jetzt zur Verfügung stehen, liegen; denn viele Vertreter
der Proteinkörpertherapie verwenden noch Milch.
Es besteht die grosse Gefahr, dass durch das Gewicht des B i e r -
sehen Artikels die einheitliche Beurteilung der Behandlung
mit leistungssteigernden Massnahmen, die glücklich erreicht schien,
wieder verloren geht.
Ein Symptom oder auch ein bestimmter Symptom¬
komplex wird uns niemals zur Grundlage einheit¬
licher Beurteilung eines derartig innerlich zusammenhängenden,
äusserlich so verschiedenartig erscheinenden Gebietes dienen können,
vv'e es die unspezifische Behandlung mit leistungssteigernden Mitteln ist.
Selbst ein so wichtiger Symptomkomplex wie der der Entzündung und
des Fiebers ist hierzu nicht im stände. Eine einheitliche Be¬
urteilung wird nur erreicht, wenn wir ein allgemeines
Prinzip in den Vordergrund der Betrachtung stellen,
das alle in Frage kommenden Symptome einheitlich
zusammenfasst. Als solcfres hat sich eben die Betrachtung unter
dem Gesichtswinkel der Leistungssteigerung ausserordentlich
bewährt und es wäre sehr schade, wenn dieser Standpunkt aufgegeben
würde. Wir kämen dann wieder in die Zeit, wo immer
wieder versucht wurde, die Wirkung der Protein¬
körpertherapie von einzelnen ErschelnunRen auszuerklären
und von diesen abhängig zu machen (s. Kaznelson: Er¬
gebnisse der Immunitätsforschung 1920 S. 261).
Die Erkenntnis dieses Wesentlichen ist das Neue an der jetzigen
Projteinkörpertherapie und dieser Standpunkt muss klar und scharf fest¬
gehalten werden, allen Auffassungen gegenüber, die geeignet sind, ihn
zu verwischen, selbst wenn sie von noch so autoritativer Seite stammen.
Man betrachte von diesem Gesichtspunkte aus den Artikel von
Bier und beachte, wie aus dem Gefühl heraus, die Einheitlichkeit zu
wahren, off der Entzündungsbegriff hcrangezogen wird, selbst in Fällen,
wo er zum mindesten überflüssig ist. Oft ist er aber überhaupt nicht
anwendbar.
Bier spricht selbst von ..so kleinen Reizen bei Aderlässen ent¬
stehender Spaltprodukte, dass Fieber und Entzündung nicht eintritt“. Ich
habe die praktisch sehr wichtige Leistungssteigerung im Auge, die ich
darauf zurückführte, dass bei erstmaliger Betätigung eines Organes Ici-
stungssteigernde Spaltprodukte entstehen. Ferner wäre es m. E. ge¬
sucht, bei Beeinflussung von Stoffwechselvorgängen im Sinne der Lei¬
stungssteigerung durch praktisch anwendbare Dosen unspezifischcr Mit¬
tel den Entzündungsbegriff heranzuziehen.
Die empirische Feststellung Biers, dass bei Zersetzung von Körper¬
gewebe „Fieber, Entzündung und Heilung“ eintritt, ist ein Problem.
Die experimentell gew'onnene Erkenntnis, dass nach Einwirkung der
verschiedensten Energiearten Spaltprodukte und Zustandsänderungen von
bestimmten Eigenschaften entstehen, von denen die leistungssteigernde
für uns die praktisch wichtigste ist, ist eine Erklärung des Pro-
*) Seine Beobachtungen sollten von allen, die Proteinkörpertherapie
treiben, mehr als bisher beachtet werden. Ich weise besonders auf die genaue
Beschreibung der „Antianaphylaxie“ in der Arbeit von Bier aus dem
Jahre 1901 in der M.m.W. hin. Diese wird ganz so wie bei den „neuesten
Autoren“ mit einem Verbrauch von Antikörpern erklärt.
*) Gerade das ist noch ein sehr wunder Punkt der neuzeitlichen Protein¬
körpertherapie.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
blems*). Wenn z. B. Bier sagt: „Jedes Mittel, das eine Zersetzung
von Körpergewebe hervorbringt, macht Fieber und Entzündung und kann
somit Heilwirkung hervorrufen“, so ist bei dieser Feststellung das
wesentliche, ursächliche, erklärende Moment nicht berücksichtigt. Es
muss m. E. heissen: Durch jedes Mittel, das eine Zersetzung von Kor-
pergewebe hervorbringt, entstehen aktivierende Spaltpro¬
dukte. Diese regen die Abwehrvorgänge zu gesteigerter
Tätigkeit an, welche sich für uns grobsinnlich in Fieber und Ent¬
zündung äussern können. Sind die gesamten Abwehrvorgänge aus¬
reichend, so tritt Heilung ein.
Auch die empirische Feststellung, dass der kranke Organismus
anders reagiert als der gesunde, nach Bier ein Bestandteil des Arndt-
Schulz sehen Gesetzes, ist ein Problem. Die Auffindungen der neu¬
zeitlichen Ueberempfindlichkeitsforschung suchen
eine Erklärung dieses Problems. Derartige aus empirischer Betrach¬
tung hervorgegangenen Probleme sind uralt in der Medizin, neu ist ihre
experimentelle Erforschung.
Die ausgesprochene Einstellung der allerverschiedensten Beeinflus¬
sungsmöglichkeiten auf die L e i s t u n g s s t e i g e r u n g, und zwar nicht
nur die eines Organes oder Organsystemes hat, weil sie eben wesent¬
lich und vor allem auch praktisch®) ist, in kurzer Zeit weit¬
gehende Zustimmung gefunden und die verschiedensten unspezifischen
therapeutischen Bestrebungen einerseits, sowie die verschiedensten Re¬
aktionen andererseits, sit venia verbo, unter einen Hut gebracht.
Dieses Wesentliche ist früher für das ganze äusser-
lich so verschiedene, aber innerlich doch zusammen¬
hängende Gebiet unspezifischer Therapie nicht mit
genügender Schärfe und nicht imgenügendenUm-
fange betont worden. Wie sich die V i r c h o w sehe Reizlehre
dazu verhält, werden wir gleich sehen.
Ich komme nun zu dem so viel gebrauchten und von Bier so'be¬
fehdeten Ausdruck „Protoplasmaaktivierung": Unnötig, zu betonen, dass
das Suchen nach treffenden Stichworten berechtigt ist. Diese nimmt
man am besten aus dem Lateinischen oder Griechischen. Wilhelm
Roux sagt: „Ich bin dafür, dass man den internationalen wissenschaft¬
lichen Verkehr auch fernerhin durch internationale Termini technici
erleichtert“ [5].
Auf die Bezeichnung Aktivierung®) durch unspe^-
zifische Therapie kann nicht verzichtet werden,
diese Bezeichnung sagt sehrviel mehrals „Rei z“. Sie bezeichnet
kurz und bündig das, worauf es ankommt, die Leistungssteige¬
rung. Reiz ist eben nicht gleichbedeutend mit gesteigerter Tätigkeit.
Gerade das physiologische Gesetz, das Bier als das von Arndt-
Schulz mit Recht so hervorhebt, sagt uns ja, dass Reize von be¬
stimmter Grösse auch lähmen können. Man müsste also stets zu Reiz
einen erklärenden Satz setzen, oder ein umständliches Wort wählen, um
auszudrücken, worauf es ankommt.
Mag man an der Klinik von Bier nunmehr „Schwellenreiztherapie“
treiben'), die erfreuliche Folge der gewonnenen praktischen Erfahrungen
wird sein, dass wir die Aktivierung durch unspezifische Therapie
melir und mehr beherrschen lernen (s. Nr. 22 d. Wschr 1918).
Ich könnte diese theoretischen Auseinandersetzungen noch- weiter
fortsetzen, unterlasse das aber absichtlich. Eine neue Tatsache, eine
neue Methode bringt uns unendlich viel weiter.
Für die experimentelle Forschung ist zunächst die bessere Kenntnis
der im Körper entstehenden Spaltprodukte vordringlich.
^) Ich erbrachte diesen Beweis bei entsprechender Technik in der Form
von zahlreichen Absättigungs- und Beeihflussungsver-
suchen, indem ich z. B. zeigte, dass die Breite individueller Schwan¬
kungen weit überschreitende Temperatursenkung infolge wiederholter Ein¬
spritzung der verschiedensten chemischen Substanzen in kleinen Dosen, in
vitro hergestellter hochmolekularer Eiweissspaltprodukte usf. durch vorherige
Einspritzung kleiner Mengen von Chemikalien (Aktivierung), aber auch durch
Anwendung der gleichen antikörperartig wirkenden Gruppen ausgeschaltet
wird und dass sich erhöhte Leistungsfähigkeit der verschiedensten Organ-
systemc mittels quantitativer Messung nachweisen lässt (s. z. B. B.kl.W. 1907
Nr. 28; Ermüdungsstoffe, Stuttgart, Ferd. Enke, I. Aufl. 1910; II. Aufl. 1912 S. 26
upd 52, daselbst Versuchsbeispiele (Pausenversuch). Ferner Weichardt-
Schwenk: Zschr. f. phys. Chem. 83. 381. und Zschr. f. Imm.Forsch. 19. 528,
s. neuerdings auch H. Pfeiffer: W.kl.W. 1921 Nr. 7).
®) In den allermeisten Fällen wird es sich um gesteigerte Abwehr infek¬
tiöser Prozesse, um Anregung von Stoffwechselvorgängen etc. handeln. Natür¬
lich ist es auch theoretisch denkbar, dass eine Leistungssteigerung der Funk¬
tion hemmender Nerven sich in einer Leistungsminderung eines
Organes auswirkt.
®) Ursprünglich sprach ich von „Aktivierung von Zellfunktionen“, in
manchen Arbeiten nur von „Aktivierung“. Es ist zweifellos besser bei un¬
spezifischer Therapie lediglich von ..Aktivierung“ zu sprechen, und nur
wenn es darauf ankommt, das jeweilige Objekt eigens zuzusetzen.
Also z. B. von Zellaktivierung etc. Bier redet selbst von stark „aktiven
Kräften, die durch den passiven Entzündungsherd ausgelöst werden können,
er redet von einer Steigerung der Leistungsfähigkeit des
Blutes, der Atemtätigkeit der roten Blutkörperchen. Ganz ähnliches steht
in Nr. 22 der M.m.W. 1918 S. 583. Leider sind, wie ich mit A p i t z s c h [6]
feststellen konnte, unsere Massmethoden nach dieser Richtung noch recht
dürftig. Meine Karzinombetrachtung im Sinne der neuzeitlichen Protein¬
körpertherapie muss lauten: ..Man kann experimentell nachweisen, dass höher¬
molekulare Eiweissspaltprodukte in vorzüglicher Weise leistungssteigernd
wirken. Nimmt man an, dass die Zellmembranen beim älteren Individuum
an Diffusionsvermögen einbüssen, so wäre eine Wachstumssteigerung durch
Anhäufung aktivierender Spaltprodukte denkbar.“
’) D.m.W. Nr. 10 S. 281.
Hermann Freund [7l hat in der letzten Zeit nach pharmako¬
logischer Seite verheissungsvolle Anfänge gemacht. '
In Nr. 2 d. Wschr. 1921 habe ich Versuche mitgeteilt. Spaltprodukte-
aus dem Körper auszuziehen unter verschiedenen Bedingungen, die den
natürlichen Verhältnissen möglichst angenähert sind, und sie quanti¬
tativ in bezug auf ihre Geeignetheit für das dem Körper angepasste
Streptokokkenwachstum zu untersuchen. Wir stehen hier erst im An¬
fang eines Gebietes, über das bisher zweifellos viel Geistvolles ge¬
schrieben worden ist, von dem sichere Tatsachen aber verhältnismässig
wenige bekannt sind.
Literatur.
1. Bier: Heilentzündung und Heilfieber mit besonderer Berücksichtigung
der parenteralen ProteinRörnertherapie. M.m.W. 1921 Nr. 6. 2. Therapie
der Gegenwart. August 1920. — 3. Ueber Proteinkörpertherapie. M.m.W.
1918 Nr. 22. — 4. M. Neuburger: Die Vorgeschichte der antitoxischen
Therapie der akuten Infektionskrankheiten. Stuttgart, Ferd. Enke. —
5. M.m.W. 1920 Nr. 27. — 6. Biochem. Zschr. 90. H. 5/6. — 7. Med. Ki.
1920. Nr. 17 und Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 1920. — 8. M.m.W. 1921 Nr. 2.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Qiessen.
Direktor: Professor von Jaschke.
Zur Frage der Hautjodierung bei Laparotomien.
Von Dr. Paul Schumacher, Assistenzarzt der Klinik.
ln der Münch, med. Wochenschr. vom 7. I. 1921 veröffentlicht
P r 0 p p i n g einen Artikel über Hautjodierung bei Bauchschnitten, in
dem er zu dem Schluss kommt, „dass es hohe Zeit ist, die Jodierung bei
Laparotomien zu unterlassen, weil sie dem Grundsatz, Schädigungen der
Serosa nach Möglichkeit zu vermeiden, nicht entspricht“. Es liegt uns
fern, die Tatsache zu bestreiten, dass das Jod. auf Serosaflächen ge¬
bracht, dieselben schädigt und später zu Adhäsionen führen kann.
Anderseits möchte ich die allgemeine Forderung Proppings, die
Jodierung bei Laparotomien zu unterlassen, einschränken. Nicht be¬
rechtigt erscheint sie uns für Laparotomien, wie sie in der Gynäkologie
und Geburtshilfe ausgeführt werden. Die gynäkologischen Operationen
sind im allgemeinen derart, dass es bei ihnen zu einem Kontakt des
Darmes mit der jodierten Bauchhaut nicht kommt, da es nur sehr selten
nötig ist, den Darm zu eventerieren. So gestaltet sich z. B. der Ver¬
lauf einer typischen Laparotomie an der hiesigen Klinik derart, dass
unmittelbar im Anschluss an die Eröffnung des Peritoneums Becken¬
hochlagerung ausgeführt wird, so dass der Darm nach oben in die Bauch¬
höhle sinkt. Gleichzeitig wird durch mehrere mit physiologischer Koch¬
salzlösung getränkte Stopftücher der Darm gegen das eröffnete Abdomen
abgegrenzt. Eine genaue Durchsicht sämtlicher Krankenblätter über an
der hiesigen Klinik seit dem 1. I. 1912 bis 1. I. 1921 ausgeführte La¬
parotomien zeigte, dass die Ergebnisse betr. postoperative Adhäsions¬
beschwerden ausgezeichnete waren, trotzdem in der ganzen Zeit vom
1. I. 1912 bis auf den heutigen Tag bei jeder Laparotomie die Bauch¬
decken unmittelbar vorher gründlichst mit lOproz. Jodtinktur desinfiziert
wurden. Die Statistik ergibt folgendes Bild: Unter rund 2300 Laparo-
tomiten finden sich zwei Fälle, wo nach Yi bis 2 Monaten infolge eines
Adhäsionsileus eine Relaparotomie erforderlich war. Es handelt sich
in dem einen Fall um eine abdominelle Radikaloperation und Appendek¬
tomie wegen Pelveoperitonitis chronica adhaesiva. wo an^ 16. Tage
post operationem die Relaparotomie ausgeführt wurde. Die im Opera¬
tionsbericht hervorgehobene ausserordentlich schwierige Declmng der
bei der Lösung der Adhäsionen entstandenen Serosadefdete dürfte die
Schuld an dem Auftreten des postoperativen Ileus sein. Ob bei dem
zweiten postoperativen Ileus die Hautjodierung in irgend einem ursäch¬
lichen Zusammenhang steht, erscheint ebenfalls recht zweifelhaft, da die
erste Laparotomie wegen eines Darmverschlusses in der Gravidität,
verursacht durch eine Adnexentzündung, ausgeführt wurde und bei .der
Relaparotomie sich zeigte, dass die Adhäsionen in erster Linie an der
Stelle der exstirpierten Adnexe sich gebildet hatten. Unter den
2300 Laparotomien finden sich ausser in diesen beiden Fällen in den
Krankengeschichten keinerlei Vermerke, die auf wesentliche post¬
operative Adhäsionsbeschwerden hindeuten, obgleich eine Anzahl der
Laparotomierten auf den ausdrücklichen Wunsch der Klinik hin sich
nach Monaten und selbst Jahren zur Nachuntersuchung erneut vorstellten.
Von besonderer Wichtigkeit betr. unserer Stellungnahme zur Haut¬
jodierung bei Bauchschnitten ist das Bild, wie es sich bei Laparotomierten
zeigte, die bereits früher eine Laparotomie an hiesiger Klinik durch¬
gemacht hatten. Zwar fanden sich in einer Anzahl der Fälle mehr oder
wenig ausgedehnte Adhaesionen, die sich aber in der Hauptsache auf
Verwachsungen des Netzes mit der Bauchnarbe beschränkten und auf
die bekannte Eigenschaft des Netzes zurückzuführen sind, in alle ent¬
zündlichen Prozesse, die sich im Bereich der Bauchhöhle abspielen,
einbezogen zu werden. Ausserdem hatten diese Adhäsionen zu nennens¬
werten Störungen keinerlei Veranlassung gegeben. Im Hinblick auf die
oben kurz angedeutete Technik unserer Laparotomien möchten wir
diese Adhäsionen nicht der Hautjodierung zur Last legen.
Unsere Stellungnahme zur Frage der Hautjodierung bei Laparo¬
tomien wäre mithin die, dass in der (Geburtshilfe und) G y n ä k o 1 o g i e
unter Berücksichtigung der guten und schnellen Desinfektionswirkung
des Jods keinerlei Grund vorliegt, die Jodierung der
Bauchhaut vor der Laparotomie zu verwerfen.
Digitized by
Got'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25 . März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. ■
367
Für die Praxis.
Ulcus duodeni.
Von Prof. Gerhardt, Würzburg.
Ulcus duodeni galt früher als eine seltene Krankheit. Die neueren
Erfahrungen, zumal die des letzten Jahrzehnts, haben gelehrt, dass dies
nicht richtig ist. Wenn sich auch bei uns nicht, wie in Amerika, seine
Frequenz als grösser wie die des Magengeschwürs erwiesen hat, so er¬
geben doch anatomische und klinische Beobachtungsreihen, dass es etwa
^ bis Vi mal so oft wie das Magengeschwür, d. h. bei 1—2 Proz. der
Erwachsenen vorkommt.
Wie beim Magengeschwür bleibt auch beim U. d. ein grosser Teil
der davon Befallenen ganz beschwerdefrei. Aber die Statistiken der
Chirurgen zeigen doch, dass auch diejenigen Fälle, die zu erheblichen
Beschwerden führen, nicht selten sind.
Unter welcher Diagnose wurden nun früher die nicht richtig er¬
kannten Fälle geführt?
Der Hauptsache nach wurden sie wohl angesehen 1. als Magen¬
geschwür, 2. als Magenneurose oder einfache Hyperazidität. 3. als Qalleii-
stein- oder Leberleiden. Es ist lehrreich, sich die Ursachen dieser Ver¬
wechslungen klarzumachen.
Mit dem Magengeschwür kann das U. d. in der Tat sämtliche
subjektiven und objektiven Symptome gemeinsam haben, den Wechsel
zwischen guten und schlechten Zeiten, den charakteristischen von der
Nahrung abhängigen Schmerz, das häufige Aufstossen und Brechen, den
Druckpunkt im Epigastrium. die Hyperazidität die zeitweisen Blutungen,
die Neigung zu Obstipation. Es ist richtig, dass der nächtliche und der
Nüchtern- oder Hungerschmerz häufiger bei U. d. vorkommt aber er
ist auch bei U. ventr. nicht selten und erlaubt deshalb keine sichere
Unterscheidung. Eher spricht konstanter rechtsseitiger Sitz der Schmer¬
zen dafür, aber er ist kein obligates Symptom, und viele Pat. mit U. d.
klagen lediglich über den Schmerz in der Mittellinie.
Die Ursache der grossen Aehnlichkeit der beiden Geschwürsformen
Hegt in zweierlei Momenten. Einmal darin, dass die übergrosse Mehr¬
zahl der Duodenalgeschwüre in nächster Nähe des P^dorus sitzt und des¬
halb leicht zu spastischem Pylorusverschluss und damit zu allen, auch
den am Röntgenschirm wahrnehmbaren, Symptomen des Pylorus-
geschwürs führt. Wegen dieser weitgehendeji Aehnlichkeit. die sich
nicht nur auf Symptome und Befund, sondern auch auf Prognose und
Behandlung erstreckt, verzichten namhafte Autoren auf die Unter¬
scheidung und begnügen sich mit der Diagnose des juxta- oder para-
pylorischen Geschwürs.
Ein zweites Moment beruht darauf, dass vom Duodenum aus reflek¬
torisch auch die proximalen Magenteile recht erheblich in ihrer Motilität
und wahrscheinlich auch in ihrer Sekretion beeinflusst werden können.
So lässt sich manchmal am Röntgenschirm beobachten, dass Druck auf
die Stelle des U. d. prompt eine Dauerkontraktion der mittleren Magen-
teile auslöst, wie man sie sonst nur bei Geschwüren an der kleinen Kur¬
vatur auftreten sieht. Dadurch wird es verständlich, dass die Symptome
des U. d. sich manchmal ganz, mit denen des Geschwürs im Magen¬
körper decken; denn es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die Schmer¬
zen und die übrigen Begleitsymptome weniger durch die Reizwirkung
des Inhalts auf die wunde Fläche, als durch die reflektorisch ausgelösten
starken Kontraktionen der Magenmuskulatur verursacht werden.
Die 2. Gruppe ist diejenige, welche zur Verwechslung mit
Neurosen Anlass gab. Seit jeher galt die Unterscheidung zwischen
einfacher Hyperazidität und Ulcus als schwierig. Schon der Umstand,
dass dem Nachweis von manifestem oder okkultem Blut im Stuhl so
grosser Wert beigelegt wird, beweist, dass die übrigen Symptome ein¬
ander gleichen können.
Für das Magengeschwür liefert die Röntgenuntersuchung zwar nicht
immer, aber doch oft die Entscheidung; auch das Duodenalgeschwür
führt wenigstens häufig zu bestimmten Erscheinungen am Röntgen¬
schirm: Rechtsverziehung und Fixation des Pylorus und Duodenum; auf¬
fallende Erweiterung und verzögerte Entleerung des Anfangsteils (Bulbus)
des Duodenums („Dauerbulbus“); die seltenen Symptome einer Nische
oder einer Aussparung; das häufigere Symptom des Duodenalflecks, d. h.
eines umschriebenen Schattens, der konstant bleibt, während der übrige
Inhalt schubweise das Duodenum durchwandert; die umschriebene Druck¬
empfindlichkeit an der Stelle dieses Flecks; dabei gewöhnlich vermehrte
Peristaltik und trotz Hyperazidität rasche Entleerung de§ Magens,
seltener nach anfänglicher rascher Entleerung ein deutlicher 6-Stun-
denrest.
Durch diese verschiedenerlei Symptome und zumal durch ihre
Kombination lässt sich in der Tat eine grosse Reihe von Fällen, die vor¬
her den Eindruck der einfachen Hyperazidität oder der Neurose er¬
weckten, auf eine organische Erkrankung arn Duodenum zurückführen,
und schon oft hat die Operation das diagnostizierte Ulcus aufgedeckt.
.Allerdings ergibt sich aus diesen Röntgensymptomen noch nicht, dass
die organische Duodenalerkrankung nun jedesmal ein Geschwür sei; jene
Symptome werden ja nicht sowohl durch das Ulcus selbst, als vielmehr
durch die von ihm ausgehenden bindegewebigen und narbigen Stränge
verursacht. Dies lässt sich schon daraus erschliessen. dass die Stauung
und Ausweitung gewöhnlich bis zur oberen Umschlagstelle des Duo¬
denums reicht, während das Geschwür selbst in der Regel nahe arh
Pylorus sitzt.
Schmieden hat deshalb den Zusamnfenhang umgekehrt gedeutet;
Digitized by Goi'Sle
er meint, dass die Durchgangsbehinderung durch Adhäsionen zu einer
Stauung des sauren Inhalts im Anfangsteil führe und dadurch hier die
Entstehung und Unterhaltung des Geschwüres begünstige. In der Folge
stellte sich auch heraus, dass ebensolche Röntgenbilder gar nicht selten
lediglich durch derartige Stränge und Verwachsungen zustande kommen,
welche von Koloni Gallenblase oder Leber her zum Duodenum ziehen.
Besonders häufig bekommt man neuerdings solche Bilder zu sehen als
Folgeerscheinungen früherer Ruhr; hier scheint bald das Ouerkolon, bald
die Gallenblase den Ausgangsort der umschriebenen ‘ adhäsiven Peri¬
tonitis zu bilden.
Die Besprechung dieser Verhältnisse leitet direkt über zur 3. Gruppe
von Erkrankungen, mit denen das U. d. verwechselt werden kann, näm¬
lich der Erkrankung der Ga 11 e n b la s e und Gallenwege. Der
Sitz und auch das zeitliche Verhalten der Schmerzen kann in beiden
Fällen gleich sein. Dazu kommt, dass das U. d, nicht ganz selten vor¬
übergehenden Ikterus bewirkt, wahrscheinlich durch entzündliche
Schleimhautschwellung in der Papilla Vateri oder auch durch infektiöse
Cholangitis.
Solange nicht der Blutnachweis im Stuhl positiven Hinweis ergibt,
wird auch die Anwendung der modernen Methoden die sichere Unter¬
scheidung des U^ d. von den erwähnten Zuständen kaum ermöglichen,
w^eil eben der Röntgenbefund einschliesslich des umschriebenen Druck¬
schmerzes am Duodenalfleck bei den periduodenalen und perichole-
zystischen Verwachsungen ganz gleich sein kann. Es ist bezeichnend
für den' gegenwärtigen Stand der Diagnostik, wenn Autoren wie
H. S t r a u s s sich darauf beschränken, lediglich eine Affectio duo¬
denal is zu diagnostizieren. Man muss sich bewusst sein, dass die
Abgrenzung dieses Krankheitsbildes von der reinen Neurose doch schon
einen Gewinn bedeutet. — . .
Anatomie, Chirurgie und Röntgendiagnostik haben uns gelehrt, dass
das U. d. eine ziemlich häufige Erkrankung ist. Für die Praxis folgt
daraus vor allem, dass man bei den charakteristischen anamnestischen
Angaben, aber auch bei unbestimmten Beschwerden im Epigastrium,
namentlich bei gleichzeitiger Hyperazidität, doch immer an diese Mög¬
lichkeit denken soll. Der umschriebene Druckschmerz im.
rechten Epigastrium wird den Verdacht verstärken. Nach wie vor wird
der Blutnachweis in den Fäzes (wiederholte Untersuchung bei
fleischfreier Kost!) oft ohne weiteres zur Diagnose führen. Der
Röntgenapparat wird sie in zweifelhaften Fällen zwar nur selten
ganz sicher, aber oft recht wahrscheinlich machen.
Verlauf und Prognose sind im Einzelfall nicht leicht zu be¬
urteilen. Das U. d. steht seit lange im Verruf der Bösartigkeit; schwere,
ja tötliche Blutung und Perforation sollen mehr drohen als bei U. ventr.,
und es ist bekannt, dass beides relativ häufig ohne Vorboten bei bis dahin
latenter Krankheit auftritt. Demgegenüber schliesst aber gerade die
Erkenntnis, dass die Krankheit gar nicht so selten ist, in sich die Folge¬
rung ein, dass doch viele Fälle ohne jene schw'eren Symptome verlaufen
müssen.
Behandlung. In der Tat lassen sich in einem grossen Teil der
Fälle die Beschwerden ziemlich leicht beseitigen durch dieselben Mass¬
nahmen, welche sich beim Magengeschwür bewähren: In leichteren
Fällen vorsichtige Diät, d. i. Vermeiden von grober Kost, Schwarzbrot,
grobem Gemüse, mangelhaft weichgekochter Pflanzenkost (zur groben
Kost gehört alles, was sich nicht mit der Gabel leicht zu Brei zerdrücken
lässt); bei schweren Fällen typFsche Ruhe- und Schonungskur nach
Leubes, Penzoldts oder Lenhartz’ Schema. Von Medikamenten
könnem, wie beim Magengeschwür, unterstützend wirken; Alkalien,
Wismut, Belladonnapräparate, Papaverin, Abführmittel.
Bei solcher Behandlung scheint ein Teil der Fälle auch in ana¬
tomischem Sinn wirklich zu heilen. Ein anderer Teil wird, wie beim
U. ventr., nur klinisch latent. Dass hier die Gefahr des Rezidivs droht,
ist natürlich. Man soll deshalb, ganz wie beim Geschwür des Magens,
so auch bei dem des Zwölffingerdarms, zumal wenn es mit schweren
Blutungen einherging, darauf dringen, dass der Pat. nicht nur zur Zeit der
Beschwerden, sondern auch in schmerzfreien Zeiten seinen Darm schone.
Grobe Kost, allzu reichliche Mahlzeiten bilden die Hauptgefahr.
Es ist zweifellos, dass durch diese der Magengeschwürsbehandlung
entlehnten Regeln die Mehrzahl der Duodenalgeschwüre heilen oder doch
klinisch latent werden kann, und dadurch erscheint es gerechtfertigt, dass
man im allgemeinen zunächst diese interne Behandlung einleitet.
Es ist ebenso sicher, dass schwere Fälle nur oder doch wesentlich
leichter und besser von Chirurgen geheilt werden. Das gilt natürlich in
erster Linie für die Perforation. Leider verrät sich die drohende Per¬
foration nur selten vorher, die Laparotomie wird deshalb nur ausnahms¬
weise zu ihrer Verhütung, sondern in der Regel nur zu ihrer Heilung aus¬
geführt werden.
Bei akuter Blutung bringt die einfache Ruhe- und Schonung- (anfangs
Hunger-) behandlung, die durch Eis, Opium. Gelatine, Kalkpräparate,
intravenöse Injektion von 10 proz. Salzlösung oder von 0,2 Euphyllin
unterstützt werden kann, jedenfalls keine grössere Gefahr als die Laparo¬
tomie. Oefter rezidivierende Blutung wird aber zumeist die Indikation
zur Operation abgeben. Und ebenso wird, wie beim Magengeschwür,
die Operation dann angezeigt sein, wenn trotz sachgemässer Behandlung
die Beschwerden nicht oder nur vorübergehend zu beseitigen sind. Die.
Erfolge der Operation wurden leider nicht ganz selten getrübt durch
Rückfälle der Beschwerden und namentlich durch neue schwere Blu¬
tungen, die zum Teil auf ein neugebildetes Ulcus jejuni, zum Teil aber
auch auf das alte Duodenalgeschwür, trotz dessen Ausschaltung durch
Pylorusverschluss, zu beziehen waren. Eine Verminderung dieser pein-
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
368
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
liehen Nachkrankheiten scheint dadurch erzielt zu werden, dass das
Geschwür nicht nur einfach durch Pylorusverschluss ausKeschaltet,
sondern völlig exstirpiert wird. Dauer und Schwierigkeit der Operation
können dadurch freilich beträchtlich Sachsen.
Die immerhin ziemlich eingreifende Operation wird sich um so
häufiger vermeiden lassen, je öfter die Krankheit frühzeitig, in heilungs¬
fähigem Stadium erkannt und ernstlich behandelt wird. Und die Mög¬
lichkeit rechtzeitiger Erkennung ist durch den Ausbau der Diagnostik,
den wir vorwiegend dem letzten Jahrzehnt verdanken, doch wesentlich
gefördert worden.
soziale Medizin und nerztilche siandesanoeleoenneiten.
Zur Neuordnung des medizinischen Studiums.
(Ergänzende Ausführungen zu den Anträgen der Münchener Mediziner¬
schaft. Siehe Münch, med. Wochenschr. Nr. 8 vom 25. II. 21 S. 260.)
Der Notwendigkeit einer Neuordnung des medizinischen Studiums
entsprechend den Vorschlägen der Sitzung der Vertreter .der Aerzteschaft
und der Fakultäten in Halle am 31. X. 20 schliessen wir uns voll und
ganz an; wir müssen aber in einer Verlängerung der Studienzeit um ein
Jahr eine ernste Gefahr für die Wissenschaft, den Aerztestand und das
Deutsche Volk erblicken.
Erstens wäre dies ein weiterer Schritt in der immer
zunehmenden Verteuerung des Studiums. Dadurch wird
den Söhnen des gebildeten Mittelstandes, der in den letzten Jahren ver¬
armt ist und an dem harten deutschen Schicksal besonders schwer
zu tragen hat, der Zugang zum Medizinstudium erschwert Die Mehr¬
zahl der heutigen Aerzte wird ihre Söhne nicht mehr den Beruf des
Vaters ergreifen lassen können. Den Nachwuchs der deutschen Aerzte
wird in Zukunft der „Neue Reichtum“ liefern. Der Wissenschaft werden
aus solchen Kreisen keine ihrem bisherigen Stande würdigen Träger
erstehen. Der ärztliche Stand wird seine Stellung, die mit so vielen
Fasern im Volk fest verankert ist, verlieren. Das Volk wird das
Zutrauen zu einem ärztlichen Stande, der an den eigenen wirtschaft¬
lichen Nöten und Sorgen nicht teilnimmt, verlieren und sich noch mehr
als bisher Kurpfuschern zuwenden. — Gegen diese immer weiter fort¬
schreitende Entwicklung müssen wir Akademiker des gebildeten Mittel¬
standes, Studenten, Aerzte und Dozenten, uns um unserer eigenen und
unserer Kinder Zukunft und um der Erhaltung der Höhe unseres Standes
willen mit allen ups zur Verfügung stehenden Mitteln auflehnen.
Zweitens zwingen uns rassenhygienische Gründe zur
Ablehnung der Verlängerung des Studiums. Die gebildeten Familien
habep schon seit Jahrzehnten einen so geringen Nachwuchs, dass dieser
Im Durchschnitt nicht einmal zu ihrer blossen Erhaltung ausreicht; ihr
Aussterben ist nunmehr durch die Folgen des unglücklichen Krieges in
unmittelbar drohende Nähe gerückt.
Eine der wesentlichsten Ursachen dieses Aussterbens ist das späte
Heiratsalter der gebildeten Stände. Jede Verlängerung der Vorbildüngs-
zelt zu den geistigen Berufen bedeutet daher einen weiteren Schritt
auf dem Wege des Niedergangs.
Wir können uns ln unserer Stellungnahme auf eine Sachverständigen¬
kommission des Münchener ärztlichen Vereins, in der auch viele Mün¬
chener Hochschullehrer vertreten waren, berufen, die erst im Jahre 1918
die Forderung vertreten hat, dass aus rassehygienischen Gründen die
Ausbildungszeit für die geistigen Berufe um mehrere Jahre verkürzt
werden müsse. Eine Verkürzung des medizinischen Studiums kann aller¬
dings nicht in Frage kommen; die Ausbildungszeit für den ärztlichen
Beruf müsste vielmehr durch Einschränkung der Mittelschulzeit verkürzt
werden. Jedenfalls aber müssen wir Jedem Versuch einer Verlängerung
des medizinischen Studiums ein unbedingtes Nein entgegensetzen.
Uns leiten bei unserer Stellungnahme nicht individuelle Interessen,
da uns persönlich eine solche Verlängerung nicht mehr treffen würde,
sondern das Wohl der Söhne, die wir einmal zu haben hoffen, das Wohl
der Familien des ärztlichen Standes und das Wohl der Rasse. Auch bei
allen älteren Aerzten, die noch junge Söhne haben, hoffen wir Ver¬
ständnis und Zustimmung zu finden.
'Wir verschliessen uns nicht der Einsicht, dass die gegenwärtige
Ueberfüllung des medizinischen Studiums eine katastrophale Gefahr für
den ganzen ärztlichen Stand bedeutet. Wir billigen daher nicht nur die
in Halle vorgeschlagenen Verschärfungen der Prüfungsbestimmungen,
sondern wir erheben darüber hinausgehend ausdrücklich die Forde-
rungdes numerus clausus. Nur wenn der ärztliche Stand nicht
durch immer grössere Ueberfüllung wirtschaftlich völlig ruiniert wird,
und nur wenn er wirklich geeigneten deutschen Männern Vorbehalten
bleibt, können tüchtige deutsche Familien in ihm die wirtschaftlche
Grundlage ihres Gedeihens finden.
In der Rettung und Stärkung der zur geistigen Führung geeigneten
Familien aber sehen wir die wesentlichste Bedingung für den Wieder¬
aufbau der deutschen Volkskraft und der deutschen Kultur.
Zu den Anträgen fügen wir Im einzelnen hinzu:
1. Der Beschluss der Tagung in Halle, das vorklinische Studium
bei 5 Semestern zu belassen, der nur mit geringer Mehrheit gefasst
wurde, bedeutet tatsächlich gegenüber der Zeit vor dem Kriege eine
Verlängerung des vorklinischen Studiums um ein Semester, da damals
das Militärhalbjahr als vorklinisches Semester Anrechnung fand. Dieses
ist mit Aufhebung der Wehrpflicht weggefallen. Von einer Verlängerung
Digitized by Goiisle
des vorklinischen Studiums ist nie die Rede gewesen. Es liegt also
keine Veranlassung vor, jetzt nach dem Wegfall der Militärzeit, mehr
als vier vor klinische Semester bei der Zulassung zur Vor¬
prüfung zu verlangen. Dadurch würde ein Semester gewonnen werden,
das dem klinischen Studium zugute käme, das dringend einer Ver¬
längerung bedarf.
2. Die Intensität der Studienarbeit hat gegenüber früheren Zeiten
beträchtlich zugenommen, da unser Volk, besonders der Akademiker¬
stand, in tiefe Not gekommen ist und somit die Zeit zum Bummeln und
zum sorglosen Studentenleben der guten alten Zeit nicht mehr da ist,
weil weitaus der grösste Teil der Studenten mit einem Mindestmasse
von Kostenaufwand sein Studium beenden muss. Dem muss Rechnung
getragen werden bei der Festsetzung einer Mindestzahl von Semestern,
die zur Zulassung zu einem Examen berechtigen.
3. Die bisherige Handhabung des Beginnes und des Endes eines
Semesters entspricht sicher nicht den Forderungen eines geregelten
Studiums. Dass der Beginn der Vorlesungen, wie überall üblich, etwa
14 Tage vor dem tatsächlichen Beginn angesetzt wird, und dass es den
einzelnen Dozenten freigestellt ist Beginn und Schluss ihrer Vorlesungen
selbständig anzukündigen, ist ein Uebelstand, der eine leicht zu ver¬
meidende Verschwendung an Zeit und Geld zur Folge hat. Es muss
also in erster Linie ein auf allen Universitäten einheit¬
licher pünktlicher, für Studenten und Dozenten
gleichermassen verpflichtender Beginn und Schluss
der Vorlesungen verlangt werden. Allein hierdurch würden in
Jedem Semester mehrere Wochen für einen geregelten Studienbetrieb
gewonnen werden.
4. Darüber hinaus muss aber die Forderung einer Verlängerung
der Semesterzelt auf 3H bzw. 4 iVlonate vom wirklichen
Beginn bis zum Schluss der Vorlesungen gestellt werden, denn den
Luxus der lange<n akademischen Ferien können wir uns heute nicht
mehr leisten. Die studentische Arbeit muss zweckmässiger, d. h. Inten¬
siver bei gleichem Kräfteaufwand gestaltet werden. Gerade im medi¬
zinischen Studium ist die Zahl der Wochenstunden zurzeit zu einer un¬
gesunden Höhe gestiegen. 10 bis 11 Kollegstunden an einem Tage
sind keine Seltenheit. Wird die Länge des Semesters ausgedehnt
verringern sich auch die wöchentlichen Stundenzahlen der Vorlesungen.
Am zweckmässigsten würden auch andere Zeiten für die Semester ge¬
wählt nicht Sommer- und Wintersemester, wie bisher, sondern Früh¬
jahrs- und Herbstsemester, mit kurzen Winter-' und um so längeren
Sommefferien, in denen genügend Zeit wäre, für Erholung, Kranken¬
pflege und Famulantendienst.
5. Für sämtliche Pflichtvorlesungen, deren Beibehaltung in
dem bisherigen Masse auch unserem Wunsch entspricht, wird eine an
allen Universitäten möglichst einheitliche wöchentliche
Stundenzahl verlangt Die in Halle beschlossene Aufstellung eines
gemeinsamen Lehrplans für alle Semester wird daher sehr begrüsst.
6. Ebenso freuen wir uns über die beschlossene Verschärfung
der Prüfungen und die nur einmalige Wiederholung des Physikums.
Im dringenden Interesse der Auswahl der Tüchtigsten und Begabtesten
zum ärztlichen Berufe und der rechtzeitigen Zurückstellung der Un¬
tüchtigen muss diese Verschärfung der Prüfungen auf das strengste
unter Missachtung mancher unvermeidlicher Härten durchgeführt werden,
was nach unserer Ansicht nur durch eine Prüfungskommission
geschehen kann und nicht durch einzelne Professoren.
7. Im Interesse einer frühzeitigen Auslese begrüssen wir die Ein¬
führung des Krankenpflegedienstes vor dem Physikum,
den wir möglichst an den Anfang des Studiums oder in die ersten Ferien
gelegt haben möchten.
8. Durch den beantragten Wegfall der Doktordisserta¬
tion erstreben wir keine Erleichterung in der Erlangung der Doktor¬
würde, sondern wollen die hohen Kosten dieser Prüfung vermeiden. Ein
vollwertiger Ersatz wäre eine der heutigen Doktorarbeit entsprechende
schriftliche Arbeit die mit dem Staatsexamen eingereicht wird, und bei
der Beurteilung über das Bestehen der Prüfung mit entscheidet.
9. Ganz besonders wird die ln Halle beschlossene Erhöhung
der bezahlten Praktikanten - und Assistentenstellen
begrüsst, die einem dringenden Bedürfnis entspricht
10. Wir sind uns darüber klar, dass die von uns gestellten Anträge
teilweise hohe Forderungen an die Dozenten stellen. Wir möchten aus¬
drücklich betonen, dass wir bei der auch unter den Universitätslehrern
herrschenden grossen Notlage für uns keine wirtschaftlichen Vorteile auf
Kosten dieser erstreben wollen, sondern dass wir mit unseren
Dozenten und den Aerzten zusammen gegen die
weiter oben geschilderte verhängnisvolle Entwick¬
lung des ärztlichen Berufes ankämpfen wollen.
11. Zu dem schwierigsten Problem des ärztlichen Standes, der
Verminderung des Zudranges zum medizinischen
•Studium, stellen wMr uns auf den Standpunkt, dass der Weg der
Ausscheidung der wirtschaftlich nicht Leistungs¬
fähigen ein verderblicher ist, dass die Auslese nach Be¬
gabung und Tüchtigkeit durch ' äusserst verschärfte Prüfungen streng
durchgeführt werden muss, aber allein nicht genügt, dass daher die
Einführung eines numerus clausus unvermeidlich ist und
raschester Durchführung nach eingehenden Beratungen besonders hierfür
angesetzter Tagungen und anschliessenden Erörterungen in der Fach¬
presse bedarf. ' Frhr. von Verschuer, cand. med.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
369
Die Neuordnung des Deutschen Strafrechts.
Von Theodor von der Pfordten, Rat am Obersten
Landesgericht in München.
(Schluss.)
4. Sittlichkeitsverbrechen'. Das geltende Recht lasst
unter dieser nicht sehr glücklich gewählten Bezeichnung^*) ganz ver¬
schiedenartige Strafvorschriften zusammen. Der E. hat hier schärfer
getrennt: Doppelehe und Ehebruch StGB. §§ 171, 172 hat er mit Recht
unter die Verbrechen und Vergehen gegen Ehe und Elternrechte ge¬
bracht (E. §§ 337 ff.), die Ausbeutung fremden unsittlichen Verhaltens
(Kuppelei, Alädchenhandel und Zuhälterei) hat er im 23. Abschn.
(E. §§ 33 ff.) gesondert behandelt; die Mitteilungen aus Gerichtsver¬
handlungen, bei denen die Oeffentlichkeit wegen Gefährdung der Sitt¬
lichkeit ausgeschlossen war (StGB. § 184 b), sind in den Abschn. 8
(Auflehnung gegen die Staatsgewalt) gestellt “). Für den Arzt sind von
grösserer Bedeutung nur die Tatbestände der Sittlichkeitsverbrechen im
engeren Sinne, die der E. im 22. Abschnitt (§§ 314—329) regelt.
a) Notzucht (E. § 314). Der Tatbestand (Gewalt oder Drohung
mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben) bleibt im Wesentlichen
unverändert. Unter Gewalt ist nach § 9 Nr. 6 auch zu verstehen .die
Anwendung der Hypnose oder eines betäubenden Mittels, um jemanden
bewusstlos oder widerstandsunfähig zu machen. Vom geltenden Recht
her übernommen ist auch die verwandte Vorschrift im E. § 320 (Nötigung
zu unzüchtigen Handlungen).
b) Schändung (E. § 315) Hier handelt es sich im Gegensätze
zur Notzucht um die Ausnützung eines nicht vom Täter selbst herbei¬
geführten Zustandes. Neu ist, dass der Schutz dieser Vorschrift auf
die wegen Geistesschwäche zum Widerstand unfähigen Frauen ausge¬
dehnt wird. Nach der Denkschrift (S. 261) ist dabei nur an Fälle
gedacht, in denen der Täter beim Vollzug des Beischlafes bewusst eine
krankhafte Unfähigkeit der Frau zum Widerstand gegen geschlechtliche
Reize benützt hat. Den Geistesschwachen sind Frauen gleichgestellt,
die aus anderen Gründen (z. B. Trunkenheit) keinen Widerstand leisten
können.
c) Verführung (E. § 317). An der Altersgrenze von 16 Jahren
soll festgehalten werden, dagegen soll das schwer bestimmbare Merk¬
mal der „Unbescholtenheit“ wegfallen. Die Rechtsprechung hatte schon
bisher angenommen, dass es nicht gleichbedeutend ist mit Jungfräulich¬
keit: die Denkschrift (S. 262) hebt mit Recht hervor, dass die peinlichen
Nachforschungen im Vorleben der Verführten besser unterbleiben und
dass eine zweite Verführung u. U. gefährlicher sein kann als die erste.
Gleichwohl ist die Neuerung nicht unbedenklich. Ihr Erfolg wird gering
sein, denn das Vorleben ist doch von Bedeutung für die Frage, ob
Verführung voriag. Der Täter wird regelmässig darzulun versuchen, dass
es gar keiner Verführung mehr bedurfte. Gefährlich wird der erweiterte
Schutz im Zusammenhalt mit der neuen Vorschrift, dass die Tat bei
nachfolgender Heirat straflos bleibt. Für berechnende Mädchen und
durchtriebene Eltern eröffnet sich da ein bei der heutigen Männerknapp¬
heit recht erwünschter Weg zu einer Heirat: Das vielleicht schon ver¬
dorbene Mädchen spielt die Unschuld, lässt sich verführen und der Mann
wird durch den Druck der Strafdrohung und des zum mindesten drohen¬
den Skandals zur Eheschliessung bestimmt.
d) Missbrauch von Gewalt- oder Abhängigkeits¬
verhältnissen (E. §§ 323, 324, 328). Die alten Strafvorschriften
werden übernommen und weiter ausgebäut. E. § 323 schützt Minder¬
jährige allgemein vor unzüchtigen Handlungen der Eltern, Adoptiveltern,
Stief-, Gross- und Pflegeeltern, Vormünder und Pfleger, ferner minder¬
jährige Schüler und Zöglinge gegenüber Geistlichen, Lehrern und Er¬
ziehern. E. § 324 erweitert in Abs. 1 die Strafdrohungen zum Schutze
gegen Beamte und in Abs. 2 den Kreis der Anstalten, deren Insassen
vor unzüchtigen Handlungen bewahrt werden sollen; es sind jetzt auf¬
gezählt: Gefangenenanstalten, Verwahrungsanstalten (z. B. für Trinker
[E. § 92], Geisteskranke oder vermindert Zurechnungsfähige [E. § 88],
Arbeitsscheue fE. § 95], Gewohnheitsverbrecher [E. § 100]), Erziehungs¬
und Besserungsanstalten, öffentliche oder private Anstalten für Kranke
oder Hilfsbedürftige (Krankenhäuser, Sanatorien, Siechen- und Ent¬
bindungsheime u. dgl.). Was insbesondere die privaten Kranken- und
anderen Fürsorgeanstalten angeht, so soll strafbar sein, wer in der Anstalt
angestellt oder beschäftigt oder als Inhaber daran beteiligt ist und
eine unzüchtige Handlung mit jemandem vornimmt, der in die Anstalt
aufgenommen ist und unter seiner Aufsicht und Obhut steht. Wie die
Denkschrift (S. 269) ausführt, wollte der E. nur Personen treffen, die
in einem „Autoritätsverhältnis“ gegenüber den Anstaltsinsassen stehen.
Es scheint mir aber, dass er in seinem jetzigen Wortlaut noch viel zu
weit geht, zumal da er die allgemeine Aufsichts- odei^ Obhutspflicht ent¬
scheiden lässt und es nach der Denkschrift nicht darauf ankommen soll,
ob der Täter gerade zur Aufsicht oder Obhut über den zuständig war,
Der Ausdruck „Sittlichkeit“ legt die Annahme nahe, als handle es sich
hier um vernünftige Regelung des geschlechtlichen Lebens im Sinne ethischer
Forderungen: eine unerfüllbare, ausserhalb des strafrechtlichen Gebietes
liegende Aufgabe. Das staatliche Strafrecht hat auch in das Geschlechtsleben
nur insoweit einzugreifen, als es der Schutz der Allgemeinheit und bestimmter
persönlicher Rechtsgüter fordert.
“) Neu und zu begrüssen ist es, dass solche Mitteilungen schlechthin
strafbar sein sollen, auch wenn sie nicht geeignet sind, Aergernis zu erregen.
Der ^Spekulation gewisser Presserzeugnisse auf die Lüsternheit kann damit
wirksamer entgegengetreten werden (Denkschrift S. 157).
Digitized by Goiisle
an dem er sich vergangen hat Wenn sich also z. B. ein alter Lebe¬
mann in einem Privatsanatorium eine Krankenschwester geneigt macht,
die gar nicht regelmässig mit seiner Pflege betraut ist, so soll das
Mädchen bestraft werden, weil es ein Gewalt Verhältnis missbraucht hatr
Oder die als Mitinhaberin der Anstalt beteiligte Frau des leitenden
Arztes lässt sich einen Anstaltsbewohner als Liebhaber gefallen — soll
sie nun vor Gericht gezogen werden? Bedarf es in solchen Fällen
wirklich eines strafrechtlichen Schutzes für Männer, die in der Anstalt
vielleicht geradezu auf Liebesabenteuer ausgehen? Mir scheint, der
E. würdigt hier entweder die tatsächlichen Verhältnisse nicht richtig
oder er drückt sich schief und zu allgemein aus. Eine Vorschrift zum
Schutze von Frauen und Jugendlichen würde wohl genügen.
Bedenken erweckt auch E. 318, w'onach bestraft werden soll, wer
eine Frau durch Missbrauch ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit zum
Beischlaf nötigt. Fälle dieser Art werden sehr selten gestraft werden
können, wenn man sich streng an die Forderung der Denkschrift (S. 264)
bindet, wonach der Täter eine besondere Zwangslage für die Frau ge¬
schaffen haben muss, unter deren Druck sie ihm zu Willen geworden
ist. Wird dabei nicht sehr sorgfältig verfahren, so wird man ins
Uferlose kommen und hässliche Angebereien. Racheakte und Erpres¬
sungen werden die Folge sein. Für Hysterische erwächst hier ein
reiches Betätigungsfeld. Dass die Tat straflos bleiben soll, wenn der
Täter die Frau heiratet, macht die Vorschrift ähnlich wie die über Ver¬
führung (oben c) zu einer Anleitung für den Männerfang.
e) Unzucht mit Kindern (E. § 321). Die Altersgre^ize von
14 Jahren soll bleiben (E. § 9 Nr. 1). Der Tatbestand ist der gleiche,
wie im geltenden Rechte (Vornahme einer unzüchtigen Handlung mit
dem Kinde; Verleiten des Kindes zur Vornahme oder Duldung einer
solchen Handlung).
f) Blutschunde (E. § 319). Hier ist nichts geändert.
g) Widernatürliche Unzucht (E. §§ 325, 326). Die •Un¬
zucht mit Tieren (§326) ist wie bisher geregelt; Männer und Frauen
werden gleichmässig betroffen. Der Tatbestand ist schärfer dahin ge¬
fasst. dass eine „beischlafsähnliche“ Handlung vorliegen muss. Das
gleiche Erfordernis ist ini Anschluss an die Rechtsprechung im § 325
Abs. 1 für den Tatbestand der widernatürlichen Unzucht zwischen Män¬
nern aufgestcllt. Hier sind ferner einige schwerere Fälle vorgesehen
(Abs. 2 bis 4): 1. Verführung eines Jugendlichen (zwischen 14 und
18 Jahren; E. §9 Nr.2) durch einen Volljährigen; 2. Missbrauch eines
durch Amts- oder Dienstgewalt begründeten Abhängigkeitsverhältnisses;
3. Gewerbsmässigkeit; 4. Anbieten oder Bereiterklären zur Tat in der
Absicht gewerbsmässigen Betriebs.
Die Denkschrift (S. 269) rechtfertigt die Beibehaltung des viel¬
umstrittenen § 175 StGB, mit der Erwägung, dass widernatürliche Ver¬
fehlungen zwischen Männern dem gesunden Empfinden des Volkes ver¬
werflich und strafwürdig erscheinen und dass angeborene krankhafte
Triebe auch anderwärts Vorkommen, also nicht ohne weiteres berück¬
sichtigt werden können. Das mag richtig sein, auch muss zugegeben
werden, dass die masslosen Angriffe gewisser Kreise gegen den § 175
StGB, unerfreuliche, oft sogar widerliche Formen angenommen haben.
Die Denkschrift gleitet aber über gewichtige Einwendungen stillschwei¬
gend hinweg. Aus der unübersehbaren Masse widernatürlicher Hand¬
lungen wird ein verhältnismässig kleiner Teil willkürlich herausgegriffen,
noch dazu ein schwer abgrenzbarer. Es ist oft kaum festzustellen, wo
die blosse gegenseitige Onanie aufhört und die beischlafsähnliche Hand¬
lung beginnt. Der Beweis ist deshalb mit grossen Schwierigkeiten ver¬
bunden Mehr oder weniger bleibt es Zufall, was herauskommt. Und
warum soll gerade die eine Form strafwürdig sein, während so viel
anderes ungeahndet bleibt? Wenn ein Volljähriger einen jungen Mann
von mehr als 14 Jahren zur gegenseitigen Onanie verleitet oder ein
Mädchen von mehr als 16 Jahren zu den abscheulichsten Unzuchts-
■ formen, so geht er straflos aus; ja er kann sein Treiben sogar an einem
Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren versuchen, wenn er es nur nicht
zu ordnungmässigem Beischlafe kommbn lässt. Sind das weniger gefähr¬
liche Handlungen, als wenn zwei ausgewachsene Päderasten ihrer an¬
geborenen Neigung miteinander fröhnen, wodurch sie gewiss nicht
anomaler werden, als sie schon waren? Die Berufung auf die gesunde
Volksnieinung führt hier m. E. zu einem offensichtlichen Verstoss gegen
die Grundsätze der gesunden Vernunft des denkenden Menschen. Muss
der Staat schon auf den Versuch verzichten, das Geschlechtsleben un¬
bedingt in bestimmten natürlichen Bahnen zu halten, so hat es wenig
Sinn, eine einzelne Abweichung strafen zu wollen.
Ich würde es für angezeigt haltert, dass die widernatürliche Unzucht
zwischen Männern nur in den Fällen bestraft wird, die der E. als er¬
schwerte anfuhrt. Hier stehen allerdings schutzwürdige Interessen in
Frage und insbesondere muss die sog. männliche Prostitution schon als
Herd vieler Verbrechen auf anderen Gebieten bekämpft werden.
h) Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit
(E. §§ 327—329). Neu ist hier insbesondere die Regelung des Verkehrs
mit Gegenständen, die zur Verhütung der Empfängnis oder von Ge¬
schlechtskrankheiten dienen (§ 329). Die Rechtsprechung sah darin
schlechtweg Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind,
so dass die öffentliche Ankündigung. Anpreisung u. dgl. strafbar sein konn¬
ten, auch wenn sie in ärztlichen Fachzeitschriften geschahen. Diesen
unerwünschten Zustand sucht der E. (§ 329) dadurch zu beseitigen, dass
er Mittel und Gegenstände der erwähnten Arzt von den unzüchtigen
Gegenständen absondert und eine eigene Strafvorschrift für sie erlässt.
Die Ankündigung, Anpreisung oder Ausstellung soll nur strafbar sein,
wenn sie in einer „Sitte und Anstand verletzenden Weise“ gesciiieht.
Die ernsthafte fachliche Beratung ist hiernach erlaubt. Den Mitteln
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
370
' MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
und Gegenständen sind Verfahren zur Verhütung der Empfängnis und
von Geschlechtskrankheiten gleichgestellt.
5. Sicherung der Anstaltsbehandlung. Der E. sieht
neben oder an Stelle der Strafe vielfach Unterbringung in einer Anstalt
vor (s. oben III in Nr.lO d. Wschr.), so die Verwahrung Unzurechnungs¬
fähiger und gemindert Zurechnungsfähiger, Trunksüchtiger usw. Der er¬
höhten Bedeutung solcher Massregeln gemäss bedroht E. § 193 den
mit Strafe, der eine auf behördliche Anordnung^®) in einer Anstalt ver¬
wahrte Person aus der Verwahrung befreit oder ihr Entweichen be¬
fördert. Ergänzt wird diese Vorschrift durch E. § 236: Hiernach soll
bestraft werden, wer wissentlich die auf Grund der neuen Sicherungs¬
vorschriften angeordnete Verwahrung eines anderen in einer Anstalt
ganz oder teilweise vereitelt‘D; Angehörige (E. §12 Nr. 1) können
straffrei gelassen werden.
6. Leichenraub und Leichenschändung. Der E.
(§ 218) fasst zwei bisher im StGB. § 168 und §367 Nr. 1 getrennt be¬
handelte Tatbestände zusammen. Strafbar soll sein, wer einen Leich¬
nam oder Teile davon aus dem Gewahrsam des Berechtigten wegnimmt
oder beschimpfenden Unfug daran verübt. Fraglich kann sein, ob Stücke
von Leichen dann noch als Leichenteile i. S. des § 218 gelten können,
wenn sie Anstalten oder einzelnen Personen zu medizinischen oder
anderen wissenschaftlichen Zwecken überwiesen sind. Es wird anzu¬
nehmen sein, dass sic dann gewöhnlichen beweglichen Sachen gleich¬
stehen, ihre widerrechtliche Anejgnung also als Diebstahl oder Unter¬
schlagung strafbar ist^®).
Als Uebertretungen strafbar sind nach E. § 432 Zuwiderhandlungen
gegen die Bestattungsvorschriften.
7. Gemeingefährliches und gemeinschädliches
Verhalten ^®).
a) Nach E. § 272 wird bestraft, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine
Schutzmassregel verletzt, die durch Gesetz oder durch-die zuständige
Behörde angeordnet ist, um das Einschleppen oder Verbreiten einer über¬
tragbaren menschlichen Krankheit zu verhüten*®); auch Massnahmen
gegen Geschlechtskrankheiten zählen hierher.
b) Der E. will in § 280 die Gewerbsunzucht (bisher § 361 Nr. 6
StGB.) als Vergehen strafen, sofern dabei die Ueberwachungsvorschrifteii
übertreten werden. Diese sollen einheitlich von der Reichsregierung
erlassen und durch das Landesrecht nur ergänzt werden. Die ganze Frage
wird aber wahrscheinlich in anderem Zusammenhänge geregelt werden
(Denkschr. S. 224/5).
c) In diesen Zusammenhang fallen auch die Uebertretungen der
Vorschriften über Herstellung, Aufbewahrung und Verwendung von
Giften, Giftwaren und Arzneien (E. §419 Nr. 2).
^ 8. Berufsmässige Krankenpflege. Die Vorschriften des
Ges. V. 17. September 1915 über den Schutz von Berufstrachten und
-abzeichen in der Krankenpflege (RGBl. S. 561) werden im wesentlichen
in den E. §423 Nr. 3 herübergenommen.
BQcheranzeigen und Referate.
E. Abderbalden-Hallp a. S.: Physiologisches Praktikum.
Chemische, physikalisch-chemische und physikalische Methoden. 2. Auf¬
lage. 310 Seiten mit 287 Textabbildungen. Verlag von J. Springer
Berlin 1919. Preis 17.60 M. ’
Das neu aufgelegte Abderhalden sehe Praktikum hat eine Um¬
arbeitung und zugleich eine Vermehrung des Textes und der Abbildungen
erfahren. Die Umarbeitung *bezieht sich besonders auf den chemischen
Teil in dem der qualitative Nachweis wichtiger physiologisch-chemischer
Stoffe und das präparative Arbeiten nunmehr getrennt behandelt wird.
Neu ist hier auch ein Kapitel über den Analysengang zur Erkennung
organischer Verbindungen.
Irn physikalischen und physikalisch-chemischen Teil sind Versuche
über Diffusion in Gallerten, am überlebenden Darm, an verschiedeh-
artigen Magen, über absolute Muskelkraft, den Fick sehen Arbeits¬
sammler und über tierische Hypnose hinzugekommen. Auch sind dort
elementare Berechnungen des Energieinhaltes von Nahrungsstoffen und
Nahrungsmitteln und der zur Leistung einer bestimmten Arbeit not-
w'endigen Menge von Energie bzw. Nahrungsstoffen eingeschoben.
Bezüglich weiterer Einzelheiten besonders der operativen Methoden
auf die Darstellungen von Tigerstedt und Fuchs verwiesen.
Das Buch, über das beim Erscheinen der ersten Auflage (1913) ein¬
gehender referiert wurde, enthält eine Fülle von Versuchen.
• Besonders dankbar wird man es wiederum begrüssen, dass der
Verfasser seine reichen wissenschaftlichen und didaktischen Erfahrungen
auf dem Gebi ete der physiologischen Chemie dem jungen Mediziner und
J®) Nicht nur „gerichtliche“ Anordnung. Getroffen werden auch die Fälle
der Fürsorgeerziehung, falls diese in einer Erziehungs- oder Besserungsanstalt
vollzogen wird. Die Familienerziehung von Fürsorgezöglingen zu sichern,
bleibt dem Landesrecht überlassen.
Tatbestand ist enger als der des E. § 236; er umfasst nur die
vorgesehenen Verwahrungsfälle.
Ebermayer in der oben Anm. *) erwähnten Abhandlung.
) Der hierher gehörenden Vorschrift gegen Trunksüchtige (E. § 274)
wurde schon im II. Abschnitt gedacht (Nr. 10 d. Wschr.).
) Massregeln solcher Art sind insbesondere Vorschriften über Des¬
infektion, über Beseitigung von Kleidern und Wäsche, Absonderung Kranker,
Aiizeigepflicht u. dgl. „Uebertragbar“ sind auch Krankheiten, die nicht von
Alcnsch zu Mensch, sondern durch Zwischenträger (z. B. Insekten) anstecken
(Denkschrift S. 216/7).
Digitized by Goüsle
Biologen zugängig gemacht hat. Die Verlagsbuchhandlung hat auch
diese Auflage trotz der Nöte der Zeit vorzüglich ausgestattet.
K. B ü r k e r - Giessen.
H. E u 1 e r: Chemie der Enzyme. 2., nach schwedischen Vorlesungen
vollständig umgearbeitete Auflage. I. Teil: Allgemeine Chemie der
Enzyme. Mit 32 Textfiguren und 1 Tafel. Wiesbaden und München,
Verlag von J. F. Bergmann,“ 1920. 306 Seiten. Preis 56 M.
Das bekannte Buch Eulers liegt hier in 2. Auflage vor. Qer
schnellen Entwicklung der Enzymchemie entsprechend hat das Buch eine
wesentliche Umarbeitung und erhebliche Erweiterung erfahren. Es jst
zu 2 Bänden angewachsen. Der erste jetzt erscheinende Teil bringt mit
meisterhafter Klarheit eine Darstellung des gegenwärtigen Standes der
allgemeinen Enzymlehre, w^elche im wesentlichen auf physikochemischer
Grundlage au/gebaut ist und in sehr glücklicher Vereinigung die Er¬
gebnisse der Kolloidchemie und der Reaktionskinetik, bzw. Katalyse
zur Geltung bringt. Das Buch wird sicher auch in der jetzt gegebenen
erweiterten Form viele Freunde gewinnen, da es in seiner übersicht¬
lichen und im besten Sinne kritischen Art zu den schönsten Darstellungeh
dieses Gebietes gehört. H. Schade-Kiel
R. O e s t r e i c h: Leitfaden der pathofogischen Anatomie für Zahn-
beiikunde-Studierende und Zahnärzte. 2. Auflage. Mit 36 Abbildungen.
Leipzig 1920. Georg Thieme. Preis 19.20 M.
Ganz kurze Uebersicht über allgemeine und spezielle Pathologie mit
besonderer Berücksichtigung der für die Mundhöhle in Betracht kom¬
menden krankhaften Prozesse; dabei wird die pathologisch-histologische
Technik und die bakteriologische Untersuchungsmethodik ebenfalls an¬
geführt. Die Abbildungen sind instruktiv. Das Büchlein wird als Repeti¬
torium Zahnärzten gute Dienste leisten, ersetzt natürlich das Studium
eines Lehrbuches nicht. Oberndorfer -München.
C. F r anz: Kriegschirurgie. Leipzig 1920. W. Klinkhardt.
Ein neuer, kurzgefasster Leitfaden der Kriegschirurgie! Franz er¬
scheint durch seine reichen Erfahrungen auf diesem Gebiete im südwest¬
afrikanischen und im Weltkriege als beratender Chirurg und Lehrer an
der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen
ganz besonders geeignet, ein derartiges Werk zu verfassen. Aus allen
Kapiteln spricht in erster Linie die persönliche Erfahrung und gerade
diese persönliche Note macht das Buch uns wertvoll. Selbstverständlich
sind auch die Ergebnisse anderer Kriegschirurgen kritisch gewürdigt.
• Keiu Ballast vieler Kasuistik und Literaturangaben beschwert diesen
handlichen Leitfaden, in dem man sich sicher und rasch über alle ein¬
schlägigen kriegschirurgischen Fragen und Ergebnisse orientieren kann.
Dem praktischen Arzte, der sich ja noch notgedrungen viele Jahre mit
den Folgen der Kriegsverwundungen wird befassen müssen, wird er ein
willkommener Ratgeber sein. — Ganz ausgezeichnet sind die auf be¬
sonderen Tafeln beigegebenen anatomischen Abbildungen, die z. T. den
bewährten Werken von Tandler, Corning, Borchardt uam.
entnommen sind, während die Wiedergabe mancher Röntgenaufnahmen
durch das Kriegspapier gelitten hat. Ein reich illustriertes Kapitel ist
den Prothesen und Arbeitshilfen gewidmet, die das schwere Los der
Amputierten und Verstümmelten verbessern sollen.
Ich wikische dem auf der Höhe seiner Aufgabe stehenden Buche
die w^eiteste Verbreitung. V. Schmieden-Frankfurt a. M.
H. Feh fing- Strassburg: Thrombose und Embolie nach chirur¬
gischen Operationen. Stuttgart, Enke, 1920, Preis 20 M.
Für die Entstehung der Thrombose kommen 3 .Dinge in Betracht, die
Behinderung der Strömung des Blutes, die Schädigung der Gefässwand
'Und die Veränderung der Blutbeschaffenheit. Der bedeutendste Faktor
ist die Behinderung der Blutströmung. Thrombose findet sich fast durch¬
weg nur bei Personen jenseits des 40. Jahres, Bei den Kriegsverwunde¬
ten fand sich Thrombose ausserordentlich selten. In Strassburg kamen
bei 60 000 Kriegsverwundeten nur 4 tödliche Embolien vor.
Bei der Prophylaxe der Thrombose glaubt F.“ dem Frühaufstehen
nicht den ihm von vielen Autoren beigelegten Wert zuschreiben zu
müssen. Die Hauptprophylaxe sieht er in einer Kräftigung des Herz¬
muskels vor der Operation: Koffein, Kampfer, Digitalis, einige Tage
Ruhe bei abgearbeiteten Kranken, gute Kost, Anregung der Urinsekretion,
Vermeidung des starken Abführens, Herzmittel nach der Operation.
Soviel aus dem Inhalt der anregenden Schrift, die einen guten Ueber-
blick über den wichtigen Gegenstand gibt. K r e c k e.
Vorlesungen über Bakteriologie, Immunität, spezifische Diagnostik und
Therapie der Tuberkulose für Aerzte und Tierärzte. Von Dr. Emst
L ö w e n 81 e i n, a. o. Professor an der Universität Wien. Mit 1 Ab¬
bildung im Text urid 2 Kurventafeln. Jena, Verlag von Gustav Fischer,
1920. Preis gebunden M. 52.—.
Das Buch hat eine ausgeprägte Eigenart dadurch, dass in ihm die
grosse experimentell-pathologische und Laboratoriumserfahrung des be¬
kannten Tuberkuloseforschers zu Worte kommt. Der Methodik ist überall
ein breiter Raum gegeben, damit der ernst arbeitende Arzt, auch wenn
er als Land- oder Heilstättenarzt ohne literarische Hilfsmittel sich fort¬
bilden muss, doch in den Stand gesetzt wird, selbständig weiterzuarbei¬
ten. Die spezifische Behandlung, in deren Entwicklung und Anerkennung
der Name des Verfassers unvergessen bleiben wird, ist nach persön¬
lichen Erfahrungen eingehend dargestellt. Den Schluss bildet ein sehr
beachtenswerter „Beitrag zur Bekämpfung der Tuberkulose“, in dem
L ö w e n s t e i n vorschlägt, das Hauptgewicht bei der Bekämpfung und
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNf.A
25 . März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
371
Verhiitüng der Tuberkulose auf die Entfernung der Neugeborenen aus
den tuberkulösen Haushalten zu legen. Es sind deshalb die Schwanger¬
schaften und Geburten in diesen Haushalten in allererster Lyiie zu be¬
rücksichtigen. Löwenstein zitiert dabei einen Satz von Pfaund¬
ler, dass die Tuberkulose schon viel von ihrem Schrecken verlieren
würde, wenn es gelänge, den Zeitpunkt der Infektion hinter das 6. Lebens-
iahr zu verlegen.
Leider wimmelt das Buch geradezu von Druckfehlern, die nicht nur
den Text verunstalten, sondern sich auch in die Tabellen eingeschlichen
haben und die Lektüre erschweren. Sie seien bei einer 2. Auflage der
Aufmerksamkeit des Verlags empfohlen. Dr. Karl Ernst Ranke.
Prof. Dr. R. Gaupp: Student und Alkohol Vprtrag, gehalten auf
der Jahresversammlung des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch
geistiger Getränke am 27. Oktober 1920 in Karlsruhe, 20 S. Mässigkeits-
Verlag, Berlin-Dahlem 1921, Preis 1 M.. 100 St. 80 M.
Der Vortrag des rühmlichst bekannten Tübinger Psychiaters.
Gaupp, über welchen im Jahrg. 1920 Nr.48 dieser Wochenschrift auf
S. 1393 berichtet wurde, ist nunmehr 'im Druck erschienen. Da der
Vortrag nicht nur sachlich hochbedeutsam, sondern m. E. auch psycho¬
logisch richtig ist, was man selten vereinigt findet, so möchte ich ihn
allen Aerzten, die sich für Bekämpfung des Alkoholismus interessieren,
zur Propaganda unter der gebildeten Jugend angelegentlichst empfehlen.
Bemerkenswert erscheint mir auch, dass hier eine anerkannte
Autorität die Notwendigkeit rassenhygienischen Unterrichts betont:
„Die Kenntnis der wichtigsten Vererbungsgesetze, der Vorgänge der
Keimschädigung, der Zusammenhänge vom Alkoholismus der Eltern und
vom Schwachsinn der Nachkommen gehört heute zur allgemeinen Bil¬
dung des erwachsenen Menschen. Es wird eine wichtige Aufgabe
unserer deutschen Hochschulen sein, sich um ihre Uebermittlung auch
an die nichtmedizinischen Akademiker mehr als bisher zu bemühen.“
Das wird allerdings noch oft wiederholt werden müssen, bevor das Be¬
harrungsvermögen der darüber entscheidenden Stellen überwunden sein
wird. Le n z - München.
Zeitschriften- Uebersicht
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 135. Band. 1. u. 2. Heft.
E. Becher: lieber die Verteilung des Reststickstoffes auf Organe und
Gewebe des menschlichen Körpers unter normalen und pathologischen Verhält¬
nissen nach Untersuchungen an Leichen, zugleich ein Beitrag über die Be¬
deutung der Gewebe als Spelcherer von abluretem Stickstoff bei Nleren-
insuffizlenz. (Aus der med. Klinik in Giessen und aus der med. Klinik in Halle.)
Bei Retention von abiuretem N muss es zu einer Ansammlung desselben
in den Geweben kommen, da die im Blute retinierte Menge, die aus der Zu¬
nahme des Biut-Rest-N berechnet werden kann, viel geringer ist als der
gesamte angestaute N. Im Leichenblut findet man häufig erhöhte Rest-N-
Werte, die besonders bei Pneumonie 100 ming und darüber erreichen können.
Die Ursache kann eine Schwächung der Arbeitskraft der Nieren vor dem
Tode, eine vermehrte Bildung von Eiweissschlacken, ein zu geringes Wasser¬
angebot für die Nieren und ein geringeres Aufnahmevermögen der Gewebe
für den Rest-N sein. Bei dieser Zunahme vor dem Tode pflegt der Harnstoff
mit anzusteigen dagegen nicht das Indikan; am Anstieg beteiligt sich der
abiurete N der Gewebe wenig. Die Gewebe enthalten unter normalen Ver¬
hältnissen wesentlich mehr abiureten N als das Blut; wasserreiche ödematöse
Gewebe haben einen etwas niederen, eiweissreiche höheren Rest-N-Gehalt;
das Fettgewebe enthält nur sehr wenig Rest-N. Der Gehirn-Rest-N ist etwas
niederer als der anderer Organe, auch in der Lunge findet sich ein niederer
Wert. -In Milz und Leber, Niere und Darm zeigt die Rest-N-Höhe Schwan¬
kungen, im Pankreas ist der Nichteiweiss-N infolge der dort schnell ein¬
setzenden Selbstverdauung sehr hoch. Bei Darm-, Herz-, Skeleftmuskulatur
sind die Unterschiede besonders durch den verschiedenen Kreatingehalt be¬
dingt. Auch ohne Nierenerkrankungen kommt es zu Erhöhungen des üewebs-
Rest-N bei akuten fieberhaften Erkrankungen (besonders Pneumonie); ferner
bei Herzinsuffizienz, Leberkarzinom, Tetanus, wobei es infolge qualitativ ver¬
ändertem und vermehrtem Eiweissabbau zu N-haltigen Extraktivstoffen kommt,
die nicht das Bestreben des Konzentrationsausgleiches haben wie der Harn¬
stoff. Bei Nierenerkrankungen ohne klinische Erscheinungen von Nieren¬
insuffizienz fehlen auch Rest-N-Anhäufuqgen in den Geweben. Bei Nieren¬
insuffizienz ist im Blut und den Geweben erhebliche Vermehrung des
abiureten N nachweisbar. Der bei Niereninsuffizienz hinzukommendc Nicht¬
eiweiss-N, der Retentions-N, muss sich wegen seines hohen Harnstoffgehaltes
ziemlich gleichmässig auf Blut und Gewebe verteilen. Die Rest-N-Zunahme
pflegt bei Niereninsuffizienz im Blute die in den Geweben um ein Geringes zu
übertreffen. Zwischen Auftreten von Symptomen echter Urämie und Menge
des retinierten Rest-N zeigt sich kein genauer Parallelismus. Doch wurden
die stärksten Retentionen auch bei klinisch „echter Urämie“ gefunden. Ein
nennenswerter Einfluss von Oedemen auf die Höhe des Retentions-N konnte,
nicht festgestellt werden. Herz. Milz und Niere enthalten den wenigsten
Extraktiv-N und nehmen den wenigsten Retentions-N auf, dann folgen Gehirn,
Leber, Darm, Lunge; die Muskulatur beherbergt gut die Hälfte des gesamten
Extraktiv-N des Körpers und nimmt bei Niereninsuffizienz über die Hälfte des
gesamten Retentions-N auf. Ein inneres Organ als Retentions-N-Speicherer
existiert nicht.
K. Beckmann: Untersuchungen über den Eiweissgehait und Inter¬
mediären Zucker-, Wasser-, Harnsäure- und Kochsalzwechsel bei verschie¬
denen Oedemformen. (Aus der I. med. Klinik der Universität München.) (Mit
15 Kurven.)
Bestimmungen des Eiweissgehaltes der Oedeme gestatten Rückschlüsse
über die Art der vorliegenden Oedemform. Den niedersten Eiweissgehait
weisen Fälle von tubulärer Nierenerkrankung und Amyloidniere auf, meist
unter 0,1 Proz., den höchsten Fälle von glomeruiärer Nephritis mit durch¬
weg mehr als 1,0 Proz. Zwischen 0,1 und 1,0 Proz. liegen die kardialen
und kachektischen resp. mechanischen Oedeme, wobei die ersteren meist
über 0,4 Proz., die letzteren durchschnittlich unter 0,4 Proz. aufweisen. Die
übrigen Stoffe lassen keine für die Orundkrankheit typischen und diagnostisch
Digitized by Goiisle
verwertbaren Verhältnisse erkennen. Eiweissgehait und intermediärer Koch¬
salzwechsel zeigen, dass bei den tubulären Nierenerkrankungen und der
Amyloidniere die Gewebszerstörung, bei der glomerulären Nephritis die
Kapillarstörung im Vordergründe steht, dazwischen liegen die Oedeme bei
Herzinsuffizienz und Kachexie, Die Betrachtung des intermediären Zucker¬
wechsels ergibt bei allen Oedemformen gleichgerichtete Störungen. Bei Be¬
lastung tritt Traubenzucker rasch in die Gewebsflüssigkeit über und bleibt
dort lange unverbrannt, dasselbe gilt für kolilehydratrciche Kost, die zu
Hyperglykämie führen kann, ohne dass Zucker im Urin ausgeschieden wird.
Der intermediäre Wasserwechsel beim Oedematösen ist weitgehend abhängig
von der Art'der Verteilung der Wasserausscheidung auf die verschiedenen
Ausscheidungsorgane. Bei 3 Fällen trat auf Wasserbelastung eine bedeutende
Mehrausscheidung ein. Der Harnsäure- sowie der Kochsalzgehalt des Oedems
übertraf bei allen Oedemformen den des Blutes, eine Unterscheidung zwischen
Chloridödemen und Achloridödemen Hessen die Befunde nicht zu, dagegen
legten sie nahe, dass ausser in der Üedemflüssigkeit auch in den Gewebs¬
zellen Wasser- und Kochsalzdepots vorhanden sind, die erst infolge bestimmter
Einflüsse mobilisiert werden.
L. Fuchs: Ueber die Messung des Venendruckes und ihre klinische
Bedeutung. (Aus der med. Klinik Würzburg.)
Die Venendrückmessung nach. Moritz und v. T a b o r a, wobei die
Vene angestochen werden muss, ist für Kreislaufkranke sehr unangenehm
und erscheint, weil die Venendruckwerte zu dem klinischen Bilde nicht
viel Neues sagen, nicht so begründet, dass die Nachteile des Verfahrens
dadurch aufgewogen würden. Viel bequemer ist die unblutige Gärtner-
sche Methode mit Messung der Höhe zum Herzen, in welcher die Vena
mediana kollabiert.
Q. Lepehne: Weitere Untersuchungen über Gallenfsrbsij^ff Im Blut¬
serum des Menschen. (Aus der med. Universitätsklinik zu Königsberg.)
Die Zahlenbefunde hinsichtlich der Gallenfarbstoffbestimmung im Blute
entsprechen denen van den Berghs, scharf zu unterscheiden ist zwischen
Stauungsbilirubin (z. B. durch mechanische üallenstauung) und funktionellem
Bilirubin (z. B. Ikterus neonatorum, hämolytischen Ikterus). Bei Leber¬
tumoren findet sich meist latenter Stauungsikterus, doch kann trotz Leber¬
metastasen jede Hyperbilirubinämie vermisst werden. Bei Cholelithiasis
finden sich keine regelmässigen Veränderungen des Blutbilirubins,' in 50 Proz,
der Graviden fand sich eine geringe Erhöhung des Blutbilirubins. Die in
der Norm verzögerte direkte Diazoreaktion verlief in 67 Proz. prompt, was
auf Gallenstauung in der Leber Gravider hindeutet. Bei Eklampsie finden sich
keine stärkeren Veränderungen. Promptes Eintreten der direkten Diazo¬
reaktion bei mitunter erhöhten Bilirubinwerten findet sich auch bei schwerer
Lungentuberkulose, Sepsis, akuter Leukämie; diese Fälle bilden den Ueber-
gang zum septischen Ikterus, der wohl durch partielle Gallenstauung bedingt
wird. Wechselndes Verhalten bzw. Kombination von promptem ,und ver¬
zögertem Verlauf der direkten Reaktion findet sich bei Erysipel, Tetanus,
Typhus und Scharlach bei mässiger Hyperbilirubinämie, diese Fälle bilden
den Uebergang zu dem „latenten dynamischen Ikterus“ der kruppösen
Pneumonie. Bei Herzinsuffizienz besteht entweder ein latenter dynamischer
Ikterus oder ein latenter Stauungsikterus. Hyperbilirubinämie findet sich
auch bei akuter und chronischer Malaria und paroxysmaler Hämoglobinurie,
bei Polyzythämie sind die Bilirubinwerte je nach dem Stadium der Krank¬
heit qualitativ und qua^ititativ verschieden. Der latente Ikterus vom funk¬
tioneilen Typus der perniziösen Anämie im Gegensatz zu den normalen
Werten der sekundären Anämien wird besprochen, ebenso der Einfluss der
Milzexstirpation und intravenöser Kollargolinjektionen und der Remission auf
das Verhalten des Blutbilirubins. Beim Ikterus neonatorum findet sich eine
besonders ausgesprochene Verzögerung der direkten Diazoreaktion, er steht
also dem hämolytischen Ikterus nahe, dem er auch durch die bestehende
Acholurie gleicht, und ist nicht als durch Gallenstauung bedingt zu erklären.
F. Klewitz und Fr. Bau mm: Ueber die durch die Herzaktion
bedingten Intrathorakalen Druckschwankungen und ihre praktische Ver¬
wertung. (Aus der med. Klinik zu Königsberg.) (Mit 1 Abbildung.)
Dem Prinzip des Verfahrens liegen die kardiopneumatischen Druck¬
schwankungen zugrunde, es benützt den Druckzuw'achs, der durdi die dia¬
stolische Füllung der Herzkammern bedingt wird. Die Hauptschwierigkeit
liegt darin, dass es schwer fällt, bei absolutem Atemstillstand die Glottis
weit offen zu halten, dies ist aber die Vorbedingung für die Registrierung
einer fehlerfreien kardiopneumatischen Bewegung vom Munde • aus. Das
Verfahren ist deshalb klinisch noch nicht verwertbar, wenn es auch für tier¬
experimentelle Kreislauffragen vielleicht sich eignet.
F. P 0 I i t z s c h : Klinische Beiträge zur Kenntnis der Encephalitis
epidemica. (Aus der inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Dresden-
Johannstadt.)
Die Beobachtungen an 27* Fällen Hessen 2 Haupttypen der Encephalitis
epidemica auf Grund augenfälliger Symptome unterscheiden, die in charakte¬
ristischen Hirnlokalisationen ihre Ursache haben. Der eine dieser Typen zeigt
Hypertonie der Muskulatur, die mit Tremor verbunden sein kann, zu Be¬
wegungsarmut führt und häufig mit Augenmuskellähmungcn und Schlafsucht
gepaart ist. während im anderen Falle Muskelatonie mit choreatisch-athetoti-
schen. Bewegungen besteht. Die meisten! Fälle gehören dem hypertonischen,
akinetischen Typ an, nur 4 dem atonischen, hyperkinetischen. Die Ence-’
phalitis epidemica ist keineswegs nur eine besondere Lokalisation der Grippe
im Gehirn: allenfalls .könnte man sie als eine metagrippöse Erkrankung an-
sehen, etwa wie die Paralyse als metaluetische Erkrankung. Nach Schilde¬
rung des klinischen Symptomenbildes, insbesondere der motorischen Reiz-
und Lähmungserscheinungen, der sensiblen Störungen und der Erscheinungen
am vegetativen Nervensystem wird noch das Blutbild während des Krank¬
heitsverlaufes und der Rekonvaleszenz besprochen. Von 27 Kranken starben 5,
und zwar 2 von den 4 hyperkinetischen, und 3 von 23 akinetischen Fällen.
Die Therapie war rein symptomatisch; einmal bewährte sich 2.proz. Kollargol
intravenös. Bamberger - Kronach.
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie einschliesslich
Balneologie und Klimatologie. 1921. Heft 1 u. 2.
Goldscheider: Die essentielle Hypertonie nnd ihre Behandlung.
K. I s a a c - K r i e g e r - Berlin: Hat der Nachweis von okkultem Blut
In dem mit der Duodenalsonde gewonnenen Magen- und Duodenalsaft einen
diagnostischen Wert?
Durch die Sonde wird so häufig artifizielle Blutung erzeugt, dass der
Nachweis des Blutes bedeutungslos ist.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNtA
m
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
E. Tobias- Berlin : Hydrotherapie ond LnnKentaberkiilose.
H. Hase-Berlin: Faradische Strumabehaodluns.
Verf. sah gute Wirkung bei leichten Fällen, auch Verkleinerung der
Struma.
Mittenzwey - Oberschlema: Behandlang der Psoriasis mit Radium¬
emanation.
Bäder, Trinkkuren und Inhalationen führten in 6 Fällen zur Heilung, in
5 Fällen zur Besserung.
Heft 2.
Z. V. D a 1 m a d y - Pest: Studien über Kohlensiure-Qasbäder.
Untersuchungen über den Indiherenzpunkt der COs-Bäder, Berechnung
des Dampfdruckes mit dem Psychrometer.
M. Kleemann - Hornegg: Betrachtungen über Angina pectoris mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Therapie.
Verf. bespricht besonders die Differentialdiagnose gegenüber den durch
Magenstörungen ausgelösten Angiospasmen und führt charakteristische
Krankengeschichten an. Wichtig ist für die Diagnose die Leistungsfähigkeit
des Herzens, Nachweis von Arteriosklerose in anderen Gefässgebieten,
Sekretions- und Lagestörungen des Magens. Besonders geringe Blutzucker¬
werte, wie Büdingen angab, fand Verf. nicht. Neben den bekannten Be¬
handlungsmethoden erwiesen sich die Magenbehandlung und Diathermie als
nützlich. Besonders wichtig ist die psychische Therapie, die Beseitigung der
Angst- und Erregungszustände. L. Jacob- Bremen.
Bruns’ Beiträge zur klinischen Chirurgie, redigiert von G a r r
Küttner und v. Brunn. 121. Band, 2. Heft, mit 51 Abbildungen.
Tübingen, L a u p p, 1921.
Friedrich T h i e d i n g berichtet aus der Hamburger Univ.-KIinik über
Kardlospasmus, Atonle und „Idiopathische** Dilatation der Speiseröhre und
gibt im Anschluss an 8 mitgeteilte Krankengeschichten einen Üeberblick über
die geschichtliche Entwicklung unserer Anschauungen in diesem Gebiet unter
Besprechung der Innervation und Physiologie des Oesophagus und der Sym¬
ptome, Diagnostik und Therapie der betreffenden Erkrankungen, d.h. neurogenen
Affektionen, die keine selbständigen Krankheitsbilder, sondern nur klinisch
hervorspringende Zeichen einer gestörten Harmonie im vegetativen System
sind, deren gemeinsames die meist im Vordergrund stehende Dysphagie ist.
Nach Th. unterscheidet man drei Gruppen: 1. Dysphagia spasmodica inter-
mittens, plötzlich und zeitweilig auftretendes Nichtschluckenkönnen, sehr
wechselnd, röntgenologisch Konusform — keine oder nicht sehr hochgradige
Ektasie, lebhafte Peristaltik oder Antiperistaltik (event. kombiniert mit
anderen Reizzuständen: Asthma, Bradykardie, Salivation, Gastrospasmüs etc.).
Therapie: suggestiv (Hypnose), krampfstillende Mittel (Atropin, Papaverin).
2. Dysphagia hypertonica permanens, kann sich aus der ersten Gruppe ent¬
wickeln oder selbständig entstehen; Pat. können nur mit grosser Mühe Speisen
in den Magen bekommen, röntgenologisch Kolben-, Sack- oder Flaschenform,
starke Ektasie, Dauerkontraktionen der Kardia, Vermehrung der tonischen
Muskeltätigkeit. Therapie: reizlose Kost, Suggestionstherapie, mechanische
Mittel, chirurgisch Dehnung der Kardia nach K ü m m e 11 und Mikulicz.
3. Dysphagia atonica bildet den Endzustand aus 1 und 2; Speisen gelanget^
auch nur wenig in den Magen, da die untere Speiseröhre sackartig erweitert
ist und tiefer liegt als die Kardia, die offen ist; röntgenologisch: hochgradige
Ektasie, faltenreiche, geschlängelte Dilatation, keine Peristaltik mehr; Therapie
nur chirurgisch: Oesophagogastroanastomose (Sauerbruch) oder Oeso-
phagoplicatio. Th. schliesst ausführliches Literaturverzeichnis an.
Franz Breslauer bespricht aus der chir. Chariteeklinik die Sensibilität
der Bauchhöhle. Unter Besprechung des mechanischen Ileus, der Darmkolik:
und der Anatomie der sensib'en Innervation fasst Br. seine Anschauungen
dahin zusammen, dass die Baucheingeweide für kurzdauernde Schmerzreize
vollkommen unempfindlich sind, Schmerz in der Bauchhöhle überhaupt nur
durch Summation von Reizen zustande kommt; und zwar durch Summation
gereizter Nervenfasern (Schmerzempfindlichkeit der Mesenterial- und Hilus-
gefässe, daher mechanische Schmerzerregbarkeit der Mesenterien) und durch
zeitliche Summation der Reize infolge der Reizdauer (pathologische Schmerz-
empHndung, z. B. Entzündungsschmerz in der Bauchhöhle).
Max Flesch-Thebesiu s gibt aus der Frankfurter Univ.-KIinik eine
Arbeit zur Erklärung des Todes beim Ileus (das Vorkommen des oberen Ringes
bei der Heller sehen Urinprobe bei chirurgischen Krankheiten und dessen
Beziehung zur Toxizität des Urins bei Störungen der Darmpassage). Von
35 untersuchten Fällen von Ileus waf bei 17 Fällen mit schweren Intoxikations¬
erscheinungen der Doppelring immer vorhanden, zugleich im Tierversuch
Toxizität des Urins nachweisbar; die Untersuchungen weisen darauf hin, dass
der Tod beim Ileus auf einer Vergiftung beruht und nicht auf einer asphyk-
tischen Lähmung der Zentren infolge einer Verblutung in die Bauchhöhle.
Mertens berichtet aus der Univ.-KIinik Hamburg-Eppendorf über
Appendizitis Im Grelsenalter; er findet, nachdem er von 1900 — 1919 mit Aus¬
nahme der Kriegsjahre 47 Fälle (30 Männer, 17 Frauen) von Appendizitis jen¬
seits des 60. Jahres konstatieren konnte, Appendizitis im Greisenalter (in
1,1 Proz. sämtlicher operierten Fälle) nicht so selten (wie andere Autoren),
als dass man sie in der Differentialdiagnose nicht zu berücksichtigen brauchte.
J. Dorn bespricht aus der Bonner Klinik die postoperativen Ver-
engemngen der Gastroenterostomleöfinung. Die eigentlichen postoperativen
Verengerungen entstehen in etwa der Hälfte der Fälle 3—6 Monate p. op.,
in etwa 30 Proz. 1—3 Jahre und in 20 Proz. innerhalb der ersten 1—2 Wochen.
Der Nichtbenutzung der Anastomose bei offenem Pylorus kommt keine be¬
sondere Bedeutung zu. Die Frühverengerung (1—2 Wochen p. op.) ist durch
eine derbe entzündliche Infiltration der Anastomosenränder bedingt und kann
durch stärkere Verengerung an der einen Seite den abführenden Schenkel
verschliessen und zu Circulus vitiosus führen. Bei den nach Monaten ein¬
tretenden Verengerungen handelt es sich um vermehrte Narbenbildung und
Narbenschrumpfung bei verzögerter Wundheilung der Anastomose, die durch
chronischen Entzündungszustand der Magenwand bedingt ist. Bei den nach
Jahren eintretenden Verengerungen müssen Ulcera peptica als Ursache der
Narbenschrumpfung angenommen werden. Schrumpfungen des Mesokolon¬
schlitzes, die ebenfalls Verschluss der Anastomose bedingen können, sind auch
auf die bei Ulzerationen des Magens bestehende Perigastritis der hinteren
Magenwand zurückzuführen.
Aus der Königsberger Klinik berichtet Alfred Krause über einge¬
klemmte SäugllnKsbernlen. Von 834 Herniotomien (die bei K der Fälle wegen
Einklemmung ausgeführt wurden), fanden sich 8 Brucheinklemmungen bei
Digitized by Goüsle
Säuglingen. Die Darmschödigung tritt bei denselben im allgemeinen seltener
(später) ein, als im späteren Lebensalter. Nach Sicherung der Diagnose soll
dabei schnellstens zur Reposition eeschritten werden, event. unter Aufhängen
des Kindes an den Beinen. Misslingt die Taxis, so ist sofort zu operieren,
ist es zur Gangrän gekommen, so ist die Prognose äusserst schlecht. Bei
frühzeit’ger Operation sind die Resultate für Leben und Dauerheilung gut.
W. P1 a n n e r und Konr. S t a u n i g geben aus der Innsbrucker Klinik
eine Arbeit über die Netzbeutelhernien und ihre Beziehungen zum Ulcus ven-
trlcull, zugleich ein Beitrag zur Röntgendiagnostik derselben, besprechen die
pathologische Anatomie der Hernia bursae omentalis mesocolica im Anschluss
an einen näher mitgeteiltcn Fall, dem ersten bei dem die Darmverlagerung
schon vor der Autopsie resp. Operation festgestellt wurde und erörtern im
Anschluss an die in der Literatur mitgeteilten Fälle Aetiologie, Pathologie
und Diagnose dieses Bruches.
Viktor H 0 f f m a n n bespricht aus der Heidelberger Klinik die Therapie
des Mammakarzinoms und ihre Erfolge. Im Anschluss an die Resultate der
von 1898—1917 operierten Fälle (388 zum 1. Mal op. Fälle) in deren 316 das
weitere Schicksal bekannt wurde. Auch für die jetzt möglichst radikal
operierten Fälle (mit Entfernung des Pektorales) ergeben sich nur 26 Proz.
Dauerheilungen (nach Fischer); bei weniger radikalem Vorgehen 20,7 Proz.;
auffällige Erfolge der prophylaktischen Röntgentiefenbestrahlung haben sich
nicht ergeben. — Auf eine Operation im Hinblick auf die Röntgentherapie
zu verzichten, ist man nicht berechtigt.
Hermann Kästner referiert aus der Leipziger Klinik zur prophylak¬
tischen Röntgenbestrahlung und kommt im Hinblick auf die diesbetreffenden
Resultate an der Payr sehen Klinik zur Ablehnung dieser „theoretisch un¬
sicher fundierten kostspieligen“ Methode.
Oscar Orth gibt aus der Klinik in Halle Rück- und Ausblick in der
Knochenchirurgie und bespricht besonders die Operation der Pseudarthrosen
und die direkte Anbringung einer Prothese am Knochen unter Beigabe ent¬
sprechender Abbildungen.
W. Peters behandelt aus der Bonner Klinik die typische Radlusfraktur
Im jugendlichen Alter und bespricht nicht nur die Lösungen der unteren
Epiphyse und die damit vorkommenden Nebenverletzungen, sondern unter Bei¬
gabe von schematischen und röntgenologischen Abbildungen speziell die
Fraktur oberhalb der Epiphyse im Anschluss an 46 Fälle unter Berück¬
sichtigung der Endresultate, bezüglich deren er fast nie eine Verkürzung des
Knochens oder besonderer Funktionsstörunp^en konstatieren konnte.
Hans Tichy beschreibt aus der Marburger Klinik zwei Fälle von
Arthritis chron. deformans Juvenilis mit ausgeprägter Knochenatrophie unter
Beigabe von Abbildungen und Röntgenogrammen.
S p i e t h gibt aus dem Ulmer Krankenhaus unter Mitteilung eines Falles
einen Beitrag zur Frage der Wirbelsäulenverkrümmung durch Tetanus. Das
Vorkommen einer primären Wirbelsäulenverkrümmung durch Tetanus ist
nach Sp. bisher nicht mit Sicherheit erwiesen.
Friedr, C. Hilgenberg referiert aus der Marburger Klinik über Blut¬
stillung durch AulpOanzung von Muskelstückchen und Ihre klinische An¬
wendung im Hinblick auf die günstigen Erfahrungen L ä w e n s bei Blu¬
tungen aus parenchymatösen Organen, (Strumen, Leber, bei Gefässblutungen,
bei offenem Pneumothorax etc.) in denen die Muskelaufpflanzung nie ver¬
sagte und oft dem operierenden Chirurgen aus der Verlegenheit half. Sehr.
Zentralblatt für Chinirigia Nr. 9. 1921.
P. Graf- Neumünster i. H.: Znr Spianchnikusbetänbung nach Käppis.
Verf. schildert kurz seine Methode der Splanchnikusbetäubung, die er
seither bei fast 60 Fällen mit recht gutem Erfolge angewandt hat, ohne üble
Zufälle beobachtet zu haben. Er macht auf einige Fehler aufmerksam, die
der Anfänger leicht macht, und weist neue Wege, um diese zu vermeiden.
Er empfiehlt warm die Splanchnikusanästhesie, die einen grossen Fortschritt
bedeutet.
H. B r ü 11 - Hamburg: Zur Frage der inneren Einklemmung nach hinterer
Gastroenterostomie.
Verf. beschreibt ausführlich einen vor 1 Jahr von ihm selbst beob¬
achteten Fall von innerer Einklemmung nach hinterer Gastroenterostomie.
Bei der Operation zeigte sich, dass fast der ganze Dünhdarm durch einen
schmalen Schlitz zwischen hinterem Peritoneum und dem kurzen, zur Ana¬
stomose zuführenden Schenkel hindurchgetreten war; dadurch war der zu¬
führende Jejunumschenkel straff wie ein Ligament gespannt und der übrige
Dünndarm durch den künstlich bei der Operation geschaffenen Schlitz strangu¬
liert. Durch Zurückziehen der Dünndarmschlingen durch den Schlitz, der
dann noch durch Naht geschlossen wurde, trat sofortige Besserung des
Gesamtzustandes ein. Dieser Fall lehrt also, dass man nach jeder hinteren
Gastroenterostomie sorgfältig den Schlitz zwischen Jejunumschenkel uni
Mesokolon verschliessen soll; ferner dass bei rechtzeitiger Diagnose durch
einen kleinen Eingriff die Lebensgefahr sich vermeiden lässt. Da Verf. in
sein^ Falle noch eine schwere Lungengangrän erlebte, die er auf Aspiration
von Mageninhalt durch Erbrechen während der Narkose zurückfflhrte, sn
empfiehlt er bei perforiertem Magengeschwür den noch gefüllten Magen vor
der Operation wenigstens auszuhebern.
C. R i 11 e r - Düsseldorf: Zur Frage des dralnagelosen Bauchböhlenvei-
Schlusses nach Gallenoperatlonen.
Verf. empfiehlt nient nur bei Qallenblasenoperationen, sondern auch bei
einfachen wie komplizierten Choledochotomien grundsätzlich die Bauchhöhle
ganz zu verschliessen; er geht also noch weiter als v. H a b e r e r. der in
Nr. 51 1920 „bereits bestehende Infektionen der tiefen Gallenwege“ als
Kontraindikation gegen völligen Bauchschluss ansieht. Verf. steht auf dem
Standpunkt, dass bei infizierten Gallenwegen der Eiter durch den kräftig
einsetzenden Gallenstrom den Weg nach dem Dünndarm ebensogut findet wie
durch ein Drainrohr nach aussen; eine Spülung von aussen nach der Leber'
schadet häufiger als sie nützt, da sie oft Keime erst in die Leber bzw. iti
die noch nicht infizierten Leberteile hinaufspülen kann. Schliesslich spriclt
auch der viel glattere Verlauf der Heilung und die abgekürzte Krankheit!-
dauer für sofortigen völligen Schluss der Bauchhöhle.
W. L e h m a n n - Göttingen: Zum Artikel: Nene Erklärung für die Enf-
steiiung und Heilung tronhlscher Geschwüre nach Nervendurchtrennung von
Fr. Brüning in Nr. 48.
Verf. weist darauf hin. dass trophische Geschwüre nicht so selten plötzlich
zur Heilung kommen: man sollte diese also nicht auf eine bestimmte Behand¬
lungsmethode zurflekfflhren. Bei den trophischen Geschwüren spielen abir
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
25. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
373
nicht nur zentripetale Reizvorgänge wie B r fl n i n g meint, sondern noch
mehr zentrifugale durch Wegfall von Reizen eine Rolle; ferner ist die sen¬
sible Lähmung beim Entstehen der Ulzera nicht zu unterschätzen, was auch
erklärt, dass nur in dem sensibel gelähmten Gebiet Ulzera zur Beoba'chtung
kommen. Im Gegensatz zu Brüning erinnert Verf. an zahlreiche Fälle,
wo nach oder trotz einer Nervenresektion abgeheilte Geschwüre wieder
auftraten. Die erst allmählich einsetzenden Degenerationserscheinungen im
Nerven erklären zur Genüge das Entstehen von Geschwüren.
E. Heim- Schweinfurt-Obemdorf.
Zeotralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 9.
B. Schweitzer -Leipzig: Ueber HeUungsertolge nach Operation des
Utems-KoUum-Karzinoms, Insbesodere nach der Methode Wertheim-
Zwailel. Statistik über 322 seit 1910 operierte Fälle.
H. M a r 11 u s - Bonn: Ueber Radinmdosierung.
Feststellung der Erythemdosis mit der Entfernung von 1 cm zwischen
Präparatenmitte und Haut und Berechnung der Intensitätswirkung in anderer
Entfernung nach dem Quadratgesetz.
W. Liepmann - Berlin: Totalexstirpation des Uterus und Veriüngung.
L. interessiert die Problemstellung: Kommt es bei der Totalexstirpation,
die der Keimdrüse den Ausführungsgang unterbindet, zur stärkeren Bildung
des interstitiellen Gewebes und damit zu dem Zustand, den Steinach als
Ursache der Verjüngung ansieht? Er glaubt diese Frage bei seinem Material
von 22 Fällen entschieden bejahen zu müssen und regt ähnliche VeröEent-
lichungen der Gynäkologen an.
C. U. V. K 1 e i n - Qraudcnz: Tnbenschwangerschait nach „Alexander-
Adams*'. Bemerkungen zur Indikation und Technik dieser Operation.
Im Anschluss an einen Fall, in welchem der A.-A. vorzügliches Resultat
ergeben hatte, bespricht Verf. die Möglichkeit, ob die Technik der Operation
eventuelle Schuld trägt an der pathologischen Nidation des Eies.
W. W i e g e 1 s - Bremen, jetzt Schwerin i. M.: Ueber Frühgeburten.
In der Bremer Frauenklinik wurden von 1909—1918 548 Frühgeburten
beobachtet, die Verf. statistisch verwertet. Sorgsamste Pflege und Behand¬
lung, nach Möglichkeit in Frauenkliniken und Säuglingsheimen, unter be¬
sonderer Berücksichtigung des Wärmeverlustes und der frühzeitigen indivi¬
dualisierten Ernährung ist die wichtigste Forderung.
R. Z i m m e r m a n n - Jena: Berichtigung zur Arbeit von K. Behne:
„Ist eine Auswahl unter den Spendern für die Intravenöse Menschenblut¬
transfusion erforderlich, und nach welchen Gesichtspunkten hat sie zu ge¬
schehen?** Zbl. f. Gyn. 1921 Nr. 2. Werner- Hamburg.
Archiv für Hygiene. 90. Band. 1. u. 2. Heft. 1920.
Johann Hammerschmidt -Graz: Studien zur Morphologie und Bio¬
logie der Trlchophytlepllze I.
Bekanntlich sind die diagnostischen Schwierigkeiten der Tricho¬
phytiepilze sehr gross. Daher müssen Untersuchungen, die die
botanische Klarstellung der Pilze fördern, sehr willkommen sein. Alle Unter¬
scheidungen, meist auf Grund des Aussehens der Kulturen, wie sie auch von
Sabouraud gegeben worden sind, befriedigen nicht. Benützt man aber
noch andere Merkmale, wie zum Beispiel das Wachstum auf neutralrothaltigem
Nährboden und die Fruktifikatiönsformen in sog. Epidermismikrokulturen, so
lassen sich wenigstens 2 grössere Gruppen herausfinden, die botanisch als
Arten anzusprechen sind. Verf. bezeichnet sie als die A- und B-Gruppe. Bei
der crsteren Gruppe entwickeln sich frühzeitig Sporen, ohne Vorkommen von
„Spindeln“ und „Wickeln“. Die Sporen und da^ Myzel nehmen Neutralrot
auf. Für die B-Gruppe ist die Bildung eines Luftmyzels, ehe sich Sporen
bilden, charakteristisch. Ebenso die Entwicklung von „Wickeln“ und „Spin¬
deln“. Der Pilz nimmt Neutralrot nicht auf. Jeder, der sich mit der Kultur
dieser Pilze befassen will, wird an dieser Untersuchung nicht Vorbeigehen
dürfen.
Viktor G e g e n b a u e r - Wien: Studien über die Deslnfektionswlrkung
des Sublimats.
Inhalt der ausgedehnten Arbeit lässt sich kurz nicht widergeben.
R. O. Nenmann-Bonn.
Berliner klinlscbe Wochenschrift 1921. Nr. 11.
E. Schnitze -Göttingen: Ueber Paralysis agitans-ähnllche Krankbeits-
bllder (Linsenkernsyndrome) durch Enzephalitis epidemica.
In 15 Fällen konnte Sch. das in jüngster Zeit aufgetauchte Krankheits¬
bild beobachten, dessen klinische Merkmale er eingehend darlegt; die Er¬
schwerung der Bewegung, das Fehlen der Mimik, das Ungelenke des Ganges;
das Maskenartjge dos Gesichtes etc. — bei meist vollständig erhaltener
Intelligenz und Auffassungsfähigkeit. Bei einzelnen Kranken macht auch vor¬
handenes Zittern das Bild jenem der Par. ag. noch ähnlicher. In der Anam¬
nese erscheint in diesen Fällen das Ueberstehen einer Enzephalitis, als
anatomische Grundlage kommen gewisse Veränderungen in beiden Linsen¬
kernen vor allem in Betracht, von denen angenommen wird, dass sie durch
das Gift der Infektion geschädigt werden. Die Erkrankung weist Zusammen¬
hang mit dem amyostatischen Symptomenkomplex Strümpells auf. Die
Prognose hält Sch. im Gegensatz zu anderen Neurologen für keine allzu
günstige.
F. Gudzent: Ischias und Spina bIBda occulta.
ln 2 näher mitgeteilten Fällen konnte Verf. diese Kombination be¬
obachten. Die Röntgenaufnahme ergab in dem einen Falle eine grosse
Spalte im 5. Lendenwirbel. Im 2. Falle hatte die — geringere — Spaltbildung
erst im späteren Lebensalter zu den Erscheinungen einer hartnäckigen Ischias
Veranlassung gegeben. Es ist daher bei schweren Fällen von Ischias auch
auf diese Anomalie zu fahnden.
O. Hahn-Breslau: Zur Kenntnis der sog. Spontanfrakturen bei Hnnger-
osteopathie.
Verf. macht darauf aufmerksam, dass sich in diesen Fällen in den
Röntgenbildern, speziell häufig an der Tibia, querverlaufende Knochenauf¬
hellungen vorfinden, welche nicht einer Fraktur entsprechen, sondern Zonen
des Knochens, wo es zur Kalkverarmung gekommen ist. (Vergl. die Repro¬
duktionen der betr. Röntgenaufnahmen im Original I)
E. R e i c h^ n o w: Ueber Trypanosoma gamblense Im Liquor cerebro¬
spinalis des Menschen.
Das Eindringen der Trypanosomen in den Liquor erfolgt erst längere
Zeh nach der Infektion, in der Regel erst nach mehreren Monaten. Morpbo-
Digitized by Goiisle
logisch haben die dort vorhandenen Trypanosomen ihre Eigentümlichkeiten;
es erfolgt im betr Liquor eine Vermehrung der Liquorzellen, die bei den
einzelnen Schlafkranken sehr verschieden sein kann. Eine Atoxyl- oder
Salvarsanbehandlung vermag die Trypanosomen im Liquor nicht zum Ver¬
schwinden zu bringen. Eine Urotropinkur hatte ein etwas besseres Ergebnis.
Die Schwierigkeit, therapeutisch etwas zu erreichen, lie^ besonders darin,
dass man die Mittel nicht genügend mit dem ganzen Liquor in Berührung
bringen kann.
Gerhard M ü 11 e r-Dresden-Friedrichstadt: Vergleichende Untersuchungen
über die Luesdiagnose mit Hilfe der Wassermann sehen Reaktion, der
Sternschen Modifikation und der Ausflockungsreaktion nach Sachs-
Georg!.
Aus Erfahrungen an fast 2400 Fällen zieht Verf. folgenden Schluss: Die
WaR. ist zwar schwierig, aber als spezifisch erprobt und gut ablesbar anzu¬
sprechen, die Spezifität von Sachs-Georgi ist noch nicht absolut er¬
wiesen, die Probe allerdings leicht anzustellen. Für die Diagnose in der
Praxis ist die Sachs-Georgi-Reaktion. jetzt noch nicht sicher verwertbar.
L. H a 1 b e r s t a e d t e r - Berlin: Zur Frage der postoperativen Be¬
handlung des Mammakarzinoms.
Nach den Erfahrungen des Verf. ist das Problem der Dosierung und
Anwendung der R.-Strahlen bei der postoperativen Behandlung des Brust¬
krebses nicht leichter und einfacher, wie vielfach angenommen zu werden
pflegt, sondern eher komplizierter als das der Bestrahlung ausgebildeter,
nicht operierter Karzinomherde. Bestrahlungen mit schwachen Apparaten
sind nutzlos und nicht ganz unbedenklich. Grassmann -München.
Deutsche medlzlniscUe Wochenschrift. 1921. Nr. 6 u. 7.
Nr. 6. H. Curschmannn -Rostock: Ueber kombinierte Stlmmrltzen-
und Schlingkrämpfe nach Grippe.
Mitteilung von 5 Fällen, bei denen im Anschluss an Grippe-Laryngo¬
tracheitis mit Vorliebe nachts Anfälle von Laryngospasmus, begleitet von
zwangsmässigem, heftigem Luftschlucken auftraten. Immer fehlten Anzeichen
von Bronchialasthma, Tetanie, Tabes, Polyneuritis oder Enzephalitis. Als
Ursache wird eine peripherische Reizung des Vagus oder, mit noch grösserer
Wahrscheinlichkeit, eine neuritische Reizung der sensiblen Fasern des
N. laryngeus superior angenommen.
O. Bessert und B. L e i c h t e n t r i 11 - Breslau: lofiuenzabazUlen
und chronische Lungenerkrankungen Im KIndesaiter.
Nach Grippe besteht nicht selten Neigung zu Bronchiektasenbildung;
derartige Veränderungen können nach kürzerer oder längerer Zeit aus¬
heilen, können jedoch auch unverändert bestehen bleiben, unter Umständen
sogar zum Tode führen. Der in solchen schweren Fällen regelmässig naoh-
weisbare Influenzabazillus schützt vor der Verwechslung dieser Zustände mit
Tuberkulose.
A. Alexander -Berlin: Darmgrippe.
Etwa 20 Proz. der Grippefälle gehen mit Darpistörungen einher. Diese
können ganz in den Vordergrund treten mit Fieber, ausserordentlich zahl¬
reichen Durchfällen, starken Tenesmen, Leibschmerzen, Meteorismus. Er¬
brechen und erheblicher Störung des Allgemeinbefindens. Komplikationen
von seiten der Halsorgane und besonders des Nervensystems sind nicht
selten.
J. S c h w a 1 b e - Berlin: Zusatz zu vorstehendem Aufsatz.
Notiz über einen abortiv, immerhin aber unter schweren Erscheinungen
verlaufenen Fall von Darmgrippe.
A. S t ü h me r - Freiburg i. Br.: Die Abgrenzung der 1. von der 11.
Krankheitsperiode bei der Syphilis auf Grund experimenteller Trypano'somen-
studlen. Fortsetzung aus Nr. 5.
J. Neumann -Hamburg: Wolhynlsches Fieber (Quintana) als Friedens¬
erkrankung.
Nach einer Demonstration im Hamburger Aerztl. Verein am 1. VI. 1920
(Bericht in Nr. 25 1920 der M.m.W.)
E. Ballmann - Fulda: Gehäuftes Auftreten von Neuritiden Im Bereich
der oberen Extremität
Mit Parästhesien und Bewegungshemmungen verbundene heftige Schmer¬
zen in beiden Schultern und Armen werden als Folgeerscheinungen einer
sonst symptomlos verlaufenen Infektion mit dem Enzephalitisvirus ange¬
sprochen. Im Blut wurde jedesmal Lymphozytose festgestellt. Die Therapie
bestand in Diathermie, Vierzellenbädern und Solarsoneinspritzungen.
R. Mühsam - Berlin: Der Einfluss der Kastration auf Sexualneurotiker.
Drei Kranke mit schweren Sexualneurosen (eine Uebererregbarkeit. eine
Onanie mit Transvestitismus und eine Homosexualität) wurden durch die
von ihnen gewünschte Kastration wieder arbeitsfähig, was sie vorher nicht
waren.
E. K e i n i n g - Bonn: Ueber eine kombinierte Sachs-Georgl-
Wassermannsehe Reaktion.
Muss in der Urschrift nachgelesen werden. ,
0. H i r s c h - Halberstadt: Gibt es eine sympathische Ophthmmle?
Ihre Existenz wird geleugnet. Was bisher als sympathische Ophthalmie
angesprochen wurde, ist eine tuberkulotoxische Iridozyklitis, die mit Tuber¬
kulinbehandlung gut zu heilen ist.
. W 0 1 f f - Wiesbaden: Ans der Praxis. Zur Behandlung der Grippe.
Es wird empfohlen:
Liqu. ammon. anis. 5.0
Calc. chlorat. cryst Merck 13,0
Dionin 0.2
Decoct rad. Seneg. 13 : 250.0
Sir. cort. aur. ad 300,0.
M.D.S. 3stflndl. 1 Esslöffel.
E. F r a n k - Breslau: Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von
der Vagotonle und Sympathlkotonle. Schluss folgt.
Nr. 7. H. E. H e r i n g - Köln: Hypotonie als Koeffizient der Herzhyper¬
trophie. (Hypotonogene. barogene und hyplnogene Herzdilatation und Herz¬
hypertrophie.)
Zu kurzem Bericht nicht geeignet.
M. Kirchner -Berlin: Immnnlslemngs- und Heilwirkungen säurefester
Stäbchen (Möller, Friedmann) gegen die Tuberkulose von Versuchs¬
tieren.
Weder mit dem Blindschleichen-Tuberkelbazillns (Möller), noch mit
dem Schildkrötentuberkelbazillus (Friedmann) war es möglich hnmuni-
Originalfrom
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
374
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
sierende oder heilende Wirkuns; gegen humane oder bovine Tuberkulose bei
Hammel. Meerschweinchen oder Kaninchen zu erzielen.
J. Schereschewsky und W. Worms- Berlin: SpirochStotrople
und Luesprophylaktlka.
Aufstellung von vier Forderungen, welche von einem wirksamen Lues-
prophylaktikuni erfüllt werden müssen. Besonders v^ichtig ist, dass ein
Schutzmittel mindestens noch 5 Stunden nach erfolgter Infektion wirksam
sein muss. Aeltere Neisser-Siebert-Salbe wurde unwirksam gefunden, wäh¬
rend die Merck sehe Chininsalbe volle Wirksamkeit auch noch nach einem
Jahre behalten hatte.
A. Stühmer - Freiburg i. Br : Die Abgrenzung der 1. von der
II. Krankheitsperiode bei der Syphüis auf Grund experimenteller Trypano¬
somenstudien. (Schluss aus Nr. 5 und 6.)
Die Primärperiode hört da auf, wo die WaR. positiv wird und also die
Schwierigkeiten der Behandlung beginnen. Ablehnung des Begriffes einer
„seropositiven Primärlues“. An Wichtigkeit der WaR. gleichwertig für
die Beurteilung des Fal'es sind die klinischen Erscheinungen.
V. S c h i 11 i n g - Berlin: Zur Lösung der Blutplättchenfrage.
Polemik gegen D e y k w i t z (Nr. 1 d. W.).
F. J. Kaiser-Halle a. S.: Die schädlichen Nebenwirkungen bei der
Lumbalanästhesie und ihre Bekämpfung
W. M i n t z - Riga: Schussverletzung des Hls-Tawara sehen Bündels.
Bradykardie von 41—45, Geräusche über dem ganzen Herzen, besonders
über Aorta und Pulmonalis. Im Kardiogramm: Herzblock, Dissoziation der
atrioventrikulären Kontraktionen.
A. Niemann - Berlin: Die Erkrankungen der Respirationsorgane im
frühen Kindesalter.
Vortr. im Ver. f. Inn. Med. u. Kindhlk. in Berlin, gehalten am 13. XII. 20
(Bericht in Nr. 53 1920 der M.m.W.).
R 0 h 1 e d e r - Leipzig: Hodenelnpflanzung bei Prostatismus.
Bei dem Versagen der bisher üblichen Organotherapie muss die Implan¬
tation eines StiVekes menschlichen Hodens (vom Kryptorchiker genommen)
versucht werden. Zum mindesten ein Hinausschieben des Hl. Stadiums beim
Prostatismus darf erwartet werden.
H. B a b - München: Ist es berechtigt, an einem männlichen Individuum
eine künstliche Scheide operativ zu bilden?
Kritische Besprechung eines Falles von Pseudohermaphroditismus exter-
nus masculinus, bei dem nach Entfernung eines Testikels aus dem rechten
Labium majus eine künstliche Vagina nach der B a 1 d w i n sehen Methode
gebildet worden war. Bei dem männlichen Individuum war die Bildung
der Vagina nicht am Platze; nachdem durch Entfernung des Hodens nun
eine Neutralisierung der Person eingetreten ist, muss zur Vervollständigung
des Feminismus nun auch noch eine Ovarienimplantation verlangt werden.
Breuning - Berlin: Peraphlgusheiiung durch Terpentineinspritzungen.
Mitteilung eines abermaligen guten Erfolges. Es wurden 2 mal ccm
und 2 mal 1 ccm 20 proz. Terpentinöl gegeben.
K 0 n r i c h - Berlin: Einige Tatsachen zur Bewertung der Anzeigepflicht
bei Geschlechtskrankheiten.
Die Anzeigepflicht erschwert den Weg zum Arzt und erleichtert den
Weg zum Pfuscher.
S. P e i n e - Hamburg: Unterbewusste Zusammenhänge in der Aetiolostie
der Unfall- und Rentenneurose.
Zu solchen untcrbcw'ussten Zusammenhängen gehört der Wunsch, mit
der A^ierkennung des Rentenanspruches auch gleichsam offiziell Anspruch auf
Mitleid und seelische Unterstützung zu haben, ferner auch die Absicht, sich
gegen den Selbstvorwurf der Schuld zu sichern;
H. A r 0 II s - Berlin: Ueber die Pyramidonprobe zum Nachweis okkulter
Blutungen.
Die Pyramidonprobe ist der Benzidinprobe gleichwertig.
E. F r a n k - Breslau: Ueber den (gegenwärtigen Stand der Lehre von
der Vagotonie und Sympathikotonie. (Schluss aus Nr. 6.)
Uebersicht.
A b c 1 s d 0 r f f und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmoiogische Rat¬
schläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Schweizerische medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 1—7.
Nr. 1. W. S i 1 b e r s c h m i d t: Ueber eine Massenvergiftung nach
Brotgenuss.
190 Menschen erkrankten an Kopf- und Leibschmerzen, Erbrechen und
Durchfall. Mit dem Brot gefütterte Mäuse, Ratten und Meerschweinchen
bleiben gesund, Hunde und Katzen erkrankten. Die Ursache konnte chemisch
nicht nachgewiesen werden. Vielleicht handelte es sich um toxische, durch
Gärung entstandene Substanzen, die sich nur ausnahmsweise bilden.
R. Bing- Basel: Zur Frage des „Parkinsonismus** als Folgezustand der
Encephalitis letharglca.
Verf. beschreibt 2 typische Fälle von Paralysis agitans, von denen einer
bisher (seit 2 Jahren) progressiv verlief, der andere heilte. Sie sind zu
erklären durch die Läsion des Corpus Striatum, Hypothalamus und der
Haubenregion, die sogar, wie der erste Fall zeigt, zu fortschreitendem Unter¬
gang des Striatumsystems führen kann. Die Störungen der Speichelsekretion
bei E. I. hält Verf. für zentral bedingt. Er hat sogar völliges Versiegen
der Speichelsekretion beobachtet.
W. Rütimeycr - Zürich: Ueber postenzephalitische Schlafstörung.
Ausführliche Mitteilung von 10 Fällen, bei 5—12jähr. Kindern, die iK-
bis 6 Monate nach Enzephalitis eine eigentümliche Schlafstörung zeigten. Die
absolute Schlafzeit war nicht verkürzt, jedoch waren die Intervalle zwischen
Wachsein und Schlaf völlig gesetzlos und ganz unregelmässig, also eine
Störung der Koordination im Ablauf der für den Eintritt des Schlafes nötigen
Vorgänge. Bei einigen Kindern daneben Reflcxstörungen, Paresen, Stim¬
mungsveränderungen mit Uebergängen in Dementia-praecox-ähnliche Zustände.
Nervöse Disposition ist mit im Spiel; es sind funktionelle Störungen, die die
ursprünglichen spezifischen Schädigungen gewisser Zentren überdauern.
R. K I i n g e r - Zürich: Die Prophylaxe des endemischen Kropfes.
Versuche an über 1000 Kindern in 7 Schulen zeigten, dass es durch
.systematische Darreichung von Jod (1 Tablette Jodosterin wöchentlich) ge¬
lingt, die Schuljugend vom endemischen Kropf zu befreien. Niemals hat Verf.
Schaden gesehen, auch nicht bei langem Gebrauch (bis 16 Monate). Alle
Kinder sollen 1 Jahr lang die Tabletten erhalten, dann jährlich 1—2 Monate.
Digitized by Goi'Sle
Nr. 2. W. G e i 1 i n g e r - Zürich: Beitrag zur Diagnostik des kv-
vaturalen Magengeschwürs.
Ausführliche Darlegung der topischen Diagnose des Ulcus an der kleinen
Kurvatur an Hand von 7 operierten Fällen und der Literatur. Charakteristisch
ist die Lokalisation des Druckschmerzes links von der Mittellinie oder in
dieser, Spontanschmerz und Erbrechen fast unmittelbar nach dem Essen,
meist keine Speisen im Erbrochenen, sondern nur wenig saurer Magensaft,
dazu erhebliche Verzögerung der Magenentleerung.
A. S. Horovitz und E. Z u e b 1 i n - Cincinnati: Ueber die Behand-
mit nichtspezifischem Pflanzenelweiss.
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
W. H. V. Wyss: Höheakllma und Herzkrankheiten.
Geeignet für das Hochgebirge (bis 2000 m) sind einfache kompensierte
Klappenfehler, Extrasystolie und Arrhythmien ohne Myokardbeteiligung,
paroxysmale Tachykardien und rein nervöse Störungen, bei denen aber
die Auswahl schwierig ist. Nicht geeignet sind alle Fälle mit wesentlicher
Dilatation und Stauungserscheinungen, Nephritisherzen, Arteriosklerotiker,
luetische Herzerkrankungen Koronarsklerosen wegen der Mitbeteiligung des
Myokards.
E. Förster - Aarau: Zur Kasuistik der Darmlipome.
Mitteilung von 2 Fällen mit Obturationsileus und Invagination.
M. L ü d i n: Zur Frage der Beeinfinssung der sekretorischen Magen¬
funktion durch äussere allgemeine und lokale Wärmeanwendungen.
Polemik.
Nr. 3. Sidler-Huguenin -Zürich: Ueber die Augensyphilis In der
zweiten Generation.
Genaue Untersuchung von 65 Kindern aus 36 hereditär-luetischen Ehen,
von denen 64 ganz ohne luetische Symptome waren. Achtmal zeigten die
Mütter zur Zeit der Zeugung manifeste Symptome der Erbsyphilis. Ihre
14 Kinder wiesen nichts Luetisches auf.
J. D u b s - Winterthur: Die sekundäre Enterostomle nach Peritonitis-
operatlonen.
Verf. bespricht ausführlich die Indikation des Eingrifies und empfiehlt
ihn sehr, da er 6 Kranke (= 25 Proz.) damit noch vor dem Tode retten
konnte. Mitteilung der Krankengeschichten.
G. Ebnöther - Thun: Zur Frage der Behandlung der Hernla obturatoria
incarcerata.
Verf. empfiehlt zuerst den Femoralschnitt anzulegen, dann die Laparo¬
tomie anzuschliessen und beschreibt einen so geheilten Fall.
E. Sonnenfeld - Basel: Die medikamentöse Behandlung der Chole-
ilthiasis mit Felamin „Sandoz**.
Empfehlung des Mittels (Hexamethylentetramin als Desinfiziens 'r Qallen-
säuren aus Ochsengalle als Cholagogum) auf Grund eigener günstiger Er¬
fahrungen.
Nr. 4. F. R o h r e r - Basel: Die Regulation der Atmung.
Antrittsvorlesung.
P. F. Nigst-Bern: Die Behandlung dislozierter Unterschenkelfrakturen
mit dem Schrägnauel nach A r n d.
Ausführliche Beschreibung des Verfahrens, 16 Fälle.
M. Tische: Ueber Harnröhrenkatarrhe nichtgonorrhoischer Natur des
Mannes und deren Rehandlung mit AkatlnoL
S. Galant: Diagnose und Fehldiagnose In der Psychiatrie.
Nr. 5. G. F. L i p p s - Zürich: Der Lebenszustand und seine Aeusse-
rungen.
H. G u g g i s b e r g-'Bern: Zur medikamentösen Therapie der Weheu-
schwäche.
Nach den bisherigen Erfahrungen hat sich in der Eröffnungsperiode das
Chipin in kleinen Dosen (0,25 g 1—2 mal), in der Austreibungsperiode das
Pituitrin, in der Nachgeburtsperiode Sekale am besten bewährt. Verf. hat
nun aus der Plazenta wehenbefördernde Substanzen isolieren können, die
subkutan zusammen mit Pituitrin sehr wirksam sind, sowohl experimentell
als klinisch und dabei völlig unschädlich. Wahrscheinlich wird der Uterus
für die Pituitrinwirkung sensibilisiert, so dass Versager seltener sind.
H. W. Maier- Zürich: Ueber Züchtung und Therapie paychtscher Sym¬
ptome bei Versicherten.
Verf. geht besonders auf die diagnostischen Fehler infolge mangelhafter
Anamnese und unzureichender pschiatrischer Ausbildung ein, auf die Ueber-
wertung körperlich geringer Symptome bei Neurotischen (40 Proz. der „Tuber¬
kulösen“ in den Beobachtungslazaretten waren nicht tuberkulös), auf die zu
verschiedenartige Einschätzung der Folgen psychischer und neurotischer Er¬
scheinungen. Therapeutisch ist vor allem wichtig die Bekämpfung der
„schlimmsten Volksseuche“ der allgemeinen Suggestion, das^ die Arbeit eine
Verminderung des Lebensgenusses sei.
E. Christin- Genf: Les nonveaux traltements de röpilepsie.
Nr. 6. R. S c h w e i z e r - Zürich: Ueber Entstehung und Wachstum
von Nierensteinen.
Zusammenfassende Darstellung des Standes der Frage. Kurzer Bericht
über 2 eigene Fälle, in denen das Wachstum der Steine röntgenologisch ver¬
folgt werden konnte.
J. S t r e b e 1 - Luzern: Ueber Formveränderungen der Zentralskotome
bei diabetischer Retrobulbärneuritis (Neurodystfophia paplllomacularls chro¬
nica) kurz vor dem Tode. Ueber zentrale Blindstellen bei Nenritls reitro-
bulbaris acuta nach Grippe. Ueber chronische Retrobulbärneurltls bei Brost¬
krebskachexie.
F. C a 11 a n i - Zürich: Tatauierongen und deren Entfernung.
Technik und Inhalt der Tatauierungen und 13 Methoden zu ihrer Ent¬
fernung werden besprochen.
G. Piotrowski: L*encephallte äpldömlque ä Genöve en 1920.
R. V. Fellenberg - Bern: Zur Behandlung der Plazentarperlode.
In 7 Jahren hat Verf. ausnahmslos in allen Fällen prompten Abgang der
Plazenta gesehen nach intramuskulärer Injektion einer Spritze Hyppphysen-
extrakt sofort nach der Geburt.
Nr. 7. A. Vogt-Basel: Skelettfreie Röntgenaufnahme des yorderen
Bulbusabschnittes.
Beschreibung einer Methode, bei der ein Film auf einer passend ge¬
formten Bleifolie montiert und in die Orbita von der Gegend* des jnasalen Lid¬
winkels oder dicht unterhalb des Unterlidrandes vorgeschoben wird. Es
werden so noch Splitter nachweisbar, deren Grösse ohne Mikroskop nicht
mehr zu bestimmen ist.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
25. März 1921 .
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
375
A. Fon io: Weiterer Beitrag zur Methodik der Untersuchung der Blut-
gerlunung.
Verf. gibt zwei neue Apparate an, das Thrombometer zur Bestimmung
der Dehnbarkeit und Zugfestigkeit der Fibrinmenge des weissen Thrombus
und das Retraktilometer zur Bestimmung der vollendeten Zusammenziehung
des Thrombus nach erfolgter Serumauspressung. Diese Untersuchungs¬
methoden haben schon zu praktisch wichtigen Aufschlüssen (Prognose bei
Operationen) geführt,
H e d i g e r - Zürich: Die Kohlensäurebäder und Ihre Wirkung auf die
Zirkulation.
P. N i g st - Bern: Untersuchungen über kompensatorische und korrelative
Hypertrophie.
Für die kompensatorische Hypertrophie der Niere nach Entfernung der
andern ist gleichgültig, ob die bleibende Niere entnervt ist oder nicht.
Ebenso ist die korrelative Hypertrophie der Nebenniere nach Thymus¬
exstirpation von der Innervation unabhängigi
K i n 0 s h i t a - Basel: Zur Lehre der Mischgeschwülste'des Oesophagus.
L. Jacob- Bremen.
. Im Druck erschienene InauKuraldissertationen.
Universität Tübingen. Februar 1921.
H e n d r i c h Arthur: Vergleichend makroskopische und mikroskopische Unter-
suchungen über die Samenblasen und die Ampullen der Samenleiter bei den
Haussäugetieren mit Einschluss von Hirsch und Rehbock. (S. A. aus
Internat. Mschr. f. Anat, u. Phys. 1905.)
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 16. März 1921.
Herr V o g e I - Wildungen: Endovesikale Operation tiefsitzender Harn¬
leitersteine.
Herr Vogel bespricht einen Fall eines Harnleitersteines, der tief in
der Ureterenmündung in der Blasenwand sass. Unter Leitung des Zystoskops
hat der Vortragende mit einem besonders konstruierten Uretergalvanokauter
die Papille gespalten. Die Entfernung des Steines gelingt dann leicht mit
einer ebenfalls besonders konstruierten Schlinge. Beide Instrumente zeigt
der Vortragende im Lichtbild. Ebenso wird der Heilungsvorgang an einigen
Lichtbildern demonstriert. Die Befürchtung einer Schädigung des Ureterver¬
schlusses hält der Vortragende nicht für stichhaltig. Die Spaltung der Papille
muss für manche Fälle nicht nur als berechtigt, sondern als notwendig gelten,
da durch die Operation die Papille für ganz erhebliche Mengen von Kon¬
krementen durchgängig wird.
Aussprache: Herr Freudenberg erklärt, dass er gute Re¬
sultate mit seiner Behandlung derartiger Steine durch Kaustik mit Hoch¬
frequenzströmen erzielt habe. Er warnt aber davor, in den Ureter selbst
einzugehen, da dann Strikturen häufig die Folge wären.
Herr Halle berichtet von einer 1917 vorgenommenen Operation des
Tränenkanals von der Nase. aus. Es handelte sich um eine steckengebliebene
Sonde, die zu einer eitrigen Dakryozystitis geführt hatte. Diese Operation
lässt sich sogar — der Vortragende stellte einen Patienten vor — an Säug¬
lingen ausführen. Das vorgestellte Kind ist vor einer Woche operiert wor¬
den und bereits völlig geheilt. Zur Technik der Operation ist zu bemerken,
dass eine stärkere Blutung vermieden und der Kopf des Patienten streng
fixiert werden muss. Die Narkose ist daher unbedingtes Erfordernis für die
Operation.
Herr Hamburf»er: Arzt und Bevölkerungspolitik.
Das Deutsche Reich hat seit Beginn des Krieges etwa 10 Proz. seiner
Bewohner verloren, und zwar l. durch die im Kriege Gefallenen, 2. durch die
Unterernährung. 3. durch die Bewohner der abgetretenen Gebiete und 4. durch
den Geburtenrückgang. Diese Verluste müssen ersetzt werden. Sie können
ersetzt werden einmal durch eine Vermehrung der Geburten, dann durch
Reduktion der Sterblichkeit. G r o t j a h n verlangt Geburtenvermehrung,
jeder Mann habe mindestens drei Kinder zu erzeugen oder wirtschaftliche
Aequivalente zu geben. Der Vortragende lehnt diesen Plan zurzeit völlig
ab. An der Hand von Statistiken und eigenen Ermittelungen stellt er fest,
dass mit zunehmender Geburtenziffer auch die Verlustziffer prozentual und
progressiv steigt. Ber den Verhältnissen der Vorkriegszeit war es, um drei
lebende Kinaer zu erzielen, nötig, dass fünf geboren wurden! Die Verluste
durcj» Fehlgeburten etc. waren bei Arbeiterfamilien etwa dreimal so hoch
als bei den Wohlhabenden. Die Verluste setzen sich zusammen 1. aus Fehl¬
geburten, 2. Totgeburten, 3. Verlusten an Kleinkindern und 4. an Müttern,
ad 1. Die Zahl der Aborte hat sehr zugenommen, und zwar seit vor dem
Kriege um etwa 50 Proz. In den preussischen Entbindungsanstalten steigt
die Verlustziffer trotz Rückganges der Geburten, ad 2. Die Zahl der Ehe¬
schliessungen hat sich etwa verdoppelt. Die Männer sind aus dem Kriege
mit Geschlechtskrankheiten nach Hause gekommen und haben sofort ge¬
heiratet. Die Zahl der Totgeburten hat sich dadurch sehr vermehrt, ad 3.
Kleinkinder und Säuglinge sind namentlich durch die Geschlechtskrankheiten
der Eltern zugrunde gegangen, während die Sterblichkeit an Tuberkulose
dahinter zurücksteht. Dann aber auch durch die vielfach schwere körper¬
liche Arbeit der Mütter, ad 4. Die Verluste an Müttern beziehen sich vor¬
wiegend auf Tuberkulose. Die Tuberkulosesterblichkeit scheint im Rückgang
begriffen zu sein. Ob auch die Tuberkuloseerkrankung, ist zum mindesten
sehr fraglich. Aus der Bewertung dieser vier Gesichtspunkte ergibt sich, dass
eine Vermehrung der Geburtenziffer weder möglich noch.erwünscht ist. Dazu
kommt die enorma Schwierigkeit der Wohnungsverhältnisse. Nach einer
Statistik der A.O.K. Berlin haben im Jahre 1918 1500 Hauskranke ihr Bett
mit anderen Personen teilen müssen! Der Volkskörper ist krank und bedarf
der Ruhe und Schorfung! Daher keine Qeburtenvermehrung! Dafür umso
intensiver die Bekämpfung der Sterblichkeit!
Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten schlägt Redner eine Reihe
rigoroser gesetzlicher Massnahmen vor. Beim Bau neuer Häuser tritt er
für reichliche Versorgung mit Dachgärten und Balkons ein. Das Kindbett¬
fieber hat seit 20 Jahren nicht abgeilommen! Redner regt dann die Bildung
Digitized by Goüsle
einer ärztlichen Zentralstelle an, die im Zusammenhang mit den Behörden
die grossen gesundheitlichen Fragen verhandeln und regeln soll.
Aussprache: Herr Kraus: Die Aerzte müssen politisiert werden,
natürlich nicht im Sinne irgend einer Parteizugehörigkeit. Die Gesundheit ist
ein Politikum, sie ist die Grundlage jeder Kultur. Es handelt sich hier
nicht darum, Partei zu nehmen für G r o t j a h n oder Hamburger. Es
ist ein Antrag gestellt worden von höchster Bedeutung, der praktisch durch¬
führbar und ausserordentlich wertvoll ist.
Herr Freudenberg regt die Bebauung der Freiflächen an, aber nicht
mit Hochbauten, sondern wie bisher in der Siedlungsweise mit Kleinbautcn.
Dadurch würde der Boden wertvoller und die Arbeitslosigkeit geringer.
Die weitere Debatte über dieses Thema wird auf Antrag auf die nächste
Sitzung vertagt. A.
Verein für innere Medizin u. Berliner urolog. Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Gemeinschaftliche Sitzung vom 8. März 1921.
Fortsetzung der Diskussion über: „Die funktionelle
Nierendiagnostik“.
Herr S i e b e c k - Heidelberg: Die Tätigkeit der Nieren ist auch vom
Kreislauf und der GesamJkonstitution abhängig und deshalb muss bei der
Funktionsprüfung der Nieren der ganze Organismus berücksichtigt werden.
Vor dem Verdünnungsversuch ist das .Vorausgeben e^ner Nahrungszufuhr mit
mässigem Kochsalzgehalt und mittlerer Flüssigkeitsmenge besonders zu be¬
achten. Trotzdem die Reststickstoffbestimmung keinen Massstab für die
Stickstoffansammlung im Gewebe gibt, ist sie doch wichtig. Eine eiweiss¬
arme Kost muss ihr vorangehen.
Herr V o 1 h a r d - Halle: Auch bei degenerierten Nieren kann die Sezer-
niecung noch ganz gut funktionieren. Die Reststickstoffbestimmung gibt nicht
immer eindeutige Aufschlüsse, dagegen ist die A m b a r d sehe Konstante
wichtig, doch ist sie leider für den Praktiker nicht zu verwenden. Am
besten ist noch der einfache Konzentrationsversuch, doch sind seiner Meinung
nach Vorperioden in der Praxis entbehrlich.
Bei Eklampsie ist die Wasserausscheidung gestört, ein intrarenales Toxin
besteht bei ihr nicht. Die Funktionsprüfung ist vor allem bei der Schrumpf¬
niere zu verwenden.
Herr S t r a u s s ist der Ansicht, dass die A m b a r d sehe Konstante
keine neuen Gesichtspunkte gibt Ihm hat bisweilen die refraktometrische
Blutuntersuchung wertvolle Ergebnisse geliefert.
Herr Munk: Während bei der Lipoidnephritis die N-Ausscheidung und
Konzentration normal ist, haben sie bei der akuten Nephritis keine Bedeutung.
Herr Renner- Breslau macht darauf aufmerksam, dass bei chirurgi¬
schen Nierenaffektionen bei der Phloridzinprobe der Unterschied im zeitlichen
Auftreten der Olykosurie massgebend ist. Die Indigkarminprobe gab keine
eindeutigen Aufschlüsse, dafür aber sehr wichtige die Gefrierpunktbestiramung.
Herr S c h w a r z - Wien: Im Allgemeinen sind die Methoden der Funk¬
tionsprüfung noch sehr verbesserungsbedürftig. Er hält den Begriff der Nieren¬
insuffizienz für unpräzise und vieldeutig. Eine Entscheidung über die In¬
suffizienz gibt der Rest-Stickstoff. Vor allem sind die Belastungsproben
wichtig.
Herr G u g g e n h e i m e r: Durch die A m b a r d sehe Konstante haben
wir eine Kontrolle über den Verlauf der Nierenaffektion an der Hand. Eine
einmalige Funktionsprüfung genügt jedoch nicht, dauernde Untersuchung ist
nötig.
Herr Joseph: Bei Wanderniere und Hydronephrose, wie bei manchen
anderen Leiden gibt uns die Funktionsprüfung keine Aufschlüsse. Vortr.
weist vor allem auf die Bedeutung der Chromozystoskopie und der Pyelo¬
graphie hin.
Herr Rumpel: Durch Erkrankung der einen Niere kann die Funktion
der anderen Niere reflektorisch gestört sein. Auch bei ihm hat die Indig¬
karminprobe des öfteren versagt. Oft gibt auch die blosse Zystoskopie mit
Beobachtung der Ureterenmündung wertvolle Aufschlüsse.
Herr F. H i r s c h f e 1 d ist bei der Funktionsprüfung für kleinere
Wassermengen. Er sah bei scharla^hkranken Kindern schon manchesmal
3—4 Tage vor dem Einsetzen einer Nierenstörung durch Wasserretention eine
Gewichtszunahme. W.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Pädiatrische Sektion.
. S i t z u n g V 0 m 14. Mär z 1921.
Herr Erich Nassau: Ueber Hämaturie bei Kindern.
Die Blutausscheidung durch die Nieren ist das Symptom vieler Nieren¬
erkrankungen. sie bildet aber auch oft den einzigen Befund und über diese
monosymptomatischen Hämaturien will Vortr. sprechen. In neuerer Zeit hat
man öfter auch bei gesunden Nieren zeitweilige Blutkörperchenausscheidungen
feststellen können. Die Hämaturien im Kindesalter werden durch mechanische,
wozu er auch die bei orthostatischer Albuminurie vorkommende zählt, nutri¬
tive uiid infektiös-toxische Beeinflussungen der Nieren hervorgerufen. Zu den
mechanischen Hämaturien gehören bei Erwachsenen auch die Fälle, die
man bei Soldaten nach langem Stehen, sowie nach sportlichen Leistungen
gesehen hat. Doch gehört hier offenbar eine besondere Disposition dazu,
vor allem ein durchlässiges Gefässsystem. Zu den nutritiven Hämaturien
zählt er die bei der B a r I o w sehen Krankheit vorkommenden. Eine
Neigung zu Blutungen bleibt noch nach Ueberstehen des Leidens zurück.
Was die Hämaturien bei Infektionskrankheiten anbetrifft, so macht Vortr.
vor allem auf ihr häufiges Vorkommen bei Varizellen aufmerksam, das wenig
bekannt ist. Sehr häufig sind auch die Hämaturien bei .Nasendiphtherie mit
blutigem Sekret, seltener bei Grippeerkrankungen. Bei chronischen Infek¬
tionskrankheiten spielt vor allem Tuberkulose und Lucs eine Rolle. Bei den
eigentlichen, mit hämorrhagischer Diathese einhergehenden Bluterkrankungen
sind Hämaturien verhältnismässig selten. Wo sie bei Infektionen Vorkommen,
zeigen die verschiedenen Gcrinnungsfaktoren normale Verhältnisse.
Die essenteilen Hämaturien lösen im Kindesalter meist vorübergehende,
im späteren Alter jedoch länger dauernde Erscheinungen aus. Doch hat man
noch nach sieben Jahre dauerndem Bestehen der Erkrankung Heilung ein-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
376
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12
treten sehen. Die Prognose der monosymptomatischen Hämaturien ist im
allgemeinen eine günstige, doch sind diese Kranken dauernd unter Kontrolle
zu behalten.
Diskussion: Herr Frank bringt kasuistische Beiträge, ebenso
Fräulein Adelsberger.
Herr Stutz in: Bei angeborenen Strikturen kommt öfter Blutharn vor.
Vor allem auch nach der Appendektomie bei Appendizitis beobachtet man
Hämaturien.
Herr Cassel: Bei Kindern mit chronischen Hyperplasien des lym¬
phatischen Rachenringes, die häufig Anginen haben, werden oft Hämaturien
beobachtet. Solche Fälle werden durch Tonsillektomie geheilt.
Fräulein E 1 i a s b e r g hat vorübergehende Hämaturie als Prodromal¬
symptom von Masern beobachtet.
Herr Finkelstein weist auf die Hämaturien durch Tumoren, Steine
und andere Blasenaffektioncn, ferner auf Blutungen aus dem Urogenital¬
apparat bei Urtikaria und angioneurotischem Oedem, sowie auf pyelitische
Blutungen hin.
Herr Nassau: Schlusswort. W.
Gesellschaft fQr Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Vereinsamtliche Niederschrift.)
Sitzung vom 8. November 1920.
Tagesordnung.
Herr F. Schanz: Die Grundlagen der Lichttheräpie.
Durch seine biologischen Lichtarbeiten hatte Sch. den Eindruck erlangt,
dass das Ultraviolett im Tageslicht einen viel grösseren Energiefaktor dar¬
stellt, als man bisher angenommen. Da es kein Instrument gab. das ge¬
stattet, das Ultraviolett zuverlässig zu messen, so hatte Sch. auf einem bio¬
logischen Weg dies augenfällig gezeigt. Pflanzen, denen er das Ultraviolett
entzog, zeigten auffällige Veränderungen in ihrer Gestalt, es zeigte sich, dass
das Ultraviolett des Tageslichts die Gestaltung der gesamten Vegetation
beeinflusst. Im Biolog. Zbl. Bd. 36, in den Berichten der Deutschen Botanischen
Gesellschaft 1918 u. 1919 und in Pflügers Arch. f. Physiol. Bd. 181 sind diese
Versuche besprochen.
Jetzt hat Sch. mit einem Spektralphotometer für Ultraviolett nach
D c m b e r das Ultraviolett des Sonnenlichtes verglichen mit dem Licht künst¬
licher Lichtquellen. Die Ergebnisse sind publiziert in einer Arbeit: Der Gehalt
des Lichts an Ultraviolett (v. Gräfes Arch. f. Ophth. Bd. 103). Wenn man
darnach sich die Frage vorlegt, mit welcher Lichtquelle lässt sich am ehesten
ein Licht herstellen, das das Sonnenlicht in der Therapie ersetzen kann, so
wird kein Zweifel sein, dass das Licht der offenen Bogenlampe sich am
besten dafür eignet.
Um sich ein Urteil zu bilden, wie das Licht auf unseren Körper wirkt,
müssen wir prüfen, welche Veränderungen die lebende Substanz durch Licht
erleidet. Diese Frage hat sich Sch. zuerst vorgelegt, als er sah. wie die
Augenlinse unter Einwirkung des Lichtes fluoresziert. Eine solche Umwand¬
lung der Energie ist undenkbar ohne Veränderung des Mediums, in dem die
Umwandlung stattfindet. Die Erwägung dieser Frage legte die Vermutung
nahe, dass die Verhärtung des Linsenkerns, die im Laufe des Lebens bei allen
Menschen auftri*t, mit dieser Umwandlung der Energie zusammenhängt.
Sch. hat gezeigt, dass ‘sich nicht nur im Linseneiweiss. sondern auch in
andersartigen Eiweisslösungen durch Licht auf Kosten der leichtlöslichen
Eiweisskörper schwercrlöslichc bilden. Er konnte zeigen, dass zahlreiche
Stoffe nach Art der Sensibilisatoren diesen Prozess zu beeinflussen vermögen.
Die Versuche sind ausführlich besprochen in den Arbeiten: Wirkungen des
Lichtes auf die lebende Substanz (Pflügers Arch. f. Physiol. Bd. 161), Licht-
rcaktion der Eiweisskörper (daselbst Bd. 164) und Biochemische Wirkungen
des Lichts (daselbst Bd. 170).
Diese Untersuchungen haben ergeben, dass wir 4 Arten von Lichtstrahlen
bei ihren Wirkungen auf die lebende Substanz unterscheiden müssen:
1. die ultraroten: sie wirken auf die Moleküle, sic erhöhen deren
Schwingungen und steigern dadurch deren Temperatur, in die Moleküle selbst
vermögen sie nicht einzudriiigen, chemische Veränderungen werden von ihnen
nicht erzeugt.
2. die sichtbaren: von diesen wirken auf die lebende Substanz
uieienigcn chemisch, die durch einen Farbstoff, der mit dem Plasma der Zelle
eine innigere Verbindung bildet, absorbiert werden. Es sind dies die Strahlen,
die zu der Farbe komplementär sind. Die übrigen Strahlen aus diesem Be¬
reich vermögen nur thermisch zu wirken.
3. die ultravioletten von Ä 400 bis gegen /, 300 ////: sie
wirken direkt chemisch auf die lebende Substanz, sie vermögen ohne Ver¬
mittlung eines Sensibilisators in das Molekül einzudringen und dasselbe zu'
verändern.
4. die ultravioletten von W' e n i g e r als /. 300 uu : sic
dringen auch in das Molekül, sie bewirken lebhafte chemische Veränderungen,
sie wirken destruktuierend auf die lebende Substanz.
Der 3. Gruppe kommt bei den biologischen Wirkungen die höchste Be¬
deutung zu, und gerade dieser Gruppe hat man bisher die wenigste Beachtung
geschenkt.
Sch. erörtert noch die Frage, können wir solche Wirkungen des Lichtes
an unserem Körper im Speziellen fcststellen. Er zeigt, wie die Entwicklung
der Altersweitsichtigkeit und des Altcrsstars damit zusammenhängt (M.m.W.
1914 Nr. 34). Von der Hoevc hat gezeigt, dass die senile Degeneration
der Netzhautmitte mit derartigen Lichtwirkungen zusammenhängt (v. Gräfes
Arch. Bd. 98). Sch. hat gezeigt, dass cs sich hei den toxischen Amblyopien
um eine optische Sensibilisation des nicht direkt lichtempfindlichen Gewebes
der Netzhaut handelt (Zschr. f. Augenhlk. Bd. 43).
In einer Untersuchung über die Wirkung des Lichtes auf das Blut (Zschr.
f. physikal. u. diätet. Ther. Bd. 24) hat Sch. gezeigt, dass die Hämolyse und
die Zersetzung des Blutfarbstoffes durch Licht beschleunigt wird. Solche
Vorgänge müssen hei Sonnenstich-Hitzschlag (M.m.W. 1915 Nr. 29) eine Rolle
spielen. Sch. zeigt jetzt, dass bei der Nitrobenzolvergiftung eine Sensibili¬
sation des Blutes in Frage kommt. Bei den anderen Formen des hämo¬
lytischen Ikterus ist ebenfalls an diesen Vorgang zu denken. Beim Schwarz¬
wasserfieber handelt es sich um den akutesten Blutzerfall. Sch. hält es für
möglich, dass dabei das Chinin als Sensibilisator eine Rolle spielt. (Erscheint
ausführlich in der Therapie der Gegenwart.)
Digitized by Goiisle
Ausspr*ache: Herr Rostoski.
Herr Faust: Wenn man von der „grundlegenden Lichttherapie“ spricht,
so muss man sich auch die Frage vorlegen: wodurch wirken denn die ultra¬
violetten Strahlen umstimmend, heilend auf den Körper ein? Um einer Er¬
klärung näherzukommen, fassen neuere Autoren die Haut als innersekre¬
torisches Organ, ja als Glied des autonomen Drüsensystenis auf, das durch
ultraviolette Strahlen angeregt wird. In den Palissadenzellen des Stratum
germinativum soll durch sie ein Abbauprodukt der Polypeptide in das stabile
Melanin umgearbeitet werden, das dann als Vorratstoff für eine antitoxische
Wirkung irgendwelcher Alt dient.
Herr W e r t h e r verwendet seit 5 Jahren im Krankenhause als Licht¬
quelle für das allgemeine Lichtbad 3 offene Kohlenbogenlampen (ca. 20 Arap.).
Jeder Lupuskranke geniesst diese Lichtbäder. Der Lupus der Haut erfährt
unter ihrem Einfluss eine wesentliche Abflachung, eine Ausheilung erfordert
jedoch noch Lokal^diandlung. Ein Lupus der Schleimhaut des weichen
Gaumens wurde durch allgemeine Lichtbäder geheilt. Die Kranken sitzen um
die 3 Lampen hefum. Die Reaktion unterscheidet sich von der Ouarzlampen-
reaktion dadurch, dass das Erythem geringer ist (nach den Ausführungen
Sch an ZS leicht erklärlich), die Pigmentierung tritt aber ein. Die guten
Ergebnisse wurden von Axel Reyn und Ernst in Kopenhagen und
Spitzer in Wien schon vor 5 Jahren her vor gehoben. Bei der chirurgischen
Tuberkulose sind die Erfolge besonders gut, so dass es fraglich wird, ob
man noch von einer solchen reden kann.
Eine noch wenig beachtete Lichtwirkung vermutet W e r t h e r bei der
Verwitterung und Altersvcränderung der Haut. Dieselbe wird im Alter
runzlig, weil sich ihr Tonus verliert. U n n a hat an der Seernannshaut die
auf dem Wasser intensiver Bestrahlung (Reflexion vom Wasser) ausgesetzt
war, Degeneration der elastischen Fasern nachgewiesen.
Ueber die Wirkung des Lichtes gibt vielleicht das Studium der Pigment¬
bildung einigen Aufschluss. Dieselbe beruht auf einer Eiweissabspaltung
und wird vom Licht gesteigert. Mit der Pigmentbildung hängt eine innere
Sekretion der Haut zusammen, insofern die in der Epidermis gebildeten
Eiweissspaltproduktc (Propigment), soweit sie nicht in Pigment verwandelt
werden, in die Nebennieren gelangen und dort zu Adrenalin verarbeitet
werden, und umgekehrt bei Erkrankung der Nebennieren die Pigmentation
in der Haut ihre Regulierung verliert und zunimmt (Addison). Ist das der
Fall, so kann erklärlich werden, dass die Haut und die Belichtung der
Haut an der Immunisierung und Gcwebsiimstimmung Anteil hat: Wir konnten
an unseren Lupuskranken wiederholt feststellen, dass die Lichtbäder die Re¬
aktion auf die Partigene steigerten, also Antikörpcrbildung anregten. Auch
erinnere ich an eine Mitteilung aus der Kinderheilanstalt zu Bad Orb. wo
während einer Grippeepidemie im allgemeinen 9 Proz. der Kinder, jedoch
von den 95 mit der Quarzlampe behandelten nur ein Kind erkrankte (Huf¬
nagel: M.m.W. 1917).
Herr B a h r d t berichtet, dass nach den Erfahrungen im Säuglingsheim
bei zu früh geborenen Kindern durch prophylaktische Anwendung die
Höhensonne Kranistabes und andere rachitische Symptome, die sonst fast
regelmässig bei zu früh geborenen Kindern auftreten, sich verhüten lassen.
Herr Schanz: Ich bestreite die Erfolge der künstlichen Höhensonne
nicht ganz, die offene Bogenlampe ist aber sicher wirksamer.
Herr Dünger: Die interessanten Ausführungen des Herrn Vortragen¬
den sind geeignet, die hämolytischen Vorgänge, wie wir sie bei hämo¬
lytischem Ikterus, perniziöser Anämie und Malaria beobachten, in einem ganz
neuen Lichte erscheinen zu lassen. Der Herr Vortragende hat festgestellt,
dass in dem Sonnenlichte ausgesetzten Blutlösungen Hämolyse auftritt unter
Bedingungen, bei denen sie unter Lichtabschluss ausbleiht. Diese Er.schei-
nung könnte besonders bedeutungsvoll werden für die noch vielfach unklare
Frage nach der Natur des Schwarzwasserfiebers. Bekanntlich hat M a t k o
mit Erfolg die Behandlung des beim Schwarzwasserfieber eintretenden hämo¬
lytischen Anfalls durch intravenöse Einverleibung von Dinatriumphosphat
versucht. Es wäre nun höchst interessant, wenn der Herr Vortragende
seine Versuche dahin ausdehnte, festzustellen, ob die Chininhämolyse bei einer
Hlutverdünming unter dem Einfluss des Sonnenlichtes ausblcibt, wenn der
Mischung Dinatriumphosphat zugesetzt wird. Trifft das zu. so würde es für
die Richtigkeit der M a t k o sehen Behandlung eine sehr wichtige Bestätigu ig
bedeuten.
Herren L e i b k i n d und Schanz (Schlussw'ort).
Herr W. Weber: Ueber ein Herzdivcrtlkel Im angeborenen Bauch-
spaltenbruch. (Mit Demonstration.)
Vorstellung eines Falles dieser äusserst seltenen Erkrankung. Das ge¬
sunde Kind zeigt im .Alter von 4 Wochen folgenden Befund: Vom Brustbein
bis zur Gegend des Nabels, der als solcher nicht mehr nachweisbar iU.
dreiquerfingerbreiter, sich stark beim Schreien und Pressen vorwölbende,r
Bauchspaltenbruch. mit stark verdünnter Haut bedeckt, dessen Inhalt aus
Darmschlingcn und einem gleichzeitig mit dem Herzschlag pulsendem Ge¬
bilde besteht. Dieses lässt sich nach oben anscheinend bis an diö Brust¬
höhle verfolgen, ist so dick wie ein Mannsfinger und ihm ähnlich an Gestalt,
besonders an seinem unteren Ende. Am Brustbein fehlt der Schwertfortsa z.
Durch Dämpfung und Röntgenbild lässt sich an gewohnter Stelle das Herz
nachweiseri. Da allmählich die Haut immer dünner wird und schliessli:h
zu platzen droht, wird im Alter von 5 Monaten operiert und folgender
Befund erhoben: Bei Ausschneidung der äusserst verdünnten Hautdecke wird
die Bauchhöhle eröffnet und Netz und Dünndarm fallen vor. Die pulsen Ic
Geschwulst ist ein Teil des Herzens selbst und zwar wahrscheinlich (ic
Herzspitze, mit Herzbeutel bedeckt. Das Organ lag auf einer schräg na :h
vorn unten gleitenden Platte, die aus einer glatten, mit Bauchfell üb« r-
zogenen Wand gebildet war. Das Herz ragte also mit einem Ausläui er
seiner Herzspitze in die Bauchhöhle hinein durch das Zwerchfell hindur :h
und war mit diesem fest verwachsen. Schluss der Bauchdecken war r jr
mit normal dicker Haut möglich, aber nicht durch Muskulatur, da c er
Spalt viel zu breit dazu war. Glatter Verlauf. Das Kind ist jetzt ein Ja ir
alt und gedeiht gut. Die Voraussage für das Lehen ist schlecht wegen der
schweren Mehrbelastung des Herzens. Es gibt ausser« diesem noch 8 äf ii-
liche Fälle, über die in der Literatur berichtet worden ist. Von dies m
ist einer (W i e t i n g) operiert worden im Alter von 3 Jahren. Die mi t-
massliche Entstchungsursache dieser sehr seltenen Missbildung wird 1 2-
sprochen, ebenso ihre Behandlung. Die ausführliche Veröffentlichung wi d
demnächst in den „Beitr. z. klin. Chir.“ erscheinen.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
---
f
25. Mürz 1921. _MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _3^
AerztKcher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
Kslü, ordentliche Sitzung vom Montag den l. Novemb. 1920,
abends 7 Uhr in der Dr. Senckenbergi schcA Bibliothek.
Vorsitzender: Herr E in b d e n.
Schriftführer: Herr M e h 1 e r.
Demonstrationen:
Herr H. Fischer: Pathologisch-anatomische Präparate.
Vorträge:
Herr H. Slppel: Heterotrope Zwllilngsschwangerschaft.
Bei der Operation eines im 2. Monat erfolgenden tubaren Aborts wird
man durch eine gleichzeitg vorhandene, ebenso alte intrauterine Schwanger¬
schaft überrascht. Diese verlief nach dem Eingriff ungestört weiter und
endete am normalen Termin mit der spontanen Geburt eines wohlentwickelten
reifen Kindes. — Vortragender erörtert sodann die Frage der Entstehung
dieser heterotropen Zwillingsschwangerschaften. Er stellte fest, was schon
Strassmann betont hatte, dass fast bei allen, wenn nicht bei allen, der¬
artigen Füllen beide Eier aus dem gleichen Ovar stammen. Bei der weitaus'
grössten Mehrzahl der Fälle tritt nun das eine Ei durch die zu seinem Ovar
gehörige Tube in den Uterus, während das andere eine äussere Ueberwande-
rung antritt und in die Tube der anderen Seite gelangt, wo es stecken bleibt.
S i p p e 1 erinnert daran, dass er schon vor langen Jahren das häufige Vor¬
kommen der äusseren Ueberwanderung bei Eileiterschwangerschaft festgestellt
hat und dass er darin einen ätiologischen Faktor für das Entstehen der
Eileiterschwangerschaft erblickt. Das Ei wird in der Nähe seines Eierstocks
befruchtet. Zum Zurücklegen des weiteren Weges durch die Bauchhöhle ge¬
braucht es eine längere Zeit, als beim Eintritt in die zu seinem Ovar gehörige
Tube. Diese längere Zeit genügt unter Umständen, dass das Ei beim Eintritt
in die Tube in abnormer Weise schon jenen Entwicklunggrad erreicht hat,
den es normalerweise erst im Uterus erreicht und der es zur Nidation schon
in der Tube geeignet macht. Dabei spricht wohl auch eine durch die Ent¬
wicklung bedingte Oberflächenveränderung und Qrössenzunahme des Eies mit,
von denen die ersterc seine Qleitfähigkeit herabsetzt, die letztere seine Pas¬
sage durch das enge Tubenlumen erschwert.
Eine Super^cundatio oder eine Superfoetatio anzunehmen lehnt S i p -
p e i ab. I
Es folgt dann noch eine kurze Besprechung des mannigfaltigen Verlaufs
dieser Abnormität, sowie der erschwerten und nur selten gestellten Diagnose
(unter 240 Fällen 10 mal), ferner der Prognose und Therapie, die nur eine
operative .sein kann.
Die heterctofce Zwillingsschwangerschaft beweist das Ungerechtfertigte
der Forderung, oei jeder Eileiterschwangerschaft auch prophylaktisch die
andere Tube zu entfernen, denn die dabei bestehende intrauterine Gravidität
beweist, dass die nichtschwangere Tube normal funktioniert.
Schliesslich erwähnt S i p e 1 als interessante historische Reminiszenz,
dass er ganz zu Beginn der 80 er Jahre im Anschluss an 2 von ihm be¬
obachtete und operierte Fülle von Verblutungstod bei früh geborstener Ei¬
leiterschwangerschaft im Aerztlichen Verein darüber vorgetragen haben, dabei
die Möglichkeit der Diagnose aus Anamnese, Symptomen und Befund be¬
sprochen und den damals neuen Vorschlag gemacht habe, sofort zu ope¬
rieren und die schwangere Tube zu 'exstirpieren. Auch die Technik habe
er angegeben, welche es ermöglichte, sofort und sicher die Tube in der\i blut¬
gefüllten Bauch zu finden. Sein Vorschlag habe aber eine allgemeine schroffe
Ablehnung gefunden.
Aussprache: Herr Otto Goetze: Eine heterotrope Zwillings-
.schwangerschaft würde auch bei doppelseitiger Tubargravidi-
t ä t, welche meines Wissen# vorkommt, vorliegen. Ich habe vor wenigen
Wochen einen äusser.st seltenen Fall operiert, welcher intra operationem ein
solches Vorkommnis relativ lange vortäuschte. In Wirklichkeit wurde
jederseits eine rctroperitoneal entwickelte Parovarialzyste ent¬
fernt, in die starke akute Blutungen hinein erfolgt waren. Rechts
war eine Perforation in die freie Bauchhöhle hiit gewaltigem
Blutverlust eingetreten. Die Erklärung brachte die vergrössterte Milz, welche
alsbald eine Blutuntersuchung veranlasste; es stellte sich eine schwere
myeloische Leukämie heraus, so dass man verzichten musste, der
anfangs gerettet scheinenden, nach wenigen Stunden komatös werdenden
Kranken weitere Hilfe zu bringen. Es ist nach meinen Kenntnissen der Litera¬
tur ein isoliert dastehender Fall, dass eine Leukämie mit einer derartigen
tödlichen Komplikation in die Erscheinung tritt.
Herren Schelfen, Flesch, Sippe 1.
Herr A. W. Fischer: Zur pathologischen Anatomie der Prostata¬
hypertrophie und über die V o e 1 c k e r sehe Operation.
An der Hand von Lichtbildern bespricht Vortr. zuerst die normale
Anatomie der Prostata und der von ihr scharf zu trennenden Drüsengruppe
in der Submukosa der Urethra unterhalb des Blaseneinganges. Diese Drüsen
liegen innerhalb der urethralen Muskulatur und oberhalb des Samenhügels, sie
sind offenbar im Gegensatz zur mesodermalen Prostata cntodermalen Ur¬
sprungs. Diese selbständige akzessorische Geschlechtsdrüse ist die Matrix
für jene hyperplastische Wucherung, die wir als Prostatahypertrophie be¬
zeichnen, die aber mit der eigentlichen, dabei sogar fast regelmässig atrophi¬
schen Prostata nichts zu tun hat. Auf diese Verhältnisse ist schon von Motz,
Perearneau und .A l b a r r a n um 1906 hingewiesen. Nie sind die Duc¬
tus ejaculatorii von der Wucherung umwachsen. Der pathologische Mittel¬
lappen ist mit dem Lobus medius Home nicht identisch, beide sind durch
den Sphincter ves. int. getrennt. Alle Harnentleerungsschwierigkeiten lassen
sich durch anatomische Formänderungen der Urethra erklären.
Für die Indikationsstellung zur Operation richtet man sich am besten
nach dem Erfolg der Dauerkatlieterbehandlung. In den zweifelhaften Fällen
konstatiert man wohl meist die Trias: Hohen Blutdruck mit Harnflut und
niedrigem spezifischem Gewicht. Liegt eine irreparable Schrumpfniere zu¬
grunde, so werden diese Symptome auf die Entlastung nicht zurückgehen,
bessern sie sich, so zeigt das auch ohne Verwendung der Chromozysto-
skopie und anderer Funktionsprüfungen an, dass man dem Patienten den
Eingriff noch zumuten kann. Anderseits muss man bei Kranken des ersten
Stadiums und technisch leichtem Katheterismus eine Operation ablehnen.
Warm empfohlen wird die V o e 1 c k e r sehe Operationstechnik*). Von
einem Schnitt neben dem After dringt man durch die Fossa ischiorcctalis.
*) Genaue Schilderung mit Abbildungen in Fischer und -Orth: Die
Chirurgie der Prostata. Zschr. f. urolog. Chir. Bd. 5, Springer, Berlin.
den Levator ani und die innere Beckenfaszie nach Beiseiteschieben des Rek¬
tum auf die Prostata, indiziert sie quer an ihrem unteren Rande bis man auf
das Knotenkonglomerat kommt,. das dann soweit ausgeschält wird, bis es
nur noch an der Schleimhaut der Blase oben und unten an der Harnröhre
hängt. Der meist varikösen Venen des Blascneinganges versichert man sich
durch Umstechung, wählend man sich mit Tamponade und Sekaledarreichung
begnügen muss. Nach Abtragung des hypcrplastischen Komplexes erfolgt die
Naht des Blascnhalses an den Harnröhrenstumpf. In die Blase wird vorher
ein dickes Rohr eingeschoben und sodann wasserdicht alle Schichten darum
vernäht. In der mit peinlichster Sorgfalt durchzuführenden Nachbehandlung
muss in den ersten Tag^n zuerst alle 10 Minuten, später seltener warme Koch¬
salzlösung durch den Dauerkathetcr eiiigespritzt werden, die dann sogleich
hinten durch das Drainrohr wieder abläuft. Am 9. Tage wird das hintere
Rohr entfernt. Der Eingriff geschieht in epiduraler Anästhesie.
Die V o e 1 c k e r sehe Methode hat folgende Vorteile: Vermeiden des
Bauchschnittes und damit der Bronchitiden (Pneumonien), Drainage am tief¬
sten Punkt, Vermeiden eines bakterienhaltigen Sees auf dem Trigonum (as-
zendierende Infektion!), exaktes sauberes Operieren und gute Blutstillung im
Gegensatz zum stumpfen Wühlen ohne Gcfässunterblndung bei der Frey c r-
schen Technik. Die Mortalität beträgt etwa 4'A Proz. Nie wurde eine
dauernde Urinfistel oder Inkontinenz beobachtet. Ein Nachteil ist nur die in
30 Proz. auftretende, meist durchaus leichte Epididymitis, die nie irgendwie
bedrohlich wurde.
Zum Schluss zieht Vortr. Parallelen zwischen der allein durch die Ent¬
lastung, also auch schon durch den Dauerkatheter bewirkten Verjüngung
und den Steinach-LichtensternWhen Erfolgen und wirft die Frage
auf. ob nicht der eine oder andere der Lichtenstern sehen Fälle unter
leichter, nicht bemerkter Harnstauung stand und durch die der früher üblichen
Vasektomie gleichende Steinach sehe Operation infolge konsekutiver
Schrumpfung der hyperplastischen Knoten entlastet wurde. Die Steinach-
sche Tierbeobachtung, dass nach Vasektomie Hypertrophie der Prostata auf¬
trat, kann nicht zum Gegenbeweis herangezogen werden, da, wie vorhin
ausgeführt< die Prostata gar nicht die Matrix der menschlichen sog. Prostata- ^
hypertrophie ist.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 24. November 1920.
Herr EI s 1 stellt einen 60 jährigen Artisten (Slcelettmenschen) vor.
Der nur 165 cm grosse, langrümpfige Mann besitzt einen fassförmig erschei¬
nenden Thorax mit sehr weitem Rippenbogen, aber ausserordentlicher Beweg¬
lichkeit. Der Bauch ist auffallend lang, offenbar in Anpassung an die bereits
im 4. Lebensja’ire begonnenen Uebungen. Eine sehr starke Lendenlordose
wird eingeleitet durch eine Verengung des Untcrbauchcs, indem durch kräftige
Tätigkeit der Bauchmuskeln der Dünndarm neben die Wirbelsäule und ins
Becken gedrängt wird, und erzielt eine «gewaltige Hervortreibuiig des Thorax,
wobei in der Oberbauchgegend Leber, Magen und Oucrkolon die Bauchwand
breit vorwölben. Durch Hinzufügen einer starken Ventralflexion im Hüftgelenk
bei aufrecht bleibendem Rumnfe erscheint d#- Mann plötzlich um einen Kopf
kleiner. In leicht gebeugter Haltung atmet er einige Male tief, um sich mit
Sauerstoff zu versorgen, richtet sich dann auf, schiebt die Baucheingeweide
zurecht, atmet rasch tief auf, schliesst die Glottis und erweitert nun den
Thorax inspiratorisch. De;- negative Druck in der Bauchhöhle steigt dadureW
so stark an, dass der äussere Luftdruck die nachgiebige Bauchwand mit den
dahinter gelet^enen weichen Organen in die untere Thoraxöffnung geradezu
hineinsf'hleudert, so dass hinter dem umgreifbar freistehenden Rippenbogen
eine tiefe Höhlung entsteht. Die Bauchdecken liegen dabei der hinteren
Bauchwand flach an, die Herzdämpfung verschiebt sich kopfwärts.
Herr K n e i s e betont die ausserordentliche Bedeutung der funktionellen
Nierendiagnostik Er erhält bei kritischer Verwendung der verschiedensten
Methoden zum Schlüsse jeder Untersuchung durchaus einwandfreie Resultate.
Bei einer Harnleiter-Scheidenbstel von V* Jahr Dauer hatte die Niere bereits
ihre gesamte Funktion eingebüsst. K. stellte, obwohl kein Fieber vorhanden
war, die Diagnose auf nvoneohrotische Prozesse. Die Entfernung der Niere
ergab die Richtigkeit dieser Annahme. Es ergibt sich daraus die wichtige
Folgerung, dass vor jeder Harnleiter-Scheidenfistel-Operation die funktionelle
Untersuchung eingehend durchgeführt wird, und dass der Operationsplan nach
ihren Ergebnissen sich richten muss. Diese grundlegende Bedeutung der.
funktionellen Nierendiagnostik beweist K. dann weiter an interessanten Fällen
von Nierentuberkulose. Steinnicren, Nierenkarzinom und an einem weiteren
von ihm letzthin operierten Fall von Blasendivertikel, das 960 ccm Harn
fasste und das grösste bisher Oberhaupt operierte Blasendivertikel darstellt.
Der linke Harnleiter mündete in dasselbe, musste reseziert und in die Blase
neu eingepflanzt werden. Glatter Vp*-!auf. Heilung.
Herr B o e n n i n g.h a u s hält für die Diagnose eines Divertikels eine
einmalige zystoskopische Feststellung nicht für ausreichend. Er sah ge¬
legentlich eines Ureterenkatheterismus jenseits der linken Uretcrenmündung
einen deutlichen Divertikeleingang mit nlastischer Begrenzung. Bei einer
Füllung von 200 ccm war kein Divertikel zu sehen, doch trat es bei zu¬
nehmender Füllung langsam in Erscheinung. Bei allmählichem Abfliessen
der Füllung kam dann die ausgestülnte Blasenwand wieder zu .Gesicht und
gleichzeitig verkleinerte sich der Eingang, bis endlich nichts mehr verriet,
dass hier ein Divertikel zu sehen war B. glaubt, dass die Existenz und
Grösse solcher Divertikel durch den jeweiligen intravesikalen Druck be¬
dingt ist und dass diese Ausstülpungen bei länger bestehender Entleerungs¬
behinderung mit der Zeit zu permanenten Aussackungen (erworbene Diver¬
tikel) werden während vorerst noch die Elastizität der Blasenwand die Aus¬
stülpung bei geringerem Druck auszugleichen imstande ist.
Herr K n e i s e betont, dass ein Irrtum bei der zystoskopischen Diagnose
eines Divertikels iinmöglich sei.
Herr V o e 1 c k e r hält die Aussichten bei der Nierentuberkulose für sehr
ungünstig.
Auch Herr Kn ei sc glaubt nicht an die Ausheilung einer Tuberkulose
ohne Operation. .lede beginnende Nierentuberkulose zeigt nach K. einen
funktionellen Ausfall.
Digitized
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
371
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericjit.)
Sitzung vom 8. März 1921.
Herr M ü h 1 e n s berichtet über sehr günstige Erfolge der Behandlung
von Amöbenruhr mit „Yatren** 3 mal täglich 1 g in Form von Einläufen.
Herr Schottmüller berichtet über einen Fall von Durchbruch eines
Magengeschwürs in den subphrenischen Raum mit doppelseitigem Pneumo¬
thorax subphrenicus, festgestellt durch Röntgenuntersuchung und vor allem
durch die perkutorischen Phänomene (Tympanie!). Auffallend geringe All¬
gemeinsymptome. Kein Fieber. Rückgang aller Erscheinungen in 2 Tagen.
Herr Bornstein hat in Selbstversuchen die Wirkung des Atropins
bei Morphium Vergiftung studiert und festgestellt, dass weder die durch
Morphium herabgesetzte Lungenventilation durch Atropin in 3 facher Maximal¬
dosis verbessert wird noch die verminderte Reizbarkeit des Atemzentrums
— gemessen durch die zur Vermehrung des Atemvolums um 1 Liter erforder¬
liche CO?-Menge — erhöht w'ird. Dagegen vermag Adrenalin in Dosen
von Yi mg diese Wirkung auszuüben, ^
Herr S i m m o n d s bespricht die Konkrementbildungen im Pankreas
mit ihren deletären Folgen für das Pankreasgewebe, welche in 8 unter 11 Fällen
den Tod im Coma diabeticum herbeigeführt hatten, und zeigt, dass die Steine
einen intensiven Schatten im Röntge nbild hervorrufen. Er
glaubt, dass es bei geeigneter Technik gelingen müsse, auch intra vitam die
Steine auf die Platte zu bringen.
Herr D e I b a n c o berichtet über einen Fall, bei dem eine Mutter sich
bei ihrem an Pemphigus neonatorum leidenden Kind mit einer Impetigo der
Fingerkuppe infiziert hat. Bei letzterer Affektion waren histologisch und
kulturell Staphylokokken nachweisbar. Doch will Vortr. nicht den
Schluss riskieren, dass auch der Pemphigus neonatorum eine Staphylokokken¬
erkrankung darstelle, da dieser Keim sich sekundär auf der pemphigus¬
infizierten Haut angesicdelt haben könnte,
Herr Bon hoff: Die ohne Röntgenuntersuchung oft schwierige Diffe-
rentiaidiagnose zwischen Kontusion des Kniegelenks mit Bluterguss und
Fraktur kann dadurch herbeigeführt werden, dass bei letzterer der punktierte
Bluterguss sich an der Oberfläche ansammelndc Fetttröpfchen aufweist, bei
ersterer nicht. (Demonstration der Punktate.)
Vortrag des Herrn Eug. Fraenkei: (Jeber Luftröhrenkrebs.
Gegenüber der Angabe Sörensens, dass die neuen Untersuchungs¬
methoden die Ansicht von der Seltenheit des Luftröhren¬
karzinoms revidieren Hessen, bestätigen die Erfahrungen Frs. die schon
von V i r c h 0 w ausgesprochene grosse Seltenheit dieser Affektion. Unter
52 652 Sektionen mit 5063 Xarzinomen fand er sie 7 mal. Im ganzen kann'
er über 10 Fälle berichten; einmal lag gleichzeitig ein Karzinom der Flexura
sigmoidea vor; beide Karzinome hatten eigene Metastasen erzeugt. Das
Trachealkarzinom kommt bei Männern etwas häufiger vor als bei Frauen;
es besteht eine gewisse Vorliebe für die Gegend oberhalb der Bifurkation.
Es tritt in zwei Formen auf: l. als breitbasig aufsitzende Geschwulst und
2, in diffus infiltrierender Form mit starker Aggressivität gegenüber der
Umgebung. Klinisch gibt es kein pafliognomonisches Symptom; Heiserkeit,
uncharakteristisches Sputum, li^spnoe, stridoröse Atmung und vor allem
stürmische Erstickungsanfälle bei frühzeitig einsetzender
Kachexie können den Verdacht in die richtige Richtung lenken. Röntgen¬
untersuchung und Tracheoskopie, besonders auch der fehlende Erfolg der
Tracheotomie bei den genannten Erstickungsanfällen tragen zur Bestätigung
bei. Die erwähnte Tendenz, auf die Umgebung überzugreifen, kann zur
fälschlichen Annahme eines Mediastinaltumors führen. Auch Oesophagus¬
karzinom kann durch die Speiseröhre komprimierende karzinomatöse Drüsen
vorgetäuscht werden. Ausgedehnte Metastasenbildung — ohne
Bevorzugung eines bestimmten Organs — ist häufig. Histologisch handelt es
sich am häufigsten um medulläre Adenokarzinome, die, wie
Vortr. mit L a n g h a n s und Hamacher gegenüber Krompecher be¬
tont, von den Schleimdrüsen ausgehen. Die äusserst seltenen Platten¬
epithelkrebse leiten sich von normalerweise in der Trachea vorkommenden
Papillen und Plattenepithel tragenden Schleimhautpartien ab. Die Therapie
ist wohl stets aussichtslos.
Besprechung: Herr S i m m o n d s hat mehrfach Fälle gesehen, bei
denen es sehr schw'cr war, zu entscheiden, ob ein primäres Trachealkarzinom
vorlag. oder ein Krebs des Hauptbronchus, der auf die Trachea über¬
gegriffen hatte.
Herr Fahr stimmt dem zu und erwähnt einen Fall, wo ein kleiner,
makroskopisch als Krebs imponierender, mikroskopisch aber als tuberkulös
nachgewiesener Herd zu Arrosion der Pulmonalarterie geführt hatte.
Herr Fraenkei (Schlusswort): In seinen Fällen kam ein Uebergreifen
eines Bronchialkarzinoms auf die Trachea gar nicht in Frage. Wo solche
Schwierigkeiten entstehen, muss nach Lage des einzelnen Falles entschieden
werden. Fr. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Medizinische Gesellschaft zu Kiel.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 24. Februar 1921.
Herr B e r b i I n g e r: Polyodontie und Odontome.
Vortr. bespricht das Vorkommen überzähliger, zum Durchbruch ge¬
langter Zähne und überzähliger Zahnanlagen. Ferner die Stelluhgsanomalicn
der Zähne innerhalb und ausserhalb der Zahnreihe. Aus nicht zum Durch¬
bruch gelangten Zähnen wie aus überzähligen Zahnkeimen (latente Polyo¬
dontie) gehen bisweilen gewisse Kiefergeschwülste hervor. Vortr. zeigt an
Diapositiven Adamantimone mit Weiterentwicklung einzelner Epithelbezirke zu
Plattenepithel. Ferner ein intramaxilläres, aus Substantia ossia bestehendes,
zahnähnliches Gebilde, das wohl als Odontom anzusprechen ist. Ferner ein
nach einem die Milchschneidezähnc treffenden Trauma entstandenes, aus
vielen zwergliaften Zähnen sich aufbauendes, im Alvcolarfortsatz des Ober¬
kiefers gelegenes sog. Odontom. Die Zahngebilde bestehen aus Schmelz.
Dentin und Zement in unregelmässiger Anordnung und weisen eine Pulpa-
hohle auf. Es handelt sich genauer um eine latente Polyodontie mit Ueber-
gang in Odontombildung. Dabei werden die Beziehungen zwischen Miss¬
bildung und organartiger Geschwulstbildung erörtert.
Aussprache: Herren Hentze. Konjetzny, Berblinger.
Digitized by Goüsle
Herr Höppli: UntersuchunKen über Scharlach.
Nachnrüfungen bestätigen die Befunde M a 11 o r y s hinsichtlich der in
und zwischen den Epithelzellen gelegenen Einschlüsse in der Haut von
Scharlachleichen. In den inneren Organen Hessen sich Einschlüsse vom
Charakter der Elementarkörperchen, wie Paschen, Cantacuz^ne.
Hoefer, Bernhardt sie beschreiben, nicht mit Sicherheit nachweisen.
Die D o e H I e sehen Leukozyteneinschlüsse sind nicht • für Scharlach spe¬
zifisch, werden auch bei anderen Krankheiten, vor allem Streptokokken- und
Pneumokokkeninfektionen gefunden. Durch subkutane und intraperitoneale
Injektion von Scharlachblut, Scharlachzungenbelag und Hautschuppenauf-
schweinniung gelang es nicht bei Meerschweinchen und jungen Katzen ein
scharlachähnliches Krankheitsbild hervorzurufen. Bei einer, infolge Strepto¬
kokkensepsis nach intraperitonealer Injektion von Scharlachzungenbelag zu¬
grunde gegangenen Katze Hessen sich in den Retikuloendothelien von Leber
und Lymphdrüsen, sowie frei zwischen ihnen, feinste, in Nesterform un¬
geordnete Körnchen nachweisen, die nach G i e m s a sich leuchtend rot färbten
und Aehnlichkeit mit den von Bernhardt beschriebenen Gebilden zeigten.
Bei jungen Katzen gelang es, durch Injektion von Scharlachzungenbelag und
Streptokokkenreinkultur, D o c h 1 e sehe Leukozyteneinschlüsse, auch gewun¬
dene Formen, reichlich zu erzeugen; die gleichen Einschlüsse traten nach lang¬
samer Vergiftung einer Katze durch Diphtherietoxin auf. Alttuberkulin ver-
anlasste nur geringe Einschlussbildung. Die Einschlüsse sind Zusammen¬
ballungen des Protoplasmas auf Grund toxischer Einwirkungen. Zum experi¬
mentellen Studium der Leukozyteneinschlüsse sind junge Katzen besonders
geeignet.
Aussprache: Herren Doehle, Schittenhelm und Hoppe-
S e y 1 e r.
Herr Barnewitz: 1. Atypische Leukämie.
Vortr. demonstriert die histologischen Befunde an Milz, Leber, Lymph¬
knoten, Nieren und Lungen, die-im Wesentlichen durch eine Wucherung^ der
Retikuloendothelien und Verdrängung des Organparenchyms durch Zellen der
myeloischen Reihe gekennzeichnet sind. Das Knochenmark der Röhren¬
knochen zeigt keine myeloische Umwandlung. (Erscheint ausführlich an
anderer Stelle.)
Aussprache: Herren Schittenhelm, Bürger, Berblinger
und Q r ü t z.
2. Maligner Sympathikustumor.
Vortr. bespricht einen von der Marksubstanz der rechten Nebenniere
ausgehenden Tumor, der aus unreifen Elementen des Sympathikus (Sympatho-
blasten) besteht. Die Geschwulst, durch die Vena suprarenalis in die Vena
cava hineingewachsen, hat Metastasen in beiden Ovarien und im Oberlappen
der linken Lunge gesetzt. Als besonderer Befund ergibt sich, dass es sich
um ein Neuroblastoma sympathicum bei einer 37-jährigen Frau handelt, das
weder Neurofibrillen noch Neuroglia enthält. (Ausführliche Mitteilung an
anderer Stelle.)
Aussprache: Herren Schittenhelm, Frey, Berblinger,
J 0 r e s und Bürger.
Herr Mau: Tuberkuiindiagnostik in der chirurgischen Tuberkulose.
Vortr. berichtet über die Erfahrungen der Chirurgischen Klinik über die
Tuberkuiindiagnostik in der chirurgischen Tuberkulose an 164 Fällen. Dem
Pirquet und der Intrakutanprobe ist' bei positivem Ausfall diagnostischer
Wert nicht zuzumessen. Ein negativer Pirquet ist stets durch die Intrakutan¬
probe nachzuprüfen; fällt auch die Intrakutanprobe negativ aus, so ist (ausser
bei Kachexie und gewissen akuten Infektionskrankheiten) Tuberkulose mit
Sicherheit auszuschliessen. Eine Reaktion auch auf hohe subkutane Dosen
Alttuberkulin erfolgt dann nie. Die Versuche mit dem neuen diagnostischen
Tuberkulin nach M o r o sind noch nicht abgeschlossen. Bei subkutaner Ein¬
verleibung mit steigenden Dosen 0,2 mg, 1mg, amg, 10 mg Alttuberkulin tritt
bei geschlossener, noch aktiver Tuberkulose in der Regel eine
positive Herdreaktion auf. Es ist zu unterscheiden zwischen subjektiver und
objektiver Herdreaktion. Durch Fistel- oder Abszessbildung komplizierte
Fälle, die ja in der Regel keine diagnostischen Schwierigkeiten machen,
zeigen weit weniger häufig eine positive Herdreaktion als geschlossene
Fälle. Indessen ist bei positiver Temperaturreaktion weder eine positive
Herdreaktion, unter allen Umständen ein sicherer Beweis für die tuber¬
kulöse Natur des Prozesses, da auch Erkrankungsherde anderer Aetiologie
(abklingende Gonorrhöe. Polyarthritis rheumatica u. a.) in Ausnahmefällen
mit Herdreaktionen antworten, noch eine negative Herdreaktion ein
sicherer Beweis gegen die Diagnose Tuberkulose bzw. gegebenenfalls für
die Ausheilung eines tuberkulösen Prozesses. Einen Beweis gegen einen
aktiven tuberkulösen Prozess haben wir nur bei negativem Ausfall auch der
Temperaturrcaktion neben der negativen Herdreaktion. Einen gewissen An¬
haltspunkt dafür, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Diagnose aktive Tuber¬
kulose abzulehncn, bietet das Auftreten einer Temperaturreaktion in der
typischen Form der Spätreaktion selbst bei 10 mg Alttuberkulin. . Die sub¬
kutane Tuberkuiindiagnostik führt daher nicht in allen Fällen zum Ziel, ist
aber doch ein wertvolles Hilfsmittel zur Diagnose. Der Hauptwert liegt bei
den Fällen, die eine negative Temperaturreaktion aufweisen.
Emmerich.
Med.-wissenschafll. Gesellschaft an der Universität Köln.
18. Sitzung vom 9. November 1920.
Vorsitzender: Herr Dietrich.
Herr E. W ebner: Ueber den Einfluss des funktionellen Reizes auf die
KnochenkallusentwioklunR.
Nach einem Ueberblick über die Transformationsgesetze bei pathologisch
verkrümmten Knochen berichtet W. an der Hand von 21 Diapositiven von
Radiogramraen und histologischen Präparaten über die Ergebnisse experimen¬
teller Studien, welche an Kaninchen ausgeführt wurden zwecks Untersuchung
der Beziehung zwischen funktioneller Inanspruchnahme und Anlage, Gestalt
und Struktur des Knochenkallus. In verschiedenen Versuchsreihen an durch
Osteotomie gesetzten Frakturen der Tibia wurden die Verhältnisse röntgeno¬
logisch und histologisch untersucht: 1. bei Erhaltung von Periost und Mark-
Endost im Bereich der Frakturstelle, 2, bei Erhaltung von Periost und Be¬
seitigung von Mark-Endost an den Fragmentendeii. 3. bei Erhaltung von
Mark-Endost und Beseitigung von Periost an den Fragmentenden.
Die operierten Tiere trugen die ersten 14 Tage einen lose angelegten
Stärkeverband, wodurch eine ziemlich gleichmässige Dislokation der Frag-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25. März 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
379
mente in Winkelstellung mit der Winkelöffnung nach vorne erzielt wurde.
Die statische Beanspruchung der Extremität war durch den Verband nicht
aufgehoben, sondern nur in bestimmter Richtung möglich. Nach anfängjicher
Schonung wurden die frakturierten Glieder am Ende der 2. Woche *mehr
weniger intensiv statisch beansprucht.
Die Ergebnisse der Untersuchungen lassen sich kurz in folgende Sätze
zusammenfassen:
Die Anlage des Kallus ist in quantitativer' Hinsicht im Bereiche der
Konvexität und der Konkavität sehr verschieden. Die bei weitem volumi¬
nösere Kallusmasse wird an der konkaven Seite, d. i. der Druckseite der
Fraktur, angelegt, die an der konvexen Seite liegende Kallusbildung ist
bedeutend geringer. Dieses typische Verhalten der Kallusanlage und Weiter¬
entwicklung entspricht dem Gesetze, dass der quantitative Wert der Druck¬
beanspruchung an der konkaven Seite viel grösser ist als derjenige der Zug¬
beanspruchung an der konvexen Seite. Es wird durch die Versuche deutlich
gezeigt, dass der funktioneile Reiz ein wichtiger Regenerationsreiz für
das osteoblastische periostale Gewebe ist. Dies wird am deutlichsten noch
durch die Versuche erwiesen, in denen trotz Beseitigung des Periostes an
den Fragmentenden wiederum dem oben angeführten Gesetze entsprechend
an den typischen Stellen lebhafte Regeneration und Kallusbildung eintrat.
Gegenüber der periostalen Regeneration ist die myelogene unter dem
Einflüsse der funktionell-statischen Beanspruchung eine wesentlich ver¬
schiedene. Infolge der durch die starren Knochen wände geschützten Lage
kommen die mechanischen Reize als Regenerationsreize kaum in Betracht.
Dementsprechend hält sich auch die Mark-Endost-Regeneration in äusserst
bescheidenen Grenzen, so dass man sagen kann, auch ohne ihre Mitwirkung
wäre die kallöse Verschmelzung der Fragmente zustande gekommen. Dies
wird bewiesen sowohl durch die Versuche mit Entfernung von Mark-Endost
an den Fragmentenden, als auch durch die Versuche mit Erhaltung von
Mark-Endost und Entfernung des Periostes, bei welchen der wesentlichste
Anteil des jungen Kallus der periostalen Regeneration zuzuschreiben ist, ohne
dass das Mark-Endost besonders lebhafte Regeneration (etwa vikariierend für
den ursprünglichen Ausfall der periostalen Regenerationskomponentc) zeigte.
Die Weiterentwicklung des jungen Kallus vollzieht sich jn typischer
Weise derart, dass im Bereich der grössten Dicke sich am längsten knorpe¬
liger Kallus erhält, an den sich in proximaler und distaler Richtung osteoider
und endlich ossaler Kallus anschliesst. Die Entwicklung des funktionell ge¬
reizten jurigen Kallusgewebes bis zum knöchernen Kallus vollzieht sich nach
histomechanischen Gesetzen.
Die äussere Gestalt des funktionell beanspruchten Kallus wird schon in
frühen Stadien in ihren Konturen festgelegt. Der Funktionsreiz erweist sich
also als Gestaltungsreiz der äusseren Form des jungen Kallus, wodurch den
veränderten statischen Verhältnissen angepasste Formen erzielt werden.
’ Die Struktur des jungen, spongiosaartig gebauten osteoiden und ossalen
Kallus wird schon in den ersten Wochen von der funktionell statischen Be¬
anspruchung beeinflusst, indem sich in der Richtung der maximalen statischen
Einwirkung trajektorielle Bälkchen ausbilden. Auch für die strukturelle Ge¬
staltung des jungen Kallus stellen frühzeitig einwirkende funktionell-statische
Kräfte einen wichtigen Bildungsreiz dar.
Der Kallus stellt also keine regellose Kittmasse dar. welche nur der
Verschmelzung der Fragmente dient und erst im Verlaufe längerer Zeit durch
einen Transformationsprozess eine statische Funktionstauglichkeit erhält, son¬
dern bei frühzeitiger funktionell-statischer Beanspruchung wird die Anlage,
Form und Struktur des jungen Kallus in funktionell-zweckmässiger Weise
durch den Funktionsreiz gestaltet.
Herr K. Heudorfer: Ueber das Hautpigment und seine Beziehung
zur Addison sehen Krankheit. (Erschien unter den Originalien der M.m.W.
1921 Nr. 9 S. 266.)
Aus ärztlichen Standesvereineh.
Aerztlictier Bezirksverein Nürnberg
und seine Krankenkassenabteilung.
2^. ordentliche Mitgliederversammlung des Aerzt-
lichen Bezirksvereins Nürnberg und seiner Kranken¬
kassenabteilung vom 2. März 1921.
Vorsitzender: Herr S t a u d e r.
Herr Ständer erinnert an die ernste politische Lage; ganz Deutsch¬
land schaut auf die Ereignisse, die sich in London abspielen. Jeder Deutsche
und daher auch jeder deutsche Arzt muss in diesen Stunden hart sein und
entschlossen, die Folgen des von den deutschen Unterhändlern auszu¬
sprechenden „Nein“ zu tragen, um so mehr als die Folgen eines „Ja" noch
unerbittlicher wären.
Herr Steinheimer verliest den Jahresbericht des ärztlichen Be¬
zirksvereins und der Krankenkassenabteilung. Aus dem Jahresbericht ist zu
ersehen, dass im Jahre 1920 13 ordentliche Mitgliederversammlungen.
40 Sitzungen der Vorstandschaft und des Geschäftsausschusses und zirka
140 sonstige Kommissions- und Vertragsverhandlungen stattgefunden haben.
Herr Fürnrohr erstattet den Kassenbericht und zwar den Kassen¬
bericht des Bezirksvereins und seiner Krankenkassenabteilung.
Herr Steinheimer berichtet über den Stand des Betriebsvermögens
der Krankenkassenabteilung, über die Abrechnung des Wehrschatzes 1920,
über die Kriegsunterstützungskasse und über den Etat des Bureaus.
In der Aussprache wird darauf hingewiesen, dass es nunmehr an der Zeit
sei, Wohlfahrtseinrichtungen oder noch besser Versicherungen für Aerzte
gegen Krankheit, Alter, Invalidität, Witwen- und Waisenversicherung zu
schaffen und zwar nicht nur lokal, sondern wenn möglich auch für das ganze
Land. ,
Schliesslich >Ä^erden folgende Beschlüsse gefasst:
Den Kassenführern wird Entlastung erteilt; für die Witwenkasse des
Leipziger Verbandes werden M. 1000.—, für die Witwenkasse des bayerischen
Invalidenvercins werden M. 5000.— gestiftet, für die deutsche Kurpfuscherei¬
gesellschaft werden M. 300.— genehmigt. Der Jahresbeitrag für den ärzt¬
lichen Bezirksverein wird auf M. 50.— festgesetzt. Zur Festsetzung von
Vorschlägen über die Höhe des Abzugs vom Kassenhonorar für das Jahr 1921*
wird eine Kommission gewählt, die zusammen mit einer früher gewählten
Kommission Vorschläge über Schaffung ärztlicher Wohlfahrtseinrichtüngen
' Digitizedby Goüszle
bzw. obligatorische Vereinsversicherungen ausarbeiten- und darüber beraten
soll, ob und inwieweit das Einkommen aus der Privatpraxis herangezogen
werden kann. Die Beiträge zum Leipziger Verband, ferner die Beiträge zur
Alterszulagekasse des Leipziger Verbandes werden für die Mitglieder der
Krankenkassenabteilung aus den Abzügen bezahlt.
Die hauptamtliche Anstellung des Geschäftsführers wird genehmigt.
Herr Linberger stellt den Antrag, dass der § 11 Absatz 2 der
Standesordnung für die Aerzte Bayerns vom Jahre 1910 keine rückwirkende
Kraft haben soll und dementsprechend die vor dem Jahre 1910 angebrachten,
der Standesordnung nicht entsprechenden Schilder unbeanstandet bleiben
sollen. Herr Linberger begründet den Antrag damit, dass zwar die zu¬
ständigen Ehrengerichte in den einschlägigen Fällen dahin entschieden hätten,
die Schilder seien im Sinne der Standesordnung umzuändern, dass es aber
in dem Urteil des Ehrengerichtes der Aerztekammer von Mittelfranken aus¬
gesprochen ist „es wäre eine grosse Härte, wenn man die Beseitigung der
Schilder verlangen wollte, welche über ein Jahrzehnt unbeanstandet geblieben
waren.“
Nach einer langen Aussprache über die Schilder- und Spezialistenfrage
wird der Antrag gegen 3 Stimmen angenommen.
Herr Steinheimer' berichtet über den Stand der Vertragsverhanü-
lungen mit dem Sanitätsverein und mit den gesetzlichen Krankenkassen.
Der Vertrag mit dem Sanitätsverein, der auch mit den übrigen Familien¬
krankenkassen abgeschlossen wird, wird angenommen. Die Verträge mit. den
gesetzlichen Krankenkassen sinJ^noch nicht ganz fertiggestellt.
3 Mitglieder werden in den Verein aufgenommen.
S t e i n h e i m e r.
Aerztiieher Bezirksverein Erlangen.
Sitzung vom 23. Februar 1921.
Herr S e i t z und Herr W I n t z: 1. Klinische Erfahrungen in der Strahlen¬
behandlung des Karzinoms.
2. Ueber die Verkupferung des Karzinoms als Sensibiiisierungsmethode.
Die Vortragenden berichten über die bisherigen Erfolge der Röntgen¬
tiefentherapie an der Hand der nunmehr bis zu 5 Jahren zurückverfolgten
Statistik. Des weiteren wird die Einstellungstechnik besprochen und eine
neue Methode zur Unterstützung der Röntgentiefentherapie, die darin besteht,
dass auf elektrolytischem und kataphorischem Wege Kupfer in das Gewebe
gebracht wird.
Geschäftliches: Ueber die bayer. Aerzteordnung.
Kleine Mitteilungen.
Die Freiheit der Wissenschaft.
Das in der Beleidigungssache unserer Schriftleitung gegen Med.-Rat
Dr. Bachmann am 15. ds. verkündete' Urteil hat folgenden Wortlaut:
P.R.Av 53/19.
Anz.-Verz. Av 94/19.-
Das Schöffengericht bei dem Amtsgerichte München erkennt in der
Privatklagesache
Dr. Spatz Bernhard, Hofrat in München,
gegen
« Dr. Bachmann Franz, Kreisarzt und Medizinalrat in Hamm,
wegen Beleidigung
in seiner öffentlichen Sitzung vom 15. März 1921 in Gegenwart
Des Amtsgerichtsrats Frank,
Der Schöffen:
a) Schröder Friedrich, Fabrikant,
b) Mann Otto, Rentner,
Des stellvertr. Gerichtsschreibers Steindlmüller *
auf Grund der Hauptverhandlung vom 10. und 11. März 1921 zu Recht:
Der Angeklagte Dr. Franz Bachmann, geboren am 21. Juli 1856
zu Lissa, verheiratet, Kreisarzt und Medizinalrat in Hamm, ist schuldig eines
Vergehens der üblen Nachrede und wird deshalb zu einer Geldstrafe von
fünfhundert Mark, für den Fall der Uneinbringlichkeit in eine Gefängnisstrafe
von fünfzig Tagen, sowie zur Tragunjj der Kosten und zum Ersatz der
dem Privatkläger Dr. Bernhard Spatz, Hofrat in München erwachsenen
notwendigen Auslagen verurteilt.
Dem Privatkläger wird die Befugnis zugesprochen, die Verurteilung des
Angeklagten auf dessen Kosten durch einmalige Einrückung der Urteilsformel
in der für amtliche Bekanntmachungen üblichen Art in den Zeitschriften
„Münchener Medizinische Wochenschrift“ in München und „Blätter für bio¬
logische Medizin“ in Hamm innerhalb eines Monats nach Rechtskraft des
Urteils öffentlich bekannt zu machen.
Gründe:
I.
Der Privatkläger ist der. verantwortliche Schriftleiter der Zeitschrift
„Münchener Medizinische Wochenschrift“.
Der Angeklagte ist der verantwortliche Schriftleiter der Zeitschrift
„Blätter für biologische Medizin“.
In Nr. 7/8 der „Blätter für biologische Medizin“ vom Juli/August 1919
ist folgender Artikel enthalten: ,
„Die Freiheit der Wissenschaft,“
Wenn auch die Freiheit bekanntlich ein durchaus subjektiver Begriff ist
und nur in Verbindung mit Selbstbeherrschung und Mässigung zum Segen
aüsschlägt, so kann sie doch in Gestalt einer freien Meinungsäusserung in
der medizinischen Fachpresse nicht entbehrt werden, ohne dass die Er¬
kenntnis der Wahrheit Schaden leidet. Missbraucht diese Presse jedoch
ihre Macht, um gewisse Lehren, noch dazu zwecks geschäftlicher Aus¬
beutung, vor aller Kritik sorgfältig zu behüten, so wird damit die Gefahr
heraufbeschworen, dass sich schädliche Irrtümer ungebührlich lange in
Geltung erhalten, welche bei freier Meinungsäusserung längst wie Nebel
vor der Sonne geschwunden wären.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
m
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12
In Zeiten politischen Tiefstandes ist man solcher Unterdrückung jeder
anderen Meinung durch die Presse der herrschenden Partei, z. B. beim
russischen Zarentum, gewohnt gewesen. Ganz ungewöhnlich und gemein¬
schädlich ist aber die Diktatur in der Medizin, wie sie heutzutage von
einer bestimmten Gruppe mit Hilfe der Fach- und Tugcspresse betrieben
wird. Wir brauchen hier nur an die verflossene preussische Medizinal¬
abteilung zu erinnern. Wie die deutsche Aerzteschaft sich von dieser
Gewaltherrschaft unter Versprechung des Schutzes ihrer wirtschaftlichen
Interessen gegen die böse Naturheilkundc hat irreführcn lassen, und welche
Schäden die Volksgesundheit und Volkskraft jahrzehntelang darunter er¬
litten hat, das wurde im Aufsatze ..Das System Kirchner“ (Deutsche Warte
vom 26. April und 3. Mai 1919) beleuchtet. In einer Festschrift von
Prof, Dr. med. A. D ü h r s s c n zu Berlin, erschienen im Adlcrverlag, ist
ferner an der Hand von Ouellen objektiv dargestellt, wie derselbe un¬
entwegte Tuberkulinanhänger zehn Jahre lang die segensreiche Entdeckung
des Berliner Arztes Dr. Friedrich Franz F r i e d m a n n, eines Serums zur
Verhütung und Heilung der menschlichen Tuberkulose, zu hintertreiben
verstanden hat. eines Mittels, dessen hervorragende Wirkung vor kurzem
durch die Prüfungen der bedeutenden Kliniker Prof. Kraus- Berlin und
Kruse- Leipzig erwiesen ist.
Nun liegen uns die unumstösslichen “Beweise vor, dass die beiden
grössten und durch ihre Geldmittel mächtigsten medizinischen Zeitschriften
Deutschlands cs durch ähnliche zweifelhafte Machenschaften bisher fertig
gebracht haben, ganz im Sinne des Kirchner sehen Systems, die
Dr. D r e u w sehe Kritik der Salvarsantherapie zu unterdrücken. Der Be¬
weis hierfür wird erbracht durch die Ausführungen, die sich im Artikel
von Dr. D r e u w „Voraussetziingslose medizinische Wissenschaft“ im
8 Uhr-Abendblatt der Nationalzeitung, Nr. 168 vom 30. Juli 1919, finden.
Danach haben die Redakteure der Deutschen sowohl als der Münchener
Medizinischen Wochenschrift ohne jeglichen objektiven Grund die Kritiken
von Dr. D r e u w aufzunehmen abgelehnt, die D. med. Wschr. sogar mit
der Bemerkung „Zu einer allgemeinen Abhandlung über Salvarsan steht
Ihnen ein für allemale meine Wochenschrift nicht zur Verfügung“.
Es ist völlig unverständlich, dass sich die gesamte deutsche Aerzte¬
schaft, mit Ausnahme weniger Reformärzte, eine solche Bevormundung in
wissenschaftlichen Fragen durch eine doch offenbar finanziell und wirt¬
schaftlich interessierte Gruppe gefallen lässt. Man kann unter diesen Um¬
ständen heutzutage nicht umhin, von einer Entartung und sittlicher Ver¬
derbnis der deutschen medizinischen Wissenschaft zu sprechen, welche einer
Reinigung aus eigener Kraft dringend bedürftig ist. Dass diese Entartung
eine Folge ihres scheinwissenschaftlichen Materialismus ist, glauben wir
seit Jahrzehnten deutlich genug nachgewiesen zu haben. B.“
Der Privatkläger hat Ende September 1919 von dem Inhalt des Artikels
Kenntnis erhalten. Er hat am 9. Dezember 1919 durch seinen entsprechend
bevollmächtigten Rechtsanwalt schriftlich beim Amtsgerichte München Straf¬
antrag gestellt.
II.
Der Inhalt des Artikels muss als Ganzes betrachtet werden. Es geht
nicht an, ihn, wie der Angeklagte will, für die Beurteilung zu teilen.
In Absatz 1 des Artikels i.st zum Ausdruck gebracht, welche Gefahren
damit verbunden sind,- wenn die medizinische Fachpresse ihre Macht miss¬
braucht, um gewisse Lehren vor aller Kritik sorgfältig zu behüten, noch
dazu zwecks geschäftlicher Ausbeutung.
In Absatz 2 des Artikels ist ausgeführt, es bestehe eine Diktatur in
der Medizin, betrieben von einer bestimmten Gruppe mit Hilfe d^r'Fach-
und Tagespresse, diese Diktatur sei ganz ungewöhnlich und gemeinschädlich,
die Lehren des Arztes Dr. Friedrich Franz F r i e d m a n n auf dem Ge¬
biete der Tuberkulosebekämpfung, sein Tuberkulosemittel seien unterdrückt
worden unter Versprechung des Schutzes der wirtschaftlichen Interessen der
deutschen Aerzteschaft.
In Absatz 3 des Artikels ist erwähnt, die Münchener Medizinische
Wochenschrift habe durch ähnliche zweifelhafte Machenschaften, also aus
wirtschaftlichen Gründen, es fertig gebracht, die Kritik des Arztes Dr. Hein¬
rich D r e u w in der Salvarsantherapie zu unterdrücken.
In Absatz *1 des Artikels ist endlich erklärt, die gesamte deutsche
Aerzteschaft lasse sich eine Bevormundung in wissenschaftlichen Fragen
durch eine doch offenbar finanziell und wirtschaftlich interessierte Gruppe
gefallen, die deutsche medizinische Wissenschaft sei entartet und sittlich
verdorben, diese Entartung sei eine Folge des Materialismus, der sich den
Schein der Wissenschaft gebe.
Mit diesen Auslassungen ist gegen die Münchener Medizinische Wochen¬
schrift der Vorwurf erhoben, sie werde nicht wissenschaftlich geleitet, sie
werde das, nicht etwa weil ihr Leiter nicht wissenschaftlich genug gebildet
sei, sondern aus tnateriellen Gründen, die freie Meinungsäusserung in der
Münchener Medizinischen Wochenschrift werde unterdrückt aus finanziellen
Gründen, Gegner der in der Münchener Medizinischen Wochenschrift ver¬
tretenen wissenschaftlichen Ansichten und bekanntgegebenen Methoden kämen
nicht in der Medizinischen Wochenschrift zum Worte, nicht etwa, weil die
Ansichten und Methoden der Gegner der Wissenschaftlichkeit entbehrten,
sondern aus Gründen finanzieller Art, es solle mit dem Ausschluss von
Artikeln solcher Gegner verhindert werden, dass gewisse medizinische
Lehren nicht weiter geschäftlich ausgebeutet werden können.
Der Angeklagte gibt nicht zu, dass der Inhalt des Artikels in dieser
Weise verstanden werden könne. Er gibt aber zu, mit dem Inhalt be¬
hauptet zu haben, die Münchener Medizinische Wochenschrift unterdrücke
systematisch jede Kritik an der von ihr selbst gelehrten medizinischen Rich¬
tung zum Schaden der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft, das sei
nicht anders zu erklären, als aus wirtschaftlichen finanziellen Interessen,
lin Grunde genommen ist das. was der Angeklagte zugibt, das Gleiche, was
oben als Vorwurf festgestellt ist.
Mit dem Vorwurf sind in Beziehung auf den Privatkläger Tatsachen be¬
hauptet, welche geeignet sind, den Privatkläger verächtlich zu machen und
in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Ein Leiter einer medizinischen
Fachzeitschrift, der bei der Entscheidung, ob ein ihm zur Veröffentlichung
gesandter Artikel aufgenommen wird oder nicht, darauf Rücksicht nimmt,
der Artikel könne den Ankauf eines im Inseratenteil angekündigten Heil¬
mittels und dergleichen schmälern, der die Aufnahme des Artikels deshalb
ablehnt, der dies tut zum Schaden der Fortentwicklung der Wissenschaft,
würde die Verachtung der Menschheit verdienen.
Digitized by Goiisle
Die behaupteten Tatsachen sind nicht erweislich war. Der Angeklagte
hat zwar versucht, den Beweis für die Behauptungen anzutreten, der Beweis
ist aber nicht gelungen Auf Grund der Beweisaufnahme muss wohl fest¬
gestellt werden: Die Münchener Medizinische Wochenschrift hat in verein¬
zelten Fällen Gegner der in ihren Spalten vertretenen Lehren und Methoden,
insbesondere Dr. Heinrich D r e u w und Dr. Franz Kleinschrod, nicht
oder nicht in dem Umfange zu Worte kommen lassen, wie es diese Gegner
für notwendig hielten und wie es vielleicht im Interesse der Fortentwicklung
der Wissenschaft gelegen sein konnfe. Auf Grund der Beweisaufnahme kann
aber nicht fcstgestellt werden: Die Münchener Medizinische Wochenschrift
hatte das getan aus finanziellen, aus wirtschaftlichen Gründen. Der Privat-
kläger. der allein über die Aufnahme und Ablehnung von Artikeln zu ent¬
scheiden hat, behauptet, er habe sich bei Ablehnungen nur von wissenschaft¬
lichen Gründen, im Falle des Dr. Heinrich Dreuw zum Teil aiich von
persönlichen Gründen, leiten lassen, niemals aber von Rücksichten auf den
Inseratenteil, von Rücksichten auf die Ermöglichung und Weiterführung wirt¬
schaftlicher Ausbeutung irgendwelcher Lehren. Dieses Vorbringen ist umso¬
mehr glaubhaft, als der Privatkläger einen festen Gehalt als Schriftleiter
bezieht, als der Gewinn aus dem Betrieb der Zeitschrift satzungsgemäss für
ärztliche und wissenschaftliche Zwecke, insbesondere für ärztliche Wohl-
fahrtscinrichtungen, Unterstützungen zu verwenden ist. die Mitglieder des
Vereins Herausgebcrkollegium di>r Münchener Medizinische Wochenschrift
e. V. von dem Betrieb der Zeitschrift keinerlei persönliche Vorteile haben.
Wohriiaben einige Zeugen die Meinung kundgegeben, sie möchten glauben,
dass finanzielle Rücksichten bei der Entscheidung der Frage, ob ein Artikel
aufzunehmen oder abzulehncn ist. niitwirkcn. Keiner der Zeugen aber konnte
irgendwelche greifbare Tatsachen angeben, die einen solchen Schluss recht-
fertigen würden. Der Privatkläger gehört, wie viele Schriftleiter anderer
medizinischer Fachzeitschriften der Vereinigung der deutschen medizinischen
Fachpresse an. Zu den Sitzungen dieser Fachpresse wurden früher auch
Vertreter der Grossindustrie zugezogen, aber nicht zu dem Zwecke, um
der Grossindustrie Einfluss auf die Haltung der Fachpresse zu geben, sondern
um mit ihrer Hilfe Soldschreiber, Ae^zte. die für Entlohnungen durch eine
Firma Erzeugnisse dieser Firma lobende Artikel in Fachzeitschriften geben,
zu ermitteln und von der Mitarbeit in der Fachpresse auszuschliessen. Keiner
der Zeugen konnte angeben, dass jemals irgend ein Industrieller den Versuch
gemacht hat, die Münchener Medizinische Wochenschrift zu Gunsten seiner
Fabrikate zu beeinflussen.
Der erforderliche Strafantrag ist frist- und formgerecht gestellt. Der
Privatkläger ist auch berechtigt, ihn zu stellen, denn er als Leiter der
Münchener Medizinischen Wochenschrift ist eben der von dem Inhalt des
Artikels Getroffene.
Die Zeitschrift „Blätter für biologische Medizin“ ist eine periodische
Druckschrift; besondere Umstände durch die die Täterschaft des Angeklagten
ausgeschlossen ist, sind nicht vorhanden. Der Artikel ist mit „B“ ge¬
zeichnet, also vom Angeklagten wohl selbst verfasst. Der Angeklagte ist
deshalb eines Vergehens der üblen Nachrede schuldig. §§ 186, 194, 61 RStQB..
§ 20 Pressges.. § 156 Abs. 2. StPO.
Der Angeklagte beruft sich darauf, er ,habe mit dem Artikel berechtigte
Interessen gewahrt. Dem Angeklagten steht ohne Zweifel das Recht zu, für
die Freiheit der Wissenschaft einzutreten. Es steht ihm aber nicht das
Recht zu, weil er Schriftleiter einer Fachzeitschrift ist, dieses allgemeine
Interesse an der Freiheit der Wissenschaft in einer den Privatkläger an
der Ehre verletzenden Weise W'ahrzunehmen: es handelt sich bei dem Inhalt
des Artikels nicht um die Wahrnehmung eigener oder den Angeklagten wie
eigene berührender fremder Interessen. Der Inhalt des Artikels bleibt deshalb
strafbar § 193 RSTQB, (Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 1910 Seite 207.)
Der von dem Angeklagten gegen den Privatkläger erhobene Vorwurf
ist überaus schwer. Der Privatkläger wird einer Handlungsweise geziehen,
die als gemeine bezeichnet werden müsste. Der Vorwurf musste ihn deshalb
besonders stark kränken. Das wirkt straferschwerend. Der Angeklagte hat
diesen Vorwurf aber aus der Ueberzeugung heraus, für die Freiheit der
Wissenschaft zu kämnfen erhoben, somit aus einem Beweggrund, der nicht
als verwerflich erklärt werden kann. Das wirkt strafmildernd. Eine Geld¬
strafe von fünfhundert Mark ist deshalb angemessen. Die Geldstrafe ist
für den Fall der Uneinbringlichkeit in eine Gefängnisstrafe von fünfzig
Tagen umzuwandeln. §§ 28, 29 StGB.
Weil zur Strafe verurteilt, hat der Angeklagte auch die Kosten des
Verfahrens zu tragen und die dem Privatkläger erwachsenen notwendigen
Auslagen zu erstatten. §§ 497, 503 RSPO.
Die Beleidigung ist in einer allgemein zugänglichen Zeitschrift, also
öffentlich begangen. Dem Privatkläger ist deshalb die Befugnis zuzusprechen,
die Verurteilung des Angeklagten auf dessen Kosten öffentlich bekannt zu
machen. Die aus der Formel ersichtliche Art und Frist ist angemessen.
§ 200 RSTGB.
Zu einer Aussetzung der Verhandlung behufs Vernehmung noch weiterer
Zeugen besteht, da der Sachverhalt genügend geklärt ist, keine Veranlassung.
Der Amtsgerichtsrat:
gez. Frank.
Die eingehende Begründung des Urteils überhebt uns der Notwendigkeit
eines ausführlichen Berichtes über die Verhandlung. Die Beweisaufnahme
hat ja in der Tat auch nicht den Schatten einer Begründung der schweren
Vorwürfe des Beklagten ergeben. Auch der Hauptzeuge, Herr Dr, Dreuw,
auf dessen Veröffentlichungen der Beklagte vorwiegend seine leichtfertigen
Beschuldigungen gründete, vermochte aber auch gar nichts Belastendes vor¬
zubringen. Er redete etwa 3 Stunden! Mari erfuhr von ihm, dass er täglich
4 Stunden seiner kostbaren Zeit dem Kampfe gegen das Salvarsan widme
und dass er neben sonstigem reichem Material 4 dicke Folianten mit salvarsan-
gegnerischen Zeitungsausschnitten gesammelt habe. Aber bei all dem nichts
Belastendes gegen die M.m.W,. als dass diese ihm mehrere Handschriften,
aus sehr triftigen Gründen, zurückgesandt hatte. In der Ablehnung seiner
Arbeiten durch fast alle Schriftleitungen erblickt Herr Dreuw eine Art
von Verschwörung gegen seine F^erson, Wir verwiesen ihn darauf, dass es
doch näher liege, den Grund für das einheitliche, aber keineswegs verabredete
Verhalten der Schriftleitungen in der A r t seiner Arbeiten zu suchen.
Herrn Dr. ist der Kampf gegen das Salvarsan Selbstzweck; er tritt an alle
das-Salvarsan betreffende Fragen mit der vorgefassten Meinung des „Sal-
varsangegners“, wie er sich selbst bezeichnet, heran. Solche Leute kann
die Fachpresse als Mitarbeiter nicht brauchen. Nur wer voraus-
\
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
25 . März 192].
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
381
s e t z u n K s I 0 s und mit dem genügenden wissenschaftlichen Rüstzeug ver¬
sehen, wissenschaftliche Fragen in Angriff nimmt, hat Anspruch darauf, in
der Fachpresse zu Wort zu kommen und dann wird er gehört werden,
ohne Rücksicht auf das Ergebnis, zu dem er gelangt. Nicht minder
kläglich gestaltete sich die Aussage des Herrn F. V. Friedman n,
der, obwohl er in dem seinen „Leitlinien“ beigefügten Literaturverzeichnis
allein 11 Arbeiten der M.ni.W., alle in einem seinem Mittel freundlichen
Sinne, aufgeführt hat, den Mut hatte,'uns Unterdrückung seines Mittels, und
zwar aus materiellen Gründen, vorzuwerfen. Den Beweis blieb er schuldig,
er konnte daher auch keinerlei Eindruck auf das Gericht machen. Nicht
günstiger schnitt Herr T i s c h n e r ab, der nicht einmal auf die Ablehnung
einer Handschrift durch die M.m.W. sich berufen konnte. Das Gleiche gilt
vom Grafen W i e s e r. der sich lediglich über das Nichterscheinen einer
Berichtigung in der M.m.W. beklagte, von der er aber zugeben musste,
dass er sie uns gar nicht eingesandt hatte. Am meisten suchte der Ver¬
teidiger des Beklagten die Angriffe des Prof. O. H e u b ii e r, die dieser
1914 in seinen Therap. Monatsbl. ab irato und unter lebhaftem Protest
der Fachpresse gegen diese erhoben hatte, zu gunsten seines Mandanten zu
verwerten. Damals war das üble Wort von der „Angst der Verleger
um die Inserate" gefallen. Aber Herr H e u b n e r hat in seiner kommissari¬
schen Zeugenaussage diese Angriffe nicht aufrecht erhalten. Er erklärte aus¬
drücklich, dass von einer Korruption der med. Fachpresse durch die
Annoncen der Grossindustrieverbände nicht gesprochen werden könne und
dass er nie auch nur das leiseste Anzeichen dafür habe wahrnehmen
können, dass das Interesse des Inseratenteils den redaktionellen Teil der
Münch, med. Wschr. beeinflusst hätte. So versagte auch Herr H e u b n e r als
Belastungszeuge gegenüber dem Gericht. U.s.f. Die beiden als Sachver¬
ständige vernommenen Herren Geh.-Rat Sauerbru c h und Prof. v. Zum¬
busch äusserten sich über den Wert des Adamkiewicz sehen Kankroin,
des Siegel sehen Cytörhyktes luis und über das Salvarsan. Ihre Aus¬
sagen zeigten, wie Recht die Schriftleitung der M.m.W. hatte, wenn sie
so wertlose Arbeiten, wie die über das Kankroin oder' die Angriffe des
Dr. Siegel gegen die Entdeckung Schaudinns, ablehnte. Herr v. Z um¬
busch stellte fest, dass die Schädigungen durch Salvarsan in der ersten
Zeit des Mittels, auf die Dr. D r e u w sich vorwiegend stützte, auf mangel¬
hafte Asepsis zurückzuführen waren. Wiederholt wurden auch Angriffe auf
andere angesehene Organe der Fachpresse versucht. Es gelang uns leicht,
auch diese als unbegründet zurückzuweisen. So ist der Angriff auf die Ehre
und Integrität der deutschen medizinischen Fachpresse abgeschlagen und
wir dürfen, nach den empfindlichen Folgen, die der Prozess für Herrn Med.-
Rat B a c h m a n n hat, hoffen, in Zukunft Ruhe zu haben.
Zur Frage der Karenzzeit in München.
Die Vorstandschaft d^r Abteilung für freie Arztwahl München ersucht
uns um Aufnahme der nachstehenden Zuschrift:
Die Veröffentlichungen in der „Münchener Medizinischen Wochenschrift“
„Zur Frage der Karenzzeit in München" waren geeignet, ein falsches Bild der
Verhältnisse zu geben.
Bei Einführung der freien Arztwahl bei den Münchner Krankenkassen
im Jahre 1904 wurde von den Krankenkassen eine zweijährige Karenzzeit ver¬
langt und bis zum Schluss des Krieges durchgeführt. Nach Beendigung des
Krieges wurde, um den Kriegsteilnehmern Härten zu ersparen, in lang¬
wierigen Verhandlungen mit den Kassen festgelegt, dass jedwede Kriegs¬
tätigkeit der Aerzte und Aerztiniien auf diese Karenzzeit angerechnet werden
durfte. Im Juli 1920 gelang es der Vertragskommission, die Zustimmung der
Kassen zur Aufhebung der Karenzzeit zu erreichen. Der Verein für freie
Arztwahl beschloss auch die Aufhebung derselben. Die Folge war, ins¬
besondere weil die freie Arztwahl in Deutschland zu langsame Fortschritte
machte, eine Ueberfüllung Münchens mit Aerzten. Daraufhin verlangten die
Kassen, als die Verträge mit ihnen Dezember 1920 abliefen, unter Bezug¬
nahme auf § 1 Ziffer 16 des „Kassenärztlichen Mantelvertrages für Bayern“
eine Wartezeit von 3 Jahren, da „durch den grossen Andrang der Aerzte für
München nicht eine Ueberzahl von Kassenärzten zugelasscn werden soll, die
über das Verhältnis zur Einwohnerzahl weit hinausgeht und noch viel weniger
dem Zahlenverhältnis anderer grösserer Orte entspricht". Die sofort ein-'
setzenden Vertragsverhandlungen führten nach energischen Bemühungen der
Vertragskominission zu einer Herabsetzung der dreijährigen auf eine zwei¬
jährige Wartezeit, also Wiederherstellung der früheren Verhältnisse und zur
Zulassung ohne Wartezeit für diejenigen Aerzte und Aerztinnen, die sich vor
dem 1. Januar 1921 zur Kassenpraxis gemefdet hatten. Dies traf auf etwa
103 Kollegen zu. Ueber den Gang der Verhandlungen wurden die Kollegen
jederzeit auf dem laufenden gehalten, insbesondere die Vertreter der
103 Kollegen, die naturgemäss besonders dabei interessiert waren. Diesen
Vertretern war infolgedessen auch nie, wie in der Notiz von Dr. Geil-
S o n n e m a n n in Nr. 3 der „Münchener Medizinischen Wochenschrift“ aus¬
geführt ist, „das feste Versprechen der Zulassung zur Kassenpraxis“ ge¬
geben. vielmehr unter Bekanntgabe der Vertragsbestimmungen die Abhängig¬
keit vom Willen der Kassen vor Augen geführt worden. Die in der betr.
Notiz angeführte Behauptung, dass „alle bereits vor Ablauf des Jahres 1920
hätten aufgenommen sein müssen“, entspricht nicht den Tatsachen. Satzungs¬
und vertragsgemäss hätte die Aufnahrhe frühestens am 1. Januar 1921 er¬
folgen können. Nun lief aber der Vertrag mit den Kassen am 31. De¬
zember 1920 ab und über den neu zu schliesscnden Vertrag wurde erst ver¬
handelt, wobei die Ortskrankenkasse die dreijährige Wartezeit verlangte.
Sache und Ziel der Verhandlungen war es, die Karenzzeit möglichst kurz zu
gestalten und für die betr. Kollegen möglichst ganz auszuschalten, was ihren
Vertretern immer wieder gesagt wurde. Trotzdem erschien, während diese
Verhandlungen schwebten, die Notiz von Dr. G e i 1 - S o n n e m a n n, die mit
ihren vorher angeführten Unrichtigkeiten die Aerztcschaft unnötig erregte
und zweifellos in ihrer Tendenz das Ansehen der ärztlichen Organisation
zu schädigen vermochte. Die Notiz ist keineswegs von den betr. 103 Kollegen
in dieser Fassung beabsichtigt gewesen. Eine verhältnismässig geringe An¬
zahl dieser Kollegen hatte in einer Versammlung Herrn Dr. Geil und
Frl. Dr. S o n n e m a n n beauftragt, eine Notiz „orientierenden“ Inhalts
an die „Münchner Medizinische Wochenschrift“ zu schicken. Der Wortlaut
der Notiz wurde nicht mehr vorgelegt. Die meisten Kollegen, die ihnen
freie Hand zu einer orientierenden Notiz gelassen hatten, hatten das Gefühl
für die materielle und formale Unhaltbarkeit des erschienenen Wortlauts.
Sie haben es deshalb für ihre Pflicht gehalten, ihr Bedauern darüber auszu¬
sprechen und eine Richtigstellung in der „Münchner Medizinischen Wochen¬
schrift“ zu geben. Sie hielten es umsomehr für ihre Pflicht, als die Ge¬
schäftsstelle, die immer schon in eindringlichster Weise vor Schritten in
die Oeffentlichkeit (Presse und Gericht) gewarnt hatte, an der Hand der
erschienenen Notiz auf die schweren Folgen aufmerksam machte, die nicht
nur für die Organisation, sondern auch für die Unterzeichner hätten ent¬
stehen können, wenn die Organisation diese Notiz als Kampfansage auf¬
fassen würde. Die Vorstandschaft der Abteilung hat die Richtigstellung voll¬
kommen dem Gerechtigkeitsgefühl der Unterzeichner überlassen. Wenn im
vorliegenden Fall von einer anderen, als einer inneren Nötigung gesprochen
wird, so ist dies höchstens für die betreffenden Kollegen beleidigend. Die
„abgenötigte“ Erklärung wurde aus freien Stücken von den versammelten
Kollegen vorgeschlagen und mit allen gegen 2 Stimmen (Geil und Sönne¬
rn a n n) angenommen. Ein in dieser Sitzung anwesender älterer Kollege, den
die Karenzzeit nicht betraf, bestätigte schriftlich, dass „nach seinem Empfin¬
den und seiner Meinung nax:h von einer Nötigung absolut nicht gesprochen
werden kann“.
Lediglich der unermüdlichen Tätigkeit der Vertragskominission ist es
zu danken, dass die Ortskrankenkasse sich mit einer zweijährigen Karenz¬
zeit Und der Zulassung der in Frage kommenden Kollegen einverstanden er¬
klärt hat. Wie die Veröffentlichung der G e i 1 - S o n n e m a n n sehen Notiz
auf die Geneigtheit zur sofortigen Zulassung zur Kassenpraxis gewirkt hat.
mag zum Schlüsse aus einem Schreiben des Vorstandes der Ortskranken¬
kasse hervorgehen, welches lautet: „In der .Münchener medizinischen Wochen¬
schrift* Nr. 3 vom 21. Januar 1921 nahmen Dr. Geil und Dr. Sonnemann
zur Frage der Karenzzeit in München Stellung. Nachdem sowohl die beiden
Artikelschreiber, wie auch alle übrigen Aerzte, die sich im Laufe des ver¬
gangenen Jahres gemeldet hatten, am l. Januar er. bzw. 1. April er. zu¬
gelassen wurden bzw. werden, erscheint uns solches Vorgehen nicht recht
erklärlich. Wir würden die Aufnahme von Dr. Geil und Dr. Sonnemann
beanstandet haben, wenn uns bekannt gewesen wäre, dass sic in einer
solch'en Weise gegen eine Massnahme Stellung nehmen, deren Einführung
aus Gründen der Notwendigkeit geboten gewesen ist“.
Die Vorstandschaft
der Abteilung für freie Arztwahl
der Aerztlichen Bezirksvereine München-Stadt und München-Land.
Wir schliessen hiermit die Erörterung über diese Angelegenheit und
stellen nur noch fest, dass die Tatsache nicht bestritten wird, dass den
Kollegen, die sich weigerten, die Erklärung W e i h 1 u. Gen. zu unter¬
schreiben, mit Ausschluss aus dem Verein für freie Arztwahl gedroht wurde.
Hier liegt aber der springende Punkt. Wo kommen wir hin, wenn wegen
einer Lappalie — um nichts anderes handelt cs sich im vorliegenden Falle —
gegen Kollegen mit den schwersten, existenzvernichtenden Strafen vorge¬
gangen werden soll! In ihren praktischen Folgen fü^ die betroffenen
Kollegen unterscheidet sich der Ausschluss von der Kassenpraxis nicht viel
von dem Entzug der ärztlichen Approbation. Dieser aber kann nur im
Falle schwerer Verbrechen ausgesprochen werden. U. E. sollte der Aus¬
schluss von der Kassenpraxis nur auf Zeit und nur bei wiederholten schweren
Verfehlungen gegen die durch den kassenärztlichen Vertrag übernommenen
Verpflichtungen verhängt werden, wie das bisher auch der Fall war. Ver¬
fehlungen gegen die Standesehre, gegen die Organisation u. dgl. — im vor¬
liegenden Falle stehen auch solche gar nicht in Frage — gehören vor
die Schiedsgerichte der Bezirksvereine, die die Träger der Organisation
sind. Es handelt sich hier um eine Frage von grösster grundsätzlicher
Bedeutung, über die noch zu sprechen sein wird. Schriftl.
Das Hamburgische HochschulKesetz.
Herr Geh. Justizrat Dr. M. L i e p m a n n, Professor des Strafrechts
an der Universität Hamburg, ersucht uns gleichzeitig im Namen der übrigen
Unterzeichner um Abdruck der nachstehenden Erklärung:
Die Unterzeichneten Mitglieder der Rechts- und Staatswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Hamburg, die auf eine langjährige akademische Lehr¬
tätigkeit an anderen deutschen Hochschulen zurückblicken, sehen sich durch
die Bekanntgabe des Beschlusses zum Hamburger Hochschulgcsetz, den eine
Mehrheit der Vollversammlung der Universitätsdozenten gegen ihre ernstliche
Warnung gefasst hat, zu folgender Erklärung genötigt:
1. Wir bedauern, dass durch diesen Beschluss unser Versuch, angesichts
des Ernstes der aussenpolitischen Lage den Hochschulstreit durch eine ge¬
meinsame, den Standpunkt der Mehrheit und der Minderheit objektiv dar¬
stellende ’ Erklärung zur Ruhe zu bringen, vereitelt worden ist. Unter Ab¬
lehnung der von einem Schlichtungsausschuss einstimmig befürworteten
Formel hat die Mehfheit ihren Standpunkt, ohne jede Rücksicht auf die
beträchtliche Minderheit und ohne Eingehen auf deren sachliche Gründe,
zum Beschluss erhoben und damit die Fortsetzung des Hochschulstreites
in der Oeffentlichkeit erzwungen.
2. Wir müssen angesichts des besonderen Berufs der Rechtsfakultät
zur Beurteilung von Verfassungsfragen betonen, dass diese Fakultät aus¬
nahmslos hinter jenem abgelehnten Vermittlungsvorschlag stand. Wir müssen
auch, um die Oeffentlichkeif über jenen, auf den Wert „fcingehender Er¬
fahrung im akademischen Leben“ sich berufenden Mehrheitsbeschluss aufzu¬
klären, darauf hinweisen, dass ein grosser, wenn nicht der grösste Teil der
für ihn stimmenden Dozenten niemals eine akademische Lehrtätigkeit ausser¬
halb Hamburgs ausgeübt hat, und dass unter den Wortführern dieser
Dozentengruppe die alten Gegner der Errichtung einer Universität Hamburg
zu finden sind. ^ ,
3. Wir bekennen uns demgegenüber zu der Auffassung, die besonders
in den Schlusssätzen des abgelehnten Entwurfs zum Ausdruck kommt:
„Darin weiss sich die Vollversammlung einig, dass die Universität auch
im Rahmen des neuen Gesetzes ihre körperschaftlichen Befugnisse und ihre
und ihrer Mitglieder verfassungsmässigen Rechte allezeit tatkräftig wahren
wird. Dies gilt für die Selbständigkeit in ällen Angelegenheiten der For¬
schung und Lehre, vom neuen Gesetz selber (§ 5) der Universität ausdrücklich
eingeräumt, als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts; es gilt dies vor
allem auch für die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre, die in einer
allen Landesgesetzen überlegenen Weise schon durch die Reichsverfassung
(Art. 142) gewährleistet ist. In dieser Lehrfreiheit ist aber sinngemäss auch
die Lernfreiheit mit einbeschlossen.
Die Wucht der vereinten Geltung aller an unserer Universität wirkenden
Männer wird es stets verhindern, dass ihr irgendein Recht einer vollwertigen
Digitized b)
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
382
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 12.
Universität geschmälert wird, ln diesem Bewusstsein ver^^ahrt sich die Voll¬
versammlung gegen jeden Zweifel an der Ebenbürtigkeit der Hamburgischen
Universität.“
gez. V. Qottl-Ottlilienfeld. H.a ff, Liepmann,
Mendelssohn Bartholdy, Rathgen, Reichel, Wüsten¬
dörfer.
‘ Therapeutische Notizen.
Optarson ist eine Mischung, die im Kubikzentimeter 0,01 Solarson
0,004 AsaOa und 0,001 Strychnin enthält. Klemperer empfiehlt das
Präparat, das von den Elberfelder Farbenfabriken hergestellt wird, unter der
besonderen Indikation der Euphorisierung, der Vasokonstriktion und der Herz¬
kräftigung zur Injektion. Die Injektionen werden ebenso reizlos und ohne
jede Nebenwirkung vertragen, wie die des Solarsons. Der Praxis i^t in der
Solarson-Strychnin-Mischung ein brauchbares Präparat dargeboten zur Be¬
handlung von Schwächezuständen des Nervensystems, zur Erzielung einer ge¬
wissen Euphorie und zur Linderung nervöser Herzbeschwerden. Bei be¬
ginnender Arteriosklerose wird seine Anwendung wegen der blutdruck¬
steigernden Wirkung des Strychnin nicht zu befürworten sein. (Ther. d.
Gegenw. 1921, März.)
Ein Fall von Herzverletzung (Messerstich) mit Naht
und Heilung wird von Paul M o u r e und R. Soupault genauer
beschrieben und festgestellt, dass bis jetzt schon (nach einer Arbeit von
C o s t a n t i n i) 287 Fälle dieser Art veröffentlicht worden sind. Die
Operation wurde eine Stunde nach der Verletzung bei dem 48 jährigen Pa¬
tienten ausgeführt und zwar mit breiter Eröffnung des Brustkorbs und
Perikards, Katgutnaht der Herzwunde usf. Dauer der Operation 35 Minuten.
Da die äussere Wunde eiterte und ein Pleuraerguss sich gebildet hat.
wurde eine zweite .Operation (5 Wochen später) vorgenommen und nach
14 Tagen verliess Patient geheilt das Krankenhaus. (Presse m6dicale • 1921
Nr. 10.)_St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 23. März 1921.
—Das sächsische Ministerium des Innern hat eine Ver¬
ordnung ej-lassen, nach der am 18. März d. Js. beim Ministerium des Innern
ein Landesamt für Wohlfahrtspflege errichtet wird. Dieses
Landesarat soll die öffentliche Wohlfahrtspflege im Lande zusammenfassen,
ausbauen und leiten, insbesondere den Zusammenhang zwischen den einzelnen
Zweigen der Wohlfahrtspflege, sowie zwischen den in ihr tätigen amtlichen
Stellen und freieiv Kräften knüpfen und aufrechterhalten, auf die Ausfüllung
von Lücken hinwirken, die im Gesamtbereich der Wohlfahrtspflege sich fühl¬
bar machen, die Ausbildung und Fortbildung berufsmässiger und ehrenamt¬
licher Kräfte für die Wohlfahrtspflege regeln und unterstützen, Auskunft über
Angelegenheiten der öffentlichen Wohlfahrtspflege erteilen und die wissen¬
schaftliche und statistische Bearbeitung der Wohlfahrtspflege im Lande an¬
regen und fördern.
— Zum Landesgewerbearzt mit dem Sitze in Düsseldorf ist
seitens der preussischen Regierung der bisherige Dozent an der Universität
Wien Dr. Ludwig T e 1 e k y ernannt worden. Er wurde zugleich seitens des
Kuratoriums der Westdeutschen Sozialhygienischen Akademie mit der Lei¬
tung dieser Anstalt betraut. Dr. T e l e k y ist der erste Gewerbearzt, den
Preussen anstellt.
— Die im Stadtbund der Dresdner Frauenvereine zusammengeschlos¬
senen 38 Vereine lehnten eine Beamtung der Hebammen ab, weil
einerseits die als Beamtin oder auf Vertrag in Stadt- und Landbezirken an-
gestellte Hebamme in ihrer Berufstätigkeit beschränkt ist, andererseits die
Mütter in der freien Wahl der von ihnen in Aussicht genommenen Heb¬
ammen behindert sind. Dagegen treten sie ein: 1. für das festgelegte jähr¬
liche Existenzminimum von 10 000 M., 2. für ein dementsprechend ange¬
messenes Ruhegehalt, 3. für eine ausreichende Versorgung der durch Krank¬
heit jeder Art in der Ausübung ihres Berufes zeitweise oder dauernd be¬
hinderten Hebammen, 4. für die jetzige Art der sächsischen Bezirkseinteilung
mit freier Hebammenwahl und freier Berufstätigkeit, 5. für Aufnahme in die
Reichsversicherung.
— Der prakt. Arzt Dr. Fritz Krüger in Dresden, Vorsitzender der
Kraftfahrervereinigung deutscher Aerzte (e. V.), ist vom Reichspräsidenten
in den beim Reichsverkehrsministerium bestehenden Reichsausschuss für Luft-
und Kraftfahrwesen als Sachverständiger auf dem Qebifte des Kraftfahr¬
wesens berufen worden.
— Die Kaiser Wilhelm-Gesellschaft gedachte ihres 10 jähr.
erfolgreichen Bestehens in einer Festsitzung, in der Prof. Franz, Direktor
des Kaiser Wilhelm-Instituts für KohlenfoVschung einen Vortrag über die „Ent¬
stehung und das Wesen der Kohle“ hielt. Die Gesellschaft hat bisher 22 For¬
schungsinstitute ins Leben gerufen.
— Das Deutsche Hygienemuseum in Dres-den veranstaltet Ende April
d. Js. in dem für solche Zwecke hervorragend geeigneten W e i n 1 i g sehen
Meisterbau, der früheren königlichen Reithalle, eine grosse Tuberku¬
loseausstellung. Zu gleicher Zeit wird in Dresden der Deutsche
Tuberkulosekongress, der 27 Jahre hindurch bisher ausschliesslich in der
Reichshauptstadt getagt hat, stattfinden.
— Die Dresdener Frauenklinik hat durch eine Amerikaspende
den Betrag von über 270 000 Mark erhalten und zwar dadurch, dass die
berühmte, aus Sachsen stammende Sängerin Frieda H e m p e l Anfang De¬
zember in der Liedcrkranzhalle in NewYork ein Konzert zum Besten der
Dresdner Frauenklinik gegeben hat mit der Bestimmung, dass der Ertrag zur
Anschaffung der modernsten Röntgenapparate verwendet wird. Die Sängerin
.selbst hat 1000 Dollars gestiftet. Ein aus Deutsch-Amerikanern bestehendes
Komitee hatte die Angelegenheit in die Hand genommen.
— Eine Wiener Verordnung vom 8. März 1921 bestimmt, dass sich
für ausländische Studierende der Medizin die Kollegien-
und Auditoriengelder auf das Fünfundzwanzigfache, die Gesamttaxe für das
Doktorat der gesamten Heilkunde auf das Zehnfache erhöhen, ebenso die
Rigorosentaxen. Den Professorenkollegien der medizinischen Fakultäten steht
es frei, einzelnen ausländischen Studierenden die Zahlungen auf die für öster¬
reichische Studierende vorgeschriebenen Beträge zu ermässigen, ebenso Aus¬
ländern die Befreiung vom ganzen oder halben Betrag zu gewähren, sofern
eine solche Befreiung nach den geltenden Vorschriften auch bei österreichi¬
schen Studierenden stattfinden kann. K.
— Die* Nachricht vom Ableben des Prof. Gustav Gärtner, die vor
kurzem durch die Presse ging, bestätigt sich erfreulicherweise nicht. Wie
Herr Prof. Q. uns selbst mitteilt, erfreut er sich guten Wohlbefindens.
— Der Aerzteverein Essen veranstaltet vom 10. April bis
7. Mai 1921 in Essen einen Fortbildungskursus für Aerzte über
Syphilis. Die Vorträge finden für auswärtige Teilnehmer Sonntag nach¬
mittags von ^3—K6 Uhr im Hörsaal des Museums für Heimatkunde (Ein¬
gang II. Dellbrügge) statt. Es wird eine Einschreibegebühr von 20 M. er¬
hoben, welche schon vor Beginn des Kursus auf das Postscheckkonto de4
Aerztevereins Essen Nr. 7663 einzuzahlen ist. Anmeldungen sind umgehend
an das Bureau des ärztlichen Vereins, Essen, Akazienallee 49 zu richten.
Anfragen erbeten beim Vorsitzenden der wissenschaftlichen Abteilung, Herrn
Prof. Dr. Pfeiffer.
— In der Zeit vom 14. bis 18. März veranstaltete der Landesverband
für das ärztliche Fortbildungswesen in Bayern gemeinsam mit dem Landes¬
verband für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge und mit Unterstützung des
Ministeriums des Innern einen ärztlichen Fortbildungskurs
über Säuglings- und Kleinkinderfürsorge. Der Lehrgang
umfasste die wichtigsten Gebiete aus der Physiologie des gesunden und
kranken Säuglings, die Hauptkrankheiten im Säuglings- und KleinHindesalter
sowie die sozialhygienischen Fürsorgemassnahmen für Säugling und Klein¬
kind. Die Vorträge waren mit Besichtigungen und Vorführungen verbunden.
^ An dem Kurs nahmen 24 Bezirksärzte und 61 praktische Aerzte, die zum
grossen Teil in der Säugliiig.sfürsorge tätig sind, teil.
— Am Institut für gerichtliche Medizin der Universität Leipzig findet
vom 11.—16. April und 25.—30. April 1921 täglich von 4—7 Uhr nachmittags
je ein Sonderlehrgang für Leichenschauärzte bei Feuer¬
bestattung statt. Anmeldungen und Anfragen sind an die Direktion zu
richten.
— Cholera. Britisch Ostindien, ln Kalkutta vom 14. November
bis 18. Dezember v. J. 221 Erkrankungen (und 207 Todesfälle), in Bombay
vom 4.—10. Dezember 1 (1), in Madras vom 12.—18. Dezember 3 (l), in
Burma, und zwar in Rangun vom 31. Oktober bis 18. Dezember '9 (8), in
Mulmein vom 14. November bis 11. Dezember 4 (4). — Niederländisch
Indien. Vom 25. November bis 1. Dezember v. J. in Batavia 1 Cholerafall. —
Siam. Vom 15.—21 August v. J. in Patani 23 Erkrankungen und 18 Todes¬
fälle. — Hongkong. Vom 31. Oktober bis 4. Dezember v. J. 4 Erkrankungen
und 4 Todesfälle. — Korea. Vom 12.—18. Juli v. J. 149 Choleraerkrankungen.
— Japan. Im Oktober v. J. wurden in Kobe 10 Fälle, in Moji und Nagasaki
der Ausbruch der Cholera festgestellt. — Philippinen. Vom 17.—23. Oktober
V. J. in Manila 3 Fälle.
— Fleckfieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 6.—12. März
wurden 3 Erkrankungen festgestellt. — Oesterreich. Vom 20.—26. Februar
je I Erkrankung in Wien und in Tirol, vom 27. Februar bis 5. März 3 Er¬
krankungen in Wien. — Ungarn. Vom 7.—13. Februar 1 Erkrankung im
Komitat Hajdu. -
— Pest. Türkei. Im Dezember v. J. in Beirut 3 und in Smyrna
1 Erkrankung. — Griechenland. Am 24. Dezember v. J. wurden in Zante
3 Pestfälle festgestellt. — Britisch Ostindien. In Bassein (Burma) wurdpn
vom 13. November bis 4. Dezember v. J. 5 Erkrankungen (und 5 Todesfälle)
gemeldet; in Rangun vom 1. November bis 18. Dezember 30 (24). — Ceylon.
Vom 16. Oktober bis 20. November v. J. 37 Pestfälle. — Straits Settlements.
Vom 24. Oktober bis 6. November v. J. 2 Fälle in Singapore. — Hongkong.
Vom 24. Oktober bis 18. Dezember v. J. 7 Erkrankungen und 7 Todesfälle.
— Aegypten. Im Jahre 1920 wurden insgesamt 462 Pestfälle gemeldet; vom
1.—21. Januar 1921 4 Erkrankungen. — Algerien. Im September v. J. 17 Fälle.
— In der 9. Jahreswoche, vom 27. Februar bis 5. März 1921, hatten
von deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Stettin mit 18,8. die geringste Neukölln mit 6,5 Todesfällen pro Jahr und
1000 Einwohner.
Hochschulnachrichten.
Bonn. Der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. G. Puppe in Königsberg hat
den Ruf auf den Lehrstuhl der gerichtlichen Medizin an der Universität Bonn
als Nachfolger Unga r s abgelehnt; nunmehr ist 4er Lehrstuhl dem Ordinarius
Med.-Rat Prof. Dr. Theodor Lochte in Göttingen angeboten worden, (hk.)
Erlangen. Prof. Dr. Otto Pankow, ord. Mitglied und Direktor der
Frauenklinik an der Akademie für praktische Medizin in Düsseldorf, hat
den Ruf auf den Lehrstuhl der Geburtshilfe und Gynäkologie in Erlangen
als Nachfolger von Prof. S e i t z abgelehnt, (hk.)
Greifswald. Prof. Dr. Walter Gross in Heidelberg hat den
Ruf auf den Lehrstuhl der pathologischen Anatomie und allgemeinen Patho¬
logie in Greifswald als Nachfolger von Geh.-Rat P. 0 r a w i t z ange¬
nommen. (hk.)
Halle., Wilhelm Roux ist von der Königl. Schwedischen Natur¬
wissenschaftlichen Gesellschaft (Fysiografiska Saellskapet) in Lund zum aus¬
wärtigen Mitgliede gewählt wordeh, „um der deutschen Wissenschaft in
diesen schweren Zeiten eine' Aufmerksamkeit zu erweisen“.
Rostock. Privatdozent Prof. Dr. Reiter erhielt einen Lehrauftrag
für soziale Hygiene.
Amsterdam. Seit Ende letzten Jahres ist auch hier die Pharma¬
kologie als selbständiges Lehrfach abgetrennt worden. Auf das neuge¬
gründete Ordinariat und als Direktor des Pharmakologischen Institutes ist
Prof. Dr. Ernst L a q u e u r berufen worden. Prof. L. war Privatdozent in
Königsberg und Halle, Lektor in Groningen und während der Kriegszeit im
Heeresdienst und zuletzt wurde er unter gleichzeitiger Versetzung an ein
Kriegslazarett in Gent zum Professor der Pharmakologie an die dortige
vlämische Universität berufen. — Durch die jetzige Berufung von Prof. L.
nach Amsterdam ist u. W. zum ersten Male seit 1913 wieder einem Deutschen
an einer holländischen Universität ein Lehrstuhl übertragen worden.
Wien. Der a. o. Professor und Direktor des embryologischen Instituts,
Dr. Alfred F i s c h e 1, ist zum ord. Professor ernannt worden, (hk.) —
Dr. Heinrich F r i e d j u n g hat sich als Privatdozent für Kinderheilkunde an
der Wiener medizinischen Fakultät habilitiert.
Todesfälle.
An den Folgen einer Nierenoperation starb am 16. d. M. der städtische
Kinderarzt und Chefarzt des Kinderkrankenhauses Essen, Privatdozent für
Kinderheilkunde an der Universität Leipzig, Dr. Eduard Preise, (hk.)
Verlag von J. F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. MOhtthaler’t Buch- und Kunstdruckerei A.O., Miinche«.
Digitized by
Goi-igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Prebder eiazehieii Nnmmer 2.— Jl. • Bezngspreto In Denttchland
t • • and Ausland siehe unten unter Bezugsoedingungen. • • •
AnelgemcIiIuM Immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Z B m n du ng eu sind zu richten
Pfir dis Sdiriftleltttnf: AnraTfBtr.26 (Sprechstunden SV(—l Uhn.
Für Bezug: an I. r. Lehmann*! Vertar, Paul Heysötrasse 26.
Für Anzeigen una Beilagen: an Rudolf Mosse, Theatineratraase i.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 13. 1. April 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann. Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behält sioh das aosschliessliohe Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelaogenden Originaibeiträge vor.
Originalien.
Aus dem Pharmakolog. Institut der Universität Heidelberg.
lieber die Bedeutung von Zellzerfallsprodukten für den
Ablauf pharmakologischer Reaktionen.
Von H. FreuncTund R. Qottlieb.
Auf verschiedenen Wegen ist man neuerdings der Erkenntnis näher
gekommen, dass pharmakologisch wirksamen Zellzerfallsprodukten eine
grosse Bedeutung für den Ablauf der Arzrieimittelwirkungeu zukommt.
Soweit sie bei der physiologischen Mehrarbeit der Organe auf treten,
spielen sie wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Regulierung der
Blutzufuhr zum arbeitenden Organ; denn gewisse Produkte des Eiweiss¬
abbaus, die ihrer Wirkung nach als „histaminähnlich“ bezeichnet werden,
sind Kapillargifte und müssen deshalb am Orte ihrer Entstehung gefäss-
erweiternd wirken. Wenn der Zellzerfall pathologisch gesteigert ist,
so muss die grössere Menge und vielleicht auch veränderte Art der in
den Kreislauf gelangenden Zerfallsprodukte Fernwirkungen auf zahlreiche
Organe hervorrufen.
Der einei Weg, auf dem man seit der Entdeckung der hochwirksamen
Eiweissspaltprodukte Histamin und Tyramin in Mutterkornextrakten durch
B a r g e r und D a l e rastlos fortgeschritten ist. führte zur Erkenntnis der
intensiven und vielseitigen Giftwirkungen proteinogener Amine ^). Daran
schloss sich die Suche nach den gleichein Giften in den Produkten auto-
lytischen und bakteriellen Abbaus. Abel und K u b o t a haben
neuerdings Histamin und histaminähnliche Substanzen in zahlreichen
Organextrakten gefunden und vermuten sie unter den Zerfallsprodukten
aller Gewebei.
Ein anderer Weg®) ist das Studium von Giftwirkungen, die¬
zweife 1 los beim Zerfall zelliger Elemente auf-
treten, und ihr Vergleich mit der Wirkung von Eiweiss¬
abbauprodukten. Hier hat sich die Untersuchung der beim
Untergänge, der labilsten Zellelemente, der Blutplättchen, im
Blute auftretenden Giftwirkungen besonders fruchtbar erwiesen.
Das aus der Ader' gelassene Blut wird pharmakologisch aktiv,
— wie wir vorwegnehmen — durch das Freiwerden wirksamer Sub¬
stanzen beim Untergange zelliger Elemente bei der Gerinnung. Die
Gegenwart dieser „Serumsubstanzen“ macht das Blut pharmakologisch
wirksam und verändert durch Synergismus oder Antagonismus den Ablauf
wohlcharakterisierter und quantitativ gut messbarer, pharmakologischer
Reaktionen. Di© folgenden Darlegungen sollen dies näher ausführen und
daran den Hinweis auf neue Fragestellungen anschliessen, die sich an
diese Erkenntnis knüpfen.
Dass das Blut nach der Defibrinierung, auch wenn es vom gleichen
Tiere stammt, giftig wirken kann, ist eine alte Erfahrung. H. Freund
hat nun zeigen können, dass sich die Wirkung des durch die Vorgänge
bei der Gerinnung veränderten Blutes fast auf alle glattmuskeligen
Organe erstreckt. Da das Blutserum unmittelbar nach der Gerinnung
anders wirkt als nach einer kurzen oder längeren Aufbewahrungs/<^it, so
kann man von „Frühgiften“ und „Spätgiften“ sprechen. Sie scheinen
an den gleichen Angriffspunkten im allgemeinen entgegengesetzt zu
wirken. Die Spätgifte behalten viele Tage lang ihre Wirksamkeit, die
Frühgifte dagegen sind so labiler Natur, dass sie schon während der zum
Zentrifugieren nötigen Zeit zugrunde gehen. Es ist deshalb sehr viel
leichter, die» auf den Spätgiften beruhende Wirksamkeit des in vitro ge¬
wonnenen Serums zu studieren, als die der Frühgifte, die aber gerade
bei einem plötzlich eingeleiteten Blutplättchenzerfall in vivo ein© wichtige
Rolle spielen müssen.
Zu den gutverfolgbaren Spätgiften gehören die vasokonstriktorischen
Substanzen des Serums, die zuerst O’ConnorO im hiesigen Institute
erkannt und beschrieben hat. Ausgangspunkt seiner Untersuchungen war
die quantitative Adrenalinbestimmung im Blute. Sie wurde bis dahin
mit Serum ausgeführt, d. h. durch Vergleich seiner Wirksamkeit an über¬
lebenden Testobjekten, an Gefässen, Uterus. Darm usw. mit der Wir¬
kungsstärke reiner Adrenalinlösungen bekannter Konzentrationen. Da
aber auch die „Serumsubstanzen“ an diesen autonom innervierten
1920Ouggenheim: Die proteinogenen Amine, Berlin
*) A b e 1 und Kubota: Journ. of Pharm, and exp. Ther. 13, 1919. H. 3.
®) H. F r e u n d: M.Kl. 1920 Nr. 17; Arch. f. exp. Rath. u. Pharm. 86. 1920.
S. 266 und 88. 1920. S. 39.
*) O’Connor: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 67. 1912. S. 195.
Nr. 13.
Organen angreifen, an den Gefässen und am Uterus gleichsinnig mit
Adrenalin, am Darm im entgegengesetzten Sinne, so verändern
sie durch Synergismus oder Antagonismus an allen diesen Testobjekten
das Ausmass der Adrenalinreaktionen.
Auch im P1 a s m a haben wir aber immer mit Zerfallsprodukten der
Plättchen zu rechnen und unter ihnen mit freiwerdenden proteolytischen
Fermenten, die für die weitere Bildung von Giften gross© Bedeutung
haben müssen. Aus dem eingeleitetem Zellzerfall erklärt sich die fort¬
schreitende physiologische Aktivität des aus der Ader gelassenen Blutes.
Trendelen bürg®) hält deshalb nur die vasokonstriktorische Wirk¬
samkeit des frischen unzentrifugiertön Zitratblutes innerhalb der ersten
fünf Minuten für geeignet, über den fahren Adrenalingehalt einer Blut¬
probe Aufschluss zu geben.
Auch am ganzen Kreislauf höherer Tiere zeigt sich eine Veränderung
der Adrenalin Wirkung bei gleichzeitiger Injektion von Serumsubstanzen;
an der Katze tritt danach die eigenartige, von Vaguswirkung unabhängige
Verstärkung der Pulse ein, die man als „Aktionspulse“ bezeichnet. Nach
reinen Adrehalinlösungen allein findet man sie selten, wohl aber sehr
häufig nach Injektion roher Nebennierenextrakte, mit denen wii* neben
Adrenalin gleichfalls Zellzerfallsprodukte einführen. Wie nun diese
Kombination bei der Zuführung von aussen zur Verstärkung der Wirkung
führt, so muss auch die Adrenalinempfindlichkeit der Tiere erhöht er¬
scheinen, wenn reines, in Ringerlösung injiziertes Adrenalin etwa im
Blute des Tieres schon Zellzerfallsprodukte über die Norm vermehrt vor¬
findet. Auf eine solche Möglichkeit hat schon H. F r eund®) hinge-
wiesen. Storm van Leeuwen^) hat diese Frage neuerdings unter¬
sucht und will die individuellen Verschiedenheiten der Adrenalinempfind¬
lichkeit bei Katzen und Kaninchen auf die in den einzelnen Individuen
verschiedene Menge derartig wirksamer zirkulierender Serumsubstanzen
zurückführen, denn es gelang ihm für Adrenalin wenig empfindliche
Tiere durch gleichzeitige Zuführung von Blutserum empfindlicher zu
machen.
Auch die Digitaliswirkung am Froschherzen wird durch Serum¬
substanzen verändert, durch Frühgifte gehemmt und durch Spätgifte
derart gefördert, dass bei intravenöser Injektion am Frosch schon die
Hälfte der sonst nötigen Digitalisdosis zum systolischen Stillstand führt.
Auch bei anderen wohlcharakterisierten Giftwirkung©n an den
autonom innervierten überlebenden Testobjekten kann der Synergismus
mit Serumsubstanzen eine Rolle spielen. Wenn z. B. Storm
van Leeuwen®) neuerdings eine Verstärkung der Pilokar¬
pinwirkung am überlebenden Darm durch Serum findet, so ist dabei
an die erregende Darihwirkung der Zerfallsprodukte zu denken. Einer
Erregung entspricht auch, dass Freund den durch Atropin stillgestellten
Darm durch Plättchenzerfallsubstanzen wieder zu rhythmischen Kon¬
traktionen bringen konnte.
Ein besonders schlagender Fall der Beeinflussung einer einfachen phar¬
makologischen Reaktion durch Serumsubstanzen ist ihr S y n e r g i s m u s
m i t A t r 0 p i n bei der Aufhebung des Muskarinstillstandes am Froschherzen.
F ü h n eT hat gezeigt, dass man das isolierte Froschherz zur Bestimmung
kleinster Atropinmengen benutzen kann, indem man- den Schwellenwert
der den Muskarinstillstand aufhebenden Atropinkonzentrationen feststem
und an einem so „austitrierten“ Präparate die Wirksamkeit atropin¬
haltiger Lösungen unbekannter Konzentration prüft Vergleicht man nun,
wie es Kirste®) vor kurzem im hiesigen Institute getan hat, den
Schwellenwert der aufhebenden, antagonistisch wirksamen Atropindosis
in Ringer mit dem Schwellenwerte in Ringer Serum (Kaninchen- oder
Menschenserum), so ergibt sich stets eine sehr bedeutende Verstärkung
der Atropinwirksamkeit Dies beruht auf einem Synergismus des Atropins
mit Serumsubstanzen. Die Wirksamkeit schwankt bei den einzelnen
Seris, ist aber in der Hälfte der Fälle gross genug, dass auch Serum allein
ohne Atropinzusatz den Muskarinstillstand aufzuheben vermag, wie dies
neuerdings auch von Z o n d e k beobachtet wurde.
K i r s t e Hess es noch offen, auf welchen Bestandieilen des Serums
diese gut verfolgbare Wirkung beruht. Den normalen Kalkgehalt des
Serums hat er als eine notwendige Vorbedingung für die Aufhebung des
Muskarinstillstandes und die Verstärkung der Atropinwirkung erwiesen.
Die Ueberlegenheit der Kombination von Atropin und Serumzusatz
2 P. Trendelenburg: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 79. 1916. S. 154.
? 1. c.
0 Storm van Leeuwen: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 88. 1920.
S. 304.
®) 1. c.
®) Kirste: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 89. 1921. S. 106; dort auch
Literatur.
3
Digitized by Goüsle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
384
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
gegenüber Atropin in Ringer bei in beiden Fällen gleichem Kalkgehalt
ist aber, wie wir nun auf Grund weiterer Versuche berichten können,
eine Wirkung der alkohollöslichen Stoffe des Blutserums. Ihre physio¬
logische Wirksamkeit ist schon von Clark^®) und von Loewi“) be¬
schrieben worden. Clark fand analog der Wirkung von Serumzusatz
eine Verstärkung der Pulse» des überlebenden Froschherzens durch diese
Fraktion, also die gleiche Wirkung, die Freund mit Vollserum und mit
Blutplättchenextrakten bei intravenöser Injektion erzielte. In unseren
Versuchen stellte es sich heraus, dass die alkohollöslichen Substanzen des
Serums den Muskarinstillstand in grösserer Konze»ntration prompt auf-
heben und die Atropinwirkung schon in starker Verdünnung synergisch
verstärken, alsö das ganze Serum vollwertig ersetzen. Auch die vaso-
konstriktorischen Substanzen, die im Sinne des Adrenalins auf die Gefäss-
wände» wirken und auch an anderen Testobjekten Adrenalin vortäuschen,
gehören der Fraktion der alkohollöslichen Stoffe an, wie uns Versuche
gezeigt haben, über die demnächst berichtet werden soll. Ebenso beruht
die geschilderte Verstärkung der Digitaliswirkung am Froschherzen auf
alkohollöslichen Stoffen. Wir konnten Befunde Loewis, die schon in
diese Richtung wiesen, vollauf bestätigen.
Es lässt sich somit zeigen, dass die Erregbarkeit der Endapparate
des autonomen Nervensystems nicht nur, wie man aus zahlreichen
neueren Arbeiten weiss, durch die physiologische Elektrolytkombination
des Milieus bestimmt wird und durch deren Abänderung umgestimmt
werden kann, sondern dass das gleiche auch für Produkte des Zell¬
zerfalls im Blute gilt. Dies Hess sich an überlebenden Objekten bei der
Verfolgung quantitativ gut messbarer Giftreaktionen erweisen. Die Fest¬
stellungen sind zunächst von methodischer Wichtigkeit für alle Ver¬
suche eines quantitativen Giftnachweises im Blute. Wie Gottlieb
in einem Vortrag auf der letzten Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte ausgeführt hat, erwachsen dem Nachweise von im Blute
zirkulierenden Fremdsubstanzen aus der Wirksamkeit des Serums an
den überlebenden Testobjekten fast unüberwindliche Schwierigkeiten.
Wie man den Adrenalingehalt des Blutes weitaus zu hoch fand, so lange
man diese Fehlerquelle nicht kannte, so müssen sich auch für die
Atropinbestimmung im Blute oder für den Nachweis von Digitalissub¬
stanzen in demselben unberechenbare Fehler ergeben, wenn man die
gleichzeitige Einwirkung der Zellzerfallsprodukte nicht ausschliessen
kann.
WoherstammennundiesewirksamenSubstanzen?
Wir haben sie in den obigen Ausführungen immer schon als Produkte des
Zellzerfalls angesprochen. Der'Beweis für diesem Anschauung liegt in dem
Parallelismus zwischen Plättchenzerfall und physiologischer Aktivität
Nur das frische Zitratblut ist normalerweise physiologisch unwirksam.
Mit dem Gerinnungsvorgang, der durch den Zerfall der Blutplättchen
eingeleitet wird, beginnt die Bildung der wirksamen Substanzen und
nimmt mit dem fortschreitenden Untergang der Blutplättchen nach der
Gerinnung stundenlang zu, bis die physiologische Wirksamkeit des
Serums nach etwa 6 Stunden ihr Maximum erreicht. Dabei mag es
dahingestellt bleiben, ob die wirksamen Substanzen direkt aus dem
Plättchenzerfall hervorgehen oder ob durch ihn nur Fermente frei-
werden, welche den Eiweissabbau im Biute einleiten und zu wirksamen
Abbauprodukten führen. Wird die Gerinnung verhindert (Zitratblut) und
werden die bis dahin intakten Plättchen mechanisch z. B. durch Schlagen
zerstört, so erhält man ohne Gerinnung die gleichen physiologischen
Wirkungen wie sonst nach der Gerinnung im Serum. Die stärkste
physiologische Aktivität lässt sich erzielen, wenn man die in einer
grösseren Blutmenge enthaltenen Plättchen durch geeignetes Zentri¬
fugieren in einem relativ kleinen Plasmavolumen konzentriert und durch
Zerstörung der Plättchen in der abgehobenen plättchenreichen Schicht
gleichsam einen Extrakt herstellt. Diese Ergebnisse von Freund be¬
weisen die Wirksamkeit von Substanzen, die aus dem Plättchenzerfall
hervorgehen.
Für die physiologische Aktivität des aus der Ader gelassenen Blutes
sind wir also in der Lage, sie mit Sicherljieit auf Produkte des Zellzerfalles
zu beziehen. Der Plättchenzerfall ist, well er sich im überlebenden
Blute verfolgen lässt, ein der Untersuchung gut zugänglicher Fall von
Zdluntergang überhaupt. Aehnliche Vorgänge haben wir aber sicherlich
in krankhaften Zuständen vielfach anzunehmen, und der Zerfall anderer
Gewebszelle-n liefert nachweislich Produkte ähnlicher physiologischer
Wirksamkeit wie der der Blutplättchen. Es ist bisher sichergestellt”),
dass Extrakte von Erythrozyten und von Leberzellen die Herzwirkung
mit den Blutplättchenextrakten teilen, dass den Extrakten von Erythro¬
zyten und von Darmschleimhaut (Hormonal) die gleiche Wirkung an
überlebenden Darmpräparaten zukommt und dass zahlreiche Organ¬
extrakte je nach der Arbeitsmethode, nach de»r sie gewonnen sind, die
Gefässe erweitern (Blutdruckabfall) ■ oder verengern (Blutdrucksteige¬
rung), in Analogie mit den gefässerweiternden Frühgiften und den
gefässverengernden Spätgiften des Blutes.
Es entstehen aiso auch beim Zerfall anderer Gewebe Substanzen
ähnlicher physiologischer Wirksamkeit, wie man sie an den Produkten
des Plättchenzerfalls nachweisen kann.
Wenn aber vonaussen zugeführte Produkte des Zellzerfalls,
wie wir dies oben erörtert haben, die Reaktionsfähigkeit der autonomen
Organe gegen Adrenalin, Digitalissubstanzen, Atropin und andere Gifte
verändern, so ist die Hypothese erlaubt, dass auch die im Organ is-
Clark: Journ. of Physiol. 47. 1913. S. 66.
“) Loewi: Pflügers Arch. 170. 1918. S. 677.
^') Lit. bei Freund, 1. c.
mus selbst aus einem gesteigerten Zelluntergang entstehenden
Substanzen die autonomen Funktionen beeinflussen und „umstimmen“
können.
Dass z. B. in de'r Schwangerschaft, also in einem Zustande lebhaft
gesteigerten Zellstoffwechsels, die wirksamen „Serumsubstanzen“ im
Blute tatsächlich vermehrt sind, darauf deuten Befunde von Neu”) und
anderen”), die im Serum von Schwangeren eine über die Norm ge¬
steigerte vasokonstriktorische Wirkung am Gefässapparat nachgewiesen
habeiv ohne dass — wie sich später herausstellte — der wahre Gehalt
des Sthwangerenblutes an Adrenalin vermehrt ist. Da die Versuche mit
Serum und nicht mit frischem Plasma angestellt sind, so lässt sich nicht
entscheiden, inwieweit die verstärkenden Substanzen schon im lebenden
Blute präformiert waren oder sich erst nachträglich bei der Gerinnung
aus einem übernormalen Zellzerfall gebildet haben. Aehnliches gilt von
anderen Zuständen. Bei einem gesteigerten Plättchen g e h a 11 des
Blutes müssen sich bei der Gerinnung auch die wirksamen Zellzer¬
fall s Produkte der Plättchen in vermehrter Menge im Serum finden.
Dass aber die Wirksamkeit der verschiedenen Sera — die sehr ver¬
schieden stark und sogar beim gleichen Individuum zu verschiedenen
Zeiten keineswegs gleich ist — dem Plättchengehalt des Blutes nicht
parallel zu gehen scheint, spricht für die Annahme, dass zu den bei der
Gerinnung entstehenden Serumsubstanzen noch solche hinzukommeii
können, die schon in vivo vorhanden sind. Die Trennung der beiden
Möglichkeiten: präformierte Vermehrung der Serumsubstanzen oder Ver¬
mehrung labiler ^ellelemente im Blute, welche dann erst bei der Ge¬
rinnung oder auch im Zitratblut beim Stehen an der Luft zerfallen, bietet
vorerst noch unüberwindbare methodische Schwierigkeiten.
Wenn bisher die Entstehung wirksamer Substanzen beim Zell-
zerfall bewiesen ist, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sie auch
bei lebhafter Organfunktion entstehen; es würde dabei
von quantitativen Verhältnissen abhängen, ob sie nur lokal am Orte ihrer
Entstehung wirken, oder ob sie in solcher Menge gebüdet werden, dass
sie auch in wirksamer Konzentration in den Gesamtkreislauf gelangen.
Bei geeigneter Methodik müsste sich eine solche dem gesteigerten Stoff¬
wechsel entstammende Vermehrung chemischer Reizstoffe auch im Blute
nachweisen lassen. Die Entstehung solcher Stoffe bei gesteigerter
Drüsen- und Muskeltätigkeit, die den gefässerweiternden „histamin¬
ähnlichen“ Frühgiften des Blutes entsprechen, wird von vielen Autoren
als Ursache der stärkeren Durchblutung bei der Funktion angenommen;
bei FunktionsSteigerung würden sich demnach die Organe selbst
chemische Reizstoffe bereiten, die nach der Ansicht D a 1 e s ”), B ay¬
liss”) und anderer durch direkte örtliche Erweiterung der Kapillaren
die Durchblutung vermehren. Für die Speicheldrüse ist das von
Henderson und Loewi”) wahrscheinlich gemacht. Dass auch bei
der Tätigkeit des Herzens Substanzen entstehen, die den Stoffen des
Serums in ihrer Wirkung nahestehen, hat L o e w i ”) gezeigt Er konnte
mit der Ringerflüssigkeit, die zur Speisung normalschlagender isolierter
Froschherzen gedient hatte, die Aktion anderer Froschherzen ebenso
verbessern, wie es Clark mit den alkohollöslichen Substanzen des
Serums gelungen ist Eigene Versuche haben uns gezeigt dass die
Speisungsflüssigkeit isolierter Froschherzen auch die vasokonstriktorische
Wirkung mit dem Serum gemeinsam hat
Das vorliegende Tatsachenmaterial reicht jedenfalls hin, die Hypo¬
these genügend zu stützen, dass manche Zustände, bei denen man von
„Umstimmung“ des Organismus oder auch von „Allergie“ spricht auf dem
Gehalte des Blutes an Zerfallsprodukten in vivo beruhen. Nachgewiesen
ist, dass die aus dem Zerfall labiler Gewebselemente zunächst hervor¬
gehenden Abbauprodukte pharmakologisch sehr wirksame Substanzen
sind und dass sie auch ^dann, wenn ihre Menge noch „unterschwellig“
bleibt die Erregbarkeit der funktionierenden Elemente für physiologische
Reize — nervöser und chemischer Natur — verändern und ihre Reaktions¬
fähigkeit gegenüber Giften und Arzneimitteln wesentlich modifizieren.
In allen Zuständen, in denen ein erhöhter Zellzerfall — lokal oder all¬
gemein — stattfindet oder auch nur ein lebhafter Abbau von Zellen bei
gesteigertem Stoffwechset muss daher mit der Möglichkeit gerechnet
werden, dass wirksameSubstanzen im Blute zirkulieren,
welche die Reaktionsfähigkeit des Organismus ver¬
ändern. Und umgekehrt wird man in allen Fällen, in denen sich die
Reaktionsfähigkeit gegen physiologische Reize oder gegen pharma¬
zeutische Agenten von der Norm entfernt, an die Wirkung von Zell¬
zerfalls- und Abbauprodukten als Ursache des veränderten Verhaltens
zu denken haben.
Hierher gehören zunächst die Idiosynkrasien gegen Arznei¬
mittel. Auch ihre Auffassung als Folge anaphylaktischer Vorgänge führt
die abnorme Reaktion auf die Wirkung von Zellzerfallsprodukten zurück,
aber von Reaktionsprodukten eines spezifischen, durch das Mittel selbst
ausgelösten Eiweissabbaues. Für die Idiosynkrasien gegen Substanzen,
denen keinerlei Antigencharakter zukommt, versagt diese Erklärung.
Dagegen wäre es sehr wohl denkbar, dass derartige quantitative Aende-
rungen der Empfänglichkeit einzelner giftempfindlicher Angriffspunkte
durch eine „konstitutionelle“ oder erworbene Steigerung des Zellabbaues
”) Neu: M.m.W. 1910 Nr. 48 und 1911 Nr. 34, M. Kl. 1910 Nr! 46; H o f -
bau er: D.m.W. 1910 S. 1642.
”) Hüssy: Schweiz, in. Wschr. 1920 (50) Nr. 39, Nr. 40 u. Nr. 41.
”) Dale und Laidlaw: Journ. of Physiol. 52. 1919. S. 355.
”) B a y 1 i s s: Erg. d. Physiol. 5. 1906.
”) Henderson und Loewi: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 53. 1905.
S. 63.
”) I. 0 e w i: 1. c.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNIA
1. April 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
385
in einzelnen Geweben zustande kommt. Dass die Zellzerfallsprodukte
die Angriffspunkte der Arzneimittel sensibilisieren können, lässt sich ja
erweisen; und die „eigenartige Säftemischung“ würde danach eben auf
der vermehrten Gegenwart von Substanzen beruhen, die den Ablauf
pharmakologischer Reaktionen an den Gefässen, dem Magen-Darmkanal
usw. in gleicher Weise verändern, wie sich dies an den isolierten autonom
innervierten Organen für die Wirkung von Zellzerfallsprodukten nach-
weisen lässt. ,
Während man so für gewisse Fälle von Idiosynkrasie die Gegen¬
wart von Zerfallsprodukten aus noch unbekannten Gründen anzunehmen
hätte, gibt es bekanntlich auch Arzneimittel und therapeutische Mass¬
nahmen, die selbst einen abnormen Zellzerfall oder gesteigerten Zell¬
abbau auslösen, deren Anwendung also auch zur Entstehung vermehrter
Abbauprodukte Veranlassung gibt So nimmt man seit jeher an, dass z. B.
J.o d und Arsen zu einer Gewebseinschmelzung und. da sie besonders
leicht krankhaft wuchernde Zellelemente angreiten, zu einer begrenz¬
baren Gewebseinschmelzung führen. Für die Wirkung der Strahlen-
therapie ist der Zellzerfall nachgewiesen. Es ist sehr wohl möglich, -dass
die entstehenden Zerfallsprodukte an der „umstimmenden“ Wirkung
solcher Medikamente, welche die alte Medizin als „Antidyskrasica“ be¬
zeichnet hat, sowie an der umstimmenden Wirkung der Bestrahlung und
ähnlicher Eingriffe beteiligt sind. Es würde sich dann in der Tat um
eine „Veränderung der Säftemischung“ handeln, d. h. um die Entstehung
im Blute kreisender chemisch wirksamer Substanzen aus dem Organismus
selbst. Dass sie mitunter therapeutisch günstig sein kann, wäre bei der
erregbarkeitssteigernden Wirkung der Zellzerfallsprodukte an zahlreichen
Angriffspunkten des autonomen Nervensystems verständlich, ebenso ver¬
ständlich aber auch die Schwierigkeit, die Stärke der eintretenden
Reaktion vorauszusehen und die Dosierung richtig zu treffen.
Aehnliche Gedankengänge kommen für die Erklärung der jetzt viel
erörterten Proteinkörpertherapie in Betracht, worauf kürztlich schon
Freund^“) hingewiese-n hat. Das Wesen der dabei ausgelösten Vor¬
gänge besteht höchstwahrscheinlich gleichfalls in der endogenen Ent¬
stehung von Zerfallsprodukten, die eine „Umstimmung“ des Organismus
veranlassen, d. h. die Erregbarkeit vieler funktionierender Gebilde ver¬
ändern. Es ist eine Aufgabe der Pharmakologie, auf Grund dieser
heuristischen Vorstellungen zu untersuchen, welche Funktionsänderungen
an dem Gesamtbilde beteiligt sind, dessen Vielseitigkeit man mit dem
Worte „Protöplasmaaktivierung“ oder mit ähnlichen Ausdrücken charak¬
terisieren will.
Wir haben hier immer von der Entstehung wirksamer Substanzen im
Organismus gesprochen; damit soll aber nichts darüber ausgesagt
werden, ob es sich um direkte Beeinflussung der Angriffspunkte durch
die entstandenen Produkte selbst handelt oder ob diese eine physikalische
Veränderung der zirkulierenden Eiweisskörper des Blutes hervorrufen
— „gesteigerte Labilität der Kolloide“ [Sachs ”)], „Zustandsfremdheit“
[Abderhalden*‘)J — und die so veränderten Kolloide dann die An¬
griffspunkte umstimmen.
,Wenn wir sehen, wie sich durch mannigfache Eingriffe das Milieu
für die pharmakologischen Reaktionen im Blute verändern lässt und
damit auch das Ausmass und der Ablauf pharmakologischer Wirkungen
sich ändert, so ergibt sich eine weite Perspektive für das Verständnis der
durch Krankheit und durch die Stoffwechselwirkungen der Medikamente
selbst veränderten Bedingungen ihrer Wirkung und für das in solchen
Fällen veränderte Reaktionsvermögen des Organismus,
•
Pharmakologische Wirkungen am peripheren GeUiss-
apparat und ihre Beeinflussung auf Grund einer Permea¬
bilitätsänderung der Zellmembranen durch Hydroxylionen*).
Von Dr. W. Jacobj.
Um zu einem möglichst klaren Verständnis der den peripheren
Gefässapparat beeinflussenden Oiftwirkungen zu gelangen, muss es
erwünscht sein, einen unmittelbaren Einblick in die dabei an den
Arteriolen, Kapillaren und Venenwurzeln ablaufenden Vorgänge zu ge¬
winnen. Ein hierfür besonders geeignetes und auch leicht zu
beschaffendes Beobachtungsobjekt ist das Stromgebiet der Frosch¬
schwimmhaut, welches ohne operative Eingriffe unter Erhaltung völlig
normaler Verhältnisse der Beobachtung zugänglich ist. Schon N i c k
hatte an der Schwimmhaut die Wirkungen des Kokains und einiger seiner
Ersatzmittel auf die Gefässe, sowie ihre Beeinflussung durch Suprarenin
im hiesigen Institut festzustellen begonnen und nach äusserer Applikation
der Lösungen genannter Substanzen regelmässig deutliche Gefässwirkung,
freilich nach Suprarenin nur bei Anwendung der’ Stammlösung, nach-
weisen können. Aehnliche unter Heubners*) Leitung ausgeführte
Untersuchungen hatten demgegenüber zu dem Ergebnis geführt, dass
Suprarenin bei äusserer Applikation auf die Froschhaut weder zu lokalen
Wirkungen an den Gefässen, noch zu einer allgemeinen Wirkung führe.
Auch bei den vom Vortragenden daraufhin angestellten Kontrollver¬
suchen erwiesen sich die Suprareninlösungen 1:1000 noch als wirksam.
**) F r e u n d 1. c.
^ Sachs: Theri Halbmonatsh. 1920 (34) S. 379 u. S. 405.
'^) Abderhalden: Pflügers Arch. 185. 1920. S. 322.
•) Vortrag im Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein Tübingen.
*) Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 86. S. 53.
Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 60. S. 408 u. 84. S. 1.
Digitized by Goiisle
Indessen verschwand die Wirkung schon bei einer Verdünnung 1:3000.
Um zu sehen, ob etwa nach Erschlaffung der Gefässe das offenbar durch
die Haut nur in minimalen Mengen zur Wirkung gelangende Suprarenin
dieselben stärker beeinflusse, wurden Versuche angestellt, durch lokale
VeronalnatriumappUkation eine solche Gefässerschlaffung herbeizuführen.
In der Tat konnte nach Einwirkung von Veronalnatrium regelmässig
eine ganz überraschende arterielle Gefässerweiterung mit hochgradiger
Steigerung des Kreislaufes in den Kapillaren beobachtet werden. Wurde
nun im Anschluss an das Veronalnatrium Suprarenin auf die Schwimm¬
haut gebracht, so zeigte sich dieses nun noch in Lösungen 1:20000 so
stark wirksam, dass es zum Verschwinden der Arterien und Stillstand
der Zirkulation kam, ja noch bei 1:100000, 1:5(X)000 und sogar
1:1000000 liess sich eine deutliche Arterienkontraktion nachweisen.
Bei solchen lokalisierten Suprareninwirkungen konnte man beobachten,
dass die Arteriolen sich häufig nicht in ihrer ganzen Ausdehnung kon-
tiahieren, sondern nur unmittelbar nach ihrer Gabelung umschriebene
Kontraktionsringe zeigen, offenbar weil in den Endgebieten der Ar-r
teriolen die glatte Muskulatur nicht mehr gleichmässig über das Rohr
verteilt, sondern nur an bestimmten Stellen noch vorhanden ist.
Solche umschriebene Kontraktionsringe wirken aber wie Schleusen,
welche die einzelnen Kapillargebiete von der Durchströmung ab-
zuschliessen und den Strom anderen zuzuführen erlauben. Bei der Be¬
obachtung der Kapillaren selbst, während das betreffende Gebiet unter
Suprareninwirkung stand, konnte eine Verengerung derselben durch das
Suprarenin nicht festgestellt werden. Wenn durch die Arterienverenge¬
rung die Blutströmung herabging, so gewann man den Eindruck, dass die
Kapillaren nach Aufbau und Strömung nicht gleichwertig sind, sondern
sich in zwei Arten unterscheiden lassen, die man als Strom- und Netz¬
kapillaren bezeichnen kann. Ihnen kommen wohl auch funktionell ver¬
schiedene Aufgaben zu, indem den Stromkapillaren mit gestreckterem
Verlauf und schnellerer Strömung vermutlich vor allem die Zufuhr von
Sauerstoff und durch die ansaugende Wirkung ihres Stromes das Weg¬
schaffen der beim Abbau entstehenden Stoffwechselprodukte aus den
Geweben und so die Erleichterung des Dissimilisationsvorganges obliegt,
während die in Maschen viel verzweigten Netzkapillaren mit ihrer lang¬
samen, jedoch noch unter einem gewissen Druck stehenden Strömung
im Blut gelöste Stoffe in das umgebende Gewebe zu diffundieren ermög¬
lichen und so mehr dem Assimilisationsvorgang zu dienen geeignet er¬
scheinen.
Im Anschluss an diese am Kreislauf nach lokaler Veronalnatrium-
und Suprareninapplikation beobachteten Erscheinungen wandten
wir uns der Frage zu, wie man sich die durch das Veronalnatrium bei
lokaler Applikation bedingte hochgradige Wirksamkeitssteigerung des
Suprarenins zu erklären hat. An der Hand weiterer Versuche zeigte
sich, dass diese an Sensibilisierung erinnernde Steigerung auf einer
durch das Veronalnatrium bedingten gebesserten Resorption beruht,
welche auch in einer beschleunigten Strychninresorption von der
Schwimmhaut aus nach vorangegangener Veronalnatriumvorbereitung
zum Ausdruck kommt. Diese gebesserte Resorption hängt aber nicht,
wie man zunächst wohl annehmen möchte, von der eben beschriebenen
Kreislaufsteigerung des Veronalnatriums ab. Sie tritt vielmehr auch nach
Gefässunterbindung auf, oder wenn infolge verdünnter Veronalnatrium-
lösungen die. Blutströmung nicht mehr gesteigert ist. Die Resorptions¬
steigerung muss deshalb als die Folge einer Permeabilitätsänderung der
Epidermis aufge^asst werden. Bei dieser Permeabiiitätssteigerung er-
scheipl zunächst weniger dem Veronal als vielmehr der Natrium¬
komponente und den durch sie unter Dissoziation und Hydrolyse frei¬
werdenden und zur Wirkung gelangenden Hydroxylionen die wesentliche
Bedeutung zuzukommen, weil auch bei Natriumhydroxyd und Natrium¬
karbonatlösungen, sowie bei anderen anorganischen Alkaliverbindungen
die sich abspaltenden Hydroxylionen zu gleicher Resorptionssteigerung
und Gefässerweiterung führen. Da aber bei letzteren, wie im Ori¬
ginal eine Tabelle zeigt, die Hydroxylionenkonzentration bei noch
unwirksamen Lösungen noch erheblich höher als bei dep stark wirk¬
samen Veronalnatriumlösungen sind, so muss der Veronalkomponente doch
auch ein Anteil an der spezifischen Wirkung zukommen. Für eine
Permeabilitätssteigerung bietet die Froschschwimmhaut besonders gün¬
stige Verhältnisse, da hier nur die eine von einer Kutikula überzogene
Kornuumzellschicht das Resorptionshindernis bildet. Sie erscheint des¬
halb für solche Permeabilitätsversuche besonders geeignet. Bei dieser
durch Hydroxylionen anorganischer Alkalien und das Veronalnatrium
hervorgerufenen Permeabilitätsteigerung handelt es sich nicht um eine
irreversible Aetzwirkung, sondern um eine spezifische Beeinflussung der
Membran, die mit dem Verschwinden der wirksamen Ionen reversibel
ist, denn schon K —% Stunde nach Entfernung der Veronalnatriumlösung
und etwa 1 Stunde nach Abspülen der weit stärker alkalischen Natrium¬
karbonatlösung war die Permeabilitätssteigerung wieder verschwunden.
Dieser spezifische Einfluss besteht bei den negativ geladenen Hydroxyl¬
ionen wohl in einer durch sie bewirkten Dekondensation der Kolloide
des Zellprotoplasmas und der Lipoidmembranen, welche die Ouellungs-
fähigkeit der Eiweisskolloide und die Durchlässigkeit derselben wie der
Lipoide für Wasser steigert.
Die durch die Veronalkomponente bedingte Verstärkung der
Hydroxylionenwirkung dürfte auf ihrer Lipoidlöslichkeit in Verbindung
mit ihrer Beziehung zum Natrium beruhen. Auch das Saponin, dessen
hämolytische Wirkung darauf zurückgeführt*) wird, dass es mit den
Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 88. S. 333.
*) Meyer und Gott lieb: Exper. Pharm. 1914 S. 330 u. 543.
3*
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
386
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Lipoiden der Blutkörperchen eine Verbindung einzugehen vennag, be¬
dingt, wie ebenfalls durch Versuche gezeigt werden konnte, eine
Resorptionssteigerung an der Epidermis und Gefässerweiterung in der
Schwimmhaut, die offenbar gleichfalls auf Beeinflussung der Kutikula-
lipoide beruht, auch ohne dass Hydroxylionen in Frage kommen.
Da die Kohlensäure däs an Eiweiss gebundene indiffusible Alkali
in diffusibles überführen kann'^) und dieses nach Dissoziation unter
Hydrolyse zum Auftreten freier Hydroxylionen führt, welche PermeabÜi-
tätssteigerung der Membranen der Gefässe, wie der Zellen zu bedienen
vermögen, so Hesse sich hierauf vielleicht die gefässerweiternde Wirkung
der Kohlensäure und die bei ihrer pathologischen Ansammlung auftretende
Quellung“) der Gewebe erklären. Auch könnte ihr auf dieser Wirkungs¬
grundlage ein regulatorischer Einfluss auf die normalen Lebensvorgänge
zukommen.
Die Diff^rentialdiagnose der Schwangerschaftsglykosurie
Und des Diabetes bei Schwangerschaft.
Von Prof. Dr. H. Salomon, Wien.
Die Schwangerschaftsglykosurie ist ein völlig harmloses Vorkomm¬
nis, der echte Diabetes ist eine immer ernstzunehmende, oft äüsserst
ernste Komplikation der Schwangerschaft. Darin liegt es schon aus¬
gedrückt, dass es von grosser klinischer Bedeutung sein muss, im Einzel¬
falle die Unterscheidung treffen zu können, um welche Form der
Zuckerausscheidung es sich handelt. Ich hoffe, zeigen zu können, dass
in der übergrossen Anzahl der Fälle die Unter¬
scheidung gelingt. Bei einem sehr kleinen Prozentsatz der
Schwangeren wird man nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose stellen
könnejj, sehr selten freilich wird man auch ein non liquet aussprechen,
dann votsichtshalber echten Diabetes annehmen und erst dem weiteren
Verlauf die Entscheidung Vorbehalten müssen.
Klinisch ist die Trennung zwischen Graviditätsglykosurie und Dia¬
betes schon eine alte. Lecorche (Du diabete sucrö chez la femme,
Paris 1886, Ed. Delahaye et Lecroisnier) sowie Dune an (Transactions
of the London soc. of obstet. Vol. 36 1888) sondern scharf zwischen
den beiden Zuständen und weisen die Möglichkeit eines Uebergangs
zwischen ihnen durchaus zurück. Die Trennung verlor aber in den
letzten Jahrzehnten immer mehr an Schärfe, je mehr die Pathologie
immer weitere Veränderungen endokriner Drüsen bei der Schwanger¬
schaft aufdeckte, welche zu Analogisierung mit dem Pankreasdiabetes
geradezu einladen mussten. Schwangerschaftshyperplasie der Hypo¬
physe und der Thyreoidea setzen ein, selbst Veränderungen der
Langerhanssehen Inseln des Pankreas sind beschrieben, die Leber
zeigt gewisse Abweichungen ihrer Arbeitsleistung (alimentäre Lävu-
losurie), Vermehrung des Aminosäuren- und Peptidstickstoffes im Harne
(Literatur bei v. N o o r d e n: Die Zuckerkrankheit, P o r g e s in
V. Noorden und Kamin er: Krankheiten und Ehe. B. As ebner:
Die Blutdrüsenerkrankungen des Weibes, Wiesbaden 1918.)
Vermehrte Säuerung des Blutes (L. Zuntz: Arch. f. Gyn. 90.,
Haaselbalch: Skand. Arch. f. Phys. 27., Leimdörfer, Novak
und Porges: Zschr. f. klin. Med. 75.), vermehrte Neigung zu Azeton¬
bildung (Stolz: Arch. f. Gyn. 65., besonders Porges und Novak:
B.kl.W. 1. 11. Nr. 39) können weiterhin als Analogien zum Pankreas¬
diabetes angeführt werden. Es ist daher begreiflich, wenn Hirsch-
f e 1 d (B.kl.W. 1910 Nr. 23) keine sichere Grenze zwischen Schwftnger-
schaftsglykosurie und Diabetes sieht. Auch v. Noorden (Die Zucker¬
krankheit, 7. Aufl., 1917) sowie v. Noorden und H. S a l o m o n (Hand-
der Ernährungslehre, Berlin 1920) haben die Schwierigkeiten der Sach¬
lage weitgehend gewürdigt.
Stärkere diagnostische Anhaltspunkte für eine Sonderung der
Schwangerschaftsglykosurie konnte man erhoffen, als Novae, Porges,
und S t r i s 0 V e r (Zschr. f. klitx M. 78. 1913), B e r g s m a (Zschr. f.
Geburtsh. 72. 1912), Mann (Zschr. f. klin. Med. 78. 1913), Frank
(30. Kongr. f. inn. Med. 1913) für die renale Natur der Schwangerschafts¬
glykosurie eintraten. Die kennzeichnendste Eigenschaft des Nieren¬
diabetes ist ein Stand des Zuckerspiegels auf normale Höhe d. h. unter¬
halb 6,11 Proz. bei vorhandener Harnzuckerausscheidung (Entnahme des
Blutes im Nüchternzustande), ferner Fehlen der alimentären Hyper¬
glykämie, d. h. eine Stunde nach stärkster Kohlehydratbelastung etwa
mit 100 g Trauben- oder auch Rohrzucker, 150 g Brot mit reichlich Honig
steigt der Blutzucker nur um Zentigramme an, jedenfalls nicht über
0,15 Proz.
B a u d 0 i n (Etudes sur quelques Glykhemies, Thfese de Paris, 1908,
G. Jacques. 6diteur) stellt als glykämischen Quotienten das Verhältnis
des Blutzuckerwertes nach = zu dem Blutzuckerwerte vor alimentärer
Belastung auf. Er rechnet als äussersten Grenzwert p 0,165. Frank
(E. Frank: Zschr. f. phys. Chem. 70.'1910/11. 291) nimmt 0,160 an,
Bergsma 0,170—0,175. Mit Wijn Lausen und Elzas (Arch. f.
Verdauungskrkh.) möchte ich mich lieber an die absolute Höhe des
alimentären Zuckerwertes im Blute halten und von alimentärer Hyper¬
glykämie bei Werten sprechen, die über 0,15 Proz. hinausgehen, denn
r». * Nüchternblntzucker 0.06 , . ^ ^ .
sowohl der Quotient -^(„ 1 . Blutzucker 012 »«ch der Quotient
*) Hamburger: Osmotischer Druck und lonenlehre in den medi-
ainischen Wissenschaften.
•) V 0 1 h a r d; Erkraakungen der Nieren. Hb. d. inn. Med. von Mohr
UBd S t a e b e 1 i n. III. Teil II. S. 1250 ff.
j - sind = 2.0. Den erstangeführten wird man nicht
Nüchternblutzucker 0.1
im Sinne einer Hyperglykämie verwenden, wohl aber den zweiten.
Ehe wir uns aber näher mit den Blutzuckerverhältnissen der Gra¬
viditätsglykosurie befassen, erscheint es geeignet, das klinische Bild
derselben zu betrachten. Dasselbe ist wenigstens in der Erscheinungs¬
form der gleichmässigen unbedinflussbaren niedrigen Glykosurie genügend
charakteristisch, um mit hohem Grade von Wahrscheinlichkeit bereits
die Diagnose zu stellen.
Wie der Diabetes innocens (H. Salomon: D.m.W. 1914 und
W.kl.W. 1919 Nr. 35) bietet sich die Graviditätsglykosurie in 3 Formen
dar:
1. die weitaus häufigste, die der gleichmässigen niedrigen Gly¬
kosurie. Es werden bei Entdeckung der Störung unter gemischter Kost
einige, sagen wir 6 Zehntel Proz. Zucker ausgeschieden. Man entzieht
die Kohlehydrate, die Ausscheidung geht um einige Zehntel zurück und
sinkt bei Gemüsetagen beispielsweise auf 1—2 Zehntel Proz. Man gibt
wieder kohlehydratreiche gemischte Kost. Es steigt die Glykosurie
wieder nur um wenige Zehntel (vergl. Tab. 1).
Für einen echten Diabetes ist ein solches Verhalten mindestens sehr
ungewöhnlich. Wenn derselbe eine nqr geringe Intensität besitzt, wie
sich das darin äussert, dass zur Zeit der Krankheitsentdeckung unter
Normalkost die Glykosurie sehr geringgradig ist, so pflegt dieselbe unter
kohlehydratfreier Kost oder sogar Kh-armer und eiweissarmer Kost
(Gemüsetagen) bald zu schwinden. Wenn umgekehrt ein echter Diabetes
ein solches Mass von Intensität erreicht hat. dass er auch unter strenger
Diät und Gemüsetagen nicht zu entzückern ist, so pflegt eine Kost reich¬
lichen Kohlehydratgehaltes die Zuckerausscheidung auf hohe Prozent¬
zahlen und Gesamtausscheidung anschwellen zu lassen. Demgegenüber
verhält sich die typische Form des Schwangerschaftsdiabetes zum Bei-
piel folgendermassen:
Ilurnmenge
Zucker
Proz.
Zucker
pro Tag
Azeton
pro Tag
Diät
1500
0,5
7,6
0
Gewöhnliche Diät
1260
0,85
4,87
0,88
Kohlehydratfreie Diät (strenge Diät)
1260 '
0,2
2,6
0,84
Gemüse. lO Eier
1800
0,7
9,1
Spur
Gewöhnliche gemischte Kost
2. Es besteht noch eine gewisse Toleranz, erst bei einer gewissen
Höhe der Kohlehydratzufuhr tritt Zuckerausscheidung auf. So lautete die
Krankengeschichte eines kürzlich von mir gesehenen Falles folgender¬
massen :
Fall 1, Sch., 30 Jahre, ein Kind von 11 Jahren. Familiär stark be¬
lastet. Mutter hatte Zucker, der mit 5 Proz. begann, eine Tante starb an
Diabetes. Ein Onkel mütterlicherseits hatte flüchtige Glykosurie, ebenso
ihr Vater; die Glykosurie schwand bei ihm völlig. Ferner litt ein Bruder
von ihr an einer flüchtigen, spontan geschwundenen Glykosurie.
Januar 1918 bei zufälliger Harnanalyse 0,05 Proz. Zuqker im Harn
gefunden, etwas später Abort im zweiten Monat.
April 1918 Zucker in „Spuren“.
Juli 1918 0,4 Proz. Zucker. Kur in Karlsbad. Zucker schwand.
August 1918 gravid. Letzte Periode 18. VII. 18. Im Anfänge der Gravidität
kein Zucker, letzte Analyse vom 26. IX. zuckerfrei; am 2. XI. 0,15 Proz.
Zucker, am 5. XI. 0,3 Proz.
Datum
Hammenge
Zucker
Proz.
Azeton
FeCl,
Kost
7. XI.
' 1600
0
H-
• ■
Strenge Diät
8. XI.
1200
.0
1,01
Strenge Diät -}- 4 mal SO g Brot
9. XI.
ISno
0
0,84
0
Strenge Diät, I20g Brot -f- O^O g Kartoff.
10. XI.
1250
0,2
0,18
0
Strenge Diät, 120g Brot -f 500 g Kartoff.
l. XI.
1875
1 0,1
0
0
-j- 100 g Mehl
Gemischte Kewt ohne direkt Zucker
Nach der Entbindung weiterhin bei gemischter Kost ^zuckerfrei. -
Diese Erscheinungsform bietet gegenüber der eines gewöhnlichen
Diabetes mit hoher Toleranz keine Unterschiede dar. Höchstens, dass
auch hier es auffällig erscheint, wie eine hohe Kohlehydratbelastung
keine wesentliche Anschwellung der Zuckerausscheidung bewirkt.
3. Die 3. Erscheinungsform, die bei weitem seltenste, ist die einer
prozentual = und damit auch in der Qesamtausscheidung höheren Gly¬
kosurie. Sie ist natürlich klinisch auch nicht von einem genuinen Dia¬
betes zu unterscheiden, sondern nur nach Kenntnisnahme der Blut¬
zuckereinstellung. Höhere Werte als 3 Proz. resp. 50 g Totalausschei¬
dung bei gemischter Kost habe ich übrigens nicht gesehen, sie dürften
praktisch fast immer auf echten Diabetes zu beziehen sein.
Es ist gewiss richtig, dass der echte Diabetes mehr subjektive Sym¬
ptome macht, Schwächegefühl, gesteigerten Hunger und Durst, neural¬
gische Schmerzen, Pruritus. Der letztere ist aber begreiflicherweise auch
bei der Schwangerschaftsglykosurie manchmal vorhanden und unter dem
Drucke des Krankheitsbewusstseins können autosuggestive Momente
manche Beschwerden des eigentlichen Diabetes in das Krankheitbild
hineintragen.
Welche diagnostischen Sicherungen erwachsen nun aus der Blut¬
zuckeruntersuchung? Hier ist zu bemerken, dass die Möglichkeit, mit
kleinen Mengen Blutes auszukommen, wie das namentlich bei der
Bangschen Methodik gegeben ist, die wiederholte Untersuchung sehr
erleichtert und daher den Arzt der Notwendigkeit enthebt, auf Grund
vereinzelter und daher Zufälligkeiten mehr unterworfener Uhtersuchungs-
befinfde ein so verantwortungvolles Urteil abzugeben. Ein Teil der mir
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNfA
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
zur Verfügung stehenden Untersuchungsbefunde wurde noch unter Ent-
eiweissung nach Schenk gravimetrisch nach Pflüger-Allihn vor¬
genommen, die überwiegende Anzahl wurde letzterzeit von Dr. C h a r -
n a s nach einem von ihm noch nicht publizierten Verfahren, das, wi^ ich
mich überzeugt, mit Pfiüger-Allihns Bestimmungen bestens
übereinstimmt, vorgenommen. Man untersucht nun zunächst das Blut
der nüchternen Kranken. Ein Zuckerwert von 0,1 Proz. oder ein noch
tieferer Wert spricht bereits sehr für Qraviditätsglykosurie, besonders
allerdings dann, wenn der gleichzeitig entleerte Harn pckerhaltig be¬
funden w'urde. Der echte Diabetes hat bei Qlykosurie meist, wenn
auch nicht immer, einen erhöhten Nüchtemblutzucker.
Bei der nun folgenden Untersuchung nach Kohlehydratbelastung hat
man nun sich darüber klar zu werden, wie gross klinisch der Verdacht
ist, dass es sich um wirklichen Diabetes handele. Man wird dann näm¬
lich vorsichtiger vergehen und die Belastung mit direktem Zucker noch
vermeiden. Bei der erstgenannten Gruppe der kontinuierlichen Niedrig-
glykosurie,- die in so hohem Masse schon für die Schwangerschafts-
glykosurie charakteristisch ist, kann man ruhig direkt mit 50 g Zucker
beginnen und 1 Stunde nachher prüft man den Stand der Glykämie.
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Schwangerschaftsdiabetes
bleibt der Blutzuckerwert ungeändert oder steigt nur um wenige Zenti¬
gramme an, um jedenfalls unterhalb des Wertes von 0,15 zu bleiben.
Man kann dann, namentlich wenn auch der Harnzucker nur wenig
reagiert hat, bei der nächsten Prüfung dreist zu stärkster Kohlehydrat¬
belastung mit 100 g Zucker, Brot und Honig übergehen. In klinisch
klarliegenden Fällen habe ich oft primär mit dieser Provokation be¬
gonnen.
Bei Form 2 oder 3, bei denen die Möglichkeit echten Diabetes
wenigeY leicht auszuschalten ist, rate ich, zunächst mit 150 g Brot
zu belasten und Zucker 50—100 g nur dann hinzuzufügen, wenn kein
wesentliches Anwachsen des Blutzuckers erfolgte. 150 g Brot pflegen
beim echten Diabetiker meistens schon den Blutzucker auf Werte ober¬
halb 0,15 in die Höhe zu treiben.
Es ist kein Zw^eifel, dass man einen Diabetiker, auch einen leichten,
durch Ueberstürzung mit Kohlehydrat sehr schädigen kann, mindestens
subjektiv. W. W e i 1 a n d (HK-Kuren und Alkalith bei Diabetes mellitus,
Zbl. f. exp. Path. u. Ther. 12. 1913. 116) hat sich durch die Erwägung
völlig von der diagnostischen Benutzung alimentärer Hyperglykämie ab¬
halten lassen. Von einem Standardverfahren mit 50 g Traubenzucker,
wie es A. Hahn und R. Offenbacher (D.m.W. 1919 Nr.47) emp¬
fehlen, Ist daher abzuraten und, je nach Lage des Falles vorsichtig
tastend vorz’igehen, wie es auch Graham (Diabetes innocens, Ouar-
terly Joum. of Med., April 1917) anrät, der mit 10 g Zucker beginnt
Die Ergebnisse der Blutuntersuchung bei den glykosurischen
Schwangeren gliedern sich nun 3fach:
1. Der. Nüchternblutzucker liegt bei 0,1 Proz. oder tiefer. Bei ali¬
mentärer Belastung, selbst hochgradiger, tritt nur ein geringradiges An-
schwellen auf, jedenfalls bleiben auch dann die Zahlen unterhalb
0,15 Proz. Derartiger Untersuchungsausfall ist typisch für die Gravidi-
tätlsglykosurie und lässt, durch mehrfache Bestimmung erhärtet, jene
Diagnose mit vollem Mass von Sicherheit stellen.
Bei der Graviditätsglykosurie ist diese Einstellung der Sachlage die
bei weitem häufigste. So sah ich in den letzten 4 von mir hinter¬
einander beobachteten 4 Fällen den Nüchternblutzucl^er stets unterhalb
0,1 Proz., den Belastungsblutzucker nicht oberhalb 0,12 Proz.
2. Der Nüchternblutzucker ist niedrig wie bei 1. Bei alimentärer
Belastung tritt eine Erhebung bis über 0,15 Proz. ein. Dieses Verhalten
bedeutet schon eine gewisse Schwäche der Kohlehydratassimilation,
findet sich aber bei einer gewissen Anzahl „Gesunder“, d. h. Neur¬
astheniker etc., ohne dass man darum in ihnen bereits Diabeteskandi¬
daten sehen muss (vergl. die Verhältnisse bei Diabetes innocens,
H. S a 1 0 m 0 n, 1. c.). Es ist daher diese Form der alimentären Hyper¬
glykämie mit der Diagnose „Graviditätsglykosurie“ durchaus verträglich
und man ist zu dieser Diagnose berechtigt, wenn die klinischen Daten
in diesem Sinne sprechen. Aber man hat nicht die Sicherheit, wie im
Fall 1, sondern kann nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose stellen, die
je nach der Lage des Gesamtkrankheitsbildes auch der Diagnose Dia¬
betes Erwägung frei hält.
Paula Grünthal (Beitr. zur Frage des renalen Urspmngs der
Schwangerschaftsglykosurien, Inaug.-Diss., Breslau 1920) betrachtet auf
Grund längerer Blutzuckerkurven 0,2 Proz. Blutzucker nach 100 g Trau¬
benzucker als Grenze des Normalen. Werte oberhalb 0,15 Proz. habe
ich nach Roh/zuckerdarreichung bei der Graviditätsglykosurie nur selten
gesehen,'halte sie aber und selbst Werte, die über 0,2 Proz. erheblich
hinausgehen, i.och für völlig vereinbar mit der Diagnose der Graviditäts¬
glykosurie. Stand des Nüchternblutzuckers und die klinische Gesamt¬
lage fallen hie/ für die Diagnose w^esentlich ins Gewicht.
3. Bereits der Nüchtemblutzucker ist hoch, bei alimentärer Be¬
lastung tritt ein weiteres AnschweJlen ein. Eine solche Situation ist
kennzeichnend für den echten Diabetes und muss diagnostisch in diesem
Sinne verwertet werden.
An dieser Erwägung ändert es nichts, dass von Klemperer
(B.kLW. 1892), von mir. später von G. Rosenfeld (B.kl.W. 1916
Nr. 40) Fälle von aller Wahrscheinlichkeit nach renalem Diabetes mit
hohem Nüchteinl lutzucker veröffentlicht wmrdeni Die Arbeitsgeschwin¬
digkeit auch der vermehrt zuckerdurchlässigen Niere ist nicht so prompt,
als dass sie augenblicklich jede irgendwie bedingte Blutzuckererhöhung
durch vermehrte Zuckerabfuhr ausgleichen könnte. Das zeigt der nicht
seltene Befund alimentärer Hyperglykämie bei Diabetes innocens. Ge¬
rade die Tatsache, dass alimentäre und, in seltensten Fällen, auch Nüdi-
ternhyperglykämie renalen Diabetes und damit benigneste Prognose nicht
ausschliesst, liess mich seinerzeit den nichts vorwegnehmenden Begriff
des *Diabetes innocens aufstellen. Wir können aber den letzteren bei
Fällen mit hohem Nüchternblutzucker nur retrospektiv nach langen
Jahren harmlosesten Verlaufes diagnostizieren, ja schon bei Fällen ali¬
mentärer Hyperglykämie (Klasse 2) müssen wir manchmal die Dia¬
gnose in suspenso lassen und dem Ergebniss einer längeren Wartezeit
Vorbehalten.
In praxi ist also schon bei jedem Falle der Klasse 2 diagnostische
Vorsicht geboten, solchen der Klasse 3 aber muss man, soweit es sich
um die Diagnose Graviditätsglykosurie handelt, mit allergrösstem MIss-
• trauen gegenüberstehen.
Ich kann daher Umber nicht ganz beipflichten, wenn er in einem
der von ihm kürzlich veröffentlichten Fälle (Ueber Coma diabeticum
bei Schwangeren, D.m.W. 1920 Nr. 28) gewissermassen einen deletär
verlaufenen Fall von Diabetes innocens sieht (Fall 3). Schon der pro¬
zentual hohe Anfangszuckerwert (4,1 Proz.) schliesst zwar nach dem
Gesagten wohl einen Schwangerschaftsdiabetes nicht grundsätzlich aus.
aber so hohe Prozentwerte sind, ausser nach direkter Zuckerzufuhr, bei
der Schwangerschaftsglykosurie doch noch nicht beobachtet worden
und müssen bei der Einschätzung des Zustandes besondere Vorsicht auf¬
erlegen. Der Blutzucker des ersten Beobachtungstages (offenbar im
Nüchternzustand entnommen) betrug 0,156 Proz., später im Koma,
2 Stunden nach der intravenösen Infusion von 22^1 g Lävulose,
— 0,435 Proz.! Es war allerdings ein einzelner Blutzuckerwert, offen¬
bar nüchtern, nach ^3 kohlehydratfreien Tagen = 0,107 Proz., wie
das ja auch bei echtem Diabetes vorkommt, das kann aber gegenüber
den betonten anderen gravierenden Hinweisen nicht allein massgebend
sein, zumal niedrige Nüchtern blutzuckerwerte ja auch bei echtem
Diabetes (v. N o o r d e n u. a.) Vorkommen können, namentlich auch
nach therapeutischer Beeinflussung.
Einen derartigen Fall wird man daher als genuinen Diabetes auf¬
fassen, wie das übrigens auch Umber, wenn ich ihn recht verstehe,
doch tut.
Natürlich wird oft die Unterscheidung zwischen Graviditäts¬
glykosurie und Diabetes dadurch erleichtert, dass eine Erkrankung an
Diabetes bei der Patientin schon vor der ^hwangerschaft festgestellt
war. Man muss aber auch dann sich darüber klar werden, ob es sich
in der Tat um wirklichen Diabetes handelte. Denn der renale Dia¬
betes (Diabetes innocens) ist, wrie ich mehrfach hervorhob, keine seltene,
sondern eine häufige Erkrankung, bei jungen Leuten besonders, um
sich bei einem Teil derselben später zu verlieren, und kann daher schon
vor der Schwangerschaft bestanden haben. Ferner ist es ein nicht sel¬
tenes Vorkommnis, dass der in der Schwangerschaft zuerst aufgetretene
oder zuerst bemerkte renale Diabetes auch nach Beendigung der Schwan¬
gerschaft fortbesteht.
Da diese Dinge doch grosse praktische Bedeutung haben, sei eine
Krankengeschichte dieser Art wiedergegeben. '
Fall II. Frau R.. 35 Jahre alt. ein Kind von 7 Jahren.
t Am 26. VIII. 1918 wurde bei ihr, die sich in einer Gravidität vom 3. Monat
befand, gelegentlich zufälliger Harnuntersuchung Zucker festgestellt. Die Auf¬
nahme in ein Sanatorium erreichte nach den Angaben der sehr intelligenten
Kranken und des Hausarztes keine Entzuckerung, die Ausscheidungen
schwankten von 0,2—0,6 Proz., bei kohlehydratfreier Kost trat „viel Azeton"
auf. Obwohl der sehnliche Wunsch der Kranken bestand, die Schwangerschaft
auszutragen, wurde aus Gründen der Vorsicht der Abort am 27. IX. ein¬
geleitet. Seitdem hat die Kranke gemischte Kost genossen, den Harn aber
— aus Vogel-Strauss-Politik — nicht wieder untersucht. Am 16. X. wurde ich
zum ersten Male Yu der Kranken im Konsilium mit dem Hausarzte gebeten.
Sie befand sich im Stadium einer Grippepneumonie, bei der Harnuntersuchung
hatte man 0.6 Proz. Zucker gefunden.
Die Tabelle der früheren Sanatoriumsbeobachtung und -behandlung zeigte,
dass man sich redlich bemüht hatte, mittelst kohlehydratfreier Kost ebenso wie
mittelst Gemüse-Kohlehydratkuren die Kranke zu entzückern, ohne dass es
gelungen wäre — von einem Gemüse-Eier-Tage abgesehen — Zuckerfreiheit zu
erreichen, es blieben stets einige Zehntelprozente Zucker zurück. Mehr als
das hatte die Kranke aber auch unter ihrem gewöhnlichen Menu nicht aus¬
geschieden. Diese Erwägung lie.ss cs naheliegend erscheinen, dass man es
seinerzeit mit einer Schwangerschaftsglykosurie zu tun hatte, und dass auch
jetzt es sich um dieselbe Form der Glykosurie handele, die nur post partum
weiterbestanden habe. Die zur Sicherung der Diagnose vorgeschlagenen Blut¬
untersuchungen verschob die Kranke auf einen späteren Zeitpunkt. Jeden¬
falls riet ich therapeutisch, abgesehen von der Vermeidung direkten Zuckers,
die Kost nur aus den allgemeinen Rücksichten des fieberhaften Zustandes und
der zu gewärtigenden Rekonvaleszenz leiten zu lassen.
Mai 1919 befand sich die Kranke im 3. Monat neuer Schwangerschaft.
Sie hatte, wie sie. angab, nach Ablauf der im Oktober 1918 bestandenen
Lungenentzündung bis Anfang Februar 1919 den Harn dreimal kontrollieren
lassen, er war stets zuckerfrei befunden wordep, nur am 10. II. 1919 war
wieder 0.05 Proz. Zucker = 0,87 g pro Tag feltgestellt worden. Nachdem
sich Patientin schwanger fühlte, waren bei weiteren Prüfungen stets mehrere
Zehntclprozent gefunden worden. Es handelte sich nun darum, ob man die
Verantwortung dafür übernehmen könne, dass sich bei dem erwünschten
Weiterbestehen der Schwangerschaft der Diabetes nicht verschlimmern werde.
Eine kurze Sanatoriumsbeobachtung zeigte die Verhältnisse fölgendermassen:
(Siehe nachstehende Tabelle.)
Nach diesem eindeutigen Befunde, der zweimal jede alimentäre Hyper¬
glykämie vermissen liess, schien die Austragung der Schwangerschaft völlig
erlaubt. Die Kranke wurde am 4. I. 20 von einem gesunden Kinde entbunden.
Nach der Entbindung verlor sich die Qlykosurie wieder. Doch wurde die
Kranke in der ersten Maiwoche 1920 durch Jucken und Brennen an der Scheide
belästigt, die Harnuntersuchung ergab 0,1 Proz. Zucker, ebenso am 23. VI.;
Periode völlig normal. Blutzucker nach -einer Stunde nach 100 g Rohrzucker
+ 150 g Brot = 0,078 Proz.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
388
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
• W fmf-
Nr. 13.
Datum
Hanimenge
Zucker
Proz.
Zucker
zusam¬
men
FeCls
26. V.
1800
0,9
11,7
0
•
27. V.
FO
0,6
0,48
0
10*0 Uhr
120
0,2
0.24
0
40
3,8
1,52
0
Rest 900
9,0
i
0 1
i 1,24
1
28. V.
175
1,2
2,1
0
Rost 700
0,9
6,3
8.4
29. V.
860
0,5
4,25
0
Kost
Gemischte kohlehydrutliAltige Kost,
Milchzucker und reichlich Schrotbrot
wegeu Obstipation
Teilmenge, im Niichternzustand Blut¬
zucker 0,070 Proz , Kost wie 26 V.
Teilmentre, unmittelbar vor Einnuhme
von 100 g Rohrzucker und i.'iO g Brot
Teilmenge, Blutzuckej' 1 Stunde nach
der Belastung = 0,065 Proz.
Kost ebenso wie 26 V , Teilmenge,
frühmorgens t Stunde nach Belastung
mit inO g Kolirzucker -f 150 g Brot.
Blutzucker 1 Stunde nach der Be¬
lastung = 0,071 Proz.
Gemiscltte kohlehydrathaltige Kost
wie 26. V.
i
Hier handelte es sich offenbar um einen renalen Diabetes, der in den
Schwangerschaften eüazerbierte, aber mehr minder auch ohne Gravidität
mindestens zeitweilig bestand.
Da mir Patientin früher erzählt hatte, dass auch ihr Vater an Zucker¬
ausscheidung leide, erbat ich dessen Besuch. Die Qlykosurie war bei
dem an Prostatahypertrophie leidenden, sonst gesunden Herrn vor
4 Jahren zufällig zuerst bemerkt worden, sie war nie über 1 Proz. hinaus¬
gegangen. Bei der Untersuchung ergab 5 ich morgens nüchtern: Harn zucker¬
frei, Blutzucker 0,106 Proz. nach Gabe von 100 g Rohrzucker und 150 g Brot,
eine Stunde später Harn 0.15 Proz. Zucker. Blutzucker — 0,126 Proz.
Der Kranke gab an, niemals diätetische Rücksicht auf die Zucker¬
ausscheidung genommen zu haben, die in letzter Zeit fehlte oder nur sehr
gering befunden wurde. Auch bei ihm lag offenbar ein innozenter Diabetes
mit nur geringer alimentärer Hyperglykämie vor, entsprechend der Tatsache,
dass man bei der Entdeckung eines Diabetes innocens sehr häufig entsprechend
dem familiären Charakter des Leidens weiterer Fälle in Aszendenz oder Des¬
zendenz habhaft wird.
Aehnlich wie bei Frau R. ein in der Schwangerschaft entdeckter
renaler Diabetes nach der Entbindung Weiterbestand, war bei dem
weiter oben beschriebenen Falle 1 ein schon vorher bestehender
renaler Diabetes durch die Schwangerschaft aktiviert worden. Diese
Vorkommnisse sind verhältnismässig durchaus häufig, und ich verfüge
über eine ganze Reihe derartiger Erfahrungen. Meist wurde das Fort¬
bestehen des Diabetes zwischen den Schwangerschaften zum Anlasse
der Diagnose echter Diabetes und der Unterbrechung der Gravidität ge¬
nommen, wie überhaupt die Oraviditätsglykosurie vielen artifiziedlen
Aborten als Unterlage dient.
Es ist aber keineswegs berechtigt, aus der Tatsache, dass eine in
der' Schwangerschaft be^nerkte Zuckerausscheidung nach der Entbindung
fortbesteht, den Schluss zu ziehen, es handle sich also um eine echte
diabetische Erkrankung mit all ihren prognostischen und therapeutischen
Konsequenzen. Vielmehr muss die Möglichkeit des Diabetes innocens
in Erwägung gezogen und eventuell auf dem Wege der Blutuntersuchung
studiert werden.
Für die Art des Zustandekommens der Oraviditätsglykosurie haben
wir keine Anhaltspunkte. Für den Diabetes innocens halte ich es aber
für wahrscheinlich, dass er vom Zentralnervensystem ausgelöst wird
und dass man nur des Zentrums für die ohne Hyperglykämie erfolgende
Zuckerdurchlassung der Niere noch nicht habhaft geworden ist. Wenn
man es nach Analogie der Erfahrungen mit dem Salzstich ins Zwischen¬
hirn verlegt, so könnte hier eine direkte oder indirekte Wirkung in der
Schwangerschaft durch die Schwellung der Hypophyse erfolgen. Viel¬
leicht könnte selbst durch eine Beeinflussung benachbarter Bahnen oder
des Zuckerstichzentrums die manchmal erhebliche alimentäre Hyper¬
glykämie sich erklären.
lieber die Retention von Piazentarresten nach recht¬
zeitigen Geburten').
Von W. Zangemeister, Marburg a. L.
Das Zurückbleiben von Plazentarresten nach rechtzeitigen Geburten
ist keineswegs ganz selten. Unter rund 7000 Geburten der Königsberger
und Marburger Klinik ereignete sich dies 32 mal, also etwa unter
200 Geburten 1 mal. Wie die Erfahrung lehrt, ist diese Störung dann
harmlos, wenn sie sofort post partum bemerkt und be¬
hoben wird. Wesentlich schlimmer aber sind die Folgen, wenn die
Retention zunächst übersehen wird: denn schwere Infektionen
schliessen sich nicht selten an die wegen Blutungen im Wochenbett
meist nicht zu umgehende Ausräumung der Reste an.
Ich will dies durch Zahlen belegen: Unter 22 Fällen [der Marburger*)
und Kieler *) Frauenklinik] von zurückgebliebenen Plazentarstücken, welche
sofort p. p. ausgeräumt wurden, erkrankten nur 3 Wöchnerinnen an leich¬
tem Fieber: keine Wöchnerin starb an einer Infektion. Unter 34 PJazentar-
resten derselben Kliniken, die erst im Wochenbett bemerkt wurden, starben
hingegen 4 — 12 Proz. an Infektion. Während 5 dieser Fälle, in welchen
der Plazentarrest im Wochenbett spontan ausgestossen wurde, nicht
Nach einem Vortrag in der Mittelrheinischen Gesellschaft f. Oeburtsh.
11 . Gyn. zu Frankfurt a. M.
*) Vergl J e s s, Diss., Marburg 1919.
=*) Höhne: Zbl. f. Gyn. 1914 S. 1465.
nennenswert erkrankten, fallen die 4 infektionstodesfälie auf die übrigen
29 Wöchnerinnen, bei welchen der Plazcntarrest ausgeräumt werden musste.
Also: nur in V? der Fälle kann man auf rechtzeitge spontane Ausstossung
des Plazentarrestes im Wochenbett rechnen; und in der übrigen Fälle,’
in welchen ausgeräumt werden muss, folgt diesem Eingriff eine tödliche In¬
fektion.
In Erkenntnis dieser ungünstigen Verhältnisse hat Winter seiner¬
zeit vorgeschlagen, die Ausräumung von Plazentarresten im Wochenbett
bei vorhandenen Infektionserscheinungen möglichst zu unterlassen und
deren spontane Ausstossung zu begünstigen. Die praktische Erfahrung
hat jedoch gezeigt, dass man infolge auftretender Blutungen nur in sel¬
tenen Fällen in der Lage ist, dem Vorschläge Winters zu folgen.
Infolgedessen müssen wir mit allen Mitteln dahin streben, zurück¬
gebliebene Plazentarreste sofort nach der Geburt zu
entfernen. Dem steht natürlich nichts im Wege, sofern die Störung
erkannt wird. Auf Grund der Angaben in den geburtshilflichen Lehr¬
büchern sollte man annehmen, dass die Feststellung, ob ein Plazentar¬
rest zurückgeblieben ist, bei genügender Sorgfalt ein Leichtes ist. Denn
die geborene Plazenta weist ja — so heisst es — einen Defekt auf,
und ausserdem pflegt es zu bluten, weil der Utems sich nicht genügend
retrahieren kann. Die Möglichkeit, dass man sich darin i r r e n k a n n.
wird nicht ins Auge gefasst, und nach der üblichen Anschauung werden
solche Irrtümer auf Unachtsamkeit oder mangelnde Sachkenntnis zu¬
rückgeführt.
So verlangt z. B. Stumpf im Winckelschen Handbuch der Geburtshilfe
bei Besprechung der geburtshilflichen Fahrlässigkeiten (III, 3 S. 467) von
der Hebamme: .Ist ein Läppchen der Nachgeburt in seiner ganzen Dicke
abgerissen, so muss dies bei genauer Besichtigung von der Hebamme er¬
kannt werden.“ Und mit der Frage, ob der Arzt einen Plazentarrest über¬
sehen und sich dadurch der Fahrlässigkeit schuldig machen kann, beschäftigt
sich Stumpf Überhaupt nicht.
Diese Anschauungen bedürfen einer gründlichen
Korrektur, und dementsprechend auch unsere Lehre
über die Diagnose und Behandlung zurückgeb1 i e-
benerPlazentarreste.
Die erste Frage, welche ich beantworten will, lautet: Lässt sich
ein im Uterus zurückgebliebener Plazentarrest stets mit Sicherheit oder
grösster Wahrscheinlichkeit an der geborenen Plazenta erkennen?
Darauf lautet die Antwort, dass dies keineswegs der Fall* ist, sondern
dass es Fälle gibt, in denen trotz genauer, sachkundiger Besichtigung die
Plazenta für vollständig gehalten wird, obwohl sie es nicht ist. Dass
auch die „M i 1 c h p r o b e“ uns keinen Schritt weiter bringt, ebenso¬
wenig andere Mittel, die empfohlen worden sind, um einen Plazentar-
defekt leichter erkennen zu können, hat K i r s t e i n *) seinerzeit nach¬
gewiesen.
Unter 16 Piazentarresten meiner Klinik wurden nur 8 sofort bemerkt, 8,
also die Hälfte, dagegen nicht. Hierzu muss ich bemerken, dass bei mir alle
Plazenten .sofort nach der Geburt von der diensttuenden Hebamme, dem
Assistenzarzt des Kreisssaales und demjenigen des Laboratoriums auf ihre
Vollständigkeit genau geprüft werden. Bei Verdacht auf einen Defekt wird
die Besichtigung durch den Oberarzt oder mich herbeigeführt. Trotzdem
haben wir (bis 1918) die Hälfte der Fälle von Retentionen übersehen. Ein Fall
ist insofern bemerkenswert, als sich an der Prüfung nicht nur die, er¬
wähnten Personen, sondern ausserdem Prof. Ahlfeld, Prof. Esch und
Prof. K i r s t e i n beteiligten. Alle hielten die fragliche Plazenta für voll¬
ständig, obwohl sie es nicht war.
Dass die Verhältnisse aber nicht nur in Marburg so liegen, zeigt eine
Arbeit Höhn es (Zbl. f. Gyn. 1914 S. 1465); in der Kieler Klinik wurden
nämlich Von 14 Piazentarresten lur 6 sofort erkannt; 8 Plazenten wurden irr¬
tümlicherweise für vollständig gehalten.
Daraus ergibt sich, dass selbst die genaueste Be¬
sichtigung der Plazenta durch geübte Aerzte keine
Gewähr für deren Vollständigkeit abgibt. Wenn dies
aber selbst in geburtshilflichen Kliniken trotz peinlicher, Sorgfalt passieren
kann, wie soll man dann vom praktischen Arzt oder gar von der
Hebamme verlangen, dass sie für die Vollständigkeit der Nachgeburt
einstehen, wie dies die übliche Anschauung bisher war?
Die zweite Frage, die ich auf werfen will, lautet: Deuten nicht
abnorme Blutungen nach Ausstossung der Plazenta oder andere Sym¬
ptome auf das Zurückbleiben eines Plazentarrestes hin? Diese Frage
ist rundweg mit „nein“ zu beantworten.
Bei 8 Fällen unserer Klinik und 3 ausserhalb entbundenen Frauen kam,
trotz der Retention des Plazentarstückes keinmal eine nennenswerte Blutung
nach der Geburt der Plazenta vor. Die höchste Blutmenge (welche bei uns
stets genau gemessen wird) betrug 250 g. Erst im Wochenbett, frühestens
am 5. Tag, traten Blutungen ein.
Dass ein Plazentarrest sofort nach der Geburt eine Blutung ver¬
anlassen kann, steht natürlich ausser Zweifel; da aber solche Blutungen
auch ohne Plazentarrest nicht selten sind, und. wie unsere Zahlen
zeigen, bei ;zurückgebliebenen Piazentarresten rheist nicht alsbald stär¬
kere Blutungen auftreten, so können wir uns auf dieses Symptom nicht
verlassen.
Wie steht es nun mit anderen Symptomen, die auf die Re-I
tention hinweisen? Leider ebenso schlecht! Wiewohl die Störung häu¬
fig von Schwierigkeiten der Plazentarlösung, von vermehrten Lösungs¬
blutungen, Anomalien des Plazentabaues oder -sitzes begleitet ist. wief'
wohl öfters anamnestisch Anomalien der Menstruation.' frühere Pla-‘
zentarperioden oder Aborte nachweisbar sind, so fehlen nicht selten
derartige Vorkommnisse völlig, abgesehen davon, dass sie uns keine
sichere Diagnose an die Hand geben. Auch objektive Zeichen, etw*a
eine mangelhafte Retraktion des Uterus u. dgl. fehlen zumeist.
*) D.m.W. 1919 Nr. 20.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
389
Es gibt also überhaupt kein sicheres Zeichen für
die Diagnose eines zurückgebliebenen Plazentar-
restessofortnachder Geburt.
Da nun aber die Gefahr der Retention im Wochenbett, wie oben
geschildert, eine grosse ist, während die Beseitigung der Reste sofort
p. p. ungefährlich, zum mindesten viel ungefährlicher ist, so muss
die Klarstellung unbedingt erzwungen werden.
Der einzip^e Weg hierzu ist aber der, dass in jedem Fall, in
dem die Vollständigkeit der Plazenta durch die Heb¬
amme bzw. durchden im Zweifelsfall hinzugerufenen
Arzt nicht absolut gewährleistet werden kann, der
Uterus ausgetastet wird. Die Hebammen und jungen Aerzte
müssen sich, wie ich dies schon im Doederleinschen Handbuche gefor¬
dert habe, bei der Besichtigung der Plazenta drei Möglichkeiten vor
Augen halten: I. die Plazenta ist mit Sicherheit vollständig, II. die
Plazenta ist mit Sicherheit unvollständig, III. die Vollständigkeit der
Plazenta lässt sich nicht absolut gewährleisten. Im Fall II muss der
Rest ausgeräumt werden; im Fall III muss der Uterus sofort ausgetastet
und ein eventuell gefundener Rest entfernt werden.
Diese Forderung hat aber nur dann Berechtigung, wenn das dia¬
gnostische Austasten an sich nicht nahezu ebenso grosse Gefahren mit
sich bringt als die Ausräumung des Restes im Wochenbett. Diesen
Beweis vermag ich zu führen: In den Jahren 1911 bis Mitte 1918 haben
wir nur dann ausgetastet, wenn die genaue Kontrolle der Plazenta m i t
Wahrscheinlichkeit auf einen Defekt hinwies: unter
3665 Geburten (Kinder 2000 g und mehr) dieser Zeit wurde 18 mal
(= 0,5 Proz.) ausgetastet, davon 9 mal ein Rest gefunden und entfernt.
Von Mitte 1918—1920 wurde der obige strengere Grundsatz befolgt und
daraufhin unter 1172 ebensolchen Geburten 31 mal (= 2,6 Proz.)
ausgetastet, dabei 7 mal ein Rest gefunden und entfernt. Es hat also'
das Erzwingen der Diagnose 1911—18: 9 mal, 1918—20: 22 mal, d. s.
in 2 Proz. der Geburten eine, nachträglich als überflüssig zu be¬
zeichnende, Austastung veranlasst. Selbstredend wird dieser Prozent¬
satz um so höher, je geringer die Uebung des einzelnen in der Be¬
urteilung der Plazenta ist. Der Praktiker wird also noch häufiger aus¬
tasten müssen als wir.
Wie gross sind nun die Gefahren dieser Aus¬
tastung? Von den 33 (1911—1920) Austastungen (ohne positiven
Befund) machten 29 ein fieberfreies Wochenbett durch. Unter den
4 Fieberanfälien handelte es sich 2 mal um leichte Endometritiden, 2 mal
um schwerere Infektionen. In diesen beiden Fällen bestand aber eine
schwere Infektion bereits intra partum, also vor der Austastung, an
die sich dann ein Exsudat anschloss. Die eine Frau genas, Die andere
stob an einer Nachblutung nach Inzision und Drainage des Exsudates.
Wie der Verlauf in diesen beiden Fällen ohne Austastung geworden
wäre, ist natürlich schwer zu sagen. Intrapartale Infektionen bieten aber
auch ohne Austastung eine ungünstige Prognose.
Soviel geht jedenfalls aus unseren Beobachtungen hervor, dass
die diagnostische Austastung des Uterus unmittel¬
bar post partum, welche im Falle eines positiven Be¬
fundes selbstverständlich berechtigt ist, bei nega¬
tivem Befund keine nennenswerte Gefahr bedingt,
wenn der Uterus nicht bereits infiziert ist.
Wie man sich bei bereits intra partum infizierten Fällen ver¬
halten soll, d. h. ob man auch hier im Zweifelsfall austasten soll oder nicht,
vermag ich noch nicht zu entscheiden. Offenbar ist die Gefahr der Austastung
hier erheblich grösser als sonst. Anderseits ist die Retention von Plazentar¬
resten im infizierten Uterus besonders gefährlich. Ich taste des¬
halb aus und schliesse eine prophylaktische Uterusdrainage an.
Bietet nun eine solche verschärfte Kontrolle
sicheren Schutz gegen die Retention von Plazentar¬
resten? Wir verfolgen den geschilderten Grundsatz seit der Mitte
des Jahres 1918. Bis dahin I aben wir unter 3665 Gelfurten 8 mal Pla¬
zentarreste übersehen, nachher unter 1172 reifen Geburten keinen ein¬
zigen mehr.
Auf Grund dieser Tatsachen muss män verlangen,
dass die Austastung des Uterus p. p. in jedem Zwei¬
fels fall durch geführt wird, mindesten in denFällen,
in denen bis dahin keine Infektion bestand. Alsdann
wird auch die (heute nicht berechtigte) Lehre Geltung erlangen,
dass die Retention eines Plazentarrestes bei genügen¬
der Achtsamkeit der geburtsleitenden Persönlich¬
keit unmöglich ist.
Zum Schluss noch ein Wort zur Therapie von Plazentar¬
resten im Wochenbett, die vorläufig immer noch Vorkommen
werden. Gegenüber dem Vorschlag Winters, im Hinblick auf die
Gefahr der Ausräumung solcher Reste nicht oder wenigstens nicht so¬
fort auszuräumen, wenn Infektionsprozesse nachweisbar sind, muss ich
auf Grund meiner inzwischen gesammelten Erfahrungen folgendes ein¬
wenden :
1. Tnfektionsprozesse sind im Wochenbett bei Plazentarresten häu¬
fig vorhanden; zum mindesten sind Infektionserreger so oft im Uterus,
dass die Ausräumung hinsichtlich der Infektionsgefahr immer ein
gewisses Risiko bedeutet.
2. Die Diagnose, ob Infektionsprozesse vorhanden sind oder
nicht lässt sich weder durch Temperaturmessungen noch durch bakterio¬
logische Untersuchungen mit Sicherheit klarstellen.
3. Sehr oft treten Blutungen auf, welche zum Eingreifen
zwingen.
Es ist nun Winter unbedingt darin beizustimmen, dass der Akt
der Ausräumung in der bisher üblichen Weise die Ausbreitung des In¬
fektionsprozesses bei Plazentarresten im Wochenbett ungemein be¬
günstigt. Infolgedessen muss die Technik der Ausräumung
wenigstens in infizierten Fällen geändert werden. Das Verfahren, wel¬
ches ich bisher versuchsweise angewandt habe, und welches sich be¬
währt hat, ist aber nur einer sachkundigen Hand «u empfehlen. Bei
fieberfreien Fällen stelle ich die Portio im Spekulum ein, hake sie an
und gehe mit der Winter sehen Abortzange vorsichtig in den Uterus
ein. Dann wird das Instrument geöffnet, geschlossen und wieder heraus¬
gezogen. Der Plazentarpolyp befindet sich meist in der Zange. Ist das
nicht der Fall oder blutet es danach, so wird vorsichtig Gaze in den
Uterus gelegt, als leichte Tamponade und zugleich als Drainage.
Ich unterlasse es, den Uterus zur nachträglichen Kontrolle digital
auszutasten, weil dabei eine mechanische Reizung des oft infizierten
Uterus kaum zu vermeiden ist Weisen Blutungen beim Wechsel der
Gaze darauf hin, dass noch ein Plazentarstück im Uterus ist. so wird
das Greifen mit der Abortzange wiederholt Erst werth die Gaze blut¬
frei und die Temperatur normal bleibt, wird die Uterusdrainage ein¬
gestellt
Besteht Fieber (oder ein anderes Infektionszeichen) so unterbleibt
der Versuch, den Rest zu entfernen, vorläufig ganz; es wird vorsichtig,
ohne mechanisch zu reizen im Spekulum Gaze in den Uterus
gelegt zur Drainage, bei Blutung zugleich zur Tamponade. Das Ver¬
fahren wird täglich wiederholt Dabei pflegt die Temperatur abzufallen,
und der Rest löst sich, so dass er nach einigen Tagen vorsichtig in der
beschriebenen Weise herausgenommen werden kann. Auf jeden
Fall muss die bi manuelle Ausräumung unterstarkem
Bewegen und Drücken des Uterus aus der Behandlung
der puerperalen Plazentarreste ausscheiden.
Aus der Universitäts-Hautklinik Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof Q. A. Rost.)
Untersuchungen Ober die Abhängigkeit der Liquorver¬
änderungen von den Exanthemformen bei Frühsyphilis.
Von Dr. med. E. F. Schäber, 11. Assistenten der Klinik.
J. C i t r 0 n stellt in seiner Abhandlung über Syphilis in dem Hand¬
buche von Kraus-Brugsch den allgemeinen Infektionscharakter
dieser Krankheit in den Vordergrund und hebt klar hervor, dass das
exanthematöse Stadium der Syphilis durchaus mit dem der anderen
Infektionskrankheiten verglichen werden muss. Wie wir z. B. wissen,
dass das Schicksal eihes Patienten mit Typhus nicht von seinem
Exanthem, sondern weit mehr von den geschwürigen Darmverände¬
rungen abhängt, „genau so müssen wir uns bezüglich der Syphilis auf
den Standpunkt stellen, dass uns die Hauterscheinungen zwar ein recht
augenfälliges Bild der bestehenden Allgemeininfektion geben, dass sie
aber von allen Manifestationen der Syphilis die für die Individual¬
prognose gleichgültigsten sind.“
„Für das Schicksal des Patienten ist. es unerheblich, ob er ein
makulöses, ein papulöses, ein pustulöses oder ein ulzeröses Syphilid hat,
ja, es ist selbst gleichgültig, ob er überhaupt eine Hauterscheinung hat.
Das Schicksal des Patienten ist unabhängig von den Hauterscheinungen.“
Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Ausführungen J. Cit’rons
in diesem Umfange zutreffen; wird doch von manchen eine Entstehung
von Schutzkörpern etwa im Sinne der Esophylaxie E. Hoffmanns
für wahrscheinlich gehalten, immerhin sind sie geeignet, die Unter¬
suchungen zu unserem Thema auf das beste zu unterstützen. Es ist seit
der Einführung der Lumbalpunktion in die Diagnostik der syphilogenen
Nervenerkrankungen eine gewisse Vorliebe herrschend geworden, aus
der Art der verschiedenen Exanthemformen bei Syphilis auf eine mehr
oder minder grosse Häufigkeit von krankhaften Veränderungen der
Gehlrn-Rückenmarksflüssigkeit zu schliessen. So berichten, um in aller
Kürze an einige Beispiele aus den letzten Jahren zu erinnern. W 11 e
und Stokes über 77 Proz. Liquorveränderungen bei Lues papulosa.
Brandweiner, Müller und Schacherl sahen bei syphilitischen
Rezidivexanthemen in 100 Proz. der Fälle Liquorveränderungen.
Königstein und Goldberger fanden bei Lues maculosa etwas
weniger als bei Lues papulosa; bei Alopecia specifica in 73 Proz.,
bei Leucodefma syphiliticum in 61 Proz. der Fälle Liquorver¬
änderungen. Cyranka gab 97 Proz. Liquorveränderungen bei Alo¬
pecia specifica und Schönfeld 76 Proz. bei Alopecia specifica und
85 Proz. bei Leucoderma syphiliticum an. Am w'eitesten in der Aus¬
deutung ihrer Untersuchungsergebnisse gehen Gennerich und
Cyranka. Sie sehen in der Alopecia specifica, in dieser
klinisch so überaus auffallenden Erscheinungsform der Syphilis,, einen
ziemlich sicheren Hinweis auf das Bestehen einer meningealen
Syphilis und meinen, dass es gerade für den Praktiker, der nur im
beschränkten Masse Gelegenheit zur Liquorkontrollte habe, von grossem
Werte sein müsse, weitere Anhaltspunkte zu gewinnen, die ihn ohne
Untersuchung der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit auf das Bestehen von
zentralen Veränderungen hinweisen.
, Auch Igersheime.r hält es, um die z. T. erheblichen Ab¬
weichungen in den Liquorbefunden der einzelnen Autoren zu erklären,
für wesentlich, ob und welche äusserlichen Erscheinungsformen der
Syphilis gerade bestehen. So hat er berechnet, dass unter 74 Fällen
unbehandelter Frühsyphilis bei Rost 29 Fälle keine sekundären oder
Digitized by Goiisle
Original frDrri ‘
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
390
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
höchstens eine Lymphadenitis. 29 einen makulösen Ausschlac^ hätten und
glaubt so, unter Gegenüberstellung der oben angegebenen Untersuchungs¬
ergebnisse von W i 1 e und Stokes bei Lues papulosa (77 Proz.), die
niedrigen Liquorerkrankungszahlen von Rost erklären zu können.
Ich bin in meiner Dissertation auf die Frage, ob die Art der
Exanthemformen die Zahl der Liquorveränderungen bei Frühsyphilis
beeinflusse, bereits eingegangen. Da diese durch ihre zahlreichen Ta¬
bellen etwas umfangreiche Arbeit bislang infolge der Notlage der wissen¬
schaftlichen Blätter noch nicht erscheinen konnte, so möchte ich die
immerhin nicht unwichtigen Ergebnisse, was Exanthemformen und
Liquorveränderungen angeht, kurz noch einmal ohne alle Tabellen und
Krankengeschichten anführen.
Im ganzen wurden 179 Fälle von unbehandelter und behandelter
Früh Syphilis untersucht. Davon waren 89 Fälle im exanthematösen
Stadium. 90 Fälle boten keine Hauterscheinungen. Was die Fälle im
exanthematösen Stadium angeht, so erscheint der Hinweis vor allem
einmal wichtig, ^dass von einer Einheitlichkeit der Hautblüten bei
Syphilis keine Rede sein kann. Bei einem Falle können die einzelnen
Erscheinungsformen nebeneinander Vorkommen. Neben einem fleck¬
förmigen Syphilid erscheinen gleichzeitig Papeln am Anus und am Geni¬
tale. Neben einer Alopecia specifica kann ein Leukoderm oder ein
makulöses, makulo-papulöses, ein papulöses, ein mikropapulöses usw.
Exanthem auftreten. Wenn wir trotzdem in den Einteilungsarten denen
anderer Autoren gefolgt sind, so geschah dies nur, um den Vergleich
zu erleichtern. Allerdings trennten wir folgerichtig noch die Lues
maculo-papulosa ab. Wir sind desweger* bei den Unterabteilungen zu
verhältnismässig sehr niedrigen Zahlen gekommen, weil wir uns be¬
mühten, nur eindeutige Fälle zu benutzen. Bei der Alopecia specifica
liess sich dieser Grundsatz allerdings nicht durchführen, da wir nur
8 reine Fälle von Alopecia specifica ohne alle anderen äusseren Er¬
scheinungen zur Verfügung hatten, es uns aber vor allem darauf ankam,
festzustellen, ob dieses Symptom in dem Masse, wie Cyranka es
angibt, auf eine Mitbeteiligung des Zentralnervensystems hindeutet. Ich
bringe im folgenden eine kurze Uebersicht der untersuchten Fälle:
Fälle Im exanthematösen Stadium:
1. Alopecia specifica.
Es wurden 43 Fälle untersucht, davon waren 8 Fälle, wie erwähnt, ohne
alle anderen äusseren Erscheinungen. Die übrigen 35 Fälle waren in bunter
Mannigfaltigkeit mit Leucoderma syphiliticum, mit Syphilis maculosa, papulosa
usw. vergesellschaftet. Von diesen 43 Fällen spezifischer Alo-
pecie waren 37 Fälle, darunter einige sehr starker Alo-
pecie, vollkommen liquorgesund*). Nur 6 Fälle boten Liquor¬
veränderungen gleich 14 Proz.
2. Syphilis maculosa.
Im ganzen wurden 14 Fälle untersucht, davon waren 13 eindeutige Fälle.
1 Fall hatte gleichzeitig Papeln am Anus und am Gliede. Unter diesen
14 Fällen waren 13 Liquorgesunde. Nur 1 Fall hatte Liquorveränderungen,
gleich 7 Proz.
3. Syphilis papulosa.
Unter 5 Fällen hatte kein Fall Liquorveränderungen.
4 . Syphilis maculo-papulosa.
Es wurden 7 Fälle untersucht, davon hatte 1 Fall Liquorveränderungen,
gleich 14 Proz.
5. Leucoderma syphiliticum.
Von den 7 Fällen, die untersucht wurden, zeigte kein Fall Liquorverände¬
rungen.
6. .Rezidiv-Roseola.
Im ganzen wurden 8 Fälle untersucht, davon \yaren 6 Fälle liquorgesund,
2 Fälle liquorkrank, gleich 25 Proz.
7. Primäraffekt der Oberlippe.
Unter 5 Fällen fand sich kein Fall mit Liquorveränderungen.
Fälle ohne Hauterschelnungen.
Es wurden 90 Fälle von unbehandelter und behandelter Frühsyphilis, die
keine Hauterscheinungen boten, untersucht. 73 Fälle waren vollkommen frei
von Liquorveränderungen. 17 Fälle waren liquorkrank, gleich 19 Proz.
Folgende kleine Texttabelle wird die Verhältnisse etwas übersichtlicher
machen:
Fälle mit Hautveränderungen.
Bzanthemform
Gesamt¬
zahl
Llquor-
gesuod
Liquor-
krank
Prozent-
zalilen
AloMcia specifica.
Sypliilis maculosa.
43
87
6
14
14
18
1
7
S>'phili8 papulosa.
5
5
0
Sypliilis macuio'papolosa ....
Leucoderma svpbil.
Residlv-Roxeola.
7
7
6
7
l
0
14
8
6
2
2j
P. A. der Oberlippe.
6
5
0
Hü 1
7ö
1 lU
1 li.sä
Diese Durchschnittszahl von 11,2 Proz. stimmt gut mit den von
Rost und mir gefundenen Zahlen von 12—13 Proz. Liquorverände¬
rungen bei behandelter und unbehandelter Frühsyphilis überein. Ein
scheinbares Ueberwiegen von Liquorveränderungen bei einzelnen Er¬
scheinungsformen (Rezidivroseola) wird durch den scheinbar zu gün¬
stigen Ausfall anderer wettgemacht (Leukoderm etc.). Durch grosse
Untersuchungsreihen (Gesetz der grossen Zahlen) Hessen sich die ein¬
zelnen Prozentwerte dem Durchschnittswert vollkommen annähern.
Jedenfalls beweisen diese Zahlen, was eigentlich zu erwarten war, dass
von einem E inflüsse der einzelnen Exanthemformen auf die Häufigkeit
')^Ueber den Ausdruck „liquorgesund" bzw. „liquorkrank" vgl. Rost
Digitized by Goiisle
von Liquorveränderungen nicht die Rede sein kann. Vor allem fanden
wir keineswegs das von Cyranka angegebene Ueberwiegen von
Liquorveränderungen bei Alopecia specifica. Da die Syphilis eine all¬
gemeine Infektionskrankheit, ein Malum totius corporis ist, so Ist in
jedem Falle nach der Generalisation der Spirochäte ein Ueberflutet-
werden qller Organe, auch des Zentralnervensystems, sicher. Welche
biologischen Vorgänge diesen Akt begleiten oder ihm folgen, ist uns
heute noch weitgehendst verborgen. Wir vermögen vorläufig nur ge¬
wisse Tatsachen zuv registrieren, ohne sie mit Sicherheit erklären zu
können. Warum z. B. Fälle ohne spezifische Nervenerscheinungen
Liquorveränderungen haben können und wiederum andere Fälle mit
spezifischen Nervenerscheinungen ohne Liquorveränderungen einher¬
gehen, warum überhaupt nach der Generalisation der Spirochäte die
theoretisch zu erwartende Liquorveränderung nicht in jedem Falle von
Syphilis auftritt, ob das mit besonderen Schutz- und Abwehrkräften des
Zentralnervensystems in einzelnen Fällen 'zusammenhängt, oder mit
der Biologie der Spriochäte (neurotrope Art, vergleiche apch Bakteri-
urie und Zystitis), das alles wird so lange von Dunkel umhüllt bleiben,
ehe wir nicht über das Werden der Metalues endgültige Klarheit haben.
Jedenfalls sehen wir keinen Grund und halten es nicht für ratsam, zu
all den Unbekannten in der Erkenntnis der Liquorpathologie noch eine
nicht notwendige neue Unbekannte, die des Einflusses von Exanthem¬
formen auf Liquorveränderungen künstlich einzufügen. Ueberhaupt
scheint, was die Metalues angeht — denn um sie rechtzeitig zu fassen
und zu erkennen, beschäftigen wir uns ja überhaupt nur mit dem Pro¬
blem der Lumbalpunktion bei Syphilitikern — das Gegenteil richtig zu
sein: Finger bemerkt, dass es ihm stets aufgefallen sei, dass Syphi¬
litiker, die an Paralyse und Tabes litten, keine oder nur geringe syphi¬
litische Erkrankngen der Haut und Schleimhäute im Verlaufe
ihrer Lues darzubieten pflegen. Auch durch die Untersuchungen
Fischers wissen wir, dass die leichte Lues ohne deutliche oder mit
bald verschwindenden Hauterscheinungen zur Lues nervosa "bestimmt zu
sein scheint. Auch Erfahrungen älterer Autoren (F o u r n i e r) weisen
darauf hin. In dieser Beziehung ist eine Gegenüberstellung unserer
Zahlen von Liquorveränderungen der Fälle mit und ohne Hautverände¬
rungen recht lehrreich. Die kleine Tfexttabelle brachte als Durch¬
schnittszahl der Liquorveränderungen bei Fällen mit Haut Veränderungen
11,2 Proz. Die Durchschnittszahl einer-fast gleich grossen Zahl von
Fällen ohne Hauterscheinungen war 19 Proz. Liquorveränderungen. Wir
finden demnach die interessante Tatsache, dass gerade bei den Fällen
ohne Hauterscheinungen ein deutliches Ueberwiegen der Liquorverände¬
rungen vor den Fällen mit spezifischen Hautveränderungen stattfindet.
Wir können uns deshalb der herrschenden Ansicht, dass die Exanthem¬
formen bei Syphilis von Einflu.ss auf die jeweiligen Liquorveränderungen
sind, nicht anschliessen, sondern müssen betonen, dass ailein von der
rechtzeitigen Erkennung der Erkrankung und von ihrer gründlichen Be¬
handlung das Schicksal des Syphilitikers, auch in bezug auf das.Zentral¬
nervensystem bestimmt wird. Dabei sind gerade die Fälle ohne Haut¬
erscheinungen durchaus zu beachten.
Literatur.
1. J. Citron: Die Syphilis, in Kraus u. Brugsch, Spez. Path. u. Ther.
inn. Krankh. 2. Bd. 1. Teil. Urban & Schwarzenberg 1919. — 2. W i I e
und Stokes: Derm. Wschr. Bd. 59 1914. — 3. Brandweine r, Mül¬
ler und Schacherl: W.kl.W. 1916 Nr. 31. — 4. König st ein und
Goldberger: W.kl.W.schr. 1917 Nr. 12. — 5. Cyranka: B.kl.W.
1916 Nr. 26. — 6. S c h ö n f e 1 d: Derm. Wschr. 1919 Nr. 17. — 7. I g e r s -
heimer: Syphilis und Auge. 1918, Springer, Berlin. — 8, Rost: Derm.
Zschr. Bd. 23 H. 3 u. 4. Liquoruntersuchungen bei Syphilis. — 9. Finger:
Handbuch der Geschlechtskrankheiten Bd. 2. S. 902. — 10. O. Fischer:
Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 16. Bd. 1. u. 2. H. — 11. E. F. S c h ä b e r:
Beitrag zur diagnostischen und prognostischen Bedeutung der Lumbalpunktion
bei Syphilis. Zusdeich eine statistische Verwertung von 358 Punktionen bei
Syphilitikern. An. f. D. u. S. (Im Erscheinen.)
Aus dem Hygienischen Institut der Universität Köln.
Direktor: Prof. Dr. Reiner Müller.
Vergleichende Untersuchungen Ober den Erreger der
Koch-Weeksschen Konjunktivitis und das Pfeiffersche
Influenzastäbchen.
Von Dr. Karl Pesch, 1. Assistent des Instituts.
Die Influenzapandemie der Jahre 1918—19, sowie eine in Köln aaf-
tretende Epidemie akuter, eitriger Bindehautkatarrhe gaben mir Ge¬
legenheit, zu einer Streitfrage Stellung zu nehmen, die sowohl Bak¬
teriologen als auch Ophthalmologen beschäftigt hat, nämlich zu der
Frage der Identität von Influenzabakterien (IB.) und Koch-Weeks-
schen Bakterien (KWB.).
Als ich im November 1918 aus dem Felde wieder in das Kölner
Hygienische Institut zurückgekehrt war, hatte ich-Gelegenheit, die letzte
grosse Influenzawelle in Köln zu erleben und bakteriologische Unter¬
suchungen über die Aetiologie der Erkrankung zu machen. Es gelang
mir bei 54 untersuchen Sputumproben von Grippepneumonien 39 mal.
also in 75 Proz., die Pfeiffer sehen Stäbchen nachzuweisen. Auf den
ätiologischen Zusammenhang zwischen den IB. und Grippe näher ein¬
zugehen, ist hier nicht der Platz: ich verweise darum auf meine Disser¬
tation. worin ich bakteriologisch und serologisch dieser Frage näher¬
zutreten versuchte. Was die Technik des Nachweises cÄr IB angcht,
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORN]^
]. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
391
so möchte ich nur kurz darauf hinweisen. dass mir dabei der von
Levinthal angegebene, klar durchsichtige Blutagar vorzügliche
Dienste geleistet hat. Die IB. wachsen auf diesem Nährbodwi in tau-
Iropfenähnlichen, klar durchsichtigen, leicht bläulich schimmernden
Kolonien, und auch einzelne Kolonien können unter der Unmenge anderer
Keime leicht herausgefunden werden.
Als nun im November 1919 von der Universitäts-Augenklinik dem
Hygienischen Institut einige Kranke mit akuter, eitriger Konjunktivitis
zur bakteriologischen Untersuchung zugeschickt wurden, fand ich im
direkten Ausstrich von Eiter aus dem Bindehautsack Gram-negative
Stäbchen. Nun galt es für mich, zunächst die Frage zu entscheiden:
handelt es sich um eine Influenzakonjunktivitis oder um die Konjunkti¬
vitis, die von Koch und Weeks zuerst durch Entdeckung des spe¬
zifischen Erregers, des Koch-Weekssehen Bakteriums, als Krank¬
heit eigener Art beschrieben worden ist.
Bei der Durchsicht der Literatur fand ich, dass zwar vereinzelte
Autoren, so z. B. A x e n f e 1 d in seiner Abhandlung über die Bakterio¬
logie des Auges, zwischen IB. und KWB. scharf unterscheiden, dass
aber andererseits bis in die neueste Zeit hinein andere Forscher diese
beiden Mikroben für identisch halten, so z. B. J u n d e 1L S m i 11,
Rymowitsch, sowie v. Nestlinger
Auf Grund meiner vergleichenden Untersuchungen bin ich zu dem
Ergebnis gekommen, dass IB. und KWB. verschiedene Krankheits¬
erreger sind, die allerdings das gemeinsam haben, dass sie beide nur
auf mit Blut hergestellten Nährböden wachsen, und dass beide Gram-
negative Stäbchen sind. Für die Unterscheidung der beiden Bakterien
ist hauptsächlich dre|£xlei von Wichtigkeit
1. Schon mikroskopisch lassen sich die beide Bakterienarten,
was auch Axenfeld betont scharf unterscheiden. Die KWB. sind
schlanke, ziemlich lange Stäbchen, nur wenig kürzer als etwa die
Tuberkelbazillem Sie liegen extrazellulär, aber auch sehr oft innen-
zellig, so dass manchmal Leukozyten von einem dichten Haufen der
KBW. angefüllt sind. Ich hatte auch Gelegenheit. 4 Fälle von echter
Influenzakonjunktivitis zu untersuchen, und zwar 3 Fälle in einem Säug¬
lingszimmer der Kinderklinik und einen Einzelfall, der von der Uni¬
versitäts-Augenpoliklinik zur bakteriologischen Untersuchung überwiesen
wurde. Bei diesen Fällen fand ich im direkten Ausstrich eine Unmenge
sehr kleiner, fast punktförmiger Kokkobakterien, die in unregelmässigen
Haufen, oft auch fischschwarmähnlich, meistens extrazellulär, vereinzelt
auch innenzellig lagen. Die von Axenfeld in seinem Buch: „Die Bak¬
teriologie in der Augenheilkunde“ veröffentlichten Bilder decken sich voll¬
kommen mit meinen Befunden. Zur Färbung der KWB. fand ich am
besten Methylenblau unter leichter Erwärmung. Fuchsin gibt nicht so
schöne Bilder, weil es leicht zu Niederschlägen auf den Bakterien kommt.
Die schöne, schlanke Form der KWB. ist dann nicht so gut zu erkennen.
Zur Färbung der IB. eignet sich ebenfalls Methylenblau, doch gibt hier
auch verdünntes Fuchsin bei verlängerter Färbung schöne Biider. So
kann ich also sagen, dass man schon aus dem direkten Ausstrich bei
einiger Erfahrung mit Sicherheit sagen kann, ob es sich bei dem zu
untersuchenden Falle um einen Koch-Weeks sehen oder einen
influenza-Bindehautkatarrh handelt.
2. Nicht immer, besonders bei älteren, schon behandelten Fällen,
finden sich beim Koch-Weeks sehen Bindehautkatarrh so reichlich
Bakterien, dass man schon aus dem direkten Ausstrich die Diagnose
Stehen kann. Es muss dann die K u 11 u r zu Hilfe gezogen werden. Bei
den guten Erfahrungen, die ich bei dem Nachweis der IB. mit dem
Levinthalschen Agar gemacht hatte, lag es nahe, auch für den
Nachweis der KWB., die ja auch zu den hämoglobinophilen Stäbchen
zählen, diesen Agar heranzuziehen. Ich strich Eiterflocken aus dem
Bindehautsack von KW.-Patienten, sowohl auf den Levinthalschen
Agar als auch auf dem Hammelblutagar (5 Teile Hammelblut mit 95 Teilen
flüssigem Agar gemischt, in Petrischalen ausgegossen) aus und fand am
andern Morgen auf dem Hammelblutagar noch kein Wachstum, während
auf dem L e v i n t h a I sehen Agar mit der Lupe kleine tautropfenähn¬
liche, bei der Betrachtung im durchfallenden Himmelslicht leicht bläu¬
lich schimmernde Kolonien zu erkennen waren. Bei den von mir unter¬
suchten Influenzakonjunktivitiden legte ich auch Kulturen auf Levinthal¬
agar an und fand, dass nach 15 Stunden im Bmtschrank bei 36® bei
den Influenzakonjunktivitiden die Kolonien schon die übliche Grösse,
etwa wie Staphylokokkenkolonien erreichten, also bedeutend üppiger
gewachsen waren als die KWB. Auch die Unterschiede in der
Stäbchenform, wie wir sie ja aus dem direkten Ausstrich schon kennen,
fanden sich noch in den ersten Kulturen, wenn auch nicht so ausgeprägt,
während bei weiteren Ueberimpfungen diese Unterschiede sich verlieren.
Die Fortzüchtung der KWB. auf Levinthalagar machte keine Schwierig¬
keiten; ich habe einzelne Kulturen monatelang überimpft, ohne weitere
Veränderungen zu bemerken. Die von einzelnen Forschem gemachte
Angabe, dass die Kolonien der KWB. ein gekörntes Aussehen, die
IB.-Kolonien aber eine glatte Oberfläche hätten, habe ich auf Levinthal¬
agar nicht beobachtet. Was also das kulturelle Verhalten der KWB.
und IB. angeht, so besteht ein deutlicher Unterschied in der Stärke des
Wachstums, mit ein Grund dafür, beide Mikroorganismen nicht für iden¬
tisch zu halten.
3. Besonders wichtig für die Trennung der beiden Mikroben ist
meines Erachtens das epidemiologische Verhalten. Zu der Zeit,
als die Grippe in Köln wütete, wurde die KW.-Konjunktivitis hier nicht
beobachtet, während umgekehrt jetzt, wq wir seit November 1919 sehr
viele Fälle von KW.-Konjunktivitis haben (meine Untersuchungen er¬
strecken sich aut etwa 200 Fälle) ist die Grippeepidemie erloschen. Das
Nr. 13.
Pfeiffer sehe Stäbchen, das ja sicher zu den Grippezeiten sehr oft
durch die Kranken in den Bindehautsack hineingerieben wird, oder durch
Tröpfcheninfektion hineingelangt scheint also nur in ganz seltenen Aus¬
nahmen dort als Krankheitserreger wirken zu können, während das
KWB. anscheinend mit Leichtigkeit übertragen werden kann (sei es
durch Kontaktübertragung oder durch Tröpfcheninfektion), wie uns viele
Hausepidemien in Kinderhorten, Waisenhäusern, Schulen gezeigt haben.
Frühere Versuche mit IB. hatten mir gezeigt dass es nicht möglich
ist bei Kaninchen durch Verreiben von IB.-Reinkulturen in den Binde¬
hautsack eine Konjunktivitis zu erzeugen. Ich machte nun die gleichen
Versuche auch mit KWB. bei 2 Kaninchen und einigen Meerschweinchen.
Das Ergebnis war negativ, die Einreibung der Kulturbakterien wurde
reaktionslos vertragen. Auch der Versuch, ein agglutinierendes Kanin¬
chenserum für KWB. herzustellen, misslang. Auch bei IB. war mir der
entsprechende Versuch (4 malige Einspritzung lebender IB. in eine Ohr¬
randvene) ohne Erfolg geblieben.
Auf Grund des mikrosltopischen Verhaltens, der Wachstumsunter¬
schiede auf Levinthalagar sowie des epidemiologischen Verhaltens muss
ich das Koch-Weeks sehe Bakterium und das Pfeiffer sehe
Influenzastäbchen als verschiedene Krankheitserreger ansehen.
Literatur.
1. Axenfeld: Die Bakteriologie in der Augenheilkunde. 2. Aufl.
Jena, Fischer 1913. — 2. Axenfeld: Hb. d. path. Mikroorganismen
Kolle-Wassermann. 4. — 3. Jundell: Mitteilungen aus der Augen¬
klinik des Karolinischen Instituts in Stockholm. Fischer- Jena. 3. 11. 1902.
Referiert nach Axenfeld. — 4. Levinthal: B.kl.W. 1918 Nr. 30.
— 5. Levinthal: Zsebr. f. Hyg. 86. 1918. — 6. v. Nestlinger: Klin.
Mbl. f. Augenhlk. 61. 1918 und 63. 1919. — 7. Pesxh: Bakteriologische
Untersuchungen über Influenza. Diss. Greifswald 1919. — 8. Rymowitsch:
Wratsch. T. 20, 638. Ref. nach Axenfeld- — Smitt: Tildschrift vor
Qeneeskunde 1900, Nr. 26. Referiert nach Axenfeld.
' Aus der Universitäts-Kinderklinik Jena.
(Vorstand: Prof. Dr. Ibrahim.)
Ueber Fehlerquellen bei der Röntgenuntersuchung von
Lunge und Zwerchfell des Kindes.
Von Dr. 1. Duken.
Zur Vermeidung von Fehldiagnosen bei der Röntgenologie des kind¬
lichen Thorax ist die genaue Beachtung der physikalischen Grund¬
bedingungen des Röntgenbildes, wie die Kenntnis der besonderen Tho-
raxverhältnisse des Kindes notwendig. Beide Momente hier ausführ¬
lich zu bearbeiten, ist unmöglich, sie sind auch bereits genügend in der
Literatur gewürdigt. Ich kann hier nur auf Fehlschlüsse und deren Be¬
seitigung hinweisen, die durch die Nichtbeachtung dieser Momente ent¬
stehen.
Im Vordergrund des Interesses steht für den Praktiker die Diagnose
der Bronchialdrüsen. Es mag sein, dass für sie das Röntgenbild eine
gewisse Verführung in sich birgt zu voreiligen Schlüssen, dennoch will
es mir scheinen, dass eine hier nicht selten geübte zu weitgehende
Skepsis der Sache wenig dienlich ist. Wenn wir heute noch hören
müssen, Blutgefässe, die im Verlauf der Strahlen getroffen würden, gäben
ein Bild wie die Drüsen und würden auch dafür gehalten, so mögen
diese Feststellungen tatsächlichen Erfahrungen entsprechen, aber der¬
artige Diagnosen sind darum doch nicht viel anders zu bewerten
wie irgendwelche anderen elementaren Fehler, die einem erfahrenen
Diagnostiker nicht unterlaufen dürfen. Den Wert der Röntgenunter¬
suchung können sie nicht schmälern. Will man diesen diagnostischen
Fehlschluss ausschalten, so braucht man bei der Durchleuchtung nur
die Strahlenrichtung zu ändern, indem man die Röhre ausgiebig nach
unten, oben und seitwärts verschiebt. Das Drüsenbild ändert sich bei
solchem Vorgehen kaum merklich, w'ährend sich der trügerische Gefäss-
schatten aufiöst. Zweckdienlich wird es sein, die Röntgendiagnose nicht
aus der Platte allein zu stellen, sondern möglichst eine Durchleuchtung
zur Beurteilung anzuschliessen. Für die richtige Deutung der Platte
selbst verweise ich auf die vorliandenen, einschlägigen Arbeiten, beson¬
ders auf die von Engel, Alban Köhler usw.
Manchmal hat man Gelegenheit ein bandartiges Schattengebilde zu
beobachten, das quer durch eine Lunge zieht und den Eindruck eines
derben Stranges erweckt. Bei entsprechender Röhrenverschiebung löst
sich dieses Band nicht selten bis zu einem ganz zarten Schleier auf. Das
ist der Fall bei inlerlobär pleuritischen Prozessen, wenn die verdickte
Pleura zunäciist in der Strahlenrichtung getroffen wird und sich dann
bei Verschiebung der Rölire mehr flächenhaft projiziert.
Aber nicht nur Strahlenrichtung und Projektionsverhältnisse führen
zu Täuschungen, auch der Zustand der Organe an und für sich kann
trügerische Bilder entstehen • lassen. So haben L a n g s t e i n und
Yl.ppö (Jahreskurse f. ärztl. Fortb. 1917, Juniheft) darauf aufmerksam
gemacht, dass nach Pneumonien manchmal eine Bindegewebsvermehrung
der Lunge zurückbleibt, die dann ihrerseits das Bild der Pneumonie
vortäuscht. Manche Diagnose der chronischen Pneumonie unterbleibt
vielleicht bei Beachtung dieser Tatsache. Ausgiebige Bindegewebs¬
vermehrung der Lunge kennen wir auch in der Umgebung tuberkulöser
Prozesse, z. B. in Form des dreieckigen Schattens bei der Hilustuber-
kulose usw. Wir werden solche Schattenbilder nicht als tuberkulöse
Infiltrationen ansprechen und etwa daraus folgernd die Prognose be¬
sonders trüb stellen. Eine Ueberschattung der Lungenfelder kann, wie
4
Digitized
* Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
392
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
bekannt, auch die Lungenstauung bedingen. Umgekehrt verhindert nicht
selten Emphysembildunk der Lunge die Darstellbarkeit im Röntgenbild
von tatsächlich vorhandenen Infiltrationen. Ich habe dafür den Nach¬
weis in einem Artikel (M.m.W. 1920 Nr. 3) erbracht.
In der Lungendiagnostik der Erwachsenen spielt das Verhalten des
Zwerchfells eine ziemliche Rolle. Ich erinnere an das William sehe
Phänomen bei der Spitzentuberkulose, das besagt, dass das Zwerchfell
der erkrankten Seite sich zwar hebt und senkt, aber nicht in dem Masse
wie auf der gesunden Seite. Die dort gemachten Erfahrungen lassen
sich schwerlich auf das Kindesalter übertragen, wenigstens so weit es
sich um jüngere Kinder handelt. Wer viel Durchleuchtungen gemacht
hat, dem wird es aufgefallen sein, wie merkwürdig unregelmässig oft
das Kind atmet. Ich konnte beobachten, dass nicht nur eine ver¬
seht e^ienartige Bewegung der beiden Zwerchfellhälften festzustellen ist,
sondern dass auch Teile einer Zwerchfellhälfte zeitweise sich abnorm
verhalten. So kann ein Teil Zurückbleiben, z. B. der mittlere gehemmt
sein. Schiff hat in seiner Arbeit (D.m.W. 1920 Nr. 32) Erfahrungen
über diese Erscheinungen mitgeteilt und sie verglichen mit den Röntgen¬
bildern, die bei Pleuraverwachsungen speziell bei Basaladhäsionen am
Zwerchfell auftreten. Er hat dieses Zwerchfellverhalten unter Benutzung
von Sektionsergebnissen zu deuten versucht, und er kommt, da die
Leichenbefunde bezüglich der Lungen und Pleuren in einer Anzahl von
Fällen ein negatives Resultat erbrachten, zu der Annahme, dass ,,es
sich um abnorme Innervation, um unregelmässige Kontraktionen der ein¬
zelnen Muskelbündel des Zwerchfels handeln dürfte“. Achnliche Be¬
obachtungen liepn bereits in der Literatur vor und haben zum Teil
die gleiche Erklärung gefunden. So sagt z. B. Jam in in der viel be¬
nutzten ü r ö d e 1 sehen Röntgendiagnostik: „Es ist nicht immer sicher
zu entscheiden, ob^die Unregelmässigkeiten am Zwerchfellschatten auf
Verwachsungen beruhen oder ,auf unregelmässiger Kontraktion der ein¬
zelnen Muskelbündel. Die durch solche Zwerchfellfurchen entstehenden
Unebenheiten an der Zwerchfellkuppe können eine den Verwachsimgen
sehr, ähnliche girlandenförmige Schattenprojektion bei tiefer Einatmung
geben.“ Ich selbst habe in meiner bereits genannten Arbeit darauf hin¬
gewiesen, dass das Kind das Zwerchfell nicht mit der Regelmässigkeit
des Erwachsenen innerviert. Aber bei dieser unregelmässigen Kon¬
traktion der Zwerchfellmuskeln haben wir doch den Eindruck gewonnen,
dass sie sehr wenig konstant ist und oft schon bei der gleichen Durch¬
leuchtung w echselt, so dass es uns wahrscheinlich erscheint, aus diesem
wechselnden Verhalten manchmal sagen zu können, wann es sich um
vom Muskel ausgelöste Erscheinungen handelt und w'ann nicht. So fiel
mir auf, dass dasselbe Kind bei der ersten Durchleuchtung, bei der es
ängstlich und erregt w^ar, eine eigenartige Innervation des Zwerch¬
fells zeigte, die bei der nächsten Üntersuchung nicht mehr vorhanden
war. Ich möchte daher im Einzcifall fortlaufende Durchleuchtungen zur
Klärung der Sachlage empfehlen.
Also manchmal werden wir auf diese Weise das Bestehen von Ad¬
häsionen ausschliessen können, aber es unterliegt keinem Zweifel, dass
wir damit die Frage nach der Entstehung der Zwerchfellerscheinungen
noch nicht erschöpft haben und es wird uns vollauf berechtigt er¬
scheinen, w'enn Schiff, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die
runde Wölbung des Zwerchfells ein Produkt der elastischen Zugkraft
der Lungen ist, den Gedanken aufwirft, „ob denn nicht in gewissen
Fällen die Lungenelastizität ohne eine anatomisch nachweisbare Ur¬
sache herabgesetzt sein kann“. Diese Frage ist sicherlich von ganz
besonderem Interesse, nur glaube ich, wird ihre Klärung nicht so ganz
leicht sein. Auf den Einfluss der Lungenelastizität auf das Verhalten des
Zwerchfells habe auch ich in meiner Arbeit hingewiesen, indem ich sagte:
„Ist die Retraktionskraft des Lungengew-ebes beeinflusst, ist die
Elastizität etw'a aufgehoben durch eme Infiltration, so muss sich das am
Zwerchfell, seiner Form und seiner Bewegung bemerkbar machen.“ Ich
habe dabei auch den Nachweis erbracht, dass bei einer bestehenden
Lungeninfiltration, speziell bei der Pneumonie, also unter pathologischen
Verhältnissen, sich genau die gleichen Erscheinungen am Zw^erchfell
zeigen können wie bei Basaladhäsionen. Aber wie steht es mit Rück¬
schlüssen auf die Lungenelastizität ohne dass anatomisch nachweisbare
Ursachen vorliegen? Kann die Sektion da z. B. eine Aufklärung geben?
Ich möchte das bezweifeln. Aus dem Leichenbefund können wir nicht auf
die Funktionsfähigkeit der lebenden Lunge schliessen. Zunächst darf
ich hier wohl noch einfügen, dass selbstverständlich, bevor man den Zu¬
stand der Lunge für eine solche Frage beurteilen will, jeder Faktor aus¬
geschlossen sein muss, der Erscheinungen am Zwerchfell, wie die ge¬
nannten, bedingen kann. Dazu gehört in erster Linie der Zustand des
Perikards. Ist dieses verwachsen etwa mit der Pleura diaphragmatica
oder auch der Pleura pulmonalis, so ist einmal die Zwerchfellbeweglich¬
keit direkt beeinflusst, es hemmen die medialen Zwerchfellabschnitte,
oder aber im zweiten Falle indirekt dadurch, dass die Lungenverschieb¬
lichkeit herabgesetzt sein kann, wrodurch die normale Luftfüllung be¬
schränkt wird, was sich wiederurp am Zwerchfell zeigt. Dazu gehören
Einflüsse, die vom Mediastinum ausgehen. Selbst interlobulär-pleuritische
Verklebungen können von Bedeutung sein. Auch ist das Verhalten und
der Zustand der Gefässe nicht zu übersehen, so hat v. Basch doch
z. B. die Starrheit und die Schwerbeweglichkeit der Stauungslunge nach¬
gewiesen, die dem Luftwechsel ganz erhebliche Hindernisse bietet. Be¬
rücksichtigt werden muss weiter der Zustand der Pleura selbst. Ich
erinnere hier nur an eine unerklärbare Beobachtung Lichtheims
(Krehl: Pathol. Phys., Leipzig 1918), dass bei kleinen pleuritischen
Exsudaten, die in der Flüssigkeit liegenden LungenteÜe meist luftleer
geworden sind, obwohl hier jede Kompression fehlt. Es lässt sich in
Digitized by Goiisle
diesem Fall au der Pleura nicht nachweisen, ob sie etwa durch Jine
veränderte Elastizität die .^Entfaltung der Lunge verhindert und so die
Resorption der Luft in den Alveolen bedingt, obgleich uns das als un¬
bedingt wahrscheinlich gelten muss. Es gibt also hier mancherlei :in-
wirkungsmöglichkeiten, die Schwierigkeiten in der Beurteilung macien.
Aber nun weiter! Wird cs uns an der Leiche möglich sein, z. B. Jine
intra vitam vorhanden gewesene Schwellung der Schleimhaut eines
Bronchialastes nachzuweisen? Können wir ausschliessen, dass nicht
eine Bronchialverlegung bestand durch einen Schleimpfropf, oder ;ine
nervös bedingte Verengerung des Bronchus (Kontraktur der glatten
Muskulatur) usw.? Es will mir scheinen, als seien die Schwierigkeiten
der Berücksichtigung aller in Frage kommenden Momente doch ausier-
ordentlich gross. Wir können aus dem Zwerchfellverhalten sicherlich oft
Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit der Lunge ziehen oder wir
können von einer ungünstig beeinflussten Atmung sprechen, aber die
wirklichen Ursachen der ZwerchfelleTScheinungen werden wir nich: in
jedem Fall aufzudecken vermögen. Was die wirklichen Basaladhäsicnen
anbetrifft, so glaube ich, dass diese für das Kindesalter nicht ganz die
diagnostische Bedeutung tragen, wie beim Erwachsenen. Schiff meint,
dass sie meist auf tuberkulöser Basis beruhen. Unsere Erfahrungen
sprechen nicht in diesem Sinne, wenn wir auch statistische Angaben
darüber nicht beibringen können Wir halten es darum auch nicht für
ratsam, in jenen Fällen, wo einwandfrei Basaladhäsionen bestehen, auf
Tuberkulose zu schliessen.
Aus der Prof. Dr. Vulpiussehen Orthopädisch-Chirurgischen
Klinik zu Heidelberg.
Leitende Aerzte: Prof. Dr. Vulpius und Dr. Qörres.
Ueber die Behandlung der rachitischen Unterschenkel¬
verbiegung im Bereich des unteren Drittels.
Von Dr. Qörres.
Die Zahl der Rachitisfälle hat infolge der langen Kriegsnot er¬
schreckend zugenommen. Bei sehr vielen dieser Kranken entwickeln
sich Verkrümmungen der Glieder, welche operatives Vorgehen be¬
dingen. Es ist daher das Interesse für die operative Heilung dieser Ver¬
biegungen von neuem erregt.
In letzter Zeit wurden nun einige neue Verfahren mitgeteilt zur Be¬
seitigung sehr schwerer Verbiegungen des Unterschenkels im Bereich
seines unteren Drittels. Es handelt sich um eine typische Verkrümmung.
Der Unterschenkel ist konvex nach aussen und vorn verbogen.
Springer (Zschr. f. orthop. Chir. XL.) reseziert subperiostal den
ganzen verkrümmten Tibiateil. i Dann wird das resezierte Stück in den
Schraubstock gespannt und mit der Laubsäge in 1 cm dicke Scheiben
zersägt. Die Fibula wird jetzt eingebrochen und die Verkrümmung ge¬
streckt. In den Periostschlauch werden dann die Scheiben wieder ein¬
gelegt. L 0 e f f 1 e r (D.m.W. 1920 Nr. 46) hält das Zersägen in Scheiben
infolge der bestehenden Knochenhärte für sehr schwierig, das Ernlegen
aller Scheiben für kaum möglich. Er zerbeisst daher das resezierte Stück
in kleine Partikelchen und füllt mit diesem „Knochensalat“ den Periost¬
schlauch. Bereits nach 4 Wochen war der Knochen völlig fest.
Schepelmann (Arch. f. Orthop. XVI. 1918) reseziert ebenfalls und
bedient sich zur Füllung einer modifizierten Mosetigplombe. Diese reizt
die Knochenhaut zur Neubildung von Knochen infolge der beabsichtigten
künstlichen Eiterung. Mit der Zeit stösst sich die Plombe gänzlich aus.
Die Konsolidierung dauert natürlich, lange. Alle drei Verfahren er¬
scheinen mir kompliziert. Leicht kann es zu einer Infektion kommen.
Dazu werden bei Springer und L o e f f 1 e r noch Knochenstücke frei
eingelegt, wodurch die Infektionsgefahr erhöht werden kann. Vor allem
aber halte ich auf Grund von vielen operativen Korrekturen von Unter¬
schenkelverbiegungen obige Methoden für nicht nötig. Ich war stets
bestrebt, mit möglichst einfachen Operationen auszukommen und er¬
reichte auch eine völlige Streckung geradezu grotesker Verbiegungen,
ohne ein Knochenstück von solcher Grösse entfernen zu müssen, dass
später ein teilweiser Ersatz wieder stattfinden musste.
Im folgenden will ich nun auf die von mir in der Klinik geübte
operative Behandlung eingehen. Die in Frage stehende Unterschenkel¬
verbiegung liegt im Bereich des unteren Drittels, bald etwas höher, bald
etwas tiefer. Sie setzt sich meist aus zwei Komponenten zusammen.
Der periphere Teil des Unterschenkels weicht, von dem zentralen Stück
erstens nach hinten, zweitens nach innen hin ab. Zuweilen sind beide
Komponenten gleichstark ausgebildet, oder es überwiegt die Verbiegung
nach hinten die Verbiegung nach innen, oder umgekehrt Selten handelt
es sich um fast reine Verbiegung nach innen oder hinten. Das distale
Ende des Unterschenkels mit dem Fuss ist in vielen Fällen nach innen
gedreht Die Verbiegung kann winkeliger Art sein, oder mehr im Bogen
erfolgen.
Im voraus möchte Ich bemerken, dass bei der Operation die Fibula
selbst bei schwerster Verkrümmung der Tibia stets unblutig infranglert
wird, dass ferner die Achillessehne meist verlängert werden muss; und
zwar wähle ich das sog. Rutschenlassen nach Vulpius, wenn kürzere
Verlängerungen bis zu ca. 3—4 cm nötig sind, sonst verlängere ich die
Sehne Z-förmig. Bei leichten und mittelstarken Verbiegungen genügt
nun zum Ausgleich der Schienbeinverkrümmung die subkutane Osteotomie
des Schienbeines von der konkaven Seite her auf der Höhe der De¬
formität. Es ist geradezu erstaunlich, welch hohe Grade der Unter-
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNf A ,
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
393
Schenkelverkrümmung sich durch dieses einfache Vorgehen leicht be¬
seitigen lassen. Der Eingriff ist in wenigen Minuten vorgenommen. Die
subkutane Ausführung reduziert die Infektionsgefahr auf ein Minimum.
Bestehen Zweifel, ob man mit diesem Vorgehen die Deformität be¬
zwingt, oder ob ein grösserer Eingriff nötig ist, so rate ich zunächst mit
der subkutanen lineären Osteotomie einen Versuch zu machen, der sich
dann im Falle des Nichtgelingens weiter ausgestalten lässt zu einem
Vorgehen, das ich nunmehr beschreiben will. Nochmals betonen möchte
ich, dass dieses Vorgehen nur bei schwersten Fällen in Betracht kommt.
Zunächst Verlängerung der Achillessehne, dann Bogenschnitt an der
Innenseite des Unterschenkels in Höhe der Verbiegung durch die Haut.
Die Konvexität des Bogens geht über die vordere Schienbeinkante
etwas nach aussen hinaus. Der Schnitt erstreckt sich über den grössten
Teil der Deformität. Zurückpräparieren des Hautlappens und Längs¬
schnitt durch die Knochenhaut inmitten der Innenseite des Schienbeines.
An den Enden werden kleine Querschnitte angelegt, um nun die Knochen¬
haut rings um die Verbiegung herum in toto abzulösen. Dies bereitet
keine Schwierigkeit, da das Periost bei den Rachitikern an dieser Stelle
dick und fest ist. Jetzt wird mit dem Meissei das Schienbein senkrecht
zu seiner Längsachse kurz oberhalb der Stelle der stärksten Abbiegung
in seiner ganzen Dicke durchtrennt und das Wadenbein eingebrochen.
Der Ausgleich lässt sich nun unter Extension am Fuss vornehmen, wobei
dann die beiden Schienbeinenden sich verschieben, vor allem ad longi-
tudinem. Das überstehende Stück des peripheren Endes wird am
besten mit der Säge abgetragen. Zu diesem Zweck lege ich beide
Schienbeinenden nach vorgenommener Streckung aneinander und
zeichne die Grösse des abzusägenden Stückes auf dem distalen Schien¬
beinteil auf, indem ich mit einem spitzen Instrument der Osteotomie¬
fläche des zentralen Tibiaendes entlang fahrend den peripheren Teil
ritze, ln dieser Linie erfolgt dann das Absagen, wobei sich das distale
Schienbeinende gut aus dem Periostschlauch herausheben lässt. Ich
Wähle mit Absicht zur Durchtrennung die Säge. Nach Aufhebung der
Kontinuität der Tibia durch die Osteotomie stösst ein Bearbeiten des
sowieso oft steinharten säbelscheidenartigen Unterschenkelknochens mit
dem Meissei auf grosse Schwierigkeiten. Nach der Resektion passen
nun beide Knochenflächen gut aufeinander. Naht des Periostschlauches,
der sich nicht immer völlig schliessen lässt, und der Hautschnitte.
Es wird also auch ein Knochenstück reseziert, doch gerade nur soviel,
als unbedingt zum Ausgleich erforderlich ist. Eine Resektion lässt sich
nicht umgehen, damit ein Ausgleich stattfindet, damit ferner die beiden
Knochenflächen gut aufeinander passen. Und schliesslich ist die Ver¬
längerungsmöglichkeit der Weichteile auch trotz operativer Verlänge¬
rung der Achillessehne beschränkt. Das resezierte Stück enthält den am
meisten gekrümmten Teil der Deformität. Es ist selten von Keil-, meist
von Trapezform. Basis des Keiles, bzw. längere der Parallelseiten des
Trapezes liegt nach vorn. Die Art des oben beschriebenen Vorgehens
läs^ unschwer die Grösse des zu resezierenden Stückes feststellen und
rela'tiv leicht uns mit einfachen Mitteln den harten Knochen bearbeiten.
Wiederholen möchte ich, dass ich unter Hunderten von Unterschenkel¬
verbiegungen, die ich zu operieren Gelegenheit hatte, nur selten zu
dieser offenen Resektionsmethode gezwungen war, die mir dann aller¬
dings auch einen vollen Erfolg brachte. Man könnte diesem Verfahren
vielleicht einen Vorwurf machen, dass nämlich die Resektion eine Ver¬
kürzung des Gliedes bedingt. Diese lässt sich jedoch nicht vermeiden,
wohl “aber durch unser Vorgehen möglichst beschränken. Dazu kommt
die geringe Verkürzung durch die Resektion kaum in Betracht da durch
die Streckung der Verbiegung immerhin noch eine Verlängerung des
Unterschenkels erfolgt.
Intravesikale Blasenflsteloperation nach Trendelenburg
im Feldlazarett.
Von Prof. Dr. W. Rübsamen, Oberarzt der Staatlichen
Frauenklinik Dresden.
Die von Trendelenburg [1] in den achtziger Jahren des ver¬
gangenen Jahrhunderts angegebene intravesikale Blasenfisteioperation,
wobei in starker Beckenhochlagerung von einem Querschnitt über der
Symphyse die Blase an ihrem Scheitel ebenfalls eröffnet und von hier aus
die Fistel angefrischt und genäht wird, ist in der Literatur sehr verschie¬
den bewertet worden. Während Fritsch \ 2 ] und S t o e c k e 1 [3] das
Verfahren, dem erhebliche technische Schwierigkeiten anhaften sollen,
ablehnen, wird es von v. F r a n q u d [4] als leicht geschildert und emp¬
fohlen, da er einen 3 mal von anderer Seite utid 1 mal von ihm selbst
erfolglos operierten Fall mit der Methode heilen konnte. Aber auch
Sippel [5] bezeichnet das von ihm 1892 erfolglos angewandte Verfahren,
dessen Berechtigung er zwar anerkennt, im Gegensatz zu v. Franqud
als schwierig. Neuerdings erwähnt auch P. Zweifel f6l einen von
ihm mit der Methode operierten Fall, in dem es zwar schliesslich unter
grossen Schwierigkeiten gelang, die Fistel zu schliessen und auch die
Oeffnuog des Drains über der Symphyse zur Ausheilung zu bringen; aber
die Erinnerung an jene Operation veranlasste Zweifel, die Operation
nicht zu wiederholen, zumal sich sein intraabdominales Verfahren be¬
währt hat und mit gutem Gewissen empfohlen werden kann.
Während meiner Tätigkeit im Felde habe ich mich bei einem Land¬
sturmmann mit durch Schussverletzung entstandener Blasenboden-Gesäss-
fistel für die T r e n d e 1 e n b u r g sehe Operation entschieden, zumal da-
■üt zugleich die Herausnahme des in der Blase nachgewiesenen Sprensr-
Digitized by Goiisle
Stückes verbunden werden konnte. Die Operation war nicht allzu
senwierig auszuführen und führte zu glatter Heilung, so dass ich mir
nicht versagen möchte, den Fall kurz mitzuteilen.
P. Sch., Landsturmmann, 43 Jahre alt, wurde beim Vorgehen gegen feind¬
liche Stellung durch Artilleriesprengstücke am Qesäss und am rechten Ober¬
schenkel verletzt. Nach Versorgung auf dem Truppenverbandplatz wurde er
nach einigen Tagen in unser Feldlazarett verlegt. Der Befund ergab rechts
in der Mitte des Gesässes, und zwar in der Höhe des oberen Kreuzbeinrandes
eine pfennigstückgrosse zerfetzte und verschmutzte Einschussöffnung, aus der
sich dauernd Urin entleerte, so dass eine Kommunikation mit der Blase an¬
genommen werden musste. Weitere Einschussöffnungen befanden sich am
rechten Oberschenkel und linken Kreuzbeinrande. Die Ränder der Einschuss¬
öffnungen wurden im Sinne von Ritter [7] sorgfältig gereinigt und mit
D a k i n scher Lösung verbunden. Der in die zuerst erwähnte Einschuss¬
öffnung am Gesüss eingeführte Katheter führte nach innen zu in die Mitte
des Unterleibes und in die Blase, in welch’ letzterer sich mit dem Katheter
ein Fremdkörper (Geschoss) nachweisen Hess. Die Röntgenaufnahme (O^er-
ingenieur B a a t h) bestätigte das Vorhandensein eines grösseren Spreng-
stUcks in der Blase, eines weiteren zwischen Rektumwand und Kreuzbein
und zuletzt von 2 kleineren Qeschossteilen am rechten Femurhals.
Die Blasen-Gesässfistel wurde am 12. Juni 1916 von mir nach der Tren¬
delenburg sehen Methode operiert (Assistenz: Dr. V i 11 i n g e r, Narkose:
Oberstabsarzt Dr. Fritz Reuter). Suprasymphysärer Faszienquerschnitt,
quere Eröffnung des Blasenscheitels, Herausholen eines ca. 3 cm langen,
0,7: 0,8 cm dicken zackigen Sprengstückes, das am Blasenboden liegt. Nun
wird das Blaseninnere durch den Narkotiseur mittels Reflektors beleuchtet
und es lässt sich feststelien, dass in der Mitte am Blasenboden, etwa 2 cm
hinter den beiden Ureterostien beginnend, eine längliche, etwa pfennigstück¬
grosse zerfetzte Blasenfistel vorhanden ist. Die schmutzigen Ränder dieser
Fistel werden sorgfältig beschnitten und die Blascnwand an der histelstelle
von ihrer Unterlage abpräpariert. Nachdem dies geschehen ist, geht man zum
Verschluss über, der derart ausgeführt wird, dass 2 SeidenfÄen die Aussen-
wand der Blase fassen, ohne jedoch die Schleimhaut zu durchstechen, und
beim Knüpfen extravesikal zu liegen kommen. Nur mangels des Vorhanden¬
seins geeigneter Instrumente machte die Anlegung der Nähte Schwierigkeiten,
aber die Zugänglichkeit des Operationsgebiets war sonst gut. Schluss der
Bauchdecken, Dakin-Verband. Drainage mit Glasdrain von oben her durch
eine kleine Lücke. Dauerkatheter. Pat. machte eine ungestörte Rekonvales¬
zenz durch und lag von der Stunde der Operation an trocken. Der ziemlich
lange Fistelkanai nach dem Gesäss zu schloss sich in der Folgezeit durch
Qranulationsbildungen. Alle 2 Tage Verbandwechsel.
Am 29. Juni wurden dann die kleineren Geschossteile im rechten Oberschenkel
und am 1. Juli das grössere zwischen Mastdarmwand und Steissbein liegende
Sprengstück operativ entfernt und der Abtransport des Patienten konnte am
13. Juli erfolgen. Rückfragen Uber das weitere Ergehen bei den später be¬
handelnden Aerzten ergaben im September 1916, dass die Blasenfistel auch
in der Folgezeit verschlossen blieb und Pat. keine Blasenbeschwerden mehr
hatte. Im Jahre 1917 ging er wieder an die Front und schrieb mir aus Maze¬
donien, dass es ihm sehr gut gehe und er wieder felddienstfähig sei.
In dem vorliegenden geheilten Falle hätte man mit Rücksicht auf
das zweifellos infizierte Artilleriegeschoss ein intraperitoneales Vorgehen
im Sinne Zweifels f6l nicht verantworten können. Es wäre wohl auch
die Zugängigkeit nicht besser gewesen, als beim intravesikaLen Vorgehen,
das allein schon zwecks Herausnahme des Geschosses notwendig war.
Es scheint mir wichtig, festzustellen, dass auch in meinem Falle die tech¬
nischen Schwierigkeiten beim Operieren trotz des Fehlens von geeigne¬
ten Instrumenten nicht so gross waren, dass man sie deshalb grund¬
sätzlich abzulehnen hätte und ich würde auf Grund meiner günstigen
Erfahrung und der v. F r a n q u 6 sehen Ausführungen diese Operation
gegebenenfalls auch in gynäkologischen Fällen, die ich bis letzt ausnahms¬
los mit anderen Methoden [8] zur Heilung brachte, zur Anwendung
bringen.
Literatur.
1. Trendelenburg: Samml. klin. Vortr. v. R. Volkmann Nr. 355. —
2. Fritsch: Handbuch der Gynäkologie. 1. Aufl. 1897. Bd. 2. —
3. Stoeckel: Veits Handbuch. 2. Aufl. Bd. 2. — 4. v. F r a n q u ö: Zschr.
f. Gyn. u. Qeb. Bd. 78 H. 2 und Zbl. f. Gyn. 1916 Nr. 34. — 5. Sippel:
Zbl. f. Gyn. 1916 Nr. 29. — 6. P. Z w e i f e 1: Mbl. f. Geb. u. Gyn. Bd. 53. --
7. Rit.ter: M.m.W. 1916, Feldärztl. Beil. Nr. 7 S. 263 und Rübsamen:
M.m.W. 1916 Nr. 41 S. 1468. — 8. Rübsamen: Arch. f. Gyn. Bd. 112 u. 114.
Aus der dermatologischen Klinik der Universität München.
(Direktor: Prof. Dr. Leo Ritter v. Zumbusch.)
Die Zunahme der Stomatitis mercuriaiis nach dem Kriege.
Von Dr. Emil Huber.
Die dermatologischen und zahnärztlichen Zeitschriften der Nach¬
kriegsjahre weisen eine umfangreiche Literatur über die ausserordentlich
häufig auftretende Stomatitis ulcerosa auf. Von einer grösseren Zahl von
Kliniken wird auch über eine Zunahme der merkuriellen Stomatitis nach
dem Kriege berichtet. Es handelt sich jedoch hierbei jnehr oder minder um
vage Angaben, genauere Tatsachen, die diese Anschauung durch statisti¬
sches Material erhärten könnten, fehlen unseres Wissens. Qieser Um¬
stand gab uns Veranlassung, in der Münchener dermatologischen Uni¬
versitätsklinik darüber genauen Aufschluss zu suchen. Die Durchsicht
sämtlicher in der Zeit vom Januar 1914 mit Dezember 1920 mit
Quecksilberpräparaten, und zwar fast ausschliesslich in Form von
Schmierkur behandelten luetischen Erkrankungsfälle zeitigte folgendes
Ergebnis:
Es traten auf
bei mit Hg Behandelten merk. Stomatitiden
1914 293 8 2,7 Proz.
1915 232 12 5,1 .,
4 ®
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
394
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
bei mit Hg Behandelten merk. Stomatitiden
1916
251
11
4,6 Proz.
1917
214
9
4.1 „
1918
282
12
4,3 „
1919
296
40
13,5 „
1920
. 356
63
17,1 ..
Die Zunahme der Stomatitis mercurialis nach dem KriCRe tritt aus
diesen Angaben so klar in Erscheinung, dass versucht werden soll,
dafür eine mutmassliche, ursächliche Erklärung zu finden.
Es wäre wohl zunächst an eine Ursache zu denken, nämlich, diese
Häufung als eine Folge der Verwendung von Kriegssalben bei der anti¬
syphilitischen Kur zu erklären, die eventuell infolge ihrer Bereitung mit
Ersatzfetten eine Reizung der Haut und dadurch eine erhöhte Resorbier¬
barkeit des Hg bei den Einreibungen hervorrufen könnten. Eine der¬
artige Ursache dürfte schon aus dem Grunde als unwesentlich in Be¬
tracht kommen, als ja gerade während des Krieges keine so wesentliche
Erhöhung der merkuriellen Stomatitisfälle beobachtet werden konnte;
übrigens war es ah der hiesigen Klinik schon 1919 möglich, die graue
Salbe mit reinen Salbengrundlagen herzustellen, ohne dass ein Abfallen
der merkuriellen Entzündungen des Mundes in Erscheinung trat. Da nun
fernerhin das Quecksilber bzw. seine Dosierung und Anwendungsweise
sich nicht geändert hat, muss der Grund in einem anderen Moment ge¬
sucht werden.
Seit dem Kriege wurden auch andere Hg-Sch^digungen in zu¬
nehmender Zahl festgestellt. Dies dürfte wohl ohne Zweifel mit der
verminderten Widerstandskraft des Körpers gegenüber dem merkuriellen
Gefässgift in Zusammenhang stehen. Es ist eine Tatsache, dass durch
die Einführui^ der feindlichen Wirtschaftsblockade der Ernährungs¬
zustand der Deutschen schwer gelitten hat. Der Mangel der Ein^hr
gerade der hochwertigsten Nahrungsmittel auch noch nach dem Kriege
musste auf den körperlichen Zustand der deutschen Bevölkerung von
grossem Einfluss sein. Zahlenmässig sind bereits festgcstellt die Häufung
der Tuberkulose, der kindlichen Rachitis, sowie der Spätrachitis. Ohne
weiteres sind auch die starken Gewichtsabnahmen, wie sie besonders
Fr. v. Müller für die gesamte Bevölkerung berechnet hat in Zu¬
sammenhang • mit der schweren, durch den Kalorienmangel bedingten
Unterernährung zu bringen. Wir dürfen daher wohl die verminderte
Widerstandskraft auch für die erhöhte Störbarkeit verantwortlich
machen, die sich durch die Vermehrung der Stomatitis mercurialis kund¬
gibt zumal es erwiesen ist. dass auch andere Stomatitisformen, wie
die Stomatitis ulcerosa in dem letzten Kriegsjahr und auch nach dem
Kriege eine ausserordentliche Vermehrung erfahren haben. Erwähnt
doch W e i n h a r d t dass es zu Ende des Krieges Kompagnien gegeben
habe, bei denen 10—20 Proz. des Mannschaftsstandes an ulzeröser
Stomatitis erkrankt waren. Auch in den Durchgangslagern für unsere
heimkehrenden Gefangenen wurde ebenso wie in der Privat- und
Kassenpraxis diese Häufung von Mundentzündungen beobachtet
Es fragt" sich, ob der Kalorienmangel im allgemeinen es ist der
die geringere Widerstandsfähigkeit hervorgebracht hat oder ob es
besondere Körper sind, die in der Nahrung gefehlt haben. Vielleicht
geben uns hier gewisse Analoga mit anderen Krankheiten, die wir besser
ätiologisch deuten können, Aufschluss.
Als nächstliegend dürfen wir hier an die Munderscheinungen bei
Skorbut bei der Möller-Barlowschen Erkrankung, sowie der
Segelschiff-Beriberi denken, die wir als Avitaminosen ansprechen, als
sogen. Partialhunger, der durch das Fehlen der für den Körperhaushalt
notwendigen Vitamine oder Ergänzungsnährstoffe bedingt ist Diese
Ergänzungsnährstoffe sind bekanntlich Körper verschiedener chemischer
Zusammensetzung, deren Aufbau wir noch wenig genau kennen; sie
haben das gemeinsam, dass sie aus der Nahrung durch Denaturalisation
leicht zu entfernen und gegen Hitze sehr empfindlich sind.
Nun entstehen diese Krankheiten durch Vitamin fr eie Kost
während wir in unserer Kriegsnahrung wohl kein absolutes Fehlen,
sondern nur einen Mangel an Ergänzungsnährstoffen annehmen
müssen. Der Mangel aui der einen, das Fehlen auf der anderen Seite
wird uns die Unterschiede verständlich machen, die zwischen der mer¬
kuriellen Stomatitis und den Munderscheinungen der obengenannten Er-
krpkungen bestehen. Ferner kommt im Gegensatz zu letzteren in
ätiologischer Hinsicht ein doppeltes Moment ein endogenes und ein
exogenes, nämlich die Hg-Zufuhr in Frage. Die Schleimhaut eines
Körpers, der durch den Mangel an der nötigen Kalorienmenge, sowie
hauptsächlich durch den Mangel an Vitaminen ohnehin geschwächt ist
wird naturgemäss eine toxische Einwirkung, wie sie die Quecksilber-
einverleibung darstellt schlechter vertragen, als die eines gutgenährten
betont, werden besonders dann die Hunger-
schadigungen sichtbar werden, wenn der Körper besonderer Wider¬
standsfähigkeit bedarf, und wenn er seinen Vorrat an diesen Nährstoffen
aufgebraucht hat
Aus letzterem erklärt sich, warum erst in dem letzten Kriegsjahr
und besonders in den Jahren nach dem Krieg die starke Zunahme der
Ouecksilberschädigungen und in unserem Falle besonders der merkuriellen
Stomatitis eingetreten ist
Mit der Bessemng unserer Ernährung wird sich wohl das Auftreten
merkurieller Schädigungen auf das Mass reduzieren lassen, wie es in den
Friedensjahren bestand, wo wir die Quecksilberstomatitis in der Haupt¬
sache doch nur dann sahen, wenn schlechte Mund- und Zahnverhältnisse
zu dieser disponierten oder besondere Empfindlichkeit für das Gift vorlag
Aus der Universitätsklinik für Haut- und Qeschlechtskrank
heiten zu München.
(Direktor: Prof. Dr. Leo Ritter v. Zumbusch.)
Zosteriforme Hautnekrose nach intramuskulärer Ein¬
spritzung von Hydraryyrum succinimidatum.
Von Dr. Johann Saphier.
In der Mitteilung von Mayr und T h i e m e (Arch. f. D. u. S.
Bd. 130) über „Quecksilber- und Salvarsanschädigungen“, die an unserer
Klinik binnen kurzer Zeit in grösserer Anzahl zur Beobachtung kamen,
ist auch ein Fall (Vill) von seltener Salvarsanintoleranz beschrieben.
Die zweite Salvarsanintoxikation, die der Beschreibung zugrunde liegt
trat bei dem Patienten bereits nach 0,15 Neosalvarsan ein. Der Verlauf
der Vergiftung war anfangs sehr bedrohlich; nach einigen Wochen trat
jedoch völlige Heilung ein. Da die histologische Untersuchung der
exzidierten Sklerose trotz der negativen Dunkelfeldpräparate und des
negativen Levaditibefundes die klinisch einwandfreie Diagnose zu be¬
stätigen schien, wurden zwecks Fortsetzung der Kur intramuskuläre
Injektionen von Hydrargyrum succinimidatum gemacht Von der
Schmierkur musste angesichts der Dermatitis Abstand genommen
werden. Die erste Einspritzung (0,5 Hydrarg. succin. in 5 proz. Lösung
mit 0,3 proz. Novokain) wurde am 27. V. 1920 anstandslos vertragen,
ebenso die sechs nächsten Injektionen, die jeden dritten bzw. vierten Tag
in der Menge von 1,0 ccm verabreicht wurden. Patient fühlte sich sehr
gut Der Juckreiz hat vollständig aufgehört die Haut schuppte kaum
mehr, sie war nur von einer auffallend derben Konsistenz. Innerer Be¬
fund ohne Besonderheiten. Der Blutbefund vom 16. Juni 1920, einen Tag
vor der siebenten Succinimidinjektion, war insoferne interessant als er
überraschenderweise eine sehr hochgradige Eosinophilie (36 Proz. bei
7600 farblosen Blutkörperchen) aufwies, die nach ungefähr vier Wochen
auf 8 Proz. (bei 94Ü0 farblosen Blutkörperchen) gesunken ist
Am 19. Juni wurde die achte intramuskuläre Succinimidinjektion (1,0)
gemacht, und zwar nach allen Regeln der Kunst, in der Reihenfolge im inneren
oberen Quadranten der linken Qesässhälfte, mehr weniger 3 Querfinger unter¬
halb des Darmbeinkammes. Schon während des Einstichs klagte der Fat.
über ziemlich starken Schmerz. Nach 2 Minuten wurde ich zum Pat. geholt
und stellte bei ihm einen schweren Kollaps fest: bei völlig klarem Bewusst¬
sein und normaler, vielleicht nur etwas flacher Atmung kleiner, fadenförmiger,
leicht unterdrückbarer Puls (HU), hochgradige allgemeine Blässe, starker
Schweissausbruch. Pat. kb"-te übtr äusserst heftige Schmerzen an der In-
jektionsstelle, die in die ganze linke untere Extremität ausstrahlten. In der
Gegend der Injektionsstelle, mehr weniger dem Bereich der zweiten H e a d -
sehen Area glutaeocruralis (L. I.) entsprechend, sah man eine dunkelblaue
Verfärbung, deren Ränder blau- bis heilrot verfärbt und halbinselartig poly¬
zyklisch geformt waren. Die ganze Veränderung nahm eine Fläche von un¬
gefähr 20 cm Länge und 8 cm Breite ein. Der grösste Teil des Herdes
erstreckte sich von der Einstichstelle schräg nach aussen und unten; eine
2 cm lange Partie lag auch medianwärts fast bis zur Mittellinie. Der ganze
Herd war ein wenig über das Niveau der Umgebung erhaben und äusserst
druckempfindlich. Uebrigens war auch die linke Gesässhälfte im Vergleich
zur rechten stark geschwollen, blass und ebenfalls druckempfindlich. Die
Schwellung, besonders aber die Druckempfindlichkeit erstreckte sich über
den ganzen linken Oberschenkel; schmerzhaft war auch die Berührung des
Unterschenkels, so dass die genauere Abtastung der tieferliegenden Gefässe
unmöglich war. Der Fuss war frei. Der Kollaps dauerte 5 Minuten. Die
Heftigkeit der Schmerzen hat unter Pantoponwirkung nach einer halben Stunde
etwas nachgelassen. Nun konnte bei äusserst vorsichtiger Palpation fest¬
gestellt werden, dass der verfärbte Herd sehr derb infiltriert war und die
dunkelblaue Farbe unter Druck sich gar nicht veränderte, während an den
Rändern eine Abblassung erfolgte.
Die ersten paar Tage hielten Schmerz und Druckempfindlichkeit in un¬
vermindertem Grade an. Die dunkelblaue bzw. dunkelrote Farbe nahmen an
Intensität, die hellrote Randpartie an Ausdehnung zu. Gleichzeitg war eine
Zunahme der Schwellung der linken Gesässhälfte und der ganzen unteren
Extremität festzustellen, wobei eine ganz eigenartige gelbliche Verfärbung
auftrat, die an die Farbe der Wachskerzen oder an schlechte Moulagen er¬
innerte. Während die Haut an anderen Körperstellen mit dem Abheilen
der Salvarsandermatitis immer mehr an Geschmeidigkeit gewann, war die
Haut der ganzen linken unteren Extremität von den Zehenspitzen bis zum
Uarmbeinkamm hinauf derb und pastös.
LT« die ganze Zeit fast ohne Bewegung auf der vorderen rechten
Körperflache. Die geringste passive Bewegung, die vom Pflegepersonal
ab und zu vollzogen werden müsste, bereitete ihm äusserst heftige Schmerzen,
trotz der Narkotika war der Schlaf äusserst mangelhaft. Feuchte Verbände
mit essigsaurer Tonerde brachten untertags geringe Linderung. ' Die
Schmerzen waren an der verfärbten Stelle am heftigsten. Sie hatten einen
rossenden, neuralgischen Charakter und strahlten in die ganze Extremität
bis zu den Zehenspitzen aus, vorwiegend aber in der Gegend des N. ischiadi-
normale Temperatur zeigte nun subfebrile Zacken
tbis 37,8).
Nach 10 Tagen trat in den mittleren Partien des Herdes eine oberflächliche
Nekrose auf; anfangs einmarkstückgross, auf das dunkelblaue Zentrum be¬
schränkt, breitete sie sich immer mehr aus, und zwar vorwiegend in der
Längsachse des Herdes. Bald darauf ergriff die Nekrose auch oberfläch¬
lichere, dann tiefere Teile der Kutis und reichte stellenweise sogar ins sub-
kut^ane Gewebe. Nach Abstossung der nekrotischen Fetzen setzte eine reich¬
liche eitrige Sekretion der geschwürigen Oberfläche ein, wobei leicht fest¬
gestellt werden konnte, dass in der Tiefe des Gewebes, vor allem in der
Gegend des Stichkanals keine Eiterung vorhanden war. Die Einstichstelle,
die eben noch im Berei 9 he der nekrotischen Partie auf ihrem medialen Ende
war, wies keine besonderen Veränderungen auf. Die Reinigung des Ge¬
schwürs und die Heilung des ganzen Prozesses ging unter antiseptischen
Salbenverbänden ziemlich rasch vor sich. Die periphere Rötung ist recht
schnell abgeblasst. Auch die Schmerzen hielten nicht mehr so ununter¬
brochen an, wie anfangs. Die Schwellung und die eigentümliche Farbe
der übrigen Haut der Extremität gingen langsam zurück.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORl
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
395
Ajjfi 13. Juli sind die neuralgischen Schmerzen gewichen; sie traten im
Lauf oer nächsten 14 Tage ausser st sporadisch und nur ganz vorübergehend
auf, um nachher spurlos zu verschwinden. Pat. nahm innerlich zwecks Fort¬
setzung der antiluetischen Kur 3 Wochen lang R i c o r d sehe Pillen ein, worauf
eine ^hmierkur mit 5,0 grauer Salbe eingeleitet wurde, die sehr gut ver¬
tragen wurde. Nach 20 Einreibungen — WaR. blieb negativ — wurde Pat.
mit einer zarten, gefässreichen, etwas eingezogenen Narbe an der linken Ge-
sässhälfte geheilt entlassen.
In der Literatur ist meines Wissens ein ähnlicher Fall nicht bekannt,
bloss Touton beschreibt im Arch. f. D. u. S. 1889 einen Fall von
„Zoster femoralis im Anschluss an eine intramuskuläre Salizylquecksilber-
injektion“. Es handelte sich in seinem Fall um einen „Zoster abortivus“,
der nach mehr als 24 Stunden nach der Injektion aufgetreten ist.
Touton bringt die Eruption in Zusammenhang mit dem Trauma, mit
der Verletzung eines Nervenastes des Plexus sacralis, gibt aber auch
die Möglichkeit eines reflektorischen Zoster zu.
Wir wären geneigt, in unserem Falle die eigenartige hochgradige
Nekrose als Folge der unmittelbaren Verletzung eines Astes des
Plexus lumbosacralis (vielleicht des N. glut. sup.) anzunehmen, wobei
auch die chemische Schädigung in Betracht kommen könnte. Dafür
spricht vor allem das. unmittelbare Auftreten der stürmischen Erschei¬
nungen nach der Injektion, dann die streng halbseitige, der H e a d sehen
Area glutaeo-cruralis entsprechende Lokalisation. Angesichts der Lös¬
lichkeit des injizierten Hg-Präparates kommt eine Gefässembolie kaum
in Betracht, ebensowenig dürfte die Annahme einer Thrombose mit
nachträglicher Embolie gerechtfertigt sein. Beachtenswert ist der
günstige Verlauf der Affektion trotz der anfangs recht bedrohlichen Er¬
scheinungen.
Wir möchten noch an dieser Stelle betonen, dass wir uns in dem
Fall zur Injektionskur entschlossen haben, weil eine Schmierkur zu dieser
Zeit kontraindiziert war. Sonst bevorzugen wir in der ^Klinik die
Sghmierkur, die bekanntermassen eine wirksame und dabei die weitaus
ungefährlichste Hg-Behandlung darstellt Da das Hg nicht mehr das
souveräne Antisyphilitikum ist ist jede andere riskantere Methode ent¬
behrlich, abgesehen von den Vorteilen, die die Abwechslung von Hg-
Mitteln in einzelnen Fällen bringen kann, wie z. B. Schmierkur mit nach¬
träglicher Injektionskur. Schliesslich ist die Annahme der alten Autoren,
dass bei der Schmierkur das Hg unmittelbar auf den Hauptsitz der
Erkrankung wirke, nicht zu unterschätzen.
Aus dem pharmakologischen Institut der Universität Erlangen.
Chlorsaures Aluminium „Mallebrein“.
Von Prof. Dr. Heinz, Vorstand des pharmakologischen
Institut Erlangen.
Unter dem Namen Mallebrein bringt die chemische Fabrik
Krewel & Co., Köln a/Rh., eine 25 proz. Lösung von chlorsaurem Alu¬
minium in den Handel. Chlorsaures Aluminium hat die chemische Formel
(C10 s) 3AL Die Chlorsäure ist bekanntlich eine oxydierende, leicht
Sauerstoff abgebende Säure. In AKClOals sind 52,3 Proz. 0 enthalten;
der Sauerstoff wird hier noch leichter abgegeben als vom chlorsauren
Kali. — Während ClOsK bekanntlich ein gutkristallisierendes, haltbares
Salz darstellt, ist (C105)sAl ln Substanz nicht haltbar, weshalb es eben
als 25 proz. wässerige Lösung (..Mallebrein“) in den Handel kommt.
Das chlorsaure Kali ist bekanntlich ein Blutgift: es war^’^H (wie
andere oxydierende Körper) Hämoglobin in Methämoglobin um. Die
Blutgiftwirkung hängt sicher mit der oxydierenden Wirkung des ClOsK
zusammen, denn ClÖaNa wirkt ebenso als Blutgift wie ClOaK, während
CIK und ClNa ohne Wirkung sind. — Auf der Sauerstoffabgabe beruht
wohl auch die praktisch angewandte desodorierende und desinfizierende
Wirkung des Kaliumchlorats.
Das NaClOs hat als Natriumsalz keine spezifische Kationwirkung.
Für das KCIO* kommt die theoretisch wohl vorhandene Wirkung des
Anion praktisch nicht in Betracht, da sich die herz- und muskel¬
lähmende Wirkung des K nur zeigt wenn Kalisalze direkt ins Blut oder
(in grösserer Menge) subkutan injiziert werden. In dem AKClOals aber
ist ein spezifisch wirkendes Kation vorhanden, das Al.
Ich habe gemeinsam mit Dr. M a n n D das chlorsaure Aluminium
vergleichend, einerseits mit chlorsaurem Natrium und chlorsaurem
Kaliu— 'anderseits mit Alaun und essigsaurer Tonerde untersucht und
zwar einmal auf resorptive Giftwirkung und dann auf lokale, adstrin¬
gierend-antiseptische Wirkung.
Es wurden zunächst Versuche über antibakterielle Wir¬
kung angestellt und zwar wurde die Konzentration festgestellt die
Fäulnis und Gestank von infizierten Muskelstückchen aufhebt Es wurden
Froschmuskeln durch Zimmerschmutz gezogen, in gleiche kleine Teile
zerschnitten, je zwei Teile in einem kleinen Kölbchen mit je 10 ccm
Wasser bzw. verschieden-konzentrierter Lösung des Antiseptikums über¬
gossen. die Kölbchen in den Brutschrank gebracht und nach 24, 48,
72 Stunden beobachtet bei welcher Konzentration des Antiseptikums
keine Trübung und kein Gestank auftrete (..Faulfleischstückchen¬
methode“ nach Prof. Heinz*). Im Zimmerschmutz finden sich die
verschiedensten Arten von Kokken und Bakterien, Aörobier und An-
*) J. Mann: Chlorsaures Aluminium — „Mallebrein“. Erlanger Disser¬
tation 1920.
*) Heinz: Handbuch der experimentellen Pathologie und Pharmako¬
logie Bd. 1 Kap. 2.
aerobier, mittelresistente bis zu den resistentesten Formen. Der Fäulnis¬
gestank wird hauptsächlich durch (fakultative) Anaerobier hervor¬
gebracht Die Konzentration eines Antiseptikums, die Trübung und Ge¬
stank sicher verhindert, verhindert bestimmt auch das Wachstum der
pathogenen Mikroorganismen, denn diese sind bekanntermassen ja
meistens verhältnismässig wenig resistent Auch die resistenteren
Formen unter ihnen, Staphylococcus pyogenes aureus und Bacillus pyo-
cyaneus, brauchen, wie vergleichende Untersuchungen im pharmakologi¬
schen Institut Erlangen mit Sublimat und Karbolsäure zeigten, zvt
sicherer Wachstumshemmung geringere Konzentration des gleichen Anti¬
septikums als die Fäulnisbakterien der mit Zimmerschmutz infizierten
Fleischstückchen. Die Methode ist daher gewissermassen eine „Maximal¬
methode“; sie ist dabei zugleich auch eine „Standardmethode“, denn
die im Verlauf von 20 Jahren im pharmakologischen Institut zu den ver¬
schiedensten Zeiten bzw. Jahreszeiten angestellten Reihenversuche mit
den gleichen Antiseptizis gaben immer wieder dasselbe Resultat; ebenso
gaben die von Oberarzt Dr. Grönberg 1918 in Erlangen und 1919 in
Viborg (Finnland) angestellten Versuche mit der Methode für dieselben
Körper dieselben Zahlen. Die Methode ist dabei sehr bequem und führt
auch bei zunächst ganz unbekannten Körpern rasch zur Erkennung ihrer
antibakteriellen Wirkungsstärke. Es werden von der zu untersuchenden
Substanz z. B. 10 proz., 1 pröz., 0,1 proz., 0,01 proz. Lösung mit infizierten
Muskelstückchen angesetzt; zeigt sich z. B. 1 Proz. wirksam und
0,1 Proz. unwirksam, so wird eine Reihe von 1 Proz., 0,9 Proz.. 0,8 Proz.,
.0,3 Proz., 0,2 Proz., 0,1 Proz. angesetzt und man erkennt dann,
welche Konzentration mit Sicherheit das Wachstum auch resistenterer
Mikroorganismen verhindert.
Die nach der obigen Methode angestellten Versuche ergaben nun
folgendes Resultat.
Chlorsaures Natrium und chlorsaures Kalium vermochten erst von
einer Konzentration von 5 Proz. an Bakterienwachstum bzw. J^äulnis
sicher zu verhindern. Die 3 proz. ClOsK- bzw. ClOsNa-Lösung zeigte
nach 24 Stunden noch keine Trübung und keinen Geruch, wohl aber nach
72 Stunden; 3 proz. Lösung vermag also wohl eine wachstums¬
hemmende, aber keine Wachstums verhindernde Wirkung aus¬
zuüben.
Chlorsaures Kali (wie ClOsNa) zeigt also nur sehr schwache anti¬
bakterielle Wirkung. Will man Kalium chloricum als antiseptisches
Mund- bzw. Gurgelwasser anwenden, so muss man mindestens 3 proz.
Lösung benutzen (unvergleichlich stärker und sicherer als Mundanti¬
septikum wirkt bekanntlich Wasserstoffsuperoxyd in den bekannten Ver¬
bindungen als Perhydrid, Perhydrol, Ortizon etc.).
Von Alaun, essigsaurer Tonerde und Mallebrein wurden ..Ausgangs¬
lösungen“ hergestellt, die je 1 Proz. schwefelsaures Aluminium-Kalium
bzw. essigsaures Aluminium bzw. chlorsaures Aluminium enthielten.
Diese 1 proz. Ausgangslösungen wurden zu 34, 34, V«, Vie, Vaa etc. ver¬
dünnt, und mit diesen Verdünnungen wurden „Fäulnisversuche“ an¬
gestellt. Das Resultat war folgendes:
Alaun zeigte absolute Wachstumsverhinderung erst bei 1 Proz.;
essigsaure Tonerde bei % Proz.; chlorsaures Aluminium bei Vs Proz.
Das Chlorsäure Aluminium erweist sich sonach in bezug auf antiseptische
Wirkung als 4 mal stärker wirksam als die essigsaure Tonerde, 8 mal
stärker als der Alaun (und 40 mal stärker als chlorsaures Kali!).
Es wurden sodann vergleichende Untersuchungen über die ad¬
stringierende Wirkung von (C10a)3Al, ClOsK, ClOsNa, Alaun
und essigsaurer Tonerde angestellt, und zwar nach der Kobertsehen
Methode der „Gerbung der roten Blutkörperchen“*). Die Methode be¬
ruht auf folgendem:
Normale rote Blutkörperchen, die in ihrem eigenen Plasma bzw. in
einer isotonischen Kochsalzlösung aufgeschwemmt sind, gehen vermöge
ihrer Elastizität durch die Poren von Filterpapier (auch des besten)
durch. Das Filtrat enthält massenhaft rote Blutkörperchen, was ohne
weiteres mit blossem Auge zu konstatieren ist. Werden unter dem Ein¬
flüsse zusammenziehender Mittel (Gerbsäure, Schwermetallsalze) die
roten Blutkörperchen an ihrer Oberfläche „gegerbt“, so gehen sie nicht
mehr durch die Poren des Filterpapiers; sie bleiben auf diesem als fein¬
krümelige Masse zurück, während das Filtrat blutkörperchenfrei er¬
scheint. Zu den Versuchen werden abzentrifugierte. In 0,9 proz. ClNa-
Lösung aufgeschwemmte („gewaschene“) Pferde- oder Hammelblut¬
körperchen verwendet. Von einer Hammelblutkörperchenaufschwem-
mung 5:100 wurden je 10 Tropfen in je 10 ccm einer 1 proz., % proz.,
K proz.Lösung der zu untersuchenden Substanz gebracht, eine
Stunde stehen gelassen, und dann du^h Rundfilter von 9 cm Durchmesser
Nr. 589 Schleicher-Schüll filtriert
Bei chlorsaurem Kalium und chlorsaurem Natrium gehen die Blut¬
körperchen ebenso leicht durch das Filter wie bei Chlorkalium und
Chlornatrium: es findet also keine Gerbung der roten Blutkörperchen
statt; ClOsK und ClOsNa haben (wie zu erwarten war) keine zu¬
sammenziehende Wirkung.
Die Aluminiumsalze zeigten die bekannte, für sie ja besonders
charakteristische, adstringierende Wirkung darin, dass sie bis zu starken
Verdünnungen herab Gerbung der roten Blutkörperchen hervorriefen.
Alaun wirkte noch bei einer Verdünnung von ^/ss, essigsaures Aluminium
bei V«4 Proz., chlorsaures Aluminium noch bei ‘/us Proz.
Das chlorsaure Aluminium („Mallebrein“) wirkt also — wie stärker
antisentisch — so auch stärker adstringierend als das bekannte Alaun
*) Kobert: Ueber die Bewertung, der Adstringentien mit Hilfe von
Blutkörperchen. Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden Bd. 9.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und die essigsaure Tonerde. Dies dürfte einmal auf der Chlorsäure¬
komponente beruhen (gegenüber der indifferenten Schwefelsäure bzw.
Essigsäure); dann aber vielleicht auch auf einer stärkeren Dissoziation
verdünnter Lösungen des chlorsauren Aluminiums (anorganische Säure!)
gegenüber dem Aluminium aceticum (organische Säure!) bzw. dem
schwefelsauren Aluminiumkalium (komplexes Salz!).
Wie steht es nun mit der G i f t i g k e i t des Mallebrein? Theoretisch
muss ja das AKClOala die gleiche „Chlorat“-Wirkung (Blutgiftwirkung)
haben wie das KClOa bzw. NaClOs. Direkt zum Blut zugesetzt ruft
AKClOsjs ebenso Methämoglobinbildung hervor wie KClOa.
K o b e r t glaubte aus diesen theoretischen Ueberlegungen vor dem
Mallebrein warnen zu müssen *), ebenso wie er seinerzeit mit grösster
Berechtigung und grossem Erfolge als erster vor unvorsichtiger An¬
wendung des Kalium chloricum gewarnt hatte ®). Vergiftung mit Kalium
chloricum kommt bekanntlich dadurch zustande, dass KClOa, anstatt es
zum Gurgeln zu benützen, aus Versehen oder aus Missverständnis ge¬
schluckt wird. Die toxische bzw. tödliche Dosis des Kaliumchlorats ist
bekanntlich eine ziemlich hohe; erst wenn 1 g KClOs und mehr
— namentlich auf leeren Magen! — geschluckt wird, kommt es zu
lebensgefährlicher bzw. tödlicher Vergiftung. ClOsK und ClOsNa sind
— wie ClNa und CIK — leicht diffusible, leicht resorbierbare Salze. Man
kann mit ihnen, vom Magen aus, wie durch subkutane Injektion, leicht
Tiere vergiften, d. h. Methämoglobinbildung und Auflösung von roten
Blutkörperchen und Hämoglobinurie bzw. hämorrhagische Nephritis
hervorrufen. Merkwürdigerweise ist, wie bekannt, das Kaninchen
refraktär gegen die Chloratwirkung, während für die Katze und den
Hund (wie für den Menschen) KClOa wie NaClOs — wie theoretisch
auch A1(C103)3 — ein Blutgift ist. Tatsächlich ist Vergiftung mit
A1(C103)3 bei Tieren experimentell viel schwieriger zu erzielen als mit
KClOs oder NaClOs. Al-Verbindungen werden von der Magendarm¬
schleimhaut nur sehr schwer resorbiert; und auch vom subkutanen Binde¬
gewebe aus findet nur eine langsame und allmähliche Resorption statt;
dabei schädigen stärkere Lösungen das Gewebe stark, wie man ia auch
andere Adstringentien nicht subkutan iniiziercn oder in stärkeren
Lösungen auf Schleimhäute anwenden darf. Einem kleinen Hund wurden
10 ccm einer 10 Proz. (A1(C103)3 enthaltenden Mallebreinlösung unter die
Rückenhaut injiziert. Die Folge war, dass das Tier keinerlei Blut¬
veränderung zeigte, wohl aber starke Schmerzen an der Injektionsstelle.
Dep Schmerzen folgte später Gewebsnekrose mit Bildung eines mäch¬
tigen Abszesses; und das Tier ging unter starker Abmagerung an den
Folgen der lokalen Schädigung — ohne jede Blutvercänderung — ein.
Die 10 proz. A1(C103)3 Lösung bat also hier (wie selbstverständlich)
starke Gew^ebsschädigung hervorgerufen; aber es ist so wenig Al(C103)s
resorbiert worden, dass es nicht zu „Chlorat“wirkung kam. Bei der,
gegen Chloratwirkung besonders empfindlichen, Katze kann man Chlorat-
vergiftung per os mit typischer Hämoglobinbildung auch mit A1(C103)3
hervorrufen, wenn man z. B. 1 g AKClOsls pro 1 kg Tier in 10 proz.
Mallebreinlösung per Schlundsonde gibt. Dann zeigt das Tier, ausser
typischer Braunfärbung aller Organe, schwere Gastroenteritis durch die
lokalschädigende Wirkung der 10 proz. Mallebreinlösung. Eine 10 proz.
Mailebreinlösung wird aber ein Mensch niemals zu schlucken vermögen;
und bei einer schwächeren Mallebreinlösung, wie sie zum Gurgeln ge¬
braucht wird, wird sich wohl kaum jemand, wie das bei dem nicht zu¬
sammenziehenden, geschmacklosen Kalium chloricum leicht möglich ist,
verführen lassen, die Mallebreinlösung zu verschlucken; ebensowenig
wie er das bei dem Alaun und der essigsauren Tonerde tun wird.
Das Mallebrein erscheint sonach — trotz der theoretischen Ein¬
wände Koberts — in der praktischen Anwendung als unbedenklich*)•
Es wird ja, hauptsächlich als Adstringo-Antiseptikum. nach den ver¬
schiedensten Seiten hin gebraucht; und die vorstehenden Untersuchungen
zeigen, dass es tatsächlich ein gutes Adstringo-Antiseptikum. und als
solches dem Alaun wie der essigsauren Tonerde überlegen ist.
Aus der Strahlenabteilung der Universitäts-Hautklinik in Bonn.
Direktor: Prof. Dr. E. Ho ff mann.
Vorschlag zur Gewinnung eines einheitlichen und all¬
gemeinen Masses zur Dosierung der Röntgenstrahlen.
Von Hans Th. Schreus.
Dem dringenden Verlangen der Röntgentherapie nach einem siche¬
ren und leicht anwendbaren Dosimeter hat die Technik bis heute keine
Befriedigung zu geben vermocht. Dies ist um so erstaunltcher, als
zweite 11 osdieTheoriederMessung, jain einzelnen Kliniken
auch die praktische Durchführung, hinreichend aus-
gearbeitet ist, um der Allgemeinheit wenigstens in Gestalt eines
einfachen lontometers übergeben werden zu können. Die Industrie ist
^er leider nicht gefolgt Die Arbdtsverhältnisse, Materialmangel und
Preissteigerung mögen die Ursache dieses bei der Höhe der technischen
Entwicklung erstaunlichen Zustandes sein.
Inzwischen wird Abhilfe durch weniger geeignete, nicht einwand-
freie Messme thoden gesucht. Besonders besteht die Gefahr, dass hier-
5 Kobert: Ueber das Mallebrein. Rostock 1917.
I u ul L ® Kalium-chloricum-Vergiftung (Zusammenstellung). Schmits
Jahrbücher Bd. 187 1880.
®) Tatsächlich ist. trotz jahrelanger, vielfacher Anwendung des Malle-
orem kein einziger Fall von Mallebreinvergiftung berichtet worden.
bei Irrwege gegangen werden. Ein solcher Irrweg tst js
sicher, statt eines physikalischen Masses ein bio¬
logisches zu suchen. Konstante Grössen sollen nicht mit mk n-
tanten Massstäben gemessen werden. —
Wenn eine Röntgenröhre eine gewisse Zeit betrieben wird, so s n-
det sie eine, von den Betriebsbedingungen abhängige, jedoch du ch
physikalische Grössen genauestens messbare Menge Röntgenstrahlen t is.
Dies ist eine unverrückbare- Tatsache.
Ebenso unverrückbar ist die logische Folgerung hieraus, dass n an
diese Menge auch in der Biologie messen muss mit un¬
veränderlichen physikalischen Grössen, wenn man ;in
konstantes Mass gewinnen will. Einigt man sich auf die Art
und (3rösse dieses unveränderlichen physikalisch in
Masses, sowie auf die Art der Messung, so wird man Rcit-
genstrahlen wie Gegenstände mit Metern und Gewichten, wie Lic it-
stärken mit Normalkerzen, oder wie Ströme mit Watt messen könn in.
Ein biologisches Mass wird immer ein sehr unvollkommenes i nd
unkonstante sein, selbst wenn man auf wenig komplizierte Lebewe en
oder Pflanzen zurückgeht. Um es drastisch auszudrücken, ein bio¬
logisches Mass statt eines physikalischen würde sein wie ein Leuchtki fer
statt der Normalkerze oder wie ein Zitterrochen statt des Norrral-
elementes. Nur das Parallelgehen des Ausschlags dieses biologiscl en
Masses mit der Reaktion des Menchen auf gleiche Strahlenmengen wü de
für es ins Feld zu führen sein — wenn es kein physikalisches Miss
gäbe, das die gleiche Vollkommenheit besitzt. Hiervon wird unten noch
die Rede sein.
Der schwerwiegendste Nachteil des biologischen
Masses ist, dass bei seiner Reproduktion alle biologischen Eigm-
tümlichkeiten in unkontrollierbarer Weise mit hineinspielen
und dass es unscharf ist. Das ist ja gerade der Uebelstand, der dem
bisher üblichen Massstab, der Reaktion ersten Grades der normalen
Haut, die jeden Vergleich unmöglich machende Unsicherheit verleiht.
Keiner weiss, was der andere unter seiner Normal-, Maximal-, Erythem-,
Hauteinheits-, Hautentzündungs-, Epilationsdosis oder ihren Unter¬
teilungen in H, X, F usw. versteht. Aus diesen Gründen ist ein bio¬
logisches Mass kein brauchbares Mass.
Das physikalische Mass dagegen ist unveränderlich.
Aber das Problem seiner Gewinnung ist ein doppeltes:
1. Die Röntgenstrahlen so zu messen, dass die Messung der bio¬
logischen Reaktion parallel geht, bei allen Härten und bei allen
Mengen. Und zwar parallel geht der Reaktion der normalen
Haut eines normalen Menschen.
2. Das Messinstrument so zu gestalten, dass es leicht und sicher,
womöglich bei jeder Bestrahlung, benutzt werden kann.
Der zweite Punkt ist Aufgabe der Industrie. Be¬
züglich des ersten Punktes müsste man zweierlei an¬
streben: Klarheit zu schaffe^i u.nd sich zu einigen.
Dies herbeizuführen geht mein Vorschlag dahin:
Die Deutsche Röntgengesellschaft ernennt, ev. unter Einladung des
Auslandes, einen Ausschuss, der folgende Aufgaben hat:
1. Eine Einheitsdosis festzulegen, die den Anforde¬
rungen der praktischen Therapie Rechnung trägt und die all¬
gemein angenommen wird.
2. Das physikalische Messverfahren zu bestimmen, mit dem
diese Dosis gemessen wird.
3. Eine Prüfungsstelle zu schaffen, die die Eichung geeigneter
Dosimeter vornimmt.
Zu 1. Die biologische Strahlenmessung hat von jeher ein durch die
Praxis gegebenes Mass benutzt, nämlich die Menge von Röntgen¬
strahlen, die auf der Haut eine Entzündung ersten Grades zu erregen
imstande ist. Es dürfte zweckmässig sein, diese Reaktion als Einheit zu
wählen. Sie ist jedoch eine sehr dehnbare Grösse; denn sie unterliegt
einer dreifachen individuellen Schwankung: der Beurteilung jedes ein¬
zelnen Beobachters, der lokalen und individuellen Empfinäichkeit der
einzelnen Personen.
Die einzusetzende Kommission wird diese dreifache Schwankung
ohne Schwierigkeit beheben können. Der Fehler der verschiedenen sub¬
jektiven Festsetzung der Stärke der Reaktion hebt sich bei der einheit¬
lichen Beurteilung durch den Ausschuss von selbst. Der Fehler der regio-
/nären Empfindlichkeitsschwankung wird durch Einigung auf eine be¬
stimmte Körperregion behoben. Die dann noch restierende individuelle
Empfindlichkeitsschwankung auf eine mittlere Linie zurückzuführen, wäre
die eigentliche Aufgabe. Eine genügend grosse Bestrahlungsreihe nor¬
maler Individuen wird zur Gewinnung dieses Durchschnittes erforderlich
sein. Vielleicht wird es auch genügen, auf die Erfahrung einer grossen
Klinik zurückzugreifen.
Die so festgesetzte Strahlenmenge wird die allgemein
gültige Einheilsdosis sein. Um sie zu fixieren, ist die Schaffung
eines unveränderlichen Messinstrumentes erforderlich,
das diese Dosis jederzeit zu reproduzieren gestattet. Dieses Instru¬
ment muss ausserdem die E1 n h e i t s d o s i s für alle
Härtegrade zu messen gestatten. Dies ist der schwierigste,
aber nicht unlösbare Teil der zweiten Aufgabe.
Zu 2. Das Problem der Gewinnung eines Messresultates auf physi¬
kalischem Wege, das der Reaktion normaler Haut eines normalen
Menschen bei allen Härtegraden proportional ist, ist gelöst. Es ist ge¬
löst physikalisch durch die lonisationsmessung und die Graphitkammer
Friedrichs, bestätigt durch die biologischen Versuche K r ö n i g s
und Friedrichs mit dieser Kammer.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf/
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRirT.
m
Die Resultate dieser Forscher sind bis heute nicht widerlegt worden,
auch nicht durch die Ergebnisse Holthusens, auf die ich also trotz
ihrer ausserordentlichen Bedeutung hier nicht einzugehen brauche. Es
ist zu erwarten, dass eine Nachprüfung im grossen
sie bestätigen wird. Wird diese Erwartung erfüllt, so ist die
Art der physikalischen Messung festgelegt: Die Messung hat
mittels der Ionisation in einer Friedrichschen Kam¬
merzuerfolgen.
Liefert dagegen die umfassende Nachprüfung der Krönig-
Fried rieh sehen Resultate keine einwandfreie Bestätigung der
Proportionalität der Messung mit der biologischen Reaktion, so wäre
unter Berücksichtigung besonders der Holthusenschen Forschungen
eine Kammer zu suchen, die entweder infolge ihrer Grösse oder Be¬
schaffenheit den Anforderungen genügt. Sollte eine solche Kammer nicht
zu finden sein, oder infolge ihrer Form oder Dimensionen für den prak¬
tischen Gebrauch zu unhandlich werden (mit Berücksichtigung der Ein¬
führungsmöglichkeit in Körperhöhlen), so wäre am besten zur F r i e d -
rieh sehen Kammer zurückzukehren. Dann aber dazu eine
Kurve oder Tabelle zu schaffen, die unter Verwendung
eines festgelegten einfachen Härtemessungsver¬
fahrens die Messresultate so umzurechnen gestattet, dass die
Parallelität mit der biologischen Reaktion garantiert wird.
Die übrige Gestaltung des Messinstrumentes unterliegt natürlich
lediglich praktischen Gesichtspunkten.
Zu 3. Die Einheitsdosis des Ausschusses muss der Allgemeinheit
zugänglich gemacht werden. Der Vorchlag D i e 11 e n s hierzu scheint
mir zu schwierig und kostspielig, auch unnötig. Das einmalige
Eichen einer Röhre oder gar einer ganzen Apparatur ist
zwecklos und wiegt in falsche Sicherheit.
Vielmehr wird die Kommission für die Einrichtung einer Prüfungs¬
stelle etwa bei der physikalisch-technischen Reichsanstalt Sorge zu tra¬
gen haben. Hier würde das Standardinstrument aufbewahrt werden.
Die Prüfungsstelle würde der Industrie und weiter den Bestrahlungs¬
instituten die Eichung ihrer Dosimeter auf die Einheitsdosis ermöglichen.
Dabei würde es ihre Aufgabe sein, die Richtlinien für die Nachbildung
des Standardinstrumentes und Vorschriften für seine Verwendung zu
geben.
Damit wären die Aufgaben der Kommission, wie ich sie mir denke,
mit kurzen Strichen Umrissen. Alles weitere wird sie natürlich selbst
festlegen müssen.
Um die Arbeit der Kommission befruchtend der Allgemeinheit zu¬
gänglich zu machen, wird die Industrie ein den Vorschriften entsprechen¬
des einfaches Normalinstrument zur Eichung der Röhren etc. in den
Handel bringen müssen. Ich glaube, dass die Schwierigkeiten keine zu
grossen sein werden. Die allgemeine Konkurrenz wird auch die Preis¬
bildung wohltätig beeinflussen. Der so erzielte Fortschritt für die Rönt¬
gentherapie würde sicher von grosser Bedeutung sein, wenn er auch
keine Lösung der praktischen Dosierungsschwierig¬
keiten ist.
Eine Lö.sung im wahren Sinne des Wortes wäre nämlich erst dann
erreicht, wenn, fassend auf den Prinzipien des Normalinstrumentes, ein
Dosimeter geschaffen wird, das nicht nur zur Eichung der Röhre im
Vorversuch verwendbar ist, sondern bei jeder einzelnen Be¬
strahlung die Dosis zu messen gestattet. Denn dann
erst würden auch die Fehlerquellen behoben sein, die trotz möglichster
Einhaltung der bei der Eichung obwaltenden Betriebsbedingungen nie¬
mals gänzlich vermieden werden können.
Aus der Medizinischen Klinik in Kiel.
(Direktor: Prof. Dr. A. Schiften heim.)
Eine neue Luftpumpe zur Bauerregenerierung gas¬
haltiger Röntgenröhren.
Von Dr. P. Wels, Assistent der Klinik.
Zur Erläuterung der nachstehenden Angaben ist es notwendig, die
Konstruktion der Bauerregenerierung kurz zu rekapitulieren: In der Wand
eines mehrfach gewundenen, mit Quecksilber gefüllten Röhrchens (Fig. 1)
ist bei A ein für Luft durchlässiges Plättchen angebracht. Dieses führt zu
einem zw^eiten Röhrchen, welches mit einem zum Filtrieren von Luft
geeigneten Material beschickt ist und bei B mit dem Röhreninnern
kommuniziert. Das Quecksilberröhfchen ist bei C luftdicht mit der
Wand eines besonderen Ansatzes der Röntgenröhre verbunden, in wel¬
chem die ganze Vorrichtung montiert ist, und führt zu einer Schlauch¬
leitung, an deren anderem Ende eine kleine Druckpumpe oder ein Qummi-
ballon angebracht ist. Durch Betätigung dieser Druckvorrichtungen
steigt der Druck im Raume D über der Quecksilbersäule. Da diese
durch den luftgefüllten Röhrenansatz E zum Ausweichen befähigt ist, so
sinkt ihr dem Raum D zugekehrtes Niveau unter den Punkt A und bringt
das dort eingesetzte luftdurchlässige Verschlussplättchen in direkte Be¬
rührung mit Luft. Sofort wird diese von dem Vakuum der Röhre durch
das Filterröhrchen hindurch angesogen. Damit kommt es zu einer
Druckverminderung im Raume D und das Quecksilber wird durch den im
Röhrenansatz E infolge des Steigens des dortigen Quecksilberniveaus
vorher erzeugten Ueberdruck wieder zurückgedrückt und verschliesst
das luftdurchlässige Plättchen bei A. Es wird damit erreicht dass bei
jeder Betätigu ng der Druckvorrichtung immer nur ein begrenztes Luft-
*) M.nuW. 1920 Nr. 45.
Quantum bei B in das Röhreninnere einströmt. Es ist klar, dass dieses
Luftquantum um so grösser sein muss, je grösser der Ueberdruck im
Raume D war. Dieser hängt wieder ab von der Volumverminderung
in dem Schlauchsystem, welche durch Betätigung der Druckvorrichtung
erreicht wird. Um also ein gewolltes Luftquantum der Röhre zuzuführen,
d. h. um den Härtegrad der Röhre in gewollter Weise zu verändern,
muss man die Volumverminderung genau in der Hand haben. Bei Be¬
nutzung eines Gummiballons ist dies naturgemäss von einer nicht un¬
erheblichen persönlichen Uebung abhängig, da das aus einem solchen
ausgetriebene Luftquantum nur bei ganz bestimmter Stärke des Hand¬
druckes und ganz bestimmter Umfassung mit der Hand jedesmal das ge¬
wollte sein wird. Günstiger liegen die Verhältnisse bei Verwendung
einer Druckpumpe, bei deren vollständiger Kompression das aus¬
getriebene Luftouantum jedesmal das gleiche
sein muss. Die bisher zu diesem Zwecke ver¬
wandten Luftpumpen bestehen aus einem
Metallzylinder, in welchem sich ein Leder¬
stempel auf- und abbewegt. Es wird allen,
welche mit dieser Druckvorrichtung gearbeitet
haben, bekannt sein, dass der luftdichte Ab¬
schluss dieses Lederstempels meistens sehr
bald leidet und die Pumpe deshalb manchmal
gerade im geeigneten Moment versagt, was
zu äusserst ärgerlichen Störungen des Be¬
triebes Veranlassung geben kann. Dieser Um¬
stand führt mich dazu, eine Pumpe mit ein¬
geschliffenen Metallstempel zu verwenden, die
sich mir in der Folgezeit gut bewährt hat.
Ein weiterer Uebelstand der bisherigen
Druckvorrichtungen war der, dass sie in
keiner festen und be.uemen Verbindung mit
dem Stativ anzubringen waren. Man musste,
um sie zu betätigen, entweder den Führungs¬
arm des Stativs oder den Schirm loslassen
oder man wurde im Palpieren hinter dem
Schirm gestört u. dergl. mehr. Improvisierte
Massnahmen zur Verhütung dieser Uebel-
stände sind sicher von vielen versucht worden
und werden auch sicher in der einen oder
anderen Form zum Ziel geführt haben, in¬
dessen sind sie im einzelnen nicht bekannt
geworden. Ich möchte mir daher erlauben, auf folgende Konstruktion hin¬
zuweisen, welche Firma Pohl in Kiel auf meine Veranlassung ausgeführt
hat und die sich mir als sehr bequem und zuverlässig erwiesen hat.
Ich beschreibe die Ausführung so, wie sfe sich an dem mir zur Verfügung
stehenden Siemensstativ gestaltet (Fig. 2), doch liegt kein Grund vor.
Fig. 1.
weshalb sie sich nicht auch an jedem anderen Stativ ebenso vorteilhaft
anbringen lassen sollte.
, Die Stange F des eingeschliffenen Metall Stempels S trägt bei P ein
kurzes Querstück, das durch einen festschräubbaren Ring mit dem Röhren¬
arm des Stativs verbunden ist. Durch einen vermittels einer Doppelstange Q
am hinteren Ende des Metallzylinders der Pumpe angebrachten Abzug A kann
der Metallzylinder mittels des eingehakten Zeigefingers der linken Hand nach
^hinten gezogen und so die Luft aus der Pumpe ausgetrieben werden. Die
übrigen Finger der linken Hand umfassen den am Röhrenarm des Siemens¬
stativs angebrachten Griff, mit welchem gleichzeitig die Einstellung der
Blendenweite erfolgt. Zwischen dem Metallzylinder der Pumpe und dem
Punkt P ist eine um die Führungsslange gelegte Spiralfeder angebracht,
welche beim Nachlass des Fingerzuges den Pumpenzylinder wieder nach
vorn schnellen lässt. Mit dem Zeigefinger (oder dem Z 2 igcfinger und Mittel¬
finger) der linken Hand kann man somit bejuem die Regeneriervorrichtung
betätigen und wird an der ebenfalls‘mit der linken Hand erfolgenden Ver¬
änderung der Röhrenstellung und Regulierung der Blenden weite in keiner Weise
behindert. — Die Haltbarkeit des luftdichten Abschlusses zwischen Stempel und
Pumpenzylinder wird dann am besten gewährleistet sein, wenn die auf den
Stempel einwirkende Zugkraft stets genau die Richtung der Zylinderachse
hat. Die kleinen Abweichungen aus dieser Richtung, die bei der einseitigen
Anbringung des Abzugsbügels immer Vorkommen, werden durch ein Gelenk
unschädlich gemacht, das in der Stange F kurz vor ihrer Ausatzstclle an den
Stempel S angebracht ist.
Die Luftpumpe hat einen Querschnitt von 1,33 ccm. Der Stempel hat
eine Beweglichkeit von 3 cm. Das aus der Pumpe in die Schlauchleitung
ausgetriebene Luftquantum, welches infolge des absolut luftdicht schliessenden
Stempels bei jedem Zug genau das gleiche ist, beträgt somit ca. 4 ccm.
Digitized
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
398
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Die Empfindlichkeit des Bauerventils gegenüber der so erzeugten be¬
stimmten Druckerhöhung im Röhrenschlauchsystem ist nicht bei allen Exem¬
plaren die gleiche. Bei der z. Z. in meinem Gebrauch befindlichen Röhre ist
sie so, dass bei einer bestimmten Sekundärstromspannung die Röhrenstrom¬
stärke mit jedem Pumpenzug um 0,2—0,3 Milliampere wächst. Inlolge dieser
feinen Abstimmung bedarf es bei der Betätigung der Regeneriervorrichtung
keiner besonderen Vorsicht oder Uebung. — Eine andere Röhre unseres
Bestandes zeigt eine grössere Empfindlichkeit. Der Zuwachs der Röhren¬
stromstärke beträgt bei ihr bei jedem Pumpenzug 0,5 Milliampere. Die
Reaktion einer jeden Röhre auf die beschriebene Regeneriervorrichtung lässt
sich jedoch jetzt bei der Fabrikation nach Belieben einstellen.
Die Konstruktion sei denjenigen, die mit den bisherigen Druckvor¬
richtungen der Bauerregenerierung Schwierigkeiten hatten, empfohlen.
lieber einen neuen Zusatzapparat zwecks Wärme¬
erzeugung bei Höhensonnenbestrahlungen.
Von Dr. Adolf Li pp-München.
Als Bernhard und Ro.llier seinerzeit ihre Erfolge mit dem
Lichte der natürlichen Höhensonne bekanntgaben. zugleich mit der
Tatsache, dass vornehmlich deren ultraviolette Strahlen gegenüber der
an dieser Strahlehqualität armen Tieflandsonne zu solchen Heilwirkungen
befähigen, da entstand nach vielen mühsamen Versuchen die „künstliche
Höhensonne“, die heute in der von Bach angegebenen Form weiteste
Verbreitung gefunden hat. Sie sollte für die Sonne des Hochlandes Er¬
satz bieten. Als ein erheblicher Mangel dieser künstlichen Höhensonne
aber wird von fast allen Autoren hauptsächlich das Fehlen einer
bedeutsamen im Sonnenspektrum enthaltenen Strahlenqualität, nämlich
der Wärmestrahlen angesprochen.
Nach Bernhard kommt für die Heliotherapie nicht nur die akti¬
nische Wirkung der Ultraviolettstrahlen, sondern eine Gesamtlicht¬
wirkung, also besonders mit Einschlur.s der infraroten Wärmestrahlen
in Betracht. Letztere vermögen eine stark bakterizide, ferner eine die
Ultraviolettstrahlung hinsichtlich Dauer und Intenstät der Pigmentierung
beträchtlich unterstützende Wirkung auszulösen. (Vergl. Näheres in
„Bernhard, Die Heliotherapie im Hochgebirge“.)
Dass auch die künstliche Zufuhr intensiv gestrahlter Wärme den
Effekt einer natürlichen Sonnenbestrahlung bis zu einem gewissen Grade
zu erreichen vermag, kann man aus der Tatsache entnehmen, dass im
Anschluss an die Bestrahlung (ähn¬
lich wie im Sonnenbade) ein
Wärmeerythem im Gegensatz zu
dem erst viel später in Erscheinung
tretenden, durch Ultraviolettlicht
erzeugten Lichterythem auftritt.
Es macht sich bei den mit Ge¬
samtlicht gegenüber den lediglich
mit Hg-Licht behandelten Fällen
eine ausgesprochene Tendenz zur
rascheren und nachhaltigeren Pig¬
mentbildung bemerkbar.
Die Wirkungsweise gestrahl¬
ter Wärme charakterisiert sich (im
Gegensatz zu der geleiteten
Wärme) nach Frankenhäuser
darin, dass sie die Gewebe gerad¬
linig durchdringt und somit eine
nicht zu unterschätzende Tiefen¬
wirkung auszuüben imstande ist.
So wurden bei 10 Minuten Be¬
strahlungsdauer in der Urethra
5 ® C, unter dem Präputium 9,2 ® C
Temperatursteigerung festgestellt.
Nach demselben Autor tritt
durch Einwirkung gestrahlter
Wärme eine Erhöhung der osmo¬
tischen Kraft von Lösungen (zirka
K Proz. pro 1® C). eine Erhöhung
der Dissoziation der Elektrolyte,
sowie eine erhöhte chemische Zer¬
setzung namentlich organischer
Zellsubstanzen auf.
Aus dem bisher Gesagten geht
hervor, dass die Wärmestrahlung
ein wichtiger Faktor nicht nur in
der natürlichen Heliotherapie, sondern auch ein unentbehrliches Hilfs¬
mittel in der künstlichen Höhensonnenbehandlung ist.
Dieses Fehlen von Wärmestrahlen bei der Behandlung mit künst¬
licher Höhensonne hat daher zur Konstruktion von verschiedentlichen
„Ergänzungsapparaten“ geführt. Verschiedene diesen Systemen an¬
haftende Mängel haben die Konstruktion eines Zusatzapparates ver¬
anlasst, der als „Künstliche Sonnen wärme: Thermo-
z e n i t h“ nunmehr im Handel ist. Es ist dies eine, wie die Abbildung
zeigt, an die Höhensonne direkt mittels Klemmvorrichtung anbringbare
Apparatur, die den technischen Vorzug für sich in Anspruch nehmen
kann
1. intensiv strahlende Wärme (nis zu 40® C) zu erzeugen;
2. durch möglichst grosse Verstellbarkeit der einzelnen Wärme¬
quellen zueinander die Strahlen (bei lokaler Anwendung) auf
einen Punkt, oder (bei Allgemeinbestrahlung) über den gan :en
Körper zu senden;
3. die Wärmequellen, ohne den Abstand der Höhensonne selbst zu
verändern, durch ihre gelenkig beweglichen Arme bis auf ge¬
ringe Entfernung der Körperoberfläche zu nähern (dadurch ist
es möglich, in ungeheizten Räumen zu bestrahlen);
4, durch entsprechende Anordnung der Wärmespender dem Patien¬
ten gleichmässig von allen Seiten her Wärmestrahlen zuführen
zu können.
Nicht unerwähnt soll schliesslich die leichte, von jedermann selbs; zu
betätigende An- und Abmontage des Apparates, der Fortfall weit rer
Stative, Versatzstücke u. dergl., Sicherheit des Betriebes, Haltbar reit
und Sparsamkeit im Verbrauch (1 Zeitstunde = 0,75 KW.) und Einfach¬
heit der Konstruktion bleiben.
Aus der medizinischen Klinik Greifswald.
(Direktor: Prof. Morawitz.)
Plötzlicher Tod bei Diabetes ohne Koma.
Von Gerhard Denecke.
Der Rittergutsbesitzer Franz N., 38 Jahre alt, seit 1917 zuckerkrank, war
seit 1918 wiederholt Patient der Klinik. Sein körperlicher Zustand war ab¬
gesehen von der Glykosurie recht gut, er machte den Feldzug als Offizier
einer Kolonne mit, unter anderem die schweren Kämpfe vor Verdun, hach
der Entlassung konnte er seiner anstrengenden landwirtschaftlichen Arbeit
gut nachgehen. Bei den mehrfachen Untersuchungen machte er den Eindiuck
eines gesunden Menschen, dessen Herz gut funktionierte. Sein Diabetes zeigte
eine rasche Progredienz. Während im Jahre 1918 seine Toleranzgrenze bei
140 g Brot lag, war sie Anfang 1919 schon auf 70 g gesunken und im Februar
1920 gelang es überhaupt nur noch tageweise ihn zuckerfrei zu halten. Eine
Ausscheidung von Azetonkörpern war dauernd vorhanden, wenn die Kohle¬
hydratzufuhr unter 100 g Brot herabgesetzt wurde. Er hatte dann durch¬
schnittliche Ammoniakwerte von 1,5—2,0 in 24 Stunden.
Im Sommer 1920 hat er dann meist insoweit Diät gehalten, dass er bei
2—3 Proz. Zucker blieb. Abgesehen von einigen Magenstörungen geringer
Art fühlte er sich wohl und arbeitsfähig. Ende August und September
hielt er die Diät noch weniger streng inne, nahm z. B. häufig Obst zu sich.
Dabei machte er die gesamte Erntearbeit bei völligem Wohlbefinden.
Am 21. IX, erkrankte er plötzlich mit Uebelkeit und Erbrechen, das ein
grosses allgemeines Schwächegefühl hinterliess und ihn zwang, sich zu legen.
Am 22. war er wieder auf, verfiel aber in der Nacht zum 23. in Delirien. Be¬
fund am 23. vom Hausarzt: Temperatur 35,2, Puls 120, sehr klein, leicht unter¬
drückbar, kein Azetongeruch aus dem Munde. Atmung entschieden tiefer als
normal, aber keine deutliche K u s s m a u 1 sehe Atmung. Diarrhöe geringen
Grades, Stuhl dünnbreiig ohne Schleim und Blut. Urin: 6 Proz. Zucker,
Azido.se nicht geprüft.
In der Nacht zum 24. IX. wieder Delirien. Untersuchung am 24. IX. durch
Prof. Mora Witz in der Wohnung des Kranken: Patient sehr verfallen,
stark abgemagert gegen Februar; leicht zyanotisch, fühlt sich sehr kalt an,
Tonus der Bulbi gut. Blutdruck 80 mm Hg maximal, Herz und Lunge o. B.
Patellarreflex erhalten. Patient ist somnolent, erkennt aber seine Umgebung.
Kein deutliches Delirieren, Atmung etwas tiefer als normal, aber keine er¬
höhte Frequenz, keine grosse Atmung. Weder Husten, noch Kopfschmerzen
werden geäussert, aber grosses Schwächegefühl und Erbrechen. Im Urin
5 Proz. Zucker, kein Azeton, keine Azetessigsäure. Urin reagiert
sauer.
Am 25. rascher weiterer Kräfteverfall, erhält Digitalis, Natrium bicarb.,
reichlich Kohlehydrate.
Am 26. IX. früh Exitus.
Der Fall zeigt im klinischen Bilde eine Anzahl Züge, die ihn vom
Coma diabeticum treKnen. Das Fehlen der grossen Atmung, der gut
erhaltene Tonus der Augäpfel, das verhältnismässige Wohlbefinden am
zweiten Tag der Erkrankung, vor allem das psychische Verhalten, das
wohl benommen, aber durchaus nicht komatös war und sich sowohl am
Tage durch Ansprechbarkeit. wie durch die Delirien des Nachts von der
tiefen Bewusstlosigkeit des Koma unterschied. Den Ausschlag gab das
Fehlen der Azetonköroer im Harn und des Azetongeruchs in der Aus¬
atmungsluft. Denn auf die vorgenannten Symptome kann unter Um¬
ständen für die Diagnose Koma verzichtet werden, besonders wenn die
Insuffizienzerscheinungen des erlahmenden Herzens so rasch eintreten,
dass zur Entwicklung des K u s s m a u 1 sehen Atemtyp keine Zeit bleibt,
wie das in den seltenen Fällen der kardiovaskulären Form (Blum) des
Coma diabeticum der Fall ist. Wir haben also einen Fall von plötz¬
lichem Tode bei einem Diabetiker vor uns, der bei völliger körperlicher
Leistungsfähigkeit eintritt, ohne Azidose und ohne Koma. Die ^-Oxy-
buttersäure konnte nicht untersucht' werden. Wegen des konstanten
Parallelismus zwischen ^-Oxybuttersäure und Azetessigsäure ist jedoen
eine Azidose lediglich auf ^-Oxybuttersäure beruhend, auszuschliessen.
Ganz abgesehen davon sprach eben das klinische Bild gegen eine
Fäurevergiftung. In der Literatur finden sich nur 2 analoge Fälle bei
F r e r i c h s, während die beiden anderen, die er im selben Zusammen¬
hänge beschreibt, neben dem Diabetes noch an anderen konstitutionellen
Krankheiten litten, so dass der Herztod begreiflich war. v. N o o r d e n
erwähnt diese Todesart allerdings auch und berechnet für sie sogar
4 Proz. aller Diabetestodesfälle, aber es sind meist Patienten, die nach
einer interkurrenten Infektionsktankheit nach grossen, ungewöhnlichen
Anstrengungen sterben, oder nebenher an Arteriosklerose, angeborener
Minderwertigkeit des Herz-Gefässsystems oder persistierendem Thvmus
gelitten haben. Das alles kam für unseren Patienten, der wiederholt und
lange klinisch beobachtet wurde, nicht in Betracht. Sein Tod muss also
als echte diabetische Herzstörung aufgefasst werden, was bei dem
sonstigen guten und leistungsfähigen Zustande des Körpers eine erheb-
Digitized by Go sie
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
399
liehe Seltenheit darstellen dürfte. Deshalb erscheint mir der Fall der
Mitteilung wert. Das Versagen des Herzens bei sonst leistungsfähigem
Körper kann vielleicht mit der diabetischen Zuckerverarmung des
Körpers und der hohen Bedeutung des Zuckers für das Myokard
(B ü d i n g e n, B e r b 1 i n g e r) in Zusammenhang gebracht werden.
Nachtragbei der Korrektur: Kürzlich berichtete H. Strauss
in den Jahresk. f. ärztL Fortb. über einige ähnliche Fälle, bei denen aber
immer Azidose, wenn auch sehr geringen Grades gefunden wurde.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Göttingen.
(Direktor: Prof. Reifferscheid.)
Nitrolienzolvergiftung bei Säuglingen.
Von Dr. Thomsen, Assistent der Klinik.
In Nr. 39 der Deutsch, med. Wochenschr. beschreibt Ewer eine
eigenartige Vergiftung von fünf Säuglingen durch Nitrobenzol. An der
Göttinger Universitäts-Frauenklinik haben wir vor kurzem ebenfalls
diese seltene Vergiftung bei zwei acht Wochen alten Säuglingen von
4700 g und 2500 g beobachten können.
Am 13. XI. 20 fanden wir bei der Visite die beiden Säuglinge mit
leichenblasser livider Hautfarbe, zyanotischen Lippen und Extremitäten im
Bett vor. Es war eine gewisse Beruhigung, dass die Atmung regelmässig,
etwas beschleunigt, aber nicht dyspnoisch und der Puls regelmässig (132) war.
Keine Krämpfe, keine Reflexsteigerung oder -herabsetzung, kein Erbrechen,
PupUlen mittelweit, reagieren. Die Kinder sind nicht apathisch, haben noch
gut getrunken. Wir dachten sofort an eine Intoxikation. Eine perorale
war bei den Brustkindern unwahrscheinlich; eine Gasvergiftung kam bei
dem ständigen Hin- und Hergehen der Wache nicht in Frage, zumal auch die
übrigen 20 Kinder des Kinderzimmers gesund blieben. In Erinnerung der
oben zitierten Publikation aus der Finkeinstein sehen Klinik dachten
wir an eine Stempelfarbenvergiftung. Ein Griff nach den Windeln lieferte
den Beweis: ein noch fettig glänzender Stempel, der Stark nach Bittermandel
roch. Eine Beschmutzung der Kinder mit Farbe war nicht nachzuweisen. Die
Nachfrage ergab, dass die Wache die beiden erkrankten Kinder in der Nacht
um 5 Uhr trocken gelegt hatte und die frischgestempelten, nur als Ober-
windeln bestimmten, Tücher aus Versehen direkt auf die Haut gelegt
hatte. Um 7 Uhr waren die beiden Kinder schon auffallend blass, tranken
aber gut und waren munter. Um 9 Uhr kam dann diese erschreckende
Zyanose der Lippen und der Extremitäten hinzu. Die Kinder selbst rochen
nicht nach Bittermandel, auch die Atemluft nicht. Es wurde sofort eine
Blutuntersuchung vorgenommen. Bei der Inzision zur Entnahme floss das Blut
träge, braunrot, fast schokoladenfarbig ab; beim Aufsaugen in die Pipette
gerann es sofort, im Blutspektram war der Methämoglobinstreifen
im Rotorange deutlich zu erkennen. Das Blutbild ergab eine leichte Aniso-
zytose. Nachmittags sahen die Kinder schon wesentlich besser aus, tranken
gut, waren munter; der Methämoglobinstreifen deutlich. Im Urin vereinzelte
Erj^hrozyten, mässig viele Leukozyten, Zucker 0. Eiweiss 0.
Am 14. XI: Kinder sind frisch und munter, etwas blasser noch als früher,
nehmen zu. Der Methämoglobinstreifen ist in der Frühe nicht mehr zu
erkennen. Blut wieder rot, noch etwas dünn, Sahli 68; Zahl der roten Blut¬
körperchen: 3 200 000 (zufällig vor der Vergiftung untersucht: 4 200 000).
Das Blutbild zeigt starke Anisozytose, Polychromasie, viel Mikrozyten, keine
basophilen Erythrozyten. Im Urin Spuren von Eiweiss, klar.
Am 15. XL; die Kinder wie vor der Vergiftung. Sahli: 60. Blutkörper¬
chenzahl 3 200 000, Resistenz gegen hypotonische Kochsalzlösung 30 Proz.
(0,36 Proz. NaCI), 15 Proz. (0,34 Proz. Na CI.).
Am 18. XL: Blutkörperchenzahl 3 500 000; Sahli 65; im Blutbild noch
ausgesprochene Anisozytose und Polychromasie, vereinzelte basophile Punk¬
tierung, ganz vereinzelte kernhaltige rote Blutkörperchen. Allgemeinbefinden
gut. Gute Gewichtszunahme. Im Urin war kein Blutfarbstoff nachzuweisen
gewesen.
Um die Diagnose einwandfrei zu sichern, haben wir die Stempelfarbe
überdestilliert; dabei entstand ein intensiver Geruch nach Bitter¬
mandelöl. Um Zyanverbindung auszuschliessen woirde in Anilin reduziert,
dieses mit der Chlorkalkprobe und der Isonitrilprobe nachgewiesen. Das
gesamte Lösungsmittel ist als Nitrobenzol überdestilliert.
Dass das N-B. peroral aufgenommen wurde, ist ganz unwahrschein¬
lich, da weder in der Bettwäsche noch auf dem Wickelkissen Stempel
waren. Auch die Atemluft kann kaum einen so hohen Prozentgehalt
gehabt haben, dass sie toxisch wirkte, da die gestempelten Windeln unter
dem Deckbett lagen. Man muss schon eine Resorption durch die Haut
annehmen; Kölsch hat durch Tierversuche nachgewiesen, dass zur
Vergiftung durch Hautresorption viel geringere Giftmengen nötig sind.
Dazu passt auch, dass sowohl die Berliner Kinder an Ekzem litten, als
auch unsere beiden Fälle erhebliche Intergrigo und Gesässekzem hatten.
Denn gerade die dermatitisch veränderte Haut ist ja besonders resorp¬
tionsfähig. Es bedarf zur Intoxikation keineswegs einer direkten Ver¬
unreinigung der Haut (E w e r), es scheint schon die Nähe der Stempel¬
farbe zu genügen.
Bei der Diagnose können sich für den, der noch nicht viele der¬
artige Intoxikationen sah, Schwierigkeiten ergeben, besonders wenn die
Wirkung auf das Nervensystem Im Vordergründe stehen. Da diese
Symptome sehr mannigfach sind — Erbrechen, gesteigerte und herab¬
gesetzte Reflexerregbarkeit (Kölsch), Tremor, Nystagmus, Krämpfe
(E w e r), Bewusstlosigkeit etc. —, so sind sie differentialdiagnostisch
schwer zu verwerten. Dagegen weisen die schweren Blutveränderungen
auf ein Blutgift, auf eine Störung des Oxydationsprozesses hin. Die
Zyanverbindungen, an die man wegen des Geruchs nach Bittermandel
zunächst denken wird, sind durch ihre Eigenschaft als Protoplasmagift
und ihre Hemmung der Oxydationsvorgänge im Gewebe, wodurch das
Blut auch in den Venen heller bleibt, genügend charakterisiert. Bei
CO-Vergiftung haben wir die schwere Dyspnoe bei relativ gutem Aus¬
Di gitized by Go».isle
sehen, während die erschreckende Zyanose mit der relativ geringen
Dyspnoe auf einen Methämoglobinbildner hinweist (Kalichlorikum,
Phenol, Phenacitin, Nitrite, die aromatischen Nitro- und Amidoverbin¬
dungen u. a.). Von den aromatischen Nitroverbindungen sollen die
Nitrobenzole die giftigsten und von diesen wieder das Dinitrobenzol-
giftiger als das Mono-Nitrobenzol sein (Kölsch). Welches Gift im
Einzelfalle in Frage kommt, muss die Untersuchung der Vorgefundenen
Flüssigkeit, des Mageninhalts, des Urins ergeben. Mehrfach konnte
z. B. im Urin und in der Atemluft der Geruch des Nitrobenzols und des
Anilins nachgewiesen werden (Bohland, Wandel u. a.). Bei
unseren Kindern war das nicht der Fall. Der Urin enthält gelegentlich
Blut- und Gallenfarbstoffe. Ewer fand überhaupt keine pathologischen
Bestandteile im Urin; bei unseren Kindern sahen wir nur leichte Eiweiss¬
und Erythrozytenausscheidung, aber keine Blut- und Gallenfarbstoffe,
keine Aldehyde, keine reduzirenden Bestandteile, kein Nitrobenzol. Es
werden eben für die Intoxykation eines Säuglings so kleine Mengen
von N-B. genügen, dass sie unserer klinischen Feststellung entgehen.
Grosse Differenzen finde ich auch im Nachweis des Methämoglobin-
streifens, der vielfach, jedoch häufig gerade in schweren Fällen nicht,
beobachtet werden konnte (Kölsch, Ewer). Wir sahen den Streifen
sofort im Spektrum im Rotorange (X = 634 Wellenlänge). Am
besten nimmt man die Blutverdünnung nur so stark, dass der kurz¬
welligere Teil des Spektrums bis auf das Rot ausgelöscht ist; bei
weiterer Verdünnung sind auch beide Oxystrelfen zu erkennen und der
Methämoglobinstreifen verschwindet. Auch am durchscheinenden Ohr
sind die Streifen deutlich zu sehen (Rost). Wir haben die Kontrolle
des Methämoglobinstreifens auf diese Weise ausgeübt und sein Ver¬
schwinden nach 24 Stunden feststellen können.
Wo bleiben nun die methämogloblnhaltigen roten Blutkörperchen?
Ein Teil soll nach Meyer-Gottlieb zu Hämoglobin reduziert
werden; der grössere Teil fällt wohl der Hämolyse anheim, da es sich
bei der Methämoglobinbildung um eine nur schwer reversible Umwand¬
lung des zweiwertigen in dreiwertiges Elsen handelt. Für die Hämo¬
lyse spricht auch der rapide Abfall von 4 200000 (vor der Vergiftung)
auf 3 200000 rote Blutkörperchen, mit einer Resistenzerhöhung gegen
hypotonische Kochsalzlösung auf 30 Proz. gegen 11 Proz. vor der Ver¬
giftung. Das Fehlen von Blut- und Gallenfarbstoff im Urin, von hämato¬
genem Ikterus spricht nicht gegen die Hämolyse, wie eine Sektion wohl
ergeben würde.
Ich möchte noch kurz bemerken, dass bei diesen Vergiftungen nicht
ein rein chemischer Vorgang vorliegt, der sich in vitro ohne weiteres
imitieren lässt. L i p s c h i t z hat darauf hingewiesen, dass es sich um
eine spezifische Tätigkeit der Zelle; um Produkte des intermediären Stoff¬
wechsels der Zelle handle. Der durch den Zustand der Zelle bedingte
„individuelle Giftfaktor“ lässt sich nach L i p s c h i t z auch
zur Erklärung der individuellen Empfindlichkeit heranziehen. Die töd¬
liche Dosis wird von 8 Tropfen bis über 35 g angegeben (Kölsch,
Kober u. a.). Dass so kleine Giftmengen genügen, wird dadurch er¬
klärt, dass aus dem Nitrobenzol Aminoverbindungen entstehen sollen
(L i p s c h i t z, M a s s i n i), die katalytisch wirken, d. h. nach Abgabe
,ihres 0 wieder zur Ausgangsformel zurückkehren. Die Zeit bis zum
Eintritt der Wirkung wird von 20 Minuten bis zu mehreren Stunden
angegeben.
Therapie: Entfernen des Giftstoffes, Reinigungsbad, Ausheberung
des Magens (keine fettlösenden Flüssigkeiten!), in schweren Fällen Herz¬
mittel. Von Sauerstoff wurde hur wenig Gutes, vom Aderlass und Koch¬
salzinfusionen Erfolge gesehen (E w e r).
Prognose: ist auch bei schweren Fällen nicht ungünstig, in leichten
Fällen gut. Meist in 1 bis 3 Wochen völlige Restitutio. Unsere Kinder
waren nach 3 Tagen äusserlich wieder ganz frisch und munter, zeigten
gute Gewichtszunahme; immerhin mahnt das Ergebnis der Blutunter¬
suchung zur Vorsicht.
Wichtig ist die Prophylaxe. Zur Herstellung von Stempelfarbe
müsste die Benutzung von Nitrobenzol verboten werden. Zweckmässig
würde auch bei uns, wie es in Bayern der Fall ist, die Anzeige von
gewerblichen Vergiftungen mit aromatischen Nitroverbindungen zur
Pflicht gemacht. Es ist zu befürchten, dass diese Fälle von Säug¬
lingsvergiftung nicht vereinzelt bleiben werden; ich halte es daher für
richtig, ähnliche Fälle in den Fachzeitschriften zu veröffentlichen.
Literatur.
Bohland: D.m.W. 1918 Nr. 50. — Ewer: D.m.W. 1920 Nr. 39. —
Jaffa: M.m.W. 1917 Nr. 40. — Kobert: Intoxikationen. — Kölsch:
M.m.W. 1917 Nr. 30. — Lipschitz: M.m.W. 1920 Nr. 46. — Schultz:
M.m.W. 1915 Nr. 13. — W a n d e 1: M.m.W. 1919 Nr. 44 S. 1267. — W o 1 p e:
D.m.W. 1920 Nr. 4.
Aus der chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses
Friedrichstadt-Dresden. (Qeheimrat Prof. Dr. Lindner.)
lieber einen Fall von Hydrocele bilocularie intra-
abdominalis permagna.
Von Dr. Alfred Schütter, Assistenzarzt der Abteilung.
Auf Veranlassung meines (3hefs, Herrn Geheimrat Prof. Dr. Lindner,
möchte ich einen Fall von Hydrocele bilocularis intraabdominalis be¬
schreiben, der wegen der enormen Grösse des Hydrozelensackes und
des prompten Erfolges der Therapie der Veröffentlichung wert erscheint.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
400
Nach der letzten statistischen ZusammenstellunK von C. B r a n d e n-
b u r g sind bis jetzt 46 Fälle von Hydrocele bilocularis abdominalis be¬
schrieben worden. In Anbetracht dieser verhältnismässig seltenen
Hydrozelenform sei es mir gestattet, ihre anatomischen Verhältnisse
kurz zu rekapitulieren.
Im Gegensatz zu der einfachen Hydrozele, die durch Flüssigkeits¬
ansammlung in dem nur teilweise obliterierten Processus vaginalis ent¬
standen ist, besteht die Hydrocele communicans aus zwei miteinander
kommunizierenden Säcken. Sic wird nach Kocher als Hydrocele
bilocularis bezeichnet.
Eine weitere Unterscheidung erfährt sie nach der extra- oder intra¬
abdominalen Lage des zweiten Sackes. Man spricht dann von einer
Hydrocele bilocularis extra- oder intraabdominalis.
In der Mehrzahl der Fälle von Hydrocele bilocularis intraabdominalis
besteht eine Kommunikation zwischen der skrotalen und abdominalen
Zyste durch den Leistenkanal hindurch. Es gelingt also bei der Unter¬
suchung, den Inhalt der skrotalen Hydrozele in den abdominalen Sack
hineinzudrücken.
Die Lage des abdominalen Sackes kann entsprechend den ver¬
schiedenen Schichten der Bauchwand eine dementsprechende sein. Nach
Kocher soll sich der abdominale Sack stets präperitoneal entwickeln.
Es sind jedoch in der Literatur 5 Fälle veröffentlicht worden, in
denen der abdominale Sack in verschiedenen Schichten der Bauchwand
gefunden wurde. Sie sollen hier kurz wiedergegeben werden:
Im Falle W i t z e 1 nahm der abdominale Sac^ die ganze linke Unter¬
baachseite ein. Nach Durchtrennung der Haut und des Unterhautzellgewebs
wurde im mittleren Teile des Schnittes die Schicht des Musculus obliquus
externus und des Musculus obliquus internus durchtrennt. Nunmehr legte
sich eine bläulich gespannte Blase in die Wunde, die eröffnet 1 Liter einer
braunroten Flüssigkeit ausfliessen Hess.
Im Falle Steele fand sich eine grosse Geschwulst in der linken Seite
des Unterleibes. Die Haut und der M. obliquus externus bedeckten sie von
vorne, aber es war augenscheinlich, dass der grössere Teil der Bauchwand-
schichtcn hinter dem Tumor gelegen war.
Im ersten Falle von D e 1 b et findet sich der abdominale Sack von der
Grösse eines Trutlienneneies in der rechten Bauchwand und scheint ganz ober¬
flächlich direkt unter der Haut zu liegen. Aus der Beobachtung heraus, dass
beim Husten keine Anschwellung des skrotalen Anteiles trotz der zweifel¬
losen Kommunikation beider Säcke eintrat, also die intraabdoniinale Druck¬
wirkung ausblieb, ferner, dass der Leistenkanal frei war und der Tumor vor
dem eingeführten Zeigefinger lag, wies D e l b e t nach, dass der abdominale
Sack im subkutanen Zellgewebe gelegen war. Fine direkte Beweisführung
durch die Operation erfolgte nicht, da der Patient infolge seines Alters nicht
operiert, sondern nur punktiert und eine Jodinjektion angeschlossen wurde.
Im zw'eiten Falle von D e 1 b e t hatte der abdominale Sack die Grösse
eines Hühnereies und schien sehr oberflächlich zu liegen. Man konnte den
Tumor gut zwischen dem in den Leistcnkanal geführten Finger und der auf
den Bauch gelegten anderen Hand umfassen. Die Radikaloperation ergab die
Richtigkeit der Diagnose. Der abdominale Sack lag vor der Aponeurose des
M. obliquus externus. Der Leistenkanal war frei. Im Falle Branden b-u r g
füllte der abdominale Sack den ganzen linken Unterbauch aus und erschien
wie ein hochgravider Uterus. Nach schichtweiser Durchtrennung der Bauch¬
muskeln wölbte sich eine Zyste vor. Die Wände waren sehr dünn, rissen
bei der Operation ein und der leere Sack wurde hcrausgeholt. Es war
schwer festzustellen, zwischen welchen Schichten er sich befunden hatte,
wahrscheinlich zwischen Fascia transversa und M. transversus abdominis, da
auf dem Peritoneum überall noch eine derbe faszienartige Gewebsschicht lag.
Die Lage des abdominalen Sackes ist:
1. präperitoneal (nach Kocher),
2. vermutlich zwischen FasCia transversa und M. transversus (Fall
Brandenburg),
3. hinter dem M. obliquus internus (Fall W i t z e 1),
4. vermutlich zwischen M. obliquus externus und M. obliquus internus
(Fall Steele),
5. vermutlich zwischen Subkutis und Aponeurose des M. obliquus ex¬
ternus (2 Fälle von D e 1 b e t).
Ich komme nun zur Be.schreibunß: unseres Falles.
Anamnese: H. F., 30jähr. Mann, vom Beruf Stanzer. Pat. gibt an.
vor reichlich 2 Jahren wegen linksseitigen Wasserbruches punktiert worden
zu sein. Allmählich sei nun die Anschwellung wiedergekommen, ferner wäre
ihm aufgefallen, dass der Leib scheinbar in der Mittellinie zunehme. Die
Hodensackanschwellung habe erst in der letzten Zeit angefangen, ihm Be¬
schwerden zu machen.
Status: Mittelgrosser, grazil gebauter Mann mit mässig entwickelter
Muskulatur und geringem Fettpolster bei blasser Gesichtsfarbe.
Ueber der linken Lungenspitze erscheint der Schall kürzer, während man
über beiden Spitzen verlängertes, rauhes Exspirium hört. Herz: normale
Grenzen, reine Töne. Am Abdomen fällt eine oberhalb des Nabels beginnende
Hervorwölbung der Bauchdeckeri auf. in einer Breite von ca. 6 Querfingern.
Der Schall über ihr ist deutlich gedämpft, vornehmlich nach links hin, deut¬
liche Fluktuation nachweisbar. Die Hervorwölbung geht breitstielig in das
prallgespannte linke Skrotum über. Dieses bietet das Bild einer prall ge¬
füllten zweifaustgrossen Hydrozele dar, in der der Testis in der Tiefe sitzt.
Drückt man auf die abdominale Hervorwölbung, .so hebt die Flüssigkeit den
auf dem Skrotum liegenden Finger in die Höhe, ein Zeichen, dass es sich um
einen grossen, mit Flüssigkeit gefüllten Sack handelt. Es wird auch an
ein tuberkulöses Exsudat gedacht, das sich durch einen offenen Processus
vaginalis in das Skrotum fortgesetzt hat, möglicherweise mit zufälligem Zu¬
sammentreffen mit einer früheren Hydrozele.
O p e r a t i 0 n am 9. VI. 04: Grosser Hydrozelenschnitt, der den Leistea-
kanal und die Bauchdecken bis über den inneren Leistenring hinauf eröffnet.
Es zeigt sich, dass es sich nicht um ein Exsudat in der Bauchhöhle, sondern
um einen in die Bauchhöhle hineingewachsenen Hydrozelensack handelt, der
die ganze untere Hälfte der Bauchhöhle bis über den Nabel ausfüllt und die
Organe der Bauchhöhle verdrängt hat.
Es wird die Höhle ausgiebig entleert, der Leistenkanal nach B a s s i n i
geschlossen und eine typische Hydrozelenoperation am Skrotum ausgeführt;
am Bauchteil des Hydrozelensackes aber nichts weiter gemacht, auch keine
Drainage eingelegt, sondern beschlossen, die Nachbehandlung in Hochstellung
des Oberkörpers vorzunehraen und zu versuchen, ob nicht eine primäre Ver¬
heilung des Sackes zustande kommen möchte.
16. VI. Nach der Operation Bronchitis mit Temp. bis 39,3, die all¬
mählich abklang. Wunde ohne Schmerzen, reizloses Aussehen. Drain¬
kürzung. Temp. noch über 37,5.
23. VI. Seit dem 19. VI. normale Temp. Herausnahme der Fäden,
geringe oberflächliche Eiterung. Sehr gutes Allgemeinbefinden.
2. VII. Seit vorgestern aufjestanden. Wunde bis auf einige oberfläch¬
liche Stellen zugranuliert.
15. VII. Gutes Aussehen der Wunde, die fast ganz überhäutet ist. Besse¬
rung des Ernährungszustandes.
26. VII. Pat. völlig, geheilt entlassen mit vollständig geschlossener
Wunde.
Am 14. XI. 04 wurde Pat. wegen Schmerzen in der .Narbe erneut auf¬
genommen. Pat. klagt über Schmerzen beim Arbeiten, besonders beim
Treten einer Stanzmaschine. Befund: Eine etwas unregelmässig gerötete
Narbe von der linken Snina bis in das Skrotum reichend. Beide Hoden von
gleicher Grösse, desgleichen die Nebenhoden. Der Samenstrang fühlt sich
etwas verdickt an und ist schmerzhaft. Druckempfindlichkeit der Narbe am
Skrotum.
18. XI. Nach 2 Tagen ist Pat. frei von Beschwerden.
-Die Ursache, der Beschwerden lag in einem schlechtsitzenden Suspen¬
sorium.
Im Jahre 1920 stellte Pat. sich wieder vor wegen heftiger kolikartiger
Schmerzen im Leibe. Die Untersuchung ergibt keinerlei Abweichung im
Skrotum, keine Hernie. Der Leib ist absolut flach, auf beiden Seiten gleich
gewölbt, ohne »ede Resistenz. Härte oder Vortreibung, ohne Andeutung von
Exsudat. Betreffs der Koliken wird an Pankreaskoliken gedacht.
Differentialdiagnostisch bestanden zwei Möglichkeiten:
1. Hydrocele intraabdominalis permagna.
2. Vorhandensein eines tuberkulösen Exsudates, das den ganzen
Unterbauch ausfüllte und durch einen offenen Processus vaginalis sich in
das Skrotum fortgesetzt hatte, möglicherweise im zufälligen Zusammen¬
treffen mit einer früheren Hydrozele.
Die endgültige Diagnose wurde erst durch die Operation gestellt.
Es handelte sich um eine präperitoneale Hydrocele intraabdominalis, die
die Bauchorgane bis über Nabelhöhe verdrängt hatte.
Am einfachsten zu diagnostizieren ist die subkutan gelegene abdomi¬
nale Zyste. Tritt nach Del bet bei Erhöhung des intraabdominalen
Druckes durch Husten oder Pressen keine Vergrösserung der skrotalen
Zyste ein. so muss die abdominale Zyste vor den die Bauchpresse
bildenden Muskeln der Bauchwand, also subkutan liegen. Schwieriger
ist die Lagebestimmung, wenn der abdominale Hydrozelensack zwischen
den verschiedenen Schichten der Bauchmuskulatur liegt. Auch für diese
Fälle gibt es ein sicheres diagnostisches Zeichen: Findet man den
inneren Leistenring frei, so muss die abdominale Zyste vor der Fascia
transversa liegen, da der innere Leistenring von ihr gebildet wird.
Was die Entstehungsart der Hydrocele bilocularis anbetrifft, so sind
verschiedene Theorien von Kocher und anderen aufgestellt, die in
einer mechanischen Druckwirkung oder in einer properitonealen Diver¬
tikelbildung des Processus vaginalis peritonei die Ursache sehen. Voll-
brecht lehnt die Entstehungsweise ab, vielmehr sieht er die Ursache
in einer Entwlcklungsanomalie des Q i r a 1 d 6 s sehen Organes.
Seine Ansichten fasst er in folgendem zusammen:
1. gewisse pathologische Zustände im Gebiet der männlichen Ge¬
schlechtsorgane weisen unverkennbar darauf hin, dass ein Teil des
G i r a I d 6 s sehen Organes, nämlich seine Schläuche, nicht immer spurlos
zugrunde gehen, sondern persistleren und alsdann Anlass zur Entwick¬
lung eben jener pathologischen Prozesse geben können.
2. dass einige, besonders die seltenen Formen von Hvdrozele, auf
eine kongenitale Anlage und am zwanglosesten auf eine Entwicklungs-
anomalie des G i r a 1 d 6 s s chen Organes zurückzuführen sind.
Für diese zweite Behauptung spricht:
a) dass Hydrozelen in den ersten Tagen und Wochen nach der Ge¬
burt weit häufiger beobachtet werden, als in späterem Lebensalter,
b) dass insbesondere eine seltene, die bilokulare Hydrozele, sich in
bezug auf ihre Entstehung sich bis zu den ersten Lebenstagen verfolgen
lässt und dass ihr Wachstum häufig in eine Zeit fällt, wo die Schläuche
des Corps innominö auch unter normalen Verhältnissen ihre grösste
Entwicklung zeigen.
Die besten Dauererfolge ergibt die Radikaloperation.
Bemerkenswert ist in unserem Falle der Erfolg der eingeschlagenen
Therapie. Von dem Gedanken ausgehend, dass es sich bei der Innen¬
wand um eine seröse Fläche handeln müsse, wurde versucht, durch Hoch¬
sitzen des Patienten und das dadurch herbeigeführte Herabsinken der
ganz nach oben verdrängten Därme, den entleerten Sack so zusammen¬
zudrücken und zusammengedrückt zu erhalten, dass eine primäre Ver¬
klebung zustande kommen konnte. Es gelang auf diese Weise in der
Tat. In kurzer Zeit vollkommene Heilung zu erreichen, die nach 16 Jahren
noch konstatiert werden konnte. In anderen Fällen wird die Serosa
herausgeschält, in derartiges Verfahren würde in unserem Falle, bei der
enormen Grösse des abdominalen Sackes und bei der ausgedehnten Ver¬
wachsung mit den Därmen, einen ausserordentlich schweren Eingriff dar¬
gestellt haben. Hat die Beobachtung auch in der Hauptsache kasuistischen
Wert so darf sie doch immerhin für vorkommende Fälle ein grund¬
sätzliches Interesse beanspruchen.
Literatur.
Dämmert Ueber Hydrocele bilocularis abdominalis. Dissertation.
Freiburg 1899. — Brandenburg: Zur Kenntnis der Hydrocele bilocularis
abdominalis. Dissertation, Rostock 1904. — Delbet: Annales des maladies
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRITT.
des Organes gdnito-urinaires 1897. — Kocher; Die Krankheiten der männ¬
lichen Geschlechtsorgane. Deutsche Chirurgie 1887 11.50b. — Kocher:
Zbl. f. Chir. 1878. — Steele: The Lancet 1875. — Vollbrecht: Arch.
f. Chir. V. Langenbeck Bd. 52. — Witi'el: Zbl. f. Chir. 1885.
Für die Praxis*).
Ueber die Behandlung des Ekzems.
Von Leo v. Zumbusch.
I.
Wenn wir die Behandlung des Ekzems besprechen wollen, müssen
wir vorher feststellen, was unter Ekzem zu verstehen sei. Der Begriff
Ekzem wird von den verschiedenen Schulen der Dermatologen mit ver¬
schiedenem Inhalt und Umfang ausgestaltet. Während er von der einen
Seite enger gefasst wird, so dass neben gewissen morphologischen Eigen¬
schaften auch eine mehr oder weniger scharf abgegrenzte ätiologische
Einheitlichkeit gefordert wird, geben ihm andere, so die H e b r a sehe
Schuie nur morphologischen Inhalt. Für uns ist Ekzem eine bestimmt
aussehende und in einer gewissen Weise verlaufende Entzündung der
Haut; was ihre Ursache ist, hat keine Bedeutung für die Stellung der
Diagnose: Ekzem ist eine entzündliche Erkrankung der
Haut, bei der sich kleine, juckende Knötchen bilden,
welche sich im weiteren Verlauf in Bläschen, Pusteln,
nässende Stellen verwandeln können, bei der es dann
zur Bildung von Krusten und zur Schuppung kommt.
Hat eine Hautkrankheit diese Merkmale, so nennen wir sie Ekzem,
ob sie nun durch eine äussere Schädlichkeit hervorgerufen sei. wie das
artefizielle (Gewerbe- etc.) Ekzem, ob wir glauben, dass eine all¬
gemeine Erkrankung die tiefere Ursache sei, wie bei verschiedenen
Diathesen (Gicht, exsudative Diathese). oder ob wir über die Herkunft
im Dunkeln sind und notwendigerweise eine Disposition des betreffenden
Individuums annehmen müssen. Die Zusammenfassung ätiologisch so
differenter Zustände nach der rein morphologischen Einheitlichkeit in eine
Krankheit mag auf den ersten Blick unwissenschaftlich und altmodisch
erscheinen. Wenn wir aber selbst zugeben möchten, dass darin ein Ein¬
geständnis der Unwissenheit gelegen sei, so ist m. E. eine solche immer
der Aufrichtung von noch so geistreichen Theorien vorzuziehen, die,
den ersten Anforderungen scheinbar genügend, doch, sobald sie stärker
belastet werden, dem Gewicht der Tatsachen nicht standhalten, sondern
Zusammenstürzen und einen Trümmerhaufen und Verwirrung zurück¬
lassen. Zweifellos liegt aber dem gemeinsamen Ablauf der Erschei¬
nungen nach den verschiedenen Ursachen auch etwas Gemeinsames zu¬
grunde, nämlich das, was wir als Disposition bezeichnen. Dieser Be¬
kiff, so dunkel er sein mag, und so sehr man ihn, besonders seit der Ent¬
deckung der pathogenen Mikroorganismen, abgetan wissen wollte, kann
durchaus nicht entbehrt werden. Denn wir sehen nicht nur, dass äussere
Schädlichkeiten bei einem Menschen Ekzem erzeugen, während ein
^derer bei viel stärkerer Einwirkung der gleichen Schädlichkeit kein
Ekzem bekommt; auch* bei den Prozessen, die wir Diathese nennen, ist
die Anteilnahme der Haut bei den verschiedenen Individuen sehr ver¬
schieden stark und deutlich ausgeprägt: Bei manchen Kindern mit
exsudativer Diathese ist das Ekzem so gut wie das einzige Symptom;
bei anderen ist es sehr schwach entwickelt, während Störungen von
seiten der Respirationsorgane das Bild beherrschen, usw. Dabei ist
die Neigung der Haut, zu erkranken, eine ganz bestimmt gerichtete,
nämlich mit Knötchen, Jucken, Nässen usf. Die Haut ist nicht im allge¬
meinen besonders leicht krank zu machen oder minderwertig: Verbren¬
nungen und andere Verletzungen heilen bei solchen Personen tadellos
und sclmell, sie bekommen keine Arzneiexantheme oder was man sonst
als Zeichen der Minderwertigkeit auffassen könnte.
Da nun das Ekzem erstens keine ätiologische Einheit ist, anderer-
seits, wie m der Definition gesagt wurde, die pathologisch-anatomischen
Veränderungen einen sehr verschiedenen Grad erreichen können, leuchtet
es ein, dass sich die Behandlung den jeweiligen Verhältnissen anpassen
muss. Der grösste Irrtum ist. wenn jemand glaubt, es gäbe sozusagen
Mittel, um Ekzein zu behandeln, im Sinne eines Spezifikums, etwa wie
guecksilber und Salvarsan Mittel gegen Syphilis sind, oder Arsen ein
Mittel gegen Lieber ruber. Ein solches Mittel gibt es allen Anpreisungen
zum Trotz nicht, es wird ein solches Mittel auch nie gefunden werden
Können. Alles was wir anwenden, kann nur für einen bestimmten Fall
nur in einem bestimmten Zustand der Krankheit bei diesem Fall
werden wir später gewisse Regeln aufstellen
müssen doch muss hier gleich gesagt werden, dass diese Regeln zahl-
Sh ?®seln und Ausnahmen
ausführlicher behandeln. Nichts ist verheerender (und geschieht häufiger)
als wenn ^pndein „bewährtes Mittel zur Ekzembehandlung“ planlos und
im guten Glauben an seine Wirksamkeit auf ein Ekzem hiLufgcschmiert
di Enttäuschung folgen auf dem Fusse. Um
behandeln muss man beobachten, denken und auch einige
haben m«ss «ine VorstellunE davon
aoen, was für pathologische Veränderungen da vor sich eehen und
t^te n festz ustellen, was die Ursache sei ^
"Ochsten Nummern werden erscheinen: R i e t s c h e 1, Die
dSkjL?!! ^ Zumbusch. Die Behandlung
ToeniiTc!*;« Frühdiagnose des Mastdarmkrebses. —
•oenniessen, Diabetes mellitus. i
Wenn wir also ein Ekzem behandeln wollen, müssen wir gegen
drei Momente vergehen: Gegen die äussere Ursache, gegen die Dispo¬
sition und gegen die Veränderung der Haut als solche.
Findet sich eine äussere Ursache, so muss natürlich getrachtet
werden, sie zu beseitigen. Manchmal wird das sehr leicht sein: Einen
Verband mit Jodoform oder ArnUcatinktur wird man nicht neuerlich
auflegen müssen, eine chinesische Primel wird man aus dem Zimmer
schaffen können etc. Oft ergeben sich aber Schwierigkeiten, weil die
Ursache vielleicht nicht erkannt wird oder nicht so einfach abzuschafien
ist. Zum Auffinden nicht ganz offen zutage liegender Ursachen gehört
neben der unentbehrlichen Erfahrung ein gewisses Talent den Kranken
zu fragen und ihn zu bewegen, nachzudenken, was er berührt hat, womit
er sich beschäftigt hat usw. Fast in allen Berufen gibt es mit Substanzen
zu tun, die bei einzelnen Leuten Ekzem erzeugen. Besonders frage
man nach etwa stattgehabtem Wechsel in der Tätigkeit oder in der
Beschaffenheit oder Herkunft von Substanzen, mit denen der Kranke
arbeitet oder die er benützt (Schmieröle, Seifen, Chemikalien usw.).
Alles aufzuzählen, was Ekzem machen kann, hiesse lange Listen der
verschiedenartigsten Dinge anlegen. Höchst zwecklos ist natürlich der
Gedanke an Uebertragung oder Ansteckung, die es bei Ekzem nicht gibt.
Er drängt sich besonders gebildeteren Laien oft auf, wenn reflektorische
Ekzemherde sich zum ersten Herd gesellen (z. B. im Gesicht oder am
Genitale bei artefiziellen Handekzemen), weil viele Leute gewohnt sind,
alles und jedes in der Medizin auf Bazillen zurückzuführen. Leider haben
auch Aerzte ab und zu solche Vorstellungen.
Schlimmer ist es natürlich, wenn die äussere Ursache nicht beseitigt
werden kann, weil die Tätigkeit mit dieser Substanz der Lebensberuf und
Erwerb des Kranken ist: Es wird für den Maurer schwer sein, nie mehr
mit Kalkstaub zusammenzukommen, für den Anstreicher, kein Terpentin
zu benützen. In solchen Fällen muss unter allen Umständen die Arbeit
bis zur restlosen und vollständigen Heilung ausgesetzt werden. Manch¬
mal geht es dann wieder wenigstens durch lange Zeit, ganz gut mit
der Arbeit, besonders wenn die Leute belehrt werden, dass sie vorsichtig
und reinlich arbeiten sollen, wenn sie ihre Haut pflegen, den Arbeits¬
schmutz gleich entfernen, sich mit Salbe oder Fett öfter einschmieren usf.
Mancher muss allerdings seinen Beruf auf geben. Trifft man daher junge
Leute mit Gewerbeekzem, bei denen der Berufswechsel noch ohne allzu¬
grosse wirtschaftliche Einbusse möglich ist, dann wird ein solcher in
vielen Fällen das Beste sein, sobald die Ekzemausbrüche sich wieder¬
holen.
Ausnahmslos und bei jedem Fall von Ekzem werden wir von dem
Kranken alles abhalten müssen, was die Haut erfahrungsgemäss reizt und
dadurch schaden kann: Ekzemkranke sollen sich nicht mit Wasser
waschen, zumindest nicht die Ekzemherde nass machen. Vorsicht ist
aber auch für die scheinbar gesunden Hautstellen geboten: denn wenn
ein Mensch einen Ekzemherd hat, und sei er auch klein, so-ist seine
ganze Haut in einem latenten Reizzustand, die geringsten Schädlichkeiten,
die er sonst ohne Nachteil ertrug, können dann Ekzemausbruch zur
Folge haben. Das nennt man eben reflektorisches Ekzem. Manche
Ekzemkranke vertragen zwar Wasser ohne Schaden, sie sind aber selten
Hat es ein Patient schon ausprobiert, so kann man ihn sich waschen
lassen, sonst wird man es untersagen. Ebenso ist es natürlich, dass
das so beliebte Reinigen mit Aether, Benzin und dergleichen sehr
schlecht ist, es ist ganz verwerflich. Gereinigt werden darf die Haut
in einigen Fällen mit Alkohol, wann, sei später gesagt, sonst mit Oel,
Vaselin oder, am besten, mit Puder. Akute Ekzeme reinigt man gar
nicht anders, als dass man Salbenreste, Sekret etc. mit einem Watte¬
bausch und indifferentem Puder vorsichtig abwischt, aber nur, was
leicht mitgeht. Dass ein Ekzemkranker nicht bei Sturm, Sonne oder
Regen ins Freie gehen soli, dass er nicht schwitzen soll, dass er sich
nicht in einer Werkstätte oder Küche bei strahlender Hitze, im Dampf,
im Staub aufhalten soll, dass er keine enge, reibende, heisse Kleidung
tragen soll, sind einleuchtende Dinge, ebenso wie, dass das Kratzen zu
vermeiden ist. Erhitzende Speisen und Getränke müssen wegbleiben,
Sorge für regelmässige Stuhlentleerung ist geboten.
Ganz anders steht die Sache mit den allgemeinen Ursachen, wie
Gicht, exsudative Diathese. Skrofulöse, Anämie etc. Sie greifen nicht,
wie die vorgenannten an Ort und Stelle an, um unmittelbar die Ent¬
zündung auszulösen, sondern sie wirken eigentlich mehr in dem Sinne,
dass sie die Disposition zur Hauterkrankung steigern: sie sind also
nicht scharf von der Disposition zum Ekzem zu trennen, die man ab und
zu auch bei Leuten trifft, die keinerlei Anhaltspunkte für eine Diathese,
Dyskrasie, oder wie man es nennen will, bieten. Ausserdem wirken
sie ständig, sind Dauerzustände, die allerdings ihrer Wirkungskraft nach
mehr oder weniger ausgiebigen Schwankungen unterworfen sind. In
solchen Fällen ist es für den Erfolg massgebend, ob es gelingt, durch
irgendwelche Behandlung: diätetische Massnahmen, Allgemeinkuren, durch
Arsen, oder was immer es sei, den Allgemeinzustand zu bessern. Die
Prognose wird also umso besser sein, je mehr Aussicht auf Besserung
des Grundleidens vorhanden ist. Am schlechtesten ist sie dort, wo der
Patient scheinbar innerlich ganz gesund ist und nur eine sehr zu Ekzem
geneigte Haut hat. Hierher gehören Leute mit Ichthyosis, manche mit
Vitiligo, aber auch solche mit sehr zarter und schön aussehender Haut
Die kleinsten Schädlichkeiten genügen hier, um Ekzem zu erzeugen.
Reizungen, die das tägliche Leben in unvermeidbarer Weise fort und
fort nach sich zieht. Ich kenne derartige Menschen, die sich seit Jahr
und Tag nur mit Alkohol und Puder reinigen könnep, die alles ver¬
meiden, was die Haut reizen könnte, hur um nicht von Ekzem geplagt
zu werden.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
402
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 3.
Soziale fliedlzln und Aorztliche standesanoeieoenbeiten.
Zur Auflösung der Landesdienststelle für das ärztliche
Versorgungswesen in Bayern.
Von Reg-Med.-Rat Dr. Schiekofer.
Als am 1. April 1876 das bayerische Kriegsministerium umgestaltet
WTirde, erschien in ihm zum erstenmal eine besondere Abteilung für
Militärmedizinalwesen: die Medizinalabteilung. Am 31. März 1921, nach
45 jährigem Bestehen, wird diese .Abteilung ihre Tätigkeit einstellen und
aufgelöst werden. Die grosse Bedeutung, die ihr auf dem Gebiet des
gesamten Sanitätswesens zukam, lässt einen kurzen Rückblick auf ihr
Wirken wohl berechtigt erscheinen.
Bei der Gründung der Medizinalabteilung war Ihr als Aufgabenkreis
zugewiesen worden: Aerztliche Ausrüstung der Armee. Gesundheits¬
pflege im allgemeinen, Lazarettwesen, Operationskurs für Militärärzte,
ärztliche Superrev'sion in Invalidensachen, Personalangelegenheiten der
Militärärzte und Militärapotheker. Das Bedeutsame an dieser Gründung
und diesem Arbeitsgebiet war, dass damit der Wert der ärztlichen
Leistung für das Heer anerkannt und zum Ausdruck gebracht wurde. Für
die Medizinalabteilung gab es naturgemäss mancherlei Hemmungen und
Schwierigkeiten zu überwinden. Sie war sich dabei stets bewusst, dass
ihre Hauptaufgabe in der Hebung des Ansehens des von ihr vertretenen
Standes der Militärärzte lag, der noch vielfach an seiner eigenen Ge¬
schichte krankte. Durch eine immer strenger werdende Auswahl der
neu zugehenden Aerzte, durch ein stetes Verfolgen der wissenschaft¬
lichen Fortschritte, durch eine besonders sorgfältige wissenschaftliche
Ausbildung und Fortbildung der unterstellten Sanitätsoffiziere an Kliniken,
Krankenhäusern und Instituten sicherte sich die Medizinalabteilung im
Laufe der Zeit einen Stamm von Aerzten, der auch hochgestellten An¬
forderungen entsprach. Namentlich die ausgedehnte Möglichkeit der
wissenschaftlichen Fortbildung war eine Errungenschaft, um die der
bayerische Sanitätsoffizier von seinen Kollegen anderer Kontingente be¬
neidet wurde. Sie gewährleistete eine einwandfreie allgemeine Durch¬
bildung der Sanitätsoffiziere, sie schuf eine Reihe von Fachärzten aller
Richtungen und ihr ist es zu danken, dass eine Reihe von Männern mit
hohem wissenschaftlichen Ruf aus den Reihen der bayerischen Sanitäts¬
offiziere hervorgegangen Ist. Mit der Sorge für die Heranbildung eines
einwandfreien Aerzte- und Pflegepersonals vereinte die Medizinal¬
abteilung das Bestreben, die für die Unterbringung und Behandlung
kranker Heeresangehöriger erforderlichen Anstalten zu schaffen, in denen
jeweils die neuesten Errungenschaften der Medizin zur Anwendung ge¬
langen konnten. Als die Feuerprobe — der grosse Krieg — kam, fand
er ein Sanitätswesen, das den zu stellenden Anforderungen voll ent¬
sprach. Der Medizinalabteilung selbst brachte er eine kaum zu be¬
wältigende Fülle von Arbeit. Die Versorgung des Feld- und Heimat¬
heeres mit dem zur ärztlichen Behandlung nötigen Personal und Material,
die Unterbringung der Kriegsbeschädigten in Lazaretten, die Versorgung
der Invaliden stellten an sie die höchsten Aufgaben. Dabei zeigte es sich
mehr denn je, dass die Tätigkeit der Medizinalabteilung nicht bloss dem
Heere diente, sondern von grösster Bedeutung für das Wohl des ge¬
samten Volkes war. Galt es doch in jahrelangem Kampf die gefürchteten
Kriegsseuchen von den Fronten und der Heimat abzuwehren. Dass dies,
vielfach unter schwierigsten Verhältnissen gelang, ist ein besonderes
Ruhmesblatt des Heeressanitätswesens.
Kriegsausgang und Umsturz brachten auch der Medizinalabteilung
tief einschneidende Veränderungen. Am 1. Oktober 1919. mit der Ueber-
nahme des Versorgungsw-esens durch das Reichsarbeitsministerium,
schied die Medizinalabteilung aus dem bayerischen Ministerium für mili¬
tärische Angelegenheiten aus und trat als Landesdienststelle für das
ärztliche Versorgungswesen in Bayern zum Reichsarbeitsministerium
über. Am letzten März 1921 fällt mit ihr eine Einrichtung, unter der das
bayerische Heeressanitätsw^esen einen so hohen Aufschwung ge¬
nommen hatte.
Es wäre undankbar und ungerecht, wollte man an diesem Tage nicht
der Männer gedenken, die als Chefs die schweren, verantwortungsvollen
Geschäfte der Medizinalabteilung geführt haben. Die Namen v. Leuk
(1876—1883). V. Lotzbeck (1883—1895), v. Vogl (1895—1900),
V. Bestelmeyer (1900—1911), v. Seydel (1911—1919) und
V. Ammon (1919—1921) sind die Marksteine in der ruhmvollen Ge¬
schichte der Medizinalabteilung des früheren bayerischen Kriegs-
ministeriums.
BQcheranzeigen und Referate.
V. Schml^den- Frankfurt a. M.: Der chirurgische Operations¬
kursus. 7. u. 8. Auflage, Leipzig, Barth, 1920. Preis 75 M.
Der heute in 8. Auflage vorliegende Schmieden sehe Operations¬
kursus ist vielen deutschen Aerzten, besonders auch in den Kriegs¬
jahren, ein treuer Berater geworden. Die knappe Art der Darstellung,
die mustergültigen, zum Teil in 2 Farben gehaltenen Abbildungen sind
geradezu unübertrefflich.
Die vorliegende Auflage ist vom Verf. ausgiebig ergänzt. Einige
Abschnitte (Vertebralisunterbindung, Absetzung des Schultergürtels. Ab¬
setzung des Beines mit einem Teil des Beckenringes) sind neu hinzu¬
gefügt, zahlreiche Abbildungen, z. B. die zur Eröffnung des Oberkiefer-
höhlenempyems, sind neu aufgenommen. Die Ausstattung des Buches
ist auch in der neuen Auflage tadellos. K r e c k e.
Digitized by Go».)Szle
Plo Foä: Tratatto dl Anatomia Pathologica per Medici e Studei tl.
II. Ferruccio V a n z e 11 i: Sistema Circolatorio. III. A. Cesaris Demel:
Apparate Uropoietico. IV. Carlo Gamma: Apparate Digerente. Unio le
Tipografico — Editrice Torinese 1920. Preis der 3 Lieferungei:
88 Lire.
Von dem früher schon besprochenen pathologisch-anatomisch :n
Handbuch, das F o ä herausgibt, liegen obige 3 weitere Lieferung ;n
vor; sie sind in gleich gediegener Welse durchgeführt wie der ente
Teil und behandeln ebenfalls ausführlich und kritisch, ohne sich in grosse
Details zu verlieren, die einzelnen Kapitel, wobei die ausländische Li¬
teratur in unparteiischer Weise ausgedehnte Berücksichtigung findi t.
Die schöne Ausstattung, das gute Papier, die sehr gut ausgeführten B l-
der verdienen alles Lob. Oberndorfer -München.
Rudolf Le Id 1er- Wien: Ohrenheilkuiide für den praktischen A'r:;t
Mit 36 Abbildungen im Texte. Urban & Schwarzenberg, Btr-
lin-Wien, 1920. Preis 15 M.
L e i d I e r bezweckt mit seinem Kompendium „den Kollegen, die si :h
durch mehrmonatliche Praxis an einer Ohrenstation die für die a 1-
gemeine Praxis notwendigen praktischen und theoretischen Kenntnis ;e
angeeignet haben, in allen otologischen Fragen ein Berater und Helf;r
zu sein“. Es zerfällt in einen allgemeinen und in einen speziellen Teil.
Das hat den Vorteil, dass ermüdende Wiederholungen vermieden wer¬
den, aber den Nachteil, dass es den Leser zwingt, die ganze Materie
durchzuarbeiten. Deshalb eignet es sich auch nicht recht als Repeii-
torium für Studenten, was um so mehr zu bedauern ist. als hierfür se it
Einführung der Prüfung in Deutschland ein Bedürfnis besteht. Den oben
angegebenen Zweck erfüllt es aber sehr gut, da es durchaus auf
modernem Standpunkt steht, gute praktische Winke gibt und klar
geschrieben ist. Scheibe- Erlangen.
Die Arzneibücher, vergleichend besprochen, mit einem Verzeichnis
der Arzneibücher. Von Prof. Dr. med. A. Faick-Kiel. Leip/ig 1920.
Verlag von Joh. Ambrosius Barth. 168 Seiten. Preis 24 M.
Die Hinweise des Verfassers auf die teilweise sehr grossen Unter¬
schiede Im Gehalte von Arzneizubereitungen der Arzneibücher der ver¬
schiedenen Länder und die dadurch bedingten Gefahren einer Arznei-
überdosierung legen uns erneut die Herausgabe einer internationalen
Pharmakopöe dringend nahe. Im Jahre 1902 hat man zwar gelegentlich
einer Zusammenkunft in Brüssel mit derartigen internationalen Parmako-
pöevereinbarungen den Anfang gemacht; seitdem ruhen alle diese Ar¬
beiten scheinbar vollkommen. Der Verfasser leistet zur Fortsetzung
dieser Beratungen dankenswerte Vorarbeit, indem er den Inhalt von
26 Arzneibüchern verschiedener Staaten behandelt und einen kritischen
Vergleich der allgemeinen Bestimmungen aller geltenden Arzneibücher
anstellt. Solange kein internationales Arzneibuch existiert, dürfte das
vorliegende, kurzgefasste Buch den Aerzten und Apothekern, welche
an Grenzorten und Plätzen mit internationalem Kurpublikum tätig sind,
höchst willkommen sein, um über Arzneizubereitung und Abkürzung der
Arzneibücher anderer Staaten Aufschluss zu bekommen.
R a p p - München.
Prof. Dr. A. Grotjalin: Geburtenrückgang und Geburtenregelung.
2. Aufl. XIV. -f 378 S.* Berlin 1921. Verlag C o b l e n t z. Preis 25 M.
Das hervorragende Werk Grotjahns über die Geburtenfrage be¬
darf kaum noch einer besonderen Empfehlung. Verf. kann in seinem
Nachwort feststellen, dass die in der ersten Auflage (1914) zum Aus¬
druck gebrachten Gnindansichten durch den Krieg und seine Folgen
keineswegs erschüttert, vielmehr in allen wesentlichen Punkten be¬
kräftigt worden sind. Er warnt mit Recht vor der Ansicht, dass in
der gegenwärtigen Lage Deutschlands eine Bevölkerungsabnahme durch
Geburtenverhütung anzustreben sei, und gibt vielmehr der Ueberzeugung
Ausdruck, dass die Verteidigung unseres Volkstums in Zukunft in erster
Linie durch die Erhaltung der Volkszahl geführt werden müsse.
Seit G r 0 1 j a h n auf den ersten ordentlichen Lehrstuhl für soziale
Hygiene in Deutschland berufen w'orden ist, dürfen seine Lehren auf eine
ganz besondere Beachtung rechnen. Unter diesem Gesichtspunkte möchte
ich darauf hinweisen, dass er „das eigentliche Zentralproblem der sozialen
Hygiene“ in der Geburtenfrage sieht, also nicht In der sozialen Für¬
sorge für die vorhandenen Individuen, welche heute gewöhnlich als das
Zentralgebiet der sozialen Hygiene ausgegeben wird. Ich schliesse mich
unbedingt der Anschauung Grotjahns an: ..Es muss der mensch¬
liche Artprozess durch die Ausbildung einer Theorie
und Praxis der Eugenik soweit rationell beeinflusst
werden, dass die Erzeugung und Fortpflanzung von
konstitutionell Minderwertigen zuverlässig ver¬
hindert wird“ (S. 144).
Für nicht glücklich halte ich übrigens die Uebersetzung des Wortes
Eugenik mit „Fortpflanzungshygiene“. Dieses Wort ist einerseits w^^it^r
als der Begriff der Eueenik, insofern, als es auch die hygienische Berück¬
sichtigung nicht erblicher Zustände bei der Fortpflanzung umfasst,
anderseits aber viel enger denn bei der Eugenik handelt es sich
keineswegs nur um den Vorgang der Fortpflanzung, sondern um eine ge¬
sunde Gestaltung der gesamten Lebensverhältnisse nach Massgabe der
Rassentüchtigkeit. Die einzige richtige Uebersetzung von Eugenik ist
daher das von P1 oetz eingeführte Wort Rassenhygiene. Der
Besrründer der Eugenik. Gal ton, hat die Definition des Begriffes aus¬
drücklich auf die Rassenanlagen bezogen und demgemäss das Wort ge¬
wählt, welches auch wörtlich „Lehre von der tüchtigen Rasse“ (von
= Geschlecht, Rasse) und nicht etwa „Lehre von der gesunden
Fortpflanzung“ bedeutet. Wenn von gewisser Seite heute sogar ein
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNf^
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
403
Gegensatz zwischen „Eugenik“ und „Rassenhygiene“ zu konstruieren
versucht wird, so zeugt das also nicht nur von Tendenz, sondern auch
von Unkenntnis. Grotjahn dagegen kann ich in der sachlichen Ab¬
grenzung durchaus zustimmen, nur nicht ganz in der Bezeichnung „Fort¬
pflanzungshygiene“.
Nach Druck und Papier ist das Buch nicht nur friedensmässig, sondern
sogar vorkriegsmässig ausgetattet. Der Preis von 25 M. ist für heutige
Verhältnisse geradezu auffallend billig. L e n z - München.
Hebammen-Lehrbuch. Herausgegeben im Aufträge des Preussischen
Ministers für Volkswohlfahrt. Mit zahlreichen Abbildungen im Text.
Ausgabe 1920. Berlin, Verlag von Julius Springer. 454 Seiten.
Preis 4.50 M.
Die neue Auflage des preussischen Hebammenlehrbuchs, welches
nach Anhörung einer Kommission von Hebammenlehrern, Medizinalbeamten
und einem Kinderärzte erschienen ist, weist zahlreiche Aenderungen
gegenüber der letzten 1918 erschienenen Auflage auf. Neuabgefasst sind
verschiedene Abschnitte, genannt sollen nur sein „Lage, Stellung urid
Haltung der Frucht, Leitung der Geburt, Höllensteineinträufelung in die
Augen des Neugeborenen, Fehlgeburt und Tamponade, Messung von
Temperatur und Puls während der Geburt, im Wochenbett und nach
der Tamponade, Abweichungen vom regelmässigen Geburtsverlauf“.
Völlig umgearbeitet ist der Abschnitt „Die Krankheiten des Neu¬
geborenen“; kurz behandelt wurden hierbei die die Hebamme inter¬
essierenden „Erkrankungen des Säuglings“. Das Instrumentarium wurde
um ein Hörrohr zum Hören der kindlichen Herztöne vermehrt. Zu den
der Hebamme gestatteten Eingriffen ist die Blasensprengung bei tiefem
Sitz oder unvollständig vorliegendem Mutterkuchen gekommen. Dem
Kreisärzte zu melden hat die Hebamme nunmehr auch jeden in den ersten
10 Lebenstagen erfolgten Tod eines Neugeborenen, sowie jeden Fall
von Verkrüppelung oder Anzeichen einer drohenden Verkrüppelung, die
sie an einem Neugeborenen feststellt. Die Fassung des Tagebuchs ist
wesentlich vereinfacht, verlangt wird u. a. von jetzt an die Aufzeich¬
nung des Gewichts des Neugeborenen sowie Temperatur und Puls der
Mutter während der Geburt. Angefügt ist ein Formular über die Mel¬
dung des Todes eines Neugeborenen in den ersten 10 Lebenstagen.
Die Aenderungen sind diesmal so zahlreich, dass von der Herausgabe
von Deckblättern abgesehen werden musste.
^_ A. R i e l ä n d e r - Marburg.
Paul Schneider: Lebensglaube eines Arztes. Verlag von
S. H i r z e 1 in Leipzig, 1921. Preis 22 M., geb. 35 M.
Ein interessantes, anregendes und spannendes Buch. Ein Buch,
das studiert werden muss, in das man sich einiesen muss, das
man dann aber auch ungern aus der Hand legt und am Schluss
bedauert, dass es schon zu Ende ist. Der Verf. gründet in neuer Weise
eine Lebens- und Weltanschauung auf die Tatsache des menschlichen
Eigenwillens. Er sucht die Lehre vom Eigenwillen zu einer Wissenschaft
der Telematologie zu erheben. Mit der Tatsache, dass jeder Mensch
einen Eigenwillen und Gedächtnis hat, muss man rechnen und aus
diesen Eigenschaften ergeben sich alle Handlungen, die der Einzelmensch
und die Gesamtheit vornehmen. Sie sind auch die Grundlagen einer
neuen philosophisch religiösen Ethik, die S. Lebensglaube nennt. Ein¬
gehend behandelt Verf. auf Grund wissenschaftlicher Ergebnisse der
Physiologie und der allgemeinen Naturkunde die soziale Frage. Neue
Anregungen gibt er in den Fragen der Prostitution, der Bekämpfung des
Verbrechens, der Vermeidung des Krieges, der Politik im Einzelstaat
und im Verkehr der Nationen zueinander. Der Verfasser ist sehr be¬
lesen und schmückt sein stilistisch hervorragend geschriebenes Buch
mit einer grossen Zahl von Zitaten aus der gesamten Weltliteratur.
Das Buch ist voll von Anregungen und wird sich zweifellos eine grosse
Zahl von Bewunderern erw'erben. Druck und Ausstattung sind gut. Der
Preis ist sehr gering. Werner- Hamburg.
G. Kohfeldt und W. Ah re ns: Ein Rostocker Studentenstamm-
boch von 1736/37. Mit 23 Bildern aus dem Studentenleben in farbiger
Wiedergabe. Zur Feier des fünfhundertjährigen Bestehens der Universi¬
tät Rostock herausgegeben. Rostock 1919 bei G. B. L e o p o l d.
Albumformat mit 65 Seiten Text Preis geb. 20 M.
Man blättelt zunächst in diesem höchst ergötzlichen Büchlein wie
ein Kind in einem Bilderbuch und freut sich an den köstlich naiven Bild¬
chen und den harmlos heiterwi Szenen, die sie darstellen. Dieses
Stammbuch eines Rostocker Studenten, jetzt im Berliner Kunstgewerbe¬
museum befindlich, ist ein sehr wertvolles kulturhistorisches Dokument,
das uns wie kein zweites eine Anschauung gibt vom Studentenleben der
alten Zeit. Da können wir diese burschikosen Kerle voll Saft und Kraft
sehen beim Trinken, bei Coffee und Tobak, beim Raufen und bei den
Händeln mit dem „Baar“ (Polizei), beim Besuch in feiner Familie und
bei der Partie mit den „Charmanten“, bei allerlei Ulk und Spass. Von
„Idealismus“ und Wissensdurst ist weniger zu bemerken. Wiedergabe
der Bilder, die alle von einem taubstummen Maler namens Zimmer
herrühren, und Ausstattung ist vorzüglich. Kerschensteiner.
Kurt Klare: Zur Sonne, zur Sonne! Mahnworte und Ratschläge
in Originalbeiträgen von Aerzten, Dichtern und Malern. München bei
H. A. W i e c h m a n n, 1920. Klein 8 ®. 110 Seiten.
Die sehr wirkungsvolle Propagandaschrift für Luft- und Sonnenbäder
verdient ih der schweren Zeit der Kinderverkümmerung weiteste Ver¬
breitung. Gehört doch die Sonne zu den Dingen, die man uns nicht
nehmen kann, wie L. Finkh sagt, und zu den Heilfaktoren, die wir
besonders ausnützen müssen. Die Beiträge, von warmem Empfinden und
Verständnis für die Sache getragen, sind in Prosa und Poesie. Der um¬
fangreichste, das Wesen der Sache ausführlich darstellende, rührt von
Jesionek -Giessen her. .Als praktisch wichtig, auch für uns Aerzte, sei
nur noch der Aufsatz „Sonne und Kinderkleidung“ von Simon hervor¬
gehoben. Dem Büchlein sind ausser einigen Photographien drei hübsche
Zeichnungen von Staeger beigegeben. Kerschensteiner.
Zeitschriften-Uebersicht
Zeitschrift für klinische Medizin. 90. Band. 1. u. 2. Heft.
C. Sonne: Beitrag zur Aetloiogle der lordotlschen (orthostailschen)
Albuminurie.
Man ist nach den Untersuchungen zu der Vermutung berechtigt, dass die
typische oHhostatische (lordotische) Albuminurie stets linksseitig ist, da sie
von der Kompression (wahrscheinlich mit der Aorta als Bindeglied) der quer
Ober die Mittellinie der Wirbelsäule und über die Aorta verlaufenden linken
Vena renalis herrührt.
E. Becher: Uel>er den Einfluss grosser Aderlässe auf die bei neph-
rektomierten Hunden im Blut- und Muskelgewebe angetaäuften Retentions¬
produkte, zugleich ein Beitrag zur Kenntnis des Rest-N-Qehaltes der Mus¬
kulatur.
Bei vollständiger Anurie wird Rest-N nicht nur im Blut, sondern auch
im Muskelgewebe angehäuft. Der relative Anstieg gegenüber der Norm ist
in der Muskulatur viel geringer als im Blut, da der Rest-N-Gehalt im Muskel
normalerweise viel höher ist als im Blut. Die in gleichen Teilen Blut- und
Muskelgewebe nach der Nephrektomie angehäuften Mengen waren bei den
Becher sehen Bestimmungen nicht so sehr verschieden, aber im Muskel
auch etwas geringer als im Blut. Da jedoch die Muskulatur 45 Proz. des
Körpergewichts ausmacht, befindet sich bei Anurie dort sehr viel von
abiuretem Stickstoff abgelagert. Das Muskelgewebe ist der Hauptstapelplatz
für denselben. — Bei nephrektomierten Hunden bewirkten gross6 Aderlässe
von 21,1—45,5 Proz. der gesamten Blutmenge in den ersten 3 Stunden keine
Herabsetzung sondern in der Regel eine merkliche Erhöhung des Rest-N-
Gehaltes in Blut- und Muskelgewebe. Bromlauge-Stickstoff, Indikan, Kreatinin
und Harnsäure zeigten ebenfalls eine Zunahme. Dieselbe war bei den ver¬
schiedenen Retentionsprodukten verschieden stark. Der im gesamten Blut-
und Muskelgewebe zusammen angehäufte Rest-N erwies sich meist nach dem
Aderlass als deutlich erhöht. Es konnte berechnet werden, dass nach der
Blutentziehung bei der Mehrzahl der Versuche die Produktion der N-haltigen
Schlacken gesteigert war. Die mit dem Aderlass entfernte Menge beträgt
nur wenige Prozent der gesamten im Organismus angehäuften Menge. So
kann eine Entgiftung a priori gar nicht erwartet werden, was durch die
Versuche auch bestätigt wurde.
Clara Happel: Der Einfluss der Kriegsernährung auf die Harnsekretion.
Die durch den Krieg bewirkte schwere Stoflwechselstörung infolge
Eiweiss- und Fettmangels, andererseits Wasserreichtums der Nahrung, zu¬
sammen mit der erhöhten Kochsalzzufuhr sind geeignet, besonders unter dem
Einfluss begünstigender Faktoren (Kältewirkung, frühere Enuresis, An¬
strengungen usw.) sowohl das Leiden der Poly- und Pollakisurie mit und ohne
Enuresis wie auch die Oedemkrankheit hervorzurufen. Der dabei selten ver¬
misste gesteigerte Harndrang lässt an diuretisch wirkende Stoffe in der
Nahrung denken. In den gebräuchlichsten Gemüsen und den Kartofleln haben
sich solche Stoffe nicht erweisen lassen. Ob ein Zusammenhang mit inner¬
sekretorischen Störungen vorhanden ist, steht noch dahin.
H. C. Frenkel-Tissot: Zur Frage der sportlichen Albuminurie,
besonders bei Skifahrern.
Die Versuche wurden anlässlich eines Dauerskilaufes angestellt, der am
25. I. 1919 vom Skiklub St. Moritz veranstaltet wurde. In Uebereinstimmung
mit den Literaturangaben nach einer exzessiven körperlichen Leistung fanden
sich sämtliche Urine eiweisshaltig. **/io davon gleichzeitig zylinderhaltig,
nur 3 mit Erythrozyten, diese ganz spärlich. Die Unterschiede gegenüber
Ergebnissen bei Stehversuchen sind sehr deutlich, Tendtnz zur Zylindrurie
beim Stehversuch nicht oder nur sehr mässig, beim Skilauf stark. Tendenz
zur Erythrozyturie dort ausgesprochen und dominierend, hier minimal. Der
Einfluss körperlicher Bewegung auf die Blutverteilung und damit mittelbar
auf die Erythrozytenausscheidung ist also evident.
Z e h b e: Beitrag zur Klinik und DIfferentialdlagnose der hämorrhagischen
Nierenentzündung. ,
Es gibt echte chronische Nierenentzündungen, die eigentlich lediglich ein
Symptom, die Hämaturie, aufweisen (herdförmige oder diffuse Glomerulo¬
nephritiden). Sie können einseitig oder in der einen Niere stärker als in der
anderen auftreten. Auch in den scheinbar monosymptomatischen Fällen
lassen sich beim ersten Beginn der Erkrankung nephritische Elemente,
Zylinder etc. nachweisen. Albuminurie kann fehlen oder spurenweise auf¬
treten. Der Verlauf ist im Durchschnitt langwierig, die Prognose nicht
durchwegs günstig. Die Differentialdiagnose ist insbesondere gegenüber der
Nierentuberkulose oft recht schwierig, namentlich wenn die Krankheit nicht
von Anfang an beobachtet-werden kann.
C. Stein: Die Bedeutung der Funktlonsprüfung des Gehörorgans für
die Frühdiagnose und Prognose der zerebralen Arteriosklerose.
Bei oft sich wiederholenden oder länger andauernden Qefässalterationen
vasospastischen Charakters kommt es zu einer im allgemeinen sehr langsam,
nicht selten auch durch lange Stillstände* unterbrochenen Progredienz der
Gehörabnahme. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass vaso¬
motorische Störungen nicht selten die Vorläufer einer organischen Gefäss-
erkrankung darstellen. Intensive, sich oft wiederholende vasomotorische
Störungen sind daher im Sinne präsklerotischer Zustände zu beurteilen und
therapeutisch dementsprechend voll und ganz zu berücksichtigen. Die
konstante, besonders aber die rasche Progredienz der Gehörsabnahme ist
als bedeutsames Kriterium für die Annahme eines sich entwickelnden arterio¬
sklerotischen Prozesses in den Gehirngefässen anzusehen. Ein plötzliches
bedeutendes Absinken der Hörkurve ist immer als prognostisch ernst zu
nehmendes Symptom aufzufassen.
S. B e r g e 1: Die Lymphpzytenllpase.
Verteidigung des von Caro angegriffenen Lipasegehalts der Lympho¬
zyten und Erwiderung C a r o s darauf. Beides im Original nachzulesen.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
404
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
E. H^cht: Zum Wesen des Diabetes inslpldus.
An einem sicheren Fall von Diabetes insipidus wird nacheewiesen, dass
die relative Konzentrationsfähigkeit erhalten ist, dass die diuresehemmende
Wirkung des Hypophysenextraktes nicht auf einer primären Hemmung der
Wasserabgabe aus den Geweben beruhen kann, dass die molare Blut¬
konzentration (<5) trotz erhöhter Stoffwechselbelastung fallen kann. Aus der
Literatur und eigenen Beobachtungen wird festgestellt, dass der Diabetes
insipidus-Kranke Kochsalzzulage wie der Normale teils durch Vermehrung der
Harnmeiige, teils durch Konzentrationserhöhung ausscheidet, also eine Molen¬
sekretionsunfähigkeit hieraus nicht abzuleiten ist. Die Auffassung der Polyurie
beim Diabetes insipidus als Kompensation der Molensekretionsunfähigkeit
wird widerlegt durch das Fehlen der Abplattung der Tubulusepithelien,
durch die Unmöglichkeit, eine Polyurie als kompensatorische zu bezeichnen,
wenn das spezifische Gewicht unterhalb der Blutkonzentration liegt.
. Kämmerer - München.
Zentralblatt für Herz- und Gefässkrankheiten. 1920. Nr. 23 u. 24.
E. W e i s s und W. Dieter- Tübingen: Die Strömung ln den Kapillaren
und ihre Beziehung zur Gefässfunktion.
Die mitgeteilten Untersuchungen erfolgten mit Hilfe des W e i s s sehen
Apparates zur Kapillarbeobachtung am Valium unguis, die Methodik wird
genauer angegeben. Aus den Ergebnissen der an Gesunden, sowie auch an
kranken Personen angestellten Versuche resp. Beobachtungen ist hervor¬
zuheben, dass die Bestimmung der Strömungszeit in den Kapillaren und die
Beobachtung etwaiger Rückströmung im Verein mit der übrigen Kapillar¬
beobachtung und dem sonstigen klinischen Untersuchungsbefund gewisse Auf¬
schlüsse über das Verhalten der peripheren Gefässe geben kann. Die normale
Strömungszeit beträgt ca. 30 Sekunden, bei indifferenter Temperatur tritt in
der Norm nach Aufhören der Strömung keine Rückströmung auf. Bei
thermischen Einwirkungen und bei Kreislaufstörungen lassen sich 4 Typen
bezüglich Ströniungszeit unterscheiden (cfr. Tabellen im Original!). Die
Reaktionsfähigkeit der p-^ripheren Arterien ergibt sich bei Eisapplikation aus
den an den Kapillaren prompt auftretenden Erscheinungen von Kontraktion
und Tonussteieerung, welche bei arteriosklerotischen Gefässen fehlen, bei
Mediahypertrophie aber abnorm stark auftreten. O. Müllers plethysmo¬
graphische Ergebnisse über Eisreaktion bzw. FunktionsprUfung der Arterien
werden dabei bestätigt. — Interessant sind besonders auch die Befunde bei
den sog. Vasoneurosen.
Nr. 24: Referate.
1921. Nr. 1 bis L
Hans Q 1 a s e r - Braunschweig: Reizperzeption und zentripetale Relz-
leitung im Herzen.
Aus dem zusammenfassenden Referate einer grossen Zahl von Arbeiten
über dieses Kapitel heben wir hervor: durch die analysierten Arbeiten kann
als bewiesen gelten, dass im Herzen sensible Nervenendigungen vorhanden
sind, die sich über Endokard und Perikard ausbreiten. Die Sensibilität des
Herzens und wahrscheinlich auch der anderen inneren Organe unterscheidet
sich qualitativ von der der zerebrospinalen sensiblen Nerven. Sie ist an¬
scheinend besonders eingestellt auf diejenigen Reize, die das Organ unter
physiologischen resp. pathologischen Bedingungen am leichtesten treffen.
Einerseits verlassen ^nsible Nerven das Herz im N. vagus, um im Zentral¬
nervensystem mit anderen Zentren in Verbindung zu treten, von denen die
motorischen Nerven zu den Erfolgsorganen ausgehen. Zu letzteren gehört
in erster Linie das Herz selbst. Andererseits aber bestehen Verbindungen
der sensiblen Nerven mit den motorischen Nerven des Herzens im Herzen
selbst.
E. Bremer -Freiburg i. Br.: Zur Lehre von der Reizleitung und
Extrasystolle.
Genaue Analyse eines Falles von interpolierten ventrikulären Extra¬
systolen. Es wird durch Versuche wahrscheinlich gemacht, dass ]ene von
der vorhergehenden normalen Systole abhängen. Suprarenin steigerte die
Häufigkeit und Intensität der Reizbildung. Digitalis setzte sie herab und
unterdrückte schliesslich die Bildung der ventrikulären Extraystolen.
Nr. 4: Referate. Qrassmann - München.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 10.
A. W e i n e r t - Magdeburg: Der heutige Stand der Wunddiphtherie.
Verf. weist darauf hin, dass viel öfter als man glaubt, Diphtheriebazillen
auf der Haut und auf Wunden angetroffen werden. Während aber früher
der Nachweis „echtfer" Diphtheriebazillen zur Diagnose „Wunddiphtherie“
genügte, neigt man heute dieser Ansicht nicht mehr zu; heute lässt sich
vielfach eine schwere Wunddiphtherie nur durch ein Zusammenwirken
mehrerer Bakterienarten einigermassen erklären, indem andere Keime für
den Diphtheriebazillus erst günstige Wundverhältnisse schaffen; auch an eine
Symbiose verschiedener Bakterien wäre zu denken. Von Bedeutung ist auch
die Widerstandsfähigkeit des Einzelindividuums, bei dem durch den Krieg
vielfach Blutveränderungen jetzt nachweisbar sind. Mit Vorliebe entwickeln
sich Wund- und Hautdiphtherie auf schlecht ernährten Wunden oder auf ge¬
schädigter Haut, wofür Verf. mehrere Beispiele anführt. Die Behandlung ist
oft recht schwierig, da viele Wunden noch immer jeder Behandlung trotzen
und therapeutisch kaum zu beeinflussen sind. Die interessante Arbeit ver¬
dient eingehendes Studium im Original.
cand. med. R. F e t s c h e r - Tübingen: Ueber die Vererblichkeit des an¬
geborenen Klumpfusses.
Aus mehreren beigefügten Statistiken zieht Verf. den Schluss, dass
mindestens 66^/3 Proz. aller angeborenen Klumpfussfälle rezessiv vererblich
sind; dabei handelt es sich nichrum eine nrimäre Missbildung, sondern um
eine Folge direkt vererblicher Anomalien des Zentralnervensystems. Es
handelt sich um degenerative Veränderungen, da in den Klumpfussfamilien
auch psychische Minderwertigkeit häufiger vorkommt. Jedenfalls spielt in
der Aetiologie des angeborenen Klumpfusses die Heredität eine grössere
Rolle als man bisher glaubte.
Pfeil Schnf'ider: Zur aseptischen Versorgung des Stumpfes bei Ent¬
fernung des Wurmfortsatzes.
An 5 Abbildungen erläutert Verf. kurz seine Methode der Stumpfver¬
sorgung bei Appendektomie.
Max Linnartz - Oberhausen: Zur Technik der Naht geschuldeter
Sehnen.
Das vom Verf. empfohlene Verfahren besteht darin, dass er über dem
zurflckgeschlüpften Sehnenstumpf die Sehnenscheide quer eröffnet, von hier
aus den Stumpf anseilt und durch die Sehnenscheide durchzieht. Mit einer
gewöhnlichen Stopfnadel, der erst die nötige Krümmung gegeben wird, macht
er dann die Naht der Sehnenscheide und der Sehnenstümpfe mit einem
Zwirnfaden. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. *10.
Herrn Qeheimrat Professor Dr. W. Stoeckel zum 50. Geburtstag
am 14. März 1921 von seinen Schülern in dankbarer Verehrung gewidmet
O. Hoehne - Greifswald: Ueber Randsinusblutungen bei vorgerückter
Gravidität
In 2 Fällen handelte es sich um eine besondere, sonst kaum beachtete
Blutungsursache, um eine Ruptur des Randsinus, beide Male am unteren
Rande der Plazenta. In beiden Fällen handelte es sich nur um eine mässig
starke Blutung-, die einen merkbaren Einfluss auf 4^s Allgemeinbefinden
der Gebärenden nicht ausübte. Spontangeburt einer lebenden Frucht in
einem Fälle ca. 5 Wochen zu früh, im anderen rechtzeitig. Normaler
Verlauf.
A. R i e I ä n d e r - Marburg: Kongenitales Fehlen des linken Beines und
Hüftbeins.
Beschreibung dieser seltenen Extremitätenmissbildung mit Abbildung. ’
H. Sieber- Stuttgart; Zur Frage der Bildung und Funktion des Corpus
luteum.
In einem exstirpierten Ovariura fanden sich 2 Corpora lutea. Dieser
interessante Befund veranlasst Verf. die Frage, ob es sich um Schwanger¬
schafts- oder Menstruationskörper handelt und die ganze übrige Materie
kritisch zu erörtern.
P. E s c h - Marburg: Ueber Dauerhellungen und über die Aetiologie der
perniziosaartigen Graviditätsanämie.
Verf. berichtet nochmals über eine ganze Anzahl von durch Gravidität
veranlasste perniziosaähnliche Anämien, die cessante causa, also post partum
infantis, dauernd geheilt blieben.
K. Mayer- Villingen: Kasuistischer Beitrag zur Grösse der Ovarial¬
tumoren.
Im vorliegenden Falle betrug das Gewicht eines Adenocystoma ovarii
97 Pfund, während die Trägerin nur 89 Pfund' wog.
G. L i n z c n m e i e r - Kiel: Neue Untersuchungen über die Senkunfts-
geschwindigkeit der roten Blutkörperchen.
Die Senkungsreaktion ist ein ausgezeichnetes differentialdiagnostisches
Mittel, ob es sich um akute oder alte entzündliche Prozesse handelt. Auch
für andere Fragen, (Lues, Metasyphilis, Schwangerschaft usw.) lassen sich
durch Beobachtung dieses Phänomens interessante Feststellungen und Ent¬
scheidungen treffen.
H. F r i e d r i c h - Chariottenburg: Terpentlnbehandiung gynäkologischer
Entzündungen.
Vorläufige Mitteilung auf Grund von 22 Fällen. Verf. ist mit der Wir¬
kung sehr zufrieden, besonders bei chronischen Adnextumoren, wo sich die
Behandlung besonders durch ihre kurze Dauer auszeichnet. Auch als
diagnostisches Mittel ist das Terpentin in unklaren Fällen nützlich, wenn die
Erhebung eines genauen Palpationsbefundes nicht möglich war.
B. O 11 o w - Dorpat: Zur Kenntnis der gestielten Flbromyome der weib¬
lichen Harnröhre.
Kasuistische Mitteilung mit Illustration. Das relativ grosse Fibromyom
der Urethra verlief symptomlos. Exstirpation. Rasche Heilung.
E. Langes - Charlottenburg; Zur Therapie entzündlicher Genitalerkran¬
kungen, unter besonderer Berücksichtigung der Terpichlnbehandlung.
Gleichfalls eine warme Empfehlung der Terpichlnbehandlung; L. empfiehlt
“ sie besonders für frische Adnextumoren gonorrhoischer und nichtgonorrhoi¬
scher Art. ln diesen Fällen scheint sie anderen Methoden überlegen, da sie
die Behandlungszeit erheblich abkürzt und Erfolge erzielt, wie sie bei anderen
Methoden frühestens nach Monaten gezeitigt werden. Auch bei frischer
Urethra- und Zervikalgonorrhöe ist die Behandlung aussichtsreich, da man
eine Aszension mit ihren unübersehbaren Folgen wird vermeiden können.
Bei alten schwieligen Prozessen an den Adnexen und Parametrien leistet
die Diathermie mehr. Diese und die T-Behandlung sind bedeutungsvolle
Fortschritte der modernen Therapie.
Aug. Q i e s e k e • Kiel: Zur Behandlung des Vulvakarzinoms.
Vergl. Bericht über die Sitzung des Kieler ärztlichen Vereins in dieser
Wochenschrift.
H. Becker -Kiel: Hämaturie und Hämoglobinurie ln der Schwanger¬
schaft.
Beschreibung von 2 diesbezüglichen Fällen, die keine bedrohliche Form
annahmen und bei Bettruhe und Diät zur Ausheilung kamen.
R. H 0 r n u n g - Kiel: Unsere Erfahrungen der operativen Myombe-
handlung.
In. den 10 Jahren, während welcher Stoeckel an der Spitze der
Kieler Klinik steht, sind 447 Myomfälle operiert. Diese ergaben die geringe
Mortalitätsziffer von 1,79 Proz. Infektion und Embolie sind die beiden ge¬
fährlichen Faktoren in der operativen Myomtherapie. Sie zu verringern ist
das erstrebenswerte Ziel. Die statistische Arbeit enthält eine Reihe Inter¬
essanter kasuistischer Mitteilungen.
Carl Meyer-Kiel: Unsere Ergebnisse bei der operativen Behandlung
akuter diffuser, von den weiblichen Genitalorganen ausgehender Perltoniden.
Statistik von 130 Fällen in 10 Jahren mit 88,5 Proz. Mortalität.
Bauereisen -Kiel: Zur Frage der spontan entstandenen Banch-
deckenhämatome.
Verf. publiziert einen neuen Fall, in dem bei einem ruckartigen Um¬
drehen ein Bauchdeckenhämatom entstanden war. Differentialdiagnose gegen
intraperitoneai gelegenen Tumor (stielgedrehter Ovarialtumor usw.) war nicht
leicht. Operative Therapie im S t 0 e c k e 1 sehen Sinne; sowohl für das
infizierte, wie bakterienfreie Hämatom im M. rectus abdominis.
Werner- Hamburg.
Schwefzerische medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 8.
H. Quggisberg-Bern: Zur Genese der Schwangerschaftsvwinde-
rungen.
Durch Injektion von Plazentahormon gelang es bei Kaninchen die Kastra¬
tionsatrophie am Genitalsystem nicht nur aofzuheben, sondern die Genitalien
zum Wachstum zu veranlassen. Bei Frauen mit infantilem Uterus hatte
jedoch das Piazentapräparat keine Wirkung:
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
1. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
405
A. R o 11 i e r und A. Rosseiet - Leysin: Contrlbutlon ä l’Etude sclentl-
Bqne de rtfellotberapie et de la Phototherapie.
E. Ericker - Bern: Die Bedeutun« des Nachweises okkulter BlutuoKen
für die Dlafiinose des Magenkrebses und des peptischen MagenceschwUrs.
Kritik der Methoden des Blutnachweises, von denen Verf. als die beste
die Modifikation der Benzidinprobe nach Qregersen empfiehlt. Bei seinen
eigenen Fällen fand Verf. von 176 Magenkarzinomen 170 positiv. Es gibt
doch eine Anzahl Fälle, wo man so zur Frühdiagnose des Magenkarzinoms
gelangen kann.
H. Christoffel - Basel: Beziehungen der Psychiatrie zur Medizin.
M. M a s s i n i - Basel: Isolierte Miliartuberkulose der Leber.
Beschreibung eines Falles.
M. Landolt; Bemerkung zu der Arbeit von Dr. Betchov: Quelle
condulte tenir en präsent d'un Pneumothorax spontanö?
L. Jacob- Bremen.
Oesterreidiische Literatur.
Wiener kHnteche Wochenschrift
Nr. 9. O. S t r a c k e r - Wien: Zur Methodik der Spondylltlsoperatlon
nach Albee.
Resultate der Messungen bezüglich der Länge der Dornfortsätze bei
den verschiedenen Altersstufen und Körpergrössen.
M. Oppenheim: Die Schnellbehandlung der Krätze.
Erfahrungen Uber die durch die Verhältnisse gebotene rasche Entkrätzung
durch Massenbehandlung.
R. Maresch: Die pathologische Anatomie der Nephritis.
L. Schönbauer - Wien: Zwei Fälle von Spontangangrän des Hoden¬
sackes.
Beide Fälle waren durch lokale Entzündung bedingt, bei dem einen
(tödlicher Verlauf) durch eine wahrscheinlich vom Genitale ausgehende Qas-
phlegmone.
L. C s a k i - Pest: Ein Fall von Kolontumor mit hochgradiger Eosino¬
philie.
Karzinom oder gemischtzelliges Sarkom. Ungewöhnlich hochgradige
Eosinophilie.
L. St ein-Wien: Zur Operation der adenoiden Wucherungen.
Verf. erörtert die Vorzüge der Schütz sehen Zange auch gegenüber
dem Ringmesser.
Nr. 8/9. H. Abels-Wien: Das Perkussionsphänomen, seine physi¬
kalische und diagnostische Bedeutung. Bergeat - München.
Dänische Literatur.
Olaf T h o m s e n und E. V o 1 m u n d: Versuche einer Typeneinteilung
der Gonokokken. (Aus Statens Seruminstitut zu Kopenhagen, Direktor:
Dr. Th. M a d s e n.) (Hospitalstidende Nr. 46, 1920.)
Durch Untersuchung von 26 Qonokokkenstämmen (von frischen
Urethritiden) konnten Verfasser, nach Absorption mit den fraglichen Stämmen
und darauffolgender Agglutination bzw. Komplementbildung von Serum mit
dessen homologen Stämmen, diese 26 Stämme in drei Typen einteilen. Die
Komplementbindung gab sicherere Resultate als die Agglutination. Ob be¬
stimmte Typen in Verbindung mit einem besonderen Verlauf der Infektion
stehen, konnten Verfasser noch nicht entscheiden.
Carl Sonne: Fall von schwerer Anämie durch vier Jahre beobachtet,
pebst Bemerkungen über Eisenpräparate. (Ibid. Nr. 46, 1920.)
Verf. hat bei einem Fall von schwerer Anämie die hervorragende Wir¬
kung des anorganischen Eisens, als Ferrum reductum in Pulverform gegeben,
nachweisen können; er betrachtet anorganisches Fe als das wirksamste Mittel
gegen Anämien sowohl bei Kindern als Erwachsenen und zwar in Dosen von
10 cg metallisches Eisen täglich.
K. A. Hei b erg und O. Strandberg: Mikroskopische Unter¬
suchungen der Nasenschlelmhaut an mit Lichtbädern behandelten Patienten
mit Lupus vulgaris. (Aus F i n s e n s mediz. Lichtinstitut, Dir.: A. R e y n.)
(Ugeskrift for Laeger Nr. 41, 1920)
Untersuchungen an 50 Patienten, die nie lokal, nur mit generellen Kohlen¬
bogenlichtbäder behandelt wurden; Verfasser fanden dabei sichere repara-
torische Veränderungen an der Nasenschleimhaut, die nicht nur eine an¬
scheinende, sondern eine histologisch nachweisbare Abheilung ist.
D. H. B ö g g i 1 d: Das Verhältnis des Blutzuckers bei Aethernarkosen.
(Aus dem Kommunespital zu Aarhus, Chef: H. Strandgaard.) (Ibid.
Nr. 44, 1920.)
An 33 untersuchten Fällen fand Verf. eine konstante Steigerung der
Blutzuckermengen nach Aethernarkosen; eine Erklärung des Phänomens kann
Verf. nicht geben.
C. Rasch: Die Wirkung des Sonnenlichtes auf einen ssrphilitischen Aus¬
schlag. (Aus der Dermatol. Universitätsklinik zu Kopenhagen.) (Ibidem
Nr. 48. 1920.)
R. hat bei einem 19 jährigen Mädchen das biologisch sehr interessante
Phänomen wahrgenommen, dass ein luischer, papulöser Ausschlag an der'
Brust dort fehlte, wo die Haut dem Licht ausgesetzt war; die Grenze des
Ausschlages entspricht genau dem Ausschnitt des Leibchens.
G. V. Th. Bor ries: Vestibuläruntersuchungen bei Blicklähmung. (Aus
der Oto-Laryngologischen Universitätsklinik des Rigshospitals. Chef: Prof.
Schmiegelow.) (Hospitalstidende Nr. 28, 1920.)
Ein 39 jähr. Mann mit disseminierter Sklerose und assoziierter Blick¬
lähmung links bekommt bei kalter kalorischer Prüfung des linken Ohres einen
normalen Nystagmus rechts, bei dessen langsamer Phase die Bulbi die Grenze
der Blicklähmung überschreiten. Bei Kaltwasserspülung des rechten Ohres
sieht man keine konjugierte Deviation rechts, aber einen vollständig nor¬
malen Nystagmus und während dessen schneller Phase die Bulbi ebenso die
Grenze der Blicklähmung überschreiten. Diese letzte, früher nicht gemachte
Beobachtung zeigt, dass die schnelle Nystagmusphase nicht kortikal ist,
aber sich von der willkürlichen Blicklähmung dissoziieren lässt und also
nicht mit dieser identisch ist. Der Fall muss nach B ä r ä n y s Schema in
die Gruppe Pseudophthalmoplegia Wernicke eingereiht werden.
G. N. Th. B 0 r r i e s: Hauptnystagmus bei Menschen. (Aus der Oto-
laryngologischen Universitätsklinik des Rigshospital. Chef.: Prof. Schmie¬
gelow.) (Hospitalstidende Nr. 37. 1920.)
Im Gegensatz zu Urbantschitsch und M y g i n d meint Verf.,
dass eine langsame Hauptnystagmusphase („Hanptreaktion“) bei Menschen
häufig ist und dass ein entwickelter Hauptnystagmus eine eintkehe Ver¬
stärkung dieser Reaktion ist infolge von Hyperlabilität oder AiWrseigen-
tümlichkeiten. Verf. referiert einen solchen Fall und will den Begriff: „intra¬
kranieller Hauptnystagmus“ aufstellen.
Olaf Thomsen und Sören Christensen: Beitrag zur Kenntnis
der Pneumokokkentypen. (Aus Statens Seruminstitut zu Kopenhagen. Dir.:
Dr. Th. M a d s e n.)
Durch Versuche an „Statens Seruminstitut“ konnten Verfasser nach¬
weisen, dass ein Pneumokokkentypus (I) nicht durch ein Pneumokokkenserum,
durch Typus III erhalten, beeinflusst wird; sie konnten aus einer Mischung
von Typus 1 und III, Mäusen intraperitoncal injiziert, den einen Typus (III)
reinzüchten durch gleichzeitige Einspritzung von Typus I-Serum. Durch intra-
peritoneale Einspritzungen von Mischungen von Typus I und III und weitere
Uebertragung in 5 Passagen von Mischkulturen (aus dem Herzblut gewonnen)
ist Typus III fast vollkommen verschwunden. Auch hinsichtlich . Virulenz
und Inhalt von präzipitabler Substanz verhielten sich die Stämme verschieden.
Norwegische Literatur.
H. F. Höst und R. Hatlehol: Die Blutzuckermenge und -bestlm-
mungsmethoden. (Rikshospitales Abt. A, Prof. L a a c h e.) (Norsk Magazin
for Laegevidenskaben Nr. 9, 1920.)
Vergleichende Untersuchungen über die verschiedenen Blutdrucksbestim¬
mungsmethoden; Uebereinstimmung fanden sie mit B a n g s und H a 11 e h o 1 s
Methode, ebenso wie mit Hagedorns und Norman J e n s e n s Methode.
F o 1 i n s und W e r s, besonders aber M y e r s und B a i 1 e y s Methoden
gaben zu hohe Resultate, jedenfalls bei Diabetikern mit Hyperglykämie.
Unsicher ist, ob wirklich die angegebenen Methoden nur die Glykosemenge
angeben. A. Kissmeyer - Kopenhagen.
Vereins- und Kongressberichte.
Aerztlicher Verein zu Danzig.
Sitzung vom 13. Januar 1921.
Herr Vorderbrügge: Beiträge zur Thoraxchirurgie.
Das Sauerbruch sehe Druckdifferenzverfahren hat den Ausbau einer
zielbewussten Thoraxchirurgie ermöglicht. Kurzer Hinweis auf die Gefahren
der Thoraxoperationen, besonders des Pneumothorax (Lungenkollaps, Medi-
astinalflattern, postoperative Empyeme) und die Prinzipien der den Pneumo¬
thorax ausschaltenden Unter- und Ueberdruckäpparate. Bericht über 2 Fälle
von traumatischen Lungenhernien, die unter Ueberdruck operiert, mittelst
freitransplantierter Faszie verschlossen wurden und reaktionslos heilten.
Ferner 2 Fälle ausgedehnter Thoraxwandresektion wegen Mammakarzinom¬
rezidiv. In dem einen Falle hatte das Karzinom die Lunge walnussgross
infiltriert. Nach ausgedehnter Rippen- und Brustbeinresektion wurde in Ueber-
drucknarkose der Tumor unter Handkompression aus der Lunge exzidiert,
der Defekt durch tiefgreifende Nähte ohne Blutung geschlossen. Die Thorax¬
öffnung wurde durch einen grossen Faszienlappen, der auf die Lunge unter
starker Blähune gelegt und an den Wundrändern angenäUt wurde, ver¬
schlossen. Vollständige Hautnaht durch plastische Verschiebung der anderen
Mamma. Primäre Heilung ohne ExsudaL Drei Monate später Gehirnmeta¬
stase, Exitus. Kein lokales Rezidiv. Im 2. Falle betraf der Tumor das
Brustbein und die Pleura, Lunge frei. Auch hier unter Ueberdruck ausge¬
dehnte Exstirpation, Deckung mit Faszie, totale Hautnaht. Glatte Heilung
ohne Exsudat Zwei Jahre später Entfernung der anderen Mamma wegen
Karzinom, kein lokales Rezidiv. Weiterer Verlauf unbekannt. Durch das
Druckdifferenzverfahren wird die Operation des Mammakarzinoms erweitert.
Durch Krieg und Grippe Zunahme der eitrigen Lungenprozesse. Ge¬
naue Herdbestimmung mit Röntgen (Röhrenverschiebung oder stereoskopisch)
möglich, punktieren ins Blaue hinein unzulässig wegen Gefahr der Pleura¬
infektion. Bei freier Pleura Operation unter Druckdifferenz, Aufsuchen des
Herdes, Abtamponade, Eröffnung ev. erst in 2. Sitzung. Mehrere Fälle.
Hinweis auf die Gefahren der Lungen- und Pleuraretlexe und Luftembo¬
lien. Vortr. erlebte einen Reflextod bei Einführen des Drains in den er-
öffneten Abszess (Lokalanästhesie, vorherige Morphiuminjektion), und eine
nicht tödliche Luftembolie ins Gehirn bei einem Verbandwechsel nach
Lungenentrindung, im 1. Fall Atemlähmung, im 2. Herzkollaps. Thorax¬
öffnung in Lokalanästhesie, alle Eingriffe an und in den Lungen sollen in
Narkose gemacht werden, wodurch die Reflexe ausgeschaltet werden. Ver¬
bandwechsel schonend, nicht wischen, ev. Chloräthylrausch. — Zum weiteren
Ausbau der Thoraxchirurgie ist engeres Zusammenarbeiten von Internen und
Chirurgen erforderlich.
Sitzung vom 27* Januar 1921.
Herr M a c h w 11 z: Die chronischen gastrogenen Diarrhöen.
In Anlehnung an einen typischen Fall von konstitutioneller Achylie mit
chronischen Duichfällen wird die Pathogenese, Symptomatologie, Diagnose
und Therapie des Leidens zusammenfassend dargestellt. Dabei werden die
Methoden der Darmfunktionsprüfung nach Ad. Schmidt eingehend be¬
sprochen. Besonders werden die bisher in der internen Literatur nicht
berücksichtigten Mitteilungen von chirurgischer Seite hervorgehoben, nach
denen bei Magenoperierten nicht selten hartnäckige Durchfälle * auftreten.
Auch sie gehören in die Gruppe der gastrogenen Diarrhöen. Denn einmal
ist diesen Fällen die bei den gewählten Operationsmethoden eigentlich zu
erwartende Verminderung der Magensalzsäure tatsächlich nachgewiesen
worden- Vor allem aber spricht in diesem Sinne der von einzelnen Autoren
angegebene Stuhlbefund, der durchaus dem bei gastrogenen Diarrhöen ge¬
fundenen Bilde entspricht, und der prompte Effekt der Salzsäuremedikation.
Herr H. S t a h r: Status thymo-lymphaticus.
Vorbemerkungen über strittige Punkte der Lehre, besonders auch über
die Histologie des Thymus und die Ergebnisse der experimentellen Arbeiten.
Status thymo-lymphaticus stellt eine Konstitutionsanomalie dar und gehört
zum Bilde des Stat. hypoplasticus Bartel. Das isolierte Vorkommen eines
St. thymicus ist unwahrscheinlich, ein St. lymphaticus gar nicht zu er¬
weisen, weil er sich von den Zuständen chronischer Entzündung am lym¬
phatischen Apparat nicht unterscheiden Hesse. Ausser bei plötzlichen Todes¬
fällen mit Status thymo-lymphaticus, von danen der Pathologe nur selten
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
406
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Sektionen bekommt, spielt Status thymo-lymphaticus sicherlich eine wichtige
Rolle bei sehr vielen tödlichen Erkrankungen der Kleinkinder. Das' Kind
stirbt an einer interkurrenten Krankheit.
Beispiel: Ein 1/4 lähriger Knabe mit Pneumonie. Es findet sich hoch¬
gradige Rachitis, sehr grosser Thymus (25 g), grosse Tonsilla palatina und
lingualis, grosse paratracheale, mesenteriale und andere Lymphknotengruppen,
Milz besteht fast nur aus Lymphknötchen, wiegt 150 g. Ein Urteil über
die Häufigkeit des Status thymo-lymphaticus können wir vorläufig gar nicht
abgeben, er ist vielleicht viel verbreiterter als man annimmt, auch als Ur¬
sache plötzlicher Todesfälle anscheinend Gesunder.
Beispiele: 1. 13jähr. Mädchen, alle drei Geschwister schon gestorben.
Thymus wiegt 62 g, Wolfsrachen, doppelte Uvula, abnorme Lappung der
Leber, Hyperplasie des lymphatischen Rachenringes, vergrösserte und ver¬
mehrte Lymphknoten verschiedener Gegenden. Struma der Schilddrüse.
Hypertrophie und Dilatation besonders des linken Herzventrikels. Herztod:
Lymphozytäre Infiltrate, fettige Degeneration und Fragmentation. 2. 20 jähr.
englischer Matrose, untersetzt, pastös. Thymusgewicht nicht mehr als 28 g
Knotige Struma der Schilddrüse, Schwellung des Rachenringes usw.; Infanti-
listische Fensterung der Aortenklappe. Herz mit Dilatation, Hypertrophie,
Fragmentation usw. Thymus zeigt histologisch Markhyperplasie und spär¬
liche H a s s a 1 sehe Körperchen. 3. 5 Monate alter Knabe, sehr gut genährt.
Thymusgewicht 47 g. ^hwellung des lymphatischen Rachenringes, Lymph¬
knötchen auch in der Lunge weit verbreitet, starke Schwellung der lymphati¬
schen Einrichtungen des Darmes. In diesem dritten Falle deutliche Zeichen
der Erstickung.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
Vereinsamtliche Niederschrift.
Sitzung vom 15. November 1920.
Tagesordnung.
Herr Pfister: Die Büharziasis der Urogenitalorgane.
Vortr. gibt einen Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Bil-
harziaforschung hinsichtlich der Urogenitalorgane unter Vorführung von
Präparaten und 120 Lichtbildern, z. T. vom Institut für Tropenkrankheiten
in Hamburg, vom Tropengenesungsheim in Tübingen, Prof. G ö b e I - Breslau,
Prof. G e i p e 1 - Dresden, Prof E. Joseph - Berlin, Prof. L o o s s - Giessen
u. a., lässt bei der Biologie des Parasiten am Kinematographen das Aus¬
schlüpfen der Micacidien aus den Eiern vorführen, demonstriert die ältesten
Originalbilder von Alph. B i 1 h a r z - Sigmaringen, bespricht die Geschwulst¬
theorien hinsichtlich des endemischen ägyptischen Blasenkrebses (toxische
und mechanische Reiztheorie), macht auf die Herstellung der Toxine (Oelsäure
und ihre Ester) des Schistosom. iapon. aufmerksam, erklärt die äää-Krank¬
heit im Papyrus Ebers als Büharziasis, zeigt die Bilder von Nilgöttern
als Hermaphroditen mit Bezug auf die Büharziasis und einige Wurmrezepte
in Hieroglyphen.
Aussprache: Herr Q e i p e 1 erwähnt zwei Fälle mit Bilharzia-
eiern im Urin, der eine betraf einen jungen Mann, der zweite eine 19iähr.
Missionärstochter (Klinik Dr. K e y d e 1). Im ersten Falle Leukozyten mit
vorwiegend eosinophilen Granulationen. Im zweiten Falle konnten die Em¬
bryonen ca. 24 Stunden lebend beobachtet werden (Photogramm der
Embryos mit Flimmerkleid). Mikroskopische Untersuchungen von Oewebs-
stücken von Dr. Pfister bestätigten das Freibleiben entzündlicher Ver¬
änderungen in der Pfortader, desgleichen in den Beckenvenen. Unter den
Reaktionen auf die Eier wird die Pseudotuberkulose in der chronisch ver¬
dickten Submukosa des Mastdarms und des Peritoneums erwähnt, ferner das
Fehlen von Fremdkörperriesenzellen um die verkalkten Eier. Die Pseudo-
tuberkulose war besonders ausgedehnt in einem Falle von Büharziasis mit
Seitenstacheln der Eier. In der Mastdarmschleimhaut zeigt sich eine Zer¬
störung der Muscularis mucosae durch die vorgeschobenen Eier. Die Re¬
aktion der Mastdarmschleimhaut bzw. des Epithels bestand in geringen
zystischen Erweiterungen der Drüsen. Die Eier wurden in der subepithelialen
Schicht, selten im Epithelsaum bzw. zwischen den Epithelzellen gefunden, in
den Geschwülsten im Stroma. In einem Blasenkarzinom findet sich eine
Pseudokeratose mit zystischen Erweiterungen.
Gegenüber der Häufigkeit der Bilharziakarzinome wird die relative
Seltenheit der Blasenkarzinome bei uns betont.
Unter 939 Krebsen waren 12 Blasenkrebse (1,3 Proz.), 10 bei Männern,
2 bei Frauen. Der jüngste Fall betraf eine 48 jährige Frau. Durchschnittlich
waren die meisten zwischen dem 60. und 80. Lebensjahre. In ihrem anatomi¬
schen Verhalten (Metastasenbildung) stimmten sie mit den Bilharziakrebsen
überein.
In gewisse Analogie mit den Bilharziakrebsen sind die von Askanazy
beschriebenen Leberkrebse mit Distonum felineum zu setzen, allerdings sind
bei Büharziasis die Eier das reizende Element, bei Distomiosis die Würmer.
Medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sitzung vom 3. November 1920.
Vorsitzender; Herr S t i n t z i n g. Schriftführer: Herr E r g g e 1 e t.
Herr Magnus: Zirkulationsverhältnisse ln Varizen.
Erscheint ausführlich in Beitr. z. klin. Chir,
Herr.Engelhorn: Abtreibungsversuche mit nicht ganz alltäglichem
Verlauf.
Dieser Vortrag erscheint unter den Originalien der Münch, med. Wschr.
Sitzung vom 19. Januar 1921.
Vorsitzender; Herr Stintzing. Schriftführer: Herr E r g g e 1 e t.
Herr Ibrahim zeigt ein 7 iähr. Kind mit angeborenem Myxödem.
Herr R ö s s 1 e: Demonstration zweier Fälle von traumatischer Herz¬
ruptur.
Im 1. Falle (durch Sturz) starke Einrisse des rechtseitigen Endokards und
teilweiser Abriss des horizontalen Astes der linken Koronararterie.
Im 2. Falle (durch Anprallen eines Holzstückes) Durchreissung des H i s -
sehen Bündels und Ruptur des linken Herzens.
Herr Speer: Zur Entstehung und Behandlung des Akzessoriuskrampfes.
Kritischer Bericht über 4 Fälle, von denen die beiden psychotherapeu¬
tisch behandelten trotz der Schwere der Erkrankung in Heilung ausgingen.
Kritische Bewertung der benutzten psychotherapeutischen Methoden.
(Erscheint ausführlich an anderem Orte.)
Herr Jacobl: Zur endolumbalen Behandlung der Spätlues-
Vortragender berichtet im Anschluss an die Schüderung' des jetzigen
Standes der endolumbalen Salvarsantherapie über 2 Fälle, die anschliessend
an diese Behandlung zugrunde gingen. Auffallend war schon makroskopisch
bei der Sektion, dass die Gefässe der Pia bis in ihre feinsten Verzweigungen
stark gefüllt waren. Auch fanden sich über der Konvexität schon makro¬
skopisch einige Stecknadelkopf- höchstens linsengrosse Blutungen in den
Maschen der Pia. Mikroskopisch sah man neben Hyperämie, Leukozyten
und Lymphozyteninfiltraten der Pia Blutungen in diese. Auch in der Rücken¬
marks Substanz wurden solche gesehen.
Kein Zweifel, dass in beiden Fällen die endolumbale Injektion zu
schweren Reizzuständen, die mit Blutungen einhergingen, geführt hatte.
Herr L e m m e r: Ein Fall von Hirntumor.
1 Jahr vor der Erkrankung erhebliches Kopftrauma am Hinterhaupt
Die Krankheitserscheinungen hatten mit Störungen der Blasenentleerung be¬
gonnen. Bald darauf waren schnell vorübergehende Anfälle von Bewusst¬
losigkeit eingetreten. Von da ab hatten psychische Störungen das Krankheits¬
bild beherrscht; zunehmende Stumpfheit. Aus diesem Grunde und wegen
Klopfempfindlichkeit in der linken Stirngegend, Störung der Rumpfbewegung
im Verein mit Bradyphasie und Paraphasie und links stärker ausgesprochener
Sehnervenentzündung wurde der Sitz des Tumors im linken Stirnhirn ange¬
nommen. Wegen ausgesprochener Balancestörungen und wegen Doppel-
seitigkeit von Reflexstörungen wurde der Sitz in der Tiefe und Mitbe¬
teiligung des Balkens vermutet.
Die Betrachtung des pathologisch-anatomischen Präparates bestätigt die
Diagnose; es handelte sich um ein Gliosarkom des linken Stirnlappens,
das mit einem Geschwulstknoten durch die vorderen Teile des Balkens in
das rechte Stirnhirn hineinreicht, von hier aus mit einem weiteren Knoten
bis in die vordersten Teile der rechten Stammganglien, wodurch wohl die
Blasenstörungen zu erklären sind.
Herr Schneider zeigt einen Kranken: Hysterie oder Llnsenkern-
erkrankunx.
Vortrag siehe Sitzung vom 16. Februar 1921.
. Med.-wissenschaftl. Gesellschaft an der Universität Köln.
19. Sitzungvom 18. Dezember 1920.
Vorsitzender: Herr Dietrich.
Herr E. Thomas: Ueber Knötchen in den Bauchdecken atrophischer
Säuglinge. (Mit Krankenvorstellung.)
Beim atrophischen Säugling finden sich in der Subkutis meist Knötchen
und fadenartige Gebilde, welche in der Literatur keine Beachtung gefunden
haben. Sie treten bei Anspannung der Bauchmuskeln deutlich hervor, wäh¬
rend sie bei der Leiche nur nach besonderen Massnahmen gefunden werden.
Sie fehlen beim ausgetragenen Neugeborenen. Bei der Wiederherstellung des
Fettpolsters bleiben sie lange deutlich erhalten. Sie bestehen aus Binde¬
gewebe. Oefässen und vor allem aus Strängen ehemaliger Fettzellen. Man
kann sie aber nicht als Ausgangspunkte der Neuanbildung des gesamten
Bauchfettpolsters betrachten. Mit (} o n e 11 a wurden auch die Formen der
Fettgewebsatrophie beim Säugling studiert. Bei der Abmagerung der Fett¬
zelle rückt der Kern in die Mitte, die Kutikulae der ehemaligen Fettzellen
bilden mit dem spärlichen Interstitium zusammefi ein ziemlich regelmässiges
Maschenwerk polygonaler Zellen. Schreitet die Abmagerung noch weiter
vorwärts, so entwickelt sich im Interstitium besonders durch Bildung jugend¬
licher Bindeg^ewebszellen ein beträchtlicher Kernreichtum. Embryonale Fett¬
zellen, wie solche in der Subkutis von Föten aufgefunden werden, konnten
nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. Sie unterscheiden sich von
Lymphozyten nur durch das ein wenig reichlichere dunkle Protoplasma
und entbehren einer Kutikula. Die in Fällen fortgeschrittener Atrophie stark
entwickelte Kernvermehrung entstammt grösstenteils dem beim Fötus äusserst
reich entwickelten embryonalen Bindegewebe, in welches die embryonalen
Fettzellen eingelagert sind. Im reifen Fettgewebe sind die aus dem embryo¬
nalen Bindegewebe stammenden Zellen offenbar kaum sichtbar und auf das
äusserste komprimiert, um dann beim Schwund des Fettes wieder sich zu
vergrössern.
Herr Thomas: Zur Semiologie kindlicher Herzhypertrophien. (Mit
Krankenvorstellung.)
Vielleicht schon beim herzgesunden Kind, sicher aber bei Herzhyper¬
trophien. insbesondere bei Klappenfehlern älterer Kinder, macht die linke
Brusthälfte geringere Exkursionen als die rechte. Am besten blickt man
vom Fussende des mit leicht aufgerichtetem Oberkörper daliegenden Kindes
auf den Schnittpunkt der Verbindung. beider Mamillen mit dem Brustbein.
Bei tiefer Atmung wird nun die Verschiedenheit in den Bewegungen der*
.beiden Mamillen deutlich. Voraussetzung ist offenbar 1. dass die Herzspitze
in genügendem Umfang der Brustwand anliegt, 2. dass die Rippen jugendlich
elastisch sind. Zur Entstehung der Ungleichmässigkeit bei tiefer Atmung
kommt in vielen Fällen in Betracht einmal die Entstehung eines Herzbuckels 1.
Weiterhin erwächst aber bei forcierter Atmung den Rippenhebern der 1. Seite
eine zu grosse Arbeit. Ferner können einmal auf der 1. Seite pleuritische
oder perikardi-^’e Verwachsungen di«' Beweglichkeit hemmen. Weniger kommt
in Betracht, dass bei bedeutenden Hypertrophien die Lungenränder 1. retrahiert
I und atelektatisch sein können, so dass die r. Lunge kompensatorisch stärker
atmen muss.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzungvom 30. November 1920.
Vorsitzender: Herr Marchand. Schriftführer; Herr H u e b s c h m a n n.
Herr Klelnschmidt demonstriert;
1. Das Präparat einer neugebildeten Harnblase, das von einer Pat.,
die wegen einer Blasenspalte nach einem neuen Verfahren operiert
worden war, stammte. Es handelte sich um ein unter Sphinkter Wirkung
stehendes, in seiner normalen Gefässversorgung erhaltenes Stück der Flexura
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSiTY OF CALiFORNIA
I. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
407
sigmoidea, in das der Blasenrest mit den beiden Ureteren eingepflanzt
worden war.
Näheres siehe Zbl. f. Chir. 1920 S. 1386.
2. Vorstellung von 2 Fällen von tuberkuldser Spondylitis« die durch
Einpflanzung eines Tibiaspanes zwischen die Dornfortsätze der erkrankten
Wirbel nach A I b e e operiert worden sind.
Bei dem einen Pat. ist der tuberkulöse Prozess nach 5 Monaten noch im
Fortschreiten, wie sich aus dem 2 Mop'>te p. o. festgestellten Auftreten und
allmählichem Grösserwerden eines spondylitischen kalten Abszesses im Be¬
reiche der erkrankten Brustwirbelsäule ergeben hat. Trotzdem ist die Wirbel¬
säule nicht kyphotischer geworden, da der in der Dornfortsatzreihe ein¬
geheilte Knochenspan eine feste Stütze für den erkrankten Wirbelsäulen¬
abschnitt bietet.
Im Anschluss an diese Fälle wird von Kleinschmidt eine Pat., bei
der vor 1)4 Jahren wegen Wirbelkörperbruch mit Rückenmarkskompression
und Lähmung der unteren Extremitäten eine Laminektomie ausgeführt wor¬
den war, vorgestellt Die Lähmungen sind soweit geschwunden, dass die
Pat. mit 2 Stöcken gehen kann. Dagegen besteht im Bereiche der resezierten
Dornfortsätze eine starke Kyphose, die Pat. zwar für Minuten durch höchste
Muskelanspannung ausgleichen, aber nicht dauernd ausgeglichen erhalten kann.
Solche Fälle sind nach Laminektomien in letzter Zeit mehrfach beobachtet
worden, besonders dann, wenn eine Wirbelkörperverletzung Vorgelegen hat,
aber auch ohne diese. Für die ersteren Fälle empfiehlt Kleinschmidt,
ca. 6 Wochen nach der Laminektomie die A1 b e e sehe Operation auszu¬
führen, zu einer Zeit, wo die Pat. wegen der Lähmungen sowieso noch
bettlägerig sind. Die Operation kommt natürlich nur dann in Frage, wenn
die Laminektomie von Erfolg begleitet ist, d. h. die Lähmungserscheinungen
zurückgehen. V u 1 p i u s hat übrigens schon früher den Vorschlag gemacht,
jede Laminektomie durch die A 1 b e e sehe Operation zu beschliessen.
Aussprache: Herr Payr bemerkt, dass er die Abhebelung der
langen Rückenmuskeln mit der durch sie bedingten Zerreissung der segmentär
eintretenden motorischen Nervenfasern für das Auftreten der Laminektomie-
kyphose bei fehlenden Veränderungen an den Wirbelkörpern für sehr wichtig
hält. Der dadurch bedingte Ausfall an ..rumpfstreckender Kraft“ ist sicher
für längere Zeit ein bedeutender. Auch er empfiehlt den geplanten Eingriff,
vor allem bei Jugendlichen, bei denen die Neigung zu dieser Wirbelsäulen-
ve/krümmung sicherlich grösser ist, als bei Erwachsenen, oder gar schon
etwas ältferen Patienten.
Herr K ö 11 i k e r, der eine Reihe von Operationen nach A 1 b e e bei
Kindern und Erwachsenen ausgeführt hat. hebt als einen Vorzug der Operation
hervor, dass den Kranken das sonst nötige lange Tragen von Stützapparaten
erspart wird. Bezüglich der Technik der Operation erwähnt er, dass es bei
kleinen Kindern oft schwierig ist. die Dornfortsätze exakt zu halbieren. Es
empfiehlt sich daher bei kleinen Kindern die Dornfortsätze seitlich anzufrischen
und den Tibiaspahn seitlich anzulegen.
Herr Sonntag berichtet über im laufenden Jahre in der chirurgischen
Poliklinik am Krankenhaus St. Jakob beobachtete 2 Fälle von K o e h 1 e r scher
Krankheit am Kafanbein des Fusses bei Kindern, beidesmal Junge von
6 Jahren; kein Trauma; klinische Symptome: Hinken bzw. Auftreten auf
den äusseren Fussrand, lokale Schwellung und Druckempfindlichkeit in der
Kahnbeingegend« Wadenatrophie von 1 cm; Röntgenbild typisch mit ver¬
schmälertem. unregelmässigem und verdichtetem Kahnbeinschatten auf der
kranken Seite; Kniescheiben normal; unter konservativer und zwar sympto¬
matischer Behandlung Verschwinden der Schmerzen in einigen Tagen und der
klinischen Symptome in Wochen bis Monaten; Röntgenbild im schwereren
Fall nach K und )4 Jahr wenig verändert, im leichteren Fall noch K Jahr
mit Andeutung der Wiederkehr zum Normalen. Anschliessend an den Bericht
der 2 selbstbeobachteten Fälle schildert Vortr. auf Grund der zusammen¬
gestellten Literatur das Krankheitsbild nach Häufigkeit, Vorkommen, Sympto¬
matik, Röntgenbild, Diagnose, Differentialdiagnose, Prognose und Therapie,
sowie Pathogenese. (Selbstbericht.)
Herr Sonntag berichtet über Erfahrungen mit Kellners Knorpel¬
extrakt Sanarthrlt an 20 ambulanten Patienten der Leipziger chirurgischen
Klinik und Poliklinik. Die behandelten Fälle waren 9 Arthritis deformans
genu, 1 Spondylitis deformans. 6 Poly- und 2 Monoarthritis chronica bzw.
subacuta und 2 Periarthritis humero-scapularis. Davon wurden geheilt 3.
anhaltend gebessert 6, nur vorübergehend gebessert 4 und nicht beeinflusst 7.
Besonders gute. z. T. auffallende Wirkung wurde erzielt bei subakuter Mono-
und 1 mal auch bei subakuter Polyarthritis. Von Arthritis deformans genu
wurden die Hälfte der Fälle, namentlich Frühfälle, günstig und langdauernd
gebessert, wenn auch freilich die Beobachtungszeit hinsichtlich Beurteilung
des Dauererfolges noch nicht ausreicht. Bezüglich der Methodik wird Wert
gelegt auf intravenöse Applikation, genügende Dosis (baldigst 1 ccm
Stärke II, ev. bis doppelte Dosis, ev. auch Wahl einer anderen Sendung),
genügende Spritzenzahl (niemals unter 3, in der Regel nicht unter 7—8,
ev. 15 und mehr) und Erzielung einiger starker Reaktionen. Schädigung
wurde niemals beobachtet. Anaphylaktische Erscheinungen fehlten. Neben
Sanarthrit sind andere namentlich physikalische Massnahmen zur
Ausnutzung der therapeutischen, schmerzstillenden und psychischen Wirkung
ratsam. Letztere spielt anscheinend eine grosse Rolle. Die Theorie H e i 1 -
ners von einer spezifischen (kausalen) Sanarthritwirkung im Sinne des
lokalen Gewebsschutzes erscheint aus theoretischen und praktischen Gründen
unwahrscheinlich, dagegen die Auffassung im Sinne der sog. Proteinkörper¬
therapie erwägenswert, zumal analoge Wirkungen und Nebenwirkungen mii
Caseosan, Jodkollargol u. a. beobachtet wurden. Immerhin erscheint das
Sanarthrit auf Grund der Beobachtungen des Vortr. und der anderen Autoren
(17 Mitteilungen, davon 9 ausführliche mit insgesamt «fast 400 Fällen bei
ca. 2000 Einzelspritzen) als ein beachtenswertes Heilmittel, dessen Prüfung
fortgesetzt werden sollte und noch fortgesetzt werden muss, (Selbstbericht.)
Aussprache: Herr Brinkmann: Im Gegensatz zu den Beob¬
achtungen des Herrn Sonntag wurden an der Inneren Abteilung von
St. Georg während zweier Jahre unter 32 mit Sanarthrit behandelten Fällen
nur 1 voller Erfol" und 3 mal fraglicher Erfolg erzielt. Subjektiv wurde
allerdings häufig Linderung der Schmerzen und gewisse Euphorie erreicht.
Im besonderen wurde behandelt 17 mal Arthritis deform.. 2 mal Polyarthritis
acut.. 8 mal Polyarthritis chron,, 2 mal Arthritis urica, 1 mal Monarthritis
«on.; in Behandlung stehen noch je 1 Fall von Gicht und.Polyarthritis nach
Ruhr. Das Mittel hat versagt besonders bei Gicht und subchronischer
Arthritis. Mit parenteraler Eiweisszufuhr, namentlich aber auch mit Kollargol,
nach B ö 11 n e r im anaphylaktischen Intervall gespritzt, konnten die gleichen
Herd- und Allgemeinreaktionen und besonders auch dieselben Heilerfolge
erzielt werden. Dem Mittel ist also die beanspruchte Spezifität abzusprechen.
Herr Kaestner: Röntgenuntersuchung der Trachea nach Kropf¬
operation.
Vortr. bespricht den Mechanismus der Trachea Veränderungen bei Struma
und demonstriert Röntgenbilder der Luftröhre von Strumakranken vor und
möglichst kurze Zeit (5—7 Tage) nach der Operation. Die stärkeren Ver¬
lagerungen und Verengerungen der Luftröhre sind fast immer deutlich zurück¬
gebildet, die Trachea verläuft dann als normal breites Schattenband, gerade
gestreckt, annähernd median. Bei tracheoskopisch festgestcllter Tracheo-
malazie ist die Rückbildung weniger vollständig, insbesondere bleibt noch
eine deutliche Verengerung des Lumens bestehen. Der Druck eines post¬
operativen, in der Tiefe gelegenen Hämatoms kann nach der Operation leichte
Ausbiegungen der Trachea machen, die nach einiger Zeit spontan zurück¬
gehen. (Erscheint ausführlich in Bruns’ Beitr. z. klin. Chir.)
Aussprache: Herr Payr bemerkt, dass er schon seit nahezu
20 Jahren die Entscheidung über den an der Schilddrüse auszuführenden Ein¬
griff erst nach Freilegung und Luxierung beider Schilddrüsenhälften trifft.
Die Atemnot bei durch den Druck des Kopfes weichgewordener Trachea
tritt meist erst nach doppelseitiger Luxation ein. Es ist daher am besten,
in solchem Falle die eine Hälfte, während man an der anderen operiert,
wieder in ihr Lager zurückgleiten zu lassen.
Sitzung vom 14. Dezember 1920.
Vorsitzender; Herr Marchand. Schriftführer: Herr H u e b s c h ni a n n.
Herr Zweifel: Neue Gesichtspunkte zur Verhütung des Kindbett¬
fiebers.
Die Statistiken haben vor dein Krieg ergeben, dass in Deutschland un¬
gefähr 5000—7000 Wöchnerinnen jährlich am Kindbettfieber sterben. In den
Anstalten, in denen einst diese Krankheit epidemisch wütete, ist es überall
besser geworden und z. B, in der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig die
Sterblichkeit der Kreissenden, die nicht schon mit Fieber infiziert eingeliefert
wurden, auf den 8—10. Teil der Zahl herabgesetzt worden, die in der
allgemeinen Praxis über ganze Länder gebucht wird. Das ist zu erreichen,
trotzdem die Desinfektionsmittel sich bei den experimentell-bakteriologischen
Prüfungen insgesamt als unzuverlässig erwiesen haben, auch der Alkohol, der
so viel gepriesen wurde und das Lob verdiente, wenn er hielte, was man
von ihm versprach. Da dies aber nicht der Fall ist und er durchaus nicht
imstande ist eine mit infektiösen Eiterkeimen behaftete Hand in einer zulässig
kurzen Zeit w'ieder keimfrei zu machen, kann auch über den Alkohol das
verneinende Urteil nicht abgeändert werden.
Durch welche Massregeln die Herabsetzung der Kindbettfiebersterblichkeit
zu erreichen ist. wurde vom Vortr. ausführlich begründet, insbesondere durch
viele statistische Angaben. (Der Inhalt ist ausführlich abgehandelt in dem
Handbuch der Geburtshilfe von D ö d e r 1 e i n, des 3. Bandes, Abschnitt über
das Kindbettfieber und seine Verhütung.)
Aussprache: Herr Payr bespricht die Möglichkeit der Vermeidung
oder Beschränkung der Fehlerquellen der Asepsis in der Handschuh-
frage. Die ausgedehnte blutige Verfärbung eines Fingers des Operateurs
bei auch nur ganz kleinem Loch im Handschuh erklärt er nach mit Farb¬
lösungen gemachten Versuchen aus einer Saugwirkung des im Handschuh wie
ein Pumpenkolben bei den Handbcw'egungen arbeitenden Fingers. Bei Ver¬
wendung 'hellfarbiger Gummihandschuhe sieht man nach Abspülung
des Handschuhes in einer antiseptischen Lösung die blutige Färbung des
Fingers sofort und wird durch sic zum Handschuhwechsel veranlasst. Ge¬
übte Operateure mit feinem Gefühl merken.eine erfolgte Handschuhverletzung
gleich, für ungeübte sind solche ..Fingerzeige“ erwünscht.
Hinsichtlich der latenten, besser „ruhenden“ Infektion empfiehlt Herr
Payr, diesen Ausdruck nur für im Gewebe abgekapselte Keime zu ge¬
brauchen.
Als eine sehr wichtige Infektionsquelle für die Oberflächenkeimver¬
schleppung auf den ganzen übrigen Körper, im besonderen auch in .-das
Genitale, sieht Herr Payr die so überaus häufig zu findenden Strepto¬
kokken und Staphylokokken in Mund- und Nasenhöhle an.
Als ein grobmechanisches Beispiel für die hohen Gefahren der Keini-
beladung von Wäsche und Bettzeug der Kranken weist Herr Payr auf
grosse Hartnäckigkeit einer tierischen Parasiteninfektiön, der Oxyuriasis,
hin. bei der die bfsten Abführ- und Spülkureh des Darmes nicht radikal
helfen, wenn nicht nach Seifenreinigungsbad Unterwäsche und Bettzeug ge¬
wechselt werden.
Um wieviel grösser ist die Gefahr bei pflanzlichen Infektionserregern!
Die Verseuchung von Krankenzimmern mit dem gesamten Mobiliar mit Strepto¬
kokken ist eine durch bakteriologische Untersuchungen längst erwiesene Tat¬
sache.
Herr Joh. T h i e s betont, dass der Gebärmutterhals eine schwer aus¬
zuschaltende Infektionsquelle sei.
Aerztlicher Verein zu Marburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 19. Januar 1921.
Herr Scbwenkenbecher: Krankendemonstrationen. (2 Fälle von
alter Encephalitis letharylca.)
a) 52 jähriger Forstbeamter, der im Dezember 1919 mit Herpes zoster
und meningitischen Erscheinungen erkrankte; hatte dann wochenlang Lethargie,
dazwischen mannigfaltige sich wieder zurückbildende Lähmungen der Extremi¬
täten und der Augenmuskeln. Auch heute, nach 12 Monaten, treten
von Zeit zu Zeit noch frische S c h fi b e auf mit Kopfdruck, psychischer
Hemmung, Zunahme der Augenstörungen; kürzlich sogar wieder ein kurzes
lethargisches Stadium. Die Krankheit ist also noch nicht zu einem Abschluss
gekommen.
b) 36 jähr. Techniker erkrankte am 7. I. 20 unter den Erscheinungen einer
rechtseitigen Hemiplegie, Bewusstseinseinschränkung, psychischer Hemmung,
lethargischen Erscheinungen, Nach vierteljähriger Bettruhe Besserung. Nicht
wieder völlig leistungsfähig geworden. Zurückgeblieben sind psychische
Hemmungen, Gedächtnisschwäche, Abnahme der Denkfähigkeit, leichte Sprach¬
störung, äbnornie Ermüdbarkeit im rechten Arm und rechten Bein, „Zuckungen“
im rechten Arm. In diesem 2. Falle besteht noch ein Jahr nach Beginn
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
408
MÜNCHENER MFQIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
der Erkrankung, ausser den erwähnten psychischen Störungen eine geringe
rechtseitige Hemiparese mit starker, bei intendierten Bewegungen sich
steigernder Ataxie. Nicht die geringste Sensibilitätsstörung! Der Zustand
dürfte als Dauerzustand anzusprechen sein.
Herr G. Bes sau: Zur Pathogenese, Prophylaxe und Therapie der
akuten alimentären Ernährungsstörungen des Säuglings.
Grundlage der akuten alimentären Ernährungsstörungen ist eine patho¬
logische Gärung. Der pathologische Charakter der Gärung liegt in der
Regel in der Aszension der Gärung in die oberen Darmabschnitte (Dünn¬
darm und Magen). Die physiologische Keimarmut dieser Teile ist bedingt
durch die Leere zwischen den Verdauungsphasen, die den „Chymusparasiten“
die Entwicklungsmöglichkeit nimmt. Diese Leere ist das wichtigste Schutz¬
mittel gegen akute Störungen. Damit tritt die Frage der Schnellverdaulichkeit
in den Vordergrund des Interesses. Frauenmilch ist gegenüber Kuhmilch
schnellverdaulicli. Wie kann die Kuhmilch schnellverdaulich gemacht werden?
Frauenmilchfett und Kuhmilchfett beeinflussen die Verdauungszeit in gleicher
Weise, ebenso die einzelnen für die Säuglingsernährung in Frage kommenden
Kohlehydrate. Eiweissreduktion der Kuhmilch, Molkenreduktion, Eiweiss¬
und Molkenreduktion wirken verkürzend. Spontane Säuerung hat keinen,
Labung geringen Einfluss. Am intensivsten und konstantesten wirkt peptische
Vorverdauung, viel weniger tryptische; peptische und tryptische Vorver¬
dauung ist der peptischen kaum überlegen. Es werden hieraus die theoreti¬
schen und praktischen Konsequenzen gezogen. Bei bestehender Stagnation
kann deren schädlichen Folgen an drei Stellen entgegengetreten werden:
1. durch Hemmung der Gärungserreger, 2. durch Reduktion des Gärsubstrates,
3. durch Unschädlichmachung der gebildeten Gärungssäuren (Neutralisation).
Ausführliche Mitteilung in Gemeinschaft mit Dr. Leichtentritt und
Dr. Rosenbaum im Jahrbuch für Kinderheilkunde.
Herren Schürer und Eimer berichten über Bestimmung der Sedl-
mentierungsgeschwlndlgkelt der Erythrozyten bei etwa 400 inneren Erkran¬
kungen nach dem Vorgang von Fähraeus, Linzenmeier, Plaut und
Runge. Eine erhebliche Beschleunigung der Sedimentierung fand sich bei
allen fieberhaften Infektionskrankheiten, aber auch bei zahlreichen anderen
Erkrankungen (z. B. Nephritis, Atherosklerose, Gicht, maligne Tumoren,
Basedow sehe Krankheit, Leberzirrhose). Eine grössere diagnostische Be¬
deutung kommt der Verkürzung der Senkungsgeschwindigkeit nicht zu, weil
die Erscheinung dafür zu häufig und zu vieldeutig ist. Gelegentlich kann die
Sediraentierungsbeschleunigung als objektives Krankheitszeichen von Wert
sein, z. B. bei rheumatischen Beschwerden. Bei fieberfreien Tuberkulosen
zeigen nur die schweren progredienten Fälle sehr kurze Sedimentierungs-
zeiten, so dass die Methode hier vielleicht eine prognostische Bedeutung ge¬
winnen kann.
Aerztlicher Verein MOnchen.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 23. Februar 1921.
Herr Heuck: Eriahruncen über Silbersalvarsan.
(Erscheint als Original in der M.m W.)
Aussprache: Herr v. Notthafft: Es ist schon von den ersten
Beobachtern darauf hingewiesen woiden, dass sich die Syphilismorphen, be¬
sonders Primäraffekte, oft langsamer zurückbilden. Das wäre kein Unglück,
wenn die Endresultate die gleichen wären. Die relative Ungiftigkeit des
Präparates gestattet eine länger fortgesetzte Medikation. Aus den Aus¬
führungen H e u c k s geht aber hervor, dass die Endresultate zu wünschen
übrig lassen. Versager sieht man allerdings auch bei anderen Salvarsan-
präparaten. Zufälligkeiten könnten eine Rolle spielen. In der Literatur stehen
absprechenden Urteilen sehr lobpreisende, auch aus allerneuester Zeit, entgegen.
Die eigenen Erfahrungen waren im Anfang günstig. Allerdings ist da immer
energisch nachträglich Quecksilber gegeben und die nächste Kur sehr bald
begonnen worden. Man soll Quecksilber nicht gleichzeitig geben, sondern
womöglich erst, wenn durch Salvarsan der Wassermann negativ geworden
ist. Zu ausschliesslichen Salvarsankuren ist man heute noch nicht berechtigt.
Neuestens kommt ein N e o silbersalvarsan zur Verwendung. Dieses ist ein
Doppelmolekül, welches beim Zerfall durch Stehen nicht in giftige Zersetzungs-
prödukte sich trennt, sondern in Silbersalvar.sanmoleküle. Pie Gütigkeit des
Neosalvarsans inhäriert natürlich nicht dem Mittel als solchem, sondern seiner
leichten Zersetzlichkeit nach geschehener Auflösung.
Herr Aigner: Eine unaufgeklärte Beeinflussung der photographischen
Platte durch den menschlichen Körper.
Die Frage nach Ausstrahlungen des menschlichen Körpers, die sich in
Lichterscheinungen oder anderen Vorgängen physikalischer Art unseren Sinnen
ausserhalb des Körpers wahrnehmbar machen, beschäftigt seit langem die
Wissenschaft. Mitte vorigen Jahrhunderts hat der Wiener Reichenbach
mit seinen „Odstrahlen“ dieses Gebiet in umfangreicher Weise behandelt,
ohne Anerkennung zu finden. In der Literatur finden wir von ernsten Ver¬
tretern der Wissenschaft und in neuerer Zeit von Vertretern der Gedanken¬
photographie oder den Verfechtern okkultistischer Phänomene menschliche
Ausstrahlungen umfangreich beschrieben, ohne dass diese Erörterungen bisher
einer exakten Forschung genügende Anhaltspunkte geboten hätten •).
Aigners Beobachtungen liegt folgender Tatbestand zugrunde.
Es wurde ganz zufällig von einem Beamten des Bayerischen Ministeriums
— also einer geschäftlich und beruflich für die Versuche einwandfreien
Person — eine photographische Platte hergestellt, die das Schattenbild der
•) „Studien über Hautelektrizität und Hautmagnetismus des Menschen“
von Dr. Erich H a r n a c k, Verlag von Gustav Fischer in Jena. „Die
Photographie des Unsichtbaren“ von Josef Peter, Verlag Baum, Pfullingen
1921. „Das Rätsel der Handstrahlen“ von Albert H o f m a n n, Verlag
Oswald Mutze, Leipzig 1919. „Die odische Lohe“ von Albert H o f m a n n,
Verlag Baum, Pfullingen. „Psychische Studien“, Leipzig, Oswald Mutze,
Jahrgang 1913. „Die menschlichen Ausstrahlungen und die photographische
Platte“ von Josef Peter (Seite 313, 374, 501). „Magische Strahlen von
Ludwig T 0 r m i n. Düsseldorf 1896. „Pour photographier les Rayons
humains", Paris 1921 von Fernand Girod. Annales des Sciences Psychi-
ques, Juli 1910 und „Die fluidischen Hände und die Photographie des Ge¬
dankens“ von Dr. Julian Ochorowitz in der Uebersinnlichen Welt,
März 1918 S. 111. Les Vibrations de la vitalitö humaine“ Ollendorf,
Paris, von Dr. B a r a d u c u. a.
Hand zeigte, umrahmt von einem deutlichen Lichtschimmer, der strahlenartig
von den Fingerspitzen ausging, die Aufnahme war bei absoluter Dunkelheit
hergestellt. Unter den strengsten Vorsichtsmassregeln wurde von Dr. Aigner
im Atelier der Firma Hauberisse r, München in Gegenwart des Firmen¬
inhabers in der Dunkelkammer ein Kontrollversuch gemacht. Am 18. Ok¬
tober vorigen Jahres wurde aus einem n^uen Paket Hauffplatten eine Platte
entnommen, dieselbe, die Schichtseite nach unten, 15 Minuten auf der Glas¬
seite mit der Hand der Versuchsperson belegt. Gleichzeitig eine zweite
Platte in der ganz gleichen Art von der Hand des Versuchsleiters ca. 30 cm
von der ersten Platte entfernt, behandelt. Der Berufsphotograph wohnte
dem Vorgang bei, das Rotlicht war während des Versuches ausgeschaltet.
Die in Gegenwart der 3 Personen vorgenommene Entwicklung ergab folgen¬
des: die Platte der Versuchsperson zeigte in aller Deutlichkeit das Schatten¬
bild der Hand, die nicht belegten Stellen waren belichtet, die Platte des
Versuchsleiters war schleierlos, unbelichtet ohne jede Einwirkung. Die Ver¬
suche wurden fortgesetzt. Bereits nach 4 Tagen waren die Ergebnisse
negativ. Sämtliche Platten blieben bei gleicher Versuchsanordnung am
gleichen Ort unter gleichen Umständen unbelichtet. Dieser Zustand dauerte
bis 16. November, wo neuerdings eine Belichtung durch die gleiche Ver¬
suchsperson gelang.
Unterdessen wurden mit ungefähr 50 weiteren Personen Versuche an¬
gestellt mit folgendem Ergebnis. Am 22. Oktober gelang es bei der l*3iähr,
Tochter der ersten Versuchsperson, ein Bild der Hand unter den gleichen
Bedingungen zu erzeugen. Bereits in den nächsten Tagen war auch da jeder
Versuch negativ, erst am 7. Dezember erfolgte eine 2. positive Aufnahme.
Obwohl wöchentlich mehrmals Versuche unternommen wurden, ergaben sich
seither nur negative Erfolge. Die in immer grösserem Massstab, unter sehr
dankenswerter Unterstützung der Krankenhäuser und Kliniken gemachten Ver¬
suche, zeitigten bereits am 4. November bei dem Röntgendiener eines
Krankenhauses ein positives Ergebnis, das am 5. und 6. November wieder¬
holt werden konnte, von da ab negativ blieb, lediglich am 30. November, am
1. und 16. Dezember konnten, wenn auch zeitweise in sehr schwachem
Grade, Belichtungen erzielt werden. Am 15. Januar gelang es bei weiteren
2 Versuchspersonen, von denen die eine bisher negativ reagiert hatte, die
andere zum 1. Male exponiert wurde, deutlich elmsfeuerartige Lichtschimmer
an sämtlichen Fingerspitzen zu erhalten. Anderwärts in gleicher Weise unter¬
nommene Versuche bei einer Person, die nachweislich ferromagnetische
Eigenschaften besitzt, ergaben unter gleichen Umständen einen 'positiven
Erfolg.
Es erstrecken sich die seit 18. Oktober vorgenommenen Versuche bei
über 155 Personen auf ungefähr 300 Aufnahmen. Bei 6 Personen wur¬
den die Belichtungen beobachtet, bei allen nur auf eine ge¬
wisse Zeit und sich wiederholend. Nähere Schlüsse über das Wesen und
den Grund der Vorgänge erscheinen verfrüht, eine Nachprüfung wäre
dringend erwünscht. Es liegt eine ausführliche Arbeit vom Physikalischen
Institut der Universität Wien des Prof. Dr. E. H a s c h e k vor „Ueber
Leuchterscheinungen des menschlichen Körpers“ •*). Derselbe kommt zu
dem Ergebnis, dass eine Reihe der von Reichenbach u. a. beobachteten
Lichterscheinungen reell ist, diese Lichterscheinungen teilweise auf Phos¬
phoreszenz (Quarz. Kalkspat), teilweise auf Chemiluminiszenz beruhen. Das
Leuchten des menschlichen Körpers ist nach H a s c h e k die Folge einer lang¬
samen Oxydation der Ausscheidungsprodukte der Haut. Die von anderer
Seite aufgestellte Theorie der Fluoreszenz der Atmosphäre auf Grund kurz¬
welliger Handstrahlen entbehrt bis jetzt einer beweiskräftigen Unterlage.
Prof. G r a e t z hat in der Münch, med. Wschr. 1898 S. 1053 eine sehr
anregende und ausführliche Abhandlung „Ueber die angeblichen Hand¬
strahlen gebracht, wobei die Wärmewirkung der menschlichen Hand auf die
photographische Platte die Ursache war. Die Hände sind hiebei auf die
Schichtseite der Platte im Entwicklerbad gelegt worden. Wärmewir¬
kung ist bei den oben angeführten Versuchen, wo die Platte wiederholt
erst stundenlang nach der Exposition entwickelt wurde, nicht anzunehmen.
Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin,
Nerven- und Kinderheilkunde.
(Offizielles Protokoll.)
35. Sitzung in Köln, am 21. November 1920.
Vorsitzender: Herr D i n k 1 e r - Aachen.
Schriftführer: Herr L a s p e y r e s - Bonn.
Herr Sa I ge-Bonn: Ein Beitrag zur Behandlung der postdiphtherischen
Lähmungen.
Der Vortragende berichtet über günstige Erfahrungen, die er in den
grossen Diphtherieepidemien in Strassburg in den Jahren 1916 und 1917 mit
der Anwendung von Hypophysenpräparaten in Verbindung mit Strychnin ge¬
macht hat. Besonders wertvoll erschien ihm die schnelle Beeinflussung be¬
ginnender und auch schon fortgeschrittener Lähmungen der Atmungs¬
muskulatur und der die Lähmungen begleitenden Zirkulationsstörungen. Die
Anwendung erfolgt so, dass das Hypbphyscnpräparat in wirksamer Dosis
von 0,1 und Strychnin in Dosis von 0,001 intramuskulär bzw. subkutan ge¬
geben wird, täglich einmal und solange, bis eine deutliche Spannung des
Pulses zu erkennen ist. Die Dosis des Hypophysenpräparats kann auch noch
in manchen Fällen erhöht werden müssen.
Da an das Hypophysenpräparat eine gewisse Gewöhnung eintritt, soll
man es nicht zu früh geben, um nicht, wenn die eigentliche Gefahr beginnt,
nur eine abgeschwächte Wirkung zu haben. Einen gewissen Anhalt gewährt
hier das Erlöschen der Bauchdeckenreflexe.
Herr Liebermeister - Düren: Ueber nichttuberkulöse Lumsen-
Spitzenkatarrhe.
(Der Vortrag erscheint in der Deutschen med. Wochenschrift.)
Herr G r a u - Hohenhonnef: Ziele und Grenzen der spezlflschen Behjind-
lung der Tuberkulose.
Die Leitsätze des Vortrages waren:
1. Die spezifische Behandlung bezweckt einen günstigen, d. h. mit Er¬
höhung der Abwehrfähigkeit verbundenen allgemeinen Herdreiz. Damit ist
••) Aus dem Sitzungsbericht der kais. Akademie der Wissenschaft in
Wien. Mathem.-Naturwissenschaft. Klasse; Bd. CXXllI. Abt. Ila. März 1914.
1. A^il 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
409
das fälschlich so genannte anaphylaktisierende Verfahren der Behandlung auf
bestimmte Anzeigen (schwerste Fälle) beschränkt.
2. Die Vorbedingungen zur Erreichung des Zieles sind: Genaueste Fest¬
legung der anatomischen Art der Erkrankung und Erkennung der Empfindlich¬
keit, dann Anpassung des Präparates und der Anwendungsweise an die Sach¬
lage.
3. Unter diesen Voraussetzungen verdient die spezifische Behandlung eine
wesentlich günstigere Beurteilung und weitere Verbreitung als ihr bisher zu¬
teil wird.
4. Die Deycke-Much-Behandlung hat die Wirkung eines milderen Ba¬
zillenpräparates Etwas grundsätzlich Neues ist sie nicht.
5. Die Intrakutanbehandlung ist ein empfehlenswertes Vorgehen zur Be¬
handlung schwerer Fälle.
Herr O 1 n k 1 e r - Aachen: a) Ueber Miliartuberkulose der Lungen,
b) Ueber intermittierendes Hinken.
Herr August H o1 f m a n n - Düsseldorf: Ueber Mediastinitis im Rönt-
genbiid.
Ueber die entzündlichen Affektionen des Mediastinums liegen bisher
deutscherseits nur wenige Beobachtungen vor. Die beachtenswerten, im
Röntgenbild erkennbaren Veränderungen bei solchen Fällen werden an der
Hand einer grösseren Anzahl von Röntgenbildern vorgezeigt. Eine fort¬
laufende Reihe von Aufnahmen, bei einem 18 jährigen jungen Mann, die
über 2 Jahre fortgesetzt wurde, ergab ein eigenartiges Schattenbild beider¬
seits neben der Wirbelsäule, welches sich ähnlich darstellt, wie ein mit
Wismutbrei gefüllter, erweiterter Oesophagus. Im Laufe der Beobachtung
wurde der Schatten vollständig aufgehellt, um später unter erneuten Be¬
schwerden wieder in der alten Form zu erscheinen. Da vorher ein tuber¬
kulöser Muskelabszess am Unterschenkel beobachtet wurde, so wurde der
Schatten als von einem fibrinösen Exsudate im Mediastinum herrührend auf¬
gefasst. , Bei daraufhin gerichteter Aufmerksamkeit zeigten sich in verschie¬
denen Fällen beginnender Lungentuberkulose ähnliche, wenn auch nicht so
auffallende Schattenbildungen im Mediastinum, die als Pleuritis mediastinalis
aufzufassen sind und offenbar viel häufiger Vorkommen, als man bisher an¬
nimmt.
Eine zweite Reihe von Demonstrationen betraf Senkungsabszesse im
hinteren Mediastinum, ausgehend von Karies der Hals-^ und Rückenwirbel¬
säule. Es treten eigentümliche, teils symmetrische, nach beiden Seiten aus¬
laufende Schattenfiguren auf, teils auch asymmetrische. Besonders bemerkens¬
wert erscheint ein Fall in welchem der Schatten des Abszesses hinter
dem Herz gelagert war und die Herzform in verkleinertem Massstabe imitierte,
so dass zunächst an das Vorliegen eines Herzbeutelergusses gedacht wurde,
der sich als durchscheinender Körper um das undurchsichtige Herz gelagert
hatte. Der Patient ging an Erysipel zugrunde und die Autopsie bestätigte
den angenommenen Abszess. Bemerkenswert ist, dass in allen Fällen dieser
Senkungsabszesse Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule, auf Beklopfen Stauungs¬
schmerz und alle Symptome von seiten des Rückenmarks fehlten, was
dadurch verständlich wird, dass die ventrale Seite der Wirbelsäule erkrankt
war und damit eine Beeinflussung des Wirbelkanals nicht stattfand.
Symptome, welche auf das Leiden hinwiesen, waren geringe Kyphose
und subjektive Beschwerden, wie Rückenschmerzen, Brustschmerzen, Ab¬
magerung, Anämie und leichte Fiebererscheinungen.
Herr B o d e n - Düsseldorf: Ueber die Nachschwankung des Vorhofs¬
elektrokardiogramms.
Verfasser zeigt mit einer Methode die von ihm und N e u k i r c h an¬
gegeben wurde. Elektrokardiogramme von isolierten Säugetier- und Fötal¬
herzen, bei denen nach Abtrennung der Ventrikel, sowie nach Verletzung
des H i s sehen Bündels oder der T a v a r a sehen Schenkel hinter der Vor¬
hofszacke eine diphasische Schwankung in immer gleichen Intervallen auf-
tritt, die ihrer Form nach als eine Nachschwankung des Vorhofselektro-
kardiograinms angesprochen werden muss. Dieselbe Schwankung findet sich
auch an unverletzten isolierten Fötalherzen, bei denen durch Störung der
Reizleitung oder der Anspruchsfähigkeit das Intervall zwischen P. und R.
%'erlängert wurde. Auf die Bedeutung des Bestehens einer solchen Schwan¬
kung für die Erklärung der Nachschwankung des Ventrikelelektrokardio¬
gramms, wird hingewiesen.
Die ausführliche Arbeit sowie die Kurven werden in der M.m.W. ver¬
öffentlicht.
Herr H u 1 s m a n s - Köln: Theoretisches und Praktisches zum Tele-
kardiogramm.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Theorie seines Telekardio-
graphen, der sich auf den Dessauer sehen Blitzapparat aufbaut, weist
H. gegenüber G. Schwarz (Med. Klin. 1920/21) darauf hin, dass der
Apparat billiger als der Orthodiagraph ist und sich im Preise im Verhältnis
zum Röntgenkinematographen wie 8: 100 stellt. Fr. Müller, Kraus,
Albers-Schönberg u. a. geben der Teleröntgenographie des Herzens,
die H. durch seinen Apparat wesentlich vervollkommnete, vor der Ortho¬
diagraphie wegen ihrer Exaktheit und ihres Lichtschutzes den Vorzug. ^
Die Prüfung der Herzfunktion mittelst der diastolischen Verschiebung
und die Kontrolle des Kurerfolges durch Wiederauftreten der letzteren nach
Behandlung schlaff dilatierter Herzen gelang einwandfrei. Allerdings nur
positiver Ausfall ist beweisend. Gegenüber R. G e i g e 1, der das Cor
pulsans nicht für die Norm halten möchte, verweist H. auf seine Telekardio-
gramrae und auf die Tatsache, dass die photographische Platte, die uns zuerst
die Qeisseln an Bakterien, erkennen liess, doppelt so scharf sieht wie das
menschliche Auge.
G. Schwarz bezeichnet die von H. schon lange beobachtete
exzentrische diastolische Verschiebung als apikale resp. perlapikale Isometrie.
H. demonstriert entsprechende Platten und belegt mit Bildern die von
0. Schwarz angegebene Tatsache, dass die diastolische Verschiebung bei
kompensierten Mitralfehlern am linken Herzrand nach der Atrioventrikular¬
grenze spitz zuläuft und an der Herzspitze am grössten ist (bis 10 mm),
während bei Aortenvitien (Aortitis luetica) die grösste diastolische Aus¬
buchtung im suprapapillaren Teil zu finden ist. Es handelt sich wohl in
letzterem Falle um passive Ueberdehnung dieser dünnen Muskelpartien durch
das rücidtrömende Blut bei beginnender Herzmuskelentartung und -er-
schlaffung.
Im Telekardiogramm konnte auch beobachtet werden, dass das Septum
ventriculorum bei der Diastole gegenüber den Kammern zurückblieb, so dass
d» diastolische Verschiebung der Kammern lunulaartig vom Sulcus longi-
tudioalis an^. zur Atrioventrikulargrenze verlief.
Digitized by Goiisle
Im übrigen verwies H. auf seine früheren Arbeiten, insbesondere auf
seinen zusammenfassenden Artikel in der Zschr. f. klin. Med. Bd. 85 H. 1 u. 2.
Herr N e u k i r c h - Düsseldorf: Zur Kenntnis der Malaria der Kriegs¬
teilnehmer.
Vortr. gibt zunächst Erfahrungen über Malaria wieder, die an Türken
und Europäern in der Türkei gesammelt wurden. Als Gutachter nach dem
Kriege gewann er den Eindruck, dass die Zahl der Anfälle häufig übertrieben
angegeben wird. 240 wegen Malaria Begutachtete erhielten Objektträger und
eine amtliche Anweisung, die ihnen kostenlose Blutuntersuchung durch Ver¬
mittlung jedes beliebigen Arztes ermöglichte. Von diesen 240 Leuten haben
binnen 6 Monaten nur 6 Blutpräparate einschicken lassen, worunter nur eines
Plasmodien enthielt. Malaria prädisponiert unter den geltenden Renten¬
gesetzen in besonderer Weise zu exogener Neurasthenie mit vorwiegend
hypochondrischen Erscheinungen.
Wissenschaftlicher Verein der Aerzte zu Stettin.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 8. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr Hager. Schriftführer: Herr Mühlmann.
Herr Nelsser: Gedächtnisrede für Prof. Dr. Heinrich Ha eck ei.
t am 2. Februar. 1921.
Herr Sand hop: KindbettHeber und Abort vom Standpunkt des Sozial¬
hygienikers.
Die Sozialhygiene ist unter dem Einfluss der allgemeinen, die ganze
Nation bedrückende Not national ausgcstaltet, ihre Grundsätze müssen Jetzt
für das Volksganze, für den Staat nutzbar gemacht werden.
Die statistischen Zahlen über das Kindbettfieber sind viel zu gering, weil
der Anzeigepflicht bei Kindbettfieber aus mannigfachen Gründen nicht ent¬
sprochen wird. Tatsächlich sterben in Deutschland jährlich noch viele
Tausende von Frauen an Kindbettfieber. Aufgabe des Sozialhygienikers ist
es, die von der Fachwissenschaft gefundenen Mittel zur Verhütung des Kind¬
bettfiebers allen beteiligten Kreisen zu übermitteln, d. h. den Aerzten, den
Hebammen, allen mit Geburtshilfe und Wochenbettpflege befassten Personen,
und schliesslich der ganzen Frauenwelt.
Erforderlich ist vor allem eine gründliche Schulung der Aerzte in der
Geburtshilfe, da Rathmann festgestellt hat, dass von den mit Hilfe der
Aerzte entbundenen Frauen zehnmal mehr erkranken und etwa fünfzehnmal
mehr sterben als bei den allein von Hebammen entbundenen. Aerzte, welche
berufsmässig mit der Untersuchung von Leichen oder Leichenteilen zu tun
haben, dürfen überhaupt keine Qeburtshelfertätigkeit ausüben, Hebammen
dürfen sich niemals mit der Versorgung von Leichen befassen. In dem Ge¬
brauch der Gummihandschuhe sind Aerzte und Hebammen besser zu unter¬
weisen als bisher.
Bei der Unklarheit des Begriffs Kindbettfieber sind auch die Verdachts¬
fälle zu melden. Die Meldung soll aber nicht an die Ortspolizeibehörde,
sondern an den Kreisarzt gehen. Das Publikum, insbesondere die Frauen¬
welt, muss über die Entstehung des Kindbettfiebers, seine Gefahren und die
Möglichkeit seiner Verhütung aufgeklärt werden. Diesem Zwecke entspricht
auch das von W i n t e r - Königsberg für Ostpreussen eingeführte Merkblatt:
„Wie schützt sich die Frau vor Kindbettfieber?“
Die allgemeine Einführung dieses Merkblattes wird empfohlen.
Einen besonders hohen Prozentsatz der Kindbettfieberfälle bedingen
die Aborte, insbesondere die kriminellen Aborte.
Die Zahl der Aborte ist von 8—10 auf 100 ausgetragene Schwanger¬
schaften in den Jahren 1860—1890 bis 1910 auf 15 Proz. im Reich gestiegen
und beträgt jetzt 25 Proz., so dass zurzeit im Deutschen Reich bei 2 Millionen
Geburten 50 000 Aborte anzunehmen sind. Von diesen sind nach B u m m und
Lindemann 89 bzw. 90 Proz. künstlich herbeigeführt, diese Zahl dürfte
jetzt auf 95 Proz. gestiegen sein, so dass die Zahl der künstlichen bzw.
kriminellen Aborte zurzeit 450 000 bis 475 000 betragen dürfte. Die septisch
faulen Aborte sind fast durchweg krimineller Art. Der Staat hat deshalb nicht
nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, gegen die Ueberhandnahme der
Aborte und insbesondere gegen die Fruchtabtreibung vorzugehen. Die Ursache
der Zunahme der Aborte liegt weniger in wirtschaftlichen oder sogenannten
sozialen oder eugenischen Gründen, sondern vielmehr in einer Aenderung der
ethischen und moralischen Bewertung von Mutterschaft und Leibesfrucht,
die jetzt sogar zu der verwerflichen Auffassung von der freien Verfügbarkeit
der Leibesfrucht geführt hat, einer Auffassung, der sich Hebammen und
Aerzte in steigender Zahl in letzter Zeit angeschlossen haben, nicht selten
aus gewinnsüchtigen Motiven. Wenn ^luch die Zahl der von Aerzten unnötig
oder unerlaubter Weise eingeleiteten Aborte verhältnismässig gering sein
mag gegenüber der ungeheueren Zahl der von den Schwangeren selbst oder
berufsmässigen Abtreibern bewerkstelligten, so bedeutet doch die Tatsache,
dass Aerzte überhaupt hierbei beteiligt sind, allein schon eine ernste Schä¬
digung des Ansehens des ärztlichen Standes, gegen welche dieser
sich zu verteidigen verpflichtet ist. Die Aerzteschaft wird daher die
sozialhygienlsche Forderung auch der Anzeigepflicht bei allen ärztlicherseits
ausgeführten Schwangerschaftsunterbrechungen und Abortausräumungen, wie
die aller septisch faulen Aborte unterstützen müssen, die Aufklärung über die
Gefährlichkeit der Aborte, die grösser ist als die ausgetragener Schwanger¬
schaften fördern und an der Hebung der allgemeinen Volksmoral und Neu¬
befestigung der Ueberzeugung von der Heiligkeit der Mutterschaft und der
Unverletzlichkeit der Leibesfrucht nach Kräften mitarbeiten müssen. Sie wird
sich daher an die Spitze aller Derjenigen stellen müssen, welche die jetzt im
Gang befindlichen Bestrebungen auf Aufhebung der § 218—230 d. R.Str.G.B.
und Straffreiheit der Fruchtabtreibung bekämpfen. Nur rein medizinische
Gründe sollen den Arzt berechtigen, die Schwangerschaft zu unterbrechen.
Auf Antragdes Vortragend en nahm die Versammlung
einstimmig eine Entschliessung an und beschloss diese
sowohl dem Reichstage als auch den Parteiführern der
wichtigsten politischen Parteien Pommerns zur Kennt¬
nis zu bringen.
Diskussion: Herr Schwarz wälle r, Davidson, Lichte n-
a II e r. S a n d h o p.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
41«
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilnng.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 8. November 1920.
Herr Veit demonstriert vor der Tagesordnung Abbildungen zu seinem
am 2. August gehaltenen Vortrag über Entzündungsvorgänge bei künstlich
aleukozytär gemachten Kaninchen.
Herr B a u m a n n demonstriert einen exartikulierten rechten Arm mit
hochgradiger Elephantiasis, die sich auf dem Boden eines diffus wachsenden
Lymphangioendothclioms gebildet hatte.
Herr Mönckeberg demonstriert makroskopische und mikroskopische
Präparate eines Falles von Kleinhlrnbräckenwlnkeltumor, der als ein Neurinom
(V e r o c a y) aufzufassen ist.
Herr Müller: lieber DlnltrobenzolvergUtung.
(Erscheint an anderer Stelle.)
Herr Mönckeberg: Zur Genese des „Tübinger Herzens“.
(Der Vortrag ist im Zbl. f. Herz- u. Qefässkr. 1920 XII. Heft S. 247
•rschienen.)
Sitzung vom/22. November 1920.
Herr B a r t r a m: lieber Behandlung des Puerperalfiebers mit mensch¬
lichem Serum. (Erscheint anderweitig ausführlich.)
An der Tübinger Frauenklinik wurden bereits 1912 begonnene Versuche
von Behandlung des Puerperalfiebers mit Rekonvaleszenten-, Normal- und
Eigenserum in grösserem Stile wieder aufgenommen, teilweise mit offenbar
gutem Erfolg. Die Wirkung ist als Proteinkörperwirkung im Sinne einer
Protoplasmaaktivierung aufzufassen. Daneben ist eine spezifische Immun¬
serumwirkung möglich. Weitere ausgedehnte serologische und klinische Ver¬
suche sind, vor allem auch zur Dosierungsfragc, noch nötig.
Herr A. M a v e r: Die diagnostische und therapeutische Bedeutung des
Pneumoperitoneums.
Diagnostisch kann das Pneumoperitoneum auch für den Gynäko¬
logen sehr viel Gutes leisten. Mit seiner Hilfe gelingt es, kleine, sonst ver¬
borgene Bauchhernien nachzuweisen. Netz- und Darmadhäsionen lassen sich
direkt sichtbar machen, was gegenüber der spastischen Obstipation und
manchen Formen der Hystero-Neurasthenie einen sehr wichtigen differential-
diagnostischen Gewinn bedeutet.
Unter Umständen lässt sich der sonst unklare Ausgangspunkt von Ge¬
schwülsten aufdecken. Tumorsitz vor dem Rektus (Desmoid der Bauchdecke)
lässt sich von einem solchen hinter dem Rektus (Myomknollen, Darmtumoren)
leicht unterscheiden. Pseudogenitaltumoren lassen sich auf ihren wirklichen
Ausgang zuriiekführen.
Grad und Ausbreitung peritonealer Verwachsungen, die Beteiligung der
Bauchhöhle an pelvipcritonitischen Vorgängen, lassen sich leicht feststellen.
Das Einbezogenscin des Darmes in maligne Ovarialgeschwülste kann
man direkt sehen. Die Schwierigkeiten einer Operation lassen sich zum vorn¬
herein besser bewerten: manche Probelaparotomie wird überflüssig.
Schliesslich kann unter Umständen die Lage des Uteruskörpers zu
Myomen von vornherein festgestellt werden. Für die Indikationsstellung zu
konservativer Myomoperation kann das einen grossen Gewinn bedeuten.
Auch therapeutisch scheint das Pneumoperitoneum bei entzünd¬
lichen Veränderungen im Abdomen nicht wertlos. Eine therapeutische Wirkung
lässt sich erklären durch mechanische Sprengung von Adhäsionen, durch
Mobilisierung der peritonealen Schutzkräfte im Sinne einer Reizbehandlung
des Peritoneums, durch Einströnien von atmosphärischer Luft wie bei der
Probelaparotomie wegen Tuberkulose und endlich vielleicht auch durch
bakterizide Wirkung der eingebrachten Gase, Sauerstoff,' Stisekstoff, Kohlen¬
säure.
Herr A. Mayer: Ueber operative ErweiteninK der Schrumpf blase.
Erweiterung einer hochgradigen tuberkulösen Schrumpfblase durch Aus¬
schaltung eines Stückes der Flexura sigmoidea und Einpflanzung in die Harn¬
blase. Die Patientin erlag nach anfänglicher Besserung einige Zeit später
an den Folgen einer tuberkulösen Eiterniere mit Mischinfektion. Trotz tuber¬
kulöser Erkrankung der Harnblase und trotz Pyurie war der Dickdarm ideal
in die Blase eingel^eilt.
Herr E. Vopt: Röntgenuntersuchungen der inneren Organe des Neu¬
geborenen. Mit Demonstrationen. (Erscheint ausführlich in „Fortschritte au!
dem Gebiet der Röntgcnstrahlen“.)
Die Respirations-, Zirkulations- und Digestionsorgane des Neugeborenen
unter normalen und pathologischen Bedingungen lassen sich radiographisch
bei Durchleuchtungen, bei Aufnahmen, bei Serienaufnahmen, bei Stereo¬
aufnahmen und an Leichen, bei welchen das Gefässsystem injiziert ist,
studieren. Es wird ein kurzer UcbcrbHck auf das bisher auf diesem Gebiete
Geleistete gegeben unter Demonstration von Originalnegativeiv und zahlreichen
Diapositiven. Auf den Wert der röntgenologischen Lebensprobe wird noch
besonders hingewiesen. Die Injektionsprüparate geben neue Aufschlüsse über
besondere Eigenheiten des Gefässsystems der Neugeborenen: Relative Weite
der grossen Blutgefässe, grosser Reichtum an Kapillaren und ideale Blut¬
versorgung sämtlicher Knochen. Ueber den Verschluss des Ductus arteriosus
Botalli und den Verschluss der Nabelarterien ergeben sich neue Gesichts¬
punkte. Besonders dankbar ist die radiographische Feststellung der Broncho¬
pneumonie der Neugeborenen.
Herr E. Vogt: Das Steinkind von Weissbach. (Demonstration.)
Das Präparat, ein Geschenk von Sanitätsrat Dr. Dürr in Hall, stammt
von einer 62 jährigen Frau, welche unter ilensähnlichen Erscheinungen akut
erkrankte. Bei der Operation fand sich ein Lithokelyphos mit vollkommener
Skelettisierung der Frucht. Patientin heiratete 1885, wurde gravid. Am Ende
der Schwangerschaft wurde ein lebendes Kind festgestellt. Es traten nur
massige Wehen ein. ohne dass die Geburt erfolgte. Vom Leben des Kindes
war nichts mehr nachweisbar. Der Leib wurde kleiner und Patiöntin hat
nach 1892 noch 4 glatte Gebur^''n durchgemacht.
Herr Q ä n s s 1 e n demonstriert 2 Arbeiter mit Dinitrobenzolverglftung,
welche seit 10 Tagen mit dem Entladen von Geschossen beschäftigt waren.
Der ältere erkrankte nach drei Tagen mit Uebelkeit und Kopfschmerzen, die
rasch verschwanden. Bald nach Wiederaufnahme der Arbeit traten schwere
Vergiftongserscheinungen. Ohnmachtsanfälle, blaugraue Verfärbung des Ge¬
sichtes und der Hände, Uebelkeit, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Herzklopfen
auf und heftiges Erbrechen kam hinzu. Der Urin wurde ganz dunkel, fast
schwarz; Urobilin und Urobilinogen positiv. Beide zeigten Xantho¬
proteinreaktion an den Händen Der Alte bekam dann einen Ikterus, Leber
etwas ver^össert und druckschmerzhaft. Dickflüssiges Blut mit Neigung zur
Gerinnung und schokoladebraune Farbe; Hämoglobinwerte um 70 Proz. und
entsprechende Verminderung der Erythrozyten, mässige Leukozytose mit
einigen jugendlichen Formen Die Differenzierung ergab bei dem einen, der
keinen Ikterus hatte, ausser einer Lymphozytose eine Eosinophilie von 21 Proz.
Die Resistenz der Erythrozyten war bei beiden normal. Das rote Blutbild
zeigt Degenerations- und Regenerationserscheinungen: Poikilozytose, Aniso-
zytose, selten Polychromasie, zahlreiche Jollykörper, blasse Erythrozyten mit
grossem Hof und Megalozyten sowie einige Normoblasten.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 23. März 1921.
1. Aussprache über den Vortrag des Herrn O. Schlesinger:
Klimakterische Blutdrucksteigerung. Vgl. Nr. 10, S. 315.
Herr Tobias: Nach eigenen Beobachtungen ist die klimakterische Blut¬
drucksteigerung niemals arteriosklerotischen, insbesondere nie nephrogenen
Ursprungs. Vielmehr ist eine Störung des Gleichgewichtes des endokrinen
Systems anzunehmen. Nicht selten besteht allerdings eine Kombination mit
nephrosklerotischen Störungen. Im übrigen erfolgt nach einigen Monaten
mit Regelmässigkeit ein Ausgleich durch allmähliches Sinken des Blutdrucks.
Auch beim männlichen Geschlecht gibt es klimakterische Erscheinungen, wie
Blutdrucksteigerungen und Neurosen, worauf schon Freud wiederholt hin¬
gewiesen hat. Bei einer dauernden Labilität des Blutdruckes im Klimak¬
terium ist eine Behandlung mit Organpräparaten meist ohne genügende
Wirkung. Besser ist eine rein diätetische Therapie, COz-Bäder meist geradezu
kontraindiziert, Elektrotherapie oft sehr wirkungsvoll, versagt aber ebenso¬
oft; in dieser Unregelmässigkeit liegt ihr Hauptnachteil. •
Herr Bock: Bei Tuberkulösen im Klimakterium lässt sich oft eine Blut¬
druckherabsetzung um 30—40 mm erzeugen.
Herr Kaiser: Die Ursache der klimakterischen Störungen liegt im
Bereiche des vegetativen Nervensystems. Es handelt sich um eine Steigerung
des Sympathikustonus, messbar durch die Adrenalin-Mydriasis. Die Erfolge
der Therapie kann man genau ablesen. Eine neue wirksame, von mir ein¬
geführte Therapie ist die mit Kalk. Kalksalze beeinflussen das vegetative
Nervensystem sehr günstig. Anfangs wurde Calc. chlor, gegeben, später
ein Kalkkakao: Kalkaona. Jeder Teelöffel enthält 0,5 g Kalk. Die gute
Wirkung wurde in allen Fällen durch die Adrenalin-Pupillenreaktion vor und
nach der Behandlung geprüft.
Herr Kraus bestätigt, dass die genuine Butdrucksteigerung weder
beim männlichen, noch beim weiblichen Geschlecht nephrogenen Ursprungs ist.
Herr Schlesinger: Es gibt keine dauernde klimakterische Blut¬
drucksteigerung, wenn man unter gleichen Bedingungen häufig untersucht,
wenn also die endokrinen Drüsen inzwischen vikariierend haben eintreten
können. Nur eine länger dauernde Blutdrucklabilität gibt es, zu deren Be¬
kämpfung die Anregung zur Kalktherapie einen wertvollen Hinweis liefert.
2. Aussprache über den Vortrag des Herrn C. Hamburger:
Arzt und Bevölkerungspolitik.
Herr Born st ein: Der Arzt hat die Pflicht, sich mehr um die Volks¬
wohlfahrt zu kümmern als bisher. Der Arzt muss aktiver Politiker sein.
Kinder dürfen nicht das Produkt des Zufalls sein, sie -müssen die Folge
darstellen der verantwortungsbewussten Tat beider Eltern. Wenn wie bisher
weitergewirtschaftet wird, wird die Ernährung vorläufig nicht besser werden,
andernfalls ist Deutschland wohl in der Lage, in absehbarer Zeit sich selbst
zu ernähren. Die Wohnungen müssen besser verteilt werden. Dutzende sind
in engen Wohnungen zusammengepfercht, während grosse Gebäude für allen
möglichen Firlefanz hergegeben werden. Zur Bevölkerungspolitik gehören
diese Dinge ebenso wie die Branntweinfrage etc., vor allem aber die allge¬
meine Volksaufklärung im Sinne der Gesundheitspflege.
Herr Poll: Soll der Volksbestand bewahrt bleiben, so muss eine
grössere Anzahl von Kindern geboren werden. Es muss also der Geburten¬
rückgang bekämpft werden. Die wirtschaftlich und kulturell leistungsfähigsten
Teile des Volkes müssen zur Regeneration des Volkskörpers mit den
ernstesten Mitteln herangezogen werden. Am schlimmsten ist im Augenblick
der qualitative Rückgang. Ueberall, mit Ausnahme der europäischen Fürsten¬
häuser, sind die Erstgeborenen qualitativ minderwertig.
Herr Grotjahn: Rationalisierung sowohl der Qualität, wie der
Quantität der Fortpflanzung muss erreicht werden. Die von C. Ham¬
burger angegebenen Zahlen, dass nämlich sechs Konzeptionen zur Er¬
zeugung von drei Kindern nötig sind, stellen kein unwandelbares Gesetz dar.
Es geht uns 10—20 Proz. schlechter als vor dem Kriege, mehr nicht (!).
Deutschland hat heute weniger Tuberkulose als irgendein anderes Land des
Kontinents. Das unterernährte Kind in der Grossstadt braucht nicht neu ent¬
deckt zu werden, das gab es auch schon vor dem Kriege. Wir müssen
durchaus nicht wählen zwischen Geburtenvermehrung und Sterblichkeitsver¬
minderung, das eine ist so wichtig wie das andere. Die Sterblichkeitsver¬
minderung hat aber eine natürliche Grenze, der Geburtenrückgang bei der
allgemeinen Kenntnis der Präventivmittel nicht mehr. Man kann in dieser
Frage auf verschiedenen Standpunkten stehen. 1. Es können gar nicht genug
Kinder geboren werden. Redner steht nicht auf diesem Standpunkt. Immer¬
hin muss man anerkennen, dass Völker, die diesem Prinzip gefolgt sind,
sich durch alle Fährnisse hindurch erhalten haben. 2. So wenig Kinder
erzeugen wie möglich. Dann können die weniger besser leben, die Armut
kann besser bekämpft werden etc. Das Gegenteil ist richtig! Je mehr
Menschen, desto reicher die Ernährungsmöglichkeiten! Diesen beiden Stand¬
punkten gegenüber steht die Forderung der modernen Eugenik nach Rationali¬
sierung der Fortpflanzung. Das Erhaltenbleiben des Bestandes des Be¬
völkerungskonglomerates muss gewährleistet werden. Es ist ausgerechnet
worden, dass dazu 3, 4 Nachkommen durchschnittlich pro Ehepaar erzeugt
werden müssen; oder dieselbe Zahl in praktisch durchführbarer Form: Jedes
Ehepaar muss mindesten .1 Kinder über das 5. Lebensjahr hinaus gross¬
ziehen. Ein Volk, das das Zweikindersystem konsequent durchführt, ist
in 80 Jahren auf die Hälfte seines Bestandes reduziert. Europa bietet zwei
Beispiele gesunder Fortpflanzungstendenz: Russland und Schweden. In
Russland stehen 42 Prom. Todesfällen 54 Prom. Geburten gegenüber. Das ist
ein Geburtenüberschuss von 12 Prom. In Schweden 16 Prom. Todesfälle
gegen 27 Prom. Geburten, d. h. 11 Prom. Geburtenüberschuss. Zweifellos
ist das schwedische System rationeller! Augenblicklich ist ein rdpider Abfall
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
1 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
411
der Geburtenziffer vorhanden. Daher meine Warnrufe! Da 10,* 20, 30 Jahre
nötig sind, damit Massnahmen wirksam in das Volk dringen, müssen wir
heute schon über solche Massnahmen beraten. Das Mindestmass für unser
Bevölkerungsgleichgewicht sind etwa 20 Prom. Geburten. Wir müssen aber
einen gewissen Bevölkerungsauftrieb haben.
Herr Lazarus: Nur schwache Geister sind pessimistisch. Der Starke
sucht in der Vergangenheit und sieht, dass das deutsche Volk durch viel
schwerere Krisen hindurchgegangen ist. Der Präventivverkehr rächt sich
immer, namentlich der Interruptus. Er ist ein feindlicher Akt gegen die Natur.
Präsklerosen und Neurosen sind die häufigen Folgen. Die Führer der
Deutschen stammen aus kinderreichen Familien. Wichtig ist die Erhaltung
der Qualität. B i n d i g und Boche stehen auf dem Standpunkt, dass
geborene Idioten einer Spritze Morphium bedürften. .Eher käme, wie das in
Amerika bereits gemacht wird, die Sterilisation der Minderwertigen in Frage.
Herr Theilhaber: In 25 Jahren verdoppelt sich bei Kulturvölkern
bei Auschaltung des Präventivverkehrs die Bevölkerungsziffer. Daher setzt
mit Naturnotwendigkeit in Zeiten der Ueberproduktion an Menschen der
Präventivverkehr ein.
Herr C. Hamburger (Schlusswort) macht noch einmal auf die
Schwierigkeiten aufmerksam, die eine reiche Kindererzeugung heute vom
wirtschaftlichen Standpunkte aus bietet. A.
Verein fOr innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 21. März 1921.
Vor der Tagesordnung berichtet Herr R e t z 1 a f i von einem Falle
schwerer Verbrennung infolge von Explosion eines aus Kunstseide gefertigten
Kleides.
Tagesordnung.
Herr Retzlaff; Zur Lehre vom katarrhalischen Ikterus.
Nachdem das mechanische Moment in der Lehre von der Entstehung
des katarrhalischen Ikterus vielfach überschätzt worden ist und sich als
unzureichend erwiesen hat, sind vielfach andere Theorien aufgestellt worden.
Auch E p p i n g e r, der auf die Bedeutung def Gallenthromben und der Zer-
reissung der kleinsten Gallengangswandungen hingewiesen hat, ist bei der
Anerkennung des mechanischen Moments wohl zu weit gegangen. Selbst¬
verständlich wird die Anerkennung der grob-mechanischen Entstehung vieler
Formen von Ikterus, wie z. B. die Verlegung der grösseren Gallenwege durch
Steine und entzündliche Schwellungen weiterhin bestehen bleiben, dagegen
bietet die Lehre von der rein mechanischen Verlegung auch der kleinsten
Oallenwege bei allen Ikterusforrfien doch viele Angriffspunkte. Vor allerh
spricht gegen die rein mechanische Theorie die Lehre vom dissoziierten
Ikterus, bei dem nicht die gesamten Bestandteile der Galle ins Blut über¬
treten, sondern nur einige. Für'den hämolytischen Ikterus ist die Lehre
von der extrahepatischen Entstehuno^ des Ikterus anerkannt. Im rctikulo-
endothelialen Apparat wird der Gallenfarbstoff gebildet. Zu ihm gehören auch
die K u p f f e r sehen Sternzellen der Leber. Der Befund von Heyghmans
yan der Berg, dass der Bilirubinspiegel im Venenblut der Milz hoher
ist als im Körperblut, spricht auch für die Richtigkeit der Annahme der extra¬
hepatischen Entstehung des Gallenfarbstoffs. Dass bei der Entstehung des
pleiochromen Ikterus der Retikulo-Endothelialapparat eine grosse Rolle spielt,
ist so sichergestellt, dass man direkt von einem retikulo-endothelialen
Ikterus sprechen könnte. Im allgemeinen sieht man jetzt die einheitliche
Grundlage aller Ikterusformen in einer Schädigung der Leberzellen. Bei
der Besprechung der Leberfunktionsprüfung weist Vortr. vor allem auf die
von W i d a 1 eingeführte.
Aussprache: Herr Umber weist auf die Lehren N a u n y n s über
die Beteiligung cholangitischer Prozesse bei Leberaffektionen hin. Auch er
sieht in einer Schädigung des Leberparenchyms die Grundlage des Ikterus.
Ebenso kann auch er die von W i d a 1 beschriebene „crise hdmoclasique" be¬
stätigen, beim hämolytischen Ikterus allerdings nicht.
Herr Kraus: Wie gross die Bedeutung der internationalen Beziehungen
in der Medizin ist, zeigt die Lehre vom Ikterus und der Leberpathologie.
Französische Autoren haben hier vor allem Hervorragendes geleistet. Auch
er hält die mechanische Theorie für sehr anfechtbar, und auch der Nau-
B y n sehen Lehre von der Bedeutung der Cholangitis kann er sich nicht
anschliessen. Z u e I z e r hat als erster auf die Grössenschwankungen der
Leber bei Infektionen hingewiesen, doch fehlt noch ein einfaches Verfahren,
sie nachwei.sen zu können.
Herr H i s macht auf die Vermehrung der Ikterusfälle in den letzten
Jahren aufmerksam. Er empfiehlt eine vegetarische Schonungsdiät beim
Ikterus.
Herr Umber führt die Häufung der Ikterusfälle auf die schlechte Er¬
nährung in den Kriegsjahren zurück und schildert dann den Verlauf der
Cholangitiden.
Herr Kraus will die Existenz der Cholangitis durchaus nicht in Abrede
gestellt haben, nur könne man sie seiner Erfahrung nach nicht diagnostizieren.
Herr -Zülzer verwendet zum Nachweis der Leber- und Milzver-
grösserung die Schwellenwertsperkussion, die Röntgenuntersuchung dient nur
zur Kontrolle.
Herr Umber glaubt doch, dass Kohlehydratskost eine Schonungsdiät
rar Leberkranke bedeutet, denn man beobachtet nach Zuckerdarreichung bei
Leberkranken keine „crise hömoclasique“, wohl aber beim Diabetes.
Herr Retzlaff: Schlusswort. W
” Deutsche medizinische Gesellschaft v6n Chicago.
Offizielles Protokoll der Sitzung vom 5. November 1920.
Vorsitzender: Herr Otto T. F r e e r.
Schriftführer: Herr Hans Nachtigall.
Herr Philipp Kreoscher (als Gast): Udber Frakturen in der Nähe von
Gelenken. (Demonstration von Lichtbildern.)
Der Vortrag erscheint im Journal of the American Medical Association
im Original.
Herr Gustav K o 11 s c h e r: Zur Klinik der Nieren- und Uretersteine.
Die Diagnose der Nieren- und Uretersteine ist sichergestellt durch die
Fortschritte in der Röntgentechnik. In zweifelhaften Fällen wird die An¬
wendung von Filtern oder die K ü m m e 11 sehe Kollargolniederschlagung die
Entscheidung bringen. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass die Diagnose
eines Nierensteines gleichbedeutend ist mit der Indikation zu seiner Ent¬
fernung. Heutzutage tritt mehr und mehr das Bestreben in den Vordergrund,
alles Abnormale zureclitzustellen. Ausserdem wissen wir, dass alle sezer-
nierenden Organe untereinander in physiologischer Verbindung stehen. Die
Gegenwart eines Steines in der Niere ist ein beständiges Trauma, kann zu
Störungen in der Funktion führen und cs ist nicht möglich zu sagen, wann
diese Störung die Leistung anderer Organe ungünstig beeinflussen wird. Es
ist auch möglich, dass durch den traumatischen Einfluss eines Steines in einer
Niere nephrolytische Elemente ausgelöst werden, die die andere Niere
schädigen können. Wir können mit unseren Indikationen heutzutage um so
liberaler sein, als die moderne Technik der Operation das Risiko auf ein
Minimum heruntergedrückt hat.
Die Hauptpunkte dieser Technik sind die Freilegung der Niere durch
Spaltung der bedeckenden Muskeln ohne Durchschneidung derselben, die Ent¬
fernung des Steines durch Pyelotomie und die Ueberpflanzung von Fett über
die Wunde des Nierenbeckens. Es wird der gewöhnliche Flankenschnitt
parallel zu der zwölften Ripoe angelegt und dieser Schnitt wird soweit ver¬
tieft, dass nicht nur das subkutane Fett, sondern auch die Faszie durchtrennt
wird. Die Hautlappen werden nun nach oben und unten handbreit von dem
Obliquus externus freipräpariert. Die Muskelfasern werden nun in der Mitte
auseinandergedrängt, bis die Fasern des inneren schiefen Muskels dargestellt
sind. Darauf derselbe Vorgang zur Freilegung des Transversus. Nach
Spaltung der Fascia transversa ist die Nische der Niere zugänglich ge¬
macht und wird nun die Niere in der üblichen Weise hcrausgehoben. Die
Rückseite des Nierenbeckens wird freigelegt und mittelst eines Bistouris
eröffnet. Der oder die Steine werden herausgeholt, das Nierenbecken mit
Salzlösung ausgespült und hierauf mit zwei feinen Katgutnähten geschlossen.
Die Enden dieser Nähte werden lang gelassen und über die Beckenwunde
entfaltet. Nun bringt man einen Lappen vom perirenalen Fette herauf, legt
ihn über die Nahtlinie und bindet ihn mit den Enden der zwei Nähte fest über
das Nierenbecken. In dieser Weise wird nicht nur jedes Aussickern von
Harn vermieden, sondern es wird auch die so gewöhnliche und so lästige
Blutung aus den kleinen Beckenvenen verlässlich zum Stehen gebracht.
Durch die Pyelotomie lassen sich Steine von ganz bedeutender Grosse
entfernen, selbst Korallensteine, die allerdings vor der Extraktion durch
Zangendruck verkleinert werden müssen. Wenn man auch im Notfälle den
Beckenschnitt nach aufwärts etwas verlängern müsste, so ist doch damit
weniger Schaden angestiftet als wenn man durch Nephrotomie sezernierendes
Nierengewebe zerstört hätte. Wenn man sich unter besonderen Umständen
zur Ausführung einer Nephrotomie entschliesst, so muss man sich wiederum
durch Fettüberpflanzung gegen die Gefahr einer Nachblutung schützen. Bevor
die Nierenwunde geschlossen wird, zieht man über sie einen Fettlappen und
näht dann durch Fett und Nierensubstanz, so dass die Matratzennähte mit
Fett unterfüttert sind. Dadurch wird nicht nur ein Durchschneiden der Nähte
vermieden, sondern man macht auch Gebrauch von den blutstillenden Eigen¬
schaften des Fettes.
Durch die Vermeidung einer Durchschneidung der Bauchmuskeln werden
nicht nur die Wundverhältnisse ausserordentlich vereinfacht, so dass rasche
und definitive Heilung eintritt, sondern es werden dadurch auch die Par-
ästhesien vermieden, da nach Muskeldurchschneidung so oft Nierenoperationen
folgen.
Nierensteine bei Kindern sind durchaus nicht selten und werden nach
denselben Prinzipien behandelt. '
Ganz anders verhält es sich mit Uretersteinen. Die Indikation für eine
Ureterotomie ist nur gegeben, wenn die Anwesenheit des Uretersteines zu
akuten und bedrohlichen Symptomen führt; als solche sind namentlich reflek¬
torische Anurie und Zeichen schwerer Infektion zu nennen. Man muss nicht
vergessen, dass die Mehrzahl der Uretersteine schliesslich spontan abgeht,
und darunter findet man Steine von ganz erheblicher Grösse und von rauher
Oberfläche.
Die Ureterotomie in der Kontinuität ist immer ein Eingriff von erheb¬
licher Schwere; es ist nicht nur die Blosslegung des Ureters eine heikliche
Sache, sondern die Auslösung des Ureters aus seinen Hüllen kann auch zu
sehr unangenehmen Folgen führen. Adhäsionen mögen den Ureter knicken
oder ganz unweosam machen, oder die Interferenz mit der Zirkulation kann
sogar zur partiellen Nekrose dieses Schlauches führen.
Wenn ein Ureterstein keine Neigung zum spontanen Abgänge zeigt, so
soll man immer versuchen, seine Ausstossung durch Einführung eines Ureteren-
katheters und Oeleinspritzung herbeizuführen. Wenn einmal eine Operation
beschlossen ist, so richtet sich die Wahl der Methode nach dem Sitze des
Steines.
Ist der Stein im oberen Drittel des Ureters, so ziehen wir es vor, das
Nierenbecken der betreffenden Seite freizulegen und den Stein in das Nieren¬
becken zurückzumelken, worauf er dann durch Pyelotomie entfernt wird.
Einklemmungen eines Steines im untersten Drittel des Ureters werden am
besten immer durch Eröffnung der Blase angegangen. Die Blosslegung des
Ureterendes ausserhalb der Blase bedingt nicht nur grosse technische Schwie¬
rigkeiten besonders wegen der heftigen Blutungen aus den perivesikalen
Venennetzen in dieser Gegend, sondern führt auch leicht zu schweren Infek¬
tionen in dem lockeren Bindegewebe daselbst.
Die Operation vom Blaseninnern aus ist ein einfacher Eingriff, kann unter
Lokalanästhesie ausgeführt werden und schliesst Komplikation des oben er¬
wähnten Charakters aus.
Nach Eröffnung der Blase wird das Trigonum durch Retraktoren frei¬
gelegt und dann die betreffende Ureterenöffnung mit einem feinen Galvano¬
kauter so weit geschlitzt, als zur Entfernung des Steines nötig ist. Die An¬
wendung des Galvanokauters bedingt die Blutlosigkeit dieser Erweiterung.
Eine Naht des gespaltenen ureteralen Ostiums ist unnötig. Hierauf wird die
Blase vollständig zugenäht und werden die Bauchdecken darüber geschlossen.
Prima intentio tritt immer ein, wenn die entsprechende subfasziale Drainage
ausgeführt wird. Dies geschieht, indem man unter die Faszie und parallel
mit der Richtung der Schnittlinie ein feines Drainrohr einlegt und die Enden
dieses Rohres an beiden Polen der NahtUnie herausragen lässt. Nach
24 Stunden wird diese Drainage entfernt. Der Patient uriniert entweder
spontan oder wenn er in den ersten Tagen nach der Operation nicht imstande
ist dies zu tun, so wird er in regelmässigen Zwischenräumen katheterisiert.
Die Einlegung eines Verweilkatheters empfiehlt sich nicht.
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
412
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 13.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Berichte aus den Sitzungen im Januar und Februar 1921.
O. Fischer: Die Anordnung der sensiblen Bahnen Im Rückenmark.
Auf Grund zweier eigener Fälle und der spärlichen einschlägigen Kasuistik
kommt F. zu dem Schlüsse, dass die zur Wärme-, Kälte- und Schmerzleitung
dienenden sekundären Bahnen des Seitenstranges getrennt verlaufen, dass sie
nach dem Gesetz der langen Bahnen von F1 a t a u angeordnet sind, doch
nicht mehr nach Wurzelsegmenten, sondern ähnlich wie im Gehirn nach
zirkulär begrenzten Gelenksegmenten.
Jaksch-Wartenhorst demonstriert einen Fall einer bisher noch
nicht beschriebenen Systemerkrankung der Knorpel, die entweder durch eine
innersekretorische oder Stoffwechselstörung bedingt sein kann.
R. Schmidt: Fall von Diabetes mellitus mit Oligodipsle.
Sommer 1918 hochgradigste Polydipsie, derzeit nach mehrmonatlicher
diätetischer Behandlung Durstgefühl abnorm gering, tägliche Harnausschei¬
dung oft nicht ein Liter. März 1920 zeitweise über /4 kg Zucker pro die
ausgeschieden, derzeit Harn zuckerfrei, Blutzuckerspiegel nicht erhöht.
Arnold Löwenstein: Neue Ergebnisse der Herpesforschung.
Auf der Katzenhornhaut ist der Verlauf der Herpesinfektion weniger
stürmisch und erinnert an das Bild der impfinfektion mit Vakzinevirus.
Vorderkanimerimpfung ergibt eine parenchymatöse Hornhautinfiltration, oft
eine an die Irispapel des Menschen erinnernde Infiltration der Regenbogen¬
haut, nach Abheilen eine fleckwcise Depigmentation der Iris wie beim
Menschen nach Blattern. Im Abstrich der Epithelzellen der herpesinfizierten
Hornhaut fanden sich Doppelkörncheh, zum Teil in Haufen beisammen¬
liegend, zu Einschlüssen konglobicrt. Vortr. glaubt in der Deutung überaus
vorsichtig sein zu müssen, da verdaute Granula, aus dem Kern ausgetretenes
Chromatin ebenso in Betracht kommen wie Reaktionsprodukte auf das ein¬
gedrungene Virus oder das Virus selbst.
Weinzierl: Ein Fall von seltener Qeburtsverletzung.
Bei sehr guter, aber auffallend wenig schmerzhafter Wehentätigkeit
Blasensprung. Gleich darauf Presswehen. Der untere Teil des Dammes
und die Analgegend abnorm vorgewölbt, die Vulva geschlossen. Bei der
nächsten Presswehe reisst die Dammhaut ein, der Kopf tritt in normal
rotierter Vorderhauptslage durch die Verletzung durch, der übrige Körper
folgt rasch nach. 3 Minuten später Abgang der Nachgeburt auf demselben
Wege.
Brelnl: VarlatlonserschelnunKen Innerhalb der Dysenterlegruppe.
Mittels der Methode von B ä r t h 1 e i n gelang es aus 3 toxischen Ruhr- ■
Stämmen zwei Varianten zu züchten, die den Hauptrezeptor abgeworfen
haben und an seiner Stelle einen in der Dysenteriegruppe völlig unbekannten
Rezeptor angenommen haben. Aus 3 atoxischen Stämmen wurde eine serum¬
feste Variante isoliert. Aus diesen Befunden ergeben sich einige Gesichts¬
punkte für die Bestimmung atypischer Ruhrbazillen.
Rudolf F 1 s c h 1: Kongenitale Luesfragen.
Als Uebertragungsmodus kommt bei der kongenitalen Lues allein die
plazentare Infektion in Frage, auch dann, wenn das väterliche Sperma Spiro¬
chäten zeigt. Eine passive Uebertragung der WaR. vom ex patre luetisch
infizierten Fötus auf die Schwangere komme nicht in Betracht. Die An¬
nahme von G r a e f e n b e r g. die Koryza der Kinder bei den erst in den
letzten zwei Graviditätsmonaten infizierten Kindern als Primäraffekt anzu¬
sehen, wird widerlegt, ebenso die Annahme von Rietschel, wonach bei
solchen Fällen die Infektion hämatogen bei Ablösung der Plazenta während
der Geburt erfolge. Die Profetaimmunität wird anerkannt. Die WaR. ist
bei Neugeborenen und Säuglingen unverlässlich und ein sicherer Einfluss der
Therapie auf die WaR. nicht nachweisbar. Auch der Spirochätenbefund lasse
manchmal im Stich.
Flitz Wagner- Karlsbad: Das Reststlckstoffproblem.
Im Gegensatz zu der fast allgemein noch herrschenden Ansicht, nach der
eine Azotämie (Harnstoffvermehrung im Blut) nur durch eine Ausscheidungs¬
störung zu erklären ist, vertritt der Vortr. auf Grund seiner Beobachtungen
den Standpunkt, dass dem Faktor des Eiweisszerfalls im ganzen Rest-N-Qebiet
eine überragende ätiologische Bedeutung zukommt, speziell bei der Azotämie
der Fieberkranken, aber auch bei Gastroenteritiden sowie bei Niereninsuffi¬
zienz und Urämie.
W a e 1 s c h demonstriert einen Patienten mit subakuter retrograder
Lympfaangltls, die sich im Anschluss an eine Idrosadenitis in der linken
Achselhöhle entwickelte. Ein Strang zuerst bis in die Mitte des Sulcus
bicipit. int., zog sich dann allmählich zentrifugal. Im Anschluss daran traten
noch 2 derartige Stränge in der Ellbogenbeugo^ auf. Die Drüsen> in Cubito
und Axilla normal. Die Abszesse in der Achsel längst geheilt. W. hat einen
ganz gleichen Fall, ebenfalls bei Idrosadenitis beobachtet.
E 1 8 c h n 1 g demonstriert Schnitte eines Endothelloms des Gehirns ober¬
halb des Chiasma. 9 Monate vorher Neuritis retrobulbaris mit Zentralskotom
mit rasch zunehmender Neuritis retrobulbaris optici intraoeularis links.
Ed er er berichtet über günstige Ergebnisse mit der von Küster an¬
gegebenen MUchprobe zum Nachweis der Vollständigkeit der Plazenta an
250 Fällen. Seit Verwendung der Probe ist die Zahl der Uterusaustastungen
an der Klinik stark zurückgegangen, ohne dass ]e Plazentarreste übersehen
worden wären
Reinhold-Gräfenberg: Psychische Beeinflussung extrapyramldaler
Bewegungsstörungen.
Eine Reihe von Versuchen an Kranken mit ausgesprochen striären Aus¬
fallserscheinungen (Rigor, Bewegungsarmut, Störung im Ablaut automatisierter
Bewegungen Zittern). Der Schriftcharakter war im Sinne einer für die
striären Erkrankungen charakteristischen Mikrographie umso stärker betroffen,
je ausgcbildcter die Automatisierung der Schrift vor der Erkrankung war.
Hypnotische Versuche mit solchen Kranken erbrachten den Nachweis, dass
es möglich ist, diese Schreibstörungen durch einen entsprechenden starken
psychischen Reiz so gut wie vollständig zu beseitigen.
S u s s i g berichtet über drei Fälle von Gastritis cystica. Histologisch
in allen drei Fällen echte Retentionszysten der Magendrüsen, verursacht
einerseits durch die entzündlichen alterativen Veränderungen in den Drüsen
selbst, andererseits durch die exsudativ-produktiven Veränderungen im
Stroma der Magenschleimhaut.
Verein der Aerzte in Steiermark.
Sitzung vom 11. Februar 1921.
Demonstrationsvortrag des Herrn K r a s n 1 k über: Neuritis retrobulbaris
mit Erkrankung des Siebbeines. Durch Eröffnung des Siebbeines von der
Nase aus trat sofort Besserung in der Sehkraft des fast völlig erblindeten
Mädchens ein. Keine besondere Eiterung. Ausgang in Heilung.
Demonstrationsvortrag des Herrn Hertle über: Röntgenbild von
Gallensteinen, ln einem Fall von Cholezystitis zeigten die Schmerzanfälle eine
Zeitlang einen so anders gearteten Charakter, dass ein Fachchirurge einen
rechtsseitigen Nierenstein annahm. Es musste demnach an die Möglichkeit
einer Vergesellschaftung beider Leiden gedacht werden. Das Röntgenbild
ergab sehr deutlich zwbi schalenförmig geschichtete Gebilde, welche zuerst
tatsächlich als Nierensteine angesprochen wurden. Durch eine neuerliche
Röntgenkontrolle der durch die Cholezystektomie gewonnenen Gallenblase,
die mehrere Steine enthielt, Hess sich die Identität der Gallensteine mit den
früher im Leib der Patientin nachgewiesenen Steinen fcststellen. Der Fall
zeigt wieder, dass Gallensteine ab und zu doch recht deutliche Röntgen¬
schatten geben können. Beachtenswert war die deutliche Schichtung der
Steine im Röntgenbild (dichter am Rand), die gewöhnlich nur Nierensteinen
zukommt.
Eine Demonstration: Herr Polland. E.
SeMlIschafl der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 4. März 1921.
Herr J. Gerstmann demonstriert einen Mann mit eigenartigen
psychischen Folgeerscheinungen nach Leuchtgasvergiftung.
Pat. hat keinerlei Verständnis für die Situation, erfasst in keiner Weise
die Objekte und Vorgänge der Aussenwclt, jede höhere psychische Tätigkeit
ist vollkommen aufgehoben. Pat. ist komplett asymbolisch, agnostisch und
apraktisch. Es ist nur mehr das Triebleben vorhanden mit seinen psychi¬
schen Reflexen aus der frühpsten Zeit der Entwicklung. Pat. zeigt den
Säuglings- oder Atzreflex (Oeffnen des Mundes bei Annäherung eines Gegen¬
standes an das Gesicht), auf welche Reflexbewegung mehrere Schnappbe¬
wegungen folgen. Von zwei gleichzeitig gezeigten Objekten wirkt das mit
dem stärkeren Sinnesreiz als reizauslöseud.
Pat. zeigt Echolalie und Echopraxie, er spricht die letzten Silben nach,
wenn ihm ein Wort vorgesprochen wird, die letzten Worte, wenn ein Satz
vorgesprochen wird. Die ihm gezeigten • Armbewegungen werden soweit
nachgeahnit, als dies die zerebrale Bewegungsstörung gestattet. Es fehlt
jedes psychische Korrelat der Empfindung. Wirken 2 gleichartige optische
Reize genau symmetrisch auf den Pat. ein. so erfolgt zunächst gar keine
Reaktion, bis durch eine mehr oder weniger zufällige Verschiebung diese
Symmetrie verlorengeht, worauf prompt der Schnappreflex eintritt.
Herr A. S t e I n d I demonstriert ein neunjähriges Mädchen mit Herm-
aphroditlsmus glandularis.
Bei der auf yorschlag von Prof. M e i x n e r vorgenommenen Laparo¬
tomie zur Feststellung des Geschlechtes wurde ein Uterus
bicornis gefunden, zwei Tuben, auf einer Seite ein von den anwesenden
Gynäkologen als Ovarium bezeichneter Körper, auf der anderen Seite ein
rundlicher, bräunlicher Körper, der schon äusserlich einem Hoden sehr ähn¬
lich war. Ein Stück dieses Organs wurde zur mikroskopischen Untersuchung
exzidiert. Die Operation heilte per primam. Das Kind ist zweifellos als
Mädchen anzusehen und wird als Mädchen erzogen werden.
Herr M e I x n e r berichtet über Erziehung und Namengebung von
Kindern, die auf Grund der Besichtigung der anderen Geschlechtsteile keinem
der Geschlechter mit Sicherheit zuzuteilen sind, und tritt besonders für die
explorative Laparotomie zur Feststellung der Beschaffenheit der inneren
Geschlechtsorgane ein.
Herr H o 1 b a u e r zeigt drei Fälle von aktiver Lungentuberkulose,
deren schwere Allgemeinsymptome durch Atmungstherapie völlig behoben
wurden, so dass die Patienten dauernd bewegungs- und völlig arbeitsfähig
wurden.
Zur Bekämpfung der Allgemeinsymptome verwendet er Schweigebehand¬
lung, welche nach Abklingen dieser bedrohlichen Zeichen unter stetiger Tem¬
peratur- bzw. Gcwichtskontrolle in allmählig gesteigerte, respiratorische Be¬
anspruchung (behufs Hebung der Widerstandsfähigkeit) der Lungen verwandelt
wird. Diese Atmungstherapie bedeutet eine ..Autotuberkulinisation“ des Or¬
ganismus mittels der in der Umgebung des Lungenherdes aufgestapelten
Toxine. Sie ist mit Rücksicht darauf, dass die verschiedenen Tuberkelbazillen¬
stämme sich nicht einheitlich verhalten, als einzige wirklich „spezifische“
Behandlung zu betrachten. _ K.
Kleine Mitteilungen.
Die Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechutig.
Entschliessung der Gynäkologischen Gesellschaft zu
Breslau.
Die Gynäkologische Gesellschaft zu Breslau erklärt einmütig und ist
sich ihrer Verantwortung und wissenschaftlichen Ueberzeugung dabei voll
bewusst,
1. die Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung, wie sie die uns be¬
kannt gewordenen Gesetzesanträge beabsichtigen, wäre geeignet, die ganze
Zukunft unseres Volkes zu untergraben. Sie würde nicht nur unendlichen
Schaden an Ethik und Moral zeitigen, sondern auch unsere Volkskraft in
ungeahnter Weise schwächen. Zahllose Kinder würden geopfert werden.
Von höherer Bedeutung aber ist es, dass, selbst beste, technisch vollendete
Ausführung der Schwangerschaftsunterbrechung vorausgesetzt, viele Mütter
dennoch krank und zeugungsunfähig aus diesem Eingriff hervorgehen würden.
Durch die wahllose Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung wird noch
mehr wie bisher dem ausserehelichen Geschlechtsverkehr Vorschub geleistet,
und damit .wird ein weiteres Anschwellen der bereits das erträgliche Mass
überschreitenden Verbreitung der spezifischen Geschlechtskrankheiten erfolgen.
Deshalb lehnt die Gynäkologische Gesellschaft zu Breslau die Gesetzesanträge
mit Einmütigkeit und aller Entschiedenheit ab.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf
I April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
413
2. Andererseits ist aber eine Abänderung der bestehenden Qesetzes-
bestimmungen über das keimende Leben notwendig. Das Gesetz schweigt
davon, dass unter Umständen der künstliche Abort eine pflichtmässige ärzt¬
liche Handlung sein kann. Er wird nach altem Gewohnheitsrecht ausgeführt,
wenn durch Fortbestand der Schwangerschaft Tod oder schwere Gesundheits¬
schädigung der Mutter droht.
Um dieses Gewohnheitsrecht zu einem gesetzlichen zu machen und
somit die Beteiligten vor Strafverfolgung sicherzustellen, um andererseits
dem Missbrauch zu steuern, empfehlen wir, folgende-Bestimmungen gesetzlich
festzulegen: Strafverfolgung tritt nicht ein, wenn die Unterbrechung aus
gesundheitlicher Anzeige eingelcitet wird, falls der Mutter durch den Fort¬
bestand der Schwangerschaft Tod oder schwere Gesundheitsschädigung droht.
Geeignete Kontrollmassnahmen unter Mitwirkung der ärztlichen zentralen
Organisationen (Aerztekammer, Aerztevereinsbund usw.) wären hier vorzu¬
sehen.
3. Für die Beantwortung der Frage, ob eine Schwangerschaftsunter- *
hrecbung aus eugenetischen oder sozialen Gründen zugelassen werden darf,
halten wir uns nicht für zuständig.
4. Die Gynäkologische Gesellschaft glaubt auch, dass mancher kriminelle
Abort unterbleiben würde, wenn durch Aenderung der Gesetzgebung den zur
Abtreibung führenden Notlagen vorgebeugt würde.
Wir denken dabei:
a) an die Gesetzesbestimmungen, die es dem ausserehelichen Vater er¬
lauben, sich durch eine Geldsumme seiner weiteren Verantwortung
für das Kind zu entledigen, statt für dasselbe ähnlich sorgen zu
müssen wie beim Eingehen einer zweiten Ehe für die Kinder aus
erster Ehe.
b) an den § 1717 des BGB., der für den Fall, dass mehrere Schwängerer
in Betracht kommen, diese alle von Verpflichtungen gegen das Kind
befreit.
c) Endlich wäre zum Schutz der jungen Mädchen, die sich oft der
Tragweite ihrer Handlungen noch nicht voll bewusst sind, eine
Heraufsetzung des gesetzlichen Schutzalters dringend zu wünschen.
Zur weiteren Mitarbeit und eingehenden Begründung ihrer Entschliessung
ist die Gynäkologische Gesellschaft in Breslau (Schrift¬
führer Prof. Dr. L. Fraenkel, Fürstenstr. 104) Jederzeit bereit.
Aus den Parlamenten.
(Bayern.)
Der Staatshaushaltsausschuss hatte, wie in Nr. 10 der M.m.W. bereits be¬
richtet wurde, unter Ablehnung des Antrages Dr. Bauer, welcher eine Summe
von 10 Millionen für die Zwecke der Gesundheitspflege gefordert hatte, den
Betrag von 5 Millionen genehmigt. Im Plenum des Landtages vertrat
Dr. Bauer (U.S.P.) seinen Antrag in längerer Rede. Diese hätte mit
ihrer eindringlichen und oft gewiss zutreffenden sachlichen Begründung einen
weit tieferen Eindruck machen und Dr. Bauer als Arzt auf diesem so
dankbaren Gebiete einen ungleich befriedigenderen Erfolg erringen können,
wenn er seiner Rede nicht einen von radikalster politischer Parteianschauung
getragenen polemischen Hintergrund gegeben hätte, der die Entrüstung anders
Denkender herausfordern musste und zu stürmischen Szenen von seltener
Hässlichkeit geführt hat. Erwähnt sei nur, dass Dr. Bauer die durch nichts
eutschuldbare schmähliche Hungerblockade der Engländer durch den zu deren
Abwehr durchgeführten ehrlichen deutschen Unterseebootskrieg zu be¬
schönigen suchte. Er sprach, als wenn nicht Deutschland, sondern England
sein Vaterland wäre, ganz im Geiste Försters: Right or wrong,
Deutschland hat Unrecht 1 .... Es war kein Tag, dessen unser Stand sich
freuen könnte.
Zur Annahme gelangte auch mit den Stimmen der Mehrheitssozialisten
der Antrag S t a n g (bayer. Volkspartei), die Summe von 2 000 000 M. zu be¬
willigen und wie folgt zu verteilen: Säuglings- und Kleinkinderftirsorge
700 000 M.. KrQppelfürsorge für Kinder und Jugendliche 200 000 M., Schul¬
kinder und Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren 300 000 M.. Bekämpfung
der Tuberkulose 400000 M., Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 200000 M.,
Bekämpfung des Alkoholmissbrauches 20 000 M., Veröffentlichung von Ar¬
beiten auf dem Gebiete des Medizinaldienstes, übrige Ausgaben, besonders
zum Ausbau des Medizinalwesens zusammen 180 000 M.
Wenn man die stattliche Anzahl anderer, recht leichtherziger Millionen¬
bewilligungen, die mit weit geringerer Berücksichtigung der Finanzlage ge- '
macht worden sind, bedenkt, so hat diese Summe wirklich nichts Imponieren¬
des an sich. Es muss jedoch darauf verwiesen werden, dass gegenüber
dem Friedensetat von 93 000 M. für Gesundheitszwecke ein doch recht nam¬
hafter Fortschritt vorliegt, dass die Summe noch für das abgelaufene Jahr
1920 bewilligt ist und dass die Regierung selbst einen Betrag von 6 Mil¬
lionen beantragt, diesen Antrag aber auf Bedenken des Finanzministers auf
590 000 M. abgeändert hatte. Es steht zu hoffen, dass entsprechend dem
Schlusssatz des S t a n g sehen Antrages für den nächsten Haushaltsplan eine
angemessene Erhöhung der für die öffentliche Gesundheitspflege aufzuwenden¬
den Mittel ins Auge gefasst werden wird und dabei die von den bayerischen
Aerzteverbänden gemachten Vorschläge möglichst Berücksichtigung finden
werden. Damit dürfte die Entrüstung der Unabhängigen doch einiges an
Berechtigung und Fulminanz verlieren. Hervorgehoben möchte noch eine
Stelle aus der Rede des Abg. V i e 1 b e r t h werden, der darauf hinwies,
dass aus dem öffentlichen Fürsorgewesen das freiwillige Hilfswerk wegen
seines hohen kulturellen und ethischen Wertes nicht verschwinden dürfe.
Das ist richtig. Kein noch so grosser Haufen Geldes und alle Verbesse¬
rungen des Fürsorgemechanismus können diese Oualitätsleistungen reiner
Menschlichkeit ersetzen. Bekanntlich leidet dieses private Hilfswerk infolge
der sozialen Umwälzungen die empfindlichste Not. Bis jetzt weist nichts
darauf hin. dass das sog. für den Klassenhass und die Parteikasse begeisterte
Proletariat, das den Wohlstand und das Wohlleben des verarmenden Bürger¬
tums sich zu eigen gemacht hat, auch das Erbe des Wohltuns und der
Nächstenliebe anzutreten sich anschicke. Keine höhere Aufgabe für einen
Arzt, der das Ohr dieser Kreise besitzt, als die, sie auf den Weg der
freiwilligen Fürsorge für die bedrängten und kratften Volksgenossen zu
weisen. Das wäre zwar vielleicht keine sozialistische, dafür aber eine
wahrhaft soziale Tat.
Eine ablehnende Kritik erfuhren auch Dr. Bauers Eintreten für die
Sozialisierung des Aerztewesens und seine Anschauungen bezüglich der Not¬
wendigkeit der Geburtenbeschränkung (Abänderung der §§ 218—220 der
R.St.O.).
Aus den Verhandlungen des Staatshaushaltsausschusses ist noch nachzu¬
tragen die Zusage der Regierung, den ärztlichen Bewerbern für den Staats¬
dienst, welche durch Kriegsverhältnisse an der Bewerbung gehindert waren,
entgegenkommen zu weilen, ferner die Erörterungen Uber die Wiederver-
leil^ung des Sanitätsratstitels, die von mehreren Seiten mit Hinweis auf die
Verleihung des Justizratstitels sehr befürwortet wurde. Hierzu erklärte sich
der Staatssekretär grundsätzlich vollkommen zustimmend. Es habe sich aber
als notwendig herausgestellt, um eine übereinstimmende Behandlung der
Frage der Berufstitel herbeizuführen, sich mit der Reichsregierung in Ver¬
bindung zu setzen. Deren Antwort steht noch aus. Bei aller Anerkennung
des verständnisvollen Wohlwollens des Staatssekretärs lässt sich doch die
Meinung nicht unterdrücken, dass, wenn es möglich war, in Bayern den
Justizratstitel an Rechtsanwälte und Notare ohne vorherige Befragung der
Reichsregierung zu verleihen, ein Gleiches für den Sanitätsratstitel, an dem
viele Aerzte ein berechtigtes Interesse nehmen, hätte gelten können.
Ueber Neubewilligungen für den K u 11 u s e t a t ist im Gegensatz zu
früheren Jahren kaum etwas zu berichten. Das Wichtigste ist die Ge¬
nehmigung einer ersten Rate von 500 000 M. für den dringend notwendigen
Um- oder Neubau des pathologischen Institutes München durch den Staats¬
haushaltsausschuss. B e r g e a t.
Therapeutische Notizen.
Zur hausärztlichen Behandlung des Bronchialasthmas.
Zum Aufsatz des Herrn Prof. Curschmann -Rostock in Nr. 10 d. W.
möchte ich mitteilen. dass ich mit Vasotonin recht gute Erfolge bei
Bronchialasthma gesehen habe. Meine Erfahrungen über Vasotonin sind zwar
noch zu gering, um ein abschliessendes Urteil über seine Verwendbarkeit zu
fällen, immerhin kann ich sagen, dass ich einige zweifelsfreie Fälle von
starker Besserung (monatelangem Ausbleiben der Anfälle nach vorherigen,
fast allnächtlichen Anfällen) des Bronchialasthmas nach Vasotoninapplikation
gesehen habe. Ich gebe in Abständen von 5—6 Tagen zwei bis drei
Ampullen Vasotonin intravenös, dann 2—3 Wochen lang Vasotonintabletten,
sowie bei stockender Expektoration Jodkali. — Meine Mitteilung soll nur
dazu auffordern, weitere Erfahrungen über den Gebrauch von Vasotonin bei
Bronchialasthma bekanntzugeben.
Dr. Karl J a f f e, prakt. Arzt in Lam, bayer. Wald.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 30. März 1921.
— Um an den Abhilfebestrebungen gegen die Notlage der
geistigen Berufe fördernd mitwirken zu können, hat das bayer.
Ministerium für soziale Fürsorge eine Umfrage bei den zuständigen Organi¬
sationen veranstaltet und dabei um Beantwortung folgender Fragen ge¬
beten: Ursachen der gegenwärtigen Notlage, bisher erfolgte Massnahmen
dagegen, bisheriges Ergebnis dieser Abhilfe versuche; welche Massnahmen
werden zur Abhilfe vorgeschlagen? Die Umfrage ist auch dem Landesver¬
band der Aerzte Bayerns zugegangen, der sie durch den Landessekretär
San.-Rat Dr. Scholl beantworten Hess (Bay. ärztl. Korr.Bl. Nr. 11). Aus
der Antwort interessieren besonders die zur Abhilfe vorgeschlagenen Mass¬
nahmen. Sie betreffen die Ucberfüllung des Berffs, die Ausdehnung der
Krankenversicherung (Einführung der freien Arztwahl bei allen Kranken¬
kassen und entsprechende Honorierung), die Kurpfuscherei (die gesetzlich zu
verbieten ist), die mangelhafte Honorierung der Amts- und Fürsorgeärzte,
die Stellung der Assistenz- und Volontärärzte und den Erlass einer staat¬
lichen Gebührenordnung und einer staatlichen Standesordnung mit Disziplinar-
befugnis und Umlagerecht. Wesentlich Neues enthält nur der erste Punkt,
Massnahmen gegen die Ucberfüllung des Berufs. Hier
wird vorgeschlagen die Einführung eines Numerus clausus für das Medizin¬
studium, Erschwerung der Prüfungen, Neuordnung des medizinischen Stu¬
diums. Berufsberatung und planvolle Verteilung der Aerzte in Stadt und
Land unter Mitwirkung des zuständigen Ministeriums und der Krankenkassen.
— Es ist erstaunlich, was hier in wenigen Zeilen an, den freien ärztlichen
Stand umwälzenden, Neuerungen vorgeschlagen wird. Numerus clausus, Er¬
schwerung der Prüfungen, Neuordnung des Medizinstudiums wurden bisher
verlangt zur Sicherung einer besseren Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses;
ihre Forderung an amtlicher Stelle als Massnahme gegen die Ucberfüllung
des Berufs ist neu und wohl nicht unbedenklich. Ganz überraschend ist aber
das Verlangen der Aufhebung der Freizügigkeit der Aerzte
durch den bayerischen Landesverband, denn nicht anders kann die Forderung
einer „planvollen Verteilung der Aerzte in Stadt und Land“ verstanden wer¬
den. Bisher betrachtete man die Erreichung der Freizügigkeit als die grösste
Errungenschaft des ärztlichen Standes und man datiert von ihr eine neue
Epoche in der Standesgeschichte. SoH dieser Fortschritt für immer preis¬
gegeben werden, weil infolge des Krieges durch den übergrossen Andrang
zum Medizinstudium Verhältnisse eingetreten sind, die zwar für die nächsten
Jahre sehr schwierig, aber doch in absehbarer Zeit auch ohne die Preisgabe
der Freiheit des Standes überwindbar sein werden? Welchep Sinn hat über¬
haupt die freie Arztwahl noch, wenn an einem Orte sich nur so viele Aerzte
niederlassen dürfen, als den Kassen genehm sind? Man kann sie aus dem
Programm einer von Regierung und Kassen verteilten Aerzteschaft ruhig
streichen. Wir meinen, dass Vorschläge von so grundlegender Bedeutung
nicht ohne vorherige Beratung durch die Standesvertretungen des Landes und
des Reiches an amtlicher Stelle gemacht werden sollten. Man hat nichts da¬
von gehört, dass solche Beratungen stattgefunden haben.
— Die Reklame für Rad-Jo nimmt immer groteskere Formen an.
Der neueste Trick besteht, wie Herr Dr. Klare- Scheidegg uns mitteilt,
darin, dass die Reklameschriften an die Jungfrauenvereine zu Händen der
leitenden Geistlichen gesandt werden. Jeder Sendung liegt ein Formular
zur Aufnahme von Adressen werdender Mütter bei, das am Kopf folgende
Notiz trägt: „Ew. Hochehr würden wäf-en wir zu grossem Dank verpflichtet,
wenn Sie uns auf anliegendem Formular die z. Z. bekannt gewordenen
hoffenden Frauen aufgeben würden. Wir verpflichten uns, nicht zu sagen
von wem wir die Adresse erhielten, und bitten um unfrankierte Zusendung.
FürjedeAdressezahlenwirSOPfg. indieKirchenkass e.“
Um die Sendung zu vervollständigen, ist ihr in der Grösse 42: 52 eine
Gravüre: „Ländliches Fest im 18. Jahrhundert“ beigegeben mit dem Ver¬
merk: „Aus Dankbarkeit Ihrem Frauenverein gewidmet für Frauenhilfe bei
werdenden Müttern“. Rad-Jo-Versand Vollrath Wasmuth, Hamburg Radjo-
posthofl — Noch gefährlicher ist ein uns zugehendes Flugblatt, in dem die
Aerzte für den Tod Siner Frau und ihres Kindes während der Geburt ver-
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
414
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHteiFT.
Nr. 13.
antwortlich gemacht werden, weil sie die Anwendung des Rad-Jo widerraten
hatten. Das Flugblatt ist betitelt: „Traurige Folgen bei Geburten ohne
Rad-Jo“ und fährt fort: „Die Aerzte haben den Tod von Mutter und Kind
auf dem Gewissen, weil sie abrieten Rad-Jo anzuwenden“. Hier überschreitet
Herr W a s ni u t h u. E. das Mass des auch nach den weit gesteckten Grenzen
unserer Gesetzgebung Zulässigen. Es kann ihm leider nicht verwehrt wer¬
den, durch niasslüsc Uebertreibungen die leidende Menschheit irrezuführen
und zu betrügen. Die Aerzteschaft braucht es aber nicht ruhig hinzunehmen,
dass er sie der fahrlässigen Tötung wegen Nichtanwendung seines Mittels
zeiht. Wir glauben, dass die ärztliche Standesvertretung sofort Schritte tun
sollte, um die weitere Verbreitung dieser gemeingefährlichen Reklame zu
verhindern.
— Das den bayerischen Amtsärzten zu gewährende Tage¬
geld kann mit Wirkung ab 1. September 1920 auf 40 M. festgesetzt werden.
Zu diesem Tagegeld wird den Amtsärzten bis auf weiteres ein Teuerungs¬
zuschlag von 50 v. H. gewährt.
— Das Lebensmittelamt der Stadt München wird am
1. April d. J. aufgelöst, da in Zukunft nur noch diejenigen Lebens- und Futter¬
mittel amtlich verteilt werden sollen, deren Bewirtschaftung gesetzlich vor¬
geschrieben ist, nämlich Mehl, Brot und Brotgetreide (einschliesslich Hafer
'und Getreideprodukte), Zucker, Milch und Milchprodukte. Es besteht also
in Zukunft nur noch 1. ein Mehl- und Brotamt, 2. ein Milchamt und 3. ein
Krankenversorgungsamt, dem die Lebcnsmittelzuwcisung an Kranke, Säug¬
linge usw. obliegt. Leiter dieses Amtes ist Prof. Dr. F i s c h l e r.
— Wie wir hören, hat Herr Med.-Rat Dr. Bachmann gegen das in
der vor. Nummer abgedruckte Urteil Berufung eingelegt.
— Auf dem Balneologenkongress, der vom 16.-^20. März in Wiesbaden
tagte, hielt auch ein japanischer Arzt, Dr. M i y a d e r a - Tokio, einen Vor¬
trag. Er nahm dabei Gelegenheit zu erklären, dass die japanischen Aerzte
nach wie vor von tiefer Sympathie und Bewunderung für die deutsche
Medizin und deren Träger erfüllt seien und nichts mit den Massnahmen zu
tun hätten," die von Angehörigen anderer Nationen gegen deutsche Aerzte
ergriffen worden seien. Er fuhr fort: „Das gilt nicht nur für uns japanische
Aerzte, sondern aucli für die japanische Regierung. Die japanische Regierung
hat niemals, wie es mir ausdrücklich der japanische Botschafter in Berlin
bestätigt, irgendeinen gegen deutsche Aerzte feindseligen Akt gebilligt. Wenn
einmal in den letzten Jahren zwei japanische Gelehrte, die keine Aerzte waren,
auf einer internationalen Versammlung sich einem Schritte gegen deutsche
Aerzte anschlossen, so taten sie es nur für ihre Person und als Vertreter
eines kleinen akademischen Vereins. Die japanischen Aerzte und die japanische
Regierung haben damit nicht das mindeste zu tun.“ V. Z.
— Die „Voss. ZtgT." schreibt: Ein 36 jähr. Arzt Dr. Heinrich
R a d e c k, geboren in Kosel, vom Feldzug her schwer krank, machte von
Südbayern die anstrengende Reise zur Abstimmung nach Kosel (Obcrschlesien).
Hier liess er sich in einer Bahre in den Abstimmungssaal tragen, gab seinen
Abstimmungszettel für Deutschland ab und starb. Er war seiner Heimat bis
in den Tod getreu.
— Herr Prof. J. H. Schultz- Jena, Dr. L a h m a n n s Sanatorium
Weisser Hirsch bei Dresden, veranstaltet eine Sammelrundfrage über
Schädigungen durch Hypnose und bittet die Kollegen um Mit¬
teilung bis 15. April 1921, ob und welche Schädigungen durch Hypnose, be¬
sonders nach SchauhypnAe und Aehnlichem von Laien in den letzten 10 Jahren
von ihnen beobachtet worden sind? Namentlich ersucht er um kurze Mit¬
teilung über Art und Dauer von derart ausgelösten Psychosen. Berichte über
bemerkenswerte Fälle (Krankenblätter) wären besonders willkommen.
— Unter dem Eindruck des Abbruches der Londoner Verhandlungen
und der daraufhin angedrohten „Sanktionen“ musste leider die Studien¬
reise in die Badeorte des besetzten Gebietes verschoben
werden. Sie wird nunmehr am Sonnabend, den 9. April d. Js. in Aachen
beginnen und am Sonntag, den 17. April abends in Wiesbaden enden.
Es sollen folgende Bäder des besetzten Gebietes besucht werden: Aachen,
Godesberg, Neuenahr, Ems, Wiesbaden, Soden a. T., Schlangenbad, Langen-
schwalbach, Kreuznach und Münster a. St. Der Zeitpunkt ist so gewählt,
dass die Rciseteilnehmer Gelegenheit haben, dem am 18. April vormittags
in Wiesbaden beginnenden Kongress für innere Medizin beizu¬
wohnen. Der Preis für diese, etwa zehntägige ärztliche Studienreise vom
9. April früh bis 17. April abends beträgt einschliesslich aller Eisenbahn¬
fahrten in der dritten Wagenklasse (voraussichtich bereitgestellte Wagen) so¬
wie der Unterkunft und Verpflegung (mit Ausnahme der Getränke und Be¬
dienungsgelder) 975 Mark. Mitglieder des Zentralkomitees für ärztliche
Studienreisen haben für ihre Person eine Ermässigung von 50 Mark. Mel¬
dungen und Anfragen sind umgehend an das Deutsche Zentralkomitee
für ärztliche Studienreisen, Berlin W. 9, Potsdainerstr, 134b zu richten. Gleich¬
zeitig mit der Meldung ist der volle Reisebetrag einzusenden. (Bankkonto
des Zentralkomitees bei der Bank für Handel und Industrie, Dcp.-Kasse U,
Berlin W. 9, Potsdamerstr. 16; oder Postscheckkonto Nr. 12 228, Post¬
scheckamt Berlin NW. 7). Die Beteiligung von Damen ist erwünscht. Wir
machen darauf aufmerks'»m, dass zur Einreise in das besetzte Gebiet ein
von der zuständigen Polizeibehörde zu beschaffender Personalausweis
mit Lichtbild erforderlich ist. Deutsches Zentralkomitee für ärztliche
Studienreisen, I. A.: A. Oliven. Generalsekretär.
— Man schreibt uns aus Düsseldorf: In der Westdeutschen Sozial¬
hygienischen Akademe in Düsseldorf beginnt der neue „Sozialhygieni¬
sch e K u r s“ am 11. April 1921. Die Besetzung Düsseldorfs ist ohne Ein¬
fluss auf die Kurse; auch haben die Lebensverhältnisse keine Aenderung er¬
fahren. Das Sekretariat ist bemüht den Kursteilnehmern bei Beschaffung von
Wohnung und Verpflegung behilflich zu sein.
— Zu Pfingsten d. J. (12.—14. Mai) findet in Nürnberg eine Tagung
des Vereins Deutscher Laryngologen und der Deutschen
otologischen Gesellschaft unter dem Vorsitz von Herrn Prof.
Dr. Georg Boenninghaus, Bresfau und Herrn Sanitätsrat Dr. Rudolf
Panse, Dresden statt. Die Verschmelzung beider Vereine ist in die Wege
geleitet. Für die Versammlung sind zahlreiche Vorträge und Demonstrationen
angemeldet, auch wird ein Referat „Die Organisation des schulohrenürztlichen
Dienstes“ erstattet. Referenten: Herr D r e y f u s s - Frankfurt, Herr Ale¬
xander- Wien, Herr E. Hopmann - Köln. Es wird dringend um
sofortige Wohnungsbestellung beim Vorsitzenden des Wohnungsaus¬
schusses, Herrn Dr. Hermann Federschmidt, Nürnberg, Bayreuther-
strasse 31 ersucht, da sonst gute Unterkunft nicht gewährleistet werden
kann.
— Der Ausschuss der Deutschen Gesellschaft für Uro¬
logie hat beschlossen, am 29., 30. September und 1. Oktober 1921 in Wien
im Billrothhause, IX. Frankgasse Nr. 8, den fünften Kongress abzuhalten.
Als Gegenstände der Verhandlung wurden bestimmt: 1. Pathologie und
Therapie der Hydronephrosen; 2. Chirurgische Anatomie der Blase und Harn¬
leiter im Hinblick auf ausgedehnte Resektionen. Ausser diesen sind freie
Vorträge und Demonstrationen über andere Gebiete der Urologie zulässig.
Anmeldung von Vortrügen, Demonstrationen bis 30. April an Prof. Zucker¬
kand 1 - Wien, IV. Möllwaldplatz 5. Wohnungsauskunft durch Dr. Z i n n e r -
Wien, 1. Rathausstrasse 17.
— Die PrüfungsordnungfürKreisärzte vom 9. Februar 1921
mit Anhang: Vorschriften für die Anfertigung der schriftlichen Ausarbeitungen
in der Kreisarztprüfung vom 20. August 1920 ist im Verlag von Carl Hey¬
mann in Berlin erschienen. Der Verkaufspreis ist M. 1.50.
— Pest. Jugoslawien. Laut Mitteilung vom 16. Februar sind unter
den französischen Truppen in Tivat (Bucht von Cattaro, Dalmatien) 3 Fälle
von Beulenpcst fcstgestellt worden.
— Cholera. Litauen. Laut Mitteilung vom 28. Februar ^sind in
Kowno seit dem 14. Februar keine weiteren Choleraerkrankungen vorge¬
kommen. Die Seuche ist als erloschen anzusehen. — Polen. Laut Mitteilung
vom 28. Februar sollen in der Stadt Posen ganze Strassenviertel wegen
Cholera polizeilich abgesperrt sein.
— ln der 10. Jahreswoche, vom 6. bis 12. .März 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Bochum
mit 19, die geringste Neukölln mit 5,9 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. Vöff. R.-G.-A.
Hochsc'hutnachrichten.
Bonn. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Paul Römer, Direktor der Augen¬
klinik in Greifswald, wird dem Rufe nach Bonn als Nachfolger H. K u h n t s
Folge leisten, (hk.)
Breslau. Geh..-Rat Prof. Dr. Robert Wollenberg, Direktor der
psychiatrischen und Nervenklinik in Marburg, hat einen Ruf nach Breslau als
Nachfolger O. B u m k e s erhalten, (hk.)
Erlangen. Dem a. o. Professor und Oberarzt der chir. Poliklinik
Dr. Max v. K r y g e r ist Titel und Rang eines ord. Professors verliehen
worden.
Halle. Als Nachfolger von Wilhelm Roux ist der Prosektor am
Leipziger anatomischen Institut Privatdozent Dr. med. et phil. Herrn. S t i e v c
berufen worden
Leipzig. Dr. Hans Günther, Assistent an der medizinischen Unu
! versitätsklinik, habilitierte sich für innere Medizin mit einer Antrittsvorlesung
„Ueber das wolhyuische Fieber mit Berücksichtigung der Frage der Ent¬
stehung neuer Krankheiten.“ Seine Habilitationsschrift behandelt das Thema:
„Die Bedeutung der Hämatoporphyrine in Physiologie und Pathologie.“
Todesfall.
In Breslau verschied am 19. d. M. der frühere langjährige Privatdozent
für, Geburtshilfe und Gynäkologie an der dortigen Universität Stadtältester
Prof. Dr. Ernst F r ä n k e 1 im Alter von 77 Jahren, (hk.)
Korrespondenz.
Und nochmals: ,J)ie Propaglemns des Morphinismus unter behördlichem
Schutz.**
Da ich jetzt erst sehe, dass die Schriftleitung der M.ra.W. an meiner
Erwiderung auf die Ausführungen des hessischen Ministeriums des Innern,
Abt f. öffentl. Gesundheitspflege, wesentliche Teile gekürzt hat, ersuche ich
dieselbe, noch das Folgende bekannt zu geben:
Es entspricht nicht den Tatsachen, dass ich in der fraglichen Zeit ver¬
reist gewesen sei und deshalb die Krankenpflegerin Morphium hätte ein¬
spritzen müssen. Am 25. V. 20 schickte sie die Tochter des Pat., ich solle
„neues“ Morphium verschreiben, da sie alles verbraucht habe. Erst jetzt
erhielt ich davon Kenntnis, dass seit 15. V. 20 hinter meinem Rücken Morphium¬
einspritzungen gemacht wurden, und sofort habe ich dieselben verboten. Da
nun die Pflegerin selbst zugegeben hat, dass sie trotz meines Verbots die
Einspritzungen weiter gemacht hat, muss sic sich doch noch sonstwie weiteres
Morphium verschafft haben. Am 30. V. 20 schickte sie dann einen anderen
Boten, ich solle neues Morphium verschreiben, da der Pat. „fürchterliche
Schmerzen“ habe. Ich lehnte, das wiederum ab, begab mich vielmehr selbst
sofort zu dem Pat., fand aber diese Angaben nicht bestätigt. Er hatte
zweifellos kurz vorher seine Morphiuraladung schon erhalten. Erst am Nach¬
mittag dieses Sonntags, also des 30. V. 20, war ich das erstemal seit drei
Wochen einige Stunden ausserhalb meines Wohnsitzes. Die Pflegerin hat also
vom 15. V. bis 30. V. hinter meinem Rücken und vom 25. V. ab trotz meines
Verbotes diese Einspritzungen auf eigene Faust gemacht. Die Behauptung der
Krankenschwester, dass ich verreist und nicht zu erreichen gewesen sei, ist
also eine Fabel.
Ferner widerspricht es den Tatsachen, dass ich mich damit einverstanden
erklärt hätte, dass die Pflegerin ..hie und da“ eine Spritze gebe. Ich wusste
doch gar nicht, dass diese im Besitz von Morphium war, ich selbst habe dem
Pat, kein Morphium verschrieben, also konnte ich schon deshalb eine der¬
artige Anordnung gar nicht treffen.
Wie kommt es nun dass der Pat. sich hinter meinem Rücken gerade an
die Krankenschwester gewandt hat, um sich Morphium einspritzen zu lassen?
Er muss also doch gewusst haben, dass die Krankenschwestern diese Injek¬
tionen auf eigne Faust machen, und dass sie auch Morphium in ihrem Besitz
haben. Ich denke doch, das wäre schon gerade Beweis genug, dass diese
Pflegerinnen auch sonst ohne ärztliche Verordnung Morphiuminjektionen ge¬
macht haben, und der Kreisarzt K u 11 m a n n hat doch auch selber behauptet,
dass sie dazu das Recht hätten. Zudem ist jetzt festgestellt worden, dass
die Pflegerinnen auch sonst Morphium von anderen Kranken dazu benutzt
haben, um auf eigene Faust damit Einspritzungen zu machen. Ich betone hier
ausdrücklich, dass diä^s Morphium von mir nicht verschrieben war. da
ich niemals dem hiesigen Pflegepersonal Morphium und Spritze in die
Hand gebe.
Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass es höchste Zeit war,
diesen Morphiumunfug gründlich auszurotten.
Bürstadt, 21. III. 21.
Dr. Sieben.
Verlag m j. F. LakHeee ki Mlockea S.W. t. Pul HeyuMr. M. — Druck um B. MlkHkaler** Buk- uai KuuÜnickcrei A.a, Mhicku.
Digitized b]
Goi-igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Preis der einzelnen Nummer 2.— Jl, • Bezugspreis in Deutschlana
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. . . .
Anzeigenschluss immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen dnd zu richten
für die Schriftleitung: Arnulfstr. 26 (Sprechstunden l Ohr),
fQr Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrssse 2'i.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 14. 8. April 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag bdiUt sidi das anaschUessliche Recht der Vervielffiltignng und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrige vor.
Originalien.
Aus der Chirurgischen Universitätsklinik in Berlin.
Versuche über nichtoperative Behandlung von Ge¬
schwülsten, mit besonderer Berücksichtigung der
„Proteinkörpertherapie“*).
Von Prof. August Bier. ^
Ich habe einige Male kurze Mitteilungen gemacht über die Behand¬
lung von Geschwülsten mit Bluteinspritzüneen. besonders solche mit art¬
fremdem Blute, die ich seit dem Jahre 1900 ausübe'). Ich erkläre
vorweg, dass ich damit keinen einzigen Fall von bösartiger Geschwulst
dauernd geheilt habe, also keinem inoperablen Krebskranken rate, sich
in meine Behandlung zu begeben, und keinem Arzt, mir einen solchen
Fall zuzuschicken.. Dies betone ich zu meinem Schutze und zum Wohle
der Krebskranken, denen ich bittere Enttäuschungen ersparen möchte.
Denn leider bemächtigt sich, wie ich aus früheren Erfahrungen weiss,
die sensationsbedürftige Tagespresse solcher Mitteilungen, die sie ge¬
wöhnlich nicht verstanden hat. und dann wird man, wenn man auch aus¬
drücklich erklärt hat, keine dauernden praktischen Erfolge aufweisen zu
können, von Krebskranken überlaufen oder mit Anfragen überschüttet.
Ich erkläre ferner, dass ich auch kein „Material*’ zu Heilversuchen
benötige, denn leider ist dies in unserer Klinik nur allzu gross.
Ich erkläre schliesslich, dass ich, abgesehen von wenigen Haut¬
krebsen, nur inoperable Fälle so behandelt habe, an denen nichts zu
verlieren und nichts zu verderben ist. Denn immer noch ist zur wirk¬
lichen Heilung der Krebse die möglichst ausgiebige Operation das
weitaus beste Mittel. Deshalb gehöre ich zu den radikalsten Krebs¬
operateuren, und es dürfte wohl kaum eine Klinik in Deutschland geben,
an der mehr oder auch nur ebensoviel Krebse operiert werden, wie an der
unsrigen. Das.hindert mich nicht, die operative Behandlung der Krebse
für höchst minderwertig zu halten, denn in der übergrossen Mehrzahl
der Fälle folgt ihr schnell der Rückfall. Wir dürfen deshalb nicht müde
werden, nach einem besseren nichtoperativen Verfahren zu suchen. Wir
Chirurgen haben sogar ein persönliches Interesse daran, dass dies gelingt,
so wie es bei der Tuberkulose bereits in vollstem Masse gelungen ist.
Denn es könnte der sonst so erfolgreichen Chirurgie nur nützen, wenn
ihr die verstümmelnden Krebsoperationen mit ihren' bescheidenen
Erfolgen abgenommen würden. Ich würde der erste sein, der das Messer
aus der Hand legte, wenn ich ein auch nur annähernd so gutes anderes
Mittel wüsste.
Wenn ich mich nun wieder zu der in der Ueberschrift gestellten
Frage, und zwar ausführlicher äussere, so geschieht dies nicht, weil ich
wirkliche Erfolge^ auf zuweisen habe, sondern aus folgenden Gründen:
1. Es besteht kein Zweifel, dass bei dem Interesse, dessen sich jetzt die
„Proteinkörpertherapie“ erfreut, man sie bald an vielen Orten auch den
bösartigen Geschwülsten wird zuteil werden lassen. Da dürfte es immer¬
hin v(ichtig sein, die Erfahrungen und Ansichten eines Arztes zu kennen,
der sich seit 20 Jahren damit beschäftigt hat. Vor allem dürften seine
Misserfolge vor Ueberschätzung und Verallgemeinerung des Verfahrens
schützen. 2. Trotz dieser Misserfolge kann ich aber Tatsachen mit-
teilen, die zu der Hoffnung berechtigen, dass man auf dem von mir
beschrittenen Wege vielleicht doch noch elrnnal etwas erreicht.
Auch auf die bösartigen Geschwülste reagiert der Körper mit Ent¬
zündung und auf Sarkome zuweilen mit hohem Fieber. Bei geschlossenen
Karzinomen kommt das letztere sehr selten vor. So sah ich in einem
Feldlazarett einen Soldaten, welcher das Karzinomditer noch nicht er¬
reicht hatte, der unter der Diagnose „Sepsis“ geführt wurde. Er war
angeblich akut erkrankt und ging schnell unter rätselhaften „septischen**
Erscheinungen mit hohem Fieber zugrunde. Ein pathologischer Anatom
von Fach sezierte den Mann und fand eine ungeheure frische Aussaat
von Karzinommetastasen in den verschiedensten Organen, besonders in
•) Zwischen dieser Arbeit und der in Nr. 6 dieses Jahrganges dieser
Wochenschrift von mir veröffentlichten besteht ein enger Zusammenhang.
Deshalb sollte jeder, der diese liest, vorher die erstere durchsehen.
a) Ueber die Transfusion von Blut usw. Diese Wochenschrift
1901 Nr. 15. b) Beeinflussung bösartiger Geschwülste durch Einspritzung
von artfremdem Blut. D.m.W. 1907 Nr. 29. — c) Demonstration zur Krebs¬
behandlung. Zbl. f. Chirurgie 1914 Nr. 49. d) Tagung der D, Ges. f. Gyn.
1920. e) Siehe ausserdem die Arbeit von Sticker aus unserer Klinik: Die
Behandlung bösartiger Geschwülste durch Atoxyl und fremdartiges Eiweiss.
B.kl.W. 1908 Nr. 30.
Nr. 14.
Digitizetf by
ugle
I den Knochen, dagegen keinerlei Veränderungen, die auf eine Sepsis
schliessen Hessen. Wo das primäre Karzinom sass, erinnere ich mich
‘ nicht mehr. An Karzinom hatte niemand gedacht.
Beim Karzinom finden wir in der Regel unerhebliche chronische
I Entzündung, die wir hier mehr an ihren morphologischen als an ihren
! physiologischen Erscheinungen erkennen. (Gefässneubildung, Infiltration
mit Rundzellen, oft narbenartiges Bindegewebe). Häufig dürften wir die
Stärke der Entzündung, die sich in der Tiefe abspielt, unterschätzen,
denn in der Umgebung der ganz oberflächlichen Hautmetastasen des
i Brustdrüsenkarziiioms, die den Panzerkrebs einleiten, beobachtet man
oft heftige erysipelartige Rötung.
Getreu meinem Grundsätze, jede Entzündung einmal unter dem Ge¬
sichtspunkte einer heilsamen Reaktion des Körpers gegen irgendwelche
Schädlichkeiten zu betrachten, habe ich denn auch frühzeitig Karzinom
und Sarkom mit Stauungshyperämie behandelt, um so mehr, als wir
wissen, dass die heftige akute Entzündung des Erysipels selten
bösartige Geschwülste geheilt, oft erheblich vorübergehend rückgebildet
hat. Ein Karzinom der Hand besserte sich nicht, zwei Sarkome der
Glieder verschlimmerten sich unter der Stauungshyperämie. Glück¬
licher als ich war mein Schüler Ritter*), der bei inoperablen Ge¬
schwülsten die Hyperämie mit grossen Schröpfköpfen herstellte, 10 Fälle
von inoperablen Sarkomen und Karzinomen besserten sich darunter
ganz erheblich; mikroskopisch fand sich anstelle der früheren Karzinom¬
massen Granulationsgewebe mit spärlichen Krebszellen. Vor allem aber
gelang es Ritter, ein grosses inoperables Sarkom der Schulter ledig-
^lich durch Hyperämie vollständig zu heilen und, was die Hauptsache ist,
die Dauerheilung 10 Jahre später noch festzustellen. Der Geheilte hatte
den Krieg mitgemacht und war inzwischen Vater von 7 Kindern ge¬
worden. Die Geschwulst ging in diesem Falle allmählich zurück, ohne
sichtbare Nekrose und Erweichung.
Im Jahre 1900 fing ich an, inoperable bösartige Geschwülste mit
Transfusion von artfremdem Blut zu behandeln, von der ich mir mehr
Erfolg versprach, als von der physikalischen Hyperämisiening. Der
erste Fall bleibt mir unvergesslich; er hat mich trotz vieler Misserfolge
immer wieder zum artfremden Blute zurückgreifen lassen: Ein Knabe litt
an gewaltigen Sarkomgeschwülsten im Bauche. Die Transfusion von art-
jremdem Blut verursachte Schüttelfrost, hohes Fieber und ein so
schnelles Schwinden der Geschwülste, wie ich es in ähnlicher Weise
nur noch durch Röntgenlicht bei lymphatischen Neubildungen gesehen
habe. Auch der Ausgang war derselbe, wie man das bei dem schnellen
Schwunde der letzteren durch Röntgenlicht zuweilen beobachtet hat,
der Kranke ging an Vergiftung durch die schnelle Resorption der auf¬
gelösten Massen zu Grunde.
Etwas Aehnliches sah ich bei der Transfusion von Blut niemals
wieder. Zwar verkleinerte sich unter Fiebersteigerung und unter ge¬
ringen Reaktionen eineAnzahl der Geschwülste unerheblich, jauchte nicht
mehr, sonderte nur wenig ab und reinigte sich, aber sie besserte sich
sonst nicht wesentlich. Andere reagierten überhaupt nicht Vorüber¬
gehende Besserungen des Allgemeinbefindens, die ich beobachtete, er¬
klären sich durch die Wirkungen der Transfusion, die ich in der vorigen
Arbeit schilderte. Noch weniger wirkten subkutane oder intramuskuläre
Einspritzungen von Blut, die fern von der Geschwulst gemacht wurden.
Es musste schon kräftiger vorgegangen werden, um Reaktionen
hervorzumfen und die chronische Entzündung des Karzinoms in eine
akute zu verwandeln. Deshalb spritzte ich das artfremde Blut teils
in die Umgebung der Geschwulst, teils in diese selbst. Es verursacht
eine ausserordentlich heftige Entzündung am Orte der Einspritzung, die
sich mit der weiteren Anwendung verstärkt, wenn man dieselbe Blut¬
art gebraucht Die grösste Wirkung erzielt man mit Schweineblut“).
Will man mildere Entzündungen haben, so muss man bei den Wieder¬
holungen der Einspritzung mit den Blutarten wechseln.
Die Reaktion, die ich hier vor allem erzielen wollte, ist die Ein¬
schmelzung. In meinem Buche „Hyperämie als Heilmittel** habe ich
darauf hingewiesen, dass schon jede Hyperämie erweicht auflöst und
resorbiert. Besonders gilt das aber von der Entzündung. Eine ihrer
*) Ritter: Zur Behandlung inoperabler Tumoren mit künstlicher Hyper¬
ämie. M.m.W. 1907 Nr. 43. — Derselbe Titel. M.m.W. 1917 Nr. 36.
“) Auch mit dem Blute junger und kräftiger Menschen, das ich öfters an¬
wandte, erreichte ich zuweilen starke Reaktionen, und zwar auch mit wenigen
Kubikzentimetern, während grosse Mengen (100—190 ccm) zuweilen nur
unerhebliche Entzündungserscheinungen machten. Alle die Blutarten, die ich
verwandte, waren defibriniert, bis auf Hundeblut, das ich aus der V. jugu-
laris mit der Spritze entnahm und unmittelbar dem Menschen einspritzte. Die
Wirkungen waren bei allen Biutarten im wesentlichen gleich.
Original from ^
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
416
Münchener medizinische wocHEMscHfiiFT.
Nr. 14.
Reaktionen ist die ausserordentlich gesteigerte Fermentwirkung, die
man in erster Linie den am Entzündungsherd massenhaft angesammelten
Zellen zuschreibt. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass daneben auch
das artfremde Blut selbst auflösend auf Karzinomzellen, wie auf rote
Blutkörperchen wirkte, was später angestellte Reagenzglasversuche als
richtig erwiesen haben. Ausserdem gew'ann ich den Eindruck, dass
in die mächtige Zytolyse, die das eingespritzte Blut erfährt, die Kar¬
zinomzellen miteingeschlossen werden, denn Serum ohne Blutkörperchen
oder Hydrozelenflüssigkeit, die ich auch verwandte, wirkt viel weniger.
Die Hauptauflösung besorgt natürlich der Körper. Das Karzinom, das
trotz seiner Abkunft von den Zellen des Erkrankten eirten Fremdkörper
im menschlichen Leibe darstellt, muss aufgelöst und zerstört und seine
gelösten Teile und Trümmer müssen teils resorbiert, teils durch Phago¬
zytose beseitigt werden. Wie dies geschieht, beschrieb ich 1907 *) in
der Wiedergabe einer anatomischen Untersuchung Ribberts, die er
in einem Falle von geschwürigem Karzinom, das ich mit vier Ein¬
spritzungen von Schweineblut behandelt hatte, ausführte. Das Karzinom¬
gewebe war bis auf spärliche Reste geschwunden und durch reich-,
liches üranulationsgewebe mit sehr starker entzündlicher Zellinfiltration
ersetzt, ln einer ganzen Reihe von Fällen, die fortlaufend im patho¬
logischen Institut in Bonn untersucht wurden, wurden ähnliche mikro¬
skopische Befunde gemacht. Es fiel auf, dass sich die Entzündung fast
ganz auf die Geschwülste beschränkte und das benachbarte Binde¬
gewebe nur wenig ergriff. Ganz ähnliche Bilder sah Ritter bei
seinen mit Hyperämie behandelten Fällen und fanden andere bei Kar¬
zinomen, die mit Röntgenlicht behandelt waren.
In neuerer Zeit hat A s c h o f f ®) den Versuch gemacht, die Auflösung
von nökrotischen und fremdartigen Stoffen und die nachfolgende Regenera¬
tion im Entzündungsherd von der entzündlichen Reaktion zu trennen. Dem
kann ich mich nicht anschliessen. Wie ich schon in der ersten Arbeit er¬
wähnte, rechne ich alles Aktive zur heilenden Entzündungsreaktion. Wenn
auch auflösende Fermente unbelebte Stoffe sind und sich im Entzündungsherd
mindestens zum grossen Teile durch Zerfall von Zellen bilden, so ist doch
jede Fermentwirkung an lebende Zellen gebunden und eine Funktion dieser
Zellen also ein aktiver Vorgang.
Dasselbe gilt von der Aufsaugung des Aufgelösten und Zerstörten, das
teils von den Qefässen, teils von den Phagozyten besorgt wird und mehr
noch vom Wiederaufbau. Also auch hier sehen wir, wie überall bei den
Entzündungsreaktionen, eine ausserordentliche Steigerung normaler Zell¬
funktionen.
Noch in einer zweiten Art wurden Karzinome durch das artfremde
Blut beeinflusst: sie wurden fast in ganzer Ausdehnung nekrotisch. Das
hat u. a. seinen Grund in folgendem: Dem Fremdkörper Karzinom^
fehlen die normalen Körperfunktionen. Besonders habe ich das für die''
Qefässe der Geschwülste vor mehr als 20 Jahren auseinandergesetzt®).
Sie sind physiologisch und anatomisch minderwertig. Was normale
Gewebe und Gefässe zu der erhöhten Entzündungfunktion reizt, kann
die kranken karzinomatösen töten. Dasselbe sieht- man ja auch bei
Röntgenbestrahlungen. Hier hält man die akute Nekrose für schädlich,
weil sie sich nicht auf die Geschwulst beschränkt, sondern auch auf die
normalen Gewebe übergreift und so die gefährlichsten Zerstörungen her-
vorrufen kann. Das kommt bei blossen Bluteinspritzungen nicht vor.
Die Papierknappheit zwingt mich, mich auf diese Andeutungen zu
beschränken und auf meine mehrfach erwähnte Arbeit vom Jahre 1907
hinzuweisen. Ich füge aus dieser Zeit nur hinzu, dass ich ein ober¬
flächliches Kankroid des Gesichts danach heilen, ein zweites der Hand
sich „überhäuten“, dann aber wieder zerfallen sah. Diese „Ueber-
häutung“ ging so schnell vor sich, dass man den Eindruck bekam, die
Karzinomzellen wandelten sich in Epidermis um.
Ich hatte genug Erfahrungen gesammelt, um einzusehen, dass Blut¬
einspritzungen allein bösartige Geschwülste nicht heilen. Deshalb ver¬
band ich sie schon im Jahre 1907 mit der Röntgenbehandlung, hatte
aber, wohl hauptsächlich wegen der damals noch schlechten Technik
und zu kurzer Bestrahlungsdauer keine Erfolge.
Dagegen stellte ich am 27. VI. 1914 in der Berliner Gesellschaft
für Chirurgie folgenden Fall vor^):
Ein *17 Jähriger Mann hatte nach zweimaliger Operation eines Mandel¬
karzinoms eine ungeheure rückfällige Geschwulst bekommen, die sich aussen
vom Jochbein bis auf den Hais erstreckte und innen Gaumen, Zunge, Mund¬
boden ergriffen hatte, die mit blumenkohlartigen Gewächsen besetzt waren.
Aus dem Munde, der wegen Kieferklemme nur wenig geöffnet werden konnte,
floss stinkende Jauche. 5 Einspritzungen von je 10 ccm Schweinehlut in Ver¬
bindung mit Röntgenbestrahlungen Hessen die grosse Geschwulst vollkommen
verschwinden. Der Krieg unterbrach die Behandlung und die Beobachtung.
Der Mann starb am 1. IV. 1915 an der rückfälligen Geschwulst, die zu einer
tödlichen Blutung aus dem Munde geführt hatte.
Der Fall ist grundsätzlich wichtig, denn grosse Karzinome im
Munde und am Mundboden bessern sich niemals und verschlimmern sich
eher durch Röntgenlicht. Hier aber ging durch die Verbindung dieses
Mittels mit Bluteinspritzung eine Geschwulst von so grosser Ausdehnung
und Schwere, wie man sie sich kaum als verträglich mit dem Leben
des Trägers vorstellen kann, vollkommen zurücH. An der grundsätz¬
lichen Bedeutung dieses Falles ändert auch der Umstand nichts, dass die
Geschwulst möglicher- oder sogar wahrscheinlicherweise bei fort-
*) Bier: Beeinflussung bösartiger Geschwülste durch Einspritzung von
artfremdem Blut. D.m.W. 1907 Nr. 29.
®) A sc ho ff: Weshalb kommt es zu keiner Verständigung über den
Krankheits- und Entzündungsbegriffen? B.kl.W. 1917 Nr. 3.
•) Bier: a) Die Entstehung des Kollateralkreislaufes. Virch. Arch. 147.
1897. S. 470. — b) Beobachtungen über Regeneration am Menschen. XX. Ab¬
handlung. Regeneration der Gefässe. D.m.W. 1919 Nr. 41 u. 42.
^ Bier: Demonstration zur Krebsbehandlung. Zbl. f. Chir. 1914 Nr. 49.
Digitized by Goi-isle
gesetzter Behandlung auch wiedergekommen wäre, denn noch niemals
dürfte ein so gewaltiges und bösartiges Karzinom (Mund!) auch nur
vorübergehend zum Schwinden gebracht sein.
Der Krieg unterbrach die Versuche; sie wurden erst im Jahre 1919
In folgender Weise wieder aufgenommen: Es wurde eine einmalige Ein¬
spritzung von 30 ccm Blut (meist Schweineblut) teils um, teils in die
Geschwulst vorgenommen und am nächsten oder an einem der nächsten
Tage eine einmalige Intensivbestrahlung nach Seitz und Wintz hfn-
zugefügt.
Behandelt wurden 7 Fälle von schweren inoperablen Karzinomen (davon
6 rückfällig). Sämtliche Kranke sind gestorben. Bei zweien hatte die Be¬
handlung nur geringe, bei den iübrigen ganz gewaltige Wirkungen. Nach
ausserordentlich heftigen Entzündungs- und Fiebererscheinungen zerfielen vier
der aufgebrochenen Geschwülste sehr schnell. Die Geschwüre reinigten und ver¬
kleinerten sich und schienen sich in bester Verheilung zu befinden. Ihr wall¬
artiger Rand verschwand. Verhärtungen wurden weich. Bald (also nach
einer gewissen Latenzzeit) aber stellten sich neue weitgehende Nekrosen ein,
die im Gegensatz zu den früher gemachten Erfahrungen auch das gesunde Ge¬
webe der Umgebung ergriffen. Vor allem aber entstanden chronische Ver¬
giftungen mit langdauernden Fiebersteigerungen und Schweissen. Es war
ein anderes Bild, als man bei den akuten Vergiftungen nach schnellem Schwin¬
den grosser lymphatischer Geschwülste durch Röntgenlicht sieht. Scheinbar
handelte cs sich um ähnliche Zustände, wie sie Schittenhelm und
Weichardt'*) bei Versuchstieren durch intravenöse oder subkutane Ein¬
spritzungen giftiger Eiweissspaltprodukte erzielten und als „proteinogene
Kachexie“ bezeichneten. Da wir diese Zustände weder nach der einfachen
Bluteinspritzung noch nach dieser in Verbindung mit der alten allmählich
und weniger stark wirkenden Röntgenbestrahlung beobachteten, so muss die
Intensivbcstrahlung erst die giftigen Körper freigemacht haben. Wahrschein¬
lich stammen diese mindestens grösstenteils aus dem zerfallenden Geschwulst¬
gewebe.
Anders verhielt .sich der fünfte Fall von rückfälligem Brustdrüsen¬
krebs: 50 jährige Frau. Befund vom 9. III 20: An Stelle der amputierten
Brustdrüse mächtige harte Geschwulst der Brustwand; in ihrer Mitte ein
9^ : 4 cm messendes Geschwür mit harten wallartigen Rändern. 2. ln
der Unterschlüssclbeingrube harte Geschwulst von 5 cgi Durchmesser, die
die Haut vorbuckelte. 3. Handgriff des Brustbeins durch eine Geschwulst
stark aufgetrieben. 4. Zahlreiche Hautmetastasen in der Umgebung mit teils
rotem, teils bläulichem Hofe. 9. 111.: Bluteinspritzung. 10. III.: Intensiv¬
bestrahlung. Auch diese Frau verfiel stark unter dauernden Fiebersteige¬
rungen und täglich sich einstellenden massenhaften Schweissen. Am 26. IV.
meldet die Krankengeschichte, dass alle Geschwülste vollständig verschwun¬
den sind und das Krebsgeschwür gut vernarbt ist. Man hatte den Eindruck
der völligen örtlichen Heilung. Das Befinden.der Frau besserte sich, obwohl
Fiebersteigerungen und Schweisse anhielten. Ende Mai aber entstanden im
Laufe von 10 Tagen, über die ganze Brust und die rechte Seite des Rückens
verbreitet, zahllose Hautknötchen (Panzerkrebs). Bemerkenswert ist, dass
die Stellen, die in der geschilderten Weise behandelt waren, fast frei blieben.
Die Frau wurde als hoffnungslos nach Hause entlassen und starb dort am
30. VIII. 20.
Ich betone, dass hier die ausgedehnten Geschwulstmassen ohne äusser-
lich sichtbare Nekrose und zwar auch unter schweren chronischen Vergiftungs¬
erscheinungen verschwanden, und dass dann mit einer solchen Geschwindig¬
keit ausserhalb des Bereichs der behandelten Stellen eine ungeheure Aus¬
saat des Karzinoms auftrat, wie ich es noch niemals gesehen habe.
Diese beiden Klippen, Vergiftung und Entwicklung von neuen Karzinora-
metastasen, müssen umschifft werden. Ich halte es für möglich, dass dies
unter Berücksichtigung des Arndt-Schulz sehen Gesetzes zu erreichen
ist. Es kommt hier wahrscheinlich alles auf die richtige Dosierung an. Sie
herauszufinden dürfte sehr schwierig sein und die volle Arbeit eines Mannes
beanspruchen. Einen meiner Assistenten habe ich mit dieser schwierigen
Aufgabe betragt.
Dass auch der zuletzt geschilderte Weg, einmalige grosse Blutein¬
spritzung und einmalige Intensivbestrahlung ungangbar ist. ist klar.
Ich machte zwei Versuche mit Einspritzung von Milch und ein¬
maliger Intensivbestrahlung. *
Die Reaktion war nicht so stark wie bei Bluteinspritzung. Im Uebrigen
verhielt sich der erste Fall ganz ähnlich (ungeheure Nekrose des Karzinoms,
chronische Vergiftung und Kachexie, Tod). Der zweite Fall ist bemer¬
kenswert: 62 jähriger Mann. Grosses, fast die ganze rechte Halsseite ein¬
nehmendes, fest verwachsenes, hartes Drüsenpaket. Probeexzision: Medul-
larkrebs. Primärer Herd unbekannt. 25. II. 20: Einspritzung von 30 ccm
Milch mit nachfolgender Intensivbestrahlung. Starke örtliche Entzüjidung,
Schüttelfrost, Fieber. Der Kranke entzog sich nach seiner Entlassung der <
Beobachtung. Am 31.1. 21 kehrte der Mann zurück. Geschwulst keinesfalls
grösser als vor einem Jahr. Der Mann gab an, dass sie sich nach seiner
Entlassung bedeutend verkleinert habe, in den letzten Wochen dagegen
wieder erheblich gewachst sei. Schwere Vergiftungserscheinungen hat er
nicht gehabt. ’
Versuche mit Kaseosan und Bestrahlung sind noch nicht abge¬
schlossen. D^ss aber das Kaseosan viel weniger wirkt als Blut, kann
ich schon feststellen.
Später ist auch von anderer Seite die Hyperämislerung bzw. die
Verstärkung der Entzündungsreaktion zur Behandlung der bösartigen
Geschwülste herangezogen, zunächst 1909 von Ch. Müller"), der
zeigte, dass man die Wirkung der Röntgenstrahlen durch Hyperämie
(Diathermie) verstärken kann, was man mit „Sensibilisierung“ des be¬
handelten Organes für Röntgenstrahlen bezeichnet. Sollte nicht die
Zersetzung des Blutes in den hyperämischen Teilen und ihre die Ent¬
zündung verstärkende Folge die Ursache dieser Sensibilisierung sein?
. ®) Schittenhelm und Weichardt: Wirkung bestimmter par¬
enteral. einverleibter Eiweisskörper. Zschr. f. Imm.Forsch. u. exp. Ther.
14. Bd. 1912.
®) Müller: Zahlreiche Abbildungen, von denen ich erwähne: a) eine
neue Behandlungsmethode bösartiger Geschwülste. Diese Wochenschrift 1910
Nr. 28. b) Tiefenbestrahlung usw. in einer neuen Anwendungsform. Fortschr.
a. d. Geb. d. Röntgenstr. 21. Bd 1. H.
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNIA
8. April 1021.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4i1
Seit dem Jahre 1910 empfiehlt T h e i 1 h a b e r ‘®) zur Behandlung
der Karzinome, und besonders vorbeugend zur Verhütung der Rückfälle
Hyperämie, die er vor allem durch Diathermie und, wie Ritter, durcii
grosse Schröpfköpfe erzeugt. Seine theoretischen Vorstellungen und
seine ßegiündungen stimmen vollkommen mit den meinigen überein.
Neu ist in der Erklärung der Entstehung der Karzinome der hohe Wert,
den T h e i 1 h a b e r auf den Blutgehalt der befallenen Organe legt. Das
Karzinom soll auf anämischem, das Sarkom auf hyperämischem Boden
wachsen. Demgegenüber bemerke ich, dass Sarkome mit Vorliebe das
gefässarme Bindegewebe ergreifen und dass bei einem der blutreichsten
Organe, der Zunge, sehr häufig Karzinome, sehr selten Sarkome ver¬
kommen und auch von ihr wieder die Karzinome aul hyperämischem
Boden, denn bei der Reizung durch einen scharfen Zahn gehen dem
an der Reizstelle entstehenden Karzinom häufig akute Entzündungen
mit Schwellnug der Zunge voran. Da Leute mit Zungenkarzinom
häufig Lues gehabt haben, wird das Zungengeschwür im Anfang sehr
häufig mit Ouecksilberschmierkur behandelt. Nichts bringt das Kar¬
zinom zu schnellerem Wachstum, als die dadurch verursachte akute
Stomatitis. In beiden Fällen überragt der Schaden des Reizes den
Nutzen der durch ihn hervorgebrachten Hyperämie.
Vor allem aber beeinflusste Ritter Sarkome wie Karzinome durch
Hyperämie günstig, und die einzige Geschwulst, die dauernd durch
Hyperämie geheilt wurde — und darauf kommt es doch schliesslich
an — war ein Sarkom, von dem Ritter ausdrücklich mitteilt, dass
es sehr blutreich war. Hyperämie ist eben ein Sammelname, der alle
möglichen physikalischen und chemischen Vorgänge in sich birgt, und
deshalb kommt es, wie ich ausführlich in meinem Buche „Hyperämie
als Heilmittel“ auseinandergesetzt habe, sehr auf die Art der Hyper¬
ämie an.
Damit will ich nichts gegen die Versuche Theilhabers sagen,
durch hyperämisierende Nachbehandlung die Rückfälle der Karzinome
zu verhindern. Im Gegenteil, ich halte sie nach seinen Erfolgen für
durchaus der Nachahmung und Nachprüfung wert. Man sollte sie dann
aber nach Ritters Erfahrung auch auf die Sarkome ausdehnen. Ich selbst
habe die prophylaktische Hyperämie und die künstlich erzeugte „asep¬
tische“ Entzündung sehr viel zur Verhütung von Infektionen geübt, aller¬
dings letztere mit sehr bescheidenem Erfolge (s. „Hyperämie als Heil¬
mittel“ S. 354).
Ich brauche wohl nach dem, was ich in meiner vorigen Abhandlung
auseinanderg'setzt habe, bloss kurz zu bemerken, dass ich die zwar nur sehr
geringen und vorübergehenden, aber nicht wegzuleugnenden Einflüsse von
allen möglichen Einspritzungen auf Geschwülste im grossen und ganzen auf
dieselbe Ursache zurückführe, nämlich auf die Erzeugung einer* entzündlichen
Reaktion im krebsig erkrankten Körperteile. Das habe ich auch im Jahre
1913 auf der Tagung der D. Ges. f. Chir. ausgesprochen**). Zu diesen
Mitteln gehören ausser den verschiedenen Seren, die man mit der Absicht,
passiv zu immunisieren, anwandte **), Bakterienproteine (Emmerich und
Scholl, C 0 1 e y), Antimeristem (M. Schmidt), Kankroin (A d a m k i e -
w i c z), Antituman (O e s t r e i c h), Cholin (Werner, E x n e r), Carben-
zym (Sticker), Organpräparate (Beatson, Bell, Gwyer, Theil-
h a b e r), Fermente (Blumenthal, Beard, v. Leyden und B e r g e 11),
Antifermente (H o f b a u e r), Kollargol (Kausch), andere Metallpräparate
(v. Wassermann), sog. pharmakologische und chemotherapeutische Mit¬
tel usw. Auch die nicht nur nach Erysipel, sondern nach den verschieden¬
sten anderen akuten Infektionskrankheiten, z. B. der Malaria, beobachteten
Besserungen bösartiger Geschwülste gehören hierher. Diese Krankheiten
machen Zersetzungen von Körperbestandteilen (z. B. die Malaria Hämolyse)
und diese wieder erhöhen die Entzündungsreaktion des erkrankten Körper¬
teiles bzw. sie machen die dort vorhandene Entzündung akut *^).
^Die Mehrzahl der Aerzte, die Röntgenbestrahlungen ausführen, ist der
Ansicht, dass diese die Karzinomzellen abtöten. Sie leiten deshalb den
ganzen Erfolg von der Möglichkeit ab, recht viel Strahlen mit geringer Schädi¬
gung der normalen Gewebe auf die Geschwulst wirken zu lassen (Tiefen¬
therapie, Intensivbestrahlung). Da die Zellen in der Regel nicht sofort nach
der Bestrahlung, sondern nach einer gewissen Latenzzeit absterben, so hilft
man sich mit der Erklärung, dass die Röntgenstrahlen die Zellen krank
machen, und auf diesem Umwege zugrunde gehen lassen. Dagegen zeigt die
ganz ähnliche Wirkung der Röntgenstrahlen, der Einspritzung von Blut und
anderen Mitteln, der blossen Hyperämisierung, dass eine gemeinschaftliche
Ursache, die heilende Entzündung, dabei mindestens eine sehr grosse Rolle
spielt. Diese gleichartige Wirkung zeigt sich im Schwinden der Schmerzen **)
*“) Theilhaber: Sehr zahlreiche Abhandlungen, von denen ich er¬
wähne: a) zur Aetiologie der Karzinome. M.m.W. 1910 <S. 848 (1. Mitteilung).
0) Zur Verhütung der Rezidive nach Krebsbehandlung. D. Zschr. f. Chir.
p5. M. 1913. c) Die Entstehung und Behandlung der Karzinome. Berlin,
bei Karger, 1914. (Zusammenfassende Arbeit.)
“) Verh. d. D. Ges. f. Chir. 1913 1. Bd. S. 41.
”) Dass ich bei den Bluteinspritzungen ausserdem auf serologische Wir-
Kungen geachtet habe, ist wohl selbstverständlich. Ich habe im Jahre 1907
auch mehrfach Blut ganz junger Kälber eingespritzt. Blut von jungen kräftigen
Menschen habe ich, wie erwähnt, auch schon benutzt, nicht gerade von Kin-
aern. was neuerdings von R o 11 i n gemacht ist. Ich habe aber niemals Rück-
öilduitgen von Karzinomen gesehen, die auf serologische oder immunisierende
Wirkungen zurückzuführen waren. Die vorübergehenden Besserungen des
Allgemeinbefindens erklären sich, wie ich schon bemerkte, ganz anders.
*0 Unter Akutmachen von chronischen Entzündungen soll man nicht
etwa verstehen, dass nun die Wirkung um so besser sei, je akuter die Entzün-
uun^ ltn Gegenteil, auch hier sind ganz bestimmte Reaktionen notwendig,
V* kann sehr schaden. Darin liegt die Hauptschwierigkeit. Nirgends
«st dm Dosierung wichtiger als auf diesem Gebiete.
) 1907 berichtete ich, dass die Einspritzung von Blut beim Karzinom
weniger schmerzstillend wirke als bei anderen schmerzhaften Krankheiten, bei
«enen ich ^e anwandte. Ich schob das auf die Umwachsung grosser Nerven
uuren die Karzinome. Aber selbst bei diesen Fällen konnte ich später eine
ausserordentliche Milderung oder Aufhören der Schmerzen nach der Blut-
einspritzung feststellen.
Digitized by Goiisle
(der Folge Jeder Entzündungsreaktion), in dem bei all diesen Mitteln immer
wieder angeführten Aufhören der Jauchung, und in der Reinigung der Krebs-
goschwüre. Vor allen Dingen sprechen die fast gleichartigen mikroskopischen
Bilder dafür, die wir bei der Bluteinspritzung, Ritter bei der Hyperämi¬
sierung und andere bei der Röntgenbestrahlung fanden. Sie alle zeigen, dass
die Krebszellen unter dem Einflüsse einer gewaltigen Entzündung zugrunde
gehen und beseitigt werden.
Immerhin beweist der Umstand, dass auch reine Bluteinspritzungen, die
die Gewebe lediglich entzündlich reizen, das Karzinom plötzlich töten können,
dass der Reiz das erstere gering, das zweite sehr stark trifft.
Die weitverbreitete Ansicht, dass man zur Zerstörung eines Karzinoms
nichts nötig habe, als es mit möglichst viel Röntgenstralilcn zu treffen, halte
ich für verkehrt. Die oberflächlich liegenden Zungenkarzinome heilen nie¬
mals darunter, obwohl man hier nicht auf die Haut Rücksicht zu nehmen
braucht und deshalb mit allergrössten Dosen Vorgehen kann; die operative
Vorlagerung tiefliegender Karzinome zum Zwecke der Röntgenbestrahlungen
hat versagt; die Erfolge, die ich beim Bestrahlen (auch bei der Inteusiv-
bestrahlung) der offenen Wunde nach Operationen von Karzinomen und so¬
gar von Sarkomen sah, bei denen wahrscheinlich Geschwulstreste zurück¬
gelassen wurden, waren kläglich. Im Gegensatz dazu sind sie beim tief¬
liegenden Uteruskarzinom verhältnismässig gut. Jene Ansicht vernachlässigt
auch die verschiedene Reaktionsfähigkeit der Menschen und der Geschwulst.
Ein Mittel gegen das inoperable Karzinom, das durch die Röntgen¬
strahlen in unverdiente Vergessenheit geraten ist. ist das Glüheisen,
besonders in der Form gebraucht, in der ich es meinen Lehrer v.Es-
m a r c h noch öfters verwenden sah. Die inoperable Geschwulst wird
gründlich ausgeschabt und der wunde Grund mit dem Glüheisen sehr
kräftig versengt. (Der gewöhnliche Thermokauter ist dafür zu schwäch¬
lich. Am besten gebraucht man dazu grosse Eisen, die .im Kohlen¬
becken angeheizt werden. Sie sind jetzt nur noch in den Handlungen
für Tierarzneikunde zu erhalten. Allenfalls kann man auch den kräftigen
Riesenthermokauter D ö n i t z’ gebrauchen, dessen Gebläse mit dem
Fusse getreten wird.) Das Verfahren wird nötigenfalls wiederholt.
Ich habe das Glüheisen niemals ganz verlassen und im Jahre 1911 auf
der Tagung der D. Ges. f. Chir. einen Fall von schwerem inoperablem Ge¬
sichtskarzinom, das die Haut, die Parotis, den unterliegenden Knochen und
Muskel zerstört und den Nervus facialis gelähmt hatte, vorgestellt *®), das
nach Ausschaben und Brennern völlig geheilt war *®). Die zur Zeit der Vor¬
stellung 78 jährige Frau hat danach noch 7 Jahre gelebt und ist im Alter
von 85 Jahren an unbekannter Krankheit gestorben.
Ich halte das Glüheisen für ein w'eit besseres Mittel gegen das
inoperable Karzinom als das Röntgenlicht. So oft .ich das letztere auch
angewandt habe, nicht ein einziges inoperables Karzinom habe ich
darunter heilen sehen*"). Die dem Röntgenlicht beim inoperablen
Karzinom nachgerühmten Vorteile, Vernarbung, Verschwinden der
Schmerzen und der Hebung des Allgemeinbefindens, besorgt das Glüh¬
eisen viel besser. Heilungen sind ja auch hier leider grosse Ausnahmen.
Auch die in der Neuzeit geübte Thermokoagulation, die bei den gut¬
artigen Blasengeschwülsten sich vortrefflich bewährt hat. ist bei der
inoperablen bösartigen Geschwulst dem oben geschilderten Verfahren
mittels des Gliiheisens erheblich unterlegen, wie ich in Fällen sah, die
ein Spezialist für Diathermie in unserer Klinik behandelte.
Dass das Glüheisen, welches bekanntlich nur sehr wenig in die
Tiefe wirkt, nicht die Ausläufer des Karzinoms völlig zerstören kann,
*•') Verh. d D. Ges. f. Chir. 1911 S. 128.
*®) Die Höhle wurde mit Borgelatine ausgefüllt. Ich habe die Ge¬
latine aus Gründen, die ich hier picht erörtern will, sehr viel zur Behand¬
lung von Karzinomen gebraucht, sowohl zur Einspritzung als auch zur
Füllung der nach der Operation von bösartigen Geschwülsten zurückbleiben¬
den Höhlen, um Rückfälle zu vermeiden. Die ersten Fälle, die ich so be¬
handelte, schienen gegen alles Erwarten dauernd zu heilen. Spät6r sah ich.
dass auch dieses Mittel versagte. Ich brauche deshalb nicht weiter darauf
einzugehen, als festzustellen, dass die Gelatine an der Heilung des be¬
schriebenen alles wohl unschuldig ist. — Nachtrag während der
Korrektur; Inzwischen ist folgender Fall zu meiner Kenntnis gekommen;
Am 7. XI. .10 operierte ich einen damals 4 Jahre alten Knaben an einem
zentralen Sarkom des linken Fersenbeins, das den ganzen Knochen bis auf
eine dünne Schale ergriffen hatte. Es war eine grau aussehende Geschwulst
(also nicht das gutartige braune Riesenzellensarkom). Der mikroskopische
Befund ist leider verloren gegangen, ich erinnere mich aber genau, dass
der pathologische Anatom ein bösartiges Sarkom annahm. Da die Amputation
nicht erlaubt war, schabte ich die Geschwulst .sehr sorgfältig aus, füllte die
Höhle mit Gelatine und nähte die Haut darüber dicht zusammen. Im Februar
1921 erfuhr ich durch eine Anfrage der Lebensversicherung, dass der Mensch
noch lebt. Ein in der Heimat des Operierten ansässiger Chirurg untersuchte
ihn auf meine Bitte. Er fand einen vollkommen gebrauchsfähigen Fuss und
normale Formen bis auf eine haselnussgrosse, sich knorpelig anfOhlende
Schwellung am Ansatz der Achillessehne, über der die Haut leicht verhornt
ist. Im Röntgenbilde, das am 1. III. 21 angefertigt wurde, sieht man, ab¬
gesehen von einigen kleinen Fehlern der äusseren Form, ein durchaus voll¬
kommenes Regenerat des Knochens.
*^ Von operablen Krebsen habe ich, abgesehen von oberflächlichen Kan-
kroiden der Haut, nur einen einzigen heilen sehen. Es handelte sich um
einen meiner Meinung nach völlig sicheren, wallnussgrossen Scirrhus mammae
bei einer sehr mageren 64 jährigen Frau, die jede Operation ablehnte. Die
Geschwulst verschwand nach 3 Serien von je 6 Röntgenbestrahlungen und
kehrte bis zu dem 6 Jahre später erfolgten Tode (Schlaganfall) nicht wieder.
Einen ganz ähnlichen Fall, der möglicherweise auch geheilt ist, habe ich
noch in Beobachtung. Bemerkenswerterweise handelt es sich hier um Brust¬
drüsenkrebse, deren Rückfälle und Hautmetastasen ja auch die einzigen sind,
die wir mit einiger Sicherheit durch Röntgenlicht beseitigen können. N.ach den
Erfolgen der Gynäkologen sind ja offenbar die Karzinome der spezifisch
weiblichen Organe, besonders des Uterus, leichter zu heilen, als. von den
oberflächlichen, durch alle möglichen Mittel zu beseitigenden Hautkankroiden
abgesehen, die übrigen. Betraf doch auch die grosse Mehrzahl der durch das
Glüheisen geheilten Karzinome den Uterus. (Vergl. Lomer: Zur Frage der
Heilbarkeit des Karzinoms. Zschr. f. Geburtsh. u. Gyn. 50. Bd.)
3*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
418
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT,
Nr. 14.
ist klar. Es muss also die durch die Mittel bewirkte Entzündung die
Vernichtung der sitzengebliebenen Reste der Geschwulst besorgen. Von
alters her hat man es ja unter den „Revulsiva“ und ,J)erivantia“ für
das gewaltigste gehalten.
Neuerdings habe ich der Behandlung mit dem Glüheisen die mit
Röntgenlicht hinzugefügt. Die Zeit ist noch zu kurz, um über die Aus¬
gänge berichten zu können.
Der Frühoperation des Karzinoms widme ich wenige Worte. Die
meisten Chirurgen und Gynäkologen sehen in der Frühdiagnose und
Frühoperation dieses Leidens das einzige Heil der davon befallenen
Kranken. In diesem Glauben, den auch ich hegte, bin ich, was die
frühesten Fälle anlangt, wankend geworden. Man sieht diese ja fast
nur in der Privatpraxis und verfolgt sie auch da besser. In dieser
Beziehung will ich über folgende Fälle berichten:
1. über 3 Zungenkarzinome im allerersten Beginn.
a) 47 jähriger Arzt. Knapp haferkerngrosses Geschwür der Zunge.
Exstirpation des Geschwürs weit im Gesunden, als wäre es Karzinom.
Mikroskopische Diagnose: kein Karzinom. Daraufhin unterblieb die Aus¬
räumung der Drüsen. Ein Rückfall folgte dem andern. 3 weitere Opera¬
tionen führten nicht zum Ziele. Tod.
b) Wenig grösseres Geschwür bei einem 58 jährigen Herrn. Dieselbe
Operation. Dieselbe mikroskopische Diagnose. Trotzdem ausgiebige Aus¬
räumung des Mundbodens und des Halses von Drüsen und Bindegewebe, weil
ich die makroskopische Diagnose für sicherer hielt als die mikroskopische.
Fast augenblicklicher sehr verbreiteter örtlicher Rückfall. Tod.
c) Linsengrosses Geschwür bei einem 60 jährigen Herrn. Gründliche Re¬
sektion der Zunge und ausgiebige Ausräumung des Mundbodens und des
Halses. Binnen 4/4 Monaten Rückfall in der Zunge und im Gaumenbogen.
Vergebliche Intensivbestrahlung. Tod bereits 7 Monate nach der ersten
Operation.
.\lle 3 Geschwüre waren ganz oberflächlich.
2. Etwas über erbsengrosser Szirrhus der Brustdrüse bei einer 47 jähri¬
gen Dame, der beim Probeschnitt als solcher erkannt wurde. Schulmässige
radikale Amputation der Brustdrüse usw. Binnen weniger Monate Ueber-
schwemmung des Körpers mit zahlreichen Karzinommetastasen. Tod.
ln keinem dieser Fälle wurden Drüsenmetastasen gefunden.
3. Ich ^beobachtete mehrere Fälle von kleinen, gut operablen Scirrhus
pylori, die wegen der Stenosenerscheinungen früh operiert, und zwar aus¬
giebig reseziert wurden, weil die kurze Vorgeschichte, die fehlende Magen¬
erweiterung und das vorgeschrittene Alter den Verdacht auf Karzinom nahe¬
legten. Die Diagnose liess sich erst mikroskopisch stellen Die Operierten
erjagen .schnell auftretenden Metastasen, besonders in der Leber.
Dass ich in diesen Fällen nicht etwa schon auffindbare Metastasen (ent¬
sprechend der bekannten Erfahrung: kleine Primärkarzinome, grosse ^ind
schnell auftretende Metastasen) übersehen habe, dafür'spricht die sehr genaue
Untersuchung auf solche, die ich bei jeder Operation wegen Magenkarzinoms
vornehme. (Beschrieben in der Operationslehre von Bier, Braun,
K ü m m e 11, Chirurgie des Magens, Kapitel „Entscheidung über die Opera¬
bilität eines Magenkarzinoms“.)
Solche Fälle lassen vermuten, dass die Operationen gerade die
beginnenden Karzinome, trotzdem weit im Gesunden ausgeschnitten
wurde, verbreitet haben. Ich würde nach diesen Erfahrungen den Versuch
wagen, wenn ich wieder ein ganz beginnendes Zungenkarzinom sehen
sollte, dies mit Bluteinspritzung und Röntgenlicht zu behandeln.
Von gutartigen Geschwülsten habe ich besonders die Prostatahyper¬
trophie mit Bluteinspritzungen behandelt. J ü n g 1 i n g **) hat die bis
zum Jahre 1908 von mir behandelten 15 Fälle in seiner Dissertation
beschrieben. Trotz ziemlich befriedigender Erfolge habe ich dies Ver¬
fahren aufgegeben, weil es mit der Vervollkommnung der Prostatektomie
gegenstandslos geworden war.
Ich muss gestehen, dass meine Versuche, mit Bluteinspritzungen
und ähnlichen Mitteln inoperable Karzinome zu heilen, einen so kläg¬
lichen Erfolg gehabt haben, dass man fragen könnte, weshalb ich denn^
mit solcher Hartnäckigkeit immer wieder darauf zurückgegriffen habe.
Die Berechtigung dafür ist aber ebenso gegeben wie für die weitere
Anwendung des Röntgenlichtes bei den Karzinomen der Chirurgen
Auch damit haben wir bisher nichts erreicht. Aber, wie hier die Er¬
folge der Gynäkologen beim Uteruskarzinom, so ermutigen uns eine
Reihe von Beobachtungen, die ich im Vorhergehenden geschildert habe,
auch auf diesem Wege fortzufahren. Nur müssen wir uns bewusst
bleiben, dass es sich noch um reine Versuche handelt.
Aus der orthopädischen Klinik in München.
Die Bedeutung der Muskelhärten für die allgemeine Praxis.
(Eio Beitrag zur Lekre vom cbronlscben Muskelrheumatismns.)
Von Qeh. Hofrat Prof. Dr. Fritz Lange und
Dr. Gustav Eversbusch.
Die Arbeit von Schade über .die Myogelose in Nr. 4 der M.m.W.
veranlasst uns, jetzt schon Ergebnisse von Untersuchungen mitzuteilen,
welche sich in ähnlicher Richtung bewegten. Vorausgeschickt sei, dass
sie im wesentlichen die Richtigkeit der Mitteilungen Schades be¬
stätigen. Es gibt ganz zweifellos Muskelhärten (bisher fälschlich als
Muskelschwielen bezeichnet), die nicht auf Kontraktion einzelner Mus¬
kelpartien beruhen, sondern auch in der tiefen Narkose ebenso deutlich
bleiben, wie im wachen Zustand. Bei operativen Eingriffen war wieder-
^*) Jüngling: Ueber die Behandlung der Prostatahypertrophie mittels
Injektion von artfremdem Blut. Inauguraldissertation, Leipzig 1908.
“) Es wurden ausser Blut und Gelatine noch eine Reihe anderer Mittel
verwandt. Siehe Sticker: Die Behandlung bösartiger Geschwülste durch
Atoxyl und fremdartiges Eiweiss. B.kl.W. 1908 Nr. 30.
Digitized by Gotigle
holt Gelegenheit, solche Stellen herauszuschneiden und der mikro¬
skopischen Untersuchung zu unterziehen. Schades und unsere un¬
abhängig voneinander erhobenen Befunde beseitigen hoffentlich end¬
gültig die immer wieder ausgesprochene Vermutung, dass es sich bei
diesen Muskelhärten um Täuschungen handelt.
Was die Aetiologie dieser Muskelhärten betrifft, so sind wir zu einer
sehr ähnlichen Auffassung wie Schade gekommen.
Wir unterscheiden:
1. Muskelhärten durch akute Ueberanstrengungen,
2. Muskelhärteri durch chronische Uebermüdung,
3. Muskelhärten durch Zirkulationsstörungen, die entweder in arte¬
rieller Anämie oder in venöser Hyperämie bestehen können,
4. Muskelhärten durch Erkältung,
5. Muskelhärten durch Stoffwechselstörungen.
Unsere Untersuchungen beschäftigten sich haüptsächlich mit den
Muskelhärten durch Uebermüdung, und wir glauben, dass gerade die Ent¬
stehung der Muskelhärten auf dieser Grundlage geeignet ist, Licht in
das Dunkel des ganzen Krankheitsbildes zu bringen.
Wir beginnen mit einer Beobachtung, die ein 56 jähriger Arzt an
sich selbst gemacht hat.
Der Arzt ist nie ernstlich krank gewesen und zeigt keine Neigung zu
Rheumatismus, Zirkulationsstörungen oder Stoffwechselerkrankungen. Nach
einer zweitägigen anstrengenden Kletterei in den Bergen, die ohne vorherige
Trainieruiig unternommen wurde, empfand er starke Muskelschmerzen in den
Beinen. Dieses „Bergweh“ hatte er auch in früheren Jahren schon öfters
nach anstrengenden Wanderungen an sich beobachtet, er hatte auch früher
schon festgestellt, dass die schmerzhaften Muskelpartien sich hart anfühlten
und er hatte weiter festgestellt, dass dieses Bergweh sich mit ziemlicher
Sicherheit vermeiden lässt, wenn sofort nach der Heimkehr ein heisses Bad
genommen und eine kräftige Massage der Beine eingeleitet wird. Das jetzt
beobachtete Bergweh unterschied sich aber von den früheren Beobachtungen
dadurch, dass nicht die sonst am meisten beteiligten Muskeln, der (Juadrizeps
und die Adduktoren, am stärksten betroffen waren, sondern dass die Waden¬
muskulatur, am meisten der innere Rand des Gastroenemius und der Tibial.
post, und in zweiter Linie der äussere Rand des Gastroenemius und die
Peronaei befallen waren und dass die Schmerzen an diesen Stellen trotz Bad
und Massage nicht verschwanden, während die Beschwerden im Quadrizeps
wie früher am Tage nach dem Bade fast unmerklich geworden waren und
diese Verhärtungen im Laufe weniger Tage schwanden.
Ganz anders war der Verlauf in der Wadenmuskulatur. Die
Schmerzen waren einige Tage sehr lebhaft, so dass das Gehen eine Qual
wurde und längeres Gehen überhaupt ausgeschlossen war. Erst nach 8 Tagen
verschwanden die Schmerzen beim Gehen. Die betroffenen Muskelpartien
blieben aber noch mehrere Wochen druckempfindlich. Die Härte im Muskel
ging viel langsamer zurück. Anfangs war die harte Stelle am inneren Gastro-
cnemiusrand etwa 6—8 cm lang und 2 —3 cm dick, allmählich wurde sie klei¬
ner, nach 2 Monaten war sie etwa klemfingergross, dann wurde sie auch
weichef-, aber ein deutlicher Härteunterschied gegenüber der Mitte des Mus¬
kels besteht heute, nach 6 Monaten, noch. Anstrengende Wanderungen in der
Zwischenzeit bewirkten eine bald vorübergehende Zunahme der Härte.
Warum ist im Gegensatz zu früheren Beobachtungen dieses Mal
die Wadenmuskulatur so stark beteiligt gewesen und warum war das
Bergweh von so ungewöhnlich langer Dauer? ln der Art der Anstren¬
gung konnte der Grund nicht liegen, denn die Kletterei war nicht anders
als früher gewesen. Auch sonst Waren die Bedingungen die gleichen,
bis auf eine. Es musste auf einer Almhütte im Heu übernachtet werden.
Ablegen der Kleider war deshalb ausgeschlossen, und mit den Kleidern
blieben 48 Stunden lang etwas zu enge, ringförmige Strumpfbänder
an der Wade. Durch die anstrengende Wanderung wurden zweifellos
Ermüdungsstoffe in grossen Mengen im Muskel erzeugt, die Wegschaffung
wurde aber sehr erschwert durch das wie eine Staubinde wirkende
Strumpfband.
Damit sind die beiden Momente Ueberanstrengung und Zirkulations¬
störung, welche auch bei unserem übrigen Beobachtungsmaterial von
entscheidender Bedeutung waren, festgelegt.
Diese Muskelhärten sind Produkte von Vorgängen, die auf der
Grenze zwischen normalem und krankhaftem Geschehen im Muskelstoff-
wechsel liegen.
Jenseits dieser Grenze auf der kranken Seite finden sich ungemein
viele Muskelhärten bei den Deformitäten, sobald dieselben' übermässige
Anstrengung einzelner Muskelpartien erfordern.
Bevor auf die Palpationsbefunde eingegangen wird, seren einige
Bemerkungen zur Untersuchungstechnik vorausgeschickt:
Unbedingte Voraussetzung ist, wie auch H. Schade (1. c.) betont,
erstens eine genaue Kenntnis aller normalerweise durch die Haut hin¬
durch fühlbaren Gebilde, wie Muskeln, Sehnen, Knochenvorsprünge usw..
und zweitens volle Entspannung der Muskeln, die schon von M ü 11 e r -
Gladbach gefordert wurde. Wenn ein normaler Muskel vollkommen
entspannt ist, so fühlt man wohl eine weiche, vor dem Druck der Hand
ausweichende Masse, sie hat aber keine scharfen Grenzen und verliert
sich in die Umgebung. Eine Ausnahme machen nur der Ansatz des
M. deltoideus und des pectoral. maj. am Humerus und der Uebergang
des Gastroenemius in die Achillessehne. Die an diesen Stellen in das
Muskelfleisch eingelagerten Sehnenstränge verleihen dem Muskel eine
gewisse Härte unter normalen Verhältnissen, doch sind diese Stellen,
wenn der Muskel gesund ist, im Gegensatz zur Myogelose nicht druck¬
empfindlich.
Um völlige Entspannung zu erreichen, muäs man sich genau an
Ursprung und Ansatz der Muskeln erinnern.
Für den M. rectus femoris z. B. genügt nicht Rückenlage und Streckung
des Knies, sondern es muss auch Beugung der Hüfte gegeben werden. Der
M. gastroenemius verlangt Bauchlage, rechtwinklige Beugung des Knies und
Spitzfussstellung, der M. extensor digit. Ueberstreckung der Hand und Beuge¬
stellung des Ellenbogens. In der notwendigen Stellung muss das Glied durch
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
_ —■
S. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
419
anterselegte Kissen oder durch die Hand eines Assistenten gehalten werden.
Stets muss auch der erkrankte Muskel mit dem gesunden der anderen Seite
verglichen werden. Unerlässlich ist eine gründliche Einfettung der Haut, am
besten mit Paraffinuni liquidum. Feinere Einzelheiten des Muskelreliefs sind
nur auf diese Weise zu fühlen. Zweckmässig ist eine bimanuelle Palpation
in der Art, dass die eine Hand den Muskel fixiert, während die Finger der
anderen in den Grund- und Interphalangealgelenken leicht gebeugt über deir
Muskelbauch quer zu seiner Faserrichtung hinwegstreichen. Der Muskel soll
dabei unter den Fingern „rollen“.
Ausgesprochene Muskelhärten sind stets druckempfindlich, doch darf
man nie etwa auf den Druckschmerz allein hin die Diagnose stellen,
sondern man muss immer die Lage der Nerven im Auge behalten, um
vor Irrtümern geschützt zu sein.
1. Die durch akute körperliche Ueberanstrengung
entstandenen Muskelhärten.
Es ist längst bekannt, dass ohne vorheriges Training beim Reiten,
Turnen, Marschieren, Bergsteigen sehr schmerzhafte Muskelhärten auf-
treten können. Die Schmerzen schwinden meist sehr bald wieder. Die
Härten können aber, wie aus der mitgeteilten Beobachtung hervorgeht,
lange Zeit bestehen bleiben.
Es können auch Muskelhärten bei einer nur wenige Sekunden
dauernden, aussergewöhnlich heftigen Muskelkontraktion auftreten. Ein
Beispiel ist folgender Fall:
Eine Dame, die eine schwere Bronzevase trägt, stolpert und droht hin¬
zufallen. Durch eine blitzartige heftige Kontraktion ihrer Muskeln gelingt
es ihr, das Hinfallen zu vermeiden. Sie verspürt aber sofort heftige Schmer¬
zen in beiden Oberschenkeln und in der beiderseitigen Qlutaealgegend. Die
Untersuchung — 10 Tage nach dem Unfall — ergibt: Am unteren Rand des
M. glutaeus max. beiderseits eine daumendicke Härte. M. rectus femoris 'und
vastus externus beiderseits in ganzer Ausdehnung sehr hart und sehr druck¬
empfindlich. Heilung 10 Tage nach Beginn der Behandlung.
Solche Beobachtungen erleichtern das Verständnis für die früher
ganz rätselhafte plötzliche Erstarrung von Soldaten in der Kampfstellung,
die sie im Augenblick des Todes hatten, und sprechen dafür, dass die
akute Myogelose und die Totenstarre verwandte Zustände darstellen.
Selbstverständlich hönnen durch heftige Kontraktionen der be¬
schriebenen Art auch Blutungen in den Muskejn ausgelöst
werden. ^ Sie sind dadurch charakterisiert, dass der Sitz der Muskel¬
härte meist in der Mitte des Muskelfleisches sich befindet, dass meist
nur ein Muskel betroffen ist und dass sehr bald nach dem Trauma eine
grünblaue Verfärbung der Haut eintritt.
Ist die durch die Blutung bedingte Härte unter einer Massagebehandlung
geschwunden, so bleibt nicht selten eine ganz umsclrriebene gerstenkorn- oder
tnandelgrosse Verhärtung dauernd zurück. Das ist wahrscheinlich die Stelle
des ursprünglichen Muskelrisses. Diese Härte beruht auf Narbenbildung und
da kann man im mikroskopischen Bilde Veränderungen erwarten, wie sie für
die vielgenannten Muskelschwielen beschrieben sind.
Port, der viele ähnliche Muskelhärten wie wir beobachtet hat (Arch
f. Orthop. u. Unfallchir. 1920 Bd. 17, 3). glaubte in allen seinen Fällen solche
Knötchen feststellen zu können und spricht deshalb von Knötchenrheuma¬
tismus. Wir fanden im allgemeinen viel grössere, dattel- bis fingergrosse
spindelförmige Muskelhärten, die kleinen Knötchen dagegen nur ausnahms¬
weise nach Traumen.
Die traumatische Myogelose betrifft aber in der Regel
mehrere Muskeln, der Sitz der harten Stellen ist mit Vorliebe am
Ursprung und Ansatz oder am Rand des Muskels und, wenn beide
Seiten betroffen sind, an ganz symmetrischen. Stellen. Wahrscheinlich
erklärt sich diese Lokalisation aus einer schlechteren Gefässversorgung
des Muskelfleisches an den genannten Stellen. Blutungen in der Haut
und im Fettgewebe fehlen zunächst, sie treten aber nach der ersten
Massage fast stets in ausgedehnter Weise auf.
Dass Ueberanstrengung an sich zur Entstehung von Muskelhärten
führen kann, ist in höchstem Grade wahrscheinlich. Im Tierversuch
konnten wir durch lange (30—40 Minuten) andauernde Tetanisierung
eines Beines ausgedehnte Muskelhärten erzeugen, die sich genau so wie
beim erkrankten Menschen, anfühlten. Ueber die mikroskopischen Be-
lunde wird an anderer Stelle berichtet werden. J. R a n k e hat schon vor
mehr als 50 Jahren die Vermutung ausgesprochen, dass die nach Tetani-
^erung eines Muskels auftretende Härte identisch mit der Totenstarre ist
Hierher dürften auch die bei der sog. Marschhämoglobinurie
zu fühlenden schmerzhaften Mqskelhärten gehören, für die aber selbst¬
verständlich noch andere Momente neben der akuten Ueberanstrengung
ursächlich in Betracht kommen.
2. Muskelhärten nach chronischer Ueberanstren-
K u n g.
Diese Gruppe ist für die Orthopädie von der grössten Bedeutung.
Viele Deformitäten erfordern, damit der Patient sein Glied benutzen
Kann, eine übermässige Anstrengung einzelner Muskeln und deshalb
zeigen diese Muskeln sehr ausgebreitete und sehr hartnäckige Muskel-
närten.
Beim Plattfuss sind es die Supinatoren, welche ein weiteies Ein-
sinken des Gewölbes zu verhindern streben. Deshalb findet man schmerz¬
hafte Verhärtungen im M. tibialis ant. und im tibial. post, und im M. gastro-
cnemius, hier besonders am inneren Rand.
An zweiter Stelle stehen die Muskelhärten bei der nichtreponierten k o n -
zenitalen Höftgelenksluxation. Der mangelnde Halt in der
Hanne muss durch eine Übermässige Muskelarbeit ersetzt werden. Hier
werden besonders oft schmerzhafte Muskelhärten im Glutaeus maximus,
mcdius und minimus an ihrem Ursprung an der Darmbeinkante gefunden.
Auch der Tensor fasciae und der Sartorius sind häufig nahe ihrem Ursprung
an der Spina iliaca ant. sup. befallen.
Bei Jeder schmerzhaften K o x i t i s (C. tuberculosa, Malum coxae
jeniig bemühen sich die Patienten das Bein in Beugestellung zu fixieren. |
uie Folge ist, dass die Beuger des Hüftgelenkes, Tensor fasciae, Iliopsoas, I
Sartorius, Rectus femoris, überanstrengt und hart werden. Besteht gleich¬
zeitig Fixierung in Abduktion, so werden die Glutäen in Mitleidenschaft ge¬
zogen, bei Adduktion die Adduktoren.
Bei chronischen Qonitiden sind oft das untere Ende des
Quadrizeps, besonders der Rectus femoris, ferner die Ansatzpartien des Sar¬
torius und der Tubermuskeln betroffen.
Der Rückenschmerz der Skoliosen ist nach unserer Erfahrung sehr
häufig durch Muskelhärten verursacht, die sich hn Trapezius und Erector
trunci finden, und durch übermässige Beanspruchung dieser Muskeln infolge
der Verlagerung des Rumpfgewichtes entstanden sind. Durch eine rheuma-
I tische Erkrankung dieser Muskeln kann auch einmal eine Skoliose entstehen,
aber häufiger entsteht die Muskelhärte auf der Basis der Skoliose durch
Ueberanstrengung.
Eine praktisch sehr bedeutungsvolle Gruppe stellen die Muskelhärten bei
den sog. Beschäftigungsneurosen dar, beim sog. Klavierspieler¬
krampf, Schreibkrampf und ähnlichen Zuständen. Beim Klavier¬
spielen werden vor allem der Deltoideus, Brachialis internus und die Ex¬
tensoren der Hand und Finger beansprucht. In den gleichen Muskeln findet
man gewöhnlich Muskelhärten beim „Klavierspielerkrarapf“. Beim Schreiben
werden die Beuger der Finger besonders übermüdet, beim Violinspielen die
Beuger der Hand (Zabludowski, Wo 1 f f). Berechtigt erscheint
deshalb der Zweifel, ob es sich in solchen Fällen wirklich um eine rein ner¬
vöse Koordinationsstörung handelt, wie bisher meist angenommen ist.
Ein klassisches Beispiel dafür, dass Ueberanstrengung der Muskeln
Muskelhärten schafft,’bietet der Little. In den spastisch erregten Muskeln
findet man fast stets Muskelhärten, die scharf zu unterscheiden sind von den
durch Spasmen und Kontrakturen bedingten Muskelverhärtungen. Sie finden
sich an ganz verschiedener Stelle, meist im Ursprung oder Ansatz des Muskels
und heben sich in der Narkose deutlich vom übrigen Muskel ab. Wir hatten
wiederholt Gelegenheit, solche Partien bei Operationen freizulegen und der
mikroskopischen Untersuchung zu unterziehen.
3. Eine grosse Gruppe stellt der Muskelrheumatismus sensu stric-
tiori dar, die Muskelhärte als Erkältungsfolge. Die Be¬
rechtigung, an diesem klinischen Begriff festzuhalten, hat Schade
(1. c.) an Hand eines sehr grossen Materials überzeugend dargetan..
In der orthopädischen Praxis treten diese Krankheitsbilder, zu denen vor
allem die Lumbago, der „steife Hals“, vielfach wohl auch der sog.
Schwielenkopfschmerz (Auerbach) gehören, an Häufigkeit und Be¬
deutung zurück. Von differential-diagnostischem Interesse ist es, dass
wiederholt Lumbagofälle auf Grund eines positiven L a s 6 g u e sehen
Phänomens als Ischias gedeutet werden. Das Phänomen kommt hier
durch Sitz der Muskelhärte im M. glutaeus maximus oder in den Tuber¬
muskeln (M. biceps, semimembranosus, -tendinosus) zustande. Das Fehlen
der umschriebenen Druckempfindlichkeit des Nervus ischiadicus und
seiner Aeste muss in einem solchen Fall auf die richtige Diagnose hin¬
leiten. Die rheumatischen Muskelhärten beobachteten auch wir. wie
Schade, hauptsächlich am Rumpf. Bei der Lokalisation spielt wie
Schade schon hervorhebt die oberflächliche, dem Temperaturwechsel
besonders ausgesetzte Lage des Muskels eine Rolle, aber sicher sind
auch Störungen der Zirkulation bei Soldaten, z. B. der Riemendruck
des Tornisters (Trapezius, Pectoralis major!) von Einfluss. Die rheu¬
matischen Härten finden sich deshalb oft auch in der Mitte des Muskels,
nicht so ausnahmslos am oberen oder unteren Ende wie bei der Ueber-
müdungsmyogelose.
.4. Muskelhärten durch Zirkulationsstörungen.
Jede arterielle Anämie, sei sie nun durch eine Embolie der Arterie
oder durch zu enge Verbände (Ischämie) bedingt schafft eine ungemein
schmerzhafte ausgedehnte Verhärtung des Muskels. Genau so wirkt die
Behinderung des Abflusses vom venösen Blut* z. B. nach einer Throm¬
bose. Bei den leichteren Zirkulationsstörungen, bei denen eine Re¬
stitutio ad integrum erfogt handelt es sich wahrscheinlich nur um Myo¬
gelose, Schwerere Kreislaufhindernisse führen selbstverständlich zum
Untergang der betroffenen Muskelpartien und müssen, falls das Glied
überhaupt erhalten bleibt mehr oder minder ausgedehntes Narbengewebe
schaffen. Die durch Zirkulationsstörungen bedingten Muskelhärten er¬
strecken sich über das ganze von dem betroffenen Gefäss versorgte Gebiet
und sind deshalb meist viel umfangreicher als die bisher besprochenen
Formen. R. Volkmann hat schon vor langen Jahren (Zbl, t Chir.
1881, S. 801) die Vermutung geäussert dass die bei Ischämie auftreten¬
den Muskelveränderungen in Analogie zu setzen seien mit der Toten¬
starre.
5. Muskelhärten durch S t o f f w ech s el s t ö r u ngen.
Wir sind unabhängig von Schade auch zu der Ueberzeugung ge¬
kommen, dass auf der Grundlage von Stoffwechselstörungen Muskel¬
härten entstehen können, unser Material reicht aber ebenfalls wie das
S c h a d e s nicht aus, um das Krankheitsbild in bestimmter Linie um-
reissen zu können.
Was die Natur dieser Muskeihärten angeht, so vermuten wir, dass
es sich um Zustände handelt, welche der Totenstarre des Muskels sehr
nahe stehen, wenn sie nicht sogar identisch mit ihr sind. Sch ad es
kolloidchemische Untersuchungen haben das Verständnis dieser Härten
wesentlich erleichtert. Im wesentlichen handelt es sich wahrscheinlich
um eine Ueberladung des Muskels mit Uebermüdungsstoffen (Milch¬
säure etc.); sei es nun, dass sie im Uebermass erzeugt, oder sei es,
dass sie in ungenügender Weise abgeführt werden, oder sei es. dass
beide Momente Zusammenwirken.
Für die Differentialdiagnose ist vor allem wichtig, dass
nicht etwa phlebitische Zustände mit Muskeihärten verwechselt werden.
Ein solcher Irrtum könnte bei (Jer eingreifenden Behandlung geradezu
verhängnisvoll werden. Die oberflächliche Lage der thrombotischen
Vene rnacht die Unterscheidung meist leicht.
Grössere Schwierigkeiten kann die Erkennung von spezifischen
(luetischen, tuberkulösen) Muskelveränderungen, für-die ev.
Wassermann- und Tuberkulinreaktion herangezogen werden müssen.
Digitized b]
'I Go sie
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
420
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
machen. Auch an Trichinose muss gedacht werden. (Untersuchung
des Blutes auf Eosinophilie.)
Was die Behandlung angeht, so wird man bei der Gruppe 111
wegen der Emboliegefahr von jedem aktiven Vorgehen absehen, die
übrigen Formen erfordern aber eine sehr eingreifende Behandlung durch
Massage. Massage ist ein schlechtes Wort für die Behandlung, welche
notwendig ist. Der Eingriff besteht in einer unblutigen Zerreibung
der kranken Muskelpartien, man könnte von einer Gelotripsie sprechen.
W'ährend wir sonst von einer schmerzhaften Massage warnen, ist hier
ein derbes Vorgehen unerlässlich, wenn man Erfolg erzielen wMll. Einen
solchen Eingriff, der durchaus einer Operation gleichwertig zu setzen ist,
darf aber nur der wagen, der sehr genau mit den anatomischen Verhält¬
nissen des kranken Körperteils vertraut ist und deshalb ist Laienmassage
wenigstens im Anfang ausgeschlossen. Wir beginnen in der Regel mit
den üblichen zentripetalen Streichungen und gehen, wenn der Patient sich
daran gewöhnt hat, zu kreisförmigen Reibbewegungeu über, die, mit
den Fingerknöcheln ausgeführt, anfangs leicht oberflächlich verlaufen, all¬
mählich aber immer mehr in die Tiefe dringen und schliesslich sehr derb
und hart werden. Bei vielen Patienten gehen die ersten Massagen
nicht ohne Tränen ab, wer aber einmal den wunderbaren Erfolg bei einer
solchen Gelotripsie an sich selbst erfahren hat, der lässt sich alle
Schmerzen gern gefallen. Die erste Sitzung dauert 10—15 Minuten.
Am andern Tage zeigen in der Regel blaugrüne Verfärbungen der Haut
genau den Sitz der Erkrankung an. Wo der Muskel gesund ist, entsteht
auch bei der derbsten Massage keine Blutung, wo eine pathologische
Muskelhärte besteht, bleibt sie selten aus. Diese Blutung werten wir
als pathognomonisch für die Muskelhärten ein, sie zeigen, dass trotz
der geringen Veränderung im mikroskopischen Präparat schwere Ver¬
änderungen im Muskel bestehen. Ist die Reaktion nach der ersten
Massage eine sehr starke und besteht ein starkes „wundes“
, Gefühl, dann wird in den nächsten Tagen linde, massiert und erst nach
Abklingen der neuen Beschwerden wieder derber vorgegangen. Da¬
neben wird eine Diathermiebehandlung eingeleitet.
Der Erfolg der Behandlung ist ein sehr verschiedener. Myogelosen
nach aktiven Ueberanstrengungen und nach Erkältungen können inner¬
halb weniger Tage völlig geheilt werden. Die zweite Gruppe, welche
auf chronischer Uebermüdung beruht, braucht eine viel längere Behand¬
lung. Wir verlangen von diesen Patienten stets eine mehrwöchige
Aufnahme in die Klinik, da jede Uebermüdung und jede Erkältung durch
Trambahnfahrten etc. vermieden werden muss. Selbstverständlich geht
Hand in Hand mit der Behandlung der Muskclhärten die Behandlung
der Ursache der Deformation. Plattfüsse bekommen Einlagen, Koxitiden
Apparat etc. Denn das Endresultat hängt bei dieser Gruppe davon ab,
ob es gelingt, die Ursache zu beseitigen. Gelingt das nicht, so kann
man wohl die augenblicklichen lebhaften Schmerzen sehr günstig beein¬
flussen durch die Gelotripsie. Die Gefahr des Rückfalles ist aber, sobald
die Schonung, die mit dem Aufenthalt in der Klinik verbunden ist, weg¬
fällt. sehr gross.
Die Myogelose gehört zu den dankbarsten Objekten der ärztlichen
Behandlung und zweifellos eröffnet sich hier für den Arzt, der unter¬
suchen kann und die Technik der Gelotripsie beherrscht, ein ausser¬
ordentlich reiches Arbeitsfeld, das bisher zum Schaden der Patienten
den Laien überlassen war.
Das Ergebnis unserer Untersuchungen ist;
Es kommen ganz zweifellos sehr häufig Muskelhärtcn vor, die nicht
nur auf rheumatischer Grundlage, sondern auch durch Ucberladung des
Muskels mit Uebermüdungsstoffen nach Ueberanstrengung oder nacii
Zirkulationsstörungen entstehen können. Diese Muskelhärtcn lassen sich
durch massageähnliche Eingriffe (Gelotripsie) beseitigen. Ihre Bedeu¬
tung für die allgemeine Praxis ist eine ungemein grosse und deshalb
ist es ebenso Pflicht des Arztes, bei jederii ungeklärten Schmerz die
Muskeln einer genauen Untersuchung zu unterziehen, wie es heute selbst¬
verständlich ist, dass bei Husten die Lunge auskultiert und perkutiert wird.
Aus dem histologisch-embryologischen Institut München.
Vorstand: Prof. Dr. Mollier.
Experimentelle Studien zur Konstitutionslehre.
1. Die Beeinflussung minder veranlagter, schwächlicher Tiere
durch Thymusfütterung.
Von B. Rom eis.
Die ständig wachsende Zahl der Veröffentlichungen auf dem Ge¬
biete der Konstitutionslehre, die umfassenden Werke von Martins,
von Krause und von .1. Bauer und nicht zuletzt die Gründung einer
eigenen Zeitschrift für angewandte Anatomie und Konstitutionslehre zei¬
gen, wie dieses in gewissem Sinne neu erschlossene Forschungsgebiet
ständig weiteren Umfang gewinnt. Um so unangenehmer empfindet man
die Lücken der morphalogischen und physiologischen Grundlagen, die
sich durch Beobachtungen an menschlichem Material wohl erst im Laufe
von Jahrzehnten werden füllen lassen. Daraus ergibt sich die Berechti¬
gung und Notwendigkeit, auch Beobachtungen an Tieren heranzuziehen,
zudeni hier die experimentelle Forschung aus naheliegenden Gründen
in grösserem Massstab einzugreifen vermag, als es beim Menschen mög¬
lich ist. Für das Experiment bieten sich die günstigsten Verhältnisse
aber wohl bei einer Tierart, bei der grosse Mengen kräftig und schwäch¬
lich entwickelter, womöglich von einem Elternpaar abstammender In¬
dividuen zur Verfügurg stehen und ohne Schwierigkeit im Laufe des
Versuches auch überblickt werden können. Nur von Vorteil ist es, wenn
schliesslich auch die histologische Untersuchung des ganzen Tieres
ohne besondere Mühe durchführbar ist.
In all diesen Punkten erweisen sich nach meinen Erfahrungen die
Amphibien als sehr vorteilhaft. Bei der Aufzucht von Rana temporaria-
Laichballen fällt es auf, dass sich bei jedem Stamm eine gewisse Anzahl
von Tieren findet, die durch ihr Aeusseres und ihre geringe Lebensfähig¬
keit als Kümmerformen gekennzeichnet sind. Ob der betreffende Stamm
aus einem normal befruchteten, im Freien eingeholten Laichballen ge¬
züchtet wurde, oder aus einem Gelege, das erst im Laboratorium künst¬
lich befruchtet wurde, spielt dabei, wenn der letztgenannte Prozess sach-
gemäss vorgenommen wurde, keine Rolle. Man kann daran denken,
dass sich die in den inneren Schichten eines Laichballens gelegenen Em¬
bryonen schlechter entwickeln, als die an der Peripherie gelegenen, da
die letzteren sich in sauerstoffreicherer Umgebung befinden. Das trifft
vielfach bis zu einem gewissen Grade zu. insbesondere dann, wenn man
grosse Laichhallen in einem kleinen, nicht sehr geräumigen Gefäss der
Weiterentwicklung überlässt und nicht für reichlichen Wasserwechsel
sorgt. In diesem Falle entwickeln sich gewöhnlich die im Innern ge¬
legenen Embryonen langsamer und sterben sogar häufig ab. Dass dies
indessen nicht die einzige Ursache für die Entstehung von Kümmer¬
formen ist, kann dadurch gezeigt werden, dass sie auch dann auftreten,
wenn der Laich gleich nach der Befruchtung der Eier in dünne Scheiben
zerschnitten wird und diese in o^rossen, mit Wasserpflanzen reichlich
versehenen Porzellantrögen der Weiterentwicklung überlassen werden.
Auch mangelnde Futterzufuhr von au.ssen kann als Ursache für die Ent¬
stehung der Kümmerforinen nicht in Betracht kommen, da dieselben be¬
reits sehr frühzeitig erkennbar sind, zu einer Zeit, zu der die Embryonen
noch gar nicht fähig sind Nahrung per os aufzunehmen. Und auch spä¬
terhin. wenn Sorge getragen wird, dass den Tieren Nahrung reichlich
zur Verfügung steht, bleibt ein gewisser Prozentsatz minderwertig.
In gesteigertem Masse findet man die Kümmerformen in Spätlaich.
Ein Teil dieser Tiere geht sehr frühzeitig zugrunde, z. T. noch vor
völliger Entfaltung der äusseren Kiemen. Sie zeigen öfters wassersucht¬
artige Auftreibung des Leibes oder starke Aufwärtskrümmung bzw.
Einrollung des Schwanzteils. Ein anderer Teil entwickelt sich zwar
zu typischen Kaulquappen weiter, w'obei aber Entwicklung wie Wachs¬
tum immer stärker hinter jenem der normalen Tiere zurückbleibt, so dass
sich bei etwa 3 Wochen alten Tieren schon ein recht beträchtlicher
(irössenuntersclried bemerkbar macht. Die zurückgebliebenen Tiere sind
dunkel pigmentiert, der Hinterleib ist schmal, nicht so gerundet wie
bei den Normaltieren, Anlage und Entwicklung der Extremitäten ist ver¬
zögert, die Ausbildung der Fressorgane mangelhaft usw. Dem ent¬
sprechen auch Defekte in der Anlage innerer Organe. Darüber soll je¬
doch an anderer Stelle berichtet werden.
In der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um die Frage,
ob sich diese minderwertig veranlagten Tiere durch irgendwelche ex¬
perimentelle Beeinflussung vor dem Untergang retten lassen. Die
Untersuchungen Gudernatsch’Ü und eigene Versuche*) haben ge¬
lehrt, dass Verfütterung von Thymus auf das Wachstum wie auch das
Regenerationsvermögen der Kaulquappen einen ausserordentlich günsti¬
gen Einfluss ausübt. Die von Beginn der Larvalperiode an mit Thymus
gefütterten Larven übertreffen die normalgenährten Konfrontiere sehr
bald an Grösse. Dabei macht sich gleichzeitig auch ein entwicklungs¬
hemmender Einfluss geltend. In zum Teil noch unveröffentlichten Ver¬
suchen konnte ich zeigen, dass sich die w'aehstumsfördemde Wirkung
auch mit der entfetteten Trockensubstanz des Thymus erzielen lässt,
während die fett- und lipoidhaltigen Extrakte sehr starke Wachstums¬
und Entwicklungshemmung zur Folge haben. In den vorliegenden Ver¬
suchen sollte nun der Einfluss der Thymusfütterung auf die oben be¬
schriebenen Kümmerformen geprüft werden. Als Beispiel für eine
grössere Zahl von Versuchen, die alle zu übereinstimmenden Resultaten
führten, sei in Kürze das nachfolgende Protokoll gegeben.
Auszug aus dem Versuchsprotokoll von Versuch C.
T i e r m a t c r i a 1: Rana-temporaria-
Larven, die aus einem am 8. April 1920
auf dem Furchungsstadium eingebrachten
Laichballen gezüchtet wurden.
Am 2. V. werden 30 kräftige.
30 schwächliche und 30 sehr stark zurück¬
gebliebene Larven herausgesucht. Die¬
selben werden dann in folgende Gruppen
geteilt:
Gruppe la: kräftige, normale Tiere;
gewöhnliche Nahrung.
Gruppe I b; desgleichen; Thymus¬
substanz.
Gruppe II a: schwächliche Tiere; nor- (>r. ITI.
male Nahrung
Gruppe II b:
Substanz.
Gruppe III a: sehr schwächliche Tiere;
normale Nahrung.
Gruppe III b: desgleichen; Thymus¬
substanz.
Die auf Gruppe I a und b verteilten
Normaltiere (vgl. Fig. 1 Gr. I) messen bei
Versuchsbeginn durchschnittlich 18 mm Gesamtlänge.
desgleichen; Thymus-
Kig. 1. Normal entwickelte (Gr. I'.
unterentwickelte (Gr. II) u. aehr stark
unterentwickelte (Gr. III) Larven
des Versuches C, phot. am 2. V. 20
auf Millimeterpapier-lJntergrund.
(•/i der imtiirl. Grosse )
, • j , , .--T" .. Jesamtlänge. Die Extremitäten¬
anlagen sind als kleine, weissliche Knospen gut sichtbar. Die in Gruppe II a
und 1) eingeordneten Larven (vgl. Fig. 1 Gr^ II) sind im Wachstum und in der Ent-
*) 12, Arch. Entw.-Mech. 35. — H. Aineric. Journ. Anat. 45.
*) 13, Arch. Entw.-Mech. 37. — 14/15. Ebenda 40/l5. — 18. Zschr. ges.
exp. Med. 5. — 20, Naturwissenschaften 8.
Digitized by
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
8. April 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHK WOCHENSCHRIFT.
4SI
Wicklung zurflckgebliebcn; ihre Qesamtlängc betrügt durchschnittlich 14 min.
Die Extreinitätenunlagen sind nur mit der Lupe zu erkennen. Die Kümmer¬
formen der Gruppen 111 a und b (vgl. Fig. 1 Gr. 111) sind noch kleiner (durch¬
schnittliche Länge 12,0 mm). Kein einziges Tier zeigt völlig normale Verhält¬
nisse. Die Fressorgane sind nur dürftig ausgebildet, die Darmspirale nur teil¬
weise entwickelt; die Extremitäten sind noch nicht angelegt Vielfach be¬
stehen Oedeme in der Unterkiefer- und Bauchregion. Der Ruderschwanz ist
dünn, meist verkrümmt. Bei anderen zeigt die Chorda skoliotische und
kyphotische Ausbiegungen. Die Tiere sind auffallend dunkel pigmentiert.
Die Herstellung des Thymuspräparates geschieht in fol¬
gender Weise; 300 g frische Kalbsthymus werden zu Brei zerquetscht, 4 mal
mit je 1000 ccm 50 proz. Alkohols mehrere Stunden lang unter Schütteln ex¬
trahiert und die Extrakte mehrmals durch Gaze abgetrennt. Zum Filtrat w^er-
den 40 ccm einer 5 proz. Essigsäure zugesetzt, worauf ein feinflockiger, weiss-
licher Eiweissniederschlag ausfällt, der auf dem Filter gesammelt wird. Der
Niederschlag wird mit 50 proz. Alkohol gewaschen, auf Ton getrocknet und
in der Reibschale pulverisiert. Das weissliche Pulver wird bei Zimmer¬
temperatur solange mit Aether extrahiert, als das Extraktionsmittel Sub¬
stanz aufnimmt. Hierauf wird der Extrakt abfiltriert und der Rückstand
getrocknet. Die feine, pulverige, weisse Trockensubstanz wird in 1 proz.
w'ässriger Suspension zur Fütterung verwendet. Um ein Verderben der
Suspension zu verhüten, wird etwas Toluol zugesetzt, das dann aus dem je¬
weils zur Verfütterung gelangenden Extraktteil durch leichtes Erwärmen ver¬
trieben wird. Bei jeder Extraktfütterung werden für jede Gruppe 10 ccm der
Emulsion verbraucht.
Die Tiere der einzelnen Gruppen werden in gleich grossen 1000 ccm
Wasser fassenden Steingutschalen gehalten. Jeden zweiten Tag wird das
Wasser erneuert. In jeder Schale liegen einige Stengel von Elodea cana-
densis. Ausserdem werden sämtliche Gruppen täglich mit Piscidin und
wöchentlich 1—2 mal mit frischem Muskelfleisch gefüttert.
6. V. Erste Extrakttotterung
8. V. In Gruppe Ilia und b sind je 4 der schwächlichsten Tiere zu¬
grunde gegangen; in Gruppe 11 a und b je eines.
12. V. 2. Extraktfütterung.
17. V. 3. Extraktfüttcrung. Die Larven der Gruppen I b, 11 b und III b
sind merklich grösser als in den Gruppen I a, II a und III a. Besonders in
Gruppe II b und III b tritt der Unterschied sehr deutlich hervor.
18. V. Messung der einzelnen Gruppen. Dieselbe erfolgt in der Weise,
dass mit dem Zirkel in jeder Gruppe die Gesamtlänge der drei kleinsten und
der drei grössten Larven festgestellt und aus diesen Zahlen sodann der
Durchschnittwert berechnet wird. (Vgl. Tab. 1.)
Tabelle 1.
Gruppe la:
Kontrolle
Gruppe Ib:
Thymus
Gruppe II u:
Kontrolle
Gruppe ILb:
Thymus
Gruppe lila:
Kontrolle
21.4
21.5
21.5
23.8
23.9
24,4
20.5 26,8
22.5 26,8
22,8 29,6
16,1
16,2
16,8
17.8
17.9
18,2
18.5
19.5
20.5
21,2
22,1
28,0
12.5
18,1
14.5
11.6
14,8
16.2
15.1 20,0
17.1 20,0
18,7 20,4
21,5-24.0
21.9-27,2
16,4-17,9
19,5—22,1
18,4-15,2
17,1-20,1
22,7
24,5
17,1
20,8
14,8
18,6
Darnacli zeigen die kräftigen Normaltiere der Gruppe I a gegenüber
dem Stande zu Versuchsbeginn eine durchschnittliche ürössenzunahme
von 4,7 mm, während die Kümmerformen in den unbehandelten Gruppen
II a und III a 3,1 mm bzw. nur 2,3 mm gewachsen sind. Die ent¬
sprechenden Thymusgruppen weisen dagegen Wachstumswerte von
6,5 mm (Gr. I b), 6,8 mm (Gr. II b) und 6,6 mm (Gr. III b) auf. Be¬
sonders beachtenswert ist, dass die relative Zunahme bei den schwäch¬
lichsten Tieren am stärksten ist.
20. V. 4. Extraktfütterung.
24. V. In Gruppe 111 a sind drei Tiere tot. Dieselben zeigen starke
Oedeme und Verkrümmungen.
Aus jeder Gruppe werden je 2 Tiere zur histologischen Untersuchung
fixiert.
28. V. 5. Extraktfüttcrung. 3. VI. 6. Extraktfütterung. 8. VI. Messung.
(Vgl. Tab. 2.)
Tabelle 2.
Gruppe la:
Kontrolle
Gruppe Ib:
Thymus
Gruppe II a:
Kontrolle
Gruppe II b:
Thymus
Gruppe nia;
Kontrolle
Gruppe III b:
Tnymus
23.5 81.6
36,0 82,4
26.5 83,3
29,0
80,2 {
31,6
32,0
34,5
85,2
18,4
22,0
24.2 1
26,0
26,2
28.2
24,1 80,0
26,5 80,2
25,8 85,0
18,9 28.5
19.2 24,2
19,5 26,1 1
28,2 82,0
28.6 32,6
29.7 88,0
25.8-82,4
80,8-83.9
21.5-26 5
25.1-31,7
19,2-24.6
28,8-82,6
28.8
82,1
24,0
28,4
21,6
.30,6
Darnach sind die mit Thymus gefütterten Tiere durchgehends grösser
als die gewöhnlich ernährten Kontrollgruppen. Absolut am grössten sind
die Larven in Gruppe I b. Vergleicht man aber die jetzigen Masse
mit den Massen zu Beginn des Versuches, so zeigt Gruppe III b den
stärksten Einfluss.
7. bis 10. VI. Extraktfütterung am 10.. 19., 22. und 25. VI.
Am 12. VI. sind ein Tier der Gruppe II a und 2 Tiere der Gruppe III a
tot; am 14. VT. eines der Gruppe III b, am 18. VI. eines der Gruppe II a und
am 20, VI. eines der Gruppe III a. 26. VI. Messung (s. Tab. 3).
Tabelle 3.
Gruppe la:
Kontrolle
Gruppe Ib:
Thymus
Gruppe Ha:
Kontrolle
Gruppe 11 b:
Tnymus
Gruppe lila:
Kontrolle
Gruppe III b:
Tiiymus
28,5 85,4
25 5 87,1
27.2 87.8
81.4 87,4
81.5 37,5
81.6 88.6
20,6
26,0
26,2
29,0
80,1
84,5
28,0
28,8 1
80,1 1
85,0
35,6
38.1
20,5
25,0
80,0
-
32,0
83,0 '
84,5
85,0
1 86,3
1 87,0
25,4—86,6
81,5-87,8
24,8-31,2
28,9-
-86,2
26,8 —
83.6- 86,1
31,0
31,6
27,7
1 32,5 1
25,3
34,8
Die schwächlichen Tiere der Thymusgruppe II b und noch mehr die
der Thymusgruppe III b haben also die normal gefütterten, normal kräf¬
tigen Larven der Kontrollgruppe I a an Grösse nicht nur erreicht,
sondern übertreffen sie nunmehr sogar.
Am 1. VH. brechen bei zwei Tieren der Gruppe 1 b die Vorderbeine
durch. Von normal metamorphosierten Fröschen unterscheiden sich die
im übrigen kräftig gebauten Tiere äusserlich durch verhältnismässig kurze,
gedrungene Extremitäten, ein Befund, den ich bei Fütterung mit Thymus-
eiweiss häufig erheben konnte. Auffallenderweise lässt sich ähnliches auch
bei Fütterung mit Nukleoproteidsubstanzen aus Schilddrüse beobachten.
II. Extraktfüttcrung. — 3. VII, metamorphosiert ein Tier der Kontroll¬
gruppe I a.
5. VII, 12. Extraktfütterung. Gruppe 1 b: ein Tier metamorphosiert,
ebenso in Gruppe II b.
7. VII. Gruppe Hb: ein Tier metamorphosiert.
12. VH. Die Kaulquappen der Gruppe HI a und die zwei kleinsten und
zwei grössten Larven der Gruppe HI b werden photographiert und hierauf
zur histologischen Untersuchung fixiert. In Gruppe HI a lebten nur mehr
drei Tiere, in Gruppe HI b dagegen noch sechs. Wie ein Vergleich von
Fig. 2 (HI a) und Fig. 3 HH b) zeigt, haben sich die Larven der Gruppe HI b
unter dem Einfluss der Thymusfüttcrung zu sehr grossen, typisch ent¬
wickelten Kaulquappen ausgebildet, während die Tiere der normal gefütterten
Kontrollgruppe Hl a auch im günstigsten Fall noch erheblich unter der nor¬
malen Durchschnittsgrösse zurückgebielben sind. Längenmasse und Gewicht
in Tabelle 4
Tabelle 4.
Gruppe nia
Gesamt¬
länge
Rumpf¬
länge
Rumpf¬
breite
Schwanz¬
länge
Gewicht
in mg
22,0
7,5
6,0
14,5
45
25,6
9,0
6,4
16,6
65
33.4
11.4
7,0
22,0
161
Durch- 1
schnitt /
27,0
9,3
6,1
17,7
90
Gruppe III b
Gesamt¬
länge
Rumpf¬
länge
Rumpf-
breite
Schwanz-
länge
Gewicht
in mg
86,2
12,0
8,9
24,2
212
37,0
14,0
9,9
28,0
280
37,0
12,5
9,0
24,5
238
37,8
13,0
9,2
24,8
263
87,6
12,7
7,9
24,8
225
48.0
16,7
10.0
27,8
860
Durch- \
schnitt 1
38,0
13,3
9,1
24,7
268
Fig. 2. Normal gefütterte Tiere d. Gr. nia. Fig. 2. Mit d Thymuspräparat gefütterte
Phot, am 12. VII, 20. cV* der natürl. Gr.) Tiere der Gruppe ill b. Photaml2. V"II. 20.
(% der natürl. Grösse.)
Zudem zeigen alle 3 Tiere der Gruppe III a mehr oder weniger
starke skoliotische und kyphotische Verkrümmungen, die den schwäch¬
lichen Gesamteindruck der abnorm dunkelpigmentierten Tiere noch stei¬
gern. Sehr erheblich sind die Unterschiede in der Ausbildung der ein¬
zelnen Organe, die ich jedoch an dieser Stelle nur kurz erwähnen möchte.
Die larvalen Fresswerkzeuge sin.i bei den Thymustieren voll entwickelt,
bei den Larven -der Gruppe 111 a dagegen durchgehends schwächlich
ausgebildet (spärliche Papillen, schmale Lippen, wenig Hornhäkchen,
dünne Hornkiefer). Die Darmspirale ist bei III a auffallend klein und
pigmentiert. Auch die Keimdrüsen mit ihren Anhangsgebilden sowie die
Urnieren sind bei Gruppe III a sehr zurück. Die Urniere ist auf der
Seite der Skoliose schwächer entwu'ckelt als auf der Gegenseite. Die
Lungenanlagen sind bei 2 Larven noch kompakt, bei einer schwach ent¬
faltet, bei HIb dagegen durchgehends aufgebläht. Die hinteren Ex¬
tremitätenanlagen haben bei einem Tier der Gruppe III a noch die Form
ganz kleiner, undifferenzierter Zapfen (Länge bestenfalls 0,5 mm), bei
den 2 anderen sind sie etwas weiter differenziert, erreichen aber auch
hier bestenfalls nur 1.2 mm. In Gruppe III b sind sie dagegen gut diffe¬
renziert, in Oberschenkel, Unterschenkel und Fuss gegliedert und 2,5
bis 3 mm lang. Die Hautdrüsen sind bei III b unter dem binokularen
Mikroskop schon gut erkennbar, bei III a dagegen noch nicht sichtbar.
15. VH. 13. Extraktfütterung, l b; ein Tier metamorphosiert.
20. VII. 14. Extraktfütterung. 26. VH. Messung (s. Tab. 5).
Auch jetzt übertreffen die thymusgefütterten Gruppen die Kontroll¬
gruppen noch erheblich an Grösse. Das scheinbar leichte Zurückgeheii
Digitized by
Gougle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
422
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Tabelle 5.
Gruppe la:
Kontrolle
Gruppe Ib:
Tliymua
Gruppe Ha:
Kontrolle
Gruppe Ilb:
Thymus
26,6
27.4
27.5
86,2
88,0
88,9
81,0
81,8
82,0
84.2
86.2
88,0
26,0
27,0
27,0
80,1
81,2
85,0
28,0
80,0
82,4
85,0
86,8
86,7
27,2-87,7
81,6-86,1
26,7 -82,1
80,1-86,0
82,4
88,8
29,4
38,0
der Durchschnittsmasse in Gruppe I b (gegenüber Tabelle 3) erklärt sich
daraus, dass die grössten Tiere dieser Gruppe unterdessen metamorpho-
sierten. Eine entwicklungshemmende Wirkung der Thymusfütterung lässt
sich nicht feststellen. Die Tiere der Thymusgruppen sind sogar durch-
gehends weiter entwickelt, als die der Kontrollgruppen; in den Gruppen
II b und III b macht sich der in mässigem Grade entwicklungsanregende
Einfluss besonders deutlich bemerkbar, da hier die Tiere der beiden Ver¬
gleichsgruppen stark neotenisch sind.
In Tabelle 6 gebe ich eine Zusammenstellung des Durchschnitts¬
gesamtwachstums während der ganzen Versuchsdauer. Wie daraus
ersichtlich ist, tritt die wachstumsfördernde Wirkung der Thymus¬
verabreichung um so stärker hervor, je schwächlicher und kleiner die
Tiere zu Beginn des Versuches waren.
Tabelle 6.
Wachstum vom
la
Ib
Ila
nb
nia
III b
2 . V. bis 18 . V.
18 . V. bis 8 . VI.
8 . VI. bis 26 . VI,
26 . VI.
26. VI. bis 26 Vn.
t 4,7
4 - 2,2
+~ i .4
+ 6,5
+ 7,6
+ 2,6
(- 0,8)
t
+ 6,9
+ 8,7
+ 1,7 .
+ 6,8
+ 7,6
+ 4,1
+ 0,6
+ 2,8
+ 7,8
+ 8,7
+ 1,7
+ 6,6
+ 12,0
t
+ 8,2
Gesamtwachstum
+ 14,4
+ 16,6
+ 15,4 1
+ 19,0
+ 15,0
+ 26,0
Die in diesem ausführlich wiedergegebenen Versuche erhobenen
Befunde konnten auch in einer Reihe von Parallelversuchen bestätigt
werden Der Raumersparnis halbe beschränke ich mich darauf, das dabei
gewonnene Gesamtergebnis kurz in Tabellenform wiederzugeben.
(Vergl. Tab. 7.) Die Anordnung der einzelnen Versuchsabteilungen ent¬
sprach der des obigen Versuches.
Tabelle 7.
Ver¬
such
Dauer
in
Tagen
Normale Tiere
1 Schwächliche Tiere
jSehr schwächliche Tiere
Gr. la: | Gr. Ib :
Kontrolle 1 Thymus
Gr.Ua:
Kontrolle
1 Gr. Ub:
1 Tüymus
Gr. lila:
Kontrolle
Gr. mb:
Thymus
A.
B.
C. *)
D. ,
E.
60
80
85
20
60
-11,2
- 6,7
-14,4
- 5,0
H2.5
H
1
H
H
1-18,4
- 9,5
rl6,6
- 6,8
-16,8
nicht VC
+ 6,5 1
+ 18,4
-f 6,2
4- 13.8
Irhanden
+10,0
+ 19,0
+ 8,8
+ 18,2
4 11.6
+ 6,8
+ 16,0
nicht vo:
+ 18,1 1
+ 20,1
+ 18,6
+26,0
rhanden
+ 22,7
Gesamt- 1 |
Durchschnitt / |
1 +10,0
1 +12,8 1
+ 10,2
+18,9
+ 11,5 1
+ 18a
•; Siebe Protokoll,
Wie aus dem obigen Protokoll hervorgeht, hat die Thymusfütterung
auch einen Einfluss auf die Sterblichkeit, die in den mit Thymus ge¬
fütterten Gruppen erheblich geringer ist. Wie Tab. 8. in der die Ge¬
samtmortalität der Versuche A—E zusammengestellt ist, zeigt, wird sie
durch Thymusfütterung auch bei den ganz schwächlichen Tieren auf
unter die Hälfte des Prozentsatzes in der betreffenden Vergleichsgruppe
herabgedrückt. (Vergl. Tab. 8.)
Tabelle 8.
Sterblichkeit
in Versuch
Zahl der Tiere
Gr. In
Gr. Ib
Gr. II a
Gr. Hb
Gr. lila
Gr. Ulb
A.
4x16
_
nicht vorhanden
11
6
B.
6x15
1
—
4
2
9
4
C.-) ...
6x16
—
—
8
1
10
5
D.
4x16
—
1
5
2
nicht vorhanden
E.
6x20
1
—
7
4
18
6
Gesamtzahl
2
1
19
9
43
20
Prozentsatz
2,5
1,2
29,2
18,8
66,1
30,8
•) Vergl. Prot<>koll.
Das prozentuale Verhältnis würde noch günstiger, wenn man be¬
rücksichtigen würde, dass ein ziemlicher Prozentsatz der schwächlichen
l'iere bald nach Beginn des Versuches, also vor sich noch die Wifkung
der Thj^musfütterung geltend machen kann, zugrunde geht.
Durch die Versuche wird bewiesen, dass «ich unterentwickelte,
schwächliche und zum Teil mit Missbildungen behaftete Froschlarven
unter dem Einfluss von Thymusverabreichung zu kräftigen, normal aus¬
gebildeten Tieren entwickeln. In weiteren Versehen wird festzustellen
sein, welche Substanz des Thymus diese Wirkung hervorruft. Nach
dem Herstellungsgänge des zur Fütterung verwendeten Präparates
kommen Fett- und Lipoidsubstanzen nicht in Betracht. Bei dem Kern¬
reichtum des Organes wird man an Nukleoproteide (Nukleohistone) den¬
ken, die auch tatsächlich in die in Frage kommende Organfraktion über¬
gehen. Da die Substanz aber bei der Aufnahme in den Organismus vom
Darm aus sicher abgebaut wird, kommt vermutlich ein tieferes Spalt¬
produkt in Frage. Die Frage ob sich der gleiche Erfolg auch mit
analogen Substanzen anderer kernreicher Organe, wie Lymphdrüse, Milz,
Knochenmark, Pankreas. Hoden erzielen lässt, oder ob die Wirkung
organspezifisch für Thymus ist. soll bei der Fortsetzung der vorliegen¬
den Versuche gelöst werden.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Rostock.
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Martius.)
Untersuchungen bei der paroxysmalen Hämoglobinurie.
Von Priv.-Doz. Dr. Fritz Weinberg, Oberarzt der Klinik.
Donath und Landsteiner haben im Jahre 1904 eine Versuchs¬
anordnung veröffentlicht, die das Verständnis der paroxysmalen Haemo-
globinurie e frigore sehr erleichtert. Sie konnten zeigen, dass die
besondere Beschaffenheit des Blutserums der Hämoglobinuriker den
Hauptfaktor bei der Hämolyse darstellt. Das Serum dieser Kranken
enthält eine lytische Substanz, die eigene und fremde Blutkörperchen
aufzulösen vermag. Es handelt sich um ein Autohämolysin, das wie
andere Hämolysine komplexer Natur ist. Es besteht aus einem thermo¬
stabilen Ambozeptor und einem thermolabilen Komplement, das bei
56® C zerstörbar ist. Es ist identisch mit dem Komplement normaler
Sera. Der Ambozeptor wird von den roten Blutkörperchen nur in der
Kälte gebunden und ziemlich leicht in der Wärme wieder abgegeben.
Bringt man nach der Kälteeinwirkung das Blut in den Brutschrank, so
tritt Hämolyse ein. Der Versuch ist nichts als eine einfache Nachahmung
der Verhältnisse während des Anfalles in vitro 4 |nd ist gleichbedeutend
mit der Ehrlich sehen Beobachtung am abgebundenen Finger. Man
wird also das durch Kaliumoxalat flüssig erhaltene Blut oder edne
Mischung von Serum und Blutkörperchen eines Hämoglobinurikers zuerst
abkühlen und dann in den Brutschrank bringen; dann tritt Hämolyse auf.
Statt der Blutkörperchen des Kranken kann man andere Menschenblut¬
körperchen nehmen. Notwendig ist nur die Verwendung des Serums des
Kranken, da dieses die lytische Substanz enthält. Donath und Land-
Steiner haben dann im Jahre 1906 gezeigt, dass das inaktivierte
Hämoglobinurikerserum durch normales menschliches Serum (Kom¬
plement) wieder reaktiviert werden könne. Die grosse Zahl von Nach¬
prüfungen ergaben fast immer eine Bestätigung der Angabe von
Donath und Landsteiner. Man konnte allmählich eine ganze
Reihe von Fehlerquellen feststellen, die einen positiven Ausfall des Ver¬
suchs hinderten. Durch die Untersuchungen von Meyer und Emme¬
rich, Grafe und. Müller, Moro und Noda wurde der Kälte-
Wärmeversuch weiter ausgebaut. Dadurch fanden die zahlreichen nega¬
tiven Versuche anderer Autoren ihre Erklärung. Meyer und
Emmerich zeigten, dass unter Zusatz von normalem Serum zu der
Mischung von Hämoglobinurikerserum mit seinen eigenen oder normalen
Blutkörperchen der Kälte-Wärmeversuch sehr viel häufiger positiv aus¬
fällt. Die Erklärung ist, dass zu manchen Zeiten, insbesondere in den
Tagen nach dem Anfalle, das Komplement mehr oder weniger ver¬
braucht isit. Führt man nun durch Zusatz von normalem Serum das
nötige Komplement zu, so fällt der Versuch positiv aus. Grafe und
Müller sahen auf der Höhe eines besonders schweren Anfalles einen
negativen Ausfall des Kälte-Wärmeversuchs. Obwohl der Ambozeptor
bereits in genügender Menge gebunden war, trat infolge Fehlens von
Komplement Hämolyse nicht ein. Setzten sie Komplement in Gestalt
von normalem Serum zu, so fiel der Versuch positiv aus. Es wird dies
als eine Schutzwirkung des Körpers angesehen, denn durch Aufbrauch
des Komplements in der Blutbahn oder Zurückhaltung in den Geweben
wird Hämolyse gehindert. Doch entsteht sehr bald wieder neues Kom¬
plement, so dass, wie Meyer' und Emmerich nachwiesen, ein
solcher Kranker vor neuen Anfällen nicht geschützt ist Aehnliche
Schwankungen bestehen, wie Meyer und Emmerich. Grafe und
Müller, Matsuo zeigen konnten, auch im Ambozeptorgehalt
Hymans van den Bergh fand später, dass Zimmertemperatur bei
Ansetzen des Versuchs zu niedrig sei. Man muss darum Serum benutzen,
das sich im 37 ® C warmen Blut abgesetzt hat. Donath und Land-
Steiner hatten ja schon früher darauf 'hingewiesen, dass eine Ab¬
kühlung bis 15 ® C genügt um eine Bindung Ambozeptor-rote Blutkörper-
cl?en zu bewirken. Moro und No da glückte der Versuch nur, wenn
alle Substanzen, sowohl bei den Vorbereitungen wie auch bei dem Ver¬
such selbst unter einer Temperatur von 37 ® C gehalten wurden. R o s i n
konnte diese Empfindlichkeit bei der Versuchsanstellung bestätigen.
Ausserdem k<>nn ein Misserfolg auf dem Vorhandensein von antikomple¬
mentären Körpern beruhen, wie sie von Meyer und Emmerich
bei Ürämikern wiederholt im Serum festgestellt worden sind. Bei ihren
Untersuchungen an 20 Fällen stellten Kumagai und Inone fest dass
die Hemmung der Hämolyse auf zweierlei Art geschehen kann. Ent¬
weder Hemmung der Bindung der Ambozeptoren an die roten Blut¬
körperchen oder antikomplementäre Wirkung Äes Serums. Zur Ent¬
scheidung muss man das Serum nach der Bindung des hämolytischen
Ambozeptors an die roten Blutkörperchen durch Waschen mit einer
kalten Kochsalzlösung entfernen und nach Hinzufügen von Serum in
den Wärmeschrank stellen. Beruht die hemmende Wirkung in der
Bindung, so bleibt die Hämolyse bei diesem Verfahren aus. Liegt sie
in der antikomplementären Wirkung, so muss das Komplement zur freien
Entfaltung kommen. Eine weitere Fehlerquelle ist das Vorhandensein
von Isolysin. Matsuo wies sie in seinen 11 Fällen in 45 Proz. nach.
Die Isohämolyse ist ebenfalls grossen Schwankungen unterworfen. Nach
Matsuo sollen häufig die Schwankungen der Auto- und Isohämolysine
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
8. April 1921.
MÜNCHENEt^ MEDlZlNfeCHf: WOCHENSCHRIFT.
4^
parallel gehen. Die Autohämolyse wird durch Zusatz von normalem
Serum regelmässig verstärkt, die Isohämolyse nur wenig oder gar nicht.
Unter Beachtung aller dieser Fehlerquellen gelang es K u m a g a i
und Inone sowie Matsuo, bei ihrem grossen Material immer ein
positives Resultat des Kälte-Wärmeversuchs zu erzielen. Es ist also
anzunehmen, dass das Donath und Landsteiner sehe Hämolysin
konstant ist.
Jedoch ist zu betonen, dass trotz Beobachtung aller dieser Fehler¬
quellen noch in jüngster Zeit R e i s s bei einem Fall von Kältehämo¬
globinurie keinen positiven Ausfall des Kälte-Wärmeversuchs erzielen
konnte. Es ist also nicht immer die Hämolyse in vitro auszulösen und
der Prozess wird nicht durch die Annahme erklärt, dass der Ambozeptor
durch die Kälteeinwirkung aktiviert wird.
Die Untersuchungen von Donath und Landsteiner bedeuten
einen grossen Fortschritt für das Verständnis dieser eigenartigen Krank¬
heit. Die Anschauung von Donath und L a n d s t e i n e r. die diesen
Vorgang in vivo und in vitro für ganz analog erklären, scheint aber
nach einer Reihe von Beobachtungen anderer Autoren noch nicht
absolut sichergestellt zu sein. So haben Meyer und Emmerich
unmittelbar nach einem Anfall bei dem Ausfall der Donath-Land-
ste in er sehen Reaktion wegen Ko^’olementmangels dennoch in vivo
einen schweren Anfall auslösen können. Pringsheim konnte nie¬
mals bei seinem Patienten Komplement nachweisen, obwohl der Patient
mehrere .4nfälle hatte. Meyer und Emmerich vermuten, dass das
Autohämolysin nicht als die Ursache, sondern als die Folge der Anfälle
zu denken sei, als das Resultat einer Art Autoimmunisierung. Dagegen
spricht jedoch, dass bei anderen Krankheitszuständen mit Zerstörung der
roten Blutkörperchen ein Autolysin noch niemals nachzuweisen war.
Ebenso spricht dagegen das Vorkommen von Autolysin bei Luetikern
und Paralytikern, die nie einen Anfall hatten. Hymans van den
B e r g h nimmt zur Erklärung des Vorganges ein Kohlcnsäurehämolysin
an,- Er fand, dass bei defibriniertem Blut eines Hämoglobinurikers in
einer C02-Atmosphäre schon bei einer geringen Abkühlung unter 37® C
Hämolyse eintrat. Es geschah dies bei normalen Blutkörperchen nicht.
Er erklärt sich die Anfälle so, dass bei Abkühlung eines Körperteils in¬
folge der vasomotorischen Störung venöse Stase einträtc, wie es schon
M u r r i vermutete, die die für Hämolyse erforderliche Erhöhung des
COa-Qehaltes im Blute verursache. In letzter Zelt hat dann
C o r o z c h i 1 0 w die alte Theorie wieder aufgenommen, dass cie
Auflösung der roten Blutkörperchen zuCTst in den Nieren erfolge.
Während des Anfalls nahm er alle 5 Minuten Blutproben, konnte aber
in keiner von ihnen Hämoglobinurie nachweisen. Er kommt deshalb
zu dem Schluss, dass die roten Blutkörperchen in der Kälte gewisse
pathologische Veränderungen erleiden, die sich in vitro dadurch dokumen¬
tieren, dass sie Hämoglobin erst dann an das Serum abgeben, wenn sich
reichlich Hämolysin ang6sammelt hat. Im Blutkreislauf dagegen geben
sie den Farbstoff nicht ans Plasma ab, sondern werden erst in den
Nieren zerstört und verlieren hier den Farbstoff. Danach soll also bei
der paroxysmalen Hämoglobinurie eine Erkrankung der roten Blut¬
körperchen yorliegen, bedingt durch eine Veränderung der blutbildenden
Orgaiie, Vielleicht, dass hier für Kälte besonders empfindliche rote
Blutkörper(|hen gebildet werden. Wenn Ros in das Serum ganz vor¬
sichtig absetzen Hess, konnte er in vivo kein Hämolysin feststellen. Er
meint, dass jedenfalls die Menge des im Serum gelösten Hämoglobins
viel zu klein sei, um dem im Harn aufgelösten* Farbstoff zu entsprechen.
Er ist der Ansicht, dass die bei der Abkühlung erfolgte Bindung der
Ambozeptoren von den Blutkörperchen bei der darauf folgenden Er¬
wärmung leicht dissoziiert wird, ehe das Komplement zu wdrken be¬
gonnen hat. Die Blutkörperchen erleiden hier Schaden und werden in
den Nieren abgefangen. Bei der Passage der M a'Ip i g h i sehen Knäuel
tritt weiterer Zerfall ein. Ein Teil des Blutes geht in Lösung, ein
anderer zerfällt körnig und geht so in die Harnwege.
Wir haben bei einem Patienten mit typischer paroxysmaler Hämo-
globmune e frigore eine Reihe Untersuchungen angestellt, über die kurz
berichtet w'erden soll.
I • Monteur, 25 Jahre alt. Verheiratet. Frau lebt, ist gesund, hat
keine Fehl- oder Frühgeburt, keine Kinder. Als Kind Scharlach. Später
hatte er einen Unfall an der rechten Hand, als Folge Versteifung des 3 bis
o. Fingers.
f-* 1 e*” Geschwür am Penis, bekam A^om Arzt gelbes
Pulver. Nicht weiter behandelt worden. Ueber ein Exanthem weiss er nichts
auszusagen.
Am 24 Januar 1917 bemerkte Pat. morgens, dass sein Urin vollkommen
blutig war. Er ging am gleichen Tag zum Arzt, der Nierenbluten feststellte
und Stypticin verordnete. Er lag dann bis März zu Hause, nahm nur
salzarme Kost zu sich. Er will seitdem stets Blut im Urin haben, das ver¬
schwindet, sobald er warm wird. Geht er ins Freie, so tritt sofort wieder
□lut aut.
Bei der Untersuchung des mittelgrossen kräftigen Menschen finden wir
keine Abweichung der Organe von der Norm. Der Urin war bei der Auf¬
nahme frei von Eiweiss und Zucker, Diazo negativ, enthielt kein Blut. Im
Sediment einige Erythrozyten Wassermann im Blut ++++
iO r ^ mit beiden Füssen in Wasser von
/ C. Füsse sind stark bläulich-rot verfärbt, es treten darin heftige
Rücken. Er friert etwas, hat aber keinen
^ Minuten ist der Urin trübe, rötlich, Blutprobe stark
Erythrozyten, nur Epithelien und Blutkörperchen.
Minuten Unn burgunderrot, chemische und spektro-
skopische Blutprobe sehr stark positiv. Im Sediment keine Erythrozyten,
Tns Ä%eblacht “ Nach 20 Minuten wird Put.
S'!!!' Blutprobe positiv, A. —. Temperatur normal.
9.111. Urin: Blutprobe negativ.
Nr. 14
Digitized b]
13. III. Wiederholung des Kälte-Wärmeversuchs. Pat. wird mit den
Füssen 10 Minuten in Wasser von 5® C gestellt. Der Urin ist danach
noch hell, chemische Blutprobe aber schon positiv. Er klagt über heftige
Schmerzen im Rücken und Kreuz. Nach 20 Minuten ist der Urin blutigrot,
Schmerzen und Drang ii> der Blase, unangenehmes Gefühl im ganzen Körper
und Frieren, Temperatur 37,8® C.
Ein künstlicher Anfall am 23. V. ergibt das gleiche Resultat. Es trat
beim Herausnehmen der Füsse aus dem kalten Wasser ein Anfall von starker
Kurzluftigkeit auf, der 3 Minuten anbielt.
■ Pat. geht später einmal eine halbe Stunde im Garten bei kühlem Wetter
umher, darnach ins Bett und bekommt blutigen Urin.
Durch diese UntersuchunKen ist sichergestellt, dass es sich um eine
echte paroxysmale Hämoglobinurie e frigore handelt.
Bei unseren Versuchen trat Hämolyse nicht ein, auch wenn normales
Serum hinzugesetzt wird, obwohl dann, nach Meyer und Emmerich,
die Hämolyse leichter eintreten soll.
S. H.
a. k.
Er. H.
k
Physiol.
NaCl
S. N.
Eiswaaser
Hämolyse
a")
0,1 H
- 0,025
+
0,4
14 Std.
direkt
2 Std.
-r
0
b)
0,1 n
- 0,026
4-
0,4
2 Std.
0
c)
0,1 -
- 0,025
4-
0,3 4-
0,1
H Std.
direkt
2 Std.
0
d)
0,1 -
- 0,025
4-
0,8 -f
0,1
2 Std.
=
0
Versuche mit kalten Reagentien (Zimmertemperatur). Mischungsver¬
hältnis 4 (S.): 1 (Er.). S, = Serum. H. = Hämoglobinuriker. N. = von
Normalen, a. = aktiv, k. ~ kalt.
Dieser Versuch bestätigt die Beobachtungen von Donath und
Landsteiner, dass eine Bindung zwischen Ambozeptor und Kom¬
plement manchmal schon bei sehr geringer Abkühlung, z. B. bei Körper-
auf Zimmertemperatur eintreten kann. Besonders deutlich war das ja
bei der Patientin von Grafe und Müller. In allen unseren Ver¬
suchen, die wir mit kalten Reagentien ausgeführt haben (z. B. bei Nach¬
weis von Autohämolysin, Isohämolysin) fielen sie negativ aus bei Ver¬
wendung von Reagentien in Zimmertemperatur. Hymans van den
Bergh, Moro und Noda empfehlen deshalb, alle Vorbereitungen bei
einer Temperatur von 37® C zu treffen.
Hämolyse
: +
= + + +
a 0
(37® C). Mischungsverhältnis:
S. H.
w. a.
a) 0,2 -
b) 0.2 -
c) 0,2 -
d) 0,-2 -
Er. H.
w.
Physiol.
NaCl.
S. N.
Eiswasser
87' .
0,026
4-
0,3
H Std.
direkt
2 std.
0,026
-f
0,8
2 std.
0,025
4-
0,2 4-
0,1
Std.
direkt
2 Std.
0,025
4-
0.2 4-
0,1
2 Std.
Ausgeführt mit warmen Reagentien
8 (S. H.) : 1 H. Er.), w. = warm.
Es tritt hier Hämolyse ein bei Temperaturwechsel (a. c.). Danach
ist also der Donath-Landsteiner sehe Versuch positiv aus¬
gefallen und das Kältehämolysin bei unserem Patienten nachgewiesen.
Bei a ist diet Hämolyse deutlich, bei c unter Zusatz von normalem
Serum, Komplement, sehr stark. Die Verstärkung der Hämolyse durch
Zusatz von normalem Komplement wird also hierdurch bestätigt.
wii^' NuCL*’ Eiawasser 370 Hämolyse
a) 0,1 -f 0,0123 4- 0,ü5 H Std. 2 ßtd. = -f
b) 0,1 -I- 0 0125 -1- 0.55 -f 0,1 yi std. 2 Std. = -|- + +
Der Versuch zeigt, dass das Hämolysin sich im Serum des Hämo¬
globinurikers befindet. Durch Zusatz von normalem Serum wird die
Hämolyse stärker.
s. H. Er. H.
a) 0,1 + 0,0125 4-
b) 0,1 + 0,0125 -I-
rhvs'f)!.
NuCl.
0,05
0,.6
S. N. Eiawasser 37» Hämolyae
14 Std,
direkt
2 Std. = 0
2 Std. .= 0
Es geht daraus hervor, dass das Hämolysin nicht In den Blutkörper¬
chen des Hämoglobinurikers vorhanden ist und dass das als nörmal ver¬
wandte Serum kein Isolysiii enthält.
S H.
i.a.
Er. H.
Physiol.
NaCl.
S. N.
Eiswasser
870
Hämolyse
a)
0,2
4-
0,025
4 - 0,8
Std
2 Std.
=s 0 — ?
b)
0.8
+
0,025
4- 0,3
direkt
2 Std.
= 0 - ?
c)
0,2
4-
0,025
4- 0,2 4-
0,1
^ Std.
2 Std
— 4*
d)
0,2
+
0,025
4- 0.2 4-
0,1
direk'
2 Std.
= 0 — ?
i.a. = inaktiv.
In diesem Versuch ist'das Serum durch Erwärmen auf 56® C inakti¬
viert worden und damit das Komplement zerstört. Es machten Meyer
und Emmerich die Beobachtung, dass inaktiviertes hämoglobinurl-
sches Serum durch normales Serum reaktiviert wird. Der Versuch ist
mit kalten Reagentien ’angestellt worden. Durch den positiven Ausfall
der Probe c wird die Beobachtung von Meyer und Emmerich
bestätigt. Hierbei zeigte sich, dass auch bei kalten Reagentien die
Hämolyse vor sich gegangen ist. Da in diesem Falle hämoglobinurisches
Serum inaktiviert war, konnte eine Bindung zwischen Ambozeptor und
Komplement in der Abkühlung nicht vor sich gehen. Das gleiche Re¬
sultat erhalten wir, wenn wir inaktiviertes Hämoglobinurikerserum und
Erythrozyten eines Normalen zusamroenbringen und wenn wir die Ver-
j>uche mit warmen Reagentien anstellen.
Diese Versuche wurden mehrmals, sowohl vor wie nach dem künst¬
lich hervorgerufenen Anfall angestellt. Im wesentlichen stellte sich das
gleiche Resultat heraus. In der am 17. III., gleich nach dem künstlichen
Anfalle angestellten Versuchsreihe ist der dem Versuch 1 ent¬
sprechende Versuch insofern interessant, als deutlich Komplementmangel
vorhanden zu sein scheint.
s. H.
k. a.
Er. H.
k.
a) 0,1 4- 0,0125 -}- 0,65
•b) 0,1 -f 0,0125 -4- 0,66
0 ) 0,1 -f- 0,0126 4- 0,65
d) 0,1 4- 0,0125 4-
Physiol.
NaCl.
S
N.
Eiawasser
87«
0,65
X Std.
2 Std.
0,66
direkt 2 Std.
0,65
-f-
0,1
0,1
X Std.
8 Std.
- 0,56
+
direkt 2 Std.
Hämolyse
: Sri
4-
0 - 4 -
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
424
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHlENSCHRlFT.
Nr. 14.
Da kalte Reagentien verwandt wurden, konnte man atinehmen, dass
unter a der negative Ausfall darauf zurückzuführen sei. Dies ist Jedoch,
wie aus c hervorgeht, nicht der Fall; denn unter Zusatz von normalem
Serum wird die Reaktion deutlich positiv. Es. lag also bei a Komple-
mentmangef vor.
Was das Blutbild anbetrifft, so ist übereinstimmend von fast allen
Untersuchern eine deutliche Abnahme der Erythrozyten, meist durch¬
schnittlich um % Million, und der Hämoglobinmenge festgestellt w'orden.
Die Regeneration geht ungemein rasch vor sich, hauptsächlich wohl des¬
halb, weil der Zerfall der Blutkörperchen im Organismus selbst erfolgt
und das Material, wie es auch M o r a w i t z annimmt, soweit es nicht
im Urin ausgeschieden wird, dem Körper wieder zugute kommt. Bei
häufigem Auftreten von Anfällen findet man oft stärkere Anämien. P e 1
hat einen Fall veröffentlicht, bei dem eine Polyzythämie gefunden worden
ist. Senator deutet dieses Symptom als Resultat der reaktiven
Reizung der blutbildenden Organe, besonders des Knochenmarks, ver¬
ursacht durch die wiederholten Zerstörungen roter Blutkörperchen. In
der anfallsfreien Zeit wurde bei den weissen Blutköperchen von Meyer
und Emmerich, die die Verhältnisse eingehend studiert haben, eine
Lymphozytenvermehrung festgestellt. Im Anfall findet ein Lympho¬
zytensturz statt, der der Schwere der Anfälle parallel geht. Zugleich ver¬
schwinden die eosinophilen Zellen. Diese Verschiebung des Leuko¬
zytenbildes ist nach ihrer Ansicht von allgemeiner biologischer Be¬
deutung, weil sie ein Analogon zu dem bei Infektionskrankheiten be¬
schriebenen Lymphozytensturz bildet. Die Beobachtungen von Meyer
und Emmerich wurden von Benjamin und Krokiewicz be¬
stätigt. Qiroux, Lindbom, Glässner und Pick fanden dagegen
eine Lymphozytenvermehrung. In unserem Fall findet sich folgende
Blutveränderung:
Rote
Bltk.
W.
Bltk.
Sahli
F. J.
P. L.
Eos.
1
Mast
L
Mon.
Myel.
I.K. I.
•/o
%
%
10. in. anfallsfreie
Zeit . . . .
6 688 000
9800
79-90^
0,876
41,6
0,4
0,4 ■
52,8
0,8
17. in Uhr an-
fällst reieZeit kurz
vor dem Anfall .
5192 000
11044
91-114
1,107
40,0
4,0
1 1,5
58,5
17. m. 6K Uhr
während des An¬
falls ■ ■
4480 000
8889
79—90
1,011
47,0
1,0
2,0
48,5
0.5
18. m 11 Uhr vorm.
i
17 Std. nach dem
1
Anfall.
6 428 000
10 438
82-108
0.945
48,5
6,0
8,0 :
48,0
0,6
8,0
Wir sehen, dass normalerweise die Erythrozytenzahlen deutlich
erhöht sind, während des Anfalls stark herabgehen, um 17 Stunden nach
dem Anfall schon um 1 Million zugenommen zu haben. Genau das
gleiche ist mit dem Hämoglobingehalt. Der Lymphozytensturz bei
unserem Fall Ist relativ gering, dauert aber auch nach dem Anfall noch
stärker an (von 53,5 Proz. auf 48,5 Proz., 43,0 Proz.). Meyer und
Emmerich fanden einen Sturz von 34 Proz. auf 7—10 Proz. Lympho-
zyten. Die Verminderung der eosinophilen Leukozyten ist deutlich. Sehr
interessant ist das Auftreten von Myelozyten während und nach dem
Anfall. Es ist eine weitere Stütze für die Ansicht von Meyer und
Emmerich, die ja in der Verschiebung des Blutbildes eine Reaktion
des Organismus gegen die durch den Zerfall der Blutkörperchen frei ge¬
wordenen Eiweisskörper sehen.
Der Blutdruck steigt nach den Untersuchungen von Meyer und
Emmerich, Lindbom systolisch und diastolisch vor*Einsetzen des
Schüttelfrostes an, nimmt auf der Höhe des Fiebers noch etwas zu, um
im Stadium des Schweissausbruches bis zu normalen Werten herab¬
zugehen. Die Drucksteigerung ist bedingt durch die Kontraktion der
peripheren Gefässe._
Blutdruck
Vor dem
Während des
Nach dem
AnfaU
Anfalls
AnfaU
17. in.
180
150
105
28. V.
116
180 ■ 1
115
Bei unserem Patienten stieg der Blutdruck während des Anfalles,
um nachher wieder abzusinken. Er war am höchsten zurzeit der
grössten subjektiven Beschwerden.
Nach der Ansicht der älteren Autoren sollte die Resistenzverminde¬
rung der roten Blutkörperchen bei der paroxysmalen Hämoglobinurie
eine grosse Rolle spielen. Von den neueren Autoren haben Meyer
und Emmerich festgestellt, dass die hämoglobinurischen Erythro¬
zyten weniger resistent gegen wechselnde Temperatureinflüsse, ver¬
dünnte Säure- und Saponinlösungen sind als normale Blutkörperchen.
Gegen Kälte allein sind sie, wie schon Chvostek feststellte, nicht
empfindlich. Bei Abkühlung und Erwärmung und gleichzeitiger Ein¬
wirkung von Essigsäure oder Saponin werden sie ebenfalls leichter
gelöst. Eine * Resistenzverminderung im Anfall sahen Meyer und
Emmerich, Glässner und Pick, R e i s s, ebenso Pringsheim,
der aber gegen Saponin normales Verhalten fand. Keine Resistenz-
verminderiing konnten M o r o und Noda, Chorozchilow, Lind¬
bom feststellen.
Bei unserem Patienten ist die Resistenzbestimmung der roten Blut- ■
körperchen gegen hypotone Salzlösung normal (maximal 0.36, minimal
0,42). Resistenzbestimmung gegen Saponin (aus den Früchten von
Sapintus Raval) zeigt, dass eine Resistenzverminderung nicht vorhanden
ist Bs stimmt dies uberein mit Pringsheims Untersuchungen I
Digitized by Goiisle
Meyer und Emmerich fanden dagegen eine Resistenzverminderuiig
gegenüber Saponin.
Es begann in gleicher Weise bei unserem Patienten wie bei Nor¬
malen die Hämolyse bei einer Verdünnung von 1 :20 000 schwach zu
werden.
Meyer und Emmerich konnten beobachten, dass hämo-
globinurische Blutkörperchen weniger resistent sind gegen Temperatur¬
wechsel als normale. Es ist das ein Befund, tier von anderen Autoren
als sehr charakteristisch für die paroxysmale Hämoglobinurie hhigestellt
wird, von anderen dagegen bestritten wurde. Wir haben zur Prüfung
die Blutkörperchen 3 mal mit warmer physiologischer NaCl-Lösung ge¬
waschen und so ambozeptorfrei gemacht Die roten Blutkörperchen
wurden zuerst 5 Minuten ins Wasserbad von bestimmter Temperatur
gestellt und dann die Hämolyse gegen Temperaturwechsel und gegen
warm allein geprüft
Hämol
Pat. D.
yse bei
Norm. Pst.
5 Min 450
^ Std. Kiswasser
8 Std. 87«
0
0
5 Min. 450
1
direkt 2 Std. 87«
+++
+++
6 Min. 500
Std. Eiswasser
2 Std. 87» 1
+ f
+
5 Min. 50*
direkt 2 Std. 87*
0
5 Min.
k Std. Eiswasser
! 2 Std. 87*
+-1-+
5 Min; 550
1 direkt 2 Std. 87’
! +++
5 Min. 60* 1
% Std. Eiswffsser 1
1 2 Std. 37*
5 Min. 60* |
1 (direkt 2 Std. 87»
-F-f++
+ 4 -++
Wir sehen, dass abgesehen von der Erwärmung bei 50®, bei der
die Resistenz eine etwas veränderte ist keine Unterschiede bestehen.
Es stimmen also unsere Versuche mit denen von Lindbom überein,
dass die hämoglobinurischen Blutkörperchen sich sowohl bei Temperatur¬
wechsel wie gegen Wärme allein normal verhalten.
In weiteren Versuchen über die Resistenz wird festgestellt dass
keine Veränderungen vorliegen gegenüber einem Normalen und einem
Patienten mit Lues cerebri, wenn die Blutkörperchen zuerst in Eiswasser
abgekühlt dann 5 Minuten in Temperatur von 45—55® C erwärmt
werden, dann, wenn sie ohne vorhergehende Abkühlung sofort bei
Zimmertemperatur von 45—55® C gebracht werden.
Es wird 1 ccm einer 10 proz. Blutaufschwemmung von unserem
Patienten D und von Ni und N» benutzt
Pat. D 1
Nx
N,
K Std. Eiswassei*
5 Min. 450
0
0
0
Std. Eiswasser
5 Min. 50'>
0
0(- 4)
-f-
Vi Std. Eiswasser
5 Min. 65*
-1-++
44-f
4-44
Zimmertemperatur
5 Min. 450
0
0
0
Zimmertemperatur
5 Min. 50«
0
0
0
Zimmertemperatur
6 Min. 55*
1 4-
4 i
4
Es wird dann noch untersucht ob sich Unterschiede heraussteilen
nach vorausgehender Abkühlung in Eiswasser und folgender verschieden
lang dauernder Einwirkung von 50® C Erwärmung.
)
Pat D.
Hämolyse
N,
k
N,
Std. Eiswasser
5 Min. 50*
0
0
0
Vi Std. Eiswasser
10 Min. 60«
0
0
0
^ Std. Eiswasser
15 Min. 50*
0
0 (- 4)
0
Die Resistenz ist bei allen Patienten die gleiche. Genau so verhält
es sich, wenn die ^ten Blutkörperchen direkt aus Zimmertemperatur
verschieden langer Zeit einer Erwärmung von 50® ausgesetzt werden.
Pat. D
Ni
1 N,
6 Min. auf 50*
a
0
0
10 Min auf 60*
0
0
0
16 Min. auf 50*
0
0
0
Es steht die wichtige Frage zur Diskussion, ob das Donath-
Landsteinersehe Kältehämolysin für paroxysmale Hämoglobinurie
spezifisch ist L ö r ä n t hat festgestellt dass der Ambozeptor im Serum
des paroxysmalen Hämoglobinurikers nicht spezifisch ist Er folgert
daraus, dass das Rezeptorensystem der Blutkörperchen beim gesunden
Menschen und bei der paroxysmalen Hämoglobinurie das gleiche ist dass
also diese Blutkörperchen immunologisch gleich sind.
In den meisten Fällen von paroxysmaler Hämoglobinurie ist Lues
in der Anamnese konstatiert worden. Seitdem wir die Wasser-
m ä n n sehe Reaktion haben, finden wir ihren positiven Ausfall tatsächlich
in fast allen Fällen (Matsuo, Kumagai und Inone, Coppmann).
C o 0 k e hat aus der Literatur, soweit sie ihm zugängig war. festgestellt
dass 90 Proz. aller Fälle von paroxysmaler Hämoglobinurie Luetiker
waren. Comby spricht von einer parasyphilitischen. Ros in von
einer metasyphilitischen Krankheit. C i t r o n hat jedoch Fälle gesehen,
in denen in vivo keinerlei Zeichen einer bestehenden oder überstandenen
Lues sich finden Hessen. -Eine Identität zwischen dem Donath-
L a n d s t e i n e r sehen Hämolysin und . den Substanzen, die die
Wassermann sehe Reaktion hervorrufen, besteht nicht (M o r o und
Noda). Interessant ist, dass Donath und Landsteiner,
K u m a g a i und I n o n e bei ParalytiTcern und bei Tertiär- und Metalues
in nicht wenigen Fällen Kältehämolysin fanden. Es sind das also latente
Original from
UN(VERSITY OF CALIFORNIA
8. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
425
Formen von paroxysmaler Hämoglobinurie. Meistens handelt es sich
um eine alte oder um kongenitale Lues. C i t r o n kennt keine Fälle von
Frühlues bei paroxysmaler Hämoglobinurie. Wir müssen bei unserem
Patienten eine Frühlues diagnostizieren, da die Infektion vor etwa
3 Jahren stattgefunden hat. Eine Malaria, die nach Literaturangaben
ebenfalls als ätiologischer Faktor in Betracht kommt, spielt bei unserem
Patienten keine Rolle. Trotz der Annahme einer luetischen Aetiologie
werden durch eine antiluetische Behandlung nur sehr geringe Erfolge
gezeitigt. Die meisten Autoren sprechen von einem negativen Erfolg,
nur C h 0 r o z c h i 1 0 w hat mit Jodnatrium Besserung erzielt. R e i s s
konnte bei einem luetischen Kinde mit systematischen Schmierkuren
nach dem 5. Turnus keinen Anfall mehr auslösen. In einem andern Falle
sah er nach dreiwöchiger Behandlung einen negativen Wassermann,
Anfälle waren nur in ganz geringem Masse auszulösen.
Es sind noch Kochsalzinjektion, Kalziumchlorid, Propeptoninjektion,
normales Pferdeserum, Atropin, Cholesterin therapeutisch versucht
worden. Am besten scheint bisher noch Cholesterin nach den Erfah¬
rungen von Pringsheim und Lindbom zu wirken.
Wir haben bei dem Patienten sofort mit einer energischen Salvarsan-
kur begonnen. Nach Abschluss der Salvarsanbehandlung war der Wasser¬
mann noch positiv. Der Patient hat sich auf der Durchreise vor einiger
Zeit wieder vorgestellt. Der Wassermann war wieder positiv. Weitere
Untersuchungen Hess Patient jedoch nicht mk sich vornehmen. Sehr
wichtig ist seine Angabe, dass er seit der Entlassung aifs der Klinik
keinen Anfall mehr gehabt hat. Das ist besonders auffallend, well er, zur
Marine eingezogen, im Winter im Kieler Hafen ins Wasser fiel, und
trotzdem er vor Kälte zitterte, keinen Anfall bekam. Wir erinnern uns,
dass wir im März 1917 einen Anfall bei ihm auslösen konnten, indem w'ir
ihn Yi Stunde im Freien herumgehen Hessen. Eine weitere Beobachtung
hätte zu ergeben, ob tatsächlich die paroxysmale Hämoglobinurie durch
die energische Salvarsanbehandlung verschwunden ist. Jedenfalls ist
das Resultat insofern bedeutungsvoll, als tatsächlich der Patient, der
Monteur ist sich nicht mehr so vor Kälte und nasser Witterung in acht
zu nehmen braucht wie früher.
Literatur.
Chorozchilow: Zschr. f. klin. M. 1907 Bd. 64. — C i t r o n: M.Kl.
1919 H. 4. — Donath und Landsteiner: M.m.W. 1904 Nr. 351. —
Dieselben: Zschr. f. klin. M. 1906 Bd. 58. — Qrafe und Müller:
Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 59 1908. — Qiroux: Arch. d. malad,
du coeur. des vaisseaux et du sang. 1908. Ref. Fol. haemat. 19. S. 132. —
Kumagai und Ino ne: D.m.W. 1912 Nr. 38. — Lindbom: Zschr. f.
klin. M. Bd. 79. 1914. — Löränt: D. Arch. f. klin. M. Bd. 126. 1918. —
M a t s u o: D. Arch. f. klin, M. Bd. 107 1912. — Meyer und Emmerich:
D. Arch. f. klin. M. Bd. 96 1909. — M o r o und N o d a: M.m.W. 1909 Nr. 11.
— Pringsheim: M.m.W. 1912 Nr. 59. M.Kl. 1913 H. 9. — Reiss:
Jahrb. f. Kinderhlk. Bd. 78 1913.
Die Zusammenfassung von E. Meyer in Kraus-Brugsch Spez. Path.
konnte nicht mehr mitbenutzt werden.
Aus der psychiatrischen Universitätsklinik zu Jena.
(Direktor: Prof. Dr. Hans Berger.)
Spirochätenfund im menschlichen Zentralnervensystem
bei multipler Sklerose.
Von Dr. Ernst Speer, Assistenzarzt der Klinik.
Der von SiemerlingO mitgeteilte Fund machte weitere Nach¬
forschungen bei Irisch sezierten Fällen von multipler Sklerose zur Pflicht.
Die Ergebnisse der in dieser Richtung angestellten Untersuchungen
scheinen jedoch recht selten positiver Natur gewesen zu sein, denn erst
vor kurzem hat die S i e m e r 1 i n g sehe Klinik einen zweiten Fall *) ver¬
öffentlicht. Fast zur gleichen Zeit wie B ü s c h e r gelang es mir, im
Anschluss an eine Sektion eines'an multipler Sklerose Verstorbenen
Spirochäten im Dunkelfeld nachzuweisen:
Am 9. September 1920 nachts 11 Uhr 30 Min. kam ein 23 jähriger Fabrik¬
arbeiter, der seit etwa Jahresfrist in der Militärabteilung der Klinik an mul¬
tipler Sklerose krank gelegen hatte, ad exitum. Im Vordergrund des Krank¬
heitsbildes .stand eine .schwere zerebellare Ataxie, die zu Beginn der Er¬
krankung (1918) die Diagnose „multiple Sklerose“ ausserordentlich erschwert
hatte. .Das klinische Bild entwickelte sich später mit Nystagmus, Sprach¬
störung, Reflexstörungen usw. durchaus typisch und eindeutig für multiple
Sklerose.
Auffällig waren subfebrile Temperaturen und Temperaturstpigerungen,
die besonders nach kurzen Spaziergängen, welche der Kranke zuweilen ent¬
gegen ärztlichem Rat unternahm, ganz isoliert auftraten und abklangen und
ira Mittel etwa 38® erreichten. Man glaubte, diese Schwankungen der Kör¬
pertemperatur auf tuberkulöse Lungenherde beziehen zu müssen, denn tat¬
sächlich hatte der Kranke 1917 in einer Lungenheilstätte gelegen, und immer
wieder war von interner Seite ein Spitzenprozess spezifischer Art angenommen
worden.
Die Sektion zeigte jedoch völlig gesunde Lungen; auch
Drüsentuberkulose fand sich nicht. Da irgendwelche andere Krankheits¬
herde, welche die bis zuletzt beobachteten Temperatursteigerungen hätten er¬
klären können, ebenfalls nicht nachzuweisen waren, müssen die 'Temperatur-
Steigerungen wohl mit der multiplen Sklerose des Kranken in Zusammenhang
gebracht werden.
Leider stellte ich Ueberimpfungen auf Versuchstiere von diesem Patien¬
ten aus nicht an, da ich den Fall wegen der vermuteten Tuberkulose nicht
für geeignet hielt zum Versuch.
*) B.kLW. 1918 Nr. 12.
*) Büsche r: Arch. f, Psych. u. Nervenkrkh. 1920 H. 2 S. 426.
Digitized by Goiisle
Die Sektion fand 9 Stunden nach dem Tode statt. Bei makroskopischer
Betrachtung konnten ein graurötlicher Herd, der sich von hinten her am
Rande sichelförmig nach vorn zu erstreckte, und ein zentraler sklerotischer
Herd in der Medulla oblongata festgestellt werden. Die später durchgeführte
mikroskopische Durchforschung von Gehirn lind Rückenmark konnte die
Diagnose „multiple Sklerose“ pathologisch-anatomisch bestätigen.
Von dem obenerwähnten Herd der Medulla oblongata wurde bald
nach der Sektion mit steriler Platinöse etwas Gewebssaft vorsichtig
entnommen und auf sterilen Objektträger in steriles Aqua destillata ge¬
bracht.
Im Dunkelfeld fanden sich auf diesem und anderen in gleicher Weise
hergestellten Präparaten Spirochäten, die den von S i e m e r 1 i n g be¬
schriebenen sehr ähnelten.
Die Untersuchungen wurden 3 Stunden nach der Sektion bei der
Firma Zeiss fortgesetzt, die uns in liebenswürdigster Weise ein aus¬
gezeichnetes Instrumentarium zur Verfügung stellte®). Die Beobach¬
tungen dort wurden angestellt mit Zeiss-Apochromat 4 mm 0,95 n. A.
und Kompensationsokular 12. Ein dort mehrfach unternommener Ver¬
such, die Funde durch Mikrophotogramm festzuhalten, misslang leider
aus äusseren Gründen.
In manchen Präparaten fanden sich ziemlich zahlreich die von
Siemerling (s. Zeichnung: B.kl.W. 1918 Nr. 12!) beschriebenen
Formen, und zwar erinnerten diese Formen zunächst an Tetanus- oder
Spermatozoen-ähnliche Gebilde. Vielfach sahen wir aber seitlich vom
„Köpfchen“ solcher Spermatozoen-ähnlicher Formen einen kleinen seit¬
lichen Fortsatz, dessen genaueres Studium uns zu der Ansicht führte,
dass das „Köpfchen“ eine Schlinge darstelle und von dem einen um¬
geschlagenen Ende der Spirochäte gebildet werde, dessen^ überstehender
Teil jener seitliche Fortsatz sei. Im übrigen sahen wir aber auch reine
Spirochätenformen, ähnlich denen der Spirochaete pallida, jedoch viel¬
leicht im ganzen kleiner und zarter.
Ganz zweifellos zeigten die beschriebenen Spirochäten lebhafte
„wellenschlagartige“ Eigenbewegung und wir beobachteten während
etwa 7 Stunden wie diese Eigenbewegung in den ältesten Präparaten
immer geringer wurde und zum Teil schliesslich erlosch. Die Spirochäte
lag dann starr im Feld.
Leider gelang es uns ebensowenig wie Siemerling und Bü¬
sch e r, die Spirochäten im Schnitt (L e v a d i t i) zu finden.
Die Seltenheit solcher Funde mag damit zu erklären sein, dass in
der Mehrzahl doch alte Fälle von multipler Sklerose mit seit vielen
Jahren fieberlosem Verlauf ad exitum kommen, die sich auch für den
Uebertragungsversuch nicht eignen, wie die Autoren immer wieder be¬
tonen und wie uns auch eigene Versuche zeigten. Der vorliegende Fall
verlief fieberhaft ln knapp 2 Jahren und entwickelte sich namentlich im
letzten Jahre sehr rasch.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. Schmieden.)
Die physiologische Behandlung der Brüche des Unterarms.
Von Dr. med. Ernst Seitz, Assistenzarzt der Klinik.
' Betrachtet man die während der letzten Jahre in der Behandlung
der Knochenbrüche erzielten Fortschritte, so sind es vor allem zwei
Prinzipien, deren Anw’endung sich fruchtbringend erwiesen hat, und
zwar ist dies einmal die blutige Frakturbehandlung mit all ihren Einzel¬
heiten, die uns vorwärtsbrachte. Zum anderen war es die von Zup-
pinger inaugurierte, besonders den’Gesetzen der Muskelphysiologie
Rechnung tragende Behandlungsmethode, die dazu führte, die Verbände
nicht mehr in extremer Haltung des Gliedes, sondern in Semiflexion,
also bei möglichst entspannter Muskulatur anzulegen. Wenn wir nun
heute bereits in der Lage sind, die Berechtigung dieser beiden Behand¬
lungsprinzipien durch ein umfangreiches statistisches Material begründen
zu können, so verdanken wir das besonders dem Umstande, dass beide
Methoden nur relativ selten miteinander in Konkurrenz getreten sind,
vielmehr bildete sich bald bei jeder ein spezielles Anwendungsgebiet
heraus, für w'elches die andere mehr in den Hintergrund trat. So ist
es z. B. eine Tatsache, dass die Frakturen des Vorderarmes, abgesehen
natürlich von den typischen Radiusbrüchen, die ein hier nicht zu be¬
handelndes Kapitel für sich bilden, besonders häufig zum Gegenstände
der blutigen Behandlungsmethode gemacht worden sind. Die mit ihr
erzielten Erfolge scheinen denn auch ihre Anwendung im weitesten
Masse zu rechtfertigen. So konnte z. B. K e p p 1 e r [ll aus der B i e r sehen
Klinik bereits 1913 über 29 blutig behandelte Vorderarmfrakturen be¬
richten. Seine Methode bestand darin, die Brüche ohne Zuhilfenahme
körperfremden Materials lediglich durch operatives Aufeinanderstellen
und möglichstes Verzahnen zu behandeln. Von den 29 Fällen zeigten
am Schlüsse der Behandlung nur 3 eine gewisse Beschränkung der Pro-
und Supination. Gewiss ein glänzendes Resultat! Aehnliche Erfolge
hatte Ringel [2], der 5 mal blutige Reposition und Verzahnung, 4 mal
Knochennaht, 7 mal Knochenbolzung ausführte. In allen Fällen, mit
Ausnahme von einem aus der letzten Kategorie, war das Resultat ein
gutes. K e p p l e r warnt in seiner Arbeit aus Furcht vor der Infektion
davor, bei der kleinsten äusseren Weichteilwunde noch blutig vnr-
zugehen, eine Zurückhaltung, die nach einer Mitteilung von S z e n e s [3]
®) Ich benutze gern die Gelegenheit, um an dieser Stelle Herrn
Dr. S a r n o w, Assistenzarzt der Universitäts-Hautklinik (jetzt Facharzt in
Eisenach), meinen wärmsten Dank auszusprechen für seine selbstlose Hilfe¬
leistung bei den Dunkeifelduntersuchungen.
Original fforri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
426
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
nicht gerechtfertigt erscheint. Dieser Autor führte bei 7 Fällen von
Unterarmschussfrakturen die blutige Reposition aus. In 5 Fällen mit
gutem Erfolge. Ebenso hat sich auch z. B. L e x e r [4] auf Grund seiner
Erfolge günstig über die blutige Behandlung von Unterarmschussfrakturen
ausgesprochen.
Wenn nun auch das statistische Gesamtresultat der blutigen Behand¬
lung der Unterarmfrakturen augenscheinlich ein sehr günstiges ist, so
kann doch andererseits gar kein Zweifel darüber bestehen, dass man, wie
auch Keppler [l] hervorhebt, in jedem Falle versuchen wird, zu¬
nächst mit unblutigen Methoden zUm Ziele zu kommen. Handelt es sich
um einen in klinischer Behandlung befindlichen Patienten, so werden wir
uns um so leichteren Herzens zu diesem Versuche entschliessen, als ja
mit einer erst nach Ablauf einer Woche eingeleiteten operativen Behand¬
lung noch nichts versäumt ist. empfehlen doch verschiedene Autoren
geradezu, einen solchen Zeitpunkt abzuwarten wegen der dann in voller
Entwicklung befindlichen Heilungsvorgänge des Periostes, welche die
Gefahr einer erneuten Verschiebung der eingerichteten Knochen ver¬
ringern sollen. Ferner wird es aber auch immer eine Anzahl von Fällen
geben, die aus äusseren Gründen der Behandlung des praktischen Arztes
Vorbehalten bleiben müssen, bei denen also die blutige Methode über¬
haupt nicht in Frage kommen dürfte.
Welche Behandlungsart wird nun hier anzuwenden, sein? Die
Extensionsbehandlung, die sich natürlich auch verwenden lässt, hat ge¬
rade bei den Unterarmfrakturen verschiedene Schwierigkeiten. Sie be¬
darf der ständigen Ueberwachung und wird vielfach nur bei horizontaler
Lage des Patienten ausgeführt werden können. In einfacherer Weise
dürhe man vielmehr im allgemeinen zum Ziele kommen, wenn man sich
zur Schienenbehandlung entschliesst, wie es ja auch gewöhnlich in den
Lehrbüchern empfohlen wird. Hier erhebt sich mm die Frage, in welcher
Stellung soll der Arm fixiert w'erden? Die Ansichten der Autoren darüber
lauten nicht ganz einheitlich. Den Hauptgesichtspunkt bildete von jeher
die Vermeidung des gefürchteten Brückenkallus. Die alte zu diesem
Zwecke von M i 11 e 1 d o r p f empfohlene extreme Supinationsstellung
ist heute wohl von den meisten Autoren als unzweckmässig aufgegeben,
da hierbei die beiden Unterarmknochen sich einander wieder etwas
nähern, und aus der Begründung, die z. B. T h i e m e fSl für diese Art
des Verbandes anführte, nämlich, dass eine Versteifung in Supinations¬
stellung dem Verletzten die geringsten Beschwerden mache, spricht eine
Resignation in bezug auf unsere therapeutischen Erfolge, die vom
modernen Standpunkt nicht mehr zu billigen sein dürfte. Dagegen er¬
klärt z. B. H e 1 f e r i c h [61 die Stellung in massiger Supination für die
beste. .Wilms [7] empfiehlt die sog. Mittelstellung, d. h. also eine
Stellung, bei welcher die Handfläche des Patienten in rechtwinkeliger
Beugung des Armes parallel der vorderen Thoraxwand verläuft oder so.
dass der Patient noch eben in seine Hand hineinsehen kann, weil dann
das Ligamentum interosseum am meisten gespannt sei. Die gleiche
Stellung hat L u d 1 o f f [8l früher empfohlen, allerdings mit der umge¬
kehrten Begründung, dass so das Lig. interosseum am meisten entspannt
wäre. Neuerdings verbindet Lud 1 off [9] seine Unterarmbrüche auf
der C a r r sehen Schiene, d. h. also in Pronationsstellung. Wie sind nun
die Resultate der unblutigen Behandlung? In der neueren deutschen
Literatur habe ich eine darüber Auskunft gebende Statistik nicht finden
können, dagegen wird bei S z e n e s [3] eine englisch-amerikanische Zu¬
sammenstellung erwähnt, nach welcher bei der unblutigen Behandlung
der Ulna-Radiusfrakturen in 38 Proz., bei der blutigen in 75 Proz. gute
Resultate erzielt worden seien. Nun ist es klar, dass an sich ein Ver¬
gleich zwischen den Zahlen beider Methoden sehr leicht zu falschen
Schlüssen verleiten könnte, da ja im allgemeinen gerade die schwereren
Frakturen zum Gegenstand der blutigen Behandlung gemacht werden,
trotzdem zeigt die Statistik der letzteren so auffallend viel bessere
Resultate. Die Aussichten der unblutigen Behandlungsmethode müssen
also, an der eben erwähnten Statistik gemessen, sehr ungünstige sein.
Dass nun tatsächlich die Therapie bei den Unterarmfrakturen, wenn man
sich nicht zur operativen Behandlung entschliesst. mit ganz erheblichen
Schwierigkeiten zu kämpfen hat, das wird durch die anatomische Be¬
trachtung ohne weiteres verständlich. Bekanntlich wird die klinische
Heilung eines Knochenbruches nicht nur durch die anatomische Wieder¬
herstellung der Frakturstelle, sondern ganz besonders auch durch eine
volle funktionelle Gebrauchsfähigkeit der benachbarten Gelenke bedingt.
Da beim Unterarm zur Beuge- und Streckbewegung noch die Pro- und
Supination hinzukommt, so handelt es sich also hier statt wie gewöhnlich
um 2. um 4 unmittelbar In Mitleidenschaft gezogene Gelenke.
Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass man imstande ist, auf die
Versteifung von Hand- und Ellenbogengelenk einen Teil der Misserfolge
zurückzuführen, aber im ganzen wird die Statistik der Unterarmbrüche
dadurch nicht sehr belastet, etwaige hier sich einstellende Schädigungen
werden sich im allgemeinen leicht bekämpfen lassen. Die Mehrzahl der
ungünstigen Resultate wird vielmehr in Störungen der Pro- und
Supinationsbewegung zu suchen sein, ohne dass sich irgendwelche
Gelenkschädigung nachweisen Hesse. Ist diese Bewegung ganz aufge¬
hoben, so beruht das wohl ausschliesslich auf der Ausbildung von
Brückenkallus. Oft aber lässt sich röntgenologisch bei behinderter Be¬
wegung nichts von abnormen Knochenw^ucherungen nachweisen. In
solchen Fällen sind Schmmpfungsvorgänge des Lig. interosseum zur Er¬
klärung herangezogen worden. Aber auch diese Annahme dürfte einer
strengen Kritik nicht immer standhalten, denn ich habe Fälle gesehen,
die anatomisch keine Deformität aufweisen und in denen oei der Röntgen¬
durchleuchtung beide Unterarmknochen einen weiten Abstand, also eine
gute Spannung des Bandes bei entsprechender Stellung erkennen Hessen,
so dass also von einer Schrumpfung des Lig. interosseum wohl nicht gut
die Rede sein konnte. Trotzdem war eine erhebliche Behinderung der
Pro- und Supinationsbewegung vorhanden. Wie soll man sich nun eine
solche Störung erklären? Ich habe den Versuch gemacht in das hier
bestehende Problem mit Hilfe der Zu pp in g er sehen Betrachtungs¬
weise einzudringen. Zuppinger hat das Verdienst, mit ganz be¬
sonderem Nachdruck darauf hingewiesen zu haben, dass jede Fraktur aus
einer „pathologischen Einheit“ von gebrochenem Knochen und einer in
ihrem physiologischen Gleichgewicht gestörten Muskulatur besteht Die
Erkenntnis von der Bedeutung der letzteren Tatsache führte ihn bekannt¬
lich dazu, die Frakturen, soweit irgend möglich in Semiflexion, d. h. in
der physiologischen Schlaf- oder Ruhestellung zu verbinden. Wie liegen
nun die Verhältnisse in dieser Beziehung am gebrochenen Unterarm?
Zur Beurteilug des Krankhaften ist eine kurze Zusammenstellung der
normalen Anatomie unerlässlich. Bekanntlich kommen für die Pro- und
Supination im wesentlichen 4 Muskeln in Frage, und zwar für die erstere
der etwa an der Grenze zwischen oberem und mittlerem Drittel des
Radius ansetzende Pronator teres und der am distalen Ende des Radius
zur gegenüberliegenden Stelle der Ulna herüberziehende Pronator qua-
dratus, die Supination wird ausgeführt vom Supinator, der teils un¬
mittelbar oberhalb des Pronator teres, teils in der gleichen Aponeurose
wie dieser Muskel am Radius endigt, und ferner bei gebeugtem Arme
vom B i z e p s, durch dessen eine in der Höhe des Supinator am Radius
ansetzende Endsehne. Sind alle Muskeln entspannt, so befindet sich der
Arm, wie z. B. schon Boehler [10] betont, in einer leichten Pro¬
nationsstellung, wovon man sich leicht bei der Betrachtung des eigenen
schlaff herunterhängenden Armes überzeugen kann. Dieses ist also die
physiologische Ruhestellung im Sinne Zuppingers. Wollen wir nun
das Verhalten beider Unterarmknochen während der Ausführung einer
Rotationsbewegung studieren, so teilen wir uns den ganzen, einen
Winkel von etwa 120 bis 140® durchmessenden Vorgang am besten ein
in 4 Einzelphasen, nämlich 1. volle Supination = 0®, leichte Supination
oder sog. Mittelstellung = 45®* leichte Pronation oder Ruhestellung
= 90®, volle Pronation = 130®. Ferner empfiehlt es sich, den Unterarm
einzuteilen in oberes, mittleres und unteres Drittel. Wird der Arm in
voller Supinationsstellung gehalten, so stehen beide Knochen in ihrer
ganzen Länge parallel nebeneinander, aber nicht maximal voneinander
entfernt. Die Ausführung der Pronation geschieht durch 2 gleichzeitig
verlaufende Bewegungen, einmal dreht sich der Radius um seine Längs¬
achse, sodann aber führt er eine an seinem distalen Ende besonders
deutlich sichtbare einwärtsgerichtete seitliche Bewegung aus, um eine
kleinere Strecke bewegt sich das periphere Ende der Ulna nach aussen.
Eine Drehung um die Längsachse findet natürlich bei der Ulna nicht
statt. Betrachtet man die Stellung beider Knochen zueinander in leichter
Supination, so ergibt sich im obersten Drittel eine deuliche Annäherung,
in dem mittleren und unteren Teil das Maximum der Entfernung beider
Knochen, dreht man jetzt weiter zur leichten Pronallon. so bleibt die
Entfernung im mittleren und oberen Drittel noch ungefähr dieselbe, da¬
gegen beginnt im oberen Drittel bereits eine deutliche Kreuzung sich
einzustellen. Ausgeprägt wird diese bei voller Pronation, während
gleichzeitig in den übrigen Teilen die beiden Knochen sich einander
wieder mehr nähern. Die Feststellung dieser normalen Vorgänge liefert
uns den Schlüssel für das Verhalten des gebrochenen Unterarmes. Es
ist zunächst klar, dass die Fraktur nur eines Knochens eine bessere
Prognose geben wird, als wenn beide gebrochen sind, und zwar wird
der isolierte Ulnabruch das harmloseste Ereignis sein, denn die Ulna
spielt bei der Pro- und Supination ja nur eine passive Rolle. Der un¬
gleich wichtigere Knochen hierfür ist der Radius. Die ebea besprochenen
normalen Verhältnisse machen es verständlich, dass wir auch seine Ver¬
letzungen getrennt nach oberem, mittlerem und unterem Drittel ins Auge
fassen müssen. Es sei wiederholt, dass die Frakturen im unteren Drittel,
die sog. typischen Radiusfrakturen ein besonderes Kapitel für sich bilden
und daher nicht in den Rahmen unserer Besprechung fallen. Wie aber
steht es nun mit den Frakturen des Radius? bzw. beider Knochen im
oberen Drittel? Ich sehe ab von kleinen Absprengungen oder den längs
verlaufenden Fissuren, den sog. Meisseifrakturen des Radiusköpfchens,
die beide der Beurteilung und Behandlung keine besonderen Schwierig¬
keiten bieten, und nehme an, es handelt sich um eine regelrechte voll¬
ständige Ouerfraktur mit Zerreissung des Periostes. Nach Zuppinger
tritt unmittelbar nach Entstehung einer Fraktur ein Muskelstupor,* d. h
eine Erschlaffung ein. ein Zustand, der aber schon nach einigen Stunden
durch eine erhöhte Reizbarkeit abgelöst wird, die beim Fehlen ge¬
eigneter Gegenmassregeln zur dauernden Verkürzung des Muskels führen
muss. In unserem Falle, wo das zentrale Bruchstück nur dem ein¬
seitigen Zuge der Supinatoren ausgesetzt ist. muss also eine Drehung
in volle Supinationsstellung die Folge sein. Umgekehrt wird das peri¬
phere Stück durch einseitigen Zug der Pronatoren die Neigung haben,
sich in Pronationsstellung zu drehen. Anders liegt die Sache bei einer
Fraktur unterhalb des Pronator teres-Ansatzes. Dann wird das zen¬
trale Frakturstück, da die Antagonisten sich das Gleichgewicht halten,
die physiologische Entspannungsstellung, d. h. also die leichte Pronations¬
stellung beizubehalten suchen, während das periphere Ende eine gewisse
Neigung zur Pronation unter derfi Einfluss des Pronator quadratus haben
muss. Wie hat sich nun im Hinblick auf diese Vorgänge unser thera¬
peutisches Handeln zu gestalten? Es ist keine Selbstverständlichkeit,
wenn man betont, dass eine jede Behandlung eines Bruches, sei es die
blutige oder die unblutige, zu beginnen hat mit einer möglichst vollstän¬
digen Reposition. Die Reposition hat das Ziel, die verschiedenen Dis-
' lokationen so auszugleichen, dass der alte Zustand möglichst dauernd
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORl,^^ '
._ ll>i iiiwii'^i iiMi
8 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
427
wieder erreicht wird, und zwar ist man bemüht, durch eine gewisse
Verzahnung ein erneutes Abgleiten der Fragmente zu verhindern. Es
liegt also auf der Hand, dass gerade bei den Brüchen des Unterarmes
eine exakte, der Muskelphysiologie Rechnung tragende Reposition von
entscheidender Bedeutung sein muss. Wir haben nun nicht die
Möglichkeit, die Stellung des zentralen Bruch¬
stückes Im Sinne irgendwelcher Rotationsbewe¬
gung zu beeinflussen. Es ergibt sich daher die Not¬
wendigkeit, dass wir, um die Heilung des Radius in
seiner richtigen Stellung zu ermöglichen. derBe-
w^egung des zentralen Bruchstückes mit dem peri¬
pheren Fragmente folgen müssen. Handelt es sich also um
eine Fraktur des oberen Drittels, so muss nach dem oben Gesagten die
Reposition und der nachfolgende Verband in voller Supinationsstellung
ausgeführt werden. Da im oberen Drittel bei der Supinationsstellung
die zur Brückenkallusbildung disponierende Kreuzung oeider Unterarm¬
knochen vermieden wird, so dürfte auch in dieser Beziehung die eben
genannte Anlegung des Verbandes die beste sein. Anders liegen
die Dinge bei der Fraktur im mittleren Drittel des
Radius. Das zentrale Fragment befindet sich hier,
da die Antagonisten sich das Gleichgewicht halten,
in Muskelentspannungs- oder leichter Pronations¬
stellung. Wenn wir je'tzt, wie bisher üblich, den
Unterarm durch Drehen in seinem peripheren Teile
in die Mittelstellung zu bringen suchen, so bewegt
sich zwar das periphere Fragment, das zentrale kann
aber nicht folgen, das Resultat muss also sein eine
Dislocatio ad peripheriam. Um also den Gesetzen
der Muskelphysiologie Rechnung zu tragen, haben
wir die Reposition und den Verband ebenfalls in
leichter Pronationsstellung auszuführen. Auch hierbei
sind beide Unterarmknochen, ähnlich wie bei der Mittelstellung so weit
voneinander entfernt, dass die Gefahr einer Brückenlcallusbildung nach
Möglichkeit eingeschränkt wird. Man könnte denken, die Herstellung
einer geeigneten Schiene sei schwierig, sie gestaltet sich, wenn man
keine Gipsschiene nehmen will, sehr einfach so, dass eine an der Aussen-
seite des Armes rechtwinkelig angebogene Cramerschiene an ihrer
radialen Seite mit ein paar Watterollen gepolstert wird. Dadurch wird
bequem die gewünschte Haltung des Armes erreicht.
Die Technik des Verbandes in leichter Pronationsstellung, die von
allen bisher geübten Methoden abweicht, erschien mir theoretisch hin¬
reichend begründet. Trotzdem habe ich mich bemüht, sie an der Leiche
in vivo nachzuprüfen. Beim Leichenversuch ging ich so vor, dass ich
an dem in der Mitte des Unterarms freigelegten Radius eine Rille ein-
meisselte, und in deren Mitte dann eine quere Osteotomie anlegte. Bog
sich jetzt durch Drehung der unteren Hälfte des Unterarmes das ganze
Glied in Supinationsstellung, so zeigte sich deutlich, wie der periphere
Teil der Rille nicht mehr mit ihrem zentralen Teil zusammenfiel trotz
Aufhebung der Dislocatio ad longitudinem und ad axin. Es war also
eine Dislocatio ad peripheriam entstanden. Dasselbe Bild bot sich mir
während der blutigen Reposition einer Unterarmfraktur beider Knochen,
die dann in leichter Pronatonsstellung reponiert und verbunden wurde
und inzwischen mit völliger Wiederherstellung geheilt ist. Mehr noch
als diese experimentellen Versuche musste die Nachuntersuchung unserer
bisher in leichter Supinationsstellung behandelten Unterarmfrakturen
Klarheit bringen. Von 20 bestellten Patienten kamen 12 zur Nachunter¬
suchung, von diesen zeigten 5 eine deutliche Behinderung der Pronation,
d. h. also eine Dislocatio ad peripheriam des peripheren Fragmentes,
ausserdem noch einer eine leichte Behinderung der Supination, die viel¬
leicht durch Schrumpfungsvorgänge im Ligamentum interosseum zu er¬
klären wäre. Man könnte sich fragen, warum nur 5 von unseren Patienten
die Dislocatio ad peripheriam zeigten, während der Verband doch bei
allen in Supinationsstellung leichter oder auch voiier angelegt war, ein
Einw'and, der leicht zu entkräften ist, wenn man bedenkt, dass vielfach
eben die Reposition schon das Ausschlaggebende ist. Erfolgt diese in
Ruhestellung und tritt eine Verzahnung ein, so wird natürlich das zen¬
trale Fragment in jede Stellung folgen. Das gleiche ist der Fall bei
einer bereits spontan bestehenden Verzahnung oder bei noch zum
grossen Teil erhaltenem Periostzylinder. Ist aber die Berührung beider
Fragmente nur eine lockere, so muss bei jeder anderen als der Ruhe¬
stellung eine Dislocatio ad peripheriam die Folge sein.
Zusammenfassung:
Die bisher geübte Schematisierung in der Behandlung der Unter-
armfraktur^ gewöhnlich Verband in Mittel-, d. h. leichter Supinations¬
stellung, muss in einem Teil der Fälle zu einer Dislocatio ad peripheriam
führen. Physiologisch begründeter erscheint für die Frakturen des
oberen Drittels ein Verband in voller Supination, für die des mittleren
Drittels in Muskelentspannungs- d. h. leichter Pronationsstellung.
Literatur.
1. Keppler; D. Zschr. f. Chir. 121. 191^. S. 137. — 2. Ringel;
D. Zschr. f. Chir. 139. 1916. S. 65. — 3. Szenes; D. Zschr. f. Chir.
150. 1919. S. 333. — 4. Lex er; D. Zschr. f. Chir. 133. 1915. S. 170.
— 5. Thiem: Hb. d. Unfallerkrankungen. Deutsche Chirurgie. — 6. H e 1-
1er ich: Frakturen und Luxation. Lehmanns med. Handatlanten. —
7. Wilms: Lehrb. d. Chir. Wilms-Wulstein. — 8. Ludloff; Arch. f.
klin. Chir. 93. S. 398. — 9. Ludloff: Orthopädenkongress 1920. —
10. Boehler: Zbl. f. Chir. 46. S. 768.
Nr. 14.
Digitized b]
»V Cou'ölc
Aus der chirurgischen Universitätsklinik München.
(Direktor: Geh. liofrat Prof. Dr. Sauerbruch.)
Ein Verfahren zum Zählen der Blutplättchen.
Von Dr. M. Schenk, Volontärarzt der Klinik.
Seit der genauen Erkennung und Beschreibung der Blutplättchen
durch Bizzozero sind eine Reihe von Methoden zu ihrer Aus¬
zählung angegeben worden. Diese macht deshalb ganz besondere
Schwierigkeiten, weil die Plättchen nach dem Verlassen der Gefässe
sehr rasch aggliitinieren und zerfallen, wenn nicht dem Blute eine kon¬
servierende Flüssigkeit zugesetzt wird.
Ursprünglich wurden die Plättchen auf dieselbe Weise gezählt wie
die roten Blutkörperchen. Man sog in die Pipette für rote Blutkörper¬
chen zuerst Blut bis zur Marke 0,5—1, hinterher das die Plättchen kon¬
servierende, 14proz. Magnesiumsulfat, dem man nach Sahlis Vor¬
schlag Methylviolett zugesetzt hatte. Nach dem Mischen folgte die
Auszählung in der Kammer.
Doch machte bereits Bizzozero auf das Ungenaue dieses Ver¬
fahrens aufmerksam, weil eine grosse Anzahl Plättchen an den Wänden
der Pipette hängen blieben. Er brachte deshalb einen Tropfen
Magncsiumsulfat auf die Fingerbeere, stach mit der Nadel durch den
Tropfen ein, sog das auf diese Weise zuerst konservierte Blut in eine
Pipette auf, bestimmte in der Kammer das Verhältnis der Plättchen zu
den Erythrozyten und berechnete nachher mit Hilfe einer gewöhnlichen
Erythrozytenzählung den absoluten Wert. Diese indirekte Auszählung
ist bis heute geblieben. Sie wurde nur auf verschiedene Weise modifi¬
ziert So stellte F 0 n i o in Sahlis Klinik aus dem mittels Magnesium-
I Sulfat konservierten Blute Trockenpräparate her, färbte diese nach
Giemsa, zählte 1000 Erythrozyten aus, sowie gleichzeitig die aur
derselben Fläche liegenden Plättchen. Aus dem Verhältnis der Erythro¬
zyten zu den Plättchen errechnete er dann wiederum durch eine auf die
übliche Weise erhaltene Erythrozytenzahl den absoluten Wert.
Auf demselben Grundsätze beruht die neueste Methode, die Deg-
w i t z angab. Er lässt einen Blutstropfen in einen mit Konservierungs¬
flüssigkeit gefüllten Mischtiegel fallen und stellt dann auf besondere
Weise Ausstriche her, so dass alle Plättchen schön isoliert verteilt sind.
Das Auszählen geschieht wie bei F o n i o.
Zu erwähnen ist noch das Verfahren von A c h a r d und A y n a u d.
Diese beiden Forscher glauben, dass durch die Berührung des Blutes
mit dem Gewebssaft in der Stichwunde eine Anzahl Plättchen zugrunde
geht. Sic haben deshalb ein besonderes Verfahren ausgearbeitet. Mit
einer paraffinierten Spritze werden durch Venenpunktion 9 ccm Blut
gewonnen, diese in der Spritze mit 1 ccm Natriumsulfat gemischt und
der so erhaltenen 1 proz. Natriumzitrat-Blutmischung zwei weitere kon-
' servierende Lösungen hinzugefügt. Ausgezählt wird dann wie üblich.
Man hätte erwarten sollen, dass A c h a r d und A y n a u d höhere
Durchschnittswerte herausbekommen als Autoren, die nach der anderen
Methode arbeiten. Das ist aber nicht der Fall. Ihr Normalwert 216 000
steht beinahe an der untersten Grenze. Ganz abgesehen davon, dass
diese Methode sich für den Menschen nicht eignet, ist ein so subtiles
Vorgehen wohl auch nicht notwendig. Man kann wohl mit D e g w i t z
der gleichen Meinung sein, dass es trotz der ausserordentlich schäd¬
lichen Wirkung des Gewebssaftes möglich sein müsse, Plättchen dar¬
zustellen, bei denen nur die allerersten
Anfänge einer Schädigung sichtbar sind.
»Das organische Geschehen braucht
Zeit, und Veränderungen von Struktur
und Form treten wohl nie so kata¬
strophal auf wie z. B. ein Niederschlag
im Reagenzglas, wenn man zwei ge¬
eignete Reagentien zusammenbringt.“
Der Vorschlag A c h a r d und
A y n a u d s hat keine Nachahmer ge¬
funden. es wird heute ausnahmslos. das
Blut aus der Fingerbeere entnommen.
Die angeführten Verfahren lassen in¬
dessen zu wünschen übrig, was Ein¬
fachheit, Raschheit und Genauigkeit des
Zählens anlangt. Zweifellos geben die
Methoden von F o n i o und D e g w i t z
zwar in geübten Händen sehr gute Re¬
sultate. aber für klinische und etwaige
diagnostische Zwecke sind sie zu um¬
ständlich und zeitraubend.
Ich möchte im folgenden ein Ver¬
fahren mitteilen, das sich seit einiger
Zeit bei Gerinnungsversuchen als ein¬
fach, rasch und genau bewährt hat.
Es beruht darauf, dass man einen Bluts¬
tropfen in eine genau abgemessene
Menge konservierender Flüssigkeit fal¬
len lässt, mischt, und nun auf direkte
Weise die Plättchen in der Kammer auszählt. Um die Grösse der
Blutstropfen zu bestimmen, wurde nachstehender kleiner Apparat *) kon¬
struiert, der gleichzeitig zum Mischen dient.
•) Der Apparat wird von der Firma Dr. Bender und Dr. Holbein,
München, Lindwurmstrasse, hergestellt.
5
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
428
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Ein 6 ccm fassendes Kölbchen ist an der einen Seite mit weitem Hals,
an der entgegengesetzten mit einem Ansatzrohr und Hahn versehen, ln den
Hals ist ein von einem Röhrchen durchbohrter Qlasstopfcn durch runden und
konischen Schliff genau eingepasst. Das Röhrchen ist graduiert, fasst von
Marke 0—70 70cmm und ist in seinem unteren Teil etwas erweitert. In dem
Kölbchen befindet sich zum Mischen eine kleine Glasperle. Der ganze Apparat
ist, um ihm einen festen Stand zu geben, in einen kleinen Holzklotz derart
eingelassen, dass nur Hals und Stopfen heraussehen. Vor der Blutentnahme
wird der Apparat mit der konservierenden Lösung gefüllt. Zu diesem Zweck
wird auf die graduierte Röhre ein Gummischlauch aufgesetzt, der Hahn
geöffnet, die Lösung bis zur Marke 0 aufgesogen, der Hahn wieder ge¬
schlossen. Der Stopfen, dessen geschliffene Flächen vorher, um ein Haften
von Flüssigkeit beim Herausziehen zu vermeiden, leicht eingefettet wurde,
wird jetzt langsam herausgenommen. Mittlerweile hat der zu Untersuchende
ein warmes Handbad bekommen, und es wird in die gut gereinigte, leicht
cingeie.ttete Fingerbeere mit einer breitgeschliffenen Frank sehen Nadel tief
gestochen. Den sofort htrvorstürzenden Blutstropfen lässt man in das Kölb¬
chen fallen, setzt den Stopfen wieder auf, liest die Menge des Blutes an
der Skala ab, mischt 3 Min. durch vorsichtiges Schütteln, lässt aus der
Ansatzröhre nach Oeffnen des Hahnes einen kleinen Tropfen in die Zähl¬
kammer fliessen und zählt die Plättchen, nachdem sie sich auf den Boden der
Kammer gesetzt haben, aus. Mittels der nachstehend errechneten Tabelle
wird nun auf einfache Weise die absolute Zahl der Plättchen berechnet.
20 1
1200000
29 1
827 580
38 1
631 370
■TT
510 640
56 1
428580
21 1
1 U2 860
80 1
800000
39 1
615 380
«1
600000
67 1
421 060
22 1
1090900
81 1
774190
40 1
600 000
4d 1
489 790
58 1
418 790
28 1
1 043 480
32 1
750 000
41 1
585 360
50 1
480 000
59 1
406 770
24 1
100 000
33 1
727 270
42 1
671420
51 1
470580
60 1
400000
25 1
960 000
705 880
43 1
558140
461540
61 1
893 440
26 1
923080
35 1
685 710
44 1
545 450
53 {
452 880
62 1
887 090
27 1
888 880
36 1
666 660
45 1
533 830
ZT
444 440
63 1
880 950
857 140
»7 1
648 640
621 740
j6^
436 860
M
875 000
Stand z. B. die Flüssigkeit nach dem Einfallen des Blutstropfens,auf 31.
so ist die ürös.se des Tropfens 31 cmm. Finden wir in der Zählkammer im
Durchschnitt in einem kleinen Quadrat 0,45 Plättchen, so multiplizieren wir die
für 31 in der Tabelle angegebene Zahl mit 0,45, erhalten also 0,45 X 774 190
348 385.
Auf dieselbe Weise kann man die roten Blutkörperchen und Leuko¬
zyten gleichzeitig mitzähleii, da diese durch die konservierende Lösung
nicht geschädigt werden. Doch wird die Leukozytenzahl ungenau, weil
die Verdünnung zu gross ist. Diese beträgt nämlich, wenn der Bluts¬
tropfen 30 cmm gross ist, 30:6000 — 0,5:100. Wir haben demnach die- ,
selbe Verdünnung, wie wir sie mit der Pipette für Erythrozyten erhalten,
wenn nur auf Marke 0.5 aufgesogen wurde. Will man eine stärkere
Konzentration der Plättchen oder Erythrozyten erhalten, lässt man
zwei Blutstropfen in das Kölbchen fallen. Da die Grösse eines Bluts¬
tropfens meist zwischen 25 und 35 cmm schwankt, erhalten wir dadurch
eine Verdünnung von etwa 1 :1(X).
Dass der Apparat die (jrösse eines Tropfens genau bestimmt, ergab fol¬
gender Versuch; 10 mal hintereinander wurde die Grösse eines aus der¬
selben Pipette frei wegfallcnden Wassertropfens einzeln in dem Apparat be¬
stimmt, dabei im Durchschnitt 42 cn m gefunden. 10 Wassertropfen aus der
nämlichen Pipette hintereinander auf der Wäge gewogen, ergaben ein Durch¬
schnittsgewicht von 43 mg.
Um genaue Ergebnisse zu erhalten ist sowohl bei der Blutentnahme
als auch beim Zählen auf Verschiedenes genau zu achten. Vor dem
Gebrauch muss die Steigrohre sorgfältig mit Alkohol und Aether ge¬
reinigt und getrocknet werden, damit bei Herausnahme des Stopfens
im erweiterten unteren Ende keine Flüssigkeit hängen bleibt. Die ge¬
schliffenen Flächen werden dann bis zum Ansatz der Steigrohre leicht ein¬
gefettet. Der Apparat darf, bis die Grösse des Blutstropfens abgelesen ist.
nicht aus seiner Fassung genommen, bzw. mit den Fingern nur am
Halse angefasst werden, um eine Erwärmung seines Inhaltes und damit
ein Höhersteigen in der Steigrohre zu vermeiden. Es empfiehlt sich,
das Flüssigkeitstandgefäss. um Temperaturunterschiede zu vermeiden,
in demselben Raum aufzubewahren, wo die Blutentnahme gemacht
wird, oder den gefüllten Apparat zum Temperaturausgleich einige
Minuten daseibst vor Gebrauch stehen zu lassen. Ist in der Wärme die
Flüssigkeit in den Steigrohren I—2 Grade gestiegen oder in der Kälte
gefallen, wird dies bei der Berechnung des Bluttropfens berücksichtigt.
Im Sommer habe ich ein Steigen oder Fallen in der Steigröhre, wenn
das Kölbchen durch die Hände nicht erwärmt wurde, nie beobachtet.
Die Blutentnahme muss rasch vor sich gehen. Es wird nach einem
warmen Handbad mit der breitgeschliffenen Nadel in die leicht ein¬
gefettete Fingerbeere am hängenden Arm tief eingestochen. Das Blut
soll ohne jeden Druck schnell herausfliessen. Kommt das Blut aus¬
nahmsweise langsam, so soll lieber an anderer Stelle nochmals ein¬
gestochen werden. Wird die Blutentnahme so ausgeführt, kommt
das Blut fast ebenso schnell in die konservierende Flüssigkeit, wie wenn
durch dieselbe eingestochen wmrde. Dass beim Herausfliessen und in
der Zeit des Herausfliessens bis zum Hineinfallen in die konservierende
Flüssigkeit eine nennenswerte Anzahl Plättchen zugrunde geht, halte
ich, wie bereits erwähnt, für ausgeschlossen. Sonst könnten zweifellos
Vergleichszählungen nicht so gut übereinstimmen.
Nach dem Einfallen des Tropfens soll der Stopfen langsam ein¬
geführt werden. Geschieht dies, bekommt man kein Blut in die Steige
röhre, weil dieses in der Flüssigkeit sofort zu Boden sinkt.
Als Fixativ benütze ich die von DegwGtz angegebene aus¬
gezeichnete Vorschrift:-
HaO 100 ccm
NaPOa 0.4
NaCl 0,1
Formalin (40 proz.) 3 ccm
Diese Lösung wird in eineiyi braunen Tropfglas aufbewahrt. Um
die Plättchen besser erkennen zu können, setzt man am besten einige
Tropfen einer konzentrierten Methylvioiettlösung hinzu. Sie konserviert
und färbt die Plättchen sehr gut und verhindert ihr Zusammenkleben.
Eine Deformierung, wie man sie bei 14 proz. Magnesiumsulfatlösung¬
oder in 1 proz. Osmiumsäurelösung sieht, tritt nicht ein. Die Plättchen
sind in der Zählkammer gut verteilt und isoliert, wenn es auch vor¬
kommt, dass ausnahmsweise 2 oder 3 Plättchen Zusammenhängen. Auf
das Resultat hat dies, wenn man die ganze Kammer auszählt, keinen
nennenswerten Einfluss. Ich bedecke die Zählkammer mit einem ge¬
wöhnlichen dünnen Deckgläschen und warte etwa 10 Minuten, bis die
Plättchen sich gesetzt haben. Zur Auszählung benütze ich immer Oel-
immersion und Okular 4. Damit können bei einiger Uebung die Plätt¬
chen leicht von Schmutz und dergleichen unterschieden werden. Als^
Zählkammer gebrauche ich die gew'öhnliche von Thoma-Zeiss oder
Neugebauer und glaube nicht, dass man bei der nötigen Sorgfalt
und Uebung in der hohen Kammer Plättchen übersieht weil die seWist
in einer höheren Schicht schwimmenden Plättchen noch als Schatten
in dem Gesichtsfeld erscheinen und durch geringes Drehen an der
Mikrometerschraube unschwer sichtbar gemacht werden können. Zw^eifel-
los aber erleichtert die von Helber angegebene nieder®^Kammer
das Auszählen wesentlich. Ich zähle grundsätzlich die ganze Kammer,
d. h. 400 kleine Felder durch, beginne links oben und gehe in Meander-
linie nach unten. Immer nach Durchsicht von 100 Feldern wird die ge¬
fundene ZaliJ aufgeschrieben, so dass eine gute oder schlechte Ver¬
teilung in der Kammer zu erkennen ist.
Eine Zählung der Blutplättchen erfordert nach vorstehendem Ver¬
fahren nicht mehr Zeit wie eine Erythrozytenzählung. Da mit einer
Blutentnahme Erythrozyten und Plättchen in derselben Kammer gleich¬
zeitig ausgezählt werden können, wird das Zählen der roten Blut¬
körperchen durch die Plättchenzählung um höchstens 10 Minuten ver¬
längert.
Wie bereits angedeutet, haben Vergleichszählungen keine grossen
Unterschiede gegeben. Hintereinander wurden bei 6 Personen je zwei
Zählungen vorgenommen, im Durchschnitt ergab sich eine Abweichung
um 9000 Plättchen. Die Fehlergrenze ist demnach ausserordentlich
gering.
Als Normalzahl fand ich bei Gesunden vormittags 11 Uhr im
Durchschnitt 230 000. Die Werte schwankten zwischen 174 000 und
Aus der Chirurg. Abteilung des Königin-Elisabeth-Hospitals
Berlin-Oberschöneweide.)
Chloramin-Heyden, ein physiologisches Antiseptikum.
Von Prof. Dr. Dobbertin, dirig. Arzt der Abteilung.
Das Chloren infizierter Wunden mit der neutralen
^pwz. Natriumhypochloritlösung (NaClO) nach Dakin hatte vier
Schattenseiten:
1. die umständiiehe Herstellung der Lösung aus Chlorkalk und Soda:
2. die Inkonstanz derselben an wirksamen Hypochloriten; sie
schwankt zwischen Vio und “/lo Proz.;
3. die Unzuverlässigkeit einer wirksamen Neutralisierung und die
dadurch bedingte Möglichkeit der Wundverätzung durch über¬
schüssigen Aetzkalk D.
4. die geringe Haltbarkeit der Lösung infolge schneller Zersetzung.
Aus diesen Gründen wählte ich schon im Felde ein anderes Her¬
stellungsverfahren, indem ich fabrikmässig elektrolytisch aus
Kochsalzlösung eine hochprozentige (etwa 20proz.) Hypochlorit¬
lösung nach der Formel:
NaCl + HoO = NaCIO + 2 H
hersteilen und diese auf Ampullen füllen Hess. — Das Präparat war
sicher neutral, haltbar, konstant. Die Achillesferse blteb nur die relativ
niedrige Konzentrationsmöglichkeit der Stammlösung und vor allem die
Zerbrechlichkeit der grossen Ampullen. Ein hoher Prozentsatz von
ihnen zerplatzte sogar spontan schon auf dem Transport, durch
vorzeitige Abspaltung des Sauerstoffs. — Das Ideal blieb ein festes,
pulverförmiges Präparat von unbegrenzter Haltbarkeit und einfacher
Dosierung. Natriumhypochlorit ist aber nur in flüssigem Zustand dar¬
stellbar.
In meiner ersten Chlorarbeit*) erwähnte ich bereits eine zweite
Lösung, die in englischen Lazaretten Anwendung fand und die man durch
Zufügen von Natriumhypochlorit zu Toluolsulfoamin
erhält. Erst nach dem Kriege ist es gelungen, die genaue Literatur
darüber zu erhalten und zu studieren. Es handelte sich um das
Dobbertin: Ueber Haltbarkeit der Dakinlösung. M.m.W. 1917.
Nr. 47.
*) M.m.W. 1916 Nr. 45, Feldärztl. Beil.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
$. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
429
P-Tüluolsulfochloramid-Natrium, eine kristallinische Sub¬
stanz, die in fester Form völlig haltbar ist.
Insbesondere D a k i n und seine Mitarbeiter fanden bei ihren Unter¬
suchungen, dass dasselbe in wässriger Lösung Staphylokokken bei einer
Konzentration von 1 :1000 000, in Gegenwart von Pferdeserum bei
einer Konzentration von 1:2000 innerhalb von 2 Stunden abtötet. Dabei
können nach Dakin weit stärkere Lösungen (bis 4 Proz.) als Hypo¬
chloritlösungen zur Wundbehandlung benutzt werden bei nur geringer
Giftigkeit des Präparats*).
Ein weiterer Vorzug besteht in der neutralen Reaktion der Lösung,
sowie in dem Umstand, dass die keimtötende Wirkung des Präparats
im Verhältnis zum Molekül grösser ist als diejenige Ges Natriumhypo¬
chlorits *).
I. P r ä p a r a l.
Aus den angeführten Gründen schien eine Nachprüfung lohnensw'ert
und die chemische Fabrik von H e y d e n hat das englische Präparat
ihrerseits hergestellt.
Seine chemische Konstitution:
r> u
\Nii
Es ist das N a i r i u m s a 1 z eines in der Sulfamidgruppe
chiorierten Para-Toluolsulfamids. D'’«; Chlor ist bei
diesem Präparat der leicht abspaltbare Bestandteil einer organi¬
schen Verbindung. Der Prozentgehalt an wirksamem Chlor beträgt
12,6 Proz. Es ist eine chemisch gut charakterisierte Substanz von immer
gleichmässiger Zusammensetzung und neutraler oder minimal alkalischer
Reaktion. — Eine Neutralisierung wie bei der sog. Dakinlösung ist also
nicht erforderlich. — Die Löslichkeit in Wasser ist bedeutend. Die
Lösungen sind absolut klar gegenüber der trüben Dakinlösung,
Haltbarkeit: In festem Zustand ist das Chloramin-Heyden un¬
begrenzt und unverändert haltbar. In wässeriger Lösung tritt nur sehr
allmählich ein Rückgang an wirksamem Chlor ein. der sich erst nach
Wochen fühlbar macht.—-Z. FL verbrauchte eine kalt hergestellte lOproz.
Lösung Von Chloramin
am 1. Tag: 31,4 ccm Nairiunithiosulfatlösung (als Titer)
nach 7 Tagen: 31,2
nach weiteren 5 Tagen: 30,2
4 Tagen: 29,6 „
10 proz. Stammlösunc^en können also ruhig 1—2 Wochen ohne erheb¬
liche Einbusse ihrer Wirksamkeit zu Verdünnungen vorrätig gehalten
werden.
Dieselbe glänzende Beständigkeit bewahrt das Präparat aber auch
in der W ä r m e im grossen Gegensatz zu anorganischen Hypochloriten,
einschliesslich der sog. Dakinlösung. Z. B. zeigt eine kalt hergestellte
Lösung den Titer 28,85 ccm. Sie wurde durch 2 Stunden auf 80” er¬
wärmt und zeigt dann immer noch den Titer 27,5 ccm. — Das ist ausser¬
ordentlich wichtig für alle Spülungen. Sie können bei voller Erhaltung
der Wirksamkeit in w'armem und heissem Zustand erfolgen!
Seine bakterizide Kraft und Giftigkeit wurde von D o l d *')
im Vergleich zu Phenol geprüft. (Ich verweise auf seine Arbeit an
anderer Stelle d. Nr.)
II. Allgemeine Technik.
Seit anderthalb Jahren habe ich das Präparat Heyden an vielen
Hunderten von Fällen ausprobiert. Zu Wundverbänden benutzte ich
'A proz. kalte, wässerige Lösungen. Man kann destilliertes, oder im Not¬
fall Brunnenwasser zur Verdünnung benutzen.
Spülungen von Wund- und Körperhöhlen, sowie des Uterus, der
Scheide erfolgten mit warmen proz. in physiologischer Kochsalz¬
lösung verdünnten Chloraminlösungen, wie sie in allen grösseren Kliniken
der Kochsalzbereitungsapparat ständig liefert. Sie stärker zu nehmen,
wie es Dakin (cf. oben) bis zu 4 Proz. getan hat, dafür bestand nach
den Do Id sehen experimentellen Ergebnissen und meinen Resultaten
kein Grund. Wo es von uns probeweise geschehen war, zeigten die
Wundflächen ein eigenartig trockenes, graubraunes Aussehen mit keiner
oder spärlicher Granulationsbildung. Wir deuteten das Bild als die Folge
einer Verätzung durch die konzentrierteren Lösungen. — Spülungen
wurden stets mit grossen Mengen von mindestens 3—5 Litern vor¬
genommen (aus später zu erörternden Gründen).
Die Verbandtechnik blieb, wie sie sich im Felde bewährt
hatte®). Ich wiederhole kurz das Wesentliche:
Vorangeht Entfernung eventueller Fremdkörper, breite, übersicht¬
liche Freilegung irgendwelcher Buchten, Winkel. Tunnellierungen der
mehr weniger tiefen W^unden und Abtragung zerquetschten, nicht lebens¬
fähigen Materials. Es folgt eine ausgiebige Spülung mit grossen Mengen
’4 proz. Chloraminlösung. Sodann der triefend nasse Verband mit
'A proz. Lösung.
Eine eingetauchte einfache Mullage bedeckt als Schleier die ganze
Wundfläche, alle Vertiefungen und Buchten genau verfolgend. Darüber
*) Dakin; lieber gewisse chlorhaltige Substanzen etc. Compt. rend.
de Tacadömie des Sciences T. 161, S. 150. 1915.
*) Dakin, Cohen. Danf.esne, Kenyon: Die antiseptische Wir¬
kung von Körpern der Chloramingruppen. Proc. Royal. Soc. London Serie B,
Vol. 89, S. 232.
®) lieber Chloramin-Heyden als Desinfektionsmittel. M.m.W. 1921
Nr. 14 S. 431.
*) Cf. meine „Erste Mitteilung“. M.m.W. 1916 Nr. 45.
wird ein Gummidrainrohr mit einigen Seitenlöchern bis in den ab¬
hängendsten Winkel eingelegt. Es muss so lang sein, dass es zum Nach¬
füllen durch den Verband nach aussen reicht. — Ausstopfen der ganzen
Wundhöhle um das Rohr mit triefend nassem Zellstoff, jede Tasche be¬
sonders! Einige nasse Lagen auf die Wunde und das Ganze verband-
mässig mit Mullbinden gehalten. Kein wasserdichter Stoff!
Etwa 2 stündliches Nachfüllen des Verbandes durch das Füllrohr
mittels Glastrichters, bis die Lösung abtropft. Bei flachen oberflächlichen
Wunden und Geschwüren einfache Begiessung des Verbandes von aussen
ohne Füllrohr. Verbandwechsel je nach Sekretdurchtränkung etwa
2—3 tägig.
Bei schwer verschmutzten, infizierten, komplizierten. Knochen¬
brüchen primär gefensterte Gipsverbände, sofort nach Einlieferung und
Wundversorgung. Zur Vermeidung nachträglicher traumatischer oder
entzündlicher Schwellung nach dem Verbände stelle Hochlagerung.
Amputationsstümpfe, wiegen schwerer Infektion ausgeführt, prophylak¬
tisch chloren, weil die Lymphbahnen scheinbar gesunder Schnittflächen
mit Bakterien beladen sein können (Payr).
III. Wirkung.
a) chemisch: Bei der Wirkung des Chloramins auf Wunden und
Körpersekrete, die natürlich mit seiner eignen Zersetzung verbunden ist,
erfolgt nachstehende chemische Reaktion:
V lia
nV(1
'\Na
H\,, _ „ /f'Hs
-f XaCl -f 0
Paratoluoisulfoiicliioramidnatriuiu -j- W'a.sser = Toluols»ulfonaini(l -|- Kochsalz -f
Sauei-atorf.
Es entsteht also neben dem völlig indifferenten, gelöst blei^erlden
Toluolsulfonamid eine hypertonische Kochsalzlösung, und zwar zu
20,7 Proz. vom Gewicht des Chloramins unter Freiw'erden von
Sauerstoff. Dieser letztere im E n t s t e h u n g s z u s t a n d e ist
das wirksame Prinzip des Chloramins'). 1 Liter einer
10 proz. Chloraminlösung entwickelt fast genau 4 Liter Sauerstoff. — Im
dauernd nassgehaltenen Verband verdunstet und zerfällt fortwährend die
mit Sekret gemischte Lösung, neue wird nachgegossen, zerfällt wieder usi.
ln diesem Kreislauf wird der Oxydationsprozess ein kontinuierlicher; der
nasse Verband ist beständiger Zuträger neuen Materials für den chemi¬
schen Zersetzungsvorgang in der Tiefe der Wunden, aber keijti P r i e s s -
nitzscher Umschlag! Daher wäre ein Einhüllen in Oelleinen wider¬
sinnig.
Bei Gegenwart von Gew-ebsflüssigkeit tritt sofort die Reaktion auf.
Die bakteriologische Wirkung im Reagenzglas ist bei Anwesenheit von
Serum natürlich sehr viel geringer als in ^kässeriger Lösung oder
Bouillonkultur (cf. Do Id: 1. c.), weil Chloramin auf das Serum einwirkt
und dadurch Verbrauch von Chloramin stattfindet. Die desinfizierende
Wirkung ist gleichwohl bei Wunden gegenüber anderen Antiseptika eine
bedeutende — soweit diese Antiseptika nicht überhaupt durch Ausfällung
des Zeüeiweisses nahezu wirkungslos werden —, zumal bei Verwendung
von einem Ueberschuss an Chloramin lösung. Aus diesem
Grunde machen wir auch Dauerberieselungen der Verbände und die
Höhlenspülungen (Uterus, Scheide, Blase etc.) mit verhältnismässig
grossen Flüssigkeitsmengen von schwächerer Konzentration. Dann
macht sich die Massenwirkung des Desinfiziens besonders wirksam
geltend.
b) klinisch: Das konstante Abspalten von Sauerstoff in statu
nascendi beschleunigt durch Eindringen der Gasbläschen in die Beläge
die Abstossung nekrotischen Gewebes und fibrinös-eitriger Beläge,
fördert machtvoll die Granulationsbildung, wirkt fäulniswidrig und — tötet
vor allem durch seine souveräne, bakterizide Wirkung die Keime ab!
Wie ein Sauerstoffdauerbad erzeugt er eine intensive, aktive Hyperämie.
Von diesem letzten Vorgang kann man sich besonders instruktiv
überzeugen, wenn man auf eine blasse Granulationsfläche das reine
Chloraminpulver wie einen dünnen Hauch mit dem .Augenpinsel aufstäubt.
Augenblicklich werden die Granulationen hochrot «nd fangen nach
we’higen Sekunden an spontan zu bluten; also: Kongestive Hyperämie mit
Haemorrhagia .per diapedesin. Nebenbei verursacht das Experimeiu
starkes Brennen.
Das andere Korrelat des Zerset^ungsprozesses bewirkt als hyper¬
tonische Kochsalzlösung eine starke Lyibphorrhöe mit mecha¬
nischer Ausschwemmung von infektiösem Material. Daher die baldige
Durchtränkung der Verbände mit Wundsekreten und inr unansehnliches
Ansehen durch Beimischung zerfliessender Gewebsfetzen. Weiter hemmt
Chlprnatrium die faulige Zerlegung nekrotischen Fleisches (der Pökel¬
prozess im Haushalt) und durch Chlorierung der Eiweisskörper wird die
Wunde von Toxinen befreit.
Dieser ganze klinische Vorgang aus den Wunden Ist bereits nach
wenigen Tagen des Chlorens ersichtlich und am sechsten Tag im
wesentlichen abgeschlossen: die Reinigung vollendet, die Granulations¬
bildung üppigst, die Sekretion im Versiegen, die Wundfläche so gut wie
mikrobenfrei. Die Granulationen fest, grobgekörnt, blutstrotzend.
Choraminspülungen von Abszesshöhlen, vereiterten serösen
Höhlen, oder von Schleimhauthöhlen (Uterus, Schelde) bewirken ein
schnelles Zurückgehen der Sekretion bis zur völligen Trockenlegung.
Wir sahen z. B. starke, puerperal-septische und gonorrhoisch-eitrige
Genitalausflüsse, die vorher lange Zeit mit allen möglichen anderen Des-
infizientien nutzlos gespült waren, nach 2—4 Tagen völlig versiegen!
^) Cf. meine 2. Chlormitteilung, M.m.W. 1917 Nr. 14 S. 468.
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
430
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Schliesslich ergaben unsere Beobachtungen noch eine überraschende
Wirkung des Chloramins: einen deutlichen Anreiz zur Epidermi-
sierung. Es gelang damit oft eine direkt in die Augen springende
Beschleunigung der Ueberhäutung grosser Granulationsflächen.
Nebenbei bemerkt sei noch der völlig schmerzlose Verbandwechsel
und die energische Desodorisierung stinkender Wundnächen.
Hautschädigende Komplikationen haben wir trotz monate¬
langer, feuchter Verbände nie gesehen. Im Gegenteil, die Haut wd
fester, bleibt aber geschmeidig. Ebensowenig sahen wir ätzende Er¬
scheinungen an den Schleimhäuten oder Unregelmässigkeiten von seiten
des Herzens oder der Nieren. ^ .
Die klinische Wirkung mit zwei Worten: desinii-
zierend -zellaktivierend.
IV. A n w e n d u n g s b e r e i c li.
a) Als Verbände mit Miproz. kalter, wässriger Lö-
^ "l alle schwerinfizierten, beschmutzten, frischen Wunden,
wo ein antiseptischer Verband in Frage kommt, wie Ueberfahrungen.
Zermalmungen; die beschmierten und zerfetzten Handvorderarm-
Maschinenverletzungen, sind mit Chloraminverbänden zu behandeln.
Schnelle Reinigung und baldige üppige Granulationen sind der Lohn.
Gasbrand ist in der Nachkriegszeit so gut wie verschwunden --jcii
beobachtete einen einzigen Fall nach schwerer Ueberfahrung des Ober¬
schenkels mit arger Verschmutzung und Zertrümmerung der Muskulatur.
Er ist unter Chlorbehandlung geheilt. — Amputationsstümpfe nach Ex¬
tremitätenzermalmungen sind prophylaktisch zu chloren.
2 die schwer beschmutzten, offenen Frakturen mit
ausgedehnten Weichteilzerreissungen, event. komplizierenden Gelenk¬
öffnungen etc. Technik s. unter Abschnitt II. o ,
3. insbesondere komplizierte Konvexbrüche des Schädels mit
Gehirnzertrümmerungen, gleichzeitig wegen der gewebs-
härtenden Eigenschaft der Chloraminlösungeri. Natürlich geht breite
Freilegung und event. Entsplittemng voran. Nach 4—5 Tagen sah man
die Qehirndefekte mit festen, roten Granulationen bedeckt.
4. Osteomyelitische Knochenaufmeisselungen und Nekrotomiehölilen;
schw’er vereiterte, offene Gelenke. Man m^cht in letzteren
Fällen zur Sekretableitung die Arthrotomieschnitte relativ klein, um für
später soviel als möglich von der Bewegung zu retten. Schnelle Ent¬
fieberung und Nachlass der Schmerzen sind sicher.
5. Alte schmierige, gangräneszierende W u n de n mit phleg¬
monösen Rändern und schwerheilende, torpide Oranulations-
flächen chronischer Geschwüre, insbesondere Ulcera cruris zur Be-
schleuni^ng der Reinigung und zur energischen Anregung guter, fester
Granulationsbildung. *
Hierbei fiel uns die ausgezeichnete epidermisierende Wirkung des
Chloramins auf. In wenigen Tagen kamen traumatische und variköse
Unterschenkelgeschwüre unter den nassen Chlorverbänden zur Ueber¬
häutung. Man konnte täglich die fast sprunghaften Fortschritte ver¬
folgen. Ferner erlebten wir, dass schwerheilende Geschwüre sich unter
Chloramin mit Epidermis bedeckten, die allen anderen Behandlungsarten
mit Scharlachrot-, Pellidol-, Suprareninsalbe lange Zelt getrotzt hatten.
— Mit Vorbedacht' chlorten wir die Granulationsflächen zur schnelleren
Epidermisierung, die durch Spaltung der Fingerzwischenräume bei Syn-
daktylie entstehen. ^
Es wären endlich einschlägige Versuche mit Chlorverbanden zu-
machen zur lokalen Behandlung der in letzter Zeit häufiger beobachteten
Wunddiphtherie und Diphtheroide ohne nachweisliche Bazillen.
Wir beobachteten bisher auf unserer Abteilung keine Fälle.
b) als Spülung mit ^^proz. warmer Lösung (Verdünnung
in physiologischer Kochsalzlösung):
6. Fiebernde Gelenkergüsse mit blutigem oder trüb¬
serösem Inhalt. Trokar Punktion in üblicher Weise. Hiedurch lange
Chloraminspülung unter gründlicher Entfaltung der gesamten Kapsel,
event mit zweiter Gegenpunktion zum Ablauf. Zum Schluss massige
Anfüllung des Gelenks mit Lösung und je eine Naht für die Trokar¬
stiche. Bei Fortdauer des Fiebers, aber sonst nicht bedrohlichen Er¬
scheinungen kann das 2—3 tägig längere Zeit wiederholt werden. Die
Qelenksynovia verträgt das anstandslos. — Wir haben puerperal¬
pyämisch vereiterte Kniegelenke so ohne Gelenkeröffnung zur Heilung
gebracht Ebenso versiegten Fuss- und Ellenbogengelenkseiterungen mit
kleinstem Arthrotomieschnitt und täglicher Spülung durch eine gegen¬
überliegende Punktionsöffnung bei Erhaltung befriedigender Beweglich¬
keit — Natürlich kommen Fälle mit schwerer Kapselphlegmone hier-
hierfür nicht in Betracht.
7. Alle möglichen stark und länger sezernierenden Eiterhöhlen
nach Eröffnung, wie Douglasabszesse,* subphrenische und andere
abgesackte Intraperitonealeiterungen; Testierende infizierte Höhlen nach
Exstirpation grosser Pyonephrosen; abgeschlossene, stark absondernde
Empyemhöhlen nach Rippenresektion. Stets wird man schnellen, oft
frappanten Rückgang der Sekretion bis zur Trockenlegung beobachten.
Dauernde Entfieberung und Zusammenfall folgen.
8. Geschlossene Eiterungen, wie Halsdrüsenabszesse, Karbunkel im
sog. reifen Stadium, eitrige Bursitiden, Sehncnscheiden-
Phlegmonen®). Es wird nur eine winzige Stichinzision zur Eiter¬
entleerung gemacht, für wenige Tage ein kurzes Drain eingelegt, durch
das täglich gespült wird. Heilung nach 5—10 Tagen.
®) Cf. Hauser: D.m.W. 1917 Nr. 36 S. 1140.
Vereiterte Sehnenscheiden werden durch je einen, etwa 2 cni
langen, Schnitt am Finger, in der Hohlhand unterhalb de-s Lig. carpi und
oberhalb desselben am Vorderarm eröffnet und nach Entleerung von
einer Oeffpung hinein zur andern heraus mit reichlichen Chloramin¬
lösungen 1—2 tägig gespült. Die Oeffnungen locker, feucht tamponiert.
Als Spülrohr benutzte ich dünne, stumpfe Metallkanülen, wie sie zu
intravenösen Infusionen gebräuchlich sind. Die funKtionellen Erfolge
waren ausgezeichnet bei wesentlicher Abkürzung der Heilungsdauer.
9. Nahezu als Spezifikum haben sich die Chloraminspülungen bei
eitrigen Genitalausflüssen, sowohl puerperaler wie gonor¬
rhoischer Provenienz, bewährt. Fälle, die tage- und wochenlang mit
allen möglichen, andern Mitteln gespült oder trocken mit Pulyereinstäu-
bung behandelt waren, reagierten auf Chloramin prompt mit völligem und
dauernden Versiegen, nach 2—4 Tagen. — Scheidenspülungen wurden
täglich mit grossen, ^4 proz. Lösungen von 3—5 Litern, tunlichst heiss
(etwa 45® C) in Rückenlage-Ouerbett gemacht. Bei gonorrhoischen
Eiterungen erfolgte jeden zweiten Tag ein heisses Sitzbad von 40° C.
Vi Stunde lang. Ausserdem in frischen Fällen 2 proz. Kollargollösung
intravenös jeden 2. Tag.
Bei puerperal-septischer Endometritis gegebenenfalls vorsichtig eine
grosse 5 Liter-Uterus-Höhlenspülung mit doppelläufigem Katheter.
Rektumgonorrhöen wurden genau wie Genitalgonorrhöeii
mit demselben schnellen Resultat behandelt.
Z y s t i t i d e n infolge Gonorrhöe, Striktur, bei Prostatikern, post¬
operativ nach vaginalen Eingriffen reagierten gut auf Chloramin¬
spülungen. Jedoch verursachten Vi proz. Lösungen oft Brennen und wir
benutzten letzthin Vs proz. oder prom. Lösungen.
10. Ohrspülungen bei chronischen Mittelohreiterungen
konnten wir mangels Materials nur in wenigen Fällen ausprobieren. Doch
gelang in diesen eine überaus rasche Trockenlegung. ■— In einem Fall
mit weiter, zentraler Perforation gelang die Spülung retrograd durch den
eingeführten Tubenkatheter auffallend leicht, während der Patient auf
dem kranken Ohr lag. Doch bedarf es hier der Nachprüfung durch
Ohrenärzte.
11. Schliesslich nahm ich meine Versuche aus dem Felde wieder auf,
die Bauchhöhle mit Chlor zu spülen. Damals musste ein
scheinbarer Erfolg illusorisch sein, weil die Chlorlösung aus anorganischen
Substanzen (also auch die sog. Dakinlösung) selbst bei leichtem Er¬
wärmen sehr schnell zerfällt.
Da Chloramin-Heyden selbst bei stundenlangem Erhitzen auf 80°
fast völlig beständig und seine Toxitität eine sehr geringe ist, spülten
wir mit 10 Liter V* proz. heisser Chloraminlösung von 40° C (Ver¬
dünnung in physiologischer Kochsalzlösung). Dabei halte ich die
schonende, mechanische Auswaschung der Peritonealhöhle durch das
Spülen für das Wesentliche. Doppelläufige Spülrohre sind deshalb meines
Erachtens nicht rationell, weil sie nur jeweils kleine Bezirke im weiten,
buchtenreichen Bauchraum benetzen. Ich benutze seit Jahren ein Glas¬
rohr von der Form des Scheidenspülrohrs, nur grösser, 15:25 cm vom
Knick nach den Seiten gemessen, und 1 cm Durchmesser in der Lichtung.
Dieses führe ich in typischer Reihenfolge in die abhängigsten Partien,
in den Douglas, die Lendenmulden, subphrenisch-subhepatisch, subliena!
und zum Schluss nochmals in den Douglas. So erreiche ich, dass die
Flüssigkeit von den tiefsten Punkten aus retrograd zwischen alle Därme
und in alle Winkel eindringt und alles infektiöse Material quasi von
j hinten unten nach oben zum Laparotomieschnitt ausschwemmt.
Um aber ganz sicher eine Chlorintoxikation auszuschliessen, spüle
ich hierauf durch das liegende Rohr mit weiteren 10—20 Litern heisser.
physiologischer Kochsalzlösung das Chloramin restlos aus der Bauch¬
höhle heraus.
V. Händedesinfektion.
Einen umwälzenden Erfolg erwarte ich vom Chloramin-Heyden in
der Frage der H ä n d e d e s i n f e k t i o n. Im Felde scheiterten meine
diesbezüglichen Versuche mit Dakinlösung an der unleidlichen Eigenschaft
derselben, dass sie auf die Dauer für die Haut unverträglich war. Be¬
sonders an den Fingern wurde sie hart und rissig, die Fingernägel
schmutzig-graubraun, spröde und brüchig.
D o 1 d (1. c.) hat auf meine Veranlassung eine Reihe bakteriologischer
Versuche über die keimtötende Wirkung bei der Bearbeitung der Hände
durch Chloraminlösung ausgeführt. (Vergl. seine Arbeit.)
Trotzdem möchte ich die mechanische Reinigung mit Seife und
Bürste vor der ersten Sterilisierung nicht missen. Wir kombinierten
beides. Seit einem halben Jahr fuhren wir für alle Operationen
a) die Händedesinfektion mit bestem Erfolg so aus. dass wir
1. 5 Minuten lang die Hände und Vorderarme in üblicher Weise
mit Seife in heissem, fliessendem Wasser bürsten. Dann
2. weitere 5 Minuten lang die Hände in % proz. kalter, wässriger
Lösung von Chloramin-Heyden mit der Bürste bearbeiten.
Vorausgesetzt, dass mit Gummihandschuhen gearbeitet wird,
genügt
3. für fernere, anschliessende Operationen zur Desinfektion der
2. Akt: 5 Minuten langes Bürsten mit proz. Chloramin¬
lösung.
b) Alsdann haben wir in Abänderung der bisher geübten Verfahren
als Haut- resp. Schleimhautdesinfektion bei allen gynäkologischen
und geburtshilflichen Eingriffen per vaginam nur ein:
5 Minuten langes Abwaschen und Reiben der äusseren Geni¬
talien, der angrenzenden Oberschenkel- und Natespartien mit
grossem Mulltupfer und reichlich Vz proz. Chloraminlösung ans-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
8. April 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
481
geführt. Als Abschluss erfolgt eine Scheidenspülung mit 3 Litern
einer V* proz. warmen Chloraminlösung.
Zahlreiche bakteriologische Prüfungen von uns ergaben, dass nach
dem ersten Akt der Desinfektion mit Seife und Bürste in Hautschollen,
die unter den Nägeln etc. steril abgeschabt waren, noch ziemlich reich¬
lich Bakterien gefunden wurden, dagegen bestand nach der Chloramin-
bürstung äusserste Keimarm-ut!
c) Schliesslich: Sind die Hände bei Verbandwechseln etc. unbeab¬
sichtigt mit infektiösem Material in Berührung gekommen, werden sie am
Schluss der klinischen Arbeitszeit kräftig, mindestens 5 Minuten lang mit
I proz. Chloraminlösung gebürstet.
Gegenüber der klassischen Fürbringer sehen Methode fällt
völlig der teure Alkohol fort. Statt des sehr giftigen und zu Ekzemen
reizenden Sublimats tritt das Chloramin an dessen Stelle. Dieses ver¬
einigt in sich die zusammenziehende, schrumpfende Wirkung des Alko¬
hols durch Qewebshärtiing mit der keimtötenden der Quecksilbersalze. —
Man spart viel Seife und' heisses Wasser. Der Desinfektionsmodus wird
vereinfacht, die Desinfektionszeit beträchtlich verkürzt. — Bei der fast
völligen Ungiftigkeit ist diese Methode auch bei zu Intoxikationen be¬
sonders neigenden Operationen, wie Kropfexstirpationen etc., gefahrlos
zu benutzen.
Was die Verträglichkeit anlangt, so wird das Chloramin
trotz reichlicher und häufiger Anwendung von der Haut der Hände nicht
nur anstandlos vertragen, sondern — bessert sie sogar erheblich.
Im krassen Gegensatz zu den aus anorganischen Stoffen hergestellten
Hypochloriten (Dakinlösung) besitzt das organisch gebundene Chloramin-
Heyden die prachtvolle Eigenschaft, dass es die Haut der Hände und
Finger durch eine gewisse Gerbung fester und zugleich auffallend weich
und geschmeidig macht. Rissige Fingerhaut und spröde Hände wurden
unter dem Einfluss von Chloramin wunderbar glatt und sammetweich;
die Nägel in keiner Weise angegriffen; das Gefühl und feinere Tast¬
empfinden nicht eine Spur beeinträchtigt. Diese Beobachtung war
durchgehend bei Operateuren, Assistenten und Schwesternpersonal die
gleiche.
Gummihandschuhe, Drains, Nelatonkatheter werden von Chloramin
in keiner Weise angegriffen. — Wir haben Fingerlinge und Handschuhe
2—3 Tage dauernd in 2 proz. Chloraminlösung liegenlassen und dann
sterilisiert: Sie Hatten nichts an Haltbarkeit, Öastizität oder Glattheit
eingebüsst. Man kann sie also während der Operationen getrost und
schadlos in Vz proz. Chloraminlösungen abspülen.
H. B r a u n - Melsungen macht darauf aufmerksam, dass Jodkatgut
nicht mit Sublimat zusammengebracht werden darf, weil sich sonst
auf der Oberfläche ätzendes Jodquecksilber bildet, das wiederum zu
Fadeneiterung Veranlassung gibt. Ein Grund, Quecksilbersalze bei der
Desinfektion zu meiden.
Ich hoffe, dass sich die leicht durchführbare, überaus
zuverlässige, ungiftige und reizlose Chloramindes¬
infektion viele Freunde erwerben wird. Für den Praktiker ist sie
bequem, für Hebammen gewiss harmloser als die starken Gifte: Sublimat
und Lysol.
VI. Zusammenfassung.
Das Chloramin wird von der Firma Heyden-Dresden-Radebeul in
Pulverform, vorläufig in Packungen zu 25, 100 und 1000 g in den Handel
gebracht. Man fügt ein Mass von 2%. g zur leichten Dosierung hinzu.
Es dient zur Herstellung von ’4 bzw. K proz. Lösungen durch Lösen
dieser Mengen in 1 bzw. Vs Liter Wasser.
Chloramin erfüllt die Forderungen, die man in der
chirurgischen Wundbehandlung und Geburtshilfe an
ein Antiseptikum stellen muss, fast restlos:
I. es ist von einer keimtötenden Kraft, die der des Sublimats
nichts nachgibt, die des Hypochlorits um das doppelte, die des Lysols
um vieles, die der Karbolsäure um das Hundertfache übertrifft:
2. es ist nahezu ungiftig im Gegensatz zu den sehr giftigen, ge¬
bräuchlichsten Antiseptika: Sublimat, Karbol, Lysol;
3. es ist organisch gebunden; in den üblichen Konzentrationen übt
es keine ätzende Wirkung aus und bringt das E i w e i s s der Zellen
nicht zum Gerinnen, wie in hohem Masse das Phenol,
4. es ist eine chemisch gut charakterisierte Substanz, von stets
gleichmässiger Zusammensetzung, in fester Form unbegrenzt
haltbar, in kalter wie heisser Lösung von grosser Beständigkeit.
Seine Lösungen sind klar, von neutraler oder,fast neutraler Reaktion,
ist ökonomisch unschädlich: es zerfrisst weder Verbandstoffe, noch
Wäsche, während die Chlorkalkpräparate in ihrem Mischungsverhältnis
inkonstant, nach kurzer Zeit beträchtlichen Rückgang an Chlor zeigen;
ihre kalten Lösungen bald, beim Erwärmen sehr schnell zerfallen, trübe
sind und stark alkalisch reagieren. Wäsche und Verbandmittel werden
schnell durch sie zermürbt;
5. Chloramin beschleunigt die Wundreinigung, wirkt
kräftig grahulationsanregend, fördert die E p i d e r m i -
sierung, desordorisiert, schädigt trotz monatlanger Benutzung
die Haut nicht.
Ich kannte bisher kein Antiseptikum mit derartig vielen vortreff-
üchen Eigenschaften, ohne dafür Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Man kann es mit Recht ein„physlologisches Anti¬
septikum“ nennen!
Aus dem Hygienischen Institut der Universität Halle a. S.
(Direktor: Prof. P. Schmidt.)
Ueber Chloramin-Heyden als Desinfektionsmittel.
Von Prof. H. Dold.
Während des Krieges sind namentlich von englischen und ameri¬
kanischen Chirurgen Hypochloritlösungen, insbesondere die sogen.
D a k i n sehe Lösung vielfach zur Desinfektion von Wunden verwendet
worden. Von deutschen Chirurgen befasste sich besonders Dobbertin
mit diesem Verfahren (s. M.m.W. 1916 Nr. 45 S. 1602). Die von D a k i n
und seinen Mitarbeitern beschriebene stark bakterizide, auf Ab¬
spaltung von freiem Chlor beruhender Wirkung der D a k i n -
Sehen Lösung wurde allerdings von einigen gelegentlichen Nacli-
untersuchern iMorgenroth und B u m k e Dl nicht beobachtet. Auch
Ritz und SchlossbergerD fanden eine wesentlich geringere keim¬
tötende Kraft der D a k i n sehen Lösung, wenigstens gegenüber Qas-
brandbaziilen, als Dakin selbst* Trotzdem erwies sich auch in den
Versuchen von Ritz und Schlossberger die Dakin sehe Lösung
vergleichsweise gegenüber dem Phenol bedeutend überlegen. Von den
anderen untersuchten chemischen Substanzen übertraf nur das Sublimat
die Dakin sehe Lösung an Wirksamkeit.
Dakin und seine Mitarbeiter haben weiterhin auch die Desinfek-
tionskraft von chlorierten Toluolderivaten, insbesondere die des
P-Toluolsulfonchloramid-Natrium (von Dakin als Chloramin T be¬
zeichnet) untersucht und eine Ueberlegenheit dieser Präparate gegen¬
über den Hypochloriten festgestellt. Dakin fand, dass dieses Prä¬
parat Staphylokokken in wässerigen Lösungen bei einer Konzentration
von 1 : 1 000 000 und bei Gegenwart von Pferdeserum bei einer Kon¬
zentration von 1:2000 innerhalb von 2 Stunden abtötete.
Die chemische Fabrik von Heyden hat ein solches p-ToluoIsulfon-
chloramid-Natrium hergestellt. Es ist eine feste, weisse. in Wasser
leicht lösliche Substanz von folgender chemischer Zusammensetzung:
SO*Nv -I- 3 H.,0
Vor den Hypochloritlösungen hat diese Substanz den Vorzug, dass
sie annähernd neutral reagiert und dass sie nach den Versuchen von
Dakin in viel stärkeren Konzentrationen zur Wundbehandlung ange¬
wendet werden kann. Wie schon erwähnt, soll auch die keimtötende
Kraft des p-ToIuolsulfonchloramid-Natrium im Verhältnis zum Molekül
grösser sein als diejenige des Natriumhypochlorit; auch soll nach
Dakin das Natriumsalz des p-Toluolsulfonchloramid-Natrium eine nur
geringe Giftigkeit besitzen.
Im folgenden seien einige orientierende Versuche über das obige
von Heyden hergestellte Präparat mitgeteilt.
Giftigkeit. An weissen Mäusen w-urde eine grobtoxikologische
Prüfung vorgenommen, indem den Tieren (Mäusen von 15 g Gewicht)
gleiche Mengen (1 ccm) fallender Konzentrationen des Präparates sub¬
kutan einverleibt wurden. Es ergab sich, dass 1 ccm einer Lösung
1:10000 und geringere Konzentrationen von den Tieren ohne erkenn¬
bare Krankheitserscheinungen vertragen wurden, während 1 ccm einer
Lösung 1:1000 teils eine vorübergehende schwere Erkrankung, teils
den Tod der Tiere innerhalb von 18 Stunden und I ccm einer 1 proz.
Lösung regelmässig den Tod der Tiere innerhalb von 2—3 Stunden
herbeiführten. Es lag demnach die Toxizitätsgrenze für 15 g Maus
zwischen 1 ccm 1:1000 und 1 ccm 1:10000.
Daraus ergibt sich, dass die Giftigkeit verhältnismässig
gering ist, und dass die bei Behandlung grösserer Wundflächen
etwa zur Resorption gelangenden Mengen des Präparates wohl kaum
nachteilige Folgen haben dürften.
Von F a n t u s und Smith®) ist die hämolytische Wirkung des
P-Toluolsulfosäurechloramidnatrium auf die Alkalität der Lösung zurück¬
geführt worden. Die Lösung des von Heyden hergestellten Prä¬
parates reagiert nur ganz schwach alkalisch. 1 g des Präparates, in 10 ccm
Wasser gelöst, verbraucht etwa 0,55 ccm n/10 Säure (Phenolphthalein
als Indikator). Ein neuerdings hergestelltes p-Toluolsulfonchloramid-
natrium enthält noch etwas weniger Alkali, indem 1 g, ln 10 ccm Wasser,
nur 0,40 ccm n/10 Säure zur Neutralisation braucht.
Die hämolysierende Wirkung des Heyden sehen Präparats
wurde gegenüber Hammel- und Menschenblutkörperchen geprüft (physio¬
logische Kochsalzlösung als Verdünnungsmittel). Das Ergebnis war, dass
Hämolyse der Hammel- bzw. der Menschenblutkörpercher: bei Ver¬
dünnungen bis zu 1 :1000 beobachtet wurden: stärkere Verdünnungen des
Präparates bewirkten keine sichtbare Hämolyse mehr. Diejenigen
Konzentrationen des Präparates, welche Hämolyse erzeugten, ver¬
ursachten zugleich auch eine Braun-Schw’arzfärbung des Blutes( Methämo-
globinbildung?).
Nach diesen Ergebnissen erscheint auch die Gefahr, dass durch die
kleinen von der behandelten Wundfläche aus etwa zur Resorption ge¬
langenden Mengen des Präparates nennenswerte hämolytische Wir¬
kungen entfaltet würden, praktisch gering.
D Morgenroth und Bumke: D.m.W. 1918 N. 27 S. 729.
D Ritz und Schlossberger: Arb. a. d. Inst. f. exp. Ther. u. d.
Georg-Speyer-Hause. Frankfurt a. M., Gust. Fischer, 1919, H. 7.
®) Fantus und Smith: Journ. Pharm, and Exp. Therapy, Vol. 14.
P. 259. Nov. 1919.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
4ß2
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. U.
Bakterizide bzw. entwicklungshemmende Wirkung.
Wir untersuchten zunächst die bakterizide bzw. entwicklungs¬
hemmende Wirkung des Präparates im Vergleich mit Phenol gegenüber
einem Laboratoriumsstamm von Staph. pyog aur. Je 3 Tropfen einer
24 ständigen Bouillonkultur von Staph. pyog. aur. w’urden in ie 5 ccm
fallender Konzentrationen des Präparates (Verdünnungsflüssigkeit physio¬
logische Kochsalzlösung) einerseits und Phenols anderseits eingesät und
dann für beide Substanzen diejenige Konzentration ermittelt, welche
innerhalb des gleichen Zeitraumes die eingesäten Bakterien abtötete
bzw. so in der Entwicklung hemmte, dass nach Ueberrragung einer Oese
der Mischung auf Bouillon (10 ccm) Wachstum bei 7 tägiger Beob¬
achtung ausblieb. Das Ergebnis war folgendes: Chlor am in
Heyden hatte in der von mir gewählten Versuchsanordnung in einer
Konzentration von 1 :100000 ungefähr die gleiche Wirkung wie Phenol
1 :1000; beide bewirkten in den genannten Verdünnungeri innerhalb
von 15—20 Minuten ,eine Abtötung bzw. die oben charakterisierte Ent¬
wicklungshemmung der eingesäten Staphylokokken. Bel Gegenwart von
50 Proz. Serum (Menschenseriim) wurde mit dem Heyden sehen Prä¬
parat das gleiche Ergebnis erst bei einer Konzentration von 1 :20Ö er¬
zielt. Eine vergleichende Prüfung des Phenol konnte nicht ausgeführt
werden, da die in Betracht kommenden Phenolkonzentrationen Eiweiss¬
fällungen in dem hälftig zugefügten Serum bewirken.
In einer anderen Versuchsreihe wurde die Wirkung stärkerer Kon¬
zentrationen des Präparates (Vsproz. und 1 proz.) gegenüber Strepto¬
kokken untersucht, wobei wiederum die Tropfenmethode gewählt
wurde. Es zeigte sich, dass 1 proz. Lösungen von Chloramin in einer
Mischung von 1 Teil steriler physiologischer Kochsalzlösung und 2 Teilen
steriler Bouillon die eingesäten frisch aus dem Kranken herausgezüch¬
teten Streptokokken bei starker Einsaat*) innerhalb einer Vz Stunde;
Vs proz. Lösungen innerhalb 1 Stunde abtöteten bzw. die oben charak¬
terisierte Entwicklungshemmung .bewirkten. Bei 50 Proz. Serumzusatz
erfolgte die Abtötung der eingesäten Streptokokken durch l^proz. Lö¬
sungen von Chloramin erst nach ca. 2 Stunden. Da das Chloramin viel¬
leicht auch zur Desinfektion von Schleimhäuten verwendet werden
könnte, wurde auch seine Wirkung gegenüber Gonokokken geprüft.
Es zeigte sich, dass frisch gezüchtete Gonokokken durch ‘/sproz. Lö-
sugen von Chloramin in Aszitesbouillon innerhalb von 3^^ Minuten,
von 1 prom. Lösungen innerhalb von ca. 8 Minuten abgetotet wurden.
Bei der geringen Widerstandskraft, die der Gonokokkus ausserhalb des
Körpers besitzt, sind diese Resultate allerdings nicht besonders ver¬
wunderlich.
Schliesslich machte ich noch einige orientierende Versuche über die
etwaige Eignung des Chloramins zur Händedesinfek¬
tion. Was die Verträglichkeit anlangt, so hatte die längere
und kräftige Bearbeitung der Hände mit Vi—1 proz. Lösungen von
Chloramin keine unangenehmen oder nachteiligen Folgen für die Haut.
Der Chlorgeruch haftet ziemlich lange an den Händen, was verschieden,
teils unangenehm, teils angenehm empfunden w^urde. Dass die Be¬
arbeitung der Hände mit Vs —proz. Lösungen von Chloramin in Wasser
eine sehr starke Keimverminderung bewirkt, geht aus folgenden Ver¬
suchen hervor.
Normal gepflegte Hände wurden zwecks Feststellung des ungefähren
Keimgehalts mit sterilisierten Hölzchen (Zahnstocher) abgeschabt (Volar- und
Dorsalfläche und Unternagelräume); hierauf wurde derjenige Teil des Hölz¬
chens, mit dem die Hand und die Finger abgeschabt worden waren, unter
sterilen Kautelen abgebrochen und in je 1 ccm steriler Bouillon gebracht.
Nach 1 Minuten langem Schütteln fügten wir verflüssigten Agar (8 ccm)
hinzu und verarbeiteten das Ganze nach gründlicher Mischung zu einer Platte
(deren Keimzahl nach 4 tägigem Aufenthalt iin Brutschrank ermittelt wurde).
Nachdem so der ungefähre Keimgehalt der Hände festgestellt war, vyurden
die gleichen Hände in Vs — Yk proz. Lösungen von Chloramin kräftig ge¬
bürstet. Nach Trocknung der Hände an der Luft wurde die gleiche Prozedur
(Entnahme mittels Hölzchen und Verarbeitung der daran haftenden Keime zu
Platten) wiederholt. Als Beispiel für den Effekt der Behandlung der Hände
mit diesen Chloraminlösungen seien folgende zwei Versuche angeführt:
Versuch mit
J^proz. Chloraminlösung.
Keimzahl
vor der Behandlung
nach 5 Min. langem Bürsten in
Vi proz. Chloraminlösung
fast unzählbar
120
ca. 5000
115
fast unzählbar
93
fast unzählbar
121
ca. 6000
62
Versuch mit
Kproz. Chloraminlösung.
Keimzahl
vor der Behandlung
nach 5 Min. langem Bürsten in
Vk proz. Chloraminlösung
fast unzählbar
215
ca. 7500
110
ca. 10000
350
ca. 8000
42
ca. 4000
25
Desinfektionsversuche haben immer nur relativen Wert, da die Ver¬
suchsbedingungen und das Testobjekt — auch wenn die gleiche Bak¬
terienart, ja der gleiche Stamm bei gleicher Versuchsanordnung unter-
sucht wird — in Wirklichkeit immer wieder etwas verschieden sind.
In Berücksichtigung dieser Tatsache kann ich zusammenfassend sagen,
*) Vier Tropfen einer 24 stündigen Qlyzerinagarkultur-Abschwemmung
(5 ccm Bouillon auf 1 Kultur) in 5 ccm Desinfektionsflüssigkeit.
Digitized by Goiisle
dass das Chloramin Heyden gegenüber den von mir untersuchten Bak¬
terien und bei der von mir gewählten Versuchsanordnung sehr beträcht¬
liche bakterienfeindliche Wirkungen entfaltet und dem Phenol gegenüber
eine starke Ueberlegenheit gezeigt hat. Da die Substanz eine >^r-
hältnismässig geringe Giftigkeit besitzt und bei oberflächlichem Ge¬
brauch die Gefahr hämolytischer Wirkungen praktisch wohl sehr gering
zu veranschlagen ist, dürften die von Dakin eingeführten
Chloramine und speziell das Chloramin Heyden als
Desinfektionsmittel namentlich bei Wunden ernste
Beachtung beanspruchen, zumal da sie nach den Angaben
erfahrener Chirurgen zugleich auch desodorierend und granu¬
lationsanregend wirken.
Wilhelm v. Waldeyer-Hartz f.
Am 23. Januar ist in Berlin nach'einigen Monaten schweren Leidens,
aber in voller geistiger Frische der berühmte Anatom Wilhelm
von Waldeyer-Hartz im 85. Lebensjahr gestorben. Seiner zu
gedenken ist nicht nur die Ehrenpflcht seiner SpeziaHcollegen, sondern
auch der Aerztewelt, haben doch etwa 20 000 Mediziner seine Vor¬
lesungen gehört und hat er selbst lebhaften Anteil genommen an den
Aufgaben des ärztlichen Standes in sozialer und wissenschaftlicher Hin¬
sicht. Es ist gewiss nicht zuviel gesagt, wenn ausgesprochen wird, dass
seit Bergmanns Tode kein Mediziner Deutschlands so allgemeine
Achtung und Verehrung genossen hat wie Waldeyer, da er eben,
wo er konnte, für den ärztlichen Stand mit seiner so hoch bewerteten
Persönlichkeit eintrat. Trotzdem er durch den Unterricht an der grössten
Universität, durch vielerlei wissenschaftliche Gesellschaften und eigene
Arbeiten übermässig in Anspruch genommen war, übernahm er den Vor¬
sitz über das ärztliche Fortbildungswesen, nicht nur durch Hergabe
seines Namens, sondern, wie es seine Art war, mit hingebender Arbeit
und segensreich wirkender Hilfe. Seine unermüdliche Arbeitskraft und
standhafte Gesundheit ist gewiss ein Erbteil seiner Abstammung von
westfälischem Boden, wo er oftmals im späteren Leben ausmhte. um
neue Kraft für seine Arbeit zu finden. Am 6. X. 1836 wurde er in Hehlen
geboren, wo sein Vater Oberverwalter eines grossen Gutes war, in
Paderborn besuchte er das Gymnasium und bezog 1856 die Universität
Göttingen, um Mathematik zu studieren. Mit unerhörter Selbstkritik
erkannte er, dass er nicht zum Universitätslehrer in diesem Fache ge¬
eignet wäre, da er sich in dem ersten Jahre seines Studiums keine selb¬
ständige mathematische Aufgabe habe stellen können, und so beschloss
er Medizin zu studieren, da er in den Vorlesungen von H e n 1 e gewaltige
Anregung für die Anatomie erhielt, wo er sich eher für befähigt hielt
etwas Selbständiges zu schaffen. In treuer Dankbarkeit hat er diesem
hervorragendsten anatomischen Lehrer, den wir in neuerer Zeit gehabt
haben, immer und immer wieder bezeugt, was er von ihm erhalten
habe, und wie er von ihm die wichtigste Anleitung für sein eigenes
Lebenswerk bekommen habe. Das Sehen und Anschauen, das uns
heute im anatomischen Unterricht selbstverständlich und absolut dazu¬
gehörig erscheint, ist von He nie zum erstenmal dabei eingeführt
worden, indem er seinen meisterhaften Vortrag durch Demonstrationen
makroskopischer und mikroskopischer Präparate und durch unübertreff¬
lich klare Zeichnungen, die beim Reden entstanden, ergänzte. In Be¬
wunderung und Bescheidenheit hat Waldeyer ausgesprochen, dass
er darin seinen Lehrer nie erreicht hat.
Nach weiteren fünf Semestern in Greifswald beendete Waldeyer
sein Studium in Berlin, wurde physiologischer Assistent bei v. W i 11 i c h
in Köngsberg und bei H e i d e n h a i n in Breslau, wo er sich dann aber
besonders der pathologischen Anatomie zuwandte, für die er mit
32 Jahren ein Ordinariat erhielt. 1872 erhielt er die Berufung nach
Strassburg als Professor der normalen Anatomie und 1883 nach Berlin
als Nachfolger von Reichert, wo er auch nach seiner Emeritierung
im Jahre 1917 bis zu seinem Tode Vorlesungen hielt. Die Vielseitigkeit
seiner Ausbildung, die Notwendigkeit sich an allen Stätten seiner Tätig¬
keit das Wesentliche, was für Unterricht und Forschen notwendig war.
erst selbst zu schaffen, hat in Waldeyers Leistungen bestimmend
und äusserst fruchtbringend gewirkt. Seinen wissenschaftlichen Ruf be¬
gründete er als pathologischer Anatom in Breslau durch grundlegende
Studien über den Krebs und Tumoren der weiblichen Beckenorgane;
und eine fast unübersehbare Reihe von Arbeiten auf dem Gebiet der
mikroskopischen und makroskopischen Anatomie, der E?ntwicklungs-
geschichte, der topographischen Anatomie, der Anthropologie etc. folgten,
seitdem er sich ganz der normalen Anatomie zugewendet hatte. Seine
Bedeutung als Wissenschaftler liegt vor allem in der ausserordentlichen
Gründlichkeit und Klarheit, mit der er alle seine wissenschaftlichen Ar¬
beiten angefasst und zu Ende geführt hat. Er war nicht ein Mann, der
neue unbekannte Gebiete der Wissenschaft erschlossen hat, oder fn
einem grossen wissenschaftlichen Problem mit Schülern bahnbrechend
gearbeitet hat, aber er hat eine grosse Zahl von Aufgaben der Detail¬
arbeit in glänzender Weise durchgearbeitet und durchdacht und so für
sich und seine Zeit erschöpft. Seine Arbeiten über das Ovarium, über
die Haare, über die Entwicklung der Zähne, über die Anatomie und
Topographie der männlichen und weiblichen Beckenorgane und seine
zahllosen kleineren Arbeiten aus allen Teilen der Hirnanatomie, Knochen¬
lehre, Eingeweidelehrt und Anthropologie werden als grundlegende Stu¬
dien in der Exaktheit der Darstellung dauernden Wert behalten. Da¬
durch, dass er bei seiner klaren Auffassungsgabe schnell das Wesent¬
liche neuer Fragestellungen und Entdeckungen erkannte, war er im¬
stande glänzende Zusammenfassungen zu geben, die ihm auf dem
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
8. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
433
Gebiete der Zellenlehre, Neuronenlehre, und bei den ersten Entwick-
lungsvorgängeri der Keimzellen grösste Anerkennung und Ruhm ver¬
schafften. Solche referierende Tätigkeit soll ja nicht etwa gering ein¬
geschätzt werden: wenn ein Mann von der Erfahrung, Kritik und klaren
Wiedergabe Waldeyers derartige Publikationen übernahm, so be¬
deuteten seine Darlegungen immer, dass nun das ganze Gebiet mit den
sicheren Ergebnissen und den noch diskutablen Einzelheiten übersicht¬
lich ausgebreitet war.
Das jedoch, was die ärztliche Welt Waldeyer am meisten zu
danken hat, war seine ganz ungewötmliche Lehrbefähigung, die er
lange Jahre hindurch an der grössten deutschen Universität ausgeübt
hat. Man muss nur einmal die ältere Generation von Aerzten erzählen
hören, wie der anatomische Unterright bei seinem Vorgänger in Berlin
gehandhabt wurde, um die glänzende Organisation, die Waldeyer
sofort einführte, zu würdigen, die dann auch imstande war, den enormen
Zustrom von Studierenden in Berlin zu bewältigen, so dass jeder zu
seinem Rechte kam und sowohl gute Arbeitsmöglichkeit bei den Prä¬
parierübungen als reichste Anregung in den Vorlesungen fand. Wal¬
deyer war nicht das, was man einen glänzenden Redner zu nennen
pflegt, er wirkte durch seine reine Sachlichkeit und vollkommene Klar¬
heit. Abhold jeder Pose, die ja wohl eine Zeitlang auf den Hörer wirken
kann, dann aber bald von der gesunden Kritik der Studierenden ab¬
gelehnt wird, brachte er oftmals unendlich viele Einzelheiten, z. T. sogar
mit Literaturangaben; aber alles war so wohl durchgearbeitet, da er
selbst die verschiedensten Materien eingehend durchforscht hatte, und
so klar ausgebreitet, dass er niemals, trotz des Bestrebens, allen An¬
sichten gerecht zu werden, Verwirrung brachte. Seine wunderbare Gabe
immer das Wesentliche zu erfassen und sich selbst klar zu sein, gao
ihm die Fähigkeit, die Hörer rein sachlich in seinen Bann zu
zwingen, so dass sie ihm mit grösstem Vergnügen auf die schwierigsten
Gebiete folgen konnten. Mit schönen Worten über Unklarheiten hinweg¬
zugleiten, war ihm vollkommen fremd, und so gewann er das absolute
Vertrauen der Hörer; er sagte nur das, was er selbst sich erarbeitet
und erworben hat, verhehlte natürlich nie, wenn die W'issenschaft noch
vor Rätseln stand. Ebenso zielbewusst und sorgsam war gr auf dem
Präpariersaal; er kannte und förderte jeden, der sich besondere Mühe
gab und Geschicklichkeit zeigte, und alle, die ihr Studium ernst nahmen,
gaben sich die denkbarste Mühe vor seinem strengen Urteil zu be¬
stehen und ihm Freude zu machen, denn er wusste gute Leistungen auch
besonders freudig anzuerkennen. So gab er allen seinen Schülern, die
ihm folgen wollten, unendlich viel mit für ihre weitere Entwicklung auch
durch sein Beispiel unermüdlicher Pflichttreue und peinlichster Gewissen¬
haftigkeit. Alle, die bei einem solchen Lehrer gearbeitet haben, werden
niemals zugeben, dass es Zeitverschwendung oder Pedanterie ist, einen
Muskel in allen Teilen sauber und exakt ausgearbeitet zu haben. Diese
Erziehung wirkt weit über das blosse Anatomielernen fördernd für alle
Zweige des ärztlichen Berufes und ordnend für die gesamte Lebens¬
führung.
Generationen von Aerzten werden ihr Leben lang dankbar die Er¬
innerung an ihren alten Lehrer Waldeyer bewahren, der bis zum
letzten Atemzug bei der Arbeit war.
Für die Praxis.
Die kOnstliche Ernährung des Säuglings.
Von Prof. Rietschel-Würzburg.
Auch heute noch sind die Meinungen der Aerzte über die beste Art,
Säuglinge mit Kuhmilch zu ernähren, sehr geteilt. Ganz gewiss gedeihen
Hunderte und Tausende von Säuglingen mit den verschiedensten Milch¬
mischungen. Und bei der Behandlung dieser Fragen in den nachfolgen¬
den Zeilen sollen nicht etwa alle künstlichen Ernährungsmethoden und
Kuhmilchpräparate besprochen werden, sondern rein praktisch gezeigt
werden, wie der Arzt unter den einfachsten Verhältnissen am zweck-
mässigsten Säuglinge nach unseren Erfahrungen künstlich aufzieht, wenn
eine natürliche Ernährung unmöglich ist. Dass dabei jede künstliche Er¬
nährung ein Risiko bleibt, und nicht annähernd die Gewähr bietet wie
die natürliche Ernährung, ist eigentlich selbstverständlich, muss aber
immer wieder betont werden. Dabei bin ich mir des Schematischen
und daher Unzulänglichen jeder Vorschrift voll bewusst. Jedem Arzt
und jeder Mutter muss eine gewisse Spielbreite besonders in der
quantitativen Abmessung der Nahrungsmenge gelassen werden. Wer
ganz schematisch und lehrbuchmässig Kinder füttert, wird stets mehr
Misserfolge erleben und der rein theoretisch ausgebildete Pädiater wird
öfter vor dem erfahrenen Praktiker, der nicht gelernt hat, Säug¬
linge mit Kalorien zu füttern, die Waffen strecken. In der Praxis kommt
man im einzelnen Fall ohne Kalorienbefechnung aus, falls man nur eine
richtige Vorstellung über den ,J4ährwert“ der Nahrung in quantitativer
und qualitativer Beizehung hat, um nicht zu viel, aber auch nicht zu
wenig zu geben.
Was die quantitativen Verhältnisse angeht, so sehen wir immer
wieder, dass jungen Kindern, besonders debilen und frühgeborenen,
eine kalorisch zu geringe Nahrung (oft dabei in überreichlichem Flüssig¬
keitsangebot) gegeben wird, bei der sie nicht nur nicht im Gewicht
stillestehen oder abnehmen, sondern auch leicht in den Zustand „einer
Störung“ gera ten, aus der sie sich nur schwer erholen können^).
*) Auf „qualitative** Fehler der Ernährung, relative Kohlehydrat- oder
Eiweissarmut, Vitaminmangel etc. kann nicht eingegangen werden.
Digitized by Goiisle
Bei der künstlichen Ernährung ist ausschliesslich von der Kuhmilch
die Rede, da sie praktisch für den Menschen fast allein in Betracht
kommt. Für die der Kuhmilch ähnlichen Ziegenmilch, die keine beson¬
deren Vorzüge, als dass Ziegen relativ tuberkulosefrei sind, besitzt,
jedoch ebensogut brauchbar für die Säuglingsernährung ist, gelten die
gleichen Vorschriften.
1. Eine möglichst sauber gewonnene Milch ist erste Voraussetzung.
Wir verlangen bei jeder Lebensmittelgewinnung peinlichste Sauoeik^it.
Warum sollte das Gebot nicht auch für die Kuhmilch gelten? Wir
verstehen darunter die Herkunft einer Milch von gesundem Vieh und
das Fernhalten von Schmutz bei der Gewinnung der Milch, bauer¬
werden der Milch oder Zusammenlaufen der Milch beim Kochen (leichter
'Säuregrad) zeigt stets eine Vermehrung von Milchsäurebazillen, ist also
ein Zeichen, dass längere Zeit vom Melken verstriclicn ist. Geringere
Säuerung macht eine Milch für den Säugling nicht ungeniessbar oder
schädlich, wie mir lange Erfahrungen mit gesäuerter Milch selbst bei
kleinsten Kindern und Frühgeburten gezeigt haben. Dock wird der
praktische Arzt besser tun, saure Milch zunächst für Säuglinge zu
meiden, da es in der Familie kaum dem ärztlichen Ansehen nützen
würde, wenn er diese Ansicht vortrüge. Dagegen muss offen aus¬
gesprochen werden, dass die Zugabe von Natron zur Milch im Sommer
nicht gleichgültig sein kann, da die Milch bei stärkerem Natronzusatz
oft einen seifen- bis käseartigen Geschmack erhält (durch Peptoni.sierung
des Eiweisses infolge peptonisierender Bakterien). Ob dabei giftige Stoffe
entstehen, ist unbe\\desen und mir auch unwahrscheinlich, jedenfalls wird
die Milch ungeniessbar und unappetitlich.
2. Die Abkochung der Milch ist zweckmässig, einmal um die Tuber¬
kelbazillen und ev. Typhus- und Paratyphusbazillen und andere patho¬
gene Keime abzutöten; sodann aber scheint die abgekochte Milch wesent¬
lich leichter ausgeniitzt zu werden (feinflockige Gerinnung des Kaseins)
als rohe. Nur aus diesen beiden Gründen halten wir an der Abkochung
der Milch fest. Die Sterilisierung der Milch soll nicht länger wie
3 Minuten dauern. Im Soxhletapparat, der noch immer zweckmässig
ist, sterilisiere man 5—7 Minuten.
3. Auch heute noch bestehen zwei Methoden der künstlichen Er¬
nährung:
a) die Milchmehlzuckergemische und
b) die Milchfettzuckergemische.
Beide, Methoden sind zweckmässig und im Gebrauch. Alle künstlichen
Nahrungsgemische sind leicht unter eine dieser Nahrungen untor-
zubringen.
a) Milchmehlzuckergemische.
Vorzüge: Bequemlichkeit und relative Billigkeit der Herstellung.
Kenntnis dieser Nahrungsmittel im Volke.
Nachteile: Gefahr der Unterernährung bei jungen Kindern durch
zu grosse Verdünnung. Bei zu hoher Anreicherung von Zucker leichtere
Dyspepsiegefahr. Beim jungen Kinde zweifelhafterer Erfolg.
Methodik: Eine Verdünnung der Milch ist unerlässlich. Die Ver¬
suche mit Vollmilch haben zunächst noch kein praktisches Interesse.
Unter die Halbmilch herunterzugehen, ist aber unnötig. In den ersten Tagen
und Wochen ist nichts dagegen zu sagen, wenn man statt der Halbmilch
2 Teile Milch und 3 Teile Wasser gibt. Die Anreicherung von Zucker in
der Form des Rohr- (Rüben-) Zuckers ist im allgemeinen 4—5 Proz.
üblich, also auf ca. 12ü—130 g einen gestrichenen Teelöffel: auf 150 bis
200 g einen gehäuften Teelöffel Zucker. Endlich wird man gut tun,
stets in das Wasser ein Mehl mitzuverkochen. Wir empfehlen als ein¬
fachstes Mehl das Weizenmehl, für jüngere Kinder sog. feines Aus¬
zugsmehl und das Hafermehl, wobei wir bemerken, dass ersteres
mehr stopfend, letzteres leicht abführend wirken kann. Bei jungen Kin¬
dern kann man gut mit 2 Proz. Mehlzusatz der Oesamtmischung be¬
ginnen, vom 2. Monat an mit 3 Proz. Die Getreidekörner selbst, Hafer¬
flocken, Gerste etc. zur Schleimbereitung zu benutzen ist vielfach üblich
und natürlich auch gut brauchbar, doch bedürfen sie längerer Zeit zum
Kochen (%—1 Stunde) und sodann ist zu beachten, dass stets die dop¬
pelte Menge genommen werden muss wie bei den Mehlen, da beim
Durchseihen dieser Getreidekörner die Hülsen Zurückbleiben. Die
Schleime, die direkt aus den Getreidekörnern hergestellt sind, sind meist
äusserst kalorienarm und relativ teuer (langesKochen, grössere Mengen!).
Die Kill der mehle sind im allgemeinen gut brauchbar (beim
Kaufen nur deutsche Fabrikate benützen, da die ausländischen gewiss
gut, aber nicht besser wie die deutschen sind). Sie werden allerdings
durch die Reklame sehr verteuert. Ein Teil des Mehles ist zu Zucket
aufgeschlossen, dextrinisiert, was im allgemeinen günstig ist. Deshalb
haben sich solche dextrinisierten Mehle oder Maltosemischungen beson¬
derer Beliebtheit zu erfreuen (S o x h 1 e t scher Nährzucker leicht stop¬
fend, Soxhlets verbesserte Lieblgsuppe leicht abführend, Theinhard.
Kufekemehl u. a.). In der gewöhnlichen Praxis kommt man aber meist
ohne diese komplizierten Zucker aus, die sich aber, wie besonders die Kin¬
dermehle, bei manchen Ernährungsstörungen wohl empfehlen. Bei der
Ernährung des gesunden Kindes wird man sich in erster Linie des ge¬
wöhnlichen Rüben- (Rohr-) Zuckers bedienen. Milchzucker ist völlig
entbehrlich und bei dem hohen Preis auch unlukrativ. Ein Vorzug des
Milchzuckers für das jugendliche Kind besteht ebenfalls nicht.
b) Milchfettzuckermischungen.
Vorzüge: Im allgemeinen bei jüngeren Kindern besserer Er¬
nährungserfolg. Höherer Nährwert der Nahrung, besonders durch das
Fett, das auch noch akzessorische Nährstoffe (fettlösliche Vitamine)
enthält.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
434
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Nachteile: Höherer Preis, umständliche Zubereitung, Ungewohnt¬
sein der Mutter, Fettnahrung an Säuglinge zu verfüttern.
Methodik: Als Fett kommt allein die Anreicherung der Milcli-
mischung mit Butterfett in Betracht, und zwar in Form von Sahne
oder Butter. In welcher Form man dies tut, halten wir im grossen
ganzen für gleich. Im Grossbetiieb werden die Sahnemischungen im
Vordergründe stehen, im Privathaushält mehr die Zugabe von Butter.
Für Sahnemischung empfehlen wir folgendes Rezept:
Rahm (15—20
Proz. Fettenth.)
Vollmilch
Wasser
Zucker
Mehl
(Weizenmehl)
1 Liter
130
370
500
40—50
30
5 Liter
650
1850
2500
200—250
150
10 Liter
1300
3700
5000
400—500
300
Dazu eine Spur Kochsalz.
Für neugeborene Kinder mag man etwas weniger Mehl und Zucker
nehmen und mehr Wasser, doch wird man am Ende der zweiten Woche
diese Sahnemischung als Halbmilch mit Sahne geben können. Die Butter
Wieviel soll gegeben werden?
Jede Zahlenangabe ist nur schematisch zu verstehen. Merke: F c 11 -
nahrungen müssen in höheren kalorischen Men;en
gegeben werden als Kohlehydratnahrungen. Allereings
sind die Nahmngen vor vornherein auch viel kalorienreicher (1 ^Jter
Fettnahrung = 850 bis 900 Kalorien, 1 Liter Halbmilch mit Zucker
= 600 Kalorien). Man bedenke, dass von allen Nahrungen
die kalorienreichste bisher die Frauenmilch war. Der Vor¬
teil der Fettnahrung liegt weiter auch darin,
dass wir bei dem hohen Kalorienreichtum mit geriigen
Flüssigkeitsmengen auskommen. Allzu grosse Flüssigkeits¬
mengen, wie sie z. B. bei der Drittelmilch notwendig werden, begünstigen
zweifellos dyspeptische Störungen, jedoch ist stets zu beachten, dass
niemals das Flüssigkeitsminimum unterschritten wird. Im folgenden
Schema ist eine ungefähre Schätzung der Nahrungsmengen diirchgeführt,
wobei die niedere Zahl mehr für die Fettnahrung, die obere Zahl mehr
für die Kohlehydratnahmng Geltung hat.
Schema der künstlichen Ernährung.
Alter
Zahl lind Grösse der
Mahlzeiten
Gesamt-
trinkmenge
(Die niederen Zahl
Sahne-Zucker-Mlschung
Art der Ernährung
en gelten mehr für Fettnahrun,
Kohlehydratmischungen.)
Buttermehlmilchmlschung
gen, die höheren für
MilclimehJzuckermtschung
l-Trtg
a. Tng
3 Tag
4. Tag
5. Tng
6 Ta^
7. Tag
2. Woche
0—2 -5 mal 5 g
8-5 mal 10 g
6 mal 16 - 25 g
6 „ 25- 30 g
6 „ 80 - 60 g
6 „ 50- 60g
6 „ 60— 70 g
6 „ 70-100 g
.2 S u
>1"
0- 16-20
80 - 60 g
100-160 g
160-180 g
180 -300 g
800—860 g
860 - 420 g
420-600 g
auf H liiter berechnet
60 g Rahm (ca 20*/o)
160 g Milch
270 g Wa««o»
20 g Rohrzucker
10 g Weizenmehl
Spur Kocksalz
auf Liter berechnet
200 g Milch
8(X) g Wasser
20 g Rohrzucker
15 g Mehl \ als
15 g Butter f Einbrenne
etwas Kochsalz
auf ^ Liter berechnet
200 g Milch
260 g Wasser
20 g Rohrzucker
10 g Weizenmehl
etwas Kochsalz
.3.—4.Woche
2. Monat
H Monat
3 -5. Monat
6 „ 100- 130 g
6 ,, 180—iGOg
5 „ 150—18) g
5 „ 160 - 200g
600 - ca 700 g
66)- 800 g
700- 9i)0 g
750— 1000 g
auf 1 Liter berechnet
180 g‘ Rahm (ca 20*/o)
370 g Vollinlich
.5!0 g Wasser
40-f)0 g Hohrzucker
20—30 g Weizenmehl
Spur Kochsalz
auf 1 Liter berechnet
500 g Milch
500 g Wasser
40-50 g Zucker
80 g Weizenmehl\als Kin-
80 g Butter j brenne
etwas Salz .
auf 1 Liter berechnet
600 g Milch
5(X) g Wasser
40-50 g Ko. rzucker
80-40 g Weizenmehl
etwas Kochsalz
Vom
5. Monat an
6 mal 150 - 200 g
760-1000 g
Ersatz einer Milchmahlzeit durch einen Mehl- oder
Griesshrei
700 g Milch
300 g Wasser
50 g Zucker
30-40 g Mehl
Ersatz einer Milchmalil-
zeit durch einen Brei
V'om
6. Monat
6 mal 160- 200 g
750-1000 g
Zugabe von Beikost (Gemüse, Obst) mit einer Vs—K Milch, ev. eine P'lnsche Milch zu
' Brei verkochen.
Mehr, wie einen ^ Liter Milch wird das Kind im allgemeinen nie brauchen.
1 gesitrictiener Teelfiffel Weizenmehl
1 gestrichener Esslöffel Weizenmelü
1 gehäufter Esslöffel W'eizenmehl .
1 gestrichener Teelöffel Zucker . .
4 g 1 gestrichener Es.slilffel Zucker
12 g 1 gehäufter Esslöffel Zucker .
20 g 1 gestrichener Teelöffel Butter
5 g 1 gestrichener Es.slöffel Butter
15 g
25 g
7 g
16 g
als Fett in die Säuglingsnahrung eingeführt zu haben, ist das Verdienst
von Ni emann und besonders von Czerny-KleinSchmidt, die
ein einfaches Verfahren angaben, das in der Tat auch die Fettnahrung
in jedem Haushalt auszufiihren ennöglichte. Sie fügen nämlich die Butter
in der Form einer Einbrenne mit Weizenmehl dem Milchgemisch zu und
erreichen auf diese Weise eine gleichmässige Verteilung des Fettes.
Wenn auch die Einbrenne nicht absolut notwendig für die Anreicherung
einer Milchnahrung ist, so wird doch durch sie das Fett so gut verteilt,
dass wir die Methode durchaus empfehlen können. Sie scheint die A\e-
thode der Wahl in der Praxis, und zwar möchten wir sie nicht nur nach
der üblichen Empfehlung von Czerny-Kleinschmidt für junge
und debile Kinder empfehlen, sondern halten sie für die beste künstliche
Nahrung des jungen Kindes bis zum 5. Monat. Dabei geben wir einer
Mischung: % Milch, Vn Wasser, 3 Proz. Butter, 3 Proz. Mehl,
4—5 Proz. Zucker und etwas Salz (bei salzloser Butter) den Vorzug. Die
Verdünnung von M Milch und Vs Milch mit 7 g Butter, 7 g Mehl und
3 g Zucker auf je 100 g Wasser, wie es C z e r n y und Kleinschmidt
empfehlen, scheint uns für das gesunde, normal gedeihende Kind nicht so
zweckmässig. Die Einbrenne wird dabei folgendermassen hergestellt:
Bei etwa 600 g Gesamtnahrung werden etwa 18 g Butter und 18 g
Weizenmehl über mässigem Feuer zu einer hellen Mehlschwitze zum
Rösten gebracht; dazu 300 g Wasser, 300 g Milch, 30 g Zucker und
etwas Salz, alles unter Umrühren zum Aufkochen gebracht und kurz
aufgekocht. Statt frischer Butter kann ruhig einmal Butterschmalz ge¬
nommen werden. Ebenfalls kann ranzige Butter verwendet werden, ohne
dass zu befürchten ist, dass sie Schaden stiftet, da durch das Erhitzen
der ranzige Beigeschmack schwindet. Selbst mit Margarine haben
wir längere Zeit Gutes mit der Fettmischung gesehen, nur mag
man bedenken, dass ihr die Ergänzungsstoffe (Vitamine) fehlen und sie
dadurch auf die Dauer der Butter nicht gleichwertig ist.
Wie lange solldiese Halbmilchzuckernahrung ge¬
geben werden?
Wir geben diese beiden Nahrungen bis zum 5. Monat in der
gleichen Verdünnung und nähern uns damit zweifellos auch den Ver¬
hältnissen bei Frauenmilchernährung, bei der die Milch von der 4. bis
6. Woche an auch keine Aenderung in der Zusammensetzung zeigt. Erst
vom 5. Monat an w'ird rnan zweckmässigerweise eine Milchmahlzeit
durch eine Breimahlzeit (Griess, Mehl) ersetzen und vom 6. Monat an zu
der Zwcidrittel-Milchnahrung überzugehen. Dazu wird man dann eine
Beikost von Gemüse, etwas Obst u. a. dem Kinde geben.
1. Normale Stühle. Bei Zuckermehlnahrung gebundene, gelb-
bräunlich gefärbte, oft fäkal riechend. Bei Maltosedextrinzusammen-
setzung oft noch stärker ins Bräunliche gehend, 1—2 mal täglich.
2. Bei Milchfettzuckernahrung goldgelb, pastenartig, oft „ideal“ aus¬
sehend. Mikroskopisch bei jüngeren Kindern oft unverdautes Amylum
(durch Jod nachweisbar und Neiitralfett). Falls im Stuhl dieser Befund
[ nicht allzu stark auftritt, ist er nicht besorgniserregend, besonders wenn
I das Kind dabei gedeiht. Feste harte (Seifen-) Stühle sind durch Zusatz
von Kohlehydraten und Reduktion des Fettes zum Schwiriden zu bringen.
I Gedeiht das Kind bei Fettseifenstühlen gut, so sind sie keine unbedingte
! Indikation, die Nahrung zu ändern.
i Wöchentliche Zunahme des Kindes (von den ersten zwei Wochen
I abgesehen) durchschnittlich 200 g. Stärkste Zunahme in der 4. bis
! 10. Woche, dabei oft Zunahmen von 250 g und darüber. Allzügrosse
I Zunahmen sind zu vermeiden. Bei normalem Gewicht 3300 g, Verdoppe-
! lung des Gewichtes Ende des 4., anfangs des 5. Monats und Ende
* des ersten Jahres 9—934 kg.
, Bücheranzeigen und Referate.
W. Anschütz und G. E. Konjetzny: Die Geschwülste des
j Magens. I. Teil: Allgemeine Pathologie und spezielle
! pathologischeAnatomie. Mit 8 farbigen Tafeln und 211 Text¬
abbildungen. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke. 1921. (Deutsche Chir.
Lief. 46, 1. Hälfte. 1. Teil.)
Das Buch bildet den 1. Band eines grosszügig angelegten, aus einem
theoretischen und einem klinischen Teil bestehenden Werkes, dessen
.Anfänge noch bis in die Zeit Mikulicz’ zurückreichen. Der vor¬
liegende, die allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie der
Magengeschwülste enthaltende Teil ist mit Ausnahme des ersten.
20 Seiten umfassenden Abschnittes, welcher allgemeine, zum Teil
! statistische Fragen über das Magenkarzinom behandelt ausschliesslich
von Konjetzny bearbeitet Man kann A n s c h ü t z nur zustimmen,
j wenn er im Vorwort sich dahin äussert dass „nur in engster Verbindung
der pathologisch-anatomischen mit der klinisch-chirurgischen Betrachtung
das grossangelegte Werk vollständig und praktisch wertvoll“ werden
konnte. Und ebenso muss jeder zustimmen, wenn er weiter sagt dass
es hierzu nicht nur eines erfahrenen Chirurgen, sondern zugleich „eines
Digitized b
. Google
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORN[£_
8. Aprü 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
435
Fachmannes und ausgebildetein Pathologen“ bedurfte und dass er einen
solchen Mitarbeiter in seinem langiährigen Assistenten. Prof. Kon-
i e t z n y, gefunden habe. Tatsächlich hat K o n j e t z n y, welcher sich
auch auf anderen Gebieten der jJhthologischen Anatomie längst als ein
ungewöhnlich gründlicher und tüchtiger Forscher bewährt hat, diese
Aufgabe in einer Weise gelöst, dass viele Abschnitte, wie z. B. die über
das Magenkarzinom, insbesondere seine Histogenese und seinen Zu¬
sammenhang mit der chronischen Gastritis und dem Ulcus ventrlculi,
ferner über Rezidivbildung, Magensarkom usw. mit zu dem Besten ge¬
hören, was überhaupt auf diesem Gebiet bis jetzt gearbeitet worden ist.
Aber nicht nur in diesen, sondern auch in allen anderen Abschnitten
kommen die auf reicher eigener Erfahrung begründete Anschauung,
das kritische Urteil und die klare Darstellung des Verfassers voll zur
Geltung.
Wenn die Verfasser in ihrem Vorwort sagen, dass dem Pathologen
von Fach manche wichtige Dinge wohl etwas zu skizzenhaft erscheinen
werden, so kommt hier eine fast allzu grosse Bescheidenheit zum Aus¬
druck. Denn tatsächlich sind alle wesentlichen Fragen mit solcher
Sorgfalt und Gründlichkeit behandelt, dass die Darstellung auch den
Pathologen befriedigen muss, wenn er nicht alle Fühlung mit den Bedürf¬
nissen des Klinikers verloren hat. Man muss doch bedenken, dass dieses
Buch in erster Linie für den Praktiker geschrieben ist. um diesem
eine feste wissenschaftliche Grundlage für sein therapeutisches Handeln
zu schaffen. Wie gründlich, ja zum Teil erschöpfend die Darstellung ist
geht übrigens schon daraus hervor, dass das Verzeichnis der benützten
Literatur allein schon nahezu 34 Seiten in Kleindruck umfasst! — Dazu
kommt noch, dass der Text durch so zahlreiche und so überaus anschau¬
liche Abbildungen, welche fast alle nach Originalpräparaten des Ver¬
fassers von diesem selbst hergestellt worden sind, in einer Weise er¬
läutert ist dass vielfach ausführliche Schilderungen aller Einzelheiten ent¬
behrlich erscheinen.
Das Werk ist ein schönes Zeugnis deutschen Fleisses, deutscher
Gründlichkeit und deutscher Wissenschaft Aber auch dem Verleger ist
die vollste Anerkennung dafür auszusprechen, dass er trotz der Not der
Zeit für einf so mustergültige Ausstattung des Werkes Sorge ge¬
tragen hat G. Hauser.
Mühlreiters Anatomie des menschlichen Gebisses. 4. Auflage,
mit Beiträgen aus dem anatomischen Laboratorium der Universität von
Amsterdam, bearbeitet von Th. E. de Jonge Cohen. 204 Seiten,
82 Abbildungen. Leipzig, Felix, 1920. Preis: M. 15.—, geb. M. 22.—.
^ DeJonge Cohen, der selbst auf dem Gebiete der Zahnanatomie
rühmiichst hervorgetreten ist, hat das M ü h 1 r e i t e r sehe Buch ein¬
greifend umgearbeitet Das betrifft besonders die Darstellung der allge¬
meinen Stellung des menschlichen Gebisses, wobei er sich auf den Stand¬
punkt seines Lehrers Bolk stellt Aber auch in allen anderen Teilen ist
die Darstellung auf den heutigen Stand unserer Kenntnisse gebracht
Bei einer eventuellen Neubearbeitung würde der Ref. es begrüssen, wenn
der Darstellung der Zahnweichteile mehr Beachtung geschenkt würde.
Sie sind im Vergleich zu der sehr ausgiebigen Beschreibung der Zahn¬
form etwas kurz abgehandelt Die Ungunst der Zeit hat eine Bereicherung
des Abbildungsmaterials verhindert Im übrigen ist die Ausstattung
befriedigend. v. Möllendorff -Freiburg/Br.
Taodler und Ranzi-Wien: Chirurgische Anatomie uiid Opera¬
tionslehre des Zentralnervensystems. Berlin, Springer. 1920. Preis
50 M.
Ein glänzend ausgestattetes Werk, das durch die sich in glück¬
licher Weise ergänzende gemeinsame Arbeit von Anatomen und Chirur¬
gen seine besondere Bedeutung erhält. Die gesamte Chirurgie des
Gehirns und Rückenmarks wird auf Grund sorgfältiger anatomischer
Studien und lan<^iähriger klinischer Erfahrungen in ganz überraschend
klarer Uebersichtlichkeit dargestellt. Insbesondere erfreuen sich die
schwierigeren Gebiete, die Hypophyse, der Kleinhirnbrückeiiwinkel, die
Vierhügelgegend einer besonderen Berücksichtigung. Die 94 Abbildungen
sind schlechthin unübertrefflich. Es wird jedem Chirurgen eine Lust sein,
an der Hand dieses Werkes seine Kenntnisse zu erweitern.
K r e c k e.
Prof. Dr. Walter F r i e b o e s: Grundriss der Histopathologie der
Hautkrankheiten. Mit 105 teils farbigen Abbildungen im Text. Leipzig,
F. C. W. Vogel, 1920. Preis 80 M., geb. 90 M.
Seit 15 Jahren ist keine Histopathologie der Haut mehr erschienen.
Um so mehr werden es die Pathologen, besonders aber die Dermato¬
logen dem Verf. danken, dass er eine neue zusammenfassende Dar¬
stellung dieses Wissenszweiges geschaffen hat: brachte uns doch das
letzte Jahrzehnt auch auf diesem Gebiete manche Erweiterung unserer
Kenntnisse. Der Dermatologe wird nur beklagen, dass der Verf. den
Zeitverhältnissen entsprechend sich die Beschränkung auferlegte, kein
grösseres Lehrbuch, sondern bloss einen Grundriss auzuarbeiten; so
erscheint der Text an manchen Stellen doch etwas knapp, und manche
Einzelheit neuerer Erkenntnis erscheint zu wenig berücksichtigt (z. B.
Periporitis und Schweissdrüsenabszess, die Naevi spili. die feineren
Unterschiede zwischen spontaner Urtikaria und Urticaria factitia, zwi¬
schen Lentigo und Ephelis, zwischen Kallus und Klavus). Aber dennoch
muss man sich freuen, endlich einen so prächtig ausgestatteten Grund¬
riss zu besitzen. Die zahlreichen Abbildungen, auch die bunten, sind
meist ausgezeicimet gelungen und mit glücklicher Hand ausgewählt. Hof-
[entlich wird der hohe Preis des Buches seiner Verbreitung nicht im
vVege stehen. Siemens.
F. W i 11 i g e r: Zahnärztliche Chinirgie. (Leitfäden der praktischen
Medizin, Bd. 1. Dr. W. K 1 i n k h a r d t, Leipizg 1920.) IV. Aufl.
In einem ersten Teil werden, nach einleitendert Vorbemerkungen
über die Untersuchung des Mundes, über Instrumente, Verbandstoffe
und Arzneimittel, die chirurgisch wichtigen Zahn- und Mundkrankheiten
besprochen. Im zweiten Teil folgt die spezielle Chirurgie des Mundes,
beginnend mit einer kurzen Darstellung der in der Zahnheilkunde ge¬
bräuchlichen Betäubiingsv erfahren. Es werden dann die eigentlichen
zahnärztlichen Operationen (Extraktion und blutige Entfernung von
Zähnen, Resektion, Implantation usw.) beschrieben, darnach auch eine
Anzahl weiterer Eingriffe im Bereich der Mundhöhle (Abszessspaltung,
Sequesterentfernung, Zystenbildung, Entfernung kleiner, gutartiger Ge¬
schwülste, Behandlung der Kieferhöhlenentzündung usw.) in ihrer regel¬
rechten Ausführung knapp dargestellt.
Der erste Teil ist unter Verzicht auf vielfache Einzelheiten in Patho¬
logie und Aetiologie entsprechend kurz gehalten, ausführlicher hingegen
der zweite, den gerade zahlreiche praktisch wichtige Hinweise nicht allein
auf die Operationstechnik selbst, sondern auch auf Indikation und Nach¬
behandlung anregend gestalten. Nicht bloss der Studierende, sondern
vor allem der praktische Arzt und Zahnarzt wird mit Vorteil den Leit¬
faden benutzen, der mit Geschick die gerade hier drohenden Klippen durch
eindeutige Abgrenzung des Stoffes auf das eigentliche zahnärztliche
Gebiet zu vermeiden versteht. Mit 151 Abbildungen ausgestattet, ist
das übersichtlich angeordnete, den persönlichen Zug eines erfahrenen Ver¬
fassers tragende Buch durchaus zu empfehlen.
E. Seifert -Würzburg.
Zeitschriften-Uebersicht
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 135 Band. 3. u. 4. Heft.
H. Cichhorst - Zürich: lieber eiKentümliche Knoefaenmarksbefunde bei
Chloroleukämie. (Mit 4 Abbildungen.)
Bei einem 30 jährigen Manne mit akuter Monozyten-Chloroleukämie zeigte
das Knochenmark auch nach längerem Verweilen in Formol kein völliges
Verschwinden der grünen Markverfärbung. Die in Formol gehärteten Mark¬
stücke zeigten eine ungewöhnliche Festigkeit, das Markgewebe war von sehr
breiten und derben Bindegewebszügen durchzogen, die zellenarm und stark
faserig waren, und zeigte ein fast völliges Fehlen von Fettzellen, dagegen
Riesenzellen. Diese ausgedehnten Bindegewebszüge im Knochenmark mit
ihrem histologisch zweifellos chronischen Charakter lassen daran denken, dass
dem akuten, todbringenden Auftreten der Chloroleukämie wohl ein ver¬
borgenes chronisches Stadium von unbekannter Dauer vorausging.
R. Cobet und G. Ganter: lieber Jodnatriumresorption aus Pleura¬
ergüssen. (Aus der med. Klinik in Greifswald.)
Die Otösse der Ergüsse spielt für die Resorptionsgeschwindigkeit des in
den Pleurasack eingespritzten Jodnatriums nur eine untergeordnete Rolle,
massgebend ist der Zustand der Pleura. Bei Transsudaten der Pleura ist die
Jodnatriiimresorption gut; doch sind dabei häufig die Bedingungen für die
Jodausscheidung durch die Nieren ungünstig. Bei entzündlichen Pleura¬
ergüssen ist das Verhalten der Jodnatriumresorption verschieden. Akute
Exsudate, seröse wie eitrige, haben gute Resorptionsbedingungen, solange die
Fibrinausscheidungen auf die Pleura noch gering sind und eine entzündliche
Hyperämie besteht, die eine Beschleunigung des Blutaustausches und damit
eine Begünstigung der Resorption zur Folge hat. Bei chronischen Exsudaten
ist die Jodnatriumresorption verzögert und zwar in dem Masse, wie die
Pleura durch Fibrinablagerung verdickt ist.
C. J. J. G. Klein: Kalkstoffwechsel- und Blutkalkuntersuchungen ln
einem Falle von Tetania parathyreopriya und dessen medikamentöse Be¬
einflussung. (Aus der med. Abteilung des städt. Krankenhauses Karlsruhe i. B.)
Bei einem 18 jühr. Mädchen mit grosser Struma und Myxödem traten am
Tage nach der Strumektomie typische tetanisclie Erscheinungen auf, die all¬
mählich zu schwersten tctanischen Anfällen mit allen Kardinalsymptomen
(Trosseau-Erb-Fazialisphänomen) und Myxödem führten. Der Kalkstoff¬
wechsel ergab eine beträchtliche Kalziumretention, je stärker diese wurde,
desto mehr kam die Tetanie zur Ausheilung. Bei Verordnung von Epithel¬
körperchentabletten per OS erfolgte eine geringe Steigerung der Kalkretention,
die sich noch etwas verstärkte, wenn das Präparat parenteral gegeben wurde.
Bei Schilddrüsentablettendarreichung steigerte sich die Kalkretention wesent¬
lich. Bei der vorhandenen Dysfunktion der Schilddrüse (Myxödem) ist
zweifellos der Stoffwechsel durch die Schilddrüsentabletten angeregt worden.
Der Blutkalkgehalt zeigt ohne Medikation normalen Wert, ändert sich nicht
wesentlich unter Epithelkörperpräparaten, steigt aber zu dem 4 fachen Be¬
trage an bei Verabfolgung von täglich 3,0 Calcium lacticum. Infolge der
ständig vermehrten Kalkretention und des Ansteigens des Blutkalkgehalts,
womit Heilung der Tetanie verbunden ist, erscheint die Theorie von der Ent¬
stehung der Tetanie durch Kalziiimüberladung des Organismus widerlegt.
V. Beckmann: Oedemstudlen. lieber den Einfluss therapeutischer
Massnahmen auf den Intermediären Kochsalz-, Wasser- und Zuckerwechsel bei
verschiedenen Oedemformen. (Aus der I. med. Klinik der Universität
München.) II. Mitteilung. (Mit 8 Kurven.)
Kochsalzarme Kost bewirkt bei Oederaatösen wie beim Normalen erst
Entleerung der Kochsalzplethora des Blutes, dann strömt Kochsalz und
Wasser aus dem Oedem ins Blut über. Je nach der Stärke dieses Abflusses
werden die Gewebsdepots mehr oder weniger stark mobilisiert, ähnlich wirkt
Milchdiät bei kardialem Oedem. Die Aderlasswirkung dauerte in den beob¬
achteten Fällen höchstens 48 Stunden; Punktionen bewirken ebenfalls eine-
Mobilisation der Oedeme und Gewebsdepots Digitalis bewirkte Eindickung
des Oedems und Blutes mit zunehmender Hyperchlorämie durch Kochsalz¬
abgabe aus dem Oedem. Bei kardialem Oedem, das auf diätetische Behand¬
lung gut ausschied, sprach der intermediäre Stoffwechsel unter Strophanthin¬
wirkung für eine vorübergehende Störung der renalen Ausscheidung durch
eine zu rasche Wirkung des Mittels. Die Diuretika der Puringruppe wiesen
in ihrer Wirkung starke, nicht deutlich an bestimmte Oedemformen gebundene
Verschiedenheiten auf.
E. Fränkel; Ueber Luftröhrenkrebs. (Aus dem pathol. Institut der
Universität in Hamburg.) (Mit 4 Abbildungen.)
Der Luftröhrenkrebs ist eine seltene Erkrankung, etwa 70—80 Fälle
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
436
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
mögen in der Literatur vorliegen, 10 hat Vortr. selbst seziert, deren Krank¬
heitsbild und pathologischer Befund kurz geschildert wird. Am häufigsten
wird der untere Abschnitt der Luftröhre ergriffen, entweder die Bifurkation
selbst oder deren nächste Umgebung. Was die Form des Luftröhrenkrebses
anlangt, so ist zu unterscheiden zwischen eigentlichen, mehr oder weniger
umschriebenen, get^en das Lumen stark vorspringenden, kugeligen oder ovalen,
breitbasig aufsitzenden Oescliwülsten und mehr diffusen, geschwulstartigen
Infiltraten, die unter Durchsetzung der Wandschichten eine bald mehr glatte,
bald mehr knollighöckerige Innenfläche darbieten und sich über längere oder
kürzere Strecken des Rohrs ausbreiten, dabei mit starker Aggressivität auf die
Umgebung ausgerüstet, auf das peritracheale und periösophageale, sowie das
mediastinale Gewebe übergreifen, die hier verlaufenden Gefässe und Nerven
umscheidend und durchsetzend. Aus diesem verschiedenen anatomischen Ver¬
halten wird auch die keineswegs einheitliche klinische Symptomatologie der
Luftröhrenkrebse verständlich. Ein bestimmtes pathognomonisches Symptom
für Trachealkrebs gibt es nicht. Immerhin muss man bei Kachexie. Störungen
der oberen Luftwege wie Stimmschwäche, Heiserkeit, Räuspern, Husten mit
uncharakteristischem, event. leicht blutigem Auswurf ohne Tuberkeln, Stridor,
plötzlich • einsetzenden Erstickungsanfällen an Luftröhrenkrebs denken und die
Diagnose durch den Kehlkopfspiegel bzvv. Röntgen mit Verengerung des
Lumens zu stellen V'ersuchen, wobei ein extratracheales stenosierendes
Moment ausgeschlossen werden kann. Die Dauer des Leidens ist meist kürzer
als 1 Jahr, der Ausgangspunkt ist meist das Epithel der Schleimdrüsen.
Ueberwiegend sind medulläre Krebsformen mit deutlich adenomatösem
Charakter, das Plattenepithelkarzinom der Trachea ist viel seltener. Die
Prognose ist eine ganz schlechte, operative Eingriffe schwierig und gefahrvoll.
G. Walter höfer: Die Veränderungen des weissen Blutbildes nach
Adrenalininiektlonen. (Aus der 111. mcd. Universitätsklinik Berlin.)
Subkutane und intravenöse Adrcnalininjektionen verursachen regelmässig
eine Leukozytose. Die Leukozytosenverrnchrung setzt schnell ein und klingt
nach kurzer Zeit wieder ab; dabei sind Neutrophile und Lymphozyten be¬
teiligt, wovon sich letztere rasch vermehren und rasch weniger werden,
während sich bei den Neutrophilen Vermehrung und Abnahme langsamer
vollzieht. Dieses Verhalten der Leukozytenarten findet sich bei Gesunden und
verschiedenen Erkrankungen; doch geben dieselben Erkrankungen in bezug
auf das Verhalten der Lymphozyten oft verschiedene Resultate. Auftreten,
Ausbleiben und Stärke der Lymphozytose sind unabhängig von den histo¬
logischen Veränderungen der Organe, insbesondere spielt die Milz nicht die
ihr nachgesagte Rolle. Der Lymphozytose ist eine zu grosse Bedeutung bei¬
gelegt worden. Das Hauptgewicht liegt in der absoluten Zunahme der Ge¬
samtzahl der Leukozyten, also eine wirkliche Leukozytose, wie sie möglicher¬
weise von verschiedenen anderen Substanzen ausgelöst wird. Intensität und
Dauer des Reizes einerseits. Anspruchsfähigkeit der blutbildenden Organe
anderseits sind die Faktoren, von denen die Veränderung des weisseh Blut¬
bildes nach Adrenalin abhängt. Das Verhalten der Lymphozyten muss auf
den funktionellen Zustand des gesamten lymphatischen Apparates zurück-
gefOhrt werden; irgendwelche wichtige diagnostische Schlüsse sind aus dem
Ausbleiben, Auftreten oder der Stärke der Lymphozytose nicht zu ziehen.
S. J. Thannhauser und G. Czoniczer: Kennen wir Erkran¬
kungen des Menschen, die durch eine Störung des intermediären Purlnstoff-
wechsels verursacht werden? (Aus der 11. med. Klinik München.)
Wir kennen keine Erkrankung des Menschen, die durch einen patho¬
logischen Ablauf des Nukleinstoffwechsels bedingt ist. Es gibt eine primäre,
konstitutionelle Gicht und eine sekundäre Gicht. Die primäre konstitutionelle
Gicht dürfte ihre Ursache in einer konstitutionellen Funktionsschwäche
(Minderwertigkeit) der Niere für Harnsäureausscheidung haben. Infolge der
hierdurch entstehenden Anhäufung von Natriumurat im Blut und den Ge¬
weben kann es zu einer sich schleichend entwickelnden diffusen, ncphritischen
Erkrankung kommen. Eine .sekundäre Gicht entsteht als Folgezustand einer
diffusen, chronischen Nicrenerkrankung, wenil durch die anatomischen Ver¬
änderungen der Niere neben den anderen Ausscheidungsfunktionen auch die
Harnsäureausscheidung in schwerem Masse geschädigt ist.
A. Lukas: Ueber den Pulsdruck bei Arteriosklerose und seine Ver¬
wendung zur Funktionsprüfung der Arterien. (Aus der 1. med. Klinik
München.) (Mit 4 Abbildungen.)
Der Pulsdruck sklerotischer Schlagadern zeigt äuch bei Fehlen der
Hypertonie charakteristische Veränderungen, er wächst durchschnittlich mit
zunehmender Arteriosklerose durch mässige Erhöhung des Maximums und
durch Senkung des Minimaldruckes; immerhin ergeben sich grosse Unter¬
schiede für den einzelnen Kranken, da zahlreiche Faktoren den Einfluss der
Wandveränderung steigern oder vermindern können, die Palpation kann,
wenn es sich nur um Verdickung der Arterienwand, nicht um deutliche Kalk-
einlagerung handelt, zwischen wirklicher Sklerose und Hypertrophie der
Muskulatur nicht unter.scheiden. Bei dem Sphygmograinm sklerotischer Schlag¬
adern beherrscht die Abnahme der Schwingungsfähigkeit der Wand das Bild.
Die Druckmessung lässt durch Feststellung von Hypertonie auf eine gespannte
Arterienmuskulatur und bei dauerndem Hochdruck auf ihre Hypertrophie
schliessen. Die Erhöhung des Mitteldruckes unterscheidet die oft sehr grosse
pulsatorische Druckschwankung der Hypertonie von der Vergrösserung der
Pulsamplilude bei reiner Arteriosklerose mit ihrem etwa normalem Mittel¬
druck. Die Messung von Maximal- und Minimaldruck liefert auch bei
Arteriosklerose anschaulichere Ergebnisse als die Bestimmung des Maximal-
druckes allein.
Besprechungen. B a m b e r g e r Kronach.
Zentralblatt für ChirurKie. 1921. Nr. 11.
H. Schloessmann - Bochum: Operation der Magen- und Leber¬
senkung unter Verwendung des Llg. teres hepatis.
Verf. beschreibt kurz 2 Operationsverfahren für die Fälle, bei denen
neben der Gastroptose noch eine Lebersenkung oder starke Sclmürlappen-
bildung vorhanden ist. Mit Hilfe des Lig. teres hepat. wird die gesenkte
Leber gehoben und befestigt; gleichzeitig bietet es für den gesunkenen
Magen eine gute Anheftungsmöglichkeit und einen festen Halt für Magen
und Leber, weil es oben am rechten Rippenbogen verankert wird. Verfs.
Methode ist eine Modifikation des von Perthes in Nr. 27 1920 ange¬
gebenen Verfahrens. In einem anderen Falle hat Verf. die Hochhebung des
Magens mit 2 Seidenraffnähten nach Rovsing ausgeführt, die links um den
Knorpelansatz der linken X. Rippe, rechts am Lig. teres hep. angenäht
wurden; doch scheint der unelastische Seidenfaden längere Zeit Zerrungs¬
schmerzen ausgelöst zu haben. Jedenfalls bietet das Lig. teres ein festes
und vielseitig verwendbares Halte- und Raffmittel für den gesunkenen Magen.
Fr. C. H i I g e n b e r g - Marburg: Zur Stillung von Blutungen aus dem
Kropfrest nach Strumektomlen.
Verf. hat wiederholt bei Strumektomien die Blutung aus dem Kropf¬
parenchym in der Weise gestillt, dass er auf die blutende Fläche ein flaches
Muskelstiickchen aus dem M. sternocleidom. auflegte und durch Rand- oder
umgreifende Nähte aufsteppte. Dadurch, dass die blutende Fläche mit einer
frischen Muskelwundfläche in feste Berührung kommt, können die gerinnungs¬
befördernden Substanzen leicht aus dem Muskel austreten.
Fr. E. G I a s s - Hamburg: Seltene Bizepsverletzung (Pseudohemle).
Verf. beschreibt kurz eine seltene Bizepsverletzung: bei der Operation
fand sich eine völlige Diastase der beiden Muskelbäuche des Bizeps; durch
den Muskelschlitz trat der M. brachial, intern, hindurch und täuschte eine
Bizepshernie vor. Vereinigung der auseinandergewichenen Muskelbäuche mit
Seidennähten brachte Heilung und völlige Arbeitsfähigkeit.
O. Preusse - Breslau: Ueber plattfussähnliche Beschwerden bei zirkum¬
skripter Neuritis des Nerv, tlbialis.
Verf. schildert kurz einen Fall von umschriebener Entzündung des Nerv,
tibial., der Plattfussbeschwerden auslöste. Bei der Operation des kleinen
zwischen Achillessehne und innerem Knöchel gelegenen Knotens fanden sich
Verwachsungen des Nerven mit der Nervenscheide. Lösung dieser Ver¬
wachsungen brachte in kurzer Zeit völlige Heilung und damit die Be¬
stätigung. dass die Neuritis die Ursache dieser ausstrahlenden Schmerzen
war, aber nicht der leichte Plattfuss.
Ant. Schulz- Danzig: Zur sog. idealen Cholezystektomie.
Verf. tritt für völligen Verschluss der Bauchhöhle nach Leber-Oallen-
blasenoperationen ein; seit 1913 hat er gute Erfahrungen damit gemacht,
auch wenn er nicht immer den Zystikusstumpf und das Leberbett gut peri-
tonealisieren konnte. Die Bezeichnung ..ideal“ ist nach seiner Meinung un¬
nötig. da doch nach aseptischen Bauchoperationen der Bauchschluss etwas
selbstverständliches ist.
Vorschütz - Elberfeld: Zur Technik der Exstirpation der Nebenniere
bei Krämpfen.
Verf. hat kürzlich Gelegenheit gehabt, wegen Krämpfen die Nebenniere
zu entfernen. Im Gegensatz zu Brüning, sowie zu K ü 11 n e r und
B u m k b wählte Verf. die rechte Nebenniere, die er auf dem lumbalen
Wege entfernte; dabei zeigte sich, dass die Exstirpation auf der rechten Seite
durchaus keine besonderen Schwierigkeiten bietet, wie auch die kurze
Schilderung der Operation beweist. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 11.
O. Prinzing - Stuttgart: Darf man den fieberhaften Abort ausräumen?
Aus der Statistik über 1500 Aborte ist die wichtigste Tabelle die
folgende:
Aktiv
Exspektativ-konsekutiv
Eiulieferungstem peratur
Einlieferungstemperatur
87,1—88« 1
Über 88 *
87,1-88 • 1
Über 88 *
Fieberd.iuer.
6,8 !
6,9
8,9
6,9 Tage
Behandlungsdauer ....
12,1 i
J5,l
10,4
14,6 „
Schwere Erkrankungen . .
15,4 1
24,5
6,3
14,7 Proz.
M«»rt ilitHt.
4.8
0
8,4
Diese Ergebnisse zwingen zu dem Schluss, dass das beste Verfahren für
die Behandlung des fieberhaften Aborts in Zukunft nicht mehr die aktive
Therapie sein kann, sondern die exspektative Therapie sein muss; vielleicht
mit der Einschränkung, dass der praktische Arzt im Privathaus aus mehr
äusscrlichen Gründen häufiger gezwungen sein wird, eine starke Blutung als
Indikation zum aktiven Vorgehen anzunehmen. Besonders auch deshalb wird
es sich für den praktischen Arzt empfehlen, jeden septischen Abort, wenn
irgend möglich, dem Krankenhaus zu überweisen, wo alle Voraussetzungen
für die Durchführung der exspektativen Therapie gegeben ?ind.
Eugen S c h u 11 z e - Marienburg (Westpr.): Zur Indikatlonsstelluag für
die Einleitung des Aborts und zur Frage der Schwangerschaftsverhütung.
In dem mitgeteilten Falle war die Indikation bei der hyperthyreoiditischen
Neuropathie durch eine ganz bedrohliche Zyanose und Atemnot gegeben.
Diese der Patientin aus der letzten Schwangerschaft bekannten entsetzlichen
Beschwerden traten jetzt schon am Beginn der Gravidität als Vergiftungs-
Zeichen auf und machten die Unterbrechung dringend nötig.
K. J. W c d e r h a k e - Düsseldorf: Zur Schmerzstlflung In der Geburt.
W. empfiehlt die Benutzung eines Dauerrausches mit Aether und Chloro¬
form. Ein solcher Dauerrausch ist unschädlich für Frau und Kind. Aether
ist wehenanregend, so dass die Bauchpresse willkürlich und kräftig ange¬
wandt und die Geburt dadurch verkürzt wird. Abkürzung der Plazentarlösung
und Verminderung des Blutverlustes. Benutzung der in Nr. 1 d. Wschr. 1921
beschriebenen Maske.
Erich Schulze- Berlin-Neukölln: Erfahrungen mit dem Sehrt sehen
Aortenkompressorlum bei Blutungen in der Nachgeburtsperiode.
Bericht über 27 Fälle mit 6 Versagern. Warme Empfehlung des In¬
strumentes. Ein Teil der Versager ist entschieden auf die noch nicht ganz
beherrschte Technik zu beziehen.
J. N o V a k - Wien: Zur Therapie der Kreuzschmerzen.
Bei Fällen mit anhaltenden Kreuzschmerzen infolge einer Schrumpfung
des Beckenbindegewebes (Klimax) empfiehlt N. parametrane Injektionen von
60 ccm einer 3^proz. Novokain-SuprareninlÖsung oder 100 ccm physiologischer
Kochsalzlösung.
R. Birnbaum - Göttingen: Die freie Faszientransplantation bei Bruch¬
operationen.
Die freie Faszientransplantation ist eine ausgezeichnete Methode zur
Ausheilung sog. inoperabler Bauchbrüche. Selbst grosse Stücke aus der
Fascia lata zu entnehmen, ist möglich ^nd »-atsam. Werner- Hamburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und PharmakoloKie. 89. Bd.
3. u. 4. Heft.
F. Külz- Leipzig: Ueber kolloidales Arsen.
Verf. fand im Tierversuch, dass elementares Arsen nur insoweit wirkt,
;»Is Oxydation stattgefunden hat, so dass das Bild der Vergiftung mit kolloi-
t
Digitized b]
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
8. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
437
dalem Arsen dem der As20s-Vergiftung entspricht. Die Erythrozyten er¬
scheinen durch Bluteindickung vorübergehend vermehrt, die polynukleären
Leukozyten werden massenhaft zur Degeneration gebracht. Eine Beschleuni¬
gung der Blutneubildung fand nicht statt.
A. K. £. S c h m i d t - Heidelberg: Ueber die Bedeutung der Bestand¬
teile der Ringer sehen Lösung für die Gefässerregbarkeit übeflebender
Orflane.
Erhöhung der Ca-Ionenkonzentration bewirkt Gefässerschlaffung, Ver¬
minderung Steigerung der Adrenalinempfindlichkeit. Auf letztere wirken K-
und Na-Ionen in entgegengesetztem Sinne. Den stärksten Einfluss auf Vaso¬
motorenerregbarkeit und Adrenalinempfindlichkeit hat der Qehalt an OH-lonen,
also an NaHCOs, das aber durch eine titrimetrisch entsprechende Menge
NaOH ersetzt werden kann.
P. Trendelenburg und W. G o e b e 1 - Rostock: Tetanie nach Ent-
iernnng der Epithelkörperchen und Kalziummangel im Blute.
Die Versuche sollten feststellen, ob die Theorie, die dem Kalziumgehalt
des Blutes und der Gewebe die führende Rolle beim Auftreten der Tetanie
nach Ausfall der Nebenschilddrüsen zuschreibt, richtig ist. Am ausgeschnit¬
tenen Froschherzen sehen die Verf., dass das Serum tetanischer Katzen
sofort die Kontraktionshöhen absinken Hess (schon wenige Stunden nach
Entfernung der Nebenschilddrüsen), dass diese Wirkung nur während der
Dauer der Tetanie anhielt und durch CaClz-Zusatz sofort beseitigt wurde.
Die gleichen Versuche mit Serumasche zeigten, dass es nicht auf Entionisierung
des Kalkes, sondern auf den Gesamtkalkgehalt des Serums ankommt.
W. N 0 n n e n b r u c h - Würzburg: lieber die Veränderungen Im Blut
nach HarnstoHgaben.
Verf. bestätigte durch seine Versuche die Angabe von L i c h t w i t z,
dass nach Harnstoffgaben sich der retinierte Stickstoff sehr verschieden auf
Blut und Gewebe verteilen kann und dass ein normaler Rest-N kein Beweis
ist für das Fehlen einer N-Retention. Die Versuche zeigten aber auch, dass
selbst erhöhter Rest-N keine N-Retention anzuzeigen braucht. Die zugeführte
Flüssigkeitsmenge war von grossem Einfluss auf den Verlauf der Rest-N-
Kurve und die Schnelligkeit der N-Ausscheidung. Der aus dem Blut rasch
verschwindende Harnstoff wurde erst allmählich aus den Geweben wieder ans
Blut zur Ausscheidung durch die Nieren abgegeben. Wahrscheinlich sind doch
aktive Prozesse bei der ungleichen Verteilung des Harnstoffes im Körper
wirksam, denn nach peroraler Gabe von Harnstoff und nach Injektion des¬
selben zeigte sich bei gleichzeitiger Rest-N-Bestimmung in Blut und Oedem
ersterer rascher und stärker ansteigend. L. Jacob- Bremen.
Schweizerische medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 9 u. lü.
H. K. C 0 r n i n g - Basel: Die Frage der Neubildung von Zeilen Im er¬
wachsenen Organismus.
F. U r e s k e - Lausanne: Ueber „photographischen*' Bromnachweis Im
Blutsenim.
Kottmann hatte gefunden, dass man aus der Lichtempfindlichkeit einer
kolloidalen Jodsilberlösung im Serum (hergestellt durch Zusatz von Jodkalium
und Silbernitrat zum Serum) auf den Dispersitätsgrad der Serumkolloide
schliessen kann. Bromgehalt des Serums verzögert diese Reaktion, so dass
so der Bromnachweis auch kleiner Mengen im Serum möglich ist. Er
gelang auch bei kleinen Dosen, z B. noch 9 Stunden nach Darreichung
von 2—3 g Bromkalium und selbst im Liquor von Epileptikern nach Brom¬
gebrauch. Die maximale Hemmung erfolgte 1—Stunden nach Brom¬
gebrauch.
M o p p e r t - Genf: La divergence des rösultats de la möthode du Bl
d’Einhorn dans le dlagnostic de l’ulcöre et des cancer de l'estomac.
U h 1 m a n n und A b e 1 i n: Experlqienteller Vergleich des Pavons mit
Pantopon.
Entgegen den Resultaten von Pohl betonen die Verf. nochmals, dass
P a V o n viel weniger auf das Atemzentrum wirkt als Pantopon bei doppelt
so starker Wirkung auf den Darm.
Glaser-Bern: Die Qallenstelnkrankhelt und die Kolloidschutziehre
von Lichtwitz. Cholsanln.
Nicht Sekretionsstörungen der Galle, sondern solche der Schutzkolloide
und der Gallensekretion sind die Ursache der Gallensteine. Auf Grund dieser
Tatsache und der Folgezustände und auslösenden Ursachen der Gallen¬
sekretionsstörung hat Verf. ein Mittel angegeben, das Cholsanin, das kleine
Dosen Kalomel und Podophyllin enthält, ausserdem ein Extrakt aus Species
nervinae Hufelandi und blähungsverhindernden und krampfstillenden ätheri¬
schen Gelen. Mitteilung einiger Fälle mit gutem Erfolg.
Nr. 10.
C. W e g e 1 i n - Bern: Die Frage der Neubildung von Zellen im er¬
wachsenen Organismus.
Zusammenfassende Darstellung des jetzigen Standes der Frage.
R. M a s s i n i - Basel: Kalzium und Tuberkulose beim Kaninchen.
Von tuberkulös infizierten Kaninchen lebten die Tiere, die CaCb intra¬
venös erhielten, einige Tage länger als die Kontrolltiere.
E. Döbeli-Bern: Zur Therapie des Keuchhustens.
Verf. hat gute Erfahrungen gemacht mit Beeinflussung des Stoffwechsels
durch Diäteinschränkung und Laxantien, um so rasch wie möglich ein Ab¬
nehmen des Auswurfes zu erzielen. In 2. Linie kommen Herabsetzung der
Erregbarkeit des Nervensystems durch suggestive und medikamentöse Mass¬
nahmen, schliesslich, was aber nur selten nötig ist, Bekämpfung des ein¬
zelnen Anfalls durch Narkotika.
E. R h o n h e i m c r - Zürich: Die Indikationen zur Buttermehlnahrung
nach Czerny-Kleinschmidt.
Verf. betont vor allem, da^s man sich streng an die Indikationen und
Zusammensetzung der Nahrung, wie sie Czerny gab. halten müsse, um
nicht Misserfolge zu haben. Bei akuten Ernährungsstörungen im 1. Stadium
ist die Buttermehlnahrung kontraindiziert.
J. Cattani - Zürich: Die gerlchtllch-med^inische Bedeutung der Tatau-
lerungen. ' ' L. J a c o b - Bremen.
Im Druck erschienene Inauguraldissertationen.
Universität Greifswald. Januar bis März 1921.
Krisch Hanna: Beitrag zur Histologie und Bedeutung der V i r c h o w sehen
..fettigen Usur" der Aorta.
Kühl mann Bernhard: Untersuchungen über die Blutalkaleszenz bei Krank-
Digitized by Goiisle
heiten. (Untersuchungen mit der M o r a w i t z - W a l k e r sehen aero-
tonometrischen Methode.)
Schlüter Richard: Ueber 3 Fälle von Appendizitis während der Gravidität.
Seiffert Walter: Untersuchungen über die Beziehungen zwischen der
schwärmenden und der nichtschwärmenden Form des Proteus X 19.
Teuscher Max: Bericht über die Tätigkeit des Untersuchungsamtes für
ansteckende Krankheiten am Hygienischen Institut der Universität Greifs¬
wald in den Jahren 1915—1920.
Voigt Arthur: Ekzemtherapie mit der S t r a u s s sehen Salbe (Unguentum
Strauszii contra ekzema).
Zientak Kasimir: Zur Behandlung der habituellen Schulterluxation mit
besonderer Berücksichtigung einer neuen Operation.
Vereins* und Kongressberichte.
Bamberger Aerzteabend.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Februar 1921.
Prof. Dr. Lobenhoffer stellt vor:
1. Lappenplastiken bei ausgedehnten Lippen- und Unterkieferkarzinomen,
die mittels des L e x e r sehen Pistolenlappens gedeckt sind. Wo die Innen¬
seite des Lappens in die Mundhöhle sah, vorherige Unterfütterung mit
Thierschlappen, 2—3 Wochen ehe der Lappen in den Defekt geschlagen wurde.
Durchschneidung des Lappenstieles nicht vor Ablauf von 3 Wochen.
2 . Mobilisation einer Htiftgelenksankylose mit freitransplantiertem Fett-
Faszienlappen. Noch in Behandlung, beschränkte Beweglichkeit bereits
möglich.
3. Antethorakale Oesophagusplastlk wegen Verätzungsstenose bei 8 jähr.
Kind. In erster Sitzung vom Kragenschnitt aus Durchschneidung des Oeso¬
phagus möglichst tief unten. Der kardiale Stumpf lässt sich nicht übernähen,
daher wird nur Drain und Tampon auf sein Lumen gelegt, die beide-rechts
herausgeleitet werden. Der orale Oesophagusteil wird hinter dem Sterno-
kleidomastoideus bis unterhalb des Schlüsselbeines subkutan durchgezogen;
die Schnittfläche wird mit dem oberen Ende des gleichzeitig gebildeten Haut¬
schlauches vernäht. Die anfängliche Sekretion aus dem unteren Oesophagus-
stumpf versiegt nach 3 Wochen. Fistelbildung an der Vereinigung zwischen
Oesophagus und Hautschlauch, die nach 2 Monaten geheilt ist. In 2. Sitzung
Verbindung zwischen Magen und Hautschlauch durch ein 20 cm langes Dünn¬
darmstück. Da die Naht vorne nicht dicht hält, Deckung mit Lappenplastik,
hierauf rasch feste Heilung Beste Funktion.
4. Fälle von Operationen wegen Hallux valgus. 2 mal Resektionen des
Capit. metatars. und Fettimplantation; 3 mal Keilosteotomien.
5. Osteogenesis imperfecta tarda { 2 % jähr. Kind). 1. Fraktur bei der
Geburt, jetzt 2 Frakturen ohne stärkeres Trauma. Röntgenologisch: nur
angedeutete Kortikalis. fast keine Spongiosazeichnung; an den Frakturstellen
Einknickung ohne sichtbare Kontinuitätstrennung an der gegenüberliegenden
Seite, wie bei einem grünen Schilfrohr. — Blaue Skleren, Lymphozytose,
Eosinophilie. Vater litt an Knochenbrüchigkeit und Minderwertigkeit des
GefässsySterns; mit 30 Jahren Hemiplegie, mit 42 Jahren an Apoplexie
gestorben.
6 . Demonstration eines den ganzen Baüch ausfüllenden retroperltoneaien
zystischen Tumors.
7. Demonstration von einer Anzahl resezierter Tumoren des Colon
ascendens und der Flexura hepatlca.
8 . Fälle von Doppelflintenlagerung des Dickdarms (P a y r) in der Flexura
hepatica und lienalis. lleokolostomie. Kolokolostomie oder Lösung der Adhä¬
sionsbrücken und Hereinschlagen des Netzes zwischen die Schenkel des
Darmes. Demonstration der Röntgenbilder.
Verein der Aerzte in Halie a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 15. Dezember 1920.
Vorsitzender: Herr Braunschweig. Schriftführer: Herr F i e 1 i t z.
Herr Kauffmann stellt einen 14 jähr. Jungen mit sporadischer Hämo¬
philie vor. Nur Mutter und Grossmutter leiden an Neigung zu Blutungen,
unter den männlichen Verwandten finden sich keine Bluter. Seit dem 4. Le¬
bensjahre mehrfach lebensbedrohliche Blutungen. Seit dem 13. Lebensjahre
oftmals Blutergüse in das rechte Kniegelenk. Im März 1920 14 tägige Alveolar¬
blutung. Aeusere Clauden- und intravenöse Serumbehandlüng ohne Erfolg.
Von Anfang August bis Ende September 1920 Urin meist dickblutig, schlei¬
miger Erythrozytensatz. 20 ccm väterliches Vollblut intravenös wird gut
vertragen, gibt aber keinen Erfolg. Erneute Seruminjektion intravenös ohne
Erfolg; heftige anaphylaktische Reaktion ohne Einfluss, desgleichen 0,5
Koagulen intravenös und 5 g Koagulen per os. Fortgesetzte hohe Kochsalz-
und Kalkgaben per os geben keine Besserung. Allmählich zunehmende Anämie
und geringe Störung des Allgemeinbefindens, Ende September nach 3 tägiger
Haferflockenkur plötzliches Sistieren der Blutung (Erhöhung der Blutviskosi¬
tät?). K. betont, dass wiederholte Venenpunktionen bei Hämophilen ohne die
geringste Nachblutung völlig gefahrlos sind.
In der Besprechung empfiehlt Herr V o 1 h a r d intramuskulär Milch.
Herr V o 1 h a r d stellt ferner ein Kind mit offenem Ductus Botalll vor.
Er empfiehlt Unterbindung des Ganges.
Weiter zeigt Herr V o 1 h a r d einen Patienten mit schwerstem chroni¬
schen Gelenkrheumatismus, der in der schlimmsten Weise in französischer
Gefangenschaft vernachlässigt worden war.
Herr W e t z e I kann an einem entkalkten Schädel die Wirkung des
Druckes der Zähne auf die Schädelknochen feststellen. Die Veränderung des
Gesichtsskeletts unter dem Zahndruck wird geschildert.
Herr L e s s e r aus Mannheim als Gast spricht über Zuckerkrankheit
und Bauchspeicheldrüse.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
438
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. März 1921.
Herr Jakob berichtet Ober eine Patientin, die mit 48 Jahren an einer
Psychose mit katatonen Erscheinungen und Pupillen- und Reflexstörungen
erkrankte und nach 10 Jahren starb. Es fand sich im Gehirn, den Stamm¬
ganglien und dem Dentatum des Kleinhirns ein eigenartiger Rinden- und
Markprozess mit Entwicklung der atypischen grossen Qlia-
zellen, die bisher als pathognomonisch für Pseudosklerose und W i 1 s ö n -
sehe Krankheit galten.
Herr Qeppert hat die Fahraeussehe Blutsedlmentlerungsprobe für
die Unterscheidung verwandt, ob bei Adnexkrankheiten noch akut
entzündliche Prozesse vorhanden sind oder nicht. Es zeigte sich, dass bei
negativem Ausfall der Probe der Operationsbefund stets günstig, der Verlauf
ungestört war, während bei positiver Reaktion das Umgekehrte zutrifft.
Die Probe ist daher für die P r o g n o s e n - und Indikationsstellung
zur Operation gut brauchbar.
Herr S a e n g e r demonstriert ein von J a h n e 1 - Frankfurt angefertigtes
Präparat, das bei einem Tabesfall in der Arachnoidea um die hin¬
teren Wurzeln herum Haufen von Spirochäten zeigt. Im Gegen¬
satz zu dem häufigen Spirochätenbefund bei Paralyse war J a h n e 1 der
Nachweis bei Tabes bisher nie gelungen.
Herr Fahr berichtet als Nachtrag zu seinen Ausführungen über die
Folgen der Kriegsernährung vom Jahre 1919 über weitere Fälle, bei denen
ältere Individuen bei der Sektion als Nebenbefund eine frische Tuber¬
kulose aufwiesen, 6 mal fand er eine primäre Tonsillartuberku-
1 0 s e, während diese Affektion bei der ganz überwiegenden Mehrzahl der
Fälle sekundär ist. Im Uebrigen ist der Höhepunkt der Tuberkulose¬
mortalität im Jahre 1917 gewesen.
• Herr Jakob: Ueber eine eigenartige, der multiplen Sklerose nahe¬
stehende psychisch-nervöse Erkrankung mit charakteristischem anatomischem
Befund.
Vortr. hat bisher 4 Fälle beobachtet, deren klinisches Bild charakteri¬
siert war durch verschiedenartige psychische Störungen und auf neurologi¬
schem Gebiet durch eine Kombination von Pyramidenbahn¬
symptomen (Babinski, fehlende Bauchdeckenreflexe, keine eigentliche
Lähmung) mit Störungen extrapyramidaler Bahnen (Be¬
wegungsarmut, Muskclrigidität, Tremor u. a.). Das klinische Bild erinnert
an multiple Sklerose, ohne dass diese Diagnose hätte befriedigen können; die
Krankheit, die deshalb vom Vortr. als „sp a s t i sehe Pseudoskieros e‘‘
benannt wird, führte in 6 Wochen bis 1 Jahr zum Tode. Der makro¬
skopische Sektionsbefund war stets negativ, der mikroskopische charak¬
terisiert durch einen reinen Parenchymprozess in Gestalt charak¬
teristischer Ganglienzellvcränderufigen und unregelmässiger Ausfälle in der
motorischen Rinde, den Vorderhornzellen des Rückenmarks und andererseits
im Corpus Striatum, z. T. rosettenförmiger Gliawucherungen sowohl
in der grauen wie in der weissen Substanz, Wucherung der Trabantzellen mit
Neuronophagie, Bildung gliogener Körnchenzellen und mit M a r c h i nach¬
weisbarer Faserausfälle. Die Aetiologie ist völlig unbekannt. Zweimal be¬
stand Verdacht auf Lues, einmal auf latente Malaria. Im 4. Fall lag Alkoholis¬
mus vor. Vortr. denkt an die Wirkung von Stoffwechselgiften.
Fr. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sitzung vom 2. Februar 1921.
Schriftführer: Herr E r g g e 1 e t. Vorsitzender: Herr S t i n t z i n g.
Vor der Tagesordnung.
Herr S11 n t z 1 n g stellt zwei Kranke vor mit progressiver spinaler
Muskelatrophle (Typus Duchenne-Aran und Peronealtypus).
Herr B u c h h o 1 z zeigt einen Mann mit Polyzythämie.
Tagesordnung.
Herr Schuchardt: Menstruationspsychosen.
Vorstellung von 3 Fällen von mit der Menstruation in Zusammenhang
stehendem Irresein.
Vortr. kommt, übereinstimmend mit den meisten anderen Autoren zu
dem Schluss, dass eine selbständige Menstruationspsychose nicht bestehe, die
einzelnen Fälle sich vielmehr stets anderen klinischen Einheiten unterordnen
liessen.
Herr Lehmann: Erfahrungen mit Sodabehandlung von Molkereimilch.
Im Sommer 1920 wurde in Jena, gedrängt durch die mangelhafte Ver¬
sorgung der Bevölkerung mit Frischmilch, die Behandlung der sauren Milch
mit Sodalösung durchgeführt. Der Milchbezirk Jena umfasst 34 Ortschaften
mit einer täglichen Solllieferung von 5—6000 Liter Milch. Durch die schwie¬
rigen Verkehrsverhältnisse und die mangelhafte hygienische Einrichtung der
Milchsammelstellen der Dörfer, wurden meist bis zu zwei Drittel der Milch
sauer eingeliefert. Grundgedanke des Verfahrens: Durch Zusatz eines Alkalis
Bindung der Säure, z. T. unter Bildung von milchsaurem Natron und unter
Entwicklung von Kohlensäure und so Abstumpfung der Säuregrade der Milch.
Angewandt wurde die chemisch reine, kristallisierte Soda. Von einer Soda¬
lösung, die 358 g krist. Soda im Liter Wasser enthält, muss 1 Liter zugesetzt
werden, um 1 cbm Milch um einen Säuregrad nach S o x 1 e t h herabzu¬
drücken. Grundsätzlich wurde nicht unter 6" Säure n. S. herabgesetzt.
Das Mittel der am Ende der Behandlung erreichten Säuregrade war
6,8® u. S. Die Keimzahl in der alkalisierten Milch war höher als die der
normalen Milch. Als Hauptfaktor für die Haltbarkeit der Milch erwies sich
die mittlere Tagestemperatur. Der Hauptwert für Erlangung einwandfreier
Milch muss also auf gute Kühlung derselben bereits in den Dorfsammel-
stcllen und auf dem Transporte gelegt werden.
Die Keimzahl der Milch ist nicht abhängig von ihrem Säuregrad.
Die Haltbarkeit der alkalisierten Milch ist bis zur Dauer von 15 Stunden
besser als die der normalen Milch, ein grosser Vorzug des Verfahrens, da
es praktisch auf die ersten 15 Stunden ankommt.
Die Enzyme der Milch (Peroxydasen und Reduktasen) werden durch
das Verfahren nicht zerstört, jedoch tritt die Reaktion bei Prüfung auf
Reduktasen um ca. 10 Minuten später ein als bei Normalmilch. Weitere
Versuche in dieser Richtung mussten unterbleiben, da durch die Maul- und
Digitized by Goiisle
Klauenseuche in Thüringen die Milch auf 85® erhitzt werden musste und
somit die Enzyme zerstört wurden.
Klagen über Erkrankungen durch Genuss der alkalisierten Milch wurden
weder von seiten der Kinderklinik noch von seiten der prakt. Aerzte gehört.
Gesetzlich wurden die im Kriege vom Reichsgesundheitsamt herausgegebenen
„Anleiturigen zur Behandlung säuerlicher Vollmilch mit Alkalikarbonaten“
befolgt.
Der wirtschaftliche Nutzen ergibt sich aus der Tatsache, dass in den
wenigen Sommermonaten insgesamt 182 000 Liter saurer Milch der Bevölke¬
rung als Frischmilch zugängig gemacht wurden.
Selbstverständlich soll das Verfahren nur ein Notbehelf sein, so lange
die Versorgung der Bevölkerung mit frischer Milch mangelhaft ist. Ausser¬
dem darf durch dasselbe die allgemeine Milchhygiene nicht vernachlässigt
werden.
Herr Hage (a. G.): Amöbenruhr.
In Deutschland ist nach dem Kriege in verstärktem Masse mit Araöben-
ruhr zu rechnen (zahlreiche zurückgekehrte Ausländsdeutsche, auf den ver¬
schiedenen Fronten infizierte Kriegsteilnehmer). Hage hat selbst auf ver¬
schiedenen Untersuchungsstationen der Marine in Deutschland über 20 Fälle
beobachtet, die teilweise Rückfälle alter, in Ostasien oder Afrika erworbener,
Amöbenruhr waren, teils Neuerkrankungen im Kriege darstellten. Mehrere
Fälle der Neuerkrankungen waren nur durch Kontakt mit farbigen Truppen
in Frankreich zu erklären, ein Fall war in Russland erworben, andere in
Kamerun. Ostafrika. Südsee, Mazedonien, Mesopotamien. 2 Fälle konnte er
Ende 1920 in Jena feststellen, der eine hatte sich die Infektion in französi¬
scher Gefangenschaft am Kongo 1915 zugezogen und war schon das 3. Mal
an Leberabszess erkrankt, der zweite hatte sich in Südwest-Afrika 1907
infiziert und seitdem häufige Rückfälle gehabt, ohne dass diese als Amöben¬
ruhr erkannt waren. Rückfälle wurden noch nach 12, 14 und 17 Jahren be¬
obachtet, ein Leberabszess trat erstmalig 7 Jahre nach der Infektion auf.
Manche Kranke mit reichlichen Zysten im Stuhl fühlen sich seit Jahren ganz
gesund und hatten dauernd normale Stühle, bei anderen wurden nur spär¬
liche Zysten bei mehrmaliger Untersuchung gefunden. Bei mehreren Fällen,
die eine sichere Amöbenruhr durchgemacht hatten und noch an zeitweiligen
Darmkatarrhen litten, konnten nur 8 kernige Zysten gefunden werden, ob
diese Fälle nur durch Mischinfektion zu erklären sind, ist fraglich. Bei der
Suche nach Zysten hat sich das Riegel sehe Färbeverfahren sehr bewährt.
Klinik und Therapie werden kurz besprochen.
Demonstration von Präparaten und Photogrammen.
Herr Voigt: Demonstration über die Sachs-Qeorgl sehe Reaktion.
Auf Grund einer Arbeit von H e r z f e 1 d und K 1 i n g e r (M.m.W. 1917
S. 1486) wird zunächst die Theorie der serologischen Luesreaktionen nach
kolloidchemischeii Gesichtspunkten erläutert. Die Luetikersera zeichnen sich
durch eine hohe Labilität ihrer Globuline aus. Bei der Bruck sehen Me¬
thode werden diese labilen Eiweisskörper mittels Alkohol, später variiert
mittels verdünnter Milchsäure, bei der WaR. mittels Organextrakte und
hämolytischen Systems und endlich bei S.-G.-R. mittels eigens dazu herge-
stellter. cholestearinierter. von Sachs früher bei der WaR. benutzter Organ¬
extrakte nachgewiesen
Darauf wird die praktische Ausführung der S.-G.-R. kurz beschrieben
und die Ausflockung bei einigen positiven Reaktionen mit dem Kuhn-
W 0 i t h e schem Agglutinoskop vorgeführt.
Aerztlicher Verein zu Marburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Februar 1921.
Herr Blelschowsky demonstriert eine 34 jähr. Patientin, bei der ein
Iristumor durch dreimalige (Röntgen-) Bestrahlung (drei- bzw. vier¬
wöchige Intervalle) zum Verschwinden gebracht war, Pat. hatte anfangs
nur eine Sehstörung beim Nahesehen, zw'ei Wochen später einen braunen
Fleck auf der Iris bemerkt. Mehrere Augenärzte erklärten, da Wa-Probe
und einmalige Tuberkulininjektion negativ ausfielen, die Neubildung für bös¬
artig und rieten zur sofortigen Enukleation. Der gelbbraune Tumor wuchs
aus dem Kammerwinkel hervor, bestand aus mehreren zusammenhängenden
Gebilden, teils kugelig, teils halbkugelig, teils keulenförmig, die z. T. auf
der Vorderfläche der Iris, z. T. unter dem vorderen Irisblatt lagen, dieses
segelartig vorwölbend. Ausserdem fanden sich 6 feine Präzipitate und einige
ältere periphere Aderhautherde. Das Auge war reizlos. Vis. = 1. Wa.-
negativ. Auf 2 mg Alttuberkulin Temperaturanstieg bis 38,2. Schon 4 Tage
nach der ersten Bestrahlung (20 Minuten) schien der Tumor etwas zu¬
sammenzufallen. Nach der zweiten Bestrahlung w'ar das Auge mehrere Tage
gereizt. 8 Tage später war die Geschwulst stark verkleinert und schmolz
in der Folgezeit zusehends weg. B. hält sie für eine tuberkulöse Neubildung,
deren rapide Rückbildung trotz der gleichzeitigen Tuberkulinkur in erster
Linie auf die Bestrahlung zurückzuführen ist.
Herr L ä w e n: Zur operativen Behandlung des Hydrocephalus Internus.
(Wird ausführlich veröffentlicht.)
Herr Burckhardt spricht über Punktion der Gallenblase.
Der Inhalt des Vortrages deckt sich ungefähr mit dem einer Arbeit,
die im Aprilheft der D. Zschr. f. Chir. erscheint. Es werden in dem
Vortrage einige Erweiterungen und neue Erfahrungen mitgeteilt.
Herr W, Müller demonstriert Röntgenbilder von Gallenblasen, die
grösstenteils an der Leiche, zu einem Teil vom Lebenden gewonnen waren,
und auf denen mittelst des durch eine Punktionskanüle eingeführten Kollargols
sich die Einzelheiten des Gallensystems (Gallengängc, Gallenkonkremente etc.)
einwandfrei nachw'eisen liessen.
Herr W. Müller berichtet Uber das Krankheitsbild der Erweichung und
Verdichtung des Os lunatum, das er bisher in 15 Fällen beobachten konnte.
Es trat jedesmal ohne ein Trauma bei jungen Leuten, meist landwirtschaft¬
lichen Arbeitern und hauptsächlich weiblichen Geschlechts mit einer einzigen
Ausnahme immer im rechteP Handgelenk auf. Auf die eigenartigen Zu¬
sammenhänge mit der Kümmel sehen Erkrankung und mit den Knochen¬
prozessen bei Spätrhachitis, vor allem auch bei der sog. Perthes sehen
Erkrankung, wurde hingewiesen.
Herr Scharnke: Neuere Ergebnisse der Paralyseforschung mit be¬
sonderer Berücksichtigung eigener Liquorstudien.
Der Vortrag wird an anderer Stelle ausführlich veröffentlicht.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
8. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
439
Aerztlicher Verein München.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. März 1921.
Herr Gilbert: 1. Nieren- und Qefässieiden und deren Beziehung zu
Augenerkrankungen nach eigenen Untersuchungen und unterstützenden Er¬
gebnissen aus der Klinik von Müller und R o m b e r g.
Die Nierenerkrankung unter der alten Bezeichnung „B r i g h t sehe"
Krankheit hat sich in den letzten Jahren in eine Reihe von gruppierten
Krankheitsbildern aufgelöst, von denen jedes verschieden zu bewerten ist.
ln Beziehungen zu den Nierenerkrankungen sind zu stellen:
a) Entzündungen der vorderen Uvea, die Iritis,
b) die Netzhaut- und Sehnervenentzündungen.
Die Hauptursache der Regenbogenhautentzündung ist eine metastatische.
Leber hat schon darauf hingewiesen, dass an den Entzündungen der vor¬
deren Uvea die Nierenerkrankungen einen gewissen Anteil haben. Vor etwa
20 Jahren hat Michel in einer Arbeit der M.m.W. in etwa 32 Proz. der
Fälle die Iritis als eine durch die Albuminurie bedingte angesehen. Das
ist nun ganz sicher nicht richtig, mit Ausnahme der Fälle, wo die Nieren¬
entzündung eine auf Septischer Grundlage metastatisch interstitielle war und
mithin die Iritis die gleiche Aetiologie besass. Nun gibt es aber zweifellos
Iridozyklitiden, bei denen wir keine andere Entstehung des l!eidens finden
als eine Nierenerkrankung.
Im Endstadium der Nierenerkrankungen treffen wir oft Entzündungen der
serösen Häute und gerade in diesen Fällen oft auch eine Iritis, ohne dass
man diese gleichzeitigen Krankheitserscheinungen in Analogie zu einander
setzen darf. Wie man gelernt hat die Nephritiden von den Nephrosklerosen
zu trennen, so müssen wir auch die Iritiden von den Iridosklerosen unter¬
scheiden, Von den Netzhaut- und Sehnervenerkrankungen sind vor allem zu
nennen die Retinitis album. oder Retinitis nephritica.
V 0 1 h a r d fand diese Ret. alb. nie bei seinen Nephrosen, wohl aber
sehr oft bei Entzündungen der Niere und den sekundären Nephrosklerosen.
Sie ist nicht in Abhängigkeit zu bringen mit der Niereninsuffizienz, sondern
mit der Hypertonie.
Die Genese der Netzhauterkrankungen bei Nierenaffektionen ist noch bei
weitem keine einheitliche. In dem einen Falle soll sie ausgelöst werden
infolge der durch die Nierenerkrankung zurückgehaltenen Stoffwechsel¬
produkte, im anderen Falle wieder vollständig unabhängig davon.
Die Retinitis circinata beruht auf einer Sklerose der perimakulären
Arteriolen. Der allgemeine Untersuchungsbefund bei einem solchen Kranken
pflegt negativ zu sein. Man findet dieses Krankheitsbild bisweilen bei
Nierenerkrankungen, wo es dann fälschlicherweise sehr oft als Ret. alb.
gedeutet wird. Die zugrundeliegende Nierenerkrankung war jedoch nie eine
entzündliche, sondern eine Nephrosklerose. Wir haben also:
. a) die typische Ret. alb., deren Genese noch völlig ungeklärt ist
und wahrscheinlich in Abhängigkeit mit einer Glomerulonephritis steht,
b) die Ret. circ., eine arteriosklerotische Erkrankung der Netzhaut, die
nicht in Abhängigkeit mit Nierenerkrankung steht, sondern dieser gleich¬
geordnet ist. als allgemeine Gefässerkrankung.
c) Schliesslich gibt es auch Kombinationen von reiner Gefässerkrankung,
zu denen sich durch eine dazukommende Nierenerkrankung eine Ret. alb.
gesellen kann.
2. Gutartige, tuberkulöse Meningitis bei Aderhautentzündung.
Von den tuberkulösen Aderhauterkrankungen müssen wir zwei ver¬
schiedene Formen aufstellen:
a) Erkrankungen der Aderhaut bei akuter Miliartuberkulose. C o h n -
heim hat sie beschrieben und sie ist vielfach überschätzt worden, indem
durch ihr Nichtvorhandensein eine Aderhaut- und mithin Miliartuberkulose
ausgeschlossen wurde. Die Tuberkel können so weit peripher gelegen und
deshalb auch bei maximal erweiterter Papille nicht 2 ,u sehen sein. Es ist
mithin klar, dass in einem solchen Falle die Diagnose Miliartuberkulose aus
dem Fehlen der Chorioidaltuberkel nicht widerlegt werden kann.
b) Die Chorioiditis disseminata^ die oft bei anscheinend gesunden Indi¬
viduen auftritt. Sie hat mit Rheumatismus, wie es noch immer angenommen
wird, nichts zu tun, dagegen mit Tuberkulose und Lues. Die letztere ist
von Tuberkulose meist durch schon frühzeitig auftretende Gefässverände-
rungen zu trennen.
Nun müssen wir uns fragen, ob es keinen anderen Einbruch der Ba¬
zillen als in die Karotis und damit in die Aderhautgefässe gibt. Darüber
geben uns Aufschluss die Meningen, die so oft tuberkulös erkranken. Die
Meningen spielen jedoch für das Gehirn dieselbe ernährende Rolle, wie die
Aderhaut für die Netzhaut. Diese tuberkulösen Meningitiden sind oft von
gutartig chronischem Verlauf; es sind also meist Pat., die ausser leichter
Veränderung in den Bronchialdrüsen keine besonderen Krankheitssymptome
bieten. Von Heine wurde auf die Gehirndrucksteigerung bei Chorioitiden
hingewiesen. Er hält Punktionen oft von gutem Erfolg.
Auch Wochen- und monatelangen schweren Kopfschmerz treffen wir bei
diesen tuberkulösen Chorioitiden an. Er kann nicht erklärt werden durch
die Aderhauterkrankung allein, wobei natürlich die Iridozyklitis von vorn¬
herein auszuschliessen ist; ebenso sind sämtliche Fälle auszuschliessen. bei
denen es sich um ein älteres Krankheitsbild handelt. Dieser Kopfchmerz
findet sich bei ganz frischen Fällen ohne Komplikation der Uvea in etwa
80 Proz. der Fälle. Er ist das Symptom des Bazilleneinbruchs und eine
lokale Reaktionserscheinung. Sö ist es auch erklärlich, warum er bei
älteren Fällen fehlt, indem bei diesen die anfänglichen Reizerscheinungen
längst abgeklungen sind. Wir haben also diesen Kopfschmerz auf meningeale
Reizerscheinungen zurückzuführen.
In der Diskussion wird darauf hingewiesen, wieweit eine chemische
mikroskopische Liquoruntersuchung Aufschluss über meningeale Reizerschei¬
nungen gibt. Diesbezügliche Resultate sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Ferner wurde von einem anderen Herrn auf eine typische makuläre Ader¬
hautveränderung aufmerksam gemacht, wo er sonst nichts anderes feststellen
konnte als eine chronische Verstopfung.
Herr Schuhmacher: Behandlung der Salvarsanschäden.
Er hob hervor, dass mit einer gewissen Toxizität, wie bei verschiedenen
Heilmitteln, so auch beim Salvarsan zu rechnen sei. Nach einer in letzter
Zeit festgestellten Statistik in Wien sei ein Todesfall bei 56 445 Gespritzten
zu verzeichnen. Auch Schmidt stellte fest, dass die Salvarsantodesfälle
stets im Abnehmen begriffen seien. In vielen Fällen sei das Salvarsan nicht
schuld än dem schlimmen Ausgang, sondern habe nur beschleunigend ge-
Digitized by Goiisle
wirkt. So hat Zumbusch ein an Lyssa erkranktes Kind gespritzt, das
bald nach der Salvarsaneinspritzung gestorben sei. Der Tod wäre bei dem
Kinde zweifellos auch ohne Salvarsangabe erfolgt. Als Salvarsanheben-
wirkungen leichter und allgemeiner Art hob er hervor:
Das Fieber, das meist bei frischer sekundärer Lues auftritt. manchmal
auch bei primärer und tertiär-latenter Lues (Spirochätenfieber). Fieber einige
Tage nach der Injektion weist auf toxische Wirkung hin.
Kopfschmerz, Magendarmstörungen, in Form von Uebelkeit, Erbrechen,
als Symptome einer Arsenvergiftung.
Hauterscheinungen als toxisches Exanthem. Nierenschädigungen durch
Salvarsan seien verhältnismässig selten, vielmehr rufe der luetische Prozess
in der Niere oft in der Sekundärperiode eine Nephritis hervor, die mit Sal¬
varsan nichts zu tun habe.
Leberschwellungen unter allgemeiner Speicherung des Salvarsans in
derselben, wobei es oft zur Hämatoporphorinurie kommt. Auch Ikterus sei
nicht selten, der dann meist bis 3 Monate nach beendeter Kur auftritt und
sich meist ohne ernstere Schädigung zurückbildet, in seltenen Fällen über¬
geht in akute Leberatrophie.
Schädigung des Nervensystems.
Angioneurotische Oedeme.
Neurorezidive, bei weiterer Salvarsanbehandlung sich wieder bessernd.
Neurotropie des Salvarsans ist nicht anzunehmen.
Salvarsantodesfälle kommen bisweilen vor durch hervorgerufene Enze¬
phalitis haemorrhagica und' Gehirnödem. Er fasst die Enc. haem. als eine
Art Idiosynkrasie auf, die sich oft wenige Tage nach der erstem, oft aber
erst nach der zweiten oder dritten Injektion zeige. Die Blutung erklärt er
durch Paralyse und durch ödematöse Schwellungen komprimierter und da¬
durch geschädigter Gefässe. Er macht die Salvarsanschäden abhängig von:
a) der toxischen Wirkung des Salvarsan,
b) verdorbenen, unreinen, oxydierten Präparaten,
c) der Höhe der Ejnzeldosis, die individuell zu bemessen ist,
d) dem zeitlichen Intervall zwischen den einzelnen Einspritzungen, wobei
Stürmer einen Zwischenraum von je 10 Tagen annimmt, während es
in der Klinik von Zumbusch so gehandhabt wird, dass die Zwischenzeit
soviel Tage umfasst, als Dezigramme Salvarsan gegeben wurden.
Zum Schlüsse weist er noch auf die allgemein bekannte Kontraindikation
der Salvarsangabe hin. warnt vor Injektionen bei gefülltem Magen, dagegen
hält er Bettruhe bei Salvarsaneinspritzungen nicht für notwendig, weshalb
die ambulante Salvarsanbehandlung fetzt auch allgemein geworden sei.
In 4er Diskussion bemerkt auch Herr Zumbusch, dass bei der
heutigen Kenntnis des Salvarsans und sinngemässer Anwendung desselben
Schädigungen und vor allem Salvarsantodesfälle so gut wie ausgeschlossen
seien. Rossbach.
Medizinisch-Naturwissenschaftlicher Verein Tübingen.
(Medizinische Abteilung.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 17. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr Mönckeberg. Schriftführer: Herr Brösamlen.
Herr Fetseber (a. G.): Ueber die Vererblichkeit des angeboren^
Klumpfusses.
Ausgehend von 184 in verschiedenen württembergischen Krankenanstalten
zur Behandlung aufgenommenen Fällen von angeborenem Klumpfuss hat F.
in deren Familien Nachforschungen über die Heredität angestellt. Es Hessen
sich 25 Familienstammbäume aufstellen, in denen Klumpfussfälle mehr als
einmal Vorkommen, z. T. neben anderen vererblichen Zuständen, z. B. Idio-
thie, Epilepsie, angeborenes Glaukom u. a. Auf Grund seiner Untersuchungen,
die in dem Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie ausführlich ver¬
öffentlicht werden kommt F. zu folgenden Ergebnissen:
1. Mindestens zwei Drittel aller angeborenen Klumpfussfälle sind nach
dem rezessiven Typ vererblich, wobei jedoch die Geschlechtsproportion unter
den Kranken wie unter den Gesunden von der Norm abweicht und besonderer
Erklärung bedarf.
2. Für die vererblichen Fälle ist Klumpfuss nicht die primäre Miss¬
bildung, sondern wahrscheinlich die Folge direkt vererblicher Anomalien des
Zentralnervensystems.
3. Diese Veränderungen sind als degenerative zu betrachten, wie aus der
in den Klumofussfamilien zu beobachtenden Erhöhung der Häufigkeit psychi¬
scher Minderwertigkeit hervorgeht.
Herr Borchers: Ist es möglich durch chirurgische Eingriffe am'
N. vagus Störungen der Magenmotllltät zu beeinf]|issen? (Siehe Zbl. f. Chir.
1920 Nr. 51; eine umfangreichere Arbeit erscheint in Bruns Beitr. 1921, voraus¬
sichtlich im April.)
Herr Perthes: Operativ geheilte traumatische ZwerchfeUhernie.
25 jähr. Soldat. Oktober 1914 verwundet. Gewehrdurchschuss an der
Seite des linken Thorax etwas unterhalb der Brustwarzenhöhe. Zunächst
keine Erscheinungen von Verletzung der Brust- oder Bauchorgane. Erst all¬
mählich tritt schmerzhaftes Druckgefühl nach der Mahlzeit auf. Wird 1917
hinter der Front unter der falschen Diagnose Interkostalneuralgie operiert und
wieder g. v. — 1919 werden die Beschwerden hochgradig. Diagnose erst
1920 in der Chirurgischen Klinik auf Grund der subjektiven Symptome eines
plätschernden Geräusches im linken unteren Thoraxabschnitt, woselbst auch
tympanitischer Schall mit Dämpfung wechselnd zu hören ist. Im Röntgenbild
ist die Differentialdiagnose zwischen Zwerchfelllähmung und ZwerchfeUhernie
in aufrechter Körperhaltung zunächst nicht möglich; lässt sich erst bei
Durchleuchtung in Seitenlage stellen. Geschluckter Bariumbrei
erfüllt dabei zunächst nur den faustgrossen Magensack unterhalb des Zwerch¬
fells, um dann durch die Zwerchfelllücke in den oberhalb des Zwerchfells ge¬
legenen grösseren Magenteil überzufliessen und hier einen gesonderten Flüs¬
sigkeitsspiegel abzugeben. Operation vom Bauch aus begonnen ist wegen
fester Verwachsungen undurchführbar, deshalb transpleurales Vor¬
gehen unter Ueberdruck. Etwa des Magens liegen im Thorax fest
verwachsen. Nach Reposition Naht der fünfmarkstückgrossen Zwerchfell¬
lücke. Heilung ohne dass Beschwerden zurückgeblieben sind.
Herr Perthes: Chirurgische Behandlung der Gastroptose.
Die Beschwerden beruhen weniger auf der Gastroptose als solcher als
vielmehr auf einer hinzutretenden Abknickung des oberen Duodenum, das
durch die im Lig. henato-duodenale verlaufenden Gefässe an bestimmter Stelle
Original frDrri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
440
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
festgehalten wird. Das schmerzhafte Völlegefühl trat in den von Perthes
beobachteten Fällen nicht immer sogleich nach der Nahrungsaufnahme, sondern
zuweilen erst Yi —2 Stunden später auf. Die Schmerzen wurden zuweilen
nicht wie gewöhnlich bei Gastroptose links, sondern rechts empfunden in
Form von typischen Gallenkoliken ohne Steine. Ursache: Stauung in den
Gallenwegen durch Abklemmung des Choledochus. In einem Falle Kolikanfälle
mit Ikterus bei Abwesenheit von Steinen durch hochgradige Gastroptose be¬
dingt. Erbrechen von Blut kann bei Gastroptose Magengeschwür Vor¬
täuschen. Es kommt zustande durch Stauung in den Venen bei der oben¬
erwähnten Abknickung des Duodenum über den Vasa gastroepiploica dextra.
Mit der von ihm (Zbl. f. Chir. 1920 S. 818) angegebenen Operation der
Gastroptose unter Verwendung des Lig. teres hepatis hat P. gute Erfolge
erzielt. Bisher 12 Fälle nach dieser Methode operiert.
Deutsche medizinische Besellschaft von Chicago.
Offizielles Protokoll der Sitzung vom 3. Dezember 1920.
Vorsitzender: Herr Otto T. F r e e r. Schriftführer: Herr Hans Nachtigall.
Herr G. Dohrmann demonstriert das Martin sehe Metallband bei
einem Pätienten mit einer Radiusfraktur.
Herr Otto T. Freer: Die Stirnbeinhöhle: Die chirurgische Eröffnung
derselben bei chronischer Eiterung.
Vortr* erläutert an der Hand eines anatomischen Präparates die chirur¬
gische Anatomie der Stirnbeinhöhle. Der intranasale Weg zur Stimbeinhöhle
ist durch die Arbeiten von Max Halle, E. F. I n g a 1 s, V a c h e r,
H. P. M 0 s h e r, P. Watson Williams und Herbert T i 11 e y weiter aus¬
gebaut worden. Die Operation beginnt mit der Entfernung des vorderen
Ansatzes der mittleren Muschel oder mit der Resektion der vorderen Hälfte.
Nach Eintritt in die Bulla wird die gründliche Entfernung der Siebbeinzellen
vorgenommen. Danach Erweiterung der Höhle mit einem besonders harten
Löffel unterhalb des Proc. orbitalis des Stirnbeines, welcher sämtliche Reste
entfernt. Bei Fällen von anhaltender Eiterung nach der intranasalen Operation
muss die K i 11 i a n sehe Operation ausgeführt werden.
Aussprache: Herr J. H o 1 i n g e r.
Herr C. M. McKenna (als Gast): Ueber Tumoren ln der Urethra
posterior. (Demonstration von Lichtbildern.)
Geschwülste der Urethra posterior sind selten. Von den Neubildungen
kommen in Betracht Polypen, Granulome, Retentionszysten und die äusserst
seltenen Myome. Die Retentionszysten und Polypen sind auf alte entzünd¬
liche Vorgänge zurückzuführen. Der Symptomenkomplex ist ein sehr ver¬
schiedener. Bei sexuellen Störungen, radiierenden Schmerzen in der Glans
penis und chronischem Ausfluss ist, stets der Verdacht auf Geschwulstbildung
zu lenken. Die Diagnose wird durch das Zystoskop erbracht.
Aussprache: Herr K o 1 i s c h e r, Herr H u 11 g e n.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Freie Aerztekammer von Oberbayern.
Die freie Aerztekammer von Oberbayern trat am 3. IV. 21 nachmittags
Yii Uhr im Nebensaal des Gasthauses Roter Hahn in München zum ersten
Male zusammen. In Anwesenheit des Oberregierungs- und Obermedizinalrates
Dr. Frickhinger wurde die Sitzung durch den Aeltesten, Obermedizinal¬
rat Dr. Grassier - Berchtesgaden, eröffnet.
I. Die Wahl der Vorstandschaft ergab: 1. Vorsitzender Prof. Dr. Kcr-
schensteiner - München, 2. Vorsitzender Obermedizinalrat Dr. V o c k e -
Eglfing, 1. Schriftführer Sanitätsrat Dr. B c r g e a t - München, 2. Schriftführer
Dr. Knorz- Prien.
II. Als Vertreter zum Landesausschuss wurden gewählt: Sanitätsrat
Dr. Bergeat - München für die Stadtärzte, Dr. Möller- Kirchseeon für
die Landärzte, als Ersatzmann für die Stadtärzte Dr. Kustermann-
München, für die Landärzte Dr. G 1 a s s e r - Brannenburg. — Der Vor¬
sitzende gedachte ehrend der Vorstandsmitglieder der staatlichen Aerzte¬
kammer Henkel, Oberprieler und Schlissleder, welche eine
Wahl in die freie Aerztekammer abgelehnt haben, sowie des verstorbenen
Kollegen Hecht und würdigt dann die durch Errichtung der freien Aerzte¬
kammer geschaffenen Verhältnisse.
Unberührt von der Neuorganisation bleiben das Ehrengericht der staat¬
lichen Aerztekammer, die Beschwerdekommission in Sachen des § 12 der
Allerh. Verordnung vom 5. VII. 95 und die Kommission zur Aberkennung
der Approbation.
III. Als der von den Aerzten zum Schiedsamt in Krankenkassen¬
fragen zu wählende Unparteiische soll Versicherungsamtmann Dr.-Jäger
in München gebeten werden.
IV. Ueber Kreissekretariat, Verrechnungsstellen, Vertragsprüfungsstellen.
Vertragsausschüsse und Prüfungseinrichtungen berichtete Scholl- München.
Es wird beschlossen, für den Bereich der Stadt München diese Geschäfte
der Geschäftsstelle der Abteilung für freie Arztwahl, für das Land Ober¬
bayern dem Zweckverband ärztlicher Vereine Oberbayerns anzugliedern und
für den Ausbau der Einrichtungen bei diesem ZVeckverband eine Kommission
mit dem Rechte der Zuwahl bestimmt, bestehend aus den Herren Möller,
P r u t z und Q 1 a s s e r.
Nach der Aerzteordnung und dem bayerischen Mantelvertrag können
künftig nur Mitglieder von Bezirksvereinen zur Kassenpraxis zugelassen •
werden.
VI. Bericht der Delegierten über ihre Vereine.
VII. Verschiedenes.
Der Entwurf einer neuen bayerischen Gebührenordnung
liegt vor. Nachdem hierzu Möller- Kirchseeon Vorschläge bereits ausge¬
arbeitet hat, sollen solche auch noch durch Qrünwald - München vor¬
gelegt werden.
Eine Anfrage des Landesausschusses über die Durchführung des Man¬
telvertrages gibt Scholl Anlass zu Erläuterungen desselben. Der
bayerische Mantelvertrag soll auch bei der eventuellen gesetzlichen Regelung
der Kassenarztfrage in Kraft bleiben. Eine Karenzzeit soll nicht selbständig
lokal eingeführt werden, sondern nur mit Zustimmung des Landesausschusses.
Ueber die Frage der Verteilung der Aerzte auf Stadt und
Digitized by Goiisle
Land fand eine lebhaftere Aussprache statt, in der zu grosser Vorsicht
gemahnt und die Zuziehung der jüngeren Aerzte gefordert wurde. Es wurde
fe^tgestellt, dass es sich dabei überhaupt nur um Ratschläge handeln könne.
Die Neuregelung der Gebühren für ärztliche Gut¬
achten wird allseitig als dringend notwendig erkannt. Mit dem Verband
der Berufsgenossenschaften soll durch den deutschen Aerzte-
vereinsbund ein allgemeines Abkommen getroffen sein und demnächst ver¬
öffentlicht werden. Mit den bayerischen Landesversiche¬
rungsanstalten muss eine gemeinsame Vereinbarung energisch ange¬
strebt, im Falle des Scheiterns mit der oberbayerischen Versicherungsanstalt
eine solche baldigst herbeigeführt werden, und zwar durch eine gemeinsame
Kommission von je 3 Mitgliedern der Vertragskommissionen für München
und für den obcrbaycrischen Zweckverband mit Zuziehung von besonders
sachverständigen Aerzten. Als Mindestsatz für Gutachten wurde der Betrag
von 30 M. angenommen.
Als Beitrag jedes Mitgliedes der Bezirksvereine zu der Aerztekammer
wurde 1 M. festgesetzt.
Schluss SK Uhr. B.
Kleine Mitteilungen.
Das Hamburgische Hochschulgesetz.
Erwiderung.
In Nr. 12 der Münchener Medizinischen Wochenschrift haben die Herren
V. Gottl-Ottilienfeld, Haff, Liepmann, Mrendelsson-
Bartholdy. Rathgen, Reichel, Wüstendörfer eine Meinungs¬
äusserung zu der von der Hamburgischen Dozentenschaft mit grosser Mehr¬
heit beschlossenen Erklärung über das neue Hochschulgesetz veröffentlicht.
Ein Versuch, die rein sachlich gehaltene Erklärung sachlich zu widerlegen,
wird in dieser Aeusserung nicht gemacht, statt dessen werden die Dozenten
persönlich herabgesetzt, indem man ihre Urteilsfähigkeit in Zweifel zieht.
Es widerstrebt uns, den sieben Herren auf diesem Wege zu folgen und
wir beschränken uns darauf, hiermit die Namen derer bekannt zu geben,
die auf dem Boden der beschlossenen Erklärung stehen; man wird danach
am besten beurteilen können, welche Bedeutung der letzteren zukommt.
O. Franke, o.P. K ü m m e 11, oP. N o c h t, oP. S c h o r r, oP. Koch,
oP. Passarge, oP. D u n b a r, oP. Arved Schultz, Pd. E. F r a n k e,
aoP. W 0 1 f f, oP. K e u t g e n, oP. Brauer, oP. Fraenkel, oP.
Nonne, aoP. Fahr, aoP. L a u f f e r- oP. Hellmut Ritter, oP.
Junker, aoP. P l a s b e r g, oP. Z i e b a r t h, oP. L o h m a n n, oP.
K I a 11, Pd. Hentschel, Pd., P. T a m s, Pd. Schubring, oP.
J. Lorenz, Pd. H e e p e, Pd. T h o s t, aoP. H e g e n e r, aoP.
Matthae i, Pd., P. Weygandt, oP. Brodersen, Pd. B u c h -
holz, aoP. M e w e s, oP. W i 1 b r a n d, oP. H e n s e n, Pd. Heyne-
m a n n, oP. L o r e y, Pd. Jakob, Pd. Kotzenberg, Pd. Lütgens,
Pd. B. Schulz, Pd.. Reg.-Rat. M ü h 1 e n s, Pd., P. G r a e t z, Pd.
Fritz Rabe, Pd. B r ü 11, Pd. Schümm, Pd., P. Nürnberger, Pd.
I r m s c h e r, Pd. Kleinschmidt, aoP. W i n c k 1 e r, oP. R o d e 1 i u s,
Pd. Rittershaus, Pd. Schottmüller, aoP. B i n g o 1 d, Pd.
Lenz, oP. Albers-Schönberg, oP. Florenz, oP. Hans
Ritter, Pd. G i e m s a, Pd. P e r e 1 s, oP. Ed. A r n i n g, aoP.
H a e n i s c h, Pd., P. O e h 1 e c k e r, Pd. Reiche, aoP. S u d e c k, aoP.
Rüder, aoP. Plate, Pd., P. Rumpel, Honorarprof. Sick, äoP.
Plaut, aoP. S i m m o n d s, Honorarprof. Paschen, Pd., P.
R e i n e c k e, Pd. G. Fischer, aoP. R o h r e r, Pd. Fabian, Pd.
G r a w i n k el, Pd. F r e s s e 1, aoP. Kafka, Pd. Reuter, aoP.
M e i n h 0 f, oP. S a 1 o m o n, oP. S c h a a d e, aoP. Rein, Pd.
B a u I e, Pd. B 1 a s c h k e, oP. Hecke, oP. Reche, Pd., P. Ham¬
bruch, Pd. Lasch. Pd. G ü r i c h, oP. Schwarz, Pd. Capelle.
Pd., P. H e g 1 e r, aoP. Tom Ringel, aoP.
oP. = ordentlicher Professor, ao|?. = ausserordentlicher Professor,
Pd. = Privatdozent.
Therapeutische Notizen.
Die relative Häufigkeit der Zahnkaries bei Tuber¬
kulose hat Fargin-Fayolle zum Gegenstand vergleichender Unter¬
suchungen gemacht und kam zu folgenden Ergebnissen. Die ätiologische
Rolle des Allgemeinzustandes bei der Häufigkeit der Zahnkaries steht un¬
zweifelhaft fest. Diese Häufigkeit i.st 20 Proz. bei Personen mittleren Ge¬
sundheitszustandes, die zufällig aus der Pariser Arbeiterbevölkerung ent¬
nommen wurden, 28 Proz. bei Leuten derselben Bevölkerungsklasse, die
verschiedene innere Krankheiten hatten, und 33 Proz. bei Tuberkulösen. In
Summa ist die Zahl der Zahnkariesfälle um 50 Proz. höher bei Tuberkulösen
als bei Personen mittleren Gesundheitszustandes und um 15 Proz. höher
wie bei Leuten, die mit verschiedenen anderen Affektionen behaftet sind.
Diese Schlussfolgerungen sind keineswegs von rein statistischem Interesse.
Die Untersuchungen der Zähne kann häufig eine beginnende Tuberkulose
aufdecken und bildet bei derselben ein prognostisches Element, das durch
die Ergebnisse, die sic über den Kalkbildungsprozess des Kranken liefert,
nicht zu vernachlässigen ist. (Presse m6dicale 1921 Nr. 5.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 6. April 1921.
— Die Notlage der Aerzte in den Kurorten des be¬
setzten Gebietes war in jüngster Zeit mehrfach Gegenstand von Er¬
örterungen und Kundgebungen. Zunächst beschäftigte sich die Aerztekammer
der Provinz Hessen-Nassau mit dieser Frage. Der Referent, Dr. Reuter,
teilte mit, dass der Besuch überall stark zurückgegangen sei und zwischen
10 und 50 V. H. des Vorkriegsbesuchs betrage. So betrug in 1920 der Besuch
von Ems 40 v. H. seiner früheren Höhe, der von Kreuznach nur 25 v. H.,
der von Neuenahr nicht ganz ein Drittel. Dementsprechend arbeiten die Kur¬
verwaltungen trotz Erhöhung der Kurtaxen auf das 3—4 fache mit grossen
Fehlbeträgen; in Ems z. B. betrug dieser im abgelaufenen Jahr annähernd
300 000 M. Unter diesen Umständen sind auch die Aerzte, die auf die Kur¬
praxis angewiesen sind, trotz beträchtlicher Erhöhung ihrer Honorarsätze,
nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In Ems bewegte sich
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
H. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
441
bei der überwiegenden Mehrzahl der Kollegen das Einkommen aus Kurpraxis,
bei 5 fachen Honorarsätzen, zwischen 108 und 120 v. H. der Friedens¬
einnahmen. Die Erhöhung der Honorare vermag also nicht ein zur Bestreitung
des Lebensunterhaltes ausreichendes Einkommen zu sichern, denn mit dem
Steigen der Honorare sinkt die Inanspruchnahme der Aerzte. Die meisten
Aerzte müssen also von ihrem Vermögen leben und werden, wenn die Ver¬
hältnisse sich so weiter entwickeln, bald in bittere Not geraten. Der wesent¬
liche Grund für diese traurigen Umstände wird erblickt in falschen Vor¬
stellungen über die Verhältnisse im besetzten Gebiet, zumal irrigen Be¬
richten über unsolide Preistreiberei, ferner in der Furcht vor Belästigungen
durch die Besatzungsbehörden, die ganz unbegründet ist und in der Un¬
kenntnis der Einreisebedingungen, die jetzt soweit erleichtert sind, dass man
ungehindert, nur mit einem gewöhnlichen Pass versehen, an den Rhein reisen
kann. Zur Abwehr wird u. a. vorgeschlagen, dass diese Frage auf die Tages¬
ordnung sämtlicher Aerztekammern gesetzt werden soll, um alle Aerzte dahin
aufzuÜäreh, dass es nicht nur eine kollegiale, sondern auch eine im allge¬
meinen Interesse liegende Ehrenpflicht ist, die Kollegen im besetzten Gebiet
nicht im Stich zu lassen; die Kammer soll ferner in einer Eingabe an die
Staats- und Reichsbehörden ausdrücklich auf diesen Notstand hinweisen und
auf die Notwendigkeit, die Propaganda für diese Kurorte durch Bereitstellung
von Mitteln und durch Einwirkung auf die offiziöse Presse zu heben. Die
Anträge wurden einstimmig angenommen.
Eine andere Kundgebung veranstaltete unter Leitung des Präsidenten
Kaufmann vom Reichsversicherungsamt der Rheinische Verkehrsverband.
Dort legten Vertreter der rheinischen Kurorte dar, dass iiti vorigen Jahre
diese Kurorte nur ein Drittel der sonstigen Besuchsziffer aufwiesen und dass
hierdurch nicht nur die Kurverwaltungen, sondern auch die mit ihnen in Zu¬
sammenhang stehenden wirtschaftlichen Kreise, in erster Linie die Badeärzte
und Sanatoriumsbesitzer aufs schwerste betroffen seien. Wenn sich die Ver¬
hältnisse in diesem Jahre nicht änderten, so stünde unvermeidlich ein Zu¬
sammenbruch in den Kurorten der Rheinlande bevor. Vergeblich hätten sich
bisher die ärztlichen Bundesvertretungen im Rheinland bemüht, die Kollegen
im unbesetzten Deutschland zu einer stärkeren Ueberweisung von Patienten
in die Kurorte des besetzten Rheinlgndes zu veranlassen. Von den Behörden
wurde nachdrücklich hervorgehoben, dass zwar die rheinische Bevölkerung
selbst unter den Lasten der Besatzung zu leiden habe, dass aber die Kurgäste
in den rheinischen Kurorten auch nicht im geringsten behindert seien; und
dass ferner für den Besuch der Rheinlande keinerlei Passschwierigkeiten be¬
ständen. vielmehr genüge für die Ein- und Ausreise ein einfacher Reise¬
ausweis mit Lichtbild, ohne Sichtvermerk, ohne besonders einzuholende
Erlaubnis.
Die Bedeutung einer Hilfsaktion für die Bäder des besetzten Gebietes
kam der diesjährigen Bädertagung, die vom 16. bis 20. März in Wiesbaden
abgehalten wurde, zu. (Gemeinschaftliche Tagung der Balneologischen Gesell¬
schaft und des Allgemeinen Deutschen Bäderverbandes.) Eine Reihe von
angesehenen und blühenden deutschen Kurorten — genannt werden Wies¬
baden, Homburg, Soden, Schwalbach, Schlangenbad, Ems, Kreyznach,
Münster am Stein, Bertrich, Godesberg, Neuenahr und nicht zuletzt Aachen —
sind durch die Besetzung in eine Notlage geraten, die sogar bei der allgemein
gedrückten wirtschaftlichen Lage der deutschen Bäder als besonders schwer
bezeichnet werden muss. Ein wichtiger Grund hierfür war die falsche Angst,
dass eine Reise in die Bäder des besetzten Gebietes und ein Aufenthalt in
ihnen mit besonderen Unannehmlichkeiten verbunden sei. Wie unzutreffend
diese Gerüchte sind, davon haben sich die zahlreichen Teilnehmer der Bäder¬
tagung überzeugen können. Es liegt kein Grund vor, die Bäder des besetzten
Gebietes zu meiden. Die Heilkraft der Quellen ist natürlich die alte ge¬
blieben, die Einrichtungen der Bäder sind unverändert und die Lebensführung
hat an Behaglichkeit nicht eingebüsst. Die Bewohner dieser Kurorte fühlen
sich von den übrigen Deutschen verlassen. Es gilt heute mehr wie je, nicht
nur aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit heraus, sondern auch aus
vaterländischen Gründen, den Bewohnern des besetzten Gebietes treu zur
Seite zu stehen, um ihren Mut zu stärken und ihre Kraft zu heben, deren sie
in den schweren Tagen bedürfen. Reichs- und Staatsbehörden sowie Uni¬
versitäten unterstützten die Tagung und* hatten Abgeordnete entsandt.
— Beim Baineologenkongress in Wiesbaden traten die Leiter der balneo¬
logischen Laboratorien und sonstigen Beobachtungsstellen mit einer Anzahl
namhafter Mineralquellenforscher (Chemiker, Geologen) zu einer „Ver¬
einigung für M i nera1que 11 enbe 0 bachtung und Er¬
forschung“ zu gemeipsamer Arbeit auf naturwissenschaftlicher und
medizinischer Grundlage zusammen. Sie wird ihre Tagungen gleichzeitig mit
dem Bäderverband und der Balneologischen Gesellschaft abhalten. Die
Leitungen dieser beiden Vereinigungen sollen ersucht werden, je eine Sitzung
der naturwissenschaftlichen Behandlung der Quellen bereitzustellen. Die
Leitung wurde dem Vorstand der balneologischen Institute in Marienbad und
Franzensbad Med.-Rat Dr. Zörkendörfer übertragen.
— Zu unserer Notiz in Nr. 13 S. 414, dass den bayerischen Amds-
ärzten 40 M. Tagegeld und 50 v. H. Teuerungszuschlag mit Wirkung
ab 1. September 1920 gewährt werden kann, schreibt uns ein Amtsarzt, dass
diese Höhe bloss bei Sektionen und bei Uebernachten in gerichtsärztlichen
Angelegenheiten gilt, also hauptsächlich den Landgerichtsärzten zufliesst. Die
Bezirksärzte bekommen 12 M. Tagesgebühr, für den halben Tag 6 M., die
sie aber in den meisten Fällen bloss zu 50—75 Proz. berechnen dürfen. Für
Uebernachten werden.6 M. bezahlt. Dazu kommt seit 1. Juni 1920 60 Proz.
Aufschlag, so dass irn günstigsten Fall der Bezirksarzt für den ganzen Tag
mit Uebernachten 28 M. 80 Pfg. bekommt. In der Mehrzahl der Fälle zahlt
der Bezirksarzt für jedes auswärtige Amtsgeschäft darauf. Die Tages¬
gebühren sind längst unzureichend.
— Zur Förderung hygienischen Sinnes und hygienischer Lebensführung
in der Jugend ausserhalb der Schule hat die L i n g n e r - S t i f t u n g in
Dresden der Schuljugend des Freistaates Sachsen eine Anzahl Themen zur
Beantwortung aufgestellt und für die besten Arbeiten Preise ausgesetzt.
Folgende Aufgaben wurden zur Bearbeitung gestellt; „Hygiene und Höflich¬
keit" (Oberklassen der höheren Lehranstalten). „Wie stelle ich mich zum
Sport?" (Mittelklassen derselben Anstalten), „Vom Wunderbau meines Kör¬
pers" (Unterklassen der höheren Schulen und letztes Schuljahr der Volks¬
schulen), „Wie begegne ich den Gefahren meines Berufes?“ (Berufsschulen
für das männliche Geschlecht), „Mode und Gesundheit“ (höhere Mädchen¬
schulen, Fortbildungsschulen), „Wie erhalte ich meinen Körper gesund?“
(letztes Schuljahr der Volksschulen). Von den rund 1200 eingesandten
Arbeiten entfielen etwa 400 auf die Volksschulen, gegen 230 auf die Berufs-
Digitized by Goüsle
schulen, und je 100 auf die übrigen Gruppen. Es wurden 5 erste Preise,
11 zweite Preise und 25 dritte Preise verteilt. Die ersten Preise bestanden
aus Schneeschuhen und Fussballstiefeln. die zweiten Preise aus Rodelschlitten,
Sporthemden und Rucksäcken und die dritten aus Turnschuhen, Feldflaschen.
Thermosflaschen, Sportstrümpfen und Schlaghölzern mit je zwei Bällen.
Ausser diesen Preisen hat sich die Lingner-Stiftung angesichts der regen Be¬
teiligung und mit Rücksicht auf die vielen guten Arbeiten veranlasst gesehen,
noch eine grosse Anzahl von Büchern zum Andenken zu stiften.
— Die norwegische Regierung hat, wie wir einem Bericht der „Tidens
Tegn“ entnehmen, den Professoren Axel Holst, H. H. Gran, E. P o u 1 s -
s o n und Johan H j o r t h den Betrag von 18 600 Kronen zur Verfügung
gestellt für Untersuchungen über die V itamine des Dorsch-
t r a n e s. Während die Vitaminforschung auf dem Gebiete des Beriberi-
Vitamins und des Skorbutvitamins zwar keine chemische Darstellung, wohl
aber praktisch-medizinisch gute Resultate erzielt hat, ist das Gebiet des
fettlöslichen Vitamins, wie es namentlich in der Milch enthalten ist, noch
relativ wenig erforscht. Die beim Fehlen dieses Vitamins in der Nahrung
auftretenden Gesundheitsstörungen sind besonders von englischen Aerzten in
letzter Zeit eingehender studiert, zum Teil neigt man sogar der Auffassung
zu, hier die Entstehungsursache der rhachitischen Wachstumsstörungen ge¬
funden zu haben. Da andererseits im norwegischen Dorschtran im Tier¬
experiment ein 200 mal grösserer Gehalt an fettlöslichem Vitamin nachge¬
wiesen wurde, als in der Butter enthalten ist, und die Vitaminforschung im
hygienischen Institut Christianias stets eine grosse Rolle spielte (Schiffs-
beriberi in der norwegischen Handelsflotte!), sind die englischen Aerzte an'die
norwegischen Gelehrten herangetreten mit der Aufforderung zur gemeinsamen
Arbeit auf diesem Gebiete. Eines der wichtigsten Ziele wird die Auffindung
von Raffinierungsmethoden für den Tran sein, bei denen das.Vitamin mög¬
lichst wenig geschädigt wird. (Bekanntlich wird das Beriberi-Vitamin schon
bei 110® zerstört, ist also im bei 100® konservierten Salzfleisch noch ent¬
halten, dagegen in den Konserven, die in den Fabriken höherer Temperatur
ausgesetzt werden, schon zerstört. Die Einführung letzterer in der norwegi¬
schen Schiffskost, zugleich mit kleielosem Weichbrot und erheblicher Ver¬
minderung der vitaminhaltigen Schiffserbsen sind die Gründe für das Auf¬
treten der Schiffsberiberi in der norwegischen Handelsflotte seit den 90 er
Jahren — im Gegensatz zu den englischen Seglern, die bei der alten Kost
blieben.) Norwegen hat den deutschen Kinderkrankenhäusern schon so reich¬
lich in dieser schweren Zeit Tran geschenkt, dass wir mit besonderer Anteil¬
nahme diesen neuen aussichtsreichen Forschungen entgegensehen. R. C.
— Dem um die Tuberkulosebekämpfung hochverdienten, 1915 an Fleck¬
fieber verstorbenen Prof. Dr. Georg C o r n e t soll an der Stätte seines lang¬
jährigen Wirkens, Bad Reichenhall, ein Denkmal errichtet werden. Der
zu diesem Zwecke gebildete Ausschuss, Vorsitzender Prof. Dr. Ernst
Schreiber - Magdeburg, bittet um Beiträge an die Bayer. Handelsbank
Filiale Bad Rcichenhall, Postscheckkonto München 757.
— Frequenz der Schweizerischen medizinischen
Fakultäten im Wintersemester 1920/21: Basel 299 (269 m., 30 w.),
Bern 396 (360 m., 36 w.), Genf 373 (314 m., 59 w.) inkl. 71 Zahnärzten
(66 m., 5 w.). Lausanne 237 (206 m., 31 w.), Zürich 468 (380 m., 88 w.),
exkl. 102 Zahnärzten (89 m., 13 w.). In Summa 1773 (1529 m., 244 w.), davon
1295 Schweizer (1144 m., 151 w.). 478 Ausländer (385 m., 93 w.).
— Im englischen Oberhaus kam es vor kurzem zu einer lebhaften Dis¬
kussion über die Zunahme der Geschlechtskrankheiten und
der geschlechtlichen Immoralität in England; besonders
die Zunahme der jugendlichen Geschlechtskranken im Alter von 16—20 Jahren
wurde betont! Es wurde die Frage besprochen, ob und wieweit eine
Verschärfung der bestehenden Strafmassregcln ratsam sei, durch die der
männliche Teil betroffen wird, wenn das Mädchen unter 17 Jahre alt ist,
und eine Erhöhung dieser Altersgrenze auf 18 Jahre gefordert, ein Gesetz,
welches durch Züchtung eines Erpressertums schon recht üble Folgen gehabt
hat. In der Debatte sprach besonders Lord D a w s o n, der frühere Arzt
des London Hospital, gegen die Verschärfungen; er machte darauf auf¬
merksam, wie oft gerade der weibliche Teil der eigentlich „Schuldige“ sei
und wie wenig die verschärften Massregeln gegen den Mann in Einklang
stünden mit der überall herrschenden Tendenz, beide Geschlechter als gleich¬
berechtigt und als gleichverantwortlich zu behandeln.
— Das englische Ministerium für Luftschiffwesen hat ein Ambulanz¬
flugzeug bauen lassen hauptsächlich zum Transport von Verwundeten in
weglosen oder in bergigen Gegenden: es kann bis zur Höhe von 2000 m
steigen und 5 Stunden lang mit einer Geschwindigkeit von 170 km in der
Stunde fliegen; es bietet Unterkunft für 4 liegende oder 8 sitzende Kranke,
für einen Arzt, eine Schwester und einen Mechaniker (neben dem Führer).
Das Flugzeug ist mit den nötigen Einrichtungen versehen, sich auf die Meeres¬
oberfläche niederlassen zu können und ausgerüstet mit drahtloser Tele¬
graphie, mit Ventilationsanlagen und Kühlvorrichtungen für tropisches Klima.
— Mit Bezug auf den Bericht über den Prozess Bachmann in Nr. 12
d. W. ersucht uns Herr Prof. W. Heubner um Abdruck der nachstehenden
Erklärung: „Es ist früher absolut nicht davon die Rede gewesen, ob die
Münchener Med. Wochenschrift ihren wissenschaftlich-redak¬
tionellen Teil durch Rücksicht auf die Inserate beeinflussen Hesse; das
hätte ich ebensowenig im Jahre 1914 behauptet, wie ich das bei meiner
Zeugenaussage getan habe. Diese Zeugenaussage erfolgte auf genau schriftlich,
formulierte Anfragen, die natürlich durch die von Bach mann erhobenen
Vorwürfe und nicht durch meine früheren Aeusserungen diktiert waren.
Meine früheren „Angriffe“ bezogen sich ausschliesslich auf das Verhalten der
Fachpresse im allgemeinen gegenüber den damaligen Unternehmungen aer
Arzneimittelkommission. Was ich darüber gesagt habe, ist durch meine
Zeugenaussage durchaus nicht berührt worden und ich habe daher auch nicht
unter dem Eide etwas „nicht aufrecht erhalten“ können, was ich früher ge¬
schrieben habe.“ — Wir berichtigen bei dieser Gelegenheit die Schreibung
O. H e u b n e r in Nr. US. 350 und Nr. 12 S. 381. Es muss selbstverständlich
beidemale W. Heubner heissen.
— Herr Dr. B ö i n g in Warstadt beschwert sich darüber, dass wir
ihn in Nr. 11 S. 350 als „I ra p f g e g n e r“ bezeichnet haben. Er sei nicht
„Impfgegner“, sondern „Impfzwanggegner“. Wir müssen ihm erwidern, dass
nach allgemeinem Sprachgebrauch unter „Impfgegner“ die Bekämpfer des
Impfzwanggesetzes verstanden werden; gegen die freiwillige Impfung haben
auch die fanatischsten Impfgegner nichts einzuwenden. Das Wort „Impf¬
zwanggegner“ ist daher auch ganz ungebräuchlich. Wir haben also nichts
zu berichtigen.
Origin/al frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
442
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 14.
— Als Beilage zum „Medizin. Korrespondenzblatt für Württemberg“
erscheint von jetzt ab die ..W ürtt. Krankenkassenzeitun g“.
Vom I. Januar 1922 an soll das neue Blatt selbständig werden und den
Titel „Württembergische Krankenkassen- und Aerzte-Zeitung“ erhalten. Man
erwartet von der gemeinsamen Krankenkassen- und Aerzte-Zeitung, dass sie
dazu beitragen wird, die geschichtlich guten Beziehungen zwischen den württ.
Organisationen der Aerzte und Krankenkassen zu erhalten und zu vertiefen
und dass sie überall da, wo Aerzte und Krankenkassen sich noch nicht
entschliessen konnten schiedlich und friedlich miteinander zu arbeiten, helfen
möge, zu einer Verständigung zu führen.
— Ueber die For>tbildungskurse für auswärtige und ein¬
heimische Aerzte, die vom 1.—15. März d. J. in Wiesbaden stattfanden,
wird uns geschrieben: Die überaus rege Beteiligung, namentlich auswärtiger
Kollegen aus allen, selbst den entlegensten, östlichen Gebieten Deutschlands
bewies, dass es ein glücklicher Gedanke war, diese alte Bäderstadt zum
Sitz einer solchen Veranstaltung zu machen. Ausser den Leitern aller
Wiesbadener Krankenhäuser hatten sich namhafte Vertreter wichtiger Diszi¬
plinen von benachbarten Universitäten und Akademien in liebenswürdigster
Weise in den Dienst der Sache gestellt. So hatten die Kursteilnehmer Ge¬
legenheit, Bcchhold - Frankfurt über die Fortschritte der Kolloidforschung
auf dem Gebiete der Physiologie und Pathologie, K o 11 e - Frankfurt über
den Stand der Serumtherapie, Much- Hamburg über unspezifisclie Immunität
und die Partigengesetze zu hören. Enderlen - Heidelberg. B e t h e -
Frankfurt, Straub- Freiburg, K i o n k a - Jena gaben ebenfalls jeder in
seinem Spezialgebiete hochwichtige und interessante Darstellungen der
neuesten Errungenschaften unserer Wissenschaft. Bald stellte sich auch ein
inniger Kontakt zwischen Vortragenden und Hörern ein, der bis zum Schlüsse
anhielt, so dass die Kurse bis zur letzten Stunde ebenso von über hundert
Teilnehmern besucht blieben wie bei ihrem Beginne. Die Kurse wurden
unentgeltlich gehalten; die Stadtverwaltung Wiesbadens förderte das Untör¬
nehmen dadurch, dass sie für ausgezeichnete und billige Unterkunft der Kurs¬
teilnehmer sorgte und ihnen für ihre Erholung und Unterhaltung alle Ein¬
richtungen der Kurverwaltung frei zur Verfügung stellte. Der Umstand, dass
Wiesbaden französische Besatzung hat, spielte nirgends eine Rolle, da ^
keinerlei Beschränkung für die Einreise besteht und auch während des Auf- |
enthaltes nicht die geringste Störung im öffentlichen Verkehr zu bemerken ;
war. Die allgemeine Befriedigung mit allem Dargeboteenn kam denn
auch bei dem Abschiedsabend dm Kurhause dankbar zum Ausdruck. Insbe- |
sondere brachten Kollegen aus Ungarn, Holland, Russland ihre begeisterte [
Huldigung der deutschen Gastfreundschaft und der deutschen Wissenschaft ;
dar, die am ehesten berufen und imstande sei, die Verständigung der Völker '
zu gemeinsamer Arbeit für das allgemeine Heil und die Gesundung der I
erkrankten und in ihren Grundfesten erschütterten Welt wiederherzustellen.
— Der Tuberkulosekongress des Deutschen Zentral- j
komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose findet vom |
19. bis 21. Mai in Bad Elster statt; anschliessend ist eine gemeinsame !
Fahrt nach Dresden zur Besichtigung der neuen Tuberkuloseausstellung des
Deutschen Hygienemuseums geplant. Teilnehmer am Kongress kann jeder
werden, der sich für die Tuberkulosebekämpfung interessiert und 25 M. Ein¬
schreibegebühr bezahlt. Am ersten Kongresstag (Donnerstag den 19. Mai)
wird die Entstehung und Verbreitung der Tuberkulose behandelt. Der zweite
Tag ist hauptsächlich der Kindertuberkulose gewidmet; am dritten Tage steht
die soziale Bekämpfung der Tuberkulose zur Verhandlung. Mit dem Kongress
verbunden ist die Abhaltung der diesjährigen Generalversammlung- und Aus¬
schusssitzung; eine besondere Tuberkuloseärzteversammlung und ein Für-
sorgestellentag finden nicht statt.
— Pest. China, Aus Schanghai wird berichtet, dass in der Provinz :
Petschili und im Norden von Schantung eine Lungenpestepidemie ausge- i
brochen ist. In einem einzigen Dorfe seien etwa hundert Todesfälle festge¬
stellt worden, ln mehreren Fällen seien ganze Familien ausgestorben. i
— In der 11. Jahreswoche, vom 13.—19. März 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Wies- !
baden mit 22,8. die geringste Neukölln mit 6,3 Todesfällen pro Jahr und j
1000 Einwohner. Vöff. R.-Q.-A. |
Hochschulnachrichten. i
Bonn. Für das neuerrichtete Extraordinariat für Zahnheilkunde an der
Universität Bonn ist der dortige Privatdozent Prof. Dr. Alfred Kantoro-
w i c z ausersehen, (hk.)
Giessen. Der Privatdozent für Chirurgie und Assistenzarzt an der
chirurgischen Klinik Dr. Wilhelm Gundermann ist zum ausserplan¬
mässigen a. o. Professor ernannt worden, (hk.) ;
G ö 11 i n g e n. Der a. o. Professor der Zahnheilkunde und Vorstand der
zahnärztlichen Poliklinik an der Universität Erlangen Dr. Hermann Euler !
hat einen Ruf «ach Göttingen erhalten und angenommen, (hk.) I
Heidelberg. Der a. o. Professor für Physiologie an der Heidcl- j
berger Universität Dr. August Ewald ist zum ordentlichen Honorarprofessor
daselbst ernannt worden (hk.) j
Jena. Die Vorschläge für die ordentliche Professur der Augenheilkunde I
in Jena waren: Primo et aequo loco: B r ü c k n e r - Berlin, Köllner- |
Würzburg; secundo et aequo loco; S t a r g a r d t - Bonn, v. S z i 1 y - Frei¬
burg i. B.
Königsberg. Drei neue Privatdozenten habilitierten sich in der i
medizinischen Fakultät der Universität Königsberg: Dr. Hans B e'u m e r j
(aus Witten a. d. R.) für das Fach der Kinderheilkunde, Dr. Guido Leen- i
d e r t z (aus Rheydt) und Dr. Georg L e p e h n e (aus Orteisburg) für das [
Fach der inneren Medizin, (hk.) ,
Marburg, Der Abteilungsvorsteher am hygienischen Institut der Uni- .
versität Marburg Dr. Hans Schlossberger ist zum planmässigen wissen¬
schaftlichen Mitglied des Instituts für experimentelle Therapie in Frank- j
furt a. M, ernannt worden, (hk.) i
München. Die medizin. Fakultät der Universität Marburg ernannte
den Professor der Zahnheilkunde an der Universität München Herrn Hofrat i
Dr. phil. und Dr. med. h. c, Otto W a 1 k h o f f in Anerkennung seiner über- l
ragenden Verdienste um die zahnärztliche Wissenschaft und seiner unermüd¬
lichen erfolgreichen Arbeit für die Förderung des zahnärztlichen Standes den
Doktor der Zahnlieilkunde ehrenhalber.
Rostock. Dem ordentlichen Professor Dr. med. et phil. Dietrich
B a r f u r t h in Rostock hat die medizinische Fakultät der Universität Halle
zur Ehrung seiner Verdienste um die neue Forschungsrichtung der Entwick¬
lungsmechanik und seine wichtigen experimentellen Untersuchungen, be¬
sonders über Regeneration und Vererbung, die Würde und Rechte eines
Ehrendoktors der Medizin verliehen.
Prag. Als Privatdozent. wurde an der Prager deutschen Universität
zugelassen Dr. Walter Pick, bisher Privatdozent in Wien, für das Fach der
Dermatologie und Syphilidologie. (hk.)
'P 0 d e s f ä 11 e.
Prof. Schott t. Durch den Tod von Prof. Dr. Theodor S c h p 11, der
am 12. März infolge eines Herzschlags in Frankfurt a. M. aus dem Leben
geschieden ist, verlor Bad Nauheim einen seiner verdientesten Aerzte.
Theodor Schott war im Jahre 1852 geboren, studierte in Giessen und bildete
sich in Strassburg und Berlin noch weiter aus. Seit 1877 praktizierte er
während des Sommers in Bad Nauheim, bis zu dessen Tode im Jahre 1886 in
Gemeinschaft mit seinem Bruder Ur. August Schott. Einen Weltruf er¬
warben sich die beiden Aerzte durch die von ihnen cingeführte sog.
„Schott sehe Methode“ der Behandlung von chronischen Herzkrankheiten
mittels aktiver und passiver Gymnastik, die zwar zeitweise stark angegriffen
wurde, die aber doch in Verbindung mit den Bad Nauheimer Bädern in vielen
Fällen eine sehr gute Wirkung erzielt hat. Gross war der Einfluss, den
Schott persönlich auf seine Patienten ausübte, die mit grosser Liebe und
ebensolchem Vertrauen an ihm hingen und von denen er vielen Hilfe und
Heilung gebracht hat. Sein Fleiss und seine Ausdauer waren vorbildlich.
Sehr gross ist die Zahl seiner Aufsätze und Veröffentlichungen, die sich vor¬
zugsweise mit dem Gebiet der chronischen Herzkrankheiten befassen. Er¬
wähnt seien: Die Behandlung der chronischen Herzkrankheiten; Berlin 1887.
Die Pathologie und Therapie der Angina pectoris; Berlin 1886. Influenza und
chronische Herzkrankheiten; Wiesbaden 1900. Beobachtungen über Herz¬
krankheiten bei Kriegsteilnehmern; M.m.W. 1915. Während des Krieges war
Schott als fachärztlicher Beirat für Herzkrankheiten im Bereich des
XVllI. A.-K. tätig. Lilienstein - Bad Nauheim.
In Frankenstein bei Rumburg verschied am 26. März der a. o. Professor
für Psychiatrie an der Prager deutschen Universität Dr. Alexander
M a r g u 1 i e s im Alter von 51 Jahren, (hk.)
Amtsärztlicher Dienst.
(Bayern.)
Die Bezirksarztstelle in Kaufbeuren ist erledigt. Bewerbungen sind bei
der Regierung, Kammer des Innern, des Wohnorts bis 14. April 1921 eiii-
zureichen.
Amtliches.
(Bayern.)
Staatsminlsterium des Innern.
Bekanntmachung über ärztliche Fortbildung zur Be¬
kämpfung der Geschlechtskrankheiten.
Der Bayerische Landesverband für ärztliche Fortbildung und die Deutsche
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Zweigverein Bayern,
veranstalten auch in diesem Jahre mit staatlicher Unterstützung kurzfristige
ärztliche Fortbijdungskurse über Geschlechtskrankheiten, Das Einladungs¬
schreiben dieser Vereine wird nachstehend bekanntgegeben. Die Bezirksärzte
werden ermächtigt im Falle der Teilnahme Tagegelder und Reisekosten auf
die Bauschsumme für die Kosten auswärtiger Dienstgeschäfte zu verrechnen.
München, den 31. März 1921.
I. A. gez. Graf v. S p r e t i.
An die Herren Aerzte in Bayern!
Im Interesse wirkungsvoller Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
lässt der bayer. Landesverband für ärztliche Fortbildung mit Unterstützung
des Staatsministeriums des Innern und der Landesversicherungsanstalten unter
Leitung der Universitätskliniken für Dermatologie kurzfristige praktische
Kurse über Geschlechtskrankheiten abhalten.
Die Kurse werden in verschiedenen Städten stattfinden, so dass sic
von jedem Arzt möglichst erreichbar sind.
Die Kurse werden womöglich in Krankenhäusern, an zu bestimmenden
Tagen und Stunden, gehalten und werden 2—3 Stunden dauern. Sie sollen
im Frühjahr beginnen. Die Teilnehmerzahl soll 12 nicht stark überschreiten,
falls nötig, bei zahlreicherer Meldung, soll der Kurs am selben Orte wieder¬
holt werden. Die Kurse sind unentgeltlich, die zuständige Landesvcrsiche-
rungsanstalt wird den Herren, die nicht am Kursort wohnen, die Reisekosten
vergüten.
Wer von den Herren Kollegen an einem solchen Kurs teilzunehmcn
wünscht, wird gebeten, sich möglichst bald zu melden, damit ein
Ueberblick über die Frequenz gewonnen werden kann.
Die Meldung wird (unter leserlicher Angabe von Name und Adresse)
erbeten an: Prof. Dr. Leo v. Zumbusch, München, dermatologische Uni¬
versitäts-Poliklinik, Pettenkoferstrasse 8a/II.
Die Einladung wird für jeden Teilnehmer an den Kursort erfolgen, den
er am leichtesten erreichen kann, die Wahl der Drte hängt von den
Meldungen ab.
Schriftliche Einladung wird dann vom betreffenden Kursleiter jedem
Herrn rechtzeitig zugehen, Ausweis wegen Reisevergütung wird beim Kurs
übergeben werden.
Bayerischer Landesverband Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der
für ärztliche Fortbildung. Geschlechtskrankheiten, Zweigverein Bayern.
Der Geschäftsführer: gez. Dr. Leo v. Z u m b u s c h.
Auganiritliehar Fortbildungskurs In Münehen.
Es ist der Wunsch geäussert worden, der für Herbst 1914 hier geplant
gewesene augenärztliche Fortbildungskurs möge in diesem
Herbste stattfinden. Ich werde dem gerne entsprechen, falls der Plan zurzeit
genügend Anklang in Kollegenkreisen findet. Ich bitte die Herren, die einen
solchen Kurs für wünschenswert halten, um möglichst baldige Mitteilung, die
aber keineswegs eine Verpflichtung zur Teilnahme einschliesst.
München. Univ.-Augenklinik. Prof. C. v. Hess,
Digitized b
VeHag von |. P. Lehjnann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. Mühlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
V CI lAK VUll I • &. C fl Ul • II u
^Goi-igle
Prell der efanetnen Nnnmicr 3.— wl. • Bezaffsprtli In DentechUuid
• • • md Ausbuid lidie nnten imter Bezngebedincvnfeit. ■ • •
AnelgentchlnM Immer 5 Arbettitnce vor Enchelnefi.
MÜNCHENER
fufnilnnirrn lind ta riefatM
PBr Sehrtfadtmiff^; Aredfstr.as (Sprechstunden 8^—1
Pflr Bezuf: u 1. r. Lehnumn’i Veiiar, Paul HejsestraMe 36.
Fflr AnxdKen and Beilagen: an Rudolf Moste, rheuinerttra»« 8.
Medizinische Wochenschrift.
ORQAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 15. 15. April 1921.
Schriftleituns:: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behält eich das aoasohlieaaliohe Beoht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitsohriit zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
/ Originalien.
Aus der medizinischen Poliklinik der Universität München.
(Vorstand: Prof. R. May.)
Zur kausalen Behandlung der Arteriosklerose mit
meinem Gefässpräparat.
(Affioitätskrankhelten und lokaler Gewebsschutz [Affinltäts-
schütz].)
(V. Mitteilung.)
Von Prof. Dr. Ernst Heilner.
Im Jahre 1917 berichtete ich an dieser Stelle [2] zum ersten Male über
Versuche einer kausalen Behandlung der Arteriosklerose mit
meinem Gefässpräparat. Vor einem Jahre veröffentlichte ich an derselben
Stelle [4j meine seit jener Zeit an einer grossen Reihe von Fällen ge¬
machten Erfahrungen mit meinem Gefässpräparat, welches ich nach un¬
unterbrochener vierjähriger experimentell-therapeutischer Arbeit nunmehr
unter Mitteilung neuer eigener und von anderer Seite gemachter Versuche
freigebe ^). Ich hatte die Herstellung meines Gcfässpräparates unter¬
nommen- aus rein theoretischen Erwägungen, die untrennbar
mit meiner auch meinem Knorpelpräparat Sanarthrit zugrunde liegenden
Theorie vom lokalen Gewebsschutz und den Affinitäts¬
krankheiten verbunden sind. Diese Theorie entwickelte ich zum
erstenmal im Jahre 1917 [ 2 ] s. a. 1918 [3] im Anschluss an die von mir
im Jahre 1916 [1] eingeführte neue Therapie der chronischen Gelenk¬
entzündungen und der Gicht mit intravenösen Injektionen eines aus
tierischem Knorpel hergestellten und spezifisch zu den Gelenken ge¬
richteten Präparates. Im folgenden sollen die Hauptpunkte“) meiner
Theorie in kurzen Umrissen noch einmal wiederholt werden.
Ich gehe bei meinen Ueberlegungen aus von ,dem Naturgesetz der
Affinität, und zwar speziell von seiner Bedeutung für den biologi¬
schen Sonderfall der diesem allgemeinen Gesetz unterworfenen Vorgänge
im menschlichen und tierischen Organismus. Hier habe ich besonders die¬
jenigen Fälle “•) im Auge, in denen die blinde Auswirkung dieses Natur¬
gesetzes — z. B. durch das infolge ihrer natürlichen Affinitätsbeziehung
erfolgende Eindringen nicht weiter zersetzbarer Endprodukte in
die entsprechenden Gewebszellen — schwere Schädigungen für den lokalen
Zellstoffwechsei und damit allmählich für die ganze Organisation im Gefolge
haben müsste. Deshalb muss dieser Organisation nach meiner Vorstellung
ein besonderer Natur schütz gegen die blinde Auswirkung eines allge¬
meinen Natur gesetzes eingefügt sein. Ich will versuchen, dies mehr
allgemein Gesagte an dem engeren pathologischen Beispiel der Gicht mit
grundsätzlicher Gültigkeit für alle anderen Affinitätskrankheiten, also auch
für die Arteriosklerose, zu erläutern.
Die chemische Affinität oder spezifische Reaktionsfähigkeit ist nicht nur
einfachen Reagenticn eigen, sondern sie kommt auch vielen kompli¬
zierten organischen Verbindungen zu. Auch im tierischen Organis¬
mus kreisen ira Blute und in den Säften eine Reihe von stets erzeugten
physiologischen Stoffwechselprodukten, welche zu bestimmten normalen Kör¬
pergewebszellen eine chemische Affinität oder spezifische Re¬
aktionsfähigkeit besitzen (im weiteren „Affinitätsträger“ genannt).
Diese Tatsache aus dem Erscheinungsgebiete der Affinität bildet den Aus¬
gangspunkt meiner Ueberlegungen. So besteht z. B. eine starke spe¬
zifische Reaktionsfähigkeit der Harnsäure zum gesunden Knorpelgewebe, die
sich gemäss der natürlichen Gesetzmässigkeit der Affinität bei jeder unmittel¬
baren Berührung von Harnsäure und Knorpel innerhalb des Organismus be¬
tätigen müsste. Könnte sich nun diese Affinität ungehindert durchsetzen,
so müsste, folgere ich, jeder Mensch schon vom ersten Beginn seines Stoff¬
wechsels und seiner Harnsäureproduktion ein sich stetig verschlech¬
ternder Oichtiker sein, indem die als Endprodukt nicht wei¬
ter abbaubare, im Stoffwechsel Jedoch immer weiter erzeugte Harn-
‘) Mein Gefässpräparat wird von dem Luitpoldwerk München hergesteilt,
welches dasselbe unter dem Namen: Gefässpräparat „Heilner“ in den Händel
bringt.
“) Ich verweise hinsichtlich einer ausführlicheren Darlegung meiner An¬
schauungen auf die Schlussthesen meiner 3. Mitt. [3], sowie auch auf meine
zusammenfassende Darstellung (Affinitätskrankheiten und lokaler Oewebs-
schutz [Affinitätsschutz]). Jahreskurse f. ärztl. Fortbild. 1921 H. 1 [5].
*•) Hinsichtlich derjenigen zahlreicheren Fälle, in welchen die natürliche
Affinitätsbeziehung zwischen den in den Säften gelösten Stoffen und den
Gewebszellen sich im Interesse der Erhaltung der Organisation — im Gegen¬
satz zu den oben diskutierten Fällen — ungestört auswirken muss,
siehe [3] These 8, [4] Anm. 7 und [5] S. 1 ff. Die Frage, inwieweit und
unter welchen Umständen auch gewisse Zwischenp^-odukte. z. B. die Milch¬
säure, die ätiologische Rolle von ZwischenendProdukten übernehmen können,
soll gelegentlich einer nächsten Arbeit erörtert werden.
Nr. 15
Digitized by Goiisle
säure mehr und mehr in den Knorpel eindringen würde. Es muss daher
und hierin liegt der ganze Schwerpunkt meiner Theorie
vom Urbeginn der Organisation an ein e i n g e b o r e n e r p h y s i o -
logischer lokaler Schutz gegeben sein; damit sich die natürliche
spezifische Reaktionsfähigkeit gewisser physiologischer End- oder Zwischen¬
endprodukte des Stoffwechsels — hier der Harnsäure — gegenüber bestimm¬
ten normalen Geweben — hier dem Knorpelgewebe — nicht durchsetzt.
Es liegt auf der Hand, dass es ohne einen solchen Schutz, um bei dem Bei¬
spiel der Gicht zu bleiben, durch das Eindringen der nicht weiter zersetz¬
baren Harnsäure in das Knorpelgewebe zu schweren Reibungen und Stö¬
rungen im Haushalt der betroffenen Zellen und im weiteren Verlauf zu immer
schwereren Schädigungen der ganzen Organgemeinschaft kommen müsste.
Ich nahm daher die stete Neubildung eines lokalen, d. h. von den
Zellen der affinitätsbedrohten Gewebsformation — in unserem Beispiel des
Knorpels (bei der Arteriosklerose der Oefässwand) — gelieferten und an die
Gewebszellen fixierten Schutzes gegen die andrängenden Affinitäts¬
träger — bei der Gicht der Harnsäure (bei der Arteriosklerose noch nicht
sicher definierter physiologischer Stoffwechselprodukte) — an, dem ich die
Bezeichnung „lokaler Gewebsschutz!“ gegeben habe, und den
ich nach seinem eigentlichen Wesen auch Affinitätsschutz nenne.
Was das eigentliche Wesen des lokalen Oewebsschutzes betrifft,
so handelt es sich nach meiner Vorstellung dabei um keine echte
innere Sekretion, wohl aber um einen dieser nahestehenden Prozess *),
d. h. um spezifisch streng an die Zelle gebundene Vorgänge fermen¬
tativer Art (Zustandsänderungen physikalischer [osmotischer] oder che¬
mischer Art mit spezifischer Einstellung an der Zelloberfläche).
Der lokale Gewebsschutz hält also unter normalen Verhältnissen dauernd
die spezifisch reaktionsfähigen Stoffe vom affinitätsbedrohten Gewebe fern.
Dieser Schutz kann Jedoch durchlöchert werden, indem durch irgendeine
bisher für primär gehaltene Schädlichkeit — traumatischer, statischer, ther¬
mischer, infektiöser, toxischer, neurotischer Art — lediglich die mit der Hervor¬
bringung des lokalen Oewebsschutzes betrauten Gewebszellen — z. B. des
Knorpels — in ihrer den Gewebsschutz liefernden Funktion geschädigt
werden und nunmehr dringt durch die schutzarmen bzw. schutzfreien Stellen
des Gewebes der Affinitätsträger, z. B. das Endprodukt Harnsäure, mehr und
mehr in das Gewebe, vorzüglich in den Knorpel der Gelenke ein und es
entsteht *) die AfTnitätskrankheit Gicht mit ihren charakteristi¬
schen Harnsäureablagerungen. In der gleichen Weise entstehen durch das Ein¬
dringen anderer Afiinitätsträger in das eine oder andere Gewebe die ver¬
schiedenen anderen Afiinitätskrankheitcn. Diese Affinitätsträger sind, wie ich
besonders hervorhebe, nach meiner Vorstellung rein physiologische
Stoffwechselprodukte und keine pathologischen Noxen;
es handelt sich um Endprodukte oder solche Zwischenprodukte des
Stoffwechsels, welche durch eine der vielen Unzulänglichkeiten des Ferment¬
haushaltes zu nicht weiter zersetzbaren Endprodukten geworden sind und
die ich daher als „Z w i s c h e n e n d p r o d u k t e“ bezeichne (wie die Homo¬
gentisinsäure als Ursache der Arthritis def. alcaptonurica).
Die Affinitätskrankheiten sind ihrem innersten Wesen nach chronisch und
progressiv (III. Mitt. 1918 Th. 7, s. a. [5] S. 7) (und deshalb meist unheilbar),
weil ja die normalen Stoffwechselprodukte, durch deren Eindringen sie ent¬
stehen, stets weiter erzeugt werden. Jft nach der chemischen Ver¬
schiedenheit der Affinitätsträger einerseits und der ver¬
schiedenen biologischen Funktion der durch den Wegfall des
Affinitätsschutzes preisgegebenen Gewebe anderseits (z. B. Gelenk, Gefäss-
wand, Muskel, Niere, Leber etc.) entstehen die verschiedenen Affini¬
tätskrankheiten und ihre wechselnde klinische Erscheinungsform
(chronische Gelenk-, Gefässwand-. manche Muskel- und Nieren- etc. Er¬
krankungen) (13] S. 985). Sie alle führen, ätiologisch betrachtet, auf ein
einziges einheitliches Moment zurück, auf das Nachlassen
bzw. Versagen des lokalen Gewebs- oder Affinitäts¬
schutzes.
Meine Theorie führt, wie ohne weiteres erhellt, zu einer ausser¬
ordentlichen Vereinfachung unserer bisherigen Vorstellung von der
Pathogenese vieler wichtiger, vor allem der chronisch fortschreitenden
Erkrankungen.
Die Anwendung meiner im Vorstehenden skizzierten Lehre vom
lokalen Gewebsschutz als eines Prinzips der Organisation auf
*) (s. a. [2] S. 935, [3] S. 985 u. [5] S. 13.) Die injizierte Substanz
wirkt auch nicht' als A n t i g e n durch Hervorbringung von „Schutz-
fermenten“, eine Bezeichnung die, wie ich erwähnen darf, von mir
stammt [6]. Ich habe diese Frage um so angelegentlicher zu entscheiden
gesucht, als ich vor 14 Jahren [7] auf Grund von Respirationsversuchen
zum ersten Male die heute selbstverständliche Annahme
ausgesprochen habe: „dass der Körper imstande ist, auf Einbringung art¬
fremden Serums wahrscheinlich auch anderer Eiweisskörper in die Blut-
bahn durch Bildung eines für gewöhnlich nicht vorhandenen, nur auf
den Abbau des eingebrachten Eiweissindividuums abgestimmten Fermentes
zu antworten“.
*) Diesem pathologischen Geschehen in massgebendster Weise über¬
geordnet ist die erbliche D i s n o s i t i o n, unter weiche ich die an¬
geboren mangelnde oder fehlerhafte Erzeugung des lokalen Oewebs-
schutzes verstehe [II. Mitt. S. 935, III. Mitt. S. 985 Anm. 13].
3
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
444
MÜNCHENEl^ MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
die Aetiologie*) und Therapie der Arteriosklerose
führte mich bereits 1917 zur Herstellung eines Präparates aus der
innersten Gefässwand, über dessen Anwendung beim Tier und Menschen
zugleich mit der ersten Darlegung meiner Theorie ich in der gleichen
Arbeit (II. Mitt. S. 936) berichtete. Sehr bald ging ich dazu über
(IV. Mitt. S.502), auch die Media*) und die Adventitia zu verwenden
und bei dem heute endgültig vorliegenden Präparate sind alle drei
Schichten der Getässwand verwertet. Den bereits in meiner vor¬
jährigen Arbeit genau beschriebenen, nach der Injektion des Gefäss-
präparates hie und da auftretenden leichten Erscheinungen D. welche
Herdreaktionen darstellen und die ich unter dem Ausdruck einer „bio¬
logischen Resonanz“ zusammengefasst habe, darf ich vielleicht
hiizufügen, dass ich in einigen Fällen — besonders am Injektionstage —
eine auffällige.Zunahme der Appetenz, hie und da auch ein stärkeres
Schlafbedürfnis beobachtete. Temperatiirsteigerung leichtesten
Grades habe ich nur ganz selten beobachtet, selten ein rasch vorüber¬
gehendes Gefühl leichten Fröstelns; in sehr vielen Fällen jedoch
treten überhaupt keine bemerkbaren Reaktionen auf.
Es ist dies ein bemerkenswerter Unterschied zwischen meinem Knorpel¬
präparat „Sanarthrit“ und meinem Gefässpräparat, der besonders her¬
vorgehoben zu werden verdient.
Mein Gefässpräparat wird intravenös injiziert*). Eine Gefäss-
präparatkur besteht aus 12 bis 20 Injektionen; im einzelnen Fall sollen
nicht unter 12, doch können je nach Lage des Falles auch weit über
20 Injektionen gemacht werden. Es empfiehlt sich, die Kur in einem
Zuge zu machen, am besten zweimal wöchentlich eine Injektion, so
dass also eine Kur in ungefähr 6 bis 10 Wochen®) beendet ist
Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Injektionen dürfen
jedoch auch kürzer sein, andererseits kann in besonderen Fällen die
Kur auch für einige Zeit ohne Schaden unterbrochen und später
wieder aufgenommen werden. Die Injektionen können ambulant durch¬
geführt werden. Bei sehr alten und gebrechlichen, sowie sehr leidenden
Patienten ist für einige Stunden nach der Injektion körperliche
Ruhe zu empfehlen; die Patienten können nach der Injektion ihrer
Arbeit mit einiger Schonung nachgehen, sollen sich jedoch etwas beob¬
achten und sich bei etwa stärkerer biologischer Resonanz für einige Zeit
ruhig verhalten. Kontraindikationen für die Gefässpräparatkur bestehen
grundsätzlich nicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass man bei
sehr alten und gebrechlichen bzw. schwerleidenden Patienten eine ge¬
wisse Vorsicht walten lässt Bei arteriosklerotischen Erscheinungen
sicherer lueticher Aetiologifc ist selbstverständlich eine spezifische anti¬
luetische Behandlung vor Anwendung der Gefässpräparatkur durchzu¬
führen. Was die Nahrungsaufnahme am Injektionstage betrifft so be¬
stehen keinerlei durch die Kur bedingte Sondervorschriften.
Ich habe in meiner vorjährigen 4. Mitteilung die Befunde und Er¬
gebnisse von 33 Kranken im Alter von 45—86 Jahren, von denen der
Hauptteil im Alter von 60—70 Jahren stand, mitgeteilt Dabei habe ich
die Fälle zur besseren Einteilung der Resultate nach dem Gesichtspunkt
der Zerebralsklerose, der peripheren Sklerose, der Herzsklerose und der
Nierensklerose eingeteilt Mittlerweile habe ich eine grosse Reihe von
Patienten neu behandelt und viele meiner alten Patienten von Zeit zu
Zeit nachkontrolliert Was die neu behandelten Patienten betrifft so
®) Die Arteriosklerose entsteht demnach durch das Versagen des lokalen-
uewebs- oder Afhnitätsschutzes der Qefässwand. Alle bisher angenommenen
so verschiedenen scheinbar primären Ursachen traumatischer, mecha¬
nischer, infektiöser, toxischer etc. Art sind, besonders bei übergeordneter
erblicher Disposition, lediglich auslösende Gelegenheitsursachen, indem sie
die fermentative lokale Qewebsschutzproduktion der Qefässwand schwächen
bzw. aufheben. So kann sich an diesen Stellen die Affinität bestimmter
physiologischer Stoffwechselend- oder Zwischenendprodukte durchsetzen.
Ein arteriosklerotisch disponierter, d. h. mit angeboren schwachem Affinitäts¬
schutz gegen die bei der Entstehung der Arteriosklerose in Frage kom¬
menden chemischen Körper versehener Mensch wird unter allen Umständen
arteriosklerotisch werden. Es ist eine rein zufällige Frage des Berufes,
der Lebensgewohnheiten, zufälliger Schädlichkeiten etc., durch welche der
zahlreichen Oelegenheitsursachen die ohnehin schwache lokale ücwebsschutz-
produktion entscheidend geschädigt wird. Der nicht-disponierte Mensch wird
mit den gleichen inneren und äusseren Schädlichkeiten durch stärkere spe¬
zifische, auf Hervorbringung des Gewebsschutzes gerichtete Zelltätigkeit der
Gefässwände leichter fertig werden. Was den Wirkungsmechanismus meines
Mittels betrifft, so soll gemäss meiner Theorie in erster Linie der darnieder-
liegende Gewebsschutz ln dem erkrankten Gebiet wieder hergestellt, bzw.
seine fermentative Erzeugung wieder in Gang gesetzt werden (s. U. Mitt.
S 935, III. Mitt. S. 985 und Jabreskurse [5] S. 13).
*) Auch die Media und die Adventitia müssen, wie die Intima „affinitäts¬
geschützt“ sein.
Leichte vorübergehende Erhöhung der für gewöhnlich empfundenen
Beschwerden. Hie und da leichte, stechende, zuckende Empfindungen
(Ameisenlaufen und Kribbeln) an verschiedenen Stellen des Körpers etc.
*) Nur wenn infolge zu schlechter Venen die intravenöse Injektion
nicht möglich ist, halte ich die subkutane Injektion gerechtfertigt, nach welcher
jedoch hie und da auch Reizerscheinungen im Unterhautzellgewebe auftreten
können. Man nehme zur subkutanen Injektion aber etwas mehr, ca. 1% bis
1 A ccm des Präparates. Ich ziehe jedoch grundsätzlich die intra¬
venöse Injektion unter allen Umständen vor,* damit das Mittel schnell und
unverändert an den Ort der Wirkung gelangt.
®) Ein endgültiges Urteil über Erfolg oder Nichterfolg der Qefässpräparat-
kur soll vor Ablaut von 3—4 Monaten nach Beendigung der Kur nicht abge¬
geben werden. Die Wiederholung der Kur kann schon nach dieser Zeit
ins Auge gefasst werden und wird sich in vielen Fällen — ev. nach
Ablauf eines Jahres nach der Beendigung der vorhergehenden Kur —
empfehlen.
decken sich die erzielten Resultate völlig mit den im Vorjahre
(4. Mitt. [4]) beschriebenen und ihren zum Teil ausgezeichneten Er¬
folgen. Von den früher behandelten Patienten kamen einige %—Vh Jahr
nach der letzten Injektion wieder spontan in die Poliklinik, um sich
wiederum behandeln zu lassen, da die zuerst geklagten Beschwerden
nach ca. % jähriger Pause wiederum stärker in Erscheinung getreten
waren. Bei den meisten der vor einem Jahr behandelten Patienten
hat indes der Erfolg bis heute angehalten. Es leuchtet ein. dass bei
dem vielgestaltigen Bild der arteriosklerotischen Beschwerden und dem
häufigen Wechsel in der Art und Intensität der subjektiven Erscheinungen
zur Beurteilung des wahren Einflusses eines neuen Behandlungsver¬
fahrens eine grössere Erfahrung mit demselben gehört Ueber objektive
Merkmale und Methoden, welche eine etwa einsetzende Besserung
quantitativ abzuschätzen gestatten, verfügen wir nicht in wünschens¬
wertem Masse, denn auch die Messung des Blutdrucks (ausser bei Hoch¬
druck) und das Röntgenbild werden in den meisten Fällen nicht hin¬
reichend und erst nach Ablauf längerer Zeitstrecken vergleichend zu ver¬
werten sein.
Allein die Besserung der subjektiven Beschwerden vieler Patienten
unter der Behandlung mit meinem Gefässpräparat ist in einem Teil der
Fälle von einer, so zwingenden Grössenordnung, dass auch aus vor¬
wiegend subjektiven Angaben heraus eine gewissenhafte Kritik des er¬
zielten Befundes ermöglicht wird. Das Nachlassen von lange be¬
stehenden Kopf- und peripheren Schmerzen, die Abnahme stenokardi-
scher Beschwerden an Häufigkeit und Intensität, die starke Besserung
von Schlaflosigkeit, Schwindelgefühl und Erregungszuständen, die von
vielen Patienten stets wieder betonte Besserung des Allgemeinbefindens
und des Gedächtnisses, häufig auch zunehmende Leistungsfähigkf^it und
Arbeitsfreudigkeit, Hebung des Appetits und Zunahme des Körper¬
gewichts, sind hier anzuführen. Ich habe in 80 Proz. aller meiner Fälle
einen günstigen, zum Teil überraschenden Einfluss auf die geklagten
Beschwerden festgestellt. In ca. 20 Proz. der Fälle trat keine merk¬
bare Besserung ein; in keinem Falle habe ich eine schädliche Ein¬
wirkung gesehen.
,Bei der Schwierigkeit einer exakten klinischen Beurteilungsmöglich¬
keit gegenüber einem neuen Arteriosklerosemittel, war es mein Be¬
streben, besonders auch solche Fälle der Behandlung zuzuführen, bei
welchen die arteriosklerotischen Veränderungen in ihren Folgeerschei¬
nungen möglichst klar zu übersehen sind und ich glaube, in dem Krank¬
heitsbild des intermittierenden Hinkens als Teilsymptom
einer allgemeinen Arteriosklerose ein gutes Testobjekt für die Be¬
urteilung meines Verfahrens gefunden zu haben.
Ich bin nunmehr in der Lage, über im ganzen 5 genau beobachtete
typische Fälle von intermittierendem Hinken und ihre Behandlung mit
meinem Gefässpräparat zu berichten.
Eigene Beobachtung:
1. H. M., Heizer, 62 Jahre, keine Lues, keine Tbc., massiger Raucher;
allgemeine Arteriosklerose. Pat. hat seit längerer Zeit heftige Schmerzen
beim Gehen am linken Unterschenkel, so dass er alle 200 m stehen bleiben
muss, worauf nach kurzer Zeit die Schmerzen nachlassen. Dabei Kältegefühl
am linken Fuss. 9 Gefässpräparatinjektionen in der Zeit vom 8. Juni 1920
bis 21. Juli 1920. Keine Reaktionserscheinung, keine Temperaturerhetung
nach den Injektionen.
Bereits nach der dritten Injektion Angabe über Besserung der Schmer¬
zen und der Funktionsfähigkeit. Patient ist am Ende der Kur schmerzfrei
und geht heute, K Jahr nach der letzten Injektion einen Weg von 40 Mi¬
nuten bis zur Poliklinik ohne Beschwerden.
2. S. M., 52 Jahre, Postbote, keine Lues, keine Tbc. Massiger Raucher.
Leichte allgemeine Arteriosklerose. Seit Dezember 1920 Schmerzen in beiden
Unterschenkeln, besonders rechts nach ca. 5 Minuten langem Gehen, Pat.
muss infolge heftigster Schmerzen stehen bleiben und kann erst ganz all¬
mählich vorsichtig wieder weitergehen. 12 Injektionen vom 2. Januar 1921
bis 11. März 1921. Keine Reaktionserscheinung, keine Temperaturerhel ung
nach den Injektionen. Am Morgen des dritten Injektionstages gibt Pat. be¬
deutende Besserung am rechten Unterschenkel an, die im weiteren Veri aufe
der Kur stets fortschreitet und auch den linken Unterschenkel betrifft, und
am Ende der Kur zu völliger Schnicrzfreiheit und Funktionsfähigkeit f ihrt.
Pat. hat seine Tätigkeit als Postbote am 14. März wieder aufgenon men
und kann derselben, wie er mir berichtet, wieder nachgehen.
Die beiden nächsten Fälle 3 und 4 wurden von Herrn Prof, l ich.
May, mit meinem Gefässpräparat behandelt, welcher mir die Kran en-
gesch'ichten zur Verfügung stellte. Es handelt sich ebenfalls um
zwei ausgesprochene Fälle von intermittierendem Hinken bei ; wei
Herren von 59 und 60 Jahren (keine Lues, keine TuberkuU se).
welche lange Zeit mit allen möglichen Mitteln, namentlich mit loi
erfolglos behandelt worden waren. In beiden Fällen bestanden ho li-
g r a d i g e Beschwerden, so dass die Patienten kaum einige Sch itte
machen konnten, ohne durch überwältigende Schmerzen zum Ste cn-
bleiben gezwungen zu werden.
In beiden Fällen war es im wesentlichen die Art metatarsea lor-
salis II, welche im Röntgenbild sich durch starke Verkalkung abzeichi ete.
Die beiden Patienten erhielten ebenfalls 12 Injektionen, wöchentlic i je
2 und machten ganz gleichmässig schon nach den ersten Injekti nen
die Angabe, dass die Schmerzanfälle beim Gehen nachliessen. Am
Schlüsse der Kur waren überhaupt keine Schmerzen, selbst bei läng( eni
Gehen, mehr vorhanden. Beide Patienten können seitdem — auch Jtzt
noch; es ist inzwischen mehr als V 2 Jahr vergangen — stundenl nge
Wege zurücklegen, ohne dass sich der Schmerz wieder einstellt. Iry nd-
welche Reaktionserscheipungen oder auch nur die leichteste Temper ;ur-
erhebung wurden nach keiner Gefässpräparatinjektlon beobachtet
Digitized by
Google
Original frorri
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
445
Herr Oberarzt Dr. Lieber meister-Düren^“) hat das Gefässpräparat
in 15 Fällen angewendet. Bei 7 von diesen Fällen ist die Behandlung
abgeschlossen. „Bei einem Teil der Fälle war das Resultat wesentlich
besser, als bei den bisher üblichen Behandlungsmethoden zu erwarten
war. ln keinem Falle wurde eine sciiädliche Fieeinflussung beobachtet.
Wenn auch die Versuche natürlich ein abschliessendes Urteil noch nicht
gestatten, so sind die Ergebnisse doch derart, dass sie zu weiteren
Versuchen ermuntern.“ Ich rühre aus den mir von Herrn Dr. Lieber¬
meister zur Verfügung gesttlltcn Krankengeschichten nachstehende
zwei kurze Auszüge an, von denen die erste (intermittierendes
Hinken) grosse Uebereinstirnmung mit den vorher mitgeteiltcn Be¬
obachtungen von Herrn Prof. R. M a y und mir aufweist.
5. (Fall .1): Ant. B., 78 Jahre alt, Oehstörung, Arteriosklerose, inter¬
mittierendes Hinken. Arterien geschlängelt, rigide, Blutdruck 145 Hg, geringe
Albuminurie, paukende Herztöne, klappender zweiter Aortenton, Knöchel¬
ödem. Blut: WaR. ++. 13 Injektionen des Gefässmittels im Krankenhaus,
7 ambulant. Fieberreaktion **) auf die zweite Injektion, sonst keine Be¬
schwerden nach den Injektionen.
Bei der Entlassung: Blutdruck unverändert; Oedeme verschwunden,
Gehstörung behoben, gutes Allgemeinbefinden, 3 kg Gewichtszunahme, sieht
viel frischer aus, weiterhin 2 mal wöchentlich ambulante Injektion.
6. (Fall 2): Frau Joh. V., 63 Jahre alt, 1914 einen Monat Herzbeschwer¬
den, seit 4 Wochen Magenbeschwerden, Atemnot, Herzkrämpfe. Klinisch:
exsudative Perikarditis, Arteriosklerose, Koronarsklerose, Anfälle von Angina
pectoris häufig. Blutdruck 135 mm Hg (Riva-Rocci). Nach Abheilung der
Perikarditis 175 mm Hg. Am 22. VIII. 192U Beginn der Kur mit dem Gefäss¬
präparat. Nach den Einspritzungen Kribbeln in den Beinen, Zuckungen in den
Armen und Beinen, „als ob das Blut stärker flösse". Im ganzen 21 Ein¬
spritzungen, bei den höheren Dosen Fieberreaktion
Blutdruck bei der Entlassung: 145 mm Hg, Allgemeinbefinden wesentlich
gebessert, keine Anfälle von Angina pectoris mehr, Körpergewicht hat um
7^ kg zugenommen. Pat. tut leichte Arbeit; von Zeit zu Zeit weiter ambu¬
lante Injektionen, nach denen jedesmal Wohlbefinden und Absinken des er¬
höhten Blutdrucks eintritt.
Oberarzt der inneren Abteiluns; des Stadtkrankenhauses Glauchau.
Herr Dr. Dun zeit, stellt mir die Resultate zweier Fälle (1 Fall peri¬
pherer und 1 Fall abdominaler Arteriosklerose) zur Verfügung.
„ln beiden Fällen war schon nach einigen Injektionen ein Rückgang der
subjektiven Beschwerden zu verzeichnen, der sich allmählich bis zur voll¬
ständigen Beschwerdefreiheit erhob. Im zw'eiten Falle wurde gegen Ende der
Kur auch subjektiv eine bedeutende Besserung im allgemeinen wie im lokalen
Befunde erhoben."
Herr Prof. Hohlweg, Krankenhaus Bethesda, Duisburg hat bei
den mit. dem Gefässpräparat angestellten therapeutischen Versuchen be¬
friedigende Resultate erhalten.
„Der Blutdruck ist in den meisten Fällen um 20—30, in einem Falle
um 40 mm Hg heruntergegangen. Vor allem sind in einigen Fällen die
früher recht starken subjektiven Beschwerden auffallend günstig beeinflusst
worden."
Meine im Jahre 1917 und 1920 beschriebenen Versuche betrafen aus¬
gesprochene Fälle von Arteriosklerose. Die Beobachtungszeit meiner
seit Jahren in rein prophylaktischer Hinsicht besonders bei jungen
Leuten angestellten Versuche ist selbstverständlich bei weitem viel zu
kurz zu irgend einer exakten Vorstellung über die vorbeugende Wir¬
kung meines Präparates. Allein die folgende, auf meiner Theorie ruhende
Ueberlegung. w'clche daher auch grundsätzlich für alle anderen Aifinitäts-
krankheiten Geltung hat, spricht überzeugend für die Bercclitigung, das
Gefässpräparat auch prophylaktisch aiizuw enden. Wie jede Affinitäts¬
krankheit, entsteht auch die Arteriosklerose [s. Anm. allmählich und
schreitet durch das stete.Vorhandensein des im normalen Stoffwechsel
immer wieder erzeugten physiologischen Affinitätsträgers und das Ein¬
dringen desselben in das schutzlose Gewebe grundsätzlich und unauf¬
haltsam weiter. Der pathologisch-anatomische Prozess muss je nach
dem Sitz der arteriosklerotischen Veränderung, dem Beruf und der
Empfindlichkeit etc. des befallenen Individuums einen gewissen
Schwellenw’ert erreicht haben, bis der Patient, durch subjektive Erschei¬
nungen beunruhigt, zum Arzte kommt und als Arteriosklerotiker erkannt
wird. Tatsächlich wird aber bei diesen Patienten der Beginn des
pathologisch-anatomischen Prozesses der Gefässveränderung schon weit,
vielleicht Jahre lang, zurückliegen. Die zuerst ganz unhestimmten und
minimalen Beschw'erdcn konnten jedoch, auch wenn sie geäussert
worden wären, nicht mit Sicherheit einer in den allerersten Anfängen
stehenden Arteriosklerose zugeschrieben w'erden. Wenn wir in ab
diesen, praktisch sicherlich sehr zahlreiclicin Fällen, bereits sehr früh
mit einer kausalen Behandlung begonnen hätten, so wären wir der
ungenügenden Erzeugung des lokalen (jewebsschutzes vielleicht schon
in ihren ersten Anfängen wirksam zu Hilfe gekommen. Es wäre
also keine eigentliche Prophylaxe — ein Ausdruck, den ich aus kon¬
ventionellen (gründen beibehalte —, sondern nur eine ausserordentlich
frühzeitige Behandlung einer noch unirerküchen. erst allmählich
Persönliche Mitteilung, welche ich, wie die folgenden, mit Zustim¬
mung der Autoren anführe.
“) Ich bemerke hiezu, dass ich den Herren N.achprüfern auch besondere,
nicht im Handel befindliche Präparate von hoher Konzentration sandte.
Ich weise ferner darauf hin, dass ich seit längerer Zeit neben völlig
enteiweissten Präparaten auch Präparate verwende, welche Spuren
eines phosphorhaltigen Eiweisskörpers enthalten. Die weiter oben be¬
schriebenen leichten, durchaus nicht obligaten Erscheinungen einer biologi¬
schen Resonanz treten in der gleichen Weise nach dem einen und dem
anderen Präparate auf.
Die experimentell-therapeutische Sicherstellung dieser Frage wäre ein
Werk von Dezennien an einem an Zahl und Veilässlichkeit statistisch ver¬
wertbaren Material, da schon bei sehr jugendlichen Personen mit der Injektion
des Präparates begonnen werden müsste.
immer deutlicher in Erscheinung tretenden Arteriosklerose gewesen.
Wir wissen, dass die Arteriosklerose nicht ganz selten im frühesten
Kindesalter vorkommt und wir dürfen die Präskltrose (H u c h a r d),
zu deren Symptomen bereits die Dyspnoe und die Blutdrucksteigerung
gehören, als eine, wenn auch klinisch nicht ganz ausgebildete, so doch
pathologisch-anatomisch schon begründete Arteriosklerose auffassen.
Wie frühe wir prophylaktisch behandeln müssten, um in höherem patho¬
logischem Sinne den Beginn einer Affinitätskrankheit, hier speziell der
Arteriosklerose, überhaupt zu vermeiden, oder im wesentlichen hinaus¬
zuschieben, kann im Rahmen dieser Abhandlung, vorausgesetzt, dass
diese Forderung überhaupt erfüllbar ist, nur ganz allgemein angedeutet
werden
Bei der hohen Bedeutung, welche ich der e r b 1 i c h e n D i.s p o s i -
tion für die Entstehung der Affinitätskrankheiten (s. Anm.^)1 zuschreibe,
empfiehlt sich die vorbeugende Behandlung vor' allem bei solchen
Trägern einer ererbten Anlage, bei denen infolge ihres Berufes oder
ihrer Lebensgewohnheiten die Gefahr besteht, dass eine der vielen
Srhädlichkeiten des täglichen Lebens bei ihrem angeboren schwachen
Gefässwandaffinitätsschutz zu einer wirklich auslösenden Gelegen-
heitsursache fs. Antn. ")] der Arteriosklerose wird.
Literatur.
1. E. H e i l n e r: I. M i 11. Die Bchandlunß der Gicht und anderer chro¬
nischer Gelenkentzündungen. (M.m.W. 1916 Nr. 28.) — 2. Ders.: Die Be¬
handlung der Gicht etc. 11. M i 11. Die allgemeine ätiologische Bedeutung des
mangelnden lokalen Gcwebsschutzes. (M.m.W. 1917 Nr. 29 S. 935.) —
3. Ders.: Die Behandlung der Gicht etc. III. M i 11. Lokaler Gewebsschutz
und Affinitätskrankheiten. (M.m.W. 1918 Nr. 36 S. 985.) — 4. Ders.:.
Affinitätskrankheiten und lokaler Gewebsschutz (Affinitätsschutz). IV. M i 11.
Die kausale Behandlung der Arteriosklerose mit meinem Gefäss¬
präparat. (M.m.W. 1920 Nr. 18.) — 5. Ders.: Affinitätskrankheiten und
lokaler Gewebsschutz, (Jahreskurse für ärztliche Fortbildung 1921. Januar¬
heft. — 6. Derselbe: Ueber das Schicksal des subkutan eingeführten
Rohrzuckers im Tierkörper und seine Wirkung auf Eiweiss- und Fettstoff¬
wechsel. (Zschr. f. Biol. 56. 1911. S. 80.) — 7. Ders.: Ueber die Wirkung
grosser Mengen artfremden Blutserums im Tierkörper nach Zufuhr per os
und subkutan. (Zschr. f. Biol. 50. 1907. Neue Folge 32. S. 26.), s. a. Ver¬
such eines indirekten Fermentnachweises (durch Alkoliolzufuhr); zugleich ein
Beitrag zur Frage der Ueberempfindlichkeit. (M.m.W. 1908 Nr. 49.)
Ein Schema zur prognostischen Einteilung der broncho-
genen Lungentuberkulose auf pathologisch-anatomischer
Grundlage*).
Von A. Fraenkel-Heidelberg und S. Q r äff-Freiburg i. Br.
Der Kliniker wie der praktische Arzt haben das Bedürfnis nach
Klassifizierung und nach schematisierender Einteilung der
chronischen Lungentuberkulose. Der Eine braucht für den
Unterricht den sicheren Boden lehrbarer prognostischer Beurteilung, die
vielfach noch als eine nicht zu vermittelnde Kunst einzelner Erfahrener
gilt; der Andere, namentlich der Tuberkulosefacharzt, verlangt gleich¬
falls nach einem einfachen klinischen Schema für den Gedankenaustausch
im täglichen ärztlichen Verkehr und zur Verständigung auf thera¬
peutischem Gebiet. Wünschenswert ist es auch, schon zum besseren
gegenseitigen Verständnis am Sektionstisch, dass der Kliniker und der
Anatom sich auf möglichst gleichlautende und gleichwertige Benennungen
der Prozesse festlegen. Dabei ist es verständlich, wenn der Anatom
verlangt, dass die klinische Bezeichnung möglichst die anatomische
Struktur trifft, und wenn der Interne bestrebt ist, jede Einmischung in
pathologische Streitfragen zu vermeiden und unverbindliche Namen zu
wählen, die sich für den ärztlichen (auch internationalen) Verkehr eignen.
Der Mangel dieser Basis trägt einen grossen Teil der Schuld an dem
leider schon von Laien belächelten, sich unausgesetzt wiederholenden,
bedenklichen Gegensatz der Aerzte in der Wertung von Heilmethoden
und Heilerfolgen. Dabei handelt es sich um eine Volkskrankheit, die im
Brennpunkt des allgemeinen Wohlfahrtsinteresses steht und in deren Be¬
kämpfung die Aerzte die Führung behalten sollen.
Die Schwierigkeit der Probleme liegt auf der Hand.
Wenn man von irgend einer Erkrankung sagen kann, dass kein Fall
völlig dem anderen gleicht, dann gilt dies gewiss für die Lungen¬
tuberkulose; wird doch ihr Verlauf von so vielen bekannten und noch
unbekannten bakteriellen, immunisatorischen, konstitutionellen und
anderen Faktoren beeinflusst. Aber wegen der mit Recht immer mehr
beachteten individuellen Verschiedenheit des Einzelfalles jede schemati¬
sierende (jruppierung vermeiden, hiesse wegen eines Erkemitnisfort-
schrittes neben der Analyse unnötigerweise auf die ebenso wichtige
traditionelle Aufgabe klinischer Betrachtungsweise, auf die Synthese
verzichten.
Schon die grobe Empirie weist darauf hin, dass es typische Ver¬
laufsformen der Lungentuberkulose geben muss. Jedem, der Gelegen¬
heit hat. Lungenkranke unter verschiedenen äusseren Bedingungen, be¬
handelt und unbehandelt in grösserer Zahl und durch lange Zeit zu
beobachten, fallen Gruppen auf von grösster Benignität bis zu höchster
Malignität.
Nehmen wir die sog. „Spitzenkatarrhe“ aus. die sich seit An¬
wendung der Röntgenmethode mehr und mehr als Pseudophthise ent-
•) Nach Vorträgen, gehalten in der mediz. Sektion des naturhist.-mediz.
Vereins in Heidelberg am I. III. 1921.
. 3 *
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
puppen und die daher endgültig aus der Klinik der Tuberkulose
schwinden sollten, so treten uns in der Hauptsache auf der einen Seite
Fälle von solcher Gutartigkeit entgegen, dass sie ohne jedes ärztliche
Zutun von selbst zur Heilung kommen. Wir erinnern an die klinischen
oder autoptischen Nebenbefunde bei Menschen, die nie bewusst krank
waren. Auf der anderen Seite kennen wir die Fälle mit subakutem
Verlauf, bei denen von Anfang an alle Methoden bis zur aktiven Therapie ^
angewandt wurden und die trotzdem zugrunde gingen, ohne dass auch
nur ein vorübergehender Besserungserfolg erzielt wurde. Und zwischen
diesen Gegensätze«n stehen nun die Fälle wechselnden Verlaufes, in
welchen bald diese, bald jene Behandlungsmethode zum Ziele der
Besserung oder Heilung führen kann. Sie stellen den eigentlichen Auf¬
gabenkreis des Phthisiotherapeuten dar. oder richtiger gesagt, sie sollten
ihn darstellen. • , .
Eine geeignete Grundlage für eine rechtzeitige und klare pro¬
gnostische Beurteilung aller dieser Fälle und für ihre Gruppierung kann
bis heute — .dies zeigt sich immer wieder von neuem — nur auf einer
durch pathologisch-anatomische Vorstellungen und Benen¬
nungen begründeten Diagnose aufgebaut werden.
Die Klinik hat seit L a e n n e c und seit seiner Entdeckung physika- •
lischer Zeichen an dem Grundsatz festgehalteii, die Fälle anatomisch
weitgehend zu erfassen, und ist demselben mehr oder weniger treu-
geblieben. Erst neueidings hat man sich — namentlich unter dem Ein¬
fluss der bakteriologischen Entdeckungen — von dieser Bjtrac.ht'ings-
weise wieder etwas losgelöst und die physikalische Diagnostik wurde
zum Teil Selbstzweck. „
Schon vor vielen Jahren war deshalb der eineU ) von uns dafür
eingetreten, die anatomische Analyse wieder in den Vordergrund de"-
Krankenbeobachtung zu stellen.
Das allgemeine Interesse dagegen hatte sich mehr den Immuni¬
tätsfragen zugewandt. Die bedeutsamen Ergebnisse dieser Forschungs¬
richtung förderten zwar die prognostischen Fragen nicht; ihre
Resultate stehen aber auch dem Bemühen nach einer Einteilung auf
pathologisch-anatomischer Grundlage nicht entgegen, bieten ihm vielmehr
eher eine Stütze.
Dahin gehören vor allem die Studien Rankes’) über histologische
Allergie, in denen die immunisatorischen Vorgänge in Beziehung ge¬
bracht werden zu den anatomischen Verhältnissen.
Die von Ranke als „isolierte Phthise“ bezeichnete
Spät form chronischer Lungentuberkulose deckt sich mit der klinischen
Krankheitsphase, deren Gliederung wir zustreben. Es kann demnach der
Vorwurf nicht erhoben werden, dass eine im wesentlichen anatomische
Verlaufsformen berücksichtigende klinische Systematisierung der Lungen¬
tuberkulose das Wesen derselben als einer den ganzen Körper in Mit¬
leidenschaft ziehenden Infektionskrankheit vernachlässige oder gar
übersehe.
Es sei ausdrücklich betont -.neben einer anatomisch-klinischen Ein¬
teilung bleibt natürlich der Weg frei für das Studium serologischer Diffe¬
renzierung der Fälle. Der Zustand der Allergie im Stadium der isolierten
Phthisen, d. i. der chronischen Lungentuberkulose, ist wechselnd, und wir
wissen heute auf Grund klinischer Beobachtung in prognostischer Hin¬
sicht nur, dass in der letzten Krankheitsphase die Pirquet sehe Re¬
aktion negativ ausfällt. Es wäre aber vielleicht aussichtsreich, wenn
man die allergetischen Verhältnisse in Beziehung zu den anatomischen
Verlaufsformen untersuchen würde. Vielleicht käme man zu immuno-
biologischen Feststellungen, welche wir zu einer prognostischen Qruppen-
bildung mitverwenden könnten.
Die entscheidende Vorfrage für unser Beginnen, dieFrageobes
nach Art und Ausdehnung anatomisch wohl charak¬
terisierte Verlaufsformen der Lungentuberkulose
gibt, dürfen wir als endgültig bejaht ansehen.' Ohne auf die Arbeiten
der pathologischen Anatomen päher einzugehen, sei hier nochmals
Albrechts und seines besonderen Verdienstes für unsere Frage¬
stellung gedacht. Wenn auch schon vor ihm die einschneidende Unter¬
scheidung der produktiven und exsudativen Reaktion für die Forschung
der pathologischen Anatomie durch V i r c h o w, Orth u. a. durch¬
geführt worden war, so stand damals noch die Betrachtungsweise des
Pathologen unter dem besonderen Eindruck des bunten Bildes der
Phthisikerlunge, wie es bei der Sektion zutage tritt. Frische und alte
Prozesse wurden wohl unterschieden und die anatomische Struktur und
Genese studiert, aber man ging doch nicht vom Krankheitsverlauf im
menschlichen Leben, sondern von den viel ungünstigeren, dem Tode
vorausgehenden Veränderungen aus, also nicht von der Szene des
erfolgreichen Kampfes des Organismus mit der Infektion, sondern von
dem traurigen Schlussakt, der, schliesslich unvermeidlichen Niederlage.
Erst A 1 b r e c h t •) brachte die klinische Denkungsweise an den
Sektionstisch und legte sich, systematisch und grundsätzlich bei seinen
Obduktionen Lungentuberkulöser die Frage vor, auf die es ärztlich an¬
kommt: Wie sah die Lunge während der langen Zelt der Krankheits¬
dauer aus? Während 10 Jahren hat er die Bilder der Lungentuberkulose
’) V. Rosthorn und F r a e n k e 1: Tuberkulose und Schwangerschaft.
D.m.W. 1906.
’)Fraenkel: Ueber die Einteilung der chronischen Lungentuberku¬
lose, Verh. d. 27. Kongr. f. inn. M, 1910.
*) Ranke: Primäraffekt, sekundäres und tertiäres Stadium der Lungen¬
tuberkulose. D. Arch. f. klin. M. Bd. 119 u. 129.
•) Albrecht: Zur klinischen Einteilung der Tuberkuloseprozesse in
den Lungen. Frankf. Zschr. f. Path. 1907.
unter stetigem Vergleich mit den klinischen Angaben gesichtet und hat
aus seiner Phantasie die wechselnden Phasen der Lungentuberkulose
nachkonstruiert, die dem Anatomen nur selten oder nie zugänglich sind.
Diese Einstellung des Pathologen auf die Bedürfnisse der Klinik war das
Neue, das Entscheidende. . x-, ♦
Es ist von mehr als historischem Interesse, es unterstützt vielmehr
die Forderung Aschoffs’), dass schon Albrecht von der Klmik
die strenge Scheidung der produktiven Formen von den
exsudativ en verlangte.
Erst Albrechts Vorschläge also waren es. welche auf dpem
Gebiet die engeren Beziehungen zwischen Klinik und pathologischer
Anatomie herstellten. Der eine von uns hatte in jenem ersten Schema,
welches Rosthorn®) bei seinem Studium über die Einwirkung der
Schwangerschaft auf tuberkulöse Frauen zur Stütze dienen sollte,
zwischen die gutartigen Spitzen- und bösartigen Unterlappenprozesse die
Oberlappenprozesse gestellt und hur bei diesen eine Art Differenzierung
unternommen, und zwar in zirrhotische, infiltrative und pneumonisch¬
kavernöse und hat damit schon auf die klinische Bedeutung des engen ^
Zusammenhangs der lobulär-käsigen (pneumonischen) Formen mit der
Kavernenbildung hingewiesen. Albrecht hat die Qualität für das
Gesamtbild des Lungenprozesses stärker betont hat den klinischen
Begriff der „Infiltration“, in dem produktive und z. T. auch exsudative
Formen zusammengefasst waren, fallen lassen und hat die produk¬
tive, der damaligen Auffassung nach bronchial und peribronchial lort-
schreitende Form knotig benannt; er hat ferner auf die grosse Be¬
deutung der Kavernen bei allen Formen, auch den gutartigen, hinge¬
wiesen und unterschied nunmehr zirrhotische, knotige, pneu¬
monische Prozesse mit und ohne Kaverne.
Auf der Albrecht sehen Einteilung fussend haben dann
Aschoff^) urid Nicol®) eine histogenetisch neu gefasste Einteilung
bekanntgegeben. Die knotige Form Albrechts wurde von
Ascho ff-Nicol als azinös-nodös bezeichnet um damit ihren
histologischen Untersuchungen entsprechend hervorzuheben, dass die
histogenetische Entstehung des produktiven Herdes an die Lun¬
geneinheit, den Lungen a z i n u s gebunden sei, und dass der
nodöse Herd sich nicht bronchial und perbronchiäl entwickle,
sondern sich aus der Häufung solcher azinösen Herde zu~
sammensetze. A s c h o f f legt hierbei im wesentlichen aus di¬
daktischen Gründen auf die Einschaltung des Begriffes: azinös
besonderen Wert, ohne jedoch damit leugnen zu wollen, dass im
Gebiet des Azinus die Erkrankung die verschiedensten Formen des Be¬
fallenseins oder der Ausbreitung annehmen könne. Die pneumonischen
Prozesse Albrechts teilten Aschoff-Nicol ein in lobär- und
lobulär-käsige Formen. i
Aus dem azinös-nodösen, in selteneren Fällen auch aus dem lobulär¬
käsigen Herd entwickelt sich im Falle der Neigung zur histologischen
Ausheilung der indurierende oder indurierte Herd, welcher in seinem
gehäuften Vorkommen und in seinen Folgeerscheinungen auf das an¬
grenzende Gewebe die zirrhotische Tuberkulose des betrerffenen Lungen¬
teils ausmacht.
Somit wäre nach anatomischen und ■ klinischen Vorstellungen die
qualitative Reihenfolge der einzelnen Formen in Hinsicht auf
die Prognose: die lobär-käsige Pneumonie, die lobu¬
lär-käsige Pneumonie (Bronchopneumonie), die azinös-
nodöse Tuberkulose und die zirrhotische Tuberku¬
lose. . . j
Diese Benennungen können in die Klinik eingeführt werden, wenn
die einzelnen Formen am Krankenbett nachweisbar sind. Die Erfahrung
zeigt, dass dies in der Tat möglich ist.
Allein schon der Allgemeinzustand und die allgemeinen Krankheits¬
erscheinungen sind nicht nur an und für sich, sondern auch als Ausdruck
bestimmter Verlaufsformen von Bedeutung. In besonderem Masse sind
wir aber hierbei auf die Verwertung der physikalischen Untersuchungs¬
methoden im weiteren Sinne des Wortes angewiesen.
Den älteren Methoden der Perkussion und Auskultation
usw. wird nachgerühmt, dass sie auch am Bett des Kranken, in^ der
Sprechstunde verwendbar, dem Arzt vertraut und dabei doch zuverlässig
wären.
Neuerdings hat z. B., wie wir (F r a e n k e 1) einer persönlichen Mit¬
teilung des Herrn Prof. v. Romberg verdanken, Hartenstein in
der Münchener ersten medizinischen Klinik um der Schemafrage willen
in vergleichenden Untersuchungen die physikalischen Resultate vor dem
Tode mit den topographisch-anatomischen Befunden an der Leiche zu¬
sammengestellt. Er hat sich dabei von der Leistungsfähigkeit der Aus-
kultations- und Perkussionstechnik zur Feststellung von Art und Aus¬
dehnung der Prozesse überzeugt, wie sie von Romberg®) geschildert
und seither in seiner Klinik weiter ausgebildet wurde.
Dass das Röntgenbild in der Unterscheidung der produktiven
und exsudativen Formen ganz besondere Dienste leistet, hat der eine
®) Ascho ff: Zur Nomenklatur der Phthise. Zschr. f. Tbk. 27. 1917.
H. 1.
®) V. Rosthorn: Tuberkulose und Schwangerschaft. Mschr. f. Ge-
burtsh. u. Gyn. Bd. 23 H. 5.
’) 1. c.
®) Nicol: Die Entwicklung und Einteilung der Lungenphthise. Beitr.
z. Klin. d. Tbk. Bd. 30.
®) Romberg: Die Diagnose der Form der Lungentuberkulose. M.m.W.
1914 Nr. 34. Die Hartenstein Sj^hen Ergebnisse wurden von R o m b e r g
auf der Freiburger Tuberkulosekonferenz, August 1920, gezeigt.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
447
von uns [G r ä f f ‘®)] in Gemeinschaft mit K ü p f-e r 1 e in eingehenden
Untersuchungen dargetan.
Ergänzend tritt des weiteren hinzu die mikroskopische Untersuchung
des Sputums, insbesondere am frischen, nicht gefärbten Präparat.
Der Kliniker kann nun nicht, wozu der Anatom neigt, die pro¬
gnostische Trennungslinie scharf zwischen die produktiven und
exsudativen Formen legen, weil nach klinischer Erfahrung erst Art und
Ausdehnung zusammen das Wesen des Falles ausmachen. Beispiels¬
weise kann die exsudative Form der lobulär-käsigen Pneumonie, insofern
sie einmal ausnahmsweise auf eine umschriebene Stelle beschränkt
bleibt, eine bessere Vorhersage haben als gutartige produktive Herde,
die sich über einer oder gar beide Lungen ausgebreitet haben. Auch
sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Rahmen schematisierender
Kennzeichnung der Fälle unsere Aufgabe nicht dahin geht, alle wünsch¬
baren diagnostischen Einzelfeststellungen zu verwerten, sondern nur
dieienigen. welche für den Verlauf der Erkrankung massgebend sind,
also bei Mischformen immer die prognostisch ungünstigeren.
Vielleicht wäre deshalb zugunsten der in der Praxis empfehlens¬
werten Kürze das Wort; azinös bei der produktiven Form zu entbehren.
Ob der exsudative Herd als lobulär-exsudativer von dem schon
käsigen Herd auf Grund der Sputumuntersuchung unterschieden wer¬
den kann, steht noch dahin. Die physikalischen Untersuchuhgsmethoden
reichen jedenfalls zu einer Erkennung der Verkäsung nicht aus: es dürfte
sich deshalb empfehlen, klinisch von lobulär - exsudativen Herden
zu sprechen, um so mehr, als hiermit in der Benennung die Möglichkeit
offengelassen wird, dass ein exsudativer Herd noch vor der Ver¬
käsung durch Aushustung oder Resorption zur Heilung kommen kann,
ohne dass eine Gewebsschädigung eingetreten wäre. Vollkommen
wertlos ist die von der Röntgenologie für die lobulär-käsigen Herde
übernommene Bezeichnung: grossknotig, da produktive Herde
genau so gross werden können wie exsudative.
Relativ einfach sind die zirrhotischen und pneumonischen Formen
klinisch zu erkennen; am leichtesten die lobär-käsige Pneumonie.
Für sie ist charakteristisch der Nachweis ausgedehnter Infiltrations¬
zeichen (Dämpfung, Bronchialatmen, feuchte Rasselgeräusche), fort¬
schreitender Kräfteverfall, hohes Fieber, sekundäre .Anämie; auf der
Platte die grossen, intensiven, flächenförmigen Verschattungen ohne
Herdschatten.
Auch die reine Oberfeldzirrhose hat ihr typisches Bild: Retraktion
der oberen Thoraxpartie, abgeschwächter Schall durch Dämpfung, ver¬
schärftes Zellenatmen, abgeschwächter Fremitus, günstiger Verlauf, Nei¬
gung zu Entfieberung oder Fieberfreiheit. Die Platte zeigt die bekannten
Streifen und Bandschatten ohne oder mit den für die nodösen Herde
charakteristischen Fleckschatten.
Dass bei der zirrhotischen Tuberkulose röntgenologisch verschiedene
Formen unterschieden werden können, sei hier nur beiläufig erwähnt.
Die Platte zeigt neben isolierter Schrumpfung der kranialen Teile Zirrhose
mit mediastinaler Verziehung, in manchen Fällen eine Hochziehung des
Hilus.
Die zirrhotischen Prozesse in ihren verschiedenen Formen gehen
ans den nodösen hervor und sind selbstverständlich um so günstiger zu
beurteilen, je mehr das Knötchen Wachstum hinter den Schrumpfungs¬
prozess zurücktritt Es ist daher zweckmässig, neben den rein zir¬
rhotischen Formen,, wenigstens als Untergruppe derselben, zirrhotisch-
nodöse und. wenn die produktiven Herde überwiegen, nodös-zirrhotische
in das Schema einzustellen. Praktisch durchführbar ist diese Forderung
aber wieder nur mit der Röntgendiagnostik. Denn perkutorisch sind
diese Mischformen und die rein zirrhotischen nicht auseinander zu halten.
Dass auskultatorisch bei den mehr nodösen Formen meist mehr Rassel¬
geräusche nachzuweisen sind als bei den endgültig fibrösen, macht noch
kein sicheres Unterscheidungsmerkmal aus. Katarrh kommt vorüber¬
gehend auch in rein zirrhotischen Prozessen vor, selbst wenn sie nicht
mit Bronchiektasien oder Kavernen kompliziert sind. Wenig und ba¬
zillenfreier Auswurf ist mehr die Begleiterscheinung der bronchiekta-
tischen Veränderungenen: reichliche bazillenhaltige Expektorationen
sprechen für kavernöse Erweichungsprozesse in den zirrhotisch ver¬
änderten Gebieten.
Die gleiche, ausschlaggebende Bedeutung hat die Platte für die
klinisch so wichtige Unterscheidung der nodösen und der lobulär¬
exsudativen Formen.
Umschriebene (azinös-) nodöse Prozesse und ausgebreitete
Prozesse rein exsudativer Natur sind zur Not noch nach dem klinischen
Charakter differenzierbar. Die letzteren verlaufen unter schweren kli¬
nischen Erscheinungen mit höherem Fieber. Dagegen kann das Krank¬
heitsbild bei ausgedehnteren nodösen Prozessen ebenso schwer
sein wie bei umschriebenen lobulär-exsudativen oder -käsigen Herd¬
bildungen. Und mit der Perkussion und Auskultation kommt man nicht
zum Ziel. Denn in beiden Fällen handelt es sich eben um relativ kleine
Herde, die nur wenig in lufthaltigem Gewebe liegen und daher gleiche
physikalische Phänomene geben: abgeschwächter Schall bis Dämpfung,
unbestimmtes bis. Bronchialatmen, Rasselgeräusche.
Und gerade bei diesen, trotz der anatomischen Verschiedenheit kli¬
nisch scheinbar ähnlichen Verlaufsformen macht sich das pro-
*®) S. Q r ä f f und L. Küpferle: Die Bedeutung des Röntgenverfahrens
für die Diagnostik der Lungenphthise auf Qrund vergleichender röntgeno¬
logisch-anatomischer Untersuchungsergebnisse. Beitr. z. Klin. d. Tbk. Bd. 44
1920.
Digitizedby Goiisle
gnostische Unterscheidungsbedürfnis erst recht geltend. Die lobulär-
exsudativen und -käsigen Formen haben auch bei geringerer Ausbreitung
meist den rascheren ungünstigen Verlauf.
Die Röntgenbilder verschaffen Klarheit. Der (azinös-) nodöse
Herd ist charakterisiert durch eine unregelmässig gestaltete, vielfach
Kleeblattform zeigende und gut begrenzte Verschattung von mittlerer
Dichtigkeit, während der lobulär-exsudative und -käsige
Herd sich als eine verwaschene, keinerlei Begrenzung zeigende und
ziemlich dichte Verschattung mit Neigung zur Konfluenz erweist
[Gräff-Küpf erle“)l.
Auch für den Nachweis der Erweichungsherde sind wir
recht eigentlich auf die Platte angewiesen.
Das Röntgenverfahren brachte besonders auf Grund der Unter¬
suchungen Rieders^*) eine vollständige Umwälzung In der Kavernen¬
diagnostik; bei ihr hatte die physikalische Methode alten Stils doch
nur wenig Erfolg gezeitigt. Man sah es bei Sektionen, die Aelteren er¬
lebten es in der Biopsie. In den 90 er Jahren des vorigen Jahrhunderts,
als die Klinik ganz unter dem Eindruck der Entdeckung des Tuberkulins
stand, hoffte man unter gleichzeitiger Anwendung dieses Mittels, die
Kavernen durch direkte chirurgische Inangriffnahme zur Heilung zu
bringen. Die ersten Versuche wurden im Krankenhaus Moabit (Berlin)
ausgeführt mit dem Erfolg, dass Sonnenburg fast keine der Kavernen
fand, die Paul Guttmann, von dem eines der besten Bücher über Per¬
kussion und Auskultation jener Zeit stammt diagnostiziert hatte. —
Gegenüber der noch in unseren Klopfkursen vielfach geübten Grössen¬
bestimmung der Kavernen hat sich schon die studentische Kritik auf¬
gelehnt
Demgegenüber bietet das Röntgenverfahren die Möglichkeit selbst
kleine Höhlen, wie sie bei der Autopsie oft erst gesucht werden müssen,
aufzufinden und nach Grösse und Lage zu beurteilen. Seither hat die
Klinik über die Häufigkeit und die prognostische Bedeutung der Kaverne
erst richtige Vorstellungen gew^onnen.
So sehen wir, wie die Röntgenplatte der beste Spiegel der ana¬
tomischen Veränderungen aller Verlaufsformen ist, und wie sie dadurch
von ausschlaggebender Bedeutung für eine Durchführung schemati¬
sierender Einteilung vom prognostischen Gesi^iitspunkte aus geworden
ist Die anderen klinischen Merkmale treten dagegen zurück.
Von grösserer Bedeutung unter ihnen ist noch das Fieber, Es
kann Begleiterscheinung jeder Verlaufsform sein, aber seine Stärke und
seine Konstanz sind doch bei den verschiedenen Gruppen sehr ver¬
schieden. Hohe und hektische Temperaturen deuten auf die exsudativeti,
also auf lobulär-exsudative und -käsige Prozesse hm; den mittleren
Temperaturen begegnen wir mehr bei den produktiven (azinös-) nodösen
Prozessen. Bei überwiegend und rein zirrhotischen Formen besteht
Fieberfreiheit Subfehrilität oder unter dem Einfluss der Schonbehand¬
lung Neigung zu Entfieberting. •
Diese Hinweise machen natürlich keinen Anspruch auf allgemeine
Gültigkeit in jedem Falle. Es kommen langdauemde Fieberperioden
auch bei gutartigen Prozessen vor, und ebenso begegnet man auch pro¬
gnostisch ungünstigen Fällen mit geringer Neigung zu Fieber. Atypi¬
scher Fieberverlaüf hängt auch sehr häufig mit Einschmelzung zusammen,
die, wie wir gesehen haben, bei allen Formen vorkommt ^ Auch er¬
fassen wir mit dem Fieber wahrscheinlich eine augenfällige' Reaktion
der sich im Körper abspielenden immunisatorischen Vorgänge und diese
sind, worauf eingangs hingewiesen wnirde, innerhalb der Tertiärform
der Tuberkulose schwankend und noch restlos unaufgeklärt.
Das Fieber ist unter den als Aktivierungssymotome (Fraenkel) zu¬
sammengefassten Begleiterscheinungen der Tuberkulose, wozu auch
Blutungen. Begleitkatarrhe und Abmagerung gehören, die praktisch weil
prognostisch wichtigste. Angaben über das Fehlen oder Vorhanden¬
sein von Fieber und seiner Höhe ersparen uns zugleich weitere IJehcr-
legungen, ob es sich um „progrediente, stationäre und latente“ Pro¬
zesse handelt. Begriffe, um die sich die Fachärzte viel streiten und die am
besten a^s dem Gedanken- und Wortschatz der praktischen Phthisio¬
logie verschwänden.
Es bleibt noch zu erwägen, ob wir Angaben über den Bazillengehalt
des Auswurfs in das Schema aufnehmen, um so mehr als in den letzten
Jahren berechtigte Einwände gegen die Unterscheidung in offene
und geschlossene Tuberkulose erhoben w'orden sind*®). E’r'e ver¬
wertbare prognostische Bedeutung kommt dem Nachweis von Bazillen
im Auswurf nicht zu. Bazillen kommen in allen Graden der Erkrankung
und bei allen anatomischen Formen vor, und es können Kranke an
subakut verlaufenden Formen sterben, ohne dass es gelungen ist. Bazillen
im Auswurf zu finden, und ebenso können Kranke mit zirrhotisch-kaver-
nöser Oberlappentuberkulose jahrzehntelang bazillären Auswurf pro¬
duzieren. ohne dass der günstige- Krankheitsverlauf dadurch beeinträch¬
tigt wird. Wenn wir daher trotzdem noch' an der Uebung festhalten.
so tun wir dies unter sozialhygienischen Gesichtspunkten und unter der
Voraussetzung, dass nur dann von geschlossener Tuberkulose gesprochen
wird, wenn geeignete Srutumproben mehrmals und von zuverlässiger
Seite untersucht worden sind.
Bezüglich der o u a n t i t a t i v e n Bestimmung ist, wie schon von
verschiedener Seite betont, die Einteilung nach L a p p e n in weitaus der
“) O r ä f f und Küpferle, I. c. 1920.
”) H. Rieder: Kavernen bei beginnender und vorgeschrittener Lungen¬
tuberkulose. Fortschr. d. Röntgenstr. Bd. 16 1910.
^*) Eff 1er: „Offene“ und „geschlossene“ Tuberkulose. Zschr. f. Tub.
26. H. 6.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
448
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
^:r. 15.
Mehrzahl der Fälle unmöglich. Die weitgehende Ueberdeckung der
Lappen, sowie die Mannigfaltigkeit der Lappenausdehnung gestattet
weder durch Anwendung der physikalischen Untersuchurigsmethoden in
engerem Sinne noch durch die Röntgenplatte eine entsprechende Lokali¬
sation tuberkulöser Herde. Wir müssen also notgedrungen darauf ver¬
zichten, vielleicht von den an sich seltenen meist lobulär-exsudativen
Herdbildungen abgesehen, welche am Uiiterrande des rechtere Ober¬
lappens sitzend eine scharfe horizontale (Lappen-) Begrenzung erkennen
lassen (Gräff-Küpferle Dieser Mangel der diagnosti.schen Mög¬
lichkeit fällt jedoch wenig ins Gewicht, da ja auf Lappen begrenzte,
anatomisch begründete Krankheitsbilder — das „klinische“ Bild der
sog. Hilusausbreitung muss der Anatom ablehneri — kaum Vorkommen,
sondern allgemein eine kranial-kaudale, an Lappen nicht gebundene
Ausbreitung der chronischen Lungentuberkulose vorherrscht. Deshalb
ist der Lappenbenennung die Bezeichnung nach Lungen f e 1 d e r n, vor¬
zuziehen.
Unsere Ausführung zusammenfassend, würden wir also in jedem
Falle, in dem wir — sei es für uns selbst, sei es für andere — eine
kurze prognostische Formel finden wollen, darüber auszusagen haben,
ob es sich um geschlossene oder offene Tuberkulose handelt,
ob und welcher Grad von Fieber besteht und
ob es sich handelt
I. räumlich (quantitativ) um Prozesse:
a) einseitige, doppelseitige,
b) um Spitzenfeld, um Oberfeld, um Mittelfeld, um Unterfeld.
II. nach der anatomischen Art (qualitativ) um Formen:
a) zirrhotische
zirrhotisch-nodöse
nodös-zir rhotische
b) (azinös-)nodöse
c) lobuIär-cxsudativc und -käsige (brcnchopiieumo-|
nisch) f exsudativ
d) lobär-käsige (pneumonische) J
III. mit oder ohne Kavernen.
Jede Komponente dieses Schemas ist zu beachten; jede ist für die
Gesamtbeurteilung nötig; die wichtigste ist die Form der Erkrankung.
Ihrer Feststellung ist daher die grösste Sorgfalt zu widmen.
Das Schema geht von der prognostisch günstigsten zu den bös¬
artigen Formen. Bis zu den nodösen Formen liegt, solange sie nicht
doppelseitig und viellappig ausgebreitet sind, die Möglichkeit der Heil¬
barkeit vor; bei den exsudativen Formen wird ein günstiger Verlauf
— ein Ausgang in Vernarbung — fast nie und nur in den seltenen Fällen
beobachtet, bei welchen der Prozess sich auf Teilgebiete der’Lunge er¬
streckt. Natürlich drückt das Bestehen einer Kaverne auf die Prognose
sonst günstiger Formen und fälle.
Das gleiche gilt von Komplikationen anderer Art. Es ist deshalb
selbstverständlich, dass auch im Rahmen skizzenhafter Darstellung eines
Falles Angaben darüber gemacht werden müssen, ob beispielsweise
Tuberkulose der Niere, des Kehlkopfes. Darmes usw. besteht. In diesen
Fällen sinkt prognostisch der Wert der Lungendiagnose. denn es sind
meist die Komplikationen, die über den Ausgang entscheiden.
Der Anlass dieses Schema den Fachärzten von neuem zu unter¬
breiten. ist die auf dem Wege des Ausgleichs hergestellte und in den neuen
.Arbeiten begründete Uebereinstimmung des Klinikers mit dem Anatomen.
Von den letzteren haben sich ausser Asch off Ribbert *®), Lu-
barsch*“), NicolHerxheimer^"), Gräff^‘’). Gruber*®),
Schmincke*0 rnit der Frage der Einteilung beschäftigt; unsere Be¬
nennungen sind so gehalten, dass sie mit keiner der vertretenen
anatomischen Auffassungen in Widerspruch stehen. Von den Internen
haben sich Schutt*®), Romberg®^), Gerhartz®*), Büttner-
Wobst®®), K ü p f e r 1 e u. a. und mehrfach auch Baemeister®®)
; I. i;.
Ribbert: üeber die Einteilung der Lungentuberkulose. D.m.W.
1918 Nr. 13.
Lubarsch: Lieber Entstehungsweise, Inlektions- und Vcrbreituiigs-
wege der Tuberkulo.se. Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1918.
Nicol: Zur Nomenklatur und Einteilung der Lungenphthise. M.Kl.
1919 H. 17/18.
**) Herxheimer, in Schmaus’ Grundriss der path. Anatomie, Wies¬
baden 1919.
®®) Qräff und Küpfcrle; 1. c. 1920.
Q ruber: Altes und Neues über die Tuberkulose. Berlin, Hirsch¬
wald. 1920.
Schmincke: Die anatomischen Formen der Lungentuberkulose.
M.m.W. 1920 S. 407.
Schutt: Eine neue Einteilung der Lungentuberkulose. W.kl.W.
1912_^Nr. 22.
Romberg; Die Diagnose der Form der Lungentuberkulose.
M.m.W. 1914 Nr. .34.
**) Qerhartz: Die Abgrenzung der Lungentuberkulose etc. Beitr.
z. Klinik d. Tbk. 34. 1915. H. 2.
Büttner-Wobst: lieber das Fraenkcl-Al brecht sehe
Schema zur Einteilung der chronischen Lungentuberkulose. M.m.W. 191()
Nr. 32. — Derselbe: lieber das Fraenkel-Albrecht sehe Schema
zur Einteilung der chronischen Lungentuberkulose im Röntgenbild. Fortschr.
d. Röntgenstr. Bd. 24. O r ä f f und K Q p f e r 1 e; I, c. 1920.
B a c m e i s t c r: Die Nomenklatur und Einteilung der Lungentuber¬
kulose vom Standpunkt des Praktikers. D.m.W. 1918 Nr. 13. — D e r s e 1 b c:
Zur Frage der Nomenklatur und Einteilung der Lungentuberkulose. Beitr. z.
Klinik d. Tbk. 46. 1920. H. 1.
zu dem Grundsatz der Einteilung auf pathologisch-anatomis2ftS(**f IPönd-
lage bekannt. Besonders in seiner neuesten Mitteilung passt auch Elac-
m ei Ster sich einer pathologisch-anatomischen Nomenklatur an; es
trennen uns somit nur noch unwesentliche Verschiedenheiten in der Auf¬
fassung. So glauben wir, dass nunmehr Anatomen und Kliniker sich
auf unsere auf das unumgänglich Notwendige und Möglicne beschränkte
Ausdruckweise vereinigen können.
In dieser Annahme bestärken uns die guten Erfahrungen über die
Brauchbarkeit des Schemas, welche der eine von uns mit anderen zu¬
sammen in den letzten Jahren gewonnen hat. Es waren während des
Krieges in Baden die Fälle, welche in den Fragen der Dienstfähigkeit und
Erwerbsminderung wegen innerer Krankheiten entschieden werden
mussten, in fünf Beobachtungsabteilnngen konzentriert. Dort wurden unter
anderen Tausende von Tuberkulosen kommissarisch und fachäfztlich be¬
gutachtet. Es kam besonders bei der Frage der Erwerbsminderung vor
allem auf eine richtige Prognoscbildung an. Unter Zustimmung von
Herrn Prof, de I a Camp®'*), der selbst eine der Abteilungen leitete,
wurde deshalb von Anfang an in allen .Abteilungen und bei allen Begut¬
achtungen Tuberkulöser das Röntgenverfahren und das Schema nach
Albrecht-Fraenkel obligatorisch angewandt. Ebenso wird in dem
vor einem halben Jahr vom Reichsarbeitsrninisterium für die Erstattung
ärztlicher Obergiitachten auf dem Gebiet des Versorgungs- und Fürsorge¬
wesens in Heidelberg eingerichteten Beobachtungskraiikenhaiise verfahren.
Nirgendwo erfuhr die Arbeitsmethode bei den Mitarbeitern Widerspruch.
Sie ist zutreffender im Gegenteil überall rasch beliebt geworden. Der
Erfolg richtiger Vorhersaf^e und zutreffender Begiitacl tur.g konnte dann
nachträglich aus dem Studium der Akten, durch Erhebungen, vor allem
auch durch zahlreiche Nachuntersuchungen nach Ablauf von ein bis zwei
Jahren fcstgcstcllt werden. Es zeigte sich nicht nur die Richtigkeit der
Vorhersagen in der überwiegenden Zahl der Fälle, sondern auch eine
Uebereinstimmung der Ergebnisse der verschiedenen Beobachtungs¬
abteilungen. die nur möglich ist, wenn das Verfahren individuellen Ver¬
schiedenheiten der Auffassung keinen Spielraum lässt. Die Erfolge mit
dieser Arbeitsweise heben sich von der Unstimmigkeit und Unklarheit der
(jutachten ab, welche andernorts — ohne Röntgenverfahren und ohne pro¬
gnostische Analyse von pathologisch-anatomischen OesichtSDunkten aus —
ausgeführt worden waren. Am meisten versagten die Urteile der Gut¬
achter. die unter •Ablehnung der Röntgendiagnostik sich einseitig auf
Perkussion und Auskultation und auf serologische Methodik stützten und
allen anatomischen Ueberlegungen aus dem Wege gingen.
In der Frage der Nomenklatur bedarf es ganz besonders all¬
gemeiner Uebereinstimmung. Denn wir kommen zu einer schnell zu
übersehenden Uebersicht nur. wenn jeder ohne lange Ueberlegung
welss, was gemeint ist. Auch sollte sich das Schema über den Weg
der Klinik einbürgern und nicht, wie einst, die auf rein äusserliche Merk¬
male aufgebaute Stadiencinteiliing von Turban und Gerhardt
durch behördliches Dekret.
Zur Pathogenese des katatonischen Stupors*).
Von Prof. Dr. H. Berger, Jena.
Ich möchte heute auf eine alte Beobachtung von mir zurückkommen,
die ich zwar schon ganz kurz erwähnt habe, jedoch an schwer zugäng¬
licher Stelle, so dass sie fast unbeachtet geblieben, ist. die aber nach
meiner Ansicht ein gewisses theoretisches Interesse besitzt.
Ich habe vor etwa 20 Jahren ganz zufällig beobachtet dass ein
schwerer katatonischer Stupor, der schon mehrere Monate bestanden
hatte, nach einer subkutanen Kokaininjektion vorübergehend vollständig
schwand. Diese zufällige Beobachtung war der Anlass, dass ich in
mehreren Fällen von katatonischem Stupor Kokaininjektioiien vornahm,
um ihre Wirkung festzustellen. Es liegen mir die Protokolle von
11 Fällen von katatonischem Stupor vor. Es wurde eine Gabe von 0,025
bis 0,05 Cocainum hydrochloricum verabreicht Eine kurze Uebersicht
über diese II Fälle gibt folgende Zusammenstellung:
Name
Alter
Ausbruch der
Dementia praecox
Bestellen
des kata-
toni.schen
Stupors
Kokain-
gube
Erfolg
1
Clara M.
22 .1
Vor 7 Monaten
2 .Monate
0,02
gibt gute Auskunft
3 Monate
0,03
desuleicheu
8 .Monate
0,03
desgleichen
2
Christine H
5S .1. |ini 34. Lebensjahr
4 Jahre
0,02
3
Frau von K.
H;t ,]
iin 2.’>. Ijfbensjiilir
4 Jahre
0,04
—
i
Olga (ir.
1« .1.
Vor 3 Monaten
2 Monate
0,02
gibt gute Auskunft
Aline B
21 .1.
iin 20, Lcbcnsjalir
-4 Monate |
0.03 1
—
14 Monate |
0,03 1
gibt gute Auskunft
Marie E ]
17 .1.
ini 17. Lebensjalii'l 4 Wochen
;~o,o‘2 1
1 gibt Au>kunft
T
.Margarete It. ,
32 .1.
iin 2'J Lebensjahr
14 Tage
1 0,03 1
schwatzt ideen-
1
- ' 1
1 1
fiüchtig
«I
Walter M, |
32 .1
im 21. LetxMisjahr
9 Jahre
0,0.5 !
—
"u
Erieh L.
32 .1
im 29. L<*l>eii.-<j 1 lir
l Monate
r''o.o5~i
gibt Auskunft
l"| O.swrtld P.
. 1 .
im 19. Lel'ciisjulir
7 Monate
1 1
gibt Auskunft
Il| Franz P
34 ,I~
im 2ß. Leliensjahr
3 Monate
r~ö,o^ 1
gibt Auskunft
De la Camp: LungcncrkraiikunKen und Luiigcnverletzungen. Die
militärische SuchverständigentätiRkeit. Jena, Fischer, 1917.
•) Vortrag, gehalten am 31. X. 20 auf der 23, Versammlung mitteldeutscher
Psychiater in Jena.
Digitized by
Goi.igle
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
449
Von 11 Kranken, die sich sämtlich im katatonischen Stupor, be¬
fanden, gaben somit 8 unter, dem Einfluss der Kokainwirkung Auskunft;
bei 3 dagegen war auch nach der Kokaininjektion eine Auskunft nicht
zu erhalten. Aus der Ihnen vorgelegten Zusammenstellung geht aber
auch sofort hervor, dass es sich bei den drei nicht wesentlich beein¬
flussbaren Fällen um Zustände handelte, die schon jahrelang un¬
verändert bestanden.
Um Ihnen zu zeigen, welche Erscheinungen sich nach der Kokaininjektion
einstellten, möchte ich Ihnen von meinen Protokollen nur dasjenige über den
Fall Clara M. etwas genauer mitteilen. — Die seit 2 Monaten vollständig
mutistische Kranke, die mit geschlossenen Augen im Bette liegt, erhält gegen
3410 Uhr vormittags 0,025 Kokain subkutan. Etwa 5 Minuten später schlägt
sie die Augen auf; dieselben sind auffallend glänzend, wohl infolge einer ver¬
mehrten Tränensekretion. Die Pupillen sind erheblich erweitert. Das Ge¬
sicht ist leicht gerötet und die Atmung etwas beschleunigt. Die Kranke
antwortet nun plötzlich auf alle an sie gerichteten Fragen mit lauter Stimme.
Es zeigt sich, dass sie örtlich und zeitlich nicht orientiert ist, und ein
genauers Nachfragen ergibt, dass sie sich vieler Einzelheiten, die sie während
des anhaltenden Stupors erlebt hat, nicht mehr erinnert. So weiss sie nicht,
dass sie längere Zeit hindurch mit der Sonde gefüttert worden ist, und kann
sich auch nicht darauf entsinnen, als ihr die Sonde gezeigt wird. Es ist
dies doch ein Beweis dafür, dass das Bewusstsein in dem katatonischen
Stupor bisweilen recht erheblich getrübt sein muss. Sie stellt Sinnes¬
täuschungen für den gegenwärtigen Zustand mit aller Bestimmtheit in Ab¬
rede. Sie unterhält sich auch mit ihrer Umgebung mit grosser Freude und
äussert dabei der Schwester gegenüber, sie wisse gar nicht, was der Arzt
mit ihr gemacht habe, es sei ihr plötzlich ganz anders zumute geworden.
Auch bei der Abendvisite war die Patientin noch vollständig zugänglich und
gab auf alle Fragen rasch Anwort. Am nächsten Morgen bestand wieder der
alte .schwere Stupor mit vollständigem Mutisraus, der wieder mehrere
Monate anhielt.
Ich iiabe in allen Fällen gesehen, dass die Besserung nur eine ganz
vorübergehende war, und oft hielt die Zeit, in der die Kranken Aus¬
kunft gaben, nur 1—2 Stunden an. Eine praktische therapeutische
Anwendung dieser Kokaininjektionen kann daher nicht in Frage kommen.
Wie schon oben bemerkt, gehe ich auf diese Versuche nur aus rein
theoretischem Interesse ein. Wir sind über die Wirkungen des
Kokains dank der Untersuchungen von Ugolino und Angelo Mosso.
A n r e p u. a. ziemlich gut unterrichtet. Bekanntlich können Gifte, die
auf das Zentralnervensystem einwirken, keine qualitativen Ver¬
änderungen der zentralen Funktionen, sondern nur eine Steigerung oder
eine Herabsetzung der normalen Tätigkeit dieser Zentren bedingen. Von
den Kokainwirkungen interessieren uns heute nur diejenigen auf das
Zentralnervensystem, und zwar auch da wieder nur die Einwirkungen,
die auf dem Wege über die Blutbahn und nicht etwa bei der direkten
Einbringung des Kokains in das Zentralnervensystem erzielt werden.
A n r e p hat wohl zuerst darauf hingewiesen, dass Hunde nach Ver¬
abreichung kleiner Kokaindosen «eine deutliche Unruhe darbieten, dabei
aber doch den Eindruck einer gewissen Freudigkeit und Zufriedenheit
machen. Bei einer Steigerung der Dosis stellt sich eine stärkere Unruhe
ein, und gehäufte Sinnestäuschungen namentlich auf dem Gebiete ^es
Gehörs und Gesichtssinnes treten auf. Noch stärkere Dosen führen zu
Krampferscheinungen. Diese Ergebnisse sind besonders von Ugolino
Mosso bestätigt worden. — Ich erinnere mich selbst eines eigenen
Versuches an einem Dachshund, der nach kleinen Kokaindosen lebhafte
Visionen hatte, nach Fliegen fing, die nicht da waren, und auch sonst
das Bild einer schweren halluzinatorischen Erregung, die unschwer zu
deuten war, darbot. — Die Steigerung der Körpertemperatur, welche
sich unter der Einwirkung des Kokains einstellt, wird von Mosso,
Zutz u. a. auf eine Erregung der nervösen Zentren zurückgeführt, die
die Wärmebildung beherrschen. Mosso hat in anderer Weise dar¬
getan, dass sich die Wirkung des Kokains namentlich 'auf die
Teile des Zentralnervensystems erstrecken muss, in denen sich die
materiellen Prozesse abspielen, zu denen die Bewusstseinsvorgänge
in Abhängigkeitsbeziehungen stehen. Es gelang ihm nämlich Hunde,
welche in tiefem Chloralschlaf lagen, durch die Injektion von 0,01 bis
0,02 Kokain zu wecken. Bei intrazerebralen Ternperaturmessungen im
Hundegehirn hat Angelo Mosso gezeigt, dass das Kokain, subkutan
angewendet, die Gehirntemperatur ganz erheblich steigert und zwar
sehr viel rascher und höher als die allgemeine Körpertemperatur. Alle
diese Befunde weisen darauf hin, dass das Kokain im Tierversuch in
kleinen und mittleren Dosen erregend auf das Grosshirn ein¬
wirkt.
Beim Menschen ist die erste Wirkung des Kokains eine rausch¬
artige Erregung mit behaglichem Wärmegefühl und einem aus¬
gesprochenen Wohlbefinden, wie dies K r a e p e 1 i n hervorhebt. Er be¬
tont aber auch, dass man über die genaueren psychischen Wirkungen
des Mittels noch sehr wenig wisse; es scheine jedoch eine sehr be¬
deutende, aber kurzdauernde Steigerung der zentralen motorischen Er¬
regbarkeit mit nachfolgender Lähmung zu erzeugen. Dass es auf den
zeitlichen Ablauf der Vorgänge im Zentralnervensystem des Menschen
beschleunigend einwdrkt, hatte aber schon Ugolino Mosso gezeigt.
Er fand ein Absinken der einfachen Reaktionszeit nach einer innerlichen
Gabe von 0,08 Kokain von 134 o auf 121 o und stellte fest, dass diese
beschleunigende Wirkung 20—30 Minuten nach dem innerlichen Gebrauch
des Mittels auftritt und etwa 1 Stunde anhält. Mosso ist der Ansicht,
dass namentlich die psychische Funktion des Gehirns beschleunigt werde,
und nach den Selbstbekenntnissen der Kokainisten kann wohl kein
Zweifel bestehen, dass es eine derartige Wirkung hat. Die Kokainisten
nehmen dieses Mittel nicht der ‘leichteren Auslösung der motorischen
Leistungen wegen, sondern wegen des leichteren und rascheren Ablaufes
der intellektuellen Vorgänge.
Um diese psychische Wirkung des Kokains noch deutlicher zu
zeigen, habe ich schon vor Jahren an zwei psychisch schwer gehemmten
Kranken, die an manisch-depressivem Irresein litten und bei denen eine
stärkere motorische Hemmung nicht nachweisbar war. Kokain¬
versuche angestellt, über die ich kurz berichten möchte.
Den Kranken wurde eine Reihe von je 10 Rechenaufgaben, die un¬
gefähr gleich schwer waren, und zwar Multiplikationsaufgaben wie
„7 X 13“ und Subtraktionsaufgaben wie „37 — 14“. und ähnliche, auf¬
gegeben, und zwar vor und etwa 20 Minuten nach einer subkutanen
Injektion von 0,02 Kokain. Die Rechenzeit wurde für jede einzelne Auf¬
gabe mit der Fünftelsekundenuhr bestimmt. Die erhaltenen Zeiten
wurden zusammengezählt und daraus die mittlere Rechenzeit ent¬
nommen.
Bei der ersten Kranken, einer 20 jährigen Frau mit einer Melancholie
ging die mittlere Rechenzeit von 5,8 Sekunden auf 4 Sekunden zurück.
Viel deutlicher liess diese Verkürzung der Rechenzeit unter der Kokain¬
wirkung bei der zweiten Kranken, einer 35 jährigen Frau, die zum
zweitenmal in ihrem Leben eine schwere Depression des manisch-
depressiven Irreseins hatte, sich nachweisen. Bei ihr betrug die mittlere
Rechenzeit vor der Kokaininjektion 24,9 Sekunden und nach dieser nur
8,8 Sekunden, sie war also um Va zurückgegangen.
Ich glaube, es besteht demnach auf Grund der Ergebnisse der Tier¬
versuche, der intrazerebralen Temperaturmessung, der Messung der ein¬
fachen Reaktionszeit und der Ihnen eben mitgeteilten Versuche kein
Zweifel, dass das Kokain, subkutan angewendet, neben anderen Wir¬
kungen, von denen wir hier absehen müssen, vor allem erregend und
steigernd auf die materiellen Rindenvorgänge einwirkt, zu denen die
psychischen Vorgänge in Abhängigkeitsbeziehungen stehen.
Wir haben eine vorübergehend den Stupor lösende Wirkung des
Kokains bei den Formen des katatonischen Stupors gesehen, wie aus der
Zusammenstellung hervorging, wenn dieser Zustand noch nicht allzulange
bestand. Es ist zweifellos richtig, dass auch ein katatonischer Stupor
verschiedene Entstehungsursachen haben kann. Er kann durch
Sinnestäuschungen beängstigenden, faszinierenden oder imperativen
Inhalts oder durch Wahnideen, ferner auch durch eine gewisse Be¬
nommenheit und endlich durch eine geistige Verödung bedingt sein.
Gerade beim katatonischen Stupor fehlt aber im Gegensatz zu den
Stuporzuständen, z. B. der Hysterie und Epilepsie, jede psycho¬
logische Motivierung, wie sie eben durch Sinnestäuschungen, impera¬
torische Phoneme oder ängstliche Wahnideen gegeben sein würde. Der
katatonische Stupor ist also in der Mehrzahl der Fälle, w’enn ich mich
der Bezeichnung Z ie h e n s bedienen darf, ein primärer Stupor, und
ich kann auch der Ansicht Bleulers, dass die schizophrenen Stupor¬
formen meist unter psychischen Einflüssen sich ganz oder teilweise
lösen, nach meinen eigenen Erfahrungen durchaus nicht beipflichten;
noch weniger kann ich der Ansicht Jungs beitreten, dass es sich bei
dem Zustandekommen des katatonischen Stupors um Komplexwirkungen
händele. Die Feststellung Gregors, dass auch im Stupor gewisse
psychologische Reizwirkungen zu beobachten seien, beweist dies keines¬
wegs. Die körperlichen Begleiterscheinungen des Stupors, die gar nicht
seltene, abnorme Herabsetzung der Körpertemperatur, die Herabsetzung
der Herzaktion bis auf 50 und weniger Schläge in der Minute, die Ver¬
ringerung der 24 ständigen Urinmenge trotz reichlicher Flüssigkeits¬
zufuhr und ohne entsprechende Steigerung der Schweisssekretion
sprechen für eine tiefgreifende Veränderung des gesamten Körperhaus¬
halts im katatonischen Stupor. Stoffwechselversuche. die von
Bornstein, Bornstein und Oven und von Grafe angestellt
worden sind, haben ergeben, dass in den stuporösen Zuständen der
Dementia praecox eine deutliche Verminderung der oxydativen Prozesse
sich nachweisen lässt, und dass man es mit einer echten Verlangsamung
des Stoffwechsels im Sinne v Noordens zu tun hat! Dabei lässt
sich namentlich aus den Untersuchungen von Grafe ein Parallelismus
des Grades der Verminderung des Energieumsatzes und der Stärke der
psychischen Reaktionslosigkeit mit Sicherheit nachweisen. Nun spricht
eine Reihe von gewichtigen Autoren der Grosshirnrinde, wenn auch nicht
einen unmittelbaren, so doch einen mittelbaren Einfluss auf den
Energie- und Wärmehaushalt und den Eiweissumsatz des Körpers zu.
Es können somit sämtliche, obenerw^ähnte, körperliche Begleiterschei¬
nungen des schweren katatonischen Stupors ungezwungen auf eine erheb¬
liche Herabsetzung der Rindenfunktion zurückgeführt werden. Die
physiologischen Begleiterscheinungen lassen also durchaus die von
Ziehen ausgesprochene Auffassung eines Stuporzustandes als einer
schweren kortikalen Hemmung als die richtige erkennen.
Ueber das Zustandekommen dieser kortikalen Veränderungen,
welche man als Grundlage des Stupors ansehen. muss, hat man sich ver¬
schiedene Vorstellungen gemacht. Reichardt glaubt, eine tief¬
greifende physikalisch-chemische Veränderung der kolloidalen Hirn¬
materie annehmen zu müssen, die sich zum Teil als pathologische Ge¬
rinnungen oder als Ausfällungen, vielleicht gelegentlich abwechselnd mit
partiellen Verflüssigungen, sowie als Störung der Liquorproduktion’ dar¬
stelle. Bleuler denkt in manchen Fällen von Stupor an ein Oedem
der Pia des Gehirns und eine dadurch bedingte Hirnschw'ellung. Ich
glaube; dass die hier mitgeteilten Ergebnisse der Kokajneinwirkung auf
den primären katatonischen Stupor die Erklärung in eine andere
Richtung lenken.
Wir wissen, dass die psychischen Vorgänge in Abhängigkeits¬
beziehungen stehen zu Zerfalls-, also zu Dissimilationsvorgängen in der
Grosshirnrinde. Ein regelmässiger Ablauf dieser Dissimilationsprozesse
Digitized by
Google
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
450
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
ist die Bedingung für den normalen Ablauf der psychischen Vorgänge.
Kokain steigert nachweislich die Erregbarkeit der Orosshirnrinde; es
steigert die Zerfallsfähigkeit der kortikalen Biogene, um mich dieses hier
in Jena von Verw.orn geprägten Ausdrucks zu bedienen. Es werden
durch das Kokain also die Dissimilationsprozesse gesteigert. Diese
Steigerung der Dissimilationsprozesse infolge der Kokainwirkung bedingt
im katatonischen Stupor eine Lösung dieses Zustandes. Damif ist meiner
Ansicht nach der Beweis erbracht, dass in der Tat der schwere kata¬
tonische Stupor auf einer Herabsetzung der Rindenfunktion beruht. So¬
lange, angefacht durch die Kokainwirkung, das Feuer in der Hirnrinde
heller brennt, solange geben auch die Kranken Auskunft, nehmen Teil
an ihrer Umgebung und zeigen ein normales Verhalten, um dann, wenn
die Kokainwirkung verraucht ist und das Feuer nunmehr nur wieder zu
glimmen vermag wie früher, in den alten Zustand der Teilnahmslosigkeit
und des schweren Stupors zurückzusinken.
Wodurch nun diese Herabsetzung der Rindenfunktion bedingt ist ist
natürlich eine ganz andere Frage. Sicherlich sind — das zeigen auch
gerade die Kokainversuche, in denen bei jahrelangem Bestehen des
Stuporzustandes eine Lösung auch unter der Peitsche des Kokains nicht
erzielt werden kann — in späteren Stadien organische Verände¬
rungen vorhanden, die überhaupt ein lebhafteres Brennen des Feuers
— um bei dem obengewählten Bilde zu bleiben — nicht mehr gestatten,
w^ährend wohl anfangs nur funktionelle Störungen vorliegen. — In Ueber-
einstimmung mit den pathologisch-anatomischen Befunden kann man
wohl annehmen, dass es Veränderungen der zweiten und dritten Schicht
der Rinde sind, die lebhafte Dissimilationsprozesse in den Zellen dieser
Schichten nicht mehr zustande kommen lassen. In diesen Zellen müssen
wir also auch den Angriffspunkt des Kokains suchen, von dem wir wissen,
dass es vor allen Dingen psychische Wirkungen hat. Die von uns an¬
genommene Herabsetzung der kortikalen Funktionen könnte, fein
theoretisch betrachtet, entweder durch ein lähmend wirkendes Gift
oder aber auch durch den Ausfall eines für den normalen Verlauf der
Dissimilationsprozesse notwendigen dissimilatorischen Hormons bei der
Dementia praecox bedingt sein, ähnlich wie man sich die Vorgänge bei
dem Kretinismus vorzustellen pflegt! Jedenfalls scheint mir aber, wenn
ich mich nur an das halte, was ich Ihnen gegenüber durch Versuche
belegt habe, das Eine sicher, dass der primäre katatonische Stunnr
ein organisch bedingtes Syndrom ist, das auf eine allgemeine Herab¬
setzung der Rindenfunktion, bei der natürlich die höchsten Leistungen
am schwersten betroffen werden, zuruckzuführen ist. Ich möchte auch
an dieser Stelle mit aller Entschiedenheit jene Anschauungen
von einer rein psychischen Genese jedes katatonischen Stupors
oder gar der Dementia praecox überhaupt zurückweisen!
Literatur.
A Ilers: Zschr. f. d. ges. Neurol. Ref. 6. S. 19. — Allers: Zschr.
f. d. ges. Neurol. Ref. 19. 1920. — v. A n r e p: Pflüg. Arch. 21. 1880. S. 38.
— Berger: Zur Lehre von der Blutzirkulation in der Schädelhöhle. 1901. —
Berger: Untersuchungen über die Temperatur des Gehirns. 1910. —
Bleuler: Dementia praecox. Leipzig 1911. S. 152, 35^ 373. Lehrbuch
der Psychiatrie 1916 S. 328. — Bornsteiji: Mschr. f. Psych. 24. 1908.
S. 392. — Borns tt; in und Oven: Mschr. f. Psych. 27. 1910. S. 214. —
Bumke: Die Diagnose der Geisteskrankheiten. 1919. — Grafe: D. Arch.
f. klin. M. 102. 1911. — Gregor: Neurol. Zbl. 1907 S. 1084. — Grode:
Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 67. 1912. S. 172. — Kraepelin: Lehrbuch
der P.sychiatrie. 1. 1909. S. .372; 2. 1910. S. 228; 3. 1913. S. 668 ff. —
Meyer und Gott lieb: Die experimentelle Pharmakologie. 4. Aufl. 1920.
S. 12, 22. 134 ff. — U. M o s s o: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 23. 1887. S. 153
und 26. S. 235. — U. M o s s o: Pflüg. Arch. 47. 1890. S. 553. — A. M o s s o:
Temperatur des Gehirns. Leipzig 1894. — Reichardt: Lehrbuch der
Psychiatrie, 1918. S. 316. — Tumass: Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 22.
1886. S. 107. — Ziehen: Psychiatrie. 3. Aufl. 1908. — Z u t z: Arch. f. exp.
Path. u. Pharm. 23. 1887. S. 153 und 26. S. 235.
Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Würzburg.
Ist die Behandlung der Tuberkulose nach Friedmann
eine spezifische?
Von Prof. Rietschel.
Es scheint, als ob die Diskussion über die Behandlung der Tuber¬
kulose nach F r i e d m a n n auf einen toten Punkt gelangt ist. Der
Partei der unbedingten Anhänger stehen ebenso schroffe Gegner gegen¬
über. Die grosse Masse der Kliniker aber nimmt meist einen abwartenden
Standpunkt ein. besonders schon deshalb, weil nur Wenige über eine
grosse eigene Erfahrung verfügen, da die im Krankenhause aufgenom¬
menen Tuberkulosen meist nicht dankbare Objekte einer solchen Be¬
handlung sind. Freilich will uns scheinen, als ob die meisten gefühls-
mässig sich mehr ablehnend verhalten. Dabei ist auffallend, dass manche
Gegner das Mittel bekämpfen, weil es imstande sei, eine bestehende
Tuberkulose auch ungünstig zu beeinflussen. Eine solche Auffassung
schliesst aber eigentlich die Anerkenntnis in sich ein. dass überhaupt
ein Einfluss vorhanden ist und dann sollte auch der Nutzen auf eine be¬
stehende Tuberkulose anerkannt werden. Welches Mittel und welches
Antigen insbesondere kann nicht zugleich Schaden stiften und auch
nutzen? Andere meinen, das Mittel sei zwar nicht schädlich, aber
mdifferent und schieben die Heilung auf andere Faktoren, wie Pflege,
Ernährung, Aenderung der Lebensweise etc. So ist es ganz natürlich,
dass die Tlieorie die Frage zu beantworten gesucht hat, ob den Fried-
mannschen Tuberkelbazillen ein spezifischer Einfluss auf die Tuber-
Di gitized by Goiisle
kulose im heilenden Sinne zukommt oder nicht. Alle Experimentatoren
(Kolle und Schlossberger, Uhlenhuth. Lange, Selter‘).
Kirchner*) u. a.) sind aber zu einem völlig negativen Resultat ge¬
kommen. Hier herrscht eigentlich völlige Einstimmigkeit. Entweder
werden die > Friedmannbazillen direkt als säurefeste Saprophyten auf¬
gefasst (Möller, Kirchner), zum mindesten aber als Keime, die den
Saprophyten näherstehen als den Tuberkelbazillen (Uhlenhuth,
Lange), oder man nimmt wohl eine gewisse Verwandtschaft der Fried¬
mannbazilien mit den Tuberkelbazillen an (Kolle, S c h l o s s b e r g e r),
trotzdem kommen aber die beiden letztgenannten Autoren nach ihren
ausgedehnten Versuchen zu einer völlig ablehnenden Haltung. Denn Ihre
Versuche gebep „keinerlei experimentelle Anhaltspunkte, die es aus¬
sichtsvoll oder w-enigstens berechtigt erscheinen lassen können, das
Friedmann sehe Mittel bei tuberkulösen Menschen als Heilmittel
oder beim Gesunden als Schutzmittel anzuwenden“. Niemals ist einem
Autor der Beweis gelungen, durch Vorbehandlung mit Friedmannbazillen
Meerschweinchen. Kaninchen, Rinder und Affen gegen eine nachfolgende
Tuberkuloseinfektion zu schützen (Lit. bei K o 11 e - S c h 1 o s s b e r g e r).
Selbst Kruse, der sich fa.st als einziger Hygieniker von Ruf für die
spezifische Wirksamkeit der Friedmannbazillen eingesetzt hat,
muss zugeben, dass durch die langjährige Züchtung auf Nährböden ein
gewisser Verlust der von Friedmann behaupteten Schildkröten¬
pathogenität eingetreten ist. Freilich bekennen die meisten Forscher,
dass hier die Klinik das letzte Wort zu sprechen hat. Aber^bei den
widersprechenden klinischen Resultaten ist zunächst keine Möglichkeit
dafür vorhanden und so scheint die Frage — man möchte sagen —
aussichtslos.
Sollte es aber nicht möglich sein, diese anscheinend so verschie¬
denen Meinungen und Resultate unserem Verständnis näherzubringen?
Wäre es nicht doch möglich, trotzdem die Tierversuche gejjen jede
spezifische Immunisierung sprechen, dass doch ein gewisser Einfluss den
Friedmannbazillert auf die Tuberkulose zukommt?
Wohl scheint nach den Tierexperimenten es wahrscheinlich, dass
der Friedmann sehe Bazillus kein Tuberkelbazillus ist. sondern tat¬
sächlich mehr oder weniger ein Saprophyt. Und trotzdem, glaube ich,
wäre es theoretisch doch denkbar, dass diese Behandlung nicht völlig
wirkungslos ist. * ■ '
Immunbiologisch sind die Heilungsvorgänge bei der Tuberkulose am
leichtesten zu verstehen, wenn wir von Antigen- und Antikörper¬
reaktionen sprechen, um diesen komplizierten Prozess auf eine einfache
Formel zu bringen. Gewiss sind tatsächlich die Vorgänge viel
komplizierter. Dabei wollen' wir betonen, dass wir unter einem
Antigen einen biologischen Reiz verstehen, der, sei es durch Vermittlung
der Krankheitserreger, sei es direkt, die Körperzellen trifft und unter
Antikörper die hvpothetischen Träger einer Abwehrfunktion der be¬
drohten Körperzellen. In diesem'Sinn sollten die Friedmannbazillen als
Antigen wirken und damit die Bildung echter Tuberkuloscantikörper, sei
es zellulär, sei es humoral anregen. Aber es bedarf heute keines Be¬
weises mehr, dass nicht nur mit spezifischen, aus Tuberkelbazillen ent¬
standenen Zerfallsprodukten der tuberkulöse Herd beeinflusst werden
kann, sondern dass dies auch durch andere Antigene, ja auch durch Sub¬
stanzen, die überhaupt keinen Antigencharakter haben (Terpentin,
Zucker. Salze) veranlasst werden kann. Man denke an das grosse Ge¬
biet der sogen. „Reizkörpertherapie“.
Führen wir z. B. bei einer bestehenden Tuberkulose irgendein un-
spezifisches Antigen ein, so bildet der Körper nicht nur Abwehrstoffe gegen
dieses Antigeri. sondern daneben wird auch die Bildung spezifischer Tuber¬
kuloseschutzkörper durch diesen Reiz gesteigert. Ja. auch ganz fremde Reize,
wie Injektionen von Zucker. Salzen können unter Umständen eine Bildung von
Antikörpern bei einer bestehenden Tuberkulose anregen. Aus diesem Grunde
wäre es besser, wenn der Ausdruck „parenterale Eiweisstherapie“ ganz
fiele. Denn vieles was unter diesem Namen parenteral eingespritzt wird,
besitzt gar nicht mehr den Charakter eines echten Eiweisses, und es scheint
mir noch nicht einmal sicher entschieden, ob sterilisierte Milch immer die
echten Eigenschaften eines Antigens, also eines .Eiweisses besitzt. Nach den
Untersuchungen von Kleinschmidt ist dies allerdings anzunehmen, da
erst viertelstündiges Kochen das Sensibilisierungsvermögen der Milch zerstört.
Aber es ist doch auffallend, dass niemals anaphylaktische Erscheinungen bei
den vielen Hunderttausenden von Milchiniektionen. die gemacht sind, be¬
obachtet wurden Ein Fall, der mitjreteilt wurde ist wohl durch eine
intravenöse Injektion zu erklären. Wir haben grössere Versuchsreihen
bei Kindern durchgeführt, bei denen wir_ eine völlig enteiweisste Molke
Kindern einspritzten, wo wir bei intravenöser Injektion von wenigen
Kubikzentimetern stets, bei intramuskulärer Injektion häufig Fieber sahen (un¬
veröffentlichte Versuche). Und beim Säugling wirken die verschiedenen Salze,
parenteral zugeführt, fiebererregend. Man sollte besser einfach von unspezi-
fischcr „R e i z k ö r p e r t h e r a p i e“ ®) sprechen, wobei man zwischen
echten Antigenen und Nichtantigenen unterscheiden kann. Letzten Endes
stellen alle diese Stoffe Reize für die Zelle dar *) und regen durclr ihre par¬
enterale Einverleibung eine augenblicklich in Gang be^ndliche Antikörper-
*) Literatur bei K o 11 e - S c h 1 o s s Ire r g e r: D.m.W. 1920 S. 1405.
*) Kirchner: D.m.W. 1921 S. 174.
Leider konnte die interessante Diskussion, die sich an den Vortrag
von Bier über HeilentzOndung und Heilfieber in der Berliner med. Gesell¬
schaft anschloss (B.kl.W. Nr. 11—13). für diese Arbeit nicht mehr Berück¬
sichtigung finden. Auch hier spricht man sich für den Namen „Reizkörper¬
therapie“ aus. Besonders treffend scheint uns der Satz Qoldscheiders.
wenn er die Reizkörpertheranie als „die Reaktion eines spezifisch vorbe¬
reiteten Zellkomplexes auf einen unspezifischfen Reiz“ definiert.
•) Auch die Licht-, Schmierseifen-, Freiluft-. Klimato-, Ernährungs-
therapie u. a. wirken schliesslich wohl immunbiologisch durch Steigerung
spezifischer Abwehrkräfte (unabgestufte Immunität im Sinne Muchs).
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
13. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
431
bildune an. Aber auch alle diese Reize können Schaden stiften je nach der
Resistenz des Körpers, und daher ist diese' Frage letzten Endes praktisch
ein Dosierungsproblem. (Vergl. insbesondere die kürzlich erschienene Arbeit
' von Bier in dieser Wochenschrift.)
Wäre es nun nicht möglich, dass durch die Injektion mit Fried-
mannbaziilen zwar kein wirkliches Tuberkuloseantigen. sondern
ein unspezifisches Antigen dem Körper einverleibt
wird? Alsdann würde durch die Injektion dieser saprophytischen
^kterien ein Herd im Körper gesetzt, aus dem durch Zerfall der Bak¬
terien dauernd geringe M-engen von Stoffen frei werden, ins Blut ab¬
gegeben werden und dort einen gewissen Reiz auf die Zelle ausüben
und somit eine Antikörperbildung gegen diese Stoffe veranlassen. Zu
gleicher Zeit wird aber die Zelle veranlasst, in ihrer bisherigen Tätig¬
keit gegen die Tuberkulose auch mehr Abwehrstoffe zu produzieren,
also eine „Leistungssteigerung der Zelle“ im Sinne Weichardts und
Biers. Der Vorzug des Friedmannantigens bestände
dann darin, dass es sich einmal um ein lebendes
Antigen handelt, dass aber zugleich diese Bakterien
für den Menschenkörper so gut wieavirulent sind,
also keine besonders giftigen Stoffe bilden, dass sie
andererseits doch recht lange leben und dadurch die
Produktion von Zerfallsprodukten, also die Reiz¬
wirkung eine länger dauernde ist. Wahrscheinlich ist die
Reizwirkung keine grosse, und deshalb ist der Erfolg oft auch völlig
fehlend, aber das Infiltrat, das wochen- und monatelang bestehen bleiben
kann, zeigt sicher eine Reaktion des Körpers an. Es findet also ein Wachs¬
tum dieser säurefesten Stäbchen statt und zu gleicher Zeit auch ein Zerfall
durch die reaktive Tätigkeit des Körpers. Sind doch diese säurefesten
Stäbchen besonders nach den Untersuchungen von Lange viel resi¬
stenter als Tuberkelbazillen und können jahrelang in einer Kultur lebens¬
fähig erhalten bleiben. Dass aber der Organismus nicht nur Antikörper
gegen diese säurefesten Bazillen allein bildet, sondern dass der Reiz,
der die Zelle trifft, sie auch zu erhöhter Tätigkeit und zur Bildung
solcher Stoffe veranlasst, die der Körper zur Heilung einer bestehenden
Krankheit (hier also der Tuberkulose) braucht, scheint eine Annahme,
die viel für sich hat. Denn auf dieser Vorstellung beruhen letzten Endes
alle immun therapeutischen Verfahren mit unspezifischen Stoffen (Reiz¬
körpertherapie). Und immer wieder hören wir von Mitteilungen, wo
durch Zufuhr eines solchen unspezifischen Stoffes typische tuberkulöse
Reaktionen (Herdreaktionen nach Milchinjektion, R. Schmidt; Auf¬
flammen von Pirquetpapeln, W. Freund, Kämmerer) ausgelöst
werden*).
Es ist eine alte klinische Erfahrung und v. Hayek hat erst kürz¬
lich wieder mit Recht darauf hingewiesen, dass ein schwerer tuberkulöser
Prozess durch einen leichten tuberkulösen Herd günstig beeinflusst
werden kann. Und es bleibt ein Fehler, wollte man bei einer schweren
Lungentuberkulosev die sich noch einigermassen hält, einen heilenden
Knochenherd etwa chirurgisch entfernen. Die Antikörper, die hier lokal
gebildet werden, sättigen noch viele giftige Abbauprodukte des schwer
tuberkulösen Herdes ab und lassen auf diese Weise noch einen leidlichen
Zustand zu. Es ist daher günstig, wenn der Körper noch einen leichten
Herd an einer anderen Stelle hat, der ihn im Kampfe mitunterstützt. Die
injizierten Friedmannbazjllen bringen eine ähnliche Lage für den
Körper. Saprophytische säurefeste Stäbchen, die sich monatelang im
Körper erhalten, erzeugen hier einen lokalen und auch einen humoralen
Gewebsschutz gegen die Tuberkuloseinfektion, indem eben von diesem
Herd gewisse Stoffe ausgehen, die die Zellen des tuberkulös erkrankten
Organismus zu erhöhter Leistung im Sinne der Bildung von Abwehr¬
stoffen reizen. Aber wie jeder Reiz Nutzen stiften kann, so kann er
auch in sein Gegenteil Umschlägen und schaden. Ist die Zelle nicht mehr
fähig, Antikörper zu bilden, besteht sogenannte „negative Anergie“
(v. Hayek), so kann die Zufuhr selbst geringer Reize auch schlecht
wirken und die Proliferation der Tuberkulose begünstigen. Deshalb
scheint der Satz Friedmanns, dass wir mit der Behandlung nie
schaden können, unter unserer Voraussetzung nicht richtig zu sein.
Selbstverständlich tragen vorstehende Ausführungen nur den Cha¬
rakter einer Hypothese, die versuchen will, die vielen widersprechenden
Resultate unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu stellen. Besonders
liegt uns völlig fern, in eine Erörterung darüber einzutreten, inwieweit
unter Voraussetzung dieser Hypothese F r i e d m a n n ein Verdienst für
diese Therapie zukommt. Möller hat jedenfalls vor Friedmann
mit seinen säurefesten Bakterien auch schon Versuche gemacht, hat aber
keinen Heilerfolg gesehen. Sofern er diese Versuche beim tuberkulösen
' Tier machte, um es zu immunisieren oder um eine schwere progressive
Tuberkulose aufzuhalten, ist dies begreiflich. Dasselbe ist auch bei dem
Friedmannbazillus der Fall und am Menschen hat Möller wohl seine
Bakterien nur intravenös versucht. Zweifellos hat F r i e d m a n n als
erster die subkutane und intramuskuläre Anwendung systematisch geübt,
um ein im Körper Monate und Jahre fortwirkendes lebendes Depot zu
schaffen. Ob es allerdings möglich sein dürfte, den Säugling mit Fried¬
mannbazillen vor der Tuberkuloseinfektiori zu schützen, ist nach dieser
Anschauung mehr wde zweifelhaft. Die Tierversuche sprechen dagegen.
Nach den Untersuchungen von Lange wäre ein gewisser Schutz auch
®) Die Injektion mit Friedmannbazillen wäre daher etwas Aehnliches
wie eine dauernde Zufuhr kleinster Antigenmengen, wie sie z. B. Czerny
und E1 i a s b e r g bei tuberkulösen Kindern geübt haben, indem sie alle
2 Tage 1—2 ccm Serum spritzten. Sie betonen, dass Entfieberung eingetreten
sei und dass der Allgemeinzustand sich sehr gehoben habe. Diese Beob¬
achtungen verdienen unbedingt weiter fortgeführt zu werden.
Nr. 15.
Digitized by Goiisle
hier möglich. Die Beobachtungen, die Kruse darüber gernacht hat,
sind, so interessant sie auch sind, doch nicht absolut beweisend und
das, w'as Selter- Solingen in der Diskussion in der Berliner med.
Gesellschaft erzählte, ist zwar sehr beachtenswert, liegt aber leider
noch nicht veröffentlicht vor*). Hier klaffen natürlich noch Lücken,
die ausgefüllt werden müssen.
Wir glauben aber doch, mit aller Vorsicht diese Gedanken¬
gänge aussprechen zu dürfen, weil es uns allein natürlich nie mög¬
lich ist, an unserem Material diese Hypothese zu stützen. Dazu
bedarf es unbedingt der Mitarbeit vieler Kollegen. Zw'ei Wege wären
hier vorgezeichnet: einmal müsste man untersuchen ob_ auch andere
saprophytische säurefeste Stäbchen (Möller) eine ähnliche oder
gleiche Heilwirkung entfalten, vorausgesetzt, dass sie für den Menschen
nicht schädlich sind, dass sie ebenfalls solange im Körper als Depot
liegen bleiben, sich verfnehren, also längere Zeit antigenbildend sind;
und zweitens müsste man versuchen, ob nicht andere Infekte — wir
denken besonders an chronische, sich hinziehende Infektionen — mit
Friedmannbazillen zu beeinflussen sind. Ob es möglich ist, hier weiter
in der Therapie zu kommen, muss die Zukunft lehren.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in Lemberg.
(Vorstand: Prof. v. Qröer.)
Ueber eine eigentümliche „nyktambulische“ Verlaufsform
der epidemischen Enzephalitis bei Kindern.
Von Dr. St. Progulski und Dr. Auguste Qröbel.
Bekanntlich ist die Symptomatologie der in den letzten Jahren neu
aufgetauchten epidemischen Enzephalitis eine überaus- wechselyolle.
Die verschiedensten Bezirke des Zentralnervensystems können bei dieser
interessanten Erkrankung durch den Krankheitsprozess befallen sein und
es darf uns daher nicht wundernehmen, dass die daraus resultierenden
Funktionsstörungen — sogar bei einem und demselben Individuum —
wie im Kaleidoskop variieren. Is! somit die epidemische EnzephaUtis in
erster Linie als ein ätiologischer und anatomisch-pathologischer Begriff
aufzufassen, so fällt es dennoch auf. dass v/ährend der Enzephalitis¬
epidemien Serien von auch klinisch gleichartig verlaufenden Fällen zeit¬
lich und räumlich zusammenfallen, die dem klinischen Beobachter die
Aufstellung bestimmter klinischer Typen der Erkrankung aufdrängen Das
Studium solcher Typen ist für uns besonders in Verbindung mit den
etwaigen pathologisch-anatomischen Befunden ausserordentlich lehr¬
reich und auch für die Gehirnphysiologie und -pathologie von Interesse.
Die Literatur der letzten Jahre hat bereits eine stattliche Anzahl
solcher Typen festgelegt. DreyfusD hat neuerdings bereits 8 ver¬
schiedene Verlaufsformen der epidemischen Enzephalitis unterschieden.
Damit sind aber bei weitem noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft.
Wir sind in der Lage über einen neuen, uns<eres Wissens noch nicht be¬
schriebenen, jedoch sehr prägnanten Typus dieser Erkrankung zu be¬
richten, welcher im letzten Halbjahr auf der hiesigen Kinderklinik
ebenfalls gehäuft zur Beobachtung gelangte*).
Das eigentümliche dieser — um es gleich vorwegzunehmen — chro¬
nischen Verlaufsform der Enzephalitis, die wir nach dem Vorschläge
Prof. V. Gröers als nyktambulische bezeichnen möchten, lag
darin, dass die hervorstechendsten Symptome der Erkrankung, nämlich
diedelirant-choreatischenZuständesogut wie ausschliess¬
lich während der Nacht zusammen mit der Schlaflosigkeit auf¬
traten, während beim Tag die meisten von den reinen und leichteren
Fällen überhaupt keine augenfälligen Veränderungen darboten. Das ging
so weit, dass unsere Patienten uns in der Regel nur wegen der Schlaf¬
losigkeit auf die Klinik gebracht wurden, da ihr Gesundheitszustand
sonst von den Eltern für ganz normal gehalten wurde.
Was zunächst die Häufigkeit dieser Enzephalitisformen bei
Kindern anbelangt, so war sie in Lemberg und Umgebung im ver¬
flossenen Frühjahr entschieden vorherrschend. In der kurzen Zeitspanne
von 3 Monaten beobachteten wir an der Klinik im ganzen 16 Enzepha-
litisfäile bei Kindern im Alter von 3—14 Jahren. Ein Fall davon ent¬
sprach der klassischen lethargischen Form, ein zweiter der von
Dim 11z*) in Wien und Orzechowski*) in Lemberg beschrie¬
benen choreiformen. Die übrigen 14 Fälle gehörten zu der nyktambu-
lischen Gruppe. Das gleiche Verhältnis herrschte auch in den besser
situierten Kreisen nach den Erfahrungen der Privatpraxis (v. G r ö e r).
Ueber die Disposition lässt sich hier nur sagen, dass an¬
scheinend Knaben häufiger von diesem Erscheinungstypus befallen werden
als Mädchen. Unter unseren 14 Fällen hatten wir nur 2 Mädchen zu
verzeichnen. Auch scheint nach unseren bisherigen Erfahrungen die
neuropathische Konstitution eine begünstigende Rolle zu spielen.
Die wenigsten unserer Fälle konnten der frischen Enzephalitis¬
erkrankung unmittelbar angereiht werden. Bei den meisten konnte man
®) Man denke auch immer daran, dass der Säugling im allgemeinen
schlecht Antikörper bildet und daher für Immunisierungsversuche kein ge¬
eignetes Objekt ist.
^) D r e V f u s: M.m.W. 1920 Nr. 19.
*) Erst nach der Niederschrift dieser Arbeit kam uns die Demonstration
Pfaundlers zu Gesicht (M.m.W. 1920 Nr. 30 S. 885), auf dessen Klinik
offenbar das völlig identische Krankheitsbild beobachtet wurde.
*) Dimitz: W.kl.W. 1920 Nr. 8.
*) Orzechowski: Refer. d. Aerztesitzung Tyg. lek. Lemberg 1920
Nr. 3.
4
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
452
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
nur aus der Anamnese gewisse Anhaltspunkte über das akute Stadium,
das gewöhnlich bereits mehrere Wochen zurücklag. gewinnen. Manche
Fälle Hessen auch das vermissen und entpuppten sich als Enzephalitiker
erst nachdem wir auf Grund der Beobachtung zweifelloser Fälle das
klinische Bild der Erkrankung kennen gelernt hatten. Gerade in bezug
auf diese Abortivformen ist eine genauere Kenntnis des uns hier be¬
schäftigenden Krankheitsbildes von diagnostischer Wichtigkeit.
Soweit e 3 sich also aus der Anamnese beurteilen lässt war der
Beginn der Erkrankung mit wenigen Ausnahmen ein plötzlicher. Die
Patienten erkrankten mit hohem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, oft
mit vorübergehenden Erscheinupgen von seiten des Respirationstraktus.
Alsbald schlossen sich an diese Symptome — bei schw^ereren Fällen —
Störungen im Bereiche der Nervensystems. Augenmuskelparescn,
Fazialislähmung, Neuralgien waren das häufigste Vorkommnis. Der
Umgebung fiel gewöhnlich auch die psychische Veränderung der Kinder
auf: sonst ruhige Kinder wurden laut, exzitiert zänkisch, lebhafte da¬
gegen — apathisch und deprimiert
Diesem initialen, akuten Stadium der Erkrankung, welches weder
an die lethargischen noch an die choreiforme Verlaufsart erinnert folgte
nun das chronische von monatelanger Dauer, dessen Kardinal¬
symptom die bereits erwähnte Agrypnie mit nächtlichen motorisch¬
psychotischen Erregungszuständen bildete.
Erst in‘diesem Stadium wurden die Patienten zu uns gebracht und
boten folgendes Bild dar'^): Die leichteren und die leichtesten Fälle
liefen tagsüber herum und fielen bei oberflächlicher Betrachtung durch
keinerlei abnormes Verhalten auf. Die genauere Untersuchung deckte
dennoch regelmässig eine Reihe von nervösen Symptomen auf. welche
auf ein organisches Leiden hindeuteten. So wurde stets deutlicher
Tremor beobachtet, sowie Steigerung der Reflexe, sowohl
der tiefeii als der oberflächlichen. In den meisten Fällen sahen wir
ferner eine ausgesprochene Hypertonie der Muskulatur, in den
wenigen dagegen eine Hypotonie, ln einem Falle notierten wir
einen positiven B a b i n s k l Mehrere Male war Nystagmus fest¬
stellbar, in einem Falle konnten Reizerscheinungen von
seiten des Vestibularapparates nachgewiesen werden.
Häufig klagten die Patienten über neuralgische Schmerzen im
Bereiche der unteren Extremitäten. Leichter Farben Wechsel, gesteigerte
Schweisssekretion deuteten auf eine besondere Labilität der Vaso¬
motoren und Mitbeteiligung des vegetativen Nerven¬
systems. Hautproben nach v. Gröer-Hecht ergaben kein ein¬
deutiges Resultat.
Die schwereren und schwersten Fälle wiesen auch bei Tag deut¬
liche Symptome auf. Es kamen hier vor allem Herderschei¬
nungen mannifacher Art — wie Augenmuskelparesen, hart¬
näckige Fazialislähmungen und sogar leichte bulbäre Erscheinungen —
zur Beobachtung. Bei einem Knaben wurde eine Retinitis ad
papillam festgestellt, welche jedoch nach einigen Wochen restlos aus¬
heilte. Bei einem besonders schwer kranken . Knaben imponierte
dauernde leichte Trübung des Sensoriums, völlige Apathie mit Beein¬
trächtigung der Intelligenz, Flexibilitas cerea, welche besonders
in den ersten Behandlungswochen eine sehr,deutliche war, unsicherer,
schleppend-ataktischer Gang und verwaschene
Sprache.
Meningeale Erscheinungen wurden im chronischen Stadium nie be¬
obachtet. Die galvanische Untersuchung ergab keine Anhaltspunkte
für Uebererregbarkeit, wenn auch in einem Falle ein deutlich positiver
Chvostek vorhanden war. Krämpfe oder epileptiforme Anfälle kamen
nie zur Beobachtung.
Subfebrile Temperaturen, und zwar durch Wochen hindurch,
waren — namentlich bei schwereren Fällen die Regel. Die > Herzreaktion
war bis auf gewisse Labilität nicht beeinträchtigt, es bestand eher eine
Tendenz zur Tachykardie. Nur bei unseren schwersten und bett¬
lägerigen Patienten mussten wir einige Male, namentlich bei Beginn der
Behandlung, akute Herzschwäche bekämpfen.
Im Harn wurden keinerlei pathologische Bestandteile aufgedeckt.
Auch die Harnmengen entsprachen durchaus der Norm. Einige Male
wurde dagegen eine auffallende Trockenheit der Nasen¬
schleimhaut beobachtet.
Charakteristisch für unsere Fälle war fernerhin die völige Nega¬
tivität des Liquorbefundes. Nicht ein einziges Mal konnte
Zell- oder Globulinvermehrung nachgewiesen werden, nicht einmal bei
dem Fall mit der entzündlichen Retinitis. Der Liquor stand unter
mässigem, manchmal leicht erhöhtem Druck. Auffallend war, dass die
Lumbalpunktion stets Kopfschmerzen verursachte und schlecht vertragen
wurde. In drei Fällen stellten sich danach deutliche meningeale Er¬
scheinungen und Erbrechen ein, welche einige Tage andaueften.
Bot nun das Verhalten der'Kranken während des Tages keine auf¬
fallenden Besonderheiten, so änderte sich das Bild mit dem Eintreten
der Dunkelheit bzw. dem Zubettgehen der leichteren Fälle, welche am
Tage aufstehen durften. Alsbald setzte bei den Kindern motorische
Unruhe ein, welche in erster Linie die Muskulatur des Rumpfes, dann
aber auch die Gesichts- und Extremitätenmuskeln betraf. Also zunächst
Wälzbewegungen im Bette, dann Grimassieren und auffahrende Be¬
wegungen mit Händen und Füssen.
Diese motorischen Reizerscheinungen trugen einen ausgesprochenen
choreatischen Charakter, sie wurden aber durch Affekte nicht gesteigert.
“) Die VeröÄentlichung der Krankengeschichten erfolgt an anderer
Stelle.
Digitized by Goüsle
eher — z. B. durch Zurechtweisen von seiten des Pflegepersonals —
vorübergehend unterdrückt. Auch fehlten die sonst für echte Chorea
charakteristischen Symptome, wie Mitbewegungen, das Czerny sehe
Zwerchfellphänomen u. dgl. mehr. Die schweren Fälle erinnerten ge¬
radezu an die schwersten Formen der Chorea gravidarum. Die äusserst
ermüdenden Bewegungen wurden von vielen Patienten als sehr lä^ig
und quälend empfunden. So hörten wir oft die klagende Bitte der Ge¬
plagten, fest eingebunden zu werden, was auch manchmal von guter
Wirkung war.
Im Anschluss an diese choreatische Unruhe stellten sich sehr oft
delirante Zustände ein in Gestalt von Beschäftigungs-
deiirien, abnormen Sensationen, Halluzinationen, Verkennung der
Personen und Umgebung. Der eine Patient glaubte fortwährend, er
habe Würmer in der Nase, die e?; unbedingt herausbringen müsse. Er
versuchte dies durch ununterbrochenes Schneuzen und Reiben der Nase.
Ein anderer glaubte etwas im Mund zu haben und spuckte daher un¬
aufhörlich. Manche von den Kindern verbrachten ihre Nächte mit dem
fortwährendes Richten und Ordnen ihrer Polster und Decken, andere
wiederum wuschen sich unaufhörlich bei der Wasserleitung. Alle diese
Handlungen trugen z. T. unverkennbare Zeichen von Stereotypien.
Wenn wir dazu noch das Verbigerieren, monotones Singen und Vor-sich-
murmeln mancher liegender Patienten, Angstgeschreie, Weinen, Lachen,
Keuchen, Schimpfen hinzufügen, so werden wir begreifen, dass das
äusserst rege Nachtleben auf der internen Station der Klinik zur Zeit,
wo mehrere solche Patienten zusammen untergebracht waren, ein ge¬
radezu infernalisches Bild darbot.
Vom Schlaf war hierbei keine Rede. Band man die Kinder fest ans
Bett und nötigte sie zur Ruhe, so koimten sie dennoch nicht einschlafen.
Manchmal schliefen die Kinder nach dem Zubettgehen für eine kurze
Weile ein. Nach einer halben bis höchstens nach einer Stunde waren
sie aber schon wach und delirierten. Die Schlaflosigkeit scheint uns
daher das primäre Moment darzustellen, obgleich man vielfach geneigt
sein konnte, zu glauben, dass gerade die Reizzustände es sind, welche
ie Kinder in ihrem Schlaf hindern.
Am nächsten Morgen schliefen manche Kinder doch endlich ein,
waren aber zur Zeit des zweiten Frühstücks bestenfalls schon wieder
wach. Den schwereren Fällen waren auch diese paar Stunden Ruhe
nicht vergönnt.
Beim Tag bestand weitgehende Amnesie in bezug auf die nächt¬
lichen Vorfälle. Es erfolgte ein vollständiger Szenenwechsel: die Kinder
sahen übernächtig aus, der Schlaf übermannte sie im Sitzen und Stehen,
manchmal sogar beim Essen. Es ist jedoch hervorzuheben, dass. WsCnn
man ihnen einen Nachmittagsschlaf gewährte und sie ordnungsgemäss
ins Bett nötigte, der Schlafhunger meistens versagte. Anderseits führte
ein bezügliches Verbot und die dadurch bezweckte Ermüdung der Kin¬
der zu keinerlei Resultaten — die Kinder verbrachten nichtsdestoweniger
schlaflose Nächte.
Es war interessant, festzustellen, ob nicht einfach die Dunkelheit als
solche das auslösende Moment der Erregung bildete, oder ob andere,
tiefere Ursachen hier im Spiele waren, ln einem unserer Separatzimmer
inszenierten wir daher eine künstliche Nacht während des Tages und
brachten dorthin einige unserer Patienten. Sowohl ln absoluter Dunkel¬
heit, als auch bei elektrischem Licht konnten wir während mehrmaliger
paar stündlich er Sitzungen keinen Effekt feststellen. Die Kinder schliefen
zwar nicht ein, bewahrten aber vollkommene Ruhe und verfielen nicht
in den in der Nacht regelmässig auftretenden Erregungszustand. Somit
war während -der Erkrankung die monophasische Ruheperiode [S z y -
manski®)] der Nacht in eine Aktivitätsperiode unabhängig von
den optischen Eindrücken umgewandelt, ein Zeichen, dass wir es hier mit
grosser Wahrscheinlichkeit nicht mit einer funktionellen, perversen Um-,
kehmng des Normalen, sondern mit einer essentiellen und gröberen Stö¬
rung zu tun haben (Hemmungszentren? Schlaf Zentrum?). Hervor¬
zuheben ist auch dass der Erregungszustand der Kinder nicht von den
statischen Bedingungen abhängig ist.
Anderseits müssen wir aber mit Nachdruck hervorheben, dass für die
Pathogenese des gesamten Krankheitsbildes zweifelsohne die funktio¬
nellen Momente von nicht untergeordneter Bedeutung sein dürften. Wir
-haben bereits, bemerkt, dass sogar die motorische Unruhe unserer Pa¬
tienten durch energische Zurechtweisung vorübergehend gehemmt wer¬
den konnte. Das gleiche gilt auch von den Delirien und verwandten Er¬
scheinungen. So z. B. gelang es stets, die nächtliche Desorientierung
der Kinder durch direktes Anrufen teilweise auszugleichen. Bei dem
obenerwähnten Patienten, welcher durch fortwährendes Schneuzen sich
die Nase wundrieb, wirkte eine fingierte Operation zwecks Entfernung
vermeintlicher Würmer aus der Nase auf die Dauer von 24 Stunden be¬
ruhigend. Auch sahen wir mit unzweifelhafter Deutlichkeit, dass die
einzelnen Symptome von den Leidensgenossen lebhaft nachgeahmt wer¬
den. So wurde die Spuckmethöde eines Spuckspezialisten aufs genaueste
und binnen sehr kurzer Zeit von fast sämtlichen Kindern reproduziert,
genau so das Schneuzen usw. Die Erfolge und gleichzeitig die Miss¬
erfolge der Isolation, die wir schliesslich anwenden mussten, sowie des
Milieuwechsels und der Wachsuggestion, worauf wir noch bei der Be¬
sprechung der Therapie zu sprechen kommen werden, sprechen ebenfalls
dafür, dass wir es hier unter dem primären Einflüsse eines organischen
vielleicht z. T. nicht nur entzündlichen, sondern auch toxisch bedingten
Leidens mit einer Herabsetzung der funktionellen Tüchtigkeit des Zen¬
tralnervensystems zu tun haben.
®) Szymanski: Zschr. f. allg. Physiol. Bd. 18 H. 2.
. ' Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
453
Was nun die Diagnose dieser Verlaufsform der Enzephalitis an¬
belangt, so dürfte sie der aufmerksamen klinischen Untersuchung überall
dort, wo greifbare Zeichen organischer Gehirnläsion vorliegen, keine
Schwierigkeiten bereiten. Anders bei den leichtesten und abortiven
Formen, wo manchmal eine sichere Abgrenzung gegenüber den hyste¬
rischen Zuständen auf unüberwindbare Schwierigkeiten stossen kann.
Natürlich spricht das gehäufte Auftreten ähnlicher Fälle zusammen mit
ausgesprochenen Enzephalitiden für organisches Leiden, obgleich — in
geschlossenen Anstalten z. B. — auch unter den echten nyktambulischen
Enzephalitikern reine Nachahmer Vorkommen können. Das Initial¬
stadium, genaue Durchforschung der Anamnese, schliesslich der ganze,
gegen alle therapeutische Massnahmen refraktäre und auch suggestiv
pur vorübergehend beeinflussbare Verlauf mit der charak¬
teristischen Besonderheit des nächtlichen Auftretens der Hauptsymptome
und die echte, auch durch Ermüdung wochenlang nicht zu bezwingende
Schlaflosigkeit sprechen für das beschriebene Krankheitsbild. Die
Differentialdiagnose gegenüber der echten Chorea ist leichter und geht
aus dem Geschilderten ohne weiteres hervor. Gegenüber den post¬
infektiösen, namentlich postgrippösen Psychosen ist der protrahierte
Verlauf, wiederum das nächtliche Auftreten oder zumindestens wesent¬
liche Steigerung der Symptome, sowie relativ guter Appetit von Wichtig¬
keit. Im Initialstadium dagegen kann das Bild einem ausgesprochenen
Meningoenzephalismus bei Grippe sehr ähnlich sein, zumal auch die
nyktambulischfc Enzephalitis mit deutlicher Mitbeteiligung der Respira¬
tionsorgane beginnen kann. Dennoch steht es für uns fest, dass die
epidemische Enzephalitis scharf von der Grippe, dem Meningoenzepha¬
lismus bei Grippe Iv. GröerüJ und der eventuellen Grippeenzepha¬
litis nicht nur ätiologisch und epidemiologisch, aber auch klinisch zu
trennen ist. Der Zusammenhang zwischen den beiden Epidemien, wel¬
cher in der Literatur noch immer erörtert wird, besteht zwar zweifel¬
los, ist aber unseres Erachtens nur im Sinne v. W i e s n e r s zu er¬
klären, dass nämlich die durch Grippe hervorgerufene allgemeine Er¬
schöpfung des Organismus eine eventuelle Disposition für die Enzepha¬
litiserkrankung schaffen kann, um so mehr, als ja das Grippevirus zwei¬
fellos neurotrop wirksam ist. Die von uns beobachtete Epidemie fiel
in eine Zeit, in welcher die heurige Grippeepidemie im Auslöschen be¬
griffen war. Um dieselbe Zeit aber herrschte noch die von O r ze¬
ch o w s k i eingehend beschriebene myoklonisch-choreatische Enzepha¬
litis, obgleich ihr Höhepunkt bereits überschritten war.
Ueber die Prognose des Leidens können wir noch nicht viel
aussagen. Keiner unserer Patienten ist gestorben, es ist aber in Be¬
tracht zu ziehen, dass wir es nur mit vorgerückteren Fällen zu tun hatten.
Ouoad sanationem ist sie jedenfalls mit Vorbehalt zu stellen. Die
Krankheit dauert sehr lange, Monate und vielleicht noch länger. Bisher
konnten wir bei keinem unserer Fälle restlose Ausheilung beobachten.
Auch scheint uns eine dauernde Beeinträchtigung der Intelligenz, wenig¬
stens bei den schweren Fällen wahrscheinlich zu sein.
Die Therapie ist eine unerfreuliche. Charakteristisch ist, dass
beinahe jede — wie immer auch geartete — therapeutische Massnahme
bei unserer Erkrankung von vorübergehendem Erfolg begleitet
sein kann. Das deutet schon darauf hin, dass wir hier die besten
— wohlgemeint symptomatischen — Erfolge der Suggestion
verdanken werden. Das ist auch tatsächlich der Fall. Milieuwechsel,
Isolierung, Wachsuggestion sind oft — leider nur für wenige Tage —
VQn durchgreifendem Erfolg. Dann beginnt das Spiel von neuem und
es müssen wieder neue Massnahmen ersonnen werden. Oft haben wir
beobachtet, dass Kinder, welche von auswärts gebracht wurden, einige
Tage nach der Aufnahme keine Symptome darboten, so dass wir be¬
reits glaubten, die in der Anamnese geschilderten Symptome seien er¬
dacht worden, um die Aufnahme zu erwirken. Dann zeigte es sich aber,
dass die Erscheinungen zunächst in gehemmter Weise, schliesslich aber
mit früherer Intensität ausbrachen. Genau so wie der Milieuwechsel,
verschiedene Formen der Wachsuggestion, waren auch hydriatrische
Prozeduren, Ganzpackungen, Bäder, Duschen, ferner das Faradisieren
höchstens für einige Nächte wirksam. Dennoch konnte man durch kleine
Pausen in der Behandlung und Abwechstln der suggestiven Massnahmen
die leichteren Fälle durch längere Zeit liindurch relativ beruhigen.
Sämtliche andere Methoden der Beriandlung versagten so gut wie
völlig, und wirkten gegebenenfalls nur durch das suggestive Moment.
So waren besonders alle Injektionen unmittelbar sehr wirksam, so dass
die Kinder nach denselben sogar einschlieicn “). Versucht wurden von
verschiedenen Gesichtspunkten aus: ergotrope Behandlung (Milch- und
Serumeinspritzungen), parasitotrope Eingriffe (Salvarsan, Chinin) und
symptomatische. Therapie, welche die Bekämpfung der Schlaflosigkeit
und der motorischen Unruhe zum Ziele hatte. Pyrarnidon, Antipyrin.
Aspirin, Chloralhydrat, Luminalnatrium, Kodein, Skopolamin — auch in
grossen Dosen — waren völlig wirkungslos. Eine gewisse Wirkung
können wir nur grossen Bromdosen — (bis zu 6 g pro die) nicht ab¬
sprechen, doch waren auch hier die Erfolge Von kurzer Dauer und die
Medikation liess sich aus begreiflichen Gründen nicht mit solcher In¬
tensität durch Monate hindurch lortsetzen.
Somit bleibt uns einstweilen nichts anderes übrig, als die Behand¬
lung der uns hier interessierenden Form der Enzephalitis rein suggestiv-
^ V. Qröer: Zur Kenntnis des Meningoenzephalismus. Zschr. f.
Ktnderhlk. Bd. 21.
®) Warnen möchten wir nur vor der besonders von Spät (W.kl.W. 1920
Nr, 14) empfohlenen therapeutischen Lumbalpunktion, da wir, wie bereits her¬
vorgehoben wurde, bei unseren Fällen akute meningeale Reizung nach diesem
Eingriff beobachten konnten.
symptomatisch zu gestalten. Dil grosse Kunst wird hier nur in der
zw'eckmässigen Anwendung der Suggestion, welche den individuellen
Besonderheiten angepasst sein muss, sowie in der phantasiereichen Ab¬
wechslung der suggestiven Massnahmen bestehen müssen.
Von geradezu entscheidender Bedeutung ist hier ferner
eine sachgemäss durchgeführte Ernährungstherapie. Die Kinder
kamen zu uns gewöhnlich in äusserst abgemagertem Zustande, hinfällig,
blutkrm, mit eingesunkenen Augen und kleinem, frequentem Puls. Sie'
wurden bei uns energisch „überernährt“, nahmen rasch zu, wurden
lebhafter, bekamen Farbe usw., während sie zuhause — auch unter
günstigen äusseren Bedingungen — rapid abmagerten. Es zeigte sich
nun, dass diese Kinder einen geradezu enormen Nahrungs-
bedarf (im Sinne v. Pirquets) aufweisen, welcher bei weitem die
höchsten Bedarfszahlen, die von v. G r ö e r ®) bei verschiedenen In¬
fektionskrankheiten gefunden worden sind, übertriift. Die nach der
Pirquet sehen Bedarfsformel errechneten Zahlen erreichten bei unseren
I Kindern 7—8 dnsq, in extremen Fällen sogar mehr! Es ist einleuchtend,
I dass unter solchen Umständen nur durch fast maximale Ernährung Ge¬
wichtszunahmen erreicht werden konnten und dass die Kinder unter
der nach dem gewöhnlichen Massstabe berechneten Kost abnehmeii
mussten. Dieser extrem hohe Nahrungsbedarf ist ohne weiteres durch
die Schlaflosigkeit und die nächtliche Unruhe erklärbar, kann aber leicht
übersehen werden und die Unglücklichen einer tödlichen Erschöpfung
zuführen. Der Appetit ist hierbei ein ganz guter, jedoch nicht proportio¬
nal dem hohen Bedarf gesteigert, so dass spontane Ernährung leicht
quantitativ unzureichend werden kann Unsere Patienten haben — wie
bereits hervorgehoben wurde — während der ganzen Beobachtungszeit
an Körpergewicht zugenommen und erholten sich trotz der äusserst
erschöpfenden Erkrankung in hervorragendem Masse. Dies erreichten wir
durch konzentrierte Kost Wir sind überzeugt dass die meisten
unserer Patienten deshalb durch mehrere Monate
hindurch am Leben und in gutem Allgemeinzustand
erhalten werden konnten und stellen daher die For¬
derung ausreichender Ernährung unter Berück¬
sichtigung des hohen Bedarfes und fortlaufender
Körpergewichtskontrolle an erster Stelle der Be¬
handlung der Encephalitis nyktambulica.
Zusammenfassung.
Die beschriebene „n y k t a m b u 1 i s c h e“ Verlaufsform der chro¬
nischen epidemischen Enzephalitis ist durch hartnäckige Schlaf¬
losigkeit, sowie nur in der Nacht auftretende delirant-chorea-
tische Zustände ausgezeichnet Diese Erscheinungen scheinen
primär durch eine organische Läsion bedingt zu sein, sekundär aber
spielen zweifelsohne auch funktionelle Momente bei ihrem Zustande¬
kommen eine wichtige Rolle. Die Therapie hat in erster Linie quanti¬
tativ ausrechende Ernährung bei sehr hohem Nahrungsbedarf, dann
suggestive Methoden zu berücksichtigen.
Nachtrag bei der Korrektur. Während der Drucklegung
dieser Arbeit ist eine Reihe analoger Beschreibungen aus Deutschland,
England und Tschechoslovakei unabhängig voneinander erschienen
(H 0 f s t a d t, diese Wochenschrift. 1920 Nr. 49; B r d 1 i k, Casopis lek.
cesk. 1920 Nr. 34; Z w e i g e n t h a I, M.KI. 1920 Nr. 44; F i n d 1 a y
und S h i s k i n, Glasgow med. Journ. 95, 1921). Die beste und aus¬
führlichste Mitteilung stammt aus der Klinik Pfaundler (H o f s t a d t).
Die dort dargelegte Schilderung unseres Syndroms deckt sich im wesent¬
lichen mit unseren Erfahrungen und bringt auf ähnliche Weise die ausser¬
ordentliche Eigenart des Krankheitsbildes zum Ausdruck. Es ist inter¬
essant, dass der Symptomkomplex zu gleicher Zeit an verchiedenen
Orten gehäuft aufgetreten ist. Auch unser Material stammt aus den
Frühlingsmonaten 1920.
In der seit der Einreichung unseres Manuskriptes verstrichenen Zeit¬
spanne haben wir keine neuen Fälle beobachtet, wohl aber konnten
wir uns von der g ü n s t i g e n Prognose des Leidens überzeugen.
Diejenigen Fälle, welche wir bis zum heutigen Datum (Ende März 1921)
klinisch verfolgen konnten, heilten vollständig aus. Besonders inter¬
essant ist, dass in einem Falle die fortschreitende Besserung der
Agrypnie und des Nyktambulismus, welche ungefähr im 4. Krankheits¬
monat einsetzte, mit fortschreitender Intelligenzabnahme ein¬
herging. In den folgenden 4 Monaten gingen aber auch diese Erschei¬
nungen unerwartet und vollständig zurück, so dass das Kind heute als
gänzlich hergestellt gelten darf. Es lässt nur noch, im Anschluss an
Temperatursteigerungen infolge chirurgischer Tuberkulose. leichte chorea-
I tiche Unruhe im Schlafe von Zeit zu Zeit erkennen,
j Bezüglich der Pathogenese unseres Krankheitsbildes geht unsere
j Auffassung in der letzten Zeit dahin, dass es sich hier, analog den post-
i skarlatinösen, postdysenterischen usw. Krankheitserscheinungen, um
! ein spezifisches „zweites Kranksein“ nach akuter Enzephalitis
I handelt. Auch Hier besteht keine Proportionalität zwischen der Schwere
I des ersten und des zweiten Krankseins, das akute Stadium kann sogar
j so leicht sein, dass es übersehen wird. In der letzten Zeit kommen uns
wiederum andere Verlaufsformen dieser postenzephalitischen Erkran¬
kung zu Gesicht.
“) V. Gröer: Ernälirungsversuche bei infektionskranken Kindern,
f. Kinderhlk. Bd. 23.
4 *
Zschr,
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
454
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Aus der Abteilung u. Poliklinik f. Nervenkranke imstädt. Kranken¬
haus Sandhof Frankfurt a. M. (Dir.: Prof. Q. L. Drey fus.)
Meningitische Symptome im FrOhstadium der Lues bei
Salvarsanbehandlung*).
Von Dr. Erwin Jaffe, Assistent der Abteilung.
ln Nr. 48 des Jahrgangs 1919 der M.m.W. hat Drey fus theoretisch
den Unterschied zwischen spirillotoxischen und arsenotoxi-
schen zerebralen Reaktionen nach Salvarsan auseinander-
sesetzt
Er führte damals aus, dass pathogenetisch grundlegende Unterschiede
zwischen beiden Reaktionen bestünden. Die spirillotoxische Reaktion, die
nur im Frühstadium der Lues vorkommt, spielt sich an spirochätendurch¬
seuchten Gehirnen ab und ist auf individuellle Ueberdosierung zurück¬
zuführen. Die Reaktion tritt mdist bereits einige Stunden nach der In¬
jektion auf bei Individuen, die bereits vor der Behandlung über mehr oder
weniger deutliche Sensationen von seiten des Zentralnervensystems ge¬
klagt haben. Bei einer genauen Anamnese, bei eingehender Untersuchung
(besonders des Optikus und Akustikus) würde man ia solchen Fällen
wohl immer Veränderungen feststellen können, die auf ejne Erkrankung
des Zentralnervensystems hinweisen. Der Liquor ist bei solchen Kran¬
ken meistens erheblich verändert. Es handelt sich bdi diesen spirillo¬
toxischen Reaktionen um Schädigungen, die nicht in voller Schwere in
Erscheinung träten, wenn alle die von Dr e y f u s angeführten Kautelen
beobachtet würden. Eine Weiterbehandlung solcher Kranker ist nach
Abklingen der Reaktion unbedingt notwendig, um dem Festsetzen der
Spirochäten möglichst Einhalt zu bieten.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der arsenotoxUchen zere¬
bralen Reaktion. Zwischen Injektion und Reaktion liegt hier gewöhn¬
lich eine Latenzzeit von mehreren Tagen. „Vor der Injektion — falls
es sich um die erste handelt — haben diese Kranken so gut wie nie
Klagen, die auf eine Erkrankung des Nervensystems schliessen lassen
könnten. Eine Untersuchung des Nervensystems wird, im Gegensatz
zur vorher besprochenen Form, keine Anhaltspunkte für eine spezifische
Krankheit geben. Der Liquor ist in solchen Fällen meist nur gering¬
fügig oder nicht verändert, ein Ausdruck dafür, dass keine frische Spiro¬
chätenüberflutung des Nervensystems vorliegt.“
Wir hatten in letzter Zeit Gelegenheit, auf der Abteilung für Nerven¬
kranke einige Kranke zu beobachten, bei welchen die Frage: spirillo¬
toxische oder arsenotoxische Reaktion, Weiterbehandlung oder Aus¬
setzen der Behandlung nur auf Grund der von D r e y f u s angegebenen
differentialdiagnostischen Erwägungen zu beantworten möglich war.
Dass die Beantwortung dieser Frage auch praktische Schwierigkeiten
gemacht hat, lehrte uns die Tatsache, dass die einweisenden Aerzte
sich nicht klar geworden waren, ob eine Weiterbehandlung Schaden
bringen könnte oder nicht. Die Veröffentlichung der nachfolgenden Fälle
rechtfertigt sich ausserdem, weil sie zeigen — und das dürfte wohl nicht
allgemein bekannt sein —, dass auch während der antiluetischen Be¬
handlung, selbst wenn sie nicht verzettelt wird, Neurorezidive auftreten
können. Diese führen bei gleichbleibender oder ansteigender Dosis zu
spirillotoxischen Reaktionen (Herxheimerscher Reaktion).
Es wird meine Aufgabe sein, zu zeigen, wie notwendig
es besonders für den Dermatologen ist, im Frühstadium der Lues den
Klagen des Patienten und dem Zentralnervensystem genügend Be¬
achtung zu schenken und zu untersuchen^ welchen Grund eine irgendwie
geartete Reaktion haben könnte (Kopfschmerz, verwaschene meningitische
Symptome, Fieber etc.). Auch im Frühstadium ist es nicht angängig,
einfach schematisch weiter zu behandeln. Beim Auftreten eines Neuro-
rezidivs unter der Behandlung ist die Frage der Weiterbehandlung
gleichzeitig eine Frage der Dosierung.
1. Gruppe: Spirillotoxische meningeale Reaktion.
F a 11 1. 23 jähriger Hutmacher.
Luesinfektion: Anfang April 1920, Primäraffekt Mitte April, zunächst für
Ulcus molle angesehen, Karbolsäureätzung. Ende April breite Kondylome.
Mai bis 4. August 1,5 g Silbersalvarsan in Dosen von 0,05—0,15 jeden Montag
und Samstag in der Woche. Nach der 7. oder 8. Einspritzung Exanthem am
ganzen Körper, namentlich am Kopf, und „wahnsinnige“ Kopfschmerzen. Aus¬
setzen der Behandlung 3 Wochen lang, dann Fortsetzen der Kur bis zum
4. August. Während der letzten Injektionen klagte Patient über ' Kopf¬
schmerzen, die durch Elektrisieren beeinflusst werden sollten. Wegen Zu¬
nahme der Kopfschmerzen wurde am 3. September 1920 Schmierkur und Jod¬
kali verordnet. Jetzt klagt Patient auch über Nackensteifigkeit. Weitere
Verschlimmerung, bis der Kranke wegen „rasender Kopfschmerzen und
Nackensteifigkeit“ nicht mehr aus dem Bett konnte.
Nervenabteilung: 8. bis 27. September 1920, dann ambulant in der Ner-
ven-Poliklinik.
A u f n a h m e b e f u n d 8. IX. 20: Blasser Mensch, der laut stöhnend im
Belt liegt, über heftigen Kopfschmerz und Schmerzen im Nacken klagt. Auf¬
nahmetemperatur: 37,6 rektal. Puls mässig gefüllt, 60. Nervensystem*):
Stauungspapille links von etwa 2 Dioptr. Niveauunterschied, starke Rot¬
färbung, keine Blutung. Visus: rechts 4* 1,0 D., S. = “^/s; links S. = */io.
Bei passiven Bewegungen des Kopfes wird ^hmerz geklagt. Kernig, Waden¬
hyperästhesie angedeutet.
Verlauf: Lumbalpunktion (kurz nach der Aufnahme): Liquorfarbe:
klar, Druck: 230 mm, Zellen i. cmm: 110, Phase 1: 0 bis opal, Qesamteiweiss:
% Prom., Pandy: 1—2, Suhl.: -f, Qoldreaktion: bis hellblau. WaR. im
Liquor: positiv 0,2, WaR. im Blut: negativ. Sofort nach der Lumbalpunktion
•) Nach einem Vortrag in der Vereinigung Frankfurter Neurologen und
Psychiater am 13. X. 20.
*) Es ist nur der pathologische Befund erwähnt.
Aufhören des lästigen Kopf- und Nackenschmerzes, AbfaUen Temperatur
auf 36,7 rektal, ln den folgenden Tagen bekam Patient 0,05, 0,05. 0,05 g
Neo-Silbersalvarsan (Neo-Si-Sa) und reagierte auf jede Injektion mit leichten
meningitischen Symptomen, so dass schliesslich eine zweite (Entlastungs-;
Lumbalpunktion vorgenommeii wurde. Ab da fühlte er sich subjektiv viel
wohler, vertrug die Einspritzungen ohne störende Reaktion, erhielt noch in
der Klinik 0,15, 0,2 g Neo-Si-Sa und konnte nach kaum 3 Wochen Kranken¬
hausaufenthalt der ambulanten Behandlung zugeführt werden. Ambulant
verträgt er jetzt 2 mal wöchentlich 0,2 und 0,3 g Neo-Si-Sa ausgezeichnet.
Epikrise: Wir deuteten den Fall von Anfang an als Neurorezidiv
(meningitische Symptome) im Verlauf verzettelter Salvarsanbehandlung.
Es ist klar, dass 1,5 g Si-Sa in 3 Monaten eine absolute Unterdosierung
darstellt. Hinzu kommt hier offenbar doch eine leicht arsenotoxische
Komponente (Exanthem nach der 7. oder 8. Einspritzung), die aller¬
dings bei Einlieferung in die Klinik längst abgeklungen war. Die Zu¬
nahme der Kopfschmerzen ging Hand in Hand mit der Ausbfeitung des
luetischen Prozesses an den Meningen. Die im Krankenhause be¬
obachteten Reaktionen auf ganz kleine Salvarsandosen kamen uns nicht
überraschend. Wir fassten sie als spirillotoxische auf. Sie werden
durch fortgesetzte kleine Dosen bekämpft. Nach Aufhören der Reaktion
konnte man dann zu normalen höheren Dosen übergehen.
Den Beweis, dass es sich ira beschriebenen Falle um spirillo¬
toxische Reaktionen gehandelt hat, nicht aber um arseno¬
toxische, ergibt klar Gang und Art der Behandlungsweise: Es
wurde daher Salvarsan vorsichtig, einschleichend gegeben. Dies führte
zur Linderung und Hebung des schweren Zustandes, was bei einer an¬
fänglichen Arsenvergiftung des Zentralnervensystems und bei weiteren
Arsengaben ausgeschlossen gewesen wäre.
Interessanterweise erwähne ich, dass während der Niederschrift die
Frau des geschilderten Patienten hier in der Poliklinik untersucht wurde,
da „ihr Mund in letzter Zeit schief geworden sei“. Die Untersuchung
ergab linksseitige Fazialisparese und doppelseitige Neuritis optica, Dia¬
gnose: Neurorezidiv. Die Frau war noch nicht behandelt worden.
F a 11 2. 23 jähriger Kaufmann.
Luesinfektion: November 1919, kleine, weisse, eiternde Pöckchen am
Hodensack, die von selber aufgingen. Vom Arzt Puder und Umschläge.
Ende Januar 1920 ziehende Schmerzen im rechten
Bein, WaR. ira Blut positiv. Patient wurde von Januar bis Ende April 1920
mit 8 Injektionen Neo-Salvarsan ä 0,6 und Quecksilberschmierkur behandelt.
Er unterbrach die Salvarsanbehandlung einmal 4 Wochen lang, das andere
Mal sdhmierte er 8 Tage lang gar nicht. Im April WaR. negativ. Schon,
vor der letzten Injektion hatte Patient Kopfschmerzen.
Diese Schmerzen hielten die ganze Zeit bis zur Aufnahme (Anfang Juni 1920)
an. Sie bestanden hauptsächlich in einem Sausen im Kopf. Mitte Mai bett¬
lägerig; Zunahme der Kopfschmerzen; verschwommenes Sehen. Ende Mai
Erbrechen, Ohrensausen, steifer Nacken, Gewichtsabnahme. Der behandelnde
Arzt wusste das Bild nicht zu deuten, insbesondere konnte er sich nicht
schlüssig werden, ob eine Weiterbehandlung mit Salvarsan indiziert sei
oder ob es sich um Spätschädigung der Therapie handle.
Nervenabteilung: 8. 1)is 23. VI. 20, dann ambulant.
A u f n a h m e b e f u n d 8. VI. 20: Schmächtiger Mann in reduziertem Er¬
nährungszustand; schwerkranker Qesamteindruck; trockene Lippen. Auf¬
nahmetemperatur: 37,5 rektal. Puls 76, regelmässig. Ueber der rechten
Hälfte des Hodensacks 2 kleine weisse Narben, Nervensystem:
Nystagmusartige Zuckungen in der Endstellung. Nackensteifigkeit, Steifigkeit
der Rückenmuskulatur. Kernig und Wadenhyperästhesie angedeutet. Allgemeine
Ueberempfindlichkeit bei Berührung. Lumbalpunktion (sofort nach Aufnahme):
Unter hohem Druck (300 mm) entfliesst trüber Liquor. Zellen i. cmm 1167;
Phase 1: opal; Qesamteiweiss; ®/e Prom.; Pandy: 3; Suhl.: +; Goldsol.:
bis weissblau. WaR. im Liquor: positiv 0,2. WaR. im Blut: schwach positiv.
Patient fühlt nach der Lumbalpunktion grosse Erleichterung. Am 2. Tage
wird mit einer Kur von Neo-Si-Sa begonnen. Patient erhält zunächst 0,03,
dann täglich 0,1, 0,1, 0,2 Neo-Si-Sa. Gelegentlich reagiert er einmal mit Er¬
brechen, einmal mit Kopfschmerz. Vom 8. Tage an ist er beschwerdefrei,
kann nun mit 2 tägigen Intervallen mit Dosen von 0,2, 0,2, 0,2, 0,3 Neo-Si-Sa
ohne störende Nebenerscheinung behandelt werden und nach 14 tägigem
Krankenhausaufenthalt der ambulanten Behandlung zugefOhrt werden; sub¬
jektiv und objektiv keine pathologischen Erscheinungen mehr. Erhält ambu¬
lant in 4 tägigem Abstand 0,3 Neo-Si-Sa bis zu 4,95 g.
E p i k r i s e: Auch hier handelt es sich wie im vorigen Fall um die
Entwicklung zunehmender meningitischer Symptome unter der Be¬
handlung Die ziehenden Schmerzen im Bein • (Januar 1920) hätten
bereits den Verdacht aufkommen lassen müssen, dass das Nervensystem
in Mitleidenschaft gezogen war. Die vor der letzten Injektion ein¬
setzenden Kopfschmerzen erwiesen das ganz deutlich. Irgend eine arseno¬
toxische Komponente kommt hier nicht in Frage. Es handelte sich um
eine etwas verschwommene luetische Meningitis, die im Gegensatz zu dem
1. Fall fast ohne spirillotoxische Reaktionen einschleichend behandelt wer¬
den konnte. Die Hauptursache der Erkrankung lag hier ebenfalls in der
verzettelten Behandlung. Wieder sehen wir hier den diagnostischen
und therapeutischen Wert der Lumbalpunktion. Wie zu erwarten war,
haben wir bei der langen Dauer der Entwicklung der Symptome sehr
hohen Zellwert (1167), sehr hohen Druck und einen stark positiven
Liquor-Wässermann. Nach der Lumbalpunktion treten die schlimmsten
Beschwerden zurück, so dass nach der Dreyfusschen Regel bereits
am nächsten Tage mit einer vorsichtigen (0,03) Behandlung begonnen
werden konnte. Am 2. und 3. Tage wird diese trotz geringer menin¬
gitischer Symptome fortgesetzt, am 4. Tage verträgt der Kranke
0,2 Neo-Si-Sa ohne jede Störung von seiten der Meningen.
Falls. 21 Jähriger Student.
Luesinfektion; Oktober 1918; angeblich extragenital. Mitte Oktober
Roseola, Plaques. WaR. positiv. Beginn der Behandlung Mitte Oktober
1918, 2 mal wöchentlich 0,05 Hg. salicyl. bis 8 mal, dann Neosalvarsan 0,3
in 8 tägigen Pausen, später Salvarsannatrium 0,3 2 mal 0,45, 2 mal 0,6. Letzte
Injektion Mitte Dezember 1918. Alle Injektionen wurden gut vertragen.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNIA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
455
Mitte Dezember, nachmittags, besonders nach geistiger Arbeit,r Kopf¬
schmerz von 1—2 Stunden Dauer. Ende Dezember Verschlimmerung der
Beschwerden, von da ab Tag und Nacht dauernd Kopfschmerzen, fühlt sich
matt und elend; konnte oft vor Schmerzen nicht reden. Untersuchung am
30. XII. ergab; leicht belegte Zunge, etwas lallende Sprache. • Optikus
hjrperämisch bei scharfen Grenzen. Leichte Fazialisparese rechts.
Am 1. I. 19 0,45 (!) Salvarsannatriura. Darauf heftigste Reaktion: inten¬
sivste Kopfschmerzen, lallende Sprache, Mattigkeit.
Nervenabteilung; 2.1. bis 18.11.19.
Aufnahmebefund 2. I. 19: Leicht fiebernder junger Mensch in
gutem Ernährungszustand. Kleine Halsdrusen beiderseits. Zunge belegt.
Keine Nackensteifigkeit; hingegen beiderseits Kernig und Wadenhyperästhesie,
Druckempfindlichkeit der peripheren Nervenstämme.
Nervensystem: Rechte Nasolabialfalte etwas verstrichen, aber
Facialis rechts gleich links gut erhalten. Sprache: langsam, etwas schwer¬
fällig.
3.1. Lumbalpunktion: klarer Liquor, unter 500 mm Druck entweichend.
Zellen 627; Phase 1: opal; Qesamteiweiss: P/a Prom. WaR. im Liquor:
negativ 1,0. WaR. imBlut:negativ.
Nach der Punktion Kopfschmerz etwas gebessert. Am 4. Tag Beginn
Behandlung mit Si-Sa zunächst täglich in langsam ansteigenden Dosen:
0,0^ 0,075, 0,1, 0,1, 0,15, 0,2 g Si-Sa. Patient fühlt sich täglich besser,
nach der 6. Einspritzung „wie neugeboren“; Kopfschmerzen hat er nur noch
selten. Mitte Januar ist Patient beschwerdefrei, objektiv nichts Menin-
gitisches mehr nachzuweisen.
In 1—2 tägigen Intervallen mit Dosen von 0,25 g Si-Sa wird der Kranke
weiterbehandelt bis zu 4,1 g Si-Sa.
Letzte Injektion März 1921.
^ Weiterbehandlung und Liquorverhältnisse gibt die nachstehende
Tabelle Aufschluss:
Datum
Farbe
o
ä
u
Q
.2
9
Phase
Zöllen
i emm
Wassermann
Blut j Liquor
Therapie
1
[. Kur:
14.1. 1919 1
1 klar 1
|580|
1 op. 1
1 627 j
1 ® 1 0 1,0 i
1 0 1 0 1,0 1
} 4,1 g Si-Sa 1
16. TT. 1
klar 1
|260|
1 VaVeol
1 OP- 1
6|
10 V. 1
3. VIT. 1
II.
Kur (in Zwischenzeit ohne Behandlung):
1 leicht 1
trübe
klar 1
270
!i8o|
VnvJ
Trübung
op.
981
8
+ + 0,2
+ + 0,2
1 3.0 g Si-Sa
')
J8 X. j
1.1920
HI. Kur (KaL jodat.):
klar 1
klar
1901
140
‘/4 •/«, j
‘/sVoo
0-op.
op.
80
34
t
8,675 g Si-Sa
Andtg -f- !
14. TV. . 1
16. VI. 1
TV.
Kur (kurze Hg-Schmierkur abgebrochen):
1
1
1
t 1 1
11.5 g Si-Sa 1
12.6 g Neo-Si-Sa 1
*)
V. Kur:
19. X. 1
klar 1
240|V„«A».l
op. 1
95 1
+ 1 + 0.2 1
1
•) Nervensyst^ regelrecht; subjektiv Wohlergehen.
*•) Erneut in Behandlung.
Epikrise: In diesem Falle traten im Gegensatz zu den zwei
yorhergegangenen bei relativ gut behandeltem frühen Se-
Jmndärstadium meningitische Symptome auf. Dass es sich um ein
Neurorezidiv während der Salvarsanbehandlung handelte, wurde vom
Arzt übersehen. Eine sonst normale Dosis von 0,45 Salvarsan-Na wird
mit heftigster Reaktion beantwortet. Die Frage, spirillotoxische oder
arsenotoxische Reaktion, Weiterbehandlung oder nicht, konnte vom
behandelnden Arzte nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Der Aus¬
fall der Liquoruntersuchung, das Verschwinden aller Symptome
unter einschleichender Behandlung mit vorsichtigen Anfangsdosen
zeigen, dass unsere Auffassung des Krankheitsbildes die richtige gewesen
war. Die beipfügte Tabelle über weitere Therapie, über die Liquor¬
kontrolle und die neurologischen Befunde zeigt noch, wie schwer es sein
kann, solcherart geschädigte Individuen gänzlich wieder herzustellen und
auch „serologisch” gesund zu bekommen. Auffallend war vor allem
das Lumbalresultat vor Beginn der zweiten Kur. Man sieht, wie sehr
sich der Liquor in einem behandlungsfreien Intervall von knapp 3 Mo¬
naten zum Schlechteren verändert hat, ohne dass zentral-nervöse Be-
gleiterscheinnngen zu verzeichnen gewesen wären. Die Liquorver¬
schlechterung pflegt der klinischen Verschlechterung oft lange voraiis-
2. Gruppe: Arsenotoxische meningeale Reaktion.
Fall 4. 28jähriger Glaser.
. . Laesinfektion: Frühjahr 1920. Primäraffekt und genaues Datum un-
bekannt. Patient kommt mit makulo-pustulösem Exanthem, Papeln, spitzen
Kondy omen Ende Juli zum Arzt; er^^^ 28. VII. 20 erste Injektion von
O T tu*-' Fieber und Uebelkeit, trotzdem bereits am 31. VII
2 . Injektion von 0,1 Si-Sa. Auch darauf wieder Kopfschmerzen und Fieber,
Druck im Kopf, Benomemnheit. Allgemeine
Unruhe ‘ Injektion 0,1 Si-Sa. Am 5. VIII. Fieber
Nervenabteilung: 6. VIII. bis 21. VIII. 20.
A u f n a h m e b e f u n d; Grosser Mann in schwer fieberndem Zustand;
enommen, reagiert nicht auf Anrede; sehr trockene heisse Haut; belegte
^unge. Aufnahmetemperatur 40,5. Im Gesicht, auch am Rumpf diffuses
blassrotes skarlatiniformes Exanthem. Frequenter, aber
regelmässiger Puls.
Nervensystem: träge reagierende Pupillen.
«♦-«Ul’ ^®I®rtige Lumbalpunktion: Es entfiiesst klarer Liquor in starkem
Patienten Druck nicht festzustellen.
QnKi ’ Qesamteiweiss: Vs Prom., Pandy: 1,
^ ° Liquor: negativ 1.0. WaR. im Blut: positiv.
An die Lumbalpunktion anschliessend intravenös 450 ccm Traubenzucker¬
infusion 5,4 Proz. und 6 Tropfen Adrenalin. Während der Infusion Erbrechen;
guter kräftiger Puls. Temperatur von 40,5 auf 38,0, abends auf 37,2 gefallen.
Patient erbri^t nachts noch 2 mal, schläft dann ab 2 Uhr ruhig. Am
Tag nach der Lumbalpunktion ist Patient fieberfrei, klagt noch über etwas
Druck im Kopf. Das Exanthem ist blass. Da der Kranke eine nun be¬
gonnene Schmierkur wegen Stomatitis mercurialis und allgemeinem Un¬
behagen unterbrechen muss, wird zunächst für kurze Zeit jede spezifische
Behandlung ausgesetzt und Patient nach 14 Tagen Krankenhausbehandlung
beschwerdefrei entlassen. Das Exanthem ist abgeklungen.
2. Aufnahme: auf Nervenabteilung vom 9. IX. bis 2. X. 20.
In der Zwischenzeit hatte Patient keine Kopfschmerzen mehr, fühlte sich
nur zeitweise etwas müde und innerlich unruhig. Vor allem aber klagte
er jetzt über Ohrensausen im linken Ohr.
A u f n a h m e b e f u n d 9. IX. 20: Untersuchungsbefund der Universitäts-
Ohrenklinik : Innerohrschwerhörigkeit links, stark herab¬
gesetzte Erregbarkeit des linken V e s t ibu1arappa-
rates, auf luetischer Basis beruhend.
Lumbalpunktion: klarer Liquor, unter normalem Druck entweichend.
Zellen: 10, Phase 1:0. Gesamteiweiss: ‘/« Prom., Pandy: 0,1, Subl.: + An¬
deutung. WaR. im Liquor: negativ 1,0. WaR. im Blut: positiv.
Am 2. Tage nach der Punktion wird mit einer Kur Neo-Si-Sa begonnen,
zunächst 0,03 g, in 2—3 tägigen Abständen 0,05, 0,075, 0,1, 0,125, 0,15, 0,2 g,
Nach 3% Wochen Ueberführung in ambulante Behandlung, bei der 2 mal
wöchentlich 0,2 bis 0,3 g Neo-Si-Sa reaktionslos gut vertragen werden.
Epikrise: Ganz anders wie bei der vorhergehenden Gruppe
liegt der Fall hier. Das Auftreten der Reaktion zweimal 24 Stunden
nach der Einspritzung musste unbedingt den Gedanken nahelegen, dass
eine arsenotoxische Reaktion vorliege. In geringerem Masse
reagierte der Patient offenbar bereits nach der 1. Injektion arseno-
toxisch. Es war ein Fehler, nach der 1. Einspritzung, die mit Fieber
und Kopfschmerz beantwortet wurde, mit grösseren Dosen in kurzen
Intervallen die Behandlung fortzuführen. Bei dem häufig tödlichen
Ausgange solcher Reaktionen muss es als ein Glück bezeichnet werden,
dass der Kranke so schnell genas. Anscheinend war die energische Be¬
handlung an diesem Ausgange nicht ganz unbeteiligt. Der Liquor
zeigte, wie bei arsenotoxischen zerebralen Reaktionen meistens, nur
geringfügige Veränderung. Das Exanthem fassten wir ebenfalls als toxi¬
sches auf. Selbst bei der arsenotoxischen zerebralen Reaktion be¬
währte sich wieder der diagnostische und auch therapeutische Wert
der Lumbalpunktion. Eindringlich lehrte gerade dieser Fall, wie not¬
wendig auch im Frühstadium der Lues eine individuelle Dosierung ist,
und dass auch die geringsten Nebenerscheinungen nach Salvarsaninjek-
tionen als „Warnungssignale“ aufzufassen sind: Es gibt, wie unser Fall
lehrt, Kranke, bei denen 0,05 g und darauf 0,1 g zu hohe Anfangsdosen
darstellen, die-vorsichtiger behandelt werden müssen, denen man dem¬
zufolge vor 0.05 erst 0,03. womöglich 2 mal, dann 2 mal 0,05, 0,075,
0.1, 0,1, 0,125, 0,15 geben müsste. Bei solchen Patienten wird
man auch besonders auf die Intervalle achten müssen und eventuell
in grösseren Abständen die Einspritzungen verabfolgen.
Interessant ist in diesem Falle noch, dass eine Weiterbehandlung
mit Hg sehr bald nach der Arsenvergiftung auch nicht vertragen wurde.
Die Arsenüberempfindlichkeit erlischt meistens, wenn man ungefähr
6 Wochen mit jeglicher Behandlung aussetzt, wie sich das in
unserem F^lle zeigte.
Kompliziert wird unser Fall noch durch das spätere Auftreten einer
luetischen Schwerhörigkeit, die im Sfnne eines Neurorezidivs zu deuten
ist. Dass aber offenbar die Durchseuchung mit Spirochäten keine
allgemeine war, beweist das Liquorresultat im September 1920. Vor
der Weiterbehandlung mit Salvarsan wurde unser Patient erneut in die
Klinik aufgenommen. Der Liquor zeigt nur geringe Veränderungen.
Mit ganz kleinen Dosen einschleichend, wq'e das D r e y f u s ausführlich *)
dargetan hat, wurde der Kranke unter genauester Kontrolle objektiver
und subjektiver Veränderungen mit Salvarsan weiterbehandelt und
konnte danach bald ambulant normale Dosen erhalten, nachdem sich ge¬
zeigt'hatte, dass er die durch anfängliche individuelle Ueberdosieriing
erzeugte Arsenüberempfindlichkeit tatsächlich verloren hatte. ^
in Gruppe: Encephalitis gripposa oder Meningitis luetica?
Zu w^elchen diagnostischen Schwierigkeiten unter Umständen das
Auftreten meningitischer Symptome führen kann, und wie schwierig
sich die Behandlung gestalten kann zeigt
F a M 5. 22 jähriger Offizier.
Kleiner Primäraffekt: November 1919. WaR. negativ. Spiro¬
chäten: +. Vom 20. XI. 19 bis 14.1.20 in Behandlung mit 2,95 g Si-Sa
und 0,85 Hg. salicyl.
Mitte Februar 1920; Fieber. Gliederschmerzen.
5. März: Kopfschmerz, Schwäche im rechten Arm; Zittern der Hände;
allgemeine Nervosität; Neuralgie im Trigeminus; Gehör herabgesetzt; Druck-
empfindlichkeit der Dornfortsätze der Brustwirbelsäule. Uebelkeit, unregel¬
mässiges Fieber bis 38,8. Diese Erscheinungen traten auf, als hier in Frank-
furt die Enzephalitisfälle nach Grippe sich überaus häuften, so dass man an¬
fänglich an Enzephalitis dachte, um so mehr, als ursprünglich bei seronega-
Lues I ausgiebig behandelt worden war. Die Erscheinungen von seiten
des Ohres verschlimmerten sich derart, dass Prof. Voss konsultiert wurde,
der folgenden Befund erhob: „Trommelfell vbeiderseits regelmässig; Flüster¬
sprache rechts = 15—20 cm, links = cm. Weber 0, Schwabach 0: Rinne
rechts +, links + mit sehr stark verkürzter Knochenleitung. Vestibulär nur
spontane Prüfung: kein Nystagmus, kein Vorbeizeigen, noch Schwanken bei
Augen-Fuss-Schluss.“ Wegen der fast vollkommen verschwundenen Knochdn-
leitung nahm Prof. Voss eine luetische Affektion an. Eine neurologische
Untersuchung durch Prof. D r e y f u s vom 15. III. ergab folgenden Befund-
Ptosis links; Trigeminus rechts druckempfindlich, desgleichen Plevus brarhialis;
Sc hwerhörigke it; Babinski links; etwas Nackensteifigkeit, deutlicher Kernig;
*) D.m.W. 1919 Nr. 47/48.
Digitized b]
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
456
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15,
minimale Temperatur, sehr schlechte, borkig-trockene Zunge. Diagnose: Lues
cerebri (Neurorezidiv). Die alsbald vorgenommene Lumbalpunktion klärte das
Bild restlos: Trüber Liquor entweicht unter hohem Druck; 583Zellen; Phase 1:
opal.; Gesamteiweiss: SJ's Prom., Pandy: 3; Suhl.: 4-. WaR. im Liquor
+ 0,4, WaR. im Blut: negativ.
Patient konnte anfangs nur mit ganz kleinen Dosen behandelt werden.
Er bekam 2 mal 0,02, dann 3 mal 0,05, dann 0,1, worauf er reagierte, also
wieder 0,075, 0,1, 0,1, 0,15, 0,15, 0,2, 0,2 und schliesslich 0,3 bis zu 4,0 Si-Sa.
Erst im Verlauf von 3 Wochen verschwanden die anfänglich nach jeder
Injektion auftretenden leichten Reaktionen sowie die Symptome am Nerven¬
system. Auch das Allgemeinbefinden besserte sich erst nach der gleichen
Zeit. Bei Einsetzen grösserer Dosen rasche Besserung und subjektive
Heilung.
Epikrise: Bemerkenswert ist der Fall deshalb, weil es hier, trc.tz
intensiver Salvarsanbehandlun^t im seronegativen Stadium bereits
4 Wochen nach Aiissetzen der Behandlung zur Entwicklung eines Neurr^-
rezidives kam. Eben wegen dieser frühzeitigen und sonst ausreichenden
Behandlung war die Diagnose nicht leicht zu stellen. Dazu kam, dass
die schweren, bis zu meningitischen Symptomen zunehmenden Erschei¬
nungen mit Fieber und sehr schlechter Zunge während der Enzcphalitis-
epoche ganz dem Bilde der Enzephalitis entsprachen. Erst die hinzu¬
tretende Hörstörung liess den Verdacht einer Frühlues des Gehirns auf-
kommen. Hier konnte nur die Lumbalpunktion den Entscheid bringen!
Sie bestätigte dann die Vermutung: Neurorezidiv. Auffallend waren hier
noch die lange anhaltenden starken subjektiven Reaktionen auf relativ
kleine Dosen, so dass lange Zeit unterdosiert werden musste, bis man
bei unentwegter Behandlung zu grösseren Dosen übergehen konnte
Während der Niederschrift kamen in unsere Klinik während der
letzten Wochen noch 6 weitere Fälle schwerer mcningitischer Sym¬
ptome nach ungenügender Salvarsanbehandlung. Nach Vornahme der
Lumbalpunktion fühlten sich diese Kranken subjektiv bedeutend wohler.
und es konnte bei ihnen die Weiterbehandlung mit Neo-Si-Sa störungs¬
los durchgeführt werden.
Zusammenfassung.
Die 5 mitgeteilten Fälle zeigen, vor wie schwierige differential-
diagnostische und therapeutische Entscheidungen man bereits im Früli-
stadium der Lues gestellt sein kann, wenn das Zentralnervensystem er¬
griffen ist. Treten akut oder subakut meningitische oder andere zere¬
brale Symptome auf, so wird man sich auf das Eingehendste nach den
von Dreyfus angegebenen Grundsätzen überlegen müssen, ob es sich
um ein Neurorezidiv. oder um spirillotoxische, oder arsenotoxische Sym¬
ptome handelt. Nach unserer Auffassuirg wird man wohl nicht fehl
in der Annahme gehen, dass in den meisten Fällen keine arsenotoxische
Störung vorliegt, sondern eine andersartige Störung des Gehirns. V(jr
allem ist cs für den Praktiker wMchtig zu wissen, dass auch unter der
Salvarsanbehandlung meningitische Symptome auftreten können, mag
sie nun verzettelt gewesen sein (Fall 1, 2) oder nicht (Fall 3) odi r
aber auch dann, wenn sie anscheinend noch so ausgiebig gewesen ist
(Fall 5). Meine Fälle haben gelehrt, dass dann eine schematische
Weiterbehandlung mit gleicher Dosierung unmöglich ist, dass aber die
einschleichende Dosierung mit ganz geringen Anfangsdosen (0.02.
0,03 Si-Sa) in kurzen Intervallen (24, 48 Stunden) das klinische Bild
grundlegend zu ändern imstande sind. Nach den Erfahrungen von
Dreyfus müssen solche Kranke sehr intensiv (5—6 g). sehr häufig
(4—6 Kuren), mit kurzen Intervallen (6—8 Wochen) hjhandclt
werden. Fall 3 zeigt in seiner Liquortabelle, wie schwierig es unter Um¬
ständen sein kann, solche Patienten. überhaupt wieder in die Reihe’zu
bringen.
Sehr wesentlich erscheint es uns ferner, auf die dem schweren
Krankheitsbild meist vorangehenden „Warnungssignale“ zu acliten
(solche sind: Fieber. Kopfschmerz, Kopfschwindel, Ohrensausen, ziehende
Schmerzen etc.) In solcfien Fällen ist die Dosierung sofort herab¬
zusetzen, aber keinesfalls darf man die Behandlung aussetzen!
Hervorzuheben bliebe noch der in allen 5 Fällen sinnfällige dia¬
gnostische und therapeutische Wert der Lumbalpunktion.
Neue Plattfuss-Operationsmethode.
Von Dr. Alfred Wächter, Facharzt für Chirurgie und
Orthopädie in Innsbruck.
An Kriegsbeschädigten habe ich die Beobachtung gemacht, dass die
knöcherne Ankylose des I. Kuneo-Metatarsalgelenkes sehr gut gewölhta
und sehr leistungsfähige Füssc mit sich bringt, wenn anders auf eine gute
Priinärstcllung geachtet worden war. Diese Erfahrung deckt sich auch
mit älteren Wahrnehmungen, dass das sog. äussere Gewölbe (nach
Lorenz) das aus weniger Skelettelementcn besteht und durch weni¬
ger Ouergelenke unterbrochen ist, eine bedeutend höhere Widerstands¬
fähigkeit gegen sein Einsinken hat als das Innere. Dort wird der Druck
von 2 fest aneinander gefügten Knochenreihen, Kuboid und Metatarsalia.
als seitlichen Streben des Kalkaneus aufgefangen, während an der Innen¬
seite 4 Knochenreihen dazu dienen: Talus, Navikularc, Kunciformia und
Metatarsalia.
, Ich beschloss auf die Beweglichkeit in den Kuneiformia sowie zwi¬
schen diesen und Navikulare einerseits und dem Metatarsale I ander-
Anmerkung bei der Korrektur. Pat. erhielt mit 8 wöchigen
Pausen 3 mal 6,0 g Neo-Si-Sa. jVlärz 1921 Liquor und WaR. im Blut negativ.
Alle Liquorreaktionen normal. Objektiv am Nervensystem kein
pathologischer Befund; subjektiv Wohlergehen.
Digitized by Goiisle
seits zu verzichten. Ich glaubte dieses minimale Opfer an Funktion
um so eher bringen zu dürfen, als diese Gelenke für Gang und Stand
eine höchst nebensächliche Bedeutung haben. Fick selbst erklärt be¬
züglich der vorderen Fusswurzelgeleiike. dass diese in der Mitte zwi¬
schen den stabilen und labilen Gelcnksverbindungen stehen; sie könnten
nur kleine Parallelverschicbungcn und Rotationen ausführen. Was seine
weitere Ansicht über ihre Wichtigkeit für die Anpassungsfähigkeit und
Elastizität des Fusscs betrifft, so kann ich nur erklären, dass ich einen
merklichen Verlust in dieser Richtung bei den betroffenen Kriegs¬
beschädigten nicht habe feststellen können. Uebrigens bleibt ein Gut¬
teil der elastischen Elemente, sämtliche queren Gelenksknorpellagen, er¬
halten, und wird dadurch auch für später eine gewisse Federung garan-
tiert. ^
Grösser ist die Bewegungsfähigkeit im 1. Kuneo-Metatarsalgclenk.
Sie beträgt 15® Ab- und Adduktion, jedoch nur passiv an der Leiche.
Eine aktive Bewegung hält Eick nicht für möglich. Dreh- und dorso-
plantare Bewegung ist Hücht möglich, wohl aber eine geringe dorso-
plantare Verschiebung, die speziell vom Peron. long. im Sinne einer
Oppositon bewirkt wird. M. E. ist auch der Ausfall der Bewegung in
diesem Gelenke selbst für einen normalen Fuss belanglos, bei einem
kranken wird er Nutzen stiften, speziell dem Einsinken des Ouer-
gewölbcs und der Entstehung des Vorderfussschinerzes Vorbeugen
können, da der I. Metatarsus bei der Belastung nicht mehr mcdialwärts
abgedrängt werden kann, sondern mit dem V. Metatarsale zusammen
ein festes Widerlager für die Metatarsusköpfchen II, III und IV bildet.
Der Gang der Operation, die eine ganz eingehende Kenntnis der
Verhältnisse am Fussskelctt wie am Kapsel- und Bandapparat voraus¬
setzt, ist folgender:
Lappciisclinitt, an der Innenseite ,des Fusses etwas unterhalb der
Tuberositas des Os naviculare und 1 cm nach hinten davon begümend,
verläuft horizontal nach vorne
bis 2 cm hinter dem Gelenkspalt
des Grosszchengrundgelcnkes und
biegt hier rechtwinklig dorsal-
wärts um. Er endet mit einem
nach aussen konvexen Bogen am
Sinus tarsi. Dieser Haiitlappen
wird zurückpräpariert. An der
medialen Seite dringt man dann
auf Knochen- und Baridapparat
vor und schiebt die überliegcn-
den Wcichteile, voran den Ah-
ductor hall., stumpf plantar- und
lateralwärts ab. In gleicher
Weise werden dorsal die Strcck-
sehnen lateralwärts abgedrängt,
bis der Sinus tarsi zutage liegt.
Durch Dorsalflcxion- und Ab¬
duktion des Vorfusses wird diese
Freilegung erleichtert.
Man dringt nun mit einem
spitz-stumpfen Untcrbiridungs-
instrumerit an einer genau be¬
stimmten Stelle in den Sinus
tarsi und durch die zarte Kapsel
des unteren Sprunggelenkes
unter den Taliiskopf ein. Die
Stelle des Eingehens liegt lateral
vom Taluskopf, medial und
hinten vom inneren Schenkel des
Ligamentum bifurcatum und
vorne vom Ligamentum talo-
calcaneum interosscum. Indem
man nun das Instrument plantar, medial und etwas distalwärts vor-
bewegt, sucht man jene dünne Kapselpartie, die zwischen dem Liga¬
mentum calcaiieo-naviculare teres (unterer Chopartschlüssel nach Fick)
lateral und dem Ligarn. acctabuliformc medial einen Austritt auf die
medioplantarc Seite des Fusscs gestattet.
Die Ausstichstelle befindet sich etwa 1—iVs cm nach unten von der
Tuberositas navicularis beim normalen Fuss. Diese Verhältnisse können
sich beim Plattfiiss natürlich etwas verschieden gestalten.
Mittels des Unterbindungsinstrunientcs zieht man nun eine Gigli-
säge ein und durchsägt geradlinig das Os navic.. Os cuneiform. IL Os
cuneiform. I und Metatarsus I, so dass die Schnittfläche 2 cm distal
vom Kuneometatarsalgelenk I den medialen Fussrand schneidet.
Bei dieser Schnittführung bleiben die Gelenksflächen zwischen
Talus und Navikulare, das Ligam. teres und das Ligam. acetabuliforrae,
wie auch das Ligam. bifurcat. unverletzt. Die Ligamente zwischen
Navikulare und Kuneiformia und Metatarsus werden grösstenteils in
der Längsrichtung durchtrennt, was jedoch belanglos bleibt, da eine
'Ankylose zwischen den genannten Skeletteilcn erstrebt wird. Aus
demselben Grunde ist auch die quere Durchtremning der Ausstraldung^ii
des M. tibialis posticus zwischen Tuberositas navicularis und den Kunei¬
formia, die einzige nennenswerte Bänderschädigung überhaupt, für das
Endresultat gleichgültig Die Ansätze des Tib. post, an der Tuberositas
navic. und des Tib. ant. am Metatarsus I bleiben intakt, desgleichen
der Ansatz des Peron. long. am Metatarsus I. Andere Muskeln kommen
nicht in Gefahrbereich, denn der Abdiictor hall, und die Zehenstrecker
I werden mittels stumpfer Haken lateral abgezogen. Nach vollendetem
Sägeschnitt.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
457
Sägeschnitt ist der Fuss in einen medialen und lateralen Teil gespalten;
der mediale, ein ca. 6—7 cm langer, aus Knochen und Bändern und den
Ansätzen des Tib. ant. und post, bestehender Lappen, hängt zunächst
nur mittels des Ligam. deltoideum acetabulii'orme und talonavic. dorsale
sowie dünnerer Kapselpartien mit Talus und Kalkaneus zusammen. Es
ist leicht ersichtlich, dass er durch Fortfall der lateralen Bänder, die
an der anderen Schnitthälfte des Navikulare ansetzen, gut adduziert
und auch etwas dorsal oder volar flektiert werden kann.
Der laterale Teil artikuliert nun nach Loslösung von seinem früher
wegen gegensätzlich gekrümmter Gelenksflächen als Hemmung der
Chopartgelenkbewegungen wirkenden medialen Teil frei im Kalkaneo-
Kuboidgelenk. Dieses Gelenk gestattet nun nach Fick eine ziemlich
ausgiebige Bewegung um eine vertikale, eine horizontale und eine
Längsachse, die durch den Processus styloideus des Würfelbeines geht.
Wir haben also jetzt eine ganz ausgiebige Möglichkeit, den ganzen Vor-
fuss in einen beliebigen Korrektionsgrad der Plattfussstellung über¬
zuführen. Es ist zweifellos eine weitgehende Wiederaufrichtung des
Gewölbes möglich unter Einbeziehung der hinteren Tarsusanteile, welche
einzig und aüein durch eine höhergradig verkürzte Achillessehne daran
gehindert werden könnten. Dagegen kann mati aber mit offener und
dosierter Tenotomie derselben leicht aufkommen.
Haben wir nun einen uns genügend erscheinenden Redressionsgrad
erreicht, so prägt sich derselbe in einer sehr wesentlichen Verschiebung
der einander zugekehrten Knochenschnittflächen aus. Der mediale Lap¬
pen überragt am inneren Fussrand die Schnittflächen des lateralen um
1 bis mehrere Zentimeter nach vorne, unter Umständen wird er auch
dorsal etwas überragen. Je nach Wunsch kann man diese Stellung durch
starke Seide oder Drahtnähte fixieren. Vorstehende Knochenkanten wer¬
den mit der Knocherizange abgetragen. Es zeigt sich nun, dass die
queren Gelenksspalten auf der jeweils gegenüberliegenden Seite durch
Knochen überbrückt werden, und dass auf diese Weise eine sichere
Ankylose zwischen den im Schnittbereich liegenden Skeletteilen zu
erwarten ist. Der Hautlappen wird zurückgeschlagen und vernäht.
Nach 14 tägigem Gipsverband in überkorrigierter Stellung wäre mit
aktiven Bewegungen — Heissluft und Massage — zu beginnen. Inner¬
halb dieser Zeit von ca. 14 Tagen hätte die Anfertigung einer soliden,
bis zum Fussballen reichenden Einlage zu erfolgen. In weiteren
14 Tagen Gehversuche. Nach insgesamt 6—8 Wochen steht Heilung
zu erhoffen, während nach Ablauf des 1. Jahres die Konsolidation soweit
vorgeschritten sein dürfte, dass auf Einlagen verzichtet werden kann.
Als Vorteile meines Operationsplanes möchte ich ausser der voll¬
kommenen Schonung von Muskeln und Bändern die Herstellung einer
soliden Knochenbrücke vom Taluskopf bis *zum Grosszehengnindgclenk
hervorheben, wodurch die Arbeit der gewölbeerhaltenden Faktoren
wesentlich erleichtert wird. Durch gründliches Redressement, dessen
Einhaltung durch die neuen Knochenverbindungen gesichert erscheint
erreichen wir eine ideale Fussform. Ausserdem bekommt der Taluskopf
durch die Verschiebung der Navikularepfanne nach innen und oben
ein Widerlager von grösserer Bogenweite. Das sonst frühzeitig über¬
mässig in Anspruch genommene, überdehnte und meist druckschmerz¬
hafte Ligam. acetabuliforme wird entlastet und kann sich verkürzen.
Das Einsinken des vorderen Ouergewölbes und damit die Entstehung
des Vorderfussschmerzes ist nicht so leicht möglich.
Schliesslich steht zu hoffen, dass Einlagen nach Ablauf einer ge¬
wissen Frist, c^^ 1 Jahr, entbehrt werden können. Die Schwierigkeit und
Gefahr der Operation ist gewiss geringer als die einer Bassinioperation;
betreffs der Heilungsdauer dürfte sie den übrigen Plattfussoperationen
nicht nachstehen; keinesfalls dürften die Beschwerden so langwierige
und hartnäckige sein, wie die von Riedl betreffs der Gleich-
Brenner sehen Operation berichteten.
Aus dem Pathologischen Institut der Universität Köln.
Die roten Blutkörperchen in Dunkelfeldbeleuchtung*).
Von Prof. Dr. A. Dietrich.
In Nr. 5 dieser Wochenschrift hat Bechhold über den Bau der
roten Biutkörperchen und ihre Veränderungen bei Hämoiyse Anschau¬
ungen entwickelt, die sich auf Untersuchungen in Dunkelfeldbeleuchtung
stützen. Da sich dieser Untersuchungsmethode die Aufmerksamkeit
wieder mehr zuwendet, wie aus dem gleichzeitigen Erscheinen von
drei Abhandlungen in derselben Nummer hervorgeht, und man sich von
threr weitgehenden Anwendung viel Neues verspricht (vgi. Hoff-
mann), so möchte ich auf .einige ältere Untersuchungen hin weisen,
die von mir in den Jahren 1908 bis 1910 schon mit der gleichen Me¬
thode angestellt wurden. Bezüglich des Baues der roten Blutkörperchen
kamen sie zu nahezu den gleichen Anschaungen. wie sie neuerdings
Bechhold gewonnen hat, sie führten aber in, der Betrachtung der
hämolytischen Vorgänge bereits weiter und weichen in manchen Einzel¬
beobachtungen so wesentlich ab, dass mir ein kritischer Vergleich, unter
Heranziehung einiger noch nicht veröffentlichter Beobachtungen, nicht
überflüssig erscheint.
Der Vorteil der Dunkelfeldbeleuchtung (nicht Ultramikroskop, wie
immer noch fälschlich geschrieben wird), mag man den Paraboloid-
kondensor oder den neueren Helldunkeifeldkondensor benützen, besteht
nicht nur darin, das man die roten Blutkörperchen in ihren Veränderungen
•) Nach einem Vortrag in der mediz.-wissensch, Vereinigung an der
Universität Köln am 4. III. 21.
verfolgen kann, sondern dass man sie auch in photographischen Moment¬
aufnahmen festzuhalten vermag, besonders bei Benützung einer Spiegel¬
reflexkamera.
Die Erscheinung im eigenen Serum als rundliche Scheibe mit hell¬
leuchtendem Rand wird durch die Abbeugung der Lichtstrahlen durch das
Hämoglobin bedingt; der Rand ist nicht der Ausdruck einer Hüllschicht.
In isotonischer Kochsalzlösung nehmen die Blutkörperchen Kugelform
an und erscheinen dadurch kleiner. Viejfach sieht man kleine Spitzchen
über den Rand hinausragen (Kugelstechapfelform), die schon Alb recht
als Ausdruck einer Membran ansah. Auch bilden sich an diesen Spitz¬
chen feine flottierende Fädchen, also nicht erst bei Hämolyse (Bech¬
hold). Sie sind von letzterem als Ausströmungen des Lipoids an¬
gesehen worden, können aber ebensogut Niederschlagsbildungen bzw.
Gerinnungsfädchen in dem Medium sein, ausgehend von anhaftenden
Blutplasmarestchen.
Bei Uebergang in diese Kugelform bemerkt man oft schon eine feine
Doppellinie oder Saum, der noch deutlicher wird bei .eintretender
Wasserhämolyse. Ich habe diesem Saum anfangs grosse Bedeutung zu¬
gemessen, bis ich erkannte, dass nur Lichtbeugungen vorliegen. Auf
solche führe ich aber auch die Schilderung zurück, die Bechhold
von der Hämolyse in hypotonischer Kochsalzlösung bzw. Wasser, auch
in dünner Sublimatlösung gibt. Er spricht von einem konzentrischen
Ring, der sich vom Rand loslöst; aber in welcher Weise das Hämoglobin
austritt, geht aus der Beschreibung nicht hervor. Von einem Zurück¬
ziehen eines Ringes oder einer Blase habe ich nie etwas gesehen, auch
auf keinem meiner zahlreichen Photogramme dargestellt. Man sieht so
etwas weder bei den kernlosen roten Blutkörperchen, noch bei den
kernhaltigen der Vögel und des Frosches. Vielmehr setzt die Wasser¬
hämolyse mit einer Kugelbildung ein, mit scharf glänzendem Rand, so
dass es einen Augenblick sich zusammenzuziehen scheint. Dann qujlit
aber das Körperchen; manchmal sieht man einige fein glänzende Pünkt¬
chen am Rand auftreten und sich bewegen, auch ein feiner schleier¬
artiger Glanz kann über die Oberfläche huschen, aber durchaus nicht
immer. Plötzlich verblasst der Glanz und es bleibt ein zarter, kreis¬
runder Ring, der Blutschatten, zurück, im Innern optisch völlig leer.
Später können Niederschlagsbildungen eintreten, aber es lässt sich
nicht entscheiden, ob sie im Innern oder im Rand liegen. Das Hämo¬
globin tritt durch de Diffusion bzw. Exosmose durch die Hülle, nicht
durch einen Riss, nur bei Hühnerblut und Froschblut habe ich verein¬
zelt, bei stürmischem Ablauf, einen Austritt der Kerne durch einen
Riss beobachtet. Ich habe diese Vorgänge so oft verfolgt und in
Momentaufnahmen festgehalten, dass alle Phasen, deren rascher Ablauf
die unmittelbare Beobachtung leicht täuschen kann, klar vorliegen.
Die Hämolyse in Saponinlösung unterscheidet sich von der Wasser¬
hämolyse dadurch, das das unregelmässige Randaufleuchten vor der
Lösung viel deutlicher ist. Der Schatten wird ein feinwolkiges Gebilde,
das gewöhnlich auch die kreisrunde Form einbüsst. Ich stimme in der
Auffassung, dass Niederschlagsbildungen vorliegen, mit Bechhold
überein. An den kernhaltigen roten Blutkörperchen treten diese Nieder¬
schläge auch am Kern deutlich in Erscheinung.
Besonders anschaulich sind die Vorgänge der Serumhämolyse,
die, so ausgedehnt ihre Verwendung in Laboratorien ist so wenig bis
jetzt in ihren morphologischen Erscheinungen verfolgt wurde (B a u m -
garten). Benützen wir das übliche System: Hammelblut inaktives
Kaninchen-Immunserum und Komplement so sehen wir schon durch
das inaktive Serum (Ambozeptor) geringe Veränderungen bewirkt be¬
stehend in Bildung feiner Rauhigkeiten und in Neigung zu lockerer
Häufchenbildung (Agglomeration, Baumgarten). Bei Zusatz des
Komplementes kommt es zu dichter Aneinanderlagerune (Agglutina¬
tion. Verklumpung), die Blutkörperchen werden sofort noch
kleiner, mit stark glänzendem Rand. Man sieht an diesem stärker
leuchtende Pünktchen auftreten und sich bewegen, das ganze Blut¬
körperchen oft zittern oder einen flüchtigen Glanz darüber hinziehen:
dann folgt schnell eine Aufquellung, ein Abblassen und Verschwinden
des Randes. Es bleibt der kreisrunde Schatten, der ausser dem matten
Rand auch eine leichtwolkige Fläche erkennen lässt und zahlreiche
glänzende Pünktchen. Der Serumschatten ist schon bei direkter Be¬
leuchtung sehr viel besser zu erkennen als der kaum sichtbare
Wasserschatten, worauf ja Ehrlich anfänglich eine nicht richtige Vor¬
stellung aufgebaut hatte; auch im Dunkelfeld ist der Unterschied immer
ein sehr deutlicher. Bei den Vogelblutkörperchen (Hühnerblut-Hunde¬
serum) ist die gleiche Beobachtung zu machen: zuerst Kugeligwerden,
aber mit stärkerer Sichtbarkeit des Kernes, dann Abblassen des Randes,
endlich Ausstossen feiner Bläschen votn Kern. Der Schatten ist leicht
getrübt und bleibt mit unverändertem Kern erhalten.
Um nun in die Natur der Blutkörperchenhülle nach Austreten des
Hämoglobins tieferen Einblick zu gewinnen, habe ich die Blutschatten,
besonders nach Wasser-, Saponin- und Serumhämolyse, den gleichen
Einwirkungen wie die Blutkörperchen vorher unterworfen. Hierbei ist
bemerkenswert, da.ss Wasserschatten nach gründlichem Auswaschen in
isotonischer Kochsalzlösung wieder sehr viel schärfer hervortreten als
anfangs. Der Rand ist glänzend und kreisrund. Der Schatten schrumpft
in hypertonischer Kochsalzlösung, quillt wieder bis zur Unsichtbarkeit
in Wasser, erfährt wolkige Trübung in Saponin. Eigentümlich ist das
Ausbleiben oder nur geringe Auftreten einer Agglutination in Rizinlösung,
wobei glänzende Pünktchen am Rand auftreten. Serumschatten ent¬
halten auch nach Auswaschen in Kochsalzlösung immer einzelne tanzende
Körnchen, teils auf der Scheibe, teils am Rand. Ich möchte mich hüten,
die Lage dieser Körnchen genau zu deuten. Diese Schatten quellen in
hypotonischer Lösung bzw. In Wasser nur wenig auf, sie nehmen eine
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
458
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHPIFT.
Nr. 15.
mattgraue, unregelmässige, wie zerknittert aussehende Form in Sa¬
ponin an.
Saponinschatten behalten das wolkige Aussehen nach Auswaschen
bei, sie quellen wohl auch in Wasser, doch unw'esentlicher. Bei Hühuer-
blutschatten aber ist bemerkenswert, dass in Wasser eine erhebliche
Ouellung des Kernes eintritt und Auflösung in kleine Bläschen.
Auf Grund dieser Beobachtungen und anderer, z. B. dem Verhalten
in Borsäurelösung, bin ich zu einer Vorstellung vom Bau der roten
Blutkörperchen gekommen, die, trotz Abweichung in den Einzelbeobach¬
tungen, weitgehend mit der von B e c h h o 1 d übereinstimmt, wie mit den
schon früher von Albrecht, Koeppe und Weidenreich auf-
gestelltcn Anschauungen. Die kernlosen roten Blutkörperchen der Säu¬
ger bilden Bläschen, deren Wand aber nicht nur eine passive Membran
darstellt, sondern vom Protoplasma gebildet wird mit den Lipoiden
(Lezithin, Cholesterin). Eine Struktur dieser Hülle vermag man meiner
Ansicht nach aber weder am unversehrten Blutkörperchen noch an den
Schatten jeder Art festzustellcn; die Niedcrschlagstrübungen nach Fäl¬
lungsmitteln (B e c h h 0 1 d) können dafür nicht verwertet werden. Das
Bläschen (Protoplasma) schliesst eine flüssige Masse (Paraplasma)
ein, deren wesentlichster Bestandteil, das Hämoglobin, die Erscheinungen
im Dunkelfeld bestimmt. Bei keinerlei Einwirkung war an den kern-
losen roten Blutkörperchen eine Innenstruktur zu erkennen: bei den
kernhaltigen roten Blutkörperchen durchziehen Plasmafäden das Innere
und schliessen den Kern ein, also ähnlich wie in einer Pflanzenzelle.
Hämolyse tritt durch Einwirkungen auf die Bläschenhülle ein. welche
das gegenseitige Verhältnis der Bestan^’teile, dadurch die Oberflächen-
.spannung einerseits, die Durchlässigkeit andererseits verändern, so dass
das Hämoglobin diffundiert. Ob die Entmischung der Hülle durch Fäl¬
lungen im Proteinkörper einerseits oder Ouellung und Emulgierung der
Lipoide anderseits eingeleitet wird, darüber gibt die Dunkelfeldbeleuch¬
tung selbst keinen Aufschluss, dies muss aus Vergleichsunteruchungen
geschlossen werden. Die Erscheinungen der Serumhämolyse sprechen
für Veränderungen im Proteinkörper. wiewohl auch nach anderen Be¬
obachtungen eine Einwirkung auf die Lipoide möglich ist. Auch bei
Saponinhämolyse sind Niederschlagsbildmigen offensichtlich und das Ver¬
halten der Wasserschatten wird hauptsächlich durch Ouellungsvorgänge
erklärt. Somit ergibt sich Ucbercinstimmung mit den Ansch-auungen,
die B e c h h 0 I d auf das kolloidchemische Verhalten der 3 Bestand¬
teile gründet. Ich möchte aber warnen, aus dem Auftreten der leuchten¬
den Körnchen allzu weitgehende Schlüsse zu ziehen. Das Dunkclfeld ge¬
stattet keinen Einblick in deren Natur: sie können Lipoidtröpfchen sein,
abdr auch Hämoglobinrestchen einschliessen. wie besonders ^us den
eigentümlichen Veränderungen kernhaltiger Blutkörperchen in Borsäure
hervorgeht. Jedes optisch dichtere Teilchen leuchtet.
Literatur. Baumearten: Arb. Path. Institut Tübingen, Bd. 5,
1905. — A. Dietrich: B.klW. Nr. 31, 1908, Verhandl. d. deutsch. Path.
Ges. Bd. 12. 1908. Arb. Path. Institut Tübingen. Bd. 6, 1908. — Weiden-
reich: Rrgeb. d. Anat. Bd. 13 u. Bd. 14, 1904.
Aus der Universitäts-Hautklinik in Bonn.
(Direktor: Prof. E. Hoffmann.)
Nachtrag zu meiner Arbeit Ober das Hoffmannsche
. „Leuchtbildverfahren“*).
Von Egon Keining.
Herr Geheimrat P o s n e r hat mich brieflich darauf aufmerksam
gemacht, dass ich in meiner obigen Arbeit seine Dunkelfeldunter¬
suchungen nicht genügend erwähnt habe. Hierzu möchte ich bemerken,
dass es ausschliesslich in meiner Absicht lag, zu zeigen, dass die Unter¬
suchung fixiert gefärbter Ausstriche und Schnitt¬
präparate im Dunkelfeld weitgehend vernachlässigt
worden ist; demgegenüber habe ich naturgeibäss das, was das
Dunkelfeld auf anderen Gebieten z. B. an nativem Ma¬
terial geleistet hat, nicht eingehend besprochen. In¬
dessen weise ich gern auf die zahlreichen Arbeiten von
Posner [1] über die Leistungsfähigkeit des Dunkel¬
feldes zur Untersuchung nativer Sedimente und auf die
Nachprüfung seiner Befunde (z. B. Nachweis gewisser
Details an Samenfäden, Zusammenhang zwischen
Zylindern und präzylindrischen Gebilden, die Stein¬
bildung betreffend etc.) und deren Bestätigung durch zahl¬
reiche Autoren wie Saar, Brugsch, Schilling u. a. [1] hin..
Ich habe die wichtigsten diesbezüglichen Arbeiten im Literatur¬
verzeichnis angegeben. — Uebrigens muss es in meiner Arbeit
Scheffer statt „Stephan“ heissen; der Name ist in dem Bericht
der M.m.W. 1908 S. 1564 falsch wiedergegeben.
Ferner hat Herr Dr. Geize mich darauf aufmerksam gemacht,
dass er bereits fixierte Präparate im Dunkclfeld untersucht hat. Aus
seinen Arbeiten [2] geht zweifellos hervor, dass er fixierte ge¬
färbte Präparate im Dunkelfeld untersucht hat. In¬
dessen erwähnt er nur das Unvorteilhafte an den Bildern: die
Spirochäten werden entweder von Epithelien etc. überstrahlt
oder es sind zahlreiche störende Farbstoffniederschläge
vorhanden. Demgegenüber haben w i r die Brauchbarkeit des
Leuchtbildes in geeigneten Fällen h e r v o r g e h o b c n
•) Diese Wochenschrift 1921 Nr. 5.
und haben auf dieser Basis die Methode systematisch
ausgebaut. Zwischen 0 e 1 ze und uns gehen also die Ansich¬
ten über die Eignung (fer Methode nicht unwesent¬
lich auseinander. Speziell Spirochäten finden wir In ge¬
eigneten Ausstrichen und Schnitten nicht nur bedeutend leichter
und oft wesentlich zahlreicher und sicherer (was für viele
Untersuchuns:en ausschlaggebend sein kann), sondern wir machen in
geeigneten Fällen auch Feinheiten deutlicher, die uns im
Hellfeld teilweise entgangen wären. Hierdurch ist uns das Leucht-
bil d, ganz besonders bei nur schwach färbbaren, zarten, enggewun¬
denen, fixierten Leptospiren sehr wertvoll geworden. Neu ist
das Leuchtbildverfahren meiner Ansicht nach dadurch, dass
E. Hoffmann seine grosse praktische Brauchbarkeit
erkannt und geeignete Versuchsbedingungen an¬
gegeben hat, so dass es nunmehr wohl Eingang in die mikro¬
skopische Praxis finden und manche Einzeluntersuchungen fördern wird.
Die Tatsache, dass diese Ausnutzung des Dunkelfeldes unbe¬
kannt geblieben ist. ist trotz der kurzen Mitteilungen von
Siedentopf, Arning, P. Schmidt - Halle und O e 1 z e un¬
bestreitbar und wird neuerdings klar beleuchtet durch eine kurze Mit¬
teilung von Prof. F i c k e r in der D.m.W. 1921 Nr. U. der die „L e u c h t -
bildmethode“ für das Studium von Bakteriengeissein auch
nach Minimalfärbung erprobt hat und angibt, dass sich Typhus-
und K 0 1 i b a z i 11 e n bei guter Präparierung im Leuchtbild unterscheiden
lassen. In bezug auf die obengenannten Autoren kann ich auf eine
weitere Arbeit von Prof. Hoffmann verweisen, die in der
Dermatol. Zeitschrift erscheint, und worin er neuerdings Stellung zu
diesen Fragen nimmt.
Im Anschluss hieran möchte ich kurz mitteilen, dass Herr Hol¬
länder und ich in der hiesigen Klinik ganz vorzügliche
Leuchtbilder mit der vön S h m a m i n e angegebenen [31 und von
Oelze [4] für das Hellfeld empfohlenen Färbetechnik
erzielt haben. Die Präparate sind auch im Dunkelfeld sozu¬
sagen frei von Niederschlägen und lassen selbst sehr zarte
Spirochäten absolut scharf und intensiv leuchtend
erkennen.
Die Ausstriche werden vorsichtig über der Flamme oder mit
Methylalkohol kurz fixiert. Darauf tropft man auf die Schichtseite des
Objektträgers 10 Tropfen Iproz. Kalilauge; ln diese werden
sofort 10 Tropfen einer wässrigen Fuchsinlösung (ein
Teil konzentrierte alkoholische Fuchsinlösyng mit 20 Teilen Aqu. dest.
verdünnt) hineingetropft und so lange gewartet, bis nach etwa
3 bis 4 Minuten das Fuchsin fast farblos geworden ist. Ab¬
spülen in Wasser, Trocknen zwischen Fliesspapier, Untersuchung im
Dunkelfeld. Die Färbung kann durch Wiederholung verstärkt werden.
Literatur.
I. B.kl.W. 1907 Nr. 50; 1908 Nr. 31; 1909 (mit Scheffer) Nr. 6;
1910 Nr. 3; 1913 Nr. 44; 1915 Nr. 8; 1918 Nr. 32: Zschr. f. Urol. 1908;-Zschr.
f. Unters, d. Nahrungs- u. Oenussmittel 1915. 8; Derm. Studien (Unna-Fest¬
schrift 1910). Ferner: Neuberg; ,.Der Harn“, Berlin 1911; Diagnostische
und prognostische Bedeutung der Harnsedimente, Halle 1912; Kraft: Ana¬
lytisches Diagnostikum, 3. Aufl., Leipzig 1921; Brugsch und Schilling:
Fol. haematol. 1908; Saar: B.kl.W. 1918; Lackner: Inauguraldissertition,
Berlin 1916 Beyse: Inauguraldissertation. Berlin 1920. — 2. z. B. M.m.W.-
, 1920 Nr. 32 S. 921—923. — 3. Zbl. f. Bakt. Orig. 61. 1912. S. 410. — 4. M.m.W.
1919 Nr. 38 S. 1084. _
Das Filter fUr die RSntgen-Tiefentherapie.
Von Ing. Baumeister, Erlangen.
Es besteht vielfach die Meinung, dass es gleichgültig sei, welches
Material man zur Filtrierung der Röntgenstrahlen für die Tiefenthe'apie
verwendet, wenn es rrtir in entsprechender Stärke benützt wird. Diese
Ansicht ist irrig, nachstehender Versuch beweist dies:
Wir benützen für diesen Versuch drei Filter aus Material mit sehr
verschiedenem Atomgewicht: Zink, Aluminium, Hartpapier und stellen
mittels des lontoquantimeters fest, wie dick das Aluminium- bzw das
Hartpapierfilter sein muss, damit hinter diesen beiden Filtern die gldchc
Strahlenintensität gemessen wird, wie hinter dem Zinkfilter, we ches
0,5 mm dick gewählt wurde. Bei der für den hier vorliegenden Ve such
benutzten Strahlenqualität wurde nun hinter 0,5 mm Zink, 11 mm
Aluminium und 52 mm Hartpapier gleiche Strahleninteilsität festgestellt:
mit anderen Worten bei defi drei verschiedenen Filtern war der Ablauf
des lontoquantimeters gleichzeitig.
Deshalb nun anzunehmen, alle drei Filter wären gleichgut geeignet,
ist falsch; dies ist der Fehler der häufig gemacht wird, dass man sich
mit dieser einen Messung begnügt. Bei der Röntgentiefentherapie d irfen
wir uns nicht mit der‘Oberflächenmessung begnügen, sondern müssen
auch feststellen- welches Verhältnis zwischen Oberflächendosis und
Tiefendosis besteht und hier gibt uns die Festteilung der von W n t z
eingeführten prozentualen Tiefendosis den besten Aufsc'iluss.
Die Messung hinter dem Filter gibt uns nur die Strahlenquant tat
an; aus der prozentualen Tiefendosis erkennen wir aber die Stiah-
lenqualität und diese ist das Wichtigste bei der Röntgenti."fcn-
therapie.
In folgende Tabelle sind nun die Ablaufzeiten des lontoquantim jters
ohne und mit Ueberschicht (10 cm Wasser) vor der Messkamme bei
den verschiedenen Filtern eingetragen.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
i
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4 »
0,5 Zn
11 mm Al.
52 mm
Hartpapier
Ohne Ueberschicht . . .
10 cm W’a.sser.
56 Min
155 Min.
,56 Min.
191 Min.
. 55 Min.
1 252 Min.
Aus diesen Messwerten ergibt sich, dass hinter der lO-crn-Wasser-
schicht bei Benützung
des 0,5 mm Zn.-Filters .36 Froz.
des 11 mm Al.-Fitters.29
des 52 mm Hartpapier-Filters.22
der Strahlenintensität noch vorhanden sind.
Die prozentuale Tiefendosis beträgt dann bei einem Fokus-Haut¬
abstand von 23 cm in 10 cm Wassertiefe (Körpertiefe)
mit dem 0,5 mm Zn.-Filter.18 Proz.
mit dem 11 mm Al.-Filter.14,5 „
mit dem 52 mm Hartpapier-Filter .... 11
Worauf nun diese ganz erheblichen Unterschiede in der Strahlen-
qualität zurückzuführen sind, kann mit folgendem erklärt werden:
Wenn wir in den Strahlengang irgendeine Materie bringen, dann
wird ein Teil der Röntgenstrahlen in der durchstrahlten Materie ver¬
loren gehen. Dieser Strahlenverlust resultiert aus absorbierten
und zerstreuten Strahlen.
Absorbiert werden am stärksten die weichere n Strahlen
und die Grösse der Absorption ist abhängig in erster Linie vom Atom¬
gewicht der durchstrahlten Materie, in vorliegendem Fall von dem
Atomgewicht des Filtermaterials.
Zerstreut werden alle Strahlen, sowohl die weichen als auch
die harten, und die Grösse der Streuung ist abhängig von der Länge
des Weges, welchen die Strahlen im Filtermaierial zuriicklegen
müssen.
Schematisch lässt sich dies folgendermassen darstellen: Zwei gleich¬
grosse Quadrate stellen die gleichgrosse, von der Röntgenröhre aus¬
gehende Strahlenquantität und Qualität dar. Die sechs senkrechten Telle
sollen die Qualität, das Strahlengemisch (links sehr weich, bis rechts
sehr hart), die sechs wagrechten Teile sollen die Quantität der Strahlung
darstellen; es ist also angenommen, dass von jeder Strahlengruppe die
Strahlenmenge gleichgross ist.-
Nun wird diese Strahlung mit 0,5 mm Zink gefiltert und infolge des
hohen Atomgewichtes des Filtermaterials wird die Strahlung der drei
Strahlengruppen: sehr weich, weich und mittelweich absorbiert (einfach
schraffiert). Infolge der gelingen Dicke des Filters, also infolge des
kurzen Weges, welchen die Strahlen im Filter zurückziilegcn haben,
werden nur wenige zerstreut, angenommen von den übrigen drei
Strahlengruppen je ein Sechstel (doppelt schraffiert).
P
P
i
m
■
m
s
*
m
m
m
W'
S, weich. S. hart.
i
P
p
Ü
2
1
m
P
8. weich. S. hart.
Im zweiten Falle wird mit 52 mm dickem Hartpapier gefiltert.
Infolge des geringen Atomgewichtes dieses Filtermaterials werden nur
die weichsten Strahlen absorbiert, also eine Gruppe; da aber dieses Filter
nicht 0,5 mm dick ist, wie das Zink, sondern 52 mm, ist der Strahlenweg
im Filter viel länger und die Zerstreuung der Strahlen aller übrigen Härte¬
gruppen ist viel grösser; angenommen je drei Sechstel.
Bei unseren beiden schematischen Darstellungen ist nun die übrig-
bleibende ungestrichelte Fläche, also die nach den beiden Filtern noch
vorhandene Strahlenquantität gleichgross, aber die
S t r a h 1 e n q u a 1 i t ä t ist sehr verschieden; während im ersteren
Falle, bei der mit 0,5 Zm gefilterten Strahlung die weicheren Strahlen¬
gruppen fehlen und von den harten Strahlengruppen nur je ein Sechstel
der Intensität fehlt, bemerken wir im zweiten Falle bei der mit 52 mm.
Hartpapier gefilterten Strahlung, dass nur die weichste Strahlengruppe
fortgefallen ist, von allen übrigen Strahlengruppen, auch von den
härtesten, je drei Sechstel der Intensität fehlen.
Selbstverständlich wird der Strahlenverlust bei den verschiedenen
Filtern nicht so sein, wie hier angegeben, die Darstellung der Strahlen¬
verluste im Filtermaterial ist, wie bereits erwähnt, schematisch, um
den Vorgang leicht verständlich zu machen. Natürlich werden z. B.
beim Zinkfilter nicht alle weichen Strahlengruppen durch Absorption aus
dem Strahlengemisch geschieden, es werden das Filter auch mehr oder
weniger weiche, mittelweiche und mittelharte Strahlen passieren; wir
müssten also die geraden wagrechten und senkrechten Verlustlinien
durch Kurven ersetzen, dies ändert jedoch nichts, es werden doch zwei
gleichgrosse Flächen bleiben.
Das Filter für die Röntgentiefentherapie muss sonach aus einem
Material von möglichst hohem Atomgewicht bestehen, damit es mög¬
lichst dünn verwendet werden kann; es muss ein sehr gleichmässiges
Gefüge besitzen und darf nicht porös oder blasig sein.
Nach dem Vorhergegangenen müsste beispielsweise ein Goldfilter
noch geeigneter sein als ein Zinkfilter, es würde bei jenem eine Stärke
von ca. 0,18 mm genügen. Abgesehen aber von dem hohen Preis, auf
den ein solches Filter zu stehen käme, müsste man die unbedingte
Garantie haben, dass dasselbe auch tatsächlich an jeder Stelle 0,18 mm
stark ist; es müsste vor der geringsten Verbeulung und Beschädigung
überhaupt geschützt werden, denn an einer Stelle, die nur einige
hundertstel Millimeter dünner ist, würden gleich erheblich viel mehr
Strahlen das Filter passieren, die an der betreffenden Stelle die Haut
schädigen könnten. Aus diesem Grunde ist es zweckmässiger, für den
praktischen Betrieb z. B. das 0,5 mm-Zinkfilter zu benutzen. Zink erhält
durch Walzen, wenn es dabei auf ungefähr 130” C erhitzt wird, ein
ausserordentlich feines Gefüge und eignet sich deshalb besonders zur
Strahlenfiltrierung.
Aortenruptur.
Von Dr. Hermann Schöppler.
Die Aortenrupturen besitzen das rege Interesse der Aerzte. Dies
ist schon ersichtlich aus der relativ grossen Literatur hierüber. Aus ihr
ist zu entnehmen, dass die Fälle der Spontanruptur der Aorta schon im
Hinblick auf die Beurteilung einer etwaigen Unfällfolge von Interesse
sind, andererseits aber auch nach Art ihrer Entstehung bemerkenswert
erscheinen. Erkrankungen allgemeiner wie .spezifischer Natur können
vorbereitend die Grundlage bilden, auf der dann seinerzeit das kata¬
strophale Ende erfolgt. So wissen wir zum Beispiel, dass luetische Er¬
krankungen der Aortenwand zur Bildung von Aneurysmen neigen lassen,
die dann die Ruptur der Wand mit sich im Gefolge haben können. Aus
den von R ö s s 1 e Q, Busse“), M a 1 m s t e n “) u. a. beschriebenen
Fällen geht dies mit Deutlichkeit hervor. Auch die Arteriosklerose
vermag den Boden für eine schliessliche Berstung der .Aortenw^and vor-
zuberciten. Bekannt ist ferner, dass Erkrankungen in der nächsten Um¬
gebung der grossen Körperschlagader, wde z. B. Karzinom der Trachea
und des Oesophagus, Abszesse des Mediastinums usw. zur Aortenruptur
die Veranlassung abgeben können. Selbst metastatische Entzündungen
durch Verschleppung infektiösen Materials, w'ie z. B. MerkeO und
H a n s e r ®) solche Fälle beschrieben haben, müssen für die Ruptur des
grossen Qefässes mit in Betracht gezogen werden. Ihre Einwirkung
dürfte nach den erwähnten Autoren kaum angezw^eifelt werden.
Ausser diesen durch Krankheiten bedingten Ursachen ist bei der
Spoiitanruptur der Aorta auch das Trauma in den Betrachtungskreis mit-
hercinzuziehen. Ja in der Unfallsfrage kommt dieses zunächst in Frage.
Dasselbe kann ein sehr schweres, dann auch ein geringgradiges sein.
Zu ersterem müssen z. B. die Zerreissungen der Aorta gerechnet werden,
die beispielsweise bei Fliegerabstürzen zur Beobachtung kamen. Ich
verweise hier nur auf die Veröffentlichungen von J a f f e *), Oppen¬
heim“). G, B. Grub er*). Bei hochgesteigertem Drucke brachte
hier die Blutsäule die Gefässwand zum Bersten. Diese Drucksteigerung
in der Hauptschlagader kann aber auch durch ein weniger hochgradiges
Trauma die Ruptur veranlassen. Aussergewöhnliche Muskelspannungen,
wie Busse einen solchen Fall beschreiben konnte, bei w^elchem beim
Bändigen eines störrischen Pferdes die Ruptur zustande kam, oder wMe
im Falle Binder*), w’o durch das Tragen eines schweren Sackes die
Ruptur hervorgerufen wurde, können das auslösendc Moment zur Ruptur
abgeben. Dabei braucht, wie dies in letzter Zeit Oppenheim über¬
zeugend nachgewiesen hat, die .Aortenw’and keinesw-egs durch eine Er¬
krankung für die Zerreissung vorbereitet sein. Es gibt also auch Fälle
von Aortenrupturen, bei denen histologische Veränderungen der Wand
nicht nachgewäesen w-erden können.
Ein nicht uninteressanter Fall von plötzlicher Aortenzerrcissung soll
nun nachstehend zur Beschreibung kommen:
Die Frau des Obergencralarztes H. erkrankte im Jahre 1012 an In¬
fluenza. Dauer der Erkrankung etw'a 3 Wochen. Im Jahre 1914 hatte die¬
selbe eine fieberhafte Bronchitis. Es wurde ein systolisches Geräus:h am
Herzen fpstgestellt. Von da ab erfolgte rasches Altern, gewaltige Abnahme
der körperlichen Leistungsfähigkeit, Herzklopfen beim Stiegensteigen trat ein.
Nach Anstrengungen zeigte sich eine tiefe Blässe. Es kam zu starker Ab¬
magerung (bei einer Körpergrösse von 171 cm ein Körpergewicht von 50 kg).
Im Jahre 1918 erfolgte eine Erkrankung an Pneumonia crouposa. Der Blut¬
druck war 185. Am 5. September erlitt die Frau eine Fractura colli fern. sin.
Während der Heilung entstand im Oktober eine sog. Eintagspneumonie. Als
^) R. R ÖS sie: M.m.W. 1910 Nr. 6.
“) O. Busse: lieber traumatische Aortenaneurysmen. Verh. d. D. path.
Oes. 1906.
*) Malm steil: Studier öfver Aorta Aneurysmens Etiologi. Stockholm
1888.
*) Merke: Ein Fall von akuter Endaortitis mit Bildung von zwei
Aneurysmen und Ruptur der Aorta. Schweiz, m. Wschr. 1920 Nr. 7.
®) R. Hanser: Aortenruptur nach embolischem Lungenabszess. Frankf.
Zschr. f. Path. Bd. 22 H. 3.
®) Jaffd und Sternberg: Der Fliegertod. Vrtljschr. f. gerichtl. M.
57. Bd. 1919.
') Fr. Oppenheim: Gibt es eine Spontanruptur der gesunden Aorta
und wie kommt sie zustande? M.m.W. 1918 Nr. 45.
*) G. B. Gr über: Fliegerverletzungen bei Sturz aus grosser Höhe.
Kriegspathol. Tagung. Berlin 1916.
®) A. Binder: Zur Kasuistik der sog. Spontanruptur der Aorta ascen-
dens. M.Kl. 43. 1919.
Digitized by
Goi.»gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
460
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nf. 15.
am 2. XII. die Frau sich am Bettgalgen aufrichten und aufziehen wollte, ver¬
spürte sie einen plötzlichen heftigen Schmerz in der Brust, der nach dem
Rücken und den Schulterblättern ausstrahlte. Ein schwerer Kollaps erfolgte,
Bewusstlosigkeit trat ein, kalter Schweiss, Singultus usw. zeigten sich. Auf
Kampfer wurde nach 2 Stunden langsame Erholung erzielt, doch trat der
Exitus unter wechselnden Schwächezuständen nach 10 Tagen ein.
Bei der Obduktion fand sich am Herzen:
Im Herzbeutel etwa 200 ccm einer blutig-serösen Flüssigkeit. Die
Innenfläche des Herzbeutels ist mit feinem, zottigem, graurotem Fibrin be¬
deckt. Die gleichen Auflagerungen sieht man über der Herzoberfläche. Ober¬
halb des rechten Vorhofes bemerkt man eine bläulich-rote, kleinapfelgrosse
Geschwulst, welche von hier aus an der hinteren Wand der grossen Lungen¬
schlagader emporsteigt und zur Aortenwand hinüberreicht. In den Herz¬
höhlen liegen reichliche Blut- und Speckgerinnsel. Das Herzfleisch ist blass,
braunrot, brüchig. Die Herzinnenhaut ist durchscheinend. Die Aortenklap¬
pen sind teilweise verkalkt und verdickt. Die hintere Klappe ist gegenüber
der vorderen rechten und der vorderen linken Klappe retrahiert. Auch an
der zweizipfeligen Herzklappe sind kalkige Einlagerungen und fibröse Ver¬
dickungen zu erkennen. Die Pulmonalklappen und Trikuspidalsegel sind frei
beweglich und zart. Die Innenhaut der grossen Lungenschlagader ist zart
und glänzend, dagegen weist die Innenfläche der Aorta zahlreiche, gelbe, un¬
regelmässig umschriebene Plaques auf, von denen einzelne mit kalkigen Ein¬
lagerungen versehen sind. Die gleichen Einlagerungen finden sich bei der
Intima der Kranzgefässe. Etwa 4 cm oberhalb der Aortenklappen sieht man
in der Wand der grossen Brustschlagader, rechts seitlich einen längsgcstellten
0,8 ern langen Riss in der Gefässwand. Die eingeführte Sonde kommt mit
Leichtigkeit in die bereits obenerwähnte Geschwulststelle. Dieselbe ist voll¬
kommen mit geronnenem Blut ausgefüllt, so dass man einen häutigen Sack
vor sich hat, dessen Inhalt das erwähnte geronnene Blut bildet. Der Sack
selbst besteht aus fibrösem Bindegewebe des viszeralen Blattes des über
die Herzbasis hinaus sich erstreckenden und auf die grossen Gefässe über¬
greifenden Perikardiums. Die Durchbruchstelle ist in ihrer Umgebung
innerhalb der Höhle blutig suggilliert. Herzmasse: Linker Ventrikel Höhe
9,0 cm, rechter Ventrikel Höhe 11.0 cm. Linker Ventrikel Dicke 2.0 cm,
rechter Ventrikel Dicke 0,5 cm. Aortenumfang 7,0, Pulmonalisumfang 0,5 cm.
Mitralisiimfang 9,0 cm, Trikuspidalisumfang 13,5 cm. Die Masse der Höhle
sind: Höhe der Höhle: 12,0 cm, Breite: 8,5 cm, Tiefe: 7,5 cm. Der Breiten¬
durchmesser der Aorta an der Durchbruchstelle beträgt 11,6 cm. Gewicht
des Herzens 780 g.
Der Befund an den übrigen Organen geht aus der anatomischen Diagnose
hervor:
Fibrinöse, sanguinolente Perikarditis nach Ruptur der Aorta. Ruptur-
Aneurysma über der Herzbasis. Hypertrophie und Dilatation aller Herz¬
abschnitte mit Fettdegeneration des Herzmuskels. Atheromatose. der Aorta
und der Kranzgefässe. Alte fibrinöse, verkalkende und retrahierende Endo¬
karditis der Aortengefässe und der Mitralsegel. Arteriosklerotische Schrumpf¬
nieren. Stauungsleber, Stauungsmilz. Terminales Oedem und terminale
Hypostase in beiden Lungen. Alte fibröse Adhäsivpleuritis über der linken
Lunge. Positio postcoecalis des Wurmfortsatzes. Senile Uterusatrophie.
Alte Frakturstelle des linken Oberschenkelhalscs.
Die mikroskopische Untersuchung der Rissstelle ergab:
Der Riss erweist sich als glattwandig. Er entspricht der Längsspaltungs¬
richtung des Faserverlaufes. Im Bereich des Risses ist die Grenze zwischen
Intima und Media unscharf. In der Media ist eine rundliche Stelle, die sich
mit Hämatoxylin diffus blassblau färbt und ohne Kerne erscheint, nekrotisch
ist. Sie nimmt fast die ganze Media ein. Die mit Orcein dargestellten
elastischen Fasern zeigen im Gebiet der Membrana flava int. (B o n n e t)
deutliche Auffaserungen und sehen hier wie gekörnt aus. Im nekrotischen
Bezirk der media lassen sie sich gar nicht darstellen. Sonst sind sie auch
hier vielfach aufgelockert und fein gespalten. Die Adventitia enthält kleine
entzündliche Infiltrate.
Der Durchbruch erfolgte also in unserem Falle an der Stelle einer
atherosklerotischen Stelle der atheromatösen Aorta. Deren elastische
Elemente waren, wie der histologische Befund zeigt, zum Teil an der
Rissstclle völlig zugrunde gegangen, zum Teil der Degeneration ver¬
fallen, ein Befund, wie er von K e r p p o 1 a^“). Jakob y“), S e g a 1 e“),
Oberndorfer*®) u. a. m. beobachtet werden konnte. Die Wider¬
standsfähigkeit der Wand war dadurch noch weiter gemindert. Wenn
nun schon eine gesunde Aortenwand, nach den Untersuchungen Oppen¬
heims rupturieren kann, so waren die Bedingungen im vorliegenden
Falle noch weit günstiger hiezu. Die verhältnismässig geringe An¬
strengung des Sichaufrichtens am Bettgalgen und die mit dieser Hand¬
lung einhergehende Blutdrucksteigerung genügten, um die Zerreissung
der Aorta herbcizufiihren. Der Vorgang mag sich so abgespielt haben
wie Busse**) annimmt. Bei plötzlicher Ueberdehnung der Aorta zer¬
reist eventuell die Intima und Media. Noch hält die lockergefügte und
nachgiebige Adventitia stand, bis auch sie endlich dem Bludruck nach¬
geben muss und zerreisst. Schwäche und Brüchigkeit der ganzen Aorta
führen je nach ihrem Grade der mehr oder weniger vorgeschrittenen
Ausbildung die Katastrophe herbei. So kann selbst eine geringfügige
Anstrengung die auslösende Ursache der Wandberstung werden. Wenn
ich noch darauf eingehc. oh die Ruoturstelle der von Oppenheim an¬
gegebenen „typischen Rupturstelle“ entspricht, so möchte ich dies
bejahen. Es ist eben auch hier die Stelle der grössten Wandspannung,
die Stelle des höchsten Druckes und die Stelle der grössten elastischen
Dehnung.
*°) W. Kerppola: Zur Kenntnis der Aneurysmen an den Basal¬
arterien des Gehirns. Arbeiten a. d. path. Inst. d. Univ. Helsingfors. 2. 1919.
“) J. Jacoby: Aneurysma dissecans und Aortenrupturen. In.-Diss.
Königsberg 1919.
*®) C. S egale: Sul comportamento delle tuniche arteriöse nella isto-
genesi degli aneurismi aortici. Pathologica 1912 Nr. 90,
*®)S. Oberndorfer: Demonstration einer Aortenruptur bei kon¬
genitaler Aortenstenose. Verb. d. deiitscb. patbol. Gesellsch. 1910,
**) O. Busse: Ueber Zerreissungen und traumatische Aneurysmen der
Aorta, Virch. Arch. 183. 1906.
Digitized by Goüsle
Ueber Spätintubation und Probeextubation.
(Entgegnung auf F. Hamburgers Artikel: „Ueber die
Indikation zur. Intubation“ in Nr. 10 dieser Wochenschrift.)
Von J. Trumpp in München.
Hamburger empfiehlt, bei diphtherischen Larynxstenosen, die
einen operativen Eingriff nötig machen, mit der Ausführung der
Intubation bis zum Auftreten starker und konstant bleibender Zyanose,
bis zum „äussersteii Notfall“ zuzuwarten. Das darf nicht unwider¬
sprochen bleiben, da man sich damit eines grossen Vorzuges der
Intubation vor der Tracheotomie begibt. Der Vorzug besteht aber gerade
darin, dass man mit der Ausführung des unblutigen Eingriffes wegen
des geringeren Risikos nicht so lange zu zögern braucht wie mit der
Tracheotomie, die aus schwerwiegenden Gründen mit Recht stets nur
als Spätoperation gehandhabt wird. Es ist unberechtigt, die Intubation
„schon bei den geringsten Erscheinungtn von Stenose“ und bei verein¬
zelten, durch Aufregung erzeugten Erstickungsanfällen auszuführen, da
in der Ruhe durch hohe Serumdosen und sonstige geeignete Behandlung
in einem grossen Prozentsatz der Fälle auch ohne operativen Eingriff
Heilung eintritt. Ebensowenig gerechtfertigt erscheint aber auch ein
Hinausschiebert der erlösenden Operation bis zur vollen Entwicklung
des Stadium asphycticum, denn es dürfte wohl niemand im Ernst be¬
zweifeln, dass für das schon unter der Einwirkung der Diphtherietoxine
stehende Herz eine weitere Schädigung durch Kohlensäureintoxikation
eine schwere Gefahr bedeutet, und nebenbei durch die extreme Schleim¬
hautschwellung auch die Gefahr eines Intubationstraumas gesteigert wird.
Das Richtige scheint auch hier in der Mitte zu liegen. Man intubiere,
sobald die Stenosenerscheinungen ständig geworden sind und die ersten
Anzeichen von Asphyxie auftreten, also beim Uebergang des Sta¬
dium stenoticum in das Stadium asphycticum und nicht erst im voll-
entwickelten Stadium asphycticum. Den gleichen Standpunkt vertreten
so erfahrene Intubateure, wie v. Bokay, Marfan und Bayeux. —
Weiter: Grundbedingung eines glatten Intubationserfolges ist, dass die
Schleimhaut unverletzt bleibt. Nun besteht aber an vielen Kliniken die
m. E. verhängnisvolle Gewohnheit der täglichen Probeextubation. Sie
soll ein überflüssig langes Verweilen der Tube im Kehlkopf verhüten
und die Gefahr des Intubationstraumas verringern. Sie bewirkt sicher
häufig das Gegenteil. Nach meiner Statistik an der v. Ranke sehen
Klinik konnte nur bei 8 Proz. der Intubierten die Tube schon nach einem
Tage entbehrt werden. Bei allen anderen musste reintubiert werden.
Es war kein anderes Resultat zu erwarten, da ja auch unter hohen
Serumdosen der lokale diphtherische Prozess mindestens 3 Tage zum
Rückgang braucht. Nun ist es aber eine einfache Wahrscheinlichkeits¬
rechnung. dass die Gefahr einer Schädigung oder gar Verletzung der
Schleimhaut mit der Anzahl der Intubationen wächst und das um so
mehr, je weiter die Schleimhaut unter der fortschreitenden Heilwirkung
des Serums von Pseudomembranen entblösst, also schutzlos wird. Auch
die Gefahr der Membranhinabstossung ist infolge der auflockemden
Serumwirkung bei der Reintubation grösser als bei der Erstintubation,
wo die Pseudomembranen in der Regel noch festhaften. Ich
empfehle demnach, von frühzeitiger Probeextubation abzusehen und die
Tube in der Regel nicht vor dem Morgen des 3. Tages herauszunehmen.
Dekubitus ist bei so kurzer Tubenlage nur ln ganz besonders elenden
Fällen, vor allem bei sekundärer Diphtherie zu befürchten. Dass uns
davor in solchen Fällen keinerlei Verfahren schützt, weiss jeder Er¬
fahrene zur Genüge. Einwandfreie Intubationstechnik ist selbstver¬
ständlich auch bei meiner Methode die Voraussetzung guter Erfolge.
Zur Frage der angeborenen seitlichen Halsfisteln.
In dem Aufsatze des Herrn Dr. Levinger -München (M.m.W.
Nr. 10, 1921) über „Angeborene seitliche Halsfistel“ scheint ein dia¬
gnostischer Irrtum obzuwalten. Fisteln nach Antrum- oder Radikal¬
operation kann jeder Operateur beobachten, der über ein grosses
Krankenmaterial verfügt. Wenn man genötigt ist, wie im vorliegenden
Fall, den Hautschnitt über die Spitze hinab bis zum vorderen Rand
des M. sternocleidomastoideus zu verlängern, dann besteht die Gefahr
einer Verletzung der Parotis. Aber auch schon beim typischen Haut¬
schnitt hinter dem Ohre kann unter Umständen eine solche Neben¬
verletzung Vorkommen, nämlich wenn sich als anatomische Varietät ein
Zapfen einer akzessorischen Glandula parotis nach hinten über den
Proc. mastoideus und den M. sternocleidomastoideus schiebt Mit dieser
Tatsache stimmt auch der Befund des Herrn Dr. Levinger überein,
dass sich aus der FistcJöffnung beim Kauen reichlich Flüssigkeit ent¬
leerte und dass eine in den Fistelgang eingespritzte Zuckerlösung sofort
nach dem Munde weitergeleitet wurde. Es handelt sich somit bei dem
Patienten des Herrn Dr. L. nicht um eine unvollständige Halsfistel,
sondern um eine Verletzung der Parotis bei der Operation.
Es wäre wünschenswert, dass in den Lehrbüchern der Ohropera-
tionen auf die Möglichkeit der Parotisnebenverletzung hingewiesen
^Dr. Bmno Griessmann -Nürnberg.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf.A
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
461
Für die Praxis.
lieber die Behandlung des Ekzems.
Von L. V. Zumbusch.
II.
Neben den im ersten Abschnitt (Nr. 13) besprochenen allgemeinen
Massnahmen ist die lokale Behandlung beim Ekzem unentbehrlich. Sie
richtet sich nach der Schwere der Krankheitserscheinungen, nach der
Ausdehnung und dem Sitze der Krankheit. Wir müssen hier die einzelnen
Stadien und Formen getrennt besprechen, wie sie aufeinanderfolgen.
Im Beginn hat jedes Ekzem die Form des Ekzema papulatum: Die
Haut juckt, sie ist dabei zartrosa verfärbt (hyperämisch); sehr schnell
entwickeln sich auf 'der erkrankten Fläche kleinste, flachhügelförmige,
weiche Knötchen. In sehr akut verlaufenden Fällen gehen diese oft in
sehr kurzer Zeit in Bläschen über und es kommt zum Nässen: auch dann
wird man aber immer, besonders an den Rändern des Krankheitsherdes,
neben den höheren Entzündungsgraden die Knötchen sehen. Oft bleibt
es aber auch lange oder für die ganze Dauer des Prozesses bei den
Knötchen, beim Ekzema papulatuirt. Es muss daher scharf unter¬
schieden werden, ob die Erkrankung ganz frisch ist. oder schon länger
besteht. Im ersteren Fall, wo man naturgemäss nicht sicher wissen
kann, ob nicht eine rasche Steigemng der Erscheinungen im Gang ist,
muss man sehr vorsichtig behandeln. Jedes energische Zugreifen kann
hier viel leichter schaden, als nützen. Am besten Ist es. in solchen
Fällen folgendermassen zu verfahren: Man schaltet alle Schädlichkeiten
aus, wie im ersten Teil besprochen wurde, und vermeidet auch die An¬
wendung von Salben oder Umschlägen. Entweder man lässt die kranke
Stelle nur mit Puder einstauben, oder man lässt vorher mit Alkohol be¬
tupfen und pudert dann ein; dies wird mehrmals des Tages wiederliolt.
Natürlich darf nur ganz indifferenter Puder (Amylum, Talkum) verwendet
werden, ohne jeden Zusatz von Riechstoffen u. dgl., auch ohne das mit
Unrecht in der Aerzteschaft als Ekzemmittel so beliebte Menthol. Den
Alkohol nimmt man etwa 70 proz., am einfachsten den offizineilen Spiritus
vini dilutus. D^ss hier Zusätze unnötig, wenn es reizende Substanzen,
schädlich sind, ist selbstverständlich. Nicht unpraktisch ist es, dem
Alkohol 1—2 Proz. Glyzerin zuzusetzen, der Puder klebt dann besser auf
der Haut. Puder und Alkohol wirken lediglich kühlend, letzterer darf
selbstverständlich nicht auf sehr zarten, empfindlichen Hautstellen ver¬
wendet werden (Augenlider. Genitale), wo er schon bei gesunder Haut
starkes Brennen auslöst. Dort pudert man lediglich ein. Ab und zu
wird man nun Menschen antreffen, welche durch Puder und Alkohol eine
zu trockene Haut bekommen und dieses nicht vertragen, was sich in
Steigerung der Beschwerden äussert. Hier wird man gezwungen sein,
mit Salbe zu arbeiten: Am besten ist nach meiner Erfahrung in solchen
Fällen eine Kühlsalbe, man setzt sie folgermassen zusammen: Sol.
Alumin. acetic. und Lanolin äa 5, Ung. leniens 20. Tierisches oder pflanz¬
liches Fett und Lanolin reizen die Haut weniger, als das beste Vaselin,
gar nicht zu reden von den elenden Ersatzmitteln, die uns die letzten
Jahre unter verschiedenen Namen gebracht haben und die alle zu¬
sammen nichts taugen.
Gelingt es in der angegebenen Weise das Ekzem am Fortschreiten
zu verhindern, so behandelt man ohne Aenderung zu Ende. Es ist über¬
haupt eine alte und bewährte Regel bei der Ekzemtherapie, dass man
ein Mittel solange beibehält, als es nützt (oder nicht schadet) und nie
unnötig wechselt.
Hat man ein älteres Ekz. papulatum vor sich, so kann man ener¬
gischer verfahren. Die Tatsache, dass das Ekzem längere Zeit auf dem
geringsten Entzündungsgrad geblieben ist, beweist ja, dass die Neigung
zur Entzündung gering ist. Man kennt diese Fälle daran, dass die Knöt¬
chen deutlich rot, auf einer Fläche sitzen, der die Wärme und Röte
im Gegensatz zu den frischen Fällen fehlt. Hier ist es am Ort. die Haut
mit indifferenten Pasten zu überziehen, welche sie von der Aussen-
welt etwas abschliessen und daher allerlei Schädlichkeiten abzuhalten
imstande sind. Solche Pasten sind die Zinkpasta und die Trockenpinse¬
lung. Diese Präparate sind, wenn sie aus gutem Material hergestellt
sind, so gut wie ohne Reizwirkung. Als Zinkpasta kann man das offi-
zinelle Präparat benützen oder, nach meiner Erfahrung besser, fnltrondes:
Zinci oxydati, Talei Veneti äa 10,0. Vaselini flavi Amcricaiii 20,0. Gelbes
amerikanisches Vaselin ist besser und reizloser als die meisten Vaselin¬
präparate. Man kann hier ruhig Vaselin nehmen, es hat den Vorteil der
Haltbarkeit. Die Zinkpasta schmiert man so dünn wie möglich mit der
Hand ein, dann kommt Puder darüber. Dass man dünn einschmiert, ist
eine Hauptsache, dicke Pastenschichten reizen die Haut. Dass man mit
der Hand einschmiert ist besser als mit einem Bchelfsmittel, w'eil zwi¬
schen der w'armen Hand des Schmierenden und der wnrrnen Haut des
Kranken die Paste sehr weich wird und sich fein verteilt. Sie muss so
fein verteilt sein, dass man die Haut durchsieht: es muss so aussehen,
wie w^enn der Anstreicher ein Holz zum erstenmal mit der w^eissen
Farbe überstrichen hat, wo man Holzmascr. Astlöcher u. dgl. noch
deutlich durchsieht. Eine richtig, mit wenig Pasta und viel Puder ge¬
machte Zinkpastaapplikation hält 24 Stunden vor. Dann wird sie er¬
neuert. Hier ist nichts falscher, als vorher die Haut peinlich reinigen
zu wollen, was naturgemäss nur reizt: Man fährt leicht mit einem
Tupfer darüber, der mit Alkohol befeuchtet ist. Was dam noch haftet,
bleibt und >vird überschmiert. Es ist nicht viel, bei richtiger Anwendung
blättert sich im Lauf des Tages ein grosser Teil unmerklich ab.
Leichter ist die dünne Applikation zu erreichen mit der Trocken-
Digitized by Goiisle
Pinselung: Zinkoxyd, Talcum je 20 g, Glyzerin 5 g, Wasser 40 g. Man
streicht sie mit einem Pinsel auf und pudert sonst alles wie bei der
Zinkpasta. Sie Ist sehr angenehm für die Patienten, weil sie gar nicht
fettig ist; viele Ekzemkranke vertragen sie auch besser, es gibt Fälle,
wo alles, was Fett enthält, die Haut irritiert.
Steigert sich das Knötchenekzem nun nicht so geht es in das letzte
Stadium, das Ekzema squamosum, über: Die Rötung schwindet die
Knötchen verstreichen; es stellt sich als Folge der Entzündung feine
kleiigc Schuppung ein, die Haut ist zyanotisch; letzteres darum, weil
jetzt die Rötung (aktive, arterielle Hj'perämie) geschwunden ist die
kleinsten venösen Verzweigungen aber noch erw^eitert bleiben, weil sie
paretisch sind. In diesem Zustand ist es nun zweckmässig, mit Teer zu
behandeln: Er stillt das Jucken und bringt die Gefässchen zur Kontrak¬
tion, auch desinfiziert er die Haut wo fast nach jedem Ekzem infektiöse
Prozesse auftreten, wie Follikulitiden und Furunkei. Man verw'cnde aber
niemals den Teer zu früh, so lange die Haut nur noch etwas gereizt ist,
sonst ist eine Exazerbation sicher. Die Anwendung muss überhaupt
sehr vorsichtig erfoDen, am besten in Form von Teerspiritus (Tinctura
rusci 10 zu 100 Alkohol) oder einer Zinkpasta mit 1 bis 2 Proz. Teer,
nicht stärker. Später geht man bis zu 5 Proz.
Sind dann die Erscheinungen geschwunden, so lässt man den
Kranken sich einmal waschen und sich dann wieder einschmieren. Hat
es nicht geschadet so hört man auf zu behandeln-und schont noch eine
Zeit über, bis man den Kranken als gesund entlässt. Bricht' man die
Behandlung zu früh ab, so sind Rückfälle sehr wahrscheinlich.
Beim Bläschenekzem und nässenden Ekzem liegt die Sache anders:
Hi^r sind Veränderungen gesetzt, Kontinuitätstrennungen in der Epi¬
dermis, die an ein Kupieren des Prozesses nicht mehr denken lassen.
Deshalb und wegen der Intensität der Entzündung muss gegen diese
etwas geschehen. Man behandelt antiphlogistisch, mit Kälte. Sind noch
wenig Bläschen da und noch keine Erosionen, wo Bläschen geplatzt sind,
so ist oft trockene Kälte sehr förderlich und angenehm für den Kranken:
Man pudert ein und legt ein Tuch in mehrfacher Schicht darüber, dann
einen Eisbeutel darauf. Sind nässende Stellen da. so geht dies nicht;
Puder auf nässende Ekzeme zu streuen, ist höchst unzweckmässig,
wegen des Verklebens: Es bilden sich Krusten aus Serum und Puder,
unter denen der Prozess sich noch steigert, da das Sekret nicht ab-
fliessen kann. Hier ist es am besten. Umschläge zu machen, die man
oft wechselt; impermeablen Stoff, wie bei einem Dunstumschlag über
das Feuchte zu geben, ist nicht gut. es wird zu warm. Als Flüssigkeit
bewähren sich zehnfach verdünnte essi^^saure Tonerde, ebenso ver¬
dünntes Bleiwasser, 1 proz. Ichthvollösung. bei sehr reizbarer Haut oft
physiologische Kochsalzlösung, der man noch 1 proz. Borsäure zusetzen
kann. Man lasse sehr oft wechseln wegen der Kühle: die Ränder, wo
es nicht nässt, kann man mit einer indifferenten Salbe beschmieren,
sonst reizt der Umschlag oft: der Wechsel von feucht und trocken irri¬
tiert die Haut am ipeisteii. Verträgt ein Kranker Umschläge nicht, d. h.
wird die Sache noch schlimmer, dann pinselt man die nässende Fläche
mit 2 proz. Höllenstein ein (nicht stärker!) und legt eine indifferente
Salbe über. Manchmal besser eine weiche Salbe, manchmal besser eine
mehr trockene Paste (Zinkpasta), beides auf Lappen gestrichen. Dies
muss ausprobiert werden: Was die Haut eines Kranken verträgt und
nicht verträgt, kann man überhaupt oft nicht vorher wdssen: die An¬
gabe des Patienten, ob ein Mittel gut tut oder nicht, muss immer berück¬
sichtigt werden, es ist falsch, zu meinen, man könne auf einem Weg.
der uns selbst der beste scheint, die Heilung erzwingen.
Die Behandlung mit Verbänden oder Umschlägen wird fortgesetzt,
bis alle Erosionen epithelisiert sind und das Ekzem ins Stadium squamo¬
sum gekommen ist: die Endbehandlung geht dann in der oben beschrie¬
benen Weise vor sich.
Nässt ein Ekzem nur -an einigen Stellen, so wird gleichwohl alles
wie das nässende behandelt man richtet sich immer nach den am
stärksten entzündeten Stellen. Nur bei sehr ausgedehnten Herden,
oder wenn ein Kranker mehrere getrennte Herde hat, ist es zweckmässig,
jeden Teil für sich so zu behandeln, wie es die Umstände erfordern.
Ekzeme mit Krusten und solche mit Pusteln oder Impetigines er¬
fordern eine rasche Entfernung der Auflagerungen: diese sind die Brut¬
stätte ungezählter Mikroorganismen, sie sperren das Se'-rct vh und
reizen die Haut auch mechanisch. Die Entfernung von Borken muss
schonend geschehen: Abwaschen mit Wasser, mechanisches Entfernen
oder gar das leider oft geübte Putzen mit Benzin, Aether oder dergl.
ist schlecht. Man legt einen Salben verband auf, recht dick auf Lappen
gestrichen; sind die Borken besonders mächtig, so pinselt man sie vor¬
her mit Gel ein, z. B. am behaarten Kopf. Als Salbe ist am besten das
Unguentum Diachyli (H e b r a): Es mazeriert gut und w'irkt durch seinen
Bleigehalt adstringierend und entzündungswa'drig. Den Verband wechselt
man täglich und wischt zur Reinigung nur mit in Puder gewälzten Watte¬
bauschen ab, nur was leicht abgeht. So wird meist in kurzer Zeit Ent¬
fernung der Auflagerungen und Ueberhäutung der darunter befindlichen
Erosionen erzielt. Auch hier kann man die zutage tretenden nässenden
Stellen mit 2 proz. Höllensteinlösung tupfen, w'odurch sich ein zarter
Schorf bildet und die Erosionen desinfiziert werden, so dass sie sich
schnell schliessen.
Von der Salbenbehandlung geht man auf die Endbehandlung mit
Zinkpasta, zuletzt mit Teer über.
Einzelne Lokalisationen von Ekzem müssen kurz erwähnt werden:
So ist es einleuchtend, dass stark behaarte Regionen (Kopf. Bart. Mons
veneris) nicht mit festen Pasten und Puder bestrichen oder verbunden
w’erden dürfen, sonst gibt es eine zementähnlich harte Masse aus Haaren,
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Pasta und Puder, die fast nicht zu entfernen ist: Hier gibt man weiche
Salben, Schwefelsalbe, 5proz., bewährt sich sehr; bei stärkerer Rei¬
zung setzt man 5 proz. essigsaure Tonerde zu. Die iKopfhaut darf auch
zur Reinigung täglich mit warmem Wasser und milder Seife gewaschen
werden; auf andere Art ist sie nicht rein zu bekommen. Manche
Patienten vertragen eine 3—5proz. Salbe von weissem Präzipitat besser.
Sehr zarte Stellen, wie Gehörgang, Lippenrot, Naseneingang. Lider,
schmiert man am besten mit Ung. leniens oder 3 proz. Präzipitat ein,
letzteres erst im Stadium der Rückbildung.
Beim chronischen Ekzem, wo neben den oberflächlichen Entzün¬
dungserscheinungen eine Massenzunahme und Verdickung der Kutis vor¬
handen ist, muss auch diese beseitigt werden. Die Behandlung richtet
sich hier zuerst gegen die Oberflächenentzündung, dann gegen die tiefe
Verändemng. Hier sind methodische Druckverbände, energische Teer-
aoplikation, Röntgenbestrahlung und andere Methoden angezeigt.
BQcheranzeigen und Referate.
P. Morawitz: Klinische Diagnostik Innerer Krankheiten. Mit
265 Abbildungen im Text und 17 Tafeln. Leipzig, F. C. W. V o g e 1, 192Q
Preis 72 M., geb. 90 M.
Als Anlass, die schon vorhandenen guten Lehrbücher der klinischen
Diagnostik um ein neues zu vermehren, diente für den Greifswalder
Kliniker die Aufforderung der Verlagsbuchhandlung, das durch den Tod
Lüthjes und Adolf Schmidts verwaiste Lehrbuch zu ersetzen.
Gegen die ursprüngliche Absicht ist aber unter der Hand des Verfassers
ein neues Buch entstanden, wenngleich die Grundlage des früheren
Werkes an vielen Stellen die alte geblieben, und einige Abschnitte mit
wenigen Aenderungen und Zusätzen aus ihm entnommen worden sind.
Das einleitende Kapitel des Lehrwerks enthält, wie üblich, die Auf¬
nahme der Vorgeschichte (Anamnese) mit einem lehrreichen Anhang
über den „Schmerz und seine Deutung“, sowie die Beobachtungen über
das allgemeine Verhalten des Kranken. Haut, Körperbau und Konstitution.
Daran schliessen sich die Abschnitte über die Diagnostik der Infektions¬
krankheiten und die Fieberlehre, ferner die Diagnostik der Krankheiten
des Respirations- und Zirkulationsapparates, des Blutes, des Verdauunes-,
des Urogenitalapparates, sodann Kapitel über Ernährung und Stoff¬
wechsel, über die Lehre von der inneren Sekretion, über Punktionen und
Punktionsflüssigkeiten mit einem kurzen Kapitel über Zytodiagnostik, und
ein umfangreiches Kapitel über Nierenkrankheiten. Den Schluss bildet
die Untersuchung mit Röntgenstrahlen. Wir können dem Verfasser nur
zustimmen, wenn er die letztere aus pädagogischen Gründen nicht bei
den einzelnen Organen besprochen hat. Denn der Studierende und junge
Arzt soll in erster Linie lernen, wieweit man ohne Röntgenapparat, der
vielen Aerzten in der Praxis nicht zur Verfügung steht, in der Erkennung
der Krankheiten kommen kann. Es darf der in Kliniken und Kranken¬
anstalten oft zu beobachtenden Neigung, an der Hand der Röntgenunter¬
suchung die alten schwierigeren Untersuchungsmethoden zu vernach¬
lässigen, im Unterricht kein Vorschub geleistet werden.
Das Lehrbuch ist in allen seinen Teilen reichlich illustriert. Der Ver¬
fasser hat aber nicht den Ehrgeiz gehabt, vorwiegend neue Abbildungen
zu bringen. Diese sind vielmehr nur zum Telle original, da wo sie
Besseres bringen konnten als frühere, zumeist sind sie aus dem Lehrbuch
seiner Vorgänger oder aus anderen Werken entnommen.
Einen Vorzug des Buches erblicken wir in der eigenen Art der Lehr¬
methode, die möglichst immer ihren Ausgang von der pathologischen
Physiologie nimmt. So finden wir in den einzelnen Kapiteln einleitende
anatomische und physiologische Darlegungen, die dem Lernenden das
Verständnis des Folgenden wesentlich erleichtern und vertiefen. Nicht
weniger förderlich für den Lehrzweck sind auch die an den Schluss
grösserer Abschnitte gestellten zusammenfassenden „Symptomatologien“,
sowie eine Anzahl von schematischen Darstellungen oder Tabellen.
Erwähnt sei besonders die Darstellung der Abstammung und Ent¬
wicklung der Knochenmark- (Blut-) Zellen, eine Uebersicht über die
Verhältnisse der roten und weissen Blutkörperchen bei verschiedenen
Erkrankungen, über die H e a d sehen Zonen, über die doppelseitigen
hämatogenen Nierenkrankheiten, eine Tabelle über den Gehalt der Nah¬
rungsmittel, sowie farbige anschauliche Schemata des sympathischen und
parasympathischen Nervensystems und des Verlaufs der motorischen,
sensiblen und Koordinationsbahnen.
Genauere Durchsicht des vortrefflichen Buches zeigt, dass es in allen
Gebieten der inneren Medizin auf der Höhe der Zeit steht und hier wte
dort in gleichmässig vollkommener Weise die Mittel und Wege lehrt,
zur Erkennung der Krankheiten zu gelangen. Fügen wir noch hinzu, dass
der Verfasser neben klarer, leicht fasslicher Darstellung auch auf den
sonst in der medizinischen Literatur oft vernachlässigten Stil besonderen
Wert gelegt hat, so sind wir überzeugt, dass das nicht allzu umfangreiche
und daher leicht handliche Werk seiner inneren wie äusseren Vorzüge
wegen von Studierenden und Aerzten, die es in die Hände bekommen,
mit Befriedigung und grossem Gewinn gelesen werden wird.
S t i n t z i n g.
O. Nägeli: Krankheiten des Blutes und der Driisen mit innerer
Sekretion. 10. Heft der „Diagnostischen und therapeutischen Irrtümer
und deren Verhütung“, herausgegeben von J. S c h w a 1 b e. Leipzig 1920,
bei G. T h i e m e. 72 Seiten mit 4 Abbildungen. Preis 8 M. ungeb.
N ä g e 1 i, der in diesem vortrefflichen Sammelwerk bereits einen
famosen Beitrag über die Unfallsneurosen geliefert hat, bietet in diesem
Hefte dem Praktiker wiederum Ausgezeichnetes. So dünn das Heftchen
ist, bringt es doch eine Fülle feiner klinischer Beobachtungen, die jeder
mit Vergnügen und Vorteil lesen wird. Die feineren spezifisch hämato-
logischen Dinge sind im Interesse des Praktikers, der vor diesen Dingen
eine gewisse Scheu zu haben pflegt, etwas in den Hintergrund gestellt.
Man bedauert doch, dass der eminente Hämatologe hier so zurück¬
haltend ist. Auch das Kapitel über Störungen der inneren Sekretion
dürfte einige Seiten stärker sein. Es fehlen hier doch Dinge, über die
sich der Praktiker gerne Rats erholen möchte. So die Frage derRön^en-
bestrahlung bei Basedow, die genauere Indikationsstellung bei Ope¬
ration usw. Die Warnung vor den so sehr beliebten Diagnosen Anämie,
Chlorose ohne Blutbefund, unausgebildete Formen des Basedow, wie
überhaupt die stets verständige und vorsichtige Haltung des Verfassers
ist sehr verdienstlich. Die Warnung vor dem therapeutisch erzeugten
Jodbasedow, wohl einer der häufigsten und folgenschwersten „thera¬
peutischen Irrtümer“, dürfte noch eindringlicher sein.
Kersch ensteine r.
Wu 11 stein und Küttner; Lehrbuch der Chirurgie. 7. Auf¬
lage. Gustav Fischer, 1920. Preis brosch. 166 M.
Die neue Auflage des bewährten chirurgischen Lehrbuchs hat eine
weitgehende Umarbeitung erfahren. Küttner ist an Stelle von
W i 1 m s, welchem ein warmer Nachruf von W u.l 1 s t e i n gewidmet ist,
als Herausgeber des Lehrbuchs getreten. Der Abschnitt der angeborenen
Missbildungen, Verletzungen und Erkrankungen des Gesichts, der plasti¬
schen Operationen ist von Stich umgearbeütet. Er war vorher von
W i 1 m s geschrieben. Die Chirurgie der Wirbelsäule und des Beckens
war früher von Riedinger bearbeitet und ist jetzt von Schmie¬
den und Löffler übernommen. Erstere ist stellenweise neu be¬
arbeitet, so z. B. die Tuberkulose der Wirbelsäule. Schl off er be¬
schreibt zu den Erkrankungen des Magens auch die des Duodenums und
so ist das Kapitel über Magen- und Duodenalulcus einheitlich behandelt.
Die Erkrankungen des Duodenums waren früher im Abschnitt über Darm¬
krankheiten von L a n z behandelt. Die Krankheiten der Ham- und Ge¬
schlechtsorgane sind von V o e 1 c k e r, welcher an Stelle von Rov¬
sing getreten ist, vollständig neu bearbeitet. Ueberhaupt neu auf¬
genommen sind die chirurgischen Erkrankungen der Harnleiter und der
Samenbläschen. Im Abschnitt über Krankheiten der Weichteile im
Bereich der Extremitäten lässt Klapp das Kapitel über putride Phleg¬
mone fallen und bringt die Kapitel Gasabszess und gashaltige Phleg¬
mone sowie Gasbrand. Ref. hätte es'für richtiger gehalten, der putriden
Phlegmone die Gasentzündung als einheitlichen Krankheitsbegriff gegen¬
überzustellen. Die Missbildungen der Extremitäten sind an Stelle von
W i 1 m s von C o e n e n, die Verletzungen der Knochen und Gelenke
der Extremitäten von Küttner redigiert. Die Erkrankungen der Kno¬
chen und Gelenke sind von A n s c h ü t z ebenfalls vollständig neu be¬
arbeitet. Der Abschnitt war früher von Payr behandelt. Die Wachs¬
tumsstörungen der Knochen, die hämatogene akute eitrige Osteomyelitis
und andere Kapitel mehr erfahren eine sehr eingehende Darstellung.
Die Resektionen, früher von W u 11 s t e i n geschrieben, sind jetzt von
Ritter im Anschluss an die Amputationen und Exartikulationen be¬
arbeitet. Die Ausstattung des dreibändigen Lehrbuchs ist trotz der
schwierigen Verhältnisse immer noch gut. Fraglos wird die neue Auf¬
lage mit ihrer Um- und Neubearbeitung den Studierenden und Kollegen
in der Praxis hochwillkommen sein. Q e b e 1 e - München.
Emil ViNiger- Basel: Qehim und Rückenmark. Leitfaden für
das Studium der Morphologie und des Faserverlaufes. 5. bis 7. Auflage
mit 262 z. T. farbigen Abbildungen. Leipzig, Wilhelm Engelmann,
1920. Preis geb. 26 M.
Das nunmehr in 7. Auflage erscheinende Buch, dazu bestimmt,
beim Studium des anatomischen Aufbaues des Zentralnervensystems
Führer und Wegweiser zu sein, erfüllt diesen Zweck, wie kaum ein
anderes. Ausgehend von entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen wird
im ersten Teile der Grundolan des Xjehirns und Rückenmarks dargelegt,
dann in klarer, knapper Darstellung ein Bild von der Morphologie des
Zentralnervensystems entworfen, soweit makroskopische Betrachtungs¬
weise dies ermöglicht. Der zweite Teil befasst sich mit der Beschrei¬
bung des Faserverlaufes. Als Einführung in dieses Gebiet der Qehirn-
anatomie dient ein Kapitel über die historische Entwicklung der Metho¬
den zur Erforschung des Faserverlaufes. Nach der Beschreibung der
Histogenese und der Formelemente des Nervengewebes folgt dann eine
Darstellung des mikroskopischen Baues der Hirnrinde. Gut geschrieben
sind die sich anschliessenden Kapitel über die Leitungsbahnen, didaktisch
wertvoll deshalb, weil ihnen schematische, ausserordentlich klare Bil¬
der beigegeben sind. Im dritten Teil wird an Schnittserienpräparaten
durch den Hirnstamm der Faserverlauf nochmals dargelegt.
Im übrigen merkt man dem ganzen Buch die verbessernde Hand
des Verfassers an; wünschenswert erschiene mir eine noch etwas stär¬
kere Betonung des histologichen Aufbaues des Zentralnervenystems.
Das Buch ist jedem Studierenden, wie auch dem Neurologen warm-
stens zu empfehlen, da es zur Einführung in die komplizierten Verhält¬
nisse der Hirn- und Rückenmarksanatomie besonders geeignet er¬
scheint. R. Greving -Erlangen.
M. Lipscbltz: Diagnostik und Therapie der Pulpakrankhelten.
Ein Hand- und Lehrbuch für Zahnärzte und Studierende. Mit 139
teils farbigen Abbildungen. Berlin. Verlag von Julius Springer, 1920.
Preis geh. 38 M.
Das vorliegende Buch will eine zusammenfassende Abhandlung der
Diagnose und Therapie der Pulpakrankheiten vom modernen Standpunkte
Digitized b)
Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
463
aus darstellen, wobei es galt, die gegenwärtigen Kenntnisse und Auf¬
fassungen in einer Form wiederzugeben, die den Praktiker befähigt, die
Therapie der einzelnen Pulpaerkrankungen nach wissenschaftlichen
Grundsätzen durchzuführen.
Dem Autor kann das Zeugnis nicht versagt werden, dass er sich
seiner Aufgabe mit grossem Fleiss und mit bemerkenswertem didak¬
tischem Geschick entledigt hat. Die sehr zahlreichen, zum Teil farbigen
Abbildungen sind äusserst klar und gut ajiisgewählt und die den einzelnen
Kapiteln beigegebenen Literaturverzeichnisse werden jedem, der sich
über die Einzelfragen näher orientieren will, willkommen sein.
B1 e s s i n g - Heidelberg.
Th. Ziehen: Anatomie des Zentralnervensystems. II. Abteilung;
Mikroskopische Anatomie des Gehim& 2. Teil (S. 339—606), zugleich
30. Lieferung des „Handbuches der Anatomie des Menschen“, heraus¬
gegeben von K. V. B a r d e 1 e b e n, fortgesetzt von H. v. E g g e 1 i n g.
Jena, G. Fischer. Preis: M. 25.—.
Die zweite Lieferung dieser grundlegenden, rein deskriptiven Be¬
arbeitung des mikroskopischen Aufbaues des menschlichen Gehirns ist
der Brücke gewidmet. Diese ist an Hand von Frontalschnitten bis in
alle Einzelheiten topographisch analysiert. Das Bardeleben sehe
Handbuch ist damit um ein wichtiges Werk bereichert worden, das bei
alien Arbeiten über das Gehirn zu Rate gezogen werden muss. Die
Ausstattung ist sehr gut. v. Möllendorff-Freiburg/Br.
Trattato dl Anatomia pathologica per medici et studenti. Pubblicato
dal Prof. Plo F o ä. V. Alvo F a b r 1 s: Fegato, vle blliail e pancreas.
32 Lire. VI. Augus^o Bonome: Apparate locomotore. 40 Lire.
Wieder zwei Folgen des schon besprochenen Handbuchs, die auf
gleicher Höhe wie die vorangegangenen stehen. F a b r i s behandelt
Leber, Gallenwege und Pankreas, vorzüglich ist die ausführliche Be¬
sprechung des Lokomotionsapparates durch Bonome.
Oberndorfer - München.
W. V. Waldeyer-Hartz: LebenserimieruiigeiL Fr. Cohen.
Bonn. Preis: M. 38.—, geb. M. 44.—.
Die Lebenserinnerungen des jüngst verstorbenen Berliner Anatomen
werden nicht nur in Anatomenkreisen auf Interesse rechnen können. Den
stattlichen- Band füllen neben ungemein anspruchslos geschilderten per¬
sönlichen Erlebnissen zahlreiche fesselnde Betrachtungen über kulturelle
Zustände von einst und jetzt, Schilderungen seiner vielfachen Reisen,
Beziehungen zu zahlreichen bedeutenden Gelehrten des In- und Aus¬
landes, Erlebnisse im Zentrum deutschen wissenschaftlichen Lebens. Aus
allen Zeilen spricht die liebenswürdige, heitere und stets hilfsbereite
Natur W a 1 d e y e r s, die alle so an ihm verehrten, die ihn kannten.
V. M ö 11 e II d 0 r f f - Freiburg/Br.
Zeitschriften-Uebersicht
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 135. Band. 5. u. 6. Heft.
F. Rosenthal und P. Holzer: Beiträge zur Lehre von den
mechanischen und dynamischen Ikterusformen. 1. Mitteilung. Ueber die quan¬
titativen Beziehungen von Bilirubin und Cholesterin im Blut bei den verschie¬
denen Ikterusformen. (Aus der med. Klinik der Universität Breslau.) (Mit
1 Abbildung.)
Beim mechanischen Ikterus ist trotz aller Divergenz zwischen Qallen-
farbstoff und Cholesterin im Serum die Hypercholesterinämie die Regel,
normaler Cholesteringehalt nur die Ausnahme. Allerdings wird der Ueber-
tritt von Gallenbestandteilen ins Blut nicht allein von mechanischen Faktoren
beherrscht. Bei inkompletter Gallensperre reichen zur Erklärung der oft be¬
trächtlichen Unterschiede zwischen Blutcholesterin und Blutbilirubin ungleich-
mässige Störungen im Bereich der ausscheidenden Apparate der Leber aus,
unter denen bald die bilirubinausscheidenden, bald die cholesterinausscheiden¬
den Komponenten in stärkerem Grade geschädigt erscheinen. Die Ungleich¬
heit dieser dynamischen Störungen bewirkt verschiedene Ablaufstypen des
abklingenden mechanischen Ikterus. Bei vollständiger Gallensperre kann die
nicht seltene paradoxe Divergenz zwischen Cholesterin und Bilirubin im
Serum nur durch Störung des Cholesterinstoffwechsels erklärt werden, Stö¬
rungen, welche vornehmlich in der Richtung einer erschwerten enteralen
Cholesterinresorption und einer veränderten Umsetzung des Cholesterins,
vielleicht nach den Gallensäuren hin zu suchen sind. Während also beim
niechanischen Ikterus die Hypercholesterinämie -als Regel anzusehen ist. muss
bei den Formen des dynamischen Ikterus (hämolytischer Ikterus, perniziöse
Anämie) das Fehlen der Hypercholesterinämie als konstanter Befund betont
werden. Auf den gesteigerten Zerfall der roten Blutkörperchen, wobei Hämo¬
globin und Cholesterin in grossen Mengen frei werden, antwortet der Or¬
ganismus nur mit einer Bilirubinämie; das durch erhöhten Biutuntergang
frei werdende Cholesterin wird durch die Galle aus der Blutbahn entfernt.
Beim dynamischen Ikterus wird von den K u p f f e r sehen Sternzellen Bilirubin
in krankhaftem Masse gebildet und tritt vielleicht unter Umgehung des nor¬
malen Sekretweges über die Leberzellen in die perikapillären Lymphräume,
bevor sich dem Gallenfarbstoff das Sekret der Leberzellen, d. h. die übrigen
Gallenbestandteile beigemischt haben. Auch der Umschlag der direkten
Diazoreaktion des Serumbilirubins in die indirekte Diazoreaktion beim ab¬
klingenden Stauungsikterus kann vielleicht in ähnlicher Weise erklärt werden,
indem man sich vorstellt, dass die Leberzellen bereits wieder normal
leistungsfähig geworden sind, während die K u p f f e r sehen Sternzellen die
schädigende Wirkung des Stauungsprozesses noch nicht überwunden haben,
so dass nur das Bilirubin der Kupferzellen in die Zirkulation Übertritt ohne
die Qallenbestandteile der Leberzellen.
B. Kisch: Beiträge Zur pathologischen Physiologie des Koronarkrels-
touies. (Aus dem pathologisch-physiologischen Institut der Universität Köln
a. Rh.) (Mit 8 Kurven.)
Versuche an einem künstlich durchströmten Tier und einem wieder-
beitbten Herzen zeigten, dass nach Verschluss einer Konönararterie, so
Digitized by Goiigle
lange kein Kammerflimmern auftritt, Alternans festgestellt werden kann,
der nach Aufheben der Abklemmung wieder verschwindet. Dieser Alternans
ist oft vorwiegend an der dem abgeklemmten Gefäss gleichnamigen Kammer
feststellbar. Beim Hund hat Verschluss der rechten Kranzarterie keinen
Einfluss auf die Reizüberleitung. Nach Verschluss der linken Koronararterie
kommt es beim Hundeherz zu Ventrikelsystoleausfällen, schliesslich ‘zur
Dissoziation der Vorhof- und Ventrikeltätigkeit; wenn der Verschluss wieder
geöffnet wird, nimmt das Ueberleitungssystem rasch seine normale Funktion
wieder auf. Verschluss der rechten Kranzarterie wirkt beim Hundeherz
hemmend auf die nomotope, fördernd auf die heterotope, aurikuläre und
ventrikuläre Reizbildung. Verschluss oder hochgradige Verengerung der
rechten Kranzarterie (Arteriosklerose, Infektion) dürfte beim Menschen als
das Auftreten von Pulsus irregularis perpetuus fördernd anzusehen sein,
und so Kammerflimmern und den plötzlichen Tod begünstigen.
Chr. K r o e t z: Zur Klinik der Periarteriitis nodosa. (Aus der 1. medi¬
zinischen Klinik der Universität München.)
Ein früher stets gesunder 39 jähriger Mann ohne hereditäre Belastung und
ohne konstitutionelle Anomalien erkrankt % Jahr nach seiner anhaltend mit
Hg und Salvarsän behandelten, klinisch und serologisch geheilten syphilitischen
Ansteckung plötzlich mit beiderseitiger Peroneusneuritis und sich hinziehender
Pneumonie. Nach ihrem Abklingen bleibt die Temperatur subfebril, der Puls
beschleunigt. Zu den anhaltenden neuritischen Erscheinungen treten kolik¬
artige Leibschmerzen, die in dem objektiven Befund keine Erklärung finden.
Blässe, Abmagerung. Entkräftung nehmen überhand, eine leichte Nierenschädi¬
gung steigert sich zu schwerem Nierenleiden mit Hypertonie, bis nach
4/4monatlicher Krankheitsdauer der Tod eintritt. Eine bestimmte klinische
Diagnose war nicht möglich, erst die Autopsie deckte die Periarteriitis nodosa
als Krankheitsursache auf, die die Folge einer spezifischen Infektion ist.
Voraussetzung hiefür scheint nur bei Minderwertigkeit des Gefässsystems
gegeben zu sein, der anatomisch vermutlich hypoplastische Entwicklung der
Arterienwand zugrunde liegt. Die Krankheitszeichen sind mannigfaltig und
wechselnd, ohne sich zu einem eindeutig umschriebenen Krankheitsbild zu¬
sammenzufügen, manche Fälle verlaufen völlig latent. Immerhin ist die
klinische Vermutung berechtigt a) bei akuter Knötchenbildung in der Subkutis,
die dann der histologischen Bestäti^ng bedarf, b) bei dem Syndrom epi¬
gastrische Krampfschmerzen + Neuritis + Nephritis. Aus voller Gesundheit
erkranken die Patienten mit Mattigkeit, Schwächegefühl, Verlust des Appetits
und Gewichtsabsturz, meist auch mit Fieber ohne bestimmten Typus, der
Puls ist meist beschleunigter als der Temperatur entspricht, starke, zu¬
nehmende Blässe hängt mit der Kreislaufstörung und der veränderten Blut¬
beschaffenheit zusammen. An der Haut können sich schubweise Knötchen
von fast pathognomonischem Werte entwickeln, Gelenke, Muskeln, periphere
Nerven werden in Mitleidenschaft gezogen, wodurch reissende Schmerzen,
Parästhesien, Motilitäts-Sensibilitätsstörungen bedingt werden. Herz und
Gefässsystem leiden, die periarteriitisch erkrankte Arterie besitzt nicht die
Starrheit sklerotischer Gefässe, die zu allgemeiner Drucksteigerung führt,
sondern beantwortet schon die Anfänge des Druckanstieges mit Erweiterung
anliegender Wandabschnitte. Die Schmerzen im Abdomen sind zusammen¬
ziehend, krampfartig kolikähnlich, zeigen jedoch eine gleichmässiger an¬
haltende Heftigkeit und können wochen- und monatelang, oft 6is zum Tode
dauern. Sie sind vielleicht zum Teil durch Gefässkrämpfe der erkrankten
Arterien, zum Teil durch leichte entzündliche Bauchfellreizung bedingt. Bei
der Kranken führt das Leiden zwischen 10 Tagen und 7 Monaten un¬
aufhaltsam zum Tode, ^/la gelangt zur Heilung, eine spezifische Therapie gibt
es nicht.
G. Scharmann: Ueber akute Polymyositis nach Leuchtgasvergiftung
und Erfrierung. (Aus dem patholog. Institut der Universität Leipzig.)
Das Wesentliche enthält die Ueberschrift.
A. Bittorf und M. Frhr. v. Falkenhausen: Ueber toxische
LeberschweUung gastrointestinalen Ursprungs. (Aus der med. Universitäts-
Poliklinik Breslau.)
Als Folge der Hungerblockade mit ihren Allgemein- und Organschädi¬
gungen sind auch Lebererkrankungen beobachtet. Es handelt sich stets um
den gleichen Befund, blasse, dürftig genährte Patienten mit einer deutlichen,
gleichmässig glatten, den Rippenbogen bis zu 4 Querfinger überragenden
Leberschwellung mit starker Lävulosurie. Aetiologisch spielte in keinem Falle
der Alkohol eine Rolle, sondern die quantitativ und qualitativ unzulängliche
Ernährung, insbesondere krankhaft zersetzte Nahrungsmittel. Durch Pepsin-
Salzsäure und Regulierung der Ernährung gingen die Erscheinungen, insbe¬
sondere auch die Leberschwellung zurück.
K..G a r 1 i n g: Ueber das leukozytäre Blutbild während der Menstruation.
(Aus der medizin. Poliklinik zu Rostock.)
Bei 37 gesunden und 9 kranken Frauen und Mädchen war ein konstanter
Zusammenhang zwischen Eosinophilie und Menstruation nicht nachweisbar.
Zweifellos hat die Menstruation einen deutlichen Einfluss auf das vegetative
Nervensystem und zwar nicht nur eine einseitige Erregung oder Hemmung
des parasympathischen oder sympathischen Systems zur Folge, sondern es
wird durch die Menstruation eine heterotonische, d. h. beide betreffende
Alteration bewirkt.
Wolther Weigel dt: Zur Klinik der akuten gdben Leberatrophie.
2. Mitteilung. 2 weitere Fälle mit Leukozyteneinschlfissen. Histochemlsche
Analyse der Vakuolen als Fetttröpfchen. (Aus der med. Universitätsklinik
zu Leipzig.) (Mt 1 Abbildung.)
Der Nachweis von Vakuolen in den polynukleären neutrophilen Leuko¬
zyten gelang in 3 weiteren durch Sektion sichergestellten Fällen von akuter
gelber Leberatrophie. Somit muss diesem Befunde eine gewisse differential¬
diagnostische Bedeutung zugesprochen werden. Die histochemische Analyse
der Vakuolen als Fetttröpfchen gelang in allen 3 Fällen. Die Fetttröpfchen
sind höchstwahrscheinlich die Zeichen der Mitarbeit der neutrophilen Leuko¬
zyten des strömenden Blutes an den pathologischen Ab- und Umbauvorgängen,
die sich bei der akuten gelben Leberatrophie überstürzt im Leberparenchym
abspielen. Neutrophile Leukozytose mittleren Grades, Lymphopenie und
Zeichen erhöhter Tätigkeit des erythropoetischen Apparates sind bei der
akuten gelben Leberatrophie regelmässige Befunde.
D. Gerhardt: Ueber die Fühlbarkeit des 2. Pulmonaltones.
Bei Mitralfehlern und anderweiten Fällen von rechtseitiger Herzhyper¬
trophie ist der verstärkte Pulmonalton oft deutlich fühlbar, aber nicht an
der normalen Auskultation der Pulmonalis, sondern erheblich weiter nach
aussen und unten. Diese Erscheinung hat gewissen diagnostischen Wert,
namentlich bei der Unterscheidung von akzidentellen und Mitralgerluscfaen
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
nnd bei der Erkennung einer rechtseitigen neben einer linkseitigen Hyper¬
trophie.
O. Feis: Die Pesterkrankung des Erasmus von Rotterdam.
Der Verf. bringt einen Brief des Erasmus über seine Erkrankung
an Pest, die Behandlung und das Verhalten der Aerzte, zugleich ein wert¬
volles Kulturbild des beginnenden 16. Jahrhunderts.
Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 12.
Sof. W i d e r 0 e - Kristiania: lieber die diagnostische Bedeutung der
Intraspinalen Luftinjektionen bei Rückenmarksleiden, besonders bei Ge¬
schwülsten.
Verf. berichtet kurz über seine Erfahrungen mit intraspinalen Luft-
ihjektionen. Auf dem Röntgenbilde war die Luft im Rückenmarkskanal nie
SU sehen, dagegen müssen die während und nach der Luftinjektion auf¬
tretenden Schmerzen genau beobachtet werden. Bei Anwesenheit einer
Geschwulst treten Rücken- und Kopfschmerzen 7—8 Stunden nach der
Injektion auf, offenbar bedingt durch die an der Geschwulst vorbeipassierenden
Luftblasen; bei der Laminektomie sass die Geschwulst genau an der Stelle,
, Wo die Rückenschmerzen lokalisiert wurden.
H. H a r 11 e i b - Bingen: Operative Verlängerung des Unterschenkels.
Verf. hat in 2 Fällen von mit starker Verkürzung und schlechter Funktion
geheiltem Unterschenkelbruch die operative Verlängerung in einer Sitzung
mit Erfolg durchgeführt: zuerst Durchmeisselung der Frakturstelle unter mög¬
lichster Schonung des Periostes, dann Versuch, die Verkürzung durch lang¬
samen, stetigen Zug allein auszugleichen, soweit es möglich ist, zuletzt
Fixierung der Knochenenden in der gewünschten Stellung durch eine
Aluminiumschiene, die durch 2 Schrauben am Knochen befestigt wird. Draht¬
naht gibt zu wenig Halt. Verfassers Resultate waren sehr befriedigend, wie
aus 3 Röntgcnbildern ersichtlich ist.
K. Fritsch - Posen: Zur Aetiologie des Wring Verschlusses des Darmes.
Verf. hat bei 2 Fällen von Wringverschluss des Darmes die gleichen Ver¬
änderungen am Mesenterium an der Stelle des Verschlusses beobachtet; das
Mesenterium war hart und narbig verdickt von der Drehungsstellc bis ans
Zoekum. Verf. sieht in dieser narbigen altentzündlichen Veränderung des
Mesenteriums die Ursache des Wringverschlusses. Genaue Beobachtungen
müssen die Frage klären, ob man in allen Fällen von Wringverschluss solche
mesenteriale Veränderung finden oder voraussetzen kann. \
L. B r ü n e r: Ueber die Durchschneidung des Rektus bei Bauchschnitten.
^Erwiderung auf Nr. 39, 1920.)
Verfassers Beobachtungen bei Nachuntersuchungen, Relaparotomien oder
bei Obduktionen beweisen ihm, dass sein bogenförmiger Bauchschnitt mit
Schärfer Durchtrennung des M. rectus physiologischen Grundsätzen entspricht
lind keine Schädigung der Bauchwand zur Folge hat.
E. S t a r k - Weiden: Chronischer Ileus nach vorderer Gastroenterostomie
und Enteroanastomose.
Verf. hat kürzlich einen Fall operiert, bei dem der ganze Dünndarm
durch die Lücke zwischen den beiden anastomosierten Darmschlingen durch¬
gerutscht war. Der Darm Hess sich leicht wieder durch die Lücke zurück¬
ziehen, worauf die ohnehin ziemlich harmlosen Beschwerden verschwanden.
Em. Wilhelm- Subotica (S. H. S.): Ueber eine bewährte Methode
Seidensterilisatlon.
Verfs. Methode ist folgende: Die gekaufte Seide wird locker auf Spulen
gewickelt, von jeder Stärke soviel,, als zur Operation nötig ist; diese
Spulen werden dann auf den Boden der Trommel der sterilen Wäsche gelegt;
die Trommel selbst wird dann in den Dampfsterilisator gebracht und eine
Stunde mit HO—llSigem strömenden Dampf behandelt; beim Gebrauch sind
die Spulen ganz trocken. Verf. hat mit dieser so sterilisierten Seide keine
Padeneiterungen mehr beobachtet.
H. P e i p e r - Frankfurt a. M.: Vorläufige MitteUung zum Thema: Neben-
Merenreduktion bei Epilepsie.
Verf. hat nach der Exstirpation der einen Nebenniere in 7 Fällen nur
vorübergehend Erfolg gesehen; nach kürzerer oder längerer Pause
traten die Anfälle dann nur umso heftiger auf; wahrscheinlich ist der Miss-
Verfolg auf die wenigstens bei jugendlichen Individuen stets auftretende
vikariierende Hypertrophie der restierenden Nebenniere zu beziehen; oder es
kann auch bis zu einem gewissen Grade die Schilddrüse für die Nebenniere
Eintreten. Verf. nimmt deshalb zunächst von der Nebennierenreduktion Ab¬
stand. E. Heim- Oberndorf-Schweinfurt.
i Archiv für Gynäkologie. Zusammengefasster Bericht über Band 111,
1112 und 113.
^ Bd. 111. Die Arbeit Waebers über die Dosimetrie in der
Radiumbehandlung der Genitalkarzinome als auch die Antwort
Kehrers eignen sich nicht für einen kurzen Bericht. Warnekros
schreibt über Schwerkraft und Kopflage. Lagewechsel der
schwangeren Frau (z. B. steile Beckenhochlagcrung), insbesondere bei
Hydramnion zeigten, dass die Kindsschädel durch die Schwere ihrer Masse
im allgemeinen gezwungen werden, den jeweils tiefsten Stand im Frucht¬
halter einzunehmen. Kontrollierende Röntgenaufnahmen haben dieses alte
Aristotelische Gesetz bestätigt. G a m m e 11 o f t bespricht die durch
den Bandlschen Ring verursachten Dystokien. Der Ring
kann als Geburtshindernis wirken, zu dessen Ueberwindung man ge¬
zwungen sein kann, entweder den Kaiserschnitt oder die Kephalotripsie zu
machen. W a 11 h a r d befürwortet die Entbehrlichkeit des abdo¬
minalen extraperitonealen Kaiserschnitts für die The¬
rapie beim engen Becken, da er vor allem den Anforderungen tech¬
nischer Einfachheit und völliger „Harmlosigkeit" nicht entspricht. Dagegen
sei der klassische Kaiserschnitt ein einfaches und zuverlässiges Verfahren,
das Gemeingut der Aerzte werden kann und das gestattet, die Geburt bis
zum äusserst zulässigen Mass den Naturkräften zu überlassen. Selbst bei
Besiedelung des Fruchtwassers mit Bakterien aus genitaler Ursache ist die
Leistungsfähigkeit für Mutter und Kind unübertroffen.
L 0 e s e r glaubt in einer Arbeit über die Grippe von 1918 nach¬
gewiesen zu haben, dass das Virus auf dem Umweg über das Ovarium
^wirksam ist. Bosmannn (Klinik B u m m) meint, dass der s c h ä d i -
egende Einfluss der Strahlenbehandlung auf das Blut-
i l d ausgeglichen wird, wenn das Karzinom geheilt wird; dass dieser
Digitized
»V Go ^
Ausgleich sich erhält, wenn kein Rückfall droht; dass aber ein durch
Strahlentherapie ungeheiltes Karzinom oder ein Rezidiv das Blutbild in zu¬
nehmendem Masse trübt.
v. Bardeleben gibt reiche Kriegserfahrungen aus dem Thema
Wundbehandlung im Peritoneum. Ein kurzer Bericht der sehr
interessanten Einzelheiten ist nicht möglich. Friedrich Dessauers grosse
Studien über die Grundlagen und Messmethoden der Tiefen¬
therapie mit Röntgcnstrahlen (deren erster Teil erst vorliegt) haben für
den Praktiker keine Anziehungskraft; Voraussetzung zu ihrem Verständnis ist
genaueste Kenntnis der Röntgenmechanik und -physik.
Schiff mann berichtet über die Wirkungsweise von
Mammaextrakten und bestätigt den funktionellen Antagonismus zwi¬
schen Mamma und Ovarium; dass in der laktierenden Mamma Stoffe ent¬
halten sind, die auf Wachstum von Ovar und Uterus hemmend wirken und
deren Resorption eine Verkleinerung und Involution des Uterus begünstigt.
Walker ist es gelungen, in einem Falle von primärer Abdominal¬
schwangerschaft die Strittigkeit der Frage der Lösung näherzu¬
bringen; weil ein lebendes Ei vorhanden war, das sich in lebendiger Ver¬
bindung mit dem Bauchfell befand; weil ferner irgend eine Verbindung mit
Adnexen nicht nachweisbar gewesen ist.
Stiefel beschreibt ein angeborenes Haemangioma Sim¬
plex, das ein inriltrierender Tumor ist, der das durchwucherte Gewebe
vernichtet (Endothelwucherung) und Brock gibt die Beschreibung und Ab¬
bildung eines Dipygus parasiticus.
Zweifel empfiehlt zur Verhütung der postoperativen
Lungenembolien Vermeidung jeglichen Druckes, jeder Beengung oder
Schnürung der Bein^ usw. Das Frühaufstehen der Laparotomierten schätzt
Zw. nicht besonders; es genüge das Aufsitzen im Bett, wenn man die
freiere Atmung bei aufrechter Körperhaltung wünscht.
Weibel verwendet die Röntgendiagnose in einer Studie über
die Nachgeburtsperiode; Resultat ist, dass cs weder einen D u n -
c a n sehen noch einen S c h u 11 z e sehen Modus der Nachgeburtslösung gibt,
sondern dass alle möglichen Variationen der Lösung Vorkommen. Beob¬
achtungen, wie die Plazenta den Introitus vag. verlässt, haben keinen Wert, da
sie einen Rückschluss auf den Lösungsmechanismus oder auf die Art des
Durchtritts durch den Kontraktionsring nicht erlauben.
L i n n e r t s sorgfältige Untersuchungen über eine seltene Form
von chronischer Ulzeration der Vulva gipfeln in folgenden
Schlüssen: statt Esthiom6ne oder Ulcus rodens vulvae ist zu sagen Ulcus
chronic, vulvae (postluet., oder postgonorrh., oder tubecrulos.). Diagnose
meist nur per exclusionem zu stellen. Behandlung hat das Grundleiden zu
erfassen; Dauererfolge selten. Schlagen haufer teilt einen Fall mit,
in dem im Verlaufe einer Sep(ikopyämie nach Abortus eine ammonia-
kalische Ausscheidung aus dem Uterus festgestellt werden konnte.
Bd. 112. Dieses 576 Seiten starke Buch ist als Festschrift zur
Jahrhundertfeier der Dresdener Frauenklinik erschienen.
Man weiss, wie solche „Festschriften“ entstehen: als Kennwort sollte darüber
stehen „coacti voluerunt". Ein grosser Teil der 30 Arbeiten sind Gelegen¬
heitsveröffentlichungen, oft nur kasuistischer Art. Der knappe Raum des
Referatcnteils der M.m.W. gestattet nur die wichtigsten Arbeiten zu streifen.
Lichtenstein berichtet über den zervikalen Kaiserschnitt
mit besonderer Berücksichtigung der Spätresultate und der Perforation des
lebenden Kindes vor und nach demselben. Der zervikale Kaiserschnitt hat
die Perforation auf den 5. Teil vermindert. Er muss prophylaktisch gemacht
werden bei 3—-5 markstückgrossem Muttermund, damit nicht (bei geschlos¬
sener Blase) Mutter und Kind durch Fieber und andere Verwicklungen ge¬
schädigt werden. Bei hohem Fieber ist auch heute die Perforation berechtigt.
Richter zieht aus 300 klassischen Kaiserschnitten, die eine
Sterblichkeit der Mütter 6,3 bzw. 5 Peroz. und der Kinder 4,7 bzw. 0,7 Proz.
aufweisen, den Schluss, dass der klassische Kaiserschnitt am günstigsten
gemacht wird, wenn die Geburt nicht länger als 10 Stunden dauerte,, der
Muttermund handtcllergross ist und die Blase kurz vor der Operation ge¬
sprengt wurde. Rindfleisch empfiehlt seine neue Methode der Corpus-
a m p u t a t i 0 n, bei der der Zervixstumpf zwar zunächst in die Scheide
eingenäht wird, sich aber später in die Bauchhöhle zurückzieht. Rüb-
Samen bestätigt durch Kasuistik den guten Erfolg der Stöckel-
Goebellschen Operation bei Harninkontinenz und be¬
spricht in einer zweiten Arbeit, die von F ü t h angegebene Methode der
Blasenscheidenfistelheilung, die ebenfalls gute Resultate gibt.
Eine geistvolle Arbeit Lahms über Plattenepithelkarzinom des
Uteruskörpers eignet^ sich nicht für ein zusammengedrängtes Referat.
Nowak behauptet, dass es’ keine primären mela notischen Ovarial¬
tumoren gibt und dass die bisher veröffentlichten ovariellen Melano-
sarkome nicht einwandfrei sind. Alice Herz kommt in der immer wieder
diskutierten Frage, wie der fieberhafte Abortus behandelt wi;rden
soll, zu der Ansicht, dass es am besten ist, den Uterus baldigst zu ent¬
leeren; unabhängig von den Ergebnissen der bakteriologischen Untersuchung,
die ja für die Zehntausende von Praktikern überhaupt gar nicht in Frage
kommt.
W. Lahm stellt 2 Sätze auf: es werden luetische Kinder eines lueti¬
schen Vaters geboren, wobei die Mutter von allen syphilitischen Erscheinungen
frei ist; Mütter der vom Vater her luetischen Kinder sind syphilisinimun.
Schmidt-Bäümlers Arbeit über Plazenta-und Nabelschtiur-
veränderungen bei Syphilis bringt keine entscheidenden Resultate;
sicher sind nur die ausgesprochenen F r ä n k e 1 sehen und bläschenförmigen
Zellhypcrplasien und als häufige Befunde die T h o m s e n sehen Abs::esse.
Schotten beschreibt einen Fall von Nabelschnurbruch und Ek-
topie der Blase (unoperiert) und Aldenhoven eine angebjrene
Dünndarmunterbrechung (ursächlich kommen sowohl die Erklä¬
rung A h I f e I d s wie die C h i a r i s in Frage). Rübsamen prüft eine
Methode der externen Hysterographie und sucht mit ih • die
Wertigkeit von Wehenmitteln zu bestimmen. Resultat: Chinin hat. ntra-
venös verabreicht, wehenerregende Wirkung; bei geringer Dosierung j :doch
zu schwach und inkonstant: bei stärkerer treten starke Nebenerscheinungen
auf. Hydrastis- und Cotarninpräparate (Hydrastin, Mcthylhydrastin, Hydra-
stinin, Styptol und Stypticin) haben ebenfalls uteruserregende Wirkungen,
daher Warnung vor Gebrauch bei Blutungen während der Schwangerschaft.
Aber ein brauchbares Wehenmittel sind sie auch nicht, da ihre Inteisität
zu gering.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
465
Auch die weitgespannte Arbeit Kehrers über den K a l k g e h a 11
des Blutes, besonders in Schwangerschaft, Geburt und Wochen¬
bett und bei Nephritis und Eklampsie in ihren Einzelheiten nicht referierbar.
Praktisch wichtig scheint die Erkenntnis, dass der Blutkalkgehalt in nur
geringen Graden schwankt; dass er bei starken Blutverlusten geringgradig
herabgesetzt wird; bei Nephritis und Eklampsie ist der Blutkalkspiegel auf¬
fallend niedriger. Therapeutisch wird von Kehrer phosphorsaurer Kalk bei
allen Schwangeren und Wöchnerinnen, sowie bei allen Blutenden in relativ
grossen Mengen und mit Erfolg verabreicht. — Neue Gesichtspunkte zum
Mechantsmus der Geburt entwickeln Kehrer und Lahm; diese
theoretisch-physikalischen Untersuchungen, Versuche und Spekulationen
müssen im Original gelesen werden.
Bd. 113. Hauschting erörtert die Erythemdosis und Kar¬
zinomdosis der Radiumstrahlen. Radiumpräparate sind bio¬
logisch zu eichen* Karzinomdosis und Erythemdosis sind annähernd gleich;
Dosenverzettelung ist zu vermeiden, also, wenn möglich, eine einmalige
starke Dosis; Anwendungsweise intrauterin (Zervix 4* Korpus). Frankl
gibt Beiträge zur Pathologie und Klinik des Ovarial-
karzinoms, mit besonderer Berücksichtigung der metastatischen Formön.
Die gründliche Arbeit des Wiener Pathologen verdient das Interesse aller
Kliniker; dem Praktiker genüge die Tatsache, dass Diagnose solider Ovarial-
karzinome nicht schwer ist, dagegen umsomehr die Entscheidung, ob Adeno-
kystome schon maligne geworden sind. Niemals ist die physikalische und
chemische Untersuchung des Magendarmkanals zu vergessen (Röntgenunter¬
suchung!). Prognostisch wichtig ist der Unterschied zwischen den autochton
entstandenen und den metastatischen Eierstokskrebsen. Totalexstirpation der
gesamten inneren Genitalien wird empfohlen; Röntgentherapie wird vor¬
sichtig beurteilt. Gegenüber der landläufigen Darstellung schildert Schiff-
m a n n, dass Spontanheilung junger Tubengraviditäten
durch Molenbildung, Resorption und Organisation eintreten kann; das kann
geschehen, ohne dass jemals subjektive Beschwerden oder klinische Sym¬
ptome einzutreten brauchen.
Schmidt bricht eine Lanze für die konservativen Adnex¬
operationen. So lange wie möglich wird die Heilung durch konservative
Behandlungsmethoden erstrebt. Muss operiert werden, so wird bei Frauen
über 40 Jahren mit schwersten krankhaften Zerstörungen die abdominale
Radikaloperation gemacht. Bei jüngeren Frauen wird, wenn es nur irgend
geht, der Fundus mit den Tuben keilförmig exzidiert und mindestens ein
Eierstock zurückgelassen. 83 Proz, Dauerheilung. Bröer-Lindemann
frägt Symphysiotomie oder Hebosteotomie? Er zieht die
Symphysiotomie vor, weil sie geringere Gefahren für die Mutter hat als
der Kaiserschnitt; weil .sie künftige Geburten erleichtert und weil sie auch
bei Infizierten anzuwenden ist. Gegenüber der Pubeotomie (deren Wert der
Verf. anerkennt) besteht der Vorteil der grösseren Schnelligkeit und ebenfalls
die Tatsache der dauernden Erweiterung des Beckenringes:
Robert Meyer bringt Beiträge zur Lehre von der nor¬
malen und krankhaften Ovulation und der mit ihr in Be¬
ziehung gebrachten Vorgänge am Uterus. Die mit scharfer Kritik und gründ¬
lichster Sachkenntnis geschriebene Arbeit gipfelt in 36-Thesen, die hier nicht
einmal angedeutet werden können. Alle Interessenten seien dringend auf das
Original verwiesen, in dem wirklich mit dem Schutt überalteter Anschauungen
schonungslos aufgeräumt wird. P o t e n spricht über Häufigkeit und
Bedeutung der Spontaninfektion im Wochenbett. Er
betont, dass nur die klare Erkenntnis von der Möglichkeit einer Spontan¬
infektion den einzigen Weg zeigte auf dem eine Besserung der Wochenbetts¬
hygiene erreicht werden kann. Prophylaktisch wäre neben Spülungen mit
Milchsäure auch eine' Anreicherung der Bakterienflora mit Milchsäure¬
bakterien zu versuchen; solche biologische Massnahmen versprechen eher
Erfolge als mechanisch-chemische Desinfektionsverusche, die doch nur proble¬
matisch gewertet werden können. — Schott schreibt über die Bedeu¬
tung der Geburtsschädigungenfür die Entstehung des
Schwachsinns und der Epilepsie im Kindesalter und bestätigt
in Reihen von Untersuchungen, dass bei beiden Krankheitsbildern mehrere
ursächliche Beziehungen in Frage kommen, zu denen gehören alle Geburts¬
schädigungen (Zange, Frühgeburt, Scheintod, Sturzgeburt usw.).
Speyer teilt feinen Fall von Karies der Symphyse und des
Schambeins mit; Trauma event. Ursache. Diagnose wird erleichtert
durch Röntgenaufnahme. Prognose ist gut und die Therapie ist eine chi¬
rurgische. — Butterkugeln in Dermoidzysten beschreibt Fried¬
länder; sie entstehen um Epithelschüppchen. Henkel schreibt über
Hypertrophia portionis cystica; in einem Fall aus Resten
des W o 1 f f sehen Ganges, im anderen als Endergebnis einer Adenomyositis
seroepithelialis, in einem dritten Falle handelt es sich um sog. Ovula
Nabothi. Robert Meyer verfolgt die Bildung des Urnieren-
leistenbandes beim Menschen und stellt fest, dass es nicht
aus der kaudalen Fortsetzung der Urniere entsteht, sondern aus lateralen
Teilen, die ursprünglich dorso-lateral gelegen, sich allmählich ventralwärts
vorschieben.
W i n t z macht Untersuchungen über die physiologisch-che¬
mische Wirkung des Follikelsaftes. Wird Luteolip.oid
eingespritzt, so werden Blutungen innersekretorischen Ursprunges beeinflusst
(Pubertätsblutungen!). Wird Lipamin injiziert, so kann man Amenor¬
rhoen heilen. Mahnert gibt weitere Beiträge zum Studium der
Dysfunktion endokriner Drüsen in der Schwangerschaft. Dysfunktion
der Hypophyse durch Abbau von dessen Eiweiss bei 60 Proz. der
Schwangeren: fast ebenso bei der Zirbeldrüse. Aehnlich beeinflusst werden
Ovarien, Nebennieren und Thyreoidea. Der Grund ist vielleicht in dem
Uebermass plazentarer Stoffe bzw. ihrer fötalen Elemente zu suchen.
Kafka: Ueber Genese der Tubentuberkulose. Diese ist
stets sekundär, durch Einschwemmung vom Bauchfell, hämatogen aus ent¬
fernteren Organen oder lymphogen aus Nachbarorganen. Häufigste Ursache
ist die Bauchfelltuberkulose. Mikroskopisch lassen sich peritoneale Tuben¬
tuberkulosen und metastatisch hämatogene Formen gut unterscheiden.
K a 11 i w 0 d a gibt Aufschluss über Misserfolge der Tuben-
sterilisation, ihre Genese und Prphylaxe und schliesst sich eng an
die bekannten Arbeiten F r ä n k e 1 s und Nürnbergers an. Die Frage
der Röntgensterilisation wird gestreift, dabei aber die wichtigste Komponente,
die des Ausfalls der Menstruation, nicht genügend betont. Schäfer gint
Resultate der Collifixatio Uteri nach B u m m. Von 47 nach¬
untersuchten Fällen sind 55 Proz. geheilt. Der Eingriff ist ungefährlich; bei
106 Operationen 2 Todesfälle. Ein Vorteil ist, dass Schwangerschaften nicht
verboten sind; ein Fall von Gravidität und Partus wird mitgeteilt.
Heinrichsdorff spricht über Sopor und Eklampsie. Die
Intoxikation in der Gravidität kann auftreten als Eklampsie, d. s. herd¬
förmige Thrombonekrosen oder als Sopor, d. i. Zonendegeneration. Kom¬
binationen kommen sehr selten vor.
Ekler beschreibt eine Gravidität in einer Nebentube.
Untersuchungen über Senkungsgeschwindigkeit der roten
Blutkörperchen bringt Linzenmeyer; in der zweiten Schwanger-
schaftshälfte und im Puerperiumsbeginn starke Beschleunigung der Sedimen-
tierung (F a h r a e u s’ Reaktion), Differentialdiagnostisch nicht verwertbar,
da auch Extrauteringraviditäten und entzündliche Veränderungen Senkungs¬
beschleunigung bewirken. Myom und Gravidität der zweiten Hälfte kann
durch Fahraeus sehe Reaktion unterschieden werden. Jedenfalls stehen
diese interessanten Vorgänge, die wohl in polar geladenen Spannungen ihren
Grund haben, erst im Beginn der Erkenntnis und der praktischen Ver¬
wertung. W. S. F 1 a t a u - Nürnberg.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 12.
W. Latzko -Wien: Die Behandlung des fieberhaften Abortus.
L. ist ein Anhänger der exspektativen Therapie des fieberhaften Aborts
und belegt seine Ansicht durch eine vergleichende Statistik von über
9000 Fällen, von denen 30 Proz. über 38® fieberten und 298 starben. Von
1910—14 wurde aktiv, von 1915—20 exspektativ vorgegangen. Die Mortalität
sank von 14,8 Proz. in der ersten Periode auf 10 Proz. in der zweiten Periode.
Das Fieber an sich sollte als Anzeige zur Ausräumung aus der Indikations¬
stellung und dem Gedankenkreis des Arztes verschwinden.
J. H a 1 b a n - Wien: Zur Behandlung*der Fehlgeburten.
Diskussionsbemerkungen zu obigem Vortrage: In 10 Jahren 6872 Fälle,
von denen 28,73 Proz. fieberten. H. ist Anhänger einer aktiven Therapie.
Die komplizierten Fälle müssen bei der Beurteilung, welche Behandlungs¬
methode zu bevorzugen ist, von vornherein wegfallen.
Den Rest des Zentralblattes nimmt der Sitzungsbericht der geburts¬
hilflich-gynäkologischen Gesellschaft in Wien über dies wichtige, zurzeit meist-
umstrittene Thema ein. Werner- Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 93. Heft 4.
Er. Schiff und E. Stransky: Beitrag zur Kenntnis der Stoff¬
wechselwirkung des Magnesium-Ions. Einfluss subkutaner Magnesiumsulfat-
injektionen auf die Kalkausscheidung durch den Harn bei gesunden Kindern
und bei der Kalkarurie. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Die Untersuchungen ergaben, dass sich durch die subkutane Zufuhr
löslicher Magnesiumsalza die Kalkretention meist verschlechtert, ferner dass
die Ca-Ausscheidung dunch den Harn stark vermehrt wird. Jedenfalls wird
durch diese Befunde die Frage des Ca-Stoffwechsels und die Rolle des
Mg-Ions im Stoffwechsel von einer neuen Seite beleuchtet, derart, dass
zwischen beiden eine gewisse Relation, ein Antagonismus zugrunde liegt.
A. B ä 1 i n t und E. Stransky: Reststickstoffstudlen an Neugeborenen,
gleichzeitig ein Beitrag zur Frage des Harnsäureinfarktes. (Aus der Univer¬
sitätskinderklinik in Berlin.)
Aus den Untersuchungen der Verf. ergibt sich, dass in den ersten
Lebenstagen in der Mehrzahl der Fälle erhöhte Rest-N-Werte im Blute vor¬
handen sind, die ausnahmslos eine fallende Tendenz zeigen. Dies trifft
in der Mehrzahl der Fälle zu, 'womit zwanglos die Harnsäureinfarkte in
Zusammenhang gebracht werden. Die erhöhten Reststickstoffwerte werden
durch endogenen Eiweissabbau — Zellzerfall — bedingt.
Joh. V. B ö k a y - Pest: Noch einmal zur Frage der sekundären Tracheo¬
tomie bei intubierten Kruppkranken und neuere Beiträge zur Kenntnis der
sogen, prolongierten Intubation.
Als erfahrener Spitalsarzt und bester Kenner nimmt B 6 k a y nach
28 jähriger Erfahrung zu der wichtigen Frage der sekundären Tracheotomie
- nochmals das Wort. Er will dieselbe bei technisch verbesserter Intubations¬
methode möglichst beschränkt wissen — bei seinem grossen Material in
4 Proz. der Fälle, wobei die sekundäre Tracheotomie seiner Meinung nach
an keinen bestimmten termin gebunden ist. Nicht die Furcht vor dem
Dekubitalgeschwür, sondern nur das * zweifellose Vorhandensein eines
schweren Dekubitus indiziert den blutigen Eingriff. Kurven und Tabellen
illustrieren die bemerkenswerten Heilresultate. Frühzeitige Injektion hoch¬
wertiger Heilserumdosen sind dabei die Conditio sine qua non. (Ref.)
Aurel V. Koös: Die kongenitalen Atreslen des Zwölffingerdarmes. (Mit¬
teilung aus der Universitätskinderklinik [Stephanie-Kinderspital] zu Pest.
Direktor Prof. Dr. J. B 6 k a y.)
Kasuistischer Beitrag, unter Anlehnung an die Tandler-Kreuter-
sche Theorie der Stabilisierung embryonaler Atresie. Klinische Beschreibung.
Literatur.
Literaturbericht, zusammengestellt von A. Niemann - Berlin.
Buchbesprechungen, 0. R o m m e 1 - München.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. Band 68/69.
Festschrift zu M. N o n n e s 60. Geburtstage.
F. S c h u 11 z e - Bonn: Ueber Myelitis acuta und acutissima mit be¬
sonderer Berücksichtigung ihrer Entstehungsbedingungen.
2 Fälle von schnell verlaufenden Lähmungen im Sekundärstadium von
Lues.
B. P f e i f e r - Nietleben: Die periphere chirurgische Behandlung spasti¬
scher Lähmungen bei Hirnverletzten und anderen organischen Erkrankungen
des Gehirns.
Nach den Erfahrungen des Verfassers (22 Fälle) übertreffen die mit
der peripheren Förster sehen Operationsmethode erzielten Erfolge alle auf
andere Weise gewonnenen Behandlungsresultate. Allerdings ist nach Be¬
seitigung der Spasmen intensive Nachbehandlung notwendig. An den unteren
Extremitäten fiel der Heilerfolg besser aus als an den oberen.
O. Marburg -Wien: Hirntumoren und multiple Sklerose. Ein Beitrag
zur Kenntnis der lokalisierten Form der multiplen Sklerose im Gehirn.
5 Fälle von multipler Sklerose, die unter dem Bilde eines Hirntumors
verliefen; ein anderer imponierte als multiple Sklerose und erst im Laufe
der Beobachtung liess sich die Diagnose Hirntumor stellen. Differential¬
diagnostisch ist vor allem der Krankheitsverlauf und die Eigenart einzelner
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
466
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Symptome massgebend, besonders auch die Disproportion in der Intensität
der Sehnenreflexe an einem Bein. *
B. C u r s c h m a n n - Rostock: Hypothyreoidismus und Konstitution.
Verf, nimmt an. dass die Kriegsernährung einen Einfluss auf die Akti¬
vierung eines bis dahin schlummernden Hypothyreoidismus ausgeübt habe
und beschreibt eine Reihe derartiger Fälle. Diese bilden auch zugleich
einen Beweis dafür, dass es eine konstitutionelle hypothyreoide Veranlagung
gibt, wofür auch das Vorkommen des familiär-hereditären Myxödems spricht.
V. K a f k a - Hamburg: Die Endarteriltis der kleinen Hirnrindengefässe
mit positivem Liquorbefunde. Zugleich Mitteilung eines neuen Liqtiorsyndroms.
Bei der Endarteriitis der kleinen Hirnrindengefässe kann in seltenen Fällen
der Liquorbefund positiv sein, hervorgerufen in einer Reihe von Fällen durch
eine begleitende Meningitis mit den dafür typischen Reaktionen. Es kann
ferner ein neues Liquorsyndrom (starke Globulin- und Eiweissverniehrung
und positive WaR. im Liquor mit Selbsthemmung bei meist höheren Werten,
dabei massige Zellzahlen), das nicht an das Vorhandensein einer Meningitis
gebunden, sondern Folge einer besonderen Gefässerkrankung ist, Vorkommen.
In ganz seltenen Fällen sieht man das serologische Bild der Paralyse, aber
auch hier wird wohl eine häufigere Liquoruntersuchung sowie die Anwendung
neuer Liquorreaktionen die Differentialdiagnose gegenüber der Paralyse
fördern können.
A. B 0 s t r 0 e m - Rostock: Ungewöhnliche Formen der epidemischen
Enzephalitis unter besonderer Berücksichtigung hyperkinetischer Erschei¬
nungen.
Mitteilung von einschlägigen Fällen, die vorwiegend mit motorischen
Erscheinungen, hyperkinetischen und choreatischen Symptomen einhergingen
und unter dem Bilde einer Poliomyelitis oder einer akuten multiplen Sklerose
verliefen. Mehrfach kam Polyneuritis als Nebenbefund vor. Die Enzephalitis
kann ein ausserordentlich reiches Symptonienbild bieten, das nicht völlig im
pathologisch-anatomischen Befunde aufgeht, sondern zu dessen Begründung
man z. T. nebeneinander verlaufende entzündliche und toxische Prozesse an¬
nehmen muss. Pathologisch-anatomisch sind Gefässveränderungen bemerkens¬
wert, daneben vereinzelte kapilläre Blutungen sowie Zellanhäufungen um ge*
schädigte Ganglienzellen. Am stärksten befallen waren der Boden der
Rautengrube, Bindearmgegend sowie die zentralen Ganglien, vor allem der
Linsenkern.
A. H o c h e - Freiburg: Die Entstehung der Symptome bei der progres¬
siven Paralyse.
Trotz guter Kenntnis des pathologisch-anatomischen Bildes der Paralyse
sind wir auf Vermutungen angewiesen, wenn wir dieses mit den klinischen
Erscheinungen in Beziehung bringen wollen. Es gilt zu entscheiden, welche
Symptome auf den Untergang der nervösen Elemente, und welche auf toxische
Ursachen zurückzuführen sind. Nur die fortschreitende Zerstörung der Psyche
kann mit dem fortschreitenden Untergang der spezifischen Nervenelemente in
Parallele gesetzt werden. Alle anderen Symptome- können, weil sie rück¬
bildungsfähig sind, nur als Folgen toxischer Wirkung der Spirochäten ange¬
sehen werden. Wenn man die Pscudoparalysen, namentlich die alkoholische,
mit in den Bereich der Betrachtung zieht, wird der Umfang, in dpm toxische
Einflüsse solche Symptome hervorrufen können, klar.
H a u p t m a n n - Freiburg: Die Bedeutung des Liquorbefundes ln den
verschiedenen Stadien der Syphilis.
Verf. unterscheidet 3 Kategorien: l. Fälle mit syphilitischen Haut-,
Schleimhaut-usw.-Erscheinungen. 2. Fälle ohne diese, aber mit positivem
Blut.-W. 3. Sicher infizierte, ohne alle diese Erscheinungen. Bei der Gruppe
der Unbehandelten war von 66 der Kategorie l zugehörigen Fallen 23 mal ein
pathologischer Liquor vorhanden, aber nur 3 davon hatten nachweisbar krank¬
hafte Veränderungen am Nervensystem, Von 4 Fällen der Kategorie 2 hatten
3 pathologischen Liquor. 2 auch nervöse Störungen, aber nur bei einem
von diesen waren alle Reaktionen im Liquor positiv. Fälle der Kategorie 3
waren in dieser Gruppe nicht vorhanden. Unter der Gruppe der gut be¬
handelten Fälle fand .sich ein Fall der Kat. 3 mit pathologischem Liquor und
deutlich erkranktem Nervensystem. Bei den unzureichend behandelten Fällen
liess sich in der Kategorie 1 13 mal von 35 Fällen ein kranker Liquor fest¬
stellen, 7 mal ein nervöser Befund, doch waren von den 13 Fällen mit patho¬
logischem Liquor 10 ohne krankhafte Veränderungen am Nervensystem. Bei
Kategorie 2 befanden sich unter 24 Fällen 13 mit Liquorveränderungen, 7 mit
nervösen Symptomen, Bei Kategorie 2 waren unter 32 Fällen 7 Liquorver¬
änderungen, 3 Fälle mit nervösen Erscheinungen, einmal der Nervenbefund
mit isoliertem Nonne verknüpft. Einem krankhaften Prozess am Zentral¬
nervensystem entspricht nur in einem Teil der Fälle ein pathologischer
Liquor, andererseits kommt auch ein pathologi.scher Liquorbefund bei intaktem
Nervensystem vor. Zellvermehrung in der Lumbalflüssigkeit scheint aber
das früheste Zeichen eines spezifischen Nervenleidens in der Frühperiode zu
sein und nicht eine Tcilerscheinung einer allgemeinen Lymphozytenvermehrung;
denn gerade die zu Hauterscheinungen neigende Lues scheint das Nerven¬
system im allgemeinen weniger zu befallen. Es ergibt sich weiterhin die
Forderung, dass als Richtlinie für die Therapie nicht nur die objektiven
syphilitischen Symptome und die WaR. — sie können fehlen —, sondern
auch allein der Liquorbefund massgebend sein muss, dass ferner auch bei
negativem Liquorbefund auf nervöse Symptome zu achten ist, welche das
alleinige Zeichen für das Vorliegen eines luetischen Nervenleidens sein können.
A. W e s t p h a 1 - Bonn: Ueber seltene motorische Erscheinungen bei
multipler Sklerose nebst Bemerkungen zur Difierentialdlagnose gegenüber
der Encephalitis epidemica.
Ein Fall mit choreiformen Erscheinungen, ein anderer mit myoklonischen
Zuckungen, beide, wie die Sektion bestätigte, zur multiplen Sklerose gehörig.
Die Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen dieser Krankheit und der
Enzephalitis illustriert ein Fall der letzteren, bei dem die Abblassung der
temporalen Hälfte der Papille festzustellen war.
v. R a d - Nürnberg: Ueber doppelseitige reflektorische Pupillenstarre
nach Schädeitrauma. *
Einschlägiger Fall.
E. R e y e - Eppendorf: Zur Klinik und Therapie der „Kachexie hypo¬
physären Ursprungs“.
Eine Frau mit zunehmender Kachexie und Haarausfall besserte sich gänz
auffallend nach Verabfolgung von Hypophysisvorderlappensubstanz.
F. M e g g e n d 0 r f e r - Friedrichsberg: Ueber Encephalitis lethargica.
Schlaf und Skopolaminwirkung.
In 2 Fällen stellte sich nach der Periode der Schlafsucht ein Zustand
quälender Schlaflosigkeit und allgemeiner Muskelspannung ein, der auf Skopo-
Digitized by Goiisle
lamin prompt zurückging. Die Wirkung dieses Mittels, die ganz dem natür¬
lichen Schlaf und dem bei der Encephalitis lethargica ähnlich ist, scheint auf
die zentralen Ganglien sich zu erstrecken.
A. B 0 e 11 i g e r - Hamburg: Ueber extrakapsuläre Henüplegien, Insbe¬
sondere über Hemlhypertonia aoopiectica.
Verf. schildert 30 Fälle dieser seltenen Erkrankung. Sie setzt plötz¬
lich ein, meist auf Grund einer Apoplexie, mit einseitig gesteigertem Tonus
der Muskulatur, ohne Lähmungen und Reflexsteigerungen, mit normalen Haut¬
reflexen, Zunahme der Spannungen bei passiven Bewegungen, Abnahme bei
aktiven Bewegungen. Den extrakapsulären Sitz der Erkrankung beweist das
Fehlen von aphatischen Störungen, bei dem meist rechtseitigen Betroffensein
des Körpers. Der Sitz der Erkrankung, die als halbseitiges Analogon zu der
Pseudosklerose und der Wilson sehen Krankheit gelten kann, muss viel¬
mehr in den Linsenkern verlegt werden.
H. L u c c - Hamburg: Zur Diagnostik der Zirbelgeschwülste und zur Kritik
der zerebralen Adipositas.
Neben dem Vicrhügelsyndrom und epiphysären Syndrom stellte in diesem
Falle der Befund eines umschriebenen Kalkschattens im freien Schädelinnern
auf der Röntgenplatte die Diagnose sicher. Die Fettsucht bei Zirbelge¬
schwülsten hat nichts mit der Epi- oder Hypophyse direkt zu tun, wie über¬
haupt diese Drüsen keinen Einfluss durch ihre Hormone auf das Fettwachstum
ausüben, sondern wird durch Druckwirkung oder indirekt durch Hervorrufung
eines Hydrocephalus int. auf das vegetative Zentrum im Zwischenhirn aus¬
gelöst, teils auch mit den anderen Zirbeldrüsensymptomen durch den Ausfall
ihres Hormons, welches hemmend auf die Generationsorgane wirkt, hervor¬
gerufen. Auch der neurohyoophysäre Ursprung der Dystrophia adiposo-geni-
talis wird vom Verf, bestritten und das Leiden auf ^hädigungen des Zwi¬
schenhirns zurückgeführt.
F. O e h 1 e c k e r - Hamburg: Ueber Neurofibrome des Nervus tiblalis.
3 Fälle von solitären Neurofibromen des Nervus tibialis.
S. Erben-Wien: Ueber das Vaguspbänomen bei Neurasthenfkern.
Klinische Untersuchungen des intrakraniellen Druckes an Schädeldefekten.
Die vorliegenden Untersuchungen an Schädelnarben liefern den Beweis,
dass das Vagusphänomen (Pulsverlangsamung bei starker Kopfneigung und
Bücken) in der Ueberfullung des Schädelinhaltes mit venösem Blut ihre Ur¬
sache hat. Auch die angebliche mechanische Reizung durch Druck des Vagus¬
stammes am Halse beruht nur auf einer Behinderung des intrakraniellen Blut¬
abflusses durch die Kompression der Vena Jugularis und den dadurch be¬
dingten Reiz des bulbären Vaguszentrums.
L. N y a r y - Pressburg: Beiträge zur Pathologie des Herpes zoster.
Bei einem Herpes zoster im Bereiche des 2.— 4. Halssegmentes wurde
ein Infarkt im gleichseitigen 3. zervikalen Spinalganglion gefunden. Eine
direkte Wirkung von dem einen Ganglion aus auf die 3 Segmente erscheint
ausgeschlossen, man muss vielmehr eine rückläufige Reizwirkung von hier
aus auf sympathische Zellen des Rückenmarks annehmen, die auf die Vaso-
motion einen Einfluss haben.
W. Raven- Hannover: Ueber das Auftreten des Kompressionssyndroms
im Liquor bei Spondylitis tuberculosa.
Auch bei der tuberkulösen Wirbelerkrankung treten in denjenigen Fällen,
in denen es zum Druck auf das Rückenmark kommt, die gleichen Liquorver¬
änderungen auf, wie bei komprimierenden Rückenmarkstumoren. Die Stärke
der Eiweissvermehrung geht mit der Schwere der nervösen Symptome
parallel.
J. .D 0 n a t h - Pest: Ideeller Masochismus im zarten Kindesalter.
P. B u 11 e r s a c k - Heilbronn: Die Hypnose In der Praxis.
Empfehlung der Hypnose; ihr Anwendungsgebiet bei Diagnose und
Therapie.
E. S t r a n s k y - Wien: Enzephaiitischer Pseudotumor.
Unter dem Bilde eines Hirntumors verlaufender Fall von Enzephalitis
mit Ausgang in Heilung.
E. A r n i n g - Hamburg: Lepra und Syphilis, eine Parallele.
Die Exantheme beider Krankheiten können grosse Aehnlichkeit mit einander
haben. Die Ausbildung in die anästhetische und tuberöse Form der Lepra
richtet sich je nach der Menge und Anpassungsfähigkeit des Giftes einerseits
und der Abw'chrkraft des Organismus andererseits. Bei der ersteren finden
wir starke lokale Abw’ehr und wenig Bazillen; wir können sie auf eine Stufe
stellen mit der reparablen Lues cerebri im Anfangsstadium der Lues. Der
tuberösen Lepra mit geringer lokaler Abwehr und massenhaften Bazillen
würde der auf gleicher Ursache beruhende Befund des Paralytikergehirnes
entsprechen.
F. R e i c h e - Hamburg: InfluenzamenlnKitis.
2 Fälle von Meningitis mit dem Befunde von Influenzabazillen während
epdemiefreier Zeit.
O. R e h ni - Bremen: Eine neue Reaktion des Liquor cerebrospinalis.
Nach Ueberschichtung des Liquor mit Toluol bildet sich ein breiter Ring
und nach Ablauf von 1—2 Wochen eine gelatinöse Schicht, zuletzt einge¬
trocknet ein Häutchen. Die Beziehung dieser Kolloidreaktion zu einzelnen
pathologischen Zuständen bedarf noch der Aufklärung.
F. 0 e h 1 e c k e r - Hamburg: Erfahrungen über die Exstirpation des
2. Spinaigangilon bei der Okzipitalneuralgie.
Durch die Operation wurde in 9 Fällen ein voller Erfolg erzielt.
H. P e 11 e - Eppendorf: Ueber akute fieberhafte luetische Zerebrosplnal-
meningitis.
3 einschlägige Fälle.
A. J a k o b-Hamburg; Zum Kapitel der paradoxalen zerebralen Kinder¬
lähmung.
Unter paradoxaler Kinderlähmung ist eine ohne eigentliche Lähraungs-
symptome verlaufende Erkrankung zu verstehen, deren anatomisches Substrat
vorwiegend in den stummen Hirngebieten gelegen ist. Hier handelt es sich
um ein Kind, welches nach zweimaligen meningitischen Attacken an epilepti¬
schen Anfällen und zunehmendem Schwachsinn erkrankte und unter Häufung
der Krampfanfälle und halluzinatorischen Verwirrtheitszuständen und Hinzu¬
tritt von spastischen Erscheinungen zugrunde ging. Bei der Sektion fanden
sich neben entzündlichen Veränderungen der Pia ausgedehnte Herde im
Stirnhirn und linken Parietallappen, die Rinde und Mark durchsetzten, ausser¬
dem Parenchymdegenerationen an zahlreichen anderen Stellen, Pyramiden¬
bahndegeneration fehlte. Die genauere histologische Analyse gibt wichtige
Hinweise auf die Beziehungen zwischen den nervösen Elementen der einzelnen
Rindenschichten, die hier in Kürze nicht wiedergegeben werden können.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNf^
- __ _ _ _
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4m
H. Hermel- -Rinteln: lieber einen Fall von Encephalomyelomalacla
chronica diffusa bei einem vleriährigen Kinde. '
Die zahlreichen klinischen Ausfallserscheinungen waren durch einen'aus¬
gedehnten, mit Blutungen durchsetzten Erweichungsherd verursacht, der fast
das gesamte Marklager des Hirns zerstört hatte.
J. Dräsccke: lieber Mitbewegungen bei Gesunden.
Beim Oeffnen des Mundes treten regelmässig Spreizbewegungen der
Hände auf. Bei einem Knaben und seiner Mutter Hess sich beim Mund¬
öffnen eine Kontraktion des Platysma beobachten.
E i c h e 1 b e r g - Hedemünden: Durch Hypnose erzeugtes „hysterisches
Fieber“.
Durch Hypnose gelang es dem Verf. Temperaturerhöhungen zu erzielen
und wieder zum Verschwinden zu bringen. ,
A. Saenger -Hamburg: Beitrag zur Symptomatologie und chirurgischen
Behandlung der Gehirntumoren.
Bericht über teilweise mit Erfolg operierte Hirntumoren.
W. C i m b a 1 - Altona: Die krankhafte Verwahrlosung.
Schilderuno' des Krankheitsbildes.
P. Peemöller - Eppendorf: lieber Dermatomyositis.
Die Erkrankung der Haut bestand in einer ödematösen Schwellung, die
namentlich im Gesicht stark auftrat und von besonders langer Dauer war,
während die gesamte Körpermuskulatur spontan schmerzhaft, druckempfind¬
lich und derb infiltriert war. Die therapeutischen Massnahmen blieben ohne
Einfluss.
R. Fleischmann - Bad Nassau: Die Beurteilung der Luetinreaktion
im Zusammenhänge mit den LiqUorVeränderungen bei den verschiedenen
Formen der Frühsyphilis.
Aus den Untersuchungen des Verf. geht hervor, dass die Luetinreaktion
in Verbindung mit den übrigen serologischen und Liquorveränderungen ein
wichtiges Hilfsmittel zur Beurteilung der Heilung oder Heilungstendenz der
Lues bildet. So kann z. B. das Negativbleiben dieser und der WaR. bei
vorhandenen Liquorveränderungen einen solchen Fall als Nervensyphilis kenn¬
zeichnen. Eine ungenügende Behandlung kann sich dadurch anzeigen. dass
die Luetinreaktion verschwindet oder schwach positiv bleibt, weil die Kur die
Bildung von Immunkörpern hintanhält, ohne die Spirochäten zu vernichten.
E. R ö p e r - Hamburg: Schlussfolgerungen aus 1200 Kriegsverletzungen
des peripheren Nervensystems.
Die Prognose der schweren Verletzungen des peripheren Nervensystems
ist keine gute, Heilungen nach Naht sind selten, wenn man von den glän¬
zenden Erfolgen einzelner Operateure und der Ausnahmestellung des Neuro¬
chirurgen absieht. Lösungen und orthopädische Operationen, ebenso systema¬
tische konservative Behandlung bewirken häufig Besserung, aber auch hier
gehört restitutio ad integrum zu den Seltenheiten. Praktisch am wichtigsten
als Unterstützung aller Heilmethoden ist der Zwang der Anpassung. Die am
Mittel- und Schienbeinnerv Verletzten, besonders die letzteren, leiden sub¬
jektiv am meisten.
K. B i n s w a njt e r - Kreuzlingen; Atypische, symptomatische Psychose
bei allgemeiner und Gehirnkdrzlnomatose.
Eine von Haus ans psychopatische Patientin mit depressiver Qrund-
stimmung erkrankte an allgemeiner und Qehirnkarzinomatose. Die körper¬
liche Erkrankung rief zunächst nur eine Steigerung der bisher vorhandenen
pathologischen Charaktereigenschaften hervor, die das Krankheitsbild als
Hysterie missdeuten Hess. Erst später trat eine exogen bedingte Psychose
zutage hauptsächlich unter den Erscheinungen schwerster Angst, doch war
auch hier die Einwirkung der endogenen Veranlagung deutlich.
F. W 0 h 1 w i 11 - Hamburg: Zum Kapitel, der pathologisch-anatomischen
Veränderungen des Gehirns und Rückenmarks bei perniziöser Anämie und
verwandten Affektionen.
Die Erkrankung im Rückenmark ist primär herdförmig und nimmt erst
durch die Verschmelzung mehrerer Herde und sekundäre Degeneration einen
strangförmigen Charakter an. Charakteristisch ist die vorwiegende Be¬
teiligung des Achsenzvlinders. die ...neurolvtische Schwellung der Nerven¬
faser“. Neben proliferativen finden sich auch regressive Veränderungen der
Glia. Auch die Oefässe sind an der Erkr^ankung beteiligt, namentlich durch
Wucherung der Intimazellen. Die Affektion der Oefässe kann aber als primäre
Krankheitsursache nicht in Betracht kommen, weil sie sich nur auf das er¬
krankte Oeb'^t einschliesslich der sekundären Degenerationen erstreckt. Im
Gehirn werden Ansammlung Hpoiden Pigments in den Ganglienzellen und
diffuse progressive Oliaveränderungen gefunden, aber keine dem im Rücken¬
mark zu findenden entsprechenden Herde. Der histologische Bau der im
Gehirn häufig beobachteten Blutungen unterscheidet diese deutlich von den
Röckenmarksherden.
G. S t e r t z - München: Die funktionelle Organisation des extrapyrami¬
dalen Systems und der Prädilektlonstypus der Pyramideniähmung.
Nach Ausschaltung der motorischen Rinde oder der ihre Erregungen fort-
leitenden Pyramidenbahnen tritt das »ubkortikale extrapyramidale und phylo¬
genetisch ältere System an seine Stelle, Das extrapyramidale System hat auf¬
gehört ein Bewegungsorgan zu sein, dient yielmehr nur noch der Regulierung
des formgebenden Muskeltonus, der Statik und Dynamik der Bewegung,
normalerweise gehemmt durch Erregungen, die durch das pyramidale System
fliessen. Nun lehrt die Pathologie, dass hier ungeordnete Spontanbewegungen
zustande kommen können, die aber im Gegensatz zu denen der Grosshirnrinde
nicht mehr fixiert werden mit Ausnahme derjenigen, die für die Art von
dominierender Bedeutung geworden sind. So die den aufrechten Gang be¬
dingenden Strecksynergien än den Beinen und die einer primitiven Greif¬
bewegung entsprechende Beugung des Armes, Diese treten nach der anfäng¬
lichen Lähmung wieder in Erscheinung und bestimmen die Form der Wieder¬
herstellung. ausgelöst durch extrarolandischc Rindenreiz'e. die sich erst nach
einiger Zeit wieder einstellen. Die Kontraktur entsteht nun dadurch, dass die
neuen willkürlichen Impulse das periphere motorische Neurom in einem Zu¬
stande der Uebererregbarkeit antreffen infolge Fortfalls der hemmenden >
Wirkung der Pyramidenbahn und gekennzeichnet durch die schon anfangs
bestehende Reflexstcigerune. Da die antagonistischen Impulse noch nicht vor¬
handen sind, summieren sich einseitig die auftretenden willkürlichen Impulse
mit dem bereits vorhandenen Erregungszustand, fixieren die Bewegung und
führen so zur Kontraktur.
E. Trömner: Erinnerungen an die traumatische Hirnschwäche
(Encephalopathla traumatica).
Das vom Verf. 1910 erstmalig äufgestetlte Syndrom besteht in seinen
Hauptsymptomen aus Schwindel, Vergesslichkeit, Intoleranz gegen Nerven-
Digitized by Goiigle
gifte, assoziative Insuffizienz und gemütliche Abstumpfung event. kombiniert
mit unmotivierter Explosivität oder Ansätzen zu moralischer Verkommenheit,
objektiv unter Umständen Liquordruckerhöhung und abnorme Vestibularis-
reaktion.
Weygandt -Hamburg: Der Geisteszustand bei Turmschädel.
' Bei einer Minderheit von Turmschädelfällen lassen sich teils Schwach¬
sinn, teils degenerative Züge und teils psychotische Symptome feStstellen.
Renner- Augsburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 12 u. 13.
Ludw. M a n n - Breslau: Ueber TorticolUs spasticus. Insbesondere seine
operative Behandlung.
Der kurzen Erörterung der Behandlungsmethoden unblutiger Art schickt
Verf. kurze Ausführungen über Wesen und Aetiologie dieser Krampfform
voraus, welche nach seiner Anschauung ätiologisch ins Gebiet der Be¬
schäftigungskrämpfe gehört. 3 Fälle werden mitgeteilt, welche in bestimmter,
näher ausgeführter operativer Technik Behandlung fanden (mit Resektion des
zur Drelirlchtung gekreuzten N. accessorius. wiederholten Operationen). Der
Erfolg, welcher nichts mit suggestiver Wirkung zu tun hat, trat in diesen
Fällen allmählich ein.
P. G. U n n a - Hamburg: Zur feineren Anatomie der Haut. .
In dieser zweiten Mitteilung behandelt U. das Epithelfasersystem und die
Membran der Stachelzellen und gibt, ausser einer einschlägigen Abbildung,
eine Reihe histologischer Einzelheiten, welche im Original zu vergleichen
sind. Darnach ist das Epithelfasersystem für die Oberhaut, was das elastische
Gewebe für die Kutis ist.
P. Wienecke - Berlin; Dünndarmlnvagination durch invaginiertes
Meckel sches Divertikel.
Dieser Krankheitszustand, welcher durch eine günstig verlaufende Ope¬
ration behoben werden konnte, fand sich bei einem 2V& jähr, Knaben, der
plötzlich unter den gewöhnlichen Erscheinungen einer Invagination erkrankt
war. Abbildung. Besprechung des Mechanismus des Vorkommnisses.
Hel. B r ü n i n g - ßerlin-Rummelsburg: Zur Behandlung angeborener
Syphilis bei besonders hartnäckigem Verlauf.
3 Krankengeschichten mit den vorgenommenen Kuren werden tabellarisch
mitgeteilt. Sie zeigen, dass eine konsequente Behandlung der angeborenen
Syphilis schliesslich doch zi^m Ziele führt.
A. G U 11 i c h - Berlin: Die Untersuchung des Ohrlabyrinths als Hilfs¬
mittel bei der Diagnostik der Lues.
Verf, zeigt, dass durch Fi’nktionsprüfungen das Gehör des Luetikers
genau zu überwachen ist und dass, sowohl bei frischen als alten Erkran¬
kungen, aus dem Befund eine Lues diagnostiziert werden kann und dass die
Ohrsymptome ein erstes Alarmzeichen der Bedrohung des Zentralnerven¬
systems darstellen. Wichtig ist die schleichende Entwicklung der Ohr¬
symptome bei Lues.
Bernh. Fischer- Frankfurt a. M. Nochmals die Neuordnung des
ärztlichen Studiums.
Betreffs der Ausführungen zu dieser Frage müssen wir auf das Original
verweisen.
Nr. 13. E. F r i e d b e r g e r und F. S c h i f f - Greifswald: Zur Fleck¬
fieberätiologie.
Bericht über neue Tierversuche der Autoren, durch welche die früheren
ätiologischen Anschauungen betr. des Fleckfiebers wesentlich umgestaltet wer¬
den. Zur kurzen Angabe des wesentlichen Inhalts ist der Aufsatz nicht ge¬
eignet.
Ph. Kuhn- Dresden: Morphologische Studien an Bakterien.
Ebenfalls nicht zu kurzem Auszug geeignet.
Bech L a r s e n und K. Secher - Kopenhagen: Sochanskis Ver¬
fahren zur Unterscheidung von Transsudaten und Exsudaten.
Die genannte Reaktion zielt auf eine Titration der zu untersuchenden
Flüssigkeit mittels 1 proz. Phenolphthaleinlösung und n/lO NaOH ab. Verf,
prüften dies nach, nahmen aber ausser den Titrationen auch noch eine Be¬
stimmung des N-Gehaltes der untersuchten Flüssigkeiten vor. Es erwies
sich, dass genanntes Verfahren sich für die Unterscheidung von Trans- und
Exsudaten weit besser eignet, als eine N-Bestimmung in der betr. Flüssigkeit.
L. L a n g s t e i n - Berlin: Zur Indikationsstellung der Operation des
Pylorospasmus.
Verf. teilt zunächst 2 Fälle mit, welche mit günstigem endgültigen Erfolg
operiert worden sind. Die Operation Ist auf die schweren Fälle zu be¬
schränken, bei diesen aber möglichst bald auszuführen. Sehr wesentlich ist
die Feststellung, ein wie grosser Teil der eingenommenen Nahrung durch das
Erbrechen immer wieder ausgeworfen wird. Verf.' lässt zu diesem Behufe
systematische Wägung der erbrochenen Massen vornehmen. Schwer ist der
Verlauf auch fast immer in den Fällen, wo es sich um ein familiäres Vor¬
kommen handelt. Andererseits ist die Art der Magenperistaltik und die
Möglichkeit, einen Pylorustumor zu palpieren, nicht entscheidend für die
Beurteilung der Schwere der Erkrankung.
Rob. H a n s e r - Breslau: Knollenblätterschwammvergiftungen.
Aus dem Berichte, welcher sich besonders mit dem pathologisch-ana¬
tomischen Befund solcher Fälle befasst, geht hervor, dass pathologisch¬
anatomisch eine Kombination von P-Vergiftung und akuter gelber Leber¬
atrophie sich zeigt, was zwar nicht als absolut spezifisch gelten kann, aber
beim Fehlen eines anamnestischen Hinweises an die genannte Vergiftung
denken lassen muss. Auch die Muskelveränderungen können entscheidend
zur Differentialdiagnose herangezogen werden.
W. J o h a s - Berlin: Totalnekrose eines Myoms unter dem Bilde einer
vorzeitigen Plazentarlösung.
Die im 5. Monat schwangere 27 jähr. Frau erkrankte unter schwerer
Anämie, akutem Anwachsen des Uterus, Zeichen innerer Blutung ohne
Blutung nach aussen. Es handelte sich aber um eine. Blutung in einem
Myom, die zur Gewebsnekrose führte. Operation, Heilung.
A. Weil-Berlin: Juristische und organisatorische Schwierigkeiten bei
der Ausführung der Steinbach sehen Transplantation.
Verf. weist auf die Situation hin, dass die Transplantation gesunder
Testes auch mit Einjvilligung des Spenders juristisch nicht zweifelsfrei ist,
während der Uebertragung von Keimdrüsen, welche aus ärztlichen Indika¬
tionen entfernt werden müssen, keine Bedenken entgegenstehen. Weitere
Ausführungen beschäftigen sich mit der Art der Materialbeschaffung für diese
Vornahme. Qrassmann - München.
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
46«
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 8 u. 9.
H. Fühner - Königsberg i. Pr.: Pneumoperitoneum durch Pentandampf
an Stelle von Sauerstoff.
W. Teschendorf-Königsberg i. Pr.: Ueber die Verwendung von
Pentandampf zur Füllung der menschlichen Bauchhöhle.
Die Einspritzung von Pentan in die Bauchhöhle, wobei 10 ccm Flüssigkeit
etwa 2 Liter üas geben, erschien im Tierversuch für die diagnostische
Methode des Pneumoperitoneums erfolgversprechend, erwies sich aber bei
der Anwendung am Menschen als zü schmerzhalt, um empfohlen werden zu
können.
M. Bürger und E. H a g e m a n n - Kiel: Ueber Osmotheraple.
Der Osmotherapie dienen alle Lösungen, deren molekulare Konzentration
die'des Blutes übertrifft. Hypertonische Traubenzuckerlösungen sind Rohr¬
zuckerlösungen von gleichem Prozentgehalt an osmotischer Wirkung um das
Doppelte überlegen. Nach Traubenzuckerinjektionen in die Blutbahn findet
eine starke Blutverdünnung durch Stickstoff- und salzarmen Wasserzustrom
aus den Geweben statt („Innere Transfusion“). SOproz. Lösungen in einer
Gabe von 1 g Traubenzucker auf das Kilogramm. Körpergewicht haben sich
bisher am zweckmässigsten erwiesen.
H. M u c h - Hamburg: Fettantlkörper.
Widerlegung der Einwände, welche gegen die Lehre von den Partial¬
antigenen erhoben werden.
F. Klopstock - Berlin: Die Behandlung der Tuberkulose mit lebender,
avlrulenter Vakzine ln steigender Dosis.
Verf. beginnt mit Injektionen von ^/looo mg. verdoppelt nach einwöchigen
Zwischenpausen bis zur Enddosis von ^/lo mg und wiederholt die Kur nach
4 —8 Wochen. Den benutzten Schildkrötenstamm hält er für identisch mit
dem Friedmann sehen und für einen ursprünglich humanen, der vom
tuberkulösen Wärter auf die Schildkröte übertragen wurde. Mit dieser
Methode, die in über Va der Falle zu günstigen Ergebnissen führte, sollen nur
sicher Tuberkulöse behandelt werden.
P 1 a u t-Hamburg: Zwei Fälle von nomaähnlichen Erkrankungen der Haut.
ln beiden Fällen handelte es sich um die Aeusserung einer fusospirillären
Symbiose; während in einem Falle wegen gleichzeitiger schwerster doppel¬
seitiger Lungentuberkulose der Tod eintrat, konnte im zweiten Falle durch
fünfmalige Einspritzung von 0,15 g Neosalvarsan ohne jede andere Medikation
Heilung erzielt werden.
H. Scholz- Königsberg i. Pr.: Milzexstirpation bei perniziöser Anämie.
Der Erfolg entsprach nicht den Erwartungen.
D. E b e r 1 e - Offenbach a. M.: Zur Diagnose und Therapie der extra¬
duralen Hämatome.
ln den beiden hier ausführlich mitgeteilten Fällen war das bekannte
freie Intervall zwischen Trauma und Eintritt der Bewusstlosigkeit das aus¬
geprägteste Merkmal. In allen zw'eifelhaften Fällen soll man nicht zu lange
mit der diagnostischen Trepanation zögern; nur so kann die Zahl der er¬
kannten extraduralen Hämatome vermehrt werden, was um so wichtiger ist.
als die nicht erkannten wohl ausnahmslos zum Tode führen.
A. Wolff-Eisner - Berlin: Die statistische Abnahme der Tuberkulose.
Es wird die von Möllers und Selter aufgestellte Behauptung, dass
sich in Deutschland die Tuberkulosesterblichkeit bereits wieder dem Friedens¬
stande nähere, bestritten.
B. M ö 11 e r s - Berlin: Die statistische Abnahme der Tuberkulose.
Bemerkungen zu dem vorstehenden Aufsatz des Herrn Wolff-Eisner.
F. U m b e r - Charlottenburg: Der fetzige Stand der Aetlologie und
Pathogenese der Gicht. (Schluss folgt.)
Nr. 9. ,
K: Bonhoeffer - Berlin: Die Encephalitis epidemica.
Klinischer Vortrag.
P. G. U n n a - Hamburg: Klinische Vorträge über Hautkrankheiten. I.
E. S o n n t a g - Leipzig: Erfahrungen mit Hellners Knorpelextrakt
„Sanarthrit“.
Die H e i 1 n e r sehe Theorie der Sanarthritwirkung wird als höchst
fraglich und wahrscheinlich unzutreffend bezeichnet. Die therapeutischen
Erfolge sind einstweilen wenig eindeutig; doch sind mehrfach bemerkenswerte
Besserungen bei den verschiedenen Gelenkerkrankungen erzielt worden, wes¬
halb weitere Prüfung angebracht erscheint.
E. H 0 f f m a n n - Bonn: Bemerkungen zu Sterns „Parasyphllls**.
Mit Rücksicht auf das therapeutische Handeln hält H. es für gefährlich,
Fälle, die als nicht infektiös angesehen werden, schwächer zu behandeln; der
Beweis für das Vorkommen einer syphilisähnlichen, andersartigen leichteren
Infektion ist nicht geliefert.
E. Fraenkel - Breslau: Die Aktivitätsdiagnose der Lungentuberkulose.
Fortbildungsvorfrag.
S. L o e B - München-Gladbach: Singultusepldemlen.
Derartige Epidemien sind in letzter Zeit öfters beschrieben worden; sie
scheinen in einem gewissen ursächlichen Zusammenhang mit der Grippe zu
stehen und werden als die Aeusserung einer Toxinwirkung auf das Singultus-
zentrum aufgefasst. Es scheinen ausschliesslich Männer zu erkranken; das
Alter bewegt sich zwischen 20 und 55 Jahren. Die Therapie tastet einst¬
weilen noch. Bei psychogenem Einschlag ist Suggestion am Platze.
F a c k e n h e i m - Kassel: ..Pupillenreaktionsmesser“. Ein Apparat zur
zahlenmässigen Feststellung der Pupillenreaktion.
Beschreibung mit einer Abbildung.
C. Hirsch- Stuttgart: Neuere Wege zur Kokainersparnis bei Ober-
fläcbenanästhesle.
Die etwa 10 Jahre zurückliegende Erfahrung, dass eine Novokainlösung
durch Zusatz von Kal. sulfur. in ihrer anästhesierenden Wirkung erheblich
gesteigert wird, so dass man bedeutend schwächere Konzentrationen als die
bislang üblichen ('/s—'/lo Proz.) verwenden kann, gab Veranlassung, auch die
der Oberflächenanästhesierung dienenden Kokainlösungen mit Kal. sull. zu
kombinieren, mit dem gleichen Erfolge. Es ergibt sich daraus geringere
Giftigkeit und grössere Billigkeit der angewendeten Lösung, da nunmehr
1—3 Proz. Kokain genügt.
Rp. Soi. Cocain, muriat. (25 Proz.) 1,0—3,0
Suprarenin. muriat. (1 Prom.) 2,5
Sol. kal. sulf. (2 Proz) 5,0
Sol, acid. carbol. (J4 Proz.) ad 25,0.
R. R a d i k e - Berlin: Kraftübertragungsapparat für Lähmungen und
Schiottergelenke. Beschreibung mit 3 Abbildungen.
K. J 0 s e p h - Höchst a. M.: Zur Differenzierung der Erreger der Gas¬
ödemerkrankung.
Die von Z e i s s 1 e r angegebene Menschenblut-Traubenzucker-Agarplatte
ermöglicht nicht eine sichere Bestimmung der Zugehörigkeit eines Gasödem¬
erregers. Dazu gehört noch der Nachweis der Toxinbildung nebst Neutrali¬
sierungsversuch mit Antitoxin und Schutzversuch mit Oedemserum und
Fraenkelserum.
R. H e s s - Frankfurt a. M.: Ueber Isoagglutlnine beim Neugeborenen.-
Sera und Erythrozyten der Neugeborenen agglutinierten in weit ge¬
ringerer Zahl als die der Mütter.
M. F r ä n k e I - Berlin: Streustrahlung oder endokrine Drfisenwirkung.
Die therapeutische Wirkung der Röntgenstrahlen auf das Karzinom
gründet sich möglicherweise weniger auf die rein örtliche Wirkung, als auf
eine Beeinflussung des endokrinen Drüsenapparates.
H. Grass- Sommerfeld: Hat das Frledraann sehe Tuberkuloseheil¬
mittel schädliche Wirkungen?
Die Frage wird bejaht- doch scheinen Schädigungen nicht eben häufig
zu sein.
J. F r a n k e n s t e i n - Berlin-Schöneberg: Ueber Antlkonzlplentien.
Empfehlung des von der Sphinx-Hygibe G.m.b.H. Berlin S.O. 26, Oranien-
strasse 183 gefertigten Schutzapparates.
J. Koopmann - Haag: Ueber den Nachweis von Azeton Im Harn.
Die Destillation des Harns wird für unzweckmässig gehalten, da im
Destillat Azeton aus anderen Körpern gebildet wird.
H. C i t r 0 n - Berlin: Erwiderung auf die obigen Bemerkungen.
, F. U m b e r - Charlottenburg: Der jetzige Stand der Aetlologie und
Pathogenese der Gicht. (Schluss aus Nr. 8.) Uebersicht.
Abelsdorff und K. Steindorff - Berlin: Ophthalmofoglsche
Ratschläge für den Praktiker. Baum- Augsburg.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift
Nr. 10.. A. Fröhlich: Neue Wege In der SyphUlstherapie.
Pharmakologische Untersuchungen mit einer neuartigen Jodverbindung
Mirion.
J. Kyrie und H. P 1 a n n e r - Wien: Klinische Erfahrungen mit dem
Benköschen Jodpräparat. Siehe Bericht M.m.W. 1921 S. 349.
A. Eiseisberg: Die chirurgische Behandlung des Ulcus ventrlcull
et duodeni.
Ueberblick über die seit 1918 an E.s Klinik ausgeführten Ulcus-
operationen. a) unkomplizierte Fälle: Gastroenterostomien 42 (1 Todesfall),
Pylorusausschaltung 9 (1), Resektion und Pylorusausschaltung 28 (1). quere
Magenresektion 38 (2), Billroth I 79 (2), Billroth II 164 (9). b) komplizierte
Fälle: perforiertes Magengeschwür 11 Operationen (4), akute Blutung 5 (3),
Ulcus pept. jejuni 12 (3), Nachoperationen 7 (2). Es wird die Resektion für
Ulcus und Stenosefälle als Methode der Wahl bezeichnet und die in manchen
Fallen ausgezeichnete und unschwierige Jejunostomie besonders erörtert.
O. Stör k-Wien: Ueber Nervenveränderungen hn Narbenbereiche des
Ulcus peptlcum.
St. fand in dem Narbengewebe eines rezidivierten Magengeschwüres in
ziemlicher Zahl neuromartige Verdickungen der Nervenendigungen. Diese
erklären die fortdauernde Ueberempfindlichkeit und sind wohl auch nicht ohne
Belang für die Geschwürsrezidive.
W. P e w n y - Pressburg: Ergebnisse von Blutuntersuchungen bei Osteo¬
myelitis. Untersuchungen an 18 Fällen.
R. H o f f m a n n: Ein gehäuft auf tretendes typisches Krankheitsfdid der
Wirbelsäule (Wirbelmalazie).
Die von F. Eisler und J. Hass in Nr. 6 beschriebenen Krankheits-
vorgänge weist H. einer „Spondylitis deformans“ zu.
F. Eisler und J. Hass halten gegenüber H o f f m a n n an dem Be¬
stehen einer eindeutigen Wirbel m a 1 a z i e fest. B e r g e a t - München.
in Berlin vom 30. März bis 2. April 1921.
(Berichterstatter: Sanitätsrat Dr_ H. S t e 11 i n e r - Berlin.)
Erster Sitzungstag.
In der Eröffnungsrede des Vorsitzenden S a u e r b r u c h - München
kommt dieser noch einmal auf den Ausschluss der deutschen Chirurgen aus
der internationalen Gesellschaft für Chirurgie zu sprechen, auf die der Aus¬
schuss der Gesellschaft bereits die gebührende Antwort gegeben. Er be¬
klagt, dass die Bemühungen der neutralen Chirurgen, sich diesem Ent¬
schlüsse entgegenzustellen, zu lau gewesen. Um so mehr v( rdienen
die Männer unseren Dank, welche dem Protest gegen jenen Bescl iluss in
anerkennenswerter Weise Ausdruck gegeben haben, wie L a n z - Amsterdam.
L a rn 6 r i s - Utrecht und Hotz- Basel. Im Aufträge von 70 Scaweizer
Chirurgen hat letzterer ein Schreiben an den Präsidenten der internationalen
Gesellschaft für Chirurgie gerichtet, in dem ebenfalls betont wird, lass es
richtiger gewesen wäre, den Kongress zu suspendieren, als die Dtutschen
Chirurgen auszuschliessen. Auch hat das Schweizer Nationalkomi ;ee der
internationalen Gesellschaft für Chirurgie ein Schreiben an die E eutsche
Gesellschaft für Chirurgie gerichtet, in dem sie gegen die Verleumdunj wegen
angeblich inhumaner Behandlung von feindlichen Soldaten durch dcuts« he Chi¬
rurgen protestiert und anerkennt, dass die Zumutung einer Verleugnui g jenes
bekannten Manifestes, trotzdem es von keinem deutschen Chirurgei unter¬
zeichnet war, für diese indiskutabel sei, ferner hervorgehoben wii d, dass
es sich bei der Brüsseler Tagung nicht um eine Versammlung der Di utschen
Gesellschaft für Chirurgie gehandelt, sondern um. eine von der i bersten
Heeresleitung veranlasste Zusammenkunft. Durch diese Schreiben s ;ien die
Bande zwischen den Deutschen und Schweizer Chirurgen wieder g ^knüpft.
Das den Herren Arnd, de Quervain und Roux erteilte C »nsilium
abeundi ist vom Ausschuss infolgedessen zurückgenommen.
Herr Hotz- Basel gab im Namen der Herren seiner Genugtui ng und
Freude hierüber Ausdruck.
Vereins- und Kongressfberichte.
45. Versammlung der Deutschen Gesellschaft fQr Chirurgie
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
15. Aprü 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
469
Das erste Hauptreferat gab Herr Payr- Leipzig über „Konstltutlons-
Pathologie und Chirurgie**. Der Chirurg hat sich bisher zu wenig mit ihr
beschäftigt. Der Begriff der Konstitution ist noch nicht geklärt. Einige ver¬
stehen darunter nur die mit dem Keimplasma überkommenen ererbten Eigen¬
schaften, körperliches Erbglück und Erbleid der Persönlichkeit, jedoch im
guten, wie bösen Sinne, ist wandelbar. Am wichtigsten für den Chirurgen
ist der Status hypoplasticus, bei dem eine Asthenie der üewebe und Organe
besteht und der mit dem Status thymolymphaticus verwandt ist. Bei Kindern
verläuft er unter dem Bilde der exsudativen Diathese. Hierher gehört
auch der Status enteroptoticus und der Status neuroticus. Die Schwäche
der Astheniker liegt in dem Unterwert ihrer kontraktilen und elastischen
Elemente, Auf der anderen Seite finden wir bei ihnen eine Neigung zu
vermehrter Bindegewebsbildung.' Das führt einmal zu bindegewebiger Ent¬
artung von Organen, andererseits zu guter Wundheilung (gute Heilhaut).
Narbenschwüchc, Hernien finden wir bei ihnen selten, aber auf der anderen
Seite Neigung zu Keloiden, Adhäsionsbildung an serösen Häuten, Abkapselung
entzündlicher Herde (selten Peritonitiden vom Appendix oder den Genitalien).
Neigung zu Fibrinbildung (fibröse Diathese), zu öelenkversteifungen. Auf der
anderen Seite finden wir einen erhöhten Schutz gegen Infektionen. Gerade
besonders kräftige Menschen werden oft von Pneumonien hingerafft, während
die asthenischen sie überstehen. Vielleicht gehört hierher auch die Hämo¬
philie. Es gibt Verfahren, um verminderte Bindegewebsenergien zu beleben,
gesteigerte zu bekämpfen (Hormone verschiedener Blutdrüsen, anorganische
Substanzen, wie Kohlenwasserstoffe. Proteinkörper, ganz schwache Röntgen¬
dosen auf der einen Seite, Fibrolysin, Senföl, Pepsinverdauung auf der anderen
Seite). Bei Unterwertigkeit der Blutgerinnung Reizbestrahlung der Milz nach
Stephan-Jurasz. Vorsicht erfordert die Narkose bei Leuten mit Status
thymolymphaticus. Lymphatiker sind oft Vagotoniker und Neurotiker
(schwaches Herz grosse Lymphfollikel am Zungengrund, niedriger Blutdruck,
Lymphozytose. Extrasystolen). Hier ist psychische und medikamentöse Be¬
ruhigung indiziert. Das Gefässsystem der Hypoplastiker ist gegen jede
Schädlichkeit überempfindlich (Fettembolie).
Herr G e r i c k e - Berlin spricht die Meinung aus, dass die Hämophilie
meist auf er>bluetischer Basis ruhe.
• Dieser Anschauung wird von den Herren G a r r ö - Bonn, Sauer-
b r u c h - München und dem Vortragenden widersprochen,
Herr K1 a p p - Berlin: Die anthropologische Rückbildung der unteren
Rippen 'und Ihre klinische Bedeutung..
Die unteren Rippen unterliegen einem phylogenetischen Rückbildungs¬
prozess, ebenso wie der letzte Lendenwirbel oft in den Kreuzbeinwirbel,
der letzte Brustwirbel oft in den ersten Lendenwirbel übergeht. Die untersten
Rippen nehmen nicht mehr an der Atmung teil. Die 12. Rippe ist sehr
schwankend in ihrer Grösse (1—17 cm). Ihre Lage ist ganz verschieden.
Bald gehen die untersten Rippen gabelförmig auseinander, bald steht die letzte
senkrecht nach unten, so dass ihre Spitze den Darmbeinkamm berührt, bald
klemmt sie sich hinter diesem ein. Durch diese verschiedenen Lagen
können Beschwerden hervorgerufen werden, einmal durch Druck auf die
Niere und Därme, ferner ausstrahlende Schmerzen, welche auf ein Nieren¬
leiden oder die Gallenblase bezogen werden, in Wirklichkeit aber durch
jene Costae mobiles oder divergentes verursacht sind,
Herr K e y s s e r - Jena: Ein Weg zur erheblichen Verbesserung der
operativen Behandlung der bösartigen Geschwülste.
Die Resultate der radikalen Entfernung der Geschwülste mit DrOsen-
ausräumung und nachfolgender Röntgenbehandlung ergeben immer noch wenig
befriedigende Resultate. Die Röntgenstrahlcn töten nicht die Geschwulstzelle,
sondern wirken indirekt auf sie durch die Gefässnerven. Auch Versucne,
durch Diathermie oder Einspritzung von Organextrakten eine Umstimmung
des Organismus zu erreichen, haben nicht zum Ziele geführt, K. hat Ver¬
suche, durch Vakzinebehandlung eine aktive Immunisierung herbeizuführen,
angestellt. Es wurden genau die Vorschriften wie bei bakterieller Immuni¬
sierung befolgt. Unter 14 so behandelten Fällen traten 4 Rezidive auf, von
denen 2 noch 7 bzw. 8 Jahre nach der Operation leben. Die Art der Rezidive
war eine mehr gutartige.
Herr Bier- Berlin zweifelt, dass es sich hier um eine spezifische
Wirkung gehandelt habe. Aehnliche Erfolge erreicht man auch mit Ein¬
spritzung anderer Mittel. Es muss eine Reaktion hervorgerufen werden,
welche sich in Entzündung und Fieber zeigt. Die Geschwülste bilden sich
zurück, aber es tritt damit noch keine Heilung ein. Durch Vergiftung wird
der Exitus herbeigeführt.
Herr K u 1 e n k a m p f f - Zwickau: lieber das Staphylokokkenerysipei.
Es handelt sich um ein charakteristisches Krankheitsbild, das in 8 Fällen
von Gesichtserysipel beobachtet wurde. Eigenartig bläuliche Farbe der Haut,
später dunkelblaue Farbe. Perlschnürartige Stränge mehr fühl- als sichtbar.
Ferner entwickeln sich stecknadelkopfgrosse Effloreszenzen und Eiterbläschen.
Der scharfe Rand ist nicht so ausgesprochen wie bei der gewöhnlichen
Gesichtsrose. Niedriger Puls bei hoher Temperatur und eine auffallende
Euphorie vervollständigen das Krankheitsbild. Die Prognose ist sehr un¬
günstig. Nur ein Fall, der sehr früh in Behandlung kam und bei dem sofort
eine grosse Inzision gemacht wurde, ist mit dem Leben davongekommen.
Herr Müller- Rostock lehnt die Bezeichnung Ersipel für diese Er¬
krankung ab. Erysioel ist eine Streptokokkenerkrankung. Hier handelt es
sich um eine Phlegmone.
Auch Herr Sauerbruch - München hält es nicht für ratsam, diese
Krankheitsfälle als Erysipel zu bezeichnen.
Herr v. Gaza- Qöttingen: Chemie und Kolloidchemie der Wundheilungs-
Vorgänge.
Die Gewebe einer Wunde heilen nicht in gleicher Weise zusammen.
Bei einzelnen derselben muss erst ein chemischer Prozess stattfinden. Die
kollagenen Fibrillen müssen erst ihren Kolloidzustand ändern. Man unter¬
scheidet bei den Kolloiden de^ festen, den festweichen oder Gelzustand und
den gelösten oder Solzustand,' die kollagenen Fibrillen müssen erst in diesen
gelösten Zustand übertreten, die Fibrillen zerfasern und es entstehen junge
Bindegewebszellen, welche sich mit denen der gegenüberliegenden Seite ver¬
einen. Dann folgt der umgekehrte Prozess. Aus den Zellen wird das
Kollagen wieder in Fibrillen ausgeschieden. Es findet eine Quellung und
Entquellung statt. Dabei spielen Säuren in stärkster Verdünnung eine Rotte,
wie Salz- und Milchsäure, welche auch bei dem Gerben von Häuten ver¬
wendet werden. Ob bei diesem Prozess Fermente und welche Fermente
eine Rolle spielen, ist noch nicht geklärt.
Digitized by Goiisle
Herr K ü 11 ii e r - Breslau erinnert an die Studien von Melchior
und Rahm über den Nachweis elektrischer Ströme in der granulierenden
Wunde. Vielleicht kann man elektrische Ströme zur Verstärkung des Aktions¬
stroms bei schlecht epithelisierenden Wunden verwenden.
Herr U n g e r - Berlin: Neue Untersuchungen über Leukozytose bei Ent¬
zündungen.
An den verschiedenen Stellen ergaben ^ich verschiedene Zahlen bei
Zählungen der Leukozyten. Am höchsten war die Zahl an dem zuführenden
Gefäss, weniger hoch an dem abführenden, am niedrigsten im Kapillarsystem.
Zu beachten ist die starke Zunahme der Leukozyten in der Aethernarkose,
während sie bei Chloroformnarkose nicht so stark ist. Weitere Versuche
w^urden gemacht, um die Zahl der Leukozyten beim Austritt aus dem Herzen
und Eintritt in dasselbe festzustellen. Zu diesem Zwecke wurden beim
Tier Ureterenkatheter in die Art. bzw, Vena femoralis eingeführt und in die
Aorta bzw. Vena cava vorgeschoben.
Herr Flescb-Thebesius - Frankfurt a. M.: Giftigkeit des Harns
bei chirurgischen Krankheiten.
Die Toxizität des Harns kann durch die Giftwirkung bei Einspritzung
von Tieren nachgewiesen werden. Zweitens zeigt sie sich in dem Auftreten
eines Doppelrings bei der Heller sehen Probe. Sie findet sich bei drei
Gruppen von Krankheiten: 1. den Verbrennungen und anderen starken Haut¬
läsionen, 2. bei Störungen der Darmpassagen und 3. bei Frakturen, besonders
des Oberschenkels. Besonders bei Ileus kann die Probe für die Diagnose und
die Prognose von Bedeutung sein, könnte aber auch zu einer Differential¬
diagnose zwischen Schenkelhalsbruch und Hüftkontusion herangezogen werden.
Herr Wortmann - Berlin bestreitet die unbedingte Richtigkeit dieser
Untersuchungen. Es ist ihm gelungen, seinen eigenen Urin, welcher keinen
Doppelring bei der Heller sehen Probe zeigte, durch Eindampfen so in die
Höhe zu bringen, dass er ebenfalls giftig auf Tiere wirkte.
Herr Sauerbruch - München warnt davor, auf Grund der Probe die
Differentialdiagnose zwischen Knochenbruch und Kontusion zu stellen, zumal
er es für sehr zweifelhaft hält, dass, wenn die Erklärung zu Recht besteht,
nicht auch bei einer starken Hüftkontusion die Probe positiv ausfallen wird.
Herr V o g t - Tübingen: Ueber die Grundlage und die Leistungsfähigkeit
der Intrakardialen fnlektlon zur Wiederbelebung.
Die Indikation gibt der akute Herztod. Die Injektion muss spätestens
10 Minuten nach dem Herzstillstand erfolgen. Kampfer, Koffein stellen zu
schwache Mittel dar. Strophanthin verändert das Myokard, so dass auch
van den Velden davon abgekommen ist. Am besten eignen sich die
Nebennierenpräparate, zumal das Suprarenin, das die 6 fach tödliche Chloro¬
formdose paralysiert. Maximaldosis ist 1 ccm. Ausser ihm kommt das
Hypopliysin in Betracht, das ihm zwar etwas nachsteht, aber auch bei Arterio-
sklerotikern angewandt werden kann. Die Inlektion muss in der 4. oder
5. Interkostallinie erfolgen. Die Nadel geht hart am Brustbein entlang und
wird dann mehr nach der Mitte zu geschoben. Hierbei kann die Art.
mammaria interna und die Pleura vermieden werden. Auch das Herzleitangs¬
system ist geschützt. '
Herr O e h 1 e c k e r - Hamburg: Erfahrungen aus ISO direkten Blut¬
transfusionen von Vene zu Vene.
Die direkte Bluttransfusion von Vene zu Vene ist das beste Verfahren.
Der Nachteil dass man nicht sehen kann, wieviel Blut überfliesst, wird durch
Einführung des Zweiwegehahns, vmn dem der eine in eine Aspirationsspritze
führt,, die das Blut des Spenders ansaugt und dann durch den zweiten Hahn
in die Vene des Empfänt^ers treibt, vermieden. Die Apparatur hat noch den
Vorteil, dass man dann auch das abgenommene Blut des Spenders sogleich mit
demselben Apparat durch Kochsalzlösung ersetzen kann. Auch kann man in
jedem Augenblick die Transfusion unterbrechen, wenn man aus dem Verhalten
des Empfängers merkt, dass Hämolyse vorliegt. Die Resultate waren bei
schweren Blutungen gute. Bei Sepsis macht sie O. nur noch auf Verlangen.
Gute Erfolge wurden auch bei sekundären Anämien (Karzinomen) erzielt. Bei
perniziösen Anämien wurden zwar keine Dauererfolge, aber immerhin
nennenswerte Lebensvcrlängerungen erzielt. Man muss dann die Trans¬
fusionen öfters wiederholen. So kommt ein Patient schon lange jeden Monat
zur Transfusion und bringt den Spender gleich mit.
Herr O s t e r m a n n - Essen: Der heutige Stand der Herstellungs-
möglichkeit chirurgischer Instrumente aus rostfreiem Stahl.
Die Fabrikation hat weitere Fortschritte gemacht und es sind neben
anderen Sachen auch eine grosse Anzahl chirurgischer Instrumente aus gutem
rostfreiem Stahl hergcstellt. Der Preis der Instrumente dürfte etwa der
dreifache sein. Doch ist später auf eine Verbilligung zu rechnen.
Herr Körte- Berlin hatte Gelegenheit, ein rostfreies Messer zu be¬
nutzen, das sich sehr bewährt hat, während eine Schere nicht ganz auf der
Höhe stand. Er betont die Wichtigkeit, die viel gebrauchten Instrumente, wie
Pinzetten, Klemmen und Haken, aus ro.stfreiem Stahl herzustellen.
Herr v. T11 m a n n-Köln: Enzephalitis und ihre chirurgische Behandlung.
Die entzündlichen Enzephalitiden nehmen denselben Verlauf, wie die
traumatischen (Erweichung. Zystenbildung, Verkalkung). Wenn ein ope¬
rativer Erfolg erzielt werden soll, muss früh operiert werden. Man soll
möglichst nach dem_ ersten Anfall operieren.
Herr L ä w e n - Marburg: Untersuchungen zur operativen Behandlung
des Hydrocephains internus.
Die Produktionsstelle des I iquors ist das Plexusepithel. Um dem Hydro¬
zephalus also beizukommen, muss man hier angreifen. Dandy hat gezeigt,
dass man den Plexus chorioideus entfernen und am Foramen Monroi ab-
binden kann. Man muss dazu durch die Hemisphären hindurchgehen. Dies
ist nur gestattet bei so grossen Hydrozephalen, dass von der Hirnsubstanz
kaum noch etwas übrig ist. L. suchte daher einen anderen Weg, um zu dem
Plexus zu gelangen. Bel zwei gesunden Hunden machte er eine grosse osteo¬
plastische Resektion und ging, nachdem er die Hirnhälften auseinander ge¬
bogen, durch den Balken hindurch. Der Eingriff wurde gut vertragen. Hierbei
zeigte sich auch die Ursache, weshalb der Balkenstich oft nicht erfolgreich
ist. Einmal kann die Oeffnung sich sofort wieder verlagern, so dass kein
Liquor mehr herausfliesst. Zweitens sind die Hemisphären oft miteinander
verklebt.
Herr R I e s e - Berlin-Lichterfeide: Zur operativen Verkleinerung der
Schädelhöhle.
Der vorgestellte Patient zeigt einen grossen Defekt am Schädel. Es fehlt
das linke obere Segment der Schädelhöhle. Es handelte sich um eine eitrige
Enzephalitis nach Grippe, die nach aussen durchgebrochen war. Nach
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
470
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Resektion des Krossen Schädelteiles und Duraeröffnung heilte die Wunde zu.
Es soll später eine osteoplastische Deckung vorgenommen werden.
Herr Breslauer-Schtick -Berlin: Funktionelle Beeinflussung des
Gehirns mittels direkt eingespritzter Substanzen.
Es gelingt, einen lähmenden und erregenden Einfluss auszuüben. Das
Novokain und seine Ersatzpräparate wirken ähnlich wie am peripheren
Nerven. Doch gelingt es nicht, vom Hirn aus eine Unempfindlichkeit hervor¬
zurufen, man kann jedoch die motorischen Nervenzentren lähmen und so bei
epileptischen Krämpfen durch Einspritzung 1 proz. Novokainlösung mit
Adrenalinzusatz den Krampf zum Stillstand bringen. Die Wirkung dauert
etwa eine Stunde. Man kann auf diese Weise genau den Ausgangspunkt der
Krämpfe feststellen. Ebenso kann man durch Einspritzung von 2 ccm einer
20 proz. Koffeinlösung erregend auf das Atmungszentrum wirken. Es ist ge¬
lungen, moribunde, kaum noch atmende Patienten auf diese Weise wieder
zum Atmen zu bringen und die Atembewegung 24 Stunden in Gang zu halten.
Die Trepanationsstelle wird zu diesem Zwecke dreifingerbreit oberhalb des
Ansatzes des Warzenfortsatzes gemacht und die Nadel 7 cm tief auf die
Felsenpyramide in der Richtung nach dem äusseren Ohr hin geführt. Indiziert
wäre das Verfahren nur beim Atmungs-, nicht beim Zirkulationstode.
Herr B u n g a r t - Köln: Ueber ausscrgewöhnllch umfangreiche und
langdauernde Vcntilretraktlonen am Schädel nach Lumbalpunktionen.
Bei Patienten mit Hirnzysten, welche in Verbindung mit dem Ventrikel
standen, traten nach Lumbalpunktion auffallend langdauernde Retraktionen am
Schädel auf. Aehnliche Zustände finden sich bei der Porenzephalie des Kindes.
Herr H 1 n t z e - Berlin: Wann Ist die Spina biflda ein pathologischer
Befund?
An einer grossen Zahl von Kreuzbeinen und Röntgenbildern von absolut
gesunden Kindern und Erwachsenen zeigt der Vortr., dass die Spaltbildung
entwicklungsgeschichtlich normal ist. Man darf also aus ihrem Befunde, wenn
er nicht mit Grübchenbildung und Behaarung verbunden ist, nicht auf einen
krankhaften Zustand schliessen.
Herr H e d r 1 • Leipzig: Ein einfaches Verfahren zur Verhütung der
Trennungsneurome.
Es besteht in der Verschorfung des proximalen Nervenstumpfes. Es hat
sich sowohl im Tierversuch als auch bei den Amputationen in der Leipziger
Klinik bewährt und ist der Vereisung und den anderen Verfahren vorzüziehen.
Herr E d e n - Freiburg i. Br.: Erfahrungen und Untersuchungen über die
freie Nervenüberpflanzunir.
Neuere histologische Untersuchungen, nach denen der transplantierte Nerv
nicht untergeht, sondern Nervengewebe erhalten bleibt, lassen die Nerven-
transplantation als ein im Prinzip gutes Verfahren erscheinen. Daran ändern
die schlechten Erfahrungen im Kriege nichts: denn die Technik war teilweise
eine schlechte. Die Nervenstümpfe der Kriegsverletzten waren schlecht.
Defekte über 4—6 cm haben keine Aussicht auf Erfolg. Es ist von Wichtig¬
keit, dass der überpflanzte Nerv in absolut gesundes Gewebe gelagert wird.
Es muss eine allmähliche Gewöhnung an diese Gewebe, eine lonengleichheit
eintreten, das erfordert eine Zeit, so dass wir noch länger warten müssen
als bei den Nähten. Tierversuche haben günstige Resultate ergeben, so dass
erneute Versuche in der Friedenschirurgie ahgebracht sind.
Herr Magnus- Jena: Experimentelle KrelslaufstAningeq Im Bilde des
Hautmlkroskopes von Müller-Wels s.
Die Rückwärtsbewegung des Blutes in .der Krampfader, wie man sie
deutlich beobachten kann, zeigt die Unabhängigkeit des Kapillarblutes von
dem Herzmotor. Bindet man einen Arm ab und drosselt Arterie und Vene,-
so zirkuliert das Blut in den Kapillaren weiter, bis sie leer geblutet sind.
Sie bewegen sich also auch hier unabhängig vom Motor. Bei Raynaud-
scher Krankheit aber bluten die gesunden Kapillaren ebenfalls weiter, bis sie
leer geblutet sind, während die kranken Kapillaren Stillstehen. Staut man
den Arm. so arbeiten die Kapillaren zunächst weiter, bis sie plötzlich Still¬
stehen, obwohl die Arterie weiter pulsiert. Alle diese Beobachtungen be¬
stätigen die Anschauungen Biers Ober den Kreislauf.
Herr P r 1 b r a m - Berlin: Die Innersekretorischen Ursachen des patho¬
logischen Alterns.
Alle Gewebe und Organe altern in verschiedener Weise. Altern ist als
ein Nachlassen der Teilungs- und Erneuerungsfähigkeit der Zellen aufzufassen.
Im ersten Lebensabschnitt besteht das Altern oft in einer Frühreife, wie sie
durch endokrine Drüsen bedingt ist. Einem 6 jährigen Mädchen, das völlig
entwickelte Brüste zeigte, wurde das sarkomatöse Ovarium exstirpiert. Die
Erscheinungen der Frühreife bildeten sich zurück. Es wurde wieder zu einem
Kinde. Im zweiten Abschnitte sehen wir bereits ein früheres Altern. Eine
32 jährige Frau erkrankte an Wochenbcttficber im Anschluss an eine manuelle
Plazentalösung. Seitdem konnte s-e sich nicht mehr erholen. Sie sah alt aus.
Periodisch wiederkehrende Schlafsucht. — Exitus. Es handelte sich um eine
Erkrankung Vvon Hypophyse. Schilddrüse und Nebenniere, während das
Ovarium intakt war. Der Ausfall der Funktion der Schilddrüse hat hier wohl
in erster Linie die Herabsetzung der Regenerationsfähigkeit herbeigeführt.
Die Bedeutung des endokrinen Systems für die Konstitution ist eine grosse.
Durch Störungen der endokrinen Drüsen der Mutter während der Schwanger¬
schaft sollen auch Missbildungen entstehen (Versehen der Mutter).
Herr Payr- Leipzig hat die Wirkung der Schilddrüse auf die Regene¬
ration therapeutisch ausgenutzt durch lokale Anwendung von Schilddrüsen¬
extrakt auf Wunden oder durch intravenöse Injektionen.
Herr Bier- Berlin teilt noch einen Fall mit von einem jungen Manne,
der einen völlig erwachsenen Eindruck trotz seiner 16 Jahre machte und
eigentümliche Veränderungen an den Nägeln zeigte. Nach Herunterholen
eines kryptorchischen Hodens wurden die Nägel normal.
Herr Sauerbruch - München berichtet über die Untersuchung eines
von Lichtenstern nach Steinach operierten, angeblich verjüngten
Mannes, der sich wegen eines Panaritiums an ihn gewandt hatte. Er war
seit seinem 34. Jahre Sexualneurastheniker. Dieser Zustand besserte sich
jedesmal, wenn er die ihm adäquate Frau fand. Auch nach der Operation
trat wieder eine Besserung des Zustandes auf, aber er hat auch wieder die
Frau gefunden.
Lichtbilderabend.
I 12. Tagung der Deutschen Rbntgengesellschafl
in Berlin (Langenbeck-Virchow-Haus) vom 3.—4. April 1921.
(Vorsitzender: Q r a e s s n e r - Köln.)
1. Physik und Strahlentheraple.
v. Laue- Berlin, Ehrenmitglied der Gesellschaft, hält auf Einladung
einen einleitenden Vortrag über unsere heutigen Kenntnisse von den Rdntgen-
strahlenspektren. deren Darstellung erst durch die von ihm gefundenen Inter¬
ferenzerscheinungen an Röntgenstrahlen ermöglicht wurde. Vortr. erläutert
die Spektrallinien, deren Wellen mit steigender Atomzahl kürzer werden
und erörtert die Beziehungen des Röntgenspektrums zum Lichtspektrum.
Franz M. G r o e d e 1 - Frankfurt : Homogenisierung der Röntgenstrahlen.
Da die gewöhnliche Filtrierung keine Homogenisierung, sondern nur eine
relative Verschiebung der gegenseitigen Prozentverhältnisse der verschieden
harten Strahlen bewirkt, verlegt G. durch ein Gewcbsäquivalentfilter (Paraffin)
gewissermassen die obersten Körpergewebsschichten nach aussen, so dass
eine „praktisch“ homogenisierte Strahlung, wie sie sonst in 10—15 cm Ge-
webstiefe entsteht, bereits in den Körper eintritt. Dasselbe erreicht
B u c k y - Berlin mit seinem Streu strahlungsfilter aus Paraffin nnd
C h a o u 1 - München mit seinem sorgfältig ausdosierten Strahlensammler
(s. J\4.m.W. 1921 Nr. 10), welcher überdies eine sehr erhebliche Abkürzung
der Bestrahlungszeit gestattet; Ch. widerlegt die Einwände gegen die Gross¬
felderbestrahlung. B u c k y will mit der durch Paraffin homogenisierten
Strahlung der Frage näher kommen, ob die biologische Wirkung der Rönt¬
genstrahlen von der Qualität der Strahlen abhängt. Messungen ergaben, dass
bei fast gleicher Intensitätsverminderung die Halbwertschicht bei Paraffin¬
filterung bedeutend kleiner ist als bei Metallfilterung. Vom Paraffin wird
die weiche Strahlung absorbiert und die harte gestreut.
Vierheller - Frankfurt hat im D e s s a u e r sehen Institut die Inten¬
sitätsverteilung bei den verschiedenen Strahlenkegelgrössen unter Berück¬
sichtigung der Streustrahlenzusatzdosis berechnet. Die wirksame Energie ist
in verschiedenen Punkten gleicher Tiefe «ranz verschieden. Verbindet man
aber die Punkte gleicher Intensität durch Linien, so entstehen übersichtliche
Diagramme (ähnlich den Wetterkarten), welche für Berechnung der Tiefen¬
dosis im Einzelfall wichtig sind. Es zeigte sich auch die günstige Wirkung
eines Paraffingürtels.
G 1 o c k e r - Stuttgart hat die Streuzusatzdosls berechnet und die
Friedrich sehen Zahlen nach Ausschaltung von Fehlerquellen der Ioni¬
sationskammern berichtigt. Exakte Messungen liefert die photographische
Methode mit völlig symmetrischen Messkörpern (kleine, mit Silberemulsion
gefüllte Glaskugeln): die für die Praxis sonst brauchbaren lonisationsmethoden
muss man entsprechend korrigieren. Die luftelektrischen Messkammern wur¬
den von verschiedenen Rednern verbessert. So hat Martins- Bonn die
Blättchenablesung durch eine Fadenablesung ersetzt; B a c h e m - Frankfurt
hat ein leicht transportables Elektroskop ausgearbeitet, während B e r g -
Berlin zwei konzentrisch angeordnete, durch Bernstein isolierte Kugeln
zur Messung des Dosenquotienten verwendet, mit dem Vorteil, zwei Mes¬
sungen gleichzeitig vornehmen zu können. T h a 11 e r - Berlin hat
eine grosse Ionisationskammer gebaut, welche nur die Sekundärstrahlung des
durchstrahlten und unter einige Atmosphären Druck gesetzten Gases (Luft)
hervortreten lässt.
Die Aussprache (Dessauer. Fürstenau. Jaeckel) er¬
örterte weiter die Homogenisierung, die Abhängigkeit der Streustrahlung
von der Spannung etc.
Jüngling empfahl seine biologische Messung mit Bohnenkeimlingen
zum Studium der Intensitätsverteilung. W i n t z - Erlangen betonte, dass wir
mit den verschiedensten Ionisationskammern messen können, wenn das Ver¬
hältnis zu den massgebenden biologischen Wirkungen ermittelt
ist und gleichmässig erhalten bleibt.
W I n t z berichtet dann weiter über die Ergebnisse der Röntgentlefen-
theraple und über Sensibilisierung der Gewebe durch Verkupferung (siehe
Bericht über die bayer. Gynäkologentagung M.m.W. 1921 Nr. 8 S. 254).
Zwischen Karzinomzerstörung und -heilung ist ein grosser Unterschied. Das
mikroskopische Bild ist oft ganz irreführend.
Holzknecht -Wien betrachtet die Höhe der Dosis vom biologischen
Gesichtspunkt mit besonderer Berücksichtigung des Ovarfnms und der fibrigen
Drüsen mit innerer Sekretion. Das Ziel der einzigen Höchstdosen bewährt
sich bei malignen Tumoren, nicht aber bei Tuberkulose. Leukämie etc. Hier'
soll man zu kleinen Teildosen zurückkehren und wegen des zu Unrecht
verächtlichen Nebensinnes lieber nicht von „verzettelten“ Dosen sprechen.
Füi^ das Ovarium genügt oft ein Viertel der Ovarialdosis; zu grosse Dosis
kann unangenehme Ausfallserscheinungen* bringen.
Werner- Heidelberg fasst seine Erfahrungen mit der Strahlenbehand¬
lung bösartiger Neubildungen zusammen (8000 Fälle im Samariterhaus). Er
warnt davor, maligne Geschwülste zu stark zu bestrahlen, besonders mt
harten Strahlen, hält auch die Aufstellung einer Ca- und Sa-Dosis nicht für
zweckmässig, da bei Dickfilterung manchmal schon erheblich kleinere Dosen
den Erfolg bringen. Bei Rezidiven in bereits geschädigtem Gewebe wirkt
Ueberdosierung besonders schlecht. Mehrfach wirkte nach erfolgloser starker
Dosis eine spätere schwächere gut. Die Biologie der Tumoren und die
Reaktionsfähigkeit auf Strahlen sind sehr verschiedenartig. Einem bestimmten
mikroskopischen Bild entsnricht keine bestimmte Radiosensibilität. An¬
wendung mehrerer Grossfclder hat sich praktisch am besten bewährt. Wenn
Röntgenstrahlen versagt oder nicht alles beseitigt hatten, half manchmal
Radium. Eine beträchtliche Ueberlegenheit über operatives Verfahren wurde
nirgends erreicht. Der Erfolg der Nachbestrahlung war verschieden je nach
der biologischen Eigenschaft der Geschwulstzellen. Innersekretorische Vor¬
gänge wirken wesentlich mit. Starke Atrophie der Gewebe und Blut¬
schädigung muss vermieden werden.
Siegel- Giessen empfiehlt die postopdratlve Nachbestrahlung, am
besten mit Ferngrossfeld und zwar die Ca-Schäaigungsdosis (90 Proz. HED,),
sobald der Allgemeinzustand es gestattet, spätestens in der 3.—5. Woche post op.
Frl. H e 11 m a n n - Kiel: An der chir. Klinik bewährte sich die Nach¬
bestrahlung operierter Brustkrebse mit der alten Technik, aber sorgfältig
individualisierender Dosierung. Durchschnittlich 6—8 X (4 mm
Aluminium) alle 4 Wochen, etwa 12 mal, nötigenfalls öfter wiederholt.
H o 111 s c h - Pest heilte ein anfangs fest mit den Rippen Verwachsenes
Mammakarzinoin mit 5 kleineren Röntgendosen: andere versagten gegenüber
dieser Methode. Die Karzinome sind „sehr verschiedene Individuen“.
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
15, April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
471
H e s s m a n n - Berlin: Zur Röntgenbehandlung maligner Tumoren mit
Prozentualmassendosen. Sehr gute Erfolge bei mannskopfgrossem Hoden*
Sarkom, bei einem 5 mal voroperierten steinharten Fibromyxom u. a. Ein
kindskopfgrosses Mammakarzinom verschwand, nachdem 2 Fernfelder ver¬
geblich gewesen waren, unter 2 gekreuzten Nahfelderbestrahlungen.
H a u d e k - Wien sah völliges Verschwinden einer grossen Struma nach
Röntgenbestrahlung unter typischen Erscheinungen von Myxödem. Es war
eine offenbar parenchymatöse, aber rascher wachsende Struma bei 54 jähr.
Frau. Behandlung mit Teildosen. Die nach 1 Jahr auftretenden Erschei¬
nungen: Schläfrigkeit, Ausfall der Achselhaare, Hauttrockenheit gingen fast
völlig wieder zurück.
H e 1 m a n n - Breslau: 42 jähr. Frau wurde wegen sexueller Ueber-
erregbarkelt ^urch Bestrahlung amenorrhoisch gemacht; nach 3 Monaten
Wiederkehr der Beschwerden, nun Entfernung der Ovarien und eines Teiles
vom Uterus; Beschwerden fast ganz beseitigt. Bei einer wegen kindskopf¬
grossen Myoms mit Röntgenstrahlen amenorrhoisch gemachten Frau wuchs
nach 2/^ Jahren*ein zystischer Ovarialtumor; die Bestrahlung zerstört den
Follikelapparat, aoer nicht das Keimepithel. Hinsichtlich der Karzinome be¬
richtet H., dass operable Fälle sehr gut beeinflusst, inoperable aber nur
vorübergehend beeinflusst werden. Fernfelder bewährten sich nicht.
V o g t - Tübingen: Erfahrungen mit postoperativer prophylaktischer
Röntgenbestrahlung der weiblichen Qenltaltuberkulose. Mit mehreren Serien,
5—6 Tage nach der Operation beginnend, wurden 80 Proz. Da 5 uerheilung
erreicht, d. h. mindestens 3 jährige Rezidivfreiheit und ohne die sonst nicht
selten bleibenden Fisteln.
M. Fraenkel - Berlin nimmt an, dass die Beeinflussung der Karzinom¬
zelle nicht direkt, sondern indirekt erfolgt; er strebt daher eine das um¬
gebende Bindegewebe anreizende Dosis an (Reizdosis), wobei dessen Be¬
ziehung zum Thymus wichtig ist. Er erinnert an die Versuche von K e y s s e r
(d. W. 1921 Nr. 1). Er verneint eine elektive Wirkling der Röntgenstrahlen,
verwirft die „Vernichtungsdosen“ und fordert für operable Karzinome die
Operation, bei Nachbestrahlung aber Reizbestrahlung endokriner Drüsen.
David- Halle studierte den Einfluss der Röntgenbestrahlung auf die
Kfautgefässe. Das sog. Schaltstück der Kapillaren wird erweitert: ist schon
vor der Bestrahlung eine Stauung in diesem Bezirk erkennbar, so ist Vorsicht
nötig bei der Bestrahlung.
Q o 11 h a r d t - München: Strahlenbehandlung der Erkrankungen des
Blutes und der blutbereitenden Organe. Im Rieder sehen Institut wird seit
Jahren mit 3 grossen Feldern bestrahlt; bei lymphatischer Leukämie müssen
dazu die Lymphdrüsen bestrahlt werden. Strahlung möglichst hart. Atkstand
,30—40 cm. Bei myeloider Leukämie bei lymphatischer bis % HED. Eine
Beeinflussung des Blutbildes durch Bestrahlung der Knochen war nicht zu
bemerken. Bestrahlung der oberen Sternalgegend bewirkt Leukozytenabfall
(Thymus?). Wiederholung der Bestrahlung, wenn kein weiterer Leukozyten¬
sturz mehr zu erwarten, etwa am 7.—11. Tag. Im ganzen sind bei myeloider'
Leukämie 3—5 Bestrahlungen, bei lymphatischer Leukämie 5—20 Sitzungen
einschliesslich Drüsenbestrahlung nötig. Intensivbestrahlungen sind nicht
ratsam. Zu beeinflussen sind nur chronische Leukämien, lymphatische besser
als myeloide. Fälle mit hohen Myeloblastenwerten sind ungünstig. Ein
Kranker ist jetzt nach 14 Jahren noch in gutem Allgemeinzustand. Unter¬
stützende Arsazetinbehandlung ist zu empfehlen.
Q r o e d e 1 - Frankfurt sah gelegentlich einer Milzbestrahlung ein jahre¬
lang bestehendes Asthma brondhlale schwinden. Röntgenstrahlen wirken also
hier ähnlich wie Apomorphin. Das Gehirn reagiert auf einen Stoff, der bei
Be:strahlung drüsigen Gewebes ausgelöst wird. Den Röntgenkater sah Q. nach
a^len möglichen Bestrahlungen auftreten mit Ausnahme von Extremitäten¬
bestrahlungen. am häufigsten nach Bestrahlung geschwellter Halsdrüsen, von
Milz und Ovarien. .Um eine „Vergiftung“ kann es sich nicht handeln.
W e 1 n s t e Ln - Berlin untersuchte den Blutdruck nach Röntgenbestrah¬
lung. Der Blutdruck ist ein Massstab für den Adrenalingehalt des Blutes.
Nach Bestrahlung der Nebennierengegend mit 10—35 Proz. der Hauteryth^m-
.dosis (HED.) bei Gesunden trat in K der Fälle vorübergehend eine leichte
Blutdrucksteigerung auf.
St rauss-Berlin: Wirkung der Röntgenstrahlen bei Epilepsie. Fasst
man die Epilepsie als keine reine Erkrankung des Zentralnervensystems,
sondern die Anfälle als Reizwirkung kreisender Eiweissspaltprodukte auf,
berücksichtigt man ferner, dass in der Zeit vor dem Anfall die Blutgerinnungs-
zeit verzögert, die Cholesterinbildung vermehrt ist, dass Na-Retention be¬
steht, so wird man sich hient von Bestrahlung des Gehirns, sondern von
einer Reizdosis auf manche Körperdrüsen eine Wirkung versprechen. Str.
erzielte durch Reizdosen auf Thymus, Milz und Leber (5 H) und Volldosis
auf die rechte Nebenniere Besserungen.
In der Aussprache über Therapie gab W i n t z zu, dass keineswegs
immer eine volle Ovarialdosis nötig sei; unter einer gewissen Dosis sei
aber der Erfolg Jedenfalls nicht zu erreichen. Die Reizdosis von 30—40 Proz.
für Karzinom sei sicher; es sei daher bedenklich, geradezu wieder die kleinen
Dosen zu empfehlen. — Anknüpfend an seine „Verkupferungsmethode“
wünscht Ziegler- Berlin eine bessere Zusammenarbeit der Aerzte mit
Chemikern zur Erforschung der Umsetzungen in Lösungen durch Röntgen¬
bestrahlung.
Weinstein - Berlin bestrahlt Uteruskarzlnome unter gleichzeitig
hjrperämisierender vaginaler heisser Dauerirrigation.
Röntgenschädigungen.
Groedel - Frankfurt a. M. berichtet über die gemeinsam mit L i n i -
g e r und Lossen eingeleitete SammeUorsebung über Röntgenschädigungen,
ln einem halben Jahre waren 9 gerichtliche Fälle anhängig, 2 betrafen
Tiefentherapie. Einmal war der zur Aufsicht bestellte Laborant fortgegangen,
einmal hatte die Röntgenschwester die zu bestrahlende Hand ungeschickt
eingestellt mit Daumen nach oben, eine andere hatte auf Wunsch des Kran¬
ken die Dosis verdreifacht. Der Sonderausschuss der Deutschen Röntgen¬
gesellschaft für die Beurteilung forenser Fälle wird erweitert mit der Auf¬
gabe, auf Grund des gesammelten Stoffes Ratschläge und Regeln zur Ver¬
hütung von Schädigungen auszuarbeiten.
B n c k y - Berlin rät, sich vor jeder Anwendung der Röntgenstrahlen zu
vergewissern, ob nicht eine solche kurz vorausging. Vor der Bestrahlung
ist der Kranke zu belehren betreffend Sterilität, möglichen Haarausfalls,
Röntgenkaters und Hauterythems. Jede diagnostische Schädigung ist ein
glatter Kunsifehler; man arbeite stets mit Filter (ca. K mm Aluminium);
viele Aerzte überlassen dem Personal zu grosse Selbständigkeit. Der Kranke
muss auch das Bewusstsein haben, dass er dauernd überwacht wird. Die
Zuverlässigkeit aller Messinstrumente ist öfters nachzuprüfen. Der Ge¬
brauch von Medikainenten, z. B. Quecksilbersalbe, ist zu berücksichtigen,
bzw. zu verbieten. lÜeber jede Bestrahlung sind genaue Aufzeichnungen zu
machen mit Unterschrnt der aufsichtführenden Person. Es ist vorgekommen,
dass ein Kranker sich an 2 Orten gleichzeitig bestrahlen Hess, ohne dies zu
sagen. Ein Arzt, welcher einen Kranken an ein nicht ärztlich geleitetes Rönt¬
geninstitut überwiesen hatte, wurde für die dort eingetretene Schädigung haft¬
bar gerhacht.
Aussprache: Holzknecht nennt als häufigste Ursachen für
therapeutische Verbrennungen das Vergessen des Filters (zu verhüten durch
sein selbsttätiges Filteralarmgerät) und die zu kurze Bemessung des Inter¬
valls. Gefässendothelien brauchen viel länger als das Hautepithel zur Er¬
holung. Man soll mindestens 6 Wochen warten. —S c h ü t z e empfiehlt den
Gebrauch des Intensimeters auch für Diagnostik. — Hessmann - Berlin
weist darauf hin, dass vielfach bei zu geringem Röhrenabstand durchleuchtet
wird. — B u c k y findet 6 Wochen Intervall zu kurz. Je härter die Strah¬
lung, desto länger muss es sein, 2 (—3) Monate.
Die Röntgenologie im Hochschulnnterrlcht.
Holzknecht-Wien: Es stehen sich schroff zwei Bestrebungen
gegenüber: 1. Errichtung von Lehrkanzeln für die gesamte Röntgenologie
als selbständiges Unterrichtsfach, 2. Auffassung der Röntgenologie als Hilfs¬
methode, daher Aufspaltung Faches. Man hat vorgeschlagen, die kli¬
nische Röntgenologie zu trennen von der Physik und Technik, welche von
Physikern und Technikern in den vorklinischen Semestern voraus gelehrt
werden soll. Demgegenüber betont H., dass als allgemeine Grundlage für
röntgenologische Demonstrationen und Kurse in den Einzelfächern die ganze
allgemeine Röntgenologie zu lehren ist, umfassend auch die nor¬
male Röntgenanatomie und -Physiologie, Röntgenpathologie, ebenso wie all¬
gemeine Pathologie, Bakteriologie, Pharmakologie vorausgenommen wird
und dann später die spezielle Anwendung kommt. Zur allgemeinen Rönt¬
genologie gehören aber auch diagnostische Beispiele, Vorführung der ge¬
zeigten Apparate in ihrer Anwendung beim kranken iVlenschen. Sowie der
menschliche Körper in die Betrachtung hereingezogen wird, was eben sehr
bald nötig ist, betritt der Physiker und Techniker in der Regel fremdes
Gebiet. Die Leitbng des vorklinischen Unterrichts in allgemeiner Röntgeno¬
logie muss daher in der Hand eines Arztes liegen. — Krause - Bonn ist
dafür, dass der physikalische Teil von Physikern, der klinische von Klinikern
gelehrt wird. Die naturwissenschaftlichen Fächer sollen überhaupt von Fach¬
vertretern, aber für Mediziner besonders gelehrt werden. Habilitation für
Röntgen allein kommt nur für die grossen Universitäten in Betracht. Ein
grosser Teil der Kliniker sieht ein, dass der bisherige Röntgenunterricht
ungenügend und unzweckmässig war. — David- Halle findet, dass das all¬
gemeine Röntgenwissen beim ärztlichen Nachwuchs jetzt schlechter ist als
vor dem Krieg. 'Es fehlt an den allgemeinen Grundlagen. — Levy-Dorn
hält eine Aufspaltung für widersinnig. Ebenso gut könne man die Physio¬
logie aufteilen. Die allgemeine Röntgenologie muss in der Hand eines JVledi-
ziners liegen. — Haudek-Wien: Die Röntgenologen haben Brachland be¬
arbeitet und dadurch ihre Daseinsberechtigung nachgewiesen. Der Röntgeno¬
loge muss nach guter allgemein-ärztlicher Vorbildung erst sein Sonderfach
in Angriff nehmen. — B u c k y fragt, woher denn die Kliniken gute Rönt¬
genologen bekommen sollen, wenn nicht für entsprechende Spezialinstitute
gesorgt wird. In diesen ist aber der Physiker auf die Fragestellung durch
den Mediziner angewiesen, welchem daher die Leitung zukomrat. — Auch
S t r a u s s - Berlin betont, dass der Mediziner dem Physiker genaue An¬
weisung geben muss, was der Lernende nötig hat. — Holzknecht
fürchtet, dass der Physiker die Anforderungen an seine Hörer leicht zu
hoch schraubt, wenn er nicht nur für Mediziner liest. Im Stundenplan des
Mediziners muss für die Röntgenologie entsprechend Platz gesichert werden.
Röntgendiagnostik.
B 1 n g e 1 - Braunschweig zeigt sehr schöne Beispiele von röntgeno¬
logischer Darstellung des Gehirns (Enzephalographle). Nachdem die i.uft-
füllung der Seitenventrikel von einer Hirnpunktion aus gelungen war
(D a n d y), hat B. die Luftfüllung im Anschluss an die Lumbalpunktion am
sitzenden Kranken angewendet. Es werden etwa 50 ccm Liquor ab¬
gelassen und durch Luft ersetzt. Diese füllt die Ventrikel, gelangt auch zur
Hirnoberfläche (Pneumokephalon). Man sieht sehr schön die an die Ven¬
trikel grenzenden Gebilde, Erweiterungen der Ventrikel, sowie Vorbuchtungen
durch Blutungen, Tumoren. In 30 Fällen wurde der Eingriff ohne nennens¬
werte Beschwerden vertragen, die Luft wird in wenigen Tagen resorbiert.
Die Fälle sind sorgfältig auszuwählen, die Methode mit grosser Vorsicht zu
üben.
Aussprache: V o g t - Tübingen, S c h i n z - Zürich und Mühl-
mann- Stettin empfehlen ebenfalls die Luftfüllung, M e n z e r - Bochum hält
die Methode nicht für unbedenklich.
Welser- Dresden spricht über tierärztliche Röntgenologie, erörtert
die technischen Schwierigkeiten und die Notwendigkeit des Zusammenarbei-
tens von Menschen- und Tierröntgenologen.
V o g t - Tübingen: a) Neuere röntgendiagnostische Ergebnisse über die
inneren Organsysteme in der ersten Lebenszeit. Physiologischer und patho¬
logischer Ueberblick über das noch zu wenig erforschte Gebiet; Gefäss-
studien an Injektionspräparaten. Arbeit erscheint in den „Fortschritten“,
b) Röntgenanatomie des Steinkindes. Das Röntgenbild ermöglicht dio Fest¬
stellung. wieweit die Fruchthüllen an der Verkalkung beteiligt sind.
G r 0 e d e 1 - Frankfurt a. M.: Lungensyphilis Im Röntgenbild. Das
Röntgenbild ist nicht charakteristisch, die von R o t s c h i 1 d angegebene
Verstärkung der Hiluszeichnung kann G. nicht bestätigen. — Vogt: Die
Pneumonia alba der Neugeborenen lässt sich nachwelsen und von Miliar¬
tuberkulose unterscheiden.
L o r e n z - Hamburg: a) Hemla ^diaphragmatica dextra congenita para-
oesophagea. 47 jähriger Mann, klinische Fehldiagnose Aorteninsuffizienz
wegen starker Blutung; Röntgenbild zeigt den durch Zwerchfellbruchpforte
zweigeteilten Magen mit Ulcusnische. b) Lymphogene Lungenkarzinose.
Zwei sezierte Fälle, Differentialdiagnose.
L e V y - D o r n - Berlin: a) Vortäuschung krankhafter Veränderungen
der Lunge durch das Röntgenblld. Durch Sektion geklärte Fehldiagnosen:
Hiluskarzinom, interlobäre Schwarte (einfache Stauung) u. a. Vor und häufig
auch nach, der Lungenaufnahme ist eine sorgfältige Durchleuchtung notwendig,
b) Nichtkarzinomatöse Knochenmetastasen. Fälle von Hypernephrom.
Aussprache: Haudek; Röntgenologisch nachweisbare interlobäre
Schwarten sind manchmal wandständig und werden bei der Sektion leicht
losgerissen. — K l i e n e b e r g e r - Zittau: betont die Schwierigkeit, Tuber¬
kulose aus Platten zu diagnostizieren. — Altschul -Prag erwähnt Meta¬
stasen von Sporotrichose.
Digitized by
Google
Original frorri
UNiVERSITV OF CALIFORNIA
472
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
Hau dek- Wien: Nachweis eines mediastinitischen (retropharyngealen)
Abszesses nach Oesophagusperforatlon durch einen Fremdkörper, Ein ver
schlucktes Knochenstück war sichtbar und nach Schlucken eines Baryum-
bolus als perforiert erkennbar. Eine offen verschluckte, in der Speiseröhre
steckende Sicherheitsnadel wurde durch einen Uolus und nachgetrunkene
Aufschwemmung gelöst und hinabbefördert. •— Glück mann rät, vor jeder
Fremdkörperösophagoskopie erst zu durchleuchten.
L o s s e n - Frankfurt: Was sagt uns die Zähnelung der grossen Kur¬
vatur? Dieselbe ist nicht pathognomonisch, ist der Ausdruck arythmischer
Peristaltik, fand sich am häufigsten bei Magendarmneurosen.
S c h ü t z e - Berlin: Duodenaluntersuchungen. Topographische Studien,
besonders bei Schrägdurchleuchtung.
S c h I n z - Zürich: a) Röntgenbefund und Operationsbefund bei Ulcus
duodenl. Resektionspräparate zeigten, dass alle Ulcera duodeni multipel
waren. Viele Fälle von klinischer Pylorusstenose erweisen sich nach Lösung
der Stränge als hochsitzende Duodenalstenosen. Gerade diese Fälle zeigten
grosse Magenreste. Lichtbilder bctr. pathologische und röntgenologische
Studien, b) Das Schleimhautulcus. Ulcera der P. cardiaca werden manchmal
übersehen. Man muss die Kranken mehrmals aufsetzen und niederlegcn.
Anzeigestellung: Fehlt trotz positiver Ulcusanamnese und Stuhlbefund das
Nischensymptom und Lokalzeichen, so ist die Operation abzulehnen (häufig
liegt Gastropyloroptosc vor). Bei inkonstantem Nischenbetund soll vor der
Operation Ulcusltur versucht werden. Es sind meist oberflächliche Läsionen,
die. am geschlossenen Magen nicht gefunden werden. Die Fälle von pene¬
trierender kallöser Nische eignen sich zur Operation.
A 11 s c fa u I - Prag: Die Geschwüre des Magenausgangs. Alle zeigen
das Symptom der segmentierenden Peristaltik. Zur Unterscheidung der ein¬
zelnen Gruppen empfiehlt A. stärkeren Vanillinzusatz zur Riedermahlzeit.
Haudek-Wien: Zur Symptomatologie des Ulcus ventrieuii und
duodeni. Trotz verfeinerter Diagnostik kann man Ulcus nach Röntgenunter¬
suchung nie sicher ausschliessen. Andererseits erscheinen ganz oberflächliche
Ulcera, die bei der Operation nicht gefunden werden, durch zirkulären
Muskelspasmus beim Durchleuchten vertieft. Nur gröbere anatomische Ver¬
änderungen geben die Anzeige zur Operation. Dagegen sieht man manchmal
an der Kompliziertheit der anatomischen Verhältnisse (doppelter Sanduhr¬
magen usw.), dass die Operation aussichtslos ist. Am Duodenum ist wichtig
das Symptom der flüchtigen Füllung. Die Karzinomdiagnose ist meistens leicht,
weil die Kranken spät kommen. Die Zähnelung der grossen Kurvatur ist der
Ausdruck verstärkter Querfaltung.
H ! n t z c - Berlin: Megakolon und Megasigma im Röntgenbilde und Be¬
fund nach Dickdarmresektionen. Nach Luftaufblähung bildet das Sigma eine
sehr grosse Blase dicht unter dem hochgedrängten linken Zwerchfell.
Hessel If - Kreuznach: Die röntgcnographische Darstellung des Pan¬
kreas und des unteren Leberrandes mittels Pneumoperltoneuih. Ventrodorsal-
aufnahme in Rückenlage zeigt diejenige Form, bei welcher der PanKreas-
schwanz die Milz erreicht. — R a u t e n b e r g - Berlin: Beim Pneumoperi¬
toneum muss alle Flüssigkeit nach unten sinken, so dass man also die Organe
durch den Luftraum hindurchsieht; Rückenlage und Beckenhochlagerung. —
Müller- Marburg erwähnt Versuche von Einspritzungen verschiedener
Kontrastmittel in die Gallenblase.
M U h 1 m a n n - Stettin: Vorweisung seltener Röntgenbefunde: Kalk¬
bildung bei Pleuritis (im Grunde einer Empyemhöhle); Urcterstein, doppelt
dargestellt durch Bewegung des Ureters während der Aufnahme; Dystopia
totalis des Kolons; Pncumoventrikel des Gehirns. ^
Calm- Berlin: Desgleichen: Epiphyse am oberen Hüftpfannenrand;
Nierenstein im paranephritischen Abszess; Zuckergussmilz; Echinokokkus der
Milz; chronische Invagination des Ileum in das Zoekum; künstlicher Oeso¬
phagus (Kontrastfüllung des Hautschlauche.s).
Immelmann - Berlin: Röntgenologische Verfolgung der Heilungsvor¬
gänge bei Lungentuberkulose, Knochen- und Gelenktuberkulose.
Ulrichs- Finsterwalde: Plastische Röntgenbilder nach Alexander,
B u c k y - Berlin: Die Identifizierung von Personen durch Röntgenstrahlen.
Ergänzung des Bertilionverfahrens durch orthoröntgenographische Messungen
der Fingergliedlängen.
A 11 s c h u I - Prag: Kiefergelenkaufnahmen. Fälle von Tuberkulose des
üelenkköpfchens, sowie Frakturen.
Technik.
W a 11 e r - Hamburg: Ueber die verstärkende Kraft röntgenographischer
Verstärkungsschirme Mit zunehmender Strahlenhärte nimmt die Verstär¬
kungszahl zu. Beim Film ist die Verstärkungszahl zwar grösser, die Platte
ist aber viel empfindlicher. 8 verschiedene, im Handel befindliche Sorten
von Verstärkungsschirmen waren ungefähr gleich gut. (Scheelitwolfram-
saurer Kalk.)
Schreus - Bonn: Das automatische Ionometer.
E c k e r t - Berlin: Die neue Hartstrahlröntgenmaschine. Prospekt bei
,.Sanitas‘‘-Berlin.
B e y e r I e n - München: Die allseitig freibewegliche, für Aufnahmen in
jeder Stellung fixierbare Hängeblende von Grashey-Bcyerlen.
Steuer nagel - Kassel: Entlünung von Röntgenräumen. (Zerstäubung
eines ..Ozonvernichters“.)
M ü h 1 m a n n - Stettin: Ueber Anlage von Betriebszimmern. Anlage
getrennter Räume für die strahlenerzeugenden Ma.schinen (Betriebszentrale),
sowie für das Bedienungspersonal (Beobachtungsfenster).
Janus- Berlin zeigt stereophotogrammatische Röntgenrellefs von Chri¬
stoph Müller- München.
E n g e I s - Berlin: Welche Vorteile bieten die neuen beiderseits be¬
gossenen Agfaröntgenfilms? Abkürzung der Expositionszeit, sparsames Ar¬
beiten durch Zurechtschneiden der erforderlichen Grösse.
Blonek-Prag: Bedeutende Verkürzung der Bestrahlungsdauer ober¬
flächlich gelegener Geschwülste durch gleichzeitige Bestrahlung eines Einfall¬
feldes mit zwei oder mehreren Röhren. (Eigenes Bestrahlungsgerät.)
In einer Sondersitzung sprach Holzknecht über die Behandlung
von Röntgenhänden. Er warnt vor Anwendung von Salben, welche die
Sekretion verhindern und empfiehlt, auf die Rhagaden Umschläge mit Pepsin-
salzsäurelösung (Pepsini germ. conc. Witte 1,0; Acid. hydrochlor. 0,5; Acid.
carbol. 0,5; Aq. dest. ad 100,0: Diamidoazobenzol gutt. III). Grössere Horn-
gebilde sind am besten mechanisch mit Feile oder Schmirgelpapier abzu¬
tragen. Bei Geschwüren kann man Röntgenbestrahlung versuchen, ln der
Aussprache zeigte sich, dass viele Röntgcnologen ohne Glyzerin bzw.
Lanolin nicht auskommen.
Die Tagung zählte 585 Teilnehmer, darunter 280 (von 884) Mitgliedern.
Digitized by Goiisle
Zum Ehrenmitglied wurde Albers-Schönberg -Hamburg ernannt. Als
Vorsitzender für 1922 wurde G r o e d c 1 - Frankfurt gewählt.
Der Sonderausschuss für wirtschaftliche Fragen beschloss die Beibehal¬
tung des im Vorjahre aufgestellten Minimaltarifs. Grashey - München.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 11. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr Grafe. Schriftführer: Herr Freudenberg.
Herr Teutschländer: Uebertragbare Sarkome.
Herr Fahrenkamp - Bad Teinach (als Gast): Ueber das Herzklopfen
bei Rhythmusstörungen.
Bei Herzklopfen geben die Kranken die eigene Herztätigkeit, die der
Gesunde für gewöhnlich nicht empfindet, als lästig an. Es wurde methodisch
untersucht, ob und wieweit Kranke mit der Klage über Herzklopfen ihre
Herzschlagfolge richtig beurteilen. Bei der Aufnahme des Elektrokardio¬
gramms bediente der Kranke mit der linken Hand durch einen Taster ein
Signal und klopfte die subjektiven Wahrnehmungen seines Herzschlages mit.
Bei gleichzeitiger Registrierung der Atmung konnte eine beliebige Hautstelle
oder die „Herzgegend“ während der Untersuchung faradisiert werden, um so
die suggestive Beeinflussbarkcit der Kranken festzustellen. Kranke mit
A. Perpetua gehen manchmal an. ihre Arhythmie besonders bei hoher Frequenz
zu fühlen. Es gelang aber nicht einmal, bei besonders präzis angebenden
Kranken dieser Art eine annähernd genaue Nachahmung der Herzschlagfolge
zu erreichen. Kranke mit A. perpetua merken zum grössten Teil nichts von
ihrer gestörten Herzaktion. Das gleiche gilt von den Kranken mit Anfällen
vorübergehender A. peroetua. Auch Kranke mit den klinisch so ähnlichen
Anfällen extrasystolischcr Arhythmie können ihre Arhythmie nicht mechanisch
nachahmen. Es wird höchstens das Gefühl der Unruhe in der Herzgegend
geklagt. Auch die meisten Kranken mit schweren organischen Herzverände¬
rungen und wechselnd zahlreichen heterotopen Erregungen können ihre Herz¬
schlagfolge nicht beurteilen, sofern überhaupt über Herzklopfen geklagt wird.
Nur wenige derartige Kranke gehen ab und zu ihre Extrasystolen richtig an,
die Angaben sind sehr unsicher, wechselnd und durch Ablenkung beeinflussbar.
Kranke ohne jede organische Herzveränderung mit lebhaften Klagen über
Herzstolpern, Aussetzen. Unregelmässigkeit — also nervöse Menschen mit
besonders auf das Herz gerichteter Aufmerksamkeit — können manchmal
einzelne „Extrasystolen“ richtig angeben, machen aber im ganzen keine mit
dem Elektrokardiogramm übereinstimmenden Angaben. Sie geben z. B. eine
Bigeminie, ein Aussetzen, eine Tachykardie bei ungestörter Schlagfolge und
umgekehrt an. Es werden hier scheinbar früher einmal stark empfundene
„Extrasystolen“ derart in Erinnerung festgehalten, dass b^ der „nervösen
Disposition" später andersartige Empfindungen mit dem „Stolpern des
Herzens“ zusammengebracht werden. Es werden dann Angaben über die
Herztätigkeit gemacht, die im Elektrokardiogramm keine Bestätigung finden.
Dies gilt auch für alle Kranke mit organisch gesundem Herzen und den
verschiedenartigsten extrasystolischen Störungen. Während sie ihre „Arhsrth-
mie“ nicht richtig angeben, ahmen sie aber ihre ungestörte Schlagfolge um so
sfcherer und richtiger durch Klopfen nach, je stärker die Symptome der
allgemeinen vasomotorischen Uebererregbarkeit ausgeprägt sind. Diese
Sicherheit der Angaben wächst in dem Masse, wie der allgemeine nervöse
Zustand und das Achten der Kranken auf sein Herz hervortritt. In dem
Moment der Richtung der Aufmerksamkeit liegt die wichtigste Ursache für
die Empfindung der eigenen Herztätigkeit. Ablenkung durch Faradisation ge¬
lang regelmässig. Während es durchaus verständlich ist, dass auch Kranke
mit thyreotoxischen Symptomen und einem Cor strumosum mit grosser
Genauigkeit ihre ungestörte Schlagfolge richtig beurteilen, fällt die Beob¬
achtung, dass Kranke mit Mitralstenose ihre Herzaktion richtig nachahmen,
aus dem Rahmen dieser Betrachtungsweise heraus und bedarf der weiteren
Klärung und Untersuchung,
Aussprache: Herren Grafe, Sachs, Moro und G o 111 i e b.
Herr Holthusen: Vergleichende Untersuchungen über die Wirkung
von ultraviolettem Licht und Röntgenstrahlen an Askarideneiern.
Für die Beantwortung der Frage, ob zwischen der biologischen Wir¬
kung von Licht und Röntgenstrahlen auch dann noch prinzipielle Unterschiede
bestehen, wenn man von den durch die Verschiedenheiten der Absorption und
der damit verbundenen verschiedenen räumlichen Verteilung der Strahlen¬
intensität für jedes einzelne Objekt geschaffenen Sonderbedingungen absehen
kann, erwiesen sich Askarideneier wegen ihrer Kleinheit und ihrer in mehr¬
facher Hinsicht gut charakterisierten Strahlenreaktion als geeignet. Es zeigte
sich sowohl für Licht wie für Röntgenstrahlen eine besondere Empfindlich¬
keit der vegetativen Hälfte des Embryos, eine ausgezeichnete, allerdings beim
Licht erheblich weniger ausgesprochene Empfindlichkeit in bestimmten Sta¬
dien der Mitose, eine Unabhängigkeit der Radiosensibilität bei Aenderung der
Sauerstoffzufuhr und — bei Ausschaltung von Wachstumsvorgängen — eine
Unabhängigkeit der Strahlcnempfindlichkeit von der Temperatur.
Aussprache: Herren Braus und Holthusen.
Sitzung vom 25. Januar 1921.
Herr Moro: Ueber Maseroschutzimofuns nach D e g k w i t z.
Aussnrache: Her-^n Grafe, Sachs, Moro und Göttlich.
Herr Heller: Säuglingsernährung und Stuhlreaktion.
Aussprache: Herren Braus, Gottlieb und Heller.
Herr Freudenberg: Ueber den normalen Verkalknngsprozess.
(Untersuchungen mit Herrn G y ö r g y.)
Der normale. Verkalkungsprozess verläuft in 2 Phasen. In der ersten
bindet das verkalkende Kolloid Ca-Ionen. Diese Bihdung ist in ihrem Um¬
fang abhängig von der H-Ionenkonzentration des Mediums, der Ca-Konzen-
tration desselben und der Anwesenheit anderer Kationen, die unter Um¬
ständen verdrängend wirken Die zweite Phase ist die Reaktion des Ca-
Kolloids mit Phosphaten. Es wird der Beweis geführt, dass der entstehende
Kalkpho.sphatniederschlag nicht von blossen Diffusionsvorgängen herröhrt und
nicht auf einfacher mechanischer Imorägnation des Kolloids beruht. Der
Niederschlag ist stark dispers und lässt die Knornelzellen frei.
Aussprache: Herren Braus, Gross, Hoffman n, Ellinger
lind F r e u d e n b e r g.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
15. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
473
Verein der Aerzte in Steiermark.
Sitzung vom 10. Dezember 1920.
Herr de C r 1 n 1 s: Die Lipoide und ihre Bedeutung für das Zentrale
nervensystem.
Nach einer Einteilung der Lipoide geht der Vortragende auf die physi¬
kalischen, chemischen i|nd biologischen. Eigenschaften, Aufbau und Abbau
der im Zentralnervensystem vorhandenen Lipoide ein.
Er bespricht zunächst das Cholesterin ausführlicher, teilt die Ergebnisse
seiner Untersuchungen mit, aus denen sich die hemmende Wirkung des Chole¬
sterins für die Fermenttätigkeit ergibt. Hierauf geht er auf das Lezithin
näher ein, weist auf die biochemischen Eigenschaften desselben bei Ferment-
und Immunvorltingen hin und zeigt, wie beim Aufbau von Cholesterin aus
Cholalsäure und von Lezithin aus Olykol CHa-Oruppen aus dem Stoffwechsel
des Organismus durch den Aufbau dieser Lipoide gefunden werden. Werden
die CHa-Oruppen vom Organismus an den Purinkern gekuppelt, so entsteht
das giftige Methylxanthin, das krarapferregend wirkt und von einzelnen
Autoren (R a c h f o r d) für die epileptischen Anfälle verantwortlich gemacht
wird. '
Weiters wird die Bedeutung der Lipoide für die Wassermann sehe
Reaktion, luetische Infektion und Narkose besprochen. Endlich geht er auf
die gehirnchemischen Veränderungen bei verschiedenen Qehirnkrankheiten,
Paralyse, Dementia praecox, Epilepsie, Atrophia cerebri senilis ein und er¬
örtert vor allem die Veränderungen im Lipoidgehalt des Zentralnervensystems
bei den erwähnten Krankheiten. Zum Schlüsse weist er auf die humoral-
pathologischen Veränderungen bei Epilepsie, Eklampsie und Dementia
praecox hin und zeigt, wie die Veränderung des Lipoidgehaltes des Serums
von Stoffwechselvorgängen, parenteralem Eiweissabbau und anaphylaktischen
Erscheinungen abhängig wird. Auch die Proteinkörpertherapie und ihr
Einfluss auf den Verlauf der verschiedensten Erkrankungen wurden durch
gemeinsame Versuche des Vortragenden mit R. P o s s e k, die eine Ver¬
änderung des Lipoidgehaltes des Serums ergaben, durch neugewonnene
Gesichtspunkte einer Erörterung zugeführt. E.
Gesellschaft der Aerzi« in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. März 1921.
Herr H. Könlgsieln demonstriert Präparate von Amyloidablage¬
rungen In der Haut.
Herr M. Sgalltzer demonstriert Rdntgenbllder der Harnblase.
Die Zystographie ergab bisher nur Bilder in dorsoventraler Projektion.
Von der Vorder- und Hinterfläche der Blase ist bei dieser Methode nichts
zu sehen. Die von mehreren Autoren angewendete Schirmbeobachtung führt
weiter. Eine genaue Darstellung der frontalen Flächen ist nur bei seitlicher
oder axialer Durchleuchtung möglich. Der Patient sitzt etwas zurückgelehnt
auf der Platte. Als Kontrastmittel verwendet Vortr. immer zehnprozentige
Jodkaliumlösung.
Vortr. demonstriert Bilder eines Pat., der vor langer Zeit wegen eines
Chondrosarkoms operiert wurde. Das Bild zeigt Divertikel.
Bei Blasensteinen ist die Aufnahme sehr vorteilhaft, weil die Steine
in der Nähe der Platte sind.
Die Aufnahme der Blase in allen 3 Richtungen zeigt deutlich, dass die
Form der Blase durch die Füllung der Flexur und des Rektums sehr beein¬
flusst wird.
Herr J. Pal: Ueber die wdtere Entwicklung des Papaverlnproblems.
Die Papaverinwirkung ist keine Eigenart des Papaverins, sondern kommt
auch anderen Verbindungen zu; die lähmende und die anästhesierende Wir¬
kung hängt am Benzylrest des Papaverins^ Versuche mit Benzylalkohol und
Benzylbeiizoat hatten nach Macht (Baltimore) den gleichen Erfolg wie
Papaverin.
Vortr. verwendet eine in Wasser leicht lösliche Benzylverbindung; es
können die Einzelgaben des neuen Mittels auf das 10—40 fache ohne Schaden
gesteigert werden. Int. per os 0,5—2,0, auch 4,0 wurden gegeben, sub¬
kutan 0,5—1,0, intravenös 0,25—0,5 der Substanz. Der Vorteil ist die
Harmlosigkeit, der Umstand, dass es kein Alkaloid ist und prompt wirkt.
Die Benzylwirkung überragt die Morphinwirkung, wie die Wirkung ‘des
Benzylmorphins (Peronin) lehrt.
Von Verbindungen, die Benzyl enthalten, ist eine anästhesierende Wirkung
zu erwarten. Die schmerzstillende Wirkung mancher Balsamika ist daraut
zurückzuführen, auch der Effekt einiger Stomachika dürfte mit Benzylgehalt
Zusammenhängen.
Das Papaverin wird in den Hintergrund treten, weil der gleiche Erfolg
durch ein synthetisch leicht und auch billiger herstellbares und ohne Be¬
denken anwendbares Präparat erreicht werden kann.
Herr L. T e I e k y: Gewerbekfankbeiten und Krieg. K.
Sitzung vom 18. März 1921.
E. Lecher: Physikalisches Uber Röntgensirahlen.
Kurze Zeit nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen äusserte Röntgen
die Vermutung, dass sie longitudinale Wellen des Aethers seien, welche
Vermutung auch H e 1 m h o 11 z und P o i n c a r 6 nicht für unbegründet
ansahen. Doch wurde bald erkannt, dass die Röntgenstrahlen ebenso wie
das Licht transversale Aetherschwingungen seien, nur von viel kleinerer
Wellenlänge als auch das kurzwelligste bekannte ultraviolette Licht. Es war
darum erst spät möglich, die Wellenlänge der Röntgenstrahlen zu bestimmen.
Die Wellennatur der Röntgenstrahlung wurde durch die Versuche von
Laue bewiesen, der zuerst Röntgenstrahlen durch Verwendung von Kristallen
zur Interferenz brachte. Die Versuche von B r a g g führten zur Kenntnis
der charakteristischen Strahlung der chemischen Elemente. Auf diese Weise
erkannte man, dass die Kristalle aus Ionen aufgebaut sind, lernte deren
Entfernung kennen, die Beeinflussung der lonenabstände durch die Tem¬
peratur etc. Die Untersuchungen von M o s e 1 e y über die charakteristische
Röntgenstrahlung verschiedener Elemente führten zur Aufstellung eines allge¬
meinen, sehr einfachen Gesetzes über den Zusammenhang der Ladung des
positiven Kerns des Atoms und der Schwingungszahl der Röntgenstrahlen.
K.
Kleine Mitteilungen.
Die Anträge auf Freigabe der Schwangerschaftsunterbreebung.
Die Medizinische Gesellschaft zu Leipzig und die Gesellschaft für Ge¬
burtshilfe und Gynäkologie in Leipzig haben in einer gemeinsamen Sitzung
vom 15. IH. 21 zu den sozialdemokratischen Anträgen auf Aenderung, bzw.
Abschaffung der §§ 218 ff. des Strafgesetzbuches Stellung genommen.
Nach einleitenden Vorträgen von Geheimrat Zweifel und Professor
5 k u t s c h und lebhafter Aussprache wurde folgende Entschliessung gefasst
und an den Reichstag gesandt:
, An den Deutschen Reichstag.
Die Medizinische Gesellschaft und die Gesellschaft
für Geburtshilfe und Gynäkologie zu Leipzig erheben in
gemeinsamer Sitzung vom 15. März 1921 Einspruch gegen die beiden
dem Reichstag zugegangenen Anträge, von denen der eine (Reichstagsakten¬
stück Nr. 90) die Paragraphen 218—220 des Strafgesetzbuches ganz aufheben
will, der andere (Reichtstagsaktenstück Nr. 318) die Abtreibung der Leibes¬
frucht für nicht strafbar erklärt, wenn sie von der Schwangeren oder einem
approbierten Arzt innerhalb der ersten 3 Monate der Schwangerschaft vor¬
genommen wird.
Die Unterzeichneten Ge.sellschaften würdigen sehr wohl auch die all¬
gemeinen Bedenken gegen die Anträge, insbesondere sehen sie in ihnen die
Vernichtung der Ehrfurcht vor dem werdenden Leben und vor der Heilig-
keit der Mutterschaft; sie beschränken sich aber im wesentlichen auf die
medizinischen und hygienischen Gegengründe, deren wichtigste in folgenden
6 Punkten zum Ausdruck gebracht werden:
1. Die Anträge gehen weit über alle Bestrebungen hinaus, die aus sozialen
Motiven, aus eugenischen Gründen oder für besondere Ausnahmefälle
(Notzucht u. a.) die Vernichtung des keimenden Lebens gestatten
wollen; sie führen zur freien, indikationslosen Abtreibung ohne jede Ein¬
schränkung.
2. Die künstliche Fehlgeburt ist nicht der harmlose Eingriff, für den der
Laie sie hält. Meist ist ein operatives Verfahren notwendig. Ernste
Gefahren (Blutungen, Verletzungen, Blutvergiftung) können das Leben
bedrohen oder schwere, dauernde Gesundheitsschädigungen nach sich
ziehen.
3. Bei schrankenloser Freiheit der Abtreibung würde die Zahl der Fehl¬
geburten und der mit ihnen verbundenen Gefahren ungeheuer an-
wachsen.
4. Die fast unbegrenzte Häufigkeit der Fehlgeburten bei derselben Frau
muss früher oder später ihre Gesundheit untergraben.
5. Auch bei Festsetzung der Drei-Monat-Grenze ist die Schrankenlosigkeit
der Abtreibung gegeben. Die genannten Gefahren bestehen auch in den
ersten Monaten der Schwangerschaft. Die Drei-Monat-Grenze ist über¬
dies nicht mit genügender Sicherheit feststellbar.
6. Bei dem derzeitigen Tiefstand der Moral in weiten Kreisen des Volkes
würde es zu einer fortschreitenden Verwilderung der Geschlechtssitten
kommen und die hemmungslose Betätigung des freien Geschlechts¬
verkehrs würde zu einer weiteren Vermehrung der die Volksgesundheit
zerrüttenden Geschlechtskrankheiten führen.
Die Leipziger Aerzteschaft berücksichtigt nicht im geringsten den Um-
?^ss die geplanten Gesetzesänderungen einem Teil der Aerzte mate¬
rielle Vorteile bringen könnten. Allein massgebend für ihre Stellungnahme
ist die Sorge für das Gesamtwohl. Mit aller Entschiedenheit lehnt sie beide
Anträge ab.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. S u d h o f f, Vorsitzender.
Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie
zu Leipzig.
Prof. Dr. S k u t s c h, Vorsitzender.
Therapeutische Notizen.
•Das Diphtherieheilserum bei der Behandlung des
Mumps-als prophylaktisches Mittel gegen Orchitis be¬
währte sich S. Bonnamour und J. B a r d i n (Presse m^dicale 1920
Nr. 94), nachdem schon im Jahre 1917 ein italienischer Arzt, Salvaneschi,
ähnliche Erfolge erzielt hatte. Es handelte sich um 65 Fälle von Epidemischer
Parotitis bei jungen Leuten von 19—21 Jahren, welchen bei ihrem Eintritt
in das Krankenhaus, mögen sie Hodenschmerzen gehabt haben oder nicht,
systematisch eine subkutane Injektion von 20 ccm Diphtherieheilserum ge¬
macht wurde; bei den meisten Kranken stellte sich nach 2—4 Tagen
eine ausgesprochene Abnahme der Speicheldrüsenanschwellung ein und bei
57 (unter 65) war nicht der geringste Hodenschmerz aufgetreten. 5 Pa¬
tienten hatten bereits vor Beginn der Behandlung einen leichten Schmerz
und nach Abzug derselben verbleiben 3 Fälle von Orchitis — 'also genau
5 Proz.; ausser diesen wurden noch 7 Fälle von Mumps von einem der
Verfasser zu Montpellier behandelt, von welchen keiner Orchitis bekam. Was
die Wirkungsart des Diphtherieheilserums betrifft, so glauben Verfasser, dass
es die Hyperleukozytose, die bei Mumps im Augenblick der Komplikationen
sich entwickelt, verhindert und die Zahl der roten Blutkörperchen, wie bei
der Diphtherie, vermehrt. Wahrscheinlich ist es der nämliche Mechanismus,
der bei der Behandlung der Pneumonierf, bei Erysipel, bei Meningitis cerebro¬
spinalis vor Entdeckung des Antimeningokokkenserums gute Resultate ge¬
liefert hat und man könnte sich fragen, ob es in Anbeffacht solcher Erfolge
nicht möglich wäre, durch ein solches Verfahren die Komplikationen der In¬
fektionskrankheiten, deren Erreger man noch nicht kennt, wie Masern oder
Scharlach, zu verhindern oder wenigstens abzuschwächen. Jedenfalls er¬
mutigen die Erfolge bei Mumps zu weiteren ähnlichen Versuchen, bis gegen
dieselbe ein spezifisches Serum entdeckt ist. St.
Ueber die Wirkung des Atropins auf die unwillkür¬
lichen Bewegungen der epidemischen Genickstarre
(Enzephalitis) berichten R a d o v i c i und N i c o 1 e s c o (aus der
Nervenklinik von Marinesco -Bukarest). Nach Injektionen von 1—2 mg
Atropin, sulfur. hörten in 5 Fällen die unwillkürlichen Bewegungen voll¬
ständig auf, aber nur solange Patient sich ruhig verhielt; bei Bewegung
stellten sich diese Nervenstörungen wieder ein, jedoch in viel geringerem
Grade war der Kranke in seiner Beweglichkeit behindert und verlangte von
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
474
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 15.
selbst die Fortsetzung der Behandlung. In anderen Fällen wurde 1 Stunde
nach der Injektion regelmässig eine Abnahme in der Anzahl und besonders
Intensität der unfreiwilligen Muskelbewegungen beobachtet; es blieben nur
sehr kurze Stösse zurück, die sich sehr oft nur durch Muskel- oder Schnen-
zuckungen ohne Lageveränderung des betreffenden Olicdteiles offenbarten.
Ohne Hypothesen, die noch nicht genügend begründet sind, aufstellen zu
wollen, sind Verfasser doch geneigt, dem Atropin in der angegebenen Dosis
eine beruhigende Wirkung auf die tonischen Zentren der Nervenachse, speziell
auf die von epidemischer Enzephalitis befallenen Teile, die Hauptsitz der,
unwillkürliche, rhythmische Bewegungen hervorrufenden Veränderungen sind,
zuzuschreiben. (Presse mddicale 1921 Nr. 9.) • St.
Eine praktische Behandlung der diaphysären Untcr-
schenkelbrüche (mittelst Delbetschen Apparates) be¬
schreibt C 0 i 1 e u (Presse m6dicale 1920 Nr. 94) unter Beifügung genauer
(26) Abbildungen, die die einzelnen Phasen dieses ziemlich komplizierten
Qehverbandes wiedergebeii. dessen Einzelheiten aber auch nur mittelst der
Illustrationen verständlich sind. Der D e l b c t sehe Apparat soll für alle
Diaphysenfrakturen des Unterschenkels, mag es sith um einen oder beide
Knochen handeln, bei welchen man zögert, wochenlang einen Patienten im
Oipsverband zu immobilisieren, für die schwersten traumatischen und selbst
komplizierten Frakturen sich eignen. Aber man muss bei Anlegung des
Verbandes gewisse Irrtümer meiden, die speziell angeführt werden, und die¬
selbe möglichst bald vornehmen, was keineswegs gefährlich, sondern nur
von Vorteil ist, um die Komplikationen nicht von Tag zu Tag grösser
werden zu lassen. St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 13. April 1921.
— Am 21. März hat im Reichsarbeitsministerium eine Aussprache statt¬
gefunden über das in Ausarbeitung befindliche Gesetz, in dem das Ver¬
hältnis zwischen Krankenkassen und Aerzten geregelt
werden soll. Es waren Vertreter der Kassen und der Aerzteschaft erschienen.
Ministerialdirektor Siefart führte den Vorsitz; Qeheimrat Spielhagen
führte das Wort für die Regierung. Nach einem Bericht D i p p e s im Aerztl.
V.-Bl. (Nr. 1231) nahm die Besprechung über das Arztsystem den
breitesten Raum ein. Von ärztlicher Seite wurde mit aller Bestimmtheit die
gesetzliche Festlegung der freien Arztwahl gefordert; die Kassenvertreter
widersprachen dem. Die Auffassung der Regierung, wie sic von üeh.-Rat
Spielhagen zusammengefasst wurde, geht dahin, dass man die freie
Arztwahl im Gesetz wohl nicht vorschreiben könne, dass man ihre Einführung
bei Uebereinstimmung der Beteiligten nicht verhindern dürfe und dass man da,
wo sie noch nicht besteht, den Kassen nicht das Recht zuc'rkcnnen könne, von
sich aus einseitig zu bestimmen, w'ie viele und welche Aerzte sic zulassen
wollten, sondern dass die Zulassung von Aerzten mit allem, was dazu gehört,
nur gemeinsam von Kassen und Aerzten geregelt werden dürfe. Im Falle der
Nichteinigung müsse ein Schiedsgericht entscheiden. Dieser Standpunkt der
Regierung, wenn er auch die Wünsche der Aerzte nicht erfüllt, bedeutet
immerhin einen beträchtlichen Fortschritt; er räumt auf mit dem Herren¬
standpunkt der Kassen, die Arztfragc als eine innere Angelegenheit zu be¬
trachten, die von ihnen nach Belieben geregelt werden kann. Den Frieden
und die Zufriedenheit, wonach wir alle streben, wird, wie D i p p e richtig be¬
merkt, die Regelung auf dieser Grundlage freilich nicht bringen. Eine andere
Frage, über die ausführlicher gesprochen wurde, war die der Behandlungs¬
stellen. Die Kassenvertretcr traten lebhaft dafür ein, die Aerzte bekämpften
sie; der Regierungsvertreter meinte zum Schluss, zu einer Aufnahme der Be¬
handlungsstellen in das Gesetz läge doch wohl kein Grund vor. ln der Frage
der Einigungs- und Schiedsstellen einigte man. sich dahin, dass die Befolgung,
von Schiedssprüchen unbedingt, wenn nötig mit harten Strafen, erzwungen
werden müssci Ein Ausschuss wird den wesentlichen Inhalt der Aussprache
zusammenfassen; daraufhin wird das Reichsarbeitsministerium seinen Entwurf
ausarbeiten.
— Auf dem Internationalen Chirurgenkongress in Paris 1920 wurde be¬
kanntlich der Ausschluss der deutschen und Österreichi¬
schen Chirurgen aus der Internationalen Gesellschaft
für Chirurgie beschlossen. Auch die niederländischen Kongressteil¬
nehmer haben gegen diesen Beschluss nicht öffentlich protestiert, sondern
nach ihrer Rückkehr durch ein Rundschreiben an die Mitglieder der Gesell¬
schaft auseinandergesetzt, warum sie diesen Protest unterlicssen nud für
die Ausschliessung stimmten. Da hiedurch in Deutschland und Oesterreich
die Auffassung entstand, dass die grosse Mehrheit der niederländischen Chi¬
rurgen auf dem gleichen Standpunkte stehe, haben die Chirurgen D i j k -
graaf, Exalto, van der Goot, de Groot, Maasland, Lanz,
R u t g e r s und Schram die Initiative ergriffen, um eine Missbilligung
der Ausschliessung unter den niederländischen Chirurgen herbeizuführen. Sie
sind der Meinung, dass es die Pflicht der Vertreter der neutralen Staaten
gewesen wäre, trotz aller Gegenwirkungen gegen den Ausschluss der
Deutschen und Oesterreicher Protest zu erheben und ihn nicht mit ihrer
Stimme zu bekräftigen. Sie haben deshalb allen niederländischen Chirurgen
eine Protesterklärung zur Unterschrift vorgelegt, die zur Kenntnis der Chi¬
rurgen der Mittelstaaten gebracht werden soll. Auch in der Schweiz ist eine
gleiche Protestbewegung im Gange. Darüber berichtete der Vorsitzende des
Chirurgenkongresses, .S a u e r b r u c h, in seiner Eröffnungsrede (s. S. 468),
— In der L n c e t bespricht der frühere Leiter des städtischen Sana¬
toriums von Birmingham, Dr. Qlover, die V erbreitung der T uber-
kulose in Deutschland. Aus den Tabellen des Reichs-Gesundheits¬
amtes stellt er die enorme Zunahme seit 1914 fest; auch England habe
diese Zunahme erfahren, allerdings in weit geringerem Grade; seit 1918
sei in beiden Ländern eine leichte Besserung eingetreten; auf ein wesent¬
liches Herabgehen der Zahlen etwa bis zu dem Stande vor dem Kriege
sei in Deutschland nicht zu rechnen, da die Ernährungsverhältnisse „jetzt
noch viel schlimmer seien als jemals in England zu der schlimmsten Zeit
des Krieges“; das werde sich wenigstens noch 10 Jahre lang fühlbar machen.
Die Massregeln zur Bekämpfung der Tuberkulose findet Dr. Glover un¬
genügend; Mangel an Geldmitteln, die jetzt herrschende Widersetzlichkeit
gegen alle Vorschriften, auch fehlerhafte Organisation der Fürsorgestellen,
kämen da in Betracht. Die Zahl der verfügbaren Betten in Sanatorien
und Krankenhäusern sei viel zu gering; nur 25—35 Proz. der Tuberkulösen
fänden Behandlung in diesen Anstalten und auch diese nur für eine ganz un¬
genügende Zeit; die Fürsorgestellen leisteten-viel Gutes auf dem Gebiete der
Diagnose, der Statistik, der Ausarbeitung von Vorschriften, aber die Be¬
handlung träte bei den beschränkten Mitteln ganz zurück. Der Verfasser
erwähnt die allgemeine Ansicht, die diese traurigen Zustände auf die Hunger¬
blockade und auf die Auslieferung von Milchkühen zurückführt, ohne jedoch
selbst zu dieser Ansicht Stellung zu nehmen; er rühmt das Werk der engli¬
schen und amerikanischen Quäcker, wenn es auch verschwindend gering sei
gegenüber der Grösse der Aufgabe. Wir müssen uns damit zufrieden geben,
wenn englische Sachverständige in ihren Fachzeitungen den Stand der Dinge
Wahrheitsgemäss darstclien; die massgebende politische Presse wird — mit
wenigen Ausnahmen — keine Notiz davon nehmen; sie finde^ ihre Rechnung
dabei, Hass und Erbitterung immer weiter zu steigern. M.
— Das englische Parlament beschäftigt sich immer weiter mit der
enormen Zunahme der Geschlechtskrankheiten in Eng¬
land. Im Oberhause stand kürzlich die Frage der Errichtung von öffent¬
lichen Desinfektionsanstalten zur Diskussion, in denen Gelegenheit gegeben
werden soll, unmittelbar nach verdächtigem Verkehr vorbeugende Des-
infektionsmassregeln anzuwenden, ln der Armee soll sich die Einrichtung
bewährt haben; aber auch das wurde von manchen Seiten bestritten; sie
für die Zivilbevölkerung cinzuführen, erschien vielen Mitgliedern ein ge¬
wagtes Unternehmen; moralische Bedenken, die Befürchtung, ein falsches
Gefühl der Sicherheit zu schaffen und sachliche Zweifel an dem Wert der
Massregeln überwogen, so dass die Errichtung dieser Anstalten vorerst ab¬
gelehnt wurde.
— Bei der Neuordnung der Gross-Berliner Verwaltung ist
Gross-Berlin in 17 Krefsarztbezirke eingeteilt worden.
— Die nächste Sitzung der bayer. Landesärztekammer (3. b a y e r.
Aerztetag) wird voraussichtlich am 10. und II. Juli stattfinden.
— Dr. Alfred G r o t j a h n, der im vorigen Jahre zum Ordinarius für
Soziale Hygiene an der Berliner Universität ernannt wurde, tritt als Mitglied
der S.P.D. in den Reichstag ein.
Dr. Albert I) o 11 i n g e r, Oberarzt am Kaiserin-Auguste-Viktoria-
Hause, Charlottenburg, ist zum Leiter des Säuglingsheims des Deutschen
Vereins für Kinderasyle, Berlin-Halensee als Nachfolger des verstorbenen
Professors Albert N i e m a n n ernannt worden.
— Am 17. MäVz wurde in Berlin ein „Verein für Unfallheil¬
kunde“ begründet. Der Verein bezweckt, seinen Mitgliedern, welche aus¬
schliesslich Aerzte sind, w'issenschaftliche Anregungen für Begutachtung und
Behandlung auf dem Gebiet der Unfallheilkunde zu geben, praktische Fragen,
welche den Verkehr zwischen Aerzten und Versicherungsträgern betreffen, im
Eitivernehmen mit letzteren gemeingültig zu regeln, endlich die wirtschaft¬
lichen Interessen der Mitglieder zu wahren. Der Verein ladet diejenigen
Kollegen, welche in der Unfallversicherung, sei es als behandelnde, sei es als
begutachtende Aerzte, ständig tätig und noch nicht Mitglieder sind, hierdurch
ein, demselben beizutreten. Anmeldungen nimmt der Vorsitzende, Geh.-Rat
Prof. Dr. Schütz. Berlin W.. Nollendorfplatz 1 oder der Schriftführer
San.-Rat Dr. E. Joseph, Berlin W. 30, Motzstr. 55 entgegen.
— Nach der durch den Krieg bedingten mehrjährigen Pause tagt die
sonst alljährlich am Sonntag nach Pfingsten abgehaltene, meist vielbesuchte
Versammlung mittelrheinischer Aerzte in diesem Jahre in
Bad Homburg. Als Versammlungstag wurde für die diesjährige 62. Ta¬
gung der für den Eisenbahnverkehr allerdings leider weniger günstige
Pfingstmontag. 16. Mai bestimmt. Die wissenschaftliche Sitzung
beginnt nach altem Herkommen mittags 1 Uhr und um 4 Uhr findet ein
einfaches gemeinsames Mittagessen statt.
— Flecktieber. Deutsches Reich. In der Woche vom 27. März
bis 2. April wurde 1 Erkrankung in Osterode (Reg.-Bez. Allenstein) angezeigt.
— In der 12. Jahreswoche, vom 20.—26. März 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Bochum
mit 17,9, die geringste Essen mit 5,6 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
Vöff. R.-G.-A.
Hochscliulnachrichteii.
Breslau. Der a. o. Professor für gerichtliche Medizin an der
Breslauer Universität, Geh. Med.-Rat Dr. Adolf L e s s e r, wurde zum
ordentlichen Professor ernannt, (hk.) — Die Vorschläge für die ordentliche
Professur der Psychiatrie und Neurologie in Breslau waren: I. Gaupp-
Tübingen und Wollenberg - Marburg, II. S t e r t z - Mönchen. Die
preussische Unterrichtsvcrwaltung hat Wollenberg berufen.
Erlangen. Der bisherige Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik,
Herr Prof. W i n t z. hat den Ruf als Nachfolger von Prof. S e i t z und
Direktor der Universitäts-Frauenklinik Erlangen erhalten und angenommen.
Frankfurt a. M. Der Oberarzt der medizinischen Klinik. Privat¬
dozent Dr. Walter A1 w e n s, wurde zum Direktor der Abteilung für
chronisch Kranke im Krankenhaus Sandhof in Frankfurt a. M. gewählt.
Halle. Privatdozent Dr. Hermann S t i e v e in Leipzig hat die Be^
rufung als Nachfolger von Wilhelm Roux angenommen; er hat seine Stellung
bereits am 1. April angetreten.
Königsberg. Der ord. Honorarprofessor öeh. Med.-Rat Dr. Julius
Schreiber, Direktor der medizinischen Poliklinik, sowie die a. o. Pro¬
fessoren Geh. Med.-Rat Dr. Hugo Falkenheim, Direktor der Klinik
und Poliklinik für Kinderkrankheiten, Geh. Med.-Rat Dr. Georg Puppe,
Direktor des Instituts für gerichtliche Medizin, Dr. Walter Scholtz.
Direktor der Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Geh. Med.-Rat
Dr. Paul S t e n g e r, Direktor der Klinik und Poliklinik für Ohren-, Hals- und
Nasenkrankheiten und Dr. Paul A d 1 o f f, Direktor des zahnärztlichen In¬
stituts wurden zu ordentlichen Professoren ernannt, (hk.)
München. Der Assistent am pathologischen Institut, Dr. Hermann
Groll, wurde als Privatdozent für pathologische Anatomie in die medi¬
zinische Fakultät aufgenommen.
Rostock. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Martins, Direktor der med.
Univers.-Klinik. hat zum 1. Oktober d. J. seine Entbindung von der Ver¬
pflichtung, Vorlesungen zu halten, nachgesucht; er hat vor kurzem das
70. Lebensjahr vollendet. — Privatdozent Dr. med. et phil. E. S i e b u r g
hat einen Ruf als a. o. Professor für Pharmakologie an die Universität
Hamburg erhalten und angenommen. Gleichzeitig ist er als Leiter des
Forschungsinstitutes für klinische Pharmakologie am Krankenhause Hamburg-
Eppendorf berufen.
(Berichtigung.) In Nr. 11 S. 340, Sp. 1, Z. 12 v, u. ist statt
E. Becker zu lesen; E. Becher.
Verlag von J. F. LehmaBn in München S.W. 2, Pani Heyteatr. 26. — Druck von £. Mflhitluler'« Bach- und Kunsidradcertl A.O., Müncha»
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNf;
Prete der einzelnen Nummer 2.— Jt. • Bezugspreis in Deutschlanu
. t • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Anzelgenichfuaa Immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
fflr die Schriftleitung: Amulfstr. 26 (Sprechstunden 8^-1 Uhrt
für Bezug, Anzeigen und Beilagen:
an J. P. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestraise 2i
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 16. 22. April 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behüt sich daa ausschliesaliche Recht der VervielfUtignng und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrige vor.
Originalien.
Lässt sich das retinale Sehen rein physikalisch erklären 'i?
Von Dr. Leonhard Koeppe, Privatdozent für Augenheil¬
kunde an der Universitäts-Augenklimk zu Halle a. S.
Den meisten der bisher bekannt gewordenen Theorien des retinalen
Sehvorganges (Young-Melmholtz, Hering. Green. Pari¬
naud. König und Dieterici, Mauthner und Ebbinghaus
u. a.) haftet der Mangel an, dass sie eine kleine Zahl von Orund-
empfindungen annehmen, aus deren Mischung die übrigen Farben¬
empfindungen entstehen sollen, während doch in der Empfindung auch
jede einzelne der sog. Uebergangsfarben einfach erscheint. Dieser Tat¬
sache suchte z. B. Wundt dadurch gerecht zu w’erden. dass er in der
Netzhaut einen chromatischen und einen achromatischen Erregungs¬
vorgang annahm. Dabei sollte eine gewisse Sehsubstanz in einzelnen
Stufen so zersetzt werden, dass die verschiedenen Nuancen der Farben¬
empfindungen ausgelöst würden. Die moderne Ophthalmologie steht
jetzt wohl allgemein auf dem Standpunkte, dass nach M. Schult zc
und v. Kries die Stäbchen in der Netzhaut allein der einfarbigen
Schwarz-Weissempfindung dienen, speziell bei herabgesetzter Beleuch¬
tung. während die Zapfen sowohl sämtliche Farben als auch Schw'arz
und Weiss zu empfinden vermögen. Eine hinreichende Erklärung für das
retinale Sehen, die den Gesetzen der physikalischen Optik standhält,
lässt sich jedoch auch aus dieser sehr bequemen Annahme nicht ent¬
nehmen. Ueberhaupt begnügte man sich damit, den retinalen Seh-
vorganjg als Ausdruck eines gewissen photochemi¬
schen Prozesses hinzustellen, bei welchem bestimmte Seli-
substanzen unter der Lichtwirkung Veränderungen eingehen sollten, die
ihrerseits zur äquivalenten Reizung der weiterleitenden Sehelemente
resp. der Sehnervenfasern zu führen vermöchten.
Als erste wagten es Rählmann*) und B a r r a q u e r an den
Grundfesten dieser bisherigen Theorien des retinalen Sehens zu rütteln.
Barraquer sprach aus, dass es im Bereiche der Stäbchen und
Zapfen keine so schnell wechselnden chemischen Vorgänge geben könne, wie
.sie der rasche Wechsel der optischen Bilder im lebenden Auge nötig mache.
Das müsse besonders für den sogen. Sehpurpur gelten, der sich allein in
Aussengliedern der Stäbchen befindet und unter der Einwirkung des Lichtes
auszubleichen pflegt. Dieser Sehpurpur kann nach Barraquer wegen
seiner relativ viel zu langsam verlaufenden Bleichung und Regeneration für
einen photochemischen Prozess beim retinalen Sehen nicht verantwortlich
gemacht \verden.
Nach Barraquer soll die Netzhaut im Bereiche des optischen Bildes
durch die Belichtung einen Druck erfahren, durch welchen eine Abplattung
des Stäbchenkörpers In seinen beiden Abschnitten, dem Innen- und Aussen-
Jtliede, in nach der Lichtintensität verschiedenem Grad resultiere. Dadurch
werde die nervö.se Erregung dieser Sehclemente bedingt.
Dagegen sollen in den Zapfen die entsprechenden Erregungen durch
stehende Lichtwellen ausgelöst werden, woran schon R ä h 1 m a n n ■') d-T'hte.
Diese stehenden Wellen entstehen nach Wiener’) hei Auftreten eines
Lichtstrahles auf eine reflektierende, mehr oder minder durchsichtige Schicht.
Fig. 1.
Schematische Dar¬
stellung der Lagen
von Schwingungs-
bänchen und
Schwingungaknoten
stehender Licht¬
wellen über einer
spiegelnden Fläche.
sowohl bei senkrechtem als auch schrägem Einfalle. Es bilden sich vor der
Spiegeloberfläche Maxima und Minima von Lichtschwingungen dadurch aus.
dass die auf den Spiegel fallenden und reflektierten Wellen zur Interferenz
gelangen. Während das gewöhnliche „wandernde Licht" nacheinander sämt¬
liche Raumteilchen auf seiner Bahn in gleiche Schwingungen versetzt, finden
wir bei den stehenden Wellen im Raume feste Lagen von sogen. Schwingungs-
*) Vorgetragen im Verein der Aerzte zu Halle a/S. am 2. III. 21.
’) Rählmann; Die neue Theorie der Licht- und Farbenempfindung etc.
Zschr. f. Augenhlk. 16.
*) Barraquer Th.: La Vision, est-elle une phiinom^ne physique?
Clin, ophthalm. Bd. 9. in. 1920.
knoten, in welchen die Raumteilchen dauernd in Ruhe verharren. Dabei
fst ohne weiteres klar — was auch Abb. 1 zeigt —, dass je zwei Schwin¬
gungsbäuche und Schwingungsknoten um eine halbe Wellenlänge entfejat
sind, während die Distanz zwischen einem Knoten und einem Bauche
eine Viertelwellenlänge beträgt. Ist der Spiegel völlig durchsichtig,
dann liegt an seiner Oberfläche eine Lage von Schwingungsknoten, im anderen
Falle entfernen sich die Knoten von der Spiegeloberfläche und damit das
ganze System stehender Wellen.
Nach Barraquer entstehen durch die bei der Reflexion am retinalen
Pigmentepithele ausgelösten stehenden Wellen Maxima und Minima der
Vibration im Zapfenaussengliede und damit kommt cs zur Erregung dieser
retinalen Sehclemente. Anders äusserte sich R ä h l mann *) darüber.
Im folKcncIen greife ich nun allein den Gedanken, dass es durch
Interferenz der auf die Netzhaut resp. auf das unter dieser befindliche
retinale PiKmentepithel auftreffenden und dort wieder reflektierten Licht¬
strahlen zu stehenden Wellen vor dem Pigmentepithele und in der Netz¬
haut kommt, auf und hoffe, an der Hand der bisher bekannt ßcwmrdencn
histologischen Netzhautstruktur zu zeigen, dass man auf diesem \\T*ge
zu völlig neuen Vorstellungen vom retinalen Sclivorgange zu gelangen
vermag, durch welchen viele der von den bisherigen Theorien des
Sehens nicht erklärten Tatsachen unserem Verständnisse auf rein physi¬
kalisch-optischem Wege nähergebracht werden.
Es sei auf Abb. 2 S eine Stäb¬
chen- und Z eine Zapfensehzelle
wiedergegeben, die in bekannter
Weise durch die bipolaren Zellen
Bi s und Bi z mit den zugehörigen
Ganglienzellen der Netzhaut resp.
deren Sehfasern gekuppelt sind.
Ferner sei PE das Pigmentepithel
mit Seinen schilfartigen Fortsätzen,
die speziell zu den Zapfenaussen-
gliedern ZA sowie deren unmittel¬
barer Umgebung in Beziehung
treten. Entsprechend ist ZI das
Zapfeninnenglied. SI und SA das
Stäbcheninnen- und -aussenglied.
Die gezeichneten horizontalen
Querstriche der Stäbchen- und
Zapfenaussenglieder bedeuten die
Kittlinien der diese Aussenglieder
mikroskopisch wie Oeldrollen aus¬
füllenden und etwa 0,5 ii dicken
Aussengliedplättchen ®). F s und F z
den mikroskopisch bekannten zarten
Fadenapparat, der die .Aussen- und
Innenglieder der Stäbchen und
Zapfen in ihrer Hülle durchzieht, bei
den Zapfen besonders stark ent¬
wickelt ist und in den Stäbchen und Zapfcninnengliedern einen vielfach
verflochtenen ellipsoiden Körper bildet. Ferner erkennt man auf Bild 2
die zylindrischen, überall gleichkalibrigen und etwa 1.5 // an Durclirnesser
messenden Stäbchenausscnglicder, desgleichen die kegelförmigen Zapfen¬
aussenglieder. Die Aussenglieder beider Sehzellarten bilden den eigent¬
lichen lichtempfindenden und bildvermittelndcn Teil der Netzhaut, was
sich aus den weiteren Betrachtungen ergeben wird.
Ki}r. 2. Leitungs- und Kuiinelungssclieina
der Netzhaut von den Stähclien und Zapfen
bis zum Sehnerven. (Fovealu. perifoveal.)
*) Nach Rählmann’) wirken die Aussenglieder der Zapfen als Spie¬
gelapparat, was mich optisch höchst unwahrscheinlich dünkt. Es sollen sich
alsdann nach Rählmann die stehenden Wellen innerhalb der
Innenglieder entwickeln.
Nach den Gesetzen der physikalischen Optik kann die von Rähl¬
mann supponierte Spiegclwirkung an den Aussengliedern nur sehr gering
.sein resp. nicht zu einigermassen festkonfigurierten und gegeneinander ab¬
gegrenzten Systemen stehender Wellen führen, weil dabei das Licht an
jeder einzelnen Scheibchengren/e der Anssenglieder neu reflektiert würde
und abermals ein System stehender Wellen in den Innengliedern erzeugen
müsste. Auch die am Schlüsse der Arbeit angeführten klinischen Erschei¬
nungen der Farbensinnstörungen lassen sich nach der alten Rählmann-
schen Theorie nicht hinreichend erklären, abgesehen davon, dass an
denjenigen Stellen des Innengliedes, wo nach Rählmann die stehenden
Wellen auftreten sollen, keine mikroskopisch nachweisbaren ..Empfangsappa¬
rate mit Fibrillenkuppelung" existiere*^ Diese Einwände gelten auch fflr
die Anschauungen von Brücke. Schultze und Zenker, welche eben¬
falls eine Spiegelung an den Sehzellcnausscnglicdcrn annehmen.
®) Ob diese Plättchen resp. Scheiben gesonderte Gebilde darstellen
oder der Ansdruck einer Konzentration spiraliger Fibrillen im Aussengliede
nach Hesse sind, bleibt für unsere Deduktionen ohne Belang.
Digitized b>-
Goi^'gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
476
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Während der Durchmesser der überall gleichgrossen Stäbchen-
aussengliedscheiben “) etwa dem Durchmesser einer in der Mitte des
Zapfenaussengliedes gelegenen Zapfenaussengliedscheibe entspricht, sind
wegen der Kegelgcstalt des Zapfenaussengliedes die dem Innengliede
benachbarten Scheiben von grösstem, die in der Spitze des Aussengliedes
befindlichen Scheiben vori relativ geringstem Durchmesser. Unter Berück¬
sichtigung aller dieser feinmikroskopischen Verhältnisse der Stäbchen-
und Zapfenregion gestalten sich dann die optisch-physikalischen Vor¬
gänge in der Netzhaut folgendermassen.
Es sei zunächst die Pigmentepitheloberfläche PE. als gut durch¬
sichtiger Spiegel gedacht, auf welchen in senkrechter Richtung die vom
gesehenen Objekte kommenden Lichtstrahlen auffallen. Dann entstehen
vor der Pigmentepitheloberfläche im Bereiche der Netzhaut stehende
Wellen.
Da wir uns im Bereiche der Stäbchen und Zapfen in einem Medium
befinden, welches etwa den gleichen Brechungsindex wie das Kammerwasser
besitzt, so müssen wir zunächst die in Luft gültigen Wellenlängen des Lichtes
durch die Zahl 1,336 dividieren, um die wahre Wellenlänge im Innern der
Netzhaut zu erhallen. Das liefert für Rot mit der Luftwellenlänge von
— 688 i.m den wirklichen Durchschnittswert von 500 uu, für Gelbgrün
entsprechend von 400 uu, für Violett 300 uu. Dann ergibt eine einfache
Rechnung für die Zahl der sich im Innern der Scheibchen von 0,5 u Dicke
entwickclnuen Schwingungsknoten, -bäuche und Ganzwelten folgende Tabelle
(abgerundete Mittelwerte):
Zahl der Ganz¬
wellen j
Zahl der Schwin¬
gungsbäuche in
den Aussenglied¬
scheiben
Zahl der Schwin¬
gungsknoten in
den Aussenglied-
scheiben
Rot (Ä, ~ 500 .////)
1
2
8
CJelbKrün (/. — 400 ////)
v*
2'/,
2V,
Violett (/v — 300 /((//)
*/s
3V,
»'/.
In den Kittscheibchen der Innen- und Aussengliedscheiben wird sich,
da ihre Dicke höchstens auf 0,1 anzusetzen ist, nur zufällig eine Lage
von Schwingungsbäuchen, -knoten oder ihren Zwischenpartien ausbilden
können. Unter Berücksichtigung der Zwischenkittscheibchen wird in den
eigentlichen Aussengliedscheiben der Stäbchen und Zapfen einmal ein
Schwingungsbauch resp. -knoten mehr, ein andermal ein solcher weniger
vorhanden sein, als den in der Tabelle angegebenen mittleren Zahlen¬
werten entspricht.
Parallel resp. konzentrisch zur Pigmentepitheloberfläche bilden sich
in dem uns hier besonders interessierenden achsennahen Bereiche, ent¬
sprechend den verschiedenen Wellenlängen des sichtbaren Spektrums,
einander parallele resp. zueinander konzentrisch gelegene Lagen von
stehenden Wellen mit den zugehörigen Lagen von Bäuchen und Knoten,
und zwar für jede Wellenlänge resp. Farbe ein besonderes System.
Dabei liegt für alle Wellenlängen bei hochgradig durchsichtigem und
nicht pigmenthaltigem Pigmentepithel — wie z. B. beim Albino — un¬
mittelbar an der Epitheloberfläche eine Lage von Schwingungsknoten.
Bei pigmentiertem Epithel, wie wir es beim Menschen durchweg
finden, ist durch den Pigmentgehalt des Epithels das Reflexionsvermögen
der Epitheloberfläche entsprechend herabgesetzt und an der Epithelober¬
fläche erfolgt eine Verschiebung sämtlicher Systeme von Bäuchen und
knoten in dem Sinne, dass die Epitheloberfläche ausserhalb einer Lage
von Schwingungsknoten zu liegen kommt. Allerdings ist diese Ver¬
schiebung nur relativ gering.
Durch die schilfartigen Fortsätze des Pigmentepithels, die sich
zwischen die Stäbchen und Zapfen erstrecken und diese teilweise mit
Sehsubstanzen resp. Ernährungsstoffen durchtränken, speziell durch das
unter Belichtung erfolgende Einw'andern ultramikroskopischer linearer
Pigmentpartikel in die Fortsätze, wird die optische Durchsichtigkeit der
Pigmentepitheloberfläche so beeinflusst, dass damit die Lage der ersten
Schwingungsknoten der stehenden Wellen eine bestimmte wird. Auf
dieses wichtige Moment als Ausdruck einer intraretinalen optischen
Selbstregulierung kommen wdr nochmals zurück.
Die bei der Diffraktion an den ultramikroskopisch feinen Pigmentkörper-
clicn stattfindende lineare sowie die in der gesamten Uebergangsschichte nach
A i r y “) erfolgende elliptische Polarisation des Lichtes darf vernachlässigt
werden, da die letztere (nach Wiener) speziell bei rein linear polarisiert
auffallendem Lichte und besonders in der Nähe des Polarisationswinkels ein-
/utreten pflegt '). Die Systeme stehender Wellen werden auch durch eine
partiell elliptische Modifikation des an der Pigmentübergangsschicht reflektier¬
ten Lichtes nicht wesentlich beeinträchtigt.
Da die Stäbchenausscnglieder überall denselben Durchmesser be¬
sitzen. so wird für die einzelnen Aussengliedschelben, welche
zu der Schwingungsrichtung gleichsinnig verlaufen, das Ver¬
hältnis des grössten Schwingungsausschlages — d. h. der Ampli¬
tude — der stehenden Wellen beliebiger Länge (bei Voraussetzung
immer derselben Intensität) zum Scheibendurchmesser stets dasselbe
sein. Da jedoch das violette Licht nach dem oben Gesagten in den
Scheiben eine grössere Anzahl von Bäuchen entwickelt als das rote
Licht, so werden im blauen resp. violetten Lichte die Stäbchenaussen-
glieder durch die Lichtschwingungen einer stärkeren Energie Wirkung
ausgesetzt als im roten Licht. Doch wird anderseits zu berücksichtigen
sein, dass dafür die Wellen entsprechend kürzer sind und mehr Stellen
*) A i r y, G. B. Cambr. Trans. 4. 1832.
’) Vcrgl. Näheres darüber in meinem Lehrbuche: Die ultra- und polari-
satioiisrriikrosk. Erforschung d. A.; Bircher, Bern, 1921.
existieren, an denen die Raumteilchen in Ruhe verharren. Es folgt aus
alledem, dass in den Stäbchenaussengliedem die einzelnen Scheiben von
allen Sorten stehender Wellen annähernd gleichmässig mit Energie be¬
schickt werden.
Ueber die Art und Weise, in welcher die Umsetzung der Lichtschwin¬
gungen in den Scheiben in nervöse Erregung erfolgt, sind an der Hand der
mikroskopischen Untersuchungen nur Mutmassungen möglich. Einmal spielt
hier wohl die Absorption und Diffraktion der stehenden Lichtschwingungen
in den Scheiben eine Rolle, anderseits die Eigenschaft der Doppelbrechung,
welche das Licht in den Scheiben erleidet. Da die Scheiben unter dem
Einflüsse des intraokularen Druckes stehen, so wird die optische Achse der
Doppelbrechung, in welcher keine Doppelbrechung stattfindet ^). in der Achse
der Aussenglieder der Stäbchen gelegen sein. Ob es dabei in den die Schei¬
ben zusammensetzenden und eine Art Raumgitter bildenden ultramikro¬
skopischen Teilchen der Scheiben direkt zu Vibrationen kommt, welche der
Stärke, Schnelligkeit und Richtung der Lichtschwingungen in den stehenden
Wellen entsprechen, lassen wir dahingestellt. Das gilt speziell für die mit¬
geteilte Auffassung von Barraquer. Die Frage, welche Rolle die be¬
kannten sog. elektrischen Aktionsströme der Retina bei diesen Vorgängen
spielen, bleibe gleichfalls offen.
Alles in allem müssen wir auf Grund dieser Deduktionen annehmen,
dass sämtliche Stäbchenscheiben durch alle Wellenlängen der stehenden
Wellen annähernd gleichmässig gereizt werden, so dass die einzelnen
Farben durch die Stäbchenaussenglieder nicht unterschieden werden
können. Es resultiert sowohl Grauempfindung, wenn mehrfarbiges Licht
in stehenden Wellen die Scheiben umspült, als auch dann, wenn das
Licht monochromatisch ist. Im ersteren Falle werden alle Scheiben
durch sämtliche Wellenlängen gleichmässig erregt, im letzteren Falle
findet genau die gleiche Erregung statt, obwohl nur eine Wellenlänge
tätig ist. Höchstens in der Intensität werden gewisse Verschiedenheiten
der Grauempfindung eintreten müssen, da der Sehpurpurgehalt der
Stäbchenaussenglieder diese besonders für das grüne Licht sensibilisiert,
andererseits aber deshalb, weil der Durchmesser der Scheiben in den
Stäbchenaussengliedem durchschnittlich desrlebe ist wie derjenige der
in der Mitte der Zapfenaussenglieder gelegenen Zapfenscheiben. Dass
diese wahrscheinlich hauptsächlich auf die Gelb-Grünempfindung ab¬
gestimmt sind, werden wir später sehen.
Auch subjektiv wird beim Sehen in der Dämmerung, wo bekannter-
weise so gut wie ausschliesslich die Stäbchen arbeiten, von gleich-
intensiven reinen Farben die grüne als Grau am längsten resp. hellsten
gesehen, während die übrigen Farbentöne bereits mehr oder minder in
Schwarz übergegangen sind.
Wir wissen nun aus mikroskopischen Untersuchungen der feineren
Struktur der Stäbchen- und Zapfenaussenglieder, dass diese im Innen¬
gliede einen äusserst feinen Fadenapparat besitzen, welcher einmal
durch die ganze Hülle des Aussengliedes, anderseits auch durch das
Innenglied zur Stäbchen- resp. Zapfenfaser Fortsätze entsendet Speziell
im Aussengliede scheinen diese Fäden mit allen Scheiben in Konnex zu
stehen und deren Erregungen durch das Innenglied zentralwärts weiter¬
zuleiten.
Die durch die stehenden Wellen selektiv erregte nervöse Scheiben¬
substanz dürfte durch eine der betreffenden Scheibe zugehörige Fibrille
des Aussengliedfadens®) dem Innenfaden und durch dessen Fibrillen der
Stäbchenfaser zugeleitet werden, welche mithin soviel Fibrillen enthalten
wird, als das Aussenglied Scheiben besitzt, vorausgesetzt, dass nicht
zwei benachbarte Scheiben mit einer Fibrille gekuppelt sind®). In der
Stäbchenfaser Fs, die mit dem Endknöpfchen K endet (Abb. 2), ver¬
laufen dann alle Fibrillen zusammen und leiten ihre Erregungen zu dem
Endknöpfchen, von welchem mehrere zu dem Ausläufersystem je einer
bipolaren Zelle gehören, die ihrerseits die Erregung den Ganglienz€llen
der Netzhaut und durch diese Zellen den Sehnervenfasern zuleiten. Wh
müssen uns vorstellen, dass jeder einzelnen mit einem Köpfchen
endenden Faser je ein Dendritenausläufer sowie eine Fibrille und wieder
ein solcher Ausläufer der bipolaren Zelle entspricht®), welche in gleicher
Weise mit der Netzhautganglienzelle in Beziehung steht. Aus dieser
wird dann in der der Zelle entsprossenden Nervenfaser die Stäbchen-
aussengliederregung so fortgeleitet, dass je einer oder mehreren Faser¬
fibrillen ein Endknöpfchen resp. eine Stäbchensehzelle entsprechen.
Wir müssen uns alsdann den eigentlichen Sehvorgang in den
Stäbchen insgesamt so denken, dass die durch die verschiedenen
Systeme stehender Wellen erregten Stäbchenaussengliedscheiben ihre
Erregung durch die dazugehörige Fädchenfibrille zu dem Endknöpfchen
der Stäbchensehzelle fortleiten. Da mehrere solcher Endknöpfchen zu
einer bipolaren Zelle gehören, so folgt daraus die Erklärung für die
hochgradige Lichtempfindlichkeit der Stäbchen, Entsprechend erhält
über den Sehnerven sowie über die subkortikalen Ganglien die die
eigentliche Sehwahrnehmung vermittelnde Grosshirnzelle einen relativ
kräftigen Anreiz, wobei jeder einzelnen oder mehreren Fibrillen dieser
Hinleitung zum Grosshim wieder ein Endknöpfchen entspricht.
In den peripher gelegenen Netzhautpartien ist das Verhalten der
Stäbchen im Prinzipe überall dasselbe, weil die Stäbchenaussenglieder
in ihrer Achse stets ungefähr den Richtungsstrahlen zu den Knoten¬
punkten des Auges entsprechen.
Bei den Aussengliedern der Zapfen liegen die Dinge
analog zu den Vorgängen bei den Stäbchenaussengliedem. Hier sind
infolge der konischen Form der Zapfen die dem Innengliede benachbarten
®) Diese Annahme machen wir in Analogie zu der mikroskopischen Tat¬
sache, dass der Achsenzylinder jeder Nervenfaser aus Fibrillen besteht, die
' durch das Neuroplasma getrennt sind und jede für sich eine gesonderte Lei-
I tungsbahn darstellen.
Digitized by Goi'Sle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
22. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
477
Scheiben von grösstem, die in der Zapfenspitze befindlichen Scheiben
von geringstem Durchmesser, während die mittleren Scheiben an Durch¬
messer etwa den Stäbchenscheiben entsprechen. Sämtliche Zapfen¬
scheiben haben, ebenfalls etwa ü,5 i-i Dicke und denselben Dickenwert
der Scheibenkittsubstanz wde bei den Stäbchen. Der Eadenapparat des
Zapfeninnen- und Aussengliedes ist besonders stark entwickelt, ent¬
spricht aber in seiner feineren Anordnung vollkommen dem der Stäb¬
chen. Auch bei den Zapfen müssen wir in Analogie zu den Stäbchen
annehmen, dass jede einzelne Scheibe mit je einer Elementarfibrillc des
Zapfenaussenfadens gekuppelt ist und ihren Reiz über die Fibrillen
des Innenfadens der Zapfenfaser zuleitet. Alle Eibrillen sämtlicher
Scheiben ergeben dann wie bei den Stäbchen den Aussen-* resp. Innen-
iaden und die eigentliche Zapfenfaser ®).
Da mikroskopisch im perifovealen Netzhautbereiche zu jeder ein¬
zelnen Zapfenfaseraufspleissung (Za) [Abb. 2 u. 3] ein dendritischer Fort¬
satz einer bipolaren Zelle gehört und jeder Zapfenfaser nur eine solche
bipolare Zelle entspricht, so liegt der weitere Schluss nahe, dass zu jeder
Zapfenfibrillc eine Endaufspleissungsfaser der Zapfenfaser sowMe beider
Faseraufspleissungcn der bipolaren Zelle gehört. Jeder Aufspleissungs-
faser der zugehörigen Ganglienzellle (üz) entspricht eine Fibrille euer
Fibrillengruppe der bipolaren Zelle sowie der zugehörigen Sehnervenfaser.
Es resultiert für die Sehleitung der Zapfen, dass zu einem einzelnen oder
zw'ei benachbarten Scheibenelementen des ZapfenaussengÜedes eine
besondere Fibrillenleitung durch die Zapfenfaser, die bipolare
Zelle, die Oanglienzelle, deren Sehnervenfaser, die subkortikalen Gan¬
glien bis zur letzten Grosshirnganglienzelle in der Sebrinde gehört.
Darin liegt gegenüber den Stäbchen ein wesentlicher Unterschied, der
erklärt, warum die Zapfen erst auf relativ stärkeres Licht reagieren.
Betrachten wir den Längsdurchschnitt
eines ZapfenaussengÜedes (Abb. 3), so er¬
kennen w ir, dass in der von innen nach aussen
zunehmenden Durchmessergrösse der Elemen¬
tarscheiben eine auf die verschiedenen und
progredient abnehmenden Wellenlängen des
Spektrums abgestimmte ausserordentlich feine
Resonanzeinrichtung zum Ausdruck kommt, wie
sie ihresgleichen in der belebten Natur wohl
nur in dem C o r t i sehen Organ ein Analogon
besitzt. Aus später erwähnten physiologischen
Tatsachen heraus haben wir in den der Aussen¬
gliedspitze benachbarten Scheiben die Reso¬
natoren für die kürzeren, an der Grenze zum
Zapfenihnengliede die Resonatoren für die
längeren Wellenlängen zu suchen. Dazwischen
finden sich alle Uebergänge in Form der zahl¬
reichen Scheiben, von denen eine oder mehrere
einer als einfach erscheinenden Farbe ent¬
sprechen werden.
Wichtig erscheint für das Verständnis der
äquivalenten Reizerregung der Scheibenreso-
natoren durch die stehenden Wellen ver¬
schiedener Länge der Umstand, dass in Anbetracht der gleichen Dicke
der Scheiben mit zunehmendem Scheibendurchmesser die Zahl der
nebeneinander liegenden Schwingungsbäuche stetig zunimmt, während im
langwelliger werdenden Lichte die Zahl der hintereinander gelegenen
Bäuche abnimint und sich in den Rotresonatoren auf zwei reduziert. Um¬
gekehrt nimmt nach den ßlauresonatoren mit geringer w'crdendem
Durchmesser der Scheiben die Zahl der nebeneinander gelegenen Bäuche
ab, diejenige der hintereinander gelegenen im Sinne der Tabelle zu.
Vielleicht liegt in diesen Tatsachen der Schlüssel für die gesonderte
Empfindung resp. äquivalente Erregung der einzelnen Resonatoren¬
scheiben durch die verschiedenen Farben, wobei die Erregung aller
Resonatoren die Weissempfindung auslöst.
Wir erhalten’ für jede einzelne im Spektrum sichtbare Farbe
entweder eine oder mehrere Scheiben, das letztere in dem noch zu
besprechenden Foveabereiche, wodurch eine äusserst feine Anpassung
an kleinste Wellenlängendiiferenzen möglich erscheint.
Jede Scheibe oder Scheibengruppe dürfte auf eine bestimmte
Wellenlänge abgestimmt sein und wird durch diese in der bei den
Stäbchenscheiben diskutierten Weise maximal erregt, ähnlich w’ie die
abgestimmten Antennenresonatoren der drahtlosen Telegraphie durch be¬
stimmte elektrische Wellenlängen.
Es sucht sich mithin jede Elementarscheibe aus den zahlreichen
Systemen stehender Wellen diejenige optimale Wellenlänge heraus, auf
die sie ihrem Durchmesser nach am besten abgestimmt ist. d. h. in
maximalste äquivalent-nervöse Erregung versetzt wird, während die be¬
nachbarten Scheiben entsprechend w^eniger dadurch erregt werden und
die entfernter gelegenen Scheiben „schweigen“. Die optimale Erregung
der betreffenden abgestimmten Scheibe wird durch die zugehörige
Eibrille des Innen- und Aussenfadens der Zapfenfaser, der bipolaren
Zelle, der Ganglienzelle, der Optikusfaser, der Subkortikalganglien bis zu
einem bestimmten Ausläufer der Grosshirnzelle isoliert fortgeleitet.
Dieser Vorgang gilt für alle beliebigen Wellenlängen im sichtbaren
Spektrum.
Den in der äusseren Hälfte der Stäbchen- und Zapfeninnenglieder ein¬
geschalteten „ellipsoiden Körper“, in welchem eine weitgehende Durch-
flechtung resp. „.Auffaserung“ der von den Scheibenresonatoren kommenden
Aussenfadenfibrillen zu erfolgen scheint, möchte ich als eine Art Konden¬
sator- oder Resonanzmechanismus ansehen, der die äqui-
Nr 16.
Fi". 3 Schema der Seh¬
resonatoren in den Stäb¬
chen und Zapfen nebst
ihrer Fadenkuppelung.
Digitized b
valente Lichterregung der Scheibenresonatoren verstärkt. In welcher Weise
das geschieht, speziell ob hier die in der Netzhaut nachgewiesenen elek¬
trischen „Aktionsströme“ eine Rolle spielen, lassen wir dahingestellt.
Werden mehrere Scheiben durch mehrfarbiges resp. weisses Licht
gleichzeitig erregt und zum „Mittönen“ gebracht, dann muss im letzteren
Fall eine Gesamtresonanz des ZapfenaussengÜedes, d. h. die Grau- resp.
W'eissempfindung resultieren und die zu dem betreffenden Zapfen zu¬
geordnete Grosshirnzelle wird in allen ihren Teilen nervös erregt. Bei
monochromatischem Licht kommt es mithin nur zu einer Teilerregung
derselben Zelle, speziell in den der einmündenden Fibrille entsprechenden
Teilen. Es resultiert alsdann die Wahrnehmung allein der betreffenden
Farbe. Dieses Verhalten dürfen wir für alle Zapfen sowie die zu¬
gehörigen Ganglienzellen der Sehrinde supponieren.
Wir erkennen, dass mit dieser unserer Resonatorentheorie
des retinalen Sehens die bisherige Annahme, dass jeder isolierten
Zapfenreizung durch Licht beliebiger W^ellenlänge eine Totalerregung
einer zugehörigen Zapfenschzelle sowie Grosshirnzelle entspräche, nicht
mehr vereinbar ist, sondern der Vorgang sich wesentlich komplizierter
aufbiiuen dürfte.
Wir leugnen keineswegs, dass vielleicht jeder Aussengliedscheibe der
Zapfen resp. jeder Fibrille des Zapfenaussen- resp. innenfadens auf dem
weiteren Wege nicht eine, sondern, ähnlich wie bei den Stäbchen, mehrere
Fibrillen der Sehleitung entsprechen können, doch änderte das nichts an der
Gesamtauffassung des retinalen Sehprozesses.
Im weiter von der engeren Foveaumgebung gelegenen Netzhaut¬
bereiche entsprechen jeder bipolaren Zelle nicht ein, sondern mehrere
Zapfen. Das hängt auf Grund unserer Theorie offenbar damit zusammen,
dass mit grösserer Distanz von der Fovea die Zahl der Resonatoren¬
scheiben langsam geringer wird. Sind alsdann mehrere gleichartige
Resonatoren der gleichen Abstimmung durch dieselben Fibrillengruppen
der bipolaren Zellen miteinander „parallel“ gekuppelt, so schafft das für
die periphere Abnahme sow'ohl der Resonatoren als der extrafovealen
Zapfen überhaupt einen gewissen Ausgleich, wenn auch auf Kosten der
Distarizverhältnisse zw^eier noch trennbarer Lichtpunkte sowie der Seh¬
anpassung an feinere Wellenlängendifferenzen.
Bei mehrfarbigem Lichte muss es nach der Resonatorentheorie zu
entsprechender und nebeneinander verlaufender Reizung mehrerer
Elementarscheiben des ZapfenaussengÜedes kommen. Dabei wird die
Erregung zu einem mehr oder minder geringen Teile auch auf die den
betreffenden Scheiben benachbarten Elemente dieser Art übergeleitet
und die Uebergänge der einzelnen Farben ineinander vermittelt. Doch
wird die Erregung der benachbarten Resonatoren stets nur unterwertig
bleiben. Hier liegen die Verhältnisse wiederum völlig analog dem Mit¬
tönen verschiedener Antennenlängen in der drahtlosen Telegraphie.
Wie wir aus histologischen Untersuchungen wissen, stehen in der
nächsten Umgebung der Fovea centralis der Netzhaut die
Zapfen mehr oder minder schräg und radiär um diese arigeordnet. Dabei
sind die Zapfenaussenglieder fast um das doppelte länger als die etwa
12—15 ,u langen extrafovealen Zapfenaussenglieder und auch etwas
dünner als diese. Diese Tatsache ist einmal der Ausdruck für eine
äusserst weitgehende .Anpassung an geringfügige Wellenlängendiffe¬
renzen, ferner die notwendige Folgerung zweier Ursachen.
Erstens erfährt nämlich das Licht, w’orauf zuerst G u 11 s t r a n d
hinwies, in der wegen des Abnehmens der vorderen Netzhautelemente
wallartigen Umgebung der Fovea eine Ablenkung von seiner Bahn, die
zu einer geringen Dispansivwirkung unter der konkav, zu einer Kollektiv-
Wirkung unter der mehr konvex gewölbten Partie der Netzhaut führen
muss. Es resultiert daraus eine entsprechend schiefe Ablenkung der von
der Aussenwelt kommenden Strahlen von ihrer Bahn.
Zw^eitens stehen die Zapfenaussenglieder wegen der fovealen An¬
häufung der Zapfen sehr dicht gedrängt und sind gezwungen, wegen
ihrer fovealen grösseren Länge sich schief resp. radiär zum Fovea¬
zentrum zu stellen. Dieser Umstand ist aber für den Verlauf des Lichtes
in den Zapfen günstig, weil dadurch die Schiefstellung der Zapfen im
Interesse einer möglichst in der Längsrichtung verlaufenden Lichtfort¬
pflanzung kompensiert wird, wie eine einfache geometrische Betrachtung
lehrt. Denn jetzt verlaufen die Lichtwellen nach der in der Fovea¬
krümmung statthabenden Ablenkung schief und passieren die ebenfalls
schief stehenden fovealen Zapfen angenähert in deren Längsachse. Es
handelt sich mithin auch hier um eine ausserordentlich feine Selbst¬
korrektur der Natur.
Die grössere Länge der fovealen Zapfen sowie die entsprechend
grössere Anzahl ihrer Resonatorenscheiben bewirken, dass wir desto
zahlreichere Wellenlängen gegeneinander abstufen und empfinden können.
Allerdings, entstehen im Bereiche der schiefen Foveazapfen die
stehenden Wellen am Pigmentepithel nicht bei annähernd senkrechter,
sondern mehr oder minder schräger Inzidenz des Lichtes. Da nach
Wieners Untersuchungen auch dann stehende Wellen sich ausbilden
können, so werden sich trotz der fovealen Zapfenschiefstellung und trotz
schrägen Lichteinfalles auch hier stehende Wellensysteme ausbilden und
in der diskutierten Weise wirksam sein können.
Eine gewisse dabei erfolgende Schrägdurchsetzung der Zapfen¬
aussenglieder durch die Schwingungen der stehenden Wellen wird ange¬
sichts des geringen Kaüberabfalles der Zapfenaussenglieder im Fovea¬
bereiche ausgleichend wirken und die einzelnen Farben desto strenger
gegeneinander abstufen lassen.
Der beim Menschen noch nicht ganz sicher nachgewiesene reflek¬
torische Vorgang der ZapfenaussengÜederkontraktion bei der Netzhaut-
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
478
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
belichtung“) würde abermals einen unendlich fein arbeitenden automati¬
schen Regulationsmechanismus bei der Einstellung des gesamten
Scheibensystems resp. der Resonatorenklaviatur der Stäbchen- und
Zapfenaussenglieder auf die vor dem Pigmentepithele schwingenden
Systeme stehender Wellen verschiedener Wellenlänge darstellen. Es
würde dadurch in Verbindung mit der unter der Belichtung einsetzenden
Pigmenteinwanderung in die schilfartigen Fortsätze des Epithels dafür
gesorgt werden, dass die Resonatorenscheiben genau in die richtige
„Tiefe“ der einzelnen Lagen von Schwingungsbäuchen und -knoten der
stehenden Wellensysteme „eingetaucht“ werden. Alles in allem haben
wir damit in der Natur einen beispiellosen Vorgang allerfeinster Selbst¬
regulation und Einstellung bestimmter feinster Zellausläufer auf die im
Rhythmus der Lichtwellen verschiedenster Wellenlänge schwingenden
Raumteilchen. Diese Selbstanpassung braucht nicht mit Lichtgeschwin¬
digkeit zu erfolgen, sondern kann mehr oder weniger allmählich vor sich
gehen, ein Vorgang, den ich mit dem Ausdrucke „endoretinale Resonanz¬
regulierung“ bezeichnen möchte.
Bestimmte, weiter unten zu erwähnende klinische Tatsachen
sprechen dafür resp. scheinen zu beweisen, dass die kleii#ten Scheiben
der isolierten Wahrnehmung des Violett, die grössten der des Rot dienen,
während die mittleren Scheiben auf die isolierte Empfindung resp.
Resonanz von Orange, Gelb, Grün oder Blau eingestellt sind. Also muss
jeder Zapfen in der Netzhaut für sich allein sämtliche Farbenwahr¬
nehmungen vermitteln können, während die Erregung aller Scheiben
so wie in den Stäbchenaussengliedern der Weissempfindung dient. Da
ferner einer bipolaren Zelle nur immer e i n Zapfen mit seinen Fibrillen
resp. Scheibenantennen entspricht, so erklärt sicti daraus, dass auch bei
Erregung aller Zapfenscheiben die Weissempfindung schwächer sein
muss als in den Stäbchen. Ob nur eine oder mehrere Resonatoren¬
scheiben für jede Spektralfarbe existieren, bleibe für die extrafovealen
Zapfen dahingestellt. Im Bereiche der langen Foveazapfenaussenglieder
müssen wir es annehmen.
Die Tatsache, dass wir in grosser Ferne einen seine Farbe mono¬
chromatisch wechselnden Punkt stets auf demselben Orte sehen, ist z. B.
mit der alten Y oung-Helmholtzsehen Theorie der Farbenwahr¬
nehmung unvereinbar. Hier sollen drei verschieden empfindende Faser¬
arten in der Netzhaut existieren, die maximal durch Rot, Grün und
Violett erregt werden. Dass wir den genannten Punkt bei wechselnder
Farbe immer mit gleicher Intensität am selben Orte sehen, ist mit dieser
Theorie nicht zu erklären, während unsere*Resonatorentheorie das
Phänomen ohne weiteres verständlich macht.
Das gilt auch für das Phänomen der Mischfarben. Hier werden
z. B. durch Rot und Gelb die Rot- resp. Gelbresonatoren erregt Da von
jedem Resonator die Erregung auch auf den benachbarten zu einem
gewissen Teile mit übergreift während die erstgetroffenen Resona¬
toren sich durch ihren Kräfteverbrauch während der Durchstrahlung mit
den auf sie abgestimmten stehenden Wellen^ entsprechend schwächen,
wird die resultierende Qesamtempfindung diejenige der Mitte, d. h.
Orange sein. Aehnlich liegen die Dinge bei den übrigen Mischfarben.
Wie liegt der Fall nun bei der angeborenen totalen
Farbenblindheit? Hier nahm man bis jetzt an, dass die Patienten
nur Stäbchenseher sind und keine resp. apiastische Zapfen besitzen,
welche nur farblose Wahrnehmungen ermöglichen. Im Lichte der
Resonatorentheorie erscheint diese Erklärung ohne weiteres richtig.
Die Erklärung der angeborenen Rotblindheit, der Rot-
Qrünblindheit, der Grünblindheit sowie der Blau-Gelb¬
blindheit liess sich aus allen bisherigen Theorien des Farbensehens
nur sehr gekünstelt ableiten. Während z. B. nach Youn g-Helm-
h 0 11 z bei partieller Farbeoblindheit ein oder zwei Faserarten in der
Netzhaut fehlen sollten, erklären Hering und P r e y e r die partielle
Farbenblindheit aus dem Fehlen einer „rotgrünen“ oder „blaugelben“
Sehsubstanz.
Für die R o t b 1 i n d e n, welche das Spektrum im Rot verkürzt
sehen können wir vom Standpunkte der Resonatorentheorien zur Er¬
klärung annehmen, dass die Zapfenaussenglieder an der Seite der Rot¬
resonatorenscheiben angeboren verkürzt oder mangelhaft angelegt sind,
dass also hier die. Rotresonatoren fehlen. Es muss dann für den Pa¬
tienten die Reihe der übrigen Spektralfarben im Spektmm übrig bleiben.
Entsprechend wird sich die angeborene Blaublindheit
durch Verkürzung resp.* zu starke Abplattung der Zapfenaussenglieder
an deren konischer Spitze und das dadurch bedingte Fehlen der Blau-
resp. Violettresonatorenscheiben ableiten lassen.
Für die G r ü n b 1 i n d e n, welche ein im Rot unverkürztes Spektrum
sehen, das einem Teile der Patienten von der Stelle des Grüns an mehr
oder minder grau erscheint, liegt die Erklärung darin begründet, dass
hier wahrscheinlich die innere Hälfte des gesamten Zapfenaussengliedes
zwar unverkürzt, aber von zylindrischer Gestalt ähnlich wie die Stäbchen-
aussenglieder gebaut ist, während die konische Form nur in der äusseren
Hälfte der Zapfenaussenglieder zum Ausdrucke kommt. Unter diesen
Voraussetzungen wirkt die innere Hälfte des Zapfenaussengliedes als
Stäbchen, d. h. es vermittelt für die Wellenlänge des Rot, Orange, Gelb
und Grün entweder ein mehr oder minder ausgesprochenes Grau oder
lässt — bei anderen Patienten dieser Art — das Gelb noch wahrnehmen.
®) Ob hier vielleicht die aniakrinen Zellen sowie die die Stäbchen- und
Zapfenzellcn umhüllenden Kliösen Stützfasern bedeutsam sind oder die Zapfen-
l^nntraktion rein phototaktisch vor sich geht, ist nicht erwiesen.
Die.scs Uebergreifen würde beweisen, dass die Scheibenresonatoren
auch durch die ihrer „Eigenschwingung" noch nicht ganz entsprechenden
..benachbarten“ Längen' der stehenden Wellen mehr oder minder zum „Mit¬
tönen* gebracht werden.
Digitized by Gotigle
Das letztere würde sich daraus erklären, dass hier Gelb die restierende
„Mittelfarbe“ darstellt, analog wie bei den Mischfarben. Da die Rot¬
resonatoren mit den Gelb- und Grünresonatoren den gleichen Scheiben¬
durchmesser haben, so wird demgemäss als übrigbleibende Farbe das
Gelb resultieren, während die Blauempfindung intakt sein muss. So er¬
klärt sich für den angeboren Grünblinden auch das im Rot unverkürzte
Spektrum. Für den Rot-Grünblinden wäre eine Kombination
beider besprochenen Veränderimgen anzunehmen, unter Wegfall der Rot¬
resonatoren ^).
Des weiteren erwähnen wir die im Lichte unserer Theorie leicht
deutbaren Gesichtsfeldphänomene unter normalen und patho¬
logischen Bedingungen.
Je weiter die Zapfen nach der Netzhautperipherie zu angeordnet
sind, um so kürzer werden ihre Aussenglieder, speziell im Bereiche der
Rotresonatoren. Daraus ist zu folgern, dass mit Zunehmender Ent¬
fernung vom Fixierpunkte zunächst die Rot-, dann die Gelb-Grün- und
zuletzt die Blauempfindung aufhören muss, was im normalen Ge¬
sichtsfelde der Fall ist, wenn man spektralreine Farben gleicher
Sättigung und Intensität anwendet und sich nicht der unreinen Pigment¬
farben bedient
Unter pathologischen Verhältnissen finden wir bei
Ablatio der Netzhaut die frühzeitige Trennung der Stäbchen-
und Zapfenaussenglieder vom ernährenden Pigmentepithel. Folgerichtig
muss zuerst eine Störung der Violett- resp. Blauresonatoren resultieren,
was tatsächlich der Fall ist und beweist, dass die Violett-Blauresonatoreii
in der Spitze .des Zapfenaussengliedes untergebracht sind.
Bei glaukomatös erDrucksteigerung werden die Zapfen¬
aussenglieder gegen das Pigmentepithel angepresst. Zuerst leidet dabei
das feine optische Einstellungsspiel der Blauresoiiatoren — die früh¬
zeitige Gesichtsfeldeinschränkung für Blau bei vielen Glaukomkranken
ist ebenfalls bekannt
Die Pigmententartung der Netzhaut führt zu Störungen
im Pigmentepithel, welches vor allem die äusseren Hälften der Stäbchen
und Zapfen ernährt. Während diese Ernährungsstörung für die Stäbchen
bdeutungsloser bleibt, weil noch genügend andere Resonatorenscheibchen
desselben Durchmessers vorhanden sind, muss für die Zapfen eine früh¬
zeitige Störung des Blausinnes der Retina resultieren, was ebenfalls den
klinischen Beobachtungen entspricht Aehnlich liegen die Verhältnisse
bei der mittleren und höheren Myopie.
Bei Chorioiditis liegen die Verhältnisse komplizierter. Wäh¬
rend die mehr chronischen und zu Störungen im Pigmentepithel neigendeii
Formen ebenfalls zu Blausinnstörungen yor den übrigen Farbenstörungen
führen, scheint durch Toxinwirkung bei den akuteren Formen zuerst die
innere Hälfte der Stäbchen und speziell der Zapfen zu leiden, weil diese
inneren Hälften noch inniger mit dem Zelleibe der Zapfensehzelle Zu¬
sammenhängen. Hieraus erklärt sich alsdann die Einschränkung für Roi
und Grün bei den akuteren Formen.
Noch einige Worte über das Wahlnehmen der in bunten NachbilJern
zu bemerkenden komplementären Farben. Bekannt ist die Et¬
scheinung, dass, wenn wir ein rotes oder orangegelbes Blatt auf eine
weisse Fläche legen und nach längerem Fixieren wieder wegziehen,
der weisse Untergrund des Papiers komplementär gefärbt erscheint, also
grün bzw. blauviolett. Beim Fixieren des roten Papiers wurden mithin
die Rotresonatoren maximal und die Orangeresonatoren partiell gereizt
und in ihrer Funktion allmählich geschwächt. Beim Wegnehmen des
roten Papiers resultiert alsdann die frische Erregung der unverbrauchten
Gelb-, Grün- und Blauviolettresonatoren, welche als prävalierende
Mittelfarbe die Grünempfindung hervorriefen. Im Falle des gelben
Papiers kam es zu entsprechender Schwächung der Orange-, Gelb- und
Grünresonatoren. Nach Entfernung des gelben Papiers arbeiten die
unverbrauchten Rot-, Blau- und Indigoviolettresonatoren mit frischer
Kraft und inszenierten das „komplementäre“ blauindigoviolette Nach¬
bild, welches die Resonatoren übertönte.
Umgekehrt schwächt das Fixieren eines grünen Papiers die Gelb-,
Grün- und Blauresonatoren, von welchen beiden der erstere als der
physiologisch hellere^*) hervortritt. Das Fixieren eines blauvioletten
Papiers schwächt hingegen die violetten, blauen und grünen Resona¬
toren und es bleiben die Rot -,Gelb- und Orangeresonatoren, welche
insgesamt die Mittelfarbe ..Orangegelb“ zur Wahrnehmung bringen ^0-
**) Auf die Arbeiten von C. v. H e s s (Arch. f. Augenheilk. 86. 1920 u. a.)
kann wegen Raummangels nicht eingegangen werden. Doch lässt sich
ein grösserer Teil der von diesem Autor erwähnten Anomalien auf Grund
der Resonatorentheorie ebenfalls aus der Annahme gewisser angeborener
Formvariationen der Zapfenaussenglieder heraus erklären. Vergl. dazu die
Schlussbemerkungen in der Diskussion.
Da die Grösse der Zapfenscheibchen infolge der nach dem Innengliede
zu sich immer langsamer von der Zapfenachse dislozierenden „Leitkurve"
des Aussengliedes innen langsamer abnimiitt als nach der Zapfenspitze, so
würde sich daraus die v. H e s s sehe Behauptung, dass speziell die Rotgrenze
sehr nahe der Qrüngrenze gelegen resp. mit ihr sogar identisch sein solle,
ableiten lassen. Die von v. Hess behauptete Identität der Gelb- mit der
Blaugrenze findet in unserer Theorie allerdings keine Stütze. Doch ist daran
zu denken, dass die Zapfenaussenglieder in den den Aussengrenzen des
Gesichtsfelds entsprechenden' Netzhautbereichen eine etwas andere „Leit¬
kurve" haben als im Gebiete der weiteren Foveaumgebung.
Da die Violettresonatoren offenbar in der Spitze des Zapfenaussen¬
gliedes gelegen sind und als die kleinsten dieser Art die Reihe der Scheiben¬
resonatoren beschliessen, so würde schon hieraus folgen, dass unser Auge
kein kurzwelligeres Licht als das violette walirnehmen kann.
“) Barraquer erklärte die bunten Nachbilder dadurch, dass die in
Vibration geratenen Zapfen während dieser Zeit zur Ruhe zurückkehren
sollten.
Original fmrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
22,.April 1921 .
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Schliesslich erklärt unter genau den gleichen Gesichtspunkten die
Kesonatorentheorie auch die Erscheinung, dass durch Mischung
k 0 m p lern entärer Farben Grau- resp. Weissempfindung entstehen
muss. Mischen wir z. B. Rot und Grün, so erregt das erstere auch
das Orange, das letztere auch Gelb und Blau. Alle Erregungen zu¬
sammen liefern ein mehr oder weniger unreines Weiss. d. h. Grau
Benutzen wir Orangegelb und Blau zur Mischung, so erhalten wir auch
eine gleichzeitige Erregung von Rot, Gelb, Grün und Violett, d. h
also wiederum Grau resp. Weiss.
rrou bisherigen Deduktionen drängen uns von den zurzeit
geltenden Theorien des retinalen Sehvorgangesab und weisen einen
völlig neuen und aussichtsvollen Weg, der einen endgültigen Schlüssel
zum Verständnis des wunderbarsten aller Naturvorgänge, der retinalen
Sehwahniehmung der Aussenweltdinge, alleinaufdemBodender
p h rs 1 k a I i s c h e n p p t i k zu liefern vermag. Allerdings dürfen wdr
uns Uber die Schwierigkeiten, die auf dem beschrittenen Wege noch
harren, keinesfalls hinwegtäuschen. Nur dann wird es denkbar sein
diese und jene der hier möglichen Fehlschlüsse zu vermeiden.
Diskussions-Nachtrag. ^
^ Zu dem vorstehenden Vortrage bemerkte Herr Schott, dass man bei
? ^ ® ® " N e t z h a u t k 0 1 0 b o m e n das Pigmentepithel de-
könne, obwohl dabei die Sehschärfe noch vorhanden resp. intakt
sei. Ich erwiderte, dass alsdann die stehenden Wellen an der stark reflek¬
tierenden Sklera gebildet werden könnten. Allerdings sei dabei zu berück-
»nlolse der relativ starken Absorption des Lichtes in den vor
Hah Kelegenen Qewcbsschichten eine gewisse Schwächung der stehen-
resultieren müsse, die auch in entsprechender Schwächung der
BeShtt|en"''en1sprichI
r' Anfrage des Herrn Kochmänn nach dem Wesen des Violettsehens
Oelbsehens etc bei D i g i t a 1 i s S a n t o n i n - u n d ä h n I i c h e n V e" I
g 1 f t u n g e n beantwortet die Resonatorentheorie mit dem Hinweise darauf
dass durch diese Gifte, ähnlich wie dies Schanz auf dem
und Nikotinwirkung supponierte, gewisse
Vorgänp der Sensibilisierung verantwortlich zu machen seien. Wir^köüinen
solche Gifte auch eine selektive Beeinflussung
dieser oder jener Resonatorenscheiben erfolgt, die in ihrer Funktion durch
die Sensibilisierung entsprechend gestärkt oder geschwächt werden, so dass
Je anderen Farbenresonatoren im Zusammenspiele sämtlicher Resonatoren
eewinnen resp. die Erregung der betreffenden Komplementär-
Währmid Herr W e t z e I den,feineren Bau des eliipsoiden gör-
pers in den Stäbchen- und Zapfensehzellen hervorhob — auf dessen Be¬
deutung in dw ojgen Arbeit bereits näher eingegangen war - Srkfe
U S e n, dass er die Einwände Barraquers nicht für hinreichend
I äeVlklf eine^gewiss^e^TloIIe^ Prozesse spielen beim Sehakt in der Netzhaut
Foilfii.i * gewisse Rolle. Er erinnert dann an die Vorgänge bei der
Farbenphotographie, und wenn auch hier die Belichtung der Farbennlattp
eine wesentlich längere ist als beim Sehakt im allgemein^ so ist t zu lie-
SiTsen^’zt^Tun'^h.hL'" mit unendlich viel minutiöseren Verhält-
mssen zu tun haben. Es wäre deshalb sehr wohl möglich und denkbar
dass es sich beim Sehvorgang um allerfeinste, vorläufig kaum nachweisbare’
dAm h ^spielende chemische Veränderungen handelt dfe
kannten -nSssen
'"anche Fälle von Farbensinnstörungen
iSn"oSr£ ^^^eStS
den 2 apL%S
farbenempfindenden Menschen sich auffinden lassen. Ob
r f mikroskopische Technik dazu heute schon imstande ist bleibt fraglich
479
Aus dem Institut für animalische Physiologie. Theodor Stern-
Maus, Frankfurt a. M.
Beiträge zum Problem der willkürlich beweglichen
Prothesen.
V. Vergleich gesunder und operierter (kanalisierter) Muskeln.
VI. Die Kraft des Flugerdrucks der natfirUchea und kOnst-
liehen Hand.
Von Albrecht Bethe.
Ausnutzung der Muskelkräfte, welche durch die
Operationen von Vanghetti und Sauerb r uch u. a. erschlossen
möglich, wenn man sich über die Grösse dieser
sfände n°ach^der^n«P^pMuskelmaschine im klaren ist.
-tande nach der Operation noch die ganze Kraft und der ganze Ver-
Verfügung, den die Muskeln in ihrem natürlichen Ver-
KlSue? Prothesenbauer ^nen'lewiLen
an T La^nnri ri' ,^ ^ h d 1 c 0 p p r a 1 10 n verliert aber der Muskel
sehie zugleich nimmt aber auch
eine Kra ft aus bisher noch nicht genügend erforschten Ursachen
Kcrn*(Arä 't'’oDhth* <''= “'«eifuiig von v. Dan-
riieor?e 'n^^mmt v a Z“ unserer Resonatoren-
iieone nimmt v. Düngern an, dass die einzelnen Plättchen der ZnnfAn
Digitized b]
sehr erheblich ab, so dass seine Arbeitsfähigkeit bei
dermaximalen Einzelkontraktion höchstens 10 bis
20 Proz gesunder Muskeln beträgt, gewöhnlich aber
noch sehr viel geringer ist. Der Konstrukteur muss also mit
diesem noch v()rhandenen Rest äusserst sparsam umgehen und ihn so auf
die Arbeitsgetriebe der Prothese verteilen, dass möglichst wenig nutz¬
barer Weg und nutzbare Kraft verloren geht und dass dort am meisten
Kraft vorhanden ist, wo am meisten gebraucht wird. Von dieser günstig¬
sten Verteilung s()ll im zweiten Teil die Rede sein.
lieber die Grösse der Kraft gesunder Muskeln und ihre Verände¬
rung bei der Verkürzung lagen bisher keine ausreichenden Berechnungen
vor. Dr. Franke*) hat kürzlich derartige Berechnungen am Trizeps,
Bizeps und Brachialis vorgenommen, Muskeln, die häufig für kino¬
plastische Operationen benutzt werden und sich am besten für die Be¬
rechnung eignen. Die Fig. 1 zeigt den Kraftablauf des Bizeps und Bra¬
chialis bei der kräftigsten seiner 3 Versuchspersonen (Di.), einem mittel¬
kräftigen Handwerker. in seiner Abhängigkeit von der Muskellängc,
ebenso einen Teil des Kraftablaufs des Trizeps von der Versuchsperson
I ^’r grösste Kraft, die zur Bestimmung der absoluten Muskel¬
kraft *) verwandt werden kann, ist nicht bei der geringsten Verkürzung
(grössten Muskellänge), sondern bei einer etwas geringeren Verkürzung
gelegen. Von diesem Maximum fällt dann die Kurve bei weiterer Ver¬
kürzung ziemlich gleichniässig ab ®), um bei der grössten Verkürzung,
die allerdings nur durch Extrapolation zu finden ist (dünn ausgezogener
resp. gestrichelter Endteil), den Wert Null zu erreichen. Die Kurven
zeigen im wesentlichen Verhältnisse, wie sie vom Tierexperiment her
bekannt sind. Erstaunlich ist vielleicht die maximale Kraft des Trizeps
(s. Tabelle), welche die des Bizeps um mehr als das dreifache übertrifft
Di.
Be
st.
w.
He.
I «)
n»)
nach
Sauer¬
bruch •)!
Trizeps
m (H d
1^1
mm
62
58
41
44
11
(19,9)
21
(18.7)
23
(7.7)
10
lg
1®
.3&
o a
ja o
kg
449
S41
I kff-cm
I 800
1 740
20
18
20,6
(6)
16
(7)
7,2
(5)
5,5
41,5
88
10
< 10 )
16.3
< 6 , 7 )
6,8
( 1 , 0 )
1,1
-lOOl
1 BraebiaBs internus
1 Bizeps
grösste
Ver¬
kürzung
grösste
Kraft
Arbeite¬
rn enge
grösste
Ver¬
kürzung
Arbeite-
menge
mm
1 üg i
kg-cm
mm
kg
kg-cm
60 p
128
450
78»)
182
400
60 »)
114 1
380
78»)
97
870
/ (37,6) i
(6)
(20)
l 40
26
48
/
1 (8)
(16,5)
\
16
32
i (83,6)
(8)
(22)
V 36
18
30
•O-lOo
*». r Itr J * 1. VUU Oiuuuö uuu r iBcner 1. c
, I .1, der Arbeit von K. ifeyer (siehe unten) Seite 89 und 40
druck Onginalzahlen, Fettdruck von mir extrapoliert.
8) M.m.W. 1917 S. e.*)?—661. ^
und wesentlich grösser ist als die von Bizeps und Brachialis zusammen-
^nornmen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach
O. F i s c h e r an der Armbeugung auch noch der Pronator teres, Radia-
Iis ext. long. und Supinator longus zu einem recht erheblichen Prozent-
sjz beteiligt sind und dass die nach aussen geleistete Arbeit nicht durch
die grösste Kraft, sondern durch die Form der ganzen Kurve bestimmt
wird. Die frösste, bei einer Muskelzusammenziehung geleistete Arbeit
(Kraft mal Weg) kommt in der Fläche zum Ausdruck, welche von den
Kurven (Fig. I) umschlossen wird. Durch Auszählen der Quadrate wird
sie unmittelbar in Kliogrammzentimeter gefunden. Diese Arbeitsmengen
sind in der Tabelle für 2 Versuchspersonen angegeben. Die Zahlen
ergeben, dass Bizeps und Brachialis int. etwa gleiche Arbeitsfähigkeit¬
besitzen und dass die Summe ihrer Arbeitsmengen (bei einer Zusammen-
ziehung) etwa gleich der Arbeitsmenge des Trizeps ist. Die übliche
isr^falsch^^^^'^'^ Beuger des Arms „kräftiger“ seien als die Strecker
V j unter Nr. 3—9 die grössten Verkürzungen,
Kraue und Arbeitsmengen von einigen genauer gemessenen nach
® *. ^^ ** “ 9 ^ ° P V' ^ V ^ ” Muskeln angegeben. Von den 3
ersten Ampjierten ist nach dem ganzen Habitus ihres Körperbaus zu
vermuten, dass ihre Muskeln vor der Amputatipn eher grössere als
geringere Kraft besessen haben als die beiden unter I und 2 angeführten
Person en. Tr otzdem bleiben alle angegebenen Masse sehr w e i t hinter
K-' Pflügers Arch. 184. 1920. S. 300 u. f
) Die zu den Bt^ugungswinkeln des Ellbogengelenks gehörigen Verkür¬
zungen sind beim Trizeps (Be.) für die Versuchsperson berechnet Beim
TaMen Mr“ Arm‘f ”2 vl!“' r“' die MiUelwerte aus den
1 abelleu für Arm 1—3 von Braune und Fischer, die Rotationsmomente
Wiss ^B^Ts^Nr KI. sächs. Qes. d.
^gründe'gelegt/^ S. 260—262) berechnet und der Figur und Tabelle
Muskelkraft verstehe ich mit O. Frank die grösst-
mögliche Kraft bei günstigster Länge und stärkster. Ii^nervation bezogen auf
die Einheit des Querschnitts (qcm) (vergl. Franke l, c.). H v Reck
schlagt in seinem interessanten Buch: Qliedermechanik und
Lahmungsprothesen, Berlin. 1920 Bd. 1 S. 11, statt der grössten S schlccht-
Autoren die grösste Kraft bei „natürlicher Länge“
des Muskels als Definition der absoluten Muskelkraft vor ^
Ver,a',s Jul' tt
wcsemlich TOu d*e'r aJadeH'ab!* ’»'®i®''' ••>'>®f s®h^
4*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
480
MÜNCHENER MEDIZINISQHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
denen normaler Muskeln zurück. (Siehe Fig. 1 die Kurven in der linken
unteren Ecke. Die Kurve 9 ist rein schematisch und lehnt sich an die
von Sauerbruch gegebenen Maximalwerte an.)
Flg. i.
Kraftkurven menschlicher Mus¬
keln. ' Auf der Abszissenachse sind
die Verkürzungen in Zentimeter, als
Ordinuten dazu die entsprechen¬
den Kraftwerte in Kilogramm ange¬
geben. Die Zahlen vor der Be¬
zeichnung des Muskels beziehen auf
die gleichen Zahlen der Tabelle: 1.
und 2. von normalen Muskeln, 9.,
3. und 11. von kanalisierten Mus¬
keln. Die von Jeder Kurve um¬
schlossene Fläche gibt die Arbeits¬
fähigkeit der Muskeln an. Ein
Ouadratzentimeter Fläche entspricht
10 kg-cm. Die horizontal stehenden
Zahlen an den hohen Kurven geben
die Beugungswinkel an, bei denen
die betreffenden Kraftwerte be¬
stimmt wurden (vergleiche Fig. 5
und 7 der Arbeit Franke 1. c,).
Kraftmessung kanalisierter Muskeln.
Das Verfahren, nach dem ich selber den Kraftablauf solcher operierter
Muskeln gemessen habe, ist früher*) angegeben worden. Es unterscheidet
sich nicht von dem sonst in der Physiologie üblichen und als zweckmässig
erkannten. (Bestimmung der maximalen Spannung, welche bei stärkster will¬
kürlicher Innervation bei verschiedenen Anfangslängen resp. Anfangsspan¬
nungen ausgeübt werden kann, mittels eines isometrischen Hebels, d. h.
eines Federdynamometers.) Ein Ingenieur K. Meyer®) hat in der Char¬
lottenburger Prüfstelle für Ersatzglieder ein anderes Verfahren angewandt,
welches im wesentlichen darin besteht, den schon in der Ruhe verschieden
hoch belasteteten Muskel sich im isotonischen Verfahren maximal kontra¬
hieren zu lassen. Durch die angehängten Gewichte wird der ruhende Muskel
gedehnt. Der Grad der Dehnung ist nicht nur von der Grösse des Gewichts,
sondern, wie Meyer bestätigt, auch von der Zeit der Einwirkung abhängig.
Aus der Differenz der Dehnungskurve und der Hubhöhen wird die nutzbare
Hubhöhe bei verschiedenen Belastungen gefunden. Bei genügend hohen Be¬
lastungen wird ein nutzbarer Hub nicht mehr zustande kommen, aber bis zu
diesem Wert hat Meyer die Belastung nur bei Muskeln von geringer Hub¬
höhe dur,chführen können. Durch Extrapolation, wie ich sie nach seinen
Werten zur Gewinnung der Zahlen unter Nr. 6—8 in der Tabelle 1 vor¬
genommen habe, kann man annähernd den maximalen Kraftwert bestimmen.
Mit dem Meyer sehen Verfahren erhält man also, wenn auch auf einem
umständlicheren Wege, dieselbe Kurve wie mit Hilfe des isometrischen Ver¬
fahrens, vorausgesetzt, dass die Ueberdehnung den ruhenden Muskel nicht
schädigt. Jede starke Belastung des ruhenden Muskels ist aber etwas
vollkommen Unphysiologisches; bei allen unsern Bewegungen nimmt in der
Regel der Muskel erst dadurch, dass er sich bewegt, also wenn er schon
innerviert ist, die Last auf. Hängt die Last schon atn nicht erregten Muskel,
so wird er geschädigt, und zwar um so mehr, je grösser die Last ist.
Daher ist das Meyersche Verfahren zur Nachahmung
nichtzuempfehlen.
Andrerseits hält Meyer das von mir angewandte Verfahren für ver¬
werflich, und Schlesinger®) behauptet, dass die mit demselben ge¬
wonnenen Werte um 50 Proz. falsch seien. Der Fehler wird hauptsächlich
in der Möglichkeit gesehen, dass der Operierte ausser mit seinem Muskel
auch mit dem ganzen Körper zieht. Ich brauche wohl kaum zu versichern,
dass ich mich hiergegen nach Möglichkeit geschützt habe. Bei dem ersten
Versufhsverfahren *), auf das ich den Hauptwert lege, geschah dies dadurch,
dass der Operierte in ein Gestell mit dem Rumpf fest eingeklemmt wurde.
(Daneben wurden auch noch graphische Kontrollen angewandt.) Bei Mit¬
beteiligung z. B. des Schulterzuges würden die Kurven ganz anders aussehen
und die Kurvenpunkte würden nicht bei ein und derselben Versuchsperson
und zu- und abnehmender Muskellänge so gut übereinstimmen, wie dies tat¬
sächlich der Fall war. Bei dem zweiten für praktische Zwecke empfohlenen
Messverfahren mit Hilfe des Uebungs- und Untersuchungsapparats ^) ist die
Fehlergrenze grösser aber wenn der Operierte in den Untersuchungsstuhl
fest eingeschnailt ist und sich von Anfang an fest gegen das Rückenpolster
gegenlegt, so ist ein Zurückziehen . der Schulter ganz unmöglich. Zur
Orientierung Uber’die Verkürzungsgrösse und den
Kraftablauf zwecks Einrichtung der Prothese reicht
dasVerfahrenvollkommenaus. Für jeden Operierten zum Zweck
der Messung eine Armhülse anzufertigen, wie Meyer es fordert, ist in der
Praxis zu umständlich, vielleicht auch nicht mal zweckmässig, da die Hülse,
wenn sie nicht sehr sorgfältig gemacht und gut gefenstert ist, die Kontrak¬
tionsfähigkeit der Muskeln behindert.
Die Ausnutzung der direkten Muskelkräfte in der
Prothese.
Die für den Prothesenbauer bei weitem wichtigste Tatsache der
Muskelphysiologie, die auch durch die oben angeführten Versuche für
den menschlichen Muskel weiter erhärtet ist, ist die. dass die Kraft
des Muskels mit zunehmender Verkürzung bis auf Null a b -
*) M.m.W. 1916 S. 1577.
®) Die Muskelkräfte Sauerbruchoperierter und der Kraftverbrauch künst¬
licher Hände und Arme. Diss., Techn. Hochschule Berlin: Berlin, Springer,
1920.
®) Schlesinger: D.m.W. 1920 S. 262.
’) M.m.W. 1917 S. 1001.
nimmt. Bei den Bewegungen unserer Glieder wird nicht der ganze
Verkürzuiigsweg ausgenutzt; auf dem letzten Ende des Weges ist zu
wenig Kraft vorhanden. Der Abfall der Kraft wird nun nach einer
Annahme von 0. Fischer bei der Bewegung unserer Glie¬
der dadurch ausgeglichen, dass die Muskeln an Hebeln mit
zunehmendem Drehmoment angreifen. Wenn dadurch
auch nicht eine nach aussen hin vollkommen gleiche Kraft im ganzen
Bew'egungsbereich des Gliedes erreicht wird, so ist doch die äussere
Kraftverteilung viel gleichmässiger als beim antreibenden Muskel (s.
Franke 1. c. S.319). Es liegt auf der Hand, dass man
diesem Fingerzeig der Natur beim Bau der Prothesen
folgt. Obwohl ich aber wiederholt auf diese Verhältnisse hingewiesen
habe, haben die Prothesenbaucr meist keinen Nutzen daraus gezogen.
Die Schliessung der künstlichen Hand ist es vor allem gewesen, zu
der bei den bisher vorliegenden Konstruktionen die armierten Muskeln
benutzt worden sind (daneben kommt noch die Handöffnung (Bundi)
und die Pro- und Supination (alte Singener Prothese) in Frage;
zur Betätigung des Ellbogengelerikes reichen die Kräfte nicht aus). Es
ist daher vor allem zu untersuchen, wie sich der Kräfteablauf
bei der natürlichen Hand gestaltet. Diesen wird man nach¬
zuahmen -suchen, denn es ist wohl wahrscheinlich, dass er den natür¬
lichen Bedürfnissen am besten angepasst ist. Es gibt zwar zahlreiche
Untersuchungen über die Kraft des Faustschlusses (meist allerdings nur
bei einer einzigen Stellung), aber über den Druck zwischen Zeige¬
finger und Mittelfinger einerseits und dem Daumen andrerseits — also
bei der meist in der künstlichen Hand nachgeahmten Spitzgreifstellung —
und zwar bei verschiedenen Greifweiten, habe ich keine Bestimmungen
gefunden.
Zur Bestimmung des Fingerdrucks diente ein gutes Feder¬
dynamometer mit Skala, mit dem noch % kg sicher abgelesen werden konnte.
Es war an einer rechtwinklig an eine starke Eisenstange angeschweissten
Seitenstange aufgehängt und am andern Ende mit einem Bügel versehen,
der eine Platte zum Auflegen des Mittel- und Zeigefingers (bzw. eines dieser
Finger allein) trug. Eine Aufbiegung der Platte verhinderte das Vorrutschen
der Finger. An der Hauptstange war, verschieblich und mit einer Schraube
feststellbar, ein zweiter senkrechter Arm angebracht, der gerade unter dem
erwähnten Bügel einen zweiten Bügel trug, der dem Daumen als Widerlager
diente. Auf der Hauptstange war eine Zcntimeterskala angebracht, an welcher
direkt abgelesen werden konnte, wie gross die jeweilige Greifweite war.
Zeige- und Mittelfinger wurden bei den Versuchen, wie bei Spitzgreifstellung
schwach gekrümmt gehalten und so unter maximaler Anstrengung der Finger-
beuger der Greifdruck in tangentialer Richtung bestimmt. Zu den Qreifweiten.
die je nach dem ausgeübten Druck wegen der Entfernungsänderung durch das
Nachgeben der Dynamometerfeder noch korrigiert werden mussten, als Ab¬
szissen wurden die Kraftwerte als Ordinaten eingetragen. Die Länge des
Fingerhebelarms betrug im Durchschnitt 9 cm. Eine Greifweite von 13 cm
entspricht dann theoretisch einem Beugungswinkel von etwa 85®. Tatsäch¬
lich ist der Winkel kleiner, da sich der Daumen etwas dem Zeige- und Mittel¬
finger entgegenbewegt. Die Zahlen haben daher nur praktischen Wert und
können zur Berechnung der Kraft der Fingerbeuger nicht benutzt werden.
(Ueber den Kraftablauf der kurzen Fingerbeuger finden sich genaue Berech¬
nungen bei V. Recklinghausen, 1. c. S. 97 u. f.)
Fig. 2.
Fingerdruckkurven normaler Hände (W.
bis F.Z.) und künstlicher Hände von verschie¬
denem Kraftübertragungstypus (I bis III). Die
ersteren am Dynamometer gemessen, die letz¬
teren bei der Annahme gleicher Antriebskraft
berechnet. Die Abszissenwerte geben den
Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger
resp. Zeigefinger + Mittelfinger an, die
Ordinatenwerte die Kraft in Kilogramm. —
W.Z 4- M. u. H.Z + M. sind Individualkurven
von Zeige- und Mittelfinger zweier Männer
W. u. H., ebenso H.Z. u. F.Z. vom Zeige¬
finger des Mannes H. und eines Jungen Mäd¬
chens F. R.Z + M. ist das Mittel aus 6
rechten Händen (jeder Punkt Mittel aus 14
bzw. 16 Bestimmungen), L.Z + M. Mittel aus
4 linken Händen (jeder Punkt Mittel aus
bis 16 Bestimmungen) und Mi.Z + M. die
Mittelkurve aus 4 linken und 5
rechten Händen (jeder Punkt Mittel aus
28—32 Bestimmungen). — Die Kurven I, II
und III sind errechnet für die drei Ueber-
tragungstypen der Fig. 3.
In der Figur 2 sind mehrere solche Kraftkurven eingetragen und
zwar Individualkurven vom Zeigefinger (H.Z. und F.Z.) allein und
von Mittel- und Zeigefinger (W.Z. 4-M. und H.Z. H-M.), als auch je
eine Durchschnittskurve aus mehreren rechten (R.Z. + M.) und linken
(L.Z. + M.) Händen und eine Mittelkurve aus linken und
rechten Händen (Mi.Z. + M.). Man sieht aus diesen Kurven,
dass die Kraft des Fingerdrucks von der grössten Greifweite an zuerst
ansteigt, dann ein Plateau bildet und später wieder absinkt. Der
bestimmte Minimalwert bei 1,5 cm Greifweite liegt bei der Durch¬
schnittskurve nur etwa 15 Proz» unter dem Maximalwert. Bei kleinster
Greifweite, die aus technischen Gründen nicht erreicht werden konnte,
wird er höchstens 25 Proz. unter dem Maximalwert liegen. Eine
ähnliche Kraftverteilung w-ird man in der künst¬
lichen Hand anstreben müssen, wenn nicht ganz schwer-
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf^
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
481
22. April 1921.
wiegende Gründe, die sich aus irgend welchen konstruktiven Vorteilen
ergeben, dazu nötigen, hiervon abzuweichen.
Wie gezeigt, fällt die Kraftverkürzungskurve des Muskels auf
dem grössten Teil des Weges steil ab (Fig. 1). Nur wenn der Muskel
erheblich über seine „natürliche“ (unbelastete) Länge (v. Reckling¬
hausen) durch eine Gegenspannung gedehnt ist, wie dies im natür¬
lichen Verband z. B. am Bizeps und Brachialis bei stärkster Arm¬
streckung, beim Trizeps bei stärkster Beugung der Fall zu sein scheint
fs.- Fig. 1), tritt eine Art Plateaubildung und ein Abfall jenseits des
Maximums auf (siehe auch die Arbeit Franke 1. c.).
Eine geringe Anfangsspannung, die sich auch in der künstlichen Hand
zur Vermeidung von Kontrakturen empfiehlt, kann also auch einen Zu¬
wachs an Arbeitsfähigkeit bringen, obwohl sie im Gegensatz zur Arbeit
des Muskels im natürlichen Glied als Ballast aut dem ganzen Ver-
kiirzungsweg mitgeschleppt wird. Um bei der künstlichen Hand eine
Kraftkurve der Finger zu erhalten, welche so flach verläuft, wie dies bei
der natürlichen der Fall ist, muss also der steile Abfall der Kurve
des armierten A^uskels durch besondere Hebelübertragungen aus¬
geglichen werden, d. h. durch einen Hebel von zu¬
nehmendem Moment (Fig. 3III).
Fig. 3.
Schema der drei
Hauptübertragungstypen
der Kraft K. des ziehen¬
den Muskels auf den
Finger a künstlicher
Hände, r, der Radius an
dem die Kraft angreift,
k, der Druck der vom
Finger gegen den Daumen
ausgeübt wird. In I nimmt
das Drehmoment bei der
Drehung des Fingers um
60® ab, in II bleibt es
gleich, in III nimmt es zu.
Wählt man einen Hebel von glcichbleibendem Moment (Fig. 3II),
wie dies K. Meyer (1. c.) fälschlich als das wünschenswerte an-
gibl, so würde die Fingerdruckkurve denselben prozentualen Spannungs¬
abfall zeigen wie der bewegende Muskel. Wendet man aber einen
Hebel von abnehmendem Moment an (Fig. 31), so sinkt die Kurve des
Fingerdrucks noch wesentlich steiler ab, als die Kraftkurve des treiben¬
den Muskels. Es würde also in diesen beiden Fällen bei weit geöffneter
Hand — dort, wo es nicht erforderlich ist — ein verhältnismässig sehr
starker Fingerdruck vorhanden sein, während bei einander genäherten
Fingern der nötige Druck fehlen würde. Es ist fast nicht zu verstehen,
dass fast alle künstlichen Hände mit willkürlichem Antrieb mit Hebeln
von abnehmendem Moment arbeiten (z. B. die Hand von Garnes,
Rohrmann, Luppi, Lange, Fischer, Hüfner usw.). Red 1 ni
und C a s a l i n i arbeiten mit etwa gleich bleibendem Moment und nur
die Hände von Siemens-Schuckert, Marelli®) und B e t h e ®)
weisen zunehmendes Moment auf.
Um zu zeigen, wie die Kraftkurven bei den drei verschiedenen
Uebertragungstypen der Fig. 3, die man natürlich im praktischen Fall
anders anordnen würde (und bei denen man in I und III auch andere
Anfangswinkel wählen könnte), theoretisch verlaufen würden, bin ich
von der treibenden Kraft keines bestimmten operierten Muskels,
nämlich dem des Amputierten St. (Tab. u. Fig. 1 Nr. 3) ausgegangen,
der eine verhältnismässig gute Kraft und einen recht erheblichen Ver-
kürzungsweg- zeigte. Ich nehme an,' dass in jedem Fall von dem mehr
als 4 cm betragenden Verkürziingsweg 3 cm a u s g e n u t z t wer¬
den, w'eil der Rest zu wenig Arbeit liefert. Ferner wurde angenommen,
dass die Finger normale Länge (9 cm vom Drehpunkt bis zum
Ballen des letzten Gliedes) besitzen sollen und von ihnen ein Weg
von 60® zurückgelegt wird (die meisten Konstrukteure begnügen sich
mit einem kleineren Winkelbereich; in der natürlichen Hand ist er
wesentlich grösser). Es lässt sich dann für jeden der 3 g;;wählt 2 n Fälle
die Grösse des Hebelarms r und die Kraft des Drucks bei jeder Finger¬
stellung errechnen, wenn man von Reibungsverlusten absieht. So ge¬
langt man zu den 3 Kurven I, II und III der Fig. 2. In II (gleichbleiben-
des Moment) sind die Kraftwerte proportional den Werten der Ausgangs¬
kurve (Fig. 1, 3); der Minimaldruck ist um 68 Proz. geringer als der
Maximaldruck. Bei Kurve I fällt der Druck noch schroffer ab (Abnahme
85 Proz.) währendbei der Kurve III (zunehmendes Moment) e i n
Verlauf zutage tritt, der dem der Mittelkurve ziem¬
lich nahekommt (Abnahme 39 Proz.). Mit dem Enddruck von
2.7 kg, der nicht wesentlich unter dem Zcigefingerdruck einer mittel-
kräftigen Damenhand gelegen ist (Kurve FZ) ist immerhin etwas anzu¬
fangen, w’ährend ein Druck von wenig mehr als 1 kg (Kurve I) nicht
genügt.
Es ist aber noch zu bedenken, dass dies nur t h e o r e t i s c h e
Werte sind. In Wirklichkeit muss mit Reibevcrliisten von 20 bis
40 Proz. gerechnet werden. Ausserdem ist häufig eine (iegenz- gfeder zu
überwinden. Auch bei guter Konstruktion wird man
selbst bei kräftigen Muskeln nur etwa die Druck-
leistungen von Kinderhänden erreichen, falls man nicht,
wie das meist geschieht, sich mit einer weit geringeren Greifweite als
®) G. Bosch Arana: Las amputaciones cineplasticas. Buenos Aires,
Spinelli. 1920, S. 298.
®) M.nuW. 1917 S. 1625.
8,3 cm begnügt (durch Verkürzung der Finger oder Verkleinerung des
Winkelausschlags).
Die von K. Meyer (1. c.) angestellten Messungen über den Kraft¬
verbrauch verschiedener künstlicher Hände sind recht wertvoll, lassen aber
einen Vergleich der Hände untereinander nicht zu, da er die verschie¬
dene Oreifweite der verschiedenen Konstruktionen
nicht mit in Rechnung gezogen hat. Es ist natürlich leicht,
eine Hand von sehr geringer Greifweite mit geringem Kraftverbrauch zu
konstruieren. Wichtig ist bei diesen Messungen, dass auch sie zu dem
Resultat geführt haben, dass die einst so gerühmte Carneshand ganz un-
verhältnismässig hohe Reibeverluste hat und daher wenigstens für Sauer¬
bruchoperierte nicht in Fragp kommt.
Aus der medizinischen K*iiiik der Kölner Universität. ‘
(Direktor: Prof. Moritz.)
Die Folgezustände der akuten Encephalitis epidemica.
Von Privatdozent Dr. Fr. Otto Üess.
Das proteusartige Bild der akuten Encephalitis epidemica ist in einer
Fülle von Berichten gezeichnet, so dass die Diagnose heute wohl kaum
mehr nennenswerte Schwierigkeiten bereitet, wenn es auch scheint, dass
gerade unsere jüngsten Fälle (einer unter dem Bild einer L a n d r y sehen
Paralyse) das an sich schon bunte Bild noch symptomenreicher machen.
Im Gegensatz dazu liegen bisher nur wenig grössere Berichte über die
Folgezustände vor; zudem sind die Ansichten über die Prognose recht
verschieden. Dies gibt mir Veranlassung, auf Grund meiikr konsequent
durchgeführten Nachuntersuchungen an Patienten, deren akute Erkran¬
kung viele Monate bis über ein Jahr zurückliegt, jetzt schon einiges
zur Prognose quoad restitutionem zu sagen. Wir werden
dabei sehen, wie schlecht bei einer grossen Anzahl von Patienten die
Aussichten auf baldige oder völlige Wiederherstellung sind! Und wir
werden Veränderungen finden, die bei Nichtbeachtung anamnestiseber
Angaben, die auf eine — vielleicht nur ambulant durchgemachte oder
nicht als solche erkannte — Enzephalitis schlicssen lassen, Veranlassung
zu folgeschweren Fehldiagnosen geben oder den Arzt vor diagnostische
Rätsel stellen können.
Nicht besprechen werde ich jene chronisch verlaufenden Formen,
wie sie u. a. v. E c 0 n 0 m 0 beschrieben hat, sondern nur über Zustände
berichten, wie wir sie bei Patienten finden, die aus der Behandlung als
ganz oder teilweise arbeitsfähig entlatsen werden konnten, jedoch noch
die eine oder andere Störung aufwiesen.
Zuerst sei kurz nur einiges aus der Literatur der Folgezustände
der Enc. ep. erwähnt. So bezeichnete mein Chef, Prof. M o r i t z, in seinem
Referat *), in dem er auch über das akute Stadium der meisten der uns
heute beschäftigenden Kranken sprach, die Enc. ep. als eine der ernstesten,
unheimlichsten Krankheiten und betonte, dass über die wichtige Frage des
Zurückbleibens von Ausfallserscheinungen noch Beobachtungen nötig seien.
Dies letztere fordert aoeh Strümpell, der in der Enc. im allgemeinen
keine bösartige Erkrankung sieht, wenn man sich auch oft auf einen recht
langwierigen Krankheitsverlauf und Heilungsprozess gefasst machen muss.
Nonne berichtet schon 1919 über Monate nach der Entlassung an-
gestellte Nachuntersuchungen und findet da verminderte körperliche und
geistige Spannkraft, Paralysis agitans ähnliche Zustände (auch Meggen-
d o r f e r, Speidel u. a.) und Störung (Jes Affektlebens; besonders betont
er differentialdiagnostisch wichtige Abweichungen von der normalen Pupillen¬
reaktion. Dies hebt auch Speidel hervor, der bei der Nachuntersuchung
seiner 1919 publizierten* Fälle nur einmal wirkliche HeUung sah, während sich
bei 5 anderen noch Paresen, reflektorische Pupillenstarre, Parästhesien,
Schlafsucht, Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen u. a. fanden. So
stellen auch M o e v e s und G 6 r o n n e im Gegensatz zu Anderen (K e r -
schensteincr, Dreyfus u. a.) eine ernste Prognose und sprechen
von der Gefahr dauernder Störungen. Sehr langes Fortbestehen von Augen¬
störungen erwähnen u. a. Löhlein, Franke, Grünewald, v. Eco¬
nom o, Dreyfus, Reverchon und Worms. Während S i c a r d
und P a r a f auf noch nach Jahresfrist bestehende amytrophische Störungen
hinweisen, werden von anderer Seite (Q6ronne, Dreyfus) neuralgische,
motorische und psychische Störungen (Comby, Sabatini) und ein post¬
enzephalitischer amyostatischer Symptomenkomplex von Cohn und L a u -
b e r u. a. hervorgehoben. Ueber äusserst schwer zu bekämpfende Schlaf¬
störungen. z, T. mit Erregungszuständen wird besonders bei Kindern
(J a n e c k e, H o f s t a d t u. a.) berichtet.
Von den Patienten aus der Epidemie Ende 1919 bis Anfang 1920
konnte ich 17 (13 Männer und 4 Frauen) nachuntersuchen. Der Ueber-
sichtlichkeit halber habe ich die Haupterscheinungsform des akuten
Stadiums, die jetzigen besonderen Beschwerden und die Hauptbefunde
tabellarisch zusammengestellt.
1. Alle Patienten haben jetzt noch z. T. sogar erhebliche
Klagen. Am zahlreichsten sind die Aeusserungen über verminderte
Leistungsfähigkeit, Abnahme des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit,
über eine ihnen selbst oder ihrer Umgebung auffallende Interesselosig¬
keit. Sehr häufig wird von schlechtem Schlaf gesprochen: während sie
am Tag schläfrig und müde seien, nach dem Schlafengehen auch rasch
einschliefen, würden sie dann bald wieder wach und könnten keinen
richtigen Schlaf mehr finden, z. T. würde er durch wirre, wüste Träume
unterbrochen.
Etw'a 50 Proz. haben dauernde oder zeitweilig auftretende Kopf¬
schmerzen, z. T. so heftiger Art, dass jede Arbeit unmöglich würde.
Schwindelgefühl und ein Gefühl wie von Betrunkensein wird 6 mal an¬
gegeben. Weiter wird geklagt über: heftige neuralgische und rheu¬
matische Beschwerden, verschiedene schmerzhafte und unangenehme
D M.m.W. 1920 S.711.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
482 .
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Tabelle 1.
s"o.
Nu me
Alter
Akutes Stadium
letzte Nach-
untersuclig.
.. Monate n.
dem akuten
ctadium
Folgezustäude
]Inui)t.symptomo | 1 r-'hiuor
' 1 stnrunfren | cerebroHj».
Haupt bosch werden
Hauptaymptumo
1 Augon-
1 Störungen
Liquor
cerebrospio.
1
Sch. Peter, 31
Schlafsucht, Katalep¬
sie,myokl. Krämpfe,
RetiexstürunRen
-H-f
270 mm H O
Nonne
/ *
1 “
Zuckungen d. 1. Seite, Kopf¬
schmerzen, Mattigkeit
myoklon. Krämpfe, Masken¬
gesicht, psych. verändert,
sexuelle Störungen, Ver-
schlimraeriuig
-H-
150 N.—
(8 Mon.)
2
Sch. Adam, 24
(Bauchschm.), Bub.
+-8
120 N. -
15
Allgenbeschwerden, hochgra¬
dige Kopfschmerzen
Psyche verändert, Dös'gkeit
•f++
160 N.—
7 Zellen
8
G. Karl, 56
Schlufsucht
160 \. —
10
Kopfschmerzen, dauerndes
Hungergefühl
Facialis Tic, psych. verändert,
Patellarrefl.-1- Gewichts¬
zunahme I
•1 l"l'
Pup. trage
,, entrundet
240 N. —
Zellen I
4
5
P. Hubert, 19
Schlafsucht, myost
Starre und Kloni
++
1.50 N. —
10
schläfrig, nachts schlahos,
allg. Interesselosigkeit
myostat. Staire, .Maskenges.,
Psyche hochgr. verändert
230
1
Z. Joseph, 52
Erreguiißsztist., Neu¬
ralgien
+++
—
11
neuralgische Beschwerden,
Schlafstörungen
psychisch verändert., verän¬
derter Gesichtsaufldruck
+
6
“F
9
B Elfriede, 22
Schlafsucht, Schm. r.
A rm, my okl. K rii m pfe
80 N. —
10
Schmerzen r. Arm, Zittern,
Schwindclgefübl
r. Fpzialisparese, psychisch
verändert
-H-
—
W. Luise, 21
K. Jakob, 47
St. Joseph, 33
KopBchm., Erbrech.,
Sohhifzustand
{
Abnahme des Gedächtnisses,
^Kopfschmt rzen hes. links,
■'Sexualität gestört
psychisch völlig verändert,
hochgr. Apathie, Refl. o. B
-|“ Nystagmus
(+)
210N -iZelle
230 N.—
8,6 Zellen
Bild d. Bulbärparalyse
-H-+
00-70 N. -
10
schwerfällige Sjirache, S]>ei-
chelrtuss, Schmerzen i. l.
Bein
.Muskenges., Reflexstörungen,
Schluckkrämpfe
-f-f Pup. träge
Ptosis
"
myokl. Krämpfe, hes.
Bauch, Beacliälli-
gungsdelir, Sehl.if-
suclit, Chorea
+++
1 ‘
1
6
Zuckungen Bauch u. Bein,
Gähnkrämpfe, Schlaflosigk.,
sexuell gestört, Schwäche¬
gefühl
.Maskengesicht, myoklonisclie
Krämpfe, myostat. Starre,
psych. schwer verändert,
Verschlimmerung
-H- Pop fast
lichtstarr
lU
G. Jukol), 43
Schlafsucht, •;< steig.
Muskelerregharkeit
P.apillif i.s
MO N. —
SchluLsucht, Beschwerden b.
Le.sen Koi'fschinerzcn
myostat. Starre, bes. Gesicht,
Reflexe o. B.
-f—F Pup. entr.
träge L. R
190 N. —
l2~
V. Paul, 33
Erregn ngszust,myokl.
Zuckungen, rechts.
Hemiplegie
H—
Piipillitis
80 .\. -
1 ^
10
Kopfdruck, Schwindel, rechts.
Scliwäche, kann r. nicht
schreiben,
besteht alles noch, nur etwas
gebessert
Maskengesicht, Gemütshige
enist, rech*8. Parese mit
Reflexaiioni.
psych. etwas gebessert, Ge¬
sichtszüge lebhafter, rechts.
Parese unverändert
4- +
atroph.
Verfärb, d. l up.
220 N. -f
360 N. - Z I
Sch. Karl, 15
Schlafsucht, Glieder¬
schmerzen
++
.■\nf8okone !
7
schläfrig, leicht eiregbar,
dauerndes Hungergefühl.
Kopfschmerzen, vergesslich
gedunsenes Ma.skonge8icht,
myostat. Starre, Schlaf¬
sucht, psycliisch hocligr.
verändert
200 N. —
13
14
16~
ß. Grete, 19
Gesichtahalluz .akutes
Stad, nicht bei uns
beob , Begutachtung
we^.iinklar..Nerven¬
leidens
+
1 '
1
allgemeine nervöse Klagen,
bes. Schlaflosigkeit, Kopf¬
schmerzen, Gesichtshalluzi¬
nationen
psych. verändert, interesse¬
los, Störungen d. Sexualsph.
alles gebessert
+
frei
F. Julius, 26
Schlafsucht, Kopf-
.schmerzen, iieuralg.
Beschwerden, Kaz.-
Purese wech.selnd,
myost. Stsrre
N. -f-
60 X.
y
9
verminderte Leistungsfähigk.,
neuralgische Besch werden,
Kopfschmerzen, leicht er¬
regt, in letzter Zeit alles
etwas gebessert
verändertes Gesicht u. Psyche,
tonische Koutr. d. Hals¬
muskeln. 1. Faz, -Parese, Re¬
flexe 0 . B.
(+) Nyst
200 N.+
Sch. Willi,32 ••
akutesStad inAaclien,
myokl. Zuckungen,
Ht-mipleiie d. 1. Seite
?
Schleier vor den Augen,
Lähmung d. r. Armes
Paraly^ia agit. s. agit. ähnl.
ZusV., Maskengesicht, rechts.
Parese, psych. verändert
TT-b
über 220 N. —
16
K Johann, 16
Soliwäche d. 1. Kör, er-
seite, Zuckungen,
Schlafsucht, Hiifungs
nicht bei uns beob.
+
6 Mon. nach
Beginn
140 X. +
11
Schlaf.«»., daucnides Hunger-
gefühl, isst und trinkt den
ganzen Tag
Paralys. agit sine neuerdings
cum agitatione, Moskenges.,
-1- zeitweilig
geringe Ptosis
190 N.+
~W
B. Adele, 20
links Hemiplegie und
Biilbärersch.
+8
9
Schwäche i. 1. Arm n. Bein,
Kopfschmerzen, Sexualsph.
verändet
Maskenges., myost. Starre,
r. Faz.-Pan se, Parese d. 1.
.\rme8 u Raines
-h Anisok. Nyst.
190 N. -
•) Alle Au"enunter8uoliunm*n sind in liebenswürdiger Weise von Herrn Prof. I)r. Cords kontrolliert.
*•) cf. Cords, klin. Mouatsblatt für Augenheilk. 1921, Bd. LXVI und Be erat im Zentrulbl. f. d. ges. Ophthalm. 1921 u Dinkler, M.m.W. 1920 S. 1806.
Sensationen infolKe „Zuckunijcn“ verschiedener MuskelKcbiete,
Schwächegefühl in Armen und Beinen, Speichelfluss, verwaschene
Sprache, Singultus, (lähiikrämpfe. Unstillbares Hungergefühl verbunden
mit „Fresssucht“ und starker unnatürlicher Gewichtszunahme wurde
viermal notiert (ein Patient Nonnes hatte auch immer Hunger und
Durst). Klagen über Veränderung der Sexualsphäre wurden 5 mal laut,
und zwar bei Männern und Frauen über Nachlassen der Libido bis
zur völligen Unlust; ein Patient (9) hat nur alle 3—4 Wochen, ein
anderer (1) noch seltener Erektionen; bis zum Orgasmus dauere es
auch dann noch sehr lange ='), und es fehle jedes Lustgefühl. Frauen be¬
richten zudem über unregelmässige. 2—3 Monate aussetzende Regel.
Bei einigen Pat-enten hatten derartige Erscheinungen nur mehrere
Monate nach der Entlassung bestanden, um dann langsam zu schwinden;
bei 2 Patienten (1, 9) dagegen haben sie sich in den letzten Monaten
noch verstärkt. Alle Patienten geben übereinstimmend an, dass ihre
Beschwerden — körperliche wie geistige — bei schlechtem Wetter stär¬
ker in Erscheinung treten.
2. Von den weit über das akute Stadium hinaus bleibenden oder
sich nach scheinbarer Heilung in der Folge er^t langsam einstellenden
Veränderungen stehen an erster Stelle solche auf psychi¬
schem Gebiet. Bei fast allen unseren Kranken finden wir in mehr
oder weniger hohem Grad eine Umgestaltung ihres Wesens,
ihres Charakters, ihrer Neigungen und Betätigungen, und zwar stets
in der Richtung einer Willens- und Tatenlosigkeit; es fehlt ihnen die
frühere Initiative, sie klagen über mangelnde Spannkraft und leichte
Efmiidbarkeit, über Mutlosigkeit und eine allgemeine mehr oder w'eniger
hochgradige Interesselosigkeit für sich selbst und ihre nähere und weitere
Umgebung. Die Bemerkung: „Mir ist seit meiner Erkrankung alles
ganz gleichgültig geworden“, habe ich oft gehört; oder andere: „ich bin
froh, wenn man mich ganz in Ruhe lässt“; „ich kann mich über nichts
’) Anmerkung bei der Korrektur: Bei einem kommt es überhaupt nicht
mehr dazu.
mehr freuen, nicht mehr lachen“; „geschlechtlich bin ich ganz erkaltet“;
„ich habe an keinem Vergnügen mehr Freude, man muss mich zuin
Ausgehen zwingen“; „früher las ich gerne ein gutes Buch, das ist mir
jetzt alles egal, das regt mich höchstens auf;“ „ich muss grundlos
oft lachen oder weinen“.
Vor allem fällt auch Verwandten und Bekannten das veränderte
„ernste“ Wesen der Erl;crankten auf, denen es selbst vielleicht noch
gar nicht so zum Bewusstsein gekommen war. So äusserte eine Mutter
über ihren Sohn, dass ihn niemand mehr möge, da er zu blöde ge¬
worden sei und sich andererseits über jede Kleinigkeit masslos errege.
Früher für alles mögliche über ihren Beruf hinaus interessierte Pa¬
tienten können diesem nur unter Aufbietung aller Kraft nachgehen, wo¬
bei einzelne von einer kaum zu bekämpfenden Schlafsucht und Müdig¬
keit gequält werden; ein Patient schläft — wenn er allein ist — bei der
Arbeit ein; nachts findet er keine Ruhe. Ein anderer, der körperlich
schwere Schädigungen behalten hat, zeigt im Gegensatz dazu eine er¬
staunliche geistige Frische; die Iciclne Ermüdbarkeit fehlt aber auch
bei ihm nicht.
Im Einklang mit diesem veränderten W’esen stehen öfters eine
eigenartig schlaffe Haltung oder eine seltsame Bewegungslosigkeit des
ganzen Menschen; wie man ihn hinstellt, bleibt er lange unbeweglich
stehen. Vielfach tragen die Gesichtszüge das Gepräge der Ratlosig¬
keit oder des tiefen Ernstes oder zeigen eine Armut der Mimik, die
das Gesicht in ausgesprochenen Fällen (8 mal) zur Maske erstarren
lässt. Dies besonders dann, wenn auch noch eine Starre des Blicks
mit seltenem Lidschlag besteht, wie wir dies 4 mal bei unseren Fällen
und besonders ausgesprochen bei Fall 15 beobachtet haben; Zustände,
die Cords als myostatische Starre der Augen beschrieben hat.
Manche Pat. betonen, dass sie immer wieder von Bekannten ge¬
rade auf ihr „ernstes“ Gesicht hin angesprochen würden. Zum Teil
ist das Maskenhafte im Gesicht noch durch eine glatte, faltenlose. glän¬
zende pastöse Haut (Salbengesicht) verstärkt
Digitized b]
V Goc*gle
Original from
UNIVERtITY OF CALIFORNIA
22. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHPIFT.
483
Vereinzelt wird das sonst langweilige regungslose Gesicht durch
völlig unmotiviertes blödes Lächeln belebt. Besteht dabei noch Kata¬
lepsie, so kann man wohl anfangs an Dementia praecox denken, wogegen
aber die gute Intelligenz und rasche Orientierung auf alle Eragen
spricht; es ist dies hier ähnlich wie im akuten Stadium bei dem Schlaf¬
zustand; weckt man einen solchen Patienten, so ist er rasch und völlig
orientiert und gibt klare Antworten, um allerdings schnell wieder
in seine Lethargie zurückzusinken.
Diese geistige Frische bei direkten Fragen scheint in einem ge¬
wissen Gegensatz zu der sonstigen Schwerfälligkeit und Interesselosig¬
keit zu stehen. Alle Kranken können sich jedoch auf eine gewisse
Stimulation hin körperlich wie geistig betätigen.
Man könnte analog zur Regungslosigkeit und Starre der Muskeln,
bei der ja auch alle Bewegungen ausgeführt werden können, von
einer Starre und Regungslosigkeit der Psyche sprechen.
Prognostisch günstig ist es immerhin, dass 3 Patienten angeben,
dass sich ihr geistiger Zutand in den letzten Wochen belebt habe;
das Gegenteil versichert jetzt nach 12 Monaten Patient St. (9) und
besonders auch dessen Frau.
3. Wie aus der Tabelle ersichtlich, bestehen in 16 von 17 Fällen
noch mehr oder weniger hochgradige Veränderungen an den Auge n,
und zwar scheinen gerade die für die Diagnose der akuten Erkrankung
so wichtigen Akkommodations- und Konvergenzstörungen mit am läng¬
sten bestehen zu bleiben.
Von grösster Bedeutung sind Veränderung der Lichtreaktion (9 mal)
und Gestaltsvecänderung der Pupillen (3 mal) und dies besonders dann,
wenn sie gleichzeitig mit Reflexanomalien und neuralgischen Beschwer¬
den vergesellschaftet sind, wie wir dies zweimal gesehen haben. Für
die Differentialdiagnose mit luetischen Erkrankungen spielt da (ab¬
gesehen von der Wa.-Reaktion) neben der genauen Anamnese die Lum¬
balpunktion (cf. später) eine grosse Rolle. Ausserdem- scheint im Gegen¬
satz zu den metaluetischen Erkrankungen hier bei gestörter Reaktion
auf Licht auch stets eine solche der Konvergenz oder Akkommodation
vorhanden zu sein.
Nur bei 2 Patienten fanden sich ausgesprochene Veränderungen am
Augenhintergrund; 1 mal ging eine noch Monate nach der akuten Er¬
krankung bestehende Papillitis langsam zurück, während bei dem zwei¬
ten Pat. (11) die Papillenverschleierung zu atrophischer Verfärbung
mit unscharfen Grenzen geführt hat; gleichzeitig ist der Visus herab¬
gesetzt und es besteht neben Paresen einzelner Muskeln noch eine starke
Einengung der oberen Gesichtsfeldhälfte.
Eine täglich — ja mehrmals täglich — wechselnde Anisokorie. die
bei gleicher Belichtung verfolgt ist, mag durch die kleine Skizze illu-
Tabelle 2.
? 5 . V. 20
26. V. 20 27. V. 20 i
28. V. 20
29. V. 20 1
, 30. V. 20
31. V. 20
I :
i
• •
• • 1 • •
• •
• •
• •
• •
1. VI. 20
2. VI. 20 ! 3. VI. 20
5. VI. 20
7. VI. 20
1 8. VI. 20
9. VI. 20
• •
t i
# •
1 • •
vorm.
• •
* • 1 • • i
• •
• •
• •
# • nachm.
n. VI. 20
1 13.VI.20 1 18. X. 20
19. X. 20
1 20. X. 20
;
1 ■
• •
1 • •
i vorm.
• •
• •
; nachm.
striert sein. In 2 weiteren Fällen wurde Aehnliches, nur nicht so aus¬
geprägt, beobachtet. Bei dem obigen Fall war zudem die Licht¬
reaktion träge, und zwar reagierte häufig die weitere Pupille schlechter
als die enge — aber auch umgekehrt. Oft bestand die Reaktion in einer
ruckartigen vorübergehenden Zuckung, die sich rhythmisch 3—4 mal
wiederholte.
Ausserdem kamen neben Paresen einzelner Muskeln noch Ptosis
(6 mal), seltener Lidschlag (4 mal), Nystagmus (5 mal) zur Beobachtung.
4r"Weit über das akute Stadium hinaus anhaltende Erscheinungen
an der Muskulatur des Rumpfes und der Extremitäten sind, wenig¬
stens in ausgesprochenem Masse, hier nicht sehr häufig beobachtet.
Vereinzelt traten einseitige oder auf eine Extremität beschränkte chorea¬
artige Bewegungen, die sich manchmal erst in der Rekonvaleszer.z ganz
plötzlich einstellten, auch jetzt noch auf. Das gleiche gilt von jenen
so oft beschriebenen intensiven klonischen Krämpfen. Besonders heftig
leiden darunter nur 2 Patienten; während wir bei dem einen (1) ge¬
waltsame, etwa 25 mal prö Minute sich wiederholende linksseitige rhyth¬
mische Krämpfe der Hals-, Brust-, Bauch- und der Strecknuiskulatur
des Arms und Beins beobachten, die erst in der Rekonvaleszeaz auf-
traten, und die psychisch weitgehend beeinflusst werden, treten ähnliche
Krämpfe bei dem anderen (9) sogar 60—70 mal in der Minute auf; hier
beherrschten sie schon in den ersten Tagen der Erkrankung das Bild.
Es ist dabei gleichgültig, in welche Stellung man z. B. das Bein bringt.
Die Zuckungen bestehen auch im Schlaf, pflegen aber gegen Mitter¬
nacht nachzulassen.
Eine interessante Beobachtung konnte man wiederholt bei beiden
Patienten, besonders im subakuten Stadium machen: es liessen sich zu
den beschriebenen Krämpfen noch andere, viel raschere und anders ge¬
artete auslösen: ein Patellarklonus; so dass wir es also mit zwei ge¬
trennten Vorgängen, einem zentral-motorischen und einem spinalen zu
tun haben.
Vereinzelt wurden geringere klonische und mehr tonische Krämpfe
einzelner Muskelgruppen, aber auch tickartige Zuckungen im Fazialis-
gebiet. häufiger hier allerdings Lähmung beobachtet. ,
Ein Patient mit den Erscheinungen einer Bulbärparaiyse litt bis weit
in die Rekonvaleszenz hinein unter dauernden Scliluckbewegimgen, die
in Analogie zu den sonstigen klonischen Muskelkontraktionen zu setzen
sind. Hierhin gehören dann auch noch der von uns selten beobachtete
Singultus und die Gähnkrämpfe; so gähnt ein Patient (9) bei der Nach¬
untersuchung ununterbrochen.
Unter unseren Augen entwickelte sich bei emem 16 jährigen Jungen,
nach anfänglicher Besserung seines kataleptischen Zustandes,
langsam aber stetig, ein Bild ähnlich dem der Paralysis agitans
sine agitatione; in den letzten Wochen nimmt bei stark gebückter
Stellung die Retro- und Propulsion zu bei sonst äusserst schwerfälligem
Gang und hochgradiger Bewegungsarmut: er zeigt Pfötchenstellung und
ab und zu auch die typischen Bewegungen der Hände, dazu eine myo-
statische Starre fast der gesamten Muskulatur. Ein zweiter Fall (15)
scheint eine ähnliche Entwicklung zu nehmen.
Katatonie und amyostatische Zustandsbilder habe ich 8 mal bei
meinen Nachuntersuchungen gesehen, ganz besonders ausgesprochen
bei 3 Patienten: hier vornehmlich die oben schon besprochene Regungs¬
losigkeit der Gesichtsmuskulatur.
Im Gegensatz zu den einseitigen Krämpfen sahen wir auch 4 mal
Lähmungen vom Typ einer<» Hemiplegie; die sich meist rasch, zweimal
nach vorhergehenden inyoklonischen Erscheinungen der betreffenden
Seite, entwickelt hatten. Sie gingen ohne jede besondere Therapie
schnell zurück, um dann aber in einem bestimmten Schwächezustand,
z. T. mit Reflexstörungen und Hypo- oder Hyperästhesien, lange Zeit
fast unverändert stehen zu bleiben. '
In einem Falle sahen wir während des akuten und subakuten Sta¬
diums eine grosse mechanischeErrcgbarkeitderMuskeln;
so tritt besonders beim leisen Klopfen des Pector. major ein deutlicher
idiomuskulärer Wulst auf, von dem nach beiden Seiten „S c h i f f “ sehe
Wellen auslaufen. Erst nach Monaten war dies nicht mehr nach¬
weisbar
Wie im akuten, so treten auch im Spätstadium der Krankheit
Pyramidenbahnsymptome zurück. Doch scheint es mir, dass
wir sie bei den hiesigen Fällen immerhin häufiger, besonders als sehr
rasch wechselnde Reflexanomalien beobachten konnten, als-dies von
anderen Seiten angegeben wird. Auch jetzt noch konnte ich in einigen
Fällen (4 mal) die Patellarreflexe nur Sehr schwer oder gar nicht
auslösen: häufiger werden Differenzen zwischen links und rechts, ab
und zu Fehler einzelner Bauchdeckenreflexe beobachtet. Relativ häufig
(8 mal) sahen wir den einseitigen, selteiier doppelseitigen B a b i n s k i -
sehen Qrosszehenreflex, z. T. mit Ausdehnung der refl^xogenen Zone.
So trat z. B- bei Druck auf die äussere Oberschenkelmuskulatur eine
ausgesprochene Dorsalflexion ein.
Bei 2 Patienten entwickelte sich im Laufe der Rekonvaleszenz
eipe äusserst schmerzhaft empfundene, fast dauernd anhaltende Dorsal-
fl^xion der grossen Zehe — ein positiver Dauer-Babinski.
Ein sehr intelligenter Patient schildert diesen Zustand so:
„Bei allen möglichen Bewegungen — besonders wenn sie mir schwer¬
fallen — richtet sich die grosse Zehe des rechten (im akuten Stadium ge¬
lähmten) Fusses unter Schmerzen stark nach dem Fussrücken zu auf; ich
versuche sie dann mit dem anderen Fuss herunterzudrücken, was mir äusserst
schwer und meist unvollkommen gelingt. Dabei ist die Kraft der Dorsalflexion
so intensiv und anhaltend, dass sich die grosse Zehe durch einen gestrickten
Hausschuh hindurchgebohrt hat.“
Am eigenartigsten berührt den Untersucher der Anblick einer immer
mehr zunehmenden Dorsalflexion der grossen Zehe bei wiederholtem
energischem Faustschluss des Patienten; schliesslich liegt die grosse
Zehe fast flach dem Fussrücken auf; dem Versuch, sic in die gewöhnliche
Lage zurückzubringen, wird starker Widerstand entgegengesetzt.
Diesen „positiven Babinski“ sahen wir bei 3 Patienten lange nnch
dem akuten Stadium regelmässig auftreten, wenn Pat. zu energischem
Faustschluss der gleichnamip'en Hand aufgefordert wurde.
Die Gerönne sehen Befunde von Lymphozytose im Blutbild kann
ich nicht für alle meine Fälle bestätigen.
Bei den Nachuntersuchungen habe ich in 12 von 17 Fällen die
Lumbalpunktion ausführen können; ich tat dies aus diagnostischen
und therapeutischen Gründen. Im akuten Stadium waren auch bei uns
die Befunde verschieden: zumeist war Druck und Liquor normal, jedoch
fanden auch wir Druckerhöhung, sehr geringe Globulin- und Zellver¬
mehrung. Im Gegensatz hierzu habe ich im Spätstadium fast
regelmässig einen erhöhten Lumbaldruck gefunden.
Nur einmal war er niedriger als im akuten Stadium (270:150): einmal
betrug er 170, 3 mal 190 mm HsO. 200mm Druck und darüber wurde
6 mal und 1 mal über 350 mm abgelesen. Eine Zunahme des Druckes
sogar im Laufe der letzten Monate konnte bei 2 Patienten festgestellt
werden. So ist auch aus der Tabelle ersichtlich, dass sich die Druck¬
steigerung öfters erst nach Ablauf des akuten Stadiums eingestellt h:»t.
Dabei war der Liquor stets wasserklar, die Nonne sehe Reaktion
war meist negativ, seltener ganz schwach positiv; nie sah ich erheb¬
liche Pleozytose (höchste Zahl 7 Zellen).
Ueber Liquorbefund im Spätstadiuni finden sich nur wenig Literatur¬
angaben: zumeist wurde er als normal bezeichnet (S i c a r d und K u d e 1 s k i.
Moeves, Boveri, Cohn und L a u b e r): nur bei Nonne finde ich
in Fall 11 einen Liquordruck von 370 mm verzeichnet, und Dr. Stein be¬
richtet in Nauheim über seine 1/4 Jahre zurückliegende Erkrankung: es
besteht noch Pupillenstörung und partielle HI. Lähmung bei Lumbaldruck
von 460 ram!
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
484
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Auf Grund unserer Befunde und der Klagen werden wir die
Prognose der Enceph. ep. quoad restitutionem immer¬
hin ernst stellen müssen. In einzelnen Fällen sind wohl Klagen
und Erscheinungen nur noch sehr gering; bei 5 Kranken gingen sic seit
der Entlassung stetig etwas zurück, dagegen sehen wir in 5 Fällen
sogar eine Zunahme, während bei den übrigen der Befund monatelang
etwa der gleiche geblieben ist, z. T. auch w e c h s e 11.
Dass in einer ganzen Reihe von Fällen der Prozess noch nicht
restlos abgeklungen ist, dafür scheint mir neben dem Wechsel der
Symptome auch das Verhalten des Lumbaldruckes zu sprechen. Wir
sind nicht sicher bei dem einen oder anderen Fall noch Verschlimme-
■ rungen zu erleben. Darüber sind noch weitere Beobaclitungcn nötig.
Bei der Stellung der Prognose bin ich mir wohl bewusst, dass sich
mein Material aus vorwiegend schweren Fällen zusammensetzt und ich
damit nichts aussagen kann über die Prognose leichter, ambulanter
Formen; es wird interessant sein, gerade hierüber etwas zu erfahren,
besonders da ich in der Literatur keine diesbezüglichen Angaben finden
konnte.
Wie ist nun das Verhältnis zwischen Schwere des akuten Stadiums
und den Folgezuständen? Hier ist es etwa so, dass die schworst Er¬
krankten auch jetzt noch die zahlreichsten Klagen und schwersten Er¬
scheinungen haben, jedoch können auch bei primär symptomenarmen
und relativ leichteren Foimen schwere Späterscheinungen auftreten.
Diesen Späterscheinungen stehen w-ir therapeutisch fast eben¬
so machtlos gegenüber wde der primären Erkrankung. Wir haben hier
wie dort bei all unseren Versuchen nichts wirklich Gutes gesehen,
wenn auch einige Male choreatische Störungen vorübergehend auf
Kollargolinjcktioncn (psychisch?) sich besserten.
Eine allgemeine symptomatische und besonders Bäderbehandlung
wird Manches günstig beeinflussen, andere Erscheinungen — besonders
psychisch aufgepfropfte — werden einer Psychotherapie bis zu einem
gewissen Grade zugänglich sein. Bei den neuralgischen Formen wirkte
Diathermie lediglich vorübergehend lindernd. In einzelnen Fällen mit
hohem Lumbaldruck glaube ich durch Ablassen des Liquors einigen
Patienten — wenn auch nur vorübergehend — Erleichterungen verschafft
zu haben. So bat eine Patientin vor einigen Tagen mn erneute Lumbal¬
punktion, da nach der ersten (vor ca. 3 Monaten) sich ihr Gesamt¬
zustand, vor allem die Kopfschmerzen, gebessert hätten, jetzt aber
wieder stärker würden.
Pat. V. (11) gibt am Tage nach der Lumbalpunktion (60 ccm
abgelassen) bei der Visite -an: „so frei habe ich mich überhaupt
seit meiner Erkrankung nicht mehr gefühlt“; besonders erfreut war er,
dass er besser schreiben konnte.
In Fällen mit erhöhtem Lumbaldruck glaube ich, umsomehr zu
einem vorsichtigen Ablassen raten zu dürfen, als ich annehme, dass
die Kopfschmerzen, aber vielleicht auch andere Erscheinungen (Papillen¬
veränderung, psychisches Verhalten), z. T. w'enigstens auch mit auf
die Druckerhöhung zurückzuführen sind.
Der Proteusnatur des akuten Stadiums entsprechen also auch die
Symptome und Klagen im weiteren Verlauf der Erkrankung.
Es liegt heute nahe, manche unklaren Zustände als Ausklänge einer
Encephalitis epidemica anzusprechen. Dies wird oft mit Recht ge¬
schehen, darf uns aber auf der anderen Seite nicht dazu führen, die
Enzephalitis analog der Influenza als Verlegenheitsdiagnose zu miss¬
brauchen.
Wie uns im akuten Stadium bestimmte Symptome einen diagnosti¬
schen Hinweis gaben, so gilt dies auch für die Folgezustände: neben
der Anamnese werden veränderte Psyche, Augensym¬
ptome und Liquorbefund die Differentialdiagnose erleichtern
können.
Nachtrag bei der Korrektur: In der letzten Woche hat sich
bei Sch. (Fall 1) eine akute Verschlimmerung eingestellt: gleichzeitig be¬
richtet seine Frau: „mein Mann isst seit einigen Monaten für Drei, ohne
dabei an Gewicht zuzunehmen.“
Erneute Nachuntersuchung (13 Mon.) zeigt bei Fall 15 das gleiche
traurige Bild: hochgradige myost. Starre mit Paralys. agit. s. a. ähn¬
licher Haltung, Akkommodationsparese verschlimmert, Lesen fast unmöglich,
Blickfeldeinengung; in 5 Monaten 40 kg Gewichtszunahme, Reflex r. > 1.
Oppenh., Babinski 1. +; Lumbaldruck über 220, Nonne ±, Zellen 10. Seine
Frau gibt an. dass er zu jeder geschäftlichen Tätigkeit unbrauchbar sei; so
wäre es ihm z. B. gleichgültig, wieviel ein Käufer für eine Ware bezahle; am
liebsten schliefe er den ganzen Tag. Dabei zeige er ein abnorm ge¬
steigertes Gcschlechtsbegehrcn; hier also das Gegenteil wie bei den
oben erwähnten Fällen.
Aus dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten Hamburg.
Zur Therapie der Balantidienkolitis.
Von Dr. W*. Cordes.
Das Balantidium coli, das anerkanntermassen identisch ist mit dem
im Schw'cinedarm schmarotzenden Balantidium, kann beim Menschen
Darmkatarrhe leichter und schwerster Art hervorrufen. Solche Er¬
krankungen kommen in Deutschland wie in allen Teilen der Welt vor,
zwar nicht häufig, doch ist mit ihrem Auftreten überall dort zu rechnen,
wo der Mensch in engere Berührung mit dem Schweine tritt. Schweine¬
züchter und Schlächter findet man oft unter den Erkrankten. Bei allen
unklaren Darmkatarrhen solcher Personen sollte man an die Möglich¬
keit einer Balantidicninfcktion denken.
Kürzlich wurde der Krankenabteilung unseres Institutes von einem prak¬
tischen Arzte ein 53 jähriger Mann mit der Diagnose „Balantidienkolitis“
Digitized by Goiigle
I Überw'iesen. Der Kranke, ein holsteinischer Landwirt, hatte 30 Jahre lang
in seinem Dorfe die Schweine geschlachtet. Frifher stets gesund, erkrankte
er Anfang 1919 an einem Darmkatarrh: 10—12 wässrige Durchfälle täglich,
mit unverdauten Nahrungsbestandteilen, keine wesentlichen Schmerzen im
Leib, grosse allgemeine Schwäche. Der Zustand wurde chronisch, in
letzter Zeit erfolgten täglich 3—4 breiige Stuhlgänge. Der Kranke war nicht
leistungsfähig wie früher und hat über 10 kg an Gewicht verloren. Nach
Angaben des behandelnden Arztes bestanden im letzten Winter bronchitische
Erscheinungen und eine geringe Zuckerausscheidung. — Der Aufnahmebefund
ergab einen mittelkräftigen, hageren Mann, ohne schwere Allgemeinerscliei-
nungen. An den Bauchorganen kein Palpationsbefiind, keine Druckempfind¬
lichkeit. Im breiigen Stuhle, welcher frei war von sichtbaren Blut- und
Schleimbeimengungen, wurden B a 1 a n t i d i e n gefunden, 6—10 Exemplare
in jedem Deckglaspräparat, leicht erkenntlich an ihrer lebhaften Beweglichkeit.
Die Rektoskopie ergab bis 30 cm aufwärts vom Anus etwa 10 linsen- bis
bohnengrosse oberflächliche Schleimhautgeschwüre, mit injiziertem Rand,
wcisslich belegt, einige blutend. — Der Parasitenbefund im 2—3 mal täglich
entleerten Stuhl war eine Woche lang konstant. Dann begannen wir auf
Verordnung des Leiters der Krankenabteilung. Prof. M ü h 1 e n s, eine Be¬
handlung mit Emetin um hydrochloricum Merck; an 3 aufeinander¬
folgenden Tagen wurde je 0.1 Emetin intravenös gegeben; es wurde gut
vertragen. Nach einer Woche bereits waren die Stuhlgänge vermindert,
geformt und frei von Balantidien. Die Emctinbehandlung wurde wiederholt.
15 Tage nach Einsetzen der Therapie ergab die Rektoskopie nor¬
male Darmschleimhaut; die Ulzera waren restlos abgeheilt. Der
Patient konnte mit normalem Stuhlgang und einer Gewichtszunahme von
1,7 kg entlassen werden. — Die 1^4 Monate später erfolgte NachuntersuchunK
ergab; dauerndes Wohlbefinden, weitere Gewichtszunahme 2 kg; Stuhlgang
einmal täglich, geformt, balantidienfrei; rektoskopischer Befund normal.
■ Der Gedanke, die Balantidienkolitis mit Emetin zu heei flussen, w.r
nicht neu. Er ist wohl entstanden durch die guten Erfolge, die man
mit Emetin bei der Amöbendysentcrie erzielt. In pathologischer und
klinischer Hinsicht bestehen ja gewisse Aehnlichkeiten zwischen dem
durch Balantidium und Dysenterieamöbe hervorgernfenen Krankheits¬
prozess. So ist d?s ganze therapeutische Rüstzeug gegen die Dysenterie
auch bei der Balantidiciiinfektion angewandt worden. Medikamente de.s-
infizierender und adstringierender Art, Einläufe und anderes. Hervor¬
zuheben ist hier die Ipekakuanha, von der man hoffte, dass sie eine
spezifische Wirkung auf Balantidium ausübt. ähnlich wie auf die Dys¬
enterieamöbe. Bar low (Soiitliern Medical Journal 1915 Vol. 8 Nr. 11)
berichtet über einen guten Heilerfolg bei einem Fall von Balantidiosc
durch orale Verabreichung von Ipekakuanha. Ebenso beobachtete
Steyrer (D.m.W. 1913 Nr. 47) das Verschwinden der Balantidien
nach Behandlung mit Radix ipecacuanha deemetinisata. Neuerdings ver¬
weist wieder Brenner (M.m.W. 1919 Nr. 22) eindringlich auf diese
Therapie: er gab eine Woche lang täglich LO Radix ipecacuanha, wieder¬
holte das Verfahren nach einigen Tagen Pause, und sah in 4, teils reclit
schweren Krankheitsfällen eine klinische Heilung.
Die Radix ipecacuanha in grösseren Dosen ist wegen ihrer Brech¬
wirkung als Medikament nicht beliebt. Daher ersetzt man sie jetzt
meist durch das aus ihr gewonnene Alkaloid Emetin, da.s einfach zu
dosieren ist und dem Patienten keine Beschwerden bereitet. Und da man
es parenteral verabreicht, so kann es auch eine Wirkung ausüben auf
die im Gewebe der Darmwand sitzenden Krankheitserreger, sei es
Amöben oder Balantidien. Axter-Haberfeld (M.m.W. 1915 Nr.5)
behandelte eine Patientin, die an schweren Balantidiendiarrhöen litt,
mit subkutanen Injektionen von Emetin bis zur Gesamtmenge von 0,25
und erzielte damit eine Dauerheilung. Dutscher (Amer. Journ. Trop.
Dis. Prev. Med. 1914—15, 10) und Lanze nberg (Bull. Soc. Path.
Exot. 191<S XL p. 558) sahen allerdings keinen Erfolg vom Emetin. —
In diesem Zusammenhänge ist zu bemerken, dass die verschiedenen
Emetinfabrikatc hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Wir¬
kung erhebliche Unterschiede aufweisen; als das verlässlichste Präparat
erschien uns das Emetinum hydrochloricum Merck.
Es liegt der Gedanke nahe, die Wirkung des Ipcki^kuanha resp. des
Emetin auf Balantidium coli in vitro nachzuprüfen, zumal da man eine
Schädigung der Parasiten an der abnehmenden Beweglichkeit leicht
vQrfolgen kann. Derartige Versuche sind von amerikanischen .Autoren
angestcllt worden; die Ergebnisse waren nicht einlicitlich. Während
Walker (Phil. Journ. Science VIII Nr. 1) der Ipekakuanha und ihrem
Derivat wenig balantidientötendc Kraft im Reagviizglasversiich zu-
sclireibt, berichtet Vedder (Ref, in Journ. Trop. Med. Hyg. 1911
p. 149), dass Ipekakuanha die Balantidien in einer Verdünnung von
1:50 000 abtötc, Emetin sogar 1:100 000 wirksam sei. Indes ist der
Ausfall solcher Versuche in keinem Sinne streng beweisend. Die para-
sitizidc Wirkung des Emetins z. B, auf Dysenterieamöben innerhalb der
Darmwand ist klinisch sowohl wie pathologisch-anatomisch eine fest¬
stehende Tatsache. Und doch weiss man nicht, ob es spezifisch im
chemotherapeutischen Sinne wirkt oder nicht vielmehr auf dem Um¬
wege oder in Begleitung von Oewebsreaktionen, die es auslöst.
Ziisammenfassend möchten wir feststellen, dass die Behand¬
lung der Balantidienkolitis mit Emetin durch die
bisherigen Versuche und Angaben in der Literatur wohl b c -
gründet ist. Man ist zu der Annahme berechtigt, dass das Emetin
hier ähnlich wirkt wie bei der Amöbendysentcrie, obwohl diese beiden
Protozoen nicht zur selben Klasse gehören. Der von uns beobachtete
Kranke erhielt im ganzen 0.6 g Emetin; nach 8 Tagen hörte die Aus¬
scheidung von Balantidien auf, nach 15 Tagen waren die rcktoskopiscii
fcstgcstcllten Dickdarmiilzera abgeheilt, und der Fall ist bis Jetzt,
2 Monate nach Behandlungsbeginn, als geheilt zu betrachten.
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
22. April mt.
MÜNCHENKR medizinische WOCHENSCHRirr.
485
Aus dem Zentralröntgenlaboratorium des allgemeinen Kranken¬
hauses in Wien.
Orthodiagramme mit Tiefenkoten.
(Efa Beitrag zur Ausgestaltung der Durchleucbtungstechn^.)
Von Prof. Dr. G. Holz kn echt.
Von der Ausbildung der Fremdkörperlokalisation hat auch die
Röntgenuntersuchung der Organe Nutzen gehabt. Die Frage nach, dem
Hintereinander ist bei den pathologisch veränderten Thoraxbilflern und
im Gewirr der Kontrastschatten des Verdauungstraktes bisher meist so
beantwortet worden, dass man sich das betreffende Organ dort vor¬
stellte, wo es normalerweise liegt. Nur in seltenen Fällen drängte sich
die Erhebung der Tiefenlage auf. Sie wurde dann unter Drehung der
Patienten oder Röhrenverschiebung aus der Aenderung des Bildes ge¬
schätzt, kaum je gemessen. Für die inneren Organe und pathologischen
Bildungen ist fast keine von unseren Fremdkörpermethoden anwendbar:
Sie sind mit dem sogen. Krümmungsfehler behraftet. d. h. von den zwei
Projektionen tangiert die eine die umfangreichen Organoberflächen an
dem einen, die andere an einem ganz anderen, verschieden tief gelegenen
Punkte, wodurch die Messung verfälscht wird, das Mass zu klein oder
zu gross ausfällt. Bei den relativ kleinen Fremdkörpern kam dieser
Fehler nicht in Betracht. Nur e i n Lokalisationsverfahren, die Blenden¬
randmethode, ist von diesem Fehler frei, wenigstens für annähernd
gleichmässig gerundete Organe. Sie enthält ihn nämlich doppelt mit
entgegengesetztem Vorzeichen und gleicht ihn daher auf Null aus.
Fig. 1. Orthodiagramra, normal, mit Fig. 2. Orthodiagramm, normal, mit
ßlendenrandmarken für einige Kon- zahlreichen Tiefenkoten,
turpunkte.
Oemeinsajm zu Fig. 1—3.
Orthodiagramme und Tiefenkoten. Die
kürzeren und längeren Strecken sind die
Verschiebungsschirmmarken. Die hori¬
zontalen Strecken rühren von Horizontal¬
verschiebungen mit horizontalem Blenden¬
schlitz her, welche man bei ungefähr
vertikalen Organrändern anwendet, die
vertikalen von der Vertikalverschiebung
mit dem Vertikal-Blendenschlitz, welchen
man bei horizontal verlaufenden Gebilden
gebraucht. Die Zahlen sind das Ergebnis
der Ablesung der Strecken auf dem Mass¬
stab. ln Fig. 3 ist ein Orthodiagramm
mit Tiefenkoten wiedergegeben, wie es
Fig. 3. Deszendens-Aneurysma. als Befundbeilage gebraucht wird.
Orthodiagramm mit einigen Tiefen¬
koten.
Die Art ihrer Anwendung kann in dieser Wochenschr. 1916, Nr. 14
nachgelesen werden. Sie ist an jedem Durchleuchtungsgerät anwendbar;
den Massstab kann man nach der Angabe Ifcicht selbst verfertigen.
Ihre Ausführung ist einfach: Der Patient steht ruhig und hält den Schirm
an sich gedrückt, die Röhre wird verschoben. Der am Schirm sichtbare
F^nkt, z. B. der laterale Randpunkt eines Aneurysma oder die Herz¬
spitze oder eine Kaverne oder ein Wismutfleck, wird nacheinander mit
den kurzen Rändern des Blendenschlitzes zur Deckung gebracht und der
Ort am Schirm mit einem Strich bezeichnet. Misst man nun die Distanz
der beiden Schirmstriche am Massstab ab, so ergibt die abgelesene Zahl
die Tiefe des Organs oder Gebildes hinter der Schirmebene. Da die
Ausführung bloss zwei Röhrenverschiebungen mit Schirmmarkierung
und eine Ablesung erfordert, jede Messung daher in wenigen Sekunden
vollendet ist, so ist es leicht, mehrere, ja viele Tiefenbestimmungen zu
machen und einen Einblick in die Tiefenlage aller wichtigen
Punkte zu bekommen. Dabei kann man zwecks weiteren Zeitgewinnes
zuerst ein Orthodiagramm herstellen und die jedem wichtigen Punkte
zugehörigen Verschiebungsmarken eintragen, um nachher alle ihre
Distanzen in einem Zuge zu messen und nach Art der Höhenkoten der
Landkarte als T i e f e n k o t e n in das Orthodiagramm einzutragen.
Diese Tiefenkoten beziehen sich auf die Schirmebene, also auf eine
ausserhalb des Körpers liegende Ebene. Sie können daher untereinander
verglichen werden.. Was 6 cm T.K. hat, liegt 2 cm hinter dem 4 cm T.K.
zeigenden Gebilde. So liegen der rechte und linke Herzrand in der
Regel nicht gleich tief hinter der Frontalebene, was dem anatomischen
Verhalten insoferne entspricht, als sich die Achse des Kammerkegels
gegen die Spitze zu der Brustwand nähert.
Nr. 16 .
Digitized by
Goi.igle
Weitere Beispiele: Bei diffuser nicht aneurysmatischer Aorten¬
dehnung liegt der Rand der Aorta ascendens normal tief, derjenige der
descendens etwas tiefer als normal; Thymustumoren liegen oberfläch¬
licher als alle diese, der untere Rand substernaler Strumen meist ober¬
flächlicher als derjenige von Anonymaaneurysmen und diese oberfläch¬
licher als Pulsionsdivertikel der Speiseröhre.
Fig- 5- Das Karzinom sitzt an der kleinen
Kurvatur. Die sonderbar eckige Kontur er¬
klärt sich dadurch, dass die pyloruswärts
gelegene Kontiirstrecke der hinteren, die
kardiawärts gelegene der vorderen Wand
angehört und dass beide die mit ihnen kor¬
respondierenden Tumorränder verdecken.
Ihre beispielsweise Ergänzung ergibt die
8 förmige punktierte Linie. Der rechten Kolonflexur ist messend nachgewiesen,
dass sie so verläuft, wie es die schematische Zeichnung andeutet.
Fig. 4. Pseudosanduhr- oder
Kaskadenmagen, Schirmpause
mit Tiefenkoten.
Da die Tiefenkoten sich auf die Schirmebene beziehen, geben sie
zwar Einblick in die vergleichsweise (relative) Tiefenlage, was für
internistisch-diagnostische Zwecke zureicht. Sie bedeuten aber nur dann
Tiefe hinter der Körperhaut, wenn der Schirm im orthodiagraphischen.
Projektionspunkt der Haut angeiegen hat. Das ist zwar für manche
Hautgebiete gewölinlich der Fall, jedoch niemals zuverlässig. Soll daher
die absolute Tiefe’ unter der Haut bestimmt werden, was für chirurgische
Zwecke nötig ist (interlobäres Empyem, Lungenabszess), so muss eine
Ergänzung hinzugefügt werden: Man stellt die zu bestimmende Stelle
mit engster Blende orthodiagraphisch ein und klebt eine Metall¬
marke (Ring) auf oder lässt vom Patienten einen Stab mit
endständiger Marke auf die Hautstelle drücken und bestimmt mit
den Blendenrändern die Tiefe dieser Marke. Ihre Verschiebungs¬
zeichen auf dem Schirm fallen links und rechts vom orthodiagraphischen
Punkt und innerhalb der Zeichen für das zu bestimmende Organ. Die
am Massstab abgelesene Kote für den Hautpunkt wird von der Kote für
den Organpunkt abgezogen. So erhält man absolute Tiefen für den
Chirurgen. Sie beziehen sich naturgemäss auf jene lateralen Ränder der
Gebilde, an denen sie gewonnen sind. Der Chirurg wird daher die ihm
zugewandte Fläche eines interlobären Empyems schon in geringerer Tiefe
antreffen, als jene in der wir messend seinen Rand gefunden haben.
Und, zwar um so oberflächlicher, je grösser das ganze Gebilde ist. Denn,
annähernde Kugelform vorausgesetzt, muss die Hälfte des Gebildes vor
der von uns^ gemessenen Tiefe liegen. Ein im Orthodiagramm 5 cm im
Durchmesser haltender kugeliger Herd wird also auch bei W'andständig-
keit noch Thoraxwandstärke plus 2% cm Tiefenkote für seine Ränder
ergeben. Daher ist es besser, aus einem solchen Befund (Randtiefe — +
halber Durchmesser) bloss das Fazit: „Schätzungsweise w’andständig“
zu ziehet und die Zahlen nicht anzugeben. Die sehr grossen Gebilde,
deren oHhodiagraphische Flächendurchmesser fast gleich dem Lungen¬
feld sind, reichen oft von der vorderen Wand bis zur hinteren und die
Ränder solcher beispielweise durch Mediastinaltumoren erzeugten
Schattenränder ergeben daher halbe Thoraxtiefe.
Nicht .selten beeinträchtigt im Thorax die Wirbelsäule die Aus¬
führung der Blendenrandmethode, indem sie in der einen oder anderen
extremen Verschiebungsstellung das zu bestimmende Gebilde verdeckt.
Als Remedur ordnet man in der Blendenöffnung einen quadratischen
Metallrahmen an, dessen Dimensionen die Hälfte der Blendenöffnung be¬
tragen und fertigt für diese verkürzte Blendeiiränderdistanz nach dem
obigen Rezept einen eigenen Massstab an. Man kann auch alle Messungen
nur mit diesem weniger genauen Hilfsmittel vornehmen.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.
(Vorstand: Prof. Dr A. Mayer.)
Eine neue Aufhängevorrichtung fOr Röntgenröhren am
W i n t z sehen Bestrahlungskorb.
Von Dr. med. Hermann Qänssle, Assistenzarzt der Klinik.
Beim Betrieb von Glühkathodenröhren mit hohen Spannungen
(180 K.V. und mehr) im Wintzchen Bestrahlungskorb machten sich
bei uns Stömngen bemerkbar, deren Beseitigung im Interesse der Be¬
triebssicherheit und der Lebensdauer der Röhren wünschenswert er¬
schien. Die Befestigungsvorrichtung der Röhre an den beiden Aus¬
schnitten des Bleiglaskorbes erfuhr bei der ungewöhnlichen Höhe der
Spannung sehr starke Aufladungen. Die Folge dieser Aufladungen war
5
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
486
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Hr. 16.
unruhiger und flackernder Gang der Röhren, besonders auch erhebliches
grünes Aufleuchten in der Gegend der Befestigungsstelle. Dort bestand
auch eine Neigung zu Durchschlagen.
Wir haben nun beobachtet, dass Röhren, die im Wintzschen Korb
einen unruhigen Gang zeigten, vollkommen ruhig, ohne Flackern oder
gar Aufleuchten arbeiteten, wenn sie ganz frei, isoliert aufgehängt w'ur-
den und dadurch die Möglichkeit derartiger Aufladungen beseitigt war.
Diese Wahrnehmung veranlasste uns, die ziemlich grossen Holzmassen
zu beiden Seiten des Ausschnittes am Bleiglaskorb zusammen mit der
Tragevorrichtung für die Röhre als die Träger der störenden Auf¬
ladungen zu entfernen und der Aufhängevorrichtung der Röhre eine
bessere Isolation zu geben.
Wie aus der Abbildung ersichtlich, wurde zu beiden Seiten des Aus¬
schnittes, von dem die alte Befestigungsvorrichtung entfernt war, je
ein vierkantiger Holzarm angebracht. Die beiden Arme treffen sich in
der Mitte gegenüber dem Ausschnitt. Hier ist mit Hilfe einer Holz¬
schraube verstellbar ein senkrechter Hartgummistab angebracht, der
oben zwei filzgefütterte Porzellanklemmen trägt.
• Beim vergleichenden Betrieb ein und derselben Röhre in einem
Korbe dieser und einem solchen alter Bauart konnten wir einen nicht un¬
erheblichen Unterschied im Gang der Röhre zugunsten der Neuerung
wahrnehmen. Wir möchten dieselbe, wenigstens für Körbe aus Holz
(Pertinaxkörbe sollen weniger Störungen zeigen) recht empfehlen.
Aus der orthopädischen Heilanstalt des e. V. Krüppelhilfe
Dresden. (Dir. Arzt: Oberarzt Dr. J. Eis ne r.)
Zur Therapie hochgradiger rachitischer Beinverbiegungen.
Yon Dr. Georg Wehner.
Wie schwierig die Ausgleichung hochgradiger rachitischer Beinver¬
biegungen ist, sieht man aus den immer wieder erscheinenden Arbeiten,
in denen neue Methoden zur Beseitigung starker rachitischer Deformi¬
täten der unteren Extremitäten angegeben werden. Die verschiedensten
Arten von Osteotomien werden vorgeschlagen (Joachimsthal,
Vulptus, Spitzy, Schanz, Boekh u. a.). Springer empfiehlt
das Zerlegen des Knochens in kleine Scheiben an der Stelle der stärk¬
sten Verbiegung und das Wiedereinsetzen der Scheiben in den Periost¬
schlauch. Schepelmann entfernte einen Teil des Knochens und
goss den Periostschlauch mit einer modifizierten M o s e t i g sehen Plombe
aus. Trotz vieler Mühen und guter Technik gelingt es oft nicht, die
Deformitäten vollständig zu beseitigen, namentlich wenn mehrere Ver¬
biegungen in den verschiedensten Ebenen vorhanden sind. Die oben¬
erwähnten Operationen werden immer zu Recht bestehen, wenn der
Knochen bereits so hart geworden ist, dass man mit Osteoklasen und
andren Massnahmen nicht mehr zum Ziele kommt. Anders liegt der Fall,
wenn man die Rachitis im floriden Stadium oder im Stadium ^er Aus¬
heilung in Behandlung bekommt, worauf auch schon Stracker hin¬
gewiesen hat.
Einen solchen kleinen Patienten mit osteomalazischer Rachitis bekamen
wir aus unserem Krüppelheim, Dresden-Trachenberge, in Behandlung. Der
Knabe war 3 Jahre alt. Er wurde im Alter von 2 Jahren in das Krüppel¬
heim aufgenomnien und bot damals alle Zeichen florider Rachitis. Die
Beine waren korkzieherartig verkrümmt, an beiden Unterarmen bestanden
Spontanfrakturen, ausserdem zeigte der Rücken eine Kyphose der Lenden¬
wirbelsäule. Das Kind .sprach nicht, hob den Kopf nicht, hatte starke
Schmerzen bei Berührung. Nach einjährigen^ Aufenthalt im Beim hatte sich
das Leiden bei Freiluftbehandlung etc. soweit gebessert, dass das Kind
den Kopf hob, keine Schmerzen mehr äusserte und die Knochen etwas härter
geworden waren. Die Verbiegungen der unteren Extremitäten waren nicht
verändert. Wir konnten weder annehmen, dass sich die hochgradigen De¬
formitäten spontan wesentlich bessern würden, noch, dass man sie durch
Osteoklase oder Osteotomie später würde vollständig ausgleichen können.
Als die Krankheit auszuheilen begann, wurde deshalb der sich bereits er¬
härtende Knochen im Gipsverband erweicht und dann der kautschukweiche
Knochen mit beiden Händen in Narkose modelliert, gleichsam geradegebogen
oder aufgerollt. Das Redressement wurde in Etappen vorgenommen. Es
bestand die Gefahr, dass der Knochen nach der Herausnahme aus dem Oips-
verband wieder nachbiegen würde. Angeregt durch die Arbeit von Huld-
s c h i n s k y über die günstige Einwirkung des ultravioletten Lichts auf
die Verkalkung des rachitischen Knochens nahmen wir an, dass sich der
Knochen bei Bestrahlung mit Höhensonne, während das Kind noch im Gips
lag, schnell soweit erhärten würde, dass die Gefahr des Nachbiegens nicht
mehr in Betracht komme. Wir setzten das Kind nach dem letzten Redresse¬
ment ziemlich intensiv dem ultravioletten Licht aus. Eine Nachuntersuchung
in Narkose, 3 Monate nach dem Ausgipsen, ergab, dass der Knochen schon
sehr hart geworden war und bei einer zweiten Nachuntersuchung, 6 Monate
nach d^ ersten Höhensonnenbestrahlung stellte sich heraus, dass der Knochen
auch bei grosser Gewaltanwendung nicht mehr nachbog. Das Resultat des
Redressement hatte sich nicht verändert. Wir Hessen den Knaben erst letzt
Gehversuche machen, da die Gelenkkapsel des linken Beins sehr schlaff war,
was durch die X-Beinstellung im dritten Lichtbild äusserlich zum Ausdruck
kommt. Der Knabe war während der 6 Monate lebhafter geworden, sang
Weihnachtslieder, versuchte aufzustehen, hatte an Gewicht gut zugenommen.
Huldschinsky weist in seiner Arbeit an einer Serienunter^uchung von
244Pällen florider Rachitis an der Hand von Röntgenaufnahmen der Unter¬
armepiphysen nach, dass bei mit ultraviolettem Licht bestrahlten Fällen
von Rachitis, denen weder Phosphorlebertran, zum Teil auch kein Kalk ge¬
geben wurde, im zweiten Monat nach Beginn der Bestrahlung regelmässig ein
deutlicher Kalksaum nachweisbar war, neben einer Besserung des ganzen
Krankheitsbildes, während bei den nichtbestrahlten Fällen diese Verkalkung
ausblieb und die Rachitis sich nicht besserte. Auch in unserem Falle von an
Osteomalazie grenzender Rachitis vollzog sich die Erhärtung des Knochens
nach der Bestrahlung wider Erwarten schnell.
Es wäre wünschenswert, wenn auch durch Stoffwechselversuche der
Einfluss des ultravioletten Lichts auf die Kalkretention des Organismus
erforscht würde. Bekommt man einen Rachitiker mit starken Beinver¬
biegungen in schon vorgeschrittenem Stadium der Ausheilung in Behand¬
lung, so sollte man doch, worauf Magnus kürzlich wieder hingewnesen
hat, versuchen, den Knochen im Gipsverband zu erweichen und dann das
modellierende Redressement anzuschliessen. Keinesfalls ist anzuraten,
einen Fall mit hochgradigen Deformitäten der unteren Extremitäten vor
der Behandlung zu bestrahlen, sondern erst nach der ausgeführten Kor¬
rektion. Da nach Huldschinsky die Heilung d.er . Rachitis in
ca. 3—4 Monaten erreicht sein soll, kann man die Deformitäten wohl
schon im floriden Stadium angreifen und dann die Bestrahlung an-
schliessen. Ueber das Stadium der Rachitis lässt sich jederzeit durch
eine Epiphysenaufnahme ein relativer Anhaltspunkt verschaffen.
Eine andere Frage ist die Erfassung hochgradiger Deformitäten im
floriden oder ausheilenden Stadium. Bei der heutigen ausgedehnten
öffentlichen Fürsorge müsste dieses jedoch bei dahingehender Belehrung
der Fürsorgerinnen möglich sein.
Zusammenfassung.
1. Erfassen hochgradiger rachitischer Beinverbiegungen im floriden
oder ausheilenden Stadium.
2. Modellierendes Redressement, ev. nach vorheriger Erweichung
des Knochens im Gipsverband.
3. Bestrahlung mit ultraviolettem Licht nach erfolgter Korrektion.
L Aus der Universitäts-Ohren- und Nasenklinik an der Charite
in Berlin. (Direktor; Geh. Med.-Rat Dr. Passow.)
Die temporäre Septumverlagerung.
j Von Dr. Bruno Griessmann-Nürnberg.
Von zahlreichen Autoren, die intranasaT operieren, werden die un¬
günstigen Raumverhältnisse bei engen Nasen hervorgehoben. Hat die
Verengerung ihren Sitz im vorderen Teil der Nasenhöhle, dem Vestibu-
lum, so ist meist eine Voroperation zur Erweiterung des Naseneingangs
erforderlich. Stört eine Septumdeformität den Einblick in das Nasen¬
innere, so genügt gewöhnlich die submuköse Septumresektion, wenn
nötig im hinteren oberen Teil des Septums, um Platz zu schaffen. Anders
verhält es sich bei anatomischen Varietäten, z. B. bei abnorm stark vor¬
springender Apertura pyriformis oder ungewöhnlich nach aussen oder
innen gewölbter seitlicher Nasenwand. In diesen Fällen kann der
Ueberblick über die laterale Nasenwand vom gleichen Nasenloch aus
äusserst behindert sein. Für eine ganze Reihe verschiedenartiger endo-
nasaler Eingriffe ist aber gute Uebersicht über die seitliche Nasenwand
notwendig, z. B. bei der Eröffnung der Kieferhöhle von ihrer medialen,
nasalen Wand aus, bei Erweiterung ihrer natürlichen Oeffnung, bei der
endoriasalen Freilegung des Tränensacks. ,
Es sind mehrere Methoden zur Ueberwindung dieser Schwierigkeiten
angegeben worden. Das gemeinsame Bestreben geht dahin, vom ent¬
gegengesetzten Nasenlocb^aus auf die seitliche Nasenwand vorzudringen.
Als Vorteil dieser Methoden kommt in Betracht, dass man vom anderen
Nasenloche aus unter einem viel steileren Winkel auf die seitliche
Nasenwand blicken kann. Die einzelnen Operationsverfahren unter¬
schieden sich nur durch die Art des Weges durch das Septum von¬
einander. Kofler [1, 2, 4] wählt bei seiner „transseptalen“ Methode
den Weg durch das knorplige Septum, indem er auf beiden Seiten des
Septums Schleimhautlappen umschneidet und den dazwischenliegenden
Knorpel entfernt. Eine mit der Kofi ersehen im wesentlichen überein¬
stimmende Methode beschreibt Affolter [6]. Patterson [3]
bildet eine temporäre Oeffnung im knorpeligen Septum dadurch, dass er
durch die ganze Dicke des Septums dicht hinter dem Naseneingang einen
Schnitt führt und auf das obere und untere Ende dieses Schnittes je
einen weiteren Schnitt durch das ganze knorpelige Septum nach hinten
zu führt. Die Möglichkeit, dass hierbei trotz Vernähung eine dauernde
Perforation zurückbleibt, ist naturgemäss sehr gross, während die
Kofi ersehe Methode umständlich ist. Wir haben deshalb ein Ver¬
fahren angewendet, welches einfach und ohne Perf-orations-
g e f a h r ausführbar ist. Da hierbei das Septum nach einer Seite ver¬
lagert wird, haben wir die Methode als „temporäre Septum-
verlagerung“ bezeichnet
Zur temporären Verlagerung des Septums injiziert man 2—3 ccm
Vaproz. Novokain-Suprareninlösung in das Septum mobile und in die
Nasenspitze. Die Schnittführung besteht aus 2 Schnitten mittels schmalen
Messers. Der erste Schnitt verläuft dicht vor und parallel dem vor-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNf;
22. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
487
deren Rande des viereckigen Septumknorpels durch die ganze Dicke
des häutigen Septums hindurch. Man durchtrennt Septum mobile und
viereckigen Knorpel von der Nasenspitze bis zur Spina nasalis anterior.
Der zweite Schnitt verläuft 1 —2 cm lang von der Nasenspitze nach
hinten den Nasenrücken entlang über dem oberen Rande des viereckigen
Knorpels. Man fühlt dabei das Messer dreh die äussere Haut hindurch
und schneidet unter Kontrolle des Fingers.
Durch beide Schnitte wdrd der viereckigd Knorpel in seinem vor¬
deren Teil 1 u X i e r t und kann leicht nach einer Nasenseite verdrängt
werden. Das Spekulum wird durch die so entstandene Oeffnung ein¬
geführt und man hat vom entgegengesetzten Nasenloch aus bequemen
Zugang zur lateralen Nasenwand.
Am Schluss der Operation wird das verlagerte Septum wieder zu¬
rückgeklappt. Zwei Nähte, durch die ganze Dicke des viereckigen Knor¬
pels und des häutigen Septums durchgeführt, genügen für die Vereinigung
dieser Teile. Je eine weitere Naht zu beiden Seiten der'Scheidewand
in* der Nasenspitze vereinigt die durchtrennte Schleimhaut.
Die Ungefährlichkeit der Operation und die Sicherheit der Vermeidung
einer dauernden Septumperforation ergibt sich aus der regelmässigen An¬
wendung einer ähnlichen Schnittführung bei der intranasalen Methode
der Nasenverkürzung, welche J. Joseph [5] hauptsächlich für kos¬
metische Zwecke angegeben hat. Bei der Ausführung der intranasalen
Nasenverkürzung erkannten wir die Vorteile der gleichzeitigen Verlage¬
rung des Septums für die direkte Aufsicht auf die seitliche Nasenwanef.
Bei den ersten beiden Nähten ist darauf zu achten, dass korre¬
spondierende Stellen wieder vereinigt werden. Sonst kann es Vor¬
kommen, dass die Nasenspitze unfreiwillig etwas vor- oder zurück¬
gesetzt wird.
Es empfiehlt sich daher, vot der Durchschneidung durch Skarifikation
zweier gegenüberliegender Stellen der Schleimhaut die Lage zu mar¬
kieren. Auch dann wird man noch die später (bis nach K Jahr) ein¬
tretende Narbenschrumpfung berücksichtigen müssen, welche die Nasen¬
spitze etwa 1 mm nach hinten zieht. Dies vermeidet man dadurch, dass
der Merkpurikt am häutigen Septum.etwa 1 mm vor dem des Septum¬
knorpels angenäht wird. Wenn zufällig geringgradige Verschiebungen
der Nasenspitze nach vorne oder hinten vorhanden sind, so lassen diese
sich leicht durch entsprechende Naht im Anschluss an die temporäre
Verlagerung korrigieren.
Literatur.
1. Kofi er: Mschr. f. Ohrenhlk. Laryngo- u. Rhinologie. 1914 Nr. 1. —
2. Ko f 1er: W.kl.W. 1914 Nr. 34. — 3. Patterson: Brit. med. Journ.
1917. — 4. Kofi er: Arch. f. Laryngo- u. Rhinologie. 33. H. 1 u. 2. —
5. Joseph: Hb. d. spez. Chir. d. Ohres u. d. oberen Luftwege von Katz,
P r e y s i n g und B1 um e n f e 1 d. 2. Teil 2. — 6. Affolter: Korr .-Bl. f.
Schweiz. Aerzte 1919 Nr. 4.
Aus der Dermatologischen Universitätsklinik zu Frankfurt a. M
(Direktor: Geh. Med-Rat Prof. Dr. K. Herxheim er.)
Neurorezidiv nach kombiniert behandelter seronegativer
Primärsyphilis.
Von Privatdozent Dr. Ernst Nathan, Oberarzt.
In einer in der M.m.W. 1920 Nr. 36 erschienenen Mitteilung be¬
richten Meirowsky und Leven über 7 Fälle, bei denen die sogen.
Abortivbehandlung der Syphilis im primären seronegativen Stadium miss¬
lang, und klinische oder serologische Rezidive eintraten. Aehnliche
Beobachtungen haben auch wir, wenn auch relativ sehr selten, machen
können, über die später, gelegentlich der Bearbeitung unserer Resultate
bei der Abortivbehandlung der Syphilis, berichtet werden wird. Besonders
beachtenswert erscheinen mir aber diejenigen 3 Fälle, bei denen es
trotz der Behandlung im seronegativen Stadium der Syphilis kurze Zeit
nach dem Abschluss der Kur zu Neurorezidiven kam. Von diesen
3 Fällen war einer (Fall 4) mit etwa 5 wöchentlicher Schmierkur und
7 Injektionen ä 0,45 g Neosalyarsan. der zweite (Fall 5) mit 5 Neosal-
varsaninjektionen, der dritte (Fall 6) mit 8 Neosalvarsan- und 10 No-
vasurolinjektionen behandelt worden. Gewiss ist zuzugeben, dass das
Behandlungsmass wenigstens'bei 2 von diesen 3 Fällen nicht sehr
intensiv ist; auch hätte die W a ss e r m a nnsche Reaktion nicht nur
vor Beginn, sondern auch im Verlauf der Kur mindestens bei den ersten
Salvarsaninjektionen wiederholt geprüft werden müssen, um diese Fälle
mit Sicherheit dem primären seronegativen Stadium der Syphilis zu¬
rechnen zu können. Denn erfahrungsgemäss erfährt bei primärer sero¬
negativer Syphilis die anfangs negative Wassermannsehe Reaktion
unter der Behandlung relativ häufig noch einen Umschlag in die positive
Phase, und derartige Fälle können sonrit nicht dem primären seronega¬
tiven Stadium zugerechnet werden. Ob diese Prüfung des provokatori¬
schen Umschlags der Wassermann sehen Reaktion vorgenommen
wurde, geht allerdings aus den Angaben von Meirowsky und Leven
nicht hervor. Grade wegen dieser ^ möglichen Einwände möchte ich
einen weiteren hierhergehörigen Fall von schwerem Neurorezidiv mit-
teilen, - da derartige Fälle für manche Fragen der Pathologie und
Therapie der Syphilis von Bedeutung sind, und da mir die von
Meiroswky und Leven aus ihren Beobachtungen gezogenen Folge¬
rungen in theoretischer und praktischer Hinsicht sehr beachtenswert
erscheinen.
Pat. R., 20 Jahre alt. Früher keine venerische Infektion. Letzter Koitus
vor 4 Wochen. Seit etwa 10 Tagen bemerkt Pat. eine nässende Stelle auf der
Innenseite des Vorhantblattes.
Digitized by Goiisle
Aufnahmebefund am 15. XI. 19; Auf dem inneren Präputialblatt findet sich
eine etwas Ober linsengrosse, runde, scharf begrenzte, oberflächliche, braun¬
rote, lackartig glänzende, mässig indurierte Erosion, in der sich zahlreiche
Treponemen nachweisen lassen. Geringe indolente Schwellung der regionären
Lymphdrüsen. Haut- und Schleimhäute, innere Organe, Nervensystem o. B.
WaR. negativ, Sachs-Gcorgi sehe Flockungsreaktion negativ.
Vom 15. XI. 19 bis 15.1.20 kombinierte Kur, erhält insgesamt 3,1 g
Silbersalvarsan und 0,95 g Hydrarg. salicyl. Die mehrfach während der Kur
geprüfte WaR. und Flockungsreaktion bleiben dauernd negativ.
Ungefähr 6 Wochen nach Abschluss der Kur, d. h. anfangs März, treten
Kopfschmerzen auf. Dazu gesellen sich Schmerzen in allen
Gliedern, Unruhe, Mattigkeit, Schwindel, und es entwickelt
sich unter ständig zunehmenden Beschwerden und Eintreten s u b f e b r i 1 e r
Temperaturen ein Krankheitsbild mit schwer gestör¬
tem Allgemeinbefinden. Der zugezogene Internist stellte zunächst
die Diagnose „Qrippe-Enzephaliti s“. Der Schwindel wurde aber
immer stärker, so dass Pat. sich nicht mehr aus dem Bett erheben konnte,
dazu traten Sehstörungen und zunehmende Schwerhörigkeit,
so dass von Herrn Prof. D r e y f u s die Diagnose Neurorezidiv ge¬
stellt wurde.
Am 25. lll. 20 Aufnahme auf die Nervenabteilung des Städt. Kranken¬
hauses. Der uns von Herrn Prof. Dr. D r e y f u s in dankenswerter Weise
übermittelte Befund ergibt folgendes:
Am Nervensystem findet sich links fast komplette Ptosis, beiderseits
träge Pupillenreaktion, doppelseitige Schwerhörigkeit, links stärker als rechts.
Lumbalpunktion: Farbe: trüb, Eiweiss: 3K Prom., Phase I: Opal., Pandy: 3,
Subl.-R. positiv, Zellen 563, WaR. im Liquor positiv 0,4, WaR. im Blut
negativ.
Unter intensiver Salvarsanbehandlung trat völliger Rückgang aller Sym¬
ptome ein.
Bei dem mitgeteilten Fall kam es also6 Wochen nach einer
kombinierten Kur mit 0,95 Hydrargyrum salicylicum
und 3,1 K Silbersalvarsan bei primärer seronegativer
Syphilis, ohne provokatorischen Umschlag der Was¬
sermann sehen Reaktion unte-r der Behandlung, zu
einem schweren Neurorezidiv. Der Fall ergänzt also die
Beobachtungen von Meirowsky und Leven und zeigt, dass auch
bei ausreichender Intensität der kombinierten Behandlung im primären
Stadium der Syphilis' trotz dauernd negativer Wassermann scher
Reaktion vor und im Laufe der Behandlung Neurorezidive nicht mit
Sicherheit verhindert werden können. Wir können uns also auf Grund
der erwähnten Beobachtungen dem von Sinn fixierten Standpunkt,
dass zw^eifellos durch entsprechend starke kombinierte Anwendung von
Quecksilber und Salvarsan Neurorezidive zu verhüten seien, nicht rück¬
haltlos anschliessen, so seiten diese Vorkommnisse in der Praxis der
Syphilisbehandlung auch sein mögen.
Nun haben Meirowsky und Leven aus ihren Beobachtungen
verschiedene Folgerungen gezogen, die einer kurzen Diskussion wert
erscheinen. Einmal weisen sie darauf hin, dass „das Dogma von der
Abortivheilung der primären seronegativen Lues aufgegeben werden
muss. Patienten in diesem Stadium sind nicht mit einigen wenigen
Injektionen und nicht mit einer Kur, sondern wiederholt zu behandeln.“
Ein ähnlicher Standpunkt, wenigstens für die seropositive Primärsyphilis,
ist kurz vor dem Erscheinen der Arbeit von Meirowsky und Leven
auch von Habermann und Sinn vertreten worden, die bei der sero¬
positiven Primärlues, auch wenn nur eine vorübergehende positive
Serumreaktion während der Kur auftrat, ausser einer ersten kräftigen
Kur* 6—8 Wochen später eine möglichst gleichstarke Sicherheitskur
fordern. Allerdings begnügen sich Habermann und Sinn bei
dauernd seronegativen Primärfällen mit einer einzigen starken Kur.
Aber auf Grund ähnlicher Misserfolge ber der Abortivbehandlung der
Syphili.s, wie der von Meirowsky und Leven mitgeteilten, ist
im Einklang mit den von diesen Autoren gezogenen Folgerungen und
im Gegensatz zu dem Standpunkt der Bonner Hautklinik auch an der
Frankfurter Hautklinik schon seit längerer Zeit möglichst das Prinzip
befolgt Worden, sich auch bei primärer Syphilis mit
dauernd negativer Seroreaktion nicht mit einer Kur
zu begnügen, sondern 6—8 Wochen später mindestens
eine zweite Kur. unter Umständen aber noch mehrere
folgen zu 1 a ss e n.' ein Standpunkt, der in einer bereits vor dem
Erscheinen der Arbeit von Meirowsky und Leven abgeschlossenen
und in den Druck gegebenen Abhandlung von Nathan und F1 e h m e *)
präzisiert worden ist.
In zweiter Linie gehen Meirowsky und Leven auf die
V. Wassermann sehe Einteilung der primären Syphilis in eine „V o r -
und Nach-Wasse.rmann-Periode“ ein. die sie als praktisch
wie theoretisch zwecklos ablehnen, wie dies, wenigstens in theoretisch¬
biologischer Hinscht, ja auch von Delbanco, Leven, Haber¬
mann und Sinn u. a. bereits geschehen ^st. wenn diese Autoren z. T.
auch vom praktisch-therapeutischen Standpunkt aus den Vorschlag
V. Wassermanns als berechtigt anerkennen. Auf Grund der von den
verschiedenen Autoren angeführten Tatsachen, besonders aber der Er¬
fahrungen von Meirowsky und Leven (vgl. übrigens auch
Wechselmann und E i c k e u. a.) und unserer eigenen Erfahrungen
möchten wir allerdings vor einer Ueberwertung der Wassermann-
schen Reaktion in prognostischer Beziehung oder als Wegweiser in der
Therapie, wenigstens bei negativem Ausfall, warnen, so bedeutsam und
unübertrefflich sich diese Reaktion' auch in anderer Beziehung er¬
wiesen hat.
Ebenso kritisch wie mit der v. Wassermannschen Einteilung
der Syphilis verfahren Meirowsky und Leven auch mit dem Vor-
Mittlerweile erschienen (Ther. Halbmonatsh. 1920 H. 21).
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
488
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
schlag Delbancos und Z i m m e r n s, die sekundäre Lues mit dem
Auftreten der positiven Wassermannschen Reaktion beginnen zu
lassen, ein Vorschlag, den sie als „nicht diskutabel“ ablehnen. Der Vor¬
schlag von D e 1 b a n c o und Zimmern wäre an und für sich, rein
praktisch betrachtet, dann einer Diskussion nicht unwert, wenn die
Autoren sich lediglich auf den Satz beschränkt hätten, dass „die sero-
positive Phase schon das Sekundärstadium bedeutet“. Die Sekundär¬
syphilis jedoch mit der positiven WaR. beginnen zu lassen bzw. die
Einteilung der Syphilis nach Stadien auf diesem Prinzip zu begründen,
scheint mir über das Mass dessen hinauszugehen, was die Sero-
diagiiostik leisten kann und soll. Denn wenn man dem heutigen Stand¬
punkt entsprechend in der positiven Wassermann sehen Reaktion
lediglich ein Symptom der Syphilis sieht, so würde man
dazu kommen, die sekundäre Syphilis durch den Eintritt
eines Symptoms zeitlich determinieren z u w o 11 e n.
Das wäre dann berechtigt, wenn dieses Symptom als erstes Sekundär-
symptorn in jedem Fall mit absoluter Sicherheit und Regelmässigkeit
und zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreten würde, und wenn sein Ein¬
tritt mit gleicher Regelmässigkeit und zeitlicher Bestimmtheit auch nach¬
weisbar wäre. Diese Voraussetzungen sind aber praktisch nicht ge¬
geben. Denn in den allermeisten Fällen geht ja der Umschlag
der Wassermannschen Reaktion nicht plötzlich vor
sich, sondern die Bildung der Reagine — um einen nichts
präjudizierenden Ausdruck zu gebrauchen — vollzieht sich all¬
mählich in steigender Intensität, bis ihre zunehmende
Konzentration im Serum den Nachweis ermöglicht (vgl. zu dieser und
den im folgenden behandelten Fragen vor allem die monographischen Dar¬
stellungen von Bruck, B o a s. R. M ü 11 e r, S o n n t a g); somit ist auch
eine biologische Grenze zwischen negativer und positiver Reaktion nicht
scharf und mit Sicherheit zu ziehen. Dabei möchte ich auch darauf auf¬
merksam machen, dass die Wassermann sehe Reaktion, wie Unter¬
suchungen von Berczeller, Eicke gezeigt haben, gelegentlich be¬
reits mit dem Ge webssaft des Primäraffekte spositiv
ausfällt wenn die Seroreaktion noch negativ ist. und dass die
positive Seroreaktion der mit dem Ge webssaft er-
iialtenen positiven Wassermannschen Reaktion der
lokalen ersten syphilitischen Manifestation erst
nachfolgt; dass ferner dem Eintritt der positiven Reaktion ein
thermolabiles Vorstadium der Wassermannschen
Reaktion vorausgeht das allmählich in die thermostabile Reaktion
hinliberführt (Thomson und Boas). Auf den allmählichen Ueber-
gang in die positive Phase haben ja aussef Leven auch Haber-
ni a n n und Sinn bereits hingewiesen und besonders auch auf länger
dauernde Verzögerungen des Eintritts der positiven Wassermann-
schen Reaktion bis ins klinische Sekundärstadium hinein aufmerksam
gemacht. Dem möchten wir uns auf Grund eigener Untersuchungen und
Erfahrungen anschliessen. Ganz abgesehen davon, dass die Wasser¬
mann sc he Reaktion nicht selten erst nach dem Auf¬
treten des Sekundürexanthems, insbesondere bei makulösen
Exanthemen, positiv wird, dass sie also in vielen Fällen gar nicht
das erste Symptom der Sekundärsyphilis darstellt so
ist insbesondere von Alexander sowie von Fönss auf Fälle von
lokalisierten Früherscheinungen sekundären Charakters hingewiesen
worden, bei denen die Wassermann sehe Reaktion negativ war.
Beobachtungen, die ich auf Grund eigener zahlreicher Erfahrungen
durchaus bestätigen kann. Davoh abgesehen hängt die f r ü h e r e oder
spätere Nachweisbarkeit der positiven Reaktion
sehr erheb licii von der Art und Einstellung der Ex¬
trakte, von der Temperatur, bei der die Reaktion äu¬
gest eilt wird und von der Reaktion des Mediums ab.
In dieser Beziehung sei darauf aufmerksam gemacht, dass, wie eigene
Erfahrungen gezeigt haben, die Lesscrschen Aetherherz-
extrakte im allgemeinen bei primärer Syphilis
wesentlich früher einen positiven Ausschlag er¬
geben. als die Sachsschen Cholesterin ierten Rinder¬
herz e x t r a k t e, dass, wie die vergleichenden Untersuchungen der
Wassermannschen Reaktion mit der J a k o b s t h a I sehen Kälte¬
modifikation ergeben haben, der Einfluss der Wärme sich be¬
sonders im Früh Stadium der Syphilis geltend macht
und hier schon zu positiven Reaktionen führen kann, wenn die Reaktion
in der Kälte noch negativ ausfällt (Alt mann und Zimmern, Alt-
ni a n n), dass endlich eigene, nicht veröffentlichte Untersuchungen m i t
Phenol zu Satz bei der Wassermannschen Reaktion
nach dem Vorgang von S i g n o r e 11 i ebenfalls eine deutlicheVer-
stärkung der Wassermannschen Reaktion bei saurer
Reaktion besonders i*m Frühstadium der Syphilis
erkennen Hessen. Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass die in neuerer
Zeit ein immer grösseres Interesse beanspruchenden Ausflockungs-
reaktionen im Primärstadium oft schon vor der
Wassermannschen Reaktion ein positives Resultat
ei j^reben, wie es z. B. bei der klinischen Erprobung der Sachs-
Qeorgischen Reaktion zuerst von Nathan beobachtet worden ist.
Ohne auf die zahlreichen hierhergehörigen Tatsachen weiter ein¬
zugehen, so zeigen diese kurzen Hinweise doch mit Deutlichkeit, dass es
\yohl nicht angängig erscheint, die sekundäre Lues im
Sinne Delbancos und Zimmer ns mit dem Positiv-
erden der Wassermannschen Reaktion beginnen zu
1 a s s e n. Die Momente, die lediglich massgebend sind
für den Eintritt der sekundären Syphilis im Sinne
Digitized by Goiisle
der klinischen Symptomatologie, sind die Generali¬
sierung des Virus und die Reaktion der Gewebe in
ihrer Wechselwirkung miteinander. Die Generali¬
sierung des Virus aber kann, wie die Fälle von Neuro-
rczidiven nach Abortivbehandlung im seronegativeir
Primärstadium zeigen, schon sehr früh einsetzen, und
längst vor dem Zeitpunkt vollendet sein, zu dem die
sekundäreSyphilis klinisch manifest bzw. dieWasser-
mannsche Reaktion positiv zu werden pflegt. (Vergl.
dazu auch die zahlreichen tierexperimentellen Impfversuche.) Damit
wird das primäre Stadium der Syphilis vom theoretisch-biologischen
Standpunkt aus- sehr erheblich eingeengt. Ganz folgerichtig lassen
daher M e i r o w s k y und X e v e n das sog. sekundäre Stadium der
Syphilis schon beim Primäraffekt beginnen, oder, wie sie es mit anderen
Worten ausdrücken: „Es gibt nur ein einziges Stadium der Lues.“
Meirowsky und Leven wollen daher nicht mehr von Stadien der
Syphilis sprechen, sondern von primären, sekundären und tertiären
Symptomen der Syphilis. Die Zweckmässigkeit dieses Vorschlages
möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren; denn es kommen bei der
Frage der Stadieneinteilung der Syphilis nicht nur theoretisch-biologische,
sondern auch praktische Gesichtspunkte in Betracht. Bei dem Vorschlag
von Meirowsky und Leven kommen ja nun nicht nur die
klinischen Unterschiede, sondern auch die verschiedenartige Reaktion
der Gewebe zu ihrem Recht, wie sie als sekundäre und tertiäre
Umstimmung in so massgebender Weise nicht nur die klinische
Symptomatologie, sondern auch den weiteren Ablauf der Syphilis
bestimmt. Von diesen Gesichtspunkten aus wird es vielleicht
auch theoretisch nicht dasselbe sein, ob ein Neuro-
rezidiv eintritt nach einer antisyphilitischen Be¬
handlung im ganz frühen Stadium der Syphilis oder
nach einer Behandlung bei klinisch ausgebi 1 deten
Sekundärerscheinungen. Denn in diesem letzteren
Falle hatte der Organismus immerhin genügend Zeit
gehabt, um unter dem Einfluss der länger dauernden
und intensiveren Durchseuchung bereits mit einer
gewissen Umstimmung der Gewebe zu reagieren, zu
der ihm im ersteren Fall entweder nicht oder nur in
viel geringerem Masse die Zeit \blieb. (Vergl hierzu die
Anschauungen älterer Autoren, insbesondere der Wiener Schule, in der
Frage der Behandlung der Frühsyphilis.) Von diesem Gedankengang
aus ist vielleicht auch der Hinweis nicht ohne Interesse, dass unter den
drei Fällen von Meirowsky und Leven zwei Fälle als
schw'ere Neurorezidive zu bezeichnen sind und unser
Fall ein besonders schweres Neurorezidiv darstellt.
Die weitere Beobachtung und Analyse derartiger Fälle muss nun er¬
geben, wieweit eine Revision unserer Anschauungen von der Pathologie
der Frühsyphilis einzusetzen haben wird, wobei natürlich auch auf funk¬
tionelle Störungen oder Erkrankungen anderer Organe nach Abortiv¬
behandlung bei primärer seronegativer Syphilis zu achten sein wird.
(Verg. z. B. auch die Frage des sog. „Spätlkterus“, bzw. des Ikterus
syphiliticus, der syphilitischen Nephritis usw.)
Aus der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Breslau.
(Leiter: Prof, Bittorf,)
Myxödem mit pluriglanditlärer Insuffizienz.
(Tod durch Kleinhirnerweichung.)
Von R. Meissner.
In Nr. 46 1920 dieser Wochenschrift besprach ich bei einigen Fällen
von Myxödem den verschiedenartigen Einfluss auf Herz- und Gefäss-
system. Einer derselben (Fall 2) ist inzwischen verstorben, und die
Autopio ergab so eigenartige Befunde, dass ich nochmals hier darauf
zurückkommen möchte.
Betreffs der ausführlichen Krankengeschichte verweise ich auf meine
erste Veröffentlichung. Hier sei nur kurz erwähnt, dass die Pat. früher ein¬
mal von der elektrischen Bahn gestürzt und stark auf den Kopf gefallen war
und auf diesen Unfall ihr Leiden zurückführte. Sie soll seit vielen
Jahren schwer hysterisch gewesen sein und bei den Men¬
struationen oft erhebliche Beschwerdeh gehabt haben. Ati
Klagen äusserte sie bei der l. Untersuchung: Gefühl von Kälte, Stuhlträgheit,
Gewichtszunahme, Schwerfälligkeit bei Bewegungen und im Denken. Da¬
maliger Befund: Kleine Pat. mit dickem Fettpolster des Leibes, teigiger
Schwellung des Gesichts, besonders der Stirn und der Wangen,
stark verdickter Zunge, Knöchelödemen, trockener,
abschilfernder Haut, stumpfem Gesichtsausdruck, verlangsamtem Mienen¬
spiel, verlangsamter geistiger und körperlicher Be-
w'eglichkeit. He^'z nach links verbreitert, 2. Aortenton ver¬
stärkt. Puls 58. Blutbild: 4 300 000 Erythrozyten. Hämoglobin 70 Proz.,
Leukozyten 7200 mit 61 Proz. Polynukleärerr, 3 Proz. Uebergangsformen.
32 Proz. Lymphozyten. 2 Proz. Eosinophile, 2 Proz. Mastzellen. Im
Katheter harn Spuren Eiwejss, vereinzelte rote Blut¬
körperchen, einige Leukozyten, keine Zylinder. Blutdruck 180 mm
Quecksilber. Am Nervensystem keine organische Störung. Am Rönt¬
genschirm: Herz nach links dilatiert, mässig hypertrophiert.
Nach 2 monatlicher Thyrcoidiiibehandlung bedeutende Besserung. Der
Blutdruck war auf 160 mm Quecksilber gesunken, die Pulszahl auf 66 Schlage
gestiegen. Herz im Röntgenschirm noch unverändert gross. Nach weiteren
Thyreoidingaben Verschwinden der Knöchelödeme Und Verschwinden der
Erythrozyten im Sediment. Zeitweises Auslassen des Thyreoidins rief eine
allgemeine Schlaffheit des Körpers hervor, die bei neuen Thyreoidingaben
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
22. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
489
wieder verschwand; allerdings blieb in späteren Monaten trotz Thyreoidin
der Blutdruck auf 175 mm Quecksilber, und im Harn wurden mter Spuren
Eiweiss, im Sediment einige Erythrozyten nachgewiesen. Die Herzgrenzen
waren dieselben wie bei Beginn der Kur.
Während des Druckes der oben zitierten Arbeit kam die Pat. am
8 VIII 20 erheblich verschlechtert wieder in unsere Behandlung mit Kla¬
gen über häufige S c h w i n d e 1 a n f ä 11 e, Kopfschmerzen.
Druckgefühl auf der Brust und starkem Uebel sei n. Sie
war jetzt wesentlich hinfälliger als früher. Der Blutdruck betrug 180 mm Hg,
Zeichen von Myxödem waren in massigem Grade vorhanden. Romberg an¬
gedeutet. Als Ursa chedieserErscheinungen wurde eine Skle¬
rose der Hirngefässe und der Brustaorta angenommen und
KJ -P Diuretin verordnet. Nach 4 Wochen wurde Pat., die nicht wieder
erschienen war, in die Klinik e i n g e l i e f e r t. da sie nach vorher¬
gehenden Kopfschmerzen und grosser Mattigkeit ganz
plötzlich und unter B e w u s s t s e i n s v e r l u s t e i n e Sprach¬
störung erlitten hatte und nur noch mit U n t e r s t u t z u n g i h rer
Umgebung gehen konnte. Aus dem klinischen Befund sei gekürzt fol¬
gendes erwähnt: • , * •
Kleine Frau in gutem Ernährungszustand. Das Gesicht, i n s-
besondere die Unterlidgegend, etwas ödematös, am übri¬
gen Körper keine Schwellung. ■ j •
Linksseitige LidspaUenverengerung. Die Augen stehen in diver¬
genter Schieistellung. Linkswendung der Augen ist
unmöglich; beim Versuch lebhafter horizontaler Ny¬
stagmus und Schwindelgefühl. Pupillenreaktion träge.
Sprachstörung bulbären Charakters, keine Apha¬
sie, sondern Anarthrie; S c h 1 u c k ip m u n g.
Herz; Spitzenstoss ^ Querfinger ausserhalb der Mammillarlime, 1. Ion
stark akzentuiert mit leisem systolischen Geräusch, 2. Töne o. B.
Blutdruck 175 mm Quecksilber.
Puls regelmässig, kräftig, stark gespannt.
Temperatur 37,8.
Im Urin ausser Eiweiss keine pathologischen Bestandteile. Menge in
24 Stunden 600 ccm. r . , n
Nervensystem: Bauchdeckenreflexe aufgehobe n. l a -
tellarreflexe regelrecht, Babinski negativ. Keine
Lähmungen oder Spasmen in den Extremitäten. Keine
Sensibilitätsstörungen. .
8. IX. 20. Im Laufe der Nacht schwindet das Bewusstsein völlig und
kehrt nicht mehr zurück. Vormittags 11 Uhr Exitus letalis.
Klinische Diagnose; Myxödem. Nephrosklerose.
Apoplexie (Blutung in den Pons).
Aus dem Sektionsprotokoll möchte ich der Kürze wegen nur folgende
pathologische Veränderungen hervorheben;
Helene G., gest. 8. IX. 20. Sektion 9. IX. 20 (Dr. M a t h i a s): Leiche
einer Frau mit gutem Fettpolster, besonders am Bauch. leichte Oedeme der
beiderseitigen Knöchel. Herz: Die Muskulatur des linken Ventrikels
ist etwas hypertrophisch, der rechte Ventrikel hat ein v e r -
mehrtes Volumen. Der Klappenapparat ist zart und intakt, ln den
Segeln der Mitralis lipoide Einlagerungen. Die Koronargefässe sind von ihren
Ostien an stark sklerotisch verändert. Die Aortenintima zeigt nur geringe
flache lipoide Einlagerungen. Die Halsgefässe sind etwas stärker sklerotisch
verändert, so auch die beiden Arteriae thyreoideae inferiores. Die Aa. thyreoi-
deae haben aber ein genügendes Lumen.
Halsorgane und Zunge o. B. Das Foramen coecum ist frei von Schild¬
drüsengewebe. Starke Hypoplasie der Schilddrüse.
w i c h t 6 g. Auf der Schnittfläche ist eine gleichmässige gelbliche Farbe
vorhanden. Kehlkopf, Luftröhre, Speiseröhre o. B.
Milz von durchschnittlicher Grösse, ihre Follikelzeichnung etwas ver¬
waschen. Beide Nebennieren zeigten bei normaler Organgrosse eine
etwas schmale Markschicht und eine reichliche, besonders dunkelgelb ge¬
färbte Rindenschicht. Nieren von gewöhnlicher äusserer Form und Grösse;
ihre Oberfläche ist nicht ganz glatt, die Kapsel ist aber gut abzidibar.
Die Organbreite ist vermindert, die Gewebszeichnung dabei deutlich. Hilus-
fett vikariierend vorgewachsen. Auf der Schnittfläche kleine klaffende üe-
fässe, deren Lumen offenbar recht starrwandig ist. Nierenbecken, Ureteren.
Blase 0 . B. _
Im Ligamentum lat. beide Aa. uterinae als perlschiiurartige Strange
zu fühlen. Vagina o. B. Uterus klein und involviert, seine Schleimhaut
lässt eine grössere Zahl kleinerer Zysten erkennen. Die Tuben sind zart
und glatt. Die Ovarien sind beiderseits, auch für senil involvierte Organe,
auffallend klein, sie haben etwa 1,5 cm Durchmesser, auf der Schnitt¬
fläche sehen sie gleichmässig weisslich fibrös aus. — Gallenblase in Adhäsionen
eingebettet, Ductus cysticus obliteriert, oberhalb der Obliteration ein
grösserer, in der Gallenblase etwa 15 Bilirubinkalksteine. ~ Im Duodenum
sind die Solitärfollikel geschwollen. Die Appendix ist von einigen Adhäsionen
retrozoekal fixiert.
Schädeldach o. B. Sinus longitudinalis, Dura mater und Hirnoberflache
o, B. Die ganze linke K 1 e i n h i r n h e m i s p h ä r e ist erweicht
und bildet bis zum Wurm eine einzige, fast zerfliessliche Detritusmasse.
Die Brücke erweist sich frei von Blutungen, sie wird indessen von aussen
her durch die Zerfallsmassen des Kleinhirns kompri¬
miert. An den meisten Hirngefässen finden sich erhebliche Einlagerungen
gelblicher, harter Flecke. Die Gefässe an der Hirnbasis sind in starre Rohre
verwandelt, insbesondere ist die Art. cerebri media dextra fast völlig ver¬
schlossen. Im rechten Nucleus caudatus findet sich ein etwa % cm im
grössten Durchmesser betragender Erweichungsherd. Sonst sind keine Er¬
weichungsherde festzustellen.
Histologisch: In beiden Nieren hyaline Entartung zahlreicher Glo-
meruli. In der Hypophyse im nervösen Teil sehr viel feinkörniges Pig¬
ment. In den Nebennieren gleichfalls viel Pigment. In der Schild¬
drüse nur ganz wenig endokrines Gewebe, dabei kein Kolloid. Das Organ
ist reichlich bindegewebig durchsetzt, und es finden sich erhebliche lympha¬
tische Herde. In einer Lymphdrüse eine ungewöhnliche Masse von
Keimzentren. ’
Krankheit; Hypoplasia thyreoidea, Myxoedema. Nephrosklerosis.
Todesursache: Malacia hemisphaerae sinistr. cerebelli. Befund:
Arteriosclerosis gravis. Sclerosis coronaria. Encephalomalacia cerebelli.
Compressio pontis. Degeneratio fibrosa glomerulorum. Atrophia glandulae
thyreoideae. Adhaesiones ex cholecystide. Cho|elithiasis.
s Nr. 16.
Digitized by CjOC *
gle
Das Ergebnis der Autopsie war in vieler Beziehung sehr lehrreich.
Zweifellos brachte sie eine Bestätigung der Diagnose Myxödem,
denn das Gewicht der normalen Schilddrüse beträgt 30—40 g, während
die hier gefundene Glandula thyreoidea mit ihrem Gewicht von 6 g
als stark atrophisch anzusprechen ist. Dazu kam noch der histologische
Befund: „In der Schilddrüse nur ganz wenig endokrines Gewebe, dabei
kein Kolloid“: also nicht nur eine Verkleinemng, sondern auch ein fast
völliges Fehlen des funktionellen Schilddrüsengewebes. Und gerade
dieser Befund ist ja das Charakteristikum für das „spontane“ Myxödern.
Die Ursache solcher Atrophie bzw. Sklerose der Thyreoidea sind viel¬
fach schwere Infektionskrankheiten und chronische Intoxikationen, Lues,
seltener Aktinomykose. Manchmal geht der Basedowkropf allmählich
in Atrophie (mitunter unter dem Einfluss der Röntgenbestrahlung) über.
Diese ätiologischen Momente fehlten sämtlich — auch Wassermann war
negativ. In unserem Falle könnte die weit verbreitete, schwere Arterio¬
sklerose zur Atrophie der Schilddrüse geführt haben. Im Sektionsproto¬
koll wird ausdrücklich betont, dass die Halsgefässe und mit ihnen die
Arteriae thyreoideae inferioris stärker sklerotisch verändert seien, wenn
auch hinzugefügt wird, dass beide Arteriae thyreoideae noch ein ge¬
nügend feines Lumen besässen. Ein Verschluss der Arterie und damit
ein einfacher arteriosklerotischer Schwund der Schilddrüse lag also nicht
vor. Immerhin sind doch die Gefässe schwer verändert gefunden wor¬
den, so dass an einer Herabsetzung der Ernährung der Schilddrüse
nicht gezweifelt werden kann. Dazu trat aber in unserem Falle ein
weiteres Moment. Wie schon das häufige Vorkommen von Myxödem
bei Frauen andeutet, dürften gewisse Zusammenhänge zwischen Keim¬
drüsenfunktion und Schilddrüseninsuffizienz bestehen, die nach Falta')
beim weiblichen Geschlecht auf einer „bedeutenderen Belastung der
Schüddrüsenfunktion beruhen. Tatsächlich waren im vorstehenden Falle
beide Gvarien stärker verkleinert, als einem senil involvierten Organ
entsprach, ebenso der Uterus, dessen Schleimhaut eine grössere Anzahl
kleinerer Zysten erkennen liess. Die funktionellen Zusammenhänge zwi¬
schen (ivarien und Schilddrüse sind so offensichtlich, dass sie nicht
näher diskutiert werden sollen, und doch muss es zweifelhaft bleiben,
ob hier die „Belastung“ durch die Ovarialvorgänge zu Myxödem geführt
hat, oder ob nicht vielmehr ein Parallelvorgang vorliegt, der gleichzeitig
zu .Atrophie der Ovarien und der Schilddrüse geführt hat. Für diese
Annahme sprechen die Befunde auch an den übrigen endokrinen Drüsen.
Wir finden nämlich eine Pigmentvermehrung in Hypophyse und Neben¬
nieren, die wir ebenfalls als Involutionsvorgang deuten können.
Es dürfte also hier das Bild pluriglandulärerlnsuffizienz
vorliegen, vielleicht auf der Basis einer angeboren minderwertigen An¬
lage, wobei nun in der Schilddrüse die Arteriosklerose ganz besonders
schädlich gewirkt hat.
Der histologische Befund der Schilddrüse ist insofern
bemerkenswert, als neben reichlich bindegewebiger Durchsetzung sich
in ihr „erhebliche lymphatische Herde“ finden. Derartige
„lymphatische“ Degenerationen im endokrinen System sind
bekannt, z. B. beim Status thymico-lymphaticus und den Basedow¬
schilddrüsen (M a c C a 11 u m). Weiter berichtet B i 11 o r f 0, dass beim
primären Morbus Addison die stark verkleinerten Nebennieren mikro¬
skopisch keine entzündlichen Alterationen, wohl aber öfters „teils herd¬
förmige, selbst makroskopisch wahrnehmbare, teils mehr diffuse An¬
sammlungen von Rundzellen, und zwar von echten Lymphozyten“ auf¬
weisen.
In der Myxödemthyreoidea scheint nach der bisherigen Beobach¬
tung das Auftreten zahlreicher lymphatischer Herde,
wie in unserem Falle, eine grosse Seltenheit zu sein*).
Vielleicht darf noch auf die ungewöhnlich starke Bildung von Keim¬
zentren in einer Lymphdrüse, also aut die Entwicklung eines Status lym-
phaticus, hingewiesen werden, wie er als Folge der endokrinen Stömngen
aufzufassen und besonders beim Addison von B i 11 o r f, H e d i n g e r,
Wiesel u. a. beschrieben ist. Allerdings lag hier im übrigen kein
Status thymico-lymphaticus vor. Alles in allem handelte es sich wohl
um eine pluriglanduläre Insuffizienz der endokrinen Drüsen (Claude
und Gougerot) mit besonders starker Beteiligung der Schilddrüse,
nach S 0 u d e 1 s *) Einteilung um die Form der myxömatösen Zustände
mit Genitalstörungen.
' Die rechtsseitige Dilatation des Herzens ist entweder auf die sub
finem vitae einsetzende Herzschwäche zu beziehen, oder vielleicht doch
in einen gewissen Zusammenhang mit dem Myxödem zu bringen, bei
dem ja nach Z o n d e c k neben einer Dilatation des linken Ventrikels
auch die des rechten Ventrikels Vorkommen kann. Die linksseitige
Hypertrophie dagegen ist sicher nicht auf das Myxödem zu beziehen,
sondern, wie ich bereits in meiner obigen Arbeit hinwies, durch die
chronische Nicrenveränderung bedingt — lag doch ein ganz typisches
.Beispiel einer beginnenden Nephrosklerose, und zwar wahrscheinlich
eine sekufidäre Schrumpfniere infolge chronischer Glomerulonephritis
vor. Diese hatte die Blutdrucksteigerung und die Herzhypertrophie ver¬
ursacht.
F a 11 .T bei M o li r - S t a e li e 1 i ii. IV. S. 446.
Bittorf: Die Pathologie der Nebennieren und der Morbus Addi-
sonii. 1908. S. 56 u. 57.
Auch S i m m 0 n d s weist in seiner ausführlichen diesbezüglichen
Arbeit (Virch. Arch. 211. S. 73 u. folg.) nur auf herdförmige Wucherungen
des lymphatischen Gewebes bei Basedow und gewöhn¬
licher Struma hin, nicht bei Myxödem. Vielleicht spielt die von ihm
hervorgehobene Adipositas auch in unserem Falle eine gewisse Rolle.
*) ThHe de Paris 1912 S. 3229.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
490
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr, 16.
Mit wenigen Worten möchte ich schliesslich noch die während der
letzten Lebenstage einsetzenden zerebralen Störungen erwähnen, die
nach öfters geäusserten Klagen über Kopfschmerzen und Schwindelgefühl
4 Tag vor dem Tode mit einer kurzen Bew'usstlosigkeit einsetzten. Ihr
folgte so hochgradige Schwäche, dass Pat. sich nicht mehr allein auf¬
recht zu halten vermochte. Gleichzeitig trat plötzlich eine schwere
Sprachstörung und teilweise Augenmuskellähmung ein. Klinisch wurde
folgender Nervenbefund erhoben; Deviation conjugee mit divergenter
Schieistellung der Augen. (Die linksseitige Lidspaltenverengerung be¬
stand seit der Jugend.) Der Versuch der Wendung der Augen nach der
erkrankten Seite löst horizontalen Nystagmus und Schwindelgefühl aus.
Bei der Sprachstörung handelte es sich um keine Aphasie, sondern
Anarthrie. Ferner bestand eine Lähmung im Gebiete der Schluck¬
muskulatur. Keine Sensibilitätsstörungen, keine Ataxie, jedoch konnten
wegen der hochgradigen Schwäche der Patientin genauere Steh- und
Gehversuche und sonstige Funktionsprüfungen nicht durchgeführt wer¬
den. Lähmung der Extremitäten war nicht vorhanden. Das B a -
b i n s k i sehe Zeichen war negativ.
Nach diesem Befunde wurde eine Ponsblutung angenoinnien
(Brückenarme).
Im Gegensatz hierzu erwies sich die Brücke bei der Sektion gänz¬
lich frei von Blutungen, aber durch Zerfallsmassen der linken, völlig er¬
weichten Kleinhirnhemisphäre stark komprimiert. Im rechten Nucleus
caudatus fand sich ein etwa % cm im grössten Durchmesser betragen¬
der Erweichungsherd, sonst keine Erweichungsherde feststellbar. Die
Ursache der Erweichung w'ar eine hochgradige Arteriosklerose der Hirn-
gefässe.
Es ist Jsekannt, dass ausgedehnte Zerstörungen im Cerebellüm mit¬
unter fast ^ keine klinischen Symptome machen können (Miiigaz-
z i n i “). Ganz ungewöhnlich ist es, dass Kleinhirnerweichungen aber
so ausgesprochene Nachbarschaftssymptome®) von seiten der Brücke
machen (konjugierte Blicklähmung und M a g e n d i e sehe Schielstcllung
der Augen, Anarthrie, Schlucklähmung usw.). Wahrscheinlich ist w'ohl
ein thrombotischer Verschluss der linken Zerebellargefässe auf arterio¬
sklerotischer Basis eingetreten, der zur Erw'eichung des ganzen linken
Zerebellum mit Oedembildung und dadurch zum Druck auf die Um¬
gebung. besonders die Brückengegend, geführt hat. so die künischen
Symptome hervorrufend. Die Erweichung des Kleinhirns
ist an sich schon eine Seltenheit, noch mehr aber das
hieraus entstandene Symptomenbild.
Zusammenfassung.
Bei einem Falle von Myxödem ergibt die Sektion in der hoch¬
gradig atrophischen Schilddrüse starke lymphatische Einlagerungen. Die
Ovarien sind auffallend ‘ atrophisch, Nebennieren und Hypophyse zeigen
starke Pigmentvermehrung. Die gefundenen Herzveränderungen sind
sicher zum grösseren Teil auf eine komplizierende chronische Nephritis,
Arteriosklerose und vielleicht auch zum Teil auf das Myxödem zu be¬
ziehen. Der Tod erfolgte durch Erweichung einer ganzen Kleinhirn¬
hemisphäre, die das Symptomenbild einer Brückenläsion hervor¬
gerufen hat.
Die Ungezieferbekämpfung in MOnchen im Jahre 1920*).
Von Prof. Dr. Georg Mayer, München.
Im vorigen Jahr sprach ich die Hoffnung aus, dass bei energischer
Fortsetzung der EKesinfektions- und Sanierungsarbeiten es gelingen
würde, mit der durch den Krieg und die Revolutionswirren in München
entstandenen Ungezieferplage in absehbarer Zeit aufzuräumen (siehe
M.m.W. 1919 Nr. 51), Diese Erwartung wurde aber nur teilweise erfüllt.
Zwar hatte die Stadt München eine grössere Sanierungsanstalt, ins¬
besondere zur Bekämpfung der Lausplage eingerichtet. Die Anstalt wurde
aber am 1. Juni 1920 nach eben sechsmonatigem Bestehen aufgelöst, weil
sie sich angeblich nicht genügend pekuniär rentierte. Der vom Sani¬
tätsamt aufgestellte Desinfektionstrupp samt seinem Desinfektionsdepot
wurde am 1. Juli 1920 aufgehoben, weil sich die Mittel zu seinem
Weiterbestand nicht aufbringen Hessen. Trotz aller Bitten und Eingaben
Hessen sich weder das Landesfinanzamt, noch die Stadt, noch auch die.
staatlichen Behörden bereit finden, um Mittel zu genehmigen für das
Weiterbestehen der Einrichtung, die sich bis dahin gut eingearbeitet und
bewährt hatte. So drohte der ganze Ungezieferbekämpfungsplan im
Juli 1920 zugrunde zu gehen, wenn es sich nicht hätte ermöglichen
lassen, von anderer Seite Hilfe zur Durchführung zu bekommen. Diese
Hilfe wurde nun von privater Seite geleistet. Es hatte sich in München
der Verband der Desinfektions- und Ungeziefervemichtungs-Anstalten
Süddeutschlands gegründet gehabt, welchem sich die Bayerische Gesell¬
schaft für Schädlingsbekämpfung m. b.H. anschloss; letztere deswegen
wesentlich, w*eil sie für Süddeutschland das Recht. Blausäurevergasungen
auszuführen, zugesprochen erhielt. Die Vereinigung beider Gesellschaften
hat nun seit Juli 1920 die von der Gesundheitskommission begonnenen
Ungezieferbekämpfungsmassnahmen in rationeller Weise weitergeführt.
Die Arbeiten waren sehr zeitraubend, denn von jedem Haus, in dem sich
Ungeziefer befand, wurde eine genaue Aufnahme gemacht. Es wurde
mit allen Parteien verhandelt wiegen der Ausführung von Bekämpfungs-
®) Pathogenese und Symptomatologie der Kleinhirnerkrankungen. Hrgebn.
d. Neurol. u. Psych. 1. Heft 1 u. 2.
®) Bing: Kompendium der topischen Gehirn- und Rückenmarksdiagnostik.
•) Vortrag im Aerztl. Verein München am 15. XII. 20.
Digitized by Goiisle
massnahmen. Ueber grössere Objekte w'urden Bekämpfungspläne aus¬
gearbeitet.
Aus Obigem geht hervor, dass die Arbeiten der Gesundheits¬
kommission sich nicht mehr auf die militärischen Anwesen beschränkten,
sondern dass in der ganzen Stadt die Ungezieferbekämpfung auch von
Privatwohnungen hinzugenommen w'urde. Um die Anmeldung befallener
Wohnungen zu erleichtern, wurden unentgeltliche Sprechstunden eän-
geführt. in denen kostenlos Rat erteilt wurde. Der Zulauf zu dieswi
Sprechstunden war recht erheblich, so dass sich allmählich ein gutes
Bild der Verbreitung des Ungeziefers, ‘ besonders der Kleiderläuse und
Bettwanzen, in der Stadt München ergab.
Gleichzeitig wurden bei den Militär Personen und in den militärisch
belegten Gebäuden die Bekämpfungsmassnahmen weitergeführt Die im
vorigen Jahre schon aufgeführten militärischen Sanierungsanstalten
haben in der Zeit vom 1. Oktober 1919 bis 1. Juni 1920 reichliche Arbeit
geleistet. Es wurden nämUch entlaust 4499 Personen, gebadet
13 469 Personen. Dazu kommen 60 943 Objekte, welche im Dampf des¬
infiziert wurden.
Betrachten wir nun den Gang der Bekämpfungsarbeiten bei der '
Zivilbevölkerung, so konnte durch die eingerichteten Sprechstunden in
weitgehendster Weise Aufklärung bewirkt w-erden. Die Anfragen der
Bevölkerung betrafen insbesondere die Vernichtung von Russen und
Schwaben, von Stubenfliegen, von Stechmücken, Ameisen. Kleider- und
Pelzmotten, Bettwanzen, Kleider-, Kopf- und Filzläusen, Mäusen und
Ratten. Die enorme Vermehrungsfähigkeit des Ungeziefers, die Zeiten
seiner Vermehrung waren den Fragenden unbekannt. Sie wussten nicht,
dass die Kleider- und die Pelzmottc hauptsächlich während des Winters
schädigt, dass in dieser Jahreszeit ihre Entwicklung erfolgt, dass sie
besonders gefährlich ist durch die grosse Eierablage, da jedes Weibchen
mindestens 50 Eier legt. Die gefürchteten gelben Falter kommen nicht
wie vielfach angenommen wird, bei Beginn der wärmeren Jahreszeit
in die Häuser hinein, sondern sie sind darin entstanden, sie sind das
Zeichen der Vermottung des Hauses. Aehnlich glaubte man von den
Wanzen, sie gingen im Winter zugrunde, während sie sich lediglich
verkriechen, da bei Temperaturen unter 12 ® C keine Eiablage mehr ge¬
schieht. Die Leute wurden auf die enorme Vermehrungsfähigkeit der
Wanzen besonders hingewiesen, kann man doch die Zahl der Nach¬
kommenschaft .eines einzigen Weibchens während eines günstigen
Sommers mit rund 1000 veranschlagen. Es wurde besonders gewarnt
vor der Anwendung der vielfach beliebten Ungeziefertinkturen, nament¬
lich zur Wanzenbekämpfung; sie können nur dann wirken, wenn sic
mit der Wanze in direkte Berühung kommen, schon daraus ergibt sich
ihre Unwirksamkeit. Auch gegen Stubenfliegen ist mit den gewöhn¬
lichen Vernichtungsmitteln schwer anzukommen, da sie ihre Eier an
Wänden und Einrichtungsgegenständen absetzen, so dass sie nur durch
gasförmige Vernichtungsmittel gut erreichbar sind.
Die Nachschau in den Wohnungen ergab teilweise erschreckende
Bilder. Nur einige seien angeführt: Ein Schneidermeister mit einer vier-
köpfigen Familie betrieb mit zwei Gesellen ein grosses Geschäft Zu
ihm waren durch alte Kleidungsstücke Kleiderläuse eingeschleppt worden.
Die sämtlichen Personen waren in schwerster Weise verlaust aber
auch die dort Vorgefundenen Kleider von Kunden, dann alle Stoffe in
der Schneiderwerkstatt, selbst jdie neuen, zusammöngerollten ^llen
waren voll von Nissen und Läusen. EMese Werkstatt war so ein förm¬
liches Zentrum für Verbreitung von Kleiderläusen geworden. — Bei
einem Bäcker fanden sich in der Privatwohnung und in den Geschäfts¬
räumen Wanzen, Russen und Schwaben. Dazu hatte das Personal die
Krätze und die Familie und das Personal Kopfläuse. Ein kleines Kind
von y» Jahr war an seinen spärlichen Härchen bereits dick mit Nissen
bedeckt. Zum Ab wischen der Teller im Laden diente ein schmutziges
Tuch, in welchem Schwaben, Russen und Wanzen sassen. Dieses Un¬
geziefer wurde vom Personal vor Gebrauch des Tuches richtig heraus¬
geschüttelt. Man kann sich denken, dass, dieser Laden wiederum ein
Zentrum für Ungezieferverbreitung war. — Die Wanzenplage hatte viel¬
fach Dimensionen gezeigt, wie ich sie kaum in der Türkei gefunden
hatte. So sassen in einem Hause in der Au die Wanzen in handbreiten
Streifen selbst am Tage an den Wänden, auf den Möbeln und an der
Decke und dabei so dicht aufeinander, dass bei der ersten Vergasuni:
nur die obere Schicht der Tiere abgetötet wurde. Es war eine sofort
angeschlossene zweite Vergasung nötig, um auch die übriggebliebenen
Massen zu töten. Am Schlüsse der zweiten Vergasung wurden die
Tiere im richtigen Sinne des Wortes mit dem Besen zussimmengekehrt
und in Eimern aus dem Hause zur Verbrennung gebracht
Wie schon oben erwähnt, ist von den Ungeziefertirk*uren nicht viel
Wirkung zu erwarten. Das sicherste Mittel bleibt immer eine rationell
ausgeführte Vergasung. Wir haben auch in diesem Jahre in frei¬
stehenden Häusern und Wohnungen mit Blausäure gearbeitet Wo dies
nicht möglich war: mit schwefliger Säure. Hiezu kam als neues Ver¬
fahren das Zyklon, ein Gemisch von Zyankohlensäuremethylester mit
Chlorkohlensäuremethylester. Letztere Substanz zeigte durch ihre
tränenerregende Wirkung in warnender Weise das Zyangas an, welches
bekanntlich für sich fast geruchlos ist
Gehen wir nun zu der in München festgestellten Ungezieferver¬
breitung über,' so hatte die städtische Sanierungsanstalt in der
Tumblingerstrasse schon ganz gut gearbeitet obwohl die Einrichtung
erst im Beginn war. Es gingen zu vom 1. Dezember 1919 bis zum
1. Juni 1920: 379 Personen mit KFeiderläusen. Dieselben verteilten sich
auf 276 Häuser. Die beiliegende TabeUe zeigt die Verteilung dieser
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
22 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
491
Häuser auf die einzelnen Bezirke der Stadt. Es ergibt sich, dass grosse
Teile der Stadt nir wenige verlauste Personen aufzuweisen hatten. In
einigen Bezirken war hingegen die Zahl auffallend gross. Am stärksten
befallen erwies sich der 9. Bezirk, welcher um den Hauptbahnhof eelegen
ist. Es waren die Gasthäuser und Herbergen, die Pensionen, welche
an der grossen Zahl sich beteiligten; es waren vor allem Durchreisende,
aus der Gefangenschaft Zuriickkehrende, die aus diesem Bezirk zugingen.
Der demnächst stärkst befallene Bezirk ist Sendling, wo namentlich auch
die Schulen an der Kleiderlausplage beteiligt waren. Die Häuser waren
übrigens in Sendling ungleichmässig über den ganzen Bezirk verstreut.
Ein eigentliches Zentrum trat nicht hervor. Als dritter, stärkst befallener
Bezirk figurierte die Au. Dort waren es besonders die Zimmerherren in
kleinen Wohnungen, welche mit Kleiderläusen zugingen. Verhältnis¬
mässig wenig befallen ist die alte Stadt gewesen: der 1. bis 4. Bezirk,
obwohl besonders im 2. Bezirk sich viele Herbergen befinden. Gar
keinen Zugang hatte der 22. Bezirk, nur einen der 27. Bezirk. Beide
stellen im wesentlichen den Stadtteil Schw'abing dar.
Die festgestellte Zahl verwanzter Häuser setzt sich zusammen aus
den Mitteilungen der Bevölkerung, aus den bei den Polizeiinspektoren
und Bezirksinspektoren eingelaufenen Anzeigen, welche uns übermittelt
wurden, aus den Mitteilungen der städtischen Möbelfürsorge, wenn deren
Ankäufer verwanzte Möbel antrafen. In ähnlicher Weise wurden wir
auch übai; das Vorkommen sonstigen Ungeziefers unterrichtet. Die Zahl
der verw^anzt angetroffenen Häuser ist hoch. Es wurden vom 1. Oktober
1919 bis 1. Oktober 1920 festgestellt: 1894. Dazu kommen 180 Angebote
verw'anzter Möbel in der gleichen Zelt. Die Bekämpfung der Wanzen¬
plage liess zu wünschen übrig. Hinsichtlich der Verlausung wurde eine
oberpolizeiliche Vorschrift erreicht, nach der es wegen der Gefahr der
Fleckfieberübertragung nunmehr möglich ist, o-egebenenfalls zwatiP'S-
weise oder bei Unbemittelten auf allgemeine Kosten Säuberungs- und
Desinfektionsmassnahmen durchzuführen ^). Die Wanzenplage dagegen
wird, wie alles übrige Ungeziefer, ausgenommen Ratten, als Sache der
Wohnungsaufsicht und Wohnungsreinlichkeit behandelt und konnte bisher
seuchenpolizeilich nicht erfasst werden. Gegen die Rattenverbreitung;
kann dagegen wieder wiegen der Gefahr der Pestübertragung seuchen¬
polizeilich vorgegangen w^erden. Daraus ergibt sich, dass die Bekämp¬
fung der Wanzen mehr oder weniger noch Privatsache ist. Daher stösst
das Vorgehen bei der unbemittelten Bevölkerung, welche ja hauptsäch¬
lich betroffen ist, auf grosse Schwierigkeiten, wegen der Frage der
Kostendeckung.
So wurden von den obengenannten 1894 Häusern nur in 954 Des¬
infektionsmassnahmen ausgeführt, in 940 Häusern geschah nichts. Aehn-
lich erfolgte bei den 180 Angeboten verwanzter Möbel nur 99 mal Des¬
infektion und wiederum rund in der Hälfte, nämlich in 81 Fällen geschah
nichts. Aehnlich steht es mit der Bekämpfung des übrigen Ungeziefers,
ausser Läusen und Ratten; in den rund 200 befallenen angezeigten
Häusern wurden auch nur in ungefähr 100 wirsame Massnahmen aus¬
geführt.
Wie ich schon im vorigen Jahr betonte, hat das Ungeziefer, be¬
sonders die Wanzen, eine starke Vermehrung auch in München erfahren.
Ein Grund hiefür sind die üi der Koiegszeit knapp gewordenen Des¬
infektionsmittel. Der Hauptgrund ist jetzt die Wohnungsnot. Wer früher
eine verwanzte Wohnung bezog, verlangte vom Hausbesitzer die Des¬
infektion. Zeigten sich die Wanzen später und wollte der Hausbesitzer
nicht desinfizieren, so zog man aus in eine wanzenfreie Wohnung. Dies
ist jetzt anders: Jedermann ist froh, überhaupt eine Wohnung zu haben.
Das Ungeziefer wird mit in Kauf genommen. Es ergeben sich zwar
fortwährende Streitigkeiten zwischen Hausherren und Mietparteien
wegen Wanzenvertilgung; in den meisten Fällen lehnt der Hausherr
die Desinfektion ab, der Mieter ist nicht kapitalkräftig genug, um die
Kosten allein zu tragen. Auf diese Weise geschieht dann nichts und
die Wanzen vermehren sich weiter. Eine besondere Verbreitungsquelle
stellen dar das häusliche Dienstpersonal und die Aftermieter von ein¬
zelnen Zimmern: Wir haben Dienstmädchen festgestellt, welche in drei
und vier Haushaltungen mit ihren Effekten die Wanzen einschleppten,
Aehnlich ist es mit den Aftermietern. Ein solcher Fall, ein pensionierter
Beamter, zieht mit seinen verw^anzten Möbeln von einer Kleinwohnung
in die andere und hat nachgewiesenermassen bereits das 5. Zimmer
infiziert. Nach Entdeckung der Wanzen zieht er aus und infiziert eine
neue Wohnung. Durch die Verbreitung der Wanzen ln Amts- und
Büroräumen ist eine weitere Verschleppungsgefahr gegeben. Wir konnten
verschiedene Fälle feststellen, wo die jungen, bekanntlich fast unsicht¬
baren Wanzen mit den Akten in die Wohnungen verschleppt wurden
und sich dort ausbreiteten.
Betrachtet man die beigegebene Tabelle, so ergibt sich, dass sämt¬
liche Stadtbezirke von München eine verhältnismässig hohe Zahl ver¬
wanzter Häuser aufgewiesen haben. Auch hier wie bei der Lausver¬
breitung ist die alte Stadt, also der 1. bis 4. Bezirk, nicht übermässig
befallen. Am geringsten sind die Zahlen im 4. Bezirk, im 24 m dem Stadt¬
teil Thalkirchen und im 23. Bezirk, dem Stadtteil Neuhausen, Gern,
Nymphenburg. Demgegenüber treten Bezirke hervor mit einer auffallend
hohen Zahl wanzenbefallener Häuser: Dahin gehört zunächst der 9. Be¬
zirk, also wiederum wie bei den Läusen das Bahnhofviertel. Ausserdem
treten noch zwei Gegenden besonders hervor, die eine besteht aus dem
5., 6. und 7. Bezirk, also demjenigen Stadtteil, der hauptsächlich den
Studenten der Universität des Polytechnikums, der Akademie zur Unter-
*) Münchener Amtsblatt vom 23. V. 20 Nr. 39.
Digitized by Goiisle
Stadt¬
Personen mit
Häuser mit
Stadt¬
Personen mit
Häuser mit
bezirk
Kleiderläusen
Wanzen
bezirk
Kleiderläusen
Wanzen
1
11
63
16
27
96
2
14
75
17
17
57
3
10
48
18
8
87
4
1
21
19
57
48
5
9
99
20
10
36
6
18
117
< 21
6
75
7
6
105
22
0
45
8
12
57
23
8
39
9
67
99
24
14
24
10
19
129
25
3
57
11
11
165
26
8
81
12
9
54
27
1
45
13
5
87
28
12
51
14
4
63
29
3
_54_
15
6
57
379
1894
kunft dient und von der Türkenstrasse durchschnitten wird. Eine
weiter© Gegend wird von dem 10. und 11. Bezirk gebildet. Sie liegt
zwischen der Lindwurmstrasse und der Isar. Es ist derjenige Teil
Münchens, von dem ich bei meinen Untersuchungen über Genickstarre
feststellte, dass er von dieser Krankheit wie überhaupt von infektiösen
Krankheiten Jahr um Jahr besonders befallen ist Eine grosse Zahl von
Althandlungen und Trödlergeschäften scheint hier der Wanzenverbreitnng
besonders günstig zu sein. Endlich wäre noch der Stadtteil Au zu
nennen, der wiederum wie bei der Lausverbreitung eine hohe Zahl
Wanzenhäuser aufweist.
Schon oben wurde bemerkt, dass mit den Tinkturen nichts aus¬
gerichtet wird. Zu einer wirksamen Ungeziefervernichtung muss stets
die Vergasung herangezogen werden, sei es mit schwefliger Säure, sei
es mit Blausäure. Die Vergasung muss durch verlässiges Personal er¬
folgen, wenn sie wirklich wirksam sein soll. Bei Verwendung von
schwefliger Säure, welche ein geringes Durchdringungsvermögen gegen
Objekte hat muss die Dampfdesinfektion mindestens der Matratzen an¬
geschlossen werden. Bei den hohen Kosten, die durch die Teuerung
auch der Desinfektionsmittel und Apparate erwachsen, ist es vordringlich
notwendig, dass aus staatlichen, städtischen und privaten Mitteln Unter¬
stützung gewährt wird, um gegen die in sichtlicher Zunahme begriffene
Ungezieferplage, namentlich jene durch Wanzen, vergehen zu können.
Aus der Prosektur des Rudolfspitafes (Vorstand: Hof rat Prof.
Dr. R. Pal tauf) und der Prosektur des Franz-Josef-Spitales
(Vorstand: Prof. Dr. Oskar Stoerk) in Wien.
Ueber die chemische Natur der bei der Sachs-Georgi-
und Meinickereaktion, sowie bei dem Toxin-Antitoxin-
nachweis nach Georgi auftrotenden Flocken.
(Zu der Arbeit von Dr. Paul Niederhoff in Nr. 11, 1921
dieser Wochenschrift.)
Von Dr. EmO Epstein und Dr. Fritz Paul.
Wir haben in Band 90 Heft 3 des Archiv für Hygiene, das Ende
Februar 1921 in München erschienen ist, unter dem Titel „Zur Theorie
der Serologie der Syphilis“ eine neue Theorie der serologischen Lues¬
reaktionen entwickelt. Dieser Arbeit liegen unter andern auch Beob¬
achtungen und Versuche zugrunde,* die uns zu dem Schlosse führten, dass
die bei der Meinickereaktion entstandenen Flocken nicht von einer Aus¬
flockung der Eiweissphase luetischer Seren herrühren können, sondern
nichts andres darstellen, als ausgeflockte Lipoide, die dem zugesetzten
Extrakte entstamn^n.
Den Nachweis der Lipoidnatur dieser Flocken führten wir in ähn¬
licher Weise, wie Niederhoff durch die Löslichkeit des Nieder¬
schlages in Alkohol. Auch Sehe er hat in Nr. 2 vom 14. Januar des
Jahrganges 1921 dieser Wochenschrift durch Aetherextraktion der bei der
Sachs-Georgireaktion entstandenen Flocken gezeigt, dass der Rückstand
der abgedunsteten Aetherfraktion dieser Flocken aus Lipoiden bestehe.
Wir freuen uns, den Nachweis der Lipoidnatur der Flockungsnieder¬
schläge somit auch von anderer Seite bestätigt zu sehen und legen
Wert darauf, die Selbständigkeit und die Priorität
unserer Befunde hiemit festzulegen. (Das Manuskript unserer
Arbeit „Zur Theorie der Serologie der Syphilis“ war am 21. Oktober 1920
bei der Redaktion des Archiv für Hygiene eingelauf^n.) ^
Wir bemerken dazu, dass die Arbeit des Herrn S c h e e r am 6. No¬
vember 1920, die des Herrn Niederhoff am 13. Januar L J. bei
unserer Schriftleitung eingdlaufen war. Es besteht also kein Zweifel
über die Selbständigkeit und die annähernde Qleichzeitgkeit aller
drei Befunde. Uebrigens hat schon viel früher (d. W. 1920 Nr.33)
Mandelbaum auf Grund seiner Untersuchungen behauptet, dass nicht
Globuline, sondern Lipoide bei der Sachs-Georgi-Reaktion ausfallen.
Schriftl.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
492
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Johann Peter Frank.
(Zum 100. Todestag des Begründers der wissenschaftlichen
soziaien Hygiene am 24. April 1921.)
Von Dr. W. Sch weis heim er.
Die Bedeutung der sozialen Hygiene für die Gesundheit des Ein¬
zelnen wie für das Leben der Gesamtheit wird in immer steigendem
Masse erkannt. Erst seit neuester Zeit dringt eigentlich ihre umfassende
Notwendigkeit zum Bewusstsein grösserer Allgemeinheit. Der alte Satz,
dass Krankheit verhüten wichtiger ist als Krankheit heilen, hat durch
jenen grossen Ausblick, den die Auffassung <ier Krankheitsentstehung
als selbstgeschaffene, daher vermeidbare Folgen sozialer Verhältnisse,
kultureller Zusammenhänge eröffnet hat, eine neuartige und verheissungs-
volle Beleuchtung erfahren. Als unentbehrlicher Grundzug alles ärzt¬
lichen Strebens erscheint immer mehr jede vorbeugende Tätig¬
keit, sei sie nun in der Aufklärung der Gesunden über vermeidbare
Gefahren gelegen, oder in dem unentbehrlichen Zwang sozialhygienischer
Gesetzgebung oder in der gewissenhaften Ausführung als richtig er¬
kannter gesundheitlicher Vorsichtsmassregeln. Die grosszügige sozial¬
hygienische Fürsorge unserer Zeit, die in bescheidenen Ansätzen bereits
das erstrebenswerte Endziel eines internationalen Gesundheits¬
schutzes über die ganze Erde hin ahnen lässt, ist ein Anzeichen für
menschlichere Gesinnung, der — trotz allem, was an Verirrungen der
letzten Jahre dagegen zu sprechen scheint — eine höhere Auffassung
und Wertung des einzelnen Menschenlebens zugrunde liegt als sie in
vergangenen Jahrhunderten die Regel bildete.
Der Anfang jener Bestrebungen, die im weiteren Verfolg zum Auf¬
bau der heutigen sozialen Hygiene führten, reicht schon Jahrhunderte
und Jahrtausende zurück. Die sozialhygienischen Fürsorgemassnahmen
der antiken Völker sind uns in ihren Sittengesetzen überliefert Aber
erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden jene Bestre¬
bungen in ein wissenschaftliches System gebracht, durch einen Mann,
dessen Todestag sich jetzt zum hundertstenmal jährt dessen Ideen aber
heute noch den Wesensinhalt scheinbar allermodernster sozialhygieni¬
scher Ziele darstellen. Es ist merkwürdig; dieselbe Zeit die in der
deutschen Kulturwelt nicht mehr erreichte Werte der Dichtkunst und
Musik hervorbrachte, die in Statistik und Nationalökonomie den Grund¬
stein neueren Denkens legte, hat auch in der Medizin den heute be¬
herrschenden Gedanken der sozialen Hygiene in gereifter Form zur
Welt kommen lassen. Das Werk, das zum erstenmal eine wissenschaft¬
liche Zusammenfassung sozialhygienischer Grundsätze gibt, ist das
„System einer vollständigen medicinischen Poli-
z e y“, dessen erster Band in Mannheim im Jahre 1779, dessen letzter
Band 1817 erschienen ist. Sein Verfasser und damit der Begründer der
wissenschaftlichen sozialen Hygiene ist Johann Peter Frank.
Der Lebenslauf Franks spielte sich, wie nicht selten bei Ge¬
lehrten in der damaligen Zeit, an sehr verschiedenen Orter» ab; er
gibt einen Einblick in die trotz streng beobachteter politischer Grenzen
irr ausgedehntem Mass vorhandene internationale Geltung bedeutender
Wissenschaftler. Frank wurde am 19. März 1745 in Rodalben, einem
kleinen Ort bei Pirmasens, damals im Besitz der Markgrafen von
Baden-Baden, geboren. Er ist also ein gebürtiger Badener. In Pont
ä Mousson studierte er bei B a r 1 e t, einem berühmten Jesuiten, Physik,
weiterhin in Heidelberg und Strassburg Medizin, ln Heidelberg pro¬
movierte er 1766 mit einer Arbeit über die Ernährung im frühesten
Kindesalter. Damals dachte er bereits an die Notwendigkeit obrig¬
keitlicher Vorsorge für den Gesundheitszustand eines Landes, an die
Ausführung gemeinnütziger Gesundheitsanstalten durch die Polizei eines
Staates und nannte bewusst den Zweig der Wissenschaft, den er in
Gedanken trug, „medizinische Polizei“.
Bitsch, Baden, Rastatt und Bruchsal waren die nächsten Orte seiner
Tätigkeit. Er war inzwischen Hofmedikus des Markgrafen von Baden-
Baden und Leibmedikus des Bischofs von Speyer geworden. In letzterer
Stellung errichtete er in Bruchsal eine für die Ausbildung der damaligen
Zeit wichtige Wundarzneischule. 1784 wurde er als Professor nach
Oöttingen berufen; er las dort über allgemeine und spezielle Therapie,
über Physiologie und Pathologie, medizinische Polizei und gerichtliche
Arzneiwissenschaft. Bereits das nächste Jahr sah ihn als Direktor des
Krankenhauses in Pavia. Er blieb 10 Jahre in Pavia und unternahm
von dort ausgedehnte Studienreisen durch die Lombardei und die
Schweiz. Die dabei gesammelten Kenntnisse ermöglichten ihm ip seiner
Stellung als „Generaldirektor des Medizinalwesens in der öster¬
reichischen Lombardei“ die Durchführung grundlegender organisatori¬
scher Massnahmen. Im Jahre 1795 wurde Frank als Direktor des
Allgemeinen Krankenhauses und Professor der praktischen Arzneischule
nach Wien berufen. Dort fand er reiches Feld für seine Verbesserungs¬
bestrebungen. Charakteristisch gleichzeitig für die damalige Hygiene
ist die Schilderung, die Frank in seiner Selbstbiographie von den Ver¬
hältnissen in der Abteilung für Geisteskranke, dem „Irrenturm*', liefert.
„Da aber die mehrsten in dem Irrenthurme befindlichen Wahnwitzigen,
aus Mangel eines schicklichen Platzes, nie aus diesem ungesunden Ge¬
bäude gelassen werden konnten, und sich auf Sonn- und Feyertäge eine
Menge müssiger, fürwitziger Personen um jenen Thurm versammelte,
die daselbst verhafteten Personen durch Zurufen störte, oft reizte, auch
manchmal denselben schneidende und andere schädliche Werkzeuge zu¬
steckte; so ward jetzt, auf mein Einrathen, durch eine Mauer aller will-
köhrlicher Zutritt versper^i^ zugleich aber zu beyden Seiten des Irren-
Digitized by CjOOOIC
thurms ein Rasenplatz mit Bäumen besetzt, und den unglücklichen Ver¬
rückten zu einiger Bew'egung in freyer Luft, und zu ihrer Ergötzung an¬
gewiesen. Did in jeder Zelle der Wahnwitzigen befindlichen, einen un¬
erträglichen Gestank verbreitenden, Abtritte wurden vermauert; hin¬
gegen ward jenen ein verdecktes Gefäss, welches, so oft es zu ihren
Bedürfnissen gedient hatte, sogleich beseitiget werden konnte, ange¬
wiesen.“ Frank war in Wien, worauf seltsamerweise keine Bio¬
graphie hinweist, auch einer der behandelnden Aerzte
Beethovens (1801).
Von Wien kam Frank als Lehrer der klinischen Medizin nach
Wilna und nach kurzer Zeit als kaiserlicher Leibarzt und Direktor der
ersten medizinisch-chirurgischen Akademie nach St. Petersburg. 1809
kehrte er nach Wien zurück und hatte bei der zw-eiten Besetzung Wiens
durch die Franzosen die Aufgabe, den krank im Schloss Schönbrunn
weilenden Kaiser Napoleon zu behandeln. Eine lang geplante Ueber-
siedelung nach Freiburg i. B. gelangte endlich zur Ausführung, aber häus¬
liches Unglück (Tod der Tochter) Hess ihn dort nicht lange weilen. Er
kehrte wieder (1811) nach Wien zurück, war dort praktisch und lite¬
rarisch lebhaft tätig. Er starb am. 24. .April 1821. Für den geistreichen
Humor, der ihn bis zum letzten Augenblick nicht verliess, spricht jene
sarkastische Aeusserung, die er, wie Doll berichtet, auf dem Sterbebett
tat, als nicht weniger als acht Aerzte es umstanden: „Jetzt verstehe ich
erst jenen Grenadier, der bei Waterloo von acht Kugeln durchbdhrt, aus¬
rief: Sapristi, jetzt weiss ich auch, wieviel Kugeln nötig sind, um einen
Grenadier zu töten!“
Frank lehrte in lateinischer Sprache und demgemäss sind einige
seiner Werke lateinisch erschienen, namentlich das siebenbändige Werk
„De curandis hominum morbis epitome“ (1792—1801), das später auch
in deutscher Sprache aufgelegt wurde. Nach seinem Tod wurden von
seinem Sohn die „Opuscula posthuma" (1824) herausgegeben. Später
erschienen noch seine kleineren Schriften unter dem Namen „De medi-
cina clinica Opera omnia minora“ (1844).
Das Hauptwerk, das System einer vollständigen medizinischen
Polizei, ist in deutscher Sprache geschrieben. Frank hatte nach seinem
Erscheinen zum Teil die heftigsten Anfeindungen zu erdulden. Das ist
in der Tat nicht verwunderlich, wenn man sieht, dass es nicht nur für
die damalige Zeit ganz neue und allem Hergebrachten widersprechende
Angaben enthält, die in d^r folgenden Zeit grossenteils zur Ausführung
gelangten, sondern auch Vorschläge, die heute noch neu und trotz
unbestreitbarer Richtigkeit nicht durchzusetzen sind. Ein kurzer Ein- ,
blick in den Inhalt des Werkes lässt die Aktualität der behandelten
Fragen erkennen. Im ersten Band w erden die Beziehungen des mensch¬
lichen Zeugungstriebes zum allgemeinen Gesundheitswohl besprochen,
das Zölibat, die günstigen und ungünstigen Bedingungen für Ehe und
Schwangerschaft. Einer ärztlichen Untersuchungspflicht
vor der Ehe, einem Heiratsverbot bei ehe- und fortpflanzungs¬
gefährdenden Krankheiten wird energisch das Wort geredet. „Es ist
eine nicht undeutliche Pflicht der Vorsteher des gemeinen Wesens, die¬
jenigen ihrer Untergebenen, welche mit besonders schweren und nach¬
theiligen erblichen Uebeln beladen sind, nicht ohne nähere Untersuchung
heyrathen zu lassen.“
Unter den unter das Heiratsverbot fallenden Krankheiten werden
namentlich die Geschlechtskrankheiten angeführt, wie Frank
sich überhaupt der Notwendigkeit umfassender Massnahmen gegen diese
S^che (Untersuchung und zw'angsmässige Behandlung der Prostituierten,
Einrichtung von unentgeltlichen Behandlungsstätten für mittellose Er¬
krankte, Verbot des Geschlechtsverkehrs bis zu völliger Wiederher¬
stellung) wohl bewusst ist. „Es ist kein Mittel, diesem Unfuge (der Ver¬
heiratung venerisch Kranker) vorzubeugen,' ausser dass man zu Regel
annehme: im Fall, wo ein mit der venerischen Seuche behafteter
Mensch, welchem seine Umstände vor der Ehe nicht verborgen seyn
konnten, sich dennoch unterstanden, eine unschuldige Person zu hey¬
rathen: wenn es möglich ist sogleich auf derselben erstes Begehren die
Ehe zu trennen, und einen ansehnlichen Teil des männlichen Vermögens
der Beleidigten zuzuschreiben, und so umgekehrt.“ Ueber die Ge¬
schlechtskrankheiten im allgemeinen sagt er, „dass der Staat kein Mittel
zu theuer erkaufen könne, wenn je eines im Stand seyn sollte, diese
Quelle des scheusslichsten Uebels auszutrocknen, oder, wenn dieses nicht
seyn kann, w’enigstens abzuleiten.“
Mit der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft geht
Frank, der stets auf die Notwendigkeiten und das Wohl des Staates
das grösste Gewicht legt, scharf zu Gericht; er tritt sogar für eine
Anzeigepflicht der Schwangerschaft ein. Die Erziehung der Kinder, die
Pflicht des Selbstetillens der Mutter, Ammenwesen, Findel- und Waisen¬
häuser, Schulhygiene und Wert der Gymnastik für die Erziehung werden
weiterhin behandelt. Die folgenden Bände enthalten ausführliche Er¬
örterungen über Nahrungs-, Kleidungs- und Wohnungshygiene; von zu¬
fälligen und vorsätzlichen Verletzungen der öffentlichen Sicherheit durch
Naturereignisse und Menschenwillen, insbesondere auch der Gefahr des
Lebendigbegrabenwerdens und ihrer Abwendung durch streng durch¬
geführte Vorschriften; Beerdigungsvorschriften: medizinischem Unter¬
richtswesen. Kaum eine Abteilung jener Gebiete, die wir unter dem
Namen „soziale Hygiene“ zusammenfassen, ist nicht mit Gründlichkeit
und grösstem Weitblick behandelt.
Während in der damaligen Zeit eine gewisse Geheimniskrämerei
von vielen Aerzten noch sozusagen als Berufsattribut betrachtet wurde,
erblickt Frank in der richtigen gesundheitlichen Aufklärung ein
unentbehrliches Unterstützungsmittel aller sozial- und indivldual-
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
t
f
4
22. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
493
hygienischen Bestrebungen. Er weiss, dass ohne Vernunft-
gemässe Mitarbeit, mit Zwang allein, die Volkskrankheiteii nicht
erfolgreich bekämpft werden können. Er verurteilt zw'ar gewisse
populärmedizinische Schriften, die infolge ihrer Unrichtigkeit und kritik¬
losen Tendenz mehr Unheil als Nutzen stiften, macht sich aber die be¬
deutungsvollen Worte S 1 0 11 s, des 1787 gestorbenen bedeutenden
Wiener Arztes und klinischen Lehrers, zu eigen: „Endlich glaube ich
dem Arzte noch eine Berufspflicht auflegen zu müssen, die bei ihm am
besten verwahrt und in seinem Geschäftstriebe gewiss von den wohl¬
tätigsten Folgen sein würde. Ich meine die Aufklärung der Staats¬
bürger, besonders der auf dem Lande wohnenden, über solche Dinge,
die ohne naturwissenschaftliche Einsicht nicht erkannt werden.“ —
Männer, die so ihrer Zeit voraus Anregungen und Vorschläge bringen,
an denen ein ganzes Jahrhundert zu arbeiten hat, ohne sie zu erschöpfen,
sollen nicht vergessen sein.
Literatur,
Franks Werke (siehe im Text). — Franks Selbstbiographic.
Wien 1802. — K. Doll: Dr. Joh. Peter Frank. Karlsruhe 1909. —
K. E. F. Schmitz: Die Bedeutung J. P. Franks für die Entwicklung der
sozialen Hygiene. Berlin 1917.
Für die Praxis.
Die Frühdiagnose des Mastdarmkrebses.
Von A Kreckein München.
Eine eigene Abhandlung über die Frühdiagnoso des Mastdarm¬
krebses sollte eigentlich ganz überflüssig sein. Der Mastdarmkrebs ist
eine so leicht zu erkemnende Erkrankung, dass auch der Ungeübte keine
, Schwierigkeit hat, dieseJbe nachzuweisen. Er braucht dazu bloss den
l' Finger in den Mastdarm einzuführen und den Mastdarm auf allen SeitH^n
1 gut abzutasten. Auch ein kleines Karzinom kann ihm bei dieser durch¬
aus sicheren Untersuchung nicht entgehen. Dk Schwierigkeit der Dia-
^ gnosei liegt nicht in der Erkennung des Krebses, sondern darin, dass sich
viele Aerzte bei leichten Mastdarmbeschwerden nicht veranlasst sehen,
die Fingeruntersuchung vorzunehmen. Man muss es fast alltäglich er¬
leben, dass Kranke, die schon lange Zeit an den verschkdensten Stuhl-
beschwerden leiden, bei der Untersuchung ein weit vorgeschrittenes
Krebsgeschwür erkennen lassen. Sie sind Wochen- und monatelang mit
der Diagnose „Hämorrhoiden“ hingkjhalten, und eine Abtastung des Mast¬
darms ist nie vorgcinommen w’orden.
* Auch der Erfahrene und Geübte kann leicht einen Fehler begehen.
Ist es mir doch vorgekomnren. H-^ss ich einen älteren Herrn wegen eines
ausgesprochenen Hämorrhoidalprolapses operiert habe, bei dem bald
danach von anderer Seite ein Mastdarmkrebs festgestellt wurde. Der
Hämorrhoidalprolaps war so beträchtlich, dass ich alle Beschwerden auf
ihn allein beziehen zu müssen glaubte und eine genaue Abtastung des
Rektums unterliess, auch dann unterlietss. als der Patient nach der
Operation immer noch über sehr verdächtige Stuhlbeschwerden klagte.
Das gemeinsame Vorkommen des Hämorrhoidalprolapses und des Kar¬
zinoms mag den Fehler in gewisser Weise entschuldigen, der Fall soll
aber eine ernste Mahnung sein, in jedem Falle von Hämorrhoidalleiden
eine genaue Fingeruntersuchung des Mastdarms vorzunehmen.
Die frühzeitige Erkennung des Mastdarmkrebses wird weiter dadurch
beeinträchtigt, dass ein solches Karzinom zumal dann, wenn es etwas
* höher sitzt, dem Patienten ganz ausserordentlich wenig Be¬
schwerden verursacht Man braucht nicht so weit zu gehen, wie
jener Kollege, der nach einer klinischen. Vorlesung, wo über die Sym-
Dtomenlosigkeit des Mastdarmkrebses gesprochen worden war, zu dem
betreffenden klinischen Lehrer hinging und ihm erklärte: ..Herr Professor,
ich habe gar keine Beschwerden, fühle mich ganz gesund. Ich bitte
unfersuchen Sie mich, '^h bin fest überzeugt dass ich einen Mastd^m-
krebs habe.“ Abe.r eine solche kleine Geschichte ist doch immer eine
gute Mahnung dahin, dass man in der Fingeruntersuchung
des Mastdarms nicht weitgehend genug sein kann.
Leider scheint die Fingeruntersuchung de« Mastdarms bei vielen
Aerzten nicht sehr geschätzt zu sein. Es ist ja auch gerade kein Ver¬
gnügen, in den Teil des Darme«, der wohl im oberbayerischen Sprach-
■ gebrauch recht beliebt ist, sich sonst aber keiner grossen Wert¬
schätzung erfreut mit dem Finger hineinzufühlen. Heute, wo wieder
ft genügend Gummifinger zur Verfügung stehen, ist aber das Unternehmen
doch kein so besonders unfeines. Wenn wnr bedenken., wie vielen
Menschen wir durch eine frühzeitige Diagnose des Mastdarmkrebses das
sonst sehr gefährdete Leben für lange Zeit erhalten können, so muss
uns diese Ueberlegung anspornen, immer und immer wieder in unklaren
Fällen den Mastdarm zu untersuchen.
Eine Mastdarm Untersuchung mit dem Finger gehört
eigentlich zu jeder sorgfältigen Allgemeinuntersuchung.
Sie ist um so mehr dann angezeigt, wenn die übriget Untersuchung
nichts sicheres ergeben hat und ganz besonders dann, wenn irgend¬
welche Störungen des Allgemeinbefindens oder der Magen- und Darm-
üitigkeit vorhanden sind, für die man sonst keine Erklärung findet.
Ich denke immer noch mit besonderer Hochachtung an den Kol¬
legen. der in einem derartigen Fall, wo der Kranke erst seit 8 Tagen
unbedeutende Beschwerden in der rechten Unterbauchgegend aufwies.
Öen Darm genau abtastete und ein kaum zehnpfennigstückgrosses Kar¬
zinom nachweisen konnte.
Unbedingt angezeigt ist eäne Mastdarmuntersuchung dann, wenn der
Kranke seit einiger Zeit über ganz leichte Unregelmässig¬
keiten der Stiihlentleerung klagte. Gerade diese leichten
Störungen der Darmentleerung sind oft monatelang das einzige Zeichen
des beginnenden Krebses. Der Krank-o, der bis dahin pünktlich seine
Stuhlentleerung hattei. wird allmählich darin unregelmässig. Der Stuhl
kommt nicht zu gewöhnlicher Zeit, seine Entleerung erfordert grössere
Anstrengung, oft bleibt sie einen ganzen Tag aus. Hin und wieder wech¬
selt die Stühlentleeriing mit Durchfall. Schmerz'cn fehlen dabei häufig voll¬
kommen. Auch Beimischung von Blut und Schleim ist sehr häufig nicht
vorhanden.
(jeht der Kranke zum Arzt, so liegt es natürlich sehr nahe, an einen
gewöhnlichen Fall von Verstopfung zu denken, den Kranken zu be¬
ruhigen und mit einigen diätetischen Vorschriften zu entlassen. Man
versäume in keinem derartigen Falle eiire sorgfältige Abtastung des
Mastdarmes vorziinehmen. Man wird oft ein Karzinom nachweiser.
Dringender wird die Mastdarmuntersuchung in allen denjenigen
Fällen, wo sich zu der lekliten Verstopfung örtliche Beschwer¬
den von seiten des Mastdarmes liinzugesellen: l-ei«#''* Druck
im Mastdarrn. unbedeutende Schmerzen bei der Entleening. Stuhldrang,
ohne dass cs zu einer Fntlecrnng kommt. Stuhlgang mit Abgang von nur
etwas Schleim, leichte Blutsnuren im Stuhl. Wenn diese Frscheinungen
aiiftreten, so gehört schon ein gewisser Grad von Gletchgiiltigkcit dazu,
eine genaue Abtastung des Mastdarincs zu unterlassen. Wer sicii in
einem solchen Falle auf die einfache Betrachtung des Afters beschränkt
und den Kranken damit beruhigt, dass er ihm sagt, cs sind nur einige
Hämorrlioidalknötchen vorhanden, der ist von der Verantwortungspfliclit
eines .Arztes nicht durchdrungen. Ja noch mehr: Findet man in einem
solchen Falle mit dem Finger kein Krebsgeschwür im B'oreichc des
Mastdarmes, so muss man unbedingt auch noch die M a s t d a r in -
Spiegel-Untersuchung vornehmen und muss den Mastdarm und
den unteren Teil der Fle.xur bis zur Höhe von 30 cm genau absiichen.
Die Berücksichtigung der anatomischen und pathologischen Verhält¬
nisse genügt, zu erkennen, dass im allgemeinen örtliciie Beschwerden
im Mastdarm nur durch solche Ki-ebsveschwüre bedingt werden, welche
im unteren Teil des Mastdarmes ihren Sitz haben. Die im oberen
Teil des Mastdarmes, im Colon pelvinurn und im unteren Teil der
Flexur sitzenden Karzinome lassen solche Beschwerden oft lange
Zeit vermissen. Gerade die Beachtung dieser Tatsache soll den
denkenden Arzt veranlassen, in allen Falten von unbestimmten Störungen
der Magen- und Darmverdauung auch eine sorgfältige rektoskopische
Untersuchimg des Mastdarmes vorzunchincn.
Gar nicht selten sind diese hochsitzenden Mastdarmkarzinome, die
mit dem Finger natürlich nicht e.Tkennbar sind, lange Zeit als Magen-
katarrli. als einfache Verstopfung behandelt worden, besonders dann,
wenn sie mit Abnahme des Appetits, mit unbestimmten Empfindungen
im ganzen Leib, mit Gassperre, leichter Abmagerung cinhürgehen.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit deutet auf ein höher sitzendes Kar¬
zinom ein plötzlich aus dem Mastdarm einselzencter Blutabgang hin.
Es ist nicht selten, dass ein solcher Blutabgang einen Kranken in voller
Gesundheit überrascht und das einzige Symptom der Darmstörung vor¬
stellt. In jedem derartigen Falle, wenn es sich auch nur um wenig Blut
handelt, muss ein'C sorgfältige Rektoskopie aiisgcführt werden.
Auch hier muss ich rühmend eines Kollegen gedenken, der nach
zwTÜ nicht sehr bedeutenden Blutabgängen durch den After sofort eine
rektoskopisch'e Untersuchung veranlasste. die in der Höhe von 14 cm
ein kleines Karzinom feststellen liess. Das Karzinom konnte durch die
abdomino-sakrale Operation gut entfernt werden.
Der Gebrauch des R e k t o s k o o e s sollte jedem Arzte ebenso
geläufig sein wie der des Kehlkopf- oder Ohrenspiegels. Das beste
Instrument ist entschieden das von St.rauss. das die Lichtouelle an
seinem Ende trägt und mit Hilte eines Gebläses die Darmschleimhaut
in sdlir übersichtlicher Weise entfaltet. Seine Einführung erfordert eine
gewisse Ue»bung. kann aber von jedem .Arzte, der sich die anatomischen
Verhältnisse, insbesondere die verschiedenen Krümmungen des unteren
Darmeiides. klar macht, leicht erlernt werden. Eine gewisse Schwierig¬
keit bietet fast immer die Ueberwindung des Plica romana: durch ent¬
sprechende Senkung des Griffes des Instrumentes unter genauer Kon¬
trolle der Darmverhältnissc mit dem Auge lässt sie sich aber immer
ermöglichen.
• Bei manchen Aerzten scheint eine übertriebene Vorstellung von der
Gefährlichkeit der Rektoskopie zu herrschen. Es ist das
wohl darauf zurückzuführeii. dass vor Jahren im Münchener ärztlichen
Verein über einen Fall von Darmperforation berichtet wurde, die
durch 'eine in Narkose vorgenornmene Rektoskopie entstanden war.
Gegenüber vielen tausend Fällen beweist dieser Fall wohl nicht .sehr viel.
Ich selbst habe unter sehr vielen Rektoskopien nie einen Uiiglück.s-
fall erlebt. Ich darf allerdings nicht verschweigen, dass in meiner Ab¬
wesenheit ein Assistent ebenfalls eine Perforation herbeigeführt hat, die
trotz sofortiger Laparotomie den Tod zur Folge hatte
Zur Verhütung eines derartigen Zufalles kann nur dringend geraten
werden, jede Gewaltanwendung zu vermelden und ständig
eine genaue Kontrolle mit dem Auge auszuüben. Wichtig:
erscheint es mir auch, die Rektoskopie nie* in Narkose vorzunehmen.
In Narkose fällt die so notwendige Schnierzäusserung des Kranken fort,
die den Arzt sofort aufmerksam macht, wenn er auf einem falschen
W'ege ist.
Digitized by
Got.gle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFOR'I-i^
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Das Gesagte lässt sich in folgenden Regeln zusammenfassen:
1. Bei jeder nicht erklärbaren Verstopfnu^r, bei allen auch leichteren
Störungen im Bereiche des Mastdarmes muss eine sorgfältige Finger¬
untersuchung des Mastdarities vorgenommen werden.
2. Bei ergebnisloser Fingeruntersuchung muss auch eine Rektoskopie
angeschlossen werden.
3. Die Rektoskopie ist unbedingt dann notwendig, wenn bei einem
Kranken unklare Störungen der. Magen- und Darmtätigkeit auftreten,
oder wenn aus dem Darm sich der Abgang von auch nur wenig Bhit
einstellt, der auf andere Weise nicht erklärt werden kann.
BQcheranzeigen und Referate.
Emil Rosenberg: Die verschiedenen Formen der Wirbelsäule
des Menschen und Ihre Bedeutung. Jena 1920. I. Teil. 163 Seiten,
25 Textfiguren und 4 Tafeln. Preis: M. 50.—.
Mit diesem Werke fasst der frühere Utrechter Anatom seine zahl¬
reichen Forschungen über die Wirbelsäule zusammen, ergänzt sie durch
Vorlegung eines äiisserst sorgfältig verarbeiteten grossen Materials (über
160 genau präparierte Wirbelsäulen) und setzt sich mit der heute meist
herrschenden Anschauung seiner Gegner auseinander. Hierbei bringt er
besonders in den einleitenden Kapiteln viele beachtenswerte Hinweise
in methodischer Hinsicht. R. fasst die Wirbelsäule in ihrem jetzigen
Zustande als ein Uebergangsstadium auf, worauf die kritische Verwertung
der Varietäten hinweist. Zweifellos ist das klar geschriebene Werk
besonders auch durch die prachtvollen Tafelbilder und ihre kritische Ver¬
wertung ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum vollen Verständnis
der menschlichen Organisation. Es wird die Diskussion besonders nach
der Natur des lumbosakralen Uebergangswirbels von neuem in Fluss
bringen. v. Möllendorff -Freiburg/Br.
R. du Bois-Reymond -Berlin: Physiologie des Menschen und
der Säugetiere. 4. Auflage. 618 Seiten mit 155 Textfiguren. Verlag von
A. Hirschwald, Berlin 1920. Preis 26 M.
Für das ein Jahr vor dem Kriege in 3. Auflage Erschienene Lehrbuch
ist bald nach dem Kriege eine neue Auflage notig geworden. Im
allgemeinen hat der Verfasser bei der Neuherausgabe an der bewährten
Anordnung des Stoffes festgehalten, nur der Abschnitt über Ernährung
wurde etwas anders gefasst. Der Umfang des Buches konnte he.'-aö-
gesetzt, die Zahl der Abbildungen vermehrt werden. Die Ausstattung
des Buches ist eine gute.
Das unter Vermeidung von Einzelheiten klar und sachlich geschrie¬
bene Lehrbuch eignet sich sehr gut zur Einführung in die Physiologie.
Da in dem Buche auch die Physiologie der Haustiere eine besondere
Berücksichtigung findet, so wird es von den Studierenden der Veterinär¬
medizin mit Recht viel benutzt. K. B ü r k e r - Giessen.
M. Matthes: Lehrbuch der Differentialdiagnose innerer Krank¬
heiten. Zweite Auflage. Mit 106 Textabbildungen. Berlin, J. Springer,
1921. Preis 68 M., gebunden 76 M.
Es sagt viel, wenn in der Zeit jler ins Groteske steigenden Bücher¬
preise und der sinkenden Kaufkraft im Kreise der Bücherfreunde ein rein
wissenschaftliches Werk, wie das vorliegende, schon nach IV 2 Jahren
in zweiter Auflage erscheint. Wir haben unserer ersten Besprechung in
dieser Wschr. (1919, Nr. 30) nichts Wesentliches hinzuzufügen. Fast
ohne den Umfang zu vergrössern, hat der Verfasser sein grundlegendes
Werk von neuem überarbeitet und, soweit es wünschenswert erschien,
um einige Zugaben bereichert.- Von solchen seien besonders erwähnt
kleinere und grössere, bisher fehlenden Kapitel über Keuchhusten, Wund¬
infektionskrankheiten (Tetanus, Lyssa. JRotz, Milzbrand), Sauerstoff¬
aufblähung des Abdomens, einige seltenere Knochenkrankheiten, wie die
Rachitis lenta, die Paget sehe Krankheit (deformierende Osteitis älterer
Leute), die hvperplastisch-porotische Osteoperiostitis etc.» Erweitert ist
ferner die Differentialdiagnose der Kreislauferkrankungen, sowie die
radiologische Untersuchung der grossen Gefässe, und in die differential¬
diagnostischen Erwägungen des objektiven Herz- und Gefässbefundes
neu eingefügt eine wertvolle Erörterung der luetischen Erkrankungen der
Aorta. Bel der Differentialdiagnose des Ikterus haben die neueren
Untersuchungen über die hämato-oder hepatogeneEntstehung (van den
Bergh, Lepehne) Berücksichtigung gefunden. Diese heraus¬
gegriffenen Beispiele zeigen, mit welcher Sorgfalt der Verfasser bemüht
gewesen ist, sein Werk auf der Höhe der Zeit zu erhalten.
Vollkommene, auf eigener Kenntnis und reicher Erfahrung beruhende
Beherrschung des bearbeiteten Stoffes unter gründlicher Heranziehung
der Literatur, klare, nichts Wichtiges übersehende Fragestellung und ihre
scharfsinnige Beantwortung, dazu die Kunst einer leicht fasslichen Dar¬
stellung. die auch durch schwierige Problem^ der Differentialdiagnostik
den Weg weist — das sind die grossen Vorzüge des Matthes sehen
Lehrbuches. Es wendet sich in erster Linie an den reiferen Kollegen.
Aber auch der noch unerfahrene wird sich in dieser Fundgrube des
Wissens und scharfsinnigen ärztlichen Denkens reiche Belehrung und in
Fällen diagnostischen Zweifelns zuverlässigen Rat oder doch, wo Gewiss¬
heit nicht zu erlangen ist, Gewissensberuhigung holen. S t i n t z i n g.
Prof. Dr. Gräfin v. LInden: ExperlmentaUorschungen zur Chemo¬
therapie der Tuberkulose mit Kupfer- und Methylenblausalzen. Leipzig
1920, Curt Kabitzsch. Preis 126 M,
Das vorliegende Buch bildet einen Neuabdruck von Arbeiten, die
Digitized by Goiisle
in Brauers Beiträgen erschienen sind (und demnach in der M.m.W. schon
an entsprechender Stelle einzeln besprochen wurden). Eine Zusammen¬
fassung dieser wertvollen Forschungsergebnisse ist sicher zu begrüssen.
Aber bei einem Buche, das, trotzdem es nur ein Abdruck ist, mit 126 M.
bezahlt wird, hätte eine sorgfältigere technische Bearbeitung und ein¬
heitlichere Gestaltung durchgeführt werden müssen.
Es ist ausgeschlossen, die einzelnen Abschnitte auch nur aufzuzählen.
Aber ganz gleich, ob sie Zustimmung oder Widerspruch finden: Achtung
vor der unermüdlichen fleissigen Arbeit muss jeder haben: diese Kollegin
ist wirklich, wie Dürers Ritter, mutig durch Tod und Teufel hindurch¬
geschritten, und keiner, der das Buch auch nur durchblättert und die
künstlerisch schönen Tafeln studiert, wird sich des Eindrucks einer
gewaltigen wissenschaftlichen Arbeit erwehren können.
Die Versuche beginnen mit Methylenblau, gehen aber bald zu
Kupfer über, beschäftigen sich erst mit den Erscheinungen in vitro, um
dann das Tier und schliesslich den Menschen in Angriff zu nehmen.
Dabei kommt die Verf. irn Gegensatz zu alten Anschauungen zu dem
Schlüsse: „Zusammenfassend lässt sich sagen,.dass es auf verchiedenen
Wegen möglich ist, dem tierischen und menschlichen Organismus, ohne
ihn im geringsten zu schädigen, in kürzerer oder längerer Zeit so viel
Kupfer zuzuführen, dass alle theoretischen Bedingungen erfüllt sind, um
eine Abtötung der Tuberkelbazillen im lebenden Organismus zu erzielen.“
Die Behandlung mit Kupfer und Methylenblau ändert deutlich das
Bild der Versuchstiere. Die Krankheit wird chronisch, stationär. Be¬
sonders günstig wird nach kurzer Reaktion auf die Entfieberung einge¬
wirkt, auch das Gewicht steigt, die Infektionserreger sterben ab, eine
fibröse Rückbildung der erkrankten Gewebe stezt ein. Oertliche und allge¬
meine Reaktionen zeigen das dem Beobachter. Wie beim Tiere so
sieht man zweifellos auch beim Menschen Wirkungen und zwar offen¬
sichtlich bei der chirurgischen Tuberkulose. Bei Lungentuberkulose
treten sie (nach dem Mitarbeiter Meissen) weniger in den Vorder¬
grund, überraschten aber doch den erfahrenen Lungenarzt, ebenso wie
den leider während der Versuche gestorbenen Beelitzer Chefarzt Mar¬
quardt. Die Immunkörper werden vermehrt. Aus den Schlussfolge¬
rungen sei schliesslich folgender zusammenfassender Satz angeführt:
„Je schwerer der Ort der tuberkulösen Prozesse zugänglich ist,
je weiter die Herde von der Peripherie abliegen, desto leichter ent¬
ziehen sie sich dem Einflüsse des in den Körper eingeführten Kupfers.
Es zeigt sich deshalb die Kupfertherapie bei Lungentuberkulose wie
beim Tiere, so auch beim Menschen, nicht in allen Fällen wirksam. Alle
Prüfer, die mehrere Jahre der Ausgestaltung der Kupfertherapie der
Lungentuberkulose gewidmet haben, kommen zu dem übereinstimmenden
Ergebnis: dass die Kuofertherapie bei schweren chronischen oder sub¬
akuten fieberfreien, subfebrilen oder leicht fiebernden Fällen gute Er¬
folge ergibt. Dagegen werden alte fibröse Phthisen nicht wesentlich
beeinflusst, und bei progredienten, fieberhaften Erkrankungen kann die
Kupfertherapie, wenigstens bei intravenöser Behandlung, zu ungünstigen
Resultaten führen. Rezentere Herde werden schneller beeinflusst als
ältere kavernöse, auch in einer und derselben Lunge.“
Liebe- Waldhof-Elgershausen.
A. Pappenhelm: Hämatologlsche Bestlmmungsialeln. Heraus¬
gegeben von Dr. Hans H i r s c h f e I d.
In seinem grossen Atlas entwickelte Pappenheim in ausführ¬
licher Weise ein Lehrsystem der zytologisch-zylogenetischen Betrach¬
tung der Blutzellen, in dem seine Anschauungen eingehend begründet ^
sind. Der Autor hielt es für zweckentsprechend, in diesen Bestimmungs¬
tafeln das Ergebnis aller seiner Feststellungen in einem „möglichst kon-
zisen Extrakt rein synthetisch darzustellen und diagnostisch zu dedu¬
zieren“. Dieses „konzise Extrakt“ erstreckt sich nun allerdings durch
335 Seiten Atlantenformates, in denen der Kleindruck fast überwiegt,
und die in dem Papp enh eimschen, an lateinisch-griechischen Kunst-
worUn reichen Stil geschrieben sind; Das erfordert von dem Leser
viel 7eit und Konzentration und wird manchen Vielbeschäftigten ab-
schrecken. Es lässt sich auch darüber streiten, ob in einen Begleittext
zu hämatologischen Bastimmungstafehi ein 100 Seiten starkes, sehr
theoretisches und formelreiches Kapitel über Farbchemle gehört. Fm-
den wir so am textlichen Inhalt manches, was die fortlaufende Lektüre
erschwert, so darf man das Buch doch als ein Nachschlagewerk ersten
Ranges bezeichnen, dessen heuristische, die Weiterforschung befruchtende
Bedeutung hoch einzuschätzen ist. Dazu ist die Schönheit und
wissenschaftliche Exaktheit der Tafeln, so sehr sie auch an äusserem Um¬
fang hinter den Text zurücktreten, über jedes Lob erhaben. Die Be¬
stimmung fast jeder Zelle eines guten Giemsapräparates dürfte mit ihrer
Hilfe seihst für den weniv Geübten nicht schwer sein. Die gegenseitige
Verständigung der Blutzelliorscher könnte durch Beziehung auf die Zell¬
nummern dieser Tafeln erleichtert werden. Nicht zuletzt aus diesem
Grund ist dem schönen Werk Eingang in möglichst viele Laboratorien
zu wünschen. Kämmerer.
Rauber-Kopsch: Lehrbuch der Anatomie. Abt 5: Nerven¬
system. XI. Auflage. Leipzig 1920.
In der 5. Abteilung bringt die Neuauflage einige wesentliche Ver¬
besserungen in den Abbildungen, die das an sich schöne Bildermaterial
glücklich ergänzen; kleine Umgestaltungen des Textes haben den Umfang
des Buches nicht vergrössert. Die neueren Ergebnisse, besonders in der
Lehre vom sympathischen Nervensystem, sind berücksichtigt
v. Möllendorff -Freiburg/Br.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
22 . April 19^1._ MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ 495
Eagel-Baum: Gnmdrlss der Säiiglingskunde, nebst einem Gnind-
rfes der Säuglkigsfürsorge (Dr. M. B a u m). 9. u. 10. Auflage. Berg¬
manns Verlag, 1920.
Die vorliegende z. T. umgearbeitete Auflage nimmt auf durch die
neue Zeit bedingte Veränderungen Rücksicht. Die grossen Vorzüge
des Buches habe ich schon gelegentlich der Besprechung früherer Auf¬
lagen gebührend hervorgehoben. Es ist das beste grössere Werk auf
diesem Gebiete. Der Untertitel lautet: Ein Leitfaden für Schwestern,
Pflegerinnen und Fürsorgerinnen. Es sei aber auch.Aerzten wärmstens
empfohlen. Moro.
Eugen Holländer: Die Karikatur und Satire in der Medizin.
Zweite Auflage bei Ferdinand Enke, Stuttgart 1921. Hochquart,
404 Seiten mit 11 farbigen Tafeln und 251 Textabbildungen. Preis
geb. 160 M.
Holländer mag selbst sprechen, denn die wenigen Worte seines
Vorwortes zur zweiten Auflage sagen nicht bloss was er Neues bringt,
sondern zeigen, besser als es der Rezensent mit den wohlverdienten
Lobsprüchen tun könnte, Geist,. Gemüt, Sinnesart und. Stil des Verfassers.
,J)ie Neuauflage der Karikatur und Satire in der Medizin war schon seit
langem nötig und wurde durch den Weltkrieg verzögert. Die sog. ver¬
besserten Auflagen sind wie die Nachoperationen; sie sind bei den
Chirurgen nicht recht beliebt. Als Ganzes Hess ich das Buch unver¬
ändert, nur Umgruppierungen waren nötig, und einige bildliche und stoff¬
liche ^sätze erfolgen. Nur das schon in der ersten Auflage flüchtig
behandelte Kapitel der modernen Karikatur Hess ich unberührt. Denn
unsere kranke Zeit, mit so viel Leid und Tränen, ist noch nicht reif
für eine satirische Kritik; und man müsste in ihrer Flut ertrinken.“ Die
Seitenzahl des Buches ist um 50, also doch recht beträchtlich vermehrt,
die Zahl der Abbildungen um 18, dabei sind viele frühere-Bilder weg¬
gelassen und durch andere ersetzt. Besonders vermehrt ist der Stoff
im Kapitel antike und orientalische Medizin. Auch die Ausstattung ist
der Not der Zeit ungeachtet unverändert gut; durch Anwendung einer
kräftigen schönen Fraktur an Stelle der früheren etwas dünnen Antiqua
hat das Aussehen sogar noch etwas gewonnen. So wird das pracht¬
volle Buch auch im neuen Gewand seinen Weg machen und vielen
Aerzten zur Freude gereichen. Keine schönere Dedikation kann man
einem Kollegen machen als eines der ebenso gediegenen wie angenehm
zu lesenden und anzuschauenden Holländer sehen Prachtwerke. ^ Das
einzige, was an dem Buch früher schöner war, ist der Preis.
Kerschensteiner. •
Zeitschriften* Uebersicht
ZeniralUatt Hir Chlmrsle. 1921. Nr. 13.
E. Roedelius -Hamburg-Eppendorf: Datterberieseltmg der Blase vor
und nach der Prostatektomie, insbesondere der zweizeitigen.
Verf. empfiehlt die Dauerberieselung der Blase mit warmer Kochsalz¬
lösung teils zur Vorbehandlung der Blase nach der Anlegung der prä¬
liminaren Blasenfistel — hier gelingt es in wenigen Tagen, die Blase von dem
eitrig-jauchigen Urin sauber zu bekommen —, teils nach Ausführung der
Ektomie, um eine stärkere Blutung und eine Infektion zu verhüten, zugleich
wird auch die Verstopfung des Katheters durch die Dauerberieselung aus¬
geschaltet. Die Technik ist sehr einfach: bei der Vorbehandlung wird durch
ein in die Blasenfistel eingeführtes Guramirohr ein nicht zu dicker Nelaton
durchgeleitet; bei der Nachbehandlung kann auch zuerst ein dickes Drain ein¬
geführt werden, das aber möglichst bald wieder entfernt werden soll, nur der
dünne Spülkatheter bleibt liegen. Nach 3—8 Tagen, je nach dem objektiven
Befund, kann mit der Berieselung äufgehört werden. Die Methode verdient
häufige Anwendung bei der operativen Behandlung der Prostatiker.
K. H a n u s a - Stralsund; lieber. endständlgen Brand an Fingern bei
Panaritlum.
Verf. schildert kurz einen Fall von endständiger Gangrän des Finger-
endgliedes, als deren Ursache er eine Thrombose annimmt, die sich rück¬
läufig durch die Arterien an der medialen Seite des V. Fingers fortsetzte, die
Endteile der Oefässe verstopfte und auf das Kapillarsystem Übergriff.
Fr. J. K a i s e r - Halle: Nochmals: Ueber endständigen Brand am Finger
bei Panaritlum.
Verf. erwidert auf den Artikel von Burckhardt in Nr. 3, 1921, der
durchaus nichts zur Klärung der Frage beigetragen hat, und fasst seine
Ansicht dahin zusammen, dass beim Panaritium manchmal ausser dem
feuchten oder stinkenden Brand am Orte der Entzündung auch ein in den
Fällen des Verfassers stets trockener Brand der Fingerspitze vor¬
kommt, der auch feuchten Charakter haben kann; diese Formen von Brand
sind die gleichen wie b»i dem Bilde des trockenen und feuchten Brandes.
Warum der trockene Brand sich schwarz verfärbt, der feuchte aber schmutzig
grüngelb, ist noch nicht geklärt.
Oswald B u m k e - Breslau: Ueber Beschwerden nach der Lumbal¬
punktion.
Verf. weist darauf hin, dass schon die blosse Lumbalpunktion seit einigen
Jahren viel schlechter vertragen wird als früher; seit T915 sah sich deshalb
Verf. gezwungen,, Lumbalpunktionen nicht mehr in der Sprechstunde, sondern
nur noch in der Klinik vorzunehmen. Verf. glaubt den letzten Grund für die
herabgesetzte Widerstandsfähigkeit der Patienten in allgemeinen Ursachen,
wahrscheinlich in der Ernährung suchen zu müssen. In neuester Zeit scheint
sich die Widerstandsfähigkeit der Lumbalpunktion gegenüber wieder etwas
zu beben, wenn auch jetzt noch subjektive Beschwerden häufiger und schwerer
als vor dem Kriege auftreten.
Arthur Rebula-Ptnj (S.H.S.): Beitrag zur Splancbnlkusanästhesie.
Verf. beschreibt kurz seine Methode, die darin besteht, dass er mit
6 Drahtstücken und einigen Tropfen Lötung sich den aufgezeichneten Führer
selbst konstruiert, mit dessen Hilfe man am sichersten den von Käppis
selbst angegebenen Winkel von 30** mit der Sagittalebene einhalten kann.
Mit 1 Skizze. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Archiv für orthopädische und Unfallchirurgie. Band 18. Heft 1 u. 2.
R a d i k e - Berlin: H. Schwiening. Nachruf mit Bild.
D r a c h t e r - München: Scheinbare und reelle Verkürzungen und Ver¬
längerungen der unteren Extremität.
An der Hand von 81 Abbildungen sehr klare Darstellung der Ursachen
der Verlängerung und Verkürzung des Beines und- der entsprechenden Mess¬
methoden.
V a 1 e n t i n - Frankfurt a. M.: Die feinere Gefässversorgung der peri¬
pheren Nerven.
Darstellung von Tierexperimenten: Injektion in die Aorta von Meer¬
schweinchen und Ratten zur Untersuchung der Nerven der hinteren Extremi¬
täten. Im Epineurium verlaufen die Gefässe longitudinal. Im Perineurium
verläuft um jedes sekundäre Nervenbündel ein Gefäss ringförmig. Die ring¬
förmigen Gefässe sind untereinander kapillarnetzartig verbunden. Vom
Kapillarnetz ziehen senkrecht zur Nervenachse feinste Kapillaren ins Nerven-
innere zum Endoneurium.
Hans B 1 e n c k e - Magdeburg: Die Scollosts Ischiadlca alternans.
An der Hand eines Falles kritische Betrachtung der kasuistischen Mit¬
teilungen der Literatur/ die ausführlich wiedergegeben werden. Die Fälle
liegen sehr verscjjieden, so dass ein Schema unmöglich ist.
Kohlschütter - Berlin: Neues über Wesen und operative Behand¬
lung der Ischias.
Ein sehr schwerer Ischiasfall (Kriegskranker) entstanden nach einer
neuritischen Peroneuslähmung nach Typhus, wurde nach dem Versagen
anderer Methoden und auch der unblutigen Dehnung nach Stoffel operiert.
Zuerst wurde der Nerv, cutan. fern. post, und Nerv. cut. sural. lat. exstirpiert.
Ein Teil der Beschwerden verschwand, andere blieben. In zweiter Operation:
Resektion des N. cut. sur. med. Wegen neuer Hyperästhesie im N. cut.
dors. med. und intermed. Entfernung des N. peron. superficialis. Es folgte
eine 4, Operation: Entfernung des Nerv, suralis und eine 5. Operation: Ent¬
fernung der sensiblen Anastomosen des Tibialis. Die Schmerzen wurden bis
auf einen Rest im Fussgelenk beseitigt. Pat. geht mit Schienenhülsenapparat.
Sensibilität überall hergestellt für feine, nicht aber für grobe Berührung.
M a t b e i s - Graz: Ein Fall von willkürlicher beiderseitiger Schulterver-
renknng.
Durch Anspannung gewisser Muskeln gelingt die Luxation, bei Entspan¬
nung die spontane Reposition, beides ohne Schmerz. Offenbar bei An¬
spannung des unteren Teiles des Pectoralis major, des Teres major und
schwächerer Spannung des Latissimus dorsi. In der Literatur sind 12 Fälle
beschrieben. Knochenveränderungen bestehen nicht.
E n g e 1 - Berlin: Plötzliche Luxation einer 2 Jahre vorher behandelten
und geheilten angeborenen Hüftgelenksverrenkung.
In der Literatur kein vergleichbarer Fall.
S i m 0 n - Frankfurt a. M.: Zur Difierentialdiagnose der Spontanfraktur-
ähnlichen Spaltbildungen in den Knochen bei den sog. Hungerosteopatfalen.
Bei einem Falle bestand eine Lues, so dass S. fordert, in allen der¬
artigen Fällen auch an die Möglichkeit des Vorliegeds einer Syphilis zu
denken.
Kleinschmidt -Leipzig: Die typische Beugekontraktur der grossen
Zehe nach langer Ruhlgstellung.
Wie Payr feststellte, handelte es sich um Kontraktur des Flexor hallucis
brevis und in schweren Fällen noch um Beteiligung des Gelenkes, da die
Sesambeine in die Sehne des Flexor hallucis brevis eingeschaltet sind und
mit ihrer knorpeligen oberen Fläche dem Gelenk angehören. Sie sind oft
weit nach hinten auf das äusserste Ende der plantaren Fläche des Metatarsal-
köpfchens verschoben, (Seitliches Röntgenbild.) Payr entfernt in schweren
Fällen die fixierten Sesambeine und ermöglicht dadurch dem Muskel wieder
seine Funktion. Beschreibung der Operation.
Debrunner - Berlin: Ueber die Funktion des Muse, abductor. hallucis
und ihre Beziehung zum Hallux valgus und Plattfuss.
Lenkt auf d esen Muskel die Aufmerksamkeit, da derselbe bei ausge¬
sprochenem Plattfuss nicht mehr vertikal mit seiner Breitseite steht, sondern
als flachgequetschter Bauch in der Fusssohle liegt und dadurch eine andere
Zugsrichtung erhält. Er ist ein Gewölbespanner. Therapie: Fusssohlen-
massage und Gymnastik.
Baumberger - Bern: Ueber Steinmann sehe Nagelextension.
Ausführliche Literaturangabe. Genaue Beschreibung der Technik mit
Bildern und Betonung der Wichtigkeit der funktionellen Therapie bei dieser
Methode. Genaue Darstellung der Methode an sämtlichen dafür in Betracht
kommenden Knochen. '
Kotzenberg -Hamburg: Eine neue Kraftquelle für bewegliche Hände.
Auf der Beobachtung, dass der Muskel bei der Anspannung hart wird
und an Umfang zunimmt, baut K. eine willkürlich bewegliche Prothese auf.
Ein Armband legt sich eng anschmiegend an die Muskulatur um den Stumpf,
es gibt der sich ausdehnenden Muskulatur nach und hierdurch wird eine
Kraft geschaffen, die eine Prothese bewegen kann. Am Unterarm beträgt
die Hubhöhe 15 mm, am Oberarm 30—40 mm. Abbildungen.
Veit- Ettlingen: Erfahrungen über Beinprothesen.
Zahlreiche Abbildungen von Uebungssitzstock, Prothesenaufhängung,
Fournierholzbein, Chopartstiefel usw.
'I P f a n n e r - Innsbruck: Klinischer und experimenteller Beitrag zur
Pathologie und Therapie der Milzverletzungen.
Nach stumpfen Traumen als auch offenen Verletzungen des Bauches
bzw. des Thorax ist an die Möglichkeit einer Milzverletzung zu denken
und wegen ev. Nachblutung jede Vorkehrung zu treffen.
Bericht über Mitgliederversammlung der Prüfstelle für Ersatzglieder,
Berlin, mit zahlreichen Abbildungen von Prothesen, Neukonstruktionen usw.
Uebersichtsreferate:
S c h a r f f - Flensburg: Angeborene Deformitäten. — S c h a r f f - Flens¬
burg: Knochen- und Gelenktuberkulose. — K i r s c h - Magdeburg: Krüppel¬
fürsorge. — S o n n t a g - Leipzig ^ Knochen- und Gelenkerkrankungen (ent¬
zündliche) ausser Tuberkulose. — S e i f e r t - Würzburg: Ailgemeinchlrurgle.
— Kehl- Marburg: Schädel- und Geslchtsverletzungen und Folgen. —
Brunner- München: Luftwege (Kehlkopf bis Lunge und Pleura), Herz. —
C h i a r i - Innsbruck: Bauchorgane, Hernien. — Bernardt - Halle: üro-
geultaiorgane. Verletzungen, Folgen, operative Technik.
Q. Hohmann -Manchen.
Digitized by
Got'gle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
496
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 54. Heft 3.
März 1921.
Ad. liochenbichler - Wien: lieber die Spaltrichtung der Eihäute
und die Bedeutung der faserrlchtung der letzteren für die Ausstossung der
Nachgeburt.
Die Spaltrichtung der Eihautfusern ist keine radiäre, sondern weicht je
nach den Windungen der Nabelschnur nach rechts oder links ab. Ist die
Nabelschnur links- oder rechtsläufig, dabei die Windungen zahlreich, steil zur
Längsachse der Schnur und eng aneinanderliegend, dann überwiegt im Eihaut¬
sack die Rechts- bzw. Linksspaltriclitung. Bei geringer Anzahl der Win¬
dungen ist das Verhalten der Spaltrichtung umgekehrt. Im Allgemeinen
muss als Ursache für die Spaltrichtung der Eihäute die von den Oefäss-
spiralen der Nabelschnur aus auf die Membranen wirkende Drehspannung an¬
gesehen werden. Aus der Tatsache aber, dass die Spaltrichtung in der Regel
nicht mit einem Radius der Plazenta, sondern vielmehr mit einer Tangente
derselben zusammenfüllt, muss die Schlussfolgerung gezogen werden, dass auch
der von den Eihäuten auf die Ränder der gelösten Plazenta ausgeführte Zug ein
tangentialer ist. Dementsprechend kommt cs einmal zu einer Rechts-, das
andere Mal zu einer Linksdehung der Plazenta nach ihrer Abhebung von der
Unterlage.
Edm. H e r r m a n n - Wien: Der Einfluss eines Corpus luteum- resp.
Plazentarlipoids auf Blutungen, menstruellen Zyklus und Au^allserscheinungen.
Bei Blutungen ovarieller Natur konnte mit der wirksamen Substanz aus
Corpus luteum resp. Plazenta bei 73 Fällen in 95 Proz. ein guter Momentan¬
erfolg und in 74 Proz. ein guter Dauererfolg erzielt werden. Am besten
reagierten Menorrhagien und Metrorrhagien bei normalem und entzündlichem
üenitalbefund. Blutungen bei Juvenilen wurden gut beeinflusst. Blutungen
bei klimakterischen Frauen gaben einen guten Momentanerfolg, aber keinen
Dauererfolg. Die Ausfallserscheinungen wurden durch die Behandlung durch-
w'cgs bedeutend gebessert oder ganz behoben.
V. H i c s s - Wien: ücber die Grenzen der LeistunKsfähigkelt unserer
heutigen Präviatherapie.
Ausführlicher,' sehr anregender Bericht über 257 Fälle von Placenta
praevia aus der I. Universitäts-Frauenklinik Wien. Aus der Fülle des Stoffes
seien nur einige Einzelheiten hervorgehoben. Die kombinierte Wendung
wurde 105 mal bei einer mütterlichen Sterblichkeit von 3,8 Proz. und einer
kindlichen Sterblichkeit von 87 Proz. ausgeführt. Die Metreuryse wurde
35 mal angewendet, dabei starben von den Müttern keine, von den Kindern 21.
7 mal erfolgte nach Ausstossung des Metreurynters die Geburt spontan, in den
anderen Fällen war noch ein zweiter Eingriff notwendig. Die Nachgeburts¬
periode verlief nur in 63 Proz. der Fälle von Placenta praevia spontan, in
9,3 Proz. der Fälle wurde die Plazenta e.xprimiert, in 27,6 Proz. wurde sie
manuell gelöst. Die Sectio caesarea konnte nur einmal ausgeführt werden,
weil die Fälle meist zu spät cingeliefcrt werden. Der vaginale Kaiserschnitt
wurde 13 mal ausgeführt, alle Mütter blieben am Leben, von den Kindern
konnten nur 4 lebend geboren werden. Die Gesamtmortalität war 3,1 Proz.,
die Qesaintmorbidität war 20,8. Die Ausführungen gipfeln in dem Satz, dass
eine weitere Bcsscrhng der Re.sultate in der Präviatherapie nur erreicht
w'erdcn kann, wenn die Frauen rechtzeitig in die Klinik überführt werden.
Fr. L ö n n e - Göttingen: lieber ältere und neuere Therapie der Placenta
praevia unter besonderer BerücksichtigunfE der abdominellen Schnlttentbindung.
Ergänzungen zu der gleichnamigen Arbeit des Verf. in Band 52, Heft 5,
S. 356 der Monatsschrift.
R o s e n s t e i n - Breslau: Zur Diagnose und Therapie der Extrauterin¬
gravidität,
2 Fälle von Tubenmolen werden mitgeteilt und die Diagnose und Therapie
der Extrauteringravidität ausführlich besprochen. Als frühzeitiges Anzeichen
wird ein charakteristischer Druckschmerz auf dem Uterus in der Gegend des
erkrankten Tubenansatzes hervorgehoben. Bei Blutungen in der Bauchhöhle
findet man häutig Ikterus und Urobilin im Harn, der durch die Benzaldehyd-
probe nachgewiesen wird. Zuverlässig ist die Probepunktion vom Douglas.
Zur Behandlung der Anämie wird die Eigenbluttransfusion empfohlen.
K o l d e - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 13.
W. Zangemcister - Marburg: lieber Tentorlumrisse.
Kurzer Bericht über 27 intrakranielle Blutungen, 24 autoptisch erwiesene
lentoriumrisse und deren Ursachen.
Th. H. van de V e 1 d e - Haarlem: Sterilitätsprobleme. Zeitweilige
operative Sterilisation. Erfolgreiche Wiederherstellung der Konzeptions¬
fähigkeit.
Will man temporäre Sterilisation erreichen, ist eine Verlagerung der Eier¬
stöcke durch die Lig. lata in den vesiko-uterinen Peritonealraum und genaue
lineare Abschliessung des letzteren nach oben ein brauchbares, einfaches,
ungefährliches und wirkungsvolles Verfahren, Diese zeitweilige intraperi¬
toneale Einsperrung der Eierstöcke hat Verf. mehrfach ausgeübt und bereits
nach der Rückverlagerung der Eierstöcke Schwangerschaften erlebt.
J. S c h i f f m a n n - Wien: Zur Frage der Sterilisierung mittels Tuben¬
ligatur.
Verf. hatte Gelegenheit eine zu Sterilisierungszwecken ligiertc Tube
7 Monate später exstirpicren zu müssen und mikroskopisch untersuchen zu
können (Serienschnitte). Auch hier war das Tubenlumcn durchgängig, so dass
also die gewollte Atresie und Sterilität nicht herbeigeführt war. Die einfache
oder doppelte Ligatur der Tube ohne Durchschneidung muss also als un¬
zuverlässig verworfen werden.
W. S. Flat a u - Nürnberg; Sterilisierung durch Knotung der Tube.
In Erinnerung an die K a w a s o y e - S t o e c k e 1 sehe Harnleiter-
knotung empfiehlt Fl., in die Eileiter einen echten Knoten zu schlingen. Die
Operation ist technisch einfach und in 6 Fällen bisher erfolgreich.
W. G e s s n e r - Olvenstedt-Magdeburg: Warum sind die plazentaren
Theorien der Eklampsie, speziell auch die Lehre Hofbauers von der
plazentaren Fermentintoxikation. unhaltbar?
H.s Annahme, dass die Eklampsie nur beim Menschen vorkomme, ist
unrichtig. Auch in der Tierarzneikunde ist die Eklampsie gut gekannt und
wie auch beim Menschen ..die Krankheit der Theorien“. Auch die auf H.s
Hypothese basierende Behandlung mit Ovoglandol würde nicht genügen, wenn
sie nicht mit Aderlass und der altcrprobtcn Veit sehen Eklampsiebehandlung
kombiniert wäre. Die von H. postulierte Adrenalinäniie, die zu einer Azidose
führen soll, ist nicht erw'icsen. Frauen mit vor der (Jraviditöt bestehenden
Nieren- und Lebererkrankungen erkranken zudem gerade höchst selten an
Eklampsie,
L. Drüner - Quierschied : lieber die stereogrammetrische Messung des
weiblichen Beckens und des kindlichen Kopfes während der Geburt.
Die Kernfrage der Geburtshilfe: wird dieses Kind durch diesen
Geburtsweg ohne Schaden hindurchtreten können? ist durch eine stereo-
röntgenographische Aufnahme zu beantworten. Verf. hat ein diesbezügliches
Verfahren ausgearbeitet. Es hat sich in 19 Fällen während oder unmittelbar
vor der Geburt sehr bewährt und wird der Nachprüfung empfohlen.
Werner- Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 93. Heft 5.
Elise Hermann: Beitrag zur operativen Behandlung der diphtherischen
Larynxstenose im ersten und zweiten Lebensiahre. (Aus der Universitäts-
Kinderklinik zu Leipzig.)
Aehnlich w’ie B 6 k a y in seiner letzten Arbeit, so kommt die Ver¬
fasserin auf Grund ihrer Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass bei der
Behandlung der diphtherischen Larynxstenose auch des 1. und 2. Lebensjahres
die Intubation der Tracheotomie mindestens gleichwertig, in der Hand des
Geübten aber überlegen ist.
P. Karger: Erfahrungen und Indikationen bei der Röntgentiefentherapie
im Kindesalter. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Die Beobachtungen K a r g e r s erscheinen für den Praktiker um so
bedeutungsvoller, als er als nicht „Fachröntgenologe“. sondern als Pädiater
über Indikationstellung und Erfolge der Röntgenbestrahlung im Kindesalter
seine Erfahrungen mitteilt. Danach beschränkt sich die Anwendung der
Tiefentherapie im Kindesalter fast nur auf die Behandlung solcher Verände¬
rungen, die auch spontaner Rückbildung fähig sind: diese Rückbildung be¬
schleunigt sie, ohne ätiologisch auf die Erreger einwirken zu können; danach
ist sie im Kampfe gegen die dafür geeigneten Krankheiten im pharma¬
kologischen Sinne kein Remedium specificum, aber bei richtiger Indikations¬
stellung und angemessener Technik ein recht brauchbares Adjuvans.
Marc. Paunz: Ueber die Komplikationen der Nebenhöhlenentzündungen
der Nase bei Kindern. (Mitteilung aus der Universitäts-Kinderklinik
(Stephanie-Kinderspital) in Pest. Dir.; Prof. Dr. Joh. v. B 6 k a y.)
Wertvolle Mitteilung einschlägiger Fälle, die’ beweisen, dass die Kompli¬
kationen der Nebenhöhlenentzündungen bei Kindern gar nicht so selten Vor¬
kommen, wie man früher angenommen hat. Die Hauptsymptome der Kompli¬
kationen sind hohes Fieber, entzündliches Oedem der Augenlider und anfalls-
weise (Ref.) Schmerzhaftigkeit namentlich grosse Druckempfindlichkeit der
betroffenen Nebenhöhle. Während bei leichten Fällen bei zuwartender sympto¬
matischer Behandlung oft Besserung cintritt, erfordern die schweren Fälle
frühzeitigen spezialchirurgischen Eingriff.
Literaturbericht, zusammengestellt von A. Niemann - Berlin.
O. Rommel- München.
Deutsche Zeitschrift für NervenheiUtunde. 70. Band. 1,-3. Heft.
10. Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte in Leipzig
am 17. und 18. September 1920.
Nonne- Hamburg: Ansprache.
O. M a r b u r g - Wien; Pathologische Anatomie und Klinik der trauma¬
tischen Schädigungen des Rückenmarks.
Durch das Trauma kann eine mechanische Schädigung der Arterien
durch Einriss ihrer Wandung mit Blutung als Folge hervorgerufen werden
oder durch Lockerung der Gefässschichten namentlich der Intima kann eine
Thrombose mit anschliessender Blutung einerseits und Erweichung anderer¬
seits entstehen. Man muss auch die Möglichkeit annehmen, dass durch
traumatische Vasokonstriktorenlähmung die Stromgeschwindigkeit in einzelnen
Gefässgebicten herabgesetzt wird und dadurch ein prästatischer und statischer
Zustand im Sinne R i c k c r s auftritt mit einer kleinen Blutung oder Nekrose
als Folge. Eine Affektion des Lymphgefässsystenis kann ebenfalls zu
Nekrosen oder ausgedehntem Oedem führen. Das Bestehen einer trauma¬
tischen Hydrornyelie und auch der traumatischen Qliose mit Syringomyelie
wird vom Verf. als noch unbewiesen abgelehnt. An den Meningen können
auf traumatischer Grundlage Blutungen, Proliferationen und Verklebungen
auftreten, wobei die Pia am wenigsten beteiligt ist.
R. C a s s i r e r - Berlin; Klinik der traumatischen Schädieungen des
Rückenmarks.
Verf. unterscheidet Querschnittsunterbrechung ohne Neigung zur Rück¬
bildung und solche mit ausgesprochener Neigung dazu. Die Prognose ist
relativ günstig. 87 Fälle von 176 wurden weitgehend gebessert.
L. Roemheld - Hornegg: Zur Frage der traumatischen Pseudotabes
nach Kopfschuss.
Die Annahme einer Meningitis serosa erklärt den Fall nicht allein, man
muss vielmehr noch kleinste Läsionen, Blutungen oder Quetschherde im
Rückenmark annehmen.
S. Löwenthal - Braunschweig; Zur Klinik und Therapie der Rficken-
markSverletzungen.
Untersucht man schlaffe Paraplegiker in Seiten- oder Bauchlage, so kann
man durch Bestreichen der Fusssohle eine kräftige Kontraktion der Knie¬
beuger, den sog, Fluchtreflex, ohne dass der eigentliche Sohlenreflex vor¬
handen ist, auslösen. Dieser Reflex scheint im Gegensatz zu den Haut- und
Sehncnreflexen nicht von den Pyramidenbahnen, .sondern von den sensiblen
Leitungsbahnen abhängig zu sein. Der Fortfall kortikaler Hemmungen
steigert ihn. Die Bauchlage ist auch therapeutisch von grösster Wichtigkeit
für Rückenmarksverletzte, um Urinstauungen im Nierenbecken und Dekubitus
zu verhindern,
O. B. M e y e r - Würzburg: Zur Frage der Gelenksensibilität.
Durch die Versuche des Verf. mit Novokaininjektionen wird beweisen,
dass in erster Linie Aenderungen in der Spannung der Haut über den Ge¬
lenken die Wahrnehmung passiver Bewegungen vermitteln.
O. Förster - Breslau: Zur Diagnostik und Therapie der Rückenmarks¬
tumoren.
Bericht über 12 grösstenteils erfolgreich operierte Fälle von Rücken¬
markstumor.
G. Mingazzini - Rom ; Ueber eine (zerebro-) spino-zerebellarc
Krankheit.
Klinisch angeborener Schwachsinn. Unfähigkeit zum Sprechen, Paresen
der Muskulatur der unteren Extremitäten und des Stammes, Nystagmus,
Strabismus, choreiforme Zuckungen; pathologisch-anatomisch: Atrophie der
Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
L
22 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
497
rechten Qrosshirnhemisphäre und des Kleinhirns, Degeneration eines Teils der
hinteren Wurzeln, der L i s s a u e r sehen Zone, der mittleren Wurzelzone
und des äusseren Teiles der Pyramidenseitenstränge, teilweise Rarefizierung
des Fasciculus spino-cerebellaris dorsalis, Aplasie in einigen Zellgruppen der
Vorderhörner mit Höhlenbildung.
A. Boström - Rostock; Zur Diagnose von Stirnhlrntumoren.
Schlafsucht mit Pupillenstörungen, Parkinson scher Symptomen-
komplex, zerebellare Asynergie Hessen zunächst an das Vorliegen einer Enze¬
phalitis denken, doch machte die lange Dauer der Erkrankung das Vorhanden¬
sein eines Hirntumors wahrscheinlich, der sich auch bei der Sektion als
doppelseitiger Stirnhirntumor herausstellte.
Petrdn-Lund: Bemerkung zum nosologischen Verhalten der Bauch¬
reflexe.
Am sichersten löst man den oberen Bauchreflex von der Haut oberhalb
des Rippenbogens aus.
A. Saenger - Hamburg: (Jeher die kortikale Lokaiisatlon der seitlichen
Ablenkung der Augen.
Die Frage nach der Lokalisation der konjugierten Ablenkung im Gehirn
lässt sich weder nach den bisherigen klinischen Erfahrungen noch auf Grund
der Tierexperimente lösen. Es ist unwahrscheinlich, dass dafür eine be¬
stimmte Stelle im Gehirn in Betracht kommt.
P. Schuster - Berlin; Zur Pathologie der vertikalen Blicklähmung.
Bei 4 Fä!'en war die Willkürbewegung nach oben oder nach unten voll¬
ständig aufgehoben nach allen anderen Richtungen aber frei. Bei Lidschluss
gingen die Bulbi prompt nach oben, bei 2 Fällen war auch der optische
Nystagmus ira Sinne der gelähmten Muskeln vorhanden, während Späh¬
bewegungen in allen 4 Fällen fehlten. Der Krankheitsherd wird kurz vor dem
Okulomotoriuskern vermutet.
V. Weizsäcker - Heidelberg: (Jeher Willkürbewegungen und Reflexe
bei Erkrankungen des Zentralnervensystems.
Um den Anteil der zentripetalen Erregungen bei der Muskelkontraktion
festzustellen, wurden an verschiedenen Rückenmarkskranken elektromyo-
graphische Untersuchungen angestellt. Die zentripetalen Erregungen sind
nicht allein bei der Koordination der Muskeln, sondern auch an dem feineren
Aufbau ihrer Innervation beteiligt. Die Tatsache ferner, dass auch nach Aus¬
schaltung der pyramidalen Innervation die Aktionsströme koordinierter
Reflexe in gleicher Weise verlaufen wie bei willkürlichen Bewegungen, spricht
dafür, dass die tetanieforme Muskelinnervation im Rückenmark zustande
kommt.
H. Lewy - Berlin: Tonusprobleme ln der Neurologie.
A. J a k 0 b - Hamburg: (Jeber eigenartige Erkrankungen des Zentral¬
nervensystems mit bemerkenswertem anatomischen Befunde (spastische
Pseudosklerose-Enzephalomyelopathie mit dlssemlnlerten Degenerations¬
herden). 3 Fälle.
E. Frank Breslau: Ueber sarkoplasmatogene (tonogene) FibrlUen-
aktlon (idiomuskuläre Zuckung, faszikuläre Zuckungen, Sehnenphänomene).
Der Tonus der quergestreiften Muskulatur wird von dem antagonistischen
Spiel des vegetativen Nervensystems beherrscht, das Sarkoplasma des quer¬
gestreiften Muskels verhält sich wie ein glatter. Der durch Nikotin künstlich
hergestellte Tonus des Muskels verschwindet, gleichgültig, ob eine zentrale
nervöse Leitung noch vorhanden ist oder nicht, nach Kokainisierung. Auch
die Muskelstarre bei Paralysis ngitans w'ird durch Kokaininfiltration des
Muskels aufgehoben, eine idiomuskuläre Zuckung, als sarkoplasmatogene
Fibrillenaktion, unmöglich «'emacht, ebenso auch faszikuläre Zuckungen.
Physostigmin steigert diese Erscheinungen, Das Sehnenphänorpen ist eine
idiomuskuläre Einzelzuckung, ausgelöst vom Sarkoplasma her und gebunden
an den tonischen Zustand des Sarkoplasmas, welches durch paraSympathisch-
motorische Dauerimpulse längs efferenter Bahnen der hinteren Wurzeln unter¬
halten und gesteigert wird.
W. Lehmann - Göttingen: Schmerzleitende Fasern im Splanchnlkus.
Die schmerzleitenden Bahnen der Bauchhöhle, die in der Hauptsache mit
den Gefässen verlaufen, sind deshalb sympathischer Natur, weil sie einen
ganz anderen Verlauf nehmen wie die sensiblen zerebrospinalen. Durch¬
schneidet man nämlich die hinteren Wurzeln D. 5—6, so bleibt die Empfind¬
lichkeit des Mesenteriums und der Gefässe in vollem Umfange erhalten,
während die Bauchdecke anästhetisch wird. Durchtrennt man dagegen die
vorderen Wurzeln, dann tritt der umgekehrte Fall ein. Die sensiblen Fasern
der Bauchhöhle scheinen also durch den Splanchnikus, die Rami communi-
cantes, vorderen Wurzeln, dem Rückenmark zugeleitet zu werden.
Q r e v i n g - Würzburg: Die feinere Anatomie der Endgeflechte Im
Ganglion cerv. supr. und im Splnalgangllon des Menschen.
Demonstration. Renner- Augsburg.
Berliner klinische Wochenschrift 1921, Nr. 14 u. 15.
R. S t e p h a n - Frankfurt a. M.: Ueber das Endothelsymptom.'
Es handelt sich dabei um das Auftreten feinster Hauthämorrhagien am
Unterarni nach zeitlich und hinsichtlich Stärke genau begrenzter Oberarm¬
stauung. Das positiv vorhandene Symptom deutet unter allen Umständen auf
pathologische Vorgänge im endothelialen Zellsystem, es ist beim Gesunden
niemals nachweisbar. Es ist Ausdruck einer abnorm gesteigerten Durch¬
lässigkeit der Kapillarwandung für korpuskulare Blutelemcnte. Als Ursachen
kommen in Betracht direkte Schädigungen der Endothelzelle, z. B. durch
Gifte, Nahrungsinsuffizienz, wie bei Skorbut, Avitaminosen, ferner indirekte
Schädigungen verschiedener Genese. Es wird durch einzelne bakterielle
Erregergruppen hervorgerufen. Alle Fälle mit dem genannten Symptom zeigen
eine gewisse serologische Reaktion hinsichtlich der Gerinnungszeit des Blutes.
Die Theorie der Erklärung ist im Original zu vergleichen.
E. Friedländer - Breslau: Tabes und Frühsyphllls.
Neben 3 hierhergehörenden Fällen der neueren Literatur werden 2 eigehe
Beobachtungen vom Verf. mitgeteilt und analysiert. Verf. wünscht Ver¬
öffentlichung aller derartigen Fälle, weil ihre Auffassung noch nicht ganz
geklärt ist.
J. Büscher - Kiöl: Zur Frage der Senkungsbeschleunigung der roten
Blutkörperchen.
Verf, veröffentlicht hiemit umfangreiche Untersuchungen über diese Er¬
scheinungen, die mit dem Gebiete der kolloidchemischen Reaktionen Zu¬
sammenhängen. Er stellte sie an einer grossen Reihe psychisch kranker Per¬
sonen an. U. a, komnrt er zum Schlüsse, dass die Vermutung, es könnte
sich auch bei der Sedimentierung um einen Körper im Sinne der Immunitäts-
Digitized by Goiigle
lehre handeln, aufzugeben ist. Das Phänomen enthält einen ganzen Komplex
von Faktoren mit wechselnder Wertigkeit, welche weiterer Aufklärung noch
bedürfen. Mit der angegebenen Methode kann eine Beschleunigung der
Senkung für luische Prozesse nachgewiesen werden.
S. Peltesohn - Berlin: Zur Behandlung des Bluterknies.
Der mitgeteilte Fall spricht dafür, dass die subkutane Osteotomie zur
Korrektur funktionell schlechter hämophiler Gelenkankylosen gelegentlich
einmal von Nutzen ist.
J. H 0 D p e - Allenstein: Einige neue Brommittel gegen Epilepsie und
andere Nervenleiden.
Verf, gibt seine Erfahrungen bekannt mit dem Brom-Calciril. Es zeigte
sich eine sichtliche, aber wesentlich langsamere Wirkung auf Epileptiker als
bei anderen Brompräparaten, einen besonderen Vorteil scheint es nicht zu
haben. Bezüglich Somnospasmosiin erwies sich bei idiopathischer Epilepsie
eine befriedigende Wirkung auf die Krämpfe, aber den bewährten Brommitteln
gegenüber immerhin unterlegen, aber bei Anfällen von Petit mal zeigte sich
die Wirkung geradezu spezifisch und ohne Schädlichkeiten.
C. Lange- Berlin: Entgegnung auf A. v. Wassermanns modi¬
fizierte Lipoldhypothese.
A. V. Wassermann - Berlin: Ueber die Antikörpernatur der Wasser¬
mannsubstanz.
Bezüglich dieser beiden Veröffentlichungen verweisen wir auf das
Original.
Nr. 15. E. Schmitz: Die Umwandlung der chemischen Energie im
Muskel.
Das Ergebnis seiner Ausführungen, die auf die historische Entwick¬
lung der Frage und der darauf gerichteten Versuche eingehen, fasst Verf,
dahin zusammen, dass die Energie zur Ausübung der Muskeltätigkeit durch
einen Kreisprozess beschafft wird, der vom Glykogen zum Traubenzucker,
von diesem über das Laktazidogen zur Milchsäure und von dieser über
Traubenzucker wieder zur Ausgangsstufe, dem Glykogen zurückführt,
H ü r t h 1 e: Theorie der Muskelkontraktion.
Nicht zu kurzer An^^abe des wesentlichen Inhalts geeignet.
A. Buschke und W. F r e y m a n n - Berlin: Ueber den Einfluss der
Salvarsanexantheme auf den Verlauf der Syphilis.
Die Verfasser schildern kurz die klinischen Formen dieser Exantheme,
welche in ihrer Prognose quoad vitam durchaus nicht unbedenklich sind,
jedoch, wenn sie einmal Überstunden werden, eine günstige Wirkung auf
den Verlauf des betreffenden Falles hinsichtlich der Syphilis auszuüben
scheinen. 21 Fälle wurden beobachtet, von denen 10 längere Zeit verfolgt
werden konnten, aus welchen obiger Schluss gezogen werden kann. Die
Verfasser erörtern auf Grund dieser Beobachtung die Rolle, welche das
Hautorgan bezüglich des Vorganges der Heilung und Immunisierung bei den
verschiedenen Infektionskrankheiten spielt. Das Verhalten der Haut ist offen¬
bar von weittragendem Einfluss auf den Verlauf der Infektion. Es scheint,
dass auch bei der Syphilis wenigstens ein teil der Abwehrstoffe in der
Haut bereitet wird.
K. Freundlich - Berlin: Ein Beitrag zur Differentialdiagnose der
käsigen Pneumonie und der produktiven Tuberkulose nach der B a 111 n sehen
Methode.
Letztere bezieht sich auf das Verhalten der elastischen Fasern im Aus¬
wurf, wo sie bei produktiven Tuberkulosen in Bündeln oder regellos durch¬
einander liegen, bei käsiger Pneumonie die alveoläre Anordnung noch er¬
kennen lassen. Verf. hat diese Angabe bei der Untersuchung von je 5 Fällen
käsiger Pneumonie und indurativer Tuberkulose in Kombination mit käsiger
Pneumonie bestätigt gefunden
Ai. Herzberg: Konditionismus oder Kausalprinzip?
Nicht zum Auszug geeignet.
Max Hirsch* Berlin; Ueber die Fruchtabtreibung, ihre volkshygieniscbe
Bedeutung und die Mittel zu ihrer Bekämpfung.
Zusammenfassung eines eingehenden Referates, das im Beirat f. Rassen¬
hygiene des Min. f, \olkswohlfahrt am 15. Januar 1921 und eines Vortrages,
der am 2b. Januar 192i in der Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie
in Berlin gehalten worden war. Die Frage der Geburtenpolitik darf nicht
unter dem Gesichtswinkel einzelner Hilfsmassnahmen verzettelt werden, son¬
dern bedarf einer planinässigen Menschenökonomie, welche eng verbunden ist
mit den Grundclcmenten der Volkswirtschaft. Land, Brot und Arbeit.
R. G a s s u l - Berlin; Ein seltener Fall von Beiladonnavergiftung bei
einem Kinde.
Mitteilung der Krankengeschichte des öjähr. Patienten, welcher von
einem Homöopathen eine Belladonnaemdizin erhalten hatte. Apathie und
Lähmungen in der inneren Augenmuskulatur waren vorherrschende Symptome.
Ausgang in Heilung. Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 10.
F. U m b e r - Charlottenburg: Ueber Mesencephalltis epidemica (Ence-
phailtis lethargica). Klinischer Vortrag.
P. G. U n n a - Hamburg: Klinische Vorträge Uber Hautkrankheiten. 11.
O. Strauss - Berlin: Ueber Messungen ln der Lichtbehandlung.
Uebersicht.
A x m a n n - Erfurt: Zur Bewertung des Aktinimeters.
Entgegen Jentzsch (vgl. Nr, 2 d. W.^ hält Verf, das Aktinimeter
praktisch für durchaus brauchbar.
G. L i e b e r m e i s t e r-Düren: Ueber nichttuberkulöse Lungenspitzen¬
katarrhe.
Grippe kann zu Spitzenbronchitis und Spitzenbronchopneumonie ohne
eine Spur von tuberkulöser Beteiligung führen. Dauerndes Fehlen des
Tubcrkelbazilliis weist darauf hin, während Hämoptoe auch bei der nicht¬
tuberkulösen Spitzenerkrankung gesehen wird,
E. L e o n h a r d t - Würzburg; Erfahrungen mit der Sachs-Georgl-
seben Reaktion.
Uebereinstimmuntr mit der WaR. ergab sich in 92,6 Proz. der Fälle. Die
S.-G.-R. ist eine wertvolle Ergänzung der WaR., kann aber zu alleiniger
Anwendung nicht in Betracht kommen.
V. K a f k a - Hamburg: Ueber die kombinierte Sachs-Georgl-
Wassermann sehe Reaktion.
Vorläufige Feststellung zur Wahrung der Priorität.
P. W. Siegel- Giessen: Zur Behandlung der weiblichen Gonorrhöe
mit Intravenösen KoUargollniektionen.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
498
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
AbiehnuiiK der spezifischen Wirkung des Kollargols auf die weibliche
üonorrhöe. Auch die Kombination mit der örtlichen Behandlung ergab
keine besseren Erfolge als diese allein.
H. S c h ö n f c i d - Scheveningen; Die Toxizität der Plazentallpolde und
ihre Rolle ln der Aetlologie der Puerperaleklampsie.
In den Plazentalipoiden finden sich Stoffe, die einerseits physiologische
Wirkung (Hyperämie, Wachstumsföiderung des Genitales, Wehenerregung)
besitzen, andererseits pathologische, toxische Wirkung (Krämpfe, Degenera¬
tion der parenchymatösen Organe, Endothelschäden mit Thrombosen und
Oedeme), Das krampferregende Gift ist thermolabil, und wird durch Glyzerin¬
zusatz aktiviert; es gehört vermutlich den Eermenten zu.
E. S c h u 1 z e - Berlin: Masern bei einem 4 Tage alten Brustkind.
Es wird hier mit einer intrauterinen Infektion gerechnet.
A. M. H i b m a - Utrecht; Eine neue Eiweissreaktion.
In der Urschrift nachzulesen.
Br. A 1 e X a n d c r - Reichenhall: Anästhesierende Wirkung des Kaffees.
10 proz. Kaffeeinfus örtlich auf die Schleimhaut gebracht, lässt eine
anästhesierende Wirkung ähnlich einer 1 proz, Kokainlösung erkennen. Etwa
die gleiche Wirkung konnte nach Trinken einer Tasse des gleichen Kaffee-
infuses oder nach örtlicher Anbringung oder subkutaner Injektion von
Coffein, natr. salicyl. beobachtet werden.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Schweizerische medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 11 u. 12.
Nr. 11. G. R 0 s s i e r - Lausanne: Diminutlon de la douleur dans
Taccouchement pas un nouvel analgöslque.
A. Oswald- Zürich: Die Indikationen zur Klimatotheraple bei Erkran¬
kungen des Stoffwechsels.
Zur Unterstützung der übrigen Massnahmen (Diät etc.) empfiehlt Verf.
bei Fettsucht Aufenthalt im Hochgebirge oder an der See (Nord- und Ostsee),
bei Diabetes, besonders bei leichteren bis mittelschweren Fällen ebenso, wäh¬
rend schwere Diabetiker nur mittlere Höhen vertragen. Gichtkranke sollen
ein trockenes Klima im Hochgebirge, bei Komplikationen mit Nierenleiden etc,
an die Mittclmeerküste im Winter, in mittlere Höhen im Sommer. Auch bei
Basedow hat man gute Erfolge im Hochgebirge gesehen, rascher werden sie
aber meist in geringeren Höhen gebessert.
J. D u b s - Winterthur; Unter dem Bilde einer akuten Appendizitis ein¬
setzende epidemische Kinderlähmung.
Ausführliche Beschreibung von 3 Fällen, die fälschlich operiert wurden,
weil die gastrointestinalen und abdominellen Prodromalerscheinungen dem
klinischen Bild der akuten Appendizitis täuschend ähnlich sahen. Leukopenie,
auffallende Hyperästhesie auch an anderen Körperteilen. Schwitzen. Kopf¬
schmerzen können zur richtigen Diagnose leiten und zum Abwarten veran¬
lassen.
Tsakalotos - Bern: Ueber Verlust des Gasbildungsvermögens bei
Bakterien der Paratyphusgruppe.
Beobachtung an 2 Stämmen, von denen einer durch Fortzüchtung das
Gasbildungsvermögen wiedergewann,
S t r ä u 1 i - Münsterlingen: Sectio caesarea transperitonealis bei akutem
Lungenödem. Zwillingsschwangerschaft bet schwerem Vitium cordis.
Nr. 12. Vogt-Basel: Die Wasserspalten der menschlichen Linse im
Nitra- und Bogenlampenbüschel.
N c i $ s e r - Frankfurt a. M.: Bemerkungen zu der Arbek von Sahli:
Ueber das Wesen und die Entstehung der Antikörper.
Sahli: Erwiderung.
E. Jenny- Basel: Chinidin als Herzmittel.
ln 10 von 11 Fällen Hess sich das Vorhofflimmern beseitigen und der
normale Sinusrhythiniis wieder hersteilen. Verf. empfiehlt, sich durch kleine
Dosen (0,3 g) zu überzeugen, ob keine Idiosynkrasie besteht, dann aber vor
grossen Dosen (2 mal 0,5 steigend bis zur Wirkung ev. 2—3 g täglich) nicht
zurtickschrecken und sie ev. 10—14 Tage zu geben. Schädliche Folgen sah
er nie,
E. L i e b r e i c h - Zürich: Recherches morpho-biologiques sur le sang.
Proeödös pour faire apparaitre les ..Crlstaux de Charcot“ dans chaque sang
humain. La questlon de röoslnophllie d’ ia Inmiöre de faits nouveaux. Con-
trlbution ä Tötude de la coagulation du sang. L. Jacob- Bremen.
Oesteneichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 11. P. L i e b e s n y - Wien: Experimentelle Untersuchungen über
Diathermie.
L. beobachtete rascheren Zerfall der Mäusekarzinomgeschwülste bei Be¬
handlung mit Diathermie.
J. K e p p i c h - Pest: Künstliche Erzeugung von chronischen Magenge¬
schwüren mittels Eingriffes am Magenvagus.
Siehe Bericht M.m.W. 1921 S. 349.
L. L u i t h 1 c n - Wien: Kolloidtheraoie. Fortbildungsvortrag.
K. T c h i a s s n y - Meidling: Endonasale Knorpelplastik des Nasenflügels.
Siehe Bericht M.m.W. 1920 S. 677,
H. Döh 1er-Wien: Kasuistischer Beitrag zur Heilung der w'elblichen
Gonorrhöe durch interkurrentes Fieber.
D. führt die ohne Behandlung erfolgte dauernde Ausheilung einer chro¬
nischen Urethra-Uterus-Gonorrhöe bei einer 36 jährigen Frau auf die Einwir¬
kung eines mehrwöchigen hohen Fiebers (Darmintoxikation?) zurück.
E*. C a V a z z a n 1 - Ferrara: Vorschlag eines Ganges für die qualitative
Analyse der Eiweissköroer des Harnes.
C. schlägt eine Reihe von 10 Harnreaktionen vor.
J. Fein: Zur Operation der adenoiden Wucherungen.
Entgegnung auf die Ausführungen von L. Stein in Nr. 9.
Nr. 12. G. M 0 r a w e t z - Wien; Variolaerkrankungen bei Neuge¬
borenen.
In einer Hausepidemie erkrankten von 14 Neugeborenen 8 an Variola.
Erörterung der Immunitütsfrage bei den gesund gebliebenen.
E. Freund: Die zytologische Reaktion. Foftbildungsvortrag.
A. Luger und E. La n da-Wien: Zur Kenntnis der Uebertragbarkeit
der Keratitis herpetica des Menschen auf die Kaninchenkornea.
Die Uebertragbarkeit und die histologischen Befunde von L i p .s c h ü t z
werden bestätigt
K. Dietl-Wien: Ueber Chondroiturle bei Lungentuberkulose.
Fortlaufende Harnuntersuchungen bei 175 Schwertuberkulösen. Während
bei 60 latent und Leichtkranken, abgesehen von einigen mit rezidivierenden
Anginen, die Chondroitreaktion negativ verlief, war bei den Schwerkranken
in 43 Prozent chondroitinsaures Eiweiss, in 93 Proz. Chondroitinschwefel-
säure nachzuweisen. Bei 11 Proz. fand sich positive Eiweissreaktion
(5 Amyloidosen, 6 Nephropathien). Aus der genaueren Betrachtung von
61 Fällen ergibt sich, dass eine konstante Chondroitinreaktion immerhin als
prognostisch wenig günstig aufzufassen ist. das gilt insbesondere für den
Nachweis von chondroitinschwefelsaurem Eiweiss. Im ganzen scheint die
allgemeinpathologische Bedeutung der Chondroiturie derjenigen der Uro-
bilinurie zu entsprechen.
N. B I a 11 - Neumarkt (Ungarn): Beitrag zur Ptoslsoperatlon.
Beitrag zur Operationstechnik.
A. Sch ick-Wien: Statistisches zur Entwicklung des Stotterns.
Sch. betont die Wichtigkeit und das Ueberwiegen des klonischen Mo¬
mentes namentlich in der Anfangsentwicklung des Stotterns und bespricht
u. a. auch das Bild des maskierten (kaschierten) Stotterns als einer Uebungs-
iind Ausgleichserscheinung. Bergeat - München.
Vereins- und Kongressberichte.
45. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
in Berlin vom 30. März bis 2. April 1921,
(Berichterstatter: Sanitätsrat Dr. H. S t e 11 i n e r - Berlin.)
ZweiterSitzungstag.
Zweites Referat: ..Die Abgrenzung der konservativen und der chirurgi¬
schen Behandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose.**
Erster Referent: Herr Bier-Berlin: Eine operative Behandlung er¬
scheint nur noch in Ausnahnicfällen berechtigt, bei drohender Amyloid¬
entartung. bei hinzutretender Sepsis, bei schwerer kavernöser Lungen¬
erkrankung mit gleichzeitiger schwerer Gelenkerkrankung. Alle anderen
Fälle werden konservativ behandelt. Selbst extrakapsuläre Knochenherde
werden in der Bier sehen Klinik nicht mehr operativ in Angriff genommen.
Sequester werden, selbst wenn sie infiziert sind, resorbiert und brauchen
nicht operativ entfernt zu werden. Subluxierte Kniegelenke sollen nicht
redressiert werden. Kalte Abszesse bleiben unberührt. Höchstens werden sie
punktiert, ohne dass eine Einspritzung folgt. Auch von der Wirbelsäule aus¬
gehende Senkungsabszessc werden nicht eröffnet. Bier erkennt eine Indi¬
kation für die AI b c c sehe Operation nicht an. Auch das Alter (über
50 Jahre) bildet keine unbedingte Indikation für ein operatives Vorgehen.
Allerdings würde auch er alte Leute mit schwerer Gelenkeiterung amputieren.
S o n n c n b e h a n d 1 u n g. Stauung und innerliche Darreichung
von Jod sind die 3 Mittel, die auch schwere Formen der chirurgischen
Tuberkulose zur Heilung bringen. Das Pigment, welches in der Haut durch
die Sonnenbehandlung entsteht, stammt aus dem Blutfarbstoff und ist ein
Zeichen dafür, dass Eiweisskörper zersetzt werden. Es ist also ein ähn¬
licher Prozess wie bei der Proteinkörpertherapie. Es handelt sich nicht um
eine lokale spezifische W'irkung der Sonne auf das erkrankte Gelenk, sondern
um eine Allgemeinwirkung. durch welche die Abwehrstoffe im Organismus
mobil gemacht werden. Neben der Sonnenbehandlung wurde die Stauungsbe¬
handlung bcibehalten und mit ihr bei richtiger Dosierung gute Erfolge erzielt.
Zur Vermeidung von Entstehung von kalten Abszessen und starkem Granula-
tionsgewebc erfolgt gleichzeitig innerliche Darreichung von Jod. Tuber¬
kulin wird zu therapeutischen Zwecken in der ambulanten poliklinischen
Behandlung vielfach mit Erfolg gebraucht. Von dem Friedmann sehen
Mittel, dem er zuerst sympathisch gegenüberstand, weil es ihm den Ideen¬
gang von Koch und Behring w'iederzugeben schien, hat er keinerlei
Erfolge gesehen. Einen heftigen Kampf führt er gegen die fixierenden Ver¬
bände. Patienten mit Erkrankung an den unteren Extremitäten müssen ins
Bett gelegt und mit diesem der Sonne ausgesetzt werden oder mit entlastenden
Verbänden behandelt werden; aber von vorneherein, sobald die erste Schmerz¬
haftigkeit geschwunden, sind methodische Bew^egungen zu machen. Die An¬
nahme. dass nur die Hochgebirgssonne eine so günstige Wirkung ausübt,
ist irrig. Auch in der Ebene, wie die Erfolge in H o h e n 1 y c h e n zeigen,
kann man bei geeigneter Dosierung und Gewährung richtigen Windschutzes
Gutes erreichen. Es sind bisher dort 1300—1400 Fälle mit gleich günstigen
Erfolgen wie im Hochgebirge behandelt, wie an einer Anzahl von Lichtbildern,
aus denen man die Lagerung der Patienten, die Resorption von Sequestern
ersehen kann, vorgeführt wird. Es soll jetzt der Versuch gemacht werden,
auch in der Stadt Berlin auf einem von der Stadt Berlin und dem Staat zur
Verfügung gestellten Exerzierplätze für 400 Patienten, die an Tuberkulose
der oberen Extremitäten, an Lupus oder Drüsentuberkulosc leiden, die in
Hohenlychen gesammelten Erfahrungen zu verwerten. Die Patienten bleiben
am Tage dort und werden zur Nacht nach Hause geschickt. Die lokale
Ausheilung eines Herdes gewahrt aber nicht Schutz gegen Allgcmeinerkran-
kung oder Auftreten eines Herdes an anderer Stelle. So starben 14 Fälle
in Hohenlychen an tuberkulöser Meningitis. Im ganzen sind von den 1300
bis 1400 Fällen 54 gestorben, 18 davon an Amyloiderkrankung, die man nicht
diagnostizieren kann. Schwere toxische Nephritiden können unter der Sonnen¬
behandlung verschwinden. In der letzten Zelt ist Bier dazu übergegangen,
auch Lungentuberkulose auf diese Weise zu behandeln. Er hält den Ein¬
wand, dass die durch die Sonnenbestrahlung erfolgende Kongestionierung
der Lungen zu fürchten sei. nicht zu recht bestehend. Selbstverständlich
kommt es auch hier auf die Dosierung, wie überhaupt bei der Sonnenbe¬
handlung, an. Eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Tuberkulose
spielt die Prophylaxe. Hierzu dient die körperliche Ausbildung, welche
gleichen Schritt mit der geistigen halten muss. Nacktgymnastik, Sonnen¬
bäder sollen dazu dienen und spielen nach Beseitigung der Militärdienst¬
pflicht noch eine grössere Rolle wie früher, ln dieser Absicht, ein kräftiges
tuberkulo-scfreies Geschlecht heranzubilden, sei auch die Hochschule für Leibes¬
übungen gegründet.
Zweiter Referent: Herr K ö n i g - Würzburg: Er kann sich dem streng
konservativen Standpunkte Biers nicht anschliessen. Eine Umfrage bei
22 der führenden Chirurgen in dieser Frage ergab, dass drei Lager bestehen.
Den extrem konservativen Standpunkt vertrat Bier allein; doch wird für
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNf^
N
22. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
499
kunservative Behandlung im) jugendlichen Alter noch von einer grossen
Anzahl anderer Chirurgen plädiert. Eine zweite Gruppe will erst konservativ
Vorgehen und nach Fehlschlagen dieser Art der Therapie zur operativep
übergehen. Es ist bemerkenswert, dass auch Chirurgen aus der Hochge¬
birgsgegend ein mehr aktives Vorgehen befürworten als B i e r. Eine dritte
Gruppe entschliesst sich schneller zu Resektionen und Amputationen. Wir
müssen klare Indikationen haben. Oertliche Herde ira Knochen, besonders
gelenknahe, sind zu entfernen. Bei Durchbruch in das Gelenk ist die Re¬
sektion zu machen: bei schweren Mischinfektionen ist sofort zu operieren.
Wir haben das Recht, eitrige Prozesse, die weitergehen, operativ anzugreifen.
Auch alte Leute können mit Resektionen behandelt werden. Bemerkenswert
ist, dass die Versicherungsgesellschaften sich gegen die konservative Be¬
handlung wegen ihrer langen Däuef wenden, die auch einen schlechten Ein¬
fluss auf die Psyche der Patienten ausübe. Die Resektion, deren Enderfolge
dadurch gebessert werden können, dass wir erst möglichst spät die Kapsel
eröffnen und das eröffnete Gelenk mit Phenolkampfer, Jodoform oder L u -
g 0 1 scher Lösung behandeln, darf aber nur eine Episade in der Allgemein¬
behandlung der Tuberkulose sein und wir müssen neben der chirurgischen
Behandlung die Sonne und die Luft auf die Kranken einwirken lassen.
Herr Garrfe-Bonn: Freiluft, Sonne, gute Ernährung und Hautpflege
sind die besten Faktoren zur Heilung der Tuberkulose und soll der Arzt
hierfür Propaganda machen Gute Erfolg hatte G a r r 6 mit der Röntgen¬
behandlung. Stauung und Jod hat er nicht angewandt. Kalte Abszesse
werden mit' Jodoformglyzerininjektion behandelt. Den fixierenden Verband
kann er nicht entbehren, da die meisten Patienten poliklinisch behandelt
werden müssen und nicht dauernd kontrolliert werden können, ohne den
Gipsverband aber die unangenehmsten Kontrakturen eintreten. Ein dem
Gelenk naher Sequester gibt ihm die Indikation zu operativem Eingreifen,
ebenso das Bestehen von Fisteln. Auch die Resektion kann er nicht ent¬
behren. Ein wirklich subluxiertes Kniegelenk kann durch Extension nicht
mehr redressiert werden. Auch bei Abszessen bei Spondylitis muss oft zur
Vermeidung einer Rückenmarkskompression operativ vorgegangen werden.
Bei der Entscheidung, ob konservativ vorgegangen werden soll, spielt auch
die soziale Indikation eine wichtige Rolle. Im übrigen erinnert er an das
von ihm auf dem Chirurgenkongress 1913 erstattete Referat.
Herr Eiseisberg - Wien entschliesst sich nur sehr selten zu opera¬
tiven Eingriffen bei Kindern; gelegentlich hat er Sequester entfernt. Reich¬
lichen Gebrauch macht er von der Quarzlampe, besonders bei Drüsentuber¬
kulose, während er bei Knochen- und Qelenkerkrankungen die Röntgenbe¬
handlung bevorzugt. Bei der ambulanten Behandlung sind fixierende Ver¬
bände nicht zu entbehren. Fistelbildung, Progredienz, Multiplizität der Herde
gibt Anlass zu operativem Eingreifen. Beim Knie entschliesst er sich
leichter dazu. Hier kommt auch öfters die Amputation in Betracht. Lungen¬
herde heilen öfters nach Amputationen aus. Kalte Abszesse werden gespalten
und nach Ablassen des Eiters und Einführung von Jodoformglyzerin sorgsam
vernhät. Bei Spondylitis soll man nicht früh operieren, ln Spätstadien kann
man aber die Operation nicht entbehren. Die Resultate der Laminektomie
sind nicht gut. Die A 1 b e e sehe Operation ist einem nicht abnehmbaren
Korsett zu vergleichen. Die gute Wirkung des Jods ist in einem Teil
der Fälle wohl auf eine Kombination mit Lues zu beziehen.
Herr Müller- Rostock hat sich an Präparaten in Hohenlychen und
bei Untersuchung von Patienten von der tatsächlich erfolgten Resorption
von Sequestern überzeugt. Von einer Heilung der Tuberkulose dürfe man
aber erst nach einem Zeitpunkt von 5—6 Jahren sprechen. Die konservative
Methode leistet in Hohenlychen Grossartiges. Ueberall stehen aber derartige
Einrichtungen nicht zur Verfügung, so dass man operative Eingriffe, bei denen
die soziale Indikation eine grosse Rolle spielt, nicht entbehren kann.
Herr Enderlen - Würzburg ist bei Kindern sehr konservativ, bei
älteren kommt er ohne Resektion nicht aus (soziale Indikation).
Herr A n s c h ü t z - Kiel betont, dass der Sequester an und für sich
noch nicht die Indikation zu operativem Vorgehen gebe, sondern erst der
infizierte Söquester, der wie ein osteomyelitischer Herd zu behandeln sei.
Auch er hebt das Moment der sozialen Indikation hervor. Die Resektionen
sind bei den verschiedenen Gelenken Verschieden zu werten. Bei alten
Leuten tritt er für die Amputation ein.
Herr v. T i 1 m a n n - Köln richtet sich nach dem Ausfall der Impfung
nach D e y c k e - M u c h, die in seinem Krankenhaus streng durchgeführt
wird und einen Anhalt bietet, ob konservativ oder operativ vorzugehen sei.
Herr Borchardt - Berlin steht ungefähr auf demselben Standpunkte
wie Qarr6 und Eiseisberg. Die Sonnenbehandlung gibt bei Kindern
und Erwachsenen verschiedene Resultate. Zu ausgedehnterer Anwendung der¬
selben hat die Stadt Berlin in Buch eine Heilstätte mit 1000 Betten eingerichtet.
Er hat die Resektionen sehr eingeschränkt, aber Sequester mit offenen Fisteln,
gelenknahe Sequester geben für ihn eine Indikation zu operativem Eingreifen,
ebenso soziale Gründe. Bei alten Leuten amputiert er. Bei der Spondylitis
kann man die Operation auch nicht immer entbehren.
Herr H e n 1 e - Dortmund hat 70 Proz. Heilungen bei konservativer Be¬
handlung selbst in der dunstgeschwängerten Atmosphäre Dortmunds erzielt.
Er erinnert daran, dass er zuerst die nach A 1 b e e benannte Operation, wenn
auch in etwas anderer Weise ausgeführt, und dass er seiner Technik treu
geblieben.
Herr Clairmont - Zürich hat an einer grossen Reihe von Fällen die
Verwertbarkeit der Eigenharnreaktion nach Wildbolz erprobt
und ihre grosse differentialdiagnostische Bedeutung bestätigt gefunden.
Herr K ü m m e 11 - Hamburg tritt für die Verallgemeinerung der Helio¬
therapie der Tuberkulose ein. mit der er auch in dem schlechten Klima
Hamburgs gute Erfolge, gezeitio't habe.
Herr H e i d eji h a i n - Worms betont, dass die Röntgenbehandlung mit
der Sonnenbehandlung in Konkurrenz treten kann. Er warnt vor Anwendung
zu grosser Dosen. 40* Proz. der H. E. D., nur bei tiefliegenden Prozessen
50—60 Proz. der H. E. D. geben auch bei ambulanter Behandlung sehr gute
Resultate.
Herr Schoemaker - Haag lenkt die Aufmerksamkeit auf die prophy¬
laktische Wirkung der Sonne. In Java gibt es keine tuberkulösen Knochen¬
erkrankungen.
Herr W u 11 s t e i n - Essen erklärt seinen Patienten,' dass zur konser¬
vativen Behandlung mindestens ein Zeitraum von 9 Monaten erforderlich sei.
Können sie sich zu einer so lange dauernden Behandlung nicht entschliessen,
geht er operativ vor. Die Henle-Albee sehe Operation darf nicht zu
Digitized by Goiisle
früh ausgeführt werden. Erst kommen andere orthopädische Massnahmen in
Betracht. Mit der Amputation ist er sehr zurückhaltend.
Herr G o c h t - Berlin berichtet, dass in den letzten 5 Jahren 1159 Fälle
von Knochen- und Gelenktuberkulose, in Behandlung gekommen seien, von
denen 39 Proz. den Proletarierkreisen und 61 Proz. dem Mittelstand an¬
gehört hätten, dem keine Hilfsquellen zur Verfügung stehen. Er erklärt
sich als einen Anhänger der ambulanten orthopädischen Behandlung, zwischen
die aber stets Pausen zu- klinischer Beobachtung eingefügt werden müssen.
Er betont die Bedeutung der Schienenhülsenapparate,
Herr Hagemann - Würzbürg kommt auf Grund von tierexperimentellen
Untersuchungen mit dem F r i e d m a n n sehen Tuberkulosemittel zu dem
Schlüsse, dass e» sich um keine echten Tuberkelbazillen, keine spezifische
Behandlung, sondern um ein unspezifisches Mittel handle.
Herr Göpel- Leipzig betont, dass es falsch sei, eine Wirkung des
Friedmann sehen Mittels nach kurzer Zeit zu erwarten. Dagegen war
er bei Nachuntersuchung seiner Fälle nach 8 Jahren von der guten Wirkung
auf Drüsen-, Gelenk- und Knochentuberkulose überrascht.
Herr Mau- Kiel stellt die Indikation zu operativem Vorgehen nach dem
Ausfall der Alttuberkulinreaktiön. Tritt Temperatursteigerung, aber keine
Herdreaktion ein, behandelt er konservativ. Tritt ausser der Temperatur¬
steigerung auch Herdreaktion auf, so ist er für operatives Vorgehen.
Herr D ö n i t z - Berlin berichtet über günstige Erfolge der Tuberkulin¬
behandlung, kombiniert mit anderen Verfahren, besonders bei nicht zu aus¬
gedehnter Weichteiltuberkulose, aber auch bei den Tuberkulosen der anderen
Gelenke.
Herr Jerusalem - Wien war einer der ersten, der die Wirkung der
Sonne auch in der Ebene betonte. Für die Behandlung der kalten Abszesse
haben sich ihm vorherige Bestrahlung mit Röntgenstrahlen und zwar mit
Volldosis in 3—4 Sitzungen, darauf folgende breite Spaltung und Entleerung,
exakte Naht und wieder folgende Röntgenbestrahlung bewährt.
Herr Sauerbruch - München rekapituliert als Resultat der Diskussion
die allgemeine Anerkennung der Sonnenbehandlung auch in der Ebene mit den
dazugehörigen Massnahmen, dass aber die chirurgische Behandlung in einer
grossen Anzahl von Fällen nicht zu entbehren sei.
Herr Bier hebt in seinem Schlussworte noch einmal die guten Re¬
sultate hervor, die er mit seiner Behandlung erzielt. Er entkräftet einz^ne
Einwände. Wenn man den fixierenden Gipsverband nicht entbehren kann,
muss er abnehmbar sein. Auch er bedient sich gerne der Hessing sehen
Apparate Und lässt dieselben auch noch 3 Monate nach Abschluss der Be¬
handlung tragen. Er hat in den letzten 7 Jahren nur etwa 12 grössere
Operationen bei tuberkulöser Knochenerkrankung ausgeführt. Die Frage, ob
ein gelenknaher Sequester entfernt werden soll oder nicht, sei von unterge¬
ordneter Bedeutung. Er selbst hat auch die Resorption von infizierten Se¬
questern beobachtet. Die mit dem Priedmann sehen Mittel behandelten
Fälle hätten ein längeres Warten nicht gestattet, da sie sich dauernd ver¬
schlechterten.
Herr König möchte eine Statistik der mit Stauung behandelten Fälle
aus den früheren Zeiten haben. Im übrigen glaubt er, dass dort, wo keine
derartigen Institute wie Hohenlychen zur Verfügung stehen, die vorher er¬
wähnten Indikationen ein operatives Eingreifen erfordern.
Herr S u d e c k - Hamburg: Chirurgische Behandlung der Basedow¬
schen Krankheit.
Er unterscheidet 3 Formen, den klassischen Morbus Basedowi, welcher
eine Dysthyreose darstellt, und bei dem sich das charakteristische Blut¬
bild findet, den Thyreoidismus und die Formes frustes, das Basedowoid.
Die sicherste Behandlung des Basedow bildet die Resektion beider Schild¬
drüsenlappen bis auf einen kleinen Stumpf nach Unterbindung aller 4 Arterien.
In einzelnen Fällen ist er noch weiter gegangen und hat die Schilddrüse total
entfernt. Die Ausfallserscheinungen Hessen sich bei Erwachsenen durch
Schilddrüsentabletten decken. Unter den nicht radikal Operierten hatte er
52 Proz.. unter den radikal Operierten 90 Proz., unter den total Entfernten
100 Proz. Heilungen. Nach seinen Erfahrungen hält er eine Mitentfernung
der Thymus nicht für erforderlich. Den guten Erfolgen bei Basedow stehen
weniger gute bei Thyreoidismus gegenüber. Ueber die Hälfte der Fälle war
nicht gebessert. Es sind hier Fälle darunter, die wahrscheinlich mit der
Schilddrüse nichts zu tun hatten. Vielleicht spielte bei diesen die Thymus
eine Rolle.
Herr S c h 1 o f f e r - Prag spricht über die Operation benigner Strumen
bei drohender Erstickungsgefahr. Man soll die Tracheotomie möglichst ver¬
meiden, unter gross angelegter Schnittführung die Struma freilegen und
exstierpieren. Unter 14 Fällen konnte er 3 mal die Tracheotomie nicht um¬
gehen: von diesen sind 2 gestorben, während von den Strumektomien keiner
verloren ist.
Herr v. E i s e 1 s b e r g - Wien warnt vor der bewussten totalen Ent¬
fernung der Struma, desgleichen Herr Sauerbruch - München auf Grund
eigener Erfahrungen.
Herr Kausch- Berlin ist bereits früh für die Entfernung beider Lappen
bei Basedow eingetreten, wendet sich aber auch gegen die radikale Entfernung
der Thyreoidea. Die Tliymusexstirpation hält er nicht für erforderlich. Er
hält die als Thymustod bezeichneten Fälle für durch Vergiftung durch das
auslaufende Schilddrüsensekret erfolgte.
Herr Enderlen - Heidelberg lässt sowohl' beim Basedow, wie bei der
gewöhnlichen Struma ein Stück stehen. Bei sehr elenden Patienten operiert
er eyentuell zweizeitig.
Herr H e n 1 e - Dortmund empfiehlt zur Entgiftung eine Vorbehandlung
mit Röntgenstrahlen.
Herr v. Haberer - Innsbruck entfernt die Thymusdrüse mit. Er glaubt,
dass bezüglich derselben in den verschiedenen Ländern verschiedene Ver¬
hältnisse bestehen. 2 Todesfälle führt er darauf zurück, dass er dieselbe
zurückgelassen. Er spricht sich gegen die Vorbehandlung mit Röntgen¬
strahlen aus.
Herr Röpke-Barmen ist für radikale Entfernung der Schilddrüse ohne
Thymus, gegen Vorbehandlung mit Röntgen.
Herren G a r r 6 - Bonn und Sauerbruch - München warnen eben¬
falls vor der Röntgenbehandlung, während Herr H e n 1 e - Dortmund eine
2—3 malige Bestrahlung für gut hält.
Herr G u 1 e k e - Jena betont, dass die vorherige Röntgenbehandlung die
Operation durch Verwachsungen erschwert.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
500
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Herr H e 11 w i g - Frankfurt a. M. meint, dass die scharfe Trennung in
die 3 Formen, wie sic S u d e c k gegeben, nicht durchführbar sei. Er hat
Uebergang einer Kolloidstruma in eine Basedowstruma beobachtet.
Herr S u d e c k betont in seinem Schlusswort, dass ein radikal ope¬
rierter Fall von Schilddrüsenkarzinom jetzt 7 Jahre geheilt sei.
Herr R 111 e r -Düsseldorf: Zur Behandlung der Empyemfisteln.
Man soll die Empycmiistel zuheilen lassen und dann das sich wieder an-
samrnelnde Sekret durch Punktionen entleeren. Auf diese Weise dehnt sich
die Lunge allmählich aus. 6 Fülle wurden so zur Heilung gebracht.
Herr Kirschncr - Königsberg i. Pr. betont, dass die Pleurakuppe den
grössten Widerstand bei der Heilung entgegensetze. Man müsse daher zur
Heilung der grossen Höhlen hier beginnen. Zu diesem Zwecke bildet er oben
neben dem Sternum einen Hautmuskellappen, trennt M. pectoralis major und
minor. wie bei der Marnmaampiitation an ihren Ansätzen ab und schlägt sie
nach innen in die Höhle, nachdem er dieselbe nach Bildung eines Fensters
a usgekratzt.
Herr Storp- Danzig-Langfuhr hat in einer Anzahl von Fällen mit Erfolg
sich eines Verfahrens bedient; er macht einen bogenförmigen Lappenschnitt
zwischen Axillar- und Skapularlinie. reseziert hier ein etwa 10 ein langes
Stück der 9. bzw. 10. Rippe, ev. auch beider (jedenfalls der tiefsten Rippe)
und schlägt den Lappen dann ein und näht, nur ein kleines Drainrohr ein¬
führend, das nach wenigen Tagen entfernt wird.
Herr Götze- Fr^inkfurt a. M. erinnert an die Empfehlung der tempo¬
rären Phrenikusblockade durch Vereisung und die von ihm empfohlene Ueber-
druckmaske.
Herr K ü m m e 1 1 - Hamburg warnt vor der Tamponade der Fisteln. Man
soll sie mit wasserdichtem Stoffe bedecken, unter dem sie zu heilen pflegen.
Herr Körte- Berlin betont, dass es vor allem darauf ankommt, die
starre Wand der Höhlen zu beseitigen. Er warnt davor, die Pleura mit
dem scharfen Löffel zu behandeln.
Herr J e n c k c 1 - Altona lenkt die Aufmerksamkeit auf die Pepsinbehand¬
lung solch grosser Höhlen.
Herr B d r c k h a r d t - Marburg: Experimentelle Untersuchungen aus
dem Gebiete der Lungenpatholoele.
Er berichtet über interessante Versuche über die Entstehung des Span¬
nungspneumothorax.
Herr Sauer bruch - München: Chirurgische Behandlung der Bronchi¬
ektasen.
80 Proz. der Bronchiektasen sind kongenital und auf den linken Unter¬
lappen beschränkt. Es hat sich bei der Operation ein dreizeitiges Vorgehen
bewährt. Von 7 Fällen ist einer gestorben. Ein mit Erfolg operierter Knabe
wird vorgestellt. Es ist hier trotz Exstirnation der Rippen mit Periost zu
einer völligen Regeneration der Rinnen gekommen.
Herr K I o s e - Frankfurt a M.: Plastischer Ersatz des Herzbeutels.
Nach günstigen Erfol<^cn bei Hunden, bei denen er 29 mal den Herzbeutel
exstirpiert und durch Fett. Faszie oder Netz ersetzt hat. ist er auch zur
.Ausführung der Operation hei zwei Kindern geschritten mit Insuffizienzerschei¬
nungen des Vorhofs und Aszites. Sie blieben 1 Jahr geheilt und sind dann
anderen Krankheiten erlegen.
Herr Kiittncr - Breslau: Schwere Mechanismen der Gefässverietzungen.
Es werden an Präparaten und Zeichnungen die verschiedenartigsten durch
Kontusion, Fernwirkung, Zug. Schub. Spannung und Torsion erzielten Ver¬
letzungen besprochen.
Herr Bier- Berlin hat nach Fussgelenksresektionen öfters ein stunden¬
langes Kaltbleiben des Fusses beobachtet, das er durch den von Küttner
beschriebenen Krampf der Arterie erklärt.
Herr Payr-Leipzig hat gleiche Beobachtungen gemacht, glaubte sie
aber auf die durch das Umkipoungsverfahren herbeigeführte Dehnung der
Oefässe zurückführen zu mUs.sen.
Herr M a r t e n s - Berlin: Ueber V^nenunterblndungen bei thrombophle-
bitlscher Pyämle.
Nach Mitteilungen zur Geschichte der Operation wird über eine Reihe
eigener Fälle berichtet. Von 10 Unterbindungen der Vena jugularis sind 6
geheilt. Von 11 Fällen puerperaler Pvämie w^erden 2 mit Unterbindung der
Vena cava behandelt. In eif''Mn der Fälle wurde erst die Vena spermatica,
dann die Vena iliaca ('omiminis. dann die Vena cava unterbunden. Charakte¬
ristisch ist der Abfall des Fiebers nach der Unterbindung. Man darf die
Dper-'tion nicht zu spät vornehmen.
Herr V o I k m a n n - Halle: Ueber die Aetiologle der Unterschenkelge-
schwiire.
Folgerungen aus seinen günstiveri Resultaten der Behandlung der Ulzera
mit Nervendehnung des N. saphenus.
Herr Payr- Leipzig sah günstige Erfolge bei Behandlung des Röntgen-
ulciis durch wiederholte lokale Anästhesierung (20 Anästhesierungen mit drei¬
tägigen Pausen).
Herr K a u s c h - Bcrlin-Schöneberg; Sneiseröhrenplastik und Bougierung
ohne Ende.
Mitteilung eine«; sehr schwierigen Falles, bei dem es nach vieler Mühe
gelang, den Faden in den M.apcn hincinzuhekommen. D'c Erweiterung erfolgte
mit Bindfaden: aber eines Ta^es ri'^s si’h der Knabe den Bindfaden aus dem
Munde heraus. Der Tod erfolgte infolge versuchter Einführung eines Bougies.
ln 12 anderen Fällen ist ihm die Erweiterung durch Bougierung ohne Ende
geglückt, die er der Sneiseröhrenplastik gegenüber bevorzugt.
Herr Kümmel- Hamburg: Operation des Kardiospasmus und des Oeso¬
phaguskarzinom«.
Die Erfolge lassen noch viel zu wünschen übrig. Tn einem Falle von
Kardiospasmus hat er die Erweiterung von dem freigclegten Magen aus ohne
Eröffnung desselben ausgeführt. Trotzdem er mit der ganzen Hand in den
Ocsoolvgiis hineinkonnte trat do'h nach einem Jahre ein Rezidiv auf. Es
empfiehlt sich daher doch die Ausführung der Oesophagogastroan.astomose.
In A Fällen hat er das Kardiakarzinom operativ angegriffen. Die Haupt¬
gefahr liegt in der Verletzung des Vagus, der Infektion der Pleura. Man
nnos die Speiseröhre cxtraplciiral lösen. (Aussprache wird vertagt.)
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1814. ordentliche Sitzung vom Montag, den 3. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr v. Wild. Schriftführer: Herr Grosser.
Herr G o 1 d s c h m i d t: Demonstration pathologlscb-anatomischer Prä¬
parate.
Herr Strasburger: Chronische bazilläre Ruhr und Ruhrfolgen.
Vortr. teilt die chronische Ruhr ein in 1. ulzeröse. 2. dyspeptische,
3. to.xisch-kachektische Ruhr. Bezüglich der beiden ersten Formen handelt es
sich um klinische Gesichtspunkte, da anatomisch auch bei der 2. Form vielfach
(ie.>c:iwürc vorhanden sind, wie die Sektionen zeigen. Die dyspeptische Form
ist meist prognostisch ungünstig und beruht wohl auf einer schweren Schä¬
digung des gesamten Verdauungsapparates. Die Aufstellung, der 3. Form soll
bosageh, dass sich bei Ruhr oft eine unverhältnismässige schwere Kachexie
ausbildet, die wohl auf einer chronischen Allgemeinwirkung der Ruhrtoxine
beruht.
Als Riilirfolgen am Verdauungsapparat, die nicht mehr durch die Infektion
selbst erzeugt werden, bespricht der Vortr. 1. die nachdauernde erhöhte-
Empfindlichkeit des Darmes, 2. bleibende Durchfälle infolge VerliLStes grösserer
Teile der Schleimhaut des Dickdarnis. 3. die Frage wieweit Durchfälle und
Dyspepsien als gastrogene aufzufassen sind, 4. verschiedene Arten der Dick-
darmkatarihe, 5. Adhäsionen und Stenosen (anatomische Verengerungen des
Dickdarms, die klinisch keinerlei Erscheinungen machten), b. spastische Zu¬
stande.
Es folgen therapeutische Gesichtspunkte und Zusammenfassung der
Erageti, die weiterer Bearbeitung bedürfen.
Aussprache: Herren Ellinger, Schott, Quincke, Ascher,
V. Wild, Strasburger.
1815. ordentliche Sitzung vom Montag, den 17. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr v. Wild. Schriftführer: Herr Grosser.
Herr Fischer: Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate.
Herr Otto G o e t z e: Form und Funktion des Magens.
Die „Form“ des Magens ist ein biologischer Begriff, ist ein Produkt
aus Struktur und Muskellebcn: mit dem Tode entstellt der Magen seine
wahre Form; das Studium am Leichenmägen ist darum stets ungenügend, da
es nur den einen Faktor der Form berücksichtigen kann.
Manche bisher ungenügend erklärte Erscheinungen in der Ruheform
und der Bewegungsform des Magens rücken in ein günstigeres Licht,
wenn Wir nach ihrer Herkunft, ihren Bedingungen und ihren
Ursachen forschen.
Die Phylogenese zeigt bereits bei den Reptilien eine konstante
Zweiteilung in eine sackförmige, als Rezeptakuluni und der chemischen Zer¬
setzung dienende Pars cardiaca und eine röhrenförmige, muskelstärkere, mehr
der mechanischen Vorbereitung dienende Pars pylorica. Rückwärtsgehend
finden wir in unserer Säugetierabstammungsreihe eine immer muskelstärker
werdende Pars pylorica, schliesslich bei den Edentaten einen gewaltigen, aus¬
geprägten „Kaumagen“. Im Verein mit der Erkenntnis, dass beim Menschen
auch bei fehlender ringwellcnförmiger Peristaltik, ja bei fehlender Pars
pylorica. auch bei Beckenhochlageruiig eine glatte Magenentleerung möglich
ist. hält G. die a I 1 s e i t i g e Kontraktion des 0 e s a m t m a g c n s.
welche ohne besondere Eormveränderung vorwiegend in einer Druck¬
steigerung des Mageninhaltes zum Ausdruck kommt, für den wesent¬
lichen A u s t r e i b u n g s f a k t o r: er hält die meistens nicht durch-
sclinürende R i n c w c 1 1 e n p e r i s t a 1 t i k nicht für geeignet, in wichtigem
Umfange an der ‘Ueberwindung des Retentionsorgans, des Pylorus, sich zu
beteiligen, sondern erblickt in ihr in erster Linie eine Triturationsbewegung
des auch am Menschen noch vorhandenen, w'enn auch stark regressiven „Kau¬
magens“. .Auch das Produkt der Pylorusdrüsen wird mehr der mechanischen
als der chemischen Aufbereitung der Ingesta für den Eintritt in den Dünndarm
gerecht. Die genannte Retortenform kann als Urform des Vertebraten¬
magens aufgestollt werden. Ein Isthmus (A s c h o f f) zwischen den beiden
Teilen dieser Urform wird bei manchen Tieren gefunden, er zeigt aber phylo¬
genetisch eine grosse Inkonstanz. Durch den weiteren spezifischen Ausbau
durch weniger konstant vererbhare Anpassungsbildungen entsteht die
Grundform der heute lebenden Tiere und Menschen (Art. Menge der
Nahrung, Gebissausbildung. Leibesform, hydrostatischer Druck, Auf¬
richtung etc.).
Als (i r u n d f o r in des menschlichen Magens ist dieienige Form zu be¬
zeichnen, welche als stets gleichmässiges einheitliches Produkt der organ-
eigenen, konstanten Faktoren entstellt. Sie ähnelt sehr stark der Urform des
Vertebratenmagens. Eine Reihe nicht organeigencr. variabler, unspezifischcr
Faktoren machen Abweichungen von der (irundform (extraventrikulärc
Faktoren und besonders der hydrostatische Druck des Mageninhaltes und
seiner Umgebung). Die. mannigfaltigen so zusammengesetzten Formen bilden
die N o r in a 1 f o r m e n.
Die Grundform findet man am lebenden Menschen durch Ausschaltung der
variablen Faktoren. Wenn man den hydrostatischen Druck (den stärksten
Variablen f'aktor) einer möglichst kleinen Kontrastmahlzeit an allen Stellen
des Magens gleich stark wirken lässt, und zwar durch Horizontaleinstellung
des Mageas. was einer leichten Erhöhung des Kopfendes um ca. 15—20"
bei Rückenlage (ev. dazu ebensoviel Drehung nach rechts) entspricht, so
muss jedes lokale Uebergcwicht einzelner Abschnitte des Magenhohlmuskels
am leichtesten in einer sichtbaren Formgebung zum Ausdruck kommen. In
dieser Nivellierlagc gelingt es, regelmässig die oben beschriebene Grundform,
den Retortenniagen. röntgenologisch bei allen Mägen wiederziifinden, welche
orthotoniscli oder innerhalb der ..normalen“ Grenzen hypotonisch sind, gleich¬
gültig. ob es im Stehen Stierliorn- oder Hakenmägen sind. Auch eine
dem 1 s t h in u s ähnliche Sonderung in zwei Teile ist so fast regelmässig
zu finden, ja bei Dilatationen zeigt sich nur der unterhalb dieses Isthmus
gelegene Abschnitt erweitert. Es spielen jedoch bei dieser röntgenographi-
sdien „lsthmus“-I3ildiin'« die im Vergleich zu den ..überlebenden“ (A s c h o f f)
Mägen eine sehr geringe Kratt aiifzuweisen scheint, extraventrikuläre Fak¬
toren eine noch nicht in vollem Umfang erkannte Rolle.
(i. unternahm den Versuch, die Mageiigrundform entwlck-
1 u n g s m e c h a 11 i s c li a b z u 1 e i t e n: man muss in den äusseren Stö¬
rungen des phylotisch sich entwickelnden Magens und in ihrer Beseitigung
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET.
5ül
durch das durch die Störung selbst zur Anpassung gezwungene Organ (Kampf
der Teile, der Zellen im Organismus um Nahrung und Raum, Roux) das
(ormbildende Prinzip erblicken, durch das dauerfähige, nicht zweckmässig
geplante, sondern in der Teilauslese zweckmässig gewordene Formen ent¬
standen, welche das ganze Individuum in seinem Kraft- und Stoffwechsel
fordern.
Q. hält in weiterer Ausführung dieser Oedankengänge nicht nur mit
Gegen baur den Magen für einen Teil des Vorderdarmes, sondern ist
geneigt, auch den Bulbus duodeni vom Mittcldarm abzutrennen und ihn
mit zum Vorderdarm zu rechnen, das heisst phylogenetisch Bulbus duo¬
deni und Pars pylorica als Einheit aufzufassen (die B r u n -
n e r sehen Drüsen sind genetisch identisch mit den Pylorusdrüsen; die Oe-
fäss- und Nervenversorgung ist von der Pars descendens duodeni gesondert
und gehört ebenfalls zum Magen; röntgenologisch zeigt sich eine scharfe
Grenze wegen der magenförmigen, kugelig glatten Konturen im Gegensatz
zu der fiederförmigen Zeichnung des ganzen Dünndarms).
Mit dieser Auffassung erklärt (i. die auffallende Häufigkeit der ange¬
borenen Duodenalatresien an der aboralen Grenze des Bulbus duodeni. Viel¬
leicht ist es möglich, aus der Einheit dieses zweifellos regressiven und damit
auch in seiner Regenerationskraft minderwertigen Vorderdarmendes (Pars
pylorica “F Bulbus diu)deni) einheitliche pathogenetische Gesichtspunkte für
das Ulcus ventriculi und duodeni ahzuleiten. Ueber vage Vermutungen kommt
man da jedoch vorläufig wohl kaum hinaus.
G. demonstrierte mehrere unmittelbar post mortem fixierte Mägen, die
sehr charakteristisch die „Grundform“ zeigten; weiterhin Bilder von Tier¬
mägen aus dem Stammbaum des Menschen; Trichobezoare, dje wegen ihres
geringen spezifischen Gewichtes besonders leicht die Grundform des Magens
nachahmen; die Blutgefässe des Bulbus duodeni; Duodenalatresie; endlich eine
Anzahl von Magenröntgenogrammen mit ..Isthmus“-Bildung in Nivellierbauch¬
lage und Nivellierrückenlage. (Vergleiche 86. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher und Aerzte. Zbl, f. Chir. 1921 S. 20.)
Herr Perl: Physikalische Behandlung der Geschlechtskrankheiten.
Aussprache: Herr Otto Goetze; Die Misserfolge der bisherigen
Verfahren der Wärmebehandlung der Gonorrhöe beruhen auf der kühlen¬
den Wirkung des Blutstromes. Im Hinblick auf die theoretisch genügend be¬
gründete Möglichkeit, den auf künstlichen Nährböden bei ca. 42 ® absterbenden
Gonokokkus auch im lebenden Organismus abzutöten, sofern es gelingt, die
Gewebe seiner Ansiedlung wirklich auf entsprechende Temperaturen zu
bringen, wurden von G. Versuche unternommen, Glieder, die durch Es-
rn a r c h sehe Umschnürung blutleer gemacht waren, in warmem Wasser
verschiedener, aber konstanter Temperatur zu erhitzen. Durch die somit er¬
reichte Ausschaltung des kühlenden Blutstromes gelingt es in wenigen Minuten
rein lokal, ohne Veränderung der allgemeinen Körpertemperatur, einen
ganzen Gliedabschnitt durch und durch auf eine gleichmässige Temperatur
jeden gewünschten Grades zu bringen.
Der blutleere Penis des Hundes verträgt die einstündige Erwärmung
auf 47—48 ® ohne Schädigung. Therapeutische Versuche sind begründet bei
frischer Gonorrhöe, w'elche noch auf die vordersten Abschnitte der männ¬
lichen Harnröhre beschränkt ist, weiterhin bei Gelenkgonorrhöe; G. hat am
Menschen nur einmal, und zwar bei gonorrhoischer Handgelenksentzündung,
die Hyperthermie unter Blutleere ausgeführt, anscheinend mit gutem Erfolg.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 5. April 1921.
Herr Weygandt stellt eine Reihe von Paralytikern vor, die nach
Behandlung mit Malariainfektion mehr oder weniger weitgehende
Remissionen aufweisen. W. verfügt jetzt über 50 Fälle, von denen
58 Proz. berufs- oder beschäftigungsfähig gew'orden sind.
Herr Fuchs zeigt a) einen jungen Mann mit Herzschussverletzung. Der
Riss im Myokard wurde von ihm vernäht, das Geschoss aber im Herzen
belassen. Pat. ist völlig beschwerdefrei, b) Einen Fall von Ailamantlnom
des Unterkiefers durch Resektion der Mandibula geheilt. Demonstration
des mikroskopischen Präparates (A. cysticum).
Herr S e e f e I d demonstriert die herausnehmbare Prothese, die in diesem
Falle zur Wiederherstellung der Kontinuität und Beseitigung der Dislokation
des Unterkiefers hergcstellt wurde.
Herr W 1 c h m a n n demonstriert ein Mädchen mit sehr ausgedehnter
Hauttuberkulose im Gesicht, das auf Alttuberkulin völlig anergisch war,
während auf Infektion abgeschwächter Tuberkel bazillen (Ge-
websbrei aus einem Gesässlupus an progredienter Stelle) starke Allergie
und danach schnell fortschreitende Heilung eintrat. Das bis jetzt 50 mal
angewandte Verfahren ist völlig gefahrlos.
Herr K U m m e 11 bespricht unter Vorweisung von Diapositiven die
sympathische Ophthalmie. Das histologische Bild, das zuerst nur Lympho¬
zytenanhäufungen aufweist, erinnert später nach Auftreten von epithcloiden
Zellen und Riesenzellen an T u b e r k e 1. K. zeigt die Lymphozyteninfiltrate
der sympathischen und der sympathisierenden Entzündung,
sowie einen Fall von sympathischer Entzündung ohne sympathisiferende.
(Erkrankung des unverletzten Auges bei Gesundbleiben des verletzten.)
Herr W o h 1 w i 11 demonstriert an Diapositiven die bei CO-Verglftung
auftretende symmetrische Erweichung des beiderseitigen Globus pallidus.
Die in diesen Fällen bestehende Erkrankung der Arterien mit
Verkalkung, besonders der Media, kann, da. sie nicht zu Gefässver¬
schluss führt und auch z. B. im Kleinhirnmark ohne jede schädliche Folge
für das Nervengewebe vorkommt, nicht die alleinige Ursache der
Erweichungen sein. Vortr. nimmt ausserdem eine spezifische
Giftwirkun«»- auf das Nervenparenchym im Globus pallidus an. Kli¬
nisch entspricht der Veränderung das Auftreten von starker Muskel-
r i g i d i t ä t.
Besprechung des Vortrages des Herrn Jakob: Ueber eine eigenartige,
der multiplen Sklerose nahestehende Erkrankung mit bemerkenswertem
anatomischen Befund.
Herr W o h 1 w i 11 erinnert an die Aehnlichkeit der in der weissen
Substanz befindlichen „Gliarosetten“ mit den Fleckfieberknötchen
und fragt nach ihren Beziehungen zu den Nervehfasern. Ferner fragt er, ob
das Freibleiben des Globus pallidus klinisch in Erscheinung getreten sei und
ob die Leber in den Fällen mikroskopisch untersucht wurde. .
Herr Böttiger: Nach Beginn und Verlauf der Erkrankung ist eine
Aehnlichkeit der Erkrankung mit der multiplen Sklerose nicht zu erkennen.
Herr Jakob (Schlusswort): Beziehungen der Gliarosetten zu üe-
f ä s s e n waren auszuschliesscn. Das klinische Bild entsprach einer
Erkrankung des S t r i a c u m s ohne Beteiligung des Pallidums.
Herr Thost: Die Caissonerkrankungen beim Hamburger Eibtunnelbau.
Vortr. teilt die nach Arbeiten in Caissons auftretenden Affektionen
in 6 Gruppen ein: 1. Afiektionen des M i 11 e l o h r s, sowohl durch den
direkten Druck als auch durch Gasblasen bedingt. Besonders gefährdet sind
Personen mit frischer Mittelohrentzündung, während alte Perforationen ohne
Eiterung sogar besonders geeignet für die Arbeit im Caisson machen. 2. Er¬
krankungen der Stirnhöhle, die in einem Falle sogar durch Meningitis
den Tod herbeiführten, sowie der Lungen, Leute mit Emphysem und
Bronchitis sind besonders disponiert. 3, Schwindel und Gleichge¬
wichtsstörung, Hier sind vielleicht die von B o r n s t e i n und Plate
gefundenen, durch Gasentwicklung entstandenen Knochenerkran¬
kungen im Felsenbein lokalisiert. Am Warzenfortsatz wären sie mög¬
licherweise röntgenologisch darstellbar. 4. Gleich oder kurz nach der Aus-
schlcusung auftretende, der akuten Alkoholvergiftung ähnelnde
Zustände, die am besten durch sofortiges Wiedereinschleusen beseitigt wer¬
den. 5. Chronische Störungen seitens des Nervensystems: Erregbarkeit,
Gedächtnisstörungen, Demenz. 6. Todesfälle. Prophylaxe: Rich¬
tige Auswahl der Arbeiter; sie sollen zw'ischen dem 20. und 40. Jahr stehen,
nicht ohr-, lungen oder nervenkrank sein, nicht an Adipositas leiden und keine
chronischen Alkoholisten sein. Ruckweise Au.sschleusung. Erwärmen
nach Ausschleusung. Therapie u. a,; 0-Einatmung. Pilokarpin.
Fr. W 0 h 1 w i 11 - Hamburg.
Näturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 9. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr Grafe. Schriftführer; Herr Freudenberg.
Herren Sachs und v. Oettlngen: Zur Biologie des Blutplasmas.
Der Vortrag erscheint unter den Originalien der M.m.W.
Aussprache: Herren György, v. Oettijigen, Sachs, Moro.
Freund, Sachs, Freudenberg.
Herr K I s s 11 n g - Mannheim: 1. Ueber Spondylitis typhosa.
Allgemeines und Demonstration der Kurve und Röntgenbilder eines
Falles, bei dem sich 2I-? Monate nach einem Typhus ambulatorius unter
stürmischen Erscheinungen eine Spondylitis des 3. und 4. Lendenwirbels ent¬
wickelte. Hohes Fieber, Milztumor, Widal 1: 1600 stark positiv. Dann noch
Osteomyelitis des linken Hüftbeines, spontane Heilung ohne Deformität.
(Veröffentl. Fortschr. a. d. Geb, d. Röntgenstr. d. J.)
2. Ueber Spondylitis infectlosa.
Kurve und Röntgenbilder eines Falles von Staphylokokken-
spondylitis im Anschluss an einen Nasenseptumabszess. Langsame Ent¬
wicklung einer Spondylitis des 3. Lendenwirbels mit röntgenologisch nach¬
weisbaren Veränderungen. Durchbruch eines prävertebralen Abszesses nach
Darm- und Harnwegen. Staphylococcus pyogenes aureus. Ein Jahr später
Entwicklung einer Spondylitis des 4. und 5. Lendenwirbels mit röntgeno¬
logisch nachweisbarer Destruktion und prävertebralem Abszess. Keinerlei
spinale Erscheinungen. Der Kranke jetzt nach fast 2 Jahren fieberfrei und
in leidlich gutem Zustand.
Herr L o e s c h c k e - Mannheim: Ueber das Verhalten des Azlnus in der
normalen und emphysematösen Lunge.
Aussprache: Herren Ernst, Loescheke, Braus, Elze,
Loescheke. _
Medizinische Gesellschaft zu Jena.
Sitzung vom 16. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr S t i n t z i n g. Schriftführer; Herr E r g g e 1 e t.
Herr Wunderlich: Ziliarkörpertumoren.
Erscheint in den Klin. Mbl. f. Augenhlk.
Herr Schneider: Hysterie oder Linsenkemerkrankung?
Vortr. stellt einen 40 jähr. Bezirksfeldwcbel vor, der von anderer Seite
als organische Erkrankung des Zentralnervensystems aufgefasst wurde. Er
zeigte den für die Paralysis agitans sprechenden Symptomkomplex; anta¬
gonistischer Tremor. Muskelsteifigkeit, besonders auch starren Gesichtsaus¬
druck und die durch die Muskelstarre bedingte Haltung usw. Da sich dieser
Zustand durch gemütliche Aufregungen eingestellt hatte, konnte man den
Verdacht einer psvehogenen Erkrankung nicht loswerden. Der Verdacht
wurde durch den Verlauf der elektrischen Suggestivbehandlung bestätigt. Es
folgt nun noch eine Gegenüberstellung dieser Erkrankung solchen extrapyrami¬
daler Zentren.
Herr Weingartner: Ueber einen Fall von Werdnlg-Hoff-
m a n n scher Krankheit. Erscheint ausführlich an anderer Stelle.
Aussprache: Herr Ibrahim.
Herr Hertel (a. G.): Akute stenoslerende Laryngotracheitis durch
Grippe.
Ein 6 jähriger Knabe erkrankte plötzlich unter folgenden Erscheinungen;
Blausucht, starke Dyspnoe. Stridor, heisere Stimme, kleinen frequenten Puls,
Rötung des Rachens, keine Membranen, keine Drüsenschwellungen, Tem¬
peratur 40,5" C. Exitus am gleichen Tage infolge Herzschwäche.
Schleimhaut von Kehldeckel und Kehlkopf sowie von Trachea im oberen
Abschnitt schmutzig-graurot verfärbt, rauh und körnig. Mikroskopisch: Das
Zylindcrepithel ist z. T, noch erhalten, z. T. in Abschilferung begriffen,
darunter die Submukosa auf das dichteste entzündlich infiltriert von ein¬
kernigen Wanderzellen, mit strotzend gefüllten und sehr weiten Kapillaren.
Kein Fibrin, von Bakterien finden sich Diplostreptokokken.
Es ist noch kein derartiger Fall in so frischem Stadium zur Autopsie
gekommen.
V e r s ö berichtet über 4 Fälle von akuter nekrotisierender Amygdalitis,
Pharyngitis und Laryngitis bei Influenza. Eingangspforte sind in allen Fällen
die (laumentonsillen.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
502
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
W i d o w i t z berichtet über 5 Fälle von stenosi'erender Laryngitis als
Qrippekomplikation im Kindesalter Da alle die Infektion überstanden, liegen
nur die klinischen Befunde vor.
Aussprache: Herren S t i n t z i n g und Ibrahim.
Herr Gerlach: 1. Chronische abszedierende Leberphlegmone beim
Kind.
Bei 10 jährigem Knaben, der mehrfach wegen Leberabszess operiert
wurde, findet sich bei der Obduktion eine chronische abszedierende Phleg¬
mone des rechten Leberlappens mit starker Narbenbildung. Fortschreiten
nach dem linken Lappen zu durch Phlebitis der Pfortaderäste. Im Eiter
massenhaft Staphylokokken. Ueber den Ausgangspunkt der Erkrankung gab
weder die Krankengeschichte noch die Obduktion Aufschluss.
2. Wiederholte Perforation eines mykotischen Aneurysma der Bauchaorta
ins Duodenum.
Ein 20 jähriges Mädchen, das eine Arthritis des Fussgelenkes mit gleich¬
zeitigen Schmerzen in der Magengegend durchmacht, kommt plötzlich nach
zweimaliger Hämatemese zum Exitus. Die Obduktion deckt ein sackförmiges
Aneurysma spurium der Bauchaorta zwischen Arteria mesenterica superior
und inferior auf, das mit dem Duodenum verbacken und in dieses perforiert
ist. Die mikroskopische Untersuchung lässt an Narbenbildung, Schleimhaut¬
regeneration, Blutpigment in der Darmwand erkennen, dass schon früher
Perforationen stattgefunden haben. Obduktionsbefund und Anamnese geben
die Erklärung: im letzten Sommer häufige Anginen. Von da aus embolisch-
rnykotisches Aneurysma der Bauchaorta und Arthritis. Aus Analogiegründen
mit Vorgängen an den Herzklappen wird vorgeschlagen, den Prozess an der
Aorta als Endaortitis ulcerosa zu bezeichnen.
Herr Hans Simmel: lieber Atresle des Ductus choledochus.
3% monatliches Mädchen. Keine Lues. Choledochus an der Papille
(Serie) normal beginnend, kegelförmig sich verengernd, nach 4 mm •ver¬
schwindend; keinerlei Entzündungszeichen. Im Lig. hepatoduodenale kleine
Zellhaufen ohne Lumen als letzte Reste des Ganges (in einigen Stufen).
Hepaticus comm. zu mittelgrosser Zyste erweitert, Aeste durchgängig.
Typische biliäre Leberzirrhose. Echtes Vitium primae formationis aus früher
Embryonalperiode.
Aussprache: Herr 0 u 1 e k e.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köin.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 7. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr Cahen I. Schriftführer: Herr Jungbluth.
Herr Blank: Arbeitsmethoden und Ergebnisse der modernen Röntgen¬
tiefentherapie.
Vortr. bespricht nach einem kurzen historischen Ueberblick über die
Entwicklung der Röntgentherapie die physikalischen und technischen Be¬
dingungen. die unbedingte Voraussetzung für eine rationelle Tiefentherapie
sind. Die zur Erzeugung möglichst homogener und harter Strahlung wich¬
tigen Faktoren wie Apparatur, Rohr und Filter werden gemäss ihrer Be¬
deutung gewürdigt und Neuerungen aus jüngster Zeit, wie die neuesten
Apparatetypen verschiedener Firmen, gasfreie Röhren werden demonstriert.
Der Vortr. besprach sodann die Dosimetrie in der Röntgentiefentherapie unter
hauptsächlicher Berücksichtigung der elektrischen Messinstrumente und die
Ermittlung des Dosenquotienten mit Hilfe des Wasserphantoms. Im Anschluss
daran wurden die Ergebnisse der Röntgentiefentherapie unter hauptsächlicher
Berücksichtigung der Neoplasmen und der Tuberkulose in ihren mannigfaltigen
Bildern abgehandelt.
Diskussion: Herr Qrässner warnt vor zu grossem Optimismus,
empfiehlt für operable Fälle Operation, für inoperable Fälle und zur Nach¬
behandlung Operierter die Tiefenbestrahlung.
Herr I r I e empfiehlt das lontoquantimeter an Stelle des Intensimeters.
Herr F ü t h operiert und behandelt mit Röntgenstrahlen nach. Der
anfängliche Enthusiasmus hat in der Gynäkologie der Kritik nicht stand¬
gehalten.
Herr Stolle, Herr Blank.
Herr Grimm: Die MllchversorgunR der Säuglinge und die städtische
Säugllngsmilcbanstalt.
Gegenüber den Friedensjahren hat die Inanspruchnahme der städtischen
Säuglingsmilchanstalt erheblich abgenommen, im letzten Jahre allerdings
infolge (jeburtenzunahme wieder eine geringe Steigerung erfahren. Die Ab¬
nahme liegt zum Teil in der gesteigerten Stillhäufigkeit, in der geringeren
Geburtenzahl während der Kriegsjahre, und ferner darin, dass die früher mit
5 Fläschchen Vollmilch von der Säuglingsmilchanstalt versorgten älteren
Säuglinge jetzt mit % Liter pasteurisierter Kindermilch aus der Kindermilch¬
anstalt versorgt werden; und schliesslich darin, dass die Mütter bei der
heutigen Milchrationierung lieber das ihnen auf Marken zustehende 1 Liter
Vollmilch bzw. % Liter' Vorzugskindermilch holen, hiervon den zur Zu¬
bereitung der Säuglingsnahrung erforderlichen Teil verbrauchen und den
übrigbleibenden Rest an Vollmilch anderweitig verwenden können, während
sie für die trinkfertige Tagesportion Säuglingsmilch ebenfalls die ganzen
Milchmarken abgeben müssen.
Unter diesen Umständen entsteht die Frage, ob unter Berücksichtigung
der stark zurückgegangenen Nachfrage nach Säuglingsmilch, insbesondere der
für jüngere Säuglinge, einerseits, und der gewaltig angestiegenen Unkosten
der Anstalt andererseits, solche Anstalten weitergeführt werden können oder
nicht, zumal wenn man beobachtet, dass trotz ungünstigerer Milchhygiene,
allerdings bei Rückgang der früheren Unsitte der Milchüberfütterung, Ef-
nährungsstörungen im Säuglingsalter gegenüber früher nicht häufiger in Er¬
scheinung treten.
Diskussion.' Die Mitgliederversammlung nimmt Kenntnis von der
beabsichtigten Schliessung der städtischen Milchküche.
Herr S a v e 1 s: Die Quäkerspeisung in Köln.
Die Speisung soll ausgedehnt werden auf hoffende Frauen und stillende
Mütter.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom I. Februar 1921.
Vorsitzender: i. V. Herr Huebschmann.
Schriftführer: Herr Ebstein.
Herr H o h 1 b a u m: Ueber die chirurgische Therapie der chronischen
Pankreatitis.
Der Vortragende bespricht die bei dieser Erkrankung üblichen indirekten
Operationsmethoden und geht ausführlicher auf die Indikationen zur Spaltung
der Pankreaskapsel nach Payr ein an Hand von 6 an der chirurgischen
Klinik in der Art behandelten Fällen.
(Vortrag erscheint ausführlicher an anderer Stelle.)
Herr Sonntag stellt einen von Geh. Rat P a y r mit Erfolg operierten
Fall von Oesophagusdivertlkel vor. Es handelt sich um ein typisches Pulsions¬
divertikel am Halsteil der Speiseröhre mit einem kleinapfelgrossen Sack bei
einem 66 jährigen Mann. Wegen starker Beschwerden mit hochgradiger Ge¬
wichtsabnahme wurde die Operation ausgeführt, und zwar in folgender Weise:
Präliminare Gastrostomie. Nach 2—3 Wochen Radikaloperation unter typi¬
scher Freilegung des Oesophagus, Ausschälung, Stielujig und Abtragung des
Divertikelsacks durch Abklemmen; Absteppnaht, durchgreifende Naht und
doppelte Uebernähung unter Einstülpen des Sackrestes; Glasdrain im unteren
Wundwinkel. Reaktionsloser Verlauf der Operationswunde. Einige Tage
später Fortlassen des Magcnschlauchs, worauf sich die Magenfistel spontan
schloss. Patient ist jetzt völlig geheilt, befindet sich seit Monaten völlig
wohl und hat 'an Gewicht bedeutend zugenommen.
Herr Kleinschmidt demonstriert:
1. einen 16 jährigen Patienten, der vor etwa 2 Monaten eine Appendizitis
durchgemacht hatte. Seit 8 Tagen wieder neuer Anfall ohne Fieber bei
regelmässigem Stuhlgang. Seit 2 Tagen dauernde Blutung aus dem Darme.
Nur noch 18 Proz. Hämoglobin, Erythrozyten 830 000, Erbrechen, Benommen¬
heit und Schwindel. Deutlich fühlbarer Tumor in der Zoekalgegend, sekundäre
Anämie. Operation in Lokalanästhesie. Wurm liegt fest fixiert um die
Basis eines Meckel sehen Divertikels in einem Konglomerattumor. Wurm
perforiert in die schwer entzündlich veränderte und stark durchblutete Wand
des Divertikels, ohne dessen Schleimhaut zu eröffnen. Da das Blut nur vom
Zoekum nach abwärts gefunden wurde, der übrige Darm aber leer war. auch
sonst keine (Quelle für die Blutung festgestcllt werden konnte, so muss mit
Bestimmtheit angenommen werden, dass das Blut aus der Wand des ent¬
zündeten Divertikels in den perforierten Wurm und von da in das Zoekum
gelangt war. Resektion des Dünndarmstückes mit dem Divertikel und Ex¬
stirpation des Wurmes. Seitdem keine Blutung mehr, aber rasche Erholung
und Heilung. Nach 4 Wochen normaler Blutbefund.
2. einen 31 jährigen Patienten, bei dem ein kindskopfgrosses typisches,
teilweise erweichtes Chondrom der Beckenschaufel, das sich bis in die
Nähe des Hüftgelenkes in das Becken hinein entwickelt hatte, mit Erfolg
exstirpiert worden war, unter Mitnahme eines grossen Teiles der zerstör¬
ten Beckenschaufel.
3. das Präparat eines 27 jährigen Patienten, der sich aus einem frischen
Ulcus ventriculi verblutet hatte. Kompliziert war dieser Fall durch einen
wahrscheinlich traumatisch entstandenen Zwerchfelldefekt mit Magenvolvulus.
Dieser Fall wird an anderer Stelle ausführlich mitgetcilt.
Diskussion: Herr Marchand legt einen nach Gefrieren her-
gestellten Frontaldurchschnitt des Thorax eines 19 jährigen Mannes /Vor, bei
dem 10 Jahre vor dem Tode eine Rippenresektion wegen rechtsseitigem
Empyem gemacht worden war (S. Nr. 73/1908). Die Asymmetrie des Thorax
mit linkskonvexer Skoliose hat einen sehr "hohen Grad erreicht. Es besteht
fast totale Schrumpfung der rechten Lunge und starke Hypertrophie des rech¬
ten Ventrikels.
Herr Marchand: Demonstration von Organen (Kniegelenk. Sternum
und Rippenknorpeln, Wirbclkörper) eines Falles von intensiver Ochronose,
die von Herrn Med.-Rat Dr. K u f s in der Heilanstalt Dösen bei der Sektion
einer Geisteskranken von 52 Jahren gefunden wurde. Ueber die Beschaffen¬
heit des Harns während des Lebens, besonders über etwaige Alkaptonurie
ist nichts bekannt.
Sitzung vom 15. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr S u d h o f f.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr Seltz: Ueber künstliche Zahnkarles.
Die Zahnkaries hat sich in den letzten Jahren erheblich ausgebreitet;
zweifellos ist dies bedingt durch sozialhygienische Missstände, besonders
mangelhafte unzweckmässige Ernährung. Aetiologisch kommt wohl in Be¬
tracht, wie schon Miller annahm, ein chemisch-parasitärer Prozess. Aus
Resten von Kohlehydraten wird durch gewisse Bakterien Säure gebildet, die
den Schmelz angreift, das Zahnbein entkalkt und erweicht. Es fehlten hier¬
zu noch experimentelle Beweise. Nimmt man Reinkulturen von Bakterien
die hauptsächlich als Milclisäurebildncr in Betracht kommen, und bringt in
ihre Traubenzuckerbouillonkulturen Zähne ein, so kann man durch Variierung
der Menge und Zeit an willkürlich gewählten Stellen des Zahnes mit Sicher¬
heit Karies erzeugen. Diese künstliche Karies unterscheidet .sich in nichts
von der natürlichen, weder makroskopisch noch mikroskopisch.
Durch diese und andere Versuche ist wohl der Beweis erbracht, dass wir
es bei der Zahnkaries mit einem chemisch-bakteriellen Prozess zu tun haben,
und andere angenommene ätiologische Momente vollkommen zurücktreten.
Herr Jötten: Ueber Vakzinetherapie bei Gonorrhöe.
Vortr. hatte in früheren Mäuseimmunisierungsversuchen feststellen
können, dass mit vielen Stämmen ein Schutz gegen spätere Injektionen toxi¬
scher Gonokokken zu erreichen ist, mit Sicherheit aber nur, wenn zur Vor¬
behandlung und Nachinjektion ein und derselbe Stamm Verwendung fand.
Diesem Versuchsausfall entsprachen aber die bisher in der Praxis gemachten
Erfahrungen mit Autovakzinen und anderen polyvalenten oder heterogenen
Hiipfstoffen nicht, die eine Bevorzugung der polyvalenten Vakzine ergeben
hatten, Vortr. hat daraufhin von Juli 1920 bis 1. Februar 1921 Parallel¬
impfungen an 103 Patienten mit den 3 Impfstoffarten gemacht, die in be¬
sonders schonender, das Antigen nicht schädigender Weise von ihm .selbst
hergestellt waren. Von 31 mit heterogener Vakzine behandelten Pat.
wurden 11 günstig beeinflussf. in 20 Fällen dagegen Versager. Unter 31 mit
polyvalenter Vakzine gespritzten Fällen waren 10 günstig beeinflusst,
bei 12 der Erfolg fraglich, bei 9 glatte Versager.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
22. ApriJ 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
503
A u t o V a k z i r a t i o n, an 33 üonorrhöeerkrankten durchgeführt.
19 Fälle geheilt, 3 Fälle äusserer Umstände halber aus Behandlung aus-
geschieden. 10 Pat. noch in Behandlung, aber alle schon erheblich gebessert,
in 1 Falle hat die Autovakzination versagt. Er glaubt daher der Autovakziiia-
tion den Vorzug geben zu müssen, deren Durchführung in der Praxis zwar
nicht so einfach und so bequem wie bei den vorrätigen käuflichen poly¬
valenten VakJinen ist, aber in Zusammenarbeit mit einem bakteriologischen
Institut wird die Herstellung nicht so umständlich sein.
Für sog. Doppelfälle, in denen man Infizierten und Infektionsquelle kennt,
z. B. in gonorrhoischen Ehen, kommt man mit der Herstellung nur eines
Impfstoffes aus, wie Erfahrungen in 5 Doppelfällen ergeben haben; Vor¬
bedingung aber ist absolute Abstinenz der Erkrankten bis zur definitiven
Heilung, sonst kommen Re- und Superinfektionen vor.
Für solche chronische Fälle, bei denen die Oonokokkenzüchtung nicht
gelingt, empfiehlt Vortr. mittels Serumuntersuchung durch Agglutination und
Komplementbindung einen Impfstoff ausfindig zu machen, dessen Herstellungs¬
stamm dem krankmachenden Keim besonders nahesteht oder mit ihm identisch
ist. Günstige Erfahrungen bisher an 3 Patienten, Versuche werden fort¬
gesetzt.
(Original erscheint in der Dermatol. Wschr.)
Herr Kruse: Ueber Bekämpfung der Tuberkulose. (Erscheint als Ori¬
ginalabhandlung.)
Verein der Aerzte in Steiermark.
Sitzung vom 14. Januar 1921.
Vortrag des Herrn J a r i s c h: Ueber pharmakologische Wirkungen von
Lipoiden.
Lipoidemulsionen und dünne Seifenlösungen erhöhen die Resistenz roter
Blutkörperchen gegen Hypotonie, wahrscheinlich dadurch, dass sie den
fettigen Charakter der Oberfläche verstärken. In gleicher Weise wird die
analoge Wirkung der Narkotika in niedrigen Konzentrationen zu erklären
versucht, da auch mit Narkotizis imprägnierte Körper für Wasser weniger
„benetzbar“ sind. Auf Papier erzeugen die Narkotika „Fettflecke“, auch
Veronal, Antifebrin usw.. wenn man sie durch Erwärmen zum Schmelzen
bringt. — Lipoide und Seifen bringen isolierte Froschblutgefässe zur Konstrik¬
tion; nach dem Abklingen dieser Wirkung ist der Effekt des Adrenalins
schwächer, jedoch von viel längerer Dauer wie am frischen Präparate. Hier
ist gleichfalls an Permeabilitätsveränderungen zu denken. — Seifen gesättigter
wie ungesättigter Fettsäuren schützen Kasein und Stärkelösungen bis zu einem
gewissen Grade gegen die Verdauung durch Trypsin bzw. Diastase. Der
einmal eingetretene Schutz kann durch Vermehrung des Fermentes nicht über¬
wunden werden. Man kann sich die Seifen als Schutzkolloide wirksam
denken, indem die hydrolytisch freigemachten Fettsäuren Eiweiss- bzw. Stärke¬
aggregate einhüllen und so den Zutritt des Fermentes verhindern. E.
Sitzung vom 25. Februar 1921.
Demonstrationsvortrag des Herrn Hacker über; Urethra- und Blasen-
plastik aus Rektumtellen. Einem 40 jährigen Patienten war durch einen Schuss
die Pars membranacea und prostatica der Urethra bis in den Blasenhals
hinein, sowie die Sphinkterpartie des Rektums zerstört worden. Urin und
Stuhl wurden aus einer Kloakenhöhle, die stark narbig geschrumpft war, ent¬
leert. Deshalb war vorher schon von anderer Seite eine Blasenfistel angelegt
worden. — Zuerst künstlicher After des Colon transversum mit Doppelflinten¬
artig aneinandergelegten Schlingen. Dann wurden in mühseligen etwa 20 wei¬
teren Operationen zuerst die obere Wand der Harnröhre durch Mobilisierung
und Anfrischung von Urethra und Blasenmündung wieder hergestellt, und
schliesslich, da alle Versuche, die untere Wand durch Hautplastik, oder durch
Vernähen in sich, oder durch Faszienplastik zu ersetzen, scheiterten, der Defekt
der Blasenwand und Harnröhre aus einzelnen Lappen der Sphinkterpartie des
Rektums gedeckt. Wiederholt wurden die Nähte durch Urin wieder erweicht
und die Plastik gelang erst als durch ein in die Blase eingeführtes Qabelrohr,
das an die Perthes sehe Wasserstrahlpumpe angeschlossen wurde, Tag und
Nacht der gesamte aus den Uretheren austretende Urin vollständig abgesaugt
wurde. Nach vollständigem Verschluss des Blasenröhrendefektes wurde ein
Anus praeternaturalis nach W i 11 e m e r s angelegt und schliesslich der Kolon¬
after extraperitoneal mit blutiger Sporndurchtrennung und die Blasenfistel
mit fubfaszial gekreuzten Drahtschlingen nach eigenen Methoden (nach
Hacker) geschlossen. Die Harnblase hält ca. 200 ccm und der kleine
Verschlussapparat für die Harnröhre muss alle zwei Stunden geöffnet werden.
Der After ist wie jeder künstliche nicht völlig verschlussfähig. Patient trägt
einen Apparat mit Hohlpelotte und muss sich bei fettem Stuhl zweimal
täglich reinigen.
Herr Sireissler demonstriert einen Fall von zahlreichen Knochen¬
metastasen eines Sarkoms. E.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Aus den Sitzungen im März 1921.
R. Schmidt demonstriert eine an seiner Klinik seit Jahren eingeführte
und bewährte U-Röhrchen-Blutprobe. Zu berücksichtigen ist bei
ihrer vielseitigen Verwendung: 1. Menge des ausgepressten Serums, 2. Xanto-
chromie des Serums, 3. Trübung des Serums, 4. Retraktionsphänomen,
5. Qerinnungsphänomen, 6. Sedimentierungsgeschwindigkeit der Erythrozyten.
Max L ö w y - Marienbad: Ueber Wahnbildung.
L. hat den Versuch unternommen, das Gebiet der Wahnbildung unter
dem Gesichtswinkel von zwei Konzeptionen, einer deskriptiven, dem Wahn-
erlebnis von Jaspers, und einer genetischen, dem Wahnbedürfnis von
Kraepelin zu gruppieren. Vortr. unterscheidet 3 Arten der Wahnbildung:
l. Wahnbildung aus Wahnbedürfnis ohne Wahnerleben: Reaktionen und Ent¬
wicklungen psychopathischer Charaktere. Typus: Querulantenwahn. 2. Dif¬
fuser Beziehungswahn: Nur Wahnerleben, kein Wahnbedürfnis. 3. Wahn¬
bildung aus Wahnbedürfnis und Wahnerleben: Schizophrenie und Paraphrenie.
S u s s I g:. Zur Genese der männlichen Gbnitaltuberkulose.
Die Untersuchungen konnten die Ausscheidungstuberkulose im Sinne von
S i m m o n d s nicht bestätigen. In Abstrichpräparaten aus den Qenital-
organen von Personen mit Lungen- und Darmtuberkulose wurden Tuberkel-
Di gitized by Goiisle
bazillen nicht gefunden. Die hämatogenen tuberkulösen Veränderungen be¬
ginnen immer interstitiell perivaskulär und greifen dann sekundär auf die
Kanälchen bzw. Drüsen über. Das Parenchym war auch dort überall
intakt, wo nur im Interstitium histologisch Tuberkel nachgewiesen werden
konnten. In diesen Fällen waren im Lumen der Kanälchen Tuberkelbazillen
nicht auffindbar; sie wurden darin nur dort gefunden, wo ein Tuberkel
vom Interstitium aus eingebrochen war. Die Gcnitaltubcrkulose hat grosse
Neigung bereits in den ersten Anfängen auf Gefässe überzugreifen. In
60 Proz. der untersuchten Fülle lag eine Gefässwandtuberkulose mit Einbruch
vor, womit eine Erklärung für die Häufigkeit der Miliartuberkulose im An¬
schlüsse an Oenitaltuberkulose gegeben ist. Die genitoprimäre hämatogene
Tuberkulose entsteht in der grösseren Zahl der Fälle plurizentrisch, in der
kleineren Zahl unizcntrisch. Die Infektion durch Fortleitung längs der
Samenwege kann sowohl in testifugaler als auch in testipetaler Richtung
erfolgen, sie spielt wahrscheinlich aber nur eine untergeordnete Rolle, da die
hämatogene genitoprimäre Tuberkulose in der Mehrheit der Fälle gleichzeitig
obere und untere Zentren befällt.
S c h I o f f e r: Fall von extrakutaner Sporotrichose.
52 jähr. Kranke mit einer Geschwulst am Kiefer und einer Reihe anderer,
vom Knochen ausgehender Geschwülste, die in grösserer Zahl am Schädel¬
dach, aber auch an anderen Körperstellen sassen. Geschwülste weich, fluk¬
tuierend mit schokoladefarbcnem, eitrig getrübtem, fadenziehendem Inhalt.
Am Röntgenbild war das Schädeldach von kleineren und grösseren runden
Löchern übersät. Im Punktat eines solchen Granuloms und im Blut wurde
Sporotrichum Beurmanni nachgewiesen. Der Fall wurde mit hohen Dosen
Jodkali behandelt.
Arno L e h n d o r f f: Perkussion mit Seitenschalldämpfung.
Als Plessimeter wird ein ca. 20 mm langes Olasstäbchen, das an einem
Ende an einem Metallring befestigt ist, verwendet. Ueber das Stäbchen ist
eine ’Gummikappe gezogen. Bei der Anwendung wird der Ring über die
Mittelphalanx des linken Mittelfingers gezogen und dieser Finger soweit
über die Körperoberfläche erhoben, dass die Mittelphalanx horizontal steht
und das Olasstäbchen senkrecht auf der Körperwand aufsitzt. Zur Erzielung
der Seitenschalldämpfung werden Zeige- und Ringfinger unterhalb des er¬
hobenen Mittelfingers so weit ^Is möglich einander genähert und auf die
Körperwand aufgesetzt. An zweiter Stelle empfiehlt Vortr. eine reine Finger-
Fingerperkussion bei P l e s c h scher Fingerhaltung mit Seitenschalldämpfung.
H. P r i b r a m: Die Harnkolloide und ihre klinische Bedeutung«
Mit den verschiedensten Methoden wurde durch Wägung der adialysablen
Stoffe, durch Bestimmung des mit Schwermetallcn fällbaren Kolloidstickstoffes
und durch Bestimmung der Oberflächeiispannurig des Harnes bei Gesunden
und Kranken der Kolloidgehalt des Harnes bestimmt. Die übereinstimmenden
Resultate waren: Vermehrung der Harnkolloide bei Steigerung des Eiweiss¬
abbaues, besonders bei Fieber, Krebs, manchen Magendarm- und Leber¬
krankheiten, Gravidität und schweren Fällen von Diabetes, Verminderung
bei manchen Fällen chronischer Nephritis. Bei Diabetes mellitus war die
Kolloidausscheidung in leichten Fällen normal, in schweren erhöht, im Koma
herabgesetzt; dabei Kolloidvermehrung im Serum. Versuche ergaben, dass
im akuten Tierversuch Harnkolloide hypnotisch und myotisch wirken. Auf¬
fallend ist, dass besonders Krankhejten mit erhöhter Produktion und Re¬
tention der Kolloide zum Auftreten von endogenen Toxikosen neigen und die
Therapie instinktiv alles vermeidet, was die Produktion von Eiweissabbau¬
produkten steigert, dass andererseits die allgemein angewendeten Behand¬
lungsmethoden zur Steigerung des Blutzuckers führen, so dass klinische Er¬
fahrungen in den Eiweissabbauprodukten sahädliche, toxische Stoffe sehen,
während die Kohlehydrate in solchen Fällen günstig wirken.
G. Herrnhelser demonstriert karzinomatöses Divertikel (Pseudo¬
divertikel) der Pars descendens duodenl.
Bei Röntgenuntersuchung fand sich in der Pars descendens duodeni eine
medial gelegene, etwa hasclnussgrosse, ründlichc, vollkommen glatt begrenzte,
divertikclartige Vorwölbung. An dieser Stelle exzessiver Druckschmerz.
Die Obduktion zeigte, dass ein metastatisches Pankreaskarzinom auf die
Pars descendens duodeni übergegriffen und an der bezeichneten Stelle zu
einer Höhlenbildung geführt hatte. Der Fall beweist, dass röntgenologisch
als (Pseudo-) Divertikel der Pars descendens duodeni erscheinende Bilder
nicht nur durch angeborene Divertikel oder die hier sehr seltenen Nischen
bzw. entzündlichen Pseudodivertikel, sondern auch durdh einen ulzerierten
Tumor verursacht werden können.
Alfred Kohn: Jugend und Alter.
K. wendet sich gegen die Lehre Steinachs und bestreitet die Rich¬
tigkeit der Deutung der anatomisch-physiologischen Befunde. Es sei- wohl
richtig, dass die L e y d i g sehen Zwischenzellen nach Unterbindung der Vasa
deferentia zunehmen, es sei aber kein Zeichen dafür, dass sie die sekretgeben¬
den Elemente seien. Infolge der Unterbindung komme es durch Res)rntion zu¬
grunde gegangenen Keimgewebes zu einer Art „endogener Organotherapie“.
Weiter beleuchtet K. die Steinach sehe Lehre vom ethischen und sozialen
Standpunkt, wie er es bereits in einem Aufsatz in der Med. Kl. getan hat.
Starkenstein: Kombinationsversuche in der Analgetikareihe.
Nach einem kurzen Ueberblick über die pggnwärtigen theoretischen
Grundlagen der kombinierten Arzneiverordnung im allgemeinen bespricht St.
das Gebiet der Schmerzstillung im besonderen nach dieser Richtung. Eigene
Untersuchungen des Vortragenden gingen von der Absicht aus, die analgetische
Wirkung der Pyrazolonderivate durch die primäre analgetische Wirkung
der Hypnotika der Alkoholreihe zu potenzieren, ohne dass dabei der nar¬
kotische Charakter eine Steigerung erfahre bzw. überhaupt nicht sonderlich
in Erscheinung trete. Es gelang, eine Verbindung darzustellen, die der
Summenformel Cm Hie Ns Os oder einem Molekül Diäthylbarbitursäure und
zwei Molekülen Dimethylamidophenyldimethylpyrazolon (Pyramidon) ent¬
spricht und in den notwendigen therapeutischen Dosen eine sichtliche Steige¬
rung der analgetischen Wirkung erkennen lässt.
O. Fischer berichtet über Erfahrungen mit dem von Starken¬
stein gargestellten Analgetikum. Besonders gut bewährte sich das Mittel
bei den Schmerzen der Tabiker und zwar sowohl bei den lanzinierenden
wie bei den Dauerschmerzen, weiter bei einfachem Kopfschmerz, Migräne,
bei neuralgischen und rheumatischen Schmerzen, bei Zahnschmerzen und
Schmerzen infolge Brustrhagaaen; 0,4—0,6 g wirkten viel intensiver und
länger als die früher angewandten Analgetika.
Erwin Popper: Naevus flammeus der Beugefläche der rechten (»ber-
extremität, dem vorderen Areale von Cr ziemlich genau entsprechend.
Deutung des vorgestellten Falles im Sinne eines kongenitalen Defektes im
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
504
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 16.
Vasükonstriktorenzenirum in C? (Seitenhorn). Die Vasokonstriktoren der
Oberextremität ziehen im Seitenstrang abwärts und verlassen das Rücken¬
mark in den Hinterwurzeln Da —Dio. Auffassung der Qefässnävi als primäre
Nervenaffektion.
A. Pick demonstriert Präparate eines Falles von leicht angedeuteter
linkseitiger Kinderlähmung mit entsprechenden epileptischen Anfällen und aus¬
gesprochener Schädelasymmetrie zu Unguiisten der linken Hälfte. Die rechte
Orosshirnhemisphäre war beträchtlich grössei^ hypertrophisch. Die linke
Hälfte der Kranznaht war nahezu vollständig verknöchert.
£1 sehn lg: 42 jähr. Mann, 9. XI. 20 multiple Bewegungsstörungen der
Augen, Kopfschmerzen, Erbrechen seit 14 Tagen. Ophthalmoskopisch normal.
1911 Balkenstich wegen Stauungspapille seit 9 Jahren, anscheinend voll¬
ständige Heilung nach 3 Monaten; seither völlig arbeitsfähig und beschwerde-
frei. 4 Wochen nach Beginn der neuen Hirnerscheinungen Exitus. Tumor
des Balkens (Gantrlioneurogllom).
Frledel Pick: lieber intrathorakale Tumoren.
P. erörtert die durch undeutliche Anfangssymptome und versteckten Sitz
sich ergebenden Schwierigkeiten der Diagnose intrathorak. Tumoren, nament¬
lich die Differentialdiagnose zwischen Tuberkulose, Lymphogranulom,
Bronchuskarzinom, substernaler Struma, luetischer Aortitis und Aneurysmen.
Besonders erschwert ist die Diagnose, wenn das ürundleiden mit Fieber
einhergeht, wie bei den Granulomen und Sarkomen. Man darf über dem
Röntgenverfahren aber auch die übrige Untersuchung nicht vernachlässigen.
In einem Falle mit Klagen über Brustschmerzen und zeitweise Blutspucken
zeigte die Röntgenplatte (Prof. P e t r i v a 1 s k y) eigentümliche segmentierte
Streifen von knochenähnlicher Intensität im rechten Oberlappen und der Mann
gab an, wiederholt bis 8 cm lange Haare ausgehustet zu haben, was den
Fall als Dermoidzyste erkennen Hess.
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Nogtlzen.
Die Einwirkung eines alkoholischen Zwiebel¬
extraktes auf die Magenverdauung. Angeregt durch
Dr. E. Wilbrands Veröffentlichung in der M.m.W. 1918 Nr. 51 machten
wir im Jahre 1919 bei An- und Subaziditäten und bei infektiösen Durchfällen
Versuche mit Zwiebelbroten, die durchaus zu unserer Zufriedenheit ausüelen.
Da Erwachsene und besonders Kinder des öfteren die rohe Zwiebel ablehnten,
Hessen wir im Sommer 1920 durch Herrn Apotheker Dietrich (Löwen¬
apotheke, Landeshut) ein fast geschmackloses, alkoholisches Zwiebelextrakt
Herstellen, das wir Al liquid in nannten. Wir gaben 30—60—80 Tropfen
vor den Mahlzeiten und hatten dieselben guten Erfolge damit wie mit der
rohen Zwiebel. Chemisch und röntgenologisch sind unsere Versuche noch
nicht abgeschlossen, doch glauben wir jetzt schon das von W i 1 b r a n d in
Nr. 41 der M.m.W. vom Jahre 1920 Gesagte bestätigen zu können. Wir
werden über diese Versuche später noch ausführlich berichten. Heute wollen
wir nur auf den Wert der Zwiebel und Alliquidinkur Hinweisen und zur Nach¬
prüfung anregen. Herr Apotheker Dietrich gibt das Alliquidin zu Ver¬
suchszwecken unentgeltlich ab.
D. A. W i r t h und Dr. 0. Wiese- Landeshut i. Schl.
Die radi 0 I o g i sche Diagnose der Drüsen-Lungen-
tuberkulöse beim Kinde erklären H. M e r y, Q. D ä t r d und
A. D e s m o u 1 i n s für eine ausserordentlich wichtige Ergänzung der klinisch¬
physikalischen Untersuchungsmethoden, da man auf diese Weise das äusserste
Mass von Genauigkeit bei einer oft so schwierigen Diagnose erzielen kann.
Die röntgenologische Untersuchung ermöglicht, speziell die in der Hilusgegend
vorhandenen entzündlichen Prozesse, die mit den klinischen Methoden allein
schwer zu erkennen sind, zu diagnostizieren. Bei der Erkrankung der im
Hilus gelegenen Drüsen sind es besonders die radiologischen Bilder, welche
das Vorhandensein von solchen Drüsenschwellungen feststellen: der zarte
Umriss der Schatten und deren Ausdehnung hat neben den klinischen Erschei¬
nungen (Abmagerung. Fieber usw.) grosse Bedeutung als Zeichen eines aktiven
(floriden) Prozesses, die Verkalkung hingegen scheint eher ein Heilungs¬
stadium anzuzeigen. Meist wird dieses (dritte) Stadium (der sehr ausge¬
prägten, mit Verkalkung einhergehenden Schatten) mit den klinischen Erschei¬
nungen guten Gesundheitszustandes und einer Verminderung, wenn nicht Ver¬
schwinden der physikalischen Betundc einhergehen und es ist sehr wichtig
darauf’hinzuweisen, dass nach der klinischen Heilung diese Drüsenverkalkungen
noch lange im Röntgenbild fortbestehen können und es irrig wäre, dieselben
für manche kleine Gesundheitsstörungen, die bei solchen Kindern noch Vor¬
kommen, verantwortlich zu machen. Das beste Mittel, solche Irrtümer zu
vermeiden, bestünde darin, eine klinische und radiologische Kartothek der
behandelten Kinder und Schüler anzulegen, wie sie bereits von der Pariser
Stadtverwaltung genehmigt worden sei. Eine Anzahl recht anschaulicher
Röntgenbilder die teilweise von Desmouline, dem Vorstande des
städtischen Röntgeninstituts von Paris, angefertigt wurden, vervollständigen
die vorliegende Arbeit. (Presse rncdicale 1921 Nr. 23.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 20. April 1921.
— Man schreibt uns aus Wiesbaden untefm 18. April: Der 33. Kon¬
gress der Deutschen Gesellschaft für innere Medizin hat heute in Wiesbaden
unter dem Vorsitz des Geh. Rats Prof. Dr. Q. Klemperer seinen Anfang
genommen. Die Meinungen waren verschieden darüber, ob es zweckmässig
sei, den Kongress in einer Stadt des besetzten Gebietes abzuhalten. Heute
muss man sagen, cs war gut so. Es ist gut. dass möglichst viele deutsche
Männer die Schmach im eigenen Herzen fühlen, die man in den Strassen
Wiesbadens fortdauernd empfindet. Wer das erlebt hat, wird nie vergessen.
Wenn es möglich ist, davon abzusehen, so ist im übrigen über den Kongress
nur Günstiges zu berichten. Er wurde von Herrn Klemperer mit einer
gedankenreichen Rede eröffnet, in deren Eingang er mit richtigem Takt und
mit warmem nationalem Empfinden den Gefühlen Ausdruck gab. die uns
beim ersten Wiedersehen in Wiesbaden bewegen. Stellungnahme zu den
Verlag von J. F. Lehmann m .München S.W. 2. Paul Heyicstr 26.
Digitized by Google
wichtigen Fragen der Wissenschaft und des ärztlichen Standes, dessen Inter¬
essen auch die der Gesellschaft für innere Medizin sind (Verstaatlichung,
Freie Arztwahl, Reform des Medizinstudiums u. dgl.), bildeten den sonstigen
Inhalt der Rede, Gegenstand der wissenschaftlichen Verhandlungen des
ersten Tages war die Frage der Behandlung der Lungentuberkulose, die an
der Hand von Referaten von A s c h o f f, U h 1 e n h u t h, D. Gerhardt,
de 1 a Camp und L. Brauer und in lebhafter Diskussion eine eingehende
•und klärende wenn auch wenig Hoffnungen erweckende Erörterung fand.
Der Kongress ist stark besucht, auch angesehene Vertreter Oesterreichs und
des neutralen Auslandes zahlreich anwesend.
— Wir erhalten folgende Zuschrift: Der Vorstand der Aerztekammer
für die Provinz Sachsen drückt einmütig seine flammende Entrüstung darüber
aus, dass inmitten eines sog, Friedens das besetzte Rheingebiet von fran¬
zösischen farbigen Truppen überschwemmt wird, die ihre tierischen Gelüste
vielfach an deutschen Frauen. Mädchen und Kindern gewaltsam ausgelassen
haben. Dass die Franzosen, die sich so gern besonderer Ritterlichkeit rühmen
und sich als Schildhalter und Bannerträger echter Menschlichkeit, Gesittung
und Rechtliclikeit ausgeben, in rheinischen Städten sogar Freudenhäuser er¬
richten, in denen deutsche Mädchen und Frauen unter behördlicher Billigung
und Ueberwachung den farbigen Unholden preisgegeben werden, ist eine der
ganzen weissen Menschenklasse zugefügte himmelschreiende Schmach. Der
Vorstand der Aerztekammer der Provinz Sachsen fordert zur Wahrung von
Kultur und Sitte die sclileimige Zurückziehung der halbwilden farbigen
Truppen aus dem besetzten Rlicingebiet und sofortige Aufhebung
jener vorgenannten Einrichtungen, die der Ehre und Würde nicht nur der
deutschen, sondern aller Frauen und Mädchen weisser Hautfarbe gröblichst
Hohn sprechen.
— Im Februar v. Js. hatte das Medizinalministerium in Schwerin in
den gelesensten Zeitunegn Mecklenburgs vor dem Ankauf des Mittels Rad-Jo
gewarnt, da es völlig wertlos und bei seiner Anpreisung nur auf die Aus¬
beutung des Publikums abgesehen sei. Auf Grund dieser öffentlichen Warnung
erhoben der Rad-Jo-Versaiid Ci.m.b.H. und der Fabrikant Vollrath Wass-
rti u t li gegen den damaligen Staatsrninister S i v k o v i c h, der die Warnung
als Vorstand des Medizinaltninisteriums unterzeichnet hatte, Privatklage wegen
Beleidigung. Der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahreus ist jedoch durch
Beschluss des Amtsgerichts in Hamburg vom 23. Januar 1921 abgelehnt und
die gegen diesen ablehnenden Beschluss erhobene Beschwerde der Kläger
durcli Beschluss des Landgerichts in Hamburg vom 19. Februar 1921 als un¬
begründet verworfen worden. Beide Instanzen haben sich auf den Standpunkt
gestellt, dass die öffentliche Warnung des Ministeriums vor dem Kauf von
Rad-Jo „durchaus gerechtfertigt” gewesen sei.
— In Dresden wurden die von der Stadtverwaltung angekauften Gebäude
der vormaligen Schule des Vereins zu Rat und Tat zu einer Schulzahnklinik
umgcbaiit. die am 1. April ds. Js. eröffnet wurde. Unter dem Direktor der
Klinik, Zahnarzt Dr. phil. V e i t h sind 2 Schulzahnärzte, 3 Klinikgehilfinnen,
eine Kanzleigehilfin und I Hausmann tätig. Das zahnärztliche Instrumentarium
entstammt einem Vermächtnis des verstorbenen (Jrossindustriellen Exzellenz
Dr. mcd. h. c. L i n g n e r.
— Die Deutsche chemische Gesellschaft verlieh dem Generaldirektor der
Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer &. Co., Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr.
Carl D u i s b e r g, dem treuen, tatkräftigen Helfer der chemischen Wissen¬
schaft in schwerer Zeit als Zeichen ihrer Dankbarkeit eine silberne
Denkmünze mit dem Bildnis A. W. v. H o f m a n n s, eine besondere für
diesen Zweck geschaffene Ehrung.
— Der Verlag von A. Hirschwald in Berlin ist in den Besitz der
Verlagsbuchhandlung Julius Springer in Berlin übergegangen.
— Im Verlag von E. S. Mittler & S o h n, Berlin, erschien das 1. Heft
der Zeitschrift für ärztlich-soziales Versorgungs-
wesen, Schriftleiter Reg.-Med.-Rat W. Marie. An Originalarbeiten bringt
das Heft: ü h tn, Einige Merkpunktc für die Begutachtung herzkranker Kriegs-
teilnelinicr; W ä t z o 1 d, Die Beurteilung von Blindheit; Schulz, Gesetz¬
geberische Massnahmen im Bereiche der Sozialversicherung. Ferner (Jrund-
sätzliche Entscheidungen des Reichs-Militärversorgungsgerichtes, soweit sie
für die ärztliche Beurteilung von Versorgungsansprüchen von Bedeutung
sind, zu,sarnmengestellt von Reg.-Med.-Rat Dr. S i e b e r t, eine Rubrik, die
fortlaufend aus.ser den grundsätzlichen Entscheidungen des R.-M.-V,-Q. auch
sonstige für die ärztliche Beurteilung wichtige Rekursentscheidungen bringen
soll.
— Cholera. Russland. In Wilna sind aufs neue Choleraekrrankungen
festgcstellt worden.
— Pest. Mexiko. Vom 23.—29. Januar 1 Erkrankung in Cerritos
(Bez. San Luis Potosi). — Peru. Laut Mitteilung vom 12. Februar ist die
in Peru endemische Bubonenpest in der letzten Zeit in der Umgegend von
Trujillo stärker aufgetreten.
-- In der 13. Jahreswoche, vom 27. März bis 2. April 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Halle a. S.
mit 21,3, die geringste Mülheim a. d. Rh. mit 7,0 Todesfällen pro Jahr und
1000 Einwohner. Vöff. R.-Q.-A.
H 0 c h s c h u I n a c h r i c h t e ri,
Berlin. Der durch die Emeritierung des Geh, Med.-Rats Flügge
erledigte Lehrstuhl der Hygiene ist dem bisherigen o. Professor an der
Universität Strassburg Geh.-Rat Dr. Paul U h I e n h u t h, z. Z. in Berlin-
Lichtcrfelde angeboten worden, (hk.)
Breslau. Die Geh. Med.-Räte Professoren Dr. Robert Wollen-
b e r g in Marburg und Dr. Georg Puppe in Königsberg haben die Rufe an
die Universität Breslau angenommen: Prof. Wollenberg übernimmt den
psychiatrischen Lehrstuhl als Nachfolger von O. B u m k e, Prot. Puppe
wird Nachfolger von Geh. Rat A. L e s s e r auf dem Lehrstuhl der gericht¬
lichen Atedizin. (hk.)
Halle a. S. Prof. W. Heubner - Qöttingen hat die Berufung nach
Halle abgelchnt.
Heidelberg. Dem Privatdozenten für Hygiene und Bakteriologie
Dr. med. et phil. Ernst Dresel ist der Titel a. o. Professor verliehen
worden, (hk.)
Leipzig. Privatdozent Dr. Richard F r ü h w a 1 d, Oberarzt an der
Universitätsklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, wurde zum ausser-
planniäs.sigen ausserordentlichen Professor ernannt.
Marburg. Der Privatdozent für Pharmakologie an der Universität
Marburg, Prof. Dr. med. Ernst Frey hat einen Lehrauftrag zur Vertretung
der Physikalischen Therapie erhalten, (hk.)
— Druck tfow f‘. Miihlthalcr s Hucli- und Kunstdruckerei A’.O.. München.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Prclider ctexetnen Nmuner 2.— •#. • Beznftprcfi tu DaKMiduid
• • • BBd Ansbmd tiehe nntoi unter Bczngsbedtaciniicn. • • •
Aneicetnchlass Immer 5 Arbeltstefe vor Enclicifion.
MÜNCHENER
iCmtad—c«« >rtnd zu licMed
fir die Sch riW dt nng ^: Antwntr.2f (Sp r e ehstun den Ukn.
Pflr Bcnf: an I. P. Lehmann'i Vemr, P.tal HeyseatrasM 26.
FBr Anxeicen and Beilagen: u Rndolf Moste, rhetitiaerstrasM 8.
Medizinische Wochenschrift
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 17. 29. April 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz. Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lefamaim, Paul Heysestrassc 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behält sieh das aussohlieealiohe Recht der Vervieinkltigung und Verbreitung der in dieser Zeitschritt Eum Abdruck gelangendeu Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der Prosektur des Katharinenhospitals in Stuttgart,
Ueber die Bedingungen der pathologischen Gewebs-
bildung*).
Von Obermedizinalrat Dr. Karl Walz, Vorstand der Prosektur.
Nach der üblichen Definition wird eine unter Zellteilung und Zell-
vermehrung vor sich gehende Massenzunahme lebender Substanz als
Wachstum bezeichnet. Diese Bezeichnung passt wohl auf Zellverbände
mehrzelliger Organismen, nicht aber auf die einzelne Zelle, von der wir
auszugehen haben. Wenn eine Zelle wächst, so vergrössert sie sich,
wenn ein Zellverband, als Ganzes betrachtet, wächst, so kann dies so¬
wohl durch Vergrösserung der einzelnen Zellen im Sinne der Hyper¬
trophie, z. B. beim graviden Uterus, oder durch Vermehrung, Neubildung
von Zellen im Sinne der Hyperplasie geschehen. Da es sich bei der
Entwicklung höherer Tiere, bei der physiologischen Regeneration und
den als pathologisches Wachstum gewöhnlich zusammengeiassten Vor¬
gängen der Regeneration, der dieser nahestehenden entzündlichen Ge-
websbildung und der Geschwulstbildung um Neubildung von Zellen
handelt, sollte hiefür der Ausdruck Wachstum vermieden und von
Gewebsbildung geredet werden.
Wenn wir versuchen, zunächst objektiv auf Grund der bis jetzt be¬
kannten Tatsachen die einzelnen Bedingungen oder Bedingungskomplexe
der pathologischen Gewebsbildung einschliesslich der Geschwulstbildung
festzustellen, tritt uns sofort so viel Gemeinsames mit der unter physio¬
logischen Verhältnissen erfolgenden Gewebsbildung entgegen, dass die
Betrachtung unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zum Verständnis
dieser Vorgänge unbedingt erforderlich erscheint.
Von der Zelle ausgehend können wir die jeder Gewebs¬
bildung zugrunde liegenden Bedingungskoijiplexe
ganz allgemein einteilen in e k t o g e n e und endogene. Als ektogene
sind, auch experimentell, Reize verschiedenster Art sichergestellt.
Jedoch ist zu bedenken, dass die experimentell angewandten Reize, z. B.
B. Fischers Sudaninjektionen u. a., gegenüber den Reizwirkungen bei
der embryonalen, physiologischen und vielfach auch der pathologischen
Gewebsbildung ausserordentlich grobe und zugleich schädigende Ein¬
wirkungen auf die Zelle darstellen, und dass wir unter Reiz überhaupt
jede Veränderung der äusseren Lebensbedingungen
der Zelle zu verstehen haben (V e r w o r n).
Es gibt demnach unzählige Reize, man kann mechanische, ther¬
mische, strahlende, elektrische, osmotische, chemische Reize unter¬
scheiden. Zu den chemischen Reizen sind auch die Bakterien und ihre
Produkte zu zählen, zu den mechanischen Reizen werden wir wenigstens
zum Teil die Einflüsse der relativen Lagerung der Zellen rechnen. Hin¬
sichtlich die Wirkung auf die Zelle hat V i r c h o w nutritive, funktionelle
und formative Reize unterschieden. Für die letzteren, namentlich von
Weigert angefochtenen, ist Orth wieder eingetreten. Borst, nach
dessen Anschauung die nutritive und foripative Tätigkeit der Zelle auf
das Innigste an deren Funktion geknüpft ist, denkt in erster Linie an
Steigerung der funktioneilen Reize als wachstumauslösendes Moment.
Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein Reiz nur
formativ wirken kann, wenn das Objekt hiezu taug¬
lich ist, die Zelle proliferationsfähig ist, wie auch ein Reiz
nur dann funktionell wirken kann, wenn die Zelle funktionell
differenziert ist. Es kommt also auf die Disposition der
Zelle an. Ein und derselbe Reiz kann verschieden wirken, formativ
oder funktionell. Die Wirkung hängt nicht sowohl von der
Art des Reizes als auch von der Act der Zelle ab.
Neuerdings hat man vielfach die Vorgänge bei der Ent¬
wicklung in Beziehung zur Hormonlehre gebracht. Die inter¬
essanten Versuche Loebs, dem es gelang, unbefruchtete Seeigeleier
zur Entwicklung anzuregen, den Befruchtungsvorgang nachzuahmen,
wiesen schon auf die Bedeutung chemischer Einflüsse bei der Befruch¬
tung hin. Guderna'tsch gelanjr es. durch Verfütterung von Schild¬
drüse und Thymus bei Froschlarven Körperwachstum und Organdifferen¬
zierung ausserordentlich zu beschleunigen. Versuche, die von R o m e i s,
Cahn, Abderhalden u. a. weitergeführt wurden. B. Wo 1 ff, dem
wir eine• zusammenfassende Arbeit über die fetalen Hormone
•) Vorgetragen im Aerztlichen Verein Stuttgart am 16. Dezember 1920,
anlässlich der Eröffnung der neuen Prosektur.
Nr. 17.
Digitized by Goiisle
verdanken, fasst mit Anderen die chemischen Korrelationen bei der Ent¬
wicklung als Hormonwirkung auf und sieht in den Hormonen wesentliche
Mittel der Differenzierung der Organe. Danach sind' schon die chemi¬
schen Einwirkungen der unbefruchteten Keimzellen aufeinander bei der
Befruchtung als Hormonwirkung aufzufassen, und sind die Hormone von
entwicklungsmechanischer Bedeutung.
Dabei ist freilich das Gebiet, das die Hormonlehre umspannt, in dem
weiten Sinne aufzufassen, wde es S t a r 1 i n g schon bei der Begründung
der Hormonlehre auf der Stuttgarter Naturforscherversammlung 190(3
getan hat. wonach die Bildung von Hormonen nicht bloss an die sogen,
innersekretorischen Organe gebunden ist, sondern wie Biedl sich aus¬
drückt, jedes Organ, jedes Gewebe, in letzter Linie jede Zelle die Süfte-
masse verändern und durch spezifische Produkte unter Vermittlung des
Blutes auf die übrigen Teile einen bestimmten Einfluss ausüben kann. Nach
S t a r 1 i n g sind die Hormone bei niederen Tieren und bei Pflanzen,
denen ein Nervensystem fehlt, die einzigen Mittel, um die gegenseitigen
Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen des Körpers herbeizuführen.
Wir können aber noch einen Schritt weiter gehen als S t a r 1 i n g
und Biedl, indem wir als notwendige Konsequenz dieser erweiterten
Hormontheorie annehmen, dass in jeder Zelle als selbstän¬
digem Organ neben Hormonen die aufgenommen und
ausgeschieden werden, auch solche Hormone ge¬
bildet werden, die auf die einzelnen Teile der Zelle
selbst wirken, die Korrelationen zwischen Zellwand,
Plasma, Kern und Granula vermitteln und die wir als
Endohormone bezeichnen.
Nach dieser Vorstellung hat man dreierlei Hormone in der Zelle
anzunehmen, deren Wirkung dadurch kompliziert wird, dass die resor¬
bierten, die sezernierten und die Endohormone je fördernd oder hem¬
mend wirken können.
Wenn bei der embryonalen Entwicklung und Differenzierung an
hormonale Wirkung zu denken ist ist dasselbe auch für den. schon beim
Fötus beginnenden Ersatz verbrauchter Zellen, die physiologische
Regeneration der Gewebe, einschliesslich des Blutes
anzunehmen, wie auch N ä g e 1 i die ganze Erythro- und Leukopoöse
für innersekretorisch-hormonal reguliert hält. Wir sehen in der
Wechselwirkung der endogenen und ektogenen Hormone einen Regu-
1 a t i 0 n s a p p a r a t für die mannigfaltigen biologischen Vorgänge inner¬
halb der tierischen und pflanzlichen Zelle bei der Zellteilung, der Er¬
nährung und Funktion, wie auch für die chemischen Korrelationen zu
anderen Zellen, Geweben und Organen. Es braucht sich dabei keines¬
wegs nur um hochkomplizierte chemische Stoffe zu handeln, wie denn
Starling z. B. die Wirkung der Kohlensäure bei der Atmung als
Hormonwirkung auffasst. Zunächst handelt es sich freilich bei alledem
um eine Theorie, um eine Hilfsvorstellung, die uns aber das Verständnis
für die Korrelationen in und ausserhalb der Zellen wesentlich erleichtert.
Beim Vergleich der Zellveränderungen während der Entwicklung
von der befruchteten Eizelle aufwärts bis zu den einer spezifischen
Funktion fähigen Organzellen tritt uns nunmehr ein auffallender Gegen¬
satz zwischen der Vermehrungsfähigkeit der Zellen
und ihrerspezifischen Funktion entgegen, ein Gegensatz, der
bei verschiedenen Tieren, um so grösser ist, je höher das Tier in der
phylogenetischen Entwicklungsreihe steht. Die Vermehningsfäh’f^keit
ist, was viel zu wenig beachtet wurde, keineswegs
selbst verständliche Eigenschaft jeder Zelle. S : i:
mit der zunehmenden, dem Gesetze der Arbeitsteilung folgenden
renzierung der Zellen mehr und mehr zurück gegenüber der spezi. .
Funktion, derart, dass* bei den höchstdifferenzie:
•Zellen die Vermehrungsfähigkeit überhaupt auf
hoben erscheint, die Zelle völlig zur reinen Arbeits • '
wird. Dies kann soweit gehen, dass in dem Typus der reinen Ai:
zelle, dem roten Blutkörperchen bei den Säugetieren sogar der K» • -
wesentliches Organ für die Zellteilung, morphologisch völli-, v.
schwindet. Man kann geradezu als Gesetz aufstellen: J e li ö h,
spezifisch-funktionelle Differenzierung, um s j
ringer die Vermehrungsfähigkeit. Es ist dies auc!' -
wachsenden Individuum zu erkennen: Nach völliger Ausbildung urd :
faltung der Organe um die Pubertätszeit und damit vollendeter •; .
tioneller Ausdifferenzierung hört das Wachstum des Körpers üb^! - <
auf, neue Zellvermehrung findet von da ab nur noch zum Ersar:-
brauchter oder verloren gegangener Zellen und zur Fortpflanzun.
(regenerative und generative Funktion).
Roux hat drei Perioden des gestaltlichen Geschehens angenr-’
eine Periode der selbständigen, von der Funktion unabhängigen -
3
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
5Ö6
MÜNCHENER MEDlZlNiSCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
gestaltung, eine Periode des funktionellen Reizlebens und eine Zwischen¬
periode des doppelten Bestimmtseins. Ihnen entsprechend können wir
auch drei Perioden der Differenzierung unterscheiden. Die
beiden ersten Perioden stellen gewissermassen die Vorbereitunp^sperioden
für die funktionelle Differenzierung dar. In der ersten, der Periode
der Organbildung, erfolgt die Differenzierung der Zellen auf eine
gewisse Entwicklungsstufe, für die aber im Gegensatz zu Roux nicht
ein doppeltes Bestimmtsein angenommen werden kann. Auf diese Stufe
bleibt die Vermehrungsfähigkeit beschränkt und von ihr aus werden in
der dritten, der Periode der funktionellen Differenzie¬
rung, Zellen gebildet, die durch wiederholte Umwandlung durch
Zwischenstufen hindurch zu spezifisch funktionierenden Arbeitszellen aus¬
differenziert werden. Die Zwischenperiode, deren Zellen wir als
Mutterzellen bezeichnen und die wir daher auch Periode der
Mutterzellen nennen können, ist von verschiedener Dauer und nicht
immer deutlich ausgesprochen. In manchen Fällen hört die Tätigkeit
der Mutterzellen nach Ausdifferenzierung der Arbeitszellen auf, die
Differenzierung erfolgt in einem Zuge mit der Entwicklung. Damit
hängt die fehlende Regeneratipnsmöglichkeit der Ganglienzellen, die
kaum angedeutete Regeneration bei Muskelzellen, bei spezifischen
Drüsenzellen zusammen. Beim Manne erwacht die Tätigkeit der
Samenmutterzellen erst mit der Pubertät, beim Weibe wird das
Primordialei schon in der Fetalzeit gebildet, um erst von der Pubertät
ab bis zum Klimakterium auszureifen.
Bei der physiologischen wie bei der pathologischen Regeneration
erfolgt die Gewebsbildung, soweit uns diese Vorgänge bekannt
sind, niemals von der ausdifferenzierten Arbeitszelle, sondern stets
von der Mutterzelle aus. Dass die viel umstrittene Binde¬
gewebsbildung von dieser Reg^l eine Ausnahme machen sollte, ist nach
Analogie mit anderen mesenchymalen Geweben nicht anzunehmen.
Dass, wie Grawitz annimmt, die Gewebsbildung gerade beim Binde¬
gewebe von morphologisch nicht nachweisbaren „Schlummerzellen“
ausgehen sollte, die den Mutterzellen entsprechen würden, ist nicht
recht verständlich, da die Muttetzellen der übrigen Gewebe scharf ge¬
kennzeichnet sind.
Wenn bei allen diesen Vorgängen hormonale Einflüsse als mitwirkend
anzunehmen sind, so hat man sich doch davor zu hüten, alles aus¬
schliesslich durch Hormonwirkung erklären zu wollen. Offensichtlich
steht die Differenzierung der Zelle in engem Zusammenhang auch mit
ihrer relativen Lage. Schon bei Kolonien von Algen und Proto¬
zoen sehen wir die unter verschiedenen äusseren Bedingungen stehenden
oberflächlichen Zellen ihre Form der Funktion sich anpassen. Ebenso
tritt bei den höheren Tieren sofort mit dem Gastrulastadium, der Aus¬
bildung eines äusseren und inneren Keimblattes, eine scharfe Differen¬
zierung der Zellen ein, so dass die Zellen sowohl andere Form zeigen,
als nur zur Bildung ganz bestimmter Organe befähigt sind. Die Har¬
monie in dem ganzen weiteren Entwicklungsprozess ist im grossen
und ganzen gebunden an die Lagerung in einem geordneten organischen
Verbände. Auf enge Beziehungen zu direktem Kontakt
weist die Beobachtung Spemanns hin, wonach bei Tritoneniarven
die Regeneration der künstlich entfernten Linse aus dem Ektoderm allein
von der Berührung der Augenblase mit dem Ektoderm abhängt. Dies
erklärt uns auch, weshalb bei einer Fraktur die Kallusbildung
durch zwischengelagerte Weichteile verhindert wird, weshalb sie an
Amputationsstümpfen unterbleibt. Es gibt jedoch Ausnahmen; die
weissen Blutkörperchen stehen im Blute nicht mehr in direkten Lage¬
beziehungen zu den blutbildenden Organen und trotzdem führen sie
nicht ein absolut unabhängiges, amöbenartiges Vagabundenleben, son¬
dern unterstehen noch hormonalen Einflüssen in weiterem Sinne, stehen
noch in einem, wenn auch gelockerten organischen Verbände. Das
Gleiche trifft für die synzytialen Wanderzellen zu und für Zellen, die
gelegentlich zu Wanderzellen werden.
Die Bedingungen der normalem und regenerativen Gewebsbildung
sind Jedoch nicht damit erschöpft. Dass verwickelte physi¬
kalisch-chemische Bedingungen, Vererbung und andere
disponici ende Momente in Betracht zu ziehen sind, kann hier
nur angedeutet werden. Es handelt sich eben um ein kompliziertes
Zusar^men- und Wechselwirken zahlreicher Bedingungskomplexe. Als
Endresultat, gewissermassen als Endziel der Gewebsbildung bei der Ent¬
wicklung uiid Regeneration erkennen wir die spezifisch-funktionelle i
Differenzierung, die in so schroffem Gegensatz zur Proliferationsfähig¬
keit steht. Als wohlorganisierter Staat erreicht der Zellenstaat durch
möglichste Arbeitsteilung mit kleinstem Aufwand von Mitteln höchste
Arbeitsleistung.
^ Wie liegen nun die Verhältnisse bei der Geschwulstbildung?
Während die Gewebsbildung bei der Entwicklung und Regeneration
auf der Normallinie liegt und als Produkt ein Normalgebilde liefert,
dessen Arbeitszellen dem Individuum nutzbar gemacht sind, sehen wir
bei den Geschwülsten eine Entgleisung aus der normalen Bahn, eine in
autonomer Gewebsbildung sich äussernde Aenderung dös Zellcharakters,
und als Piodukt ein anormales, nur Anläufe zur Ausdiffererrzierung von
Arbeitzelle;i zeigendes Gebilde.
Eine grosse Zahl von Hypothesen sind zur Erklärung des eigentüm¬
lichen Verhaltens der Geschwulstzellen aufgestellt worden. Cohn-
h e i m nimmt als Grundlage der Geschwulstbildung einen isolierten, nicht
typisch in den organischen Verband aufgenommenen, embryonalen Ge-
wetekeim an. Ribbert lässt auch eine postfetale Ausschaltung zu,
z. B. durch Entzündung oder Trauma. Nach Hansemann handelt
Digitized by Goiisle
es sich um eine Anaplasie der Zellen, eine Rückkehr auf einfachere
Differenzierungsstufen. S c h r i d d e denkt an Mutation. Hauser au
neue Zellmassen. Gewisse Beziehungen der Geschwülste
zur inneren Sekretion wurden von Askanazy aufgedeckt
durch den Nachweis von Hormonwirkungen von Geschwülsten auf den
Geschwulstträger, z. B. Einwirkung von Zirbeldrüscntumoren auf die
Pubertätsentwicklung. Anklänge an den Gedanken, dass bei der Ent¬
stehung von Geschwülsten hormonale Einflüsse mitwirken. finden sich
in der Theorie v. Dungerns und Werners, die von Verlust des
Selbsthemmungsvermögens der Zellen reden, in E h r 1 i c h s Wuchs¬
stoffen, in B e n e k e s Anschauung,, dass die vegetativen Kräfte der Zelle
die Uebermach't über die funktionelle Tätigkeit gewonnen haben.
Woiss hat für das Karzinom einen Wegfall normaler Wachstums¬
hemmungen angenommen, den er auf histologisch nachweisbare Stö¬
rungen im Pankreas, als innersekretorischem Organ für den Stoff¬
wechsel, zurückführt.
Gehen wir von den bei der Untersuchung der Entwicklung und
Regeneration gewonnenen Anschauungen aus, so werden wir zunächst
festzustellen haben, dass auch bei den Geschwülsten die Ver¬
mehrungsfähigkeit der Zellen eine Bedingung der
Gewebsbildung sein muss, dass letztere nicht von den funk¬
tionell ausdifferenzierten Arbeitszellen ausgehen kann, die nicht ver¬
mehrungsfähig sind, sondern von Zellen, die entweder der primären oder
der Zwischenperiode der Differenzierung angehören, d. h. die in der
Entwicklung und Differenzierung zwischen der Eizelle und den, teil¬
weise zu Keimzentren vereinigten Mutterzellen liegen, letztere mit ein¬
geschlossen. Daraus folgt, dass Geschwülste teils während der Entwick¬
lungszeit entstehen, teils w’ährend des ganzen weiteren Lebens von den
vorhandenen proliferationsfähigen Zellen. ausgehen können. Für Ge¬
schwülste, deren Zellen einen embryonalen Charakter in dem Sinne
tragen, dass sie morphologisch früheren Stadien der Differenzierung ent¬
sprechen, für solche Geschwülste eine Rückwärtsdifferenzierung anzu¬
nehmen, ist nicht angängig. Eine Differenzierung, die auf dem Wege
der Arbeitsteilung unter komplizierten äusseren Bedingungen erreicht
wurde, kann unmöglich auf demselben Wege oder sprunghaft wieder
rückwärts auf ein beliebiges Vorstadium zurückgehen, dann müssten
ja hochdifferenzierte Arbeitszellen wieder Furchungszellen werden
können. Die einfachste und natürlichste Erklärung ist doch die, dass
die genannten Zellen in einem gewissen Stadium der Entwicklung in
der Weiterentwicklung und Weiterdifferenzierung
gestört wurden. Aus dem morphologischen Verhalten der Ge¬
schwulstzellen lässt sich sogar bis zu einem gewissen Grade der
Terminationspunkt der Anlage zur Geschwulst¬
bildung bestimmen, denn je früher die Störung der Weiterdifferen¬
zierung erfolgt, um so höher ist an sich die Fähigkeit der Zellen zur
Weiterdifferenzierung, die Potenz der Zellen, oder anders aus¬
gedrückt: Je geringer die Differenzierung, je näher die Zelle der Eizelle
steht, um so höher die Potenz. Aus Furchungszellen kann jedes Gewebe
entstehen, Geschwülste aus dieser ersten Zeit bilden Uebergänge zu den
Missbildungen. Aus hochdifferenzierten „Mutterzellen“ dagegen kann nur
noch eine Gewebsart entstehen. Scheinbare Ausnahmen, als echte
Metaplasie bezeichnet, erweisen sich bei näherer Untersuchung
mehr und mehr als Persistenz fetaler Stadien.
Ebenso wie Tumoren, deren Zellen einem deutlichen embryonalen
Differenzierungsstadium entsprechen, auf eine Störung in der
Weiterdifferenzierung zurückgeführt werden müssen, sehen
wir auch bei Geschwülsten, deren Grundlage Zellen bilden, die, wie
dies z. B. manche Krebse deutlich erkennen lassen, sich morphologisch
als „Mutterzellen“ erweisen, eine Störung derart, dass niemals Zellen
mit vollkommener spezifischer Funktion entstehen.
Fragen wir nun, welcher Art diese Störung in der Weiterdifferen¬
zierung sein kann, so müssen wir von vornherein darüber klar sehen,
dass unmöglich für sämtliche Geschwülste ein und dieselbe Störung,
entsprechend der sogen, „eigentlichen Ursache“, in Betracht kommen
kann. Die Vorgänge bei der Entwicklung wie bei der auf der Tätigkeit
der Mutterzellen beruhenden Regeneration sind, wde wir gesehen haben,
höchst komplizierte, aus einer ganzen Kette von Bedingungskomplexen
bestehende, deren einzelne Kettenglieder in , innigsten Wechsel¬
beziehungen stehen, die wir uns durch einen besonderen Apparat regu¬
liert vorstellen. Es ist von vornherein anzunehmen, dass eine Störung
an jedem einzelnen Gliede dieser Kette, wie auch am Regulations¬
apparat, das harmonische Zusammenwirken der einzelnen Bedingungen
mehr oder w^eniger verhindern und schliesslich das gleiche Ergebnis
haben kann, eine Aenderung der Differenzierbarkeit der
Zelle. Bei der gegenseitigen Beeinflussung und der Abhängigkeit der
einzelnen Bedingungskomplexe voneinander wird es meist unmöglich
sein, die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Bedingungen festzustellen.
Aber auch wenn lins ein einzelner Vorgang, wie ein Trauma, chemische
und andere Reize. Röntgenstrahlen, als primäre Bedingung entgegen¬
treten, werden wir uns hüten, hierin nun die „eigentliche“ wissenschaft¬
liche Ursache in dem betreffenden Falle zu suchen, sondern nur an¬
nehmen, dass eben bei dem Eintreten dieser äusseren Einwirkung die
für die Geschwulstbildung nötigen Bedingungskomplexe zusammen¬
trafen.
Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass durch ein Trauma Zellen aus
ihrem Verband morphologisch gelöst werden; das Gleiche ist-denkbar
in Ribbertschem Sinne durch Entzündungen: für embryonale Keim¬
verlagerung in Cohnheimschem Sinne gibt es genügeno histo-
OriginalfrDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29. April 1921.
logische Beweise. So wichtig nun, wie wir gesehen haben, die Be¬
deutung der Lagerung ist, so ist doch mit der rein morphologischen
Abtrennung noch nicht gesagt, dass diese Zellen nunmehr notwendig
von allen Beziehungen zu anderen Geweben ausgeschaltet sind, wie wir
dies ja auch an dem Beispiel der Blutkörperchen gesehen haben. Sonst
müsste ja eine Nekrose der ausgeschalteten Zellen eintreten. Wir
müssen uns also vorstellen, dass mit der Ausschaltung der Zellen die
Korrelationen zu den übrigen Zellen zwar mehr oder weniger gestört,
aber nicht völlig aufgehoben sind.
Dass solche ausgeschaltete Zellen, wofern sie eben proliferations¬
fähig sind, besonders in der fetalen Periode sich teilen und eine Ge¬
schwulst bilden, dass es also angeborene oder im jugendlichen Alter
zum Vorschein l^ommende Geschwülste gibt, oder dass einem
Trauma usw. die GeschwTilstbildung auf dem Fusse nachfolgt, erscheint
leichter verständlich, als dass die ausgeschalteten Zellen Jahre und
selbst Jahrzehnte liegen bleiben sollen, ohne sich zu vermehren. Für
ein solches Ruhestadium, eine Latenzperiode, haben wir aber
auch sonst, in der normalen Entwicklung und Physiologie, Beispiele
genug. Nach Beendigung der Organbildung tritt, wie wir gesehen haben,
trotz erhaltener Proliferationsfähigkeit der Zellen eine Zellbildung seitens
der „Mutterzellen“, nur noch ein, wenn dies zum Ersatz verbrauchter
oder verlorener Teile oder zur Fortpflanzung notwendig ist. Die Follikel
des Ovariums bleiben jahrzehntelang im Ruhestadium, bis ihre Reifezeit
gekommen ist. Granulationsgewebe und Kallus bilden sich nur, wenn ein
Anlass dazu gegeben ist. Alle diese Vorgänge müssen wir uns hormonal
reguliert vorstellen. So lange die Regulierung funktioniert, erfolgt
die Vermehrung der Zellen dem Bedürfnis entsprechend und in normalen
Bahnen; wenn die Zellen aber der Regulierung gleichsam aus der Hand
gleiten, selbständig werden, erfolgt die Vermehrung mehr oder weniger
planlos. Ansätze hiezu sehen wir als überschüssige Bildung, z. B. in der
Caro luxurians, in übermässiger Kallusbildung. Ueberschreitet die
Lockerung des Verhältnisses eine gewisse Grenze, so haben wir den
Uebergang zum Tumor. Aehnlich wird bei der, den Geschwülsten nahe¬
stehenden Leukämie, wenn die hormonalen Einflüsse der Blutbildung
gestört sind, eine planlose Bildung nicht ausdifferenzierter Zellen die
Folge sein.
Die Art der Störung im hormonalen Apparat kann man
sich verschieden denken. Theoretisch wird pathologische Steigerung
der fördernden ektogenen Hormone dieselbe Wirkung haben, wie der
Wegfall hemmender Hormone. Traumen, ehemische Reize, Röntgen¬
strahlen können nicht unbedingt als direkt „wachstumsanregende“ Stoffe
aufgefasst werden, da mit ihnen immer eine Gewebsschädigung ver¬
bunden ist, die sekundär zu Regenerationsbestrebungen führt. Solange
nidit genügend begründete Untersuchungen vorliegen, die an die Wir¬
kung eines bestimmten innersekretorischen Organes und Organsekretes
denken lassen, müssen wir uns darauf beschränken, ganz allgemein eine
mehr oder weniger ausgesprochene Ausschaltung der ekto¬
genen hormonalen Einflüsse auf der Zelle anzunehmen.
Ob nun das Primäre der We^all der ektogenen Hormone ist, oder ob
die Zelle selbst sich von den äusseren Einflüssen frei macht, in beiden
Fällen ist die Wirkung gleich: Je nach dem Grade der Ausschaltung wird
die Zelle auf ihre eigenen Endohormone, auf Selbststeuerung
angewiesen sein und, wofern der Organismus ihrer nicht durch Gegen¬
mittel Herr wird, zur geschwulstmässigen Gewebsbildung Anlass geben
können.
Dass hierbei eine Charakteränderung der Zelle eintritt, ist
ganz natürlich. Die ganze Differenzierung während der Entwicklung ist
ja eine fortwährende, dem Gesetze der Arbeitsteilung folgende,
Charakteränderupg. Der Zellcharakter hängt in hohem Grade von den
äusseren Lebensbedingungen ab und vererbt sich auch, als deutlichstes
Beispiel für die Vererbung erworbener Eigenschaften, auf die Nach¬
kommen! der Zellen. Je mehr die Geschwulstzelle den ektogenen Ein¬
flüssen, den Gesetzen des Zellstaates, entzogen ist, um in zielloser
Selbststeuerung, zweckmässiger Arbeit unfähig, den eigenen Trieben zu
folgen, um so mehr wird sie sich als ein malignes, staatsfeindliches
Element im Zellstaat erweisen, das, wenn es nicht rechtzeitig entferni
wird, den Zellstaat zerstören, damit aber auch sich selbst gleichzeitig
den Untergang bereiten wird. ‘ ^
Eine „restlose“ Erklärung für die Geschwulstbildung ist mit der dar¬
gelegten Auffassung natürlich nicht gegeben, so wenig eine solche nach
dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse für die übrige pathologische,
w'ie für die normale Gewebsbildung möglich ist. Der fort¬
schreitenden Wissenschaft wird es gelingen, unsere Kenntnis der Be¬
dingungskomplexe zu vertiefen und zu erweitern. An eine subjektive
Wertung dieser Komplexe heranzutreten, ist nicht möglich, immerhin
heben sich eine Anzahl endogener und ektogener Bedingungskomplexe
hervor, wie die Reize, die Vermehrungsfähigkeit, die relative Lage der
Zellen, und ich glaube gezeigt zu haben, dass wir bei konsequenter An¬
wendung des Pluralitätsprinzips der Bedingungen (V e r w o r n) und mit
Hilfe der erweiterten Hormonenlehre, insbesondere durch die Annahme
von Endohormonen, wenigstens einigermassen zu einer einheit¬
lichen Auffassung über den normalen Verlauf und über die Stö¬
rungen der Korrelationen innerhalb und ausserhalb der Zellen bei der
normalen und pathologischen Gewebsbildung gelangen können.
Digitized by Goiisle
so?
Aus der Medizinischen Klinik des Hospitals zum Heiligen Geist,
Frankfurt a. M. (Direktor; Prof. Dr. Q. Treupel.)
Versuch einer Epidemiologie der epidemischen Enze¬
phalitis.
(Vorläufige Mitteilung.)'
Von Oberarzt Dr. J. E. Kayser-Petersen.
Die Enzephalitisepidemie, die vor etwa 1 Jahre in ganz Deutsch¬
land auftrat, kann man wohl als abgeschlossen betrachten. Es war
selbstverständlich, dass die Frage des Zusammenhanges mit der Grippe
überall lebhaft erörtert wurde. Wir selbst haben im Anschluss an eine
Mitteilung über mehrere von uns beobachtete Fälle das Für und
Wider besprochen und dabei eine weitere Bearbeitung der Frage in
Aussicht gestellt^). Bei unserem Material haben wir — das betonte
ich damals ausdrücklich — nur Fälle von Enzephalitis bei und nach
Grippe beobachtet. Es ist nicht unwichtig, dass, ganz unabhängig
von einander, Stephan®) bei Beobachtungen über elektive Si;hädi-
guhgen des Kapillarapparates und Bielin g und Weichbrodt ) bei
serologischen Untersuchungen zu dem übereinstimmenden Ergebnis eines
Zusammenhanges zwischen Grippe und Enzephalitis gelangt sind
einem ganz anderen Gesichtspunkte habe ich versucht, an das Problem
heranzutreten, indem ich mir folgende Fragen vorlegte:
1. Wie verhält sich das zeitliche Auftreten der Enzephalitis zu dem
zeitlichen Auftreten der Grippe?
2. Wie verhält sich das zeitliche Auftreten der Enzephalitis in den
verschiedenen Gebieten des Deutschen Reiches?
Die Beantwortung dieser Fragen sollte erfolgen auf Grund der
in der Literatur niedergelegten Angaben und auf Grund von Fragebogen,
die an zahlreiche Kliniken und Krankenhäuser verschickt wurden.
Was zunächst die Fälle der Literatur angeht, so sind sie den Ver¬
öffentlichungen von W. Bab, Bernhardt, Bingel, Calvary,
T. Cohn, W. Cohn, Cords, Dinkler, G. L. Dreyfus, Fen-
del, Förster, Franke, Grahe. Gröbbels, Heiss, Hilger-
mann, C. Hirsch, Hochstadt, Höst er mann, R. Jaffe,
C. Klieneberger, Kötschau, Lauber, Leschke, Meggen-
dorfer, Möwes, Näf, Nonne, Oberndorfer, Oehmig,
Ouensel, Reinhardt, Reinhart, Runge, Schlichting,
E. Schnitze, Siemerling, Simons, Sittmann. Frhr. v. S o h -
lern, Speidel, Stern, Stertz, v. Sttümpell, Wandel,
Wartenberg, Westphal entnommen. Bei diesem Literatur¬
studium war es oft sehr schwer, zuweilen unmöglich, zu einem Ergebnis
zu kommen, weil es leider vielfach Sitte ist, Krankengeschichten ohne
Datum mitzuteilen und weil Angaben, wie „bis heute“ oder „bis zum
Abschluss dieser Arbeit“ völlig wertlos sind, wenn man nicht ahnt, wann
die Arbeit geschrieben wurde. Es sei darum hier angeregt, doch alle
Krankengeschichten mit Angaben des Datums zu veröffentlichen.
Die Fragebogen enthielten folgende Fragen:
Haben Sie Fälle von Enzephalitis beobachtet?
a) Vor der Grippeepidemie 1918? Zeit? Ungefähre Anzahl?
b) Während der Grippeepidemie? Zeit? Ungefähre Anzahl?
c) Zwischen den Grippeepidemien? Zeit? Ungefähre Anzahl?
d) Während der Grippeepidemie 1919/20? Zeit? Ungefähre An¬
zahl?
e) Nach der Grippeepidemie 1920? Zeit? Ungefähre Anzahl?
Es wurden im ganzen 265 Fragebogen versandt, damnter 75 zum
zweiten Male. Es gingen 110 Antworten ein, für die ich allen Kollegen
herzlich danke, vor allen denen, die sich die Mühe nicht haben ver-
driessen lassen, recht ausführliche und wertvolle Angaben zu m 4 chen.
Das Material ist, auch wenn man es mit dem aus der Literatur
gewonnenen vereinigt, noch sehr lückenhaft, und ich habe mich deshalb
zu einer abschliessenden Bearbeitung noch nicht entschliessen können.
Wenn ich heute einige Ergebnisse veröffentliche, so tue ich es in der
Hoffnung, dadurch Widerspruch zu erregen und so die Sache zu för¬
dern. Ich bitte also alle Leser, deren Beobachtungen nicht mit den
meinigen übereinstimmen und vor allem alle Verfasser weiterer von mir
nicht berücksichtigter Zusammenstellungen (wobei es sich wohl in
erster Linie um Dissertationen handeln wird) um Mitteilung.
Das vorläufige Ergebnis meiner Bearbeitung des Material
ist folgendes:
1. Es besteht ein ausserordentlich naher Z u s a m m e n h ,,i n
zwischen dem Auftreten der Enzephalitis und de-
Grippe insofern, als die Enzephalitis im Deutschen Reicn ja
nennenswerten Epidemien nur kurz vor, gleichzeitig mit odei im
Anschluss an Grippeepidemien aufgetreten ist. Eine tabellari^-ci:.
Aufstellung darüber behalte ich mir für meine ausführliche Vgi
öffentlichung vor.
2. Das zeitliche Auftreten der Enzephalitis in den ver¬
schiedenen Gebieten des Deutschen Reiches zeigt e r h e b 1 i c ii c
Unterschiede:
a) Vereinzelte Fälle von Enzephalitis mit den typisclieii
■ Symptomen der epidemischen Enzephalitis (Lethargie, dyskinc-
tische Erscheinungen und Augenmuskellähmungen) wur^ni.
wie sich jetzt nachträglich herausstellt, überall schon seit
Kayser-Petersen: B.kl.W. 1920 Nr. 27.
®) B.kl.W. 1920 Nr. 19.
D.m.W. 1920 Nr. 43.
• 3 *
Original frDm
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
508
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Jahren beobachtet. Dass solche Beobachtungen in den
Gressstädten häufiger gemacht wurden, ist leicht erklärlich.
b) Das erste epidemische Auftreten der Enzephalitis
in Deutschland erfolgte in Kiel und Hamburg (Frühjahr
1918, Sommer 1918 bis Winter 1918/19), etwas später in
Stuttgart (Dezember 1918 bis Sommer 1919) und noch
später in München (Januar 1919 bis Sommer 1919). Eine
weitere nennenswerte Verbreiterung fand damals auffallender¬
weise nicht statt.
c) Das zw'eiteepidemischeAuftretender Enzephalitis
begarfti im D e z e m b e r 1919 anscheinend gleichzeitig und un¬
abhängig an verschiedenen Stellen, so im R u h r g e b i e t
(Dortmund, Mühlheim a. d, Ruhr, Barmen) und am Rhein
Köln, sowie in Danzig. Die Epidemie pflanzte sich
in den ersten Monaten des Jahres 1920 langsam fort, so
dass gegen Ende des Winters der wesentliche Teil des
Reichsgebietes von der Erkrankung berührt war. Auf der
Kartenskizze sind diese Verhältnisse dargestellt. Dabei ergibt
sich z. B. für Westdeutschland ein ganz eindeutiges und
klares Bild, nämlich ein Fortschreiten von Norden
nach Süden und von Osten nach Westen. Es ist
besonders darauf aufmerksam zu machen, dass dort, w'o die
erste Epidemie in Erscheinung getreten war, die zweite Epi¬
demie erst spät beobachtet wurde, in München Ende Januar,
in Kiel im Februar und in Stuttgart erst im März 1920. Die
grossen Lücken, die sich auf der Karte finden, werden einmal
dadurch erklärt, dass es sich hier um Städte handelt, aus denen
keine Auskünfte zu erhalten waren, oder um Gegenden mit
wenigen Städten und Krankenhäusrn; ausserdem betreffen sie,
besonders im Osten, vielfach abgetretenes Gebiet.
Verbreit ung d er epiaem. £nceph aiiHs in Deutschtana
tmOez.lQIQWM Jan.1920^Febr.f920^Miin19i0^
d) Auffallend ist, dass an zahlreichen Orten gar keine
Enzephalitisfälle beobachtet wurden; ich erwähne:
Allenstein, Altenburg, Bremerhaven, Göthen, Detmold, Elbing, ‘
Hof, Ingolstadt, Kolberg, Mühlhausen i. Th.. Schwerin, Weimar,
Wilhelmshaven.
Zum Schluss möchte ich einem Einwand zuvorkommen. Man könnte
sagen, dass die ganze Aufstellung überflüssig sei, weil ja für Preussen
wenigstens amtliche Erhebungen vorliegen. Dem möchte ich entgegnen,
dass eine Statistik, die sich auf die an die Kreisärzte gerichteten
Meldungen stützt, meines Erachtens nur wenig Wert haben kann. Die
Meldungen wurden erst verhältnismässig spät vorgeschrieben und sie ;
sollten sich merkwürdigerweise nicht auf alle Fälle von epidemischer
Enzephalitis, sondern nur auf die Encephalitis lethargica erstrecken,
wodurch natürlich nur ein sehr unvollständiges Bild entstehen kann. i
Aus dem balneologischen Institut zu Bad Nauheim.
Zur Frage der elastischen Diastole').
Von Prof. Dr. A..Weber.
Die Frage, ob die Herzkammern während der Diastole aktiv Blut
in sich einsaugen, oder ob sie rein passiv* gedehnt werden, ist seit Jahr¬
zehnten immer wieder erörtert worden. Auf (Jrund des Experiments
wird neuerdings das Vorhandensein einer aktiven Diastole abgelehnt,
während klinische Beobachtungen stets wieder zur Annahme einer
solchen drängten.
Zunächst seien in aller Kürze die wichtigsten älteren Experimente und
Beobachtun^’en in dieser Frage aufgezählt.
1. Ein frisch herausgeschnittenes, weiterschlagendes Herz, das man in
Kochsalzlösung legt, füllt sich mit jeder Diastole *). Das zeigt eine gewisse
Saugkraft an, wenn auch nicht mehr als zur Ueberwindung der Reibung
gehört.
2. Goltz und Gaule®) wiesen mittelst des Ventilmanometers nach,
dass im Innern des Herzens auch bei eröffnetem Thorax ein um mehrere
*) Nach einem Vortrag, gehalten auf dem Naturforscher- und Aerzte-
kongress zu Bad Nauheim.
*) J o n s 0 n 1823 und Chassaignac 1836, zitiert nach Nikolai in
Nagels Hb. d. Phys. 1. S. 858.
Zentimeter Hg niedrigerer Druck herrscht als der Atmosphärendruck. (Die
Autoren schoben bei ihren Versuchen den Katheter von der Karotis aus
in den linken Ventrikel.) Diese Beobachtung wurde von verschiedenen
Forschern, wie de J a e e r *), sowie von v. Frey und K r e h 1 ®) bestätigt,
während von den Velden*) und H. Straub*), auf deren Arbeiten noch
einzugehen ist, zu anderen Ergebnissen kamen.
3. L. Fick*) fand, dass nach Eröffnung des Brustkorbs das Herz
nicht imstande sei, Blut von einem tieferen Niveau auszusaugen.
Neuerdüigs hat sich besonders von den Velden gegen das Be¬
stehen einer aktiven Diastole ausgesprochen. Auch er fand zwar
mittels des Ventilmanometers einen starken Minusdruck im Ventrikel,
wenn er sich der Goltz und Gaule sehen Versuchsanordnung be¬
diente, während er eine wirkliche Ansaugung aus einem tiefer gelegenen
Gefäss nicht feststellen konnte.
Um diesen Widerspruch aufzuklären, stellte von den Velden
folgenden Versuch an: er führte bei der Katze den mit Minimumventil
versehenen Katheter in die linke Kammer ein. Nachdem er nun eine
deutliche Ansaugung festgestellt hatte, unterband er die Pulmonalis-
arterie für etwa Vs Minute. Während dieser Zeit war also jeder Blut¬
zufluss zum Herzen abgesperrt. Es zeigte sich nun, dass die Ansaugung
vollständig aufhörte. Nach der Lösung der Pulmonalligatur kehrte sie
auch nicht wieder, was er sehr einleuchtend damit erklärte, dass durch
die Ligatur eine solche Schädigung gesetzt wurde, dass sich das Herz
nicht mehr erholte.
Am Hunde dagegen trat nach Lösung der Ligatur wieder eine sehr
erhebliche Saugung auf und zwar in fünf verschiedenen Versuchen. Da¬
durch ist nach von den Velden der Beweis geführt, dass das
Goltz und Gaule sehe Phänomen ein Kunstprodukt ist, entstanden
nach dem Prinzip der Wasserstrahlluftpumpe, durch einströmendes Blut.
Es kommt nach der Auffassung von von den Velden durch die Ein¬
führung des Katheters in die linke Kammer von der Karotis aus zu
einer Insuffizienz der Aortenklappen. Bei Beginn der Diastole ströme
dann Blut unter hohem Druck aus der Aorta in den Ventrikel zurück.
Wenn es hierbei die Mündung des Katheters passiere, so komme eine
Ansaugung wie bei Pi tot sehen Röhren zustande.
Meines Erachtens liegt aber eine andere Deutung viel näher: die
Saugung hört während der Abbindung der Pulmonalarterie deshalb auf,
weil das Herz durch den schweren Eingriff in seiner Funktion stark
geschädigt wird, wie ja das auch von den Velden selbst für die
Katzenversuche annimmt, wo die Unterbindung der Pulmonalis eine
offenbar irreparable Schädigung setzt, während das Hundeherz sich
erholt.
Die Erklärung von den Veldens, der Unterdrück werde durch
einströmendes Blut veranlasst, kann auch deshalb nicht zutreffend sein,
weil nach den Feststellungen von de Jager") auch im Vorhof unter
Umständen ein negativer, sicher aber fast regelmässig ein Druck von
Null beobachet wird. De Jager*) macht ganz mit Recht darauf auf¬
merksam, dass es im Vorhof nicht zu dem Druck Null kommen kann,
wenn die Füllung der Ventrikel nicht durch Saugung, sondern durch die
vis a tergo geschieht.
Meines Erachtens hat also von den Velden den Beweis, dass
es keine aktive Diastole gibt, nicht geführt.
Auch D. Gerhardt“) kommt auf Grund des Tierexperiments zur
Ablehnung der aktiven Diastole. ‘Zwar fand er bei Zunahme des
Schlagvolumens eine Verstärkung der diastolischen Füllungen, stellt sich
aber vor, dass die verstärkte Systole automatisch eine stärkere
diastolische Erw^eiterung zur Folge habe. Eine aktive Diastole brauche
deshalb nicht angenommen zu w'erden. Bei experimentell erzeugter
Mitralstenose fand er keine verstärkte Saugkraft und bei Vermehrung
des Perikardialdruckes nahm der diastolische Minimaldruck im rechten
Ventrikel nicht zu.
Den naheliegenden Einwand, dass die experimentelle Fhüfung auf
vermehrte Ventrikelsaugung stets nur akute Veränderungen darstellte
und vielleicht deshalb nicht zu einer gesteigerten Saugung führten, beant¬
wortet D. Gerhardt mit dem Hinweis darauf, dass eine Verstärkung
der Systole auch im akuten Experiment nachweisbar ist.
H. Straub“) fand mit einwandfreier Technik nur einen Minimal¬
wert von Null in der Kammer und in der Vorkammer. Nun brauchte
es ja bei genügend raschem Nachströmen des Blutes trotz vorhandener
Saugung nicht zu negativem Druck zu kommen, aber diese Möglichkeit
lehnt H. Straub ab, „weil das durch seine elastischen Eigenschaften
auf eine neue Gleichgewichtslage sich einstellende Gewebe an der
Stelle Eigenschwingungen erzeugen würde, wo eine plötzliche hoch¬
gradige Aenderung der Geschwindigkeit eintritt“. Solche Eigen¬
schwingungen sind in der Tat nicht nachzuweisen. ^
Hierzu ist nun zu bemerken, dass nach den Feststellungen von
0. Frank“) sogar in dem elastischen Gewebe der Aortenwurzei „die
Dämpfung der Anfangsschwdngungen sehr gross sein muss“, so dass die
Eigenschwingung zu Beginn der Systole, wo doch noch eine brüskere
Geschwindigk eitsänderung auftritt als bei Beginn der Diastole, sehr rasch
®) Goltz und Gaule: Pflügers Arch. 17. 1878. S. 100—120.
*) de Jager: Pflügers Arch. 30. 1883.
*) V. Fre y und K re hl: du Bois Arch. 1890 S. 31.
®) von den Velden: Zschr. f. exp. Path. u. Ther.
^) H. Straub: Pflügers Arch. 143. S. 85.
*) L. Fick: J. Müllers Arch. f. Phys. 1849, S. 28.
®) de Jager: Pflügers Arch. 30. S. 491—510.
‘®) D. Gerhardt: XXIII. Kongr. f. inn. Med. 1908 S. 299.
' “) H. Straub: PfH'''^crs Arch. 143. S. 85.
“) O. Frank: Der Puls in den Arterien. Zschr. f. Biol. 28. S. 485.
Digitized by Goiisle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
29 , Aprn 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
509
abklingt. Es wäre demnach denkbar, dass die starke Dämpfung Eigen¬
schwingungen, die zu Beginn der Diastole zu erwarten sind, gar nicht
zum Ausdruck kommen lässt. Diese Annahme gewinnt noch an Wahr¬
scheinlichkeit, wenn man die Ventrikeldruckkurven von H. Straub^*)
betrachtet. Hier prägen sich die Schwingungen des II. Tones auch nicht
andeutungsweise aus, worauf H. Straub auch besonders hinweist, ob¬
wohl auch der linke Ventrikel den Erschütterangen ausgesetzt ist, die
wir als II. Herzton hören. Wenn sie trotzdem nicht zur Darstellung-ge¬
langen, so kann das nur an der starken Dämpfung liegen.
Während der Kammerdiastole findet H. Straub im rechten Vor¬
hof einen Dm;:k „angedeutet über 0 bis gerade 0“. Dieser Befund
spricht also auch gegen eine Kammerfüllung durch die vis a tergo und
somit per exclusionem für eine aktive Diastole.
Eine ganze Reihe klinischer Beobachtungen weisen nun mit Be¬
stimmtheit auf eine aktive .(genauer elastische) Diastole hin, wenig¬
stens bei der dilatierten lind hypertrophierten Kammer.
• 1. Jedem Röntgenologen ist es eine ganz geläufige Erscheinung, dass
das normale Herz sich bei tiefer Inspiration, bei Körperanstrengungen
und beim V a 1 s a 1 v a sehen Versuch verkleinert, während das dilatierte
und hypertrophierte Herz dies Phänomen wenig oder gar nicht zeig^
Das hypertrophischeHerz ist starreralsdasnormale.
2. Dies wird bestätigt durch die pathologisch-anatomische Erfahrung,
dass nämlich das hypertrophierte Herz in viel höherem Masse als das
normale Formelastizität besitzt. Aufgeschnitten lässt es sich wie eine
Zitronenschale hinstellen; es fällt nicht zusammen. Histologisch erklärt
sich diese Tatsache durch die starke Zunahme des elastischen Gewebes
im chronisch hypertrophischen Herzen, worauf besonders F a h r hin¬
gewiesen hat. **
Hat das Herz eine ausgesprochene Formelasti¬
zität, so muss es auch diastolisch ansaugen können.
3. Die photographisch aufgenommene Venenpulskurve zeigt an ihrer
dritten, in die Diastole fallenden Welle einen Absturz, der auf die dia¬
stolische Kammerfüliung zurückzuführen ist. Dieser Absturz ist nor¬
malerweise weniger tief und rapide, als der systolische Kollaps, d. i. der
Absturz der vorausgehenden systolischen Welle. In Fällen von Stauung
im grossen Kreislauf, so z. B. bei Arhythmia absoluta, besonders bei
ihrer langsamen Form, findet man den Absturz der diastolischen Welle
sehr vertieft und viel rapider als den systolischen Kollaps. Auch diese
Erscheinung zwingt zur Annahme einer elastischen Diastole. Denn wäre
die übrig bleibende Kraft vom linken Ventrikel das Wesentliche bei der
Füllung des rechten Ventrikels, so müsste in solchen Fällen der dia¬
stolische Absturz im Venenpuls besonders flach ausfallen.
4. Die photographisch aufgenommene Spitzenstosskurve zeigt in
Fällen von Mitralstenose zuweilen eine rapide Hebung der Kurve im
ersten Teile der Diastole, das spricht wiederum für eine aktive Diastole,
denn in solchen Fällen ist die diastolische Füllung des linken Ventrikels
ja gerade erschwert, man sollte daher, wenn man eine passive Aus¬
dehnung annimmt, gerade einen verlangsamten diastolischen Anstieg der
Kurve erwarten.
5. Den stärksten Beweis für das Bestehen einer elastischen Diastole
erblicke ich in den Befunden BrauersD, der bei Concretio pericardii
auch nach vollführter Kardiolysis ein starkes diastolisches Vorschleudern
der Brustwand feststellte. Das lässt sich gar nicht anders erklären, als
durch eine elastische Diastole.
Von Nikolai wurde behauptet, die Frage, ob es eine aktive Dia¬
stole gäbe, sei nebensächlich; ich kann mich dem durchaus nicht an-
schliessen; denn abgesehen davon, dass es prinzipiell unser Streben ist,
die Funktion der Organe genau kennen zu lernen, ist die Frage der
aktiven Diastole auch für das Verständnis von sehr wichtigen Krank¬
heitszuständen von Bedeutung, z. B. für die Kompensation von Klappen¬
fehlern, wo zu der nachgewiesenen Verstärkung der Systole auch noch
eine Zunahme der diastolischen Ansaugung käme. Auch das wichtige
Kapitel des akuten Stauungslungenödems würde hierher gehören. Nach
der jetzt herrschenden Auffassung kommt dies Lungenödem in der
Weise zustande, dass der plötzlich schwach gewordene linke Ventrikel
nicht mehr seinen Inhalt herauszupressen vermag, so dass der weitere
Zufluss aus dfen Lungen mehr und mehr erschwert wird. Wenn diese
Erklärung richtig ist, müsste es ja zu einer Dilatation des linken Ven¬
trikels kommen, die m. W. noch nicht röntgenologisch nachgewiesen
wurde.
Nimmt man aber eine aktive Diastole an, so wäre das aktive
Stauungslungenödem so zu deuten, dass der linke Ventrikel nicht mehr
richtig schöpft.
Zusammenstellung.
1. Die experimentellen Untersuchungen von van den Velden,
D. Gerhardt und H. Straub sind keip Beweis gegen eine
elastische Diastole.
2. Eine Reihe klinischer und pathologisch-anatomischer Befunde
sprechen für eine elastische Diastole, zum mindesten beim
chronisch dilatierten und hypertrophischen Herzen.
Diese Befunde sind:
a) Röntgenologisch in vivo und pathologisch-anatomisch lässt sich
am hypertrophischen und dilatierten Herzen eine grössere Starr¬
heit nachweisen; sie beruht auf erhöhtem Gehalt an elastischen
Fasern.
”) H. Straub: Pflügers Arch. 143. S. 80 und 81.
”) Fahr: Arch. f. Anatomie. 185. 1906. S. 29.
Digitized by Goiisle
b) Der verstärkte diastolische Abfall des Venenpulses z. B. bei
Arhythmia perpetua.
c) Die rapide Hebung der Spitzenstosskurve bei Mitralstenose.
d) Vor allen Dingen Brauers Befunde von dem Fortbestehen
des diastolischen Vorschleuderns bei Concretio pericardii nach
erfolgter Kardiolyse.
Aus dem zoologischen Institut der Universität München.
Ueber die „Sprache“ der Bienen*).
(11. Mitteilung.)
Von Prof. Dr. K- v. Frisch, München.
Die Versuche, die ich vor Jahresfrist an dieser Stelle vorgetragen
habeÜ, brachten in ihrem weiteren Verlauf manche Ueberraschung.
Von den neuen Ergebnissen möchte ich in Kürze berichten, ohne dass
ich mich hier auf Einzelheiten und Nebenresultate einlassen kann *).
Es sei daran erinnert, dass man sich an einer Schar von Bienen,
die man an einem künstlichen Futterplatz mit Zuckerwasser füttert,
leicht von der Tatsache einer gegenseitigen Verständigung überzeugen
kann, wenn man die Individuen durch Numerieren kenntlich macht und
einen Beobachtungsbienenkasten verwendet, det die Vorgänge auf den
Waben genau zu verfolgen gestattet. Während einer Futterpause sitzen
die gezeichneten Tiere untätig auf den Waben und nur ab und zu er¬
scheint die eine oder andere als Kundschafter an der Futterstelle. Findet
eine solche, Nachschau haltende Biene das Zuckerwasserschälchen
wieder gefüllt, so führt sie nach ihrer Heimkehr in den Stock einen
eigenartigen, lebhaften Tanz auf*), der zur Folge hat, dass die anderen
(durch Numerierung kenntlichen) Individuen dieser Bienenschar, wenn
sie mit der Tanzenden in Berührung kommen, nun ihrerseits schleunig
den Stock verlassen und an die gewohnte Futterstelle fliegen.
Um für die biologische Deutung dieser Erscheinung eine sichere
Basis zu gewinnen, war ich zunächst bestrebt festzustellen, ob die
gleiche Art der Verständigung auch unter natürlichen Verhältnissen,
beim Besuch nektarreicher Blüten zu beobachten ist Die Schwierig¬
keit war, dass man einen gewünschten Blumenbesuch im Freien nicht
erzwingen kann. Um die Bedingungen in der Hand zu haben, musste
der Versuch im geschlossenen Raum ausgeführt werden. Dank detn
freundlichen Entgegenkommen des Herrn Geheimrat v. Goebel und
Herrn Dr. K u p p e r konnte ich einen Beobachtungsstock in der „Winter¬
halle“ des Münchener botanischen Gartens aufstellen; das hohe Glas¬
haus war zur Zeit der Versuche bis auf einige Blattpflanzen, die auf
meinen Wunsch stehen blieben, vollständig geräumt; die Bienen fanden
also nur Blüten, die ihnen mit Absicht geboten wurden.
Ich stellte nun einigelGefässe mit abgeschnittenen Blütenzweigen
von Robinia viscosa auf. Eine Anzahl von Bienen fand die
Blüten, sie begannen an ihnen Nektar zu sammeln und wurden dabei
durch Nummern einzeln kenntlich gemacht. Sorgte man nun dafür,
dass die Bienen nach einer Zeit ergiebigen Sammelns keinen Nektar mehr
fanden, so blieben sie, von vereinzelten Kundschäftsflügen zur Futter¬
stelle abgesehen, still auf den Waben sitzen. Wurden dann frische,
nektarreiche Röbinienzweige dargeboten und von Kundschaftern be¬
flogen, so war genau der gleiche Tanz, die gleiche, erfolgreiche Ver¬
ständigung zu beobachten wie bei den Versuchen mit dem Zucker¬
wasser.. Es war also berechtigt, wenn ich bei der biologischen Deutung
der Ergebnisse die Befunde am Zuckerwasserschälchen auf den Blüten¬
besuch nektarsammelnder Bienen übertragen hatte.
Es muss nun an ein zweites Resultat der vorjährigen Versuche
erinnert werden: Ich hatte aus Bienen des Beobachtungsstockes
2 Gruppen gebildet, die an 2 verschiedenen Stellen gefüttert wurden,
so dass die eine Gruppe nur den einen, die andere Gruppe nur den
anderen Futterplatz kannte und besuchte. Wurde nun an beiden Plätzen
mit der Fütterung pausiert und dann der einen Gruppe wieder Zucker¬
wasser geboten, der anderen Gruppe aber nicht, so wurden durch die
tanzenden Heimkehrer der gefütterten Schar nicht nur die Angehörigen
der gleichen Gruppe, sondern auch die Mitglieder der anderen Schar
mobilisiert, die nun ihr leeres Schälchen hartnäckig, aber vergeblich
nach Futter absuchten; denn jede Biene eilte auf das Alarmzeichon
zu dem ihr bekannten Platz, wo sie zu sammeln gewohnt war. Sic
erkannten offenbar nicht, ob die tanzende Biene ihrer eigenen < c,,
einer fremden Gruppe angehörte und ich hatte daraus geschlo-^vcn.
dass auch unter natürlichen Verhältnissen, wenn sich nach ungünsii'^:ci
Witterung die Blütenkelche von neuem mit Nektar füllen, durch ein¬
zelne, von beliebigen Blüten beladen heimkehrende Bienen alle Ne tv r-
sammler ihres Stockes auf den Plan gerufen und veranlasst wt ;cn.
an ihren Sammelstätten Nachschau zu halten.
Auch diese Folgerung wollte ich nachprüfen — und erlebt die
erste Ueberraschung. Ich bildete aus Bienen des Beobachtungss: di v
im Glashause 2 Gruppen,, von denen die eine an Robinien, die c ’v i- -
an Lindenblüten Nektar sammelte. Wenn ich an beiden Futteri in v ui
die Blüten entfernte, so sassen nach einer Weile die Robinien- v .. di.
Lindenbienen (so seien sie kurz bezeichnet) in buntem Durchei : d-r
•) Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Morphologie und Phy f ^
zu München am 8. März 1921.
M.m.W. 1920 Nr. 20 S. 566—569,
*) Die ausführliche Mitteilung soll in den Zoolog. Jahrb., Abt, f. 1 .
und als Sonderausgabe im Verlag von Q. Fischer, Jena, erfolgen
*) Beim Vortrag kinematographische Demonstration.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
510
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
geruhsam auf den Waben. Nun stellen wir die Lindenblüten
wieder auf. Es kommt ein Kundschafter der Lindengruppe, findet den
Tisch gedeckt, saugt Nektar, fliegt heim und beginnt seinen Tanz. Jetzt
sollten nach dem oben Gesagten die Lindenbienen, auf die er trifft, zu
den Lindenblüten, die Robinienbienen, auf die er trifft, zum Robimen-
platz eilen — das eine geschieht, das andere nicht. Die Lindenbienen,
die mit der tanzenden Lindenbiene in Kontakt kommen, kann man als¬
bald in höchster Erregung zum Flugloch stürzen sehen, sie eilen an die
Lindenblüten. Die Robinienbienen interessieren sich wohl gelegentlich
ein wenig für den Tanz, aber sie lassen rasch wieder ab, ja sie drehen
sich oft mit Entschiedenheit um und kriechen etwas beiseite, als wüssten
sie: „das geht mich nichts an“. Und sie bleiben allesamt im Stock. —
Das Umgekehrte geschieht, wenn der Robinientisch gedeckt wird.
Kennen sich die Lindenbienen, die gemeinsam sammeln, persön¬
lich? Kennen sich die Robinienbienen untereinander? Haben sie
eine Parole? , . , . „
Eines lässt sich gleich ausschliessen: die Person spielt keine Rolle.
Es kommt leicht vor, dass eine findige Biene es lernt, an beiden
Blütensorten zu sammeln. Sie mobilisiert die Lindenschar, wenn sie
von den Lindenblüten kommt, und die Robinienschar, wenn sie von
den Robinien kommt. Nicht das Bienenindividuum, sondern die Blüten,
an denen es war, sind dafür massgebend, welche Schar mobil wird.
Ich habe manchen Holzweg verfolgt, bevor ich die naheliegende
Erklärung'fand: dass der anhaftende Blütenduft die
Parole ist, an der sich die Bienen erkenaen; denn ich
glaubte zunächst, diese Deutung auf Grund früherer Versuche strikte ab¬
lehnen zu müssen. Ich hatte 2 Grupperl von Bienen an 2 Futterplätzen
auf verschieden duftenden Unterlagen mit Zuckerwasser
gefüttert und gefunden, dass auch unter diesen Umständen durch die
Tänze der einen Gruppe beide Gruppen veranlasst werden, zu ihren
Futterplätzen zu fliegen. In der Folge stellte sich aber heraus, dass
jene Beobachtung nicht verallgemeinert werden darf, ja dass es sich
anscheinend um eine seltene Ausnahme handelte. Ob dies an den
damals verwendeten ätherischen Oelen oder an dem damals verwende¬
ten Bienenvolke lag. konnte nachträglich nicht mehr geprüft werden.
Aber ich habe den Versuch späterhin noch oftmals und an verschie¬
denen Bienenvölkern wiederholt und stets ein eindeutiges, dem da¬
maligen Resultat entgegengesetztes Ergebnis bekommen: wenn
2 Bienengruppen auf verschieden duftenden Unterlagen gefüttert wurden,
so wurden durch die Werbetänze der einen Gruppe ausschliesslich oder
doch in weitaus überwiegender Zahl nur die Angehörigen der gleichen
Schar mobilisiert; dieselben Bienengruppen reagierten wechselseitig,
unterschiedslos aufeinander, sobald sie äuf duftlosen Unterlagen
ihr Futter erhielten.
Wir sehen also: der Tanz sagt an, dass es Nektar zu
holen gibt; an was für Blüten, das sagt der Duft, wel¬
cher der heimkehrenden Biene anhaftet.
Wenn zweierlei duftlose oder sehr schwach duftende Blütensorten
von den Bienen beflogen werden, so werden sich die Scharen beim Tanz
so wenig unterscheiden können wie unsere Gruppen, die auf duftlosen
Unterlagen Zuckerwasser sammeln.
Bei günstiger Tracht kann man im Beobachtungsstock an Bienen,
die vom Pollensammeln mit Höschen heimkommen, regelmässig
Tänze beobachten, die sich von den Werbetänzen der Nektarsammler
in charakteristischer Weise unterscheiden. Ich habe schön im Vorjahre
die Vermutung ausgesprochen, dass wir in diesen zweierlei Tänzen
gleichsam zwei verschiedene Ausdrücke der Bienensprache zu sehen
hätten, von welchen der eine reichlichen Nektarfluss, der andere -gute
Pollentracht anzeigen würde. Das eine 'war erwiesen; das andere
blieb zu prüfen.
Auch diese Versuche waren nur im geschlossenen Raum, im Glas¬
haus durchführbar. Ich bot den Bienen Mohnblüten oder Rosen, also
ausgesprochene Pollenblumen, die keinen Nektar absondern und konnte
so ohne grosse Schwierigkeit eine Schar von Pollensaminlern gewinnen,
die numeriert wurden und die, wie die Nektarsammler, untätig auf den
Waben sassen, wenn die Pollentracht erschöpft war. Und so wie die
Nektarsammler wurden sie durch Kundschafter, die erfolgreich, mit
Höschen beladen heimkehrten und ihre Tänze vollführten, schleunigst
wieder zu den Blüten geschickt.
Ich bildete 2 Gruppen, die an 2 verschiedenen Blumensorten Pollen
sammelten. Sie unterschieden einander scharf. Kam ein Kundschafter
mit Höschen von einer Blumensorte heim, so schickte er nur jene Bienen
hinaus, die an der gleichen Blumenart zu sammeln gewohnt waren; die
Tiere der andern Gruppe blieben unberührt von seinen Tänzen, moch¬
ten diese noch so lebhaft sein und sich unmittelbar neben ihnen ab¬
spielen.
War es auch hier der anhaftende Blütenduft, der die Unterscheidung
bewirkte? Oder waren die mitgebrachten Höschen selbst die Zeugen
für ihre Herkunft?
Der folgende Versuch gibt die Antw^ort: Ich veranlasste eine Gruppe
von Bienen, an Rosenblüten, ufid eine andere Gruppe, an grossen
Glockenblumen (Campanula Medium) Pollen zu sammeln. Nach
einer Futterpause stellte ich am Rosenplatz R o s e n b 1 ü t e n auf,
deren Staubgefässe entfernt und durch solche von
Glockenblumen ersetzt waren. Als nun eine Biene der Rosen¬
schar kam, höselte, heimflog und tanzte, da kümmerten sich ihre Kol¬
leginnen nicht darum, aber die Schar der Glocken Sammler geriet, so¬
weit sie mit der Tanzenden in Berührung kam, in helle Aufregung und
flog zu ihrer Futterstelle — vergebens, denn dort war nichts zu holen.
Ein Kontrollversuch, bei dem umgekehrt die Glockenblumen mit Staub-
gefässen der Rose versehen waren, hatte ein völlig entsprechendes
Resultat; es wurde die Rosenschar mobilisiert. Hier also gibt
der Duft des m i t g e b r a c h t e n Pollens den Ausschlag.
Das kann auch nicht wundernehmen, denn man überzeugt sich leicht,
dass der Blutenstaub einen deutlichen, art-eigenen Duft hat, der oii
an Stärke hinter dem Duft der Blumenblätter nicht zurückbleibt. Und
es leuchtet ein, dass der Duft des mitgebrachten Pollens den Duft der
Blumenblätter, mit denen die Biene nur in Berührung war. überwiegen
muss.
Unsere bisherigen Betrachtungen hatten zur Voraussetzung, dass
eine Schar von Bienen eine bestimmte Futterquelle kennt: es war
davon die Rede, wie nach einem zeitweiligen Versiegen der Futter-
Quelle durch das Benehmen der ersten, beladen heimkehrenden Tiere
die ganze Schar von der neuerlichen Anwesenheit reichlichen Futters
verständigt wird. Damit haben wir aber erst eine Aufgabe der spn-
derbaren Tänzer kennen gelernt. Sie haben noch eine andere, vielleicht
grössere Bedeutung: Solange die Futterquelle (etwa der Nektar in
Lindenblüten) reichlich fliesst, werden durch die fortgesetzten lebhaften
„Werbetänze“ der erfolgreichen Sammler immer neue Bienen ver¬
anlasst, den Futterplatz aufzusuchen, immer neue Mitglieder für die
Schar „angeworben“. Ist aber die Schar der Sammler so gross ge¬
worden, dass sie die Futterquelle voll ausnützen kann, so hat es mit
dem Schwelgen im Ueberfluss der Nahrung ein Ende; das Sammeln
nimmt seinen Fortgang, aber das Werben hört auf und die Schar er¬
hält keinen weiteren Zuzug, ihre Grösse ist nun der Futtermenge an¬
gepasst. Dieser Zusammenhang zwischen Futtermenge, Tanz und An¬
werben neuer Sammelbienen läst sich mit honigenden Blüten und mit
Pollenblumen im Gewächshaus gut beobachten. Man kann ihn auch im
Freien an Zuckerwassersammlern aufs Schönste nachweisen, wenn man
eine reiche Nektartracht durch reichliches Füllen des Zuckerwasserschäl-
chens imitiert, die spärliche Tracht aber durch Darbieten von Fliess¬
papier, welches mit Zuckerwasser mässig durchfeuchtet ist: Im ersten
Falle lebhafte Werbetänze und ein ständiger Zuzug neuer Bienen, die
den Futterplatz noch nicht kannten, im zweiten Falle kein Werben
und keine Neulinge. Der Zusammenhang zwischen der Futtermenge
und dem Tanz, zwischen dem Tanz und dem Erscheinen neuer Sammler
steht ausser Zweifel.
Wie aber erfahren die Neulinge den Ort der neuen
Tracht? Man nimmt allgemein an, dass eine Biene, die eine neue
Futterquelle entdeckt, bei ihren wiederholten Flügen andere Tiere ihres
Stockes mit sich bringt. Eine Beobachtung der Vorgänge im
Innern des Stockes, auf den Waben, lässt Bedenken aufkommen, ob
es sich wirklich so verhält. Die Biene stürzt nach dem Tanz so plötz¬
lich, so hastig, auf so unregelmässigen Wegen zum Flugloch und hinaus,
dass ihr wohl keine der umworbenen Bienen dabei folgen könnte. ohnO
den Kontakt mit ihr zu verlieren. Ich habe ein solches Verfolgen der
Tänzerin bis zum Flugloch auch niemals gesehen; ich konnte mich viel¬
mehr wiederholt davon überzeugen, dass innerhalb einer gewissen Zeit¬
periode alle am Futterplatze verkehrenden Bienen nach dem Tanz ohne
Begleitung zum Flugloch eilten, und doch kamen die Neulinge zum
Futterschälchen. Man sollte auch denken, wenn die sammelnde Biene
in Begleitung vom Stock zum Futterplatz fliegt, so müsste man dies
unter günstigen Bedingungen sehen können. Ich habe viel Zeit und
Mühe darauf verwandt, und suchte die Bedingungen für die Beobachtung
möglichst günstig zu gestalten, z. B. durch Aufspannen von weissen
Segeln hinter der Flugbahn, gegen die sich die dunklen Bienen gut ab¬
zeichneten. Aber niemals konnte ich eine ..Begleitung“
sehen. Wenn die Sammlerin bei der Rückkehr zum Futter ums Schäl¬
chen schwärmte, dann gesellte sich häufig ein Neuling zu; er war aber
nicht mit jener vom Stock her angeflogen, sondern war schon in der
Gegend gewesen.
Diese und andere Beobachtungen legten die Frage nahe, ob die
Bienen durch die Werbetänze etwa veranlasst wür¬
den, die Umgebung planlos nach allen Richtungen
abzusuchen; geschah dies mit genügender Intensität, so musste
ein Teil von ihnen den Futterplatz finden, und dies wären dann die
Neulinge, die sich der Sammlerschar zugesellen. Schon die ersten Ver¬
suche nach dieser Richtung ergaben überraschend schnell ein positives
Resultat. Etwa 15 Schritte vom Beobachtungsstock entfernt wurde ein
Futterplatz errichtet und eine Schar gezeichneter Bienen mit Zucker¬
wasser, dem etwas Honig beigemischt war, gefüttert. Auf den umliegen¬
den Wiesen wurden im Grase an den verschiedensten Stellen, bis zu einer
Entfernung von 100 Schritten, kleine Qlasschälchen mit dem gleichen
Futter aufgestellt. Fast gleichzeitig mit dem Eintreffen der ersten Neu¬
linge an der Futterstelle wurden auch die weit entfernten Schälchen im
Grase von Bienen mteines Stockes aufgefunden. Freilich kamen zum
Futterplatz weit mehr Neulinge als zu einem der andern Schälchen.
Aber dort musste ja auch der rege Verkehr der Sammler die andern
Bienen, die suchend in die Nähe kamen, änlocken. während die ver¬
lassenen Schälchen im Grase aller Augenfälligkeit bar waren. Und
doch wurden auch sie so rasch entdeckt. Dagegen blieben sie völlig
unbeachtet, wenn jene Schar von Sammlern nicht gefüttert und wenn
daher im Stocke nicht getanzt wurde.
Es ist zu bedenken, ob man diesem Befund nicht folgende einfache
Deutung geben könnte: Wir sahen, dass eine Bienenschar, die auf
einer duftlosen Unterlage gefüttert wird, durch ihre Werbetänze auch
andere Sammlerscharen von duftlosen Futterplätzen mobilisiert. Viel¬
leicht waren die Bienen, die auf die Wiesen kamen, solche, die vordem
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIF
k
£NIA
29 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
511
dort an duftlosen oder sehr schwach duftenden Blüten gesammelt hatten
und die nun durch die Tänze veranlasst wurden, an ihrer Sammelstätte
wieder Nachschau zu halten. Vielleicht suchten sie vergeblich nach den
verblühten Blumen und fanden dabei die Schälchen.
Um diesem Einwande zu begegnen, wiederholte ich den Versuch
und fütterte nun die Bienenschar auf einer stark duftendenUnter-
lage. Ich wusste, dass unter diesen Umständen keine andere Schar,
die an duftlosen oder anders duftenden Blüten zu sammeln gewohnt war,
zum Aufsuchen ihres Weideplatzes veranlasst würde. Ich wählte als
Riechstoff ein ätherisches Oel, dessen Duft an Blumen jener Gegend
nicht vorkam (Bergamottöl) und konnte nun sicher sein, dass die Bienen,
die an die zerstreuten Schälchen der Umgebung kamen, wirklich an-
geworbene „Neulinge“ waren. Ich erhielt das gleiche, positive Er¬
gebnis.
Diese Versuchsreihen lieferten nebenbei ein Resultat, das, wie mir
scheint, von grossem blütenbiologischen Interesse ist. Fütterte ich die
Bienenschar z. B. auf einer Unterlage, die nach Pfefferminzöl duftete,
und stellte nun in der Umgebung auf Unterlagen, die teils mit dem¬
selben, teils mit anderen Riechstoffen versehen waren, Futterschälchen
auf, so wurden die Pfefferminzschälchen alsbald allerorten von zahl¬
reichen Neulingen umschwärmt, während sich an den Schälchen auf
anders duftenden Unterlagen wenige oder keine Besucher einstellten.
Wurde am Futterplatze statt des Pfefferminzöles ein anderer Duft an¬
gebracht, so wechselte das Bild dementsprechend. Mit anderen Worten:
Die Bienen im Stocke bemerken und erkennen ~ das wissen wir
schon — den Duft, der den heimkehrenden Tieren anhaftet, sie mer¬
ken sich auch den Duft und suchen nach ihm, wenn sie
nun, durch die Tänze veranlasst, nach allen Rich¬
tungen ausschwärmen. So wird auch unter natürlichen Ver¬
hältnissen durch die Entdeckerin einer neu erblühten, duftenden Pflan¬
zenart den Bienen im Stocke übermittelt werden, nach welchem Duft
sie zu suchen haben, und es muss dies dem Auffinden zerstreut blühen¬
der Gewächse höchst förderlich sein.
Die nächste Aufgabe war nun, näherungsweise den Umkreis fest¬
zustellen, in welchem die Umgebung abgesucht wurde, wenn die Werbe¬
tänze im Gange waren. Der Futterplatz blieb in der Nähe des Stockes,
wenige Schritte von ihm entfernt. Eine Schar von etwa 10 ge¬
zeichneten Bienen sammelte daselbst und führte im Stocke ihre Werbe¬
tänze auf; alle Neulinge, die sich am Futterplatze einstellten, wurden
sofort getötet. Die anderen Schälchen verlegte ich auf immer grössere
Distanz, und erlebte eine Ueberraschung nach der anderen. Ich kann
hier nicht näher auf diese Dinge eingehen; es sei nur erwähnt, dass
bei einem letzten Versuch die Schälchen einen vollen Kilometer vom
Bienenstock und vom Futterplatz entfernt waren; Hügel und Wälder
lagen dazwischen, eine Postenkette von Helfern vermittelte durch Sig¬
nale den Kontakt zwischen den Beobachtern beim Stock und bei jenen
Schälchen; und auch jetzt wurden diese Schälchen, wenn auch erst
nach mehreren Stunden, von Bienen meines kleinen, schwachen Völk¬
chens aufgefunden. Es scheint, dass die Tiere bei an¬
dauerndem Werben zuerst die nähere Umgebung
und dann allmählich den ganzen Flugbereich nach
der lockenden Futterquelle absuchen. '
Man könnte denken, nun wäre das Rätsel des „Mitbringens“ ge¬
löst. Das lebhafte Werben veranlasst die Bienen, nach allen Rich¬
tungen auszuschwärmen, und wenn man die grosse Schnelligkeit des
Bienenfluges und ihr gründliches Suchen in Rechnung stellt, könnte man
sich vielleicht damit zufrieden geben und darauf verzichten, nach der
Beteiligung anderer Faktoren zu fahnden. Es fragt sich nur, ob diese
Deutung mit den Tatsachen in Einklang steht. Ein einfacher Versuch
lehrt uns, dass es nicht der Fall ist.
Wir errichten 2 Futterplätze, die beide 12—14 Schritte vom
Bienenstöcke entfernt, aber in entgegengesetzter Richtung liegen. An
jedem Platze numerieren wir eine gewisse Zahl von Bienen; die Neu¬
linge, die sich weiterhin noch zugesellen, werden getötet. Die Zahl
wählen wir verschieden gross: an einem Platze 20—30, am anderen
Platze nur 7 Tiere. Diese kleine Schar füttern wir reichlich mit Zucker¬
wasser, der grösseren Schar am anderen Futterplatze bieten wir nur
Filtrierpapier, das mit Zuckerwasser getränkt ist. Die 7 ersteren Bienen
vollführen auf den Waben nach jeder Heimkehr ihre Werbetänze, die
20—30 spärlich gefütterten Tiere tragen auch Zuckerwasser ein. aber
sie tanzen nicht; sie verweilen länger an ihrer Futterstelle als jene
Bienen, die aus dem Vollen saugen können, aber da ihre Zahl grösser
ist, passieren angenähert in gleichen Zeiten gleich viel Angehörige
beider Scharen das Flugloch des Bienenstockes.
Ist es so, dass die Bienen, durch den Tanz veranlasst, nach allen
Richtungen planlos suchen, und dass das Auffinden des Futterplatzes
nur durch den Anblick der Sammler, die daselbst an der Arbeit sind,
begünstigt wird, so mussten sich nun bei den spärlich gefütterten Bienen
mindestens ebenso viele Neulinge einstellen wie bei den reichlich ge¬
fütterten, Denn dort hielten sich mehr Sammler auf als hier, weil ihrer
rnehr waren und weil sie länger verweilten, die Zahl der ab- und zu¬
fliegenden Bienen war an beiden Plätzen gleich, die Entfernung vom
Stock war die gleiche, ein unterscheidender Duft der Unterlagen kam
nicht in Frage. Tatsächlich aber erhielt die kleine,
stark gefütterte Schar weit mehr Zuzug als die
grosse, spärlich gefütterte Schar. Wurde das Verhältnis
der Futtermenge umgekehrt, so versiegte der Strom der Neulinge am
einen Platz und wandte sich dem anderen zu. In einer Reihe von
Versuchen kamen zum Orte der reichlichen Fütterung durchschnittlich
mehr als 10 mal so viel Neulinge wie zur kärglichen Futterstelle.
Man kann dieses Ergebnis auch so formulieren: Von den 2 gleich¬
zeitig sammelnden Gruppen kann nur jene Schar, die auf den Waben
Werbetänze aufführt, neue Mitglieder in grösserer Zahl für sich gewinnen.
So plausibel dieser Satz klingen mag, so wenig scheint es mir statthaft,
die auffallende Differenz im Zuwachs beider Scharen dadurch erklären
zu wollen, dass die eine Schar tanzt, die andere nicht. Denn die Biene
stürzt nach dem Tanz allein zum Flugloch, allein ins Freie hinaus. Haben
aber die umworbenen Tiere den Kontakt mit der Tänzerin einmal ver¬
loren, so ist auch nicht abzusehen, woran sie sie im Freien bei einem
Zusammentreffen wieder erkennen sollten; wir wissen vielmehr, dass
unter den Bedingungen; wie sie hier verwirklicht waren (2 Futterplätze
auf duftlosen Unterlagen), die beiden Scharen einander nicht zu unter¬
scheiden vermögen.
Ich gestehe, dass ich eine Zeitlang völlig ratlos diesem Sachverhalt
gegenüberstand. Weitere Beobachtungen Hessen zwei Wege erkennen,
die bei ihrer Verfolgung zu einer Lösung der Frage führen könnten.
Erstens konnte ich feststellen, dass der F1 u g t o n jener Bienen,
die beim reich gefüllten Schälchen anfliegen, etwa um einen ganzen
Ton höher liegt als das Summen jener Bienen, die zum spärlichen
Futter kommen. Vielleicht, dass wider mein Erwarten doch die alte
Imkermeinung von der Bedeutung des „Flugtones“ zu Recht besteht,
wenn auch in etwas anderer Form, als sich die Imker denken. Es
fehlt nur nach wie vor der Theorie das Rückgrat, so lange wir nicht
wissen, ob jener Unterschied der Töne von den Bienen wahrgenommen
wird.
Bevor ich auf die zweite Beobachtung zu sprechen komme, muss ich
an ein anatomisches Merkmal der Bienen erinnern: Die Arbeiterinnen
(und die Königin) besitzen zwischen dem 5. und 6. Rückensegment
des Hinterleibes eine ausstülpbare Tasche, in welche viele einzellige
Drüsen münden. Wenn eine Biene dieses sog. Duftorgan hervor¬
treten lässt, kann auch ein Mensch mit keineswegs scharfem Geruchsinn
daran einen deutlichen, fruchtätherartigen Geruch wahrnehmen. Die
Mehrzahl jener Bienen, die zum reich gefüllten Schälchen kommen,
stülpen, während sie am Schälchen saugen, und zum Teil schon, während
sie bei der Ankunft über dem Schälchen herumschwärmen, ihr Duft¬
organ aus und schwängern so die Luft mit jenem eigenartigen, charakte¬
ristischen Duft. Die Bienen, die zur kargen Futterstelle kommen
oder dort saugen, tun dies nicht. Auch hier muss ich den Beweis, dass
der Duft die Neulinge anlockt, vorläufig schuldig bleiben. Aber es ist
dies aus verschiedenen Gründen zu vermuten.
Das Problem, wie die Neulinge von den Sammlern zur Trachtquelle
„gebracht“ werden, ist demnach recht verwickelt. Wenn wir die
Befimde überblicken, ergibt sich diese Deutung: Infolgeder Werbe¬
tänze schwärmen die Bienen nach allen Seiten aus
undsuchen allerorteninweitemUmkreis. Bei diesen
Suchflügen wird das Auffinden des Fu 11 e r p 1 a t z e s
durch verschiedene Umstände erleichtert: Ist ein
Blütenduft mit der Tracht verbunden, so wird er an
den werbenden Bienen w a h r g e n o m m e n u n d es wird
direkt nach diesem Duft gesucht. Ueberdies aber
wissen wir, dass die Sammler selbst, bei reicher
Tracht denSuchendenzumFindenverhelfen — wahr¬
scheinlich dadurch, dass siedieUmgebung des Zieles
mit ihrem eigenen Duft schwängern, vielleicht auch
durch die Anwendung eines Locktones. Es wird nicht
leicht sein, über diese letzteren Punkte Klarheit zu gewinnen.
So bildet auch meine heutige Mitteilung keinen Abschluss. Ja ich
glaube, wir werden in absehbarer Zeit zu keindm Abschluss gelangen.
Denn — um ein Bild zu gebrauchen — jeder neu erstiegene Gipfel
bietet hier einen Ausblick auf unbekanntes Land. Wie weit das nun
durchstreifte Land auch als durchforscht gelten kann, bitte ich nicht nach
der vorliegenden knappen Darstellung zu beurteilen, in der ich einige
Ergebnisse bieten, aber ihre Begründung nur flüchtig streifen konnte.
Aus der bakteriologischen Untersuchungsanstalt München.
Zur Kenntnis des Vorkttmmens von Darmparasiten
in Sildbayern.
Von Dr. phil. Jung und Dr. phil. Seil.
Während unserer Tätigkeit an der Bakteriologischen Untersuclui -
anstalt München beschäftigten wir uns auf Anregung von Herrn ^ r
Ri mp au mit der Untersuchung von Stühlen auf Parasiten. Die
stammten fast ausschliesslich aus Ober-, Niederbayern und Sch a iIhü
und waren zum grössten Teil zwecks Untersuchung auf Typhus. t^ar;i
typhus und Ruhr eingeschickt; nur ein kleiner Prozentsatz v ; r : r
Wurmerkrankung zu untersuchen. Aus den einlaufenden Stühlen vv'irdi:
täglich eine Anzahl wahllös herausgegriffen. Um Material zu irci
wurde von den bekannten Anreicherungsverfahren Abstand gen. - i: ■
Wir beschränkten uns auf die sorgfältige Durchmusterung vo ciw.;
erbsengrossen, auf dem Objektträger zerriebenen Proben,
Die Auffindung der Wurmeier gelingt wegen ihrer charakteri 1 1
Form, auffallenden Färbung und scharfen Umgrenzung bei . i - '
Uebung ohne besondere Mühe. Verwechslungen mit pflanzlichen -
die fast in keinem Stuhl vermisst werden, sind in Anbetracht .
deutenden Grössenunterschiede bei einiger Erfahrung gar
geschlossen.
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
512
MONCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Am meisten fällt infolge seiner Grösse das Ei von Ascaris lum-
bricoides ins Auge. Besonders charakteristisch ist die wulstige, mit
dem braunen Farbstoff des Stuhls imprägnierte Eiweisshülle, die indes
zuweilen fehlen kann. Das Ei hat ovale Gestalt, erscheint aber in der
Ansicht von oben kreisrund. Wir machen auf diese Tatsache besonders
aufmerksam, weil dadurch die Verschiedenheit der Abbildungen in den
einzelnen Lehrbüchern und Atlanten ihre Erklärung findet. Auch das
Innere des Eies zeigt verschiedenes Aussehen, je nachdem es sich um
ein befruchtetes oder unbefruchtetes Ei handelt. Wie M i u r a und
N i s h i u c h i zeigten, füllt beim unbefruchteten Ei die Dottermasse
den ganzen inneren Raum aus, während sie sich beim befruchteten Ei
kugelig zusammenballlt. Im letzten Fall erscheint gewöhnlich auch der
Kern deutlich sichtbar als stark lichtbrechendes Körperchen. Meist
fanden sich im gleichen Stuhl beide Stadien.
Während man die Askariseier fast stets in grösserer Zahl im Stuhl
antrifft, treten die Eier von Trichocephalus dispar meist nur ganz ver¬
einzelt auf und müssen mit peinlicher Sorgfalt gesucht werden. Nur
ein einziges Mal beobachteten wir massenhaftes Vorkommen in einem
diarrhöischen Stuhl. Das Ei von Trichocephalus ist beträchtlich kleiner
als das Askarisei. Die ganz besonders charakteristische Gestalt lässt
in der Diagnose keinen Zweifel aufkommen.
Ebenso fanden wir die Eier von Oxyuris vermicularis trotz ihrer
zweifellos weiten Verbreitung selten. Dieser Umstand erklärt sich wohl
aus der Biologie des Wurmes. Die geschlcchtreifen Weibchen wandern
bekanntlich aus dem Darm aus und legen ihre Eier in der Nähe des
Afters ab, so dass die Eier nur unter besonders günstigen Umständen
im Stuhl und dann nur in geringer Zahl angetroffen werden. Nur in
einem einzigen Fall, in einem stark blutigen Stuhl, fanden sie sich in
grösserer Menge vor. Das Hauptmerkmal ist die doppelt konturierte,
stets farblose Hülle. Der w’enig auffallend gefärbte Inhalt zeigt je nach
dem Entwicklungsstadium verschiedenes Aussehen.
Ungleich schwieriger gestaltet sich das Erkennen der Protozoen¬
zysten. Wir fanden hauptsächlich Zysten von Entamoeba coli und
Lamblia intestinalis. Vegetative Formen konnten wir nicht beobachten,
da diese bekanntlich wenige Stunden nach dem Verlassen des Darmes
absterbeq, uns aber meist nur mehrere Tage alte Stühle zur Verfügung
standen.
Sichere Diagnose der Zysten ist nur bei stärkerer Vergrösserung
möglich. Bei einiger Uebung fallen sie jedoch ohne w'eiteres durch ihre
scharf konturierte Membran und ihr starkes Lichtbrechungsvermögen
bei genügender Abblendung auf.
Die Zyste von Entamoeba coli ist kreisrund und gewöhnlich acht¬
kernig. Gelegentlich trafen wdr auch ein-, zw ei- und vierkernige Zysten
aji. Die Kerne treten bei Zusatz einiger Tropfen Essigsäure schärfer
hervor. In Zweifelsfällen wandten wir mit gutem Erfolg die Färbung
mit H e i d e n h a i n s Eiscnliämatoxylin nach vorheriger feuchter Fi¬
xierung mit Sublimatalkohol an.
Nach dem jetzigen Stand der Kenntnisse unterscheidet man 2 Arten
von Darmamöben: die nichtpathogene Entamoeba coli und die Ent¬
amoeba tetragena, welch letztere die Amöbendysenterie verursachen
soll. Ausser gewissen Unterscheidungsmerkmalen der vegetativen For¬
men gründet sich die Unterscheidung auf die Verschiedenheit in der
Zystenbildung. Die Zyste von Entamoeba coli enthält 8 Kerne, während
die Zyste der Ruhramöbe kleiner und vierkernig sein soll. In seiner
in diesem Jahr erschienenen Arbeit „Ueber Darmamöben und Amöben¬
ruhr in Deutschland“ weist Fischer^) auf die Möglichkeit hin, dass
beide Arten identisch seien und die nichtpathogene Form unter gewissen
Umständen (Erkältung) pathogene Wirkung hervorrufen könnte.
Anhaltspunkte dafür, dass die achtkernige Form pathogen auftreten
kann, ergaben sich für uns nicht, da uns meist nähere klinische An¬
gaben fehlten. Wir konnten lediglich aus dem zur Untersuchug ein¬
gesandten Material auf mehr oder weniger schwere Darmstörungen
schliessen. An dieser Stelle sei übrigens erwähnt, dass nur in wenigen
Fällen der bakteriologische Befund positiv war.
Bezüglich des Verkemmens der vierkernigen Zysten ist zu be¬
merken, dass wir sie nur in Gemeinschaft mit achtkernigen Zysten von
gleicher Grösse antrafen, so dass wir zu der Annahme neigen, dass
es sich in unseren Fällen nur um frühere Entwicklungszustände
handelte. ,
Bedeutend kleiner und von eiförmiger Gestalt sind die Zysten von
Lamblia intestinalis. Strukturelle Einzelheiten sind nur unter Zusatz von
verdünnter Essigsäure zu erkennen. Charakteristisch ist eine schräg
verlaufende Längsfurche; ausserdem lassen sich 2—4 Kerne nahe dem
schmäleren Ende unterscheiden. Ob der Lamblia intestinalis pathogene
Bedeutung zukommt, ist strittig. Wir stellten lediglich fest, dass in
allen Fällen zahlreichen Auftretens der Lambliazysten der Stuhl diar-
rhöisch war.
Im folgenden stellen wir die Ergebnisse unserer Untersuchungen
zusammen. Es wurden im ganzen 380 Stühle untersucht, wovon 254
zjir Untersu:hung auf Typhus, Paratyphus und Ruhr, 26 zur Unter¬
suchung auf Wurmeier eingesandt waren.
Wir konnten insgesamt 139 Parasitenträger feststellen, d. h.
.36,57 Proz.; hievon treffen auf die 26 zur Untersuchung auf Parasiten
eingesandten Stühle 42,30 Proz. Im einzelnen verteilen sich die Unter¬
suchungsergebnisse folgendermassen:
Ueber befruchtete und unbefruchtete Askarideneier im menschlichen
Kot. Zbl. f. Bakt. (Orig.) 33. 1902.
’) B.kl.W. 1920 Nr. 1.
Digitized by Gousle
Tabelle 1.
Zahl der
Stühle
Stühle
11 Sc
Gesamtzahl
Ort
unter-
mit
mit Pro-
*s s ®
der
Negativer
suchten
W'urm-
tozoen-
Pa ra si tenträ ger
Befund
Stühle
eiern
Zysten
Fälle
Proz.
Gressstadt . .
73
11
8
_
19
26,03
64
Kleinstadt . .
67
11
8
1
20
35,09
87
I.and ....
89
15
16
4
34
88,19
65
Heilanstalten .
161
28
.35
8
66
40,99
96
Zusammen
880
65
66
8
139
36,76
24t
Wie vorauszusehen war, findet sich bei Ausserachtlassung der Heil¬
anstalten der grösste Prozentsatz unter den Parasitenträgern bei der
Landbevölkerung, w’ährend die Grossstadt die wenigsten Parasiten¬
träger aufweist.
Die Verteilung auf Geschlechter, sowie auf Erwachsene und Kinder
ist aus Tab. 2 ersichtlich. Die Heilanstalten sind hierbei nicht berück¬
sichtigt.
Tabelle 2.
Gesamtzahl
•täß
S.2
® ®
ä (3
a ® c
So®
Falle mit
Wurm eiern
Proto/oen-
zysten
Gesamtzahl
der
der positiven
■•Ö 3
untersuchten
® o «
Befunde
S.'s
Fälle
:ea S
sr
FäUe
Proz.
©pq
Er-
männlich
194
96
14
16
5
34
35,41
62
wachsene
weiblich
98
17
13
0
30
30,61
68
Blinder
25
6 1
3
0
9
36.0
1«
Zusammen
219
87 1
31
5
73
1 33,83
146
Bei unseren Untersuchungen fanden wir Eier von Ascaris lumbri-
coides, von Trichocephalus dispar und von Oxyuris vermicularis; von
Protozoenzysten begegneten uns in den Stühlen Zysten von Entamoeba
coli und Lamblia intestinalis.
Die Häufigkeit der einzelnen Parasitenarten ergibt sich aus Tab. 3.
Tabelle 3.
Art
s. ®
Ascaris
Tricho-
cephalus
Oxyuris
Lamblia
Entamoeba
coli
N 3
Fälle
Proz.
Fälle
Proz
Fälle
Proz.
FäUe
Proz.
FäUe
Proz.
Gressstadt
73
3
4,10
7
9,60
1
1,88
1
1,38
7
9,60
Kleinstadt .
67
8
14,0
6
10,52
0
0
8
6,26
7
12,28
Land . . .
89
8
10,11
11
12,36
1
1,12
5
5,49
16
17,97
Heilanstalten
161
9
5,53
22
13,70
2
1,24
4
2,48
86
122,85
Zusammen
380
29
7,63
46 1 12,10
4 1
1,05
t 13 1
8,42
66
17,36
Hiebei ist zu berücksichtigen, dass sich gemeinsam vorfanden;
in 6 Fällen Ascaris + Trichocephalus,
in 1 Fall Ascaris + Entamoeba coli,
in 4 Fällen Trichocephalus -f Entamoeba coli,
in 2 Fällen Trichocephalus + Entamoeba coli + Lamblia, .
in 1 Fall Oxyuris + Entamoeba coli, '
in 3 Fällen Lamblia + Entamoeba coli.
Es ergibt sich für das Vorkommen von Wurmeiern ein Prozent¬
satz von 20,78, für das Vorkommen von Protozoenzysten zufällig der
gleiche Prozentsatz von 20,78.
Zum Vergleich mit unseren Ergebnissen stellen wir einige Ergebnisse
früherer Untersuchungen, soweit sie für uns von Interesse erschienen,
zusammen:
Tabelle 4.
Untersucher
Ort und Material
Ge¬
samt¬
zahl
Positive]
Befunde
in Proz.
Ascaris
in 1‘TOZ.
Tricho-
cej^al.
in Proz.
Oxyuris
in Proz.
Ent¬
amoeba
coli
in Proz
Friedrich
München, Leichen
Erlangen, Leichen
107
18,6
6,5
9,8
2,8
Müller«)
1858
38,29
12.81
12,9
12,51
—
Banik«)
München, Kinder
Göttingen, Stühle
315
46,7
?
8,26
30,15
—
Fischer^)
120
—
—
—
—
9
*) Zitiert nach Funk : Med.-naturw. Arch. Bd. ü.
») Fischer: B.kl.W. 1920 Nr. 1.
Zum Schlüsse möchten wir darauf hinweisen, dass die Ergebnisse
derartiger Untersuchungen nur einen relativen Wert besitzen und je nach
den Untersuchungsmethoden nicht unbedeutende Schwankungen erfahren
können. Wir beschränkten uns durchschnittlich auf 2 Untersuchungen
jedes Stuhles. Bei der Untersuchung von zahlreicheren Proben ver¬
schiebt sich der Prozentsatz der positiven Befunde erfahrungsgemäss
nach oben. Wir möchten daher keineswegs behaupten, dass die als
negativ befundenen Fälle in Wirklichkeit immer parasitenfrei w^aren.
Ausserdem ist die Zahl der untersuchten Fälle zu gering, um ein ein¬
wandfreies Bild der tatsächlichen Verbreitung der Darmparasiten zu
erhalten. Aber als Anhaltspunkt zur Beurteilung der Verbreiterung der
Darmparasiten können die Untersuchungen dienen.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFo|nIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
513
2^April 1921.
Aus der chirurgischen Abteilung des evang. Krankenhauses
in Düsseldorf.
Zur Behandlung der Empyemfisteln*).
Von Prof. Dr. Carl Ritter.
Es gibt scheinbar nur einen Weg, um die nach operativer Eröffnung
eines Pleuraempyems zurückbleibende Fistel zur Heilung zu bringen,
nämlich den, die im Brustraum noch befindliche Höhle zwischen
knöcherner Brustwand und starrer Pleura pulmonalis-Schwarte zu be¬
seitigen. Denn lässt man ohne dem die Fistel zuheilen, so sammelt sich
in dem toten Raum der Höhle von neuem Eiter an, der entweder von
selbst durchbricht oder infolge hohen Fiebers und schwerer lokaler und
allgemeiner Erscheinungen wieder eröffnet werden muss.
Zwei Möglichkeiten stehen uns zum Verschluss der Höhle zur Ver¬
fügung:
1. Man sticht die Wände der Höhle einander zu nähern. Verkleben
und verwachsen sie miteinander, so versiegt die Absonderung und die
Fistel schliesst sich endgültig.
Man erreicht das dadurch, dass man entweder die knöcherne
Brustwand mobilisiert und sie der in ihrer zurückgezogenen
Lage durch die dicke Pleuraschwarte festgehaltenen Lunge nähert, oder
dass man die starre Pleuraschwarte mobilisiert und
die Lunge der an ihrem Ort verbliebenen knöchernen Brustwand nähert,
oder dass man das Zwerchfell lähmt und es auf diese Weise
der Lunge und dem Brustkorb nähert.
2. Man sucht die Höhle mit irgendeiner Füllung zu versehen, sei es
einem leblosen Stoff, der in flüssiger Form in sie hineingegossen
wird und hier nachträglich erhärtet, sei es mit einem durch Plastik in die
Höhle eingelagerten lebenden Qewebe.
I.
1. Die Mobilisation der Brustwand ist das am häufigsten
angewandte Verfahren. Sie ist in Form zahlloser Methoden empfohlen.
Ifn Grunde handelt es sich aber bei allen diesen Methoden nur um zwei
verschiedene Arten des Vorgehens. Entweder werden die Rippen an
der erkrankten Brustseite ganz entfernt, seien es einige oder alle, sei es
ohne oder mit Beseitigung der Weichteile. Oder die Rippen bleiben
erhalten und werden nur nach Art der Pfeilerresektion durchtrennt, sei
es an je einer oder zwei Stellen, vorn, hinten oder seitlich*), sei es mit
oder ohne Durchtrennung der Pleura costalis.
Bei kleinen Höhlen genügt ein geringfügiger Eingriff. Bei
grossen, die ja häufiger sind, kommt man aber nur dann zum Ziel, wenn
man der Ausdehnung der Höhle entsprechend auch ausgedehnt
mobilisiert. Darin liegt aber eine nicht zu unterschätzende Gefahr.
Denn einem so grossen Eingriff sind manche Kranke infolge der langen
Eiterung eben nicht mehr gewachsen. Man hat diese Gefahr dadurch
wesentlich verringert, dass man die Operation in mehrere Sitzungen zer¬
legt. Aber ganz ist die Gefahr dem Verfahren dadurch nicht genommen.
Ein anderer Missstand wird allgemein leichter genommen: das ist
die Entstellung, die durch das Einsinken der einen Brustkorbhälfte
hervorgerufen wird, besonders wenn man ausser den Rippen auch noch
Klavikula und Skapula in die Resektion einbezieht. Sind die Höhle i
gross, so kann diese Entstellung einen so hohen Grad annehmen, dass
sie für den Träger wie für den Beschauer sehr peinlich wird. Ob cs
richtig ist, die Entstellung so leicht zu nehmen, möchte ich bezweifeln.
Denn es handelt sich nicht nur um einen reinen Schönheitsfehler. Mit
dem Einsinken der Brustwand verliert auch die Lunge die Möglichkeit,
sich wieder ganz zu entfalten und ihre frühere Arbeit in vollem Umfang
aufzunehmen. Eine nachträgliche Besserung dieses Zustandes von
selbst habe ich bisher nicht sicher feststellen können. Dazu kommt dann
noch die so häufig bei allen diesen Operationen notwendige Durch¬
trennung der Interkostalnerven, die, wie O e h 1 e ck e r vor kurzem nach¬
wies, zu recht störender Lähmung der entsprechenden Brust und Bauch¬
muskeln führen kann. Alles in allem: Ideal kann man jedenfalls dieses
Vorgehen nicht nennen.
2. In derselben Richtung wie die Mobilisation der Brustwand bewegt
sich der Vorschlag von S a u e r b r u c h, Perthes u. a., die 1920 zur
Verkleinerung der Empyemhöhle empfahlen, den Phrenikus dauernd oder
vorübergehend auszuschalten (Phrenikotomie, Phrenikusvereisung event.
Phrenikusblockierung). Wirksam wird den Brustfellraum nur die Phre¬
nikotomie verkleinern. Aber sie wird für grössere Höhlen nicht aus-
reichen, auch ist sie nur für Empyemhöhlen nahe dem Zwerchfell ge¬
eignet. Als Unterstützung bei anderen operativen Massnahmen zur Ver¬
kleinerung der Brusthöhle wird dagegen die künstliche Zwerchfelllähmung
gelegentlich willkommen sein.
3. Die Mobilisation der Lunge hat man mittelst des so
erfolgreich bei frischen Empyemen benutzten Verfahrens des nega¬
tiven Drucks nach Perthes versucht. Und ob man mit Atem¬
übungen (V 0 g e 1), Saugglas (N o r d m a n n, Härtel), Wasserstrahl¬
pumpe, Hebevorrichtung (Perthes, Seidel). Druckdifferenzverfahren
•) Nach einem auf der Tagung Niederrheinisch-Westfälischer Chirurgen
in Dortmund gehaltenen Vortrage.
*) Von den seitlichen Schnitten ist der in der vorderen Axillarlinie nach
Bayer- Prag, den ich schon früher warm empfohlen habe, auch nach meinen
neueren Erfahrungen der beste, da er in so gut wie muskel- und gefäss-
freier Linie verläuft und da von ihm aus auch die 1. Rippe leicht erreicht
werden kam.
Nr. 17.
(Sauerbruch) arbeitet, mit allen Massnahmen hat man Heilerfolge
gehabt. In welcher Weise die zielbewusste Durchführung dieses ein¬
fachen Verfahrens wdrkt, zeigt die Zusammenstellung H a r t e r t s aus
der Perthes sehen Klinik, nach der von 23 älteren und veralteten
Empyemen nach Schussverletzung 20 völlig ausheilten. 3 sich wesentlich
besserten. Trotzdem sind diesem Verfahren Grenzen gesteckt: Ist erst
die Pleura pulmonalis schwartig verdickt, so ist wohl eine gewisse Ver¬
kleinerung des Hohlraums im I3rustkorb, aber keine vollkommene .An¬
näherung beider Pleurablätter — und ohne die kommt es nicht zum Ver¬
schluss — zu erreichen, mag man die Saugung noch so lange fortsetzen.
Ungleich viel wirksamer ist demgegnüber die Fort nähme der
schwartigen Pleura pulmonalis, die Entrindung nach
D e 1 0 r m e. Sie ist wie auch ich au» eigener Erfahrung bestätigen
kann, wenn sie gelingt eine ganz hervorragende Methode, weil die
Lunge, mit einem Schlage von ihrer schwartigen Pleurafessel befrei:,
wieder voll funktionsfähig werden kann, während eine grössere Ent¬
stellung durch Erhaltung des knöchernen Brustkorbs, der nur „lem-
porär“ reseziert wird, fortfällt
Allerdings führt auch diese Operation nicht immer zum Ziel; in
manchen Fällen zeigte sich, dass die Lunge trotz Entfernung der Pul-
monalisschwarte sich nicht wieder entfaltete (G a r r e, R e h n, Vos-
Winkel u. a.), doch mögen das Ausnahmen sein. Was auch gegen
diese Operation spricht, ist wieder die Gefahr des gewaltigen
Eingriffs, die darin besteht, dass Einrisse, Blutungen der Lunge mit
ihren Folgen entstehen (Hirnembolie [Rehnl, Mediastinalemphysem
[Payr]) und die auch durch die vorgeschlagenen Modifikationen nicht
wesentlich verringert ist Obgleich Kümmell auf dem letzten
Chirurgenkongress erneut für die Delormesche Operation eingetreten
ist, hat er wenig Anklang, viel Widerspruch gefunden.
II.
Die zweite Mögliclikeit die Höhle durch ein Gefüllsel
auszu sc h a 11 en, ist viel seltener versucht.
1. ' Von der Plombierung mit einem leblosen Stoff
(Paraffin, Zinkpaste, Fett), der in flüssigem Zustande eingeführt wird und
dann erstarrt ist vielleicht öfter Gebrauch gemacht, als man weiss.
Von günstigen Ergebnissen mit dieser Behandlung ist aber wenig be¬
kannt geworden. Der Grund liegt nahe. Denn dass eine solche Masse
in einer eitrigen Höhle glatt einheilte, wäre erstaunlich. Burk berichtet
sehr opfimistisch, dass er bei Spülung der Höhlen mit D a k i n scher
Lösung und bei Anwendung des ungiftigen Bismut. carbon. Empyem¬
fisteln in w^enigen Tagen ausheilen sah, die 5 Monate allen Behandlungs¬
versuchen getrotzt hatten. Von 5 Fällen waren zur Zeit der Veröffent¬
lichung 4 vollkommen geheilt, bei der 5. bestand noch eine oberfläch¬
liche granulierende Wunde. Es ist aber zu beachten, dass es sich nur
um kleine Höhlen handelte, wie die Röntgenbilder zeigen, dass die Fälle
ziemlich frisch waren und dass erst kurze Zeit seit ihrer Heilung ver¬
gangen war, so dass ein Rezidiv sehr Wohl noch eingetreten sein kann.
Auch bei eitrigen Knochen- und Weichteilfisteln sind die einst hoch¬
geschraubten Erwartungen mit der Beck sehen Paste rasch vergangen.
Wahrscheinlich sind die Massen hier wie dort oft langsam heraus¬
geeitert. K ü 11 n e r berichtete davon. Auch mir ist es so gegangen.
Geschieht das nicht, so kann man gezwungen werden, erneut breit auf¬
zumachen, um den hinter der verstopften Fistel angesammelten Eiter
abfliessen zu lassen.
Wenn in neuerer Zeit Neuhäuser empfohlen hat, Katgut-
netze in die Empyemhöhlen einzulegen, so ist ihm gewiss zuzugeben,
dass dadurch die Granulationsbildung angeregt wdrd. Der Verschluss
einer grösseren Höhle wdrd aber schwerlich dadurch allein erzielt.
2. Selten ist auch, wie es scheint, die Füllung der Höhle mit einem
gestielten Muskel- (oder Fett-) Lappen versucht (S u d e c k. Ringel,
V. Hacker. Goebel, Ritter), zum Teil mit, zum Teil ohne Glück.
Im letzteren Fall ist wieder die Infektion der Höhle die Ursache, w^arum
der Lappen leicht der Nekrose anheimfällt. Ich möchte glauben, dass
dies Ereignis häufiger eingetreten ist, als veröffentlicht wmrde.
Aber auch da. wo der Lappen am Leben bleibt, wird selten hei
grösseren .Höhlen das gewünschte Ziel erreicht, da der Lappen im Ver¬
gleich zur Höhle viel zu klein ist, um sie ganz auszufüllen. Erst wenn
dies Verfahren mit der Rippendurchtrennung kombiniert wird, gelingt cs.
Melchior (und nach B r u n z e 1 auch Sprengel) empfiehlt die
Pleura costalis-Schwarte als Füllmittel zur Verkleinerung der
Pleurahöhle. Nach Resektion der unteren Rippen löst er die P’.arr
costalis-Schwarte von der entknochten Brustwand unten ab. f,! :
und schlägt sie als Lappen mit oberem Stiel in die Kuppe der Ei; ’ . ; -
höhle hinein. Das Verfahren ist ausgezeichnet, besonders für de-' :
Teil der Brusthöhle, wo sonst eine Verkleinerung viel schwierig» .■
unteren ist, wo manche zur Resektion sogar der Klavikula und ;
abgesehen von den Rippen, raten. Aber nicht immer liegen die ■
nisse zum Gelingen der Operation so günstig. Es eitert oft nocli .
Zeit hindurch (Brunzel) oder es bleibt auch dann eine Höhle. . >
erst» auf Muskelplastik (Vidakovich) oder Ripperin • i
(Hirschmanns Kombination) schliesst. Selbst Nekrose des i . :
ist beobachtet.
Auch ich habe 1918 die Pleura costalis-Schwarte zur Verc
Empyemhöhle empfohlen, aber in ganz anderer Weise. All
operativen Eingriffe bei den Empyemfisteln kranken daran, da
infiziertem Gebiet arbeiten und mit einem Wiederaufflackern
Infektion rechnen müssen. Diese Infektionsgefahr besteht so
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
514
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
überhaupt die Empyemhöhle noch offen ist. Nun fiel mir auf, wie leicht
in manchen Fällen die Pleura costalis sich im j^anzen stumpf mit den
Fingern von den Rippen ablösen lässt. Ich schlug deshalb vor, nachdem
in der ersten Sitzung dem Eiter Abfluss geschaffen ist, in einer zweiten
(beide Eingriffe lassen sich gegebenenfalls zu einem vereinigen) vom
ersten Schnitt aus die Pleura costalis, soweit sie sich über der Empyem¬
höhle befindet, stumpf zu lösen und sie in die Höhle gegen die Lunge
einzustülpen,, bis sich beide Pleurablätter fast berühren. Durch Tam¬
ponade zwischen Pleura costalis und Rippen kann man das Verwachsen
der Blätter noch sichern. Auf diese Weise ist die Infektionsquelle rasch
ausgeschaltet und nun gelingt in dem so gut wie aseptischen Gebiet der
endgültige Höhlenverschluss vor allem mit Hilfe der Muskelplastik (mit
oder ohne Entknochung der Rippen oder Pfeilerresektion) viel leichter
und sicherer. Dieser dritte Operationsakt ist aber nicht immer nötig.
Mein Fäll heilte ohne jede weitere Rippenoperation
oder Plastik in kurz er Zeit rezidivfrei. Offenbar ist der
Narbenzug zwischen den Weichteilen nach den Rippen hin stärker, als
der Zug der Lunge nach innen.
P r o p p i n g, der für diese Methode den Namen kostale Pleurolyse
vorschlug, teilte mit, dass R e h n die gleiche Operation, aber mit Spal¬
tung der Pleura pulmonalis ausführte. Durch diese Spaltung soll die
Lunge, zumal bei Anwendung des Ueberdruckverfahrens fähig werden,
ähnlich wie bei der Dekortikation, sich zu entfalten und ihrerseits sich
den Rippen zu nähern. Abgesehen von einem Todesfall war der Erfolg
der Operation in einem Fall vollkommen, in anderen aber nicht. Einmal
gelang es nicht, die Pleura abzulösen, da sie morsch und brüchig war,
was auch ich nachmals öfter bemerken musste, einmal wurde sie
nekrotisch, einmal verklebten die Pleurablätter nicht weil das Thorax¬
fenster rasch schrumpfte, so dass die Tamponade* nicht lange genug
durchgeführt werden konnte. P r o p p i n g empfiehlt deshalb die Opera¬
tion früh, 6—8 Wochen nach der Pleuradrainage, zu machen; dann ist
die Pleura costalis wahrscheinlich noch widerstandsfähiger und lässt sich
gut ablösen. Die Lunge dehnt sich noch aus und das Thoraxfenster
kann man genügend gross anlegen (Resektion von 2—3 Rippen), so
dass man die Tamponade lange genug fortsetzen kann. Unter diesen
Umständen hält er die Methode für einen wesentlichen Fortschritt in
der Behandlung älterer Empyemhöhlen.
Kirschner hat durch ein Thoraxfenster von aussen die
Pleura costalis abgelöst, nach innen gedrängt und den Hohlraum durch
einen Lappen aus dem M. pector. ausgefüllt. Das Verfahren ist für den
obersten Teil der Brusthöhle von ihm angewandt.
Uebersieht man die grosse Reihe der Vorschläge, so muss man
sagen: Einen sicheren operativen Weg, Empyemfisteln zu heUen, gibt
es bei ausgedehnten Höhlen nicht, ohne dass er Gefahren für den
Kranken in sich birgt und stark entstellt Alle Versuche, durch kleinere
Eingriffe zum Ziel zu kommen, zeitigen wohl Einzelerfolge bei um¬
schriebenen kleinen Höhlen, versagen aber in der Regel bc;; gossen
Höhlen. *
Da hat ein Zufall mir einen anderen Weg gewiesen. Dass es ge¬
lingt, grosse geschlossene akute Empyeme völlig zu heilen,
ohne Inzision und Rippenresektion allein durch einfache tägliche Ab¬
saugung des Exsudats, habe ich schon 1907 zeigen können. Aber das
Verfahren hat einen grossen Nachteil. Durch den Punktionskanal fliesst
leicht Eiter nach und so entstehen kleine Abszesse im Unterhautzell¬
gewebe, die dann der Inzision bedürfen. Und wenn auch die oft zahl¬
reichen dicken Fibringerinnsel sich allmählich ganz von selbst auf lösen,
so können sie bei der häufigen Punktion recht störend sein. Deshalb
bin ich schon sehr bald ganz davon wieder abgekommen zugunsten der
Inzision bzw. Rippenresektion und nachträglichen Behandlung nach der
Methode von Perthes. Neuerdings machte ich nun die Beobachtung,
dass auch ältere geschlossene Empyeme, die durch Ab¬
kapselung oder frühzeitigen Fistelschluss entstanden waren, und zwar
leichter und sicherer, bei täglicher Entleerung durch Punktion ausheilten
wie die akuten. Auch hier wird der Erguss überraschend schnell serös
oder blutig und damit ist das Spiel gewonnen. Setzt man, noch eine
Weile täglich die Aspiration fort, am besten jedesmal an anderer Brust¬
stelle. so kommt kein Rückfall. Die Gefahr subkutaner Abszessbildung
besteht aber hier offenbar viel weniger, weil die dicke Schwarte ein
Nachströmen des Eiters erschwert und der Eiter weniger infektiös ist.
Die geschlossenen älteren Empyeme bieten also offenbar günstigere
HeUungsbedingungen als die offenen.
Nun ist mir immer die Neigung der Empyemfistel aufgefallen, sich
von selbst zu schliessen, wenn sie ohne Tamponade und Drainage nur in
Ruhe gelassen wird. Diese Neigung deutet darauf hin, dass wir hier
einem Naturvorgang gegenüberstehen, den wir möglicherweise nur des¬
halb stets zu verhindern gesucht haben, weil wir ihn nicht ganz ver¬
standen haben.
Jedenfalls Hess ich in 6 Fällen bewusst die Empyemfistel zuheilen,
punktierte nur und sah rasch, wie auch hier an Stelle des reichlichen
Eiters bald klares Serum und Blut kam und Heilung eintrat, ohne dass
es bisher zu einem Rezidiv gekommen ist.
Wir stehen damit bei derBehandlung derEmpyem-
fistel vor einem grundsätzlich neuen Verfahren, das
darin besteht, zwar anfangs dem Eiter durch Schnitt
und Drainage mit oder ohne Saugbehandlung Ab¬
fluss zu verschaffen, dann aber die offene Empyem¬
höhle wieder In eine geschlossene umzuwandeln, in
Digitized by Goiisle
der jetzt die noch vorhandene Infektion verhältnis¬
mässig leicht und rasch durch täglich wiederholte
Punktion beseitigt werden kann.
Grundsätzlich neu deshalb, weil wir damit uns scharf von der bisher
allgemein gültigen Auffassung trehnen, die dahin geht, in der Offen'-
haltung der Pleurahöhle beim Empyem den Heilfaktor zu sehen.
Ich finde nur einen Autor in der Weltliteratur, der darauf eben¬
falls verzichtet hat, nämlich T u f f i e r. Dieser spült bei frischen Em¬
pyemen, nachdem der Eiter in einer ersten Sitzung entleert ist, die
Höhle 5—30 Tage lang durch mehrfache in alle Buchten der Höhle ge¬
legte Garrel sehe Röhren 2 stündlich mit Dak in scher Lösung, so
dass sie „praktisch als keimfrei gelten kann“. Dann exzidiert er die
ursprünglichen Wundränder und schliesst sie möglichst genau unter Ver¬
meidung eines Blutergusses. Auch hier also vollkommen Verschluss.
Aber ob diese Methode wirklich ohne Rückfall bleibt, scheint mir se^
zweifelhaft, da sie selbst keine Gewähr dagegen bietet. Tritt ein
Rückfall ein, so bleibt auch hier nur mein Vorschlag der Punktion übrig,
wenn man nicht das gesamte Resultat des Wundverschlusses wieder
zerstören will.
Bei Empyemfisteln exzidiert Tuffier die Fistel, öffnet breit alle
Buchten der Höhle und entfernt trennende Adhäsionen mit dem M^ser.
Ist dann in ähnlicher Weise durch Tage hindurch chemisch desinfiziert
und so Keimfreiheit erzielt, so nimmt er in einer zweiten Sitzung die
Dekortikation der Lunge vor und schliesst die Hautwunde. Die Behand¬
lung der Empyemfistel ist also anders, eigentlich nur eine modifizierte
Dölormesche Operation.
Im übrigen ist aber das Verfahren keineswegs grundsätzlich neu.
Denn es ist derseibe Gedanke, der auch zur modernen Behandlung der
Brust Verletzungen geführt hat, wie sie vor allem von Burk¬
hardt und L a n d o i s so erfolgreich im Kriege durchgeführt ist. Auch
hier zeigte sich bald, dass die Verletzungen, wenn die Brusthöhle offen
blieb, selten oder nur schwer ausheilten; wenn sie dagegen früh ge¬
schlossen wurde, in der Regel ausheilten; auch dann noch, wenn die
Wunden infiziert waren und ein seröser oder eitriger Erguss im Bmst-
fellraum eintrat, der dann punktiert wurde.
Es ist derselbe Gedanke, der B a r a n y i im Kriege veranlasst hatte,
die Hirn wunde sobald wie möglich nach der Verletzung zu schliessen.
Auch hier milderer Verlauf der Hirnabszesse, wenn die Infektion nicht
ganz überwunden werden konnte.
Ein Gedanke, der letzten Endes auf R o 11 e r, R e h n und N ö t z e 1
zurückgeht, die die Bauchhöhle nach Blinddarm- und Gallenblaseneiit-
zündungen schlossen trotz bestehender Peritonitis. Einer besonderen Ent¬
leerung des Exsudats bedursten sie hier nichL da sie getrost die letzte
Entfernung der Infektionserreger der Resorption der Bauchhöhle über¬
lassen konnten.
Aus allen diesen Gründen scheinen mir meine Bobachtungen von
einiger Bedeutung zu sein. Dass mit der neuen Methode noch mehr
wie mit der kostalen Pleurolyse die Möglichkeit gegeben ist. die häss¬
liche Entstellung des Brustkorbes zu vermeiden, ist eine erfreuliche
Zugabe.
Weiterer Beitrag zur Tuberkulinbehandlung der
Pleuritis exsudativa tuberculosa.
Von Dr. C. Stuhl, Giessen.
ln einer früheren Arbeit über dieses Thema habe ich nur von 3
mit Tuberkulin günstig behandelten Fällen von Pleuritis gesprochen, die
mir allein in der Literatur zu Gesicht kamen. Dem kann ich heute
hinzufügen, dass C. Kraemer bereits 1914 in seinem ausserordentlich
lehrreichen Tuberkulosewerke auf Grund einer grossen Lebenserfahrung
schreibt: „Es gibt kein sichereres, kein rascher wirkendes Mittel gegen
die exsudative Pleuritis als das Tuberkulin. Noch kein einziges Mal
hat das Tuberkulin mir hierbei versagt. Mittelgrosse, fieberhafte Ex¬
sudate sah ich in ambulanter Kur nach genau 14 Tagen schwinden.“
1918 erschien die ausführliche Arbeit W. Neumanns über die
Tuberkulinbehandlung seröser Ergüsse mit besonderer Beachtung der
Pleuritis exsudativa. Er erklärt, dass ausW Kraemer sich noch
niemand mit der tuberkulösen Pleuritis gründlich befasst habe und be¬
stätigt dessen Angaben voll und ganz.
1919 veröffentlichte ich in meiner allgemeinen Praxis beobachtete
Fälle von Pleuritis exsudativa, welche 1 mal, 2 mal. ja 9 mal punktiert
waren und keine Neigung zur Heilung zeigten. Sie alle befreite schliess¬
lich eine Tuberkulinbehandlung von dem lästigen Exsudate. Bei allen
währte die Behandlungsdauer viele Monate.
Bandelier und R o e p k e hatten inzwischen die Tuberkulin¬
behandlung der exsudativen Pleuritis nach Neu mann sehen Grund¬
sätzen nachgeprüft und waren „über die glänzenden Erfolge erstaunt“.
Sie gaben dem daraufhin auch in einer neuen Abfassung des Kapitels
von der Tuberkulose der serösen Häute in der 10. Auflage ihres Lehr¬
buches der spezifischen Therapie Ausdruck.
Die Behandlung des tuberkulösen Exsudates mit Tuberkulin ist ein
so einfaches, schonendes und schnell zum Ziel führendes Verfahren,
dass man sich mit Kraemer wundern muss, was für mannigfache ein¬
greifende Massnahmen gegen die Krankheit immer wieder empfohlen
werden, wie „zahlreiche Punktionen, Ausblasungen des Exsudates,
Luft- oder Stickstoffeinblasungen und Rippenanbohrung“.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFOR j lA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
515
Heute dürfen wir unter Berücksichtigung wissenschaftlich fest¬
gelegter Gesichtspunkte fragen: Wird dem Körper durch die Thorako-
zentese nicht ein Schaden zugefügt? v. Muralt hat nämlich durch
serologische Untersuchungen feststellen können, dass „die Exsudatflüssig¬
keit bei tuberkulöser Pleuritis und das Blutserum solcher Kranken Anti¬
körper gegen Tuberkulose enthält.“ Es wird demzufolge nach N e u -
mann durch solche Eingriffe dem Körper einerseits die Möglichkeit
genommen, in seiner Pleurahöhle Schutzstoffe gegen die Infektion zu
bilden, anderseits wird bei einer Spätpunktion dem Organismus eine
grosse Menge wertvoller Antikörper entzogen.
Bei der spezifischen Therapie kommen diese Schutzstoffe alle dem
Körper zugute, sie werden ausserdem noch durch sie vermehrt. Durch
das allmähliche Ausscheiden des Wassers wird die Lunge geschont
und der Heilungsprozess nicht gestört. Ich habe den Eindruck, dass die
verlängerte Rekonvaleszenz nach Pleurapunktionen hier ihre Erklärung
findet. Die Kranken haben meist eine solche Widerstandsfähigkeit, dass
sie solche Behandlung eben auch noch ertragen. Die Ungefähr¬
lichkeit der Tüberkulinbehandlung bei technisch richtiger
Ausführung hebt K r a e m e r besonders hervor „gegenüber den zahl¬
reichen Beobachtungen von Kollaps, Lungenödem, Krampfanfällen oder
Todesfällen nach Punktionen“.
Ganz abgesehen von den vielen Gegnern des Tuberkulins ist die
Behandlung des tuberkulösen Exsudates mit Tuberkulin zurzeit noch allzu¬
wenig bekannt. Ich hoffe daher der Sache des Tuberkulins und vielen
Kranken zu nützen, wenn ich eine fieberhafte exsudative tuberkulöse
Pleuritis hier bespreche, die ich ohne Punktionsnadel und Trokar (im
Gegensatz zu meinen früheren Fällen), ohne jegliches Medikament,
nur mit Tuberkulin Injektionen mit bestem Erfolge behandelte.
Ein Exsudat bis zur Mitte der Skapula kam dabei in einer Weise zum
Schwinden, dass der Kranke es überhaupt nicht merkte, dass er nach
6 Wochen seinen Dienst wieder übernehmen konnte.
Die Krankengeschichte:
40 Jahre alter Beamter, 2 Brüder starben mit 23 Jahren und 1 Schwester
mit 38 Jahren an Schwindsucht. Von der letzteren auch ein Kind. Er selbst
gab im 17. Jahre wegen Lungenkatarrhs auf ärztlichen Rat die Ausbildung
für den Lehrerberuf auf, wurde Kaufmann und später Berufssoldat. Er ging
als kräftiger, gesund aussehender Feldwebel in den Krieg und kam nach
5 Frontjahren schmal und bleich aussehend zurück. Von seinen 3 Kindern
ist ein 8 jähriger Knabe stark allergisch, er hustete 1919 drei Monate bei
febrilen und subfebrilen Temperaturen. (Bronchialdrüsentuberkulose.)
9. IX. 20. Seit 8 Tagen Krankheitsgefühl. Hustenreiz, Temperatur
zwischen 38 und 39,1 An der rechten unteren Lungengrenze Dämpfung,
die sich in den nächsten Tagen bis zur Mitte der Skapula entwickelte.
Stimmfremitus alsdann aufgehoben. Sputum wird kaum expektoriert. Atem¬
not bei Bewegung, wie z. B. Bettwechsel. Verordnet wird nur ein 3 mal
täglich zu wechselnder lauwarmer Brustuinschlag.
15. IX. Urinmenge gestern und heute 800 und 750 ccm. Erste Alt-
tuberkulininjektion 0,0002 mg. Am nächsten Tage Urin 1100 ccm. Vermehrtes
Schwitzen.
Tuberkulininjektionen an jedem weiteren dritten Tage: 0,0003, 0,0005,
0,001, 0,005, 0,01, 0,03, 0,06, 0,06, 0,08, 0,2, 0,3, 0,5, 0,4 mg usw.
Die Temperatur zeigte schon nach der ersten Injektion deutliche Neigung
zum Sinken, blieb nach der 4. Injektion zwischen 36,6 und 37,5, nach der
9. unter 37 *.
Die Diurese war mit der zweiten Sprit:?e auf 1300 gestiegen und blieb
bis zur 11. Injektion zwischen 1000 und 1500, sie stieg weiter und erreichte
nach der 12. Injektion (0,3 mg) 2370 ccm. Die im Laufe des Tages aufge¬
nommene Flüssigkeitsmenge betrüg ca. 1200 ccm, meist aber weniger. Mit
Beginn der Tuberkulinbehandlung war das Durstgefühl bald verschwunden.
Sämtliche Messungen beobachtete der sehr gewissenhafte Patient aufs Ge¬
naueste.
Nach den ersten Tuberkulingaben fiel dem Kranken wiederholt vorher
nicht beobachtetes Transpirieren auf. Die Atemnot verschwand, der Husten¬
reiz Hess nach. Am Tage der 6. Injektion erstes Aufstehen; 3 Tage später,
mit der 7. Injektion, erster Ausgang.
9. X. Dämpfung reicht noch bis zum unteren Winkel der Skapula.
Patient kommt heute zum ersten Male in die Sprechstunde, erhält 0,6 mg.
Körpergewicht 67,5 kg in Kleidern.
21. X. Gestern zum ersten Male im Dienste. Rückweg zu Fuss, eine
Stunde Weges, ohne Beschwerden. Fehlen des Stimmfremitus ist nicht
mehr festzustellen. In schmaler Zone ist der Schall abgeschwächt. Heutige
Do5is 0,5 mgi
25. X. Untere Lungengrenze beiderseits gleich. Verschieblichkeit auch
rechts gut. Die Atmung an der rechten unteren Lungengrenze noch leise.
Eine längere Schonung wäre sicherlich angebracht gewesen, jedoch
liegen besondere Gründe zum Antreten des Dienstes vor. In der Frühe
wird der Weg im Wagen, nachmittags zu Fuss zurückgelegt.
‘tOO
bar: Schlappheit des Kranken und beginnende Polyurie. Diese Phase
durchlebt der Patient ambulant! Ja, er tritt sogar am Tage nach der
höchsten Zacke seinen Dienst an.
Die Höhe des Exsudates verlief ganz parallel mit der Diurese. Erst
langsames Zurückgehen, zuletzt rapides Verschwinden mit dem Einsetzen
der Polyurie. Den Stimmfremitus prüfte ich hier zur exakten Fest¬
legung der Linie durch festes Aufsetzen der Fingerkuppe des stark
gestreckten Mittelfingers. In den extrem gespannten Bändern und
Sehnen des Fingers fühlt man das Schwirren der Stimme sehr deut¬
lich. Eine Nachprüfung durch leise Perkussion bei geschlossenen Augen
bestätigte immer die aufgezeichnete Linie.
Während der Behandlung des Exsudates mit Tuberkulin hat die
Behandlung der Grundkrankheit bereits einen grossen Fortschritt ge¬
macht. Der Anschluss an die Tuberkulose ist erreicht, sie wird nun
festgehalten und nach immunbiologischen Richtlinien verfolgt Wenn
ich auch in diesem Falle in erster Linie Wert auf die Therapie legen
musste, so lässt uns doch der Verlauf so recht C. Kraemer ver¬
stehen, 'welcher die diagnostisch-therapeutische Kur als eine Methode
empfiehlt, die während der Diagnose bereits therapeutisch wirkt und
während der Therapie ständig Diagnose bleibt
Die Wirksamkeit minimaler Alttuberkulindosen
wird uns in unserem Falle wie ein mathematisches Exempel veranschau¬
licht: Schon zehntausendstel Milligramme heben die verminderte Diurese
zur normalen Höhe und drücken die Temperatur herab. Mit dem Stärker¬
werden der Tuberkulinmengen hebt sich allmählich die Diurese, während
die Temperatur normal wird. In der Reaktionsgegend stellt sich später
kräftige Polyurie ein. Das nächste Ziel, die Beseitigung des Exsudates
wird damit erreicht
Auch bei der Tuberkulinbehandlung anderer tuberkulöser Affek¬
tionen, wie z. B. der Hilusdrüsenerkrankung und des Lungenspitzen¬
katarrhs beobachten wir häufig zu Beginn der Kur während der kleinsten
Dosen schon bedeutende Besserung des Allgemeinbefindens und erheb¬
liche Gewichtszunahmen. Wohl zu verstehen: in einer Epoche der Be¬
handlung, da wir bis zur Reaktionsschwelle möglicherweise noch mehrere
Wochen hindurch zu behandeln haben. Ich möchte hierauf besonders
hinweisen im Gegensatz zu den Gewichtszunahmen und der Hebung des
subjektiven Befindens während der diagnostischen Tuberkulinwoche,
worauf Bandelier und Roepke aufmerksam machen.
Damit dürfte denn auch erwiesen sein, dass schon diese kleinen
Tuberkulindosen reaktive Vorgänge auszulösen vermögen. Es
sind in abgeschwächtem Masse die gleichen biologischen Vorgänge, wie
sie sich bei der typischen Herdreaktion abspielen (s. in Kraemers
Arbeit über die Herdreaktion). Eine messbare Erscheinung ist das lang¬
same Anwachsen der Diürese bei Exsudaten. Hierher gehören aber auch
die nicht so regelmässig auftretenden Erscheinungen bei den übrigen
Erkrankungen, wie z. B. die Besserung des subjektiven Befindens, Ge¬
wichtszunahme, Verschwinden von Schwangerschaftsbeschwerden, Ein¬
treten und Wiederauftreten der Menses u. a.
Um Missverständnisse vorzubeugen, sei an dieser Stelle betont,
dass ich kein prinzipieller Anhänger kleinster Tuberkulindosen bin,
dass ich mich auch nicht an ein bestimmtes Schema zu halten pflege und
dass ich die Erreichung der Tuberkulose, d. h. der Reaktionssphäre stets
anstrebe. Aber ich habe immer wieder gefunden, dass für die Ver¬
hältnisse des praktischen Arztes aus leicht begreiflichen Gründen kleinste
Dosen im Beginne einer Kur das einzig Richtige sind.
Noch eine Frage will ich kurz behandeln, die sieb aus dem Vorher¬
gesagten ergibt: Was ist für den Patienten das Günstigere: eine
schnellere öder eine allmählichere Ausscheidung
des Exsudates? Nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen der
Polyurie bei subkutaner Tuberkulinanwendung steht beides auch bei
der Tuberkulinbehandlung im Bereiche der Möglichkeit, je nachdem man
sich mehr oder weniger schnell mit der Dosis der eigentlichen Re¬
aktionsschwelle nähert. Das ganz allmähliche Verschwinden des Wassers
aus dem Thorax im Verlaufe mehrerer Wochen entspricht durchaus
natürlichen Verhältnissen, wobei der Ruhigstellung der Lunge sicher eine
grosse Rolle zuzuschreiben ist und das Exsudat auch aus diesem Grunde
ein Noli me tangere sein soll. Darum halte ich es auch für richtig,
die diuretische Wirkung des Tuberkulins so schonend als möglich ein-
treten zu lassen. Bei der richtigen Technik hat man die Stärke der
Diurese bis zu einem gewissen Grade in der Hand. Man schaue auf
meine Kurve. Aus ihr lässt sich herauslesen: Ein kürzeres Verweilen
bei den geringen Dosen hätte das Exsudat schneller zur Resorption ge¬
bracht Ich bezweifle aber, dass damit ein günstigerer Krankheitsvtr
Die Kurve scheint mir ganz besonders lehrreich: Entfernt von¬
einander laufen die zackige Fieberlinie und die zu niedrige Urinlinie.
Schon mit der ersten Einspritzung zeigen sie Neigung sich zu nähern,
nach der zweiten verlaufen sie schon ineinander. Nach der vierten
schwingt sich die Urinlinie bereits über die Temperaturlnie und be¬
hält die Tendenz nach oben, je grösser die Tuberkulindosis ist Erst
bei der 11. Einspritzung machen sich Anzeichen einer Reaktion bemerk¬
lauf erzielt worden wäre. Aus diesem Grunde empfehle ich bei hoc*;
febrilen Fällen die Kur mit. 0,0002 mg zu beginneh, anstatt mit 0,0.’
wie bei Bandelier und Roepke angegeben ist.
Differentialdiagnostische Bedeutung wird man der
Tuberkulinbehandlung bei einer Pleuritis exsudativa bei eingehende^
Prüfung nicht absprechen können. Vergegenwärtigen wir uns einma'
wie z. B. die rheumatische Pleuritis von der weit häufigeren tuberku-
4 *
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
516
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
lösen Form heutzutage unterschieden werden kann. Zunächst ist eine
Frobepunktion notwendig. Dann muss das Punktat mikroskopisch unter¬
sucht werden. Bazillen findet man auch bei dem tuberkulösen Ex¬
sudate nur in den seltensten Fällen. Durch die Beobachtung der bei-
gemischten Zellen ist nach D e y c k e eine Feststellung möglich. Bei
der tuberkulösen Rippenfellentzündung finden sich neben Endothelien
durchweg oder überwiegend einkernige Lymphzellen. Dagegen sind
bei andersartigen Pleuritiden die eigentlichen mehrkernigen Leukozyten
vorhanden. Aber —. „Ausnahmsweise können in tuberkulösen Er¬
güssen, so sagt D e y c k e weiter, auch Leukozyten in vermehrter
Menge vorhanden sein, so dass dann nur der einwandfreie Lympho¬
zytenbefund massgebenden Wert für die Diagnose hat. In solchen
Fällen ist man entweder auf allgemeine klinische Eindrücke, oder auf
die Beobachtung des weiteren Verlaufes angewiesen, wenn nicht der
Erfolg einer Behandlung mit Salizylverbindungen, die in jedem un¬
klaren Falle berechtigt ist, gleich von vornherein das entscheidende
Wort spricht.“
Die Vorteile einer Tuberkulinverwendung in sachkundiger Hand sind
dem gegenüber nicht zu verkennen. Wie viele praktische Aerzte haben
überhaupt Zeit odei- genügend Erfahrung zur Prüfung des Exsudat¬
sedimentes? Dessen Ergebnis zudem durchaus nicht eindeutig sein muss.
Eine Punktion erübrigt sich vollständig, sobald der behandelnde Arzt
die Diagnose des Exsudates nach Verlauf, Befund, Auskultation und
Perkussion zu stellen vermag. Der Zeitverlust einer wochenlangen
„Beobachtung des weiteren Verlaufes“, ev. mit Salizylbehandlung ist
gleichfalls überflüssig. Man beobachte eben nur sorgfältig das ganze
Krankheitsbild, besonders aber die Diurese. Alsdann werden schon
die ersten Tuberkulineinspritzungen Diagnose, Differentialdiagnose und
Therapie in sich vereinigen.
Wenn es mir gelingen würde, den einen oder anderen Kollegen
zur Tuberkulinverwendung bei tuberkulöser exsudativer Pleuritis zu
bewegen, wenn dadurch seinen Kranken operative Eingriffe und ein
langes Krankenlager erspart blieben, dann hätten meine Ausführungen»
ihren Zweck erreicht.
Literatur.
Bandelier und R o e p k e: Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und
Therapie der Tuberkulose. Kabitzsch - Würzburg 1920. — Deycke Q.:
Lehrbuch der Tuberkulose. Springer, Berlin 1920. — K r a e m e r C.:
Aetiologie und spezifische Therapie der Tuberkulose. Enke, Stuttgart 1914.
Kraemer C.: Ueber die Häufigkeit der Herdreaktion etc. Beiträge zur
Klinik der Tuberkulose. ‘ 42. H. 3. — Kraemer C.: Das Tuberkulin in
der militärischen Begutachtung etc. Enke, Stuttgart 1912. — v. Muralt:
Zitiert nach W. N e u m a nn. — Neumann W.: Beitrag zur spezifischen
Behandlung etc. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. 39. 1918. — S t u h 1 C.:
Tuberkulinbehandlung der tuberkulösen Pleuritis exsudativa. D.m.W. 1919
Nr. 49. — Stuhl C.: Polyurie nach subkutaner Tuberkulinanwendung.
Med. KI. 1920 Nr. 16.
An merkung bei der Korrektur: Inzwischen sind noch 4 Pleuri¬
tiden in gleicher Weise mit dem bestmöglichen Erfolge von mir behandelt
worden.
Aus der medizinischen Universitätsklinik Qöttingen.
(Direktor: Prof. Erich Meyer.)
Ueber die Behandlung chronisch deformierender Geienk-
erkrankungen mit Schwefel.
Von Dr. Meyer-Bisch, Assistenzarzt der Klinik.
Bei der Unzulänglichkeit auch der wenigen bisher bekannten Mittel,
die sich bei der Behandlung der chronischen deformierenden Gelenk¬
erkrankungen bis zu einem gewissen Grade bewährt haben, die aber bei
den wirklich schweren Fällen nur zu oft versagen, ist man verpflichtet,
jedes Mittel zu versuchen, von dem man mit einiger Berechtigung einen
Fortschritt in der Therapie dieser Krankheitsgruppe erhoffen darf.
Ein in unserer Klinik aufgenommener Fall von primärer chronischer
Arthritis, der sich durch aussergewönhliche Schwere, Ausbreitung und
Schmerzhaftigkeit der Gelenkerkrankung auszeichnete, und der nach¬
einander der Behandlung mit Dispargen, Methylenblau, Fibrolysin und
wiederholten Sanarthritinjektionen ohne irgendwelche Besserung getrotzt
hatte, gab Veranlassung, uns versuchsweise einer in Deutschland bisher
unbekannten Therapie zuzuwenden, die seit 1—2 Jahren in der fran¬
zösischen Fachpres.se gelegentlich empfohlen wird, der Behandlung mit
intramuskulären Schwefelinjektionen.
Die parenterale Schwefelbehandlung im allgemeinen, zunächst ohne
besondere Indikationsstellung, hat im letzten Jahrzehnt in Frankreich
eine erhöhte Beachtung gefunden. Besonders Bory, Delahaye und
Piot u. a. versuchten eine für die parenterale Verabreichung ge¬
eignete Dosierung zu finden. Die beiden letztgenannten Autoren ver¬
suchten seine Anwendung in öliger Lösung, Bory gab ihn mit Glyzerin
vermischt. Beide Anwendungsarten haben den Vorzug, von differenten
Substanzen, besonders Proteinkörpern frei zu sein.
Wir entschieden uns in Anlehnung an Delahaye und Piot für
eine Mischung von 1 g Sulf. depurat. in 100 g Ol. oliv, und injizierten
davon intraglutäal in Abständen von 6—7 Tagen zunächst je 2 ccm,
stiegen danach allmählich über 5 auf 10 ccm. Die Injektionen wurden
•SO oft wiederholt als der Zustand des Leidens es erforderte. Vor dem
Gebrauch wurde die Lösung gründlich geschüttelt.
Die Besserung des ersten in dieser Weise behandelten, wie schon
erwähnt, ausserordentlich schweren und hartnäckigen Falles war eine
derartig auffallende, dass wir nunmehr dazu übergingen, eine Reihe ätio- I
logisch lind klinisch verschiedenartiger chronischer Gelenk- und Wirbel¬
säulenerkrankungen in derselben Weise zu behandeln. Wir beabsichtig¬
ten damit, das &gebnis des ersten Versuches nachzuprüfen, besonders
aber erschien es uns wichtig, das bisher unbestimmte Indikationsgebiet
möglichst scharf abzugrenzen.
Wir hatten Gelegenheit im ganzen 14 Fälle in der angegebenen
Weise zu behandeln. Sie lassen sich klinisch in 3 Gruppen einteilen:
1. Primäre chronische Arthritis und Osteoarthrtis deformans, 2. Poly¬
arthritis chronica rheumatica bzw. acuta. 3. chronische Versteifungen
der Wirbelsäule (Bechterew sehe Krankheit).
12—24 Stunden nach der Injektion treten Allgemeinerscheinungen
auf in Form von Fieber. Kopfschmerzen. Uebelkeit. Sie bewirken oft
durch ihre Schwere ein ganz ausgesprochenes Krankheitsgefühl.
Appetitlosigkeit ist die Regel! Erbrechen ist nicht ganz selten. Die
Temperatur übersteigt nur selten 39“. In diesem Zustand nimmt die
Haut in einem Teil der Fälle eine deutlich gelbliche Verfärbung an,
im Urin findet sich regelmässig eine ganz erhebliche Ausscheidung von
Urobilin. Dass gleichzeitig durch die Nieren ein reduzierender, links¬
drehender Körper ausgeschieden wird, der die Eigenschaften der ge¬
paarten Glykuronsäuren zeigt, soll hier nur nebenbei erwähnt werden.
Mit Beginn des Fiebers stellen sich Reaktionen an den Gelenken ein.
Sie äussern sich‘in den meisten Fällen unrtiittelbar in einem Nachlassen
der Schmerzen und in einer Zunahme der Beweglichkeit. Wie deutlich
schon nach wenigen Stunden die Besserung sein kann, zeigte sich in
einem Fall in beinahe drastischer Weise, als die Patientin, deren rechte
Hand vor der Injektion völlig unbeweglich und bei der leisesten Be¬
rührung schmerzend, im Schienenverband bei starker ulnarer Abduk¬
tion der Finger fixiert war, 24 Stunden später ohne jede Beschwerde
einen mehrere Seiten umfassenden Brief zu schreiben imstande war.
In vereinzelten Fällen geht dieser Erleichterung ein Zustand erhöhter
Schmerzhaftigkeit voraus, jedoch ohne dass hierdurch die günstige Be¬
einflussung der Beweglichkeit beeinträchtigt oder verlangsamt würde.
Wir haben diese Beobachtung, dass ein Gelenk zugleich mehr
schmerzt und besser bewegt werden kann, immer wieder machen können.
Sie ist nicht so paradox als sie auf den ersten Blick scheinen mag
und für die Bedeutung dessen, was sich während des Injektionsfiebers
in den Gelenken abspielt, nicht unwichtig.
Die Entfieberung tritt nach 24—48 Stunden ein und mit ihr eine
Periode gesteigerten Wohlbefindens. Die fast regelmässige Einbusse
an Körpergewicht wird in der Regel in wenigen Tagen ersetzt. In
dieser Nachperiode pflegt der Zustand der Gelenke sich weiter zu
bessern. Heisse Sandbäder hatten in mehreren Fällen eine günstige
unterstützende Wirkung.
In vereinzelten Fällen werden jedoch auch leichtere Remissionen
beobachtet. Niemals führte jedoch der Rückschlag auf den Zustand der
Vorperiode zurück, der grösste Teil der erreichten Besserung blieb be¬
stehen.
Bei wiederholter Injektion nehmen die Allgemeinerscheinungen an
Stärke ab. Bei länger dauernder Behandlung können sie sogar ganz
verschwinden; auch das Fieber kann dann ausbleiben. Der thera¬
peutische Effekt wird durch diese Gewöhnung nicht beeinflusst. Nur
in einem Falle sahen wir uns w'egen der Schwere der Fiebererschei¬
nungen und einer durch sie bedingten ungünstigen Beeinflussung des
Allgemeinzustandes gezwungen, die Schw'efclbehandlung ganz aufzu¬
geben. Ein derartiges Hindernis gehört zu den seltenen Ausnahmen.
Im allgemeinen ist sogar nach dem Abklingen der ersten stürmischen
Beschwerden ein gesteigertes Wohlbefinden unverkennbar: eine hoch¬
gradig abgemagerte Patientin nahm in der Nachperiode 30 Pfünd zu.
Folgende kurze Auszüge aus den Krankengeschichten sollen die
Beleget für das Gesagte liefern. Wir folgen dabei der oben ange¬
gebenen Einteilung.
Fall 1: Marie Sehr., Einlieferung am 7. VI. 20. Seit 10 Jahren fort¬
schreitende multiple Qelenkerkrankung mit Versteifung, Schwellung und
Schmerzhaftigkeit. Anfallsweise Steigerung unter unerträglichen Schmerzen.
Im Laufe der letzten 3 Jahre vergeblich behandelt mit Fibrolysin, Dispargen,
Methylenblau, Sanarthrit. Von letzterem Mittel bekam sie 5 Injektionen mii
jedesmaligem Schüttelfrost und hochgradigen Allgenieincrscheinungen. aber
ohne Beeinflussung der Gelenke. Einlicfcrung in völlig hilflosem Zustande,
unfähig irgend ein Glied zu rühren. Harnsäurespicgel im Blut nicht erhöht.
Gelenkbefund: r. Handgelenk in Dorsalflexion völlig versteift. Handmuskeln
atrophisch. Im r. und 1. Schultergelenk nur passive Bewegungen nach vorn
um 5 “ möglich, und auch dann nur unter starken Schmerzen. Es entsteht
dabei lautes Knarren. Ganze Gelenkgegcnd druckschmerzhaft. L. Hand¬
gelenk verdickt, Konturen verwünschen. Ganz geringe Beweglichkeit unter
lautem Knarren. Mittelgelenk des 1. Mittelfingers gerötet und geschwollen.
Am schw'ersten sind beide Kniegelenke ergriffen: hochgradige Schwellung
und Druckschmerzhaftigkeit. Links besteht auch nicht die geringste passive
Bewegungsmöglichkeit. Rechts sehr behutsame Beugung nur passiv bis zu
30“ möglich. Beide Beine sind aktiv völlig unbew'eglich. Kniegelenk¬
kapseln beiderseits verdickt; kein Erguss. Röntgenaufnahme der Kniegelenke
ergibt hochgradige Osteoporose im femoralen Teil und in der Patella und de¬
formierenden Prozess der Kondylen. Diagnose: primäre chronische pro¬
gressive Polyarthritis. Am 22. VI. Beginn mit der Schwefelbehandlung. Schon
nach der ersten Injektion merkliche Besserung besonders der Schultergelenke.
Nach 6 Injektionen ist der Befund am 7. Oktober folgender; beide Anne
in den Schultergelenken aktiv völlig frei beweglich, weder Druck- noch Be¬
wegungsschmerz. L. Handgelenk wenig bcw'eglich, jedoch nicht mehr ge¬
schwollen. Geringe Schmerzhaftigkeit nur bei extremer passiver Beugung
oder Streckung. R. Handgelenk unverändert. L. Mittelfinger frei beweglich.
Beide Kniegelenke werden aktiv und ohne Schmerzen bis 90“ gebeugt, sind
gegen Druck unempfindlich. Stehen und Gehen, sogar Treppensteigen ohne
Stock. Ende Dezember ist der Zustand noch unverändert gut.
Fall 2: Christine S., 39 J. Einlieferung am 17. IX. 20. Leidet .seit
einem Jahr an fortschreitender multipler Gelenkerkrankung. Ist deshalb
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
517
völüK arbeitsunfähig. Bei der Einlieferung sind die meisten kleinen Gelenke
beider Hände geschwollen und schmerzhaft. Flexionskontraktur des r.
kleinen Fingers. Gebrauchsfähigkeit beider Hände fast aufgehoben. Am 1.
Fuss bestehen besonders im Grosszehengelenk Schwellung und Druckschmerz.
Diagnose: primäre chronische Arthritis. Die Untersuchung des Herzens er¬
gibt ausserdem eine Mitralstenose. Nach 2 Schwcfelinjektionen von je 10 ccm
sind sämtliche Gelenke schmerzlos. Pat. kann ihre Hände frei gebrauchen und
wieder unbehindert gehen. In diesem Zustand entlassen.
Fall 3: Frieda L., 25 J. Leidet seit 3 Jahren an schubweise sich aus¬
breitender multipler Gelcnkerkrankung. Kein Fieber. Zustand der Gelenke
bei der Aufnahme um 13. X. 20: Im r. Ellenbogengelenk Krepitation. Bewegung
frei. R. Handgelenk stark verdickt, stark krepitierend. Jede Bewegung
sehr schmerzhaft, ebenso Druck. Sämtliche Finger stehen in ulnarer Ab¬
duktion fixiert. Alle Metakarpophalangealgelenke stark verdickt, stark krepi¬
tierend und druckschmerzhaft. Pat. kann die r. Hand nur unter Unterstützung
durch'die linke hochheben, trägt deshalb dauernd Schienenverband als Stütze.
L. Handgelenk ebenfalls stark verdickt, Gelenk fast völlig versteift. Finger
stehen wie rechts in starker Abduktion, sind jedoch weniger schmerzhaft.
L. Kniegelenk krepitiert bei Bewegung, ist mässig schmerzhaft. R. Kniegelenk
bei Bewegung empfindlicher als das linke. R. Fussgelenk sehr wenig be¬
weglich: starker Druck- und Bewegungsschmerz. Röntgenbefund der r. Hand:
sehr starke Wucherungen, besonders an der Ulna. Aufhellung des Os pisi-
forme. Gelenkspalt zwischen den einzelnen Handwurzelknochen teilweise
verwaschen. Nach 2 Schwefelinjektionen Gelenkbefund am 8. XII. 20: R.
Handgelenk frei beweglich, Bewegung ganz schniörzlos, Gelenkspalt nicht
schmerzhaft. Metakarpophalangealgelenke nicht mehr verdickt, nicht mehr
druckschmerzhaft. Bewegung der gestreckten Finger frei, völliger Faustschluss
möglich, keine ulnare Abduktionsstellung mehr. Das bei der Aufnahme
annähernd versteifte 1. Handgelenk kann Beugung und Streckung von je 15®
ausführen. Gelenkspalt nicht mehr druckschmerzhaft. Auch hier ist die ulnare
Abduktionsstellung der finger völlig verschwunden, ebenso die Schwellung
der Fingergrundgelenke. L. Hand kann schmerzlos zur Faust geballt werden.
R. u. L. Kniegelenk nicht mehr druckempfindlich. R. Fussgelenk frei be¬
weglich, nur Plantarflexion etwas eingeschränkt.
Fall 4: Agnes L., 46 J. Einlieferung am 9. IX. 20, bekam vor 6 Wochen
ohne Fieber allmählich zunehmende schmerzhafte Schwellung des 1. Fusses,
die das Gehen sehr erschwerte. 14 Tage später starke Schmerzen im 1. Knie,
im Rücken und im Nacken. Schwitzen, Einreibungen, Salizyl bleiben ohne
Erfolg. Kann bei der Aufnahme auf den 1. Fuss nicht auftreten, jede Kopf¬
bewegung verursacht Schmerzen in der Halswirbelsäule. Das Fuss- und das
Qrosszehengrundgelenk links sind geschwollen und bei Druck und Be¬
wegung sehr schmerzhaft. Im Orosszehengelenk und im Grundgelenk der
2. bis 5. Zehe starke Krepitation. Gelenkspalt beider Kniegelenke verdickt,
im 1. Kniegelenk starker Bewegungsschmerz. Obere Hälfte der Halswirbel¬
säule diffus druckschmerzhaft, Kopfdrehung fast unmöglich. Nach 3 In¬
jektionen kann Pat. ohne Stock frei urnhergehen, verlässt völlig beschwerde¬
frei am 9. X. 20 die Klinik.
Fall 5: Stanislawa G., 26 J. alt. Seit einem Jahr allmählich sich aus¬
breitende Schwellung und Schmerzhaftigkeit sämtlicher Gelenke. Bei der
Aufnahme beide Hand-, Knie- und Fussgelenke geschwollen und druck¬
schmerzhaft. Aktive Bewegungen in allen befallenen Gelenken nur um
wenige Grad möglich. Röntgenbefund des r. Fussgelenkes: Verwischung des
Gelenkspalts an der Innenseite des Metatarsophalangealgelenkes. Hintere
Gelenkfläche der r. Tibia unscharf. Nachdem medikamentöse und Wärme¬
behandlung erfolglos waren, wird am 28. IX. Schwefelbehandlung begonnen.
Nach 3 Injektionen hat die Schmerzhaftigkeit bei Druck und Bewegung in
beiden Hand- und im r. Kniegelenk stark abgenommen. Die beiden Fuss-
und das 1. Kniegelenk zeigen keine wesentliche Veränderung. Von einer
Fortsetzung der Behandlung muss jedoch Abstand genommen werden, da der
allgemeine Kräftezustand und der Appetit unter den Injektionen zu sehr leiden.'
Fall 6: Lina V., 43 J. Leidet seit 3 Jahren an schleichend, ohne Fieber
begonnener schwerer Arthritis beider Knie. Seit 5 Wochen liegt sie mit
in Beugestellung fixierten Knien hilflos zu Bett. Ständig grosse Schmerzen,
schon durch Druck der Bettdecke. Hochgradige Muskelatrophie beiderseits.
Aspirin, Salizyl, Atophan, Schwitzkuren, Einreibungen. Massage, Elektri¬
sieren, Moorbäder, Thermalbäcfer ohne jeden Erfolg. Röntgenbefund: Basale
und obere Umrandung der Patella ist sehr stark aufgefasert und unregel¬
mässig. Ebenso der ihr gegenüberliegende Teil der Femurfläche. Sehr starke
Wucherungen des knorpeligen Teils der Tibiafläche. Am 1. Kniegelenk die¬
selben Veränderungen, jedoch weniger stark. Diagnose: Osteoarthritis de-
formans. In 5 Injektionen gelingt es bis Anfang Oktober eine völlige Strek-
kung.der Beine zu erreichen. Aktive Bewegungen können bis zu 120®
schmerzlos vorgenommen werden, Pat. ist im Bett frei beweglich. Eine
weitere Besserung wird trotz Fortsetzung der Injektionen nicht erreicht,
jedoch bleibt der b’s Anfang Oktober eingetretene Fortschritt bestehen.
Es wurden also von 5 Fällen von primärer chronischer Arthritis 4
völliß beschwerdefrei, einer wurde gebessert. Von den 4 erstgenannten
boten 3 in besonders typischer Weise das Bild der Arthritis chronica-
progressiva; Fall 6 gehört in das Gebiet der Osteoarthritis deformans.
Hier war der Erfolg der Behandlung ein wesentlich geringerer, ln
einem weiteren hier nicht aufgefiihrten Fall von Osteoarthritis deformans
des Hüftgelenkes blieb die Schwefelbehandlung völlig resultatlos.
Die folgenden Fälle von Polyarthritis chronica rheumatica können
wegen der Einfachheit des Krankheitsbildes kürzer besprochen werden.
Die Schwefelbehandlung wurde ausnahmslos erst begonnen, nachdem
Salizyl-, Atophan- und Wärmebehandlung erfolglos geblieben waren.
Fall?: Antonie K., 19 J. Vor 4 Jahren akute Polyarthritis rheumatica.
Einlieferung fieberfrei am 1. VI. 20 mit Bewegungs- und Druckschmerz in
beiden Schultergelenken, Knie-, Fuss- und Zehengrundgelenken. Ueberall
weiche Krepitation. Trotz vierwöchiger intensiver medikamentöser und physi¬
kalischer Behandlung dauernde spontane Schmerzen. Vom 7. Vll. bis 2. VIII.
3 Schwefelinjektionen. Am 14. VIII. wird die Pat. völlig schmerzfrei entlassen.
Alle Gelenke frei beweglich. Die Krepitation besteht unverändert fort.
Falls: Alma M., 22 J. Rezidivierende Polyarthritis. Mitralinsuffizienz
und Stenose. Seit schwerer Polyarthritis im 8. Lebensjahre häufige Wieder¬
kehr der Erkrankung. Beginn des jetzigen Rückfalls vor 2 Monaten, ohne
Fieber. Einlieferung am 23. VIII. 20 wegen dauernder schmerzhafter Schwel¬
lung beider Fussgelenke. Gelenkbefund: Verdickung, Druckschmerzhaftigkeit
und starke Bewegungsbeschränkung besonders im Sinne der Pro- und Supi¬
nation beider Fussgelenke um ^/s. Weiche Krepitation in diesen Gelenken.
ebenso im 1. Grosszehengrundgelenk, weniger in beiden Kniegelenken. In
beiden Schulter- und im r. Handgelenk ebenfalls reichliches Reiben. Letz¬
teres Gelenk ist verdickt, jedoch nicht bewegungsbeschränkt. Gang ausser¬
ordentlich unbeholfen und nur für wenige Meter möglich. Durch eihmalige
Schwefelinjektion wird völlige Beschwerdefreiheit erreicht. Am 15. IX. wird
Pat. als arbeitsfähig entlassen. Gang ganz unbehindert und schmerzfrei.
Die Krepitation ist in allen Gelenken geblieben. Pronation und Supination
in beiden Fussgelenken noch um ein Drittel eingeschränkt, aber völlig
schmerzfrei.
Fall 9: Frieda K., 21 J. Eingelicfert am 6. VII. 20. 1915 3 Monate
lang akute Polyarthritis, besonders im 1. Schultergelenk. 1917 Rückfall beson¬
ders in beiden Knien und der 1. Schulter. 1919 vergebliche Kur in Bad
Oeynhausen. Gelenkbefund bei der Aufnahme: L. Arm im Schultergelenk
nach vorn und seitwärts unter starken Schmerzen nur bis 45® zu heben.
Bewegung nach hinten gut möglich. Gelenk druckschmerzhaft. Bei Rota¬
tion reichlich harte Krepitation. Nachdem die übliche Behandlung keine
w'esentliche Besserung gebracht hat, wird am 7, VIII. mit der Schwefel¬
behandlung begonnen. Bis zum 18. VIII. 3 Injektionen, Befund bei der
Entlassung am 28. VIII.: Arm kann nach vorwärts aktiv bis zur Vertikalen,
seitlich bis zu 100® ohne wesentliche Beschwerden gehoben werden. Krepi¬
tation unverändert. -H
Fall 10: Albertine B., 20 J. Einlieferung am 20. VI. 20. Seit dem
6. Lebensjahr häufig rezidivierender Gelenkrheumatismus. Vor 3 Wochen
nach fieberhafter Angina erneuter Rückfall. Gelenkbefund bei der Aufnahme:
Erguss in beiden Kniegelenken, Druck und Bewegungsschmerz. Beide Knie
werden in Beugefixation gehalten. Schwellung und Schmerzhaftigkeit im
1. Fussgelenk. An den oberen Extremitäten zeigen sämtliche grosse Ge¬
lenke des 1. Armes und des r. Handgelenks die Anzeichen einer akuten
Arthritis. Am 17. VIII. Entfieberung unter der üblichen Salizyl- und Wärme¬
behandlung. Es ist eine erhebliche Schmerzhaftigkeit im 1. Schultergelenk zu¬
rückgeblieben, die durch die bisherige Behandlung nicht beeinflussbar ist.
Hebung des l. Armes nach vorn und der Seite nur bis 50® möglich. Druck¬
schmerz des Gelenks. Am 6. und 13. IX. Schwefelinjektionen. Patientin
wird am 23. IX. völlig beschwerdefrei entlassen. Das 1. Schultergelenk ist frei
und ohne jegliche Schmerzhaftigkeit beweglich.
Fall 11: Helene M„ 26 J. Einlieferung am 20. VII. 20 mit akuter
fieberhafter, seit 14 Tagen bestehender Polyarthritis rheumatica im r. Hand-
und r. Fussgelenk. Kurz nach der Aufnahme auch starke Schmerzhaftigkeit
des 1. Schultergelenks. Keine Besserung durch die übliche Behandlui«.
Am 3. VIII. Schwefelinjektion. Schon am Tage nach der Injektion deutliche, in
den folgenden Tagen noch weiter zunehmende Besserung im 1. Schultergelenk
und in der r. Hand. Am 5. VIII. ist die Schwellung der Hand fast völlig
verschwunden, die Finger sind passiv ausgiebig und ohne Schmerzen be¬
weglich. Im Gegensatz dazu haben sich die Schmerzen im r. Fussgelenk
verschlimmert, der schon verschwunden gewesene Erguss im Gelenk hat sich
wieder gebildet. Die Schwefelbehandlung wird deshalb nicht fortgesetzt.
Unter Salizyl geht die Fussschwellung in ca. 10 Tagen zurück.
Es wurden demnach sämtliche 4 mit Schwefel behandelte Fälle von
chronischer Polyarthritis rheumatica klinisch geheilt Der 5. Fall,
der dem subakuten Stadium der Krankheit zugehört, zeigte unter der
Schwefelwirkng zwar eine teilweise Besserung; es trat aber gleichzeitig
an einem anderen Gelenk ein starker Rückfall auf. Diese Tatsache ist
für die Abgrenzung der Fälle, die sich zur Schwefelbehandlung eignen,
von Bedeutung.
Aus der dritten Krankheitsgruppe, den chronischen Wirbelsäule¬
versteifungen, kamen folgende Fälle zur Behandlung:
Fall 12: Friedrich H., 61 jähriger Maurer. Einlieferung am 9. XI. 20.
Leidet seit mehreren Jahren an reissenden Schmerzen in Brust und Unter¬
leib, das Bücken und Gehen fallen ihm schwer. Befund: Beweglichkeit der
Wirbelsäule stark eingeschränkt, im Hals- und Lendenteil fast aufgehoben.
Am Boden liegende Gegenstände können vom Pat. nur durch Beugung der
Knie erreicht werden. Beugung des 1. Beins im Hüftgelenk und Abduktion
nur um 10® möglich. Nach 2 Injektionen kann er am 4. XII. beschwerdefrei
entlassen werden. Befund bei der Entlassung: Gang frei. Das 1. Bein in
der Hüfte frei beweglich, kann sämtliche Spreiz- und Schwingbewegungen
ausführen. Die Steifigkeit der Wirbelsäule ist wesentlich gebessert, vor
•allem die Schmerzhaftigkeit ist völlig geschwunden. Vor seinen Füssen
liegender Gegenstand kann jetzt unter Rumpfbeugung ohne wesentliche Mühe
aufgehoben werden,
Fall 13: Dorette B., 64 J. Seit 10 Jahren in Magenhöhe gürtelförmige,
in den Leib und den Rücken ausstrjahlende Schmerzen. Gleichzeitig Steifigkeit
im Kreuz. Die Untersuchung ergibt, dass die ganze Lendenw'irbelsäule und
das untere Drittel der Brustwirbclsäule in Lordosestellung völlig starr und
unbeweglich sind. Brettharte Spannung der ganzen Rückenmuskulatur. Rönt¬
genaufnahme: hophgradige Linksskoliose der Lendenwirbel. Gelenkfortsätze
L. 1—5 rechts vollkommen unscharf, infolge fleckiger Verschattung der g:‘n-
zen Partien. Auch im Bereich der Zwischenwirbelscheiben in den lateraiv '
Partien der Wirbel auf der r. Seite sind diese Verschattungen Vorhand^ n.
Am 2. Tag nach der Schwefclinjektion ist die Lendenwirbelsäule im Si: .
der Drehung und Beugung fast schmerzlos und frei beweglich. Die Rücl-
muskulatur ist völlig entspannt. Bücken nach am Boden liegenden Ge^.
ständen ohne wesentliche Beschwerden. In diesem Zustand am 28. \ll!.
entlassen.
Fall 14: Br., 35 J. Einlieferung am 13. XI. 20. Seit 1915 lang:.;
fortschreitende Versteifung der ganzen Wirbelsäule; gleichzeitig nahm d
Beweglichkeit der Arme in den Schultergelenken immer mehr ab. !• .
übliche medikamentöse und Bäderbehandlung blieb ohne jeden Einfluss, h.
der Aufnahme ist die Wirbelsäule in kyphotischer Stellung völlig verst i ’
Blick an die Decke unmöglich. Schmerzen treten besonders beim Lie: <
auf. Lagewechsel des Kopfes im Bett nur mit Unterstützung der Hä;v
möglich. In der Halswirbelsäule bei Kopfbewegung harte Krepitation.
wegung der Schultergelcnke nach vorn und seitwärts stark eingeschräi ' t.
Heben der Arme aktiv bis 60®, passiv etwas mehr, jedoch unter starr
^hmerzen. Kann mit keiner Hand an die Stirn fassen. Nach 3 Schw'c
injektionen wird vor allem die Bewegung im Bett völlig schmerzfrei. 1
Kopf kann frei gehoben werden. Die Icyphotischc Haltung ist noch Vorhand-
aber deutlich geringer. Blick an die Decke ist möglich. Hebung der Ar',
aktiv bis 90® — die Stirn kann leicht erreicht wedren —, passiv fa.st bis z
Vertikalen und ohne Schmerzen. Eine ganz geringe Beweglichkeit der Lc
denwirbelsäule ist eingetreten.
Digitized by Goi'Sle
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
518
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Von den 3 genannten Fällen von chronischer Versteifung der Wirbel¬
säule wurde also einer beschwerdefrei, die beiden anderen in wesent¬
lich gebessertem Zustand entlassen.
Wenngleich das vorliegende Material nicht sehr zahlreich ist, so er¬
möglicht es uns doch zunächst ganz allgemein festzustellen, dass die
Schwefelbehandlung bei einem überraschend grossen Prozentsatz z. T.
ungewöhnlich schwerer und hartnäckiger Fälle von chronischer Gelenk¬
erkrankung eine ganz erhebliche Besserung bis zu völliger Beschwerde-
losigkeit bewirkt hat. Es besteht danach wohl kein Zweifel, dass Uie
genannte Methode eine möglichst ausgiebige Nachprüfung verdient.
Darüber hinaus scheint uns auf Grund unserer Erfahrungen eine an¬
nähernde Abgrenzung des Indikationsgebiets jetzt schon möglich. S o
haben wir bei der primären chronischen Polyarthri-
tis und bei der chronischen Polyarthritis rheumatica
so gut wie kdinen Misserfolg erlebt. Weniger frappant,
aber immer noch deutlich war der Erfolg bei den chronischen Verstei¬
fungen der Wirbelsäule. Diese 3 Arten von Gelenkerkrankungen scheinen
also in erster Linie in Betracht zu kommen. Ungeeignet sinddie
FäMe von Osteoarthritis deformans, die sich haupt¬
sächlich auf die grossen Gelenke lokalisiert. Auch
in einem Fall von Arthritis urica sahen wir keinen Erfolg. Ferner ist
die Schwefelbehandlung nicht imstande, die Salizylbehandlung bei der
akuten Polyarthritis zu ersetzen.
Ueber die physiologischen Vorgänge bei der Resorption des Schwe¬
fels liegt eine ausgedehnte, in ihren Schlussfolgerungen nicht einheitliche,
oft sich direkt widersprechende Literatur vor. Zum Teil liegt es wohl
daran, dass perorale und parenterale Verabreichungsart nicht streng
genug unterschieden wurde. Eigene Versuche über diese Frage, von der
wir auch eine Klärung der therapeutischen Wirkung erhoffen, sind im
Gang und werden an anderer Stelle veröffentlicht werden.
Literatur.
1. Carl Bruck: Zschr. f. exp. Path. u. Ther. 6. S. 700, — 2. Nevinny;
B.kl.W. 1908. — 3. Delahaye und Piot: Compt. rend. Soc. Biol. 63.
1907. — 4. Bory: Compt, rend. Soc. Biol. 1907. — 5. Disselhorst:
B.kl.W. 1909. — 6. Diesing: B.kl.W. 1908. — 7. Schulz und Strü-
bing: D.m.W. 1887.
Aus der Röntgenabteilung am Hospital zum Heiligen Qeist
in Frankfurt a. M. (Vorstand: Privatdozent Dr. Franz M.
Qroedel, Frankfurt a. M. und Bad Nauheim.)
Unsere postoperativ bestrahlten Fälle von Brustkrebs*).
Von Dr. med. Heinz Lossen, Assistenzarzt der Abteilung.
Im Gegensatz zu den optimistischen Berichten Looses [1, 2, 3]
vom „Sieg der Röntgenstrahlen über den Brustkrebs“, die ziemlich ein¬
stimmig Widerspruch und berechtigte Kritik herausfordern mussten, war
uns schon lange, ehe diesbezügliche Aeusserungen in der Literatur ge¬
macht wurden, die Erkenntnis gekommen, dass die Röntgenbestrahlung
nach operierten Mammakarzinomen das nicht gehalten, was man sich
von ihr versprochen hatte. Ja, dieser Eindruck weckte in uns den
Verdacht, dass durch die moderne Technik die Metastasenbildung sogar
begünstigt wird. Die Kleinheit unseres Materials — aus äusseren
Gründen konnten wir nur eine beschränkte Zahl von Kranken be¬
strahlen — Hess uns jedoch Zurückhaltung geboten erscheinen.
Die Berichte Perthes’ [4] bzw. Nehers [5] aus der Tübinger
chirurgischen Universitätsklinik und die Tichys [6] aus der chirur¬
gischen Universitätsklinik in Marburg brachten jedenfalls für uns keine
enttäuschende Ueberraschung. Tab. 1 stellt die Zahlen der beiden ge¬
nannten Autoren nochmals gegenüber.
Tabelle 1.
Von
I. ,
Nicht
bestrahlte
Fälle
n. 1 m.
Einmal | Mehrmals
unzureichend be¬
strahlte Fälle
IV.
Intensiv
bestrahlte
FäUe
Zahl der F&Ue
P.
T.
ISO
62
70
36
74
26
72
11
Rezidive im 1. Jahr
überhaupt
i».
T.
37 = 28 %
7 = 11,8%
27 = 88,6%
16 ^ 41,7®/#
28 = 87,5®.#
8 = 82 «/o
30 = 41 •/#
6 = 46,6°/o
Darunter Rezidive durch
Metaatasen ohne Lokal¬
rezidive
P.
T.
14 = 11 %
S = 4,8%
8 = 11 «/o
6 s 16,6%
10 = 14 «/o
1= 4°/*
18 = 18 ® 0
18= 2®/o
P. = Perthes; T. = Tichy.
Der Aufforderung Perthes’ folgend halten wir uns aber nunmehr
doch für berechtigt, auch unsere, wie gesagt statistisch zwar unzuläng¬
lichen Ergebnisse, in Tab. 2 vorzulegen.
Als ungenügend bzw. schwach bestrahlt rechnen wir 11 Fälle. Sie
bekamen unter 3 mm Aluminium mit dem Apexapparat (R.. G. & Sch.)
nach dem heutigen Begriff „verzettelte Dosen“. Die übrigen 22 Fälle
wurden mit dem Symmetrieapparat, der Müller-Siedekühlröhre stets
unter bestimmten Betriebsbedingungen mit 0,5 mm Zink, modernen
Anforderungen entsprechend, ausreichend bestrahlt. Und zwar teilten
wir uns je nach der Grösse der Narben das Gebiet der Brust und ent¬
sprechenden Achselhöhle in 2—3 Felder ein. auf die wir meist durch
den 12Xl2-Tubus, seltener den 6X8-Tubus pro Feld die Volldosis
•) Auszugsweise vorgetragen in der Frankfurter Röntgengesellschaft am
7. XII. 1920.
Tabelle 2.
Im Jahre
1914
1916
1916
1 1917 1
1918
1919
Von ins
i 88 Fi
ulen
u.
a.
u.
a.
u.
a.
u.
a
u.
a.
u.
a.
u.
a.
1. wurden be¬
strahlt
2
-
-
-
2
-
6
1
2
11
-
10
11 =
100®/,
1 tt -B
100%
2. davon heute
noch rezidiv-
frei
1
-
-
l
-
2
-
-
6
-
8
4 =
86®/.
9 a
8. gestorben
r
-
-
-
-
-
2
1
2
8
6
5 =
46®/#
10 =
4Ö®/«
4. keine Nach¬
richt
-
-
! _
1
-
1
-
-
2
-
1
2 =
18 »/o
8 a
14%
6. im 1. Jahre
Rezidiv
1
-
-
-
1
Ti
1
-
4
-
2
2 =
18%
1 7 a
81»/.
6. im 2. Jahre
Rezidiv
-
1 ~
-
-
-
1
: -
2
-
-
-
8 =
27®/,
u. SB ungenügend; a. = ausreichend.
gaben. Je nach Lage des Falles wurde die Behandlung in 3—4 Wochen
noch 1 oder 2 mal in der gleichen Weise wiederholt.
Da unsere Beobachtungszeit bei Kranken, die mit sog. Fernbestrah¬
lung“ behandelt wurden, bislang zu kurz ist, kann ich über ihre Re¬
sultate nicht berichten. Allerdings sei bemerkt, dass wir schon seit
Jahren ohne Tubus mit einem grösseren Abstand (bis zu 40 cm Fokus-
Haut-Abstand) nicht bloss das Mammakarzinom sondern auch mannig¬
fach^ andere Krankheiten, der Haut, die kindliche Bauchtuberkulose, die
maligne Struma und vieles andere, röntgentherapeutisch angehen.
All die technischen wie patholjogisch-anatoml-
sehen und klinischen Gesichtspunkte zu erwähnen, die für diese
so wenig befriedigenden Heilergebnisse bei der Röntgentherapie des
operierten Mammakarzinoms in Frage kommen können, ist hier unmög¬
lich. Nur einiges sei kurz besprochen.
Wintz, dem wir wohl in den letzten Jahren die meisten An¬
regungen auf dem Gebiet der Röntgentherapie zu verdanken haben,
äusserte auf der Naturforscherversammlung zu Bad Nauheim im vorigen
Jahre, da.ss die Röntgentechnik wohl zunächst nicht mehr weiter
entwicklungsfähig sei. Es gelte vielmehr jetzt mit den uns zur Ver¬
fügung gestellten Mitteln umgehen zu lernen und sie von Fall zu Fall
auszuwerten. Gewiss ist unser Induktoren- und Röhreribau zu grosser
Vollendung gediehen. Damit ist aber nicht geagt, dass die Neben¬
apparatur fernerhin nicht weiter vervollkommnet werden kann. Opti¬
male Feldgrösse, Ausnützung der Sekundärstrahlung, Filterart u. a. dürf¬
ten wohl Themen sein, über die das letzte Wort noch nicht gesprochen
ist. Besonders scheint durch das seit mehreren Monaten erprobte Qe-
websäquivaientfilter ‘), einer Erfindung meines Chef, Dr. Franz
G r 0 e d e 1, der Therapie, besonders gerade derjenigen oberflächlich
gelegener Karzinome, ein ganz neuer Weg gewiesen zu sein, worauf
gleich nochmals eingegangen w'Crden soll.
Denn das eine sei auch hier hervorgehoben, dass das in und direkt
unter der Haut gelegene Karzinom röntgentherapeutisch unter ganz
anderen — so paradox es klingen mag —. wesentlich ungünstigeren
physikalischen Bedingungen angegangen werden muss als z. B. der
Krebs des tiefgelegenen weiblichen Genitale (sonderbarerweise wird
immer noch von mancher Seite und selbst in der jüngsten Zeit die
gegenteilige Anschauung vertreten), weswegen wir gerade für den Brust¬
krebs besondere röntgentherapeutische Wege gehen müssen.
Als Ursache der bisherigen Misserfolge ist aber durchaus nicht zu
behaupten, da,ss wir Aerzte uns nur ungenügend oder gar nicht um
Physik und Technik bzw. ihre Grundlagen für die Medizin bekümmert
hätten. Diesen Vorwurf, der erst kürzlich wieder von akademischem
Lehrstuhl aus unwidersprochen erhoben werden durfte, muss der.
dem die Geschichte der Augenheilkunde, der Orthopädie, der Anatomie
und anderer Disziplinen ärztlichen Wissens wie Könnens geläufig ist,
als durchaus unberechtigt zurücLweisen. Die seitherigen Leistungen
der medizinischen Röntgenkunde aber sprechen für sich selbst. Anderer¬
seits sind die noch bestehenden Missstände ja auch den Spezialphysikern
seit langem bekannt und auch von ihnen nicht beseitigt worden. Es
müssen eben Arzt und Physiker Zusammenarbeiten, aber in der Weise,
dass letzterer zwar ausführendes Organ ist, die Anregungen aber vom
• Arzt ausgehen müssen.
Inwieweit der histologische Bau und andere pathologisch¬
anatomische Gesichtspunkte von Bedeutung für die Strahlenbehand¬
lung der krebsigen Geschwülste sind, mag hier unerörtert bleiben.
Der Kern der ganzen Karzinombehandlung dürfte sich jedoch
schliesslich erst bei vorwiegend funktioneller Stellungnahme enthüllen.
^) Frankfurter Röntgengesellschaft 7. XII. 20 und XII. Tagung
der Deutschen Röntgengesellschaft, 3. bis 4. April 1921, sowie
Qroedel in D. med. Wschr. 1921 Nr. 1. Das Qewebsäquivalent-
resp. Homogenisierungsfilter imitiert für die Oberfläche die Verhältnisse der
Tiefentherapie. Durchdringen entsprechend gehärtete Strahlen z. B. 10 cm
menschliches Gewebe, so wird die Intensität resp. Menge der Strahlen so
geschwächt, dass nur etwa 20 Proz. der Oberflächendosis die Tiefe erreicht;
ungünstiger Tiefenquotient. Bei weiterem Vordringen nimmt nun aber die
Strahlenintensität nur wenig weiter ab. Lassen wir also die Strahlen, bevor
sie auf die Haut auftreffen, einen üewebsblock oder eine äquivalente Masse
durchdringen, so wird die Strahlenintensität beim Auftreffen auf die Haut zwar
bereits reduziert sein, beim Durchdringen der nächsten Qewebsschichten
tritt aber nur ein geringer Strahlen Verlust ein; günstiger Tiefenquotient. Wir
sind also in der Lage, eine grössere Strahlenmenge durch die einzelne Ein¬
fallspforte direkt unter die Oberfläche oder auch in grössere Tiefen zu senden,
ohne die Haut zu schädigen.
Digitized by
Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNf^
29 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
519
Wir sollten bei der Klinik des Karzinoms über die lokalen Erschei¬
nungen nicht den Gesamtorganismus, namentlich nicht sein Allgemein¬
befinden, seine Konstitution und Disposition vergessen. Man spricht
ganz treffend vom Krebs als einer Stoffwechselkrankheit. Somit muss
bei der Röntgenbehandlung wie bei einer grossen Zahl anderer thera¬
peutischer Massnahmen unser Augenmerk nicht nur darauf gerichtet sein,
die wuchernden Geschwulstzellen und -keime zu töten, sondern es
ist mindestens auf der anderen Seite ebenso wichtig, die Schutzstoffe
des Körpers, heissen sie wie immer sie wollen, mobil zu machen, ihre
Produktion zu fördern und so neben negativer auch positive Arbeit-
zu leisten. Das soll vor allem gegenüberr dem heute so beliebt ge¬
wordenen Fernfeld und seinen verschiedenen Modifikationen, bei denen
ja der Körper mit „Röntgentoxin“ geradezu überschwemmt wird, scharf
hervorgehoben werden. Muss man nicht an die Möglichkeit denken,
dass durch solche ausgiebige Durchstrahlung grosser Teile des Körpers
mit der Hemmung und Vernichtung der ebenerwähnten Schutzstoffe
im gleichen Masse ein verhängnisvoller Wachstumsreiz zu Metastasen¬
bildung ausgeübt wird? Den Rezidiven Ist es dann wohl nur ein Leich¬
tes, den geschwächten und wehrlosen Organismus, statt der Genesung
zuzuführen, zum Erliegen zu bringen.
Nachdrücklich werden wir in solchem Bemühen bestärkt werfen
wir einen Blick auf Tab. 3, die eine Zusammenstellung der Todes¬
ursachen bei unseren postoperativ bestrahlten Brustkrebsfällen wieder-
T a b e 11 e 3.
Yon unsern 15 Todesfällen starben bestrahlt:
ungenügend
ausreichend
an:
8 = 20»/,
8 = 20 »/o
Lokalmetaatasen =
Kachexie.
—
1 = 7«/o
Gehirn metastasen.
—
7 = 48»o
Lu ngen m etastasen.
1 = 7»/o
interkurrente Pneu¬
monie
gibt. Wie die Tübinger chirurgische Universitätsklinik (1. c.) verloren
wir seit der intensiveren Bestrahlung die meisten Fälle an Lungen-
resp. Pleurametastasen, was wir bis dahin nicht beobachtet hatten.
Ich muss mir versagen, die überaus traurigen, ganz charakteristischen
Krankengeschichten gerade derjenigen Patienten zu bringen, die nach
allen Regeln der Kunst operiert und mit modernster Methodik bestrahlt
worden waren.
Diese Beobachtungen von Rezidivbereitschaft, begünstigt durch in¬
tensive Röntgenbestrahlung dürften wohl kein Zufall sein. Sind sie
nicht Warnzeichen vor dem Zuviel?
Uns scheint es daher gegenüber dem Fernfeld und noch mehr
dem Grossfernfeld — ganz abgesehen von beider Unökonomie — allein
richtig zu sein, an der Methode, wie sie S e i t z und W i n t z seiner¬
zeit gegenüber den grossen Dosen der Freiburger Schule propagierten,
auch fernerhin festzuhalten. Den Nachteil, der dieser Methode vor¬
nehmlich anhaftete, die Unmöglichkeit in oder dicht unter der Haut
gelegene Krebse, also in erster Linie das Brustkarzinom, mit der aus¬
reichenden Dosis zu bestrahlen, dürfte die obenerwähnte Entdeckung
G r o e d e 1 s restlos beheben und darüber hinaus auch die bislang be¬
nötigte Felderzahl bei tieferliegenden Geschwülsten im vitalen Inter¬
esse unserer Kranken wesentlich verringern.
Wir hoffen somit bestimmt, bei der Therapie mit Röntgenstrahlen
unter dem G r o e d e I sehen Gewebsäquivalentfilter nicht nur die Haut
schützen und trotzdem hinreichende Strahlenmengen
an der Oberfläche wie in die Tiefe applizieren zu können,
sondern wir werden auch gewiss In die Lage versetzt fernerhin nur
das bestrahlen zu müssen, was unbedingt bestrahlt
werden muss.
Literatur.
1. Loose: M.m.W. 1917 S. 172. — 2. Der s.: M.m.W. 1918 S. 182. —
3. Ders.: Fortschr. a. d. Qeb. d. Röntgenstr. 26, S. 254. — 4. Perthes:
Zbl. f. Chir. 1920 S. 25. — 5. Neher: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 119.
S. 127. — 6. Tichy: Zbl. f. Chir. 1920 S. 470.
Aus dem städtischen Krankenhaus Weiden (Oberpfalz),
(Leitender Arzt: Dr. Stark.)
Die Behandlung der Zervixgonorrhoe durch Choleval-
tamponade des Uterus.
Von Fritz Haendl, Medizinalpraktikant.
Die Revolution und die mit ihr Hand In Hand gehende Lockerung
der Moral brachte auch unserem Krankenhaus eine bedeutende Zunahme
der Geschlechtskrankheiten. Die Zahl der bei uns in Behandlung
stehenden stationären Fälle war zeitweise so gross, dass bis zu 18 Proz.
der Betten mit Geschlechtskranken belegt waren. Es musste uns daher
daran gelegen sein, die Zahl der Gschlechtskranken möglichst zu redu¬
zieren, was aber nur durch eine Kürzung der Behandlungszeit zu erreichen
war, was besonders für die Gonorrhöe wichtig ist, denn Luetiker können
ja nach mehreren Salvarsanspritzen als nicht mehr infektiös gelten. Wir
behandeln daher vielfach diese Fälle ambulant.
Bei der Gonorrhöe lässt sich im allgemeinen die stationäre Behand¬
lung nicht umgehen, nicht allein wegen der Gefahr der Weiterve’rbrei-
Digitized by Goiisle
tung, sondern der durch die dabei unvermeidlichen körperlichen An¬
strengungen, die die Heilung fast ins Endlose hinausschieben.
Weitaus die grösste Zahl der Gonorrhoiker, die wir in Behandfung
haben, sind Frauen. Wir führten bisher die Behandlung nach den Richt¬
linien der Erlanger Frauenklinik durch mit Vaginalspülungen, Choleval-
zervixstäbchen, Cholevalvaginaltabletten. Die Behandlungszeit betrug
dabei durchschnittlich 12 bis 18 Wochen und manchmal brachte eine
Spritze Arthigon die Gonokokken wieder zum Vorschein, wenn man
geglaubt hatte, fertig zu sein.
Die Gründe, warum solche Versager Vorkommen müssen, liegen in
^ den chemisch-biologischen und physiologisch-anatomischen Verhältnissen
' des weiblichen Genitaltraktus einerseits und in den Lebensbedingungen
der Trippererreger andererseits.
Die meisten der zur Behandlnug kommenden Fälle sind älteren
Datums; vielfach besteht der Ausfluss schon Monate, ohne dass ärztliche
Hilfe aufgesucht worden ist. Setzt dann wirklich die Behandlung ein.
so werden wohl die abführenden Kanäle behandelt; die Cervix Uteri,
der Hauptsitz der Gonokokken, wird dabei aber zu wenig getroffen. Die
Vagina selbst stellt nur das Ablaufrohr dar und darum ist die Vaginal¬
behandlung mit Cholevaltabletten nebensächlich. Das sauer reagierende
Vaginalsekret ist kein geeigneter Nährboden für die Gonokokken, im
Gegenteil scheint in ihm die Virulenz der Trippererreger sehr stark
herabgemindert zu werden, sonst würde man sicher viel mehr Blennor-
rhöen usw. beobachten. Anders jedoch der neutral oder leicht alkaliscn
reagierende Zervixschleim! Die chemischen Reaktionsverhältnisse
scheinen hierbei die Hauptrolle zu spielen. Die Gonokokken vertragen
eben nicht jeden Nährboden. Und gerade die Zervix scheint die opti¬
malen Bedingungen zu bieten. Greift man die Gonokokken in der Zervix
an, so hat man mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine kurze
Aetzung des Zervixkanals mit Höllensteinlösung trifft nur einen kleinen
Teil der Gonokokken. Die bisherige Behandlung mit Cholevalzervlx-
stäbchen hat keine viel bessere Wirkung, da das Stäbchen trotz ein¬
gelegter Tampons sehr oft schnell wieder aus der Portio ausgestossen
wird.
Es musste also ein anderer Ausweg gefunden werden, um die Zervix
einer länger dauernden Chol e valein Wirkung zu unterwerfen. Ich schob
versuchsweise — trotzdem dies bisher als sehr gefährlich gegolten hat —
das einzuführende Zervixstäbchen bis über den Widerstand des Orificium
Uteri intemum hinauf ins Uteruslumen. Dabei waren folgende Er¬
wägungen massgebend:
1. Die Gefahr der Verschleppung der Gonokokken gegen die Tube
kann nicht sehr gross sein, da doch das Stäbchen zu einem Cholevalbrei
zergeht, der sehr energisch auf die eventuell mit ins Cävum uteri ein-
.geführten Gonokokken einwirkt und sie in kurzer Zeit bei der starken
Cholevalkonzentration abtötet sei es, dass dies eine nur dem Silber¬
molekül zukommende Wirkung ist oder sei es. dass die Dissoziation des
gallensauren Natrons und hier speziell der Gallensäure auf die Gono¬
kokken abtötend einwirkt.
2. Nicht zu unterschätzen ist die rein mechanische Wirkung. Der
sonst physiologischerweise langsam die Zervix passierende Uterus¬
schleim kommt durch die beim Zergehen der Cholevalstäbchen frei-
werdenden Gasblasen in lebhaftere Bewegung, ausserdem muss auch der
Fremdkörperreiz, der vom Uteruslumen ausgeht diesen zu wehenartigen
Kontraktionen veranlassen, so dass der äusserst träge Schleim in
schnellerem Tempo die Zervix passiert und die Gonokokken zum Teil
mit hinausschwemmt
3. Die Cholevaleinwirkung auf die Zervix dauert so lange, bis die
letzte Spur von Choleval die Zervix passiert hat.
Die Praxis und der Erfolg bewies die Richtigkeit dieser Annahmen.
Feh konnte beobachten, wie sich die Gasblasen aus der Portioöffnung
hinausdrängten und wie sie den Inhalt der Zervix vor sich hertrieben.
Eine Tubenreizung (Schmerzen, Temperatur) trat nicht auf. Wohl
klagten hie und da die Patientinnen, dass sie kurz nach dem Einführen
der Stäbchen einen dumpfen, wehenartigen Schmerz spürten, der aber
nach einigen Stunden sich wieder vollkommen verlor. Nachdem die
ersten Patientinnen trotz mehrfacher Arthigonreizspritzen und lokaler
Reize gonorrhoefrei blieben, konnte ich mit Erlaubnis des Herrn Ober¬
arztes Dr. Stark die angegebene Methode noch weiter modifizieren.
Jetzt begnüge ich mich nicht mehr, nur ein Stäbchen in den Uterus ein¬
zuführen, sondern ich tamponiere jetzt das ganze Cavum uteri förmlich
mit Cholevalstäbchen und -bröckelchen aus. Dazu braucht man in d. ’
Regel 2—4 Stück. Das hat den Vorteil, dass vor allem alle Falten d.'
Zervix verstreichen und die desinfizierende Wirkung des Choleval.
rascher zur Geltung kommt. Ferner habe ich beobachtet, dass li'-
Cholevalwirkung sich bis auf fast 24 Stunden erstreckt, da bei der :i !-
täglichen Erneuerung der Cholevaltamponade öfters noch zieml cj
dunkelbraun gefärbter Schleim zu sehen ist, der sich aus dem Orifici la
externum entleert. Ist einmal ein Zervixpräparat negativ, so erscheint
es ratsam, 3—4 mal je in 3 tägigen Pausen eine Arthigoninjektion zu
machen, um die letzten eventuell noch vorhandenen Gonokokken zu
mobilisieren und aus ihren Winkeln und Verstecken herauszutreibe--.
Nur sehr selten kommt es vor, dass sich hierbei noch etwas zeigt.
Die Erfolge, die wir am hiesigen Krankenhaus mit dieser Art d
Gonorrhöebehandlung haben, sind sehf befriedigend. Einen eigentliche
Versager haben wir bisher noch nicht erlebt. Zwei gravide Mädche
bei denen keine Heilung erreicht wurde, können hierher gar nicht gt-
rechnet werden, nachdem die Vorbedingungen für die Choleval¬
tamponade nicht gegeben waren. Zwei andere Patientinnen wurden m
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
520
MÜNCHENEP MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Rücksicht auf ihre häuslichen Verhältnisse ambulant behandelt und sind
trotzdem ebenfalls seit Monaten geheilt.
Wir sind anfangs sehr skeptisch gewesen und haben uns nur durch
fortgesetzte Kontrolle aller Fälle und durch ausgiebige Arthigonreizungen
überzeugen lassen, dass tatsächlich die Heilungen erfolgt sind und zwar
bei einer Zeit, die etwa nur die Hälfte der früheren Behandlungsdauer
ausmacht. Jedenfalls scheint uns die angegebene Methode dem bis¬
herigen Verfahren überlegen zu sein und ihre Nachprüfung Sich zu lohnen.
Ich behalte mir vor, eventuell in einer grösseren Arbeit unter An¬
führung von Krankengeschichten nochmals auf das Thema zurückzu¬
kommen.
Beitrag zur Behandlung eingeklemmter Brliche.
Von K. Nikolaus, Arzt in MUllheim i. B.
Eben hatte ich Veranlassung, im Handbuch der praktischen Chirurgie,
herausgegeben von Bruns, ü a r r e, K ü 11 n e r, die „Lehre von
den Hernien” nachzulesen und finde da in Kap. 9 „Taxis“ angegeben:
„das Normalverfahren für die Behandlung einer eingeklemmten
Hernie ist die Operation. Ich habe seit mehreren Jahre keine Taxis
mehr ausgeübt.“
Es ist dann allerdings, wohl für vereinzelte Ausnahmefälle die
Methode der Taxis genau beschrieben. „Als Vorbereitung der Taxis
wird empfohlen: 1. Entleerung des Magens, 2. Entleerung der Blase,
3. geeignete Lage, so dass das Abdomen der höchste Teil ist. Von
Manchen wurde 'Knieellenbogenlage empfohlen, sie ist aber sehr unbe¬
quem wegen der Narkose.“
Für den Direktor einer Klinik mag es angebracht sein, ausschliess¬
lich Operation anzuw^den. Für den praktischen Arzt auf dem Lande
ist das wesentlich anders.
Man denke sich, der Arzt wird gerufen, findet 1—2 Stunden von
seinem Wohnsitz entfernt einen eingeklemmten Bruch.
Was soll er tun? Gleich operieren? Dazu muss er sich zunächst
einen Kollegen sichern zur Uebernahme der Narkose. Er muss Instru¬
mente und Verbandmaterial zur Stelle schaffen. 2—3 Stunden werden
wenigstens verstreichen. Für diese Zeit gibt das Handbuch keine
Hilfe an.
Diese Zeit dar| der Arzt meiner Ansicht nach nicht ungenützt ver¬
streichen lassen. Er muss vielmehr alle bekannten Mittel anwenden, um
die venöse Stauung in den eingeklemmten Teilen zu mildern oder zu
beseitigen, um möglichst günstige Ernährungsverhältnisse im Bruch zu
schaffen und so Gangrän möglichst zu verhindern oder hinauszuschieben.
Wenn dann nicht Reposition eintreten sollte, sollen für die Hemiotomie
doch die günstigsten Vorbedingungen geschaffen werden.
Wie können solche Verhältnisse geschaffen werden?
Es kann dies in gewissem Grade geschehen durch Entleerung des
Magens, der Blase, des Mastdarms, wie oben angegeben.
In viel höherem Grade kann dies geschehen durch zweckmässige
Lagerung des Kranken. Es ist schon lange bekannt, dass Bruchkranke
eine erhebliche Erleichterung ihrdr Beschwerden verspüren bei Ein-’
nähme der Rückenlage, noch mehr wenn zugleich die Knie aufgestellt
werden. Die Spannung der Bauchdecken und der intraabdominelle
Druck sind gegenüber der aufrechten Stellung erheblich vermindert. Die
kranke Stelle (Bruchpforte) ist so vom Druck entlastet.
Wesentlich weitere Vorteile können aber erst erzielt werden, wenn
der intraabdominelle Druck weiter herabgesetzt wird. Dies kann ge¬
schehen durch Anwendung von:
1. S i m s ’ S e i t e n 1 a g e. Z. B. bei rechtseitigem Schenkelbruch
liegt der Kranke auf ebener Matratze auf der linken Seite, schlägt den
linken Oberarm nach hinten gegen den Rücken, senkt die rechte Schulter
nach vorne gegen das Lager; die Beine werden im Hüftgelenk gebeugt,
rechts etwas mehr. Die Bauchdecken werden so ganz entspannt, durch
das Gewicht der auf ihnen lastenden Eingeweide gedehnt, der Raum
des Abdomen wird so vergrössert, es muss also ein negativer Drucke im
Abdomen entstehen. Neben diesem negativen Druck, der auf die
schwächsten Stellen (Bruchpforten) am stärksten zur Wirkung kommt,
wirkt jetzt aber auch das Eigengewicht der Gedärme mit Ihrem Inhalt
als „Zug“ auf die Darmschlinge im Bruchhals bzw. Bruchsack.
In ähnlicher Weise, doch in höherem Grade wirkt
2. Knieellenbogenlage. Der Kranke liegt auf der Matratze,
so dass beide Knie und beide Ellenbogen die Stützpunkte bilden. Das
Becken ist die höchste Stelle, höher als der Thorax. Der intraabdominelle
Druck ist noch mehr herabgesetzt und es kann diese Herabsetzung noch
gesteigert w-erden durch Einnahme der
3. K n i e s c h u 11 e r 1 a g e. Z. B. bei rechtseitigem Schenkelbruche
nimmt der Kranke zunächst Knieellenbogenlage ein und schlägt dann den
linken Oberarm nach hinten gegen den Rücken (oder einfache Ab¬
duktion), so dass die linke Schulter oder sogar der Kopf Stützpunkt wird
für den oberen Teil des Rumpfes. Die erschlafften Bauchdecken w'erden
durch das Gewicht der Gedärme und Eingeweide aufs äusserste gedehnt.
Der intraabdominelle 0 Druck wird stark unteratmosphärisch. Ein in
die gefüllte Blase eingeführter Katheter lässt keinen Urin auslaufen, w'ohl
aber w ird so unter hörbarem Ger.äusch Luft in die (gefüllte!) Blase ein¬
gesaugt. Noch mehr kommt hier das Eigengewicht der Eingeweide zur
(jeltung besonders in der Form des Zugs auf die Darmschlingen im
Bruchhals und Bruchsack.
’) Hegar- Kaltenbach, operative Gynäkologie.
Digitized by Goiisle
Welches sind nun die unmittelbaren (physikalischen) Wirkungen
obenerwähnter Lagerungen?
Bei allen diesen Lagerungen werden die kranken Teile (besonders
der Bruchhals) hochgelagert und so wird der Abfluss des venösen Blutes
aus diesen Teilen begünstigt, die Stauung gemildert.
Gleichzeitig entsteht bei allen diesen Lagerungen ein negativer
intraabdomineller Druck, am w^enigsten in Seitenlage, am meisten bei
Knieschulterlage. Er macht sich geltend als Aspiration des venösen
Blutes nach dem Abdomen. Er wirkt also in gleicher Richtung (zentri¬
petal), wie dies der venöse Blutdruck an sich und wie auch die Hoch¬
lagerung dies unterstützend tut. 'Der venöse Blutstrom erfährt so mäch¬
tige Unterstützung. Der (jrund zur venösen Stauung wird erheblich
gemildert, in gleichem Masse diese selbst beseitigt. Mehr und mehr
werden so die Ernährungsverhältnisse in diesen Teileif gebessert und
Gangrän vermieden. Die Einklemmung ist fast nie eine absolute von
vorneherein, erst die hinzutretende Schw^ellung im Bruchkanal macht
sie so deletär. Mit der Beseitigung oder auch nur Milderung der Schwel¬
lung ist aber auch eines der wesentlichsten Repositionshindernisse be¬
seitigt.
In gleichem Masse, wie die Schwellung im Bruchhals abnimmt
kommt aber das Eigengewicht der Gedärme samt ihrem Inhalt zur
Geltung. Er übt einen Zug aus auf die Darmschlingen im Bruchhals und
Bruchsack; der innere Schenkel des Bruchkanals wird hierbei median-
wärts gezogen und lüftet die Bruchpforte etwas.
Durch zahlreiche Versuche habe ich festgestellt, dass Darmschlingen
durch minimale Zugkraft durch ein relativ enges Rohr bewegt werden,
die durch Druck niemals zu bewegen sind. Roser und Lin har d
haben schon darauf hingewiesen, dass kleine Lipome Darmschlingen
durch den Bruchkanal* hindurchziehen. Es dürfte also erwartet werden,
dass in manchen Fällen der oben geschilderte Zug der Gedärme genügt,
eine Reposition herbeizuführen. Schon im Jahre 1887 habe ich solche
Fälle mitgeteilt*).
Ich bin deshalb der Ansicht, dass die jungen Aerzte darauf hinzu¬
weisen sind, die Vorbereitungszeit der Hemiotomie so auszunützen, dass
dem Kranken angeraten wird, abwechslungsweise obige Lagen einzu¬
nehmen. In vielen Fällen wird die Herniotomie über-
flüssig werden, weil Spontanreposition eintritt, in
allen Fällen werden die Ernährungsverhältnisse im Bruch günstig
beeinflusst. Gangrän verhütet.
Die Wirkung der Ovariaioptone auf die Milcheekretion.
Von Privatdozent Dr. A. Weil, Berlin.
Der Zusammenhang zwischen der inneren Sekretion der Ovarien
und der Milchsekretion der Mammae Ist durch tierexperimentelle Unter¬
suchungen und durch die Erfahrung der Klinik bewiesen. Nach der
Transplantation reifer Ovarien auf kastrierte, jungfräuliche Meerschwein¬
chenweibchen setzt die Vergrösserung der Milchdrüsen ebenso ein
wie in den Feminierungsversuchen Steinachs bei männlichen Ka¬
straten. Injektionen von Ovarienextrakten erzeugen bei jungfräulichen
Tieren Anschwellen der Brüste,' und H e r r ma n n konnte aus den
Aetherextrakten getrockneter Eierstöcke eine Substanz isolieren,
welche in Mengen von 0,04—0,08 g bei acht Wochen alten Kaninchen
nach 5 Injektionen schwangerschaftsähnliche Hypertrophie der Mammae
erzeugte. — Umstritten ist noch die Theorie über die Wirkung der
Plazenta auf die Milchsekretion (Halban). Bouin und Ancel
nehmen z. B. an, dass die von ihnen in der Plazenta beobachteten
drüsenähnlichen Bildungen (elande myometriale endocrine) auf die
Mamma wirkende Inkrete erzeugen, während wieder andere, wie
B i e d 1 und Königstein, Starling und C1 a y p o n diese Wir¬
kungen nach Injektionen von Plazentaextrakten nicht erzielen konnten.
Es lag nahe, diese Befunde klinisch zu verwerten und durch In¬
jektion von Ovarienpräparaten die mangelhafte Brustdrüsensekretion
stillender Frauen anzuregen. Die praktische Anwendung der Keim-
drüsen-Organotherapie scheiterte bis jetzt vielfach daran, dass es noch
nicht gelungen ist, in ihrer Wirkung einheitliche Präparate zu gewinnen,
ferner an der leichten Zersetzbarkeit von Extrakten, die meistens nach
wenigen Wochen schon ihre spezifischen Wirkungen verlieren (eigene
Beobachtungen). Die nicht erfüllten übertriebenen Erwartungen, die
seinerzeit an die P o e h 1 sehen Präparate geknüpft wurden, haben eben¬
falls viel dazu beigetragen, diese therapeutischen Methoden in Miss¬
kredit zu bringen. Ein neues Verfahren zur Gewinnung von praktisch
anwendbaren Inkretpräparafen gab Abderhalden an: er überliess
die verschiedensten Blutdrüsen der keimfreien Autolyse und stellte
durch Einengen der so gewonnenen eiweissfreien Lösungen seine
„Optone“ her.
Von den obenerwähnten theoretischen Voraussetzungen ausgehend,
versuchte ich nun die von Abderhalden und G e 11 h o r n in Ver¬
suchen an überlebenden Organen festgestellten spezifischen Wirkungen
der verschiedenen Optone nachzuprüfen. — Ein mir zufällig in meinem
Bekanntenkreise zur Verfügung stehender Fall von Mammahypofunktion
veranlasste mich zur Anwendung von Ovarial-Opton.
30 jährige Erstgebärende, Partus am 28. V. 1920: gesundes Kind. Die
linke Mamma ist gut entwickelt mit mässiger Milchsekretion; rechte Mamma
atrophisch, von fester Konsistenz, keine Milchabsonderung. — Allmählich
nimmt auch die linke Hälfte an Umfang ab, so dass das Kind künstlich ernährt
werden muss. Am 27. Oktober begann ich Ovarial-Optone (Merck, Darm-
*) Zbl. f. Chir. 1886 Nr. 6.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
521
Stadt) subkutan zu injizieren (Ampullen mit 0,1 g Substanz in 1 ccm); zur
Kontrolle der Wirkung mass ich abends nach dem Anlegen des Kindes den
Umfang der beiden Brüste. Die so gefundenen Zahlen lasse ich zusammen
mit den subjektiven Angaben der Patientin in einer Tabelle folgen:
Dattim
Injiziert
Ampullen
Umfang der Mammae
links 1 rechts
cm
cm
27. X.
1
88
34
•) Beim Anlegen des Kindes füllt
29. X.
2
—
sich auch die rechte Brust
81. X.
2
44
38*)
wieder mit Milch.
8. XT.
2
42
87
**) Das Kind, das früher stets die
7. XI.
2
—
-••)
rechne Brust zurückgestossen
11. XI.
1. XIL
1
44
40 1
41
36
hatte, saugt jetzt auch an dieser.
Die Nachuntersuchung am 1. XII. ergab, dass der Brustumfang
wieder zurückgegangen war, dass aber nach den Angaben der Patientin
die linke Hälfte weiter wie bisher sezernierte. — Ich möchte aus diesem
einen Falle keine bindenden Schlüsse auf die spezifischen Wirkungen
der Ovarialoptone ziehen. Ich betrachte ihn nur als vorläufige Mit¬
teilung. als eine Anregung, an geeigneten Fällen, die mir z. Z. nicht
zur Verfügung stehen, diesen inkretorischen Einfluss nachzuprüfen.
Aus dem pathologischen Institut des Auguste Viktoria-Kranken¬
hauses Berlin-Schöneberg. (Prosektor: Prof. Dr. Hart.)
lieber die Beziehungen der Hungerblockade zur Funktion
der Nebennieren.
(Kurze Bemerkung zu dem Aufsatz von E. Sehrt: „Blockade
und innere Sekretion*, diese Wochenschrift 1921, Nr. 9.)
Von Dr. Bruno Peiser, Assistent des Instituts.
Sehrt vertritt in seinem Aufsatze die Ansicht dass für die herab¬
gesetzte Widerstandsfähigkeit unseres Organismus in dieser Zeit der
Unterernährung eine besondere Bedeutung der Schädigung des endo¬
krinen Systems zuzuschreiben ist. Durch funktionelle Untersuchungen
vor und nach dem Kriege konnte er derartige durch die Blockade- bzw.
Hungerzeit bewirkte Veränderungen an der menschlichen Schilddrüse
feststellen. Die mangelhafte Ausbeute in der chemischen Industrie bei
der Gewinnung der wirksamen Substanzen aus der Tierschilddrüse und
Tiernebenniere geben den sicheren Beweis, dass beim Tier eine nicht
unbeträchtliche Organschädigung vorliegt.
Auf Anregung von Herrn Prof. Hart der bereits in früheren Ar¬
beiten die Bedeutung äusserer Einflüsse auf das endokrine System her¬
vorgehoben hat, untersuche ich bereits seit mehr als einem halben
Jahre die Nebennieren unseres Leichenmaterials systematisch auf ihren
Adrenalingehalt um festzustellen, ob irgendwelche Beeinflussung infolge
der Unterernährung, in gleicher Weise wie beim Tierorganismus, zu
finden ist Meine bisherigen Resultate an einem grösseren Matcral
sprechen ganz eindeutig dafür, dass eine starke Herabsetzung der Ad-
renalinproduktion auch beim Menschen statthat Die dabei festgestellten
Werte liefern einen zuverlässigen Anhaltspunkt für die Beurteilung
der Nebennierenfunktion.
Ich möchte mich hier nur auf ganz kürze Angaben beschränken, da
ich nach Abschluss meiner Untersuchungen ausführlich darüber berichten
werde. Bisher habe ich an 140 Leichen Adrenalinbestimmungen vor¬
genommen; ich bediente mich dabei der von Schmor 1 und In gier
modifizierten C o m e s a 11 i sehen Methode, die eine ziemlich zuver¬
lässige quantitative Bestimmung auf kolorimetrischem Wege mittels
Sublimatreaktion und Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd gestattet. Ich
bin dabei zu Werten gekommen, die weit hinter denen früherer Autoren
und auch den an einem umfangreichen Leichenmaterial gewonnenen Re¬
sultaten S c h m 0 r 1 s und I n g i e r s, an deren Methode ich mich genau
gehalten habe, Zurückbleiben. Während S c h m o r 1 für Erwachsene
einen Durchschnittswert von 4,59 mg Adrenalin in beiden Nebennieren
gefunden hat, bin ich.bei meinen Untersuchungen nur auf einen Durch¬
schnitt von 3,13 mg gekommen. Das entspräche also einer Herab¬
setzung um H des früheren Wertes.
Es geht daraus klar'hervor, dass die Bedeutung äusserer Einflüsse,
die wir für die endokrinen Drüsen angenommen haben, sich in hohem
Grade an den Nebennieren auch des Menschen geltend macht, die auf
die ungünstigen Ernährungsverhältnisse mit erheblicher Herabsetzung
ihrer Funktion reagieren.
Ueber Versuche an Meerschw-einchen, die ich unter Hungerdiät
setze, werde ich später berichten, ebenso über den Einfluss, den die
verschiedenen Krankheitsformen auf die Adrenalinproduktion der Neben¬
nieren ausüben.
Für die Therapie erscheinen mir diese Feststellungen besonders
wertvoll. Da nämlich anzunehmen ist, dass die schweren Bilder der
Kreislaufschwäche, denen jetzt der Kliniker in vermehrtem Masse be¬
gegnet und die vielleicht den Ausgang der Krankheiten, auch was den
Genesungsprozess anbelangt, mehr beeinflussen, als man bisher be¬
achtet hat, leichter auftreten können, wenn die Adrenalinprodüktion der
Nebennieren schon vorher geschädigt war als bei vollwertigen Neben¬
nieren, so ist mehr als früher dieser Gefahr durch geeignete Mittel
(Adrenalinkochsalzinfusionen) Rechnung zu tragen.
Digitized by Goiisle
Wilhelm Wundt.
Auch der ärztlichen Welt geziemt ein Wort dankbarer Erinnerung
an W i 1 h e 1 m W u n d t, den unlängst dahingeschiedenen grossen Meister
der Psychologie und Philosophie. Wenn auch bei der unendlichen
Mannigfaltigkeit der Ergebnisse aller Forschung heute nimmermehr ein
einzelner Menschengeist wie dereinst Aristoteles und noch
l-eibnitz diö Wissensgesamtheit zu bew^ältigen und allenthalben
fruchtbar zu wirken vermag, so bot Wundt doch noch ein staunens¬
würdiges Beispiel, vielleicht das letzte im Laufe der Kulturentwicke¬
lung, für eine gewaltige Zusammenfassung der w'esentiichsten Schätze
sowohl natur- wie geisteswissenschaftlicher Art. so dass wir ein solch
umfassendes Bewusstsein selbst als ein psychologisches Phänomen be^
wundern müssen. Sein Geist durchwanderte die Gebiete aller Wissen¬
schaften, stellte ihre Grundlagen und Zusammenhänge in selbständiger
Prägung dar und säte eine unübersehbare Fülle hochwertiger An¬
regungen und Einzelstudien.
Am 16. August 1832 im Pfarrhaus von Neckarau bei Mannheim ge-
boien, studierte er Medizin, wurde Assistent an der Medizinischen Klinik
in Heidelberg, habilitierte sich aber 1857 bereits als Privatdozent für
Physiologie, theoretischem Triebe und auch wohl Anregungen von
Johannes Müller folgend. Eine schwere Erkrankung mit Hämoptoe,
die ihn in Lebensgefahr brachte, hat gewiss, wie er in seiner erst nach
dem Tode erschienenen Schrift „Erlebtes und Erkanntes“ offenbart, weg¬
weisend auf seine philosophische Lebensauffassung und künftige Denk¬
richtung cingewirkt. Als Assistent von H e 1 m h o 11 z entfaltete er eine
ausgedehnte Lehrtätigkeit und bald legte er wertvolle Ergebnisse seiner
Forscher- und Denkarbeit nieder, so „Die Lehre von den Muskel¬
bewegungen“ 1858, „Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung“ 1862,
„Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele“ 1863, ,J.ehrbuch der
Physiologie“ 1864, „Die physikalischen Axiome“ 1866, „Untersuchungen
zur Mechanik der Nerven und Nervenzentren“ 1871—76. Daneben fand
er 1866—68 noch Zeit zum Landtagsabgeordneten. 1864 war er ausser¬
ordentlicher Professor geworden, 1874 übernahm er die Professur für
induktive Philosophie in Zürich und 1875 die Philosophieprofessur in
Leipzig, die er erst 1917 niederlegte. 1873—74 erschien die erste Auf¬
lage der „Grundzüge der physiologischen Psychologie“, des Werkes, das
als seine erste Grosstat gelten muss und die Grundlage einer neuen
Wissenschaft, der experimentellen Psychologie darstellt.
Entgegen der verbreiteten, längst veralteten Seelenvermögen¬
psychologie, die vulgäre Erfahrungsbegriffe spekulativ einem logischen
Schematismus unterwarf, ebenso wie der konstruktiven Vorstellungs¬
mechanik H e r b a r t s, hatte .schon L o t z e in seiner medizinischen
Psychologie die körperlichen Bedingungen des Seelenlebens zu berück¬
sichtigen gesucht, während Weber und F e c h n e r die Anwendung des
naturwissenschaftlichen Versuchs auf psychische Vorgänge geglückt war.
Früh .schon hatte Wundt physiologische Probleme auch psychologisch
durcharbeitet und so bei physiologischen Studien die empiristische
Theorie des Ursprungs der Raumanschauung durch die Betonung des
psychischen Faktors, der schöpferischen Synthese, vertieft. Auch das
psychophysische Grundgesetz Webers, dass die Empfindung.sintensität
proportional dem Logarithmus des Reizes wachse, deutete er psycho¬
logisch, durch Entwickelung aus den Apperzeptionsprozessen und der
allgemeinen Erfahrung, dass unser Bewusstsein nur relative Messung
seiner Zustände ermögliche. W u n d t s „Grundzüge“ wenden syste-
matisoh die Methoden naturwissenschaftlicher, insbesondere physio¬
logischer Herkunft auf psychologische Probleme an, soweit sie sich
gleichzeitig der äusseren und der inneren Wahrnehmung öffnen, und
folgen dadurch vorwiegend der Richtung von aussen nach innen, von
den physiologischen Vorgängen zur inneren Beobachtung.
Der experimentellen Feststellung einer mächtigen Summe von
Einzeltatsachen diente das von Wundt mit bescheidenen, privaten'
Mitteln geschaffene psychologische Institut an der Universität Leipzig,
in dem er zunächst mit Emil Kraepelin, Alfred Lehmann und
James Mackeen C a 11 e 11 arbeitete, w'ährend es sich im Laufe der
Jahrzehnte zu einer hervorragenden Forschungsanstalt entwickelte, ir
der Generationen von vielen Hunderten P.sychologen des In- und Aus¬
landes zu selbständiger Betätigung angeleitet wurden.
Die riesige Reihe von Arbeiten aus dem Institut erschien meist
in den „Philosophischen Studien“, später in den „Psychologischen Stu¬
dien“, und in immer neuen Auflagen seiner Werke legte der Gelehrte
jew^eils den Stand der psychologischen Forschung dar. Die „Grund¬
züge“ erschienen zum 6. Male 1911, jetzt 3 Bände stark. Die mehrfach
aufgelegten „Vorlesungen über Menschen- und Tierseele“ erörterten die
psychologischen Probleme in Fühlung mit philosophischen Gesichts¬
punkten, die „Essays“ bringen eine Reihe von * Einzelaufsätzcn vor¬
wiegend psychologischen Inhalts, der oft aufgelegte „Grundriss der
Psychologie“ gibt einen systematischen Ueberblick über die prinzipiell
wichtigen Ergebnisse und Anschauungen der neueren Psychologie; kurz
gefasst ist die „Einfiihning in die Psychologie“. Nur erw'ähnt seien die
rein philosophischen Werke über „Logik“ (1880—83), die im ersten
Band die Erkenntnistheorie, im zweiten die Methodenlehre behandelt,
über „Ethik“, eine Untersuchung der Tatsachen und Gesetze des sitt¬
lichen Lebens (1886). dann das „System der Philosophie“ (1889), alles
monumentale Behandlungen der Grundprobleme der Philosophie von dem
originellen Standpunkte Wundt scher Denkart und Forschung aus.
Das letzte Viertel der nestorischen Le^jensiahre füllte die riesen¬
hafte Schöpfng der „Völkerpsychologie“, in 10 Bänden eine Darstellung
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
der allgemeingültigen psychologischen Entwicklungsgesetze der ganzen
geistigen Kultur als dem seelischen Ergebnis der Betätigung von Glie¬
dern einer Gemeinschaft, in Sonderheit das Werden der Sprache, der
Kunst, des Mythus und der Reügion, der Gesellschaft und des Rechts,
der Kultur und Geschichte, ein Werk, das er als unerlässliche Ergänzung
der psychophysisch aufgebauten Individualpsychologic, ja vielleicht als
den wichtigeren und fruchtbareren Teil der Aufgabe der gesamten
Seelenlehre empfand. Mit dem Abschluss der Völkerpsychologie er¬
schienen noch manche Neuauflagen und kleinere Schriften, darunter das
prächtige Bändchen zum Weltkrieg: „Die Nationen und ihre Philo¬
sophie“, dessen mir übersandtes Widmungsexemplar in seiner Handschrift
den Kampf gegen die Beschwerden des Augenlichts erkennen lässt. Be¬
geisterungserweckend spricht aus seinen Kriegsschriften das hohe
Bekenntnis zum Vaterland und in harmonischen Akkorden verklingei
seine letzten Worte über die Zukunft der Kultur, bis er am 31. August
1920, 88 jährig, völlig vollendet, in klarer Bewusstheit, wie er es sich
ersehnt, das Ziel seines unvergleichlich geistestatenreichen Lebens er¬
reichte.
Dass einem Manne von solch schöpferischer Eigenart und univer¬
seller wissenschaftlicher Auswirkung Schüler in Menge zuströmten, be¬
darf nicht der Erwähnung. Was des Hochschullehrers bedeutsamstes
Ziel sein muss. Schule zu machen, wurde Wundt in einer Weise zuteil,
wie nur den grössten Denkern und Forschem, einem Plato, einem
Kant, indem sich auf die Lehre eine Mehrheit von Schulen stützen
konnte.
Was ihm aber dauernden Anteil und Dank seitens der wissenschaft¬
lich empfindenden Aerzteschaft zusicherte, erstreckt sich nach drei
Richtungen: Zunächst für das Sondergebiet der Psychiatrie. Vor zwei
Menschenaltern, ehe die Hirnanatomie und -Physiologie ihren Siegeslauf
begannen, steckte dieses Fach in platter Empirie und bediente sich,
wenn überhaupt theoretisiert wurde, einer gequält spekulativen und viel¬
fach. gar rein moralisierenden Denkweise. Als diese Periode einer
Psychiatrie ohne Hirn überwunden war, ergab sich als wenig erfreuliche
Kehrseite der erblühenden Himforschung eine Art Psychiatrie ohne
Psyche, in der wir zum grössten Teil noch stecken, so dass jeder wissen¬
schaftlich Arbeitende sich notdürftig eine Privatpsychologie zurecht
konstruierte und auch bedeutende Hirnkenner und Irrenbeobachter wie
W e r n i c k e in der psychologischen Ausdeutung ihrer Forschertätigkeit
den seelischen Zusammenhängen Gewalt antaten, minder kritische Köpfe
aber die Psychologie in eine himanatomische Mystik verstrickten, die
vor den extremen Deutungsversuchen der Ga 11 sehen Phrenologie
nichts voraus hat.
Eine brauchbare Grundlage konnte nur eine naturwissenschaftlich
aufgebaute Bearbeitung der psychologischen Probleme bieten, wie sie
Wundt geschaffen hat. Der spekulativen Betrachtung der Beziehungen
zwischen Hirn- und Seelenvorgängen, auch der Wechselwirkungstheorie,
setzte er als regulatorisches Prinzip oder Arbeitshypothese die Lehre
vom psychophysisdhen Parallelismus entgegen, dass alle Tatsachen, die
gleichzeitig der mittelbaren oder naturwissenschaftlichen und der un¬
mittelbaren oder psychologischen Erfahrung angehören.. da sie eben
Bestandteile einer einzigen, nur jedesmal von einem verschiedenen
Standpunkte aus betrachteten Erfahrung sind, auch notwendig in Be¬
ziehung stehen, insofern innerhalb dieses Gebietes jedem elementaren
Vorgänge auf psychischer Seite einer auf physischer entsprechen muss.
Wohl zu unterscheiden ist diese Lehre von dem universellen Parallelis¬
mus, wie fhn Spinoza anbahnte und Fechner in genialem, die
Grenzen der Erfahrung überfliegendem Wurf ausarbeitete.
Weiterhin ist Wundt Vorbild für die Psychiatrie in methodo¬
logischer Hinsicht. Wie Selbstbeobachtung audi auf abnorme Geistes¬
zustände anwendbar ist, schildert er an einem Erlebnis aus seiner klini¬
schen Assistentenzeit Schlaf und Traum sind der Beobachtung und
'dem Versuch zugänglich. An den Uebertreibungen des Hypnotismus
übte er nüchterne Kritik. Aber auch mannigfache völkerpsychologische
Gesichtspunkte verdienen Berücksichtigung seitens der Psychopatho¬
logie.
Insbesondere gewährt der psychologische Versuch auch der Psych¬
iatrie die Möglichkeit, aus der blossen Beobachtung und Schilderung zu
genauen, zahlenmässigen Ergebnissen, zu einer Kurvenpsychiatrie zu
gelangen. Freilich wird man von selbständigen Fragestellungen aus¬
gehen und die Methoden, insbesondere bei schwer Geisteskranken, ent¬
sprechend modifizieren müssen, auch gilt es, in grossem Umfange noch
normalpsychologische Vergleichswerte zu erbringen. Zunächst hat
Kraepelin der klinischen Psychiatrie diese wichtigste Hilfsdisziplln
bahnbrechend erschlossen und an der Heidelberger Klinik ein psycho¬
logisches Laboratorium gegründet, das in vorbildlicher Weise individual¬
psychologische Vorbercitungsarbeiten für die Anwendung des Versuchs
auf Geisteskranke lieferte, dann leichtere Abweichungen, sozusagen künst¬
liche Geistesstörungen durch Einwirkung von Giften, insbesondere nar¬
kotischen Mitteln, von Ermüdung, von erschöpfenden Umständen, wie
Schlafenthaltung oder Hunger, am Geistesgesunden prüfte und ferner
direkt sowohl klinische Fälle von Psychosen, wie auch die grosse Schar
der Grenzzustände zum Versuch heranzog. Paralytiker, Senile. Kranke
aus den Gruppen der Dementia praecox und des manisch-depressiven
Irreseins, ganz besonders die Alkoholiker der verschiedensten Art, ein¬
schliesslich der bemerkenswerten Wirkung kleinster Alkoholgaben, Epi¬
leptische, Hysteriker, Neurastheniker, Neurotiker, Traumatiker, Debile
und Imbezille, Psychopathen und Degenerierte aller Art wurden der
Prüfung unterzogen. Die Wahrnehmungsvorgänge, das assoziative
Denken, Merkfähigkeit und Reproduktion, der Wissensschatz, die Intelli¬
genz, die Willensreaktionen, der Verlauf geistiger Leistungsfähigkeit,
auch die Suggestibilität, die Phantasietätigkeit eignen sich zum
exakten Versuch. Nicht minder fruchtbar ist die Prüfung' von Be¬
wegungsvorgängen, des Schreibens mittels der Kraepelin sehen
Schriftwage, des Zusammenhangs des Pulses und der Atmung mit
psychischen Vorgängen durch Kardiographen, Plethysmographen usw.,
der unbewussten Ausdrucksbewegungen durch R. Sommers für drei¬
dimensionale Analyse eingerichteten Zitterapparat u. a. Eine Reihe von
Kliniken, so in Giessen und Hamburg, und selbstverständlich das For¬
schungsinstitut für Psychiatrie in München, verfügen gegenwärtig über
grössere psychologische Laboratorien; in dem von mir eingerichteten
wird beispielsweise systematisch jeder wichtigere Kranke, insbesondere
auch verwickeltere Begutachtungsfälle, einer längeren Reihe von
psychologischen Versuchen durch speziell eingearbeitete Aerzte und
geübte Hilfskräfte unterzogen, so dass man es wahrlich als eine
ungerechte Verkennung des Tatsächlichen bezeichnen muss, wenn das
gehaltvolle Werk über allgemeine Psychopathologie von Jaspers
glaubt, die heutigen, im Geiste Kraepelins durchgearbeitetfen Dar¬
stellungen psychischer Krankheiten als „Schilderungen“ -herabzusetzen
gegenüber einer angeblich das Voranschreiton verbürgenden analytischen
Arbeitsweise, die gerade* nach seinen Beispielen Gefahr läuft, in ent¬
wickelungsunfähige Spekulation zu verfallen.
Die an sich unvermeidliche und erst durch den Versuch zu er¬
gänzende und zu vertiefende Schilderung des psychisch Abnormen soll
bereits psychologisch aufgebaut sein und wird sich dabei am sichersten
der wertvollen Stützen bedienen, die W u n d t s Lehre bietet Bei¬
spielsweise stellt das Kennzeichnende des Seelenzustandes der umfang¬
reichsten Gruppe Geisteskranker, der Dementia praecox, meines Er¬
achtens eine Lähmung des apperzeptiven Vorgangs im Wundt sehen
Sinne dar, auf Grund deren sich erst die dissoziative Störung ergibt,
die Bleuler als Grundsymptom annahm und zur Aufstellung des Be¬
griffes Schizophrenie veranlasste.
Neben dem Bereich der Jugendforschung stellt die experimentelle
Psychopathologie heute bereits den bedeutsamsten Zweig der ange¬
wandten Psychologie dar und in ihr muss die Psychiatrie das wichtigste
Bollwerk erblicken gegenüber der Vernachlässigung des Psychischen,
seiner Herabwürdigung zu einer blossen Begleiterscheinung der Hirn¬
vorgänge, einem epiphänomenologischen Faktor einerseits wie auch
gegenüber der Ueberwucherung durch eine konstruktive Betrachtungs¬
weise. wie sie sich aus der kritiklosen Anwendung Freud scher An¬
sichten, aus einer uferlosen Heranziehung des der Aesthetik entliehenen
Begriffes der Einfühlung und einer vielleicht für schriftstellerische Auf¬
gaben, aber nicht für Forschungszwecke brauchbaren phantastisch-
spekulativen Psychologie ergibt.
Neben der Hirnforschung wie auch der Serologie mit ihren unver¬
kennbaren Errungenschaften, muss auch die experimentelle Psychologie
als bedeutsame Hilfsdisziplin der Psychiatrie gelten und an jeder Klinik
eine besondere Arbeitsstätte anstreben.
Nicht nur der Psychiater, vielmehr jeder Arzt kann von der psycho¬
logischen Lehre Wundts wertvolle Anregung gewinnen, ganz abgesehen
von den medizinischen, besonders physiologischen Arbeiten des For¬
schers. Mehr als je muss man von jedem Praktiker verlangen, dass er
nicht lediglich die Krankheit, sondern den Kranken, die Persönlichkeit be¬
handelt und somit die seelische Seite des Falles berücksichtigt. Kein
bedeutsameres Gegengewicht gegenüber der so vielen jungen Fach¬
genossen naheliegenden Auffassung des Menschen als Mechanismus
lässt sich denken, als eine gründliche psychologische Schulung, die über
die Sinnespsychologie hinaus die Gesamtheit der Individualpsychologie
berücksichtigt. Eine Forderung, die seit Jahren von weitblickenden
Physiologen, Psychiatern und Psychologen erhoben wurde und jetzt bei
der bevorstehenden Neuordnung des ärztlichen Studiums voller Berück¬
sichtigung würdig erscheint, ist die Einführung der Psychologie in die
pflichtgemässe Ausbildung des Mediziners, möglichst als Prüfungsfach im
Physikum.
Aber darüber hinaus hat Wundts Lehre dem Arzt als Vertreter
angewandter Naturwissenschaft noch Gehaltvolles zu bieten. Gross ist
die Gefahr, dass der junge Medizinei' bei den mannigfachen Anforde¬
rungen, die an sein Wissen und Können gestellt werden, sich auf die
reiche Fülle beruflicher Einzelheiten beschränkt und auf oft eng um¬
grenztem Gebiet die Meisterschaft anstrebt, aber die Fühlung mit der
Gesamtheit der wissenschaftlichen Gedankenwelt vernachlässigt und
sich um eine abgerundete Weltanschauung wenig kümmert. Mindestens
ebenso bedauerlich sind die Vielen, die im Streben nach einem zu¬
sammengeschlossen en Weltbilde Fehlwege einschlagen und, wie viele
Tausende, dem dogmatischen Materialismus des Hä ekel sehen Monis¬
mus verfallen oder, wie es derzeit in zunehmendem Masse geschieht,
auch ihre ärztliche Auffassung der Lehre des Sozialismus in seiner
heutigen Form unterordnen, ln Wirklichkeit handelt es sich ja um eine
pseudosoziale Lehre, die wohl in egoistischem Hedonismus die Unge¬
bundenheit des Einzelnen schroff fordert, aber kurzsichtigerw^eise
verkennt, dass die von Fichte bereits aufgestellten beiden Urrechte
auf Arbeit und auf Existenz nach Wundts Ausdruck gebunden sind
„an die Pflicht zu arbeiten, und an die Pflicht, nicht für sich selbst,
sondern für die Gemeinschaft zu leben“.
Das ist ein wesentlicher Zug der Grösse Wundt scher Gedanken¬
arbeit, dass er von der Einzelforschung, der Medizin und im besonderen
der Physiologie ausgehend, nicht nur ein bedeutsames Öonderfach, die
Digitized by L^ooQle
Original from
UNiVERSirr OF CALIFORNIA
29. Aprfl 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRITT.
52$
Psychologie, neu aufbaute, sondern darüber hinaus eine
so4ie gichaffen hat Durch sein System hat er seiner Lehre eine Ab-
^dung^auch im Sinne einer Metaphysik gegeben, als Endergebnis aller
Forschung über das Wesen der Dinge sieht er die transzendentale
Apperzeption oder den reinen Willen an, und gelangt zur Idee ^nes
Qesamtwillens. der die gesamte Menschheit in der bewussten Voll-
brin^ng bestimmter Willenszwecke vereinigen soll. Im Anfang war ^e
Tat, könnte man im Goetheschen Sinne von
voluntaristischer Weltanschauung sagen. Das gleiche
seinem Lebensgange, der bei aller Schlichtheit der äusseren Schick^Ie.
bei aUer ruhigen-Sachlichkeit seines persönlichen Auftretens, dieser
Verkörperung der klassischen Sophrosyne, ein Leben überreich ^
geistiger Arbeit darstellte, wie es seit aller Menschheit Anfang nur wenig
Sterblichen vergönnt war. Aus jenem Weltbild der Aktivität ergibt sich
auch bei Wundt das in leuchtendem Gegensatz ot der düstren Uge
der Menschheit im Ganzen und unseres deutschen Volkes im
stehende, bis zum letzten Atemzug von ihm hochgehaltene Bekenn^is
zu der Sendung des Deutschtums im Sinne einer Ueberwmdung des
angelsächsisch-romanischen Utilitarismus durch den im Leid der Gegen-
,wart geläuterten Idealismus. W. Weygandt -Hamburg.
Für die Praxis.
Aus der medizinischen Klinik Erlangen.
(Direktor: Prof. L. R. Müller.)
Diabetes mellitus.
Von E. Toenniessen.
Für die Diagnose beweisend ist die Glykosurie und die Hyper¬
glykämie. Beide Symptome sind in hohem Grade abhängig von der
Kohlehydratzufuhr per os, wenn sie auch nicht streng parallel gehen.
Charakteristisch für die diabetische Glykosurie ist dass sie schon,
durch den Genuss von Polysacchariden eintritt (im Gegensatz zur ali¬
mentären Glykosurie nach Aufnahme von grossen Mengen Mono- oder
Disacchariden) und bei kohlehydratfreier Kost meist verschwindet (mit
Ausnahme der schwersten Fälle). Beim Diabetes renalis dagegen be¬
steht normaler Blutzuckergehalt und geringe, bei verschiedener Kost
stets gleichbleibende Glykosurie (keine Stoffwechselstörung, sondern Un¬
dichtigkeit der Nieren gegenüber dem Blutzucker). Ausserdem finden
sich beim D. m. im Urin u. U. Azetonkörper. Praktisch wichtig i^ be-
besonders der Nachweis der Azetessigsäure (Eisenchloridieaktion).
Pathogenese. Ursache der Glykosurie ist die Hyperglykämie.
Wenn auch bei manchen krankhaften Zuständen mässige Steigerungen
des Blutzuckergehaltes Vorkommen, z. B. bei der Schrumpfniere, so
finden sich extreme Steigerungen doch nur beim D. m. und die
Hyperglykämie ist nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse das
wichtigste Svmptom der Zuckerkrankheit. Die Hyperglykämie wurde
früher auf mangelhafte Oxydation des Zuckers zurückgeführt, später auf
Mehrbildung von Zucker. Neuere Untersuchungen haben zw'ar eine
Ueberproduktion von Zucker (in der Leber) nachgewiesen, jedoch eine
gleichzeitige mangelhafte Verbrennung des Zuckers nicht ausgeschlossen.
Hiefür sprechen Untersuchungen an diabetischen Menschen und Tieren
(mangelhaftes Ansteigen des respir. Quotienten nach Zuckerzufuhr per os
oder intravenös, während Versuche an isolierten, überlebenden Organen
diabetischer Tiere zwar keinen Minderverbrauch von Zucker gegenüber
den Organen normaler Tiere aufweisen, aber trotzdem nicht ausschliessen.
dass im ganzen diabetischen Organismus der Zuckerabbau gehemmt
ist und zwar durch einen Regulationsmechanismus, der beim isolierten
Organ ausgeschaltet ist (vegetatives Nervensystem, innersekretorische
Einflüsse). Indessen ist m. E. weder der mangelhafte Abbau noch die
Ueberproduktion des Zuckers die primäre Ursache für die Hyperglykämie.
Vielmehr scheint die Oxydation von niedriger-molekularen Abbaustufen
der Glykose gestört zu sein; denn unter Umständen erscheint der
aus Eiweiss und sogar der aus Fett entstehende Zucker im Harn; es
müssen also die Zwischenprodukte bei der Umwandlung von Eiweiss
bzw. Fett in Zucker der Oxydation entgangen ein (Körper der Drei- oder
Zweikohlenstoffreihe) und ausserdem ist eine Vermehrung von Abbau¬
produkten der Glukose (Essigsäure. Azetaldehyd, Ameisensäure) im Blut
bzw. Urin schon nachgewiesen. Untersuchungen über die Körper der
Dreikohlenstoffreihe liegen noch nicht vor bzw. sind noch nicht eindeutig.
Da diese Abbauprodukte chemisch und physikalisch energisch wirkende
Substanzen sind, muss der Organismus ihre Anhäufung verhüten und
das bewegliche Gleichgewicht: Zucker ^ Milchsäure ^ Azctal-
dehyd »=* Essigsäure ^ Ameisensäure ^ Kohlensäure -f- Wasser —
wird schon durch die geringste Zunahme eines der Abbauprodukte in
seinem Reaktionsverlauf beeinflusst. Fermentreaktionen verlaufen nicht
absolut nach einer bestimmten Richtung, sondern stellen meist nur ein
bestimmtes Konzentrationsverhältnis zwischen den einzelnen Kompo¬
nenten her. Die Anhäufung eines Abbauproduktes hemmt infolgedessen
den weiteren Abbau der Muttersubstanz und kann sogar zu einer Um¬
kehrung der Reaktionsrichtung, d. h. zu einer Synthese führen. So ist
m. E. die Mehrbildung und der mangelhafte Abbau der Glykose nicht
durch mangelhafte Angreifbarkeit des Glykosemoleküls selbst, sondern
sekundär durch die Anhäufung eines bzw. mehrerer niedriger-molekularer
Abbauprodukte bedingt. Dazu kommt noch, dass die Abbauprodukte
grösstenteils Säuren sind und durch Zunahme der Wasserstoffionen bzw.
Verminderung des Körperalkalis die Glykolyse hemmen. An welcher
Substanz die primäre Störung des Abbaus beim D. im vorhanden ist.
steht noch nicht fest (wahrscheinlich ein oder mehrere Körper der Drei-
und Zweikohlenstoffreihe), wohl aber lässt sich der D. m. in organ¬
ätiologischer Beziehung schon lokalisieren. Eine Erkrankung des Fan-
kreas und zwar vorwiegend konstitutioneller, d. i. ererbter Natur, dürfte
meist vorhanden sein. Sicher spielen auch die anderen innersekretori¬
schen Drüsen eine Rolle und ebenso das vegetative Nervensystem sowie
dem Zuckerzentrum übergeordnete Rindenzentren (Schädlichkeit psychi¬
scher Traumen), doch treten diese Faktoren gegenüber dem Pankreas
weit zurück. Vielleicht sind auch die Muskelzellen krankhaft verändert.
Die Azetonkörper treten in vermehrter Menge auf, wenn Jfr Or¬
ganismus nicht imstande ist, seinen Energiebedarf in n^alem Umfang
durch Zersetzung der Kohlehydrate zu decken, z. B. im Hunger oder bei
kohlehydratfreier Kost oder bei gestörter Verwertung des Blutzuckers
(letzteres beim D. m.). Es wird dann Eiweiss und Fett in überstürzter
Weise abgebaut. Die Azetonkörper sind normale Abbauprodukte der
Fettsäuren und mancher Bausteine des Eiweisses. Sie stammen beim
Diabetiker grösstenteils aus den Fettsäuren. Im ganzen entstehen Im
diabetischen Stoffwechsel qualitativ keine anderen Stoffe als normaler¬
weise: nur die Konzentrationsverhältnisse sind verändert.
Therapie. Organtherapie kommt in den seltensten Fällen in
Betracht (Ueberfunktion der Schilddrüse, Hypophyse, Nebennieren,
Unterfunktion des Pankreas durch luetische Erkrankung u. a.) und auch
die medikamentöse Therapie ist von nebensächlicher Bedeutung. Der
Schwerpunkt liegt in der richtigen Diät. Diese hat zwei Hauptziele
zu verfolgen: . *
1. Die Oesamtkalorienzufuhr muss genügend sein und die Entwertung
der Nahrung infolge des Zuckerverlustes paralysieren, jedoch muss Ueber-
ernährung vermieden werden, da jede Ueberlastung des Stoffwechsels
ungünstig wirkt. Die Verbrennungen sind beim D. m. nicht gesteigert
(mit Ausnahme schwerer Fälle), vielleicht sogar herabgesetzt. Eine
Kalorienzufuhr von ?0 Kal. pro kg und 24 Stunden bei Zimmerruhe,
35 Kal. bei leichter Arbeit genügt. Dauernde Abnahme des Körperge¬
wichtes spricht für falsche Kur (wenn nicht bei gleichzeitiger Fettsucht
angestrebt), Hungerperioden sind nicht länger als 1—2 Tage anzuwenden.
2. Die geschwächte Funktion des Stoffwechsels, d. i. wenigstens
im Beginn der Krankheit allein oder vorwiegend der Kohlehydratabbau,
muss geschont werden durch eine individuell zu regelnde Einschränkung
der Kohlehydratzufuhr. Dadurch wird die Glykosurie und Azetonurie
beseitigt und die Kohlehydrattoleranz gehoben. Damit die Gesamt¬
kalorienzufuhr genügend bleibt, sihd beim Ersatz der Kohlehydrate andere
Nahrungsstoffc zuzuführen. Je rascher und je mehr aus den verschiedenen
Nahrungsstoffen Zucker gebildet wird, desto leichter führen sie zu Hyper¬
glykämie und Glykosurie, desto mehr belasten sie den Kohlehydrat¬
stoffwechsel. Am stärksten diabetogen wirken also die Mono- und
Disaccharide, etwas schwächer die Polysaccharide (Stärke). Viel lang¬
samer und In geringerer Menge entsteht Zucker aus Eiweiss, am wenig¬
sten aus Fett. Als Ersatz für die Kohlehydrate kommen folgende Nähr¬
stoffe in Betracht:
1. Das Eiweiss. Der Bestand an Körpereiweiss muss unbedingt
erhalten werden, doch ist eine das Eiweissminimum wesentlich über¬
schreitende Menge ebenso unbedingt zu vermeiden. Verschiedene Bau¬
steine des Eiweisses können in Zucker übergehen und ausserdem wirkt
das Eiweiss erregend auf die Zuckerbildung aus anderen Stoffen (Gly¬
kogen) ein. Demgemäss wird die Schwere der Erkrankung nicht nur
durch die Kohlehydrattoleranz, sondern auch durch die Eiweisstoleranz
bestimmt. Leichte Fälle werden bei kohlehydratfreier Kost und
einer Stickstoffzufuhr von 18—20 g (108—120 g Eiweiss) in einigen
Tagen zuckerfrei, mittelschwere Fälle bei 10—18g Stickstoff
(60^-108 g Eiweiss) in 1—2 Wochen, schwere Fälle werden auch bei
weniger als 10 g Stickstoffzufuhr (60 g Eiweiss) nicht zuckerfrei. Hieraus
geht die Bedeutung der Eiweisszufuhr klar hervor. Am besten wird
das Eiweissminimum, also nach unseren jetzigen Anschauungen 0,8 bis
1,0 g Eiweiss pro kg Körpergewicht und 24 Stunden, oder nur wenig
darüber gegeben. Pflanzliches Eiweiss und Eiereiweiss wird besser
vertragen als animalisches Eiweiss und Kasein.
2. Das Fett kommt von den eigentlichen Nahrungsstoffen am wenig¬
sten als Zuckerbildner in Betracht; aus der Glyzerinkomponente kann
zwar ziemlich rasch Zucker gebildet werden (diese Menge ist aber gering),
aus den Fettsäuren jedoch nur langsam. Fette sind wegen ihrer hohen
Verbrennungsenergie sehr wertvoll für die Behandlung, sie können, soweit
sie vertragen werden, in beliebiger Menge gegeben werden (nur dürfen
sie keine niederen Fettsäuren enthalten, diese müssen aus der Butter
durch- Waschen mit Wasser entfernt werden).
3. Der A1 k o h ol bildet keinen Zucker, wirkt fettsparend, setzt also
Glykosurie und Azetonkörperbildung herab. Ausserdem erlc.
die Aufnahme grosser Fettmengen und besitzt einen hohen Veil ^ • >-
wert.
4. Besondere Kohlehydratkuren. Die Zufuhr reiner Am . i
beeinflusst manchmal sehr günstig die Toleranz und Azetonk« -H M
(Indikation s. später). Sojehe Kuren wirken durch Wegfall s
sehen Eiweisses und durch langsame Resorption der in H ei ^ \
Suppenform genossenen Kohlehydrate. Sehr gut bewährt VaI
N 0 0 r d e nsehe Haferkur. doch kann auf den Geschmack Mt
durch Verordnung gemischter Kohlehydratkuren (Mehl-Fri;H'
F a 11 a) Rücksicht genommen werden. Wichtig ist, dass voi uüu u«cii
der Kohlehydratkur Hunger- oder Gemüsetage eingeschaltet werden und
dass neben den Kohlehydraten kein animalisches Eiweiss verabreicht
wird. Ausserdem kommt für gewisse Zwecke (Schrumpfniere, Hyper-
Digitized b
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
524
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
tonie) die Milchkur in Betracht (1000—1500 ccm Milch, 500 g ungesüsstes
Kompott).
Die 3 Vitamine erfordern in der Kost keine besondere Berück¬
sichtigung, da sie bei allen in Betracht kommenden Kostformen uiic.
ihrer Abwechslung genügend enthalten sind. ^
Alkalien: Bei Azidose sehr wichtig. Man kann per os reines
Natr. bicarbonicum in Wasser oder kohlensaurem Wasser geben oder eine
Mischung verschiedener Alkalien, z. B. Natr. bicarb. 6,0, Kalium bicarb. 6,0,
Magnes. carbon. 1,0, Calcium carbon. 1,0. Alkalien sind zu geben, wenn
.Azetessigsäure im Harn auftritt sowie im Coma diabeticum (s. dieses).
Die Kostformen gruppieren sich demgemäss folgendermassen:
1. Absolute Hungertage: Tee (bei Koma dazu Alkalien und Alkohol
100—150 g, s. b. Koma), Bettruhe. x
2. Maskierte Hungertage = (jemüsetage: Kohlehydratarnie Gemüse
bis 1000 g. Butter (gewaschen) 120—150 g, 3—4 Eier (im ganzen ungefähr
1500 Kal.).
3. Die Hauptkost (v. Noor den) oder strenge Diät: z. B. Fleisch
(gekocht oder gebraten) 100 g. 3 Eier, Rahm 100, Butter 100 g, Speck
100 g, kohlehydratarmc Gemüse 600 g (also Eiweiss 60 g, Fett 200 g,
Kohlehydrate 30 g — 2160 Kalorien).
4. Hafertag: Trockene Hafergrütze 200 g, Butter 120 g. F2ahm 100 g,
6 Eier oder 60 g Pflanzeneiweiss (Klopfers Lezithineiweiss) -- im gan¬
zen ungefähr 2400 Kalorien mit 140 g Kohlehydraten.
Natürlich muss innerhalb der Grenzen der erlaubten Zufuhr von
Eiweiss, Fett und Kohlehydraten mit den verschiedenen Trägern der
Nahrungsstoffe möglichst abgewechselt werden.
Körperbewegung wirkt gut auf die leichten Fälle, ist bei Azidose
zu vermeiden.
Spezielle Therapie: Man kann zunächst mit der Aichkost v. Noor¬
dens (sehr viel Eiweiss, nämlich 26 g N, und viel Fett, aber fast keine
Kohlehydrate) beginnen, um die Schwere des Falles festzustellen; wird
der Patient hiemit nicht zuckerfrei, so muss das Eiweiss weiter reduziert
werden: nach dem Grade der Eiweisseinschränkung und der hievon ab¬
hängigen Glykosurie handelt es sich dann um einen mittelschweren
oder Schweren Fall. Oder man kann gleich mit der Therapie beginnen
und erst, aus der weiteren Beobachtung die Schwere des Falles
schliessen. Ist Glykosurie vorhanden ohne Azetonurie, dann kann mit
Hauptkost oder Gemüsetag begonnen werden (bei Auftreten von Aze¬
tonurie sind Alkalien zu geben), doch ist meist allmähliche Entziehung
der KH, besonders wenn der Pat. an KH gewöhnt ist, mehr zu emp¬
fehlen; ist ausser Zucker auch Azetessigsäure im Harn, kann man mit
Gemüsetagen unter mässiger Zulage von Haferbrei (100 g Hafergrütze)
und allmählicher Entziehung der Kohlehydrate sowie gleichzeitiger Ver¬
abreichung von Alkohol und Alkalien beginnen. Wenn Anzeichen von
Koma, dann sofort Komabehandlurg, s. später. Die verschiedenen Grade
der Erkrankung werden nach v. Noorden am besten wie folgt be¬
handelt:
I. Leichte Glykosurie: Bei älteren Leuten (über 50 Jahren)
einige Wochen strenge Diät nach langsamer Entziehung der Kohlehydrate,
dann Kohlehydratzulage zur Ermittlung der Toleranzgrenze. 80 Proz.
der Toleranzgrenze darf als Nebenkost zur Hauptkost gegeben werden.
Wöchentlich ein Gemüsetag. Bei KH-Toleranz unter 150 g etwas stren¬
gere Vorschriften, öfters Gemüse- und Haferperioden. Bei Kombination
mit Schrumpfniere oder Hypertonie Hafer- oder Milchtage und öfters
eiweissärmere Perioden. Im Greisenalter ist bei KH-Toleranz über
120 g leicht angemessene Diät festzusetzen, bei niedrigerer Toleranz
muss nicht absolut Aglykosurie erzielt werden. Bei jüngeren Leuten
ist lange Zeit strenge Diät zu geben (die Kolilehydratempfindlichkeit
ist hier viel grösser als die Eiweissernpfindlichkeit), wöchentlich ein
Gemüsetag, reichliche Fettzufuhr, ca. 30 g Alkohol täglich. Erst nach
Monaten strenger Diät vorsichtige Kohlehydratzulagen (ohne die Tole¬
ranzgrenze zu erreichen). Bei besonders niedriger Toleranz monat¬
lich eine Haferkur (2—3 Hafertage in 2 Gemüsetage eingefasst).
II. Mittelschwere Glykosurie. Wenn aus leichter Glykosurie durch
falsche Kost entstanden, Behandlung wie bei leichter Glykosurie älterer
Leute mit niedriger KH-Toleranz. Wenn trotz richtiger Kost entstanden,
dann viel ungünstiger. Nur bei älteren Leuten hie und da Stehenhleiben
in diesem Stadium. Oefters Kohlehydratkuren, sowohl zur Abwechslung
als auch gegen die Azidose, wenn auch meist strenge Diät versucht
werden soll. Hungertage (Bettruhe) zur Ermöglichung einer etwas reich¬
licheren, dazwischenliegenden Kost (Haupt- und Nebenkost), und zwar
ungefähr alle 10 Tage ein Hungertag.
III. Schwere Glykosurie. Keine wesentliche Besserung zu er¬
zielen.
a) Fälle mit relativ gutartigem Verlauf (meist in höherem Lebens¬
alter, mit grosser Empfindlichkeit gegen KH-Entziehung und geringer
Eiweissempfindlichkeit) erhalten KH in mässiger Menge (nicht über
100 g), dazwischen Perioden strenger Kost. Am besten die Reihenfolge:
1 Hunger- oder Gemüsetag — 5—7 Tage Kohlehydratzulage zur Haupt¬
kost. 3—4 mal im Jahre längere KH-freie Kost. Haferkuren und Hunger¬
tage führen hie und da zur Aglykosurie.
b) Bösartige Fälle sind völlig schonungsbedürftig. Kohlehydrate
(bis zu 100 g) sind zu gewähren, da Aglykosurie doch nicht zu erzielen
i.st und da sie antiketogen wirken. Ausserdem eiw^eissarme Kost, reich-
lich Fett, Alkohol 60 g täglich. Gefters Hungertage (ev. mit eingeschalte¬
ten Hafertagen). Im ganzen aber ist immer wieder kohlehydratfreie Kost
zu versuchen.
Behandlung des Coma diabeticum. Jeder schwere Diabetes
ist. sobald Azetessigsäure im Urin nachweisbar, als Vorstufe des Komas
anzusehen. Verabreichung von Alkalien, bis Urin neutral (zuerst 6—8 g.
Digitized by Goiisle
später 12—20 g erforderlich), Alkohol, Hafer- und Gemüsetage. Die
Komavorstufen in engerem Sinne (beginfiende Somnolenz, vertiefte
Atmung) erfordern intravenöse Alkalizufuhr (1 Liter 3—4 proz. Natr.
bicarb.-Lösung) und reichlich Alkalien (50 g) per os in gut gekühltem,
kohlensäurehaltigem Wasser, Herzmittel, Diuretika, Alkohol, reichliche
Flüssigkeitszuführ. Hinsichtlich der Diät am besten sind 1—2 'Hunger¬
tage, in denen bloss leichlich Tee und Alkohol (100—150 g) verabfolgt
whd. Wird das Koma überstanden, ist zur Nachbehandlung eine all¬
mählich steigende Haferkur anzuwenden.
Die Aussichten der Diabetesbehandlung, insbesondere der indivi¬
duellen Einschränkung der KH sind bei schweren Fällen allerdings sehr
gering, mittelschwere Fälle können wesentlich gebejtsert, meist wenig¬
stens zum Stillstand gebracht werden, leichte Fälle können geheilt wer¬
den. Diese Aussichten der Therapie am Menschen erhalten eine Stütze
durch dieJTierversuche der letzten Zeit (Alle n). Bei Partialexstirpation
des PanlTreas entsteht beim Hund ein leichter oder mittelschwerer Dia¬
betes. Durch falsche Diät geht dieser experimentelle Diaebetes in eine
schwere, letale Form über, durch richtige Diät kann er vollständig
ausheilen. So ist es auch verständlich, dass eine Insuffizienz des Pan¬
kreas beim Menschen relativer und vorübergehender Natur sein kann,
wie ja auch sonst die innersekretorischen Drüsen grosse Labilität ihrer
Funktion zeigen. Wird die Drüse in einem solchen Zustand überlastet,
so kann es zu irreparabler, progressiver Insuffizienz kommen, wird sie
geschont, kann völlige Wiederherstellung erzielt werden.
BQcheranzeigen und Referate.
S t e k e 1: Die Impotenz des Mannes. Verlag Urban & Schwar¬
zenberg. 1920. Preis ungeb. M. 50.—. IV. Band der „Störungen
des Trieblebens“.
Wenn der Verfasser sein bisher vierbändiges Werk als „Lebens¬
werk“ bezeichnet, so kann man ihm das aufs Wort glauben: um ein
Thema so wie er behandeln zu können, muss man die Erfahrung eines
• an einschlägiger Tätigkeit reichen, ja überreichen Lebens besitzen! Das
Buch behandelt zwar nur die psychischen Wurzeln der Impotenz und
die Theorie und Technik der hierfür einschlägigen Psychotherapie, be¬
kommt aber dadurch einen allgemeinen Reiz, dass diese spezielle
Therapie die ureigenste Schöpfung des Autors darstellt, der sich von
jedem Dogma einer bestimmten Schule freihält.
Für den speziellen Kenner der Literatur über Sexologie und Psych-
analyse bietet Stekels Buch auch deshalb besonderes Interesse, weil
er in Einzelheiten auf einem Standpunkt steht, der teilweise einen
diametralen Gegensatz zu den Ausführungen anderer Forscher. K r a f f t -
Ebing, Wulffen, Rohleder, Freud, Moll darstellt: u. a. warnt
er den psychisch impotenten Sexualneurastheniker nicht vor der
Ehe, da viele solche gerade in der Ehe potent werden! Für ihn
kommt ohne Beteiligung der Psyche keine Neurose zustande, jede
Neurasthenie ist ihm gleichzeitig eine Psychasthenie und jede Psych-
asthenie geht auf einen seelischen Konflikt mit häufig kriminellem Ein¬
schlag zurück. S t e k e 1 vertritt damit dieselbe Ansicht, wie sie kürzlich
Reichhardt äusserte, der die grosse Mehrzahl der in .internen
Kliniken als Neurasthenie bezeichneten Störungen als nicht in das Gebiet
der Neurologie, sondern als in das der Psychopathologie gehörig be¬
zeichnet. Näch St ekel kämpft jeder Neurotiker mit „ver¬
drängten“ kriminellen Gedanken und erkrankt, weil sich seine
psychische Energie im Konflikt zwischen dem Kriminellen und den
ethischen Hemmungsvorstellungen aufreibt: also ohne seelischen Konflikt
keine Neurose, sei sie auf sexuellem, sei sie auf traumatischem Gebiet!
Damit stimmen auch die Beobachtungen auf der v. Monako w' sehen
Nervenklinlk in Zürich überein, in der sämtliche Analysen (siehe
Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie) speziell der Unfall¬
neurotiker intime seelische, unerledigte oder frisch aufgegriffene Konflikte
zur Zeit des Unfalles aufwiesen, wobei den Störungen des Sexualtriebes
und den Insulten des Trieblebens (der „Hörme“ nach v. Monakow^
eine ganz besonders auffällige Rolle zukommt. Es stellen demzufolge
viele. Ja vielleicht die meisten neurotischen Symptome Schutzmass-
regeln gegen Insulte des Trieblebens, gegen kriminelle Triebe dar; ins¬
besondere kommt nach S t e k e 1 der Zw'angsneurose ganz exquisit der
Charakter eines sinnreichen Systems von Sicherungen gegen die krimi¬
nellen Instinkte zu. Was speziell den Sexualtrieb betrifft, so erklärt
St ekel den Menschen als vom Scheitel bis zur Zehe von* seiner
Sexualität durchsetzt: „Der Mann ist wie sein Penis, der Pem's das
Konterfei des Mannes!“ Der Autor w^eist an Hand einer grossen
Kasuistik nach, wie die Psychanalyse einen tiefen Einblick in den
seelischen Mechanismus der Neurose gewährt und wie sich der Psych¬
analyse die Psychopädagogik anschliessen muss! Die Psychanalyse ist
kein peinliches Verhör, sondern eine Erziehung zii||Konzentration, eine
Schulung zum Beobachten der eigenen Gedanken, eine Anleitung zu
sachlichem und organischem Denken und Handeln: die Psychotherapie
klärt den. Kranken über die Quellen seines Leidens auf und zeigt ihm
die Wege zur Gesundheit, zum Glück! Aus der „Flucl]t in die Krank¬
heit“ wird eine „Rückkehr in die Gesundheit!“ Einen Unterschied
zwischen Aktualneurose und Psychoncurose, wie ihn Freud macht,
lehnt St. ab. Wemi er trotz einiger eigener Erfolge rät, sich mit
psychotherapeutischer Behandlung von Psychosen nicht allzu tief ein¬
zulassen, so kann man ihm nur beipflichten, ebenso seiner Ablehnung
der Psychotherapie bei sicher psychogenen Neur^osen.
Blum m-Hof a. S.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
525
O. Hertwlg: Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen
und der Wirbeltiere. 6. Aufl. Jena, G. Fischer, 1920. 495 Seiten,
438 Textabbildungen. Preis: M. 30.—, geb. M. 36.—.
Nur wenig im Umfang vermehrt ist das bewährte Buch in vielen
Teilen ergänzt und um wichtige Abbildungen bereichert worden. Bei der
guten Ausstattung und dem relativ niedrigen Preise wird es sich auch
ferner die Beliebtheit bei den Studierenden bewahren.
f V. Möllendorff -Freiburg/Br.
Joh. Möller und Paul Müller: Grundriss der Anatomie des
Menschen. 3. Aufl., besorgt von G. Broeslcke. Berlin und Leipzig,
1920. 492 Seiten und 91 Textabbildungen.
Gegen die 1914 erschienene 2. Auflage sind nach dem Tode der Ver¬
fasser von Broesicke nur unwesentliche Korrekturen angebracht
worden, so dass das Büchlein seine Form vollständig gewahrt hat. Wer
sich im Tatsachenbereich der Anatomie kurz orientieren will, findet hier
eine vollständige Zusammenstellung der wesentlichen Dinge in knapper
Form. V. Möllendorff -Freiburg/Br.
Friedrich Heide rieh: Stereoskopische Bilder zur Gehlmschädel-
topographle. München und Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann.
Der durch seine die Gehirnschädeltopographie betreffenden Arbeiten
auch in chirurgischen Kreisen bestens bekannte Verfasser erstrebt in der
vorliegenden Serie stereoskopischer Bilder den Zweck, „dem Praktiker,
vor allem dem Chirurgen, die Orientierung in der Schädelhöhle zu er¬
leichtern“. Das gesteckte technische Ziel weit überschreitend, ver¬
mitteln uns diese naturgetreuen, nichtschematischen Bilder einen wunder¬
baren plastischen Eindruck ni 9 ht allein über die Lage der Seitenkaramern
des Gehirnes in Gehirn und Schädel, sondern geben eine erwünschte
Ergänzung der kraniozerebralen Topographie des Chirurgen. In
15 Bildern werden die oberflächlichen und tiefen Gebilde körperlich dar¬
gestellt, wobei wir zugleich eine richtige Vorstellung von der Lage sich
überdeckender Teile gewinnen. Jedem Bilde ist eine kurze, für den
Unterricht sehr geeignete Orientierung beigefügt. Wir wdssen es
H e i d e r i c h Dank, dass er in überaus mühevollen Untersuchungen
dieses bereits in der vergleichenden und entwicklungsgeschichtlichen
Hirntopographie mit Erfolg angew^andte Verfahren den chirurgischen Auf¬
gaben dienstbar macht. Das Verständnis, mit dem sich Heide rieh
als Anatom hier den Gegenwartsforderungen des Chirurgen angepasst
hat, zum Teil auch wohl dazu angeregt durch gemeinsame Arbeit mit
einem Chirurgen, lässt auch auf anderen schwierigen Gebieten der Organ¬
chirurgie noch ähnlich Wertvolles und Erstrebenswertes von ihm er¬
warten. Die Bilder erfüllen einen von jedem praktisch tätigen Gehirn¬
chirurgen lange ersehnten Wunsch, ich zweifle nicht, dass sie sich auch
bald im Unterricht als unentbehrlich erweisen werden.
Klose- Frankfurt a. M.
W. Birk: Leitfaden der Kinderheilkiinde. II. Teil: Kinderkrank¬
heiten. Marcus’& Webers Verlag, Bonn 1920. Geh. 25 M. 338 S.
Das Buch bildet die Fortsetzung des ersten Teiles (Säuglingskrank¬
heiten) und weist die gleichen Vorzüge auf wie sein Vorläufer: Sehr
geschickte, den Bedürfnissen der Kinderpraxis angepasste Ausw'ahl und
.Anordnung des Stoffes und ausserordentlich klare Darstellung. Für die
nächste Auflage dürfte sich empfehlen, das Bettnässen und die Vulvo¬
vaginitis gonorrhoica nicht unter die Nierenerkfankungen einzuordnen,
das Bronchialasthma älterer Kinder nicht als „seltene Erkrankung“ zu
bezeichnen, neben die Temperaturen der Bewegungshyperthermie in
Klammern „rektal“ zu setzen, Erythema infectiosum und Encephalitis
epidemica (lethargica) zu berücksichtigen und die Theorie des Masern¬
exanthems (ab Zeile 15) einer Revision zu unterziehen. M o r o.
Sanitätsrat Dr. W. Ponndorf- Weimar: Die Heilung der Tuber¬
kulose und ihrer Mischinfektionen (Skrofulöse. Rheumatismus. Basedow¬
krankheit usw.) durch Kutanimpfung. Weimar 1921. Selbstverlag des
Verfassers.
Mit der über das Ziel hinausschiessenden Begeisterung jedes Er¬
finders preist Verf. seine Methode an als den „bis jetzt allein zuver¬
lässigen Weg, den Tuberkelbazillus im Körper abzutöten“. Nach An-,
Wendung seiner Methode w-erden Schwerkranke nur noch zu den grössten
Seltenheiten gehören (S. 43), sichere Beweise für die Heilkraft liegen
vor, und er ist „von einer schnellen Ausrottung der Tuberkulose
durch dieses Impfverfahren felsenfest überzeugt; es fehlt nur noch an
Männern, die es durchführen“.
Wenn man dazu das Verzeichnis der verschiedenen Formen liest,
in der die Tuberkulose auftritt, und der Mischinfektionen und glauben
soll, däss diese nahezu gesamte innere Pathologie durch diese Impfungen
zu beseitigen ist (ein Standpunkt, der an Poncet erinnert), so kann
man nur mit grosser Bedenklichkeit an die Sache herangehen. Dies
ist unbedingt yorauszuschicken. ^
Ueberlegt man sich aber andererseits, welche Bedeutung (durch die
neuesten Lichtstudien) die menschliche Haut als grosses Immunisierungs¬
organ gewonnen hat, so verliert, abgesehen von sicher vorhandenen
Uebertreibungen, die Ponndorf sehe Methode ihr Absonderliches.
Ihr wenigstens für Versuche den Weg zu bahnen, ist die vorliegende,
mit warmer Hingabe geschriebene Schrift durchaus geeignet. Es hat ja
wohl wenig Zweck, in einem kurzen Referat die Technik, die ver¬
schiedenen Reaktionen, die Zeitfolge der Wiederholungen usw. zu be¬
sprechen (vergl. auch M.m.W. 1921 Nr. 7 S. 205), da wohl kein Arzt
diese anfangs (auch nach den beigegebenen schönen Tafeln) etwas wüst
erscheinende Impfung mir nach dem Buche vornehmen wird. Aber
dazu beizutragen, dass viele Sachkundige sich die Impfung bei dein
stets bereiten Erfinder in Weimar selbst ansehen, scheint mir Pflicht
des Referenten zu sein. Das, was er behauptet, wird durch eine grosse
Zahl ausführlicher Krankengeschichten belegt.
Liebe- Waldliof-Elgershausen.
L. Le Win -Berlin: Die Gifte in der Weltgeschichte. Toxiko¬
logische, allgemeinverständliche Untersuchungen der historischen Quellen.
Berlin, J. S p r i n g e r, 1920. 596 S. M. 56.—.
Gifte spielten seit urdenklicher Zeit in der Weltgeschichte eine
nicht unbedeutende Rolle. Liegt auch über die seit alters her vorge¬
kommenen Vergiftungen (Selbst- oder Giftmorde) keine Statistik vor,
so zeigt uns L e w i n doch an Hand seines mit erstaunlichem Fleiss
und grosser Geschichtskenntnis zusammengetragenen Materials, welche
grosse Rolle die Gifte von alters her in der Hand von Frauen, Fürsten,
Königinnen, Päpsten etc. zur Beseitigung von Nebenbuhlerinnen. Rivalen,
persönlicher Feinde oder missliebiger Verwandten gespielt haben. Be¬
vorzugt unter den Giften waren Arsen, Opium, Kohlenoxyd und Pflan¬
zenextrakte. Ein besonderes Kapitel ist den Giften als Kriegshilfsmittel
im Fernkampf gewidmet, wie sie der letzte Weltkrieg erst richtig dar¬
stellen und verwenden gelehrt hat. Die Beschreibung der Pfeilgifte
leitet über zu den giftigen Kampfgasen, deren Anwendung der Autor
mit scharfen Worten ablehnt. Das Buch ist nicht frei von Seitenhicben
auf die Schulmedizin, auf die Erfinder und Anhänger der spezifischen
„Heilsera“, denn es gebe keinen Giftschutz und kein Gegengift. Das
Studium des Buches ist gleich lehrreich und interessant für den (ie-
schichtsforscher, wie Arznei- und Heilkundigen; auch der Dichter kann
aus der Lektüre Nutzjn ziehen. R. R a p p - München.'
Georg Urdang: Der Apotheker Im Spiegel der Literatur. Verlag
von Julius Springer, Berlin 1921.
Gleichwie der Arzt wird der Apotheker auf der Bühne, in der
Novelle, im Gedichte, kurz in der Literatur charakteristisch, oft auch in
verzerrter Weise dargestellt. Eine möglichst vollständige Sammlung
dieser literarischen Schöpfungen wird vom Verfasser obigen Werkes
herausgebracht und er versteht es in treffender Weise, die literarischen
Darbietungen in geistvoller Art zu beurteilen. Wer sich für derartige
Lektüre interessiert, dem kann die Anschaffung des Buches empfohlen
werden. R. Ra pp-München.
Zeitschriften- Uebereichi
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie einschüesslich
Baineologie und Klimatoiogie. 1921. Heft 3.
K r e t s c h m e r - Emden: Zur Kritik der Therapie des Ulcus peptlcum.
Verf. nimmt bei der Indikationsstellung zur Operation einen vorsichtig
abwägenden Standpunkt ein, weist auf die Seltenheit der Perforation hin. die
gute Prognose der Blutungen bei richtiger innerer Behandlung, die spontanen
Besserungen, selbst völlige Symptomlosigkeit, wie man sie bei Sanduhrmagen
gelegentlich sieht. Er bespricht dann die Diät, bei der, wenn Massen-
blutungcn fehlen, der Schmerzreiz der einzelnen Nahrungsmittel sehr wichtig
ist für ihre Auswahl. Von Medikamenten empfiehlt Verf. als Ersatz von
Atropin das Eumydrin und das Anästhesin.
F. S c h i 11 i n g - Leipzig: Moderne Diätotherapie der Zuckerruhr.
Zusammenfassende Darstellung mit Literaturangaben.
L. Jacob- Bremen.
Bruns' Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Garre, Kütt-
ner und v. Brunn. 121. Bd., 3. Heft mit 20 Abbildungen. Tübingen,
Lau pp. 1921.
Aus der Marburger Klinik gibt A. L ä w e n eine Arbeit fiber die Behand¬
lung schwerer Kniegelenkseiterungen durch tiefen Seitenschnitt und horizon¬
tale Resektion der hinteren Femurkondylen. Diese wohl umschriebene
Operation soll in Blutleere bei Strecksteilung des Gelenkes von einem 12 cm
langen Längsschnitt an der Aussenseite des Knies aus (so dass die Mitte des
Schnitts nach hinten vom Epicond. lat. fern, liegt) ausgeführt werden. Nach
Durchtrennung von Haut, Fettgewebe, Fase, lata und Retinae, pat. lat. wird
die hintere äussere Kniegelenkstasche eröffnet, bei Beugung erscheint der
Gelenkspalt und nun wird aus dem Mcnisc. lat. ein 2—3 cm langes Stück
exzidiert, wodurch die hintere laterale, untere Gclenktasche frei wird und bei
starker Beugung wird mit einem horizontal aufgesetzten Meissei der nach
hinten gelegene Gelenkteil des lateralen Condyl. fern, in Form eines Kugel¬
segments abgetrennt, so dass ein breiter Zugang zum hinteren lateralen
Gelenkabschnitt entsteht; in ganz gleicher Form wird dann die Operation an
der Innenseite vorgenommen, wobei das Lig. collat. tib. erhalten bleiben kann,
und die Drainage der beiden grossen hinteren Höhlen nach der Seite durch¬
geführt, die Kreuzbänder bleiben erhalten. L. gibt u. a. 5 Krankengeschichten.
Das Bein wird mit Gipsbinden auf einer Braun sehen oder ähnlichen Schiene
fixiert. Die knöcherne Ankylose erfolgt ohne Verkürzung im ' :
Monate. Die Operation ist nur in sehr schweren Fällen, in de.
Gelenk nicht mehr zu erwarten ist, angezeigt.
Fritz Demmer gibt aus der Wiener Klinik eine Arbe: /i.r ppi -
und Therapie der Commotio und Laesio cerebrl (zugleich ein I .
Früh- und Spätresultate der geschlossenen Wundbehandlung if.’ :
der Behandlung' mit dem Tampon und der Lumbalpunktion!,
die Wundbehandlung im Gehirn (eine noch nicht vollkomm . '
nach seinen Erfahrungen in verschiedenen Stadien seiner : i ;
Klinik, in einem eigenen an der Front etablierten Spezia* ..i - ■* .
seiner Tätigkeit als Konsiliarchirurg des I. A.-K. und da
H o c h e n e g g sehen Klinik), geht speziell auf die Schädel: ^ ^ ’
bezüglich deren Hcilresultate er immer misstrauischer geworden, und oe-
sonders auf den Gehirnprolaps und die Commotio cerebr, näher ein. gibt in
Tabellenform die Resultate seines grossen Materials. — Speziell vergleicht D.
seine Resultate bei geschlossener Hirnwundbehandlung und solche bei Be¬
handlung mit dem Tampon und der Lumbalpunktion und geht auf die Technik
Digitized by Goi'Sle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
526
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17,
der letzteren unter Beigabe von Krankengeschichten näher ein. Nach seinen
Erfahrungen über die Pathologie und Therapie der Commotio zieht D. gegen¬
über der bisher üblichen streng konservativen Behandlung der traumatischen
Bewusstseinsstörungen bei den schweren Stadien der Commotio die Lumbal¬
punktion als diagnostisches und therapeutisches Hilfsmittel im entsprechenden
Falle heran. Bezüglich seines Vorgehens betont D. die Knochenarbeit ohne
Meissei (mit Luer), die Knochenerweiterung auf Durchmesser = der Tiefe der
Wunde, die Entfernung des Geschosses und die feuchte Tamponade nach Art
von V. Mikulicz, sowie den steifen, dünnen Schädelverband. — Die
Indikation zur Lumbalpunktion ist ihm gegeben durch Hirndrucksymptome
(zunehmende Somnolenz), durch Kollaps und Prolapstendenz der Hirnwunden
beim Tamponwechsel und bei meningitischen Symptomen.
Franz Brcslauer-Scbück gibt aus der Chariteeklinik Berlin
physiologische Betrachtungen zur Lehre von der GehIrnerschOttemng und ist
der Anschauung, dass das stumpfe Schädeltrauma nach dem Urteil der
modernen Physiker eine starke Kompression des Gehirns erzeugt, diese aber
ruft von gewissen Stellen aus das klinische Bild der Gehirnerschütterung
hervor, das sich aut keine andere Weise experimentell darstellen lässt. Nach
Br. muss man nach dem heutigen Stand der Forschung die akute Kompression
gewisser Gehirnteile (unterer Hirnstamm) für das Auftreten der Gehirn¬
erschütterung verantwortlich machen.
Hans R e h n bespricht aus der Breslauer Klinik Relativistische oder nicht-
relativistische Darstellung der Gehirnerschfittemngsmechanlk und ist auf
Grund klinischer Erfahrungen der Ansicht, dass die Qravitationsfeldwirkung
direkt auf die Ganglienzellen die Ursache der Kommotionssymptome ist.
Walter Schönleber gibt aus dem Katharinenspital Stuttgart eine
Arbeit zur Frage, wie Berstungsrupturen des Darmes entstehen. Nach seinen
Darlegungen ist die Bunge sehe Theorie für zahlreiche Fälle die wahrschein¬
lichste. Da aber von ihm u. a. Berstungsrupturen ohne Bruchpforten beob¬
achtet wurden, muss es noch andere Möglichkeiten für das Zustandekommen
derselben geben und glaubt Sch., dass die in der Wette, Form und Länge der
Darmschlingen' gelegenen Hinderhisse für die Verschiebung des Darminhalts
und den Druckausgleich nach Gewalteinwirkungen zu Druckdifferenzen führen,
die bei Zusammentreffen ungünstiger Umstände Berstungsruptur verursachen
könne.
Hellmuth L ü p k e gibt aus der Tübinger Klinik einen Beitrag zur ope¬
rativen Behandlung der Oesophagusdlvertikel, teilt u. a. 4 Fälle näher mit.
bei deren 2 Perthes durch den bei Kropfoperation üblichen Querschnitt
gute Uebersichtlichkeit erreichte. H. empfiehlt die einzeitige Abtragung des
Divertikels mit Vernähung des Stumpfes über geeigneter Klemmzange, für die
Nachbehandlung lässt er flüssige Nahrung sofort schlucken (ohne Schlund¬
sonden). Für die Diagnose macht das Röntgenogramm die Oesophagoskopie
entbehrlich.
Egbert Schwarz referiert aus der Rostocker Klinik über primire und
isolierte Spelcbeldrflsenaktlnomykose, cnrJ.iell auch über den histologischen
Befund hierbei. ^e <
Erik Bratts^röm berichte^ ‘ hr Klinik in Lund über das Resultat
der Operationen wegen Cancer nn ^Mn den Jahren 1898 — 1918 .
Wiliam Boss bespricht aur/^rfa» israelitischen Krankenhaus Breslau
den Wert der pathologisch-anatonf Untersuchung für die Prognose des
Brustdrüsenkrebses, den er der ;:rachtung nach dem klinischen nnd
anamnestischen Gesichtspunkt vorz'idht. Mit S a 1 o m o n scheidet er die
knotenförmigen und diffus infiltrierenden Formen, erstere befallen Patienten im
Alter von ca. 50 Jahren, sie zeigen langsames Wachstum und ist Heilung in
etwa**/s der Fälle zu erwarten. Das Ca. medulläre und die infiltrierenden
Formen befallen mit Vorliebe junge Frauen, nicht selten während Gravidität
und Laktation, setzen infolge ihres Kapillarreichtums schon frühzeitig Meta¬
stasen. Qottstein wendet behufs ausgiebiger Entfernung der Haut in der
Umgebung des Tumors und der regionären Drüsen eine besondere Schnitt¬
führung an. die auch grosse Operationsdefekte ohne Transplantation decken
lässt.
Der gleiche Autor bespricht die Luxntlo clavlcula praesternails und ihre
Therapie bei einmaligem nnd chronisch wirkendem Trauma. Für die durch
einmaliges Trauma entstehende Luxation empfiehlt er operative Behandlung,
bezüglich deren nur die nach König und Meyer ohne Nachteile ist.
Fritz von der Hütten berichtet aus der Oiessener Klinik zur Be¬
handlung der Kniescheibenbrüche, bespricht die einzelnen Methoden der Naht
und bevorzugt in der neueren Zeit die peri- und präpatellare Naht (von 13
solchen sind 8 nachuntersuchte Fälle knöchern verheilt, darunter ein Splitter¬
bruch, bei 9 die Funktion vollkommen normal danach).
Otto Hahn referiert aus der Tübinger Klinik über zentrale Destruktions¬
herde des Os naviculare nach Traumen. Er befürwortet die Frühoperation
(Exstirpation des Navikulare in Rücksicht auf zunehmende Schmerzen
und allenfallsige Versteifung etc.).
Oskar W i e d h o p f gibt aus der Marburger Klinik eine Arbeit zur Histo¬
logie der Indnratio penls plastlco, die der Dupuytren sehen Kontraktur
analoge Befunde bietet. Sehr.
Zentralblatt für Chinirsle. 1921. Nr. 14.
A. Weinert -Magdeburg: BtntverSndemngen nach EntmUzung nnd
ihre Bedeutung für die Chirurgie.
Auf Grund zahlreicher Beobachtungen weist Verf. darauf hin, dass nach
der Entmilzung dauernde Veränderungen in der Blutzusammensetzung Zurück¬
bleiben: am weissen Blutbild zeigt sich Lymphozytose, Eosinophilie, mit¬
unter auch Mononukleose, am roten Blutbild fallen besonders die Jolly-
körper auf, d. s. Kernreste enthaltende Rote. Dieser letzte Blutbefund ist
in der Regel nach Entfernung einer kranken Milz deutlicher als nach Weg¬
nahme einer gesunden. Sehr wahrscheinlich übt die Milz auf das Knochen¬
mark einen regulierenden Einfluss aus: durch die Entmilzung tritt eine
Störung in der Entkernung der roten Blutkörperchen ein, die jedenfalls dauernd
anhält und den Schluss ziilässt, dass das Knochenmark eben doch nicht völlig
die ausgefallenen Milzfunktionen übernehmen kann. Nach der Entmilzung
tritt auffallend rasch ein starkes Ansteigen der roten Blutkörperchen eiil,
nicht nur bei Entfernung gesunder (verletzter), sondern auch kranker Milzen.
Diese Beobachtungen, die noch durch weitere klinische Erfahrungen ergänzt
werden müssen, bringen wohl mit der Zeit auch Klarheit über die n^ch
Splenektomien auftretende Polyzythämie, über die essentielle Thrombopenie
und die Bluterkrankheit bei Frauen. Dass Milzreste sich weitgehend regene¬
rieren können, ist bekannt; noch nicht geklärt aber ist die Frage, inwieweit
Digitized by Goi-isle
sie die ausgefallenen Milzfunktionen übernehmen können. Die Arbeit verdient
eingehendes Studium im Original.
W. J e h n - München: Zur Technik des Thoraxverscblusses bei grossen
Brustwanddefekten.
Verf. bespricht verschiedene Methoden, grosse Brustwanddefekte zu
decken; die einfachste Methode ist das zirkuläre Einnähen der Lunge in das
Brustwandfenster mit oder ohne Pleuratamponade, die in der Kriegschirurgie
genügte. Besser ist eine Deckung des „Thoraxfensters“ durch Organe aus
der Nachbarschaft (z. B. durch die gesunde Mamma der anderen Seite). Für
Sarkome der unteren Thoraxpartie empfiehlt Verf., aas nach Durchtrennung
des Nerv, phrenic. gelähmte und mobilisierte Zwerchfell, zur Deckung des
Brustwanddefektes zu benützen, indem es in das Brustwandfenster eingenäht
und so die Pleurahöhle vollkommen abgeschlossen wird. An verschiedenen
Beispielen und Abbildungen zeigt Verf., dass mit dieser Methode, die er kurz
beschreibt, recht gute Erfolge zu erzielen sind.
William Le Vy-Berlin: Ueber die Sehnenluxation der Fingerstrecker.
Verf. bespricht die einzelnen Formen der Sehnenluxation der Finger¬
strecker: die traumatische, die pathologische und fügt als 3. die hereditäre
bei; über das 1. Auftreten und die Ursachen dieser letzten Form herrscht
noch Unklarheit; hier müssen weitere Beobachtungen und besonders Röntgen-
bilder Klärung bringen. Nach der Ursache der hereditären Luxation richtet
sich auch die operative Behandlung, die vor allem auf den Bandapparat
Rücksicht nehmen muss.
F. L e m p e r g - Hatzendorf: Beitrag zur künstlichen Versteifung des
Kniegelenkes.
Verf. hat bei einem Fall von schwerer Verrenkung des Kniegelenkes
die künstliche Versteifung des Kniegelenkes nach dem Bolzungsverfahren
von Fromme und Sultan mit einigen Abänderungen vorgenommen:
Femurkondylen und äussere Gelenkfläche des Schienbeins werden nur spar¬
sam angefrischt, so dass oben mit der Fossa intracondyl. als Grundfläche
eine 2,6 cm breite Leiste bleibt, deren Ansatzfläche am Femur nur 1,6 cm
misst. In die äussere Gelenkfläche der Tibia wird eine gleichartige Hohl¬
kehle mit dem Meissei ausgeschlagen und zurechtgefeilt unter Verwendung
der Abrissstelle der Kreuzbänder; die Leiste lässt sich dann leicht in die
Rinne fügön und verhämmern. Dann wird die Kniescheibe hinten angefrischt
und über die neuhergestellte angefrischte Verkeilungsstelle mit einer Knochen¬
klammer befestigt. Zuletzt wird ein Nagel durch beide Knochen geschlagen.
Mit 2 Skizzen. E. Heim- Schweinfurt-Obemdorf.
Archiv für Gynäkolosie. Band 114. Heft 1.
Carl Rüge II: Schwangerschaftsdauer und gesetzliche Empfängnlszeit.
Schwangerschaftsdauer geht nicht immer parallel mit der Fruchtentwick¬
lung; jedenfalls sind wechselseitige Schlüsse unstatthaft. Die Geburt eines
Kindes nach einer Emofängniszeit von mehr als 302 Tagen ist bisher un¬
bewiesen. Deshalb muss die gesetzlich festgelegte obere Grenze der
Empfängniszeit für lebende Kinder als richtig bezeichnet werden. Auch die
gesetzlich festgelegte untere Grenze von 181 Tagen stimmt mit allen Er¬
fahrungen überein; Dementsprechend werden Fassungen für die Para¬
graphen 1592 Abs. 2 und § 1717 vorgeschlagen.
R. K u n d r a t: Ueber Genitaltuberkulose des Weibes.
Makroskopische Diagnose der Tuberkulose am Präparat ist schwer; auch
Tuberkelknötchen können durch Serosazystchen vorgetäuscht werden. Die
mikroskopische Diagnose ist im Allgemeinen leicht zu stellen. Zellprolifera¬
tionen können manchmal ein karzinomähnliches Bild zeigen. Nur sind bei
Tuberkulose die Epithelien schlecht färbbar, verwaschen. Riesenzellen allein
sind nicht beweisend; selbst Verkäsung kann täuschend wirken. Typisch ist
immer die epithelioide Form des ausgebildeten Tuberkels. Tuberkelbazillen
sind bekanntlich selten zu finden (in 61 untersuchten Fällen 30 mal). Tuber¬
kulose und gleichzeitiges Karzinom stehen wohl kaum im ursächlichen Zu¬
sammenhänge.
R. S a 1 0 m o n: Die endogene (Spontan-) Infektion in der Gynäkologie.
Die Möglichkeit einer endogenen Infektion kann nicht mehr bestritten
werden und zwar sowohl in der Gynäkologie wie in der Geburtshilfe. Die
Häufigkeit ist grösser, als man gemeinhin glaubt; sie betrug in der Giessener
Frauenklinik 11,1 Proz. Diese Feststellung soll den Arzt nicht etwa entlasten,
sondern sie bürdet ihm die zweite Aufgabe auf, nicht nur die exogenen,
sondern auch die endogenen Infektionsquellen zu verstopfen. Das geschieht
heute am ehesten durch Unschädlichmachung der Scheidenmikroben, künst¬
liche Erhöhung der immunisierenden Kräfte durch Autovakzine, endlich auch
durch günstigste Wahl des Zeitpunktes der Operation.
A. S e i t z: Ueber die operative Behandlung der Retroflexlo-veraio uteii.
Empfohlen wird besonders die indirekte Ventrofixur, die sich an die
von S c h a u t a und D o 1 6 r i s angegebenen Methoden anschliesst; sie über¬
trifft in ihren anatomischen und funktionellen Erfolgen den Alexander-
Adams. Störungslose Schwangerschaft und Geburt sind der beste Prüf¬
stein für diese Operationsart und von den 410 so Operierten haben 47 Frauen
55 mal geboren und 8 mal abortiert. Sterblichkeit des Eingriffes 0,7 Proz. Die
Anzeige zur Operation liegt nicht immer in der Lageveränderung, sondern
in den sekundären Veränderungen der Nachbarorgane (Perikolitis, Perisigmoi¬
ditis chronica adhaesiva). Und darum ist ein Eingriff vorzuziehen, der bei
Eröffnung der Bauchhöhle erlaubt, nicht nur die Lageverbesserung vorzu¬
nehmen, sondern auch die komplizierenden Veränderungen kennen zu lernen
bzw. zu beseitigen.
Alfons Mahnert: Ueber, das Blutvolamea ln der Schwangerschalt.
In der 2. SchwangerschaftsHälfte ist das Blutvolumen vermehrt und zwar
sowohl absolut als relativ. Der Gehalt des Blutes an Serumeiweiss ist
niedriger als in der Norm. Im schwangeren mütterlichen Organismus kreisen
mehr rote Blutkörperchen als im nichtschwangeren. Es scheint ein festes
Verhältnis zwischen Körpergewicht und Oesamtserumeiweissgehalt ni W
stehen.
Hinselmann: Zur Theorie der Blasenmole.
Warum die Blasen der Blasenmole entstehen, ist noch unbekannt; denn
die Annahme, dass der zentrale Flflssigkeitsranm ein erweitertes Oefäss ist,
hat sich als falsch erwiesen. Wahrscheinlich ist die Blasenbildung ähnlich
dem Vorgang des physiologischen transitorischen Zottenödems (Happe,
L a n g h a n s). Das Oedem selbst entsteht durch eine Störung Im Oefäss-
wachstum, für die aber bisher keine Erklärung gefunden werden konnte.
W. S. F1 a t a n - Nftmbef g.
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNIA
29. AprÜ 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
527
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 14.
H. A. Dietrich - Göttingen : Zur Therapie der Tubargravldltät. (Soll
bei Operation der Tubargravldltät die andere Tube mltentfernt werden?)
Nach Operation einer Tubargravidität kommt cs in einem Drittel der
Fälle (35,19 Proz.) wieder zu Schwangerschaft, dabei jedoch 5,4 mal öfter
intrauterin als extrauterin. Unter 4526 Fällen trat in 4,68 Proz. eine zweite
Tubargravidität ein. Unter 615 Fällen operierter Tubargravidität trat in
28,62 Proz. eine intrauteryie Gravidität ein (bei vielen Frauen mehrmals).
Auf Grund dieser Zahlen ist die „prophylaktische“, „prinzipielle“ Entfernung
der anderen Tube bei Operation einer Tubargravidität abzulehnen.
J. O 1 0 w - Lund: Zur Frage von der exspektatlven Behandlung der
fortgeschrittenen extrauterinen Schwangerschaft.
Gegen die von Lichtenstein angeregte und befürwortete konser¬
vative Behandlung spricht die grosse Zahl der Missbildungen, die durch die
abnorme Nidation und Plaientation entstehen. Einen diesbezüglichen Fall
bringt diese Arbeit.
H. H i s g e n - Trier: Ansgetragene Extrauteringravidität.
Auch diese im Sinne Lichtensteins behandelte kasuistische Mit¬
teilung trägt trotz schliesslich günstigen Ausganges nicht gerade dazu bei,
das L. sehe Vorgehen besonders zu empfehlen.
M. F r a e n k e 1 - Charlottenburg: X-Strahlen bei Extrauteringravidität.
Bericht über 2 Fälle, in denen es gelang, die Extrauteringravidität durch
Röntgenbestrahlung zur Rückbildung zu bringen.
J. Schiffmann - Wien: Zur Arbeit B o r e 11 s: Gleichzeitige
Schwangerschaft beider Tuben (mit spontaner Rückbildung der einen Seite)
im Heft 4. 1921 dieses Zbl.
Die symptomlose Resorption als Spontanheilung ist von Sch. schon früher
beschrieben worden.
Fr. Grieser-Burg b Magdeburg; Zur Aetiologie der Tubengravidi¬
täten.
Die Tubengraviditäten beruhen, soweit sie nicht auf Entzündung bzw.
auf direktem mechanischem Verschluss der Tube beruhen, auf zu geringer,
auf Ernährungsstörungen zurückzuführender Peristaltik der Tubenmuskulatur.
Histologische Untersuchung von 4 Fällen. Die Ursache der Häufigkeit dieser
besonderen Fälle nach dem Kriege ist die Unterernährung.
K. Heil- Darmstadt: Ein Fall von Stieldrehung der Tube bei vlrginellen
Oenltaltraktus.
Kasuistische Mitteilung. Aetiologie; Stoss gegen den Leib.
M. L ö h 1 e i n - Marburg: Zur vorläufigen Mitteilung von Th. Fahr In
Nr. 36, 1920 des ZbL f. Gyn.: lieber Nlerenveränderungen bei Eklampäle.
Prioritätsanspruch.
M. Hirsch- Berlin: Sozialgynäkologie.
Polemik gegen P u p e 1.
E. H e r r m a n n - Wien: Udber das spezifische Ovarlalsekret. Zur
Richtigstellung der Angaben im Artikel von Otfried O. Fellner in Nr. 40,
1920 dieses Zbl.
Prioritätsanspruch. Werner- Hamburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIX. Nr. 3.
Richard Hamburger: Infektion und Darmerkrankungen des Säuglings.
Vortrag in der pädiatrischen Sektion des Vereins für innere Medizin und
Kinderheilkunde am 14. Juni 1920. Vergl. das Vereinsreferat in d. Wschr
1920 S. 766.
Benno Grünfelder: Ueber infektiöse Magen-Darmkrankhelten.
Vortrag an der gleichen Stelle wie der vorige. Vergl. das Vereinsreferat
in d. Wschr. 1920 S. 887.
F r i e d e 1: Das Degerma-Flaschenmllchverfahren.
Empfehlung einer Metallflasche statt der Glasflaschen; Das
Degermaverfahren soll den bisher gebräuchlichen Dauererhitzungsverfahren
bedeutend überlegen sein. ,
Referate. Vereinsberichte. Besprechungen.
Albert Uffenheimer - München.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 93. Heft 6.
Georg Stern: Zur Kenntnis der Rumlnation im Säuglingsalter. (Aus
der Universitäts-Kinderklinik in Rostock. Dir.: Prof. Dr. H. Brüning.)
Kasuistischer Beitrag, die er mit G ö 11 als eine auf dem Boden
funktioneller Schwäche des Magendarmtiaktes erwachsene lustbetonte und
zum Zwecke des Lustgewinnes fixierte pathologische Reaktion auffasst. Hei¬
lung durch Ablenkung bzw. heilpädagogische Massnahmen.
C. S c h a e f e r - Görlitz: Duodenalatresie oder Enterospasmus.
Kasuistische Mitteilung.
E. Stransky und A. B ä 1 i n t: Die Nierenfunktion im Sängllngsalter.
Die Stickstoffverteilung im Blute und Harne im Säuglingsalter. (Aus der
Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Die Verf. konnten feststellen, dass zwischen der Stickstoffverteilung des
Reststickstoffes im Blute und der des Harn Stickstoffes kein Zusammenhang
besteht. Nach den Untersuchungen der Verfasser scheint die Säuglingsniere,
wenn man die extrarenalen Faktoren ausscheidet, funktionell den Nieren im
späteren Alter gleichzukommen. Die extrarenalen Faktoren spielen eine
wichtige Rolle bei der Salzausscheidung. Bei der Wasserausscheidung kommt
noch die Wasserabgabe durch die relativ grössere Körperoberfläche der
Säuglinge in Betracht. Auch bei der Beurteilung der Wirkung der Diuretika
auf die Nierenfunktion treten extrarenale Faktoren in den Vordergrund.
Berthold Epstein: Ueber die Beelnfiussung des habituellen Erbrechens
der Säuglinge durch Breivorifitterung. (Aus der Universitäts-Kinderklinik zu
Berlin.)
Der Verfasser teilt mit, dass die Vorfütterung von einigen Theelöffeln
(2—3) fünf Minuten vor der Nahrungsaufnahme imstande ist, habituelles Er¬
brechen günstig zu beeinflussen. Die Behandlung ist einfach und leicht von
jeder Mutter durchführbar. Sie hat besonders bei Brustkindern den Vorteil,
dass sie das weitere Stillen ermöglicht.
£. Stransky und O. Weber: Die Nlerenfnnktlon Im Säugllugs-
alter. (Ans der Universitäts-Kinderklinik zu Berlin.)
U. Ueber Wasser- und Kochsalzausscheidung.
Nach den Versuchen der Verfasser unterscheidet sich die Säuglingsniere
in ihren Funktionen pr nicht von den Nieren im späteren Lebensalter und
ist demnach nicht mit den Funktionen der Niere bei Diabetes insipidus zu
vcrgleicben. Die Säuglingsnieren sind also in ihren elementaren Punktionen
vollkommen entwickelt und anpassungsfähig. Die Momente, die das entgegen¬
gesetzte Vortäuschen könnten, sind nur extrarenal bedingt. Spezifisches Ge¬
wicht, Salzkonzentration und Reduktionsindex hängt von der Art der Nah¬
rung nicht vom Alter ab. Das Konzentrationsvermögen ist ebenfalls im
frühesten Säuglingsalter da — der Nachtharn ist immer hochgestellt, der
Tagesharn niedriger.
Sitzungsberichte. Literaturbericht, zusammengestellt von A. N i e mann¬
mann- Berlin. — Buchanzeige. Sach- und Namenregister.
O. Rommel- München.
Arbeiten aus dem Relchssesundbeitsamte. 52. Band. 1920. 3. Heft.
Adolf G m i n d e r, unter Mitwirkung von Zwick, Zeller. Krage-
Berlin: Die Immunisierung gegen das ansteckende Verkalben.
Innerhalb einer 10 jährigen Periode haben die Verfasser sich mit Ver¬
suchen beschäftigt, gegen den infektiösen Abortus, bedingt durch
den Abortusbazil-lus von Bang und S t r i b o 11, ein Immunisierungs¬
verfahren ausfindig zu machen. Sie haben mehr als 5000 Rinder geimpft.
Von 3006 Tieren liegt das bearbeitete Material vor, aus dem sich ergibt, dass
1650 mit 5 verschiedenen Impfstoffen geimpft wurden, während 1356 Tiere
zur Kontrolle zur Verfügung standen. Es wurde lebende und abgetötete
Abortuskultur mit oder ohne Immunserum verwandt. Im ganzen hat sich
die Immunisierung bewährt. Die Abortusfälle gingen von 25,21 Proz. auf
15,15 Proz. herab. Die passive Immunisierung hat völlig versagt. Am
besten sind die Resultate mit lebender Kultur mit oder ohne Serum. Mit
lebender Kultur allein sanken die Fälle von 29,09 auf 6,36 Proz. Der
Trächtigkeit tat die Impfung keinen Abbruch. Die Dauer der Immunität ist
verschieden; mehr als zwei Jahre hält sie kaum vor. Infizierte Bestände
müssen einige Jahre fortlaufend geimpft werden, wenn der Erfolg ein voller
sein soll.
CI. G i e s e - Berlin : Di^ Diagnose und Bekämpfung der Rotzkrankheit
mit Hilfe der Malleinlslerung und der Blutuntersuchung.
Zur Diagnose der Rotzkrankheit eignet sich am besten die Blutunter¬
suchung, d. h. die Komplementablenkungsmethode, die Agglutination. Bei
Eseln, Maultieren und Mauleseln verwendet man am besten die Konglutination
oder die Hämoagglutination. Daneben ist die Augenprobe und die Mallein¬
probe zu benützen. Für die Rotzbekämpfung ist eine einmalige kombinierte
Untersuchung (Blutuntersuchung + Augenprobe) nicht ausreichend. Sie ist in
grösseren Abständen mehrmals zu wiederholen. Dabei ist eine sorgfältige
klinische Untersuchune der Pferdebestände unerlässlich.
H. Zeller- Berlin: Ueber Pocken bei Ziegen Sfidwestafrlkas.
Die Arbeit betrifft die Untersuchung eines aus Otjiwarongo (Deutsch¬
südwestafrika) eingesandten Borkenmaterials von Ziegen. Es handelte sich
um warzenartige Hautproliferationen in der Maul- und Nasengegend der Tiere.
Vom Verf. wurde nach gründlichster Untersuchung angenommen, dass es sich
um Ziege npocken handelt, wenn av^nicht alle Merkmale genau zutreffen.
Pferd, Hund und Schwein erwiesen sic^^raktär, dagegen konnte die Krank¬
heit auf Schafe übertragen werden. Di “n Laboratoriumstiere erkranken
nicht. Eine Uebertragung auf das Aug | bei Pocken gelang nicht. Das
Ueberstehen der Krankheit erzeugte eine Viität bis zu 209 Tagen. Ebenso
bewirkte subkutane Einimpfung des ^ / iais (lebende Erreger) eine
Immunität. i
S c h 1 e m m e r - Berlin: Ueber Antlko.per gegen Lipoide and Eiweiss¬
körper Im Typhusserum und die Ursache des Nelsser-Wechsberg-
schen Phänomens.
L. L a n g e - Berlin: Versuche über die Verwendbarkeit des Holzessigs
als Ersatz für den Sabadlllesslg bei der Läusebekämofung.
Es wurde festgestellt, dass die Wirkung des Holzessigs dem Sabadill¬
essig auf Läuse und Nissen gleichgestellt werden kann.
R. O. Neumann - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 16.
D. K l i n k e r t - Rotterdam: Ueber den Zusammenhang von allergischer
Immunität und Anaphylaxie, vom klinischen Standpunkt betrachtet
Nach der in diesen Darlegungen entwickelten Auffassung bilden Milz,
Lymphdrüsen und Knochenmark die spezifischen Antikörper im infizierten Or¬
ganismus und sorgt die nervöse Blutgefässallergie, dass in dem immunisierten
Organismus an der Stelle der Re-Infektion die Phagozytose und humorale
Immunität rascher in Wirkung treten können. Diese Allergie, nämlich die
spezifisch erhöhte Reflexreizbarkeit des Gefässnervensystems, bildet einen
äusserst bedeutungsvollen Teil der erworbenen Immunität.
H. Strauss - Berlin: Ueber Harnstoff als Diuretikum.
Seine persönlichen Erfahrungen bei hydropischen Nierenkranken, auch bei
Herz- und Gefässkrankheiten, sowie bei entzündlichen Ergüssen, haben Verf.
darin neuerdings bestärkt dass der Harnstoff als Diuretikum mehr Be¬
achtung verdient, als ihm bisher zuteil wird. Verf. gibt etwa 30 g pro die und
steigt nach Bedarf auf 60—80, die er in Wasser oder Kaffee gibt
U. Friedemann -Berlin : Ueber chronische Diphtheritis und Lues.
Aus 2 näher mitgeteilten Fällen, die durch einen besonders langen Ver¬
lauf ausgezeichnet waren, kam Verf. zum Schlüsse, dass die Ursache dieses
chronischen Verlaufes in der gleichzeitig vorhandenen Lues dieser Kranken
bestand. Dabei zeigten die betreffenden Kranken klinisch nicht den Charakter
einer Mischinfektion, sondern einer reinen Diphtherie. Ein weiterer Fall
zeigt, dass die Erkrankung der Tonsillen auch einen destruktiven Charaktei
annehmen kann. Besprechung diagnostischer Einzelheiten.
A. L e h n d 0 r f f - Prag: Ueber die Entstehung des Q a r 1 a n d scher
Dreieckes.
Es handelt sich dabei um eine paravertebrale Aufhellungszone des Per¬
kussionsschalles bei pleuritischen Exsudaten, worüber verschiedene Hypo¬
thesen existieren. Die Ausführungen des Verfassers dienen dem Nachweis,
dass diese Aufhellung durch die darunter befindliche Lunge bervorgerufen
wird. Da'bei ist der betreffende, teilweise noch lufthaltige Lungenteil nicht
wandständig, so dass die Dreieckzone erst bei etwas stärkerer Perkuaaio«
sich zeigt.
H. Schäf f e r-Breslau: Die Messung der Leltungigeschwladlgkait
Im sensiblen und motorischen Nerven beim Menschen.
Die hier gebrauchte Methode ist im Original zu vergleichen.
P. Rosenthal und M. Krueger - Breslau: Die klinische Bedeutung
der trypanoziden Serumsubstanz für die Serodiagnose der Leberlnsufflzlenz.
Die durch die mitgeteilten Versuche gewonnene Feststellung, daaa der
Untergang der trypanoziden Substanz ün Serum beim madiaaiaoban lUaras
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
528
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
nicht mit einer primären Serumtoxizität der Gallenbestandteile erklärt werden
kann, eröffnet die Möglichkeit einer einheitlichen Betrachtungsweise des
Phänomens des Trypanozidieschwundes. Der trypanozide Titer des mensch¬
lichen Serums steht in engsten Beziehungen zur Funktionstüchtigkeit der
Leber und aller Wahrscheinlichkeit nach stellt die Leber sogar die Bildungs¬
stelle des trypanoziden Serumkörpers dar.
L. D ü n n e r - Berlin: Perniziöse Anämie und Karzinom.
Nach Nägeli sollte eine scharfe Trennung der Anämie infolge Knochen¬
markskarzinose von der perniziösen Anämie möglich sein. Der näher hier
mitgeteilte Fall Mehrt aber, dass die betreffenden differentialdiagnostischen
Momente nicht auf jeden Fall von Knochenmprkskarzinose zutreffen. Im be¬
treffenden Fall war perniziöse Anämie und Magenkarzinom vorhanden und
War das ganze Knochenmark durch Karzinom zerstört.
O. M o o g - Marburg: Zur Theorie der Proteinkörperwirkung nach Be¬
obachtungen bei der Serumbehandiung des Scharlachs.
Nach den von Verf, gemachten Erfahrungen muss bei den Erklärungs¬
versuchen des Wirkungsmechanismus der Proteinkörper vor einer schemati¬
schen Verallgemeinerung gewarnt werden.
E. W ö h 1 i s c h und F. v. Mikulicz-Radecki - Kiel: Der Wert
der Döhle sehen Leukozyteneinschiüsse und des Schulz-Charlton-
schen Auslöschphänomens für die Diagnose des Scharlachs.
Die Verfasser besprechen die diagnostische Bedeutung der beiden be-
zeichneten Methoden, ihre Vorzüge und die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit
an der Hand eigener Erfahrungen. Nicht zu kurzer Wiedergabe geeignet.
Die beiden Methoden erweisen sich als eine wesentliche Bereicherung der
diagnostischen Behelfe bei der Scharlachdiagnose.
F. S c h i I d - Hörde: Versuche als praktischer Arzt mit Partialantigenen
bei chirurgischer und ähnlicher Tuberkulose.
9 Fälle werden mitgeteilt, die Ergebnisse werden im Gegensatz zu
anderen Mitteilungen hierüber als befriedigende bezeichnet und übertreffen
die anderen Methoden bei weitem. G r a s s m a n n - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 11 u. 12.
H. S e 11 e r - Königsberg: lieber das Wesen der Tuberkulinreaktion.
Bei der Tuberkulinreaktion spielen Antikörper von der Art der Ambo¬
zeptoren keine Rolle; sie hat mit der Anaphylaxie nichts zu tun. Vielmehr
handelt es sich um eine spezifische Reizwirkung des Tuberkulins, welche nur
in einem durch die Tuberkelbazilleninfektion veränderten Körper möglich ist.
Durch das erstmalige Eindringen der Tuberkelbazillen und die Abgabe ihrer
Gifte in die Gewebe wird die Allergie geschaffen. Neben der Tuberkulin¬
reaktion gibt es eine Tuberkelbazilleneiweissanaphylaxie; beide Erscheinungen
sind einander ähnlich.
M. F i c k e r - Berlin: lieber die Beobachtung von Bakterlengelsseln im
Dunkelfeld.
Schwach gefärbte Geisselpräpar^ geben im Dunkelfeld noch ein über¬
raschend deutliches Bild: auf di^pFWeise sind auch nur gebeizte, nicht
nachgefärbte Geissein gut sichtbaj^^ machen.
W. Klein- Frankfurt a. IVy inokokkenzüchtung.
Empfehlung des Plattengus J .irens statt des Plattenausstrichs.
P. G. U n n a - Hamburg: 1^. che Vorträge über Hautkrankheiten. III.
J. J o s e p h - Berlin: Hängewängenplastik (Melomloplastik).
Durch Exzision eines bestimmt geformten Hautstreifens vor und unter
dem Ohr wird die Wange gehoben. Verf. legt dieser von ihm zum ersten
Male im Jahre 1912 ausgeführten Operation soziale Bedeutung bei, zumal
beim weiblichen Geschlecht. (Wieweit die zurückbleibende, immerhin ziem¬
lich ausgedehnte Narbe nicht auch ein Hindernis bei Stellenbewerbungen sein
kann, muss dahingestellt sein. Ref.)
W. S a w i t z - Berlin: Endokarditis und Meningitis durch Streptococcus
virldans.
Vortrag, gehalten im Verein für innere Medizin zu Berlin am 20. De^
zember 1920 (Bericht in Nr. 1 1921 der M.m.W.)
F. Piclsticker - Essen: Die akute infektiöse stomatogene Hepatose.
Das Krankheitsbild, akut mit Fieber entstandene Lebervergrösserung mit
leichtem Ikterus, lokalen Brust- und Bauchschmerzen, allgemeinem starkem
Krankheitsgefühl und — besonders auffallend — einer Entzündung des Zahn¬
fleisches, wird als eine Fusospirillose gedeutet.
F. H o h m e i e r - Koblenz: Isolierte und volikommene Inversion des
Wurmfortsatzes.
Die Inversion des gangränös veränderten Wurmfortsatzes war anschei¬
nend durch Eindringen und späteres Zurückgleiten eines Spulwurmes zu¬
stande gekommen.
L. P i n k u s s e n - Berlin: Die physikalischen und chemischen Grund¬
lagen der Lichtbehandlung.
Vortrag, gehalten im Ver. f. inn. Med. u. Kindhlk. in Berlin am 20. De¬
zember 1920 (Bericht in Nr. 1 1921 der M.m.W.).
E. V 0 g t - Tübingen: Ueber die Kombination der operativen Therapie
der Genitaltuberkuiose mit der Röntgenbestrahlung (prophylaktische Be¬
strahlung).
Da die Genitaltuberkulose als eine ..Ausscheidungstuberkulose“ ange¬
sehen werden muss, empfiehlt es sich, neben der operativen örtlichen Be¬
handlung durch Röntgenbestrahlung eine allgemeine Mobilisierung der immuni¬
satorischen Kräfte des Organismus herbeizuführen. Eine selbständige, thera¬
peutische Bestrahlung ist dort am Platze, wo die Operation kontraindiziert ist.
P. Harrass - Bad Dürrheim: Heliotherapie bei chirurgischer Tuber¬
kulose.
Bad Dürrheim war seit 1915 Speziallazarett für chirurgisch-tuberkulöse
Kriegsteilnehmer. Die daselbst erreichten Erfolge waren sehr befriedigend,
besonders auch im Hinblick auf die erhaltene Funktionsfähigkeit der Ge¬
lenke. Heliotherapie eignet sich auch besonders zur Nachbehandlung von
Resektionsfällen. Urogenitaltuberkulose war kein dankbares Objekt für die
Sonnenbehandlung.
R. Fürstenau - Berlin: Dosierbare Lichttherapie.
Verteidigung des Aktinimeters gegenüber Jentzsch.
G. E s p e u t - Darmstadt: Zur Eubarytfrage.
Auch das Eubaryt geht nicht in Lösung, sondern bildet eine milchige
Suspension.
Kapp-Berlin; Ueber lokale Therapie der Alopecia seborrhoica init
Keratin, insbesondere mit Eigenkeratin auf lontophoretlschem Wege.
Keratin (Haare oder Nägel vom Menschen) zu 7 Proz. in Lig. ammon.
caust. aufgelöst und mittels Iontophorese — mit der Keratinlösung getränktes
Digitized by Goüsle
Mullstück an der Kathode einer besonders konstruierten Doppelelektrode —
in die Kopfhaut eingebracht, führte zu einem kräftigen Neuwuchs. Dieses
Verfahren hat vor der Behandlung mit Humagsolan (Z u n t z) den Vorteil,
dass es den Haarwuchs nur an der jeweils gewünschten Stelle anregt.
L. Rothbart - Pest: Hypermotilltät des Kolons.
Der Magen war 3 Stunden p. c. leer. Zoekum, Aszendens, Transversum
und Deszendeus gefüllt. Zugrunde lag vermutlich ein geheiltes Ulcus duo-
deni oder parapyloricum.
W. F i s c h e r - Idar: Ueber den sog. Kaskadenmagen.
In dem hier beschriebenen Fall war das Bild des Kaskadenmagens, wie
die Operation erkennen Hess, dadurch hervorgerufen, dass das Netz in einem
Nabelbruch lag, das Kolon an die Bruchpforte herangezogen und dadurch
das Mesokolon straff angesoannt war; auf dem gespannten Mesokolon ritt
der Magen.
A. N i e m a n n - Berlin; Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von
der exsudativen Dlathese. Uebersicht.
L. Langstein -Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Nr. 12.
A. B 0 r n s t e i n - Hamburg: Pharmakologische Beobachtungen am ge¬
sunden und kranken Menschen.
I. Einleitung. Ziele und Wege.
G. J o a c h i m p g I u - Berlin: Maximaldosen und ungenügende Signatur.
Jedes einigermassen ernst zu nehmende Mittel muss ausreichend signiert,
bei äusserlichen Mitteln muss ausserdem der Ort der Anwendung angegeben
werden. Bei Kinderrczepten empfiehlt es sich, das Alter des Kindes anzu¬
geben, um eine Sicherung durch den Apotheker zu ermöglichen.
H e i n z - Erlangen: Rosmarol, ein äusserlich anzuwendendes Saltzyl-
präparat gegen Rheumatismus. <
Rosmarol, hergestellt von der Chem. Fabrik Krewel & Co. in Köln,
ist eine 10 proz. Wintergrünöl-Mitin-Salbe, der zur Erhöhung einer hyperümi-
sierenden Wirkung 1 Proz. Rosmarinöl zugesetzt ist. Synthetisches Winter¬
grünöl ist Salizylsäuremethylcster und wird, da die Salizylsäure nach seiner
Verreibung auf der Haut eine sehr deutliche Harnreaktion gibt, offenbar
von der Haut reichlich aufgenommen und an die darunterliegenden Gewebe,
Muskeln und Knochen, abgegeben.
P. G. U n n a - Hamburg: Klinische Vorträge über Hautkrankheiten. IV.
A. B ö h m c - Bochum: Myelo-Encephalitis epidemica.
Verf. hält diesen Namen für den geeignetsten, da die mannigfaltigen,
rasch wechselnden Symptomenbilder eine Einteilung in Encephalitis lethargica,
choreatica neuralgica usw. unmöglich machten.
A. L u g e r - Wien: Zur Differentlaidiagnose des Maltaffebers.
Schwere Fälle erinnern an Typhus, Paratyphus A und B oder Koli-
bazillose; weiterhin kommen differentialdiagnostisch in Betracht: Malaria,
bei den Gelenkaffektionen auch fieberhafte Gicht, unter Umständen sogar
gonorrhoische Monarthritis.
K. W e i s s und E. Lauda- Wien: Die Kreuzfuchs sehe Methode
der Aortenmessung.
Radiologisch-anatomische Studie, die in der Urschrift gelesen werden
muss.
A. H e 11 w i g - Freiburg i. Br.: Die diffuse Kolloidstruma.
Der diffuse Kolloidkropf stellt weder einen Ruhezustand (W e g e 1 i n)
noch eine Degenerationsfolge (Lücke, W ö 1 f 1 e r) dar, ist vielmehr in
seinem histologischen Aufbau und seiner innersekretorischen Wirkung auf den
Organismus die Aeusserung einer Hyperplasie mit Hypersekretion, also Hyper¬
thyreose. Es wird die Anschauung -vertreten, dass die Mehrzahl der diffusen
Basedowstrumen (papilläre Form) sich aus der diffusen Kolloidstruma ent¬
wickelt.
M, Krabbel - Aachen: Vuzin in der Bekämpfung der ruhenden In¬
fektion.
Nach Aufzählung und Begründung der mangelhaften Erfolge der Vuzin-
spritzung bei den verschiedenen Eiterinfektionen in der Friedenschirurgie
wird die prophylaktische Infiltration der Gliedmassen in ihrem ganzen
Querschnitt mit Vuzinlösung 1: 1000 (Zusatz von 0,5 Novokain) zur Ver¬
meidung des Aufflackerns einer ruhenden Infektion bei Nachoperatiorien an
Kriegsverletzten empfohlen. Mitteilung dreier so vorbehandelter und ohne
Eiterung geheilter Fälle.
Levy-Lenz und P. Schmidt- Berlin: Eriahrungen mit der
Steinach sehen Operation.
Bericht über einen einstweilen noch unverändert gebliebenen und 3 an¬
scheinend günstig beeinflusste Fälle.
F. K i r s t e i n - Marburg a. L.: Ueber die Schutzpockenimpfung bei
Schwangeren. Wöchnerinnen und Neugeborenen.
Frühgeborene Kinder vertragen nicht ausnahmslos gut die Impfung.
Schnelligkeit und Grösse der Pustelentwicklung bei Kindern, deren Mütter
vor der Entbindung geimpft worden waren, unterschied sich nicht wesentlich
von derjenigen bei Kindern ungeimpfter Mütter; doch war bei ersteren die
Zahl der aufgehenden Pusteln geringer. K. vertritt die Anschauung, dass
die Kinder frisch vor der Entbindung revakzinierter Mütter nicht immun
gegen Kuhpocken sind.
M. Fussfach-Dresden: Die Bewertung der durch Hg-Behandlung
negativ gewordenen WaR.
Behandlung mit Novasurol (3,39 Proz. Hg) führte zu der Beobachtung,
dass das Negativwerden der WaR. durchaus nicht zusammenfiel mit dem Ver¬
schwinden der syphilitischen Erscheinungsformen und der in ihnen ent¬
haltenen Spirochäten. Danach darf bezweifelt werden, dass lipoide Zell¬
produkte oder Spirochäten selber die Veranlassung für den positiven Ausfall
der WaR. geben.
E. K e i n i n g - Bonn: Ueber eine kombinierte Sachs-Georgi-
Wassermann sehe Reaktion.
Erwiderung zu den Bemerkungen von Kafka in Nr. 10 d. W.
G. S c h r ö d e r - Schömberg: Ueber den Frledmann-Tuberkulosestamm:
Eigene Versuche lassen es ebenso wie die Beobachtungen von anderer
Seite so gut wie sicher erscheinen, dass der Friedmannbazillus eine Mutations¬
form des humanen Typus, entstanden durch Anpassung an den Kaltblüter¬
organismus, darstellt.
G r a s s - Sommerfeld: Das Impflnflltrat nach Frledmannbehandlnng und
seine Beziehungen zum Krankheitsbild.
Ablehnung der Friedmann sehen Anschauungsweise.
R. K o r b s c h - Breslau: Zur intravenösen Injektion hochprozentiger
T raubenzuckerlösungen.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
529
Die günstigste Konzentration ist 50 Proz.; von einer derartigen Lösung
können 20—50—100 ccm eingespritzt werden.
J. Schütze - Berlin: Dosierbare Lichttherapie.
Das Fürstenau-Aktinimeter entspricht den praktischen Anforderungen.
H. Robert-Kiel: Venenounktlon mittels Trokarnadel.
Die Anwendung dieser Nadel lässt das Anspiessen der rückwärtigen
Venenwand vermeiden.
H. Reiter- Rostock: Der heutige Stand der Lehre von der Vakzination.
Uebersicht.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Oedterrelchiscfae Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift
Nr. 2/3. E. L e c h e r - Wien: Physikalisches zur 25 jährigen Erinnerung
an die Entdeckung Röntgens. Siehe Bericht M.m.W. 1921 S. 473.
K. M e i X n e r - Wien: Der Hoden eines Drüsenzwitters.
Siehe Bericht M.m.W. 1921 S. 421.
J. S c h n i t z 1 e r - Wien: Chirurgie der Magen- und Darmgeschwülste.
Fortbildungsvortrag.
C. Sternberg-Wien: Pathologische Anatomie des Magengeschwürs.
Fortbildungsvortrag.
K. Stejskal -Wien: Ueber intravenöse Therapie und die Wirkung
intravenös verabreichter hypertonischer Lösungen.
Bemerkungen zu seinen früheren Mitteilungen.
Nr. 12/13. W. So me r-Wien: Zur Narkolepsiefrage.
Krankengeschichten zweier Fälle von genuiner Narkolepsie. Die Aetio-
logie des Leidens ist noch unklar (vasomotorische Störungen durch Erkrankung
der Hypophyse?).
Nr. 14. F. H a m b u r g e r und K. Peyrer - Graz: Die negative und
positive Phase der TuberkullnempBndllchkelt.
Die von W right aufgestellte positive und negative Phase der Tuber¬
kulinempfindlichkeit, feststellbar durch Abnahme und Zunahme des opsonischen
Index, kommt auch zum Ausdruck durch die sog. Tuberkulinimmunität (nega¬
tive Phase), die als geringere Tuberkulinempfindlichkeit im Anschluss an die
Einverleibung einer grösseren Tuberkulinmenge auftritt; der positiven Phase
entspricht der von Löwenstein und Raopaport studierte Zustand der
Sensibilisierung.
H. K ö n i g s t e i n - Wien: Ueber Amyloidablagerung als pathologisch-
anatomischer Befund bei Dermatosen.
Beschreibung zweier Fälle von hochgradiger Amyloidablagerung in der
Haut; bei dem einen wird hochgradige Amyloidose der inneren Orgäne aus¬
drücklich hervorgehoben. Genauere Beschreibung im Original.
J. Fe in-Wieden: Rückläufige Nasenspülungen.
Siehe Bericht M.m.W. 1921 S. 289. (Mit Abbildungen.)
C. S t e r n b e r g - Wien: Pathologische Anatomie der Myelosen und
Lymphomatösen. Fortbildungsvortrag.
M. li a u d e k: Röntgendiagnostik der Magen- und Zwölffingerdarm-
geschwtire. Fortbildungsvortrag.
J. Palugvay - Wien: Röntgenologische Darstellung des Traktions¬
divertikels der Speiseröhre mittels der Untersuchung in Beckenhochlagerung.
Beschreibung eines Falles mit Bemerkungen zur Pathologie und Diagnose,
Vergleich mit dem bis jetzt einzigen Fall von Helm.
M. S t r a s s b e r g - Wien: Versuche zur Behandlung der Pellagra mit
Eigenserum.
Von 14 mit Eigenserum (10—17 ccm intraglutäal) behandelten Pellagra-
kranken sch^Vanden in 8—26 Tagen die Krankheitserscheinungen, 4 wurden
gebessert, 2 zeigten keinen Erfolg. Neben den anderen Behandlungsarten
dürfte dieses Verfahren, namentlich bei den Geistesstörungen, sich zur An¬
wendung empfehlen. ' B e r g e a t - München.
Vereins- und Kongressberichte.
45. Versafflmlung der Deutschen Gesellschaft fOr Chirurgie
in Berlin vom 30. März bis 2. April 1921.
(Berichterstatter: Sanitätsrat Dr. H. S t e 11 i n e r - Berlin:)
Dritter Sitzungstag.
Drittes Referat: „Die Abgrenzung der allgemeinen, der Lumbal- und der
örtlichen Betäubung**.
Erster Referent: Herr B r a u n - Zwickau: Die lumbale Anästhesie gibt
eine höhere Mortalität als die Allgemeinnarkosc und ist daher auf be¬
stimmte Indikationen zu beschränken. Die Nebenwirkungen hängen von
der Art des verwendeten Betäubungsmittels ab. Man darf mit der lum¬
balen Betäubung nicht zu hoch hinaufgehen wollen. Beckenhochlagerung ist
zu vermeiden. Ihr Hauptanwendungsgebiet sind die Amputationen bei alten
Leuten, besonders Arteriosklerotikern, Hüftluxationen und überhaupt die
Chirurgie der unteren Extremitäten und die Chirurgie der Bauchorgane unter¬
halb des Nabels. Ihre Anwendungshäufigkeit beträgt im Krankenhause etwa
1 Proz. Die Sakrale und epidurale Anästhesie steht ihr an Gefährlichkeit
nicht nach. Die Resorption aus dem epiduralen Raum ist sehr gross. Man
muss stets vor Augen haben, dass die Höchstdosis 0,4—0.5 Novokain, bei
schwächlichen Personen noch geringer ist. Sie kommt eigentlich nur für den
Plexus sacralis in Betracht und hier macht ihr die örtliche Betäubung Kon-
kurre-' so dass ihr keine grosse Zukunft beschieden sein dürfte. Die
Venenanästhesie hat nicht viel Anhänger gefunden. Die Lokalanästhesie mit
Novokain und Adrenalinzusatz ist ganz ungefährlich, aber auch hier soll man
die Grenzen nicht überschreiten. Er selbst wendet sie etwa in 50 Proz. aller
Operationen an. Eine Qegenindikation bildet unter Umständen die Psyche
der Patienten. Man wird die allgemeine Narkose nie ganz missen können
und soll sie daher schon deshalb üben, damit man sie dem ärztlichen. Nach¬
wuchs vorführen kann. Das Hauptgebiet der örtlichen Unempfindlichkeit ist
die kleine Extremitätenchirurgie. Bei den kleinsten Eingriffen tritt die
Rauschnarkose mit ihr in Konkurrenz. Von grösseren Eingriffen kommen die
Schädeloperationen in Betracht; doch ist die Empfindlichkeit der Dura nicht
zu beseitigen. Für das Aufklappen des Schädels ist Allgemeinnarkose zu
empfehlen. Bei den Halsoperationen, auch der Strumektomie. kann sie ver¬
wendet werden; für Basedow ist Vegen der grossen Erregung der Patienten
die Allgemeinnarkose geeigneter. Die örtliche Betäubung des Plexus cervi-
calis ist nicht ungefährlich. Bei Brustwandoperationen kann die örtliche
Betäubung angewandt werden, für Thorakoplastik ist Allgemeinnarkose besser.
Bei grossen Bauchoperationen empfiehlt es sich, nach Skopolamin-Morphium¬
einspritzung die Bauchdecken unter örtlicher Betäubung zu eröffnen und bei
weiterem Operieren zwischendurch Allgemeinnarkose anzuwenden. Lungen¬
erkrankungen und Embolien sind durch die örtliche Betäubung nicht einzu¬
schränken. Die Splanchnikusanästhesie nach Käppis hat Todesfällle zu
verzeichnen. Ihre Anwendung nach Eröffnung der Bauchhöhle, wie sie von
ihm vorgeschlagen, hat sich bewährt, ist aber noch nicht reif für den All-
gettjeingebrauch. Beim Plexus sacralis, der Prostatektomie und dem Mast¬
darmkrebs konkurrieren die lumbale, sakrale und parasakrale Methode. Unter
den 400 letzten Fällen hatte er nur 18 Versager. Bei den oberen Extremitäten
kommt die Betäubung des Plexus brachialis nach Kulenkampff in Be¬
tracht. Es besteht hier die Gefahr der Pleuraverletzung, die durch richtige
Technik vermieden werden kann. Sie ermöglicht unter anderem die Re¬
position von Frakturen vor dem Röntgenschirm. An den unteren Extremi¬
täten tritt hier die Lumbalanästhesie in ihr Recht. So gross die Vorzüge
der örtlichen Betäubung sind, so soll man doch ihre Grenzen einhalten.
Zweiter Referent: Herr Denk-Wien: In der Allgemeinnarkose haben
sich in den letzten Jahren grosse Wandlungen vollzogen, die ihre Gefährlich¬
keit herabgesetzt haben. Man ist fast überall zum Aether als Narkotisierungs-
mittel übergegangen und wendet ihn tropfenweise bei offener Maske an.
Primärer Herztod kommt bei dieser Art der Narkose nicht vor. Zu ver¬
meiden ist die intermittierende Narkose. Bewährt hat sich eine Injektion
eines Narkotikums vor der Narkose, wodurch bei Chloroform 35 Proz., bei
Aether 40 Proz. erspart wurden. Zur Vermeidung der Lungenkomplikationen
sind die Patienten nach der Narkose zu tiefet Atmung anzuregen (Expek-
torantien, Sauerstoff). Chloroform ist zu vermeiden bei Lebererkrankungen
und Störungen im Pfortaderkreislauf. Von einigen Chirurgen wird die
Billrothmischung bevorzugt. Auch die Verkleinerung des Kreislaufes nach
Klapp hat sich bewährt und erspart grössere Mengen des anzuwendenden
Narkotikums. Sehr bewährt hat sich der Chloräthylrausch, aber in grösseren
Dosen stellt das Chloräthyl ein Gift dar und ist zur Narkose nicht geeignet.
In der Mitte zwischen örtlicher und allgemeiner Narkose steht die lumbale
Anästhesie. Welche Narkose angewendet w'erden soll, muss in jedem Falle
entschieden werden. Man soll nicht allgemeine Regeln aufstellen, sondern
individualisieren. Abgesehen von den Fällen, in denen die Kontraindikation
durch ein Leiden des Patienten gegeben ist, kann man sich auch nach den
Wünschen des Patienten, wie bei Hernienoperationen, richten. Die ver¬
schiedenen Methoden sollen nicht miteinander konkurrieren, sondern sich
ergänzen.
Herr Härtel- Hallle a/S. hebt als einen Vorteil der Lokalanästhesie
rfie Unabhängigkeit von der langen Dauer der Operation hervor. Bei den
Bauchoperationen liegt der Schwerpunkt der örtlichen Betäubung in dem parie¬
talen Peritoneum. Man muss die grossen Gefässe treffen. Es sind 4 Punkte,
die getroffen werden müssen. Der erste liegt hinter dem Pylorus (Art. hep.),
der zweite oben am Magen, der dritte am Lig. gastrolienale, der vierte soll
die Art. mesenterica superior treffen.
Herr Seidel- Dresden hat die Anästhesierung der Bauchhöhle nach
Braun versucht und dabei festgestellt, dass das Anheben ^r Leber von
den Patienten sehr schmerzhaft entbunden wird. Er hat durch die intakten
Bauchdecken K* proz. Novokain-Adrenalinlösung zunächst bei Hunden und,
nachdem er sich von der Unschädlichkeit des Verfahrens überzeugt, auch beim
Menschen eingespritzt. 360 ccm kann man ohne Schaden einspritzen. Von
48 Fällen erreichte er 31 mal völlige Anästhesie, 12 mal nur solche bis zur
Mitte, während 4 Fälle teilweise, einer völlig refraktär blieben. Die Re¬
sorption der Flüssigkeit findet auf dem Gefässwege statt und erzeugt so die
Unempfindlichkeit. Als Allgemeinverfahren möchte er aber die Methode noch
nicht empfehlen.
Herr Finsterer - Wien macht seit 10 Jahren alle grösseren Bauch¬
operationen in Lokalanästhesie. Er hat unter der sehr grossen Zahl von
Magenoperationen keinen Fall von Pneumonie gehabt. In der letzten Zeit
hat'er sich mit gutem Erfolge der Leitungsanästhesie nach Braun nach
eröffneter Bauchhöhle bedient. Er hat keinen Todesfall innerhalb der ersten
24 Stunden am Schock zu verzeichnen.
Herr Pels-Leusdcn - Greifswald empfiehlt das Chloräthyl ausser
zur Rauschnarkose auch zur Einleitung der Aethernarkose zu verwenden. In
geeigneten Fällen bedient er sich gerne der K u h n sehen Tubage. Lokale
Anästhesie wendet er auch bei grossen Schädeloperationen an. Bei lange
dauernden Operationen ist es unangenehm, dass zur Schlussnaht die Un¬
empfindlichkeit nicht mehr vorhält.
Herr Hosemann - Rostock berichtet über 5000 Lokalanästhesien der
Rostocker Klinik mit einem Todesfall an Influenzameningitis. Die Nach¬
wirkungen können einmal durch Drucksteigerung bedingt sein (in diesen Fällen
empfiehlt sich eine sekundäre Lumbalpunktion), zweitens durch Dpickvermin-
derung. Diese beruht auf der Wirkung des Anästhetikums auf den Plexus
chorioideus. nicht auf einem Nachsickern von Lumbalflüssigkeit. Als Mittel
hiergegen hat sich intravenöse Koclisalzinfusion sehr bewährt.
Herr Vogt- Tübingen hat prophylaktisch 5—10 proz. Urotropinlösung
intravenös injiziert.
Herr O r u s e n d o r f - Rotenburg i. Hann, macht auf die eigenartige
Wirkung der lokalen Betäubung in Malariagegenden, wo die Patienten
ein sehr reizbares vegetatives Nervensystem haben, aufmerksam.
Herr K a u s c h - Berlin-Schöneberg: ist in 200 Operationen ähnll wl.-
Härtel vorgegangen, ohno Versager erhalten /■ i ‘ ' ' . i !>.
darin, dass man sieht, wohin man die Flüss ; ,f i -'.r' A ; i; a-i
unteren Extremitäten hat er unter Leitungsan; u ^!^ I t ' I\-! >
Obturatorius) operiert.
Herr P h i 1 i p o w i c z - Breslau berichte ! ■ ! I.
anästhesie ohne Todesfall. Ein unangcnel. > i
blutung ereignete sich. In 500 Fällen traten t ,
der Fälle von diesen lag kein Ueberdruck vor. ■ n ' j :i
tion möglichst w’enig Liquor abfliessen lass: ri
eignen sich alle Operationen unterhalb des f.,. .'s.
Herr M ü 11 e r - Rostock hebt noch einni ’! i;er\: r J:
sehr lästigen Kopfschmerzen nach Lumbalan;^'! .i wuii i
jektionen von Yx Litern Kochsalzlösung (9 pro,;.> meist schon nach 2 Stun¬
den zu beseitigen.
Herr Sauerbruch - München fasst das Resultat der Besprechung be¬
züglich der örtlichen Unempfindlichkeit dahin zusammen, dass man sich davor
hüten solle, zu viel in ihr zu operieren.
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
530
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Aussprache über die Vorträge von Kausch (Bougierung ohne
Ende) und K fi m m e 11 (Kardlospasmus).
Herr C 1 a i r m o n t - Zürich: Die gewöhnliche Dilatation gibt meist
Rezidive. Dagegen hat sich ihm die Heller sehe Operation bewährt. Die
Oesophagogastrostomie sei ein sehr grosser Eingriff, der für dieses Leiden
kaum mehr in Betracht käme.
Herr K ü 11 n e r - Breslau berichtet über eine gelungene Oesophagus-
resektion. Er ist vom Halse aus vorgegangen und hat unter Ueberdruck
bei weiter Eröffnung der Pleura die Geschwulst reseziert. Das Befinden
war 3 Monate nach der Operation ein gutes. Später soll die Oesophago-
plastik vorgenommen werden, nachdem das Ende vorläufig versenkt wor¬
den ist.
Herr H e 11 e r - Leipzig berichtet über einen nach seiner Methode 1913
operierten Fall, der geheilt geblieben ist. Das Essen geht etwas langsamer als
normal. Auch zeigt sich bei der Röntgenaufnahme eine geringe Verengerung
an der Speiseröhre. Soviel er die Literatur kennt, sind bisher 2 Fälle in der
Leipziger Klinik, 1 von Kirchner und 16 aus dem Auslande bekannt und
sämtlich ohne Unglücksfall verlaufen. Doch sind 2 Misserfolge zu ver¬
zeichnen.
Herr Röpke- Barmen glaubt, dass nur die schwersten Fälle mit der
Oesophagogastrostomie zu behandeln sind. Er hat die Spaltung des Hiatus
oesophageus mit Loslösung des periösophagealen und perikardialen Gewebes
vorgeschlagen. Während in einem Falle das Resultat ein gutes geblieben,
traten in anderen Rezidive auf, die nach erneutem Eingriff geheilt wurden.
Herr Payr- Leipzig hat mit der Heller sehen Operation gute Er¬
folge gehabt. Es gibt Fälle, in denen der Spasmus auf den ganzen Oeso¬
phagus sich ausdehnt. Es ist notwendig, um bei vorher angelegter Gastro¬
stomie an die. Kardia heranzukommen, die Magenöffnung zu verlegen.
Herr Enderlen - Heidelberg hatte zweimal mit der Heller sehen
Operation gute Resultate erzielt, später aber Rezidive erlebt. Die Gastro-
ösophagotomie gibt gute Erfolge.
Herr Anschütz - Kiel erinnert an die G o 11 s t e i n sehe Sonde, mit
der er oft noch Erfolge bei gleichzeitig eröffneter Bauchhöhle erzielt hat.
Herr P r i b r a m - Berlin betont, dass es sich bei dem Kardiospasmus
um eine Vaguserkrankung handelt.
Herr Finsterer - Wien hat mit der Oesophagogastrostomie einen guten
Erfolg gehabt.
Herr Sauerbruch - München betont, dass nur die schwersten Fälle
operiert werden dürfen. Er hat dreimal die Oesophagogastrostomie gemacht
mit einem Todesfall. Erfolge hat er mit der Heller sehen Operation und
der Durchschneidung der Nn. vagi gesehen, aber auch Rezidive. Auch er be¬
tont das nervöse Element in der Aetiologie, das sich auch therapeutisch in
der guten Wirkung der suggestiven Therapie in einzelnen Fällen zeigt.
Herr Kirschner - Königsberg berichtet über das gute Befinden ddr
irn vergangenen Jahre vorgestellten Patientin (Oesophagoplastik). Er betont
die Gefahren der Versenkung des oralen Oesophagusstumpfes. Er warnt vor
der Bougiebehandlung bei Strikturen.
Herr Bier- Berlin ist der Ansicht, dass die Oesophagoplastik zu häufig
gemacht wird. - Man kommt mit der Bougierung ohne Ende oft noch zum
Ziele, wo man es nicht mehr erwartet. Auch er wendet, gleich Kausch,
jetzt meist Bindfaden an. Man muss ein Vierteljahr warten, ob die Bou¬
gierung nicht doch noch gelingt. Vor einem halben Jahre soll man sich nicht
zur Oesophagoplastik entschliessen.
Herr Körte macht auf die manchmal sehr feste Narbcnbildung auf¬
merksam, die nach Aetzstrikturen entsteht bei der man doch mit der Bou¬
gierung ohne Ende nicht zum Ziele kommt.
Herr Seidel- Dresden empfiehlt Katgut, welches quillt und dadurch
erweiternd wirkt, zum Bougieren.
Herr Wendel- Magdeburg spricht über die Schnittführung bei der
Resektion des Brustteils des Oesophagus. Bei Kardiospasmus empfiehlt auch
er die G o 11 s t e i n sehe Sonde, die ihm in einigen Fällen Gutes geleistet.
Bei operativem Vorgehen soll man eine der Pyloroplastik gleiche Operation
machen.
Herr O. Rosenthal - Berlin hat an Hunden und Leichen Versuche
gemacht und gefunden, dass man mit einem Hilfsschnitt am Halse vom Media-
stinalraum an den Oesophagus gut heran kann, ohne die Pleura zu verletzen.
Die Eröffnung des Pleuraraums hält auch er für sehr gefährlich.
Herr W. L e v y - Berlin war erstaunt, zu sehen, wie nach der Fried¬
rich sehen ßrustwandmobilisierung der Oesophagus dicht unter der Haut
liegt. Er glaubt auch auf Grund von noch nicht zum Abschluss gelangten
Leichenversuchen, dass dies der richtige Weg sei, um den Oesophagus opera¬
tiv anzugreifen.
Herr Enderlen - Heidelberg meint, dass ein ähnlicher Weg schon
von Roux eingeschlagen sei.
Hßrr P r e n d 1 - Troppau erinnert an die elektrolytische Behandlung
der Oe.sophagusstrikturen.
Herr H e n 1 e - Dortmund hat sich mit Erfolg des Elektromagneten be¬
dient, um bei der Bougierung ohne Ende die Kügfelchen in den Magen zu
ziehen. Er erinnert ferner an die angeborenen Strikturen, die erst im spä¬
teren Leben Beschwerden machen.
Herr Martens - Berlin sah in einzelnen Fällen, in denen die Bougierung
nicht gelang, dieselbe doch noch mit Hilfe des Oesophagoskops gelingen.
Herrn Sauerbruch - Mönchen ist es bisher auch noch nicht ge¬
lungen, eine ideale Oesophagusresektion auszuführen. Man muss auf die
Wiederherstellung der Kontinuität verzichten. Nur bei Tumoren in der Nähe
der Kardia, wenn sie isoliert sind, kann man durch Einstülpen des Tumors
denselben zur Nekrose bringen. Er zeigt ein derartiges Präparat, das von
einem 12 Tage nach der Operation an Pneumonie Gestorbenen herrührte.
Die Arbeit am Zwerchfell kann man sich durch vorherige Durchtrennung des
N. phrenicus erleichtern.
Herr Lotse h - Berlin zeigt einen Fall von doppelter Aetzstriktur des
rnarynx. Sie wurden wie in den von Axhausen beschriebenen Fällen
von luetischer supralaryngealer Pharyrix.stenose nach den Prinzipien
gebra^ht^^^* durch Pharyngotomia externa und Lappenplastik zur Heilung
Kdttn er-Breslau: Der postoperative Singultus.
D ® ! Auftreten eines quälenden Singultus ohne nac
BauShrfhii^ Operationen an anderen Organen als c
12 ma^1^ , irf t P ° beschrieben ist. Er hat i
apoarat ^^d^inalen, 4 mal bei Operationen am Hai
sfeh um ^o**®*"*^" Operationen beobachtet. Hier handelte
sicn um eine diabetische Gangrän, die zu Koma geführt hatte. Es lag dal
nahe, an eine toxische Erklärung zu denken und eine solche auch für die
anderen Fälle heranzuziehen. Therapeutisch kommt Chloräthon und Trinken
von heissem Neuenahrer Sprudel in Betracht.
Herr Payr- Leipzig fand in einzelnen Fällen als Ursache Einklemmungen
von feinsten Netzteilchen in die Bauchnaht.
Herr E r k e s - Reichenberg hat im Kriege auch Fälle von Singultus
beobachtet, die nach Novokaineinspritzung in den Phrenikus aufhörten.
Herr Seefisch- Berlin sah, gleich K ü 11 n e r, den Singultus nur bei
gutsituierten Patienten auftreten.
Herr C 1 a i r m o n t - Zürich sah Singultus unter anderem auch nach
einem von Zuckerkandl operierten Fall von Ureterstein auftreten, in
dem eine erneute Laparotomie zeigte, dass ein Stück der Ureterenwand in
die Peritonealnaht eingeklemmt war. In anderen beobachteten Fällen hatten
Narkotikoa keinen Erfolg. Mitunter wirkten Magenausspülungen und inner¬
liche Gaben einiger Tropfen Jodtinktur.
Herr S t u t z i n - Berlin empfiehlt auf Grund der amerikanischen Litera¬
tur grosse Gaben von Papaverin.
Herr Finsterer - Wien sah als Ursache Infarkt des rechten unteren
Lungenlappens.
Herr Z e 1 1 e r - Berlin beobachtete Singultus in 2 Füllen schwerer
Appendizitis, Tn dem einen Falle hörte der Singultus auf, als der nach
Ileostomie eingeführte Drain aus dem Darm entfernt wurde,
Herr K ü m m e 11 - Hamburg hat Singultus oft nach Erysipel gesehen,
ferner bei urologischen Operationen (Prostatektomie). Kreosot, Jod inner¬
lich. Novokainisierung des Phrenikus dienten zur Beseitigung.
Herr v. Eiseisberg - Wien sah ihn nach Leberabszess, bei retro-
peritonealer Phlegmone, bei Ulcus im Oesophagus. Er gab mit Erfolg Chloro¬
formwasser.
Herr Götze- Frankfurt a. M. sah ihn im Gegensatz zu dem Vortr.
auch bei Patienten 3. Klasse auftreten. Bei seinem Auftreten spielen auch
psychische Einflüsse mit. Er betont bei dieser Gelegenheit, dass die Blockade
des N. phrenicus durch die Schleifenbildung mit dem N. subclavius erschwert
wird.
Herr Sauerbruch - München hebt die grosse Häufigkeit der intra¬
thorakalen Anastomsoe beider Phrenici hervor,
Herr Nleden-Jena: Experimentelles über die Magenmotllltät und ihre
Beeinflussung.
Aus einer grossen Anzahl von Versuchen bei Hunden über die Wirkung
des Vagus und Sympahtikus auf die Entleerungshemmung des Magens und
ihre Beeinflussung durch Narkotika geht hervor, dass der Einfluss des Vagus
bedeutend grösser ist als der des Sympathikus.
Herr Kreuter - Erlangen: Erfolge der Gastroenterostomie.
Von 473 Fällen, welche nach 8 Jahren nachuntersucht wurden, zeigten
nur 2 Fälle postoperative Nachblutung. Ulcera peptica fanden sich in höch¬
stens 2 Proz. Nur 1 Fall musste nachoperiert werden. Bei Ulcera duodeni
wurde der Pylorusverschluss hinzugefügt, wozu das Lig. teres benutzt wurde.
Auch hier waren die Resultate gute.
Herr R ö p k e - Barmen: Die Bedeutung des Resektionsverfahrens nach
Reichel in der Behandlung des Ulcus ventriculi und duodeni.
Er tritt für ausgiebige Resektion ein, die keine Beschwerden macht.
'36 nachuntersuchte Fälle ergaben nur ein Ulcus pepticum. Alle anderen waren
gesund. Nur vor Hülsenfrüchten und Frischgemüsen mussten sie sich in
acht nehmen. Bemerkenswert ist, dass die Speisen keineswegs zu schnell
den Magen verlassen, sondern eine W^ile in ihm bleiben.
Herr v. Haberer - Innsbruck: Die Bedeutung des Pyiorus für das
Zustandekommen des Dostoperativen Jeiunalulcus.
Die Statistik ergibt, dass die meisten Ulcera peptica nach Pylorusaus-
schaltungen auftreten. Nach 710 Resektionen wurde kein Ulcus pepticum.
nach 71 Ausschaltungen 11 Ulcera peotica. nach 268 Gastroenterostomien
3 Ulcera beobachtet. Die besten Resultate liefert die Resektion nach Bill-
roth I. wie auch in diesem Jahre erneut gesammelte Erfahrungen beweisen.
Herr Enderlen - Heidelberg hat 2 Rezidive nach Billroth 1 gesehen.
Herr Bier- Berlin sah bei der Bearbeitung seines Materials, dass die
Gastroenterostomie bessere Resultate ergibt als die Resektion, so dass er
wieder zu ihr zurückgekehrt ist. Gut scheinen auch die Resultate mit
der FaltungstamponaHe nach Roth zu sein; indessen ist die Frage der
Opoortunität dieser Oner;‘*=-n noch nicht geklärt. Er warnt davor, die
Schleimhautnähte mit Seide zu machen, da diese das Entstehen des Ulcus
pepticum begünstigt.
Herr C I a i r m o n t - Zürich hat 48 Fälle von Ulcera peptica gesehen.
36 von diesen neuerlich operiert. Er hat alle möglichen Operationen ohne
Erfolg vor^enommen. auch grosse Resektionen gemacht und auch hier ein
Ulcus pepticum beobachtet, uso dass er keine Differenz zwischen Gastro¬
enterostomie und den anderen Methoden sieht.
Herr R e i c h e I - Chemnitz i«:t seiner Technik treu geblieben. Die
Gastroenterostomie darf nicht in den Mesenterialschlitz kommen,
Herr G a r r 6 - Bonn hatte unter 280 Gastroenterostomien kein Ulcus
pepticum gesehen. An der Technik kann das nicht liegen. Er glaubt, dass
der nervöse Einfluss eine grosse Rolle spielt. Später ist auch er zu Resek¬
tionen übergegangen hat aber auch mit der Gastroenterostomie gute Resuhate
gehabt.
Herr Finsterer - Wien legt die Gastroenterostomieöffnung schräg nii.
wodurch der Circulus vitiosus am besten vermieden wird. Die Ursache für
das rezidivierende Ulcus liege nicht allein im Pyiorus.
Herr Kausch- Berlin-Schöneberg hat nicht Gelegenheit gehabt, Ulcera
peptica zu beobachten.
Herr Philipovicz - Breslau glaubt doch, dass auch viel an der
Technik liegt. Vor allem muss die Anastomose sehr gross angelegt W'erden.
Mit ^er Operation darf die Behandlung nicht als beendet gelten, sondern
es muss eine diätetische Nachkur von 4—6 Wochen folgen.
Herr König- Würzburg hat in den Ulcera peptica öfters Seidenfäden
als Ursache gesehen. Es sind nach allen Operationsmethoden Rezidive be¬
obachtet.
Herr v. Haberer - Innsbruck betont noch einmal, dass er zwar den
Pyiorus als eine der Hauptursachen, aber nicht als die einzige Ursache für
das Ulcus pepticum ansehe.
Herr Seifert -Würzburg: Zur Biologie des grossen Netzes.
An Lichtbildern weden die Zellveränderüngen des Netzes vorgeführt, das
ein parenchymatöses Organ mit spezifischen Zellelementen von spezifischer
Struktur ist (Milchflecken).
Digitized by
Got'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
29 . April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
531
Herr B a u r • Frankfurt a. M. betont, dass das Netz die Widerstands¬
fähigkeit der Bauchhöhle in dem Kampf gegen Infektion bedingt. Es hat
die Fähigkeit, Zellen aus seinem Zellverbande freizumachen und sie im
Kampfe gegen Fremdkörper (chinesische Tusche, Bakterien) zu verwenden.
Herr Brüning- Berlin: Ueber den Bauchschmerz.
Man muss zwischen peritonealem Schmerz, welcher am Orte der Aus¬
lösung lokalisiert ist, und dem Organschmerz unterscheiden, welcher nicht
lokal ist. Der Organschmerz geht Uber das Ganglion coeliacum, wo er
spinale Fasern trifft und weitergeleitet wird. So wird der Schmerz bei Appen¬
dizitis in die Nabelgegcnd verlegt (Nabelkolik der Kinder). Erst bei Be¬
teiligung des Peritoneums tritt der Schmerz in der Appendixgegend auf.
Ebenso ist es mit anderen Organen. Der Uterusschmerz wird in die Kreuz¬
gegend verlegt (Ganglion hypogastricum).
Herr K ü m m e 11 - Hamburg erinnert daran, wie Magenschmerzen ‘ oft
nach Entfernung der Appendix verschwinden.
Herr V o r s c h ü t z - Elberfeld erinnert ,an seine Untersuchungen über
die fettige Degeneration der Organe nach Chloroformnarkose vermittels des
Ganglion solare, das Ganglion enthält auch sensible Nerven, Druck und Zer¬
rung desselben vermittelt Schmerzen.
Herr H e i d e n h a i n - Worms: Auch von der Pleura pulmonalis und
dem Mediastinum führen Bahnen zum Ganglion solare, und können auf diese
Weise zu Fehldiagnosen führen.
Herr H e 11 e - Wiesbaden; Spasmus der Bauhlnschen Klappe als ge¬
sondertes Krankheitsblld.
Die Symptome, welche unter dem Bilde der chronischen Appendizitis und
ähnlicher Namem verlaufen, sind in einer Anzahl von Fällen durch Spasmus
der B a u h i n sehen Klapoe bedingt. Die Diagnose ist sehr schwierig. Die
Therapie besteht in einer Raffung des Muskels und gleichzeitiger Entfernung
des Appendix.
Herr Payr- Leipzig betont, dass die Physiologen sich nicht darüber
klar sind, ob die Klappe im physiologischeiy Zustande offen oder ge¬
schlossen ist.
•Herr C o 1 m e r s - Koburg: Zur Behandlung der Peritonitis und des
Ileus.
Die Todesursache liegt oft in mechanischen Verhältnissen, weil es nicht
gelingt, den Darm schnell genug zu entleeren. Er hat sich daher mit gutem
Erfolge mehrfacher Stichinzisionen zur Entleerung des Dünndarms bedient.
Er hat auf diese Weise 5 Fälle von Peritonitis. 3 Ileusfälle. 7 postoperative
lleusfälle behandelt. Die Enterostomie leistet in diesen Fällen Gutes.
Herr Wortmann - Berlin setzt die Vorteile der Enterostomie als
Hilfs- und Notoperation bei der Behandlung des mechanischen und ent¬
zündlich-mechanischen Darmver.schlusses auseinander und die Resultate, die
damit in der Abteilung von Braun (Krankenhaus Friedrichshain) erzielt
wurden. Unter 172 Dünndarmverschlüssen (einschliesslich 7 Peritonitiden,
bei denen die Einnähung des oberen Ileums mit nachfolgender Punktion ge¬
macht wurde) mit einer Gesamtsterblichkeit von 31,4 Proz. wurden 46 Entero-
stomien mit einer Sterblichkeit von 35,3 Proz. vorgenommen.
Herr Pust- Stettin empfiehlt Einspritzung von heisser 10 proz. Koch¬
salzlösung in die Bauchhöhle. Es erfolgt eine Blutdru(?ksteigerung. die ^ Tage
anhält, und Kontraktion des Dünndarms. Man kann Liter Kochsalzlösung
einspritzen; doch ist das Verfahren wegen der grossen Schmerzhaftigkeit nur
in Narkose anwendbar. Bei Peritonitis ist es nicht zu verwenden.
Herr Kirschner - Königsberg i. Pr. erinnert an die von B o i t im
vergangenen Jahre vorgeführte kombinierte Rohr- und Saugentleerung zur
Behandlung des mechanischen Ileus.
Herr Schöne- Greifswald empfiehlt das Hormonal.
Herr Kaiser-Halle a. S.; Zum Verschluss des Anus praeternaturalis.
Er hat dazu den M. Sartorius herangezogen.
Herr v. Eiseisberg - Wien hat die Flexur durch den M. rectus durch¬
gezogen und auf diese Weise Schlussfähigkeit erzielt.
Herr Payr- Leipzig hat den Gummischlauch einheilen lassen und da¬
durch ebenfalls Schlussfähigkeit erreicht.
Herr K tt m m e 11 - Hamburg; Die künstliche Niere.
Ein Apparat, die Funktion der Niere ausserhalb des Körpers zu studieren.
In einem Glaszylinder befinden sich 16, den Bau des Glomerulus nachahmende
Zelluloidröhren, die miteinander kommunizieren. Der Zylinder wird mit
Ringer scher Lösung gefüllt. Auf der einen Seite wird das Blut zugeführt,
auf der anderen fliesst es ab und kann auf seine Veränderung untersucht
werden.
Herr R u m p e 1 - Berlin: Ueber Zystennieren.
5 eigene Beobachtungen haben ihm die Frage vorgelegt, ob die Er¬
krankung immer doppelseitig auftritt. ob die operative Behandlung nur aus
vitaler Indikation vorgenommen werden darf und welcher Art die Operation
sein soll? Nach der Literatur ist der Fälle glcichmässig weit fortge¬
schritten beiderseits erkrankt, bei einem zweiten Teile bestehen gewisse
Unterschiede, ein Teil ist vielleicht überhaupt nur einseitig erkrankt. Ein
Teil der Fälle verläuft unter dem Bilde der chronischen Nephritis. Bei
einem Teile treten die Erscheinungen einseitiger Zystenbildung auf, und hier
kommt nicht ntir die vitale Indikation für die Operation in Betracht, 127 Fälle
von Nephrektomie mit 30 Proz. Mortalität sind bekannt. Er selbst hat von
den 5 Fällen 2 mit Nephrektomie behandelt. In dem einen Falle wollte er
nicht radikal Vorgehen. Er machte die Dekapsulation, um die Zysten zu
entleeren. Diese gingen aber so weit in das Gewebe hinein, dass schliesslich
doch nur die Nephrektomie notwendig wurde. Jedenfalls erscheint die
Operation in den Fällen berechtigt, in welchen die Krankheit noch nicht
zu weit vorgeschritten ist.
Aerztlicher Verein zu Danzig.
Sitzung vom 10. Februar 1921.
Herr Hermann S t a h r: 1. Seltenere Darmstenosen. Im Ileum fand sich
bei primprem Bronchialkrebs eine einzelne Metastase, welche eine ring¬
förmige, strikturierende weisse Platte bildete und histologisch wie der primäre
Krebs und andere Metastasen in der Niere, Milz usw. zusammengesetzt war:
Stark verhornender Plattenepithelkrebs. — Multiple strikturierende Ge-
schwürsnarben an derselben Stelle bei einem 64 iähr. Patienten wurden als
syphilitisch angesehen, obgleich keine bestimmten Anzeichen für Syphilis,
aber auch keine Reste von Tuberkulose, aufzufinden waren. Daneben bestand
allerdings eine diffuse Leberzirrhose, die wir öfters bei Syphilis antreffen und
perniziöse Anämie. — Wir haben eine ganze Anzahl von unscheinbaren,
infiltrierenden Magenkrebsen beobachtet, von denen drei gezeigt werden. Sie
wirken nicht allein schrumpfend auf die Magenwand, sondern gehen auf den
Darm, besonders das Colon transversum über, wirken hier stenosierend und
können differentialdiagnostisch wichtig werden. Bei einer 42 jähr. Frau wurde
Typhus vermutet, welche Diagnose aber durch die bakteriologische Unter¬
suchung nicht bestätigt werden konnte. Die Sektion wies eine Striktur des
Querkolons auf. Der höher gelegene Kolonabschnitt, das ganze, Colon ascen-
dens, war mächtig erweitert, die Muskulatur hypertrophisch. Auf die Phase
der motorischen Energie — zum Vergleich wurde eine Kardiastenose mit
diffuser Ektasie der Speiseröhre gezeigt — war auch hier offenbar eine Phase
motorischer Schwäche gefolgt, die erst zu der starken Erweiterung mit
Divertikeln, Geschwürsbil(Jung und daneben zu Schleimhautveränderungen
geführt hat, wie man sie später bei Dysenterie findet. Schliesslich Perforation
an mehreren Stellen, Peritonitis.
2. Karzlnosarkom. Diese Geschwulst ist sehr selten und wurde seit 1916
bei uns nur in zwei Fällen festgesteUt. Sie ist stets sehr malign. Leider
hat man mit dem Namen gewechselt, und die Bezeichnung von Hanse-
manns: Carcinoma sarkomatodes wird heute für Karzinome angewandt, die
gar nichts mit Sarkom zu tun haben und nur bei oberflächlicher Untersuchung
damit verwechselt werden könnten; was ganz unnütz und irreführend ist.
Lokalisation in unseren Fällen: erstens die Hajnblasenwand bei einem 55 lähr.
Manne. Hier lag ein Carcinoma sarkomatodes im Sinne Hansemanns vor
(Probeexzision des Chirurgen). Am Schnitte sah das Gewebe makroskopisch
wie Krebs aus. Histologisch fanden sich unter den saftigen spindeligen Zellen
des Gerüstes vereinzelte Riesenzellen. Unser zweiter Fall zeigte mit einem
Zwischenraum von nur 35 Tagen (2 Probeexzisionen) eine Umwandlung von
Carcinoma adenomatosum in Spindclzellensarkom. Lokalisation Gallenblasen¬
wand, Leber und schliesslich in weitem Umfange die ganze Bauchhöhle bei
einer 52 lähr. Frau. Im Anschluss an diese Fälle wird die Klärung unserer
Anschauungen durch das Tierexperiment besprochen. Eine Metaplasie liegt
nicht vor. (Vgl. H. Stahr: Zbl. f. Path. Bd. 21, 3 und Bd. 26, 5.)
Herr C y r a n k a: Bacterlum coli und Eltersteinniere.
Die Eitersteinniere (Korallensteinniere) ist eine Folge der Koliinfektion
der Niere und entsteht bei Stauung des Inhaltes im Nierenbecken, wie Vortr.
an der Hand von 30 in der chirurgischen Abteilung des städt. Krankenhauses
(Prof. Barth) beobachteten Fällen dartut. Diese Steinbildung hat die
grösste Aehnlichkeit mit der sekundären Bilirubinkalksteinbildung der Gallen¬
blase, welche ebenfalls einer Koliinfektion und Inhaltsstauung der Gallenblase
ihre Ursache verdankt. In eingehender Weise hat C. die Wirkung der Koli¬
infektion auf normalen Harn im Brutschrank studiert. Während frisch aus
Darmentleerungen gezüchtete Kolistämme den Harn nicht zersetzten, taten
dies solche aus dem Harn bei Koliinfektionen gezüchtete Stämme in hohem
Masse. Es kommt zu einer Zerstörung der Schutzkolloide des Harns und zu
einem Ausfall der Kristalloide. welche in chemischer Beziehung den Bestand¬
teilen der sekundären Harnsteine nahezu vollkommen gleichen.
Sitzung vom 24. Februar 1921.
Herr Na st: Der biologische Verlauf der frischen Syphilis.
Vortr. spricht über den biologischen Verlauf der frischen Syphilis und
macht darauf aufmerksam, d^ss seit der Entdeckung der Spirochaete pallida,
der Wassermannreaktion un^ der Einführung des Salvarsans in die Therapie
neue biologische Erfahrungen gemacht worden sind. Daraus ergibt sich eine
besondere Einteilung des primären Stadiums der Lues. Es wird eingehend
erörtert, dass die Forderungen mancher Autoren, das zweite Stadium auf
einen früheren Termin, z. B. mit Beginn der positiven Wassermannreaktion,
anzusetzen, biologisch zurzeit nicht ohne weiteres zu halten sind, dass aber
(fer Höhepunkt der Abwehr des Körpers gegen das eingedrungene Virus
zweifellos vor dem Ausbruch der sekundären Erscheinungen liegt. —
Weiter wird das Meningorezidiv Ravauts geschildert. Da auch beim un¬
behandelten Luiker ähnliche Befunde wie beim Meningorezidiv erhoben
x«irden, so wurde von N a s t das Krankheitsbild der „Liquorlues" geprägt.
Liquorlues kann nur durch Lumbalpunktion festgestellt werden, da blut¬
serologisch, klinisch und subjektiv (ausser geringen Kopfschmerzen) nichts
beim Patienten zu finden ist. Damit fällt das Meningorezidiv unter den Begriff
„Liquorlues". Die praktische und theoretische Bedeutung der Liquorlues wird
dann eingehend geschildert und bestimmte Richtlinien für die Therapie der
frischen Lues gegeben. Zum Schlüsse wird den Angriffen verschiedener
Autoren gegen die abortive Behandlung energisch widersprochen, da dem
Vortr. ein Material von jetzt 10 Jahren zur Verfügung steht, das gründlich
serologisch, zytologisch und chemisch in Blut und Liquor nachgeprüft ist.
Es werden auch die Gründe angegeben, weshalb man berechtigt ist, heute
schon von einer gelungenen abortiven Behandlung zu sprechen und die Gründe
dafür erörtert, warum bei anderen Autoren ein Gelingen der abortiven Kur
unwahrscheinlich ist.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1816. ordentliche Sitzungvom Montag, den 7. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr v. Wild. Schriftführer: Herr Rosenhaupt.
Herr Pongs: Demonstration einer Patientin mit Adams-Stokes-
schem Symptomenkomplex.
Herr Cahen-Brach: Gallenstein Im Kindesalter.
Herr Fischer: Pathologisch-anatomische Priparate.
Herr Eugen Schlesinger: Hyperplasie und Hypersekretion der
Schilddrüse bei Kindern und Jugendlichen.
Eine erste Welle häufigerer parenchymatöser Hyperplasie setzt in Gegen¬
den grösserer Kropfhäufigkeit bei den Neugeborenen ein, eine zweite, wesent¬
lich höhere Welle bei den Mädchen im 6., bei den Knaben im 9. Jahr. Sie
erreicht ihren Höhepunkt schon vor den eigentlichen Pubertätsjahren; nur in
den höheren Schulen nimmt ihre Zahl ständig zu bis zu den obersten Klassen.
In den letzten Jahren bedeutende Zunahme der Fälle. Ein Sechstel der
Knaben, ein Drittel der Mädchen mit Schilddrüsenhyperplasie zeigt kardio¬
vaskuläre Störungen, die manchmal wohl nur Zeichen einer Neuropathie, öfters
Symptome eines — meist milden — Hyperthyreoidismus sind. Viele dieser
Kinder sind ausgezeichnet durch geistige Regsamkeit, durch einen Vorsprung
in der sexuellen Entwicklung, vor allem durch ein lebhaftes Längenwachstum,
das auch zu einem das Durchschnittsmass überragenden Endergebnis führt.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
532
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Auch schon Kinder mit Schitddrüsenhyperplasie ohne Hyperthyreoidie zeigen
dieses lebhafte Längenwachstum, das als ein erstes Zeichen gesteigerter
Schilddrüsentätigkeit aufzufassen ist. In Zusammenhang hiermit steht der
milde Verlauf der Hyperthyreoidie bei Kindern und ihre Toleranz gegenüber
dem Thyreoidin. so dass letzteres auch bei kardiovaskulären Störungen an¬
gewandt werden kann. Als häufiger Nebenbefund land sich bei den Fällen
eine konstitutionelle Skoliose und Myopie.
Aussprache: Herr Cahen-Brach bemerkt, dass den vermehrten
Kropfträgern in den oberen Klassen der höheren Schulen gegenüber die ent¬
sprechenden Vergleichsziffern in den Volksschulen fehlen, da hier die Kinder
um mindestens 4 Jahre früher ausscheiden: Zum Vergleich müsste man
gleichalterige Kinder, z. B. die Fortbiidungsschüler, heranziehen. Im Uebrigen
Hesse sich jene Steigerung der Kropfzahl durch pine Art Auslese erklären,
da, wie es auch die Schlesinger sehen Beobachtungen lehren, die ver-
grösserte Schilddrüse sich auffallend häufig bei geistig Regsamen findet und
im allgemeinen doch nur die Begabteren die obersten Klassen erreichen.
Herr Embden: Er regt die Vornahme von ßlutzuckerbestimmungen
zur Stellung der Differentialdiagnose zwischen Hyperthyreoidismus und neuro-
pathischen Herzstörungen an. ,
Er fragt, ob die Skoliose als eine Folge des starken Längenwachstums
oder als eine direkte Folgeerscheinung des Hyperthyreoidismus anzusehen ist.
Herr H e 11 w i g: Kropf, Vergrösserung der Schilddrüse, bedeutet nicht in
jedem Falle eine echte Hyperplasie mit erhöhter Sekretion. Ver-
grösserung der Schilddrüse, in erster Linie die adenomatöse Form, der
Knotenkropf, kann ebenso eine Hypo funktion der Schilddrüse bedeuten.
Gegen die Thyreoidintherapie bei Hyper thyreose spricht erstens die
theoretische Erwägung, dass man Erscheinungen einer erhöhten Sekretion der
Schilddrüse durch Zufuhr von Schilddrüsensaft nur noch mehr steigern wird,
zweitens die praktische Erfahrung der Kliniker (Th. Kocher), dass
Thyreoidin oder Jod bei Hyperthyreose Verschlimmerung des Leidens häufig
hervorruft (Jodbasedow) ,
Herr Löffler fragt, ob Herr Schlesinger ein Zusammentreffen
von Schilddrüsenhypersekretion mit Tuberkulose beobachtet habe. Ihm selbst
fiel in den letzten Jahren bei Erwachsenen mit Lungenspitzentuberkulose
wiederholt ein gleichzeitiger thyreotoxi.scher Zustand mit Vergrösserung der
Schilddrüse auf. Bei den von ihm in den letzten 2 Jahren beobachteten
Fällen von Hyperplasie der Schilddrüse im Kindesalter war dieses Zusammen¬
treffen nicht zu beobachten. Eine Häufung der Schilddrüsenvergrösserung
fiel auch L. seit dem Kriege auf und zwar bei Volksschülern aus einem
Kreise mittelständlerischer und gering bemittelter Familien, die er auch
vor den Kriegsjahren beobachtet hatte. Er nimmt daher einen Zusammenhang
mit den veränderten Ernährungsverhältnissen an. Im Jahre 1920 sah er
unter 150 ihm als erholdngsbcdürftig zugesandten Kindern dieses Kreises
11 mal Schilddrüsenvergrösserung, davon 9 mal bei Mädchen und nur bei
2 Knaben. Aber nur 1 mal bestanden thyreotoxische, d. h. kardiovaskuläre
und nervöse Erscheinungen, ein zweites Mal war das rechte Herz ver¬
breitert, ohne dass sonstige funktionelle Störungen sidh zeigten.
Herr Schott: Viele Fälle von Hyperthyreodismus entwickeln sich
später als Morb. Basedow oder als Forme fruste des Basedow. Bei ein¬
zelnen Formen, was noch klinisch festzustcllen ist, ist Jod — es handelte
sich/besonders um Mädchen — von gutem Erfolge begleitet gewesen.
Herr Hof mann: Was die äusserliche JoÄehandlung des Kropfes an¬
geht, so sind die Chirurgen im allgemeinen dagegen, weil durch die ent¬
stehenden Entzündungserscheinungen eine etwa später notwendige Operation
erschwert wird. Interessant sind die Mitteilungen des Herrn Schlesinger
über seine Erfolge mit der internen Joddarreichung beim kindlichen Kropfe.
Die Schweizer Zeitungen brachten kürzlich eine Notiz, dass auch in der
Schweiz, wo ja der Kropf im Kindesalter schon sehr häufig ist, ausgedehnte
Versuche mit Jod an einer grossen Erziehungsanstalt angestellt wurden. Die
Beobachtungsdauer erstreckt sich jetzt auf 16 Monate, die Kinder blieben
bis jetzt nach der regelmässig durchgeführten Jodmedikation geheilt.
Herr C u n o und Herr Schlesinger (Schlusswort). •
Herr R a d 1 - Karlsbad: Die Kurverhältnisse in Karlsbad.
Verein der Aerzte in Haile a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 12. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr Braunschweig. Schriftführer: Herr F i e 1 i t z.
Herr Clausen stellt ein 13 jähr. Mädchen vor mit einer seit 6 Jahren
am rechten Oberlid bestehenden starken Rötung und Schwellung, die zu
einer ausserordentlichen beutelförmigen Vergrösserung und Verdickung des
Oberlides geführt hat. Nach dem Befunde wird eine lokale Elephantiasis
tele-angiektodes resp. lymphangiektodes angenommen. 5 Röntgenbestrah¬
lungen haben eine auffallende Besserung bewirkt.
Herr Braunschweig sah gleiche Erscheinungen bei plexiformen
Neuromen.
Herr Clausen spricht ferner über das Wesen der Kurzsichtigkeit Im
Lichte der heutigen Vererbungslehre.
Eine Jrennung der Myopie in die sog. Arbeits- oder Schulmyopie und
in die angeborene Myopie wird für unbegründet erklärt. Im Felde hat C.
f'L- Unt''r«urhungen eines österreichischen Rekrutendepots zahlreiche Myopen
‘ 1 . /u Schule gegangen waren und sich nie mit Naharbeiten
1 * H ji’ict i'.air Ml. ; >ie zur Erklärung der Myopie durch Naharbeit immer
' • angeborene Schwäche oder geringe Widerstandskraft
gend des hinteren Augenpols muss eine erbliche Anlage
Myopie sind auf eine Ursache, nämlich die Vererbung,
" ^ragender erinnert dabei an die klassische Arbeit Stei-
' i " ehung der sphärischen Refraktionen. Gewiss kann die
> ( iiti ch nur im Rahmen der Gesamtrefraktionen betrachtet
' " ' I '/.t; nimmt sie doch in gewisser Beziehung eine Sonder-
Rücksicht auf die bisherigen Untersuchungen über die
^ li. es C. unternommen, sie zunächst gesondert zu be-
- • stellte Problem nicht unnötig zu komplizieren.
Wenn uc. iNjvnweis gelingt, dass die Myopie den Vererbungsgesetzen,
im wesentlichen den Mendel sehen Regeln folgt, so ist die Myopie als
ein erbliches Leiden oder vielmehr Merkmal dargetan,
C, bespricht die heutige Vererbungslehre und macht auf die Schwierig-
Digitized by Goiigle
keiten aufmerksam, die der Erforschung der Vererbung beim Menschen ent¬
gegenstehen. An einem genauest untersuchten Stammbaum, der sich über
4 Filialgenerationen erstreckt, zeigt C., dass die Myopie sich nach bestimmten
Gesetzen vererbt. Er erklärt die Myopie für ein rezessives Merkmal, wäh¬
rend die Emmetropie im Gegensatz dazu ein dominantes Merkmal darstellt.
Mit Rücksicht auf das verhältnismässig häufige Vorkommen der Myopie wäre
ein grosser Teil der Myopen nicht als homozygot (DD.) anzusehen, sondern
als heterozygot (D.R.), C. hat bei annähernd 500 Fällen Stammbäume an¬
gelegt und in der tibergrossen Mehrzahl der Fälle Myopie in mehreren
Generationen gefunden, wpnn die kollaterale Verwandtschaft berücksichtigt
wurde, was unbedingt notwendig ist. Nach den bisherigen Ergebnissen der
Vererbungsforschung ist der Mensch den Vererbungsgesetzen genau so unter¬
worfen wie die Tiere und Pflanzen. An 10 Stammbäumen zeigt C., dass
bei Kurzsichtigkeit beider Eltern sämtliche Kinder kurzsichtig sind, wie nach
den Mendel sehen Regeln zu erwarten ist. Ist nur der eine Elter kurz¬
sichtig, so war vielfach auch nur die eine Hälfte der Kinder kurzsichtig,
die andere Hälfte normalsichtig. Waren beide Eltern kurzsichtig, jedoch
nach der in der Familie vorliegenden Kurzsichtigkeit bei den Grosseltern
resp. bei den kollateralen Verwandten als heterozygote (D. R.) Emmetropen
anzusehen, so war von den Kindern nur ein Teil kurzsichtig, manchmal an¬
nähernd in den Mendel sehen Proportionen. C. lässt es vorläufig noch
dahingestellt, ob es sich bei der Myopie um ein mono- oder polygenes ev.
auch pleiotropes Merkmal handelt. Wer von seinen Vorfahren kein Gen
für Myopie empfangen hat, kann noch soviel lesen und schreiben, auch unter'
den unhygienischsten Verhältnissen, er wird doch sicher keine Kurzsichtig¬
keit erwerben. Wer hingegen ein Gen für Myopie als Erbteil von den Eltern
mit sich führt, wird bei entsprechender Kombination auch unter den günstigsten
hygienischen Verhältnissen kurzsichtig werden.
In der Besprechung betont Herr Grote die Wichtigkeit der
nachgewiesenen Erblichkeit und damit der konstitutionellen Natur der Myopie.
Hinsichtlich der mendelistisclien Deutung der Ergebnisse hat G. Bedenken.
Die Dominanzbegriffe des Mendelismus sind nur an reinen Linien im Sinne
von Johannsen gewonnen, also an einem Material, dessen genotypischer
Bestand an Erbeinheiten genau bekannt war. Der Mensch ist aber ein so
weitgehender heterozygoter Bastard, dass bei den doch immer sehr kleinen
Zahlen der Deszendenz, ferner unter Berücksichtigung des möglichen
Dominanzwechsels und des Auftretens von Kreuzungsnova eine Diagnose eines
erblichen Merkmals als dominant oder rezessiv meist hypothetisch sein dürfte.
Q. erinnert daran, dass Dresel (Virch. Arch. 224.) auf statistischer Grund¬
lage die Myopie als dominant aufgefasst wissen will. Auch diese Ansicht
wird sich durch entsprecltende Stammtafeln stützen lassen. Aufklärung in
dieses dunkle Problem kann nur durch phänogenetische Untersuchungen im
Sinne von H a e c k e r gebracht werden. Vor der Anwendung des Dominanz¬
begriffes muss die phänogenetische Forschung über die Frage der korrela¬
tiven Bindung der sich entwickelnden expliziten Eigenschaft oder ihre auto¬
nome, relätiv einfach verursachte ontogcnetische Entstehung entschieden
haben. Es kann ja wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass die M e n -
d e 1 sehen Regeln für jede bisexuelle Fortpflanzung gelten. Doch ist es bei
der menschlichen Fortpflanzungsart nicht möglich, ihr Wirken nur aus dem
zahlenmässigen Verhalten der Deszendenz, zu erschliessen.
Herr C. macht darauf aufmerksam, dass er die Myopie nicht für ein
Leiden, sondern für ein Merkmal gehalten hat, das 'sich wie jede anderen
Merkmale vererbt.
Sitzung vom 26. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr Braunschweig. Schriftführer: Herr F i e l i t z.
Herr Straub stellt ein Kind von 12 Jahren mit Encephalitis letharglca
vor.
Herr V o 1 h a r d hat bereits 4 derartige Fälle gesehen.
Herr Schepelmann (Hamborn a. Rh.) spricht über die blutige Mo-
blUslerung knöchern versteifter Gelenke.
Auf der Basis der Roux sehen Lehre von der funktionellen Anpassung
haben Schmerz in Graz und Schepelmann in Hamborn Gelenke durch
einfache Resektion und möglichst baldige Aufnahme der Uebungen mobilisiert
und hierbei sehr günstige Resultate erzielt. Schepelmann verfügt über
etw'a 160 operierte Fälle, d. h. über ein Material, wie es wohl nur von
wenigen erreicht sein dürfte.
Nach Beschreibung der Technik des Eingriffes unter Illustration des
Vortrages mit Diapositivbildern geht der Vortragende dazu über, eine grosse
Zahl operativ beweglich gemachter Gelenke zu besprechen und über die
Funktion der mobilisierten Gliedmassen an der Hand der Photographien der
Patienten zu berichten.
Da es nun unmöglich ist, in der heutigen Zeit eine grössere Zahl von
Patienten persönlich auf Kongressen vorzukhren, da andererseits die Dia¬
positive nicht imstande sind, jeden Zweifel an der Gebrauchsfähigkeit der
Gliedmassen zu beheben, so ist in letzter Zeit der Vortragende dazu Über¬
gegangen. die Patienten kinematographisch aufzunehmen, und zwar in einer
Weise, welche die verschiedenartigste Gebrauchstätigkeit der Glieder er¬
läutert. Der Erfolg von zahlreichen Operationen an grossen und kleinen
Gelenken des menschlichen Körpers wurde von Sch. im Filme vorgeführt
und den Zuhörern auf diese Weise ermöglicht, sich ein klares und zweifelfreies
Bild von dem Wert der von Schepelmann als „funktionelle Arthro-
plastik" bezeichneten Methode der operativen Gelenkmobilisierung zu machen.
Wenn auch andere Methoden zu guten Resultaten führen, so rnuss doch un¬
bedingt anerkannt werden, dass das Vorgehen S c h e p e 1 m a n n s die bei
weitem einfachste und am wenigsten gefährliche aller Methoden darstellt.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr Grafe. Schriftführer: Herr Freudenberg.
Herr Bettmann: Krankenvorstellung.
Herr v. R e d w 11 z: Zur Frage des po'stoperatlven Jelunalgeschwures.
(Krankenvorstellung.)
Vorstellung dreier Patienten (23 jähr. Kaufmann, am 1. VII. 20 wegen
Perforation eines Ulcus duodeni mit Uebernähung und vordere GE. und
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
53.^
Braun scher Anastomose behandelt, bekam im Anschluss daran ein Ulcus
pepticum jejuni dicht neben der OE.-Oeffnung, welches in die vordere Bauch¬
wand penetrierte; 17 jäh’r. Fabrikarbeiter, wegen eines nicht perforierten Ulcus
duodeni ebenfalls mit vorderer OE. und Braun scher Enteroanastomose be¬
handelt, erkrankte ebenfalls schon kurz nach dieser Operation an der gleichen
Komplikation. Beide Patienten wurden mit ausgedehnten Resektionen des
Magens und der Jejunumschenkel der QE. behandelt, und geheilt. 49 iähr.
Zigarrenmacher wurde wegen einer 11 Jahre nach einer wegen eines Ulcus
pylori ausgeführten hinteren GE. aufgetretenen Magen-Kolon-Jeiunumfistel mit
ausgedehnter Magen-Jejunum-Kolonresektion behandelt und geheilt). An der
Heidelberger Klinik wurden in den letzten iK-Jahren 11 ähnlich gelagerte
Fälle operiert, 8 Ulcera peptica jejuni, welche in» die vordere Bauchwand
penetrierten, 3 Magen-Kolon-Jejunumfisteln. 7 von den Patienten mit Ulcus
pepticum penetrans und die 3 Patienten mit Magen-Kolon-Jejunumfistel
wurden ebenfalls mit ausgedehnter Resektion, der achte nur mit Resektion der
ÜE.-Stelle bzw. des Ulcus jejuni und Reimplantation des Jejunums in den neu
entstandenen Magendefekt behandelt. Ein Patient mit Magen-Kolon-Jejunum¬
fistel ist gestorben, die anderen 10 Patienten wurden geheilt. Es handelte
sich ausschliesslich um Männer, 4 mal war das Ulcus pept. nach QE. wegen
Ulcus duodeni, 6 mal nach GE, wegen Ulcus pylori, 1 mal nacb GE. wegen
multipler Geschwüre aufgetreten, 5 mal nach- vorderer OE. mit Braun scher
Anastomose, 3 mal nach hinterer QE.. 2 mal nach Pylorusausschaltung nach
V. Eiseisberg. Das Ulcus pept. jejuni ist ein pathologischer Prozess,
für dessen Entstehung und Entwicklung die anatomischen, physiologischen und
mechanischen Verhältnisse des Mutterbodens (peptischer Verdauungssatt!)
wesentlich bestimmend sind, dessen primäre Ursache aber noch keineswegs
geklärt ist und ebensowenig einheitlich zu sein scheint, wie die des Ulcus
ventriculi überhaupt. Die Rolle, welche dabei dem Nahtmaterial (M a y o,
Wilkie, Habere r, Mandel. Redwitz), mechanischen Momenten
(A s c h 0 f f), nervösen Einflüssen (H a b e r e r, H o h 1 b a u m, K e n a l), die
vor allem mit der Tätigkeit des im Körper zurückgelassenen Pylorus in Zu¬
sammenhang gebracht werden (Häufigkeit nach Pylorusausschaltung!
V. H a b e r e r), oder den physiologisch veränderten Verhältnissen (Schur
und Plaschkes, Finsterer) zukommt, ist jedenfalls noch nicht sicher
abgegrenzt. Praktisch ist die vordere GE. vorzuziehen, da nach neueren
Angaben (Paterson, Schwarz, v. Eiseisberg) anzunehfnen ist,
dass die Häufigkeit des Ulcus pept. entgegen früheren Ansichten nach
vorderer und hinterer QE. ziemlich gleichgross ist und die vordere GE. bessere
Bedingungen für einen neuen Eingriff schafft (E n d e r 1 e n) und auch die
leichtere Erkennung des Ulcus jejuni ermöglicht. Als Nahtmaterial sollen nur
für die seroseröse Naht unresorbierbare Fäden verwendet werden und zwar
womöglich in der Form von Knopfnähten. Die klinische Indikation für die
Operation der einzelnen Fälle ist weiter auszubauen, das Schicksal der mit
Resektion behandelten Fälle ist sorgfältig nachzuprüfen. Die Klärung dieser
Zusammenhänge ist geeignete Aufschluss über den Anteil dispositioneller und
rein lokaler Momente in der Pathogenese des Ulcus ventriculi zu geben.
Herr Teutschländer: Uebertragbare Hühnersarkome.
Demonstration lebender Tiere und zahlreicher Diapositive makroskopi¬
scher Und mikroskopischer Präparate von erfolgreichen Impfversuchen mit
Pulver und Ultrafiltrat von einem aus der Umgebung Heidelbergs stammenden
Hühnersarköm. Da bei diesen Versuchen eine Uebertragung von lebenden
Geschwulstzellen ausgeschlossen werden kann, handelt es sich hier um Neu¬
erzeugung von Sarkomen durch filtrierbares Agens, höchstwahrscheinlich, wie
bereits Roux annahm, um ein Virus. Die aus Experimenten hervorgehenden
biologischen Eigenschaften des Agens sprechen für die Chlamydozoennatur
desselben. Die pathogenen Fähigkeiten und die Biologie dieser filtrierbaren
Erreger würden sehr wohl die verschiedenen Tatsachen (Wachstum aus sich
heraus, Metastasenbildung durch Zellverschleppung usw.) erklären, welche
bisher gegen die Infektiosität echter bösartiger Geschwülste angeführt worden
sind. Es hapdelt sich hier um eine ganz besondere Art von Infektion, bei
der das Virus mit den befallenen Zellen in Symbiose lebt, wobei letztere
weniger geschädigt als zür Proliferation angeregt werden und schliesslich in
den Zustand der Anaplasie verfallen.
Aussprache: Herr Braus.
Herr Hausen: Ueber das Weber sehe Gesetz.
Aussprache; Herren v. Weizsäcker, Marx, Hausen.
Sitzung vom 1. März 1921.
Vorsitzender: Herr Grafe. Schriftführer: Herr Freudenberg.
Herr 0 r ä f f - Freiburg (als Gast): Die Verwertung des anatomischen
Präparats der progredienten Lungenphthise für die Forschung der Kiinik.
Herr F r ä n k e 1: Zum Stande der Frage eines Schemas klinischer 'Ein¬
teilung der chronischen Lungentuberkulose nach pathologisch-anatomischen
Verlaufsformen zu prognostischen Zwecken. (Vgl. d. W. Nr. 15, S. 445.)
Aussprache: Herren Loescheke, Qräff, Moro, Braus,
Holthusen, Ernst, Neu, Grafe, Fränkel.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Prctokoll.)
Sitzung vom 22. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr S u d h o f f.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr J ö 11 e n: Ueber die Desinfektion des tuberkulösen Auswurfs.
Vortr. berichtet über Versuchsergebnisse, die eY in gemeinsamen Ver¬
suchen mit Uhlenhuth und Heiler erhalten hat. Zuerst wurden Kom¬
binationen Von Antiformin und anderen Desinfektionsmitteln ausprobiert.
Diese Kombinationen sind aber alle daran gescheitert, dass das Antiformin
entweder die zugesetzten Stoffe unwirksam machte oder dass in ihm selbst
der ausgesprochen homogenisierende Anteil durch chemische Umsetzungen
inaktiviert wurde.
Schliesslich wurden Erfolge erzielt mit 20 Proz. Antiformin, dem nach
der Zugabe und Homogenisierung des Sputums 10 Proz. Chlorkalk-Bayer zu¬
gesetzt wurde. Nach 1/4 stündiger Einwirkungszeit waren die TB. ab¬
getötet.
Sehr gute Ergebnisse wurden dann erzielt mit einigen von der Firma
Schülke & Mayr A.-G. Hamburg in den Handel gebrachten seifenfreien Lysol-
Ersatzpräparaten, die in der Hauptsache aus Kresol und Natronlauge bestan¬
den. Besonders bewährt hat sich eine neue Zusammensetzung von ca. 50 Proz.
Kresol und einer bestimmten Menge Natronlauge: „A 1 p h a - L y s o l".
Das Alkali bringt das Sputum zum Aufquellen und schliesst es auf, während
die abtötende Wirkung dem Kresol zukomrat.
Das „Alpha-Lysol" in 5 proz. Lösung reichte, in doppelter Menge den
verschiedensten Sputen zugesetzt, in zahlreichen Versuchen aus, um inner¬
halb 4 Stunden die TB. mit Sicherheit abzutöten, regelmässig aber auch in
2 Stunden mit Ausnahme eines einzigen Versuches. Gesteigert konnte die
Desinfektionswirkung werdep durch Verwendung von warmem (80®) Alpha¬
lysol, nach ^ Stunde waren dann alle TB. abgetötet, wie Tierimpfungen mit
dem vorbehandelten Sputum ergaben. Sputumdesinfektionsversuche, die direkt
am Krankenbett vorgenommen wurden, führten zu durchaus befriedigenden
Ergebnissen.
Gleich günsti*^“ Resultate wurden mit dem Parachlormetakresol-Alkali-
Präparat „Parol“ von Dr. R a s c h i g .- Ludwigshafen in 5 proz. Lösung und
2 und 4 stündiger Einwirkungszeit erhalten; ebenso bei selbst hergestellten
Kresollaugen, die 50 Proz. Kresol und 5—7, Proz. Alkali enthielten, wenn sie
in 50proz. Verdünnung und in dopjpeltem Volumen auf das Sputum
mindestens 3 Stunden lang einwirkten.
Auf Grund dieser günstigen Versuchsergebnisse sind das Alphalysol, Parol
und die Kresollaugen, in doppelter Menge Sputum zugesetzt, als praktisch
sehr brauchbare Sputumdesinfektionsmittel anzusehen, die alle bisher an¬
gegebenen — besonders bei Anwendung der Wärme — bei weitem tiber¬
treffen, wie Parallelversuche mit Sublimat, Lysoform, Lysol Grotan, Sagro-
tan etc. ergeben haben.
(Originalartikel erscheint in der M.Kl.)
Aussprache zum Vortrag des Herrn Kruse über Tuberkulose¬
bekämpfung aus der vorigen Sitzung.
Herr G o e p e 1 betont die Grenzen der Friedmannbehandlung und analy¬
siert die geeigneten Fälle.
Herr Max Wagner berichtet aus der Fürsorgestelle für Lungenkranke
über die bisher von diesen mit Erfolg in der Tuberkulosebekämpfung ge¬
übten Methoden (Erziehung zur Hygiene, Verringerung der Infektionsgelegen¬
heiten, Erhöhung der Widerstandskraft der gefährdeten Umgebung). Da von
der sehr mühevollen Kleinarbeit nur ein Bruchteil von Erfolg begleitet sein
kann, muss angestrebt werden, dass die Meldungen von Tuberkulösen an
die Fürsorgestellen, die für die Stadt Leipzig an der Hand einer Tabelle zu¬
sammengestellt und demonstriert werden, tunlichst alle Krankheitsfällle er¬
fassen. ,
Herr H o h 1 f e 1 d glaubt, dass die hohe Tuberkulosesterblichkeit des
Säuglings nicht, wie durch den Vortragenden, allein auf die geringe Wider¬
standsfähigkeit des Säuglings zurückgefüh’-t werden dürfe, sie steht auch unter
dem Einfluss der Infektionsbedingunven. Die Infektion rühre beim Säugling
in der Regel von Personen, auf die er bei jeder Gelegenheit angewiesen sei,
aus deren Umkreis er sich nicht entfernen könne. Sie erfolge deshalb so
häufig und so massig, dass dadurch auch eine grössere Widerstandskraft er¬
schöpft werden würde. Das Friedmann sehe Mittel könnte gar nicht
hoch genug eingeschätzt werden, wenn es unter solchen Verhältnissen einen
wirksamen Schutz gewährte.
Herr J ö 11 e n weist auf die vollkommen unzureichende Berichterstat¬
tung der Fürsorgestellen , hin, in deren Jahresberichten hauptsächlich die
Einnahmen und Ausgaben, Personalveränderungen, Lebensmittel- etc. Ver¬
teilung wiedergegeben werden, dagegen wird der wirkliche Staml der Tuber¬
kulosebekämpfung resp. die im Laufe der Jahre gemachten Fortschritte viel
zu wenig berücksichtigt.
Weiter ist das Hand-in-Hand-arbeiten der Fürsorgeatellen mit den in
Betracht kommenden Faktoren noch nicht befriedigend. Es werden den
Fürsorgestellen noch viel zu wenig Tuberkulosekranke etc. gemeldet. Eine
statistische Erhebung aus 47 Fürsorgestellen ergab, dass an 36 534 Neu¬
zugängen die Aerzte nur mit 33,9 Proz., die Behörden, Aemter, Vereine etc.
mit 8,9 Proz., die LVA. mit 7,3 Proz., die Schulärzte, Schulen etc. mit
1,67 Proz., die Heilstätten mit 0,91 Proz., die Krankenkassen mit 0,8 Proz.
und die Krankenhäuser gär nur mit 0,43 Proa. beteiligt waren.
Ebenso ungenügend war die Kenntnis der Fürsorgestellen von den
Schwerkranken, die im Laufe des Berichtsjahres an Lungentuberkulose star¬
ben. Von 8010 standesamtlich als an Lungentuberkulose verstorben gemelde¬
ten waren in 43 Fürsorgestellen nur 3531 vorher als tuberkulös bekannt, also
nur 44 Proz. Die Meldungen an die Fürsorgestellen müssen daher reich¬
licher fliessen.
Herr Dumas: Bei Bewertung der Fürsorgestellen im sog. Kampfe
gegen die Tuberkulose ist grösster Pessimismus nötig. Sie sind zu Organi¬
sationen von stark büreaukratischer Art geworden, die fast nur der Begehr¬
lichkeit gewisser Volkskreise dienen, denen an Erringung persönlicher Vor¬
teile alles, an Tuberkulosebekämpfung oder -Prophylaxe aber gar nichts liegt.
Aerzte urid Behörden sind daran mitschuldig durch dauernde Verkennung
der wirklichen Grenzen und der auf vernünftigem Wege erreichbaren Ziele
sog. „Fürsorgetätigkeit“.
Die Kruse sehe Forderung prophylaktischer Säuglingsimpfung mit dem
Friedmaiin sehen Mittel ist — ohne gesetzlichen Zwang — unausführ¬
bar. Die überaus verbreitete Gegnerschaft gegen jedes „Impfen" würde
nur einen sehr kleinen Teil der Kinder von der Massnahme erfassen lassen
und anderseits die Impfung für jedes spätere Krankheitsereignis agitatorisch
verantwortlich machen. Zudem ist der Wert des Mittels zum Zwecke der
Säuglingsimmunisierung noch ganz unbewiesen; jedenfalls aber würde seiner
Einbürgerung mit derartigen Massnahmen wnbi -m
gearbeitet werden.
Herr Poetter: Man kann doch mi' . ,;ir : -
nähme gegen die Tuberkulose, wozu auch i i i- . i n in iit c:’
Masse gehören, nicht auf dem falschen V .;cv. j- i nl! ' \ i!,.r i-.in
sonst die während der letzten Jahrzehnte li. Si .ii.r! rjer-.ci..Je,'
beobachtete kontinuierliche Abnahme der l-i L. . liic, -K'i i; ■;
einer mehrjährigen Unterbrechung durch d •' K uii di- iir
auch jetzt schon seit über 1 Jahr wieder Di:' '. iclic «ii •
Besserung wird allerdings in den gebesst ..;t \t '.> ' t; und .n
dem steigenden Wohlstand zu suchen f- k; blL.dt abzuwarien, ob bei
unseren jetzigen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht doch wieder ein Auf¬
stieg der Tuberkulosesterbefälle eintreten wird.
* Bezüglich der von Kruse empfohlenen Schutzimpfungen gefährdeter
Säuglinge gibt die Impfscheu weiter Volkskreise zu Bedenken Anlass; auch
besitzen die von Kruse mitgeteilten Zahlen wegen ihrer Kleinheit keine
genügende Beweiskraft.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
534
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
Herr Kruse (Schlusswort): Dass die Aussprache manches Interessante,
aber nichts Abschliessendes gebracht, liegt in der Natur der umfangreichen
Aufgabe. Verhältnismässig am wenigsten war von der spezifischen Behand¬
lung selbst die Rede. Um so eindrucksvoller waren die Bemerkungen des
Herrn Q o e p e 1. Die Mitteilungen zur Frage der Fürsorgestellen zeigen, wie
schwer es ist, über deren Erfolge ein sicheres Urteil zu gewinnen. Dass man
nicht allzuviel verlangen soll, halte auch ich für gerechtfertigt. Darum darf
man sich aber doch keinem allzu grossen Pessimismus hingeben, denn dieser
lähmt jedes Handeln. Wir sollten vielmehr darnach trachten, die bisherigen
Mängel der Fürsorge zu verbessern. Die Verteilung von Nahrungsmitteln
halte ich für sehr wichtig, man kann unter den jetzigen Umständen gar nicht
genug darin tun. Die Zuweisung der Kranken an die Stellen, wo sie zu be¬
handeln sind, ist sicher zu vervollkommnen. Die Fürsorgeärzte müssen mehr
Einfluss auf die Auswahl für die Heilstätten usw. bekommen. Vor allen
Dingen sollte aber die spezifische Behandlung durch die Fürsorgestellen zu
ihrem Rechte kommen. Pass die Frjedmannbehandlung auch nur ähnlichen
Schwierigkeiten im Publikum begegnen würde, wie die mit Tuberkulin, halte
ich wegen ihrer Einfachheit und Billigkeit für ausgeschlossen. Natürlich kann
man den Nutzen der Schutzimpfung nach Friedmann bei gefährdeten
Säuglingen — nur um solche handelt es sich — noch nicht sicher beweisen,
aber doch mit erheblicher Wahrscheinlichkeit. Ich habe sie in meiner Arbeit
auf 6:7 berechnet, das will doch schon etwas heissen. Man darf hier nicht
bloss die in der Statistik als Tuberkulose angesprochenen Fälle berücksichti¬
gen, sondern muss die starke Herabsetzung der Qesamtsterblichkeit bei den
Säuglingen veranschlagen. In diesem frühen Alter verschwinden viele Tuber¬
kulosefälle, wie auch Weinberg bemerkt hat, unter falschen Bezeich¬
nungen der Todesursache. Sicher ist, dass der Arzt, wenn er die Schutz¬
impfung nach Friedmann empfiehlt, kein Risiko läuft, denn sie ist gänz¬
lich ungefährlich.
Herr H i n t z e demonstriert mikroskopische Befunde bei Maul- und
.Klauenseuche, ln den Ausstrichen des Inhalts ganz frisch entstandener Bla¬
sen an der Zunge fanden sich zahlreiche kleine Körperchen, die an die
Paschen sehen Variolakörper erinnern (Beizung mit Löfflerbeize und
Nachfärben mit Fuchsinlösung). Sie unterscheiden sich von denselben da¬
durch, dass sic kleiner sind, als die Pa sehen sehen Körper, nicht die
leuchtend rote Farbe derselben besitzen, sondern einen mehr matten Ton
zeigen und erheblich zahlreicher sind. Da von den Paschen sehen Kör¬
pern angenommen wird, dass sie in ursächlicher Beziehung zu den Erregern
der Variola stehen, so besteht die Möglichkeit, dass diese eigentümlichen
Gebilde ebenfalls eine Beziehung zu dem Virus der Maul- und Klauenseuche
haben könnten. In zahlreichen Kontrolluntersuchungen fanden sie sich
nicht. Es soll zu weiteren Untersuchungen nach dieser Richtung hin an¬
geregt werden.
Würzburger Aerzteabend.
(Offizielles Protokoll.)
SitzungdesärztlichenBezirksvereinsvom 15. März 1921.
Herr Zieler: Kranken Vorführungen.
1. Icbthyosis mit Ekzpm.
2. Trichophytien bei Kindern.
a) Sog. Trichophytie der Kinderköpfe.
b) Mikrosporie. Wie an anderen Orten sind auch in Würzburg im
letzten Jahre eine Reihe von Pilzerkrankungen der Kopfhaut bei Kindern auf¬
getreten, hervorgerufen durch das Mikrosporon Audouini (kultureller Nach¬
weis). Ausbreitung besonders in einigen Schulen und Kinderpflegen. Die
hochgradige Ansteckungsfähigkeit der Erkrankung hat sich hier eigentlich nur
darin gezeigt, dass bei Familien mit mehreren Kindern alle Kinder erkrankt
sind. Sonst ist die Ausbreitung eine verhältnismässig geringe geblieben.
3. Mycosis fungoldes. 57 jähr. Frau, geschwulstartiger Herd von Taler¬
grösse in der unteren Bauchgegend in ekzemähnlicher Umgebung, früher auch
für Ekzem gehalten. Einige kleinere Herde an den Oberschenkeln. Mikro¬
skopisch typisches Bild. Röntgenbehandlung,
fiauttuberkulosen. Vorführung einer Reihe teils unbehandelter, teils mit
verschiedenen Verfahren (chirurgisch, Lichtbehandlung usw.) behandelter bzw.
geheilter Fälle von Lupus vulgaris, ferner von Kranken mit Drüsen-
tuberkulose, Lichen scrophulosorum und papulo-nekro-
tischen Tuberkuliden.
5. 25 jähr. Mann mit heilendem Primäraffekt und papulo-
pustalösem Syphlllsansschlag. Daneben fortschreitende fieber>
hafte Lungentuberkulose, von der die Aussichten der Erkrankung
abhängen.
6. Papulöser SyphlUsausschlag bei 20 jähr. Mann; an den oberen Rücken-
abschnitten untermischt mit Acne vulgaris, die im Gesicht vorherrscht.
7. 23jähr. Mädchen mit unbehandeltem ersten Syphilisausbruch; sog.
„follikuläre Roseola'*. Mikroskopisch entspricht die follikuläre Roseola am
meisten dem mikropapulösen Syphilid.
8. 19jhär. Mädchen mit ausgedehntem, fast über den ganzen
Körper ausgebreiteten Leukoderm nach abgelaufener Roseola.
Reichliche Papeln an den Geschlechtsteilen. Bisher völlig unbehandelt. Auch
Arsen ist früher nie angewendet worden.
9. 58 jähr. Frau; über Syphilis nichts bekannt; 7 gesunde Kinder. Vor
4 Wochen plötzlichbeginnende, schmerzhafte Schwellung
der linken Mandel. Deshalb mehrfache, erfolglose Einschnitte. Seit
14 Tagen eine ähnliche, etwa haselnussgrose Knotenbildung
im hinteren Teil derZunge. Typische gummöse Bildungen. Schneller
Rückgang unter Salvarsan. WaR, +,
10. 43 jähr. Mann, ^phllitlscbe Zerstörung und Vernarbung des
welchen Gaumens. Näheres unbekannt, vielleicht kongenital (spezifische
Augenhintergrundsveränderungen), sonst alles negativ (körperlicher Befund,
WaR. und Lumbalpunktion).
11. 60jähr. Frau mit ausgedehnter tubero-serplglnöser Syphilis des Ge¬
sichtsund des Körpers. Krankheitsdauer unbekannt. Nie behandelt.
12. Fälle frischer Syphilis (Primäraffekte, breite nässende Papeln usw.).
Darunter 2 Fälle nicht erkannter, ausgedehnter Haut- und Schleimhautsyphilis.
Besprechung der Wichtigkeit der rechtzeitigen Erkennung solcher Fälle, zumal
im Beginn, z. B. bei bestehendem Tripper. Beginnende Primäraffekte, auch
Papeln werden bei nicht hinreichend sorgfältiger Untersuchung dann leicht
übersehen. Eine Kranke war auswärts wegen Tripper, die andere wegen
einfachen Ausflusses behandelt worden.
Digitized by Goiisle
Herr Szyska demonstriert: 1. Einen typischen Fall von myoklonlscber
Form der Encephalitis epidemica, der neben Nystagmus und fehlenden Bauch¬
deckenreflexen äusserst schmerzhafte, alle 2—3 Sekunden auftretende Zuk-
kungen der gesamten Bauchmuskulatur aufwies, die zu forzierter Exspira¬
tionsbewegung des Zwerchfells und Singultus. wie auch gleichzeitigen Abgang
von Flatus führten und den Patienten ausserordentlich mitnahmen. Narkotika,
hochgradige Wärmeapplikation und Faradisation der betroffenen Muskelpartien,
die in anderen Fällen gute Erfolge gezeitigt hatten, versagten hier völlig.
Dagegen brachte Anästhesierung der Dorsalsegmente 7—12 und Ausschaltung
der Interkostalnerven durch Injektion mit 1 proz. Novokainlösung jedesmal
promptes Nachlasscu der Schmerzen, während die Zuckungen, in ihrer Stärke
und Dauer zwar vermindert, noch weiter bestanden. Besonders gute Wirkung
zeigte eine zuletzt vorgenoinmene intramuskuläre Injektion in die Bauch¬
deckenmuskulatur, die zu völligem Nachlassen der Zuckungen führte.
2. 25 jähr. jungen Mann, der früher gesund war und keinerlei Angaben
über eine bewusste luetische Affektion machen kann. Im September 1919
durch Sturz aus dem 1. Stock Fraktur des 4. und 5. Lendenwirbels mit voll¬
ständiger Lähmung der unteren Extremitäten und schwerer Blasenlähraung.
Unter entsprechender Behandlung fast völlige Rückbildung, so dass er im
Frühjahr 1920 wieder selbständig an 2 Stöcken gehen konnte. Im Juni 1920
nach Sturz auf der Strasse mehrwöchentlicher Rückfall, sonst nur zeitweise
Ischuria paradoxa oder völlige Harnretention, so dass Katheterismus nötig
wurde. Im November 1920 im Anschluss an starke Kälteeinwirkung schwerer
Rückfall: sensorische und motorische Paraplegie der unteren Extremitäten und
völlige Harnretention mit schwerer Zystitis und septischem Fieber. In
wochenlanger Behandlung fielen die Temperaturen auf subfebrile Werte, die
Lähmungserscheinungen blieben unverändert. Auf Grund plötzlich auftreten¬
der multipler Drüsenschwellungen vorgenommene WaR. im Blut und Liquor
war positiv. Unter kombinierter Neosalvarsan-Jodbehandlung rasche auf¬
fällige Besserung sowohl des Allgemeinbefindens wie der Lähmunsgerschei-
nungen. Schon nach den 1. Salvarsangaben waren leichte Bewegungen des
rechten Beines möglich. Mit jeder weiteren Dosis Zunahme der Beweglich¬
keit des rechten, dann auch des linken Beines, rasches Abklingen der schweren
Blasenlähmung und -entzündung und Auftreten von Parästhesien, so dass dann
nach Abschluss der Salvarsanbehandlung fast normale Bewegungsexkursionen
möglich waren, der Harn völlig willkürlich entleert wurde und grobe Be¬
rührungen, vorläufig allerdings nur rechts, empfunden und lokalisiert werden
konnten. — Man muss wohl annchmen, dass es sich um eine Myelitis handelt,
die durch Lues unterhalten wurde, sei es nun in dem Sinne, dass durch
das Trauma ein Locus minoris resistentiae geschaffen wurde, an dem die
Lues später angegriffen hat oder dass eine bis dahin latente Lues durch das
Trauma erst ausgelöst wurde und in Erscheinung trat.
Verein der Aerzte in Steiermark.
Sitzung vom 10. März 1921.
Herr Z 1 n g e r 1 e hält einen Vortrag über Rückenraarkstnmoren.
Vortr. bespricht besonders die Schwierigkeit der Höhenbestimmung und
die Unterscheidung, ob es sich um einen Marktumor oder einen Hauttumor
handelt. Im vorliegenden Falle sprachen der Beginn mit reinen Wurzel¬
symptomen, dann Uebergang in einen Brown-Sequard sehen Typus
und endlich Zunahme der Lähmung bis zur völligen Querschnittsläsion, das
Fehlen des Dekubitus, die Zunahme der Spasmen entsprechend dem Wachstum
des Tumors bei gleichbleibender Höhe der Empfindungsstörung für Hauttumor.
Aus dem Fehlen der Bauchhautreflexe und den gleichbleibenden Sensibilitäts¬
störungen wurde der Tumor in der Höhe des 5.—6. Brustwirbels lokalisiert
und durch die Operation bestätigt,
Herr W i 11 e k bespricht kurz die Einzelheiten der Operation, die dem
Patienten rasche Besserung verschaffte.
Herr L i n h a r t berichtet über einen vom Dornfortsatz des 3. Brust¬
wirbels ausgehenden Knochentumor, der ähnliche Erscheinungen bot, aus dem
Röntgenbild festgestellt werden konnte und sich als eine Metastase einer
Kolloidstruma erwies. Durch die operative Entfernung konnte völlige Heilung
erzielt werden.
Herr Math eis hält einen Vortag Uber: Operative Behandlung der
Spondylitis.
Gefordert wird Allgemeinbehandlung; Ruhigstellung und Entlastung und
möglichste Korrektur einer bereits vorhandenen Verbiegung. Im Gipsbett
wird vorerst eine möglichste Abflachung des Gibbus angestrebt, dann wird
der Knochenspan zwischen die Dornfortsätze eingepflanzt (nach A l b e e) und
die Patienten noch ein halbes Jahr mit Gipsbett und Stützmieder nach¬
behandelt. 6 Fälle, noch kein Jahr seit der ersten Operation: In 3 Fällen
gute Erfolge, einmal brach der Span nach 4 Wochen ab, in einem anderen
Fall entwickelte sich an der Operationsstelle ein kalter Abszess. Als Gegen-
anzeige gegen die Operation, die die Nachbehandlung wesentlich verkürzt,
werden Allgemeinerkrankung und Fisteln im Operationsgebiet angesehen. E.
Sitzung vom 18. März 1921.
Demonstrationen; Herr Erl a eher fand bei einem 10 jähr. Kinde, das
klinisch alle Zeichen einer schwersten multiplen Tuberkulose an zahlreichen
Gelenken und Knochen mit vielen Fisteln zeigte, dass alle spezifischen
Reaktionen, Tuberkulinproben, histologische Untersuchungen und Tierversuche
negativ blieben. Es muss daher Tuberkulose als ausgeschlossen gelten und
das Krankheitsbild einer Carles nontuberculosa aufgestellt werden. — An der
Wechselrede beteiligen sich Herr Hamburger, der diese Ansicht bestätigt,
Herren W i 11 e k und E r 1 a c h e r.
Vortrag des Herrn Köfiler über: Uamittelbare Beobachtungen Ober
tuberkulöse Infektionen ln der Familie selbst.
Bei einer grösseren Anzahl kinderreicher Familien, in deren Mitte sich
ein klinisch Tuberkulöser befand, wurden in der Wohnung Untersuchungen
und Beobachtungen Uber die Infektiosität der Lungentuberkulose, den* Einfluss
ständiger Reinfektionen und die tuberkulöse Morbidität der Infizierten selbst
angestellt. Reichlich Bazillenhustende infizierten sämtliche Kinder und diese
sind infolge dar ständigen Reinfektionen gegen Tuberkulin hochempfindlich
und befinden sich im Zustande dauernder Sensibilisierung. Klinisch Tuber¬
kulöse mit seltenem und geringem Bazillenbefund sind für ihre Familienmit¬
glieder weit weniger infektiös; bazillenfreie Patienten sind nicht infektiös,
dagegen solche mit schwerer klinischer Tuberkulose und zeitweise blutigem
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
29. April 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
53S
und reichlichem Auswurf als fakultativ offene Tuberkulöse und für ihre
Kinder höchst gefüht-lich zu betrachten. Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr
reagierten bei reichlicher Infektionsgelegenheit häufig nicht, wenn ja, so
zeigten sich auch sämtliche Qcschwister infiziert und tuberkulin-hochempfind¬
lich. Die Kinder reichlich Bazillenhustender zeigten den höchsten Prozentsatz
an Tuberkulosekranken. Ein Unterschied in der Häufigkeit der Infektion je
nachdem ob Vater oder Mutter die Infektionsquelle waren, konnte nicht fest¬
gestellt werden.
Herr Peyrer: Vortrag über die Verlässlichkeit verschiedener lokaler
Tuberkulinreaktionen.
Bei Untersuchungen am reichen Material der Qrazer Kinderklinik ergab
sich, dass die 1 mg-Stichreaktion auch mit dem seit dem Kriege viel schlech¬
teren Tuberkulin bis auf wenige Ausnahmen verlässlich ist. reagierten nur
(1 Proz. aller Tuberkuloseinfizierten nicht, davon waren 3 Proz. Tuberkulosen
in den Endstadien, wo die Reaktionsfähigkeit schwer herabgesetzt ist, die
aber klinisch als Tuberkulose leicht zu erkennen waren, 3 Proz. dagegen
waren Tuberkulosen, die ohne jede Erscheinung verliefen, bei denen die
Frage, ob sie infiziert waren oder nicht, praktisch von geringer Bedeutung
war.
Mit Hilfe der Pirquet sehen oder M o r o sehen Probe konnten da¬
gegen nur 54 resp. 44 Proz. der Infizierten erkannt werden.
Auch die Intrakutanmethode in der Dosis, die M a n t o u s e angab
(■, ifK) mg) zeigte etwa 20 Proz. Versager, darunter zahlreiche Tuberkulosen,
die massige klinische Erscheinungen machten und deren Diagnose wichtig
wäre.
Es wird also dringend empfohlen, sich nach negativer Pirquet- oder
,\\ o r 0 scher Probe noch der Stichreaktion, steigend bis 1 mg, zu bedienen
und diese eventuell nach einer Woche zu wiederholen.
An den Wechselreden beteiligen sich die Herren Hamburger. Hol-
t c j und P 1 a n n e r, die mit dem Vortragenden völlig übereinstimnn;n. E.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. April 1921.
Herr E. Stransky stellt einen 24 jährigen Mann mit Residuen eines
pontinen Herdes Infolge von Typbus exanthematicus vor.
Pat. akquirierte in der russischen Gefangenschaft 1915 ein Ulcus penis
und wurde sofort mit Quecksilber und Salvarsan J;)eliandelt; keine besonderen
Allgemeinerscheinungen,-keine besonderen Nervensymptome. 1918 und 1919
Pneumonie und Pleuritis. Ende April 1920 Erkrankung an Flecktyphus.
Damals plötzliches Auftreten einer Lähmung des unteren Fazialis 1., von
Schluckstörungen, Kehlkopflähmung, Parese des rechten Beines, leichter Ataxie
der rechten oberen Extremität, Blasenstörungen. Optikus und Akustikus
frei. Diese Symptome deuten auf einen pontinen Herd. In einigen Monaten
Rückbildung der Symptome. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft
Wassermann negativ.
Vortr. kennt Pat. seit Februar 1921. Derzeit keine Schluckstörungen,
leichte Parese des unteren Fazialis links (faradische Erregbarkeit etwas
herabgesetzt), leichte Parese des rechten Beines, besonders beim Laufen,
Patellarreflexe rechts etwas lebhafter als links, B a b i n s k i fehlt. Sensibilität
frei. Wassermann im Serum negativ, im Liquor fraglich positiv. Auch
der Zellbefund spricht nicht für Lues des Zentralnervensystems.
Man muss also an eine Erkrankung infolge Fleckfieber denken, w'ie das
wiederholt beschrieben worden ist.
Herr Q. Schwarz: Ein Röntgenphotometer für die Zwecke der Tiefen-
(heraple.
Herr P r a n t e r berichtet unter Hinweis auf seine Mitteilung vom
14. Januar d. J. in dieser Gesellschaft über die Wirkung von Intravenösen
Injektionen hypertonischer Zuckerlösungen bei Lues.
Die Zeitintervalle zwischen Zucker- und Salvarsaninjektion wurden immer
mehr verkürzt, schlies.slich wurde Salvarsan in Traubenzuckerlösung gelöst.
Salvarsan wurde von 0,1 in steigenden Mengen verwendet. Die Salvarsan-
Zuckerlösung ist beständig und verändert sich an der Luft bei weitem weniger
als eine wässerige zuckerfreie Salvarsanlosung. Die Ursache dürfte in der
Reduktionskraft des den Sauer.stoffzutritt hemmenden Traubenzuckers liegen.
Die Verfärbung von Traubenzucker-Salvarsanlösungen findet nur in der ober¬
flächlichen Schicht statt.
Vortf. berichtet über Fälle, in denen sich die Methode gut bewährt hat
(Lues. Urtikaria, Psoriasis. Lichen ruber planus). K.
Satzung vom 8. April 1921.
Herr J. G e r s t nra n n demonstriert den Kranken, den er im März d. J.
wegen der Folgen einer Leuchtgasvergiftung vorgeführt hat.
Pat. bot damals das Symptomenbild einer vollständigen Ausschaltung der
höheren psychischen Funktionen (Erfassung und Differenzierung der Aussen-
welt, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Assoziationsfälligkeit). Auftauchen
primitiver Reflexe, Echolalie, Echopraxie. Pat. ist jetzt geheilt; nur ist eine
retrograde Amnesie für die Vorgänge der Vergiftung und anterograde Amnesie
für die Dauer der Störung zu erheben.
Herr H. Ellas demonstriert einen 52 jähr. Patienten mit typischer
Diabetikeranamnese. Es gelang durch Injektion von Mono- und
Dinatriumphosphat den Blutzucker um 20—40 Prozent
zu drücken.
Herr M. Engländer berichtet über Beobachtungen beim akuten Ge¬
lenkrheumatismus mit Kochsalzinfusionen in der pyrogen wirksamen Do¬
sierung.
Zur Anwendung gelangten 150 ccm physiologischer Kochsalzlösung, sub¬
kutan einverleibt. In manchen Fällen kam der Krankheitsprozess schon nach
einer Infusion zum Stillstände. Bei schweren Fällen mussten wiederholte
Infusionen gemacht werden; in den Zeiten zwischen den Infusionen wurde
Salizyl in viel geringeren Tagesgaben als sonst üblich gegeben.
Zwischen den Proteinkörpern und dem Kochsalz besteht bezüglich des
therapeutischen Erfolges vielleicht nur ein gradueller, sicher aber kein
prinzipieller Unterschied.
Herr A. Krön fei d: Die Wiener Dloskurldes-Handschrlft. K.
Kleine Mitteilungen.
Röntgentarif.
Mindestpreise (für Kassen usw.) für ärztliche Untersuchungen mittels
Röntgenstrahlen, welche von Röntgenfachärzten ausgeführt werden, festgesetzt
auf der XII. Tagung der Deutschen Röntgen-Gesellschaft im April 1921.
Diagnostische Röntgenuntersuchungen.'
Zahnfilm 20 M.. jede weitere ä 10 M., Finger, Zehen (2 Aufnahmen)
30 M., 1 Aufnahme 20 M.. Mittelhand, Mittelfuss (2 Aufnahmen) 40 M.,
1 Aufnahme 30 M., Handgelenk, Fuss, Ellenbogen, Oberarm, Unterschenkel
(2 Aufnahmen) 50 M 1 Aufnahme 40 M., Knie, Oberschenkel (2 Aufnahmen)
75 M., ■ 1 Aufnahme 60 M., Schulter bds. 60 M.. 1 Seite 45 M., Schulter,
atypisch 55 M.. Teil des Beckens, z. B. Hüfte bds. 90 M., 1 Seite 60 M..
Becken, Kreuzbein quer 75 M., ganzes Becken 80 M., Schädel, Nasenneben¬
höhlen (2 Aufnahmen) 80 M., 1 Aufnahme 60 M., Unterkiefer 50 M., Schädel,
atypisch (achsial) 60 M.. Halswirbelsäule (2 Aufnahmen) 60 M., 1 Aufnahme
45 M., Wirbelsäule (Vorderaufnahme) 50 M., 2 Aufnahmen 75 M., desgl.
(Seitenaufnahme) 60 M.. falls Vorder- und Seitenaufnahme am gleichen Tage
zus. 90 M., Rippen, Kreuzbein 60 M., Harnapparat, einseitig (3 Aufnahmen)
90 M.. desgl. andere Seite (2 Aufnahmen) 60 M.. Lungenspitze, auch Struma,
Halsrippe 45 M„ Lungen, Oesophagus, Herz einschl. Durchleuchtung 80 M.,
Magen- oder Darmuntersuchung, bestehend aus 2—3 Durchleuchtungen und
den erforderlichen Aufnahmen, mindestens eine Uebersichtaufnahme 120 M..
Darmuntersuchunt^ nach Einlauf 90 M., Einfache Durchleuchtung 30 M.
Die Kosten für zur Röntgenuntersuchung notwendige Medikamente sind
in obige Preise nicht mit einbegriffen. Für Abzüge von Platten bis zur
Grösse von 18 X 24 cm sind 9 M., für grössere Abzüge 18 M. zu zahlen.
Die Platten selbst gehören dem aufnehmenden Röntgenologen. Die Mit¬
teilung der Diagnose an die Kasse oder an den behandelnden Arzt ist in
den Preisen mit einbegriffen.
Therapeutische Bestrahlungen.
Pro Feld und Volldose bei dem üblichen Röhrenabstand:
1. Oberflächenbestrahlung 15 M. 2 Tiefenbestrahlung: a) 1 mm Filter
20 M.. b) 2 mm Filter 25 M., c) 3 mm Filter 35 M., d) 4—5 mm Filter 50 M..
c) Schwerfilter 70 M.
Therapeutische Notizen.
Luargol und Silbersalvarsan bespricht D a n y s z und erklärt
in längerer Beweisführung, dass er schon im Jahre 1913 eine Arbeit über
die parasitizide Wirkung eines aus Silber und 606 zusammengesetzten Prä¬
parates veröffentlicht hat und dass dieses Präparat, Luargol genannt,
bei der Syphilis des Menschen mindestens ebenso gute Resultate, wie
Salvarsan, aber in 3 mal schwächerer Dosis, liefert. Das Luargol ist
identisch mit Silbersalvarsan, das zum ersten Male von Ehrlich und
Karren im Jahre 1915 beschrieben und im Jahre 1918 klinisch versucht
worden ist. D. nimmt daher die Priorität dieser komplizierten Silber¬
arsenikverbindung für sich in Anspruch und in zahlreichen Arbeiten und Ar¬
tikeln sei die Wirkung des Luargols bei Syphilis, Trypanosomiasis der
Haustiere und der (amerikanischen) Leishmaniosis bestätigt worden. (Presse
mödicale 1921 Nr. 8.) St.
Ueber den Gehalt des Urins an Harnsäure bei Gicht
und Steinkrankheit haben A. Chauffard, P. Brodin und
A. G r i g a u t an 36 Fällen Untersuchungen angestellt und im Gegensatz zu
der allgemein herrschenden Ansicht gefunden, dass der Harnsäuregehalt im
Urin im Verlaufe dieser beiden Krankheiten selten vermehrt und wenn dies
wirklich der Fall i.st, dies von geringer Bedeutung ist. In 23 von den
36 Fällen ging der Harnsäuregehalt in 24 Stunden nicht über 60—70 cg hinaus.
Was der Norm entspricht, nur in 13 Fällen war er höher und davon nur bei 3
über 1 g. Die chemische Untersuchung des Blutes hat hingegen bei Gicht
und Steinkrankheit stets einen vermehrten Gehalt an Harnsäure ergeben, die
also leicht im Blute zurückgehalten wird, während der Gehalt des Urins an
Harnsäure nur wenig beeinflusst wird. Es ist daher völlig illusorisch, aus der
Urinuntersuchung auf Störungen des Harnsäurestoffwechsels schliessen zu
wollen; dies ist vielmehr nur mittelst Untersuchung des Blutes möglich, wenn
die Niere auch noch so wenig in ihrer Funktion gestört ist. (Presse mödicale
1921 Nr. 16.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 27. April 1921.
— Ein Erlass des bayer. Ministeriums für Soziale Fürsorge vom 16. April
d. J. an die Versicherungsbehörden und Krankenkassen bringt die Bestim¬
mungen des Kassenärztlichen Mantelvertrags für Bayern
über Einigungs- und Schiedsinstanzen zur Kenntnis mit dem Bemerken, dass
es im Interesse der Aerzte wie der Krankenkassen liege, wenn diese Instan¬
zen möglichst bald geschaffen werden. Nur so erscheine die Durchführung
des Vertrags gesichert. Die Vertragsteile werden dazu aufgefordert, an die
Bildung der Schiedsämter, der Einigungsausschüsse und Schiedsgerichte so¬
fort heranzutreten, insbesondere die notwendigen Wahlen ungesäumt vor¬
zunehmen.
— Die Berliner Aerzte-Korr. bringt in ihrer Nr. 17 vom 23. April d. J.
aus der Feder Dr Heinr. Joachims eine eingehende Abhandlung über die
Steuererklärung der Aerzte zur Einkommensteu-er, deren
Studium jedem Arzt empfohlen werden kann. Buchführung des Arztes und
Abzüge werden, ihrer Wichtigkeit entsprechend, besonders ausführlich be¬
handelt. Als ein den Anforderungen des Gesetzes genügendes Buch wird das
von Meyer- Halberstadt herausgegebenc Kassabuch empfohlen. Als abzugs¬
fähige Posten werden genannt: 1. Miete der für die Ausübung der Praxis
benützten Räume einschliesslich Heizung. Beleuchtung, Feuer- und Einbruchs¬
versicherung der Möbel, Instrumente und Bücher, Abnützungsquote für Möbel,
alles nur mit Bezug auf die Praxisräume. 2. Lohn und Kost eines Dienst¬
mädchens, Wirtschafterin. Kutschers, Dieners, soweit diese im Interesse der
Praxis gehalten werden müssen. Bei Mitbeschäftigung solcher Per.sonen im
Haushalt darf nur eine entsprechende Quote in Abzug gebracht werden.
3. Kosten für Telephon im vollen Umfang. 4. Ausgaben für Vertreter und
Assistenten. 5. Fuhrkosten (Strassenbahn, Droschke, Auto, Crhaltungskosten
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
536
MÜNCHENER MEDIZINISCHE -WOCHENSCHRIFT.
Nr. 17.
des eigenen Fuhrwerks). 6. Kleidungsstücke speziell für die Berufstätigkeit
(Operationsmäntel, Handschuhe), Abnützung und Ersatz der zur Ausübung der
Landpraxis nötigen besonderen Kleidung (Pelzmantel, Fusssack). 7. Ver¬
bandzeug und Medikamente, die im Interesse der Kranken angeschafft werden,
8, Drucksachen und Porti, soweit sie sich auf die ärztliche Tätigkeit be¬
ziehen, in voller Höhe. 9. Haflpflichtversicherungsprämicn. 10. Aerzte-
kammerbeiträge. 11. Beiträge an irfländische Vereinigungen, die ausschliess¬
lich wissenschaftliche Zwecke verfolgen. Nicht abzugsfähig sind Bade¬
reisen, Ausgaben für Fortbildungskurse, für medizinische Bücher.
— Der Aerzteverband der Provinz Brandenburg veröffentlicht in der
Berl. Ae.Korr. ein Mahnwort gegen die Karenzzeit. Es heisst dort:
„Karenz! Freiwilliges Fasten zu dem unfreiwilligen, das ihm schon die teure
Zeit auferlegt — dazu Verzicht auf die Ausübung seines Berufes, Untätigkeit
und Vergessen der kaum erworbenen Kenntnisse, jahrelanges Brachliegen
wertvoller Arbeitskraft; denn einen anderen Nebenerwerb zu suchen ver¬
bieten ja als unwürdig gleichfalls die Gesetze des Standes. Und zu diesem un¬
sozialen Schutzmittel der Karenzzeit oder des Numerus clausus greifen be¬
sonders gern die Aerzte in solchen Gegenden, deren Krankenkassen mit Unter¬
stützung der Organisation mit ihnen Verträge abgeschlossen haben, die eine
Aufbesserung der Honorare bringen. Sie verkennen dabei völlig, dass es nicht
bloss das Streben der Organisation sein kann, ihnen ihren Besitzstand zu
erhalten, ihr Einkommen zu mehren und cs ihnen zu ermöglichen, auch in
diesen schweren Zeiten ein standeswürdiges Dasein zu führen, sondern dass
es eine ebenso wichtige Aufgabe ist, die ärztlichen Erwerbsmöglichkeiten
so zu gestalten, dass auch der überreichliche Nachwuchs Gelegenheit zur Be¬
gründung einer Existenz findet. Sperrt man ihn allenthalben aus. so bleibt
ihm ja gar kein anderer Ausweg, als auf krummen Bahnen sein Ziel zu er¬
reichen, und wenn er sich dann schliesslich durchsetzt, dann -wird er mit
Recht dauernd einen Groll gegen die im Herzen behalten, die ihm in der Zeit
der ersten grossen Sorgen sein Fortkommen erschwerten. An den Kassen
wird er seinen Zorn nicht auslassen, denn auf sie ist er ja dauernd an¬
gewiesen, und wenn er sich erst daran gewöhnt hat, in ihnen seine Versorger
zu erblicken, dann ist es nur ein Schritt bis zu ihrer Unterstützung bei Ge¬
legenheit von Meinuiip-sverschicdenheiten zwischen ihnen und den Aerzten.
Den augenblicklichen Vorteil der Verhinderung des unerwünschten Zuzugs
hat man also mit Hilfe der Karenzzeit erkauft mit der Geschlossenheit und
dem Ansehen des Standes! Es kann deshalb der Neigung, diese Waffe
der Karenzzeit wieder hervorzuholen, nicht früh und eindringlich genug ent¬
gegengetreten werden, und wir müssen fordern, dass man sie überall zura
alten Eisen wirft.“
— In Preussen unterzogen sich in den Jahren 1912—1919 4995 (bzw. 549)
Prüflinge der ärztlichen (bzw. zahnärztlichen) Prüfung und
zwar im “Prüfungsjahr 1912/13 849 (195), 1913/14 904 (75), 1914/15 675 (60),
1915/16 506 (29), 1916/17 617 (40). 1917/18 385 (39), 1918/19 1059 (91). Be¬
standen haben 4487 (475). Die kreisärztliche Prüfung bestanden
im gleichen Zeitraum 67 Aerzte.
— In der Zeit vom 1. Oktober 1918 bis 30. September 1919 wurden
im Deutschen Reiche approbiert 1322 Aerzte, 121 Zahnärzte, 258 Apotheker
und 30 Nahrungsmittelchemiker.
— In ihrer letzten Sitzung am 15. April hat die laryngologische Gesell¬
schaft in Berlin einstimmig beschlossen mit allen Kräften für die Erhaltung
eines selbständigen Lehrstuhles für Rhinolaryngologie, wie derselbe durch
den Tod K i 11 i a n s erledigt ist, einzutreten. Der Vorstand ist beauftragt
in diesem Sinne die nötigen Schritte zu tun.
— Ein deutsch-chilenischer Gönner deutscher Wissenschaft, Herr Juan
Winkelhagen, hat 5000 M. als Preis für die beste Lösung folgender
Aufgabe ausgesetzt: Radfahren und Sexualität. Es sind zu unter¬
suchen: 1. Die Einwirkungen des Radfahrens auf Entwicklung und Bau der
Geschlechtsorgane bei Mann und Frau. 2. Die Einwirkungen des Radfalirens
auf die psychosexueile Konstitution und auf die psychosexuellen Vorgänge.
3. Die Einwirkungen des Radfahrens auf die Funktion der Geschlechtsorgane.
4. Die Einwirkungen des Radfahrens auf die generativen Leistungen quanti¬
tativer und Qualitativer Art. Die Arbeiten müssen das Gepräge streng wissen¬
schaftlicher Untersuchung und Erörterung tragen und dürfen den Umfang
von 2 Druckbogen nicht überschreiten. Tabellen gelten als Anhang. Termin
der Ablieferung ist der I. April 1923. Die Arbeiten sind namenlos mit einem
Kennwort an Dr. Max Hi r s c h, Berlin W 30, Motzstr. 34, abzuliefern. Name
und Anschrift des Verfassers sind in einem geschlossenen Umschläge, welcher
aussen das gleiche Kennwort trägt, beizufügen. Es empfiehlt sich, dem
Manuskript die Beweisstücke der Untersuchungen (Krankengeschichten,
Tabellen usw.) beizugeben. Das Preisrichterkollegium besteht aus den Herren
C. Posner, Westenhöfe r, Henneberg, Th. B r u g s c h, Max
Hirsch. Der Wettbewerb ist an nationale Grenzen nicht gebunden. Der
Preis für die beste Arbeit beträgt 5000 M. Für die nächstbesten sind kleine
Preise nach Befinden der Preisrichter ausgesetzt. Teilung des ersten Preises
unter zwei gleichartige Arbeiten sowie Neuausschreibung bei Nichterfüllung
der Aufgabe sind Vorbehalten. Die mit dem Preis gekrönte Arbeit wird im
Archiv für Frauenheilkunde und Eugenetik veröffentlicht.
— Der nächste Kongress der Deutschen Gesellschaft für innere
Medizin wird 1922 in Wiesbaden unter dem Vorsitz von Wencke-
b a c h - Wien stattfinden. Als Ort des übernächsten Kongresses ist Wien
in Aussicht genommen.
— Nach 7 jähriger Pause — die letzte Tagung fand 1914 in München
statt — hielt die Deutsche Pathologische Gesellschaft vom
12.—14. April in Jena ihre 18. Versammlung unter dem Vorsitze des Geh.-
Rats S c h m 0 r I- Dresden ab. Prof. R ö s s 1 e begrüsste die Versammlung
-ii« Vorstand des patholog. Instituts Jena. Der Hauptverhandlungsgegenstand
Wir.,: / :; Stoffwechselorgan“, worüber die Herren H e 11 y - St. Gallen
' i ■ p i i » - Wien Referate erstatteten. Die nächste Versammlung wird
I •-,1 iti r,.,.-.! stattnnden.
■ r .\.i. Kongress der Deutschen Orthopädischen
I 'c ! .!t findet am 18., 19. u. 20. Mai 1921 in Berlin N.W. 6,
. Jir ’iow-Haus, Luisenstr. 58/59 statt. Die Tagesordnung enthält
. !■ j 1 - I ;'cr Knochen- und G e 1 e n k t u b c r k u 1 o s e, Früh-
: zung der konservativen und operativen Indikation, örtliche
Lii.gi.i.c ;rs bei Abszessen und Fisteln, biologische Grundlage der
Frischluftbehandlung, Strahlentherapie, Immunbiologische Behandlung, ortho¬
pädisch-ambulante Behandlung, Redression des spondylitischen Buckels,
Albeeoperation. koxitische und gonitische Kontrakturen, Schlottergelenke,
Ankylosen; 11 Referate über Rachitis, eine Reihe anderer Vorträge und
Demonstrationen, das gesamtklinisclie Bild, Ursachen, Diätetik, Fortschritte
der pathologischen Anatomie, Infektion als Ursache, Knochenatrophie,* Ent¬
stehung Verhütung und Behandlung der Verkrümmungen an Armen und
Beinen und der rachitischen Skoliose, Indikation und Technik von Osteo-
klase, Osteotomie und Redression, Strahlentherapie, Hungerosteopathie, Ostco-
psathyrose, Osteomalazie, Chondrodystrophie; eine Besichtigung des Oscar-
Helene-Heims für Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder, Berlin-Dahlem,
Kronprinzen-Allee 171/173 (Behandlung der Knochen- und Gelcnktuberkulose,
physiologische Sehnenverpflanzung, die wichtigsten Typen der Quengel-
methode, Ohnhänder, orthopädische Handübungsklasse, Psychologie, Päda¬
gogik, Berufsausbildung körperlich Gebrechlicher). Mit dem Kongress ist eine
Ausstellung behelfsmässiger Bandagen und Lagerungsvorrichtungen verbunden.
Den Mitgliedern der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft gehen Leitsätze
der Referate über Knochen- und Gelcnktuberkulose und Rachitis zu.
Der Vorsitzende«der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft für das Jahr 1921,
K. B i e s a 1 s k i, gibt auf Anfragen Auskunft und stellt das endgültige Pro¬
gramm zur Verfügung. Aerzte, die nicht Mitglieder der Deutschen Ortho¬
pädischen Gesellschaft sind, können am Kongress teilnehmen nach Lösung
einer Teilnehmerkarte für 30 M. bei Herrn Kustos M e I z e r, Berlin N.W. 6,
Langenbeck-Virchow-Haus.
— Die Kuranstalt Warmbad Villach in Kärnten, die
nach dem Zusammenbruche beim Zurückfluten der Truppen fürchterlich heim¬
gesucht wurde und deren Instandsetzung ungeheure Opfer erforderte, wird
im Mai d. J. wieder eröffnet. Die radioaktiven Thermalquellen dieser Kur¬
anstalt bew'ähren sich hauptsächlich für interne, rheumatische, Nerven- und
Frauenkrankheiten Die Anstalt ist mit allen physikalisch-diätetischen Kur¬
behelfen ausgestattet und besitzt nahezu 200 Zimmer mit vorzüglicher
Pension.
— Im Deutschen Reiche sind im Jahre 1919 18 Krankheitsfälle mit
2 Todesfällen an Milzbrand festgestellt worden. Gegenüber dem Vor¬
jahre mit 29 Erkrankungen und 7 Todesfällen hat die Seuche noch einen
weiteren Rückgang erfahren. Der Grund hierfür liegt offenbar darin, dass
auch im Jahre 1919 die Einfuhr von Rohstoffen und damit auch von Häuten.
Fellen, Tierhaaren und gewissen Futtermitteln, die^erfahrungsgemäss häufig
Träger von Milzbrand sind, aus dem Ausland no^ stark darnieder lag.
Von den 18 Milzbranderkrankungen wurden in Bayern 3 Erkrankungen mit
1 Todesfall beobachtet.
— Cholera. Mesopotamien. Vom 1.—15. November v. J. 3 Cholera¬
fälle. — Britisch Ostindien. Vom 16. Januar bis 5. Februar 290 Erkrankungen
(und 228 Todesfälle). — Straits Settlements. Vom 28. November bis 4. De¬
zember V. J. 1 Erkrankung und 1 Todesfall in Singapore. — Siam. Vom
19. September bis 9. Oktt^er v. J. 6 Erkrankungen und 1 Todesfall in
Bangkok. — Philippinen, vom 12.—18. Dezember v. J. 3 Cholerafälle in
Manila.
— Pest. Portugal. In Ponto Delgada (Azoren) bis 8. November v. J.
85 Erkrankungen und 30 Todesfälle. — Britisch Ostindien. Im Dezember
V. J. — ausschliesslich der Präsidentschaft Bombay — 6564 Todesfälle, im
November in der Präsidentschaft Bombay 1381, in Burma wurden gemeldet
66 Erkrankungen (und 61 Todesfälle). — Ceylon. Vom 12. Dezember v. J.
bis 15. Januar 67 Pestfälle in Colombo. — Hongkong. Vom 9.—22. Januar
2 Erkrankungen und 2 Todesfälle. — Aegypten. Vom 5. Februar bis 11. März
22 Erkrankungen. — Angola. Laut Zeitungsnachrichten herrscht in Angola
die Beulenpest
— In der 14. Jahreswoche, vom 3.—9. April 1921, hatten von deutschen
Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Mainz mit 20,1, die
geringste Neukölln mit 7,6 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
Vöff. R.-G.-A.
Hochschulna eil richten.
Kiel. Der Privatdozent für Chirurgie und Orthopädie, Prof. Dr. Max
Brandes, schied aus seiner Stellung, um in Dortmund die Leitung der
orthopädischen Abteilung der Städt. Krankenanstalten zu übernehmen, (hk.)
Marburg. Prof. Ernst Frey, Privatdozent der Pharmakologie, er¬
hielt einen Lehrauftrag für physikalische Therapie. —^.Habilitiert: der Ober¬
arzt an der psychiatrischen und Nervenklinik Dr. August Scharnke mit
einer Antrittsvorlesung: „Ueber die Bedeutung des Nystagmus für die Neuro¬
logie“ und der Prosektor am anatomischen Institut Dr. Alfred B e n n i n g -
hoff mit einer Antrittsvorlesung: ,.Zur Morphologie des Wirbeltierherzens“.
Münster. Für die an der Universität Münster neuzugründende ord.
Professur für innere Medizin ist der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Päul Krause.
Direktor der medizinischen Poliklinik in Bonn, in Aussicht genommen. —
Für den neuzugründenden Lehrstuhl für Chirurgie ist Prof. Dr. Hermann
C 0 e n e n, Privatdozent und Oberarzt an der chirurgischen Klinik in Breslau,
in Aussicht genommen, (hk.)
■ • ■ - ■ ■ ^ .
Korrespondenz.
Wir erhalten folgende Zuschrift:
lieber die Kurorte im besetzten Rheingebiet
Um für die deutschen Aerzte Aufklärung über die Zustände in den
Kurorten im besetzten Rheinlande zu schaffen, hat das Deutsche Zentral¬
komitee für ärztliche Studienreisen eine Studienreise veranstaltet, bei der in
den Tagen vom 9.—17. April folgende Orte besucht wurden: Aachen, Godes¬
berg, Neuenahr, Ems, Wiesbaden, Langenschwalbach, Schlangenbad, Soden,
Kreuznach und Münster a. Stein. Als Ergebnis dieser Reise stellen die Unter¬
zeichneten Reiseführer in Uebereinstimmung mit allen Reiseteilnehmern fest:
Die polizeilichen Ausw'eise, mit denen sich die Reiseteilnehmer versehen
hatten, brauchten kein einzigesmal vorgezeigt zu werden. Die Tatsache der
V Besetzung wurde nur. durch den Anblick fremder Soldaten fühlbar. Diese
und die Deutschen gehen stillschweigend aneinander vorbei. Die Beschwer¬
den der Besetzung liegen auf den Ortseingesessenen, die Fremden werden
von ihnen nicht betroffen.
In allen Orten sind die Kureinrichtungen auf der Höhe der Vorkriegszeit.
Es ist nichts bemerkt worden, was einen Arzt hindern könnte, Kranken den
Besuch dieser Kurorte zu empfehlen. Die Pflicht gegenüber den schwer¬
leidenden Landsleuten im besetzten Gebiet verlangt den Besuch aus dem
übrigen Deutschland. Für uns Aerzte kommt die kollegiale Pflicht hinzu.
Deutsches Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen.
Prof. Dr. Dietrich Koenig Prof. Dr. L e n n h o f f
Wirkl. Geh. Ober- Marine-Qeneralstabs- Ober-Regierungs-
Medizinalrat arzt a. D. Medizinalrat
Verlag VOM J. r. LchMaaa im Mflnahea S.W. 2, Paal Hejaeatr. M. — Druck von E. Mflhlthaier’« Buck- und Knaatdruckerti A.O., Mftachu»
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA..-
^rdi itr dozehien Nummer 1.— Jt. • ßezugscrels In ßeutschiana
. « • und AnsUnd siehe unten unter Bezugsoedin^ng^en. • • >
AnzelgcnschluM immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER "■“"■sjSsS'SÄir“-'“
an J. P. Lehmsnn’s Verlag, Paul Heysestraise 2V
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 18. 6. Mai 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behUt sich das anssdtliessliche Recht der Vervielfiltigiuig and Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrlge vor.
Originalien.
Aus der chirurgischen Klinik zu München.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. F. Sauerbruch.)
Die Behandlung der tuberkulösen Pleuraempyeme*).
Von Dr. W. Jehn, Oberarzt.
Für die Behandlung der verschiedenen Formen akuter, nicht tuber¬
kulöser Pleuraempyeme wurden in dieser Wochenschrift vor kurzem die
Richtlinien aufgestellt.
Unser ganzes chirurgisches Handeln muss unter allen Umständen
die vollständige Wiederentfaltung der partiell oder total retrahierten
Lunge herbeiführen. Gelingt dies nicht, so bleibt eine Empyemresthöhle
zurück. Die hieraus resultierenden schweren Allgemeinschädigungen des
Patienten können meist nur durch eine ausgedehnte Thorakoplastik unter
grösster Gefährdung des betreffenden Individuums beseitigt werden.
Von einem prinzipiell entgegengesetzten Standpunkte aus ist bei der
Behandlung tuberkulöser Exsudate vorzugehen.
Seitdem wir wissen, dass bei einseitiger, vorwiegend schrumpfender
Tuberkulose ein in der Pleura auftretendes Exsudat für die Ausheilung
der Lungentuberkulose von ausschlaggebender Bedeutung ist, muss von
vorneherein auf eine Wiederentfaltung der Lunge verzichtet werden.
Sie würde bald zu einer erneuten Propagation des tuberkulösen Prozesses
führen.
Durch einfache Thorakotomie diese Exsudate abzulassen, ist daher
erfahrungsgemäss ein schwerer Fehler. Einmal wird in vielen Fällen es
relativ leicht und häufig zu einer Wiederentfaltung der „Kollapslunge“
kommen, sodann aber würde bei Ausbleiben dieser Wiederentfaltung eine
fast stets schwere mischinfizierte Empyemresthöhle übrig bleiben. Der
Tod des betreffenden Individuums ist dann fast stets die unausbleibliche
Folge.
Seit Einführung der Pneumothoraxtherapie in die Behandlung der
Lungentuberkulose ist diese Tatsache ganz besonders bekannt geworden.
Es musste daher versucht werden, nach anderen Gesichtspunkten
und mit anderen Methoden diese Exsudate zu behandeln.
Die Pleura kann sich bei jeder be¬
ginnenden oder schon länger bestehenden
Tuberkulose der Lunge ungemein rasch
direkt oder indirekt an dem Erkrankungs¬
prozess beteiligen.
Entweder kommt es bald zu aus¬
gedehnten Verwachsungen beider Pleura¬
blätter, welche partiell oder total den
MPleuraspalt“ obliterieren und somit bei
schrumpfender Lungentuberkulose den
Charakter der Erkrankung gewissermassen
auf die Brustwand projizieren. Retraktion
der Brustwand, Verziehung des Herzens
und des Mediastinums nach der erkrankten
Seite hin, sowie Hochstand des Zwerch¬
fells charakterisieren dieses Krankheits¬
bild.
In anderen Fällen kommt es zur Bil¬
dung von Exsudaten Im Pleuraspalte,
deren Folge eine partielle oder totale
Retraktion der Lunge ist.
Diese Ergüsse können ohne spezifischen
Charakter sein. Sie sind der Ausdruck einer
gegen jeden Reiz chemischer, mechanischer
Empyem, welches stets frei von Kokken und Bakterien ist, dagegen ge¬
legentlich grosse Mengen von Tuberkelbazillen enthält.
Solange diese Exsudate sich nicht allzuschnell vergrössern, und
solange sie sich nicht abkapseln, w'erden sie auf das Mittelfeld nur einen
gelinden Druck ausüben. Erst in dem Augenblicke, wo das Gegenteil
dieser Verhältnisse eintritt, kommt es relativ leicht zu einer schweren
Mediastinalverdrängung, die, nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, den
Tod des Patienten zur Folge haben kann.
In anderen Fällen können sie in ihre Umgebung durchbrechen und
hier, genau so wie das akute Empyem der Pleura, in Form des Empyema
necessitatis zu subkutanen, subdiaphragmalen und intramediastinalen
Abszessen führen, die immer mit dem primären Empyem der Pleura durch
eine Fistel in Verbindung stehen.
Weitaus ungünstiger liegen die Verhältnisse, wenn sie in die Lunge
perforieren. Da wo infolge von subpleural gelegenen Kavernen die
Pleura relativ dünn ist, kommt es leicht zur Perforation der Kavernen¬
wand und somit zur Kommunikation von Pleura, Kaverne und Bronchien.
Dann werden sie ausgehustet. (Abb. 1 u. 2.)
Das klinische Bild ist äusserst charakteristisch: Nach Anstrengungen
oder stärkerem Husten verspüren die Patienten meist einen intensiven
Schmerz auf der erkrankten Brustseite. Meist kollabieren sie vorüber¬
gehend. Als Ausdruck der Atemnot wird die Atmung kurz, schnappend,
leicht pressend; der Puls wird klein und weich. Sind die Patienten bis
dahin fieberfrei gewesen, so steigt in der Regel schon in den nächsten
Tagen die Temperatur. Bestand nur wenig Auswurf, so hustet in dem
Augenblick, wo das Exsudat in die Lunge durchbricht, der Patient reich¬
liche Mengen Eiter aus. Es kommt zu mundvoller Expektoration eines
bald übelriechenden Sputums, in welchem nur wenige Tuberkelbazillen,
aber sehr viele Leukozyten und Lymphozyten sowie deren Zerfalls¬
formen gefunden werden.
Fast stets verschlechtert sich der Allgemeinzustand dieser Patienten
kurz nach eingetretener Perforation. Die Temperaturen nehmen
septischen Charakter an, der Patient verfällt. Schliesslich gehen die
Patienten an Sepsis oder Amyloid zugrunde.
Die klinische Untersuchung lässt jetzt an Stelle der bis dahin be¬
stehenden intensiven Exsudatdämpfung einen Pyopneumothorax mit all
seinen klinischen Symptomen erkennen.
Abb. :
Schema des Befimdes vor und nach Durchbruch eines
Exsudates in die Lunge.
Abb. 8. Abb. 4.
Schema des Befundes vor und nach Kavemendurchbruch
in die Pleura.
und toxischer Natur sehr empfindlichen Pleura. Sie stellen klinisch ein be¬
sonders günstiges Moment im Verlaufe einer einseitigen Lungentuber¬
kulose dar, indem sie in vielen Fällen den tuberkulösen Prozess infolge
Ruhigstellung der Lunge, mechanischer Veränderungen ihres Volumens,
sowie biologischer Momente (Aenderungen der Blut- und Lymph-
zirkulation, sowie Bindegewebsentwicklung) zur Ausheilung bringen.
Sind sie spezifisch, so sind sie meist der Ausdruck des Uebergreifens
eines tuberkulösen Prozesses aus der Lunge auf die Pleura. So sehen
wir anatomisch die Pleura pulmonalis mit typischen Tuberkeln bedeckt.
Von diesen beiden Formen der Pleuraexsudate kann besonders die
letzte sehr bald eitrig werden. Es entwickelt sich ein tuberkulöses
•) Aus äusseren Gründen
sehen werden.
Nr. 18 .
konnten Krankengeschichten nicht wiedergc-
Digitized by
Google
i Die Probepunktion des Empyems fördert einen jetzt mit Staphylo¬
kokken, Pneumokokken und Streptokokken vermischten Eiter, als letzten
bakteriologischen Beweis der klinisch bereits diagnostizierten Misch¬
infektion der Pleura.
Der gleiche Zustand kann in umgekehrter Richtung eintreten. Bel
bis dahin exsudatfreien Patienten kommt es gleichfalls im Anschluss an
Anstrengung, besonders an forcierte Hustenstösse, in manchen Fällen
zum Auftreten einp^ Spontanpneumothorax. Dieser Pneumothorax wird
in der Mehrzahl der Fälle wieder resorbiert. Gelegentlich kann sich aus
ihm ein Spannungspneumothorax entwickeln (Brunner).
Weit häufiger jedoch brechen Kavernen durch Arrosion ihrer Wand
in die bis dahin intakte Pleura hindurch. (Abb. 3 u. 4.)
Auch dies Ereignis setzt bei den davon Befallenen ähnliche Erschei¬
nungen wie der Durchbruch eines Empyems in die Lunge.
4
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Nur lässt sich dieser Zustand gegenüber dem Empyemdurchbruch
so abgrenzen, dass Patienten mit Kavemendurchbruch in die Pleura meist
sofort ihren Auswurf verlieren. Statt dessen tritt schnell über der er¬
krankten Seite ein ausgedehntes Exsudat in Form eines Pyopneumothorax
ein. Erst wenn dieses Exsudat wieder eine entsprechende Grösse er¬
reicht hat, kann es ausgehustet werden.
Auch diese Form des Pyopneumothorax stellt immer ein schwer
mischinfiziertes Empyem dar; der Verlauf dieses Krankheitsbildes ist fast
regelmässig der gleiche, wie beim Etnpyemdurchbruch.
Der Nachweis, dass diese Exsudate durch den Bronchus mit der
Aussenwelt in Verbindung stehen, kann klinisch erbracht werden, wenn
Anamnese und Befund eindeutig sind. Er wird unterstützt durch ein
einfaches Hilfsmittel. Spritzt man diesen Patienten einige Kubikzenti¬
meter Methylenblaulösung in ihre Empyemhöhle ein. so wird man an der
Blaufärbung des Auswurfs erkennen, dass dieser aus der Pleura und nur
zum Teil aus der Lunge stammt
Die dritte Gruppe von serösen und eitrigen Exsudaten im Pleura¬
raume ist die weitaus häufigste: Häufig seit Einführung des thera¬
peutischen Pneumothorax in die Therapie der Lungentuberkulose:
Es soll an dieser Stelle der Wert des therapeutischen Pneumothorax,
wenn er von Sachverständigen nach strenger Indikation angelegt wird,
nicht herabgesetzt werden. Es soll betont werden, dass gerade er den
Anstoss zur modernen Tuberkulosetherapie gegeben hat. Immerhin ist
zu sagen, dass nach Brauer und Spengler in 50 Proz. des thera¬
peutisch angelegten Pneumothorax sich ein Exsudat im Pleuraraume
entwickelt.
Dies nimmt nicht wunder. Wir wissen ja, wie empfindlich die Pleura
gegen jeden Reiz ist, wie schnell sie mit Exsudatbildung reagiert. Dies
um so mehr, wenn die Lunge sich infolge physikalischer Veränderungen
im „Pleuraspalt“ retrahlert und somit ein Pneumothorax besteht. Wir
wissen auch, dass jeder geschlossene Pneumothorax die Widerstands¬
fähigkeit der Pleura gegen Infektion wesentlich herabsetzt. So dürfte
schon wahrscheinlich der Reiz des zu therapeutischen Zwecken in die
Pleura eingelassenen Stickstoffes genügen, die Exsudatbildung hervor¬
zurufen, um so mehr als nach allgemeinen Gesetzen jede Höhlenbildung
im Körper, mag sie kongenitaler oder traumatischer Natur sein, sich mit
Flüssigkeit füllt
Diese Exsudate könen steril, bland oder schwerinfiziert sein.
Allgemein bekannt ist, dass sie auserordentlich schnell zu Media-
stinalverdrängung führen können.
In dem Masse, wie sie sich entwickeln, wird der Stickstoff in der
Pleura komprimiert, er weicht zunächst nach der Pleurakuppe aus.
Ninpnt infolge ständigen Wachsens des Exsudates der Druck in der
Pleurahöhle noch mehr zu, so sind die Vorbedingungen für einen
Spannungspneumothorax gegeben. (Abb. 5, 6, 7.)
Je nach dem Charakter dieser Exsudate wird sich der weitere
Verlauf des ganzen Krankheitsbildes gestalten.
Eine grosse Zahl der Exsudate ist steril. Sie bilden sich daher
relativ langsam und sind unter Umständen ein weiteres wichtiges
Moment für den Heilungsprozess der Lungentuberkulose. Sie können
bei entsprechenden Massnahmen gelegentlich nach einer einzigen
Punktion wieder restlos verschwinden
Diese an sich sterilen Exsudate können infiziert werden. Nur selten
dürfte eine unsaubere Punktion die Ursache sein. Gelegentlich kann bei
Pneumothofaxnachfüllung die noch adhärente oder leicht geblähte Lunge
verletzt werden und so ein Infektionsweg gegeben sein. Auch kann beim
Lösen strangförmiger Verwachsungen der Lunge durch den Pneumo¬
thorax eine weitere Möglichkeit der Infektion eintreten.
Weitaus häufiger jedoch infizieren sie sich von der Lunge aus. Auf
dem Lymphwege gelangen Keime aus den Schwielen, Narben und
Schwarten der Lunge in die Pleura, in anderen Fllen können broncho-
pneumonische Prozesse, welche bis an die Pleura pulmonalis heran¬
reichen, zu einer Kontaktinfektion führen.
Ein anderer Weg ist der Blutweg. Wenn irgendwo im Körper sich
entzündliche Prozesse abspielen — Furunkel, Angina oder Osteo¬
myelitis —, kann auf hämatogenem Wege eine Infektion dieser Ergüsse,
welche ja gewissermassen einen Locus minoris resistentiae darstellen,
erfolgen.
Schliesslich kann direkt durch Kavernendurchbruch in den Pneumo¬
thorax die Infektion hervorgerufen werden, wie umgekehrt ein sich
schnell vergrösserndes Exsudat in den Bronchus perforieren kann, und
somit Beziehungen zur Aussenwelt geschaffen werden. Ist diese Situation
eingetreten, sa ist die Infektion des Exsudates sicher.
Mag der Weg der Pleurainfektion sein wie er will, in seltenen Fällen
von aussen her^ auf dem Blutwege oder direkt von der Lunge aus, in
allen Fällen ist diese nach der Schwere der Infektion für das betreffende
Individuum ausschlaggebend. Es tritt diese „Mischinfektion“ in Form
von blander und sehr häufig schwerster Infektion ein.
Sie ist daher in vielen Fällen der Anfang vom Ende einer bis dahin
relativ günstig durch den Pneumothorax beeinflussten Lungentuberkulose.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Patienten, denen ein therapeutischer
Pneumothorax angelegt wurde, schwerkranke Menschen sind. Sie leiden
eben an ihrer Tuberkulose, und wie bei Tuberkulose anderer Organe,
Gelenken und Knochen, die Mischinfektion verhängnisvoll werden kann,
ist dies in erhöhtem Masse bei der Lungentuberkulose der Fall.
So kommt es, dass der grösste Teil dieser Individuen, wenn sie
thorakotomiert oder vielleicht sogar weil sie thorakotomiert werden,
zugrunde geht.
Denn die Thorakotomie ist als Methode der Wahl fast unter allen Um¬
ständen zu vermelden, da sie ja in erhöhtem Masse die Möglichkeit der
Mischinfektion zulässt. Nach unserer Auffassung darf sie nur in Fällen
allerschwerster Mischinfektion der Pleura ausgeführt werden, bei denen
unter Nichtbeachtung der physikalischen Verhältnisse der erkrankten
Lunge alles darauf ankommt, möglichst schnell die Pleura zu entlasten
und somit dem Patienten den Gefahren der septischen Infektion zu ent¬
ziehen.
Wir sehen also, dass die Ursachen der Infektion der Pleura die ver¬
schiedensten sein können. Bald sind es Durchbrüche bis dahin steriler
Exsudate in die Lunge, bald Durchbrüche von Kavernen in die Pleura,
bald wieder Verhältnisse, die wir beim Anlegen eines therapeutischen
Pneumothorax nicht ganz in der Hand haben: unglückliche Zufälle bei
der Punktion, Infektion auf hämatogenem Wege durch Durchwandern
von B^terien aus der Lunge in die Pleura und Kavernendurchbruch.
Diese an sich relativ häufigen Komplikationen sind in der Tuber¬
kuloseliteratur nur zerstreut zu finden. Nur Brauer und Spengler,
V. Muralt, Bandelier und Röpke berichten über grössere Zahlen.
Der Grund dafür, dass von anderer Seite so wenig darüber bekannt-
gegeben wird, dürfte wohl darin liegen, dass, trotzdem der therapeutische
Pneumothorax eine so allgemeine Anwendung gefunden hat, die Fälle
von schwerer oder schwerster Infektion sich verteilen, um so mehr, da
viele Aerzte wohl nur über ein kleines Material von Beobachtungen
verfügen.
Wir hatten in den vergangenen 10 Jahren
reichlich Gelegenheit, uns von der Häufigkeit
dieser unglücklichen Ausgänge zu überzeugen, da
ja diese Patienten gewöhnlich, wenn nichts mehr
zu verderben ist, dem Chirurgen überwiesen wer¬
den. Sauerbruch weist auf diese Tatsachen
mit Nachdruck hin. Er könnte an einem grossen
Lungenmaterial der Züricher und Münchener Kli¬
nik die Unterlagen für seine Behauptung bringen.
Die Behandlung all dieser Exsudate, spe¬
zifischer und nichtspezifischer Natur bei Tuberku¬
lose der Lunge, geht von prinzipiell anderen Ge¬
sichtspunkten aus wie die Behandlung der akuten
Pleuraempyeme: unter allen Umständen muss eine
dauernde breite Kommunikation der Pleura mit
der Aussenwelt vermieden werden.
Einmal deshalb, weil nach jeder Thorakotomie
infolge der möglicherweise eintretenden Wieder¬
entfaltung der Lunge der tuberkulöse Prozess
weiter fortschreiten kann, sodann aber ganz be¬
sonders deshalb, weil durch die Thorakotomie
erst recht der Weg für eine schwere Mischinfek¬
tion der Pleura gegeben ist.
Es bleibt daher die Punktionsbehandlung als einziges Mittel einer
zweckmässigen Therapie übrig; nur in den Fällen, bei denen eine aller¬
schwerste Mischinfektion besteht, darf die Thorakotomie ausgeführt werden.
Die Punktion ist absolut indiziert, sobald seröse oder eitrige Exsudate
mit und ohne Pneumothorax vergesellschaftet zur Mediastinalverdrängung
führen. In diesen Fällen wirkt sie lebensrettend.
Freilich ist fast die Regel, dass nach Ablassen des Ueberdrucks aus
der Pleura sehr bald wieder das Exsudat steigt und so von neuem eine
Mediastinalverdrängung eintreten kann.
Nur seröse Exsudate können nach ein- und mehrmaliger Punktion
dauernd verschwinden, die eitrigen kehren bald wieder und zwingen uns
erneut eine Punktion auszuführen.
Auch der Versuch, nach Ablassen des Exsudates die Wiederentfaltung
der Lunge dadurch zu verhindern, dass an seine Stelle Stickstoff in die
Pleura eingeblasen wird, schlägt in vielen Fällen fehl. Sehr bald ent¬
wickelt sich neben dem eingeblasenen Stickstoff von neuem das Exsudat
und es beginnt das alte Spiel.
Sind nun gar diese Ergüsse bei Tuberkulose infiziert, so liegen die
Verhältnisse noch wesentlich ungünstiger. Neben raschem Ansteigen
des Exsudates kommt es leicht zu einer Keimvermehrung und damit zu
schwererer Infektion. . ,
Schematische Darstellung der Entwickhmg eines Spannungspueumothorax infolge Exsudatbildung in einem
therapeutischen Pneumothorax.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
0 . Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
539
Es wurde vorgeschlagen, bland infizierte Empyeme der Pleura da¬
durch zu „desinfizieren“, dass versucht wurde, das an sich schon keim¬
arme und nur wenig virulente Bakterien enthaltende Exsudat steril zu
machen durch Injektion von Lugollösung. Dieser Versuch ist in ge¬
eigneten Fällen von Erfolg begleitet, ln der Tat gelingt es, diese Ex¬
sudate steril zu bekommen und somit eine der beiden gefürchteten
Komponenten auszuschalten. So berichten Brauer und Spengler
über günstige Resultate. Die Exsudate werden klar in dem Masse wie
die Leukozyten verschwinden. Zugleich verschwinden die Keime. Die
Exsudate werden dünnflüssiger und gehen schliesslich in seröse Ergüsse
ü1)er, die letzten Endes resorbiert werden können.
Sind die Exsudate schwer mischinfiziert, sei es von aussen durch
unglücklich verlaufende Punktionen, auf dem Blutwege, von der Lunge
aus, oder gar durch Kavernendurchbruch in die Pleura oder Durchbruch
des Exsudates in diese, so werden wir mit Desinfektionsversuchen
kaum Erfolg haben. Hier heisst es meist schnell und entschlossen handeln.
Es bleibt für diese Fälle nur noch die Thorakotomie als Methode der
Wahl übrig. Hier müssen Erwägungen, dass die erkrankte Lunge sich
wieder ausdehnen könne, in den Hintergrund treten, gegenüber der
grossen Gefahr, in der sich solche Patienten durch die Mischinfektion
befinden.
Die einfache Thorakotomie, so leicht sie auszuführen ist, führt
vorübergehend zur Besserung des Allgemeinzustandes, das Gros der
Patienten stirbt jedoch nach einigen Tagen, Wochen und Monaten an
Sepsis oder Amyloid. Es stirbt vor allem, wenn wir der Thorakotomie
die Drainage der Pleura folgen lassen. Wir haben daher versucht, solche
mischinfizierte Empyeme durch breite Rippenresektion zu entleeren und
dann eine ausgiebige Tampopade der Pleura mit Mikulicztampon durch¬
zuführen.
Die Tamponade hat den Erfolg, dass sie einmal auf die Lunge kom¬
primierend wirkt, sodann aber das entzündliche Exsudat genügend ab¬
saugt und ganz "besonders die freie Kommunikation der Brusthöhle mit
der Aussenwelt verhindert.
Auf diese Weise sehen wir, dass Patienten trotz breiter Thorax¬
eröffnung allmählich entfiebern und so die Pleura keimärmer wird.
Es lag der Gedanke nahe, in solchen Fällen sehr bald nach der
Thorakotomie eine ausgedehnte Thorakoplastik auszuführen. Auf diese
Weise sollte der Thorax eingeengt und somit die ,Pleurahöhle“ in einen
„Pleuraspalt“ umgewandelt werden.
Dieser Eingriff, der extrapleural, also steril ausgeführt wird, ist,
selbst wenn er in mehreren Sitzungen vorgenommen wird, gross und nur
in wenigen Fällen von Erfolg begleitet.
Unter einem grossen Material auf diese Weise operierter Patienten
sahen wir jedoch einige günstige Resultate.
Freilich bleibt in vielen Fällen eine, wenn auch schmale Fistel lange
Zeit bestehen, die wiederholte Operationen notwendig macht, wenn sie
sich überhaupt schliesst.
Wir haben den Eindruck, als ob bei Patienten, bei denen neben der
Lungentuberkulose ein mit Staphylokokken oder Streptokokken infizier¬
tes Empyem ohne Tuberkulose der Pleura bestand, diese Fisteln sich
spontan schliessen können, ähnlich wie wir es bei Empyemresthöhlen
nach akutem Empyem sehen, dass aber bei mischinfizierten Empyemen
das Bestehen der Thoraxfistel die Regel ist.
Ein anderer Weg wurde von Spengler vorgeschlagen. Bevor
überhaupt eine Thorakotomie ausgeführt wird, sollte der Brustkorb
zunächst entsprechend eingeengt werden. Es sollte zunächst durch eine
ergiebige Punktion die Pleura „leer gepumpt“ werden und unmittelbar
nach der Punktion eine efxtrapleurale Thorakoplastik ausgeführt werden,
so dass die Pleurahöhle in einen Spalt umgewandelt wurde. Wenn jetzt
sich das Exsudat von neuem entwickelt, so kann es sich nicht zu der
Grösse entwickeln wie bisher, denn es fehlt an Raum hierzu. Auch
würde nach einer sich eventuell als notwendig erweisenden Thorako¬
tomie die Resthöhle primär schon maximal verkleinert sein.
Dieser Vorschlag hat den grossen Vorteil, dass vollkommen aseptisch
operiert werden kann, ähnlich wie bei der extrapleuralen Thorako¬
plastik bei einseitiger Lungentuberkulose.
Eingreifende Operationen wie die Friedrich sehe Thorakoplastik
müssen von vornherein abgelehnt werden, vielmehr wurde ebenso wie
bei der in der Zürcher und Münchner Klinik geübten Thorakoplastik. in
einer, zwei oder drei Sitzungen von einem Paravertebralschnitt aus die
Rippenresektion ausgeführt.
Diese Methode der Behandlung besteht also in einer vorherigen aus¬
giebigen Punktion der Pleura. Die Lunge dehnt sich dann mehr oder
weniger wieder aus. Dann wird der Tuberkulose der Lunge gewisser-
massen keine Zeit gelassen, sich wieder von neuem zu entwickeln, son¬
dern möglichst bald eine Thorakoplastik ausgeführt.
In der Tat zeigte sich, dass in der Mehrzahl der Fälle dieser Weg
der richtige ist. Es gelingt in einer gewissen Anzahl von Fällen auf
diese Weise die Pleurahöhle in einen engen Spalt zu verwandeln, in
dem sich kein Exsudat mehr entwickeln kann. Zugleich wird die Lunge
in dem Zustand der Retraktion gehalten und somit der tuberkulöse Pro¬
zess durch den Lungenkollaps günstig beeinflusst.
Es fragt sich nun, in welchen Fällen sollten die verschiedenen Be¬
handlungsmethoden angewandt werden?
Bei serösen Exsudaten der Pleura halten wir nach wie vor fest
an der Punktionsbehandlung, mögen sie nun spontan bei Tuberkulose der
Lunge auftreten oder die Folge eines therapeutischen Pneumothorax
sein. Wir ersetzen das Exsudat der Pleura stets sofort durch richtig do¬
siert eingeblasenen Stickstoff. In manchen Fällen verschwinden tat¬
sächlich diese Exsudate und kehren höchstens als kleine Exsudate ge-
Digitized by Goiisle
legentlich wieder. Die Weiterbehandlung geht dann nach den jn der
Pneumothoraxtherapie geübten Grundsätzen vor sich.
Sind die Exsudate blandeitrig, tuberkulös oder nur wenig infiziert,
so wird zunächst der Versuch einer Punktionsbehandlung unter gleich¬
zeitigem Einblasen von Stickstoff gemacht.
Auch kann versucht werden, durch Einspritzungen von Lugollösung
diese Exsudate keimfrei zu machen.
; Gelingt dies nicht, so wird in 2—3 Sitzungen eine ausgedehnte
Thorakoplastik nach vorherigem Ablassen des Exsudates ausgeführt.
Diese Thorakoplastik ist um so mehr indiziert, als wir in einer
Reihe von Fällen sehen, dass Exsudat oder Pneumothorax so wie Ex¬
sudat und Pneumothorax nur partiell wirken, nämlich dann, wenn die
Lunge infolge von Verwachsungen ihrer Spitze mit jder Pleura parietalis
ausgespannt bleibt. In diesen nicht retrahierten Teilen der Lunge sehen
wir häufig die Kaverne, das Reservoir des tuberkelbazlllenhaltigen
Sputums.
Die Resultate dieser Methoden sind günstig.
Da nun nach Ausführung dieser Art der Thorakoplastik ein kleiner
Pleuraspalt übrig bleibt, ist die Möglichkeit gegeben, dass sich hier von
neuem Exsudate bilden. Diese Exsudate können einmal schwere Media-
stinalverdrängungen zur Folge haben, sie können aber auch die mobili¬
sierte Brustwand wieder abdrängen und^somit den Effekt der Operation
vereiteln. Für solche Fälle empfiehlt es sich, noch einige Male zu punk¬
tieren, um somit das Exsudat dauernd zum Schwinden zu bringen. Es
ist nur nötig, nach Ausführung dieser Punktion die mobilisierte Brust¬
wand durch entsprechende Heftpflaster verbände möglichst zu fixieren.
Gelingt es nicht, solche Exsudate dauernd zum Schwinden zu brin¬
gen, so hat dann ev. eine Thorakotomie für vollkommene Entleerung des
Exsudates zu sorgen. Es bleibt dann bei diesen Patienten eine meist
sehr schmale, aber lange Fistel bestehep, die später plastisch ver¬
schlossen werden muss, wenn sie sich nicht spontan schliesst. Es
ist selbstverständlich, dass diese Methode nur die Vorbedingung für die
Ausheilung der Lungentuberkulose schafft. Solche Patienten werden
ebenso wie diejenigen, bei denen wegen Lungentuberkulose eine extra¬
pleurale Thorakoplastik ausgeführt wurde, für einige Zeit in ein Sana¬
torium gschickt, wo sie nach den bekannten Gesichtspunkten nach¬
behandelt werden.
Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei schwer infizierten
Empyemen der Pleura. Hier steht die Intoxikation des Kranken im
Vordergrund. Unser Bestreben muss daher darauf gerichtet sein, solche
Exsudate radikaler anzugreifen.
Freilich nehmen wir hiermit das Risiko einer grossen tuberkulösen
Empyemresthöhle in Kauf. Aber es bleibt uns häufig nichts anderes übrig im
Hinblick auf den schweren Allgemeinzustand der Patienten. Diese Kran¬
ken sollen durch breite Rippenresektion mit nachfolgender Tamponade
der Pleura thorakotomiert werden. Erholen sie sich, so wird möglichst
bald nach der Thorakotomie in mehreren Sitzungen, welche kurz auf¬
einander folgen, die Deckung der Empyemresthöhle versucht Die Me¬
thode ist die gleiche, wie die oben skizizerte. Nur soll sie noch mehr
dosiert werden. Man beginnt am besten mit einer plastischen Deckung
über der Lungenspitze, lässt dann in Intervallen von 14 Tagen bis
3 Wochen die übrigen Operationen folgen und kann so allmählich eine
Deckung der Höhle herbeiführen, welche freilich in vielen Fällen Fisteln
hinterlässt. Diese Fisteln sind dann, wenn es sich um Kavernendurch¬
bruch in die Pleura oder um den Durchbruch eines Exsudates in die
Lunge handelte, stets Bronchialfisteln.
Haben diese Patienten erst die in mehreren Sitzungen ausgeführte
Thorakoplastik überstanden, so ist darän zu denken, durch weitere
plastische Operation die Fisteln zu schliessen.
Es liegt auf der Hand, dass die letzte Gruppe von schwer miscH-
inzierten Empyemen bei Lungentuberkulose die ungünstigsten operativen
Resultate bietet. Ein grosser Teil der Patienten eignet sich überhaupt
nicht wegen • seines schweren Allgemeinzustandes zur Operation. Ein
andrer hält die mit grösster Vorsicht gut dosiert ausgeführte Operation
nicht aus, aber immer ist zu versuchen, die Höhle zum Schwinden zu
bringen, da sonst nach altbekannter Erfahrung diese Patienten rettungs¬
los verloren sind. Einige günstige Resultate unserer Klinik ermutigen
uns, auf dem beschrittenen Wege weiter fortzuschreiten.
Alis der chirurgischen Universitätsklinik Berlin. •
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier.)
Sctiwellenreiztherapie.
Von Dr. med. Arnold Zimmer
Die wichtigsten Sätze aus der Arbeit von Bier: Heilentzündung
und Heilfieber mit besonderer Berücksichtigung der parenteralen Pro¬
teinkörpertherapie [1] und seinem gleichnamigen Vortrag In der Berliner
medizinischen Gesellschaft [ 2 ] sind folgende:
1. Proteinkörpertherapie, allerdings unter anderen theoretischen
Voraussetzungen, ist schon seit 250 Jahren in Form von Tierbluttrans¬
fusionen getrieben worden. Die Haupterscheinungen der Proteinkörper¬
einspritzungen sind seit langem bekannt und von den Transfusoren im
wesentlichen richtig beobachtet worden. Die Indikationen der Tierbliit-
transfusionen waren ungeheuer vielseitig (entsprechend der heutigen par¬
enteralen Proteinkörpertherapie).
2. Bei den Tierbluttransfusionen wirken die Zerfallsprodukte des
Blutes als Reiz auf alle Zellen des Körpers (Heilfieber), besonders aber
auf den Entzündungsherd — und fast alle Krankheiten befinden sich im
4*
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
540
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18 .
Zustand der Entzündung —, weil seine Zellen eine höhere Reizbarkeit
besitzen, als die Zellen des übrigen Körpers (Heilentzündung).
Aus diesen Erwägungen heraus hat Bier die Bluttransfusion dazu
benutzt, um chronische Entzündungsherde akut zu machen.
3. Der Begriff der Protoplasmaaktivierung von W e i c h a r d t*), der
in der Proteinkörpertherapie eine grosse Rolle spielt, deckt sich völlig
mit dem VI r c h o w sehen Reizbegriff. Durch das Wort „Protoplasma¬
aktivierung“ geraten wir in Gefahr, den Begriff der Heilentzündung und
des Heilfiebers als abgetan zu betrachten.
4. Das Arndt-Schulz sehe biologische Grundgesetz “) hat in der
Reiztherapie seine Gültigkeit
5. Auch Injektionen von nicht eiweisshaltigen Mitteln in genügender
Konzentration und Menge erzeugen Fieber und Entzündung und können
unter Umständen die Krankheiten günstig beeinflussen. In vielen Fällen
werden diese Mittel auf dem Umwege von Zerfallsprodukten des körper¬
eigenen Eiweisses wirken. In anderen Fällen ist die Möglichkeit einer
direkten Reizwirkung des injizierten, nichteiweisshaltigen Stoffes auf
den Entzündungsherd vorläufig nicht auszuschliessen.
Diese Feststellungen stehen, wie auch die Diskussion zu dem
Bier sehen Vortrag gezeigt hat, im allgemeinen nicht im Gegensatz zu
den Anschauungen, die zur Zeit über die Proteinkörpertherapie
herrschen.
Um so bemerkenswerter ist es:
1. dass die Lehre von der parenteralen Proteinkörpertherapie sich
die praktischen Erfahrungen der alten Transfusoren so wenig
zunutze gemacht hat,
2. dass sie sich theoretisch auf dem von Weichardt eingeführ- •
ten Begriff der Protoplasmaaktivierung aufgebaut hat. ohne sich
bewusst auf die viel breitere Basis der V i r c h o w sehen Reiz¬
lehre zu stützen.
3. dass sie sich, obwohl die Tatsachen insbesondere durch
Weichardts ausgedehnte experimentelle Versuche bekannt
waren, bisher dem Arndt-Schulz sehen biologischen Grund¬
gesetz völlig verschlossen hat, resp. dass ihr dieses wichtige
Gesetz unbekannt geblieben ist,
4. dass sie sich bisher entwickelt hat, ohne mit der Bier sehen
Lehre der Hyperämie als Heilmittel Fühlung zu nehmen.
Sie ist an der fundamentalen Bedeutung von Hyperämie. Entzün¬
dung und Fieber,, als dem gewaltigsten ’ Heilmittel des Körpers, vorbei¬
gegangen. Wo sie von Fieber und Entzündung sprach, fasste sie sie
in ihren einzelnen Symptomen, ohne in ihnen die grossen* Zusammen¬
hänge unendlich .vieler, untereinander aufs innigste verbundener physio¬
logischer Vorgänge zu erblicken, die zusammen das untrennbare Bild
von Hyperämie, Entzündung und Fieber darstellen. Indem sie aber die
Wirkung der parenteralen Proteinkörpertherapie als eine unspezifische
Leistungssteigerung auffasst, erkennt sie unausgesprochen die beherr¬
schende Bedeutung der Hyperämie an. Denn erhöhte Leistung geht mit
Hyperämie des betreffenden Zellkomplexes Hand in Hand, bei allen
wichtigen Lebenserscheinungen ist Hyperämie vorhanden*).
Sie hat nicht erkannt, dass unter diesen Voraussetzungen Bier
schon bewusst Proteinkörpertherapie getrieben hatte, indem er durch
Blutinjektionen Fieber und Entzündung zu verstärken suchte, noch weni¬
ger aber, dass Bier in- der Proteinkörpertherapie nur einen kleinen
Bruchteil derjenigen Massnahmen sah, die durch Steigerung von Ent¬
zündung und Fieber Heilwirkungen zu erzielen suchen*).
Dass die oben kurz wiederholten Bier sehen Gedankengänge auf
die Fortentwicklung der unspezifischen Reiztherapie klärend und ausser¬
ordentlich befruchtend einwirken werden, beweisen mir meine eigenen,
ausgedehnten Untersuchungen, die ich seit fast IH Jahren mit dieser
Therapie angestellt habe.
Im Juli vorigen Jahres konnte ich bereits über günstige Erfolge
mit subkutanen und intramuskulären Injektionen von Caseosan bei sub¬
akuten und chronischen Arthritiden und Neuritiden berichten [5 u. 6].
Diese Untersuchungen gewinnen über den Rahmen jener Krankheits¬
bilder hinaus an theoretischem Interesse. Denn diese Erkrankungen
büden nicht nur ein ausserordentlich günstiges Anwendungsgebiet der
Reiztherapie, sondern sie liefern auch wichtige Beobachtungen für die
Beurteilung dieser Therapie.
Im Anfänge meiner Untersuchungen hatte ich es mir zur Pflicht ge¬
macht, unbeeinflusst von theoretischen Vorstellungen mich nur auf
meine eigenen, tatsächlichen Beobachtungen zu stützen. Diese Be¬
obachtungen haben mich jene Reaktionen und Dosierungsregeln kennen
gelehrt, wie ich sie seinerzeit ausgesprochen habe. Eine Prüfung dieser
rein empirisch gefundenen Tatsachen ergab, dass sie sich zwanglos den
Bier sehen Gedankengängen unterordneten und zum grossen Teil in
ihnen ihre Erklärung fanden. Die Folge der Injektionen .hatte sich
*) Die Arbeitet! Weichardts über Protoplasmaaktivierung werden als
bekannt vorausgesetzt.
*) Schwache Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittelstarke fördern sie,
starke hemmen sie, stärkste heben sie auf. [3.]
*) Die Tatsache, dass in ihrer Wirkung den Proteinkörpern vor anderen
Mitteln keine Sonderstellung zukommt, ist in der Literatur der Proteinkörper¬
therapie zum ersten Male durch Starkenstein auf Qrund ausgedehnter
experimenteller Untersuchungen festgestellt und daraus der Schluss gezogen
worden, dass der Begriff der Proteinkörpertherapie als zu eng gefasst fallen
gelassen werden müsse (M.m.W. 1919 Nr. 8). Seit der Zeit wird der bei der
Proteinkörpertherapie geprägte Begriff der Protoplasmaaktivierung auch auf
alle möglichen anderen Reizmittel, insbesondere auch auf physikalische Mass¬
nahmen übertragen (vgl. Weichardt: M.m.W. 1920 Nr. 4. K a z n e 1 s o n
und Lorant: M.m.W. 1921 Nr. 8).
in mehr oder weniger deutlichen entzündlichen Herdreaktionen und
fieberhaften Allgemeinreaktionen zu erkennen gegeben*). Die Pro-
teinkörperinjektionen (Caseosan und Milch) wiesen in ihrer Wirkung
keinen grundlegenden Unterschied zu den Injektionen von Sanarthrit,
Kollargol und Jodkollargol auf und Hessen sich gut mit den Wirkungen
vergleichen, die man auf physikalischem Wege bei diesen Erkrankungen
erzielte. Das eigentümliche Verhalten dieser Krankheitsprozesse zu
der Dosierung des Reizmittels fand sich nirgends klarer begründet als in
dem Arndt-Schulzschen biologischen Grundgesetz. Nach diesen
Feststellungen bin ich dazu übergegangen, systematisch die Folgerungen
Biers für die Reiztherapie auf dem Gebiete der Gelenkerkrankungen
nachzuprüfen und habe inzwischen meine Erfahrungen an weit über
800 Fällen gesammelt, die zum Teil seit Jahresfrist unter ständiger
Kontrolle stehen.
Ich werde im folgenden nur die wichtigsten Fragen herausgreifen:
1. Kommen den Proteinkörpern spezifische
Eigenschaften zu, die die beobachteten Wirkungen
hervorrufen, oder können diese auch auf andere
Weise erzielt werden?
Der oben angeführte Vergleich zwischen der Wirkung von Pro¬
teinkörpern, Kollargol, Jodkollargol und physikalischen Massnahmen
lässt die Frage nach der spezifischen Wirkung der Proteinkörper schon
verneinen. Auch die Ameisensäureeinspritzungen nach Krull. deren
vorzügliche Wirkungen ich in einer grossen Anzahl von Fällen fest¬
stellen konnte, sprechen gegen eine Sonderstellung der Proteinkörper.
Neuerdings hat Munk [8j ebenfalls bei Gelenkerkrankungen diese Tat¬
sache von neuem erhärtet, indem er grundsätzlich gleichartige Re¬
aktionen erzielte durch Caseosan, Milch, andere Proteinkörper (Vak¬
zine etc.), Sanarthrit, Nukleohexyl und Argoflavin.
Ich selbst habe die Proteinkörper durch Terpentin, kolloidale Kohle
und Yatren ersetzt und habe damit ebenfalls grundsätzlich die gleichen
Reaktionen und Heilwirkungen erzielt, wenn auch quantitative Unter¬
schiede deutlich erkennbar sind. Am wenigsten wirksam ist die kol¬
loidale Kohle, die Reizwirkung des Terpentins, das ich in Form von
Terpichin anwandte, ist in vielen, insbesondere den chronischen Fällen
selbst bei kleinen Dosen (0,1 ccm) zu stark. Am beweisendsten für die
gleiche Wirksamkeit aller dieser Mittel erscheinen mir die Versuche mit
Yatren, das auch in seiner praktischen Verwertbarkeit und Heilwirkung
dem Casein am nächsten kommt, in gewissen Fällen ihm überlegen ist.
Die für unsere Untersuchungen wichtigsten Eigenschaften des
Yatrens sind seine Wasserlöslichkeit, seine Ungiftigkeit und seine Un¬
zersetzlichkeit im menschlichen Körper. Es erscheint, gleichgültig ob
es per os oder parenteral gegeben wird, in kurzer Zeit im Harn. Seine
Injektionen sind ebenso wie die des Caseosans, sobald sie nicht in das
entzündete Gewebe selbst erfolgen, fast schmerzlos. Es erzeugt wie
die Proteinkörzer, parenteral gegeben, deutliche Herdreaktionen in
den erkrankten Gelenken. Im Gegensatz zum Kasein macht es viel
geringere Allgemeinerscheinungen (Temperatursteigerungen. Uebelkeit,
Erbrechen, Schweissausbruch etc.), die therapeutisch für den lokalen
Prozess keine Bedeutung haben. Die Schlussfolgerung, Yatren und
Kasein zu vereinigen, um dadurch die nach Kaseininjektionen auftreten¬
den Allgemeinreaktionen abzuschwächen, lag deshalb nahe. Ausschlag¬
gebend dafür war allerdings ein anderer Grund. Das früher tadelfreie
Caseosan, das ich bis dahin verwandt hatte, kam plötzlich unsteril
in den Handel und verursachte alle möglichen, auch von anderer Seite
bekanntgegebenen Zwischenfälle (Schock, Abszesse, Sepsis, Augen¬
muskellähmung). Das Yatren, das früher nur als Antiseptikum ver¬
wandt worden ist, besitzt nach Dietrich aus dem Kaiser Wilhelm-
Institut für experimentelle Therapie die Eigenschaft, in Lösungen über
2 Proz. mit Sicherheit alle Bakterien abzutöten, ohne das Serum zu
verändern. Es wirkt also in den gleichen Konzentratioden. in denen
wir es als Reizmittel benutzen, auch konservierend und sichert so die
Sterilität. Das inzwischen hergestellte Yatren-Kasein“) hat sich bei
meinen Versuchen sehr bewährt.
Da das Yatren, soweit es sich überhaupt mit unseren jetzigen Me¬
thoden nach weisen lässt, auch bei oraler Gabe im Harn unzersetzt er¬
scheint, lag die Frage nahe, ob man mit ihm im Gegensatz zu den Pro¬
teinkörpern nicht eine gleichartige Reizwirkung auf den Körper ausüben
könne, wenn man es anstatt parenteral per os gibt. Diese Vermutung
hat sich bestätigt. Man sieht in geeigneten Fällen bei innerlichen
Yatrengaben bei Gelenkleidenden deutliche Herd- und Allgemein¬
reaktionen, die prinzipiell denen gleichen, die durch Injektionen hervor¬
gerufen werden. Versuche, diese wichtige Tatsache therapeutisch zu
verwenden, sind im Gange.
Von grosser Bedeutung für die Wahl des Mittels ist es noch, dass
nicht nur die absolute Quantität, sondern auch die Konzentration des
Mittels von höchster Wichtigkeit ist Die Wirkung von 0,1 ccm 5 proz.
Kaseinlösung entspricht nicht derjenigen von 1,0 ccm einer proz.
Kaseinlösung. Die Lösungen von 1 Proz. bis 2 Prom. machen im Ver¬
hältnis za der 5 proz. Lösung in vielen Fällen ganz erheblich grössere
Allgemeinbeschwerden. Insbesondere klagen viele Patienten dabei über
•) Wenn D ö 11 k e n [7], der ebenfalls die deutliche Steigerung der Ent¬
zündung hervorhebt, positive und negative Herdreaktionen beschreibt, die von
uns auch mit Regelmässigkeit beobachtet werden können, so sind gerade diese
ein Beweis für die Hyperämie und finden in ihr die Erklärung; denn durch
Biers Arbeiten wissen wir, dass durch Steigerung der Entzündung Schmerz¬
losigkeit eintritt (negative Herdreaktion), während der die Entzündung hervor¬
rufende Reiz zunächst eine Verstärkung der Schmerzen erzeugt (positive
Herdreaktion).
*) Westlaboratorium Hamburg-Billbrook, , ..
Digitized by Goiisle
Original fmiri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT,
541
Herzklopfen, Angstgefühl, Schweissausbruch, die bei stärkeren Kon¬
zentrationen davon völlig freigeblieben sind. Auch die Herdreaktion
ist häufig nicht geringer, oft stärker als bei der 5proz. Lösung. In
abgeschwächter Form tritt dieses Verhalten auch bei den verschiedenen
Yatrenkonzentrationen zutage. Eine deutliche Milderung der Wirkung
tritt erst bei Lösungen unter 1 Prom. ein. Da nun die 5proz. Yatren-
lösung bei Gelenkerkrankungen geringere Herdreaktionen auslöst, als
die gleichen Mengen von 5 proz. Kaseinlösung, wird man jene da bevor¬
zugen, wo das Kasein zu stark wirkt.
2. Praktisch von viel weittragenderer Bedeutung und die für die
ganze durch Reizwirkung auf Leistungssteigerung hinzielende Therapie
geradezu brerinende Frage ist die Dosierung des Reizes. Hier
ergeben sich eine ganze Anzahl von Tatsachen, die zum Verständnis
dieser Frage notwendig sind, aus folgenden Ueberlegungen: Auf jeden
Reiz muss eine Reaktion erfolgen. Wo nichts reagiert, kann nicht ge¬
reizt werden. Die Reaktion ist die Antwort des Gewebes auf einen
Reiz, die sich darin offenbart, dass sich die diesem Gewebe eigentüm¬
lichen Funktionen in ihrer Stärke ändern. Die Reaktion kann sich in
Form einer Leistungssteigerung geltend machen. Doch ist die Leistungs¬
steigerung (Anregung) der Zellen nicht unbegrenzt wir müssen einmal
zu dem Optimum der Leistungsfähigkeit der Zelle kommen und damit
diejenige Schwelle erreichen, bis zu der der Reiz noch eine dauernde
Leistungssteigerung hervorbringt. Bei Reizungen, die über diesen
Schwellenreiz hinausgehen, nimmt die Leistung der Zelle allmählich
wieder ab, bis dadurch eine Leistimgsverminderung und schliesslich eine
Lähmung hervorgerufen wird. Wir können also durch Abstufung des
Reizes gegenteilige Wirkungen im Körper erzielen.
Mit der Feststellung und genauen Messung der Leistungssteigerung
und Leistungsverminderung beschäftigen sich die eingehenden Labora¬
toriumsarbeiten von Weichardt und Schittenhelm auf diesem
Gebiete, dieser Wechsel zwischen Leistungssteigerung und Leistungs¬
verminderung ist jedem bekannt der unspezifische Leistungssteigerung
therapeutisch zu verwenden sucht®).
Hier liegt meiner Ansicht nach für die Fortentwicklung der ganzen
Reiztherapie das grösste Verdienst Biers, indem er. wie von Anfang
der Entwicklung seiner Reiztherapie an, erneut auf das Arndt-
Schulzsche biologische Grundgesetz nebst allen
Schulzschen Erweiterungen für die pathologischen
Verhältnisse hingewiesen hat. In ihnen findet der grösste Teil
aller Tatsachen, die in reicher experimenteller und praktischer Arbeit
bei der Reiztherapie gesammelt sind, seine Begründung. Schulz
lehrt die Gegensätzlichkeit der grossen und kleinen Dosen; er lehrt aber
auch die Unterschiedlichkeit in dem Reaktionsvermögen der verschie¬
denen Organe und ihres normalen, akut oder chronisch erkrankten Zu¬
standes. Damit gibt er uns den Leitfaden, an dem wir unsere Versuche
anstellen müssen, und die Anzeige für die Reiztherapie.
Sie kann nur da ihre Wirkung entfalten, wo das erkrankte Organ zu
einer Steigerung seiner Leistung tatsächlich noch fähig ist. andernralls
muss sie versagen. Sie wird um so wirksamer sein, je weiter die tat¬
sächliche Leistung des erkrankten Organes von dem Leistungsoptimum
entfernt ist. Bei überschwelliger Dosis, wo sie statt anregend lähmend
wirkt, wird sie dieselbe Krankheit, gegen die sie angewendet wird, ver¬
schlimmern müssen. Die Dosis des Reizmittels ist also so zu
wählen, dass dadurch die Schwelle der höchsten Leistungsfähigkeit der
Zelle erreicht wird. Wir treffen mit der Reiztherapie den gesamten
Organismus und nicht nur das bestimmte Gewebe, auf das wir mit
unseren therapeutischen Massnahmen hinzielen. Befinden sich daher
neben dem zu behandelnden Krankheitsprozess noch andere gleichstark
oder stärker reagierende Krankheitsherde im Körper, so ergeben sich
daraus Konflikte, die von vornherein beachtet werden müssen.
Zu einer zahlenmässigen Dosierung des Reizmit¬
tels können diese theoretischen Erwägungen jedoch nicht führen. Wir
bedürfen in jedem Falle des Kriteriums, wann tatsächlich die opti¬
male Dosis, der Schwellenreiz, erreicht ist. Eingehende
praktische Erfahrungen müssen uns lehren, unter welchen objektiven
und subjektiven Erscheinungen am Patienten wir an diese Reizschwelle
gelangt sind. Aufgabe des Therapeuten muss es also sein, auf jedem
einzelnen Gebiete und bei jeder Erkrankungsform diese Anzeigen ge¬
sondert aufzusuchen ^). Die individuellen Verschiedenheiten der Re¬
aktionsfähigkeit dürfen dabei nicht ausser acht gelassen werden. Zu
bedenken ist ferner, dass jede einzelne Reizbehandlung zu einer Verände¬
rung der Erregbarkeit führt, die bei der weiteren Behandlung berück¬
sichtigt werden muss. Nicht eine Zahl, sondern diejenige Re¬
aktion, die erfahrungsgemäss das Optimum der Lei¬
stungssteigerung begleitet, gibtdas Massdes Reiz¬
mittels. Die optimale Dosis, der Schwellenreiz, muss deshalb jedes¬
mal aus der Erfahrung erschlossen werden und sich an seiner Wir¬
kung korrigieren. •
Bei meinen praktischen Versuchen an Gelenkerkrankungen sind mir
m der Dosierung der verschiedenen Reizmittel drei grundsätz¬
lich voneinander verschiedene Gruppen aufgefallen. Es
ist ein grosser Unterschied, ob wir diese Reizmittel
1. bei dem normalen, gesunden,
2. bei den normalen, sich aber im akut entzündlichen Stadium be¬
findlichen Gewebe, oder
j kennzeichnet die eigenartigen Dosierungsverhältnisse mit
dem Begriffe Biodosis. (9.)
^ Auf dem Gebiete der antiseptischen Behandlung infizierter Wunden hat
s* ”5® bearbeitet. Diese Arbeit wird demnächst in der
gleichen Zeitschrift erscheinen.
Digitized by Goiisle
3. bei einem chronisch erkrankten, pathologisch veränderten Ge¬
webe anwenden. ^
Ich habe Caseosan, kolloidale Kohle, Yatren bei mir selbst und bei
anderen, nicht nachweislich erkrankten Menschen in Dosen von
5—10—^20 ccm injiziert und habe danach meistens keine klinisch be¬
merkbaren Reaktionen erzielt. Diese Dosen waren nicht imstande das
normale, gesunde Gewebe nachweislich zu reizen.
Bei eüiem sonst normalen, sich aber in einem akut entzündlichen
Stadium befindlichen Gewebe — ich beobachtete hier insbesondere rheu¬
matische und gonorrhoische Gelenkerkrankungen — erzeugen diese
Dosen stets eine deutliche kurzdauernde Herd- und oft auch starke All¬
gemeinreaktion. Der lokale Krankheitsprozess antwortet dabei mit
einer oft erstaunlich starken Hyperämie, auch wenn fern vom Ort der
Entzündung injiziert worden ist. Diese Steigerung der Entzündung ver¬
schwindet in kurzer Zeit, oft nach wenigen Stunden, und macht einem
Zurückgehen, resp. einem Aufhören auch der vorher bestehenden Ent¬
zündung Platz. Eine Schädigung durch Ueberdosierung mit diesen Mit¬
teln in Dosen von 3—10 ccm selbst mehrmals wöchentlich habe Ich da¬
bei nicht beobachten können.
Ganz anders verhält sich das chronisch erkrankte, pathologisch ver¬
änderte Gewebe: hier genügt ein verhäitnismässig kleiner Reiz, um die
chronische, schleichende Entzündung wieder akut zu machen.
Im Gegensatz zu dem normalen, aber akut entzündlichen Gewebe
überwindet das chronisch erkrankte und veränderte Gewebe die reaktive
Entzündung nicht so schnell. Nicht in Stunden, sondern in Tagen oder
Wochen klingt diese Reaktion wieder ab. Reizt man in diesem Re¬
aktionsstadium weiter mit denselben Dosen, so erlebt man statt einer
Besserung oft eine geradezu verheerende Wirkung auf den lokalen Ent¬
zündungsprozess, und zwar meist nicht in Form einfer flammenden Ent¬
zündung, sondern einer allmählichen, aber ausserordentlich stetigen und
hartnäckigen Verschlimmerung. In diesen Fällen wird der Teil des
Arndt-Schulz sehen biologischen Grundgesetzes offenbar, der davon
handelt, dass stärkere Reize hemmen und stärkste die Lebenstätigkeit
aufheben.
Wir wollen einige praktische Beispiele über das Ver¬
halten von Krankheitsformen zu Reaktion anführen und zeigen, welche
Anhaltspunkte sich für eine zahlenmässige Schwel¬
lenreizdosis daraus ergeben;
a) Akut entzündetes Gewebe: Bei einer frischen gortor-
rhoischen Qelenkerkrankung beginnen wir nach Massgabe der Kon¬
stitution mit einer tief subkutanen oder intramuskulären Injektion von
Yatren-Kasein am Orte der Wahl (4—8 ccm). Wir erzielen dadurch ln
jedem Falle nach einigen Stunden eine starke Herdreaktion (flammende
Entzündung mit starker Anschwellung und Rötung, dann nach kurzer
Steigerung Nachlassen oder völliges Verschwinden der Schmerzhaftig¬
keit, Wiedereinsetzen der Bewegungsfähigkeit). Die Allgemeinreaktion
ist bei den einzelnen Patienten sehr verschieden: Manche reagieren
sehr stark (hohes, kurzdauerndes Fieber. Uebelkeit, Mattigkeit, Schweiss
usw.), andere sind ohne die geringsten Veränderungen im Allgemein¬
befinden. Dieses verchiedene Verhalten in der Allgemeinreaktion hat
keinen Einfluss auf den Heilprozess. Die verbreitete Ansicht, aus der
Höhe des reaktiven Fiebers (pyrogenetischem Vermögen) einen Schluss
auf die Wirksamkeit der Reizkörpertherapie in jedem einzelnen Falle
ziehen zu können, ist falsch. Bei den folgenden Injektionen, die wir am
nächsten Tage, und von da ab, soweit noch erforderlich, in Abständen
von 3 Tagen vornehmen, ist die Reaktion am Krankheitsherd ab¬
geschwächt oder überhaupt nicht mehr auszulösen (Annäherung an das
Verhalten des normalen Gewebes). Herabgehen der Dosis ist nur bei
Allgemeinreaktionen erforderlich (1—4 ccm). Reagiert bei älteren Fällen
ein noch nicht völlig ausgeheilter Herd auf Injektionen von Yatren-
Kasein nicht mehr, so verwenden wir als stärkeren Reiz. Injektionen
von 5 proz. Yatren in d^s erkrankte Gewebe selbst (5—20 ccm).
In akuten und subakuten Fällen wollen wir
stärkste Herdreaktion erzielen, die hier, höchste
Leistungssteigerung bedeutet. Gefahr der Ueber-
dosierung mit den hier angegebenen Dosen bes-teht
nicht.
b) Chronisch-erkranktes und pathologisch ver-
ändertesQewebe:
Betrachten wir z. B. eine chronische Arthritis sicca auf der Basis
einer Stoffwechselanbmalie. Beginn mit deutlicher Herdreaktion (er¬
höhte Schmerzen. Ziehen. „Arbeiten“ in den erkrankten Gelenken
(1—2 ccm Yatren-Kasein). Hat die Dosis nicht genügt, steigern wir sie
nach 3 Tagen (2—3 ccm), andernfalls gehen wir mit ihr soweit herab,
dass wir mit ihr nur noch eben bemerkbare oder gerade nicht mehr
bemerkbare Herdreaktionen erzielen (1,0—0,2 ccm Yatren-Kasein oder
5 proz. Yatrenlösung) und wiederholen in Abständen von 3 Tagen diese
Iniektionen. Die Allgemeinreaktionen sind bei diesen Mengen eben¬
falls gering oder nicht wahrzunehmen. Unter dieser Behandlung sehen
wir zuerst schnellere, dann langsamere objektive und subjektive Bes.se-
rung (Abschwellung, freiere Beweglichkeit, Schmerzlinderung). Sie
muss oft durch Wochen fortgesetzt werden und führt dann, soweit man
sich in einer Zeitspanne von einem Jahr ein Urteil darüber erlauben
kann, oft zu glänzenden Dauerresultaten®).
In gewissen Fällen gelingt es scheinbar, das gleiche zu erreichen,
indem man fortgesetzt hohe Dosen gibt. Nach Tagen oder Wochen wird
man aber durch schwerste Rezidive eines anderen belehrt. Das verhält
®) Wenn Munk in diesen Fällen keine günstigen Resultate erzielte, so
können seine Misserfolge nur auf Ueberdosierung zurückgeföhrt werden.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
542
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
sich auf anderen Gebieten scheinbar ähnlich. Aus der Hautklinik von
Prof. Joseph teilt mir Stoeber folgenden Fall mit;
Eine Psoriasis vulgaris des linken Unterarmes, die seit Jahren allen
Behandlungsversuchen widerstanden hatte, behandelte er mit Caseosan.
Nach den ersten beiden Injektionen, die er intravenös gab. gat wohl
heftige Allgemeinreaktion, jedoch keinerlei Lokalreaktion auf. Er wollte
letztere erzwingen. Aehnlich wie bei Anästhesierung durch S c h 1 e i c h -
sehe Lösung umspritzte er einen frischen Krankheitsherd. Nach etwa
einer Stunde'Rötung und Schwellung des ganzen Armes und heftige
Schmerzen. Der Zustand hielt einige Tage an. Nach 8 Tagen war der
so behandelte Krankheitsherd verschwunden, nach weiteren 4 Tagen
zeigten sich an den Einstichsteilen frische Psoriasisherde und am ganzen
Körper trat explosiv eine universelle Schuppenflechte auf. Er sieht hierin
eine Schädigung des! Organismus infolge Ueberdosierung. Ganz ähn¬
liche Beobachtungen hat auch Bier bei Karzinomkranken gemacht,
wenn er ihnen Injektionen von grossen Dosen Hammelblutes gab ).
Im Grunde gleichartig, der zahlenmässigen Dosierung nach aber ab¬
weichend von den übrigen chronischen Gelenkerkrankungen verhalten
sich die vorgeschrittenen Fälle von Arthritis urica. Haben wir
durch eine grössere Dosis (0,5—1,0 Yatren-Kasein) eine starke Herd¬
reaktion erzielt, dann ist dadurch die Reizbarkeit so gestiegen, dass wir
die folgenden Dosen erheblich verringern müssen. Wieder erfordert der
Heilplan bei der weiteren Behandlung nur eben bemerkbare Reaktionen,
die wir durch Injektionen von Yatren-Kasein- oder Yatrenlösungen von
1 :20 000 bis 1:100 000 in Mengen von 0,5—0,2 ccm erzielen. Meist
erfolgen diese Reaktionen erst nach 36—48 Stunden. Um vor Trug¬
schlüssen gesichert zu sein, habe ich den Patienten ohne ihr Wissen
im L-aufe der Behandlung die gleiche Menge physiologischer Kochsalz¬
lösung gegeben. Nach 3 Tagen gaben sie an. sie hätten im Gegensatz
zu den früheren Injektionen diesmal keine Reaktion verspürt. Während
sich die Tophi unter dieser Behandlung sichtlich verkleinern und die Be¬
weglichkeit sich bessert, haben die Patienten im Verlauf der Behandlung
meist erhöhte Schmerzen. Man unterbricht deshalb besser die Be¬
handlung nach 6—8 Wochen für 4 Wochen, um die Reaktionen erst
völlig abklingen zu lassen. Reizt man mit zu hoher Dosis, so kann man
schwerste, sich über Monate erstreckende Gichtanfälle erzeugen.
Ein klinisch genau untersuchter Fall beleuchtet diese Verhältnisse
noch deutlicher. Ein Patient, der seit 20 Jahren an schwerer Gicht
leidet, von einem Anfall in den anderen geht, und dicke Tophi an allen
Körpergegenden aufweist, hat bereits alle Mittel bei sich in Anwendung
gebracht. Seit Agnaten besteht ein ununterbrochener Anfall, der im
Körper herumzieht. Auf Dosen von Caseosan 0,5, 1,0,'2,0, 4,0 ccm hat
er in keiner Weise bemerkbar reagiert. 48 Stunden nach einer Injektion
von 6 ccm Caseosan steigt die Temperatur auf 38,7 und es tritt ein
schwerer Anfall mit enormen Schwellungen und starker Schmerzhaftig¬
keit im rechten Arm und beiden Beinen auf. Vom 9. bis zum 15. Tage
nach der letzten Injektion ist die Temperatur auf 37,0 bis 37,5 gefallen.
Die Schmerzhaftigkeit hat nur wenig nachgelassen. Erneute Injektion
von 0,2 ccm Caseosan erzeugte nach 48 Stunden wieder einen Tem¬
peraturanstieg auf 38.6 und Verschlimmerung der Entzündungsprozesse.
Auf eine weitere Injektion von 0,2 ccm einer Lösung 1:500 und einer
späteren 1:1000 finden wir wieder Steigerung der Temperatur, der Ent¬
zündung und der Schmerzen und Herzbeschwerden (!). Erst auf 0,2 cern
einer Lösung 1:50 000 sehen wir nach 48 Stunden ein auffallendes Ab¬
sinken der Temperatur bis zur normalen, .Abfallen der Schwellung und
der Schmerzhaftigkeit, ein Resultat, das sich bei weiteren Injektionen
derselben Dosis bestätigte.
Diese Beispiele lehren die Anzeichen für den Schwellen-
rciz bei chronischen G e le n k 1 e i d e n: anfänglich
starke Herdreaktion, dann Herdreaktionen, die ob¬
jektiv wie subjektiv gerade noch, oder gerade nicht
mehrbemerkbarsind.
Ueberblicken wir zusammenfassend die Reiztherapie in ihrer Wir¬
kung auf die 3 Gruppen: normales, gesundes, akut entzündliches und
chronisch erkranktes, pathologisch verändertes Gewebe, sehen wir,
wie in dem einen Falle nur ganz erhebliche Dosen eines Reizmittels
eine Reaktion und eine Heilung hervorrufen. im anderen die aller-
kleinsten Dosen noch eine Reaktion erzeugen können und gerade klein
genug sind, um nicht mehr zu schaden,, sondern zu nützen, so löst
sich auf dem Grunde des Arndt-Schulzschen bio¬
logischen Grundgesetzes in der Reiztherapie der
widersinnige Gegensatz zwischen Allopathie und
Homöopathie, und wir sehen in beiden nur eine ein¬
seitige Anschauung ein und desselben Prinzips, durch Reizdosen,
die in ihrer Grösse dem Zustand des erkrankten Gewebes angepasst sind.
Heilungen zu erzielen.
3. Eine dritte Frage möchte ich nur ganz kurz berühren, inwieweit
nämlich diese Untersuchungen Rückschlüsse auf den Verlauf der Reiz¬
wirkung im Körper gestatten. Sind es Eiweissspaltprodukte. die diese
Reaktionen im Organismus hervorrufen. so können sie an 3 Stellen ilire
Entstehung haben: 1. Aus dem injizierten Material, 2. durch Zerfall von
normalen Körpergeweben, 3. durch Zerfall von Geweben des erkrankten
Zellkomplexes.
Das erste schliesst sich überall da aus, wo wir als Reiz kein Eiweiss
parenteral injizieren, sondern andere chemisch definierbare Substanzen
(Terpentin, Yatren) oder physikalische Reize an wenden. Die zweite
Möglichkeit, dass nämlich Zerfallsprodukte normalen Körpereiweisses
wirksam sein können, geht aus der lokalen Beeinflussung verschiedenster
M.in.W. 1921 Nr. 14.
Digitized by Gotigle
Entzündungsprozesse durch fern vom Ort der Erkrankung ^gelegte
Fontanellen oder Haarseile bzw. aus der Wirkung herv^, die Röntgen¬
bestrahlung normalen Gewebes auf fern vom Ort der Bestrahlung ge¬
legene Krankheitsherde auslösen kann.
Dafür, dass insbesondere das erkrankte Gewebe diejenigen Stoffe
schafft, die ihterseits im Sinne von Leistungssteigerung und Leistungs¬
verminderung wirken, sprechen folgende Beobachtungen: Injiziert man
solchen Patienten, bei denen keine lokale Herdreaktionen mehr aut-
treten, lange Zeit noch kleine Dosen von Kasein etc., so sehen wir
danach auch keine Veränderung im Allgemeinzustand des Patienten.
In anderen Fällen dagegen, wo ein lokaler chronischer Proz 4 iss regel¬
mässig eine lokale Reaktion aufweist, sehen wir sehr häufig neben den
im Anschluss an die Injektionen auftretenden kurzdauernden Allgemein-
reaktionen auch eine Veränderung der gesamten Körperfunktionen: Ge¬
wichtszunahmen bis zu 10 Pfund in kurzer Zeit sind keine Seltenheit,
körperliches Wohlbefinden, guter Schlaf, guter Appetit. Wir finden aber
auch gelegentlich einmal bei Dosen, die auf die Ausheilung der lokalen
Prozesse deutlich günstig einwirken, eine ungünstige Beeinflussung des
Allgemeinzustandes, Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit.
Nervosität, Haarausfall, Zeichen, die man auf eine proteinogene Kachexie
wohl zurückführen muss. Aehnliche Beobachtungen konnte ich bei Tcr-
pichin machen, während im allgemeinen sich das Yatren hier günstiger
verhielt. Doch kommen auch Fälle vor, wo das Yatren bei guter Be¬
einflussung des lokalen Prozesses Allgemeinstörungen hervorruft.
Diese Beeinflussung des Allgemeinbefindens
ist nach meinen Beobachtungen bei den verwendeten
kleinen Dosen immer an das Vorhandensein von
deutlich reagierenden Lokalprozessen gebunden.
Ich möchte daher auf Grund meiner Erfahrungen annehmen, dass
der Vorgang sich etwa folgendermassen abspielt:
Sowohl Spaltprodukte aus injiziertem körperfremden Eiweiss. als
auch sicher nicht eiweisshaltige Stoffe können ebenso wie Abbauprodukte
aus normalen Körpergeweben den ersten Reiz auf das entzündete, noch
reaktionsfähige Gewebe bilden. Unter ihrem Einfluss entstehen in den
erkrankten Zellkomplexen Stoffwechelprodukte, die nun ihrerseits, ebenso
wie grössere Dosen von Reizstoffen allein Allgemeinerscheinungen aus¬
lösen können und zwar je nach Beschaffenheit und Menge in günstigem
oder ungünstigem Sinne, und die gelegentlich auch wie ein neuer Reiz
auf den lokalen Herd weiterwirken. Dass nicht eiweisshaltige Stoffe
unmittelbar auf den erkrankten Zellkomplex wirken können, ohne erst
Proteinkörper an irgend einer Stelle mobilisieren zu müssen, kann ir.in
wohl daraus schliessen, dass beispielsweise orale Gaben von Yatren
deutliche Herd- und Allgemeinreaktionen auslösen‘®).
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass den Eiweisskörpern keine
Sonderstellung unter den Reizstoffen zukommt. Daher fehlt dem Namen
„P r o t e i n k ö r p e r t h e r a p 1 e“ die Berechtigung, soweit man
darunter die Therapie mit injizierten Proteinkörpern versteht.
Hugo Schulz nannte die Reiztherapie 0 r g a n t h e r a p i e. Er
wollte damit ausdrücken, dass nicht das Reizmittel, sondern das ge¬
reizte Organ die Heilwirkung hervorbringt. Zu gleicher Zeit deutet
er damit an, dass den an und für sich omnizellulären Reizmitteln eine
gewisse elektive Reizwirkung auf besondere Organe zukommt, wodurch
erklärlich wird, dass nicht jedes Mittel auf jede Krankheit und jedes
Organ gleich günstig einwirkt.
Während der Name Organtherapie fast völlig unbekannt geblieben
ist, haben die dem Sinne nach gleichartigen Bezeichnungen
Weichardts: Unspezifische Leistungssteigerung und Protoplasma¬
aktivierung weiteste Verbreitung gefunden.
Der Begriff Protoplasmaaktivierung erscheint mir über¬
flüssig. da er als Uebersetzung von unspezifischer Leistungssteigerung
keinen Vorzug vor dieser deutschen Bezeichnung verdient, aber geeignet
ist, Unklarheiten zu schaffen. (Gegensatz zwischen Protoplasma und
Zellkernsubstanz?)
Verständlicher als Protoplasmaaktivierung und Organtherapie ist
der Name: Unspezifische Leistungssteigerung (vgl.
Virchow: gesteigerte Tätigkeit). Aber auch er ist keineswegs
erschöpfend.
Zur Förderung dieser ganzen Therapie bedürfen wir eines einheit¬
lichen Namens, der frei von Ein.schränkungen das ganze Gebiet umfasst.
In ihm muss die Bezeichnung dessen, wodurch die Leistungssteiger«’ng
erzielt wird, als auch der wichtige Hinweis auf die grundlegende Be¬
deutung der Dosierung des Reizmittels enthalten sein.
Will man dem Körper nicht fremde, z. B. toxinbindende Heilmittel
zuführen, sondern seine eigene Heilungstendenz durch abgestimmte Reize
bis (zum äussersten anregen, will man durch Reize die Schwelle der
Höchstleistung der Zelle zu erreichen suchen, d. h. durch den Schwellen¬
reiz das Optimum der Reaktion auslösen, so ereibt sieh meines Er¬
achtens für die Therapie bezeichnenderweise der Name Schwellen-
reiztherapie.
Literatur.
1. Bier: M.in.W. 1921 Nr. 6 S. 163—168. — 2. Bier: Vortrag, ge¬
halten am 9. II. 1921. — 3. Hugo Schulz: Zur Lehre der Arzneiwirkung.
Virchows Arch. 108. 1887. — Ueber Hefegifte, Pflügers Arch. 42. 1888. —
Vorlesungen über die Wirkungen und Anwendungen der unorganischen Arznei¬
stoffe, Leipzig 1907. — Pharmakotherapie, im Lehrbuch der allgemeinen
Therapie von Eulen bürg und Samuel. — Die Behandlung der Diphtherie
mit Zyanquecksilber, 1914. — Similia similibus curantur, München 1920. —
4. Bier: Hyperämie als Heilmittel, S. 13. — 5. Zimmer; Vortrag in der
‘■) Kontrollversuche mit oralen Gaben von Methylenblau zeitigen die glei¬
chen Resultate.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6 . Mai 1921.___MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT._543
Berl. med. Ges. am 28. Juli 1920 (B.kl.W. 1920 Nr. 44). — 6. Zimmer:
Fortschritte auf dem Gebiete der Proteinkörpertherapie. Die ambulante
Kascintherapie chronischer Arthritiden. Ther. d. Gegenw. 1920 Nr. 8. —
7. Döllken: M.m.W. 1919 Nr. 18. — 8. Munk: Ueber die therapeutische
Wirkung der Proteinkörper, insbesondere die Behandlung der Gelenkerkran¬
kungen mit Caseosan, Sanarthrit, Nukleinsäure und anderen Substanzen.
D.m.W. 1921 Nr. 5. — 9. Lindig: M.m.W. 1920 Nr. 34.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Jena.
(Direktor: Prof. Dr. Quieke.)
Die praktische Durchführung meines Vorschlages der
biologischen Dosimetrie in der Strahlenbehandlung
der bösartigen Geschwülste unter Berücksichtigung der
mittelbaren Strahlenwirkung.
(2. Mitteilung.)
Von Dr. Fr. Keysser, Privatdozent für Chirurgie an der
Universität Jena.
Meiner Methode der biologischen Dosimetrie liegt der Gedanke zu¬
grunde, diejenige Strahlendosis experimentell an geeigneten, infiltrierend
wachsenden Tiertumoren zu ermitteln, durch welche die Fähig¬
keit der Impftumoren, neue Geschwülste bei Weiter¬
impfung auf gesunde Tiere zu erzeugen, vernichtet
wird, und diese Dosis als absoluten Gradmesser der Strahlentherapie
zugrunde zu legen.
Damit würde eine absolute Bestimmung der Karzinom- bzw. Sar¬
komdosis ermöglicht werden, im Gegensatz zu der bisher geübten, rela¬
tiven, biologischen Dosimetrie, die sich auf empirischen Beobachtungen
der Strahlenwirkung auf Haut und Gewebe einerseits und Geschwülste
andrerseits aufbaut.
Die Prüfung der Verimpfbarkeit der Geschwulst als Indikator der
Strahlendosiemng zu wählen, schaltet in dieser Methode von vornherein
auch eine Fehlerquelle aus, nämlich die Rückbildung einer Geschwulst
mit dem Begriff der Heilung zu identifizieren, wie dies bisher geschehen
musste. Wie wichtig dieser Umstand ist. werde ich noch an einem lehr¬
reichen Versuch zeigen können. Im Hinblick auf die so häufig nach
angeblichen Heilungen unter der Strahlenbehandlung beobachteten Rezi¬
dive würde es verständlich sein, dass trotz der Rückbildung einer Ge¬
schwulst lebende Geschwulstzellen in Latenz bzw. ein bisher unbekann¬
tes Virus, Zurückbleiben, Rückbildung einer Geschwulst demnach keine
Heilung bedeuten kann.
Nach meinen früheren Versuchsergebnissen über die unmittel¬
bare Beeinflussung der Impfgeschwiilste durch Röntgen- und Radium¬
strahlen, die ich in meiner ersten Mitteilung Ü veröffentlichte, musste es
aussichtlos erscheinen, die biologische Dosimetrie praktisch verwerten
zu können. Hatte sich doch gezeigt, dass die bisherigen Anschau¬
ungen, wie sie experimentell durch v. Wassermanns Versuche ge¬
stützt waren, nicht richtig sein können, nämlich dass die Fortpflanzungs¬
fähigkeit der Geschwulstzellen unter der Strahlenwirkung vernichtet
wird und die Tumorzellen, zunächst noch lebensfähig, dem Altersprozess
unterliegen und so zugrunde gehen. Denn selbst durch Dosen, die das
mehrfache der Karzinom- bzw. Sarkomdosis betrugen, wird nach meinen
Versuchen, unmittelbar wenigstens, die Verimpfbarkeit der Geschwülste
nicht aufgehoben.
Bei diesem überraschenden Befunde erhob sich die Frage, ob die
Strahlenwirkung eine mittelbare auf die Geschwulstzellen sei und
welchen Stoffen diese Rolle zukommen würde. Im Verlauf dieser Ver¬
suche, auf die ich an dieser Stelle noch nicht eingehe, musste ich auch
die mittelbare Strahlenwirkung auf die Verimpfbarkeit der Tumoren
prüfen, und bin auf diesem Wege zu einer Methode gelangt, die eine
biologische Dosimetrie in der Strahlentherapie, wenn überhaupt eine
solche möglich ist, gestatten würde.
Hierzu musste die Verimpfbarkeit der Geschwülste im Intervall
von verschiedenen Tagen nach den Bestrahlungen geprüft werden, durch
welche nach einem gewissen Zeitablauf die Fähigkeit der Geschwulst,
neue Impftumoren zu erzeugen, vernichtet ist. Voraussetzung für die
Durchführbarkeit solcher Versuche war es, die Tiere lebend zu be¬
strahlen und sie 8—320 Tage am Leben zu erhalten. Nun würde es,
wie ich früher ausführte, bei Verwendung der in der Behandlung mensch¬
licher Geschwülste erforderlichen Strahlendosis aussichtslos erscheinen,
die Tiere längere Zeit am Leben zu erhalten,, da nach Meyer die
Mäusedosis bereits bei 30 X liegt und nach Blumenthal und Kar-
s i s die Strahlen auf Mäuse um so deletärer wirken, je härter sie sind.
Dies gilt aber, wie ich in meinen Versuchen feststellerf konnte, nur bei
Bestrahlung des Gesamtorganismus, bei der von mir ausgefülirten Impf¬
methode in die Beinmuskulatur und den dadurch erzielten Schenkel¬
tumoren ist man aber in der Lage, die Strahlen rein lokal auf den Tumor
wirken zu lassen und eine Schädigung des Gesamtorganismus zu ver¬
meiden. Bei diesem Vorgehen gelang es mir, selbst unter Verwendung
härtester Strahlen, eine Anzahl von Tieren 2—3 Wochen nach der Be¬
strahlung am Leben zu erhalten, sogar bei Dosen, die die Hauterythem-
dc^is um das Doppelte überschritten, sofern das Gewicht der Tumor-*
mäuse nicht unter 25 g betrug und ausgesprochene Krankheitssymptome
hei ihnen nicht Vorlagen.
M.m.W. 1921 H. 1.
I Im übrigen treffen auch für diese Versuche des Nachweises der
; mittelbaren Strahlenwirkung die Forderungen, die ich in meiner ersten
Mitteilung aufstellte, zu, dass die Virulenz des Impftumors 100 Proz.
und der Tumor möglichst einen Dickendurchmesser von 1 cm betragen
muss. Ich kann mich deshalb hier mit diesem Hinweis begnügen.
Wichtig ist ferner die Frage der Fixation, die bei den Mäusen mit
Schenkeltumoren in einwandfreier Weise sehr einfach auch für die
Vornahme der Röntgenbestrahlung auszuführen ist. Hierzu dient ein an
der oberen Fläche offener Holzkasten, dessen äussere Umfangsmasse
der Tubusgrösse entsprechen, im vorliegenden Falle 9X6 cm, dessen
Höhe 04 cm. die Wandstärke V«, cm beträgt. In den Seitenwänden
finden sich Löcher von 1 cm Durchmesser, durch welche die Tiere aus
dem Innern des Kastens herausschlüpfen. Infolge der Volumenzunahme
des Beines bleiben die Tiere aber vom Kreuzbein ab mit dem Schenkel¬
tumor fest in dem Kasten fixiert.
Durch .Anlegen eines 2—3 cm breiten Streifens aus metallfreiem Para¬
gummi von 2 mm Dicke, der den Rumpf allseitig umgibt, an der Rücken¬
partie in doppelter Lage, in der Weise, dass durch zwei an der Bauch¬
seite angebrachte Oeffnungen die Vorderpfoten hindurchgezogen werden
und das Tier wie in einer Zwangsjacke liegt, gelingt die vollständige
Fixation des ganzen Tieres, gleichzeitig der sorgfältige Schutz desselben
gegen Schädigung durch Randstrahlen. Durch Einbringen von Gaze
in das Loch der Holzwand muss man die Lagerung des Tumors im
Inneren des Holzkastens gegebenenfalls so korrigieren, dass er mit
Sicherheit in seiner ganzen Ausdehnung von den Strahlen getroffen wird.
Die Grösse des leicht herzustellenden Holzkastens hat möglichst
jeder zur Verwendung kommenden Tubusgrösse zu entsprechen. Bei
einer Tubusgrösse 6X9 gestattet der gleichgrosse Holzkasten die Ein¬
bringung von 4—6 Tieren gleichzeitig zu einem Bestrahlungsversuch.
Dieser Behälter lässt sich auch zu Präzisionszwecken verwenden, indem
mittels einer mit Millimetereinterlung versehenen Schraubeneinrichtung
die Oberfläche des Tumors durch ein ausgespanntes Leinentuch fest
gegen die Unterlage gepresst wird, und so die Tumordicke auf Bruch¬
teile eines Millimeters sich genau bestimmen lässt. Die Herausnahme
des Holzbodens würde gleichzeitig die Zweifelderbestrahlung von dor¬
saler und ventraler Seite aus zulassen. Um möglichst einwandfreie
Resultate zu erzielen, habe ich weiterhin eine Entfernung der Haare im
ganzen Bereiche der Strahleneinwirkung an dem betreffenden Bein vor¬
genommen. was durch Ausrupfen sich in einfacher Weise bewerk¬
stelligen lässt.
Wenn ich schliesslich noch erwähne, dass die Röntgenbestrahlungen
von Herrn Dr. Wetzel, Leiter der Röntgenabteilung der hiesigen
Klinik, mit dem gleichen Instrumentarium vorgenommen wurden, wie ich
dies früher beschrieben habe, so wären damit die Ausführungen über die
technische Seite der Methode erschöpft.
Ich werde nunmehr an Hand eines kurzen Auszuges aus meinen zahl¬
reichen Versuchen — die Darstellung der Gesamtheit der Versuche bleibt
der späteren ausführlichen Publikation Vorbehalten — dazu übergehen,
die praktische Brauchbarkeit der Methode zu erörtern. Eine solche be¬
steht nur. wenn der Nachweis gelingt, dass die Verimpfbarkeit der be¬
strahlten Geschwulst vernichtet wird, unter Feststellung des Zeitraumes,
der nach der Bestrahlung verstreichen muss, und der Strahlendosis und
der Strahlenqualität, die hierzu erforderlich ist.
Die Verimpfungen der Tumoren wurden zuerst regelmässig im täg¬
lichen Intervall vom 1.—10. Tage nach der Bestrahlung vorgenommen,
vereinzelt auch nach 12, 14—18 Tagen ausgeführt. Die Strahlendosis
konnte in rtick.sichtsloser Weise zur Anwendung kommen, beginnend mit
der einfachen menschlichen Hauteinheitsdosis (HED.) bis zum 4 fachen
derselben. Die Strahlenqualität war eine verschiedene, je nach Art der
Filterung, die Bestrahlung wurde in jedem Falle mit ein- und derselben
Coolidgeröhre vorgenommen. Bei Filterung mit 1 mm Aluminium betrug
die HED. 10 Minuten, mit 3 mm Al 20 Minuten, mit 3 mm Al + 0,5 mm
Zink 45 Minuten. Ich bezeichne die Strahlenqualität bei 1 mm Al
und 30 Kilovolt kurz als weiche, die mit 3 mm Al und 60 Kilovolt als
mittelharte, die mit 3 mm Al + 0,5 Zn und 60 Kilovolt als harte.
Weiche Strahlung. Für diese ist die HED. nach 10 Minuten
erreicht. Ich wählte für die Versuche eine Bestrahlungsdauer von 20,
30 und 40 Minuten, also die 2-, 3, und 4 fache HED. Die haselnuss- bis
kirschgrossen Schenkeltumoren, an denen die Bestrahlungen vorge¬
nommen wurden, hatten einen Dickendurchmesser von 1 cm. Die
Tumoren wurden am 2., 4., 7.. 9. und 10. Tage nach der Bestrahlung
verimpft. In dieser Zeit bildete sich ein Erythem mit teilweiser Haut¬
nekrose aus. eine Rückbildung der Tumoren, allerdings nur in be¬
schränktem Masse, war lediglich nach 30 und 40 Minuten langer Be¬
strahlung erkennbar, während bei einer Bestrahlungsdauer von 20 Minuten
das Wachstum der Geschwulst unaufhaltsam fortschritt. In Tabelle A
führe ich nur einige besonders lehrreiche Beispiele für die Verimpfbarkeit
so bestrahlter Tumoren an. Die Zeichen in der Tabelle sind die gleichen
wie in meiner ersten Mitteilung. Das Tumorwachstum der Kontrolltiere
aus den Passagen 22—25 meines Tumorstammes, die zu den Bestrah¬
lungen in der Hauptsache verwandt wurden, entspricht meinen früheren
Aufzeichnungen. Infektionen und Granulationsgeschwulste wurden durch
bakteriologische und histologische Untersuchungen ausgeschlossen, die
dauernde Lebensfähigkeit der Geschwulstzellen in den aus bestrahlten
Tumoren entstandenen Impfgeschwülsten durch Fortzuchtung in Passagen
regelmässig geprüft und konstant gefunden.
Die Fähigkeit, neue Geschwülste zu erzeugen, ist somit nach einer
Bestrahlungsdauer von 20 Minuten noch nach 9—10 Tagen in keiner
Weise herabgesetzt, ja, wie die Versuche 6—10 zeigen, ist das Wachstum
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
544
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Tabelle A.
Dauer
der Be¬
strahlung
Tag der
Ver¬
impfung
Tier
No.
Grösse der Impftumoren nach
6 1 12 1 18 1 24 1 30 1 86
Ta^n
30'
Vll.
1
• 1 • '
o
t31T.
2
• 1 • 1 ••
Ü
t30T.
t3nT.
• 1 ■• !
••
Ü
—
■ 1
•
—
—
■ 1
—
20'
IX.
6
IB
■■■
mm
7
n
bi£iji
H
8
n
Eisijd
u
Hi
n
tiüjud
•
o
tllT.
,
1 i
20'
X.
11
- •
•
o
122 T.
12
•
•
o
t22T.
13
•
•
o
t23T.
14
•
••
©
t20T.
15
•
••
0
t24T.
40'
X.
16
—
—
—
—
—
—
17
—
—
—
—
—
—
18
—
—
—
—
—
—
19
—
—
—
■ —
—
—
20
—
1 - 1 -
—
--
—
der Impftumoreii sogar ein wesentlich schnelleres als bei unbestrahltem
Ausgangsmaterial der Kontrollen. Bei diesen ist der Tumor erst nach
3—4 Wochen pflaumengross, während bei jenen schon nach 10—13 Tagen
diese Grösse erreicht und der Tod des Versuchstieres eingetreten ist.
Eine Verzögerung des Wachstums ist in dem Versuch 1—5 erkennbar,
hier wurde die Ausgangsgeschwulst am 7. Tage nach einer Bestrahlungs¬
dauer von 30 Minuten verimpft.
Vollständig aufgehoben wurde die Verimpfbarkeit der Geschwulst
erst bei einer Bestrahlungsdauer von 40 Minuten nach einem Intervall
von 10 Tagen, wie sich dies im Versuch 16—20 zeigt während nach
6 und 8 Tagen die 40 Minuten lange Bestrahlung noch keine wesentliche
Aenderung der Fortpflanzungsfähigkeit hervorgerufen hatte.
Mittelharte Strahlen. Für diese liegt die HED. bei 20 Mi¬
nuten. Bei einer Bestrahlungsdauer von 30, 40 und 60 Minuten gelang
es mir bisher nur, die Tiere bis zum 9. Tage nach der Bestrahlung am
Leben zu ertialten. Ein Stillstand in der Entwicklung der bestrahlten
Tumoren war besonders nach 40 Minuten langer Bestrahlungsdauer
deutlich. Die Verimpfungen wurden am 4., 7., 8. und 9. Tag vorge¬
nommen. Eine deutliche Verzögerung in der Entwicklung dieser Impf¬
geschwülste trat gleichmässig in Erscheinung ebenso wie die Virulenz¬
herabsetzung. Ein Verlust der Verimpfbarkeit trat aber auch 9 Tage
nach der Bestrahlung nicht ein. Zur Illustration dessen führe ich in der
Tabelle B 2 Versuche als Beispiel an.
Tabelle B.
Dauer
der Be¬
strahlung
T^ der
Ver¬
impfung
Tier
No.
Grösse der Impftumoren nach
6 i 12 1 18 1 24 1 80 1 86 1 42
Tagen
40'
VIII.
1
•
•
••
1 ©
t31 T.
2
—- 1
•
•
o
t.35T.
3
•
••
©
t40T.
4
—
•
••
o
fiFF
5
—
—
—
—
30'
IX.
6
•
• !
••
o
t35T.|
7
•
' •
•
••
o
© 1
t40T.
-8
— :
9
—
—
]
10
—
—
—
HarteStrahlung. Zu dieser Versuchsreihe wurde das 1—4 fache
der HED., die bei 45 Minuten liegt, erprobt, indem die Tumoren 1, 1V4,
iVz. und 3 Stunden bestrahlt wurden. In 2 Fällen trat eine Rückbildung
der kirschgrossen Tumoren auf Erbsengrösse innerhalb 8 Tagen ein,
einmal nach VA-, das andere Mal nach IKstündiger Bestrahlung, wäh¬
rend bei 1 ständiger Bestrahlung eine, wenn auch verlangsamte Weiter¬
entwicklung der haselnussgrossen Geschwulst auf Walnussgrösse im Ver¬
lauf von 3 Wochen stattfand. Die Verimpfungen wurden am 1., 5., 9.,
16. und 22. Tage nach der Bestrahlung vorgenommen. Eine Auswahl
von 3 Versuchen stelle ich in Tabelle C zusammen.
In dem Versuche 1—^5 der vorstehenden Tabelle wurde die Aus¬
gangsgeschwulst von Haselnussgrösse 3 Stunden lang bestrahlt, d. h. es
muss bei dem Dickendurchmesser des Tumors von 1 cm jede Geschwulst¬
zelle etwa das dreifache der Karzinomdosis nach S e i t z und W i n t z
erhalten haben, trotzdem ist ihre Fähigkeit, neue Geschwülste zu er-
TabelU C.
Dauer
der Be¬
strahlung
Tag der
Ver¬
impfung
Tier
No.
Grösse der Impftumoren nach
6 1 12 t 18 1 24 1 80 1 86 i
Tagen
4t
3 Std.
■
1
•
••
o
t35T.
2
•
1 •
•
••
pBsüJb
t40T.
B
•
••
t20T.
~ 1
B
—
•—
—
—
—
—
B
— !
—
—
— 1
1 -•
IX.
6
—
1 •
• •
ö
|t33T.|
7
—
1 •
• •
o
■PSlS^B
HksJb
t4üT.
8
—
—
•
••
o
t42T.
9
_ 1
—
—
—
—
—
10
—' ^
—
—
—
— 1
— ■
—
1 V/9 Std.
X.
11
—
—
—
—
—
—
—
12
—
— '
—
—
—
—
—
13
—
—
—
—
—
—
—
14
—
—
—
—
—
— .
—
15
—
—
—
—
—
—
—
zeugen, nach einem Intervall von 5 Tagen nicht vernichtet worden,
sondern nur unwesentlich herabgesetzt, wie sich aus der geringeren Aus¬
beute und der etwas verzögerten Entwicklung ergibt.
Sehr bemerkenswert ist das Ergebnis des Versuches 6—10. Hier
war die kirschgrosse Ausgangsgeschwulst bei VA ständiger Bestrahlung
— die Tumorzellen haben somit sämtlich mindestens die volle Karzinom-
dosis erhalten — innerhalb von 8 Tagen palpatorisch völlig zurück¬
gebildet. Am 9. Tage tötete ich das Tier; in der Muskulatur fpd sich
ein bröckeliges Gewebe von der Grösse einer kleinen Erbse, eine Ver¬
impfung hielt ich zunächst für überflüssig, nahm sie aber der Vollständig¬
keit halber dennoch vor, obwohl das verschwindend geringe Material
nur eine sehr dünne Emulsion ermöglichte, da ausserdem ein Teil des
Materials zur histologischen Untersuchung eingelegt werden musste.
Nach 18 Tagen hatten sich bei 3 von den 5 geimpften Tieren aus diesem,
fast völlig zurückgebildeten Turhormaterial kirschkemgrosse Ge¬
schwülste entwickelt, die weiterwuchsen und zum Tode des Tieres
führten.
Dieser Befund ist deshalb von grösster Bedeutung, weil damit der
Beweis erbracht ist. dass die Rückbildung einer Geschwulst keineswegs
der Ausdruck einer Heilung sein muss. Damit ist auch bewiesen, dass
für eine exakte biologische Dosimetrie nur der Verlust der Verimpfbar¬
keit einer Geschwulst in Betracht kommen kann. Bleibt die Fähigkeit,
neue Geschwülste nach der Verimpfung zu erzeugen, erhalten, trotz
scheinbar völliger Rückbildung des Tumors unter der Strahlenbehand¬
lung, so ist daraus zu schliessen, dass die Strahlendosis als solche un¬
genügend war. Dies beweist auch der Versuch 11—15 der Tabelle C.
Hier wurde die kirschgrosse Ausgangsgeschwulst stärker als im Ver¬
such 6—10 bestrahlt, die Bestrahlungsdauer betrug 1% Stunden. Auch
diese Geschwulst bildete sich bis auf Erbsengrösse zurück. Die Ver¬
impfung auf normale Tiere führte aber nicht zur Geschwulstbildung.
Aus den bisherigen Versuchsbeispielen dürfte hervorgehen, dass
eine unmittelbare Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die Fähig¬
keit, bei Verimpfungen neue Geschwülste zu erzeugen, selbst bei Ein¬
wirkung der dreifachen Karzinomdosis auf die Geschwulstzellen, wenig¬
stens meines Tumorstammes, mit Sicherheit auszuschliessen ist.
Eine mittelbare Einwirkung auf die Verimpfbarkeit der Geschwulst
durch die Röntgenbestrahlung tritt scheinbar, sofern meine Befunde an
der beschränkten Zahl von Verimpfungen an grösserem Material be¬
stätigt werden, frühestens nach Ablauf von 8 Tagen ein. Die Karzinom-
bzw. Sarkomdosis würde nach diesen Versuchen wesentlich grösser sein,
als sie bisher errechnet und angewandt wurde. Hierin ist vielleicht der
Grund für die. so häufigen Rezidivbildungen zu sehen, da Rückbildung
eines Tumors nicht mit der Heilung identifiziert werden kann, wie dies
der angeführte Versuch 6^10 der Tabelle C lehrt.
Die praktische Brauchbarkeit meiner Methode der biologischen
Dosimetrie dürfte damit, wenn auch nicht für unmittelbare so doch
auf jeden Fall für die mittelbare Strahlenwirkung gezeigt sein,
wenigstens glaube ich, die technischen Fragen gelöst zu haben. Wir
sind nunmehr nicht ausschliesslich auf empirische Beobachtungen ange¬
wiesen, sondern können einen absolut messbaren Faktor, die Ver¬
impfbarkeit der Tutnoren nach der Bestrahlung, unseren Berechnungen
zugrunde legen. -
Zunächst würden meine bisherigen Befunde durch Versuche an
anderen Tumorstämmen bei Mäusen und Ratten erweitert werden
müssen, um eine Gesetzmässigkeit in dem Verhalten gegenüber der
Strahleneinwirkung zu prüfen. Trotz vielfacher Bemühungen konnte ich
andere Mäuse- oder Rattentumoren nicht erhalten.
Diese Tiertumoren sind als Testobjekt deshalb besonders geeignet,
weil man — eine gleichbleibende Virulenz von 100 Proz. und das Ent¬
stehen lokaler Schenkeltumoren vorausgesetzt — unter verschiedensten
Bedingungen die Bestrahlung ohne Rücksicht auf Schädigung der Gewebe
und Organe unter beliebiger Ueberschreitung der Hauteinheitsdosis vor¬
nehmen kann. Abgesehen von der Prüfung der verschiedenen Strahlen¬
qualitäten durch Filterung, sowie von Bestimmungen der Tiefendosis
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA «s. ^
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE VVOCHENSCHPIFT.
545
durch BestrahlunR der Tiertumoren unter dem Wasserkasten bzw. unter
ZwischensclialtunK lebender Gewebe, wird sich damit der Wert der
bisher empfohlenen Verfahren der Felder- und FernbestrahlunR eindeutig
ergeben müssen.
Vergegenwärtigt man sich, dass bei diesen zahlreichen Kombinations-
inöglichkeiten zu jedem einzelnen Versuch 10—12 Tumortiere erforder¬
lich sind, deren Tumor nach den Bestrahlungen in 1—2 tägigem Intervall,
etwa vom 8.—20. Tage ab. auf je ca. 20 gesunde Tiere überimpft w^erden
muss (etwa 75 Proz. des Gesamttumors ist zu verimpfen), so ergibt eine
einfache Berechnung, dass für die Lösung aller in Betracht kommenden
Fragen ein Verbrauch von weit über 10 000 Tieren erforderlich wäre.
Ist aber erst nach Ueberwinden aller Schwierigkeiten eine Gesetz¬
mässigkeit in der Beeinflussung der Tierstämme gefunden, so wird es
Sache der Röntgendosierungskommission sein, ein Einheitsmass als
absolutes biologisches Testobjekt zu bestimmen.
Dann könnte für jeden Apparat und jede Röhre schnell und ohne
erhebliche Kosten eine Eichung in einer Zentralstelle vorgenommen
werden, ein Ziel, das den Wünschen und Forderungen der Praxis gerecht
würde.
Aus dem pharmakolog. Institut der Universität Freiburg i. Br.
Neuere Untersuchungen über Normosal.
Von Dr. Paul Nöther.
In der folgenden Mitteilung sollen die Ergebnisse einer syste¬
matischen Untersuchung über die Bedingungen der Zersetzung der
Normosallösungen und damit auch die Grenzen von deren Haltbarkeit
erörtert werden. Um das praktische Hauptergebnis vorwegzunehmen,
hat sich herausgestellt, dass die Normosallösung weit stabiler in chemi¬
scher und physiologischer Hinsicht ist als nach der ersten Veröffent¬
lichung von Straub*) zu erwarten war.
Wie bei ihrem Vorbilde, der Ringerlösung, kann eine chemische Zer¬
setzung der Normosallösung nur durch Ausfallen des Kalziums als un¬
lösliche und unresorbierbare Verbindung eintreten, sie äussert sich sicht¬
bar durch Trübung und Niederschlagsbildung und
ihre einzige Entstehungsbedingung ist Erhitzung.
Gibt man das Normosalpulver aus den Ampullen
in Wasser von steigender Temperatur, so zeigt sich
— vorausgesetzt, dass man gehörig umschwenkt —.
dass bis zu einer Wassertemperatur von 65—70®
eine völlig klare Normosallösung erhalten wird. Erst
beim Einträgen in Wasser von 75® tritt eine merk¬
liche Opaleszenz auf, bei 82® wird diese deutlich
und bei 95® erst erscheint die erste Ausscheidung
eines feinsten, nur mit der Lupe erkenntlichen
Niederschlags.
Normosal Ist also weit toleranter gegen hohe
Temperaturen als die Ringerlösung.
Daneben ergab sich noch das bemerkenswerte
Ergebnis, dass diese Trübungen und selbst der bei
95® entstandene Niederschlag beim Erkalten und nach
einigem Stehen sich wieder lösen, Trübungen, die
bei 82 ® entstanden sind, sind nach 3—4 Stunden ver¬
schwunden und auch vom feinen Niederschlag nach
95® sind nach 12 Stunden nur mehr letzte Reste
vorhanden.
Die Verhältnisse liegen noch günstiger, wenn
man das trockene Salzpulver nicht in das vor-
?ewärmte Wasser einträgt, sondern die Lösung kalt
ansetzt und dann erst erhitzt. Dabei tritt die erste
Opaleszenz bei 86® ein, bei 92 wird sie deutlich,
bei 100® stark, mit leichter Ausfällung im letzteren
Fall. Auch hier tritt bald völlige Klärung ein, selbst
die gesottene Lösung wird mit der Zeit praktisch
klar.
Ceteris paribus Ist also die Erhitzung einer kalt
bereiteten Normosallösung eine schonendere Behand¬
lung, als die Lösung in einer vorher erwärmten
Wassermenge. Die Erklärung liegt in folgendem:
Das Normosalsalz Ist gerade in einer endlich
1 proz. Konzentration am besten löslich. Ver¬
sucht man selbst In kaltem Wasser eine konzen¬
trierte, etwa 10 proz. Lösung herzustellen, so gelingt dies auf keinem
Wege, die Lösung bleibt trübe. Solche konzentrierte Lösungen sind
nun besonders temperaturempfindlich, schon beim Erwärmen auf 40®
*) Bemerkung dazu von W. Straub: Die Angaben über die Bedin-
pngen der praktischen Verwendung des Normosals in der erwähnten Arbeit
(diese Wochenschrift 1920 S. 249) bezogen sich auf ein Präparat, das nach
einem Herstellungsverfahren gearbeitet war, das nicht über das Labora¬
torium hinauskam. Die im Handel befindlichen Präparate sind auf Grund
'vesentlich verbesserten Verfahrens hergestellt, auf sie bezieht sich
die Mitteilung Dr. N ö t h e r s. Wenn ich mich entschlossen habe, dem
Normosal trotzdem die rigorosen Verwendungsbedingungen des ursprüng¬
lichen Präparates mitgeben zu lassen, so geschah es in der Erwägung, dass
in solchen Dingen zu grosse Vorsicht besser ist als Leichtsinn. Zahlreiche
Anfragen aus der Praxis an mich und die herstellende Fabrik veranlassten
mich, die Grenzen der Misshandlungstoleranz des Präparates genauestens
fcststellen zu lassen.
Nr. 18.
liefern sie einen flockigen, nicht mehr löslichen Niederschlag, auch beim
Auffüllen auf das normale Volum mit Wasser bleibt er ungelöst. Die
gleichen Bedingungen gelten nun für einen Augenblick auch beim Lösen
des Normosals in vorbereitetem warmen Wasser, die im ersten Moment
entstehende Salzlösung ist maximal konzentriert, wird natürlich sehr
rasch verdünnt, hat aber immerhin Zeit gehabt, etwas mehr von jener
kolloidalen Kalkverbindnug auftreten zu lassen, als wenn man eine kalt
angesetzte Lösung allmählich erwärmt.
Darin liegt die Möglichkeit zur Herstellung einer wirklich maximal
zersetzten Normosallösung. Um sie zu erhalten, muss man das Salz
in V» der vorgeschriebenen Menge kochenden Wassers lösen, filtriert
heiss den Niederschlag ab und füllt dann das Filtrat mit den fehlenden
Wasser auf. Diese Lösung stellt das Maximum an Verschlechte¬
rung dar.
Wäscht man den abfiltrierten Niederschlag mit der erkalteten maxi¬
mal schlechten Lösung vom Filter herunter, so bekommt man anfangs
eine Suspension von sichtbaren Teilchen, wie sie im Momente des
Eintragens des Salzes in das kochende Wasser entstanden waren, aber
nach kurzem Stehen tritt auch hier Wiederauflösung ein, allerdings nicht
totale, aber doch sehr weitgehende. Diese Lösung sei als „Regcnerat“
bezeichnet.
Endlich wurde noch das praktisch wichtige Verhalten der Normo¬
sallösung gegen gespannten Wasserdampf, also Temperaturen über
100® verfolgt. Dazu wurde die kalte Normosallösung mit übrigem Ma¬
terial der Chirurgischen Klinik in deren Autoklaven sterilisiert. Beim
Oeffnen des Autoklaven war die Lösung zwar opaleszent, aber frei von
sichtbarem Niederschlag. Die Opaleszenz wurde in einigen Stunden
merklich weniger, verschwand allerdings nicht ganz.
Das Ergebnis dieser chemischen Versuche ist also das, dass die
Hitzebehandlung des Normosals schlimmsten Falles zu einer Opales¬
zenz, d. h. Ausscheidung einer kolloidalen Lösung von Kalkver¬
bindung führt. Da diese ohne Bildung eines merklichen Bodenkörpers
verläuft, wird dabei die Konzentration der Normosallösung nicht ge¬
ändert, und das ist der wesentliche Punkt.
Es frägt sich nun weiter, ob nicht etwa durch die Hitezbehandlung
mit oder ohne Opaleszenz die innere Zusammensetzung der Lösung doch
I so verändert werden könnte, dass diese nicht mehr physiologisch ist.
I Dies entscheidet das physiologische Experiment,
i Das empfindlichste Testobjekt für derartige Salzfragen ist das aus-
I geschnittene Froschherz in der Anordnung, wie bei Straub 1. c. be-
I richtet ist. Ein solches Herz reagiert schon auf die kleinsten Aende-
rungen seiner Salzdiät mit maximalen Funktionsänderungen.
, Ich habe nun an ausgeschnittenen Froschherzen deren Arbeit unter
kalt bereiteter Normosallösung mit der unter Wirkung aller jener Miss¬
handlungsprodukte verglichen, die im chemischen Teil dieser Mittei¬
lungen erwähnt sind. Es hat sich gezeigt, dass Normosallösungen. die
in der üblichen Weise der Hitzesterilisierung behandelt wurden, beim
Maximum der Opaleszenz und selbst beim Auftreten eines unlöslichen
Bodenkörpers noch völlig normalwertig im physiologischen Sinn sind.
Es war überhaupt nur möglich, eine Abnahme der Herzarbeit zu
erzielen, wenn jene oben als „maximal verschlechtert“ bezelchnete
5
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
546
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Lösung gegeben wurde, die ja in praxi überhaupt nicht Vorkommen
kann. Vgl. Fig. A. Aber auch hier ist die physiologische Verschlech¬
terung nur geringgradig, denn die Wechslung des Normosals bei l gegen
das maximal verschlechterte drückt die Hubhöhen nur auf etwa 50 Proz.
herab, während der Effekt einer auf anderem Wege wirklich total ent¬
kalkten Blutsalzlösung (Fig. C 1) eine Verschlechterung um etwa 90 Proz.
bringt. Fig. B zeigt dagegen die volle Wirksamkeit des „Regenerates“;
hier wurde bei 1 gewechselt gegen die durch Zusatz des vorher ab¬
filtrierten Niederschlages wieder kalkhaltig gewordene Lösung aus A 1.
ln Fig. C 2 wird das bei C 1 entkalkte Herz durch Zugabe der
„maximal verschlechterten“ Normosallösung aus A 1 sofort auf die
diesem Kalkrestgehalt entsprechende Arbeit von etwa 50 Proz. wieder
gebracht.
Endlich wurde noch der unkontrollierbare Einfluss der Zeit ver¬
folgt. — Es ist kurz zu sagen, dass sowohl kalt hergestellte sterile,
wie durch Hitze sterilisierte Normosallösungen in 4 wöchentlicher Be¬
obachtungszeit sich in keiner Weise verändert haben. Die Lösungen
sind also praktisch unbegrenzt haltbar.
Ein Wort noch der Wasserfrage! Das theoretisch richtigste Wasser
ist natürlich das destillierte. Da man aber nunmehr Normallösungen
unbeschadet ihres physiologischen Wertes ruhig hoch erhitzen kann,
wird ein hygienisch einwandfreies Leitungswasser einem zweifelhaften
destillierten Wasser vorzuziehen sein. Zweifelhaft sind aber die destil¬
lierten Wässer, die man sich nicht selbst hergestellt hat. Somit wird
gegen die Verwendung eines guten Leitungswassers nichts einzuw'enden
sein. Eine besondere Beachtung könnten höchstens die sehr kalkreichen
Wässer verlangen, die an sich schon beim Kochen viel Niederschlag
von Kalk geben. Da aber Normosal überhaupt ein Lösungsvermögen
für kohlensauren Kalk hat und ausserdem die in Frage kommenden fein-
.sten Suspensionen resorbierbar sind, wird man auch hier nicht ängstlich
sein müssen. Zur versuchsmässigen Entcheidung fehlt hier in Freiburg
das kalkreiche Wasser.
Somit bietet die Herstellung einer sterilen Normosallösung keine
Schw'ierigkeiten mehr, denn die Opaleszenz kann höchstens ästhetisch
beanstandet werden. Allgemein empfehlenswert wird cs sein, die
Lösung kalt anzusetzen und unter mehrmaligem Umschwenken bis zur
eben beginnenden Opaleszenz zu erwärmen, d. h. auf 92®. Diese Trü¬
bung verschwindet beim Abkühlen auf Verwendungstemperatur von
selbst Wird im Autoklaven sterilisiert so muss man die etwas stärkere
Opaleszenz in Kauf nehmen.
Zur Behandlung der Spätschädigungen des Nervus ulnaris.
Von Privatdozent Dr. Q. H o h m a n n - München.
Die traumatische Spätlähmung des Ulnaris ist schon länger bekannt.
Oppenheim und vor ihm P a n a s und SeeligmüHer haben über
sie berichtet. Neuerdings ist man wieder mehr auf diese Nerven¬
störungen aufmerksam geworden, die mit früher erlittenen, im Kindes¬
alter bekanntlich häufigen Ellenbogenfrakturen im Zusammenhang stehen.
Oft liegt diese Fraktur sehr lange, bis zu 10 und mehr Jahren zurück,
sie ist in der Kindheit erfolgt und die handgreiflichen Ausfallserscheinungen
im Ulnaris treten erst im erwachsenen Alter deutlich *in zunehmendem
Masse auf, so dass der Patient sich an die ehemalige Fraktur kaum mehr
erinnert und darum auch die beiden Dinge nicht in einen Zusammenhang
miteinander bringt. Der Arzt muss aber von dieser Möglichkeit wissen,
und wenn er sich nicht damit begnügt, den elektrischen Befund fest¬
zustellen, sondern den ganzen Arm genau untersucht, die anatomische
Form ins Auge fasst und die Gelenkverhältnisse des Ellenbogens prüft,
wird er wohl meist den Zusammenhang erkennen, zu dem ihn die erste
Anamnese des Patienten nicht geführt hat. ln manchen dieser Fälle
zeigt der Ellenbogen die deutlichen Spuren der ehemaligen Beschädigung,
vielfach sind sie nur andeutungsweise und kaum erkennbar vorhanden.
Es kann ein Cubitus valgus, ein X-Arm, vorhanden sein, d. h. die Achse
des Ellenbogens w'eicht nach aussen ab, Vorderarm und Oberarm stehen
in einem stumpfen Winkel zueinander, seltener ist es ein Cubitus varus.
ein 0-Arm. Es handelt sich gewöhnlich um Frakturen im Gebiet des
Condylus medialis, seltener um suprakondyläre. Die Kondylusfrakturen
heilen oft mit einer Formveränderung des Knochens und rufen dadurch
nicht nur eine Verbildung der Knochenrinne für den Nervus ulnaris,
sondern mitunter auch des ganzen Gelenkes hervor. Dadurch entsteht
ein gewisser Ausfall der Beweglichkeit, die volle Streck- oder Beuge¬
stellung ist nicht möglich. Und schliesslich stellt der fühlende Finger
mehr minder grosse Unebenheiten, vorspringende Knochenzacken- und
spitzen an den Konturen oder der Oberfläche der Knochen fest. Dies
sind die Zeichen der ehemaligen Knochenverletzung. Ein Röntgenbild
zeigt uns die Formen der Gelenkkörper. Aber auch am Nerven selbst
sind, abgesehen von den peripheren Ausfallserscheinungen an den Mus¬
keln der Hand und den Sensibilitätsstörungen, am Orte der Schädigung
selbst mitunter deutliche Veränderungen w'ahrzu;iehmen. Es findet sich
eine walzenförmige oder spindelige Verdickung des Nerven an der
Stelle, wo er um den Ellbogen herum in der Knochenrinne läuft.
Diese Stelle des Nerven ist deutlich druckschmerzhaft. Die Ausfalls¬
symptome sind die einer partiellen Lähmung des Nerven: Atrophie der
kleinen Handmuskeln, insbesondere der Interossei und Lumbricales, man¬
gelhafte Streckfähigkeit der Endphalangen, ungenügende Spreizung und
Schliessung der Finger, herabgesetzte Kraft, besonders beim Festhalten
feinerer Gegenstände mit den Fingerspitzen, Parästhesien und teihveise
Anästhesie im 4. und 5. Finger.
Digitized by Google
Die Diagnose ist in diesen Fällen nicht schwer. Wenn bei einer
einseitigen Ulnarisschädgung an diesem Arme eine Ellenbogenfraktur,
wenn auch Jahre, ja Jahrzehnte zuvor, stattgefunden hat, die Verände¬
rungen der Knochengestaltung hinterlassen hat, wenn keine Neuritis
auf anderer Grundlage ahzunehmen ist. insbesondere keine allgemeine
Erkrankung, wie Lues, vorliegt oder Alkoholismus besteht.^ hat man
Grund, eine Schädigung des Nerven durch unregelmässige Gestalt der
Knochenrinne am Ellenbogen anzunehmen.
Die Behandlung kann in diesen Fällen nur eine chirurgische
sein. Sie muss bestrebt sein, die normalen Verhältnisse wieder her¬
zustellen. D. h. sie muss nach Lösung des mitunter mit seiner Umgebung
verwachsenen Ulnaris die knöchernen Spitzen und Zacken in der Schleif-
rinne beseitigen, eine glatte Halbrinne schaffen und durch Zwischenlage¬
rung von Gewebe zwischen Knochen und Nerv eine Verwachsung ver¬
hüten. Bei Verdickung des Nerven kommt noch die Entfernung oder
Längsspaltung des verdickten Perineuriums in Frage.
Ich beobachtete hintereinander 2 ganz gleichgeartete Fälle dieser
Art, von denen allerdings der eine ausser der früher stattgehabten Ellen-
bogenkondylusfraktur eine alte Lues aufw'ies, während der andere das
reine Bild einer Ellenbogenfraktur vor 17 Jahren und dann
der allmählichen Entstehung einer Ulnarisschädigung zeigte. Diesen letz¬
teren Fall behandelte ich operativ und erzielte trotz der ausserordentlich
langen Dauer der Schädigung eine fast völlige Wiederherstellung. Im
einzelnen sei über ihn folgendes berichtet:
Frau H., 29 Jahre alt. Vor 17 Jahren rechts Ellenbogenfraktur, die
anfangs mangelhaft eingerichtet und nach einigen Wochen wieder gebrochen
wurde. Nach einigen Jahren trat eine Störung am 5. Finger rechts auf,
zunächst pelziges Gefühl, das sich allmählich auch auf den 4. Finger erstreckte.
Im Laufe der Jahre trat eine Verkrümmung des 4. und 5. Fingers ein,
die aktiv nicht mehr völlig gestreckt werden konnten. Vor 5 Jahren be¬
merkte Pat., dass ihre Hand zwischen Daumen und Zeigefinger mager, ein¬
gefallen aussehe. In den letzten 2 Jahren habe das Leiden besonders stark
zugenommen und ganz besonders in den letzten 2 Monaten. Wenn die Hand
■kalt sei, sei sie ganz kraftlos. Besonders beim Nadelhalten zwischen Daumen
und Zeigefinger sei die Kraft erheblich zurückgegangen.
Befund 25.1.18: An der rechten Hand fällt auf der Streckseite eine
starke Vertiefung zwischen den Mittelhandknochen des Daumens und Zeige¬
fingers auf, die auf eine Atrophie des Muse, adductor pollicis zurückzuführen
ist. Ebenso sind die übrigen Zwischenräume zwischen den Mittelhand¬
knochen auf der Handrücken- wie der Hohlhandseite eingesunken, so dass
die Sehnen, namentlich auf der Beugeseite, deutlich vorspringen. Ferner
ist eine Atrophie des Kleinfingerballens vorhanden. Beim Versuch, die Finger
aktiv zu strecken, werden 2. bis 5. Finger in den Grundgelenken überstreckt,
während 2. und 3. Glied gebeugt bleiben. Besonders stark ist dies am 4.
und 5. Finger ausgesprochen (Fig. 1 a u. b). Faustschluss ist vollkommen
Fig. la. Fig. Ih, Fig. Ir.
Fig. Id. Fig. le.
möglich, dagegen ist die Spreizung der Finger gegenüber der gesunden
Seite erheblich beeinträchtigt, auch hierbei geraten 4. und 5. Finger in
Beugestellung. Noch mehr geschieht dies beim Fingerschluss. Wohl legen
sich 2. und 3. Finger aneinander, während zwischen 3., 4. und 5. Finger je
ein Zwi.scheriraum von über einem Zentimeter bleibt. Auch das Anlegen
des Daumens an die Hand ist beschränkt, die beiden Daumenglieder w^erden
nicht an dem 2. Mittelhandknochen adduziert (Fig. 1 c). Auch oberhalb des
Handgelenks ist auf der Volarseite ulnarwärts eine leichte Atrophie zu be¬
merken, die wohl auf den Flexor carpi ulnaris zu beziehen ist. Am 5. Finger
und der ulnaren Hälfte des 4. Fingers ist eine Herabsetzung der Sensibilität
vorhanden. Die elektrische Prüfung (Prof. v. M a 1 a i s 6) ergibt: Faradisch
im Interosscus IV und V Aufhebung der Erregbarkeit, in den übrigen interossei
Herabsetzung. Galvanisch im IV. und V. träge, quantitativ herabgesetzte
Zuckung mit Umkehrung der Zuckungsformel, in den übrigen Interossei eine
Original from
UNIV ERSITY OF CALIFORNfA«.,**.
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Herabsetzung, aber blitzartige Zuckung. Bei indirekter Reizung vom Ulnarls
in der Ellenbeuge aus ist die Erregbarkeit gleichfalls stark herabgesetzt.
Der rechte Ellenbogen steht in leichter Cubitus valgus-Stellung. die Beu¬
gung ist um etwa 10'* beschränkt, die Streckung ist nur bis 165" möglich.
Es besteht aber ein Ausfall von mehr als 15", da der gesunde Arm die bei
Frauen häufige Ueberstreckung aufweist. Die Pro- und Supination ist frei.
An der ulnaren Seite des Ellenbogengelenkes, entsprechend dem Epikondylus
medialis, fühlt man einen scharf vorspringenden knöchernen Zacken, der
anders gebildet ist, wie auf der gesunden Seite, spitz und kantig nach oben
und hinten. Der Epikondylus ladet nach der Seite nicht so weit aus wie
links. Hinter ihm fühlt man den Ulnaris. Etwas oberhalb des Epikondylus
ist eine höckerige Exostose fühlbar, über die hin der
Nerv verläuft. Der Nerv fühlt sich an dieser Stelle auf eine kurze
Strecke deutlich verdickt gegenüber der anderen Seite an und ist auch leicht
druckschmerzhaft. Das Röntgenbild von der Seite lässt nur eine De¬
formierung am Prozessus coronoideus erkennen; die Aufnahme von vorn nach
hinten aber (Fig. 2) zeigt ausser knöchernen Absprengungen im lateralen
Qelenkspalt einen deformier¬
ten Epicondylus medialis, der
breit endigt, an seiner oberen
Begrenzung 2 höckerige Exo¬
stosen zeigt und an dessen
unterem Ende ebenfalls ein
kleines, kallusähnliches Ge¬
bilde sichtbar ist. Der ehe¬
malige Bruchspalt, der den
ganzen Condylus medialis
abgetrennt haben muss, ist
noch sichtbar.
Am 30. 1. 18 führte ich
folgende Operation in
K ulen kam pf scher Plexus¬
anästhesie aus; Freilegung
des Ulnaris von 10 cm langem
Längsschnitt hinter dem Con¬
dylus medialis humeri. Der
Nerv ist mit dem Trizeps
auf eine grössere Strecke fest
verwachsen. Er wird gelöst
und zeigt in seinem Verlaufe hinter dem Kondylus eine gleichmässige Verdickung,
die nur an einer Stelle knotenförmig und deutlich härter wird, und zwar da,
wo er direkt über der beschriebenen Exostose liegt, d. i. etwas oberhalb des
eigentlichen Sulkus. Abschlagen dieser Exostose mit dem Meissei, Bildung
einer breiten Rinne an dieser Stelle, die in den unveränderten Sulkus ein¬
mündet und Ueberkleidung der Rinne und des Sulkus mit gestieltem Fett-
und Muskelgewebe aus der Umgebung. Am Nerven selbst wird das verdickte
Perineurium in der Längsrichtung mit feinem Nervenmesser gespalten und der
Nerv auf die gepolsterte Unterlage gelegt. Uebernähung mit dem Unterhaut¬
fett. Hautnaht. Schienenverband in mittlerer Beugestellung des Ellenbogens.
Reizlose Heilung. Erst nach 3 Monaten begann sich eine Besserung der
Funktion bemerkbar zu machen, die allmählich langsam fortschritt.
25.11.20 Endbefund: Die Finger lassen sich jetzt aktiv vollständig
strecken, die Beugehaltung der Endglieder ist nicht mehr vorhanden (Fig. 1 d).
die Spreizung ist fast restlos möglich, und zwar bei voller Strecksteilung der
Finger; der Schluss der Finger, d. h. das Anlegen aneinander, das früher nur
bei ihrer Beugestellung möglich und auch da nur sehr mangelhaft war (vergl.
Fig. Ic), gelingt jetzt bei voller Streckstellung der Finger bis auf einen minimalen
Rest am 5. Finger vollständig. Auch der Daumen legt sich fest an die Hand
an (Fig. 1 e). Die tiefen Furchen zwischen den Mittelhandknochen sind voll¬
kommen ausgeglichen, nur zwischen Mittelhandknochen 1 und 2 ist noch eine
Andeutung sichtbar. Man fühlt die Kontraktion des Adduktor pollicis deut¬
lich. Die früher vorhandene Anästhesie im 4. und 5. Finger ist bis auf eine
kleine Andeutung im 5. Finger verschwunden. Parästhesien bestehen nicht
mehr. Zwischen Zeigefinger und Daumen kann die Nadel wieder festgehalten
werden. Nqr, wenn die Hand kalt wird, ist noch eine gewisse Schwäche
vorhanden. Der Nerv ist hinter dem Epicondylus medialis als drehrunder,
etwas verdickter, deutlicher verschieblicher Strang fühlbar. Am Knochen
ist keine Unebenheit oder Rauhigkeit nachzuweisen. Die elektrische Prüfung
ergibt eine bedeutende Besserung gegenüber dem Befund vom 12. I. 20.
Die Aufhebung der Erregbarkeit der Interossei IV und V besteht nicht mehr,
wohl aber noch eine deutliche Herabsetzung.
Durch die Operation ist also eine nahezu vollständige Wiederher¬
stellung erreicht worden, die vermutlich im Laufe der Zeit nöch restlos
werden wird. Wie die Schädigung des Nerven langsam und allmählich
geschieht, so bilden sich auch die Veränderungen langsam und allmählich
wieder zurück. Das haben wir ja an unserem grossen Material von
Nervenschussverletzungen genugsam erfahren und wahrlich Geduld zu
üben gelernt. Die inneren Vorgänge der Reparation im Nerven er¬
strecken sich, wie wir wissen, auf Jahre.
Wie kommt die Schädigung des Nervus ulnaris
zustande? Durch experimentelle Studien an Affen, deren Glied¬
massen in den verschiedensten Gelenkstellungen durch Formalin gehärtet
wurden, hat Stoffel die Beziehungen des Nerven zu den Gelenkstel¬
lungen und Muskeln, die ja vorher schon in ihren Grundzügen dem Ner-
venchirurgen bekannt waren, klar dai gestellt. Bei Strecksteilung des
Ellenbogens befindet sich der N. ulnaris in entspannter Lage, während
er bei Beugestellung des Ellenbogengelenkes angespannt wird. Zugleich
besteht eine Beziehung zum Caput mediale des Musculus triceps, der
bei passiver Anspannung bei der Beugung des Ellenbogens den mit ihm
durch lockeres Bindegewebe verbundenen N. ulnaris mitnimmt. Diese
einfachen Tatsachen aus der Nervenmechanik erklären das Zustande¬
kommen der Ulnarisschädigung in unseren Fällen. Bei Streckstellung des
plenhogens wird der entspannte Ulnaris wahrscheinlich durch den unter
ihm liegenden Knochenvorsprung wenig oder gar nicht irritiert werden,
bei jeder Beugung des Ellenbogens aber wird der
Nerv über den harten, mehr minder starken Knochen¬
vorsprung, wie die Saite über den Steg gespannt. Dies
bedeutet naturgemäss eine immer wiederholte, bald mehr, bald weniger
Digitized by Goüsle
wirkende Reizung des Nerven durch direkten harten Druck. Direkter
fortgesetzter Druck aber schädigt den Nerven ausserordentlich schwer,
wie der Druck der Krücken auf die Nerven der Achselhöhle oder die
Schlaflähmung des Radialis zeigt.
Wir werden also in diesen Fällen stets auf chirurgischem Wege
möglichst günstige normale Verhältnisse für den Nerven herzustellen
suchen, die Exostosen beseitigen, den Nerven aus Verwachsungen be¬
freien, eine gepolsterte Unterlage schaffen und, wenn nötig, das verdickte
Perineurium spalten.
Das seborrhoische Ekzem. Das Pet?loid*).
Von P. Q. Unna. j
Die endgültige Befreiung des heutigen Ekzems i seiner hundert¬
jährigen irrtümlichen Verquickung mit W i 11 a n s ischendermatitis
hat auf die ganze Ekzemlehre klärend und anregend /virkt, auf keinen
Teil derselben aber so geradezu erlösend wie auf das Kapitel des sebor¬
rhoischen Ekzems. Es ist selbstverständlich und entspricht vollkommen
unserer praktischen Erfahrung, dass Fette imstande sind, den vermehrten
Strom von Ernährungsflüssigkeit, welcher alle Ekzeme auszeichnet und
charakterisiert, einzudämmen. Wenn das schon äusserlich gebrauchte
Fette vermögen, um wieviel mehr das von der Haut selbst in dreifacher
Form, als Talgsekret, Knäuelsekret und Zellfett (Cholesterinester) ge¬
lieferte Fett. Eine grosse Reihe von Ekzemen zeichnen sich durch ein
Uebermass der Bildung dieser Fette aus und werden deshalb sebor¬
rhoische Ekzeme genannt.
Der Hauptgrund, dass diese Klasse von Ekzemen erst vor einem
Menschenalter (1887) entdeckt werden musste, liegt eben an dem fal¬
schen Dogma, dass von einem Ekzem nur bei Nässen und deutlicher
Bläschenbildung gesprochen werden dürfte und diese Erscheinungen
natürlich gerade bei den seborrhoischen Ekzemen zurücktreten. Für die
Erkenntnis der \yahren Natur dieser vielgestaltigen Gruppe w^ar erst freie
Bahn gemacht, als man es wagte, nicht bei jedem ekzemartigen Zustande
nach einem Bläschen zu suchen, sondern sich mit dem Symptomen-
komplex: Röte und Schuppen für die Ekzemdiagnose zu be¬
gnügen und höchstens der Erwartung Ausdruck zu geben, dass dieser
Komplex gelegentlich die Neigung zeigen würde, unter günstigen Um¬
ständen Bläschen zu bilden und zu nässen.
Zunächst w^aren es die Fälle der von H e b r a sen. in meisterhafter
Form beschriebenen, aber pathologisch falsch gedeuteten, sogen,
trockenen Seborrhoe (Seborrhoea sicca), welche von diesem
theoretischen Fortschritt praktischen Nutzen zogen. Es konnte nicht
ausbleiben, dass diese vermeintliche Hyperfunktion der Talgdrüsen des
behaarten Kopfes, mit ihren scharf begrenzten, sich plattenförmig er¬
hebenden und fortschreitenden Schuppenhügeln, sowie sie aus dem
Bereich des behaarten Kopfes heraustrat und auf die unbehaarte Haut der
Stirn überging, als eine rote, schuppende Oberhautentzündung erkannt
wurde, wie jedes andere Ekzem. Dass die dabei auftretenden Schuppen
ein Uebermass von Fett aufwiesen, konnte an der Ekzemnatur nicht
irre machen, da alle sonstigen klinischen Erscheinungen,, wie hin und
wieder auftretendes Jucken und Brennen, für ein trockenes Ekzem
sprachen und auch, die fettigen Schuppen nicht konstant waren, sondern
stellenweise trockenen oder selbst serösen Krusten Platz machten. Bei
dieser Sachlage musste sich die Auffassung geradezu umkehren; man
hatte nicht eine bloss funktionelle trockene Seborrhoe neben einem
schuppigen Ekzem anzunehmen, sondern der Kreis des schuppigen Ek¬
zems musste sich erweitern, um auch noch eine fettig-schuppende Form
aufzunehmen, eben das Ekzema seborrhoicum.
Die weitere klinische und histologische Erfahrung erwies das Rich¬
tige dieser neuen Anschauung. Die klinische, indem Tag für Tag neue
Fälle zur Beobachtung gelangten, welche die sog. trockene Seborrhoe
auf anderen Körperstellen als dem behaarten Kopfe zeigten, am Rumpf
und den Extremitäten, meistens im Zusammenhang mit einem sebor¬
rhoischen Ekzem des Kopfes, aber auch ohne solches. Und gerade
diese gingen mit Vorliebe in andere bekannte Ekzemformen über, an
den Rändern in trockene, pityriasiforme oder psoriasiforme, während
sie in der Mitte sich stellenweise mit serösen Krusten bedeckt zeigten,
wie gewöhnliche Ekzeme.
Ebenso erwies die mikroskopische Untersuchung die Ekzemnatur der
vermeintlichen Talgdrüsenhypersekretion; es fanden sich die für Ekzem
typischen Symptome der Parakeratose und Akanthose neben oberfläch¬
licher Entzündung der Kutisgefässe, und stellenweise hatte sich unter der
Schuppenlage sogar eine regelrechte Spongio'se ausgebildet, die Cirund-
lage für die klinische Bläschenbildung und das Nässen. Erst seitdem
die Seborrhoe als ein weitverbreitetes Symptom des Ekzems
erkannt ist, welches — wie das Nässen — in vielen Fällen fehlt, wo
es aber vorhanden ist, dem Ekzem einen besonderen Habitus verleiht,
ist das früher rätselvolle Kapitel der „trockenen Seborrhöe“ geklärt und
diese als eine wichtige Form der grossen Zahl der’ Ekzemärten ein¬
gereiht.
Mit dieser wichtigen Verbesserung ist aber die aufklärende Wirkung
der neuen Anschauung nicht erschöpft. Da Bläschenbildung und Nässen
bei den seborrhoischen Ekzemen im allgen^eiilen schwächer und örtlich
beschränkt auftreten, so bilden diese die natürlichenUeber-
gänge zw ischen den Extremen der feuchten und
•) Vorlesung, gehalten an der Hamburger Universität im Eppendorfer
Krankenhause 1920.
5*
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
548
MÜNCHENER MEPrZINlSCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
trockenen Ekzeme, und da weiter von den Qrundphänomenen
des Ekzems die Akanthose und speziell die Randakanthose sich mit
einem grösseren Fettgehalt am besten verträgt und am wenigsten von
einem solchen abgeschwächt wird, so bilden die seborrhoischen Ekzeme
auch die natürlichen Uebergänge zwischen den
trockenenEkzemenundderPsoriasis.
Mit anderen Worten: Seitdem wir den Einfluss der Seborrhoe auf
die übrigen Ekzemsymptome eingehender studiert haben, hat sich eine
ganze Gruppe interessanter und früher unbeachteter oder ihrem Wesen
nach verkannter Ekzemformen von im allgemeinen trockenem Charakter
und auffallend buntem Aussehen zwischen die pityriasiformen und papu-
lierten Ekzeme ,|^erseits und die psoriatiformen inkl. der Psoriasis
andrerseits eingeV 'ben, in deren Mittelpunkt zurzeit das p e t a l o i d e
Ekzem oder kd^e as P e t a 1 o i d steht. Sie unterscheiden sich von
den soeben betrctui-ten Formen, die in den Bereich der einstmaligen
„trockenen Sebotl^tp“ gehören dadurch, dass bei ihnen das sebor¬
rhoische Element \ bsolut vorherrscht und damit die Neigung zum
Nässen vollkommen aufgehoben ist, während neue rein sebor¬
rhoische Symptome in die Erscheinung treten, die am klarsten
und schönsten eben bei der petaloiden Form ausgeprägt sind.
Der Name „P e t a 1 o i d“, zu Deutsch: blumenblattähnlich, rührt von
rundlichen, flachen Effloreszenzen her, welche einseitig rot gerändert am
fortschreitenden, blassgeib am abheilenden Rande, mit bunten, rot ge¬
ränderten Blumenblättern eine gewisse Aehnlichkeit haben. Die spe¬
zifische gelbe Farbe hängt wohl sicher mit dem besonderen Gehalt an
einem eigentümlichen, gelben Zellfett zusammen. Dieselbe ist nicht auf
das Petaloid beschränkt, sondern bei den „Seborrhoikern“ an den fettigen
Regionen weit verbreitet, hauptsächlich in der Umgebung von Nase und
Mund an den Nasolabial- und L'abiomentalfalten. Besonders prägnant
tritt sie dort hervor, wo sie von der normal gefärbten Haut durch ein-e
rote, hyperämische Zone getrennt ist und wo dann auch das Rot der
letzteren durch Zumischung des eigentümlichen Gelbs frischer und
leuchtender wird, als es sonst das. Rot der gesunden Gesichtsfarbe ist.
Man braucht sich nut bei Personen mit besonders bunter Gesichts¬
haut die genannten Hautstellen genauer anzusehen, um die Eigenheiten
dieses „Vergilbung“ genannten Hautkolorits zu erkennen. Auch bei dem
petaloiden Typus tritt die Vergilbung der einzelnen Flecke scharf hervor,
hier im Gegensatz zu den geröteten fortschreitenden Rändern. Die gelbe
Mitte der ringförmig gestalteten Flecke geht dort, wo die Ringe sich
bei einseitiger Abheilung in offene Halbringe verwandeln, verwaschen
in die normale Hautfarbe der Umgebung über, während der fort¬
schreitende rote Rand gewöhnlich etwas papuliert ansteigt, um dann
gegen das Gesunde sich scharf abzusetzen. Auf diesem blassroten
Rande machen sich oft in regelmässigen Abständen dunklere rote Punkte
bemerkbar, welche Haarfollikeln entsprechen. An diesen Punkten stei¬
gert sich nämlich das entzündliche Element, da hier hauptsächlich die
Kokkenherde sitzen, bis zur Bildung einer kleinen Kruste, nach deren
Abfall eben ^ne dunkelroten Punkte ebenso viele kleine Erosionen der
Stachelschicht anzeigen. Hier findet also beim petaloiden Ekzem allein
eine Steigerung der Entzündung bis zur Spongiose statt: im übrigen ist
die Effloreszenz trocken und feinschuppig. Nach dem fortschreitenden
geröteten Rande zu findet sich stets auch etwas Akanthose, welche in ein¬
zelnen Fällen eiinen grösseren Umfang annimmt» wodurch dann das Ekzema
petaloides maculosum in ein Ekzema petaloides papulatum
übergeht mit stärker erhabenem roten Rande und vertiefter, gelber
Mitte. Dieser Typus zeigt wiederum Uebergänge zu den petaloiden
Riesenformen, welche höchst mannigfaltig gestaltet sind und bis
auf die Abwesenheit der silbrigen Schuppen und die Anwesenheit des
duffen gelben Kolorits in der Mitte den bekannten ringförmigen Riesen¬
formen mancher Fälle von Psoriasis annularis ähnlich sehen,
aber im allgemeinen doch viel polymorpher sind.
Fassen wir diese Eigenheiten des petaloiden seborrhoischen Ekzems
kurz zusammen, so beschränkt bei demselben die Ansammlung eines
eigenartigen Zellfettes die Spongiose bis auf ein Minimum und bedingt
gleichzeitig mit der am fortschreitenden Rande der Effloreszenz vor¬
handenen Entzündungsröte konzentrisch ausgebildete* ganz besonders
bunte, makulöse oder papulierte Effloreszenzen. . Dieselben können unter
Umständen den ganzen Körper in derselben Weise wie eine Psoriasis
guttata und nummularis bedecken und zu gyrierten Figuren zusammen-
fliessen. Sie sind aber viel leichter heilbar als die entsprechenden
Psoriasisfälle, schon mit den milderen reduzierenden Mitteln, wie der
Zinkschwefelpaste, pnd rezidivieren nicht so leicht wie jene.
lieber Slreichholzschachteldermatitis.
Von Dr. HerbertStranz, Assistent bei Prof. J. Schäffer,
Breslau.
Die Ersatzprodukte, die der Krieg uns allerorten anzuwenden zwang,
vermehrten auch unseren- Bestand an Hautkrankheiten um eine ganze
Anzahl früher nicht bekannter Krankheitsbilder. Zur Schweissieder-,
Stockgriff-, Salben- und Schmieröldermatitis gesellt sich nun noch die
„Streichholzschachteldermatitis“.
Es handelt sich hierbei um eine Hautentzündung, die in den letzten
5—6 Jahren verhältnismäsig häufig, meist bei Männern beobachtet
wurde.
Sie beginnt typischerwense nur an der Vorderseite meist des linken
Oberschenkels, bisweilen auch rechts oder beiderseits am oberen
Digitized by Goüsle
Drittel, sowie an der anschliessenden Unterbauch- und Hüftgegend und.
breitet sich dann auf beide Handrücken und das Gesicht aus. Das Bild
ist so eigenartig, dass, wenn man einen Patienten mit derartiger Der¬
matitis an den genannten Stellen der Oberschenkel, der Handrücken und
des Gesichtes sieht, man mit gewisser Sicherheit einen Fall von
„Streichholzschachteldermatitis“ annehmen kann. Schon seit 1918
wurde in schwedischen und dänischen Arbeiten durch Rasch,
Christiansen und Strandberg auf ähnliche Erkrankungen in
Schweden und Dänemark aufmerksam gemacht.
Unabhängig von diesen Veröffentlichungen wurde für unsere Gegend
neuerdings durch eine Arbeit von Frei (M. Kl. Nr. 16) aus der
Jadassohnsehen Klinik in Breslau die Aetiologie dieser oft sehr un¬
angenehmen Erkrankung geklärt. Wir entnehmen daraus, dass der Heil¬
gehilfe von Geheimrat Jadassohn, selbst von dieser Erkrankung
befallen, als erster die in der Hosentasche getragene Streichholz¬
schachtel als Ursache der Dermatitis vermutete. Die von Frei in der
Klinik angestellten Reizversuche bestätigten diesen Verdacht durchaus
und ergaben, dass Reibflächen der Streichholzschachteln einer be¬
stimmten Streichholzfabrik durch ihren Gehalt an Phosphorsesquisulfid
eigenartige lokalisierte Hautentzündung hervorrufen. Phosphorsesqui¬
sulfid ist nach Kriegsbeginn als Ersatzprodukt in dieser Industrie ver¬
wandt worden. — Durch die Ausdünstungen des Körpers gelangt der
reizende Stoff in Dampfform auf die Haut des unter der Hosentasche
liegenden Oberschenkelbezirks, durch Anfassen der Reibflächen mit den
Händen wird dann auf den besonders empfindlichen Handrücken und
durch Verschleppung im Gesicht und bisweilen auch an anderen Körper¬
stellen die Entzündung hervorgerufen.
Auch unter den Privatpatienten von Professor Jean Schäffer-
Breslau fiel uns in den letzten Jahren das gehäufte Auftreten von Haut¬
entzündungen mit der beschriebenen eigenartigen Lokalisation auf, für
die uns bisher eine rechte Deutung fehlte. Rückblickend kann ich heute
aus diesem Material 16 Fälle von sicherer Streichholz¬
schachteldermatitis“ aus den letzten 6 Jahren zusammen¬
stellen. Es handelt sich ausnahmslos um starke Raucher, die gewohn-
heitsmässig ihre Streichholzschachtel in der Hosentasche trugen. Im
wesentlich finden wir daher die oben beschriebene Lokalisation genau
eingehalten. Meist zeigt der linke Oberschenkel ein stärkeres und
mehr subakutes Stadium der Entzündung, da der Patient, sobald er die
Hautreizung verspürt, unwillkürlich die Schachtel in die rechte Tasche
legt. Oefters sahen wir aber auch regellose und springende Aus¬
breitung der Dermatitis auf den Unterbauch und seitliche Hüftgegend,
sowie auf Arme, Beine, Hals und Ohren; besonders schwer befallen sind
häufig das Gesicht mit den Augenlidern. In einem Falle überzog die
Entzündung sehr rasch den ganzen Körper, einzig und allein die Hand-
und Fussflächen frei lassend. Hervorzuheben ist, dass bei weniger emp¬
findlichen Patienten die Dermatitis ganz einseitig verläuft, so dass
immer wieder der Verdacht einer Beteiligung des Nervensystems auf¬
tauchte. Einer dieser Erkrankten suchte daher jahrelang Sanatorien
auf, ein anderer wurde wochenlang in der Klinik eines Nervenarztes
behandelt.
Das klinische Bild der Streichholzschachteldermatitis ist je nach dem
Grad und Alter, sowie nach der speziellen Empfindlichkeit des Indivi¬
duums sehr verschieden. Man sieht bisweilen nur leichte umschriebene
Hautrötungen, die an ein Erysipel erinnern. Oefters aber tritt beträcht¬
liche Rötung und Schwellung auf, die in starke Exsudation mit Krusten-
und Borkenbildung übergeht. Besonders häufig sahen wir dies im Gesicht
und an den Augenlidern; hier verwandelte sich das ganze Gesicht nach
anfänglicher Rötung und Schwellung für viele Tage in eine starre, rissige
und mit Krusten bedeckte Maske. In einem unserer Fälle neigte der
Patient zu so heftigen ödematösen Schwellungen, dass die befallenen
Körperteile (Kopf und Gliedmassen) um das Doppelte des Volumens ver¬
dickt einen geradezu grotesken Anblick boten. Bei länger bestehenden
Krankheitsfällen fanden wir jedoch auch Bilder, die mit ausgesprochener
Chagrinierung der Haut an Lichen chronicus Vidal erinnerten.
Die Beschwerden sind selbst in leichten Fällen durch sehr heftigen
Juckreiz und brennenden Schmerz beträchtlich, und durch Störung des
Schlafes wird der Allgemeinzustand des Patienten noch weiter sehr un¬
günstig beeinflusst. Bedenkt man aber noch, dass, sobald durch thera¬
peutische Massnahmen ein wenig Lindemng erreicht ist, durch Weiter¬
gebrauch der Streichholzschachtel ein Rezidiv bzw. eine Verschlim¬
merung sich meistens einstellte und zwar oft Jahre hindurch, so kann
man sich eine rechte Vorstellung von den Leiden dieser Patienten
machen. Der Aufdeckung der Aetiologie dieser Erkrankung muss daher
die grösste Bedeutung beigemessen werden.
Die Behandlung erfordert also zunächst die Entferriung der reizenden
Streichholzschachtel, besser vielleicht zunächst jeder Streichholzschachtel
aus der Umgebung des Patienten. Dann kommt man meist leicht mit
1—2 proz. Bor- oder Resorzinwasserumschlägen, mit milden Salben oder
Trockenpinselungen zum Ziel. Sehr gute Dienste leisteten uns selbst im
akuten Stadium ganz leichte Röntgenbestrahlungen wegen
ihrer ausgesprochen juckstillenden Wirkung.
Zur Frage, ob die befallenen Patienten über eine allgemeine Ueber-
empfindlichkeit der Haut verfügen, können wir nur vorsichtig Stellung
nehmen, da wir nicht in der Lage waren. Reizproben anzustellen. Wir
neigen jedoch der Ansicht F r e i s zu, dass hier nur eine spezielle Ab¬
neigung gegen einen spezifischen chemischen Stoff vorliegt, wenn auch
2 unserer Patienten schon früher wegen Ekzemen in unserer Behand¬
lung waren.
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNfA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
549
Während Frei nur über Fälle aus den Jahren J918—21 verfügt,
verteilen sich unsere 16 Fälle sicherer Streichholzschachteldermatitis
nach der Entstehungszeit auf die Jahre 1915—21 folgendermasse<n:
1915 1916 1917 1918 1919 1920 1921
2 12 — 344
Somit scheint es erwiesen, dass der für die menschliche Haut so
schädliche Stoff in der Reibfläche gewisser Streichholzschachteln ein
Kriegsprodukt ist, das wenige Monate nach Kriegsbeginn bereits die
ersten Erkrankungen in unseren Gegenden hervorrief.
Zum Schluss erscheint es uns wichtig zu erwähnen, dass auch bei
Frauen vereinzelt Streichholzschachteldermatitis beobachtet worden ist,
wenn auch naturgemäss nicht in dem von uns für Männer gezeichneten
typischen Bilde. Daher muss man auch bei rezidivierenden Haut¬
reizungen bzw. Ekzemen an den Händen und im Gesicht von Frauen und
Kindern mangels anderer Entstehungsursachen an die Möglichkeit einer
Streichholzschachteldermatitis denken, die wohl noch bis zum Verbrauch
der voihandenen Bestände hin und wieder beobachtet werden wird.
Literatur.
1. Rasch: Om en Hudlidelse fremkadt of Taendstikaesker. Saertryk
of Ugeskrift for Laeger 1918 Nr. 7. — 2. Christiansen: Reaktioner par
de giftige wenske Taendstikaesker. Saertryk of Ugeskrift Laeger 1918 Nr. 14.
— 3. Strandberg: Investigations re the so calied „Match Eczema"
and its causes. Akta Dermato-Venerologia Vol. I Fase.* 1 1920. — 4. Frei:
Ueber Streichholzschachteldermatitis. M. Kl. 1921 Nr. 16.
Aus der Universitäts-Kinderklinik Breslau.
(Direktor: Prof. Dr. Stolte.)
Buttermilch und Proteuswachstum.
(Ein Beitrag zur desinfizierenden Wirkung der Buttermilch
im Magendarmkanai des ernährungsgestörten Säuglings.)
Von Dr. Bruno Leichtentritt, Assistent der Klinik.
Escherichs grosses Verdienst ist es, die weittragende Bedeutung
des Antagonismus zwischen Gärung und Fäulnis erkannt und seinen
Einfluss auf den Ablauf der Verdaungsvorgänge im Magen-Darmkanal
des Säuglings unter normalen und pathologischen Verhältnissen daraus
abgeleitet zu haben. Durch Zufuhr von Kohlehydraten sucht man der
Fäulnis, durch Eiweissgaben der Gärung entgegenzuarbeiten. Ueberall
in der Natur besteht diese Gegensätzlichkeit. Bei der rohen Milch zum
Beispiel lässt es sich zeigen, dass diese als kohlehydratreiches Medium
säuert, d. h. eine Milchgerinnung infolge Zersetzung des Milchzuckers
zu Milchsäure eintritt, während das Kasein fast keine Veränderung er¬
leidet, trotzdem die Milch auch reichlich kaseinzersetzende Bakterien
enthält. Aber diese w'erden infolge des Säuerungsprozesses zunächst in
ihrer Entwicklung gehemmt. Die rohe Milch fault also nicht; selbst wenn
man sie mit Fäulnisbakterien reichlich beimpft, kommen diese nicht zur
Entwicklung: der Antagonismus zwischen Gärung und Fäulnis fällt bei
der Milch zugunsten der ersteren aus.
Schon lange hat man von dieser Kenntnis Gebrauch gemacht; ich
erinnere nur an die Angabe B i 11 r o t h s, der bei jauchigen Karzinomen
zur Bekämpfung des Gestankes Umschläge mit Milch verordnete, in der
Feigen abgekocht waren. Der Gestank machte einem säuerlich ange¬
nehmen Geruch Platz. Eine eindeutige Erklärung für diese Vorgänge
ist noch nicht gefunden; jedenfalls sind wir so weit in der Erkenntnis,
dass diese Fäiilnishemmung zur Entwicklung kommt, wenn die vor¬
handenen Kohlehydrate unter Säurebildung zerlegt werden. Nach
Bienstock hemmt z. B. auf einem milchzuckerhaltigen Nährboden
das Bacterium coli den Eiweissabbau, nicht aber der Bacillus proteus;
zersetzt doch der Kolibazillus, im Gegensatz zum Proteus, den Milch¬
zucker zur Milchsäure.
T i s s i e r und M a r t e 11 y geben an, dass eine 1 prom. Schwefel¬
säure imstande ist, Fleisch vor Fäulnis zu bewahren. Kruse vertritt
die Ansicht, dass unter dem Einfluss der säuern Reaktion nicht nur die
proteolytischen Enzyme ihre Wirksamkeit einbüssen, sondern auch die
Fäulnisbakterien in ihrem Wachstum überhaupt völlig gehemmt oder
zum mindesten so geschädigt werden, dass die Produktion der Enzyme
darniederliegt. Seiner Ansicht nach ist die Säurebildung allein dazu be¬
fähigt die Fäulnis hintanzuhalten.
Zu der Gruppe der Proteolyten, das heisst der Bakterien, die
Fäulniserscheinungen hervorrufen, gehört der Bacillus proteus.
Schon Escherich hat sein Augenmerk auf dieses Bakterium
gerichtet, das in der Aussenwelt auf faulenden Substraten, z. B.
auf Fleisch, vorkommt Er stellte fest dass der Proteusbazillus
im Magen-Darmkanal des Brustkindes überhaupt keine Rolle
spielt; die Frauenmilch stellt eben einen Nährboden dar, der die
Gärung mit vollster Intensität bis zum Dickdarm hinab aufrechterhält
und neben einem relativ spärlichen Koligedeihen das Feld für den Ba¬
cillus bifidus fast ausschliesslich reserviert Aber auch bei künstlich
ernährten Säuglingen wollen Escherich und sein Schüler Brud-
c z i n s k y fast nie dieses Fäulnisbakterium kultiviert haben. Eine Er¬
klärung sieht er darin, dass Kuhmilch selbst in rohem Zustande höchst
selten mit Proteusbakterien verunreinigt ist vielmehr spielt seiner Auf¬
fassung nach das Bakterium erst in dem Augenblick im Magen-Darm-
kanal eine Rolle, wenn die Ernährung mit Fleisch einsetzt Esche¬
rich hat diese Behauptung durch Tierexperimente belegt in denen
er junge Hunde teils mit Milch, teils mit Fleisch fütterte. Nur bei der
letzteren Ernährungsart sah er Proteusbazillen auftreten. — Baginskt
Lesage, Booker und Marfan schränken die Angaben Esche¬
richs stark ein: trotz alleiniger Milchfütterung fand sich bei er¬
nährungsgestörten Säuglingen der Proteus des öfteren. Bei den Stuhl¬
untersuchungen Bärthleins und Huwaldts spielt der Bazillus
schon eine beträchtliche Role. Wir vertreten den Stand¬
punkt, dass bei frauenmilchernährten Kindern der
Proteusbazillus in frisch entleerten Stühlen prak¬
tisch fast nie vorkommt, während bei künstlich er¬
nährten, speziell ernährungsgestörten Säuglingen
der Bazillus nur zu oft auf den Stuhlplatten wuchert
und von den Bakteriologen als störend und diagnose¬
erschwerend empfunden wird.
Ueber die Rolle des Proteusbazillus im Magen-Darmkanal lässt sich
ein sicheres Urteil nicht fällen; denn wenn auch die obengenannten
Autoren in ihm den Erreger der verschiedenartigsten Darmerkrankungen
sehen, so steht doch dafür in den meisten Fällen ein sicherer Beweis
aus. Man versuchte durch Agglutination des Bazillus mit dem
Patientenserum seine Spezifität zu erweisen. Wenn man auch in einer
grossen Reihe von Versuchen ein positives Resultat erzielte, so war
der Titer der Agglutination beim Säugling nicht sehr hoch, und es muss
fraglich erscheinen, wieweit seine Verwendbarkeit reicht. Es ist auch
schwerlich anzunehmen, dass auf diesem serologischen -Wege eine
Klärung herbeizuführen ist, da junge Kinder — wie B e s s a u und ich
noch zeigen werden — sehr schlechte Antikörper- und speziell Agglutinin¬
bildner sind. S c h e e r vertritt die gleiche Ansicht. Er nahm bei 8 schweren
FäHen von Verdauungsstörungen Agglutinafionsprüfungen des Blutserums
mit aus Magen und Duodenum gezüchteten Kolistämmen vor. Die
Resultate waren durchaus negativ. — Ja, selbst gegen Bakterien, gegen
die der Erwachsene hohe Titer aufbringt, finden wir im Säuglingsalter
völlige Versager. — Bei der Besprechung der Darmbakterien wird von
T 0 b 1 e r - B e s s a u auf die Proteolyten überhaupt nicht näher ein¬
gegangen mit der Begründung, dass ihre Rolle im Darmkanal noch
nicht genügend gefestigt sei. — ln der „Pathogenese der akuten Er¬
nährungstörungen des Säuglings“ schreiben Bessau-Bossert. dass
der Proteus ebenso wie der F^ozyaneus vermehrt bei pathologischen
Darmzuständen auftreten und häufige Begleitbakterien tatsächlicher
Darminfektionen, namentlich der Ruhr, sind. — Auch Bossert-
Leichtentritt glauben, dass der Proteusbazillenbefund njir mit Vor¬
sicht zu bewerten ist; sie können einen Fall von Sepsis anführen, in
dem sich neben den Streptokokken offenbar noch als Fäulnisbakterium
der Proteus fand. — Mit wie geringer Kritik tatsächlich Proteus¬
befunde angesehen werden, geht aus einer neueren Zusammenstellung von
Schlesinger hervor. Dem Autor erscheint es mehr als zweifelhaft,
ob in allen diesen Fällen aus der Literatur der Proteus als Krankheits¬
erreger oder nicht vielmehr als gemeiner Saprophyt in Betracht kommt.
Im folgenden möchte ich einen Fall anführen, bei dem meiner Ueber-
zeugung nach der Bacillus proteus zweifellos der Erreger einer schweren
Erkrankung des drei Monate alten Kindes G. L. war. Das Kind hatte nur
3 Wochen Brust bekommen, war dann vorübergehend auf Va Milch, Wasser
und Zucker, dann auf* Yi Milchmehlsuppe ~\r 1 Teelöffel Farin (5 mal täglich
7—8 Strich, 1 mal nachts) gesetzt worden. Dabei war das Kind seit
annähernd 2 Monaten nicht mehr an Gewicht vorangegangen. 3 Tage vor der
Aufnahme in die Klinik stellten sich hohe Temperaturen und gehäufte wäss¬
rige Stühle ein. In der Klinik wird bei dem schwer krank aussehenden
4600 g schwerem Kind von gelblich-blasser Gesichtsfarbe und leichten
Oedemen an Fussrücken und Unterschenkeln eine Temperatur von 40,1' fest¬
gestellt. Das Sensorium ist leicht benommen, die Herzaktion stark beschleu¬
nigt, die Töne sind leise und dumpf. Im Urin finden sich mikroskopisch
ausser vereinzelten Leukozyten massenhaft Bakterien. Die Stühle sind
vermehrt, suppig und stinkend. Das Kind wird mit steigenden Mengen von
Eiweissmilch zunächst mit 3, dann mit 4 Proz. Nährzucker ernährt; dabei
bessern sich die Stühle, das Allgemeinbefinden ist immer noch schlecht; das
Kind ist sehr unruhig. Die unmittelbar nach der Aufnahme ausgeführte Blut¬
entnahme mittels Sinuspunktion bleibt steril, ebenso 4 weitere bakterio¬
logische Blutuntersuchungen an den folgenden 6 Tagen, die stets bei hohen
Temperaturen ausgeführt werden. Aus dem Katheterurin werden 3 mal,
aus dem Stuhl 7 mal Proteusbazillen gezüchtet; in dem 6 Stunden nach der
letzten Nahrungsaufnahme entnommenen Mageninhalt, der nur ganz geringe
Milchreste aufweist (Lackmus sauer, Congo negativ) wachsen ebenfalls Pro¬
teus und vereinzelte Kolis; derselbe Befund lässt sich in der mittels Duodenal¬
sondierung gewonnenen Galle erheben. Also im gesamten Magendarmkanal
hatte sich neben dem Bacterium coli der Proteusbazillus breitgemacht. Wäre
der Befund nur im Stuhl erhoben worden, hätte er nach den obigen Aus¬
führungen keine besondere Verwunderung hervorgerufen. Aber auch im Duo¬
denum, das doch nach Moro-Bessau beim ernährungsgesunden Säug¬
ling vereinzelte Enterokokken. beim ernährungsgestörten an deren Stelle
vor allem Kolis und Lactis aerogenes enthält, hatte sich der Proteus an¬
gesiedelt, und sogar die Azidität des Magens hatte nicht ausgereicht, dieses
Bakterium, das hohen Säurewerten — wie ich später zeigen werde — er¬
liegt. aufkommen zu lassen. Vom Darm her war der Proteus offenbar per
continuitatem in die Blase übergewandert, wenn man nicht eine Infektion auf
dem Blutwege annehmen will, wofür trotz unserer häufigen Blutkulturen zu¬
nächst der Beweis nicht erbracht werden konnte. Wiederholte Agglutinations¬
prüfungen des' Patientenserums mit dem herausgezüchteten Stamm ergaben
stets negative Resultate. Da die Proteus enthaltenden Stühle einen faulig
stinkenden Charakter bewahrten und der Zustand des Kindes sich zusehends
verschlechterte, ging ich nach 5 Tagen Eiweissmilchernährung auf Frauen¬
milch über, die ich vor allem in Form von Klysmen verabreichen Hess, da
infolge anhaltenden Erbrechens die Nahrungsaufnahme per os grosse Schwie¬
rigkeiten bereitete. Der Stuhlcharakter änderte sich unter dem neuen Er¬
nährungsregime, indem die Stühle den Charakter des Frauenmilchstuhles an-
nahmen; allerdings blieben sie noch gehäuft und enthielten noch reichlich
schleimige Beimengungen, in denen sich wieder der Bacillus proteus fand.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
550
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
In dieser Zeit war ich damit beschäftigt, die Wirkung der Butter¬
milch auf ernährungsgestörte und subdyspeptische Säuglinge zu studieren.
S1 0 11 e hatte sich am Krankenbett von der desinfizierenden Kraft der
Buttermilch auf den Magen-Darmkanal des Säuglings überzeugen
können. Oft genügt eine Buttermilchmahlzeit, um einem profusen Durch¬
fall Einhalt zu gebieten, eine Erfahrung, der man sich immer und immer
wieder mit Nutzen bedienen kann. O h t a sowohl wie B1 ii h -
dorn sahen im Reagenzglas die Hemmung jeglichen Bakterienwachs¬
tums in der trinkfertigen Buttermilch. S c h e e r fand in seiner jüngst
erschienenen Arbeit durch Bestimmung der Wasserstoff-Ionenkonzen¬
tration (H’) mittels der Indikatorenmethode nach Michaelis und
Davidsohn in einer Flüssigkeit den Wert von (H’) — 20-60-10-^,
bei dem die verschiedensten Stämme von Bacterium coli sich innerhalb
zweier Stunden abtöten Hessen. Bel meinen Versuchen*) konnte ich
im Reagenzglas zeigen, dass das Wachstum von Kolibakterien, in Butter¬
milch verschiedener Aziditäten verimpft, bei einer Azidität, die 50 Säure¬
grade überschritt, austitriert mit n/io NaOH,‘ sistiert. Ich verfütterte
ausserdem an ernährungsgestörte und chronisch nicht gedeihende Säug¬
linge verschieden saure Buttermilcheri und konnte durch Magenaus¬
heberung 2K Stunden nach der Nahrungsaufnahme, also auf der Höhe
der Verdauung, feststellen, dass aus den Nahrungsresten von Kindern,
die mit einer Buttermilch von 50 oder mehr Säuregraden ernährt waren
(die in der Kinderheilkunde zu Ernährungszwecken verwendete Butter¬
milch hat einen durchschnittlichen Säuregrad von 70 n/io NaOH), Kolis
nicht mehr zu züchten waren, der Mageninhalt vielmehr bakteriologisch
steril blieb. Gab ich diesen Kindern irgend eine andere Nahrung, sei
es Frauenmilch, Eiweissmilch oder die üblichen Milchmischungen, so
fand ich auf der Höhe der Verdauung stets kulturell Kolibakterien. Mit
der Sicherheit eines Experimentes gelang es durch Darreichen einer
Buttermilchmahlzeit diese Bakterien aus dem Magen des ernährungs¬
kranken Säuglings zu entfernen oder ihre Zahl zum mindesten sehr stark
zu reduzieren. Ich glaube hierdurch den Beweis er¬
bracht zu haben, dass die Säure der Buttermilch von
einer bestimmten Konzentration den ausschlag¬
gebenden Faktor für die Abtötung des Bacterium
coli darstelH.
Von welcher Bedeutung diese Tatsache ist geht aus den Moro-
Bessau-Bossert und neuerdings S c h e e r sehen Arbeiten hervor,
die das Aszendieren des Bacterium coli in den normalerweise fast bak¬
terienfreien Dünndarm und Magen als Ursache der dyspeptischen und
subdyspeptischen Ernährungsstörungen des Säuglings hinstellen, die vom
Bacterium coli, dem Essigsäuregärer, unterhalten werden. — Auf Grund
solcher Erfahrungen gab ich meinem Proteuspatienten eine Zwiemilcii-
nahrung von Buttermilch und Frauenmilch. Nach 24 Stunden w^ar bereits
aus dem Mageninhalt bei Ausheberung 2V1* Stunden nach der Nahrungs¬
aufnahme der Proteus verschwunden: nur ganz vereinzelte Kolis wuchsen
in der Kultur; in gleicher Weise hatte im Urin der Proteus dem Bacillus
coli Platz gemacht; im Stuhl war allerdings noch Proteus vorhanden.
Nach w'eiteren 48 Stunden fanden sich im Magen und Duodenum weder
Proteus noch Koli, und auch weiterhin blieben diese Teile des Ver-
dauungstraktus bakterienfrei. Aus Urin und Stuhl Hessen sich nur noch
Kolibazillen züchten. Das Befinden des Kindes besserte sich
allerdings nur langsam, da die Reparation durch von der Blase aus¬
gehende Fieberattacken gestört wurde. Auf jeden Fall habe ich
eine Sterilisierung des Magens und der oberen
Darmabschnitte durch di'e Buttermilchmedlkation
erreicht, was vielleicht noch prompter, als wie oben angegeben,
erzielt worden w'äre, wenn ich statt der Zwiemllchnahrung ausschliess¬
lich Buttermilch gereicht hätte.
Im Reagenzglas ist das Verhalten von Buttermilch pathogenen Bak¬
terien gegenüber bereits im Jahre 1903 von Rubinsohn geprüft
worden. Diphtherie-, Typhus-, Tuberkelbazillen und Pyozyaneus gehen
in roher Buttermilch innerhalb von 24 Stunden zugrunde. In sterilisierter
Butterrnilch. deren Azidität allerdings in den Versuchen nicht angegeben
ist, bleiben nach seinen Untersuchungen diese Bakterien mehrere Tage
lebend und infektionstüchtig. Diese Versuche wurden vor allem des-
w'egen angcstellt, um zu studieren, wieweit die Buttermilch als Infektions¬
quelle mit pathogenen Bakterien in Betracht kommt. Der Autor vertritt
den Standpunkt, dass das schnelle Zugrundegehen der pathogenen Keime
m der rohen Buttermilch vor allem ihrer Mikroorganismenflora zu danken
ist, eine Ansicht, die revisionsbedürftig ist,- da wir beim Koli, wMe oben
bereits erwähnt, austitrieren konnten, dass in steriler Buttermilch einzig
und allein der Säuregrad ausschlaggebend für das Leben oder Zugrunde¬
gehen der Bakterien ist. Brudzinsky stellte ähnliche Versuche mit
dem Bacillus Proteus an: beimpfte er rohe Milch mit solchen Bakterien¬
kulturen, so ergaben sich wechselride Befunde im Wachstum, offenbar
von der Frische der Milch abhängig. Auf gekochter Milch entwickelte
sich innerhalb von 24 Stunden der Proteus in aller Ueppigkeit; bei
saurer Milch w^ar entw^eder das Wachstum völlig gehemmt oder stark
abgeschw'ächt. — Bei meinen Untersuchungen der Proteusentwicklung in
Buttermilch brachte ich In sterilisierte Buttermilch fallender Aziditäts¬
grade von 80—0 Proteusbazillen und kontrollierte das Bakterienwachs¬
tum. Bei fünf in dieser Weise angelegten Versuchen stellte sich heraus,
dass bereits nach 15 Stunden bei einer Azidität bis annähernd 45 das
absolute Hemmung erlitt, die angelegten Endo- und
Milchzuckeragarplatten blieben steril, während bei einer Azidität unter
45 der Prote us zur vollsten Entwicklung gelangte; bei einer Azidität
) Jahrb. f. Kinderhlk. Bd. 90, IV Heft 2 „über Buttcnnilchwirkung“.
Digitized by Goüsle
von 45—40 konnte man nach den ersten 6—8 Stunden eine deutliche
Hemmung des Proteuswachstums auf den angelegten Platten konstatieren,
nach 18—24 Stunden hatten sich die Bakterien an die offenbar nicht zur
gänzlichen Hemmung des Wachstums ausreichenden Säuregrade derartig
gewöhnt, dass sich diese Platten in ihrer Wachstumsdichte in nichts von
den Platten unterschieden, die aus den Proteusmilchen niederer Azidität
angelegt waren.
Meine Untersuchungen sollen einen weiteren Beitrag zur des¬
infizierenden Wirkung der Buttermilch im Magen-Darmkanal des er¬
nährungsgestörten Säuglings darstellen. Ebenso wie ich bereits früher
zeigen konnte, dass diese Heilnahrung auf das Bacterium coli, den Essig¬
säuregärer, in vivo et vitro ihre abtötende Kraft geltend machen kann,
so konnte ich mich Ihrer auch diesmal bei einer schwer<?n Proteus¬
infektion mit dem gleichen Effekt bedienen, wobei mir das Studium über
die Biologie dieses Bakteriums zu Hilfe kam. Diese Erfolge sollen dazu
anregen, bei gleichartigen Erkrankungen des Säuglings die Buttermilch
als ausschlaggebenden emährungstherapeutischen Faktor in den Vorder¬
grund zu stellen.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Greifswald.
(Direktor: Prof. Dr. Morawitz.)
Ein Beitrag zur DitTerentiaidiagnose zwischen rudi¬
mentärem MyxSdem und Hypovarismus.
Von Bernhard Kuhlmann.
Vor einiger Zeit kamen in der Med. Klinik zu Greifswald 2 Krank¬
heitsfälle zur Beobachtung, die in ihrem klinischen Bilde viel Aehnlichkeit
zeigten. Es handelte sich dabei, kurz gesagt, um 2 Krankhcitsbilder, die
bei 2 Frauen beobachtet w'urden und beide gewMsse Züge eines Myx¬
ödems boten, w enn auch das ausgesprochene Bild des Myxödems weder
in dem einen, noch in dem anderen Fall klar war. Die nähere klinische
Untersuchung zeigte indessen, dass die sehr ähnlichen Krankheitsbilder
auf verschiedener Basis entstanden waren. In dem einen Falle nämlich
lag ein rudimentäres Myxödem, in dem anderen ein Hypovarismus vor.
Da es noch verhältnismässig w-enig bekannt ist, dass der Hypovarismus
ähnliche Krankheitserscheinungen bieten kann, wie daSs.rudimentäre Myx¬
ödem. so möchte ich die Krankengeschichten mitteilen und ausserdem
jene Untersuchungsmethoden besprechen, die es uns ermöglicht haben,
eine richtige Diagnose zu stellen.
Fall 1. Anamnese: Die Pat. Auguste T. ist 44 Jahre alt. Die
Mutter und eine Schwester sind angeblich an Lungentuberkulose gestorben.
Die Pat. selbst war früher nie ernstlich krank. Die jetzigen Beschwerden
bestehen seit ungefähr 2 Jahren, angeblich irn Anschluss an die Menopause.
Zuerst verspürte sie ziehende Schmerzen im Rücken und in den Gliedern, zu¬
weilen auch Reissen in allen Gelenken. Es fiel ihr auf. dass sic vorüber¬
gehend im Gesicht und am ganzen Körper geschwollen war. Es bildete sich
allmählich ein Schwächegefühl aus, so dass sie Ihre Arbeit seit etwa einem
Jahre nicht mehr so gut wie früher verrichten konnte. In letzter Zeit ist das
Haupthaar dünner geworden und das Gesicht in der W.mgengcgend geschwol¬
len. Der Urin war dabei immer klar. Sic klagte über Atemnot, Stiche in
der Brust, Husten mit gelbem Aiiswurf. Zuweilen musste sie erbrechen.
Das Seh- und Hörvermögen ist schlechter geworden. Seit 2 Monaten ist sie
ganz hilf- und kraftlos geworden, die Arme und Beine sind stark abgemagert,
die Haut der Unterschenkel wurde dünn und gl.änzend, sic musste zuletzt
das Bett hüten. Die Menstruation, die früher regelmässig war, hat seit
2 Jahren aufgehört. Die Pat. besitzt 3 Kinder und hat 2 Fehlgeburten
durchgeniacht. Der Stuhlgang und die Urinentleeriing waren bisher immer
regelmässig. Bei Beginn der Beobachtung bestanden Kraftlosigkeit, Atem¬
not, Schwellung des Gesichts. Reissen in den Gliedern, geringgradige Kurz¬
sichtigkeit und Schwerhörigkeit. Geschlechtskrankheiten wurden verneint.
Befund: Die Pat. ist niittelkräftig gebaut, von mittlerer Grösse und
befindet sich in reduziertem Ernährungszustände. Die Muskulatur ist schlaff,
das Fettpolster massig entwickelt, die sichtbaren Schleimhäute sind blass.
Exantheme sind nicht vorhanden. In der linken Achselhöhle sind einige
schmerzhafte Drüsen zu palpiercn. Die Gesichtsfarbe ist blass,
die Gegend der Wangen und unterhalb der Ohren ist
g e s c h w 0 11 e n. Man hat den Eindruck, als ob beiderseits
eine Parotitis besteht, die Parotis selbst ist jedoch
nicht geschwollen, die Hautschwellung gehört viel¬
mehr dem Unterhautgew’cbe an. Die Gegend der Augen ist nicht
verdickt. Auf Fingerdruck bleibt in der gcscliwollenen Gegend keine Delle
zurück. Die Zunge ist nicht verändert, besonders nicht verdickt und ver¬
breitert. Die Haut der Unterarme und Unterschenkel ist
papierdünn und atrophisch, glänzend, nicht verdickt.
Schwellungen sind hier nirgends nachweisbar. Die Schilddrüscn-
lappen sind nicht fühlbar. An den Händen bietet die Haut nichts
Besonderes.
Die Augenbrauen, die Achsel - und Schamhaare sind
kaum vorhanden, das Haupthaar ist spärlich. Es bestand
eine ausgesprochene Hypotonie der Extremitäten, die grobe
Kr af.t in den Armen und Beinen war stark herabgesetzt.
Die Sehnenreflcxe waren nur schwach auslösbar, im Gebiete der Hirnnerven
keine Veränderung nachweisbar. Ueber den beiden Unterlappen der Lungen
hörte man Giemen und Brummen. Die übrigen inneren Organe zeigten keine
wesentlichen pathologischen Veränderungen. Der Puls w'ar klein, wdnig ge¬
füllt, gleichmässig.
Blutdruck: 112:80 mm Hg (R.-R.).
Die Temperatur bewegte sich zwischen 36® und 37®.
D* Spuren von Eiweiss, kein Zucker, kein Urobilin. Im Sediment
reichlich Epithelien, vereinzelt Leukozyten und oxalsaure Kalkkristalle.
Die gynäkologische Untersuchung ergab keine Atrophie
des Uterus oder der Ovarien, die T.ibido war nicht gestört.
per Magen,saft nach Ewald schern Probefrühstück enthielt kein e
freie Salzsäure, keine Milchsäure.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
551
Die Wassermann sehe Reaktion war negativ.
B 1 u t s t a t u s: 82 Proz. Hämoglobin (Sahli), 4 150 000 Erythrozyten,
Tärbeindex = 1, 9600 Leukozyten; davon 48 Proz. neutrophile polynukleäre
Leukozyten, 0 Proz. eosinophile polynukleäre Leukozyten, 36 Proz.
Lymphozyten, 16 Proz. grosse mononukleäre Zellen.
Die Röntgenuntersuchung der Lungen und des Herzens zeigte normalen
Befund. keinMyxödemherz.
Der Verdünnunps- und Konzentrationsversuch der Nieren ergab ein gutes
Resultat.
Verlauf; Nach Thyreoidingaben und Höhensonnenbestrahlung trat
zunächst eine deutliche Besserung ein. Die Temperatur bewegte sich zwi¬
schen 36 ® und 37 ®. Das Allgemeinbefinden wurde aber allmählich durch
plötzlich in Intervallen auftretende Schüttelfröste und Temperaturerhöhungen
bis zu 40® stark beeinträchtigt. Es traten dabei reichlich Husten mit gelb-
lich-weissem, zähem Auswurf, Durchfälle und erheblicher Verfall der Kör¬
perkräfte auf. Klinisch konnte auf den Lungen eine diffuse Bronchitis fest¬
gestellt werden. Das Sputum enthielt viel Schleim und nur eosinophile
Leukozyten, keine Tuberkelbazillen, keine Spiralen, keine Kristalle. Die
Stühle sahen hellbraun aus, waren dünnflüssig, Schleim, Blut oder Tuberkel¬
bazillen konnten nicht nachgewiesen werden. Der Urin enthielt Spuren von
Eiweiss und vereinzelte Leukozyten. Die Ermüdbarkeit der Muskeln war
verstärkt, die grobe Kraft stark herabgesetzt. In den letzten Tagen vor dem
Exitus häuften sich die Schüttelfröste und Temperatursteigerungen nach der
Art eines septischer Fiebers, es traten auch psychische Störungen, Hallu¬
zinationen und kindisches Wesen in der Vordergrund.
Der Blutstatus, der in diesen Tagen erhoben wurde, ergab: 68 Proz.
Hämoglobin (Sahli), 2 730 000 Erythrozyten, 17 300 Leukozyten; davon
82 Proz. neutrophile polynukleäre Leukozyten, 2 Proz. eosinophile, 13 Proz.
Lymphozyten, 3 Proz. grosse mononukleäre Zellen.
Dieser Blutbefund spricht einerseits für eine Eiterung im Körper, die
neben dem Myxödem einherging, aber wahrscheinlich unabhängig von ihm
war, andererseits erkennt man deutlich die Anänlie, wie sie beim Myxödem
häufig gefunden wird.
Durch die Sektion wurde eine Schilddrüsenerkrankung bestätigt. Die
Glandula thyreoidea war sehr klein, von derber Konsistenz,
die Masse betrugen 5: 2,5: 0,6 mm; auf der Schnittfläche war nichts be¬
sonderes zu sehen. Im mikroskopischen Präparat der Schilddrüse sieht man
teilweise beträchtliche Verbreiterung des Bindegewebes
mit gleichzeitiger Verminderung der Kolloidsubstanz.
An den übrigen Blutdrüsen waren keine nennenswerten Veränderungen vor¬
handen.
Die septischen Fiebererscheinungen wurden durch eine alte Pyelo¬
nephritis mit Abszessbildungen erklärt,, die nur sehr geringe klinische Sym¬
ptome gezeigt hatte, ln den Nierenschnitten, die durch die Abszessherde
gelegt wurden, erblickt man in den Randzonen der nekrotischen Herde zahl¬
reiche Bakterienhaufen. Der Tod trat durch Thrombose der Vena azygos ein.
Epikrise: Es handelt sich um eine Frau, die in der Menopause
erkrankt ist und früher im allgemeinen gesund war. Die wesentlichen
Symptome, hauptsächlich die rheumatischen Beschwerden, waren wenig
charakteristisch, die objektiven Erscheinungen sprachen am ehesten für
ein Myxödem, vor allem die Unfühlbarkeit der Schilddrüse und der Aus¬
fall der Haare. Dagegen fehlten andere Erscheinungen des Myxödems
ganz oder waren nur angedeutet. Der Gesichtsausdruck entsprach
durchaus nicht dem mxyödematösen, da das Gesicht nicht im ganzen
geschwollen war, sondern nur die Parotisgegend sackartig herunterhing.
Auch die Veränderungen an der Haut der Unterarme und Unterschenkel
Hessen nichts Myxödematöses erkennen, sondern entsorachen mehr dem.
was man .Qlanzhaut nennt. Die Haut war atrophisch. Trotzdem ent¬
schlossen wir uns auf Grund einiger Versuche, die später besprochen
werden sollen, zur Annahme eines Myxödems. Diese Annahme ist
durch die Sektion bestätigt worden, indem nur an der Scfiilddrüse, nicht
aber an den anderen endokrinen Drüsen Veränderungen nachgewiesen
wurden. Uebrigens war die Diagnose schon in vivo durch die
vorübergehende Besserung nach Thyreoidinbehandlpng wahrschein¬
lich gemacht worden. Erschwert wurde der Verdacht auf ein
Myxödem dadurch, dass die Patientin von Zeit zu Zeit hohes
Fieber bekam, das, wie die Sektion zeigte, auf einer Nieren-
Beckenelterung beruhte. Da der Urin in vivo nichts Beson¬
deres enthielt, konnte die Diagnose nur in der Richtung einer septischen
Infektion gestellt w^erden, ohne dass der Sitz der Infektion klar war.
Wir haben aber schon in vivo erkannt, dass es sich wohl nur um ein
zufälliges Zusammentreffen von Myxödem und einer Eiterung handeln
müsste oder dass zum mindesten nicht alle Erscheinungen auf die sep¬
tische Infektion zurückzuführen sind. Die hohen Fiebersteigerungen
sprachen nicht unbedingt gegen Myxödem, da Angaben über ähnliche
Beobachtungen des Fiebers bei Myxödem in der Literatur genügend
vorliegen.
Fall 2. Anamnese: Anfangs September 1920 wurde die 27jährige
Arbeiterin Anna K. eingeliefert. Die Familienanamnese ergibt nichts be¬
sonderes. Kinderkrankheiten hatte die Patientin nicht durchgemacht. Seit
etwa 10 Jahren leidet sie an bald stärker, bald geringer auftretenden Schwel¬
lungen an den Füssen und Unterschenkeln sowie des Gesichts. Dabei traten
häufig Schwindelgefühl und Blutandrang in den Kopf auf. Da sie ihre monat¬
liche Blutung bis jetzt nicht gehabt hat, und am Körper immer dicker wurde,
suchte sie die Klinik auf. In der Schule hat Patientin verhältnismässig gut
gelernt, sie hat Jedoch ihre Arbeiten etwas langsamer verrichtet als die
anderen Mitarbeiterinnen. Zuweilen litt sie an starkem Haarausfall und ist
jetzt häufig traurig gestimmt und deprimiert. Ermüdbarkeit und Abmage¬
rung bestehen nicht. Der Appetit sowie die Verdauung und Exurese sind
gut. Geschlechtskrankheiten werden verneint.
Befund: Die Patientin ist kräftig gebaut, mittelgross, plump und zeigt
eine allgemein ausgeprägte Adipositas. Sie ist psychisch
wenig regsam, der Blick ist teilnahmslos, wenig aus¬
drucksvoll. Das Gesicht ist dick, die Gesichtsfarbe gesund, der
Gesichts ausdruck unintelligent, die Lidspalten sind eng. a n
den Oberlidern besteht raässiger Fettansatz. Die Haut
ist trocken, besonders an den Unterarmen und im Ge¬
sicht v e r d i c k t. An den Unterschenkeln sind Oedeme mässigen Grades
nachweisbar. Hautausschläge und Drüsenschwellungen bestehen nicht. Die
sichtbaren Schleimhäute sind gut durchblutet. Die Schilddrüsen¬
lappen sind kaum palpabel. Mundhöhle und Rachenorgane sowie
das Nervensystem zeigen keine Abweichungen von der Norm. An den
inneren Organen ist ein krankhafter Befund nicht nachweisbar. Der Urin
ist frei von Eiweiss und Zucker. Der Introitus vaginae ist verhältnismässig
eng, die Labien mässig entwickelt. Der Uterus ist klein, das
rechte Ovarium ist bohnengross fühlbar, das linke Ovarium
erscheint etwas vergrössert. Die Scham- und Achselhaare
sowie die Haupthaare sind nur mässig vorhanden. Die
Mammae sowie die Bauchdecken sind stark fettreich,
die Brustdrüsen nur gering entwickelt. Der Gang der Patientin ist normal,
aber etwas langsam und schwerfällig. Die Röntgenuntersuchung der Arm-
und Handknochen zeigt normale Knochenstruktur der Epiphysen. Das
Herz ist normal konfiguriert, kein Myxödemherz. Patientin hat angeblich
keine Libido.
Blutdruck: 100: 70 mm Hg (R.-R.).
Temperatur: zwischen 36® und 37®.
Blutstatus: 94 Proz. Hb. (Sahli), 5 400 000 Erythrozyten,
8 500 Leukozyten.
Blutbild; 58 Proz. neutrophile polynukleäre'Leukozyten, 34 Proz.
Lymphozyten, 4 Proz. .grosse mononukleäre Zellen. 4 Proz. eosinophile poly¬
nukleäre Leukozyten.
Verlauf: Die anfängliche Behandlung mit Thyrcoidintabletten zeigte
keine wesentlichen Veränderungen im Allgemeinstatus. Die Patientin wurde
daher nach kurzer Beobachtung zur Ovartransplantation in die Frauenklinik
verlegt.
Epikrise: Bei der Patientin bieten sich einige Krankheitserschei¬
nungen, die ebenfalls an ein Myxödem denken Hessen, vor allem die
Trockenheit und Verdickung der Haut im Gesicht, die die Gesichtszüge
Im Sinne eines myxödematösen Aussehens entstellten. Auch an den
Unterschenkeln und Unterarmen erschien die Haut zwar nicht atrophisch,
aber von der Unterhaut schwer abhebbar und sklerodermieartig ver¬
ändert.
Das psychische Verhalten der Patientin, die ausserordentlich stumpf
und träge erschien, besonders in den Bewegungen, entsprach dem Ver¬
halten bei Myxödem. Endlich waren die Haupthaare auffallend dünn
und die Anamnese ergab einen vorübergehenden Haarausfall. Von dem
vorhergehenden Fall unterscheidet sich dieser ganz wesentlich dadurch,
dass die Erkrankung schon seit der Pubertät mit gelegentlicher Besserung
bestand und die Menses noch nicht eingetreten waren. Dem entsprach
auch die Hypoplasie der inneren Genitalien. Auch die Erfolglosigkeit
der Thyreoidinbehandlung sprach gegen Myxödem. Immerhin waren
wir im Zweifel, ob wir hier einen Hypovarismus oder ein rudimentäres
Myxödem diagnostizieren sollten, umsomehr als auch die Palpation der
Schilddrüsengegend keine sichere Schilddrüsensubstanz ero^ab.
Wir haben daher in beiden Fällen eine Anzahl von Versuchen aus¬
geführt, welche die Diagnose klärten. In dem ersten Fall fielen die
Untersuchungen im Sinne eines Myxödems aus. in dem 2. Falle gegen
ein Myxödem, so dass hier die Diagnose Hypovarismus wahrscheinlich
war, die uns auch von der Frauenklinik bestätigt wurde
Zum Verständnis dieser Versuche sei folgendes bemerkt: Das
Adrenalin wirkt bei normalen Menschen, subkutan injiziert, erhöhend auf
den Blutdruck und vermehrt die Zahl der roten Blutkörperchen. Es tritt
gleichzeitig eine mässige Olykosurie ein ^). Diese letztere Wirkung erfolgt
nur, wenn die Leber glykogenreich ist. Da man das vorher nicht genau
wissen kann, empfiehlt es sich, gleichzeitig 100 g Dextrose zu geben
(Falta). Die veränderte Erregbarkeit des parasympathischen
Nervensystems zeigt sich bei Myxödematösen In dem Verhalten
des parasympathischen Atropins. Durch Pilokarpin ferner ge¬
lingt es nicht, die sympathis^ten Nervenfasern, die die Speichel¬
und Schweissdrüsen versorgen, zu reizen oder doch nur sehr wenig. Das
Atropin bewirkt eine viel längere Lähmung des vom N. oculomotonus
versorgten Musculus sphincter pupillae, als es beim Normalen der Fall ist.
Ergebnis der Versuche;
FaU I
FaU n
1. Nach subkutaner
Injektion v. 1 mg
Adrenalin
1. Keine Blutdrucksteieerung
(Blutdruck vor dem Versuch
90 mm Hg
Blutdruck nach dem Versuch
92 mm Hg)
2. Keine Glykosurie
8. Keine Vermehrung der Ery¬
throzyten, eher eine Heran-
Setzung
(vor dem Versuch
4150 000 Erythrozyten
nach dem Versuch
8 910 000 Erythrozyten)
1. Blutdrucksteigerung
(Blutdruck vor dem Versuch
105 mm Hg
Blutdruck nach dem Versuch
115 mm Hg)
2. Trommer’sche Probe -f-
8. Vermehrung derEr 3 rthrozyten
(vor dem Versuch
6460000 Erythrozyten
nach dem Versuch
6 800000 Erythrozyten)
2. Nach subkutaner
Injektion v. 2 mg
AdrenaLu.gleich-
zeitigem Genuas
V. 100 g Dextrose
1. Keine Blutdrucksteigerung
2. Keine Glykosurie
1 1. Blutdrucksteigerung
I (vor dem Versnob iw mm Hg
nach „ „ 120 „ „)
2. Trommer’sche Probe -f
8. Nach subkutaner
Injektion v. i mg
Piloketrpin
1. Kein Schweissausbruoh
2. Keine gesteigerte Salivation
1. Deutlicher Sohweissaasbruoh
2. Vermehrte SaUvation
4. Nach Instülatlon
von je 2 Tropfen
Humatropi.beide
Augen
Die Mydriasis bleibt über 86Sid.
bestehen
!
Die Mydriasis war schon nach
24 Std. nicht mehr erkennbar
5. Nach Kochsalz-
genuss
Die Kochsalzbilanz war herab¬
gesetzt
Normale Kochsalzbilanz
^) Bei Myxödematösen bleibt diese Wirkung des Adrenalins aus (Falta).
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
552
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18,
Endlich ist nach Falta und Haugardy und Langstein der
Kochsalzbedarf bei Myxödematösen viel geringer als bei Normalen.
Bemerkenswert ist ferner, dass der Fall mit dem Hypovarismus
keine chlorotischen Erscheinungen aufwies. Der Hämoglobingehalt be¬
trug 94*Proz. (Sahli), der Blutausstrich zeigte nichts Besonderes; die
geringe Lymphozytose kann man wohl in diesem Falle nicht als ein Sym¬
ptom der Chlorose ansehen, um so weniger als sonstige chlorotische
Erscheinungen bei der Patientin völlig fehlten. Diese Tatsache ist
insofern nicht ohne Interesse, als man nach v. Noorden annimmt,
dass die Chlorose mit einem Hypovarismus in Zusammenhang steht.
Besonders N a e g e 1 i hat diese Hypothese in neuerer Zeit ausgeführt,
•indessen muss es sich wohl bei der Chlorose noch um andere Stö¬
rungen handeln, als sie der eigentliche Hypovarismus bietet, denn weder
waren in unserem Falle chlorotische Erscheinungen vorhanden, noch
konnte ich in der Literatur (Sänger, F. Cohn, Josefson,
B. Wolff) Angaben einer Chlorose beim eigentlichen Hypovaris¬
mus finden. Man muss wohl armehmen, dass bei der Chlorose noch
andere Erscheinungen massgebend sind. Nun führt N a e g e 1 i die
Chlorose auf Störungen 'der interstitiellen Ovarialdrüsen zurück. Ob
bei unserer Patientin diese Drüsen auch gestört • waren, ist nicht mit
Sicherheit zu sagen, es ist aber wahrscheinlich, da sie keinerlei Libido
gehabt hat.
Zusammenfassung:
1. Es wurden zwei Fälle beschrieben, die klinisch Aehnlichkeiten
miteinander boten und beide an ein rudimentäres Myxödem (H e r -
toghe) erinnerten.
2. Durch eine Reihe von Untersuchungen (Adrenalin-, Pilokarpin-,
Homatropinempfindlichkeit, Belastungsproben mit Kohlehydraten und
Kochsalz), deren diagnostische Ausarbeitung wir besonders Falta und
seinen Mitarbeitern verdanken, konnte gezeigt werden, dass es sich
nur in einem Falle um ein rudimentäres Myxödem handelte, im anderen
Falle dagegen eine andere Krankheit vorliegen musste.
3. Wegen der therapeutischen Bedeutung einer frühzeitigen Differen¬
tialdiagnose solcher Zustände kann die Anwendung dieser sehr einfachen
Verfahren empfohlen werden.
Literatur.
Falta: Die Erkrankungen der Blutdrüsen. Berlin 1913. — A. Biedl:
Innere Sekretion. 3. Aufl. 1916. — Hertoghe: De Thypothyreoldie
benigne chronique ou myxoedeme fruste. 1899. — Eppinger, Falta und
R ü d i n g e r: Zschr. f. klin. Med. 66 u. 67. — B. W o 1 f f: Arch. f. Kindhlk. 57.
— H. Sänger: Mschr. f. Qeburtsh. 36. — F. C o h n: Mschr. f. Qeburtsh. 37.
— H a u g a r d y u. L a n g s t e i n: Jb. f. Kindhlk. 61.
Nachtrag bei der Korrektur, Fall 2 konnte ich etwa 14 Tage
nach der Ovartransplantation beobachten. Das ursprünglich plumpe und dicke
Gesicht erschien glatter und ausdrucksvoller. Die Pat. war psychisch reg¬
samer und hatte fröhliche Qesichtszüge. Die Menstruation war noch nicht
eingetreten. Eine weitere Beobachtung konnte leider nicht stattfinden.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Giessen.
(Direktor: Prof. Dr. Poppert.)
Ueber das gleichzeitige Vorkommen einer Hernia cruralis
dextra incarcerata und einer Hernia obturatoria dextra
incarcerata.
Von Dr. F. von der Hütten, Assistenzarzt.
Ueber das seltene Zusammentreffen von Inkarzerationen der oben¬
genannten Bruchformen möchte ich im folgenden Fall kurz berichten:
Der 54iährige Taglöhner H. wurde am 7. VIII. 20 zu unserer Klinik ge¬
bracht wegen eines rechtseitigen Schenkelbruches, der seit 6 Tagen aus¬
getreten war und „trotz vieler Repositionsversuche" nicht zurückgebracht
werden konnte. H. hatte vom ersten Tage an erbrochen; das Erbrechen war
seit 3 Tagen fäkulent. Blähungen und Stuhl sistierten von Anfang an, trotz
Einläufe.
Befund: Stark abgemagerter Mann, in elendem Allgemeinzustand, Ge¬
sichtsfarbe blass-gelblich, typische Fazies hippocratica; fäkulenter Foetor ex
ore, Puls klein, fadenförmig, 65 in der Minute. H. fühlt sich kalt an.
Unter dem Ligamentum Poupartii dext. befindet sich eine über kastanien¬
grosse, pralle, schmerzhafte Geschwulst. Der Leib ist diffus aufgetrieben,
hochtympanitisch und in geringem Grade druckschmerzhaft; keine Muskel¬
spannung; in den abhängigen Partien Dämpfung. Beiderseits ist eine Hernia
inguinalis directa und links noch eine Hernia cruralis vorhanden.
Das rechte Bein liegt geradegestreckt auf dem Untersuchungstisch.
Diagnose: Hernia cruralis dextra incarcerata.
Sofortige Operation: Längsschnitt über die Geschwulst, im
Bruchsack befindet sich eine scharf eingeklemmte Dünndarmschlinge; nach
Erweitern des SchnOrringes reisst der Darm trotz grosser Vorsicht an der
gangränösen Schnürfurche des zuführenden Schenkels etwas ein; doch kann
er noch vorgebracht werden, ohne dass Stuhl in die Bauchhöhle oder in die
Wunde gelangt. Aus dem Abdomen entleert sich trübes, nichtriechendes
Exsudat. Nunmehr wird das Ligamentum Poupartii nach oben durchgespal¬
ten und der Darm weiter vorgezogen zum Zweck der Resektion. Ein geringer
Widerstand beim Hervorholen des Dünndarmes gibt mit einem leichten Ruck
nach, wobei sich sofort dünner Stuhl neben dem Darm aus der Bauchhöhle
entleert; der Darm wird darauf schnell ganz vorgezogen und abgeklemmt.
Es zeigt sich ungefähr 20 cm über der Einschnürung an der Schenkelpforte
an der konvexen Seite des Darmes eine perforierte Litt re sehe Hernie;
nach sorgfältigem Austupfen des Douglas, in den Stuhl geflossen ist. wird
der Dünndarm in Ausdehnung von ca. 40 cm reseziert, und so der beide
perforierte Stellen umfassende TeU des Darmes entfernt; die Vereinigung er¬
folgt End zu End. Drain und Tampon in die Bauchhöhle, 2 Hautnähte be¬
enden die 45 Minuten dauernde Operation.
Patient erholt sich nicht mehr von dem operativen Eingriff und kommt
nach 3 Stunden zum Exitus.
Die Sektion ergibt neben einer diffusen Peritonitis, mit älteren fibri¬
nösen Belägen auf der Darmserosa, einen auf Kleinfingerdicke erweiterten
rechten Canalis obturatorius.
Eine Anamnese war von H. nicht mehr zu erheben, da er sich bei der
Aufnahme schon in sehr eiendem Zustand befand. Schmerzen an der Innen¬
seite des Oberschenkels (Howship-Ro mb erg) wurden nicht geäussert.
Das Bein lag gerade auf dem Untersuchungstisch, so dass nur das
multiple Auftreten offener Bruchpforten Verdacht auf Hernia obturatoria
incarcerata hätte erwecken können. Bei dem typischen Befund der ein¬
geklemmten Schenkelhernie wurde naturgemäss an eine solche Komplikation
nicht gedacht, zumal es sich um einen Mann handelte. Erst als der Darm
zur Resektion vorgezogen wurde und nach einem geringen, sich leicht lösen¬
den Widerstand Stuhl ausfloss, zeigte sich eine perforierte L i 11 r e sehe
Hernie, die nur als Hernia obturatoria incarcerata angesprochen werden
konnte. Der offene, erweiterte Canalis obturatorius, der bei der Sektion
gefunden wurde, bestätigte diese Annahme.
Während die Komplikation der Hernia obturatoria incarcerata mit
anderen offenen Bruchpforten die Regel ist, sind gleichzeitig bestehende
Einklemmungen äusserer Brüche sehr selten und geben, wenn sie vor¬
handen sind, Anlass zu verhängnisvollen Irrtümern. So reponierte Paci
einen Leistenbruch und verlor nach 8 Tagen seinen Patienten an einer
übersehenen Hernia obt. inc., W i I k e einen Nabelbruch und fand nach
7 Tagen bei der Autopsie einen eingeklemmten Hüftlochbruch. Bru-
mell, Martini und Schmidt wurden nach Zurückbringen eines
Schenkelbruches bei der Sektion durch eine Hernia obturatoria incarce¬
rata überrascht. Bei der Operation seines Falles versorgte T h i 1 e n i u s
seinen eingeklemmten Schenkelbruch, Nussbaum seinen die Darm¬
verlegung nicht erklärender Leistenbruch und sahen ihre Kranken an
einer gleichzeitig bestehenden Hernia obturatoria incarcerata zugrunde
gehen. Der Fall von T h i 1 e n i u s ist der einzige, den ich in der Litera¬
tur finden konnte, bei dem eine eingeklemmte Schenkelhernie neben
einer Hernia obturatoria incarcerata bestand, und der Schenkelbruch
lege artis versorgt wurde, während die Hernia obt. inc., nicht diagnosti¬
ziert, zum Tode führte. Auch der nichtoperierte Fall von Nicaise
kam zum Exitus und bei der Sektion lag ein Darmstück im Schenkel¬
bruch und eines im Hüftlochbruch. Unser Fall wurde erst durch die
Notwendigkeit, die gangränöse, eingerissene Darmschlinge des Schen¬
kelbruchs zu versorgen, geklärt, ohne dass die anschliessende Resek¬
tion noch hätte Heilung bringen können.
Der Ausspruch Wilms’ (Chirurgenkongr,. Heidelberg 1914): „Jeder
Patient mit eingeklemmter Hernia obt, bei dem eine Darmresektion nötig
wird, stirbt“, findet durch unseren Fall eine traurige Bestätigung und ist
ein Beweis für die schlechte Prognose vorgeschrittener Fälle, wenn
auch in der neueren Literatur von vereinzelten günstigen Erfolgen be¬
richtet wird (Kindl, Sohn).
Literatur.
1. Kindl: Prager med. Wschr. 1912 Nr. 17. — Ref. Zbl. f. Chir. 1912
S. 1076. — 2. Gundermann: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 118. 1919. S. 166.
— 3. Sohn: Bruns Beitr. z. klin. Chir. 118. 1919. S. 156. — 4. Meyer:
Arch. f. klin.. Chir. 103. 1914. S. 495. — Ausführliche Literaturangabe ist
bei 3. und 4. zu finden.
Beitrag zu den Foigezuständen der epidemischen
Enzephalitis.
Von Nervenarzt Dr. Wilhelm Mayer, München.
Der Veröffentlichungen über die Enzephalitisfrage gibt es genug. Nicht
genügend gewürdigt scheint mir die Frage der Folgezustände. Alle sind
sich darüber einig, dass wir uns vor 2 Jahren in der Prognose geirrt
haben. Eine ausserordentlich grosse Anzahl sog. geheilter Fälle ist
nicht geheilt. Wer in der Sprechstunde mit solchen Folgezuständen zu
tun hat, weiss, wie gerade diese Patienten trostlos von Arzt zu Arzt
gehen, um schliesslich meist in den Händen irgendeines Kurpfuschers zu
enden. Es sind vor allem Schlafstörungen von einer Intensität, wie man
sie sonst kaum, gelegentlich bei senilen Erkrankungen, findet. Von
Kinderärzten wurde hier zuerst auf diese Tatsache aufmerksam gemacht
Dass es sich dabei um Stammganglienreizerscheinungen handelt, er¬
scheint ziemlich gewiss. Das Theoretische will ich hier nicht erörtern;
Meggendorfer hat erst kürzlich in der Festschrift für Nonne
sich über diese Frage geäussert Diese Schlafstörungen dauern oft
Monate, ja Jahre. Strengste Beobachtungen haben mich davon über¬
zeugt dass die Angaben der Patienten und der Angehörigen nicht als
übertrieben gelten dürfen, wenn wir hören, dass derartige Patienten oft
durch Monate hindurch in der Nacht gar nicht schlafen, am Tage dann
1—2—3 Stunden dösen. Eine medikamentöse Therapie scheint es nicht
zu geben. Ich habe alles versucht: Veronal, Paraldehyd, Skopolamin; ich
habe die mannigfaltigsten Kombinationen angewandt bin bei dem einen
oder andern Fall schliesslich auch hypnotisch vorgegangen — das Re¬
sultat war immer fast negativ. Manche ^dieser schlaflosen Patienten,
die sehr unter dem Zustand litten, wurden schliesslich so suicidal, dass
sie kaum ohne Aufsicht gelassen werden konnten. Ich bringe hier stark
gekürzt die Krankengeschichten einiger Fälle:
1. L. K., Schneiderin, 33 Jahre alt, verh., Familien- und eigene Anamnese
gänzlich belanglos, kommt im September 1920 in meine Behandlung. Sie klagt
darüber, dass ihr alles so schwer falle, dass sie sehr ermüdbar sei und dass
sie seit 3 Monaten kaum mehr schlafen könne. Die körperliche Untersuchung
DigitizetI by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY Of CALIFORNfA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
553
ergibt ausser einer starken Blässe nichts Abnormes. Eine leichte Hemmung,
verbunden mit einem gewissen, wenn auch leichten depressiven Affekt, liessen
mich zunächst eine endogene Depression diagnostizieren. Die Schlaflosigkeit
besserte sich trotz grosser Dosen von Schlafmitteln gar nicht. Die wei¬
teren anamnestischen Nachforschungen ergaben nun, dass Patientin im Juni
1920 einen 8 tägigen grippösen Zustand mit hohem Fieber und „einer Art
Schlafkrankheit“ durchgemacht hatte. Die ganze Beschreibung Hess keinen
Zweifel an der Diagnose Encephalitis lethargica epidemica, ln den folgenden
Monaten (ich beobachtete Patientin bis Ende März 1921) hat sich trotz aller
therapeutischen Versuche (auch Hypnose war wirkungslos) die Schlaflosigkeit
nicht gebessert. Schlaflosen Nächten folgen in der Frühe einige Stunden teils
leichten, teils schweren Schlafs. Die Depression steigerte sich reaktiv über
der Wirkungslosigkeit jeglicher Therapie.
Der Fall ist lehrreich: er zeigt, wie nach einer kurzen, milde ver¬
laufenden lethargischen Enzephalitis ein Zustand von Schlaflosigkeit ein-
treten kann, der sich auch nach 9 Monaten trotz energischster Therapie
nicht im geringsten geändert hat.
Der zweite Fall, über den ich hier berichten will, ist in noch mehr¬
facher Hinsicht interessant:
2. Es handelt sich um einen 40 jährigen Maler B. N., der früher, ab¬
gesehen von gelegentlichen reaktiv-psychopathisch-depressiven Zuständen, ge¬
sund war. Er erkrankte im Mai 1920 an einer leichten Grippe, an die sich
nach 8 Tagen eine Pneumonie anschloss. Ende Mai Beginn einer Encephalitis
lethargica mit leichter Dösigkeit, unterbrochen von schweren Schlafzuständen,
beiderseitiger Ptosis, anfänglich hohen Temperaturen, die allmählich herunter¬
gingen. Sonstige Herderscheinungen waren keine vorhanden. An diesen Zu¬
stand schloss sich nach ungefähr 3 Wochen eine choreiforme Form an. die
von lethargischen Zuständen unterbrochen war und die sich besonders un¬
angenehm in einer choreiformen Unruhe des Gesichts und in gelegentlichen
Kieferkrämpfen äusserte. Die lethargische Form und die choreatische misch¬
ten sich allmählich, gingen aber in der Intensität immer mehr zurück; Ende
Juli war nur mehr eine gewisse Hemmung festzustellen. N. sass den ganzen
Tag herum, döste so vor sich hin, tat nichts mehr; affektiv war eine gewisse
Apathie festzustellen. Dieser Zustand hält mit gewissen Variationen bis heute
an. Von Juli 1920 bis heute ist Patient völlig schlaflos. Da ich weiss, dass
man auf derartige Angaben der Patienten, die meist übertrieben sind, nicht
allzuviel geben darf, habe ich ihn durch die sehr gewissenhafte Ehefrau be¬
obachten lassen. Das Resultat war in Uebereinstimmung mit den eigenen Auf¬
gaben des Patienten dies: N. schläft nächtelang überhaupt nicht, dann ge¬
legentlich 1—2 Stunden, nie länger, um meist morgens gegen 7 Uhr in einen
2 ständigen bleiernen Schlaf zu verfallen; am Tag ist er dann zu nichts zu
gebrauchen, sitzt endlos wie stuporös herum, liest in einem Buche immer
wieder die gleiche Seite, ist unfähig auch nur eine Karte zu schreiben. Um
Weihnachten 1920, als in seiner Umgebung eine kleine Grippeepidemie auf¬
flackerte, erkrankte N. an einem neuerlichen Schub: Fieber, Benommenheit,
hinterher eine von Woche zu Woche zunehmende Adiposität des Leibes mit
vollständiger Impotenz, die mich an eine hypophysäre Beteiligung resp. an
einen hypophysären grippösen Herd denken liessen. Bis heute hat sich
im Gesamtbild nichts verändert.
Die fast absolute nächtliche Schlaflosigkeit bei diesem Patienten,
die weder medikamentös noch psychotherapeutisch (ich habe alles mög¬
liche unternommen) irgendwie zu beeinflussen war, ist interessant genug;
dazu kommt die lange und nicht abzusehende Dauer der Störung. Wie
unrichtig es ist, derartige Zustände nur als Folgezustände anzusehen,
lehrt der Fall, der nach vielen Monaten einer stabilen, postinfektiösen
Hirnschwäche mit Schlafstörungen einen neuen Schub im Zusammenhang
mit einer neuerlichen Grippeepidemie durchmacht. Es scheint, als ob
in cerebro kleine abgekapselte infektiöse Herde sich noch befinden, die
dann und wann, anscheinend doch in Zusammenhang mit dem Aufflackern
der Grippe, manifest werden.
Den dritten Fall habe ich kürzlich ausführlich in der Münchener
neurologischen Gesellschaft gezeigt. Ich gebe hier in äusserster Kürze
die Daten der Krankengeschichte:
3. E. Sch., Schüler, 8 Jahre alt, erkrankt Februar 1919 an einer Encepha¬
litis lethargica. Schwere Schlafzustände durch fast 2 Monate ohne Herd¬
erscheinungen. Im Mai 1919 nur noch leichte Dösigkeit und Hemmung. Juni
1919 Beginn einer choreatischen Unruhe des ganzen Körpers, die immer mehr
zunimmt und bis Herbst 1920 andauert, von einer Chorea minor nicht zu
unterscheiden. Gelegentlich leichte Schlafzustände. Der Junge wird allmählich
schwieriger, bösartiger, reizbarer. Keinerlei Herderscheinungen. Sommer
1920 im Zusammenhang mit einer kleinen Grippeepidemie wieder Fieber,
Ptosis rechts, einige Tage lethargisch; nach 8 Tagen sind diese Erscheinungen
verschwunden. Seitdem Chorea etwas abnehmend, die choreatischen Be¬
wegungen nehmen zum Teil groteske Formen an (Uebergang unwillkürlicher
in willkürliche Bewegungen). Bis heute ist der Zustand unverändert. Jeg¬
liche Therapie war erfolglos.
Auch hier ist auffallend die lange Dauer des Zustands (bis jetzt über
2 Jahre) einer Encephalitis choreatica; auch hier ist zu beobachten das
Aufflackern eines latenten Herdes nach langer Zeit wieder in Zusammen¬
hang mit einem neuerlichen Aufflackern einer wenn auch bescheidenen
Grippeepidemie.
Ich habe hier 3 prominente Fälle ausgesucht; es gibt ähnliche in
grosser Zahl. Sie lehren uns, wie schlecht in vielen Fällen die Prognose
der epidemischen Enzephalitis ist, wie schwer oft zu unterscheiden ist
zwischen End- oder Folgezuständen der akuten Erkrankung und laten¬
ten, immer wieder aufflackernden Fällen, sie zeigen uns weiter, wie häufig
stationäre Fälle neu aufflackem, dabei anscheinend doch in einem ge¬
wissen Zusammenhang mit äusseren Grippeepidemien, und sie demon¬
strieren sehr schön (wenigstens die beiden ersten Fälle) die Schwere
und Unbeeinflussbarkeit der Schlafstörungen, über die theoretisch an
anderer Stelle noch einiges gesagt werden soll.
Digitized by Goüsle
Aus der Dr. Hertzschen Privatanstalt in Bonn. (Leit. Aerzte:
San.-Rat Dr. A. Wilhelmy und Priv.-Doz. Dr. H. König.)
Zur Frage der darmperistaltischen Wirkung der Hypo¬
physenpräparate.
Von Dr. W. Pirig, Sekundärarzt der Anstalt.
L. Borchardt führt (im Lehrbuch der Organotherapie von
Wagner v. Jauregg und Gustav Bayer) aus, dass bisher von
der Eigenschaft der Hypophysenpräparate, auf die glatte Muskulatur
der Unterleibsorgane einzuwirken, deren Einfluss auf die Darmkontrak¬
tionen noch wenig praktische Anwendung gefunden habe. Versucht
wurden eine Reihe von Präparaten, meist aus dem Hinterlappen der
Drüse hergestellt, bei Magendarmatonie und Darmparese mit günstigem
Erfolge. Klotz (ebenda) empfiehlt das Pituitrin als wirksames Peri-
staltikum und erreichte in einem Falle, wo die Anwendung der sonst
üblichen Mittel bis zum hohen Terpentineinlauf völlig versagte, leb¬
hafte Peristaltik und Stuhlabgang. Selbst bei hochgradiger Obstipation,
die eine Reihe von Tagen — Bell behandelte erfolgreich einen Fall
von fünftägiger Stuhlverstopfung — allen internen Mitteln und Einläufen
trotzte, war eine peristaltikanregende Wirkung zu verzeichnen.
Wir haben nun im Verlaufe therapeutischer Versuche mit endo¬
krinen Drüsenpräparaten in einem besonderen Falle Gelegenheit ge¬
habt, die auffallende Wirkung der Hypophyse auf die Darmmuskulatur
zu beobachten. Es handelt sich um eine 60 jährige Frau mit Psychose
bei Athyreoidismus. Der eigenartige seelische Zustand und die soma¬
tischen Besonderheiten des Krankheitbildes an sich und dessen Be¬
einflussung und Veränderung durch die Organtherapie bleiben einer
zusammenhängenden Darstellung Vorbehalten. Hier möge nur auf die
Wirkung eines 20proz. Extraktes der ganzen Hypophyse hingewiesen
werden, den uns die Chemischen Werke in Grenzach auf unseren Wunsch
lieferten. Bei der Patientin waren wir seit Beginn der jetzt über
5 Jahre währenden Erkrankung genötigt, die bestehende Darmträgheit
mit Rizinus, Rhabarberpurgen und Einläufen zu behandeln, mit wechseln¬
dem Erfolg. Der Stuhl blieb oft 3 Tage, zuletzt einmal 8 Tage aus.
Jede Medikation versagte. Selbst Neo-Hormoiial, intravenös und intra¬
muskulär gegeben, blieb w^ährend dieser Exazerbation ebenso unwirk¬
sam, wie Krotonöl. Atropin und hohe Glyzerineinläufe. Auch Pituglan-
dol, das wir injizierten, hatte keine direkte Wirkung. Nach dieser
8 tägigen Stockung kamen mehrere Male geringe Mengen Fäzes. Je¬
doch blieben Spontanentleerungen in der Folge wieder aus. Versuchs¬
weise injizierten wir dann subkutan an 6 aufeinanderfolgenden Tagen
je 1 ccm der genannten Probelösung, welche die wirksamen Stoffe des
glandulären Vorderlappens, des Intermediärstückes und des Neuroliypo-
physenhinterlappens enthielt. Nach der zweiten Injektion erfolgte be¬
reits spontaner Stuhlabgang, der von da an fast 3 Monate bestehen
blieb. Die Verdauung regelte sich ohne jegliche Nachhilfe, die spastische
Obstipation verschwand. Während dieser Zeit wiederholten wir noch
einmal die Injektionstour von 6 Ampullen. Als wir eine dritte Serie
begannen# stellten sich wieder Unregelmässigkeiten ein, die langsam in
eine diesmal leichte und auf kleine Wassereinläufe sofort reagierende
Verstopfung überging, die bis heute anhält. Ob letztere Erscheinung
auf die „schw^ankendc und wechselnde Wirkung“ der Hyuophysenprä-
parate, die F ü h n e r im Experiment fand (cf. Biochem. Zschr. 76. Bd.
3. u. 4. H.) zurückzuführen ist, oder einer antagonistischen Wirkung der
zweifellos pluriglandulären Störung bei der Patientin ziizuschreiben ist,
bleibe hier ununtersucht. Die von Borchardt (1. c.) hervorgehobenen
Nebenwirkungen von Präparaten der ganzen Hypophyse, die auf Vor¬
derlappeneinfluss zurückzuführen sind, in der Hauptsache eine Blutdriick-
senkung, waren auch hier zu konstatieren. Atmung und Diurese blieben
unverändert.
Die kurze Mitteilung erschien wertvoll, weil die Schlussfolgerung
zulässig ist, dass dem ganzen Hyoophysenextrakt, ganz besonders bei
ungewöhnlich starker Darm Verstopfung, eine ' schätzensw'erte peri¬
staltische Wirkung zukommt, die zu weiteren Versuchen ermuntert.
Aus dem Hygienischen Institut der Universität Tübingen.
(Vorstand: Prof. Dr. K. Wolf.)
Beitrag zur mikroskopischen Stuhluntersuchung.
Von Dr. Karl Alpers.
Es kommen nicht selten im Stuhle ohne Vorliegen eines krank¬
haften Zustandes eigenartige Körper vor, deren Herkunftsbestimmung
Schwierigkeiten macht. Sie sind dem Hygienischen Institut wiederholt
zur Untersuchung eingescbickt, und da sie in den einschlägigen Hand¬
büchern nicht erwähnt werden, wird ihre Beschreibung den praktischen
Aerzten willkommen sein. Die Körper heben sich als gelbliche Stücke
verschiedener Form von der übrigen Masse des Stuhles ab und lassen
sich ziemlich leicht herauswaschen oder mit der Präpariernadel heraus¬
lösen. Man hält sie wegen ihrer Form leicht für unverdaute Bohnen
oder für Stücke derselben; sie haben auch im mikroskopischen Bilde
Aehnlichkeit mit Bohnen, die unvollständig verdaut den Darm
durchlaufen haben. Wenn aber Bohnen nicht genossen worden
sind, so müssen die Körper eine andere Herlüinft haben. Durch
meine Untersuchungen habe ich festgestellt, dass es sich um zu¬
sammenhängende Massen von Parenchymzellen der Kartoffel handelt.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
554
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
die in eigenartiger Weise verändert sind und in denen häufig keine
Stärke mehr nachweisbar ist. Sie haben mit den ursprünglichen Formen
der mit Stärke gefüllten Parenchymzellen der Kartoffel nichts mehr
gemeinsam. Zerdrückt man ein Stückchen der Körperchen auf dem
Objektträger mit dem Deckglas und betrachtet in Wasser oder Glyzerin
hei schwacher Vergrösserung, so erkennt man fast ungefärbte ovale
Zellen, etwa von der Form eines flach gedrückten Ballons mit unregel¬
mässig netzartiger Zeichnung. Die Längsachse misst etwa 150—200
Die in einer Masse zusammenhängenden Zellen lassen sich in dem
mikroskopischen Präparate leicht voneinandertrennen, so dass man
geneigt ist, anzunehmen, es mit besonderen Gebilden zu tun zu haben.
Der Zellinhalt wird meist durch Jod nicht mehr gefärbt, nur hier und
da färbt er-sich mit Jod rot, violett oder auch blau. Die Entstehung
des Bildes lässt sich in folgender Weise gut verfolgen. Man fertigt
einen nicht zu dünnen Schnitt durch das Parenchym einer rohen Kar¬
toffel, bringt ihn auf den Objektträger und wäscht, ihn mit der Präparier¬
nadel festhaltend, durch Wasser die Stärke möglichst heraus Man legt
ein Deckglas auf und betrachtet den Schnitt bei schwacher Vergrösse¬
rung unter dem Mikroskop. Es zeigen sich polyedrische leere, einzeln
auch noch mit Stärke gefüllte Parenchymzellen. Bringt man den Schnitt
auf dem Objektträger in einige Tropfen Wasser und erhitzt letzteres zum
Sieden, so werden die Zellen zu ballonartigen Blasen aufgebläht, nach
dem Erkalten fallen die Blasen zusammen und zeigen unter dem Mikro¬
skop das oben beschriebene Bild. An dem Zustandekommen des Bildes
haben vielleicht auch unverdaute Teilchen der Stärkekömer Anteil, die
unregelmässig netzartige Zeichnung der leeren Zellen rührt jedoch von
der faltig zusammengedrückten dünnen Zellhaut her. Das Bild, welches
reine, aus den Zellen freigelegte Kartoffelstärke nach dem Verkleistern
gibt, nämlich Körper mit wulstigen Windungen, ähnlich wie ein Gehirn¬
teil ist an den noch Jodbläuung zeigenden Zellen nicht zu erkennen.
Das Stärkeparenchym der unverdaut mit dem Stuhle abgehenden
Bohnen zerfällt beim Zerdrücken auf dem Objektträger ebenfalls in
einzelne blasenartige Zellen, deren Längsdurchmesser jedoch nur 50 bis
100 ß beträgt, und die noch ganz von der eigenartig verquollenen
Stärke angefüllt sind. Es fällt auf. dass die Parenchymzellen der Kar¬
toffel. deren Inhalt fast ganz verdaut ist, auf ihrem langen Wege durch
den Verdauungskanal so hartnäckig zusammengeballt bleiben, wie ein
Klettenknäuel. Es hat dies seinen Grund wahrscheinlich darin, dass die
Zellhaut sich widerhakenartig zusammenlegt, und dass die hakenartigen
Falten den im übrigen gelockerten Zellverband Zusammenhalten. Die
dünne zarte Zellhaut des Kartoffelparenchyms hat ja. was man beim
Genuss von Kartoffelsuppe an dem Kratzen der Kartoffelteilchen im Halse
deutlich merkt, scharfe Ecken und Kanten, die verursachen, dass die •
Zellen auf der Schleimhaut des Schlundes hängen bleiben.
Stereophotogrammetrische Rfintgenreiiefs.
Von Sanitätsrat Dr. Christoph Mü11er- (Immenstadt)
in München. '
Die Eigenart der Röntgenphotographie im Vergleich zum gewöhn¬
lichen photographischen Bilde beruht darin, dass die Abstufungen zwi¬
schen Hell und Dunkel ausschliesslich bedingt werden durch die Dichtig¬
keitsunterschiede im photographierten Objekte, während bei der gewöhn¬
lichen Photographie sie hauptsächlich Schlagschattenwirkungen sind. Da
das Fehlen jeglicher Schlagschattenwiedergabe auf dem Röntgenbilde
Rückschlüsse auf die plastische Form des photographierten ObieKtes
äusserst schwierig macht, begann man schon sehr früh mit stereoskopischen
Röntgenaufnahmen diesen Nachteil der Röntgenbilder auszugleichen. Die
Herstellung stereoskopischer Röntgenbilder ist kompliziert und teuer, und
viel mehr Menschen, als allgemein angenommen wird, können auch im
besten Stereoskope die besten Aufnahmen nicht stereoskopisch sehen.
Dies veranlasste mich, den Mangel der Plastik auf anderem Wege
zu beheben zu versuchen, und zwar vermittels des Reliefs. Jedes Relief
hat den Zweck, das plastische Vorstellungsvermögen, das bei den
Menschen verschiedengradig ausgebildct ist, häufig sogar vollkommen
fehlt, zu unterstützen; und so muss auch ein Röntgenrelief nach dieser
Richtung von Wert sein.
Ich machte mir zu diesem Zwecke das neue Wenschowsehe
Verfahren zur Herstellung von Präzisionsreliefs aus Planvorlagen mit
Karten- oder Bildaufdruck zunutze. Das Verfahren besteht darin, dass
Karten und Bilder nach einer Präparierung des Papiers ohne Ver¬
zerrung der Zeichnung plastisch dargestellt und als Relief ge¬
prägt werden können. Nach diesem Prinzip hergestellte Reliefs haben
nur dann wissenschaftlichen Wert, wenn die Höhenverhältnisse im Relief
rechnerisch genau mit den wirklichen Verhältnissen übereinstimmen. Die
Ausnützung der durchgearbeiteten röntgenstereogrammetrischen Mess¬
methoden bietet hiefür günstige Möglichkeiten.
' Sucht man mit dieser Methode die Bildpunkte aller gleichweit von
der Plattenebene gelegenen Gegenstandspunkte auf. trägt die senk¬
rechten Projektionen dieser Punkte in eines der Bilder ein und verbindet
diese letzteren Punkte durch eine Kurvenlinie, so erhält man eine
P r 0 f i 11 i n i e des auigenornmenen Körpers, d. i. die Schnittlinie einer
parallel zur Plattenebene durch den Körper hindurchgelegtcn Ebene mit
dem Körper. Verfährt man in dieser Weise für Gegenstandspunkte von
anderen Entfernungen zur Plattenebene, so erhält man weitere derartige
Profillinien, mit denen es dem Reliefbildner verhältnismässig leicht
möglich ist, das Relief des aufgenommenen Gegenstandes mit richtigen
Höhenverhältnissen auf einem eigens für diesen Zweck konstruierten
Arbeits- und Messtisch aus dem Bilde herauszuarbeiten. Das Papier
des Lichtbildes oder Druckes wird derart präpariert und mit einer
plastischen Masse in Verbindung gebracht, dass die Beherrschung des
Papieres sichergestellt ist. d. h. die Dehnung des Papieres eben da vor¬
handen ist, wo sie erfolgen muss, entsprechend den durch die erwähnten
Profillinien gegebenen Höhenverhältnissen in mehr oder weniger ver¬
kleinertem Massstabe. In ersterem Falle erhält man ein Flach-, in
letzterem ein Hochrelief. Ein solches Urmodell kann auf mechanischem
Wege beliebig oft vervielfältigt werden.
Derart hergestellte Röntgenreliefs, wie ich sie auf dem letzten
Röntgenkongresse gezeigt habe, sind ein geeignetes Lehrmittel zum
Lesenlemen von Röntgenbildern und gute Vergleichsobjekte beim Be¬
trachten von Röntgenaufnahmen. Eine Vervollkommnung der Reliefs ist
im Gange.
Aus der dermatologischen Abteilung des städtischen Kranken¬
hauses Nürnberg. (Sanitätsrat: Dr. Epstein.)
Quecksilbervergiftung von der Vagina ausgehend.
Von Dr. med. Wilhelm Joers.
Die Veröffentlichung des folgenden Falles soll den Zweck haben,
uns Aerzte erneut zur Vorsicht mit Hg-Präparaten zu mahnen.
Am 28. Juli 1920 kam eine 20 jährige Arbeiterin bei uns zur Aufnahme.
Als sie gestern von ihrer Arbeitsstätte nach Hause ging, traf sie eine Kol¬
legin, mit der sie früher zusammengearbeitet hatte. Diese zeigte ihr eine
Schachtel mit blaugrünen Tabletten, die wie Bolzen aussahen, und die ihre
Kollegin als Gift erklärte, ferner ein Tüte mit übermangansaurem Kali.
Beides hat diese Freundin von einem Arzt verschrieben bekommen, angeblich
zur Verhütung einer geschlechtlichen Infektion. Patientin erbat sich eine von
den Tabletten, die sie bereitwilligst erhielt. Heute Morgen um >4 7 Uhr
führte sie diese Tablette auf der Treppe, um dabei von ihrer Tante nicht
erwischt zu werden, in die Scheide ein, damit sie, wie ihre Freundin ihr
erzählte, nie angesteckt werden könnte, und wollte zu ihrer Arbeitsstätte
gehen. Patientin kam aber nicht so weit und musste bald wegen heftiger
brennender Schmerzen in der Scheidp den Rückweg nach Hause antreten.
Dort angelangt, musste sie sich erst etwas erholen, bevor sie die 3 Treppen
zu ihrer Wohnung hinaufgehen konnte; auch schmerzte sie bereits der Mund
und die Lippen stark. Als sie nun glücklich ihre Wohnung erreicht hatte,
brach sie ohnmächtig zusammen. Ihre Tante gab ihr Hof man ns Tropfen
und es stellte sich sofort grüner Durchfall und Schüttelfrost ein. Erbrochen
will Patientin nie haben. Um 3 Uhr nachmittags wurde sie dann mit der
Sanitätskolonne, hier eingeliefert.
Mittelgrosse, mässig kräftige Patientin; Pupillen reagieren auf Licht
und Konvergenz: Haut o. B.
Schleimhäute: Lippen stark geschwollen, Zahnfleisch entzündet, ebenso
die Schleimhaut des Mundes und des Rachens; leichte Konjunktivitis beider¬
seits,
Rachenorgane: Tonsillen beiderseits stark gerötet, nicht vergrössert;
Zunge stark belegt, Foetor ex ore.
Brustorgane: Lunge und Herz o. B. Puls, der Temperatur 39,0
entsprechend, beschleunigt, kräftig.
Bauchorpne: Leib nicht aufgetrieben, weich und gut abtastbar. Milz
und Leber nicht vergrössert.
Genitalien: Rechts leicht vergrösserte indolente Inguinaldrüsen, links
keine. Starkes Oedem der kleinen und grossen Labien, sowie der Klitoris;
nach Auseinanderklappen der sich prall anfUhlenden Labien zeigen diese an
der Innenfläche starke Verätzungen mit beginnender Nekrose und Gangrän.
Der Introitus vaginac ist kaum für den Zeigefinger durchgängig, dabei
kolossal schmerzhaft. Aus der Scheide kommt braunschwarze, übelriechende
Flüssigkeit. Die Einführung eines Spekulums ist wegen der über¬
aus starken Schmerzhaftigkeit unmöglich. Urin soll zu Hause blutig gewesen
sein. Stuhl wässrig und grüngelb.
Therapie: Feuchte Kompressen, Mundspülungen, Darmspülungen 2 mal
täglich. Bäder, Karlsbadersalz und Milchdiät.
29. VII. Die Stomatitis nimmt zu, ebenso das Oedem der Genitalien.
Temperatur abgefallen, Blutbild o. B. Urin ist spontan keiner zu bekommen;
katheterisieren gelingt nicht wegen des allgemeinen starken Oedems der
ganzen Genitalgegend. Kein Harndrang; Blutdruck 100:75; Jodoformgaze¬
einlage.
30. VII. Anurie; Temp. normal. Das Oedem der Genitalien geht zu¬
rück. Kein Katheterur in!
31. VII. Anurie besteht weiter; Oedem der Genitalien, sow;ie Stomatitis
bessert sich. Im Stuhl Hg nachweisbar.
1. VIII. 3—4 ccm Katheterurin; Albumen positiv; im Sediment massen¬
hafte rote und weisse Blutkörperchen, Epithelien, keinerlei Zylinder, auch
keine Wachszylinder.
3. VIII. Leichte Benommenheit, geringe Oedeme, Aderlass 200 ccm und
Infusion von 100 ccm physiol. NaCl-Lösung. Im Blut Reststickstoff 187.6 mg
in 100 ccm Serum. Patientin klag^ über beständiges Erbrechen; Magen¬
spülung wird vorsichtig versucht, da Sanguis kommt, sofort abgebrochen.
Eisstückchen!
4. VIII. Wegen des hohen Rest-N wiederum Aderlass 250 ccm. 157 mg N
in 100 ccm Serum. Sensorium stark getrübt. Patientin halluziniert, Temp.
und Puls steigen über die Normallinie, Puls weich, flatternd; leichte Zyanose:
Unruhe. Erbrechen wird durch Opium gemildert. Angestrengte oberflächliche
Atmung.
5. Vlll. Exitus letalis.
Sektion: Beide Nieren zeigen das Bild der Quecksilbernieren. Mikro¬
skopisch ist eine starke Degeneration der Nierenepithelien, vor allem Des¬
quamation zu beobachten, während die Glomeruli und Harnkanälchen voll¬
kommen intakt sind. Kalkeinlagerungen sind nicht nachweisbar.
Die Blase enthält nur 2 Esslöffel grauen, schleimigen Urins. Die Magen¬
schleimhaut zeigt keine deutlichen Blutaustritte, keinerlei Verätzungen oder
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
555
Schwellungen. Die Dünndarmschleimhaut an einzelnen Stellen leicht * rötlich
verfärbt, im allgemeinen fast nichf^erändert. Die Schleimhaut des Dick¬
darms ist schwärzlich blutig verfärbt, samtartig verdickt und gewulstet,
an diesen Stellen bis zu 2 cm breit, vom Epithel entblösst, mit vereinzel¬
ten Nekrosen.
Die Geschlechtsteile: Die Schleimhaut der Scheide ist nekrotisch,
schmutzig, graugrün, verätzt und zeigt zahlreiche Defekte, insbesondere an
beiden grossen Labien, wo beiderseits eine ungefähr 3 cm Ipge und 1 cm
breite vorhangartige Nekröse der Schleimhaut vorhanden ist. Auch der
üebärmuttermund ist von einer solchen Nekrose umgeben. Die Schleimhaut
der Gebärmutter ist leicht gequollen, mit einem rötlichen Schleim bedeckt.
Es handelt sich also hier einwandfrei um das Krankheitsbild der
Ouecksilbervermftung. Dieser Fall soll uns Aerzten lediglich zur War¬
nung dienen, Oxyzyanat oder Sublimat, sei es in Tabletten oder in
starken Lösungen, den Patienten in die Hand zu geben. Denn als
antikonzeptionelles Mittel leistet Sublimat genau soviel oder besser
ebensowenig als andere weit harmlosere Medikamente. Als Pro-
phylaktikum g£gen geschlechtliche Erkrankungen Sublimat oder Oxy¬
zyanat in Tabletten zu verordnen, ist bei der uns zur Verfügung
stehenden Menge anderer Prophylaktika zum mindesten durchaus über¬
flüssig. Wie gefährlich eine derartige Verordnung wirken kann, zeigt
unser Fall aufs deutlichste.
Einen ganz ähnlichen Fall von Hg-Vergiftung mit tödlichem Ausgang,
die durch Einführen von Oxyzyanattabletten in die Scheide verursacht
wurde, hat Dr. SchieckD im Archiv für klin. Medizin beschrieben.
Zum Schluss möchte ich Herrn Landgerichtsarzt Obermedizinalrat
Dr. Kreuz für die Ueberlassung des Sektionsprotokolls auch hier meinen
Dank aussprechen.
Ein B.eitrag zur Therapie der Galieneteine mit Cheiaktoi*).
Von Dr. med. Schirmer, Facharzt für innere Krankheiten
und Badearzt in Bad Salzschlirf.
In den Ther. Halbmonatsh. (1920, H. 13) macht Heinz auf das
Cholaktol, ein neues Gallensteinmittel, aufmerksam. Die dort berichteten
Erfolge waren so verblüffend, dass ich es an 2 Fällen nachgeprüft habe,
und zwar mit demselben Erfolg. Ich möchte die beiden Krankengeschich¬
ten, stark gekürzt, wiedergeben.
1. Frau L., 59 Jahre. Mutter litt wahrscheinlich auch an Gallensteinen,
eine Schwester an Magenleidcn gestorben. Vater und übrige Geschwister
gesund. Sie selbst Kinderkrankheiten, später einmal Lungenentzündung und
Nervenfteber. Seit dem 25. Lebensjahr (jallensteinkoliken, alle 3—4 Jahre
eine Serie von Anfällen, oft mit Ikterus verbunden. Letzte Serie August 1920.
Damals in 3 Wochen 5—6 Koliken. Sie hat die ganzen Jahre stets strenge
Diät gehalten. Ende August noch während der Anfälle Cholaktol, 3 mal täglich
4 Tabletten. Besserung nach 3—4 Tagen. Schmerz verschwand, und auch
„der Druck auf der Leber“ war in 14 Tagen verschwunden. Seitdem
nimmt sie Cholaktol in Intervallen und fühlt sich sehr wohl, sie hat keinen
Anfall mehr gehabt, obgleich sie jetzt alles isst.
2. Herr L., 37 Jahre. Vater gestorben an Tbc. pulm., Mutter rheumatisch,
ein Bruder gesund, sonst keine Geschwister. Er selbst Kinderkrankheiten,
später Gelenkrheumatismus und zwei Vergiftungen (Stachelbeeren mit Mehltau
und Oelsardinen). Sonst gesund bis 1914. 7. VIII. 14 erster leichter Gallen-
steinanfall, der damals für eine Appendizitis gehalten wurde. Winter 1915/16
2. Anfall (leicht). Januar 1919 3. Anfall; 6 Tage lang täglich 3 Anfälle von
je mehrstündiger Dauer. Ikterus. Oktober 1919 4. Anfall: 5 Tage lang
täglich 3 Anfälle, Dezember 1919 5. Anfall: 7 Tage lang täglich
2 Anfälle. Jedesmal brauchte er 4—6 Wochen zur Wiederherstellung,
jedesmal ca. 15 Pfund Gewichtsabnahme. 31. I. 20 Operation: Keine Gallen¬
steine gefunden; es wurde eine Entzündung des Pankreas festgestellt, Schluss
der Bauchdecken ohne irgend etwas zu machen. März. April, Mai 1920 je ein
leichter eintägiger Anfall, Juni schwerer Anfall, Juli leichter Anfall. Diese
beiden letzten Anfälle behandelte ich. Therapie: Bettruhe, heisse Leib¬
umschläge, Diät, Morphium. Extr, Bellad. + Cod. ph. als Suppositorium. Die
Anfälle waren typisch, der Urin frei von A. und S., Qallenfarbstoff in
Spuren vorhanden. Seit August 1920 nimmt Pat. regelmässig Cholaktol
in Intervallen (3 Wochen Cholaktol, 3 Wochen Pause). Im August habe ich
dann hier noch einen leichten Anfall von eintägiger Dauer beobachtet.
Seitdem ist Pat. ohne Anfall geblieben, obgleich er keine Diät mehr hält.
Er schreibt am 19. III. 21; „Ich habe keinerlei Anfälle mehr gehabt und
ca. 25 Pfd. zugeoommen. esse ausnahmslos alles und lege mir keinerlei
Schranken auf. Habe seit August vorigen Jahres 6X3 Wochen Cholak¬
tol genommen und 6X3 Wochen ausgesetzt, ganz nach Vorschrift.“
Ergebnisse: Eine 59jährige Frau leidet trotz strenger Diät
seit 34 Jahren alle paar Jahre an Gallensteinkoliken. Seit August 1920
nimmt sie regelmässig Cholaktol und isst alles, seitdem Wohl¬
befinden ohne Anfall.
Ferner ein 37 jähriger Mann. Anfälle teils schwerster Art seit
6 Jahren trotz Diät, Seit August 1920 Cholaktol, noch ein leichter An¬
fall im September, seitdem Wohlbefinden, obgleich auch er alles isst.
Von ganz besonderer Bedeutung ist es, dass die Patienten wieder
alles essen können, besondere Diät ist lästig und teuer! Ich gab beiden
Patienten genau nach der Vorschrift von Heinz zunächst 3 mal täglich
4 Tabletten, später 3 mal täglich 2 Tabletten mit regelmässig ein¬
geschobenen Pausen. Ist die Beobachtungszeit auch noch kurz, so ist
doch beachtenswert, dass die Patienten jetzt alles essen können.
*) Bd. 133 H. I u. 2. Beitrag zur Pathologie der Ouecksilbernierc.
•) Hersteller: Cliein. Fabrik Dr. Ivo Deiglmayr-München.
Für die Praxis.
Einiges Ober Glaukom.
Von Qehelmrat C. v. Hess.
Für den praktischen Arzt ist unter den verschiedenen Formen des
Glaukoms in erster Linie das primäre von Interesse, einmal wegen seiner
Häufigkeit, dann aber, weil bei rechtzeitiger Erkennung der Krankheit
viele Augen gerettet werden können, die sonst der Erblindung ver¬
fallen sind; Freilich kann gerade die Diagnose der Frühformen erhebliche
Schwierigkeiten bereiten.
Allen primären Glaukomen gemeinsam ist die intraokulare Druck¬
sleigerung infolge behinderter Abfuhr des Vorderkammerwassers.
Dieses wird normalerweise ununterbrochen von den Ziliarfortsätzen ge¬
liefert, tritt durch den Spaltraum zwischen Iris und Linse in die Vor¬
derkammer und verlässt diese durch die Fontanaschen Räume, d. h.
den Winkel zwischen vorderer Iris- und hinterer Hornhautfläche, von wo
aus es in den Schlemm sehen Kanal gelangt.
Weitaus das häufigste Hindernis für den Abfluss bildet eine Ver¬
legung der Fonta na sehen Räume durch Abflachung der vorderen
Kammer bzw. Anlagerung der Iris an die hintere Hornhautfläche in
mehr oder weniger grossem Umfange. Alle Umstände, die eine
solche Abflachung des Kammer winkeis begünstigen,
kommen als prädisponierende Momente für glau¬
komatöse Störungen in Betracht. Hierher gehören unter
anderem folgende: Zunahme des Linsenvolumens mit dem Alter: die
Linse erfährt während des ganzen Lebens durch Anlagerung neuer
Fasern vom Aequator her eine nicht unbeträchtliche Vergrösserung, die
zu Abflachung der vorderen Kammer führt. Auch die Zillarfortsätze
zeigen im Alter eine oft beträchtliche, ja enorme, in verschiedenen
Augen verschieden starke Volumszunahme, die hier in dem gleichen
Sinne wirken kann, wie die Linsenvergrösserung. Diese beiden Um¬
stände sind wohl die wesentlichsten Ursachen dafür, dass das Glaukom
im mittleren und höheren Alter an Häufigkeit zunimmt. Uebersichtige
zeigen grössere Neigung zu Glaukom als Normalsichtige, viel seltener
ist es bei Kurzsichtigen. Die Erklärung ist wohl darin zu suchen, dass
das übersichtige Auge in allen Dimensionen kleiner ist als das normal¬
sichtige, während Anlage und Wachstum der Linse von diesen Dimen¬
sionen unabhängig ist; im hypermetropischen Auge ist also die Linse
im Verhältnis zu gross und hat daher Abflachung der Vorderkammer
zur Folge.
In einem durch die eben erwähnten Umstände zu Glaukom dis¬
ponierten Auge können verhältnismässig geringfügige Ursachen zu
störender Behinderung des Abflusses und damit zur DrucKsteigerung
führen; so z, B. alles, was zu Erweiterung der Pupille führt So kann
ein Tropfen Kokain oder Atropin in disponierten Augen schweres Glau¬
kom hervorrufen; vielleicht gehört hierher auch die Beobachtung, dass
primäres Glaukom in den Wintermonaten häufiger beobachtet wird,
als im Sommer. Daher ist z. B. das Tragen dunkler Schutzgläser zu
widerraten, da sie Pupillenerweiterung begünstigen. Anderseits kann
ein frischer Glaukomanfall vielfach durch genügende Pupillenverengerung
beseitigt werden, so z. B. schon durch einen Tropfen Eserin. Leute,
die sich gut beobachten, erzählen, dass sie durch angestrengtes Lesen,
das zu akkommodativer Pupillenverengerung führt, ihre Anfälle unter¬
brechen können.
Auch ein Zusammenhang des Glaukoms mit Gefässstörungen ist wohl
unzweifelhaft, doch liegen hier die Verhältnisse so verwickelt, dass eine
befriedigende Analyse nur in wenigen Fällen möglich ist
In der Symptomatologie des Glaukoms spielen die Prodrome
eine praktisch besonders wichtige Rolle. Lange bevor äusserlich oder
mit dem Augenspiegel eine Veränderung zu erkennen ist können ge-
legerttlich auftretende Kopfschmerzen Verdacht auf beginnende Druck¬
steigerung wecken; In leichten Fällen äussern sie sich nur in einem
Gefühl von Druck im Auge oder im Gebiete des ersten Trigeminusastes,
die bei Erregungen, Aerger oder Freude, nach Genuss von Alkohol,
Unregelmässigkeiten der Mahlzeiten auftreten oder zunehmen, so dass
es zu heftigen Schmerzen in der ganzen entsprechenden Kopfhälfte, ja
Uebelkeit oder Erbrechen kommen kann. Es kommt immer wieder vor,
dass derartige Kopfschmerzen lange Zeit als neuralgische angesehen
und behandelt werden, bevor man sie als Ausdruck einer glaukomatösen
Erkrankung erkennt In anderen Fällen strahlen die Schmerzen vor¬
wiegend In das zweite Trigeminusgebiet aus, der Kranke sucht wegen
„Zahnschmerzen“ immer wieder den Zahnarzt auf; wir sehen gelegent¬
lich, dass ihm deshalb Zähne gezogen werden. Gleichzeitig mit diesen
Anfällen tritt in einer Reihe von Fällen Sehstörung in Form von Nebel¬
sehen aut um Flammen können Regenbogenfarben sichtbar werden.
Unter den objektiven Symptomen sind beim akuten, schweren
Anfall (Gl. inflammatorium) folgende die wichtigsten: An der Sklera:
Erweiterung der episkleralen Venen, das sind die vier Venen, die mit
den vier vorderen Ziliararteriert entsprechend den vier geraden Augen¬
muskeln verlaufen und nahe den Sehnen der letzteren das Augeninnere
verlassen. Beim Normalen kaum sichtbar, treten sie hier als mehr oder
weniger stark gefüllte und geschlängelte Gefässe deutlich hervor, die in
schwereren Fällen mit ihren Verästelungen untereinander in Verbindung
treten und das sog. Caput medusae um die Hornhaut bilden.
An der Hornhaut: 1. leichte gieichmässige Trübung (oft fehlend),
2. geringe Beeinträchtigung des normalen Glanzes, die Hornhautober¬
fläche erscheint „gestippt“. 3. mehr oder weniger deutliche Herabsetzung
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
556
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
der Empfindlichkeit, die man am besten mit einem zugespitzten Watte-
bäuschchen prüft: bei normaler Hornhaut löst schon leichte Berührung
reflektorischen Lidschluss aus, bei Glaukom wird vielfach auch stärkere
Berührung kaum oder gar nicht empfunden.
An der vorderen Kammer: Abflachung und ungleichmässige Er¬
weiterung („Entrundung“) der Pupille, dadurch bedingt, dass die An¬
lagerung der Irisperipherie an die hintere Fläche der Hornhaut nicht
allenthalben in gleichem Umfange erfolgt.
Die eigentümlich grünlich-gelbe Farbe der Pupille, die zu der Be¬
zeichnung Glaukom Anlass gegeben hat, ist nichts für die Erkrankung
Charakteristisches, sondern auf den sog. physiologischen Linsenreflex zu
beziehen, der bei der weiten Pupille leichter sichtbar wird, um so mehr,
als es sich meist um Beiahrte handelt. Bei der Spiegeluntersuchung kann
in frühen Fällen die glaukomatöse Exkavation noch fehlen, da diese erst
bei länger dauernder Drucksteigerung deutlich zu werden braucht.
Die Prüfung der Härte des Auges mit dem tastenden Finger gibt nur
dem Geübten verwertbare Resultate.
Im akuten Anfalle sind die geschilderten Erscheinungen so charak¬
teristisch, dass die Diagnose oft geringe Schwierigkeiten bietet Um so
schwieriger ist diese beim chronischen Glaukom, da hier alle die er¬
wähnten Symptome fehlen können; die Diagnose lässt sich dann nur
stellen auf Grund der allmählichen Abnahme der Sehschärfe mit
nasaler Einschränkung des Gesichtsfeldes, sowie einer
zunehmenden Exkavation und Blässe des Sehnerven.
Differentialdiagnose: Wenn bei Leuten mittleren oder höheren Alters
wiederholt „Kopfschmerzen“ kommen, ist stets auch an Glaukom zu
denken. Treten solche anfallsweise auf und lassen sie sich durch einen
Tropfen Eserin beseitigen, so ist dies sehr verdächtig für Glaukom,
doch darf nicht vergessen werden, dass viele Glaukome ganz ohne
Kopfweh verlaufen können. Auch beginnende Iritis kann das Bild eines
subakuteii Glaukoms Vortäuschen. Da bei Iritis Atropin angezeigt, aber
bei Glaukom höchst gefährlich ist, kann eine falsche Diagnose hier be¬
sonders ernste Folgen haben. Im Zweifelsfalle gebe man lieber Eserin
statt Atropin, da der Schaden in diesem Falle, falls es sich um Iritis
handelt, nicht so schlimm ist. Durch die früher beliebte kritiklose An¬
wendung von Atropin sind zahlreiche Augen unnötig erblindet.
In allen Fällen von allmählicher Abnahme des Sehens weise man die
Betroffenen so früh als möglich darauf hin, dass durch frühzeitiges
Operieren viele Augen gerettet werden können. Ich sehe jedes Jahr
noch durch Glaukom unnötig Erblindete, die auf die Frage, warum sie
nicht früher gekommen seien, antworten „ich dachte, es sei da nichts
zu machen“.
BQcheranzeigen und Referate.
Friedrich W. Fröhlich: Grundzüge einer Lehre vom Licht und
Farbensinn. Ein Beitrag zur allgemeinen Physiologie der Sinne. Jena,
Gustav Fischer, 1921. Geheftet M. 15.—.
Durch seine Versuche über die rhythmischen Aktionsströme in der
Netzhaut der Zephalopoden ist der Verfasser auf dem Gebiet der Sinnes¬
physiologie bekannt geworden. In dem ersten Teile seiner Schrift gibt
er eine zusammenfassende Darstellung dieser schönen Versuche und ver¬
sucht sie zu einer allgemeineren Grundlage seiner Vorstellung über
die Lichtwirkung zu machen. Seine Grundsätze lauten: ,X)ie Lichter
verschiedener Wellenlänge rufen in den farbentüchtigen \Elementen der
Netzhaut oszillierende Erregungsvorgänge verschiedener Frequenz und
Intensität und von verschiedenem zeitlichen Verlauf hervor. Diese ver¬
schieden -starken und frequenten Erregungswellen werden durch Ver¬
mittlung der Schaltneurose, von denen auch der Sehnerv seinen Ur¬
sprung nimmt, zum Sehzentrum im Hinterhauptslappen des Grosshims
geleitet und rufen dort in Abhängigkeit von ihrer Frequenz und Intensi¬
tät Erregung oder Hemmung hervor. Diese sind als die physiologische
Grundlage der antagonistischen Farbenempfindungen anzusehen.“ In
einem zweiten Teile beschäftigt er sich mit den subjektiv nachweisbaren
Lichtwirkungen. Hier bringt er besonders auch seine eigenen Versuche
über oszillierende Nachbilder und seine Vorstellung über Kontrast, die
von der landläufigen ziemlich stark abweicht. Man wird mit Interesse
den weiteren Ausbau seiner experimentellen Untersuchungen verfolgen.
P. Hoffmann -Würzburg.
M. Loewit: Infektion und Immunität. Nach dem Tode des Verf.
herausgegeben von S. Bayer. 550 S. mit 33 Textfiguren und 2 farbi¬
gen Tafeln. Urban & Schwarzenberg. Berlin-Wien, 1921.
Preis geh. 40 M.. geb. 56 M.
Das von Loewit 1914 erst zum Teil fertiggestellte Werk wurde
nach dessen Tode im Oktober 1918 von Bayer nach den vorhandenen
Notizen bearbeitet und herausgegeben. Das vorliegende Werk war als
der erste Teil eines grossen Ganzen gedacht, das alle Gebiete der all¬
gemeinen Pathologie behandeln sollte. Dementsprechend findet sich als
erstes Kapitel eine sehr übersichtliche Darlegung über Krankheitsbegriff
und Krankheitsvererbung. Die übrigen Teile behandeln das Gebiet der
Infektions- und Immunitätslehre sehr sorgfältig und genau auf Grund
zuverlässiger und umfassender Literaturstudien und eigener Beobach¬
tungen und Untersuchungen. Besonders gründlich ist das Kapitel: Ana-
pfiylaxie. Allergie, Ueberempfindlichkeit bearbeitet. Einige neuere For¬
schungsgebiete, wie z. B. die unspezifische Immunisierung (Proto¬
plasmaaktivierung nach Weichardt) sind nicht berücksichtigt, was
wohl aus der durch den Tod des Verf. bedingten Entstehungsgeschichte
des Buches zu erklären ist. Dieudonnö -München.
Digitized by Goiisle
Arbeiten aus dem Neurologiscben Institute an der Wiener Uni¬
versität XXIII. Band, 1. Heft De'uticke, Wien 1920. 195 Seiten.
Preis 90. M.
Die Publikationen werden nach Obersteiners Rücktritt in
gleicher Weise durch seinen Nachfolger Marburg weitergeführt
Marburg selbst bringt als Resultat seiner eingehenden Studien
die Hypothese, dass die Z i r b e I u. a. das Hautgefässssystem reguliere.
Der Reissnersche Faden dagegen möchte mit den Druckschwan¬
kungen des Liquors in Verbindung stehen. Epiglandol kann vielleicht
ausser bei übertriebener Libido, auch bei Kopfweh, das auf Gefässkrampf
beruht von Nutzen sein.
Adolf und Spiegel kommen in einer namentlich histologischen
Untersuchung zu dem Resultat dass die Encephalitis lethar-
g i c a den Grippekrankheiten zuzurechnen ist Das Schlafsymptom
braucht nicht mit der Lokalisation im Stamm zusammenzuhängen.
Die Nämlichen untersuchen die anatomischen Reaktionen im
Grenzstrang in verschiedenen Krankheiten.
E. P 0 11 a k findet in jedem Fall von Epilepsie Zeichen ana¬
tomischer Minderwertigkeit namentlich in der Rinde. Um die Epilepsie
auszulösen, müssen noch andere Schädigungen hinzukommen.
Kryspin-Exner kommt auf anatomischem Wege zu dem
Schlüsse, dass die Substantia perf. ant. nicht der Rinde angehört.
Bleuler- Burghölzli.
Arneth: Leitfaden der Perkussion und Auskultation für Anfänger.
Verlag W. Klinkhardt Leipzig 1920. 177 S.
Der Leitfaden ist aus den praktischen Erfahrungen im Perkussions¬
kurs entstanden und soll dem Anfänger kurz und klar die notwendigen
theoretischen Kenntnisse vermitteln, damit im Kurs selbst möglichst viel
Zeit für die praktische Ausführung bleibt Diese Aufgabe erfüllt das
Büchlein sehr gut Die physikalischen Erklärungen sind ausführlich
genug, ohne zu sehr ins Einzelne zu gehen, die topographischen Aus¬
führungen werden durch zahlreiche gute schematische Abbildungen
unterstützt Auch spezielle Methoden, wie die Gold scheid ersehe
Schwellenwertperkussion und die Tastperkussion werden besprochen.
Den Abschluss bildet ein Kapitel über die Klappenfehler des Herzens,
in dem klar und anschaulich das für den Anfänger Wesentliche dargestellt
ist So ist dem Leitfaden eine gute Prognose zu stellen und weite Ver¬
breitung zu wünschen. L. J a c 0 b - Bremen.
Ludwig Chouiant: Hlstory and BibHography of Anatomie lUu-
stration In Its Relation to anatomic Science and the graphlc Arts. Trans-
lated and edited with notes and a Biography by Mortlmer Frank,
With a biographical sketch of the translator and two additional sections
by Fielding H. Garrison and Edward C. Str eeter, Chicago, Illinois,
The University Press. XXVIl + 435 S., gr. 8 ®. 10 Dollar.
Schon vor dem Kriege ging Mortimer Frank damit um, C h o u -
lants berühmte „Geschichte und Bibliographie der anatomischen Ab¬
bildung“ (1852) ins Englische zu übersetzen und samt allen Illu¬
strationen herauszugeben. Er Hess bei mir anfragen und ich erklärte
mich damals bereit, die mittelalterliche anatomische Graphik der Hand¬
schriften, der ich zwei Jahrzehnte lang nachgegangen bin. im Zu¬
sammenhänge darzustellen. Es wäre wohl eine brauchbare Sache von
neuen Ergebnissen geworden. Der englische Niederringungskrieg
Deutschlands hat das verhindert. Frank hat nun selbst eine Ueber-
sicht meiner Leistungen auf S. ’49—87 mit 33 grossenteils blattgrossen
Abbildungen hergestellt, die ihre Verdienste hat. Am meisten ist das
höchst Fragmentarische der Darweisung L e o na rd i scher ana¬
tomischer Leistung zu bedauern. Beigaben sind ferner eine Biographie
unseres Dresdener Chouiant mit trefflichem Porträt, eine Erinne¬
rungsschrift an Frank, der das Erscheinen seines Werkes nicht erlebte
(1874—1919), von Garrison, der auch den Druck überwachte und
mit zwei Beigaben das Werk vermehrte, eine Uebersicht über die ana¬
tomische Illustration seit L. Chouiant (bibliographisch) und (mit
S t r e e t e r) eine Uebersicht über anatomische Illustrierung durch
Werke der Mal- und Bildhauerkunst von entschiedenem Werte. Der
Text Choulants ist aus seiner Arbeit im Archiv für zeichnende
Künste, Leipzig 1857, ergänzt. Möge das alte deutsche Meisterwerk
in der neuen Gestalt neue Freunde gewinnen! Sud hoff.
Joe st E.: Spezielle pathologische Anatomie der Haustiere.
II. Band, 2. Hälfte. Zentrales Nervensystem, peripheres Nervensystent
Mit 3 Tafeln und 73 Abbildungen im Text. Berlin 1921. Verlag von
Richard S c h o e t z. Preis broschiert M. 38.
Das in der Ueberschrift angegebene, von veterinärmedizinischer
Seite gegenüber anderen vielleicht bisher etwas weniger intensiv be¬
ackerte Gebiet, ist durch die vorliegende Veröffentlichung nunmehr
auf die seiner Wichtigkeit entsprechende Höhe gebracht, und es sind
damit der vergleichenden Forschung neue Wege eröffnet worden. Es
wäre zu wünschen, dass insbesondere nach letzterer Richtung hin die
grosse Mühe und wissenschaftliche Sorgfalt des Verfassers, die aus
jeder Seite seiner geistigen Schöpfung sprechen, ihre Belohnung finden
möge.
Bildliche Ausstattung, Druck und Papier sind tadellos. Die An¬
schaffung des vorliegenden Halbbandes samt den früher hier besprochenen
ersten 3 Teilen des vorzüglichen Werkes kann aufs neue bestens
empfohlen werden. Dr. Carl- Karlsruhe.
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNf^ ,
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.-
557
Prof. Dr. A. PIlcz: Lehrbuch der spezieUen Psychiatrie. V. ver¬
besserte Auflage. Deuticke, Wien 1920. 311 S. Preis 30 M.
Die fünfte Auflage des Buches, das unter Verzicht auf Psychopatho¬
logie die Symptomatologie der einzelnen Krankheiten nach der Ein¬
teilung der Wiener Schule um so hübscher schildert, ist nach etwas mehr
als Jahresfrist d^r vierten gefolgt. Sie hat keine wesentlichen Aende-
rungen erfahren. — Ist es nicht ein imn^er fühlbarer Anachronismus, dass
die Epilepsien noch unter die „grossen Neurosen" gezählt werden?
Bleuler- Burghölzli.
Schultz: Die seelische Krankenbehandlung (Psychotherapie).
Zweite Auflage. Fischer, Jena. 353 S. Preis M. 40.—, geb. M. 48.—.
Das in der Münch, med. Wochenschr. Bd. LXVI. 1919, S. 1271 an¬
gezeigte, treffliche Buch ist schon in zweiter Auflage erschienen, die
nichts wesentliches geändert hat und deshalb keiner neuen Empfehlung
bedarf. Bleuler- Burghölzli.
Zeitschriften-Uebersicht
Archiv für klinische Chirurgie. Band 115. Heft 1. u. 2. Erinnerungs-
heft für Theodor Kocher.
A. Vogel: Die Behandlung der chirurgischen Appendizitis an der Uni¬
versität Bern. Weiland Prof. Theodor Kocher.
Unter 293 akuten Appendizitiden ohne Abszessbildung und Peritonitis
3 Todesfälle. Alle am 1. und 2. Tage operierten Patienten wurden geheilt.
Es wird empfohlen auch nach Ablauf von 48 Stunden nach Beginn des An¬
falles zu appendektomieren. Abwartendes Verhalten hat keine günstigen Re¬
sultate gezeigt Resektion des Mesenteriolums ist ratsam. Mortalität bei
Peritonitisfällen bei rein eitrigem Exsudate 76 Proz., ^bei diffusem trübem
Exsudate 20 Proz. Die besten Resultate ergab Appendektomie mit Kochsalz¬
spülung und Drainage des Douglas. Bei multiplen Abszessen empfiehlt der
Autor ein radikales Vorgehen, Lösung aller Verwachsungen, Eröffnung aller
Abszesse, Appendektomie, Spülung und Drainage. Von 6 so behandelten
Pällen heilten 3.
Albert Kocher: Diagnose und chirurgische Therapie des Ulcus ven-
trlculi und duodenl.
Das Ulcus dventriculi und duodeni ist nur ein Symptom einer Allgemein¬
erkrankung, allerdings das wichtigste und gefährlichste Symptom derselben.
Die Erfolge der Gastroenterostomie sind sehr gute. Nicht die Lage des
Geschwürs, sondern die Art des Geschwürs ist für den Dauererfolg der
Gastroenterostomie massgebend. Bei einfachem Ulcus ist die Wirkung der
Gastroenterostomie eine sichere und, ausgezeichnete — 88 Proz. vollkommen
beschwerdefrei. Bei den kallös penetrierenden Geschwüren waren gut */$
nach Gastroenterostomie dauernd beschwerdefrei. In 3 Fällen neuerlich rezi¬
divierende Blutung, durchaus Fälle, die vorher stärker geblutet hatten. In
4 Fällen (2,3 Proz.) war ein Ulcus pept. jejuni aufgetreten. In 5 Fällen,
in denen wegen kallösem Ulcus gastroenterostomiert worden war, hatte sich
später ein Magenkarzinom entwickelt, 3 davon sind als Fehldiagnosen zu
betrachten, in den 2 übrigen trat das Karzinom erst nach 3/4 resp. 12 Jahren
nach der Operation ein. Die Fälle sind 1/4—19 Jahre nach der Operation
nachkontrolliert.
W. 0 r ö b 1 y: Ueber die Bedeutung der Zellkernstofie (Nukleoprotelde)
ffir den Organismus.
Der Autor fasst das Ergebnis seiner Arbeit in folgenden Sätzen zu¬
sammen: Das Nukleoproteid spielt in Jeder einzelnen Zelle eine ganz hervor¬
ragend wichtige Rolle für das Wachstum. Nukleoprotelde spielen eine ganz
besonders wichtige Rolle in einzelnen Organen, die sich durch einen be¬
sonders hohen Gehalt an Nukleoproteiden auszeichnen, indem sie hier den
Ablauf gewisser chemischer Vorgänge bestimmend regulieren. Man kann
diese Organe als Organe des Nukleoproteidstoffwechsels bezeichnen. Zu
diesen gehören sämtliche Drüsen mit innerer Sekretion. Eine pathologische
Vermehrung des Nukleoproteidstoffwechsels ergibt eine Konstitutionsanomalie,
die zu malignen Neubildungen disponiert.
W. G r ö b 1 y: Ueber den relativen Phosphorgehalt des Blutes .
Der Phosphorgehalt des Blutes wurde nach der Methode von N e u -
mann untersucht und das Ergebnis der Analyse mit dem Blutbefund ver¬
glichen. Das Verhältnis von Phosphorsäureverten und Erythrozytenzahl er¬
gibt den Phosphorquotienten des Blutes. Die Leukozyten können keinen Ein¬
fluss auf den Gesamtphosphorgehalt des Blutes ausüben. Bei malignen Tu¬
moren ist der Phosphorgehalt des Blutes im Verhältnis zur Erythroz 3 rtenzahl
auffällig hoch. Sämtliche Phosphorsynthesen sind nach Ansicht des Autors
abhängig von den Nukleoproteidsynthesen. Der Phosphorquotient des Blutes
gibt Aufschluss über die Fähigkeit des Organismus, Nukleinssmthesen durch¬
zuführen. Die übergrosse Fähigkeit zu Nukleinsynthesen kann vielleicht eine
Konstitutionsgrundlao^e abgeben für das exzessive Wachstum der Zellen, also
zur Bildung bösartiger Geschwülste.
G. D a r d e 1: Ueber einen Fall von doppelseitiger Hydronephrose mit
Anurle bei Wandernieren.
Anschliessend an die Mitteilung dieses Falles bespricht der Autor den
Mechanismus und die pathologische Physiologie der Hydronephrose bei
Wanderniere und kommt zu dem Schluss, dass die Wandernieren nicht als
unschuldige Affektionen betrachtet werden köpnen. Die fehlende Fixation
des Organs an seiner normalen Stelle schädigt die Funktion desselben, die
sich in Herabsetzung der Harnstoffausscheidung, besonderer Empfindlichkeit
gegenüber Traumen — Auftreten von Eiweiss im Urin nach Palpation — etc.
äussert. Man soll daher die Wanderniere frühzeitig operieren, d. h. an ihrer
normalen Stelle fixieren.
W. Lanz: Ueber die Prüfung der Magenfunktionen mit dem Alkohol-
phenofphthaleinprobefrühstück.
Der Autor untersuchte Magenkranke (chronische Gastritis, nervöse Dys¬
pepsie, Atonie, Ulcus ventriculi, Krebs) und magengesunde Individuen mit
dem E h r ra a n n sehen Alkoholfrühstück, dem er Phenolphthalein als Indikator
beimischte, mit fraktionierter Ausheberung. Stammlösung: 150,0 ccm, 96 proz.'
Alkohol 10,0 ccm, H Proz. Alkoholphenolphthaleinlösung, Aqua dest. ad 200.
20 ccm dieser Lösung zu 300 ccm Wasser ergibt das Probefrühstück, wovon
20 ccm zur Kontrolle zurückbehalten werden. Kolorimetrisch wird die Ver¬
dünnung bestimmt. Er kommt zu folgendem Schlüsse: einheitliche Symptome
Digitized by Goiisle
für alle Geschwüre sind nicht zu erwarten, da beim Magengeschwür die
Magenfunktion verschiedenartig gestört sein kann. Gewisse Regelmässigkeiten
findet man Je nach der Lokalisation des Ulcus. Solche sind: 1. die Azidität
ist beim pylorusfernen Ulcus häufiger vermehrt als beim pylorusnahen. 2. Die
Sekretion ist beim Korpusgeschwür nicht, beim Ulcus duodeni- und beim
pylorusnahen Geschwüre meist vermehrt. 3. Die Motilität ist beim pylorus¬
fernen Ulcus meist normal, beim pylorusnahen gewöhnlich verlangsamt. Bei
Störungen der Magenmotilität auch ohne augenfällige Symptome, zu deren
Nachweis das AlkoholphenolphthalcinfrühstUck als besonders einfach und
sicher empfohlen wird, soll immer chirurgisch eingegriffen werden.
H. Rubeli: Beitrag zur Kenntnis der Schenkelhalsfrakturen, speziell
der Fractura coli femoris endotrochanterlca.
Nachuntersuchungen eines Teiles der Schenkelhalsfrakturen der Klinik
Kocher. Die Resultate der Behandlung waren günstig. Bei der sub-
kapitalen Form war nach Exzision des Kopfes Hüftankylose aufgetreten, nach
Nagelung war die Funktion des Hüftgelenkes erhalten geblieben. In allen
übrigen Fällen konnte durch Abtragung extrakapsulärer Kallusmassen, wenn
solche die Funktion störten, normale Beweglichkeit wieder hergestellt werden.
Hohlbaum - Leipzig.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 15.
H e i 1 e - Wiesbaden: Die Erkennung und Behandlung von Bauhlnospas-
raus (Spasmus des Sphinkter ileocollcus).
-Verf. bespricht das Krankheitsbild des Spasmus des Srihinkter ileo-
colicus, dessen Verschluss typische Beschwerden (anfallsweises Ziehen in
der rechten Seite, pralle Resistenz in der Blinddarragegend) auslöst. Quere
Durchtrennung des Muse, ileocolicus brachte dauernde Beseitigung der Be¬
schwerden; in anderen Fällen hat Verf. ausserdem noch die vorderen Länp-
tänien des Col. ascendens aneinandergenäht. Schwierig bleibt nur die richtige
Auswahl der Fälle für die Plastik; chronische Appendizitis, Colon mobile ist
auszuscheiden. Ist ausgesprochener Spasmus vorhanden, dann kann der ein¬
geführte Finger das Hindernis nicht überwinden; man kann auch versuchen,
ob der abgeschlossene Zoekalinhalt in den Dünndarm retrograd entweicht.
Aus 5 Abbildungen ist der Gang der Operation leicht ersichtlich; als den
wesentlichen Punkt der Operation bezeichnet Verf. die Bauhinoplastik; Ver¬
nähen der Längstänien allein genügt nicht für sicheren Erfolg.
Hs. Tichy- Marburg: Ergebnisse der operativen und der Röntgenbe-
bandlung tuberkulöser Drüsen. Ein Vergleich ausgewählter Fälle.
Verf. bringt eine kurze Statistik über das Ergebnis der Operation von
tuberkulösen Drüsen und der Strahlenbehandlung; stets handelte es sich um
geschlossene Drüsentuberkulose, meist um die hyperplastische, manchmal
auch um die erweichte Form. Der Vergleich zeigt, dass die Dauerresultate
(nach 2 Jahren) nach der Bestrahlung wesentlich besser sind als nach der
Operation.
E. S e i t z - Frankfurt a. M.: Ueber keimschädigende Eigenschaften
des Novokains.
Ob das Novokain therapeutisch auf eine bestehende Entzündung einwirkt,
ist noch nicht sicher erwiesen. Dagegen ist es doch auffallend, dass man
bei der Ausführung der Lokalanästhesie fast nie einen Spritzenabszess
beobachtet. Zur Erklärung dieser Tatsache hat Verf. bakteriologische Unter¬
suchungen angestellt und verschiedene Bazillen in Bouillon mit Novokain
(2 Proz., 5 Proz., 10 Proz.) gezüchtet; er fand, dass ein lebhaftes Wachstum
in der Novokainbouillon erfolgte. Benützte er dagegen Körperflüssigkeiten
(Punktate, Blutserum, Zystenflüssigkeit) und versetzte diese mit Novokain,
so trat deutlich eine Einwirkung des Novokains in die Erscheinung, indem
weniger Keime vorhanden waren als im Kontroliversuch; demnach besitzt
das Novokain doch Eigenschaften, welche das Wachstum der Bakterien be¬
hindern können.
S. Weil- Breslau: Ueber das Vorkommen der Calvö-Legg-
Perthes sehen Krankheit und des Pes adduetns bei der fötalen Chondro-
dysplasle.
Verf. spricht sich für die kongenitale Ursache dieser Schenkelkopfver¬
änderung aus und führt als Stütze für seine Auffassung an die sehr grosse
Aehnlichkeit der Perthes sehen mit der Köhler sehen Krankheit des Os
naviculare pedis, die als Störung der Ossifikation mit Sicherheit aufzufassen
ist. Als 2. Beweis nennt er einen Fall von doppelseitigem Pes adductus
congenitus mit ^ukturverän-derungen im Os navicul. und cuneiform. I u. II,
die ganz der K ^ 1 e r sehen Krankheit entsprachen. Nachdem die Köhler-
sche Erkrankung kombiniert mit Pes adductus vorkommt, der seine Erklärung
durch intrauterine Druckbelastung findet, so liegt der Schluss nahe, dass
ebenso wie die Köhler sehe Krankheit auch die von Perthes durch
intrauterine Druckschädigung bedingt werden kann. Gleichzeitig berichtet
Verf. über einen Fall, dass auch bei der fötalen Chondrodystrophie der
Schenkelkopf im Sinne der Perthes sehen Krankheit verändert sein kann;
ebenso kann diese Chondrodystrophie mit Pes adductus kombiniert sein.
Jedenfalls kann die Chondrodystrophie verschiedene wesensverwandte, wenn
auch nicht wesensgleiche Störungen der Verknöcherung verursachen. Mit
1 Skizze. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für QyaäkolosJe. 1921. Nr. 15. .
J. Quante -Dortmund: Unsere Erfahrungen mit der Symphyseotomle
bei Erst- und Mehrgebärenden.
Die Operation hat gewiss ihre Berechtigung, bietet jedoch in bezug auf
Indikations- und Prognosestellung viele Schwierigkeiten. Bei Erstgebärenden
grosse Vorsicht und nur dann, wenn wirklich gute Wehen da sind, und wenn
das Missverhältnis zwischen Kopf und Becken nicht zu gross ist, so dass man
mit Sicherheit auf eine Spontangeburt rechnen kann. Bei Mehrgebärenden mit
ihren durch frühere Geburten erweiterten und mehr nachgiebigen Weichteilen
ist sie ein leicht und schnell auszuführender Eingriff, der berufen ist, bei
mässiger Beckenverengerung manches kindliche Leben zu retten. Auch bei
Mehrgebärenden ist Spontangeburt erwünscht, aber in 20 Fällen nur 8 mal
erreicht. Sonst Zange, auch hohe Zange oder Wendung. — Kritik gegenüber
dem Kaiserschnittverfahren spricht zu dessen Gunsten.
B. S c h w a r z - Mainz: Sympbyslotomle oder Sectio caesarea? Zu¬
gleich eine Erwiderung auf die Arbeit von M a r 11 u s (Zschr. f. Geb. u. Gyn.
Bd. LXXXIII Heft 1).
Die Mortalität der Mütter ist bei „ungereinigter“ Statistik weniger als
halb so gross, bei „gereinigter“ Statistik gleich Null (bei der Symphysiotoraie).
Die Morbidität der Mütter ist geringer, die Behandlungsdauer kürzer. Die
Mortalität der Kinder ist zwar um etwa V* höher, die Fertilität nach
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
558
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Symphysiotomie bleibt aber unbeeinflusst, während sie durch Kaiserschnitt
zum mindesten um die Hälfte herabgesetzt ist. Die S. gestattet, die Möglich¬
keit der Spontangeburt bis zum äussersten abzuwarten. Die Technik der S.
ist einfach und leicht, die Ausführungsdauer beträgt 1—2 Minuten. Sie lässt
sich in Infiltrationsanästhesie ausführen. Die späteren Entbindungen gehen in
mindestens 10 Proz. der Fälle spontan vor sich. Infektion ist keine Qegen-
indikation für die S. Die sehr geringe Gefahr der Nebenverletzungen der
Blase bzw. der Harnröhre und des späteren Prolapses bei der S. wird durch
die grösseren Gefahren des Kaiserschnitts — höhere Mortalität, drohende
Uterusruptur bei folgenden Geburten, Hernienbildung, Adhäsionsbildung'(nach
Richter in 11 Fällen von 12 zum zweiten Male Operierten) — reichlich
aufgewogen.
R. Hastrup - Kopenhagen: Ueber die Indikation der Ventrofixatio uterl.
Die Gefahr eines postoperativen Ileus ist bei der Ventrofixatio Uteri sehr
erheblich. Die Operation ist unphysiologisch, irrationell und gefährlich und
sollte durch einfachere und ungefährlichere Methoden, wie es die Verkürzung
der Ligg. yotund. z. B. darstellt, ersetzt werden.
G. B a r t r a m - Tübingen: Ueber die Behandlung des Puerperalfiebers
mit menschlichem Serum.
Puerperale fieberhafte Erkrankungen können durch parenterale Zufuhr
von art- und individuumcigenem Serum günstig beeinflusst werden. Serum
von Schwangeren und Rekonvaleszenten von einer septisch fieberhaften Er¬
krankung scheint besonders geeignet für diese Therapie zu sein. Die Wirkung
dieser Seren ist als Proteinkörperwirkung im Sinne der Weichardt sehen
Protoplasmaaktivierung anzusehen. Nebenbei ist eine spezifische Immun¬
serumwirkung möglioh.
R. Hornung - Kiel: Ein Fall von kriminellem Abort mit bemerkens¬
werten Komplikationen.
Durchbohrung der vorderen Zervixwand mit dadurch entstandener
Blasenzervixfistel. Luftembolie, die Lufthunger, Bewusstlosigkeit, Zirkulations¬
störungen sowie multiple Blutungen in die Haut und Netzhaut veranlasste.
Günstiger Ausgang. Werner- Hamburg.
MonatsschrUt für Kinderheilkunde. Bd. XIX. Nr. 5.
H. Kleinschmidt: Ernfihrungsversuche mit fettangerelcherten Milch¬
mischungen.
Kritik einschlägiger Versuche anderer Autoren. Der Röstprozess des
Mehles ist bei den Ernährungsresultaten der Buttermehlnahrung von Be¬
deutung, offenbar weil dadurch das Kohlehydrat schwerer resorbierbar wird
und damit die bakterielle Gärung in den unteren Darmabschnitten gefördert
wird. — Empfehlung eines Einbrennzusatzes zur Buttermilch, die dann nicht
nur eine Heil-, sondern auch eine Dauernahrung darstellt („konzentrierte
Eiweissmilch mit vermindertem Eiweissgehalt").
Otto B o s s e r t: Anatomische Untersuchungen chronischer Lungen¬
erkrankungen infolge Influenza.
Bei den geschilderten Erkrankungen sind die Bronchien schwer ergriffen,
beherbergen grossenteils erhebliche Eitermengen und zeigen schwere Wand¬
schädigungen, die zur Erweiterung führen. Bei jüngeren Kindern häufig auch
Beteiligung des übrigens Lungenparenchyms und Exitus. Oefter Aufflackern
von alten, scheinbar ruhenden Herden. Bemerkensw'ert ist die weitgehende
Uebereinstimmung der anatomischen Veränderungen mit denen nach Masern.
Dies gibt uns einen Fingerzeig, dass wir bei den nach Influenza sich ent¬
wickelnden Lungenerkrankungen mit den gleich schlechten Heilungsaussichten
zu rechnen haben, wenigstens beim Kleinkinde, wie bei solchen nach Masern.
Oskar Heller: Zur Wirkungsweise konzentrierter Säuglingsnahrungen.
Bei der günstigen Wirkungsweise konzentrierter Nahrungen hat die
relative Wasserarraut wohl keinen Nutzen, stellt sogar hohe Anforderungen
an den Organismus, insbesondere durch starke Inanspruchnahme der Konzen¬
trationsfunktion der Niere. Die Konzentration der Nahrung erlaubt es vor
allem, in einem relativ kleinen Nahrungsquantum ein derart grosses Nähr¬
stoffangebot zu reichen, wie es bei den verdünnten Milchmischungen infolge
der natürlichen Begrenztheit der Tagesmenge unmöglich, wie es aber bei
vielen Kindern zur Erzielung guten Gedeihens unumgänglich nötig ist. Wegen
der mit der Verabreichung von zucker-(und fett-)reichen Gemischen in
heissen, schwülen Witterungsperioden verbundenen Gefahren soll die Ver¬
wendung dieser Kostformen nach M o r o vorläufig auf die RUjiik beschränkt
werden.
Georg Stern: Zum Krankheitsbilde der „Athdtose double**.
Genaue Beschreibung eines Falles, der besonders charakterisiert ist
durch die vielfachen Mitbewegungen, die einen ganz eigenartigen taumelnden
Gang hervorrufen. Der Fall gehört zur Lewandowsky sehen Gruppe
der Dystonia lenticularis Thomallas, der auch noch der Ziehen-Oppen¬
heim sehe Torsionsspasmus und die Strümpell-Westphal-Wil-
s o n sehe Pseudosklerose und progressive Lentikulardegeneration angehören.
H. Be um er: Ueber die Verteilung des Cholesterins in einigen Organen
bei Erkrankungen des Säuglings- und Kindesalters. II.
Der Cholesteringehalt der Organe ist (ausser bei nephrotischer Chole-
sterinesterverfettung) nur geringen Schwankungen unterworfen und erfährt
eslbst bei schweren chronischen Ernährungsstörungen nur geringe Senkungen.
Das Cholesterin erweist sich als fester, wenig veränderlicher Bestandteil des
Parenchyms, in nur geringer Abhängigkeit vom allgemeinen Fettstoffwechsel.
Grosse Schwankungen zeigen die Cholesterinester der Nebennieren.
Karl Dietl: Tuberkulinuntersuchungen au tuberkuloseverdächtigen
Kindern.
Warnt vor der übereilten Diagnose eines aktiven tuberkulösen Lungen¬
prozesses, da eine aktive Tuberkulose in vielen Fällen nicht sicher zu
diagnostizieren ist.
Referate. Albert Uffenheimer - München.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 94. Heft 1.
Erich Schiff und A. Bälint: Ueber den Einfluss des Atropins auf
die blutdrucksteigernde Wlrknng des Adrenalins bei Kindern. Ein Beitrag zur
Konstitutionspathologie. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Die Verf. fanden, dass nach Atropinvorbehandlung die blutdrucksteigernde
Wirkung des Adrenalins, wenn auch individuell in verschiedenem Grade,
stets stark abgeschwächt war. Die paralysierende Wirkung ist von der
Menge des verabreichten Atropins in hohem Grade abhängig. Kinder mit
kleinwelligem, leicht unterdrückbarem Puls, welche auf Adrenalin nicht oder |
kaum reagierten, zeigten auch nach Atropinvorbehandlung keine Besonder- I
Digitized by Goüsle
heiten der Adrenalinblutdruckkurve. Bei Kindern, die auf Adrenalin stark
reagierten, blieben diese Erscheinungen (Zittern, Schüttelfrost, Ohnmacht) aus,
wenn vor der Adrenalininjektion Atropin verabreicht wurde. — Nach theo¬
retischen Ueberlegungen glauben die Autoren, dass durch die vorangehende
Atropinisierung das Adrenalin nicht blutdrucksteigernd wirkt, weil durch
Ausschaltung der Myoneuraljunktion der Reiz nicht zum Erfolgsorgan ge¬
langen kann. Das refraktäre Verhalten jener Kinder mit kleinwelligom, leicht
unterdrückbarem Puls beruht nach Ansicht der Verf. nicht allein auf einer
mangelhaften üefässanlage, sondern auch auf einer Minderwertigkeit der
Myoneuraljunktion.
Zoltän V. Bökay: Vorfall und Eversion einer Dünndarmpartie durch
das offene Meckel sehe Divertikulum. (Mitteilung aus der mit dem Pester
Stephanie-Kinderspital in Verbindung stehenden Universitäts-Kinderklinik.
Dir.: Dr. Joh. v. B 6 k a y, o. Prof.) Kasuistische Mitteilung.
Walter Kahn: Ueber die Toieranzgrenze für Traubenzucker im Kindes-
aiter. (Aus der akademischen Kinderklinik Düsseldorf. Dir.: Geh.-Rat Prof.
Dr. S c h I o s s m a n n.)
Als Ergebnis seiner Untersuchungen stellt Verf. fest, dass die Toleranz¬
grenze für Traubenzucker, berechnet pro Kilogramm Körpergewicht, beim
Säugling sehr hoch liegt. Sie liegt durchschnittlich jenseits von 12 g pro Kilo¬
gramm Körpergewicht. Die niedrigsten festgestellten Werte lagen zwischen
6,7 und 11,1 g pro Kilogramm Körpergewicht, die höchsten zwischen 13,5
und 17,2 g. Mit iH Jahren erfolgt ein ziemlich rasches Absinken der Assimi¬
lationsgrenze und beträgt beim älteren Kinde durchschnittlich 3,5 g pro Kilo¬
gramm Körpergewicht.
H. Stheeman: Adynamie und Blutkalkspiegel (die kalziprive Konsti¬
tution). (Aus dem Kinderkrankenhaus im Haag.)
Nach St. ist das E r b - C h v o s t ek sehe Phänomen ein kalziprives
Stigma. Es geht zusammen mit einem subnormalcn bzw. niedrig normalen
Blutkalkspiegel. Ein niedriges Kalkniveau des Blutserums deutet immer auf
vorangegangene Kalkinanition und einen geringen Kalkbestand des Organis¬
mus. Bei einem subnormalcn Blutkalkspiegel kann die Erb sehe Reaktion
ausnahmsweise fehlen. Die Darreichung von Phosphorlebertran scheint dem
Auftreten dieser Erscheinung Vorschub zu leisten. — Ein hoher oder normaler
Kalkspiegel schliesst Kalkarmut nicht aus. Dieser scheinbare Kalkreichtum
wird vorgetäuscht unter anderem bei Rachitis. Es besteht in diesen Fällen
wirkliche Kalkarmut, wenn das Erb-Chvostek sehe Stigma deutlich
vorhanden ist. Der Gebrauch von Phosphorlebertran deckt den wirklichen
Tatbestand auf. Bei Besserung der Retention sinkt der erhöhte Kalkspiegel
zu dem, mit dem wirklichen Kalkbestand des Körpers übereinstimmenden
Wert. Es besteht eine kalziorive Konstitution, d. h. eine erhöhte Bereitschaft
zu Kalkstörungen. Sie ist gekennzeichnet durch das habituelle Auftreten des
Chvostek-Erb sehen Stigmas. Die Erscheinungen des Status calciprivus
sind hauptsächlich Zeichen einer adynainischen Verrichtung in der Sphäre
der trophischen, der Nerven- und Drüsentätigkeit (Verdauungsdrüsen, endo¬
kriner Stoffwechsel und Entwicklunsdrüsen). — Die Kalkstörung ist die Er¬
müdungskrankheit.
P. György: Ueber den Einfluss von akzessorischen Nährstoffen auf
die Zellatmung. (Aus der Heidelberger Kinderklinik.)
György fasst seine Versuche dahin zusammen, dass in den Rahm¬
stoffen, im Presssaft von roten Rüben, Karotten, Rettich, im Extrakt von
Kohl, Salat, Kleie, Hefe, im Autolysat von Salat, Kohl, im alkoholischen
Extrakt von roten Rüben atmungsfördernde Substanzen nachzuweisen sind;
dieselben sind schon in geringen Mengen wirksam und zeichnen sich durch
Thermolabilität aus. Dabei wird auf den Parallelismus mit dem Gehalt der
Ausgangsstoffe an atmungsfördernden Substanzen und an akzessorischen Nähr¬
stoffen hingewiesen.
Literaturbericht, zusammengestellt von A. Niemann - Berlin.
O. Rommel- München.
Vierteljaliresschrlft für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitäts-
wesen. 61. Band. 1. Heft.
Leuchtgasvergiftung im Kriege. Von Irmgard Müller.
Nach einer Zusammenstellung der auf der inneren Abteilung des Rudplf-
Virchow-Krankenhauses zu Berlin in den letzten 10 Jahren beobachteten
Leuchtgasvergiftungen betrugen diese in der Zeit vom 1. VIII. 1909
bis 1. VIII. 1914 im ganzen 69, darunter 33 Selbstmordversuche, und in der
Zeit vom 2. VIII. 1914 bis 1. VIII. 1919 im ganzen 203, darunter 136 Selbst¬
mordversuche. Die Zunahme ist demnach während der Kriegsjahre gegenüber
den Friedensjahreii eine bedeutende und wird die Ursache hierfür vor allem
in der sozialen Not zum Teil zu suchen sein, begünstigt durch die leichte
Beschaffbarkeit des Gases im Vergleich mit anderen zu Selbstmordversuchen
bevorzugten Mitteln. Die Unglücksfälle durch Gasvergiftung haben ihre.
Grund zum Teil in der schlechteren Beschaffenheit der Gasschläuche und
des Gases selbst. Die Abhandlung beschäftigt sich des weiteren mit der.
festzustellenden klinischen Erscheinungen und den zu erhebenden patho¬
logischen Befunden.
Vorzeitige Scbädelverknöcherung, Hlrnschwellung und plötzlicher Tod.
Von Prof. Martin Reichardt. (Aus der psychiatr. Klinik der Universität
Würzburg.)
Verf. kommt in seiner Abhandlung zu dem Schlüsse, dass bei dem sog.
plötzlichen Tod bei vorzeitiger Nahtverknöcherung diese im allgemeinen nicht
als die eigentliche Ursache des Hirndruckes und des Todeseintrittes betrachtet
werden könne. Die eigentliche Ursache des Todes in allen diesen Fällen liege
im Hirn, in der abnormen Hirngrösse oder Hirnenipfindlichkeit, welche
wiederum wahrscheinlich eine Folge gestörten Hirnwachstums sind. Die
gleichen plötzlichen Todesfälle, wie bei vorzeitiger Nahtverknöcherung
kommen, wahrscheinlich sogar noch häufiger, auch ohne Nahtverknöcherung
vor. Es wäre unrichtig, bei Fehlen der vorzeitigen Nahtverknöcherung etwa
einen plötzlichen Hirntod infolge von akutem Hirndruck nicht anzunehmen.
Massgebend sei in erster Linie nicht das Verhalten der Schädelnähte, sondern
die Hirngrösse bzw. das Missverhältnis zwischen Schädelinnenraum und dem,
was er beherbergen muss. Die Wichtigkeit der inneren Sekretion für die
Hirnpathologie dürfe man zwar nicht überschätzen, aber auch nicht unter¬
schätzen und sei bestimmt anzunehmen, dass eine genauere Kenntnis auf
diesem Gebiete, auf dem sich noch ein ausserordentlich weites Arbeitsfeld
eröffne, nicht nur für die.gerichtliche Medizin bezüglich der plötzlichen Todes¬
fälle aus unbekannter Ursache, sondern auch der wissenschaftlichen
Psychiatrie (bzw. der Hirnwissenschaft überhaupt) sehr grossen Nutzen
bringen werde. Man müsse nur in geeigneter Weise untersuchen.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
559
Ein Beitrag zur Kenntnis der Morde durch Stichverletzungen von der
Schelde aus. Von Hubert H a s 1 r e i t e r. (Aus dem gerichtlich-medizinischen
Institut der Universität München.)
Beschreibung eines Mordes an einer 49 jähr. Prostituierten. Von der
Scheide ausgehend, das rechte Scheidengewölbe durchdringend, im wei¬
teren Verlaufe auch zweimal das Gekröse durchsetzend, eine Dünn¬
darmschlinge an 2 Stellen verletzend, fand sich ein Wundkarial. der weiter
sich noch durch die Leber, die rechte Zwerchfeilhälfte, den oberen, rechten
Lungenlappen und den 3. rechten Zwischenrippenraum sich fortsetzend, im
Muskelgewebe endet. Die Länge dieses Wundkanals beträgt 52 cm und
war mit einem stumpfen Instrument von länglicher Beschaffenheit (Spazier¬
stock mit eiserner Spitze) erzeugt.
Ein Fall von Pseudonekrophilie. Von E. Rittershaus - Hamburg-
Friedrichsberg.
Gutachten über einen Fall, bei dem angeblich „Geistesstörung auf
sexueller Basis“ bestehen sollte, die psychiatrische Untersuchung ergab jedoch,
dass es sich nicht um Nekrophilie, sondern um eine chronische Manie
im Sinne G. Spechts handelt, eine Erkrankung, die, wie Rittershaus
sich äussert, in ihrer grossen klinischen und vor allem kriminalpsychologischen
und forensischen Bedeutung sonderbarerweise von manchen Autoren noch nicht
richtig gewürdigt werde, die aber gerade im Kriege überaus häufig deutlich
zutage getreten sei oder zu Konflikten mit der Umgebung geführt habe.
Die gerichtliche Medizin im italienischen Statuarrechte des 13.—16. Jahr¬
hunderts. Von Dr. jur. Gotthold B o h n e -Leipzig.
Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin im Mittelalter.
Sind die Klagen und Belfirchtungen der Bevölkerung über gesundheits¬
schädliche Wirkungen einer fettarmen Nahrung gerechtfertigt und wie werden
solche etwaige Schäden verhütet. Von Dr. Frz. N a p k e in Zeven. Bz.
Bremen.
Verf. konnte feststellen, dass als gesundheitsschädliche Wirkung einer
fettarmen Nahrung unter gewissen Bedingungen Unterernährung auftreten
könne, aber nur dann, wenn gleichzeitig die Gesamtmenge der Nahrung, die
dem Körper zugeführt werde, eine nicht genügende sei. Die Ursache sei nicht
die Fettarmut an sich, sondern eine leichter als bei normal gemischter Kost
mögliche, nicht ausreichende Zufuhr von Nahrungsmitteln überhaupt. Bei
körperlich schwer arbeitenden Personen, bei Schwan¬
geren, jungen Müttern, älteren Personen, bei verschieden¬
artigen Krankheiten, bei Tuberkulosegefährdeten oder
-erkrankten könne fettarme Nahrung leichter schäd¬
liche Wirkungen hervorrufen als bei Gesunden. Als gesundheitsschäd¬
liche Wirkung von fettarmer Nahrung infolge der zum Ersgtz des Fettes
nötigen grossen Zufuhr von Vegetabilien seien eine Zunahme der Sekretions¬
störungen des Magens und im geringen Grade auch eine Zunahme des
Magen- und Zwölffingerdarmgeschwürs und -krebses, die Magenerweiterung
und -erschlaffung und gröberer Motilitätsstörungen eingetreten.
Zur Verhütung dieser gesundheitsschädlichen Wirkungen empfehle sich
das Volumen der vegetabilischen Nahrung herabzusetzen, die starken Gärungs¬
prozesse zu vermeiden und gleichzeitig die aufnahmefähige Kalorienzahl wo¬
möglich nach zu erhöhen.
Hygienische Beurteilung farbstoffhaltigen Fleisches. Von M. Reuter,
Bezirkstierarzt in Nürnberg. Schluss folgt.
Ueber Kohlenoxydgasvergiftung.ln einer Giesserel. Von Prof. Dr. O. Gros
und Dr. M. K o c h m a n. (Aus dem pharmakologischen Institut in Halle a. S.)
Gutachtliche Aeusserung über die Frage, ob der Tod eines Arbeiters,
der in einer Giesserei erkrankte, 2 Tage nachher starb und bei dessen
Sektion Kohlenoxyd im Blute nachzuweisen war, als ein Betriebsunfall aufzu¬
fassen sei. Die Frage wurde bejaht.
Verhandlungen der X. Tagung der deutschen Gesellschaft für gerichtliche
Medizin:
Nippe- Greifswald berichtet über das Reichs -(Militär-)Ver
sorgungsgesetz vom 21. Mai 1920.
F. Strassmann -Berlin: Ueber die Notwendigkeit polizeilicher Sek¬
tionen.
Er empfiehlt den Erlass eines Gesetzes, das solche Sektionen anordnet,
nicht behufs Erkennung beginnender Epidemien, sondern auch bei Unglücks-
fällen (tödliche elektrische Unfälle u. dgl.).
Derselbe über die Beobachtung der Präzipitinreaktion im hängenden
Tropfen.
Derselbe über Unterscheidung von Haut-Eln- und Ausschüssen, die
aus dem Fehlen von Kleidungsfasern bzw. aus dem Tuchfaserbefunde möglich
sei. Es genüge ein Zerzupfen des Gewebes um eine Schusswunde in Wasser
oder Glyzerin oder die Vornahme von mikroskopischen Schnitten nach Paraffin¬
einbettung.
Z i e m k e - Kiel über die Blutbesudelung des Täters bei Tötung durch
Halsschnitt.
Derselbe über Erkennung des verletzenden Werkzeuges aus Schädel¬
wunden. Ein Beitrag zur kriminellen Leichenzerstückelung.
R e u t e r - Hamburg: Ueber Abtreibung Im frühesten Schwangerschafts¬
stadium. Beschreibung eines Obduktionsbefundes.
Lochte- Göttingen über Psychologie des Giftmordes.
Erörterung über Seelenbeschaffenheit des Qiftmörders, die seelischen Zu¬
stände und Eigenschaften desselben, die ihn zur Ausführung der Tat be¬
stimmen und seinen Willen in Bezug auf Ziel und Vollendung des Ver¬
brechens beeinflussten.
Müller-Hess -Königsberg i. Pr. über Dauer der Invalidität bei
psychischen Erkrankungen.
Puppe- Königsberg über Gegenseitige Anziehung und Beeinflussung
geistig abnormer Persönlichkeiten.
Mitteilung einer Reihe von Beobachtungen über diesen Gegenstand wie
Beziehungen zwischen Psychopathen und Schwachsinnigen, Psychopath und
Paralytiker, Psychopathen unter sich. Verschrobene. S p a e t.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 17.
E. Melchior und K. A. L a q u a - Breslau: Dorsale Druckpunkte und
die Diagnose des Ulcus ventrlcnll.
Da die Angaben der Autoren über den diagnostischen Wert dieses Sym¬
ptoms weit auseinanderlaufen, haben die Verfasser neuerdings an 29 Patienten
— sämtliche operativ kontrolliert — fortlaufende Untersuchungen über das
genannte Zeichen angestellt mit dem Ergebnis, dass bei Vermeidung leder
suggestiven Beeinflussung sämtliche Patienten einen positiven Befund derart
vermissen Hessen. Die Praxis verzichtet daher besser auf die Verwertung
dieses unsicheren Zeichens.
G. Ü r e h m a n n - Breslau: Zur Operation der habituellen Verrenkung
der Kniescheibe.
Die angegebene Methode bezweckt, die Muskelwirkung des inneren
Quadrizepskopfes zu verstärken und ein unnachgiebiges Haiteband an der
Innenseite des Kniestreckapparates herzustellen. Verf. verwendet dabei in
gewisser Weise den Muse, gracilis.
E. M o s 1 e r - Berlin: Klinische Betrachtungen zur Negativität der T-
Schwankung Im Elektrokardiogramm.
Verf. hat bei mehr als 300 Fällen die verschiedenen Modifikationen der
negativen T-Schwankungen nachgesehen und hinsichtlich des klinischen Ver¬
laufes weiter verfolgt. Es erwies sich, dass eib auffallend hoher Prozentsatz
solcher Fälle in der Zwischenzeit mit Tod abgegangen war. Besonders schwer
sind prognostisch jene Fälle zu bewerten, die Koronarsklerosen und essentielle
Hypertonie betreffen und in beiden Ableitungen eine Negativität aufweisen.
Verf. schliesst sich der Meinung der Autoren an, welche in der T-Schwankung
einen Zusammenhang mit der Kontraktion erblicken, resp. deren Ende. Thera¬
peutisch gelang es nicht, ein negatives T in ein positives zu verwandeln. Aus
der Positivität von T darf nicht auf einen gut funktionierenden Herzmuskel
geschlossen werden, aus der Negativität mit grösserer Wahrscheinlichkeit auf
einen schlecht funktionierenden.
H. C. Frenkel-Tissot-Sk Moritz: Ueber familiäre Schielmneurose
des Magens auf dem Boden der Vagotonie.
In den mitgeteilten Fällen handelte es sich um die genannte Affektion bei
zwei etwa gleichaltrigen Schwestern und einer Tochter der einen, z. T. in
der Kindheit entstanden, eigentümlicherweise nur die Frauen befallend.
Organische Magenleiden standen klinisch im Vordergrund. Wieweit die
letzteren ebenfalls von der gemeinschaftlichen Disposition der Vagotonie ab-
hängen, ist Sache der Auffassung.
G. 0. E. L i g n a c-Leiden: Kann die pathologische Schläfrigkeit auch
als Herdsymptom aufgefasst werden?
Verf. wurde durch die klinische und pathologisch-anatomische Beob¬
achtung einer Thalaniusgeschwulst zu dieser Fragestellung veranlasst. Wieder¬
gabe der Krankengeschichte und des Sektionsbefundes des betreffenden Falles.
Verf. ist geneigt, obige Frage zu bejahen und findet eine Stütze für diese An¬
sicht auch in den Befunden bei Encephalitis lethargica. Bezüglich der Wür¬
digung der Somnolenz als typisches Symptom bei Gehirnkrankheiten wäre zu
ergründen, inwiefern einer oder die beiden Thalami optici dabei beteiligt sein
müssen. Man muss auch imstande sein, die Somnolenz als Folge einer Ver¬
giftung der Grosshirnrinde oder als Folge allgemeiner intrakranieller Druck-
erhöhuhg auszuschliessen.
Herrn. Kotz- Köln: Ueber die Influenzabazillenmeningitis der Säuglinge
und Kleinkinder.
In 2 Fällen wird der Nachweis erbracht, dass Pfeiffer sehe Bazillen
in Reinkultur in den Gehirnhäuten als Eitererreger auftreten, ihr weiteres
Vorkommen in der Milz, sowie der Krankheitsverlauf deuten auf hämatogene
Aussaat. Die Influenza der Säuglinge und Kleinkinder kann unter dem Bilde
schwerster Sepsis verlaufen.
J. Keppich: Künstliche Erzeugung von chronischen Magengeschwüren
mittelst Eingriffen am Magenvagus.
Vergl. kurze Inhaltangabe S. 188 der M.m.W. 1921.
E. G e r d e c k - Hamburg: Zur F r i e d m a n n sehen Tuberkulose-
behandiung.
Verf. hat nach den Vorschriften Fried manns 500 Kranke ambulant be¬
handelt, unter Zuhilfenahme des Röntgenverfahrens. Auf Grund dieser Er¬
fahrungen spricht sich der — inzwischen verstorbene — Verf. enthusiastisch
für das Mittel aus und verlangt eine ausgedehnte Einführung des Verfahrens
in Deutschland.
H. Bernhardt - Lichtenberg: Kritische Bemerkungen zur Tauglichkeit
des R o h r e r sehen Indexes für die Auswahl der Kinder zur Guäkerspelsung.
Verf. beanstandet auf Grund seiner Beobachtungen die praktische Brauch¬
barkeit dieses Index, der in manchen Fällen „falsche Hinweise“ liefert. Es
ist wichtig, die ärztliche Gesamtbeurteilung den Ausschlag geben zu lassen.
E. Seligmann: Bericht über die Tätigkeit der Fürsorgeschwestern
des Medizinalamts der Stadt Berlin im Jahre 1920.
Nicht zum Auszug geeignet. Bezüglich der Frage, ob langdauernde Schul¬
ferien eine Verminderung der Häufigkeit von Diphtherieerkrankungen mit sich
bringen, konnte Verf. beobachten, dass dies nicht der Fall ist. Die zufällig
in die Zeit der meisten Diphtheriefälle eingeschobenen „Kohlenferien“ brachten
keine Veränderungen gegenüber den früheren Jahren mit sich.
Orassmann - München.
Oesteneichisebe Literatur.
Wiener klbilsche Wochenschrift.
Nr. 15. K. Co ri-Wien: Ueber die Wirkung Intravenös verabreichter
Traubenzucker- und Gummi arabicum-Lösung auf die Diurese.
Die hypertonische Traubenzuckerlösung bewirkt beim Hund eine wasser¬
reiche Chlorausschwemmung auf etwa 24 Stunden; gleichzeitig wird die
Resorption und Exkretion vom Magen aus eingeführter Salze beschleunigt.
Beim Menschen tritt diese diuretische Wirkung nicht ein. Eine 7 proz.
Gummilösung (intravenös) vermindert die Zuckerausscheidung des Diabetikers
und die Harnmenge, beim Hunde steigert sie etwas die Diurese ohne Chlor-,
ausschwemmung.
Wagner-Jauregg - Wien: Die Behandlung der progressiven Para¬
lyse und Tabes
Fortbildungsvortrag. Gute Erfolge mit Tuberkulin, Typhusvakzine und
besonders auch mit Malariaimpfungen, bei gleichzeitiger Quecksilber- oder
Salvarsananwendung.
J. Kyrie- Wien: Ueber Lumbalpunktion. Fortbildungsvortrag.
Th. Bar Sony: Schmerzen ln den Morgenstunden bei Nieren- und
Uretersteinen.
Wie die Schmerzen bei Gallensteinen, Pylorusstenose, Duodenalge¬
schwüren öfters typisch um Mitternacht, so treten sie bei Nieren- und
Ureterensteinen in manchen Fällen vorzugsweise früh morgens auf, was
für die Diagnose Beachtung verdient.
O. Sachs: Zur Behandlung der Zystopyelltls.
Frage der Formaldehydwirkung des Neosalvarsans bei Zystopyelitis.
Digitized by Go - sie
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
560
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Z. Ernst und St. We iss-Pest: Zur B a n x sehen Mlkroblutzucker-
bestlmmnns. Abmessen des Blutes ohne Torsionswaxe.
F. Hamburger - Graz: Das Perkussionsphänomen, seine physikalische
und diagnostische Bedeutunx.
Bemerkungen zu Abels Aufsatz in Nr. 7/8.
H. Abel: Erwiderung.
Nr. 16. R. M a r e s c h - Wien: lieber das Vorkommen nenromartlger
Bildungen ln obUterlerten Wurmfortsätzen.
Analog den Befunden S t ö r k s in einer Magengeschwürsnarbe (s. Nr. 10)
beschreibt M. Neurombildungen bei 7 Fällen von verödetem Wurmfortsatz.
G. Riehl-Wien: Radiumtherapie.
Fortbildungsvortrae.
V. Pranter - Wien: lieber eine kombinierte Behandlnngsmethode mit
Zucker und Salvarsan (Steyskal-Pranter).
P. wandte zuerst Zucker- und Salvarsanlösungen getrennt an und ging
zuletzt zu Salvarsan-Zuckerlösungen über, wobei sich zeigte, dass diese halt¬
barer als die einfadien wässerigen Lösungen des Salvarsans sind, lieber
die therapeutischen Erfolge berichtet P. Günstiges.
O. Sachs-Wien: Behandlung der Psoriasis vulgaris mit intravenösen
Injektionen einer 20proz. sterilen Natrium salicyllcum-Lösung.
S. verwandte Dosen von 10—20 ccm der 20 proz. Lösung phenolfreien
Natr. salicylicum, von dem durchschnittlich 21—28 g verabreicht wurden (in
Abständen von 2—3 Tagen). Zur Behandlung eignen sich nur frische Fälle,
bei diesen kamen ohne äussere Behandlung in verhältnismässig kurzer Zeit
die Erscheinungen zum Schwinden.
H. S a 1 0 m 0 n - Wien: lieber die therapeutläche Verwertung der
’Azidosis im Diabetes.
K. Csepai-Pest: Die Wirkung des Papaverins auf die Adrenailnblut-
drucksteigerunx beim Menschen.
Das Papaverin, das in Tierversuchen die Adrenalinbiutdrucksteigerung
aufhebt, bewirkt beim Menschen im Gegenteil meist eine Erhöhung dieser
Blutdrucksteigerung. B e r g e a t - München.
Wiener Archiv für innere Medizin. II. Band. 2. Heft.
K. Hitzenberger und M. Richter-Quittner -Wien: Ein
Beitrag zum Stoffwechsel bei der vaskulären Hypertonie.
Die Angabe Neubauers, dass bei vaskulärer Hypertonie der Blut¬
zucker regelmässig erhöht ist, wird bestätigt. Dieselbe ist im Gegensatz zum
Diabetes unabhängig von der Ernährung, die Zuckerassimilation ist fast immer
ganz, normal. Ferner findet sich sehr häufig auch ein erhöhter Harnsäure-
spiegel des Blutes, wobei aber prompte Harnsäureausscheidung nach purin-
reicher Nahrung erfolgt. Möglicherweise beruht der Komplex: Hypertonie.
Hyperglykämie und Hyperurikämie auf vermehrter Adrenalinsekretion.
M. Richter-Quittner - Wien: lieber die Verteilung des Kalkes auf
Blutkörperchen und Plasma, zugleich ein Beitrag über das Verhalten des Blut¬
kalkes nach Kaiklütterung.
Für Blutkalkbestimmungen eignet sich nur durch Hirudin ungerinnbar
gemachtes Blut. Die Blutkörperchen des Menschen und aller untersuchten
Tiere (ausser der Gans) sind, auch in pathologischen Verhältnissen, frei von
Kalzium. Durch perorale Kalkzufuhr wird der gesamte Kalkgehalt des Blutes
wie der Gehalt freien Kalziums im Blut sehr vermehrt und es tritt Kalzium in
die Blutkörperchen ein.
R. Löwy und H. Dimmel-Wien: lieber infektiöse Reizungen des
Knochenmarks.
Bei schweren septischen Infektionen kann es zu leukämie- und perniziosa¬
ähnlichen Blutveränderungen, auch zu hochgradiger Mononukleose kommen
infolge konstitutionell verschiedener Reaktionsweise des hämatopoetischen
Systems. Bei chronischer Malaria finden sich Uebergänge vom Myeloblasten
bis zu den Mononnkleären; diese haben deshalb als Abkömmlinge des
Knochenmarks zu gelten.
M. Leist und O. W e 11 m a n n - Wien: Zur Pathologie der Magen¬
sekretion.
Empfehlung der Nüchternsondierung des Magens durch die Einhorn-
B 0 n d i sehe Sonde, wodurch in Ergänzung des Probefrühstücks die Sekre¬
tionsverhältnisse (Hyperazidität. Anazidität, Achylie — z. B. auch bei kontra¬
indizierter Schlundsonde — oft in wertvoller Weise geklärt werden. Bei
hydropischen Prozessen wird auffallend oft Sub- und Anazidität gefunden,
vielleicht infolge Chlorretention im Gewebe.
0. A. R ö s s I e r - Graz: Das Blutbild und die Blutplättchen unter dem
Einfluss intravenös Injizierten Kalziums.
Intravenöse Kalziuminjektion bewirkt eine 6—18 proz. Zunahme der
polynukleären neutrophilen Leukozyten zu ungunsten der Lymphozyten ohne
oder mit geringer Qesamtvermehrung der Leukozyten für mehrere Stunden,
daneben eine Verminderung der Blutplättchen bis auf ein Drittel, Abkürzung
der Gerinnungszeit.
E. Antonius und A. C z e p a - Wien: lieber die Bedeutung Infektiöser
Prozesse an den Zahnwurzeln für die Entstehung Innerer Krankheiten. j
Systematische Röntgenuntersuchungen ergaben bei infektiösen inneren |
Krankheiten als einen ganz auffallend häufigen Befund okkulte Infektionsherde
an den Zahnwurzeln, welche wie die chronische Tonsillitis für die Entstehung
gewisser innerer Krankheiten (Nephritis, Endokarditis, Gelenk- und Muskel¬
rheumatismus, Neuralgien) von wesentlicher Bedeutung zu sein scheinen.
O. Klein- Prag: lieber Polyneurltis nach Grippe.
Bergeat - München.
Französische Literatur.
Weckers: Die innere Behandlung der glaukomatösen Drucksteigerung.
(Archives d’Ophthalmologie. Bd. XXXVII. N. 5. 1920.)
Kalziumchlorür hemmt die Drucksteigernug und das entzündliche Oedem,
welche am Kaninchenauge durch Instillation von Abrin und Senföl hervorge¬
rufen werden. Ausgehend von dieser Erfahrung hat Weckers Versuche
am menschlichen Glaukom unternommen. Er verabreichte während mehrerer
Wochen täglich 3 g CaCls und konnte in mehreren Fällen meist vorüber¬
gehende Drucksenkungen hervorrufen.
R. Bensaude: Indikationen. Technik und Erklärung der Biopsie bei
den Tumoren des Rektums. (Journal de Chirurgie. Bd. XII. N. 3. S. 211.
1921.)
Empfehlung der ^obeexzision unter Anwendung des Rektoskopes bei
Rektaltumoren. Sehr instruktive Abbildungen der verschiedenen Befunde.
Chassard und M o r d n a s: Beitrag zur Radiologie der subphreni¬
schen Abszesse. (Journal de Radiologie et d'Electrologie. Bd. IV. 1920
Nr. 3. S. 107.)
Die Autoren unterscheiden: 1. Einfacher subphrenischer Abszess.
2. Abszess mit reichlich Eiter und wenig Gas. 3. Abszess mit reichlich Gas
und wenig Eiter. Röntgenologische Symptome des rechtseitigen subphreni¬
schen Abszesses: Hochgedrängtes und unbewegliches Zwerchfell rechterseits.
Bei vorhandenem Gas Gasblase zwischen Zwerchfell und Leber. Abhebelung
des rechten Leberlappens nach unten. Leichte Verschattung des rechten
Lungenfeldes. Anführung eines instruktiven Falles.
W. Silberschmidt und E. Schoch: Beitrag zum Studium der
antagonistischen Mikroben der Milzbrandinfektion. (Annales de Tlnslitut
Pasteur. H. 10. 1920. S. 669.)
Der Bazillus Friedländer, zu gleicher Zeit mit dem Milzbrandbazillus
injiziert, übt auf den letzteren eine antagonistische Wirkung aus und verniag
das Versuchstier zu retten. (Meerschweinchen.) Bei der Autopsie des derart
behandelten Meerschweinchens findet sich der Bacillus anthracis nicht mehr.
Typhusbazillen üben gleiche antagonistische Wirkung aus, aber nicht nur bei
Meerschweinchen, sondern auch bei Mäusen und Kaninchen. Ebenso verhält
sich der Kolibazillus. Paratyphus B hingegen zeigt derartige Wirkung nicht,
hingegen kommt sie dem Pyozyaneus zu. Der Antagonismus macht sich be¬
sonders geltend bei gleichzeitiger Inokulation. Beträgt das Intervall 8 Stun¬
den, so tritt er nicht ein. Ferner ist er nur zu beobachten bei lebenden
Kulturen. Die Vorgänge in vivo und in vitro sind nach Versuchen der
Verfasser nicht gleichzusetzen.
F. Widal, P. Abrami und N. lancovesco: Die Verdauung»-
Hämoklasle-Probe beim Studium der Leberinsuffizlenz. (Presse mödicale.
N. 91. 1920. S. 893.)
Bei Eiweissnahrung passieren unvollständig abgebaute Eiweisskörper die
Darmwand und werden von der Leber zurückgehalten (proteopexische Funk¬
tion der Leber). Bei Versagen dieser Funktion gelangen diese Körper in den
allgemeinen Kreislauf und rufen die sog. „hämoklasische Krise“ hervor, eine
Störung des kolloidalen Gleichgewichtszustandes, welche sich vorwiegend in
Blutdrucksenkung. Leukozytensturz und Veränderungen der Blutgerinnbarkeit
äussern. Der Beweis der proteopexischen Leberfanktion kann geleistet wer¬
den durch Vereinigung der Vena cava inf. mit der Vena portarum oder
durch Injektion von Pfortaderblut während der Verdauung in den allgemeinen
Kreislauf. Die Probemahlzeit, welche zu der neuen Leberfunktionsprüfung
benötigt wird, besteht in der Verabreichung von 200 ccm Milch. Dieselbe
muss in nüchternem Zustand verabreicht werden. Hernach genügt fortge-
gesetzte Kontrolle der Leukozytenzahl. Leukopenie kündigt die Krise an.
Blutdrucksenkurig ist weniger konstant. Von 39 Fällen verschiedener Leber¬
erkrankungen reagierten 38 positiv. In der Rekonvaleszenz blieb sie länger
bestehen als Ikterus und Urobilinurie. Konstant trat sie auf nach Salvarsan-
verabreichung. Ferner wurde sie beobachtet nach Chloroform-, Aetherein-
wirkung, Scharlach, Typhus, Pneumonie, Tuberkulose, Appendizitis, Chole-
lithiasis. Sie war negativ bei Hämophilie, positiv bei Purpura, Diabetes
mellitus. Bei Diabetes mellitus rief auch Einverleibung von 20 g Dextrose
eine Krise hervor. Positive Reaktion bei hochgradiger Azotämie, Alkoholis¬
mus. Negative Reaktion bei Amöbendysenterie selbst mit Leberabszess.
Die Substanz, welche die Krise erzeugt, ist keine Aminosäure. Ein¬
maliges Ueberstehen des Schocks ruft kurzdauernde Immunität hervor. Wahr¬
scheinlich handelt es sich um Albumosen ifnd Peptone, welche in den Kreis¬
lauf gelangen.
A. Besredka: Infektion und Vakzination durch die Trachea. (Annales
de rinstitut Pasteur. Bd. XXXIV. N. 6. 1920.)
Injektion von Tuberkelbazillen in die Trachea ruft eine Antikörper¬
produktion hervor, welche stärker ist als die mit allen anderen Methoden
erzeugte.
G. P o u c h e t: Pharmakodynamische Studie über Allyltheobromln. (Ga¬
zette des höpitaux. Bd. 18. N. 99.)
Allyltheobromin, Theobryl genannt, ist ein lösliches Theobrominpräparat,
das sich zur subkutanen, intramuskulären und intravenösen Injektion eignet.
Es besitzt gleiche Indikationen und Gegenindikationen, wie das Theobromin,
hat ausgezeichnete diuretische Wirkung und exzitiert ausserdem das zentrale
Nervensystem, insbesondere das Atemzentrum.
Widal. Abrami und Brissaud: Allgetnelne Betrachtungen über
die Proteinotherapie und die Behandlung durch kolloldoklaslschen Schock.
(Presse mädicale. N. 19. 1921. S. 181.)
Betrachtung über die Wirkung artfremder Eiweissinjektion. Die Autoren
haben schon früher den Nachweis erbracht, dass bei parenteraler Einver¬
leibung artfremden Eiweisses eine Störung im kolloidalen Gleichgewichts¬
zustand eine grosse Rolle spielt (Kolloidoklasie). Die Proteinotherapie muss
als „Kolloidotherapie" bezeichnet werden. Nicht die Eiweissnatur, sondern
der kolloidale Zustand entscheidet. Die Proteinotherapie ruft bei einer be¬
stimmten Gruppe von Krankheiten, welche mit Störungen des kolloidalen
Gleichgewichtszustandes einhergehen, eine Aequilibrlerung desselben hervor
(Hämophilie, Hämoglobinurie, Schockzustände). Bei den Infektionskrank¬
heiten hingegen versucht man mit dieser Therapie geradezu einen heilsamen
Schock zu erzeugen. So können die Erfolge erklärt werden, welche die
Serotherapie bei der paroxysmalen Hämoglobinurie, der Hämophilie, der
chronischen Purpura zeitigt. Dabei geht die klinische Heilung nicht immer
parallel mit dem völligen Verschwinden der pathologischen humoralen Vor¬
gänge. Auch die Erzeugung der Antianaphylaxie wird von den Autoren auf
kolloidale Vorgänge zurückgeführt und ihr spezifischer Charakter bestritten.
So gelang es beispielsweise sogar durch Einverleibung kleiner Peptonmengen
per OS eine Stunde vor der Mahlzeit Fälle von Urtikaria, Asthma bronchiale.
Migräne beschwerdefrei zu machen. Selbst kristallinische Substanzen können
die „kolloidoklasischen“ Schockzustände verhindern, so die intravenöse Appli¬
kation von Kochsalz- und Natriumkarbonatlösung bei Asthma und Urtikaria.
Wird ein Schock absichtlich herbeigeführt, so kann auch hier durch Aenderung
'des kolloidalen Zustandes heilend gewirkt werden (Typhus, septische Zu¬
stände).
A. CJerc und Pezzi: Adrenalin und Chinin und Ihr Antagonismus.
(Journal de Physiologie et de Pathologie gindrale. Bd. 18. N. 6. 1920. S. 1176.)
Zwischen Adrenalin und Chinin besteht ein gewisser Antagonismus.
Adrenalin erregt, Chinin lähmt das Vaguszentrum. Diese gegensätzliche Wir¬
kung tritt in der Beeinflussung des Herzens zutage, wie auch in der Blut¬
druckbeeinflussung. Beim Chinin handelt es sich bezüglich seiner deprimieren¬
den und verlangsamenden Beeinflussung um rein zentrale Wirkung, während
Digitized by
J
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
561
das Adrenalin zentral und peripher angreift. Das Chinin kann indessen
besonders auf die Nierengefässe auch peripher konstringierend einwirken.
R a t h e r y und Bordet: Das unstillbare Erbrechen der Schwangeren
und seine Behandlnng mit Adrenalin. (Annales de m^decine. 1920. Bd. VIII.
N. 2.)
Ausgezeichnete Erfolge durch Verabreichung von Adrenalin (1 mg in
starker Verdünnung) intern und subkutan verabreicht. Das unstillbare Er¬
brechen wird bei mehrtägiger Behandlung vollständig zum Stillstand gebracht
und macht einem ausgezeichneten Wohlbefinden Platz.
Riser: Die W a sser ma nn sehe Reaktion In den Transsudaten
bei Syphilitikern. (Annales de Dermatologie et de la Syphiligraphie. 6. S6rie.
Bd. 10. Okt. 1920.)
Verf. fand mehrfach bei Syphilitikern mit positiver Wassermann-
scher Reaktion im Blute die Reaktion auch positiv in entzündlichen pleuralen
Ergüssen und in Transsudaten, sowie in der Oedemflüssigkeit, wobei es sich
hach mehreren autoptischen Feststellungen nicht etwa um syphilitische Affek¬
tionen der Pleura handelte. In einem Falle von pleuralem Erguss wurde die
Reaktion nur im Blute positiv vorgefunden.
Chat eil ier: Erythromdlalgie. — Adrenalin. (Ann'ales de Dermato¬
logie et de Ssrphiligraphie. Bd. I. S. 6. N. 5. 1920.)
Rasches Verschwinden sämtlicher Erscheinungen in einem ausgeprägten
Fall von Erythronielalgie nach subkutaner Verabreichung von K ccm Adrenalin.
_;_ L i e b m a n n.
Vereins- und Kongressberichte.
XXXIII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für innere
Medizin
in Wiesbaden vom 18.—21. April 1921.
(Berichterstatter: Dresel- Berlin.)
1. Sitzung: G. Klemperer -Berlin: Eröffnungsrede.
Referate über die Behandlung der Lungentuberkulose.
L. Ascho ff -Freiburg: Ueber die natürlichen Aushellungsvorgänge der
Lungenphtbise.
Der Vortragende geht zunächst auf die neueren Einteilungen der Lungen¬
phthise ein, wie sie von Eugen A 1 b r e c h t und Albert Fraenkel, später
von Nicol, vorgeschlagen worden sind. Es wird die Notwendigkeit einer
pathogenetischen Einteilung betont, die neben der Lokalisation auch die
Qualität der Reaktionsprozesse berücksichtigt. Eine gründliche Kenntnis der
Anatomie der Lunge ist daher notwendige Voraussetzung. Auf diese wird
zunächst genauer eingegangen. In dem eingehend beschriebenen Lungen¬
azinus siedeln sich alle aerogen entstandenen Infektionen, so auch die
Phthise, an. Die hierselbst lokalisierten phthisischen defensiven Prozesse
verlaufen als produktive und exsudative Reaktionen. Dies ergibt eine natür¬
liche Einteilung der Lungenphthise in vorwiegend produktive und’vor¬
wiegend exsudative. Die erstere Form muss in die drei Untergruppen:
azinös-produktive, azinös-nodöse und zirrhotische
Phthise zerfallen. Unter den exsudativen Phthisen unterscheidet man die
azinös-exsudative und die lobulär- und lobär-exsnda-
t i V e bzw. käsige Phthise. An die defensiven Reaktionsprozesse
schliessen sich die reparativen oder sog. Ausheilungsprozesse an, 'deren
Charakter für die produktiven und exsudativen eingehend besprochen wird.
Die verschiedenen Reparationsvorgänge können durch Erweichung der ver¬
kästen Massen gefährliche Komplikationen erfahren. Daraus entwickelt sich
dann die ulzerös-kavernöse Phthise, die, sobald sie klinisch nachweisbar,
mit wenigen Ausnahmen unheilbar ist. Für die Ausheilbarkeit der Phthise
spielt daher die Frage eine grosse Rolle, warum einmal die und einmal andere
Reparationsvorgänge einsetzen. Sie sind abhängig von dem Allgemein¬
zustande und von den lokalen Lungenveränderungen. Vortragender be¬
spricht dann eingehend die Frage, ob in dem Ablauf der Phthise selbst
Schwankungen der Reaktionsfähigkeit des Organismus im Sinne allergischer
Zustände auch anatomisch belert werden können. In diesem Punkte schliesst
sich Vortr. auf Orund eigener Untersuchungen im wesentlichen den Anschau¬
ungen K. E. Rankes an. Wir haben je nach der Art des allergischen Zustandes
den Primäraffekt im Säuglings- und Kindesalter, sowie die generalisierende
Phthise des kindlichen und des Pubertätsalters von der mehr lokalisierten
Phthise des Erwachsenen mit seiner relativen Immunität zu trennen. Not¬
wendig ist die strenge Unterscheidung des Primäraffektes von dem Reinfekt.
Entstehung und Ausheilungsform der verschiedenen Formen werden be¬
sprochen. Aufgabe der Zukunft ist es. eine genauere Gliederung der so
verbreiteten phthisischen Erkrankungen nach Primär- und Reinfektion vorzu¬
nehmen. Beide zeigen auffallend hohe Heilungsziffern und so erhebt sich die
Frage, warum in anderen Fällen daraus fortschreitende Phthisen sich ent¬
wickeln. Sitz des Primäraffektes wie des Reinfekts ist dafür gleichgültig,
wie eingehende Untersuchungen ergeben haben. Die Druckwirkung der oberen
Apertur kann nur ein leichteres Haften eines Infektes bewirken, entscheidet
aber nicht über das Schicksal des Kranken. Das Wichtigste bleibt der Cha¬
rakter der sich entwickelnden Phthise für die weitere Prognose und so
kommt Vortr. zu den Schlusssätzen: Nicht so sehr der Sitz der Primär-
und Reinfekte noch die Ausbreitung der sich aus ihnen entwickelnden
Prozesse, sondern der Charakter derselben, ob produktiv oder exsudativ,
ob proliferierend oder indurierend, ob mit oder ohne Erweichung und
Höhlenbildung verlaufend, entscheidet über die klinische Heilbarkeit der
Lungenphthise. Schliesslich plädiert Vortr. dafür, man solle das Wort
„Tuberkulose“ wieder durch das alte Wort „Phthise“ ersetzen und bespricht
ganz kurz die Schlüsse, die sich aus der pathologischen Anatomie der Phthise
auf die Art der Therapie ergeben müssen.
„ Uh len hu tli-Berlin-Dahlem: U^er die experimentellen Grundlagen
der Tttberkulosetheraple.
Koch hat schon bald nach Entdeckung des Tuberkelbazillus therapeu¬
tische Wege gesucht. Zunächst probierte er im Reagenzglas verschiedene
chemische Verbindungen aus, doch all diese erwiesen sich als unwirksam
im Tierexperiment. Er ging dann zu den Versuchen über, die sich an den
klassischen Meerschweinchenversuch anschliessen. Hieraus entstand das
Alttubetkulin. Beim Meerschweinchen ist ein Heilungsprozess durch Alt¬
tuberkulin nicht zu erreichen, wie eingehende Untersuchungen des Vortr.
ergeben haben. Vortr. geht dann auf die anderen Tuberkuline Kochs ein.
Dieser will mit verschiedenen Präparaten Immunisierungen an Tieren erzielt
haben, Protokolle finden sich aber nirgends und einer Nachprüfung haben
die Angaben nicht standhalten können. Anders verhält es sich beim Menschen,
da bei diesem sicher Heilungsvorgänge durch Tuberkuline beobachtet sind.
Das Meerschweinchen und Kaninchen sind eben keine geeigneten Versuchs¬
tiere für die Tuberkulose. Da Rinder kaum herangezogen werden können,
muss gewissermassen der Mensch selbst als Versuchstier dienen. Beim
Menschen werden zum mindesten toxische Prozesse günstig beeinflusst. Wir
haben aber keinen Beweis dafür, dass jemals eine Immunisierung des Men¬
schen erreicht worden ist. Die Heilwirkung beruht also nicht auf Immuni¬
sierung, sondern zum grossen Teil auf der Herdreaktion mit seiner Hyperämie.
Auch mit den Deycke-Much sehen Partigenen ist eine Immunisierung Im
Tierversuch bisher keinesfalls bewiesen. Im übrigen steht Vortr. auf dem
Standpunkt, dass es Fettantikörper nicht gibt. Alle diese Gründe lassen
Vortr. zu einer Ablehnung des Deycke-Much sehen Verfahrens kommen,
da es keinerlei Vorteile gegenüber den Koch sehen Präparaten bietet. Vortr.
kommt dann auf die Frage der Schutzimpfung mit lebenden Bazillen zu
sprechen. Diese hat ergeben, dass es eine relative Immunität gibt.
Solange die Krankheit besteht, scheint eine gewisse Immunität vorhanden
zu sein, die aber mit der Ausheilung verschwindet ähnlich wie es bei der
Syphilis der Fall ist. Ueber Heilversuche mit artgleichen Bazillen bei Rindern
und Menschen liegen uns sehr spärliche Befunde vor. Sie bedürfen dringend
der Nachprüfung und sind für den Menschen sicher zu gefährlich. Anders
verhüt es sich mit abgeschwächten Bazillen, mit denen z. B. Calmette
eine sichere Immunisierung der Rinder gesehen haben will. Wenn auch
mit artfremden Bazillen (Rinderbazillen beim Menschen und umgekehrt) bisher
keine endgültigen Resultate erzielt worden sind, so ist doch hier der Punkt,
wo weitergearbeitet werden muss. Schon lange hat man nach für den
Menschen unschädlichen Bazillen gesucht. Im Mittelpunkt des Interesses steht
der Friedmann sehe Bazillus. Wahrscheinlich handelt es sich um reine
Saprophyten. Trotzdem sind Immunisierungsversuche damit nicht zu ver¬
urteilen. Viele Nachprüfungen haben jedoch ergeben, dass von einer wirk¬
lichen Immunisierung und von einer Heilwirkung nicht die Rede sein kann.
Schäden wurden ebenfalls nicht gesehen. Nach allem können wir sagen, dass
nur Versuche mit lebenden artähnlichen Bazillen aussichtsreich sind. Trotz¬
dem könnte die Heilwirkung des Friedmann sehen Bazillus auf Tatsachen
beruhen. Es kann sich nur nicht um spezifische Prozesse, sondern urti Dinge
handeln, die der Proteinkörpertherapie nahestehen. Hinsichtlich der passiven
Immunisierung steht Vortr. wegen der Chronizität der Krankheit auf äusserst
pessimistischem Standpunkt. Die Chemotherapie gehört bisher leider noch
nicht zur spezifischen Behandlung der Tuberrkulose. Auch hier sind aber
Fortschritte zu erhoffen. Der Erreger müsste im Körper abgetötet werden
durch eine chemische Substanz, wie die Spirochäte durch Salvarsan.
D. Gerhardt - Würzburg: Ueber die klinische Behandlung der Lungen¬
tuberkulose.
Die Verlaufsart der Tuberkulose ist äusserst verschieden. Manche
Formen heilen ohne ärztliches Zutun, andere gehen unweigerlich zu Gründe.
Es fragt sich nun, ob man Anhaltspunkte zur prognostischen Beurteilung
des einzelnen Falles hat. Die hereditäre Belastung ist ohne Einfluss. Wich¬
tiger ist schon die Tatsache, dass der Verlauf solcher Fälle, die aus voller
Gesundheit erkranken, ein schwererer ist. Neben der Ausdehnung des
Lungenprozesses ist es wichtig, zu entscheiden, ob und in welchem Tempo
der Prozess fortschreitet. Weiter muss man die pathologisch-anatomische
Natur de? Prozesses zu erkennen suchen. Das immunbiologische Verhalten
auf die verschiedenen Tuberkuline ist nicht immer massgebend. Mehr Wert
kann schon auf die Aenderung des immunbiologischen Verhaltens gelegt
werden. Je mehr man Gelegenheit hat, den Verlauf der Lungentuberkulose
ohne jede Behandlung zu beobachten, je mehr wird man jedoch zurück¬
haltend sein mit der Beurteilung der verschiedensten Methoden. Nach
kurzer Erwähnung zahlreicher noch nicht genügend geprüfter Methoden geht
Vortr. zur Besprechung der Heilstättenbehandlung über, die von B r e h m e r
inauguriert worden ist. Die Erziehung zur Hygiene in den Heilstätten ist
ein hervorragendes Mittel zur Bekämpfung der Tuberkuloseverbreitung. Die
Höhe des Ortes ist zur günstigen Beeinflussung der Tube^rkulose nicht un¬
bedingt notwendig. Es ist noch immer zweifelhaft, worin die günstige
Wirkung des Höhenklimas besteht. Wichtig ist die Reinheit der Luft. Kann
man die Heilstättenbehandlung bis zur Ausheilung fortsetzen, so bietet sie
unbedingt die besten Bedingungen für dfe Behandlung. Es fragt sich, ob die
Volksheilstätte auch bei nur 3 monatlichem Aufenthalt gühstig wirkt. Dies
wird durch Statistiken bewiesen. Nur darf man nicht die fortgeschrittenen
Fälle in die Heilstätten schicken. Es müssen daher auch Tuberkulose¬
krankenhäuser und Fürsorgestellen vorhanden sein. Die Verminderung der
Tuberkulosesterblichkeit ist im wesentlichen durch die Besserung des Wohl¬
standes vor 1914 erzielt worden. Nach Besprechung dieser Dinge, die im
wesentlichen auf die Kräftigung des Allgemeinzustandes hinzielen, geht Vortr.
auf die Tuberkulinbehandlung ein. In etwa 10—20 Proz. kann man eifien
•sicheren Erfolg sehen, in etwa 60 Proz. ist der Erfolg unsicher. Das
Deycke-Much sehe Verfahren wird ganz verschieden beurteilt. Vielleicht
kann durch die Prüfung des immunbiologischen Verhaltens eine Verfeinerung
der Tuberkulosetherapie erzielt werden. Die Behandlung mit säurefesten
Bazillen lässt sich bisher noch nicht übersehen. Günstig scheint die Hebung
der Schutzkräfte z. B. durch die Petruschky sehe Methode zu wirken.
de la C a mp-Freiburg: Ueber die Röntgenbehandlung der Lungen¬
tuberkulose.
Nach kurzer geschichtlicher Einleitung fasst Vortr. das Ergebnis der
Arbeiten dahin zusammen, dass die Röntgenbehandlung nur eine Unter¬
stützung der Naturheilvorgänge bieten kann. Die Vernarbung kann angeregt
werden, während ein Zerfall des tuberkulösen Gewebes in keinem Falle an¬
zustreben ist. da dies alle Nachteile einer schnell entstehenden Kaverne mit
sich bringen würde. Eine universelle Röntgendosis für die Tuberkulose wird
sich niemals finden lassen, da hier mannigfaltige Dinge mitspielen, die die
Dosis bestimmen. Eine Abtötung der Bazillen durch Röntgenbestrahlung
lässt sich nicht erzielen, dagegen sind indirekte Einflüsse auch auf den
Bazillus beobachtet worden. Körpergewicht, Temperatur, Gesundungs- und
Leistungsgefühl sind Zeichen für die Wirkung der Röntgenstrahlen, nur die
zur Latenz und Vernarbung neigenden Fälle sollen Gegenstand der Röntgen¬
therapie sein. Sorgfältige klinische Analyse des Falles ist also Vorbedingung.
Die Technik muss in jeder Hinsicht beherrscht werden. Man soll gewöhnlich
mit kleinen Dosen anfangen, doch muss wie beim Tuberkulin streng
Digitized by Goi'Sle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
562
MÜNCHENER MFDTZTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
individualisiert werden. Ambulante Bestrahlyngen sind zu verwerfen. Die
lokalen Wirkungen können durch Allgemeinraassnahmen gebessert werden
(Höhensonne, Pneumothorax etc.).
L. Brauer* Hamburg: lieber die operative Behandlung der Lungen¬
tuberkulose.
1200 und mehr Aufsätze auf dem Gebiet der chirurgischen Behandlung
zeugen von der Arbeit, die auf diesem Gebiet in den letzten 15 Jahren ge¬
leistet worden ist. Für die chirurgische Behandlung soll man nur die Fälle
auswählen, die sonst nicht zur Ausheilung kommen. Lieber die F r e u n d sehe
Behandlung, die Chondrotomic. ist es still geworden. Die breite Eröffnung
der Kavernen wird immer wieder erörtert und in letzter Zeit plädiert
Sauerbruch für diese Methode nach vorausgegangener Thorakoplastik.
Vorsicht ist jedoch auch hier heute noch am Platze. Die Gefahr der Luft¬
embolie ist beim Operieren in induriertem Gewebe sehr gross. Vortr. geht
dann auf die Lungenkollapstherapie in ihren verschiedenen Formen ein. Am
klarsten lassen sich die Verhältnisse beim Pneumothorax übersehen. Die
Kollapslunge ist nicht stärker durchblutet, jedoch findet sich eine geringe
Stase. Auch die vermehrte Durchblutung der anderen Seite ist gering.
Dyspnoe tritt nur bei angestrengter Arbeit auf. Will man sehen, ob die
andere Lunge Eingriffe verträgt, schlägt Vortr. die Behandlung mit Tuber¬
kulinen vor, welche seiner Ansicht nach der von Sauerbruch zu diesem
Zweck empfohlenen Phrenikusdurchschneidung etwa entspricht. Wichtig ist
die Frage nach der durch Kollaps hervorgerufenen Aenderung der Auswurf¬
entleerung. Im allgemeinen mindert sich das Sputum. Bei partiellem Kollaps
ist die Gefahr der Aspiration vorhanden. Vortr. bespricht dann die Kom¬
plikation der Kompressionsatelektase, die bei der Plastik eher zu erwarten
ist als beim Pneumothorax. Besonders bei stark sezernierendem Bronchial¬
epithel können leicht ausgedehnte Bronchektasien entstehen. — Anschliessend
geht Vortr. kurz auf die vielen Einzelheiten der Komprcssionsbehandlung ein,
insbesondere beim Pneumothoraxverfahren, lieber die Schnitt- bzw. Stich¬
methode hat man sich noch immer nicht geeinigt. Beide haben ihre Vorteile
und Nachteile. Die Luftembolie entsteht hauptsächlich in dem indurierten
Gewebe, weshalb sie bei NachfUllungen gar nicht so selten ist, wenn man
zulange gewartet hat. Die verschiedenen Apparate sind kaum von Bedeutung
und nur eine Frage der Bequemlichkeit. Welche Gasart man nimmt, ist eben¬
falls irrelevant. Man kommt mit Luft völlig aus. lieber die Auswahl der
Fälle bestimmte Regeln aufzustellen ist nicht möglich. Käsige Pneumonien
sind weniger geeignet. Mit den Druckwerten werden grosse Fehler gemacht.
Vor Ueberblähungen muss gewarnt werden. Man soll den Pneumothorax
1—2 Jahre bestehen lassen. Die Entfaltungsperiode ist sorgfältig zu beob¬
achten, am besten im Sanatorium. Vortr, schliesst mit einigen Worten über
die Plastik, die in manchen Fällen zu einem völligen Kollaps der Lunge führt
und dann das beste zu erreichen imstande ist.
K. E. Ranke- München: Die Entwicklungsformen der menschlichen
Tuberkulose und Ihre klinische Diagnose.
Je früher die,Tuberkulose erkannt wird, desto leichter und aussichts¬
reicher ist die Behandlung. Es gelingt, die Frühformen zu erkennen, wenn
man die Gesamtheit der Erscheinungen berücksichtigt. Die Tuberkulose ist
der Typ einer rekurrierenden Erkrankung. Neben den Allgemeinerscheinungen
sind die lokalen Herde zu beachten. In den Zwischenzeiten zwischen den
Schüben muss behandelt werden. Die leichten Formen sind noch so gut wie
unbekannt. Gerade die leichten generalisierenden Tuberkulosen sind das
gegebene Objekt für die Behandlung. Eine Spontanheilung hat Vortr. nie
beobachtet. Wenn einmal die Erkennung der Frühformen voll möglich sein
wird, werden wir einen grossen Schritt weiter sein.
E. R e I s s - Frankfurt a. M.: Spontanheilung schwerer Lungenphthisen.
Selbst die schwersten Tuberkulosen können heilen und diese Fälle be¬
weisen, dass auch sie der Therapie zugänglich sein müssen und diese
sind es. an denen die Methoden ausprobiert werden müssen, die angeblich zur
Heilung der Tuberkulose geeignet sein sollen. Wenn etwa 25 Proz. der
Tuberkulosen durch ein Mittel geheilt werden können, darf man es als wirk¬
liches Heilmittel anerkennen.
S a a t h o f f - Oberstdorf: Probleme der Tuberkuiosetherapie.
Vorwärts in der Tuberkuiosetherapie können wir kommen durch Finden
grosser Einzeltatsachen. Ein anderer Weg wird gegeben durch grosse Ge¬
sichtspunkte. Die Therapie der Tuberkulose steht unter dem Prinzip des
Wechsels. Vortr. geht insbesondere ein auf den Einfluss des Klimawechsels.
Nur kurze Zeit soll der Pat. einem Klima ausgesetzt werden, um dann in
ein anderes und wieder ein anderes IClima gebracht zu werden.
H. S e 11 e r - Königsberg: Die erreichbaren Ziele der spezifischen Tuber¬
kuiosetherapie.
Das Tuberkulin ist nur ein Reizstoff und kann in mancher Hinsicht auch
(furch andere Gifte ersetzt werden. Letztere müssen aber in sehr grossen
Dosen verwandt werden. Die Abwehrvorrichtung des menschlichen Körpers
funktionsfähig zu halten, muss das Ziel jeder Tuberkulintherapie sein. Durch
grosse Dosen wird aber der Abwehrmechanismus erschöpft. Es wird dabei
empfohlen grössere Pausen zwischen jeder Injektion (etwa 14 Tage) zu machen
unci dann grössere Dosen zu verwenden. Es ist Vortr. gelungen, beim Meer-*
schweinchen eine relative Immunisierung mit abgescliwächten Tuberkulose¬
bazillen zu erzielen. Eine absolute hält er für unmöglich. Vortr. hat Ver¬
suche mit abgeschwächten menschlichen Tuberkelbazillen am Menschen ge¬
macht. Er hat dann durch Zerreiben das sog. Vitaltuberkulin hergestellt.
Durch dieses werden nur geringere Allgemeinerscheinungen ausgelöst. Die
therapeutische Beurteilung des Präparates ist bisher nicht möglich, es wird
zu Versuchszwecken vom Sachs. Serumwerk kostenlos abgegeben.
L. Ifofbauer -Wien: Spezifiswhe Behandlung der Lungentuberkulose
durch Atmungstheraple.
In der Umgebung von tuberkulösen Prozessen treten Autotuberkuline auf
und diese sollten zur Behandlung herangezogen werden. Nach verstärkter
Atemleistung tritt bei den Tuberkulösen erhöhte Temperatur auf. Dies ist
sogar differentialdiagnostisch zu verwerten. Durch eine richtige Anwendung^
verringerter und vermehrter Atmung gelänge es, viele Tuberkulosen zu
bessern, was an einigen Fällen zu zeigen versucht wird.
R. S t e p h a n - Frankfurt a. M.: Die biologischen Richtlinien für die
Röntgentherapie der Lungentuberkulose.
ln Verfolg der Theorie von der Steigerung der Zellfunktion ging Vortr.
von der Vorstellung aus, dass auch bei der Tuberkulose eine Leistungs¬
steigerung zu erstreben ist und nicht die Behandlung mit massiven Dosen,
wie S e i t z und W i n t z empfehlen. Möglichst gleichmässige Bestrahlung
und möglichst genaue Kontrolle wurde angestrebt. Es gelang so, eine Um¬
stimmung des Krankheitsherdes zu erzielen. Die Bilder nach der Bestrahlung
entsprechen denen, die wir als Heilungsvorgänge anzusehen gewohnt sind.
In einigen Frühfällen gelang eine schnelle Ueberführung in das Latenzstadium.
Bei den fortgeschrittenen war ein Erfolg nicht zu erkennen, kann aber auch
nicht erwartet werden. Gefahren sind bei dieser Methode nur dort möglich,
wo aus latenten Herden aktive Prozesse entstehen.
Q. Llebermelster - Düren: Zur Beurteilung von Helluogsvorgingen
bei Lungentuberkulose im Röntgenbild.
Die Beurteilung von Heilungsvorgängen an Röntgenbildern ist deshalb
so schwierig, weil die Bilder unter den verschiedensten Bedingungen aufge¬
nommen werden. Es wird daher vorgeschlagen, ein Testplättchen bei jeder
Aufnahme anzubringen, aus der man auch später die bei der Aufnahme herr¬
schenden Bedingungen erkennen kann.
W. J e h n - München: Erfahrungen und Resultate der operativen Be¬
handlung der Lungentuberkulose der Züricher und Münchener Klinik.
Den Ausführungen Hegen die Erfahrungen Sauerbruchs an über
400 Fällen zu (Jrainde. Diese Behandlung kommt nicht nur den Begüterten
zugute, sondern im Gegenteil die chirurgische Behandlung leistet gerade
in sozialer Hinsicht sehr viel, weil die Besserung schnell erzielt wird und
das Sputum bald schwindet. Für die chirurgische Behandlung kommen nur
einseitige Prozesse in Betracht, die für Pneumothorax nicht geeignet sind
(etwa 5 Proz.). Durch Entspannung des Lungengewebes soll dem Schrump¬
fungsprozess entgegengekofhmen werden. Oft wird die Phrenikotomie als
Indikator für das Verhalten der anderen Seite herangezogen. Als selbständiges
Verfahren wird es jedoch nicht anerkannt. Bei freiem Pleuraspalt ist der
Pneumothorax das Verfahren der Wahl. Kurz wird auf die Gefahren des
Pneumothorax eingegangen, von denen besonders die Infektmn eines
Exsudates hervorgehoben wird. Bei Durchbruch einer Kaverne in die Pleura
ist der Patient meist verloren. Bei Verwachsungen kann die partielle Plastik
mit dem Pneumothorax kombiniert werden. Die extrapleurale Thorako¬
plastik erreicht eine genügende Kompression der Lunge. Die paravertebrale
Durchtrennung der 11.—1. Rippe nach Sauerbruch stellt die Methode
der Wahl dar, sie ist manchmal zweizeitig auszuführen. Wichtig ist Schnellig¬
keit der Operation und richtige Nachbehandlung. In manchen Fällen mit
grossen Kavernen ist die extrapleurale Pneumolyse ev. mit Plombe anzu¬
wenden. Die Resultate in den Jahren 1908—1918 waren wie folgt: Bei
71 Fällen von Thorakoplastik nach Brauer 28 Heilungen. Erheblich besser
waren die Resultate nach der Sauerbruch sehen Methode. Die Plomben¬
methode hat wenig gute Erfolge und wird daher nur noch in ganz bestimmte»
Fällen angewendet. Im ganzen kann der Erfolg der chirurgischen Methoden
nicht mehr bezweifelt werden.
Aussprache: E. M e y e r - Döttingen: Als Kritik zur Beurteilung,
ob eine spezifische Behandlung der Tuberkulose angezeigt ist. wird folgende
Methode empfohlen: Es werden 2 ccm 10proz. NaCl intravenös eingespritzt
und das Gewicht des Patienten sowie die Eindickung des Blutes verfolgt.
Bei zimehmendem Gewicht und Absinken des refraktometrischen Wertes
eignet sich der Patient anscheinend für die Tuberkulintherapie. Eine Nach¬
prüfung der Methode wird empfohlen.
Zinn-Berlin: Resultate von 160 Pneumothoraxbehandlungen: Dauernde
Erfolge 22 Proz. Diese Zahl könnte sicher noch durch bessere Fürsorge
nach der Krankenhausentlassung gefördert werden.
H e i n z - Erlangen: Werden Lymphozyten mit Tuberkelbazillen zu¬
sammengebracht, so verschwinden diese in kurzer Zeit durch die Lipase-
Wirkung der Lymphozyten auf die Lipoidmembran der Tuberkelbazillen.
Vortr. hat versucht, die Lymphozyten zu mobilisieren, indem er Lymphdrüsen-
substanz injiziert hat. Beim Versuchstier ist dies gelungen und es fragt sich,
ob man diese Tatsache nicht zur Behandlung der Tuberkulose heranziehen
sollte.
L e s c h k e - Berlin: Man kann Tuberkelbazillen noch vorsichtiger als
mit Milchsäure durch Wasserstoffsuperoxyd aufschliessen. Dieses HsOs-Tuber-
kulin entspricht etwa dem Neutuberkulin und dem MTbR. Vergleichende Unter¬
suchungen haben ergeben, dass mit keinem Mittel eine Immunisierung mög¬
lich ist. Chemotherapeutische Versuche ergaben, dass wahrscheinlich die
Goldpräparate ebenfalls nicht spezifisch -sondern nach Art der Proteinkörper
wirken. Auch L. hat eine Störung der Osmoregulation bei Tuberkulösen be¬
obachtet.
S c h i l d - Hörde: Mit Tuberkulin-Rosenbach hat Vortr. Besserungen ge¬
sehen. Mit den Partigenen waren die Erfolge bei den schweren Fällen recht
mässig, bei leichteren besser. Die besten Resultate wurden bei Komplikation
der Lungentuberkulose mit Tuberkulosen der anderen Organe erzielt,
A 1 w e n s - Frankfurt a. M.: Die Auswahl der Fälle für die Röntgen¬
tiefentherapie der Tuberkulose ist schwierig. Die Herde sind nicht zu lokali¬
sieren und daher die Entfernung von der Haut schwer zu bestimmen. Die
Kombination mit Höhensonne ist zweckmässig. Strengste Kritik und grösste
Vorsicht bei Anwendung kleinster Dosen kann uns vor Schaden bewahren.
L ö n i n g - Halle: Das Schicksal der unheilbaren Tuberkulosefälle kann
durch Novalgen (Höchst), ein subkutan einzuspritzendes Antipyretikum, er¬
leichtert werden.
F. Klemperer - Berlin zei^ eine Lunge, in der in dem einen Lappen
rein die produktive, im andern rein die exsudative Form vorhanden ist, was
sich intra vitam nicht nachweisen lässt. Vortr, geht dann auf die experimen¬
telle Immunisierung ein, die er vollkommen ablehnt, ebenso wie die vielen
Much sehen Hypothesen. Schliesslich wird der Pneumothorax als das
wirksamste Therapeutikum gegen die Tuberkulose anerkannt und die Indi¬
kation hierfür ziemlich weit gezogen, indem auch die nichtfortgeschrittenen
Fälle als hierfür in Betracht kommend bezeichnet werden.
Köhler- Berlin steht hinsichtlich des Pneumothorax auf demselben
Standpunkt wie F. K 1 e ra p e r e r. Er zeigt eine Tabelle, in der die Re¬
sultate seiner Fälle zusammengestellt sind. Auch mit Tuberkulin Rosenbach
hat er an seinem Material von 11 Fällen zufriedenstellende Erfolge ge¬
sehen.
B e i t z k e - Düsseldorf zeigt an einer Lunge die Erfolge einer 2 jährigen
Höhenkur bei einer Patientin, die bei einer künstlichen Frühgeburt zugrunde
gegangen ist; diese wurde wegen eines frischen Rezidivs eingeleitet.
K ä s 11 e - München: Wenn auch die Röntgenmethode von grösster Wich¬
tigkeit für die Diagnose der Lungentuberkulose ist, so kann mit ihr infolge
der verschiedenen Plattennähe nicht über die Natur des Prozesses ent¬
schieden werden. Bei der Röntgentherapie der Tuberkulose liegen die Ver¬
hältnisse ganz anders als beim Karzinom. Vortr. empfiehlt nicht Ferngrossfeld-,
sondern Fernkleinfeldbestrahlung.
Digitized by Goi^le I
Original frorri
UNIVE RSirr OF CALl
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
563
M e n z c r: Die Röntgenbestrahlung ist dem Tuberkulin ähnlich, auch sie
wirkt hyperäinisierend. Er warnt vor Qrossfeldbestrahlung.
Bürger-Kiel: Die Lehre der Partigene gründet sich auf die Tat¬
sache, dass es gelungen sein soll, analysenreine Fette aus Tuberkelbazillen
darzustcllen, die als Antigene wirken sollen. Es ist Vortr. im Hofmeister-
schen Institut von Jahren gelungen, auf sichere Weise analysenreine Fette zu
gewinnen, mit denen es aber nicht möglich war, Antikörper weder beim Tier
noch beim Menschen zu erzielen.
E h r m a n n - Berlin: Meist sind wir nicht in der Lage, prognostisch
etwas über den Verlauf der Tuberkulose auszusagen. Oft kann man eine be¬
ginnende Darmtuberkulose an Störungen der Dünndarmfunktion erkennen.
Stürtz-Köln: Wenn beim Pneumothorax Sauerstoff in die Vene
kommt, so braucht daraus keine Luftembolie zu entstehen, weil der Sauer¬
stoff absorbiert wird. Es wird daher O 2 für die Pneumothoraxbehandlung
empfohlen.
K 1 e w i t z - Königsberg: In der Königsberger Klinik ist man mit der
Indikationsstellung für die Röntgentiefentherapie erheblich liberaler und hat
damit auch bei progredienten fieberhaften Fällen keine Schädigung gesehen.
Die Dosen waren verhältnismässig gross.
ü. Liebermeister - Düren: Es ist nicht rk:htig, den Wert eines spe¬
zifischen Mittels nur an schweren Fällen zu prüfen. Dies kann man an dem
Beispiel der Syphilis sehen.
L o m m e 1 - Jena: Tuberkulöse Vereiterungen verlaufen oft günstig. Man
soll mit dem Messer zurOckhalten. — Der Weg der Tuberkulosebehandlung
mit lebenden Bazillen scheint aussichtsreich.
van der V e 1 d e n - Berlin: Patienten, die mit kleinsten Dosen Anti-
nyretizis behandelt werden und bei denen es gelang die Temperatur zur
Norm zu bringen, zeigten auch eine Gewichtszunahme, die sofort mit Aus¬
setzen der Antipyretika wieder zurückging.
H. Curschmann - Rostock hat an seiner Klinik die Befunde von
E. Meyer nachprüfen lassen und bestätigt gefunden. Eine gewisse Be¬
stätigung der Angaben H 0 f b a u e r s ist die Tatsache, dass unter Berufs¬
sängern sich sehr selten schwere Formen von Tuberkulose finden. Zu
den Untersuchungen von Heinz gibt Vortr. an, dass nicht die Lymphozyten,
sondern die Eosinophilen mit dem ^Zustand der Tuberkulösen Zusammen¬
hängen. Er legt aber im übrigen keinen grossen Wert auf das Blutbild.
M e i n e r t s - Worms: Die Tuberkulintherapie sollte Gemeingut der
Praktiker werden. Sobald die Tuberkulose erkannt ist, sollte sie auch mit
Tuberkulin behandelt werden. Alle Methoden müssen für die Erkennung
herangezogen, nicht aber die immunbiologischcn Befunde bevorzugt werden.
— Vortr. benutzt auch Sauerstoff zur Pncumothoraxauffüllung. Die Gas-
embolie_ darf nicht mit dem Pleuraschock verwechselt werden.
K ö n i g e r - Erlangen geht des näheren auf die unspezischen Wirkungen
ein. die bei der Therapie der Infektionskrankheiten beobachtet werden, sowie
auf ihre Unterscheidung von den spezifischen Wirkungen. Die unspezifischen
sind insbesondere in den fieberhaften Fällen auszunutzen.
A s c h 0 f f - Freiburg (Schlusswort): Er lehnt insbesondere die Ver¬
dauung der Lymphozyten ab, wie sie von B e r g e 1 beschrieben und heute
von Heinz betont wurde.
Uhlen huth - Berlin-Dahlem (Schlusswort) warnt vor der Injektion
von leberfden Tuberkelbazillen zur Prophylaxe, wenn man die Bazillen nicht
vorher zum mindesten abgeschwächt hat.
Brauer- Hamburg (Schlusswort): Auch er hat wie F. Klempcrer
die Indikation für den Pneumothorax jetzt erheblich erweitert. Sauerstoff¬
anwendung hält er für überflüssig.
45. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
in Berlin vom 30. März bis 2. April 1921.
(Berichterstatter: Sanitätsrat Dr. H. Stettiner - Berlin.)
(Schluss.)
VierterSitzungstag.
4. Referat: Herr P e r t h e s - Tübingen: Röntgenbehandlung der bös¬
artigen Geschwülste.
Unter Verzicht auf ein Eingehen auf die Technik werden hauptsächlich
die Fragen beantwortet, was die Röntgenbehandlung geleistet hat, und wie
wir bei der Indikationsstellung zu operativen Eingriffen darauf Rücksicht
nehmen sollen. Selbstverständlich ist auch die, Radiumbehandlung und die
kombinierte Radium-Röntgenbehandlung^berücksichtigt.
Hautkarzinome, nicht nur Basalzellen-, sondern auch Plattenepithelkrebse
können durch Bestrahlung ohne Operation beseitigt werden. Bestehen bereits
karzinoniatöse Drüsen, ist der Erfolg nicht so sicher.
Bei bestrahlten Lippenkarzinomen konnte nach 3 Jahren in 80 Proz.
Rezidivfreiheit festgestellt werden. Das kosmetische Resultat ist ein besseres
als bei operativem Vorgehen. Ebenso wurde nach Karzinom des Penis
3/4 Jahre Rezidivfreiheit beobachtet.
Schleimhautkarzinome reagieren schlecht auf Röntgenstrahlen, besser auf
Radium. Vielleicht sind bei Zungenkarzinom mit kombinierter Behandlung
Fortschritte zu erreichen.
Bei den Kiefertumoren hat die Chirurgie grosse Fortschritte gemacht, so
dass hier die Bestrahlung nicht in Betracht kommt. ,
Pharynx- und Larynxkarzinome können durch Bestrahlung zwar zu
klinischer Heilung gebracht werden: es treten aber bald Rezidive auf. Nur
bei den über den Stimmbändern gelegenen Larynxkarzinomen sind mit Be¬
strahlung günstigere Erfolge erzielt, tiefer gelegene sind zu operieren.
Bei dem Oesophaguskarzinom sind mit Radium-Röntgenbestrahlung ein¬
zelne Erfolge erzielt. Bei der Behandlung tritt leicht Glottisödem auf, das die
Tracheotomie erforderlich machen kann.
Bei den Karzinomen des Magen-Darmtraktus liegt kein Grund vor, von
der operativen Behandlung abzugehen. Beim Rektumkarzinom erscheint die
Frage noch nicht gelöst. Von 5 mit Radium-Röntgen behandelten Fällen sind
3 gestorben, 2 sind nach 34 Monaten noch am Leben und befinden sich in sehr
gutem Zustande.
Mammakarzinome sind operativ zu behandeln, da die Bestrahlung nur
klinische Heilung bringt und bald Rezidive auftreten.
Auch von den Uteruskarzinomen können nur bestimmte Fälle der
Strahlenbehandlung überwiesen werden.
Es kommen also für die Bestrahlung nur Haut-Lippenkrebse, eventuell
Zungen-Oesophaguskarzinome, Larynxtumoren oberhalb der Stimmbänder und
vielleicht Rektumkarzinome in Betracht. Alle anderen Krebse sind zu
operieren, mit Ausnahme einer Anzahl von Uteruskarzinomen.
Auch bei den inoperablen Karzinomen gelingt es zwar in bestimmten
Grenzen gute Resultate zu erzielen, aber Dauerresultate bilden eine Ausnahme.
Es kann gelingen, inoperable Tumoren durch Röntgen- oder Radiumbestrahlung
in operable zu verwandeln. Ob man Magenkarzinome einer Röntgenbehand¬
lung aussetzen soll, erscheint bei den bisherigen ungünstigen Resultaten über¬
haupt zweifelhaft.
Was die postoperative prophylaktische Bestrahlung anbetrifft, so hat
Perthes, ähnlich wie T i e t z e und Payr keine so guten Resultate erzielt.
Es sind mehr Rezidive, besonders auch im ersten Jahre aufgetreten, die ihn
veranlasst haben, die prophylaktische Bestrahlung aufzugeben.
Von den Sarkomen reagieren die Lymphosarkome gut auf Röntgen¬
strahlen. Bei periostalen Sarkomen ist die Bestrahlung zu versuchen. Bei
myelogenen Sarkomen soll man, wenn man mit der Resektion auskommt, die
Operation vorziehen. Genügt diese nicht, sondern kommt nur die Amputation
in Frage, dann soll man lieber bestrahlen. Oberkiefersarkome sind operativ
zu behandeln, dagegen reagieren Gliome des Gehirns, Hypophysentumoren gut
auf Bestrahlung. Auch Fibrosarkome des Nasenrachenraums sind für Be¬
strahlung geeignet.
Nicht zu unterschätzen sind die primären und Spätschädigungen nach
Röntgenbestrahlung, der Röntgenkater und die Röntgenkachexie, aber der
Hauptnachteil bleibt die Unsicherheit des Erfolges. Perthes bezweifelt,
dass es eine Karzinomdosis im Sinne von S e i t z und W i n t z gibt. Man
kann nur von einer Karzinommindestdosis sprechen. Es reagieren nicht alle
Tumoren gleichmässig auf Röntgenstrahlen, ja innerhalb eines Tumors reagieren
die einzelnen Zellen verschieden. Dagegen ist Perthes der Ansicht, dass
die Röntgenstrahlen direkt auf die Zelle selbst wirken. Durch biologische
Versuche ist ihre Wirkung auf die Zellteilung, auf die Karyokinese fest¬
gestellt. Sie wirken besonders auf die wachsende Zelle. Auch ist ihre
Wirkung auf diese Zellen elektiv. Ei- und Samenzelle, weisse Blutzellen,
Tumorzellen werden mehr geschädigt als die Zellen der Umgebung. Aber
durch diese Wirkung auf die Zelle ist noch nicht die ganze Röntgenstrahlen¬
wirkung erklärt und erschöpft. Es findet im gesamten Organismus eine Ver¬
änderung statt. Und nicht nur ein Zuviel von Röntgenstrahlen schadet, sondern
auch zu kleine Dosen durch Reizwirkung (Röntgenkarzinom). Andererseits
werden Abwehrkräfte im Organismus mobil gemacht und eine Steigerung der
Heilungsvorgänge durch die Röntgenstrahlen erreicht.
Herr J fl n g 1 i n g - Tübingen: Grnnd^tzllches über die Nachbehandlung
in der Chirurgie.
Während in der Gynäkologie die Forderung, zur Nachbestrahlung die¬
selben Dosen anzuwenden, als ob nicht operiert wäre, schon lange befolgt
wird, ist man in der Chirurgie erst in letzterer Zeit zur Befolgung dieses
Grundsatzes übergegangen. Die Verhältnisse liegen hier viel schwieriger als
bei dem kleinen gynäkologischen Gebiete. Man soll aber nur die Krebse
prophylaktisch bestrahlen, die schon einmal nachweislich dürch Röntgen¬
strahlen zur Heilung gekommen sind (also nicht Magenkarzii\ome). Besonders
schwierig gestaltet sich die prophylaktische Bestrahlung des Mammakarzinoms.
Es haben sich in der Perthes sehen Klinik besonders viel Rezidive im
ersten Jahre gezeigt, und diese sind später gegen erneute Bestrahlung
refraktär. Gegen die Verabreichung von Reizdosen auf einzelne Gebiete
schützt bisher keine Technik. Dieselbe Dosis, die einen sichtbaren Krebs¬
knoten vernichtet, wirkt nicht auf latente Krebszellen. So befindet man sich
hier noch in einem Versuchsstadium,
Herr fl o h i f e 1 d e r - Frankfurt a. M.: Die besonderen Dosierungs-
Probleme für die Tiefentberapie.
Die Sicherheit der Erfolge in der Schmieden sehen Klinik ist da¬
durch gesteigert, dass an der Maximaldosis für Karzinome festgehalten wurde.
Die Misserfolge liegen in der Technik, welche noch nicht gestattet, die ge¬
wollte Dosis an alle Stellen heranzubringen und noch nicht Schädigungen
ausschaltet. Eine grosse Dosis auf ein grosses Gebiet geleitet führt zur
Röntgenvergiftung. Der Gynäkologe arbeitet in günstigerem Felde, weil die
den Uterus umgebenden Organe, wie der Mastdarm, die Karzinomdosis ohne
Schädigung vertragen, während der Chirurg oft in der Nähe stark gefährdeter
Organe bestrahlen muss.
Herr W a r n e k 1 * 0 s - Berlin betont die Wichtigkeit der homogenen
Durchstrahlung des Uterus und seiner Umgebung, welche an Stelle der Viel¬
felderbestrahlung besser mit der Grossfelderbestrahlung in einer Serie unter
Ausnutzung der Streustrahlen erreicht wird. Der eventuell auftretenden
Röntgenvergiftung sind sie in der Universitätsfrauenklinik mit Erfolg durch
Bluttransfusion entgegengetreten. Es werden die Resultate mitgeteilt und
einzelne Frauen mit Mammakarzinom vorgestellt, die durch Röntgenbestrah¬
lung seit einer Reihe von Jahren (bis 5 Jahre) rezidivfrei geblieben sind.
Herr W i n t z - Erlangen: Auf gynäkologischem Gebiete übertreffen die
mit Bestrahlung erzielten Erfolge die des Chirurgen. Aber es gibt auch die
Möglichkeit der Heilung bei chirurgischen Fällen. Man muss an der Kar¬
zinomdosis festhalten (110 Proz. der HED.). Er erläutert die Technik,
die richtige Dosis an die gewollte Stelle zu bringen, und bringt eine Ueber-
sicht der Erfolge.
Herr Lehmann - Rostock: 5 jähr. Rezidivfreiheit bei Brustkrebs wurde
bei prophylaktischer Bestrahlung in 35—42 Proz., ohne prophylaktische Be¬
strahlung nur in 28 Proz. der Fälle erzielt. Es wurde 12 mal im Jahre
bestrahlt, dann eine Pause gemacht. Der Operateur soll die Bestrahlung
möglichst selbst leiten. Man darf nicht zu kleine Dosen anwenden.
Herr Anschütz - Kiel empfiehlt ebenfalls im Gegensatz zu Perthes
die prophylaktische Bestrahlung nach Operation der Mammakarzinome. Die
3 jährige Rezidivfreiheit stieg bei prophylaktischer Bestrahlung von 48,8 auf
60 Proz., die 5 jährige von 36,4 auf 55,5 Proz.
Herr K ö n i g - Würzburg betont die günstige Wirkung der Bestrahlung
auf das Sarkom und ihre völlige Unsicherheit gegenüber dem Karzinom. Er
sah bei vorher bestrahlten Fällen bei Operationen aseptische Nekrose der
Hautlappen.
Herr Schmieden - Frankfurt a. M. hebt noch einmal den Unterschied
zwischen den gynäkologischen und chirurgischen Fällen hervor. Wir dürfen
operable Tumoren nicht durch Bestrahlung zu heilen suchen, sondern müssen
sie operieren und dann bestrahlen und zwar soll beides unter einer Leitung
erfolgen. In der Frankfurter Klinik sind zweckmässige Querschnittschemata
in Gebrauch, die eine zielsichere Bestrahlung erleichtern und ermöglichen.
Herr v. Eiseisberg - Wien steht bezüglich der postoperativen pro¬
phylaktischen Bestrahlung auf dem Standpunkte der Rostocker und Kieler
Digitized by Goitgle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
564
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18
Kliniken. Zungenkarzinorn wurde durch Radium nicht immer günstig be¬
einflusst. Oute Wirkungen sah er bei Schilddrüsen-, Hypophysen- und Schädel¬
tumoren.
Herr Bier- Berlin bestreitet nicht die Wirkung der Röntgenstrahlen
auf die Zelle selbst; aber die Art der Wirkung, die biologische Seite der
Frage ist noch ungeklärt. Es besteht, ähnlich wie bei einigen medikamentösen
Mitteln, ein gewisses Latenzstadium, bis die Wirkung erscheint. Er bevor¬
zugt neuerdings beim Karzinom die Anwendung des Glüheisens, welches
besser wirke als die Röntgenstrahlen. Nur Uterus und Mamma scheinen
besser auf Röntgenstrahlen zu reagieren. So kennt er einen Fall von Mamma¬
karzinom, der mit Bestrahlung 7 Jahre nunmehr geheilt ist. Im Uebrigen
sei er aber bei Karzinom ein Anhänger der radikalsten Operationen.
Herr R i 11 e r - Düsseldorf; Die Hauptsache bei der Behandlung ist. die
Abwehrreaktion des Organismus zu heben.
Herr S c h ö n e - Greifswald: Es gibt Abwehrmassregeln, die durch
Röntgenstrahlen gesteigert werden; aber es gelingt nicht mit Sicherheit,
die Oeschwulstzelle durch Röntgenbestrahlung in ihrer Fortpflanzung zu
hemmen. Man soll daher die Karzinome operieren, und dort, wo die Dauer¬
resultate nicht so gut sind, prophylaktische postoperative Bestrahlungen vor¬
nehmen.
Herr Sauerbruch - München führt aus. dass die Röntgenologen das
biologische Problem, das zu lösen war, in ein technisch-physikalisches ver¬
wandelt haben. Als Resümee der heutigen Diskussion muss festgestellt wer¬
den, dass operable Tumoren operiert werden müssen.
Herr Perthes- Tübingen hebt im Schlusswort hervor, dass vor allem
eine Zusammenarbeit des Chirurgen und Röntgenologen erforderlich sei. Er
habe die prophylaktische Bestrahlung durch seine Ausführungen nicht be¬
seitigen wollen, hielt es aber für seine Pflicht, auf seine nicht sehr günstigen
Resultate aufmerksam zu machen.
Herr W e I n e r t - Magdeburg; Ueber die Bedeutung der modernen MIIz-
forschung.
Nach jeder. Entmilzung treten Veränderungen in der Morphologie des
Blutbildes auf. Jahrelang, wahrscheinlich während des ganzen Lebens, kann
man Kernreste enthaltende rote Blutkörperchen finden. Es hängt das wahr¬
scheinlich mit dem Aufhören des regulierenden Einflusses der Milz auf das
Knochenmark zusammen (Milzhormon). Eigene Beobachtungen und zahlreiche
Literaturmitteilungen zeigen ein Auftreten von Polyzythämie nach Milzent¬
fernung. So ergehen sich zahlreiche noch ungelöste Fragen. Es fragt sich,
ob man die Milz total entfernen darf, ob man die Milzfunktion durch Röntgen¬
bestrahlung schädigen darf. Genaue weitere Untersuchungen des Blutbildes,
besonders des roten, werden darauf Antwort geben.
Herr Nordmann - Berlin hat in einem Falle von Milzinfarkt dieselbe
exstirpiert, ohne dass die Gesundheit geschädigt ist.
Herr R h o d e - Frankfurt a. M.: Anatomische und pathologisch-anatomi¬
sche Vorführungen zur Stauungsgallenblase.
Herr Joseph- Berlin berichtet über einen Fall, in welchem Nieren¬
steine entfernt waren. Bald darauf traten neue Beschwerden auf und ein
Röntgenbild zeigte wieder einen grossen Stein in der Nierengegend. Erst
durch die Pyelographie wurde festgestellt, dass es sich um einen Gallenstein
handelte.
Herr N o r d m a n n - Berlin-Schöneberg: Die Operation der akuten
Gallenblasenentzündung.
Die Gallenblasenchirurgie gibt unbefriedigende Resultate, weil die Pa¬
tienten zu spät zur Operation kommen. N. tritt für die Operation im akuten
Anfall innerhalb der ersten 14 Tage ein. Eine Einteilung seiner Fälle in drei
Stadien ergab, dass 21 im akuten Stadium operierte sämtlich gesund ge¬
worden sind; von 97 im zweiten Stadium operierten ist keiner gestorben:
dagegen von 17 im dritten sind nur 3 geheilt, 14 gestorben.
Herr Körte- Berlin hat 265 Fälle im akuten Stadium operiert mit einer
Mortalität von 4 Proz. Er ist von der Tamponade völlig abgegangen. Auf
die Wunde wird eine Netzschürze gelegt und ein kleines Glasdrain ein¬
geführt, das nach 24—48 Stunden entfernt wird. Zur Deckung des Stumpfes
hat er Öfters das Ligamentum teres benutzt.
Herr P r i b r a m - Berlin macht darauf aufmerksam, dass es sich bei
der Cholezystitis meist um eine typhöse Infektion (Paratyphus A und B)
handelt. Auch er hebt das leichte Operieren im akuten Stadium hervor.
Herr Bier- Berlin tritt ebenfalls für die Frühoperation ein.
Herr H e 11 w i g - Frankfurt empfiehlt Silbergazetamponade.
Herr E. M a r t e n s - Magdeburg: Die Qefflssversorgung in der Leber
als Beitrag zur Frage der Lappenresektion.
An einer Reihe von Lichtbildern wird gezeigt, dass die Arteria hepaticä
sich in zwei Aeste teilt, von denen der linke ausser dem linken Leber¬
lappen noch den Lobiis quadratus und caudatus, der rechte nur den rechten
Leberlappen versorgt. Das Verzweigungsgebiet der beiden Qefässe ist also
nicht der äusserlichen Einschnürung entsprechend. Auch aus den übrigen
Gefässen ergibt sich eine Selbständigkeit der Leberlappen.
Herr A 1 a p y - Pest: Die Prostatektomie der zystotomierten Prostatiker.
Die Zystotomle stellt nur eine Palliativoperation dar, nach der es einem
Teil der Fälle gut geht, während bei einem anderen Teile doch noch die
Prostatektomie erforderlich wird. Die Lösung ist alsdann wegen der ent¬
zündlichen Infiltration eine viel schwerere. 4 Kranke von 14 sind gestorben,
10 waren schmerzfrei.
Herr Herzberg - Charlottenburg: Ueber direkte Messungen ln der
Blase.
Vorführung eines Zystoskops, in welches ein Messapparat eingebaut ist.
Der Preis desselben ist etwa 500 M. teurer als der des gewöhnlichen.
Genaue Beschreibung der Konstruktion.
Herr K o n i e t z n v - Kiel: Die operative Behandlung der habituellen
Unterkleferverrenknng.
Das Prinzip der Operation besteht in der Eröffnung des Kiefergetenkes
ohne Verletzung des vorderen Bandapparates und der Verwendung des
Meniskus als Hemmung. Wichtig ist eine Fixation durch eine Funda für
14 Tage, während welcher Zeit eine rein flüssige Ernährung erfolgen muss.
Herr W u 11 s t c i n - Essen hat in ähnlicher Weise bei Genu recurvatum
den Meniskus im Kniegelenk benutzt.
Herr Q o e t z e - Frankfurt a. M.: Ellenbogentunnelplastik bei Schlotter-
gelenk.
Vorstellung eines Kranken, bei dem das untere Ende des Humerus fehlte
und die Mm. biceps und triceps oberhalb des Ellenbogengelenkes verwachsen
waren. Die Verwachsungen wurden getrennt und das Gelenk nach oben in
die Lücke verlagert.
Her E. R e h n - Freiburg i. Br.: Experimentelle Kritik myotonlscher Zi*
stände.
ln Fortsetzung seiner Untersuchungen über den Muskel hat er direkt
Platinelektroden in den Muskel eingeführt und die elektrischen Aktionsströme
festgestellt. Es ist dies ein Idealverfahren zur Prüfung des Muskels, um
u. a. festzustellen, welche Muskeln sich zur Transplantation eignen. Auch
kann man auf diese Weise spinale und zerebrale Spasmen voneinander
unterscheiden. Hieraus ergeben sich bessere Indikationsstellungen für das
operative Vorgehen (Förster. Stoffe 1).
Herr Bier- Berlin wendet sich bei dieser Gelegenheit gegen die Lehre
von der Inaktivitätsatrophie. Es handelt sich bei der Atrophie meist um
toxische Einflüsse. Diese spielen auch bei der Gelenkversteifung eine Rolle.
Herr Fromme- Göttingen: Die Bedeutung der L o o 8e r scheu Umbau-
Zonen für unsere klinische Auflassung (Os acetabull und Gelenkkörp^).
Das Os acetabuli, das auf dem Röntgenbilde gefunden wird und nicht
mit dem Os acetabuli anatomicum zu verwechseln ist, findet sich nie bei
gesunden Menschen, sondern tritt nach Unfällen, bei Koxitis, bei Spätrachitis
in Erscheinung. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um eine L o o s e r sehe
Umbauzone. Wahrscheinlü:h sind auch auf gleiche Weise die Qelenkkörper
zu erklären.
Herr Müller- Marburg meint, dass die Umbauzonen an den Stellen
der mechanischen Irritation auftreten.
Herr Axhausen -Berlin wendet sich gegen die Erklärung der Ent¬
stehung der Gelenkkörper.
Herr Bier- Berlin spricht gegen die rein mechanische Auffassung
dieses Prozesses. Zug und Druck wirken verschieden. Anlage und Reize
(Hormone) spielen eine weitaus wichtigere Rolle.
Herr Käppis- Kiel hat niemals derartige Umbauzonen gesehen.
Herr Fromme hält gegenüber Herrn A x h a u s en seine Erklärung
aufrecht.
Herr W u 11 s t e 1 n - Essen: Penisamputation.
Zur Herstellung emes dem Penis ähnlichen Gebildes nach Amputation
hat er den Hoden benutzt.
Herr Blumberg - Berlin zeigt ein Präparat von einem grossen, blumen¬
kohlartigen Peniskarzinom, das nur von dem äusseren Präputialblatt ausge¬
gangen, während das innere völlig intakt war.
Herr Schoemaker - s’Gravenhage: Einrichtung veralteter Hitftgeleflk-
Verrenkungen.
Zur Erzielung einer Dehnung der Weichteile hatte er in einem Falle
das Bein in Narkose in maximaler Abduktion, ähnlich wie bei der kongenitalen
Hüftgelenksluxation eingegipst. Eine Röntgenaufnahme zeigte, dass dabei die
13 Jahre alte Luxation reponiert war. In einem zweiten Falle ist er
dann bei einer 62 Jahre alten Person ebenso vorgegangen. Starke Beugung,
dann maximale Abduktion. Wiederum gelang die Einrenkung.
Herr E r k e s - Reichenberg: Zur Aetloiogle der Perthesschen Osteo¬
chondritis coxae Juvenilis.
In dem Falle, der vorgestellt wurde, lag ein eunuchoider Typus vor. Es
handelte sich um endokrine Störungen, die die Krankheit hervorgerufen.
Herr v. L o r e n t z - Kassel: Knochenbau mit besonderer Berücksich¬
tigung der Pseudarthrosen.
Während des Krieges wurden schlechte Heilungen der Pseudarthrosen
beobachtet, wozu die schlechte Ernährung beigetragen. Jetzt kann die
Besserung der Knochenbildung durch eine entsprechende alimentäre Vorbe¬
handlung angeregt werden. Die operativen Resultate sind dadurch bessere
geworden.
Herr L o t s c h - Berlin: Zur sog. Osteomyelitis albumlnosa.
Es werden einzelne Röntgenbilder und Präparate gezeigt, ln dem Falle
wurde eine trübe Flüssigkeit entleert, welche bakteriologisch steril war,
während sich histologisch Staphylokokken nachweisen Hessen. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass früher eine Eiterbildung vorhanden gewesen.
Herr Frangenheim - Köln betont die Häufigkeit von Frakturen bei
Ostitis fibrosa. Er hat in einem solchen Falle die Fibula reseziert und
die der gesunden Seite eingenflanzt. Es handelt sich bei der Ostitis fibrosa
wahrscheinlich um ein kongenital angelegtes Leiden.
Herr Borchgrevink - Christiania: Zur Behandlung der Schifissetbein-
brüche.
Demonstration eines mit elastischen Zügen versehenen Apparates, welcher
imstande ist, die Schlüsselbeinteile in richtiger Stellung zu erhalten, ohne
dass die Funktion des Armes darunter leidet.
Herr Sauerbruch- München bestätigt die günstigen Erfahrungen, die
er mit diesem Apparate gemacht.
Herr Franz- Berlin: Oberschenkelbrfiche.
Ein Vergleich unserer Resultate bei Oberschenkelschussbrüchen mit denen
unserer Gegner fällt zugunsten derselben aus und zeigt, dass wir uns zu
schwer zu primären Amputationen entschlossen haben. Auf Grund dieser
Erfahrungen stellt er folgende Indikationen für die primäre Indikation auf:
1. Ueberhandtellergrosse Wunden und ausgedehnte Splitterfrakturen. 2. Grosse
Wunden und gleichzeitige Eröffnung des Kniegelenks. 3. Gleichzeitige Ver¬
letzung der Arteria femoralis. 4. Grosse Wunden und schwere Fraktur bei
gleichzeitigen anderen schweren Verletzungen, die ein langes Krankenlager
wahrscheinlich machen. 5. Grosse Wunden und totale Durchtrennung des
N. ischiadicus (soziale Indikation).
Herr Benecke - Leipzig: Einpflanzung des gleichseitigen Wadenbeins
bei grossen Schienbeinlücken.
Das Verfahren hat sich in- zwei Fällen bewährt. Zweizeitiges Vorgehen,
zuerst Einpflanzung des distalen Endes, später, des proximalen.
Herr Bestelmeyer - München: Willkürlich bewegbare Arbeltsklane.
Im allgemeinen sind sie den im Vorjahre auseinandergesetzten Opera¬
tionsprinzipien treu geblieben, haben das Anschütz sehe Verfahren weiter
benutzt. Vorgestellt wird ein Patient mit Arbeitsklaue mit drei Kraftquellen
(Bizeps, Trizeps und Brachialis).
Herr Gluck- Berlin zeigt ekle grosse Reihe von Dauerresultaten mit
Einheilung von Skelettknochen, Elfenbein- und Metallprothesen und beweist
ihre Substitutionsfähigkeit.
Herr König- Würzburg begrüsst die guten Resultate des Vaters der
Alloplastik und berichtet über einen Fall von gut eingeheiltem Ellenbogen-
gelenk nach Resektion wegen Tumors.
Herr F1 n c k - Kiel zeigt eine vorteilhafte Beinprothese mit nntertellteai
Sitzringe, die sich auch zur Frakturbehandlung verwenden lässt.
Zum Vorsitzenden für 1922 wurde Hildebrand - Berlin gewählt.
Digitized by
Google
Original frorri
-UJUIVERSITY OF CALIFORNIA ^ -
6. Mai 1931.
MONCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT.
565
Berliner medizinische GesellechafL
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 27. April 1921,
Herr Alfred Alexander: Obstipatio larvata und Toxlnaemle.
Vortr. verfügt über eine grosse Zahl von Fällen der betreffenden Er¬
krankung (.SOO), die während des Krieges wesentlich zugenommen haben.
Die Beschwerden sind nervöse und solche, die auf das Herz bezogen werden.
Der Befund ist: etwas erhöhter oder subnormaler Blutdruck, Meteorismus,
spastische Kontraktion des Dickdarms, Vermehrung des Indigorots, Phosphat-
urie, öfter Hyperazidität. Dermographie, erhöhte Reflexe. Angedeuteter
phagotonischer Symptomenkomplex. Die Speisenpassage ist verlangsamt. In
unkomplizierten Fällen findet sich auf den Fäzes kaum Auflagerung von
Schleim. Koprostase besteht im Ilcum und Zoekum, das Kolon ist ptotisch.
Es handelt sich um eine Mischform zwischen atonischer und spastischer Ob¬
stipation; Abführmittel wirken durch Erhöhung der Spasmen nach einiger Zeit
verschlimmernd. Eine Form der Obstipation prävaliert, meist durch die
Toxinämie die Schädigung der vom Vagus versorgten Organe. Es bilden
sich im Darm hämolysierende Stoffe, welche auch die Anämie erklären, welche
die Erkrankung begleitet. Arthritis deforraans scheint auch oft auf eine vor¬
hergehende toxämische Obstipatio larvata zurQckzufuhren zu sein. Kom¬
biniert damit, ev. durch Kausalkonnex, sind Störungen der sog. Blutdrüsen.
Die Therapie besteht in gut ausnutzbarer Nahrung, zunächst mit möglichstem
Ausschluss von Fleisch. ‘ Zu warnen ist vor sauren Speisen, Gewürzen und
Fettsäuren. Medikamentös zuerst Brom und Belladonna, ferner hohe wieder¬
holte Einläufe, bei Hyperazidität Magnesiumperhydrol. Unter der Behand¬
lung schwinden die nervösen Symptome oft relativ schnell,
Herr Klapp: Ein Fall von Skalplening durch Treibriemen.
Geglückter Versuch, aus dem Skalp Lappen herzustellen und diese zur
Anheilung zu bringen.
Herr Homburger: Fall von Blennorrhöe bei einem eintägigen Kind;
Verätzung durch eine zu konzentrierte Höllensteinlösung. Er weist auf die
Notwendigkeit hin, Pflichtfortbildungskurse für Hebammen einzurichten.
Aussprache: Herr J. Hirscbberg bestätigt diese Angaben.
Herr L o t s c h: Ueber Milzchirurgie.
Die Indikationen sind durch Splenomegalie etc. gegenüber früher sehr
erweiteirt. Die Milz ist ein entbehrliches Organ und im Erkrankungsfalle
ein schädliches. Die nach Exstirpation eintretende Blutveränderung macht
keine subjektiven Symptome. Fälle von Milzrupturen bei Typhus sind nach
Operation sämtlich gestorben, bei Milzabszess sind die Aussichten günstig.
Die Milzentfernung bei Malaria hat wenig Anhänger. Bei isolierter (nicht
primärer!) Milztuberkulose sind Erfolge erzielt. Bei leukämischer und aleu¬
kämischer Splenomegalie ist die Milzentfernung kontraindiziert. Vor Milz¬
punktion warnt er wegen der grossen Nachblutungsgefahr. Beim hämo¬
lytischen Ikterus erzielt die Milzexstirpation grosse Erfolge. Im Krankheits¬
bilde treten öfter Gallensteinkoliken auf, die auf den hämolytischen Ikterus
zu beziehen sind. Bei hämolytischer perniziöser Anämie ist nach Splenektomie
die Zahl der Todesfälle gross, doch sind Besserungen vorgekommen. Bei
B a n t i scher Krankheit, die in unserer Gegend immer seltener diagnostiziert
wird, ist 2 mal unter falscher Diagnose operiert worden. Bei Leber¬
zirrhosen ist mit fraglichem Erfolge operiert worden: bei Lues ist die
Operation kontraindiziert. Bei thrombophlebitischem Milztumor (stärkste
Ausbildung die v. B a u m g a r t e n sehe Krankheit mit starken Blutungen aus
dem Oesophagus etc.) kann man günstige Erfolge durch Operation erzielen.
Wollf-Eisner.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 4. April 1921.
Herr Viktor Schilling: Die klinische Verwendung des Blutplättchen-
beiundes.
Gegenüber der W r i g h t sehen Theorie stellt er die seinige auf, dass
sie Kernreste der Erythrozyten darstellen, er suchte die Theorie durch eine
eigene Schnellfixation zu beweisen und führt eine Reihe von Ergebnissen an. die
an Vogel- und Amphibienblut gewonnen waren. Experimentell und klinisch
zeigt er den engen Zusammenhang zwischen Blutplättchenvermehrung und ge¬
steigerter Erytropoese. Die Verminderung der Blutplättchen kann durch Zer¬
störung derselben oder durch verminderte Bildung zustande kommen.
Diskussion: Herr Werner Schultz bringt Bedenken gegen die
Theorie vor. Herr Hans Hirschfeld betont, dass er schon vor 20 Jahren
Präparate gezeigt habe, welche die Entstehung der Plättchen aus Erythro¬
zyten gezeigt habe. Herr Schilling: Schlusswort. W.'
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
VereinsamtUche Niederschrift.
Sitzung vom 22. November 1920.
Herr Seidel demonstriert eine Schraube, die er bei einem 4 jährigen
Knaben durch die untere Bronchoskopie entfernt hat. Anamnese wie üblich.
Belm Spielen wird die in den Mund genommene Schraube „verschluckt".
Starker Hustenanfall, dann aber Beruhigung, in den nächsten Tagen weiter,
häufig Reizhusten. Die Diagnose wird vom ersten Arzte nicht gestellt. Nach
Eintritt von Fieber weist der nächstbefragte Arzt die Schraube auf dem
Röntgenbild im rechten Bronchus dicht unter der Bifurkation nach. Bei
der Aufnahme in das Krankenhaus geringe Temperatursteigerung, zeitweise
Hustenanfälle, über dem rechten Unterlappen mässige Bronchitis. Versuch
der Extraktion durch obere Bronchoskopie in Chloroformnarkose und Kokain¬
anästhesie misslingt wegen des engen Zuganges, der die Handhabung der
Zangen im Innenrohr nicht gestattet. Die in derselben Sitzung angeschlossene
untere Bronchoskopie fördert die Schraube ohne Mühe zutage.
Herr Göcke: Die Form und Funktion des Magens nach verstfimmeln-
den Operationen. (Mit Lichtbildern.)
Bericht über das Nachuntersuchungsergebnis von Magenoperierten, die
zum Teil in der Tübinger Chirurgischen Klinik, z. T. in anderen Anstalten
operiert worden waren.
^ Erklärung der typischen Magenstumpfbilder, der Motilität und des
Chemismus an ausgewählten Fällen, bei denen eine
A, Resektion des, Magenpförtners,
1. mit Gastroduodenostomie (Kocher, Billroth 1),
2. mit Oastrojejunostomie (Billroth II, Reichel mit Perthesscher Raff-
naht),
B, Resektion aus der Magenmitte vorgenommen war.
Die anatomischen Ursachen für die Bildung von Magenstümpfen mit prä-
pylorischer Taschenbildung, für eine beschleunigte oder verzögerte Ent¬
leerungszeit und die Veränderungen des Chemismus werden eingehend er¬
örtert. Zum Schluss wird die Anzeigestellung für die Resektion des pylorus-
fernen Ulcus kurz berührt.
Besprechung: Herr Seidel demonstriert die Diapositive von 16
verstümmelnden Magenoperationen — segmentäre Wandresektion, Quer¬
resektion, Billroth I und Billroth II — und teilt seine Erfahrungen über die
danach entstehenden Magenformen mit, soweit sie einige Wochen nach der
Operation röntgenologisch festgestellt werden konnten.
Er fand im grossen und ganzen dieselben Formen wie der Vortragende,
bringt aber auch einige Abweichungen und macht besonders darauf aufmerk¬
sam, dass bei Billroth I durch Streckung der kleinen Kurvatur und leichte
Aussackung der grossen Kurvatur eine scheinbare Abwanderung des neuen
Magenausganges nach der kleinen Kurvatur hin stattfinden kann. Auch der
stark verkleinerte Magen kann dadurch eine annähernd normale Form an¬
nehmen. Die von S. in einigen Fällen nach einem besonderen Verfahren vor¬
genommene Erweiterung der duodenalen Schnittfläche oder die von Per¬
thes geübte Raffung der oralen Magenschnittfläche bei der queren Magen¬
resektion erscheint ihm nach den guten Erfahrungen mit Billroth I nicht nötig,
der in allen geeigneten Fällen die Methode der Wahl sein sollte.
Herr L i n d n e r bevorzugt die Methode Billroth II und ist mit ihren
Resultaten zufrieden. Er legt bei jeder Gastroenterostomie eine Entero-
anastomose nach B r a u n an. . ,
Herr Ke Hing: Bei der Querresektion soll man dafür sorgen, dass die
Durchblutung der Stümpfe besser wird als vorher, dass nicht Stümpfe mit
zwei langen oder gar einer langen Endarterie bleiben. Er erwähnt einen von
ihm kürzlich operierten Fall, bei dem wegen anderseits ausgeführter, zu ge¬
ringer Pylorusresektion nach Billroth 1 ein neues schweres Rezidiv im
schlecht ernährten Pylorusteil eintrat. Die Heilung erfolgte durch eine zweite
ausgiebige Resektion nach Billroth II. Eine nach den Gesichtspunkten guter
Gefässversorgung und natürlicher Magenform ausgeführte Querresektion ist
eine quoad functionem und Dauerheilung gute Operation, die aufzugeben keine
Veranlassung ist. Die Eiseisberg sehe Pylorusausschaltung durchtrennt
die wichtige Art. coron. dextr. inf. und ist deswegen ungünstiger, als die
Raffung oder die Fadenumschnürung. Wird bei Eiseisberg Gastroenterostomie
im Pylorusteil ausgeführt, so sind Ulcera peptica nicht selten. Wird die
Gastroenterostomie nach Reichel ausgeführt, so sitzt das Ulcus pepticum
dann im Dünndarm, weil die grosse Magenöffnung die Jejunalwand querspannt.
Wichtig ist für die Beurteilung chirurgischer Resultate, Fälle mit arti¬
fizieller Subazidität und solche mit spontaner Achylie von denen mit weiter
bestthender normaler Azidität oder Hyperazidität zu trennen. Derartige
Sekretionsbestimmungen nutzen mehr als Röntgenuntersuchungen allein.
Uebrigens heilen eine ganze Anzahl kallöser Ulzera auch bei interner Be¬
handlung auf lange Zeit hin aus.
Herr Goecke: Schlusswort.
Sitzung vom 29. November 1920.
Tagesordnung:
Herr Keydel: a) Zur Diagnose der Blasentumoren.
K e y d e 1 bespricht die von Zuckerkandl empfohlene Zystographie
und zeigt die durch Röntgenaufnahme erzielten Schattenrisse der Blase bei
15 infiltrierenden und mehreren nicht infiltrierenden Tumoren. Als Kontrast¬
mittel benützte er 6—10 proz. Jodkollargol der chemischen Fabrik von
Heyden. In 2 Fällen Hess die Zystoskopie infiltrierende Tumoren ver¬
muten, während die Zystographie nicht infiltrierende wahrscheinlich machte.
Die anatomische Diagnose der durch Sectio alta gewonnenen Präparate ergab
in dem einen Fall typisches gutartiges Papillom, im anderen eine an der
Grenze von Karzinom und Papillom stehende Geschwulstbildung. Klinisch
ist der Verlust der Elastizität der Blasenwandung bei infiltrierenden, das
Erhaltensein bei nicht infiltrierenden zu beobachten. Je grösser die Aus¬
sparungszone der Schattenrisse ist, um so schlechter die Operationsprognose.
Bei nicht infiltrierenden Tumoren ist die endovesikale Entfernung anzustreben.
Die Grösse der Geschwulst bildet keine Gegenindikation. Bei zwei infil¬
trierenden Tumoren sah K. ein Durchwuchern durch die Blasenwandung,
während durch Diathermie die in das Blasenlumen ragenden Teile zerstört
waren. Bei der differentialdiagnostischen Besprechung der Hämaturien er¬
wähnt K. plötzliches Aufhören der Nierentumorblutung nach Blasenspülung
und Zystoskopie, desgleichen nach Salolgebrauch per os. Das bedeute eine
grosse Gefahr für den Patienten, der nicht weiter untersucht werde. Eine
am Morgen zurückgegangene, am Abend wieder auftretende rechts- ,
s e i t i g e Varikozele führte bei Hämaturie und Strikturbildung der Harn¬
röhre, welch letztere die Zystoskopie unmöglich machte, zur richtigen Dia¬
gnose. Steinchenbildung auf und zwischen den Tumorzotten ist nicht selten.
Bei palpablen Nierentumoren und Blutungen ist das Unterlassen der Zysto¬
skopie ein Kunstfehler, da die Vergrösserung der Niere infolge einer Tumor¬
bildung am Blasenende des entsprechenden Harnleiters verursacht sein kann.
b) Zur Diagnose und Symptomatologie der Blasendivertikel. (Der Vor¬
trag erscheint als Originalarbeit in der Zeitschrift für Urologie.)
Medizinische Gesellschaft Gdttingen.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr E. Kaufmann. Schriftführer: Herr Fromme.
Herr v. Gaza demonstriert Präparate von Ulcus pepticum ieiunl und
erörtert die Theorien seiner Entstehung.
Herr Stern demonstriert einen Kranken mit Dystrophia myotonoldes
und einen Kranken mit Oppenhelm-Vogt scher Krankheit.
Herr Lange: Die pathologisch-anatomischen Grundlagen der sog.
Otosklerose.
An der Hand von mikroskopischen Präparaten werden die Morphologie der
otosklerotischen Knochenerkrankung und die Theorien über ihre Genese be¬
sprochen.
Diskussion: Herr Kaufmann.
Digitized by
Go gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
566
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18
Herr F. Q ö p p e r t: Die Rolle des Elweisses bei der Entstehung der
Intoxikationen.
Bei einem im Rezidiv akut darmkranken, 7 monatlichen Kinde verabfolgte
die Mutter 3 Tage lang je 30 g Plasmon, sonst nichts ausser Wasser. Es
entwickelte sich am Abend des 3. Eiweisstages Fieber, am 4, morgens das
vollständige Bild der alimentären Intoxikation. Fasst man die alimentäre
Intoxikation wesentlich als Azidosewirkung auf, so war es leicht verständlich,
dass Eiweiss ebenso wie beim Diabetes bei völliger Kohlehydratkarenz die
Azidose vermehrte. Doch fehlte im Urin völlig Azetessigsäure und Azeton.
Man muss daher annehmen, dass das Eiweiss bzw. seine Spaltungsprodukte
bei geschädigtem Darm und geschädigter Leber ähnlich wirken wie bei der
Fleischvergiftung^ bei Hunden mit Eck scher Fistel. Beim Säugling sind von
Moro bekanntlich Vergiftungszustände (Fieber) durch Zucker nur erzielt
worden, wenn gleichzeitig Eiweiss bzw. Peptone verabfolgt wurden. Bisher
wussten wir nur, dass durch Eiweisswasser nicht immer völlige Entgiftung
bei Intoxikation zu erreichen war. Die Entwicklung von Intoxikation durch
Eiweiss allein im vorher geschädigten Darm ist bisher nicht beobachtet, ist
aber durch die angeführten Versuche leicht verständlich. Die Beobachtung
scheint eine Unterstützung der Ansicht zu sein, dass der Azidose bei der
Intoxikation anfänglich nicht die Hauptbedeutung zukommt.
Sitzung vom 27. Januar 1921.
Vorsitzender: Herr E. Kaufmann. Schriftführer: Herr Fromme.
Herr Koennecke berichtet über eine seltsame Form des Hepatlkus-
Verschlusses bei einem 11 jähr. Knaben. Dieser erkrankte mit kolikartigen
Anfällen und schwerem Ikterus. Fast K Jahr nach Beginn der Erkrankung
wurde er operiert. Dabei fand sich ein hochgradig gestauter linker Leber¬
lappen, der seitlich bis zur Niere, nach unten bis zur Nabelgegend reichte.
Ein Herd war weder durch Palpation noch Punktion festzustellen. Der Chole-
dochus war kaum bleistiftdick, nach dem Duodenum gut durchgängig. Der
linke Hepatikus war völlig durch Membranen und Echinokokkusblasen ver¬
stopft. Nach Choledochusdrainage und lange fortgesetzter Spülung, bei der
sich bis apfelgrosse Blasen entleerten, trat ein völliges Schwinden des Ikterus
und Heilung ein.
Diskussion: Herr E. M e y e r.
Herr Fuchs: Ueber die Goethe-O kensehe Wirbeltheorie des
Schädels und das gegenwärtige Kopf- und Schädelproblem (der Auf- und
Niedergang einer wissenschaftlichen Hypothese und Ihre Ersetzung durch eine
wohlbegrundete Theorie).
Diskussion: Herr V o i t.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.) ^
Sitzung vom 19. April 1921.
Vorsitzender: Herr Kümmell.
Herr Kropeit: a) 71 jähr. Mann, bei dem im März d. J. eine Prostat¬
ektomie nach R i n g k I e p p gemacht ist. Es bestand Pupillenstarre und
Strabismus und die urethroskopische Untersuchung des Sphinkter ergab
nervöse und mechanische Miktionsbeschwerden, einen Residualharn von
750 ccm. Die Technik, von der Harnröhre aus die nicht besonders hyper-
trophierte Prostata in toto zu entfernen, erwies sich als äusserst bequem und
einfach. Der Endeffekt als besonders gut.
b) 42 jähr. Mann mit gummöser Erkrankung der Blasenschleimhaut.
1907 iuische Infektion, auf die multiple Knochendefekte am Schädel hinweisen.
Störungen, geringe EAR. in einzelnen Muskelgebieten, im einen Falle auf Basis
Schleimhaut. Bestätigung der Diagnose durch positiven Wassermann und
ex juvantibus.
Herr Troemner demonstriert 2 Frühfälle von Bulbärkomplexen. Bei
beiden besteht das Syndrom: fibrilläres Zungenzittern, Schluck- und Sprech¬
störungen, geringe EAR. in einzelnen Muskelgebieten, im einen Falle auf Basis
einer bestehenden Tabes. Ferner zeigt Herr T. einen Fall von geheilter
Encephalitis letharglca, bei dem als Krankheitsrest eine starke Schlaf¬
losigkeit besteht, gegen die Hypnose sich anscheinend gut zeigt. T. geht
dabei auf seine bekannte Theorie vom Bestehen eines Schiafzentrums im
Thalamus opticus ein.
Herr Nonne demonstriert eine durch Trepanation gehelUe. seit 16 Jahren
bestehende Jackson sehe Epilepsie. Die in 10—14 tägigen Intervallen auf¬
tretenden Krampfanfälle, die folgende Hemiparese, Dysstereognosie, leichte
Neuritis optica u. a. liess an einen gutartigen Hirntumor denken. Statt dessen
deckte die Trepanation ein Aneurysma racemosum varicosum
über dem linken Kortex auf. Dieses tumorähnliche Venenkonvolut wurde
durch Unterbindungen und teilweise Exstirpation beseitigt. Als kompri¬
mierender Tumor wirkende Phlebektasien sah N. bereits einmal auf der
Hinterfläche des Rückenmarks. Auch in diesem Falle wurde die Operation
versucht, damals mit ungünstigem Ausgang. Die vorgestellte 40 jährige Frau
ist restlos geheilt.
Herr Eugen F r a e n k e 1 demonstriert Röntgenbilder einer seltenen
Skeletterkrankung Der Fall gehört zu den neuerdings von Jüngling-
Tübingen veröffentlichten Fällen von Ostitis tuberculosa multiplex cystica.
Die Erkrankung zeichnet sich aus durch Beginn in der Kindheit, sehr lang¬
samen Verlauf, Auftreten von tuberkulösen Knochenherden in den distalen
Abschnitten der Extremitäten, die an Zahl immer zunehmen und von der
Peripherie zentripetal an Intensität und Zahl zuzunehmen scheinen. Keine
Eiterungsprozesse, aber auch keine zystischen Einschmelzungen, so dass
das Epitheton cystica zu beanstanden ist. Der vorgestellte Fall ist seit 1918
röntgenologisch in 2—3 jährigen Abschnitten verfolgt, und der Sitz der
Knochenherde von Fingern- und Zehenphalangen aufsteigend bis zu den
Unterschenkelknochen festgestellt.
Herr Schmllinsky berichtet über multiple operative Eingriffe, die
bei einer 35 jährigen, an intensiven Schmerzen in der lleozoekalgegend
leidenden Kranken seit 1914 gemacht sind. Es handelt sich um eine Ileo-
zoekaituberkulose die dauernd zu Ileusanfällen geführt und mehrfache Ileo-
kolostomien veranlasst hatte. Erst die totale Exstirpation des ganzen er¬
krankten Darmkonvoluts führte zur Heilung.
Herr Kafka berichtet über die Hämolysinreaktion Im LIqnor bei akuter
Meningitis, Paralyse, Lues cerebri und in den frühesten Phasen der Lues.
Digitized by Goüsle
Dabei hat sich ergeben, dass in Frühfällen die Reaktion schon positiv sein
kann, wo die anderen Liquorreaktionen noch negativ sind.
Aussprache über den Vortrag des Herrn Thost: Ueber Caisson¬
erkrankungen.
Herr Plate demonstriert die Röntgenbilder von 3 Fällen von typischer
Knochen- und Gelenkerkrankung (Arthritis deformans der Hüfte), die z. T.
spät nach der Pressluftschädigung entstanden sind,
Herr Engelmann kritisiert gewisse Beobachtungen des Vortragenden,
bezweifelt u. a., dass der Druck als solcher Schwindel macht (B a r a n y.
S h e 11 y). Auch die Entstehung von Ertaubung und in einem Falle das
Auftreten einer Stirnhöhleneiterung durch Pressluft dürfte anzuzweifeln sein.
Herr Nonne geht auf die im Bereiche des Zentralnervensystems auf¬
tretenden, durch Pressluft bedingten, speziell im Rückenmark lokalisierten,
luftembolischen Vorgänge ein. Er weist in Bezug auf die Verteilung der
Luftembolien und der dadurch veranlassten Degenerationsfolgen auf die Aehn-
lichkeit hin, die die von diesen Fällen stammenden Rückenmarksschnitte mit
denen von perniziöser Anämie und chronischer Alkoholintoxikation aufweisen.
(Demonstration von Mikrophotogrammen.)
Herr Thost: Schlusswort. Werner.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. April 1921.
Herr K. Gugstatter demonstriert einen Mann mit einem Hyper¬
nephrom.
Herr W. Weibel berichtet über das Zusammentrefien von Karziaom
dös weiblichen Genitales und Schwangerschaft.
Dieses Zusammentreffen ist selten; so hat Vortr. unter 1400 Radikal¬
operationen des Uteruskarzinoms nur 19 mal Gravidität angetroffen. Noch
seltener ist das gleichzeitige Vorkommen von Scheidenkarzinom und
Schwangerschaft. Den letzten Fall dieser Art hat Vortr. vor 2 Wochen
operiert, er demonstriert das Lichtbild.
Eine 27 jährige Frau, die zuletzt vor 11 Monaten geboren hatte, wurde
während der Laktation wieder gravid. Das Karzinom verriet sich im 3. Mo¬
nate der Schwangerschaft durch Blutungen. Es begann nahe am Introitus
und reichte bis nahe zur Portio.
Vortr. bespricht die in diesen Fällen in Betracht kommenden Operations¬
methoden. Es hätte gar keinen Sinn zuzuwarten, bis das Kind lebensfähig
ist. Wenn das Karzinom inoperabel ist, muss ein gesundes Organ (Uterus)
entfernt werden Die Erhaltung des Kindes wäre eine Grausamkeit gegen die
Mutter, die unter dem Karzinom ohnehin schon sehr leidet.
Die beste Methode ist die supravaginale Amputation. An die Operation
hat sieb die Aktinotherapie anzuschliessen. In der Schwangerschaft die
Aktinotherapie anzuwenden, ist nicht rätlich, weil auch bei der vorsichtigsten
Abdeckung die Frucht durch Streustrahlen geschädigt würde und damit der
ganze Vorganv illusorisch würde. Bei inoperablem Karzinom muss man
den Uterus exstirpieren und dann die Strahlentherapie anwenden.
Herr B. Soeck: Das Individualgewicht des Menschen.
Das absolute Gewicht zu bestimmen hat keinen Sinn, weil bei gleichem
Gewicht nicht gleiche Protoplasmamengen vorhanden sein müssen. Von den
pathologischen Zuständen kann die Therapie nur die exogenen beeinflussen;
zu den endogenen Faktoren gehört der konstitutionelle des Gewichtes. Die
Variationsbreite ist sehr gross. Wenn man die Gewichte auf die gleiche
Länge umrechnet, werden die Schwankungen kleiner, noch kleiner aber, wenn
man in analoger Weise Brustumfang und Sitzhöhe heranzieht.
Das Mass für die Muskelmenve ist der Halsumfang und der Brustumfang
am Armansatz. Die so gewonnenen Zahlen lassen deutlich den Typus Kraft¬
leistung und Dauerleistung unterscheiden. Für die Fettmasse ist die Cir-
cumferentia minima abdominis charakteristisch, für die Knochenmasse der
Umfang des Vorderarmes.
Erst nach Feststellung dieser konstitutionellen Elemente ist der Pat. für
die klinische Untersuchung vorbereitet. Ebenso wie das Gewicht, gehört
aucn der Hämoglobingehalt und die Leukozytenformel zu konstitutionellen
Elementen, ferner der mittlere Blutdruck.
Die morphologische Konstitutionsanalyse ist leichter durchführbar als die
funktionelle und hat ihr voranzugehen. K.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München-Stadt.
Vollversammlung am 28. April 1921.
Der Hauptpunkt der Tagesordnung war „Mitteilungen über die steuer-
abzugsfählgen Betriebskosten des Arztes“. Wegen der grossen Wichtigkeit
der Kenntnis der Abzugsmöglichkeiten in der gegenwärtigen Einkommensteuer¬
erklärung wurden auch die Mitglieder des ärztlichen Bezirksvereins Bezirks¬
amt München zur Sitzung geladen und wir hatten die Freude, eine grosse Zahl
derselben als willkommene Gäste begrüssen zu können.
Wenn man die verschiedenen Abhandlungen über die Einkommensteuer¬
erklärung durchliest, fällt einem sofort die Ungleichheit in bezug der Zulässig¬
keit einiger bestimmter Abzugsposten auf. Die Herren K a s 11 und G r ü n -
w a 1 d haben sich durch Rücksprache mit den Finanzamtsvorständen, G r ü n -
Wald auch durch Erhebungen in Verbindung mit dem Städt. Statist. Amte
viele Mühe gegeben, Klarheit und objektive Unterlagen zu schaffen, die mit
den Anregungen in der Versammlung zu Richtlinien verbunden, auch dem
geschäftsungewandtesten Kollegen die Abgabe der Steuererklärung - erleich¬
tern und vor allem eine gewisse Einheitlichkeit trotz aller individuellen Ver¬
schiedenheit gewährleisten.
Richtlinien für die Herren Kollegen zur Einkommens¬
steuererklärung.
Es wird geschieden: I. in Werbungskosten, II. in sonstige abzugsfähige
Ausgabeposten.
Nach vorgenommenen Erhebungen können folgende Posten vom ärzt¬
lichen Einkommen in Abzug gebracht werden:
1. Miete, Reinigungs- und Instandhaltungskosten für die zum Beruf er¬
forderlichen Räume (wo diese einen Teil der Arztwobnung bilden.
Original frorri
UNI VERSIT Y OF CALIFORNfA
6. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
567
werden je nach Umständen ein Drittel bis ein Halb der Qesamtkosten
in Betracht kommen).
2. Bedienung einschl. aller für diese erwachsenden Kosten (wo zugleich
Bedienung derselben Personen für den Haushalt stattfindet, dürfte ein
Halb der sämtlichen aufgewendeten Kosten verrechenbar sein), auch
Assistenz und sonstiges Lohnpersonal.
3. Heizung der Berufsräume (tatsächlicher Aufwand, im allgemeinen die
offiziell bewilligte Menge von 28—30 Zentner Kohlen nebst 1 Ster
Anfeuerungsholz, auch Gas oder Elektrizität für Sterilisation usw.
4. Beleuchtung, tatsächlicher Aufwand, auch für Leuchtkorper (für Teile
einer Arztwohnung Hessen sich aus dem Gesamtaufwand minde¬
stens die Kosten ausscheiden: für Sprechzimmer 730 Brennstunden
einer 32 kerzigen Birne, für Wartezimmer 730 Brennstunden einer
25 kerzigen Birne.
5. Telefonko.sten (ohne Abzug).
6. Instrumente und Apparate (d. h. Kosten für Reparatur und Neu¬
anschaffung), auch Apothekenbedarf (sämtliche Medikamente und Ver¬
bandstoffe für die Praxis) *).
7. Wäschebedarf im Beruf einschl. Neuanschaffungen, au«h Berufskleidung
(bei gemeinsamem Haushalt etwa Vs der Gesamtkosten).
8. Fahrkosten, u. a. Stras.senbahnnetzkarte.
9. Aerztliche Literatur; Zeitschriften und notwendige Bücher. Kosten für
Fortbildung, Inserate u. dgl., Adressbücher, Stücke für die Buch¬
führung usw.
10. Notwendige Vereinsbeiträge, soweit sie zur Berufsausübung dienen.
11. Porto und Schreibmaterialien jeder Art.
12. Umsatzsteuer.
13. Haftpflichtversicherung aus dem Beruf. (Die abzugsfähigen Versiche¬
rungen verschiedener Art gehören nicht zu den „Werbungskosten" und
sind daher an anderer Stelle des Einkommensteuerbogens zu vermerken,
s. unter II.)
14. Brand- und Diebstahlversicherungen (Wach- und Schliessgesellschaft und
ähnliches), sowie andere Versicherungen beruflicher Natur.
Es ist natürlich jedem Arzt unbenommen, weitere Abzugsförderungen
zu stellen; eine andere Frage ist es, ob sie anerkannt werden.
Die vorstehende Zusammen'.t!*!l«ug scll nur eine Uebersicht dessen
bieten, was niemand im eigenen .’ntcresse anzufiihren unterlassen darf. Eine
sichere Gewährung der Anerkennung liegt allerdings noch nicht vor, da das
Gesetz noch keine Ausführungsbestimmnngen erhalten hat; doch besteht das
einzige Risiko für den Arzt nur in der U n t e r 1 a .s s u n g, ni c h t in
der Geltendmachung seiner Ansprüche.
Diese angeführten 14 Punkte beziehen sich auf die „W erbungs-
koste n“. S. Steuerformular S. 4 Nr. 8.
Sonstige, für alle Berufe geltenden abzugsfähigen Ausgaben (s. auch
Nr. 13) sind auf S. 5 des Steuererklärungsformulars Nr. 10. 11, 12, 13, 14 und
Ib unterzubringen.
Die Herren Kollegen werden in ihrem und im all¬
gemeinen Interesse der Aerzteschaft gebeten, nur die
ganze Summe für die Werbungskosten einzusetzen und
eine spezifizierte Liste für ev. Rückfragen für sich
aufzubewahren.
DaszweiteFormularderSteuererklärungmögeaus-
gefüllt und aufbewahrt werden.
Nach Ermittlungen beträgt die Mindestsumme der
„W e r b u n g s k 0 s t e n" ungefähr 11—12 000 M. Nur bei beson¬
ders hohen „W erbungskosten" (Röntgenologen, Chirur¬
gen, Aerzten die eigenes Fuhrwerk haben usw.) möge
eine Begründung hiefür beigefügt werden.
In Fortsetzung der Debatte über „Der Arzt in der Kriegs¬
beschädigtenfürsorge" kam es zu Klagen über das Zurückdrängen
der prakt. Aerzte und die ewige Gesetzmacherei. Weiler und G r ü n -
w a I d erklärten, es sei keineswegs gemeint, dass etwa Gutachten nur von
Fachärzten abgegeben werden dürften. Um solche Missverständnisse zu ver¬
meiden, wird der betr. Antrag Grünwald-Weiler etwas umgemodelt
und dann ih der Form angenommen: Zur Erledigung strittiger Gut¬
achten soll nur von Fachärzten, und zwar nur über solche Fälle, die in ihr
Fach einschlagen, Obergutachten erstattet werden. — Tesdorpf führt
noch aus, dass wir nicht nach Standesrücksichten, sondern nach dem Rechte
des Patienten Gutachten abzugeben haben. Weiler: Es darf der Aerzte-
stand nicht immer von Laien so versudelt werden, wie es geschieht. Die
Helfershelfer seien leider bei den Aerzten zu suchen.
Freudenberger.
Kleine Mitteilungen.
Zum Kapitel der Hautentzündung durch Ersatzmittel.
Der die Haut der Stirne und des Kopfes schädigende Einfluss von
Schweissiederersatz in Herrenhüten ist ja vielfach beobachtet, beschrieben
und ziemlich allgemein bekannt.
Von verschiedenen Firmen werden jetzt Damen-Regenhüte in den Handel
gebracht, welche vollkommen oder teilweise aus einem Gummiersatzstoff
gearbeitet sind. Ich hatte schon verschiedentlich Gelegenheit, darauf zurück¬
zuführende Hautentzündungen zu beobachten, welche sich sogar über die
ganze Kopfhaut und das Gesicht ausgebreitet hatten und oft mit starken
ödematösen, erschreckend aussehenden Schwellungen verliefen und zum Teil
auch auf die Haut des Halses, der Brust und des Nackens Ubergegriffen
hatten.
Da diese Stoffe einen eigentümlich starken Geruch haben, kann die Nase
schon beim Einkauf als Warner den Frauen dienen und dem Arzt die
Diagnose erleichtern.
Die Geschäfte würden gut daran tun, diese meistens von Fabriken in
den Handel gebrachten fertigen Hüte den Fabrikanten zurückzugeben, da sie
für den Schaden verantwortlich gemacht werden können, der den Kunden
daraus erwächst.
Die Behandlung besteht auch in der Anwendung von feuchten Umschlägen
und Puder ujid nach Abklingen der entzündlichen Erscheinungen von indiffe¬
renten Salben. Dr. A. Markus- München.
*) Verzinsung und Amortisation der ärztlichen Ersteinrichtung jeder Art
sollen nach Riegel, s. Aerztl. Mitt. 1921 S. 80, nicht abziehbar sein.
Eine verbesserte* Rekordspritze.
Ende 1920 hat die Spezialfabrik für chirurgische Präzisionsinstrumente
Gebr, Montigel. Berlin unter dem Namen „Exacta" eine neue, verbesserte
Rekordspritze in den Handel gebracht. Ich habe die Spritze seit mehreren
Wochen im Gebrauch, sie ist sehr präzis gearbeitet, bequem zu handhaben
und hat sich mir bei Ausführung von subkutanen, intramuskulären und intra¬
venösen Injektionen wie auch bei Punktionen auf das beste bewährt.
Sie unterscheidet sich von den bisher in den Handel gebrachten Injek¬
tionsspritzen. insbesondere von der Rekordspritze, vor allem dadurch, dass
der Glaszylinder in keiner
Weise mit den Metallteilen
verlötet ist, derselbe viel¬
mehr vom Arzt, ja von jedem
Laien mühelos in kürzester
Zeit — Minute — bei
Zylinderbruch ausgewechselt
werden kann. Die daraus
für den Arzt resultierenden
Vorteile liegen auf der Hand.
Sie bestehen einmal in einer
wesentlichen Verbilligung des
Injektionsinstrumentariums
— die selbst ausgeführte
Reparatur bei Zylinderbruch
kostet die Hälfte des Preises
der alten Rekordspritze —
und dann fällt das lästige
Warten auf in Reparatur be¬
findliche Spritzen weg. War
man bisher, um nicht in eine
unangenehme Lage zu kom¬
men, genötigt, stets eine
zweite Rekordspritze bereit
zu halten, so genügt bei der
„Exacta Recordspritze" ein Ersatzzylinder; der Anschaffungspreis der
.,Exacta“-Spritze ist nicht höher als der der alten Rekordspritze. Ein
weiterer grosser Vorteil der neuen ..Exacta“-Spritze gegenüber der Rekord¬
spritze besteht darin, dass die Möglichkeit, die Spritze nach dem Gebrauch
in ihre Einzelbestandteije zu zerlegen und diese gründlich zu reinigen, einen
grösseren Grad von Asepsis zulässt, als das bei der alten Rekordspritze,
bei der der Glaszylinder mit den Metallteilen verlötet ist, der Fall war.
Nur durch eine hervorragende Präzisions- und Qualitätsarbeit ist es
möglich, dass die mühelos zusammengesetzte Spritze eine vollkommene
Dichtigkeit besitzt, was in der Tat der Fall ist. Der Nickelkolben ist hervor¬
ragend dicht eingeschliffen, so dass die ..Exacta"-Soritze bei Punktionen eine
vorzügliche Saugkraft besitzt und bei Injektionen eine Retention von Flüssig¬
keit mit Sicherheit vermieden wird. Aeusserlich macht die gutvernickelte
Spritze in ihrer Form und Ausführung einen eleganten Eindruck. Die ver¬
besserte Rekordspritze wird in den Grössen für einen Inhalt von 20, 10, 5.
2 und 1 ccm hergestellt. Dr. Fischer- Bad Nauheim.
Therapeutische Notizen.
Aus 43 Beobachtungen von „100 K i 1 o" - F ä 11 e n zieht Mar¬
tinet (Presse m^dicale 1921 Nr. 7) folgende Schlüsse. Die Fettsucht, welche
meist bei einem Gewicht von 2 Zentnern und darüber vorhanden ist, ist
fast immer die Anzeige und Begleiterscheinung mehr weniger schwerer patho¬
logischer Störungen und zwar am häufigsten Zirkulations- und Ernährungs-
(Diabetes, Gicht. Steinkrankheit) Störungen. Nur in 4 von den 43 Fällen
konnte einfache Plethora und Fettsucht konstatiert werden, ohne dass irgend¬
eine merkbare krankhafte Veränderung, ohne dass Zucker oder Eiweiss vor¬
handen und das sphvgmoviskosimetrische Bild abnorm gewesen wären. Das
Alter der beobachteten Fälle war von 23—76 Jahre, Albuminurie in 18 Fällen,
Zucker in 12, Gicht in 11 und in 7 Fällen Steinkrankheit gleichzeitig mit
Fettsucht verbunden. Dieselbe scheint also verschieden pathogener Art zu
sein, bezüglich der Heredität konnte nichts Regelmässiges festgestellt werden,
Die Behandlung muss sehr strenge individualisiert werden und eine allzu
intensive Entfettungskur, die als Folge rasches Sinken des Blutdruckes,
Schwächezustände, beunruhigende neurokardiale Adynamie mit zuweilen tief¬
gehenden und dauernden Stoffwechselstörungen zur Folge hat, vermieden
werden; die Kur muss eine langsam fortschreitende, allmähliche sein, streng
überwacht und individualisiert werden. St.
Technik, Indikationeh und Resultate der Behand¬
lung chronischer Tuberkulose mit schwefelsauren Erd¬
salzen besprechen H. G r e n e t und H. D r o u i n (Presse m^dicale 1921
Nr. 16). Sie haben ausschliesslich intravenöse Injektionen einer 2 proz.
Lösung von schwefelsaurem Didym und subkutane oder intramuskuläre In¬
jektionen einer 0,2 proz. Lösung angewandt, welch letztere aber sehr schmerz¬
haft und nur für Ausnahmefälle zu reservieren sind. Indiziert ist die Methode
in allen Fällen chronischer Tuberkulose, wo kein Fieber vorhanden ist;
Hämoptoe bildet eine relative Gegenanzeige. In allen Fällen beobachtet man
eine allmähliche, langsam fortschreitende Besserung, während die ersten Tage
nach der Injektion eine leichte Exazerbation der Symptome (Husten, Auswurf.
Eiterung) eintritt, geht dieselbe dann sehr bald zurück und allmählich bessert
sich das Allgemeinbefinden, Auswurf und Eiterung vermindern sich, die Krank¬
heitsherde kommen zur Austrocknung und schliesslich Vernarbung. Lupus
erythematosus bessert sich gewöhnlich sehr rasch, ebenso ver¬
ruköse und ulzeröse Hauttuberkulose, auch Drüsen-
tuberkulose scheint in den wenigen Fällen mit Erfolg begleitet gewesen
zu sein, während über Knochen- und Gelenktuberkulose die Erfahrungen noch
zu geringe sind. Verfasser stehen nicht an zu erklären, dass mit dieser
Methode ein wirksamer chemotherapeutischer Weg zur Bekämpfung der
Tuberkulose beschritten ist und sie in vielen, wenn auch nicht allen (schweren
und alten) Fällen Erfolge bringt, welche andere Behandlungsmethoden in
gleichen Fällen mit derselben Regelmässigkeit nicht erzielen, so dass sie der
Beobachtung der Praktiker und weiteren Ausbaues wert ist. St.
Digitized by
Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
568
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 18.
Studentenbelange.
Studentennot ln Mtinchea
Um eine Unterlage zu bekommen zur Beurteilung der wirtschaftlichen
Lage der Münchener Studenten wurde ihnen zu Beginn des vergangenen
Wintersemesters an den Münchener Hochschulen ein Fragebogen Über ihre
Lebenslage ausgehändigt. Das Ergebnis dieser Untersuchung ergab folgendes
Bild: Von den 12 000 Studenten der drei Münchener Hochschulen sind zurzeit,
gering gerechnet, 2500 wirklich unterstützungsbedürftig, wo¬
von mehr als vier Fünftel Kriegsteilnehmer sind. Gerade
die wirklich Tüchtigen sind Jetzt zum guten Teil gezwungen, für einige Zeit
oder für dauernd die Hochschule zu verlassen, um verdienen und leben
zu können. Im Einzelnen ergaben sich u. a. folgende Bilder:
Universität Verarbeitete Fragebogen; 2643 Stud., davon leben in
häuslicher Gemeinschaft 712, von welchen 77 gefährdet sind (d. h. die Eltern
des betreffenden Studenten sind nicht imstande, erhebliche Aufwendungen zu
machen); Monatswechsel (normal 600 M.) unter 300 M. beziehen 61 Proz.,
über 300 M. 24 Proz
Technische Hochschule: verarbeitete Fragebogen 2291, davon
leben in häuslicher Gemeinschaft 709, von welchen 94 gefährdet sind; Monats¬
wechsel unter 300 M. beziehen 72,1 Proz., über 300 M. 16,7 Proz.
Zur Abhilfe der Not ist schon vieles geschehen. Der „Verein
Studentenhaus" (Ludwigstr. 17, Universität, Zimmer 144) richtete im
Laufe des vergangenen Jahres mehrere Studentenheime mit Aufenthaltsräumen
und billiger Speisegelegenheit ein, so zuletzt am 15. April d. J. das lang¬
ersehnte Mediziner heim in der Maistrasse 2, Ecke Reisingerstrasse.
Ferner haben Kultusministerium und Hochschulbehörden gleich in den ersten
Nachkriegssemestern den Stipendienfonds stark erhöht und ausserdem
Studienbeihilfen bewilligt. Das alles reichte aber noch nicht aus.
Da entschlossen sich der Studentenausschuss und der Kriegsteilnehmerver¬
band der Universität München, die schon länger erörterte Gründung einer
Darlehenskasse beschleunigt in die Wege zu leiten. Der Landtag ge¬
nehmigte dreimal eine halbe Million, also insgesamt iK Millionen, die
auf alle bayerischen Hochschulen, auch auf die beiden Handelshochschulen
und (theologischen) Lyzeen, verteilt wurden. Auf die Universität München
treffen zwei Fünftel, von der ersten Rate also 200 000 M. Die Regel ist
ein Darlehen von 1000 M., das im Notfälle auch wiederholt gewährt
werden kann; ausnahmsweise können auch einmalige Beihilfen und
sonstige Unterstützungen verliehen werden. Die Darlehen sind als
langfristig gedacht; nach dem 5. Jahr wird eine Verzinsung zu 2'A v, H.,
nach dem 10. eine zu 5 v. H. verlangt, falls bis dahin die Rückzahlung noch
nicht erfolgt ist. Auch Teilrückzahlungen werden angenommen. Als Sicher¬
heit wird nur ein Schuldschein mit der Unterschrift eines zahlungsfähigen
Bürgen gefordert. In erster Linie kommen die Kriegsteilnehmer in Be¬
tracht, die ihr Studium schon, vor dem Winterhalbjahr 1918/19 begonnen
haben. Bevorzugt werden wieder Bayern und solche Reichsdeutsche, deren
Eltern in Bayern wohnen. Nichtkriegsteilnehmer müssen mindestens vier
' Studienhalbjahre hinter sich haben. Die Eltern oder deren Stellvertreter
müssen dem Gesuch zustimmen und den Steuerbescheid beilegen, ferner noch
einen Fragebogen ausfüllen, den der A.St.A. ausgibt. Ueber die Würdigkeit
des Bewerbers und über die Höhe des Darlehens entscheidet eine Kommission,
die auch die Kreditwürdigkeit und die Verwendung der Summe überwachen
kann; es gehören ihr an; Der Rektor oder sein Stellvertreter, zwei haupt¬
amtliche Dozenten, ein Vertreter des A.St.A. und einer des Kriegsteilnehmer¬
verbandes. Frhr. v. Verschuer, cand. med., München.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 3. Mai 1921 *).
— Auf dem diesjährigen Chirurgenkongress konnte schon der Vor¬
sitzende, Prof. S a u e r b r u c h, die Mitteilung machen, dass die Schweizer
einen scharfen Protest gegen den Ausschluss der deutschen
Chirurgen aus der Internationalen Gesellschaft für
Chirurgie erhoben haben. Dieses Verhalten der Schweizer hat erfreu¬
licherweise die Unstimmigkeiten beseitigt, die in der letzten Zeit entstanden
waren. Es ist ein besonderes Verdienst des bekannten Chirurgen Conrad
Brunner in Münsterlingen, dass er in Verbindung mit anderen führenden
Chirurgen seines Vaterlandes (S t i e r 1 i n - Winterthur, H o t z - Basel,
Hehschen-St. Galten, B i r c h e r - Aarau) diesen Weg beschritten hat.
— Am 30. April fand die Jahressitzung des Stiftungsrates der Deut¬
schen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München statt,
mit der ein Festakt im grossen Hörsaal der psychiatrischen Klinik verbunden
war. Prof. R ü d i n hielt einen Vortrag über „Familienforschung und
Psychiatrie". Hierauf erstattete Geheimrat K r a e p e 1 i n Bericht über das
abgelaufene Jahr. Die Ungunst der Zeit macht sich auch für die Forschungs¬
anstalt schwer fühlbar. Trotz aller Einschränkungen sind die Ausgaben um
das 2A fache gestiegen, während, die Beschaffung neuer Mittel im verarmten
Deutschland sehr schwierig ist. Immerhin wurden im Berichtsjahr 1% Millionen
Mark durch Stiftungen und Schenkungen der Anstalt zugewendet. Darunter
befindet sich auch ein grösserer Betrag aus den Erträgnissen des Branntwein¬
monopols, der für Forschungen über die Wirkungen des Alkohols bestimmt
ist. Die Errichtung des dringend nötigen Neubaues musste vorläufig vertagt
werden.
— Bei der Neubildung des preussischen Ministeriums wurde
der bisherige Kultusminister H ä n i s c h durch den Staatssekretär im Kultus^
ministerium Prof. Becker ersetzt. Herr Stegerwald bleibt Minister
für Volkswohlfahrt.
— Dem neuen preussischen Landtag gehören folgende Aerzte
an: Quaet-Faslem (D.n.Volksp.), S t e m m 1 e r (Z.) und W e y 1 (USP.).
— Die Münchener städtischen Krankenhäuser weisen
für 1920 einen Fehlbetrag von 12 Millionen Mark aus. Dennoch hat der
Stadtrat den Antrag auf Erhöhung des Kurkostentarifs (für die allgemeinen
Krankensäle von 17 auf 20 M., für Sonderzimmer entsprechend mehr) abgelehnt.
— Die Bibliothek des College of Physicans in Phila¬
delphia, eine bedeutende, 125 000 Bände und 120 000 Broschüren und Disser-
*) Eines katholischen Feiertages wegen musste diese Nnmmer einen Tag
früher fertiggestellt werden.
tationen zählende Büchersammlung, veröffentlicht ihren Bericht für 1920.
Dieser gibt einen interessanten Einblick in die Verhältnisse einer grossen
amerikanischen Bibliothek. Ausser bedeutenden Aufwendungen für laufende
medizinische Literatur im Betrag von mehr als 5000 Dollar wurden aus einem
besonderen Fond für seltene und wertvolle Bücher 5868 Dollar verausgabt.
Davon wurden 246 alte Sachen erworben, darunter 34 Incunabeln aus dem
15. Jahrhundert. Kein Zweifel, dass die meisten dieser Sachen aus Europa
stammen, zumeist wohl aus dem verarmenden Deutschland, das seine alten
Schätze in amerikanisches Gold umsetzt. Anfang dieses Jahres hat die Bib¬
liothek Auftrag gegeben, alle im Jahre 1920 in England, Frankreich. Italien.
Deutschland und Spanien erschienenen medizinischen Bücher und Mono¬
graphien (ausschliesslich Sonderdrucke und Uebersetzungen) zu kaufen. Das
Ergebnis ist von Interesse im Vergleich zu den Käufen des Jahres 1915. Es
wurden gekauft 1920 (1915): von den Vereinigten Staaten 274 (283), Gross¬
britannien 270 (100), Frankreich 44 (8), Deutschland 330 (175), übrige Länder
22 (8). Hiernach hat also Deutschland bei weitem am meisten zur Mehrung
der Bibliothek beigetragen und seine Erzeugung weist einen beträchtlichen
Aufschwung gegenüber den Kriegsjahren auf. Der Rückgang in der Bücher-
erzeugung der Vereinigten Staaten wird auf die Teuerung des Papiers zurück¬
geführt. Das Vermögen der Bibliothek beträgt 357 000 Dollar.
— Die Freunde und Anhänger des Pfarrers Kneipp beabsichtigen den
100. Geburtstag Kneipps zu einer grossen, über 3 Tage sich er¬
streckenden Festfeier in Wörishofen (15. bis 17. Mai) auszugestalten. Aus
dem Programm nennen wir: 4 ärztliche Vorträge, Festvorstellung, Festgelänte,
Festkonzert, Festakt, Festtafel, Enthüllung einer Gedenktafel, Huldigung der
Jugend von Wörishofen am Kneippdenkmal. Ob ein so geräuschvolles Fest
im Sinne Kneipps. der gerade durch seine Einfachheit sympathisch wirkte,
gewesen wäre? Zumal in dieser Zeit!
— Die 22. ordentl. Abgeordnetenversammlung der Versicherungs¬
kasse für die Aerzte Deutschlands findet am 28. Mai d. J.,
vorm. Vi 10 Uhr im Spatenbräu in Berlin, Friedrichstr. 172 statt. Die Tages¬
ordnung umfasst: 1. Geschäftsbericht des Direktoriums. 2. Vorlage der
Jahresrechnung 1920. 'S. Bericht der Kassenprüfer. 4. Beschlussfassung über
die Gewinnverteilung. 5. Entlastungserteilung für den Aufsichtsrat und das
Direktorium. 6. Neuwahl der Mitglieder des Aufsichtsrates. 7. Neuwahl der
Kassenprüfer und deren Stellvertreter. 8, Festsetzung der Tagegelder. 9. Vor¬
lage einer neuen Satzung unter Berücksichtigung einer Umgestaltung des
obersten Organs der Kasse, und zwar durch Einführung einer Mitgliederver¬
sammlung anstelle der bisherigen Abgeordnetenversammlung. 10. Vorlage
der für die allgemeinen Versicherungsbedingungen in Vorschlag gebrachten
Aenderungen, insbesondere Erhöhung der Höchstversicherungssummen in
sämtlichen Abteilungen, Neuformulierung des Krankheitsbegriffes und Neu¬
einführung einer obligatorischen Lebensversicherung. 11. Vorlage der ver¬
änderten, bzw. neuen Tarife für die Krankenversicherung, sowie für die In¬
validen-, Alters- und Lebensversicherung. 12. Verschiedenes.
— Im Aufträge der Medizinischen Gesellschaft zu Bad Homburg v. d. H.
wird uns mitgeteilt, dass die Notstände des Krieges und gleichzeitig an be¬
stimmte Personen gebundene Missstände in der früheren Aktiengesellschaft
Bad Homburgs, die dem Rufe des schönen Badeplatzes bei Aerzten und beim
Publikum grossen Schaden gebracht haben, nunmehr beseitigt sind. Die
Stadt Bad Homburg hat selbst den Badebetrieb wieder in die Hand genommen
und es geschieht alles, um die reichen Naturschätze den Heilungsuchenden
dienlich zu machen. Die Bitte der Homburger Kollegen, ihre ernsten Be¬
strebungen zu unterstützen, damit dieser wichtige baineologische Ort dem
deutschen Heilschatze erhalten bleibt, verdient volle Berücksichtigung.
— In Dresden fand vom 28. bis 30. April d. J, eine Tagung für
Wohlfahrtspflege statt, der eine Sitzung des Beirats des Landesamts
für Wohlfahrtspflege voranging. Folgende Berichte und Vorträge mit Aus¬
sprachen wurden gehalten: 1. Ministerialrat Frhr. v. Welck: Aufgaben und
Ausbau der amtlichen Wohlfahrtspflege. 2. Frau Regierungsrat Dr. Weich-
Beil: Amtliche und freie Wohlfahrtspflege. 3. Ministerialrat Geh. Rat Prof.
Dr. med. Thiele und Fürsorgearzt Dr. Büttner-Wobst: Die Mitarbeit
des Arztes in der Wohlfahrtspflege. 4. Frl. Dr. Marie B a u m - Karlsruhe:
Wohlfahrtspflege als Familienfürsorge. 5. Frl. Dr. Martens- BerWn: Aufbau
und Tätigkeit des ländlichen Wohlfahrtsamtes. 6. Stadtrat Schatter-
Chemnitz und Bürgermeister Dr. S c'h a a r s c h m i d t - Löbau: Aufbau und
Tätigkeit des städtischen Wohlfahrtsamtes. Die Tagung wurde vom sächsischen
Minister des Innern L i p i n s k i begrüsst und vom Ministerialdirektor Geh. Rat
Dr. v. P f 1 u g k geleitet. Ein ausführlicher Bericht über die Tagung erscheint
im Verlag B. G. Teubner - Dresden in den vom Sächsischen Landesamt für
Wohlfahrtspflege herausgegebenen Blättern für Wohlfahrtspflege.
— Der Bund der Organisationen technischer Assistentinnen an wissen¬
schaftlichen und industriellen Instituten (Botaw!) gibt seit Januar d. Js. im
Verlage von A. H a a c k, Buclidruckerei, Berlin S.W. 48, eine Monatsschrift
unter dem Titel „Die Technische Assistentin" heraus. Die
Schriftleitung liegt in den bewährten Händen von Frl. Elise W o 1 f f. Berlin-
Wilmersdorf, Gründerin und 1. Vorsitzende der Vereinigung wissenschaft¬
licher Hilfsarbeiterinnen und ehemaj. langjährige technische Assistentin von
Prof. Alb. Fraenkel, Berlin, Krankenhaus am Urban.
H ochse hulnachrichteiL
Bonn. Dem Privatdozenten Prof. Dr. med. Wilhelm Fröhlich ist
ein Lehrauftrag zur Vertretung der allgemeinen Physiologie erteilt worden.
Marburg a. L. Die Venia legendi erhielten Dr. med. August
Scharnke, Oberarzt der Nervenklinik, auf Grund einer Antrittsvorlesung
„Ueber die Bedeutung des Nystagmus für die Neurologie" und Dr. med. Alfred
Benninghoff, Assistent am Anatomischen Institut, mit seiner Antritts¬
vorlesung „Zur Morphologie des Wirbeltierherzens“. Zu ordentlichen Pro¬
fessoren wurden ernannt Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Heinrich Hildebrand.
Kreisarzt (bisher ord. Honorarprofessor) und Prof. Dr. Friedrich Kutscher.
Abteilungsvorstand am Physiologischen Institut (seither Extraordinarius).
Rostock. Der Ordinarius und Direktor des anatomischen Instituts
Geh. Medizinalrat Dr. med. et phil. Dietrich Barfurth hat zum 1. Ok¬
tober d. J. seine Entbindung von der Verpflichtung, Vorlesungen zu halten,
nachgesucht, (hk.) — Prof. Dr. med. et med. dent. h. c. R e i n m ö 11 e r,
früher Direktor der Rostocker Universitäts-Zahnpoliklinik, erhielt einen Ruf
als ordentl. Professor der Zahnheilkunde nach Erlangen.
Todesfall.
Geh. San.-Rat Dr. Georg Fischer, ehern. Oberarzt der chir. Ab¬
teilung des Stadtkrankenhauses Hannover, der Herausgeber der Briefe Bill-
r 0 t h s, 86 Jahre alt.
Verlag von j. F. Leh nano in München S.W. 2, Pani Heyaestr. tt. — Druck von E. Mfihlthaler*» Bach- und Kunstdmekerei A.O., Mflncbea.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSIJY OF CALIFORNf^
PrefcrfercfnzdncnNanBtrSL—ul. • Benrardctal
• • • ud Aotlaiid sidie vateii mter BetngtoediafitafCB. • • •
Aai^gemciilnw teatr 5 Arbcttatage tor Brach«iM«.
Ptr dt« ScluiftMtaafT Aran^^ 91 {Sprcdntnodea IH — I UM.
M U JN ttt t JN HK EE ÄSSÜ-Ü iLiSrr ÄM
Medizinische Wochenschrift
ORGAN FÜR ÄMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 19. 13. Mai 1921.
Scbriftleltuns:: Dr. B. Spatz. Arnalfstrasse 26 .
Verlag: J. F. Lehmaim, Paul Heysestrasse 26 .
68. Jahrgang.
Der Verlag behält aioh das anaaohlieBsliohe Baoht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitsohrift mm Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Christian Bäumler zum 85. Geburtstage
(13. Mai 1921).
Akute Leberatrophie im roten Endetadium.
(Zugleich eine Ablehnung der „hepatogenen Urobilinbildung**.)
Von Prof. Wilhelm Hildebrandt-Freiburg i. Br., damals
als Stabsarzt im Felde.
Der 30iähr. Krankenträger bei den Pionieren J. E. stammt aus gesunder
Familie und war vor dem Kriege nie ernstlich krank. Seit September 1914
Soldat, war er abgesehen von leichter Bronchitis während dgr Ausbildungs¬
zeit und einer Hämorrhoidenoperation im April 1915 nicht krank; April 1916
Prellschuss am Oberschenkel. Nach dem Berichte des Truppenarztes erkrankte
E. am 23. III. 17 abends mit Appetitlosigkeit, Uebelkeit und Druckgefühl in
der Magengegend. Er meldete sich nicht krank und wurde erst am 25. III.
abends ins Revier aufgenommen, nachdem der Arzt zufällig beobachtet hatte,
dass E. sich erbrach. Das Erbrechen war an diesem Tage zum ersten
Male aufgetreten. Der Kranke führte seine Beschwerden auf den Genuss
einer am 23. III nachmittags genossenen Blutwurst zurück; von den
Kameraden ist jedoch niemand erkrankt.
Befund am 3. Kr.-Tage (25. III.) abends: Guter Allgemeinzustand. Haut
und Schleimhäute etwas blass, Zunge belegt. Kein Ikterus! Herz, Lunge
und Leib unauffällig bis auf leichte Drnckempfindlichkeit in der Magengegend.
Leber nicht vergrössert, nicht druckempfindlich. Achseltemperatur 37.2®.
4. Kr.-Tag: Allgemeinbefinden besser. Stuhlgang i. O. Urin frei von
E. und Z. Achseltemperatur 36,9—37,4®. Behandlung: Bettruhe. Schleim¬
suppe, Karlsbader Salz.
5. Kr.-Tag: Skleralikterus, nachmittags allgemeine Gelbsucht.
Leber ohne objektiven Befund, Gallenblase nicht nachweisbar. Druckempfind¬
lichkeit in der Magengegend geringer. Wohlbefinden, Temperatur 37,1—37,8®.
6. Kr.-Tag: Gelbsücht hat stark zugenommen. Leber kaum merklich ver-
grflssert. nicht empfindlich. Wohlbefinden. Vormittags 37,4®. Puls verlang¬
samt. Seit dem 3. Kr.-Tage kein Erbrechen mehr. Einem Feldlazarett über¬
wiesen, dessen Krankenblatt ich entnehme:
7. Kr.-Tag: Skleren und Haut zitronengelb. Zunge leicht belegt. Kein
Herpes. Leib weich. Leber überragt den Rippenbogen nicht, Leber und
Gallenblasengegend mässig druckempfindlich. Im Urin Spuren von EiweisS,
kein Zucker. Behandlung: Fettfreie Kost. Karlsbader Salz.
8. Kr.-Tag: Stuhl breiig, deutlich entfärbt.
9. Kr.-Tag: Leber überragt den Rippenbogen nicht, Lebergegend nicht
druckempfindlich. Stuhl angedeutet lehmfarben.
Temperaturen während der Behandlung im Feldlazarett zwischen 36,0
und 36,5®, nur am 10. Kr.-Ta abends 37,2®. Temperaturen während der
Verlesrung am 11. und 12. Kr.-Tag unbekannt. Verlegt in ein Kriegslazarett.
Mein Befund vom 13. Kr.-Tag: Guter Allgemeinzustand. Starke Gelb¬
sucht. 'Milz nicht vergrössert nachweisbar, nicht fühlbar. Leberhöhe in
rechter Brustwarzenlinie 12 cm (Bestimmung des unteren Randes durch Be¬
tastung. der oberen Grenze durch Feststellung des unteren Lungenrandes;
natürlich auf gleiche Atmungsphase bezogen). Lunge und Herz unauffällig.
Zunge kaum belegt, Mund und Rachen o. B. Reflexe einschl. Pupillen normal.
Urin ikterisch, kein Eiweiss, kein Zucker, kein Urobilin, wohl aber
Bilirubin. Achseltemperaturen 37,2—38,1 ®, Puls 62—76. Behandlung: Fett¬
freie Kost, Leibwärmer, Karlsbader Salz.
14. Kr.-Tag: Harnmenge 1525 ccm, rotbraun, kein Urobilin, sehr
viel Bilirubin. Temp. 37,1—37,6®. Puls 74—82.
15. Kr.-Tag: Leberrand eben fühlbar. Gallenblase nicht nachweisbar.
Harnmenge 1225 ccm; braun; kein Urobilin. T^mp. 36,7—36,8®,
Puls 78.
16. Kr.-Tag: Nachts mehrfach erbrochen auf dem Abort. Der ungebärdige
Kranke hatte entgegen der Vorschrift das Bett nachts verlassen. Ueber
den Stuhl ist kein Aufschluss zu gewinnen, da er ihn gegen ausdrückliche
Weisung auf dem Abort entleert. Harnmenge 1400 ccm; schwarzbraun; kein
Urobilin. Temp. 36.4—36,4 ', Puls 76—80.
17. Kr.-Tag: Nachts erbrochen; starke Schmerzen in der Lebergegend
ohne entsprechenden objektiven Befund. Harnmenge 875 (?) ccm; dunkel¬
braun; kein Urobilin. Behandlung: Flüssige Kost. Temp. 36,0—36,3,
Puls 80—66.
18. Kr.-Tag: Hat die ganze Nacht gestöhnt, auch mehrfach das Bett ver¬
lassen. Durchfall bestand nicht. Morgens mehrfach Erbrechen
schwärzlicher Massen. Im Erbrochenen reichlich Sarcina ventri-
culi und veränderter Blutfarbstoff, keine roten Blutkörperchen, ziemlich reich¬
lich Fetttropfen und Stärkekörner. Verfallenes graugelbes Aus¬
sehen. Die Gelbsucht hat sichtlich abgenommen! Völlig
benommen. Atmung auffallend langsam. Leichte Zyanose. Puls 92, regel¬
mässig, Spannung gering; Herztöne rein. Leberhöhe in rechter
Brustwarzenlinie etwa 10,5 cm, linker Leberlappen
schmal. Milz nicht vergrössert nachweisbar (Untersuchung aus äusseren
Gründen kaum durchführbar). Kochsalzinfusion intravenös. .
Nachmittags: Völlig benommen; sehr grosse motorische Unruhe. Liegt
eine Zeitlang ganz ruhig da, wirft sich dann aber unvermittelt mit grosser
Kraft im Bett herum. Kopfvenen stark gefüllt. Puls 132, klein, weich. Pu¬
pillen eng, Reaktion auf Lichteinfall erhalten. Urin: Bilirubingehalt geringer,
kein Urobilin, geringe Eiweissmenge, Indikan in Spuren,
Diazo negativ, keine Albumosen, keine Peptone; im Boden¬
satz weder Leucin noch Tyrosin.
Abends 10 Uhr: Ausgesprochen C h e y n e - S t 0 k e s sches Atmen mit
Pausen bis zu 30 Sekunden. Explosives Erbrechen reich¬
licher flüssiger stinkender schwarzer Massen. Leib
etwas vorgewölbt, Harnblase leer. Leber nicht fühlbar, Leberdämpfung
fehlt fast völlig. Herztöne rein. Gute .Diurese (mit unfreiwilligem
Harnabgang) unter dem Einflüsse der Kochsalzinfusion vormittags und eines
Einlaufs von —K Liter Kochsalzlösung mit Zusatz von 15,0 Natr. bicarb.
und 25,0 Zucker. Abends misslingt erneute Kochsalzinfusion wegen der
grossen Unruhe des Kranken, deshalb erhält er 230 ccm Kochsalzlösung mit
Zusatz von 5,0^ Natr. bicarb. subkutan; daneben Koffein und Kampfer.
19. Kr.-Tag: 2 Uhr 30 Min. nachts gestorben. Hat seit 10 Uhr abends
noch viel Harn entleert.
Die Sektion wurde 9 Stunden nach dem Tode von mir ausgeftthrt.
Klinische Diagnose: Akute gelbe Leberatrophie.
Befund: Stark ikterische Leiche eines kräftigen, etwa 35 jährigen Mannes
von 1,68 m. Ausgesprochene Totenstarre, Totenflecke stark ausgeprägt.
Därme zusammengesunken, z. T. mit schwarzen Massen gefüllt. Darmwand
sehr leicht zerreisslich. Keine Trübung des Bauchfells, wohl aber stellen¬
weise starke Füllung der Venen. Wurmfortsatz 0 . B.
Leber sehr klein und dünn, liegt zusammengesunken
in der Nähe der Wirbelsäule.
In der Bauchhöhle keine freie Flüssigkeit, auch nicht im kleinen Becken.
Rippenknorpel stark verkalkt. Bei Eröffnung der Brusthöhle sinken die
Lungen kaum zurück. Ausgedehnte Blutungen im äusseren
Blatt des Herzbeute 1 s, der in normaler Ausdehnung vorliegt. Rechte
Lungenspitze in geringer Ausdehnung verwachsen, sonst Pleuren frei. Im
Herzbeutel leicht vermehrte, gallig gefärbte Flüssigkeit. Perikard spiegelnd.
Herz gut zusammengezogen, nicht vergrössert. Die Lungenvenen entleeren
viel flüssiges Blut, die untere Hohlvene viel flüssiges Blut und.Cruor. Die
Wand des linken Ventrikels leicht verdickt, Endokard besonders an der Aus¬
flussbahn der Aorta auffallend dick. Keine Blutungen im Endokard. Klappen
unverändert. Ausgedehnte perikardialeBlutungen an derRück-
seite des Herzens, besonders an der Vorhofkammergrenze.
Linke Lunge: Pleura glatt und spiegelnd mit sehr zahlreichen Blutungen,
Lunge blutreich, Unterlappen zeigt leicht vermehrte Resistenz, Bronchial¬
schleimhaut gerötet. Hilusdrüsen unauffällig. Rechte Lunge wie die linke,
doch ist der Blutgehalt des Unterlappens noch grösser: etwas unterhalb der
Spitze an der Stelle der Verwachsung ein Kalkherd.
Milz 11,5:7,5:3,4 cm; schlaff. Milzgewebe, weich, zerfliesslich.
Unterhalb der linken Niere einzelne stark vergrösserte Lymphdrüsen.
Nebennieren nnauffälliy. Beide Nieren: Kapsel gut abziehbar, mit kleinen
Blutungen. Niere nicht vergrössert, im ganzen trüb („wie gekocht“), Mark
und Rinde nicht deutlich zu sondern.
Leber: Ausserordentlich klein, formlos. Wird zusammen mit dem
Zwerchfell herausgenommen, da anders ein unversehrtes Herausnehmen wenig
aussichtsvoll erscheint. Rechter Lappen mit weisslichen, z. T. netzartigen
Kapselyerdickungen. Die Verkleinerung der Leber erstreckt sich auf alle
Teile ziemlich gleichmässig, besonders dünn erscheint der linke Lappen. Die
ausserordentlich schlaffe Leber zeigt beim Betasten einzelne kleine stein-
harte Knoten (Kalkherde). Gallenblase klein, mit wenig grasgrünem glasigen
Schleim gefüllt. Gewicht der Leber einschliesslich leerer Gallenblase 555 g!
Lebergewebe auf dem Durchschnitt rötlich-braun: nirgends
gelbe Herde. Lebergefässe und Gallenwege (auf vielen Durchschnitten!)
leer. Sehr deutliche Azinuszeichnung durch stärkeres Hervortreten des
peripheren Bindegewebes.
Dünndarm fast ganz mit schmierigem schwarzen
B1 u t g e f ül 111, enthält auch 2 Askariden.
pickdarm mit wenig flüssigem farblosen Inhalt. Nirgends im Darm
Schleimhautverletzungen oder Geschwüre. Im Mesenterium mehrfache Blu¬
tungen. Retroperitoneale Drüsen schwarz, aber nicht wesentlich vergrössert.
Auch im Magen und Duodenum Schleimhaut unverändert; Inhalt: schwarzes
Blut, keine OaHe. Pankreas unauffällig.
Digitized by Goiisle
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
570
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Pathologisch- anatomische Diagnose: Akute Leber¬
atrophie im roten Endstaditim. Kalkherde in der Leber. Ausgedehnte par¬
enchymatöse Magendarmblutnngen. Diffuse Nephritis. Kalkhcrd in rechter
Lunge (Tuberkulose?). f . \
Mikroskopischer Befund (Arrpeepathologe Prof. R i c k e r) ):
Die Untersuchupg von Milz, Pankreas und Lunge ergibt nichts Be¬
merkenswertes.
Nieren: Sehr kleine, vorwiegend nahe den M a 1 p i g h i sehen Körper¬
chen gelegene Stellen mit vermehrtem Bindegewebe, ln den Kapselräumcn
kernlose Schollen von der Grösse der Kpithelzellen (vermehrtes, abgestossenes,
zerfallenes Kapselepithel). Kein pathologischer Fettgehalt des Epithels.
Leber; Peripherisches Bindegewebe leicht vermehrt, stark mit Lympho¬
zyten durchsetzt, enthält leicht vermehrte Qallcngänge; solche auch im Läpp¬
chen vorkommend. Leberzeilen stark verkleinert, rundlich; vollkommene Dis¬
soziation derselben. Kerne stellenweise nicht gefärbt. Viel Gallepigment,
kein Fett in den Leberzellen. Verkalkte Stellen: nach der Ent¬
kalkung ergibt sich nur, dass sie Gewebsreste (kaum erkennbar) enthalten,
also aus Gewebe hervorgegangen sind, und dass eine dicke bindegewebige
(ebenfaiis verkalkte) Kapsel bestanden hat. Was für (neugebildetes) Gewebe
(tuberkulöses, vergl. die verkalkte Stelle der rechten Lungenspitze; syphi¬
litisches) seinerzeit verkalkt ist, lässt sich nicht ermitteln.
Material zur bakteriologischen Untersuchung im Labora¬
torium des beratenden Hygienikers der IV. Armee, Oberstabsarzt Prof. Dr.
Riemer, konnte aus äusseren Gründen erst 32 Stunden nach dem Tode
aus der Tiefe des Lebergewebes entnommen werden. Befund: „Ausstrich¬
präparat zeigt keine Spirochäten, sehr zahlreiche Gram-negative bewegliche
Stäbchen. Kulturen aus zentralen Teilen steril entnommen: 1. ein Gram-
positiver Diplokokkus vom Habitus des Streptococcus lanceolatus (= Pneumo¬
kokkus), der sich im Mäuse versuch als nichtpathogen erweist; 2. das Gram-
negative Stäbchen, das auf D r i g a 1 s k i üppig wie Koli, aber ohne Rötung
wächst. Weitere kulturelle Prüfung ergibt, dass es sich um Kolibazillen
mit verzögerter Milchzuckervergärung handelt.“
Der Chemiker im Laboratorium des beratenden Hygienikers, Apotheker
Gustav E n d r 6 s, hatte die Freundlichkeit, eine grössere Harnmenge sowie
die Hauptmasse der Leber auf Leucin und Tyrosin zu untersuchen Er be¬
diente sich der bei Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden.,
4. Auflage, angegebenen Methode. In etwa 200 ccm Harn fanden sich nur
Spuren von Leucin und Tyrosin, wobei das Tyrosin überwog. Aus dem
Lebergewebe konnten wAgbare Mengen Tyrosin gewonnen werden, während
Leucin sehr zurücktrtit. Eine quantitative Bestimmung ist leider unterblieben.
Die Gesamtmenge des aus 200 g Leber gewonnenen Tyrosins, vermindert
um die kleinen Mengen, welche zu Kontrolluntersuchungen und zu mikro¬
skopischen Demonstrationen verbraucht .wurden, habe ich jetzt gewogen, sie
beträgt 0,0J7 g. so dass die Gesamtmenge des in der Leber vorhanden ge¬
wesenen Tyrosins weit weniger als 0,1 g betragen haben muss. Diese Zahl
gewinnt ihre rechte Bedeutung erst durch Vergleiche mit Angaben der Litera¬
tur. Im Harn ist Tyrosin bei akuter Leberatrophie bis zu einer Tagesmenge
von 1,5 g nachgewiesen, aus 300 ccm Blut hat W a d s a c k gar 3 g
Leucin und Tyrosin dargestellt.
Gleichzeitig wurde der Gehalt der Leber an Wasser. Fett und fettfreier
Trockensubstanz bestimmt. Aus Gründen der Zweckmässigkeit füge ich das
Ergebnis ergänzend ein in die Tabelle von Quincke und Hoppe-
S e y I e r, Leberkrankheiten.
Wasser
Fett
Fetttreie
Trocken substan r.
Normale Leber.
76.1
8,0
20,9
Akute Atrophie (Perle).
87.6
8,7
9,7
Akute Atrophie ePerle).
76,9
7,6
16,5
Akute Atrophie (v. Sturck).
Akute Atrophie im roten Endstadium
80,5
4,2
16,8
(Hildebrandt-Endres) ....
80,0
8,8
16,2
Die hier mitgeteilten Befunde weisen mancherlei Besonderheiten
auf. In erster Linie auffallend ist das Oewicjit der Leber. Die kleinsten
mir aus der Literatur bekannten Lebergewichte bei akuter Atrophie sind
von Reichmann (M.m.W. 1908 S. 959) und• von Pribram und
Walter (Prager med, Wschr. 1912 Nr. 18) mitgeteilt. Reichmanns
Beobachtung betrifft einen 17 jährigen Jüngling mit einerp Lebergewicht
von 593 g, die Beobachtung von P r i b r a m und Walter ein
27 jähriges, kräftiges Mädchen von 151 cm Länge. Das Lebergewicht
betrug 500 g. Auf die Körperlänge bezogen würde dieses Lebergewicht
genau dem meiner Beobachtung entsprechen, wo die Körperlänge 168 cm
betrug. Auch Pribram und Walter konnten in ihrem Falle, der
übrigens kaum 2 Tage in Beobachtung stand, im Harnsediment weder
Leucin noch Tyrosin nachweisen; ebenso fehlten Urobilin und Uro-
bilinogen. Leberbefund: „Auf der Schnittfläche der rechte Lappen
dunkelgraurot, mit zahlreichen eingesprengten verschieden grossen
ockergelben Flecken, im übrigen Zeichnung anscheinend so, dass fast
überall interazinös graues Gewebe erkennbar isL während die .Azin! als
gleichmässig dunkle kollabierte Gebilde erscheinen. Im linken Lappen
ist die Zeichnung ganz undeutlich, die Färbung mehr gelblichbraun.“
Neben Ekchymosen und Suggillationen an verschiedenen Stellen fanden
sich hämorrhagische Erosionen der Magenschleimhaut, aber keine erheb¬
lichen Blutungen in den Verdauungskanal.
Bei dem sehr geringen Lebergewichte meiner Beobachtung ist
hervorzuheben, dass die Gefässe und die Gallengänge innerhalb der
Leber vollkommen leer waren. Infolge der Dissoziation der Leberzellen
hatte die Gallenabsonderung völlig aufgehört; die Leberaellen selbst
enthielten noch viel Gallenfarbstoff. Entsprechend dem Ausfall der
Gallenabsonderung war auch im Darmkanal Galle nicht nachweisbar.
Es fehlten somit auch alle Vorbedingungen für die Bildung von Urobilin
*) Den Herren Kollegen, die mir durch ihre freundliche Hilfe es ermög¬
lichten, diesen seltenen Fall trotz der schwierigen äusseren Verhältnisse ziem¬
lich weitgehend zu verfolgen, meinen Dank, sonderlich aber dem mir leider
nioht bekannten Truppenarzt der Pi.Mineurkomp. 314 für seine sorgfältigen
Aufireichnungen.
Digitized by Gotiszle
innerhalb des Körpers. An allen 6 Tagen, an denen der Kranke in
meiner Beobachtung stand, wurde der Harn mit grösster Sorgfalt auf
Urobilin untersucht; Urobilin war nie nachweisbar. Durchfälle von einer
solchen Stärke, dass sie für die Bewertung der Untersuchung des Harns
auf Urobilin bedeutungsvoll hätten sein können..fehlten. Die schon am
8. Krankheitstagc — 11 Tage vor dem Tode — deutliche Entfärbung
des Stuhles weist mit Bestimmtheit darauf hin. dass schon damals ein
Teil der Leberzellen die Ausscheidung von Gallenfarbstoff eing^tellt
hatte, denn nichts spricht dafür, dass etwa mangelnde Durchgängigkeit
der ableitenden Gallenwege die Entfärbung der Stühle verursacht hätte.
Auch an den Leberzellen äussert sich schwere Erkrankung zuerst in
einer Einstellung der Funktion, was freilich an dem Verhalten der Qallen-
bildung allein nur mit Vorbehalt zu beurteilen ist. Der kurz vor dem
Tode noch deutliche Bilirubingehalt des Harns, die starke Gelbsucht noch
an der Leiche und das mikroskopisch reichliche Gallenpigment in den
Leberzellen scheinen sich nicht ohne weiteres damit vereinbaren zu
lassen, dass die Leberzellen ihre Funktion eingestellt hatten. Dazu ist
zu sagen, dass in anderen Fällen von Gelbsucht — bei Wiederfreiwerden
des Gallenabflusses — das in den Geweben und den Säftemassen des
Körpers befindliche Gallenpigment in der Hauptsache durch die Leber
ausgeschieden wird; die Nieren, die ohnehin auf Ausscheidung von
(Jallenfarbstoff so gern mit Albuminurie, antworten, sind allein nicht im¬
stande, so grosse Massen von Gallenfarbstoff auszuscheiden. Die Darm¬
schleimhaut und die Schweissdrüsen spielen dabei kaum eine Rolle. So
ist der (jallenfarbstoff bei einer akuten Leberatrophie sozusagen im
Körper gefangen, die Gitter seines Gefängnisses sina um so enger, je
mehr Leberzellen erkrankt sind. Die Schleichwege durch die Nieren
werden durch die oft gleichzeitig vorhandene schwere Nephritis un-
w'egsam.
Dazu kommt, dass mit der Einstellung der Funktion der Leberzellen
zwar die Ausscheidung von Gallenfarbstoff in die Gallenwege, keines¬
wegs aber jede Gallenfarbstoffbildung als solche aufhört. Auch die den
V. K u p f f e r sehen Sternzellen der Leber ents»prechenden „Retikulo-
endothelien“ der Milzkapillaren können Blutfarbstoff ln Gallenfarbstoff
umwandeln, was besonders für die Frage des hämolytischen Ikterus be¬
deutungsvoll ist. (Lepehne fM.m.W, 1919 Nr.23], Hijmanns v. d.
Bergh, Naunyn: Mitt. a. d. Grenzgeb. Bd.31 H.5; hier auch
Literatur.)
Es kann, wenn bei akuter Leberatrophie die Leber selbst ent¬
sprechend der Ausbreitung ihrer Erkrankung Bildung und Ausfuhr von
Gallenfarbstofl einstellt ausserhalb der Leber gebildeter Gallenfarbstoff
einer Minderung vorhandener Gelbsucht durch Gallenfarbstoffveriust im
Harn entgegen wirken, vorausgesetzt dass nicht gleichzeitig mit der
Erkrankung der Leber, vielleicht infolge der gleichen Schädlichkeit auch
die ausserhalb der Leber in Betracht kommenden Bildungsstätten für
Gallenfarbstofl ihre Tätigkeit einstellen.
Der Prozentgehalt der Leber an Fett ist in meiner Beobachtung
wesentlich geringer als in den bisher bekannten Fällen, tr nähert sich
mit 3,8 Proz. dem normalen Fettgehalt von 3 Proz. Dabei ist aber zu
beachten, dass etwa */8 des Lebergewichtes (gegenüber der Norm) und
somit auch etwa der gesamten Fettmenge der Lebtr verloren ge¬
gangen sind. Für eine Erkrankung, bei der fettige Degeneration eine
wichtige Rolle spielt, ein ganz ungewöhnlicher Befund. Hier ist das,
was Hoppe-Seyler (Die Krankheiten der Leber. Nothnagels
Handbuch 1912 S. 353) als Möglichkeit hinstetlt, zur Tatsache geworden;
Von einer „gelben" Atrophie ist nichts mehr zu finden, die fettigen
Zerfallsstofle sind schon fort.
Auch Zerfallsstoffe anderer Art waren zu einem grossen Teil nicht
mehr in der Leber anzutreflen: die Ausbeute an Leucin und Tyrosin aus
Lebergewebe war recht bescheiden, war auch aus dem Ham der letzten
36 Stunden vor dem Tode sehr gering. In den vorhergehenden Tagen
wäre die Ausbeute im Harn voraussichtlich grösser gewesen; damals
hätte man wohl auch Albumosen gefunden.
Die Leber war nahezu „1 e e r“. Ihr Gewicht wäre noch niedriger
gewesen, w^enn nicht „leicht vermehrtes peripheres Bindegewebe, stark
mit Lymphozyten durchsetzt und leicht vermehrte Gallengänge“ eine«-
Gewichtsabnahme entgegengewirkt hätten.
Bei einer so weitgehenden Auflösung von Lebergewebe hätte man
erwarten müssen, dass die in der Literatur noch vereinzelt als möglich
hingestellte „hepatogene Urobilinbildung“ endlich einmal in die Erschei¬
nung getreten wäre. Wieweit soll denn nach der Ansicht der Verfechter
dieser Lehre die Zerstörung des Leberparenchyms eigentlich gehen, um
„hepatogene Urobilinbildung“ zu ermöglichen?
Urobilin wird im menschlichen Körper nur im
Darmlumen und im Lumen infizierter Gallengänge
einschliesslich der Gallenblase gebildet. Die Be¬
zeichnung „Urobilin“ ist hier als Sammelname für Urobilin und alle seine
Chromogene gebraucht; im Körper selbst spielen Ja. wie ich bereits 1909
betonte, die Urobilinogene eine weit wichtigere Rolle als das Urobilin
selbst.
Zu einer ätiologischen Klarstellung meiner Beobachtung reichen die
bakteriologischen Befunde nicht recht aus, weil die Untersuchungen aus
äusseren Gründen zeitlich zu ungünstig waren. Spirochäten wurden nicht
gefunden.
Sehr bedeutungsvoll ist die Beobachtung, das$ sich die Leber am
Tage vor dem Tode innerhalb von 12 Stunden so stark verkleinerte. Bei
der Untersuchung am Vormittag als massig verkleinert anzusprechcii.
war die Leber abends kaum noch nachzuweisen. Dieser überaus rasche
Wechsel der Lebergrösse kann nicht im Zerfall allein begründet sein,
hier müssen andere Ursachen mitwirken.
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
M Mai
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
^7i
Schon am Morgen dieses Tages — vor der Untersuchung — waren
schwärzliche Massen erbrochen; reichliche Blutungen in den Verdauungs-
traktus sind dem abendlichen Zusammenbruche vorausgegangen. Die
infolge der Blutungen erheblich verminderte Oesamtblutmenge hat sich
gewiss bemerkbar machen müssen für Form, Grösse und innere Festig¬
keit der normalerweise so blutreichen Leber. Aber auch das reicht zu
einer Erklärung der rasch eintretenden Verkleinerung nicht aus.
Form, Grösse und innere Festigkeit der Leber hängen, wenn wir
etwaigen Druck von seiten der Nachbarorgane einmal unbeachtet lassen,
von dem Zusammenwirken dreier Faktoi'en ab: dem Stützgewebe der
Leber, ihrem Parenchym und dem Füllungszustande ihrer Blut- und
Lymphgefässe. Das Stützgewebe der Leber, welches wohl auch
elastische Elemente in sich schliesst wird bei der akuten Leberatrophie
nicht oder nicht wesentlich in Mitleidenschaft gezogen. Es wird deshalb
von Wichtigkeit sein, das Verhalten der anderen beiden Faktoren zu
untersuchen. Die Parenchymzellen werden bei der akuten Atrophie aus
ihrem Zusammenhänge gerissen und verfallen dem Zelltode. Dadurch
wird die innere Festigkeit der Qesamtleber schw^er geschädigt. Zwar
können die Maschen des Stützgewebes trotz des Zelltodes und der Auf¬
saugung der Zerfallsstoffe prall gefüllt bleiben, aber die „Ersatzfüllung“
verleiht nicht die gleiche Festigkeit w ie das frühere normale Parenchym.
Die „Ersatzfüllung“ besteht neben Zelltrümmern aus Gew^ebsflüssigkeit,
wie das aus Leu b es bekanntem Fall ersichtlich ist, bei dem die Leber
„eine so weichteigige Resistenz zeigte, dass der Fingerdruck ipi Epi-
gastrium sicht- und fühlbar blieb“ (zitiert nach H o p p e - S e y I e r).
Die Gewebsflüssigkeit einer zerfallenden Leber ist im Gegensatz zu den
normalen Parenchymzellen in hohem Masse abhängig von äusseren
Druckverhältnissen. Plötzliche Drucksteigerungen innerhalb der Bauch¬
höhle können ohne Zweifel zu einem rascheren Fortschaffen dieser Flüssig¬
keit auf dem Lymphwege führen, schwere Hustenanfälle, vor allem aber
schwere Anfälle von Erbrechen sind imstande, eine so veränderte Leber
auszupressen wie einen vollgesogenen Schwamm. Die Leber fällt zu¬
sammen! Mit dem Augenblicke, in dem die Auspressung der Leber
genügend weit gediehen ist, treten die Aenderungen des Blutumlaufes
ein, die wir von der Pneumothoraxlunge her kennen. Die Durchblutung
sinkt auf sehr geringe Werte. Ausgedehnte Kapillargebiete fallen zu¬
sammen; von der unteren Hohlvene aus kommt, mag auch der allgemeine
Kreislauf noch so sehr darniederliegen, eine rückläufige Füllung der
Kapillargebiete kaum mehr in Frage. Die von der oben geschilderten
Gewebsflüssigkeit leergew'ordene Leber wird auch weitgehendst blutleer,
sobald die Vorbedingungen für ein „Entfaltetsein“ des Organs nicht mehr
bestehen *).
Meine Beobachtung glaube ich in dieser Weise deuten zu müssen.
Dass selbst nach dem Zusammenfallen der Leber eine Vermehrung ihrer
Gewebsflüssigkeit noch besteht, lehrt ein Blick auf obige Tabelle.
Die Aufsaugung der Zerfallsstoffe ist, kenntlich am Verhalten der
Fettstoffe, in dem Falle meiner Beobachtung weiter fortgeschritten als
in den Fällen von Reichmann und von Pribram und Walter,
die ihm sonst sehr nahestehen, aber noch keine reinen Formen des
roten Endstadiums der akuten Leberatrophie darstellen.
Zusammenfassung.
1. Ein Fall von akuter Leberatrophie, der im roten End-
s t a d i u m starb, wies ein Lebergewicht von 55.5 g auf bei einer
Körperlänge von 168 cm. Fett und andere Zerfallsstoffe des Leber¬
parenchyms waren zur Zeit des Todes in der Hauptsache bereits auf¬
gesaugt.
2. Die bei der akuten Atrophie meist spät und rasch eintretende
Verkleinerung der Leber ist wesentlich mitbedingt durch plötzliche Druck-
Steigerungen innerhalb der Bauchhöhle, z. B. beim Erbrechen. Auch
andere Blutverteilung sowie Blutungen im Pfortaderbereich sind be¬
deutungsvoll.
3. Selbst in diesem Falle hochgradigster Zerstörung von Leber¬
gewebe wurde eine „hepatogene Urobilinbildung“' vermisst. Diese un¬
bewiesene Anschauung einer hepatogenen Urobilinbildung sollte verlassen
werden. Urobilin entsteht im menschlichen Körper nur im Darmlumen
und im Lumen infizierter Gallengänge einschliesslich der Gallenblase.
Aus dem Physiologischen Institut der Universität «Giessen.
Ueber die Notwendigkeit exakter absoluter Hämoglobin¬
bestimmungen und Erythrozytenzählungen.
Von Prof. Dr. K- Bürker-Giessen.
In der Hämatologie macht sich bei der ungeheuren Fülle von Einzel-
beobaclitungen das Bedürfnis nach kritischer Sichtung und Aufstellung
fester Gesetze immer mehr geltend. Dieses Bedürfnis wird aber nur
dann befriedigt werden können, wenn der Wert der Untersuchungs¬
methoden, mit deren Hilfe jene Beobachtungen gew'onnen W'urden, fest-
steht, wenn bisher bestehende Unstimmigkeiten einer Erklärung zugängig
*) Hirschberg (Diss., Dorpat 1886) weist mit Recht darauf hin, dass
die schnelle Verkleinerung der Leber nicht durch die Aufsaugung der Zer¬
fallsprodukte allein zu erklären sei, sondern dass die Blutfüllung auf die je¬
weilige Grösse und den Umfang der Leber wesentlichen Einfluss ausüben
müsse. „Die Verkleinerung der Leber bei akuter gelber Leberatrophie ist in
vielen Fällen mit grosser Wahrscheinlichkeit als eine postmortale oder agonale
zu deuten, welche durch die Aenderung in der Blutfüllung der Kapillarbahn
der Leber veranlasst ist.“
Nr. J9.
Digitized by Goiisle
gemacht werden können. Das scheint mir nun nach der Verbesserung der
Methode der Hämoglobinbestimmung und der Erythrozytenzählung der
Fall zu sein, und ich werde Im folgenden versuchen darzulegen, was im
Anschluss daran erreicht wurde.
In den Vordergrund des Interesses ist bei der Unter¬
suchung des Hämoglobins und der Erythrozyten und damit der Sauer¬
stoffversorgung des Organismus der mittlere Gehalt eines
Erythrozyten an Hämoglobin gerückt. Man hat diesen
Wert bisher nur relativ unter dem Namen „Färbeindex“ bestimmt, indem
man den Hämoglobingehalt des Blutes in Prozenten einer ziemlich will¬
kürlichen Norm, diese gleich 100 angenommen, ermittelte, desgleichen
die Erythrozytenzahl, wol^ei 5 Millionen als Norm angenommen und
mit 100 bezeichnet wurden, und den Quotienten
_ Hämoglobin in Prozenten der N orm_
Erythrozytenzahl in Prozenten der Norm
bildete, der normalerweise den Wert 1 ergeben musste.
Die Unsicherheit beginnt aber schon mit dem Begriffe nor¬
maler Hämoglobingehalt. Der Gehalt ist bekanntlich beim
"männlichen Geschlechte, wenigstens beim Menschen, grösser als beim
weiblichen, er ist ferner in den verschiedenen Lebensaltern verschieden,
er ist endlich im Hochgebirge grösser als im Tieflande.
Was soll nun als Norm angenommen werden? Man könnte daran
denken, den Hämoglobingehalt des Blutes gesunder erwachsener Männer,
die sich etwa in Meereshöhe unter mittleren klimatischen Verhältnissen
aufhalten, als normal anzunehmen und der Eichung der Hämoglobin¬
bestimmungsapparate zugrunde zu legen, wie dies auch, freilich meist
unter Verwendung ungenügender Methoden, geschehen ist. Die Erfahrung
hat mir aber gezeigt, dass man auf diesem Wege nicht zum Ziele
kommt, da der Hämoglobingehalt des Blutes gesunder erwachsener
Männer von 14—18 g in 100 ccm Blut, also um volle 25 Proz. schwanken
kann. Dazu kommt, dass das Hämoglobin doch auch im Tierblul quanti¬
tativ bestimmt werden muss, der Konsequenz halber müsste dann aber
auch für jede 'Fierart eine besondere Norm aufgestellt werden, was auch
zum Teil geschehen ist; aber eine Vergleichung all dieser Werte ist
doch nur auf Umwegen möglich.
All diese Schwierigkeiten werden beseitigt, wenn man zu dem
Begriff der absoluten Konzentration, wie er in der Chemie
üblich ist, zurückkehrt und unter absolutem Hämoglobingehalt die Anzahl
Gramme .Hämoglobin versteht, die in 1 ccm Blut enthalten sind, oder,
um zuviel Dezimalstellen zu vermeiden, die Anzahl Gramme Hämoglobin
in 100 ccm Blut.
Wie steht es nun zurzeit mit der Vornahme solcher
absoluter Hämoglobinbestimmungen? Der genaueste,
gegenwärtig zur Verfügung stehende Apparat ist das Spektro¬
photometer, das den grossen Vorzug besitzt, nicht nur quantitative,
sondern auch qualitative Bestimmungen zu ermöglichen, und letzteres ist
bei der leichten Zersetzlichkeit des Oxyhämoglobins in einer Reihe von
Fällen unbedingt nötig. Aber dieser Apparat, der in Form des Hüfner-
schen Polarisationsspektrophotometers schon in Friedenszeiten 750 M.
gekostet hat, ist jetzt fast unerschwinglich. Der Apparat ist ferner nicht
ganz leicht zu bedienen und muss mit kristallisiertem Hämoglobin geeicht
werden. Meine Messungen sind bisher alle mit einem solchen, immer
wieder kontrollierten Apparat, der auf 1 Proz. genaue Bestimmungen
ermöglicht, vorgenommen worden.
Von weiteren Apparaten kommen noch die Kolorimeter in
Betracht. Für eine exakte Kolorimetrie muss aber verlangt werden, dass
Hämoglobin mit Hämoglobin oder wenigstens Hämoglobinderivat mit
Hämoglobinderivat verglichen wird und nicht mit Ersatzfarben aus
anderen mehr oder weniger haltbaren Farbstoffen oder gefärbtem Glas.
In dieser Beziehung hat der S a h 1 i sehe Hämometer einen entschiedenen
Fortschritt gebracht, nachdem es Herrn Sahli gelungen war, das saure
Hämatin haltbarer zu machen als es bei den ersten Apparaten war.
Leider ermöglicht aber der Sahli sehe Apparat nicht so genaue absolute
Hämoglobinbestimmungen, w’le sie für den vorliegenden Fall verlangt
werden müssen. Auch hat der Urheber des Apparates nicht angegeben,
wie etwa jederzeit die Eichung des Apparates kontrolliert werden könnte;
auf spektrophotometrischem Wege ist diese Kontrolle möglich, wie Ver¬
fasser*) gezeigt hat.
Der Autenrieth-Koenigsbergersehe Kolorimeter ermög¬
licht zwar infolge der beigegebenen optischen Hilfsmittel eine genauere
Einstellung und beliebige Wiederholung des Versuches, was zur Erzielung
eines guten Mittelwertes von Bedeutung ist. aber das richtige kolori-
metrische Prinzip ist wieder durchbrochen, indem eine saure Hämatin¬
lösung mit einem anderen braunen Farbstoff, der nicht einmal in ver¬
dünnter Salzsäure gelöst ist verglichen wird.
Hier war also eine zweifellos bestehende Lücke auszufüllen, der
Wunsch nach einem neuen exakten, nicht gar zu teuren Hämo¬
globinometer ist auch oft ausgesprochen worden. Es ist mir nun
gelungen, einen solchen Apparat zu konstruieren, die Optischen Werke
von E. Leitz in Wetzlar sind zurzeit mit der Herstellung des Appa¬
rates beschäftigt
Das Prinzip ist folgendes: Das zu untersuchende 100fach verdünnte
Blut wird durch einige Körnchen Natriumhydrosulfit, NaaSsO«, reduziert
und mit einer haltbaren Lösung reduzierten Hämoglobins verglichen.
Die quantitative Bestimmung geschieht mit Hilfe eines Eintauchkolori-
*) Prüfung und Eichung des Sahli sehen Hämometers. I. Teil. Aelteres
Hämometer. Pflügers Arch. f. d. ges, Physiol. 142. S. 273. 1911.
4
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
572
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
N:. 10
nieters besonderer Art mit vollständig identischem Strahlengang beider¬
seits, so dass auf mindestens 1 Proz. genaue Messungen erzielt werden
können, die aber viel leichter durchzuführen sind aAs mit dem Spektro¬
photometer. Die Eichung des Apparates bzw. der Hämoglobinlösung, die
einer Nachprüfung zugängig ist, geschieht in doppelter Weise, nämlich
1. spektrophotometrisch mit Hilfe kristallisierten Hämoglobins,
2. massanalytisch auf Grund des nunmehr genau bekannten Eisen¬
gehalts des Hämoglobins von 0,335 Proz. Eisen mit Hilfe der
Neumannsehen Methode in der Modifikation von Letsche-
B u 11 e r f i e 1 d *),
also nach zwei voneinander unabhängigen Methoden.
Der Apparat wird in zwei Formen geliefert, in einer genaueren für
exakte wissenschaftliche Bestimmungen und in einer einfacheren für
praktische Zwecke.
Mit der exakten Hämoglobinbestimmung allein ist es aber nicht
getan, eine möglichst exakte Erythrozytenzählung ist
ebenso nötig, wenn anders der absolute Hämoglobingehalt eines Erythro¬
zyten ermittelt werden soll. Leider ist in dieser Beziehung viel ge¬
sündigt worden und wird immer noch gesündigt.
Die am meisten verwendete Thomasche Methode ist wie ich
ausreichend gezeigt zu haben glaube, bei normalem menschlichem Blute
für den sehr geübten Untersucher mit einem Fehler von mindestens
7 Proz. behaftet der durch das relativ grosse Senkungsbestreben der
Erythrozyten in der Verdünnungsflüssigkeit bedingt ist. Bei weniger
Geübten kann der Fehler viel grössere Werte erreichen. Dieser Fehler
ist aber für den einzelnen Untersucher kein konstanter, er fällt vielmehr
um so grösser aus, je grösser der Gehalt eines Erythrozyten an Hämo¬
globin ist und dieser Umstand ist hauptsächlich schuld daran, dass es
vielfach zu so widersprechenden Resultaten bei hämatologischen Unter¬
suchungen kam. In dieser Beziehung erinnere ich nur an die Versuche
über die Wirkungen des Höhenklimas auf das Blut wobei die
Mieschersehe Schule eine bedeutende Vermehrung der roten
Blutkörperchen und „sehr wahrscheinlich“ eine Vermehrung des
Hämoglobins fand. Dieses Resultat ist nur auf die Verwendung der un¬
genügenden Zählmethode zurückzuführen.
Welch enorme Werte dieser Fehler bei Zählungen in verschieden¬
artigem Blute erreichen kann, geht aus einer im hiesigen physiologischen
Institut durchgeführten Arbeit von R. M a r 1 o f f ®) hervor, der folgender-
massen verfuhr: Im Blute von Menschen und in dem verschiedener
Tiere wurde eine Zählung der Erythrozyten nach meiner und vergleichend
im Prinzipe nach der Thomasehen Methode vorgenommen. Im
gleichen Blute wurde auch der absolute Hämoglobingehalt mit Hilfe des
Spektrophotometers ermittelt und aus der Erythrozytenzahl und dem
Hämoglobingehalt der absolute Gehalt eines Erythrozyten an Hämoglobin
in 10—12 g berechnet. Dann wurde nach Reinigung der Zählkammer
ein Tröpfchen der Blutmischung auf die Zählfläche gebracht und in
diesem Tröpfchen die Senkungsgeschwindigkeit der Erythrozyten mit
Hilfe des Mikroskops festgestellt. Diese Geschwindigkeit fiel nun immer
um so grösser aus, je grösser der mittlere Hämoglobingehalt eines
Erythrozyten war, um so grösser war dann aber auch im allgemeinen
der Zählfehler bei der T h o m a sehen Methode.
Die Konstatierung, dass alle nach dieser Methode durchgeführten
Zählungen mit einem mehr oder weniger grossen Fehler behaftet sind,
ist eine sehr betrübende, es müssen neue, exaktere Zählungen für alle
Blutarten vorgenommen werden, um die richtigen Mittelwerte zu er¬
halten. Es sind dann aber auch alle bisherigen Bestimmungen des Färbe¬
index mehr oder weniger falsch, sofern die T h o m a sehe oder eine ver¬
wandte Methode zur Zählung benutzt wurde, und das ist bei der Wichtig¬
keit dieses Wertes ganz besonders zu bedauern.
Aus alledem ergibt sich, wie notwendig es war, die Methode
derErythrozytenzählung zu verbessern.
Die von mir angegebene Methode hat, soweit ich sehe, im allge¬
meinen Anklang gefunden. In der ersten Zeit der Herstellung des Zähl¬
apparats blieben technische Mängel- nicht aus, so wurde z. B. die Pipette
zur Abmessung von 4975 emm Verdünnungsflüssigkeit aus Versehen nicht
mit verengter Spitze, wie verlangt, geliefert, wodurch es schwer war,
den Meniskus an der Ringmarke festzuhalten. Auch war in der Zählkammer
die zwischen den beiden Zählflächen befindliche Rinne manchmal zu
schmal, so dass die Blutmischung von der einen Abteilung in die andere
übersprang. Nach den mit den Z e i s s werk-en getroffenen Verein¬
barungen sollten derartige Fehler nicht mehr Vorkommen. Ausdrücklich
bemerke ich, dass ich Zählapparaten, die meinen Namen tragen, aber
nicht von den Zeisswerken stammen, fernstehe. Neuerdings sind die
Vorschriften zur Handhabung des Zählapparates bei
Z e i s s in zweiter Auflage erschienen, wobei ich die neuesten Erfah¬
rungen verwertet habe.
Aus einer Zuschrift von Herrn Prof.Dr.K r ause, Direktor der Medi¬
zinischen Poliklinik in Bonn, ersehe ich, dass die in den letzten Monaten
von anderen Firmen als von Z e i s s bezogenen Pipetten zur Abmessung
des Blutes bei Zählung roter und weisser Blutkörperchen grosse Fehler
in bezug auf die Graduierung aufweisen. Das legt nahe, die Blutunter¬
suchungsapparate durch die Reichsanstalt für Mass und Ge-
^ E. E. Butterfield: lieber die Lichtextinktion, das Gasbindungs-
vermöKen und den Eisengehalt des menschlichen Blutfarbstoffs in normalen und
krankhaften Zuständen. Hoppe-Seylers Zschr. f. phys. Chem. 62. 1909. S. 173.
®) R. Marl off: Die früheren Zählungen der Erythrozyten im Blute
verschiedener Tiere sind teilweise mit grossen Fehlern behaftet. Pflügers
Arch. f. d. ges. Physiol. 175. 1919. S. 355.
wicht in Berlin-Charlottenburg, Wern^-Siemensstrasse 27/28, amtlich
prüfen und beglaubigen zu lassen. Schon im Jahre 1909 ist die damalig.-
Kaiserliche Normaleichungskommission in Berlin-Charlottenburg in
diesem Sinne mit mir in Verbindung getreten, ich habe eine solche
Prüfung und Beglaubigung bei der Bedeutung, welche die Blutunter¬
suchungen gewonnen haben, als sehr wünschenswert bezeichnet. Dass
sie jetzt dringend notwendig sind, eben um zu absoluten vergleichbaren
Resultaten zu gelangen, zeigen die Konstatierungen des Herrn Kollegen
Krause. Wie ich höre, h^ben auch die optischen Firmen in der
gleichen Richtung Schritte unternommen.
Zur Beurteilung der mit meinem Apparate zu erzielenden Ge¬
nauigkeit bei Zählung in einer konstanten Blut¬
mischung sei eine Versuchsreihe mitgeteilt, die ich neben anderen
neuerdings zusammen mit Herrn Medizinalpraktikanten B. Behrens
an meinem Blute durchgeführt habe; es sollte dabei auch geprüft werden,
ob es genügt, 1 Minute lang statt 2 Minuten zu mischen. Die Zählungen
wnirden in der Zeit vom 15. bis 18. Dezember 1920 vorgenommen.
Zählungen in einer konstanten Blutmischung.
Erythrozytenzahl in Millionen nach Zählung in
Nummer
Abteilung I
Abteilung 11
beiden
Abteilungen
zusammen
1
5,28
6,87
6,83
8
6,42
5,14
5,28
8
X .5,26
5,28
5,24
4
6,17
6,32
5,25
6
6,29
6,44
5,37
6
6,46
5,07
6 26
7
5,24
5,49
5,36
8
5,61
6,20
5,86
9
5,14
C,12
6,13
10
6,84
6.28
6.31
63,10
52,66
62,88
Als Gesamtmittel ergibt sich rund 5,29 Millionen Erythrozyten in
1 ccm Blut.
Bei diesen Zählungen betiiig demnach der mittlere Fehler jeder
einzelnen Zählung nach der G au ss sehen Fehlerquadratmethode be¬
rechnet in Abteilung I, also bei Auszählung von 160 Quadraten, 2,3, in
Abteilung II in ebensoviel Quadraten 2,7 Proz., der mittlere Fehler des
Mittelwertes in diesen Abteilungen 0,7 bzw. 0,8 Proz. Bei Zählungen
von 360 Quadraten, also in beiden Abteilungen zusammen, ergab sich
der mittlere Fehler jeder einzelnen Zählung zu 1.4, der mittlere Fehier
des Mittelwertes zu 0.4 Proz. Die Fehler sind also im gegebenen Falle
noch kleiner als ich früher angegeben habe. Nach meinen Erfahrungen
genügt es auch, wenn 1 Minute statt 2 Minuten lang, wie früher ver¬
langt, gemischt wird.
Dass ferner die Fehler nicht grösser werden, wenn man. statt in
einer konstanten Blutmischung zu zählen, das Blut jeden Tag von neuem
entzieht, abmisst, verdünnt und auszählt, habe ich früher schon gezeigt*).
Es ist erstaunlich, wie zäh der Organismus an der
einmal gegebenen Erythrozytenzahl und dem Hämo¬
globingehalt festhält; das geht aus Versuchsresultaten hervor,
die ich im Laufe der Jahre an meinem eigenen Blute gewonnen habe.
Im August 1910 nahm ich in Tübingen an drei aufeinanderfolgenden
Tagen Erythrozytenzählungen in meinem Blute vor und fand als Mittel
5,27 Millionen. Eine siebentägige Versuchsreihe im April 1911 ergab als
Mittel 5,29 Millionen, eine ebensolche im Mai 1911 5,25 Millionen. Vier
Versuche im Juni 1919 in Giessen ergaben 5,25 Millionen, und die vorhin
erwähnten zehn Zählungen in der konstanten Blutmischung von mir
5,29 Millionen. Der Organismus reguliert also die Erythrozytenzahl im
Blute mit einer Genauigkeit, die bewundernswert ist.
Nicht anders ist es übrigens um den Hämoglobingehalt des Blutes
bestellt, der bei mir im August 1910 in Tübingen 16,7 g in 100 ccm Blut
als Mittel aus drei Bestimmungen betrug, im April 191Ö in Giessen 16,6 g,
im Februar 1919 in Giessen 16,7 g und jetzt 16,7 g. Damit ist aber auch
die Konstanz des so wichtigen mittleren Hämoglobingehaltes eines
Erythrozyten erwiesen.
Die Zählmethode hat sich mir und, wie ich aus der Literatur ersehe,
auch andefen bewährt. Die Kritik, die Herr W. R o e rd a n s z ®) geübt
hat, hat mich nicht veranlassen können, das ganze Verfahren auch nur
in einem Punkte abzuändern. Die Einwände des Herrn Roerdansz
werden ausserdem durch eine sehr fleissige, neuerdings erschienene
Arbeit von Herrn B. F e u c h t ®) widerlegt, der meine Zählmethode einer
sehr eingehenden praktischen und theoretischen Prüfung unterzogen hat
und dabei zu dem Resultate kommt, dass der empirisch bestimmte wahr¬
scheinliche Fehler für die Bürkersche Kammer um 50 Proz. niedriger
ausfällt als der theoretisch kleinstmögliche wahrscheinliche Fehler für
die T h 0 m a sehe Kammer.
Es soll nunmehr an den Resultaten vergleichender
Untersuchungen, die am Blute von Haustieren vorgenommen
*) Ueber weitere Verbesserungen der Methode zur Zählung roter Blut¬
körperchen nebst einigen Zählresultaten. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol.
142. 1911. S. 358.
®) W. Roerdansz: Die Vorbereitung des Blutes zur Zählung seiner
Formelemente und die den einzelnen hierbei gebräuchlichen Methoden inne¬
wohnenden Unsicherheiten. Folia haematol. 18. 1914. S. 1.
•)B. Feucht: Zur B ü r k e r sehen Methodik der Blutkörperchen¬
zählung., Med. Dissertation, Leipzig 1920 und Pflügers Arch. 187. 1921. S. 130 ,
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
573
wurden, gezeigt werden, zu welchen Ermittlungen man mit Hilfe gev-
nauer Hämoglobinbestimmungen und Erythrozytenzählungen gelangen
kann. Die Untersuchungen wurden von den Herren P. Kühl und
G. F r i t s c h im hiesigen physiologischen Institut an jeweils 10 Tieren
der gleichen Art, möglichst 5 männlichen und 5 weiblichen, durchgeführt,
die Mittelwerte sind in der folgenden Tabelle enthalten und zwar nach
steigendem Hämoglobingehalt eines Erythrozyten geordnet.
Tierart
Hämo¬
globin in "
in 100 ccm
Blut
Erythro¬
zytenzahl in
Millionen in
1 emm Blut
.Mittlerer
lfämo"lobin-
grehalt 1 Ery¬
throzyten in
10-12 fr
Brechiiugs-
exponent
des Plasmas
Berechnete
Eiweiss¬
prozente
des Plasmas
Pferde.
12,4
6,94
18
1,3495
7,8
Rinder . a ..
10,8
5,72
19
1,3490
7,6
Kanincbe^.
11,9
5,86
20
1,3473
6,6
Hunde .
15,8
6.59
24
1,3484
7.2
Hennen .
9,6
2,77
35
1.3466
6.2
Hähne .
12,3
3.24
38
1,3463
6.0
Tauben .
13,7
8 18
43
1,3434
4,3
Wesentliche durch das Geschlecht bedingte Unter¬
schiede wurden nur bei Hähnen und Hennen gefunden, also bei
Tieren, deren sekundäre Qeschlechtscharaktere sehr ausgesprochen sind.
Die mit der Thomascheu Methode ermittelten Erythro-
zytenzahlen dieser Tiere sind alle zu hoch, bei den Tauben erreicht
dieser Fehler volle 31 Proz.
Absolute Hämoglobinbestimmungen lagen bisher nur
wenige vor. Hier ist auffallend, dass bei der einen Tierart, z. B. beim
Rinde, der Gehalt von Tier zu Tier sehr konstant ist, wie die folgenden
bei 10 Tieren erzielten Werte zeigen: 10,4—10,4—10,5—10,6—10,4—
9,8—11,7—11,9—10,3—11,8, im Mittel 10,5 g in 100 ccm Blut. Bei
Hunden dagegen schwanken diese Werte von Tier zu Tier beträchtlich:
12,9—13,1—17,9—15,5—12,9—19.3—18.3—15,9—14.9—17.4, im Mittel
15.8 g.
Aber, was sehr bemerkenswert ist, der absolute Hämo-
g 1 ob ingehalt eines Erythrozyten ist bei all diesen Tieren
mehr oder weniger eine 'Konstante und betrug z. B. bei den 10 Hunden
mit ihrem so wechselnden Hämoglobingehalt in 100 ccm Blut: 22—22—
29®)—24—24—25—24—24—28—24, im Mittel 24 • 10 -12 g. Das heisst
also: Schwankt bei diesen Tieren auch der Hämoglobingehalt des Blutes
beträchtlich, so schwankt eben auch im gleichen Masse die Erythro¬
zytenzahl.
Des weiteren lässt sich feststellen, dass, je grösser der Gehalt eines
Erythrozyten an Hämoglobin ist, um so kleiner im allgemeinen die
Konzentration des Plasmas an Eiw'eiss zu sein pflegt, wo¬
durch offenbar einer zu grossen Viskosität des Blutes entgegengearbeitet
wird.
Das Merkwürdigste aber ist folgendes: Die' Erythrozyten sind
typische Oberflächengebilde, was für die Sauerstoffaufnahme und -abgabe
von Bedeutung ist. Es lag nahe, die am Blute der Tiere gewonnenen
Resultate zu der Feststellung zu verwenden, wie das Hämoglobin
auf die Einheit der Oberfläche, 1//®, bei den Erythrozyten
des Menschen und der genannten Tiere verteilt ist. Hier ergab sich nun
auf Grund der bekannten Masse dieser Erythrozyten die sehr bemerkens¬
werte Tatsache, dass, obwohl der absolute Hämoglobingehalt und die
absolute Erythrozytenzahl beträchtlich schwanken kann, beim Menschen
und bei all diesen Tieren auf die Einheit der Oberfläche ihrer Erythro¬
zyten die annähernd gleiche Hämoglobinmenge von 32* 10 - *2 g fällt, die
Werte schwanken in relativ engen Grenzen um diesen Mittelwert herum.
Es scheint sich hier um ein wichtiges biologisches Gesetz zu handeln,
das offenbar zu der bemerkenswerten Konstanz des Stoffwechsels für
die Einheit der Körperoberfläche in Beziehung steht. Hier eröffnen sich
allerlei Aussichten für die Hämatologie.
Jedenfalls ergibt sich jetzt noch dringender als
früher die Notwendigkeit exakter absoluter Hämo¬
globinbestimmungen und Erythrozytenzählungen
zur Ermittlung des so wichtigen absoluten Hämo-
globingehaltes eines Erythrozyten und der Vertei¬
lung des Hämoglobins auf die Einheit der Oberfläche
dieses Gebildes. Aber nicht nur für die Physiologie,
auch für die Pathologie dürfte diese Ermittlung von
grosser Bedeutung sein.
Erfahrungen mit Yatren in der kleinen Chirurgie.
Von Prof. Dr. Sonntag, Oberarzt der Poliklinik an der
chirurgischen Universitätsklinik zu Leipzig.
Günstige Berichte, welche über das Yatren in den letzten Jahren
(teils vor dem Kriege, teils nach diesem) veröffentlicht worden sind,
bewogen uns, auf Anregung des Darstellers des Mittels dasselbe in der
hiesigen chirurgischen Poliklinik zu prüfen. Die benötigten Versuchs¬
mengen wurden uns von der herstellenden Fabrik (West-Laboratorium
G. m. b. H., Hamburg-Billbrook, Billbrookdeich 42) bereitwilligst zur Ver-
P. Kühl: Das Blut der Haustiere mit neueren Methoden untersucht.
I. Untersuchung des Pferde-, Rinder- und Hundeblutes. Pflügers Arch. f. d.
ges. Physiol. 176. 1919. S. 263 und 0. Fritsch: II. Untersuchung des
Kaninchen-, Hühner- und Taubenblutes. Ebenda 181. 1920. S. 78.
*) Nur dieser Wert zeigt eine grössere Abweichung.
Digitized by Goiisle
fügung gestellt. In folgendem soll über unsere Erfahrungen mit Yatren
in der kleinen Chirurgie auf Grund etwa einjähriger Verwendung in der
Poliklinik berichtet werden.
Zuvor sei das Wichtigste über die Natur des Präparates
erwähnt: Yatren, früher Tryen genannt (willkürlicher Name), ist
ein Jodbenzolpräparat mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Para-
jodorthosulfoxycyclohexatrienpyridin. Es enthält zumeist Yatrensäure,
bestehend aus 5 Jod,, 8 (Oxycyclohexatrienpyridin (Oxychinolin) und
7 Sulfosäure; zur Erreichung des Lackmusneutralpunktes ist etwas
Natrium bicarbonicum zugesetzt, wodurch neben Beseitigung der Säure¬
wirkung die Verteilung und die Löslichkeit gefördert werden soll und
wodurch sich die Kohlensüureentwicklung bei Lösung und Erwärmung
erklärt. Yatren ist also ein organisches Jodpräparat, und
zwar mit 30 Proz. Jod; letzteres wird auch im Körper nicht abgespalten,
vielmehr geht das Yatren keine Verbindung mit dem Körpereiweiss
ein und erscheint unzersetzt im Harn, in welchem es daher bei Dar¬
reichung einer grösseren Menge für kurze Zeit (am 1. Tag) nachweisbar
ist (Eisenchloridlösung gibt Schwarzfärbung), dagegen nicht Jod, auch
wird kein Jodismus beobachtet, ebensowenig wie Vergiftungserschei¬
nungen, selbst bei innerlicher hoher Gabe. Es handelt sich also um
Wirkung eines Komplexkörpers, wobei die Sulfogruppe die beiden anderen
Gruppen zur Komplexwirkung bindet. Yatren ist ein gelbes, süss
schmeckendes und geruchloses Pulver. Praktisch ist es unzersetzlidh
(erst bei 223® C); Wärme und Kälte, sowie langes Liegen schaden
nicht, ln Wasser ist es löslich, und zwar bei Aufkochen bis 10 Proz.;
bei Erkalten (unter 40®) bleibt es bis zu 5 Proz. gelöst; in Serum
(Pferdeserum) beträgt die Löslichkeit etwas weniger als 5 Proz. Der
Preis des Yatren entspricht ungefähr dem ähnlicher Präparate.
Im Handel erscheint das Präparat als
1. Yatren puriss. (reines Pulver).
2. Yatrenpuder (10 Yatren + 90 Tale, venet.).
3. Yatrengaze, und zwar in Packungen zu 1 qm, qm und in
Streifen 5 m lang und 5 cm breit (spez. für Unfallpraxis als sog.
„Streifen- oder Liliputpackung“).
4. Yatrenstäbchen (10proz. Yatrenglyzeringelatinestäbchcn,
spez. für Urethra und Uterus als sog. „Uterin- oder Noffkestäbchen“,
hergestellt von Apotheker Heinr. N 0 f f k e, Berlin, Yorkstrasse).
5. Yatrenlösung, 5 proz. in sterilen AmpuUen.
Die in der Literatur bisher vorliegenden Erfah¬
rungen mit Yatren können wegen Raurhmangels hier auch nicht in kurz¬
gefasstem Referat wiedergegeben, sondern sollen nur erwähnt werden:
Laboratoriumsuntersuchungen liegen vor von Ev 1 er,
B i s c h 0 f f und Dietrich. Die ersten Erfolge in der Praxis
stammen aus der Zeit vor dem Kriege (1913/14); es hatten Erfolge: in
der Gynäkologie (bei Fluor, Scheiden- und Gebärmutterkatarrh,
Abort u. dgl.): Abel, Lewy, Höfling (Dührssen), Blum,
Hirsch, Alterthum, Oppenheim, Katz, Bochyneck
(Rautenberg), bei Diphtherie: Bischof f. Martini,
Freund, Kausch, Dietrich, Peutz, in der Urologie (bei
Blasen- und Harnröhrenkatarrh): Citron, in derOto-Rhino-
L a r y n g 0 1 0 g i e: H a e n 1 e i n, in der kleinen Chirurgie: Schwab.
Im Weltkrieg kam das Yatren anscheinend leider nicht zur Verwendung.
Neuerdings (1920) rühmen es: in der Veterinärmedizin (bei Huf¬
krebs) : P e 6 (E b e r 1 e i n), in der Dertnatologie (zur Tiefenantisepsis
bei Bubonen nach Ulcus molle): Na st (Arning) und in der Chirurgie:
Scheidtmann (ROtter).
Die bisher vorliegenden günstigen Berichte gaben uns Veranlassung,
weiter zu prüfen, ob das Yatren als chemisches Antiseptikum in der
Chirurgie brauchbar ist. Die Frage der chemischen Antisepsis, speziell
für akzidentelle Wunden im Frieden und Kriege, welche ia sämtlich als
mehr oder weniger infiziert zu gelten haben, wird in der Praxis heute
von den meisten Chirurgen bekanntlich (vgl. Brunner: Handbuch der
Wundbehandlung) dahin beantwortet, dass neben einer bis zu höchster
Vollkommenheit ausgebildeten physikalischen auch eine che¬
mische Antisepsis angewandt wird. Dabei ist Ziel die möglichste Ver¬
meidung der mit ihr verbundenen Gewebsschädigung. Bis jetzt ist leider
dieses Ziel noch nicht erreicht; denn ein Mittel, welches nur die Bak¬
terien, aber nicht das Körpergewebe schädigt, ist noch nicht gefunden.
Es muss aber überhaupt als sehr fraglich bezeichnet werden, ob die als
chemische Antiseptika gebrauchten Mittel ihre Wirkung im wesentlichen
durch die Keimabtötung bzw. -Verminderung entfalten
oder nicht vielmehr wenigstens zum Teil durch eine Ge web s-
anregung im Kampfe gegen die Keime und deren Toxine. Bisher gilt
als das beste und in manchen Fällen unersetzliche Mittel der chemischen
Antisepsis das Jodoform; die ihm nachgerühmte Wirkung ist anti¬
septisch und gewebsanregend (Fibroplastenbildung und Leukozytose!),
zugleich blutstillend und aufsaugend (vgl. Lex er: Allgem. Chirurgie);
inwieweit auch hier die günstige Wirkung auf Abtötung der Bakterien in
der Wunde oder auf Erhöhung der Schutzkräfte der Gewebe beruht, ist
eine noch umstrittene Frage (vgl. K e y s s e r: Bruns Beitr. 117); störend
sind bei der Anwendung des Jodoform Geruch und event. Neben- (Gift-)
Wirkungen. Wegen letztgenannter Nachteile ist man seit vielen Jahren
auf der Suche nach einem ebenbürtigen Vertreter des Jodo¬
form. Die chemische Industrie hat eine Unzahl derartiger Mittel hervor¬
gebracht. Manches Brauchbare ist darunter; aber ein vollwertiger
Jodoformersatz steht noch heute aus. Lex er sagt dazu: „Kein Mittel
verleiht dem Tampon die grosse Saugkraft und die blutstillende Wirkung,
wie sie die Jodoformgaze besitzt.“ ' Auch in den meisten anderen
Kliniken, u. a. auch in der Payr sehen, wird die Jodoformgaze zu ge-
4 *
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
574
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. tO.
wissen Zwecken (z. B. zur Drainaße bei infektiösen Prozessen, zußleicli
zur Blutstillung und Aufsaugung, sowie allgemein bei Tuberkulose) be¬
vorzugt.
Von den Jodoformersatzmitteln erwiesen sich uns u. a. brauchbar:
a) unter den jodhaltigen: Vioform (Jodochlorojo^chinolin),
.Airol (Bism. subgall. oxyjodat.) und I s o f o r m (Parajodanisol).
b) unter den ] o d f r e i e n (wismuthaltigen): Dermatol (Bi.sm.
subgall.), Xeroform (Bism. tribromphenylicum) und N o v i f o r m
(Tetrabrombrenzkatechinwismut), aber alle diese dem Jodoform nach¬
stehend. Ueber Jodoformersatzmittel vgl. Brunner (1. c.) *).
Verwandt wurde vor allem Vioformgaze (auch im Dampf sterilisier¬
bar!) und Dermatolpulver (als mayonnaisedicker Brei mit physiologischer
Kochsalzlösung verrührt bei Verbrennungen, also in Fällen, wo es darauf
ankam. wegen besonderer Resorptionsmöglichkeit Intoxikation zu ver¬
meiden). Bei infizierten Wunden, namentlich bei solchen mit Erdinfek¬
tion, fand Jodtinktur in Form der Wundbetupfung Anwendung.
Gleiches gilt für den altbewährten Perubalsam, welcher nach prak¬
tischen Erfahrungen und experimentellen Untersuchungen nicht nur
bakterien- und toxinwidrig, sondern hyperämisierend wirkt in dem Sinne,
dass durch bessere Durchblutung des geschädigten Gewebes die Heil¬
tendenz günstig beeinflusst wird. Ueber die Wasserstoffsuper-
oxydpräparate (Perhydrit usw.), welche in der Nachbehandlung
mit Erfolg benutzt werden, hat aus der hiesigen Klinik S c h 1 ä p f e F
berichtet (M.m.W. 1917 Nr. 41). Bei Gelenkwunden bzw. Infektionen
findet der Phenolkampfer Anwendung nach der von Payr (D. Zschr. f.
Chir. Bd. 129) eingeführten Methode, dessen Wirkung wie die der Karbol¬
säure wohl ebensowohl durch Keimwidrigkeit wie durch Gewebs-
anregung infolge Hyperämie erklärt werden darf. Die von Morgen¬
rot h empfohlenen Chininderivate, speziell V u z i n, fanden bisher
in der Poliklinik noch nicht allgemeine Verwendung, zumal ihre
Benutzung in Form der Tiefenantisepsis hier bei den häufigen
Fingerverletzungen wegen Gefahr der Gewebsschädigung bzw. Nekrose
auf Hindrnisse stösst. Trypaflavin wurde bisher ebenfalls noch /
nicht versucht. Die P r e g 1 sehe Lösung wird zurzeit geprüft.
Besonderer Erwähnung bedarf schliesslich das Methylviolett
(Pyoktanin. coe-rul. Merck) speziell in Form der von Bau-
mann u. a. empfohlenen Blaugaze (vgl. M.m.W. 1916 Nr. 51). Diese
Blaugaze wurde auch in der hiesigen Poliklinik jahrelang mit bestem
Erfolge angewandt, und zwar namentlich zu Drainage bei infizierten Ver¬
letzungen und zu Tamponade bei Eiterungen wie Panaritien, Phlegmonen,
Furunkeln, Karbunkeln, Abszessen usw., und wir können die Angaben
von B a u m a n n wohl bestätigen, dass die Pyoktaningaze sich aus¬
zeichnet durch rasche Reinigung, Abstossung von Nekrosen und gute
Granulationsbildung, Fehlen von unerwünschter Verklebung und Reten¬
tion, zugleich durch Saugkraft und Blutstillung, sowie Reizlosigkeit und
Ungiftigkeit; nur bestand als ein beträchtlicher Nachteil bei Pulver.
Kristall und Lösung, aber auch bei Gaze die starke Färbung einesteils
der Gewebe (Wunde und ihrer Umgebung), w'odurch die Uebersichtlich-
keit leidet, anderenteils der Wäsche, Hände usw.. wodurch diese eine
lästige, nur durch 3 proz. Salzsäurealkohol entfernbare • Besudelung
erfuhren.
Wegen der eben genannten Nachteile der bisher gebräuchlichen Anti¬
septika, speziell ihrer besten und gebräuchlichsten Mittel, der Blaugaze
(Farbbeschmutzung!) und der Jodoformgaze (Geruch und event. Ver¬
giftungssymptome!) kam uns im vergangene Jahre die Ankündigung
des Y a t r e n, speziell in Form der Yatrengaze als eines neuen anti¬
septischen Mittels, speziell Jodoformersatzmittels willkommen. W’ir
prüften dasselbe in Form folgender Präparate, welche wir uns aus dem
käuflichen Yatren puriss. selbst herstellten bzw. in der Apotheke her¬
steilen Hessen:
1. Pulver (aufgestreut mit Fhilverbläser, Streubüchse. Gazebeutel,
Haarpinsel etc.): teils rein, teils (wegen des zeitweiligen Brennens auf
Substanzdefekten) mit Propäsin lOproz., teils mit Bolus alba SOproz.
ohne oder mit Propäsin. (Propäsin von der Firma Franz F r i t s c h e
& Co. in Hamburg erwies sich uns dabei gut brauchbar).
2. 10p roz. Gaze in den üblichen Fabrikpackungen, später auch
selbst hergestellt nach folgendem Rezept; 100 g Gaze wurden auf ihr
Aufsaugvermögen für Wasser geprüft, wobei sich etwa 275 ccm Wasser
ergab, dazu 10 Proz. vom Gazegewichte, also 10 g Glyzerin und nach
Erwärmen der heissen Lösung ebensoviel Yatren zugefügt, das Ganze
gut durchgeknetet und zum Trocknen aufgehängt.
3. 10 p r 0 z. S a 1 b e (als Salbengrundlage erwies sich u. a. Novalan
von der Firma W. Bergmann, G. m. b. H. in Berlin-Schöneberg,
Kolonnenstrasse 8/9, als gut brauchbar).
4. 10proz. Paste.
5. 1—5proz. Lösung (auch in sterilen Ampullen).
6. lOproz. Qlyzerinemulsion.
7. 10 proz. Glyzeringelatinestäbchen, sog. „Uterin- oder
Noffkestäbchen“ (s. o.).
Unsere hauptsächlichen Erfahrungen, gegründet auf reiches Material
und längeren Zeitraum, betreffen die Yatrengaze. Hier galt es die
Beantwortung der Frage, ob wir in der Yatrengaze ein brauchbares und
•) Nach K r i e n s (In.-Diss. Bonn 1920) ist die Theorie von Binz, dass
die Wirkung von Jodoform und dessen Ersatzpräparate auf der Ab¬
spaltung von freiem Jod beruht, nicht zutreffend, zumal das gebräuchlichste
Jodpräparat: Jodoform und Vioform von anderen weniger gebräuchlichen in
der Leichtigkeit der Jodabspaltung übertroffen werden.
Digitized by Goüsle
event. auch das Jodoform ersetzendes Antiseptikum für gewisse
(infizierte) V e r I e t z u n g s - und ü p e r a t i o n s wu n d e n haben.
Wie oben erwähnt, ist nach dem Standpunkt der meisten Chirurgen ein
solches nicht zu entbehren, ln erster Linie kommt hierbei die Unfall¬
praxis, und zwar im Frieden die erste Hilfe durch Aerzte oder gar
Samariter in Sanitätswachen, Fabriken u. dgl. in Betracht. Mit der
Frage eines zweckentsprechenden Verbandes für die Rettungskästen im
Friedensbetrieb steht in engstem Zusammenhang die Frage des Verband¬
päckchens für das Militär, speziell im Kriege. Die Frage, ob es besser
ist, den Kriegsnotverband (sog. Verbandpäckchen) nicht mit steriler,
sondern mit antiseptischer Gaze herzurichten, dürfte wohl von vielen
Chirurgen bejaht werden. Brunner äussert sich unter Heranziehung
der Literatur in gleichem Sinne und bemerkt, dass im schweizerischen
Sanitätsmaterial die Jodoformgaze durch die weniger wirksame Vioform¬
gaze ersetzt worden sei. erstens wegen des Geruchs und zW'Citejis wegen
der beschränkten Lagerfähigkeit, und dass sonst die sterile Gaze wohl
nur deshalb gewählt werde, weil die Kosten der antiseptischen Impräg¬
nation zu gross sind, um die Millionenheere zu versorgen. An dieser
Stelle sei auch auf das Pa y r sehe Verbandpäckchen mit Jodtinkturphioie
hingewdesen (vgl. Payr: Ueber die Behandlung akzidenteller Wunden.
Jahreskurse f. ärztl. Fortb. 1910). Ebenso wie für den Notverband in
Unfallpraxis und im Feld gilt Gleiches auch für den ersten Verband in
der ärztlichen, spez. poliklinischen Praxis, insbesondere sow’eit es sich
um akzidentelle Wunden mit erhöhter Infektionsgefahr, also um Quetsch-,
Riss-, Biss-, Schuss- u. dogl. Wunden oder um thermische Verletzungen
(Verbrennungen und Erfrierungen) oder um Operationen mit nicht asep¬
tischen Verhältnissen (Plastiken, Mastdarmeingriffe usw.) handelt, ln
allen diesen Fällen, namentlich bei den zahlreichen Maschinenver¬
letzungen, erwies sich uns in der chirurgischen Poliklinik die Yatren¬
gaze, sei es zum Zweck der Drainage, sei es zum Zwecke des Deck¬
verbandes, als ein sehr brauchbares Mittel, bei w'clchem Ungiftigkeit,
Aufsaugfähigkeit und Blutstillung ebenso auffiel wie das gute Aussehen
der Wunden, welche, ohne stärkere Absonderung und unter schöner
Granulationsbildung rasch heilten. Besonderer Erwähnung verdient auch
der guteHeilungsverlauf bei einigen Haut-, spez. Muffplastiken, bei welchen
ausser den genannten Vorteilen die Erhaltung und Anheilung des Trans¬
plantats in idealer Weise erfolgte. In der grossen Chirurgie, welche
zurzeit ausser Bereich unserer Tätigkeit lag, erscheint ein Versuch wert,
die Jodoformgaze durch die Yatrengaze zu ersetzen bei Tamponade
nach Mastdarmoperationen, Laparotomien (Lebertampon!) usw.
Neben Verletzungs- und Operationswunden waren es an zweiter
Stelle Eiterungen, weiche nach Inzision durch Tamponade mittels
Yatrengaze erfolgreich behandelt wurden, nämlich vor allem Abszesse
und Phlegmonen. Panaritien, Sehnenscheidenphlegmonen, Mastitis.
Furunkel und Karbunkel u. dgl. Hier, wo bisher Jodoform- oder Blau¬
gaze die besten Dienste getan haben, leistete anscheinend Gleiches,
aber ohne die jenen anhaftenden Nachteile die Yatrengaze. w^obei sich
wde bei jenen rasches Versiegen der Eiterung, baldige Einschmelzun;^
und Abstossung der nekrotischen Partien. Desodorisierung, gute Granu¬
lationsbildung und prompte Blutstillung angenehm bemerkbar machten
Ganz besonders schön und rasch heilten die breit gespaltenen oder die
exzidierten Karbunkel. Bei Sehnenscheidcnphlegmonen blieb bei kurz¬
dauernder Tamponade oftmals, auch in ziemlich vorgeschrittenen Fällen,
die Sehne erhalten. In einem Falle fiel das rasche Verschwänden des
Pyozyaneus in der eiternden Wunde auf, nachdem dieselbe mii
Yatren- und Perhydritpulver behandelt war. Die Erfahrungen bei tuber¬
kulösen Eiterungen waren ebenfalls günstige; jedoch erscheinen sie noch
zu spärlich, um einen Ersatz der hier bewährten Jodoformgaze durch
Yatrengaze zu empfehlen. Bei Zahnblutungen schien uns JoUoformgaze
oder noch mehr Penghawar-Djambi zur Tamponade vorläufig noen
geeigneter, wenn auch die geruch- und geschmacklose Yatrengaze an¬
genehmer empfunden wird.
Zum Deckverband benutzten wir bei gewissen, namentlich sezer-
nierenden Wunden, statt Yatrengaze auch Yatrenpuder. und zwar
unvermischt. Dieser fand auch Anw'endung bei Wunden mit Substanz¬
verlust und Geschwüren, spez. Ulcera cruris, tuberkulösen, syphilitischen,
diphtherischen Wunden u. dgl., w'obei rasche Reinigung, baldige Ah-
stossung der Nekrosen, Desodorisierung, gute Granulationsbildung und
schnelle Ueberhäutung eintrat. Mit Vorteil verwandten wir das Yatreii-
pulver auch statt Jodoform- oder DermatolpulveVs bei trockner Nekrose.
Bei Verbrennungen, welche in der Payr sehen Klinik ln der Regel mit
majonnaisedickem Brei von Dermatolkochsalzlösiing behandelt w’erden.
benutzten wir auch Yatren in gleicher Weise. In umvermischter Form
verursacht das Yatren bisweilen ein mehr oder weniger heftiges Brennen:
daher verwandten wir statt des Yatren. puriss. dieses vermischt mit
Propäsin (lOproz.) oder mit indifferentem P-uder: Talk. Bolus ctc.
(50—90proz.); letztere Kombination vor allem bei jauchenden Kar¬
zinomen.
Statt des Puders benutzten wir noch häufiger bei Ulcera, speziell bei
gereinigten, die lOproz. Yatrensalbe und -paste, und zwar mit
bestem Erfolge, an Stelle der sonst gebräuchlichen Wundsalbeii urul
-Pasten (statt Zink-, Bor-, Perubalsam-, Höllensteinperubalsam-, Pro-
targol-. Scharlachrot-, Ichthyolsalbe und -paste). Nur klagten ciniee
Patienten über ein gewisses, aber erträgliches Brennen.
Unsere Erfahrungen mit sonstigen Yatrenpräparaten sind wohl zu
gering, um darauf eine Empfehlung zu begründen; immerhin sind
ermutigend genug, um die Versuche fortzusetzen und solche andernorts
anzuregen.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
575
D i e 1—5 proz. Yatrenlösung diente zum Austupfen der Höhle,
sowie zum Betupfen der Naht bei VerletzuiiKS- und Operationswunden.
Bei Blasenkatarrh, speziell tuberkulösem, spülten wir mit I—5 proz.
Lösung, mussten allerdings bisweilen bei sehr emfindlicher Blase auf
Wunsch des Patienten wegen Schmerzhaftigkeit davon abstehen. Noch
ratsamer erschien uns, nach Spülung der Blase in dieselbe 50—100 ccm
einer 1—5 proz. Lösung oder 10 proz. Glyzerinemulsion einzugeben.
Mit 1 proz. Lösung erstrebten wir in einer Reihe von infektions¬
verdächtigen Verletzungen, namentlich bei solchen der Sebnen, eine
Tiefenantisepsis; der Erfolg sprach für das Verfahren und eine Schädi¬
gung, speziell Nekrose an den 'Fingern, sahen wir durchaus nicht. Zur
Behandlung geschlossener Eiterungen (Phlegmone, Abszesse,
Mastitis, Furunkel, Bubonen usw.) mittels Tiefenantisepsis in Form der
Injektion ohne Eröffnung konnten wir uns aus prinzipiellen Gründen
nicht entschliessen, zogen hier vielmehr die Inzision mit nachfolgender
Tamponade vor. Zu intravenöser Applikation bei Sepsis (10—20 ccm
5 proz. Lösung) hatten wir einige Male Gelegenheit, ein Urteil über
Heilerfolg ist uns noch nicht möglich; jedenfalls verdient das Verfahren
weitere Prüfung; nachteilige Folgen sahen wir nicht.
10 p r 0 z. Y a t r e n - (i 1 y z e r i n - G e 1 a t i n e s t ä b c h e n und
lOproz. Ya t r e n - G 1 y ze r i n e m u 1 s i 0 n diente als Ersatz des
Jodoformpräparates bei tuberkulösen und nicht tuberkulösen Drüsen-,
Sehnenscheiden-, Gelenk-, Knochen-, Blasen- u. dgl. Erkrankungen,
kalten Abszessen, Fisteln, Operationshöhlen usw., sowie bei Fisteln nach
Schussverletzuug, Empyemoperation u. dgl.
Die Prüfung des Yatren bei Diphtherie ist im Gang.
Wenn wir zum Schluss uns fragen, welcher Art die von uns und
Anderen beobachtete günstige Wirkung des Yatren ist und auf
welchem Faktor sie beruht, so können wir auf diese interessante Frage
in dieser kurzen, vorwiegend praktischen Zwecken dienenden Mitteilung
nicht eir.gehen, würden auch wohl zur Stunde noch kaum zu einer be¬
friedigenden Antwort gelangen können. Dies eine scheint aber aus den
bisherigen Erfahrungen hervorzugehen und von grösster Bedeutung zu
sein; Das Yatren, welches ein Jodpräparat ist, aber nicht als Jod,
sondern als Yatren im Harn erscheint, also nicht durch Jod-
spaltifng, sondern durch Komplexwirkung arbeitet, wirkt nicht nur anti¬
septisch, d. h. keimtötend bzw. keimhemmend, sondern vor allem nicht
nur nicht gewebsschädigend wie Trypaflavin und Chininderivate (vgl.
Keysser I. c.), sondern gewebsanregend (zellaktivierend) wie Jodo¬
form, Perubalsam u. a., worauf die gute Granulationsbildung hinweist.
Diese Tatsache, welche nach den praktischen Erfahrungen wahrscheinlich
ist und durch besondere Studien vielleicht noch einwandfrei bewiesen
werden kann, scheint uns von ganz besonderer Bedeutung für die
Heilwirkung des Yatren und aller Mittel chemischer Antisepsis, wie sie
auch nach den histologischen Untersuchungen Marchands über die
Vorgänge bei der Wundheilung und nach der Os twa Id sehen Lehre
vom Gewebsstoffwechsel überhaupt die grösste Beachtung verdient.
Zusammenfassung: Nach den bisher in der Literatur vor¬
liegenden anderweitigen und nach eigenen Erfahrungen während eines
Jahres in der kleinen Chirurgie verdient das Yatren als Mittel chemischer
Antisepsis Beachtung und weitere Prüfung. Nach eigenen Versuchen
erwies sich die 10 proz. Yatrengaze als w'ohl brauchbar bei Verletzungs¬
und Operationsw’unden, namentlich in der Unfallpraxis, sowie bei er-
öffneten Eiterungen, ferner Gaze, Puder, Salbe und Paste auch bei Ulzera-
tionen jeglicher Art Ob und wieweit das Yatren in der Heilkunde über¬
haupt Verwendung verdient, ob es das Jodoform vertreten kann und ob
es auch bei der Tuberkulose dies tut, muss die weitere Er¬
fahrung lehren.
Als Haupt vorteil des Yatren erscheinen Un¬
giftigkeit und Reizlosigkeit, ferner rasches Ver¬
siegen von Eiterung und Abstossen von Nekrosen,
sowie gute Granulationsbildung, schliesslich Aufsauge¬
fähigkeit, Blutstillung und Desodorisierung. Die gün¬
stige Wirkung des Yatren beruht anscheinend teils auf Keimwidrigkeit,
teils vor allem auf Gewebsanregung durch Hyperämisierung u. dgl,;
letztere Auffassung erscheint uns für die ganze Frage der sog, chemischen
Antisepsis von einschneidender, bisher noch nicht genügend gewürdigter
Bedeutung und geeignet, die Wirkung mancher sog. chemischer Anti¬
septika und zwar des Yatren sowohl, wie auch des Jodoform und seiner
Ersatzpräparate, Perubalsam, Phenolkampfer u.a. in ein besonderes Licht
zu rücken.
Literatur.
Abel; B.kl.W. 1912. 53. — Alterthum: Ther. d. Gegenw. 1914, 3.
— B i s c h o f f: D.m.W. 1913, 38. — B 1 u in: D.m.W. 1913, 30. — B o c li y -
neck: Kliii.-ther. W. 1915, 44. — Citron: Z. f. Urol. VIII (1914). —
Dietrich: D.m.W. 1920, 39. — Evlcr: Disk, zu Abel. — Freund:
D.m.W. 1913, 48. — Haenlein: M.Kl. 1914. 18. — Hirsch: M.KI. 1913.
45. — Höfling: Allg. M. Zentralztg. 1913, 18 und Z. f. ärztl. Fortb. 1913,
13. — Katz; M.Kl. 1914, 43. — Kausch: D.m.W. 1913, 48. — Lewy:
Disk, zu Abel. — Martini: D.m.W. 1913, 34. — Na st: D.m.W. 1920,
23. — Oppenheim: B.kl.W. 1914, 13. — Ped: Diss.. Berlin 1920. —
Peutz: Tijdschr. v. Qeneesk., ref. D.m.W. 1919. — Scheidtmann:
D.m.W. 1920. 27. — Schwab: M.m.W. 1914, 12.
Aus der Universitäts-Augenklinik zu Frankfurt a, M.
Weitere Erfahrungen mit der Kryeolganbehandlung
tuberkuldser Augenerkrankungen.
Von Prof. Dr. O Schnaudigel in Frankfurt a. M.
Seit der ersten Veröffentlichung über die Goldbehandlun» der Tuber¬
kulose sind 8 Jahre ins Land gegangen, seit meiner Arbeit über die
organischen Goldpräparate speziell in der Augenheilkunde bald vier.
Wenn auch der Krieg nicht gerade fördernd auf das Studium der neuen
Methode gewirkt hat, so ist doch eine ganze Reihe von Beobachtungen
und Arbeiten erschienen. Wie sich leicht denken lässt, sind die Angaben
der einzelnen Beobachter nicht ganz übereinstimmend; bei der unend¬
lichen Mannigfaltigkeit tuberkulogener Erkrankungen nimmt das nicht
Wunder, besonders nicht bei der Lungentuberkulose. Und doch hat auf
der Tagung des Vereins der deutschen Lungenheilanstaltsärzte am
23/24. Oktober 1920 zu Weimar Schröder angegeben, dass die
Heilungsstatistiken seit der Einführung der Goldtherapie
günstiger geworden seien als in der Zeit vorher.
Junker (ibid.) hat trotz seiner Zurückhaltung angegeben, dass die
Beobachtnugen zum mindesten ermunternde seien. Vorher hatte schon
Rickmann*) betont, dass zusammen mit den anderen Heilfaktoren
das Krysolgan imstande sei. Erfolge in Fällen zu erzielen, bei denen
die übrigen Heilfaktoren allein im Stiche lassen.
Auch Bandelier und Röpke kommen in ihrem bekannten Buch
zu einem günstigen Urteil.
Noch bestimmter lauten die günstigen Berichte bei den Erkran¬
kungen des Kehlkopfs und der oberen LuÜwege.
Ueber die Wirkungsweise des Präparates hat in dieser Wochen¬
schrift F e 1 d t sich geäussert und dargetan, dass es sich bei Krysolgan
nicht um ein Kapillargift handle; er fasst die Wirkung des Krysolgans
als eine katalysatorische auf; näheres sehe man Im Original ein. Ich
glaube aber nicht, dass man dieser Annahme die bakterizide Fähig¬
keit des Präparates preiszugeben braucht; im Gegenteil: bei der früher
erwähnten enormen Hemmungsfähigkeit der organischen Goldpräparate
in vitro darf man wohl diese Eigenschaft zu der katalysatorischen
Energie hinzuaddieren.
In der Augenheilkunde hat Hes^bergD tibdr das Verfahren be¬
richtet; auch er kommt zu einer günstigen Beurteilung und seine Er¬
fahrungen bestätigen im grossen ganzen die meinigen. Brieflich haben
mir eine Reihe \pn Kollegen ihre günstigen Erfahrungen mitgeteilt,
manche mit dem Ausdruck des Erstaunens über die ausgezeichnete
Wirkung in einzelnen Fällen. Es muss aber immer wieder betont
werden, dass genau wie in den übrigen Disziplinen auch in der Augen¬
heilkunde alle möglichen Heilfaktoren mit herangezogen w^erden müssen,
will man in der Bekämpfung besonders der so überaus traurigen tuber¬
kulösen Uveitiden einen Schritt vorw'ärts kommen. Das Krysolgan ist
keine Panazee! Ich gebe jetzt pro dosi nicht mehr wie 0,1 g, bei
Kindern und zarten Personen 0.05 g. Neben der indizierten Lqkal-
behandlung kann die Krysolganbehandlung kombiniert werden durch
gleichzeitige Einreibung kleiner Dosen Quecksilbersalbe am Tag
der Injektionen, die ich im Abstand von 3—6 Tagen vornehme,
Soolbäder.
Quarzlampenbestrahlung des ganzen Körpers,
entsprechende Ernährung,
bei refraktären Fällen Anregung der Abwelirkräfte durch parenterale
Eiweisseinverleibung,
schliesslich durch gleichzeitige aktive Immuni¬
sierung.
Ich habe schon ln meiner ersten Arbeit®) angeführt, dass in vielen
Fällen, in denen das Tuberkulin versagt, das Goldpräparat wirkt und
umgekehrt. Es lag nahe, die aktive Immunisierung und die chemo¬
therapeutische Behandlung zu gleicher Zeit auszuführen, wie es auch
S p i e s s und F e 1 d t unabhängig von mir ausgeführt haben. Das Kry¬
solgan schafft dem Tuberkulin (bzw. den durch das Tuberkulin aus¬
gelösten Abw-ehrstoffen) neue Angriffsflächen und das Tuberkulin kann
die Allgemein- und Herdreaktion oft geradezu kupieren. So haben wir
die durch das Tuberkulin verursachte Herdreaktion. die bei der Lungen¬
tuberkulose gefürchtet, in der Augenheilkunde zum mindesten nicht gern
gesehen ist, gewissermassen in der Hand, ja, wir können die aktive
Immunisierung durch Darreichung grösserer Dosen noch wirkungsvoller
gestalten. Am zweckmässigsten ist es sonach, erst die Tuberkulin¬
injektion zu machen und 24 Stunden später die Krysolganinfusion. Ich
habe aber gefunden, dass die gleichzeitige Einverleibung beider Mittel
eine allzustarke Reaktion zu verhindern imstande ist. was aus prak¬
tischen Gründen wichtig ist: können wir doch, wenigstens in Frankfurt,
bei der herrschenden Finanzpolitik nur einen Bruchteil der Kranken
stationär behandeln.
Meine 168 Fälle verteilen sich auf
73 Iridozyklitiden,
41 schwere Keratiden,
16 Fülle von Aderhautentzündung verschiedenen Alters.
17 Fälle von zentraler Aderhautentzündung im nicht hochgradig kurz¬
sichtigen Auge,
5 sympathische Ophthalmien,
9 Iritiden mit Knotenbildung,
*) Zschr. f, Tuberk. 32. 1. 1920.
D Zbl. f. Augenhlk 40. 6. 1918 und B.kl.W. 1. U. 1920.
D Klin. Mbl. f. Aughlk. 59. 1917.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
576
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
5 Episkleritiden,
1 Periostitis und 1 Karies des Orbitalrandes.
Die Hauptdomäne der Therapie ist die frische Aderhautentzündung,
der disseminierten und besonders der zu groben Exsudatbildungen
neigenden Formen, die frische Iridozyklitis und Iritis serosa, die ja alle
nur modifizierte Krankheitsbilder einer und derselben Entzündung sind.
Aber auch hartnäckige Episkleritiden heilen mitunter auffallend rasch
ab. Gerade'die quälenden rückfälligen Episkleritiden. die zur Zeit der
Menses auftreten und die schon auf Tuberkulin und Krysolgan allein
reagieren, werden in hartnäckigen Fällen durch die Kombination zum
Verschwinden gebracht.
Der in meiner ersten Arbeit angeführte Fall Klara W., seit 20 Jahren bei
jeder Periode episkleritischen Anfall, ist auf 0,1 Kr. geheilt und seit jetzt
4 Jahren rezidivfrei geblieben.
Der springende Punkt bei der Prognose der tuberkulösen Uvea¬
erkrankungen ist ihr Alter. Nach meinen Anschauungen wird eine
tuberkulogene Augenerkrankung (und wahrscheinlich jede andere) pro¬
gnostisch um so ungünstiger, je mehr wirtseigene Zellen zur Einschmel¬
zung kommen, die ihrerseits in hohem Masse entzündungserregend
wirken. Dazu kommt die Bindegewebsreaktion und die Entartung der
Blutgefässe, die zu den gefürchteten Blutergüssen führen. In solchen
Fällen haben wir auf eine Krysolgan-Tuherkulininjektion eine giftig¬
grüne Durchblutung der beiden vorher grauen Iriden gesehen; hier kann
durch die Alteration der Gefässwändc eine Lokalreaktion geradezu
deletär werden. Die Annahme, dass die Gewebs- und Infiltrationszellen
durch ihre Chemotaxis den Entzündungsprozess immer ungünstiger kom¬
plizieren und die therai>eutische Beeinflussbarkeit herabsetzen, verträgt
sich sehr gut mit den F e l d t sehen Erklärungen der Heilwirkung und
mit der alten klinischen Erfahrung. Daher dürfen veraltete Fälle nicht
bei der Kritik unseres Heilverfahrens verwertet werden; solche Augen
sind auf keine Weise mehr für die Funktion reparationsfähig.
Ist aber eine tuberkulöse Uveaerkrankung frisch, dann antwortet sie
auf die Behandlung sehr gut, manche erstaunlich schnell: es bleibt
noch ein Rest, der sich ganz refraktär verhält. Ist die Infekion zu
mächtig, die Gewebsalteration zu gross, so dass eine Wiederherstellung
der Funktion nicht melir oder nur in bescheidenem Masse möglich ist,
so kann trotzdem eine Ausheilung erfolgen; denn wir dürfen den Begriff
der Heilung sensu strictiori nicht, an den Begriff der Wiederherstellung
der Funktion knüpfen. Die bei der Heilung erfolgte Gewebsumbildung
hat die Funktion aufgehoben. In einem solchen Fall von ausgedehnter
Granulationsbildung in der vorderen Kammer in Gestalt grosser Tumoren
rechts ist dieses Auge ausgeheilt mit teilweiser Sklerosierung der Horn¬
haut, groben Einlagerungen im Falz, totaler hinterer Synechie und
Katarakt mit erhaltener Projektion. Das linke Auge mit zahlreichen
Beschlägen auf der Deszemet gelangte zur Restitutio ad integrum trotz
eines Lagophthalmus infolge tuberkulöser Parotiserkrankung mit
Blockierung des Fazialis, die längere Zeit bestand.
Von den 73 behandelten Iridozyklitiden haben sich aus den ange¬
führten Gründen 11 als refraktär erwiesen, 2 sind durch reaktive
Blutungen schlechter geworden, die übrigen sind ausgeheilt.
Die Hornhautentzündungen — es kamen nur ganz schwere Fälle in
Frage — reagieren viel träger wegen der Absackung des Prozesses im
schwer zugänglichen Hornhautgewebe. Die besten Erfolge sahen wdr
hier bei den torpiden Randformen mit sulzigem Charakter.
Chorioiditiden mit disseminiertem Charakter reagieren auf die Be¬
handlung etwa wie auf Quecksilber, die ausgezeichnete Beeinflussung
frischer Fälle und der Fälle mit exsudativer Entzündung wurde schon
hervorgehoben.
Schon Boerhave gibt an, die allzu grosse Länge der Bulbusachse
könnte auch durch eine Entzündung entstanden sein. v. G r a e f e hat
bei der Myopie ursprünglich auch an derartiges gedacht, aber seine
Meinung geändert, w'eil er im kurzsichtigen Auge keine Entzündungs¬
anzeichen vorfand. Pr. Smith hat die perniziöse Myopie auf Grund
einer luetischen Aderhautentzündung entstehen sehen. A. Leber hat
2 Fälle bekanntgegeben, bei denen sich eine Kurzsichtigkeit während
der Behandlung einer tuberkulösen Aderhautentzündung in kurzer Zeit
entwickelte (A. Leber: Tuberkulinimmunität und Tuberkulintherapie
bei tuberkulösen Augenerkrankungen. Arch. f. Ophth. 74, Festschrift f.
Th. Leber 1910 S. 556). Es handelt sich um Sechszehnjährige, bei
denen also die Myopie sich auch spontan noch entwickeln kann. Ich
habe 3 Fälle anzuführen, wo im Alter von 34, 48 und 52 Jahren noch
eine Achsenverlängerung des Bulbus bei Aderhautentzündung stattfand.
Es wäre sehr verführerisch, hieran Betrachtungen über die Genese der
Myopie zu knüpfen, ich will sie aber unterdrücken.
Ein Fall von Karies des Orbitalrandes ist nach Auskratzung in
wenigen Tagen nach 3 Injektionen zur Ausheilung gekommen, was man
auch nicht alle Tage zu sehen gewohnt ist. Auch Hessberg erwähnt
dieses Phänomen, doch ist die Zahl der beobachteten Fälle noch zu klein.
Die engen Beziehungen, die pathologisch-anatomisch und klinisch
zwischen der tuberkulösen Uveitis und der sympathischen Ophthalmie
bestehen, wenn die sympathische Ophthalmie nicht schlechtw'eg eine
tuberkulide Erkrankung ist, lassen die Einwirkungen der Goldtherapie be¬
sonders Interessant erscheinen. Mein Material ist zu klein, um bindende
Schlüsse zu ziehen, aber immerhin sind von den 5 Fällen 2 sehr be¬
achtenswert; die 3 übrigen scheiden ganz aus, weil das sympathisierte
Auge Im Moment der Ueberweisung schon verloren war. Der Fall
Heinrich H., 22 Jahre, interessiert besonders:
Vor 14 Jahren Stich mit der Feder ins rechte Auge, während der
14 Jahre zwei langdauernde Entzündungen; 1915 wird der Patient eingezogen,
schoss links, April 1916 dritte Entzündung, entlassen; 21. VII. 17 in die Klinik
eingewiesen, da der Reizzustand nicht nachlassen will. Befund: R. in der
Hornhautmitte querovale Narbe, von der tiefe Trübungsstreifen bis zum Lim-
bus ziehen, Iris breit in die Narbe eingewachsen, ziliare Injektion, keine
Druckempfindlichkeit, RES. — Fingerzühlen in m. L. Auge ganz normal,
LES. “ ®/6. Patient willigt am 27. VII. 17 in die schon vielfach vor¬
geschlagene Enukleation ein. Am 30. VII., 3 Tage nach der Enukleation,
feinste ziliare Injektion des linken Auges, Lichtscheu, die Blutgefässe greifen
vielfach etwas über den Limbus, unter dem Mikroskop sieht man staub¬
förmige Beschläge auf der Deszemet, Pupille auf Atropin maximal weit, Linse,
Glaskörper, Fundus normal. Krysolgan 0,1.
31. VII. Beschläge der Zahl nach nicht mehr, aber dicker und specki¬
ger. Perikorneale Injektion viel ausgesprochener.
1. VIII. Die Beschläge haben sichtlich abgenommen, sind nur noch bei
genauer Einstellung sichtbar. Krysolgan 0,1.
2. VIII. Beschläge viel zahlreicher, Pupille trotz Atropin eng, Auge mehr
gereizt.
3. VIII. Beschläge ganz dicht gesät, innen unten breite Synechie. Kry¬
solgan 0,1.
4. VIII. Die Beschläge sind konfluiert, im unteren Teil der vorderen
Kammer zieht sich ein graugelber Exsudatstreifen schief nach oben und
heftet sich mit einem breiten Fuss etwas temporal vom Zentrum auf der
vorderen Linsenkapsel an. Er entspringt im Kammerfalz und gibt etwa in
der Mitte einen Zweig ab. der sich ebenfalls an der Linsenkapsel festsetzt.
Neben der breiten Synechie feine Auszüge am Pupillarsaum.
5. VIII. Der Reizzustand hat sich verschlimmert. Der Strang ist noch
gröber und dichter, Vorderkammerwasser trüb, die Hornhautoberfläche ge¬
stippt, grosse Lichtscheu und Tränenträufeln, Schmerzen, S = “/so. Kry¬
solgan 0,1. Hg-Salbe 5 g.
6. VIII. Reiz geringer, Hornhaut klarer, Vorderkammerwasser noch trüb,
strangförmige Gebilde resorbiert bis auf die Ansätze auf der Kapsel, Tränen
und Lichtscheu besser, Schmerzen verschwunden, S = “/is!
7. VIII. Das ganze Bild verändert! Das Auge blass, keine Spur von
Beschlägen, die Vorderkammer ganz rein, vordere Linsenkapsel /ein bis auf
die 2 blassen Ansatzfleckclien und Pigmentreste der völlig gelösten Synechien,
Pupille maximal weit, Glaskörper rein, Fundus scharf, S = —®/«. Viel¬
leicht hat die Quecksilberzugabe so rasch katalysatorisch gewirkt. Schon
am 12. VIII. geht der Patient mit S = 1 in Urlaub. Spätere Kontrollen er¬
geben denselben Befund.
Epikrise: Sympathische Ophthalmie, ausgebrocheu 3 Tage nach der Enu¬
kleation des sympathisierenden Auges, zuerst günstig beeinflusst durch die
Krysolganinjektion, die aber den Ausbruch einer ganz schweren Ophthalmie
nicht hindern konnte. Allmählich gewinnt die Therapie die Oberhand über
den zunächst zunehmenden Entzündungszustand, lokalisiert ihn auf den vor¬
deren Augenabschnitt und die 4. Injektion fegt innerhalb 24 Stunden die letz¬
ten Reste der Infektion weg. Heilzustand dauernd.
Im zweiten Fall, sympathische Ophthalmie nach Kataraktextraktion am
andern Auge Heilung durch 4 Injektionen, Dauer der nachweisbaren Ent¬
zündung 15 Tage. Später Extraktion auf diesem Auge mit reizfreiem Verlauf,
aber schlechtem Resultat: +12 D, S = “/»o wegen mächtiger Glaskörper¬
trübungen und ctfbrio-retinaler Veränderungen.
Die Nebenerscheinungen. Sie sind von uns und anderen
eingehend gewürdigt und können vermieden werden, wenn man sich
wie bei der Salvarsantherapie vorsichtig einschleicht und die Dosen nicht
so hoch gibt. Ich verfüge über 3 Fälle schwerster Haut- und Schleim¬
hautaffektion. die aber auch einen ausgezeichneten Heilerfolg hatten, ln
der letzten Zeit der kleineren Dosen habe ich keine nennenswerten
Komplikationen mehr gesehen. Die Nebenerscheinungen beweisen die
einschneidende Wirkung des Mittels auf den Organismus, wie sie durch
alle differenten Agentien ausgeübt werden können.
Eine Statistik jetzt schon aufzumachen, überhaupt aufzustellen., halte
ich für ein unsicheres Unterfangen: die unendlichen Variationen der in
Betracht kommenden Erkrankungen vertragen eine spröde Ausrechnung
schlecht. Aber aus meiner klinischen Erfahrung heraus stehe ich nicht
an zu behaupten, dass, an alten Methoden gemessen, die Krysolgan-
Tubcrkulinbehandlung unter Heranziehung aller anderen Heilfaktoren
zurzeit das beste Heilverfahren gegen tuberkulogene Ophthalmien ist, das
die Augenheilkunde seit der Einführung des Tuberkulins aufzuweisen hat.
Residualluft und Reserveluft.
Von R. Qeigel.
Ein gewöhnlicher Atemzug fördert bei einem Erwachsenen mittlerer
Grösse etwa 500 ccm Luft. Nach der Ausatmung bleiben in den Lungen
und in den Atemwegen noch etwa 2800 ccm Luft zurück. Davon Hessen
sich noch bei angestrengter Ausatmung etwra 1600 ccm (Reserveluft)
entleeren, 1200 ccm aber blieben dann immer noch in den Lungen: die
sog. Residualluft. Ihre Messung bereitet bekanntlich grosse Schwierig¬
keiten. doch kann man jetzt den erw-ähnten Wert als annähernd richtig
betrachten. Mit dieser Residualluft muss sich die neu eingeatmete Luft
erst mischen, bevor sie mit den Alveolarwänden in Berührung kommt,
wo sich dann der Gasaustausch mit dem Blut durch die Tätigkeit des
Lungenepithels vollzieht. Danach müsste es scheinen, dass die Residual¬
luft nur ein Hindernis für diesen Gasaustausch darstellen würde, und in
der Tat muss dieser durch die .Anw-esenheit der Residualluft eine be¬
trächtliche Verlangsamung erfahren. Dabei will ich die Frage nicht
erörtern, ob für gewöhnlich diese Verlangsamung immer schädlich sein
muss. Die Herabsetzung des Partiardrucks vom Sauerstoff in den
Alveolen könnte auch etwas physiologisch nützliches sein, bei ge¬
steigertem Sauerstoffbedürfnis aber gewiss nicht mehr, also z. B. bei
Leistung äusserer Arbeit. Ich möchte aber die Residualluft einmal von
einem ganz andern Gesichtspunkt aus betrachten, gar nicht im Zu¬
sammenhang mit dem respiratorischen Qaswechsel.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
13 Mdi 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
577
Dre Lunge mit den Luftwegen zusammen ist ein Teil der Körper-
oberfläci'^e, von der Fläche, an der der Körper den Einflüssen der Aussen-
welt zugänglich ist. Und das ist Sogar der bei weitem grösste Teil der
Körperoberfläche. Die Alveolen sind freilich sehr klein, jede mag einen*
Durchmesser von etwa 0,2 mm haben, aber es sind ihrer wohl 400 bis
500 Millionen und daraus berechnet sich die Oberfläche des respira¬
torischen Parenchyms zu etwa 90 qm, während die gesamte Hautober¬
fläche eines 70 kg schweren Mannes nur auf 2 qm angeschlagen werden
kann. Fasst man nun den Ausgleich von Wärmeenergie ins Auge, so muss da
allein schon die Lungenoberfläche eine nicht unwichtige Rolle spielen.
Man weiss .aber, dass der menschliche Körper durch die Haut viel mehr
Wärme Tag für Tag abgibt als er bei der Respiration von den Lungen
aus verliert, trotz der so überwiegend grösseren Lungenoberfläche. Der
Hauptgrund dafür liegt auf der Hand. Der ganze Wärmeverlust durch
Strahlung kommt in den Lungen in Wegfall. Hier strahlt jeder Teil der
Oberfläche gegen ganz gleich hoch temperierte Teile aus und wird von
ihnen im gleich-en Masse wieder bestrahlt. Es kommt also hier nur der
Wärmeverlust durch Leitung, Konvektion und Verdunstung zur Geltung.
Und auch dieser Verlust wird durch die Anwesenheit der Residualluft,
meistens auch noch der Reserveluft herabgesetzt Stellen wir uns vor,
dass die eingeatmete Luft kühler ist als die Körpertemperatur, und das
trifft in den meisten Fällen zu, so wird das Wärmegefälle in den Lungen
dadurch geringer, dass sich die eingeatmete Luft erst mit der körper¬
warmen Residualluft und Reserveluft mischen muss, bevor sie mit der
Alveolarwand in Berührung kommt Ob es für den Wärmehaushalt
des Körpers viel ausmacht, wenn durch die Lunge selbst ein doppelt so
grosser Wärme Verlust eintreten sollte, möge dahingestellt sein. Bei
einem Gesamtstoffw'echsel von 2700 Kalorien beträgt der Wärmeverlust
an den Lungen kaum 500 Kalorien durch Erwärmung der Atmungsluft und
Wasserverdampfung.
Aber eine ganz andere Frage wirft sich hier auf. Wie wirkt die
Atmungsluft durch ihre Temperatur und ihre sonstige Beschaffenheit,
durch ihren Wassergehalt usw. auf die Aiveolarwände
selbst ein? ,
Die Haut ist gegen äussere Einflüsse dur^h die isolierende Epi¬
dermis recht gut geschützt. Bei den Wänden des Bronchialbaums geht
die Sache auch noch. Die haben doch wenigstens eine Schleimhaut und
der von ihr abgesonderte Schleim überzieht die Wand als eine Hülle,
die besonders gegen Austrocknung zu schützen vermag. Die respirieren¬
den Teile haben aber davon gar nichts und nur das rasch durch die
ganz oberflächlich gelegenen Kapillaren fliessende Blut vermag das
Epithel bei kalter Atmungsluft warm zu halten, für Abkühlung zu sorgen,
wenn die Atmungsluft höher als der Körper temperiert sein sollte. Auch
vor Austrocknung kann das Luneenepithel durch den Zufluss immer
neuen Blutes geschützt werden. Ueberlegt man diese Dinge näher, so
muss es aber doch Staunen erregen, was alles die Lunge als Teil der
Kerneroberfläche ertragen muss und tatsächlich ohne Schaden zu
nel.men erträgt. In strengen Wintern, in Polargegenden, beim Flug in
grossen Höhen wird eine Luft von vielleicht 40 oder 50® oder noch
melir unter Null eingqatmet. Wenn auch bekanntlich die Luft schon |n
der Nase vorgewärmt, auch mit Wasserdampf so ziemlich gesättigt
wird, so wird diese Einrichtung bei so grosser Kälte und damit äusserst
grosser Trockenheit der Luft kaum hinreichen, um die schwerste
Schädigung der Alveolarepithelien zu verhüten. Noch mehr muss es
wundern^hmen, zu erfahren, was die Lunge an Hitze auszuhalten vermag.
Bekannt ist die Geschichte von dem Bäckermädchen, das im Backofen
bei einer Temperatur von 132® 5 Minuten lang eingesperrt war und
ohne Schaden zu nehmen dann befreit wurde. Auch die Sejbstversuche
von BI a g d e n wären hier zu erwähnen. Er konnte es mit nacktem
Körper in einem Raum von 120®, in dem mittlerweile Eier hart gekocht
wurden, 20 Minuten lang aushalten. Was ist da merkwürdiger, die
Wärmeregulation, durch die eine tödliche Ueberhitzung des ganzen
Körpers verhütet wurde, oder die Widerstandskraft des Lungenepithels,
das mit jedem Atemzug dem Einfluss so hoch temperierter Luft aus¬
gesetzt war? Man sollte vor allem annehmen, dass das Blut in den
Lungenkapillaren in kürzester Zeit gerinnen müsste, wenn es immer
wieder von Luft fast schutzlos umspült wird, deren Temperatur die
Gerinnungstemperatur vom Eiweiss so weit überschreitet. Wenn man
angegeben und sich darüber gewundert hat, dass der Mensch wenigstens
«kurze Zeit bei einer Aussentemperatur von 132® und in Polargegenden
bei 60 ® unter Null zu leben vermag, so hat man dabei sehr mit Unrecht
nur an den Wärmehaushalt des Körpers und an die Einwirkung der
Aussentemperatur auf die Hautoberfläche gedacht. Und auch die Haut,
trotz ihrer schützenden Epidermis, erträgt so hohe oder so niedere
Temperaturgrade bekanntlich nicht immer ohne Schaden; Ekzeme oder
Frostschäden können die Folgen davon sein. Die viel wichtigere Frage
wdrft sich hier auf, wie das respirierende Parenchym sich zu gewaltigen
Temperaturschwankungen verhält. Von einer schützenden Wirkung von
der Nase aus kann dabei nimmer die Rede sein, bei aller Hochachtung
vor ihrer Leistung unter gewöhnlichen Verhältnissen. Das Alveolar¬
epithel wäre verloren, wenn nicht Residualluft und Reserveluft da wären
und die Einwirkung der Atmungsluft nicht nur verlangsamten, sondern
auch in sehr erheblichem Grad abschwächten. Ueberlegen wir uns, was
geschieht, wenn frische Atmungsluft eingeatmet wird, ln den Bronchial¬
baum und dann in die Lungen einströmt!
Die Menge eines gewöhnlichen Atemzuges beträgt 500 ccm. Zu¬
nächst drängt sie die Luft, die sich in der Trachea und den Bronchien
Vergl. Bohr, Nagels Handb. d. Physiol. Bd. 1.
befindet, kurz in den nicht respirierenden Tellen, dem „schädlichen
Raum“, vor sich her. Von der neuen Atmungsluft mögen 360 ccm
wirklich bis in die Lungen kommen. Dort sind aber schon 1200 ccm
Residualluft und 1600 ccm Reserveluft, im ganzen 2800 ccm. Ein Aus¬
gleich damit wird den Stickstoff so gut wie gar nicht betreffen, denn
der Partiardruck des Stickstoffs ist in der Residualluft und in der Reserve¬
luft gerade so hoch wie in der äusseren Luft. Dagegen ist der Partiar¬
druck des Sauerstoffs in der äusseren, soeben eingeatmeten Luft grösser,
der Partiardruck der Kohlensäure und der Druck des Wasserdampfes
geringer als in der im Brustkorb von der vergangenen Respiration zu¬
rückgebliebenen Luftmenge. Es soll aber, um auch die äusserste Mög¬
lichkeit zu erschöpfen, beim Eindringen der Atmungsluft in die Alveolen
eine vollkommene innige Mischung mit der schon dort befindlichen Luft
eingetreten sein. Dann ist die Alveolenwand immer erst mit einer
Mischung von frischer und alter Luft in Berührung. Die Mischung voll¬
zieht sich im Verhältnis von 2800 zu 360 oder rund von 8 zu 1. Der
„Ventilationskoeffizient“ beträgt etwa ^/b. Das ist für den Gasaustausch
in den Lungen wichtig, ist es aber auch dafür, dass alles, was an der
Atmungsluft schädlich für das respirierende Lungengewebe ist, nur in
eben dieser Verdünnung angreifen kann. Dazu gehören auch Trocken¬
heit und Temperatur der eingeatmeten Luft.
Wenn die Innenluft eine Temperatur von 37® hat und es wird Luft
von 100® eingeatmet, durch deren Berührung das Blut sofort gerinnen
müsste, so bekommt die Mischung mit der Residualluft und Reserveluft
die viel erträglichere Temperatur von etwa 50®. Dazu kommt dann
noch der Ausgleich durch frisch nachströmendes Blut. Während der
nachfolgenden Ausatmung wird dies hinreichen, um den zurückbleibenden
Rest auf Körpertemperatur zu bringen und mit Wasserdampf wieder zu
sättigen.
Es ist selbstverständlich, dass der gleiche Schutz der Verdünnung
sich auch gegenüber giftigen Dämpfen oder Gasen geltend machen muss,
die vielleicht in der Atmungsluft enthalten sind. Diesen Schutz gewährt
die Residualluft anfangs unter'allen Umständen. Sie wird darin sehr
wesentlich unterstützt durch die Anweseriheit der Reserveluft. Durch
die Residualluft würden die 360 ccm neu eingetretener Atmungsluft nur
auf etwa Vi verdünnt werden. Ein tieferer Atemzug würde das Ver¬
hältnis noch weiter verschlechtern. Man kann bekanntlich willkürlich
oder aus Atemnot auch tiefer einatmen als gewöhnlich. Aeusserstenfalls
kann man dabei noch die ganze „Komplementärluft“ in einer Menge von
rund 1500 ccm einatmen. Dann strömen den Alveolen 2860 ccm neuer
Luft zu, um dort mit den zurückgebliebenen 2800 ccm verdünnt zu
werden, also im Verhältnis von 1 zu 1, auf die Hälfte also. Dazu kommt
aber jetzt der weitere ungünstige Umstand, dass bei angestrengter
Atmung nie die Komplementärluft allein zu Hilfe gezogen wird, die Ein¬
atmung allein wird nicht verstärkt sondern allemal auch die Ausatmung.
Die Lunge wird dabei möglichst entleert auch die Reserveluft wird aus¬
geatmet und nur die Residualluft bleibt als letzter Schutz an der Lungen¬
oberfläche zurück. Eias wären 1200 ccm gegen 3460 ccm. Die Ver¬
dünnung würde nur etwa 23/17 betragen. Besser als gar nichts, die
Residualluft bleibt eben unter allen Umständen auf ihrem Posten. Man
sieht aber leicht wie sehr sie in ihrer Wirkung von der Reserveluft
unterstützt wird und wie wichtig es ist nur möglichst seicht und ober¬
flächlich zu atmen, wenn die äussere Luft sehr hoch oder sehr niedrig
temperiert ist oder wenn sie giftige Bestandteile enthält
Damit dürfte die nützliche Rolle klargelegt sein, die Residualluft und
Reserveluft zusammen spielen. Wenn man bedenkt, wie vielen schweren
Schädlichkeiten auch die Körperoberfläche innen in den Lungen so oft
ausgesetzt ist darf man sie als eine sehr wichtige bezeichnen.
Natürlich hat auch dieser Schutz seine Grenzen. Das weiss man
aus vielen Unglücksfällen. Nicht selten gehen Bewohner eines
brennenden Hauses oder Feuerwehrleute noch nach ihrer „Rettung“ an
den Folgen der Einatmung von Brandgasen zugrunde. Sie erliegen nicht
der Kohlenoxydvergiftung, sondern einer Pneumonie. Glühend heisse
Gase, mit Gewalt eingeatmet, töten sofort das Blut in den Lungen¬
kapillaren gerinnt augenblicklich und überall und damit wird der Kreis¬
lauf gänzlich unterbrochen, zum Glück auch im Gehirn. Es ist gut auch
das zu wissen, denn keiner weiss vorher, welche Form des Endes ihm
von bestialischer Roheit oder von der vollkommenen Gleichgültigkeit
der Natur gegenüber dem Leid der Einzelwesen vorherbestimmt ist
Wenn es also keinen Ausweg mehr gibt dann endet ein einziger tiefer
Atemzug, der die helle Flamme zum offenen Munde hereinzieht sicher und
augenblicklich alle Oual.
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Rostock
(Dir.: Qeh. Med.-Rat Prof. Martins).
Ueber die fraktionierte Liquoruntersuchung.
Von Priv.-Doz. Dr. F. Weinberg, Oberarzt der Klinik.
Die Lumbalpunktion hat für die Gesamtmedizin die grösste Be¬
deutung gewonnen. Obwohl eine grosse Zahl von Fragen und gerade
die wichtigsten, wie Entstehung des Liquors, Herkunft der Zellen, Liquor¬
strömung der Klärung harren, hat man sich fast nur Untersuchungen
von mehr praktischer Bedeutung zugewendet Dabei ist es ganz eigen¬
tümlich, dass man über die einfachsten Dinge keine Auskunft erhält
Wenn man z. B. eine Zellzählung vornimmt — man nimmt durch¬
schnittlich 5—15 ccm Liquor in 1—3 Röhrchen ab —, welche Liquor¬
portion soll man dazu nehmen? (Entnimmt man nur wenige Kubik-
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
578
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Zentimeter, dann ist die Frage natürlich gelöst.) Eskuchen sagt:
,Die Zellangaben in der Literatur beziehen sich immer auf die erste
i-iquorportion.“ Er ist aber, soweit ich sehe, der einzige, der darüber
überhaupt_eine Angabe macht. Vorher sagt er: „Es spricht natürlich
nichts dagegen, dass man die Zellzählung bei verschiedenen Liquor¬
portionen anstellt.“
Ist cs gleichgültig, aus welcher Liquorportion ich die Zählung vor-
.ichme? Hat die Vornahme der Zählung aus der ersten Liquor¬
portion eine Berechtigung? Es liegen in der Literatur (hauptsächlich
von vor etwa 10 Jahren) eine Reihe Arbeiten vor, die sich mit diesem
Problem befassen. Es ist ganz auffallend — und nur aus der augen¬
blicklich herrschenden Lehre vom Liquor zu verstehen —, dass diese
Fragen so wenig Interesse erregten, obwohl ihnen sehr grosse prak¬
tische Bedeutung zugeschrieben werden muss.
0. Fischer hat in einer ausgedehnten Untersuchungsreihe nach-
gew'iesen, dass „eine Zellvermehrung nichts anderes als den Orad der
Infiltration der Meningen des untersten Riickeumarksabschnittes anzeigt“.
Er hat auch — an Lebenden und an Leichen — gefunden, dass der
Liquor in verschiedenen Hölien verschieden und der Infiltration der
Meningen entsprechend zellreich ist.
Walter hat in 24 Fällen einzelne Liquorportionen untersucht und
auffällige Differenzen in der Zellzahl gefunden, so dass er sagt: „Es
bleibt nur eine Erklärung übrig, dass nämlich die Pleozytose lediglich
der Ausdruck eines lokalen Prozesses ist und mit diesem in den ver¬
schiedenen Höhen des Subarachnoidealraumes wechselt.“
Unterschiede der einzelnen Portionen fanden sich nach C i m b a 1,
W i d a 1 und Raveaut. Sicard. Neu und Hermann. Nölke
(Eiweissgehalt), V. Kafka, Obregia, Reichmann (Nonnc-
Apelt). Rautenberg dagegen fand keine Unterschiede. Es ist
nicht entschieden, ob die grössere Zellzahl in der ersten oder in der
letzten Liquorportion zu fmden ist. Die erste Portion war zellreicher
bei Neu und Hermann, Kafka. Widal und Raveaut („ohne dass
wir uns diese Unterschiede erklären können“). Fischer aber fand
keine Einheitlichkeit — das Verhalten der Zellen war wechselnd und
entsprach der Infiltration der entsprechenden Höhe. Unerklärlich sind
die Befunde nur. „wenn man die Einheitlichkeit des Gesamtliquors als
feststehende Tatsache ansieht“ (Walter).
Diese sehr interessanten Befunde — besonders diejenigen F i -
Sehers — spielen eine merkwürdig geringe Rolle ln der Lehre von
der Pleozytose. Ihre Kenntnis würde vielleicht manche unklare und
auffallende Pleozytose erklären.
N 0 n n e s Ansicht ist. „dass das Ergebnis der lumbalen Liquor¬
untersuchung über den pathologischen Zustand des gesamten Li¬
quors zu orientieren vermag“. Darnach müsste es gleichgültig sein,
welche Liquorportion untersucht wird.
Wir haben bei nunmehr fast 200 Lumbalpunktionen die verschiedenen
F^ortionen untersucht, um endgültige Auskunft über diese Frage zu
erhalten. In der ersten Zeit haben wir nur Zellzählungen vorgenommen,
später aber auch die anderen Untersuchungen miteinbegiffen.
In fünf Zentrifugenröhrchen wird Liquor aufgefangen und zwar in
Röhrchen 1: 1 ccm
2; 5 „
„ 3: 1 „
„ 4: 5 „
„ 5: Rest im Schlauch: ca. 3 ccm.
In 5 Röhrchen ca. 15 ccm Liquor. Untersucht auf Zellzahl wurden
Röhrchen 1. 3. 5; also die erste, mittlere und letzte Portion. Und
zwar wurden von einem Assistenten sofort bei der Punktion die drei
Pipettenfüllungen vorgenommen, um jeden Fehler durch event. Sedi-
mentierung der Zellen zu vermeiden.
Später haben wir in 4 Röhrchen je 5 oem Liquor cinlaufen lassen,
sofort 4 Zählpipetten gefüllt und mit dem Rest die anderen Unter¬
suchungen angestellt (Pandy. Nonne-Apelt. Nissl, Wasser-
ma n n).
Selbstverständlich wurden Kontrollzählungen vorgenomrOen, die
meist auffallend gleiche Werte ergaben.
Wir fanden normale Befunde bei 64 Punktionen. In diesen* Fällen
bestehen grössere Differenzen der einzelnen Liquorportionen nicht.
Diese Untersuchungen zeigten uns. dass ein Zellbefund von über 5 im
Kubikmillimeter unbedingt als pathologisch anzusehen ist (gleich
Holzmann, Eskuchen). Der vielfach herrschenden Ansicht, dass
6—10 Zellen als Grenzwert, aber noch als normal zu betrachten seien,
ist zu widersprechen.
In den 64 Fällen war eine Differenz von höchstens 10 Zellen in
der ganzen Fuchs-Rosenthal sehen Zählkammer zu konstatieren -
ich verwende lieber die Zahlen der ganzen F.-R.-Zählkammer. sie sind
etw a 3 mal soviel wie im Kubikmillimeter - die Differenz im Kubik¬
millimeter wäre hier also 3'A Zellen.
Es waren Zelldiffercrizen
0—3 (in der ganzen Kammer!) in 38 bälleii.
4—6 (. „ ) 18
7-9 (. .. ) .. 6 ..
10 (. ) „ 2
Die Differenz von 7—10 Zellen war in 3 Füllen von Aortitis luetica,
1 mal Lues kitens, 1 mal Neuritis ulnaris. 1 mal Carcinoma oesophagi
perforatum mit Sepsis. 1 mal chronisches Emphysem. Also bei diesen
noch normalen Differenzen handelt es sich in 50 Proz. um Luetiker!
Port I P<irt. n Port. 111
Zellen ‘ Zeilen Zellen
1. E. A. Aortitis luetica .... 10* 1 5 j In der ganzen
2. S. Lues latens. 5 15 1 f F.-R. Kammer
In weiteren 16 Fällen (mit 17 Punktionen) fanden sich im ganzen
geringe Zellvermehrungen (aber nur einmal über 45 Zellen [47];
Nonne rechnet noch 30 Zellen als Grenzwert).
Hier haben wir pathologische Differenzen (bis zu 44 Zellen = 14*73
im Kubikmillimeter!), z. B.:
Port. 1
3. S. Enzephalomalazie. 9
4 B K. Lues latens. 7
5. Kr. J. Olomerulonephritis . . 45
(keinerlei Anhaltspunkt für Ner¬
venleiden)
6. Sehr Luetische Nephrose . . 25
(WaR. : Blot -1—LTT, Liquor
negadiv)
ln einer grossen Zahl schwerer zcrebrospinaler Erkrankungen sind
natürlich Differenzen gefunden worden, die aber bei der meist schon
hohen Zellzähl weniger Bedeutung haben, besonders da keine Einheit¬
lichkeit gefunden werden konnte, z. B.:
Port.
I Port. II
Port. III
7. H. M. Neurorezidiv
varsanbehandlung
nach
Sal- 589
432
507
\ in der ganzen
J F.-R. Kammer
7a. Th. Tabes dorsalis
94
50
116
Sie zeigen uns nur.
dass
geringe
Unterschiede
der
pathologiscbeii
Veränderungen in verschiedenen Höhen bestehen.
Ein ganz anderes Bild bieten die folgenden Befunde mit Differenzen,
die vom Pathologischen zum Normalen gehen, z. B:
Port. II Port. III
30 10 )
18 41
1 4 I in der ganzen
( F,-R. Kammer
Port I Port. II
8. H. W. Poivneuritis. 183 4
(Tuberoserpiginöses Syphilid.
WaR.: Blut -f +++, Liquor
negativ)
9. J.U. Akute fieberhafte (Orippe ?) 173 4
leichte Benommenheit, Kopf-
achmerz, Fieber, Leukopenie.
Heilung in 14 Tagen. WaR. im
Blut und Liquor negativ
10 E. Z. Typhus Wirbelkaries 129 44
des 3.-4. Lendenwirbels und
med. Kreuzbeins
11. I. K. Lues cerebrospinalis? . 321 181
12. J. St. Lues 11. 121 8
Port. III
1
6
6
32
12
in der ganzen
F.-R. Kammer
Natürlich finden sich auch Differenzen folgender Art:
Port. 1
Port. 11
Port. 111
13 St. R. Meningitis tbc ....
1387
840
637 }
Zellunterschiede in aufsteigender Richtung:
Port I
Port. II
Port. in
14. A B. Tabes inciptens ....
(WaR.; Blut Liquor
negativ)
15 D. Or. Miliartuberkulose . . .
2
25
6. 1
472
1490
2352 1
(Meningitis tuberculosa)
37 376 )
26. Kr. Pneumokokken-Meningitis
9040
10176
in der ganzen
F.-R. Kammer
in der ganzen
F.-R Kammer
Diese wenigen Beispiele aus dem Material von fast 200 Fällen
sollen zeigen, dass tatsächlich enorme Zellunterschiede zwischen den
einzelnen Liquorportionen bestehen können. Die Ansicht N o n n e s ist
unhaltbar. ’
Wir müssen eine Beziehung zwischen Pleozytose und Meningeal-
erkrankung und zwar eine rein örtliche annehmen. Von einer Einheit¬
lichkeit des Liquors kann nicht die Rede sein.
Instruktiv und beweisend für diese rein örtlichen Beziehungen ist
der Fall 10, E. Z.. Wirbelkaries des 3.—4. Lendenwirbels und med.
Kreuzbein. Daher die erste Portion stark zellhaltig (129). In der
zweiten Portion hat sich Liquor von oben mit dem unteren vermischt,
daher schon Zellabnahme auf 44. In der dritten Portion normaler Liquor
aus höherer Schicht (6).
Die Pleozytose ist also der Ausdruck eines lokalen Prozesses.
Wie sollen wir aber folgende Befunde auffassen:
Zw'ei Patienten mit Meningitis tuberculosa:
Port. I Port. II Port. III
17. Fall I. 1387 840 637 1 in der ganzen
18. Fall II. 472 1490 2352 I F.-R. Kammer
Im Fall I musste sich der Prozess stärker auf die Meningen nach
unten ausgedehnt haben. Diese Befunde können natürlich nur durch ge¬
naue histologische Untersuchungen (wie es 0. Fischer getan hat)
endgültig gedeutet werden. Sicherlich besteht bei schweren patho¬
logischen Veränderungen (besonders zerebralen) eine andere Liquor¬
strömung wie normalerweise; es ist nicht von der Hand zu w^eisen. dass
bei starkem Zellgehalt eine Sedimenticrung nach unten stattfindet.
Port. I Port. II Port. III
19. Schwere eitrige Meningitis . 9040 10176 37376 1 in der ganzen
(Rückenmark makr. normal) | F.-R. Kammer
Ob normalerw'eise oder bei geringen Verändemngen überhaupt eine
stärkere Liquorströmung vorhanden ist?
Wie Süll man sich diesen Zellbefund erklären:
Port. I Port. II Port. III
T»b« indpl™,. 2 25 64 )
Hier kann doch nur eine sehr geringe Liquorströmung vorhanden
gewesen sein! (Tierversuche sind nur sehr mit Vorsicht als Beweis zu
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
579
gebrauchen, da ja Flüssigkeit unter Druck eingespritzt Vielfach
nimmt man an, dass eine Liquorströmung nur von den Ventrikeln nach
unten geht. Ob überhaupt eine Strömung vom Spinalraum zu den Ven¬
trikeln besteht, ist fraglich. Unsere Untersuchungen sprechen für eine
Schichtung des Liquors. Das wird durch weitere Befunde erwiesen.
Es bestehen auch Unterschiede im Qlobulingehalt (Pandy besser
als Nonne-Apelt) und in der Eiweissmenge. Diese Verhältnisse sind
aber nicht ganz einfach:
L21. K. F. M. Meningokokken-Meningitis Zellgehalt Nissl
Port. I . . . 8652 g.P.-R,K. 8 Str.
„ II . . . 7282 7 „
„ III .. . 5836 6 „
„ IV ... 3432 6
Nonne-Apelt und Pandy überall gleich.
22. H. Meningitis Zellgehalt Nissl
Port. I . . . 2253 g.F..R.K. 12 Str.
„ II . . . 2597 11 „
„ III .. . 3934 9 „
,, IV . . . 6356 9
Nonne-Apelt und Pandy überall gleich.
Im ersten Fall also gehen Zell. undEiweissgehalt parallel, im zweiten
Fall mit starker Zellvermehrung (von 2253 auf 5356) eine Eiweissvermin¬
derung von 12 auf 9 Strich.
Wie ist es mit dem serologischen Verhalten?
Es ist bisher in verschiedenen Portionen einmal von Kafka die
Untersuchung auf WaR. und Normalambozeptor gemacht worden. Er
fand in verschiedenen Höhen keine Differenzen. Sehr interessant ist, dass
Gennerich ausserordentlich weitgehende Unterschiede bei Kontrolle
in einem Hamburger Laboratorium fand. Z. B. führt er an: absolut
negativer Befund im Hamburger Institut gegenüber -H-++ bei 1,0 ccm
Liquor in Kiel. Er führt diese „häufiger zutage tretenden Mängel des
Liquor-Wassermanns“ auf Fehlerquellen zurück. Vielleicht aber lässt
Fall 23 noch eine andere Erklärung zu. Wir haben hier bei 1.0 ccm Liquor
in Portion II in Portion IV — WaR„ und das könnte doch auch
bei Fällen von Gennerich so gewesen sein.
23. Pat. W. Zellgehalt Pandy Nonne-Apelt Nissl
(WaR. im Blut Port, l . . 15 leicht -f- Opaleszenz 3 Strich
M II • • 18 leicht -f- Opaleszenz 3 Strich
Punktionstag 22. II. „ III . . 19 negativ negativ 3 Strich
„ IV . . 15 negativ negativ 3 Strich
WaR.‘) Port. I Port. II Port. III Port. IV
im Liquor. 0,1 negativ negativ negativ negativ
1,0 -H- -f-t t -l- -f negativ
^0 (nicht untersucht da (nicht unter- +-H-+ +-+-4+
zu wenig Liquor) sucht)
Kontrolle negativ negativ negativ negativ
Punktion 2 Tage Zeilgehalt Pandy Nonne-Apelt Nissl
darnach am 24.11. Port. I . . 15 leicht -f- Opaleszenz 2 Strich
„ II . . 34 negativ Opaleszenz 2 Strich
„ III . . 27 negativ Opaleszenz 2 Strich
„ IV . . 22 negativ negativ 2 Strich
WaR. Port. I Port. II Port. III Port. IV
0,1- _ _ _ _
iS töt
*) Die WaR. wurden in der Dermatologischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Frieboes)
ausgefuhrt.
Es bestehen also auch bei der Wassermann sehen Reaktion
stufenförmige Unterschiede. Die Punktion 2 Tage darauf verwischt
diesen Unterschied — aber sie beweist uns wieder, dass die II. Liquor¬
portion den Herd anzeigt; die Zellzahl steigt auf 34! (also selbst nach
Nonne als pathologisch anzus^hen).
Ueber die Wirkung rasch hintereinanderfolgender Punktionen hat
vor kurzem Schönfeld berichtet, dass vielfach durch den Reiz es zu
einer Vermehrung des Zell- und des Eiweissgehalts kommen kann. Er
rät deshalb in der Praxis einen Zwischenraum von mindestens 10 Tagen
zwischen den einzelnen Punktionen zu legen. Wir haben häufig Ver¬
mehrung gesehen — vielfach aber auch nicht.
Sehr interessant ist folgender Befund:
Punktionstag Port. I Port. II Port. III
J. St. Lues 11. 23. VII. 19 121 8 12
25. VlI. 19 758 204 205
Man beachte diese auffällige Gesamtvermehrung und das Verhältnis
von Portion I zu Portion II und III! Hier sprechen sowohl die erste wie
zweite Punktion für eine Veränderung des untersten Meningealabschnittes
(wofür klinisch nichts sprach).
Wir fanden aber auch Verminderung:
E. E. Eitrige Basilarmeningitis (ohne Behandlung).
Punktionstag Port. I Port. II Port. III
9. IV. 18 19 704 9036 10512
13. IV. 18 357 703 571
Eine andere sehr interessante Wirkung rasch hintereinanderfolgender
Lumbalpunktion sahen wir bei:
K. B. Mel. Querulantenwahn; Lues latens. WaR.
Punlttionstag
Port. I
Zellgehalt
Port. II Port. lU
Nissl
Blut
Liquor
10. X.
11
15 12
2 Str.
0,1 —
0,5
2,0
13. X.
7
18 41
4 Str.
++-H-
0,1 —
0,5 -M-ff
2,0 -h44-
Wir bekamen also Zellvermehrung in der Portion III. bis auf 41,
Nissl von 2 auf 4 Strich und die negative WaR. im Liquor ward positiv.
Nr. 19.
S c h ö n f e 1 d beschreibt einen Fall von weiblicher Gonorrhöe, bei
dem neben Zellvermehrung von 92 Zellen eine Andeutung einer positiven
WaR. vorlag.
Hierzu passen die Untersuchungen von Salus, der bei immunisierten
Tieren nach wiederholter Kammerpunktion im Kammerwasser eine Ver¬
mehrung von Eiweiss und Antikörpern fand.
Ich gehe heute absichtlich nicht ausführlich auf theoretische Er¬
örterungen ein. Die sollen mit der Veröffentlichung des gesamten
Materials von nun bald 3 Jahren demnächst in der Deutsch. Zschr. f.
Nervenheilkunde erfolgen. Ich gebe schon jetzt eine Anzahl der prak¬
tisch wichtigsten Befunde wieder, weil ich bei dem relativ kleinen für
die Lösung dieser Frage geeigneten Krankenmaterial unserer Klinik die
Mitarbeit grösserer Kliniken für notwendig halte.
Aus der Universitäts-Kinderklinik in üraz.
Das Hungerödem der Säuglinge.
Von Prof. Franz Hamburger.
Das Hungerödem ist eine Erscheinung, die erst während des Krieges
den Aerzten bekannt geworden ist. Wir dürfen wohl richtiger sagen,
wieder bekannt geworden ist, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass sich
in der älteren Literatur Angaben über diese Erscheinung der Hungersnot
finden dürften. Hungernöte aber waren seit Jahrzehnten in Mitteleuropa
unbekannt und so hat man auch die klinischen Symptome des Hungers
nicht mehr gekannt. Während des Krieges aber hat man diesbezügliche
Erfahrungen zu Tausenden machen können. 'Die erste Beobachtung
dieser Art dürfte von Strauss stammen, welcher schon im Jahre 1915
über das Oedem als ein Symptom der Hungerkrankheit berichtet hat.
Er hat seine Beobachtungen an der Zivilbevölkerung in Polen im Beginn
des Weltkrieges gemacht. Später wurden dann sehr häufig Beob¬
achtungen über das Oedem in Kriegsgefangenenlagern veröffentlicht
und dieser Zustand vielfach als Folgeerscheinung von Infektionskrank¬
heiten, besonders Rückfallfieber, aufgefasst.
Aber schon im Jahre 1917 finden wir eine Veröffentlichung von
Walter Hülse, welcher sich gegen diese Infektionstheorie, sowie auch
gegen die anderseits aufgestellte Avitaminoselehre wendete und die Be¬
hauptung aufstellt, dass es sich um einen Folgezustand von Unter¬
ernährung handelt. Er schreibt: „Wir kommen somit auf Grund dieser
Ergebnisse zu der Ansicht, dass es sich bei der Oedemerkränkung in
Gefangenenlagern um unspezifische Inanitionszustände handelt, für die
sich die grosse Masse spezifischer Infektionen als allgemein gültige
Ursache ausschliessen lässt.“ In ganz ähnlicher Weise spricht sich
H. W. Jansen aus; er sagt, dass die quantitativ und qualitativ unzu¬
längliche Ernährung die Ursache der Oedemkrankheit sei und dass vor
allen Dingen eine Ernährung mit zellulosereichen Kohlehydraten die
Oedembildung beschleunige. „Die Koinzidenz des quantitativen sowie
des qualitativen Momentes lösten erst die Oedemkrankheit aus.“
M 0 r i t z hat dann, ohne des Näheren auf den Mechanismus und Chemis¬
mus der Oedembildung solcher Inanitionszustände einzugehen, den kurzen
prägnanten Satz ausgesprochen : „es handle sich bei der Oedemkrankheit
lediglich um den Zustand chronischen Hungers.“
Es war nun naheliegend, die schon seit langem bekannten Fälle von
Oedemen bei ernährungsgestörten Säuglingen in ähnlicher Weise zu er¬
klären, nämlich kurzweg auf Hunger zurückzuführen. So weist
Pfaundler in einer kurzen Diskussionsbemerkung zu dem Vortrag
Jansens auf die Aehnlichkeit der Oedemkrankheit der Erwachsenen
mit dem Oedem der Säuglinge hin, ohne jedoch das Oedem der Säug¬
linge dem Hungerödem des Erwachsenen ohne weiters gleichzusetzen.
Pfaundler lässt die Frage ganz richtig offen, ob es sich da um die¬
selben Zustände, um dieselben Ursachen handelt. Er scheint die Oedem-
bereitschaft beim Mehlnährschaden für etwas vom gewöhnlichen Hunger-
ödem verschiedenes zu halten.
Ich für meine Person möchte der Frage nähertreten, ob nicht die
Grundursache des Säuglingsödems doch kurzweg als Hunger anzusehen
ist und ich glaube, diese Frage bejahend beantworten zu können. Wir
finden die Oedeme wenigstens in ihrer klinisch nachweislichen Form
wohl immer nur bei abgemagerten Säuglingen, und es liegt vorderhand
für uns kein Grund vor, anzunehmen, dass sich Oedeme nur oder fast
nur bei Säuglingen mit Mehlnährschaden entwickeln. Solche Säuglinge
sind immer nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ unterernährt,
d. h. sie erhalten nicht nur zu wenig Eiweiss und Fett, sondern sie er¬
halten überhaupt zu wenig Kalorien. Die im folgenden mitgeteilte
Beobachtung erscheint mir nun geeignet einen grundsätzlich wichtigen
Beitrag zur Oedemfrage des Säuglings abzugeben, denn sie zeigt mit
Bestimmtheit, dass auch Brustkinder, also qualitativ richtig ernährte
Säuglinge, unter dem Hungereinfluss Oedembildung zeigen können.
Ich habe vor kurzem in der Sprechstunde ein 3 Monate altes Kind
zu sehen bekommen, welches bis vor einer Woche ausschliesslich an
der Brust ernährt wurde und infolge der unzulänglichen Milchmenge an¬
dauernd an Gewicht abgenommen hatte. Am Kopf zeigte sich eine erst
seit 2 Tagen beobachtete sehr grosse teigige Geschwulst, die in der
Lokalisation genau einem Kephalhämatom entsprach. Die Haut war an
dieser Stelle leicht ekzematös verändert und ich dachte an eine Phleg¬
mone bei einem kachektischen Kind. Zugleich zeigten sich aber auch
leichte Oedeme an den Schienbeinen und auf mein näheres Befragen
erfuhr ich, dass das Kind seit einer Woche mit einer Mischung von
halb Mehlabkochung und halb Milch (ohne Salz!) zugefüttert wurde. Ich
5
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
580
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr.
verordnete heisse Umschläge auf die Kopfgeschwulst und mit Rücksicht
auf die zweifellos zu geringe Milchmeiige der Mutter und die hochgradige
Abmagerung eine reichliche Zufütterung von ’/a Milch und K Wasser
mit 8 Proz. Mehl und 10 Proz. Zucker. Nach 2 Tagen war die Ge¬
schwulst vollständig verschwunden, die Oedeme hatten an den Beinen
noch deutlich zugenommen, das Kind zeigte eine Uewichtssteigerung
von 250 g in 4 Tagen. Nach weiteren 4 Tagen waren auch noch die
Oedeme an den Beinen verschwunden.
Dieser Fall bestätigt meine seit langem gehegte Vermutung, dass
es sich bei dem Oedem der Säuglinge tatsächlich oft nur um eine Hunger¬
erscheinung handelt. Dabei verstehe ich hier unter Hunger den Zustand
bei qualitativ richtiger, quantitativ unzureichender Ernährung. Aus dieser
Beobachtung glaube ich ferner schliessen zu dürfen, dass das Auftreten
von Oedemen keineswegs immer als Signum mali ominis aufzufassen ist
und meine den Standpunkt vertreten zu sollen, dass man trotz Oedem
reichlich weiter ernähren soll.
Dieser Fall zeigt weiter, dass eine besonders salzreiche Kost zur
Entstehung der Oedeme nicht notwendig ist, vorausgesetzt, dass die
Bereitschaft hiezu vorliegt; denn das Kind bekam nur die Salze, die im
Mehl und in der Kuhmilch vorhanden waren. ^
Einen ähnlichen Fall wie den hier mitgeteilten beobachtete mein
Assistent Dr. Widowitz bei einem erst wenige Wochen alten
hungernden Brustkind. Leider ist der Fall der weiteren Beobachtung
entgangen.
Es ist ganz klar, dass man aus diesem einen Fall noch nicht den
bindenden Schluss ziehen kann, dass alle Fälle von Säuglingsödemen
kurzweg als Hungerödeme bezeichnet werden dürfen. Immerhin möchte
ich diesen Schluss als einen Wahrscheinlichkeitsschluss hinstellen.
Mir kam es hier nicht darauf an, die letzte Ursache, den feineren
Mechanismus der Oedembildung bei ernährungsgestörten Säuglingen auf¬
zuklären, ich glaube, dazu wird noch viel Arbeit nötig sein und ich
glaube es wird gut sein, vorderhand einmal möglichst wenig zu präjudi-
zieren und sich möglichst mit den grobklinischen Erscheinungen zufrieden
zu geben. Das geschieht am besten in der Weise, dass wir kurzweg
sagen, der Hungerzustand bereitet zur Oedembildung vor. Ob dann dieser
Hungerzustand hervorgerufen ist dadurch, dass zu wenig Nahrung von
vornherein zugeführt wird oder dadurch, dass, wie dies für die Säug¬
lingsatrophie angenommen wird, die genügend reichlich zugeführte
Nahrungsmenge nicht assimiliert werden kann, ist hier vorderhand
gleichgültig. Wieder in anderen Fällen mag der Hungerzustand dadurch
bedingt sein, dass durch einen chronischen Krankheitszustand (Tuber¬
kulose, Geschwülste) den Geweben die nicht genügend assimilierte
Nahrung entzogen wird.
Ich meine auch mit anderen Aerzten, dass zur Oedembilung noch
eine gewisse Konstitution nötig ist. Nicht ieder Mensch bekommt bei
chronischem Hunger und Salzzufuhr Oedeme.
Ich habe schon vor fast 10 Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass
nicht nur Säuglinge, sondern auch ältere Kinder unter dem Einfluss
allgemeiner chronischer Störungen bei salzreicher Kost Oedeme ansetzen
können. Heute verstehe ich den damals beschriebenen Fall besser. Es
handelte sich um ein echtes Hungerödem, wobei der Hungerzustand durch
Nahrungsverweigerung hervorgerufen war.
Ich habe dort auch darauf hingewiesen, dass manche abgemagerte
(kachektische) ältere Kinder auf Kochsalz und Wasserzuhihr nicht
Oedeme, sondern Diarrhöhen bekommen. So wird es wohl auch je
nach der Konstitution beim ernährungsgestörten Säugling sein; der eine
bekommt Oedem. der andere Durchfälle. Wir können solche Darm¬
zustände in Anlehnung der Bezeichnung Nephritis—Nephrose als Enterose
bezeichnen und können dann vielleicht die hydropische Konstitution
der enteritischen (oder enterotischen) Konstitution gegenüberstellen.
Ich möchte diese Gegenüberstellung ausdrücklich nur als einen
flüchtigen Gedanken hinstellen, der keineswegs Anspruch auf sichere
Verwertbarkeit macht. Das müsste wohl erst durch zahlreiche dies¬
bezügliche Beobachtungen sichergestellt oder eben abgelehnt werden.
Literatur.
Strauss: M.Kl. 1915 Nr. 31. — W. Hülse: M.m.W. 1917 Nr. 28. —
H. W. Jansen: Ebenda 1918 Nr. 1 S. 10. — Moritz: Ebenda 1919 Nr. 30
S. 852. — Pfaundler; Ebenda 1919 S. 195. — W i d o w i t z: Persönliche
Mitteilung. — F. Hamburger: M.m.W. 1911 Nr. 47 S. 2500.
Der Index der Körperfülle als Mass des Ernährungs¬
zustandes.
Von Fritz Rohrer, Dozent für Physiologie, Basel.
Die Belieferung Deutschlands mit amerikanischen Nahrungsmitteln
zur besseren Ernährung der Kinder hat zu der praktisch sehr wichtigen
Frage geführt, nach welchen Richtlinien die Verteilung an verschiedene
Gegenden erfolgen soll. Es ist naheliegend und wohl am gerechtesten,
die Verteilung nach der Bedürftigkeit, also nach dem Grad der Unter¬
ernährung der Jugend in den einzelnen Gegenden vorzunehmen. Zur
objektiven zahlenmässigen Feststellung des Grades der Unterernährung
wird nun vom ärztlichen Beirat der Quäker ein von mir 1908 für anthro¬
pologische Zwecke angegebener Index aus Körpergewicht und Körper¬
länge, der sog. Index der Körperfülle‘), angewandt, auf Grund syste-
Fritz Rohrer: Eine neue Formel zur Bestimmung der Körperfülle.
Korr.Bl. d. D. Qes. f. Anthrop., Ethnol. u. Urgesch. Jahrg. 39 1908 Nr. 1/2.
Digitized by Goiisle
matischer Messungen von Körpergewicht und Grösse der Kinder ver¬
schiedener Gegenden.
Dieser Körperfüllenindex hatte bisher bei einer Reihe von anthro¬
pologischen Untersuchungen Anw-endung gefunden und sich als zw'eck-
mässig erwiesen (Martin, Lehrb. d. Anthropologie, S. 156—157 und
S. 245—248). Bei der jetzigen Verwendung des Körperfüllenindex als
Mass für den Ernährungszustand haben sich nun aber Unzuträglichkeiten
ergeben, welche vor kurzem mehreren Untersuchern Anlass gaben, in
dieser Wochenschrift ihre mehr oder weniger ablehnende Beurteilung
der Brauchbarkeit des Körperfüllenindex für diese Aufgabe zu begründen
Im folgenden möchte ich diese Fragen im Zusammenhang erörtern
und vor allem festzustellen suchen, welche Bedeutung dem Körperfüllen¬
index zukommt und wieweit er als Mass des Ernährungszustandes ge¬
eignet ist.
1. Definition des Körperfüllenindex.
Den Index der Körperfülle habe ich in meiner damaligen Arbeit ab¬
geleitet ausgehend von einer Analyse der Momehte, welche beim sub¬
jektiven Eindruck der Massenentfaltung eines Körpers mitwirken und für
das praktische Urteil über die Körperfülle leitend sind. Diese bestim¬
menden Gesichtspunkte des praktischen Urteiles konnten als zw’ei ein¬
fache Grundaxiome formuliert werden, aus welchen der Index in mathe¬
matischer Beweisführung abgeleitet wurde.
Der Körperftillenindex ist definiert als das prozentuale Verhältnis
des Körpervolumens (bzw. Körpergewichtes) zum Würfel aus der
Körperlänge.
Um das Körpergewicht mit der Körperlänge in Beziehung zu setzen,
verwendete man ursprünglich den einfachen Quotienten aus den beiden
Massen. Dieser Quotient ist aber keine reine Verhältniszahl, w'eil die
Länge eindimensional, das Gewicht dagegen eine dreidimensionale
Grösse ist. Livi hat diese Umstände zuerst berücksichtigt, indem er
in seinem Index ponderalis die Kubikw^urzel aus dem Gewicht mit der
Körperlänge in Beziehung brachte. An Stelle der Livi sehen Formel
setzte ich dann unter eingehender Begründung meinen Körperfüllenindex.
Gegen diese Indizes sind zunächst prinzipielle Bedenken geäussert
worden, welche die verschiedene Behandlung von Körpergewicht und,
Körperlänge in der Formel betreffen. Es ist aber durchaus nicht zu¬
treffend, w^enn Schlesinger*) annimmt, dass durch die Radizierung
des Gewichtes beim Livi sehen Index, oder die Potenzierung der Länge
beim Körperfüllenindex, gleichsam die Bedeutung der Länge übermässig
betont sei, und dass deswegen beim Wachstum des Kindes das erheb¬
liche Absinken des Indexwertes erfolge.
Ueber das Wesen und die Aufgabe der Indexberechnung ist in medi¬
zinischen Kreisen, wie aus der Diskussion über den Körperfüllenindex
hervorgeht, keine klare Auffassung vorhanden und ich möchte daher auf
diese prinzipielle Frage kurz eingehen.
Die Indizes der Anthropologie haben die klar umschreibbare Auf¬
gabe, Formcharaktere auszudrücken, d. h. Eigenschaften, welche nicht
von der absoluten Grösse des Gegenstandes abhärigen, sondern in dem
proportionalen Verhältnis einzelner Abmessungen liegen. Die Indizes
sind daher reine Verhältniszahlen, welche nicht ändern, w'enn der
Körper in einen ihm geometrisch ähnlichen von beliebiger anderer
Grösse übergeführt wird. Es ist nun offensichtlich, dass bei der Er¬
mittlung von Beziehungen zwischen Massen verschiedener Dimension,
in dem betreffenden Index die Verschiedenheit durch Radizirung des
einen oder Potenzierung des anderen Masses aufgehoben werden muss,
um eine reine Verhältniszahl zu erhalten, welche von der absoluten
Grösse des Gegenstandes unabhängig ist.
Dass tatsächlich im Laufe der Kindheit die Fülle, die Massen¬
entwicklung des Körpers im Verhältnis zur Länge erheblich abnimmt,
wie das Absinken des Körperfüllenindex zeigt, wird sofort offensichtlich,
wenn man sich ein kleines Kind mit seinen massigen Formen unter
gleichmässigen Aenderungen aller Abmessungen auf die Länge eines
älteren Kindes oder eines Erwachsenen umgewandelt denkt und nun die
beiden Körper vergleicht.
Die Gleichsetzung von Fülle und Ernährungszustand, welche
Schlesinger machen will, entspricht nicht dem Sprachgebrauch der
Anthropologie, deren Auffassung in diesen somatometrischen Fragen
doch wohl massgebend ist. Die Tatsache, dass beim wachsenden Kind
die Körperfülle trotz, wie Schlesinger sagt, gleichbleibendem Er¬
nährungszustand, bis etwa zum 12. Jahre erheblich absinkt, beruht
darauf, dass, wie wir im folgenden ausführen werden, die Körperfülle
eben durch Zusammenwirken zweier Momente bedingt ist, w'elche iin
Laufe des Wachstums sich in verschiedener Weise ändern.
2. Die Bedeutung des Körperfüllenindex und seine
Beziehung zum Ernährungszustand beim Einzel¬
individuum.
Es ist beim einzelnen Individuum zu unterscheiden zwischen Körper¬
fülle und Ernährungszustand. Der Index der Körperfülle ist ein rein
geometrischer Ausdruck, ein Verhältnis zwischen der Längenentwick¬
lung und Volumentwicklung des ganzen Körpers, also ein Mass für die
durchschnittliche relative Querschnittsentfaltung des Körpers Nun ist
diese Querschnittsentfaltung aber abhängig von zwei Momenten.
a) Einerseits speziell am Körperstamm von der Ausladung der Ab¬
messungen, welche durch die Stützknochen dieser Körperabschnitte fest¬
gelegt sind und welche, je nachdem ein Individuum breit oder schmächtig
gebaut ist, in gewissem Umfang verschieden sein können.
*) M.m.W. 1920 Nr. 53 S. 1523.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCH^ WOCHENSCHRIFT.
581
Dass diese Breitenentfaltung individuell variiert, bemerkt man schon
bei einfacher Inspektion einer Reihe von Individuen. Wie eine Unter¬
suchung von Brugsch“) zeigt, scheint nun für die verschiedenen
Orössengruppen derselben Altersklasse diese Variationsbreite ver¬
schieden zu liegen und zwar so, dass bei kleinen Individuen im allge¬
meinen in grösserer Zahl breiter Bau vorliegt, als bei hochgewach¬
senen Individuen derselben Altersgruppe.
Aus den Längen- und Ge'v^ichtsangaben von B r u g s c h, gemessen
an 1200 Männern von 22—28 Jahren, berechne ich als Körperfüllenindex:
Grösse
Mittl. Ind. d. Kf.
Max. Ind d. Kf.
Min. Ind. d. Kf.
160/159
1,48
1,82
1,27
170/169
i,.'i4
1.75
1,07
180/179
1,28
i;49
1,04
188/187
1,19
1,25
1,11
Wie diese Tabelle zeigt, ist der durchschnittliche Körperfüllenindex
hei den Kleingewachsenen merklich höher als bei den Hochgewach¬
senen: 1,48 gegenüber 1,19. Ferner liegt der extrem niedrigste Wert
der Körperfülle für die Kleinwüchsigen (1,27). noch höher als der extrem¬
höchste Wert für die Höchstgewachsenen (1,25) dieser Gruppe.
b) Die Ouerschnittsentfaltung ist zweitens abhängig von der Schicht¬
dicke der Weichteile, welche die Wandungen, die durch das Skelett des
Körperstammes gegeben sind, umhüllen. Diese Weichteildecke ist ge¬
bildet hauptsächlich aus Muskulatur und Fettdepots und ihre Dicken¬
entfaltung kennzeichnet den Ernährungszustand. Die Dicke dieser Weich¬
teilumhüllung zeigt sich im Relief der Körperoberfläche, im Hervortreten
oder Aiisebnung darunter liegender Skelettmodellierungen, z. B. der
Iiiterkostalräume. ferner im Vortreten von Muskelpartien, Ausgefülltsein
oder Eindellung von Stellen mit Fettdepots usw.
■ Es ist nun sehr leicht möglich, dass dieselbe durchschnittliche Ouer-
schnittsentfaltung des ganzen Körpers, also der gleiche Körperfüllen¬
index vorliegt, einmal bei einem breitgebauten Individuum mit dünner
VVcichteilumhüllung, also schlechtem Ernährungszustand, und bei einem
schlankgebauten Individuum mit massiger Weichtellumhüllung, also
gutem Ernährungszustand.
Nach den Untersuchungen von Schlesinger^), ferner von
Dachauer und L a m p a r t *) sind auch für das Kindcsalter ähnliche
Verschiedenheiten des Körperfüllenindex vorhanden, je nachdem kurzer
gedrungener oder hoher schlanker Körperwuchs vorliegt, wie wir sie
für den Erwachsenen aus den Messungen von Brugsch entnehmen
konnten. Die Bedenken dieser Autoren gegen die Verw^endung des
Körperfüllenindex als Mass des Ernährungszustandes beim einzelnen
Individuum erscheinen daher in gewissem Umfang berechtigt Wenn
im Einzelfall eine Auslese der Individuen nur nach dem Körperfüllenindex
erfolgt so sind die Kleinwüchsigen mit ihrer Neigung zu breitem Bau,
also relativ hohem Index, entschieden benachteiligt und es ist zw'eck-
rnässiger, sich hier im Einzelfall mehr durch den Inspektionsbefund
leiten zu lassen.
Der Eindruck vom Ernährungszustand eines Individuums ist aller¬
dings nicht unmittelbar zahlenmässig fassbar, sondern es kann höchstens
eine empirische Gradeinteilung stattfinden (z. B. Bachauer und
L a m p a r t), welche in ihrer Anw endung stark von subjektiven Mo¬
menten auf seiten des Beobachters abhängen wird. Besonders wird
leicht die Neigung bestehen, im Längenwachstum zurückgebliebene
Kinder, auch wenn sie die Zeichen eines guten Ernährungszustandes
zeigen, zur Gruppe mit schlechtem Ernährungszustand zu rechnen, was
praktisch berechtigt sein mag, weil sie Infolge Unterernährung im Längen¬
wachstum gehemmt waren. Aber es ist unrichtig, dann von schlechtem
Ernährungszustand zu sprechen, sondern für diese Kinder ist vielmehr
die Bezeichnung „unterentwickelt“ zutreffend. In solchen Fällen kann
natürlich ein hoher Index der Körperfülle vorhanden sein, entsprechend
der in bezug auf die zurückgebliebene Längenentwicklung guten Füllung
der Körperkonturen. Es ist natürlich nicht berechtigt, in diesen Fällen
von einem Versagen der Indexmethode zu sprechen. Die erheblichen
Divergenzen, weiche Bachauer und Lampart zwischen den Er¬
gebnissen der Inspektionsmethode und den Indexw^erten feststellten,
mögen zum Teil vermutlich durch diese Umstände sich erklären lassen,
indem sie nach ihrer Angabe gerade die kleingew'achsenen Kinder be¬
sonders berücksichtigen und wie ich vermute, zu den niederen Gradstufen
des Ernährungszustandes rechnen.
Die Verw^endbarkeit des Körperfüllenindex als Mass des Ernährungs¬
zustandes beim einzelnen Individuum wird sich auf Grund eines ent¬
sprechend angelegten Versuchsmaterials wahrscheinlich dadurch ver¬
bessern lassen, dass eine Trennung in mehrere Klassen verschieden breit
gebauter Individuen vorgenommen wird und für jede Klasse für sich ein
mittlerer Normalindex berechnet wird. Die Abweichung von diesem
Normalindex gleichbreit gebauter Individuen wird w'ahrscheinlich auch
für das Einzelindividuum ein zuverlässiges Mass des Ernährungszustandes
sein. Eine Gruppiening nach verschiedener Breite des Körperbaues lässt
sich z. B. vornehmen durch Messen der Schulterbreite und Klassen¬
einteilung nach der Grösse des Index aus Schulterbreite und Körper¬
länge, oder ausgehend von einem anderen Mass, welches ähnlich der
Schulterbreite von der Mächtigkeit der Weichteile relativ unabhängig
ist und die Breitenentfaltung des Skelettes charakterisiert. Der pro-
*'’) Zschr. f. exp. Path. u. Ther. 19. 191S. S. 1.
M.m.W. 1920 Nr. 53 S. 1623.
®) M.m.W. 1920 Nr. 45 S. 1296.
Digitized by Goüsle
portioneile Brustumfang (Brugsch)*) w'äre zu diesem Zweck nicht
geeignet, da er wie die Körperfülle von der Breite des Körperbaues und
auch vom Ernährungszustand abhängt, und wie die Untersuchung von
Berliner^) zeigt, tatsächlich auch mit dem Körperfüllenindex an¬
nähernd parallel variiert.
Die in diesem Sinne ergänzte metrische Methode zur Charakteri¬
sierung des Ernährungszustandes beim einzelnen Individuum würde:
a) drei Messungen erfordern: Körpergewicht. Körperlänge und
Schulterbreite.
b) Bestimmung von zw-ei Indexzahlen: Körperfüllenindex und Index
aus Schulterbreite und Körperlänge.
c) Ablesung der prozentualen Abweichung des vorliegenden Körper¬
füllenindex 'vom mittleren Normalindex derselben Breitenklasse,
an Hand einer vorausbestimmten Tabelle. Wahrscheinlich
würden etwa sechs Breitenklassen genügen.
Ich möchte vorschlagen, die Methode in diesem Sinne zu ergänzen,
und, wenn sie sich bewährt, weitere Untersuchungen nach diesem Plan
anzulegen. Um Irrtümern vorzubeugen möchte ich hier nochmals be¬
sonders betonen, dass beim Vergleich mit den Ergebnissen der
Inspektion scharf zu scheiden ist zwischen schlechtem Ernährungs¬
zustand, d. h. Magerkeit, und Unterentwicklung, d. h. Zurückgebliebensein
im Längenwachstum.
3. Der Körperfüllenindex als Mass des durchschnitt¬
lichen Ernährungszustandes beim Vergleich grös¬
serer Individuengruppen.
Während die Beurteilung des Ernährungszustandes beim Einzel¬
individuum auf Grund des Körperfüllenindex nach dem jetzigen Vor¬
gehen zu Unzuträglichkeiten führen kann, so liegen die Verhältnisse
anders, w^enn grössere Gruppen von Individuen derselben Rasse ver¬
glichen werden, indem hier die Verschiedenheiten der Breitenentfaltung
des Körperbaues sich im Mittelwert ausgleichen und nunmehr vor¬
handene Unterschiede der mittleren Körperfüllenindizes der beiden
Gruppen, die verschiedene Dickenentfaltung der Weichteilumhüllung an¬
geben, also ein Mass für den durchschnittlichen Ernährungszustand der
beiden zu vergleichenden Gruppen darstellen. Für eine solche kollektive
Vergleichung ist der Körperfüllenindex ein geeignetes und genaues,
objektives zahlenmässiges Kriterium, während die Ergebnisse der Inspek¬
tionsmethode doch sehr von dem wechselnden subjektiven Eindruck der
verschiedenen Beobachtet abhängen und schwerlich ein wirklich ver¬
gleichbares Material geben können.
4. Der relative Körperfüllenindex im Verhältnis zum
mittleren Index einer Alters- oder Grössengruppe.
Es scheint mir sehr zweckmässig, wenn, wie es bei der Vermessung
der deutschen Schulkinder geschehen ist, ausser dem Körperfüllenindex
auch für den Einzelfall das prozentuale Verhältnis zum Mittelwert der
betreffenden Altersgruppe, oder Grössengruppe berechnet wird, indem
so die Abweichungen von diesem Mittelwert am klarsten hervortreten.
Sofern es sich um Individuen der gleichen Grösse handelt, wird
dieses Verhältnis zum mittleren Index identisch mit dem Quotienten aus
dem vorliegenden Körpergewicht des Individuums und dem mittleren
Körpergewicht der betreffenden Grössengruppe, weil nach der Definition,
von welcher ich den Körperfüllenindex ableitete, die Körperfülle gleich¬
langer Individuen sich verhält wie ihre Volumina (bzw. Gewichte).
Dieser relative Körperfüllenindex entspricht in seinem Aufbau dem von
O e d e r ®) verwendeten Index aus Istgewicht und Sollgewicht. Es ist
also durchaus missverständlich, wenn O e d e r zwischen dem Körper¬
füllenindex und seinem Index einen Gegensatz konstruiert, indem im
Gegenteil die beiden Ausdrücke sich in der Charakterisierung des
Habitus eines Individuums ergänzen. Was die speziellen Auffassungen
0 e d e r s ®) über die Definition des Sollgewichts betrifft, welches er
nicht als mittleres Körpergewicht einer Gruppe, sondern als sog.
„zentralnormales Körpergewicht“ bezeichnet, so scheinen mir die
kritischen Einwendungen von Brugsch^“), welcher an der Verwendung
des durchschnittlichen Mittelgewichtes festhält, durchaus zutreffend.
Zusammenfassung.
Der Körperfüllenindex Ist ein rein geometrischer Ausdruck für die
durchschnittliche Ouerschnittsentfaltung des Körpers im Verhältnis zu
seiner Längenentwicklung. Er ist abhängig von zwei Momenten. Einer¬
seits von der Breitenentfaltung des Körperbaues und anderseits vom Er¬
nährungszustand des Individuums, der Dickenentfaltung der umhüllenden
Weichteile (Muskulatur. Fettdepots). Da kleinwüchsige Individuen mehr
zu breitem Körperbau neigen als hochwüchsige, ist der Körperfüllenindex
in seiner jetzigen Anwendung bei der Beurteilung des einzelnen Indivi¬
duums kein eindeutiges Mass für den Ernährungszustand, sondern es ist
hiet das Hauptgewicht auf den unmittelbaren Inspektionsbefund zu legen.
Durch Beiziehung eines weiteren Masses lässt sich aber wahrscheinlich
dieJndexmethode zu einer brauchbaren Messung des Ernährungszustandes
beim Ein»lindividuum ausbauen.
Für die Vergleichung grösserer Gruppen .von Individuen ist dagegen
der Körperfüllen Index ein geeignetes, objektives Kriterium des durch¬
schnittlichen Ernährungszustandes.
*) Zschr. f. exp. Path. u. Ther. 19. 1918. S. 1.
J) B.kl.W. 1920 Nr. 2 S. 33—34. *) M.m.W. 1920 Nr. 47 S. 1368.
*) Zschr. f. exp. Path. u. Ther. 21. 1920. S. 262—270.
**) Ebenda S. 270—271.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
HÄ ftKT/-woMT»D MPnT7iMlQrHP Wnr.HFN^r.HPIFT
Nr. 19.
Neben dem Körperfüllenindex ist die Berechnunß seines pro^ntualen
Verhältnisses zum mittleren Wert der betreffenden Alters- oder Grössen-
gmppe zweckmässig, um Abweichungen vom Normalzustand in uoer-
sichtlicher Weise anzugeben. j. ^ ^
Es ist sehr erfreulich, dass durch diese, für die Zukunft der deutschen
Jugend so wichtigen Fragen, zugleich auch das Interesse der Kliniker aut
die Methoden zur exakten Untersuchung und Darstellung der Konstini-
tionsveriiältnisse gelenkt wird. Die somatometrischen Methoden waren
bis jetzt fast ausschliesslich nur von der Anthropologie zur Un^rsuchung
von Rassenfragen verwendet worden und wurden Von der Knnik nur
wenig beachtet. Wie ich glaube, wird nur eine systematische An¬
wendung dieser somatometrischen Methoden es ermöglichen, den Begrin
der Konstitution, soweit sie im Formbild des menschlichen Körpers sich
ausprägt, exakter als bisher zu charakterisieren und vor allem dürfte es
nur so möglich sein, zu einer systematischen Klassifikation einzelner
Konstitutionstypen zu gelangen. Während die heutige Konstitutions-
lehre bisher hauptsächlich biologisch-physiologische und vererbungs¬
theoretische Fragen in den Vordergrund stellte, wird ein Ausbau auch in
dieser Richtung voraussichtlich zu neuen fruchtbaren Gesichtspunkten
führen.__
Aus dem pathologischen Institut der Universität Breslau.
(Direktor: Prof. Dr. Fr. Henke.)
Zur Entstehungsdauer von Gallensteinen.
Von Dr. E. Mathias, 1. Assistent des Instituts.
Der nachstehend beschriebene Fall eines Typhus, verbunden mit
einer Cholezystitis und mit Steinbildung, bietet in seinen Erscheinungen
bei entsprechender Verwertung der Beobachtungen geradezu die Ver¬
hältnisse eines Experimentes, das mit der Fragestellung, in welcher Zeit
gemischte Cholesterinkalksteine entstehen können, unternommen ist.
De-r Zusammenhang zwischen Typhus. Cholezystitis und Chole-
lithiasis ist bereits Meckel von Hemsbach bekannt gewesen.
Eine genaue Durchforschung dieses Gebiets verdanken wir aber eigent¬
lich erst N a u n y n s grundlegenden Arbeiten. Indessen genaue Angaben
über die Zeitfaktoren, die bei der Entwicklung der Cholelithiasis eine
Rolle spielen, sind nirgends vorhanden. N a u n y n hat es aller¬
dings bereits ausgesprochen, dass sich Gallensteine in sehr kurzer Zeit,
vielleicht in Tagen, entwickeln können. Eine sehr wichtige Beob¬
achtung auf diesem Gebiet gibt Chiari, der in seinem inhaltvolkn
Referat „lieber Typhus abdominalis und Paratyphus in ihren Beziehungen
zu den Oallenwegen“ es mitteilt dass er bei einem Typbusfall im
Stadium der Nekrosenbildung eine frische Cholezystitis mit Steinbildung
vorfand und dass aus dem Inneren der Steine Typhusbazillen gezüchtet
werden konnten. Die Züchtung von Typhusbazillen aus dem Kern von
Gallensteinen ist bereits F ü 11 e r e r 1895 gelungen, bei ihm findet sich
indessen keine Angabe über den Zeitpunkt des überstandenen Typhus.
Wichtiger ist unter dem Gesichtspunkt, in welchem Zeitraum sich Gallen¬
steine entwickeln können, eine Arbeit von Hanot. Hier starb die
Kranke 4 Wochen nach Beginn des Typhus und es wurden bei ihr Gallen¬
steine gefunden, aus denen die Kultur von Typhusbazillen gelang. Diesem
Fall schliesst sich eine Arbeit von M i 1 i a n an. Der Tod trat hier im
Stadium der Infiltration typhöser Geschwüre ein, die Mukosa der Gallen¬
blase war erkrankt, es wurden 25 leicht zerreibliche Steine, aus Chole-
sterih und Bilirubin bestehend, gefunden; in ihrem Zentrum enthielten
sie Typhusbazillen.
Chiari nimmt mit folgenden Worten zu den Befunden von Typhus¬
bazillen in Gallensteinen Stellung: „Es kann durch die Typhusbazillcn
Oallensteinbildung veranlasst sein, was allerdings im gegebenen Fall
schwer zu entscheiden ist. da auch in sicher von früher her vorhanden
gewesene Gallensteine Typhusbazillen einwandern können.“ Dieser
naheliegende Einwand musste die Bazillenbefunde Im Inneren von
Gallensteinen mit Recht entwerten, wenn man versuchen wollte, aus
dem Datum der bekannten Infektion und den gefundenen Bazillen Rück¬
schlüsse auf die Entstehungsdauer der Steine zu machen. Die Vor¬
stellung, dass durch die Wandschichten kombinierter Gallensteine patho¬
gene Keime aus dem umgebenden Medhim hindurchwandem könnten,
liegt nahe, fast möchte man die Wandschichten eines Gallensteins mit
einer Berkefieldkerze vergleichen. Die Frage aber, ob im einzelnen Fall
pathogene Keime von aussen her in einen Stein einwandern können, oder
ob der Stein durch Konkrementbildung um ein bakterienhaltiges Fibrin¬
gerinnsel entstanden ist. lässt sich nicht durch theoretische Erwägungen
entscheiden, sonde-rn nur durch das Experiment. Bazillenbefunde im
Inneren von Gallensteinen sind bisher in grösster Zahl gemacht worden,
cs sei hier nur an die Arbeiten von Baemeister und an die darin
angeführte Literatur erinnert. Auch Baemeister vermutet dass
Bazillen durch die Wand von Gallensteinen einwandern können^ Experi¬
mentell hat sich aber noch niemand, wenigstens soweit ich die Fach¬
literatur übersehe, mit der Prüfung dieser Frage beschäftigt.
An den hier mitgeteilten Fall einer Cholecystitis tyiAosa mit
Steinen, deren Inneres bazillenhaltig war. konnten entscheidende Ver¬
suche angeknüpft werden, aus denen es eindeutig hervorgeht, dass die
Gallensteine erst im Verlauf der Erkrankung gebildet wurden.
Klinisch wurde die Erkrankung von Herrn Primararzt Severin be¬
obachtet, es sei hier nur folgendes mitgeteilt: Die Patientin erkrankte Ende
Februar 1919 fieberhaft, sie wurde am 5. III. in Krankenhausbehandlung auf-
genoramen. Aus einem Typhus entwickelte sich eine zirkumskripte Peri¬
tonitis, in deren Verlauf es notwendig wurde, einen Abszess lateralwärts
von der Gallenblase zu eröffnen (Prof. Most). Aus dem Abszesseiter wurden
Typhusbazillen in Reinkultur gezüchtet. Am 17. Mai verstarb die Kranke,
nachdem sich bei ihr noch die Erscheinungen einer Lungentuberkulose ent¬
wickelt hatten.
Bei der Sektion wurde von mir folgender Befund erhoben: Es zeigen
sich weitgehende peritoneale Verlötungen, das grosse Netz ist nach oben ge¬
schlagen und in der Gegend der Flexura hepatica fixiert. Das Colon a^en-
dens und transversum sind breit flächenhaft in der Gegend der Gallenblase
adhärent. Das Mesokolon ist vorgewölbt,*reisst bei geringer Zerrung ein
und es entleert sich nach der freien Bauchhöhle Eiter. Die drainierte Wunde
führt in ein abgesacktes Gebiet, welches an der Leberunterfläche nach aussen
von der Gallenblase liegt. Nach Lösung der Adhäsionen werden hier in einer
faustgrossen Abszesshöhle in Eiter eingebettet mehrere facettierte Gallen¬
steine von annähernd kubischer Form gefunden, der grösste unter ihnen hat
eine Seitenlänge von etwa cm. Aus dem Abszess führt ein für eine
dicke Sonde durchgängiger Gang in die Gallenblase, in welcher weitere
Steine festgestellt werden. Der Darm wird in der Mitte des Colon ascendens
und des Colon transversum quer durchtrennt und alsdann wird das aus
Magen, Leber, Pankreas, dem Duodenum und dem entsprechenden Kolonteil
bestehende Präparat im Zusammenhang herausgenommen. Zwischen Leber
und Zwerchfell findet sich gleichfalls abgesackt ein flächenhaft ausgebreiteter
Abszess, die Leber ist matt gelblichrot, auf der Schnittfläche ist sie sehr fett¬
reich, sie ist von undeutlich azinöser Zeichnung. Aus den durchschnittenen
Gaflengängen entleert sich dicke, gelbliche Flüssigkeit. Die Pylorusgegend
ist durch einen fibrinös belegten Verwachsungsstrang mit der Leberunter¬
fläche verbunden. Die Schleimhaut des Magens ist von deutlicher Zeichnung,
auch die des Duodenums ist ohne Besonderheiten. Die Papille ist frei, aus
ihr entleert sich Galle. Der Ductus liepaticus, ebenso auch der Ductus chole-
dochus sind frei. Der Ductus cysticus dagegen ist verlötet. Aufgeschnitten
zeigt die Gallenblase die vorhin erwähnte Fistelbildung nach dem lateral¬
wärts von ihr liegenden Abszess. Die Schleimhaut der Gallenblase ist auf¬
gelockert, gerötet, teilweise ist sie missfarbig. In der Gallenblase liegen
mehrere Steine, welche die gleiche Beschaffenheit wie die im Abszess haben.
Jetzt wird der mitherausgenommene Kolonantheil eröffnet. In ihm finden
sich landkartenähnliche Geschwüre, welche einen abgeglätteten Rand haben.
Ihr Grund besteht aus geglätteter und anscheinend reaktionsloser Muskularis.
Die Milz ist gross, weich, fast zerfliesslich bei undeutlicher Gewebszeichnung.
Die Nebennieren lassen ausser zentralem Zerfall Veränderungen nicht er¬
kennen. Die Nieren sind von gewöhnlicher Grösse, ihre Kapsel ist glatt
abziehbar. Die Pmde ist in der Zeichnung nicht ganz deutlich, die Pyramiden
sind von scharfer Gewebszeichnung. Die mesenterialen Lymphdrösen sind
massig vergrössert. auf der Schnittfläche graurot und saftreich. Die Darm¬
schleimhaut ist bis zum unteren Ileum bis auf eine Verwaschenheit der
Schleimhautzeichnung ohne Besonderheiten. Im unteren Ileum finden sich
an Stelle der Payer sehen Haufen einige kleine, ziemlich oberflächliche
Geschwüre, ein grösseres Geschwür mit völlig gereinigten Rändern liegt an
der Valvula ileocoecalis. Im Kolon findet sich eine Reihe kleinerer Ge¬
schwüre, welche in ihrer Lage den Solitärfollikeln entsprechen.
Mikroskopisch wurden in der Leber kleine Herde aus lymphatischem
Gewebe festgestellt. Ferner fand sich im Sudanpräparat eine starke Fett¬
infiltration der peripheren Azinuszellen.
Es handelte sich um einen im Stadium reparationis verstorbenen
Typhus, welcher eine in der dritten Krankheitswoche aufgetretene Chole¬
zystitis als Komplikation aufzuweisen hatte. Aus dieser Entzündung der
OaHenblase kam es zu einer lateralwärts gerichteten Perforation und zu
der chirurgisch behandelten Abszessbildung. Bei der Sektion war es
ganz fraglich, ob die Gallensteine bereits vor dem Typhus vorhanden
gewesen waren und vielleicht durch ihre Anwesenheit Ursache der
Gallenblasenentzündung’ geworden, oder ob sie erst durch die Chole¬
zystitis entstanden waren. Als wie gewöhnlich durch einen grösseren
Stein ein Schnitt gemacht wurde, da zeigte sich eine verhältnismässig
schmale, aus Cholesterinkalk bestehende Randzone; sie umgab einen
weichen Kern, der von dunkelbraunen Detritusmassen gebildet wurde.
Dieser Kern war bröcklig weich und dabei von feuchter Beschaffenheit.
Bei diesem Aussehen lag der Gedanke an eine Entstehung der Steine
während einer Cholecystitis typhosa nahe. War das Ergebnis der
Kultur aus dem Inneren positiv, so wurde diese Wahrscheinlichkeit noch
verstärkt, aber ein lücke^iloser Beweis war noch nicht erbracht. Zu¬
nächst wurde, um aüs dem Inneren der Steine eine Typhuskultur her¬
zustellen, eine Desinfektion der Oberfläche vorgenommen, damit diese
sicher keimtragende Fläche keine Fehlerquelle ergab. (Herr Prof.
P r a u s n i t z vom hygienischen Institut hat mich hierbei, sowie bei den
anschliessenden Untersuchungen in sehr dankenswerter Weise unter¬
stützt.) Je ein grosser und je ein kleiner Gallenstein wurden mit 5 proz.
Jodtinktur und mit 0,1 proz. Sublimatlösung desinfiziert, dann wurde das
Jod durch Einlegen der Steine in Natriumthiosulfatlösung, das Sublimat
durch Anwendung von Chlorammonium beseitigt, die Steine wurden unter
aseptischen Massnahmen gespalten und ihr Inhalt wurde bakteriologisch
verarbeitet. In sämtlichen Steinen wurden Typhusbazillen in Reinkultur
gefunden, dieser Befund w'urde auch durch Agglutination sichergestellt.
Jetzt blieb aber noch der von Chiari für derartige Fälle erhobene
Einwand bestehen. Da genügende Mengen von Stednen vorhanden
waren, konnte folgender, entscheidende Versuch gemacht werden: In
einer Bouillonkultur von Prodigiosus und in einer Bouillonkultur von
Vibrio el tor wurde je ein Stein 10 Tage lang im Brutschrank gehalten.
Alsdann wurden diese Steine unter Anwendung der gleichen Massnahmen
wie die zuerst auf Typhusbazillen untersuchten bakteriologisch ver¬
arbeitet, sie erwiesen sich als undurchgängig, enthielten aber Typhus-
baziilen. Damit war es, wenigstens für diesen Fall, sichergestellt, dass
die Typhusbazillen nicht sekundär durch die poröse Wand der Steine
eingewandert sind, dass vielmehr der weiche Kern mit seinen Typhus¬
bazillen erst während der Cholecystitis typhosa formiert w'orden war;
um diesen Kern hatten sich alsdann jene Niederschläge von Cholesterin¬
kalk angesetzt, welche die Schale der Gallensteine bilden. Es waren
insgesamt 4 grosse und U kleine Steine vorhanden. Für diese Steine
Digitized by Goi'Sle
Original frorri
UNIVERSiTY OF CALIFOBU
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
583
Ist somit die Entstehungsdauer aus den Einzelheiten der Kranken¬
geschichte bestimmt, sie haben sich in weniger als 6U Tagen gebildet.
Auch der Vorgang der Steinbildung w'ird durch* diese Beobachtung
beleuchtet. Es entstand in der Gallenblase eine klumpige Ansammlung
von eingedicktem entzündlichem Inhalt, hieran blieben zahlreiche
Bazillen haften und so wurde zunächst der Kern geliefert aus dem unter
weiterer Binwürkung der Entzündungsvorgänge die Gallensteine ent¬
standen. Die Vorstellung, dass unter der Wirkung der entzündlichen
Vorgänge Kalk und Fibrin in hinreichender Menge für die Entstehung der
Steine abgeschieden werden, leuchtet ohne weiteres ein, auch die Aus¬
fällung von Cholesterin durch Entmischung des entzündlich veränderten
Gallenblaseninhalts ist wohl anzunehmen. Ungelöst bleibt leider die
Frage, wie es zur Cholecystitis typhosa kommt. Der Typhusbazillus ist
durchaus kein obligater Entzündungserreger für die Gallenblase, im
Gegenteil er tritt fast bei jedem Typhus in ihrem Inhalt auf. und nur in
einem gewissen Prozentsatz kommt es dabei zu Wandveränderungen.
Hierzu lässt sich leicht das Analogon anführen, dass die Ausscheidung
von Typhusbazillen durch den Urin nicht notwendig zur Cystitis typhosa
führen muss. Zum Zustandekommen der Qallenblasenentzündung bei
oder nach Typhus gehört entschieden noch ein anderer unbekannter
Faktor, der sich w^ohl ln einer Mischinfektion suchen lässt. Mit dieser
Hypothese passt die Tatsache gut zusammen, dass in einem der in
Vibrionenbouillon eingelegten Steine auch Streptokokken festgestellt
wurden.
Zur Unterscheidung eines aktiven von einem inaktiven
tuberkuiösen Herd.
Von Dr. L. P r e i s s, Sanatorium Bad Elgersburg i. Th. Wald
L i t z n e r s Aufsatz in Nr. 51, 1920 dieser Wochenschrift: „Die früh¬
zeitige Feststellung der Lungentuberkulose“ gibt mir Veranlassung, auf
eine mir. wichtig scheinende Beobachtung hinzuw'eisen, die ich ein¬
wandfrei an einer Anzahl frischer und alter Fälle von aktiver und inak¬
tiver Lungentuberkulose zu machen Gelegenheit hatte. — Wie unsagbar
wichtig gerade die Frühdiagnose eines bestehenden, aktiven
Tuberkuloseherdes ist, wissen wir. Die Röntgenstrahlen können hier
aus begreiflichen (Bünden in Hinblick auf die durch die pathologisch-
anatomischen Verhältnisse bedingten, richtiger noch nicht bedingten
Veränderungen meines Erachtens nicht den erwünschten Aufschluss
geben. Auch die Ergebnisse der Auskultation und Perkussion, der
L i t z n e r das W'ort redet, sind nach meiner Erfahrung oft derart
unsicher oder mag sein, so schwierig deutbar, dass mir trotz Anwendung
gewiss wertvoller Finessen (Goldscheiders Schw^ellenwert-
perkussion) eine Entscheidung in vielen Fällen zur Unmöglichkeit wird.
Der Wert der Tuberkulinreaktion zu diagnostischeh Zw'ecken ist nicht
zu bezweifeln. Dieselbe findet ja allgemeine Anwendung und Anerken¬
nung. Wer aber erlebt hat, dass selbst Bruchteile eines Milligramms
Alttuberkulin, plötzlich einmal dem Organismus einverleibt, wirklich
aktive Tuberkuloseherde in geradezu erstaunlicher Weise zum
Nachteil des Patienten beeinflussen können, wird auch hier nachdenklich
werden.
. Wir ahnen heute bereits, welche ausschlaggebende Rolle bei vielen
Infektionskrankheiten, auch bei der Tuberkulose, im Abwehrkampf unsere
Epidermis, unsere Haut in ihren verschiedenen Schichten zu spielen
scheint, dass sich auch bei der Tuberkulose hier unsichtbare Kämpfe
in Form von Reaktionen für und wider abspielen mögen.
Zu diagnostischen Zwecken nun. sind Hautreaktionen vermittels ihrer
leichten Erkennbarkeit ausserordentlich wertvoll und fein (Pirquet).
Dass das Wesen künstlich erzeugter Reaktionen in der Hauptsache auf
einen Abbau respektive Umbau innerhalb des reagierenden Zellenstaates
hinausläuft, wird man zugeben müssen. Die Intensität und die Zeitdauer,
innerhalb w'elcher der Abbau im Organismus vor sich geht, lässt sicher¬
lich Schlüsse zu auf die jeweilig bestehenden Verhältnisse. (Ausführliche
Darlegung über Reaktionen gebe ich im 47. Band. Heft 2 von Brauers
Beiträgen zur Klinik der Tuberkulose.)
Ich machte nun folgende, ejpfache Beobachtung: Im Jahre 1916
behandelte ich eine Anzahl positiver, einwandfreier Lungentuberkulosen
wie üblich mit ganz langsam steigenden, m i n i m a 1 e n Dosen Alt¬
tuberkulin, das ich nicht subkutan, sondern i n tr a k u t a n gab. Bei
frischen, aktiven Fällen war oft schon nach Stunden eine einwandfreie
Lokal-, ja gelegentlich sogar geringe Allgemeinreaktion feststellbar. Ich
lege im Rahmen dieser Zeilen, so interessant das, prompte Einsetzen und
der Ablauf der Allgemein reaktion auch im Hinblick auf die Diagnose und
Prognose ist, lediglich Wert auf die L o k a 1 r e a k t i o n. Dieselbe be¬
stand in einer nach Stunden elnsetzende'n Rötung der Intrakutan ge¬
setzten Papelbildung, die deutlich noch am 2., in wenigen Fällen noch
am 3. Tage sichtbar war, bis zum 4. Tag restlos schwand, so
^ss also am 4. Tage keinerlei Rötung, auch keinerlei Verhärtung, was
ich betonen möchte, mehr festzustellen war. demnach die betreffende
Hautpartie der ihrer Umgebung wieder vollkommen glich. Nur ein
kleiner punktförmiger Einstichkanal blieb wahrnehmbar. Erklärung;
Der mit einem aktiven Tuberkuloseherd belastete
Organismus hatte minimale Dosen Altt.uberkulin
nach Stunden, respektive innerhalb weniger Tage
restlos abgebaut, vielleicht verwertet. Nach 3 Jahren
sah ich 4 dieser Patienten wdeder. 3 Fälle waren klinisch geheilt. Ich
gab jetzt versuchsweise jedem einmaf intrakutan V«—1 ccm Alttuberkulin
Nr. 19.
Digitized by Goiisle
in der Verdünnung ^/lo^ooo mg. Nach 14 Tagen, in einem Fall w-ar noch
nach 7 Wochen die ursprünglich gesetzte Papelbildung in Form einer
deutlichen, indurativen Verhärtung, deren Bild an das durch
Deycke-Muchsehe Partigene gesetzte erinnerte, fühlbar. Er¬
klärung : Der nunmehr mit einem inaktiven Tuberku¬
loseherd belastete Organismus dachte nicht mehr
daran, das Alttuberkulin innerhalb weniger Tage ab¬
zubauen. Der 4. Fall, noch aktiv tuberkulös, reagierte wie vor
3 Jahren mit prompt einsetzender Rötung und Abbau innerhalb von 2 Tagen.
Andeuten darf ich -kurz die Beobachtung, dass zu Beginn einer
aktiven Tuberkuloseerkrankung das Verhältnis der Wassereinfuhr zu dem
der Ausscheidung (Urinmenge) ganz ausserordentlich schwankend zu
sein scheint.
Vielleicht geben diese Zeilen Anregung, obige einfache Beob¬
achtungen zu bestätigen und entsprechend zu verwerten.
Aus der 1. medizinischen Abteilung des allgemeinen Kranken¬
hauses Hamburg-Barmbeck. (Direktor: Prof. Th. Rumpel)
Ueber modifizierte Endoiumbalspülungen*).
Von Dr. Kurt Käding.
Die Therapie der luetischen Affektionen des zerebrospinalcn
Systems wurde in neue Bahnen geldnkt, als man nach dem Vorgänge
von Wechselmann und Marinesco, die beide zu gleicher Zeit
diese Methode ersannen, auch diese Erkrankung durch lokale Behandlung
zu beeinflussen versuchte. Es waren dies die endolumbalen Salvarsan-
spülungen (S. soll der Kürze halber für Neosalvarsan. Salvarsannatrium,
Silbersalvarsan oder dergl. gesagt werden). Man injizierte zunächst S.
in Kochsalz gelöst, bekam hiernach jedoch Fieberanstiege und sonstige
Störungen des Allgemeinbefindens und schob die Ursache hierfür auf die
physiologische Kochsalzlösung zurück. Damals wurde für S.-Schäden
eben in der Hauptsache noch der sog. Wasserfehler verantwortlich ge¬
macht. Der Hauptgrund scheint jedoch im allgemeinen daran gelegen
zu haben, dass zu grosse Dosen (1—3 mg) verwandt wurden. Da man
nun glaubte, dass vielleicht die zu starke Konzentration Schuld an den
unangenehmen Begleiterscheinungen haben könnte, so Hess man eine
grössere Menge Liquor ab, fügte diesem das vorher bereits gelöste S.
zu und Hess nun die mit Liquor weiter verdünnte S.-Lösung wieder ein-
laufen. Um möglichst gute Verdünnungen zu erhalten und die Möglich¬
keit zu bekommen, das S. überall hinzuführen, verlangte Gennerich
mit Recht, dass man recht grosse Mengen Liquor (50—80 ccm) ab-
lassen sollte.
An dieser Methode ist nun meines Erachtens voljkommen unrichtig,
den vorher abgelassenen Liquor dem Körper wieder zuzuführen, denn in
dem Liquor finden sich Zellvermehrung und vermehrtes Globulin. Die
Wahrscheinlichkeit, dass in dem vermehrten Globulin' auch toxische
Produkte enthalten sind, ist sehr gross. Der Liquor ist also pathologisch
verändert und man darf meines Erachtens keine krankhafte Flüssigkeit,
die man dem Körper entzogen hat, ihm sofort wieder zuführen. Ich
lasse deshalb bei S.-Spülungen den Liquor ab und zwar ca. 30—40 ccm
und ersetze ihn durch physiologische Kochsalzlösung und Aqua dest. zu
gleichen Teilen. Die Verdünnung der physiologischen Kochsalzlösung
mit Aqua dest. nehme ich aus dem Gmnde vor. weil durch reine physio¬
logische Kochsalzlösung eine Reizwirkung auf die Wurzeln zustande
kommen soll. Eine sehr wesentliche Frage ist nun hiebei zu beant¬
worten: Fügt man dem Körper keinen Schaden zu, wenn man ihm eine
grössere Menge Liquor entzieht und durch eine Kochsalzlösung ersetzt?
Nach den Anschauungen von Mestrezat, Holzmann u. a. kann
man das jedoch mit ruhigem Gewn'ssen tun, da sie auf dem Standpunkte
stehen, dass der Liquor lediglich zum mechanischen Schutz der Zentral¬
organe dient und ihm eine ernährende Wirkung in keiner Weise zu¬
kommt. Ausserdem muss man bedenken, dass sich der Liquor in
6—7 Stunden erneuert, beim Ablassen von grösseren Mengen jedoch
noch schneller.
Die Methode ist nun folgende: Es werden 30—40 ccm Liquor ab-
gclassen, dann wird die Spülbürette auf die Punktionskanüle gesetzt, man
lässt einige w-eitere Kubikzentimeter hier ei'nlaufen, fügt dann- genau
dosiertes S. oder dergl. zu und giesst dann physiologische Kochsalz¬
lösung und Aqua dest...in ungefähr gleicher Menge wie abgelassen zu.
Irgend welche Schädigungen, Temperaturanstiege oder Beeinträchti¬
gung des Allgemeinbefindens habe ich bisher nicht gesehen. Die Wir¬
kungsweise kann ich kurz an Zellzahlen von zwei Patientinnen demon¬
strieren, die augenblicklich noch mit dieser Methode behandelt werden.
1. Frau R. Zu Beginn der Behandlung 165/3 Zellen, nach der
1. Spülung 67/3 und nach der 2. Spülung 24/3 Zellen.
2. Fräulein B. Zu Beginn der Behandlung 96/3 Zellen, nach der
1. Spülung 47/3 und nach der 2. Spülung 7/3 Zellen.
Ich wähle absichtlich nur die Zellzahlen, da sie den anderen Prü¬
fungen an Objektivität überlegen sind.
Ob diese Methode der sonst üblichen Spülmethode überlegen ist,
kann natürlich nur durch ein sehr grosses Vergleichsmaterial bewiesen
wurden, jedenfalls halte ich diese Behandlungswreise für physiologischer,
wenn man einem Patienten eine sterile Flüssigkeit zuführt als patho¬
logisch veränderte Körperfltissigkeit.
•) Nach einer Demonstration im Aerztlichen Verein zu Hamburg.
6
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
584
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Erlangen.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. Seitz.)
Ueber intravenöse Injektien ohne Assistenz.
Von Dr. med. Hans Qänssbauer, Assistent der Klinik.
Unter obiger Ueberschrift gab Dr. Bandzauner in Nr. 27 der
M.K1. 1920 seine Technik der intravenösen Injektion bekannt, zu der
er keine Assistenz benötigt und die darin besteht, dass B. das zu stauende
Glied durch einen Nelatonkatheter oder Gummischlauch abschnürt und
letzteren durch eine P^anklemme fixiert; die Klemme lässt sich dann
nach Einführung der Nadel in die Vene leicht und schnell abnehmen.
Diese Technik, die wohl vielfach bereits geübt wurde, hat sich auch
mir oft bewährt. Allein Nelatonkatheter oder Gummischlauch nehmen
bei häufiger Benützung durch das Abklemmen leicht Schaden, ein Um¬
stand, der bei den heutigen Gummipreisen schon ins Gewicht fällt. Be¬
nutzt man ausserdem nicht eine gute neue Peanklemme zu diesem Zweck,
sondern, wie es meist der Fall sein wird, eine ältere, von der opera¬
tiven Benutzung ausgesonderte, so erlebt man das ärgerliche Abspringen
der eben befestigten Klemme. Von den sonst angegebenen Instrumen¬
ten, die Stauung und Injektion ohne Assistenz ermöglichen sollen, sind
die meisten unpraktisch und die wirklich guten heute ausserordentlich
hoch im Preis.
Ich habe mir deshalb eine einfache Binde aus einem 3 cm breiten Gurt¬
stoff herstellen lassen, die mittels einer Schnalle an dem zu stauenden Glied
beliebig festgezogen werden kann. Um nun von jeglicher Assistenz un¬
abhängig zu sein, h<ihe ich in die Staubinde eine der bekannten Klappschnallen
Zwischenschalten lassen, wie sie als Schuhverschluss (aus der Abbildung er¬
sichtlich) allgemein bekannt sind. Ist die Nadel in die Vene eingeführt und
hat man sich durch das Ahtropfen des Blutes überzeugt, dass die Nadel
gut liegt, so genügt ein minimaler Druck auf den Hebel der Schnalle,
um die Stauung zu beheben und die Injektion ausführen zu können. Um mm
aber auch bei ängstlichen und ganz besonders bei bewusstlosen Patienten
ohne Asistenz arbeiten zu können, habe ich die beschriebene Staubinde auf
eine 40 cm lange und 8 cm breite Hohlschiene aus Holz montieren lassen,
deren Aussehen und Benützung aus der Figur ohne Weiteres zu ersehen isti
Die Klappschnalle befindet sich für Rechtshänder auf der rechten Seite
der Schiene, für Linkshänder auf der linken, so dass die die Spritze haltende
Hand immer ruhig liegen bleiben kann. Am oberen Ende der Schiene befindet
sich die Staubinde, das untere
wird durch einen schmalen
Riemen leicht in der Gegend
des Handgelenkes befestigt;
das übliche Schliessen und
Oeffnenlassen der Faust wird
in keiner Weise behindert.
Die Stauschiene wurde da¬
durch kompendiöser, dass sie
halbiert und die beiden Hälften durch ein nach der Streckrichtung des Armes
sich öffnendes Scharniergelenk wieder verbunden wurde. Zusammengeklappt
ist dann die St.pschiene nur 20 cm lang und kann in der Rocktasche mit¬
geführt werden. Bei sehr unruhigen Kranken (Eklamptischen z. B.) kann
ausserdem die Schiene leicht auf der Bettkante oder einem Tisch befestigt
werden, so dass auch der Arm im ganzen nicht bewegt werden kann.
Das kleine Instrument hat sich an unserer Klinik, besonders auch in
der geburtshilflichen ' Poliklinik (Aderlass . bei Eklamptischen, intra¬
venöse Pituitrininjektionen bei Blutungen iisw.), sehr gut bewährt und
wird auch dem auf %ich allein angewiesenen Praktiker sicherlich gute
Dienste leisten.
• Anmerkung; Staubinde und Schiene sind als Muster geschützt und
bei der Instrumentenfabrik K I e i n k n e c h t. Erlangen. Marntplatz 3. zu
beziehen.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik Rostock.
(Direktor: Qeh. Rat Prof. Dr. Martius.)
Akut« Apomorphinvergiflung bei subkutaner Applikation
von 0,003 g.
Von Dr. med. Edgar Scuffer, Assistenzarzt der Klinik.
Kober t [1] schreibt in seiner Pharmakotherapie über das 1845
von L. A. A r p p e entdeckte Apomorphin: „Als A. bezeichnet man ein
Alkaloid, welches sich beim Erhitzen von Morphin und Saizsäure unter
Wasserabspaltung bildet:
CirHioNOa + HCl CkHitNOoHCI 4- HjO
Morphin Salzsäure salzs, Apomorph. Wasser
Es ist als Apomorphinum hydrochloricum jetzt in allen Ländern offizineil
und bildet farblose Kristalle, deren Pulver in Dosen von je 0,01 g oder
deren wässerige 1 proz. Lösung jeder Arzt stets vorrätig haben sollte,
da sie, in Mengen von 0,5—1,0 ccm unter die Haut gespritzt, rasch
und sicher Erbrechen veranlasst. Die Maximaldose beträgt in Deutsch¬
land 0,02 g, in (Jesterreich und Russland aber mit Recht nur 0,01 g.
Dosen von 0,02 g hinterlassen nach vorhergehender zerebraler Erregung
leicht einen schweren Kollaps mit lähmungsartiger Schwäche der ge¬
samten Skeleitmiiskulatur“.
Da die Brechwirkung im allgemeinen bei Anwendung der üblichen,
von K o b e r t angegebenen Dosen ohne irgendw'elche Nebenwirkungen
eintritt. gilt das Mittel als ein relativ harmloses Emetikum und wird des¬
halb auch bei Kindern zur l.ösung diphtherischer Membranen häufig ver¬
wendet. Die per os als Expektorans gegebenen Gaben, wie sie an der
Heidelberger Klinik nach den Veröffentlichungen von Juracz [6] in
Fällen von Tracheitis und Bronchitis gegeben werden, interessieren uns
hier, wo das Mittel nur als subkutan zu verabreichendes betrachtet
werden soll, nicht.
Vergiftungen mit A. sind nur wenige bekannt geworden, tödlich ver¬
laufende bis jetzt in der Literatur überhaupt noch nicht beschrieben.
Doch weisen, wie auch K o b e r t, schon die ersten Untersucher des
Mittels (Meder, Quehl, Siebert, Harnack u. a.) stets darauf
hin, dass die Toleranz gegen das Mittel beim Menschen in den weite¬
sten Grenzen schwankt Die weitest auseinanderliegenden Dosen, in
denen das Mittel beim Menschen unter Auslösung von Vergiftungs¬
erscheinungen zur Anwendung kam, sind 0,2 g innerlich als maximale,
und eine Subkutaninjektion von 0,008 einer 8 Wochen alten Lösung
als minimäle Dosis.
Die chemische Untersuchung zeigt, dass die Lösung schon nach
I—2 Tagen eine grünliche Färbung annimmt die mit einer Gewichts¬
zunahme einhergeht und deshalb als Oxydätionsprozess gedeutet wird
(Mathiessen, Wright und S i e b e r t [2]). Pharmakologisch ist
dadurch ausser einem Schwächerwerden der Wirkung keine Verände¬
rung, vor allem keine schädliche, des Mittels feststellbar (Blaser [8]).
Ackermann sagt hierüber: „Die Lösung wurde bereits nach einigen
Stunden schön grün, ohne an Wirksamkeit zu verlieren; ja wir be¬
obachteten sogar eine nicht minder sichere Wirkung von einer Lö¬
sung, welche bereits 1 Jahr lang in einem leicht verschlossenen Glase
gestanden und eine intensiv schwarzgrüne Farbe angenommen hatte.“
Auch 0 u e h 1 [3] u. a. haben dieselbe Beobachtung gemacht.
Klinisch tritt die Wirkung des A. in Erscheinung mit einem Steigen
der Pulsfrequenz kurz vor dem Erbrechen, Kleinerwerden des Pulses,
das auch noch nach dem Erbrechen einige Zeit weiterbesteht. Bei
subkutaner Anwendung tritt die Wirkung des Mittels leichter ein als
bei innerlicher, da der Angriffspunkt des Mittels ein zentraler ist
(Kob er t [1]). Weitere Wirkungen sollen bei den vorgeschriebenen
Dosen normalerweise nicht auftreten. Höhere Dosen oder bestehende
Intoleranz gegen das Mittel verursachen bedrohliche Kollapszustände,
einhergehend mit kaltem Schweiss, Totenblässe des Gesichts, Röcheln,
Sehen von Rauch, Schwindel, Zusammenbrechen, bei Tieren Pupillen¬
erweiterung — beim Menschen noch nicht beobachtet —, lähmungs¬
artige Schwäche der Skelettmuskuiatur, Störungen der Atemtätigkeit,
ev: Tod durch Lähmung des Atemzentrums. Das Verhalten des Blut¬
drucks ist umstritten, sonstige Wirkungen auf den Organismus sind
nicht feststellbar. Quehl weist besonders darauf hin, dass bei Kindern
nach Anwendung von.A. ein Kollaps nicht selten sei, und vor allem hefti¬
ger als beim Erwachsenen.
Im ganzen ergibt sich aus der Literatur doch die Tatsache, dass die
Ungefährlichkeit des A. Immerhin nur eine relative ist. und dass man bei
seiner Anwendung, auch wenn man sich innerhalb der durch das
Deutsche Arzneibuch vorgeschriebenen Dosierung hält, vor un¬
angenehmen Ueberraschungen nicht ganz sicher ist.
Da der von mir beobachtete Fall einer Vergiftung durch subkutane
Applikation von 0,003 g A. eine bisher noch nicht beobachtete Intoleranz
gegen das Alkaloid darstellt, erscheint mir die Berechtigung seiner Ver¬
öffentlichung gegeben. Ich lasse kurz die Krankengeschichte folgen:
Frl. E. D., 26 Jahre alt, gravida III. mens., wurde wegen einer Diph¬
therie in die Klinik aufgenommen.
Familienanamnese o. B. Letzte Menstruation vor 10 Wochen. Seit
5 Tagen Schluckbcschwerdeh und Halsschmerzen; seit 3 Tagen bettlägeriit.
seit einem Tag starke Atemnot; vom Arzt Umschläge und Gurgeln ver¬
ordnet; beim Gurgeln soll sich reichlich Eiter entleert haben. Wegen zu¬
nehmender Atemnot schickt sie der behandelnde Arzt in die Klinik.
Status: Mittelgrosse Frau in mässigem Ernährungszustand. Atmung
pfeifend und mühsam; Stridor. Doppelseitiger Exophthalmus.
Zunge feucht, rticht belegt.
Rachen: Beide Tonsillen mit weisstichem Belag bedeckt. Gaumensegel
und hintere Rachenwand gerötet, z. T. mit eitrigem Sekret bedeckt.
Schilddrüse; Leicht vergrössert.
Thorax; Wenig ausdehnungsfähig, starke Pulsation in der Herzgegend.
Klopfschall normal. Lungengrenzen regelrecht; Atemgeräusch. R. mit
Brummen und Giemen vermischtes Bläschenatmen, in den abhängigen Partien
einige feuchte mittelblasige Rasselgeräusche. L. Bläschenatmen.
Herz 0 . B.
' Puls frequent, 116 in der Minute, regulär ificht sehr kräftig.
Leib 0 . B.
Extremitäten und Nervensystem o. B.
Im Rachenabstrich wurden Diphtherfebazillen gefunden.
Die Atmung der Patientin ist durch eine flottierende Membran behindert:
bei jeder Inspiration scheint sich die Membran ventilartig vor die Trachea
zu legen, so dass deutliches Pfeifen hörbar wird und die Inspiration stockt.
Da die Atemnot dauernd zunimmt, und nach und nach eine leichte Zya¬
nose auftritt, bekommt Patientin 3 Strich einer 1 proz. Apomorphinlösung
(~ 0.003 g) subkutan in der Ucberlegung, durch den Brechakt die Membran
zu lockern und abzustossen, wie wir dies des öfteren bei Kindern mit
diphtherischen Membranen beobachtet hatten. Zu bemerken ist. dass die
Lösung ungefähr 10 Wochen alt war. und eine grünlich-violette Färbung an¬
genommen hatte. Da die Lösung bereits bei Kindern ohne Schaden Ver¬
wendung gefunden hatte, wurde kein Bedenken getragen, sie wieder zu ge¬
brauchen.
10 Minuten nach der Injektion trat nicht das erwartete Erbrechen, son¬
dern ein schwerer Vergiftungszustand mit Kollaps auf. Die Atmung wurde
oberflächlich, sehr frequent, und von einem eigenartigen Verhältnis der Ein-
zur Ausatmung: die Inspiration war nur kurz und ganz oberflächlich, das
Exspirium dagegen sehr tief und lang ausgezogen. Der Puls wurde niedrig¬
gespannt und hochfrequent, 116, 148, 132. 132, 142, 116 Schläge in der Minute
in Abständen von je 5 Minuten gezählt. Die Haut des' Gesichts war toten¬
blass, mit kaltem Schweiss bedeckt, nach und nach trat eine deutliche
Zyanose im Gesicht und an den Händen auf. Brechreiz bestand gar
nicht, dagegen eine starke motorische und psychische Unruhe. Die Pu¬
pillen waren maximal erweitert und reagierten nicht auf Lichteinfall.
Kurz es war das Bild eines schweren Vergiftungszustandes mit bedroh-
Digitized by Goi^isle
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
585
!
lieber Schwäche des Kreislaufs und ebensolcher Beeinflussung des Atem¬
zentrums.
Es wurden der Patientin deshalb sofort 10 ccm Kampfer subkutan, 1 ccm
Koffein, 6 Strich Adrenalin und 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung intra¬
venös zur Hebung der Kreislaufschwäche verabreicht. Die Wirkung war
eine prompte. Unter Besserung der Pulsspannung, Nachlassen der Puls¬
frequenz ’ verschwand die Zyanose, die Atmung wurde gleichmässiger und
tiefer, die Unruhe verschwand, die Pupillen reagierten wieder und nach einer
Viertelstunde war der akut bedrohliche Zustand beseitigt. Es blieb noch ein
leichtes Uebelbelinden und eine ausgesprochene Mattigkeit zurück. Der
Puls war noch immer labil und von geringer Spannung, so dass noch den
ganzen Tag über 2 stündlich Kampfer gegeben werden musste. Am folgen¬
den Tag trat ein stark vermehrter eitriger Auswurf ein. Die Membran
hatte sich anscheinend gelöst, denn bald nach dem Anfall war das Atmungs¬
hindernis nicht mehr wahrnehmbar; das Expektorans hatte so wenigstens
die Wirkung gebracht, die man vom Emetikum vergeblich erwartet hatte.
Im Urin traten tags darauf granulierte Zylinder auf, die nur dies eine Mal
zur Beobachtung kamen, während die toxische Albuminurie in ihrem Eiweiss-
gehalt von 1 Prom. unbeeinflusst blieb. Ob die Zylindrurie eine Folge der
Apomorphinverabreichung ist, bleibt dahingestellt.
Nach 8 Tagen war die Diphtherie abgeheilt, die Albuminurie verschwun¬
den, und Patientin konnte nacfi 14 Tagen geheilt entlassen werden.
Wir sahen also im Anschluss an die Verabreichung der minimalen
Dosis von 0,003 g Apomorphin einen schweren Vergiftungszustand, bei
dem die erw'artete BrechWirkung ausblieb. Die Tatsache, dass die
Lösung bereits 10 Wochen alt war und eine deutliche Verfärbung an¬
genommen hatte, Hess natürlich zunächst die Erwägung Platz greifen,
dass das Alter der Lösung einen solchen Einfluss auf die Wirkung aus¬
geübt habe. Prof. Trendelenburg hatte die Güte, den Rest der
gebrauchten Lösung zu untersuchen, konnte aber keinerlei Abweichung
Vbn dem gewohnten chemischen Verhalten der Apomorphinlösungen
feststellen. Immerhin riet er nach der gemachten Erfahrung, nur noch
frische, nicht verfärbte Lösungen von Apomorphin zu verwenden, wenn
auch die Literatur von keinem Giftigerwerden der Droge mit zunehmen¬
dem Alter berichtet. Aus diesem letzten Grunde sehen wir uns vor
allen Dingen zur Veröffentlichung des Falles veranlasst, denn im all¬
gemeinen wird die seltene Notwendigkeit der Verwendung von Apo¬
morphin und die von K o b e r t geforderte ständige Bereitschaft einer
Lösung zur Folge haben, dass der praktische Arzt nur eine ältere Apo¬
morphinlösung zur Hand hat. Ist die Anwendung trotzdem dringend
geboten, dann erscheint es ratsam, nur dann von einer älteren Lösung
Gebrauch zu machen, wenn man die notwendigen Exzitantien zur Be¬
kämpfung eines ev. Kollapses zur Hand hat. Ist noch Zeit, eine frische
Lösung herstellen zu lassen, dann ist einer solchen unbedingt der Vor¬
zug zu geben, wenn man unangenehme Zwischenfä^lle vermeiden will.
Literatur. '
1. Kobert: Pharmakotherapie 1908. — 2. Sichert: Untersuchungen
über die physiologischen Wirkungen des Apomorphin. I.-D., Dorpat 1871. —
3. Ouehl: Ueber die physiolbgischen Wirkungen des Apomorphin. I.-D..
Halle 1872. — 4. Meder; Untersuchungen über Apokodein und Vergleich
der Wirkungen dieses Alkaloides mit denen des Apomorphin. I,-Di., Dorpat
1895. — 5. Harnack: Arch. f, exp. Path. u. Pharm. 2. 1874. — 6. Juracz:
Apomorphin als Expektorans. B.kl.W. — 7. Eulen bürg: Realenzyklo¬
pädie der ges. Heilkunde 1894. — 8. Blaser: Ueber die Haltbarkeit der
Apomorphinlösungen. Wagners Arch. f. Heilkunde 13. 1873. — 9. L ü 11 i c h:
Ueber den Mechanismus des Brechaktes. Kiel 1873. — 10. Ackermann:
Beobachtungen über einige physiologische Wirkungen der wichtigsten
Emetika. Rostock 1856.
Einspritzungen von Kampferöl unter die Haut.
Von Dr. F. Heinrichsen, Kandau, Lettland.
In Nr. 42 der M.m.W. 1920 findet sich eine Bemerkung aus der
französischen Presse über die schädliche Wirkung des mit Vaselinöl
zubereiteten Kampferöls bei Einspritzungen unter die Haut. Meine Er¬
fahrung in den letzten Jahren bestätigt dieses vollauf. Aus völligem
Mangel an Olivenöl musste ich seit 3 Jahren Vaselinöl verwenden und
es traten in vielen Fällen langdauemde, geschwulstartige Infiltrate unter
der Haut auf, wie ich sie bei Anwendung von Olivenöl in dem Masse
nie gesehen habe. Auch habe ich die schädliche Wirkung des Vaselin¬
öles am eigenen Körper erfahren. Vor 1 Jahr erkrankte ich schwer
an Fleckfieber, und als trotz Gebrauch von Digipurat und Koffein in
der Mitte der zweiten Woche die Pulsfrequenz über 120 stieg, machte
mir meine Frau, die mich pflegte und nach meinen im Anfang der
Erkrankung gegebenen Anweisungen behandelte, 4 Tage lang, 3 mal
täglich, Einspritzungen mit 20proz. Kampferöl in beide Oberschenkel.
Es traten harte, kleine Geschwülste von Kleinerbsen- bis Bohnengrösse
auf, die zum Teil unter der Haut verschieblich waren, kaum schmerzten
und mir viel zahlreicher zu sein schienen, als der Zahl der Einspritzungen
entsprach. Die beiderseitigen Leistendrüsen waren ca. 2 Monate ange¬
schwollen und druckempfindlich. Die Geschwülste machten sich erst
längere Zeit nach der Genesung bemerkbar. Das Gehen war in keiner
Weise behindert. Sehr unangenehm war der überaus starke Juckreiz,
der sich hauptsächlich am Abend, beim Aufsuchen des Bettes, einstellte.
Die Geschwülste bestanden viele Monate unverändert fort, ebenso der
Juckreiz. Letzterer ist in den letzten Monaten in den Oberschenkeln
fast verschwunden, dafür aber recht heftig in beiden Unterschenkeln
aufgetreten, wo er noch heute andauert — auch hier fühlt man, be¬
sonders nach aussen von den Schienbeinen kleine Härten unter der Haut.
Die Infiltrate an den Oberschenkeln sind nur noch in Spuren nachweisbar.
Ich glaube diese beschriebenen Erscheinungen dem Vaselinöl zuschreiben
zu müssen.
Für die Praxis.
Nachkrankheiten und Folgezustände von Ruhr.
Von Prof. D. Gerhardt, Würzburg.
Unter den Kriegsseuchen, deren Folgen sich noch weit in die Nach¬
kriegszeit erstrecken, steht obenan die Ruhr. Die Krankheitserschei¬
nungen, welche noch jetzt viele ehemalige Ruhrpatienten zum Arzt und
in die Spitäler und Beobachtungsstationen führen, sind zumeist Darm¬
störungen, zum geringeren Teil Magenbeschwerden.
Bei den Darmstörungen handelt es sich bei einem Teil der Fälle
lediglich um Rückfälle des alten Leidens, bei dem anderen Teil um
ganz anders begründete Durchfälle.
Die Fälle der ersten Gruppe verlaufen un^r ähnlichen Sym¬
ptomen wie die Grundkrankheit: Häufige Entleerungen, die Menge der
Einzelentleerung manchmal nur gering, oft Beimengung von Schleim.
Eiter, Blut, meist lebhafter Tenesmus, der auch nach der Defäkation noch
anhalten kann; Fieber gewöhnlich nur in den schwereren Fällen. Solche
Rezidive halten manchmal monatelang ununterbrochen an, manchmal
nur zeitweise und von kurzer Dauer; im letzteren Fall bald deutlich ab¬
hängig von der Art der Nahrung, nach jedem leichten Diätfehler prompt
einsetzend, bald mehr durch Kälte oder durch Körperanstrengung aus¬
gelöst. Die Beeinträchtigung der Gesundheit besteht, bei den leichteren
Fällen bald nur in den Tenesmen und Durchfällen, bei den schwereren
in ernsten Ernährungsstörungen und Allgemeinschädigung bis zum
völligen Siechtum.
Objektiv ist bei der äusseren Untersuchung wenig zu finden, meist
nur das Colon descendens oder die Flex. sigm. als mehr oder minder
resistenter, oft deutlich druckempfindlicher Strang in d«r linken Regio
lliaca; im Rektoskop zumeist deutliche Hyperämie, oberflächliche
Blutungen, oft Geschwüre von verschiedener Grösse, Zahl und Tiefe.
Im Stuhl die erwähnten schleimigen, blutigen, eitrigen Beimengungen,
zumeist keine unverdauten Nahrungsreste.
Bei der anderen Gruppe können die Durchfälle ebenso häufig,
Abmagerung, Fieber, Kräfteschwund ebenso stark sein. Aber es fehlt
der Tenesmus und es fehlen die Schleim-, Eiter- ünd Blutbeimengungen
zum Stuhl. Dafür im Stuhl reichlich unverdaute Nahrungsreste, oft schon
makroskopisch als unzerkleinerte Gemüse- und K^rtoffelstücke, sonst
leicht mikroskopisch durch reichliche Stärkereaktion oder durch deut¬
liche Nachgärung erkenntlich, manchmal auch schon durch die schaumige
Beschaffenheit sich verratend.
Die Beschwerden bestehen manchmal nur in den häufigen Durch¬
fällen, manchmal mehr in Schmerz-, Druck-, Völlegefühl, oft mit reich¬
lichem Gurren, auch mit kolikartigen Schmerzen verbunden. Auch bei
dieser Gruppe dauern die Durchfälle manchmal monatelang gleichmässig
fort, manchmal treten*sje nur zeitweise, meist nach Diätfehlern, auf; aber
auch in den durchfallfreien Zeiten besteht leicht Druck. Völle, Unruhe
im Abdomen.
Mit seltenen Ausnahmen lässt sich bei diesen Patienten völliges
Fehlen des Magensaftes, seltener auch Fehlen oder Verminderung des
Pankreassaftes nachweisen. Es handelt sich um typische Fälle von
gastrogener Qärungsdyspepsie.
Der Zusammenhang zwischen der Beeinträchtigung der Magen¬
sekretion und der Ruhr ist nicht ganz klar. Fortpflanzung der Entzündung
vom Dickdarm aufwärts bis zum Magen ist unwahrscheinlich, vermutlich
ist die Achylie^ Folge der Allgemeinschädigung durch die Ruhr, ähnlicii
wie bei vielen Fieberzuständen. wie auch bei perniziöser Anämie und
.anderen schweren Blutkrankhelten. Jedenfalls steht fest, dass Achylia
gastrica, die überhaupt bei Kriegsteilnehmern auffallend häufig gefunden
wurde, besonders oft bei und nach Dysenterie anzutreffen war.
Durch die mangelhafte Verdauung im Magen erwächst dem Dünn¬
darm grössere Verdauungsarbeit; bei ganz normaler Leistungsfähigkeit
kann er diese wohl bewältigen; irgendwelche Schädigung oder über¬
mässige Belastung des Dünndarms führt aber dazu, dass unverdaute
Nahrungsreste in den Dickdarm übertreten, hier der Fäulnis und Gärung
anheimfallen und durch diese abnormen Vorgänge den Dickdarm reizen
und zu Diarrhöe führen. Und w^enn diese Folgen einmal eingetreten sind,
dann steigert sich die Empfindlichkeit und Reizbarkeit des Dickdarms
oft ganz ausserordentlich.
Wie sehr ein Reizzustand des Darms am Zustandekommen dieser
in letzter Linie allerdings gastrogenen Diarrhöen beteiligt ist, zeigte uns
ein Fall, in dem ohne Koständerung der vorher stark gärende diarrhoische
Stuhl nach Abtreibung eines Bandwurms alsbald normale Beschaffenheit
annahm.
Die dritte Gruppe von Folgeerscheinungen der Ruhr ist anderer
Art: Beschwerden, welche sehr denen eines Magen-, noch mehr eines
Duodenalgeschwürs gleichen, .also Schmerzen im Epigastrium oder
rechten Hypochondrium etwa 1 Stunde nach dem Essen, manchmal auch
nächtlicher und Nüchternschmerz; manchmal Brechen oder doch Brech¬
reiz; die Beschwerden deutlich abhängig von der Schwere der Speisen;
oft Obstipation; Mageninhalt’meist normal oder hyperazid. am Röntgen¬
schirm am Magen nichts Besonderes ausser reger Peristaltik, der Pylorus
manchmal nach rechts oben gezogen, der Anfangsteil des Duodenum
stark gefüllt, hier oder am Uebergang in den absteigenden Schenkel oft
ein Dauerfleck, der stundenlang nachweisbar bleiben kann; das ganze
Duodenum w enig verschieblich, oft stark nach rechts und oben gezogen,
oft deutlich druckempfindlich. Der nach diesen Symptomen naheliegende
Verdacht auf Duodenalgeschwür hat sich bei den zur Operation ge-
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
586
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
kommenen Fällen nicht bestätigt, sondern es fanden sich nur mehr oder
minder ausgedehnte Verwachsungen.zwischen Duodenum,
Gallenblase und Ouerkolon. Teils schienen sie noch vom
Kolon, teils von der Gallenblase auszugehen: vermutlich sind sie im
ersteren Fall auf direkte Wirkung der dysenterischen Darmerkrankung,
im letzteren auf sekundäre Cholezy-stitis zu beziehen.
Die Behandlung ist für die drei Gruppen verschieden. Bei den
reinen Rezidiven: Ruhe, Wärme, schlackenarme Kost, Tannin¬
präparate per os; bei starken Schmerzen Opium und Belladonna; milde
Abführmittel: Darmspülungen mit Wasser, Tannin. Kalklösungen; bei
ganz hartnäckigen Fällen Zoekostomie.
Bei den gastrogenen Diarrhöen reicht ganz gewöhnlich rein
diätetische Behandlung. Prüfung der Darmfunktion durch Schmidt-
sche Probekost beseitigt in leichten Fällen allein schon alle Störungen,
in schwereren muss die Kost zeitweise noch stärker eingeschränkt
werden, meist genügt dann Weglassen des Kartoffelbreies, selten muss
man alle Kohlehydrate streichen. Wenn Diarrhöen und Amylumgehalt
des Stuhls beseitigt sind, wird vorsichtige allmähliche Kostzulage ge¬
wöhnlich gut vertragen, und es lässt sich relativ leicht ein Zustand er¬
reichen, bei dem der Patient beschwerdefrei bleibt, falls er ausgesprochen
grobe Kost (Schwarzbrot, Hülsenfrüchte, grobes Gemüse) meidet; eine
Ernährungsweise, die zumal auf dem Land in der Regel nicht schwer
durchzuführen ist.
Die Versuche, durch Salzsäure und Pepsin oder durch das ange¬
nehmere aber teure Azidolpepsin die Magenverdauung zu verbessern,
nutzen in der Regel wenig; eher hilft die Unterstützung der Darm¬
verdauung durch Pankreon oder Pankreatin.
Die dritte Gruppe, die Per i duo d eni t is, lässt sich in ihren Be¬
schwerden oft durch typische Ulcuskur mit Ruhe, Wärme, L e u b e scher
Diät derart gut «beeinflussen, dass nach der Kur Ernährung mit leichten
Speisen gut vertragen wird Alkalien, leichte Abführmittel, Belladonna,
Papaverin können unterstützend wirken. Rezidive sind leider nicht
selten; meist weichen sie erneuter Ruhe- und Diätkur oder regelrechter
Kur in geeigneten Badeorten (Kissingen, Homburg, Mergentheim). In
ganz hartnäckigen Fällen kann Laparotomie und Lösung der Ver¬
wachsungen nötig werden; wegen der Neigung zu neuen Adhäsionen
scheint Pylorusverschluss und Gastroenteroanastomose vorzuziehen.
FortiliMiiniisvortraiia und uuiidrsichtsraierate.
Aus dem Berliner Städtischen Krankenhause am Urban.
Tuberkulosebehandlung mit künstlichem Pneumothorax.
Von Prof. Plehn, ärztl. Direktor.
Die bekanntlich von Forlanini vor 30 Jahren eingeführte Be¬
handlung der Lungentuberkulose mittels einseitigem künstlichen
Pneumothorax hat unsere Heilmittel erfreulich vermehrt. Allerdings
kommt sie nur einem Teil und zwar einem kleinen Teil der Lungen¬
kranken zugute; aber es sind das Kranke, die ohne Anwendung des
Verfahrens mit Sicherheit in relativ kurzer Frist zugrundegehen müssten,
während bei seiner richtigen Durchführung nicht nur ihr Leben wesent¬
lich verlängert wird, sondern selbst bettlägerige Schwerkranke des
dritten Stadiums sich meistens nach kurzer Zeit in der Lage sehen,
selbst körperliche, nicht allzu anstrengende Berufstätigkeit auszuüben.
Sogar Ausheilung, wenngleich mit Narben und Schwielen soll möglich
und beobachtet worden sein. Da sie aber erst nach Jahren endgültig
festgestellt werden kann und man die Hospitalkranken inzwischen meist
aus den Augen verliert, so haben- wir darüber kein eigenes Urteil.
Ihre Chancen hängen von der Indikationsstellung ab. Wir be¬
grenzen diese bis jetzt recht eng. Denn da das gan?e Verfahren —
nicht die technische Ausführung der einzelnen Operation — immerhin
einen schweren Eingriff bedeutet, so sollte es nur dort durchgeführt
werden, wo ohne dasselbe rasches Ende bevorsteht, während ander¬
seits die Aussichten auf Operationsedolg günstig sind. Vielmonatliche,
event. jahrelange sachverständige Kontrolle ist nötig und macht die
Behandlung schon durch' die zahlreichen Röntgenuntersuchungen recht
kostspielig.
Ursprünglich galt als Indikation die Einseitigkeit eines
weit vorgeschrittenen Prozesses. Wer grössere Er¬
fahrung und die Mittel genauester Untersuchung besitzt, wird zugeben,
dass sie nur äusserst selten gegeben ist. Es zeigte sich aber bald, dass
ein geringes oder selbst mässiges Befallensein der relativ „gesunden“
Seite keine Gegenanzeige ist. sondern dass die Operation auch auf die
nicht operierte Seite günstig einwirkt. Das führt auf die Frage der
Wirkungs weise.
Zuerst sprach man von „Kompression“ der kranken Lunge, speziell
ihrer Kavernen, ohne die physiologischen Verhältnisse recht zu wür¬
digen. Die Voraussetzung — e>in positiver intrapleuraler Druck — kann
während der Inspirationsphase nur ganz vorübergehend eintreten, weil
er sich auf die relativ „gesunde“ Lunge übertragen und ihre Erweiterung
behindern müsste: Das normale Mediastinum ist beweglich und keine
starre Wand. Jetzt heisst es ,4(ollapstherapie“. Die kranke Lunge
wird durch das Gas im Pleuraraum ausser Funktion gesetzt und kann
schliesslich völlig luftleer werdend, indem ein positiver Exspirations-
druck ihre Kollapstendenz unterstützt, der kein inspiratorisch erweitern¬
der Zug entgegenwirkt, weil er sich über das bewegliche Mediastinum
auf die relativ „gesunde“ Lunge überträgt. Das ist auch auf dem
Röntgenschirm zu sehen. Voraussetzung ist das Fehlen ausgedehnterer
Pleuraverwachsungen. Die kranke Lunge wird also in der Tat ruhig¬
gestellt. Die Wände, selbst ausgedehntere Gewebshöhlen, legen sich
aneinander^), und ihre chronisch entzündlich infiltrierten Wände, an
denen nicht mehr mit jedem Atemzuge gezerrt wird, haben die Möglich¬
keit, unter Narbenbildung zu schrumpfen, so dass sogar eine ana¬
tomische Heilung möglich wird. Diese Vorgänge sind einleuchtend und
stellen einen der Heilfaktoren dar. Grössere Schwierigkeiten macht
es, die unzweifelhaft günstige Wirkung des Pneumothorax auf die
andere Seite zu erklären. Bis jetzt ist man dabei meines Wissens
über die Annahme nicht hinausgekommen, dass das. was auf der
schwer erkrankten Seite als schädlich ausgeschaltet wird, nämlich
die Bewegung der Lunge, für die nunmehr stärker in Anspruch ge-
nommene leicht erkrankte andere, nützlich sein soll. Ich kann
mir das schwer vorstellen. Das Röntgenverfahren gibt eine bessere
Erklärung. Es zeigt unmittelbar nach wohlgelungener Anlage des
Pneumothorax, welche stets eine mässige Verschiebung des Mediasti¬
num mit dem Herzen erzielen soll, eine deutliche Verbreiterung
und Vertiefung der Lungengefässschattenzeichnung
auf der nicht operierten Seite. Auf der operierten kann sie wegen des
Lungenkollapses nicht zur Darstellung kommen.
Es handelt sich hier offenbar um Hyperämie durch Stau¬
ung, und im Gedanken an die bekannte Schutzwirkung, w^elche die
Lungenhyperämie bei Mitralfehler gegen Tuberkulose ausübt. stehe ich
nicht an, in dieser, durch behinderten Abfluss infolge Verschiebung der
grossen Gefässe bedingten Stauungshyperämie einen Haupt¬
heilfaktor für beide Lungen zu erblicken. Die Indikation wird bei
dieser Auffassung dahin erweitert, dass nicht nur ausgedehnte, fast ganz
einseitige Prozesse Gegenstand der Behandlung sind, sondern auch
Kranke, welchen bei überwiegend einseitigem Ergriffensein auf
der anderen Seite noch soviel funktionsfähiges Lungengewebe bleibt,
dass es für die Atmung reichlich genügt. Ferner käme die Operation
in frischen, beiderseits rasch fortschreitenden, fieberhaften, zu Blutungen
neigenden Fällen mit ganz schlechter Prognose in Frage.
Ich konnte bei einer solchen erblich belasteten Kranken mit hohem Fieber,
einseitig rasch, anderseits langsamer sich entwickelndem frischen kavernösen
Prozess und wiederholten, schwer anämisierenden Hämoptysen, in 11 Mona¬
ten dauernde Fieberfreiheit, Schwinden des Auswuris und 25 Pfd. Gewichts¬
zunahme erzielen. Die letzte Nachfüllung lag 4 Wochen zurück und die schein¬
bar Genesene sollte in die Familie zurückkehren, als sie innerhalb von
4 Tagen einer miliaren Ausbreitung ihrer Tuberkulose, namentlich auch auf
die Meningen, erlag. Es ist nicht meine Absicht, hier ausführliche Kraiikeji-
geschichten zu bringen.
Möglich wäre es, dass das seröse oder trübseröse sterile Trans¬
sudat, welches sich bei lange fortgesetzter Behandlung meist in be¬
scheidenem Umfang bildet, ebenfalls die Heilung befördert. Früher be¬
trachtete man bekanntlich die exsudative Pleuritis der Lungentuberku¬
losen vielfach in dem Mass als Heilfaktor, dass die Entleerung des Er¬
gusses deshalb unterlassen wurde.
Die günstige Wirkung auf den beiderseitigen Prozess ist Jedenfalls
unbestreitbar. Abgesehen von der Fordemng, dass dem Kranken in der
relativ gesunden Lunge noch ausreichende Atemfläche bleiben muss,
darf auch die allgemeine Konstitution nicht zu kümmerlich und der Kräfte¬
zustand kein gar zu reduzierter sein. Es wdrd sich also überwiegend
um frische, rasch fortschreitende Fälle handeln, und bei komplizierender
ernsterer Larynxtuberkulose, bei Nephritis (auch einfach toxischer), bei
Beteiligung des Darms oder gar Amyloidentartung, käme die Operation
kaum in Betracht.
Dagegen bietet Fieber, selbst höheren Grades, keine Gegenanzeige.
Blutungsneigung wird durch die Ruhigstellung günstig beeinflusst, falls
die Blutung aus der operierten Seite stammt. Auffallend w ar. dass auch
reichlicher Auswurf rasch zurückging, ohne dass die dafür zunächst w^ohl
verantw'ortlich zu machende Expektorationserschwernis und damit
Retention zu merkbaren Störungen (Fieber) führte.
Ausgedehntere Verwachsungen geben unzweifelhaft Gegenanzeige.
Leider kann man sie nicht mit Sicherheit diagnostizieren, sondern unter
Würdigung aller Nebenumstände höchstens vermuten. Weist die
Anamnese z. B. auf früher überstandene Pleuritis hin, so wird man damit
rechnen. Ebenso ist anzunehmen, dass noch sonst Verw'achsungen be¬
stehen, wenn das Röntgenverfahren sie im Bereich der Pleura diaphrag-
matica erkennen lässt. Im Röntgenbild erkennbare Schwarten schliessen
die Operation aus.
Uebrigens habe ich wiederholt, trotz begründeten Verdachts auf
Verw^achsungen, diese dann beim Operationsversuch doch vermisst;
sehr selten umgekehrt. Verwachsungen kontraindizieren die Operation
weniger, weil sie ihre Ausführbarkeit in Frage stellen oder (bei der
nötigen Vorsicht!) gefährlich gestalten. Sie machen aber ihre Vor¬
nahme zwecklos, weil sie die dadurch erstrebten Wirkungen verhindern,
denn sie gestatten der Lunge nicht, zurückzusinken. Diese wird vielnielir
bei jeder Atembewegung erst recht gezerrt und bei brüsken Husten-
stössea.^edrückt, weil die Gasblase sie den Bewegungen des Brust¬
korbes nicht gleichmässig folgen lässt. Ob die Verlagerüng der grossen
Gefässe trotzdem stattfindet, hängt von dem Sitz und der Ausdehnung
der Verwachsungen ab. Darüber gibt das Röntgenbild nach der
Operation Aufschluss, und das Ergebnis wird darüber entscheiden, ob
man die Behandlung fortsetzt, oder das Gas der Resorption überlässt,
womit dann jedenfalls nichts verdorben ist. Dass Vcrw’achsungen von
Wir haben uns davon wiederholt bei der Sektion überzeugt.
Digitizetf b)
Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA^
i
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
587
einiger Ausdehnung durch die Pneumothoraxbehandlung gelöst werden
können, möchte ich bezweifeln, nachdem ich erfahren musste, wie
schwer es ist, höchstens 2 Wochen alte Verklebungen zu beseitigen.
Bei einem Kranken war die 4 Monate lang unverändert gebliebene Oas-
füllung aus unersichtlichen Gründen plötzlich resorbiert (oder durch einen
Einriss in die Lunge ausgeatmet worden?) — und die Pleurablätter lagen
wieder aneinander. Die Neuanlage des Pneumothorax gestaltete sich sehr
schwierig, und die Trennung gelang über den Spitzen nur unvollkommen
wieder.
Forcierte Drucksteigerung könnte durch weitere Zunahme beim
Husten zum Einreissen des Bindegewebes, zu Qasembolie oder inter¬
stitiellem Emphysem führen und darf nicht gewagt werden.
Schmale, bandartige Stränge, welche frei die Gasblase durchziehen,
scheinen auch ohne besondere Drucksteigerung schwinden zu können.
Wenn es nicht gelingt, von der ersten Einstichstelle aus einen Pneumo¬
thorax von befriedigender Ausdehnung zu erzielen, so möge man es an
einer zw'^eiten und vielleicht noch an einer dritten Stelle versuchen. Es
ist vorgekommen, dass, w'as von der ersten Stelle aus nicht gelang, von
einer anderen befriedigend durchgeführt werden konnte. Wir bevor¬
zugen meistens die Gegend der hinteren Axillarlinie etwa in der Höhe
des 5.—7. Interkostalraumes, oder links den Rand des Traube sehen
Halbmondes, rechts die Gegend zwischen vorderer Axillar- und Para-
stemallinie, oberhalb der Leber. Ausnahmsweise die Gegend unterhalb
der Klavikula. Stets wird in Horizontallage operiert, es sei denn, dass
die Notwendigkeit, vor späteren Nachfüllungen einen Erguss abzu¬
lassen, sitzende Stellung erfordert. An der Operationsstelle werden die
Haut und die obersten Muskelschichten unter Lokalanästhesie
(Schleich) mit feiner, spitzer Lanzette in Ausdehnung von einigen
Millimetern durchtrennt. Durch dieses Ausschalten des Widerstandes
der Kutis erhält man das nötige Feingefühl für die Steuerung der ge¬
bogenen Hohlnadel durch die Pleura in den Pleuraspalt, der sich bei
Fehlen von Verwachsungen sofort zum Pneumothorax erweitert, indem
das (}as der kollabierenden Lunge folgt. Auf die Kontrolle der Opera¬
tion selbst durch den Röntgenschirm habe ich bei diesem Vorgehen
immer verzichten können. Die Asepsis muss — auch bei den technisch
so einfachen Nachfüllungen — ebenso peinlich sein, wie für eine Laparo¬
tomie.
Vielleicht lie^t es daran, dass wir die im Laufe der Monate fast
immer sich bildenden Exsudate — im Gegensatz zu anderen Opera¬
teuren — bis jetzt stets steril gefunden haben.
Für die Menge des erstmalig einzuführenden Gases lässt
sich keine Norm aufstellen. Ich richte mich da ganz nach
dem Befinden des Operierten und dem Ergebnis der Wasser¬
manometerkontrolle. Da ich eine deutliche Verlagerung des
Mediastinupi, der gewünschten Stauungshyperämie wegen, er¬
strebe, so wird schon die erste Füllung meist ziemlich gross: etwa
1—1,5 Liter, ausnahmsweise mehr. Sowie der Kranke deutliches Druck¬
gefühl auf Befragen angibt, wird die Weiterfüllung zunächst unter¬
brochen. Oft verlieiii sich das Druckgefühl nach einigen Minuten, so
dass man fortfahren kann. Bleibt der Druck bei der Inspiration noch
nach einigen Minuten positiv, so darf man annehmen, sein Ziel erreicht
zu haben. Es kommt aber zuweilen, und zwar gerade bei gut arbeiten¬
dem Brustkorb, vor, dass der inspiratorische Druck noch negativ wird,
während der exspiratorische schon bedeutende Grade erreicht: 4-20cm
Wasser und mehr. Solche grossen Ausschläge kommen natürlich nur
bei tiefer Ein- und Ausatmung vor. Wir fordern dazu auf. weil sie das
Zusammensinken der Lunge begünstigen. Im übrigen muss man im
Einzelfall entscheiden. Bei ordnungsmässigem Verlauf darf
der Kranke keine nennenswerten Beschwerden von
d e r g a n z e n 0 p e r a t i o n h a b e n. Ist die Nadel ins Lungengewebe
geraten, was bei richtigem Vorgehen nur geschehen kann, wenn die
Lunge in der nächsten Nähe der Punktionsstelle durch Pleuraverwach¬
sungen an der Brustwand fixiert ist so erweist sich das dadurch, dass
in- wie exspiratorischer Manometerdruck trotz glatten Einströmens
grosser Gasmengen konstant bleiben: Der Stickstoff wird sofort wieder
ausgeatmet Wir versuchen es dann an einer anderen, eventuell dritten
Stelle. Ist der Pleuraspalt in näherer oder weiterer Umgebung der
Nadel durch Verwachsungen abgeschlossen und bildet sich ein par¬
tieller Pneumothorax, so treten schon nach Einstrom geringer Gas¬
mengen erhebliche subjektive Beschwerden auf. und der Druck — auch
der inspiratorische — erreicht rasch eine beträchtliche Höhe. Hier
droht die Gefahr des Einreissens der Pleura mit Gasembolie und inter¬
stitiellem Emphysem. Ich habe sie, bis auf einen Fall, stets vermeiden
können, indem ich die Operation rechtzeitig abbrach.
Es handelte sich um eine schwerste ulzeröse Phthise, wo die jtanze
rechte Lunze von grossen und kleinen Kavernen durchsetzt war. und auch die
linke Lunge Infiltrate mit beginnender Kavernenbildung in der Spitze aufwies.
Rechts zeigte die Sektion „fast totale Obliteration der Pleura“ (Prof. Koch).
Die Nadel muss zwischen die Verwachsungen gedrungen sein. Der ziemlich
glcichbleibende, relativ niedrige Manometerstand bei Klagen über zunehmen¬
des Druckgefühl hätten darauf hinweisen müssen, dass etwas „nicht in
Ordnung“ war. Fs entwickelte sich nach der Operation bald Hautemphysem,
und die Sektion zeigte auch Emphysem des Mediastinum. Der schon vorher
sehr elende Kranke ging am 2. Tag an Herzschwäche zugrunde.
Von sonstigen Komplikationen wurde einmal Gasembolie be¬
obachtet, als man die schon früher schwierige Nachfüllung zu forcieren
suchte. Die Bewusstlosigkeit ging rasch, die Hemiplegie am folgenden
Tage ohne bleibende Schädigung vorüber. Von weiteren Nachfüllungs¬
versuchen wnirde abgesehen. Das einige Male aufgetretene mässige
Hautemphysem hatte keine weitere Bedeutung *).
Digitized by Goiisle
In den meisten Fällen bildet sich im Laufe der Monate ein kleiner
Erguss. Der sterile Fremdkörper, welchen das Gas darstellt, übt einen
Reiz auf die so empfindliche Pleura aus, welcher zu reaktiver, asep¬
tischer Entzündung führt. Das Exsudat ist zuweilen, namentlich anfangs,
rein serös. Später wird es durch Wanderzellen getrübt; manchmal in
dem Grade, dass es den Eindruck dünnen Eiters macht. Man kann dann
auf dem Röntgenschirm eine untere dichtere (Zell-) Schicht und eine
darüberliegende, strahlendurchgängigere Schicht unterscheiden. Fieber
blieb aus, wenn es nicht schon vorher vorhanden war; das Allgemein¬
befinden wurde in keiner Weise gestört und di^ Besserung nicht auf¬
gehalten. Die Grösse des Ergusses blieb gering oder mässig. Nicht
leicht zu erklären ist die Tatsache, dass früher oder später nach Auf¬
treten des Ergusses die vorher nachgiebigen Höhlenwände in eine ge¬
wisse Starre geraten. Nachfüllungen sind dann nur mehr in geringem
Umfang möglich, und bei dem Versuch, einen etw'as grösseren Erguss
zu beseitigen, hat der Kranke infolge des negativen Druckes in der
starren Höhle Beschwerden in Form von Beklemmungen. Ich habe dann
noch eine zweite Nadel eingeführt und durch Schlauch mit dem Gas¬
behälter verbunden. Durch sie strömt dann Gas in demselben Mass
nach, wie Flüssigkeit abfliesst, und die Beschwerden hören sofort auf.
Man kann auch den Abflusstroikart selbst mit dem Gasbehälter ver¬
binden, sobald Beschwerden auftreten, und das Gas durch die Flüssig¬
keit einlassen, bevor man die Entleerung fortsetzt Mehr Gas ein¬
zulassen, als Flüssigkeit abfliesst gelingt kaum. Meist erreicht man
nicht einmal dieses Mass ganz. Der Druck kann dann im Laufe der
nächsten Tage in störender Weise dadurch zunehmen, dass die Flüssig¬
keitsmenge wieder wächst und die Gasfüllung komprimiert ohne dass
die starren Höhlenwände nachgeben. Ich hatte aber nur zweimal nötig,
deshalb Gas abzulassen. Gewöhnlich hält sich die Exsudatbildung nach
ein- oder zweimaligem Ablassen in bescheidenen Grenzen. Die Ent-/
leerung ist überhaupt nur nötig, wenn das Gewicht der Flüssigkeit die
Wölbung der Zwerchfellkuppel niederzudrücken droht, was bei etwa
Vs. Liter geschieht oder wenn die Bewegung des freien Ergusses den
Kranken belästigt oder beunruhigt Zweimal beobachteten wir mehr-
kammerige Ergüsse**). Das Erstarren der Höhlenwände bringt keinen
Nachteil. Die» Lunge wird dadurch auch ohne weitere Nachfüllungen
in ihrem „splenlsierten“ Zustand erhalten. Oeftere Kontrolle, wenig¬
stens durch einen Blick auf den Röntgenschirm, bleibt trotzdem nötig.
Dreimal konnten wir uns nach Abschluss des Verfahrens durch die
Sektion von den anatomischen Verhältnissen überzeugen.
Die schon erwähnte, an Miliartuberkulose gestorbene Dame hatte eine
Zeit lang besonders lebhafte Exsudatbildung gezeigt und war wiederholt punk¬
tiert worden, bevor der Erguss gering blieb. Die kindskopfgrosse, starre
Pneumothoraxhöhle enthielt nur wenig Flüssigkeit und war mit zottigen Fibrin¬
massen ausgekleidet, so dass sie aussah wie die Oberfläche eines Cor villosum
bei eitriger Perikarditis. Die Lunge war luftleer und völlig splenisiert; die
Kavernenwände aneinanderliegend und fest verklebt, aber noch nicht durch
Verwachsung vereinigt. Auch auf der nichtoperierten Seite fand sich ein
Spitzenprozess, wie im Leben angenommen.
Der Befund gibt eine Vorstellung von den Heilungsaussichten.
Mit dem Eintreten freier Verschieblichkeit der entzündeten Pleura¬
blätter nach Resorption des Gases dürfte kaum zu rechnen sein ’). Eine
Funktionsstörung ist von ihrer Verwachsung aber kaum zu befürchten.
Dass eine splenisierte Lunge sich nach vielen Monaten, eventuell nach
über .lahresfrist, wieder ausdehnen und zu voller Tätigkeit ertüchtigen
kann, lehren die Erfahrungen der Chirurgen nach Empyemoperationen,
Pleurafisteln etc. Bei der phthisischen Lunge lieger> die Dinge freilich
etwas anders. Die Lunge der operierten Seite ist von grösseren und
kleineren Entzündungsherden und Kavernen in grosser Ausdehnung mehr
oder W'cniger dicht durchsetzt. Diese können nur durch Narbenbildung
nach Verkleben ausheilen, und es ist denkbar, dass dadurch die Ent¬
faltung erschwert wird. Dass sie trotzdem möglich ist, darf man
aus den Erfahrungen nach grossen Lungenabszessen und ausgedehnten
Lungenresektionen schliessen. .ledenfalls soll man sich hüten, die Be¬
handlung abzubrechen, bevor auf feste Vernarbung gerechnet werden
kann. Wiederaufnehmen lässt sie sich wiegen der kaum vermeidbaren
Total Verwachsung der Pleurablätter nicht wieder. Bei günstigem Ver¬
lauf ist das Befinden des Kranken in dem Stadium der Behandlung, in
welchem ihr Aussetzen in Frage kommt, aber so gut, dass man keine
Eile hat. Nur die stets notwendig bleibende Kontrolle ist lästig. Sie
wird von uns auch bei denjenigen aufrecht erhalten, welche ihre Arbeit
w'ieder aufgenommen haben.
Die Besserung, welche man gewöhnlich erreicht soll mit allen
Mitteln gefördert werden, die auch sonst zu Gebote stehen. Dahin
gehört nicht die spezifische Tuberkulintherapie in irgend einer Form.
Wohl aber der ganze- sonstige hygienische, diätetische und medika¬
mentöse Heilapparat. Wir glauben, besonders von der intravenösen Kalk¬
behandlung Günstiges gesehen zu haben.
Ob man berechtigt ist, die Pneumothoraxbehandlung auf das zweite
Stadium auszudehnen — dann natürlich mit noch wesentlich besseren
Heilungsaussichten —, das muss weitere Erfahrung lehren. Für die
ungünstigen, rasch fortschreitenden Fälle mit schlechten Aussichten
möchte ich es schon heute annehmen. Sicher ist. dass man einer be-
•) Anm. b. d. Korrektur: Bei den letzten 20 Neuanlagen sind Kompli¬
kationen überhaupt nicht mehr beobachtet worden.
••) Anm. b. d. Korrektur: Inzwischen ist ein weiterer dazu gekommen.
®) In zwei weiteren, seither zur Obduktion gekommenen Fällen war der
Befund an der splenlsierten Lunge der gleiche, die Pleuren zeigten aber nur
geringe Entzündungserscheinungen.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
588
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Kreuzten Zahl sonst unzweifelhaft verlorener Kranker des dritten
Stadiums ihre Berufs- und Genussfähigkeit wiedergeben und ihr Leben
wesentlich verlängern*), einem kleinen Teil vielleicht selbst völlige
Ausheilung bringen kann.
Auch darauf soll noch hingewiesen werden, dass das rasche
Schwinden des Auswurfs und damit der Bazillenverbreitung, die Kranken
aufhören lässt eine Gefahr für ihre Umgebung und für die Allgemeinheit
zu sein.
Bücheranzeigen und Referate.
Jtilius Bauer: Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krank¬
heiten. 2. Auflage. 1921. Berlin, Verlag von Jul. Springer.
Schon 3 Jahre nach der ersten Auflage eine vermehrte und ver¬
besserte zweite; vermehrt um 64 Seiten und einige Abbildungen, ver¬
bessert um das Wenige, was durch die Forschung neu hinzugekommen
ist. Das Buch, so gut es ist spiegelt doch die allzu schillernde Viel¬
seitigkeit der heutigen Konstitutionslehre wieder und an manchen Stellen
dürfte etwas weniger mehr bedeuten. Eine unheimliche Quantität von
Meinungen und leider auch eine recht uneinheitliche Fassung zahlreicher
Grundbegriffe (Konstitution, Entartung usw.) beherrscht das Gebiet Das
Buch wird voraussichtlich noch einen grossen Weg zurücklegen; dabei
•wird es hoffentlich noch mehr dissimilieren als assimilieren, sowie cs
in der 2. Auflage schon Einiges mehr als in erster, wie die Freund-
H a r t sehe Lehre von der Spitzendisposition zur Lungentuberkulose, den
Status thymico-lymphaticus klar verdaut hat R ö s s 1 e - Jena.
Die Syphilis des Zentralnervensystems, ihre Ursachen und Behand¬
lung. Von Prot Wilh. Qennerlch-Kiel. Verlag von Julius
Springer. Preis 50 M.
Gennerichs Werk dürfte einzig in der Welt dastehen. Wer ver¬
fügt über 8000 beobachtete und z. T. bis 12 Jahre kontrollierte Fälle,
wer über ein in gleicher Weise gehorsames Krankenmaterial und wem
stehen die Hilfskräfte zijr Durcharbeitung solcher Massen von Kranken¬
blättern und zur Vornahme dieser ungeheuren Mengen von Unter¬
suchungen zur Verfügung wie dem Autor, dem Oberstabsarzt verflossener
Marineherrlichkeit Dr. Gennerich!
Es ist nicht meine Aufgabe, und würde mein Können auch über¬
schreiten, an G.S Buch Kritik zu üben. Ich will nur über seinen Inhalt
berichten. Hat Gennerich Recht, so muss eine Revolution unserer
bisherigen Syphilisbehandlung eintreten. Es wird einer grossen Klein¬
arbeit aller Beobachter bedürfen, um durch das Gewicht dieser ge¬
sammelten Einzelbeobachtungen Gennerichs Bau zu stürzen oder
den Verfasser als Bahnbrecher zu feiern.
Die Unterlage, von der G. ausgeht, ist die, dass die bisherige patho¬
logisch-anatomische Forschung die ärztliche Einsicht auf ein totes Ge¬
leise geführt habe, insofern als die biologischen Verhältnisse am
Lebenden keine genügende Beachtung gefunden haben. Die Metalues
sei nichts anderes als eine Meningoencephalitis serosa (infectiosa). Der
Liquor bräche in die Meningen serös ein, durchtränke sie und bewirke
ein Ausschwemmen und Fortgedeihen der Spirochäten Im ektodermaleii
Nervengewebe, welches in unverwässertem Zustande völlig resistent
sei. Daher sei die chemische Behandlung dieses Krankheitsausgangs
{)hne Wiederherstellung einer undurchlässigen Pia nur Stückwerk. Diese
ihre Ausheilung müsse erfolgen vom Blut und vom Liquor aus“ (s. Ein¬
leitung).
Die syphilitischen Entzündungsvorgänge spieien sich stets an den¬
jenigen Herden ab, wo die Spirochäten an Zahl und Virulenz das Ueber-
gewicht haben gegenüber* den sonstigen Lokalisationen. Die Rückfall¬
bildung erfolgt in erster Linie an denjenigen Stellen, die sich den ein¬
schränkenden und schädigenden Einflüssen der Therapie und Immun¬
vorgänge am meisten entziehen können; als Beispiel dient die Pro¬
gredienz der tabischen Optikusatrophie nach Allgemeinbehandlung. Die
Lokalisation der Metalues hängt nach G. mit hydromechanischen Gründen
zusammen. Die Entstehung überhaupt wird durch die Abnahme der
Allergie des durchseuchten Orr^nismus erklärt, die aus gewissen Gründen
— lange Durchseuchung des Yolkskörpers, hohes Infektionsalter, viel¬
fache Behandlung — sich eingestellt hat. Die einschränkenden Faktoren
der Tlierapie und Immunisierung können die im Liquor befindlichen
Spirochäten nicht in gleicher Weise schädigen, wie im übrigen Organis¬
mus. Der Salvarsanspiegel des Blutes müsste enorm hoch sein, um auf
dem Wege des Konzentrationsausgleichs genügende Salvarsanmengen
in den.Liquor zu senden.
Individuelle Unterschiede machen sich geltend. Man hat drei
Gruppen zu unterscheiden: Fälle — die Mehrzahl —, die mit genügend
grossen Einzeldosen behandelt und geheilt werden; Fälle, die unter der
gleichen Behandlung die üppigsten Liquorveränderungen zeigen; Fälle,
bei denen die mangelhafte Beeinflussung der Liquorinfektion durch die
Kürze der Salvarsanbehandlung und durch die Mangelhaftigkeit der Nach¬
behandlung verschuldet wird.
Infolge der schwachen Abwehrreaktion der Meningen kommt es
nach G. zu einem Einbruch des Liquors an den degenerierten Piastellen
und damit zu den der Metalues zugrunde liegenden anatomischen Ver¬
änderungen. zumal der Liquordruck durch die Entzündung stark er¬
höht ist. Die Richtigkeit seiner Anschauung belegt G. durch eine
*) An dem wissenschaftlichen Demonstrationsabend im Urban, den
2. XII. 20, wurden einige solche Kranke vorgestellt.
Digitized by Goiisle
Reihe von Beobachtungen, wo es gelang, durch besonderen Liquorüber¬
druck — Einpressen des Liquors in die Rinde — Paralyse bzw. Ex¬
azerbation — eine latente syphilitische Meningitis im Sinne einer Para¬
lyse hervorzumfen. G. glaubt hiermit das Problem der Metalues gelöst zu
haben. Die latenten meningealen Prozesse müssen also möglichst früh¬
zeitig erkannt werden, bzw. muss ihr Entstehen durch energische Ail-
gemeinbehandlung verhütet werden, und wo diese im Stich lässt, muss
die endolumbale Behandlung einsetzen. Solange noch keine Metalues
vorliegt, hält G. eine völlige Ausheilung durch kombinierte Allgemein¬
behandlung und gleichzeitige endolumbale Behandlung für möglich.
Diese, letzte führt auch bei der beginnenden Metalues zu einer weit¬
gehenden und nachhaltigen Besserung. Eine endgültige Beseitigung der
Infektion ist nach G. auf Grund der anatomischen Veränderungen nicht
mehr zu erwarten.
Zahlreiche Beispiele dienen zur Erläuterung und zur Belehrung in
fraglichen Fällen.
Die Einteilung des Werkes umfasst folgende Abschnitte:
I. Entwicklung der meningealen Syphilis. II. Lokalisationsfragon.
III. Pathologisch-anatomische Veränderungen. IV. Klinischer Teil (wich¬
tigere Krankheitsbilder, Liquordiagnostik). V. Therapie der Syphilis des
Zentralnervensystems (Allgemeinbehandlung, endolumbale Salvarsan¬
behandlung).
Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Das Thema ist schwierig und
der Satzbau bisweilen schwer. Es hilft aber nichts: gelesen muss cs
von den Fachleuten w^erden. Eine riesige Arbeit steckt in ihm, und ich
wünsche persönlich G. die Früchte seiner Energie.
Karl T a e g e - Freiburg i. B.
V. Recklinghausen: Gliedermechanlk und Läbmungsprothesen.
In 2 Bänden mit 230 Textfiguren. Verlag Julius Springer, Berlin 1920.
Preis 128 M.
Das Buch hat seine besondere Entstehungsgeschichte. Der Krieg
verschlägt den Verfasser, welcher als Internist durch seinen Blutdruck¬
messapparat bekannt ist, in ein orthopädisches Lazarett, Er erhält den
Auftrag, die Gelähmten mit Prothesen zu versehen; er erkennt aber
bald die Mängel der üblichen Prothesen und überlegt sich, auf welchem
Wege man zu besseren Apparaten gelangen könnte. Es wird ihm klar,
dass man zu dem Zwecke die Leistungen der einzelnen Muskeln in ge¬
nauen Massen und Zahlen ergreifen muss, wenn man die Ersatzapparate
richtig berechnen und abmessen will, und nun setzen mühsame und
schwierige Untersuchungen über die Arbeitsbedingungen der einzelnen
Muskeln und über ihr Zusammenspiel am Gesunden und Gelähmten ein.
Recklinghausen hat durch seine Arbeit für die Lähmungs¬
prothesen das geleistet, was Abbe einst für die Linsen des Mikroskops
getan hat, als er an Stelle der rohen Empirie die wissenschaftliche Be¬
rechnung setzte. Auf die Einzelheiten dieses ungemein gedankenreichen
Buches einzugehen, ist an dieser Stelle unmöglich. Nur der dringende
Wunsch sei ausgesprochen, dass nicht nur alle Orthopäden, sondern auch
alle Anatomen und Physiologen, alle Internisten undj^eurologen das Buch
lesen möchten. Die zahlenmässigen Berechnungen könnten manchen
Arzt, der sich auf dem mathematischen Parkett nicht mehr ganz sicher
fühlt, abschrecken, aber der spröde Stoff ist mit einer so vorbildlichen
Klarheit dargestellt, dass das Studium des Buches dadurch leicht ge¬
macht wird.
Das Buch hat in seinem Charakter manches Verwandte mit dem
Schede sehen Buch über die Grundlagen des Prothesenbaues. Beide
Bücher fangen mit Untersuchungen an, die zunächst nur ein theoretisches
Interesse haben, aber zu ungemein praktischen Ergebnissen führen. Beide
Bücher sind Vorbilder deutscher Gründlichkeit, welche uns die Forscher
anderer Völker so leicht nicht nachmachen werden. Dass solche Bücher
in der jetzigen Zeit erscheinen können, dafür gebührt dem Verlag ein
besonderer Dank. F. Lange- München.
Prof. A; Friedlaender: Die Hypnose und die Hypno-Narkose.
Mit einem Anhang: Die Steilung der Medizinischen Psychologie (Psycho¬
therapie) in der Medizin. 121 S. E n k e - Stuttgart 1920. Preis 18 M.
Verf. behandelt zunächst das Wesen der Hypnose und die in Be¬
tracht kommenden psychologischen Begriffe, beides zwar sehr kurz, aber
entschieden besser, als man es gewohnt ist zu lesen. Doch ist aucli
diesen Bemerkungen gegenüber noch etwas Kritik am Platze. Was
soll man sich unter dem Unbewussten vorstellen bei dem Satze: „Im
Schlafe sind wir bewusstlos; der Traum aber kommt uns dennoch zum
Bewusstsein“ ? Auch geht Verf. (wie viele andere) gewiss zu weit
in der Gleichsetzung von Schlaf und Hypnose; die gewöhnliche Hypnose
ist gar kein Schlaf. Ausgezeichnet sind die beispielsweisen An¬
leitungen. wde man den Kranken je nach seiner Einstellung vorbereiten
und in die Hypnose hineinführen soll. Die Hypnose wird nach Verf.
nicht nur in der Behandlung, sondern auch in der Erkennung viel zu
wenig angewandt (Neuralgien!). Besonders empfehlensw'ert ist ihre
Verbindung mit der chirurgischen Narkose („Hypno-Narkose“):
Man braucht weniger Narkotikum; Angst, Erstickungsgefühl und Auf¬
regung im Einleitungsstadium, sowie Schmerzen und Erbrechen und Un¬
ruhe im Nachstadium und spätere Wirkungen des psychischen Schocks
lassen sich auf diese Weise vermeiden. Die Technik der Hypno-Narkose
wird eingehend besprochen. Ref. kann aus eigener Erfahrung die prin¬
zipiellen Darlegungen des Verfassers bestätigen; er w^eiss aber nicht,
in wievielen Fällen sich die segensreiche Massregel durchführen lässt
— und auch das Buch gibt keine Anhaltspunkte, diese Frage zu beant¬
worten. denn der Erfolg ist in erster Linie abhängig von der Suggestion,
Original frorri
_ UNtVER SITY OF CALIFORNFA .. ^
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE« WOCHENSCHRIFT.
589
die der Chirurg ausübt und lässt sich bei den jetzigen Anschauungen
nicht allgemein bestimmen. Es folgen Bemerkungen über die psycho¬
logische Bildung der Aerzte, die mit den Anschauungen der Moderneren
unter uns übereinstimmen und trotz etwas konkreterer Behandlung, als
man sonst sieht, noch nicht eingehend genug die Wege zeigen, auf
denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können, die namentlich in
dem Mangel theoretischer und technischer Diffchbildung der neuen Dis¬
ziplin und der Ausbildung der Lehrer bestehen.
Bleuler- Burghölzli.
Hermann Stadler: Albertus Magnus De Animallbus. Libri XXVI.
Nach der Kölner Urschrift. Mit Unterstützung der Bayerischen Aka¬
demie der Wissenschaften zu München, der Görres-Gesellschaft und der
Rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung herausgegeben.
1. Band 1916, II. Band 1921. Münster i. W. A s c h e n d o r f f sehe Ver¬
lagsbuchhandlung. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittel¬
alters. 15. u. 16. Band.)
Von des grössten Biologen des Mittelalters, des Deutschen Albert
Grafen von BoUstädt wichtigstem Werke liegt nun endlich eine allen
Anforderungen genügende Ausgabe vor. Dem trefflichen Kenner der
Biologie der Antike und des Mittelalters, Hermann Stadler in Freising,
früher ausserordentlichem Professor an der Technischen Hochschule in
München, war es gelungen, in Köln die Originalhandschrift dieses
Werkes ausfindig zu machen, die zahllose Missverständnisse anderer
Handschriften und der Drucke mit einem Schlage löst. Der erleuchteten
Hilfe Richard Hertwigs ist es zu danken, dass die Münchener Aka¬
demie die erste grosse Beisteuer gab, um die Herausgabe des Werkes
zu ermöglichen. Den Rest steuerten die Görresgesellschaft und eine
Rheinische Gesellscltaft bei, und so haben wir jetzt das Werk in überaus
sorgfältiger Textbearbeitung zur Hand in zwei Bänden von XXVI + XXI
und 1664 Seiten. Der Text ist derart eingerichtet, dass sich sofort über¬
sehen lässt, was seinem grossen Vorgänger Aristoteles und was Albertus
selber angehört. Auch sonst ist alles getan, was eine sorgfältige
Quellenforschung verlangt, schliesslich auch der noch ungedruckte „Liber
de Naturis rerum“ des lliomas von Cantimprö nach einer Münchener
Mandschrht für die jetzigen Albertusbücher verglichen. Ausserdem haben
Stadler und seine Mitarbeiter das Buch mit Wort- und Sachregistern
ausgestattet, ohne welche ein solches Werk fast wertlos ist. Und diese
Register sind wirklich von ganz besonderer Trefflichkeit. Ein Autoren-
und Eigennamenregister ist nicht vergessen, ebensowenig ein solches
der deutschen Tier- und Pflanzemiamen und eines der arabischen Be¬
zeichnungen. Im Sachregister sind vor allem Tier- und Pflanzen-
identifizierungen von geradezu grundlegender Bedeutung. S u d h o f f.
Rahel Hirsch -Berlin: Therapeutisches Taschenbuch der Elektro-
und Strahlentherapie. Berlin 1920. Verlag H. K o r n f e 1 d. 178 S.
Preis 15 M. •
Kurze technische Einleitung, dann Besprechung der einzelnen Krank¬
heitsgruppen (Haut-, chirurgische Frauenkrankheiten usw.) mit Auf¬
zählung der Indikationen für Röntgen-, Radiumtherapie, Diathermie,
Hochfrequenz, Ultraviolettlicht. Gute gedrängte Uebersicht über das
ganze moderne Gebiet. Q-
Walter Lindemann: Schwestem-Lehrbuch zum Gebrauch für
Schwestern und Krankenpfleger. 2. und 3. Auflage. München-Wiesbaden
1920 bei Bergmann. 8". 340 Seiten mit 366 Abbildungen.
24 M. geb.
Die neue Auflage des vorzüglichen und warm zu empfehlenden Lehr¬
buches unterscheidet sich von der ersten durch Umarbeitung des ana¬
tomischen Teiles. Die Abbildungen sind vermehrt und zum Teil jetzt
mehrfarbig. Die Ausstattung ist friedensmässig gut.
Kerschensteincr.
Zeitschriften-Uebersicht
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 89. Bd.
5. u. 6. Heft.
W e g e 1 i n und A b e l i n - Bern: lieber die Wirksamkeit der mensch¬
lichen Schilddrüse im Froschiarvenversuch.
In der Hoffnung gewisse Beziehungen zwischen Kolloidgehalt und bio¬
logischer Wertigkeit der menschlichen Schilddrüse zu finden, untersuchten die
Verfasser Kröpfe und normale Schilddrüsen in ihrer Wirkung auf die Ent¬
wicklung der Kaulquappen und fanden, dass ini grossen und ganzen kolloid¬
reiche Drüsen öfter und stärker wirkten als kolloidarme und dass die kolloid-
und jodfreien Drüsen der Neugeborenen ohne Wirkung bleiben.
L. B 0 g e n d ö r f e r - Würzburg: lieber das Verhalten des Blutes und
Körpergewichtes nach Schweissveriusten und Theocingaben bei halogenreicher
und halogenarmer Ernährung.
Der Gewichtsverlust nach Schwitzprozeduren wurde bei chlorarmer Er¬
nährung erst nach Kochsalzzufuhr oder entsprechenden Gaben von Brom¬
natrium ersetzt. Die Erythrozytenzahl stieg an und hielt sich während der
NaCl-freien Tage über dem Ausgangswert, das Serumkochsalz sank ab. Die
diuretische Wirkung des Theocins war beim chlorarmen Organismus viel
grösser, weshalb kochsalzfreie Kost bei Theocindarreichung zu empfehlen ist.
O. S ch i r m e r - Basel: lieber die Zusammensetzung des Fettgewebes
unter verschiedenen physiologischen und pathologischen Bedingungen.
Untersuchungen an der Leiche und Versuche an Kaninchen und Enten
zeigten Üie Zusammensetzung des Fettgewebes abhängig von der Nahrung
(Steigerung des Oelsäuregehaltes nach (Delfütterung), vom Ernährungszustand
(bei korpulenten Menschen höhere Jodzahl) und gewissen Krankheiten (Dia¬
betes, Nephritis, Kastration). Das Fett kachektischer Individuen war bedeu¬
tend wasserreicher und enthält mehr Bindegewebe.
G e 1 p k e - Göttingen: Zur Frage der Kapillarvergiftung durch Gold und
(iold und Platin, qualitativ gleichartige Kapillargifte, schädigen die Gefäss-
wände direkt, indem sie zur Erschlaffung der kontraktilen Elemente und •wahr¬
scheinlich zu einer diffusen Lockerung der Kittsubstanz führen.
C. Oehme-Bonn: Die Regulation der renalen Wasserausscheidung
im Raihmen des ganzen Wasserhaushaltes.
Verf. hat die Bedingungen untersucht, an die im Wasserversuch bei
Kaninchen das Ausbleiben der Wasserdiurese nach trockener Vorperiode, ihr
rascher Beginn nach wasserreicher Fütterung geknüpft ist. Es zeigte sich,
dass weder verändertes Angebot, noch die Innervation der Nieren oder hor¬
monale Einflüsse den Unterschied der Wasswausscheidung je nach der Vor¬
periode hinreichend begründen. Es muss ein wesentlicher Faktor der Re¬
gulation in Zustandsänderungen der Nieren liegen, die vom Stoffwechsel ab¬
hängig sind und analogen Vorgängen in den Geweben parallel laufen.
S c h e n k - Breslau: Ueber die Wirkungsweise des /I-Imidazolyläthyl-
amins (Histamin) auf den menschlichen Organismus.
Subkutane Injektion bewirkte starke Gefässdilatation, Blutdrucksenkung.
Brechneigung, Bronchialmuskelkrampf, Totalkontraktion des Magens, wahr¬
scheinlich infolge Lähmung des Sympathikus. Gleichzeitige Adrenalininjektion
unterdrückte alle Erscheinungen.
L e w i n - Berlin: Die Vergiftung durch Trinitrotoluol. Ein Beitrag zur
Toxikologie der Sprengstoffe. L. J a c o b - Bremen.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 16.
J. Bakes-Brünn: Radikaloperation der Zwerchfellhernien mittels
Kirschners „Angelhakenschnittes** und temporärer Phrenikusblockade
nach Perthes-Goetze.
Verf. schildert seine Technik der Radikaloperation von Zwerchfell¬
hernien. Zuerst Vereisung des am Muse, scalen. ant. freigelegten Nerv,
phrenicus mittels 2 Minuten anhaltenden Chloräthylsprays; darauf in Aether-
narkose Angelhakenschnitt nach Kirschner zur Freilegung des Zwerch¬
fells nach Durchtrennung des Rippenbogens und der Pleura; dieser Schnitt
schafft vortreffliche Zugänglichkeit des Zwerchfells, das durch die Phrenikus¬
blockade als erschlaffte, weiche Muskelplatte frei zutage liegt und eine rasche
Naht der Bruchlücke ermöglicht. Eine Vereisung von 2 Minuten genügt, um
das Zwerchfell für 8 Tage zu blockieren und die Heilung völlig schmerzlos zu
gestalten. Gleichzeitig bespricht Verf. die Methoden, die bei einge¬
klemmten Zwerchfellhernien in Frage kämen und erst am lebenden
Menschen noch zu erproben wären.
Hch. H a r 1 1 e i b - Bingen und Arn. Lauche- Bonn: Seltene Miss¬
bildung. Notomelia thoracica posterior mit Spina bifida.
Es handelt sich um eine rudimentäre Doppelbildung (Notomelie), be-
s*chend in einer fast regelrecht ausgebildeten rechten unteren Extremität mit
Ersatz der Muskulatur durch Fett, in einem rudimendären Becken, äusseren
weiblichen Genitalien und einer Spina bifida mit Meningokele am Wirt; der
klinische, histologische und röntgenologische Befund ist genau beschrieben.
Mit 1 Abbildung.
Th. K ö 11 i k e r - Leipzig; Erfrierung beider Unterschenkel.
Verf. beschreibt kurz eine lokale Erfrierung beider Unterschenkel in der
Ausdehnung, wo diese der Kälte ausgesetzt sind, also vom Rocksaum zum
Stiefelschaft; er glaubt diese auf die moderne Kleidung — kurze Röcke und
sehr dünne Strümpfe — zurückführen zu sollen.
Theod. Nägel i-Bonn: Zur Ffage der Entstehung der Pseudarthrosen.
Verf. schildert einen interessanten Fall einer Pseudarthrose, die in einem
im Anschluss an eine Fraktur der Tibia sich bildenden periostalen Knochen¬
fortsatz, der keiner direkten Belastung ausgesetzt war, bei einem sonst ge¬
sunden Knaben auftrat. Typische Operation mit Implantation eines Tibia¬
spanes brachte völlige Heilung. ^ AuS 2 Abbildungen ist die Pseudarthrose
schön ersichtlich.
A. Neudörfer: Richtigstellung zu den Bemerkungen des Herrn Prof.
Enderlen ln Nr. 7.
Kurze Rechtfertigung des Verfassers auf die von Herrn Prof. Enderlen
in Nr. 7 gegen ihn gerichteten Ang’-iffe.
E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 54. Heft 4.
April 1921.
O. B ü r z e 1 e r - Bern: Beitrag zur Frage dbr Beeinflussung des Blut¬
zuckers durch das Ovarium.
Der gesunde Organismus des Kaninchens, der nach Injektion einer be¬
stimmten Dosis Adrenalins keine Hyperglykämie mehr aufweist, reagiert nach
der Kastration in exquisiter Weise auf dieselbe Dosis mit vorübergehender
Steigerung des Blutzuckergehaltes. Er vermag sich aber den veränderten
Bedingungen anzupassen, so dass nach einer bestimmten Zeit die Verhältnisse
zur Norm zurückkehren. Der Weg, auf dem die innere Sekretion den Aus¬
gleich herbeiführt, ist noch nicht bekannt.
B. 0 11 0 w - Dorpat: Ueber eugenetische Konzeptionsverhinderung und
die biologischen Grundlagen generativer Prophylaxe durch Vasektomie und
Autotransplantation der Hoden.
Verf. tritt aus eugenetischen Gründen für die Ausschliessung ungeeigneter
Elemente beiderlei Geschlechts von der Fortpflanzung ein und zwar soll die
Ausschliessung nicht durch Kastration, sondern durch Sterilisierung erfolgen.
Beim Manne soll die Sterilisierung durch Vasektomie von 2—3 cm des
Samenstranges bewirkt werden, die die innersekretorische Wirksamkeit der
Hoden und die Potentia coeundi erhält. Ist dieser .Weg aus irgendeinem
Grunde oder wegen Erkrankung. der Hoden nicht gangbar, so käme die
Kastration mit Autotransplantation eines Hodenrestes in Betracht.
C. Abernetty - Königsberg: Die wichtigsten klinischen Erscheinungen
in den ersten fünf Wochenbettstagen bei Erst- und Mehrgebärenden.
A. hat auf Grund von genauen eigenen' Beobachtungen an Wöchnerinnen
Durchschnittskurven für das Verhalten der Temperatur, des Pulses und der
Leukozyten in den ersten 5 Wochenbettstagen gezeichnet. Eine Temperatur-
Steigerung infolge des Einschiessens der Milch ist abzulehnen, da die Lak¬
tation 24 Stunden vor der durchschnittlichen Höchsttemperatur am 3., .bei
Erstgebärenden am 4. Tag beginnt. Von einer Pulsverlangsmung im
Wochenbett kann nicht gesprochen werden. Die Temperatursteigerung ist auf
Infektion zurückzuführen. Die Leukozyten zeigen in den ersten 5 Tagen
einen Abfall von 15 000 auf 9000. Der Abfall ist aber nicht gleichmässig,
sondern zeigt entsprechend den Temperatursteigerungen am 3. und 4. Tag
Digitized by Goiisle
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
590
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
geringe Hemmungen. Von einer Pulsverlangsamung im Wochenbett kann
nicht gesprochen werden.
J. Pfeffer - München: Die Erfolge der Inierposltlo Uteri bei Prolapsen.
Bericht Uber SO fälle aus der Münchener gynäkologischen Poliklinik,
wobei der Uterus symphyseopexiert wurde. 2 Todesfälle an Septikopyämie
bzw. Bronchopneumonie. 1 Totalkystokelenrezidiv, 2 leichte Kystokelen-
rezidive. Ausserdem bestand in 3 Fällen eine leichte Senkung der hinteren
Scheidenwand, wo mit Rücksicht auf Kohabitationsmöglichkeit die Damm¬
plastik absichtlich nicht zu hoch ausgeführt worden war. Die Rezidive sind
bei genau'ester Technik vermeidbar. Die Interposition ist daher bei Vor¬
fällen III. Grades und bei Frauen jenseits der Menopause die Operation
der Wahl.
E. Sachs- Berlin: Ueber abdominale Operation hochsitzender Blasen-
zervixfisteln.
Mitteilung eines mit Erfolg operierten Falles. Das Wesentliche bei
dieser Operation ist die Verschiebung der beiden Fisteln gegeneinander, so
dass beide an sicher intaktem Gewebe zu liegen kommen, und das Dazwischen¬
lagern von Peritoneum. Die Naht der Blasenschleimhaut ist unnötig.
K 0 1 d e - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 16.
E. M e y e r - Königsberg: Die Indikation für die Unterbrechung der
Schwangerschaft und die Sterilisation bei Geistes- und Nervenkrankheiten.
Zusammenfassend ergibt sich, dass von organischen Nervenkrankheiten
so gut wie ausschliesslich die multiple Sklerose für den künstlichen Abort
bzw. die Sterilisation in Betracht kommt, von den eigentlichen-Geisteskrank¬
heiten nur die Dementia praecox im Falle neuer Schübe in der Gravidität,
sowie angeborene Geistesschwäche im Sinne des § 176,2 StGB., während von
den psychopathischen Konstitutionen, bei denen diese Fragen am häufigsten
ventiliert werden, vorzüglich die Schwangerschaftsdepression dazu Anlass
geben kann.
A. M u e 11 e r - München: Die Extraktion der Schulter.
Die von M u e 11 e r 1898 angegebene Methode der Schulterextraktion hat
sich ‘an sehr vielen Kliniken eingebürgert und wird den Studenten als
praktisch, zweckmässig und ungefährlich empfohlen. M. macht unter Zu¬
sammenstellung der Literatur auf die Methode erneut aufmerksam.
0. Frankl- Wien: Einige Bemerkungen über Granulome.
Fr. berichtet über verschiedene Fälle, die in charakteristischer Weise die
einzelnen Typen der Granulome repräsentieren. Es lohnt sich, der Gestaltung
und Entstellung der Granulome mehr nachzuspüren, als das in letzter Zeit
geschah. Die geringsten Chancen für spontanes Schwinden haben die Ein¬
schlussgranulome sowie die Granulome, welchen papillomatöse Bildungen auf-
sitzen. Jedes Granulom ist zu untersuchen, ob es nicht karzinomatöser Natur
ist, denn der makroskopische Aspekt, wie die klinischen Erscheinungen lassen
eine sichere Entscheidung nicht immer zu. Man hüte sich insbesondere, die
häufig zu erhebenden Befunde von Detritus in Granulomen als endgültige Dia¬
gnose hinzunehmen.
B. O 11 0 w - Dorpat: Zur Technik der Sekretentnahme aus der weib¬
lichen Urethra.
O. empfiehlt die Zuhilfenahme eines Sims sehen Spekulum, um das
Ostium externum der Harnröhre frei zu halten und das Septum urethro-
vaginale bequem und schmerzlos zugänglich zu machen.
E. Opitz- Freiburg: Hohlglaspessare.
In einer kurzen Notiz empfiehlt G. die von der Badisch-Thüringischen
Glasinstrumentenfabrik C. Hülsmann in Freiburg bzw. Arnstadt in
Thüringen hergestellten billigen, reinlichen, leichten HohlglaspeS^re.
R. Benda-Prag: Der Gewichtssturz am Ende der Gravidität.
Das von Zangemeister gefundene, von M o m m nachgeprüfte und
bestätigte Phänomen konnte vom Verfasser nicht mit dieser überwältigenden
Majorität gefunden werden.
R. S a 1 0 m o n und J. V o e h 1 - Giessen: Die Dosierungsfrage bei der
Proteintherapie. (Untersuchungen mit Caseosan-Lindlg.)
An 8 Fällen wurde eine sehr exakte Bestimmung des Antikörpergehalts
des Serums vorgenommen und damit die Applikation der weiteren Injektionen,
ob intravenös, ob intramuskulär, die Dauer der Intervalle, die Menge des
Caseosans und ähnliche Prognose und Therapie beeinflussende Fragen be¬
antwortet.
O. Feiler- Wien: Bemerkungen zu dem Aufsatz von Herrmann
und Stein: Ist die aus Corpus luteum bzw. Plazenta hergestellte wirksame
Substanz geschlechtsspeziflsch?
Prioritätsansprüche. Werner- Hamburg.
Monatsschrift für Kinderheilkunde. Bd. XIX. Nr. 6.
Hugo Hochschild: Das Verhalten der Hautkaplllaren bei der Sebein-
anämle der Säuglinge unter Eiweissmilchbehandlung.
Die Hautblässe der mit Eiweissmilch behandelten Säuglinge ist rein
funktioneller Natur und beruht gleichsam auf vorübergehend regressiven Ver¬
änderungen der Hautkapillaren, die nach Umsetzen auf andere Ernährung
wieder zu progressiv normalen Erscheinungen und damit zu besserer Blut¬
fülle der Haut führen.
H. Nocke: Thrombopenlsche Purpura nach Impfung.
Der Fall ist klinisch ein Morbus Werlhof, dessen Besonderheit in seiner
Entstehung nach der ersten Impfung liegt. Er wird in Analogie zur Purpura
variolosa gesetzt.
Gdza P e t d n y i: Ueber die Oedeme der Frühgeburten.
Bericht über einen Fall von mächtigem Oedem, insbesondere am Genitale
Hinweis auf die ursäc'hliche Rolle der klinisch wie ariatomisch konstatierten
Hypothyreose sowie der auch hier beobachteten „vasomotorischen
Labilität".
Mathilde Salz mann: Ueber kongenitale Duodenalatresie.
Die Diagnose konnte im vorliegenden Fall erst bei der Obduktion gestellt
werden.
Carl Meier: Ein neuer, durch Durstschädigung hervorgerufener Sym-
ptomenkomplex beim Neugeborenen und Säugling.
Brustkinder geraten, besonders in den ersten 10 Lebenstagen, leicht durch
eine mehr oder minder starke, häufig äusserst geringe Infektion in schweren
Durst und kollabieren hiedurch. Der gefährliche Kreislauf zwischen dem
Durst und der (wiederum Durst erzeugenden) Appetitlosigkeit muss gewalt¬
sam durch Wasserzufuhr unterbrochen werden. Man nimmt am besten hiezu
einen Einguss von 150 ccm warmen Lullnsbrunnens.
Margarete Walz-Georges: Zwei Fälle von epidemischer Ruhr bei
Neugeborenen.
Die beiden Fälle (sie starben) wurden wohl während des Geburtsaktes
von den kranken Müttern infiziert. Es handelte sich beide Male um Früh¬
geburten, wohl selbst durch die mütterliche Ruhr hervorgerufen.
Hans Feldman n:Erfahrungen und Beobachtungen an diphtheriekranken
Kindern.
Versuche, diphtherieltranke Kinder unspezifisch zu behandeln (mit
Kollargol + Normalpferdeserum oder mit Fulmargin oder mit Argochrom oder
Argochrom 4- Pferdeserum oder mit reinem Pferde- bzw. Tetanusserum).
Verfasser sagt selbst, dass er k e i n e eindeutigen Erfolge beobachten
konnte, dagegen in einigen Fällen Misserfolge. Weitere Mitteilungen
über die postdiphtheritischen Lähmungen, die Nephrosen, Serumexantheme,
initiales Diphtherieexanthem, Diphtherierezidiv und Herztodesfälle, die be¬
obachtet wurden.
H. Be um er: l^ber Infusionen ln den Sinus iongitudinalis bei Säug¬
lingen und über die Wirkung isovisköser Gummilösungen.
Der Sinus erwies sich als wohlgeeignet zur Infusion grösserer Flüssig¬
keitsmengen von indifferenter Zusammensetzung. Trotzdem ist sie nur not¬
wendig und berechtigt in den dringendsten Fällen. Die Anwendung von
3 proz. Gummilösung als Injektionsflüssigkeit zeigte bei den durch Wasser-
verluste ausgetrockneten Säuglingen keine langanhaltende Wirkung.
Albrecht Peiper: Krankheit und Vererbung beim Kinde.
Sammelreferat (88 Literaturangaben), zu kurzem Bericht nicht geeignet.
B e u m e r und Fontaine; Ueber die Beziehungen der Serumiipase
zu den Ernährungsstörungen der Säuglinge und anderen Erkrankungen im
Kindesalter.
Die Aufgaben der Serumlipase sind noch nicht geklärt. Gut gedeihende
kräftige Säuglinge zeigen meist hohe Lipasezahlen, manchmal aber auch
niedrige Werte, so dass sich ein charakteristischer Unterschied gegenüber
schwächlichen Hypotrophikern nicht festlegen lässt. Bei Säuglingsdurchfällen
Depression der Lipase, bei Reparation Wiederanstieg; auffälligste Verminde¬
rung bei alimentärer Intoxikation (Analogie mit dem Lipaseschwund im Darm).
Vielleicht ist auch ein Einfluss der Azidose bei den Toxikosen auf die lipo-
lytischen Fähigkeiten des Serums zu vermuten. Im anaphylaktischen Schock
keine Veränderung des Lipasegehaltes. Im älteren Kindesalter keine Be¬
ziehungen zwischen Serumlipase und immunobiologischen Vorgängen oder zu
Verschiebungen im weissen Blutbild. Bei Tuberkulose zeigen die Lipasewerte
nichts Charakteristisches; auch keine Veränderung nach Partigen- oder
Tebelonbehandlung. Hohe Thyreoidingaben steigern die Lipasewerte nicht.
Pleuritische Exsudate mit vorwiegend leukozytären Zellelementen haben einen
niedrigeren " Lipasegehalt als solche von lymphozytärera Charakter. Die
Lumbalflüssigkeit enthält keine Lipase, selbst bei stark vermehrtem Lympho¬
zytengehalt.
Referate. Verelnsbericbte. Buchbesprechungen. Register.
Albert Uffenheimer - München.
Archiv für Hygiene. Band 90. Heft 3. 1921.
Ernst Brezina und Wilhelm Schmidt: Ueber Beziehungen zwischen
der Witterung und dem Befinden des Menschen. Auf Grund statistischer
Erhebungen dargestellt.
Die Erhebungen, welche von den Verf. früher schon an Schulkindern.
Bureauarbeitern, Epileptikern angestellt waren und gewisse Schlüsse zuzu¬
lassen schienen, wurden nunmehr auch auf Fahrer, Schaffner der Strassen-
bahn und Polizeiorgane ausgedehnt. Trotz Herbeischaffung eines sehr reich¬
lichen Materials zeigten sich so viel Schwankungen und Unregelmässigkeiten,
dass weder die früheren Resultate eine Bestätigung fanden, noch dass sichere
Angaben gemacht werden konnten. Sie kommen zu dem Schluss, dass die
Witterung auf das Befinden des Menschen keinen durchschlagenden Einfluss
ausübt.
Emil Epstein und Fritz Paul- Wien; Zur Theorie der Serologie
der Syphilis.
Die Untersuchungen der Verf. stützen sich auf die Ausflockungsmethode
nach M e i n i c k e. Zum Unterschiede von der bisherigen Annahme, dass es
sich um eine Globulinausflockung handele, stellen sie fest, dass bei der Lues¬
reaktion eine Lipoidausflockung in Frage kommt. Daran knüpfen
sich theoretisch chemisch-physikalische Erwägungen.
R. O. Neumann - Bonn.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 92. Bd. 1. Heit.
1921.
Hermann D o I d - Schanghai: Die periodischen Schwankungen der Rattea-
pest in Schanghai, Ihre Beziehungen zur Temperatur und Feuchtigkeit.
Es wird mitgeteilt, dass die Pest in Schanghai im Herbst ansteigt, im
Winter den Höhepunkt erreicht, darauf abfällt, um im März von neuem anzu¬
steigen. Von Juni bis Ende September ist die Zahl der Rattenpestfälle gering.
Das ist eine direkte Folge der erhöhten Temperatur und der Verminderung der
Rattenflöhe. Ein Parallelismus zwischen Rattenpest und Menschenpest besteht
in Schanghai nicht.
K. W. J ö 11 e n - Leipzig: Beziehungen verschiedener Gonokokkenarteii
zur Schwere der Infektion.
Unter 27 untersuchten Gonorrhöestämmen konnten 4 Gruppen vermittels
der Agglutination und Komplementbildung herausgesondert werden, die mit
A, B, C. D bezeichnet werden. Die ersten beiden Gruppen sind als besonders
toxisch, die anderen beiden als wenig toxisch anzusprechen. Morphologisch
und kulturell waren keine durchgreifenden Unterschiede vorhanden. Von
Gruppe A und B töten 3 Oesen Mäuse unter typischen Vergiftungsersebei-
nungen. Diese Stämme führten auch bei Patienten zu ernsteren Schwankungen
mit häufigeren Komplikationen. Mäuse Hessen sich durch ein- oder mehr¬
malige Injektion von lebenden Gonokokken immunisieren.'
Hermann D o I d - Schanghai: Ueber die Lebensdauer von Typhus- und
Paratyphusbazlilen in Tee, Kafiee und Kakao.
In 4 proz. Auszügen von schwarzem Tee hielten sich Typhusbaziilen und
Paratyphus wenigstens 80 Tage am Leben; im grünen Tee starb Typhus nach
20 Tagen ab. In 6 proz. Kaffeeauszug lebten Typhusbazillen nur 1—3 Tage,
Paratyphus 14—15 Tage. Kakaoaufgüsse beeinflussten die Bakterien nicht.
Bei Milchzusatz zum Kaffee blieben die Keime länger am Leben.
Th. Messerschmidt - Hannover: Wie wirken chemische Desinfek¬
tionsmittel auf biologisc'ie Tropfkörper und wo befindet sich die SchidUch-
keltsgrenze?
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
591
Bei künstlichen Laboratoriumsversuchen mit Tropfkörpern ergab sich,
dass Kresotinkresol. Karbolsäure und Lysol bereits in minimalen Mengen
die Nitrifikationsvorgänge hemmen. Bei Sublimat bleibt eine Wirkung aus,
weil das Quecksilber in alkalischen Wässern sehr bald als Quecksilber-
anlmoniumchlorid niedergeschlagen wird. Pormalin wirkt erst in grösserer
Konzentration schädigend.
V. K. R u s s und L. K i r s c h n e r - Wien: Studien über das Fleckfleber-
vlrus.
L. Rachmilewitsch - Bern: Untersuchungen über die Desinfektions¬
wirkung der Jodtinktur.
Die Versuche erstreckten sich auf Reagenzglasversuche mit Jodalkohol¬
lösungen verschiedener Konzentration und auf Versuche an der menschlichen
Haut. In den ersten Versuchen zeigte sich, dass die Jodtinktur sowohl auf
feuchtes wie auf trockenes Bakterienmaterial stark entwicklungshemmend
wirkt. Ebenso ist eine gewisse Abtötungskraft zu konstatieren, die von Jod
mit ausgeht. Auf der Haut war die Jodtinktur dem jodfreien Alkohol
ebenfalls überlegen und zeigte dieselben Wirkungen wie im Reagenzglase.
Daher sind Jodpinselungen auf der Haut als praktisch zu empfehlen, da sie
den reinen Alkohol an Desinfektionskraft übertreffen, besonders wenn die
Auftragungen nicht nur 10, sondern 20 Minuten fortgesetzt werden.
K. Laube nheimer - Heidelberg: Ueber die Einwirkung von Metallen
und Metallsalzen auf Bakterien und Bakteriengifte. Versuche zur praktischen
Verwertung der oligodynamischen Wirkung von Metallen.
Nachdem Verf. im ersten Teil der ‘Arbeit bewiesen hat. dass die oligo¬
dynamische Kraft der Metalle allein auf einer chemischen Wirkung beruht und
physikalische Vorgänge auszuschliessen sind, wurden im zweiten Teile prak¬
tische Versuche über die Verwertung dieser Wirkung vorgenommen. Trink¬
wasser lässt sich durch metallisches Silber entkeimen, aber nur. wenn es
wenig Keime enthält. Metallisches Kupfer und kolloidales Silber schwächen
Tetanusgift ab, wobei die toxophore Gruppe zerstört wird. Kupferkochsalz¬
lösung oder Kupferwasser schwächt Diphtherietoxin, ebenso die Endojtoxinc
der Shiga-Kruse-Ruhr ab. Mit metallischem Silber lässt sich ein wenig giftiger
Typhusimpfstoff erzeugen; mit Kupfer dagegen ein Ruhrimpfstoff und ein
Paratyphusimpfstoff. .
Josef R. Thien-Wien: Ueber einen Fall von Vogelaugenblennorrhöe.
Im gonorrhoischen Sekret fand Verf. teils frei, teils in jungem Epithel tief¬
blau gefärbte Nukleoli, die als Nukleolarreizung aufzufassen seien. Wegen
ihrer Form und Aehnlichkeit mit den Flimmer sehen Vogelaugen nannte er
den Zustand Vogelaugenblennorrhöe. Möglicherweise steht nach seiner Ansicht
die Nukleolusreizung mit den Gonokokken in kausalem Zusammenhang.
Max H. Kuczynski und Erich K. W o 1 f f - Berlin: Weitere Unter¬
suchungen über den- Streptococcus viridans. II. Mitteilung.
A. Q r o t b - München: Ueber Wertbestlmmung der Schutzpockenlymphe.
Die Wertbestimmung der Schutzpockenlymphe an den Pusteln bei Kindern
besteht bekanntlich in dem „persönlichen“ und im „Schnitterfolg“. Sodann
der Bewertung der „Pustelbreite“ und des „Areabewertungsindex“. Die mit
vielen Ungenauigkeiten behafteten Einschätzungen sollten durch kutane
Kaninclienimpfungen ausgeschaltet werden. Es haben sich aber nach dem Verf.
die Methoden von C a 1 m e 11 c und Q u ö r i n und K e 1 s c h und .Camus,
ebenso B e 1 i n nicht bewährt. Auch des Verf. vor^eschlagene Methode der
intrakutanen Kaninchenimpfung bedarf zwar noch weiterer Versuche.
Sie führt aber doch zu spezifischen Gewebsveränderungen mit deutlichen Ab¬
stufungen je nach der Virulenz. Durch exakte Messungen des „Durchmessers
der vakzinalen Infiltration“ sind Vergleiche möglich, die den Wert der Lymphe
feststellen lassen.
Wilhelm Kleinsorge n-Saarbrücken-Trier: Ueber negative Gruber-
W 1 d a I sehe Reaktion bei schwerem Typhus.
Sowohl von dem Typhusuntersuchungsmaterial in Saarbrücken als auch
in Trier liess sich übereinstimmend feststellen, dass bei schwersten Typhus¬
fällen die Widalreaktion negativ sein kann und sehr häufig ist. Dabei sind in
diesen Fällen die Blutkulturen schon in erster Zeit positiv. In klinischer
Beziehung zeigte sich die bemerkenswerte Tatsache, dass die Widal-negativen
Typhusfälle prognostisch erheblich ungünstiger verlaufen als die Widalpositiven
und dass auch die Mortalität erheblich grösser ist. Es kommt häufig nicht
zu einer Milzschwellung. R. O. Neumann - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 18.
Für bring er - Berlin: Zur Kenntnis der Leptothrixangina.
Verf. weist auf die Diagnose dieser Fälle hin im Anschluss an eine eigene,
an einer 20 jähr. Patientin gemachte Beobachtung, bei welcher auf beiden
Tonsillen und den vorderen Gaumenbögen sich ein grösserer Belag fand.
Letzterer erwies sich fast als eine Reinkultur von Leptothrix buccalis. Be¬
züglich dieser Pharynxmykosen müssen zwei Formen unterschieden werden.
Unter diesen geht die Leptothrixangina mit ausgedehnter Membranbildung
einher und gibt daher zu diagnostischen Irrtümern Veranlassung.
K. R i 11 e r - Düsseldorf: Zur Entstehung und Behandlung der Warzen.
Verf. berichtet zunächst über den von Jadassohn geführten wissen¬
schaftlichen Nachweis von der Uebertragbarkeit der Warzen, dem 25 Imp¬
fungen gelangen. Nach Andern scheint auch Uebertragung durch Gegenstände
(Handtücher!) möglich zu sein. Merkwürdig ist die Tatsache, dass die Warzen
verschwinden können, wenn auch nur ein Teil von ihnen behandelt wird.
Dies spricht nach Verf. für einen mikroparasitären Ursprung dieser Gc-
schwülstchen. Verf. berichtet dann über günstige Erfolge durch Stauung an
den betreffenden Extremitäten. Die künstliche Hyperämie ruft einen Zustand
hervor, welcher als Vorläufer entzündlicher Vorgänge bezeichnet werden kann,
woraus der Erfolg vielleicht zu erklären ist.
E. Lyon- Köln: Spondylitis typhosa.
Verf. gibt an der Hand der Literatur eine Darstellung dieses Krankheits¬
bildes. das in leichteren Formen nicht so selten ist und pathologisch¬
anatomisch von Nekroseherdchen im Knochenmark ausgeht, welche allerdings
selten progredient werden. Die Röntgenbilder weisen auf häufige Verände¬
rungen in den Zwischenwirhelscheiben hin.
S. W e i I - Breslau: Ueber den Pes adductus congenltus und die
Köhler sehe Krankheit.
Unter Wiedergabe der Röntgenbilder wird eine bei einem 7 jähr. Knaben
gemachte Beobachtung geschildert. Einzelne Fusswurzelknochen wiesen Ver¬
änderungen auf. die stark an die Köhler sehe Krankheit des Os naviculare
pedis erinnerten. Beide Affektionen scheinen durch einen mehr oder minder
erheblichen Druck gegen das Kahn- und die Keilbeine zu entstehen.
P. G. Unna: Zur feineren Anatomie der Haut.
In dieser dritten Mitteilung bespricht U. das Gebiet „von der Stachel¬
schicht zur Hornschicht“ und kommt u. a. zum Schlüsse, dass man die ver¬
hornende Stachelzelle als ein Selbstverdauungsgefäss im kleinen betrachten
kann und dass bei der Verhornung der Oberhautzelle eine Scheidung statt¬
findet in solche Bestandteile, die durch grössere Löslichkeit ausgezeichnet sind
und vollständig auf dem Verdauungswege verschwinden und in mehr oder
weniger unlösliche, bleibende.
Fr. J a c 0 b y - Magdeburg-Sudenburg: Sllbersalvarsan und verschiedene
Kombinationen (Hg-Neosalvarsan, Sulfoxylat).
Ergebnisse: Bei Lues I-Wa-Fällen leistet Silbersalvarsan Gutes. Zur
Erzielung einer negativen WaR. genügen bei Lues ll-frühfällen etwa 1,25 g
in 40 Tagen. Zur Verhütung eines unter Umständen sofortigen Rückfalls sind
jedoch mindestens doppelt so grosse Dosen notwendig. Die Anwesenheit von
Hg im Körper scheint bedeutsam zu sein. Die Kombination von Silber¬
salvarsan mit Hg, Neosalvarsan und Sulfoxylat ist in den erlaubten Grenzen
nach Jen gemachten Erfahrungen gefahrlos und einzelne Kombinationen
scheinen von grossem Vorteile zu sein.
E. K ö n i g - Harburg a. E.: Verkalktes Myom, im Douglas fixiert, als
Geburtshindernis: Sectio caesarea transperitonealls cervicalis> Myectomia
vaginalis. Heilung. Die Patientin war eine 22 jähr. Primipara.
S. Joseph - Berlin: Ein Fall von 3 maliger Tubargravidität.
Verf. erörtert besonders auch die anatomischen Vorbedingungen, welche
ein so häufiges Vorkommen dieser Anomalie bei der Patientin begünstigen
konnten.
L. Wacker und K. F. B e c k - München: Ueber Cholesterin und über
den Choiesterinstoffwechsel beim Säugling.
Die Verfasser kommen u, a. zu folgenden Schlüssen: Das Cholesterin ist
ein für den wachsenden Organismus wichtiger Baustein. Die Quelle für das
Cholesterin ist die Nahrungszufuhr. Alle fetthaltigen, gelben Nahrungsmittel
enthalten Cholesterin. Zwischen diesem und Fettstoffwechsel bestehen Zu¬
sammenhänge. Fettreiche Ernährune in richtigen Grenzen hebt die Resistenz
des Organismus gegen Infekte. Die Säuglingsernährung mit fettarmen,
kohlehydratangereicherten Milchverdünnungen ist nicht physiologisch, viel¬
mehr schädlich, der Ersatz des Fettes durch andere Nährstoffe ist nur bis zu
gewissem Grade möglich, der Weg zu zweckentsprechender künstlicher Säug¬
lingsernährung kann nur über richtig dosierte Fettanreicherung führen.
* Grassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 13 u. 14.
A. Loewy und H. Z o n d c k - Berlin: Der Einfluss der Samenstrang¬
unterbindung (Steinach) auf den Stofiwechsel.
Die Samenstrangunterbindung hat in einigen Fällen zu einer Anregung
des Stoffwechsels geführt. Doch ergab sich im allgemeinen eine Unabhängig¬
keit zwischen klinischem Befunde und Gesamtstoffwechsel. .Die Wirkung auf
die Sexualsphäre wird als Teilverjüngung bezeichnet, während die Erhöhung
des Stoffwechsels eine allgemeine Verjüngung bedeuten könnte: doch war
diese bisher nur vorübergehender Natur, mit einer einzigen Ausnahme.
A. Lipschütz - Dorpat: Quantitative Untersuchungen über die inner¬
sekretorische Funktion der Testikel.
Jugendliche Partialkastraten — Kaninchen und Meerschweinchen —, bei
denen der zurückgelassene Hodenrest nur etwa ^/uo bis ^/soo der normalen
Hodenmasse betrug, zeigten eine manchmal vielleicht etwas verzögerte, aber
.sonst normale Gcschlechtsentwickelung. Die Zwischenzellen fanden sich in
den Hodenresten ausserordentlich vermehrt, doch lassen die mikroskopischen
Befunde in Hodenresten und normalen Hoden weder die reifen Samenzellen,
noch die Samenbildungszellen oder die S e r t o 1 i sehen Zellen als das inner¬
sekretorische Organ im Hoden ansehen.
H. T i e d j e - Freiburg i. B.: Unterbindungsbefunde am Hoden unter be¬
sonderer Berücksichtigung der Pubertätsdrüsenfrage.
Das Bestehen einer besonderen Pubertätsdrüse im Sinne Steinachs
wird abgelehnt. Die innere Sekretion wird von den generativen Zellen be¬
sorgt. Die Zwischenzellen speichern zur Spermatogenesc wichtige Nähr¬
substanzen und beteiligen sich andererseits an der Resorption bei Zerfall
untergehenden generativen Gewebes.
R. M ü h s a m - Berlin: Weitere Mitteilungen über Hodenüberpflanzung.
Wie die weiter fortgesetzten Beobachtungen von Operierten, über die in
Nr. 30/1920 d. W. (Nr. 34 M.rn.W.) berichtet wurde, zu ergeben scheinen,
kommt es zu einer ersten Ausschüttung von Hormonen und später erst zu
einer wirklichen Umstimmung, die nur dann einigermassen sicher zu erwarten
ist, wenn vor der Transplantation normalen Hodens die doppelseitige
Kastration vorgenommen wurde.
R. Heinz- Erlangen und W. v. Noorden - Homburg: Pernionin gegen
Frostbeulen.
Pernionin (Chem. Fabrik K,rcwel öt Co., Köln) ist eine Kombination
des stark hautreizenden Oleum salviae mit dem spezifisch und in die Tiefe
wirkenden synthetischen oder natürlichen Wintergrünöl. Pernionintabletten.
zur Herstellung warmer Hand- und Fussbäder dienend, bestehen aus 1 Proz.
Oleum salviae, 10 Proz. synthetisch^ Wintergrünöl und dem leicht wasser¬
löslichen Harnstoff als Grundlage. Pernioninsalbe. nach dem Bade auf die
Frostbeulen eingerieben, hat die gleiche Zusammensetzung mit Mitin als
Grundlage. Die beobachtete Wirkung war sehr gut. Die Augen müssen vor
den Dämpfen,und vor Berührung mit der Salbe geschützt werden.
ß. Hartmann - Prag: Zur Therapie ^er eitrigen Meningitis cerebro¬
spinalis.
Heilung einer besonders schweren Erkrankung durch häufige Lumbal¬
punktionen mit nachfolgender Spülung des Duralsackes mit physiologischer
NaCI-Lösung und subkutanen Einspritzungen von Autovakzine.
.A. Buschke - Berlin: Ueber den zunehmenden Phagedänismus.
Mikroskopisch wurde immer die fusospirilläre Symbiose, daneben 3 mal
der Matzen auer sehe Bazillus gefunden. Aetiologie bleibt einstweilen
noch zweifelhaft. Neben energischer Lokalbehandlung ist auch allgemeine Be¬
handlung mit Neosalvarsan ratsam, wenngleich nicht immer rettend.
B 1 a n c k - Potsdam: Zur Abortivbehandlung der Syphilis.
Ein hier mitgeteilter Fall lehrt, dass ein Syphilitiker, selbst im sero¬
negativen Stadium, nach nur einer Salvarsankur nicht als geheilt angesehen
werden kann,
Günzburt'er - Wildbad: Osmotherapie und Balneotherapie.
Der die Resorption von Exsudaten fördernde ‘ Einfluss der Wildbader
ThermaUiuelle wird einer osmotherapeutischen Wirkung gleichgestellt.
Digitized by Goiigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
zi)2
ti. l e r X h e i n e r - Wiesbaden; Der JetzlKe Stand der Lehre von der
Pathotfenese der malissnen Geschwülste. (Schluss folgt.)
L Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Nr. 14.
S c h i a V e r - Berlin. Geber die Frühdiagnose der Schrumpfniere.
Beginnende artcrioiosklerotische Schrumpfnieren ergaben bei der Funk¬
tionsprüfung gesteigerte Empfindlichkeit gegen Kochsalz und meist auch
Wasser und gegen eine Mischung diuretischer Mittel, ausserdem Neigung zur
Stickstüffretention. ln anderen Fällen, bei denen vielleicht eine stärkere Be¬
teiligung der grossen und mittleren Nierenarterien an der Sklerose vorliegt
(ältere Kranke) ergab sich Unemprindlichkeit gegen Wasser und NaCI, erhöhte
Empfindlichkeit gegen Purinkörper. Jede konstante Hypertonie erfordert die
Nierenfunktionsprüfung, um eine beginnende Schrumpfniere nicht zu übersehen.
E. L e s c h k e - Berlin: Geber die Gelbfärbung (Xanthochromle) der
Zerebrospinalflüssigkeit.
Die Gelbfärbung des Liquors tritt immer ein, wenn ^jte Blutzellen hinein¬
gelangen und entsteht ^ifrch Bildung von Bilirubin aus dem Blutfarbstoff durch
die Zellen der Rückenmarkshäute; sie findet sich bei rauinbeengenden Pro¬
zessen, hämorrhagischen Entzündungen und Blutungen des Zentralnei ven-
systems und seiner Häute.
P. G. U n n a - Hamburg: Klinische Vorträge über Hautkrankheiten V.
L. R. G r o t e - Halle; Chronische Kolitiden mit sekundären Inkretorisclien
Störungen und Ihre Bedeutung für die Konstitution.
Neben Krankheitsbildern, w’elchc Störungen im Bereiche des Magend irm-
kanales als eine Folge von Erkrankungen eines Teiles des endokrinen DrOivii-
apparates oder beide Erkrankungen gemeinsam von einer dritten Ursache aus¬
gehend erkennen lassen, gibt es auch solche, bei denen eine chronische Er¬
krankung des Verdauungsapparates ihrerseits schädigend auf inkretorischc
Drüsen einwirkt. Die letztgenannten Beziehungen fanden sich dort, wo irn
ferneren Verlaufe einer nach Dysenterie zurückgebliebenen chronischen Kolitis
eine mehr oder weniger ausgesprochene Thyreotoxikose unter Umständen mit
einer bis fast zum Achtfachen gesteigerten Phloridzinglukosurie sich ent¬
wickelte. Derartige Krankheitsbilder bedeuten einen „erworbenen Kon-
stitutionalismus“ und können möglicherweise einen Einfluss auf das Keim¬
plasma gewinnen.
L. Jarno und J. V ä n d o r f y - Pest: Geber das Regurgitleren von
Duodenalinhalt ln den Magen.
Der Magen scheint individuell auf eine bestimmte HCl-Konzentration ein¬
gestellt zu sein. Ueberschreiten dieser Grenze führt zum Regurgitieren von
Duodenalinhalt in den Magen. Salzsäureeinbringung in den Magen ist ein
brauchbares Verfahren zur Gewinnung von Duodenalinhalt: hierzu lässt man
den Kranken 250 g Wasser mit 40 Tropfen Acid. hydrochlor. dilut. nüchtern
trinken.
G. Neugebauer - Striegau: Geber Cholangitis typhosa.
Kasuistik.
A. Brüggemann - Giessen: Behandlung von Kehlkopfstenosen mit
der Bolzenkanfiie.
Die hier beschriebene Bolzenkanüle (7 Abbildungen) ist dem T h ö s t -
sehen Bolzen nachgebildet, doch verläuft bei ihr Bolzen- und Kanülenhinter-
wand ohne Spaltraum in einer geraden, zusammenhängenden Fläche, wodurch
die Ausbildung des gefürchteten spornartigen Wulstes vermieden wird.
M. V 0 g c 1 - Dresden: Zur Konstitution des unehelichen Kindes.
Nicht im Geburtsgewicht, sondern in der späteren Leistungsfähigkeit liegt
das einzig sichere Merkmal für die Konstitution.
W. F i n k - Giessen: Ftirstenau-Aktinlmeter und Lichtdosierung.
Verf. hält das Aktinimeter auch vom praktischen Gesichtspunkte aus für
unbrauchbar.
Lünenborg - München-Gladbach: Zur Frage der Parasyphills.
Einschlägige Beobachtungen.
F. Krische -Freiburg i. B.: Eine neue AbschnUrkiemme als Ersatz des
E s m a r c h sehen Schlauches und der Gummibinde.
Der aus einer Art Zange mit Ledergurt und Sperrvorrichtung bestehende
Apparat scheint recht zweckmässig. Da der Druck gut abgestuft werden
kann, ist Blutleere ebenso wi»» Stauung möglich. Die Blutzufuhr ist bei
liegender Zange zu öffnen und zu sperren. (Fabrikant ist leider nicht genannt.)
H. K r i t z 1 e r - Giessen: Das Gmbahren von Schwerkranken und
Schwerverletzten.
Kriegsreminiszenz.
Q. Schmalfuss - Hamburg; Aus der Praxis.
I. Zur Behandlung der Dysmenorrhoea vfrginum: Tägliche Einläufe von
2 Liter körperwarmen Wassers in Knie-Ellenbogenlage.
2, Zur Behandlung des Icterus catarrhalis: Vibrationsmassage der
Gallenblasengegend.
3. Zur Behandlung der Enuresis nocturna: Vibrationsmassage der Blasen-
und Kreuzgegend, bei älteren Patienten ausserdem Solarson- oder Kakodyl-
einspritzungen, neben den allgemeinen Massnahmen.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
G. H e r X h e i m e r - Wiesbaden: Der fetzige Stand der Lehre von der
Pathogenese der malignen Geschwülste.
Schluss aus Nr. 13. Baum- Augsburg.
Schweizerische Medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 13 u. 14.
Nr. 13. E. M o n t a n u s - Basel: Geber einen Fall von sporadischer
Hämophilie.
Ausführliche Mitteilung über ein 21 jähriges, hereditär nicht belastetes
Mädchen mit zeitweisen schwer stillbaren Blutungen, wobei die Gerinnungs¬
zeit stark verlängert war bis zur Ungerinnbarkeit. In den Intervallen normale
Gerinnung. Auffallend war eine starke Verminderung der Blutplättchen (50 000)
und der weissen Blutkörperchen (1.300—1800).
Schär er - Zürich: Hautschädigungen bei Brikettarbeitern nnd Ihre Be¬
ziehungen zur „Krlegsmeianose“. ,
Beschreibung von 4 Füllen mit brauner Pigmentierung an Stellen, wo das
Licht Zutritt hatte. Hyperkeratose, akneiformen Effloreszenzen, Epithel¬
proliferation an umschriebenen Stellen. Ursache waren die bei der Brikett¬
herstellung entstehenden Dämpfe billiger schädlicher Ersatzprodukte.
N. C a r p i - Lugano: Röaetions Immunitalres dans la tuberculose pul-
monaire traitöe par le Pneumothorax artlflciel.
A. S t e i n e g g e r - Lachen: Zur Wahl der Methode bei der Operation
der Hernia obturatorla incarcerata.
Digitized by Gotigle
Nr. 14. O. Weber-Basel: Zur Pneumothoraxbehandlung schwerer
Lungentuberkulosen. Schluss folgt.
M. G ä h w y 1 e r - Arosa: Geber nlchttnberkulöse Bronchlaldrüsen-
anschweiiungen und Verkalkungen.
Verf. beschreibt 7 Fälle mit allen Zeichen der Bronchialdrüsenschwellung,
klinisch und röntgenologisch, darunter 5 mit Kalkherden, ohne dass Tuber¬
kulose bestand, wie die negativen, subkutanen Tuberkulinproben beweisen.
Er betont, dass es kein typisches Röntgenbild der Bronchialdrüsentuberkulose
gibt und dass nur die Summe aller klinischen Erscheinungen die Diagnose
ermöglicht.
Jessen- Basel: Die Karzinomsterbllchkeit Ira Kanton Basel-Land.
B r u n n s c h w e i I e r - Basel: Geber Spasmalgin ln der Therapie der
Dysmenorrhöe. ,
Sehr gute Wirkung bei der spastischen Form, nur vorübergehende bei der
nervösen Form der es.sentiellen Dysmenorrhöe.
E. A 11 i n g e r - Stein a. Rh.: Mitralinsuffizienz bei Polyarthritis und
Lues. Einfluss der antüuetlschen Therapie auf die Herzaffektion.
Fast völliges Verschwinden der Symptome am Herzen nach kombinierter
Neosalvarsan-Hg-Kur. L. J a c o b - Bremen.
Oesterreichisdie Literatur.
Wiener medizinische Wöchenschrift
Nr. 10. A. P i 1 c z - Wien; Ein Fall von Spfitheilung bei Psychose. Nach¬
untersuchung 9 Jahre später.
Gerichtliches Gutachten. Der seltene Fall, dass eine Paranoia (Schizo¬
phrenie) eine lingdauernde, der Heilung gleichkommende Remission zeigt.
A. K n e u c k e r - Wien: Anästhesie bei der Extraktion perlostkranker
Zähne.
Im Durchschnitt genügt zur Herstellung einer ausreichenden Leitungs¬
anästhesie bei Zahnextraktionen vollkommen eine 1)4—2 proz. Novokain-
Suprareninlösung. Wo man bei einem periostkranken Zahn hiervon keine
genügende Anästhesie erwartet, empfiehlt K. die Infiltrationsanästhesie mit
einer frisch bereiteten 4 proz. Novokain-Suprareninlösung, wovon, um die Ver-
giftungsgefahr abzuschwächen, allerdings in einer Sitzung nur 2—3 g zur
Injektion kommen sollen.
Nr. 11. Die Nummer ist W. C. v. Röntgen zugeeignet. Aus dem
reichen Inhalt seien folgende Aufsätze hervorgehoben:
F. Eisler: Neigung zu Knochenbrtichen als einziges Symptom der sog.
H u ngerosteomaiazie.
L. Freund-Wien: Die Röntgenstrahlenbehandlung akuter eitriger
Knochenentzündung.
Auch bei manchen nichttuberkulösen Knocheneiterungen, z. B. dem Pana-
ritium periostale und der Paronychia, ist die Röntgenbehandlung von Nutzen,
indem sie die Eiterung veringert und die Heilung abkürzt.
0. Fritz- Innsbruck: Ein Fall von Halsrippenbeschwerden. Diagnose
und operative Heilung.
M. Haudek-Wien: Zur Technik der Röntgenuntersuchung der Harn¬
röhre.
R. K i e n b ö c k - Wien: Geber radiologische Diagnosenstellung bei
Knochenkra'nkheiten.
S. K r e u z f u c h s-Wien: Geber eine neue Auffassung des BegrlRes
„Lungenspitzf “ in der Röntgenpraxis.
K. erörteü die grosse, oft ausschlaggebende Bedeutung der Befunde am
infraklavikuläreri Teil der Lungenspitze, die im allgemeinen auch
ernster einzuschätzen sind, als die häufig harmlosen Veränderungen an dem
supraklavikulären Teil.
R. Lenk-Wien; Als Herzerkrankung Imponierendes Megakolon.
F. Por des-Wien: Die sog. Dentltlo difficllls des unteren Weisheits¬
zahnes im Röntgenbild.
Schönfeld-Wien: Jodkallfüllungsmethode bei Blasenerkrankungen.
Die Jodkalifüllung (5 proz.) bildet einen vollen und vorteilhaften Ersatz
(Preis!) der KollargolfOllung.
A. S c h ü 11 e r - Wien: Geber ein eigenartiges Syndrom von Dypltui-
tarlsmus.
Diabetes insipidus. Ausgedehnte Defekte des Skelettes, besonders des
Schädels. B e r g e a t - München.
Im Druck erschienene InauKuraldisscrtationen.
Universität Heidelberg. März-April 1921.
Bau nach Paul: Zur Kenntnis der multiplen Primärkarzinome von drüsigem
Charakter. (1914.)
Best Emmy: Zur Frage der Zyklopie und der Arhinenzephalie. (1920.)
Bestie Amelie: Zur Kenntnis des Erysipeloids. (1919.)
Büttner Adolf: Ueber das Eindringen von Fremdstoffen in die feineren
Luftwege. (1919.)
Croner Wilhelm: Ueber das gleichzeitige Vorkommen von Karzinom und
Tuberkulose des Uterus. (1913.)
Decker Walter: Beitrag zur Kenntnis der pathologischen Anatomie de.-
Tränensackerkrankungen. (1919.)
Dettmer Hermann: Beitrag zur Klinik der Pseudoruhr. (1918.)
Fischer Ellen: Zwei seltene Tumoren der Vagina. (1919.)
Gigglberger Hans Adolf: Ein Fall von Eisensplitterverletzung mit Ver¬
sagen der Magnetoperation. (1914.)
Gold stein Käthe: Ein Fall von Iridozystitis nach Typhus. (1919.)
Gumpertz Meta: Ueber die inkomplette und spontane Daumenluxation.
(1919.)
Haas Alfred: Ueber Eklampsie unter Verwendung der an der Heidelberger
Universitäts-Frauenklinik in den Jahren 1908—1918 zur Beobachtung ge¬
langten Fälle. (1920.)
Hotz Friedrich: Ueber eine eigentümliche Degeneration der Hornhaut bei
einem Auge mit absolutem Glaukom. (1919.)
Joachim Hermann: Ueber einen Fall von Granatsplitterverletzung des
Orbitaldaches, die zu indirekter subkonjunktivaler Skleralruptur führte.
Kirschner Ambros: Beitrag zur Ke^^tnis der präretinalen Blutung. (1919.)
Kollibay-Uter Hanna: Ueber die Jahreskurve geistiger Erkrankungen.
(1921.)
Listemann Peter: Eine Abrissfraktur der Tuberositas tibiae (Schlat-
t e r sehe Krankheit). (1919.)
Linke Hermann: Ueber die Einflüsse des Krieges auf die Oeschlechtsbildung,
die Gewichte der Neugeborenen und die Stillfähigkeit der Mütter. (1919.)
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
593
Lüddecke Karl: Adhäsionsbeschwerden nach Oallensteinoperationen. (1913.)
Marquart Martin: Die Bronchialdrüsentuberkulose vom Standpunkt des
praktischen Arztes. (1919.)
Nagel Käthe: Nachprüfung einer neuen Methode zum beschleunigten Nach¬
weis von Tuberkelbazillen durch den Tierversuch. (1919.)
Neuer Irma: Ein Fall von Akroasphyxia chronica hypertrophica. (1919.)
Oppenheimer Arnold: Eine Ruhrepidemie im 4. Kriegssommer. U919.)
Picard Ernst: Ein Pseudoendothelion des Labium majus. (1913.)
Scherl er Johannes: Zur Aetiologie des Lichen ruber acuminatus. (1919.)
Schulz Herbert: lieber einen Fall von eigenartiger fibröser Splenomegalie,
verbunden mit Fibrosis der Lymphdrüsen (Mesenterial- und Milzhilus¬
drüsen). (1920.)
Selig Dora: Ein Fall von Retinitis exsudativa mit Netzhautablösung, Chole¬
sterinbildung und Verknöcherung in der Aderhaut. (1917.)
Sprüth Alfred: Salvarsan und Salvarsanschäden. (1919.)
U 11 m a n n Siegfried: Ein Fall von primärer Linseneiterung nach perforieren¬
der Verletzung. (1919.)
Voss Walter: Ueber zwei Fälle von Orbitaltumoren. (1919.)
Walther Gustav: Pathologisch-anatomischer Befund eines 14 Jahre zuvor
infolge Orbitalkugelschuss erblindeten Auges. (1919.)
Wecke rt Fritz: Ueber die Aetiologie der in der Zeit vom 1. Oktober 1910
bis 1. Juni 1913 an der Universitäts-Augenklinik zu Heidelberg beobachteten
Fälle von Uveitis. (1913.)
Weisbach Günther Julius: Ueber einen Fall von Tumor des Kleinhirn¬
brückenwinkels, kombiniert mit multiplen Knötchen an der Dura mater und
Geschwulstknoten an Oesophagus und Trachea. (1917.)
Weishaupt Willi: Hämorrhagisches Glaukom an einem kataraktösen Auge
eines 80 jährigen Mannes, bei dem die anatomische Untersuchung Ader¬
hauttumor ergab. (1919.)
Wenk Albert: Ueber die im Vereinslazarett zu Heidelberg während des
Krieges beobachteten Fälle von Herpes corneae. (1919.)
Wiegand Heinrich: Ueber die Art und die Ursachen der bei Magen- und
Darmkrankheiten vorkommenden Krampfformen. (1919.)
Zimmermann Karl: Die Trän'’nsackoperationen der Heidelberger Uni¬
versitäts-Augenklinik in den Jahren 1913—1915. (1919.)
Vereins- und Kongressberichte.
XXXIII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für innere
Medizin
in Wiesbaden vom 18.—21. April 1921.
(Berichterstatter: D r e s e 1 - Berlin.)
II.
Sitzungvom 19. April.
K ä P f e r I c - Freiburg: Ueber die Benrteilung des Röntgenblldes und
dessen Bedeutung für Prognose und Therapie der Lungenphthise.
Es ist selbstverständlich, dass das Röntgenbild nur neben den übrigen
Untersuchungsmethoden diagnostisch verwertbar ist. K. hat versucht, an
Röntgenhildern die Art der pathologisch-anatomischen Vorgänge in der Lunge
zu erkennen und demonstriert die Ergebnisse an Röntgenbildern. Es lassen
sich die exsudativen von den produktiven Prozessen unterscheiden. Auch die
sekundären zirrhotischen und zerfallenden Formen lassen sich am Röntgenbild
erkennen. Prognose und Therapie werden dadurch weitgehend bestimmt.
O. Gross- Greifswald: Ueber Cholesterinstoffwechsel.
Bei der Lipoidnephrose handelt es sich, wie Vortr. gezeigt hat, um
Ausscheidung von Lipoiden durch die Niere, nicht um lipoide Degeneration.
Die Niere scheidet normalerweise niemals Cholesterin aus, die kranke fast
immer, auch bei Glomerulonephritis. Die Cholesterinausscheidung geht
parallel der Schädigung der Tubuli. Untersuchungen an Nephrotikern er¬
gaben, dass bei fettarmer Kost der Cholesteringehalt des Blutes sinkt und
umgekehrt bei Cholesterinzufuhr. Das Cholesterin stammt also zum Tfrössten
Teil aus der Nahrung. Dass trotz der Lipoidausscheidung der Cholesterin¬
gehalt im Blute erhöht ist, ist noch nicht erklärt. Bei der Amyloidniere
wird niemals Cholesterin im Urin ausgeschieden, während der Cholesterin¬
gehalt des Blutes gross ist. Dies ist von differentialdiagnostischem Wert.
Besprechung: S t r a u s s - Halle hat sich nicht davon überzeugen
können, dass durch fettarme Nahrung der Cholesterinspiegel des Blutes herab¬
gesetzt wird. Das Cholesterin, das mit der Nahrung aufgenommen wird, wird
verändert, es wird zu Oxycholesterin und Cholsäure verändert. Es ist
also keine so indifferente Substanz im Stoffwechsel wie allgemein ange¬
nommen wird.
Rosenthal -Breslau hat ebenfalls keinen Parallelismus zwischen
Lipoidzufuhr und -ausfuhr gesehen. Ein Teil des Lipoids bei der Nephrose
muss aus der Niere selbst stammen. Auch der Duodenalinhalt zeigt einen
erhöhten Cholesteringehalt der Galle bei solchen Fällen.
T h a n n h a u s e r - München: Solange es noch keinen Cholesterinbilanz¬
versuch gibt, ist es unzweckmässig, vom Cholesterinstoffwechsel zu sprechen.
Solche Versuche sind an der Münchener Klinik im Gange.
Bürger-Kiel: Der Cholesteringehalt des Blutes kann erhöht sein bei
verstärktem Zellzerfall, bei Mobilisation der Fettdepots und bei fettreicher
Nahrung. Wichtig sind die Beziehungen des Cholesterins zur Immunobiologie,
wo das freie Cholesterin und die Cholesterinester zu unterscheiden sind. Nach
jeder Infektionskrankheit ist zunächst eine Senkung, dann eine Steigerung des
Cholesteringehaltes des Blutes zu beobachten. Die kolorimetrischen Be¬
stimmungen des Cholesterins sind unbrauchbar.
V. Noorden -Frankfurt a. M.: Der Cholekterintransport durch die
Nieren ist vielleicht nicht ganz gleichgültig. Diätetische Erfahrung hat ihn
gelehrt, dass in solchen Fällen eine Fettschonung von grossem Wert ist.
V 0 l h a r d - Halle: Das, was Herr v. Noorden gesagt hat, gilt für die
Nephrose nicht. — Schon immer hat man von einer Lipoidinfiltration bei der
Nephrose gesprochen, trotzdem ist diese ein Ausdruck der Zellschädigung.
Gross- Greifswald: Schlusswort.
Q n d z e n t und K e e $ e r - Berlin: Experimentelle Beiträge zur Patho¬
genese der Gicht.
Bei den Fällen von schwerster Gicht ist die Harnsäure im Blut nicht
vermehrt. Wird Mononatriumurat eingespritzt, so wird dies beim Oichtiker
in den Geweben zurückgehalten, indem die Harnsäure im Gewebe fester
haftet (Uratohistechie). Als Ursache hierfür hat Vortr. an Veränderungen
der Kapillären gedacht. Bestimmungen des Harnsäuregehaltes der verschie¬
denen Organe bei Gesunden und Kranken ergaben folgendes: die Leber
und die Milz enthält die grössten Mengen, das Lebensalter spielt keine Rolle.
Gichtkranke konnten nicht untersucht werden. Muskeln und Leber enthalten
absolut genommen die meiste Harnsäure. Untersuchungen an Hühnern und
Tauben bei Hunger und in der Verdauung bei Nierenschädigung etc. ergaben,
dass die niedrigsten Werte der Blutharnsäure im Hunger, die höchsten bei
Nierenstauung gefunden werden. Untersuchungen von Leichenorganen sowie
Tierorganen auf freie und gebundene Purine ergaben ebenfalls Aenderungen
während der Verdauung,
H. U 11 m a n n - Berlin: Beitrag zur Stoffwechselneurologie. Zur Frage
der nervösen Beeinflussung des Purlnstoffwechsels.
Gemeinsame Untersuchungen mit Herrn Dresel waren darauf gerichtet,
festzustellen, ob der Reiz zur Harnsäureausschwemmung, sei es durch Zucker¬
stich, sei es durch das zentral angreifende Koffein auf denselben Bahnen wie der
Zuckerstich über Splanchnikus und Nebenniere zur Leber verläuft. Es zeigte
sich, dass die durch Koffein bzw. Diuretin bedingte Mehrausschwemmung von
Allantoin beim Kaninchen nach Splanchnikusdurchschneidung fortfällt. Dieser
Befund in Verbindung mit der Angabe F a 11 a s. dass Adrenalin beim Hunde
eine Mehrausscheidung von Allantoin verursacht und Berücksichtigung der
Untersuchungen Rosenbergs, der durch Adrenalin eine Purinausschwem¬
mung aus der künstlich durchbluteten Leber erzielen konnte, führt zu der
Annahme, dass für die zentrale Koffein-Diuretinwirkung der gleiche Mechanis¬
mus anzunehmen ist für den Zucker wie für den Purinstoffwechsel. Die
Vermehrung der Harnsäure nach Koffein scheint im Widerspruch mit den
Abel sehen Anschauungen über den Purinstoffwechsel zu stehen, da das
Koffein eine Verengerung der Splanchnikusgefässe zur Folge hat. Dieser
Widerspruch klärt sich aber durch die Tatsache auf, dass nach der Splanch¬
nikusdurchschneidung eine Herabsetzung der Harnsäureausscheidung nach
Koffein erfolgt und diese Herabsetzung bei erhaltenem Splanchnikus nur durch
die Purinausschwemmung aus der Leber verdeckt wird.
Rot her und S z e g o - Berlin: Ueber die Beeinflussung der Harnsäure¬
ausscheidung durch Röntgenbestrahlung der Thymusdrüse.
Herr Szego: Es wurde bei Basedowfällen und bei Normalen die
Thymusdrüse bestrahlt und in einigen Fällen von Basedow eine erhebliche
Vermehrung der Harnsäure nach der Bestrahlung im Urin gefunden. Es wird
angenommen, dass die Vermehrung der Harnsäureausscheidung differential¬
diagnostisch für die Feststellung einer vergrösserten Thymusdrüse zu ver¬
wenden ist.
Besprechung: Thannhauser München: Vergleichende Unter¬
suchungen nach Uratinjektion bei einem Gichtigker im Blut und Oedem
ergaben, dass es keine Uratohistechie gibt, da der Harnsäuregehalt der
Oedeme immer niedriger war als der des Blutes.
, Brugsch - Berlin: Bei jedem Gichtiker ist entgegen G u d z e n t die
Blutharnsäure erhöht. Eine Uratohistechie gibt es nicht. Die Harnsäure
diffundiert nur in die Gewebe hinein.
Schade-Kiel: Die Verhältnisse liegen schwieriger als allgemein ange¬
nommen wird, was an Beispielen erörtert wird.
G u d z e n t - Berlin (Schlusswort): Oedem und Gewebe sind nicht das
Gleiche, deshalb ist der Beweis Tannhausers nicht stichhaltig.
E. Frank, R. Stern und M. N o t h m a n n - Breslau: Das klinische
Bild der Guanidinvergiftung beim Säugetier und seine physiopathologlsche
Bedeutung.
Herr Frank: Die Guanidinkröte bewegt sich auffallend steif vorwärts.
Die tetanische Kontraktion geht durch Säurebildung und nachfolgende Kon¬
traktion vor sich Der tonische Reiz ruft eine Kreatininerzeugung und damit
eine sarkoplasmabedingte tonische Kontraktion hervor. Ganz ähnliche Eigen¬
schaften hat das Guanidin, das zu entgiften die Funktion der Parathyreoidea
ist. Noch viel giftiger ist Diurethylguanidin. Es ruft alle Zeichen der
Tetanie hervor. Guanidine fixieren sich am Substrat, wirken also als Depot
und sind das typische Beispiel eines nicht erregenden, sondern die Erregbar¬
keit steigernden Giftes.
H. Lange- Frankfurt a. M.: Ueber die Wirkung des Adrenalins auf die
Skelettmuskulatur.
Das Adrenalin besitzt die Fähigkeit, die Durchlässigkeit der Grenz¬
schichten herabzusetzen. Aenderungen der Erregbarkeit und Leistung waren
ebenfalls zu beobachten.
E. Meyer und S e y d e r h e 1 m - Göttingen: Beziehungen zwischen
Blutzusammensetzung und HerzgrÖsse.
Ein Aderlass bewirkt beim Kaninchen eine Verkleinerung des Herzens,
die sich in einiger Zeit wieder ausgleicht. Wird nach dem Aderlass eine
isotonische Ringerlösung intravenös injiziert, so wird dadurch an der Schnellig¬
keit der Grössenzunahme des Herzens nichts geändert. Anders bei Zusatz
von Gummilösung. Wird das Zervikalmark unterhalb des Atemzentrums
durchschnitten, so findet sich bald darauf ein grosses Herz und volles Venen¬
system, Hatten sich die Tiere erholt, so wurde auch bei diesen nach Ader¬
lass das H^rz kleiner, was auf eine periphere Regulation hindeutet. Während
des Aderlasses strömt sehr eiweissarme Flüssigkeit in das Blut. Entzieht
man den Tieren allmählich kleine Mengen von Blut, so wird zunächst
das Herz kleiner. Wird das Tier elend, so wird das Herz wieder grösser.
Auch bei einem Patienten wurde nach einem *ßlutverlust ein sehr kleines
Herz beobachtet. Es handelt sich hier um eine Anpassung an den Inhalt des
Gefässsystems. Wird das Herz geschädigt, so wird es grösser.
N o n n e n b r u c h - Würzburg: Ueber die Veränderung der Blut¬
zusammensetzung nach Infusion von ohyslologischen Salzlösungen mit und
ohne Zusatz von Gummi arabicum und Gelatine.
Durch den Gummizusatz findet keine längerdauernde Vermehrung der
BUitmcnge statt. Das Serumeiweiss verändert sich ganz unabhängig von
den Hämoglobin- und Erythrozytenwerten. Nach Purinkörperinjektion findet
sich regelmässig ein Eiweisseinstrom in die Blutbahn. Wie die Eiweiss¬
regulation funktioniert, lässt sich bisher nicht sagen.
Jansen- München: Studien über Gewebsflüssigkeit beim Menschen.
Vortr. hat versucht, den normalen Gewebssaft in seiner Zusammensetzung
zu untersuchen. Durch subkutane Injektion von Kochsalzlösung wurde der
Gewebssaft verdünnt, nach einiger Zeit durch Gewebsdrainage gewonnen und
fraktioniert untersucht. Der Kochsalzgehalt fiel ab bei isotonischer Kochsalz¬
lösung, stieg an bei isotonischer Glukoselösung. Resorption und Kochsalz¬
einstellung gehen nicht parallel. Anders verhält es sich mit kolloidalen
Digitized by Goiigle
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
594
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19.
Körpern. Der Eiweissgehalt der Gewebsflüssigkeit ist grösser als man sich
bisher vorgestellt hat
H. Sc ha de-Kiel: Säuremessung am Lebenden, nach Verbuchen mit
P. Neukirch und A. H a I p e r t.
Dit Gaskettenmessung ist die sicherste Methode der Säuremessung in
Flüssigkeiten. Die gleiche Methode wurde so modifiziert, dass man durch
Punktion in Geweben eine Säuremessung vornehmen kann. Normale Gewebe
zeigen keine anderen Werte als das Blut. Bei erschöpften Kanincheninuskeln
findet sich eine Säuerung. Die Oedemflüssigkeit ist nicht saurer als die
Gewebsflüssigkeit. Eitrige Exsudate (im Furunkel) erreichen den Neutral¬
punkt und können zu einer örtlichen Azidose bei intensiver akuter Entzündung
führen. Die allgemeine Bedeutung dieser Tatsache w'ird eingehend erörtert.
Die Säuerung des Eiters lässt sich auch nach der Indikatorenmethode fest¬
stellen. Beim Diabetes ist keine Säuerung der Gewebe fcstzustellen.
E. P o h I e - Wiesbaden: Der Einfluss der H-lonenkonzentratlon auf die
Aufnahme und Ausscheidung saurer und basischer Farbstoffe im Warmblüter«
Organismus.
Hat am Hunde die Ausscheidung von Farbstoffen verfolgt und gleich¬
zeitig die H-Ionenkonzentration des Blutes und Harns. Saure Farbstoffe wer¬
den zum grössten Teile im Kot ausgeschieden, wenn dagegen vorher dem
Tier Salzsäure einverleibt wurde, so wurde erheblich mehr saurer Farbstoff
durch den Harn ausgeschieden. Mit Methylenblau, einem basischen Farbstoff,
verhält es sich ebenso bei Alkaligaben. Klinisch könnte sich daraus ergeben,
dass man die Speicherung einer sauren oder basischen Substanz im Körper
erreichen könnte durch Gaben von basischen bzw. sauren Substanzen.
Clothllde Meier -Halle a. S.: Narkotika und kolloidale Ladung.
Die Wirkung verschiedener Narkotika auf die Ladung menschlicher
Erythrozyten wurde nach der Methode von Straub untersucht. Die
Entladung tritt früher auf als bei Avfschwemmung in physiologischer Koch¬
salzlösung. Es scheint dies eine allgemeine Eigenschaft der Narkotika zu
sein.
Straub- Halle a. S.: Die Poikiiopikrie der Nierenkranken.
Die Kohlensäurebindungskurve des Blutes ist bei Nierenkranken oft
herabgesetzt, oft erheblich erhöht, wenigstens zu gewissen Zeiten. Um 3ie
H-Ionenkonzentration errechnen zu können, musste noch die Kohlensäure¬
spannung des Arterienblutes festgcstellt werden. Die Herabsetzung der
Kohlcnsäurcbindung bedingt, wie diese Untersuchungen ergeben haben, keine
Aenderung der normalen H-Ionenkonzentration. ln manchen Fällen findet sich
jedoch eine echte Azidose. Es wird gezeigt, wie sich die Verhältnisse
bei Nierenkranken thcoreti.sch erklären lassen könnten.
Morawitz und G. D e n e c k e - Greifswald: Zur Kenntnis der Ge-
fässfunktlon.
Es wird eine Blutentnahme vor und nach Stauung gemacht und be¬
stimmt, ob eine Flüssigkeitsverschiebung durch die Abschnürung zustande
kommt. Der Gesunde verdünnt sein Blut um etwa 5 Proz. Nierenkranke
verhielten sich zum teil umgekehrt. Ebenso andere Kranke, bei denen eine
Schädigung der Gefassfunktion anzunehmen ist.
U. Friedemann und E. Fränkel - Berlin: Ueber Wasser- und
Kochsalzausscheidung während der Serumkrankheit.
Es wurden Patienten, die Serum aus prophylaktischen Gründen er¬
halten hatten, hinsichtlich ihres Wasser- und Kochsalzstoffwechsels unter¬
sucht. Die Scruinkrankheit wird eingeleitet von einer starken Retention von
Wasser und Kochsalz. Die reine allergische Reaktion entspricht also völlig
den Beobachtungen beim Fieber. Es handelt sich um eine rein cxtrarenale
Retention. Durch Reduktion des Kochsalzes in der Nahrung lässt sich der
Ausbruch der Serumkrankheit nicht verhindern, im Gegenteil, durch intra¬
venöse Kochsalzzufuhr lassen sich die Erscheinungen bessern.
II. V. tl o e s s 1 i n - Berlin: Stoffwechseluntersuchungen an entwässern¬
den Oedematösen.
Die Untersuchungen ergaben, dass der Zellabbau verhältnismässig gering
ist und das Oedemeiweiss das Körpereiweiss während der Entwässerung
schützt.
D ü n n e r - Berlin: Der Einfluss von Bromnatrium auf die Ausscheidung
von Wasser und Kochsalz durch den Urin.
Brom ist geeignet, das Kochsalz zu substitutieren. Es wurde versucht,
diese Tatsache für die Ausschwemmung von Oedemen zn verwenden. In
vielen Fällen tritt in der Tat nach NaBr. eine deutliche Diurese ein. Intra¬
venöse Injektionen von konzentrierten Bromnatriumlösungen hatten in einigen
Fällen noch eine bessere Wirkung.
Besprechung der voraufgegangenen Vorträge:
Wenckebach - Wien: Die Herzgrösse ist durchaus nicht so abhängig
von der Güte der Herzfunktion wie allgemein angenommen wird. Auch beim
normalen Herzen kommen Grössenveränderungen vor, die abhängig sind von
der Arbeit, die das Herz zu leisten hat. Durch Tachykardie verkleinert sich
das Herz. Verlängerte Diastole (z. B. beim Block) führt zur Vergrösserung.
Moritz- Köln stimmt völlig mit Wenckebach überein, meint
nur, dass die Betonung der Variabilität der Herzgrösse auf den Praktiker
verwirrend wirken muss. Wird ein Mensch unter den gleichen Bedingungen
untersucht, und dies kommt für den Praktiker in Betracht, so ist die Herz¬
grösse sehr konstant.
S t r a s b u r g e r - Frankfurt a. M,: Es ist unterschiedlich für das Herz,
ob man den Aderlass schnell oder lang.sam macht.
Oehme-Bonn: Unteriyichungcn über Zusammenhang von Diurese und
Wasserhaushalt ergaben, dass Wasser ohne und mit Eiweiss austreten und
entgegengesetzte Wanderung von Wasser und Eiweiss stattfinden kann. Wie
das zustande kommt. lässt sich bisher noch nicht feststellen.
Singer hat mit Brom keine Diurese erzielen können, dagegen fand
er regelmässig ein Sinken des Blutdrucks bei Fällen von Hypertension. Die
Kalziumwirkung ist zwar homolog der Digitaliswirkung, reicht aber nicht aus.
weil cs nicht gespeichert wird. Am besten wirkt eine Kombination von Ca
und Digitalis. Dadurch werden die toxischen Wirkungen des Digitalis ge¬
dämpft.
V e i I - München: Die Bestimmung des Volumens der roten Blutkörper¬
chen ist für die Beurteilung des Eiweissgehaltes des Plasmas von grösster
Wichtigkeit, da Wasser vom Plasma in die Blutkörperchen übergehen kann.
Frey-Kiel: Es gibt wirkliche Anämien bei Nierenkrankheiten. — Die
Oedeme entstehen nicht infolge vermehrter Durchlässigkeit der Gefässe. —
Die Blutmenge bei Schwangeren ist vermehrt und nimmt bei der Geburt
bei Gesunden wieder ab.
H a a s - Giessen: Beziehungen zwischen Oedemgrösse und Eiwcissgehalt
Hessen sich nicht finden. Der Eiwcissgehalt hängt, wie auch von anderer
Digitized by Goüsle
Seite gezeigt worden ist, von der Grundkrankheit ab. Der Zusammenhang
von Oedementstehung und Gefässen scheint bewiesen.
E p p i n g c r - Wien: Das arterielle Blut ist in seiner Kohlensäurc-
spannung nicht allein bestimmt. Er hat ähnliche Versuche wie S t r a u h
vorgenommen, das Gleiche gefunden, aber festgestellt, dass die Amerikaner
in den letzten Monaten all diese Fragen eingehend veröffentlicht und ebenso
entschieden haben.
Elias- Wien spricht über den Einfluss von Säurezufuhr beim Menschen
auf die Ausscheidung durch die Niere,
V o 1 h a r d - Halle warnt davor, das Brom wieder auf die Liste der
Diuretika zu setzen. — Die Herzgrösse ist abhängig von Füllung und Wider¬
stand. Es gibt keine angeborene enge Aorta, sondern nur eine veränderte
Blutmengc.
Kaufmann- Frankfurt hat die (ieschwindigkeit des Stoffaustausches
durch eine Froschhaut unter verschiedenen Bedingungen gemessen.
Wiechmann - München: Es- gibt eine wahre Impermeabjlitüt für Farb-
• Stoffe, wie eigene Versuche gezeigt haben.
P 1 c s c h - Berlin: Das Herz hat eine zirkulatorischc Mittellage, die
sich mit der Arbeit ändern muss. Die lineare Projektion des Herzens ist
nicht der Ausdruck für seine Grösse Am besten lässt sich die Grösse
noch im I. schrägen Durchmesser beurteilen. Während der Arbeit ist
das Herz nicht verkleinert, nach der Arbeit wohl.
M ü I 1 e r - Hamburg: Der Kohlensäuregehalt des Pneumothoraxgases
steigt sofort an. wenn sich ein Exsudat bildet.
E. Meyer: Schlusswort.
S t r u u b - Halle (Schlusswort): Die Versuche der Amerikaner sind nicht
so weitgehend wie seine eigenen.
K I e w i t z - Königsberg: Ueber Albumoscn im Blute.
In 60 Fällen (normale, fieberhafte, karzinomatöse und anämische) wurde
das Blutserum mit dem Dyalisierverfahren auf Albumosen untersucht. Die
fieberlosen, normalen Fälle zeigten zum grossen Teil im Dyalisat eine
positive Biuretreaktion. Ein Einfluss der Nahrungsaufnahme besteht nicht.
In fieberhaften Fällen war nicht häufiger eine positive Reaktion vor¬
handen. Auch bei malignen Tumoren und bei Anämie findet sich keine
Vermehrung des Albumosengehaltes des Serums.
V o 1 h a r d - Halle: Ueber Retinitis albuminurica.
Die Retinitis albuminurica hat man auf die Niereninsuffizienz zuriiek-
geführt. Sie kommt aber auch ohne Insuffizienz der Niere vor. Von L e b e r
Ist die Vermutung geäussert worden, dass es sich um eine (iefässerkrankung
handelt. Die Netzhauterkrankung tritt nur bei Blutdrucksteigerung auf. Der
Grad der Veränderung ist abhängig von dem Zustand der Gefässe im Ver¬
hältnis zur Herzkraft. Ausserdem finden sich die Netzhautgefässe irn Zustand
stärkster Kontraktion. Es besteht also ein Parallelismus zwischen den Ver¬
änderungen der Niere und der Netzhaut bei Nierenkrankheiten. Dies beweist
auch, dass die Gefässe bei der akuten Nephritis stark ischämisch sind. Bei
der genuinen Hypertonie beteiligen sich die Arterien nicht an-der aktiven
Kontraktion.
Besprechung: L. Hahn: Es gibt Fälle von allgemeinem prä-
kapillarem Spasmus und Augenbeteiligung, die auf Papaverin ausgczeicliiKt
reagieren.
L. R. M ü 11 e r - Erlangen: Der Einfluss des vegetativen Nervensystems
auf das Fettgewebe.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Wachstum des Fettgewebes von
einem Zentrum im Zwischenhirn beeinflusst wird. Hierfür könnten Fälle von
Dystrophia adiposogenitalis ohne Hvpophysenbeteiligung sprechen. Es kommen
auch Fälle von halbseitiger Fettsucht vor, wie solche, wo das Fett paraplegisch
angeordnet ist. Bei letzteren muss man an eine Beteiligung des Rücken¬
marks denken. Bei der Sklerodermie findet sich ein Schwund des Fett¬
gewebes. desgl. bei der Glanzhaut (Glossy skin). Die Hemiatrophia facialis
liefert den besten Beweis für die Beteiligung des Nervensystems an der
Trophik. Das trophische Zentrum muss in die Gegend des 111. Ventrikels ver¬
legt w'erden.
L. Greving - Erlangen: Studien über die vegetativen Zentren des
ZwJschenhirns.
Die. Zentren im Zwischenhirn zu lokalisieren ist bisher noch nicht
möglich gewesen. Mit der Silbermethode lassen sich jedoch bestimmte Typen
von Zellen erkennen, die denen im viszeralen Vaguskern entsprechen.
Zwischenhirn und Hypothalamus enthalten zahlreiche solcher vegetativen
Zellen. Hier müssen die Zentren für alle vegetativen Funktionen gesucht
werden.
E. Leschke - Berlin: Ueber den Stoffaustausch zwischen Blut und
Gewebe und seine Abhängigkeit vom Nervensystem.
Wasser- und Molenaustausch zwischen Blut und Gewebe unterliegen
einmal der peripheren Regulation durch die Kapillaren. Die Funktions¬
prüfung derselben kann durch fortlaufende Verfolgung der molaren Blut¬
zusammensetzung nach intravenöser Injektion hypertonischer Lösung erfolgen.
Ausserdem unterliegt die Regulation einer nervösen Beeinflussung von dem
Hypothalamus aus.
Besprechung: J. Bauer - Wien hat zur Kenntnis des permanenten
arteriellen Hochdrucks gleichfalls bei Fällen von erhöhtem Blutdruck ge¬
funden, dass die Neigung zur Blutverdünnung nach Injektion hypertonischer
Lösungen eine auffallend geringe ist. — Bei' erhöhtem Blutdruck kommen
häufig zerebellare Symptome vor. sowie Hochdruckrheumatismus. wHe B. cs
bezeichnet.
Rindfleisch: Auch bei der Enzephalitis kommen häufig Stoffwechsel¬
störungen vor. die wahrscheinlich im Mesenzephalon lokalisiert sind.
F. H. Lew'y: Es handelt sich bei der Encephalitis lethargica nicht, wie
auch Umber gesagt hat. um eine Mesenzcphalitis. Es ist aus Grünticu
der gemeinsamen Verständigung wünschenswert, sich an die Bezeichnungen
des Index zu halten. Danach gehören die basalen Ganglien zum Tclenze-
phalon, der Thalamus zum Dicnzenhalon.
Falta-Wien: Klinische Probleme der Blutchemie.
Die Verteilung der Nichtelektrolyten, des Cholesterins, des Lezithins und
der Elektrolyte auf Plasma und Gesamtblut wurde durch eingehende Unter¬
suchungen festgestellt. Es w'ird die Frage erörtert, wie die osmotischen
Verhältnisse zwischen Blut und Plasma sich abspiclen. Die Untersuchung
des Gesamtblutes ist immer nicht eindeutig und auch die Untersuchung des
Plasmas allein gibt nicht Resultate, die für alle Fragestellungen ausreichend
sind.
W i e c h m a n n kann die Angaben von F a 11 a nicht bestätigen. Er
hat in den roten Blutkörperchen regelmässig Chlor gefunden.
Original frDiri
UNIVERSmr OF CALIFORNIA
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
595
Falta (Schlusswort): Es kann sich um eine SchädigutiR der roten Blut¬
körperchen bei der Gewinnung des Plasmas handeln, wodurch diese für Chlor
durchgängig werden könnten.
tf e y e r - München: Psyche und Magensekretlon.
Die P a w I 0 w sehen Resultate wurden am Menschen nachgeprüft. Die
Patienten wurden hypnotisiert und ihnen dann die Speisenaufnahme suggeriert.
Der Magensaft wurde in 5-Minuten-Perioden abgesaugt. Nach einer Latenzzeit
begann die psychische Sekretion regelmässig und zwar ganz verschieden,
ob Brot, Milch oder Bouillon suggeriert wurde. Es fand sich weitgehende
Analogie zu den von P a w 1 o w mitgeteilten Kurven. Durch Angst- und
Schrecksuggestion konnte ein schnelles Absinken der Sekretion hervorgerufen
werden, bei freudiger Suggestion kein Ansteigen, meist auch ein Absinken.
P o n g s - Frankfurt a. M.: Die Beeinflussung der Säureverhältnisse des'
Magens durch Atropin.
Es wurde durch Erbsbrei Magenschmerz erzeugt und später das gleiche
unter Atropin verfolgt. Gleichzeitig wurde der Chemismus des Magens fest¬
gestellt. Es zeigte sich ein verzögerter Anstieg der Säurewerte nach Atropin
(verlängerte Latenz).
Szego und R o t h e r - Berlin, Vortr, Rot her: lieber den Einfluss
der Rontgenstrahien auf die Magensaftsekretion.
Es wurde der Einfluss von Röntgenstrahlen auf Saftmenge. Gesamt- und
freie HCl, Lab- und Pepsingehalt des Magensaftes untersucht. Nur bei grossen
Dosen über die HED. findet sich ein Einfluss auf die Sekretionsverhältnisse
zuerst im Sinne einer Reizung, die dann in eine Schädigung überging.
H. Curschmann - Rostock hat früher dieselben Befunde wie Herr
Hey er vorgetragen. Sie wurden mit erheblich einfacherer Methode ge¬
wonnen. Dysphorische und euphorische Effekte können nicht gleichsinnig
wirken, wie diesbezügliche Beobachtungen an Patienten zeigen. — Die Ver¬
suche von Pongs sind deshalb unbefriedigend, weil der Magen ganz ver¬
schieden auf die Verweilsonde reagiert.
Meyer (Schlusswort).
Pongs (Schlussw'ort).
tl e i n z - Erlangen: liebe» Hefeeztrakt als Stomachikum und seine medi¬
zinische Verwendbarkeit.
Im Hefeextrakt finden sich ähnliche Stoffe wie im Fleischextrakt und so
wirkt er auch stark appetitanregend. Er ist das beste Stomachikum. Ausser¬
dem macht er schlecht schmeckende Medikamente besser verträglich (z. B.
Arsen, Kreosot und Jod).
Katsch und v. Friedrich - Frankfurt a. M.: lieber die Magen-
strasse. Vortr. Katsch.
Lässt man bei vollem Magen eine schattengebende Flüssigkeit trinken,
so sieht man an Röntgenbildern, dass sie nicht, wie man allgemein annimmt,
an der kleinen Kurvatur bis zum Pylorus entlang läuft, sondern sich über den
ganzen Magen ausbreitet. Beim Hunde liegen die Verhältnisse anders.
Aussprache: Singer betont, dass beim Gastrospasmus der Magen
sich immer erst allmählich entfaltet. Die Art der Auffüllung ist beweisend für
den Zustand, in dem sich die Muskulatur befindet.
Ganter und van der R e i s - Greifswald, Vortr. van der Reis:
Die Autosterilisation des Dünndarms (Untersuchungen mit der Dampfschiffchen¬
methode).
Schiffchen werden, durch Verschlucken in den Darmkanal gebracht, am
Röntgenschirm verfolgt und an beliebiger Stelle durch Elektromagneten ge¬
öffnet. Prodigiosuskeime konnten in den Fäzes nur dann festgestellt werden,
wenn die Schiffchen erst im Dickdarm geöffnet wurden. Verschiedene andere
Bazillen wurden ebenso ausprobiert und Immer zeigte sich, dass sie im
Dünndarm abgetötet werden.
F u 11 - Frankfurt a. M.: Bestimmung des Fibrinogengehalts des Blutes als
Leberfunktionsnr»fung.
Die Angaben über den Zusammenhang des Fibrinogengehalts des Blutes
und der Leberfunktion wurden nachgeprüft und bestätigt gefunden. Bei Leber¬
schädigung findet sich eine Verminderung des Fibrinogengehaltes.
Beckmann - Halle a. S. Spektrophotometrische Gallenfarbstoffunter¬
suchungen im Blutserum.
Aus der direkten und indirekten Gallenfarbstoffreaktion nach H e y -
manns v. d. Bergh wurde geschlossen, dass es zwei Abarten von Bili¬
rubin gibt. Spektrophotometrische Untersuchungen ergaben keine Anhalts¬
punkte hierfür. Es handelt sich also nicht um zwei chemisch verschiedene
Bilirubine.
R. V. L i p p m a n n - Frankfuit a. M.: Ueber den Ikterus der Herz¬
kranken (nach gemeinsam mit H. Hofmann - Wiesbaden ausgeführten Unter¬
suchungen).
Bei allen Fällen von Subikterus bei Herzkranken zeigte sich immer eine
Vermehrung des Bilirubmgehaltes des Blutes. Für die leichten Formen des
Ikterus wird eine funktionelle Störung der Gallensekretion angenommen, bei
den schweren Formen eine Erkrankung der Gallenkapillaren.
Besprechung: M e y e r - Saarbrücken: Bei der Enzephalitis finden
sich häufig Schädigungen des Linsenkerns und bei diesen Fällen sollten im
Hinblick auf den Wilson Leberfunktionsprüfungen vorgenommen werden.
G. R o s e n o w - Königsberg: Ueber den Einfluss der Milz auf die
Reaktionsfähigkeit des Knochenmarks.
Hat die Beziehungen des leukopoetischen Apparates des Knochenmarks
zur Milz untersucht. Beim entmilzten Tier erfolgt im Gegensatz zum Normal¬
tier nach Injektion von Natr. nucleinicum ein enormer Anstieg der weissen
Blutkörperchen. Die Reaktionsfähigkeit scheint am stärksten zu sein je
jünger das Tier ist. Ausschaltung der Milz erhöht also die Reizbarkeit des
Knochenmarks. _
Verein fQr innere Medizin und Kinderheiikunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.) ^
Sitzung vom 2. M a i 1921.
Tagesordnung.
Herr S. G. Zondek (a. G.): Die Bedeutung der Kalzium- und Kalium¬
ionen, insbesondere bei Giftwirkungen.
Die anorganischen Substanzen sind gegenüber den organischen von der
Forschung bisher nicht im gleichen Masse berücksichtigt worden. Dies ist
aber unberechtigt, da zwischen den Ionen und den Zellkolloiden direkte und
enge Beziehungen bestehen.
SO« > Cl^ Br > NO.'i > I bilden eine Reihe, welche in Bezug auf
Förderung der Hämolyse, Einfluss auf die Quellung der Gelatine gleiche
gesetzmässige Verhältnisse darbieten.
H “ OH, K und Ca haben antagonistische Funktion, wie sie z. B. bei
direkter und indirekter Reizung der glatten Muskulatur deutlich werden. Hat
K z. B. das Uebergewicht, .so erfolgt diastolischer Herzstillstand, hat Ca
das Uebergewicht, so erfolgt systolischer Herzstillstand. Auch Chloralhydrat
erzeugt diastolischen Herzstillstand und seine Wirkung summiert sich zu¬
sammen mit der Kaliwirkung. Muskarin reizt den Vagus, wodurch diastoli¬
scher Stillstand erzeugt wird und die Kombination mit Kalzium zeigt sich
hier als eine — in der Wirkung paradoxe — erregende Wirkung.
Chinin und Arsen bewirken diastolischen Ventrikelstillstand, wie er
durch Verlust der muskulären Kontraktilität erzeugt wird. Kalzium wirkt als
Antagonist, Kalium dagegen steigert die Arsen- und Chininwirkung. Der
Kalziumwirkung steht die der Digitalis nahe, es sensibilisiert für die Digitalis¬
wirkung und es bestehen dann dieselben Beziehungen wie zwischen Kalzium
und Chinin und Arsen. Je nach dem Kochsalzgehalt wirkt eine sonst gleiche
Ringerlösung durchaus verschieden, und es zeigt sich hieraus, dass physi¬
kalisch-chemische Gesichtspunkte für die Kenntnis der Arzneiwirkung wich¬
tiger sind als rein chemische.
Nach dem Vorschlag von Belitz soll die physiologische Kochsalz¬
lösung durch Zusatz 7 proz. Gummi- oder 6 proz. Gelatinelösung ersetzt wer¬
den. Vortr. glaubt, dass der Grund dieser günstigen Wirkung in dem Asche¬
gehalt dieser Zusätze zu sehen ist. Das Kalzium entfaltet immer dort eine
günstige Wirkung, wo die Gefässkontraktion zu steigern ist.
Aussprache: Herr .Fu Id hebt hervor, dass der Gummizusatz zur
physiologischen Kochsalzlösung altbekannt ist.
Herr Kraus: ln den Untersuchungen des Vortr. sieht er mit anderer
Methodik (in Versuchen am Froschherzen) seine Warmblüterbefunde bestätigt.
Das Elektrolytengleichgcwicht ist einer der die Konstitution bestimmenden
Faktoren. Durch Elektrolytkombinationen treten Aenderungen der Wirkung
ein und darum' wirken Medikamente nach dem Zustand, in welchem .sich
der Organismus befindet, verschieden.
Herr P e r 11 z: Zur Physiologie und Pathologie der Lipoide.
Die WaR. hat er schon 1908 als Lipoidreaktion bezeichnet. Die Lipoide
1 sind kolloidale Substanzen und zwar phosphatide. Die thermodynamischen
Gesetze gelten auch für bioelektrische Vorgänge und zwar ist dies durch die
Methodik der Oelketten nachgewiesen.
Die Wirkung der Narkose besteht in einem Eindringen des Narkotikums
In die Lipoidmembranen, wobei sich in reversibler Wei.se die elektromotori¬
schen Kräfte ändern. Lezithininjektion kann die Herzschlagkraft bessern, wie
umgekehrt Lipoidmangel viele Krankheiten bedingt.
Im Hinblick auf die von Wassermann geheim gehaltene Methode
des Antikörpernachweises hebt er hervor, dass von französischer Seite durch
Dialyse die WaR.-Antikörper ebenfalls gewonnen worden sind. Die Lezithin¬
injektion macht nicht die WaR. negativ, darum darf man Lezithin nicht als
Antigen auffassen. Bei Tabes finden sich oft pseudojiegative WaR., und
hier wäre der Punkt, wo die neue Methode am ersten berufen sein müsste.
Klärung zu schaffen. In Bezug auf die Methodik ist zu erwähnen, dass
Lipoide stets an Eiweiss gebunden sind und aus der Bindung nur durch
Alkohol zu befreien sind.
Aussprache: Herr Citron: Die Lipoide sind nur zum Teil
richtige Antigene die Antikörper erzeugen. L e v a d i t i gelang es zuerst, aus
alkohqllschen Choleraextrakten Lipoide darzustellen, welche richtige Antigene
waren. Später gelang dies ihm und anderen aus Bandwurm- und Tuberkel¬
bazillen etc. Es handelt sich um Gemische oder Doppelverbindungen. Die
erzeugten Antikörper treten dann jedoch mit’ dem einfachen Lipoid in
Reaktion.
Herr F. L e s s e r hebt hervor, dass bei der Narkose die WaR., die
vorher negativ gewesen war, positiv wird, und sieht darin einen Wider¬
spruch zu den P e r i t z sehen Angaben. Im übrigen verteidigt er seine
von P e r i t z angegriffene Methode damit, dass er dieselben Resultate wie
P e r i t z erhalten hat.
Herr P e r i t z: Schlusswort. Wolff-Eisner.
Kleine Mitteilungen.
Der Begriff der Krüppelhaftigkeit
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat am 31. Januar d. J.
(Nr. 36III/20) eine Entscheidung über die Frage getroffen, ob die Lähmung
wichtiger Körperteile als Folgeerscheinung vorausgegangener Erkrankung
— es handelt sich um einen Fall von multipler Sklerose infolge von Syphilis —
geeignet ist, deq Begriff der „Krüppelhaftigkeit“ im Sinne des
Art. 58 Abs. I, 1 des Armengesetzes vom 21. August 1914 zu erfüllen. Der
Verwaltungsgerichtshof erholte zu dieser Entscheidung ein Gutachten des
Obermedizinalausschusses. Dieser schliesst sich zunächst der von Rosen-
feld auf dem 1. internationalen Kongress für Schulhygiene in Nürnberg 1904
gegebenen Definition des Begriffes „Krüppel“ an: „Wir verstehen unter
Krüppel Erwachsene und Kinder beiderlei Geschlechts, welche infolge ange¬
borener Fehler oder durch Verlust, Verkrümmung oder Lähmung einzelner
Körperteile in der Bewegungs- und Gebrauchsfähigkeit ihrer Gliedmassen
dauernd beeinträchtigt sind.“ Es führt dann weiter aus: „Die Frage, ob
die Lähmung wichtiger Körperteile als Folgeerscheinung vorausgegangener
Krankheit den Begriff „Krüppelhaftigkeit“ erfüllt, insbesonders ob es für die
Annahme von Krüppelhaftigkeit genügt, wenn die Bewegungsunfähigkeit auf
eine Lähmung der Bewegungsnerven zurückzuführen ist oder ob nicht viel¬
mehr eine Deformierung oder Versteifung der betreffenden Glieder gefordert
werden muss beantwortet das Gutachten unter eingehender wissenschaft¬
licher Begründung wie folgt:
a) Lähmung sei häufig die Ursache der Krüppelhaftigkeit. In den meisten
Fällen handle es sich dabei um die Folge abgelaufener Herderkrankungen im
Gehirn oder Rückenmark.
b) Nicht nur die Lähmung der „Glieder“, sondern auch die Lähmung der
Rückenmuskulatur mit folgender hochgradiger Rückenmarksverkrümmung
trete hierbei zuweilen als eine Art der Krüppelhaftigkeit auf.
c) Diese Lähmungen würden in der Regel einen Abschluss- und Dauer¬
zustand nach abgelaufener Krankheit darstellen, ihr unveränderliches Beharren
weise bei Fortbestehen der ursächlichen Krankheit auf einen lokal abge¬
schlossenen, nicht mehr behebbaren Zerstörungszustand hin.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
596
MÜNCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
Nr. 19
d) Gelähmte Muskeln ke nnten nicht mehr in Kontraktion versetzt, ge¬
lähmte Glieder deshalb nicht mehr aktiv direkt bewegt werden. Bei der
schlaffen Lähmung, die in der Regel der Anfangs-, in schweren Fällen der
Dauerzustand sei, blieben die Glieder passiv freibeweglich, ja sie könnten
sogar ü b e r b e w c g 1 i c h werden. Kontraktur, Verkrüppelung, Versteifung
seien sekundäre Erscheinungen an den gelähmten Körperteilen,
e) Die Lähmung nehme eine eigenartige Stellung insoferne ein, als sie
meistens als anfängliche, für die Eikenntnis der Krankheit besonders wichtige
Krankheitserscheinung aultrete, als F o' g e der Krankheit nach dauernder
Zerstörung der betreh'enden Nervensubstanz bestehen bleibe und dadurch das
Individuum zum Krüppel mache, d. h. Wesen und Inhalt des Ge¬
brechens selbst werde und bleibe.
Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die Lähmung wichtiger
Körperteile nach vorausgegangener Krankheit den Begriff der Krüppelhaftig¬
keit erfülle, sei hiernach einzig und allein die Art, die Lokalisation
und die U n v e*r ä n d e r 1 i c h k e i t der Lähmung. Funktionelle Lähmungen
und Paresen (leichte Lähmungen, Teillähmungen) kämen nicht in Betracht,
nur organisch bedingte und vollständige Lähmungen; die Lähmung müsse auf
einen oder mehrere Komplexe zusammenwirkender Muskeln, d. h. auf
einen oder einige Körperteile beschränkt sein (Mono-, Hemi-, Di-,
Paraplegie, d. i. einzel-, halb-, doppelseitige, gekreuzte Lähmung); sie müsse
endlich einen Abschluss - und Beharrungszustand darstellen, der
weder eine Besserung noch eine Verschlimmerung dieser Komplexlähmung
erwarten lasse.
Für den vorliegenden Fall sei das Bestehen von Krüppelhaftigkeit zu
verneinen, da weder eine vollständige Lähmung zusammenwirkender Muskel¬
gruppen an einem oder einigen Körperteilen, noch ein Abschluss- und Be¬
harrungszustand. sondern eine über den ganzen Körper verbreitete und fort¬
schreitende Lähmung vorliege."
Dieses, Gutachten entspricht auch dem Sprachgebrauch. Auch die bis¬
herige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erkennt Krüppelhaftigkeit
beim Vorhandensein der sonstigen Voraussetzungen an ohne Rücksicht auf die
Natur des Leidens, welches diesen Zustand ausgelöst hat, und verlangt
ausserdem das Vorliegen eines abgeschlossenen Zustandes, d. h.
eines gewissen Beharrungszustandes.
Da es sich in dem vorliegenden Fall nicht um einen im Sinne der Krüppel¬
haftigkeit eingetretenen Dauerzustand, sondern um eine fortschreitende
Gesamtkörperlähmung handelt, also der Eindruck der noch fortschreitenden
Krankheit überwiegt, ist der Kranke nicht k r ü p p e I h a f t; er ist aber auch,
obwohl er völlig bewegungsunfähig und vollständig hilflos ist, nicht ein ab¬
schreckend und ansteckend kranker Siecher; er zählt daher' nicht zu jenen
Hilfsbedürftigen, die durch Art. 58, Abs. I, Ziff. 1 des A.G. der Fürsorge der
Landesarmenverbände zugewiesen sind.
SelbstversicherutiK oder Unterstützung.
S e I b e r g zählte neunzig Unterstützungskassen für die Aerzte Deutsch¬
lands im Jahre 1903. Später traten weitere Kammerbezirkskassen hinzu.
Damit nicht genug, wurde vom Leipziger Verband eine Sterbe-, Alterszulage-
und Witwen-Kasse neu gegründet. Vielfach tadelte man an solchen Ein¬
richtungen, zumal auch an der Versicherungskasse f. d. Ae. D., die An¬
sammlung von Vermögen, obwohl ein gewisses Mass der Thesaurierung schon
durch die Stiftungen nicht zu umgehen ist. Die Beiträge für die Leipziger
Verbandskassen sollen nicht genügen, es werden erst jetzt mathematische
Berechnungen stattfinden. Auch die lokalen Versorgungsanlagen einiger
kassenärztlicher Vereinigungen entwickeln sich nicht zur Freude ihrer Teil¬
nehmer. Ueberall gelten die Beiträge für zu hoch, die Renten für zu niedrig.
Vielleicht dienen allen diesen mühevollen und zeitraubenden Bestrebungen,
die wohl schon manchen heissen Kopf gemacht haben, folgende Vergleichs¬
zahlen als brauchbare Unterlage:
Diese letzten Ziffern werden den Aerzten bayer. Krankenkassen den
Himmel voller Bassgeigen erscheinen lassen. Aber bei genauerem Studium
zeigt sich, dass ohne entsprechende Einzahlungen höhere Renten unmögüch
sind. Der Geschmack an einer Kasse fördert nicht den Appetit zu einer
zweiten! — Der Hauptvorteil einer Umlage bei den Berufsgenossen läge
in der Möglichkeit, die Kassenlöwen durch progressive Besteuerung sozial
zu erfassen. — Ob dies die Herren in Leipzig erzwingen könnten?
K u n t z e n - München.
„Sterila“ Rekordspritze.
Die Firma Grünebaum & Scheuer, Berlin SW. 61 übersendet
uns ein Muster ihrer unter obigem Namen in den Handel gebrachten Injektions¬
spritze. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass der in den Zylinder luftdicht
eingeschliffene Kolben und dessen Widerlager aus Glas bestehen. Dadurch ist
ein Oxydieren ausgeschlossen und sichere Sterilisierung ermöglicht. Die
Metallteile sind gut vernickelt, das ganze Instrument von tadelloser Arbeit.
Therapeutische Notizen.
Die massiven intrabronchialen Injektionen bei der
Behandlung der Lungengangrän empfiehlt Jean G u i s e z und
es gelang ihm, 12 Fälle von schwerer Lungengangrän mit dieser Methode zur
Heilung zu bringen. Wichtig ist hiebei 1. nicht kleine Mengen Flüssigkeit
(2—3 ccm), sondern wenigstens 15—20 ccm in die Luftröhren einzuspritzen,
2. direkt in eine derselben die Injektion zu machen, was vermittelst der
besonderen, langen Sonden und der Stellung des Patienten möglich ist und
3. vollständige Anästhesie des Kehlkopfes, indem mehrmals hintereinander
Zunge und Unterzungengegend mit einer 5 proz. Kokainlösung bepinselt und
mittelst einer speziellen Kanüle 2—3 ccm einer 2 proz. Kokainlösung in den
Anfangsteil der Trachea injiziert werden. Als Medikament hat Q. der Reihe
nach 1 proz. Menthol-, 5 proz. Guajakollösung und schliesslich 10—20 proz.
Gomenolöl versucht, welch letzteres sich als bestes und am wenigsten
reizendes Mittel erwies. Die Injektionen müssen jeden Tag oder jeden
zweiten Tag gemacht'werden, der Patient nach der Injektion eine halbe
Stunde unbeweglich liegen bleiben und zwar auf der Seite der betroffenen
Lunge. Die Injektion, obwohl sehr reichlich (20—25 ccm) wird immer gut
ertragen und nur kaum von einem Hustenanfall gefolgt. In allen Fällen war
der mehr weniger rasche Heilungsverlauf immer folgender: Die Temperatur
wird nach wenigen Injektionen schon normal, das Allgemeinbefinden gründlich
gebessert, der Appetit ein sehr guter (nach der 4.—5, Injektion), die Menge
des Auswurfs nimmt sehr rasch ab, der gangränös-fötide Charakter des¬
selben aber scheint am längsten anzuhalten. Von Bedeutung ist, dass die
Injektion ziemlich rasch ausgeführt wird, um das Eindringen der Flüssigkeit
in die Luftröhrenschleimhaut, deren resorbierende Fähigkeit ziemlich be¬
deutend ist, zu vermeiden und aus diesem Grunde dürfte die massive, direkte
Injektion den Punktionen der Trachea mit feinen Nadeln vorzuziehen sein.
Die Lokalisation der Krankheit hat für die Wirkung der intrabronchialen In¬
jektionen eine gewisse Bedeutung: Die an der *Lungenbasis sitzenden Herde
sind am leichtesten zu erreichen. Die Technik der Injektionen, so peinlich
genau sie auch einzuhalten ist, ist nach Verfassers Ansicht leicht zu er¬
lernen. (Presse m^dicale 1921 Nr. 17.) St.
Kasse pro Jahr
Gesamteinzahlungen
Krankengeld-
Maximum
In validen-u. Altersrente
f. d. eo.Lebensjahr, ohne
Rückgew. berechnet
Sterbegeld.
Bemerkungen
Münchener Ortskrankenkasse
Mk,
(436 Mk. Arbeitnehmer;
3000 Mk.
-
600 Mk.
Freie Arznei und Arztwahl, — Krankenhaus. — Kran¬
kengeld. — Rechtsanspruch. — 224763 Mitglieder.
Buchdruckergewerkschaft
312 .Mk.*)
750 Mk.
“ "7300^^
730 Mk.
500 .Mk
i2ÖÖ~MkT
Nur Unterstützung, kein Rechtsanspr., Rente schwank.
(Andere Gewerkschaften ebenso.) —100,000Mitglieder.
Gewerkschaftsbund der Angestellten
860 Mk.*)
•) Beträchtliche Abzüge gehen ab für and: Zwecke. —
Rechtsanspruch. — 40u 000 Mitglieder.
Schweizer Aerztekrankenknsse
240 Fr.
7800 Fr.
Erst vom 21. Krankheitstag an. — Unfallentschädl-
gung ist ausgeschlossen. — 790 Mitglieder.
Versicherungskasse für die Aerzte
Deutschlands, a. 0. zu Berlin. —
80 Jahre alter Arzt.
126 Mk.
1820 Mk.
—
500 Mk.
**) 10 Mk. pro Tag;
*••) 26 „ „ „
) Obligator.Ver.-Ver8.{—;Wart6-
zeii.
1 •••*) Bei Kriegsrisiko geringe
[ Erhöhung.
Keine ärztl. Aufnahmeunter-
j Buchung.
Rechtsanspruch; Un¬
fall eingeschl.; keine
Wartezeit.- Aushilfe¬
fonds. — Dividende. -
Verschiedene Kom¬
binat. d Tarife. Ver¬
zicht -Versicherung,
t) theoret. Berechn.
316 Mk.
4550 Mk.***;
—
1250 Mk.
23 Mk. •—)
■' —
-
1000 Mk.
163 Mk.
1092 Mk.
500 Mk
1000 Mk.
194 Mk.
720 Mk /
720 Mk.|,3g
-
1000 Mk.
3000 Mk.
6000 Mk.
Mannheimer Kassenärzte
730 Mk.
—
3000 Mk.
6000 Mk.
Kein Rechtsanspruch — progressive Beitragserhöhung.
Grandstock.
Münchener .j^Arminia“ Akt. Ges.
80 J. a. Arzt.
496 Mk.
248 Mk.
214 Mk. tt)
4000 Mk.
2000 Mk.
1000 Mk.
-
tt) 5% Erhöhung seit 1. 6.20. — Unfall eingeschlosaen.
Gewinnbet. — Wartezeit nur bei Zuachlagsprftmien.
Vorbeug Heilverfahren kann zugebiiligt werden.
Pensions-Anstalt deutscher bildender
Künstler Weimar.
80 Mk.
300 Mk
-
214 Mk.
2140 Mk.
Wartezeit 10 Jahre. — Bei Invalidität; Rente nuriiM&
Beitragsjahren. — Hilfslonds.
Pensionsilnstaltf. Deutsche Journalisten
u. Schriftsteller München.
240 Mk.
—
1717 Mk.
—
Ruhegeh., Witwen- und Waisenk. für
deutsche Kechtsunw. u. Notare, Halle
200 Mk.
-*
1000 Mk.
Sterbegeld :
nach V* J d.
Gehalt oder
Ruhegehalt.
Witwe u. led.
Waise
40®/# d. Vjdes
Ruhe- Witw.-
gehalts Gehalts
1400 Vollw.
1480 mehr.
1520
Hohes Eintrittsgeld. — 6 jährige Wartezeit. — Bei¬
hilfe im Bedürfnisfälle.
Bayerischer Versorgungs-Verband
10000 Mk. Jahresgehalt angenommen.
z. Z 3*/, Umlage aus
d. versorgungsfähigen
Oiensteinkommen :
500 Mk. — Die Ver-
handsumlage bemisst
sich nach dem jähr¬
lichen Aufwand.
In den ersten 10 Dienstjahren 85 Vo
des versorgungsberechtigten Dienst¬
einkommens; steigend jährlich bis
20. Dienstjahr um 2 %; vom 21. Dienst¬
jahr an steigend um 1 •/*. — Mithin :
8500 : 8700 : 8800 Mk
Höchstens 75*/o des Gesamteink.
Wartezeit 8 ,lahre — Uebernahme d. Heilverfahren
auch in dieser. — Dienstunfäliigkeits-; oder Alters¬
rente. — Letztere vom 65. Lebensjahre an. — Die
Prämien anderer Versicherungsuntemehm, würden
bei Berechn, für das 65. Lebensjahr um rund 80*/#
niedriger sein.
1
Di-gitized by
Google
Original f^ü-m
■ _
13. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE A\^QCHENSCHR1FT.
597
Das Mesothorium, seine Derivate und die radio¬
aktive Therapie bespricht Gabriel Petit- Alfort in einer zusammen¬
fassenden Arbeit, welche den Ursprung des Thorium, des Mesothorium, die
genaueren Eigenschaften des letzteren — erst zunehmende, dann abnehmende
Wirkung der Mesothoriumpräparate — und deren Anwendungsgebiet be¬
handelt. Bei der Lokalbehandlung des Karzinoms hat es dieselben Indikationen
und Technik wie das Radium, ist aber demselben durch die grössere Tiefen¬
wirkung seiner Strahlen überlegen, weshalb es aber auch grösserer Auf¬
merksamkeit bei der Anwendung und bei längerer Dauer derselben genaue
Filtration erfordert. Bei inoperablen Fällen von Karzinom haben intravenöse
Injektionen von Brommesothorium (2—5 Mikrogramm pro Tag) zuweilen Rück¬
gang der Qeschwulstmassen, Linderung der Schmerzen und Besserung des
Allgemeinbefindens, wenn auch nur vorübergehend, gebracht. P. glaubt, dass
dem Mesothorium und seinen Derivaten (Radiothorium und Thorium X) eine
glänzende Zukunft in der Ther^nie bevorsteht, dass es nicht nur beim Kar¬
zinom, sondern bei Infektionen verschiedenster Art und so vielen äusseren
oder inneren Erkrankungen, denen gegenüber wir gegenwärtig mehr weniger
machtlos sind, vielseitige, wertvolle Indikationen besitzt, die zum Teil schon
bekannt sind, zum Teil aber noch weiterer Forschung bedürfen. (Presse
mödicale 1921 Nr. 21.) St.
Die Gefahren der Rachianästhesie bespricht G u i b a 1 -
Beziers (Presse mädicale 1920 Nr. 25) und zwar im Anschluss an 5 Fälle, die
ihm unter mehreren hunderten glücklichen Fällen vorgekommen sind . Der
häufigste von den Zufällen, die bei der Rückenmarksanästhesie Vorkommen
können, und wie es scheint schwerste, ist der Stillstand der Atmung (Apnoe),
welcher sehr rasch nach der Injektion eintritt und zwar immer nur bei einer
hochgehenden, das Schlüsselbein erreichenden Injektion. Die Apnoe beruht
auf der Wirkung des Anästhetikums auf das respiratorische, aber in zweiter
Linie auch auf das Herzzentrum. Die Apnoe kann während der Vorbereitungen
zur Operation ganz unbemerkt eintreten; es muss daher ständig ein Assistent
den Patienten überwachen, wenn man nicht gewärtig sein will, was G. in
zweien seiner (5) Fälle passierte: der Patient war, als der Arzt, erstaunt
über seine Ruhe ihn betrachtete, tot. Diese Apnoe und andere Zufälle treten
einige Sekunden, selten Minuten auf, sobald der Einstich gemacht ist und der
Patient auf dem Rücken liegt. Wenn nicht rechtzeitig erkannt, folgt der Apnoe
binnen kurzem Herzlähmung und Tod, sie muss mittelst künstlicher Atmung
und exzitierenden Einspritzungen bekämpft werden. Die Zufälle beobachtet
man mit mässigen Dosen des Anästhetikums (0,04—0,06 Stovain, 0,08 bis
0,1 Novokain) und ohne dass ein Fehler der Technik anzuklagen wäre; ihr
Auftreten ist daher entmutigend, da sie unter Bedingungen Vorkommen, wo die
Mehrzahl der Patienten keine Störung zeigen. G. schliesst mit dem Wunsche,
dass die Chirurgen ihre üblen Fälle veröffentlichen und zwar mit ausführ¬
lichen Einzelheiten, um die Pathogenese aufzuklären und daraus therapeutische
Schlüsse zu ziehen. Dann kann man erst genau feststellen, welcher Umfang
und Bedeutung der Rückenmarksbetäubung im Rahmen der Chirurgie zu¬
kommt. St.
Studentenbelange.
Studentiscba Büchernot
In wie verhängnisvoller Weise die gewaltige Steigerung der Bücher¬
preise auf der Studentenschaft lastet und ein erfolgreiches Studium erschwert,
oft nahezu unmöglich macht, bedarf keiner weiteren Ausführung. Die Stü¬
de n t e n h i 1 f e möchte versuchen, auch hier wenigstens einigermassen Ab¬
hilfe zu schaffen durch Einrichtung einer Bibliothek, welche vor allem Lehr-
und Handbücher auf den Gebieten der Naturwissenschaft, der Geisteswissen¬
schaft und der Technik, Ausgaben der Schriftsteller usw. in möglichst zahl¬
reichen Exemplaren enthält, so dass sie in der Regel etwa auf ein Semester,
im Bedarfsfälle auch auf längere Zeit den Studierenden ausgeliehen werden
können.
Der Arbeitsausschuss der Studentenhilfe Berlin (gez.
Geh.-Rat Prof. Dr. E. Meyer) richtet nun an alle interessierten Kreise der
weiteren Oeffentlichkeit die Bitte, wissenschaftliche Bücher, die sie selbst
nicht mehr brauchen, der Studentenhilfe für den angegebenen Zweck zu über¬
lassen. Die Studentenhilfe hofft, dass ihr das Wohlwollen, das ihr bereits
so vielfach erwiesen worden ist, auch bei diesem Aufruf gewährt wird.
Bücher werden in den Räumen der Studentenhilfe, Zimmer 3 der Universität,
täglich von 10—1 und 2—4 Uhr in Empfang genommen oder auch auf Mit¬
teilung in der Wohnung abgeholt.
Gleichzeitig richtet das Bücheramt der Münchener Medi¬
zinerschaft an alle Aerzte die herzliche Bitte ihm .gebrauchte Lehrbücher
über sämtliche Gebiete der Medizin und der Naturwissenschaften, sowie
medizinische Instrumente, weisse Mäntel oder sonstige Gegenstände, die ein
Studierender der Medizin sich anschaffen muss, umsonst oder zu billigem
Preis zur Verfügung zu stellen, um auf diese Weise bedürftige Mediziner
am unmittelbarsten zu unterstützen. (Geschäftsstelle des Bücheramtes und
der Münchener Medizinerschaft: Universitäts-Frauenklinik, Zimmer 243, Mai¬
strasse). Frhr. v. Verschuer, cand. med., München.
In derselben Sache schreibt uns der Verband deutscher Medizinerschaften:
Die Steigerung der Bücherpreise macht der Mehrzahl der Studierenden
den Ankauf von Lehrbüchern im erforderlichen Umfang unmöglich. Mit der
Beschränkung auf Kompendien leidet die Ausbildung des Einzelnen und mit
ihr das Ansehen des ganzen Standes. Antiquarische Werke aus dem Nachlass
von Altakademikern finden meist keinen Liebhaber, da gerade^ bei Medizinern
vorwiegend Bücher lebender Autoren in tunlichst neuer Auflage geschätzt
werden. Ein Ausweg Hesse sich finden: In der Bücherei jüngerer praktischer
Aerzte und besonders auch Fachärzte findet sich sicher manches vom Besitzer
unbenutzte Buch, das einem Studierenden noch gute Dienste leisten könnte.
Wir bitten daher unter Berufung auf die Solidarität des Standes unsere im
Berufe stehenden Kollegen, ihre Bücherei auf entbehrliche, aber noch gang¬
bare Bücher durchmustern zu wollen und das Ergebnis mit Preisangabe ein¬
schliesslich Verpackung, ausschliesslich Porto der Medizinerschaft einer nahe¬
gelegenen Universität oder dem Verband deutscher Medizinerschaften, Leipzig.
Liebigstr. 20 mitzuteilen. Verband deutscher Medizinerschaften.
I. A.: Joh. Bergmann.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 11. Mai 1921.
— Einen grosszügigen Plan für eine Gesamtversicherung der
bayerischen Aerzte hat Herr Dr. Stauder in Nürnberg, der Vor¬
sitzende des Landesausschusses der Aerzte Bayerns, ausgearbeitet. Die Ver¬
sicherung soll umfassen Ruhegehalt, Invaliditätsrente, Witwen- und Waisen¬
versicherung, Sterbegeld, Heilverfahren und Unfallversicherung. Sie ist ge¬
dacht im Anschluss an den b. Versorgungsverband, der die Aufgabe hat,
für alle Gemeinden, auch für gemeinnützige Vereine und Anstalten, die Ver¬
sorgung ihrer Angestellten und Hinterbliebenen zum Zwecke gegenseitiger
Ausgleichung der Kosten zu übernehmen. Auf Grund dieser Versicherung
könnten auskömmliche Renten, z. B. Ruhegehälter von 8050 bis 33 750 M.,
bezahlt werden. Natürlich sind auch die zu zahlenden Jahresprämien ent¬
sprechend hoch. Ob die b. Aerzte so viel Solidaritätsgefühl und Sparsinn
aufbringen werden, um ohne staatliche Zwangsorganisation mit Umlagerecht
und Beitrittszwang eine so grosse Opfer erfordernde Versicherung durchzu-,
führen, steht dahin. Jedenfalls verdient der Plan Standers gründliche
Prüfung und grösstmögliche Förderung. Wir hoffen eine eingehende Wür¬
digung der Gedanken und Vorschläge Standers in einer unserer nächsten
Nummern bringen zu können.
— Der vom 3.—6. Mai 1921 abgehaltenen ersten diesjährigen praktischen
und mündlichen Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst
in Bayern unterzogen sich 7 Aerzte. Hiervon erhielten 3 die Note I,
4 die Note II. Die nächste praktische und mündliche Prüfung findet Ende
Juli, eine weitere bei Bedarf Ende Oktober statt.
— Der Aerztliche Bezirksverein München-Land beschloss in seiner
Sitzung vom 8. Mai die Festsetzung von Mindesttaxen für die
Privatpraxis auf dem Lande mit Bindung für die Mitglieder. Es
wurden folgende Mindestsätze festgesetzt: 1. Konsultation 10 M., bei Nacht
(und Sonntags) 15 M. 2. Besuch 15 M., bei Nacht (und Sonntags) 25 M.
3. Lebensmittelzeugnis 5 M. 4. Andere kurze Zeugnisse 10 M. 5. Zeitver¬
säumnis pro Stunde 12 M., angefangene halbe Stunde 6 M. 6. Weggebühr
und Zeitversäumnis für jeden Doppelkilometer 10 M., bei Nacht 15 M.
(Beispiel: Besuch in 5km entferntem Ort 5mal 10+15 = 65 M., bei Nacht
5 mal 15 + 25 = 100 M.) 7. Für besondere Leistungen nach der Gebühren¬
ordnung 300 Proz. Teuerungszuschlag, d. h. das Vierfache der jetzigen
Sätze, auf geburtshilfliche Leistungen 800 Proz. Aufschlag, d. h. das Neun¬
fache. Bei Unterbietung dieser Sätze soll eine Konventionalstrafe von
1000 M. für jeden bekanntgewordenen Fall eintreten. Der Betrag fällt an
die Vereinskasse. ,
— Die preuss. Gemeinde- und Kreisverwaltungen sind angewiesen wor¬
den, bei der Besetzung vomKommunal - und Fürsorgearzt¬
stellen ihr Augenmerk besonders auf die Bewerber zu richten, die an
einem Lehrgang an einer der drei sozialhygienischen Aka¬
demien in Charlottenburg. Breslau und Düsseldorf teilgenommen haben
und über dessen regelmässigen Besuch eine Bescheinigung der Akademie
vorlegen.
— An der Westdeutschen sozialhygienischen Aka¬
demie, deren Leiter seit Kurzem Dr. T e 1 e k y, früherer Dozent an der
Universität Wien ist, wird gegenwärtig der II. viermonatlichc Kurs für An¬
wärter auf Kreisarzt- und Kommunalarztstellen gehalten. — Der nächste
derartige Kurs, der gründliche Kenntnisse auf dem gesamten Gebiete der
Gesundheitsfürsorge gibt, beginnt Anfang Oktober. — Von Mitte September
an wird ein dreiwöchentlicher Kurs für Tuberkulose-Fürsorgeärzte und ein
vierwöchentlicher Kurs für Säuglings-Fürsorgeärzte gehalten. — Auch ein
sozialhygienischer Kurs für Verwaltungsbeamte ist geplant.
— Aus dem Stadtrat der Stadt Schweinfurt wird uns geschrieben:
Es dürfte für die bayerische Aerzteschaft von Interesse sein, dass der
seit 1. XI. 1920 in Schweinfurt tätige Stadt- und Schularzt Dr. Ludwig
Schüssler, vorher prakt. Arzt in München, am 29. IV. 1921 einstimmig
zum berufsmässigen Stadtrat gewählt worden ist unter Einreihung in die
Gruppe XII der staatlichen Besoldungsordnung. Wir freuen uns durch diese
Wahl zum Ausdruck zu bringen, dass wir auch die ärztliche Mitarbeit in der
Stadtverwaltung als eine vollwertige und gleichberechtigte anerkennen, umso¬
mehr, als unseres Wissen in anderen bayerischen Städten die Berufung eines
Arztes zum berufsmässigen Stadtrat bisher nicht erfolgt ist.
— Auf Grund mehrfacher Anfragen seitens Studierender an die Akademische
Auskunftstelle der Universität Leipzig, ob die medizinische Studien¬
zeit an der Universität Graz bei Ablegung der medizinischen
Prüfungen in Leipzig angerechnet wird, teilt die Akademische Auskunfts¬
stelle mit, dass nach Auskunft des sächsischen Kultusministeriums so ver¬
brachte Studienzeit bis zu zwei Semestern angerechnet wird, (hk.)
— Die bereits erwähnte (S. 474) Erklärung holländischer Chi¬
rurgen gegen den Ausschluss der deutschen und österreichischen Chirurgen
aus der Internationalen Gesellschaft für Chirurgie hat folgenden Wortlaut: „Die
Unterzeichneten Niederländischen Chirurgen legen Wert darauf, öffentlich ihrer
Meinung Ausdruck zu geben, dass sie die Ausschliessung der deutschen und
österreichischen Chirurgen von den Versammlungen der Societe internationale
de Chirurgie sehr bedauern und es missbilligen, dass gegen diese Ausschlies¬
sung durch die Vertreter aus den Niederlanden nicht kräftig protestiert
wurde." Die Erklärung ist von 65 Chirurgen unterschrieben. .
— In der Klagesache des Prof. Zangemeister - Marburg gegen
die R a d - J o - Gesellschaft hat das Landgericht in Hamburg beschlossen: Den
Beklagten wird bei Vermeidung einer Geldstrafe bis zu 1500 M. oder einer
Haftstrafe bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
bei ihrer Reklame für das von den Beklagten betriebene Mittel „Rad-Jo“
auf die Person des Klägers oder auf die Marburger Universitäts-Frauenklinik
oder auf „eine Deutsche Frauenklinik" Bezug zu nehmen. Die Beklagten
werden als Gesamtschuldner in die Kosten des Prozesses verurteilt.
— Das Deutsche Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen beabsichtigt
im August d. J. eine StudienreisenachDeutsch-Oesterreich.
Salzkammergut-Steiermark-Tirol zu veranstalten. Die Reise
soll am Donnerstag, den 25. August früh in München beginnen und am Sonn¬
abend, den 3. September abends ebendaselbst enden. Besucht werden
(Aenderungen Vorbehalten): Salzburg, Gmunden, Ischl, Aussee, Hallstatt.
Berchtesgaden, Reichenhall, Gastein. Zell am See, Igls, Innsbruck. Der Preis
für die zehntägige Reise von München bis München wird ca. 1100 M. betragen.
— Das Genesungsheim für Gelehrte und Künstler in
Bad Ems ist am 1. Mai eröffnet worden. Der Pensionspreis beträgt 20
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
598
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRfFT.
Nr. 19.
bis 25 M. Preisherabsetzungen finden statt bei grosser Notlage des Pa¬
tienten sowie bei Kuraufenthalt in Vor- und Nachsaison. Jeder Aufnahme¬
suchende erhält von der Verwaltung einen Fragebogen zugcstellt, der ausge¬
füllt zusammen mit dem letzten Stcuerzettel und einem ärztlichen Zeugnis,
dass Tuberkulose ausgeschlossen ist. dem Vorstande einzuschicken ist. Die
Regierung gewährt generell allen Personen mit einem Einkommen bis
15 000 M. Befreiung von Kurtaxe etc. und bei einem Einkommen bis 25 000 M.
halbe Preise für Kurtaxe und die staatlichen Kurmittel. Für A e r z t e ist
im Heim ein Freibett vom Verband der Aerzte Deutschlands (Leipzig) ge¬
stiftet worden. Ausser Aerzten werden aufgenommen alle Akademiker, Stu¬
denten, Juristen, Philologen, Schriftsteller, Journalisten, Apotheker, Zahn¬
ärzte, Chemiker, Sänger. Schauspieler, Maler, Musiker, Bildhauer und Archi¬
tekten. Geh. Rat v. Walde yer-Hartz hat dem Heim, das er mitbe¬
gründen half, einen Teil seiner wertvollen Bibliothek vermacht. Mögen
noch viele Kollegen seintan guten Beispiel folgen.
— Unter der Leitung von Dr. Siisviela G u a r c h, Gesandter der
Republik Uruguay in Ber'in, der seinerzeit in Berlin promoviert und dort
viele Jahre als Arzt gelebt hat, hat sich ein deutsch-spanischer
Aerzteverein gebildet. Der Verein bezweckt, alle aus Spanien und
Uebersee zu Studienzwecken nach Deutschland kommende Kollegen in wissen¬
schaftlicher und wirtschaftlicher Beziehung zu beraten, sow'ie den zu gleichen
Zwecken nach Spanien und Südamerika reisenden deutschen Aerzten mit Rat¬
schlägen und Empfehlungen zur Seite zu stehen, um so das Band kollegialer
Beziehungen zwischen den Medizinern der in Betracht kommenden Länder,
im Sinne der Brauer-Nocht sehen „Revista Medica de Hamburgo“, zu
deren Schriftleitern Dr. Susviela G u a r c h gehört, noch enger zu gestalten.
Beitrittserklärungen und Anfragen sind an Dr. Susviela G u a r c h. Berlin,
Hotel Esplanade. Uruguaysche Gesandtschaft, zu richten.
— Die Trinkerfürsorgestelle München hat ihre Geschäfts¬
stelle im Städtischen Arbeitsamt, Zweigstelle 3, Blutenburgstr. 108. Fürsorge¬
ärzte sind Herr Hofrat Dr. Uhl, Thierschplatz 2/11 und Frau Dr. K a c h e 1,'
Klarstr. 3/II. Die Sprechstunden finden Samstag von 5—7 Uhr nachmittags
statt, ln dringenden Fällen wende man sich an einen der beiden Vorsitzenden.
Amtsrichter a. D. Dr. Baue r. Mathildenstr. 9 a (Ruf-Nr. 55894) «nd Blau-
kreuzsekretär B i e m ü 11 e r. Valleystr. 23/11 (Ruf-Nr. 9651).
— Der Aufsichtsrat des Pensionsvereins für Witwen und
Waisen bayerischer Aerzte übertrug die Geschäftsführung des
Vereins an Stelle des verstorbenen langjährigen Geschäftsführers Obermedi¬
zinalrats Dr. V. D a 1 r A r m i- Herrn Dr. Hingst in München. — Die Vor¬
standschaft des Sterbekasse-Vereins der Aerzte Bayerns
wählte nach dem Ableben D a 1 1’ A r m i s an dessen Stelle Herrn Dr. August
K u n t z e n, München. Tengstr. 39/11 zum Kassier.
— Am 30. April 1921 fand im Hörsaal des pathologisch-anatomischen
Institutes des Stadtkrankenhauses Dresden-Friedrichstadt in Gegenwart zahl¬
reicher Aerzte, Vertreter des Stadtrates, Beamter und der Familie die feier¬
liche Ueberreichung des von der Dresdner Aerzteschaft zum 25 jähr. Dienst¬
jubiläum (16. VII. 19) gestifteten, von Prof. Stert gemalten Bildes des
Geh. Medizinalrates Prof. Dr. Schmort statt, das in^ Hörsaat des Instituts
Platz fand. Geheimrat Schmort vollendete übrigens am 2. Mai 1921 sein
60. Lebensjahr.
— In der Magdeburger städtischen Krankenanstalt Sudenburg fand
am I. d. M. die Weihe der Büste des Internisten, früheren langjährigen
Leiters der Anstalt, Geheimrat Dr. H. Unverricht statt, (hk.)
— Den im Krieg gefallenen Assistenzärzten der Pariser Krankenhäuser
wurde im Hofe des HÖtel-Dieu ein Denkmal errichtet.
— Den 70. Geburtstag feierten der ehemalige Leiter der Chirurg, Klinik
in Kiel, Geheimrat Prof. Dr. H e 1 f e r i c h in Eisenach und der um das
Standesleben in Bayern sehr verdiente Geh. San.-Rat Dr. L. Schuh in
Nürnberg.
— Der Aerztekurs, der an der Staatlichen Frauenklinik in
Dresden vom 4.—30. April 1921 abgehalten worden ist, war von 78 Teil¬
nehmern besucht. Ausser den üblichen Vorlesungen und Kursen wurde
diesmal noch ein Kursus über Svphiliserkennung und -behand¬
ln n g von Prof. G a 1 e w s k y im Rahmen des Aerztekurses abgehalten.
— Vom 22.—25. Mai 1921 findet in Halle a. S. der II. Deutsche
Hochschultag statt. Die Tagesordnung umfasst neben reinen Ver¬
bandsangelegenheiten u. a. auch folgende Punkte: 1. Schulfragen. 2. Promo¬
tionswesen. 3. Rationierung der Hochschulen. 4. Wirtschaftliche Fragen
der Hochschulangehörigen. 5. Geistige Strömungen in der Studentenschaft.
6. Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft. 7. Förderung der Leibes¬
übungen. 8. Bücherbeschaffung. 9. ■ Vertretung des Verbandes im Reichs¬
wirtschaftsrat. 10. Beziehungen der deutschen Hochschulen zum Auslande
(Austausch von Veröffentlichungen, Fachblättern, Büchern usw.). 11. Ge¬
brauch der deutschen Sprache im Verkehr mit Angehörigen feindlicher
Staaten, (hk.)
— Die 62, Versammlung ni ittelrheinischer Aerzte
findet am Pfingsmontag den 16. Mai 1921 zu Bad Homburg v. d. H. im
Kurhaus statt.
— Bei Gelegenheit des 7. Kongresses der Gesellschaft für experimentelle
Psychologie wurde ein Verband der praktischen Psychologen
gegründet. Den Vorstand bilden Universitätsprofessor Dr. M a r b e - Würz¬
burg, Dozent Dr. M o e d e - Charlottenburg, Dr. L i p ra a n n - Berlin, (hk.)
— Man schreibt uns aus Dresden: In Dresden beging dieser Tage der
Verein approbierter Zahnärzte Dresdens und Umgebung das
Fest seines 25 jähr. Bestehens. Behörden und wissenschaftliche Vereine ent¬
boten dem Verein ihre Grüsse. Das Landesgesundheitsamt war persönlich
vertreten. Eine Reihe von hervorragenden Dresdener Aerzten, auswärtigen
Professoren der Zahnheilkunde und namhafte Zahnärzte gaben der Festver¬
sammlung das wissenschaftliche (jepräge, das der heutigen Stellung der
Zahnheilkunde im Rahmen der Gesamtmedizin und der Naturwissenschaften,
entspricht. Die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens von Arzt und Zahn¬
arzt zum Besten der Volksgesundheit beherrschte als Leitgedanke die Vor¬
träge. ln den Räumen der Zahnklinik der Allgemeinen Ortskrankenkasse
wurden die Verhandlungen fortgesetzt, die sich hier besonders auf die wissen¬
schaftlichen Fortschritte auf zahnärztlich-technischem Gebiete und auf die
chirurgische Zahnheilkunde erstreckten. Schliesslich fand eine Besichtigung
der neuen städtischen Schulzahnklinik statt.
— Der Vereinsbund Deutscher Zahnärzte wird anlässlich seines 30 jähr.
Bestehens vom 5.—8. Mai in Lübeck einen Kongress abhalten, (hk.)
VerUf VM ). r. LthHana im Mftackca S.W. 2, Pmü HtyMttr. 26. -
Digitized by Goüsle
— Pest. Russland, ln Batum vom 24. November bis 3. Dezember
V. J. 38 Erkrankungen. — Türkei. In Konstantinopel vom 21.—27. No¬
vember V. J. 1 Erkrankung und 2 Todesfälle. — Griechenland, ln Kavalla
vom 25. Oktober bis 7. November v. J. 2 Erkrankungen. — Mesopotamien.
In Bagdad im Oktober v. J. 25 Erkrankungen und 7 Todesfälle. — Britisch-
Ostafrika. In Mombassa vom 31. Oktober bis 27, November v. J. l. Erkran¬
kung (und 1 Todesfall), in Nairobi vom 31. Oktober bis 4. Dezember v. J.
8 (4), in Uganda vom 1. Mai bis 5. November v. J. 370 (166); ausserdem
herrschte die Pest im November v. J. in Kisuma. — Vereinigte Staaten von
Amerika, ln San Benito (Kalifornien) am 7. Februar 1 Todesfall. — Mexiko.
Vom 30. Januar bis 12. Februar 1 Erkrankung in Carritos (Bez. San Luis
Potosi). Insgesamt wurden seit Ausbruch der Epidemie festgestellt; in
Veracruz 59 Fälle, in Tampico 4, in Carritos 51 und in Carbonera 24. —
Porto Rico. In San Juan vom 18.—25. Februar 7 Erkrankungen und 2 Todes¬
fälle. — Brasilien, ln Ceara vom 17, Oktober bis 26. Dezember v. J. 5 Todes¬
fälle, in Pernambuco vom 18. Oktober bis 5. Dezember v. J. 11 Erkran¬
kungen und 3 Todesfälle, in Porto Alegre vom 14. November v. J. bis
15. Januar 8 Todesfälle, in Bahia vom 31. Oktober v. J. bis 15. Jamiar
14 .Erkrankungen und 10 Todesfälle, — Chile. In Antofagasta vom 24. No¬
vember V. J. bis 2. Januar 8 Erkrankungen und 2 Todesfälle. — Peru. In
Callao vom 1. Oktober bis 30. November v. J. 6 Erkrankungen, in Trujillo
vom 27. Dezember v. J. bis 9 Januar 2 Erkrankungen. — Ecuador. In
Guayaquil vom 16, November v. J. bis 15. Januar 160 Erkrankungen und
53 Todesfälle.
— In der 15. Jahreswoche, vom 10.—16. April 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Bochum
mit 21,4, die geringste Neukölln mit 6.8 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. Vöff, R.-G.-A.
Hochschulnachrichten.
Berlin. Die a. o. Professoren für Zahnheilkunde an der Berliner
Universität Dr. med. Wilhelm D i e c k, Leiter der Abteilung für konser¬
vierende Zahnheilkunde am zahnärztlichen Institut, Dr. Hermann Schrö¬
der, Leiter der technischen Abteilung am genannten Institut und- Ober¬
stabsarzt Dr. Fritz Williger, geschäftsführender Direktor des genannten
Instituts, zugleich Leiter der chirjirgischen Abteilung, sind zu ordentlichen
Professoren daselbst ernannt worden, (hk.)
Bonn, ln diesem Semester werden die Vorlesungen im pathologischen
Institut vertretungsweise abgehalten von Prof. Dr. Walther Fischer aus
Göttingen.
Breslau. Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Carl Bartsch, Direktor des
zahnärztlichen Instituts und Dr. Alexander B i 11 o r f (Innere Medizin) sind
zu ordentlichen Professoren ernannt worden.
Königsberg. In der medizinischen Fakultät sind der ord. Honorar¬
professor Dr. Julius Schreiber. Direktor der medizinischen Poliklinik,
sowie die a. o. Professoren Dr. Hugo Falkenheim. Direktor der Klinik
für Kinderkrankheiten. Dr, Georg Puppe, Direktor des Instituts für gericht¬
liche Medizin, Dr. Walter S c h o 11 z. Direktor der Poliklinik für Haut- und
Geschlechtskrankheiten, Dr. Paul S t e n v e r, Direktor der Klinik für Ohren-.
Hals- und Nasenkrankheiten und Dr. Paul A d 1 o f f. Direktor des zahnärzt¬
lichen Instituts, zu ordentlichen Professoren ernannt worden.
Marburg. Die ausserordentlichen Professoren Dr. Eduard Müller
(Direktor der Medizinischen Poliklinik), Dr, Oskar W a g e n e r (Direktor
der Universitätsklinik für Hals-. Nasen- und Ohrenkrankheiten) und Dr. Hans
Seidel (Direktor des zahnärztlichen Instituts) wurden zu ordentlichen Pro¬
fessoren ernannt.
W ü r z b u r g, Prof. G. Sticker in Münster ist auf den Lehrstuhl für
Medizingeschichte in Würzbiirg berufen worden und hat den Ruf ange¬
nommen.
Graz. Die Venia legendi des Privatdozenten für Neurologie und
Psychiatrie, Dr. Heinrich G a spar o. wurde auf Hydro-, Thermo- und Klimato-
therapie erweitert, (hk.)
V Todesfall.
In München starb, 69 Jahre alt. der Bezirksarzt a. D. der Stadt München.
Obermedizinalrat Dr. Georg Ritter v. D a 11’ A r m i. Er war ein ausge¬
zeichneter Medizinalbeamter und geschätzter Arzt; besonders aber hat er
sich verdient gemacht durch seine unermüdliche Arbeit im Dienste der
bayerischen ärztlichen Wohlfahrtseinrichtungen. Er war viele Jahre Ge¬
schäftsführer des Pensionsvereins für Witwen und Waisen bayerischer Aerzte
und ebenso Kassier des Sterbekassevereins der Aerzte Bayerns. Beide
Vereine hat er durch schwierige Krisen mit sicherer Hand hindurchgesteuert,
beide sind ihm für die mustergültige Führung ihrer Geschäfte dauernden
Dank schuldig.
(Berichtigung.) ln Nr. 17 S. 531. Sp, 1, Z. 1 ist statt: Herr
B a u r - Frankfurt a. M. zu lesen: Herr H o m u t h - Schönebeck a. Elbe.
Amtsärztlicher Dienst.
(Bayern.)
Die Bczirksarztstelle in Zusmarshausen ist erledigt. Bewerbungen sind
bei der Regierung. Kammer des Innern, des Wohnorts bis 16. Mai 1921
einzureichen.
Amtliches.
Nr. 5284 a 8. (Bayern.)
Verordnung über den Vollzug des Impfgesetzes vom
8. A p r i 1 1874, Impfgebühren.
§ 1 der Verordnung vom 28. April 1875 über den Vollzug des Impf¬
gesetzes vom 8. April 1874, betreffend die Bestreitung der Impfkosten,
GVBI. S. 403. geändert durch die Verordnung vom 14. Februar 1918, QVBI.
S. 41. erhält folgende Fassung:
Die Impfärzte oder ihre Stellvertreter dürfen für jede erfolgreiche
öffentliche Impfung oder Wiederimpfung am Wohnort 1 M.. ausserhalb des
Wohnortes 3 M. beanspruchen. Ansätze für Zeitaufwand oder Tagegelder,
für Reisekosten und sonstige Auslagen sind nicht zulässig.
Diese Gebührenerhöhun«' tritt auch für die seit l. Januar 1921 vorge-
nornmenen öffentlichen Impfungen in Wirkung.
München, 28, April 1921.
I. V.; gez Dr. Schweyer.
Druck voB C. Mflhlthaler’t Bock- oad KnMtdmckcr«! A.O., .MÜBCbUB.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
frei* der rtar.clnen Nwnmpr ?. . B'v.ugsprds in Deutschtana
. • • und Ansland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • • ■
AnzefgenschluM immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu riehtes
ffir dis Schriftleitung: Amuifstr.26 (Spreeh.itnnden SS-I
für Bezug, Anzeigen «id Beilagen:
ab J. F. Lehraann’i Verlag, Paul Heysestrasae 2S.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 20. 20. Mai 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag befallt sidvlas ansschfleasllcfae Recht der Vervielflltigung imd Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeitrlge vor.
Originaiien.
lieber Behandlung von infantilem Myxödem infolge
angeborenen SchilddrOsenmangels mit Jodothyrin Und
Hammelschilddrüse.
Von Prof. Dr. Ch. Bäumler, wirkl. Geh. Rat in Freiburg i. Br.
In der Medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg zeigte und besprach
am 11. März d. J. Herr Wendel*) einen Fall von „spontanem
infantilem Myxödem“. ln diesem Falle war es besonders auf¬
fällig gewesen, dass bei dem jetzt 11jährigen Mädchen, welches unter
dem Gebrauch von Thyreoidintabletten zu 3 mal täglich je 3 Stück
eine weitgehende Besserung des Allgemeinbefindens unter einer Ge¬
wichtszunahme von 24,5 auf 50 Kilo in etwa 14 Monaten erfahren hatte,
mehrmals, wie es schien, auf die Tabletten Erbrechen aufgetreten war.
Dies veranlasste Herrn Wendel, an Stelle der Tabletten Hammel-
schilddrüse zu essen zu geben. Diese wurde jedoch, auch wenn
die Drüse mit viel Nahrung vermischt war, von dem Kinde wegen
Ekels verweigert. Man kehrte deshalb zur Verabreichung von 3 mal
täglich je 3 Tabletten zurück. Während der etwa 3 wöchigen Payse
war das Gewicht um 2,5 Kilo zurüc^tgegangen. Erbrechen trat dann
bei dieser Dosis nicht wieder auf.
Da mir eine nunmehr auf über 20 Jahre sich erstreckende
Beobachtung eines derartigen Falles zu Gebote steht, will ich nicht unter¬
lassen, den noch unter meiner Behandlung stehenden Fall kurz mit¬
zuteilen.
E. T., 1/4 Jahre alt, geboren am 24. Oktober 1898, das Töchterchen einer
Landwirtsfamilie im badischen Oberland, wurde auf Veranlassung des Haus¬
arztes am 3. Mai 1900 von seiner Mutter zu mir gebracht. Der Hausarzt
hatte das Kind erst für rachitisch gehalten und mit Salzbädern und Leber¬
tran in Form der Scott sehen Emulsion behandelt. Da keinerlei Erfolg zu
beobachten war, sand.te er da.s Kind zu mir. Auf den ersten Blick war
Myxödem unverkennbar: ganz apathischer Gesichtsausdruck, die
dicke Zunge aus dem halbgeöffneten Munde herausstehend, noch kein
Zahn, das Gesicht blass und gedunsen, auch sonst das Unterhaut-
zellgewebe myxödematös. Von einer Schilddrüse nichts zu fühlen.
Körpergewicht in leichten Kleidern 9,35 kg. Am Herzen bei regelmässiger
Schlagfolge ein systolisches Geräusch. Beide Eltern gross und kräftig, die
Mutter, 36 Jahre alt, etwas blutarm (sie starb 52 Jahre alt 1916 an Pneumonie),
hatte im Jahre 1902 noch einen gesunden, sich kräftig entwickelnden
Knaben geboren.
Ich j verordnete unter Fortgebrauch der bisherigen Behandlung Jodo¬
thyrin (Fr. Bayer) 0,1 täglich iij Pulverform. Am 31. Mai Wurde
das Kind mir wieder gebracht. Sein Aussehen war bereits ein ganz
anderes, viel normaleres geworden. Die Zunge stand nicht mehr
aus dem Munde heraus, das Gesicht war mehr gefärbt; wurde eine Taschen¬
uhr vor dem Kinde, hin- und herbewegt, so greift es darnach, auf die Wage
gelegt s^chreit es. Gew. 9 kg. Herzschlag nicht beschleunigt.
Am 26. Juli Aussehen sehr gut, 2 Zähne. Fortgebrauch des Jodo-
thyrins in gleicher Dosis. Zusatz von Aq. Calcariae zur Milch. Gew. 10,1 kg.
Am 25. Oktober: 8 Zähne, kann gehalten stehen. Haut am Rumpf
noch -etwas myxödematös, starkes Fettpolster. Qew. 12,5 kg. Verordnet:
Jodothyrin 0,125 2 mal tägl.
15. Dezember: 12 Zähne. Steht. Spricht noch nicht (2 Jahre
1% Monat ait). Qew, 12,1 kg. Puls nicht frequent.
1901. 3. April: Aussehen gut. Kann am Stuhle stehen. Puls 120.
Qew. 13.7 kg. Spricht noch nicht. Jodothyrin 0,15 2 mal tägl.
20. Juni: Kann geführt gehen. Spricht noch nicht. Gesichts¬
aasdruck aber ziemlich intelligent. Qew. 15 kg. Jodothyrin 0,16
2 mal tägl. Puls 84.
31. Juli: Gew. 14,85 kg. Puls 96, Spricht noch nicht.
17. Oktober: 16 Zähne. Kann allein gehen. Spricht nicht.
Puls 112, Gew. 15,4 kg. Jodothyrin 0,17 2 mal tägl.
21. Dezember: Intelligentes Aussehen. Spricht einzelne
Worte. 20 Zähne, 2 obere Schrieidezähne kariös. Gew, 15,7 kg. Jodo¬
thyrin 0,175 2 mal tägl.
1902. 24. Oktober. Ist etwas lebhafter, spricht mehr, singt
auch. Verlangt zu essen. Jodothyrin 0,2 2 mal tägl. Aqua Calcariae.
22. 'D e z e m b e r: Körpergewicht 16,6 kg.
1903. 19. Februar. Oew. 17,1 kg. Aussehen gut.
7. Mai: Hat seit Ende Februar öfter Anfälle von Schwäche, wird
schlaff, aber verliert das Bewusstsein nicht, verdreht die Augen nicht.
Kein Erbrechen. Sieht heute munter aus, spricht mehr. (3ew.
17,7 kg (leichte Kleider).
30. Juli: Qew. 17,6 kg. Anfälle seltener, gehen auf Ablenkung
rascher vorüber. Sieht nicht anämisch aus.
26. Oktober: Gutes Aussehen, ist jedoch gegen ihren jüngeren Bruder
•) M.m.W. 1921 Nr, 5 S. 158, Nachtrag Nr. 6 S. 194.
Nr 20
körperlich und geistig sehr zurück. Ist reinlich. Die Schwäche-
anfälle sehr selten. Gew. 18,3 kg. Jodothyrin 0,22 2 mal tägl.
Lebertran.
1904. 17. Mai: Geht jetzt ganz sicher, spricht viel und ver¬
sieht alles. Kann ein Geduldspiel zusammensetzen. Gedächtnis schwach,
ermüdet leicht. Qew. 21,5 kg.
Auf folgender Kurve ist die Körpergewichtszunahme, während
der ganzen bisherigen Beobachtungszeit zusammengestellt. Leichte Schwan¬
kungen z. T. durch die verschiedene Bekleidung je nach der Jahreszeit be¬
dingt. Dabei auch Angabe von Zwischenerkrankungen und Unter¬
brechungen der Jodothyrinbehandlung.
M. (1906) Masern, Sch. (Schule), Cyst. (Zystitis), A. (Angina), Me. (Menses),
11 = kein Jodothyrin.
Behufs der notwendigen ärztlichen Ueberwachung der Jodothyrinwirkung
wurde das Kind alle 3—4 Monate von der Mutter oder dem Vater hierher¬
gebracht. Es handelte sich dabei hauptsächlich neben dem Allgemeinbefinden
und den Fortschritten in der körp'erlichen und geistigen Entwicklung um die
etwaige Beeinflussung der Herztätigkeit durch das Arzneimittel. Da¬
bei musste berücksichtigt werden, dass ein % ständiger Weg zu der Eisen¬
bahnstation, eine meist mehr als 1 ständige Eisenbahnfahrt und dann der Weg
von der hiesigen Station zu meinem Hause, etwa 20—25 Minuten Gehens,
der jedesmaligen Untersuchung vorausging. So wurde eine Pulsfrequenz
unter 84 in der Minute fast nie beobachtet. Dabei musste auch die >Vit-
t e r u n g in Betracht gezogen werden. Ein Geräusch am Herzen, wie es
bei der 1. Untersuchung am 3. Mai 1900 festgestellt werden konnte, war
später n i e wieder vorhanden. In dem öfter untersuchten Harn n i e Eiweiss
oder Zucker.
Das Jodothyrin wurde zunächst in abgeteilten Pulvern, ge¬
nauester Dosierung halber, gegeben, von 1907 an in Tabletten zu je 0,3,
von 1913—17 auch zu je 0,2, selbstverständlich aber mit gleichmässig fort¬
gesetzter langsamer Steigerung der Tagesdosen. Im Dezember 1920
waren bis tm 12 Tabletten zu je 0,3 Jodothyrin täglich, in der Woche also
«4 Tabletten, gegeben worden. Eine Beeinflussung der Herztätigkeit
in ungünstigem Sinne wurde niemals beobachtet, wohl aber war
dies der Fall, als, da Jodothyrin in den beiden Apotheken, die es
bis dahin regelmässig aus der Fabrik erhalten hatten, nicht mehr
erhältlich war, dieses durch Genuss von Hammelschilddrüse
ersetzt wurde. Ich riet dem Vater, sich von frisch geschla;:hteten
Hammeln die Schilddrüse geben zu lassen, und von einer solchen
etwa 10 g im Tag, auf zwei Mahlzeiten verteilt, zu verabreichen.
Der Vater erhielt solche im hiesigen Schlachthausc, wo man .ihm, wenn es
nötig werden sollte, regelmässigen wöchentlichen Bezug zusagte. Als mir
der Vater am 20. J a n u a r d. J. seine Tochter nach etwa Stägigem Ge¬
brauch der Hammelschilddrüse brachte, fiel mir sofort das an¬
gegriffene Aussehen auf. Das Gewicht betrug 58,8 kg, wie am 2. De¬
zember 1920, aber während an diesem Tage die Pulsfrequenz stehend
116 gewesen war, war sie jetzt in der gleichen Nachmittagsstunde stehend
132, sitzend 120—130, liegend nach längerer Ruhe 120. Der Vater teilte
mit, die Tochter klage seit einigen Tagen über Schwindel,
schlafe unruhig sei untertags müde, habe aber guten Appetit. Die
Menses seien zu rechter Zeit eingetreten. Anl Herzen war sonst
nichts Abnormes nachweisbar. Ich riet, sofort den Schilddrüsengenuss
zu verringern, am 21. und 22. Januar überhaupt keine Schilddrüse,
sondern von den nun wieder eingetroffenen Tabletten morgens und abends
je 1 zu geben, in der nächsten Woche am 25., 27. und 29. aber wieder
je 5 gSchilddrüse, dann 8 Tage keine solche und keine Tablet-
t e n, und am 10. Februar wieder zu kommen. Am 10. Februar besse¬
res Aussehen, es wurde berichtet, dass sie nun wieder ruhiger
schliefe, schon als sie nur 5,0 Schilddrüse genommen habe. Der Puls
war jetzt wieder zurückgegangen auf 92 im Stehen und Sitzen, und
auf 88 liegend. Qew. 59,05 kg. Verordnung; 14 Tage lang 3 mal täglich
je l Tablette (zu 0,3), dann morgens und mittags je 1, abends 2.
3
Digitized b]
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
60.0
MÜNChKNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
18. März: Qew. 60.4 kg. Puls stehend 80—88. sitzend 76. Herz¬
töne rein. Verordnung: Morgens und abends je 2. mittags 1 Tablette.
Da jetzt Jodothyrintabletten wieder erhältlich sind, wird ihr Ge¬
brauch in entsprechender Dosis, als das einzige richtig dosierbare
Ersatzmittel für die fehlende Schilddrüsentätigkeit fortgesetzt. Die Eltern
(der Vater hat sich wieder verheiratet und einen in jeder Hinsicht gesunden
und kräftigen zweiten Sohn bekommen) haben von Anfang an, durch den
günstigen Erfolg des Arzneimittels ermutigt, mit der grössten Gewissenhaftig¬
keit, trotz der jetzt so erheblichen Verteuerung desselben, die gegebenen
Verordnungen befolgt und sorgfältig überwacht.
lieber die Weiterentwicklung seit 1904, insoweit dieselbe nicht schon aus
der Kurve ersichtlich ist, sei noch folgendes hervorgehoben:
Wachstum und allgemeiner Ernährungszustaiid machten ganz regelmässige
Fortschritte. Im Winter wurde neben dem Jodothyrin, so lange er erhältlich
war, Lebertran 2 mal täglich zu je l Teelöffel voll gegeben, als er nicht
mehr zur Verfügung stand, durch F u c o 1 ersetzt, eine Zeitlang auch durch
F u c o 1 mit Jodeisen. D^s Fucol hatte auch eine günstige Wirkung auf die
Darmfunktion, die trotz der ausreichenden gewöhnlichen Landkost meist mit
Stuhlverstopfung einherging. Insoweit als Fucol nicht genügend wirkte,
wurde Extr. Cascar. sagr. fluid, zu 15—30 Tropfen abends mit gutem Erfolg
gegeben. Eisenmittel, wie Ferr. oxydat. sacchar. oder Liqu. ferri oxychlor.,
Extr. Malti ferrat. wurden im Lauf der Jahre ab und zu für einig?
Zeit gegeben.
Der Zahnwechsel begann im Jahre 1905, also mit 6/4 Jahren. Der
Beginn des Schulbesuches wurde im Jahre 1906 noch um 1 Jahr ver¬
schoben, da die geistige Entwicklung noch nicht genügend zu sein schien.
Sie konnte zwar, im Hause angeleitet, schon etwas schreiben, aber noch
nicht lesen. An Weihnachten 1906 machte sie die Masern in gewöhnlicher
Weise und ohne irgendwelche Nachwirkungen durch. Ostern 1907 begann
sie die Schule in einem benachbarten Orte zu besuchen. Am 8. August
wurde bemerkt: Kann schon ziemlich gut schreiben. Rechnen macht Schwie¬
rigkeit. Qew. 23,45 kg, am 21. Mai 1908 24,8 kg. Auswendiglernen
gut. Verordnung: Jodothyrintabletten zu 0,3, je 2 am 1., je 3 am folgenden
Tag, in der Woche also 17 Tabletten.
Seit 1911 hatte sie öfter Schnupfen und infolge chronischen Ka¬
tarrhs der Nasenschleirahaut Verstopfung der Nase, wofür Einatmung von
auf den Handtellern verriebener Menthol-Chloroformlösung mit Erfolg an¬
gewendet wurde.
Im Januar 1912 wurde sie vom Hausarzt an rasch vorübergehender
Zystitis behandelt. Während 8 Tagen wurden die Tabletten ausgesetzt.
Ich sah sie am 27. A p r i 1, Blasenbeschwerden waren nicht mehr vor¬
handen. Gew. 37,85 kg. Verordnung: 3 mal tägl. je 1 Tabl., an 2 Wochen¬
tagen 3 mal je 2.
Am 20. November war das Gew. auf 38,55 gestiegen, Aussehen sehr
gut. Nimmt zuweilen Pulv. Liquir. ca.
1913 hatte sie anfangs Januar Angina. Am 29. Januar Qew.
39,0. An den Mandeln jetzt nichts Abnormes, keine Vergrösserung der¬
selben. Verordnung: 3 mal 2 Tabl. zu je 0,2.
17. April: Gutes Aussehen. Gew. 40,15 kg. Puls stehend 100, ganz
regelmässig.
17. Mai: Hatte seit 13. Mai keine Tabletten mehr. Qew. 40,6 kg.
Soll mit der gleichen Dosis fortfahren.
20. Dezember: Hatte im November wieder 14 Tage lang keine
Tabletten bekommen können, nimmt sie jetzt wieder seit dem 20. Novem¬
ber. Puls stehend 108. 3 mal je 2 Tabl. zu 0.2 fortzunehmen.
1914. Am 21. Februar Qew. 45,0 kg.
Am 18. April Gew. 46,5 kg. Puls stehend 80—84.
Am 1. November Menses zum 1. Male eingetreten, ohne Beschwerden,
4 Tage dauernd; zum 2. Male nach 4 Wochen.
Am 14. Dezember Gew. 50 kg., Körperhöhe 1,67 cm. Verordnung:
3 mal 2 Tabl., an 1 Tage je 1 mehr, also 7 anstatt 6, in der ganzen Woche
43 Tabl.
1915i 20. Februar: Gutes Aussehen, Gew. 51,0 kg. Sie arbeitet im
Hause, .wie auch draussen im Garten und bei den Reben. Die Menses,
im Januar ausgeblieben, treten im Februar wieder auf, etwas stärker, ohne
Beschwerden, 4 Tage dauernd.
28. Oktober: Gew. 53 kg. Puls stehend 92. Verordnung: An 4 Tagen
ln der Woche 3 mal je 2, an 3 Tagen 3 mal je 3 Tabl., im ganzen also 51.
1916. 16. April. Müde. Puls stehend 96. Verordnung: 3 mal 3 Tabl.,
im ganzen in der Woche 63.
Vom 1. bis 7. Juli in der Apotheke keine Tabletten bekommen.
27. Juli: Qew. 55,95 kg. Keine Klagen. Puls 116.
28. September: Gew. 57,6 kg. Puls stehend 100. H ö h e: 1,69 cm.
1917. 15. Februar. Gew. 57,25 kg. Aussehen gut. Puls 84—92.
Ende M a i 8 Tage ohne Tabletten.
14. Juni: Wurde im Mai (ohne Tabletten) stiller und sichtlich
etwas benommen. Qew. 55,7 kg. Menses ganz regelmässig. Puls 96.
Wie bisher 63 Tabl. in der Woche.
26. Juli: Sieht wieder viel besser aus, von den Eltern schon wenige
Tage nach Wiedereinnehmen der Tabletten bemerkt.
Am 8, Novbmber Gew. 60,2 kg, Höhe 1,69 cm (wurde am
24. Oktober 19 Jahre alt). Verordnung: 3 mal 3 Tabl.
1918. Am 24. Oktober Gew. 59,4 kg. Menses waren erst nach
6 Wochen eingetreten, hat bei der Weinlese mitgeholfen, sich mehr an-
ge^rengt. Schläft schlechter. Puls sitzend 124. Milzdämpfung liegend
6X9 cm. Verordnung: Bromural 0,3, Tabl. 3 mal 3.
1919. 15. Mai: Gew. 60,1 kg. Tabl. 3, 4, 3 ^ 70 in der Woche.
1920. 15. April: Qew. 62,25 kg. Puls 96.
Was weiter am Jahresende und Anfangs 1921 beobachtet wurde, ins¬
besondere als die Tabletten kürze Zeit durch Hammelschilddrüse ersetzt
werden mussten, ist oben bereits mitgeteilt. Hat jetzt das Aussehen eines
ziemlich kräftigen wohlgebauten Landmädchens, verrichtet die ihr zur Ge¬
wohnheit gewordenen Arbeiten in und ausserhalb des Hauses, hütet den
Kleinen und besorgt das ihr Aufgetragene.
Zusammenfassung: Der einzig brauchbare Ersatz für den
Ausfall der Schilddrüsentätigkeit in bezug auf den Allgemeinzustand
und die Entwicklung sind die in den chemischen Fabriken nach Bau-
rnanns Entdeckung hergestellten Präparate, mittels deren eine ge¬
naue Dosierung möglich wird. Eine solche ist bei Schild-
■drüsenverfütterung nicht möglich, auch können möglicher¬
weise dabei noch andere, in grösserer Menge den Organismus beein¬
flussende Substanzen in Betracht kommen.
Die Frage einer Einpflanzung von Schilddrüsensubstanz in das
Knochenmark oder sonstwohin in den Körper wurde im vorliegenden
Fall im Herbst 1916 mit Herrn Prof. Dr. Hotz, der damals im hiesigen
Diakonissenhaus als Chirurg tätig war, jetzt in Basel Professor der
Chirurgie ist, eingehend besprochen! Von einem derartigen Versuch
wurde jedoch abgesehen, da die bisher gemachten Erfahrungen erwiesen
haben, dass längeres Funktionieren einer überpflanzten Schilddrüse
nicht zu erwarten ist, sondern dieselbe allmählich durch Resorptien
verschwindet.
Aus dem histologisch-embryologischSn Institut München.
(Vorstand: Prof. Mollier.)
Untersuchungen zur Verjüngungshypothese Steinachs.
Von B. Rom eis.
Das Hypothsengebäude Steinachs gründet sich auf die zuerst
von B 0 u i n und Ancel, Tandler und Gross u. a. ausgesprochene
Lehre, dass den interstitiellen Zellen des Hodens und des Eierstockes,
die Steinach unter der schlecht gewählten Bezeichnung der „männ*-
liehen bzw. weiblichen Fubertätsdrüse“ zusammenfasst, für die inner-
sickretorische Leistung der Geschleclitsdrüsen die dominierende Rolle zu¬
kommt. Immer zahlreicher werden jedoch die Arbeiten, in denen die
Unsicherheit dieses Fundamentes dargetan wird, so dass es wohl nicht
mehr lange dauern wird, bis die Lehre der Pubertätsdrüse in sich zu¬
sammenstürzt. Nur einzelne biologische Beobachtungen werden als
Tatsache bestehen bleiben. Schon seit Jahren vertreten bekannt-
iieh PlatoD und vor allem Kyrl'eG auf Grund ausgedehnter Unter¬
suchungen an normalen und erkrankten Hoden die Auffassung, dass
den L e y d i g sehen Zellen lediglich eine trophische Rolle zukomme.
S t i e V e “) erwies die Bedeutungslosigkeit der Zwischenzellen für die
Ausbildung der Geschlechtsmerkmale bei Vögeln. Damit erschienen
auch die einschlägigen Beobachtungen an höheren Wirbeltieren, wie sie
von Bouin und Ancel, Tand-ler und Gross u. a. Vorlagen, als
fraglich. Durch die jüngst veröffentlichte Arbeit von T i e d j e *) ist
dies für Ratten und Meerschweinchen in der Tat erwiesen. Die
seitens Steinachs zur Erklärung des Hermaphroditismus gezogenen
Schlüsse sind durch die Beobachtungen von Bab*^), Schmincke
und R 0 m e i s ®), W a g n e r G, B e n d a ®) und R. Mayer**) wider¬
legt. Das gleiche Schicksal hat die auf die Homosexualität
bezügliche Hypothese durch die Nachprüfungen B e n d a s **) Lrfahren.
Ueberaus ablehnend war schliesslich die Aufnahme, die Steinachs
letzte Veröffentlichung“') über die Verjüngung von wissenschaftlicher
Seite erfuhr. So sehr indessen die theoretlscjien Einwäiide. die sich
gegen die Verjüngungshypothese bei kritischer Betrarfitung von vorn¬
herein aufdrängen, berechtigt sind, so erschien es doch nötig, ihnen auch
exakte, auf Versuche gegründete Beobachtungen folgen zu lassen.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich kurz über bisherige Ergeb¬
nisse diesbezüglicher Versuche berichten. Die Zahl derselben ist zwar
noch sehr beschränkt, ein Umstand, der in den Versuchsbedlngungeii
und den jetzigen Verhältnissen seine Begründung findet. Die genaue
Bearbeitung des Materials ergab jedoch ein der Steinach sehen Ver¬
öffentlichung vielfach so entgegengesetztes Resultat, dass die Bekannt¬
machung trotzdem gerechtfertigt erscheint.
Biologische BeobachtttnfE.
Ein 24 Monate altes Rattenmännchen — die Spezies konnte
ich noch nicht genau ermitteln; es soll sich . um eine Kreu¬
zung mit einer japanischen (?) Rattenart handeln — zeigt die von
Steinach geschilderten Alterserscheinuiigen: Struppiges, schütteres Fell,
besonders arn Rücken, an der Aussenseite der Oberschenkel und in der Unter¬
bauchgegend. Haare stellenweise mit weissen untermischt, besonders .'mi
Nasenrücken. Das Tier verbreitet ausserdem seit einiger Zeit den für alte
Tiere spezifischen Geruch. Haltung gekrümmt; Augen infolge schleimiger
Beschaffenheit der Konjunktivalflüssigkeit trüb. Das Gewicht ist seit 2 Mona¬
ten von 190 g auf 160 g gesunken. Das Tier sitzt meist teilnahmslos in einer
Ecke. Seit 3 Monaten lebt es mit einigen geschlechtsreifen Weibchen im
Käfig, ohne eines zu schwängern. Brünstige Weibchen rufen keine Reaktion
hervor. Penis blass, im Präputialsack weisse Sekrptborken.
Am 30. XI. 20 wird das Tier in Aethernarkose laparotomiert (l/'a cm
langer Einschnitt in der Lihea albuginen). Beide Hoden sind kleiner als bei
geschlechtsreifen Tieren, die Farbe ist bräunlich, die Tunica albuginea schlaff,
nicht wie sonst prall gespannt. Die Nebenhoden sind stark verschmälert, das
anhängende Fettgewebe graurötlich, zusammcngeschrurapft. Die Samenbhjsen
sind klein, weisslich, nicht gefüllt. Prostatalappen reduziert, blass.
Rechter Hoden und Nebenhoden werden in der Weise entfernt, dass das
Gubernaculum testis, Vas deferens und die Vasa spcrmatica gesondert unter¬
bunden und durchtrennt werden. Hierauf werden an dem um Geringes grösser
T Plato J.: Arch. mikr. Anat. 48. 1896 und 50. 1897.
D Kyrie J.: Zbl. path. Anat. 21. 1910; Sitzungsb. Ak. Wiss. Wien 1911.
Zieglers Beitr.. 60. 1915; W.kl.W. 1920.
®) Stieve H.: Arch. Entw.Mech. 45. 1919.
Tiedje: D.m.W. 1921 Nr. 13 5. 352.
®) Bab H.: Jahresk. ärztl. Fortb. 1920 H. 1.
®) Schmincke A. und Romeis B.: Arch. Entw.Mech. 47. 192«.
') Wagner: D.m.W. 1920 S. 423.
”) Benda C.: Arch. Frauenk. u. Eugenik 7. 1920.
”) Mayer R.: Verh. D. path. Ges.. Jena 1921.
“') Steinach E.; Arch. Entw.Mech. 46. 1920.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER ME DIZINISCHE WQCHENSCHRIET.
6ö!
aussehenden linRen Hoden die zwischen Moden und Nebenhoden verlaufenden
Vasa efferentia freigelegt, in der von Steinach angegebenen Weise unter
sorgfältiger Schonung der Blutgefässe doppelt unterbunden und durchtrennt.
Zurücklagern des Hodens, Bauclideckennalit, Hautnaht, Kollodiuinverband.
In gleicher Weise wird ein Weiteres, S Monate altes, normal entwickeltes,
geschlechtsreifes* Ratteninännchen (160 g) operiert. Die Moden dieses Tieres
sind grösser, besser durchblutet, prall gespannt. Nebenhoden, Fettkörper,
Prostata und Sarnenblasen zeigen normale ürosse. Der rechte Hoden wird
entfernt, der linke nach Steinach ligiert. Die Wundheilung geht ohne
Störung vor sich: nach 6 Tagen sind die Operationswunden per primam geheilt.
Wenige Tage nach der Operation füllt auf, dass das alte Tier etwas
munterer ist als vorher. Am 5. XII. ist bei ihm eine üewichtszunahme von 10 g
festzustellen. Das Gewicht des jungen Tieres ist unverändert; beide fressen stark.
10. Xll. Ein brünstiges Weibchen, das zum Rattengreis gesetzt wird,
wird beschnuppert. Nach einiger Zeit schwächlicher Koitusversuch, der ab-
gewehrt und im Laufe der folgenden Stunde nicht mehr wiederholt wird.
Das junge Tier ist lebhafter, bespringt das Weibchen dreimal, erreicht aber
nicht die Ausdauer eines normalen Bockes. Kämpfe mit einem zugesetzten
normalen Bock, der das Weibchen nach kurzer Zeit mehrmals bespringt,
finden nicht statt.
30. XII. Gewicht: Gr.: 185 g, B.: 180 g. Das Fell des alten Tieres sieht
wenii^er struppig aus, die kahlen Stellen der Haut und der Altersgcruch sind
unverändert.
6. I. 21. Gewicht: Gr.: 215 g, B.: 190 g. P r o b c m i t b r ü n s t i g e n
Weibchen: nach kurzem Beriechen verhalten sich beide
Männchen völlig indifferent. Das gleiche Weibchen wird von
einem normalen Bock in 15 Minuten 7 mal besprungen. Wiederholungen am
10„ 15. und 17. 1. haben beim Rattengreis das gleiche Ergebnis. Selbst bei
3 ständiger Beobachtung war es nicht möglich, auch nur ein einziges Mal
einen Aufsprung zu beobachten. Das junge Tier beschäftigt sich zuletzt
etwas mehr mit dem Weibchen, ohne dass es jedoch zum Aufsprung kommt.
Kampfe mit zugesetzten normalen Männchen finden nicht statt.
12. l. Gewicht: Gr.: 180 g. B.: 190 g.
20. I. Gewicht: unverändert. Die alte Ratte sieht in letzter Zeit weniger
frisch aus, schläft viel, frisst weniger. Gewicht unverändert. Am Fell sind
neben dicken alten Haaren feine flaumartige Härchen zu beobachten, von einer
Bedeckung der kahlen Stellen ist jedoch keine Rede. Der vorgestülpte Penis
ist schlaff und wcisslich, bei dem jüngeren Tier ist er rigider.
22. I. Laparotomie bei beiden Tieren. Der linke Hoden des
Greises überrascht durch seine beinahe aussergewöhnliche Grösse. Wie sich
jedoch zeigt, wird die Vergrösserung durch einen Flüssigkeitsorguss vor¬
getäuscht, der durch die prall gespannte Tunica albuginea gelblich durch¬
scheint. Die Blutgefässversorgung ist ungestört. Nebenhoden atrophisch.
Der anhängende Fettkörper wcisslich-gelblich, gut entwickelt, erreicht aber
nicht die Grösse des Vollgeschlechtsreifen Zustandes. Samenblasen gross,
gut gefüllt, Prostatalappen sehr gut ausgebildet; beide Organe sind mphr
als doppelt so gross, wie bei der ersten Operation. Hoden mit Nebenhoden,
sowie ein Stück Samenblase und Prostata werden unterbunden und entfernt
und zur histologischen Untersuchung in Zenker scher Flüssigkeit fixiert.
Bauchnaht. Kollodiumverband.
Beim zweiten Tier ist der linke Hoden klein, atrophisch, bräunlich ge¬
färbt, schlaff. Die Blutgefässversorgung ist ungestört. Nebenhoden klein;
Fettkörper, Samenblasen, Prostata äusserlich wie beim Greisen ausgebildet.
Nach Entfernung der gleichen Organe Bauchnaht und Kollodiumverband.
Reaktionslose Heilung nach 6 Tagen. 27. I. Gewicht: Gr.: 180 g,
B.: 180 g, Der Greis frisst wieder starker, sonst Verhalten unverändert.
2. II, Gewicht: Gr,: 210 g, B. 200 g. 7. II. Gewicht: G.: 220 g, B.: 215 g.
20. 11. Keine Aenderung.
l. 111. Gewicht: Gr.: 200 g, B.: 220 g. Das alte Tier magert wieder ab,
Haltung gebeugt, liegt meist im Heunest und schläft. Haut faltig. Die kahlen
Stellen am Rücken und Oberschenkel haben sich vergrössert; Augen trüb.
13. III. Gewicht: Gr.: 180 g, B.: 220 g. Beide Tiere verhalten sich gegen
Weibchen teilnahmslos.
15.111. Operation: Dem Rattengreis werden nach Hautschnitt über der
Linea alba seitlich auf die skarifizierte Bauchmuskulatur die beiden Hälften
eines jungen Rattenhodens (2 Monate alt) implantiert (Gericht des Hodens
234 mg). Hautnaht, Kollodiumverband.
20. III. Gewicht: Qr.: 185 g, B.: 220 g, Wunde gut verheilt. Tier etwas
lebhafter; entwickelt sehr starken Appetit.
30. in. Der Rattengreis ist wieder lebhaft, beisst#iicht mehr nach der
Hand, Augen klar, Fell unverändert, frisst sehr stark., Auffallend ist, dass
der charakteristische intensive Altersgeruch verschwunden ist. Gegen brünsti¬
ges Weibchen teilnahmslos.
8. IV. Gewicht; Gr.: 200g, B.: 240g. Die Probe mit brünstigen Weib¬
chen fällt bei beiden Tieren wieder vollkommen negativ aus.
Untersuchung der exsHrpierten Hoden.
Das Gewicht des bei der ersten Operation entfernten rechten Hodens
beträgt (ohne Nebenhoden) beim Rattengreis 835 mg, beim Rattenbock 1100 mg.
Das Volumen (bestimmt in lOproz. Formollösung) 840 emm bzw. 1050 cmni.
Das Gewicht der unterbundenen, bei der zw'eiten Operation entfernten linken
Hoden beträgt beim Greis 1250 mg. beim Bock 492 mg, das Volumen
1300 emm bzw, 500 mm. Die Grösse des Greisenhodens findet bei der weiteren
Untersuchung ihre Erklärung in einem sehr starken, unter der Tunica albu¬
ginea sich ausdehnenden serösen Erguss, wodurch sich das Volumen des
eigentlichen Hodenparenchyms auf 800 emm verringert. Da nun der linke
Hoden normalerweise bei Ratten durchgehends etwas grösser ist als der
rechte, so ergibt sich, dass die Unterbindung in beiden Fällen eine Grösseii-
verminderung des Hodens verursachte.
Histologische Untersuchung;
1. Vor der Steinach sehen Unterbindung.
a) Rattengreis. Der generative Anteil des Hodens unterscheidet
sich in allen Teilen des Organs ganz wesentlich von einer normal ausgebilde¬
ten geschlechtsreifen Keimdrüse. Der Durchmesser der gewundenen Hoden¬
kanälchen ist deutlich verringert (durchschnittliches Querschnittsmass aus
30 Messungen; 209 X 241 ii gegen 295 X 319 u eines normalen Hodens),
ohne dass dabei die Membrana propria verdickt wäre, wie es hei mensch¬
lichen Greisen der Fall ist und wie es Steinach auch für die Ratte an¬
gibt. In vielen Kanälchen ist die Spermiogenese völlig erloschen. Im ex¬
tremsten Fall sitzen dann an der Innenseite der Membrana propria, durch
grössere oder kleinere Abstände voneinander getrennt, vereinzelte proto¬
plasmaarme 5—6 u grosse Zellen vom Aussehen der Spermiogonien auf.
Durch ihre geringe Gross« und ihren trhromatinreichen Kern unterscheiden
sie sich deutlich von einer zweiten grösseren Zellart, deren Zellgrenzen un¬
scharf und verschwommen sind. Bei letzterer ist der Kern bedeutend grösser
(7,0—10,5 //), chromatinarm, mit einem feinen Liningerüst und einem grossen,
oxyphilen Nukleolus versehen. In manchen Kanälchen findet sich nur dieser
letzt.beschriebene, den S e r t o 1 i sehen Zellen gleichende Zelltypus, in anderen
ist er mit einzelnen Spermiogonien untermischt. Das Lumen dieser Kanälchen
ist entweder leer, mit rötlich gefärbtem Gerinnsel oder mit Spermien gefüllt,
ln letzterem Fall sind die Spermien sehr häufig noch nicht von der Wandung
losgelöst, sondern stehen noch garbenförraig ’vereinigt in hintereinander ge¬
reihten Büscheln mit den Köpfen gegen die Wandung gerichtet. Oft sind die
Konturen der sonst so deutlich sichtbaren Spermienköpfe infolge eintretender
Degeneration verschwommen. Auch die Schwänze zeigen degenerative Ver¬
änderungen: sie quellen, verkleben miteinander und verschmelzen schliess¬
lich zusammen mit den Kopfteilen zu einer formlosen, im fixierten Präparat
maschig-wabig aussehenden Masse (Spermiolyse). Die in der letzten Zeit ge¬
bildeten Spermien scheinen im Greisenhoden oft nicht mehr wie sonst in den
Nebenhoden abbefördert zu werden, sondern an ihrer Bildungsstätte liegen zu
bleiben, um allmählicher Degeneration und Resorption anheim zu fallen.
In andern Kanälchen findet noch Neubildung von Spermien statt; man
trifft sich mitotisch teilende Spermiogonien, Spermiozyteii, Präspermiden und
Spermiden in allen Entwicklungsstadien. Aber selbst diese Stellen von noch
vorhandener Aktivität unterscheiden sich durch die stark verminderte Zahl
ihrer Zellen deutlich von solchen vollentwickelter Hoden.
Zwischen den Hodenkanälchen liegen in reichlicher Zahl L e y d i g sehe
Zwischenzellen. Ihre Grösse schwankt zwischen 5,5 X 7.0 u und 9 X 15 //.
Im Protoplasma der grösseren Zellen sind reichlich Lipoidtröpfchen eingelagcrt,
die kleineren besitzen dichter gebautes, lipoidärmeres Protoplasma. Im Zell¬
leib einzelner Zwischenzellcn finden sich braune Pigmentkörnchen. Die Zellen
liegen meist zu grösseren Inseln beisammen, von denen aus sie sich in langen
schmalen Streifen zwischen die Hodenk^mälchen einschieben. Die Zwischen¬
räume zwischen Hodenkanälchen und L e y d i g sehen Zellen werden durch
zartes lockeres, reich vaskularisiertes Bindegewebe und eine bei der Fixierung
geronnene, sich rötlich färbende Flüssigkeit ausgefüllt.
B. Rattenbock. Die Geschlechtsdrüse dieses Tieres bietet im histo¬
logischen Präparat das Aussehen eines normalen, geschlechtsreifen Hodens.
Vergleiche mit Schnitten grosserer, 12—16 Monate alter Tiere zeigen aller¬
dings, dass die volle Höhe der Ausbildung noch nicht erreicht ist, was in
einem etwas geringeren Durchmesser der Kanälchen zum Ausdruck kommt.
Die Zwischenzellen sind als 9X9 ^ bis 9 X 20 /z grosse Zellen deutlich
erkennbar, ln ihrem Protoplasma liegen mehr oder weniger reichlich Lipoid¬
tröpfchen, hie und da auch bräunliche Pigmentkörnchen. Ueber die Mengen¬
verhältnisse vergl. später.
2. Untersuchung der linken Hoden 7 Wochen nach der
Unterbindung.
a) Rattengreis [vergl. Fig. 1 u. 2 *)]. Schon auf den ersten Blick
fällt die starke Verkleinerung der Samenkanälchen auf; der Durchmesser der
rundlichen Querschnitte ist auf 150—210 u gesunken. Der grösste Teil des
Interstitlums aber ist ausgefüllt von eiweissreicher Flüssigkeit, die bei
der Fixierung zu fädigen Strukturen geronnen ist, die sich mit dem Geflecht
von Fadenalgcn vergleichen lassen. Durch diese Flüssigkeit wurde auch der
Hoden zu der überraschenden Grösse ausgedehnt. Die Tunica albuginea ist
durch die Dehnung etwas verschmälert. Infolge der Reduktion des genera¬
tiven Teiles treten die Stränge der Zwischenzeiten mit den Qefässen ausser¬
ordentlich deutlich hervor.
Die Samenkanälchen sind von einer wabig fädigen, oft grosse Vakuolen
haltenden Protoplasmamasse zum Teil völlig ausgefüllt, in anderen Fällen ist
zentral eine mehr oder weniger weite Lichtung ausgebildet. Basal gegen die
Membrana propria zu, die infolge der Verengerung der Kanälchen etwas dicker
erscheint, liegen meist in einfacher Lage grosse, chromatinarme Zellkerne
von 7 X 15 /i bis 11 X 14 u Durchmesser. Die Kernmembran ist nicht selten
gefaltet. Zellgrenzen lassen sich nicht feststellen. Es handelt sich um die
grossen, indifferenten, synzytial zusammenhängenden Zellen, die fälschlich
ajs S e r t o 1 i sehe Zellen bezeichnet werden, in Wirklichkeit aber ein un¬
differenziertes Reservematerial darstellen, aus dem sich wieder Geschlechts¬
zellen entwickeln können. Es lassen sich auch an vielen Stellen sämtliche
Uebergangsstadien zu solchen mit chromatinreicheren Kernen feststellen, die
sich schliesslich mitotisch teilen. Die Tochterkerne gleichen denen echter
Spermiogonien. In einzelnen Kanälchen (auf einen mittleren Hodenquerschnitt
etwa in 8—12) liegen die Spermiogonien bereits zu grösseren Gruppen in ver¬
schiedenen mitotischen Teilungsstadien beisammen. Ab und zu trifft man auch
Spermiozyten-ähnliche Zellen, die manchmal zu grossen, mehrkernigen Zellen
verschmelzen. Weitere Stadien der Spermiogenese sind nicht zu beobachten.
Vereinzelt, besonders gegen das Rete testis zu, sind Kanälchen mit alten,
noch nicht resorbierten, oft noch gut erhaltenen Spermien vollgepfropft. Die
mit kubischem Epithel ausgekleideten Kanälchen des Rete testis sind etwas
erweitert und mit rötlich gefärbten, körnig geronnenem Sekret gefüllt. Die
Bildung einer Spermatozele (vergl. T i e d j e) ist nicht nachzuweisen.
Die Zwischenzellen erwecken den Eindruck sehr starker Wucherung
(vergl. jedoch weiter unten). Sie liegen meist in verhältnismässig umfang¬
reichen Inseln beisammen, von denen feinere Zellbalken abzweigen. Ab und
zu findet man sie auch isoliert in der geronnenen Flüssigkeit. Sie sind
dann abgerundet, während sie in den Inseln mehr eckige oder auch mit
Ausläufern versehene Form besitzen. Im Protoplasma liegen reichliche Li¬
poidtröpfchen, vereinzelt auch Pigment. Mitosen können trotz der guten
Fixierung des Präparates nicht entdeckt werden, dagegen manchmal ami-
totische Kerndurchschnürungen. Die Grösse der Zellen schwankt zwischen
8X8 // und 14X 19 //.
b) Rattenbock (vergl. Fig. 3). Das Bild dieses Hodens stimmt weit¬
gehend überein mit dem eben beschriebenen, es unterscheidet sich nur durch
etwas kompakteren Bau, da entsprechend der geringeren Grösse die durch
Flüssigkeit gefüllten Räume nicht so ausgedehnt sind. Die Hodenkanälchen zeigen
die gleichen Rückbildungsprozesse. Während aber bei dem Rattengreis er;;t
die Ansätze zu einer Regeneration des samenbildenden Zellmaterials aufzii-
finden sind, trifft map bei diesem Tier bereits mehrere völlig ausgebildete
Samenkanälchen mit allen Studien der Spermiogenese bis zum reifen Spermium.
*) Alle Aufnahmen mussten bei der Reproduktion leider staYk verkleinert
werden. Ich habe Originalabzügc bei der Redaktion und im Roux sehen
Bildarchiv hinterlegt.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6ü2
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIET.
Nr. 20.
Fig. 1. ßattengrei«- Hoden 7 Wochen nach
Untcrbindun". Vergr. 1: 8ö. Hodenkanälchen
atrophiach, Zwi8cheng<'webe stark ansge¬
bildet, im Interstitum Flüsaigkeitserguss.
Fig. 2. Jfattengrei.s. Hoden 7 Wochen nach
Unterbindung Vergr. 1:150. Hodenkanälchen
stark atrophisch, z. T. mit einsetzender lie-
gcneration. Bei s-Kanälchen mit altem Sper¬
mienpfropf. Zwiscln ngew. stark ausgebildet.
Fig. 8. Ruttenbock. Hoden 7 Wochen nach
Unterbindung. V’ergr. 1:85. Hodenkanälchen
zum Teil völlig regeneriert.
Die Zwischenzellen sind auch hier im histologischen Schnittbild schein¬
bar stark vermehrt (vergl. jedoch unten)^ Sie liegen zu verhältnismässig
umfangreichen Zellinseln vereinigt um die Hodengefässe. Ihre Grösse und
feinere Struktur entspricht den oben beschriebenen Verhältnissen.
Berechnung der Mengenverhältnisse.
Bei der Beurteilung der Bedeutung der Pubertätsdrüse ist es natürlich
von ganz besonderer Wichtigkeit, über die absoluten und relativen Mengen¬
verhältnisse der Hodenbestandteile Klarheit zu bekommen. Steinach
hat diesen Punkt völlig ausser acht gelassen. Ich suchte die Mengen¬
verhältnisse, soweit es bei der innigen Vermengung von L e y d i g sehen
Zellen und Gefässen und Bindegewebe überhaupt möglich ist, in Anlehnung
an H a m m a r ") und S t i e v e ") durch folgende Methodik zu errechnen.
Aus verschiedenen Teilen des zu untersuchenden Hodens werden bei
100 facher Vergrösserung die Konturen der Hodenkanälchen, des Zwi.schen-
gewebes (Zwischenzellen und Gefässe) und der Zwischenräume mit Bleistift
auf starkes Millimeterpapier aufgezeichnet. Man zeichnet jeweils ein
Bei den Massen der unterbundenen Hoden tritt vor allem die
I erhebliche, bei beiden Hoden etwa gleich starke Reduktion des spermio-
genen Anteils vor Augen. Dementsprechend haben sich die mit
Flüssigkeit gefüllten interstitiellen Spalten sehr vergrössert. Beim alten
Tier nehmen sie mehr als die Hälfte des Organs ein; dazu kommt noch
der in der Zahl noch nicht einbegriffene Erguss unter der Tunica
albuginea. Ueberraschend gering im Vergleich zu dem durch das histo¬
logische Bild erweckten Eindruck ist dagegen die Zunahme der absoluten
Menge des Zwischengevvebes, das beim jungen Tier beinahe gleich ge¬
blieben, beim Greisen nur um Geringes vermehrt ist. Da die Messui'g
der Zellgrösse eine Vergrösserung derselben ergab, so dürfte diese Zu¬
nahme hauptsächlich damit, weniger dagegen mit einer Vermehrung
der interstitiellen Zellen Zusammenhängen. Infolge der durch den Abbau
von spermiogenem Material frei werdenden Stoffe hypertrophieren die
Gesichtsfeld von etwa 34 cm Durchmesser. Dann wird der Umriss
der gezeichneten Fläche ausgeschnitten und dessen Gewicht Gi auf
einer feinen Wage festgestellt. Dann schneidet man ein Stück von
bekannter Grösse Fi ab (am einfachsten 100 qcm, natürlich vom
gleichen Blatt Papier) und bestimmt dessen Gewicht Ga. Daraus
berechnet man nach der Formel
Fl X Ql
Gs
den Flächeninhalt Fa des
ganzen gezeichneten Stückes, den man, um die wirkliche Grösse zu
erhalten, mit der Zahl der Vergrösserung, in diesem Fall mit 100
dividiert. Hierauf schneidet man sorgfältig die Umrisse der einzelnen
Teilstücke, also Hodenkanälchen, Zwischensubstanz und gewebsfreie
Räume aus, wägt sie und errechnet ihren Flächeninhalt in der
gleichen Weise,
Die aus einer Anzahl von Schnitten und Zeichnungen gewonnenen
Masse werden addiert. Die Summe multipliziert man zur Fest¬
stellung des Kubikinhalts mit der Zahl der Schnittdicke, bei 10 ii,
also mit 0,01 mm. Nun dividiert man das früher fcstgestellte Gesamt¬
volumen des Hodens durch den Kubikinhalt der gezeichneten Schnitt¬
teile. Multipliziert man dann mit der gewonnenen Zahl den Kubik¬
inhalt der gezeichneten Hodenkanälchen, des Zwischengewebes usw..
so erhalt man die absolute Menge dieser Bestandteile, aus denen Fig. 4. Rattenbock. ProHtata 7 Wochen nach Fig. 5. Rattengreis. Prostata 7 Wochen nr.eh
sich dann wieder die prozentuale Menge berechnen lässt. Unterbindung. Vergr. i:86. Unterbindung. Vergr. 1:86.
Nach dieser Methode wurden- die Mengenverhältnisse der unter¬
suchten Hoden aus je 10 Schnittbildern berechnet, die in überein¬
stimmender Weise immer der oberen, mittleren und unteren Hodenregion
entnommen waren.
Tabelle.
des ganzen
Hoden.s
V 0 I 11
der Hoden¬
kanälchen
L m e n
des interstitiell.
Gewebes
desRestraumes
A. Vor d. Operation
Ratten^reis R
840 mm^
714 mm*
8s,00 7o
79 mm*
9,40 Vo
47 mm*
5,60‘Vo
Junger Bock R
1050 mni“
947 mm*
90,19
72 mm*
6.86 %
81 mm*
2.95 »/n
B- .N’hcIi (1. (»iieration
(7 ‘Wochen')
Rnttengreis L
800 mm*
260 mm*
32,50 %
91 mm*
11,37 ‘'/e
449 mm*
56 18«/,.
Junger Bock L
500 mm* 1
25ti mm*
51,20 «/o
77 mm*
1 15,40 ®/o
167 mm*
33,40%
Was zunächst die Befunde vor der Operation betrifft, so zeigt
der spermatogene. Hodenanteil beim Rattengreis eine deutliche Reduk¬
tion, die infolge der allgemeinen Grössenabnahmc des Organs im
absoluten Mass stärker zum Ausdruck kommt als im relativen. Das
die L e y d i g sehen Zellen bergende Zwischengewebe ist absolut wie
relativ im Alter etwas vermehrt. Die absolute Differenz ist jedoch sc
gering, dass sie möglicherweise nahe an den in der Methodik begründeten
Fehlerbereich grenzt. Als „Restraum“ sind die grösseren mit Körper¬
flüssigkeit gefüllten Hohlräume, die ganz grossen Gefässe. sowie die
durch Schrumpfung entstandenen Spalten abgetrennt.
'*) Ham mar: Z. f. angew. Anat. 1. 1914.
■ ") H, Stieve: Arch. Entw.-Mech. 45. 1919.
Zwi.sclienzellen, die^die Nährsubstanzen natürlich nicht nur dann auf¬
nehmen, wenn sie mrch die Blutgefässe in den Hoden hereingeschafft
werden, sondern auch dann, wenn sie von den Hodenkanälchen aus in
das Bindegewebe gebracht weiden. Daraus erklärt es sich ja, dass
die Zwischenzellen immer hypertrophieren. wenn durch Schädigung des
spermiogenen Hodenteils Abbauprodukte in vermehrtem Grade frei
werden. Natürlich ist es möglich, dass auf dem Wege durch ihren Zell¬
leib auch spezifische Hormone in den Organismus gelangen, nur spielen
sie dann für deren Entstehung keine primäre sondern eine sekundäre
Rolle.
Wie die beigegebenen Photographien .bei einem Vergleich mit den
Steinach sehen Bildern zeigen, stimmt die Ausbildung der „Puber¬
tätsdrüse“ in beiden Fällen im histologischen Präparat ziemlich überein.
Vermutlich dürften auch die absoluten Mengen sich entsprechen. Da
aber dieselbengegen über dem voroperativenZustand,
wie obige Messung zeigte, nicht oder nicht wesent¬
lich vermehrt sind, so besteht auch keine Berechti¬
gung, mit Steinach von einer Wucherung der Puber¬
tät sdrüse zu sprechen.
Trotz der übereinstimmenden histologischen Bilder zeigten sich im
biologischen Verhalten der Tiere tiefgehende Unterschiede: die nach
Steinach zu erwartende Steigerung des Geschlechts¬
triebes, die ihn sogar von einer Hypermaskulierung
s p r e c h en lässt, konnte weder bei dem alten noch bei
dem jungen Tier beobachtet werden: insbesondere den,
Rattengreis verhielt sich zuletzt völlig indifferent, trotz der reichlichen
Zwischenzellen.
• In Bestätigung Steinachs wurde nach der Unterbindung Steige¬
rung der Lebhaftigkeit, der Fresslust und des Gewichtes festgestellt,
Erscheinungen, die aber nicht mit der Ausbildung der
Digitized b)
Google
Original früiri
UNIVERSITY OF CALIFORNI A..
20 . Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
603
Pubertätsdrüse, sondern mit der Resorption von Ab¬
baustoffen der Qeschlechtszellen Zusammenhängen.
Darauf weist auch der nach einiger Zeit eintretende Rückgang der
Symptome hin. L o e w y und Z o n d e k fanden nach Unterbindung
des Samenstranges ebenfalls nur eine vorübergehende Steigerung des
Stoffwechsels.
Die „Hypertrophie" der Samenblase und Prostata erweist sich beim
Greisen im histologischen Präparat als eine durch’Sekretstauung bedingte
Pseudohypertrophie. Besonders bei der Prostata zeigt die histologische
Untersuchung sehr deutlich, wie wenig man von einer „Verjüngung"
sprechen kann. Das sekretorische Epithel, das bei dem jungen Tier
(vergl. Eig. 4) aus hohen, kubischen bis zylindrischen proioplasmareichen
Zellen besteht, ist beim „verjüngten" Greisen* grösstenteils vollkommen
atrophisch (vergl. Fig. 5).
Wir sehen, die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind für
die Steinach sehe Verjüngungshypothese wenig gülistig. Auch
Steinach selbst scheint nicht immer positive Resultate gehabt
zu haben; leider versäumt er über diese Fälle genau zu berichten. Oft
wäre eine exakte Analyse der „Versager" nicht weniger wertvoll, als
die der „Treffer". Völlig erledigt ist die Streitfrage natürlich auch durch
die vorliegenden Ergebnisse noch nicht; dazu bedart es noch weiterer
umfangreicherer Versuche.
Die Lymphdrüsenfermente als Träger der Wasser¬
mann sehen, Reaktion.
Von Prof. Dr. Wilhelm Qennerich.
Der Glaube an die Spezifität der Wassermann sehen Reaktion
hat durch die Feststellungen der inneren Zusammenhänge dieser für die
Erkenntnis und Behandlung der Syphilis so unendlich wichtigen Reaktion
eine starke Erschütterung erfahren. Eine mit Lipoidfällung einhergehende
Fermentreaktion konnte nach dem Gesetz der Spezifität der Antikörper
nur noch für Lues charakteristisch sein. Gleichwohl hat sich nach sehr
hartnäckigen Kämpfen über ein Jahrzehnt doch unzweifelhaft ergeben,
dass positive SR. bis auf wenige sehr bekannte Ausnahmefälle stets ein
Symptom aktiver Lues ist.
Im Gegensatz zu der experimentellen Erforschung der SR. zeigen
die klinischen Erfahrungen immer eine weitgehende Uebereinstimmung
mit dem offensichtlichen Grad der Allge.neindurchseuchung und dem
vorhandenen Reaktionszustand auf der einen Seite und der Stärke und
Dauer der Reaktion auf der anderen Seite. Der vielfach vertretenen
Anschauung, dass der Organismus noch gegen den syphilitischen Folge¬
zustand abbauende Fermente mobilisiere, die dann in der Wasser¬
mann sehen Reaktion zum Ausdruck gelangten, konnte ich bereits 1910
auf Grund der Beobachtungen bei der Salvarsanprovokation der sero-
negativen Primärsyphilis und Lues latens wegen des sofortigen Eintritts
der positiven Schwankung der SR. nicht beitreten. Der Umschlag der
SR. konnte nur durch den Zerfall der syphilitischen Granulation selbst
herbeigeführt werden, durch den die in Frage stehenden Abbaufermente
in grösserem Massstabe frei wurden. Gewisse Zusammenhänge zwischen
der lymphozytären Infiltration und der, WaR. ergaben sich späterhin
auch bei Lymphozytenauflösungen im pathologischen Liquor (Wasser¬
mann und Lange, Wagner und G e n n e r i c h). Zur weiteren
Klärung der Wassermannfermente habe ich jetzt mit wässerigen Lymph-
drüsenextrakten (1 Teil Drüse auf 4 Teile physiologischer NaCl-Lösung)
der verschiedensten Herkunft eine Reihe von Versuchen durchführen
lassen, bei denen die Extrakte im toxischen System an Stelle des
Luetikerserums als Antikörper verwendet wurden Die Zubereitung der
Drüsenextrakte geschah in analoger Weise wie beim Luesextrakt. Da
ich zurzeit über keine serologische Abteilung mehr verfüge, so wurden
A. Loewy und H. Zondek: D.m.W. 1921 Nr. 13.
die Versuche in liebenswürdigster Weise von Herrn Prosektor
Dr. Emmerich und Herrn Dr. Soll durchgeführt, denen ich auch an
dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aussprechen möchte.
Bevor auf die Versuchsergebnisse näher eingegangen wird, wären
die parenteralen Verdauungsvorgänge bei Lues noch einer kurzen Be¬
trachtung zu unterziehen.
Wie gegen jede andere Infektion so mobilisiert der Organismus
natürlich auch gegen die Syphiliserreger seinen fermentativen Apparat,
was in der Schwellung der Lymphdrüsen und in der lymphozytären
Infiltration an den Krankheitsherden zum Ausdruck gelangt. Diese
fermentative Abwehrreaktion ist in ihrer Art zweifellos spezifisch, d. h.
sie ist auf die Verdauung, die Vernichtung des Parasiten vom Organis¬
mus eingestellt. Die Fermente sind aber, wie die klinische Erfahrung
zeigt, nicht derart, dass sie das Krankheitsgift als Ganzes zu para¬
lysieren vermögen, wie wir es bei den akuten Infektionskrankheiten
sehen; sie sind bei den höher organisierten Erregern anscheinend nur
in der Lage, gegen die einzelnen oder hauptsächlichsten Bestandteile der
Erreger, die eventuell auch vornehmlich von diesen ausgeschieden
werden, abwehrende, d. h. verdauende Fermente zu bilden. Die un-
zulängHche Wirkung dieses Abwehrvorganges, die uns klinisch im
chronischen Krankheitsverlauf entgegentritt, ist aber wohl nicht nur ein
Anzeichen für die schwierige Zugänglichkeit der Erreger, sie kann auch
auf die schwierige Bildung wirksamer Fermente hinweisen. Immerhin
müssen die eintretenden fermentativen Abwehrvorgänge wohl für die
Einstellung des Organismus gegenüber der toxischen Wirkung der Er¬
reger genügen, weil sich keine anaphylaktischen Vorgänge geltend
machen. Anscheinend handelt es sich bei der lymphozytären Abwehr¬
reaktion des Organismus um fermentative üruppenreaktionen, von denen
die Fermentlipoidreaktion einen wesentlichen Bestandteil bildet. Dass
die der W a s s e r m a n n sehen Reaktion zugrunde liegende Ferment¬
reaktion mit grösster Wahrscheinlichkeit spezifischen Reaktions¬
vorgängen des Organismus entstammt und mit einem Teile derselben
identisch ist, geht daraus hervor, dass es unschwer gelingt, mit syphili¬
tischem Lymphdrüsenextrakt eine einwandfreie positive WaR. (d. h.
mit gelösten Kontrollen) auszulösen. Das ist. wie unten zu ersehen, selbst
schon bei Primärfällen mit einem Infektionsalter von 14 Tagen der Fall.
Bei der Syphilis gelangen nun fortlaufend lymphozytäre Zerfallsprodukte
in den Kreislauf, ohne dass es an den Drüsen selbst zu histologisch deut¬
lichen Nekrosen zu kommen braucht.
Dass es sich bei der WaR. um einen Teil einer Gruppenreaktion des
spezifisch fermentativen Abwehrvorganges handelt, der in den Lympho¬
zyten präformiert ist und beim Zerfall derselben frei wird, ergibt sich aus
weiteren Versuchen.
Auch Extrakte von Lymphdrüsen, die durch irgendeinen infektiösen,
hauptsächlich aber tuberkulösen Prozess heterologisiert und erweicht
sind, geben positive WaR. Wie ich an anderer Stelle nachweisen werde
(siehe Herxheirncr-Festschrift des Arch. f. Dermatol, u. Syphlis), werden
beim Lymphdrüsenzerfall biologisch noch wirksame Fermente frei, die
unter gewissen Umständen in mehr oder weniger ausgedehntem Masse
in der Blutbahn zur Resorption gelangen und von hier aus gewisse
Krankheitsbilder erzeugen können, auf die ich hier noch nicht näher ein-
gehen möchte. Die in der Blutbahn auftretenden Lymphdrüsenfermente
können sogar bei diesen nichtsyphilitischen Prozessen eine positive
WaR. im Blut herbeiführen, dieses aber nur dann, wenn eine eingetretene
Anaphylaxie auf eine Ueberschüttung des Organismus mit dem entart¬
eigneten Eiweiss hinweist.
Nur wenig erweichte karzinomatöse Drüsen geben im Extrakt
negative WaR.; sehr wahrscheinlich auch normale Drüsen, zu deren
Prüfung hier aber keine Gelegenheit vorhanden war. Stark erweichte
karzinomatöse Drüsen geben nur schw’ach positive WaR.
Der ausserordentlich grosse Abstand im Gehalt an Wasser-
m a n n sehen Reaktionsstoffen zw ischen syphilitischen und tuberkulösen
' Drüsen ergibt sich auch daraus, dass die syphilitischen Drüsen bereits
Uebersichtstabelle.
Lfd
Xr.
Krankheit
Art der Driisen-
entiiahme
Drü-senbefund und
Besonderes. Tb.
Tag der
1 ohne Serum
j mit Norraalsenim
der WML
0,5
1 LO
1,5
Kontr.
0,5
1 ^'0
1 1.6
1 Kontr.
1
Phthise
Sektion
4 Std. p. m.
Bifurk.
4
4-
1
, 4-4
2
Karzinom
Sektion
\\ Std. p. m.
etwas erweiclit
10
—
_
_
_
_
_
_
_
3
Primäre Syphilis
W'oehen
post infectionem
SR
E.xzision
der Leiateudriiseu
Spir
diircb Leinen
filtriert
6
4-1-4-+
-H-+ +
-4—1—1—t-
+++-!-
-H-++
-f
4-C4-)
4-1-
4-4- (4-)
4-4-44-
-
1 it
+
inaktiviert
13
-f+T-f-
-M-h+
4-44-4-
4-
+++C+)
+
Primäre Syphilis
16 Ta^
post infectionem
_SR -
Spir -f-f
4
+
-f-f-(f)
4-
4- (-f)
i
1 4-4-(4-)
+4-4- (+)
-
y
Phthise
Sektion
15 Std. p. m.
Tb.?
bist. Knötchen
8
-M—b c-f)
-H-(-l-)
4-4-f (-f)
4-(4-) !
* 4-4
+-4+(+)
++4
Sektion
Tb. verkäst
+t±hL
+ -l-4-(-|-)
-44-4-1-4)
■4-F++
7
Sektion
12 Std. p. m.
Tb. verkäst,
nicht erweicht
2
-H-TiM)
4-
4-
4-(-4)
++(+)
_
T
llrtlslymphonio
Ansknitzunff
Tb. verkäst
gänzlich erweicht
5
_ ± _
-f (-I-)
4-4-(4.^
_
(4-)
-4
+
_
Karzinom
Sektion
36 Std. p. m.
Karzinom erweicht
2
-
+ C-I-V
4-4-
-
4 (-4)
1 ++
+++
<+)
Djgitized by
Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
604
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2ü.
ohne histologisch deutlichen Zerfall positive WaR. ergeben, während
diese bei tuberkulösen anscheinend um so stärker ist, je ausgiebiger der
Zerfall, bis es schliesslich bei völliger Verflüssigung auch zur Eigen¬
hemmung kommt. Hierzu ist jedoch noch besonders zu bemerken, dass
der Grad der Eigenhemmung auch noch von dem Alter der Erweichung
im Körper selbst abhängig ist; d. h. frisch zerfallene Lymphdrüsen, die
sehr bald in vivo ^ur Entnahme gelangen, besitzen weniger Eigen¬
hemmung als die bei Sektionen gewonnenen Drüsen, bei denen man über
das Alter des Erweichungsprozesses nichts anzugeben vermag.
Wodurch die Eigenhemmung zustande kommt, scheint aus den von
Emmerich ohne meine Anregung unternommenen Filtrier versuchen
(Leinen und Papier) hervorzugehen. Durch die Filtration werden die
Lymphozytenfragmente anscheinend in ähnlicher Weise weiter zerlegt,
wie es durch die weiter fortgeschrittene Einschmelzung geschieht. Es
ist dann wohl anzunehmen, dass die hier in Frage stehenden Fermente
mit völlig amorph und biologisch unwirksam gewordenen Zerfalls¬
produkten eine ähnliche Reaktion geben wie mit anderen Antigenen.
Bei Zusatz von Normalserum beim Ansetzen des toxischen Systems mit
Lymphdrüsenextrakt wird die Intensität der positiven WaR. etwas ge¬
schwächt. Das tritt noch deutlicher zutage bei denjenigen Reaktionen,
die mit einem vorgewärmten (Vs.Stunde bei 37® im Brutschrank) Extrakt
angestellt waren. Bei diesen vorgewärmten Drüsenextrakten war die
Eigenhemmung aus begreiflichen Gründen (weiterer Zerfall der Frag¬
mente und teilweises Erlöschen jeder biologischen Funktion s. o. bei
Filtration!) deutlich vermehrt. Da sich aus diesen Versuchen mit vor¬
gewärmten Extrakten sonst nichts Besonderes ergibt, ist die diesbezüg¬
liche Uebersichtstabelle hier fortgelassen worden; desgleichen auch die
Tabelle über die Sachs-üeorgi-Versuche, bei denen sich nur schwach
positive Ausfälle ergaben. (Siehe Uebersichtstabelle.)
Aus den vorliegenden Versuchen geht hervor:
1. Die in der WaR. zutage tretenden Fermente sind in geringem
Massstabe in den Lymphozyten präformiert, weil auch stark erweichte
Karzinomdrüsen eine schwache Komplementbindung geben.
2. Bei allen durch entzündliche Prozesse heterologisierten Lymph¬
drüsen, in denen die Lymphozyten bei der Vernichtung der Infektion zu¬
grunde gegangen sind, finden sich fettspaltende Fermente in vermehrtem
' Massstabe. Diese sind jedoch nach den hiesigen Beobachtungen über
die nosologische Bedeutung der beim Lymphdrüsenzerfall freiwerdenden
Fermente bei gewissen Hauterkrankungen erheblich in der Minderheit
gegenüber anderen Abbauvorgängen, die von den in den Kreislauf ge¬
langten und von hier aus ohne ein höheres Prinzip an gewissen Stellen
zur Wirkung kommenden Lymphdrüsenfermenten geleistet werden.
3. Wenn die Hpoidspaltenden Fermente in syphilitischen Drüsen
bereits ohne jegliche histologische Heterologlsierungsvorgänge in.so er¬
heblichem Massstabe frei werden, wie es die vorstehende Tabelle zeigt,
so ist man wohl berechtigt, diese hochgradige Entwicklung der lipoid¬
spaltenden Fermente als einen Hauptbestandteil des spezifischen Re¬
aktionsvorganges des Organismus gegenüber der syphilitischen Infektion
anzusprechen. Ein einheitlicher Antikörper gegenüber dem Syphilis¬
erreger kann vom Organismus nicht produziert werden, so dass er sich
mit Qruppenreaktionen, die gegen die Hauptbestandteile der Erreger
gerichtet sind, einzustellen versucht.
4. Wenn wir die Wassermannreagine als an sich präformierte, bei
den verschiedenartigen pathologischen Prozessen aber in verschiedenem
Massstabe vermehrte Fermente zu bezeichnen vermögen, so macht die
Erklärung positiver SR. bei allen mit Einschmelzung von lymphoidem
,Gewebe einhergehenden Krankheitsprozessen (Lup. eryth., Bubonen, in
gewissen, nicht luetischen Gelenkergüssen und schliesslich auch bei dem
0 u ^ r i sehen Syphilisheilserum) keine Schwierigkeiten.
Ueber das C) u 6 r i sehe Heilserum ist zu erwähnen, dass sein Her¬
steller, der die ätiologische Bedeutung der Spir. pallida in Abrede stellt,
es durch Impfung von Affen mit einer grossen Zahl von Saprophyten
gewinnt, die er auf syphilitischen Erosionen und Effloreszenzen gefunden
hat, und von denen er behauptet, dass sie die verschiedenartigen
Formen ein und desselben polymorphen Erregers darstellten.
Aus der Röntgenabteilung der Universitäts-Frauenklinik Berlin.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. Bumm.)
Ueber die Konzentration der Rfintgenstrahien und die
Erhöhung des Dosenquotienten durch Streustrahlung.
Von Dr. Taeekel und Dr. Sippel.
Das Bestreben der Tiefentherapie ist es, mit möglichst einfachen
Mitteln die Karzinomdosis in 10 cm Tiefe zu erreichen, ohne der Haut
mehr als die Erythemdosis zu verabfolgen. Wegen der einfachen Hand¬
habung Ist man von der Vielfelderbestrahlung mit vielen engen, auf das
Karzinom gerichteten Strahlenkegeln übergegangen zu der Bestrahlung
mit nur 4 grossen Feldern, wie sie in unserer Klinik nach dem Verfahren
von Warnekros und D e s s a u e r D mit bestem Erfolge angewandt
wird.
Es wird bei diesem Verfahren mit Hilfe von 4 grossen Strahlen¬
kegeln (von vorn, von hinten, von rechts, von links) eine Durch¬
strahlung von 80—120 Proz. der Hautmaximaldosis im ganzen Krank¬
heitsgebiet erreicht, wie die in der erwähnten Arbeit abgebildeten
Strahlenkegel ergeben. Noch einfacher ist die homogene Bestrahlung
mit nur zwei grossen Feldern (ein Vorder- und ein Rückenfeld), wie sie
C h a 0 u 1'“') mit sinem Strahlensammler unter gleichzeitiger bedeutender
Verkürzung der Bestrahlungszeit durchführen will. Doch haften dieser
wegen ihrer Einfachheit bestechenden Methode noch einige Mängel an,
die bei einem in unserer Klinik in Ausbildung begriffenen Zweifelder¬
verfahren vermieden werden sollen, und die wir im folgenden kurz
skizzieren wollen.
Schon bei der Bestrahlung mit vier grossen Feldern wird vornehm¬
lich die Streustrahlung zur Erhöhung des Dosenquotienten benutzt
Friedrich und Körner*) konnten in einer ausführlichen Arbeit
zeigen, dass bei einer Feldgrösse von 20:20 cm bei 30 cm* Foküs-
Hautabstand, der Dosenquotient ungefähr 5 mal grösser ist als bei einem
sehr engen Strahlenkegel (z. B. 1 :1 cm). Das ist ein Beweis dafür,
dass das gradlinig fortschreitende Strahlenbiischel an Intensität haupt¬
sächlich nicht durch Absorption, sondern durch die Streuung von
Röntgenstrahlen geschwächt wird, die zum grössten Teil wiederum den
tieferen Schichten zugute kommen. Diese gestreute Röntgenstrahlung
erhöht die Intensität der direkten Strahlung in der Tiefe naturgemäss
um so mehr, je grösser der strahlenaussendende Bezirk ist; daraus erklärt
sich die Eihöhung des Dosenquotienten bei der (jrossfelderbestrahlung.
Nun hatten wir bei dem in unserer Klinik angewandten Be¬
strahlungsverfahren die Erfahrung gemacht, dass bei Beanspruchung der
Haut bis zur Hautmaximaldosis die Analfalte stärker gerötet wurde als
die Haut der umgebenden Partien, obwohl sie doch einen grösseren
Fokusabstand hatte als diese. Wir schlossen daraus, dass dies hur eine
Folge der Streustrahlung sein könnte, denn die Rima ani erhält ausser
der vollen direkten Bestrahlung durch die Röntgenröhre noch die volle
Streustrahlung, die von den seitlich sich vorwölbenden Qesässbacken
ausgeht (Fig. 1).
Kokus der Höntneiiitilii-o.
_ PriniärstrHiileii.
=r StreustiMlilen.
Es lässt sich nun durch eine einfache Rechnung an Hand der
Friedrich- Körn er sehen Versuchsergebinsse zeigen, dass die
Intensität dieser hinzukommenden Streustrahlung mehr beträgt, als die
Intensitätseinbusse infolge des grösseren. Abstandes von der Röntgen¬
röhre.
Bezeichnen wir die Intensität der direkten Strahlung in 30 cm Ab¬
stand von der Röntgenröhre mit 100, so ist nach dem quadratischen
Gesetz die Intensität in 32 cm Abstand von der Röntgenröhre _
30*
325 • 100 = 87.9.
Befinden sich 2 cm Wasser als schwächendes Medium im Strahlen¬
gang, so ist bei 180 K.V.-Spannung 1 mm Cu-Filterung bei Ausschaltung^
der Streustrahlung in 32 cm Abstand infolge der experimentell ge¬
fundenen Abschwächung eine Intensität von 57,5 zu erwarten.
Diese Abschwächung beruht nun zum grössten Teil auf Streuung.
Legen wir nun die abschwächende Wasserschicht unmittelbar vor das
Messgerät, so dass die ganze dem tiefer liegenden Gewebe zugute
kommende Streustrahlung mitgemessen wird, so finden wir eine ent¬
sprechend höhere Intensität. Friedrich und Körner erhielten bei
einer Feldgrösse 20:20 180 K.V.-Spannung, 1 mm Cu-Filterung und
einem Fokushautabstand von 30 cm in 2 cm Tiefe Aires Wasser¬
phantoms als Intensität 88,8.
Wir haben demnach als Streuzusatzdosis in 2 cm Tiefe
88.8 — 57,5 = 31,3.
In einer Hautfalte von 2 cm Tiefe haben wir also diese Streu¬
zusatzdosis neben der Intensität der direkten Strahlung, für die wir oben
nach dem quadratischen Gesetz 87,9 berechnet hatten. Die Gesamt¬
intensität in einer 2 cm tiefen Haufalte ist demnach
87.9 + 31,3= 119,2.
während die Oberflächenintensität in 30 cm Abstand sonst nur 100 Ein¬
heiten beträgt.
Es ist also möglich, infolge der Streustrahlung
in Hautfalten eine grössere Intensität zu erhalten
als an der Hautoberfläche.
*) Strahlentherapie 11. 1920 und Verh. d. D. Ges. f. Gyn. 1920 S. 224.
=0 M.m.W. 1920 S. 961. *) Strahlentherapie 11. 1920. S. 961.
Digitized by Got-i
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
605
Dieses Ergebnis zeigt aber auch, wie schädiich sich eine über¬
sehene Strcustrahlung bemerkbar machen kann. — Wir haben infolge¬
dessen die stärkere Rötung im Bereiche der Rima ani in einfacher Weise
dadurch behoben, dass wir in diese Falte einen Strenstrahler, z. B.
einen mit Wasser getränkten Wattebausch, einlegten, der die direkte
Strahlung in gleicher Weise durch Streuung und Absorption schwächt
wie das benachbarte Gewebe und die durch die Hautfalte verursachte
Inhomogenität des Bestrahlungsfeldes vollkommen ausgleicht. Seitdem
wies die Rima ani nie mehr eine stärkere Rötung auf als die Haut der
Umgebung. ,
Diese Einebnung von Hautfalten durch einen in bezug auf die Ab¬
schwächung der Röntgenstrahlen dem Gewebe äquivalenten Körper
empfehlen wir zur allgemeinen Anwendung ^um Schutze der Achsel¬
höhle, der Leistenbeuge usw.
Es wird sich immer leicht eiti mit Wasser getränkter Wattebausch,
ein Paraffinkeil oder eine mit Wasser gefüllte Gummiblase anbringen
lassen, die verhindert, dass die direkte Bestrahlung ungeschwächt auf
Hautteile trifft, die ohnehin einer starken Streustrahlung ausgesetzt sind.
Diese Vorsichtsmassnahmen erscheinen bei Hautfalten allgemein um so
notwendiger, als die Haut in diesen Bezirken durch die stärkere
Schweissabsonderung und Reibung mit der Umgebung ohnehin schon
empfindlicher ist als die übrige Haut der Körperoberfläche.
Da uns unsere Rechnung gelehrt hatte, dass wir die Intensität in
32 cm Fokushautabstand bedeutend steigern konnten, wenn wir die von
seitlich vorgelagertem Gewebe ausgehende Streustrahlung zur Unter¬
stützung der direkten Strahlung benutzten, so kamen wir in kon¬
sequenter Weiterent'Wicklung dieses Gedankens zu dem Plan, durch
Streusträhfer, die wir seitlich vom eigentlichen Bestrahlungsfeld dem
Körper aufsetzten, die Intensität der direkten Strahlung zu vermehren
(Fig.2).
Wir schafften uns damit gewissermassen künstlich eine breite Haut¬
falte, richteten die von divergierenden Röntgenstrahlen hervorgerufenen
Streustrahlen auf das Mittelfeld und konzentrierten damit einen Teil der
sonst unausgenutzten Primärstrahlung wieder auf das Mittelfeld. Wir
gelangten damit zur Konstruktion eines Strahlensammlers, der äusserlich
sehr dem ersten C h a o u 1 sehen Modell gleicht *).
Jedoch vermieden wir dabei einen Fehler, welcher der Chaoul-
schen Konstruktion trotz der glänzenden Ausnutzung der Gesamt¬
strahlung noch anhaftet. Man muss nämlich bei einer derartigen Be¬
nutzung der Streustrahlung bedenken, dass diese Bestrahlung insofern
eine Gefahr für die Hautoberfläche bedeutet, als sie an Stellen unweit
der Hautober fläche entsteht und — wegen der Abnahme der In¬
tensität mit dem Quadrat der Entfernung vom Entstehungs¬
punkt — die Hautoberfläche sehr viel stärker angreift als die Tiefe.
Deswegen erhöht der erste Strahlensammler nach C h a o u 1
die Öberflächendosis auch stärker als die Tiefendosis, denn
die Intensitätserhöhung wird hauptsächlich durch Streustrahlen hervor¬
gerufen, die durch das zentrale, bereits der Primärstrahlung ausgesetzte
Feld M gehen. Bei der Neukonstruktion des C h a o u 1 sehen Strahlen¬
sammlers®) wird die Erhöhung des Dosenquotienten erst durch die seit¬
lich aufgestellten Sekundärstrahler erreicht, die eine Strahlung durcii
andere Teile der Hautoberfläche in die Tiefe senden.
Wir lösten die Auf¬
gabe, durch Sekundär¬
strahlung die Tiefendosis
zu erhöhen, ohne die Ober¬
flächendosis merklich zu
steigern in der Weise, dass
wir einen quadratischen
Wässerkasten von 7 cm
Höhe mit einer Boden¬
fläche 40:40 cm, in dem
ein Raum von der Grösse
des eigentlichen Bestrah¬
lungsfeldes 14:14 bzw.
8 : 8 cm ausgespart ist, der
Haut aufsetzten, also einen
Strahlensammler verwen¬
den. der sehr ähnlich der
ersten ChaouIschen Kon¬
struktion ist (Fig. 3). Je¬
doch schlagen wir
die inneren Wan¬
dun gen des Strah¬
lensammlers mit
Bleiblech aus und er¬
reichen dadurch, dass die
angewandte Sekundär¬
strahlung nur die Tiefen¬
dosis und nicht mehr die
Hautdosis im eigentlichen
inneren Bestrahlungsfeld = KupreriiitPr; M = mituei^
iA . ^A K.,,,, o .o stnihlunpsfold; b = Streustrnliier; V - Vorhlter
.14 DZW. o . ö ernoni. Streustrahlers; B s=^Bkn.schutz des Streusti'jilL
* ^ : - die Hr - ""
g^'gen
aut des .Mittelfeldes.
Be-
des
hlers
Ausserdem^Wird bei
unserer Konstruk¬
tion das übliche Filter von 1 mm Cu. nur für das innere
Bestrahlungsfeld angewandt, während der Sekundär-
1920 Nr. 30. *) M.ni.W. 1921 Nr. 10.
strahier durch schwächere Filter bestrahlt wird, da
die Strahlung beim Passieren des Wassers von selbst
gehärtet wird. Wir erreichen dadurch eine stärkere Sekundär¬
strahlung als bei der Chaou Ischen Anordnung, da wir durch geeignete
Wahl der Vorfilter V, V des Wasserkastens die Sekundärstrahlung bis zur
Stärke der Hauterythemdosis steigern können.
Dadurch wird eine Erhöhung der Tiefendosis im zentralen Strahlen¬
kegel erzielt, ohne dass die Hautdosis irgendwo überschritten wird. Die
Chaou Ische Methode der seitlich angebrachten Streustrahler halten,
wir aus dem Grunde nicht für vorteilhaft, weil durch eine zu weitgehende
Sammlung der Strahlen auf der, der Röhre abgewandten Körperseite
(also in 20 cm Tiefe) noch eine derartige Intensität übrig bleibt, dass
dann bei der zweiten rückseitigen Bestrahlung die Hauterythemdosis
überschritten wird.
Genaue Messergebnisse, die wir an einem Wasserphantom aus¬
führen, in dem wir die Ionisationskammer nach allen Richtungen frei be¬
wegen können, werden wir demnächst veröffentlichen.
Aus dem Staatl. Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten
Saarbrücken (Direktor: Prof. Dr. Hilgermann) und dem
Bürgerhospital Saarbrücken (Chefarzt: Geheimrat Dr. Mertz.)
Beitrag zur Frage der aktiven Immunisierung der Syphilis.
Von Prof. Dr. R. Hilgermann und Dr. W. Krantz.
Auf dem Gebiete der Syphilisbehandlung wurden mit der Einführung
des Salvarsans und dem Ausbau der Chemotherapie bedeutende Fort¬
schritte erzielt. Die rasche und sichere Beeinflussung der Symptome
der Syphilis stellen das Salvarsan zum mindesten neben, in mancher
Beziehung wohl auch über die althergebrachten Mittel. Leider sind
aber auch die Erfolge des Salvarsans, .selbst in Kombination mit anderen
Mitteln, zumal in Hinsicht auf Dauerheilung, durchaus nicht ganz be¬
friedigend. Auch heute, nach 10 jähriger Erprobung des Salvarsans,
gehen die Ansichten erfahrener Therapeuten über die notwendige
Intensität der Salvarsanbehandlung noch ziemlich weit auseinander, und
der Begriff der genügenden Kur ist durchaus nicht sicher in der allge¬
meinen Meinung begrenzt. Wir wissen heute weiterhin, dass es Fälle
gibt, in denen selbst sicher ausreichende und mehrmals wiederholte
Kuren das Auftreten spätluetischer Erscheinungen nicht verhindern
konhten. Daraus ergibt sich für den Arzt die Aufgabe, neben der Be¬
achtung der übrigen bekannten Methoden der Syphilisbehandlung nach
neuen Wegen zu suchen.
Der Grundzug jeder Therapie beruht, ganz allgemein gesprochen,
entweder darauf, die Krankheitserreger zu schädigen oder den Organis¬
mus In seinem natürlichen Bestreben, sich der eingeOrungenen Krank¬
heitserreger zu erwehren, zu unterstützen. Bei der Salvarsantherapic
im besonderen verfolgen wir die Absicht, die Spirochäten zu vernichten:
die parasitotrope Wirkung des Salvarsans steht ausser Zweifel. Da¬
neben erscheint eine Wirkung auf das spezifisch erkrankte Gewebe sicher.
Inwieweit der chemische Körper Salvarsan oder die aus ihm entstehenden
Produkte auf die lebenden Zellen des Organismus einwirken, darüber
ist heute noch nichts sicheres bekannt. Desgleichen nichts, ob viel¬
leicht manche Spirochätenstämme mehr oder weniger giftfest sind.
Es ist weiterhin eine offene Frage, worauf es beruht, dass sich im ein¬
zelnen Falle Spirochäten der gewollten Einwirkung des Salvarsans ent¬
ziehen und 'resistente Herde bilden. — Nach unseren heutigen Vor¬
stellungen von den Infektionskrankheiten müssen wir als sicher annehmen,
dass der menschliche Körper gegen die eingedrungenen Spirochäten
Schutzstoffe bildet. Die Tatsache, dass z. B. ein frühsyphilitisches
Exanthem auch ohne spezifische Behandlung abheilen kann, stützt diese
Annahme bezüglich der Lues. Wenn wir auch unsere an anderen
Infektionskrankheiten gesammelten Begriffe über Immunität nicht ohne
weiteres auf die Syphilis übertragen können, so steht doch das eine
fest, dass auch beim Verlauf der Syphilis gewisse immunisatorische
Vorgänge statthaben. Leider sind wir heute darüber noch nicht soweit
untefrichtet, dass wir bestimmte Schlüsse daraus für unser therapeuti¬
sches Handeln ziehen könnten. Schon der unterschiedliche Verlauf der
verschiedenen Syphilisfälle bei der gleichen ätiologischen Grundlage
weist auf die Bedeutung dieser immunisatorischem Vorgänge hin, und
wir dürfen deshalb bei aller Würdigung der inner’en Desinfektionsmittel
nicht die Aufgabe vergessen, welche den natürlichen Abwehrvorrich¬
tungen des Organismus, den bakteriziden und phagozytären Stoffen, im
Kampfe gegen die^eingedrungenen Krankheitserreger zukommt. Die An¬
regung der Bildung dieser Stoffe und damit die Stärkung des Organismus
im Kampf gegen die Erreger muss daher eine der Aufgaben einer wirk¬
samen Therapie sein. Mit der Möglichkeit, durch Stärkung der natür¬
lichen Abwehrkräfte des Organismus durch aktive Immunisierung würde
sich vielleicht auch die Möglichkeit ergeben, die Entstehung resistenter
Spirochätenherde durch die gehobene Widerstandskraft der Zellen und
Körpersäfte gegen die Ansiedlung von Spirochäten zu verhindern.
Die Versuche, Immunkörper für eine spezifische Therapie der
Syphilis zu benutzen, gehen bis in die vorbakteriologlsche Zeit zurück.
Es Ist hier nicht der Ort, auf die historische Entwicklung dieser Fragen
einzugehen. Es ist bekannt, dass mit diesen Versuchen keine brauch¬
baren Ergebnisse erzielt wurden. In den letzten Jahren haben, viel¬
leicht unter dem Eindruck der Chemotherapie, Immunlslerungsversuchc
keine allgemeine Beachtung gefunden. Wenn wir trotzdem die Immuni-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
606
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
sierungsversuche bei Syphilis wieder aufnahmen, so leiteten uns einer¬
seits die oben angedeuteten Gedanken an das Vorhandensein und die
Wichtigkeit immunisatorischer Vorgänge und andererseits die günstigen
Erfahrungen, die wir damit bei anderen Infektionskrankheiten gemacht
hatten. Wir berichten im folgenden kurz über unsere Versuche. Wenn
unser Material nur recht bescheiden ist, und irgendwie bindende
Schlüsse nicht zulässt, so liegt das hauptsächiich daran, dass wir unsere
Versuche vorzeitig abbrechen mussten, weii die Auflösung des hiesigen
Hygienischen Institutes durch die Saarregierung ihre weitere Fort¬
setzung unmöglich machte. Immerhin vermag vielleicht auch das be¬
scheidene Material eine Anregung zu geben, diese Versuche fortzusetzen.'
Den Immunisierungsversuchen bei Syphilis stand an und für sich die
schwere Züchtbarkeit der Spirochäten im Wege. Wenn auch jetzt
brauchbare Züchtungs- und Oewinnungsverfahren für Reinkulturen an¬
gegeben worden sind, so nehmen doch auch sie immerhin beträchtlich
lange Zeit in Anspruch. Wir hätten bei der Reinzüchtung eines be¬
treffenden Spirochätenstammes, vorausgesetzt, dass Im einzelnen Falle
die Reinzüchtung immer gelungen wäre, kostbare Zelt zur Einleitung
unserer Immunsierungsversuche verloren, zumal uns besonders daran lag,
Autovakzinen zu verwenden, da nach unseren bisherigen Erfahrungen bei
anderen Erkrankungen sog. polyvalente Vakzinen die Autovakzinen nicht
vollkommen ersetzen können. Um die Schwierigkeiten der Züchtung zu
umgehen, haben wir versucht, eine brauchbare Vakzine aus Material
herzustellen, das uns der erkrankte Organismus selbst bietet.
Wir wissen, dass die Spirochäten innerhalb der*spezifischen Krank¬
heitsheide sich ausserordentlich zahlreich finden. Hand in Hand geht
hiermit ein grösserer Zerfall der Spirochäten vor sich, so dass wir somit
an diesen Vorzugsstellen der Spirochätenanhäufung nicht nur grosse
Mengen der Spirochäten, sondern auch ihre Abbauprodukte und die
Reaktionsprodukte des Organismus haben müssen. Wenn wir solches
Gewebe in entsprechender Weise vorbereiten, gewissermassen auslaugen,
müssten wir in dem Produkt Spirochäten ihre Zerfallsprodukte und die
Reaktionsprodukte des Gewebes haben. Um einen brauchbaren Impf¬
stoff zu erlangen, nahmen wir Reizserum von Primäraffekten, sobald
es massenhaft Spirochäten enthielt, in etwas physiologischer Kochsalz¬
lösung auf. Da dieses Verfahren recht mühsam war, und bei grossem
Zeitverbrauch nur wenig nutzbare Substanz ergab, haben wir weiterhin
breite Kondylome als Ausgangsmaterial benutzt Nebenbei bemerkt,
wurde auch das Verfahren der Drüsenpunktion aus dem oben angeführten
Grund ausser acht gelassen.
Die unter sterilen Kautelen abgenommenen Kondylome wurden mit
scharfem Messer sehr fein geschabt, dann nach Zusatz der nötigen
physiologischen Kochsalzlösung in einem Mörser zerrieben, das zer¬
riebene durch Filtrierpapier filtriert und der Mörser mit etwas Koch¬
salzlösung nachgespült. Mörser, Trichter, FUter und Messer waren
steril.
Die auf diese Weise gewonnene Aufschwemmung ergab stets reich¬
lichen Gehalt an Spirochäten, nebenher mehr oder weniger die unver¬
meidbaren Begleitbakterien.
Nach Versuchen von Obermeyer und Pick wissen wir, dass
die mit abgetöteten Bakterien erzielten Antitoxine durchaus nicht den
durch Impfung mit lebenden Bakterien hervorgerufenen gleichwertig
sind. Infolgedessen war es unser Bestreben, möglichst schonend ab¬
zutöten, Zu Beginn unserer Versuche wählten wir noch die übliche
Abtötung durch Hitze (50—54® C), als Kontrolle der Sterilität dienten
uns die Begleitbakterien. Späterhin wählten wir chemische Zusätze In
möglichster Verdünnung bei Temperaturen nicht über 37®. Auf die
Gründe, die uns veranlassten, letztere Methode zu wählen, soll weiter
unten eingegangen werden.
Zur näheren Erläuterung der Gedanken, die uns bei unseren Ver¬
suchen leiteten, mögen die folgenden Erörterungen dienen. Die Syphilis
ist für uns heute weder Haut- noch Geschlechtskrankheit, sondern eine
Infektion des gesamten Organismus. Wir wissen aber, dass Hauterschei¬
nungen bei Syphilis überaus häufig sind und die Fälle von Lues asym-
ptomatica die Ausnahme bilden. Die Ansichten darüber, welche Rolle
die Hauterscheinungen, die wir doch als Reaktion zwischen Erregern
und Hautzellen auffassen Müssen, für den Verlauf der Syphilis haben,
sind geteilt. „Für das Schicksal des Patienten ist es unerheblich, ob
er ein makulöses, ein papulöses, ein pustulöses oder ein ulzeröses Syphilid
hat, ja, es ist selbst gleichgültig, ob er überhaupt eine Hauterscheinung
hat“ schreibt Citron (in Kraus und Brugsch, Spez. Path. u. Ther.).
Finger sagt: „Es gibt eine Gruppe von Syphilitikern, bei denen die
Lues ausschliesslich als Hauterscheinung verläuft“ (Hdb. d. Gschlkr.).
Bei der Besprechung der Lues maligna, deren Lieblingslokalisation Haut.
Schleimhaut, Periost und Knochen und Hoden seien, spricht er davon,
dass Eingeweide und Zentralnervensystem kaum ergriffen würden, dass
Tabes und Paralyse kaum vorkäme. Es würde zu weit führen, noch
mehr Zeugen für die auseinanderweichenden Ansichten zu nennen oder
auf das Für und Wider näher einzugehen. Wir nehmen an. dass an
einem Orte im Organismus, an dem sich der Kampf zwischen Parasiten
und Körperzellen abspielt, Stoffe vorhanden sind und wahrscheinlich auch
gebildet werden, die Waffen des Organismus sind, nennen wir sie nun
Antikörper oder gebrauchen wir dafür sonst einnn präziseren Ausdruck.
Wir nehmen also auch an, dass die Zellen der Haut, sofern sich in ihr
der Kampf mit der Spir. pall. abspielt und seinen sichtbaren Ausdruck
in Exanthemen findet, Antikörper gegen diese Spir. pall. bilden. Das
Exanthem ist nicht bloss Erscheinung, sondern das Produkt von Wirkung
der nachweisbaren Spirochäten und Gegenwirkung des Organismus, ln
der Tatsache, dass Exantheme spontan abheilen, kann man eine Stütze
dieser Betrachtungsweise sehen.
Das Exanthem zeigt den bestehenden Kampf zwischen Spirochäten
und Hautzellen an, das abgeheilte das Ueberwiegeii der Abwehr des
Organismus über den Angriff der Parasiten.
Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen unserer Versuche ist,
dass die am Hautorgan vorgenommenen Immunisierungsversuche nicht
nur eine lokale, sondern allgemeine Bedeutung haben. Unsere Gedanken
berühren sich hierin mit den Ausführungen E. H off mann s über die
Esophylaxie der Haut. Es würde den Rahmen dieser Mitteilung über¬
schreiten, wenn wir uns kritisch mit den Gedanken beschäftigen w'ollten,
die sich mit dem Begriff der Esophylaxie verbinden. Es sei nur noch
kurz auf die bemerkenswerten Zusammenhänge zwischen der genannten
innersekretorischen Fähigkeit der Haut und auf physikalisch-therapeuti¬
sche Masnsahmen, auf die Krebs (D.m.W. 1920 Nr. 31) aufmerksam
macht, .hingewiesen. Diese Probleme sind noch nicht gelöst, aber es
deutet doch manches daraufhin, dass dem Hautörgan im Kampfe gegen
eingedrungene Krankheitserreger eine wichtige und besondere Rolle zu¬
kommt.
Es ist ein biologisches Grundgesetz, dass der lebende Organismus
auf die parenterale Einverleibung einer ihm fremden Substanz mit der
Bildung von gegen diese gerichtete Stoffe reagiert. Wie oben erwähnt
verwendeten wir ein Präparat, das als weßentlichen Bestandteil ab¬
getötete Spir. pall. und ihre Zerfallsprodukte enthielt. Wir erwarteten
von der Anwendung einer solchen Vakzine neben einer unspezifischen,
vor allem auch eine spezifische Wirkung. Was die unspezifische Wir¬
kung von Eiweisskörpern bei Lues anbelangt, so weisen wir auf einen
Aufsatz von Sc h r e in e r-Graz (W.kl.W. 1920 Nr. 34) hin: Er ver¬
suchte, durch Anw'endung von Pepton eine unspezifische Leistungs¬
steigerung herbeizuführen als Vorbereitung für die antiluetische Be¬
handlung und berichtete über ermutigende Resultate.
Als wir unsere Versuche begannen, versuchten wir. den Körper
zur Bildung von Schutzstoffen durch subkutane Einverleibung der Vak¬
zine anzuregen. Erst im Verlaufe unserer Versuche und bei der Beob¬
achtung der Reaktionen kamen wir zu dem soeben angedeuteten Ge¬
dankengang und zu der Absicht, im besonderen die Fähigkeit der Haut¬
zellen in unserem Sinne zur Schutzstoffbildung nutzbar zu machen.
Wir begannen, wie schon erwähnt, unsere Versuche damit, vor¬
sichtig gesteigerte Mengen der Vakzine, über deren Zubereitung oben
berichtet ist, subkutan einzuspritzen. Wir begannen mit 0.25 ccm und
steigerten die Dosis bis 1,5 ccm, indem wir zwischen den einzelnen
Dosen Pausen von einer von Fall zu Fall wechselnden Dauer ein¬
schoben. Schw'ankungen der Körpertemperatur traten weder im Sinne
einer Steigerung, noch einer Senkung ein, Störungen des Allgemein¬
befindens wurden nicht beobachtet; die Injektionen gaben zu keinen
Schmerzempfindungen Anlass. Am Orte der Injektion beobachteten
wir eine intensive Reaktion, die am treffendsten mit dem Aussehen
einer Kontusion verglichen .werden kann. Bereits am Tage nach der
Injektion bemerkten wir eine leichte Infiltration unter der Haut und eine
ziemlich intensive blau-violette Verfärbung der Haut von der Grösse
eines Markstückes bis zu der eines Fünfmarkstückes. Die Infiltration
nahm in den folgenden Tagen noch zir, w^urde geradezu knotig und nahm
dann wieder ab. Die Verfärbung der Haut wechselte in den Farben,
wie wir sie von den Kontusionen her kennen, bis sie, ebenso , wie die
Infiltration, nach 10—14 Tagen wieder verschwunden war. Das Aus¬
sehen und der Verlauf der Reaktion auf die subkutane Injektion der
Vakzine deuten auf eine Wirkung auf die Blutgefässe hin. Einige
nähere Beobachtungen darüber sollen einer besonderen Mitteilung zu¬
grunde gelegt werden; hier genüge die Andeutung. — Neben den
Vakzineinjektionen wurde eine kombinierte Kur (Schmierkur von 6 mal
6 Teileinreibungen, 6 Neosalvarsaninjektionen f— 2,25 gl und lokal
Kalomel) in Anwendung gebracht. Aus diesem Grunde müssen wir uns
es auch versagen, ein Urteil darüber abzugeben, ob durch die subkutanen
Injektionen eine raschere Abheilung der luetischen Erscheinungen ermlgt
sei. Wir wessen, dass sich die Haut- und Schleimhauterscheimingen im
Beginn einer kombinierten Kur im Verlauf von Tagen zurückbilden und
Differenzen von Tagen durch die im einzelnen Fall gegebenen Be¬
sonderheiten begründet sind.
Als Beispiel für die Anordnung und den Verlauf unserer Versuche
führen wir der Raumersparnis halber nur einen Fall an:
Fall R.: 22 jährige Arbeiterin. Seit 3 Wochen Geschwüre am Genitale:
in den letzten Wochen Haarausfall. Befund: Am Genitale zahlreiche ulze-
rierte Papeln; Spir. pall. -f-bH-. Polyskleradenitis — Reste eines Exanthems
— Angina spec. — Papeln an der Unterlippenschleimhaut. WaR. ++4-,
Behandlung: Schmierkur Neosalvarsan, lokal Kalomel, subkutane Vakzine-
injektionen.
Neosalvarsan
Vakzine
Wa R
S G
M
28. 10.
0,8
23. 10.
0,25
28 10
+ + +
+-b
-l-b-l-
8. 11.
0,46
27. 10.
0,26 ,
80. 10.
-hb4-
-4-
-f-
12. 11.
0,46
1. 11.
0,5
6. 11.
TT-b
++»-
-f4+
19. 11.
0,46
6. 11.
1,0
18. 11.
++-I-
-b
26. 11.
0,45
10. U.
1,0
20. 11.
- 0
— ü .
-b-b
3. 11.
0,46
15. It.
1,2
29. 11.
- 0
In derselben Weise wurden ferner 4 weitere Fälle behandelt.
Fall M.; Vor einem Jahr 10 Salvarsan- + 12 Hg-Spritzen. Jetzt Ulcus
am Lab. min. sin. Spir. pall. H—h+. Am Orific. urethrae Ulcus mollc.
Leistendrüsen massig geschwollen. WaR. H — I — b. Nach 5 Ncosalvarsan-
Digitized b]
I Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA.
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHEKSCHPIFT.
60/
Injektionen und 30 Teileinreibungen, sowie 6 subkutanen Vakzineinjektionen
von 0,25—2,0 ccm WaR. —, SQ. ++, M. +++.
Fall E.: Qenitalpapeln und breite Kondylome. Spir. pall. +++; Poly-
skleradenitis — ausgedehntes Leukoderma — Angina spec. stark.
WaR. +++. Nach 4 Salvarsanspritzen, 30 Teileinreibungen und 7 Vakzine¬
injektionen subkutan WaR. +, SG. ++, M. +++ (in der 5. Woche nach
Beginn der Kur).
Fall M.; Qenitalpapeln, induratives Oedem der Lab. maj. Spir.
pall. +-1"1-. Polyskier. — Roseola syph. — starke Angina spec.
WaR. +++. Nach 4 Neosalvarsaninjektionen, 24 Teileinreibungen, 5 Vak¬
zineinjektionen subkutan in der 4. Woche seit Beginn der Kur WaR. +,
SG. —, M. +++.
Fall Th.: Genitalpapeln Spir. pall. +++. Polyskleradenitis — Angina
spec. Nach 1,40 Silbersalvarsan, 6 subkutanen Vakzineinjektionen in der
6. Woche seit Beginn der Behandlung: WaR. ++, SQ. +, M. +.
Weiterhin wurden 4 Fälle von frischer Lues II mit i n t r a -
Ivutanen und subkutanen Injektionen behandelt. Da wir
den Eindruck hatten, dass unter dem Einfluss der intra¬
kutanen Injektion die Seroreaktionen eher nega-
t i V wurden, gingen wir sodann zur ausschliesslichen intra¬
kutanen Injektion über. Die Injektionen wurden in derselben
Weise wie l^i den sogenannten Luetinreaktionen vorgenommen:
Mit einer feinen Kanüle wurde flach in die Haut eingegangen und bis
zur Bildung einer halberbsengrossen weissen Quaddel von der Vakzine
eingespritzt. Die Injektion hatte eine mehr oder weniger starke Reaktion,
je nach den Fällen verschieden, zur Folge. Ein Fall aus dieser Reihe
sei mit den Daten der Injektionen und den Serumreaktionen ausführlich
mitgeteilt:
Fall Ch.: 20jähriges Mädchen. Nässende Qenitalpapeln. Spir.
pall. -FH-. Roseola syphil. angedeutet. Polyskleradenitis — Angina spec. —
WaR.
Vakzine
iitnkitai
1 Seroreaktion |
Neo-
ealvarson
Wa U
D .\I
8. 12.
C. 12.
+++
14. 12.
0,8
14. 12.
13. 12.
4-4-f '
21. 12.
0,4Ö
18. 12.
20. ]8.
44 4-
•44-+
28. 12.
0,46
28. 12
27. 12.
-f4-
-t-+4
4. 1.
0,45
27. 12
4. 1.
— (1
+
11 1.
0.4^
.81. 12.
6. l
10 I.
- 0
Die Reaktionen an der Haut waren in diesem Fallle zuerst schwach. Von
der 4. an wurden sie stärker. Die WaR. war nach 1,2 Neosalvarsaninjek¬
tionen und Teiieinreibungen neben der Vakzinebehandlung negativ; nach
einer weiteren Neosalvarsaninjektion wurde auch die bis dahin noch schwach
positive DM. negativ.
Fall B. Qenitalpapeln. Spir. pall. +++. Polyskleradenitis, Skabies.
WaR. H—h-f. Die durch die intrakutanen Vakzineinjektionen ausgelösten
Reaktionen waren stark von Anfang bis zu Ende der Behandlung. Nach
1,2 Neosalvarsan war die WaR. schwach positiv; nach 1,65 Neosalvarsan
waren WaR. und DM. negativ.
F a 11 W. Breite Kondylome am Genitale. Spir pall. ++-f-. Allgemeine
indolente DrUsenschwellung. Ausserordentlich starkes papulöses Syphilid an
Rumpf und Gliedern — Mundpapeln, Angina spec. WaR. +++. Die
Hautreaktjonen waren schwach. Nach 1,2 Neosalvarsan 4* 18 Teileinreibungen
war WaR. schwach positiv. Nach 1,65 Neosalvarsan und 24 Teiieinreibungen
blieben WaR. und DM. negativ bis zum Ende der Behandlung.
Fall S. Beete von breiten Kondylomen am Genitale und seiner Um¬
gebung, starke allgemeine indolente Drüsenschwellung. Reste eines maku¬
lösen Exanthems? — Angina spec. — Mundpapeln. Spir. pall. +++;
WaR. + 4 - 4 -. Die Hautreaktionen waren mässig stark. Nach 1,2 Neosalvar¬
san und 18 Teileinreibungen waren WaR. und DM. beide negativ und blieben
es im weiteren Verlauf.
Fall L. Qenitalpapeln: Spir. pall. +++. Allgemeine indolente Drü¬
senschwellung — grossfleckige Roseola am Rumpf — Angina spec.
WaR. +++. Die Hautreaktionen waren schwach. Nach 0,75 Neosalvarsan
und 12 Teileinreibungen waren WaR. und DM. gemeinsam schwach positiv;
nach 1,2 Neosalvarsan wurden beide Reaktionen negativ und blieben es auch
beim Fortgang der Kur.
Fall Sch. Breite Kondylome am Genitale in grosser Ausdehnung Spir.
pall. 4 l"+. Allgemeine indolente Drüsenschwellung — Reste eines makulösen
Exanthe.ms — starke Angina spec. — Papeln an der Mundschleimhaut.
WaR. +++. Nach 1,65 Neosalvarsan und 24 Teileinreibungen WaR.
schwach +, DM. —. Nach 2,1 Neosalvarsan und 30 Teileinreibungen sind
beide Reaktionen negativ. Hautreaktionen mässig stark.
Von besonderem Interesse wäre es nun gewesen, festzustellen, ob
auch ohne Quecksilber- und Salvarsanbehandlung nur mit der Vakzina¬
tion ein Negativwerden der Seroreaktionen zu erzielen sei. Es ist natür¬
lich schwierig, für diesen Versuch eine Anzahl von Fällen zu finden,
und zwar aus rein äusserlichen Oründen. Durch Zufall bekamen wir eine
Patientin wegen Genitalpapeln eingeliefert. Sie hatte eben eine schwere
akute Nephritis hinter sich, so dass bezüglich der Einleitung einer kom¬
binierten Hg- und Salvarsanbehandlung Vorsicht geboten war. Wir be¬
schränkten uns also im Anfang darauf, nur Autovakzininjektionen intra¬
kutan zu geben. Aus der Krankengeschichte sei das folgende mitgeteilt.
Am Genitale und seiner Umgebung Papeln. Spir. pall. 4-++. — Allge¬
meine indolente Drüsenschweliungen. — Leukoderma colli. — Alopecia
spezifica. — Angina spezifica. — WaR. +-f+. Die Hautreaktionen
wäret! sehr stark; es kam zu pfenniggrossen Nekrosen in stark gerötetem
Hof. Wir verwendeten hier eine formalinisierte Aufschwemmung der
zerriebenen Papeln ohne stärkere Hitzeeinwirkung. Es wurden zunächst
sechs intrakutane Injektionen vorgenommen im Verlaufe von 4 Wochen.
Die Papeln überhäuteten sich im Verlauf von einer Woche, ebenso ver¬
schwand die Angina spec. WaR. und DM. blieben dauernd +4-+. bei
wöchentlicher Untersuchung. Wir entschlossen uns schliesslich, eine
Neosalvarsaninjektion von 0,3 zu geben. 6 Tage nach dieser Neo-
Nr. 20.
salvarsangabe war die WaR. sehr schweh positiv, die DM. i. Nach
einer zweiten Neosalvarsandosis von 0,3 waren sowohl WaR. als auch
DM. negativ. Eine nach der ersten Neosalvarsangabe vorgenommene
Intrakutanreaktion fiel bedeutend schwächer aus als die vorhergehenden.
Wie bereits oben erwähnt, erlauben wir uns nicht, aus den vor¬
liegenden Versuchen weitgehende und bindende Schlüsse zu ziehen. Die
ganze Beurteilung der Versuche ist überaus schwierig, schon aus dem
einen Grunde, weil es uns an einem brauchbaren Massstabe fehlt, um die
Wirkung der Vakzinierung abzuschätzen. Wenn wir die Seroreaktion
als Indikator für den jeweiligen Stand der Therapie gelten lassen wollen
so könnte man sagen, dass die intrakutane Injektion günsti¬
gere Ergebnisse erzielt habe, als die subkutane. Bei
den intrakutanen Injektionen erhielten wir in einem früheren Zeitpunkte
der kombinierten Behandlung eine negative Seroreaktion, und zwar bei
allen diesen Fällen, mit einer gewissen Regelmässigkeit. Einen be¬
stimmten Zusammenhang zwischen der Intensität der Hautreaktion und
der Schnelligkeit des Negativwerdens der Seroreaktionen können wir bei
der geringen Zahl der Versuche nicht herausfinden. Bezüglich der Be¬
urteilung der Wirkung der Vakzinierung könnte man daran denken,
Kontrollfälle heranzuziehen, die den Vakzinierten möglichst ähnlich seien,
aber nur kombiniert behandelt werden. Wir haben davon Abstand ge¬
nommen, weil es fast unmöglich ist, zwei einigermassen ähnliche Fälle
zu finden, da unsere klinischen Untersuchungsmethoden uns nicht ge¬
statten, uns ein Bild von der etwaigen Syphilis der inneren Organe zu
machen. Nur möglichst grosse Versuchsreihen würden einen Vergleich
zulassen — oder eine Reihe von Fällen, die n u r mit Vakzine behandelt
würden. Das letzte Verfahren stösst aber aus äusseren Gründen vor¬
läufig noch auf Schwierigkeiten. W ’s die verwendete Injektionsflüssigkeit
anbelangt, so wäre an sich eine aus Reinkulturen der Spir. pall. herge¬
stellte Vakzine allen anderen vorzuziehen, schon aus dem einen Grunde,
dass man die spezifische Wirkung gegen die unspezifische klarer ab¬
trennen kann, als es bei der von uns verw^endeten Vakzine, die ja neben
den Spirochäten noch Bestandteile des Gewebes und Begleitbakterieii
enthält möglich ist. Allerdings stehen dieser aus Reinkulturen herge¬
stellten ‘Vakzine heute noch mannigfaltige technische Schwierigkeiten
entgegen; man müsste erst ein Verfahren ausarbeiten, das gestattet, un-
gew'ollte Nebenwirkungen, z. B. anaphylaktische, auszuschalten und die
Kulturspirochäten in grösseren Mengen rein von Nährbodenbestandteilen
zu erhalten. Zu bedenken wäre aber iihmerhin, ob nicht die Kombination
der spezifischen und der unspezifischen Wirkung, wie sie bei der von
uns verwendeten Vakzine statthatte, besonders günstige Erfolge erzielt.
Ferner ist es u. E. nach von grösstem Wert, die Spirochäten so
schonend wie möglich abzutöten. Stärkere Erhitzung scheint die die
Reaktion hervorrufende Substanz zu schädigen. Wir erhielten die
intensivsten Reaktionen mit einem Extrakt, der nur formalinisiert und
nicht über 37® erwärmt worden war. Wir können damit die Resultate
von Werner Worms (Zschr. f. Immunforsch. 1920, 29. Bd., Heft 3/4)
bestätigen. Wir strebten darnach, die Spirochäten bei Temperaturen
nicht über 37® zur Auflösung zu bringen, ohne die Wirksamkeit des
Produktes zu beeinträchtigen. Ueber diese Versuche, die bereits im
(lange sind, soll später berichtet werden.
Bei aller Vorsicht in der Beurteilung,glauben wir. dass es berechtigt
ist, die Aufmerksamkeit der Kliniker auf diese Versuche zu lenken,
namentlich auf die Versuche der intrakutanen Einverleibung der Vakzine.
Es erscheint uns immerhin möglich, durch intrakutane Injektionen von
Spirochätenvakzine die Abwehr des Organismus anzuregen und zu
stärken und ihn in seinem natürlichen Bestreben zu unterstützen. Wenn
grössere Versuchsreihen unsere Erwartungen bestätigen sollten, so wäre
damit einmal eine die bisherige Behandlung vorbereitende oder unter¬
stützende neue Behandlungsmethode gegeben und für solche Fälle, die
wir aus be.sonderen Gründen einer medikamentösen Behandlung nicht
unterwerfen können oder in denen sie versagt, eine Methode der Wahl
gegeben. _
Aus der I. Chirurg. Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses
Hamburg-Barmbeck. (Oberarzt: Prof. Dr. Sud eck.)
Ueber Meniskusverletzungen*).
Von Dr. med. Wilhelm Schaedel, früh. Sek.-Arzt.
Früher fasste man eine ganze Reihe von Störungen des Knie¬
gelenks, die unter dem Bilde der Einklemmung verliefen, unter dem
Sammelnamen des Derangement interne zusammen, ein Verlegenheits¬
begriff, von dem man sich heutzutage besser freimachen sollte, da wir
die Mehrzahl dieser Krankheitszustände doch recht gut voneinander
trennen können. Die wichtigsten Ursachen für Einklemmungen im Knie¬
gelenk sind Verletzungen der Semilunarknorpel.
Die erste Erwähnung findet man schon im .fahre 1731 bei Brass;
erst 100 Jahre später brachte Reid den ersten Sektionsbefund. Trotz¬
dem blieben die Anschauungen ganz ungeklärt, teilweise wurde das Vor¬
kommen überhaupt bestritten, bis endlich 1892 v. Bruns in einer
grundlegenden Arbeit Klarheit brachte. Er wies vor allem nach, dass
bei der bis dahin sogenannten Meniskusluxation das Wesen der Krank¬
heit in einer Verletzung der Knorpelsubstanz selbst oder ihrer Verbin¬
dungen besteht, während die Luxation nur eine sekundäre Rolle spielt.
Es ist nun interessant zu sehen, wie verschieden die Kenntnisse
über diese Erkrankung in den einzelnen Ländern vorgedrungen sind:
•) Vortrag, gehalten im Aerztl. Verein Hamburg am 16. XI. 1920.
4
Digitized by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
60S
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
während z. B. in Frankreich im Jahre 1913 beim Chirurgenkongress
in Paris alles in allem zusammen nur 11 Fälle bekannt waren, konnte der
Engländer Martin in demselben Jahre über nicht weniger als 500
selbst operierte Meniskusverletzungen berichten.
In Deutschland liegen anscheinend die Verhältnisse so: Die Arbeiten
über dieses Thema sind fast ausschliesslich in den chirurgischen Fach¬
zeitschriften erschienen und dies ist wohl der Grund dafür, dass die
Krankheit zwar dem Chirurgen geläufig, dem Nichtpezialisten dagegen
so gut wie unbekannt ist.
Die Berechtigung zu dieser Bemerkung entnehme ich u. a. der Tat¬
sache, dass von unseren sämtlichen Fällen nicht ein einziger mit der
richtigen Diagnose überwiesen wurde, trotzdem alle viele Jahre hin¬
durch bei ihren Rezidiven ärztliche Hilfe beansprucht hatten, oder
Wochen und Monate in anderen Lazaretten mit Qipsverbänden und
ähnlichem stationär behandelt waren.
Es ist aber durchaus nicht gleichgültig, wann die richtige Diagnose
gestellt und die richtige Therapie eingeleitet wird, nicht nur um den
Kranken die Schmerzen bei den Rezidiven zu ersparen, nicht nur um
sie vor peinlichen Situationen zu retten — so ist einer unserer Patien¬
ten monatelang beim Militär als Simulant betrachtet und entsprechend
behandelt worden —, sondern vor allem deshalb, weil bei längerem Be¬
stehen sich regelmässig eine traumatische Synovitis entwickelt, die
zu Arthritis und unter Umständen zur völligen Funktionsunfähgkeit
des Knies führen kann. Aus diesem Grunde möchte ich mir erlauben,
Ihre Aufmerksamkeit auf dieses wohlcharakterisierte Krankheitsbild zu
lenken, an der Hand von 18 selbst beobachteten Fällen, von denen 14
operiert sind. Bei den 4 Nichtoperierten haben die später auftretenden
Rezidive und die durch 2—3 Jahre fortgesetzte Beobachtung mit mehr¬
fachen Kontrolluntersuchungen die Diagnose einwandfrei sichergestellt.
Wenn ich Ihnen kurz die anatomischen Verhältnisse
ins Gedächtnis zurückrufen darf, so erinnere ich daran, dass die Knie¬
gelenksbandscheiben als halbmondförmige Ringe der Tibiagelenkfläche
aufliegen. Auf dem Querschnitt sind sie dreieckig, rasiermesserähnlicli,
mit der Schärfe ins Gelenk hineinragend. Sie bestehen in der,. Haupt¬
sache aus elastischen Fasern und Bindegewebe, und tragen einen
dünnen Ueberzug von Faserknorpel; entsprechend dieser Zusammen¬
setzung sind sie widerstandsfähig gegen Zug und Druck, d. h. si€ sind
dehnbar und kompressibel.
Ihre 3. wichtige Eigenschaft ist ihre Verschieblichkeit, doch findet
sich eine erhebliche Benachteiligung des medialen Meniskus. Sie
sehen, dass dieser, sowohl absolut wie relativ, grösser ist und dass
seine Insertionspunkte weit auseinander stehen und ihn dadurch gespannt
halten, während beim lateralen die dicht zusammengerückten Haftstellen
viel leichter eine Drehung erlauben und er ausserdem vorn und hinten
meist einen erheblichen Spielraum übrig behält.
Ferner ist der innere iyieniskus nicht nur rings mit der Kapsel, sondern
auch mit dem medialen Seitenband fest verwachsen; letztere Verbindung
fehlt dem äusseren, auch ist er in seiner hinteren Partie frei von
der Kapsel, weil hier die Sehne des Muse, popliteus zwischen beiden
schräg durch das Gelenk zieht
Ich will gleich vorweg nehmen, dass umgekehrt an die Verschieb¬
lichkeit des inneren Knorpels viel grössere Anforderungen gestellt
werden, weil die Rotationsachse nicht durch die Mitte des Gelenks,
sondern durch die laterale Hälfte geht und schliesslich, weil plötzliche
Aussenrotationen bei unserem nach aussen gerichteten Gang viel öfter
Vorkommen als Innenrotationen. Aus allen diesen Gründen wird der
innere Meniskus viel häufiger von Verletzungen betroffen: Aus den seit
Kroiss (1910) erschienenen Arbeiten mit 156 operierten Fällen habe
ich in Übereinstimmung mit früheren Autoren das Verhältnis 7:1 be¬
rechnet; wir sahen sogar nur eine Verletzung des äusseren gegenüber
17 des inneren Meniskus.
Die Aufgaben der Semilunarknorpel sind recht mannigfach: ihre
innere Zirkumferenz dient als Puffer (man geht also gewissermassen auf
dem inneren Kreisbogen),
während die äussere erhöhte Zirkumferenz mehr als pfannenbildender
Faktor in Betracht kommt,
drittens halten sie durch ihre Elastizität die Gelenkbänder in gleich-
mässiger Spannung und
schliesslich behüten sie die Gelenkkapsel vor Einklemmung, indem
sie, vor den Knorren des Femur herglcitend die Kapsel aus dem Gelenk
herausschieben.
Wie kommen nun die Verletzungen zustande?
Direkte Verletzungen sind möglich, wenn ein spitzer Körper genau
in den Qeienkspalt trifft; dieser Zufall ist aber selten, wir haben ihn
nur einmal bei einem unserer nicht operierten Fälle infolge Falls auf
eine schmale Kante gesehen.
In der Regel handelt es sich um indirekte Gewalteinwirkungen
durch den Unterschenkel oder, wenn dieser fixiert ist, durch den Ober¬
schenkel.
Verhältnismässig einfach ist der Vorgang bei der Hyperextension,
einer typischen Fussballspielerverletzung: Bei' einem Verfehlen de^
Balles wird der Unterschenkel mit grosser Gewalt nach vorn geschleudert
und die vorn zusammenprallendeii Kondylen können den Meniskus dort
zerquetschen.
In der überwiegenden Mehrzahl aber ist der Mechanismus recht
kompliziert, es müssen eine ganze Reihe von Faktoren Zusammentreffen:
1. am wichtigsten ist die Rotationsbewegung und zwar muss man
sich merken, dass Aussenrotation für den inneren, Innenrotation für den
äusseren Meniskus gefährlich ist,
2. muss Beugestellung vorhanden sein.
Digitized by Goiisle
3. ist Belastung oder besser gesagt eine pathologische Pressung
notwendig,
4. kommt die reflektorische Streckbewegung hinzu und
5. spielt meines Erachtens ein Faktor eine grosse Rolle, der bisher
gänzlich missachtet worden ist, das ist die Dehnbarkeit der Gelenk¬
bänder. Auf meine diesbezüglichen Versuche und Untersuchungen kann
ich aber an dieser Stelle nicht näher eingehen.
Abb. la. .Abb. Ib. Abb. Ic.
(Aus Fauzat.)
Sie sehen aus Pauzats Bilde (s. Abb. 1 a) die Lage der Knie¬
bandscheiben bei Streckstellung: beide bis an den vorderen Rand der
Tibia reichend, hintqn einen breiten Saum freilassend.
Auf dem mittleren Bilde (b) besteht Beugestellung. Die Knorpel
sind durch die Femurkondylen nach hinten geschoben bis an den Gelenk¬
rand, während sie vorn ins Gelenk zurückgezogen sind.
Auf dem Bilde rechts (c) ist auch noch Aussenrotation hinzu¬
gekommen: der äussere Meniskus ist nach vorn geschoben, der innere
nach hinten bis über den Rand der Tibiagelenkfläche hinausgedrängt,
während sein vorderer Teil scharf gespannt, wie die Sehne eines Bogens
schräg durch das Gelenk zieht. Wirkt die Gewalt weiter, so kommt es
zur Verletzung der schwächsten Stelle:
Entweder reisst er am vorderen Horn ab oder am inneren Seiten¬
band, welches ja durch die Tibia mit nach vorn genommen wird, oder
wenn die vorderen Verbindungen halten, so kann die hintere Insertion
abgequetscht werden und schliesslich können Querrisse entstehen, die
alle vom scharfen Rande ihren Ausgang nehmen, w'eil der innere Kreis¬
bogen kürzer und die Spannung durch die Geradestreckung infolgedessen
grösser ist.
Durchsetzt ein Riss die ganze Substanz, so dass der stumpfe Rand
des Meniskus erreicht wird, so ist bei allen Verletzüngen, gleichgültig
wo sie sitzen und einerlei, auf welche Art sie zustandegekommen sind,
stets eine mehr oder weniger ausgedehnte Ablösung der Kapsel die Folge.
Während normalerweise der Meniskus durch den Kapselzug zwi¬
schen den Knochen herausgezogen werden kann, ist dies nicht möglich
bei pathologischer Pressung, wie sie hervorgerufen wird, sei es durch
plötzliche übermässige Belastung oder durch Fortdauer des Körper¬
schwunges, z. B. beim Springen und ähnlichem (so haben 7 Patienten
ihre* Verletzung hierbei im Augenblick des Aufrichtens aus der tiefen
Kniebeuge bekommen); oft aber ist die Veranlassung wesentlich geringer,
es genügt ein kurzer Ruck, z. B. durch seitliches Ausgieiten aus dem
Spreizstande (2 mal) oder das Anstossen der Fussspitze beim Tanzen
oder gar beim ruhigen Gehen im Zimmer.
Im Moment der Pressung kommt noch die reflektorische Streck¬
bewegung hinzu, wodurch die Kapsel mit grosser Gewalt aus dem
Spalt herausgerissen wird. Da der gepresste Meniskus nicht folgen
kann, reisst er entweder total (3 mal) oder partiell von der Kapsel ab,
oder aber er wird in der Substanz verletzt in Gestalt von zungenförmi¬
gen Ausrissen oder in Form eines Längsrisses, der sich entsprechend
dem zirkulären Verlauf der elastischen Fasern nach vorn und hinten,
parallel zu den Knorpelrändern, fortpflanzt. Diese Längsrisse bieten bei
der Operation ein eigenartiges, aber durchaus typisches Bild, welches
dadurch zustande kommt, dass der abgespaltene, innere Streifen nicht
mehr von dem rettenden Kapselzug erfasst wird: er gerät infolgedessen
unter die Walze des heranrollenden Femurkondylus, wird von dieser
nach der tiefsten Stelle der Gelenkfläche hinuntergedrückt und w'eicht
schliesslich, wenn die Walze über ihn hihweggegangen ist, in die Fossa
intercondylica aus. Diese Form ist von Steinmann als Meniscus bi-
partitus beschrieben, von Kroiss war sie „Transporteurform“ getauft,
ein Name, der nicht sehr glücklich gewählt erscheint, weil der ab¬
gespaltene Streifen wegen seiner grösseren Länge nie als Gerade, son¬
dern im Bogen nach oben zwischen den Insertionen verläuft. Man er¬
hält so ein Bild, welches man eher mit einer zur Hälfte geöffneten
Raubtierfalle, einem „Tellereisen“, vergleichen möchte, deren eine Branche
gespannt auf den Boden gedrückt ist, während die andere noch frei
In die Höhe ragt.
Ich möchte nun Abbildungen von den Hauptverletzungstypen zeigen,
die ich an Leichenknien durch Präparation hergestellt habe — neben¬
bei bemerkt, künstliche Meniskusverletzungen hervorzurufen, ist bisher
so gut wie nie gelungen.
Abb. 2: Sie sehen hier einen Querriss im vorderen Teil mit par¬
tieller Kapselablösung (1 Fall).
Abb. 3: Totale Kapselablösung ohne Dislokation (1 mal, 2mal mil
Verlagerung).
Abb. 4: Dieses ist jetzt der typische Längsriss von oben gesehen
mit Dislokation des inneren Streifens.
Wir haben diese Verlagerung an unseren sämtlichen 9 Längsnssen.
oei 2 unserer totalen Kapselablösungen gesehen und auch ein 12. Mal
liess sie sich bei totaler Kapselan ösung während dir Optraiirri lur-
vorrufen.
Original from
UNtVERSITY QF C ALIFQR
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
609
Ich möchte bei diesem Präparat noch auf eine Anomalie des late¬
ralen Meniskus aufmerksam machen: er ist nicht sichelförmig, sondern
bildet einen vollkommen geschlossenen Kreis, der nur in der Mitte ein
kleines Stück der üelenkfläche sichtbar werden lässt. Derartige Ano¬
malien gelten als so selten, dass sie in der Literatur noch einzeln auf¬
gezählt werden. Ich glaube aber, da ich unter etwa I Dutzend Knien
nicht weniger als 2 mal derartige Varietäten gefunden habe, dass ihre
Seltenheit doch wesentlich überschätzt wird.
Abb. 5: Der typische Anblick des Längsrisses von vorn, wie wir
ihn bei der Operation sehen.
Abb. 6 stellt die Verhältnisse bei unserem 1. Fall dar. Ich zeige
es Ihnen wegen der ausserordentlichen Seltenheit. Sie sehen den
Meniskus durch 2 Parallelrisse in 3 Streifen geteilt, von denen der mitt¬
lere zwischen den beiden andern heraus nach innen luxiert ist. Nur
dass, wenn wir unserer Sache nicht so sicher gewesen wären und
andererseits der sog. abnormen Beweglichkeit so skeptisch gegenüber¬
ständen, dann auch dieser Fall unter diese Rubrik eingereiht worden
wäre.
Was das Vorkommen anlangt, so werden hauptsächlich kräftige,
grossen Anstrengungen ausgesetzte Menschen von dieser Verletzung
betroffen. Martin fand unter seinen 500 Fällen 62 Proz. Bergarbeiter,
an zweiter Stelle standen die Fussballspieler mit 18 Proz. Unter unseren
10 Männern haben sich 7 die Verletzung während des Militärdienstes
zug^zogen und zwar meist beim Turnen und Springen, 2 weitere Patien¬
ten ebenfalls beim Sport.
Wir sahen das weibliche Geschlecht verhältnismässig oft vertreten,
stehen doch unseren 10 Männern 6 Frauen und 2 Mädchen gegenüber.
Wenden wir uns jetzt den klinischen Erscheinungen zu.
Abb. 3. Abb. 6.
einmal ist in der ganzen Literatur ein doppelter totaler Längsriss be¬
obachtet in dem Falle von Davis-Colley aus dem Jahre 1888, der
durch 30 Jahre als Unikum gegangen ist; sonst findet sich nur noch in
der Arbeit von G o e r b e r etwas Aehnliches. aber es handelt sich nur
um partielle Längsrisse ohne Dislokation, die übrigens auch bei Davis-
Colley gefehlt hat.
Ich muss mich noch kurz mit der sog. „abnormen Beweg¬
lichkeit“ des Meniskus auseinandersetzen, eine Diagnose, die sich
anscheinend in der letzten Zeit steigender Beliebtheit erfreut. A\an
muss dieses Krankheitsbild mit Kroiss als eine Vorstufe der Kapser-
abreissungen auffassen und findet als deren Ausdruck stets einen deutlich
pathologisch-anatomischen Befund in Gestalt von feinen Faserzer-
reissungen, kleinen Blutungen oder in späterem Stadium Verdickungen
und Narben. Wahrscheinlich fallen auch die kleinen zystischen Ent¬
artungen des stumpfen Meniskusrandes • in dieses Gebiet. Schliesslich
sind Kapselrisse zwischen Meniskus und Tibia die Ursache.
Wenn aber dieser pathologisch-anatomische Befund fehlt und nur,
wie es meist heisst, „der Meniskus sich abnorm weit aus dem Spalt heraus¬
ziehen Hess“, dann, m. H., fällt es mir schwer, an die Richtigkeit der Dia¬
gnose zu glauben. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass wir
keinen objektiven Massstab haben für das, was normal ist. Wir können
nicht sagen, eine Beweglichkeit von so und so viel Millimeter ist gut
und was darüber ist, ist vom Uebel, sondern sind ganz allein vom sub¬
jektiven Empfinden des Operateurs abhängig. Auffallend ist, dass der
eine Operateur die Diagnose oft, der andere überhaupt nicht stellt und
bemerkenswert ist ferner, dass bei fast allen diesen sog. abnormen Be¬
weglichkeiten. typische Einklemmungen gefehlt haben.
Wenn man sich die Krankengeschichten daraufhin kritisch durchsieht,
so drängt sich die Ueberzeugung auf .entweder war die Diagnose falsch
oder es sind die „Nebenbefunde“ nicht richtig gedeutet (Arthritis de-
formans, Fettgeschwulst, Tuberkulose etc.) oder die eigentliche Ver¬
letzung ist wegen der schlechten Uebersichtlichkeit nicht gefunden wor¬
den. Auf die in der mangelhaften Uebersicht liegenden Fehlerquellen
wird von allen Autoren immer wieder aufmerksam gemacht. Als Bei¬
spiel will ich unseren letzten Fall erwähnen: Von vorn sah der Meniskus
tadellos aus, Hess sich aber, wie es uns schien, ziemlich weit aus dem ,
Spalt hervorziehen, so dass im Hintergrund schon der Gedanke an eine |
abnorme Beweglichkeit auftauchte; sonst fand sich nur eine leichte j
Synovitis. Vom hinteren Schnitt dagegen fanden wir einen Querriss
mit kolbiger Auftreibung der Fragmentenden. Ich bin fest überzeugt, '
Im allgemeinen wird geklagt, dass man frische Fälle so gut wie nie
zur Behandlung bekäme, und es ist richtig, dass sehr selten frischere
Fälle als 2 Monate beschrieben worden sind. Dementsprechend findet
sich die Annahme, dass man bei frischer Verletzung selten über die
I Diagnose Distorsion oder Derangement interne hinauskommen könne.
Ich bin nun in der glücklichen Lage, über mehrere ganz frische Fälle
berichten zu können. Unter unseren operierten Fällen haben wir einen
3—4 Tage, den anderen 9 Tage nach der Verletzung, von den nicht-
I operierten einen 24 Stunden und 2 sogar unmittelbar nach der Ver-
I letzung, von den nichtoperierten einen 24 Stunden und 2 sogar un-
I mittelbar nach der Verletzung gesehen. Diesen glücklichen Zufall ver-
j danke ich dem Umstand, dass es sich bei diesen beiden Fällen um
Schwestern unseres Krankenhauses handelte, die mir als damaligem
I chirurgischen Sekundärarzt sofort zugeführt wurden. Alle diese Fälle
1 sind bei der ersten Untersuchung diagnostiziert worden. Sie sehen
j daraus, dass die Schwierigkeit offenbar erheblich überschätzt wird.
Obenan stehen unter den Symptomen der Schmerz und die Funk¬
tionsstörung. Im Augenblick der Verletzung wird von dem Patienten
ein Schmerz empfunden, bisweilen nur gering, häufig aber so ge¬
waltig, dass er sofort zu Boden stürzt und der Ohnmacht nahekommt.
Die Heftigkeit ist abhängig davon, wieweit die Kapsel in Mitleidenschaft
gezogen ist, da der Meniskus selbst als unempfindlich zu betrachten ist.
Vielfach wurde ein deutliches Krachen im Gelenk bemerkt, bisweilen
so laut, dass es von den Umstehenden gehört wurde. Wieder andere
hatten das Gefühl, als wenn sich im Innern des Gelenks „etwas ver¬
dreht“ habe oder „als wenn etwas herausspringen wolle“.
Wichtiger als die Intensität ist die Lokalisation des Schmer¬
zes, der vielfach schon subjektiv, stets aber objektiv auf eine Spalthälfte
beschränkt gefunden wird, und zwar möchte ich besonders auf einen
Punkt hinweisen im vorderen Teil des Gelenkspalts, etwa 2—3 cm von
der Patellarsehne entfernt, wo regelmässig Schmerz- und Druckempfind¬
lichkeit gefunden wurde. Man darf sich allerdings hierdurch nicht ver¬
leiten lassen, den Sitz der Verletzung an dieser Stelle anzunehmen, denn
wir haben diesen Schmerzpunkt auch bei Längsrissen oder sogar ganz
hinten sitzenden Ouerrissen gesehen. Diese Stelle ist offenbar, wenn ich
den Ausdruck benutzen darf, die „Schmerzzentrale“ für den Meniskus,
bedingt durch die Art der Nervenausstrahlung.
Fast noch wichtiger ist dieser Schmerzpunkt im freien Intervall.
Es kommen Leute zu Ihnen mit verdächtiger Anamnese, aber anscheinend
völlig intaktem Knie ohne Bewegungsstörung, ohne Schmerzen und ohne
4*
Digitized by GOO'ölC
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
610
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Druckempfindlichkeit: handelt es sich um eine Meniskusverletzung, dann
können Sie fast ausnahmslos den Schmerzpunkt künstlich hervorrufen
dadurch, dass Sie die für den betreffenden Meniskus gefährlichen
wegungen wiederholt ausführen, d. h. Aussenrotation und Abduktion für
den inneren, Innenrotation und Adduktion für den äusseren Meniskus.
Das ist ein Symptom, dessen Beachtung mir oft die wichtigsten Dienste
geleistet hat.
Die nächste Folge der Meniskusverletzung ist die Funktionsstörung,
die Einklemmung, die in der Regel in einer leichten Beugung von
150—170" besteht, oft fehlt aber nur ganz wenig am völligen Durch¬
drücken. Die Fixierung ist nicht absolut, sondern behindert ist nur dje
Streckung, während die Beugung ziemlich frei ist. Versucht man, ein
solches Knie durchzudrücken, so fühlt man einen charakteristischen,
elastischen, federnden Widerstand, ähnlich wie bei^ Luxationen. Die
Prüfung löst meist einen vermehrten Schmerz im Oelenk aus.
ln der Literatur wird angegeben, dass die Einklernmung bei der
ersten Verletzung des Meniskus meist fehlt; unser Material widerspricht
dem, denn wir vermissen sie nur bei 4 unserer Fälle, die 14 anderen
geben mit Bestimmtheit an, dass gerade die Einklemmung den Beginn
ihrer Erkrankung dargestellt hat. Ich möchte es denen gegenüber be¬
tonen. die auf dieses Symptom verzichten zu können glauben und neuer¬
dings, wie mir scheint, etwas häufig eine Meniskusverletzung dia¬
gnostizieren. Das sind gerade die Fälle, bei denen nachher bei der
Operation nichts gefunden worden ist und wo man sich dann mit der
Verlegenheitsdiagnosc: „abnorme Beweglichkeit“ aus der Klemme ge¬
zogen hat. Ich halte im Oegenteil daran fest, dass man zur Stellung der
Diagnose: „Mcniskusverletzung“ auf den Nachweis der Einklemmung,
auch bei frischer Verletzung, den allergrössten Wert legen muss.
Fast regelmässig trat bei der 1. Verletzung eine Gelenk s c h w e 1-
I u n g auf, manchmal sofort, manchntal erst im Verlauf des folgenden
Tages. Sie ist in der Regel nicht sehr hochgradig, aber fast stets
nachweisbar.
Die Dauer der Einklemmung ist ausserordentlich verschie¬
den; sie kann nur für den Moment der reflektorischen Muskelspannung
andauern, andererseits gibt es Fälle, in denen die Reposition überhaupt
nicht von selbst erfolgt, sondern erst in Narkose oder durch Operation
beseitigt werden muss. So bestand die primäre Einklemmung einmal
bei der Operation am 14. Tage und einmal sogar noch nach 5 Monaten.
Meist erfolgt sie nach kürzerer Zeit im Anschluss an aktive oder passive
Bewegungen, und zwar meist plötzlich mit einem Ruck. Auch diese
Plötzlichkeit des Verschwindens ist charakteristisch und diagnostisch
wichtig.
Wenn die primäre Einklemmung sich spontan oder mit ärztlicher
Hilfe zuriickgebildet hat, so kann ein mehr oder weniger langes Stadium
voller Gesundheit folgen, aber eines Tages stellt sich mit Sicherheit
eine Einklemmung ein, um sich dann wieder häufiger zu wiederholen.
Die Erscheinungen sind dieselben, doch kann man ganz allgemein sagen,
dass je häufiger sie auftreten, desto leichter sind sie, sowohl was den
Schmerz als die Reposition angeht. Viele Patienten haben selbst ge¬
lernt, durch bestimmte Manipulationen, Beuge-, Rotations- und Streck¬
bewegung ihr Kniegelenk wieder flott zu bekommen, aber schliesslich
kommt doch ein so schwerer Anfall, dass die Selbstreposition nicht mehr
ausführbar ist und ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss.
ln seltenen Fällen ist eine Fixierung in Aussenrotation
hei Einklemmungen des inneren, in Innenrotation bei Einklemmung des
äusseren Meniskus zu beobachten.
V. Bruns fand verschiedentlich eine Verbreiterung und Vertiefung
des Gelenkspaltes bei totaler Luxation, ein Symptom, welches wir, trotz¬
dem wir danach fahndeten, niemals nachweisen konnten (vgl. Röntgen).
Bei den seltenen Fällen, in denen der abgesprengte Meniskusteil
nicht nach innen, sondern nach aussen aus dem Spalt herausluxiert ist,
fühlt man ihn als harten, leistenförmigen Vorsprung, den man unter Um¬
ständen mit dem Finger wieder hineindrücken kann (s, Nachtrag).
Auch ein anderes Symptom, welches B a r r e a u angegeben hat,
scheint von Bedeutung zu sein. Sie wissen, dass bei Aussenrotation der
Meni.skus in das Gelenk zurück weicht und dabei die Kapsel nach
sich zieht, wovon Sie sich jederzeit an ihrem eigenen Knie überzeugen
können. Liegt dagegen eine Ablösung von der Kapsel vor, so folgt diese
dem Meniskus nicht; die Einziehung und Vertiefung des Spalts bleibt aus.
Dieses Symptom ist das einzige, welche auf die Art und Form der Ver¬
letzung einen Schluss zu ziehen erlaubt, nämlich den, dass eine Kapsel¬
ablösung vorlicgt.
Gar nicht selten fühlt und hört man ein einmaliges grobes
Knacken oder Schnappen, zuweilen habe ich dabei ein ruckweises
Vorschnellen des Unterschenkels gesehen.
Bei längerem Bestehen werden Sic nie eine Ouadrizepsatrophic
vermissen, 3 mal habe ich auch Knochenatrophie im Röntgenbiid nach¬
weisen können und schliesslich entwickelt sich eine traumatische Syno-
vitis. die zu Arthritis und unter Umständen zu einer vollkommenen Funk-
tionsiinfähigkeit des Knies führen kann.
Bei der Diagnosen Stellung machen die Fälle im Stadium der
Einklemmung bei gleichzeitiger Beschränkung des Schmerzes auf einen
Gelenkspalt keine Schwierigkeiten..
Fehlt dagegen die Einklemmung bei frischen Verletzungen oder han¬
delt es sich um Fälle im freien Intervall, dann wird die Diagnose
schwieriger. Da ist es das Wichtigste, dass man überhaupt an die Mög¬
lichkeit einer Mcniskusverletzung denkt und das ist für mich der Haupt¬
zweck heute Abend, Sie darauf hinzuwei.sen, dass man bei jeder Dis¬
torsion, bei jedem plötzlich entstandenen Erguss sowohl, als auch bei
unbestimmten Beschwerden bei scheinbar intaktem Knie wenigstens
eine Frage in der Richtung auf rezidivierende Einklemmung zielei
lassen muss.
Wenn Sie dann erfahren.
dass das Trauma indirekt und leicht, der Schmerz dagegen ganz
ausserordentlich heftig war. .
dass er womöglich schon vom Patienten auf einen Spalt lokalisiert
wurde, , ,
dass gar eine, wenn auch nur momentane Streckhemmung bestanden
hatte,
die noch dazu plötzlich mit einem Ruck wieder vorüberging,
dann dürfen Sie die Möglichkeit der Meniskusverletzung nicht wieder
aus dem Auge verlieren.
Finden Sic dann objektiv neben den anderen Symptomen
den Schmerz auf einen Spalt beschränkt,
weisen Sie den „Schmerzpunkt“ nach
und vor allem seine Verstärkung bzw. Auslösbarkeit bei ent¬
sprechenden Bewegungen,
und das alles bei einem vorher gesunden Knie,
dann können Sie mit ziemlicher Sicherheit eine Meniskusverletzung aii-
nehmen.
Und nun zum Röntgen: Der Meniskus ist gewöhnlich nicht dar¬
stellbar. Die Sauerstoffeinblasungen sind wegen der Gefahren (hart¬
näckige Synovitiden, Gasembolien und. Todesfälle) wieder aufgegebtn
worden. Schwarz hat eine Verschmälerung des Gelenkspalts als
charakteristisch angegeben, Ufer umgekehrt, in Uebereinstimmung mit
den klinischen Angaben v. Brüns’, eine Verbreiterung. Die wider¬
sprechenden Angaben treffen beide nicht zu, wie ich auf Grund von
KontroUuntersuchungen des gesunden Knies nachweisen kann. Ich habe
sowohl Verschmälerungen wie Verbreiterungen des Spaltes bei totaler
Luxation des Meniskus je 2 mal gefunden, aber stets waren sie dann
auch am gesunden Knie vorhanden, haben also mit der Meniskusver¬
letzung nichts zu tun.
Zum direkten Nachweis nützen uns die Röntgenstrahlen also nichts,
wohl aber für die Differentialdiagnose, indem sie ein knöchernes Corpus
mobile, eine Arthritiß dissecans, deformans oder Tuberkulose aus-
schliessen lassen.
Differentialdignostische Schwierigkeiten machen
in erster Linie das Corpus mobile und die H o f f a sehe Fetteinklemmung.
Wir haben mehrere Fälle operiert, ich zeige Ihnen hiervon die
Diapositive und 2 entfernte Gelenkmäuse.
Beim echten Corpus mobile handelt cs sich um flache, schalen¬
förmige Körper von 2—3 cm Grösse, welche fast ausnahmslos aus dem
oberen Teil des medialen Kondylus von der Stelle stammen, wo das
Ligamentum posterius am Knochen inseriert. Auf den lebhaften Streit
über die Entstehung der freien Gelenkkörper kann ich hier nur kurz
eingehen. Gegenüber der älteren Ansicht, dass diese Knorpelknochen¬
stücke durch den Zug des Kreuzbandes hcrausgerissen werden, scheint
sich neuerdings Axhausens Theorie durchsetzen, dass nämlich durch
ein Trauma oder kleinste, schon vergessene Traumen, z. B. durch das
Anprallen der Patellarkante gegen die vordere Femurfläche der ge¬
troffene Bezirk schwer geschädigt w^erde: es entständen Knorpelrissc
und Impressionen der weichen Spongiosa, wodurch Nekrosen derselben
.hervorgerufen würden. Dieses nekrotische Knochenstück wird jetzt von
der Tiefe her durch reaktive Vorgänge vom Gesunden abgegrenzt, dis-
seziert, bis es schliesslich mit oder ohne neues Trauma aus seinem
Lager ausgestossen und ins Gelenk hineingeboren wird.
Genug, diese freien Körper können dieselben Einklemmungen
machen, aber da sie beweglich sind, erscheinen sie oft an den ver¬
schiedensten Stellen des Gelenks und gerade das Auftauchen bald hier,
bald da, ist charakteristisch und hat ihnen ja den Namen „Gelenkmaus"
verschafft.
Schwieriger zu unterscheiden, aber auch seltener ist die Fett-
einklernmung. die 1904 von H o f f a zuerst beschrieben wurde.
Hierbei handelt es sich um eine entzündlich-fibröse Hyperplasie des
grossen Fettkörpers infolge von Traumen, die zu Blutungen zelliger In¬
filtrationen und damit wieder zur Vergrös.serung der Falten und Zotten
führen, so dass diese zwischen den Gelenkflächen eingeklemmt w'erden
können. Bei der objektiven Untersuchung findet man unterhalb und
beiderseits der Patellarsehne eine weiche, pseudofluktulerende Schwel¬
lung, die meist auf Druck lebhaft empfindlich ist. Der übrige Spalt ist
im Geigensatz zu Meniskusverletzungen nirgends schmerzhaft. Wir haben
2 derartige Fälle mit ausgezeichnetem Resultat operiert.
Beide unterscheiden sich von der Meniskusverletzung dadurch, dass
eine lange Knieanamnese vorausgegangen ist, die beim Corpus mobile
sich meist bis in die Pubertätszeit verfolgen lässt. Auch fehlt bei beiden
die Beschränkung der Druckempfindlichkeit auf den einen Gelenkspalt
und schliesslich unterscheiden sie sich durch den Tastbefund.
Auch Arthritis deformans und Tuberkulose haben Verwechslungen
verursacht; auch hierbei wird man die plötzliche Entstehung vermissen,
ebenso die Beschränkung der Druckempfindlichkeit auf den Spalt und
meist die Einklemmung. Dafür wird man das charakteristische Krachen.
Knirschen und Reiben nachweisen können; auch wird das Röntgenbild
Aufklärung bringen.
In seltenen Fällen haben gestielte Geschwülste Einklemmungen \er-
ursacht, wie dies von Franz König im Jahre 1879 bei einem Sarkom
und einem Lipom berichtet ist. So habe Ich vor 3 Jahren einen gestielten,
haselnussgrossen Tumor exzidiert, der von der Vorderseite des Femur
am oberen Rezessus ausgegangen war und klinisch typische Einklem-
miingserscheinungen gemacht hatte. Die mikroskopische Untersuchung
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CÄLIFO--iL«
2U. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
611
Qrgab ein zum Teil nekrotisiertes Fibrom mit reichlich Blutpigment in den
Randpartien.
Für einen weiteren Fall, den Prot. S u d e c k in der Privatpraxis
operiert hat, habe ich in der Literatur nur ein einziges Analogon' finden
können. Es handelt sich um einen etwa 3 cm langen und 3 mm dicken
fibrösen Faden, welcher unterhalb der Patella festsass. im übrigen frei
im Gelenk flottierte. Ein ähnlicher Fall findet sich nur bei K r o i s s.
der aber keine Deutung dafür gefunden hat. Nach Lage und Form
dieses Gebildes ist es mir nicht zweifelhaft, dass es sich um die ab¬
gerissene Plica synovialis patellae, das Rudimentum septi handeln
kann, d. h. den Rest einer fötalen Scheidewand, welche von hinten
nach vorn reichend das Gelenk ursprünglich in eine mediale und laterale
Kammer geteilt hat.
Und schliesslich habe ich vor 14 Tagen Herrn Prof. Sudecii bei
einem Patienten mit typischer Einklemmung assistieren können, bei dem
sich eine Zerreissung des medialen Seitenbandes und der zugehörigen
Synovia fand; das ausgerissene, strangförmige Stück war nach unten
geschlagen, zwischen Meniskus und Oberschenkel eingeklemmt.
Immerhin werden einige Fälle von frischen Verletzungen übrig
bleiben, bei denen eine Entscheidung zunächst nicht möglich ist, aber
beim ersten Rezidiv muss man eigentlich mit Sicherheit, wenn nicht
die Differentialdiagnose, so doch mindestens die Diagnose der Ein¬
klemmung stellen und die chirurgische Behandlung einleiten. Verwechs¬
lungen mit Gelenkmaus, H o f f a scher Fetteinklemmung oder den oben
beschriebenen drei Varietäten’ sind praktisch kein Schaden für den
Patienten, da ja bei allen diesen Fällen die Heilung nur durch Operation
gebractit werden kann.
Die Behandlung, die in früherer Zeit rein konservativ war,
ist immer mehr chirurgisch geworden, aber merkwürdigerweise finden
sich immer noch Stimmen, die für frische Fälle ein konservatives Ver¬
halten verlangen oder wenigstens für erlaubt halten, weil man verein¬
zelt Zusammenheilungen — ich sage nicht Heilungen — beobachtet hat;
diese waren stets nicht in normaler Stellung erfolgt, sondern in recht¬
winkliger Abknickung, so dass das vordere Bruchstück senkrecht ins
Gelenk hineinragte und zu immer neuen Einklemmungen Anlass gab.
Di^se Befunde müssen meines Erachtens nicht als Begründung, sondern
als Gegenbeweis für die Berechtigung eines konservativen Verfahrens
gewertet werden. Vor allen Dingen aber — und das ist das Ent¬
scheidende, was uns zur Ablehnung' der konservativen Therapie über¬
haupt führen muss — wissen wir ja nie vorher, welche Form
der Verletzung vorliegt, wir müssen ja zufrieden sein, weun wir über¬
haupt den Meniskus als geschädigten Teil erkennen können. Und
nun bitte ich Sie, meine Herren, sich noch einmal die Bilder zu ver¬
gegenwärtigen, die ich Ihnen vorhin gezeigt und mir dann zu sagen,
was man wohl bei derartig verletzten und verlagerten Menisken etwa
von Alkoholinjektionen oder anderen konservativen Massnahmen er-
vvarten kann. Wir sind jedenfalls nicht mehr im Zweifel, dass man bei
sicherer Diagnose operieren soll und zwar sobald als möglich.
Als Operation wurde früher, besonders in Amerika, die Fixation
oder die Naht viel geübt; sic ist jetzt zugunsten der Exstirpation
wegen ihrer Nachteile wieder verlassen worden. Wir haben uns bei der
Exstirpation im Gegensatz zu anderen, die stets die totale Entfernung
vornehmen, von dem Grundsatz leiten lassen. Gesundes zu erhalten und
nur die verletzten und dislozierten Teile zu entfernen. Besonders bei
den Längsrissen haben wir nur den inneren, abgespaltenen Streifen
herausgenommen, weil wir glauben, durch die Erhaltung des pfannen¬
bildenden äusseren Randes die physiologischen Verhältnisse am besten
wieder herzustellen. Man muss bei partieller Exstirpation allerdings
besonders darauf achten, auch den letzten Rest des losgelösten Streifens
mit herauszubekommen, weil zurück^elassene Stückchen Rezidive
veranlassen können,
Ueber die Technik nur wenige Worte: Die Schwierigkeit, w'elche
durch die grosse Anzahl der Methoden illustriert wird, liegt darin, bei
möglichster Schonung des Bandapparates eine gute Ueber sicht zu er¬
langen. Wir sind jetzt wieder zum vorderen und hinteren Längsschnitt
zurückgekehrt, wobei letzterer an der Kante der Kniekehle vor dem
Ansatz der Muskeln angelegt wird. Wenn man diese dann nach hinten
abzieht, kann man die Kapsel bequem spalten und erhält auch über
die hintere Insertion den verhältnismässig besten Ueberblick. Wir halten
die Durchtrennung des Seitenbandes nicht für so gleichgültig w'ie
Katzenstein, sondern vermeiden sie, wenn irgend möglich, weil
wir hiernach (4 mal) eine Verlängerung der Heilungsdauer um fast
50 Proz. erlebt haben.
Die Prognose ist ohne Operation nicht gut: Immer häufiger
treten die Einklemmungen auf, immer stärker werden die Beschwerden
und schliesslich entwickelt sich eine Arthritis.
Bei der Beurteilung der Operation müssen wir uns klar machen,
dass das, was einmal zerstört ist, sei es durch das primäre Trauma
oder durch die schon entwickelte Arthritis, nicht wieder kommen kann,
wohl aber wird eine Verschlimmerung aufgehalten.
Von unseren operierten 14 Fällen habe ich 9 nachuntersuchen
können, 4 haben einen ausführlichen Fragebogen beantwortet und nur
von einem fehlt jede Nachricht.
Seit der Oi^eration sind vergangen: 4—.534 Jahre bei 5 Patienten,
21 / 3 —334 Jahre bei weiteren 6 Patienten. Die letzten beiden sind
34 Jahr alt, kommen für die Beurteilung der Dauererfolge noch nicht
in Betracht.
Bei den älteren 11 Fällen bestanden die noch vorhandenen Be¬
schwerden 2 mal in leichtem Reissen bei Witterungsumschlag oder nach
grosser Anstrengung, nur 1 Patient gibt einen Unterschied in der groben
Nr. 20.
Kraft an. 3 mal ist das Knien unbequem, einmal schmerzhaft. 2 hatten
ein taubes Gefühl und 1 rroch eine Druckempfindlichkeit der Narbe.
Objektiv fand sich eine geringe Muskelatrophie von 34—IV 2 cm
bei 4 Patienten, 3 mal war die Beugung um 10—20“ herabgesetzt, bti
weiteren 2 Patienten war gelegentlich ein weiches Reiben und Knir¬
schen am operierten Knie nachw^eisbar und einmal beiderseits.
Das w'ar alles, meine Herren. 5 Patienten sind wieder k. v. ge¬
worden und haben zum Teil die Strapazen des Rückmarsches gut mit¬
machen können; alle sind jetzt wieder den ganzen Tag im Beruf tätig
und in keiner Weise in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, viele von
ihnen treiben häufig Sport, wie Eislauf, Tennis, Hockey, mehrere radeln,
alle tanzen wde früher. Sämtliche Patienten sind mit dem Erfolge der
Operation sehr zufrieden, so dass bei dem vorzüglichen Resultat der
Nachuntersuchungen die Operation uneingeschränkt empfohlen werden
kann.
• Nachtrag bei der Korrektur:
Inzwischen wurde ein weiterer Fall beobachtet, der durch das im Vor¬
dergrund .stehende Symptom des früher sog. „schnappenden Knies“ be¬
merkenswert i.st.
17 jähriger Jüngling, Ende Oktober 1920 auf glattem Fussboden aus¬
gerutscht und aufs linke Knie gefallen. Sofortiger heftiger Schmerz und Ein¬
klemmung des Beins in Beugestellung; Selbstreposition durch gewaltsame
Streckung, W’obei sehr lautes einmaliges Knacken auftrat, welches seitdem
bei jedem Durchdrücken des Beins bemerkt wirkt.
Befund: Knie äusserlich 0 . B., keine Schwellung, keine Druckpunkte.
Beugung frei, Streckung bis 177“ ebenfalls. Das Durchdrücken gelingt unter
kräftiger Muskelanspannung, dabei hört man ein einmaliges lautes, grobes
Knacken oder Schnappen und fühlt unmittelbar vor dem äusseren Seiten¬
bad einen harten, schmalen Körper überspringen. Nach mehrfacher Innen¬
rotation und Beugung tritt leichte Druckempfindlichkeit am „Schmerzpunkte“
(2—3 cm nach aussen vom Rande der Patellarsehne) auf.
Diagnose: Verletzung des äusseren Meniskus. In diesem Falle konnte
ausnahmsweise auch die Lokalisation: unmittelbar vor dem äusseren Seiten¬
bande bestimmt werden.
Die Anfang Januar ausgeführte Operation bestätigte die Diagnose. Der
laterale Meniskus war in schräger Richtung vor dem Seitenbande durch-
rissen und seitlich von der Kapsel abgelöst. Sein vorderer Teil war auf¬
fallend breit, fast scheibenförmig und luxierte sich bei entsprechender Be¬
wegung nach vorn innen, w’obei er sich in Falten zusammenschob. Auch
das laute Schnappen konnte bei der Operation hervorgerufen werden, wenn
infolge entsprechender Bewegung der vordere Meniskusteil unter dem lateralen
Kondylus hindurchgequetscht wurde.
Dieser Fall wird in einer demnächst erscheinenden Arbeit von Wild
über „Schuppendes Knie“ ausführlich berücksichtigt werden.
Literatur.
Aeltere Arbeiten siehe K r o i s s und Qoetjes. — Babitzky:
D.m.W. 1914. — Barreau: Bruns Beitr. 1913 Bd. 83. — D u b s D. Zschr.
f. Chir. 1916 Bd. 136. — Qlass: Arch. f. klin. Chir. 1912 Bd.^9. —
Qörber: D. Zschr. f. Chir. Bd. 145. — Qoetjes: Ergehn, d. Chir. u
Orthop. 1914 Bd. 8. — Hoffa: D.m.W. 1914. — K a t z e n s t e i n: Arch. f.
k m. Chir. Bd. 98. — Konjetzny: M.m.W. 1916. — Kroiss: Beitr, z.
klm. Chir. 1910 Bd. 66. — Schmerz: Zbl. f. Chir. 1916 Bd. 48. — Stein-
mann: 39. Chirurgenkongress 1916. — Ufer: Arch. f. klin. Chir. 1918.
Aus dem Landeshospital Paderborn.
(Direktor: Dr. H. Flörcken.)
Die Operation der Schrumpfbiase.
Von H. Flörcken, Paderborn, jetzt Chefarzt der Chirurg.
Klinik des Marienkrankenhauses Frankfurt a. M.
Leichtere Formen von Schrumpfblase heilen nach Beseitigung des
ursächlichen Leidens aus. — Hierher gehören die Schrumpfblasen
bei den verschiedenen Formen der Zystitis, nach Blasentumoren, nach
Blasenfisteln, Blasenscheidenfisteln, Biasensteinen, sowie die leichteren
Formen der tuberkulösen Schrumpfblase, die nach Exstirpation der
kranken Niere mit und ohne allgemeine pnd lokale Therapie gut werden.
Daneben gibt es Formen der Schrumpfblase, die jeder konservativen
Therapie widerstehen: vor allem die Schrumpfblase bei der aus¬
gedehnten Blasentuberkulose.
In diesen Fällen berechtigen die hochgradigen quälenden Be¬
schwerden, zu grösseren Eingriffen, wenn mit Wahrscheinlichkeit eine
weitgehende Besserung der Beschwerden dadurch in Aussicht gestellt
werden kann.
Ich lasse zunächst die kurze Krankengeschichte eines derartigen
Falles folgen:
Maria E., 29 Jahre alt; 1. Aufnahme 1917; seit Wochen quälender Harn¬
drang mit Blut im Urin. Lunge o. B.; in der rechten wie linken Lende kein
Druckschmerz, Blasenurin stark trübe, im Sediment frische und ausgelaugte
rote Blutkörper, Leukozyten, Tb. —, Tierversuch —. Zystoskopie wegen
der geringen Kapazität unmöglich, Sectio alta: stark geschwollene, ge-
schwürig-hämorrliagisch veränderte Schleimhaut, Katheterismus von der Bla¬
senwunde aus unmöglich. Probeexzision: hämorrhagische Zystitis, keine
Tuberkulose. Kur in Wildungen vorübergehende Besserung.
2. Aufnahme 8. IX. 1919: Wieder Verschlimmerung. Jetzt deutlich ver-
grösserte rechte Niere, Zystoskopie unmöglich. Tierversuch jetzt +. dop¬
pelseitiger Lumbalschnitt, Exstirpation der hochgradig veränderten rechten
Niere, die das Bild der ulzerösen Nierenphthise bietet. Histologisch: Nieren¬
tuberkulose. Danach hervorragende Besserung des Allgemeinbefindens. An¬
fang 1920 wieder Verschlimmerung, quälender Harndrang, die Blasennarbe
fistelt zeitweise, dadurch Erleichterung, aber Nassliegen mit Ekzembildung.
Durch Dauerkatheter wieder Heilung der Fistel, aber wieder quälender
Harndrang, der alle 5 Minuten zu einer Miktion führt.
5
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
612
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
Mai 1920: Operation: Pararektale Eröffnung der Bauchhöhle links. Flexur
lang, wird vorgezogen. Nach Spaltung des dorsalen Peritoneums Präparation
des linken Ureters bis zur Kreuzung mit A. iliaca und Meosigraa, quere
Durchtrennung möglichst tief, Versorgung des distalen Endes nach Unter¬
bindung, Anlage einer Anastomose" zwischen den Fusspunkten der Flexur
und Implantation des Ureters in die Tänie der Flexurkuppe nach Art eines
W i t z e 1 sehen Schrägkanals. Glatte Heilung. Zurzeit besteht voll¬
kommene Kontinenz die ganze Nacht hindurch, am
Tage etwa Smalige Miktion. Der Urin kommt meistens getrennt
vom Kot, zuweilen mit ihm vermischt. Blasenfistel seit 8 Tagen nach der
Operation geschlossen (jetzt, 7 Monate nach der Operation). Allgemein¬
befinden sehr gut.
Es wurde also durch Implantation des Ureters der restierenden
Niere in die Flexur eine hervorragende Besserung erzielt, die die
Patientin von allen quälenden Beschwerden einer Schrumpfblase befreite.
Die operative Therapie der Schrumpfblase hat verschiedene Wege
beschritten:
1 . Eine Methode, die möglichst physiologische Verhältnisse anstrebt,
ist die operative Vergrösserung der Schrumpfblase, sie wurde nach einem
Vorschläge von Stöckel zuerst von Birnbaum -üöttingen aus¬
geführt, der bei seiner 24 jährigen Patientin mit Schrampfblase nicht
tuberkulöser Natur mit normaler Niere so vorging, dass er ein 12 cm
langes Stück aus der Flexura sigmoidea ausschaltete, das obere Ende
des ausgeschalteten Darmstückes vernähte und das uniere Ende mit
dem am Scheitel eröffneten Blasenrest vereinigte. B. erzielte dadurch
eine Kontinenz von 3—4 Stunden und eine Kapazität der neuen Darm¬
blase von 180—200 ccm. also ein sehr beachtensw^erter Erfolg. Die
Zystoskopie zeigte die Schleimhaut des Darmteils auftallend blass, sonst
ganz ähnlich der normalen Blasenschleimhaut.
Der Vorschlag Stöckels w'eicht technisch von derBirnbaum-
schen Operation etwas ab, insofern als St. das ausgeschaltete Darm¬
stück oben und auch unten vernähen und an neuer Stelle mit dem
Blasenrest verbinden wollte. Wo die Methode anwendbar ist, ist
sie sicher die beste. Leider wird gerade die tuberkulöse Schmmpf-
blase meistens die Methode verbieten, einmal wegen der Gefahr der
Kontaktinfektion, ferner kann bei hochgradiger Schrumpfung der Blase
die Naht zwischen ihr und dem Darmstück ganz unmöglich sein. Das
musste Stöckel in seinem Fall erfahren; er war daher gezwungen,
ein anderes Verfahren anzuw^enden, und machte 2. die Implantation
des Trigonums in die Flexura sigmoidea, also die Maydlsche Opera¬
tion. Da meistens die Blasentuberkulose die sekundäre Folge einer
Nierentuberkulose ist, wird die Implantation des Trigonums nur dann
in Frage kommen, wenn die Nieren nicht tuberkulös erKrankt sind, also
in den seltenen Fällen, wo die Blasentuberkulose etwa die Folge einer
Adnextuberkulose ist.
Ist eine Niere exstirpiert wde in meinem Falle, so wird sinngemäss
der Ureter der gesunden Niere in die Flexura implantiert werden
können. Dabei ist zu berücksichtigen einmal die Einnähung nach Art
des Witzei sehen Schrägkanals, sowie womöglich die Anastomose
zwischen den Fusspunkten; durch beides wird die Gefahr der aszen-
dierenden Pyelonephritis ganz .wesentlich reduziert. Bestehen Bedenken,
die Ureter-Darmanastomose intraperitoneal zu lagern, so kann ent¬
weder dieser ganze Operationsakt retroperitoneal ausgeführt werden,
oder aber es kann die Anastomose später retroperitoneal gelagert
werden.
Von F r ü n d wurde die günstige Erfahrutig mit der Operation der
Blase'nektopie nach M a k k a s auf die tuberkulöse Schrumpfblase über¬
tragen: Fründ stellte 1919 eine Patientin mit tuberkulöser Schrumpf¬
blase und Exstirpation der rechten tuberkulösen Niere vor. bei der in
der ersten Sitzung das Zoekum, Colon ascendens und Flexura dextra mit
einem 25 cm langen Stück des Ileum ausgeschaltet und die Appendix
aus dem Bauch durch Knopflochschnitt herausgeleitet war. In der
2 . -Sitzung wurde der linke Ureter nach Art einer Witzelfistel in das
ausgeschaltete ^ Ileum implantiert. Lagerung der Implantationsstelle
retroperitoneal.’
Die so gebildete Blase fasste 500 ccm Spülflüssigkeit, war zuerst
gegen Urin noch empfindlich. Auftreten von Koliken nach 2 Stunden.
Die Patientin katheterisierte sich selbst durch die Appendix. Nach
einer Mitteilung F r ü n d s hat die Patientin 2 Jahre mit vorzüglich
funktionierender Blase und 8 stündiger Kontinenz gelebt; sie starb schliess¬
lich an einer Tuberc. pulm. Zwei andere Patienten Fründs, in ähn¬
licher Weise operiert, sind 2 bzw. 6 Wochen post op. an aufsteigender
Pyelitis zugrunde gegangen.
Es ist nicht meine Absicht, in eine Kritik der verschiedenen Me¬
thoden der Anastomose zwischen Harnsystem und Darm einzutreten,
es könnte das auch nur an der Hand einer umfassenden Statistik ge¬
schehen, die eine möglichst lückenlose Kasuistik vor allem auch der
Fälle bringt, in denen die Anastomose aus anderen Gründen gemacht
wurde (Blasenektopie, Blasenexstirpation).
Der Vorteil der von mir angewandten Methode liegt in der relativ
einfachen einzeitigen Technik und der idealen Kontinenz; das Risiko
der aszendierenden Pyelitis wird durch die basale Anastomose reduziert.
Hier möchte ich erwähnen, dass der von mir vor 4 Jahren ähnlich
operierte Fall von Blasenektopie (Bruns Beitr. 104. 5.-6. Heft) sich
vollkommen normal entwickelt hat und ebenfalls kontlnent geblieben
ist: auch Coenen z. B., der 2 Fälle von Blasenektopie mit Implan¬
tation des Trigonums in die Flexura ohne basale Anastomose operierte,
ist mit dem Daucrresultat (nach persönlicher Mitteilung) zufrieden.
Die Bildung der Zoekumblase nach M a k k a s hat den vollständigen
Abschluss der neugebildeten Blase von dem Darm für sich, sie schützt
trotzdem nicht mit Sicherheit vor der aszendierenden Pyelitis und ist
Digitized by Go».)Szle
komplizierter. Bei kurzer Flexur und erhaltener rechter Niere käme
sie als einzig mögliche Methode in Frage, wenn man nicht doch die
Flexur durch e-in ausgeschaltetes Ileumstück verlängern würde.
Zweck dieser Zeilen «war es, zu zeigen, dass, wo bei hochgradiger
quälender Schrumpfblase die konservative Therapie erfolglos ist, chinir-
gische Möglichkeiten bestehen, dem Patienten durch Befreiung von den
Beschwerden eine hervorragende Hilfe zu bringen.
Anmerk.ung bei der Korrektur: Meine Pat. wurde, nunmehr
1 Jahr lang vollkommen beschwerdefrei, am 2. Mai 1921 im Aerzteverein
Frankfurt a. M. vorgestellt.
Literatur.
R. Birnbaum - Qöttingen: Zur operativen Therapie der Schrumpi-
blase. M.m.W. 1920 Nr. 29 S. 841. — H. Flörcken: Bruns’ Beitr. z. kün.
Chir. Bd. 104 H. 2. — Fründ: Niederrh. Gesellschaft f. Natur- u. Heilkunde
Bonn, Sitzung vom. 12. V. 19, ref. D.m.W. — W. Stoeckel: Demonstra¬
tion eines Falles von M a y d 1 scher Operation bei tuberkulöser Schrumpfblase
(Med. Gesellschaft Kiel 14. II. 19). Ref. Zbl. f. Gyn. 1918 S. 720.
Aus der I. Med. Abteilung des Krankenhauses München-
Schwabing (Prof. Kerschensteiner) und der Med. Klinik
Düsseldorf (Geh. Med.-Rat Hoff mann).
Zur Klinik der Rückenmarks* und Wirbeltumoren.
Von Dr. Ernst W. Taschenber.g.
Obwohl seit der ersten Veröffentlichung durch Horsley vor
33 Jahren eine grosse Anzahl operierter Rückenmarks- und Wirbel¬
tumoren in der Literatur niedergelegt wurde, ist es, namentlich für dp
praktischen Arzt, notwendig, immer mal wieder einschlägiges Material
mitzuteilen. Ein Kranker der bezeichneten Art ist ohne Operation ver¬
loren. Die Aussichten für ihn sind um so besser, je früher seht Leiden
richtig erkannt wird. Daher kann gerade der praktische Arzt unendlich
viel Gutes stiften allein schon dadurch, dass er beizeiten den richtigen
Verdacht äussert und den Kranken der geeigneten Stelle zuweist. Neben
dieser wichtigen praktischen Seite bietet dieses Gebiet grosse intellek¬
tuelle Befriedigung. Die Statistik über die Erfolge von Rückenmarks¬
tumoroperationen erscheint zunächst nicht ermutigend (Mortalität rund
50 Proz.; Bruns gibt 1897 70 Proz. an); es sind auch von den Durch¬
gekommenen nicht sämtliche geheilt. Wenn man aber bedenkt, dass
ohne Operatton jeder Fall elend zugrunde geht kann man schon zu¬
frieden sein. Im folgenden soll von 6 Fällen berichtet werden, die Lehr¬
reiches bieten^
F a 11 1 •). 34 jähr. Mann kam Mai 18 aus dem Felde zurück wegen
6 Wochen schon währender Schmerzen in der rechten Brustseite, die auch in
die rechte Rückenhälfte ausstrahlen; werden stärker in der Kälte. Anfang
Juni 19 wurden beide Beine „schwer“, rechts mehr als links; Pat. wurde beim
Gehen unsicher. Unwillkürlicher Abgang von Stuhl und Urin.
Befund: Schmerzen werden rechts neben den 6. Brustwirbel hinten, vorn
in den 5. bis 6. Interkostalraum lokalisiert.
Keine Knochensymptome. Spannung des r. Mm. rectus und obliquus ext.
Hypertonie beider Beine. Spastische Parese. Gang spastisch. Starke Un¬
sicherheit beim Stehen, wenn Gesichtssinn ausgeschaltet. Bauchdecken¬
reflexe fehlen (oberer: Dorsalsegment 1= D] 8); ebenso Kremasterreflexe.
PSRR. ++, Patellarklonus rechts. ASRR. ++, Fussklonns beiderseits,
r. > 1., Babinski beiderseits.
Sensibilität: Berührung; R. in Ls—Ls, 1. in Ls, „spitz und stumpf“
beiderseits Li—Si aufgehoben; Temperatur und Schmerz aufgehoben beider¬
seits Li—Ls; unsichere Angaben für Unterschiedsempfindlichkeit, Temperatur
und Schmerz schon ab Da! Tiefensensibilität R. gestört. Ataxie der Beine
r. > 1.
Diagnose: Spastische Parefe beider Beine, Anästhesie weisen auf Li,
Hypästhesie besteht schon ab D«; radikuläre Schmerzen rechts Ds—D«. Fehlen
der epigastrischen Bauchdeckenreflexe weist mindestens auf Ds. Dem ent¬
spräche nach dem S h e r r i n g t o n sehen Gesetz mindestens D?; d. h.
Höhe des V.—VI. Brustwirbels. Hypästhesie und Schmerzen weisen aber
höher: die wichtigen sensiblen Reizerscheinungen nach Ds. Da Hypästhesie
und Schmerzen schon durch Läsion bzw. Reizung einer der 3 Wurzeln, die nach
Sherrington ein Hauptsegment versorgen, verursacht werden können,
käme man auf den III.—IV. Brustwirbel. Das erscheint zu hoch. La-
minektomie wird in Ausdehnung des IV.—VI. Brustwirbels empfohlen (s. u.).
Operation (San.-R. Schindler); In Höhe des VI. Brustwirbels
sitzt dorsal ein 3 cm langer zystischer Tumor. Anatomisch: Endotheliom. Er¬
folg: Vollständige Heilung und Arbeitsfähigkeit.
F a 11 2. 23 jährige Frau. Med. Klinik Düsseldorf. Anfang Oktober
1913 Schmerzen in der rechten Rückenseite in Höhe des X.—XII. BW.,
dann Gefühl von Kälte und Steifigkeit im rechten Bein, Schmerzen in der
Magengegend. Plötzlich wird das rechte Bein „schwer“, bisweilen dort
Krämpfe. Rechtes Bein lässt sich schwerer heben als linkes. Schmerzen im
Rücken nehmen zu.
Befund; letzte Untersuchung vor Operation (für die Darstellung der
Entwicklung des Falles ist leider kein Raum): Knochen: leichte Steifigkeit
der Brustwirbelsäule. Regelmässige Klopfempfindlichkeit des VII. BW„ weni¬
ger des VIII. BW. Motilität: Schlaffe Lähmung beider Beine. Reflexe:
Fehlen der mittleren und unteren Bauchdeckenreflexe beiderseits (D. 10—12).
lebhafte PSRR.,"^ gesteigerte ASRR., beiderseits Babinski und Oppenheim.
Sensibilität: Aufhebung der Empfindlichkeit für feine Berührungen vorn
ab Dio, hinten ab Du; für Spitz und Stumpf vorn ab Du, hinten ab Du.
Herabsetzung der Schmerzempfindlichkeit vorn ab Du, hinten ab Dis.
Tiefensensibilität erheblich gestört. Sämtliches doppelseitig.' — Incontinentia
urinae.
Diagnose: Höhe gemäss der Sensibilitätsstörung Dio (mittlerer Bauch¬
deckenreflex!). nach Sherrington also D» (VII.—rVIII. Brustwirbel); ent-
•) Die Sektionsergebnisse von Fall 3—6 verdanke ich der Güte des Herrn
Prof. Oberndorfer. Wegen der geforderten äussersten Kürze kann ich
die Krankenblätter fast nur insoweit mitteilen, als die Angaben „positive“
Befunde darstellen. Was nicht erwähnt wird, ist nicht etwa vergessen
Original from
UNIVERSITY OF C ALIF ORNIA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
613
spricht genau dem Knochensymptom. Breite: Wegen Wurzelerscheinungen,
Wirbelempfindlichkeit, Transversallähmung: extramedullärer Tumor, wahr¬
scheinlich intradural mit Ursprung in der Umgebung der rechten vorderen'
Wurzeln, weil Krankheitserscheinungen anfangs nur rechts vorhanden waren
und die motorischen Symptome prävalierten.
Operation (Geh. San.-R. Schnitze): In Höhe des VII. BW. sitzt
auf der Innenseite der Dura rechts vorn in der Gegend der vorderen Wurzeln
der Tumor, Kirschgross; glatt auslösbar. Anatomisch: Endotheliom. Ver¬
lauf: 3 Wochen nach Operation wird rechtes Bein bewegt, 4 Wochen später
Wiederherstellung der Schmerzempfindlichkeit, beide Beine werden bewegt.
Wieder 1 Woche später plötzlich wieder schlaffe Lähmung. Durch Kriegs¬
ausbruch weitere Nachforschung unmöglich.
Falls. 56 jährige Frau. Seit 9 Jahren Schmerzen im 1. Schulterblatt,
seit mehreren Jahren inkontinent Seit 1 Jahr stärkere Schmerzen in beiden
Schultern, Gummibandgefühl in den Beinen beim Gehen; taubes Gefühl in den
Fingern, f Aborte.
Befund: i^bgemagert, Dekubitus. Pneumonie, Tachyarhythmie, Zysti¬
tis, Urobilinogenurie. Motilität: Intakt; sehr starke Rigidität aller Ex¬
tremitäten. Sensibilität: Deutliche Hypalgesie mit Ausnahme des
Kopfes. Reflexe: Fehlen der beiderseitigen Bauchdeckenreflexe, enorme
Steigerung der beiderseitigen PSRR. und ASRR., beiderseits Babinski. Stei¬
gerung der Reflexe der oberen Extremitäten, Klonus des 1. Bizeps. Romberg
vorhanden, spastischer Gang; Incontinentia urinae. WaR. in Blut und Li¬
quor 4-H-4-4-. 16 Zellen im Liquor. Letzterer sonst o. B.
Diagnose: Raumbeengender Prozess luetischen Ursprungs im Hals¬
mark, mindestens in Höhe des Cs. Gumma? Meningitis luica (?) des Hals¬
marks.
Sektion: Lobuläre Pneumonie. Starker Hydrocephalus internus. Im
r. Nucleus caudatus unmittelbar am Ependym linsengrosser zystischer Er¬
weichungsherd. Ependym des 4. Ventrikels verdickt und rauh. Verklebungen
zwischen Boden des 4. Ventrikels und der Art. chorioidea im hinteren Teile
des Ventrikels. Spinnwebenförmige Verklebungen in der Gegend des Fo-
ramen Magendi. Rückenmark: Besonders im Brustteil starke Verdickungen
der weichen Häute mit Trübungen, sulzig ödematös, undurchscheinend.
Mikroskopisch: Leptomeningitis spinalis (Rundzelleninfiltrationen).
Fall 4. 26 jähriges Mädchen. Belastet mit Tuberkulose. Seit 1 Jahr
ziehende Schmerzen in den Schultergelenken, dann Rückenschmerzen im Inter-
skapularraum, dann Schmerzen rechts vorn auf der Brust. Erste Kranken¬
hausbeobachtung resultatlos. 4 Wochen später Parese im rechten, dann im
linken Bein. Kann nicht mehr gehen.
Befund: Rechte Lungenspitze verdächtig auf Katarrh. Lähmung der
Bauclimuskeln, spastische Lähmung der Beine. Fehlen der Bauchdecken¬
reflexe. Steigerung der PSRR, und ASRR. Fussklonus, Babinski beiderseits.
Keine willkürliche Stuhl- und Urinentleerung. Sensibilität völlig er¬
loschen ab Di. Knochen: Bohnengrosser Defekt im 2. BW. (Röntgeqj.
Verlauf: 4 Wochen nach Aufnahme starkes Schwitzen am ganzen
Körper. Incontinentia alvi et urinae. Sehr heftige Schmerzen in Beinen, be¬
sonders aber in Armen; weitere 6 Wochen später: Druckempfindlichkeit der
oberen Brustwirbel. Dekubitus, weitere 4 Wochen später: Zystitis, Pyelitis,
starker Dekubitus. Diagnose: Querschnittsdurchtrennung in Da, also
II. BW. Karies des II. Brustwirbels mit Rückenmarkskompression.
Sektion: Osteosarkom des II. Brustwirbelkörpers (Tumor mit Wirbel¬
körper hühnereigross, sehr derb, sehr engmaschiger spongiöser Bau) mit
Kompression des Rückenmarks in 5 cm Ausdehnung (von rechts her).
F a 11 5. 47 jährige Frau. Im Februar 1920 entwickelt sich vor dem
1. Ohr eine derbe Geschwulst. Bestrahlung: Seit Mitte Mai Gewichtsabnahme,
Schweregefühl in den Beinen. Stechen zwischen den Schulterblättern. Juli 20
Parästhesien in beiden Unterschenkeln. Schwanken im Dunkeln, Gang wird
steif. Muskelzucküngen besonders im rechten Bein. Starke Schwe-iss-
ausbrüche. Stuhl- und Harnverhaltung.
Befund: Sehr reduzierter Ernährungszustand, Schnellatmigkeit. Tu¬
mor in der 1. Parotisgegend mit Drüsenmetastasen. Verdichtung des r. Ober¬
lappens. Knochen: Steifigkeit der Hals- und oberen Brustwirbelsäule.
Druckschmerzhaftigkeit des II. und III. Brustwirbels. Motilität: Läh¬
mung beider Beine schlaffer Art. Reflexe: Fehlen der Bauchdecken¬
reflexe, der PSRR., der ASRR. beiderseits. Babinski beiderseits vorhanden,
rechts mehr als links; ebenso Oppenheim, Sensibilität: Anästhesie,
Thermanästhesie, Analgesie beiderseits ab Ds. Hyperästhesie D 2 —Ds. Rönt¬
gen: Aufhellung der Mitte des 2. BW.
Verlauf: Albuminurie, Dekubitus. Stuhlverhaltling. so dass manuelle
Ausräumung. Muskelhüpfen am r. Unterschenkel. Starke Schweisse am
ganzen Körper, Anfälle von Atemnot und Bewusstseinstrübung. Sensibilitäts¬
störung ändert sich wie folgt: ab D« völlige Empfindungslähmung, D»— Ds
Hypästhesie, Di Hyperästhesie.
Diagnose: Metastatischer Tumor des I. und II. Brustwirbels mit
Kompression des Rückenmarks, Zystitis, Dekubitus, Metastasen in den
Lungen. Primärer Tumor; Parotistumor.
Sektionsdiagnose: Karzinomatöse Geschwulst der 1. Parotis¬
gegend mit Metastasierung in die Wirbelsäule (I.—IV. Brustwirbelkörper).
Kompression des oberen Brustmarks. Metastasen in Perikard, Lungen,
Nieren. Zystitis.
E a 116. 49 jähriger Mann. Wiederholt wegen „Rheumatismus“ be-
handelt. Seit 6 Wochen Schmerzen in den Schultern, erst rechts, dann links,
die auf Kalte besser werden, weswegen Pat. sich nachts auf den Steinfliesen¬
boden legt. Gewichtsabnahme.
Befund: Reduzierter Ernährungszustand. Infiltration der 1. Lungen-
^itze, pleuritische Schwarte über dem 1. Unterlappen. Steigerung der PSRR
Druckschmerz im Interskapularraum. Temp. 37.5®—38®. Pleozytose!
Lymphozytose (31/2 Proz. von 14 320 Weissen), Besserung der Beschwer-
k" Aspirin; tagelang völliges Wohlbefinden; dabei aber Gewichts-
xT’r' .? ^°'^heii nach Aufnahme: Herabsetzung der Hörfähigkeit. lallende,
„knö^elige Sprache. Schmerzen geringer. Flüssige Speisen kommen oft
zur Nase wieder heraus, dabei keine Gaumensegellähmung. Oesophagus frei
Sprache wird ganz undeutlich. Hörfähigkeit nimmt weiter ab. Schlucken er¬
schwert. Keine neurologischen Symptome.
Sektion: Tuberkulöse Karies der 4. und 5. Wirbelkörper der Hals-
Wirbelsäule mit retropharyngealer Abszessbildung und Uebergreifen auf die
nalsweichteile.
Das hier dargebotene Material von 6 Fällen besteht somit aus
2 extramedullären Rückenmarkstumorenj. 1 Leptomeningitis plastica
luetica, 2 Wirbelturnoren (primäres Osteosarkom, metastatisches Kar¬
zinom), 1 Wirbelkaries, Es kann hier nicht eine Rückenmarksdiagnose
in allen ihren einzelnen Teilen (Allgemeindiagnose, Höhen- und Breiten¬
diagnose, Artdiagnose) durchgesprochen werden, sondern es sollen nur
einzelne Punkte herausgegriffen werden. Was die Uebereinstimrnung
zwischen Diagnose und anatomischem Befund anlangt, ist Eall 2 der
weitaus befriedigendste. Das Zustandsbild stand natürlich nicht von An¬
fang an so eindeutig fest, wie der kurze Auszug aus dem Krankenblatt
glauben machen könnte. Namentlich erfolgte die Feststellung des druck¬
empfindlichen Wirbels mit grösster Skepsis. Es ist dringend zu raten,
einen derartigen Fall, sobald der Verdacht auf einen Rückenmarks- oder
Wirbeltumor besteht, längere Zeit ohne Blick auf die Segmenttafeln zu
beobachten, da zu leieht die Gefahr besteht, dass man dem Kranken
den „richtigen“ Wirbel suggeriert durch heftigeres Drücken etc. an der
kritischen Stelle. Nur so haben die gemachten Beobachtungen einen
Wert und unter Umständen kann das eine Symptom entscheiden. Be¬
kanntlich werden bei den extramedullären Tumoren 3 Perioden unter¬
schieden: nämlich die der Wurzelsegmenterscheinungen, der Halbseiten¬
lähmung (Brown-Sequard) und der transversalen Marklähmung.
Die Vollständigkeit dieser Perioden im Krankheitsverlaufe ist eher die
Ausnahme als die Regel, insbesondere ist die Halbseltenlähmung selten
deutlich, oft auch dann nicht, wenn sie bei einseitigem Sitz des Tumors
zu erwarten wäre. Auch in unserem Fall 2 bestand trotz Einseitigkeit
des Tumors und anfänglicher Einseitigkeit der motorischen Lähmung
keine sensible Lähmung vom Hinterhorntypus (Analgesie und Therm¬
anästhesie auf der anderen Seite wie die Pyramidenläsion), vielmehr
war die Temperaturempfindlichkeit von Anfang an doppelseitig gestört.
Die Beobachtungen von Schultze, Heilbronner, Flatau u. a.
werden damit um eine weitere vermehrt. Unter den 213 Fällen von
Rückenmarkstumoren, die Flatau zusammenstellte, kommen bei den
extramedullären Tumoren hauptsächlich Sarkome und Sarkomarten vor,
weiterhin Fibrome und Endotheliome. Zu letzteren gehören die hier
beschriebenen Fälle 1 und 2. Die Höhendiagnose des Falles 1 bereitete
Schwierigkeiten. Sicher Hess sich nur sagen, dass mindestens oberhalb
des 8. Dorsalsegmentes ein Tumor sitzen musste, da die Bauchdecken¬
reflexe fehlten. Wenn wir nun aber die Wurzelerscheinungen des Falles
und die Symptome der medullären Leitungsunterbrechung Zusammen¬
halten, so besteht zwischen beiden eine auffallende Unstimmigkeit;
gehen letztere nur bis Li, so erstrecken sich die sensiblen Reizsym¬
ptome bis Ds. Wo liegt der obere Tumorrand? Knochensymptome helfen
nicht wie bei Fall 2. Das höchste Niveau der Anästhesie liegt in l<i,
7 Segmente noch oberhalb davon besteht Herabsetzung der Empfindung
und sogar noch 1 Segment höher bestehen radikuläre Schmerzen. Es
liegt hier einer der Fälle vor, in denen mit Benutzung des S h e r r i n g -
ton sehen Gesetzes zwar die Gefahr zu tiefer Niveaudiagnose ver¬
mieden wird, dafür aber die der zu hohen bestand. Es ist nun nament¬
lich durch Oppenheim und Nonne bekannt, dass gelegentlich um
mehrere W^irbel zu hoch operiert wurde, weil die proximalsten
Störungen nicht vom oberen Tumorrand hervoigerufen waren, dieser
vielmehr w'esentlich tiefer lag, sondern von krankhaften Veränderungen
des Marks oder der Meningen. Entweder sind es dann die mechanischen
Faktoren der Kompression, die zu Degeneration im Rückenmark führen
oder toxische Einflüsse der Geschwul$t; sie entstehen entweder unmittel¬
bar durch die ‘Geschwulst oder mittelbar auf dem Umwege über Zirku¬
lationsstörungen. Um etwas Derartiges muss es sich hier bei Fall 1
gehandelt haben, da der Tumor nicht zwischen 3. und 4.. sondern in
Höhe des 6. Brustwirbels sich fand. Ich möchte aus dieser Beobachtung
den Satz formulieren: Eine allzugrosse Differenz in der Segmenthöhe
zwischen völliger motorischer bzw'. sensibler Lähmung einerseits und
blosser Herabsetzung der Empfindungsqualitäten, sowie den sensiblen
Reizerscheinungen andererseits muss zur Vorsicht in der Festsetzung
des proximalen Tumorpols mahnen und an sekundäre Mark- bzw^
Meningenaffektionen denken lassen. Dabei ist unter „allzu grosser
Differenz“ eih Unterschied von mehr als 3 Segmenten zu verstehen. Da
bei den Thorakalmarktumoren die Ernte an motorischen Ausfallssymptomen
sehr dürftig zu sein pflegt, so ist gerade bei ihnen die kritische Aus¬
wertung des Sensibilitätsbefundes von Bedeutung. Dazu kommt, dass
die Tumoren im Brustmark die häufigsten Rückenmarkstumoren sind
(nach Flatau von 148extramedullären Tumoren 54, dte nächstfolgende
Zahl fällt auf das Halsmark mit nur 33): es könnte also gelegentlich die
Beachtung obigen Satzes vor Fehlern schützen. — Fall 3 zeichnet sich
besonders durch die lange Dauer der S c h m e rz Periode aus; erst vor
1 Jahre trat spastischer Gang auf, aber nie Lähmung, nie Aufhebung
der Empfindlichkeit. Ein von aussen das Rückenmark umklammernder
Prozess hätte das Symptomenbild erklären können. Die Sektion deckte
weit verw'ickeltere Verhältnisse auf. Der Liquorbefund hatte wohl für
einen luetischen, aber nicht für einen entzündlichen Vorgang gesprochen
(keine Eiweissvermehrung, keine wesentliche Zellvermehrung, keine
Druckerhöhung). Bei der Sektion entleerte sich jedoch der Liquor aus
dem Infundibulum unter hohem Druck („springbnmnenartig“). Sind die
spastischen Symptome nun Folge der meningealen Erkrankung oder des
Hydrocephalus internus gewiesen? Ich glaube mich für die erstere
Genese entscheiden zu müssen: die Lumbalpunktion brachte keine
Besserung der spastischen Erscheinungen, die Krankheit verlief ohne auf¬
fällige Schwankungen des Symptomenbildes, was gegen Hydrozephalus
spricht und überdies habe ich in den letzten Jahren 5 Fälle von chroni¬
schem Hydrocephalus internus (meist Folgezustand einer überstandenen
Aleningitis und nach dem Liquorbefund einw^andfrei) gesehen, bei denen
trotz wesentlich höherem Lumbaldruck keine Spur einer Rigidität be¬
stand. — Fall 4 und 6 verdienen wegen der Unrichtigkeit der gestellten
Diagnose Beachtung. Das Symptom des Schmerzes ist in
Digitized by Google
Original frorri
UNIVERSirr OF CALIFORNIA
614
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
beiden Fällen falsch gewertet worden. Diese Tatsache rührt an einen
wunden Punkt unseres Berufes: an die Beurteilung subjektiver Klagen
von Kranken. Fanatiker des „Objektiven" werden hier ebenso in die Irre
gehen, w ie die allzu weichen Extremisten der anderen Seite. Hier liegt
wirklich einmal das Richtige in der Mitte. Wohl nirgends sonst in der
inneren Medizin kann das Schmerzsymptom so führend werden, wäe
für die Frühdiagnose der Rückenmarks- und Wirbeltumoren. Die Be¬
zeichnung „rheumatisch“ für einen Schmerz ist zweifellos meist falsch.
Besonders darf nie vergessen werden, dass man sich fragt, ob nicht
ein radikulärer Schmerz vorliegt; im zutreffenden Falle ist dann die Lage
erhellt.
Was nun die beiden operierten Fälle anlangt, so hat die Operation
im Fall I den Kranken wieder voll arbeitsfähig gemacht. Niemand
w ird ihm ansehen, dass er ein Jahr vorher ein bewegungsloser Todes¬
kandidat war. Auch im Fall 2 verlief die Operation günstig. Motilität
und Sensibilität kehrten zurück, da tritt plötzlich lokale schlaffe Läh¬
mung der schon funktionsfähig gewesenen Beine auf, die später spastisch
wurde. Derartige Erfahrungen sind von namhaften Operateuren und
Neurologen mehrfach gemacht und bedeuten keineswegs, dass der Fall
eine dauernd ungünstige Wendung nimmt. Vielmehr können sich alle
bedrohlichen Erscheinungen zurückbilden. Treten sie bald nach der
Operation auf, so können sie direkte Folge derselben sein (mechanische
Läsion durch die Manipulation am Rückenmark). Für den Fall 2 dürfte
mehr die Annahme Oppenheims in Betracht kommen, dass an der
Operationsstelle ein meningealer Reiz besteht (Duranähte!), der eine
Meningitis serosa bedingt. All das ül>erw'indet das Rückenmark doch
schliesslich. Denn es ist eine überraschende Erfahrung, dass das Rücken¬
mark sehr resistent gegen Schädigungen mechanischer Art ist und sich
vollkommen wdeder herstellen kann. „Gerade das Fehlen der Entzün-
diingserscheinungen ermöglicht die grosse Restitutionsfähigkeit des vom
rumor zusammengedrückten Rückenmarks“, sagt F1 a t a u auf Grund
reicher Erfahrung. Er fährt fort, dass die Restitution sogar in an¬
scheinend verlorenen Fällen Vorkommen kann. F1 a i a u s Ansicht be-
weist — abgesehen davon, dass sie den Begriff „Kompressionsmyelitis“
bekämpft — dass auch länger bestehende Fälle nicht aussichtslos für
einen therapeutischen Eingriff sind; es gibt aber nur eine Behand¬
lung der Rückenmarkstumoren, das ist die chirurgische. Die Erfolge
sind schon derart gute, dass F 1 a t a u sogar die Probelaminektomie für
berechtigt hält. Weniger günstig liegen die Verhältnisse für die Wirbel¬
tumoren. Aber auch hier wurden Erfolge erzielt, namentlich bei den'
VVirbclsarkomen. Natürlich muss die Diagnose rechtzeitig genug ge¬
stellt sein. Wenn erst einmal Dekubitus und Pyelitis vorhanden sind,
ist es zu spät wegen der Infektionsgefahr. Für Fall 5 kam daher keine
Operation mehr in Frage, aber Fall 4 wäre zu retten gewesen. Die hier
vorliegenden Fälle bestätigen übrigens Fla tau s Behauptung durchaus,
dass die Röntgenphotographie in diesen Fällen nur selten die
Diagnose fördert.
Es sind noch zwei Punkte in der Symptomatologie dieser Fälle be-
merkensw^ert. In Fall 5 waren bei Paraparese der Beine die Knie- und
Achillesreflexe nicht auslösbar, trotzdem Babinski und Oppenheim
einwandfrei waren. Dabei bestantj deutliche Hypotonie In Fall 2
bestand gegen Ende der Beobachtung vor der Operation schlaffe
Paraparese der Beine mit gesteigerten Reflexen. Diese Ano¬
malien der Reflexe und des Tonus sind sicher nicht mit
der Unterbrechung der langen Fasern im Hinterstrang zu erklären
(Lewandowsky). Fehlen der Sehnenreflexc ist meist gleich¬
bedeutend mit Durchbrechung<des Reflexbogens; letztere sind segmental
angeordnet, haben also mit den langen Fasern nichts zu tun Für Fälle
obiger Art nimmt Lewandowsky Schockwirkungen an. die eine
Depression der Reflexe bewirken („Diaschisis“). Fall 5 k^nn so erklärt
w erden. Fälle längerer Dauer müssen anders interpretiert w erden (Ver-.
minderung der Reflexerregbarkeit bei totaler hoher Oue'rschrittstren-
nung). Das alnveichende Verhalten des Tonus im Fall 2 beweist,
dass zwischen Reflexen und Tonus keinesw egs ein Parallelismus besteht,
trotzdem beide Beziehungen zu sensiblen Bahnen haben müssen (Heil-
bronner). Anscheinend geht der sensible Anteil beider Vorgänge
getrennte Wege. L e w^ a n cl o w s k y s Angabe, dass bei Hemiplegie
die Reflexsteigerung nicht immer der Verteilung der Hypertonie ent¬
spricht, habe ich durch eigene Beobachtung bestätigt gefunden.
Das auffällige Schwitzen der Fälle 4 und 5 ist sicherlich nicht
als Infektionsreaktion zu deuten, es fst auch nicht der Ausdruck'neuro¬
tischer Konstitution, vielmehr dürfte es mit dem Wirbeltumor im Zu¬
sammenhang stehen. Beide Male lag ein Prozess im obersten Brustmark
vor. Manche Autoren nehmen ein Schw^eisszentrum in der Medulla
oblongata an.^ Im Fall 5 weist die Tachypnoe auf denselben Ort. Es
läge nahe, Re'izungen dieses Zentrums wie des Schweisszentrums durch
den VVirbeltumor anzunehmen (Toxine, via Zirkulationsstörungen?).
Jedoch ist dieses Gebiet noch sehr dunkel.
Zusammenfassung; Es wird neuerdings auf die Erfolge der
operativen Behandlung von Rückenmarks- und Wirbeltumoren hinge¬
wiesen. Bedingung dafür ist möglichst frühzeitige Diagnose. Es wird
auf die Gefahr zu hoher Lokalisation verwiesen und auf ihre Vermeidung.
Die Röntgenuntersuchung führt selten zum Ziel. Reflexe und Tonus er¬
folgen nicht in denselben Bahnen. Schw-eisse bei RücKenmarkstumoren
können auf Reizung der Medulla oblongata bezogen werden. Bei
Tumoren der bczeichneten Art ist das Schmerzsymptom sorgfältigst ab-
zuw ägen.
Aus dem Diakonissenkrankenhaus Marienburg (Westpr.)
(Leitender Arzt: Dr. Schnitze.)
Eine typische Erkrankung des 2. Metatarsophalangeai-
gelenkes.
Beitrag zu Alban Köhlers Mitteilung von Dr. Unger,
Assistenzarzt.
ln Nr. 45, 1920 der M.m.W. ist von Prof. Dr. Alban Köhler unter
dem Titel: „Eine typische Erkrankung des 2. Metatarsophalangeal-
gelenks“ eine eigenartige Knochen-Gelenkerkrankung beschrieben
worden. Zu den 5 Fällen, die Köhler anführt und abbildet, sind w’ir in
der Lage, einen typischen 6. Fall hinzuzufügen, der im Juli—Oktöber 1920
hier beobachtet wurde.
Von einem Trauma war anamnestisch nichts zu eruieren. Ueberhaupt
konnte Fat. über die Entstehung des Leidens nichts aussagen, sie gab nur
an, seit K> Jahr beim Gehen Schmerzen im rechten Fuss zu haben. Die
Behandlung bestand vor der Krankenhausaufnahme in Einreibungen, die keine
Besserung brachten.
Klinischer Befund; Blasses, grosses, mittelgenährtes Mädchen, 15 Jahre
alt. Cor, Pulm. ohne krankhaften Befund. Urin: Alb. 0, Sacch. 0.
Beiderseits Plattfuss. Der rechte 2. Metatarsus ist verdickt
und sehr druckempfindlich, besonders am Kapitulum. Das Röntgenbild zeigt
den 2. Metatarsus in der distalen Hälfte verdickt, das Kapitulum wie ah-
gesplittert (entsprechend der Figur V bei Alban Köhler). Die Geienktläche
erscheint abgeflacht, der Gelenkspalt verbreitert.
Pat. wurde mit Gipsverbänden mit Einschluss der Zehen behandelt. Nach
Abnahme des Gipsverbandes war sie beschwerdefrei. Sie wurde auf Wunsch
entlassen, kam jedoch schon nach '6 Tagen mit denselben Beschwerden w ie
anfänglich wieder.
Klinisch und röntgenologisch derselbe Befund wie oben. Am 28. Vlll.
wurde daher in Lokalanästhesie die Resektion des 2. Metatarsoplialungeal-
gelenks ausgeführt. Der Kapselapparat war derb, das Gelenkende weich,
im Mark graurötliches Gewebe. Die histologische Untersuchung ergab keine
Anhaltspunkte für Tbc., an die wir dachten.
Die Wunde heilte gut, am 5. X. 20 wurde Pat. entlassen. Der Gang war
nicht beeinträchtigt, die 2. Zehe stand einigermassen dorsal verschoben.
Irn Februar 1921 fand eine Nachuntersuchung statt. Pat. war beschwerde¬
frei, die 2. 1. Zehe stand jetzt gerade, war nicht empfindlich, der Gang un¬
gestört. Das Röntgenbild des rechten Fusses zeigt am 2. Metatarsus eine
scharf abgegrenzte Resektionslinie. Der linke Fuss bot röntgenologisch völlig
n§rmalen Befund.
Unser Fall ist als F r ü h s t a d i u m anzusehen und entspricht dem
in Fig. 5 abgebildeten Köhlers. Auch wir konnten 1. eine distale
Verdickung des Mittelfussknochens mit Schwund des Halses, 2. eine
leichte Abflachung des Gelenkköpfchens, 3. eine geringe aber deutliche
Verbreiterung des Qelenkspaltes und 4. eine Unregelmässigkeit der
Gelenklinie konstatieren, der Gelenkknorpel war wie abge¬
hoben.
Ueber die Ursache der Erkrankungen können auch wir nur Ver¬
mutungen pgeben. Vielleicht ist die Tätigkeit des Mädchens als Garten¬
arbeiterin in Betracht zu ziehen. Wieweit eine einseitige Belastung des
eingesunkenen Fussgewölbes (Plattfuss!) an sonst geschonter Stelle
bei dem ständigen Stehen (Arbeit des Grabens) eine Rolle spielt, lasser
wir dahingestellt. Wir erwähnen diese Ueberlegung im Hinblick auf die
Arbeit von Fromme (D.m.W. 1920 Nr. 7 „Die Ursache der Waclis-
tumsdeformitäten“), der „die Ursache der meisten Deformitäten des
Wachstumsalters in einem Missverhältnis zwischen der Belastung durch
den rasch an Gewicht zunehmenden Körper und der Belastungsfähigkeit
besonders der unteren Extremitäten sieht“. Möglicherweise wird der
rechte Fuss bei unserer Kranken mehr angestrengt und belastet als der
linke. Ein „osteochondritischer“ Prozess dürfte jedenfalls vorliegen.
Aus der chirurgischen Abteilung des Kantonsspitales Winterthur
(Chefarzt: Spitaldirektor Dr. R. Stierlin.)
Isolierte, subkutane Zerreissung der Art. iliaca externa sin.
nach stumpfer Gewalteinwirkung.
Von Dr. J. Dubs.
Subkutane Verletzungen der grossen Beckengefässe sind ausser¬
ordentlich selten. Das ist grösstenteils durch den Schutz des Becken-
knochenringes zu erklären. Unter besonderen Umständen kann aber
gerade das knöcherne Widerlager der Beckenknochen die Entstehung
einer subkutanen Zerreissung begünstigen. Wenn eine starke äussere
Gewalteinwirkung an umschriebener Stelle die grossen Beckengefässe
gegen die Kanten oder Knochenplatten des Beckenringes presst, kann
eine Ruptur durch Ueberdehnung oder direkte Berstung zustande kommen.
Es ist klar, dass eine seltene Vereinigung einer ganzen Reihe von zu¬
fälligen Momenten dazu gehört wie sie glücklicherweise nur ganz aus¬
nahmsweise gegeben sind. Einmal muss die stumpfe äussere Gewalt¬
einwirkung eine ganz erhebliche sein und an ganz umschriebener Stelle,
entsprechend der anatomischen Lage und Verlaufsrichtung der grossen
Beckengefässe zur Wirkung kommen. Weiterhin muss die Verkettung
ungünstiger Momente so weit gehen, dass ein festes Widerlager gleich¬
zeitig ein Ausweichen des Beckens verunmöglicht. Dass der knöcherne
Beckenring nach Lage der Dinge meistens mitverletzt werden wird,
ist weiter nicht zu verwundenii.
Um so merkwürdiger und eigenartiger müssen Fälle berühren, die
eine subkutane völlige Zerreissung grosser Becken-
Di gitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
615
Rcfässe nach stumpfer Oewalteinv^ irkunK bei völlig
intaktem Beckenring und ohne jede andere intra¬
peritoneale Neben Verletzung auf weisen.
Bei der Durchsicht der neueren Literatur habe ich Beobachtungen
dieser Art nicht finden können. Einzig T i 11 m a n n s (D. Chir. 62)
erwähnt kurz 3 hierhergehörige Fälle. Leider ist aus ihnen nicht mit
Sicherheit zu ersehen, ob eine begleitende Beckenfraktur vor¬
handen war oder nicht. Die Originalien sind mir nicht zugänglich. Die
aussergewöhnliche Seltenheit rechtfertigt deren kurze Wiedergabe:
Sch war tz (Bullet, de la soc. anatomique de Paris 1875, S. 398)
beobachtete eine subkutane Ruptur der Art. ihaca communis sin.
durch Stoss mit sekundärer Gangrän des linken Fusses und Unter¬
schenkels, so dass die Amputatio fern, ausgeführt werden musste. Tod
des Verletzten 4 Tage nach der Operation, 18 Tage nach dem Unfall.
Ein 33 jähriger Mann erlitt einen Stoss gegen den Bauch durch eine
Wagendeichsel. 48 Stunden nach dem Unfall ziehende Schmerzen im
ganzen linken Bein; Temperatur und SensibiHtät desselben vermindert,
Pulsation der Art. femoral. unter dem Leistenbande schwach, am
folgenden Tage nicht mehr fühlbar. Langsam sich entwickelnde Oan-
grän des linken Fusses und Unterschenkels bedingte 14 Tage nach dem
Unfall Amputatio femoris, 4 Tage später Exitus. Autopsie: Ruptur der
inneren und mittleren Schicht der Art. iliaca communis sin. mit
Obliteration und Thrombose der Iliaca und Hypogastrica sin.
Zu einer völligen (perforierenden) Zerreissung der Arterie durch
das Trauma war es nicht gekommen; daher der beschriebene, pro¬
trahierte Verlauf der Verletzung.
Fester (The Lancet 1879, Vol. II, S. 353) berichtete ebenfalls
über eine subkutane Zerreissung der Art. iliaca ext. sin. bei einem
67 Jährigen Manne durch Sturz vom Wagen. Der Pat. war sehr blass,
klagte über grosses Kältegefühl in der linken Leistengegend und im
linken Bein. Mächtiges Blutextravasat in der linken Leiste. Der Ver¬
letzte starb unoperiert unter zunehmender Schwäche 6 Stunden
nach dem Unfall durch Verblutung im Hospital. Autopsie: Grosses
Hämatom in der linken Unterbauchgegend, in der Leiste, im Hodensack
und in der Gefässgegend. Die Art. iliaca ext. sin. war in der Nähe des
Leistenbandes quer durchgerissen. Sonstige Veränderungen
fanden sich nicht.
T i 11 a u X erwähnt eine Angabe von F e s q (zit. nach T i 11 m a n n s)
über eine unvollständige, subkutane Zerreissung und Thrombo¬
sierung der Art. iliaca dext. nach Stoss einer Wagendeichsel gegen
den Bauch mit sekundärer Gangrän des rechten Beines, das amputiert
wurde. T o d in der 3. Woche.
Ashurst (Philadelphia med. Times 1875, Aug. 21) sah eine sub¬
kutane Ruptur der Art. iliaca ext. s i n. durch Fall auf die linke Leisten¬
gegend. Der Verletzte starb 11 Tage nach der Verletzung, ohne dass
ein operativer Eingriff stattfand. Autopsie: Enormes, vom Becken bis
zum Zwerchfell reichendes, subperitoneales Hämatom. Die linke Art.
iliaca ext. war unterhalb der Bifurkation zerrissen; die weit auseinander¬
gewichenen Rissenden der Arterie waren noch durch einen Teil der
Adventitia in Verbindung, das periphere Arterienende war thrombotisch
verschlossen, das zentrale war offen.
Diesen drei oder vier Beobachtungen lässt sich eine weitere an¬
reihen, die ich kürzlich hier sah:
Der 44 jährige Arbeiter Jakob R., Kranenführer in der Schweiz. Loko-
motivfabrik Winterthur stand am 27. XII. 20, vormittags 11/4 Uhr, neben einem
sog. „Kamel-Kranen“ und leitete den Fangarm des Kranens durch Herab-
drücken des sog. Reversierhebels auf die vor ihm liegende Seite, als gleich¬
zeitig von hinten her, in seinem Rücken, der schwere Tisch einer Hobel¬
maschine maschinell gegen den Kranen zu verschoben wurde, um den vom
Kranen gefassten Gegenstand aufzunehmen. Der schwerhörige Patient
hörte das Herannahen des Tischschlittens nicht, wurde in Beckenhöhe von
rückwärts her von diesem erfasst und gegen den Griff des Rever-
sierhebels gedrückt, so dass die linke Beckengegend bis auf eine
Distanz von 8—9 cm zwischen der eisernen Tischplatte und dem Hebelgriff
eingeklemmt wurde. Der eiserne Hebelgriff wurde dabei in einer Höhe von
96—98 cm vom Boden weg in die linke Leistengegend mit einer solchen
Gewalt eingepresst, dass er nachher stark verbogen war. Nachdem der Patient
aus der Einklemmung losgelöst werden konnte, fiel er sofort bewusstlos zu¬
sammen. Wegen innerer Blutung sofortiger Transport in das Kantonsspital
Winterthur, wo er ca. 14 Stunde nach dem Unfall anlangte.
Befund: Extrem anärpisch aussehender Mann, der bewegungslos da¬
liegt und auf keinerlei Reize reagiert. Der ganze Körper fühlt sich kühl an.
Stirne mit kaltem Schwei.ss bedeckt. Puls an de*r Radialis gar nicht, an der
Karotis ganz schwach zu fühlen. Herztöne nicht zu hören. Herzaktion sehr
rasch. Atmung beschleunigt und oberflächlich. Am Oberkörper nichts Be¬
sonderes ausser einigen Schürfungen an der Nase, an der Oberlippe, am Kinn.
Am Bauche keine offene Wunde, ln der linken Leistengegend, unter
der völlig Intakten Haut eine mächtige Anschwellung, die im grossen und
ganzen die Richtung des P o u p a r t sehen Bandes einhält, ausserdem aber
noch weit nach oben bis gegen die Nabel- und Rippenkorbrandgegend zii
ausläuft. Sie schimmert durch die Haut stark bläulich durch. Der linke
Oberschenkel gegenüber rechts stark verdickt, bläulichrot marmoriert. Haut
am ganzen linken Bein kühl. Links kann keine Spur einer Pulsation der
Femoralis festgestellt werden. Diagnose: Verletzung der linksseitigen lliakal-
gefässe.
Der Patient wird sofort auf den Tisch gelegt und die Bauchaorta durch
die intakt|n Bauchdecken von einem Assistenten manuell fest komprimiert.
Jod-Alkohol-Desinfektion, ganz wenig Narkose. Schnitt parallel und oberhalb
des linken Lcistenbandes über die Höhe des Hämatoms. Nach Spaltung der
Haut stürzt schwallweise teils flüssiges, teils geronnenes Blut hervor,
schätzungsweise über 1 Liter. Die Bauchmuskeln und die Bauchfellduplikatur
werden stumpf nach oben geschoben. In der Tiefe der Hämatornhöhle 'kommt
nach raschem Austupfen zunächst die Vena iliaca externa sin. zum
Digitized by Goiisle
Vorschein. Sie ist in der Kontinuität erhalten, weist aber ein feines Loch
auf, aus dem Blut herausspritzt. Sofortige Ligatur derselben. Sodann ent¬
deckt man das zentrale Ende der total durch gerissenen .Art.
iliaca externa sin. Bei andauernder manueller Kompression der Bauch¬
aorta sickert Blut nur tropfenweise daraus hervor, stürzt aber beim ge¬
ringsten Nachlassen im Strahl hervor. Abklemmen und Ligatur des zentralen
und peripheren Arterienstumpfes. Die Blutung steht vollständig. Während¬
dessen intravenöse Kochsalzinfusion. Puls und Atmung setzen trotzdem aus
und der Patient macht auf dem Operationstisch Exitus.
Autopsie (Protokollauszug): Fraktur des rechten Nasenbeines. Brust-
und Bauchhöhle sowohl hinsichtlich ihrer Wandungen als ihres Inhalts
völlig intakt. Keine intraperitonealen Verletzungen des Darmtraktus
oder der parenchymatösen Organe. Blase und Urethra intakt. Anfangsteil der
Aorta ascendens zeigt minimale Spuren von Atheromatose; sonst sind nir¬
gends arteriosklerotische Veränderungen nachzuweisen. Kapsel der linken
Niere mässig blutdurchtränkt. In der Hämatomhöhle die beiden ligierten
Stümpfe der Art. iliaca externa sin. Die Zerreissungsstelle ent¬
spricht ziemlich genau der U e b e r k r e u z u n g s s t e 11 e der
Iliaca externa mit der Linea arcuata des linken Darm¬
beines. Ueber dem M. ileopsoas sin. ein Hämatom bis gegen das Zwerch¬
fell hinauf. Ausserdem Pcripleuritis, Tuberkulose beider Lungenspitzen. Be¬
ginnende Leberzirrhose. Allgemeine Anämie sämtlicher Organe.
Die tödliche Verletzung der Iliaca externa sin. ist in unserem Falle
also wohl dadurch zustande gekommen, dass der mit riesiger Gewalt an¬
greifende eiserne Griff des Reversierhebels ausgerechnet an der Ueber-
kreuzungsstelle der Arterie mit dem Darmbeinkanal das Arterienrolir
gegen die scharfe Knochen kante presste und durch-
quetschte. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass sämtliche
Knochen des Beckens völlig intakt und ohnojede Fraktur¬
linie befunden worden sind. Das Becken wurde noch extra heraus-
genommeri, skelettiert und mazeriert: nicht die Spur einer
Frakturlinie!
Dass solche total perforierende Arterienverletzungen wohl fast
immer auch bei relativ rascher operativer Hilfeleistung durch den
enormen Blutverlust tödlich sein werden, zeigt gerade unsere Beob¬
achtung. Vielleicht dass bereits an der Unfallstelle selbst
zielbewusst einsetzende manuelle oder instrumenteile (Momburg!)
Kompression der Bauchaorta bis zum Momente der operativen Frei¬
legung der Zerreissungsstelle den Patienten hätte retten können. Von
den in der Literatur angeführten Fällen von subkutaner Verletzung der
Iliakalgefässe ist jedenfalls keiner davongekommen. Es muss neuer¬
dings gesagt werden, dass mindestens die Fälle von Fester und
Ashurst, die unoperiert starben, durch raschen Eingriff nach Lage der
Dinge wohl zu retten gewesen wären.
Einigermassen auffallend, aber wohl mehr zufällig ist die Tatsache,
dass alle fünf hier erwähnten Fälle von subkutaner Zerreissung der Iliaca
externa bis auf einen die Verletzung auf der linken Seite aufwiesen.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Breslau.
(Direktor: Geh. Rat Prof. Dr. Küttner.)
Universal-RSntgentisch mit Durchleuchtungsvorrichtung
fOr chirurgische Diagnostik*).
Von Dr. Otto Hahn, Assistent der Klinik.
Im Gegensatz zum Internisten, der seine Patienten meist sitzend
und stehend durchleuchten kann, macht bei dem Chirurgen in den
meisten Fällen schon die Art des Leidens ein derartiges Verfahren un¬
möglich. Patienten mit schmerzhaften Frakturen und vielen anderen
Knochenleiden können meist nicht längere Zeit vor dem Durchleuchtuiig.s-
schlrme stehen oder sitzen. Dies, sowie der Umstand, dass die feineren
Differenzierungen der Knochenstruktur, die für die chirurgische Diagnostik
in vielen Fällen Grundbedingung ist, auf dem Schirme nicht genügend
zum Ausdruck kommen, ist der Grund, dass man sich in der Chirurgie
. daran gewöhnt hat, immer Röntgenaufnahmen zu machen. Gegen ein
solches Verfahren war in früherer Zeit nichts einzuwenden. Heute jedoch
sind die Plattenpreise zu solcher Höhe gestiegen, dass wir uns doch ge¬
nötigt sehen, die Zahl der Aufnahmen bei chirurgischen Erkrankungen auf
ein Minimum zu beschränken und im übrigen auch hier von der Durch¬
leuchtung ausgiebig Gebrauch zu machen. Schon der Ersatz der grossen
Zahl der Kontrollaufnahmen durch die Durchleuchtung bedeutet eine
enorme Kostenersparnis.
Nun haben wir ja in dem Trochoskop bereits ein Instrumentarium,
das uns gestattet am liegenden Patienten Durchleuchtungen vorzunehmen.
Es ist dies bekanntlich eine Vorrichtung, mit deren Hilfe die Röntgen¬
röhre unter der Tischplatte angebracht wird. Das Bild wird auf einem
über dem Tisch, d. h. auf dem Patienten fixierten Schirm aufgefangen.
Diese Art der Durchleuchtung hat aber zwei besondere Nachteile. Einmal
lässt es sich kaum vermeiden, dass der Beobachter sich direkten Strahlen
aussetzt und sich dadurch, besonders in grösseren Betrieben, dauernde
Schädigungen zuzieht und zweitens ist ein aseptisches Operieren — dazu
ist die Vorrichtung hauptsächlich erdacht — geradezu unmöglich: denn,
um nicht zu starke Verzeichnungen zu bekommen muss der Schirm
natürlich möglichst nahe an das betreffende Objekt, d. h. an das Ope¬
rationsfeld herangebracht werden. Dabei sind die Asepsis beeinträch¬
tigende Berührungen auch bei grösster Vorsicht kaum zu vermeiden.
In jüngster Zeit haben wir uns nun für unser Lilienfeldinstrumentarium
einen Röntgentisch Herstellen lassen, der sowohl der Aufnahme als aucli
*) Die Neuerungen sind geschützt.
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
616
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIfT.
Nr. 20.
der Durchleuchtung dienen soll. Geleitet wurden w'ir dabei von dem Be¬
streben, den Tisch so zu konstruieren, dass er ohne bei der Durchleuchtung
die Nachteile der Trochoskopie aufzuweisen, möglichst allen Anforde¬
rungen der modernen chirurgischen Diagnostik entspricht.
Der Tisch ist, wie gesagt, für das Lilienfeldinstrumentarium gebaut,
lässt sich aber auch für die anderen Systeme ohne weiteres verwenden.
Grundlegend für den äusseren Bau war der vielbewährte Tisch
Albers-Schönbergs mit seiner Vorrichtung zum Hoch- und Tief¬
stellen, jedoch haben wir diese. Vorrichtung nach zwei Seiten modi¬
fiziert. Statt der Zahnradübertragung haben wir eine in der Herstellung
billigere Konstruktion gewählt. Die Tischplatte wird bei uns durch
Drahtseile, die sich auf Trommeln aufwickeln, in die Höhe gehoben. Die
zweite Modifikation besteht darin, dass wir Kopf- und Fussteil der Platte
erheblich höher stellen können, als dies bei dem Albers-Schön-
bergschen Tisch der Fall ist (s. Abb. 1 u. 2).
Abb. 2.
Besonders darauf wMrd grosses Gewdcht gelegt und die Tischhöhe für
diese Einrichtung bis zum äussersten ausgenützt. Wir sind dadurch in
den Stand gesetzt, nach Anlegung des Pneumoperitoneums den Sauerstoff
in schonendster Weise bei auf dem Tisch liegenden Patienten w^anderii
zu lassen. Die Verstellbarkeit der Tischplatte hat ausserdem noch für
das Lilienfeldinstrumentarium einen besonderen Vorteil. Bekanntlich soll
die Lilienfeldröhre nie ganz horizontal gestellt werden, sondern es soll
immer der die Wasserkühlung tragende Pol etwas höher stehen als der
andere, damit die Antikathode auch beim Kochen des KühKvassers
dauernd bespült wärd. Durch dieses Schiefstellen der Röhre ändern wdr
aber auch die Richtung des Zentralstrahles, der den zu durchleuchtenden
Körper nicht mehr senkrecht, sondern in einem Winkel, dem Neigungs¬
winkel der Röhre passiert. Diesen Missstand können wir an unserem
Tisch dadurch beseitigen, dass wir die Tischplatte der Röhre parallel
stellen. Zur genaueren Einstellung haben wir an der Seite einen kleinen
Winkelmesser angebracht, der uns mit Hilfe eines Lotes jeweils die
Neigung der Tischplatte angibt. Ein ebensolcher Winkelmesser befindet
sich an dem Röhrengehäuse der Lilienfeldröhre. Durch Vergleich der
beiden lässt sich Röhre und Tischplatte mit leichter Mühe parallel
stellen und so erreichen, dass der Zentralstrahl den Körper in der ge¬
wünschten Richtung durchdringt.. Diese Einrichtung ist bei der Lilien¬
feldapparatur zur genauen Fremdkörperbestimmung unerlässHch.
Die Nachteile des Trochoskopes haben wir durch die auf Abb. 3
erkennbare Vorrichtung beseitigt: Unter der Tischplatte befindet sich,
Abb 3.
auf Schienen beweglich, ein seitlich offener Kasten, der oben einen Aus¬
schnitt von 30 X 40 cm Grösse hat. Dieser Ausschnitt dient zur Auf¬
nahme eines Durchleuchtungsschirmes mit der Schichtseite nach unten.
Die Röhre befindet sich wde bei der Aufnahme über dem Tisch und gibt
in 60 cm Abstand kaum Störungen der Asepsis. Das beim Einschalten
der Röhre auf dem Durchleuchtungsschirm entworfene Bild wird durch
einen in dem Kasten in geeigneter Stellung angebrachten Spiegel auf
einen zw^eiten Spiegel projiziert, der seitlich am Kasten angebracht über
den Tischrand herausragt. Hier kann man im Schutze vor direkten
Strahlen das auf dem Schirm entworfene Bild betrachten.
Da die Holzfaserung der Tischplatte dieses Bild etwas verschleiert,
haben wir uns einen Segeltuchrahmen angefertigt, der beliebig an jeder
Stelle der Tischplatte angebracht werden kann, da diese sich aus ein¬
zelnen, herausnehmbaren Brettern zusammensetzt.
In der in der Abb. 3 dargestellten Einstellung wird man den Tisch
verwenden, wenn es sich darum handelt, Fremdkörper operativ zu ent¬
fernen. Dieselbe Einstellung dient uns auch zur Reposition von Frak¬
turen, die wir bis zur Anlegung des fixierenden Verbandes dauernd in
dem die Ti^hplatte seitlich überragenden Spiegel kontrollieren können
Handelt es sich um einfache Durchleuchtungen am liegenden •
Patienten, so nehmen wir den seitlichen Spiegel mit leichter Mühe weg
und können nun dadurch, dass sowohl der Durchleuchtungsspiegel als
auch der Tisch selbst auf Schienen leicht verschieblich ist, ohne die
Stellung der Röhre zu verändern, im Schutze der direkten Strahlen neben
dem Tisch sitzend den Patienten beliebig untersuchen.
Abb. 4. •
Soll der Patient im schrägen Durchmesser durchleuchtet w’erden,
so verwenden wir die in Abb. 4 dargestellte Vorrichtung, die mit ein¬
fachem Mechanismus gestattet, dem Körper jede beliebige Schräglage
zu geben. Sie ist ausserdem so konstruiert, dass ohne Aenderung in der
Digitized by
Go gle
UNI’-
Original frorri /
y “J!" CAL “'J \NI^
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
617
Lage des Patienten eine Folienkassette 24 • 30 leicht eingeschoben
werden kann, um etwa einen interessanten Durchleuchtungsbcfund gleich
auf der Platte zu fixieren. Horizontal geschaltet dient sie uns ausserdem
noch zur Anfertigung stereoskopischer Bilder und hat dem gewöhnlich ver¬
wendeten Papprahmen gegenüber den Vorteil, dass beim Herausziehen
der Kassette eine Verschiebung des Rahmens nicht mehr eintreten kann.
Neuerdings haben wir aus eben den genannten Sparsamkeitsgründen
Versuche unternommen, das auf den Schirm entworfene Bild zu photo¬
graphieren, um auf diese Weise die grosse und teure Röntgenplalte
durch die kleine und dementsprechend billigere photographische zu er¬
setzen. Die Versuche sind allerdings noch nicht zum Abschluss ge¬
kommen, doch scheint mir das Problem jedenfalls lösbar. Abb. 5 zeigt
.\bb. 5.
eine auf diese Weise gewonnene Aufnahme eines skelettierten Armes in
natürlicher Grösse. Die Aufnahme ist mit einer gewöhnlichen Kamera
mit Hilfe des Spiegeldurchleuchtungsschirmes angefertigt und berechtigt
wohl zu der Hoffnung, dass es uns auch noch auf diesem Wege gelingen
wird, die enormen Kosten des Röntgenverfahrens herabzusetzen.
So glauben wir denn mit unserem Röntgentischmodell allen chirur¬
gisch diagnostischen und wirtschaftlichen Anforderungen soweit als
irgend möglich gerecht zu werden. In unserem klinischen Betrieb hat
sich der Tisch bis jetzt ausgezeichnet bewährt.
Für die Praxis.
Ueber^die Behandlung der puerperalen Mastitis.
Von A. Krecke in München.
Wenn man viele Brustdrüsen zu Gesicht bekommt, so fällt auf,
wie verhältnismässig häufig als Folgezustände von“puerperalen Drüsen¬
entzündungen ausgedehnte Narbenbildungen und Schrumpfungen der
Brustdrüse zurückgeblieben sind. Musste ich es doch erst neulich er¬
fahren, dass ein Kollege auf dem Lahde bei einer eitrigen Brustdrüsen¬
entzündung die ganze Brustdrüse durch einen Kreuzschnitt wie einen
Karbunkel gespalten und die vier Lappen auseinandergeklappt hatte.
Die vor 16 Jahren von Bier eingeführte Behandlung der Mastitis
mit Stauungshyperämie (Saugbehandlung) scheint noch nicht so All¬
gemeingut der Aerzte geworden zu sein, dass die frühere Methode der
ausgiebigen Spaltungen vollkommen verdrängt wäre. In einem Teil
unserer neuen Lehrbücher wird allerdings die Stauungsbehandlung wohl-
w’ollend besprochen und von Perthes als das Verfahren der Wahl
empfohlen. Nach den Ausführungen von A n g e r e r in dem Handbuch
der Chirurgie soll jedoch diese Methode nur bei umschriebenen Eite¬
rungen angewendet werden, während bei den schw^eren phlegmonösen
Eiterungen ausgedehnte Inzisionen für notwendig erklärt werden.
Auch die Mitteilungen aus der Praxis lauten verschieden. Während
einige Autoren begeisterte Anhänger der Methode sind, verwerfen sie
andere vollständig und empfehlen Rückkehr zu den alten ausgedehnten
Inzisionen.
Nach meinen jetzt 14 Jahre hindurch an 59 Fällen gemachten Er¬
fahrungen muss ich die Saugbehandlung als ein durchaus zuverlässiges,
für die Kranken angenehmes, die Funktion der Brustdrüse in beste*-
Weise erhaltendes Verfahren empfehlen. Ich habe in den 59 Fällen auch
nicht einen einzigen Misserfolg erlebt.
Die Art des Verfahrens ist folgende: Solange nur eine einfache
entzündliche Schwellung der Brustdrüse besteht, die Temperaturen nicht
besonders hoch sind, und kein Eiter nachweisbar ist, genügt die ein¬
fache Saugbehandlung. Zu dieser Saugbehandlung benötigt man eine
grosse 12—15 cm im Durchmesser haltende Saugglocke, die durch einen
Oummischlauch mit einer Aspirationsspritze verbunden ist. Der Rand
der Glocke wird mit Vaselin gut bestrichen, und die Glocke so rings
um die Brustdrüse herum aufgesetzt, dass die Drüse darin gut Platz hat.
Durch entsprechend langsames Saugen vermittels der Spritze wird
die Drüse langsam in die Lichtung der Glocke hineingezogen (s. Abb.,
aus Joseph, Hyperämiebehandlung). Die Drüse schwillt dabei stark
an, und die Haüt wird dunkelblaurot. Der Grad des Saugens richtet sich
vornehmlich nach den Empfindungen der Kranken. Man saugt solange.
bis die Patientin über unangenehme Empfindungen in der Brust klagt.
Auf keinen Fall darf die Stauung so weit ausgedehnt werden, dass die
Patientin wirkliche Schmerzen empfindet.
Hat die Saugglockc 5 Minuten gelegen, so wird das in den Schlauch
eingelassene Ventil geöffnet. Sofort dringt Luft in die Glocke ein und
die Brustdrüse füllt zusammen. Die Glocke wird dann für 3 Minuten
entfernt und dann wiederum aufgesetzt. Neuerliches Ansaugen der
Brust für 5 Minuten, 3 Minuten Pause. So wiederholt sich Saugen und
freier Zwischenraum etwa 6 mal, so dass täglich 1 oder 2 mal je
'% Stunden die Saugbehandlung angewendet w-ird.
Nach Beendigung der Saugbehandlung kommt über die Brust ein
einfacher nasser Umschlag von essigsaurer Tonerde oder ein Salben¬
läppchen, und die Brust wird durch einen entsprechenden Verband
hochgebunden.
Vermittels dieses Verfahrens gelingt es in frischen, noch nicht
weit vorgeschrittenen Fällen zweifellos, die Entzündung zum Rückgang
zu bringen und die drohende Eiterung aufzuhalten. Es ist aber unbedingt
notwendig, vom Beginn der Behandlung ab sowohl die örtlichen w'ie
die allgemeinen Erscheinungen genau zu beobachten und sorgfältigst
auf eine Eiteransammlung zu fahnden. Es wäre grundfalsch anzunehmen,
dass ein wirklich vorhandener Eiter durch die Saugbehandlung zum
Verschwinden gebracht werden könnte. Das ist auch, wie betont w'erden
muss, von Bier nie angenommen w orden. Sobald die deutlichen
Zeichen des Eiters vorhanden sind, muss unbedingt dem Eiter Luft ge¬
macht werden.
Die deutlichsten Zeichen des Eiters bestehen einmal in einer
höheren Temperatursteigerung und zweitens in einer Zunahme der ört¬
lichen Erscheinungen. Fühlt sich die Kranke nach dem Saugen nicht
wesentlich erleichtert und klagt sic vor allen Dingen in der Nacht über
Schmerzen in der Brust, so kann man mit grosser Wahrscheinlichkeit
das Vorhandensein von Eiter in der Brust annehmen. Die Wahrscheiil-
lichkeit wird grösser, wenn sich die örtliche Schwellung und Schmerz¬
haftigkeit ausbreitet. Fluktuation braucht dabei nicht immer vorhanden
zu sein. Ein tief gelegener Eiterherd muss vom Arzt erkannt werden,
auch ohne dass' Fluktuation vorhanden ist.
Die Eröffnung eines solchen Eiterherdes geschieht nun, und das
ist das Wesentlichste des Verfahrens, nicht vermittelst der früher emp¬
fohlenen radiären Schnitte, durch welche der ganze Eiterherd freigelegt
und das Brustdrüsengewebe weithin durchtrennt w'urdc, sondern mit
Hilfe einer ungefähr 2 cm langen Stichinzision. Früher war es
Vorschrift, nicht nur die Eiterhöhle ausgiebig freizulegen, sondern man
hielt es auch für notwendig, mit dem Finger alle Buchten der Höhle
sorgfältig abzutasten und an allen entfernteren Punkten Gegenöffnungen
ebenfalls in ausgiebigem Masse anzulegen. Jetzt genügt eine einfache
kleine Stichinzision im Zusammenhang mit der Saugbehandlung, um eine
völlige Ableitung: auch grösserer Eiterhöhlen zu ermöglichen und deren
Ausheilung herbeizuführen.
Liegt der Eiterherd oberflächlich, was immer dann der Fall ist.
wenn deutliche Fluktuation nachw'eisbar war, so ist eine Trockenlegung
der Wunde mit Hilfe von einem antiseptischen Mull oder einem Gummi¬
rohr nicht notwendig. Liegt der Eiterherd aber tiefer, d. h. muss man
bei der Inzision durch eine grössere Schicht nicht vereiterten Drüsen-
gew'ebes hindurchgehen, so ist es ratsam, für die nächsten Tage ein
Gummirohr — keinen Tampon! — einzuführen. Man macht das am
besten in der Weise, das« man entlang dem Messer eine stumpfe Zange
in die Eiterhöhle einführt und entlang dieser das Gummirohr vorschiebt.
So ist eine gute Entleerung des Eiters gewährleistet.
Die Eröffnung oberflächlicher Herde kann man mit örtlicher Be¬
täubung von Chloräthyl vornehmen. Bei tiefer gelegenen Herden
jedoch ist unbedingt eine leichte Allgemeinnarkose erforderlich, w'ozu
sich am besten der in neuerer Zeit so beliebt gewordene Chlor-
äthylrausch eignet. Bei empfindlichen Patientinnen ist es ratsam,
auch die oberflächlichen Abszesse im Chloräthylrausch zu eröffnen.
Es kann nicht genug geraten werden, vor Beginn des Chloräthyl-
rausches, den jede einigermassen intelligente Schwester oder Hilfs¬
person ausführen kann, alles zur Inzision notwendige soweit vor¬
zubereiten, dass sofort bei Eintritt der Betäubung der Einstich erfolgen
kann.
Ist der Eiter entleert, so bestehen keine Bedenken, mit der Saug¬
behandlung sofort zu beginnen. Ist die Blutung aus der kleinen Wunde
eine heftigere, so soll man lieber bis zum Abend oder bis zum nächsten
Morgen w'arten und dann die Behandlung vornehmen.
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
618
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
So lange die Patientin Fieber hat oder ein schweres Krankheitsbild
darbietet, muss sie unbedingt im Bett liegen bleiben. Lassen die
allgemeinen örtlichen Entzündungserscheinungen nach, so bestehen keine
Bedenken, die Kranke aufstehen und in die Sprechstunde gehen zu lassen.
Wir haben derartige Kranke wochen- und monatelang in der Sprech¬
stunde behandelt. Die Dauer der Behandlung ist eine ziemlich
beträchtliche. Es unterliegt keinem Zweifel, dass sie eine längere ist,
wie die der früheren Behandlung mit den grossen Einschnitten. Von
manchen Autoren ist das als ein Nachteil des Verfahrens bezeichnet
worden. Wenn man dem gegenüber aber bedenkt, dass das Verfahren
selbst ein viel weniger eingreifendes und für die Patientinnen ange¬
nehmeres ist, dass es die Form und Funktion der Brust vollkommen
erhält und nur kleine, nach einem Jahr kaum sichtbare Narben zurück¬
lässt, so wird man die Verzögerung der Behandlung gerne mit in den
Kauf nehmen. Die Kranken sind ganz dieser Anschauung, das beweist
die Geduld, mit der sie sich der oft recht langwierigen Behandlung
unterziehen.
Haben die kranken Frauen genügend Milch, und macht das
Stillgeschäft ihnen keine Beschwerden, so bestehen keinerlei Be¬
denken das Kind an der Brustdrüse trinken zu lassen. Wir haben
auch bei ausgedehnten Eiterungen das Kind angelegt und keine Miss¬
erfolge davon weder für die Mutter noch für das Kind gesehen. Es
scheint sogar, dass das Saugen des Kindes günstig auf die Beseitigung
der Entzündung einwirkt.
Das Auftreten von neuen Eiterherden ist nicht ganz selten.
Auch das ist vielleicht ein Nachteil gegenüber dem Verfahren mittels der
ausgedehnten Inzisionen. Wenn man aber die Kranke sorgfältig be¬
obachtet und jeden frisch sich bildenden Eiterherd baldigst in gleicheiN
Weise eröffnet, so kann ein Nachteil aus einem.solchen neu sich bilden¬
den Abszess nicht bestehen.
ln der Regel zeigen sich die wohltätigen Folgen der Saugbehandlung
unmittelbar. Die entzündliche Schwellung der Brust lässt nach, die
Schmerzen hören vollkommen auf, und das Allgemeinbefinden hebt sich.
Die Absonderung aus der Stichinzision ist während der ersten Tage
eine recht beträchtliche, wird beim Aussaugen oft noch lebhafter, lässt
aber bei günstigem Verlauf schon nach einigen Tagen nach., Auch beim
Versiegen der Eiterung und beim Schluss der kleinen Wunde ist es not¬
wendig die Saugbehandlung so lange fortzusetzen, bis das Filtrat in der
Brust möglichst weich und unbedingt ganz empfindungslos geworden
ist. Erst dann darf man die Saugbehandlung aussetzen, wird aber gut
tun, zunächst noch zwei- oder dreimal wöchentlich die Patientin zur
weiteren Behandlung wieder zu bestellen.
Wie schon oben betont, habe ich persönlich mit dem Verfahren
unter 59 Fällen keinen einzigen Misserfolg erlebt. Es w'aren darunter
recht schwere Fälle, mit phlegmonösem Charakter, die wegen der hef¬
tigen Erscheinungen in die Anstalt aufgenommen werden mussten. In
nicht wenigen Fällen waren mehrere Stichinzisionen erforderlich, und
nicht allzu selten war einige Tage nach der ersten Inzision noch eine
weitere Inzision vorzunehmen. In allen Fällen ist es aber gelungen, unter
sorgfältiger Beobachtung der obengenannten Regeln die Brustdrüse
völlig zur Heilung zu bringen, ohne dass eine grössere Inzision gemacht
werden musste.
Von anderen Autoren ist bekanntlich darauf hingewiesen worden,
dass bei schweren septischen Mastitiden das Verfahren
nicht genügt, und auch Eugen Joseph, der sonst ein so warmer Für¬
sprecher des Verfahrens ist, ist der Anschauung, dass in solchen Fällen
oft nur die Abtragung der Brustdrüse Erfolg verspricht Unter meinen
Fällen waren allerdings solche schwere Fälle nicht vertreten. Es ist
aber wohl zu verstehen, dass ein solch ungünstiger Fall das Verfahren
diskreditieren kann, und so erklärt sich auch wohl, dass A n g e r e r der
Saugbehandlung nicht freundlich gegenüberstand, da er, wie
Bestelmeyer berichtet, in einem derartigen Falle die Bier sehe
Behandlung vollkommen erfolglos bleiben sah.
Auch bei chronischen F ä 11 e n, bei denen Joseph u. a. einen
ungünstigen Erfolg des Verfahrens gesehen haben, hat sich bei mir die
Saugbehandlung aufs beste bewährt. Insbesondere möchte ich da einen
Fall erwähnen, der mir 12 Wochen nach Beginn der Erkrankung zur Be¬
handlung zugewiesen wurde, und bei dem ich von vielen Seiten zur aus¬
giebigen Inzision und manchmal sogar zur Entfernung der Brust gedrängt
wurde. Ich habe auch hier die Saugbehandlung konsequent durchgeführt.
Die Kranke blieb 2 Monate in der Anstalt und verliess dieselbe gebessert,
allerdings nicht vollkommen geheilt. Die Heilung ist aber nach einiger
Zeit doch eingetreten, wie ich glaube, auf Grund der bei uns durch¬
geführten Saugbehandlung. Die Patientin selbst glaubt allerdings die gute
Heilung auf eine später durchgeführte homöopathische Behandlung
zurückführen zu sollen. Jedenfalls glaube ich für die Saugbehandlung
den Vorzug beanspruchen zu müssen, dass sie die Kranke vor einer
weiteren entstellenden Operation bewahrt hat.
Von der von Bier mit viel scharfsinnigen und eigenartigen Ueber-
legungen aufgebauten Hyperämiebehandlung wird sich vielleicht nicht
alles so erhalten, wie man anfangs geglaubt hat. Wenn aber auch nur
die Hyperämiebehandlung der puerperalen Mastitis übrigbleiben sollte,
so wäre das eine glänzende Tat, die nicht hoch genug eingeschätzt
werden kann. Gelingt es doch mit ihrer Hilfe vielen kranken Frauen in
schonendster und wenig entstellender Weise die normale Form und
Funktion ihrer Brustdrüse zu erhalten.
Soziale Moiilzli und sorztuciie standesinDeieooDiieiteD.
Zur Frage:
„Pensionsversicherung der bayerischen Aerzteschafl“.
Von Sanitätsrat Dr. Grassmann.
In Nr. 18 des Bayer. Aerztl. Korr.-Blattes bat der I. Vorsitzende
unseres Landesausschusses, Kollege S t a u d e r - Nürnberg, zu der bren¬
nenden Frage, wie sich gegenüber der Not der Zeit die wirtscbaftuchc
Zukunft der Aerzte und ihrer Familien in wirksamer Weise sichern
lassen werde, in einem höchst beachtenswerten Artikel Stellung ge¬
nommen. Wenn St. eingangs schreibt: „kein Rasten von der Arbeit
gibt es für uns nach getanem Lebenswerk, keinen frohen Lebensabend,
der sorglos ausklingt, die Aerzteschaft kann nicht von ihren Erspar¬
nissen leben“ —, so hat er'damit nur einer Ueberzeugpg Ausdruck ge¬
geben, die sich in kürzester Zeit bei allen Aerzten des niedergebroche^n
Deutschland unumstösslich bilden wird. Sie ist wohl schon da. Mil
Recht setzt St. auseinander, dass die bisher bestehenden Versicherungs-
einrichtungen, wie der Pensionsverein für Witwen und Waisen der
bayer. Aerzte, die Versicherungskasse für die Aerzte Deutschlands, aber
auch sonstige Arten der Versicherung, besonders soweit sie auf dem
Grundsatz der Kapitaldeckung ihrer Leistungen an die Versicherten sich
aufbauen, in heutiger Zeit ihren Zweck durchaus nicht mehr erfüllen
können. Als derzeitiger I. Vorsitzender des Pensionsvereins für die
Witwen und Waisen der bayer. Aerzte muss ich das vollkommen unter¬
schreiben, die Leistungen aus dem Zinsengenuss eines etwa 2 Millionen
betragenden Kapitals, wie es z. B. unser Pensionsverein besitzt, sind im
Verhältnis zur Entwertung des Geldes minimale, sie kommen eigentlich
gar nicht mehr in Betracht. Wenn unser Verein bei einfacher Versiche¬
rung für eine Witwe mit 2 Kindern eine Jahrespension von 420 M. und
dazu, je nach Ausfall des Jahres, 200 bis 250 M. Dividende leisten
kann, bei Doppelversicherung etwas über 1000 M. für den nämlichen
Fall, wenn eine Witwe mit 5 Kindern bei einfacher Versicherung nicht
ganz 1000 M. Jahrespension erzielt, die nur bei Doppel Versicherung auf
über 1500 M. ansteigt — dann weiss mindestens jeder Hausvater, dass
die Vorsorge des verstorbenen Familienoberhauptes kaum mehr erzielt
hat, als für ein Kind einen Anzug zu beschaffen. Genug. Das Vorgehen
der Frankfurter Aerzte (Eintritt sämtlicher Aerzte in eine Privatver¬
sicherung mit 20 000 M. Versicherungssumme, die im Falle des Todes
oder mit dem 65. Jahr ausbezahlt wird), erfordert 1. eine immerhin
recht ertiebliche Höhe des Prämiensatzes, 2. ist die schliessliche Aus¬
zahlung einer solchen Summe, welche erfahrungsgemäss rasch ver¬
braucht zu werden pflegt, wenn sie nicht schon zum voraus — ver¬
pfändet sein wird, ein Tropfen auf einen heissen Stein. Die tatsäch¬
lichen Früchte jeder Kapitalansammlung, mögen sic nun einem Ein¬
zelnen oder einem gemeinnützigen Vere.in angehören, scheinen für
absehbare Zukunft kaum viel nützlicher werden zu sollen, wie wenn man
Papiergeld in einer Pappschachtel im Walde als Spargeld vergraben
wollte. Unter diesen vernichtenden Ausspizien jeder Versicherung,
weiche auf der Methode der Kapitalansammlung ui^ der — allerdings
gesicherten, aber gänzlich unzulänglichen — Nutzniessung ihrer Zinsen
aufgebaut ist, kann die Zukunft unserer Familien und unsere eigene
nicht auf längere Zeit verharren.
Nun veröffentlicht St. hier zuerst das vorläufige Ergebnis von Be¬
sprechungen, welche er schon seit längerer Zeit, angeregt durch ihm
zur Hand gekommene Satzungen des Bayer. Versorgungsverbandes, mit
dem Präsidenten der Bayer. Versicherungskammer gehabt hat. (Letz¬
terer ist der Bayer. Versorgungsverband angegliedert.) Präsident
Dr. V. En giert gab die Bereitwilligkeit bekannt, dem Bayer. Ver¬
sorgungsverband eine Zweigstelle anzugliedem für die Versicherung des
ganzen ärztlichen Standes. Das liest sich einfach. Um zu beurteilen,
welche Perspektiven sich hiedurch für den ärztlichen Stand in Bayern
eröffnen, muss kurz die Einrichtung des Bayer. Versorgungsverbandes dem
Stander sehen Aufsatz entnommen werden. Dieser hat den Zweck,
für alle Gemeinden Bayerns, für gemeinnützige Vereine und Anstalten
die Versorgung ihrer Angestellten und Hinterbliebenen mit dem Zwedk
gegenseitiger Ausgleichung der Kosten zu übernehmen. Der Bayr.
Versorgungsverband stellt demnach, wie St. ausführt, für die Stadt- und
Distriktsgemeinden Bayerns eine Rückversicherung dar für die gesamten
Pensionen, welche von diesen Gemeinden und Verbünden, Vereinen,
Anstalten an ihre Invaliden oder im Ruhestand befindlichen Beamten
und deren Hinterlassenc auszuzahlen sind. Aufgebaut ist aber diese
hier nur im Umriss angedeutete Leistung nicht auf dem Grundsatz der
Kapitalsdeckung, sondern auf einem gänzlich verschiedenen System,
jenem der Deckung der Leistung durch Umlagen. Bezüglich
der genaueren Angaben über die Leistungsfähigkeit des Bayer. Ver¬
sorgungsverbandes auf dieser Grundlage muss ich auf den Stauder¬
schen Artikel verweisen, er bringt hinlängliches Zahlenmaterial. Hier
sei nur erwähnt, dass für die betreffenden Beamtenkategorien in den
ersten 10 Dienstjahren 35 Proz. der Besoldung als Ruhegehalt geleistet
werden, mit zunehmenden Dienstjahren schliesslich ansteigend bis
75 Proz. Dazu Sterbegehalte bis zum 3 fachen Monatsbetrage der Be¬
soldung, Witwengelder bis zu Vs des Ruhegehaltes des Angestellten,
Waisengeldcf bis zu ‘/s des Witwengeldes, Abfindungsgelder bei Ver¬
heiratung etc., dann Uebemahme der Kosten von notwendigen Heil¬
verfahren. Diese hier nur skizzierten Leistungen werden dem Bayer.
Versorgungsverband möglich ausschliesslich dadurch, dass ein be-
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRIFT.
619
stimmter Prozentsatz des Diensteinkommens, Kegenwärtig sind es noch
5 Proz., demnächst wohl 6 Proz., als Umlange von den auf diese Weise
Versicherten eingezogen wird. Wir sehen also zu unserem Staunen, dass
hier, sobald auf die Ansammlung eines Kapitals verzichtet und diese
Form der Sicherung des Anspruches zugunsten einer anderen Sicherung
aufgeeeben wird, Leistungen geboten werden, welche die Leistungen
unserer ärztlichen Versicherungsvereine weit hinter sich lassen. Würde
der ärztliche Stand* also durch eine grundsätzliche Aenderung der für
uns bisher gebräuchlichen Versicherungsart in die Lage versetzt, ähnliche
finanzielle Sicherungen für die Tage des Alters oder der Arbeitsunfähig¬
keit, oder für seine Hinterbliebenen zu gewinnen, so würde mit einem
Schlage die jetzt geradezu trostlose Prognose einer Versorgung für
Alter und Krankheit sich aufhellen. Sehen wir an Hand der Stschen
Veröffentlichung im einzelnen zu. Nach Ausführungen des Herrn Präsi¬
denten V. En giert wäre es möglicli, an Hand des Baver. Beamten¬
besoldungsgesetzes vom 2. Juli 1919 die bayerische Aerzteschaft für die
Gehaltsklassen 10—13 dieses Gesetzes zu versichern mit einem Anfangs¬
gehalt von 21 000 M. und einem Endgehalt von 45 000 M. An einem
Beispiel mit dieser Unterlage errechnet St., dass bei Berechnung eines
Umlagesatzes von 6 Proz. die niedrigste Gehaltsstufe von 21000 M.
eine Jahresumlage von 1260 M. bezahlen müsste und nach 3 Jahren
bereits mit einem Ruhegehalt von 8050 M. rechnen könnte. Nach
20 Jahren würde bei einer Prämie von 1980 M. der Ruhegehalt auf
18150 M. steigen, nach 30 Jahren bei einer Prämie von 2340 M. aber
auf 26 250 M.
Würde aber bei einer anderen Berechnungsart nach Stauder-
V. E n g 1 e r t ein einheitliches versorgungsfähiges Einkommen von
50 000 M. für jeden bayerischen Arzt zugrunde gelegt und die Umlage-
Sätze von 2—8 Proz. gestaffelt, um die Prämie für den Anf^mg der
Praxis tiefer halten zu können, so würden bei jährlichen Prämiensätzen
von 1000 M. bis höchstens 4000 M. die anfallenckn Altersrenten sich be¬
wegen zwischen 17 500 M. und 37 500 M. Entsprechend hoch wären
die Witwen- und Waisenrenten.
Eine andere Berechnung ist dann noch im St.schen Aufsatze vor¬
genommen, deren Prinzip darin besteht, dass man der Höhe des Ruhe¬
gehaltes nicht 35—75 Proz. des beitragspflichtigen Berufseinkotnmens
zugrunde legt, sondern eine Ausscheidung zwischen ordentlichen und
ausserordentlichen Teilen des Berufseinkommens (letztere besonders
aus den jeweils wechselnden Teuerungszulagen bestehend) vornimmt.
Auch in diesem Falle sind die errechneten Pensionsbeiräge sehr erheb¬
lich, wenn auch wesentlich geringer, als bei den obigen Berechnungen.
Sieht sich der Arzt von heute vor diesen Ziffern, so kommen sie ihm
unzweifelhaft wie eine Fata Morgana vor. Die von Stau der ge¬
brachten Beispiele wollen ja nur die Wirkung einer solchen Pensions¬
versicherung veranschaulichen, welche mit dem Grundsatz ..Deckung
der Ansprüche durch Kapital" bricht. Ich persönlich würde vorläufig sehr
bezweifeln, ob auch nur annähernd von solchen Höhen der Berufs¬
einkommen für bayerische (und ausserbayerische) Aerzte gesprochen
werden könnte. Schon die theoretische Annahme eines einheitlichen
versorgungsfähigen Jahreseinkommens von 50 000 M. für jeden bayeri¬
schen Arzt ruft unwillkürlich die Vorstellung von etwas Phantastischem
hervor. Die Steuererklärungen der Aerzte in diesem Sommer werden
ja darüber Material schaffen — überraschendes Material, fürchte ich,
\v^nn es zu allgemeinerer Kenntnis gelangen könnte. Aber immerhin!
Wenn die Einkommen der Aerzte auch in der rauhen Wirklichkeit tief
unter obigen so verlockenden Beispielen bleiben werden, und damit auch
die Prämiensätze und die Leistungen, so nimmt das der Sache nichts an
Wichtigkeit. Die Hauptsache ist zunächst: die Bayerische Versichc-
rungskammer ist bereit, an eine obligate Versicherung des bayerischen
Aerztestandes auf Grundlage einer Umlagenversicherung heranzutreten.
Ich stimme mit Stander völlig damit überein, dass wir diesem An¬
erbieten gegenüber zu grösstem Danke verpflichtet sind. Nun ist aber
vor allem ein Punkt noch weiter zu klären. Verstehe ich die Aus¬
führungen St.s über das Wesen des Bayer. Versorgungsverbandes recht,
so stellt dieser für die Stadt- und Distriktsgemeinden Bayerns eine Rück¬
versicherung dar, das würde doch bedeuten, wie ja auch augenscheinlich
das Verhältnis liegt, dass die Pensionsberechtigten zunächst mit ihren
Ansprüchen durch die Finanzen der betreffenden Gemeinden gedeckt sind.
Erst im Falle, dass diese aus Irgendeinem Grunde vfersagen, dass sie
also die Pensionen, wofür jahrelang Prämien einbezahlt wurden, eines
Tages nicht mehr befahlen würden, würde die Rückversicherung in
Gestalt des Bayer. Versorgungsverbandes eintreten. Würde also St.s
Charakterisierung der Bayer. Versorgungsverbandes als Rückversiche¬
rung in diesem Sinne zutreffen, so würde eine allgemeine Versicherung
des ärztlichen Standes auf dem Wege einer Angliederung an den Bayer.
Versorgungsverband doch wohl ein völliges Novum sein, allerdings für
uns Aerzte ein recht erfreuliches. Denn hinter den Mitgliedern des ärzt¬
lichen Standes steht nichts, was der Stellung der Gemeinden zu ihren
Beamten analog wäre^ D. h.: die Beamten werden ln erster Linie von
derr anstellenden Gemeinden berufen, bezahlt und auf Grund der Dienst¬
verträge etc. bezüglich der Pensionen versorgt. Hinter dem „freien"
Aerztestand steht nichts Derartiges. Es müsste also der Bayer. Ver¬
sorgungsverband oder seine künftige Zweigstelle unmittelbar die Ver¬
sorgung der Mitglieder des ärztlichen Standes übernehmen können. Es
liegt ausserhalb meines ärztlichen Bereiches, die rechtliche Lage, welche
sich hieraus ergehen würde, zu beurteilen. Gegenüber den Beamten
und Angestellten kann der Bayer. Versorgungsverband wahrscheinlich
sich auch auf das Vermögen der Gemeinden in gewisser Hinsicht stützen.
Digitized by Goüsle
deren Pensionsversorgung er garantiert. Bezüglich der Aerzte aber fehlt
es an einem ähnlichen Bindeglied. Nun, das ist nur eine, vielleicht ganz
unsachverständige Erwägung. Die Hauptsache scheint mir zu sein, dass
der Präsident der Bayer. Versichetungskammer die Anschauung hat, dass
der ärztliche Stand in Bayern in einer Situation ist, um eine derart um¬
fassende Versicherung aller seiner Mitglieder auf dem Grundsatz der
Umlagendeckung darauf aufbauen zu können. Das hat sicher für uns
Aerzte selbst im Augenblick etwas Ueberraschendes an sich und man
fragt sich: Warum wussten wir Aerzte das nicht früher? Es kann dies
aber damit Zusammenhängen, dass seit Jahren das Prinzip der
Kapital deckung solcher Versicherungen das fast alleinherrschende
gewesen ist Auch der Pensionsverein für Witwen ufid Waisen bayeri¬
scher Aerzte ist darauf gegründet. Man könnte meinen, der Umsturz
der letzten Jahre hätte zuerst zum Verlassen dieses Prinzipes genötigt,
weil die anzusammelnden Kapitalien bei der heutigen Geldentwertung
gigantisch, wie unsere Staatsschulden, sein müssten, um durch ihren
^insenanfall eine wirksame Pensionsrate abzuwerfen. Abgesehen davon,
dass solche Kapitalien in der Gegenwart und näheren Zukunft überhaupt
nicht angesammelt werden können, ist der andere Modus, die Deckung
des Bedarfes von Versicherungsleistungen auf dem Wege der Umlagen,
ja schon viel früher in grösstem Massstabe durchgeführt. Auf einem uns
sehr wohl bekannten Versicherungszweige: in der staatlichen Kranken¬
versicherung, deren Leistungen ja auch zum grössten Teile auf dem
Wege der Umlagen ermöglicht werden. Ich persönlich bekehre mich
auch zur Ansicht, dass der Weg der Kapitaldeckung In den Versiche¬
rungen für,Aerzte allmählich ganz zu verlassen ist. Einfach, weil er
nicht mehr genug leistet. Man wMrd zur Sicherung durch Umlagen
kommen müssen, ob man will oder nicht. Alle Standesangehörige,
welche heute Prämien einzahlen, wollen eine Garantie dafür haben, dass
die Früchte dieser Prämien ihnen oder ihren Hinterbliebenen eines Tages
wieder zugute kommen. Worin kann diese Garantie mit Bezug auf den
Aerztestand erblickt werden? Er hat keine liegenden Güter, weder Ar
noch Halm, weder Kohle noch Oel. Es besteht aber die Sicherheit, dass
unser St^nd, trotz allen Ummodelungen der Zukunft, immer da sein wird,
ln dieser oder jener Form. Immer wird der Aerztestand Arbeit leisten
und d^für ein Entgelt haben. Die Kontinuität, das sichere Fortlaufen der
ärztlichen Arbeit, stellt eine Garantie dar. Man kann mit ihr eher
rechnen, als mit den Schätzen eines Bergwerkes. Soll aber auf diesem
stets zu erwartenden Arbeitseinkommen des Aerztestandes eine Um-
lagenver^cherung seiner Mitglieder aufgebaut werden, so ist eine weitere
Voraussetzung unb»''^ingt zu erfüllen: es müssen alle bayerischen (später
wohl deutschen) Aerzte von ihrem Arbeitseinkommen abgeben, d. h.
alle müssen dieser Standesversicherung beitreten. Sie müssen „müssen".
Das spricht naturgmäss auch S t a u d e r aus, dem wir jedenfalls für die
Weisung dieses Weges Dank schulden. Eine weitere Voraussetzung ist
eine hinreichend hohe Mittelzahl von Aerzten Im Lande, welche durch
ihr Arbeitseinkommen die Prämiensummen aufzubringen haben, aus
denen die Pensionen einer früheren, vielleicht viel zahlreicher ge¬
wesenen Aerztegeneration zu decken sind. Wir sind keine Propheten.
Aber vorläufig sieht es nicht nach Sterilität aus. der ärztliche Stand ist
in dieser Hinsicht „proletarisch“.
Wichtige Voraussetzungen für die Schaffung einer auf Umlagen ge¬
gründeten Versicherung wären also wohl schon im Wesen des ärztlichen
Standes primär voihanden, andere könnten geschaffen werden. Das
grosse Fragezeichen liegt in der finanziellen Leistungsfähigkeit der die
Prämiensummen zusammenschiessenden Aerztegeneration. Zunächst er¬
scheint es äusserst fraglich, ob der einzelne Arzt in ,Zukunft aus seinen
laufenden Einnahmen 1000—3000 M. wird herausnehmen können, um
die treffende Prämie jedes Jahr zu bezahlen. Dies muss im allgemeinen
Dezennien hindurch geschehen. Die Prämiensumme stellt im, ganzen
einen Betrag dar. den man nach früheren Begriffen schlankweg als be¬
deutendes Vermögen genannt hätte. In dem einen Beispiel Standers
ist zur Veranschaulichung von 84000 M. die Rede, welche ein Arzt mit
einem Durchschnittsjahreseinkommen von 30 000 M. während 40 Arbeits¬
jahre als Prämien in diesem Zeitraum eingezahlt haben würde. Aber
unsere Vorstellungen betreff Zahlen sind nicht mehr so ängstlich! Sollte
die Umlagenversicherung des ärztlichen Standes, zur Tat werden, so
würden wohl gewisse Nebenversicherungen oder ähnliche Einrichtungen
nötig werden, um aus anderen Quellen, als dem Arbeitseinkommen, die
Prämienbeträge der Hunderte von Aerzten zu bestreiten, welche aus
verschiedenen Gründen nicht selbst aus ihrer Berufsarbeit dafür auf-
kommen können. Vielleicht würde in dieser Richtung auch eine be¬
schränkte Mitarbeit der schon bestehenden Pensionsvereine liegen,
welche Kapital zugunsten ihrer Mitglieder aufgesammelt haben.
Es ist anzunehmen, dass die Rechner der Bayer. Versicherungs¬
kammer sich schon eingehender mit den technischen Unterlagen einer
Versicherung des bayerischen Aerztestandes auf dem Wege des Umlage¬
verfahrens befasst haben. Das Anerbieten ihres Herrn Präsidenten
dürfte wohl das zur Voraussetzung haben. Hieraus ist in der Tat die
Hoffnung zu schöpfen, dass das jetzt so lockend sich darstellende Projekt
in die Wirklichkeit übergeführt werden kann. Wenn vielleicht nicht in
dem heute bei S t a u d e r erscheinenden Ausmass, so doch wenigstens
in einem ausreichenden Zuschnitt. Dann allerdings würde die l^kunft
des bayerischen Aerztestandes sich bald rosiger ansehen.
1
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
MÜNCHENER MEDIZINISCH!: WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
f)2ü
BQcheranzeigen und Referate.
L. Koeppe: Die ultra- und polarlsationsmikroskopische Er-
forscbunR des lebenden Auges und Ihre Ergebnisse. Bern 1921. Preis
77 Mark.
Ein in sich abKCSchlossenes Werk, das aus Zweckmässigkeits-
gründen nicht, wie anfangs beabsichtigt, als 3. Band der „Mikroskopie
des lebenden Auges“ herausgegeben worden ist. Ausführliche, anschau¬
liche Beschreibung dVr Aoparatur findet sich daher als 1. Kapitel im
I. Hauptteil, deren weitere zwei die Besonderheiten der Einrichtung
und des Strahlenganges für die Ultra- und Polarisationsmikroskopie ent¬
halten. (Stereoskopokular nach Abbe, Bitumi und Orthobitumi nach
S i e d e n 1 0 p f.)
Zur Einführung in die Ultramikroskopie des lebenden Auges ist eine
ausführliche Einleitung gegeben, welche die geschichtliche Entwicklung
des Begriffes der optischen Diffraktion, die bis in das 17. Jahrhunder^t
auf (i r i m a 1 d i zurückgeht, das H u y g e n sehe Prinzip und den Azimut¬
begriff (S i e d e n t o p f) enthält.
Punktförmige Ultramikronen erzeugen Kugelwellen (R a .v l e i g h),
lineare, nur in einer Dimension ultramikroskopisch kleine Teilchen
Wellen, deren Form von der mehr oder weniger gradlinigen Beschaffen¬
heit der Ultramikronen ahhängt. z. B. kegelförmige bei gradlinigen Ob¬
jekten. Die Sichtbarkeit der Beugungserscheinungen hängt ab von dem
Winkel zwischen zw'ei Ebenen, deren erste durch Mikroskopachse und
Längsachse des ultramikroskopischen linearen Objektes und deren zweite
durch Mikroskop- und Büschelachse des Spalthündels zu legen ist == rela¬
tives Azimut, während das absolute Azimut den Winkel bezeichnet
zwischen der durch Beleuchtungs- und Mikroskopachse einerseits und der
durch den Schnittpunkt der Mikroskopachse mit der Bulbusoberfläche
parallel zur Medianebene gelegten Ebene. Zur Ermöglichung ultra¬
mikroskopischer Beobachtungen Ist Untersuchung mit nur einem Objektiv
unbedingt erforderlich, monochromatisches Licht, am besten unter An¬
wendung eines näher be.schriebenen Oelbfilters ist wünschenswert.
Lineare ultramikroskopische Objekte gehen sich zu erkennen durch
Auftauchen und Verschwinden je nach Aenderung der Belcuchtungs-
richtung resp. des Azimutes, punktförmige sind davon unabhängig.
Bogenförmige erscheinen mit Unterbrechungen entsprechend der Tan¬
gentenrichtung in verschiedenen Teilen der Objekte.
Besprochen werden dann die ultramikroskopischen Erscheinungen
der Bindehaut, Hornhaut in der vorderen Kammer, der Linse, im Glas¬
körper und Augenhintergrund, und als besonderer Abschnitt die Farben-
erscheinungen in den brechenden Medien, besonders das Farbenschillern
reflektierender (irenzflächen. vor allem der Linsenkapsel und hinteren
Hornhautfläche, die auf oberflächlicher ultramikroskoplscher Gitterwir-
kung beruhen, während Interferenzfarbcn dünner Blättchen hier voli-
kommen ausgeschlossen werden können, die nur für Linsenvakuolen
und feinste flächenhaltige Spaltbildungen in Betracht kommen.
Auch den Ergebnissen der Polarisationsrnikroskopie ist eine aus¬
führliche theoretisch optische Anleitung vorausgeschickt und zw^ar über
die Theorie der Doppelbrechung, die chromatische Polarisation und den
Dichroismus, die eliptische Polarisation, die Polarisationserscheiriungen
an Ultramikronen bei der Diffraktion nach Rayleigh. Es folgt die
genauere Beschreibung der Apparatur, ihrer Anwendungsweise, des
Strahlenganges und des Einflusses der Kon- und Divergenz des Strahlen¬
bündels auf die Polarisationserscheiniingen.
Die Befunde an den einzelnen Augenabschnitten sind umfassend zu¬
sammengestellt. Ein genaueres Eingehen hierauf ist an dieser Stelle
unmöglich.
Abschliessend legt Koeppe die theoretischen Grenzen der neuen
Methode fest und bespricht die Frage, inwiew'eit die von v. Ebner
für die Interferenzerscheinungen am toten Augengewebe aufgestellten
Hypothesen auch für das lebende Gewebe gelten und kommt zu dem
Schluss, dass die von v. Ebner betonten Spannungs- und Zugver¬
hältnisse auch am lebenden Auge mit Wahrscheinlichkeit eine Haupt¬
rolle spielen, denen gegenüber die genuine Doppelbrechung der Gewebe
vernachlässigt werden kann.
Mit dieser Arbeit hat Koeppe der ophthalmologischen Wissen¬
schaft absolutes Neuland erschlossen. Es ist bewundernswert, nicht nur
mit welchem Geschick Verfasser die enormen theoretischen und prak¬
tischen Schwierigkeiten, die der Erschliessung dieses Gebietes im Wege
starfden, überwunden hat, sondern auch, wie er den komplizierten
Gegenstand den Lesern verständlich zu machen gewusst hat. Das Buch
bedeutet gewissermassen einen Abschluss der Mikroskopie des lebenden
Auges, die damit von Koeppe bis zu den äussersten Feinheiten geführt
ist, die uns ungeahnte Ausblicke eröffnen. Möge der Wunsch K o e p p c s
in Erfüllung gehen, dass möglichst viele Ophthalmologen ihm auf diesen
schwierigen Pfaden folgen und mithelfen an dem weiteren Ausbau und
der wissenschaftlichen und auch praktischen Verwertung der Methode.
Allen diesen sei das von dem bekannten Berner Verlag B i r c h e r
mustergültig ausgestattete Werk, das unter anderen 74 tadellos ausge¬
führte, zum grössten Teil farbige Abbildungen enthält und gerade w’egen
seiner glänzenden theoretischen Einführung in die Ultra- und Polari¬
sationsmikroskopie auch über das engere Gebiet der Augenheilkunde
hinaus von Interesse sein dürfte, nachdrücklichst empfohlen.
Meesmann -Berlin, Charitee-Augenklinik.
Hugo Spatz: lieber die Vorgänge nach experimenteller Rucken-
marksdurchtr^nnung mit besonderer Berücksichtigung der Unterschied
der Reaktionsweise, des reifen und unreifen Gewebes nebst Beziehungen
zur menschlichen Pathologie. Histologische und histopathor
logische Arbeiten über die Grosshirnrinde, Ergänzungs¬
band. 1921. Gustav Fischer, Jena.
Die durch Niss 1 s und .Alzheimers Beiträge berühmt ge¬
wordenen „Arbeiten“ finden — nach dem Tode dieser beiden Führer in
der Histopathologie der Hirnrinde — mit diesem Ergänzungsbande ihren
Abschluss; sie enden in würdiger Form mit der umfassenden Studie von
Hugo Spatz. Ich konnte die Entwicklung der in N i s s 1 s Heidelberger
Laboratorium begonnenen und in der deutschen Forschungsanstalt für
Psychiatrie in München fortgesetzten Untersuchungen verfolgen und cs
möge mir gestattet sein, meiner Bewunderung für die ungewöhnliche Art
sorgfältiger Forscherarbeit, deren Ergebnisse Hugo Spatz jetzt mit-
teilt und mit zahlreichen Abbildungen belegt, hier Ausdruck zu geben.
Der Hauptteil der Studie wendet sich natürlich an den engen Kreis der
Neurohistologen: die Frage der Unterschiede zwischen der sekundären
(Waller sehen) Degeneration und den rückläufigen Veränderungen am
proximalen Neuronenteil wdrd hier bis in die feinsten Einzelheiten geklärt,
und es werden die mit der Markreife zusammenhängenden verschieden¬
artigen Abräum- und Organisationsvorgänge bei Neugeborenen und Er-
w^achsenen ermittelt und ihrem Wesen nach ergründet. Gerade die Auf¬
deckung der gefundenen Unterschiede in der Reaktionsweise des unreifen
und reifen Nervengewebes bringt aber auch allgemeine Probleme
der menschlichen Pathologie der Lösung näher.' Es ist Spatz der
Nachweis gelungen, dass die Besonderheiten der ihrer Pathogenese und
ihrem Wesen nach so viel umstrittenen Porenzephalie und auch
gewisser dem Sammelbegriff der Syringomyelie zugerechneter Er¬
krankungsformen (welche man mit Spatz jetzt besser „Poro-
m y e 1 i e“ nennt) durch die dem unreifen Zentralorgan eigentümliche
Reaktionsw eise bedingf sind. Nach seinen Experimenten drückt sich
die von der Markreife abhängendc Reaktionsweise des Gewebes der
Neugeborenen darin aus, dass die Abbauvorgänge ungewöhnlich rasch
und ausserordentlich gründlich sind, so dass schon nach kurzer Zeit nur
ganz spärliche Residuen des Destruktionsprozesses gefunden werden,
und dass die bleibenden reaktiven Veränderungen an dem gliösen wie
an dem mesodermalen Bindegewebsapparat im Bereiche des zugrunde
gegangenen und resorbierten Gew'ebes nur minimal sind; wir sehen nicht
wie beim Erwachsenen eine Narbe. Ein Trauma, eine Zirkulations¬
störung oder Entzündung, welche beim erwachsenen Gehirn die be¬
kannten Zeichen der Erweichung und schliesslich der gliösen und binde¬
gewebigen Narbe hinterlässt, verursacht im unreifen Organ nach rapider
Verflüssigung lediglich die Bildung eines scharf umrandeten Porus.
Wir haben es bei der Porenzephalie also nicht mit einer Agenesie,
sondern mit den Resterscheinungen eines Destruktionsprozesses zu tun.
deren besonderes Gepräge in der Reaktionsweise des unreifen Zentral-
nervengewebes begründet ist. Spielmeyer.
K1 n d b o r g: SugSQSfion, Hypnose und Telepathie. Ihre Bedeutung
für die Erkenntnis gesunden und kranken Geisteslebens. Bergmann
München 1920. 98 Seiten. Preis 15 M.
Verfasser hat an einer Anzahl von Personen und auch an sich selbst
Versuche in folgender Weise angestellt: der Versuchsleiter, hinter der
Versuchsperson plaziert, hielt einen Gegenstand in der Hand, denselben
fixierend. Die andere Hand legte er der Versuchsperson auf die Stirne.
Diese konnte den Gegenstand nicht sehen, gab aber auffallend viel
richtige Antworten über den Gegenstand und «eine Eigenschaften; von
dem besten „Medium“ erhielt Kindborg einige ungefähr richtige
Zeichnungen. Die Versuche sind etwas eintönig; Verfasser scheint aber
nüchtern beobachtet zu haben.
Verfasser gibt ausserdem eine eigene Auffassung von Hypnose,
Suggestion, Schlaf, Neurasthenie, die plausibler ist als manche andere,
aber, wie Referent meint, an unrichtigen Grundanschauungen über Affek¬
tivität und Unbew'usstes leidet. , Bleuler- Burghölzli.
Franz Hübotter: 3000 Jahre Medizin. Ein geschichtlicher Grund¬
riss, umfassend die Zeit von Homer bis zur Gegenwart, unter besonderer
Berücksichtigung. der Zusammenhänge zwischen Medizin und Philo¬
sophie. Berlin 1920 bei Oskar Rothacker. Grossquart. 535 Sei¬
ten* mit zahlreichen Abbildungen. ‘ Preis 80 M. broschiert.
Man schlägt das grosse Buch auf und erstaunt, fast möchte ich
sagen, man erschrickt. Ein Manuskript! So weit also sind wir ge¬
kommen, dass verdiente Gelehrte ihre Werke im Autotypieverfahren
veröffentlichen müssen! 500 Exemplare hätten 60 000 M. im Druck
gekostet und so hat sich der Verfasser entschlossen, eine kleine Auf¬
lage — 150 — autotypieren zu lassen. Nun. man liest sich in die Hand¬
schrift rasch ein und schliesslich freut man sich sogar das Gefühl be¬
sondere Frische und Intimität habep, wie es es eben das Lesen
eines Manuskriptes gewährt. Leider sind die Abbildungen aber durch
das gewählte Verfahren zum grossen Teile verunglückt. H ü b o 11 e r s
Werk stellt den mittleren Teil einer gross angelegten Medjzingeschichte
dar. Der erste Teil, die Medizin des Orientes, damit auch der Anfang
der Medizingeschichte, wird in einigen Jahren gesondert erscheinen:
man wird ihn, da hier der Verfasser Spezialsachverständiger, zum
Teil Alleinherrscher ist, mit besonderer Spannung erwarten dürfen. Der
dritte Teil, die Geschichte der einzelnen Spezialzweige besonders im
letzten Jahrhundert, wird in der Teubnerschen „Kultur der Gegenwart"
erscheinen. Dementsprechend ist das 19. Jahrhundert im vorliegenden
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHI: WOCHENSCHRIFT.
621
Werk nur flüchtig behandelt und die Zeit vor, Homer fehlt ganz. Das
ist im Interesse der vielen, welche einen Ueberblick über die üesamt-
geschichte wollen, damit auch im Interesse des Absatzes, der dem vor¬
züglichen Buche zu wünschen ist, sehr bedauerlich. Ein ganz kurzer
Ueberblick über die Anfänge der Medizin' und die altorientalischc
Medizin sollte vorausgeschickt werden. Die Art des Buches kann
charakterisiert werden mit den Worten: (iediegen und liebenswürdig.
Nachdem der Zusammenhang zwischen Medizin und Philosophie iin
Untertitel besonders erwähnt wird, ist man leicht enttäuscht, nicht mehr
und nichts Originelleres zu finden als in anderen Medizingeschiclitcn
auch. Hier liegt der Schwerpurtkt des Buches nicht, das im Wesent¬
lichen, wie gewöhnlich, Geschichte der medizinischen Literatur ist. mit
eingestreuten, zum Teil ausführlichen und vorzüglich geschriebenen
Biographien. Besonders wertvoll an dem Buche sind die sehr gut aus¬
gewählten Proben aus .den wichtigsten Quellen im Original, ferner die
zahlreichen Literaturangaben. Das Buch kann daher besonders denen,
die tiefer in die Medizingeschichte eindringen wollen, empfohlen
werden. Beachtenswert sind die Abschnitte: orientalische Mystik,
Neurologisches, Irritabilitätslehre, überhaupt medizinische Theorien des
17.—18. Jahrhunderts, Homöopathie u. a. Dem Wunsche, dass bald
eine zweite Auflage in Typendruck folgen möge, kann man sich nur
anschliessen. Kersch ensteine r.
Max Neuburger: Die Medizin des Fiavius Josephus. Bad
Reichenhall, „Buchkunst“, Druck- und Verlagsgesellschaft. 74 S. 8^
Es war schon lange Bedürfnis, aus den Werken des Fiavius Josephus
ergänzenden Bericht auch über Aerztliches zu erhalten, was das alt¬
jüdische Volk berührt und marr muss zugestehen, es ist nicht so ganz
wenig, was hier über Bibel und Talmud hinaus zutage tritt, besonders
von so hervorragender Kennerseite gesichtet und dargestellt, wie in
diesem-Falle. ' Sudhoff.
Zeitschriften-Uebersicht
Zeitschrift für Tuberkulose. Band 33.
Heft 1. Umber- Charlottenburg: Ueber Tuberkuloseinfektion. Tuber-
kuloseerkrankunff, Tuberkuloseletalität der ersten Lebensjahre vor, während
und nach dem Kriege.
An Tabellen wird gezeigt, wie die Tuberkulose im Kriege nicht nur
zugenommen hat, sondern namentlich im Befallen der jüngeren Lebensjahre
zurückgreift. Der kleine Aufsatz muss von Kinder- und Fürsorgeärzten ge¬
lesen werden.
Fritz Landauer - Berlin: Erfahrungen über &le Behandlung der chirur¬
gischen Tuberkulose mit Partialantigeneh.
Man sollte endlich aufhören, (wie das auch unter grosser Heiterkeit
zum Wiesbadener Kongress geschah) aus acht Fällen einen Aufsatz und
eine Statistik zu machen.
Carl J a e n i c k e - Apolda: Tuberkulosebekämpfung durch vorbeugende
Kinderfürsorge.
Der Aufsatz (Vortrag) eines Praktikers, der mit kleinen Mitteln aus
einer Gastwirtschaft ein schönes Kindererholungsheim schuf, behandelt zuerst
die Bedeutung der Pirquetimpfung und sodann die Frage, ob die Fürsorge¬
stelle behandeln dürfe. Er sagt, sie müsse es geradezu tun, unter Be¬
achtung folgender Punkte: 1. Die Behandlung muss ambulant möglich sein.
2, Eine genaue Dosierung ist notwendig. 4. Eine Schädigung des Körpers
muss strengstens vermieden werden. 4. Die Art der Anwendung muss dem
kindlichen Alter angemessen sein.
E. M o r y - Erlangen: Kasuistischer Beitrag zur Pneumothoraxbehandlung.
Es ist möglich, dass die Mitteilung des Falles zu kurz ist. Man hat den
Eindruck, dass der Pneumothorax nicht hätte angelegt werden sollen. So
versteht man den Satz nicht: ..Die Diagnose der abnormen Pleuraverziehung
zu stellen, war mit den uns zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden
nicht möglich.“ Ja, stehen denn nicht der Klinik alle Methoden zur
Verfügung?
Hans Gustav A u s t g e n - Beelitz: Kriegsverletzungen und Lungentuber¬
kulose.
„Zusammenfassung: Von den 55 einwandfrei festgestellten Fällen von
Lungentuberkulose traten bei nur 3 Lungenerscheinungen in unmittelbarem
Anschluss an das Trauma oder im Verlauf von längstens 6 Monaten auf. Nur
bei diesen 3 Fällen kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit einen Zu¬
sammenhang zwischen der Kriegsverletzung und der Lungentuberkulose an¬
nehmen, und zwar halte ich das Auftreten der Tuberkulose in diesen Fällen
für eine mittelbare Folge des Traumas, indem der Körper durch grösseren
Blutverlust und schwächendes Krankenlager in seiner Widerstandsfähigkeit
gegen den Tuberkelbazillus geschwächt wurde.“
G. M i c h.e 1 s - Schömberg: Ein Fall von tuberkulösem Gelenkrheumatis¬
mus (P o n c e t).
Heft 6. H. Alexander - Davos: Die W i I d b o 1 z sehe Eigenharn¬
reaktion als, diagnostisches Hilfsmittel für aktive Tuberkulose.
91 Fälle sind tabellarisch zusammengestellt. Der Verf. kommt zu folgen¬
den Schlüssen:
„I. Eine negative Intrakutanprobe schliesst aktive Tuberkulose nicht
aus, ohne dass es sich dabei um schwere progrediente, prognostisch absolut
infauste Fälle handeln müsste. *
II. Positive Eigenharnreaktion, vorausgesetzt, dass wirklich nur ein deut¬
liches Infiltrat als positiv gewertet wird, spricht mit grösster Wahrscheinlich¬
keit für aktive Tuberkulose.
III- Parallelismus, zwischen Intrakutantuberkulinprobc und Eigenharn¬
reaktion konnte nicht festgestellt werden. Bei geringfügiger Allergie auf
Tuberkulin ist gelegentlich eine starke Urinreaktion festzustellen und umge¬
kehrt.
IV. Uneingedampfter Urin gibt niemals positive Eigenurinproben.
V. Im offenen Wasserbade auf ‘/lo seines Volumens eingedampfter Urin
gibt in der Mehrzahl der Fälle eine wesentlich schwächere Reaktion als der
im Vakuum nach der W i 1 d b o l z sehen Vorschrift behandelte Urin.“
Roger K 0 r b s c h: Ueber die Vermehrungsfähigkeit der TuberkelbazlUen
Im Sputum und die Möglichkeit der Gewinnung einer Autovakzine aus
dem Sputum unter Umgehung der Kultur.
„Zusammenfassung: Somit stellt die oben beschriebene Methode ein
Anreicherungsverfahren für Tuberkelbazillen dar, bei dem das mit 4 proz.
(ilyzerin verdünnte Sputum den Nährboden darstellt, in welchem eine so
starke Vermehrung der Tuberkelbuzillen eintritt. dass es der Mühe lohnt,
in grösseren Reihen zu untersuchen, ob dieses Verfahren nicht geeignet ist,
den Tierversuch zu diagnostischen Zwecken zu ersetzen. Die Ausbeute an
Tuberkelbazillen ist ferner so gross, dass es möglich ist, auf diese Weise
unter Umgehung der Reinkultur die Autovakzine direkt aus dem Sputum
herzustellen.“
R. Hermann J a f f e - Wien: Ueber Myokardtuberkulose beim Meer¬
schweinchen.
Mit zwei mikroskopischen Bildern erläuterte Darstellung der im Titel
genannten Erscheinung.
H. K e u t z e r - Belzig: Erfahrungen mit Krvsolgan.
„Auf Grund der geschilderten Erfahrungen glauben wir in dem Krysolgan
ein Mittel zu haben, das erstens bei richtiger Dosierung und bei richtiger
Auswahl der Fälle keine Schäden hervorruft, das zweitens eine spezifische
Wirkung auf tuberkulöses Gewebe hat und zwar im heilenden Sinne. Bei
Lungentuberkulosen wird zu versuchen sein, ob nicht deutlichere Erfolge
durch in gewissen Abständen zu wiederholende Kuren zu erreichen sein
werden.“
Alfred N e u m a n n - Wien: Bemerkungen zu „Die Feststellung des Im¬
munitätszustandes als Grundlage der künstlichen Immunisierung zur Vorbeu¬
gung und Verhütung der Tuberkulose.“ (Von San.-Ober-Insp. Dr. Hugo Hol¬
länder- Pest.)
Die Reaktion nach Holländer ist nicht spezifisch.
A. Wolff-Eisner - Berlin: Ueber Tuberkulin zu diagnostischen
Zwecken.
Kurze Bemerkungen über die staatliche Prüfung und die Reinheit der
'l iiberkuline. Liebe- Waldhof-Elgcrshausen,
Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie, einschliesslich
Balneologie und Klimatologie. 1921. Heft 4.
E. Freund-Wien: Ueber die bei iontophoretischer Einführung von
Substanzen zu beobachtenden Hautreaktionen.
Verf. untersuchte die va.somotorischcn Erscheinungen der Haut bei An¬
wendung des galvanischen Stromes unter Einwirkung der Anode und Kathode,
bestätigte und ergänzte die Beobachtungen anderer Autoren und machte be¬
sondere Versuche mit Adrenalin und verschiedenen Hypophysenpräparaten.
Vor allem die Adrenalinwirkung auf die Haut unter verschiedenen Be¬
dingungen, die Beziehungen des Mechanismus der Adrenalinwirkung zu den
Schweissdrüsen wurden studiert. Eine fördernde Wirkung des Adrenalins auf
die örtliche Schweisssekretion wurde nachgewiesen, wobei zentral bedingte
Erregung der Schweissabsonderung durch Schwitzprozeduren ohne Einfluss
blieb. Der Antagonismus Adrenalin-Pilokarpin war auch an den Vaso¬
motoren der menschlichen Haut zu beobachten.
J. F i s c h e r - Nauheim: Zur Wirkung der COx-Bäder,
Verf. diskutiert die verschiedenen, T. entgegengesetzten Ansichten
über die Wirkung der. COs-Bäder bei Herzkranken, berichtet über seine
ausgedehnten Untersuchungen des Blutdruckes an 11 Kranken mit verschieden¬
artigen Herzaffektionen, auf einen Teil der Fälle dabei im Einzelnen ein¬
gehend und lehnt die Annahme ab. dass es sich um eine Herzübung durch
die COs-Bäder handle. Ihre günstige' Wirkung führt er mit Qoldschcider
darauf zurück, dass die CtJs eine eigenartige Reizwirkung auf die Vaso¬
motoren ausübt. wodurch die Funktion der Blutgefässe angeregt wird, so dass
für den Kreislauf Vorteile für Anpassung und Ausgleichung entstehen.
Q r u n 0 w - Wildbad: Beseitigung dysmenorrhoiscfier Beschwerden und
Regulierung des Menstruationstypus durch die Wildbader Thermalbäder.
Schluss folgt. L. Jacob- Bremen.
Zentraiblatt für Herz- und Qefässkrankheiten. 1921. Nr. 5—7.
Ed. Jenny-Basel: Die Kupierung der paroxysmalen Tachykardie
durch Druck auf den Bulbus oculi und den Nervus supraorbitalis.
Diese Methode der Vagusreizung, besonders in Frankreich geübt, ist in
Deutschland wenig gebraucht. Verf. veröffentlicht 3 Fälle, wo dieses Vor¬
gehen bei den Paroxysmen von gutem Erfolge begleitet war. In dem einen
Falle hatte erst der Halsvagusdruck den endgültigen Erfolg.
H. S c h i m m e 1 - Schweinfurt: Ueber die Bedeutung der Röntgen-
siihouette des Herzens für die Diagnostik der Herzfehler.
Auf Grund seiner eigenen Beobachtungen gibt Verf. einen Ueberblick über
die grösstenteils bekannten Formverhältnisse bei den verschiedenen Klappen¬
fehlern und analysiert besonders die Mitralformen des Herzens ohne Vor¬
handensein eines Klapoenfehlers, z. B. bei Emphysem, chronischer Bronchitis
und anderen Zu.ständen von Stauung im kleinen Kreislauf, bei Skoliosen,
pleuritischen Ergüssen. Ferner die verschiedenen Situationen, wo eine
Aortenform des Herzens in Erscheinung tritt, ohne Klappenfehler der Aorta
(Lageveränderungen. Schwangerschaft etc.). Ein sicheres Unterscheidungs¬
merkmal für die Erkenntnis, ob eine Hypertrophie oder Dilatation vorlicgt,
scheint dem Verf. in der röntgenoskopischen Form nicht gegeben.
P. Trendelenburg - Rostock: Adrenalin und Kreislauf.
Schluss folgt. • Grassmann - München.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 17.
E. Wilh. B a u m - Flensburg: Zur operativen Behandlung des Ulcus
pepticum jefuni.
Um das Ulc. pept. jejun. zu verhüten, operiert Verf. seit etwa 1 Jahr
folgendermassen: Resektion der pylorischen Magenhälfte mitsamt Magen-
Darm- und Darmanastomose, Vereinigung der Jejunuinenden End-zu-End und
des Magens mit Duodenum nach Billroth 1. Verf. hält die Herstellung der
pliysiologischen Magen-Duodenumverbindung an Stelle der Gastroentero-stomie
für unbedingt nötig zur Bekämpfung des Ulc. pept, jejun. Aus 3 Skizzen ist
der Gang der Operation leicht ersichtlich.
Fr. L o t s c h - Berlin: Primärer Wundschluss oder Drainage nach
Strumekfomie?
Da nach Ansicht des Verf.s in jedem Fall von Strumektomie am unteren
Pole des Kropfbettes sich eine Blutansammlung bildet, und die Infektions-
Digitized by Goiigle
Original frDiri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
622
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
gefahr ohne Drainage etwas grösser ist, so tritt er für Drainage mit dünnem i
Gummifohr ein, das er nach 24 Stunden wieder entfernt, damit keine Drain- '
fistel zurückbleibt. |
Emil E k s t e i n - Teplitz-Schönau: Konservative Behandlung chro¬
nischer Unterschenkelgeschwflre ohne Berufsstörung.
Verf.s Methode ist folgende: Elevation des kranken Unterschenkels bis
zum fast völligen Abschwellen; Reinigung des Ulc. crur. mit Benzin. Bedecken
desselben mit Jodoformgaze, die dick mit 5 proz. Borvaseline bestrichen wird;
exakte Bandagierung des Unterschenkels bis zum Knie mit Gazebinden (10 cm
breit), darüber Kompressivverband mit Stärkebinden; erst wenn der Verband
trocken ist, wird die Elevation des Beines aufgehoben. Verbandwechsel erst
nach mehreren Wochen (bei Schmerzen oder infolge Durchnässens) nötig.
Nach Heilung Bandage mit Trikotbinden. Verf. hat mit dieser Methode bis
jetzt noch alle Ulc. crur. ohne Berufsstörung geheilt.
A. J u r a s z: Nähfadentisch für Katgut und Seide.
Verf. hat einen Nähfadentisch mit 2 abnehmbaren, auskochbaren, ver¬
nickelten Metallplatten konstruiert, die 10 Ausschnitte tragen für die Aufnahme
der Standgläser, in denen Katgut oder Seide aufbewahrt ist. Mit 1 Abbildung.
E. H e i m - Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 17.
Robert M e y e r - Berlin: Ein Mahnwort zum Kapitel „Interstitielle
Drüse“.
W. L a h m - Dresden: Totalexstirpation des Uterus und Verlüngung.
Beide Arbeiten bilden eine Kritik der Steinach sehen Untersuchungen
und der Arbeiten seiner Anhänger, besonders L i e p m a n n s. M. leugnet
das Vorhandensein einer interstitiellen Drüse und bezweifelt ebenso wie L.,
dass die Uterusexstirpation einer Unterbindung der Vasa deferentia gleich¬
zustellen ist und einen experimentellen Vergleich zulässt.
H. Hinselmann, W. Haupt, H. Nette Koven - Bonn: Beob¬
achtung und graphische Darstellung der Anglospasmen bei hypertonischen
nierenkranken Schwangeren.
Sehr genaue Untersuchungen mit dem Kapillarmikroskop an 4 Fällen, in
denen in Kurvenform das Auftreten von Stasen registriert wurde. Dadurch
lässt sich das verschiedene Verhalten vor und nach der Geburt zahlenmässig
festlegen. Aus den Befunden an den Hautkapillaren muss man auf die
Möglichkeit ähnlicher Vorgänge in den inneren Organen schliessen, was so¬
wohl für das Verständnis der Nierenpathologie ante partum wie für die
Therapie von Bedeutung ist.
H. Nevermann -Hamburg-Eppendorf: Wie wirkt der Aderlass bei der
Eklampsie?
Gleichartige Beobachtungen haben ergeben, dass bei hochgradigster Stase
in den Kapillargefässen ein geringer Aderlass ein Ingangkommen der Strö¬
mung veranlasst. Die Wirkung des Aderlasses ist also nicht durch die Blut¬
verminderung. nicht durch die — übrigens minimale — Blutdruckherab¬
setzung, nicht durch die Viskositätssenkung bedingt, sondern durch diesen
mechanischen, vielleicht reflektorischen Reiz und die am Kapillarmikroskop
kontrollierbare Aufhebung der venösen Stase.
W. Strakosch - Rostock i. M.: Intravenöse oder perorale Chlnln-
darrelchung in der Geburtshilfe?
Intravenös empfiehlt sich Chinin zur Erzielung einer' sehr rasch ein-
^etzenden, kurzdauernden Wirkung, die auf den wehenbereiten Uterus sehr
lebhaft ist. Die Injektion soll möglichst langsam und mit ausgezeichneter
Technik erfolgen. Bei Herzkrankheiten und Gefässanomalien ist die intra¬
venöse Applikation kontraindiziert und durch die bequeme und gefahrlose
perorale Darreichung zu ersetzen.
Fr. Br. W e m m e r - Hamburg-Barmbeck: Kurzer Beitrag zur Frage des
kriminellen Abortes:
Statistische Zusammenstellung von 16 Todesfällen in 1919 und 41 in 1920.
Mitteilung eines Falles von schwerer Scheiden-Uterusverätzung mit sekundärer
Infektion der Kolliquationsnekrose. Werner- Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 10.
O. Hilde brand - Berlin: Die Arthritis deformans der grossen Gelenke
und ihre operative Behandlung.
Verf. hat eine grössere Anzahl derartiger Erkrankungen (Hüft- und Knie¬
gelenk) mittelst einer modellierenden Operation behandelt und kann über
günstige Ergebnisse berichten. Vor allem hat sich die Befürchtung wegen
drohender Rückfälle nicht erfüllt, die Kranken wurden von ihren Schmerzen
befreit, die Bewegungsfähigkeit wurde gehoben, die Kranken konnten zum
Teil wieder stundenlang gehen. Auch je ein Fall von Schulter- und Ellen¬
bogengelenkerkrankung wurden mit günstigem Erfolge operativ behandelt.
Fr. L 0 t s c h - Berlin: Echinokokkus der Leber.
Vergl. Auszug S. 345 der M.m.W. 1921.
P. S. M e y e r - Berlin; Ueber die klinische Erkennung der Periarteriitis
nodosa und ifpre pathologisch-anatomischen Grundlagen.
20 klinisch und anatomi«^'h untersuchte Fälle aus dem Krankenhaus Fried¬
richshain liegen der Mitteilung zugrunde. Die grössere Zahl dieser Fälle
zeichnete sich durch folgende Trias aus: chlorotischen Marasmus, dann poly-
neuritische und polymyositische Symptome verschiedener Stärke, endlich ver¬
schiedene Erscheinungen seitens des Magendarmkanals, wie abdominaler
Druckschmerz. Diarrhöen, Erbrechen, Blutstühle. Daneben bestand häufig
Pulsbeschleunigung und Albuminurie. An den Nerven fanden sich stärkste
Veränderungen an den Nervenscheiden, an den Muskelfasern selbst Hessen sich
Veränderungen feststellen, bezüglich des Magendarmkanals wurde wiederholt
Geschwürsbildung an der Schleimhaut gefunden. Die angeführten Symptome
erlauben durch ihre Kombination, bei der Diagnose an die bezeichnete Ver¬
änderung bestimmter zu denken.
M. Klotz- Lübeck: Darf die Rachitis als Avttaminose bezeichnet
werden?
Verf. kommt zur Ansicht, dass das verfrüht wäre, die Anschauungen der
Anhänger der Vitaminlehre sind vielfach rein hypothetisch.
Nie. G i e r 1 i c h - Wiesbaden: Ueber die Beziehungen der angeborenen
und früh erworbenen hemiplegischen Lähmung zur Phylogenese.
Vergl. die Berichte der M.m.W. über die Naturforscherversammlung in
Nauheim 1920.
H. Hecht- Prag: Behandlung gonorrhoischer Komplikationen mit Eigen¬
vakzine und Elgenelweiss.
Verf. stellt aus dem Harnsediment der betr. Kranken nach näher ange¬
gebener Methode eine Vakzine her und injiziert diese intraglutäal. Die Injek-
Digitized by Goiisle
j tionen bewirken Fieber. (Jute Erfolge sah Verf. bei Prostatitis, Epididymiiis
' und gonorrhoischer Arthritis, doch kommen auch therapeutische Fchlschlägc
I vor.
W. A. V. Collier: Ueber Autonoxine.
Bei der Vermehrung der Plasmodien werden nicht etwas Endotoxine
frei, sondern der Fieberanfall erfolgt dadurch, dass freiwerdende, an sich
indifferente Autonoxinogene im Körper die Bildung von Antikörpern, ebci'
der Autonoxine, hervorrufen, welche sekundär die toxische Einwirkung aui
das Individuum zeitigen.
C. Hamburger: Arzt und Bevölkerungspolitik.
Vergl. Bericht S. 375 der M.m.W. 1921.
H. Poll: Deszendenzhygiene und Bevölkerungspolitik.
Vergl. Auszug Seite 410 der M.m.W. 1921.
L. Solcr-Rosario - Argentinien. Eine neue sphygmographisch-mann-
metrische Vorrichtung.
Vergl. Abbildung und Beschreibung im Original.
H. Robert - Kiel: Ein neuer Hitfsapparat für Mikroskope. (Kreuzschiene
Robert.)
Abbildung und Beschreibung im Original. Grassmann - München.
Deutsche modlzinische Wochenschrift 1921. Nr. 15 u. 16.
H. K ü 11 n e r - Breslau: Der postoperative Slngultus.
Vorgetragen auf dem 45. Kongress der Deutschen Gesellschaft iü:
Chirurgie. (Bericht in Nr. 17 der M.m.W.)
W. D i e t r i c h - Berlin: Vergleichende Prüfung von Tuberkulinen ver¬
schiedener Herkunft.
Verschiedenheiten bei intrakutaner und subkutaner Impfung werden mit
einer Verschiedenheit des Reaktioiismechanismus erklärt. Aus den Fried¬
man n sehen Tuberkelbazillen gewonnenes Tuberkulin ergab bei ^intra- und
subkutaner Impfung hochtuberkulöser Meerschweincheu typische Tuberkuliti-
reaktion. Die Schildkrötenbazillen von Friedmann und Piorkowski
werden auf Grund der Tuberkulinreaktion als echte Kaltblütertuberkelbazillen
angesprochen.
P. F. R i c h t e r - Berlin: Die funktionelle Nierendiagnostik.
Referat, erstattet in der gemeinsamen Sitzung des Ver. f. inn. Med.
und der Berliner Ges. f. Urologie am 7. III. Sl (Bericht in Nr. 11 der M.m.W,).
A. Holste- Jena: Neue Arzneimittel.
H. E i c k e - Berlin: Ueber Nierensperre Im Verlauf der kombinierten
Quecksllber-Salvarsanbehandlung.
Durch Quecksilber kann eine Funktionsstörung der Niere herbeigeführt
werden derart, dass die Wasserausscheidung und auch die Ausscheidung
körperfremder Substanzen, also auch des etwa nachher gegebenen Salvarsans.
mehr oder weniger gestört ist, woraus sich dann Schädigungen ergeben
können. Eiweissausscheidung ist mit dieser Nierensperre nicht notwendig
verbunden.
H. D 0 I d - Frankfurt a. M.: Ein Seroskop (Dlsperskop).
Beschreibung (mit 1 »Abbildung) und Gebrauchsanweisung.
F. K i r s t e i n - Marburg: Homosenislerung der Röntgenstrahlen mittels
eines Gewebsäquivalentfilters.
Zur Bestrahlung von Oberflächen- und Tiefentumoren wurde behufs
Homogenisierung zwischen Körperoberfläche und Röhre ein 5 cm dicker
Pferdefleischfilter eingeschaltet. Dieses kann durch das Christen sehe,
den gleichen Absorptionskoeffizienten wie menschliches Gewebe besitzende
Bakelit ersetzt werden.
Haupt und P i n o f f - Görlitz: Zur Fernfeldwirkung in der Röntgen-
tiefentberapie.
Besprechung der abschwächenden und der verstärkenden Faktoren bei
der Tiefenbestrahlung. Physikalische Gesetze sind hier nicht allein ausschlag¬
gebend, vielmehr biologische.
P. G. P I e n z - Chariottenburg: Ueber Osteomyelitis acuta und subacuta
der Wirbel.
Der richtigen Diagnose dienen neben den örtlichen, dem Wirbel ent¬
sprechenden Entzünduiigserscheinungen schweres allgemeines Krankheitsbild
und starke Hyperleukozytosc (bis 40 000). Bei Erkrankung der unteren Brust-
und der Lendenwirbel kommt Metcorismus, Venenzeiebnung der Bauchdecken
und direkter Druck.schtnerz des Wirbelkörpers hinzu. Differentialdiagnostisch
fallen ins Gewicht Lungenerkrankungen. Nierenerkrankungen, Rückenmarks¬
erkrankungen und Thrombophlebitis einer Interkostalvene.
R. O n p e n li e i m e r - Frankfurt a. M.; Die operativje Behandlung der
' Prostatahypertrophie.
Kurze Kritik der verschiedenen bisher angegebenen Methoden.
M. F r o n z i g - Breslau: Mohrrübenextrakt bei Säuglingsanämien.
Der Mohrrübenextrakt Rubio wirkt bei den einfachen alimentären An¬
ämien hämoglobinbildend.
H. Kritzler- Giessen: Zur Hebung der Asepsis in der Neugeborenen-
und Wöchnerinnenpflege.
Empfehlung von gebrauchsfertig sterilisierterh Nabelschnurbändchen und
Nabelverband, Abschaffung des Neugeborenenbades u. a.
CI. G r i m m e - Hamburg: Ueber Gonocvstol.
Gonocystol ist ein internes Antigonorrhoikum von guter Wirksamkeit
und frei von schädigenden Nebenwirkungen.
^ H. G r a u - Honnef a. Rh.: Die Bedeutung der Heilstätten für die Tuber¬
kulosebekämpfung.
Die Heilstätten können nicht, wie von Selter vorgeschlagcn wurde,
vollwertig durch Tageserholungsstätte und Krankenhaus ersetzt werden.
L. L a n g s t e’i n - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Nr. 16. •
W. Kolle, H. Sclilossberger und W. Pfannenstiel - Frank¬
furt a. M.; Tuberkulosestudien. IV. Ueber die Tierpathogenität der Gruppe
der säurefesten Bakterien: Tierpassagen, Viruleazstelgerung und kultnrelles
Verhalten.
Durch wiederholte Tierpassagen kam es zu einer erheblichen Virulenz¬
steigerung und zu einer Umwandlung des kulturellen Wachstums, das nicht
mehr innerhalb 2—4 Tagen einen üppigen Rasen bildete, sondern erst nach
3—5 Wochen spärliche Bröckelchen. also den echten Tuberkclbazillcn gleiche
Kulturen; auch lag bei diesen das Temperaturoptimum ebenfalls zwischen 37*'
und 40”, während die Ausgangsstämme bei Zimmertemperatur und ebenso
auch noch bei 50” bis 55” gedeihen.
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA L
2(1. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
623
L. ß r a u c r - Hamburg: Das Forschunxsinstltut für klinische Pharmako-
loxie am Eppendorfer Krankenhause zu liamburK.
J. StrasburKer - Frankfurt a. M.: Ueber chronische bazilläre Ruhr
und Ruhrfolsren.
Fortsetzuns: folgt.
U. Friedemann* Berlin: Ueber Behandlung der akuten Lungenentzün¬
dung mit künstlichem Pneumothorax-
Die bisher auf diese Art behandelten 9 Fälle schienen günstig beeinflusst;
nicht nur wurden die subjektiven Beschwerden geringer, sondern auch
Schwere und Dauer des Krankheitsvcrlaufes gemildert.
W Meyer- Halle a. S.: Die Behandlung skrofulöser Augenerkrankungen
mit Partialantigenen nach Devcke-Much.
Nennenswerte Erfolge wurden nicht beobachtet, vielmehr häufige Rezidive.
A. B r u n n e r - München: Ein Unterdruckatmungsapparat für chirur¬
gische Zwecke.
Zweck des hier beschriebenen Apparates (1 Abbildung) ist, das Blut nach
Möglichkeit auf den kleinen Kreislauf einzuengen und damit Operationen im
Bereiche des grossen Kreislaufes blutsparend zu gestalten.
Stejskal-Wien: Ueber Osmotherapie.
Kurze Zusammenfassung der Heilwirkungen, welche auf Grund des
resorptionssteigerndeii Einflusses der Injektion hypertonischer Zuckerlösungcn
durch Kombination mit Medikamenten erreicht werden konnten.
E. Q 1 a s s - Hamburg: Angioflbrom im M. adductus polllcls.
Kasuistik
W. S a 1 o m o n - Berlin: Die tuberkulöse Durchseuchung der städtischen
Bevölkerung und ihre Bedeutung für die Tuberkulosebekämpfung.
Es wird die Frage der Fernhaltung Tuberkulöser zur Ansteckungs¬
verhütung im Säuglings- und Kleinkindesalter erörtert, mit dem Ergebnis, dass
sich theoretische Forderungen und praktische Durchführbarkeit einstweilen
noch sehr wenig decken.
J. Levy-Berlin: Die Notwendigkeit der Milchverdünnung und die
statistischen Methoden,
Polemik gegen F e t s c h e r.
P. F. R i c h t e r - Berlin: Der ietzige Stand der Pathogenese des Diabetes
mellitus.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Schweizerische medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 15 u. 16.
H. Hunziker - Adliswil: Ueber die Abhängigkeit des Kropfvorkommens
bei Rekruten von der mittleren Jahrestemperatur.
Ausgedehnte statistische Erhebungen führten zu dem Ergebnis, dass das
Kropfvorkommen in der Schweiz bei Rekruten nachweisliche Beziehungen
zur mittleren Jahrestemperatur hat.
E. Wormser: Ueber Qravidltas Interstltialis.
Beschreibung eines Falles. Darstellung der Symptomatologie und Diagnose.
O. Weber-Basel: Zur Pneumothoraxbehaiidlung schwerer Lungen¬
tuberkulosen. (Schluss.)
Bei kritischer Abschätzung der immunbiologischen und pathologisch-
physiologischen Vorgänge im Gesamtorganismus kann man die Indikation für
den künstlichen Pneumoth(»rax auch bei deutlicher Erkrankung der kontra¬
lateralen Lunge erweitern. Der Grad der Aktivität des Prozesses in der
Fneuinotlioraxlunge ist von bestimmendem Einfluss für das Verhalten ev.
Tuberkelherde in der anderen Lunge. Oft ist schon die einfache Entspannung
das Optimum des Kompressionszustandes. Bei Fortdauer der toxischen Sym¬
ptome ist eine vorsichtige Tuberkulinbehandlung angezeigt. Auch gleich¬
zeitiger doppelseitiger Pneumothorax kann indiziert sein und erfolgreich
durchgeführt werden (Beschreibung eines Falles). Betr. Einzelheiten und
Kasuistik sei auf die Originalarbeit verwiesen.
H. Hunziker - Basel: Ueber Salvarsanfälschungen.
Beschreibung mehrerer, meist ganz grober Fälschungen, Angaben einiger
Reaktionen zur Erkennung echten Salvarsans.
J. Q w c r d e r - Davos: Beitrag zum Entspannungspneumothorax.
Mitteilung eines Falles mit Kavernen verschiedenen Charakters in einer
tuberkulösen, pneumonisch infiltrierten Lunge, in dem die frischere Kaverne
mit nachgiebiger Wand durch einen Entspannungspneumothorax ausgeschaltet
und eine wesentliche Besserung erzielt wurde.
E. Köhl-Chur: Der Zungenkropf.
Mitteilung eines Falles, Uebersicht über die Literatur (Verzeichnis von
175 Arbeiten). Entwicklungsgeschichte. Symptomatologie und Therapie.
Th. Winkler: Ueber die Diphtherie der Haut.
Im Anschluss an einen eigenen Fall beschreibt Verf. das Krankheitsbild.
O. Hürzeler - Bern: Die Behandlung der weiblichen Urethraigonorrhöe
mit dem Acatlnolkatheter.
Die Acatinolkatheter bestehen aus Galloylglykose. lösen sich im Laufe
von Stunden in der Harnröhre, dabei Schmerzen und Harndrang beseitigend,
und lassen die Gonokokken rascher verschwinden als bei Injektionsbehand¬
lung mit AgNOa. Dauer der Behandlung 8—10 Tage bis zum Verschwinden
der Gonokokken, Gute Erfolge in 21 Fällen. L. J a c o b - Bremen.
Im Druck erschienene Inaui^iraldissertationen.
Universität Marburg. Januar bis April 1921. ,
Jessen Harald: Prophylaxe der Eklampsie.
Zehnpfennig Karl Alfr.: Die dentalen Oberkieferhöhlenempyeme und ihre
Behandlung historisch betrachtet.
Heise Hans: Der Erbgang der Schizophrenie in der Familie D.* und ihren
Seitenlinien.
K e i n i n g Egon: Ueber den serologischen Luesnachweis durch Ausflockung
nach der Methode von Sachs und G e o r g i.
Ziemer Friedr.; Die in der Universitäts-Frauenklinik zu Marburg 1911—1918
operierten Ovarialtumoren.
Reinhardt Heinrich: Ueber eigentümliche Herdveränderungen der Milz bei
Kamerun-Negern (Induratio lienis febrosa circumscripta multiplex).
Universität Tübingen. April 1921.
Giebel Walther: Ein Beitrag zur pathologischen Anatomie der Zirbeldrüse.
(Ueber primäre Tumoren der Zirbeldrüse.)
Vereins- und Kongressberichte.
Berliner medizinische GeseilschafL
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 4. Mai 1921.
Herr L o t s c h stellt einen geheilten Fall von Eplstropheusfraktur vor.
Herr Max M o s s e: Ein Full von hämolytischem Ikterus mit einer Poly¬
globulie von ö Millionen Erythrozyten, den er schon, vor 8 Jahren mit Rücksicht
auf die bei ihm nicht herabgesetzte Resistenz der Erythrozyten gezeigt hatte.
Jetzt ist die Resistenz herabgesetzt-
Aussprache über den Vortrag des Herrn L o t s c h: Beiträge zur
Milzchirurgie.
Herr W o h 1 g e ni u t h teilt seine diesbezüglichen Erfahrungen mit.
Herr Kausch hat über perniziöse Anämie relativ günstige Erfahrungen,
bei Leukämie jedoch meistens Todesfälle durch Milzexstirpation erlebt. Er
verwendet ebenfalls die SchnittfUhrung nach L o t s c h, obwohl sie eigentlicn
unphysiologisch ist.
Herr R e t z l a f f gerichtet etwa dasselbe. Er hat weiter einen Thrombo-
peniefall, bei dem nur die Milzexstirpation Erfolg brachte. Daneben wurde
allerdings Salvarsan gegeben, das aber schon vorher allein ohne Erfolg
angewendet worden war. Nach der Operation wurde die Zahl der Thrombo¬
zyten normal und die Blutungen hörten auf. Nach seiner Ansicht ist beim
hämolytischen Ikterus stets eine Differentialdiagnose gegen perniziöse Anämie
möglich.
Herr Mühsam hat 16 Fälle von perniziöser Anämie mit Milzexstir¬
pation behandelt, davon ist nur noch 1 Fall am Leben und auch bei diesem
ist das Blutbild nicht normal. Die andern starben an hämorrhagischer
Diathese oder an andern Erkrankungen binnen 1—2 Jahren nach der
Operation.
Herr J. W. Samson: Tuberkulose und Prostitution.
Vortragender weist darauf hin, dass nur vereinzelte Autoren die Be¬
deutung der Tuberkuloseausbreitung, welche durch die berufsmässige Pro¬
stitution erfolgt, gewürdigt haben und dass eine Beurteilung des Umfanges
der Ausbreitungsgefahr infolge Mangels an exakten Untersuchungen bisher
unmöglich war. S. hat 1300 Kontrollmädchen im Laufe der Jahre auf der
Berliner Sittenpolizeit untersucht und konnte Morbidität an aktiv tuberku¬
lös Erkrankten in rund 10 Proz. der Fälle feststellen. Diese Angaben beziehen
sich nur auf Lungentuberkulose, da die anderen bei einem normalen oder
perversen Sexualverkehr in Frage kommenden Infektionsquellen (Urogenital-
tuberkulosc, Mundschleimhaut- und Hauttuberkulose) wegen ihrer relativen
Seltenheit keine praktische Bedeutung haben. An der Hand der Berufs¬
krankheiten und -Schädlichkeiten der Puellae publicae konnte S. Beziehungen
über Entstehung und Verlauf der Lungentuberkulose im Zusammenhang mit
der Lues, dem chronischen Alkoholismus, dem Tabakmissbrauch usw', eruieren.
Eine direkte Wirkung des Alkohols auf die Tuberkulose konnte nicht gefunden
werden, dagegen scheint die gleichzeitig bestehende oder später hinzutretende
Lues unter bestimmten Voraussetzungen gelegentlich einen, wenn auch ge¬
ringen, die Prognose der Tuberkulose verschlechternden Einfluss auszuüben.
S. hält die Untersuchung auf Tuberkulose bei der sanitären Ueberwachung
der Prostitution für notwendig, da die Tuberkulosebekämpfung sinnlos ist,
wenn man eine so durch Innigkeit des Kontaktes und Massivität der Infektion
bedeutungsvolle Infektionsquelle ausser acht lässt. Hinsichtlich aller Einzel¬
heiten verweist er auf eine demnächst erscheinende Monographie über diesen
Gegenstand.
Sitzung vom 11. Mai 1921.
Herr Manfred F r ä n k e 1: Die Bedeutung der Röntgenreizdosen in der
Medizin. (Kurze Mitteilung.)
Die therapeutischen Erfolge entsprechen nicht den grossen Apparaturen,
wie aus allen modernen Statistiken hervorgeht. Die Intensivbestrahlungen
scheinen sogar eine erhebliche Verniehrung der Metastasen zu bewirken. Auch
Werner warnt bei malignen Tumoren vor Anwendung harter Strahlen. Der
jetzt so lange beschrittene Weg ist ein falscher. Es gibt keine Vernichtungs¬
dose für die Krebszelle, es fehlt ihr an absoluter und relativer Elektivität.
Es ist möglich, dass nicht die Schädigung der Tumorzelle das Primäre ist,
sondern die sekundäre Bindegewebsbildung die Hauptwirkung veranlasst.
Ueber den physikalischen Verbesserungen hat man die biologischen Verhält¬
nisse ausser acht gelassen. Mehr dem embryonalen Typus sich nähernde
Tumoren sind für Bestrahlung refraktärer, als vollentwickelte. Selbst bei
gutartigen Tumoren hat man, was sonst in der Medizin nie vorkommt, maxi-
lale Bestrahlungsdosen angewandt. Erst seitdem man hiervon abgegangen,
kann man die Bestrahlung auch bei Myomfällen von Frauen unter 40 Jahren
anwenden. Das Bindegewebe rechnet er den endokrinen Drüsen zu. Der
Träger der Karzinomerbanlagc ist ev. eine Schwächung der Resistenz des
Bindegewebes. Das operable Karzinom ist stets zu operieren, ja es ist die
Operabilität auszudehnen und dann milde zu bestrahlen, um endokrine Kräfte
zur Mitwirkung heranzuziehen. Vortr. eröffnet neue Perspektiven aus der
Literatur für die Therapie aus der Bestrahlung der Milz, Thyreoidea, Ovarium ‘
mit Reizdosen.
Aussprache: Herr Lazarus:, Er unterscheidet Vernichtungs-,
Hemmungs-, Reizdosen und solche der Indifferenz. Auf tiefliegende Tumoren
darf man keine Reizstrahlen anwenden. Vernichtungsdosen wirken schädlich,
wenn der von ihnen beschriebene Konträraffekt durch vagabundierende
Strahlen eintritt. Die Reizung der endokrinen Drüsen ist noch im Stadium
der Hypothese.
Herr Strauss: Der Vortr. hat das Verdienst, als erster die jetzt im
Mittelpunkt der Diskussion stehenden Reizstrahlungen auf die Milz ausgeführt
zu haben. Verschiedene Röntgendosen bewirken einen verschiedenen Cho¬
lesteringehalt des Blutes. Die Bedeutung der endokrinen Drüsen darf nicht
unterschätzt werden. Viele Angaben der Lehrbücher und sonstiger Veröffent¬
lichungen sind unzutreffend.
Herr Quggenheimer: Die Stephan sehe Anregung, bei Blutungen
Reizbestrahlungen der Milz vorzunehmen, hat die Kontraindikation, dass man
sie bei Thrombopenie nicht anwenden darf. Hier wirken Reizdosen auf das
Knochenmark günstig. Herr Kraus rät dem Vortr. auf Grund einzelner
Befunde nicht weittragende Theorien über endokrine Drüsen auszusprechen.
Herr Benno Cohn: Ueber Coxa valga luxans (Klapp).
Vortr. gibt zunächst die Definition der von Klapp aufgestellten Erkran¬
kung, die ihren Namen davon hat, dass der Kopf die Pfanne zu verlassen
strebt und sie doch nie verlässt, da die Knochenapposition dies verhindert
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
624
MÜNCHENER MEDiZiNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20.
(Subluxation). Der Kopf kann sich den veränderten statischen Verhältnissen
anpassen. RöntKcnaufnahmen müssen in Innenrotation Remacht werden, um
falsche Projektionen zu vermeiden.
Es besteht eine Verwandtschaft mit der konRenitalcn Luxation. Stütz¬
apparate und operative Therapie vermöRcn die Erkrankung bisher nur wenig
zu beeinflussen.
Herr Ohm: lieber den sogen. 3. Herzton und seine Beziehungen zum
Venenpuls.
Nach seiner Ansicht bezeichnet er das Ende der Erschlaffungszeit, wie
sich aus dem gleichzeitig aufgenommenen Venenpuls ergibt. Er entsteht durch
Spannungsdifferenz infolge des Eindringens des Blutes in die erschlaffte
Kammer. »
Aussprache: Herr Kraus: Der 3. Herzton ist keine Spielerei,
sondern zuerst von einem Praktiker gehört worden. Die wichtige Phase der
Erschlaffung ist nur mit dem Ohm sehen Verfahren abzulesen. W.-E.
Verein fDr innere Medizin und Kinderheiikunde zu Beriin.
Sektion für Kinderheiikunde.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 9. Mai 1921.
Frau Käte F o h t: Beitrag zur Nabeldiphtherie des Neugeborenen.
Unter 30 Kindern mit nässendem Nabel wurden bei 5 mit besonders
schwerer Entzündung Diphtheriebazillen nachgewiesen. Serumbehandlung
brachte schnellere Heilung. Alle Fälle stammen aus derselben Frauenklinik.
Solche i'älle können Ausgangspunkte von ganzen Hausepidemien werden.
Diskussion: Herr D a v i d s o h n hat bei Mittelohreitcrungen in
30 I^roz. Diphtheriebazillen gefunden, meist auch im Nasenrachenraum. Die
Fälle heilen ohne Serumbehandlung.
Herr Heck weist darauf hin, dass es auf der Haut sog. Paradiphtherie¬
bazillen gibt, die auch die N e i s s e r sehen Polkörperchen besitzen. Die
Unterscheidung .erfolgt auf Grund ihrer verschiedenen Zuckervergärung; Para-
diphtheriebazilleu vergären Saccharose, echte Diphtheriebazillen nicht.
Herr S o l d i n hat in 22 Fällen von Nabelentzündung Diphtheriebazillen
festgestellt, und 6 Todesfälle. Alle I'älle waren mit Serum behandelt worden
und alle stammten aus Frauenkliniken.
Herr Kassel warnt vor der Ueberschätzung der (jefahr dieser Diph¬
therieverbreitung durch solche Bazillenträger. Besondere Sorgfalt muss auf
die Reinigung der IJadewannen gelegt werden.
Herr F o h t: Schlusswort.
Heir Kutter: .Masernschutz durch Rekonvaleszentenserum.
Nach D e g k w i t z kann man durch Injektion von Rekonvaleszenten¬
serum, in den ersten Tagen der Inkubation gespritzt, den Masernausbruch
verhüten. Am wirksamsten ist das Serum am 7. Tuge der Rekonvaleszenz.
8 Tage nach der Inkubation hat das Serum keine Wirkung mehr. Er ver¬
wandte stets Mischserum ohne Schädigung. Von 145 I-äHeii wurde 107 mal
voller Erfolg erzielt, die Misserfolge sind wohl auf zu späte Injektion zurüpk-
zuführen.
Aussprache: Herr L. F. Meyer: Neugeborene erkranken bekannt¬
lich nicht an Masern. Trotzdem war die Anwendung von Neugeborenenserum
ohne Erfolg.
Herr Neuland bestätigt aus der Czerny sehen Klinik die Mit¬
teilungen des Vortr. Von 33 vor dem 6. Inkubationstage gespritzten blie¬
ben 31, von 6 später gespritzten 4 gesund.
Herr F i n k e 1 s t e i n hält die Frage des Masernschutzes für praktisch
gelöst. Nur Einzelfragen sind noch zu lösen. Neugeborene erkranken nur
dann nicht an Masern, wenn die Mütter früher Masern durchgeniacht
haben. W.
Medizinische Gesellschaft Güttingen.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 10. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr E. Kaufmann. Schriftführer: Herr Fromme.
Herr W. Heubner: lieber Biutveränderungen bei lokalen Entzündungs¬
prozessen (nach Versuchen von Dr. F. Kok).
Beobachtungen an phosgenvergifteten Tieren hatten ergeben, dbss zu¬
gleich mit dem akut entzündlichen Prozess auf den Lungen sich eine Blut¬
drucksenkung cinstellt, deren Ursache nicht sicher feststellbar war; aus-
zuschliessen waren jedoch mit Bestimmtheit eine direkte Wirkung des Giftes
auf Herz und (iefässe, eine Störung der Herzfunktion überhaupt, eine
Steigerung des Widerstandes in den Lungengefässen und endlich ein Reflex
von den Lungen aus, wenigstens soweit er an die sensible Vagusbahn ge¬
bunden ist (L a g u e u r und JVl a g n u s). Deshalb musste der Gedanke auf-
konmien. ob nicht stoffliche Produkte des in exsudativer Entzündung be¬
griffenen (iebietes diese Blutdrucksenkung durch zentrale oder periphere
Oefässwirkung verschuldeten. Unter diesem Gesichtspunkt wurde eine
Methode aufgegriffen, die entschiedene Veränderungen im Blut zu erkennen
erlaubt, nämlich die Messung der Senkungsgeschw'indigkeit der
Blutkörperchen nach F a h r ä u s. Sie ist. wie dieser unter Erneuerung und
Erweiterung alter Beobachtungen fcststelltc, bei Entzündungsprozessen erheb¬
lich gesteigert. Da nun aus den mikroskopischen Untersuchungen an ent¬
zündeten Geweben bekannt ist. dass auch in den durchbluteten Gefässen sich
Zeichen von „Agglutination“ roter und weisser Blutzellen (Stasc, weisse
Pröpfe) bemerkbar machen, so schien es aussichtsreich, durch Verfolgung des
Zusammenhangs zwischen lokaler Entzündung und Blutkörperchensenkung
stoffliche Veränderungen im Blute als Entzündungsfolge zu fassen. Dabei
wurde zunächst die Lokalisation in den Lungen beiseite gelassen und die
Frage allgemeiner gestellt: wie folgt zeitlich die Aenderung der Senkungs-
geschwindigkeit de-. Blutkörperchen der Entwicklung einer lokalen Ent¬
zündung. Als soIcIk wurde die Verbrühung gewählt, als Versuchstiere
grössere Hunde. Das Blut wurde durch Vermittelung von Seitenzweigen aus
grös.sercn Arterien und Venen, also ohne Unterbrechung seines Stromes in
Zitratlösung auigefangen und die Senkung der Blutkörperchenplasmagrenze in
häufigen Zeitintervallen verfol'^t. Aus den aufgenommenen Kurven ergeben
sich zwei charakteristische Werte, die Anfangsgeschwindigkeit
der Senkung und das Endvolumen der Blutkörperchenschicht. Beide
ändern sich annähernd gleichsinnig, ohne durchweg proportional zu sein.
Als Anfangsgeschwindigkeit wurde definiert der Wert ^ ^ abgelesen aus
dem (eventuell extrapolierten) Anfangsteil der Kurve, wobei a die Höhe
der angewandten Blutsäule, X die Höhe der Plasmaschicht, t die Zeit in
Minuten bedeutet; sie lag bei 6 gesunden Normaltieren zwischen 0,1 und 0,5.
Bei zwei anderen Hunden lag sie höher, beide erwiesen sich als krank. Nach
Verbrühung einer Pfote blieben die Werte viele Stunden normal, um gegen
Ende des ersten Tages wenig zu steigen. Nach 2—6 Tagen waren sie
erheblich grösser als in der Nbrm (3—4i4), um in einem Falle am 4. Tage
sogar den Wert 12'A zu erreichen. Von Ende der ersten Woche an war ein
Rückgang gegen die Norm erkennbar, doch wurde auch nach 214 Wochen
noch ein abnorm hoher Wert gefunden. Ohne Verbrühung, aber nach sonst
gleichartiger Operation stiegen die Zahlen nur bis 0,8 zur Zeit des Maximums.
Weitere Bemühungen richteten sich auf den Nachweis von pharma¬
kologisch wirksamen Stoffen im Blutplasma, wozu glattmuskelige Organ¬
stücke von Darm und Uterus, sowie das Gefässpräparat vom Kaninchenohr
herangezogen wurden. Mit Bestimmtheit konnte ermittelt werden, dass
während der ersten Stunden nach der Verbrühung keine Aenderung der
Wirksamkeit des Blutplasmas eintritt. Dagegen war — in dem einzigen
einwandfreien Versuch — das nach 24 Stunden entnommene Blut deutlich
stärker vasokonstriktorisch wirksam als das Normalblut.
Die untersuchten stofflichen Veränderungen des Blutes schienen also etwa
mit dem Umfang der lokalen Gewebsveränderungen parallel zu gehen. Da
die Blutdrucksenkung bei akutem toxischem Lungenödem bereits im Laufe
weniger Stunden bemerkbar wird, so sind einstweilen keine Argumente ge¬
geben. die eine Beziehung zwischen beiden Befunden vermuten lassen könnten.
Diskussion: Herren Reichenbach und J e n s e n.
Herr E b b e c k e: Der kapiUarmotorische Mechanismus.
E. bespricht im Zusammenhang die Untersuchungen über lokale vaso¬
motorische Reaktion (E b b e c k e), die Untersuchungen über Histaminwirkung
(D a l e und Richards, Dale und L a i d 1 a w) und die Untersuchungen
über Sauerstoffversorgung der Gewebe und Kapillarzahl (K r o g h), die über¬
einstimmend die Selbständigkeit und Bedeutung der aktiven Kapillarver¬
engerung und -erweiterung nachweisen. Die Färbung einer Haut- oder Organ¬
stelle wird in erster Linie durch den Zustand ihrer Kapillaren bestimmt; die
lokale Reizhyperämie beruht, nach Ausschluss einer in ihr enthaltenen reflek¬
torischen Komponente auf einer Erweiterung der kleinsten Gefässe, die nicht
nervös, sondern durch Gewebsvorgänge bedingt ist. Das Histamin (i8-Iraid-
azolyläihylamin) ist ein typischer Vertreter einer Reihe von „Kapillargiften“,
zu denen auch Eiweissgifte, anaphylaktische Gifte, Bakterientoxine und
Organextrakte gehören. Für die Sauerstoffversorgung des Gewebes ist
massgebend nicht nur die Geschwindigkeit des die Gefässe durchströmenden
Blutes und nicht so sehr die Weite der durchflossenen Gefässe, sondern
wesentlich die Zahl der Kapillaren, die eröffnet und in Betrieb genommen
sind und von denen in der Ruhe nur ein äusserst kleiner Teil durchströmt
wird. E. weist hin auf die Beteiligung der Kapillaren an den Erscheinungen
der funktionellen Hyperämie, der Entzündung, des anaphylaktischen, traumati¬
schen und chirurgischen Schocks und der Infektionskrankheiten. (Erscheint
ausführlicher in den ,,Naturwissenschaften“.)
p i s k u s s i o n: Herren Bruns, Heubner, Jensen und E b -
b c c k e.
Medizinische Geseiischafl zu Jena.
Sitzung vom 2. März 1921.
Herr Rössle: Vorweisungen aus der Pathologie des Nervensystems.
11. Teil.
1. Kavernom unter dem Ependym des linken Linsenkernes. (S.-Nr. 290/16.
26 jähr. Mann.)
2. Angioma artcriale racemosum des Hinterhauptiappens. (E.-Nr. 213/16.)
Plötzlicher Tod durch epileptischen Anfall. Sitz der Geschwulst in der Basis
des linken Hinterhauptlappens. Infiltratives Wachstum mit Neubildung von
Gefässräumen.
3. Traumatisches Osteosarkom der Dura des Stirnhirns. (E.-Nr. 366/17.)
Verwundung durch Gewehrschuss Ende 1914. Exstirpation eines infiltrieren¬
den Osteosarkoms derselben Stelle Mitte 1917. Jahrelange Heilung.
4. Lipom des Balkens. (S.-Nr. 323/15, 38 Jahre.) Zufallsbefund. Gleich¬
zeitige Knochen- und Bindegewebsneubildung an der Oberfläche des miss¬
gebildeten (verkürzten) Balkens.
5. Doppelter Zysticercus racemosus der Gehirnbasis. (S.-Nr. 238'1^.
47 jähr. Mann.) Tod durch Melanosarkom. Chronische Meningitis und
Aiteriitis der Basis, besonders neben absterbenden Teilen des Zystizerkus.
Gleichzeitige multiple obsolete Zystizerken des übrigen Gehirns.
6. Metastasen eines Sarkoms des Pankreas ln peripheren Nerven.
(S.-Nr. 569/17, 43 jähr. Landsturmmann.)
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Küin.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 21. Februar 1921.
^ Vorsitzender; Herr Gaben. Schriftführer: Herr J u n g b l u t h.
Herr D r e y e r stellt einer 42 jährigen Mann vor, der am linken Mund¬
winkel und an der rechten Halsseite seit 5 Monaten entwickelte Geschwüre
mit stark gewucherten Granulationen zeigt. Die flache Beschaffenheit der
Ränder schliesst ein Karzinom aus. Zudem sieht man unterhalb des füni-
markstück-grossen Geschwürs am Hals einige braunrote kutane Knötchen von
Erbsengrössc, die die Diagnose der tuberösen Lues sichern. Gegenüber dem
Lupus vulgaris kann man in solchen Fällen mit .Vorteil das Hautmikroskop
zur Diagnose heranzichen, das nach Einfettung der Haut mit Anilinöl Pigmen¬
tierung und erweiterte Kapillaren zeigt, während beim Lupus die Kapillaren
in dendritischer Form sich verzweigen.
Herr Kraut wlg: Krüppeltum, Krfippdfürsorge und das neue KrfiPP^l*
gesetz.
Der neueste Zweig sozialhygi^ischer Arbeit, die Krüppelfürsorgc, die
durch das prcussische Krüppelge.setz eine vortreffliche gesetzliche Regelung
gefunden, ist, wie die übrigen Zweige der Sozialhygiene in erster Linie eine
vorbeugende Arbeit an zahlreichen defekten Menschen, die ohne diese Für¬
sorge körperlich und geistig zu verelenden pflegen, wirtschaftlich aber
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
20. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
625
Familie und Gemeinde in schlimmem Masse belasten. Angesichts des Fort¬
schritts der Sozialhygiene, die doch auch den bereits geschädigten Menschen
ihre Fürsorge nicht versagt, ist in zunehmendem Masse die Frage Aufge¬
worfen Worden, ob diese Fürsorge nicht durch Erhaltung körperlich minder¬
wertiger Individuen den Volkskörper allzusehr schädige. Demgegenüber
muss darauf hingewiesen werden, dass eine zweckmässige sozialhygicuische
Fürsorge defekte Menschen und insbesondere auch den Krüppel medizinisch
heilen oder doch erheblich bessern kann, meist soweit, dass bei eigentlichen
Volksscuchen (Tuberkulose) eine Verschleppungsgefahr auf die Gesunden ver¬
ringert oder ausgeschlossen wird und dass bei den meisten Pfleglingen der
Fürsorge ein lebenswertes Leben und eine gewisse wirtschaftliche Selb¬
ständigkeit erreicht wird. Man mag im Sinne einer qualitativen Bevölke-
rungspolitik auch auf sozialhygienischem Wege alle die (Quellen zu verstopfen
suchen, die neues Elend und auch neues Krüppeltum hervorbringen. Daneben
aber verpflichten vernünftige Erwägungen und ethisches Empfinden den Arzt,
im Sinne des Mitleidprinzips den vorhandenen schwächlichen und gebrech¬
lichen Menschen nach Möglichkeit beizustehen. Die neue Krüppelfürsorge des
19. Jahrhunderts führt von den ersten Krüppelheimen in München, Stuttgart
und Ludwigsburg hin zu den Krüppelheimen in Nowawes, Krakau h. Magde¬
burg, die von der evangelischen inneren Mission nach dem Vorbilde nordi¬
scher Krüppelheime errichtet wurden. Inzwischen beträgt in Deutschland
die Zahl der Krüppelheime mehr als 60 mit etwa 12 000 Betten. Unter den
neuesten mögen genannt werden das kommunale Krüppelheim (Stiftung
Dr. Dormagen) in Köln-Merheim, das staatliche Krüppelheim in München,
das fürstbischöfliche Krüppelheim in Beuthen und die Krüppelheime der
Josephs-Gesellschaft in Bigge/Ruhr, Köln und Aachen.
Ob die B i e s a 1 s k i sehen Ziffern, die im Durchschnitt 15 jugendliche
Krüppel auf 10 000 Einwohner feststellen, sich nunmehr, wo infolge des’neuen
Gesetzes jeder Bezirk Veranlassung genommen hat zu einer neuen Krüppel¬
zählung, bestätigen werden, steht dahin. Für die grösseren Städte, die bereits
durch ihre guten chirurgischen Kliniken und orthopädischen Anstalten wichtige
Stücke der Krüppelfürsorge bisher erfolgreich betrieben haben, ist obige Zahl
w'ohl zu hoch gegriffen. Desgleichen die Angabe B i e s a 1 s k i s, dass etwa
auf 10 000 Menschen 8 heimbedürftige Krüppel anzunehmen seien.
An der B i e s a 1 s k i sehen grundsätzlichen Feststellung, dass für die
schweren Krüppel nur das Krüppelheim in seiner gleichzeitigen Wirksamkeit
als chirurgisch-orthopädische Klinik, als Schule und als handwerklich-gewerb¬
liche Ausbildungsstätte eine wirksame Entkrüppelung vornehmen kann, ist
nicht zu zweifeln. Das preussische Gesetz betr. die öffentliche KrüppeJ-
fürsorge vom 6. V. 20, das mit dem 1. X. 20 in Kraft getreten ist, regeU
mustergültig die sozialhygienische Versorgung der Krüppel. • Gleichwie bei
Geisteskranken, Idioten, Epileptischen, Taubstummen und Blinden liegt nun¬
mehr die Unterbringung (Bewahrung, Kur, Pflege) der hilfsbedürftigen Krüppel,
falls sie der Anstaltspflege bedürfen, den Provinzen ob. Wenn die Provinzen
bei Taubstummen und Blinden durch das bekannte Beschulungsgesetz von
1911 über die Anstaltsbewahrung hinaus die Pflicht des Unterrichts hatten,
so geht das Krüppelgcsetz noch weiter, wenn es bei den Krüppeln unter
18 Jahren auch die Erwerbsbefähigung der Krüppel den Pjovinzen zur Pflicht
macht. Die Erwerbsbefähigung setzt aber den Unterricht voraus.
Sache der Provinzen ist es, nur durch die im Gesetz gegebene Anzeige¬
pflicht von Aerzten, Hebammen, Lehrern und Fürsorgerinnen möglichst bald
die Zahl der anstaltsbedürftigen Krüppel ihrer Bezirke kennen zu lernen,
damit sie nunmehr prüfen, ob ein Krüppelheim oder eine chirurgisch-ortho¬
pädische Anstalt dem von Sachverständigen aufgestellten Heilplan genügt.
Die kostspieligen Krüppelheime werdfen den schwersten Fällen vorzubehalten
sein.
Neben der Anstaltsbehandlung soll nun auch im Sinne des Gesetzes
die laufende Beratung und Hilfevermittlung für alle Krüppel durch eine Für-
sorgestells veranlasst werden, die jeder Stadt- und Landkreis einzurichten hat.
Insbesondere soll hier Beratung und Behandlung veranlasst und vermittelt
werden für alle diejenigen Personen unter 18 Jahren, die der Gefahr der
Verkrüppelung ausgesetzt sind. Es ergibt sich hier ein sehr dankbares grosses
Arbeitsgebiet vorbeugender Fürsorge für die zahllosen Kinder, die infolge der
Kriegseinwirkungen mehr als früher an Knochen- und Gelenktuberkulose und
an schwerer Rachitis erkranken.
Das Krüppelgesetz muss die Aerzteschaft besonders interessieren nicht so
sehr wegen der aufgegebenen Anzeigepflicht, als wegen der Möglichkeit, die
es ihnen als den berufenen Vorkämpfern auf dem Gebiete der sozialen
Hygiene eröffnet, für die ihrer Fürsorge anvertrauten jugendlichen Patienten
frühzeitig zur Verhütung der Verkrüppelung oder zur möglichsten Entkrüppe¬
lung die Hilfe der Allgemeinheit in Anspruch zu nehmen.
Die Krüppelfürsorge ist nunmehr vollkommener geordnet als die Fürsorge
für die übrigen körperlichen und geistigen Defekte der Jugend. Es wäre
zu wünschen, dass unsere schwere Volkskrankheit, die Tuberkulo.se, bald
einen ebenso entscheidenden und wirksamen Plan sozialhygienischer Be¬
kämpfung auf gesetzlichem Wege erhalten würde.
Aussprache: Tillmann, Landwehr, Krautwig.
üesellschafl der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22, April 1921,
Herr A. Eiseisberg demonstriert einen Mann mit einer Pseud-
arthrose des Unken Oberarmes.
Der Mann hat vor vielen Jahren bei einem Unfall den Oberarm ge¬
brochen. Man kann das distale Stück um 360” drehen, ohne dass der Puls
verschwindet oder die Sensibilität gestört wird.
Herr E. Redlich stellt einen Mann vor, bei dem ein Tumor des
SCirnhirns entfernt wurde.
Herr E. Redlich berichtet über einen FaU von Brflckenwlnkeltumor.
Die 55 jährige Pat. erkrankte unter Akustikussymptomen, später traten
Trigeminussymptome hinzu, Symptome seitens der linken Extremitäten. Ba-
bin^i, heftige Kopfschmerzen mit Erbrechen, Stauungspapille.
Auch dieser Tumor erwies sich als Endotheliom der Dura; er konnte
nicht entfernt werden.
Herr M. Jerusalem: Zur Behandlung des kalten Abszesses.
Kombination von Röntgenbestrahlungen mit Operation. Die Bestrahlungen
wurden in der Regel vor und nach der Operation angewendet, u. zw. in
mehreren nicht zu grossen Dosen. Die Operation selbst bestand, in breiter
Eröffnung des kalten Abszesses, schonender Ausräumung des Inhaltes ohne
Digitized by Goiisle
scharfen Löffel (niemals Rippenresektionl) und kompletter Naht (niemals
Drainage!).
Herr S. Peiler und Herr y. R u s s: Beobachtungen bei einer Typhus¬
epidemie unter Kindern. __ K.
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Notizen.
Bei seinen Untersuchungen überKnochcntransplan-
t a t i o n kam Christophe - Lidge zu ähnlichen Ergebnissen, wie früher
schon N a g e 0 11 e und S e n c c r t, dass nämlich die Ueberimpfung abge¬
storbenen Gewebes (Knochen. Gefässe. Nerverr, Sehnen) unerwartet gute
Resultate — allerdings nur in gewissen günstig gelagerten Fällen — liefert.
Die Knochenteile werden bis zum Augenblick der Operation im Alkohol fixiert,
nachdem sie unter strengster Asepsis, die natürlich auch bei der Implantation
einzuhalten ist entnommen waren. Die Versuche an Kaninchen und Hunden
und die weitere mikroskopische Untersuchung der eingeheilten Knochenstücke
lehrten, dass eingepflanzte (konservierte) Knochenteile sich völlig anpassen
und Knochengerüste und Kalksalze wieder funktionsfähig werden. Die
Wichtigkeit dieser Tatsache sowohl vom biologischen wie chirurgischen
Standpunkte aus wird wohl Jedermann einleuchten. Allerdings gibt es auch
Fälle, wo diese Regeneration und Einheilung nicht gelingen und es obliegt
noch weiterer Untersuchung, diese Verschiedenheit des klinischen Verlaufes
klarzustellen. (Presse mödicale 1921 Nr. 21.) St.
Studentenbelange.
Tasting der Conf^ratlon internationale des etudiants
vom 29. März bis 7. April in P r a g.
Bei der Einweihung der französischen Universität in Strassburg wurde
die Confed^ration gegründet. Bisher gehörten ihr die Studentenschaften von
Frankreich, Belgien, Rumänien, Schweiz, Polen, Tschechoslowakei und Jugo¬
slawien an. Auf der diesjährigen Tagung wurden die Studentenschaften von
Holland, Schw'eden, Norwegen, Dänemark, England, Schottland und Luxem¬
burg in die Conf^d^ration aufgenoinmen. Die Mittelmächte sind nach § 2
der Satzungen ausgeschlossen, solange sie nicht in den Völkerbund aufge¬
noinmen sind. Der Vorstand der deutschen Studentenschaft hatte daher schon
vor der Tagung, am 5. Februar d. J., folgenden Beschluss gefasst:
„Die deutsche Studentenschaft ist grundsätzlich bereit, sich mit den
Studentenschaften anderer Nationen zu verbinden. Sie ist dazu aber nur
dann in der Eaue, wenn sie dieser Vereinigung als vollberechtigtes Mitglied
angehört.
Da die bestehende Conf^d^ration internationale diese Voraussetzungen
nicht erfüllt, kann die deutsche Studentenschaft die diesjährige in Prag
stattfindende Konferenz nicht beschicken.“
Nach einem Aufsatz in der „Deutschen Hochschul-Zeitung“, sollen die
Neutralen der Ansicht sein, dass nach der nunmehrigen Konstellation die
Streichung des § 2 und somit die Aufnahme der Studentenschaften der
Zentralmächte für den nächsten I^ongress, der 1922 in Warschau stattfinden
soll, bestimmt in Aussicht steht. Die Aufnahme wurde dicscsmal dadurch
vereitelt, dass das Bureau, das in den Händen der Franzosen lag. die Ent-.
Scheidung über diese Frage zu einem Zeitpunkt herbeizuführen. wusste, in
dem die Studentenschaften der neutralen Staaten noch nicht aufgenommen
waren. Frhr. v. V e r. s c h u e r, cand. med.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 18. Mai 1921.
— Das preussische Ministerium für Volkswohlfahrt
hat folgende Warnung vor Rad-Jo erlassen: „ln letzter Zeit ist
wiederholt beobachtet worden, dass der Rad-Jo-Versand Vollratli W a s mu t h
in Hamburg. Amolposthof, der das angeblich entbindungserleichternde Mittel
Rad-Jo vertreibt, solche Reklamegelegenheiten bevorzugt, wie sie von be¬
hördlichen Stellen vergeben werden. Im gesundheitlichen Interesse muss es
jedoch unter allen Umständen vermieden werden, dass in der Oeffentlichkeit
der Eindruck entstehen kann, als ob die behördlichen Stellen geneigt seien,
das geschäftliche Verfahren dieser Firma zu billigen und den Absatz ihrer
Erzeugnisse zu fördern. Wir ersuchen deshalb ergebenst, entweder jede
Aufnahme von Ankündigungen der Firma Vollrath Was-
muth, Rad-Jo-Versand, Hamburg, AmolposthoJ. (Deutsche
Handelsgesellschaft für Wohlfahrt und Gesundheits¬
pflege m. b. H., Hamburg 40), in Amtsblättern und ähn¬
lichen amtlichen Veröffentlichungsorganen, auf be-
hördlichenDrucksachenundan sonstigenvon Behörden
für Reklame zwecke zur Verfügung gestellten Stellen
grundsä.tzlichabzulehnen oder jedenfalls anzuordnen, dass vor der
tJescheidung von Reklamegesuchen dieser Firma ein Benehmen mit den
Zentralbehörden stattzufinden hat.“
— Ueber Hauptamtliche Schulärzte für Berlin schreibt
die Voss. Ztg.: Die erhöhten Anforderungen, die die.»Nachkriegszeit an die
kommunale Gesundheitspflege stellen muss, machen auch eine Neuordnung
des Schularztwesens dringend nötig. U. a. sollen Reihenuntersuchungen, d. h.
Durchmusterungen sämtlicher Kinder, wenigstens zweimal während der Schul-
r.eit, eingeführt werden. Ferner ist die Einführung eines Gesundheitsscheines,
der für jedes Kind angelegt und von dem Schularzt weitergeführt werden
soll, unerlässlich für eine geordnete Schulgesundheitspflege. Dazu soll eine
Vergrösserung der Zahl der schulärztlich versorgten Kinder kommen; die
Zöglinge der höheren Schulen sowie die der Fach- und Fortbildungsschulen
sollen nicht länger von der schulärztlichen Aufsicht ausgeschlossen werden.
Wenn die höheren Schüler in das allgemeine Schularztsystem einbezogen
werden, so \Ä'ären in Berlin 200 000 Gemeindeschüler und 30 000 höhere
Schüler, zusammen 230 000 Schulkinder, schulärztlich zu betreuen. Eine Ver¬
mehrung der Schularztstellen ist daher unabweisbar. Diese Vermehrung bietet
den Anlass, das bisher in Altberlin in Geltung gewesene rein nebenamtliche
Schularztsystem zu ändern. Der Berliner Magistrat beabsichtigt die Neu¬
anstellung von sechs hauptamtlichen Schulärzten (je einen für jeden der
sechs Alt-Berliner Bezirke) neben den bereits vorhandenen, nebenamtlich be-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
f)26
MÜNCHENBt^ MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 20
schäftiRten Schulärzten. Den 50 nebenamtlichen Schulärzten sollen (abge¬
sehen von den 3 Fachärzten) je höchstens 3500 Schüler (bisher über 4000)
anvertraut werden, wodurch 175 000 Kinder versorgt wären. Die restlichen
55 000 werden auf die sechs hauptamtlichen Schulärzte verteilt, von denen
jeder somit etwa 9000 Kinder zu versorgen hat. Die wichtigsten .Aufgaben
für die Schulärzte werden nach Einstellung der sechs hauptamtlichen u. a.
folgende sein; Einschulungsuntersuchungen, Reihenuntersuchungen, Entlas¬
sungsuntersuchungen, Ueberwachung besonders gefährdeter Schüler nach ein¬
heitlichen Richtlinien, schulärztliche Sprechstunden in der Schule zwei- bis
dreimal wöchentlich eine Stunde zu festgesetzten Zeiten, regelmässiger Schul¬
besuch, Durchgehen der Klassen, einmal im Semester, mit anschliessender
Besprechung im Lehrerkollegium, Führen der Oesundheits- und Ueber-
wachungsscheine, J\4itarbeit bei der Jugendwohlfahrt, unmittelbare Aufsicht
über die Schulschwestern.
— Aus Wien wird uns geschrieben: Die Zahntechniker¬
novelle vom 13. Juli d. J. hat folgenden Wortlaut: „Befugte Zahntechniker,
welche sich einer praktischen Prüfung vor zu diesem Zwecke bestellten
Kommissionen mit Erfolg unterziehen und sich hierüber der Sanitätsbehörde
ausweisen, sind auch befugt,*die dem Zahnersatz hinderlichen Zähne und
Wurzeln zu entfernen. Diese Befugnis darf auf andere in das Gebiet der
Zahnheilkunde fallende Verrichtungen, wie insbesondere auf die Vornahme
anderer als der vorerwähnten blutigen Eingriffe, die Vornahme der allgemeinen
Narkose oder der Leitungsanästhesie nicht erweitert werden. Die näheren
Bestimmungen über die abzulegende praktische Prüfung werden durch Ver¬
ordnung erlassen." — Durch diese Novelle wird gewerbetreibenden Zahn¬
technikern, die keine wissenschaftliche Bildung genossen haben, das blutige
Operieren gestattet. Die österreichischen Aerzte, welche die reichsdeutschen
um die Formel „Kurirfreiheit" durchaus nicht beneiden, beraten — in etwas
länglichen und bänglichen Verhandlungen —, wie dieser drohenden Kurier¬
freiheit zu begegnen sei. Hiebei lassen wir uns von der vagen Hoffnung
leiten, dass kein österreichischer Dozent sich dazu hergeben werde, Zahn¬
techniker, Gewerbetreibende ohne entsprechende wissenschaftliche und medi¬
zinische Vorbildungj im Zahnziehen zu unterrichten und zu prüfen. K.
— Aus Wien wird uns ferner berichtet: Auch dem österreichischen
Nationalrat steht eine politisch gefärbte Debatte über
Fruchtabtreibung bevor. Sozialdemokratische Nationalräte haben den
folgenden Antrag eingebracht: „Des Verbrechens der Abtreibung der Leibes¬
frucht macht sich derjenige schuldig, der aus was immer für einer Absicht
und auf welche Art immer ohne die Zustimmung der Mutter in jedem
Zeitpunkte der Schwangerschaft die Abtreibung der Leibesfrucht bewirkt
oder zu bewirken sucht.“ „Ein solcher Verbrecher soll mit ^schwerem
Kerker zwischen einem und fünf Jahren und, wenn zugleich der Mutter
durch das Verbrechen Gefahr am Leben oder Nachteil an der Gesundheit
zugezogen worden ist, zwischen fünf und zehn Jahren bestraft werden, es
sei denn, dass überhaupt der Tatbestand eines schwerer zu ähndenden Ver¬
brechens vorliegt.“ „Mit schwerem Kerker in der Dauer zwischen sechs
Monaten und einem Jahr und mit einer Geldstrafe bis zu 50 000 Kronen
ist zu bestrafen, wer gewerbsmässig oder aus Gewinnsucht, wenn auch mit
Zustimmung der Mutter, nach Ablauf des dritten Schwangerschaftsmonats
die Abtreibung bewirkt oder zu bewirken sucht." „Eine schwangere Frauens¬
person, welche absichtlich was immer für eine Handlung nach dem Ablauf
des dritten Schwangerschaftsmonats unternimmt, wodurch die Abtreibung
ihrer Leibesfrucht verursacht oder ihre Entbindung auf solche Art, dass das
Kind tot zur Welt kommt, bewirkt wird,' macht sich eines Vergehens schuldig.“
.'.Dieses Vergehen ist mit Arrest in der Dauer von einem bis sechs Monaten
zu bestrafen, wenn aber hieraus dem Kind ein dauernder Schaden an seiner
Gesundheit erwächst, mit strengem Arrest in der Dauer von sechs Monaten
bis zu einem Jahre." „Wer, ohne Arzt zu sein, einer schwangeren Frauens¬
person mit ihrer Zustimmung die Leibesfrucht vor dein Ablauf des dritten
Schwangerschaftsmonats abtreibt oder wer eine schwangere Frauensperson
veranlasst, eine Abtreibung vor dem Ablauf des dritten Schwangerschafts¬
monats ohne Zuziehung eines Arztes vorzunehmen, macht sich einer straf¬
baren Handlang schuldig." „Wenn die im vorhergehenden Paragraphen unter
Strafe gestellte Tat aus Gewinnsucht oder gewerbsmässig begangen wurde,
so ist ausser (Jer Arreststrafe auch auf eine Geldstrafe bis zu 10 000 Kronen
zu erkennen.“ K.
— Zwischen den Dekanen der medizinischen Fakultäten von M ä d r i d
und Barzelona einerseits und dem Dekan der med. Fakultät von
Paris sind Verhandlungen im Gange, um wechselseitige Studienaufenthalte
für die Studierenden beider Länder an diesen Universitäten einzurichten.
Zunächst ist beabsichtigt, dass ein oder zweimal. im Jahre eine gewisse
Anzahl von spanischen Studierenden zu einem vierzehntägigen Aufenthalt
nach Paris kommt, denen dort alles gezeigt und gelehrt werden soll, was
in so kurzer Zeit möglich ist. Später sollen ebensolche Aufenthalte französi¬
scher Studenten in Madrid und Barzelona folgen. Man sieht auch hieraus,
wie eifrig man in Frankreich bemüht ist, Paris zum internationalen Mittel¬
punkt des medizinischen Unterrichts zu machen.
— Der frühere Professor der inneren Medizin an der Universität Dorpat,
Dr. Karl D e h i o, feiert am 9. Juni d. J. seinen 70. Geburtstag. D. war
während der Besetzung der russischen Ostseeprovinzen Rektor der damals
deutschen Universität Dorpat.
—ln Bautzen tagt am 29. V. 21 der Sächsische Medizinal¬
beamtenverein. Prof. Dr. Philalctes Kuhn wird über Vererbung
sprechen. Nach einer Führung durch die Landesstrafanstalt beschliesst die
Tagung ein Vortrag des Regierungsmedizinalrats Dr. Kötscher über
PsychopaÜien im Strafvollzug.
— Unter dem Vorsitz des Prof. J. C. H e m m e t e r hält die American
Therapeutic Society am 2. und 3. Juni d. J. ihre 22. Jahresversammlung in
Washington ab. Die Tagesordnung enthält (auf Einladung) auch einen
deutschen Namen, Dr. Grote-Halle: „Ueber die Ziele der modernen
Therapie".
— In Mönchen findet am 4. und 5. Juni d. J. ein S ä n i t ä t e r t a g statt,
zu dem alle ehemaligen und derzeitigen Sanitätsoffiziere eingeladen werden.
— Die Verlagsbuchhandlung von Gustav Fischer in
Jena hat einen neunten Nachtrag zu ihrem Hauptkatalog von 1897
herausgegeben unter dem Titel „Die Veröffentlichungen der Verlagsbuchhand¬
lung Gustav Fischer in Jena während der Jahre 1914—1919". Der Nachtrag
erscheint in 2 Tellen. Der erste Teil enthält das Verzeichnis der Zeitschriften
und Werke des Verlags, der zweite enthält die Titel der In den Zeitschrif¬
ten. Sammlungen und Lehr- und Handbüchern erschienenen Einzelbeiträge
und Aufsätze. Der Katalog gibt so nicht nur ein Bild von der umfassenden
Verlagstätigkeif der Firma, sondern er stellt aUch ein wertvolles literarisches
Hilfsmittel dar. Der Preis, der nur einen Teil der Herstellungskosten deckt,
beträgt 4 M.
— Pest. Einzelne Fälle werden gemeldet aus Indochina, Algerien,
Madgaskar, Britisch Ostafrika, Brasilien, Peru, Ecuador.
— Cholera. Formosa. Vom 11, November bis 31. Dezember v. J.
219 Erkrankungen (und 93 Todesfälle); vom 1.—20. Januar 2. '
— Fleckfieber. Tschechoslowakei. Vom 1.—28. Februar 74 Er¬
krankungen (und 11 Todesfälle). — Lettland. Vom 1.—31. März 258 Er¬
krankungen, davon 55 in der Stadt Riga. — Polen. Vom 1.—31. Januar
5308 Erkrankungen (und 597 Todesfälle). — Einzelne Fälle in Bulgarien.
Türkei, Aegypten. Algerien. — Deutsches Reich. In der Woche vom
1.—7. Mai wurden 3 Erkrankungen mitgeteilt, und zwar 2 in der Arbeiter¬
kaserne der Domäne Gatersleben (Reg.-Bez. Magdebrug) und 1 in Breslau.
Für die Woche vom 24.—30. April wurden nachträglich 3 Erkrankungen von
aus Russland heimkehrenden Kriegsgefangenen (Ausländer) gemeldet, nämlich
in Stettin 2 und in Osternothafen 1. — Oesterreich. Vom 10.—16. April 1 Er-
krankung ]n Oberösterreich. — Ungarn. Vom 28. März bis 10. April 2 Er¬
krankungen im Komitat Hajdu.
— In der 16. Jahreswoche, vom 17.—23. April 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Münster
i. W. mit 22,1, die geringste Braunschweig und Neukölln mit 7,2 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. — In der 17. Jahreswoche, vom 24.—30. April
1921, hatten von deutschen Städten über 100 ODO Einwohner die grösste
Sterblichkeit Saarbrücken mit 19,1, die geringste Neukölln mit 3,9 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Vöff. R.-Q.-A.
Hochsc'hulnachricbten.
Berlin. Geh. Rat Prof. Dr. Uhlenhuth hat den Ruf auf den
Lehrstuhl der Hygiene an der Universität Berlin als Nachfolger Flügges
abgelehnt; nunmehr ist zur Wiederbesetzung des Berliner Lehrstuhls ein
Ruf an den Geh. Hofrat Prof. Dr. Martin Hahn. Direktor des hygienischen
Instituts Freiburg i. B. ergangen. — Der durch die Emeritierung des Geh.
Med.-Rats Prof. Oskar Hertwig an der Universität Berlin erledigte
Lehrstuhl der allgemeinen Anatomie 'und Entwicklungslehre wurde Prof.
Dr. Hermann Braus in Heidelbere angeboten. (hk.) ,
Bonn. Nachdem Prof. Dr. P. P r y m krankheitshalber verhindert ist.
in diesem Semester die Vorlesungen des verstorbenen Geh.-Rats R i b b e r t
wieder zu übernehmen, wird die durch den Tod“ R i b b e r t s erledigte Pro¬
fessur für Pathologie in diesem Semester von Prof. Dr. Walter Fischer
aus Göttingen verwaltet, der auch die Vorlesungen hält.
F r e i b u rg. Der a. o. Professor der pathologischen Anatomie Dr. med.
Edgar v. G i e r k e, seit längerer Zeit als Prosektor am städtischen Kranken¬
hause in Karlsruhe tätig, hat auf die Venia legendi in der medizinischen
Fakultät der Universität Freiburg verzichtet, (hk.)
Halle. Nachdem H e u b n e r - Göttingen die Berufung nach Halle als
Nachfolger von G. Gros auf den Lehrstuhl der Pharmakologie abgelehnt
hat, ist Prof. M. Kochmann -Halle als Nachfolger in Aussicht genommen.
K. habilitierte sich. 1907 in Greifswald, seit 1914 ist er als Oberassistent des
pharmak. Instituts in Halle tätig. Seit 1919 leitete er in Vertretung das
Institut.
Jena. Der Privatdozent und Oberarzt an der Universitäts-Augenklinik
in Jena, pr. med. Heinrich E r g g e I e t, ist zum unbesoldeten ausserordent¬
lichen Professor ernannt worden, (hk.)
Leipzig. Die Professur für pathologische Anatomie und allgemeine
Pathologie in Leipzig ist, wie wir hören, soeben durch Prof. Dr. H u e c k
in Rostock besetzt worden. Nachdem die Leipziger Fakultät zunächst
M. Borst (München) und M. B. Schmitt (Würzburg) primo et aequo
loco vorgeschlagen hatte, lehnte Borst den Ruf ab. Die Fakultät erhielt
vom Ministerium die Aufforderung, neue Vorschläge* zu machen und geringere
Kräfte zu berücksichtigen. Die zweite Liste lautete: Primo loco
M. B. Schmitt, secundo et aequo loco H u e c k (Rostock) und M ö c k e -
b e r g (Tübingen).
Marburg. Als Privatdozent für Chirurgie und Orthopädie habilitierte
sich Dr. med. Walter Möller, Assistenzarzt an der chirurgischen Klinik, (hk.)
M ü n s t e r i. W. Medizinerfrequenz. Am Schlüsse der ordnungsrnässigen
Immatrikulation des Sommersemesters 1921 waren bei der hiesigen Universität
3028 Studierende eingeschrieben, darunter 327 Frauen. Ausserdem haben
162 Personen, darunter 41 Frauen, bisher die Erteilung eines Gasthörer¬
scheines nachgesucht, so dass die Vorlesungen zur Zeit von 3190 Hörern be¬
sucht werden. Der Medizinisch-propädeutischen Abteilung (medizinisches
Studium innerhalb der ersten 5 Semester bis zur ärztlichen und zahnärztlichen
Vorprüfung einschlies.slich) gehören 432 männliche und 36 weibliche imma¬
trikulierte Studierende an.
Todesfälle.
In Esslingen verschied am 9. Mai der Oberamtsarzt und ärztliche
Vorstand des dortigen Krankenhäuses, Obermedizinalrat Dr. med. Ernst
S p ä t h im 80. Lebensjahre, (hk.)
In Weimar verschied am 9. Mai der Geh. Hof- und Medizinalrat
Dr. med. Ludwig Pfeiffer im 80. Lebensjahre. Ein Nachruf auf den um
den ärztlichen Stand hochverdienten Kollegen wird folgen.
Korrespondenz.
Die ausserordentliche — wohl kaum schon abgeschlossene — Steigerung
der Portokosten zwingt uns, an unsere Leser die Bitte zu rich¬
ten, Anfragen, die lediglich in ihrem eigenen Interesse
liegen, Freimarken für die Antwort beizufügen. Andern¬
falls .sind wir gezwungen, ilmen die Antwort unfrankiert zu erteilen.
Aus demselben (Jrunde bitten wir Einsender unverlangter
Handschriften, deren Annahme ihnen nicht sicher zu
sein scheint, Freimarken für die etwaigoRücksendung
beizulegen. Wir müssen sonst Aufsätze, welche nicht verwertet wer¬
den können, den Verfassern unfrankiert zur Verfügung stellen.
Die Schriftleitungen der
Berliner klinischen Wochenschrift
Deutschen medizinischen Wochenschrift
Medizinischen Klinik
Münchener medizinischen Wochenschrift.
V*?rl»ev*>n 1 F Lehmmnn in Mönchen S.W. 2. Ptul Her^esir a6. — Druck von E. MÖhUhaler’i Buch* und Kunütanickerei A O.. MCmrhen.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Preis der einzelnen Nummer 2.— Jl. • Bezugspreis in Deutschlanu
• • • und Ausland siehe unten unter Bezugsoedingungen. • • •
Anzel^ennchlaM Immer 5 Arbeitstage vor Erseheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zn rkbAa
für die Schrtfüeitung: Amulfstr. 2* (SpcedmtaadM SK—1 Uht),
fir Bezug, Anzeigett und Beflageu:
an J. r. Lehmann’s Verlag, Paul Heysestrasss M»
Medizinische Wochenschrift.
OROAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 21. 27. Mai 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann. Paul Heysestrassc,26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behält sich das aussclüieBaliohe Recht der Vervielfältiguiig und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
Aus der Orthopädischen Klinik in München.
(Vorstand: Geh. Hofrat Prof. Dr. F. Lange.)
Versuch einer einheitlichen Erklärung der Lähmungs-
erscheinungen hei der infantilen zerebralen Hemiplegie.
Von Dr. Gustav Eversbusch.
So mannigfaltig wie die Aetiologie und die pathologisch-anatomische
Grundlage (Oppenheim ll]) der zerebralen Kinderlähmung, so ein¬
fach ist ihr klinisches Bild. Hier soll nur auf die hemiplegische Form
eingegangen werden, die zwar edne wjeitgehende Aehnlichkeit mit
der Hemiplegie der Erwachsenen zeigt, ein besonderes Gepräge aber
dadurch erhält, dass die der Erkrankung zugrunde liegende Läsion ent¬
sprechend ihrer in das früheste Lebensalter fallenden Entstehung ein
anatomisch und physiologisch noch unfertiges Gehirn betroffen hat. Die
aus dieser Unreife des Gehirns sich ergebende gleichförmige Reaktion
vermag aber doch kaum in ausreichender Weise zu erklären, warum
Veränderungen des frühkindlichen Gehirns von verschiedenartigstem
pathologisch-anatomischen Charakter sehr regelmässig klinische Bilder
hervorrufen, die in ihren Grundzügen vollkommen übereinstimmen und
nur graduell unterschieden sind. Es lag nahe, eine Aufklärung dieser
Gleichförmigkeit des klinischen Symptomenbildes auf dem Wege des
Experiments zu suchen, da sie durch eine rein morphologische Betrach¬
tungsweise kaum zu gewinnen war.
Bevor auf die zu diesem Zwecke am in Operationsnarkose befind¬
lichen Menschen vorgenommenen elektrischen Reizversuche eingegangen
wird, soll in Kürze eine einfache Klassifizierung der Lähmungsdeformi¬
täten bei zerebraler infantiler Hemiplegie mitgeteilt werden, wie sie sich
uns auf Grund von Untersuchungen an einer grösseren Anzahl von
Kinderlähmungen ergeben hat. Je nach der Stärke der spastischen
Paresen, bzw. der Kontrakturen Hess sich unterscheiden eine leichte,
eine mittlere und eine schwere Form.
Dazwischen besteht naturgemäss eine
Reihe von Uebergängen.
1. Die leichte Form ist vor allem
charakterisiert dadurch, dass die gering¬
gradige Parese sich in der Hauptsache auf
Finger, Hand und Unterarm beschränkt,
dass die Spasmen in der gelähmten Mus¬
kulatur wenig hervortreten und eigentliche
Kontrakturen so gut wie ganz fehlen.
Der Ellenbogen ist gestreckt, das Hand¬
gelenk gestreckt oder leicht gebeugt, die
Finger sind, leicht gebeugt. Athetotisch-
choreatische Reizerscheinungen, deren
Häufigkeit und Stärke bekanntlich in um¬
gekehrtem Verhältnis zu dem Grade der
Lähmungen zu stehen pflegen, finden sich
in einem grossen Prozentsatz dieser leich¬
ten Fälle (vgl. Abb. la und 2 a).
Abb.lH Zerebr.Kinderlälmiung.
Leichte hemiplegisclie Form.
.Abb Ib. Elektrisclier Rei7.vei*suoh. Schwacher faradischer Strom.
2. Bei der mittelschweren Form treten an der oberen Ex¬
tremität. die, wie auch bei der Hemiplegie des Erw'achsenen, stets stärker
geschädigt ist, die Beugekontrakturen der Finger, der Hand und des
Ellenbogens mehr hervor. Dementsprechend sind auch stärkere Ver¬
kürzungen der Beuger vorhanden, die Hand- und Fingerstrecker oft
passiv überdehnt. Am Bein besteht meist eine leichte Beugekontraktur
in Hüfte und Knie und mässiger Spitzfuss. Athetose wird auch bei
dieser Form, wenngleich seltener als bei 1. beobachtet (vgl. Abb. 3 a).
In vereinzelten Fällen wurde auch ein auffälliger Wechsel der habituellen
Nr. 21.
Digitized by Google
Armhaltung beobachtet in der Art, dass die (iliedmasse innerhalb kurzer
Zeit, unwillkürlich, aus Beugung und Pronation in Streckung und Supina¬
tion übergingen und umgekehrt.
3. Die schwere Form weist hochgradige Beugekontrakturen im
Ellenbogen- und Handgelenk, sowie solche der Finger auf. Am Bein
ist neben starken spastischen Verkürzungen der Beuger und Adduktoren
auch regelmässig ein deutlicher Spasmus der Strecker, insbesondere
des (Juadrizeps und der Abduktoren zu fühlen (vgl. Abb. 4 a).
Den Weg zu einer einheitlichen Erklärung verschieden starker
Spasmen können die von Ritter [2] und später von Roll'Ctt [3]
bei galvanischen und faradischen Reizversuchen am Nervus ischiadicus
des Frosches gemachten Beobachtungen weisen, nach denen funktionell
verschiedene Muskeleinheiten (Beuger und Strecker) eine verschiedene
elektrische Erregbarkeit besitzen. Diese als R i 11 e r - R o 11 e 11 sches
Phänomen (vgl. auch F. Lange [4l) bekannte Erscheinung bildete
den Ausgangspunkt für die faradischen Reizversuche, die an einer An¬
zahl (23) von zu operativen Zwecken narkotisierten jugendlichen
Patienten der Münchener Orthopädischen Klinik angestellt wurden. Die
obere Extremität wurde vom Plexus brachialis, die untere vom
Ischiadikusstamm aus unter vorsichtigem „Einschleichen“ mit allmählich
anwachsender Stromstärke faradisiert. Das Ergebnis war kurz
folgendes: Schwache Ströme führten zunächst Streckung. Ueber-
streckung und Spreizung der Finger und Streckung der Hand herbei.
Langsame Steigerung streckte den Ellenbogen und supinierte den Unter¬
arm. Unmittelbar im Anschluss daran, manchmal auch schon kurz vor
dieser vollkommenen Streckung des ganzen Arms gingen Hand und
Finger langsam aus ihrer Streck- in leichte Beugestellung über und
streckten sich nach kurzem Verweilen wieder. Bei gleichbleibender
Stromstärke kam dieser langsame
Wechsel zwischen Beugung und Strek-
kung. der einen durchaus atheto-
tischen Eindruck machte (vgl.
Abb. 2 b) immer mehrmals zu¬
stande. Weiteres Ansteigen der
.
Al»b. 2 a. Zerebrale Kinderlähmung. Al»b. 21» Elektrischer Keizverauch.
Leichte hemiplegische Form. Stromstärke grösser als bei Ib.
Stromstärke verschaffte dann endgültig den Hand- und Finger¬
beugern, bald auch d'enen des Ellenbogens das Uebergewicht, die Supi¬
nation wandelte sich in Pronation (vgl. Abb. 1 b). Bei mittelstarken
Strömen wurde regelmässig ausgesprochenere Beugung in den Fin¬
gergelenken. dem Hand- und Ellenbogengelenk beobachtet (vgl. Abb. 3b).
Abb. 3a. Zerebrale Kinderlähmung. .\l)b 81». Elektrischer Reizversuch
Mittelschwere hemipleg. Form. .Mittelstarker faradischer Strom.
Starke faradische Reizung brachte schliesslich krampfhaften
Faustschluss, maximale Beugung der Hand und des Ellenbogens, Adduk¬
tion und Einwärtsrotation des Oberarms zustande (vgl. Abb. 4 b).
3
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
6^8
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Am Bein war die Reihentolge umgekehrt: bei schwachen
Strömen geringe Beugung im Hilft- und Kniegelenk, leichter Spilz-
fuss, bei etwas stärkerem ausgesprochenere Beugung nebst Adduk¬
tion. VV eitere Steigerung der Stromintensität liess das
Bein in Mittelstellung zurückkehren und starker Strom führte ex¬
treme Streckung in Hüfte und Knie und Abduktion herbei.
Vielleicht lässt sich dieses verschiedene Verhalten der Strecker
und Beuger am Arm und Bein auf Grund entwicklungsgeschichtlicher
Momente erklären, durch den Uebergang von der auf allen Vieren er¬
folgenden Fortbewegung der Säugetiere zum aufrechten Gang des Men¬
schen und der dadurch bedingten veränderten Funktion einzelner Muskel¬
gruppen (vgl. Roth mann |5]).
Ein Vergleich dieser Versuchsergebnisse mit den oben skiz¬
zierten Lähmungstypen der infantilen Hemiplegie lässt eine grosse
Aehnlichkeit beider Erscheinungen erkennen. So hat die leichte
Form der zerebralen Kinderlähmung ihr Gegenbild in der bei mässig
starker faradischer Reizung des Arms sich einstellenden Streckung des
Ellenbogens und leichten Beugung der Finger und Hand (vgl. Abb. 1 a
und b).
Das klinische Bild der Athetose findet sich in den ganz ähnlichen
Bewegungsformen der Hand und Fin¬
ger wiedergespiegelt, die ebenfalls bei
schwacher Faradisierung auftreten.
Die bei Reizung mit mittlerer
Stromstärke sich einstellende mässige
Beugung der Finger, des Hand- und
Ellenbogengelenks kehrt ebenso wie
die Pronationshaltung wieder bei den
mittelschweren Lähmungsdeformitäten
(vgl. Abb. 3 a und b).
Starke Ströme lösen hochgradige
Beugespasmen aus, die weitgehende
Aehnlichkeit mit den ausgesprochenen
Kontrakturen der schweren Fonrr
zeigen (vgl. Abb. 4 a und b).
Am Bein fällt die Aehnlichkeit
nicht so sehr in die Augen. Bei
Abli. 4a. Zerebrale Kinderlähmung. .Vbl). 4b. Elektrischer Keizver.such.
Schwere liemipleg. Form. Stärkster faradl.scher Strom.
gibt sich dann ein ganz ähnliches Bild wie bei starker faradischer Rei¬
zung (vgl. Abb. 6).
Die Spitzfussstellung findet sich in ganz ähnlicher Weise sowohl im
elektrischen Reizversuch wie bei den schwereren Lähmungsdeformi¬
täten.
Sowohl die Lähmungsdeformitäten der zerebralen Hemiplegie wie
auch die durch elektrische Reizung hervorgerufenen Muskelkräinpfe
zeigen also annähernd die gleiche stufenweise Steigerpg in der Stärke
der Spasmen und auch eine weitgehende Aehnlichkeit in der Beteiligung
(ier Beuger und Strecker bzw. ihrer Synergisten an dem Zustande¬
kommen dieser Spasmen. Da bei beiden Erscheinungen (durch zere¬
brale Läsionen bzw. durch die Narkose) d-er physiologisch hemmende
und koordinierende Einfluss des Grosshirns beeinträchtigt oder aus¬
geschaltet ist, so sind in beiden Fällen die für das Zustandekommen des
Ritter-Rollett sehen Phänomens .erforderlichen Bedingungen ge¬
geben: Agonisten und Antagonisten werden je nach ihrer verschiedenen
Erregbarkeit durch Reizimpulse verschieden stark spastisch erregt.
Zusammenfassung.
Die hier mitgeteilten Beobachtungen ermöglichen ein Verständnis
dafür, warum bei verschiedenartigem Sitz der zentralen Läsion die Form
der zerebralen Kinderlähmung die gleiche sein kann. Nicht die Lokali¬
sierung des Herdes allein bestimmt bei der zerebralen Kinderlähmung das
klinische Bild, sondern auch die Stärke des Reizes, der das zentrale Neu¬
ron trifft. Schwache Reize lösen athctotische Bewegungen in den Streckern
und Supinatoren der oberen Extremität aus und an der unteren Extremi¬
tät Spasmen der Plantarflexoren und Kniebeuger, starke Reize dagegen
verursachen am Arm Spasmen der Beuger und Pronatoren, am Bein
Krämpfe der Plantarflexoren und der Kniestrecker. Schwankt der Reiz
in seiner Stärke, so kann Beuger- und Streckerkrampf abwechseln. Auch
dieser Wechsel wurde bei manchen Fällen von infantiler zerebraler
Hemiplegie beobachtet.
Es sind damit noch nicht alle Fragen, welche die klinischen Formcui
der zerebralen Hemiplegie stellen, beantwortet: namentlich steht noch
eine Erklärung dafür aus, warum bei Schädigungen, die das Gehirn
während der Geburt treffen, sich das Bild der Littl eschen Lähmung
entwickelt, während bei postmortaler Erkrankung das der hemiplegischen
Form überwiegt, aber ein Weg zum Verständnis der Lähmungsbilder
der zerebralen Kinderlähmung scheint durch die beschriebenen ex¬
perimentellen Ergebnisse gezeigt *).
Literatur.
1. Oppenheim; Hb. d. Nervenkrkh. 6. Aufl. 1913. S. 1093 ff. —
2. Ritter: Beiträge zur näheren Kenntnis des (ialvanismus. Jena 1805. —
vL Rollett: Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften
1874—1876. — 1 F. Lange; Langenb. Arch. 46. H. 4. — 5. Roth mann:
Mschr. f. Fsych. >6 1904. H. 6. S. 589.
Ueber ätherischd Oele und deren praktische Verwert¬
barkeit.
Von Prof. Dr. Heinz, Vorstand des pharmakolog. Instituts
Erlangen.
geringer Reizstärke stellt sich zwar das Bein in Hüfte und Knie in eine
Beugestellung ein, die der mittelschweren oder auch schweren Läh-
mungsdeformität sehr ähnlich ist (vgl. Abb. 5). Der bei starker fara-
Abh. 6. Elektrischer Reizversuch am Bein. Mittelstarker Strom.
discher Reizung auftretende Krampf der Extensoren und Abduktoren des
Beins hat aber sein Analogon nur in dem bei schwerer Lähmung nie¬
mals vermissten Spasmus der Strecker, namentlich des Quadrizeps.
Die Haltung des Beins wird in letzterem Fall naturgemäss bestimmt durch
die spastische Verkürzung der Beuger. Werden diese und die Adduktoren
durch T e n 0 t 0 m i c ausgeschaltet, so wird nicht selten das Bein im
Knie überstreckt (Genu recurvatum) und ausserdem abdnziert. Es er¬
1. Allgemeines.
Seit über 2 Jahren habe ich experimentelle Untersuchungen über
ätherische Gele angestellt. Im pharmakologischen InsUtut Er¬
langen sind ca. 40 ätherische Oele untersucht worden; die Resultate
dieser Untersuchungen sind in einer .Anzahl medizinischer Doktordisser¬
tationen niedergelegt.
Die Untersuchungen haben sehr interessante Resultate ergeben, und
zwar sowohl theoretisch wie praktisch bedeutungsvolle.
Als ätherische Oele bezeichnet man mehr oder minder leichtbeweg¬
liche, in Wasser nicht oder nur sehr wenig lösliche Flüssigkeiten, die
eine hohe Dampfspannung haben (schon bei gewöhnlicher Temperatur
nach relativ kurzer Zeit verdunsten) und die einen stark aus¬
gesprochenen („ätherischen“) Geruch besitzen. Es sind somit im wesent¬
lichen physikalische Eigenschaften, die. die ätherischen Oele
charakterisieren. Chemisch gehören die ätherischen Oele den ver¬
schiedensten Körperklassen zu: es sind Kohlenwasserstoffe, Alkohole.
Aldehyde, Ester der alyphatischen wie aromatischen Reihe, Phenole,
Sulfozyanverbindungen etc. Der Verschiedenheit der chemischen Zu¬
sammensetzung entspricht es, dass die ätherischen Oele mit sehr ver¬
schiedenartigen pharmakologischen Wirkungen begabt sind. — Ander¬
seits besitzen die ätherischen Oele eine ganze Reihe gemeinsamer
Wirkungen, die offenbar durch das gleichartige physikalische Verhalten
bedingt sind.
Für die — lokale wie resorptive — Wirkung der ätherischen Oele
kommen insbesondere zwei Eigenschaften in Betracht: ihre Lipoidlöslich¬
keit und ihre Flüchtigkeit. Infolge ihrer Flüchtigkeit dringen
ätherische Oele in Gas- bzw. Dampfform leicht in alle Zellen ein. ob¬
wohl sie zum grössten Teil in Wasser fast unlösjich sind. Dagegen sind
die ätherischen Oele sehr stark l i p o i d 1 ö s 1 i c h: sie lösen sich leicht
in fetten Oelen, natürlichen Fetten und Lipoiden etc., und lösen ihrer¬
seits fette Oele etc. mit Leichtigkeit auf. — Durch die (unverletzte, fett¬
geschützte) Haut vermögen bekanntlich nur Stoffe einzudringen, die
entweder Gase bzw'. Dämpfe sind, oder die sich in den Lipoidstoffen
*) Eine ausführlichere Mitteilung wird demnächst in der Zeitschrift für
Orthopädie erscheinen.
Digitized by
Goi'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der Haut leicht auflösen bzw. selbst die Lipoidstoffe lösen. Die äthe¬
rischen Oele vereinigen beide Eigenschaften, sie sind daher besonders
geeignet — im Gegensatz zu nichtflüchtigen, wasserlöslichen Sub¬
stanzen — durch die Haut hindurch in das Innere des Körpers einzu¬
dringen.
Nach ihrer Resorption durch die Haut (oder durch den Magendarm¬
kanal bzw. nach subkutaner oder intravenöser Injektion) verteilen sich
die ätherischen Oele mit dem Blute, hauptsächlich an die cholesterin¬
reichen Blutkörperchen gebunden, im Körper. Vermöge ihrer hohen
Dampfspannung dringen sie rasch in sämtliche Körperzellen ein; be¬
sonders leicht wer(fen sie, wegen ihrer Lösungsaffinität in solche
Zellen eindringen, die reich an Lipoidkörpern sind: so in Nervenzellen
(zentrale Ganglienzellen wie Nervenendapparate), in Leberzellen und
andere Drüsenzellen usw. Das Interessanteste dabei Ist dass ver¬
schiedene ätherische Oele. vermöge ihrer verschiedenen chemischen
bzw. physikalisch-chemischen Eigenschaften, gegenüber verschiedenen
Körperzellen verschiedene, spezifische, Affinitäten äussern. So
wirken gewisse ätherische Oele, vor allem das Pfefferminzöl, spezifisch
auf die galleproduzierende Tätigkeit der Leberzellen ein; andere wirken
auf die Niere (diuretisch — wie Ol. Juniperi u. ähnl.); andere wieder,
nämlich die Phenolgruppen enthaltenden ätherischen Oele (z. B. Thymol),
wirken stark antizymotisch bzw. parasitentötend; ätherische Oele, die
Ester der Salizylsäure sind, haben spezifische Salizylwirkung etc. etc.
Von Wirkungen, die sämtlichen ätherischen Oelen, allerdings in
quantitativ verschiedenem Grade, gemeinsam sind, sind folgende
charakteristisch: Die ätherischen Oele wirken sämtlich 1 o k a 1 - r e i -
zend. Die Reizung ist einerseits eine „sensible“, anderseits eine „ent-
züniiclie“. Letztere ist nur bei gewissen ätherischen Oelen stärker
ausgesprochen, die vermöge ihrer chemischen Zusammensetzung starke
gewebsschädigende Wirkungen besitzen (Thymol als Phenol; Senföl als
Schwefelzyan enthaltende Verbindung). Bei den meisten ätherischen
Oelen beobachtet man nur eine rasch vorübergehende leicht reizende
Wirkung: an Schleimhäuten Stechen und Brennen, sowie Hyperämie
der Haut. Die sensible Reizung beruht auf dem raschen Zudringen der
ätherischen Oele zu den sensiblen Nervenendigungen, die hierdurch (vor¬
übergehend) gereizt werden. Die gleichzeitig auftretende, z. B. am Auge
bequem zu beobachtende, Hyperämie ist bei den meisten ätherischen
Oelen reflektorisch hervorgerufen: Anästhesiert man das Auge
vorher (z. B. mit Novokain), so erfolgt nicht, wie beim normalen Auge,
Hyperämie — ein Beweis, dass unter normalen Umständen die (mehr
minder rasch vorübergehende) Hyperämie durch ätherische Oele reflek¬
torisch bedingt ist. — Aetherische Oele, die Phenolgruppen, Sulfozyan
etc. enthalten, üben nicht nur stark reizende, sondern direkt entzündliche
bzw. gewebsschädigende Wirkung aus. — Sehr viele ätherische Oele
rufen nach der Reizung der sensiblen Nervenendigungen eine mehr
oder minder starke, oft vollständige und lange anhaltende Anästhesie
hervor [so das Thymol, das Kreosot etc.‘)J.
Eine weitere, allen untersuchten Substanzen zukommende Wirkung
besitzen die ätherischen Oele in der ausgesprochenen chemotak¬
tischen Wirkung auf die Leukozyten. Die starke leukozyten¬
anlockende Wirkung gewisser ätherischer Oele ist bekannt; weiss man
doch längst, dass Terpentinöl, subkutan injiziert, „aseptische Eiterung“
hervorruft — Sämtliche ätherische Oele bewirken nach ihrer Resorption
mehr oder minder starke Hyperleukozytose im strömenden
Blute. Ursache, ist, wie histologische Untersuchung des Knochenmarks
ergab, eine ReizungdesLeukoblastengewebesim Knochen¬
mark, das zu vermehrter Tätigkeit, mit Bildung zahlloser Kernteilungs¬
figuren, angeregt wird.
Meine Untersuchungen über die so interessante Gruppe der äthe¬
rischen Oele, die merkwürdigerweise von pharmakologischer Seite bis¬
her stark vernachlässigt worden sind, ergaben, dass gewisse ätherische
Oele in hervorragender Weise geeignet sind, als Mittel gegen die ver¬
schiedensten pathologischen Zustände verwendet zu werden; — sie
müssen hierzu nur in geeignete, bequem anzuwendende, vor allem
genau-dosierbare und haltbare Form gebracht werden. Hierüber sollen
die nachfolgenden Mitteilungen berichten.
2. Cholidctol Segen Cholelittriasis.
Oleum Menthäe piperitae regt die Leber zu mächtiger Vermehrung
der GaHenproduktion an. In den im pharmakologischen Institut Erlanger,
ausgeführten Doktorarbeiten von D i e p o 1 d *) und Renner*) ist ge¬
zeigt w^orden, dass es sich bei der galletreilyenden Wirkung des Pfeffer¬
minzöls um rein funktionelle Wirkung, und zwar um eine ganz spe¬
zifische Wirkung auf die Leberzellen handelt: Die Gallenblase von frisch
getöteten Tieren, denen Pfefferminzölemulsion intravenös injiziert war,
roch deutlich nach Pfeffcrminzöl, w'ährend der Urin keinen solchen Ge¬
ruch zeigte, ebensowenig die Ausatmungsluft, während bei anderen
ätherischen Oelen, z. B.^ Myrtenöl, das Myrtol in Dampfform durch die
Bronchialschleimhaut ausgeschieden wird. Ueber meine mit D i e p o 1 d
und Renner ausgeführten Untersuchungen ist zusammenfassend in
meiner Publikation „Die galletreibende Wirkung des Pfefferminzöls.
— Cholaktoltabletten als Mittel gegen Cholelithiäsis“, Therap. Halb-
monatsh. 1920 Nr. 13, berichtet, und das Cholaktol als Mittel gegen
*) Kreosot und Thymol werden bekanntlich von Zahnärzten zur Dauer¬
anästhesie des Zahnnerven angewandt.
^ D i e p 0 I d: Experimentelle Untersuchungen fiber die pharmakologische
Wirkung von 1. Oleum Anisi. 2. Oleum Foeniculi, 3. Oleum Carvi, 4. Oleum '
Menthae piperitae. Erlanger Dissertation 1919.
Renner: Die galletreibende Wirkung des Pfefferminzöls. Erlanger
Dissertation 1919.
Digitized by Goiisle
620
Cholelithiäsis empfohlen worden. Im nachfolgenden sollen weitere,
seitdem gemachte experimentelle und klinische Erscheinungen mitgeteilt
werden.
Bekanntlich hat F. v. Müller in berühmt gewordenen experimen¬
tellen Untersuchungen nachgewiesen, dass die verschiedenen gegen
Gallensteinkolik angewandten Mittel, denen man eine (unklare) Wirkung
auf die Leber zuschrieb, keine direkte Wirkung auf die Gallensekre¬
tion der Leberzellen haben. Direkt galletreibend wirkt nach v. M ii 1 -
1 e r nur die Galle selbst bzw. die gallensauren Salze. Tatsächlich hat
sich das Cholaktol als erstes spezifisches galletreibendes
Pharmakon erwiesen.
Henr^cand. med. S c h o n ge - Erlangen hat nun — in Tierversuchen,
wie an sich selbst — die v. Müller sehen Versuche wiederholt und
dabei die Wirkung des Cholaktols mit der von Podophyllin, salizyl-
saurem Natron, Salol, cholsaurem Natron und ölsaurem Natron ver¬
glichen. Die Tierversuche wurden an Fröschen und Mäusen ausgeführt.
Dabei zeigte sich stärkere galletreibende Wirkung (Vergrösserung
u|d pralle Füllung der Gallenblase mit klarer hellgrüner Galle) — ausser
bei Cholaktol — nur bei cholsaurem Natron. Eine geringe Wirkung
zeigten auch das Salol und das Salizylsäure Natron. Die Wirkung des
letzteren soll weiter im pharmakologischen Institut Erlangen untersucht,
und dabei festgestellt werden, ob salizylsaures Natron tatsächlich eine
direkte cholagoge Wirkung ausübt, oder ob nicht etwa die Gallenver¬
mehrung auf gesteigerten Zerfall von roten Blutkörperchen zurück¬
zuführen ist. Ungefähr so stark wie salizylsaures Natron, also weit
schwächer als Pfefferminzöl, wirkte das ölsaure Natron.
Interessante vergleichende Versuche hat Herr Schonge an sich
selbst angestellt, indem er den Sterkobilingehalt der Fäzes vor und
nach Einnahme der einzelnen Mittel kolorimetrisch bestimmte. Sterko¬
bilinbestimmungen sind nur dann von W'ert, wenn sie genau vergleichend
vorgenommen werden. Es wurden immer 100 g des Morgenstuhles mit
der zehnfachen Menge des Wassers digeriert, filtriert, und je 20 ccm
der filtrierten Flüssigkeit stehen gelassen. Selbst durch ein hartes Fil¬
ter filtriert die Flüssigkeit nicht klar; es findet erst bei tagelangem
Stehen Absetzen der Trübe statt (Bakterien und andere feinste Körper¬
chen). Auch nach tagelangem Stehen war bei normalem Stuhl die Fil¬
tratflüssigkeit immer noch opak, nicht klar. Nach Einnahme von
Cholaktol (12 Tabletten ä 0,0125 g Ol. Menth, pip.) war die filtrierte,
abgesetzte Flüssigkeit dunkler, farbstoffreicher (die kolori-
metrischen Bestimmungen wurden mit dem bekannten Autenrieth-
Königsbergersehen Kolorimeter vorgenommen). Es zeigte sich
zugleich die merkwürdige Erscheinung, dass abgesetzte Filtrate viel
weniger Trübe enthielten als ohne Cholaktoldarreichung. Nach mehr¬
tägiger Verwendung von Cholaktol erschien das (abgesetzte) Filtrat
völlig klar. Worauf diese merkwürdige Erscheinung beruht, ist noch
nicht sicher erwiesen. Herr Schonge nimmt an. dass nach Cholak¬
toldarreichung weniger Resteiweiss im Stuhl erscheine; es findet näm¬
lich auf Salpetersäurezusatz eine immer geringere Ausfällung (von Ei-
weiss) statt. Wenn sich bestätigen sollte, dass auf Ol. Menth, pip. tat¬
sächlich in den Fäzes weniger Resteiweiss erschiene, also das Nah-
rungseiweiss besser ausgenützt würde, so ist das vielleicht dadurch zu
erklären, dass das Cholaktol die Sekretion von Verdauungssäften (Pepsin.
Trypsin etc.) steigert; es wäre aber auch möglich, dass die gesteigerte
Gallensekretion die bessere Ausnützung bedingt; oder dass die Resorp¬
tion des Eiweisses seitens der Darmschleimhaut gefördert wird. Hier¬
über wären spezielle Versuche anzustellen.
Herr Schonge fand, dass 24 Stunden nach Aufnahme von Cho¬
laktol in,seinem Ham durch Unterschichtung mit konzentrierter Sal¬
petersäure ein dunkler, in Grün und Blau etc. übergehender Ring
erschien, wenn auch nicht in so typischer Weise wie bei der regel¬
rechten G m e 1 i n sehen Reaktion. Da vor der Cholaktoleinnahmc
sich nichts Derartiges zeigte, weist die Beobachtung von S. darauf
hin, dass durch das Cholaktol ein so starker Gallenfluss hervorgerufen
wird, dass ein bedeutender Teil der Galle aus dem Darm rückresorbiert
geringem Masse findet ja auch unter nomtalen Umständen
ständig Rückresorption von Gallebestandteilen aus dem Darm statt,
die dann mit dem Blut wieder zur Leber zurückgelangen: „innerer
Gallenkreislauf“. Nach Cholaktolgabe ist der Bilirubinspiegel im Blut
so hoch, dass jetzt — ausser durch die Leber — auch durch die Niere
Gallenfarbstoff ausgeschieden wird.
Stark gallevermehrend wirkte bei den Selbstversuchen von Herrn
Schonge, ausser dem Cholaktol nur das cholsaure Natron — ent¬
sprechend den bekannten Versuchen von F. v. Müller. Cholsaures
Natron hat einen sehr unangenehmen Geschmack und erzeugt leicht
Darmstörungen.
Oleinsaures Natron wie salizylsaures Natron bewirkten nur geringe
Steigerung des Sterkobilingehaltes der Fäzes; ihre Wirkung ist nach S.
20 mal geringer als die gleicher Mengen von Oleum Menthae piperitae.
In meiner ersten Veröffentlichung über Cholaktol in Ther. Halb-
monatsh. 1920 Nr. 13 ist mitgeteilt worden, dass sich das Cholaktol be¬
reits in einer ganzen Reihe von Fällen als wirksames Mittel gegen
Cholelithiäsis erwiesen hat. In einer meiner Arbeit angefügten An¬
merkung sprach sich auch C. v. Noorden sehr befriedigt über das
Cholaktol aus.
Von Geh. San.-Rat W. v. Noorden -Bad Homburg (früherem
Assistenten von V o 1 k m a n n und Mikulicz) wurde ich darauf auf-
merkam gemacht, dass sich Darreichung des Cholaktols auch nach
erfolgter Gallensteinoperation empfehle, um die Bildung
von Gallensteinen in den Oallenausfuhrgängen hintanzuhalten bzw. neu-
3*
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
630
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
gebildete kleine Steine hinauszuschwemmen. Also auch hier empfiehlt
sich längere intermittierende Cholaktolkur.
Unangenehme Nebenwirkungen, Störungen der Magendarmtätigkeit
sind bei Cholaktol nie beobachtet worden. Im Gegenteil haben sich die,
den Gallensteinkolikanfall so oft auslösenden Gastroduodenalkatarrhe
auf Cholaktoldarreichung regelmässig gebessert.
Cholaktol wurde gegen Gallensteine auch bei Schwangeren, in
Früh- wie in Spätstadien, gegeben. Dabei wurde die interessante Be¬
obachtung gemacht, dass auf Cholaktol eine bestehende HVperemesis
gravidarum prompt verschwand. Diese Wirkung ist leicht zu erklären:
Das Erbrechen der Schwangeren wird wohl durch reflektorische Reizung
des Brechzentrüms von den Unterleibsnerven aus hervorgerufen. Ein
von einem gewissen Ort ausgehender Reflex kann aber bekanntlich
durch Reizung eines anderen Nervenendgebietes unterdrückt werden. Das
Pfefferminzöl, in Form der Cholaktoltabletten, „reizt“ — in nicht un¬
angenehmer Weise — die sensiblen Nervenendigungen der Magen¬
schleimhaut; und so wird der Brechreflex von den Unterleibsorganen
aus unterdrückt.
Soeben erhalte ich folgende Mitteilung von San.-Rat Dr. A m a n n -
München über Wirkung des Cholaktols bei Erbrechen der Schwangeren:
Frau M. J., 28 Jahre alt, seit Oktober gravid. Gegen Ende November
stellt sich Erbrechen ein, das sich so steigert, dass Patientin weder feste
noch flüssige Nahrung bei sich behalten kann. Behandlung mit den gebräuch¬
lichen Mitteln ohne Erfolg. Die Patientin kommt stafk herunter. Nach
einigen Monaten ist der Kräfteverfall so gross, dass ein konsiliarischer Be¬
schluss gefasst wird, den Abgang der Frucht einzuleiten. Dr. A. schlägt vor,
vorher noch einen Versuch mit Cholaktol zu machen. Die Cholaktoltabletten
werden in üblicher Weise genommen und gut vertragen. Schon am zweiten
Tage liess das Erbrechen nach und hörte schliesslich ganz auf. Pat. konnte
sich nach Vorschrift vorsichtig ernähren. Seit ca. 8 Tagen nimmt sie
Cholaktol nur mehr zeitenweise; sie nimmt wieder an den allgemeinen
Familienmahlzeiten teil, verträgt also auch schwerere Kost, und fühlt sich
kräftiger. Der Zustand ist jetzt (19. 1. 21) so, dass eine Veranlassung zur
Unterbrechung der Schwangerschaft nicht mehr besteht.
Nach kürzlich gemachten Beobachtungen von Herrn S c h o n g e
scheint das Cholaktol auch als Emmenagogum wirken zu können.
Bei einer Frau, bei der während der Periode Cholaktol weiter gegeben
wurde, war die Blutung ausserordentlich viel stärker als normal. Die
emmenagoge Wirkung des Pfefferminzöls ist leicht zu erklären. Die
hyperämisierende, event. sogar Entzündung und Blutung hervorrufende
Wirkung gewisser ätherischer Oele auf die Unterleibsorgane, speziell
auf die weiblichen Genitalien ist bekannt (Ol. Sabinael). Bei im Sommer
1919 an zufällig schwangeren Katzen angestellten Versuchen fand ich
bei verschiedenen ätherischen Oelen (Ol. Salviae, Ol. Rosmarin! u. a.)
eine enorme Hyperämie der Plazentaransatzstellen der Uterusschleim¬
haut.
3. Intravenöse Injektion von Terpentinöl-Milch-Emulsion. — Terpentinöl
in fester Form als Wundstreupulver.
Terpentinöl ist eines der bekannten und meistverwandten ätherischen
Oele. Es ist pharmakologisch und toxikologisch eingehender untersucht
worden als die meisten anderen ätherischen Oele. Man weiss. dass
Terpentinöl im Vergleich zu den anderen ätherischen Oelen nur wenig
reizend wirkt, und daSs es sehr wenig giftig ist: 1(X) ccm riefen bei
einem Vergiftungsfall am Menschen nur schweren Rausch und Betäubung,
aber nicht den Tod hervor. Subkutane Injektion von Terpentinöl be¬
wirkt, wie man weiss, „aseptische Eiterung“. Injiziert man feinste
Terpentinölemulsion in die Bauchhöhle. ’ so findet man an Darm¬
schlingen, Netz etc. überall da. wo ein kleinstes Terpentinöltröpfchen
haften geblieben ist, die Serosa von kleinen halbrunden Eiterhügelchcn
bedeckt •).
Im Erlanger pharmakologischen Institut hat V «e i g e 1 e eine systema¬
tische Prüfung des Terpentinöls in bezug auf seine elementaren Wir¬
kungen ausgeführt®). Das Terpentinöl wirkt wenig zellschädigend.
Das für vergleichende Untersuchungen sehr zweckmässige, weil überall
erhältliche Wimperinfusor Opalina ranarum wird durch eine 0,1 proz.
Terpentinölemulsion nicht geschädigt, während eine 0,01 proz. Emulsion
von Thymol rasches Absterben des Infusors herbeiführt. Fäulnis¬
bakterien, die durch Zusatz von 0,01 proz. Thymol am W'aehstum ver¬
hindert werden, gedeihen noch bei einem Zusatz von 0,25 proz. Ter¬
pentinöl in Form von Emulsion. 10 proz. Terpentinöllösung ruft am
Auge nur ganz geringe Reizung hervor und erzeugt keinerlei nach¬
bleibende Gewebsschädigung, während 10 proz. Thymolöllösung Konjunk-
tiva und Kornea schwer schädigt. Das Terpentinöl wirkt sehr stark
chemotaktisch auf die Leukozyten, wie ja schon die „aseptische Eite¬
rung“ beweist. Nach subkutaner Injektion findet man die Zahl der
w^'eissen Blutkörperchen im Blute bedeutend vermehrt: noch weit stärker
ist die Hyperleukozytose, wenn man Terpentinöl direkt in das Blut
injiziert. Dies kann man mit Leichtigkeit — ohne Schaden für das Ver¬
suchstier —, wenn man Terpentinöl mit einem geeigneten Emulgens
(Gummi arabicum, Eigelb u. ähnl.) in gleichmässige, feinste Emulsion
bringt. Auf Injektion von 1 ccm 5 proz. Terpentinöl-Qummi-arabicum-
Emulsiön in die Ohrvene eines Kaninchens fand Veigele bis zu
97 000 weisse Blutkörperchen in 1 emm Blut. Das am 3. Tage getötete
Tier zeigt keinerlei Veränderung an Lunge, Leber, Milz, Niere etc.;
dagegen war das Fettmark des Femur in myeloides Mark verwandelt,
und zwar in „weiss-myeloides Mark“. Frau Dr. B o n d y, die in meinem
Institut die V eränderungen des Knochenmarks auf intravenöse Elektro-
•) Heinz: Studien über die Entzündung seröser Häute. Virchows
Arch. !67.
®) Veigele: Ueber pharmakologische Untersuchungen von Thymol und
Terpentin. Erlanger Dissertation 1919.
Digitized by Goiigle
ferrolinjektion einerseits, auf Terpentinölinjektion anderseits histo¬
logisch untersuchte, fand, dass das Femurmark in der Diaphyse,
das bei Elektroferrol (durch Umwandlung in Himbeermark) einer „Blut¬
wurst“ glich, auf intravenöse Injektion von Terpentinöl das Aussehen
einer „Weisswurst“ zeigte, und dass sich massenhaftes Leukoblasten-
geweb«, mit zahllosen .Kernteilungsfiguren, gebildet hatte®).
Bekanntlich wird nach dem Vorgänge Klingmüllers Terpen¬
tinöl gegen Furunkulose und andere parasitäre Hautkrankheiten ge¬
braucht, indem kleine Mengen Terpentinöllösung „auf den Knochen“
injiziert werden. Lokal wird das Terpentinöl bei den betreffenden
Affektionen nicht angewendet; es übt auch keine elektive
Wirkung auf die Haut aus; Terpentinöl wirkt vielmehr als „Mittel mit
indirekter Heilwirkung“, indem es die Abwehrmechanismen des Kör-
pdVs fördert, insbesondere die „zellulären“ Abwehrmechanismen, die
Leukozyten, vermehrt Ü.
Die Hyperleukozytose im Blute ist, wie erwähnt, eine weitaus
stärkere, wenn man Terpentinöl intravenös, anstatt subkutan, injiziert.
Die intravenöse Injektion ist schliesslich einfacher als die „Injektion
auf den Knochen“; vor allem werden die bei der letzteren immerhin
leicht auftretenden Schmerzen sowie Eiterungen vermieden. Natürlich
muss die Injektion in die Vene sorgfältig ausgeführt werden.
Dr. Veigele hat an sich selbst eine Injektion in eine Vene des linken
Oberarms vorgenommen. Er kam dabei mit der Spitze der Spritze
in das adventitielle Gewebe, worauf ein kleiner, bohnengroser, gut¬
artiger Abszess entstand, der nach einigen Tagen wieder zurückging.
Die zu injizierende Terpentinölemulsion muss sorgfältig hergestellt
werden: sie darf das ätherische Oel nur in feinsten Tropfen, und selbst¬
verständlich keine festen, krümeligen Substanzen enthalten.
Veigele hat Terpentinölemulsion mit Gummi arabicum ange¬
wendet, deren Herstellung etwas mühsam ist. Sehr viel bequenrer,
zweckmässiger und einwandfreier als mit Gummi arabieüm lässt sich
eine feinste Terpentinölaufschwemmung in Milch herstellen, welches
Verfahren ich für praktische Versuche an Menschen empfehlen möchte:
Man kocht eine kleine Menge Vollmilch (es genügen 50 ccm) auf, so
dass sich die „Haut“ abscheidet, und kotiert durch ein kleines, in einen
Trichter gestecktes Koliertuch in einen 10 ccm-Zylinder mit eingeschlif¬
fenem Glasstopfen bis zu 9,5 ccm (Trichter, Koliertuch, Glaszylinder etc.
müssen vorher ausgekocht sein). Dann füllt man mit Oleum Terebin-
thinae bis auf 10 ccm auf = 5 Proz. Terpentinöl. Hierauf fügt man
3 kleine Glasperlen zu, schüttelt stark durch 3 Minuten, und filtert rasch
durch kleinen Glastrichter und Filtrierpapier in ein kleines Schälchen,
aus dem man sofort die zu injizierende Menge (1 bzw. 2 ccm) entnimmt.
Mikroskopische Untersuchung zeigt, dass die Oeltröpfchen gleichmässig
verteilt und gleichmässig klein sind, und zwar sämtlich kleiner als rote
Blutkörperchen, so dass Gefahr von Fettembolie ausgeschlossen ist.
Terpentinöl dient, äusserlich angewandt, als mässig-hautreizendes
Mittel. Bekannt ist Unguentum Terebinthinae und andere terpentin¬
haltige Salben als „Einreiben“ gegen rheumatische Schmerzen.
Terpentinöl dringt als lipoidlöslicher Körper leicht in die Haut ein;
es befördert dabei das Durchtreten von Stoffen, die sonst die Haut nur
langsam durchsetzen: so erscheint nach Zusatz von Terpentinöl zu
einer Salizylsalbe Salizylsäure rascher und reichlicher im Urin als ohne
solchen Zusatz.
Indem Terpentinöl in die tieferen Schichten der Haut eindringt,
vermag es die Zellen des Rete Malpighi „formativ“ zu reizen — zu ver¬
stärkter Neubildung anzuspornen. Terpentinöl bzw. Terpentin dieni
daher als Zusatz zu „keratoplastischen“ Salben.
Gegen infektiöse Dermatitiden ist Terpentinöl als solches, lokal
angewandt, ohne („direkte“) Wirkung, da es nach den Versuchen von
Veigele nur sehr schwache bakterizide Wirkung besitzt. Wohl aber
kann es bei schlechtheilenden Geschwüren nützen, indem
es — vermöge seiner hyperämisierenden und Leukozyten-^anlockenden
Wirkung — die Granulationsbildung befördert.
Terpentinöl ist im Kriege vielfach mit bestem Erfolg zur Behand¬
lung von schlechtheilenden Tiefenverletzungen, Abszesshöhlen etc. be¬
nutzt worden, indem Terpentinölemulsion in die Wundhöhle eingespritzi
wurde. Das Verfahren ist umständlich: die Emulsion muss unmittelbar
vor dem Gebrauch jedesmal frisch hergestellt werden (durch anhaltendes
Schütteln von Terpentinöl mit 1—2 proz. Gummi-arabicum-Lösung).
Ich habe in meiner Veröffentlichung „Arzneimittel mit indirekter Heil¬
wirkung“ (s. oben) vorgeschlagen. Terpentinöl „in fester Form“ — als
Streupulver, wie irgendein anderes Wundpulver — zu verw^enden, in
welcher Form es viel bequemer anzuwenden ist und besser an der
Wunde haften bleibt als Terpentinölemulsion. Terpentinöl kann in ein¬
fachster Weise in „feste Form“, nämlich in Form eines Elaeosaccharums.
gebracht werden, indem man das ätherische Oel mit Milchzucker verreibt.
Ich habe so ein Elaeosaccharum Terebinthinae mit 5 Proz. Terpentinöl¬
gehalt hergestellt, das ein bequem anzuw'endendes Wundstreupulvcr
darstellt, und das sich als gutes granulationsbeförderndes Wiindmitttl
erwiesen hat. Ich nenne dasselbe „Terpestrol“.
Ich habe daneben noch ein „H.t. Terpestrol“ == Hexamethylen-
tetramin-Terpentinöl-Milchzucker dargestellt, das neben 5 Proz. Terpen¬
tinöl noch 10 Proz. Hexamethylentetramin enthält H.t. ist ein stark
antiseptisches, dabei reizloses und wenig giftiges Mittel®). Das
®) Gertrud Bondy: Ueber die Beeinflussung der blutbildenden Organe
durch kolloides Eisen. Terpentinöl und Abrin.
^) Vergl. Heinz: Arzneimittel mit indirekter Heilwirkung. Jahres¬
kurse für ärztliche Fortbildung. August 1919.
®) Schauwecker: Ueber die Formaldehydderivate Paraformaldehyd
und Hexamethylentetramin. Erlanger Dissertation 1920.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
631
H. t. Terpestrol garantiert somit, neben seiner granulationsbefördernden
Wirkung, Keimfreiheit bzw. Entwicklungshemmung pathogener Bakterien.
Terpentinöl-Oelzucker und H. t. Terpentinöl-Oelzucker kann nach
ärztlicher Vorschrift in <ter Apotheke her gestellt werden. Die Herstel¬
lung im einzelnen ist aber mühsam: es muss das Terpentinöl sehr gleich-
mässig mit dem Milchzucker verrieben werden (die Anfertigung von
Elaeosaccharum ist ausserdem teuer!). Weit geeigneter ist die Darstel¬
lung von Terpestrol bzw. H. t. Terpestrol im Grossbetrieb in einer phar¬
mazeutisch-chemischen Fabrik, die die Mischung der einzelnen Bestand¬
teile in sachgemässer Weise vornimmt und bei der Verpackung für die
Abgabe an den Detailverkauf dafür sorgt, dass das ätherische Oel nicht
verdunsten, das Präparat nicht „auswittem“ kann (Abgabe in luftdicht
schliessenden Gefässeni). Ich habe die Herstellung von Terpestrol und
H. t. Terpestrol der Chemischen Fabrik Dr. Ivo Deiglmayr in München
übertragen, die den Herren Kollegen gerne Proben für Versuchszwecke
zugehen lassen wird.
Zusatz bei der Korrektur: Seit der Einsendung des Manu¬
skriptes ist das Terpestrol mit bestem Erfolg bei Unterschenkelgeschwür,
diabetischem Geschwür und Dekubitalgeschwür, ferner bei Skrophuloderma
und- Lupus exulcerans angewendet worden (Ueberhäutung bei ersterem in 4.
bei letzterem in 14 Tagen!) Bei Geschwüren mit unterminierten Rändern
hat sich, neben Terpestrol-Streupulver, Terpestrol-Salbe als praktisch er¬
wiesen (H. t. 10 Proz., Terpentinöl 5 Proz., Mitin 85 Proz.), die letzt eben¬
falls fabrikmässig dargestellt wird.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik Berlin.
(Direktor: Qeh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier.)
Erfahrungen in der antiseptiscben Behandlung
infizierter Wunden.
Von Dr. Joachim Finger.
Infektionen werden von Fieber und Entzündung begleitet. Beides
sind Reaktionen des Körpers und dienen der Bekämpfung des Infektes.
Wir sehen in ihnen deshalb nützliche Vorgänge, die wir heute nicht mehr
wie in früherer Zeit durch Antipyretika und lokale Kälteapplikation zu
unterdrücken suchen. Wir greifen entweder gar nicht in den Kampf des
Körpers ein oder werden ihn, wo es nottut, unterstützen.
Lister wollte dem angegriffenen Organismus zu Hilfe kommen,
indem er die Angreifer, also die septischen Keime in,der Wunde,
mit Karbolsäure vernichtete. Später wurde gezeigt, zuerst wohl von
Schimmelbusch und 1895 von Reichel, dass die Desinfektion
einer infizierten Wunde mit chemischen Mitteln ein Ding der Unmöglich¬
keit ist. Die verfeinerten bakteriologischen Untersuchungsmethoden
haben inzwischen diese Tatsache immer mehr erhärtet. Deshalb hatte
man die chemische Antiseptik zugunsten der reinen physikalischen Anti-
septik, nämlich der offenen Wundbehandlung, verlassen, indem man
durch Spaltung und Drainage der physiologischen Keimbekämpfung, der
Autoantiseptik, den Weg bahnte. Genügt uns diese physikalische
Therapie auch heute?
Die Unzahl immer neuer chemischer Antiseptika, die ständig auf den
Markt geworfen und warm empfohlen werden, deutet auf das Gegenteil
hin. Wie vor 50 Jahren drängen sich diese Mittel in den Vordergrund.
Den Wert eines Antiseptikums erweist man uns aus seiner Fähigkeit,
Bakterien abzutöten. Indem man aber diese Versuche im Reagenzglas
anstellt, verwechselt man die Abtötung der Bakterien innerhalb und
ausserhalb des Körpers.
Was sagen nun die praktischen Erfahrungen?
Wenn eine infizierte Wunde alle Erscheinungen der Entzündung
deutlich hervortreten lässt, so dürfen wir den Körperkräften allein die
Heilung ruhig überlassen. Und das ist zumeist der Fall. Bietet
dagegen die infizierte Wunde wenig Reizerscheinungen dar, ist also die
entzündliche Reaktion zu schwach, so können oder müssen wir diese
einleiten oder verstärken und werden heute wie zu Listers Zeiten
und überhaupt schon immer zu chemischen Mitteln greifen. Hierunter
verstehen wir alle chemischen Wundheilmittel, mag man ihnen eine bak¬
terizide Kraft zuschreiben oder nicht.
Wenn wir in der Therapie infizierter Wunden von der Antiseptik
auf dem Wege über die Aseptik anscheinend wieder bei der Antiseptik
angelangt sind, so ist das im Grunde doch nicht der Fall, sonst wäre
es ein Rückschritt. Wir verwenden die Wundheilmittel heute als An¬
reiz für die träge Körperreaktion, wir wirken also mit ihnen
indirekt, nicht direkt abtötend auf die Erreger.
Bei vielen chemischen Stoffen, bei den Quecksilber- und Silberver¬
bindungen, erschöpft sich ihre direkte Bakterienwirkung beim Kontakt
mit den Geweben, und doch erzielen wir mit ihnen Erfolge. Und mit
die besten Wundheilmittel, der Perubalsam, der Kampfer, das Terpentin¬
öl, das Scharlachrot, das PelHdol. besitzen nur geringe oder gar keine
bakierientötenden Eigenschaften. Warum wirken sie trotzdem so gut
auf infizierte Wunden?
Kowalevvski führte 1896 die Wirksamkeit der Jod- und Queck-
silberverbindungen auf ihre chemotaktischen Eigenschaften
zurück, die eine lokale Hyperleukozytose hervorrufen, d. h. Entzündungs¬
vorgänge, die durch Hyp'erämie eingeleitet werden. Diese phlogogene
Eigenschaft der Antiseptika ist sehr in Vergessenheit geraten, dafür
wird dann die bakterizide Fähigkeit in den Vordergrund gestellt, die
man gern mit der Antisepsis identifiziert. Aus den vorstehenden Ueber-
legungen heraus möchten wir aber die Hauptursache der Wirksamkeit
Digitized by Goiisle
von Chemikalien und Drogen auf mänifest infizierte Wunden gerade ihrer
Reizwirkung auf die Gewebezellen zuschreiben, die zu einer Leistungs¬
steigerung führt.
Die chemotaktische Wirkung auf Leukozyten haben nach K o w a -
lewski noch viele andere nachgewiesen, so Fritsche und
L e b s c h e für die Jodtinktur, Suter und H a m b u r g e r für den Peru¬
balsam, A. Fränkel, Hamburger und Weil für Jodoform,
A. Fränkel für Kohlenpuiver, T i s s o t und L u m i e r e 1916 für die
Dakinsche Lösung.
Aber dfe hyperämisierende, also entzündungserregende Wirkung
ist durchaus keine spezifische Eigenschaft bestimmter Stoffe, sie ist
so vielen Mitteln zu eigen, dass wir sie als einfache Fremdkörperreiz¬
wirkung auffassen dürfen. Der physiologische Vorgang, der bei den
Stoffen aus der pharmakologischen Gruppe der Derivantien besonders
untersucht ist, besteht in einer Reizung der Qefässe, sei es es in direkter,
sei es in indirekter durch Beeinflusung der Nerven, jedenfalls also in
aktiver Hyperämie.
'Die Hyperämie herbeizuführen, besonders wo
der Körper versagt, ist der Zweck unserer üblich c n
Infektionsbekämpfung. Ueber die Bedeutung der Hyperämie
als Heilmittel des Organismus ist man sich heute einig, nachdem Bier
ihre Wirkungsart eingehend dargelegt hat. Der Streit geht heute nur
um die Methode der Hyperämisierung. Im Prinzip bezwecken Stau¬
ung, Saugbehandlung, Heissluftbehandlung, Hydrotherapie, Heliotherapie,
Massage usw. ganz dasselbe wie die Wundbehandlung mit antisep¬
tischen Stoffen. Jede Methode hat Erfolg gezeigt, wenn man mit ihr
den richtigen Grad der Hyperämie erreichen konnte. Die Antiseptika
nehmen nach ihrer Wirkungsart keine Sonderstellung ein. Sie sind auch
heute nicht zu verwerfen, denn sie zeigen sich oft wirksamer als andere
mögliche Verfahren, sie sind aber auch nicht als Bakterientöter re¬
klamehaft anzupreisen.
Ganz reizlose Stoffe bestehen für den Organismus schlechterdings
nicht, auch nicht in der physiologischen Kochsalzlösung, worauf als einer
der ersten 1898 v. Eicken hingewiesen hat. Nur ist die Reizwirkung
verschiedener, Mittel an sich verschieden und kann ferner durch ihre
Konzentration teilweise ausgeglichen werden. Es handelt sich hier
um das Arndt-Schulz'Sche Gesetz vom Uebergang der Reizung
in die Lähmung, auf dem Zimmer seine Schwellenreizthera¬
pie aufgebaut hat. Diese Grundsätze gelten auch für die Behandlung
septischer Wunden. Wenig reagierende Gewebe ohne Heilungstendenz
sollen anders angefasst werden als Wunden, die sich schon gereinigt
haben, aber schlechte Granulationen zeigen. Wundreinigende und. granu¬
lationsanregende Mittel äussern dasselbe Wirkungsmoment, aber in ver¬
schiedener Stärke; sind doch auch die histologischen Vorgänge im Prin¬
zip gleicher Art.
Geht man über die Reizschwelle hinaus, so erzielt man die so viel
diskutierten und sehr übertriebenen Gewebeschädigungen, die dann
Wieder eine Prädisposition für die Infektion abgeben können. Bei der
Anwendung von Wundantisepticis wird man also die absolute Reiz¬
stärke des Mittels ebenso berücksichtigen wie' den Befund an den in¬
fizierten Geweben, um einen richtigen Grad von entzündlicher Reaktion
zu erzielen.
Wie steht es nun mit der Wahl des Antiseptikums?
Theoretisch könnte man schliesslich jeden Stoff in unterschwelliger
Quantität anwenden, um eine geeignete Entzündung zu erzeugen, und
man hat ja auch darin Genügendes geleistet. Aber praktisch verlangen
die besonderen Eigenschaften eines jeden in den Organismus einzu-
führenden Fremdkörpers bezüglich seiner Wirksamkeit oder Schädigung
Berücksichtigung, man denke an die chemische Konstitution und Reaktion
und an die physikalischen Eigenschaften, an Löslichkeit. Diffusionsver¬
mögen, Resorptionsfähigkeit und pharmakologische Beeinflussung ein¬
zelner Organe in Form von Intoxikation. Die Ursache der verschiedenen
Wirkung der verschiedenen Stoffe kennen wir nicht, jedenfalls können
sie nicht auf dem differenten Verhalten gegenüber Bakterien beruhen.
Wir sind hier fast ganz auf die Empirie angewiesen. Dazu kommt,
dass dasselbe Mittel ganz verschieden wirken kann je nach der Kon¬
stitution des Kranken, nach der Art und Lokalisation der Wunde und
nach ihrem klinischen Befund. Die Auswahl des Antiseptikums soll,
wie Sick sagt, mit Kritik und Indikation unter Anpassung an die je¬
weiligen Wundverhältnisse geschehen. Bei solchem Individualisieren
kann man natürlich kein Wundheilmittel als das beste empfehlen. Den¬
noch erweisen sich einige wenige erfahrungsgemäss als besonders gut,
d. h. in den meisten Fällen haben wir mit ihnen Erfolg.
Hierzu rechnet das Yatren, eine 5 Jod-8 Oxychinolin-7 Sulfo-
säure mit ca. 30 Proz. Jodgehalt, auf das wir näher eingehen, weil seine
verschiedenartigen Anwendungsformen eine Deutung seiner antisep¬
tischen Wirksamkeit in unserem Sinne nahelegen. Es ist ein geruch¬
loses, gelbes Pulver von süssem Gechmack, das sich zu 5 Proz. in
Wasser mit weinroter Farbe am besten unter Erhitzen lösen lässt.
Dabei entweicht Kohlensäure, da etwas Natrium bicarbonicum der
grösseren Löslichkeit wegen bis beinahe zur Neutralisation hinzu¬
gesetzt ist.
Wir haben Yatren bei infizierten Wunden, die keine Heilungstenderiz
zeigten, viele hundertmal gebraucht, rein oder als 10 proz. Gaze. Die
Wundreinigung ging vorzüglich, bisweilen überraschend schnell vor
sich. Es entsteht eine oft erhebliche Reizung in Form von Hyperämie
und lebhafter Sekretion, nekrotische Teile werden gelöst, und bald zeigen
sich schöne rote Granulationen. Die Reizung ist wohl auch deshalb sehr
intensiv, weil das Mittel bald in die Tiefe der Gewebe diffundiert und
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
632
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRrFT.
Nr. 21.
hier weiter wirkt. Die gelb aufgelegte Oaze sieht beim Verbandwechsel
wegen der völligen Auslaugung hell aus. Zu ertipfehlen ist Yatren bei¬
spielsweise bei exzidierten Furunkeln und Karbunkeln, wenn der Wund-
.grund sich nicht reinigen will. Nach der Abstossung von nekrotischen
Fetzen hört gleichzeitig jeder üble (jeruch auf. Bei Bissverletzungen,
wenn sie zu einer unaufhaltsam in die Tiefe greifenden Nekrotisierung
führen, bewirkte einige Male, als alles andere versagte, Yatren eine
kräftige Gevvebereaktion, die der Zerstörung Einhalt gebot.
Aus jüngster Zeit stammt eine veterinärärztliche Dissertation von
P 6 e. Er hat bei dem Hufkrebs der Pferde, einer für unheilbar an¬
gesehenen Erkrankung unbekannter Aetiologie, an der grüner tier¬
ärztlichen Hochschule in zahlreichen Fällen mit Yatren völlige Gesun¬
dung mit teilweise neuer Hornbildung gesehen.
Ein Allheilmittel ist Yatren natürlich ebensowenig wie anderp.
ln seiner Wirkung steht es etwa zwischen der D ö n i t z sehen Terpentin¬
emulsion oder den H ar tm an n sehen Blaugazen und dem Perubalsam.
Man soll es nicht zu lange geben und, wie überhaupt jedes Antiseptikum,
nicht ohne Indikation. Wenn eröffnete Sehnenscheidenphlegmonen kurze
Zeit mit steriler Gaze tamponiert werden müssen, um die Schnittränder
offen zu halten, so ist hier der Reiz der Gaze an sich schon unnütz und
schädlich für die freigelegte Sehne. Imprägnierte Gaze anzuwenden ist
verkehrt. Zur Granulationsanregung einer leidlich gereinigten W'unde
ist meistens Perubalsam besser als Yatren.
Ob man dieses übrigens als Pulver oder in Form der sterilen Gaze
verwendet, ist, ziemlich gleichgültig. Rein wirkt es stärker reizend als
die lOproz. Gaze, die sich aber praktisch genauer dosieren lässt.
Feuchte Umschläge mit 5 proz. Lösung sind auch gut. Mit Fett verrieben
haben wir Yatren nicht versucht, da auch andere chemische Reizmittel,
wie Bor, Argentum nitricum, Perubalsam, in Salbenform keine Vor¬
züge aufweisen, aber dann nicht mehr der notwendigen Forderung einer
as-eptischen Antisepsis entsprechen.
Im Qegenatz zu den mechanischen Methoden der Hyperämisierung
löst jede chemische Irritation zunächst Schmerz aus. da sie histologisch
mit Getvebedestruktion verbunden sein muss. Nach Yatren empfinden
die Patienten vorübergehend mehr oder weniger starkes Brennen in
der Wunde, bis die erzeugte Hyperämie ihren schmerzstillenden Ein¬
fluss ausübt.
Ueber die Wirkungsweise des Yatrens liegen experimentelle Unter¬
suchungen von Evler, Bischoff und Dietrich vor. Es wirkt
als Komplexverbindung, als nicht dissoziiertes Molekül, nicht durch Jod¬
abspaltung, ist also kein eigentliches Jodoformersatzmittel im Sinne
von S. Fränkel. Jodismus kann nicht entstehen. Eine Verbindung
mit Eiweiss, also Schädigung der Gewebe, und eine Verankerung im
Körper, also eine Kumulation, findet nicht statt. Yatren tritt innerhalb
weniger Minuten unzers'etzt im Harn auf und ist dort leicht nachweis¬
bar. Es verursacht nach Dietrich keine Hämolyse in Erythrozyten-
aufschwemmungen, schädigt nicht die phagozytierende Kraft der Leuko¬
zyten und stört nicht die Bildung von agglutinierenden Antikörpern.
Die Desinfektionsversuche (Bischoff) hatten, kurz gefasst, fol¬
gendes Ergebnis: Eine 5 proz. Yatrenlösung tötete bei Zimmertempera¬
tur Staphylokokken nach 105 Minuten, Typhus- und Diphtheriebazillen
bei 37® nach 35 Minuten, Milzbrandsporen nach 2K Stunden. Eine F.nt-
wicklungjshemraung für Staphylokokken und Typhusbazillen trat noch
hei einer Konzentration yon 1:1000 ein.
In seiner gewebereizenden und gleichzeitig bakteriziden Eigenschaft
äussert Yatren eine bei Antiseptizis häufige Doppelwirkung. Für seine
Anwendung ist der durch die Reizwdrkung bedingte praktische Erfolg
das Massgebende, nicht der Reagenzglasversuch; aber die Entwicklungs¬
hemmung der Bakterien, die es in der Wunde durch Adsorption mög¬
licherweise herbeiführt, ist eine angenehme Zugabe. Die wohl hierauf
beruhende Desodorierung der Wundsekrete innerhalb der Tamponade
hat Yatren in der Mastdarmchirurgie und Gynäkologie beliebt gemacht.
Die zweite Li st er sehe Forderung, durch Antiseptika die Zersetzung
des aussickernden Blutes und Serums zu verhindern, erkennen wir also
auch heute noch als möglich an in Form der Entwicklungshemmung der
Keime im Gegensatz zu L i s t e r s erster Forderung von der völligen
Abtötung der Wundbakterien, die für uns einstweilen unerfüllbar ist. —
Als Dietrichs Tierversuche die Unschädlichkeit der subkutanen,
intraperitonealen und intravenösen Injektionen von 5 proz. Yatren-
losungen ergeben hatten, machten wir auch Versuche mit der Um¬
spritzung von Entzündungsherden, gaben sie aber bald wieder auf
wegen ihrer grossen Schmerzhaftigkeit im entzündeten Gewebe. Viel¬
leicht kann diese durch Zusatz von Novokain und ähnlichem behoben
werden. Die Wirkungsweise der Umspritzung kann nach unserer Reiz¬
theorie verstanden werden, indem dadurch die nähere, aber von Keimen
nicht unmittelbar angegriffene Umgebung des eigentlichen Kampf-
gelandes an der Abwehr der Infektion mitbeteiligt wird. Direkte Ab-
totung von Bakterien dürfte hier gewiss keine Rolle spielen. Im
(i-egensatz zur prophylaktischen Tiefenantisepsis dürfen die Injektionen
übrigens nie durch die offene Wundfläche gemacht werden, da sonst eine
Kcimverschleppung in die Tiefe unvermeidlich ist. —
Die Erfolge der von Bier zuerst versuchten und von Rosen-
s t e 1 n warm empfohlenen Ausspülungen von Abszesshöhlen mit Vuzin-
osungen hat Keysser der Wirkung einer hypertonischen Kochsalz-
■ sung gleichgestellt. Maß man sich deren Wirkung als Lymphlavage
nach W right oder andersartig vorstellen, jedenfalls hängt sie von
Aenderungen in der Gewebetätigkeit ab. also von dem. wL wir auf
einen Gewebsreiz zurückführen wollten. Indes liegt die MöglichkeH
vor, dass die Erfolge in beiden Fällen auf einem versehiedeTn Wege
erreicht worden sind, da die hohe bakterizide Kraft des Vuzins auch in
manifest infizierten Wunden von Bedeutung sein mag. —
In unseren bisherigen Betrachtungen war lediglich von der thera¬
peutischen Wirkung der Antiseptika auf manifest infizierte
Wunden die Rede. Streng davon zu unterscheiden und besonders zu
beurteilen ist die abortive Wunddesinfektion, zu der wir Yatren
noch nicht herangezogen haben. Die zahlreichen älteren experimen¬
tellen Simultan- und Intervallversuche, bei denen man gleichzeitig^ mit
den Erregern oder kurze Zeit später das Antiseptikum mit in die künst¬
lich gesetzte Wunde brachte. Hessen von vornherein an ein direktes
Abtöten der Bakterien danken, da eine Infektion nicht zustande kam
(Friedrich, Suter, Dreyer, Lebsche. Brunner, v. Gon¬
zenbach; Dietrich mit Yatren). Die grossen Erfolge der prophy¬
laktischen Tiefenantisepsis nach Klapp lassen sich ebenso durch die
bakterizide Kraft des Vuzins erklären.
Das im Inkubationsstadium angewandte Antiseptikum findet beson¬
ders günstige Vorbedingungen zur Entfaltunsf seiner bakteriziden Eigen¬
schaft. Die Keime sind noch nicht an die Wundverhältnisse angepasst,
in akzidentellen Wunden findet sich zunächst der wenig widerstands¬
fähige Staphylococcus albus, Nekrosen, Blutkoagula und Verunreinigungen
erschweren die Desinfektion nicht so sehr, besonders, wenn eine pri¬
märe Wundexzision vorangegangen war. Auch hier müssen wir aber
bei der Erklärung des Erfolges auch noch an eine Beeinflussung der
Körpergewebe, an eine biologisclie Wirkung denken, worauf Bier
und Klapp schon früher hingewiesen haben.
Eine ganz besondere Bedeutung für unsere Reiztheorie gewinnen
die Versuche, örtliche Infektionen durch Injektion eines Stoffes fernab
vom Krankheitsherd, am Orte der Wahl zu bekämpfen, wie sie u. a.
Klingmüller mit Terpentinöl und Krotonöl, Zimmer mit Yatren
vorgenommen haben. Hierzu rechnet auch die „Proteinkörpertherapie“.
Auf die grundsätzliche Gleichartigkeit der Chemotherapie und Protein¬
körpertherapie haben zuerst Weichardt und Starkenstein
hingewresen. Wenn man sich heute den Vorgang als eine
Reizung des gesamten Körpergewebes vorstellt, die ihren thera¬
peutischen Ausdruck in einer entzündlichen Reaktion des erkrankten
Körperteiles, in der Herdreaktion, findet, indem kranke Gewebe
auf • gleiche Reize stärker ansprechen als gesunde, so lässt sich
unsere Auffassung von der Wirkung der Wundantiseptika damit
in Einklang bringen. Wenn wir einen Entzündungsherd prinzipiell
in gleicher Weise beeinflussen können durch lokale Applikation des
Antiseptikums, durch dessen Injektion in die unmittelbare Nähe des
Krankheitsherdes und ebenso durch dessen Injektion an irgendeiner be¬
liebigen KörpersteUe. so liegt es nahe, in allen 3 Fällten auch an eine
Einwirkung auf den gesamten Organismus infolge der Resorption des
Mittels zu denken, wobei beispielsweise die Reizung des Knochenmarks
sich in einer erhöhten Leukozytose äussern kann. Man hat deshalb früher
von Leukotherapie und Leukoprophylaxis gesprochen. Wir nähern uns
somit dem neuerdings wieder von pharmakolo^scher Seite (L. L e w’ i n)
vertretenen Standpunkte, dass mineralische Stoffe, wie Quecksilber.
Gold, Arsen. Phosphor, Jod. Eisen, Chrom u. a. und vegetabilische Stoffe,
w ie Rädix Sarsaparillae, Lignum Guajaci, Chinin u. a. als A11 e r a n t i a
wirken, dass ihn-en nämlich die Fähigkeit zukommt, auf Störungen der
Gewebe konstitutioneller und infektiöser Natur umstimmend einzuwMrken.
nämlich bestehende Stoffwechselstörungen in andere Bahnen zu lenken.
Hierzu rechnen auch die sog. spezifischen Heilmittel, die erfahrungs-
gemäss eine besonders günstige Reizwirkung auf den Organismus bei
bestimmten Krankheiten oder auf bestimmte Gew'ebe
herbeiführen.
Eine vollkommene Heilung durch Abtötung sämtlicher Keime im
Körper ist noch nicht gelungen. Ganz besonders hat uns die Sterilisatio
magna corporis als Injektion in eine Blutader bei septischen Prozessen
im Stiche gelassen, wohl weil in diesen schweren Krankheitsfällen
der Körper schon an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit steht, wenn
ihm noch das Reizmittel beigebracht wird.
Wenn uns also das, wonach wir weiterhin streben müssen, die
ideale Infektionsbekämpfung, die direkte Keimabtötung im Körper,
bei septischen Prozessen einstweilen noch nicht gelungen ist. wenn
alle bisherigen Untersuchungen über die Wirksamkeit der Antiseptika
vorwiegend nur Negatives gebracht haben, so wollen wir hiermit eine
Klärung unserer antiseptischen Erfolge nach der alten, von mir erörterten
V i r c h 0 w sehen Reiztheorie versucht haben,
Yatren-Literatur.
Abel: B.kl.W. 1912, 53. — Liepmann: Berl. med. Ges. 43. 191.1
S. 296. — Lewy: ebenda. — Höfling: Allg. m. Zentratztg. 1913, 18
und Med.-techn. Mitt. 1913 Nr. 7 der Zschr. f. ärztl. Fortb. — Blum: D.m.W.
1913. 30. — A 11 e r t h u m: TJier. d. Qegenw. 1914, März. — Oppenheim:
Bkl.W. 1914. 13. — Katz; M.KI. 1914. 43. — Bochynek: Klin.-therap.
Wochenschr. 1915. 44. — Lindig: M.KI. 1921, 13. (Gynäkologie.) —
Hirsch: M.KI. 1913. 45. (Geburtshilfe.) — Bischoff: D.m.W.
1913. 38. — Freund: D.m.W. 1913. 48. — Kausch: ebenda.
— Martini: D.m.W. 1913. 34. (Diphtherie.) — C i t r o n:
Berl. med. Ges. 43. 1913. S. 296 (Urethritis). — Haenlein: M.KI. 1914. 18
(Mittelohrentzündung). — Na st: D.m.W. 1920. 23 (Dermatologie). —
Sch wähl M.m.W. 1914. 12. — Scheidt mann: D.m.W. 1920. 27
^hirurgie). — Karl Pde: Untersuchungen über die Bedeutung des Yatren.
TierärzH. Inaug.-Diss., Berlin 1920 (Tierheilkunde). — Evler: Berl. med.
Ges. 43. 1913. S. 296. — Dietrich: D.m.W. 1920. 39. — Hinz: Berl.
Oerärztl. Woch. 1921. 13. (Experimentell.) — Ferner: Keysser: Bruns'
Beitr. Bd. 116 H. I. — K 1 i n g m ü 11 e r: M.m.W. 1918. 33. — Starken-
192 V 18 ~ Zimmer: B.kl.W. 1921, 20 und M.m.W.
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
633
Aus dem pathologischen Institute der Universität Lausanne.
Zur Kenntnis der pathogenen Wirkung des Soorpil^es
im Magen.
Von Prof. H. v. Meyenburg.
Die Mitteilungen Askanazys über das beinahe ständige Vor¬
kommen des Soorpilzes im typischen Ulcus rotundum des Magens sind
zweifellos dazu angetan, in weiteren Aerztekreisen Aufsehen zu erregen.
Denn sie ändern nicht nur unsere bisherigen Anschauungen von der
Pathogenese des Magengeschwürs in wesentlichen Punkten, sondern
— die allgemeine Bestätigung von Askanazys Befunden voraus¬
gesetzt — es wird daraus auch die iKlinik ihre Konsequenzen für die
Therapie und Prophylaxe dieses Leidens ziehen müssen, wie dies A.
selbst in seiner ersten Mitteilung schon andeutete. Man war sich ja doch
allgemein, stillschweigend oder offen eingestanden, darüber klar, dass
mit der verdauenden Wirkung des Magensaftes auf eine in ihrer Vitalität
gestörte Stelle der Magenwand der gesamte Erscheinungskreis des
peptischen Geschwüres nicht restlos erklärt war, dass, wie z. B.
Ribbert in seinem Lehrbuch sagt, noch „etwas Besonderes“ hinzu-
kommen muss. Wenn dieses „Etwas“ nun stets oder doch in der grossen
Mehrzahl der Fälle der Soorpilz ist, so wird damit der Therapie ein be¬
stimmtes Ziel gesteckt.
Einer gewissen Skepsis werden Askanazys Angaben vielleicht
gerade im Kreise seiner engeren Fachkollegen begegnen, nicht nur wegen
der behaupteten Soorätiologie, sondern auch wegen der angeblichen echt
entzündlichen Natur des Magengeschwüres. Gewiss sind wohl schon
jedem pathologischen Anatomen entzündliche Ulcera rotunda zu Gesichte
gekommen. Aber nur in diesem Sinne kann man die Diskussionsbemer¬
kung von A s c h 0 f f an der Nauheimer Tagung gölten lassen. Man war
doch eher gewohnt, solche Geschwüre als eine Ausnahme und nicht als
die Regel zu betrachten. Denn was Askanazy über die histoiogisebe
Struktur des Geschwüres angibt, das stimmt durchaus nicht mit dem
überein, was heute noch in allen Lehrbüchern der pathologischen
Anatomie beschrieben und abgebildet wird. Schliesslich vermitteln diese
Lehrbücher doch die Summe oder besser den Extrakt unserer Beob¬
achtungen und Kenntnisse!
Der Punkt, dass Pilze bei der Entwicklung des Magengeschwüres
eine gewisse Rolle spielen könnten, w^urde kürzlich schon von Löh 1 ei n
gestreift. L. gibt an, in einer Reihe von Magengeschwüren die Anwesen¬
heit von Pilzfäden festgestellt zu haben, und meint, dass vielleicht eine
Thrombose der grösseren Blutgefässe der Submukosa, bedingt durch Pilz¬
invasion, die restitutio ad integrum verhindere und so der fortschreiten¬
den Zerstörung förderlich sei. Hier kommt also schon eine Anschauung
zum Ausdruck, die derjenigen Askanazys verwandt ist. Uebrigens
gibt Löhlein an, dass,die von ihm gesehenen Fäden möglicherweise
zum Teil Soormyzelien gewesen seien.
Ich selber, gleich L ö h 1 e i n ausgehend von der Beobachtung von
Schimmel pilzaffektionen des Magens (Aspergillus), bin seit bald
zwei Jahren auf der Suche nach Pilzen in Magenulzerationen aller Art.
Wenn das Suchen bisher erfolglos war, so mag das, worauf ja
Askanazy besonders hinweist, zum guten Teil an dem gebräuchlichen
Sektionsverfahren liegen, bei dem durch Spülen, Wischen usw. manches
verdorben wird, zum anderen Teil daran, dass mir operativ entfernte
Ulzera des Magens nur ganz ausnahmsweise zugehen. Der Pathologe
ist ja hierin von dem durch den Chirurgen geübten Operationsverfahren
(Resektion oder Gastroenterostomie) abhängig. Von vier exstirpierten
Ulzera, die mir in letzter Zeit zugingen, war eines gänzlich frei von
Pilzen, sowohl für den bakteriologisch-kulturellen Nachweis wie auch im
Schnitt: das Geschwür war in Ausheilung begriffen! Bei den drei
anderen gelang leicht der Nachweis von Soor durch das Kulturverfahren,
im Schnitt konnte ich den Pilz dagegen bisher nicht nachweisen, was
indessen nicht zwingend gegen seine Anwesenheit im Geschwür spricht.
Es kann aber bei meinem kleinen Ulcusmaterial nicht meine Absicht
sein, hier zu den von Askanazy aufgeworfenen Fragen Stellung zu
nehmen. Was mich persönlich an seinen Mitteilungen noch besonders
interessierte, waren die mehr nebenbei erwähnten Beobachtungen eines
perforierten Ulcus, wobei der Soorpilz im peritonealen Exsudat gefunden
wurde, und ferner die bei einem anderen Patieiiten gemachte Beob¬
achtung einer „ausgedehnten schwärzlichen Infiltration der Mac^enwand“.
Endlich auch besonders der bei einem Tierversuch erhobene Befund
einer Magenphlegmone, in deren Bereiche neben anderen Mikroorganis¬
men auch das OicMum angetroffen wurde. Hier scheint also eine ganz
ähnliche Magenphlegmone Vorgelegen zu haben, wie ich sie selbst kürzlich
bei der Sektion eines Falles von Puerperalsepsis feststellen konnte. Der
Seltenheit der Beobachtung wegen und auch im Hinblick auf das durch
Askanazys Veröffentlichungen in den Vordergrund gerückte Inter¬
esse für die pathogene Wirksamkeit des Soorpilzes im Magen möcht^^
ich sie hier kurz anführen. Für Einzelheiten verweise Ich auf die näch¬
stens als Dissertation erscheinende Arbeit von Tefwik Fahrny.
Das Kindbettfieber hatte bei der Patientin 40 Tage gedauert. Erbrechen
war während der Krankheit wiederholt beobachtet worden, doch erst in den
letzten Tagen vor dem Tode hatte es an Häufigkeit zugenommen. Auch waren
Schmerzen beim Betasten der Magengegend hinzugekommen. Die Diagnose
Magenphlegmone konnte jedoch erst durch die Autopsie gesichert werden, bei
der im übrigen der typische Befund einer tbrombophlebitischen Puerperalsepsis
mit metastatischen Abszessen in Milz und Lungen erhoben wurde. Am
Magen war der grösste Teil der Hinterwand, doch auch Teile der Vorder-
Digitized by Goüsle
wand phlegmohös verändert, mehr oder weniger stark verdickt, die einzelnen
Schichten stellenweise aufgeblättert, deutliche Eiterlagen dazwischen erkennen
lassend. Auffallend war, dass die Schleimhaut z. T. mit der Submukosa auf
eine grosse Strecke hin gänzlich von ihrer Unterlage abgehoben und in einen
nekrotischen Fetzen umgewandelt war. Zunächst wurde diese Erscheinung
als eine Wirkung der ziemlich weit vorgeschrittenen Selbstverdauung auf¬
gefasst, die auch eine grosse Oeffnung in die Hinterwand des Magens ge¬
fressen hatte. Ferner bestand im Fundusteil eine ca. 2 cm im Durchmesser
haltende Perforationsöffnung, entsprechend welcher sich ein durch die Milz
bzw. durch Verwachsungen zwischen Milz und Magen abgekapselter Abszess
gebildet hatte. Endlich fanden sich dicht an der kleinen Kurvatur vier rund¬
liche. umschriebene Geschwüre von durchschnittlich 1 cm Durchmesser, die
das Aussehen von frischen oder doch nicht chronischen Ulcera rotunda dar¬
boten. Sie lagen ausserhalb des Bereiches der Phlegmone. — Leider wurden
keine Bakterienkulturen von der Magenwand angelegt.
Die mikroskopische Untersuchung des Magens brachte nun eine Ueber-
raschung. Nicht die Phlegmone als solche, die an manchen Stellen ein durchaus
typisches Bild bot. Hingegen traten in der teilweise abgehobenen und nekro¬
tischen Schleimhaut Pilzfäden in grosser Menge auf. schon bei Hämalaun¬
färbung in die Augen fallend, deutlicher bei Methylenblau- oder Qramfärbung.
Die Fäden waren teils langgestreckt und wenig verzweigt, an anderen Stellen
gegabelt und kürzer. In ihrer Begleitung Hessen sich ferner die bekannten
hefenförmigen Zellen nachweisen, so dass an der Diagnose Oidium albicans
kein Zweifel aufkommen konnte, Herr Kollege Qalli-Valerio hatte
übrigens die Liebenswürdigkeit, mir die Diagnose zu bestätigen. — Manche
Stellen der phlegmonösen Magenwand waren nun gänzlich frei von Pilzfäden
oder Hefeformen, und wenn auch an recht zahlreichen Stellen vereinzelte
Pilzelcmente gefunden wurden, so kamen grössere Massen davon doch nur an
den Stellen zur Beobachtung, wo die inneren Schichten der Magenwand ab¬
gestorben waren. Die Grenze zwischen toten und erhaltenen Lagen wurde
nun hier stets durch eine scharfe Linie demarkierender Entzündung gezogen.
Und an diesem Qrenzwall stiessen sich auch die Pilzfäden. Ganz selten nur
drang einer davon darüber hinaus in die Tiefe.
Diese Befunde sprechen ganz eindeutig für eine scharf gekenn¬
zeichnete Wirkung des Pilzes während des Lebens. Um ein Eindringen
und Fortwuchem etwa des Pilzes in einer nach dem Tode durch Selbst¬
verdauung veränderten Magenschleimhaut kann es sich also keineswegs
handeln. Uebrigens haben Heller u. a. nachgewiesen, dass der Soor-
pllz post mortem in menschlichen Geweben nicht mehr weiterwächst.
Die gleichen Soorfäden, und zwar in ganz besonders grosser Menge,
fand ich ferner auch in dem Abszess zwischen Milz und Magen. Die
Kapsel und die oberflächlichieii Lagen des Mjlzparenchyms waren in
diesem Bereiche nekrotisch, in die Abszesshöhle einbezogen. Gegen
das intakte Gewebe wurde durch eine Granulationsmembran eine scharfe
Grenze gezogen, über die hinaus wieder die Pilze nicht vordrangen.
Angesichts dieser Befunde drängt sich nun die Frage auf, ob eine
eigentliche Soorphlegmone vorliege oder aber Sekundärinfektion des
phlegmonösen Gebietes durch den Pilz. Die Entscheidung dieser Frage
in letzterem Sinne konnte sich auf verschiedene Punkte stützen, trotzdem
eine bakteriologische und histologische Untersuchung des primären, geni¬
talen- Infektionsherdes nicht vorgenommen worden war, da makroskopisch
etwas Auffallendes hier nicht festgestellt wurde. Wie schon oben er¬
wähnt, waren manche Stellen der phlegmonösen Abschnitte der Magen¬
wand völlig frei von FMlzen. Dagegen konnte überall, also auch an
den pilzfreien Stellen ein Streptokokkus in grossen Mengen nachgewiesen
werden, also der gewöhnliche Erreger der Puerperalsepsis. Ferner lag
am freien vorderen Rande der Milz ein kleiner Abszess, der nicht im
Zusammenhänge mit dem paragastrischen Abszess stand. Auch dieser
Eiterherd war einzig durch Streptokokken erzeugt, enthielt keine Pilze.
Somit glaube ich nicht fehlzugehen, wenn ich ihn als eine Metastase
des primären Herdes im Becken ansehe. Für die Phlegmone dürfte
das gleiche zutreffen; sie ist also sekundär durch den Soorpilz infizferi
worden.
Dabei braucht man nun keineswegs eine rein zufällige Sekundär¬
infektion anzunehmen. In einer interessanten Arbeit widmet Fischl
ein besonderes Kapitel der Symbiose zwischen Soor mit Spaltpilzen.
Aus den hier erwähnten, mir im Original zum Teil nicht zugänglichen
Arbeiten von Schmor 1, Stoos, de Stöckllnu. a. lässt sich soviel
mit einiger Sicherheit entnehmen, dass der Soorpilz, namentlich in Ge-
- weben und Organen, wo er sonst seltener vorkommt, sich leichter an¬
siedelt, wenn ihm bereits durch Spaltpilze der Weg geebnet ist. Ob
und wieweit dies nun auch für das Magengeschwür zutrifft, kann zunächst
noch nicht diskutiert werden. Durch unseren Pall der Magenphlegmone
wird dies Verhalten aber besonders klar beleuchtet.
Auch die Infektionsquelle für die Soorinfektion des phlegmonösen Ge¬
bietes glaube ich näher bestimmt zu haben. Man kann das Suchen hiernach
vielleicht für müssig halten in Anbetracht des verhältnismässig häufigen
Vorkommens des Oidiums im oberen Verdauungskanal. Doch war es mir
— namentlich mit Rücksicht auf Askanazys Befunde — Immerhin Inter¬
essant zu sehen, dass von den vier erwähnten runden Geschwüren das¬
jenige, das zur histologischen Untersuchung herangezogen wurde, sich
als mit Oidium infiziert erwies! Ich erwähnte schon, dass diese Ge¬
schwüre ausserhalb des phlegmonösen Bezirkes lagen. Es Hegt also
jedenfall nahe, sie als die Infektionsquelle anzusehen, von der aus der
Soorpilz auf den eitrig infiltrierten, durch Streptokokken hervorgerufenen
Bezirk übersprang. Diese Annahme scheint mit näherliegend als die¬
jenige einer gleichzeitigen Infektion der FTilegmone und der Geschwüre,
etwa vom Rachen oder Oesophagus aus. Denn sonst würden wohl in
Magen Phlegmonen schon öfter Soorpilze gefunden worden sein. Die
' Zahl der davon untersuchten Fälle ist ja beträchtlich. Einen Fall von
Magenphlegmone aus unserer Institutssammlung habe ich zum Vergleich
heranziehen können. Das Präparat erwies sich als frei von Soorpilzen
Original frorri
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
634
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Die wenigen bisher veröffentlichten Beobachtungen über Sooraffektionen
des Magens lassen sich aber mit unserem Falle nicht vergleichen.
Eine Frage von mehr nebensächlicher Bedeutung ist es, ob die vier
(jeschw^üre etwa auch in ursächlichen Zusammenhang mit dem gegen-
\yärtigen Hauptleiden zu bringen sind, etwa so. dass zunächst blande
Embolien durch Zirkulationsstörungen in der Magenwand Anlass zu
ulzeröser Zerstörung gegeben hätten. Dies lässt sich nicht ausschliessen.
Nach dem liistologisclien Bilde lagen jedenfalls nicht eigentlich chro¬
nische Geschwüre vor, insbesondere fehlte deutliche Narbenbildung im
Grunde. Andererseits lassen vielleicht „crises d’ancmle“, die in der
Anamnese aus früheren Jahren erwähnt werden, an ein altes Magen-
geschwiirleiden denken. Eine sichere Entscheidung hierin möchte ich,
namentlich auch wegen des wenig guten Erhaltimgszusiandes des Prä¬
parates nicht treffen; sie ist auch für uns von geringerem Interesse.
Eine weitere Frage erhebt sich: Hat die Soorinfektion eine Be¬
deutung gehabt einerseits für den besonderen Ablauf und die Gestaltung
der phlegmonösen Gastritis und andererseits für den Gesamtzustand
der Patientin? Das letztere wMrd man in Anbetracht der Schwere der
Erkrankung kaum annehmen müssen. Rein theoretisch liesse sich die
Möglichkeit einer Virulenzsteigerung der Streptokokken durch die Soor¬
infektion nicht ausschliessen, da Galli-Valerio ähnliches für das
Bact. prodigiosum und de S t ö ck l in für den Diphthcriebazillus nach¬
gewiesen haben. In bezug auf Streptokokken scheinen solche Unter¬
suchungen noch nicht ausgeführt worden zu sein.
Für die Phlegmone als solche war al>er die Pilzinfektion sicher nicht
gleichgültig. Die weitgehende Nekrotisierung der inneren Magenwand¬
schichten gehört jedenfalls nicht zum gewöhnlichen Bilde der Gastritis
phlegmonosa. Ich führe sie auf ein Zusammenwirken der Streptokokken
und des Pilzes zurück, da sich, wie oben erw'ähnt, deutlich nachw^eisen
liess, dass überall da, wo Pilzfäden in grösserer Menge vorhanden
waren, eine sehr scharfe Demarkationslinie die oberflächlichen nekro¬
tischen Lagen von den nur eitrig infiltrierten Schichten abgrenzte.
Etwas Aehnliches scheint auch Kraus (zit nach F i s c h 1) beobachtet
zu haben. Da die Soorpilze durch diese demarkierende Entzündung im
Vordringen aufgehalten wurden bzw. diese hervorgerufen hatten, erklärt
sich das besondere Verhalten in unserem Falle zweifellos durch die
Pilzinfektion.
In dieser Auffassung werde ich bestärkt durch meine früheren Er¬
fahrungen an Fadenpilzaffektionen des Magens. In den vier beobachteten
Fällen konnte die Bildung eines nekrotischen Schorfes stets nach¬
gewiesen werden. Je nach der Schwere der Erkrankung greift die Ver¬
schorfung bald mehr bald w eniger tief, und eine Abstossung des Schorfes
kann anscheinend schon ziemlich bald erfolgen, so dass es zur eigent¬
lichen Geschwürsbildung kommt. Nur einmal bei diesen vier Fällen
gelang es mir nun, die Art des Erregers nachziweisen. den Aspergillus
fumigatus. Löh lein stellte etwa gleichzeitig denselben Parasiten in
einer Magenulzeration fest. Bei nachträglicher Prüfung meiner da¬
maligen Schnitte möchte ich für einen Fall (Nr. III meiner ersten Mit¬
teilung) das Oidium nicht ausschliessen. — Wie dem auch sei: soviel
scheint mir aus diesen Untersuchungen hervorzugehen, dass die In¬
fektion der Magen wand mit Fadenpilzen eine rasche
Verschorfung zur Folge hat. Wenn nun im vorliegenden Falle
die Nekrotisierung besonders ausgedehnt war. so müssen wir das zw’eifel-
los dem Umstande zuschreiben, dass die Magenwand durch die voraus¬
gehende Streptokokkeninfektion schon ganz schwer geschädigt war.
Eine Schädigung irgendwelcher Art muss anscheinend der Pilzinfektion
der Magenwand immer vorausgehen. Darauf habe ich schon früher
nachdrücklich hingewiesen. Und Askanazy nimmt das gleiche für
die Soorinfektion auch an, der er in der Pathogenese des Magen¬
geschwüres nur die Rolle der Heilungserschwening bzw. -Verhinderung
zuschreibt, wwaus sich die Chronizität der Erkrankung erkläre.
Hier scheint aber ein gewisser Unterschied zu bestehen
zwischen der Infektion der Magenwand mit Schimmelpilzen einer¬
seits und mit dem S o o r p i 1 z andererseits: In letzterem Falle entsteht
ein chronisches Ulcus, in ersterem Falle ein a k u t e s Ge¬
schwür. das sich unter frühzeitiger Abstossung des Schorfes bald
reinigt und wohl auch verhältnismässig leicht ausheilt. Hierfür spricht
u. a. die Seltenheit der Schimmelgeschwüre.
Die erste Mitteilung Askanazy s einerseits und eben die verhält¬
nismässig spärlichen autoptischen Beobachtungen von Magenschimmel
andererseits sollten vielleicht noch nicht zu diesem Schlüsse verleiten.
Wenn ich trotzdem diesen Gedanken, der sich mir bei der Untersuchung
der Soorphlegmone aufdrängte, jetzt schon — wenn auch mit aller Vor¬
sicht — ausspreche, so geschieht dies in der Absicht. Nachuntersucher
auf diesen Punkt der Magenpilzfrage aufmerksam zu machen.
Literatur.
Askanazy: Revue nicdicale de la Suisse roinandc. Aueust 1920 und
Bericht über die Nauheinier VersaniinluiiK Deutscher Naturforscher und Aerzte
in Zbl. f. Path. 31. Nr. 7. — A s c h o f f: DiskussionsbemerkunK daselbst. —
Löhlein: Virch. Arch. 227. (Lit.). — v. Meyenburg: Frankfurter
Zschr. f. Path. 23. und Virch. Arch. 229. (Lit.). — T e f w' i k F a h ni y: Thiise
Lausanne 1920. — Heller: D. Arch. f. klin. Med. 55. — F i s c h 1: Erg. d.
inn. Med. u. Kinderhlk. 16. — Schmorl: Zbl. f. Bakt. 7. — Stoos: zit.
nach Fischl. — de Stöcklin: Arch. de med. exp. 10. — Galli-
Valerio: Arch. de Parasitologie T. 11. 1899.
Digitized by Goiisle
Aus der Universitäts-Frauenklinik Frankfurt a. M.
(Direktor: Prof. Dr. M. Walthard.)
Ueber die konservative Behandlung von Streptokokken-
, aborten*).
Von Dr. Hans Neu, Frauenarzt in Frankfurt a.M., vormals
Assistent der Klinik.
Im Jahre 1914 hat TraugottO die Ergebnisse der aktiven und
konservativen Behandlungmethoden von Streptokokkenaborten an der
Frankfurter Klinik zum ersten Male zusammcngestellt. Seine Schluss¬
folgerung war die, dass „grosser Mut dazu gehöre, einen Strepto¬
kokkenabort auszuräumen“. Vergleichende Behandlungsserien von
237 Streptokokkenaborten, von denen ein Teil aktiv, der andere Teil
konservativ behandelt w'urde, erpben eine weitaus grössere Morbiditäts¬
und Mortalitätszahl bei der aktiven Methode. Während hier sich eine
Mortalität von 18,1 Proz. und eine Morbidität von 14,1 Proz. zeigte,
war bei konservativ behandelten Streptokokkenaborten die Mortalität
2,2 Proz. und die Morbidität 2,0 Proz. Damit war gezeigt, dass das
konservative Verfahren niemals schadet, dagegen Mortalität und Mor¬
bidität bedeutend berabsetzt. Die Folgerung dieser Feststellung war,
dass in den kommenden Jahren grundsätzlich die bakteriologische In¬
dikationssteilung Vorbedingung für die Behandlung aller Aborte wurde,
und Streptokokkenaborte prinzipiell konservativer Behandlung unter¬
worfen waren.
Die Publikationen Traugotts, sowie die ungefähr gleichzeitig mit
ihnen erschienenen Arbeiten aus der Königsberger Klinik, die sich in
der gleichen Richtung bewegten, bewirkten einen Meinungsstreit der
Gynäkologen über die Berechtigung der von der Frankfurter und Königs¬
berger Klinik aufgestellten Indikation. Relativ wenigen Anhängern der
konservativen Methode stand eine grosse Anzahl von Gegnern gegen¬
über. Auf die Fülle der Arbeiten, die seit 1914 über die Abortbehand¬
lung veröffentlicht wurden, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Eine kurze Zusammenfassung über diese Literatur hat Herr S t e n d e r
in einer demnächst aus der Frankfurter Klinik erscheinenden, unter meiner
Leitung verfassten Dissertation angefertigt. Es soll hier nur erwähnt wer¬
den, dass kein einziger Autor bei der aktiven Methode die an unserer
Klinik erzielten günstigen Mortalitäts- und Morbiditätsziffern erreichte.
Die Hauptgründe, mit denen die Gegner des konservativen Ver¬
fahrens dieses bekämpfen, sind folgende:
1. Schwere Blutungen fordern sofortiges Eingreifen und verhindern
bakteriologische Indikationsstellungen. Ueber die Verkehrtheit dieser
Ansicht ist von mir an anderer Stelle berichtet worden*).
2. Bakteriologische Indikationsstellungen und das konservative Ver¬
fahren überhaupt verlängern die Behandliingsdauer und sind deshalb
unökonomischer wie das aktive Verfahren. Zurückweisung dieser An¬
sicht an Hand des Materials der Frankfurter Klinik soll gleichfalls ander¬
wärts erfolgen. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass die durchschnitt¬
liche Dauer des Krankenhausaufenthaltes für die konservative Behand¬
lung durch Traugott auf 17,5 Tage festgesetzt wurde. Da von den
meisten Autoren, die Vertreter der aktiven Richtung sind, ein durch¬
schnittlicher Krankenhausaufenthalt von immerhin 7—10 Tagen an¬
gegeben wird, so müssen wir die grössere Oekonomie im Interesse
der Volkswohlfahrt nicht in einer Verkürzung des Krankenbettes, son¬
dern in einer erhöhten Sicherheit für Leben und Gesundheit des ein¬
zelnen Patienten erblicken. Es ist natürlich klar, dass durch den Zwang
der bakteriologischen Indikationsstellung ein grosser Teil von Patien¬
tinnen mit Streptokokken, die in den Eiteilen ein saprophytisches Dasein
fristen, länger ans Bett gefesselt ist, wie jene Patientinnen, die ohne
Schaden für Leben und (jesundheit sofort ausgeräumt werden könnten.
Vergleichen wir nunmehr unser konservatives Vorgehen zum Beispiel
mit der Behandlungsweise der Appendizitis: Ein grosser Teil von Wurm¬
fortsätzen wird entfernt, nur weil der V erdacht besteht, dass eine Ent¬
zündung vorliegen könnte. Die Operation ist an sich relativ unschädlich.
Sie wird vorgenommen, damit mit der grössten Sicherheit ja kein Fall von
einer etwa beginnenden Appendizitis übersehen werde. Gegen dieses
Vorgehen wdrd von ärztlicher Seite niemals Einspruch erhoben. Gegen
das homologe Verfahren der Frankfurter Schule, die dem Arzt die
Mittel an die Haitd gibt, mit der denkbar grössten Sicherheit für Leben
und Gesundheit seiner Patienten die Ausräumung in jenen Fällen zu
verhindern, in denen die Eiteile mit Keimen besiedelt sind, welche
ein parasitisches Dasein führen könnten, und die
durch die Ausräumung gefährlich werden könnten,
wird von den meisten Aerzten Widerspruch erhoben. Sie stützen sich
auf die Meinungsverschiedenheit, die unter den Ergebnissen beider Ver¬
fahren in den letzten Jahren in der Literatur vorliegt.
Es erschien uns daher wichtig, an Hand unseres grossen Abort¬
materials die T raugott sehen Ziffern einer erneuten Prüfung zu unter¬
werfen. Damit sollte zugleich dem Vorwurf begegnet werden, dass
die Zahlen, an denen die früheren Resultate gewonnen waren, zu klein
waren.
In den Jahren 1914—1920 kamen insgesamt 2279 Aborte zur Prüfung,
die bakteriologisch einwandfrei durchuntersucht wurden. Von diesen
waren 1008 Streptokokkenaborte == 44,2 Proz., also annähernd die Hälfte
aller Aborte.
•) Die Arbeit ging bei der Redaktion bereits im Dezember 1920 ein.
*) Traugott: Zschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 68 u. 75.
-) M.in.W. 1920 Nr. 47.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA _
27. Mai 1921
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
635
Diese hohe Quote der Streptokokkenaborte, deren Gefährlichkeit
wohl allseitig anerkannt wird, beweist allein schon die Notwendigkeit
der bakteriologischen Untersuchung.
Die Frankfurter Schule erblickt im Fieber allein nicht den Aus¬
druck einer parasitären Erkrankung. Fieber auf rein bakteriotoxischer
Grundlage ist in den Veröffentlichungen der Frankfurter Klinik oft genug
beschrieben worden. Wir haben daher davon Abstand genommen,
unser Material nach dem Kriterium: „Fieber oder kein Fieber“ zu sichten.
Es kam lediglich darauf an, Patientinnen von einer aktiven Behandlungs¬
weise auszuschliessen, in deren Uterus sich Keime befanden, die para¬
sitäre Eigenschaften haben könnten. Dies sind vor allem diejenigen
Uteri, die mit Streptokokken besiedelt sind.
Von den 1008 Streptokokkenaborten wurden 979 Fälle rein kon¬
servativ behandelt, 28 Fälle sind ausserhalb der Klinik intrauterin be¬
handelt worden und können daher, obwohl in der Klinik konserv'ativ
weiterbehandelt, nicht in den Rahmen der konservativen Methode an
sich eingespannt werden. Ferner wurde ein Fall in der Klinik wegen
angeblich sehr starker Blutung ohne vorausgegangene bakteriologische
Diagnosenstellung aktiv behandelt. Es ist interessant, dass dieser einzige
in der Klinik seit 1914 rein aktiv behandelte Fall zum Exitus kam —
in dem Uterussekret fanden sich Streptokokken.
Von den 979 konservativ behandelten Fällen wurden nach Aus-
stossung von Frucht und Plazenta nicht ausgetastet 715 Fälle. Diese
haben sich somit spontan erledigt. Nach Selbstreinigung von Strepto¬
kokken wurden die Uteri in 264 Fällen ausgeräumt. Die Morbidität und
Mortalität der 979 konservativ behandelten Fälle ergibt sich aus folgen¬
der Tabelle:
Parauterine Erkrankungen und Metastasen. 62 = 6,33 Proz.
Gestorben.38 = 3,88
Geheilt ohne klinische Erscheinungen. 879 = 89,79
Die Mortalität von 3,9 Proz., sowie die Morbidität von 6,3 Proz.
muss Jedoch nach dem Gesichtspunkt bewertet werden, dass unter
diesen Zahlen sämtliche Fälle angeführt sind, gleichgültig,
ob sie mit Fieber oder schon mit parauterinen Er¬
krankungen in die Klinik kamen. Obwohl Fieber beim
Abort in der Mehrzahl der Fälle durch intrauterine Massnahmen
ausserhalb der Klinik, meistens krimineller Art, bedingt ist, sollen die
357 Fälle, die mit Eieber in die Klinik eingeliefert wurden, nicht zu¬
gunsten unserer Statistik berücksichtigt werden. Es wurden jedoch unter
den Streptokokkenaborten, die in der Klinik konservativ behandelt
waren, und die in obiger Statistik mit berechnet wurden, nicht weniger
wie 68 gefunden, in deren Aufnahmebefund schon eine parauterine Er¬
krankung festzustellen war. Wie sehr diese 68 Fälle die Statistik zu
beeinflussen imstande sind, beweist die Tatsache, dass von den in obiger
Tabelle angeführten 38 ad exitum gekommenen Patientinnen allein 16
mit schweren, ja schwersten parauterinen Erkrankungen in die Klinik
gebracht wurden. Darunter waren 7 Fälle mit mehr oder weniger vor¬
geschrittener Peritonitis, 1 Fall einer schweren Endometritis. 1 Fall
von Parametritis und 2 Fälle von Adnexentzündung sowie 5 Fälle
sog. Sepsis mit Vermehrung von Bakterien im strömenden Blut.
Berechnet man diese 16 Fälle unter Abzug von den 38 gestorbenen
Fällen, so vermindert sich die Mortalität bei einer Zahl von 22 ge¬
storbenen Fällen, bezogen auf 963 rein konservativ behandelte Strepto¬
kokkenaborte auf 2,28 Proz.
Diese Zahl entspricht fast ganz genau der 1914 von Traugott
angegebenen Prozentzahl für sein wesentlich kleineres Material.
#
Zusammenfassung.
An Hand unseres Materials von 963 in der Klinik rein konservativ
behandelten Streptokokkenaborten sind wir zu einer restlosen Bestätigung
der Traugott sehen Mortalitätszahl von 2,3 Proz. gelangt.
Gestützt auf dieses Resultat ist die Frankfurter Klinik nach wie vor
folgender Ansicht:
1. Die konservative Behandlung der Aborte, bei denen Eiteile und
Uterussekrete mit Streptokokken besiedelt sind, bewahrt die Patienten
am sichersten vor tödlich verlaufenden parauterinen Erkrankungen.
2. Die bakteriologische Untersuchung der Genitalsekrete ist die
sicherste Methode, urn Aborte von der Ausräumufig auszuschalten,
solange die Genitalsekrete noch mit Streptokokken besiedelt sind.
Suggestion und Hypnose in der allgemeinen Praxis*).
Von Dr. v, Hattingberg, Nervenarzt in München.
Wenn heute der anfangs recht affektive Widerstand gegenüber
Suggestion und Hypnose als Heilverfahren einer ziemlich allgemeinen
Anerkennung Platz gemacht hat, so ist diese doch eine theoretische
geblieben, obwohl die Methoden eine erfolgreiche Wirksamkeit von
Jahrzehnten hinter sich haben. Die grosse Mehrzahl der praktischen
Aerzte verharrt ihnen gegenüber in stummer Ablehnung. Die tiefere
Ursache dafür liegt einmal in dem immer noch mangelhaften theore¬
tischen Verständnis der Suggestionsvorgänge, auf der anderen Seite aber,
wie mir scheint, in einer eigentümlichen schiefeih Stellung des Arztes
zum Kranken, die bei der Anwendung der reinen Suggestivtherapie alten
Stils nur schwer zu vermeiden ist. Eine einfache Ueberlegung kann
das begreiflich machen. Suggerere heisst dem Wortsinn nach von unten
heranbringen, unterlegen, unterschieben, suggerieren, also, jemanden
etwas unter der Hand beibringen; ohne dass er es merkt. Er, das heisst
•) Vortrag, gehalten am 26. I. 21 im Aerztlichen Verein in München.
Nr. 21.
sein bewusstes Ich. Während sonst ein Glauben, eine Handlung aus
dem Wesen der betroffenen Person, aus ihr einsichtigen Motiven ver¬
ständlich hervorgehen, läuft hier ein Mechanismus ab, in den das Ich
keinen Einblick hat, und der deshalb seiner Kontrolle entzogen ist Das
suggerierte Geschehen kommt also unter Umgehung des Ich zustande,
dem es. durch die Eingebung gleichsam untergeschoben wird. Dass
solches möglich ist, das ist die Folge der psychischen Spaltung, bei der
seelische Vorgänge ablaufen, bei der Motive oder Triebe im Unbewussten
sich auswirken, ohne dass das bewusste Ich etwas davon weiss. Auf
diese Eigentümlichkeit der Suggestionserscheinungen legt die Vorstellungs¬
theorie die heute herrschende Auffassung, wie sie von Wundt Lipps,
Forel, Vogt, Moll, Löwenfeld u. a. vertreten wird, das Haupt¬
gewicht. Die „Dissoziation“ der durch die Eingebung erzeugten Vor¬
stellungen und die dadurch erzielte „Einengung des Assoziationsablaufes
auf die angeregte Vorstellungsreihe“ ist für sie das eigentlich wesent¬
liche Moment der Suggestionswirkung, weil dadurch die Gegenwirkung
der Ichkontrolle ausser Kraft gesetzt wird. Und es ist auch so. Wie für
unser Triebleben besteht für die Suggestion ein direktes Gegensatz¬
verhältnis zum bewussten Ich. In dem Masse, als dieses ausgeschaltet
wird, kann sich wie das Triebleben auch die Suggestion ungehemmter
entfalten.
Psychische Spaltung aber ist gleichbedeutend mit Unordnung im
Seelischen, mit einem Fehlen jener Einheitlichkeit, die durch die Ich-
Funktion hergestellt wird und die Neigung zur psychischen Spaltung ist
eine Eigenart des neurotischen Seelenlebens, aus der wir nach den
Lehren von Janet, Breuer und Freud die Entstehung der nervösen
Symptome zu erklären versuchen. Die Suggestivtherapie benutzt also
den gleichen Weg, auf dem die Neurose ihre Symptome erzeugt. Sic
wirkt von hinten herum, sie schleicht sich, wie Bechterew sagt,
auf der Hintertreppe ein. Das heisst mit anderen Worten: vom be¬
wussten Ich aus gesehen bedeutet Suggestion soviel als Täuschung. Das
ist nicht wegzuleugnen, gleichviel ob man dabei von Dissoziation, Ein¬
engung des Assoziationsablaufes u. dergl. spricht.
Es ist wichtig sich diese Ueberlegung gegenwärtig zu halten, wenn
man Anschauungen verstehen will, wie die Bab’inskis, der die
Suggestion bezeichnet als „einen schlechten Gedanken (uhe mauvaise
pensee), welcher in die Seele eintritt“ oder den gänzlichen ablehnenden
Standpunkt Dubois’. Gewiss ist diese Auffassung einseitig. Die
Suggestibilität ist eine ganz allgemeine Eigenschaft, und es kann thera¬
peutisch sehr wertvoll sein, wenn jemand mit seiner Einwilligung in den
Zustand der Hypnose gebracht wird. Es ist auch durchaus möglich, die
hypnotische Technik so einzurichten, dass daraus keine Schwächung des
Willens resultiert; man kann sogar erziehliche Einwirkung im wahrsten
Sinne des Wortes damit verbinden. Dennoch bleibt das bestehen: Ein
Hypnotiseur im Kreise seiner suggestiv wohl dressierten Automaten, die
auf einen Wink einschlafen, bereit die ganze Zauber vor Stellung der
hypnotischen Phänomene zu produzieren, ist kein durchaus erfreuliches
Bild. Dass sich ein Mensch kritiklos ganz der Suggestion eines anderen
unterstellt, können wir trotz aller theoretischen Anerkennung nicht rflek-
haltlos bejahen.
Diese Tatsachen des Gefühls, aus denen einst der affektive Wider¬
stand gegen Suggestion und Hypnose als Heilverfahren erwuchs, be¬
gründen heute noch die unausgesprochene Ablehnung der praktischen
Aerzte. Aber auch so mancher Facharzt, der die Suggestion mit Erfolg
anwendet, hat für seine Medien im Stillen ein mitleidiges Lächeln, das
sich wenig von dem des Skeptikers unterscheidet, der erklärt, in der
Therapie und gar in der Psychotherapie sei alles „nur Suggestion“, und
dabei nach dem Motto handelt: mundus vult decipi, ergo decipiatur.
Man hat schon seit langem versucht diesen Eigentümlichkeiten der
reinen Suggestivtherapie abzuhelfen. Im Verein mit der Tatsache, dass
sehr oft die Heilwirkung in ihrem Bestand abhängig ist von der Fort¬
dauer des suggestiven Rapports, haben sie Freud veranlasst, nach
anderen therapeutischen Möglichkeiten zu suchen. Was sich aber die
Psychoanalyse als Ziel gesetzt hat, aus dem bewussten Ich, dem Zentrum
der Persönlichkeit, die heilenden Kräfte zu entbinden, das strebt heute,
wenn auch auf verschiedenen Wegen, jede ernste Psychotherapie an.
So wird ganz im allgemeinen die reine hypnotische Suggestivtherapie
immer mehr verlassen zugunsten von Methoden, welche das Schwer¬
gewicht nach der Seite der Erziehung hin verschieben, die sich stets an
den ganzen Organismus wendet und dabei immer zuerst an das be¬
wusste Ich.
Der praktische Arzt kann sich jedoch weder mit Psychoanalyse
noch mit methodischer Erziehungstherapie ernstlich befassen. Einmal
schon deshalb, weil ihm die dazu nötige Zeit fehlt und dann, weil nichts
so sehr eine besondere psychologische Schulung — und Eignung er¬
fordert. Für ihn kämen also auf dem Gebiet der methodischen Psycho¬
therapie nur die weniger zeitraubenden, einfacher zu handhabenden sug¬
gestiven Verfahren in Betracht. Deren Schattenseiten fallen aber gerade
für den Nichtspezialisten besonders ins Gewicht, weil sich ihnen noch
eine andere Schwierigkeit zugesellt. Suggerieren heisst Eingehen, Ein¬
reden und das geschieht durch Behauptungen, die wir mit möglichster
Bestimmtheit aufstellen. Je sicherer wir auftreten, desto erfolgreicher
wirkt die Suggestion-^ wenn sie wirkt 1 Versager aber sind unver¬
meidlich, selbst für den Geübtesten. Freilich wird sich der Hypnotiseur
von Fach immer irgendwie aus der Schlinge zu ziehen wissen und eine
vorsichtige Methode, z. B. das fraktionierte Vorgehen nach V b g t kann
gröbere Zwischenfälle sicher vermeiden. Aber es kommt jedem immer
wieder einmal vor, „dass es nicht geht“ — trotz der bestimmtesten Ver¬
sicherung und das ist eine Situafion, die ein gewissenhafter Arzt gern
4
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
636
Münchener Medizinische wocHSHscHRirr.
Nr. 21
vermeiden wird. Man setzt sich selbst, man setzt die ärztliche
Autorität aufs Spiel und dieses Risiko läuft man nicht ohne Not. Be¬
sonders ist das dem praktischen Arzt nicht zuzumuten, der unmöglich die
Sicherheit haben kann, die langjährige Uebung verleiht. Nimmt man
dazu noch die andere Möglichkeit der für den Kranken allerdings un¬
gefährlichen, für den auch nur etwas unsicheren Hypnotiseur aber oft
peinlichen Anomalien der hysterischen Hypnose, dann begreift man,
warum sich die praktischen Aerzte bisher im allgemeinen von der An¬
wendung der Suggestivtherapie ferngehalten haben.
Wir werden also damit rechnen müssen, dass, wie bisher nur ver¬
einzelte praktische Aerzte, denen die Fähigkeit einfühlenden Verstehens
angeboren ist, sich der Hypnose alten Stils bedienen. Diese Methode
wird nie Allgemeingut der Praktiker werden und solange nicht eine sehr
viel bessere psychologische Durchbildung die Regel geworden ist, wird
man das kaum bedauern müssen. Ein psychologisch ungeschulter Arzt
steht den Unbegreiflichkeiten der Hysterie unbeholfener gegenüber als
mancher Laie, der suggestive Wunderheilungen hervorbringt, weil er die
Kranken zu nehmen wetss.^ Dennoch wird man sich damit nicht einfach
zufrieden geben, denn sehr vielen leidenden Menschen würde damit die
idealste Methode der Erholungs- und Beruhigungstherapie vorenthalten.
Mag man ihn sonst beurteilen wie immer, darüber herrscht Einigkeit,
dass der hypnotische Zustand als Beruhigungsmittel souverän ist. Eine
Lösung dieser Schwierigkeit liegt, wie mir scheint, darin, dass man in
der Auffassung wie in der Ausübung der Suggestion den Akzent ver¬
schiebt von der psychischen Spaltung, d. h. von der Umgehung des Ich.
der Täuschung nach der Seite ihrer instinktiven (jrundlage hin, die von
der herrschenden Vorstellungstheorie konsequent ignoriert wird. Wir
verzichten freiHch auf einen Teil ihrer Wirkung, je mehr wir die
hypnotische Suggestion ihres zauberhaften, mystischen Charakters ent¬
kleiden, der dem credo qula absurdum so nahesteht, aber eben doch nur
auf einem Teil, auf die Zauberwirkung, der wir ohnehin gar nicht genug
misstrauen können. Nicht nur die Dissoziation, die Ausschaltung der
Oegenvorstellungen, der Kritik des bewussten Ich, also ein negatives
Moment, ist im Swggestionsmechanismus wirksam, wie es die Vorstel¬
lungstheorie behauptet, sondern ein positives, ein besonderer, in allen
Menschen vorgebildeter, instinktiver Mechanismus, eine instinktive Ein¬
stellung, ein Drang oder Trieb suggeriert zu werden*), ein Drang zur
Passivität, der sich am deutlichsten aber durchaus nicht allein im physio¬
logischen Passivzustand der Hypnose kundgibt. Legen wir hierauf das
Hauptgewicht, d^nn verliert die hypnotische Suggestion ihre Schatten¬
seiten.
In der praktischen Anwendung hat sich mir aus dieser veränderten
Stellungnahme ein einfaches Verfahren ergeben, das ohne Schwierig¬
keiten jeder Praktiker erlernen und ausüben kann. Es enthält nichts
prinzipiell Neues, ja, es sind sogar sehr ähnliche Anwendungsarten schon
von anderen empfohlen worden. Dass dennoch die sehr einfache Me¬
thode in dieser Form kaum angewendet wird, rechtfertigt ihre kurze
Schilderung, aus der zugleich besser als aus umständlichen theoretischen
Erwägungen verständlich werden kann, worauf es dabei ankommt. Ich
möchte das Verfahren als Entspannungsübung bezeichnen.
Wegen des gerade heute abnorm gesteigerten Hanges zum Uebersinn-
lichen wird man den Namen Hypnose mit Vorteil vermeiden. Die Ent¬
spannung wird dabei in allererster Linie betont, weil sie mir das thera¬
peutisch wesentlichste Moment zu sein scheint, an dem physiologischen
Passivzustand (L i ö b e a u 11) allgemeiner Lösung, den die Hypnose dar¬
stellt Jede Aktivität ist Spannung, Spannuiigen der Muskulatur der
Stirne sind die nie fehlende Begleiterscheinung der Aufmerksamkeit
(K ü 1 p e) und des zielgerichteten Denkens überhaupt Solange er wacli
ist, befindet sich aber der Kulturmensch fast ununterbrochen im Zustand
der Aufmerksamkeit. Er ist also immer irgendwie angespannt und bei
jedem Nervösen im weitesten Sinne des Wortes begreift die damit ver¬
bundene Spannung vielmehr als die Stirnmuskulatur. Demgegenüber
bedeutet die völlige Passivität des gesunden Tiefschlafes die Schlaf¬
lösung, vor allem eine Entspannung und das gleiche gilt von dem Anfangs-
stadium der Hypnose. Dieser Zustand wird angestrebt, weil er ebenso
leicht und in einen tieferen Qrad der Hypnose wie in den echten Schlaf
übergehen kann.
Dazu empfiehlt sich etwa folgendes Vorgehen:
1. Vorbereitung: Bequeme Lagerung des Patienten auf einem Ruhe¬
bett. Kurze Aufklärung über unsere dauernde Spannungshaltung und
Aufforderung zu entspannen. Prüfung am hochgehobenen Arm, der völlig
schlaff herunieffallen muss. Aufforderung die Augen zu schliessen und
im Geiste langsam zu zählen.
2. Ankündigung, man werde zeigen, wie noch viel vollständigere
Entspannung möglich. Aufforderung zur Fixation. Stirnhand. Einfache
Ruhesuggestionen, die möglichst natürlich zu fassen sind, z. B. ndie Ent¬
spannung wird zu einer Art Müdigkeit — Sie werden müde — diese
Müdigkeit geht auf die Augen über, die Lider werden schwer — der
Blick wird feucht vom langen Schauen“ usw. Nachdem Augenschluss
erreicht ist, allgemeine Ruhesuggestionen.
3. Fraktionieren nach Vogt: Aufwecken (Zählen bis 3). Ausfragen.
Abermalige Fixation, abermals Suggestionen unter Berücksichtigung der
erhaltenen Antworten.
4. Ist eine genügende Entspannung erreicht, was etwa dem Uebergang
vom 1. zum 2. Grad der Hypnose nach F o r e 1 entspricht, so erklärt man
*) Die BegründunK dieser der Bleuler sehen und der psychoanaly¬
tischen Theorie sehr nahestehenden Auffassung soll in einer grösseren Arbeit
gebracht werden.
Digitized by Goiisle
dem Patienten, das sei nicht unsere Leistung. In ihm
selbst läge diese schöne Ruhe vorbereitet, er könne
sie selbst hervor rufen.
5. Anweisung, mehrmals täglich die Entspannungsübungen zu machen.
Gleiche Lagerung. Rückversetzung in der Erinnerung In die Situation
mit dem Arzt. Völlige Entspannung = Achten auf die Stlmmuskulatur.
Welche Vorteile hat diese Methode? Es ist vor allem anderen
eine sehr viel klarere, ich möchte sagen, loyalere seelische Situation,
wenn ich bewusst nur darauf ausgehe, in dem Kranken eine natürliche
Bereitschaft, eine in jedem Menschen angeregte instinKtlve EinsteUung
zu weckenv indem ich dabei auf alle jene suggestiven Experimente ver¬
zichte. welche, wie etwa das Steifmachen der Arme, nur den Grad der
psychischen Spaltung darstellen, und ebenso auf die Amnesie, ihren
extremsten Ausdrack. Man wird das um so lieber tun, weil man als
Ersatz wertvollere Kräfte heranziehen darf: die eigene Verant-
wortlichkeitdesKranken. Es ist nun nicht mehr eine Nieder¬
lage des Arztes und der Triumph des Patienten, „wenn es bei ihm nicht
geht“. Nun wird sein guter Wille verantwortlich, seine Fähigkeit sich
zu konzentrieren und die Sache ernst zu nehmen. Es ist damit weiter
möglich, dieUebungsfähigkeitderEntspannungshaltung
in Anspruch zu nehmen und so dem Gesundheitswillen ein natürliches
Betätigungsfeld zuzuweisen. Bei der Hypnose alten Stils kommt alles
Gute, alle Heilwirkung vom Hypnotiseur, und das belastet den Kranken
mit einer unnatürlichen Dankesschuld, die seine Kritik herausfordern
muss. Bei dem vorgeschlagenen Verfahren dagegen soll aller Erfolg aus
dem guten Willen des Kranken entstehen, aus der Gewissenhaftigkeit,
mit der er seine Entspannungsübungen macht. Wenn er es tut. hat mar
die Möglichkeit ihn durch Ermunterungshilfen immer weiter zu bringen.
• ihn systematisch „in die Höhe zu loben“. Ein Vorteil ist weiter, dass
derZustand, denwirdurchunserVorgehenerreichen.
gleichviel, ob wir ihn Entspannung oder irgendwie anders nennen, eine
Art des hypnotischen darstellt. Wir haben es dabei in der
Hand, unter steter Kontrolle durch das fraktionierte Verfahren ihn nach
der Richtung der eigentlichen Hypnose hin beliebig zu vertiefen oder
ihn zur Erteilung von Heilsuggestionen aller Art zu benützen. Dass auch
hierbei die Suggestion nach ihren Gesetzen wirkt, also auf dem Weg
über das Unbewusste, indem sie unmittelbar Mechanismen in Gang setzt,
in die das bewusste Ich keinen Einblick hat. bedeutet an sich keine Ge¬
fahr. Wenn auch die motivierte Suggestion: „Ihr Blick verschleiert
sich und wird müde durch das lange Schauen“ als suggestiver Zwang
wirkt, dem sich d^r andere nicht entziehen kann,-so schaffen wir doch
durch unser Vorgehen eine ganz andere, ich möchte sagen reinere,
seelische Atmosphäre.
Einige Anmerkungen sind zu machen. Die Entspannungsübungen
sind, wie gesagt, nichts Neues. Irt der äusseren Form sehr ähnlich, sind
H i r s c h 1 a f f s Ruheübungen und die Kombination mit der hypnotischer.
Suggestion wird von Schulz andeutungsweise erwähnt. Weiters: der
! hypnotischen Technik alten Stils, welche die Somnambulhypnose mit
Amnesie anstrebt, der Benützung des hypnotischen Dauerschlafes soll
damit keineswegs die Daseinsberechtigung abgesprochen werden Man
wird diese Anwendungen jedoch am besten dem Spezialisten überlassen
und sie für besondere Fälle reservieren. Dazu würde ich für mein Teil
die Vorbereitung zu einer chirurgischen Operation rechnen, für die
Friedländer mit Recht die Hypnonarkose empfiehlt. Dem prak¬
tischen Arzt dagegen wird in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
die Methode deF Entspannungsübungen als Technik genügen, die jeder
Praktiker ohne besondere psychologische Vorbildung erlernen und ohne
Gefahr für seine ärztliche Autorität wie für das Wohl seiner Kranker
ausüben kann. Selbstverständliche Voraussetzung scheint mir dabei
die Vertrautheit mit den Qrundtatsachen der Suggestlonslehre, wie sie
heute mehrere ausgezeichnete Publikationen in übersichtlicher, kurz ge¬
fasster Form*) vermitteln.
Die Indikation der Entspannungsübung ergibt sich von selbst. Als
praktisch bedeutsame Gegenanzeige kommt nur die schwere Hysterie
mit der Neigung zu Autohypnosen in Betracht, von deren Behandlung
der allgemeine Praktiker sich ohnedies gerne fernhalten wird. Beim
Durchschnittsnervösen oder beim sonst normalen organisch Erkrankter,
braucht man keineswegs zu fürchten, dass aus der Entspannung eine
Autohypnose wird. Die Menschen schlafen höchstens dabei ein und
das ist gewiss nicht gefährlich. Die Indikation der Entspannungsübung
scheint mir eine weitreichende zu sein. Als einfachste Form der hyp¬
notischen Suggestion ist sie die Methode der Wahl vor allem bei den
Zuständen von nervöser Erschöpfung und Schlaflosigkeit im Anschlus>
an organische Krankheit Sie ist das ideale Benihigungsmittel und
man sollte es immer erst mit der Entspannungsübung versuchen, bevor
man zu drastischen Schlafmitteln oder gar zur Morphiumspritze greift,
die trotz aller Warnung von psychiatrischer Seite immer noch sehr.oft
missbraucht wird. Man kann zwar nicht jeden solchen Kranken hyp¬
notisieren, aber man kann ihn anleiten, systematisch zu entspannen.
Von den zahlreichen leichteren nervösen Beschwerden haben mir be¬
sonders der Spannungskopfschmerz und die nervöse Dyspepsie gute
Resultate ergeben, cb^so wie leichte nervöse Depressionszustände. Die
Erfolge waren gut, auch bei einfachen Leuten, bei Menschen von ge¬
ringerem Bildungsgrad, wie sie die Kassenpraxis bringt. Man braucht
hier weniger Wert auf das Verständnis des Vorgangs zu legen wie bei
dem Intellektuellen mit dem Bedürfnis geistiger Verantwortung. Auch
diese einfachen Menschen lernen aber ohne SchwierfRfkelten zu ent-
*) So u. a. K a u f f m a n n s Vorlesungen Ober Suggestion und Hypiiu^c
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
637
spannen, weil sie ja in der leichten Hypnose das erleben, worauf es
ankommt. Der tiefere Grund dafür Hegt darin, dass wir es eben mit
einem angeborenen, instinktiven Mechanismus zu tun haben, auf den im
Grunde alle die Prozeduren der Tiefatemübungen, der Yogaschlaf usw.
zurückgehen.
Auch der grösste Skeptiker wird gegen dieses einfache Verfahren
kaum etwas einwenden können. Wenn gar nichts anderes damit ge¬
schieht, so wird hier das gute Zureden, an dessen Wirkung niemand
zweifelt, in eine feste Form gebracht ,n eine Form, die dem Kranken
die Hingabe erleichtert und die zugleich vor jedem Missverständnis des
ärztlichen Interesses schützt — besonders vor dem so häufigen und so
unerwünschten nach der erotischen Seite hin. Man kann hei den Ent¬
spannungsübungen jederzeit erzieherisch, ja pedantisch werden, also
etwa besonders ruhige Atmung fordern u. dgl.
Ein Skeptiker pflegte zu äussem, wir Aerzte könnten im Grunde
für unsere Patienten nicht sehr viel mehr leisten, als dass wir ihnen die
Hand auf die Schulter legten, mit der beruhigenden Versicherung, es
werde schon besser werden. Legt man seinen Patienten die Hand auf
den Kopf und leitet sie an, systematisch zu entspannen, so kann man
auf die einfachste Weise viel Segen stiften.
Aus der Augusta-Klinik in Düsseldorf.
(Leiter: Dr. K. J. Wed er hake.)
Geburten im Amnesierausch.
(II. Mitteilung.) '
Von Dr. K. J. Wederhake.
Bringt man einen Kranken durch Inhalation von Chloroform oder
Aether oder beiden Mitteln zum Einschlafen, so durchläuft die Narkose
das Stadium des Rausches, welches besonders bei der Anwendung des
Aethers hervortritt und als Aetherrausch verwertet wird, und geht dann
in das eigentliche Schlafstadium über. Dieses Stadium kann je nach
dem Willen des Narkotiseurs tiefer oder oberflächlicher gehalten werden.
Lässt man nun den Kranken aus der tiefen Narkose erwachen, so kommt
der Kranke nicht sofort zum Bewusstsein, sondern er durchläuft ein Sta¬
dium, welches dem eigentlichen Schlafstadium folgt, in welchem er
nicht mehr tief schläft, zw'ar auf Schmerz reagiert, sich aber später der
Schmerzempfmdung nicht mehr erinnert. Auch ist in diesem
Stadium nach der Narkose die Schmerzempfindung wesentlich herab¬
gesetzt. Es besteht daher nach völligem Erwachen vollständige
Eriirnerungslosigkeit (Amnesie) für das Ueberstandene. Wir
können dieses Stadium nach der Narkose das „Stadium amnesticum“
oder den „Amnesierausch“ nennen, ln .diesem Stadium des Amnesie¬
rausches können wir den Betäubten stundenlang, selbst tagelang ver¬
weilen lassen, wenn wir die Maske nicht abnehmen und nur geringe
Mengen Aether nachgeben. Der Amnesierausch ist besonders aus¬
gesprochen nach der Aethemarkose. Dass diese Amnesie sehr lange
dauern kann, habe ich selbst erfahren, als ich eine 3Mrstündige Aether-
narkose durchmachen musste. Das dieser Narkose folgende Stadium
betrug bei mir annähernd Stunden, jeh kpnnte mich durchaus nicht
erinnern, was in dieser Zeit geschehen war. Nicht immer dauert dieses
Stadium so lange, doch ist es nach jeder Aethemarkose so ausgeprägt,
dass man es praktisch verwerten kann. Ich habe den Amnesierausch
bei. über 250 Geburten angewandt und seine grossen Vorteile schätzen
gelernt.
Die Technik war dabei folgende: Ich verwende die vom Sani¬
tätshaus Arthur Wolff, Düsseldorf hergestellt Amnesie-
maske, wie ich sie in der M.m.W. 1921 Nr. 1 beschrieben habe. Man
legt die Maske auf das Gesicht der Gebärenden und fixiert sie durch
ein Halfter, welches an beiden Seitenösen der Maske befestigt wird. Das
Halfter kann von demselben Fabrikanten bezogen werden. Dann führt
man die Gebärende durch Aufschütten von etwa 3 g Chloroform und
langsames Nachschütten von Aether in die tiefe Narkose über (wie
Im obigen Artikel beschrieben.) Die Maske wird während der Narkose
und des Amnesierausches nach Möglichkeit nicht abgenommen. Es ist
darauf zu achten, dass die Maske möglichst dicht schliesst. Sollte
sie über der Nase nicht ganz dicht anliegen, so verschliesst man die
Lücke durch Verstopfen mit einem kleinen Wattebausch. Nachdem die
Cjebärende eingeschafen ist, lässt man mit dem Zugeben von Aether
nach, wodurch die Gebärende aus dem tiefen Stadium der Narkose in
das Stadium amnesticum gelangt. Sowie dies erreicht ist, fühlt sie die
stärker werdenden Wehen und zeigt den Beginn derselben durch Worte
und leichtes Stöhnen an. Spricht man in ihrer Gegenwart, so hört sie
die Worte und fällt einem auch in die Rede. Es ist deswegen nötig,
jedes Geräusch und überflüssige laute Gespräch im
Zimmer zu vermeiden. Beginnt eine Wehe, so gibt man ihr den
Befehl, kräftig mitzupressen. Da die Gebärende sich hierbei meistens
ungeschickt benimmt, übt man einen leichten Druck auf die sich zu¬
sammenziehende Gebärmutter aus und leitet die Berauschte dadurch auf
den richtigen Weg, ihre Bauchpresse richtig anzuwenden.
Bei jeder Wehe gibt man ihr denselben Befehl, bis sie von selbst gut
mitpresst, und unterhält den Amnesierausch, indem man zwischen jeder
Wehe etwa 1 g Aether aufschüttet Doch soll dies nicht schematisch
geschehen, sondern muss sich nach der individuellen Empfindlichkeit
der Gebärenden für Aether richten. Will man den Amnesierausch ver¬
stärken,' so überdeckt man den Kopf, das Gesicht mitsamt der Maske
Digitized by Goiisle
mit einem Handtuch oder einer Serviette. Dadurch werden
die Sinnesorgane der Berauschten noch mehr von der Aussenwelt ab¬
geschlossen, die Wirkung des Aethers wird verstärkt und die Menge
des zu gebrauchenden Aethers wird vermindert. Wir führen diesen
Amnesierausch bis zum Einschneiden des Kopfes des Kindes. Da die
Berauschte die Bauchpresse jetzt sehr stark anwenden würde, geben wir
etwa 2—3 g Chloroform auf die Maske, um die Bauchpresse und Wehen¬
tätigkeit zu hemmen, den Kopf de^ Kindes langsam durchtreten zu lassen
und einen Dammriss zu verhindern. Der Amnesierausch geht
weiter bis zur Geburt der Nachgeburt. Diese folgt häufig
Innerhalb 20—30 Minuten von selbst oder ist durch leichten Cred6 zu
beendigen.
Das Charakteristische des Amnesierausch es bei der Ge¬
burt ist nun, wie erwähnt, die Tatsache, dass sich die Entbundene des
ganzen Geburtsvorganges nicht mehr erinnert, von dem Augenblicke an.
wo sie in Narkose übergeführt wurde. Sie mag während des Amnesie¬
rausches Schmerzenslaute von sich gestossen haben oder nicht, sie
erinnert sich des ganzen Vorganges nicht. Es muss beim Amnesierausch
nicht unser Bestreben sein, die Gebärende von jedem Gefühl frei
zu machen, sondern ihre Erinnerung daran zum Erlöschen zu bringen.
Es ist also eine wahre Amnesie, die durch unseren
Rausch hervorgerufen wird. Dadurch unterscheidet sich der
Amnesierausch von dem S u d e c k sehen Aetherrausch, dass er einer¬
seits dem Stadium narcoticum folgt, im Gegensatz zum Aetherrausch,
welcher dem Stadium narcoticum vorausgeht, und dass er andererseits
die Erinnerung an jeden Schmerz und seine Begleitumstände zum Er¬
löschen bringt. Der gewöhnliche Aetherrausch unterscheidet sich also
wesentlich vom Amnesierausch.
Der Verbrauch an Aether beim Amnesierausch richtet sich nicht nach
der Tiefe der Schmerzbetäubung, sondern nur danach, dass die Er-
innerurjg den Schmerz nicht zum Bewusstsein bringt. Wir schieben also
z WM s ch e n Gefühl und Wahrnehmung des Schmerzes unseren Amnesie-
Iausch wie eine Barriere.
Will man den Amnesierausch durch Darreichung von Skopolamin
(0,0003 und Stunde später dieselbe Dosis) einleiten, so kann man
dagegen kein Bedenken haben, da Skopolamin erfahrungsgemäss nicht
schädlich auf die Wehen und das Kind wirkt. Unsere Erfahrungen sind
ohne diese Einleitung gesammelt worden. Man darr nicht vergessen,
dass Skopolamin neben einer betäubenden auch eine erregende
Komponente hat, die sich beim Amnesierausch nicht angenehm bemerk¬
bar machen könnte.
Morphinderivate jeder Art sind unter allen Umständen zu
vermeiden wegen ihrer ungünstigen Wirkung auf die Wehen und auch
auf das Kind. Unser Amnesierausch unterscheidet sich dadurch vorteil¬
haft von anderen Betäubungsarten bei der Geburt, z. B. dem Dämmer¬
schlaf in irgendeiner Form, dass er die Wehen nicht nur nicht
ungünstig beeinflusst, sondern sogar wehenanregend
wirkt. Auch wird durch unser Verfahren die Bauchpresse nicht
gehemmt, sondern kann nach Willkür durch Befehl des Arztes be¬
deutend verstärkt werden, da ja die Schmerzempfindung herabgesetzt
ist und die Berauschte dem bestimmten Befehl des Arztes auch folgt.
Ein weiterer Vorteil des Amnesierausches ist der, dass er jederzeit ab¬
gebrochen werden kann und dass er auch jederzeit in die tiefe Narkose
übergeführt werden kann. Wir sind also nicht den unberechenbaren
Wirkungen von Skopolamin und Opiaten, wie beim Dämmerschlaf, über¬
antwortet. Von unschätzbarem Werte ist es. dass das Kind in keiner
Weise unter dem Amnesierausch leidet Es kommt
lebendfrisch zur Welt und schreit sofort Auch bei der Mutter
haben wirniemalsSchädengesehen, obgleich wir bei Herz¬
fehlern, Nierenkranken, Basedowkranken, schwerer Kyphoskoliose den
Amnesierausch angewandt haben. Da man die Geburt In Ruhe abwarten
kann, w'erden vielfach Zangen, welche man gezwungen ist anzulegen
(Ausgangszangen bei übergrossem Wehenschmerz oder Erschöpfung der
Gebärenden usw.), vermieden. Auch die Zahl der Dammrisse
wird geringer, da wir die Bauchpresse willkürlich in der Hand
haben und die Wehen durch Zugabe von etwas Chloroform beliebig
hemmen können. Es unterscheiden sich eben die beiden Narkotika
Aether und Chloroform dadurch, dass Aether die Wehen anregt während
Chloroform die Wehen mehr oder weniger hemmt.
Die Mutter erwacht sobald wir die Maske entfernen, in kurzer Zeit
und will nicht glauben, dass sie ihr Kind geboren hat Sie hat also an
den ganzen Geburtsvorgang keinerlei Erinnerung und wird in kurzer Zeit
ganz frisch. Das Kind wird, wie erwähnt, frisch geboren und hat auch
sonst keinerlei Nach wehen.
Kurz zusammengefasst kann ich über den Amnesierauscli
sagen, dass er 1. einen Zustand der Erinnerungslosigkeit herbeiführt,
welcher erlaubt die Geburt ohne Schmerzempfindung durchzuführen, dass
er 2. für Mutter und Kind nicht nur ungefährlich, sondern sogar von
grossem Vorteil ist, da die Bauchpresse und die Wehen durch den Aether
angeregt werden und erstere willkürlich kräftig gebraucht werden kann,
wodurch die Dauer der Geburt abgekürzt wird, 3. ist er nicht schädlich
für das Kind, 4. wird auch die Nachgeburtsperiode leicht zu Ende ge¬
führt. 5. ist der Verlust an Blut gering, 6. wird die Zahl der Dammrisse
und der Gebrauch der Zange durch den Amnesierausch beschränkt und
7. ist die Anwendung des Amnesierausches von jeder sonst in der Nar¬
kose geübten Person anwendbar, da er ohne Gefahren und leicht erlern¬
bar ist.
4*
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
638
MONCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Aus der Privatklinik von Hofrat Krecke in München.
Beitrag zur Symptomatologie und Therapie der Hyper¬
nephrome.
Von Dr. Hedwig Thierry.
In den Jahren 1905 bis 1920 wurden bei uns 21 Fälle von Hyper-
nephrom beobachtet. Von diesen 21 Fällen wurden 19 radikal
operiert. Bei 2 Fällen konnte nur eine palliative Operation vor¬
genommen werden. In diesen beiden Fällen hatte das Hypemephrom
zu schweren sekundären Erscheinungen geführt, einmal zu einer Pylorus¬
stenose, einmal zu einem Darmverschluss. Die vorgenommene Gastro¬
enterostomie und Kolostomie hatte einen guten vorübergehenden Erfolg;
die wahre Natur der ursächlichen Erkrankung wurde erst durch die
Sektion aufgeklärt.
Als Hypernephrome bezeichnet man die von G r a w i t z im Jahre
1883 zuerst beschriebenen Nebennierenadenome, welche ihren Ausgang
nehmen von versprengten Nebennierenkeimen, wie sie nicht selten unter
der Nierenkapsel und in der Nierenrinde gefunden wurden. In der
Literatur gehen die Tumoren auch unter dem Namen Grawitzsche
Tumoren und Strumen der Nebenniere. Der Name Hypernephrom scheint
der beste und einfachste zu sein.
Es sei nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass In neuerer Zeit die
Tumoren von Elementen der Niere selbst, d. h. von Ihren Epithelien
abgeleitet werden.
CWe Tumoren sind von schwefelgelber Farbe, auffallend weicher
Konsistenz, zum Teil scharf abgegrenzt, zum Teil diffus durch die Nieren¬
substanz verbreitet Ihre Grösse kann eine sehr beträchtliche werden.
Der grösste hier beobachtete Tumor hatte nahezu Mannskopfgrösse.
Durch das schnelle Wachstum bekommen die Tumoren einen bösartigen
Charakter, der sich auch darin äussert dass sie mit Vorliebe in die
Venen einwandem und Tochtergeschwülste, zumal in den Knochen, ver¬
ursachen. Mikroskopisch zeigen sie einen rein adenomatösen Bau mit
grossen, polygonalen, reichlich mit Fett erfüllten Zellen.
Der Sitz der Tumoren war bei unseren 19 auf operativem Wege
gewonnenen Fällen 11 mal im unteren Nierenpol und 4 mal im oberen
Nierenpol; in 4 Fällen hatte der Tumor sich zwischen beiden Polen ent¬
wickelt In 13 Fällen fand sich ein gut abgekapselter, bis frauenfaust¬
grosser Tumor, der von dem eigentlichen Nierengewebe vollkommen
getrennt war und nirgends einen Einbruch in das Nierenbecken erkennen
Hess. In den übrigen 8 Fällen war der Tumor in das Nierengewebe
durchgebrochen und hatte in demselben zahlreiche Tochtergeschwülste
hervorgerufen. In 2 Fällen war von einem Nierengewebe überhaupt
nichts mehr sichtbar. In 2 Fällen war der Tumor durch die Nieren¬
kapsel durchgebrochen und hatte zu starken Verwachsungen mit dem
Zwerchfell und der Rückenmuskulatur geführt
Von den durch Nephrektomie gewonnenen Präparaten haben wir einige
in Pick scher Flüssigkeit aufbewahrt. Die Präparate zeigen auch heute noch,
zum Teil nach 10 Jahren, die Farbe in wunderbarer Klarheit und lassen die
Verhältnisse des Tumors gut erkennen. Um einen guten Ueberblick über die
Verhältnisse des Tumors zu bekommen empfiehlt es sich, die Niere zunächst
zu härten und erst am nächsten Tage durch Sektionsschnitt zu spalten. Man
bekommt so einen guten Ueberblick über die Form und Lage des Tumors,
sein Verhalten zum Nierengewebe und zum Nierenbecken.
Von den 21 zur Beobachtung gekommenen Fällen betrafen 6 Frauen
und 15 Männer.
Das Alter schwankte zwischen 29 und 66 Jahren. Das Hyper¬
nephrom kommt fast nur bei Erwachsenen vor; bei Kindern sind bisher
4 Fälle beschrieben worden.
Die klinischen Erscheinungen der Hypernephrome be¬
standen vor allen Dingen in Schmerzen, Blutungen aus den Hamwegen
und .Auftreten eines mehr oder weniger grossen Tumors.
Schmerzen bestanden in allen unseren Fällen mehr oder
weniger lange Zeit. In der Mehrzahl der Fälle wurden die Schmerzen
in die betreffende Nierengegend verlegt und hatten oft einen aus¬
gesprochen kolikartigen Charakter, während sie in einigen Fähen nur
als unbestimmte, über den ganzen Leib verbreitete Beschwerden auf¬
traten. Bei 2 Patienten bestanden heftige Blasenbescnwerden. die sich
zumal in lebhaftem Urindrang äusserten. In einem Falle begann die
Erkrankung mit Magenbeschwerden und Erbrechen. Aul diese Erschei¬
nungen kommen wir noch näher zurück.
Nierenblutungen sind unter den 21 Fällen 15mal vorhanden
gewesen. Das Ausbleiben der Niemblutung ist im allgemeinen dann zu
erwarten, wenn der Tumor noch keine besondere Grösse erreicht hat
oder noch nicht in das Nierenbecken eingebrochen ist.
In allen den Fällen, in denen stärkere Nierenblutungen bestanden,
konnten wir an den Präparaten regelmässig ein weitgehendes Herein¬
wuchern des Tumors in das Nierengewebe beobachten.
Die Dauer der Blutungen war eine verschieden lange. In
einigen Fällen war die Blutung erst vor einigen Monaten zusammen
mit den ersten Schmerzen aufgetreten. In einem Falle lag die Blutung
20 Jahre zurück, hatte sich dann 16 Jahre lang nicht mehr gezeigt und
war darauf vor 4 Jahren wiederum aufgetreten. Ob ln diesem Falle
W'irklich die vor 20 Jahren erfolgte Blutung schon als erstes Zeichen
des Adenoms aufzufassen ist, kann natürlich nicht mit Sicherheit be¬
hauptet werden. Da der Fall auch sonst sehr langsam verlaufen ist,
erscheint es uns nicht unmöglich.
Dass die Tumoren oft eine sehr lange Entwicklung haben, beweist
ein Fall von Israel. Die Blutungen und Nierenschmerzen lagen
Digitized by Goüsle
8 Jahre zurück und trotzdem waren bei der Operation nur zwei kirsch-
bzw. walnussgrosse Vorbuchtungen vorhanden. Askanazy berichtet
über einen 54 jährigen Kranken, der seinen Tumor schon als Kind beob¬
achtet haben wollte.
Die Stärke der Blutungen war eine sehr verschiedene. In
der Mehrzahl der Fälle war sie sehr beträchtlich und dauerte mehrfach
Wochen hindurch. Die dadurch entstandene Blutarmut war oft eine recht
erhebliche.
Ein Tumor war unter den 19 operierten Fällen 16 mal nachweis¬
bar, d. h. in 84 P r o z. der Fälle. Nicht nachweisbar war ein Tumor
in 3 Fällen. In einem dieser Fälle handelte es sich um einen sehr fett¬
reichen Kranken mit stark gespannten Bauchdecken, bei dem nichts
durchzufühlen war; bei der Operation fand sich ein frauenfaustgrosser
Tumor im oberen Nierenpol. In dem 2. und 3. Falle war nur der untere
Nierenpol abzutasten, ohne dass ein deutlicher Tumor erkennbar war.
Hier sass der Tumor wiederum in der Nähe des oberen Nierenpols und
hatte Mannsfaustgrösse.
Von den weiteren Symptomen ist auf die hin und wieder beob¬
achteten Beschwerden bei der Urinentleerung schon hin¬
gewiesen worden.
Durch Druck auf die benachbarten Teile des Magen- und Darm¬
kanals entstehen manchmal erhebliche Störungen der Magen-
und Darmverdauung, die wir in 2 Fällen in sehr bemerkenswerter
Weise beobachten konnten.
In dem ersten Falle kam es zu den typischen Erscheinungen der
Pylorusstenose.
Es handelte sich um eine 29 jährige Kranke, welche uns am 22. IV. 07
zugewiesen wurde. Die Kranke litt seit iH Jahren an häufigem Erbrechen,
das sich in letzter Zeit immer mehr und mehr gesteigert hatte, und bei
welchem in letzterer Zeit Speisemassen in einer Menge von 2—3 Liter heraus¬
befördert wurden. Die Kranke war in den setzten 3 Wochen um 14 Pfund
abgemagert. Bei der Untersuchung fand sich neben den Zeichen der Pylorus¬
stenose und der Magenerweiterung ein höckeriger, etwa walnussgrosser
Tumor rechts vom Nabel.
Bei der am 25. IV. 07 vorgenommenen Operation zeigte sich ein
hühnereigrosses Infiltrat hinter dem Pylorus, das von uns naturgemäss als ein
durch ein Pylorusgeschwür bedingtes Infiltrat angesehen wurde. Die hintere
Gastroenterostomie beseitigte alle Beschwerden mit einem Schlage. Die
Kranke nahm in 6 Monaten 31 Pfund an Gewicht zu.
Bei der Untersuchung im November 1907 fiel auf, dass der Tumor rechts
vom Nabel weit grösser geworden war, und in den nächsten Monaten nahm
das Wachstum desselben in auffallender Weise zu. Im Februar 1908 fand sich
das ganze Epigastrium gefüllt von einer prall elastischen Geschwulstmasse von
Strausseneigrösse. Am 10. II. 08 wurde die Bauchhöhle nochmals eröffnet.
Der prall elastische Tumor machte einen zystischen Eindruck und war nach
hinten zu nicht abzugrenzen. Er lag der vorderen Bauchwand zwischen
Magen und Querkolon nahe an. Die Kapsel wurde an die vordere Bauchwand
angenäht und eröffnet. An Stelle der erwarteten Flüssigkeit entleerten sich
weiche, bröckelige, hellbraune Geschwulstmassen, mit Blutgerinnseln durch¬
setzt. Die mikroskopische Untersuchung derselben ergab ein typisches Hyper¬
nephrom.
Im Anschluss an den Eingriff wurde das Befinden der Patientin bald
schlechter und schlechter. Es stellte sich erhebliche Abmagerung ein. Aus
der Wunde entleerten sich reichlich nekrotische, stinkende Massen. Am
12. IV. 08 erfolgte der Tod.
Die von Herrn Prof. D ü r c k vorgenommene Sektion ergab ein Hyper¬
nephrom der linken Niere mit Vorwucherungen durch das Mesenterium in
und durch die Bauchdecken nach aussen, Einwucherung in die linke Nieren¬
vene, in die linke Hohlvene und in beide Venae iliacae, Einwucherung in den
Pylorus des Magens und Verengerung des Pylorus.
Die PjHorusverengening war somit als richtiges Symptom des
Hypernephroms anzusehen. In der Literatur ist uns ein ähnlicher Fall
nicht aufgestossen.
Dass ein Hypernephrom zu einem richtigen Darmverschluss
führen kann, hatten wir mit Kollegen Epstein in dem Fall eines
55 jährigen Kollegen zu beobachten Gelegenheit.
Der Kranke war 6 Tage vor der Aufnahme in die Klinik noch völlig
gesund und erkrankte dann plötzlich unter Darmverschlusserscheinungen. Die
Untersuchung ergab einen stark aufgetriebenen Bauch, an dem sich etwas
Genaueres über den Sitz des Darmverschlusses nicht erkennen Hess.
Bei der Laparotomie fand sich in dem retroperitonealen Gewebe der
rechten Lendengegend eine diffuse tumorartige Anschwellung, aus welcher
sich bei der Punktion reines Blut entleerte. Da eine Radikaloperation nicht
möglich schien, wurde ein Kunstafter am Zoekum angelegt. Der Kunstafter
beseitigte alle Ileuserscheiniingen.
Bei der weiteren Beobachtung Hess sich feststellen, dass die retroperi-
toneale Anschwellung allmählich verschwand. Da bei wiederholten Unter¬
suchungen sich der Dickdarm als vollkommen durchgängig erwies, so wurde
der Kunstafter nach 8 Wochen verschlossen. Im Anschluss an diese Operation
entwickelte sich eine Pneumonie, welcher der Patient nach 3 Tagen erlag. -
Die von Prof. Oberndorfer ausgeführte Sektion ergab ein Hyper¬
nephrom der rechten Niere mit zahlreichen älteren Blutungen im retroperi¬
tonealen Gewebe.
Damit hatten wir des Rätsels Lösung! Das Hypernephrom hatte zu
starken Blutungen in das rechte Nierenlager geführt durch den Druck
des so entstandenen Hämatoms war ein Darmverschluss entstanden.
Nachdem das Hämatom aufgesaugt war, wurde der Darm wieder durch¬
gängig. Eine Radikaloperation des Hypernephroms wäre nicht möglich
gewesen, da sich bereits Metastasen in der Lunge ausgebildet hatten.
Der Verlauf dieses Falles ist um so bemerkenswerter, als alle ört¬
lichen Erscheinungen von seiten der Niere, besonders Schmerzen und
Blutungen, vollkommen gefehlt hatten.
Die Diagnose der Hypernephrome ergibt sich aus den ge¬
nannten Symptomen ohne weiteres. Wenn ein Patient unter den Er-
Original frörri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mal 1921.
MÜNCHPNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
639
scheinungen der Nierenblutung erkrankt, wenn die Untersuchung einen
Tumor der betr. Niere ergibt, wenn das Röntgenbild die Anwesen¬
heit von Steinen ausschliesst, so soll man i;i erster Linie einen Tumor
der betreffenden Niere annehmen. Als der häufigste Tumor der Niere
muss das Hypernephrom bezeichnet werden.
Die mikroskopische Untersuchung des Harnsedi¬
ments wird in einigen Fällen die Anwesenheit von Qeschwulst-
partikelchen ergeben. Nach Paul Wagner ist bisher ln 12 Fällen der
Nachweis von Geschw'ulstzellen gelungen. Es scheint sich aber immer
nur um einzelne Zellen gehandelt zu haben, deren Qeschwulstnatur auch
nicht über allen Zweifel erhaben war. Den Nachweis eines ganzen
Tumorpartikels konnte in einem unserer Fälle der damalige Assistent
Dr. Baum erbringen. Mit dem Ureterenkatheter wurden einige kleine
Gewebsstückchen entleert, in denen Dr. Baum mit Sicherheit zu¬
sammenhängende Hypernephromzellen von dem charakteristischen Bau
nachweisen konnte. Dieser Fall dürfte meines Wissens der einzige
sein, in dem bisher der Nachweis von Zellverbänden im Urin der kranken
Niere gelungen ist, und in dem somit eine genaue anatomische und ört¬
liche Diagnose gestellt werden konnte.
Auch ohne Nachweis der charakteristischen Hypernephromzellen
darf man bei Vorliegen eines Tumors mit grosser Wahrscheinlichkeit ein
Hypernephrom annehmen. Die Hypemephrome sind die bei weitem
häufigste Geschwulstform der Niere. Nach den Angaben der Literatur
bilden sie etwa ’/s aller zur Beobachtung kommenden Nierengeschwülste.
Nach unseren Beobachtungen müssen sie als noch weit häufiger erklärt
werden. In den letzten 15 Jahren wurden bei uns ausser den 21 Hyper¬
nephromen nur noch 3 Fälle von Nierentumor beobachtet, darunter
2 Sarkome und 1 Karzinom.
Fehlt ein Nierentumor, so lässt die zystoskoplsche Unter¬
suchung in der Regel ohne Schwierigkeit die Quelle der Blutung er¬
kennen. Ein Blick in das Zystoskop genügt, um zu sehen, dass das Blut
aus dem einen Ureter stammt
Bei der zystoskopischen Untersuchung hat man selbstverständlich
sich immer ein Urteil über die andere Niere zu bilden. Für eine
etwaige Operation ist es immer notwendig zu wissen. 1. ob die andere
Niere überhaupt vorhanden ist. und 2. ob sie gesund ist. Eine Tumor¬
metastase in der anderen Niere dürfte sehr selten sein. Unter unseren
21 Fällen war die andere Niere immer frei von Geschwulstbildung,- und
auch aus der Literatur ist mir kein Fall bekannt in welchem auch die
andere Niere Sitz einer Geschwulst» gewesen sei.
Wohl aber ist es denkbar, dass die andere Niere durch eine
sonstige Erkrankung (Schrumpfniere) so sehr geschädigt sei, dass da¬
durch die Operation ausgeschlossen würde.
Zur Erkennung der Funktion der anderen Niere dienen verschiedene
Verfahren: Die Gefrierpunktbestimmung des Urins, die Phloridzinprobe,
die 24 stündige Hamstoffausscheidung, die elektrische Leitungsfähigkeit
und die Chromozystoskopie. Von allen Verfahren haben wir in unseren
Fällen regelmässig die von Vö 1 cker so gut ausgebildete Chromo¬
zystoskopie verwendet und sind mit deren Erfolgen durchaus zu¬
frieden gewesen. Sieht man bei der Einspritzung von Indigkarmin nach
7—10 Minuten einen kräftigen, blaugefärbten Urinstrahl aus dem be¬
treffenden Ureter hervorquellen, so darf man mit Sicherheit die Gesund¬
heit der betreffenden Niere annehmen.
In allen 19 zystoskopisch untersuchten Fällen war die Anwesenhedt
und gute Funktion der zweiten Niere festgestellt worden. Die von dem
Tumor ergriffene Niere zeigte in 17 Fällen eine Veränderung oder
völliges Fehlen der Karminausscheidung. In 2 Fällen war auch auf der
kranken Seite ein kräftiger, blauer Strahl nach 10 Minuten erkennbar.
In beiden Fällen Hess aber die Anwesenheit des Tumors über den Sitz
der Erkrankung keinen Zweifel.
Schwierig kann die Diagnose dann sein, wenn die Vorgeschichte
auf eine Nierenkolik mit Nierenblutung hinweist uqd wenn die objektive
Untersuchung keinerlei Veränderung des Hamapparates erkennen lässt
weder Blut im Urin, noch einen Tumor der Niere, noch röntgenologische
Veränderungen. In solchen Fällen soll man immer die Möglichkeit eines
Nierentumors ins Auge fassen und sich nicht mit der Annahme einer ein¬
seitigen Nephritis, einer Bluterniere u. dgl. begnügen. Auch in solchen
Fällen wird die Indigkarminprobe oft eine Verzögerung der Farbstoff¬
ausscheidung erkennen lassen und damit das Vorhandensein eines Tu¬
mors w^ahrscheinlich machen. Zurzeit haben wir gerade eine Patientin
in Beobachtung, bei der vor 4 Wochen eine schwere rechtsseitige Nieren¬
kolik mit starkem Blutabgang vorhanden gewesen ist, und bei der jetzt
kejnerlei sichere objektive Zeichen eines Nierenleidens vorliegen; nur
die Indigkarminreaktion ergibt eine leichte Minderwertigkeit der rechten
Niere. Sollten sich die Nierenkoliken und die Nierenblutung wieder¬
holen, so würden wir wohl nicht zögern, die rechte Niere freizulegen
und, im Falle sich ein Tumor findet, zu exstirpieren.
Auf ein besonderes klinisches Zeichen der Hypernephrome muss
noch eigens hingewiesen werden, auf das Auftreten einer isolierten
Metastase, ohne dass die Niere selbst krank erscheint. Es sind
mehrfach Knochentumoren als Sarkome operiert worden, deren mikro¬
skopische Untersuchung ein Hypernephrom ergeben hat.
So amputierte Scudden einen Oberarm wegen Sarkom und fand
bei der Untersuchung Hypernephromzellen. Die daraufhin vor¬
geschlagene Exstirpation der vergrösserten linken Niere wurde von dem
Kranken abgelehnt. Nach 5 Jahren starb der Kranke und es fand sich
ein linksseitiges Hypernephrom ohne weitere Metastasen.
Alb recht berichtete über 27 Fälle von Hyperneplirom, bei denen
4 mal eine Knochenmetastase das erste Krankheitssymptom darstellte.
Digitized by Goiisle
Alb recht hat daher gewiss Recht, wenn er rät, bei allen
Knochentumoren an die Möglichkeit eines Hypernephroms zu denken.
Auch M 0 f f i t weist auf diesen Umstand hin und hebt besonders hervor,
dass gerade bei den Hypernephromen es oft nur zu einer Metastase
kommt Man hat in solchen Fällen volle Berechtigung, sowohl die Niere
wie die Metastase zu entfernen.
Beider Behandlung der Hypemephrome Kommt nur die
Exstirpation der Niere in Frage.
Als 0 p e r a t i o n s w e g ist die Mehrzahl der Chirurgen geneigt,
den retroperitonealen Weg zu bevorzugen. Es ist kein Zweifel,
dass sich auf diesem Wege fast alle Hypemephrome, wenn sie nicht
allzugross sind,' ohne Schwierigkeit entfernen lassen. Von unseren
19 Fällen wurden 12 auf retroperitonealem Wege exstirplert. Handelt es
sich aber um sehr grosse Tumoren von nahezu Mannskopfgrösse und
um sehr feste Verwachsungen, so soll man nicht zögern, entweder gleich
transperitoneal von der vorderen Bauchwand aus vorzugehen, oder beim
lumbalen Schnitt das Bauchfell zu eröffnen. Die Ueberslcht ist bei dem
transperitonealen Verfahren in solchen Fällen eine wesentlich
bessere, und vor allen Dingen ist man weit sicherer ln der Lage, die
oft sehr unangenehme Blutung zu beherrschen. In zw'ei derartigen
Fällen haben wir uns lange bemüht ohne Bauchfelleröffnung auszu¬
kommen. Die Schwierigkeiten wurden so grosse, dass die Eröffnung
des Bauchfelles nicht zu umgehen war. Mit seiner Eröffnung waren die
Schwierigkeiten alsbald beseitigt Hinzu kommt dass manchmal das
Bauchfell mit dem Nierentumor so fest verwachsen Ist. dass eine Re¬
sektion desselben unbedingt notnwendig erscheint
Was die unmittelbaren Operationserfolge anbetrifft
so sind von den 19 radikal operierten Kranken 2 im Anschluss an die
Operation gestorben. Bei dem «ersten dieser Patienten (0.), bei dem
sehr schwere Bauchfellverwachsungen vorhanden waren, entwickelte
sich unmittelbar nach der Operation eine Herzschwäche, an welcher er
am nächsten Tage zugrunde ging. Bei dem zweiten Patienten (M.),
bei dem ein straussenelgrosser Tumor entfernt wurde, entstand unmittel¬
bar im Anschluss an die Operation eine beiderseitige Lungenentzündung,
welcher der Kranke am 3. Tage erlag.
Be den übrigen 17 Kranken war in 16 Fällen der Heilungsverlaut
durchaus glatt Alle 16 Kranken konfiten nach Ablauf von 3—4 Wochen
geheilt aus der Klinik entlassen werden. Bei einem Patienten (Sch.)
trat am 17. Tage nach der Operation eine Embolie und im Anschluss
daran eine schwere Pneumonie auf. Die Komplikation «wurde gut über¬
standen und der Kranke konnte nach weiteren 4 Wochen geheilt ent¬
lassen werden.
Ueber die Dauererfolge der 17 Kranken, die die Operation
überlebt haben, ist folgendes zu sagen.
Am Leben sind zurzeit noch 8 Kranke. Von diesen 8 sind 3 in
den letzten Jahren operiert worden und scheiden darum bei der Statistik
aus. Von den übrigen 5 sind 4 rezidivfrei, eine Kranke, operiert am
4. Dezember 1915, hat ein grosses örtliches Rezidiv.
. Bei den 4 rezidivfreien liegt die Operation in einem Falle 4 Jahre
und in 2 Fällen 5 Jahre zurück.
Zu diesen 4 länger als 3 Jahre gesund gebliebenen Patienten kommen
dann noch 2 Fälle, die 9 und 13 Jahre nach der Operation rezidivfrei
geblieben und dann gestorben sind. Wir haben also im ganzen
6 Fälle, die mehr als 3 Jahre nach der Operation rezidiv-
f r e i gelebt haben.
Gestorben sind von den 17 Kranken bisher 9. Die Todes¬
ursachen waren folgende: in einem Falle Lungenblutungen, von denen
es nicht sicher ist, ob sie auf Metastasen oder auf Tuberkulose bemht
haben, in einem Falle Knochenmetastasen und in 5 Fällen Innere Meta¬
stasen. Ein Patient starb an einer unbekannten, interkurrenten Krank¬
heit, einer an einem Herzleiden.
Der eine der an inneren Metastasen gestorbenen Kranken hat noch
11 Jahre nach der im Jahre 1906 vorgenommenen Operation gelebt.
Der Fall ist um so bemerkenswerter, als bei der Operation dieses Kran¬
ken bereits ein Fortsatz des Tumors in der Vena cava nachgewiesen
werden konnte. Eine vollkommene Entfernung dieses Fortsatzes war
damals nicht möglich. Trotz der unvollkor^mcnen Operation lebte der
Patient noch 11 Jahre ohne alle Beschwerden. Im 10. Jahre stellte sich
eine sehr beträchtliche Leberschwellune mit Aszites und starker Er¬
weiterung der Bauchwandvenen ein. Die Erscheinungen nahmen immer
mehr und mehr zu; unter zunehmender Entkräftung erfolgte im Jahre
1917 der Tod.
Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass die Verstopfung
der Vena cava durch Geschwulstmassen mit der Zeit eine vollkommene
geworden ist und zu erheblicher Stauung in der Leber und im Pfort¬
adersystem geführt hat. Die starke Venenerweiterung ln der Bauch¬
wand müssen wir, wie das von anderen Krankheiten bekannt ist, als
einen Kollateralkreislauf auffassen.
Dass ein Qeschwulststück in der Vena cava 9 Jahre lang vorhanden
gewesen ist, ohne erheblich weiter zu wachsen, muss als ein sehr be¬
merkenswertes Vorkommnis angesehen werden.
Ein weiterer Patient, der im Jahre 1919 an Lungenblutungen ge¬
storben ist hat noch 13 Jahre nach der im Jahre 1906 vorgenommenen
Operation gelebt. Es handelte sich um einen verhältnismässig kleinen
Tumor, der nach dem Nierenbecken zu durch gebrochen w-ar. Der Kranke
lebte 13 Jahre.nach der Operation ohne alle Beschwerden und stellte
sich im Jahr 1919 noch in vortrefflichem Gesundheitszustände vor. Im
Herbste 1919 ist er an Lungenblutungen gestorben, von denen man nicht
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
640
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
weiss, ob sie durch Metastasen oder durch eine andere Krankheit bedingt
gewesen sind. Eine Sektion ist nicht gemacht worden.
Von anderen Statistiken s«i folgendes ausgeführt: Israel
berichtet über 17 Hypernephromoperationen. Von diesen 17 Patienten
starben 4 im Anschluss an die Operation, 5 starben an später auf¬
tretenden Metastasen, einer an einem Narbenrezidiv. In 7 .Fällen hat
Israel eine Dauerheilung von 3—4 Jahren.
Beilby berichtet über 11 Nephrektomien bei Hypernephromen.'
Von den 11 Kranken waren zurzeit der Veröffentlichung noch alle am
Leben, einer schon 5Vz Jahre nacli der Operation.
Von 20 Kranken, die Berg operiert hat, lebte nach 2 Jahren nur
noch einer. 4 waren sofort nach der Operation gestorben, 15 sehr bald
am Rezidiv.
Von 30 Kranken, die M i ch ae 1 s o n in den Jahren 1896—1915 ope¬
riert hat, waren zur Zeit der Veröffentlichung noch 7 am Leben. 4 waren
bald nach dem Eingriff gestorben. 9 am Rezidiv und 10 an anderen
Krankheiten.
A1 b r e c h t konnte am Chirurgenkongress 1905 über 27 Fälle Mit¬
teilung machen. Von diesen wurden 23 operiert. 8 starben im Anschluss
an die Operation, 8 am Rezidiv und 2 an anderen Erkrankungen.
5 waren noch am Leben.
Die Resultate sind alle ähnlich den unseren. Das Hypernephrom
ist ein bösartiger Tumor, dessen Operation in 20—30 Proz. zur Heilung
von mehr als dreijähriger Dauer führt
Literatur.
Israel: Chirurgische Klinik der Nierenkrankheiten, Berlin 1901. —
Ders.: Zbl. f. Chir. 1913 S, 1818. — Beilby: Surgery. üynecology and
Obstetrics 7. 3. — A l b r e c h t: Chirurgenkongress 1906. Michaelson:
Hygiea 82. H. 7. — Franck; Beitr. z. klin. Chir. 66. 1. — Berg: Mount
Sinai Hosp. Rec. 5. 1907. — Moffit: Boston Med. and Surg. Journ. 08.
ükt. 8. — Scudden: Ann. of Surgery 1910, Okt.
Aus der Hautklinik Jena.
Die abortive Heilung der Lues im primärem Stadium.
(Der Wert des Ictus therap. maxim. und die Vermelduag
von Mebenerscbelnungen.)
Von B. Spiethoff.
Die Frage der Abortivheilung wird in letzter Zeit in der Fach¬
presse viel besprochen. Den Verneinern treten ebensoviele Bejaher
entgegen. Mit Recht können diese für die Versager methodische Fehler
verantwortlich machen. Auch ich stehe auf dem Standpunkt, dass die
abortive Heilung bei seronegativer Lues 1 immer, bei seropositiver
wohl immer gelingen muss, und zwar bei Verwendung von Salvarsan
allein. Erreicht dies eine Kuranordming nicht, so taugt sie nichts. Wird
die Kiiranordnung ohne bewussten Willen der abortiven Heilung auf-
gestellt, so ist das Verhalten des Arztes nicht zu verstehen. Als Unter¬
lage für meinen Standpunkt will ich die Ergebnisse zweier Behandlungs¬
methoden mitteilen: die 1. Periode umfasst die Jahre 1910 bis 1914, die
2. die Zeit von 1914 an. Die Kuren wurden allein mit Salvarsan — Alt¬
oder Neosalvarsan — durchgeführt; sie unterscheiden sich durch die
Anfangsdosis, die in der 1. Periode unter Betonung des Ictus therap.
maxim. sich auf AltS. 0,4—0,5; NeoS. 0,6—0,75 beläuft, während in der
2. Periode unter dem Eindrücke heftiger Nebenerscheinungen erster
grösserer Gaben — besonders der so gefürchteten Salvarsankrampf-
fälle — einschleichende Dosen gegeben werden, NeoS. 0,15; 0,3;
0,45; 0,6; 0,75 in 8 tägigen Pausen. Die Ergebnisse sprechen eindrucks¬
voll zugunsten des Ictus therap. maxim. durch eine grössere Anfangsdosis.
Seronegative Primärlues: 100 Proz. Heilung mit
1. hoher D o s i s. ^ AltS. durchschnittlich 1,5 g. NeoS. durchschnittlich
4,21 g. Durchschnittsbeobachtung 2 Jahre 11 Monate. 82 Proz. Heilung
mit yins.chle ich enden Dosen. NeoS. durchschnittlich 5,45 g.
Durchschnittsbeobachtung 1 Jahr 3 Monate.
Seropositive Primärlues: 90 Proz. Heilung mit 1. hoher
Dosis. Mit den jetzigen Erfahrungen lassen sich auch *in diesem
Abschnitt 100 Proz. mit Salvarsan allein erzielen. AltS. durchschnittlich
1.9 g. NeoS. durchschnittlich 4,95 g. Durchschiiittsbeobachtung I Jahr
7 Monate 86 Proz. Heilung mit e i n s cb 1 e i c h e n d e n Dosen. NeoS.
üurchschnittlich 9,4 g. Durchschnittsbeobachtung 2 Jahre 1 Monat.
Um eine Uebersicht zu' gewinnen über den Wert der von mir
im Laufe der Jahre gehandhabten Behandlungsarten, die voneinander zum
Peil sehr abweichen, habe ich die Ergebnisse auf eine Formel zu bringen
versucht. Ich rechne mit den Grössen „Erfolgeinheit“ und „therapeu¬
tische Einheit“. Die Grösse „therapeutische Einheit“ umfa.sst die an-
«e\vendete Salvarsan- und Hg-Menge und die Kurzeit. Wird das beste
erreichte Verhältnis zwischen Erfolg und aufgewendeten Mitteln — Kur¬
zeit, wie es für unser Material bei der^ seronegativen Primärlues mit
Salvarsan allein und hoher Anfangsdosis vorliegt, E = 1 gesetzt, d. h.
zu 1 Erfolgeinheit ist 1 therapeutische Einheit erforderlich, so ergibt sich
für die Primarlues, mit Salvarsan allein behandelt, folgendes Bild des
absoluten Erfolgswert um-
Lues I seronegativ, hohe Anfangsdosis. E = 1
Lues I seronegativ, einschleich>ende Dosis. E 2,5.
Lues I seropositiv, hohe Anfangsdosis. E = 1,7 (Wert lässt sich
verbessern, siehe vorn).
Lues I seropositiv, einschleiclrende Dosis. E 6,8.
Auch aus dieser Wertberechnung geht die Bedeutung des durch eine
hohe Anfangsdosis zu erzielenden Ictus therap. maxim. hervor.
Wenn ich jetzt der hohen Anfangsdosis das Wort rede, während ich
vorher unter dem Eindrücke bedrohender Nebenerscheinungen für die
einschleichende Methode eintrat, so geschieht dies, weil nach meinen
heutigen Erfahrungen die Möglichkeit besteht, gefahrdrohende Ueber-
empfindlichkeitserscheinungen ohne Beeinträchtigung des Ictus
thdrap. maxim. auszuschalten. Diese Möglichkeit — ich betone noch¬
mals ohne Ausschaltung des Ictus therap. maxim. — sehe ich gegeben
durch die Versuche von Ko11 e, unter Anlehnung an Besredkas
Methode zur Vermeidung von Serumanaphylaxie der Hauptdosis 24 Stun¬
den vorher eine kleine Gabe vorauszuschicken. Die Tierexperimente
von K o 11 e übertrug ich auf die Klinik. Die Ergebnisse mit NeoS,
bis zur Dosis 0,75 sind sehr befriedigend. Ernste Störungen traten in dem
überempfindlichen 1. und frischen II. Stadium mit Exanthem nicht auf,
nur ausnahmsweise Fieber; ich lasse das Verfahren auch poliklinisch
anwenden. Die desensibilisierende Dosis beträgt ^/s—Vio der Volldosis.
Die Toxizität kann man noch weiter herabdrücken durch Wahl eines
besonderen Auflösungsmittels, Ich erinnere an meine Tierexperimente
mit Eigenserum-Salvarsanlösungen, die feststellten, dass die Toxizität
des Salvarsans, in Eigen- oder arteigenem Serum gelöst, wesentlich
geringer als in HsO ist. Ueber die Fortsetzung dieser Versuche an der
Hautklinik wird demnächst Wiesenack ausführlich berichten. So¬
viel sei jetzt schon gesagt, dass die Salvarsanlösung mit Normosal — dem
anorganischen Serum der Sächs. Serumwerke — weniger toxisch wirkt
als Salvarsan in physiologischer Kochsalzlösung, und diese weniger als
eine Lösung in HsO. Bel Benutzung all dieser toxizitätsherabsetzen¬
den Massnahmen wird es möglich sein, den ersten grossen therapeu¬
tischen Schlag ohne ernste Störungen zu setzen.
Aus dem Universitäts-Röntgeninstitut der Hamburgischen
Universität. (Direktor: Prof. Dr. AI b e r s - Schönberg.)
Zur exakten Diagnose des Ulcus duodeni.
Von Privatdozent Dr. Hans Lorenz.
Nachdem in der Nr. 5 dieser Wochenschrift die Frage der tech¬
nischen Darstellung und diagnostischen Bewertung des Ulcus duod.
(M e s e t h - Erlangen und H. A. H o f m a n n - Frankfurt a. M.) wieder
in Fluss gekommen ist, werden weitere diesbezügliche Erfahrungen auch
die nichtrönigenologischen Aerzte interessieren. Denn die Einführung
des C h a 0 u 1 sehen Radioskops bedeutet zweifellos einen Fortschritt
in der Darstellbarkeit des Duodenums. Während wir bisher bezüglich
der Diagnose des Ulcus duod. hauptsächlich auf die am Magen abzu¬
lesenden funktionellen und anatomischen sekundären Symptome an¬
gewiesen waren, erlaubt uns die mittels des Radioskops gewonnene
Platte die Diagnose auf das als einzig sicher schon lange angestrebte
Symptom der direkten Bulbusveränderung zu stützen. Wer jeder
Magenuntersuchung die Plattenaufnahme des Duodenums anschliesst,
und seine Fälle bei der Operation verfolgt, erlangt bald eine genügende
Sicherheit in der Beurteilung eines Bulbus. Seit Mitte 1919 bediene
ich mich der C h a o u I sehen Einstellung und konnte bis Oktober 1920
rund 80 Duodenumfälle autoptlsch kontrollieren, darunter waren 50 Fälle
von Ulc. duod. Eine ausführliche Arbeit darüber ist bereits im Druck
und erscheint im Heft 1 der Fortschr. d. Röntgenstr. Bd. 28. Meine
Erfahrungen über die mit der neuen Methode zu steigernde Möglichkeit
der diagnostischen Ausbeute getoen die Aussicht dass wir das Ulc.
duod. in etwa 70 Proz. diagnostizieren können, und zwar vorwiegend
auf Orund des mit der Platte erhobenen direkten Bulbussymptoms. Za
warnen ist da verwirrend wirkend, vor der Aufstellung allzu mannig¬
facher Typen der Bulbus wand Veränderung, oder jede gesehene Verände¬
rung in eine der bisher von verschiedenen Autoren angegebenen Bulbus¬
defekte eingliedern zu wollen. Dazu sind die Uebergänge viel zu
fliessend und es würde der verschiedenen Formen in Massen geben.
Entsprechend dem am häufigsten angetroffenen Sitz des Ulcus duod.
finden sich die Veränderungen vorwiegend auf der Kleinkurvaturseite
d'es Bulbus; auch beim Ulcus, das auf der Vorder- oder Hinterwand
sitzt wirkt vielfach die Infiltration der Wand oder eipe lokale oder aus¬
gedehntere Verwachsung auf die Seitenkontur und ist hier abzulesen.
Wir sprechen also zweckmässig nur von einer Konturveränderung mehr
oder weniger stärkeren Grades, diese kann entweder leicht unregel¬
mässig, zackig, wellig öder zerklüftet sein, kann auch, da der normale
Bulbus beiderseits gleichmässig konvex ist, in einer Abflachung
bestehen. Ausserdem lassen sich einige wenige besondere Formverände¬
rungen natürlich nicht leugnen, so z. B. der von Schlesinger
beschriebene, auch von H. A. H o f m a n n abgebildete Sanduhrbiiibus.
der auf der Grosskurvaturseite, gegenüber dem Ulcus eine spastische
Einziehung zeigt
Eine ganze Reihe der von verschiedenen Autoren als pathologische
Typen beschriebenen Formen sind nach meiner Erfahrung falsch, so der
„Pylorusfortsatz“, „Pylorussporn“, der „verwischte“ Bulbus u. a. Des¬
gleichen sind die Nischen anders zu deuten, als die Autoren bisher an¬
gegeben haben. Wer vielen Duodenumoperationen beigewohnt hat
weiss, wie wenig tief gerade die duodenalen Ulzera sind, so dass sie
sich so leicht nicht nischenähnlich mit Kontrastmittel füllen können. Die
sog. Nische ist eben die normale, elastisch gebliebene Bulbuswand, und
die pathologische Strecke am Bulbus ist eben das, was distalwärts der
„Nische“ benachbart liegt: die unregelmässige und meist einspringende
Wandkontur. Der persistierende Bulbusflcck wird von den meisten
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
641
neueren Autoren aucli* falsch «edeutet. Dieser Fleck kann nur «eiten,
wenn er nach vollständi«er Entleerun« des Magens länger beobachtet
wird, sonst ist er eben das in Abständen das Duodenum gerade pas¬
sierende oder bei Pylorusschluss (ev. Spasmus) zurzeit infolge fehlender
vis a tergo nicht weiter fortbewegte Kontrastmittel.
Ich habe zuletzt meine sämtlichen Untersuchungen mit der gewöhn¬
lichen Citobariummahlzeit ausgefiihrt und kann nicht behaupten, dass
dieser dünnflüssige Brei schlechtere Resultate gezeitigt hätte, als die
ursprünglich von C h a o u 1 angegebene Ba-Aufschwemmung. In der
rechten Seitenlage sowohl, als auch in halbrechter Bauchlage, in der
sich der Patient auf dem Radioskop befindet, öffnet sich der Pylorus
nach spätestens 5—10 Minuten unter dem Druck der gegen ihn an¬
drängenden ganzen Mahlzeit in den meisten, fast in allen Fällen, auch
bei Ulcus duod. und pylori, willig, und man erhält eine gute Duodenum-
bzw. Bulbusfüllung. Bei Benutzung des Bariumwassers befürchte ich
eher eine Fehlerquelle bez. der Bulbusfüllung zu schaffen, indem die
(jefahr naheliegt, dass bei der Abquetschung des unteren Duodenum¬
teils und der dadurch bedingten Stase eine Aussedimentierung des
Bariums eintritt und ganz falsch gedeutete Zerrbilder des Duodenums
liervorgerufen werden. Bei Benutzung des Citobariums ist das nicht zu
befürchten.
Die von H. A. H o f m a n n bei der C h a o u 1 sehen Methode als
unphysiologisch wirkend beanstandete Kompression mit dem Tubus auf
den Rücken des Patienten, die indirekt durch die Wirbelsäule weiter
auf die Pars inf. duod. wirkt, ist nach meinen Erfahrungen gar nicht
notwendig; in halbrechter Bauchlage ist die Passage durch das Duo¬
denum schon genügend verlangsamt, so dass auch ohne Kompression
die Platten dieselbe gute Bulbusfüllung zeigen. Dass sich nicht in allen
Fällen das Duodenum auf dem Radioskop entwickelt, ist zuzugeben.
Die Versager sind aber recht gering.
Schliesslich möchte ich noch erwähnen, dass ich einige Abände¬
rungen des Radioskops für notwendig halte. Vor allem ist der Strahlen¬
schutz zu verbessern, das niedrige Schutzschild ist durch eine besonders
aufzustellende klappbare kleine Bleiwand zu ersetzen, wie sie als Kopf¬
schutz früher in der Therapie gebräuchlich war. Zweitens ist das R.
viel praktischer auszunutzen, wenn man einen dünn vom mit Glas und
hinten mit Pappe geschützten grossen Leuchtschirm dauernd liegen
lässt, über dem man Kassetten jeden Formats einschieben kann. Man
hat dann die ganze Cirösse des 30 X 40-Leuchtschirms zur Einstellung
des Duodenums zur Verfügung, ohne den Patienten zurechtrücken zu
müssen, wenn man das Radioskop samt Patient auf einen fahrbaren
Tisch aufbaut und so äusserst bequem in den Strahlenkreis des Tubus
schiebt.
Aus der Universitäts-Frauenklinik in Innsbruck.
Der Austrittsmechanismus bej engem Schambogen.
Von P. Math es.
Der enge Schambogen ist das wesentlichste Merkmal des hypo¬
plastischen durch Entwicklungshemmung entstandenen
Trichterbeckens. Die Schenkel des Schambogens sind dabei oft auf¬
fallend lang, die Symphyse ist hoch und steil, sie steht bei Rückenlage
der Frau fast vertikal; die zur inneren Untersuchung eingeführte Hand
erfährt dadurch eine starke Behinderung in der Freiheit ihrer Bewegung;
bei gynäkologischen Untersuchungen kann die Aufnahme eines genauen
'I'atbestandes fast unmöglich werden, schon gar, weiHi das Bild noch
durch eine enge und kurze, unnachgiebige Scheide vervollständigt wird.
Zum Glück sehen wir so schwere Veränderungen im Gebärsaale selten,
weil ihre Trägerinnen auch nicht leicht schwanger w-erden. Geringere
Grade des hypoplastischen Trichterbeckens sind aber bei Gebärenden
nicht selten, es ist vielleicht die häufigste Beckenanomalie, sie beeinflusst
den Geburtsverlauf in sehr charakteristischer Weise.
Zur Erkennung der Enge des Schambogens empfehle ich folgenden
Handgriff: Die in der Scheide befindliche Hand wird etwas supiniert und
der Daumen tastet die Schenkel des Schambogens einmal links, einmal
rechts, mehrere Male hintereinander vom Sitzbeinknorren bis zum
Scheitel des Bogens ab. Der Sinneseindruck ist dabei deutlicher als bei
dem von S e 11 h e i m empfohlenen Handgriff. Zum Schluss nimmt man
die Symphyse ihrer Kante nach
zwischen die Finger und beurteilt
ihre Höhe und ihre Stellung zur
Horizontalen.
Der knöcherne Beckenkanal
gleicht einem zylindrischen Rohre,
aus dessen vorderer Wand man sich
ein Stück ausgeschnitten denken
kann, den Ausschnitt begrenzt der
Schambogen, das Rohr ist nach
unten zu durch den Beckenboden
abgeschlossen (Fig. 1). Der Kopf tritt demnach zunächst in
fortschreitender Bewegung bis auf den Beckenboden und verlässt
dann das Rohr nach vorne zu durch den Ausschnitt des Scham¬
bogens D. Je weiter der Schambogen ist. desto früher kann der Kopf
das Rohr in der Richtung nach vorne verlassen, je enger er ist. desto
*) Bei der inneren Untersuchung greifen wir auch von vorne in das Rohr
hinein und belasten zuerst die nach vorne sehenden Teile des kindlichen
Kopfes; darum scheint die Pfeifnaht weit hinten zu liegen — sie scheint es
nur —, die N a c g c 1 c sehe Obliquität ist nur eine scheinbare.
tiefer muss der Kopf in das Rohr eingepresst werden, damit er am Scham¬
bogen endlich eine Stelle erreicht, die weit genug ist ihn vorne heraus¬
zulassen. Der Beckenboden wird dabei stark, oft ganz gewaltig weit
vorgetrieben, besonders in seinen hinteren Anteilen; der After klafft
weit, er wandert immer weiter nach vorne; dabei bleibt der vordere
Rand des Dammes nur wenig ^^espannt, weil er vor allem nach vorne
gedrängt wird, die Schamspalte erscheint eng und kurz. Der Arzt spricht
dann von abnorm hohem und wenig dehnbaren Damm; er schneidet die
hintere Kommissur vielleicht etwas ein, wundert sich, dass die Wunde
nicht so stark klafft wie sonst — schliesslich greift er zur Zange und
zerreist den D^mm bis in den After =*).
Bessere Dienste als die Zange leistet in solchen Fällen der R i t ge n -
sehe Handgriff und die quere Episiotomie nach E. W a 1 d s t e i n. Man
kann schon früh versuchen, dem Kopf den Weg nach vorne durch den
Hinterdammgriff zu erleichtern; ganz wirksam wird der Druck natürlich
aber erst, wenn der Kopf einen so tiefen Teil des Schambogens erreicht
hat. dass er hinaus kann; tastet man in diesem Stadium seinen vorderen
Umfang ab, so fühlt man. dass der Scheitel des Schambogens frei ist
— von dort aus kann man nun auch mit dem Daumen einen Druck aus¬
üben um den Austritt zu beschleunigen und man kann beobachten, dass
bei den Presswehen trotz scheinbar höchster Raumbeschränkung Harn
austritt. wenn die Blase gerade voll- ist.
Der Vorzug von W a 1 d s t e i n s querem Dammschnitt liegt darin,
dass er die Stelle durchsetzt, an der gerade die höchste Spannung liegt,
das ist etwa die Mitte zwischen hinterer Kommissur und After; der
Schnitt wird zunächst nur durch die Haut etwa 6 cm lang angelegt und
ein senkrechter bis an den Rand des Dammes aufgesetzt (Fig. 2). Vor¬
läufig tritt der Kopf nicht wesentlich tiefer, die Flügel des Schnittes
klaffen nur wenig. Gerade darin liegt aber der Vorteil des Verfahrens,
denn nun kann man den Schnitt von den Winkeln a und b aus ganz
allmählich vertiefen, indem man die sich jeweils spannenden Oewebs-
teile nach hinten und aussen durchtrennt; der winkelige Schnitt ver¬
streicht dabei allmählich und der Kopf kommt zum Vorschein.
Bei einem jüngst so behandelten Falle waren in der entfalteten
Dammwunde seitlich die beiden Uevatorschenkel, vome in der Mjtte der
Sohinkterring unversehrt sichtbar. Die Vernähung solcher Wunden bietet
keinerlei Schwierigkeiten. .
Aus der Medizinischen Universitätsklinik Bonn a. Rh.
(Direktor: Qeh.-Rat Hirsch.)
Röntgentechnisches.
Von Dr. med. H. Gramer, Assistent der Klinik.
I. Gestell zur Durchleuchtung des Magens in Seiten-
1 a g e. (Aufschraubbar auf den Albers-Schönberg-Tisch.)
Die Notwendigkeit der Untersuchung des Magens in den ver¬
schiedensten Körperlagen scheitert häufig an der Schwierigkeit der Be¬
schaffung einer grösseren Apparatur. Ich erlaube mir daher ein ein¬
faches. leicht auf und ab zu setzendes Gestell zu empfehlen, das für
Durchleuchtungen des Magens in Seitenlage, auch bei Anwendung des
Pneumoperitoneums gebraucht werden kann. Es handelt sich um den
abgebildeten, einfachen, kräftig gearbeiteten Holzrahmen mit grossem
Fenster und zwei Gurten zum Festlegen des Patienten. Die Befestigung
.geschieht durch zwei Schrauben, die durch zwei entsprechende Löcher
in der Tischplatte durchgesteckt werden und dann in solchen der Längs¬
richtung des Tisches parallel geführten Spalten anzuziehen sind. Die
Länge des Gestelles ist so gewählt, dass Brust und Kreuzbeingegend dem
Rahmen fest anliegen. Die Möglichkeit mit einem Tubus das Gesichts¬
feld abzuhlenden, gewährt die Garantie schöner scharfer Bilder.
II. Schutz gegen die Tröpfcheninfektion bei der
Durchleuchtung offener Tuberkulöser durch Alu-
niiniumblechaufsatzauf dem Durchleuchtungsschirm.
Die Lungendurchleuchtung, besonders tuberkulöser Patienten, er¬
fordert tiefe Respirationsbewegungen und Hustenlassen des Unter¬
suchten. Diese Untersuchungstechnik ohne entsprechenden Schutz des
Untersuchers, besonders bei zahlreichen Durchleuchtungen, ist un-
■*) Ich habe totale und zentrale Dammrisse noch nicht von diesem
Gesichtspunkte aus betrachtet, bin aber überzeugt, dass sie vorwiegend, wenn
nicht immer, als Folge des geschilderten Mechanismus zustande kommen
Digitized by Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
642
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
hygienisch. Wir setzen daher bei Untersuchung von offenen Tuber¬
kulosen auf den Schirmrahmen ein etwa noch einmal so hohes und in
der Breite dem Rahmen entsprechendes Aluminiumblech, das durch zwei
flache, oben offene, hinten oben am Schirmrahmen festgeschraubte
Metallklammern gehalten wird. Um die Möglichkeit zu haben, den
Schirm direkt an die Brust des Patienteh zu legen, kann man das Blech
etwas nach vorne abbiegen. Es ist dadurch die Möglichkeit gegeben,
jeden Patienten tief atmen und husten zu lassen ohne Gefährdung des
Arztes und ohne das Seitwärtsdrehen des Kopfes, welches die anatomi¬
schen Verhältnisse der Spitzenfelder störend beeinflusst.
III. Zum Schluss möchte ich noch kurz erwähnen, dass bei Lagerung
des Patienten in halbschräger Seitenlage auf dem Radioskop von
Chaoul und zwar rückenanliegend Nierensteine unter Umständen schon
bei der Durchleuchtung besonders gut zu erkennen sind. Ich habe auch
bei in dieser Weise angefertigten Nierenaufnahmen den Eindruck ge¬
wonnen, dass durch ein Herabfallen des DünndarmKonvoluts auf die
andere Seite die Niere unter Umständen klarer sichtbar wird. Doch ist
die Technik der Aufnahme nur mit schweren Stativen befriedigend, die
eine genügende Kompression und Ruhigstellung ermöglichen. Es ist
insofern das Radioskop der Seitenlage überlegen.
Anmerkung: Das Gestell und die.Aluminiumplatte kann durch die
Eirma Seul & Honnef, Bonn, Kasernenstrasse bezogen werden.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Würzburg.
Die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose.
. Von Prof. Fritz König.
Die Tuberkulose in allen ihren Formen erhebt In unserem durch
Krieg und Nachkriegszeit geschwächten Vaterland in gefahrdrohendem
Anwachsen ihr Haupt, ihre Behandlung ist wirklich ein aktuelles Thema.
Und wenn heute einer unserer ersten Chirurgen unter Ablehnung aller
Operationen in einem kurzen Artikel^)*die Behandlung der „chirurgischen
Tuberkulose“ an den praktischen Arzt, in den schweren Fällen an den
praktidbheti Arzt, welcher „wenigstens eine bescheidene kliriische Ab-
teilunsf und gewisse spezialistisch-chirurgische Kenntnisse besitzt“, ver-
weiseh will, so hat das eine viel grössere Tragweite, als wenn die
Losung vor etwa 8—10 Jahren ausgegeben wäre.
Wir verstehen unter chirurgischer Tuberkulose wohl hauptsächlich
die der Lymphdrüsen, der Knochen und Gelenke — von der Haut wollen
wir einmal absehen. Dass die Behandlung dieser Tuberkulose¬
lokalisationen die grosse Chirurgie an sich riss, führt zurück in jene
Zeiten, als die Entdeckung des Tuberkels und tuberkulösen Gewebes
die Einheit all dieser Prozesse und ihrer Zusammengehörigkeit mit
denen der Lunge usw. klarstellte. Man wusste damals schon, dass von
einem Herd aus anderweitige im Körper auftreten. z. B. von den
Drüsen, den Knochen eine Lungentuberkulose oder gar eine allgemeine
Miliartuberkulose iTiren Ausgang nehmen konnten. Deshalb w^ar es
eine „rationelle Therapie der Tuberkulose“, als Carl H u e t e r 1872
die radikales Exstirpation der tuberkulösen Lymphome schuf; als Richard
V o 1 k m a n n die Frühresektion der tuberkulösen Gelenke inaugurierte.
Oertliche Ausmerzung, Verhinderung sekundärer
Ausbrüche von Tuberkulose war das Programm.
Weder das eine noch das ander© dieser Ziele wurde durch die
radikale Operation völlig erreicht. * Auch nach ihr starben Patienten an
allgemeiner oder anderweitiger Lokaltuberkulose, kamen rezidivierende
Tuberkulosen am Ort der Operation zum Ausbruch. Die Folgen dieser
Erfahrungen bewegten sich in zwei Richtungen. Man wollte einerseits
wenigstens die Gefahr eines örtlichen Rezidivs unmöglich machen, und
gestaltete seine Operation immer radikaler. So kam man zu
der Forderung, die Resektion des tuberkulösen Gelenkes als eines ge¬
schlossenen Ganzen auszuführen, womöglich ohne die örtliche Tuber-
'kulose selbst zu eröffnen, wie man einen bösartigen Tumor entfernt.
Dieser Weg, von WI a d i m i r o w, von Wolkowitsch begangen,
in Deutschland vor allem von Bardenheuer mit Leidenschaft ver¬
folgt, führte naturgemäss zu starken Verstümmelungen; ausgedehnte, noch
gesunde Teile wurden entfernt, z. B. an der Hüfte grosse Teile des
Beckens herausgesägt. Man kann sich nicht wundern, wenn ein Autor
(Sinding Larsen 1907) den Ausspruch tut; „anstatt durch Entwick¬
lung immer gewaltsamerer Operationsmethoden für .alte Hüften* zu
zeigen, wie spät noch operiert werden könne, soll man durch eingehende
pathologisch-anatomische Studien klarzustellen suchen, wie früh schon
operiert werden sollte.“ In der Tat haben diese Bestrebungen bei uns
nie festen Fass gefasst, die Verunstaltungen waren zu gross, und auch
sie schlossen trotzdem örtliche Rezidive nicht sicher' aus.
In entgegengesetzter Richtung bewegten sich die Bemühungen
anderer Chirurgen: es schien ihnen notwendig, die Resektion auf die
äussersten Fälle zu beschränken, die konservativen Behand¬
lungsmethoden weiter auszubauen. Aber auch hier er¬
kennen wir zwei Richtungen. Während die eine Gruppe an der For¬
derung festhielt, dass beibestimmte nFormenderKnochen-
Gelenktuberkulose von vornherein eine Operation,
sagen wir eine Resektion, angebracht bleibe, glaubte die andere,
in weitgehendem Masse, mit wenigen Ausnahmen, immer zunächst
di© konservativen Verfahren versuchen zu müssen. Es kam
*) Bier: Die Behandlung der sog. chirurgischen Tuberkulose durch den
praktischen Arzt. M.m.W. 1921 S. 244.
DigitizetI by Goiisle
die Verfeinerung der orthopädisch-mechanischen Behandlungsmethoden,
die Stauungshyperümie, die medikamentöse Therapie mit Jodoform, Jod,
Zimtsäure u. a., die Tuberkuline und was dahin gehört die Behandlung
an der See und an der Luft, di© Licht- und Sonnenbehandlung, die
künstliche Höhensonne, die Röntgenstrahlen. Der Druck der konser¬
vativen Forderungen summierte sich, wuchs ins Ungeheure — hatte der
eine Weg nicht zum Ziel geführt so konnte es der andere tun. Jede
neue Methode hat somit ihr© Mitläufer, die sie bewundern, ihre Erfolge
bestätigen — es schien doch unmöglich, dass man nicht auch selbst diese
Erfolge haben sollte. So wurde es uns immer weiter ins Gehirn ge¬
hämmert: chirurgische Tuberkulose — konservative Behandlung, immer
mehr, bis zu dem Extrem, wie es heute von Bier dargestellt wird, der
seit 1913 überhaupt nur einmal wegen Tuberkulose der
Knochen und Gelenke ©ine grössere Operation ge¬
machthat.
Das Ergebnis in den Jahren, in welche diese Entwicklung fällt war
in vielen Fällen, dass der konservative Versuch
schliesslich doch nicht zum Ziel führte. Es wurde
amputiert oder wenn ja noch reseziert wurde, so gab die Resektion ein
schlechtes Resultat. Bei denen, die unter dem Druck des konservativen
Dogma diese Wege gingen, kam die Resektion bei Tuberku¬
lose in Verruf, ganz besonders für gewisse Gelenke. Und so er¬
klärt sich der nicht so seltene Ausspruch: wenn schon operiert werden
muss, dann lieber gleich amputieren.
Die ungeheure Einwirkung, welche die verschiedenen konservativen
Richtungen in ihrer Mannigfaltigkeit auf den Verlauf der einzelnen
Tuberkulosen gehabt haben, lässt sich aus dem Gesagten ahnen. Ich
glaube, es ist Zeit, zu -fragen, was haben diese Verfahren
Positives auf dem Gebiete der. chirurgischen Tu¬
berkulose soweit erreicht dass es für die allgemeine
Nutzanwendung feif ist?
Für die Behandlung der tuberkulösen Lymphome, die zu
90 Proz. am Hals sitzen, hatte die konservative Behandlung von vorn¬
herein Sympathie, weil jede Narbe vermieden wird. Wenn hier schon
all die anderen Methoden, die wir seit langem kennen, manchen Fall
geheilt haben, so ist es der Sonnen- und Röntgentherapie beschieden
gewesen, hier langsam aber sicher das Beste zu erreichen. Wir wissen
heute, dass etwa 60 Proz. der Lymphome durch Exstirpation primär ge¬
heilt wurden, aber auch, dass z. B. die Röntgenbestrahlung ebensoviel,
wenn nicht noch mehr leistet. Wenn die späteren Erfahrungen nicht
uns eines anderen belehren, so ist die grosse Chirurgie der
Lymphdrüsen als überwunden anzusehen, nur kleine Ein¬
griffe erlaubt und im übrigen di© Bestrahlung anzuwenden. Neben der
Röntgenbestrahlung kann die künstliche Höhensonne, wie auch die
natürliche Sonnenbestrahlung von Bernhard und Ro11 ier, wie sie
Bier schildert, hier erfolgreich verwendet werden.
Wir glauben nicht, dass über die Knochen- und Gelenk¬
tuberkulose mit gleicher Sicherheit geurteilt werden kann. Gewiss
haben auch wir schon ausgesprochene tuberkulöse Knochenprozesse,
konservativ behandelt, verschwinden sehen, ich selbst habe schon 1914
bei einem Fortbildungsvortrag in München Röntgenbilder von Spina
ventosa gezeigt, die die Rückbildung florider Prozesse unter Ouarz-
lampenbehandlung bewiesen. Aber weder diese noch die Röntgen¬
bestrahlung erscheint mir sicher genug, um sie dem Arzt als d i e Be¬
handlung zu empfehlen. Die günstigen Erfolge, welche z. B. Rolli er
in Leysin mit der alpinen Heliotherapie bei Knochen- und Gelenk¬
tuberkulose erzielt hat, sind uns bekannt. Aber uns machen die Mit¬
teilungen Schweizer Chirurgen skeptisch, welche keineswegs so
enthusiastisch urteilen, auch in der alpinen Besonnung keine Panazee
sehen und durchaus nicht der Meinung sind, dass man in der Schweiz
ohne Operation auskommt Sollte es bei uns wirklich anders sein?
Ein©VergIeichung von Dauerresultaten rein kon¬
servativer und operativer Behandlung ist bislan?
nicht möglich. Die leichteren Tuberkulosen der Gelenke werden
doch schon seit langen Jahren ausnahmslos konservativ behandelt Man
müsste also leichte und schwere Fälle trennen; die Vergleichung der
wirklich schweren Lokaltuberkulosen bei konservativer und operativer
Behandlung würde allein Klarheit schaffen. Diejenigen, welche schon
seit langer Zeit zunächst konservativ behandeln, könnten eine solche
Statistik geben — hat doch Bier seine Stauungsbehandlung schon seit
1892 geübt Leider ist meines Wissens eine Dauerstatistik nie er¬
schienen.
Auf viel sichererem Gebiet bewegen wir uns bei der Resektion —
also bei den schweren Gelenktuberkulosen, die opera¬
tiv behandelt wurden. Zahlreiche und sehr fleissige Statistiken
liegen hier vor, aus den Anstalten von Bruns, Kocher. Garr^
Helfe rieh. An schütz u. a., vor allem von Franz König. Ich
habe es nicht für nötig gehalten, festzustellen, in wievielen Fällen, die
sowieso zu den schwersten gehörtep, der Tod noch in der Behandlung
eintrat oder die Krankheit auch durch die Resektion gar nicht zur
Heilung kam. Dir Frage stellte sich mir so: Was wurde
aus denen, welche durch die Resektion zunächst ge¬
heilt entlassen waren, bei einer Nachprüfung nach 5,
10, 20 und mehr Jahren?
Aus den Zusammenstellungen von etwa 20 Autoren konnte ich
1932 wegen Tuberkulose Resezierte zu dieser Feststellung
zusammenbringen. In den oft langen Jahren, die seit der Resektion
verflossen waren, waren weit über 300 verstorben; viele hatten bis zu
ihrem Tod ein geheiltes Gelenk behalten — diese habe ich trotzdem
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
643
aus der Berechnung ausgelassen. Es ergab sich, dass 1329 noch bei der
Nachforschung geheilt lebten; das heisst also: von den schwersten
Qelenktuberkulosen, die doch der Resektion anheimfallen und zunächst
geheilt entlassen waren, waren immer noch 68 Proz. dauernd ge¬
heilt geblieben.
An anderer Stelle^) habe ich weiter ausgeführt, dass auch die
funktionellen Erfolge recht befriedigend genannt werden dürfen.
Gegenüber diesen bestimmten Kenntnissen haben wir für die kon¬
servative Behandlung der schweren Qelenktuberkulosen keine zur Ver¬
gleichung heranzuziehenden Zahlen zur Verfügung. Und aus diesem
Grunde erscheint es uns gefährlich, die konservative Methode, welche
Bier zurzeit für die sicherste für alle chirurgischen Tuberkulosen hält,
schlechtweg den in der Praxis tätigen Aerzten zu empfehlen, wenn sie
auch ein paar Betten und gewisse chirurgische Kenntnisse haben; um
so gefährlicher, als ihnen Bier ja sagt, dass Operationen
grösseren Massstabs bei seiner Behandlungsart seit
1913 nicht mehr nötig gewesen seien, und nun die Aerzte bestimmt
ebenfalls diesem Ziel zustreben, d. h. bis aufs äusserste jede
Operation hinausschieben werden.
Wir glauben, dass wir aus unseren bisherigen Ausführungen be¬
stimmte Lehren ziehen sollen, zunächst für die chirurgischen
Abteilungen, dann für den allgemeinen Arzt.
Es gelingt uns zuweilen, tuberkulöse Knochenherde zu diagnosti¬
zieren, welche noch ausserhalb der Gelenke sitzen (extraartikuläre
Herde) und wir wissen, dass wir durch chirurgischen Eingriff den Herd
entfernen können, noch ehe er das Gelenk infiziert. Wir wären geradezu
töricht, wenn wir auf diesen vortrefflichen chirurgischen Eingriff ver¬
zichten wollen, welcher dem Kranken überhaupt die Frage der Gelenk¬
tuberkulose erspart. Auch die beste konservative Heilung kann nicht
mehr erreichen als diese Operation, die ausserdem die Heilungsdauer
sehr abzukürzen imstande ist.
Auf die Frage schwer fistelnd-infizierter Tuberkulosen will ich,
wie auf die Behandlung der nicht paraartikulären Knochenherde und
mancher Einzelheiten nicht eingehen. Wichtig aber ist unser Verhalten
gegenüber den schweren Qelenktuberkulosen schlecht¬
weg. den Fungi, den eitrigen Prozessen, den Destridctionen, die sich
zuweilen auch unter unserer Behandlung aus scheinbar leichteren Formen
herausbilden. Wir werden auch hier mit Auswahl konservativ be¬
handeln; aber gerade in diesen Fällen steht es bei uns, bei progredientem
Charakter rechtzeitigunsderLeistung derResektion zu
erinnern. Kein konservatives Dogma darf uns hier von der Operation
zurückhalten. Wir werden zur rechten Zeit jede konservative Behand¬
lung ablehnen, und mit sorgfältigster Operationstechnik, peinlicher
orthopädischer und allgemeinantituberkulöser Nachbehandlung die guten
Resultate zu erreichen suchen, welche die Resektion nach unseren Kennt¬
nissen aufzuweisen hat.
In allen geeigneterscheinenden Fällen werden wir
die konservative Behandlung, und wenn unsere örtlichen
Verhältnisse dafür geeignet sind, die Behandlung im Sinne Biers aus¬
giebig verwenden. Aber wie steht es nun mit dem p r ak t is ch e n
Arzte? Er muss natürlich die Dinge, bei seinen Privatpatienten, noch
viel mehr improvisieren, hat oft gar keine Gewähr für ihre Ausführung,
weiss auch gar nicht, ob das was Bier empfiehlt, schon in ausgedehntem
Masse in der Anwendung des einzelnen Arztes mit Erfolg
verwendet wurde. Was Bier heraufbeschwört, wenn zahlreiche prak¬
tische und die jetzt so zahlreichen Aerzte, welche neben einer kleinen
Krankenbettenzahl über „gewisse spezialistische chirurgische Kennt¬
nisse“ verfügen, seiner Aufforderung folgen, das ist ein Experiment
im grossen an unseren Kranken mit chirurgischer
Tuberkulose.
Experimente am Menschen lassen sich nicht vermeiden — viele
therapeutische Fragen sind gar nicht durch das Tierexperiment zu
lösen —, andere sind — trotz tierexperimenteller Grundlage — erst durch
das am Menschen fortgesetzte Experiment ganz zu beantworten. Aber
schwere Sorgen bringen die Zeiten der Experimente am Menschen
immer mit sich. Ich erinnere an die Anfänge der Antisepsis, die Tuber¬
kulinära, an die Röntgentherapie und manches andere. Wer von uns
denkt nicht mit Schrecken an die Zeit zurück, in der die Stauungshyper¬
ämie auch gegen die schweren akuten Entzündungen empfohlen war.
Mit Sorgfalt übten wir die genauen Anweisungen der Anlegung der Binde,
und trostlos standen wir vor manchem Ausgang dieser Behandlung. Ich
erinnere mich mit Schrecken der von Aerzten gestauten schweren
Phlegmonen, und besonders einer akuten Osteomyelitis am Unter¬
schenkel, die ein sehr gewissenhafter Arzt der Stauungsbehandlung unter¬
zogen hatte. In die Hautvenen hatte die Infektion sich hineingestaut,
und unter vielfachen Metastasen ging der Knabe schliesslich zugrunde.
Auch damals war das Verfahren genau publiziert und wenn Miss¬
erfolge eintraten, so hiess es, die Anwendungsweise ist nicht richtig ge¬
wesen. Und wenn es jetzt wieder so geht, wenn der Arzt anscheinend
genau nach Vorschrift verfährt, und die Misserfolge nicht ausbleiben,
dann wird wieder der Schaden bei Patienten und Arzt sein. Ist es nötig,
dass wir das noch einmal erleben?
Wir glauben, es wird besser sein, wenn zunächst die grös¬
seren Anstalten versuchen, in der konservativen Therapie mög¬
lichst den Einrichtungen zu folgen, wie sie Bier in der Heilanstalt
Hohenlychen vorbildlich geschaffen hat. Und während wir durchaus
*) S. Verhandlungen des 45. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie 1921.
nichtvergessen, was operativ-chirurgische Technik
bei grosser Sorgfalt bei schwer tuberkulösen Ge¬
lenken leisten kann, wird sich so die Leistungsfähigkeit der
modernen konservativen Therapie auf breitere Basis stellen
lassen. Bis dahin, d. h. bis auch für die schweren Fälle der Knochen-
Qelenktuberkulose diese Therapie sicherer und einfacher geworden ist,
glauben wir. der Allgemeinheit mehr zu dienen, wenn nicht
auch der praktische Arzt und der mit kleiner Krankenabteilung und ge¬
wissen spezialistisch-chirurgischen Kenntnissen versehene Arzt pf-
gefordert werden, die nach dem angegebenen Rezept mehr oder weniger
improvisierte Behandlung der leichteren und schwierigen Fälle von
Knochen- und Gelenktuberkulose zu übernehmen und damit den
Versuch der operationslosen Behandlung bis an die
äusserste Grenzefortzusetzen. Denn nicht alles, was Bier
gelungen ist, wird uns und den praktischen Aerzten ebenso gelingen.
Bemerkungen zu vorstehendem Aufsatz.
Von Prof. August Bier.
Die Mitwirkung des praktischen Arztes bei der Behandlung der sog.
chirurgischen Tuberkulose halte ich für so wichtig, dass mir eine Ent¬
gegnung auf Königs Einwäride nötig erscheint.
1. Schon jetzt sind die bestehenden grösseren Krankenanstalten gar
nicht in der Lage, alle Tuberkulösen zu behandeln. Jedenfalls beweist
unser Tuberkulosematerial, dass eine sehr grosse Anzahl der Fälle lange
Zeit lediglich in der Hand der praktischen Aerzte gewesen ist, ehe sie
unsere Anstalt aufsuchten. Hätten die betreffenden Aerzte die von mir
ihnen vorgeschlagenen, weit besseren Mittel angewandt an Stelle ihrer
veralteten, so hätten sie bei einer grossen Zahl der Kranken sicherlich
bessere Erfolge gehabt. Es kommt hinzu, dass diese empfohlene Be¬
handlung weit einfacher ist, als die bisher geübte. Kommt der praktische
Arzt auch mit dieser nicht weiter, so wird er seine hartnäckigen Fälle
ebenso dem Chirurgen zuschicken, wie er das bisher getan hat.
Besonders wenig scheint König dem über „gewisse spezialistisch-
.chirurgische Kenntnisse“ verfügenden Arzt zuzutrauen. Nun dieser wird
erst recht seine Tuberkulosen auch bisher selbst behandelt haben, vor
allem auch operativ. ,
2. König stellt die Sache so dar, als* sei die von mir empfohlene
Behandlung ein Experiment am Menschen. Das ist ein grosser Irrtum.
Bernhard und R o 11 i e r behandeln seit annähernd 20 Jahren ihre
Tuberkulosen mit Sonne, und die Erfolge dieser Behandlungsmethode sind
allgemein anerkannt Wir haben den Beweis geliefert, dass man das¬
selbe mit den von uns empfohlenen Mitteln in der Ebene erreicht Es
handelt sich also nicht um Experimente, sondern um erprobte Tatsachen.
3. ' Gegen Königs Statistik Hesse sich vieles einwenden. Ich
erwähne nur folgendes: Es kommt zunächst gar nicht darauf an, dass
wir nachweisen, dass die mit unseren Mitteln geheilten Tuberkulosen
nach 20 und mehr Jahren noch heil sind. Die Hauptsache ist dass wir
sie zunächst einmal in den Zustand bringen, den man im gewöhnlichen
Leben Heilung nennt Und diese Heilung erreichen wir mit der emp¬
fohlenen Behandlung allermindestens in dem Prozentsätze, den die
Resektion erzielt. Dabei sind unsere Heilungen in nicht zu vor¬
geschrittenen Fällen gewöhnlich wirkliche Heilungen mit sehr guter
Beweglichkeit im Gegensatz zu den .Jieilungen“ der Resektion. Ich
kenne diese „Heilungen“ sehr genau, in der grossen Mehrzahl der Fälle
sollte man sie richtiger Verstümmelungen nennen.
4. Der tuberkulöse Herd in Knochen und Gelenken ist selten, viel¬
leicht sogar niemals gummös. Die Resektion trifft nicht die verborgenen
Herde, wie die von mir empfohlene Behandlung.
5. Die letztere hebt das Allgemeinbefinden in grossartigster Weise.
Die meisten Besucher von Hohenlychen wundern sich über den aus¬
gezeichneten Körperzustand der Kranken, die „gar nicht wie Tuberku¬
löse aussehen“, obwohl die Verpflegung natürlich, wie in allen anderen
deutschen Krankenanstalten, dort seit langer Zeit zu wünschen übrig
lässt.
6. Die Unterscheidung zwischen fistelnd-infizierten und geschlossenen
Tuberkulosen mit Bezug auf die Vorhersage ist veraltet. Alle Aerzte, die
eine grössere Erfahrung über Sonnenbehandlung haben, stimmen darin
überein, dass gerade die ersteren meist ganz ausgezeichnet und über
Erwarten gut ausheilen, während die „leichten“ und „beginnenden“
Fälle zuweilen sehr hartnäckig sind.
Dem praktischen Arzte, der sich durch Königs Ausführungen nicht
vergrämen lässt und trotzdem die sogen, chirurgische Tuberkulose be¬
handeln will, rate ich aber dringend, sich genau an die Vorschriften zu
halten. Wir sehen häufig Tuberkulose, die in „grossen Anstalten“,
denen König das Verfahren zunächst Vorbehalten will, vergeblich mit
Sonne behandelt waren, wo aber das Ausserachtlassen der einfachsten
und wichtigsten Vorschriften den Erfolg vereitelt hatte, den wir mit
der richtigen Behandlung erzielten.
Ich benutze die Gelegenheit, um eine Regel nachzutragen, die ich in
der vorigen Abhandlung vergessen hatte: Der Kranke, der das Luft-
und Sonnenbad nimmt, soll durch einfache Massnahmen vor Wind ge¬
schützt werden. Nur an sehr heissen Tagen ist ein frischer Wind
sogar wünschenswert.
Ich schliesse mit folgender Bemerkung: Beim Reden und Gegen¬
reden kommt bekanntlich nicht viel heraus. Ich lade nochmals alle
Kollegen, die sich für unsere Behandlung interessieren, ein, unsere .\n-
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
644
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
stalt in Hoheiilyclicn eingehend zu besiclttiKen. Am 1. Juli eröffnen
wir unsere grosse Berliner Anstalt, die ich in meiner voriKcn Abhandlung
erwähnte. Ich hoffe, dass diese, da sie leichter für auswärtige Aerzte
zu erreichen ist, für viele Aerzte belehrend wirkt.
Aus der Universitätsklinik für Dermatologie in Wien.
Ueber Speicherung von Jod im Karzinomgewebe.
Von Prof. Dr. G. Riehl, Vorstand der Radiumstation in Wien*
In seiner Arbeit über Speicherung von Jod im Karzinomgewebe
(Nr. 11 dieser Wochenschrift) teilt Friedrich Jess die Ergebnisse
seiner Untersuchungen über die in den verschiedenen Organen gefundenen
Jodmengen nach langdaueriider Jod Verabreichung mit.. Seine Resultate
stimmen mit denen früherer Arbeiten fast völlig überein und erweisen,
dass im menschlichen Karzinomgewebe, wie es T a k e m u r a für das
Mäusekarzinom gefunden hat, eine beträchtliche Jodspeicherung statt¬
findet. Er erwähnt auch, dass diese Anhäufung von Jod im patho¬
logischen üewebe die spezifische Wirkung desselben, z. B. bei der
Tuberkulose, erkläre, und schliesst seine Mitteilungen mit dem Satze:
„Ob es möglich sein wird, auf Grund der Fähigkeit des Tumorgewebes,
einen Körper in sich aufzuspeichern, der eine charakteristische Sekundär¬
strahlung zu erzeugen imstande ist, ein neues Moment mit Erfolg in die
Röntgentherapie maligner Neubildungen einzuführen, müssen zukünftige
Untersuchungen lehren.“
Solche Untersuchungen liegen seit 1914 wenigstens für die Tuber¬
kulose bereits vor. Sie haben, wie hier gleich erwähnt werden soll,
sehr befriedigende therapeutische Resultate .gezeitigt und sind in der
Publikation meines Assistenten Dr. Max Schramek aus der Radium¬
station im Allgemeinen Krankenhause in Wien unter dem Titel „Ueber
medikamentös-kombinierte Radiumtherapie“ in Nr. 4 der W.kl.W. 1914
veröffentlicht worden. Da diese Arbeit, so viel ich aus der Literatur er¬
sehe, nicht genügend bekannt geworden ist, ist es vielleicht von Inter¬
esse. hier die wichtigsten Ergebnisse anzuführen. Dr. Schramek
hat versucht, die Pf a nn e n s t i 11 sehe Methode, durch welche Jod in
statu nascendi auf die Gewebe einwirken sqU, in der Weise zu modi¬
fizieren, dass er statt der von Pfannenstill verwendeten jod¬
spaltenden Mittel, Ozon und Wasserstoffsuperoxyd, die Einwirkung der
Radiumstrahlen benützte. Dem Patienten wurde ein Jodpräparat intern
verabreicht, dann durch schwache Bestrahlung mit Radiumträgern die
Abspaltung des Jod im Gewebe versucht. Wie daraus ersichtlich, ist der
Grundgedanke für diese Versuche ein anderer — Abspaltung von Jod in
statu nascendi im Gewebe — als der S t e p p s. welcher die Sekundär¬
strahlen des im Gewebe deponierten Jods nach Röntgenbestrahlung be¬
nützen will. Sieht man von dieser Differenz in der Erklärung ab, so sind
die Versuche Schrameks gleichbedeutend, resp. ist damit Stepps
Vorschlag (1919), der jetzt von Jess erneuert wird, bei einer
Anzahl von Patienten durch Schramek bereits 1913—1914 ausgeführt
worden. In seiner Mitteilung führt Schramek 8 Fälle von Lupus und
3 Fälle von tuberkulösen Prozessen anderer Art an, in welchen durch
diese Behandlung „eine wesentliche Beeinflussung der Krankheitsherde,
die klinisch beinahe einer Heilung gleichkommt, erreicht wurde.“ Die
Details mögen in der zitierten Arbeit nachgesehen werden. Es sei nur
ein Fall hier erwähnt, bei welchem bei einem ausgedehnten Lupus nach
Joddarreichung eine längerdauerndc Bestrahlung durchgeführt worden ist
(4 Stunden), dre zu einem w'eitreichenden Zerfall der ganzen bestrahlten
Fläche geführt hat. Bei längerdauernden Radiumbestrahlungen wird so¬
mit auch das gesunde jodierte Hautgewebe bereits stark angegriffen bei
Strahlendosierung, welche ohne Joddarreichung keine erhebliche Re¬
aktion verursacht.
Weitere Versuche Schrameks, die sich ausser auf Jod auch auf
eine Reihe von Metallverbindungen erstreckten, konnten infolge Aus¬
bruch des Krieges nicht fortgeführt werden. Die durch den ieider so
frühen Tod Dozent Dr. Schrameks im Laufe des Krieges zum Stillstand
gekornmenen Untersuchungen wurden jetzt in der Radiumstation wieder
aufgenommen.
Ueber die Indikation zur Intubation.
(Erwiderung an Trum pp in Nr. 15 ds. Wschr.)
Von Prof. Franz Hamburger-Qraz.
Ich gebe ohne weiteres zu, dass es nicht ganz leicht möglich ist,
den richtigen Zeitpunkt zur Intubation zu finden. Ich möchte bei der
Spätintubation auf Grund der Erfahrung trotz der Befürchtungen
T r u m p p s vorderhand bleiben. Wie erwähnt haben wir niemals
einen Dekubitus gehabt Wir nehmen sehr häufig das vor, was
T r u m p p die Probeextubation nennt und haben davon niemals einen
Schaden psehen. Selbstverständlich ist glatte Intubation nötig. Das
längere Liegen des Tubus ist doch nicht so gleichgültig, wie Trum pp
meint: denn es sind Fälle genug bekannt wo auch schon nach
48 ständigem Verweilen sich ein Dekubitus entwickelt hat. Die Gefahr
der Membranhinabstossung halte ich überhaupt nicht für eine eigentliche
Gefahr, sondern nur eher für etwas Wünschenswertes. Sind Membranen
einmal so gelockert dass sie sich im Zusammenhänge tiefer hinab-
stossen lassen, so werden sie auch immer leicht ausgehustet.
Ich freue mich, dass mein Aufsatz zu einer Erwiderung Anlass ge¬
geben hat weil zu hoffen steht dass sich aus dem Widerstreit der Mei-
Digitized by Goiisle
nungen und aus den sich hieraus ergebenden weiteren Beobachtungen in
der Folge doch ein gutes Resultat ergeben wird.
Beitrag zur Behandlung eingeklemmter Brüche.
Von Dr. E. Stark, leitendem Arzt des städtischen Kranken¬
hauses Weiden i. d. Obpf.
Wer jemals unter ungünstigen Verhältnissen in der ländlichen Praxis
einem eingeklemmten Bruch gegenübergestanden ist, wird die Zusammen¬
stellung der für die Reposition von eingeklemmten Brüchen günstigen
Lagerungen, die Kollege K. Nikolaus aus Mühlheim i. B. in Nr. 17
der M.m.W. gebracht hat, dankbar begrüssen. Die Zusammenstellung
lässt sich noch durch eine die angeführten Lagerungen an Wirksamkeit
übertreffende Methode erweitern, die von älteren Aerzten früher, als
man noch nicht die Möglichkeit hatte, wie heute fast jeden eingeklemmten
Bruch rechtzeitig der Operation zuzuführen, vielfach mit Erfolg an¬
gewendet wurde. Sie besteht darin, dass man den Patienten in Becken¬
hochlage bringt und zwar geschieht das am einfachsten in der Weise,
dass man Ihn bei gebeugten Knie- und Hüftgelenken mit dem Rücken
auf einen Tisch legen lässt und eine kräftige Person mit dem Rücken
gegen den Patienten gewendet dessen Beine über die Schultern nimmt.
Dann wird der Patient vorsichtig vom Tisch gezogen, so dass er mit
seinen gebeugten Knien in Beckenhochlage auf dem Rücken der Hilfs¬
person hängt. Wird nun der Patient aufgefordert, die Bauchdecken
gänzlich zu entspannen, so sinken die Därme gegen das Zwerchfell
hinauf zurück und oft schon nach wenigen Minuten gleitet der Bruch
ohne weiteres Zutun durch die Bruchpforte zurück. Ist die Einklemmng
eine sehr feste, so kann man den Patienten abwechselnd die Bauch¬
muskeln spannen und entspannen lassen oder die Hilfsperson einige vor¬
sichtige wippende Bewegungen mit dem Oberkörper ausführen lassen,
wodurch eine ruckweise Reposition gelingen kann. Nicht anwendbar ist
das Verfahren selbstverständlich dann, wenn schon die Gefahr einer
Gangrän vorhanden ist. Aussicht auf Erfolg aber hat sie auch dann
nicht, wenn grösserer Meteorismus besteht.
So sehr sich der Praktiker über jede Möglichkeit, die Inkarzeration
ohne Operation zu beseitigen, freuen mag, so darf er sich dadurch doch
nicht veranlasst fühlen, darauf zu sündigen und hn Vertrauen auf einige
geglückte Repositionen die so ungefährliche und segensreiche Radikal¬
operation der Hernie für überflüssig zu halten, denn das „Normalver¬
fahren für die Behandlung einer eingeklemmten Hernie ist und bleibt
die Operation.“
Aus der inneren Abteilung des Städt. Krankenhauses Chemnitz.
(Chefarzt: Hofrat Prof. Dr. Clemens.)
Ist die Behandlung der Tuberkulose nach Friedmann
eine spezifische?
(Bemerkung zu der gleichen Arbeit von Prof. Rietschel
in Nr. 15, 1921 dieser Wochenschrift.)
Von Dr. L. Zschau, früherem Assistenten der Abteilung.
Auf die Bemerkung von Prof. Rietschel hin: aber es ist doch
auffallend, dass niemals anaphylaktische Erscheinungen bei den vielen
Hunderttausenden von Milchinjektionen, die gemacht sind, beobachtet
wurden, möchte ich berichten, dass ich vor einem Jahr einen anaphylak¬
tischen Schock nach einer dritten intramuskulären Milchiniektion erlebte.
Es handelte sich uni ein 25 jähriges Mädchen, das wegen akuten Gelenk¬
rheumatismus ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Sie hatte Fieber zwischen
38,0® und 39,0®. Sie wurde zuerst mit salizylsaurem Natrium, dann mit
Aspirin, das sie aber nicht vertrug, sodann mit Melubrin behandelt. Da der
Zustand sich nicht besserte und das Fieber nicht herunterging, bekam sie
neben dem Melubrin eine intramuskuläre Milchinjektion von 5 ccm. Sic
reagierte darauf mit starkem Temperaturanstieg; am nächsten T^ge fiel das
Fieber etwas ab. Nach 2 tägigem Intervall erhielt sie eine 2. intramuskuläre
Milchinjektion von 5 ccm, Sic reagierte darauf ebenso wie nach der 1. In¬
jektion. Das Befinden besserte sich sehr; da das Fieber noch nicht ganz
abgeklunj;en war, bekam sie nach abermals 2 Tagen eine 3. intramuskuläre
Milchinjektion von 5 ccm. Wenige Sekunden nach dieser Injektion trat der
anaphylaktische Schock auf: die Patientin wurde feuerrot im Gesicht, richtete
sich hastig im Bett auf. rang nach Luft, brachte keinen Ton heraus. Einige
Sekunden später bekam sie wieder Luft; nachdem sie ein äusserst bedroh¬
liches Krankheitsbild dargeboten hatte. Die Röte des Gesichtes verlor sich
ziemlich bald. Die Patientin entfieberte nach dieser Injektion sehr rasch und
genas bald ohne Reste. Das psychische Verhalten war vor und nach der In¬
jektion völlig normal.
Beitrag zur Technik der Punktionen.
Von Dr. Michael-Mainz.
Auf ein einfaches, zweckmässiges Punktionsinstrument sei hier kurz ver¬
wiesen •). Es stellt eine Kombination von Spritze und Trokar dar. Das
Instrument besteht aus 2 Teilen: 1. der hohlen Punktiernadel, deren Ansatz
auf die Rekordspritze passt, und 2. der die Hohlnadel von aussen eng um-
schliessenden Entleerungskanttle, deren Ansatz auf das bekannte Ansauge¬
system nach P 0 t a i n passt. Diese Kanüle trägt einen Abschlusshahn, der
•) Das Instrument (Punktionsinstrument,.Punktator“ nach
Dr. M i c h a c 1 - Mainz) ist zu beziehen durch die Firma P. A. S t o s s Nachf.,
Wiesbaden.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
645
bei Quersteltuns: die Kanftlc offen lässt und bei Längsstellung schliesst. Dem
Instrument ist noch ein Reduktionskonus beigegeben, für den Fall, dass ein
Potain nicht vorhanden ist. Der Reduktionskonus paSst wieder auf die
Rekordspritze, so dass auch mit dieser entleert werden kann. Zur Ent¬
leerung kann auch Jede andere Spritze verwendet werden, mir muss der
Ansatzkonus auf das Instrument oder den Reduktionskonus passen.
Das Arbeiten mit dem Instrument geschieht nun folgendermassen: Das
zusammengesetzte Instrument, dessen Teile 1 und 2 konisch ineinandergefiigt
sind, wird auf eine gewöhnliche Rekordspritze aufgesetzt, sodann erfolgt
die Einführung in den Pleuraraum.
a) Die Punktion ist positiv:
Die Spritze mit der Hohlnadel wird aus der Hülse herausgezogen und
sobald es möglich ist, der Hahn verschlossen. Die Entleerungskanüle ver¬
bleibt im Pleuraraum. Ansaugen mittels des Potains oder einer Spritze.
Hahn vorher öffnen.
b) Die Punktion ist negativ:
Die Spritze nebst aufgesetztem Instrument wird herausgezogen.
Das Verfahren ermöglicht die Feststellung und Entfernung von wässerigen
Flüssigkeiten in Körperhöhlungen in einer Handlung. Der diagnostischen
Probepunktion folgt sofort die therapeutische Punktion in einem Arbeitsvor¬
gang. Vereinigung des bisher geübten Verfahrens der Probepunktion mittels
der Spritze und der Punktion mittels des Trokars in einer Sitzung.
FOr die Praxis.
Die Behandlung des Gehirnschlags.
Von R. Qeigel.
Mechanische Dinge liegen den Klinikern im allgemeinen nicht und
für allgemeine Gehirnpathologie haben diese, wenn man aus ihren Ver¬
öffentlichungen, besonders aus ihren Lehrbüchern, einen Schluss ziehen
darf, überhaupt kein Verständnis. Seit mehreren Jahrzehnten habe ich
immer wieder Nachdruck darauf gelegt, dass „Qehirnanämie“ und
„Gehirnhyperämie“ nur anatomische Begriffe sind und dass es physio¬
logisch und klinisch gar nicht darauf ankommt, wie viel oder wie wenig
Blut im Gehirn ist, sondern nur auf den Blutwechsel, auf die Menge von
Blut die in der Zeiteinheit durch die Gehirnkapillaren strömt. Ich habe
deshalb statt der „Gehirnanämie und -hyperämie“ die Bezeichnungen
„Adiaemorrtiysis“ und „Hyperdiaemorrhysis cerebri“ eingeführt und habe
mit dem gleichen Ergebnis — umsonst — immer und immer wieder be¬
tont*), dass im Gehirn für den Kreislauf ganz besondere Verhältnisse
vorliegen, die einen Vergleich mit anderen Gefässabschnitten nicht ohne
weiteres zulassen. Wenn sich die Arterien eines Muskels erweitern,
hier eine arterielle Hyperämie platzgreift, dann wird auch notwendig die
Durchblutung des Muskels besser, denn das Volumen des Muskels kann
sich dabei vergrössern. Das trifft aber beim Gehirn nicht ohne weiteres
zu. Nach Verwachsung der Nähte und Verschluss der Fontanellen ist
das Gehirn in eine knöcherne, unnachgiebige Kapsel eingeschlossen und
kein Qefässabschnitt kann sich erweitern oder verengern, ohne dass
gleichzeitig an anderen Abschnitten das entgegengesetzte elntritt. Bei¬
spielsweise können die Arterien sich nicht erweitern, ohne dass die Venen
und Kapillaren entsprechend enger werden, sie können sich nicht zu-
sammenziehen, ohne dass ^Capillaren und Venen weiter werden. Das
gilt streng nur für Kaliberschwankungen, die rasch eintreten, so rasch,
dass der Liquor cerebralis keine Zeit findet in entsprechendem Masse
zu- oder abzufliessen. Ich habe diese Verhältnisse in einer Reihe von
Arbeiten untersucht, gehe hier aber nur insoweit darauf ein. als es für
das Verständnis des Gehirnschlags und für unser Handeln am Kranken¬
bett unumgänglich notwendig ist. Dazu brauchen wir noch den Begriff
des G^irndrucks. In der Schädelkapsel herrscht für gewöhnlich ein
positiver Druck, entsprechend einer Wassersäule von etwa 2—10 cm
Höhe. Das wechselt schon bei Gesunden, immer aber ist der Druck in
der Schädelkapsel überall gleichhoch.
Würde eine Arterie frei in die Schädelhöhle münden, so würde hier
der gleiche Druck wie in der Arterie herrschen, der intrazerehralc Druck
wäre gleich dem arteriellen. So aber setzt sich der Fortleitung des
arteriellen Drucks die Gefässspannung entgegen und überall ist der intra¬
zerebrale Druck gleich der Differenz: Arterieller Druck minus Gefäss¬
spannung. Weil der intrazerebrale Druck überall gleichhoch ist, der
Druck in den Gefässen aber nicht, so muss an den Stellen niederen
Gefässdrucks auch immer eine entsprechend niedrigere Gefässspannung
bestehen. Von diesen Beziehungen gibt es gar keine Ausnahme, die
sich Irgend längere Zeit halten könnte. Sobald der Druck, der von
aussen auf einem Gefäss lastet, oder seine Spannung durch die In der
Gefässwand liegenden Kräfte steigt, den Innendruck übertrifft, muss sich
das Gefäss verengern, womit die Gefässspannung sinkt, solange bis wieder
Gleichgewicht zwischen Innen und Aussen eintritt. Umgekehrt ist es
wenn der Blutdruck steigt, das Gefäss wird an dieser Stelle weiter, zu¬
gleich nimmt seine Spannung zu. Verengern sich die Arterien durcii
Erregung ihrer Vasokonstriktoren, so sinkt der intrazcrebrale Druck,
dieser steigt, wenn der Tonus der Gefässe nachlässt.
Jetzt können wir, glaube Ich, zu unserem eigentlichen Thema
kommen, zum* Gehimschlag.
Zwei Formen müssen wir ^unterscheiden: den blutigen Hirnschlag,
die eigentliche Apoplexia cerebri. und die Verlegung der arteriellen Blut¬
bahn durch Embolie oder Thrombose. In beiden Fällen handelt es sich
um eine Zirkulationsstörung im ganzen Gehirn, nicht nur an der
blutenden oder verstopften Stelle. Darauf weist schon die Gmppe der
*) Zuletzt im Arch. f. d. ges. Physiol. 109.
Digitized by Goiisle
Allgemeinerscheinungen hin, die den eigentlichen Schlaganfall zusammen¬
setzen, in erster Linie der Verlust des Bewusstseins. In beiden Fällen
liegt rasch einsetzende Adiaemorrhysis cerebri vor. ln leicht verständ¬
licher Weise beim blutigen Hirnschlag. Hier setzt sich der Blutdruck
an der blutenden Stelle unmittelbar auf die Schädelhöhle fort, der intra¬
zerebrale Druck steigt bis zur Höhe des Blutdrucks an der blutenden
Stelle. Kompression an allen Stellen mit niedrigerem Druck, an Kapillaren
und Venen, allgemeine Adiaemorrhysis cerebri, wenn auch nur für sehr
kurze Zeit, tritt ein und verursacht den apoplektiscben Insult.
Liegt der Kranke bewusstlos da, mit rotem Kopf, klopfenden Karo¬
tiden, kräftigem, gut oder übermässig gespanntem Puls, dann ist die
Sache einfach, es handelt sich um einen blutigen Hirnschlag und die
Hauptsache ist, dass die Blutung möglichst rasch zum Stehen kommt,
oder wenn sie schon steht, was man zunächst nicht entscheiden kann,
dass sie nicht von neuem in Gang kommt. Die Blutung wird unterhalten
durch die Druckdifferenz im Gefäss gegenüber dem intrazerebralcn
Druck, alles was diese Differenz vergrössert, ist schädlich. Deswegen
darf jetzt keine Eisblase auf den Kopf gelegt werden. Wenn sie wirkt,
kann sie nur den intrazerebralen Druck herabsetzen, indem sie den Tonus
der Arterien erhöht, womit die Differenz arterieller Druck minus Gefäss¬
spannung verkleinert w’ird. Man legt nur den Kranken vorsichtig ins
Bett, womöglich gleich auf ein Luftkissen, mit erhöhtem Oberkörper und
lockert alle Kleidungsstücke, besonders am Hals. Irgendwelche Nahrung
braucht der Kranke, wenn er bald erwachen sollte. In den nächsten
12 Stunden jedenfalls nichk zu erhalten, dann kann man die Lippen an¬
feuchten und versuchen, ob der Kranke Wasser schluckt, etwas anderes
bekommt er auch jetzt nicht wegen der Gefahr des Fehlschluckens.
Jetzt auch geht man daran, den Kranken der notwendigsten Unter¬
suchung zu unterwerfen. Kurz und schnell werden die Unterlappen unter¬
sucht, einen Augenblick muss der Kranke hierzu aufgerichtet werden, up:
eine Hypostase im allerersten Beginn schon zu erkennen. Eine Lungen¬
entzündung darf er nicht bekommen, sonst ist er fast sicher verloren.
Schon vor jeder Veränderung des Atemgeräusches kündet eine wenn
auch nur geringe Abschwächung des Lungenschalls die drohende Gefahr
an und der Kranke muss dann für die nächsten 6 Stunden auf die andere
Seite gelegt werden. Durch starkes Anrufen. Kneifen der Haut wird der
Grad der Bewusstseinsstörung festgestellt, die Reflexe werden kurz ge¬
prüft, der Kremasterreflex und der ihm beim Weib entsprechende
Obliquusreflex ist der wichtigste, die Ausbreitung d*er Lähmung wird
gariz flüchtig im allgemeinen festgestellt; das ist wichtig, weil die hypo-
statische Pneumonie meistens auf der Seite der Lähmung kommt, alles
weitere aber erspart man sich auf späfer. Nur muss noch nachgesehen
werden, ob der Kranke Urin gelassen hat, ob die Blase gefüllt ist. Oft
findet man sie mit ihrem Grund die Symphyse bedeutend überragen.
Dann muss sie mit dem Katheter entleert werden. Nicht selten hört
dann das Stöhnen, auch ganz bewusstloser Kranker, auf. War es am
ersten Tag nicht möglich die Augen zu untersuchen, dann muss das jetzt
ganz sicher geschehen. Starre, entweder weite oder enge, aber auf Licht¬
einfall reaktionslose Pupillen. Stauung am Augenhintergrund sind Zeichen
gesteigerten Drucks In der Schädelhöhlc und massgebend für das, was
jetzt geschehen muss.
Schon am ersten Tag können Hirndruckerscheinungen dazu zyvingen,
von dem geschilderten einfachen Schema abzuweichen. Verlangsamter
Puls (Vaguspiils, 60 oder weniger Schläge in der Minute), eingezogencr
Leib, auch schon schnaubende Respiration zeigen an. dass das Gehirn
unter dem erhöhten Drück ersticken will und zwingen uns, den Druck In
der Schädelhöhle herabzusetzen, koste es, was es wolle. Das beste
Mittel ist ein Aderlass, aber ein kräftiger, einer unter 200, besser 300 ccm
ist wirkungslos. Statt dessen kann man auch alle 4 Extremitäten bis zu
starker venöser Stase äbbinden und erst nach 2 Stunden die Binden
lösen. „Unblutigen .Aderlass“ hat man das in der jüngsten Zeit als etwas
neues genannt. Ich habe es vor fast 30 Jahren schon für solche Fälle
empfohlen. Zum Aderlass schreitet man auch, wenn der Kranke nach
24 Stunden nicht, nicht einmal für einen ganz kurzen Augenblick, aus
seiner vollständigen Bewusstlosigkeit erwacht ist. denn wenn er das
auch in den nächsten 24 Stunden nicht tut. dann wird er es — wenn
wirklich Blutung und nicht Embolie oder Thrombose vorliegt — über¬
haupt nicht mehr tun. Bei Hirndruckerscheinungen muss auch der Darm
gleich entleert werden, am besten durch Einspritzen von Glyzerin oder
durch Glyzerinzäj)fchen, andernfalls kann man bis zum nächsten Tag
damit warten. Möglichst bald soll der Kranke auf ein Spreu-, Luft- oder
Wasserkissen gelagert werden, wenn er nicht schon darauf liegt. Ein
Wasserkissen ist jetzt das beste, in den ersten 12 Stunden ist ein Luft¬
oder Spreukissen vorzuziehen, weil der Kranke ruhiger darauf liegt.
Herzreize, Aether, Kampfer subkutan, sind zu vermelden, bis wirklich
der Tod unmittelbar droht, wenn Cheyne-Stokes-Atnien, unregelmässiger,
aussetzender Puls das nahe Ende ankündigen. Dann verwendet man sie.
nicht in der Hoffnung, noch etwas zu nützen, mehr um der Angehörigen
willen, die nichts versäumt wissen wollen, was das Leben verlängern
könnte. Stellt sich 2, 3 Tage nach dem Schlaganfall eine Lungen¬
entzündung ein. dann können die Herzreiz-e. auch innerlich gegeben
wenn der Kranke schluckt, mehr nützen als schaden.
In den ersten 24 Stunden braucht der Kranke keine Nahrung, daiui
aber wartet rnan nicht darauf, bis er ordentlich schlucken kann, sondern
schreitet sofort zur Sondenfütterung. Um eine Schluckpneumonie zu
vermeiden, darf die Sonde nur durch die Nase eingeführt werden. Das
kann auch jm Liegen mit mässig erhöhtem Oberkörper geschehen.
Ueberall da, wo wie so oft die Kranken lang schwerbesinnlich bleiben,
wenig Verlangen nach Speise zeigen, beim Essen bald ermüden, schlafen
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
646
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCliENSCliRIFT.
Nr. 21.
wollen, muss diese künstliche Ernährung mehrmals im Tag. lange Zeit,
vielleicht monatelang fortgesetzt werden. Namentlich im höheren
Greisenalter ist das von der grössten Wichtigkeit. Man flösst Milch,
bald mit zerklepperten Eiern, bald mit zwei gehäuften Kaffeelöffeln
Sanatogen, 4—5 mal im Tag ein. Dabei hat man auch die Möglichkeit,
nach Wunsch Medikamente, Abführmittel, Diuretika usw. mit elo-
zuführen. Dabei ist das Wichtigste die Rico.rdscne Mixtur, sobald
auch nur ein Verdacht auf Syphilis nicht ausgeschlossen ist. Handelt es
sich um einen noch jugendlichen Kranken ohne Schrumpfniere und ohne
Herzfehler, dann spricht ein Schlaganfall mit grosser Wahrscheinlichkeit
für Syphilis, und Quecksilber und Jod wirken oft Wunder. Jeden Tag
muss der Kranke wenigstens einmal aufgerichtet und untersucht werden,
ob keine Hypostase und kein Dekubitus kommt. Die. Kreuzbeingegend
muss täglich mit Franzbranntwein abgewaschen werden. Eine Urin¬
flasche muss eingelegt sein. Umbetten des Kranken, das am 3. Tag
geschehen kann, erfordert ausreichende Hilfe durch geübtes, wenigstens
geschicktes Personal. Es ist wichtig, dass der Kranke bald, wenigstens
für ganz kurze Zeit, in aufrechte Lage kommt, am 5. Tag kann man ver¬
suchen, ihn mit gehöriger Unterstützung in einen Stuhl zu setzen, bis
das Bett frisch gemacht ist.
Jetzt kommt die Zeit der'genaueren topischen Diagnose und zugleich
die Behandlung des angeriohteten Schadens. Lähmungen bessern sich
mit der Zeit meistens von selbst, am Beine mehr als am Arm und wir
können dem Kranken wesentlich nützen, wenn wir die Kontraktur ver¬
hüten, die sonst nur in den allerleichtestep Fällen ausbleibt. Das Knie
wird leicht flektiert, der Fuss gerät in Equino-vaHis-Stellung, der Ober¬
arm wird adduziert, der Unterarm im Ellbogen gebeugt, Hand und Finger
werden gebeugt gehalten, der Daumen wird eingeschlagen. Das ist
das gewöhnliche Bild der sekundären Kontraktur bei der so häufigen
halbseitigen Lähmung, zu deren Verhütung es nur e i n. aber ein wirk¬
sames Mittel gibt, für das Munk mit seinen Versuchen an Affen den
Weg gezeigt hat, der auch beim Menschen hilft. Alle Muskeln, die vor¬
aussichtlich später in Kontraktur geraten werden, müssen von Anfang
an passiv gedehnt werden. Spätestens 14 Tage nach dem Schlaganfall,
womöglich schon nach 8 Tagen, muss damit begonnen werden, täglich
für 5—10 Minuten auf der gelähmten Seite den Oberarm möglichst weit
zu abduzieren, den Unterarm, die Hand und Finger zu strecken, letztere
zu spreizen, den Daumen zu abduzieren, den Unterschenkel zu strecken,
Dorsalflexion von Fuss und Zehen mit Heben des äusseren Fussrandes
auszuführen. Das muss täglich zweimal 5—10 Minuten lang immer
wieder ausgeführt werden und zwar mit der grössten Ausdauer, monate¬
lang. Jede Unterlassung rächt sich, keine Steifigkeit, die man beim
Dehnen merkt, geht wieder zurück, nur eine Verschlechterung kann man
verhüten, wenn man mit dem Dehnen wieder anfängt. Von einer ge¬
wissen Zeit an kann der Kranke selbst mit seiner gesunden Hand die
Ueberstreckung der gelähmten übernehmen und dann ist es gut, wenn
man ihm derartige Dehnung der steif werden wollenden Muskeln
dringend ans Herz legt.
Die Verhütung der sekundären Kontraktur ist der einzige deutliche
Erfolg, den wir erzielen können. Massage und faradischer Strom an den
gelähmten Teilen sind gegen die Lähmung unwirksam, verhüten vielleicht
in einigem Masse die Inaktivitätsatrophie und beleben die Hoffnung des
Kranken, der sieht, „dass die gelähmten Glieder“ doch „noch nicht ganz
tot sind“. Von einer Galvanisation des Gehirns ist nichts zu erwarten.
Will man ste versuchen, so kann man 2—3 Wochen nach dem Anfall
damit beginnen. Man prüft den Strom, indem man die beiden Elek¬
troden — 100 qcm grosse Platten — wohl durchfeuchtet sich an die
Schläfen legt und den Strom vorsichtig so weit verstärkt, bis Strom¬
schluss im Auge einen schwachen Lichtblitz erzeugt. Bis zu dieser
Stromstärke wird der Strom auch am Kranken „eingeschlichen“ und
nach I—2 Minuten wieder ebenso „ausgeschlichen“. Die Anode kommt
auf die Seite des Herdes, die Kathode gerade gegenüber auf die Schläfe.
Bei Aphasie ist mit Sprechübungen schon nach einer Woche zu be¬
ginnen, immer nur kurz, Ermüdung muss vermieden werden. Leider be^
steht wenig Aussicht, damit etwas mehr zu erreichen, als dass der Kranke
vielleicht einige Worte hervorbringen kann, immer dieselben und wenn
nicht die Aphasie von selbst zurückgeht, was sich sehr bald zeigen
muss, so können wir selbst leider sonst nichts daran ändern.
Es gibt Fälle ohne oder mit protrahiertem Insult, Fä^le. in denen siph
das Blut zwar sehr langsam^ ergiesst, so langsam, dass der Liquor
cerebralis Zeit findet auszuweichen, so dass keine plötzliche Adiaemor-
rhysis cerebri, also auch kein Insult entsteht. Dann steigt der Druck in
der Schädelhöhle nicht oder nur sehr langsam, desto schwerer steht die
Blutung, die schliesslich dann durch weitere Ausbreitung eine Bahn nach
der andern ergreift und unterbricht und so endlich doch tödlich wird.
Die üble Prognose solcher Fälle ist bekannt. Da kann, wenn überhaupt
etwas, nur ein ausgiebiger Aderlass noch nützen. Das gleiche gilt für
die Massenhämorrhagien, die sich beim Durchbruch der Blutung an die
Oberfläche oder in einen Ventrikel hinein bilden. Blutroter Kopf, starre
Pupillen, schnaubende Atmung bei völliger, tiefster Bewusstlosigkeit
deuten dieses schlimmste Ereignis an.
Umgekehrt, wenn der vom Schlag getroffene nicht rot im Gesicht,
sondern blass ist, dann kann es sich immer noch um einen blutigen Hirn¬
schlag handeln, aber auch um Embolie oder um Thrombose einer Qehirn-
arterie. So gut wie bei einer Blutung wird auch bei der Embolie der
Insult durch eine akute allgemeine Adiaemorrhysis cerebri erzeugt, aber
in anderer Weise. Unterhalb der verlegten Stelle kommt der arterielle
Druck in Wegfall, die Spannung verengt das Gefäss, der Zug setzt sich
Digitized by Goiisle
auf alle anderen Qehirngefässe fort, sie erw^eitem sich, einen Augenblick
verwenden sie ihr Blut zu dieser Erweiterung, statt es gegen die
Kapillaren weiter zu treiben. Im Gegensatz zur Blutung ist der intra¬
zerebrale Druck einen Augenblick vermindert
. Manchmal weisen jugendliches Alter und ein Herzfehler auf Embolie
hin, in höherem Alter ist die Unterscheidung in sehr vielen Fällen un¬
möglich. Das ist sehr zu beklagen, denn die Behandlung des Insults
müsste bei der Verstopfung einer Arterie gerade umgekehrt geführt
werden wie bei der Blutung. Man müsste den Kopf tieflegen, das Herz
anspornen, nicht durch Digitalis, die viel zu spät wirkt, auch die Neigung
zu Thrombose erhöht, sondern durch Kampfer, Aether, Koffein. In den
zweifelhaften Fällen, und das sind die meisten, wird man den Oberkörper
mässig erhöhen und die Herzreize sparen bis zur äussersten Gefahr, über¬
haupt lieber verfahren wie bei der Blutung. Man richtet damit auch bei
der Embolie- weniger Schaden an als bei der Blutung, wenn man sich
mit seiner Annahme getäuscht hat. Bei einer Verstopfung einer Gehirn¬
arterie kann sich der Kranke noch nach tagelanger völliger Bewusst¬
losigkeit erholen, bei einer hochbetagten Kranken habe ich das noch hach
88 Stunden gesehen. Da öffnete die Tag und Nacht beaufsichtigte
Kranke zum erstenmal ganz kurz ihre Augen; sie erholte sich später von
ihrem Anfall, freilich nicht von den Folgen des enzephalomalazischeu
Herdes. Um so mehr muss man in solchen Fällen hohen Wert auf die
Sondenernährung legen, weil die Bewusstlosigkeit und später die
Schläfrigkeit und Ermüdung noch lang keinen Verlass auf spontane, hin¬
reichende Ernährung zulassen. Sonst ist die Nachbehandlung die gleiche
.wie bei der Hirnblutung, die Aussichten viel zu nützen aber noch ge¬
ringer, weil dem enzephalomalazischen Herd die Fernwirkungen fehlen,
die dem Blutherd zukommen. Sie allein können wieder zurückgehen, der
Herd selbst und das, was er zerstört hat, ändert sich nicht.
Soziale medlzlii und lerztilche standesanoeieiieniieiten.
Der Weg zur Einführung der Pamilienhilfe*).
Von Dr. med. Alfons Fischer, Karlsruhe.
Auf dem 5. Deutschen Kongress für Säuglingsschutz, welcher in
Karlsruhe im Jahre 1917 stattfand, hatte ich die Ehre, gemeinsam mit
Herrn Prof. R o 11, sozialhygienische Forderungen auf dem Gebiete der
Mutterschaftsversicherung zum Ausdruck zu bringen. Unsere damaligen
Ansprüche erschienen manch einem wohl als weitgehend, ja sogar viel¬
leicht als Utopien. Aber durch ein Reichsgesetz sind die damals vor¬
geschlagenen Einrichtungen bereits verwirklicht worden; man sieht: die
Utopie von gestern ist die Wirklichkeit von heute. Auch jetzt gilt es
wieder, im Interesse der Kinder und der Mütter einen weitem Ausbau
der sozialen Gesetzgebung anzustreben, es gilt, der Familienversicherung
die Wege zu ebnen. Da möchte ich meine Ausführungen mit einem
Gebet, das von unserem grössten deutschen lebenden Dichter stammt,
beginnen: ,d-ege mir nicht eine fertige Schöpfung in den Schoss, o Gott,
sondern mache mich zum Mitschöpfer. Lass mich teilnehmen an Deinem
nie unterbrochenen Schöpfnugswerk: Denn nur dadurch, und durch nichts
anderes vermag ich auch Deines Paradieses teilhaft zu werden.“ Dieses
Gebet passt so recht für alle sozialhygienischen Bestrebungen und ins¬
besondere für den Säuglingsschutz und die Familienhilfe. Denn alle
diese Massnahmen sind uns nicht als fertige Schöpfungen in den Schoss
gefallen; aber wir fühlen lihs glücklich mitschaffen zu dürfen und sind
dankbar, wenn wir an dem nie unterbrochenen Schöpfungswerk teil¬
nehmen können.
Wir müssen aber in wissenschaftlicher Weise darnach forschen und
überlegen, wie wir am besten und schnellsten unser Ziel, in diesem Falle
die Familienversicherung, erreichen.
Die Gründe für d^ie Einführung der Familienversicherung sind schon
vielfach in wissenschaftlichen Schriften erörtert worden: ich nenne nur
die Aufsätze von Klotz, Rosenhaupt und Hoffa ln dem kürzlich
von R 0 11 herausgegebenen Jubiläumswerk. Ganz kurz sei auf die
wichtigsten Gründe hingewiesen. Hier ist besonders zu erwähnen, dass
selbst in einem Kulturstaate wie Baden etwa die Hälfte aller Kinder,
welche gestorben sind, ohne ärztliche Hilfe geblieben war. Bemerkt sei
ferner, dass die bedeutungsvollen Untersuchungen der Schulärzte vielfach
den wünschenswerten Nutzen vermissen lassen, weil die bei den unter¬
suchten Kindern festgestellten Krankheiten ohne ärztliche Behandlung
geblieben sind. Schliesslich sei noch betont, dass die gerade gegen¬
wärtig unter der Jugend so weit verbreitete Tuberkulose viel wirkungs¬
voller bekämpft werden könnte, wenn für die ärztliche Behandlung der
erkrankten Kinder hinreichend gesorgt sein würde. Jetzt aber, wo die
Familienversicherung häufig ganz fehlt oder viel zu wenig ausgebaut ist,
entbehren zahlreiche kranke Kinder der ärztlichen Behandlung, und dies
zu einer Zeit, wo nicht nur kein Aerztemangel, sondern Aerzteüberfluss
herrscht. Wahrlioh, man kann diese Zustände nur mit dem von mir
schon mehrfach' benützten Worte zum Ausdruck bringen: Aerzte ohne
Kranke, Kranke ohne Aerzte.
Ueber die Gründe für die Einführung der Familienhilfe besteht bei
allen in Betracht kommenden Stellen Uebereinstimmung. Es handelt
sich nur darum, den geeignetsten Weg zum Ziele zu finden.
*) Nach einem am 3. XII. 20 auf dem 6. Deutschen Kongress für Säue-
lingsschutz in Berlin gehaltenen Vortrage.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
647
Die Badische Gesellschaft für soziale Hygiene bemüht sich seit
Jahren um die Einführung der Familienversicherung ^). Auf ihre Anregung
hin hat das Badische Arbeitsmmisterium eine Erhebung bei sämtlichen
370 badischen Krankenkassen über die wichtigsten die Familienversiche¬
rung betreffenden Fragen veranstaltet. Der Erhebungsstoff wurde dem
von mir geleiteten Institut zur Bearbeitung übermittelt. Die bedeutungs¬
vollsten Ergebnisse meiner Untersuchung möchte ich hier kurz mitteilen.
Im allgemeinen lässt sich sagen, dass in Baden bei nur rund 20 Proz.
der Krankenkassen die Familienhilfe, in ihren wesentlichen Bestandteilen,
eingeführt ist. Es wurde auch darnach geforscht, wieviele Kinder die
verheirateten Krankenkjissenmitglieder besitzen. Hierbei ergab sich, 4ass
für nur rund 20 Proz. der Mitgliederkinder durch die Familienversiche¬
rung im Falle der Erkrankung gesorgt ist. Zu bemerken ist hierbei noch,
dass diese Durchschnittsziffern, die an sich schon klein sind, von den
allgemeinen Ortskrankenkassen im allgemeinen nicht erreicht, dagegen
von den Betriebskrankenkassen übertroffen werden. Grosse Unter¬
schiede gegenüber diesen Durchschnittsziffern zeigen die für die einzelnen
Oberversicherungsämter Badens zutreffenden Zahlen, so dass sich zeigt,
dass in manchen Bezirken Badens die Familienhilfe verhältnismässig gut
ausgebaut ist, während sie in anderen Bezirken ganz fehlt oder höchst
mangelhaft gestaltet ist.
Auf die Höhe der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen Bezirken
übt das Vorhandensein der Familienversicherung naturgemäss nur einen
geringen Einfluss aus, da die Mortalität in der Hauptsache von der allge¬
meinen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Eltern abhängt. Es lässt
sich jedoch aus dem badischen Untersuchungsstoff ersenen. dass in den¬
jenigen badischen Bezirken, in denen die Familienversicherung ver¬
hältnismässig gut ausgebaut ist, die Inanspruchnahme der ärztlichen
Tätigkeit in schweren Krankheitsfällen weit häufiger erfolgte, als in den
Bezirken, wo die Familienhilfe mangelhaft gestaltet ist.
Bei der Erhebung des Badischen Arbeitsministerlums wurde ferner
darnach gefragt, ob die Kassenmitglieder und Kassenvorstände die Ein¬
führung der Familienhilfe wünschen. Es ergab sich nun, dass sowohl die
Mitglieder als die Kassenvorstände in weit überwiegender Zahl die Ein¬
führung der Familienhilfe für wünschenswert halten; namentlich be-
zeichneten die grossen Krankenkassen, die einen massgebenden Einfluss ■
besitzen, die Familienversichemng als notwendig.
Würden wir die Verstaatlichung des Aerztewesens besitzen, so wäre
die Frage der ärztlichen Behandlung aller Kinder gelöst, aber wir be¬
sitzen diese Einrichtung bis jetzt noch nicht. Ich bekenne, dass ich
theoretisch ein Freund des Verstaatlichungsgedankens bin. Die Durch¬
führung dieses Gedankens stösst jedoch gegenwärtig noch auf so grosse
Schwierigkeiten, dass mit einer solch tiefgreifenden Massnahme für
absehbare Zeit nicht gerechnet werden kann.. Auch ein anderer sehr
beachtenswerter Vorschlag, der die Zusammenfassung der sozialen Ver¬
sicherung mit allen Wohlfahrtseinrichtungen zu Zweckverbänden an¬
strebt, stösst auf schwere Widerstände und ist daher in Bälde nicht zu
verwirklichen Ich möchte zwei Arten von Wegen unterscheiden: den
einen Weg nenne ich „Weg als ob“, den anderen „Weg besser als“.
Der „Weg als ob“ ist ein Weg, als ob sich alle Einrichtungen nach
wissenschaftlichen und logischen Grundsätzen durchführen Hessen. Aber
wir wissen, dass es in der Welt nirgends nach völliger Gerechtigkeit,
Wissenschaftlichkeit und Logik zugeht. Wir müssen daher zufrieden
sein, wenn wir den anderen Weg beschreiten dürfen, den Weg, der uns
zu Zuständen führt, die besser als die gegenwärtigen sind. Ein solcher
Weg wäre, wenn wir die Verstaatlichung des Aerztewesens, die von dem
letzten Aerztetag abgelehnt wurde, und die Zusammenfassung zu sozial¬
hygienischen Zweckverbänden entbehren müssen, die Einführung der
Familienversicherung. In diesem Sinne hat sich nicht nur der deutsch-e
Aerztetag. sondern auch der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheits¬
pflege, nach einem von mir im vorigen Jahre gehaltenem Vortrage, aus¬
gesprochen.
Am meisten schrickt man bei dem Gedanken der Familienversiche¬
rung vor der Kostendeckung zurück. Hier kann ich nun mitteilen, dass
sich bei meiner Untersuchung des erwähnten Erhebungsstoffes zeigte,
dass die gesamten Ausgaben für die Familienhilfe bei denjenigen Kranken-'
kassen, welche diese Einrichtung besitzen, nur 8 Proz. aller Ausgaben
der betreffenden Krankenkassen betrugen. Man sieht also, dass, wenn
die Krankenkassen, durchschnittlich, um 8 Proz. ihre Einnahmen und Aus¬
gaben steigern würden, auf Grund der badischen Erfahrungen , die
Familienhilfe allgemein durchführbar wäre.
Es fragt sich nun, in welcher Weise die Krankenkassen ihre Ein¬
nahmen erhöhen könnten: in Betracht kommen hierbei Beitrags¬
erhöhung, Zusatzbeiträge oder Zuschüsse seitens des Staates bzw. der
Gemeinden. Die massgebenden badischen Krankenkassen halten solche
Zuschüsse für erforderlich. In der Tat sind Zuschüsse vom Reich, den
Staaten und Gemeinden durchaus gerechtfertigt. Ich habe vorgeschlagen,
dass die Kosten für die Familienhilfe in folgender Weise aufgebracht
werden sollen: Ein Drittel der Kosten hätte das Reich zu übernehmen,
dem an einem wehrtüchtigen männlichen und gebärtüchtigen weiblichen
Nachwuchs gelegen sein muss. Das zweite Drittel sollten Staat und
Gemeinden decken, insbesondere weil durch die Familienversicherung
ihnen ein wesentlicher Teil der Ausgaben für Armenpflege erspart bleibt.
Das dritte Drittel soll von den Krankenkassen selbst aufgebracht werden,
und zwar so, dass ein Sechstel durch Beitragserhöhung, an welcher auch
die Arbeitgeber in gewissem ^Umfange beteiligt sind und, das zweite
Siehe die fortlaufenden Berichte in den seit 1917 erscheinenden „So-
zialhygienischen Mitteilungen“ (Karlsruhe bei C. F. Müller).
Digitized by Goüsle
Sechstel durch Zusatzbeiträge der verheirateten Versicherten gedeckt
wird. Ueber die Einzelheiten dieser Vorschläge kann ich mich bei der
Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht äussern; ich weise
jedoch auf meine Schrift „Die Familienversicherung in Baden“, erschienen
als Nummer 2 der „Sozialhygienischen Abhandlungen“ bei der C. F.
Müller sehen Hofbuchhandlung in Karlsruhe, hin.
Entsprechend.meinen in der eben genannten Schrift niedergelegten
Untersuchungsergebnissen hat die Badische Gesellschaft für soziale
Hygiene an den badischen Landtag und den Reichstag Bittschriften ge¬
richtet, in welchen die Einführung der obligatorischen Familienversiche¬
rung mit Zuschüssen von Reich, Staat und Gemeinden gefordert wird.
Es wurde in diesen Bittschriften ferner betont, dass wenn die Einführung
der Familienversicherung für ganz Deutschland in absehbarer Zeit nicht
zu erreichen ist, die einzelnen Gliedstaaten die bisher fehlende Befugnis,
in ihrem Bereich eine entsprechende Massnahme zu treffep, erhalten
sollen. Nach meinen Berechnungen würde die Gesamtausgabe für die
Familienversicherung bei allen badischen Krankenkassen, auf Grund der
Erfahrungen bei denjenigen Krankenkassen, welche im Jahre 1918
Familienhilfe gewährt haben, sich auf rund 4 Millionen Mark belaufen.
Dem gesunkenen Geldwert entsprechend müsste jetzt dieser Betrag auf
etwa 10 Millionen Mark erhöht werden. Da Baden zurzeit etwa ein
Dreissigstel der gesamten deutschen Einwohnerscliaft besitzt, so würde
sich die Gesamtausgabe für die Familienversicherung in ganz Deutsch¬
land auf 300 Millionen Mark belaufen. Bei der Annahme, dass ein Drittel
der Kosten für die Familienversicherung, vom Reich getragen werden
soll, würde also das Reich zum Zwecke der Familienhilfe jährlich mit
etwa 100 Millionen Mark belastet werden. Dieser Betrag ist freilich
hoch, aber er ist im Hinblick auf die sonstigen Ausgaben des Deutschen
Reiches und auf die Wichtigkeit des Zweckes nicht als unerschwinglich
hoch zu bezeichnen. Man muss daran denken, dass in jeder geordneten
Familie, in der sich ein krankes Familienglied befindet, auch bei den
dürftigsten Verhältnissen jedes geldliche Opfer gebracht wird, das zur
Wiederherstellung des Erkrankten dienlich ist; und was für jede ein¬
zelne Familie gilt, muss auch für das ganze Volk und das Reich zu¬
treffen. Auf Grund solcher Erwägungen wurde die Bittschrift, welche
die Badische Gesellschaft für soziale Hygiene an den Badischen Landtag
gerichtet hat, auf das günstigste aufgenommen. Der entsprechenden
Eingabe an den Reichstag wurde im Reichstagsausschuss für soziale.
Angelegenheiten ebenfalls zugestimmt; der Ausschuss hat beantragt, der
Reichstag wolle beschliessen. dass die erwähnte Bittschrift der Re¬
gierung zur Berücksichtigung überwiesen wird, was die günstigste Ver¬
abschiedung einer Eingabe darstellt. Es ist zu erwarten, dass der
Reichstag*) den Antrag seines Ausschusses annehmen wird. Das letzte
Wort hat dann die Reichsregierung zu sprechen. Es wäre sehr erfreulich,
wenn auf diesem Kongress die Reichsregierung ersucht wird, im Sinne
meiner Darlegungen und des Beschlusses des genannten Reichsaus¬
schusses dem Reichstag ein besonderes Gesetz betreffend die Einführung
der Familienversicherung vorzulegen.
Bei.der Kürze der mir zu Gebote stehenden Zeit muss ich jetzt
schliessen; ich will daher nur noch an das Wort eines SozialdhUosophen
hinweisen: „Ein Mensch ist nur insofern ein Mensch, als er Leben und
Natur glücklicher für uns macht.“ Dementsprechend sage ich: Eine
Reichsregierung ist nur insofern eine Reichsregierung, als sie Menschen
gesünder und leistungsfähiger macht. Ich hoffe, man wird sich davon
überzeugt haben, dass in der Familienversicherung ein bedeutungsvolles
Mittel liegt, um die Menschen gesünder und leistungsfähiger zu
machen.
BQcheranzeigen und Referate.
A. Strümpell: Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie
der inneren Krankheiten. 22. Auflage, unter Mitwirknng von C. Sey-
farth. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1920, 2 Bände; Preis 125 M.,
geb. 150 M.
Unerwartet rasch fölgt der 21. Auflage des Jahres 1919 nun schon
die 22., ein erfreulicher Beweis für die trotz des schmerzlich hohen
Preises anhaltende Nachfrage nach dem ausgezeichneten Werk. Zum
erstenmal zog der Autor einen pathologischen Anatpmen und Bakterio¬
logen, C. Seyfarth-Leipzig, hinzu, dessen Mitarbeit die auf Grund
eigener Kriegserfahrungen vorzüglich gelungene Neubearbeitung der
Malaria, des Fleckfiebers und der wichtigsten Tropenkrankheiten und
die Durchsicht und Verbesserung der anatomischen und bakteriologischen
Abschnitte zu danken ist. Einige wichtige neue Kapitel bringt der neue
„Strümpell“: so diejenigen über Präskierose, über die Oedemkrankheit,
über hämolytischen Ikterus, über pluriglanduläre Insuffizienz und auf Grund
besonders grosser eigener Erfahrungen über Qrippeenzephalitis und
Hämatoporphyrie. Damit ist die Zahl der neuen Kapitel noch nicht er¬
schöpft. Die meisten Kapitel, die im Vordergrund der Diskussion stehen,
z. B. die Nephropathien, die Ölutkrankheiten, die Psychoneurosen und
das wichtige Kapitel der amyostatischen Symptombilder, die ja Strüm¬
pells Arbeit in den letzten Jahren die wichtigsten Fortschritte ver¬
danken, zeigen auch diesmal Zusätze und Umgestaltungen, so dass sie tat¬
sächlich in knapper Lehrbuchsform den Standpunkt unserer Kenntnisse
wiedergeben. Noch mehr und allgemeiner kommt demnach in dieser Auf¬
lage die neuere Literatur zum Wort. Die Besorgnis des verehrten
*) Der Antrag wurde inzwischen, Januar 1921, vom Reichstag an¬
genommen.
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
648
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Praeceptor medicinae, ob er nicht mit seinem Werk alt und gleichzeitig
ve»'altet geworden sei, wird auf Grund dieses neuen Beweises seiner
fabelhaften Arbeitskraft kein Leser teilen. Mögen der 22. Auflage noch
viele weitere folgen, ebenso reich an Vorzügen wie ihre Vorgänger,
aber — billiger! H. C u r s c h m a n n - Rostock.
Leonhard K o e p p e: Die Mikroskopie des lebenden Auges. 1. Band:
Die Mikroskopie des lebenden vorderen Augenabschnittes im natürüchen
Lichte. Springer, Berlin 1920, Preis 76 M.
Das Buch ist Allvar Gullstrand gewidmet, auf dessen Idee
einer möglichst hellen, kleinen, aberrationsfreien Abbildung einer Licht¬
quelle im Gewebe des Auges sich die ganze Spaltlampenforschung aui-
baUt. ln einem kurzen geschichtlichen Ueberblick sind die voraus¬
gegangenen Bestrebungen eirrer verfeinerten Untersuchungsmethode
des lebenden vorderen Auges geschildert, die sich an die Namen
v. H e s s, A u b e r t, W e s t i e n, C z a p s k i. S c h a n z - H. W 0 1 f f u. a.
knüpfen. Ein ganz besonderes Verdienst haben sich die Zeisswerke und
ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter Henker und v. R,ohr erwwben,
deren rastlosem Bemühen die Ausführung der Apparatur in solch ausser¬
ordentlicher Vollkommenheit und Feinheit, trotz der schwierigen Zcit-
verhältnisse, zu verdanken ist.
.4uf dem Gebiete der Spaltlampenforschung ist Koeppe selbst
bei weitem an erster Stelle zu nennen. Durch Konstruktion mehrerer
Hilfsapparatc hat er zur Vervollkommnung der Apparatur Bedeutendes
beigetragen. Als solche sind zu nennen der Silberspiegel, die Vor-
schaltekammer und das Kontaktglas für die Untersuchung des Kammer¬
winkels, der Blendentubus und anderes.
Im ersten Teile seines Buches sind die Apparatur selbst, ihre theore¬
tisch-optischen Grundlagen, die besonderen optischen Bedingungen bei
Untersuchung der Augengewebe und die genaue Anwendungsweise des
Instrumentariums geschildert. Erwähnt seien hier nur die verschiedenen
Beleuchtungsmöglichkeiten im direkten und indirekten Licht im oszilla-
torischen Feld, im Dunkelfeld resp. negativen Hellfeld und im Reflex.
Der zweite umfangreiche Teil enthält die normale und pathologisciie
Histologie des vorderen lebenden Auges, der Bindehaut. Kornea. Iris,
vorderen Kammer und des Kammerw inkels und zwar in Form einer Zu¬
sammenfassung seiner bisherigen zahlreichen Veröffentlichungen, die eine
Frucht eines ca. 6 jährigen mühevollen Studiums darstellen und in denen
sich K. als ein glänzender Beobachter zeigt, dem es gelungen ist in
dieser Zeit die Grundlagen dieses neuen Gebietes zu schaffen. Dem¬
entsprechend bedeutet dieses Buch in wissenschaftlicher und vor allem
auch in praktischer Beziehung eine Einführung in die Spaltlampen¬
forschung, die es auch dem praktischen Augenärzte ermöglicht sich in
diese für die feinere Diagnosenstellung schon jetzt absolut unentbehrlich
gewordene Untersuchungsmethode einzuarbeiten. Allen diesen sei das
vom Verlag Springer tadellos mit zahlreichen farbigen Abbildungen
ausgestattete Werk ausdrücklich empfohlen.
Meesmann - Berlin-Charitee-Augenklinik.
Otto Henker: Einführung in die Brillenlehre. Mit 339 Textabbil¬
dungen und einer Lichtdrucktafel. Verlag der Optikerschule in Jena. 1921.
325 Seiten. Preis geh. M. 70.—.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat die Brillenlehre, ja die Optik
überhaupt ausserordentliche Umwandlungen erfahren, die sich beson¬
ders an die Namen Ostw'ald, Gullstrand, v. Rohr und an die
Firma Z e i s s knüpfen, deren Mitarbeiter der Verfasser ist.
Das Buch ist aus Brillenkiirsen entstanden, die Verfasser in Jena
abhielt: es verfolgt den Zweck, in möglichst einfacher Form, unter tun¬
licher Vermeidung einer allzu grossen Zahl von mathematischen For¬
meln in das Thema einzuführen, während der tiefer Schürfende auf das
Werk V. Rohrs: „Die Brille als optisches Instrument“ (erschienen 1911
als Anhang zu Graefe-Saemisch, Handbuch der gesamten Augenheil¬
kunde) verwiesen wird.
Die Darlegungen bauen dementsprechend ganz von unten auf: aber
auch dem Augenarzt sind viele der in der neueren Optik längst heimi¬
schen Ausdrücke noch recht ungeläufig, so z. B. der sehr wichtige des
Scheitelbrechwertes. Bei der gewöhnlichen Methode der Brillen¬
bestimmung wird auf den Abstand des Glases vom Hornhautscheitel kaum
Rücksicht genommen. Verfasser widmet eine ausführliche Darstellung
der Messung desselben mit dem Wessely sehen Keratometer, der
Messung des Gläserscheitelabstandes vom Probiergestellrand mit einer
be.sonderen Zielvorrichtung, der Messung der Gläserdicke und der Dicke
des Oesteilrandes mit der „Schublehre“. Wem diese Genauigkeit prak¬
tisch unbrauchbar erscheint, möge bedenken, dass z. B, (nach einer
schönen Tabelle Henkers) ein staroperiertes Auge, das +16 D.
Hauptpunktsbrechwert hat, korrigiert wird durch ein Konvexglas von
+ 16,5 D., wenn dies 4 mm von der Hornhaut entfernt ist. aber erst
durch + 19,5, wenn der Abstand 12,5 mm beträgt.
Sind diese Dinge längst bekannt, wenn auch meist nicht berück¬
sichtigt, so führen die Kapitel über „das blickende Auge“, „die punktuell
abbildenden Brillengläser“, „Astigmatismus als Fehlerquelle bei der
Gläserverordnung“, endlich die Fernrohrbrillen verschiedener Formen
und ihre Anpassung den Leser mitten in die oben angedeuteten neuen
Fortschritte der Optik ein, worauf nicht näher eingegangen werden kann.
Die Tafel veranschaulicht die Wirkung der punktuell abbildenden Gläser.
Das .schön ausgestattete Werk dürfte vielen willkommen sein, die
in diesem Gebiet auf moderner Höhe bleiben wollen.
Salzer- München.
Digitized by Goiisle
Paul Kämmerer: Ueber Verjtingutig; und Verlängerung des per-
sönUchen Lebens. Mit 10 Abbildungen im Text. Deutsche Verlags¬
anstalt Stuttgart-Berlin, 1921. Preis M. 7.50.
Kämmerer unternimmt hierin als „Laboratoriumsgenosse“ und
„Mitarbeiter“ Steinachs in einer auf Laten sicher erfolgreich wir¬
kenden Aufmachung die Verteidigung der bekanntlich von verschieden¬
sten Seiten stark angegriffenen Steinach sehen Hypothesen. Das
wäre sicher von grossem Interesse, wenn K. etwas Neues zur Sache
brächte. Ebenso vvte jedoch die beigegebenen Abbildungen lediglich
Wiedergaben bereits veröffentlichter Bilder sind, bringt auch der Text
ausser Berücksichtigung der vorliegenden, von Steinach seinerzeit
übeVgangenen Literatur, nur bereits Bekanntes. Den von gegnerischer
Seite vorgebrachten Einw'änden wird von K. in oberflächlichster Weise
entgegengetreten. Der dabei gebrauchte Vorwurf der Unwahrhaftigkeit
macht sich besonders im Munde K.s sehr gut. (Es sei an die Fest¬
stellungen E. Bau rs über die Reproduktionstechnik Kämmerers
[Arch. f. Entw.Mech. Bd.38] und an die Bemerkungen Fr, Megusars
Herbst, iSitzungsber. Heidelb. Akad. Wiss. 1918] erinnert.) Als Zeit¬
dokument für eine gewisse, in der Wissenschaft sich gegenwärtig breit¬
machende Richtung ist die in Rede stehende Schrift nicht uninteressant,
wissenschaftlich aber ist sie wertlos. B. R o m e i s - München.
Privatdozent Dr. Emil Fröschels: Singen und Spreeben. Ihre
Anatomie. Physiologie, Pathologie und Hygiene. D e u t i c k e, Leipzig
und Wien, 1920. 341 Seiten.
Gleich ähnlichen an dieser Stelle angezeigten Veröffentlichungen
(G u t z m a n n, Gerber) aus Universitätsvorlesungen für einen er¬
weiterten Hörerkreis hervorgegangen, wendet sich das vorliegende Buch
des bekannten Wiener Stimm- und Spracharztes auch an Laien, um so
der Allgemeinheit das Wissenswerte über Bildung und Hygiene der
Stimme zu übermitteln. Diesem Zweck entspricht, bei klarer Anordnung
des Stoffes, die durchw-eg allgemeinverständliche Art der Darstellung, die,
wie in den anatomisch-physiologischen Betrachtungen, so auch in der
Beschreibung der krankhaften Zustände zum Ausdruck kommt. Ueberal!
sind die neuesten Forschungsergebnisse berücksichtigt, allenthalben be¬
merkt man die eigene Erfahrung des Autors. Eine dankensw^erte Er¬
gänzung stellt es dar, dass der Leser in dem das Buch abschliessenden
Kapitel über die Ausbildung zum Sänger und Sprecher durch die Wieder¬
gabe von Auszügen aus bekannteren gesangspädagogischen Schriften
— der eine kritische Zusammenfassung des Autors folgt — auch in dieses
vielumstrittene Gebiet einen Einblick erhält. Dass F. manche w'ertvolle
.Anregung zur Bearbeitung verschiedener noch ungelöster Fragen gibt,
ist ein weiterer Vorzug des empfehlenswerten Buches.
Zimmermann - München.
Prof. Dr. Alfred Adler: Praxis und Theorie der Individualpsycho-
logie. Vorträge zur Einführung in die Psychotherapie für Aerzte, Psycho¬
logen und Lehrer. B e r g m am n, München 1920. 244 S. Preis 30 M.
28 Aufsätze, die zwar die Psychologie und namentlich die Psycho¬
pathologie immer von der nämlichen Seite betrachten: Minderwertig¬
keitsgefühl, Kompensation, Streben nach männlichem Herrschen und Ent¬
wertung des Andern, und dennoch sehr viel Interessantes und Be¬
herzigenswertes in Beispielen und Auffassungen bieten.
Bleuler- Burghölzli.
Hans Walther Giercke- Berlin: Die Kriegsverietzungen des Her¬
zens. Jena 1920, Verlag G. Fischer. 83 Seiten, 14 Textabbildungen.
Preis ungeb. 18 M.
Zu den aus der Literatur gesammelten, vorwiegend klinischen Mit¬
teilungen fügt G. die Beschreibung von 68 Präparaten der kriegspatho-
logischen Sammlung der Kaiser-Wilhelms-Aka'demie, welche grössten¬
teils von Armeepathologen gewonnen wurden: Streif-, Durch- und
Steckschüsse, Stichverletzungen, Zerrungen durch Fllegerabsturz usw.,
teilw^eise abgebildel. O.
Ewald Hering: Fünf Reden. Herausgegeben von H. E. Hering
mit einem Bildnis von E. Hering. Verlag von W. E n g e 1 m a n n.
Leipzig 1921. Preis M. 14.—.
Die Sammlung enthält folgende Reden Herings: Ueber das Ge¬
dächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie,
Wien 1870. Ueber die spezifischen Energien des Nervensystems.
Prag 1884. Zur Theorie der Vorgänge in der lebendigen Substanz,
Prag 1888. Zur Theorie der Nerventätigkeit, Leipzig 1899. Schliesslich
die Antwortrede, die Hering bei Verleihung der goldenen Gräfe¬
medaille vor der Ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg 1906
hielt. Die Herausgabe dieser sonst nur schwer zugänglichen Reden wird
allgemein als sehr dankenswert empfunden werden. Jeder wissen¬
schaftlich Gebildete wird die gut ausgestattete Sammlung gern in seiner
Bibliothek haben. Sie zeigt uns den machtvollen Forscher gewisser-
massen im Festgewande, er wendet sich an ein allgemeines Publikum,
nicht nur an seine engeren Fachgenossen. Wir müssen bewundern, w ie
es ihm gelingt, seinen grossen Ideen auch die vollendete Darstellung zu
geben. P. Hoffmann -Würzburg.
Erich Arndt: Das Tagebuch eines Schiffsarztes. Novellen. — Der
Janustempel. Roman. — Die 12 Abende der Liberia. Novellen. —
Nachdenkliche Stundeiu Sonette. — Vineta. Eine romantische Tragödie.
Das jüngste Gericht Eine Apokalypse. — Verlag: „Die Wende“.
München (unter besonderer Anerkennung guter Ausstattung).
Gleich einem feuerglänzenden Bergausbruch stürzen diese Bücher
eines Einzelnen und, wie es gesagt werden darf, eines Besonderen
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA,_^ä-
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
649
auf einmal auf meinen Tisch. Im Felde da aussen hatte der KolleKC das
Gluck, mit einem verständnisvollen VerleRcr Tage und Nächte und
Monate zu verbringen. So konnte es sich ereignen, dass ein phantasie¬
volles, tiefschürfendes literarisches Talent in diesen schwierigen Zeiten
an die Oeffentlichkeit gelangt. Der Psychoanalytiker Arndt sieht in
die Herzen der Menschen, der lebenden, aber auch in die Gestalten, die
uns durch Legende oder Sage lebendig sind; an ihnen erprobt er seine
gestaltende, dichterische 'Kraft. Die Glut einer angeborenen Phan¬
tasie hat sich noch gesteigert in den glühenden fremden Ländern, die
er als Schiffsarzt sah und erlebte, und sprüht uns entgegen aus seinen
wohlgeformten Worten und Sätzen und Geschehnissen. Wenn auch mit
der Glut seiner Werke vielfach Lavaschlacken von Weitschweifigkeiten
mit emporgerissen werden, von denen sich freizumachen Arndt in
kommenden geruhigeren Zeiten in beschaulicher Eigertbetrachtung sich
bemühen wird, so ändert das nichts an dem Qesamteindruck, dass wir
von Erich Arndt als von einem neuen Arzt-Dichter zu reden haben.
Nur soviel zu sagen, ist an dieser Stelle Raum und Pflicht, ohne Mög¬
lichkeit in eine Einzelbesprechung, so verlockend sie wäre, eingehen
zu können. Max Nassauer -München.
Zeitsch riften - U ebersicht
Zeitschrift für Immunitätsforschung und experlmentelfe Therapie.
30. Band. Heft 1. (Auswahl.)
Meyeringh- Qöttingen: Die Reaktionen nach M e 1 n 1 c k e und
Sachs-Georgl alt Ersatz für die Wassermann sehe Reaktion.
Da die meisten Nachprüfungen der beiden neuen Reaktionen die klinischen
Befunde wenig berücksichtigt haben, da fast immer als Massstab ihrer
Wertigkeit die WaR. zugrunde gelegt ist, die doch auch nicht absolut
spezifisch ist, so hat Verf. seine Untersuchungen an einem klinisch durch¬
gearbeiteten Material ausgeführt. Er kommt für beide Methoden zu einem
sehr günstigen Resultat. Beide Reaktionen sind in der Spezifität der *WaR.
nicht unterlegen. Positive Ausfälle bei Nichtluetikern sind ihm nicht vor¬
gekommen. In 609 Untersuchungen nach W. und M. erzielte die WaR. 170.
die Reaktionen nach M e i n i c k e 197 positive Resultate. In 303 nach W., M.
und Sachs-Georgi vorgenommenen Untersuchungen entfielen au! W. 93,
auf M. 111 auf S.-O. 98 positive Resultate, ln beiden Reihen übertrafen also
die neuen Reaktionen die WaR. an Schärfe. Die Hauptmenge dieser positiven
Resultate bei negativer Original-WaR. entfällt auf diejenigen Luesfälle,
die sich nach spezifischer Behandlung im Latenzstadium befinden. —
Ob allerdings die erhöhte Empfindlichkeit der beiden Reaktionen unbe¬
dingt als Vorzug aufzufassen .ist, lässt Verf. unentschieden,, da es nicht
erwiesen ist, ob in diesen Fällen die Infektion im Körper noch fortbesteht,
oder ob lediglich irgendwelche Veränderungen im Serum angezeigt werden,
die auch nach völliger Heilung der Krankheit noch andauern können. Der Vor¬
teil der Flockungsreaktionen gegenüber der WaR. Ist ihre grössere Einfachheit.
Ein schwerwiegender Nachteil jedoch besteht darin, dass die Resultate der
WaR. auch von weniger Geübten leicht abzulesen sind, während die Diagnose
einer schwach positiven Flockungsreaktion ausserordentlich schwer sein kann.
Für den praktischen Arzt kommen aus diesem Grunde beide Reaktionen nicht
in Betracht.
Heft 2. (Auswahl.)
Kurt S c h e e r - Frankfurt: Untersuchungen über die Sachs-Ge¬
org 1 sehe Reaktion mit Milch luetischer Frauen.
Verf. hat mit Hilfe der Ultrafiltration nach B e c h h o 1 d von Wöch¬
nerinnen ein klares Milchserum gewonnen. Das mit diesem Verfahren ge¬
wonnene Milchserum luetischer Mütter gibt oft einen positiven Ausfall der
Sachs-Georgi sehen Reaktion, besonders in den ersten 6 Tagen,
während die Milch gesunder Frauen die Reaktion nicht ergibt.
Wendtland - Berlin: Experimentelle Studien über die Beziehungen
der Sachs-Georgi sehen zur Wassermann sehen Reaktion.
U. F r i e d e ni a n n hat früher eine Reihe von Tierseren vergleichsweise
mit der WaR. und den verschiedenen damals bekannten Fällungsreaktionen
untersucht und eine starke Differenz im Ausfall der Reaktionen gefunden,
woraus er schloss, dass diese voneinander unabhängig sind. Nachdem sich
nun gezeigt hat, dass die neuen Ausflockungsmethoden eine erhebliche Ver¬
besserung gegenüber den alten bedeuten, hat Verf. ähnliche vergleichende
Untersuchungen mit der WaR. und der Sachs-Georgi sehen Reaktion
angestellt. Auch hier ergaben sich keine Anhaltspunkte, dass beide Reaktionen
voneinander abhängig verlaufen, womit Verf. allerdings kein Urteil über
die serodiagnostische Bedeutung der Sachs-Georgi sehen Reaktiön bei
der Syphilis gefällt haben will. L. Saathoff - Oberstdorf.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie einschilesslich der Heil¬
gymnastik und Massage. XL. Band. 5. Heft.
Ph. E r I a c h e r - Graz: Ueber Gibbusbildung nach Tetanus.
Orthop. Erkrankungen nach Tetanus waren vor dem Kriege nicht bekannt.
Erst durch das gehäufte Auftreten von Tetanusfällen im Kriege vermehren sich
auch die Folgeerscheinungen an Knochen und Gelenk sowohl, wie an der
Wirbelsäule. An der Hand von 12 bisher beschriebenen Fällen stellt E. fest,
dass bei akutem Tetanus durch fortgesetzte schwere Krampfanfälle bestimmter
Muskelgruppen der Wirbelsäule die jugendlich weichen Wirbelkörper defor¬
miert werden können, dass ferner durch die lange Anwesenheit des Tetanus¬
giftes bei Spättetanusfällen Knochen derart mürb gemacht werden können,
dass später Krampfanfälld" nicht nur das Gefüge des Knochens erschüttern
können, sondern auch direkt den Knochen zu frakturieren vermögen. Seit¬
liche Verkrümmungen der Wirbelsäule nach Tetanus sind nach E. der Aus¬
druck eines Ausweichens, um dem Längsdruck stattzugeben oder die Folge
des einseitigen Zusammensinkens der Wirbelkörper. Therapeutisch empfiehlt
E. den C a 1 o t sehen Pclottenredressionsverband.
Br. V a 1 e n t i n - Frankfurt a. M.: Metatarsus varua congenltus.
Bisher nur 25 Fälle bekannt. Die Anomalie unterscheidet sich vom
Klumpfuss durch die Valgussteilung der Fusswurzelknochen. während die
Mittelfussknochen in Adduktion stehen und nach oben und aussen konvex
verbogen sind, im Gegensatz zum Metatarsus adductus, bei welchem sie Im
Tarso-Metatarsalgelenk nach innen abgebogen sind. Das klinische Bild: Auf-
Di gitized by Goiisle
fällige Erhöhung und Wölbung des Mittelfusses, Abstehen des inneren Fuss-
randes vom Boden, starkes Hervorspringen des Malleolus nach innen. Be¬
schwerden bestehen fast nie, deshalb erübrigt sich jede Therapie von selbst.
P. F. S c h c e 1 - Rostock: Die Ausnutzung der Kraftquellen des Unter¬
arms für die Sauerbruchsehe Operation.
Der augenblickliche Stand der Sauerbruchoperation ist, dass zur Be¬
tätigung einer willkürlichen Prothese:
1. bei E X a r t i k u 1 a t i o n im Schultergelenk und hohen Oberarm¬
amputation das E r I a c h e r sehe und A n s c h ü t z sehe Verfahren im Pec-
toralis major und lattissimus besser ist als das S a u e r b r u c h verfahren:
2. bei tiefen Oberarmamputationen ausser den angeführten
Methoden noch die S p i t z y sehe Operation in Frage kommt;
3. bei ganz kurzen Unterarmstümpfen die Spitz y sehe
Unterfütterung des Bizeps anzuraten ist;
4. bei kurzen Unterarmstümpfen überhaupt die A n s c h ü t z -
sehe Operation im Biceps eventuell zu gleicher Zeit im Caput longum des
Trizeps vorteilhaft verbunden wird;
5. bei mittellangen Unterarmstümpfen neben der Kruk-
k e n b e r g sehen Operation die E r 1 a c h e r sehe Unterfütterung, die An¬
se h ü t z sehe und die S p i t z y sehe Operation in Frage kommt und
6. für lange Unterarmstümpfe die reine Umschlingung an der
Beugeseite die besten funktionellen Resultate zeitigt.
J. Fränkel - Berlin: Fernresultate beim angeborenen Klumpfuss.
Fränkel hat 1911 schon zur Vermeidung der Narkose bei den ge¬
waltsamen Redressements und zur Vermeidung der Tenotomie der Achilles¬
sehne, die unter allen Umständen verworfen wird, auf den Gebrauch der
hyperämisierenden Mittel hingewiesen: Heissluftbäder, Saugappurat, Blutleere.
Zur Fixation diene der Gipsverband nach H e i n e c k e. Bilder operierter
Früh- und Spätfälle zeigen die vorzüglichen Endresultate sowohl im kosmeti¬
schen, als vor allem funktionellen Sinne.
A. Buccheri - Palermo: Kongress der Italienischen orthopädischen Ge¬
sellschaft. Referat über denselben.
J. G ö r r e s - Heidelberg: Zur Behandlung der Spondylitis tuberculosa
mit der A I b e e sehen Operation.
G ö r r e s berichtet über 49 Nachuntersuchte an der V u 1 p i u s sehen
Klinik ausgeführten Operationen nach A 1 b e e vom Jahre 1913—1918. Davon
waren 42 als geheilt zu betrachten. Die A l b e e sehe Operation ist nach
G. allen anderen Behandlungsmethoden der Spondylitis überlegen. Sie ver¬
hindert weitere Ausbildung des Buckels, bereits bestehende Verbiegung an der
Wirbelsäule werden in ihrer Form fixiert; am besten sind die Resultate bei
den Frühfällen. Die Operationsmethode unterscheidet sich nicht von den
anderen Autoren, Nach der Operation 3 Monate Ruhe in Gips oder in
Bauchlage, Korsett noch auf die Dauer von 1 % Jahren. Auffallend ist das
baldige Nachlassen der subjektiven Beschwerden nach der Operation, wohl
eine Folge der Ruhestellung des Wirbelsäulenabschnittes durch den einge¬
pflanzten Span, ferner die rasche Rückwirkung von bestehenden Abszessen
und weitere Verhinderung der Buckelbildung.
M. S c h w a m m-Wien: Ein Beitrag zur unblutigen Klumpfussbehandlung.
Schwamm weist auf die vielen Rezidive nach der unblutigen Klump¬
fussbehandlung hin und führt sie darauf zurück, dass die Knickung im Lis-
f r a n c sehen Gelenk nach aussen nicht genügend berücksichtigt wird. Die¬
selbe soll kräftig durchgeführt werden und zwar über dem Keil so, dass
der Fuss förmlich in der Mitte auseinandergeklappt wird. Nähere Be¬
schreibung der Technik. R. Pfirckhauer.
Zentralblatt für Chlnirsle. Nr. 18. 1821.
E. Siegel t-Frankfurt a. M.: Ueber den Magenvolvulns.
An der Hand eines selbstbeobachteten Falles schildert Verf. den Sym-
ptomenkomplex bei Magenvolvulus und geht dann Uber auf die Ursachen und
Entstehungsmöglichkeiten. Verf. ist geneigt, ihn auf einseitige Kontraktionen
einer der 3 Muskelschichten der Magenwand zurückzuführen, wobei als prä¬
disponierender Faktor noch eine Gastroptose vorhanden sein muss. Die
ausführliche Arbeit verdient eingehendes Studium im Original.
Frz. V. Fink- Karlsbad: Ueber die Vorzüge der Entfernung von tlef-
sltzenden Fremdkörpern der Speiseröhre vom eröffneten Magen aus.
Auf Grund einer Beobachtung empfiehlt Verf., bei tiefsitzenden Fremd¬
körpern (27—33 cm von der Zahnreihe entfernt) den Magen zu eröffnen
und dann vom Magen aus durch die Kardia den Fremdkörper zu holen.
Die Technik dieses Eingriffes ist kurz geschildert. Diese Methöde bietet be¬
quemen Zugang zum Fremdkörper, während bei der zervikalen Oesophago-
tomie die Raumbeengung sehr störend ist.
W. Felix- München: Ueber eine wlUkttrllcIi bewegliche Scharnierhülse
bei Ellbogenschlottergelenk.
Verf. hat eine ScharnierhUlse für Ellbogenschlottergelenk konstruiert.
Aus der beigegebenen Abbildung ist ihr Bau und ihre Wirkungsweise leicht
ersichtlich. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 83. Band. Heft 2.
Stuttgart 1921, E. E n k e.
J. No Vak und E. Graf!-Wien; Beitrag zur Klinik und pathologi¬
schen Anatomie der Amenorrhöe.
Auch bei Fehlen der Menstruationsblutung spielen sich in der Uterus¬
schleimhaut zyklische Veränderungen ab, die als Ausdruck einer mehr oder
weniger vollkommenen Eireifung betrachtet werden können. Nach dem
histologischen Bild kann man 3 Gruppen unterscheiden: Schleimhäute, die
einer bestimmten Phase des menstruellen Zvklus entsprechen, gut erhaltene
Schleimhäute ohne jedes Zeichen von Wucherung („ruhende Schleimhaut“)
und endlich solche mit ausgesprochener bindegewebiger Atrophie. Die
Schwere der Veränderungen hängt nicht immer von der Dauer der Amenorrhöe
ab. Der jeweilige Zustand der Uterusschleimhaut gestattet einen Schluss auf
das anatomische und funktionelle Verhalten der Keimdrüsen, woraus siclr
Anhaltspunkte für die Prognose der Amenorrhöe ergaben. Durch die Kürettage
wird — ceteris paribus — der Wiedereintritt der Menstruation begünstigt.
Als Nebenbefund wurde in 6 Fällen eine Tuberkulose der Uterusschleimhaut
festgestellt, die, abgesehen von der Amenorrhöe. gänzlich symptomlos ge¬
blieben war.
Hans Hinselmann - Bohn: Proliferative Vorgänge Im Innern von
Blasenmolenzotten.
Histologische Befunde, die für die Genese der Zotten von Bedeutung sind.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
650
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Walther S c h m i 11 - Würzburg: Znr Verhütung des Kindbettfiebers.
Statistischer Bericht über die zweiten 10 000 Geburten an der Hol¬
meier sehen Klinik, die eine ganz minimale Puerperalfieberfrequenz und
Mortalität aufweisen. Das an der Klinik geübte Verfahren der prälimniaren
Scheidendesinfektion hat sich also bewährt.
Benno L i e g n e r - Breslau: Die Bedeutung der Blutung bei der Placenta
praevia.
Die Blutungen bei der PI. pr. sind von ausschlaggebender Bedeutung
für das Schicksal der Frauen und für den Zeitpunkt des Eingriffes. Die
Schwangerschaftsblutungen bedeuten eine erhebliche Schädigung des Or¬
ganismus. Das Ziel der ärztlichen Therapie muss es sein, durch aktives
Eingreifen sie zu stillen und den Schädigungen vorzubeugen. Mehr als die
Hälfte der Frauen mit PI. pr. bluten in der Schwangerschaft. Sorgfältige
Untersuchung zur Stellung der Diagnose ist unerlässliches Erfordernis. Die
Hauptgefahr droht durch die Blutungen vor dem ärztlichen Eingriff. Die
direkte Gefährdung durch die Blutungen der Nachgeburtsperiode steht hinter
dieser zurück. Eine Wiederholung der Blutungen nach der Geburt kann ent¬
scheidend für das Schicksal der Frauen werden. Die Anämie vermindert die
Widerstandsfähigkeit des Organismus und begünstigt die Wochenbetts¬
morbidität und die septische Infektion. Beobachtung und Nachuntersuchung
der Frauen mit PI. pr. auch nach ihrer Entlassung aus der Anstalt sind
erforderlich zur Beurteilung der Schädigung durch den Blutverlust. Es
müssen genaue Messungen der Blutmengen und des Hämoglobingehaltes des
Blutes in den einzelnen Phasen der Geburt regelmässig angestellt werden.
Es ist in jedem Falle auf das Bestehen von Strikturen im Bayer sehen
Sinne zu achten.
W. S c h m i 11 - Würzburg: Ueber Geburtsleltung bdm engen Becken.
Statistischer Bericht über die unter den obenerwähnten 10 000 Geburten
vorgekommenen 538 Fälle von engem Becken. Kritik aller Behandlungs¬
modalitäten und deren Ergebnisse.
B. L i e g n e r - Breslau: Intrauterine Totenstarre.
Die theoretisch wichtige und interessante Frage bespricht Verf. aus¬
führlich im Anschluss an 3 Beobachtungen, die er in nicht allzulanger Zeit
machte. Auf diesen nicht s o seltenen Befund, wie man bisher annahm, soll
mehr geachtet werden.
H. K r a u s e - Charlottenburg: Beitrag zur Frage der Placenta praevia
cervicatis.
Die Diagnose war leicht zu stellen. Kurz nach dem Kaiserschnitt starb
die Frau. Abbildungen des Sektionspräparates. Zusammenstellung der ein¬
schlägigen Kasuistik.
W. Benthin - Königsberg: Erfahrungen mit der Röntgen- und Radium-
theraple.
Für die Prophylaxe nach Karzinomoperationen, für die Rezidivbekämpfung
und nicht zuletzt für die inoperablen Fälle ist die Strahlentherapie als ein¬
ziges wirksames, lebensverlängerndes Mittel unentbehrlich. Die Röntgen¬
tiefentherapie bedarf noch technischer Verbesserungen. Frühoperation und
frühe, regelmässige Strahlenbehandlung bessern die Prognose ausserordentlich.
K. K 0 c h - Marburg: Zur Frage der Gewlcfatskurvenblldung bei Brust¬
kindern ln den ersten 14 Lebenstagen.
Von 300 Neugeborenen erreichten 24,6 Proz. ihr Anfangsgewicht bis zum
14. Tage wieder. Weiteren 21,7 Proz. gelang dies trotz stetigen Gewichts¬
zuwachses in 14 Tagen nicht. 53,7 Proz., also über die Hälfte der Neuge¬
borenen, Hessen jede irgendwie nennenswerte Gewichtszunahme überhaupt
vermissen oder nahmen sogar nach Erledigung ihres physiologischen Ge¬
wichtsverlustes noch weiter ab. Gute und schlechte Gewichtskurven finden
sich bei Kindern verschiedensten ‘Anfangsgewichtes gleichmässig oft. Die
Kinder mit dem niedrigsten Anfangsgewicht und ganz besonders die sehr
grossen Kinder weisen schlechte Kurven auf. Je grösser der physiologische
Anfangsverlust, desto schlechter ist die Zunahme. Die aufgenommene Nah¬
rungsmenge ist für die Form der kindlichen Gewichtskurve bedeutungsvoll,
aber nicht ausschlaggebend. Trotz geringer Trinkmengen nahm H der Kinder
doch an Gewicht zu während der Kinder mit schlechtem Wachstum aus¬
gezeichnete Nahrungsaufnahme zustande brachten.
E. Gr aff und J. Novak-Wien: Regressive Drfiseoveränderungen
der Korposschleimhaut bei Krlegsanmenorrtaöe.
Ergänzende Bemerkungen zu der oben referierten Arbeit. Abbildungen
der häufig gefundenen, charakteristischen Bilder, die das Kürettagematerial
bot. Werner- Hamburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. Nr. 18. 1921.
A. M a ye r-Tübingen: Steigert die Schwangerschaft die Bösartigkeit
des Uteruskrebses?
Auf Grund von 56 Fällen, in denen eine Beziehung zwischen Gravidität
und Uteruskarzinom bestand, und “die M.* vom 1. Januar 1902 bis 1. Ok¬
tober 1920 unter 1106 Uteruskarzinomfällen in mehreren Tabellen statistisch
vorführt, kommt er zu einer entschiedenen Verneinung der in der Ueberschrift
gestellten Frage, ganz im Gegensatz zu der sonst allgemein geteilten An¬
sicht. Eine Nachprüfung der Tübinger Ergebnisse in diesem Sinne ist er¬
wünscht.
Max Müller- Mainz-Dresden: Spontane Uterusruptur bei exzentrischer
Insertion des Eies, ein Beitrag zur Divertikelschwangerschaft.
Kasuistische Mitteilung dieses seltenen Falles, des 8. bisher veröffent¬
lichten. Graviditas diverticularis. Ruptura uteri arcuati.
H. F u c h s - Danzig: Freie körpereigene Bauchfellüberpflanzung.
Empfehlung der in der Chirurgie schon erprobten Peritoneumtransplan¬
tation in gynäkologisclicn Fällen, z. B. zur Deckung von Rektum-Scheiden¬
fisteln, von Darmwunden, als Ueberbrtickungsmethode, als Verstärkung von
Relaparotoniienarben usw.
F. Lehmann -Dresden: Zur Frage der diagnostischen Verwertbarkeit
des Scheidenabstriches, ein Beitrag zum Mlkroblsmus der Schelde.
Die Zusammensetzung des Scheidensekretes aus bakteriologischen und
anatomischen Bestandteilen, sowie der Säuregrad und Glykogengehalt sind ein
Gradmesser für den zugrundeliegenden Genitalzustand. Auf die diagnostische
und differentialdiagnostische Bedeutung dieser Befunde sei hingewiesen.
G. Abel-Berlin: Ueber die Verwendbarkeit des „Slccostypt“ ln der
gynäkologischen Praxis.
Warme Empfehlung des aus Capsella Bursa Pastoris hergestellten
Styptikums, das gut wirkt und den Vorzug der Billigkeit vor Sekale und
dessen Ersatzpräparaten hat. Werner- Hamburg.
Zeitschrift für synäkologische Urologie. V. Band. Heft 4/6.
Fritz W e i g m a n n - Kiel: Ueber Blaseafisteln und Blaseoverletzungen.
(Aus der^ Univ.-Frauenklinik zu Kiel.)
Bericht über 42 Blasenfisteln und -Verletzungen, in der Kieler Klinik be¬
handelt in den Jahren 1910—1919.
I. Geburtshilfliche Blasenfisteln, 9 Fälle; davon 6 durch
direkte Verletzung, 2 durch Nekrose entstanden, 1 Fall Aetiologie zweifelhaft.
II. Gynäkologische Blasenfisteln, 33 Fälle; davon 19 durch
direkte Verletzung bei der Operation, 4 durch Nekrose, 6 durch Erkrankungen
entzündlicher oder neoplasmatischer Art entstanden, bei 4 Fällen Aetiologie
zweifelhaft.
Besprechung der Aetiologie und Therapie sowie der Nachbehandlung; am
Schluss Literaturverzeichnis.
Theodor Nagy-Pest: Ureterfistel gehellt durch transperltoueale
Implantation. (Aus dem Spitale der Pester isr. Gemeinde.)
Mitteilung eines einschlägigen Falles; 34jährige Frau, mit Kollumkarzinom
anderen Ortes operiert, danach linksseitige Ureterfistel. Auslösen des in
Narbengewebe eingebetteten durchtrennten Ureters, Implantation in die Blase
nach Sampson-Krönig. Die Frau lebte noch 8 Monate post op.
Schlusswort von Geh.-Rat Stoeckel (Herausgeber der Zeit¬
schrift): Mit diesem Bande (V.) hört die Zeitschrift für gynä-
kologischeUrologieaufzu bestehen. Aufforderung an die bisherigen
Mitarbeiter, weitere Veröffentlichungen aus dem Gebiete der gimäkologischen
Urologie in den bekannten gynäkologischen Zeitschriften erscheinen zu lassen
zwecks möglichster Zentralisation der wissenschaftlichen Arbeit.
A. Rieländer -Marburg.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921 Nr. 17.
P. Manteufel - Berlin: Vereinfachung des Zttchtungsverfahrens von
Well-Splrochäten.
Nach neueren Untersuchungen sind die Weil-Spirochäten weder obligat
aerob noch obligat anaerob. Symbiose mit Alkaligenes-Reinkulturen fördert
ihr Wachstum. Sie werden am besten in Serum, das nicht mit physiologischer
NaCl-Lösung, sondern mit Leitungswasser oder dem doppelt destillierten
sterilen „Ampullenwasser" verdünnt ist, gezüchtet. Von dem zu unter¬
suchenden Blut werden 2—3 ccm in 8—10 ccm des Wassers gegeben.
3—4 Tage bei 25—30® gehalten und dann im Dunkelfeld untersucht.
J. S t r a s b u r g e r - Frankfurt a. M.: Ueber chronische bazilläre Ruhr
und Ruhrfolgen.
(Fortsetzung aus Nr. 16; Schluss folgt.)
L. Michaelis - Berlin: Vereinfachung der Indikatorenmethode.
In der Urschrift nachzulesen.
Kretschmer - Berlin: Zur Bewertung der P1 r q n e t sehen Kutan-
reaktlon In ätiologischer und epidemiologischer Beziehung.
ln Berlin ist im Vergleich zu- anderen Städten der positive Ausfall der
Pirquetreaktion erheblich seltener wegen der infolge der starken Unter¬
ernährung herabgesetzten Immunität. Die geringere Häufigkeit der bovinen
Kutanreaktion gegenüber Rostock wird auf die bessere tierärztliche Ueber-
wachung der Berliner Milch zurückgeführt.
Braun- Zwickau: Die verbandlose Wundbehandlung ln der Friedens¬
chirurgie.
Besprechung von Einzelheiten in ihrer Anwendung und ihrer Vorteile
gegenüber der Verbandbehandlung bei aseptischen, genähten Operations¬
wunden, bei frischen, nicht infizierten Friedensverletzungen, bei verschmutzten,
infizierten Wunden, bei Phlegmonen, besonders bei Sehnenscheidenphlegmonen,
bei stark eiternden Weichteil- und Knochenwunden und bei granulierenden
Wunden. Als Gegenanzeigen werden hervorgehoben: Unmöglichkeit der
sicheren oder den Kranken nicht belästigenden Durchführung dieser Behand¬
lungsweise und besondere Anforderungen, wie Blutstillung u. a., die an den
Verband gestellt werden sollen. (8 Abbildungen.)
Strübing - Stettin: Ueber subkutane Dauertropflnfuslon.
Gute Erfolge des subkutanen Adrenalin-Dauertropfeinlaufes wurden bei
kardiovaskulärer Schwäche und Asthma bronchiale gesehen.
S. Cohn- Berlin: Gicht und Nervensystem. Beitrag zur Pathogenese
der Gicht.
Die Entstehung der Gicht gründet sich auf eine Vermehrung der Na-Salze
und zwar besonders im Achsenzylinder des Nerven. Tophi bilden sich nur
dort, wo die Achsenzylinder nicht nackt, sondern mit Endkolben, also von
bindegewebiger Hülle umgeben, endigen.
L. Bossert-Rollet - Breslau: Enuresis und Kreislaufstörungen.
Es konnte mehrfach festgestellt werden, dass die Enuresis auf Kreislauf¬
störungen, kenntlich an leisem erstem Herzton, beruht, welche eine nächtliche
Harnflut bewirkten.
S c h a p s - Berlin: Krämpfe und Blutbild.
Verf. fand im Gegensatz zu Schlund bei Chorea minor und Tic
convulsif eine relativ erhebliche Lymphozytose und lehnt die Erklärung der
krampfhemmenden Wirkung der Nebennierenreduktion als durch Unterfunktion
des chromaffinen Systems bedingt ab.
J. Lange- Leipzig: Optarson, eine bequeme Kombination von Strychnin
und Solarson.
Optarsonampullen (Farbenfabriken vorm. Bayer & Co.) enthalten in
1 ccm Solarson 0,001 Strychnin, nitr. Die Wirkung war „auffallend schnell
und gut" bei akuten und chronischen Herzmuskel- und Kreislaufstörungen auf
toxischer Grundlage, besonders auch nach Grippe, bei Anämien verschiedensten
Ursprunges und bei gewissen neurasthenischen Erscheinungen.
Ph. Keller-Freiburg i. Br.: Die Verwendbarkeit des Ffirstenan-
schen Aktlnimeters für Höhensonnen
Ablehnung.
F. Lesser - Berlin: Zur Abortivbehandlung ^j^r Syphilis.
Für den von ß 1 a n c k (Nr. 13 d. W.) veröffentlichten Misserfolg ist die
einschleichende Salvarsanbehandlung verantwortlich zu machen.
Durch „Anbehandeln" tritt Gewöhnung ein.
F. F. Friedmann - Berlin: Ueber die Friedmann sehen Schild-
krötentuberkelbazlllen und das Friedmann sehe Mittel.
Bemerkungen zu den Artikeln von Prof. Kirchner in Nr. 7, Klop-
stock in Nr. 8, Grass in Nr. 9 und 12 und Liebermeister in
Nr. 10 d. W.
R. G 0 e p e I - Leipzig und E. Bios- Karlsruhe: Bemerkungen zu dem
Artikel von Grass über Schädigungen des Friedmann sehen Mittels ln
Nr. 9.
Digitized b)
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf/
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
651
M. Kirchner, F. Klo p stock - Berlin und H. Grass- Sommerfeld:
Zu den Artikeln von F. F. F r 1 e d m a n n.
C. Heuser - Buenos Aires: Chinosol bei Abdominaltyphus.
Von 457 mit Chinosol (6—8 g pro die, nach der Entfieberung auf 3, 1
und 0,5 g zurückgehend) behandelten Fällen starb keiner.
W. Fischer - Qöttingen: Der Jetzige Stand der Pathogenese der
Appendizitis.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Schweizeriscbe medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 17.
Guggisberg - Bern: Die Nekrose der Myome in der Schwanger¬
schaft.
Aetiologie, Symptome und Therapie werden besprochen. Letztere ist
ausschliesslich operativ und zwar ist bei akuten Fällen mit peritonitischen
Erscheinungen sofortige Operation nötig, bei chronischen Fällen muss man
sofort nach der Geburt operieren, weil sonst dringende Gefahr einer Sekundär¬
infektion des nekrotischen Myoms besteht.
C. A. Hegener: Zur Frage der BriUenwirkungen.
E. Reicher - Bern: Blutbefunde bei Influenza.
Bei 29 Fällen wurde täglich das Blut untersucht. Es fand sich anfangs
Leukopenie mit relativer Neutrophilie und Lymphopenie, dann verminderten
sich die Neutrophilen und stiegen die Lymphozyten an. Beim Ende der Er¬
krankung trat Qesamtleukozytose ein. Komplizierende Pneumonie führte zu
Leukozytose (prognostisch günstig). Beim Beginn der Erkrankung waren
die grossen Mononukleären, grossen Lymphozyten und Uebergangszellen ver¬
mehrt, die Eosinophilen fehlten. Ihr Auftreten war prognostisch günstig, in
der Rekonvaleszenz kam es zu Eosinophilie. Die Blutplättchen waren anfangs
vermindert, bei Besserung stark vermehrt. Subkutane Terpentinölinjektionen
wirkten günstig, führten zu neutrophiler Leukozytose und in einzelnen Fällen
auch zu Fixation der Bakterien (2 mal fanden sich Influenzabazillen in Rein¬
kultur im Abszesseiter).
Debrunner - Berlin: Bemerkungen über die Therapie der spastischen
Adduktorenkontraktur und die Selig sehe Operation.
Gute Erfolge mit der intrapelvinen Resektion des Nerv, obturator.
nach Selig. Beschreibung der Technik. Sehr wichtig ist die Nachbehand¬
lung. - L. J a c o b - Bremen.
Im Druck erschienene InauRuraldissertationen.
Universität Giessen. Januar bis April 1921.
Al bucht Anton: Ueber die Bedeutung des Einflusses der verschiedenen
vaginalen Untersuchungsmethoden unter der Geburt auf die Möglichkeit
einer puerperalen Infektion. (1920.)
Aletter Gottl. Friedr.: Ueber die Bedeutung der Wirbelsäule für die
traumatische Entstehung der Magengeschwüre.
Barmeyer Hermann: Zur Histologie einer sog. Salvarsandermatitis. (1920.)
Daniels Johann; Ueber die prophylaktische Wirkung des Diphtherieheil¬
serums und des normalen antitoxinfreien Pferdeserums auf die Diphtherie¬
infektion des Meerschweinchens. *) (1920.)
Erh^rdt Kurt: Ein Beitrag zur Kenntnis der württ. Schafzucht.*) (1920.)
Hocks Karl: Motorische Reaktionen auf taktile Reize bei geistig Normalen.
Jacobs Maria; Beobachtungen über die Häufigkeit von Konstitutions¬
anomalien bei gynäkologisch Kranken. (1920.)
Kerber Eugen: Die Haarentwicklung im Baste des Rehgehörns.*)
Kibiger Hermann: Das Istizin und seine Anwendung bei Haustieren.*)
(1920.)
Klems Ferdinand: Ueber einen Fall von Schläfenlappentumor mit Klein¬
hirnsymptomen. (1920.)
Kukulka Josef: Ueber die mikroskopisch feststellbaren, funktionellen Ver¬
änderungen der GefässkapiHaren nach Adrenalineinwirkung.*) (Berlin 1920.)
(S.-A. a. d. Zschr. f. exper. Path. u. Ther. 21, 3.)
K u t z er Karl; Der Einfluss von Froschserum und -passage auf den Bazillus
des Schweinerotlaufs. *) (1920.)
Lambardt Hans: Ein Beitrag zur Erkennung der Haare unserer Haus¬
säugetiere und verschiedener Wildarten. *) (Unna 1920.)
L a n d g r a f Theodor: Ueber Spontanpneumothorax als Komplikation bei
künstlichen Pneumothorax. (Berlin 1920.) (S.-A. aus: Beitr. z. Klin. d.
Tuberkulose, hg. v. Ludwig Brauer, Bd. 45.)
Meyer Wilhelm: Zur Methodik der Seifenprüfungen. (1920.)
Olt Karl: Untersuchungen über den äusseren Gehörgang des Auerhahnes,
ein Beitrag zur Kenntnis der Balztaubheit. *)
Petri Theobald: Zur Kasuistik der Urämie. (1919.)
Rademache Gerhard: Ueber Noma. (1920.)
Schollmayer Georg: Die Bedeutung der Gonorrhöe in der Schwanger¬
schaft, Geburt und im Wochenbett. (1920.)
S i e V e r s Ferdinand: Ueber Osteogenesis imperfecta.
Simon Felix: Ueber die Symptome der offenen Gebärmuttertuberkulose.
(1920.)
Wagner Gustav: Ueber die Verwendbarkeit der Ambozeptorbindungs¬
reaktion nach Sachs und G e o r g i zum Nachweis von Fleischarten. *)
(München 1920.)
Weismüller Gottfried: Ueber die Bewertung der Schnittführung bei
gynäkologischen Operationen in Bezug auf den primären Heilungsverlauf.
(1920.)
Weissenberger Alfred: Quantitative Bestimmung der Jodausscheidung
im Urin nach Einspritzung von Jodinkarbon-Merck. *)
Wohlgemuth Walther Josef: Zur Frage der Verwendung von Pferde¬
nierenantiserum zum Nachweise von Pferdefleisch in Würsten nach der
Methode von Sachs und G e o r g i. *) (Starnberg 1920.)
Im Auszucr wurden gedruckt:
Be 11 mann Franz: Ueber die Resultate der Kieferhöhlenoperationen in der
Qiessener Univ.-Klinik für Ohren-, Nasen- und Halskranke in der Zeit
vom 1. Januar 1918 bis 31. Dezember 1919. (2 Seiten.) (1920.)
Hel Ibach Joseph Andreas: Rhinogener Hirnabszess. (2 Seiten.)
N e u h a US Alfred: Ueber Fremdkörper in der Vorderkammer, Iris und Linse.
(2 Seiten.) (1920.)
No e bei Hans: Die Bedeutung von Form und Reihenfolge bei der Ver-
*) Ist veterinär-medizinische Dissertation.
Wendung einer Figurentaf^l zur Untersuchung des optischen Gedächtnisses.
(16 Seiten.) (1920.)
überwittler Wilhelm: Ueber einen Fall von progressiver Muskelatrophie,
einhergehend mit schwerer Gelenkerkrankung. (2 Seiten.) (1920.)
Universität Breslau. Januar—April 1921.
H u d a 11 a J.: Versprengter Parotiskeim in der Oberlippe als Grundlage einer
Tumorbildung.
Falkenhoven Kurt: Untersuchungen über die Grössenverhältnisse der
Pulparäume bei Milchzähnen und bei bleibenden Zähnen.
H a n t k e Hans: Befunde und klinische Bedeutung der Trichomonas vaginalis.
Vereins- und Kongressberichte.
XXXIII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für innere
Medizin
in Wiesbaden vom 18.—21. April 1921.
(Berichterstatter: Dresel- Berlin.)
111 .
Sitzung vom 20. April 1921.
Aussprache über den ietzigen Stand der Diabetes¬
therapie.
Berichterstatter v. N o o r d e n - Frankfurt a. M.; bespricht zunächst
den planmässigen Gang der üblichen diätetischen Behandlung. Alle nicht
oder mit halben Massnahmen behandelten Diabetiker müssen einer ein¬
leitenden Schonungskur unterworfen werden. Von dieser leitet man allmählich
zur Dauerkur über, die regelmässig durch Schonungsperioden unterbrochen
werden muss. Der Schonungskur entsprechen die alljährlichen Reisen nach
Karlsbad etc. Die strenge, kohlehydratfreie Kost wird jetzt niemals mehr
als Dauerkost verwandt. Als Schonungskur sollte sie aber weiter benutzt
werden unter Einschränkung des Eiweissgehaltes. Dies kommt auch in den
sog. Gemüsetagen zum Ausdruck. Die Bedenken mancher Forscher gegen
zu grosse Fettzufuhr hält Vortr. für zu weitgehend, insbesondere wenn
die anderen Stoffe ebenfalls in der Nahrung enthalten sind. N. unterscheidet
zwischen eiweissreicherer und ärmerer strenger Kost.
Die ei weissärmere strenge Kost ist für mehr als 5—6 Tage nicht zu
empfehlen. Um eine Schädigung des Kranken zu vermeiden, ist dann
Eiweisszulage notwendig. Diese aber nur bei Fehlen der Kohlehydrate.
Insbesondere bei den leichten Fällen empfiehlt sich die strenge Kost. Man
kann einmal wöchentlich einen Kohlehydrattag (am besten Obsttag) ein¬
schalten, den man von einem Qemüsetag folgen lässt. Dadurch steigt der
Eiweissverzehr sicher nicht zu hoch an. Bei schweren Fällen muss man
Hafertage oder ähnliches einschalten. Die Umstellung auf strenge eiweiss¬
reiche Kost kann bei abgemagerten Diabetikern mit kardiovaskulären Sym¬
ptomen direkt lebensrettend wirken. N. geht dann über zur Besprechung
der Hungertage, die er als Sonntage für die Organe bezeichnet. In allen
durdh Azidose bedrohten Fällen ist die Einschaltung solcher Tage empfehlens¬
wert. Das Allen sehe Verfahren wird besprochen und gezeigt, dass
es für Deutschland eigentlich nicht§ Neues gebracht hat. Wichtig ist, dass
man die Patienten im Bett ohne jede geistige Beschäftigung während der
Hungertage hält. Es gibt Fälle, wo alles darauf ankommt, eine starke
Uebererregbarkeit des zuckerbildenden Apparates zu dämpfen. Hier ist die
strenge Durchführung des Allen sehen Verfahrens mit seiner äusserst
knappen Ernährung von im Anfang nur 4 Kal. pro Kilo Körpergewicht zu
empfehlen. — K o I i s c h hat die Thesen aufgestellt, dass die Kohlehydrat¬
toleranz umso besser wird, je weniger Proteine zugeffihrt werden, dass
das tierische Eiweiss besonders schädlich ist und schliesslich, dass es beim
Diabetiker eine Erniedrigung des Kalorienumsatzes gibt. Wenn letzteres auch
nicht bewiesen ist, so ist richtig, dass jede Ueberfütterung schädlich wirkt. Es
folgt die Besprechung der verschiedenen Kohlehydratkuren, die ausgehen von
den N o o r d e n sehen Hafertagen. Ein Fortschritt war die Empfehlung des
Karamels. Die Mehlfrüchtekur F a 11 a s hat ihren Vorzug bei länger dauern¬
den Kohlehydratkuren. Man muss sich des alten Schemas bei diesen Kuren
bedienen unter Vor- und Nachschaltung der Oemüsetage. Nicht immer ist
der Einfluss der Kohlehydrattage gleich bei den verschiedenen Diabetikern.
Einen gewissen Anteil daran hat der mehr oder weniger grosse Proteingehalt
der Nahrung. Die Wechselwirkung zwischen Eiweiss und Kohlehydraten
in der Kost des Diabetikers muss Gegenstand weiterer Forschung sein. N.
geht dann über zur Besprechung der Ordnung der Dauerkost. Auch hier
gilt der Satz, dass Eiweissüberernährung schädlich auf die Kohlehydrat¬
toleranz wirkt. Die Dauereinstellung auf mittlere Lage ist überholt und muss
durch die Wechselkost ersetzt werden. N. äussert Bedenken gegen die
eiweissarme Dauerkost. Kräftezustand und Leistungsfähigkeit werden durch
Zwischenschaltung eiweissreicher strenger Tage sichtlich gehoben. Nur bei
drohendem Koma gilt dies nicht. Schliesslich werden die Bedingungen er¬
örtert, unter denen die Kohlehydratkuren angewandt werden sollen. N. ver¬
zichtet nur bei ganz leichten Fällen auf Einschaltung solcher Tage. Die
meisten Diabetiker haben die Neigung, sich dauernd zu verschlechtern und
man kann zufrieden sein, den Status quo zu erhalten. Unter den ganz
schweren Fällen kann man mit dem F a 11 a sehen Vorgehen manchmal
vorübergehend einen Stillstand erzielen. Die Kranken jedoch, die doch binnen
kürzestem dem Tode verfallen sind, soll man nicht mit strenger Diät
quälen. Geringe Azidose ist nach Ansicht Noordens nicht immer bös¬
artig und die Pat. gewöhnen sich allmählich daran. N o o r d e n wechselt
in solchen Fällen ab zwischen Tagen mit gewöhnlicher strenger Diät, dann
solcher mit Zulage von Kohlehydraten mit wenig Eiweiss, Oemüsetage und
Kohlehydrattage. Wenn das Verhalten der Azidose es irgend erlaubt, soll
man möglichst einen eiweissreichen strengen Tag einschalten. Im Durch¬
schnitt ist diese Kost eiweissarm. So gelingt es oft eine befriedigende
Stoffwechsellage und Kräftezustand zu erreichen. Uebergrosse Mengen von
Natrium bicarbonicum verwirft N o o r d e n. Die verschiedenen Kurformen
werden an Tabellen erläutert. '
Minkowski - Breslau: Das Neue und das Alte ln der Diabeies-
therapie.
Wenn auch in theoretischer Beziehung M. auf einem anderen Standpunkt
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
652
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21
steht als v. N o o r d e n, so entfernt er sich in praktischer Beziehung nur
wenig von dem Referenten.
Es sind weniger neue Tatsachen als neue S c h I a g w o r t e. die
den Eindruck einer Umwälzung auf dem Gebiete der Diabetestherapie her¬
vorgerufen haben. Dass man mit „Kohlehydratkuren“ und „Hungerkuren“ in
gewissen Fällen Erfolge erzielen kann, soll nicht bestritten werden. Aber
Aufgaben und Ziele der Behandlung sind die gleichen geblieben: Beseiti¬
gung der Hyperglykämie und Erhöhung der Toleranz für
Kohlehydrate. Dass neben der Einschränkung der Kohlehydratzufuhr
auch eine Herabsetzung der Eiweisszufuhr und eine Verringerung des
gesamten Kostmasses anzustreben ist. haben N a u n y n und seine
Schüler längst gelehrt. Die neueren Erfahrungen haben nur gezeigt, dass
man unter Umständen in der Reduktion der Eiweisszufuhr und der Ver¬
minderung des Verbrennungswertes der Nahrung noch viel weiter gehen
kann, als man es früher für möglich gehalten hat. und dass man damit auch
eine anhaltende Besserung der gesamten Stoffwechsellage in gewissen Fällen
erreichen kann. Grundsätzlich wird damit an dem Ziele der Schonungs-
therapic nichts geändert, solange man in der Bemessung der Kohlehydrat¬
zulage, die bei der eingeschränkten Eiweisszufuhr zulässig erscheint, über
eine gewisse Grenze nicht hinausgeht. Das ist z. B. bei der F a 11 a sehen
„Mehlfrüchtekur" noch durchaus der Fall, für die die Bezeichnung als „Kohle¬
hydratkur“ nur irreführend ist. weil bei ihr die weitgehende Einschränkung
der Eiweisszufuhr die Hauptsache bildet. Kohlehydratkuren, bei denen weder
auf die schädliche Wirkung der Hyperglykämie, noch auf die Schonung der
geschädigten Funktion Rücksicht genommen wird, sind zu verwerfen.
Diätvorschriften, bei denen durch Einschränkung der Eiweisszufuhr die
Zufuhr einer gewissen Menge von Kohlehydraten ermöglicht wird, sind haupt¬
sächlich erwün.scht in den schweren Fällen mit Azidose, in denen sich
auch die antiketonurische Wirkung der Haferkuren bewährt hat. Man braucht
eine spezifische Wirkung des Hafers dabei nicht anzunehmen. In mittel-
schweren Fällen kann durch Wechseln von Perioden eiweissarmer Nahrung
mit einem gewissen Gehalt an Kohlehydraten und solchen mit kohlehydratfreier
und eiweissreicherer Ernährung oft mehr erreicht werden, als durch konse¬
quent durchgeführte strenge Kohlehydratentziehung. Für die überwiegende
Mehrzahl der leichten Fälle ist jedoch eine Einschränkung der Kohlehydrat¬
zufuhr bis unter die Toleranzgrenze bei Vermeidung eines Uebermasses der
Eiweisszufuhr und unter Anpassung des Kostmasses an die körperlichen
Leistungen vorzuziehen.
Die Herabsetzung der Eiweisszufuhr darf nicht so weit gehen, dass
der Eiweissbestand des Körpers gefährdet wird.
Auch die Unterernährungskuren, wie die Allen sehen „Hungerkuren“,
bilden nur eine Erweiterung, zum Teil allerdings Uebertreibung der ge¬
bräuchlichen „Hungertage“. Es ist oft überraschend, wie leicht sich die
strengen Kuren nach Aliens Vorschriften durchführen lassen. Das Haupt¬
unwendungsgebiet dieser Kur bildet das präkomatöse Stadium bei schwerer
Azidose. Auch in anderen Fällen kann es manchmal vorteilhaft sein, die
Kur mit Hungertagen zu beginnen, wenn man sehr rasch sichtbare Erfolge
erzielen will. Doch birgt die Unterernährung Gefahren, die nur durch sorg¬
fältige Beobachtung vermieden werden können.
Enthalten die neueren Behandlungsmethoden auch nichts prinzipiell Neues,
so bieten sie doch in ihren technischen Einzelheiten Manches, was als eine
Fiereicherung unseres therapeutischen Rüstzeugs angesehen werden kann. Sie
können segensreich wirken, wenn sie dazu benutzt werden, einer individuali¬
sierenden Behandlung grösseren Spielraum zu gewähren.
An den theoretischen Grundlagen der Lehre vom Diabetes haben die
neueren therapeutischen Erfahrungen nichts geändert. Nach. wie vor darf
man behaupten:
1. Die Krankheit, die als echter Diabetes zu bezeichnen ist. beruht in
der Hauptsache auf Störungen einer Pankreasfunktion, die
anderen beim Kohlenhydratstoffwechsel beteiligten Organe beeinflussen nur
die Intensität und den Verlauf der Glykosurie.
2. Bei dieser Pankreasfunktion handelt es sich um eine positive
Leistung der Drüse, nicht ausschliesslich um eine Bremswirkung, um eine
Hemmung der Zuckerbildung in der Leber. Der Pankreasdiabetes kann nicht
nur als eine ungezügelte Adrenalinglykosurie betrachtet werden.
3. Die Leistung des Pankreas ist notwendig für die normale Ver¬
wertung der Kohlenhydrate im Organismus. Wohl kann die
Zuckerbildung auch gesteigert sein, aber ohne Störung des Zuckerver-
hrauclis ist die diabetische Glykosurie nicht zu erklären.
(Nach einem Autoreferat,)
Falta-Wien: Ueber die MehUrUchtekur.
Zuckerwert der Kost ist gleich dem fünffachen Stickstoffgehalt mal den
Kohlehydraten. Diese Formel hat sich F a 11 a angeblich theoretisch und
praktisch bewährt, was'er in ausführlichen Darlegungen zu begründen sucht.
Insbesondere betont F., dass er es für falsch hält, bei niedrigem Eiweiss¬
gehalt die Kalorienzufuhr zu beschränken. Bei Absinken der Assimilations¬
grösse darf man nicht zuviel Eiweiss geben, man muss Schontage und insbe¬
sondere Mehlfriichtekost einführen, wenn man die Pat. nicht dem sofortigen
Koma verfallen lassen will. Unter dem Einfluss der Mehlfrüchte sieht man
häufig Aufblühen der Kranken. Die Progressivität des Leidens muss bei
der diätetischen Einstellung berücksichtigt werden, ebenso wie die nervösen
Momente. Es gibt auch Fälle, die so gutartig sind, dass sie keiner Be¬
handlung bedürfen. Die Glykosurie bei erhöhtem Blutdruck zeigt ebenfalls
nur geringe Abhängigkeit von der Nahrung,
E. Frank- Breslau: Ueber Nierendiabetes.
Der von G. Klemperer geschaffene Begriff ist erst durch die
modernen Untersuchungsmethoden bestätigt worden. Beim Nierendiabetes
des Menschen handelt es sich um eine Herabsetzung der Grenzschwelle für
die Zuckersekretion in der Niere. Man findet normale Blutzuckerwerte.
Ueber die Ursache des Nierendiabetes sind wir noch ganz im Unklaren.
Die Forderung der Konstanz des Blutzuckers und der unveränderten Zucker¬
ausscheidung bei jeder Ernährung ist aufzugeben. Die Schwangerschafts-
glykosurie entspricht völlig dem Nierendiabetes. Klinik und Diagnose wer¬
den kurz besprochen und auf die Vererbung der Störung hingewiesen. Pro¬
gnostisch ist der Nierendiabetes als unschädlich zu bezeichnen.
Es können Verwechslungen mit dem leichten Diabetes Vorkommen. Die
Verfolgung der Blutzuckerkurve und der Vergleich des gleichzeitig unter¬
suchten Blutes und Urins wird meist vor solchen Verwechslungen schützen.
Q r a f e - Heidelberg: Ueber Assimilation von Karamel bei Diabetikern.
Die Nachteile des selbst hergestellten Karamels vermeidet das Merck-
Digitized by Goiisle
sehe Präparat Caramose. Es wird in Wein oder Kognak gegeben. Es setzt
die Azidose herab. Daher kommt man ebensoschne)l mit dem Zucker herunter
wie mit Hungertagen. Natürlich muss auch hier individuell die Toleranz fest¬
gestellt werden. Bei mittelschweren Fällen kann man ohne Schaden 50 bis
100 g Karamel zugeben. Besonders gut hat es sich beim Jugendlichen
Diabetes bewährt. Die Nachprüfungen haben die günstigen Resultate be¬
stätigt. Eine abschliessende Beurteilung lässt sich noch nicht geben. Der
Zucker verliert bei der Karamelierung alle Eigenschaften eines Kohlehydrats.
Eine gleichsinnige Veränderung von anderen Mehlarten ist unter Fettansatz
bei 130" möglich. Sie werden sehr gut ausgenutzt. An 2 Beispielen wird
gezeigt, dass bei Karamelisierung der Zerealien die Zuckerausscheidung auf
‘/4—^/lo herabgedrückt wird.
Tb. Brugsch, K. Dresel und F. H. L e w y - Berlin: Experimenteller
Beitrag zur zentralen Regulation des Zockerstoffwechsels In der Oblongata.
Durch die auf dem vorigen Kongress vorgetragenen gemeinsamen Unter¬
suchungen war gezeigt worden, dass die Innervation der Nebennieren und
damit die Glykogenmobilisierung mittels des. Adrenalins von der Oblons^ata
aus nur durch eine Verletzung des sog. dorsalen Vaguskern.s, den die
Autoren in Anpassung an seine tatsächliche Tätigkeit als vegetativen
Oblongatakern bezeichnet haben, erzielt werden konnte, und dass Verletzungen,
auch umfangreicher Art, sofern .sie die typische Stelle im vegetativen
Oblongatakern nicht treffen, nicht zur Erhöhung des Blutzuckers führen.
Dagegen war zunäch.st nicht zu erklären, warum unter gewissen Bedingungen
ein Absinken des Blutzuckerspiegels eintrat. Die neueren Untersuchungen
haben ergeben, dass zur Erzielung eines verminderten Blutzuckers eine Ver¬
letzung im vorderen Ende des vegetativen Oblongatakernes erforderlich ist.
dass hier also ein Hemmungszentrum für die Glykogenausschwemmung ge¬
legen sein müsste. Die Exstirpationsversuche zur Feststellung, welche Zentren
in dieser vorderen Abteilune des so au.sgedehntcn vegetativen Oblongatakerns
gelegen wären, haben ergeben, dass nach Exstirpation des Pankreas Zellen
in der genannten Gegend retrograd degenerieren. Daraus ergibt sich, dass im
vegetativen Oblongatakern u. a. sowohl die Zentren für vermehrte Zucker¬
ausschwemmung mittels Adrenalin durch lnn«'rvation der Nebenniere über den
Sympathikus als auch die für einen vermehrten Glykogenaufbau durch Inner¬
vation der spezifischen Tätvikeit des Pankreas über den Vagus gelegen sind.
K. Dresel und F. H. L e w y - Berlin: Die zerebralen Veränderungen
beim Diabetes mellitus und die Pathophysiologie der Zuckerregulation.
Im Verfolg der experimentellen Untersuchungen über die Regulation des
Zuckerstoffwechsels im vegetativen Oblongatakern durch Reizung der Neben¬
niere einerseits, des Pankreas andererseits, und nach Feststellung des diesem
Kern übergeordneten sog Nucleus periventricularis des 3. Ventrikels durch
retrograde Degeneration, wurden an 4 im Alter von 24—42 Jahren im Koma
gestorbenen Kranken mit Diabetes mellitus die in Frage kommenden Gegen¬
den z. T. auf Serienschnitten durchforscht. Dabei zeigte sich, dass der
Nucl. periventr. in den 4 Fällen intakt war. dass sich dagegen in allen
Fällen beiderseits ein umschriebener Herd im 11, Gliedc des Glob. pall. in
seiner obersten Schicht und im mittleren Drittel in seiner Längsausdehnung
von vorn nach hinten mit den Zeichen einer schweren Erkrankung fand.
Der Prozess ist in seiner Pathogenese und auch in seiner speziellen Histo¬
logie noch nicht genügend geklärt. Die pathologische Physiologie der 3
ühercinandergeordneten Zentren für den Zuckerstoffwechsel wird in Analogie
gesetzt zur Wärmeregulation und durch das Bild eines automatisch regu¬
lierten Brutofens erläutert, an dem die vermehrte oder verminderte Heiz¬
stoffzufuhr durch die antagonistische Tätigkeit im vegetativen Oblongatakern.
die Aufrechtcrhaltung eines bestimmten Temperaturspiegels durch da<
Zentrum im Corp. Luysi und die Einregulierung auf diesen Spiegel durch den
Streifenhügel besorgt wird. Dementsprechend wird die relative Höhe des
Zuckerspiegels im Nucl. periventr., die absolute Höhe im Glob. pall. reguliert.
F. L a q u e r - Frankfurt: Ueber den Abbau der Kohlehydrate im Muskel.
Das Glykogen ist im Muskel leichter verwertbar als der Traubenzucker,
wie Versuche ergeben haben, die den Abbau dieser Substanzen durch Muskel¬
brei zu Milchsäure zum Gegenstand hatten. Er glaubt, dass beim piabetes
die Umwandlung des Traubenzuckers in Glykogen gestört ist. wodurch die
Störung des Kohlehydratverbrauchs beim Diabetes zu erklären wäre.
• W. L ö f f I e r - Basel: Das Verhalten des Blutzuckers im höheren Alter.
Zuführung von 20 g Traubenzucker in 100 Wasser per os bedingt
beim älteren Menschen einen höheren Anstieg sowie einen langsameren
Abfall der Blutzuckerkurve. Dies ähnelt der Veränderung, die sich auch beim
Diabetiker findet. Eine Erhöhung des Blutzuckers zu therapeutischen Zwecken
kann ebensogut per os wie intravpnös erfolgen.
E. Toennlessen - Erlangen: Ueber die Beziehungen des Blutznekers
zur Biutazidose und deren Bedeutung für die Pathogene des Diabetes mellitus.
Blutazidose und Blutzucker stehen in ihrer absoluten Höhe nicht in
Zusammenhang. Es gibt aber einen relativen Zusammenhang, wie sich durch
Na und Salzsäuregaben feststellen Hess.
G. E i s n e r - Berlin: Zur Hyperglykämie und Glykosurie.
Alimentäre Kohlehydratbelastung jeder Art macht vorübergehende Stei¬
gerung der Blutzuckerwerte. Besonders hohe Steigerungen werden bei
solchen Kranken beobachtet, bei denen eine besondere Erregbarkeit des auto¬
nomen Nervensystems, speziell ein erhöhter Sympathikustonus, eine Erregung
des chromaffinen Systems anzunehmen ist. Hypophysin hemmt, ebenso w'ie
die Adrenalinhypcrglykämie, auch die alimentäre Blutzuckererhöhung. Dieser
Befund spricht im Verein mit der Tatsache, dass die alimentäre Hyper¬
glykämie ausserordentlich schnell nach Genuss der kohlehydrathaltigen Mahl¬
zeit eintritt, für eine nervös, auf dem Wege des Sympathikus und des chrom-
affinen Systems, bedingte Glykogemnobilisation in der Leber. Zwisclut»
der Adrenalinhyperglykämie einerseits und der alimentären andererseits be-
.steht also kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied. Auch
für die alimentäre Hyperglykämie ist das Glykogendepot der Leber mass¬
gebend, Die Glykosurie ist nicht allein von der Höhe und der Geschwindig¬
keit der Blutzuckererhebung, sondern auch in gewisser Weise von deren
Dauer abhähgig. Die Hyperglykämie hängt von der Stärke und der Dauer
der Glykogenmobilisation einerseits, von dem Verbrauch der Gewebe an
Blutzucker anderseits ab. Erhöhter Blutzucker wirkt als Zellgift. Er ver¬
ändert bei gewisser Höhe und Dauer die Nierentätigkeit und macht die
Nierenzellen für Zucker durchlässig.
A r n o 1 d I - Berlin: Zur Physiologie und Pathologie des Kohlehydrat¬
stoffwechsels.
Durch Blutzucker- und Gaswechseluptersuchungeif kann man nach
Traubenzucker per os. Suprarenininjektionen, seelischen Erregungen. CO»-
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
653
Bädern u.a.ni. feststellen, dass eine NachwirkunK von ein oder mehreren
Tagen auf den Stoffwechsel statthat. Diese Nachwirkung verläuft für den
Üesunden in anderer Weise wie bei Stoffwechselkranken.
W. H. Veil-München: Deber eine mineralische StoKwecbselstörung
beim Diabetes mellitus.
Ausgehend von der Tatsache, dass in der Vorgeschichte von Diabetes-
insipidus-Kranken sich nicht selten die Angabe findet, dass im Beginn des
Leidens sich Qlykosurie bemerkbar gemacht habe, dass aber diese Störung
des Kohlchydratstoffwechsels rückbildungsfähig sein kann, ferner dass für die
Polyurie der Zuckerkranken immer noch keine befriedigende Erklärung
existiert, wurde damit begonnen, die Polyurie der Diabetiker eingehend zu
studieren. Dabei zeigte sich, dass bedeutungsvolle selbständige Störungen
des Mineralstoffwechsel vorliegen können, die bisher unbekannt sind. So
wurde gefunden, dass in einem Falle, der in der zuckerfreien Periode Hypo-
sthenurie und eine Verminderung der Chlorelimination aufwies, durch Verab¬
reichung einer grösseren NaCl-Zulage ceteris paribus schwere Qlykosurie
und gleichzeitige sofortige Ketonurie erzeugt wurde. Erst starke Belastung
mit Ovarialsekret, in dem wir ein Mittel besitzen, das den mineralischen
Stoffwechsel unter Umständen nachhaltig beeinflusst, besserte die Chlor¬
störung und minderte gleichzeitig wieder die Qlykosurie herab. Weiteren
reoidea etc. bewirkte eine Erhöhung der Zuckerausscheidung, Thymus eine
Deutung Vorbehalten. (Autoreferat.)
W. Stepp und R. F e u I g e n - Qiessen: Ueber die Identifizierung der
aldehydartig reagierenden Substanz im Harn von Diabetikern ais Azetaidehyd.
(Vortr. W. S t e p p.)
Nachdem von Stepp im Blut und Harn von Diabetikern im Stadium
der Azidosis eine aldehydartig reagierende Substanz hatte , nachgewiesen
werden können, gelang jetzt die einwandfreie Identifizierung dieses Stoffes
als Azetaidehyd. Es konnte die Azetaldehydverbindung des Dirnethyl-
cyclohexandions mit dem richtigen Schmelzpunkt isoliert und dieser Körper
in sein Anhydrid vom Schmelzpunkt von 173—175" übergeführt werden.
Das Azetaidehyd kann bis zu 50 Proz. dessen ausmachen, was man ge¬
wöhnlich als Qesamtazeton bezeichnet. In minimalen Spuren scheint es auch
im normalen Harn vorzukommen.
Q r o t e - Halle a. S.: Einfluss von Inkreten auf die Pblorrhlzinglykosurie.
Sympathikotonc Patienten mit insbesondere thyreotoxischen Erschei¬
nungen zeigten eine erhebliche Verstärkung der Phlorrhizinglykosurie, wäh¬
rend andere, insbesondere solche mit Myxödem und Karzinomen eine ver¬
minderte Qlykosurie aufwiesen. Die Injektion verschiedener Inkrete wie Thy¬
reoidea etc. bewirkte eine Erhöhung der Zuckerausscheidung, Thymus eine
Verminderung-
K. L ö n i n g - Halle a. S.: Ueber Organotherapie des Diabetes.
Das von anderer Seite beschriebene Metabolin, das aus dem Pankreas
isoliert worden war, wirkt entgegen der Adrcnalinglykosurie. Aus der Hefe
lässt sich ein ähnliches Präparat herstellen. das irreversibel ist und, wie
Weintraud an zwei Fällen gefunden hatte, eine günstige Wirkung auf den
menschlichen Diabetes ausübt. Diese wurde in zahlreichen Fällen von dem
Vortr. bestätigt.
B Arger- Kiel: Die experimentellen Grundlagen einer Arbeitstherapie
des Diabetes.
Während der Arbeit sinkt der Blutzucker ab. auch noch eine Zeitlang nach der
Arbeit. Bei künstlich erhöhtem Blot/ucker wird nur ein kleinerer Teil während
der Arbeit ausgeschieden als ohne Arbeit. Der respiratorische Quotient steigt
hei Zuckergaben und gleichzeitiger Arbeit weniger an als ohne Arbeit. Bei
manchen Diabetikern sinkt der Harnzucker unter Ansteigen des Blutzuckers.
Die Anwendung in der Praxis ist nur mit grosser Vorsicht diirchzuführen.
Schild- Hörde: Ueber einige Versuche mit Pituglandol bei Diabetikern.
Sch. sah nach Injektionen von Pituglandol ein Absinken der Qlykosurie
hei Diabetikern.
Aussprache: K o 1 i s c h - Karlsbad stellt fest, dass das. was als
moderne Behandlung des Diabetes angeführt wird, nichts Neues ist. Alles
baut sich auf den Angaben N a u n y n s auf, die von K. nur in mancher
Hinsicht ergänzt worden sind. Es folgen historische Bemerkungen. Zum
Schluss hebt er hervor, dass män den Diabetiker auch menschlich behandeln
muss und ihn deshalb nicht der. Tortur eines 10 tägigen Hungerns aussetzen
soll.
C. O e h m e - Bonn hat den Einfluss des Sekretins mit und ohne Zucker¬
zufuhr auf den Blutzucker untersucht. Bei Kaninchen wird regelmässig der
Blutzucker gesenkt, bei Hunden gleichfalls, wenn das Präparat gereinigt ist.
Die Reaktion geht nicht über das Pankreas, wahrscheinlich über die Leber.
Q o r k e - Breslau: Die A 11 c n sehe Kur wurde bei einigen schweren
und mittelschweren Diabetikern ausprobiert und grosse Vorzüge derselben
festgestellt.
Q. K 1 e m p e r e r - Berlin: Die Hungerkur wird natürlich nur mit Ein¬
willigung des Patienten durchgeführt.
I s a a k - Frankfurt: Der Traubenzucker muss in der Leber eine Um¬
wandlung durchmachen, um für den Körper verwertbar zu werden. Das
Umwandlungsprodukt scheint der Lävulose näherzustehen als der Dextrose
(Enolform). Beim Diabetiker sind die Stoffwechselvorgänge noch mehr in
Richtung der Dextrose verschoben. Der Zucker muss demnach in eine andere
Form gebracht werden, um besser verwertet zu werden.
Traugott - Frankfurt a. M.: Qibt man zweimal hintereinander
Traubenzucker, so wird das zweitemal der Blutzucker nicht erhöht. Beim
Diabetes dagegen steigt der Blutzucker immer wieder an. Dies wird
differentialdiagnostisch für den Diabetes innocens empfohlen.
Elias- Wien berichtet über den Angriffspunkt von Säure und Alkali
auf den Kohlehydratstoffwechsel. Er hält aus ver.schiedencn Gründen eine
direkte Wirkung auf die Leberzelle für sehr wahrscheinlich. Intravenöse In¬
jektion von Phosphaten setzt bei Hyperglykämien den Zuckerspiegel herab,
lässt aber den normalen unverändert. Der Harnzucker bleibt 2 —4 Tage
nach der Injektion niedrig.
H o p p e - S e y 1 e r - Kiel: Bei Pat. mit Pankreasveränderungen, insbe¬
sondere bei Arteriosklerotikern, empfiehlt sich immer eine Schonungsdiät, weil*
zum Teil auch die äussere Pankreassekretion darniederliegt.
G o 1 d s c h e i d e r - Berlin: Für die praktische Behandlung des Dia¬
betikers wird die Beobachtung der Reizbarkeit empfohlen. Die Ruhb hat
schon allein oft einen grossen Einfluss auf die Zuckerausscheidung.
Q i g o n - Basel: Nicht nur der Diabetiker, auch andere Kranke haben
ein geringeres Kohlehydratbedürfnis. Für den Praktiker genügt es. den
Körperzustand des Pat. zu beobachten. Die Patienten müssen darauf hinge-
Digitized by Goiisle
wiesen werden, dass auch Gemüse Kohlehydrate enthalten. Die Azidose
spricht für einen Verminderten Zuckerverbrauch beim Diabetes. Der Diabetes
der Frau scheint für die Nachkommen gefährlicher zu werden als der des
Mannes.
C 0 11 a t z - Darmstadt: Um das Hungergefühl der Kranken bei der diä¬
tetischen Behandlung der Diabetiker zu beheben, hat sich Vortr. die Gelatine
bewährt. Auch die Azidose wird hierdurch günstig beeinflusst.
Eigenberger.
L i c h t w i t z - Altona: Die Zahl der eiweissempfindlichen Diabetiker
ist sicher sehr gross. Trotzdem scheint man z. T. in der Eiweissentziehung
zu weit gegangen zu sein. Die Häufung des Ikterus und die Schwäche der
Drüsen mit innerer Sekretion ist vielleicht auf die Eiweissarmut der Kriegs¬
jahre zurückzuführen. Wir brauchen auch das tierische Eiweiss. In bezug auf
den Nierendiabetes mahnt L. zur Vorsicht. Das Karamel ist mit Kohlehydrat¬
zufuhr nicht zu vergleichen.
N 0 n n e n b r u c h - Würzburg: Nach dem Abklingen der Hyper¬
glykämie nach Zuckerinjektion kann noch eine' geringe Menge Zucker au.s-
geschieden werden. Es werden einige theoretische Fragen in dieser Be¬
ziehung erörtert.
E m b d e n - Frankfurt a. M.: Im Ansohluss an die Ausführungen
Bürgers teilt E. mit. dass jede Muskelarbeit verbunden ist mit einer
grösseren Durchlässigkeit der Grenzschicht der Mu.skelfasern. Im Statfum
der Ermüdung dringen Stoffe viel leichter in den Muskel ein. Das braucht
aber nicht parallel zu gehen mit dem Verbrauch der eingedrungenen Substanz.
Adrenalin scheint eine Verminderung der Durchlässigkeit der Grenzschicht
hervorzurufen.
V 0 I h a r d - Halle empfiehlt die Fasttage für die Behandlung des Dia¬
betes. Eventuell kann man durch Phlorrhizin die Fasttage ersetzen.
P f e i f f c r - Wiesbaden: Durch die Badekur in Wiesbaden wurde regel¬
mässig ein günstiger Einfluss.auf die Qlykosurie der Diabetiker beobachtet.
Orafc (Schlusswort): Bei der Arbeit der Diabetiker steigt der respira¬
torische Quotient nicht an.
Frank (Schlusswort) besteht auf der strengsten Abtrennung des Nieren¬
diabetes von dem übrigen Diabetes.
F a l t a (Schlusswort) .spricht noch einmal ausführlich über die Grund¬
lagen der Mehlfrüchtekur.
Minkowski (Schlusswort) bestreitet auch, dass die Fasttage inhuman
wären. Im Gegenteil, die Patienten sind meist sehr auf dem Posten.
V. N 0 o r d e n (Schlusswort).
W. Jaensch - Marburg: Ueber psychologische Konstitutionstypen.
Durch Beobachtung der Nagelfalzkapillaren kommt Vortr. zu der Vor¬
stellung, dass die Schilddrüse vorwiegend die Kapillarformed in der Haut und
vielleicht auch im Gehirn beherrsche. Die hypothyreotischen Kapillarformen
finden sich bei Schwachsinnigen mit und ohne klinische Hypothyreose, bei
Schwachbegabten und manchmal bei Gesunden. J. hofft, dass sich durch
diese Beobachtung event. Frühdiagnosen ermöglichen lassen und glaubt Ab¬
grenzungon innerhalb der Neurasthenie und anderer psychiatrischer Krank¬
heiten- vornehmen zu können.
18. Tagung der Deutschen Pathologischen Gesellschaft
in Jena vom 12.—14. April 1921.
(Berichterstatter: W. ü e r 1 a c h - Jena.)
Der Vorsitzende, Herr S c h m o r 1 - Dresden, eröffnet die Tagung mit
einem Rückblick auf die letzte im Jahre 1914 in München und gedenkt der
35 Toten aus allen Altersklassen, die die Gesellschaft durch Krankheit. Krieg
und politische Unruhen verloren hat.
Der Dekan der Medizinischen Fakultät Jena, Prof. Ibrahim, heisst
die Versammlung willkommen und weist auf die Wichtigkeit gemeinsamer
Zusammenarbeit von Pathologen und Klinikern hin.
Herr R ö s s 1 e - Jena begrüsst die Gesellschaft in seinem Institut und
gibt altem Brauche gemäss einen Ueberblick über die Tätigkeit seiner Amts¬
vorgänger Schleiden. W. Müller und D ü r c k, sowie über die Ge¬
schichte des Instituts.
Das Referat erstattete Herr H e 11 v - St. Gallen: Die Milz als Stoff-
wechseiorgan.
In einigen Leitsätzen fasst er den Inhalt seines Referates zusammen,
die gekürzt hier folgen möp^en. Die Milz muss von den Funktionen des
Stoffwechsels aus (Assimilation, Dissimilation, Speicherung und Au.sscheidung)
betrachtet werden. Die Stoffwechseltätigkeit ist zu unterscheiden nach ihrer
Bedeutung für das Organ selb.st und nach der für den Organismus. Ref.
hat die Milz als ..regionäre Lymphdrüse des Blutes" charakterisiert, was
durch Gewebscharakter der Milz und ihr Verhalten gegenüber im Blute
kreisenden Stoffen bewiesen wird. Aus der Milzfunktion ergeben sich Folgen
für den Stoffwechsel sowie Beziehungen zu Leber und Blut, und dadurch
zum Organismus Im besonderen äussert sich eine Stoffwechseltätigkeit der
Milz gegenüber Eisen und Fett, weiters Eiweiss. ferner in entgiftenden Wir¬
kungen. Beziehungen zur Verdauung scheinen möglich. Ausser den Folgen
der allgemeinen Milzfunktion für den Stoffwechsel bestehen neben ihnen und
durch sie auch solche für normalen und pathologischen Blutabbau und -aufbau.
ferner dadurch zu gewissen Anämien. Aus den Stoffwechselbeziehungen zur
Leber und dem Zusammenwirken mit dieser ergeben sich Folgen für deren
normale Tätigkeit, ferner zur Leberpathologie, z. B. Zirrhose, Morbus Banti
und ganz besonders zum hämolytischen Ikterus. Weiters bestehen Folgen für
allgemeinere Reaktionen des Organismus, wie Erscheinungen der Immunität.
Folgen des Miizau.sfalls ergänzen sinngemäss die Qrundfunktion der Milz und
sind daher zum Teil Kompensationserscheinungen, sei es durch entsprechende
Anpassungsvorgänge im Organismus, sei es durch Ersatzerscheinungen. Die
Milztätigkeit kann nicht nur mechanisch begriffen werden, sondern erfordert
Mitberücksichtigung der vitalen Vorgänge an den einzelnen, das Milzgewebe
aufbauenden Elementen sowohl, wie des ganzen Organes als Ausdruck einer
Lebenstätigkeit. Die Milz teilt mit allen Organen die Einschaltung in den
allgemeinen Stoffwechsel und muss daher auch wie die anderen durch ihre
Tätigkeit diesen beeinflussen. Sie nimmt aber auch selbsttätigen Anteil
durch ihre spezifische Tätigkeit an dieser Beeinflussung, nicht etwa, weil sie
als Verdauungsorgarf oder Stoffwechselorgan im engeren Sinne arbeitet, son¬
dern vermöge ihrer Einschaltung in die Blutbahn als Lymphdrüse.
Das Korreferat über das gleiche Thema gab Herr Eopinger-
Wien unter Zugrundelegen etwa folgender Leitsätze: Die Milz — kein
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
654
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21
IcbenswichtiKes Organ — hat weder Einfluss auf den Grundumsatz, noch
auf den N-, Salz- und Wasserstoffwechsel. Dagegen tritt besonders unter
pathologischen Verhältnissen die Beziehung zum intermediären Hämoglobin¬
stoffwechsel hervor. Der Abbau der Erythrozyten lässt sich beim Menschen
nur indirekt aus Duodenalsaft, Stuhlfarbstoff und prozentualer Bilirubinmenge
im Serum schätzen. Im Verhalten des Eisens liegt kein Hinweis für den
Hämoglobinstoffwechset. Ausgangspunkt für die Untersuchung zwischen Milz
und Hämoglobinstcffwechsel war der hämolytische Ikterus. Nach Milzexstir¬
pation geht Ikterus und Blutabbau zurück. Die Gelbsucht bei diesem Krank¬
heitsbild hängt wohl sicher mit der gesteigerten Blutmauserung und insofern
mit der Milztätigkeit zusammen. Der Blutreichtum der Milz ist beim hämo¬
lytischen Ikterus wohl auf eine gesteigerte Milztätigkeit zurückzuführen; mit
der Möglichkeit eines spodogenen Milztumors wird beim hämolytischen kaum
gerechnet. Im Verlauf des hämolytischen Ikterus kann es zu schweren
Anämien kommen. Hier sind die Wechselbeziehungen zwischen Erythropoese
und Blutabbau zu ungunsten des Knochenmarks gestört. Aus Analogie¬
gründen zum hämolytischen Ikterus war auch bei der perniziösen Anämie die
Splenektomie versucht, mit dem Erfolg, dass meist der überstürzte Blutabbau
nachlässt. Doch liegt hier nur eine Besserung, nicht wie beim hämolytischen
Ikterus eine Heilung vor. Die histologische Untersuchung lässt bei perniziöser
Anämie an eine Mitbeteiligung'' der K u p f f e r sehen Sternzellen der Leber
und der Hämolymphdrüsen bei der Hämolyse denken, während diese beim
hämolytischen Ikterus vorwiegend auf die Milz lokalisiert ist. Der erythro¬
poetische Apparat und die Zellen, die für die Hämolyse zu sorgen haben,
bilden offenbar ein zusammengehöriges System — retikuloendothelialer Stoff¬
wechselapparat (A s c h 0 f f). Die funktionelle Analyse der Perniziosa und
des hämolytischen Ikterus lässt an die Möglichkeit einer Störung dieser
ineinander greifenden Organgruppen denken. Der Hämoglobinstoffwechsel bei
der Polyzythämie erlaubt die Annahme, dass cs sich hier nicht nur um eine
Erythrämie allein handelt; sicherlich spielt die Insuffizienz im Blutabbau auch
eine Rolle. Die Hämochromatose gestattet keinen Rückschluss auf ge¬
steigerten Blutzerfall. Mit dem Lipoidstoffwechsel hat die Milz in ihrer
Wechselbeziehung zur Leber sicher zu tun. Bei gesteigertem Blutzerfall ist
der Purinumsatz erhöht. Beziehungen der Purine bzw. der Harnsäure zu
den Leukozyten lassen an die Möglichkeit der Beteiligung der Milz am
Leukozytenabbau denken. Nach der Splenektomie sinken die endogenen
Harnsäurewerte unter die Norm. Die Milz ist also kein Stoffwechselorgan
schlechtweg, sondern ein Glied eines grossen Systems, das im Rahmen des
Stoffwechsels eine sehr grosse Rolle spielt. Weniger klar sind die Be¬
ziehungen zum Cholesterin- und Harnsäureumsatz.
Herren Kuczynskl und Wolf!: Beitrag zur Pathologie der experi¬
mentellen Streptokokkeninfektion der Maus (Milz, Leber, Herz).
Mäüse wurden in gewöhnlicher Anordnung mit aninfektiösen, grün¬
wachsenden Streptokokken intravenös gespritzt. Dabei treten Milzschwel¬
lungen mit Reaktionen an Pulpa und Follikelapparat auf. Plasmazelluläre
Reaktion, Riesenzellhyperplasie und Pulpaproliferation charakterisieren das
Reizbild der Milz. Der Reizung folgt die gestaltliche Lähmung, d. U. Pulpa¬
sklerose. Am Herzen treten Veränderungen auf, die stark an die Anfänge
der Endokarditis simplex (K ö n i g e r) erinnern. In der Leber treten zirrhoti-
sche Prozesse auf. Hämosiderose wie bei Sepsis lenta. Derartig präparierte
resistente Mäuse wurden mit stärker virulenten hämolytischen Streptokokken
nachgeimpft und dadurch histologische Veränderungen erzielt, die den
Immunitätszustand des Tieres zur Anschauung bringen. Diese Reaktionen
sind die Folgen örtlicher Ansiedelung und örtlichen Abbaues der Streptokokken
in den Gefässen, wo sie in der Regel nur kulturell nachweisbar sind.
Herr S t o e c k e n 1 n s - Giessen: Zur Lehre vom geweblichen Aufbau
der Idiopathischen Splenomegalie der Kliniker.
Eine exstirpierte, 2 kg schwere Milz zeigt auf dem Durchschnitt in
dunkelblauroter Pulpa grauweissliche Einsprengungen, den hyperplastischen
Follikeln entsprechend. Follikelretikulum stellenweise verfettet und hyalin
degeneriert. Die Veränderungen stehen im engsten Zusammenhang mit den
' Gefässen. In den verfetteten und hyalinisierten Retikulumpartien besonders
deutliche Kernentartung, doch finden sich nirgends Nekrosen oder Riesen¬
zellbildungen, ganz vereinzelt Eosinophile. St. fasst den Vorgang auf als
eine Schädigung des Retikulums durch unbekannten Reiz.
Herr S1 e g m u n d - Köln: Lipoldz^lhyperplasle und Splenomegalie
Gaucher.
Dem Vortr. gelang es bei der genannten Erkrankung bei einem 9 Monate
alten Mädchen in Milz, Endothelien von Herzfleisch, Haut und Nieren chemisch
und mikrochemisch Lipoide, zum grössten Teil Phosphatide nachzuweisen.
Herr L u b a r s c h - Berlin: Zur .Kenntnis des makrophagen Systems
(retlkulo-endothellalen Apparates).
Ausgedehnte Untersuchungen am Neugeborenen und Säugling haben den
Vortr. zur Ueberzeugung gebracht, dass der sog. retikulo-endotheliale
Apparat nur ein Teil des makrophagen Systems ist, d. h. derjenigen Zellen.'
die in erster Linie der Aufnahme gröberer zugrunde gehender oder aus den
Flüssigkeiten ausgefällter Substanzen dienen.
Herr S c h m i n c k e ist der Ansicht N a e g e I i s, dass das Primäre des
hämolytischen Ikterus eine Anomalie der Erythrozyten ist.
Herr Lubarsch: Die Ablagerung von Fett im Retikulum gehört zu
den Seltenheiten. Es ist zu trennen zwischen Hämosiderinablagerung und
-Speicherung.
Herr Sternberg: Die Gefässveränderungen, die E p p i n g e r an den
Milzgefässen sah, fand er auch in normalen Milzen und bei den verschieden¬
sten pathologischen Zuständen. Die apiastische Anämie fasst er noch im
Ehrlich sehen Sinne als Erschöpfungszustand des Knochenmarks auf. Den
Pall Stoeckenius hält St für Lymphogranulomatose.
Herr A s c h o f f deutet die v’^erschiedenartigen Befunde bei der ge¬
nannten Anämie durch den verschiedenen Abbau des Hämoglobins. Der
Umfang des retikulo-endothelialen Apparates muss noch geklärt werden, aber
zweifellos gehören ihm nicht alle Zellen, die Hämosiderinablagerung zeigen, an.
Herr Jakobsthal ist der Ansicht, dass die Hämolyse durch Lipoide
bewirkt wird, und gibt dafür experimentelle Stützen.
Herr Askanazy: Eine physiologische Hämosiderose ist bei Neuge¬
borenen und Kindern im Knochenmark bekannt. Erythrozytenuntergang kann
einmal zu Hämosiderinablagerung, ein andermal zur gesteigerten Bildung von
Gallepigmcnt führen,
Herr Lubarsch muss auf Grund sehr zahlreicher Untersuchungen
daran festhalten, dass bei der überwiegenden Zahl der Fälle bei perniziöser
Anämie die Milz nur sehr wenig oder gar kein Hämosiderin enthält.
Herr Sternberg schliesst sich dieser Ansicht an.
Herr Hübschmann hat dieselbe plsamazelluläre Reaktion, die
Kuczynski und W o 1 f f für die Maus beschrieben, für die menschliche
Infektionsmilz beschrieben.
Herr W e g e 1 i n sah im Globus pallidus dieselben hämosiderinhaltigen
Zellen um die Gefässe herum wie Herr Lubarsch.
Herr Schmorl; Bei der Hämochromatose ist die Eisenablagerung
anders als bei der perniziösen Anämie.
Herr Helly (Schlusswort): Makrophagen in der Milz gehören zu den
vergleichend-anatomischen Verschiedenheiten. Alle Funktionsäusserungen der
Milz erklären sich aus ihrer Lymphdrüsennatur.
Herr Miller: Mikroskopische Demonstration elektlver Färbungen.
Eine Methode stellt die elektive Färbung reinen Hämoglobins gegenüber
dem mit Eiweiss vermischten dar, eine andere färbt den Kalk elektiv. Die
Methode färbt nach Chromierung Rüssel sehe Körperchen tiefschwarz.
Herr B e 11 z k e demonstriert einen Fall von multiplen Myelomen „Mye-
ioma sarcomatodes**.
Herr Sternberg hält das Myelom für eine Systemerkrankung des
Knochenmarks.
Herr Dietrich- Köln: lieber Chondrodystrophie.
Die Entstehung des Perioststreifens leitet D. von der besonderen Aus¬
bildung der Knochenmarkkanäle ab seine Bedeutung besteht sowohl in einer
Unterbrechung des eipchondralen Wachstums, als auch in einer Knochen¬
bildung von periostalem Typus. Das Längenwachstum wird, wenn auch un¬
vollkommen, vom Perioststreifeh übernommen.
Herr Askanazy - Genf: Lymphogranulom des Knochenmarks.
Der Obduktionsbefund eines an Halslympl-drüsen sichergestellten Lympho-
granuloms liess an einem Halswirbel das Bild einer tuberkulösen Spondylitis
erkennen, die sich mikroskopisch gleichfalls als Lymphogranulomatose erwies.
Ferner fand sich periostal und an der Dura Lymphogranulom, Die Knochen¬
veränderung beim Lymphogranulom kann schon makroskopisch sichtbar sein,
kann unter dem Bilde gelblich zerstreuter Herde ohne Einschmelzung, ähnlich
dem Knochenkrebs, verlaufen, kann fibrös gallertige Einlagerungen im Mark
darstellen und wie bei tuberkulöser Spondylitis mit Höhlenbildung einhergehen.
Herr S c h m o r 1 hat an einem ähnlichen Fall makroskopisch die Diagnose
Karzinom gestellt, die erst mikroskopisch berichtigt werden konnte.
Herr Dietrich sah einmal einen typischen Gibbus durch Lympho¬
granulom entstehen.
Herr Sieden topf - Jena: Ueber den Kontrast Im mikroskopischen
Bilde.
Vortr. erhebt die Frage, ob die Hellfeldbeleuchtungsweise bei enger
oder weiter Irisöffnung genügende Bedingungen des Kontrastes für das Re-
fraktions- oder Absorptionsbild auch dann noch darbieten, wenn es sich um
sehr geringe Differenzen in den beiden optischen Konstanten handelt. Die
Erörterungen zeigen, dass diese Frage im allgemeinen im verneinenden Sinne
zu beantworten ist. Die Ergebnisse werden dahin zusammengefasst, dass die
mikroskopische Untersuchung, um vollständig zu sein, auch im Dunkelfeld
erfolgen muss. Denn alle mikroskopischen Präparate enthalten im allgemeinen
sowohl Elemente, die im Hellfeld bessere Bedingungen des Kontrastes auf-
weisen, als auch solche, die wieder im Dunkelfeld besser sichtbar werden.
Die Schwierigkeiten der Anwendung können durch die neuen Wechsel¬
kondensoren als im wesentlichen beseitigt gelten.
Herr D fi r c k - München: Ueber eine elKentiimllche Erkrankung der
Gehirngefässe.
Unter 15 Fällen von Encephalitis lethargica fand D. zweimal mehr oder
weniger umfangreiche Verkalkungen im Gehirn, 1. als Kalkinkrustation von
Ganglienzellen, 2. als Ablagerung von freien Kalkschollen im Gewebe, 3. vor
allem als Verkalkung von Gefässwänden. Die Verkalkungen der Gefässe
bevorzugen gewisse Gebiete, die scharf abgegrenzt sind, innerhalb der
befallenen Partien können alle Gefässe beteiligt sein. Die Entstehung der
Gefässwandverkalkung scheint nicht einheitlich zu sein. Die Zustände haben
natürlich nichts mit der Arteriosklerose zu tun. Möglicherweise stehen sie zu
den nach der epidemischen Enzephalitis beobachteten Folgezuständen, dem
„striolentikulären Syndrom" in gewissen ätiologischen Beziehungen.
Herr Lubarsch sah sehr häufig Verkalkungen bei Kindern und
Jugendlichen z. B. im Corpus Striatum, wenn jeder pathologische Prozess
fehlt. Ganglienzellverkalkungen sah er allerdings nicht.
Herr W o h 1 w i 11 fragt, ob bei Enc. ep. eine Inkongruenz zwischen
Gefässverkalkungen und Entzündungsherden besteht.
Herr D ü r c k erwidert, dass sogar ein Ausschliessungsverhältnis vor¬
liegt.
Herr S i e g m u n d sah sie unter 40 Fällen nur bei zwei Kindern. Bei
Erwachsenen fand er nicht Kalk, sondern eine hompgene Masse ohne Kalk¬
reaktion. die er für Abbauprodukte der Markscheiden hält, die erst sekundär
verkalken.
Herr Kaiserllng - Königsberg macht Mitteilung über das Verhalten
von Bakterien im Lumineszenzmikroskop und will dadurch zu. weiteren
Untersuchungen mit diesem anregen.
Herr Chrlsteller - Berlin gibt Beispiele für „die Bestimmung der
Farbe normaler und pathologischer Organe nach Wllh. O s t w a I d**.
Herr Chrlsteller - Berlin :• Ueber eine neue Methode der stereo-
mikroskopischen Photographie histologischer Präparate.
Das rationellste Verfahren, um eine paralaktische Verschiebung der Bild¬
punkte zu erreichen, besteht darin, den Spiegel des Mikroskops um messbare
Beträge seitlich zu nei'^en.
Herr R ö s s 1 e hat Stichproben mit dem Lumineszenzmikroskop gemacht,
glaubt aber nicht, dass es histologisch viel leisten wird.
Herr Orth- Berlin gibt einen Ueberblick über den Stand der Sammel¬
forschung des Deutschen Zentralkomitees zur Erforschung und Bekämpfong
der Krebskrankheit bzw. Sektionsfälle von Krebs und bezweckt damit, die
Anwesenden zu veranlassen zu statistischen Zwecken 'regelmässig die
Sammelbogen einzusenden.
Herr G r u b e r - Mainz: Ueber die Notwendigkeit der Einführung von
polizeilichen Leichenöffnungen.
Im Einklang mit Heller und Strassmann spricht sich G. für die
gesetzlich auszuführenden polizeilichen oder Verwaltungssektionen bei allen
unklaren Todesfällen aus, in denen nicht gerichtliche Sektion gemacht wird.
Die Ausführung der Sektionen ist Gerichtsärzten und Pathologen gemeinsam
zu übertragen, nicht den ersteren allein, weil infolge mangelnder Uebung
und Ausbildung eine Verwertung des Materials sonst unmöglich erscheint.
Digitized by Goiisle
Original frurri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
27. Mai 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
655
Herren Lubarsch, Wätjen, Orth, Schmor 1, Aschoff,
D ü r c k sprechen sich gleichfalls für die Verwaltungssektionen aus, sind aber
unbedingt dafür, dass die Ausführung dem pathologischen Anatomen über¬
tragen wird, während die gerichtlichen Sektionen den Qerichtsärzten — nach
entsprechender Ausbildung — zu belassen seien.
Auf Antrag Herrn A s c h o f f s wird eine Kommission gewählt, die die
Frage weiter bearbeiten soll.
Herr G r o 11 - München: Experimentelle Studien über die Beziehungen
der Entzündung zum nervösen Apparat.
Vortr. stellte experimentelle Untersuchungen über die physiologische und
pharmakologische Reaktionsweise der peripheren Arterien beim Frosche an.
Die Reize müssen direkt auf den peripheren Vasomotorenapparat einwirken
können.
Herr Rössle: Färbungen der vasomotorischen Nervenendigungen
beim C o h n h e i m sehen Entzündungsversuch lassen morphologisch keine
Veränderungen an den Qefässnerven annehmen.
Herr Groll antwortet auf eine Frage Herrn Sternbergs, dass es
bei der Ausschaltung höherer Zentren zu erheblichen .Schwankungen in der
Zirkulation kommen kann.
Herr H e r z o g - Leipzig: Zur Granulozytenblldung bei der Entzündung.
Bei der Untersuchung einer frischen urämischen Perikarditis fand der
Vortr. die von ihm schon experimentell erzeugten in loco entstandenen,
spärlich eosinophil gekörnten Granulozyten zwischen den stark gewucherten
und vielfach abgerundeten, basophil granulierten Adventitialzellen. An den
feingranulierten „Myelozytenformen" sind alle Uebergänge zu gelapptkernigen
zu verfolgen.
Herr Sternberg möchte nicht behaupten, dass es sich um echte
in loco entstandene Leukozyten handelt.
Nach Ansicht von Herrn H e 11 y ist Aus- und Einwanderung nicht ganz
auszuschliessen. Im Körper ist myelopoetisches Gewebe nicht ubiquitär
vorhanden und das wäre Voraussetzung für die Entstehung in loco.
Herr Herzog betont gegenüber Herrn Sternberg die Identität der
feinen Granula in den grosskernigen und den gelapptkernigen Zellen. H e 11 y
ist die verhältnismässig grosse Zahl der grosskernigen, ihre häufig paar-
und gruppenweise Lagerung und die Tatsache entgegenzuhalten, dass
mitunter erst ein Teil des basophilqn Leibes von Granulis eingenommen sei,
also offenbar eine granuläre Umwandlung des Protoplasmas vorliege.
Herr Lubarsch - Berlin: Zur pathologischen Anatomie der Er-
schöphings- und Unterernährungskrankhelten.
Neben den bekannten Befunden bei der Oedemkrankheit hebt L. die
intravaskuläre Blutkörperchenzerstörung und fortgesetzten kleinen Blutungen,
die zu ausgedehnten Hämosiderinablagerungen führen, hervor. Damit würde
ein Ueberganv zum Skorbut gefunden sein. Auch bei Hungerosteopathien
fanden sich den bei Skorbut beschriebenen analoge Knochenveränderungen
und Hämosiderinablagerungen, so dass die Ansicht gestützt erscheint, dass
die drei Erkrankungen zu einer grundsätzlich zusammengehörigen Krankheits¬
gruppe zu rechnen sind.
Herr Busch- Erlangen: Physikalisch-chemische Untersuchungen zur
Theorie der Gift Wirkung.
Organische Gifte — auch tierische und pflanzliche — haben das Vor¬
handensein chemisch aktiver Gruppen gemeinsam. Das Wesen der ersten
Phase der Qiftwirkung — der Bindung an die Zelle — ist im Wirksam¬
werden einer chemischen Affinität zu sehen. Vortr. weist auf die beachtens¬
werte Tatsache hin. dass wohlbekannte tierische und pflanzliche Gifte nicht
Eiweisskörper sind.
Herr H a n s e r - Ludwigshafen: Salvarsantodesfall.
Nach 0,6 Altsalvarsan mit 15 ccm verdünnt in saurer Lösung intravenös
sofort Zeichen von Lungenembolie, dann Erholen, Exitus nach insgesamt
6 Stunden. In der Armvene, den Lungengefässen Salvarsanniederschläge, die,
wie Kontrollexperimente zeigten, im Blut aus der Salvarsanlösung ausgefällt
wurden. Im Gehirn Leukozytenthromben. Es liegt die Möglichkeit vor, dass
die „üblen Zufälle“ nach der Salvarsaniniektion besonders saurer Lösungen
auf ähnlichen Prozessen beruhen.
Herr W. Fischer - Göttingen: Die Amöben der Mundhöhle.
Mundamöben sind weit verbreitet, finden sich bei guter Mundpflege spär¬
licher, bei schlechter doppelt so häufig. In kariösen Zähnen sind sie seltener.
Die Entamoeba gingivalis, die sich bei der Alveolarpyorrhöe findet, hat keine
pathogene Bedeutung. Zysten wurden nie gefunden. Die Fortpflanzung erfolgt
wohl durch Zweiteilung, sicheres ist unbekannt. Bei Amöbenträgern auch in
den Tonsillen sich findende Amöben sind auch hier nicht pathogen.
Auf eine Anfrage von Herrn L e w y erwidert F., dass die C a r t u 1 i s -
sehe Amoeba buccalis und die gingivalis identisch sind.
Herr J o e s t - Dresden: Ueber Blastomykose der Nasenschlelmhaüt des
Pferdes.
Der Krankheitsprozess lässt sich kurz charakterisieren: Eindringen der
pathogenen Blastomyzeten in die Nasenschleimhaut, Vermehrung der Pilze
(durch Knospung) im Gewebe. Aufnahme derselben durch Makrophagen
(„Myzetophagen“). Fortgang der Pilzvermehrung in diesen Zellen, die sich
infolgedessen stark vergrössern, massige entzündliche Reaktion des übrigen
Gewebes, keine Exsudatbildung, massige Proliferation der fixen Gewebs-
elemente. Bildung von Knötchen, die dann ulzerieren und so zu
einer massenhaften Zerstreuung der pathogenen Blastomyzeten Anlass geben.
Durch Fortschreiten der Pilzvermehrung kommt es schliesslich zu tumor-
förmigen Wucherungen. Es liegt eine spezifische chronische granulierende
Entzündung der Nasenschleimhaut vor.
Herr L ö h 1 e i n fragt, ob die Erkrankung mit afrikanischem Rotz, der
nach seinen Untersuchungen für den Menschen ungefährlich ist, identifiziert
werde. .
Herr J o e s t antwortet, dass es sich bei 2 Fällen um sekundäre Er¬
krankung der Nasenschleimhaut von der Haut aus mit den charakteristischen
Erscheinungen des afrikanischen Rotzes handelte. In der französischen
Literatur sind Uebertragungen auf den Menschen beschrieben.
Herr J a f f e - Frankfurt: Histologische Veränderungen nach experimen¬
teller Inlektlon säurefester Bazillen.
Vortr. fand bei Impfungen mit den verschiedensten Säurefesten Ver¬
änderungen, die von echter Tuberkulose nicht zu unterscheiden waren,
daneben auch abweichende, aber gleicher Art, wie sie auch bei echten
Tuberkulosefällen Vorkommen.
(Schluss folgt.)
Gesellschaft fUr Natur- und Heilkunde zu Dresden.
Vereinsamtliche Niederschrift.
Sitzung vom 6. Dezember 1920.
Aussprache über die Vorträge des Herrn K e y d e 1 über Blasentumoren
und Blasendivertlkel.
Herr Seidel hebt in Uebereinstimmung rfiit dem Vortr. hervor, dass
die Symptomatologie der Blasendivertikel weder bezüglich der funktionellen
Störungen der Harnentleerung, noch bezüglich der Divertikulitis pathogno-
monisch ist und dass die Diagnose definitiv durch die Zystoskopie und Zysto-
graphie gesichert werden muss. Er verwendet für die letztere 5 proz. Kol-
largollösung, verweist aber auch auf die Methode von Tilden Brown und
Osgood, welche einen mit einem Metallmandrin armierten Harnleiter¬
katheter in die Divertikelöffnung einführen und denselben sich im Divertikel¬
sack aufrollen lassen. In vereinzelten Fällen wird es vielleicht möglich sein,
den in das Divertikel eininüiidenden Ureter bei insuffizientem uretero-diver-
tikulären Verschluss durch die einfache Blasen-Divertikelfüllung ebenfalls zu
füllen, wie dies bei anderen Blasenerkrankungen mit insuffizienten urethro-
vesikalem Verschluss durch Blasenauffüllung mehrfach geschehen ist.
Für einen zystoskopischen Befund, den der Vortr. auf Umstülpung eines
Uretermündungsdivertikels in die Blase zurückführt, hat S. eine andere Er¬
klärung. Er glaubt, dass eher eine Ureterzyste vorliegen könnte.
S. geht dann auf Befund, Operation und Verlauf bei einem von ihm be¬
obachteten Falle von Blascndivertikel ein, den er mit bestem Erfolg mit der
suprasymphysären extraperitonealen Methode operiert hat. Ausser der Ex¬
stirpation des Divertikels machte sich die Resektion und Implantation des
Ureters in die Blase notwendig. Der Fall wird anderweitig veröffentlicht.
S. tritt im Anschluss an diesen Fall für die Frühoperation der Blasen¬
divertikel ein, da die Prognose der Operation durch komplizierende Zysto-
pyelitis wesentlich getrübt wird. Bei schon vorhandener schwerer Infektion
soll zweizeitig vorgegangen werden: Blasen- ev, Blasendivertikelfistel, nach
Besserung der Urinverhältnisse Entfernung des Divertikels.
Bezüglich der Frage des Vorgehens bei Blasendivertikel und gleich¬
zeitig bestehender Prostatahypertrophie steht S. auf dem Standpunkt, dass
die einzeitige Operation nur erlaubt ist, wenn Blase und Divertikel entzün¬
dungsfrei sind und der Allgemeinzustand des Patienten gut ist; gegen eine
zweizeitige Operation ist aber auch unter diesen Verhältnissen nichts ein¬
zuwenden. Bei Zystitis und Divertikulitis muss die zwei- oder gar drei-
zeitige Operation vorgenommen werden, l. Akt: Blasenfistel oder Blasen-
divertikelfistel, 2. Akt: Exstirpation des Divertikels, 3. Akt: Exstirpation der
Prostata, bzw. Akt 2 und 3 in umgekehrter Reihenfolge, je nach Umständen,
oder Akt 2 und 3 zu einem zusammengezogen, wenn die Verhältnisse
günstig liegen.
Herr O r u n e r t berichtet über mehrere jahrelang nach Operation re¬
zidivfrei gebliebene bösartige Blasengeschwülste und im Anschluss an 4 eigene
operierte Fälle von Blasendivertikeln über die verschiedenen Operations¬
methoden derselben.
Herr Geipel: Demonstration von Harnblasen mit Divertikeln, darunter
eine sog. verdoppelte Blase. Faustgrosses Divertikel bei einem 44 jährigen
Mann mit engem Eingang von 7 mm Durchmesser etwas oberhalb der rechten
Uretermündung. Hypertrophie der Blase und des Divertikels. Ferner De¬
monstration von Krebsen der Harnblase und Betonung der Schwierigkeit der
mikroskopischen Diagnosenstellung an abgetragenen oder abgestossenen Stück¬
chen infolge der rein papillomatösen Beschaffenheit der Wucherung mit infil¬
trierendem, völlig anders gebautem Karzinom.
Herr Hugo Krüger hat auch, die Beobachtung gemacht, dass eine
Nierenblutung sofort nach Einführen des Zystoskopes aufhörte. In diesen
Fällen gelingt es meist, mit Kontrastmitteleinspritzung ins Nierenbecken
und Röntgenaufnahme die kranke Niere zu erkennen.
Herr Keydel: Schlusswort.
Herr Mengert (als Gast): Sllbersalvarsanbehandlung der Lues. (Der
Vortrag ist unter den Originalien in Nr. 1 S. 13 der M.m.W. erschienen.)
Aussprache: Herr G a 1 e w s k y: Bestimmte Richtlinien für die An¬
wendung des Salvarsans bei Säuglingen sind bisher noch nicht festgestellt,
deshalb sind die Mitteilungen des Vortragenden sehr zu begrüssen. Die Er¬
folge mit den kleinen Dosen Silbersalvarsan sind ausgezeichnet, sie sind
besser als mit Neosalvarsan. G a l e w s k y bestätigt das Aufblühen der
Kinder nach Salvarsanbehandlung gegenüber der schwächenden Wirkung der
; Quecksilberbehandlung.
Herr Geipel bestätigt das schnelle Verschwinden von Spirochäten
nach einer einmaligen Injektion von Salvarsan. 2 Fälle, bei denen vorher
Spirochäten nachgewiesen worden waren und welche 2 Tage nach Injektion
stafben, wurden völlig frei befunden.
Zum Nachweis der Spirochäten im Ausstrich ist die Becker sehe
Methode sehr empfehlenswert. Betreffs des Vorkommens von Spirochäten
bei unbehandelten Säuglingen mit manifester Syphilis wurden bei einem
2 monatlichen Säugling ausser reichlich Spirochäten in Leber, Gehirn, Haut,
spärliche in Hirnhäuten. Plexus chorioideus festgestellt, in einem weiteren Falle
reichliche im Knochenmark bei Fehlen von Osteochondritis, spärliche im Plexus.
Die Galle erwies sich bei beiden frei. In einzelnen Fällen Inkongruenz des
Befundes von Spirochäten der L e v a d i t i sehen und Becker sehen Fär¬
bung, Fehlen von Spirochäten bei Versilberung, reichliches Vorhandensein bei
Tanninbeizung.
Fräulein G e r s o n berichtet über die Erfolge der Salvarsanbehandlung
bei kleinen Kindern im Stadtkrankenhaus Friedrichstadt.
Herr Brückner hält eine Behandlung und Beobachtung von einem
Jahr noch nicht für ausreichend und beweisend. Silbersalvarsan wirkt sehr
rasch symptomatisch. Die Zeichen der P a r r o t sehen Lähmung sind auch
bei der früher üblichen Behandlung meist rasch gewichen.
Herr L e i b k i n d findet die angewandte Dosis von 0,006 g Silber-
salvarsah pro Kilogramm ziemlich hoch.
Herr G a 1 e w s k y empfiehlt die Becker sehe Methode der Spiro¬
chätenfärbung#
Herr M e n g e r t (Schlusswort): Erfahrungen über Dauerwirkung haben
wir noch nicht.
Herr Becker: Doppelseitige totale Katarakt und doppelseitiges Ouel-
lungsglaukom nach starkem elektrischem Schlag. (Vergl. das Referat über
die 42. Versammlung der D. ophthalm. Ges. in Heidelberg 1920, d. Wschr.
1920 Nr. 41 S. 1187.)
Aussprache: Herr Best und Herr W. L. M e y e r.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
656
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Medizinische Gesellschaft Göttingen.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr E. K a u 1 m a n n. Schriftführer: Herr Fromme.
Herr Fischer: Demonstration einer Inzystierten Lamblle.
Herr Lehmann: Demonstration eines durch primäre Resektion ice-
heilten Volvulus des Zoekums.
Herr Reichdnbach: lieber die Einwirkuns nltravioletter Strahlen
auf Bakterien und Bakteriensporen nach Versuchen von Dr. P. Potthoff.
(Die Arbeit von P o 11 h o f f ist ausführlich in der Zschr. „Desinfektion“.
1921. 1. und 2. Heft, erschienen.)
Die Versuche wurden mit einer Quarz-Ouecksilberlampe des Westinj?-
house-Wasseriterilisationsapparates B 3 angestellt. Die Bakterien waren in
destilliertem Wasser aufgeschwemmt und wurden in 3,25 mm dicker Schicht
aus 15,5 cm Entfernung bestrahlt.
In Vorversuchen wurde zuneühst der Einfluss der Dichte der Aufschwem-
niuiig auf die Abtötungszeit fcstgcstellt. Es ergab sich, dass die Ahtötungs-
zeiten annähernd in arithmetischer Progression zunehmen, wenn die Dichte
der Aufschwemmung in geometrischer Progression wächst. Das ist ein Ver¬
halten. das sich aus dem Absterbegesetz der Bakterien Voraussagen lässt.
Nebenbei spielen aber, wie durch besondere Versuche festgestellt wurde, auch
noch andere Momente: Abgabe von Schutzstoffeii und Absorption der Strahlen
in der trüben Flüssigkeit, eine, wenn auch sehr untergeordnete, Rolle.
Die Versuche selbst bezogen sich zunächst auf die Frage, ob auch gegen
Ultraviolett die Sporen widerstandsfähiger seien, als die vegetativen Formen,
was mehrfach bestritten worden ist. Es ergab sich ganz eindeutig, dass
eine, wenn auch nicht sehr grosse Ueberlegenheit der Sporen besteht. Wich¬
tiger aber ist, dass so enorme Resistenzunterschiede, wie sie z. B. zwischen
Milzbrand- und Mesenterikussporen gegen Wasserdainpf bestehen, bei der
Ultraviolettbehandlung nicht hervortraten. Beide w'urden unter den ange¬
gebenen Versuchsbedingungen in 5 Minuten abgetötet. Die Resistenz gegen
Ultraviolett muss deshalb auf anderen Eigenschaften der Sporen beruhen als
ihre Widerstandsfähigkeit gegen andere Desinfektionsmittel.
Es wurde weiter für eine Reihe von saprophytischen und pathogenen
Bakterien die Abtötungszeit bestimmt. Es ergab sich für eine dichte Auf¬
schwemmung von etwa 2 Milliarden im Kubikzentimeter: Bacterium coli
2 Min., Proteus vulgaris 2 Min.. Ruhr-Shiga-Kruse 15 Sek., Ruhr Y 15 Sek.,
Typhus 30 Sek., Paratyphus A 30 Sek., Paratyphus B 45 Sek.. Streptokokken
30 Sek., Staphylokokken (albus) 30 Sek.. Staphylokokken (citreus) 30 Sek.,
Staphylokokken (aureus) l Minute.
Die weiteren Versuche bezogen sich auf das Verhalten farbstoffbildender
Bakterien zur ultravioletten Strahlung. Die von F 1 e m m i n g ausgesprochene
Vermutung, dass der Farbstoff den Bakterien einen Schutz gegen das Ultra¬
violett verleihe, Hess sich nicht bestätigen: wurden die betreffenden Bak¬
terien durch Züchtung bei hoher Temperatur zu farblosem Wachstum ge¬
bracht, so büssten sie an Resistenz kaum merklich ein. Dagegen Hess sich
ein deutlicher fördernder Einfluss kurzer Ultraviolettbestrahlungen auf die
Bildung des Farbstoffes nachweisen.
Diskussion: Herren v. Hippel, R e i c h e n b a c h. Stich.
Reichenbach. Qöppert, v. Qaza. Riecke.
Herr Seydertaelm: Ueber perniziöse Anämie.
Der Vortrag erscheint unter den Originalien der M.in.W.
Diskussion: Herren Stern, E. Meyer, B 1 ü h d o r ii. Cii)p-
pert. Lochte, Fischer, Seyderhelm.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 3. Mai 1921.
Vorsitzender: Herr K ü m m e 11.
Herr A I b a n u s zeigt einen 16 lährigen Jüngling, bei dem ein iuveniles,
durch seine Grösse inoperables Nasenrachenfibrom mit sekundärer Protrusio
bulbi unter Radumbestrahlung — das 78 rag-Präparat wurde in einen in den
Tumor gebohrten Tunnel gelegt — und Elektrolyse nach einigen Wochen sehr
erheblidi zurückging.
Herr Dan zig er demonstriert: a) zwei Speicheistelne aus der Sub-
maxillaris und Sublingualis; b) einen abnorm grossen Gallenstein; c) den
.schon früher gezeigten Fall von Zungenzyste, bei dem die Exstirpation der
grossen zystischen Geschwulst gut verlaufen ist.
Herr F r a e n k e 1 gibt die histologischen Bilder dieser flaschenförmigen
Zungenzyste, deren zeIHger Aufbau relativ einfache Verhältnisse bot. deren
Deutung indes schwierig ist. Fr. lässt es offen, ob es sich um eine sog.
Thyreoglo^suszyste oder um eine Zystenbildung aus aberrierter Magenschleim¬
haut handelt.
Herr Reiche zeigt in Ergänzung der F r a e n k e 1 sehen Demonstration
in der letzten Sitzung einen weiteren Fall von Ostitis tuberculosa. fälschlich
cystica genannt. Die Röntgenbilder vor 3 Jahren und jetzt zeigen die aus¬
gezeichnete therapeutische Beeinflussbarkeit des Leidens durch TuberkuHn-
therapie (Ponndorff und Neutuberkulininlektionen) und den benignen Verlauf
des Leidens.
Ferner zeigt R. Röntgenbilder eines Falles von Gummi der Lunge, der
neben einer progressiven schweren Kachexie alle Symptome eines malignen
Bronchialtumors (Himbeersputum, allerdings ohne Fettzellen. Verschluss des
einen Bronchus, positives Röntgenbild) bot, daneben war die WaR. +++.
Glänzender Erfolg einer spezifischen Therapie und Rückbildung des Tumors
(im Röntgenbild) und der Bronchialstcnose.
Herr LIppmann: lieber Enuresis.
Die Bettnässer bilden verschiedene Typen. W e i t z h^t schon 1919
darauf aufmerksam gemacht, dass viele Enuretiker bei niedrigem Blasen¬
druck die physiologische „Druckwelle“ nicht fühlen, dass man durch Höllen¬
steinspülungen in steigender Konzentration (von 1: 4000 bis 1: 750) die Blase
trainieren und das Gefühl, der Druckwelle durch Sphinkterkontraktion begegnen
zu müssen, wieder aiier/.iehen kann. L. hat 50 Fälle nachgeprüft und in
'■‘ii dieser Fälle gute Resultate, zum Teil völlige Heilungen erzielt. Bei
den Versagern suchte L. nach einem anderen Typ. Es fanden sich oft sehr
erhebliche Differenzen in der Harnentleerung beim Liegen und beim Stehen.
Bei Kindern, die im Liegen viel Wasser ausscheiden, empfiehlt sich letzte
Flüssigkeitszufuhr nachmittags 4 Uhr. Um 7 Uhr zu Bett, und zwar sollen
sie dort 1 Stunde lang in extremster Kyphose mit angezogenen Knien
sitzen und letztere als Lesepult benutzen. Durch diese Stellung kommt das
mobile "Wasser rasch zur Ausscheidung und die Nacht verläuft ungestört.
Herr Fahr: Zur Frage der Polyarthritis.
Vortr. berichtet über systematische Untersuchungen, die er beim Gelenk¬
rheumatismus an der Synovialis und dem periartikulären Gewebe zum Nach¬
weis spezifischer rheumatischer Veränderungen vorgenommen hat. Es gelang
unter 17 Fällen 6 mal. in der Umgebung des Gelenkes rheumatische Granulome
nachzuweisen, obwohl makroskopisch nichts von Knötchen zu sehen war und
mit einer Ausnahme auch sonstige nennenswerte Veränderungen am Gelenk
fehlten. Es werden die Beziehungen dieser peripheren Granulome zu den
Asch off sehen Herzknötchen besprochen; trotz^ gewisser Unterschiede
handelt es sich prinzipiell um die gleichen Vorgänge, während bei den Ver¬
änderungen an der Synovialis, die 9 mal gefunden wurden, die Analogien
zu den Herzknötchen weniger deutlich hervortreten. An der spezifischen
Natur der rheumatischen Knötchen wird festgehalten, ähnliche Gebilde, die
gelegentlich beim Scharlach gefunden werden, lassen sich in typischen Fällen
mit hinreichender Sicherheit gegen die Noduli rheumatici abgrenzen.
Es werden dann weiterhin die rheumatischen Gefässveränderungen im
Herzen — teils Entzündung, teils Degeneration, teils perivaskuläres Oedem —
besprochen und Vortr meint, dass diese Gefässveränderungen beim Zustande¬
kommen der Herzinsuffizienz von besonderer Wichtigkeit seien.
Was die klinische Bedeutung der peripheren Knötchen anlangt, so ist ihr
unmittelbarer Einfluss gering, dagegen scheinen sie wichtig für den Eintritt
der beim Gelenkrheumatismus so häufigen Rezidive, die sich, wie Vortr. ver¬
mutet, von diesen latenten rheumatischen Herden aus entwickeln können.
Besprechung: Herr Reye erinnert an seine histo- und bakterio¬
logischen Untersuchungen bei Endocarditis rheumatica. In zahlreichen
Klappenauflagerungen gelang der histologische und kulturelle Nachweis von
Streptococcus viridans. Histologisch fanden sich in den Auflagerungen die
gleichen Veränderungen wie in den Knötchen.
Herr Fraenkel: Die Knötchen im Herzfleisch sind spezifisch für
Gelenkrheumatismus und für die diesem nahestehende Chorea minor. Histo¬
logisch scheinen aber die Gelenkknötohen doch etwas ganz anderes zu
sein als die im Myokard, besonders wegen der regressiven Veränderungen.
Von den rheumatischen Knötchen an und in der Peripherie hat Fr. mehrfach
solchen einer Kopfschwiele^ über den Wirbelsäuledornfortsätzen, am Hand¬
gelenk und an anderen Orten untersucht und ähnliche oder übereinstimmende
Bilder wie im Herzfleisch gefunden.
Herr Plate demonstriert an Kurven die spezifische Wirkung des
Salizyls und empfiehlt, in allen Fällen eine sehr lange fortzusetzende Salizyl-
therapie mit ausgedehnter Ruhe zu kombinieren.
Herr Fahr: Schlusswort. Werner- Hamburg.
Deutsche medizinische Gesellschaft von Chicago.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr Otto T. F r e e r. Schriftführer: Herr Hans Nachtigall.
Herr Gustav K'ollscher: Zur Lehre von der Prostatektomie.
Vortr. ist von dem perinealen Vorgehen bei Entfernung der Prostata
ganz abgekommen. Eine Garantie dieser Operationsmethode ist nicht immer
möglich. Die Operation der Wahl ist von oben, denn sie ermöglicht die
Eröffnung der Blase. Man kann in der Blase ebensogut operieren als irgendwo
anders. Vorbedingung für einen glücklichen Ausgang der Operation ist die
genaue Indikationsstellung, eine gründliche Vorbereitung der Patienten und
chirurgisches Operieren. Für die hohe Mortalitätsziffer ist in den meisten
Fällen der Operateur verantwortlich zu machen. Rohes Vorgehen und
Blutungen in die Blase müssen unterbleiben. 'K o 1 i s c h e r warnt vor den
übertriebenen Gaben von Abführmitteln, Diuretizis und Kochsalzinfusionen.
Aussprache: Herr F r e e r, Herr H u 11 g e n.
Herr Max R e I c h m a n n: Röntgendiagnose eines akuten und chronischen
Heus ohne Kontrastmahlzeit. (Bericht über 2 Fälle.)
Aussprache: Herr K o I i s c h e r, üerr R i e b e 1.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 29. April 1921.
Herr R. O. Stein berichtet über die Röntgenbehandlung der spitzen
Kondylome.
Herr G. Holler: Grundlagen einer neuen Therapie des Ulcus dnodeal.
Er hat Vakzineurin in dreitägigen Intervallen intravenös injiziert. Er
erwartete Herdreaktionen, wie bei Tuberkulininjektionen, mit Beeinflussung
der Sekretionen in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Röntgenbilder
zeigten Toiiusabnahme der Magenmuskulatur, Verschwinden der Spasmen und
Rückstände. Die Schmerzen verschwanden nach der ersten Injektion. Auch
die Frage, ob eine lokale Vagusinfektion oder eine Systemerkrankung vorliege,
wurde erörtert. Lag eine neurotische Ursache dem Ganzen zugrunde, sn
war eine lokalisierte Störung nicht recht wahrscheinlich. Es wurde beob¬
achtet: Beeinflussung des Rachenreflexes, des Pulses, der Respiration, aber
auch Lösung der spastischen Obstipation, Vermehrung oder Wiederauftreten
von Fermenten im Stuhl, Herzstillstand bei Bulbus- oder Vagusdruck bei
solchen Personen, bei denen in der Norm das Phänomen fehlte, Herzstillstand
von 7—9 Sekunden Dauer. Die Bradykardie, die oft vorhanden war. wird
oft durch die ersten Injektionen gesteigert. Günstige Wirkung wurde bei
Asthma bronchiale beobachtet.
Vortr, hat auch Herpes labialis nach Vakzineurininjektionen beobachtet,
in einigen Fällen auch Herpes genitalis. Vielleicht lag in diesen Fällen eine
latente Neuritis vor. Vortr. hält es nicht für unmöglich, dass die Ulcusbildung
in Form herpetiformer Erkrankung der Magenschleimhaut beginnt. Ein
Nebenbefund war die Hebung der darniederliegenden Potenz.
Der Vagustonus ist der Effekt des Stoffwechsels auf den Vagus, der
wieder den Stoffwechsel beeinflusst. Nach Proteininjektionen tritt vermehrte
Fermentproduktion ein und Bildung hochmolekularer Abbauprodukte. Für die
Therapie erhofft Vortr. die Verhütung von Rezidiven.
Digitized by Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
27 . Mai 1021.
MONCHENER medizinische WOCHENSCHRIFT.
657
Herr J. Fischer: Wiener Reisereminiszenzen eines dänischen Feld-
medikus des 17. Jahrhunderts. K.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein Nfiroberg
und seine KrankenkassenabteilunR.
2of). ordentliche MitJ'liederversammlunjt vom 2. Mai 1021.
Vorsitzender: Herr S t a u d e r.
Herr Steinheimer stellt und begründet den Antrag über die Höhe
des Abzugs vom Kassenhonorar für das Jahr 1921. Der Antrag, welcher
einstimmig angenommen wird, lautet: Ms wird abgezogen:
Vierteljährl. Einnahme
Pro/.
Summe
Gesamtsumme
Gesamt-Proz.
bis lOOOÜ
.■5
300
300
3,0
10 001—12 500
10
250
550
4.4
12 501—15 000
10
250
800
5,2
15 001—17 500
20
500
1300
7,4
17 501—20 000
30
750
2050
10,25
20 001—22 500
40
1000
3050
13,5
22 501—25 000
40
1000
4050
16,3
25 001—27 500
40
10(K)
5050
18,4
27 501—30 000
40
1000
6050
20,2
Herr Steinheimer .stellt im Aufträge der Honorarkontrollkommission
und des Qeschäftsausschusses folgende Anträge betreffs Acnderung des
Staffeltarifs:
a) Bei
1— 15 l’atienten werden alle Leistungen bezahlt bis zur Höchstzahl 75
16—2(K) .. .. 5 „ 800
201—800 .. 4 2800
«01 etc. ,. . 3,5
b) Die Brillenbestimmungen werden aus der Zahl der zu verrechnenden
Fälle herausgenommen, d. h. sie werden nicht als Fälle iin Sinne des Staffel¬
tarifs betrachtet und verrechnet.
c) Die Brillenbestimmungen werden als Sonderlei.stungen berechnet und
mit 9 M. bezahlt.
d) Die Leistungen für die Stadtkasse, die Kriegsfürsorge und den Orts¬
armenverband werden zusammen verrechnet.
Nach einer längeren Aussprache über den Punkt b) werden die Anträge
a). c) und d) einstimmig, der Antrag b) mit grosser Majorität angenommen.
Herr Stander berichtet über seine Bemühungen in der Angelegenheit
der geplanten Pensionsversicherung der' bayerischen Aerzteschaft und ver¬
liest ein Referat, das unterdessen in der bayerischen Standespres.se erschienen
ist. Der Plan der Versicherung und die Ausführungen des Herrn Dr. Stan¬
der werden von der Versammlung mit grossem Beifall uufgeriommen. Schliess¬
lich wurde folgende Resolution Stander einstimmig angenommen:
. „Der ärztliche Bezirksverein Nürnberg hält die Gründung einer Pen¬
sionskasse für die bayerische Aerzteschaft im Hinblick auf die wirtschaft¬
liche Notlage für eine Lebensnotwendigkeit des Standes. Der Anschluss
an den bayer. Versorgungsverband erscheint als ausserordentlich be-
grüssenswert. Der ärztliche Bezirksverein beantragt deshalb, der Landes¬
ausschuss der Aerzte Bayerns möge die Frage der Errichtung einer
Pensionskasse auf die Tagesordnung der diesjährigen Landesärztekammer
stellen und eine Kommission wählen, der die Prüfung des vorhandenen
Materials, insbesondere des Beitritts zum bayer. Versorgungsverband, die
Führung der Verhandlungen mit diesem, die Ausarbeitung eines vollstän¬
digen Entwurfes einer Pensionskasse und die Vorlage desselben an die
bayer. Landesärztekammer mit der Aufgabe möglichster Beschleunigung
übertragen wird. “
Als Zusatz wurde folgende von Herrn Herz beantragte Resolution
angenommen:
„Der Aerztliche Bezirksverein Nürnberg dankt seinem Vorsitzenden
für seine erfolgreiche Vorarbeit, wodurch eine Basis geschaffen wurde, um
dem grossen Problem der Aerzteversicherung näherzukommen.“
Wahlen: Auf Antrag des Herrn Reichold werden die im vorigen
Jahre gewählten Herren wiedergewählt, und zwar zum Deutschen Aerztetag:
Die Herren Fr. Beck, Butter s, Mainzer, Stander, Stein¬
heimer.
Zur Bayerisclien Landesärztekamraer die Herren: Bernett, Butter s,
Mainzer, Seiler, Stander, Steinheimer. Als Ersatzmänner die
Herren: Qoldschmidt, QrOnbaum, Fr. Merkel, Weigel.
Für die Kreisärztekammer dieselben Herren wie zur bayerischen Landes¬
ärztekammer. V
Herr Steinheimer stellt den Antrag auf Aenderung einiger Punkte
der Gebührenordnung der Krankenkassenabteilung. Der Antrag wurde ange¬
nommen.
Herr Steinheimer berichtet über den Stand der Verträge mit den
Krankenkassen.
Die allgemeine Ortskrankenkasse Nürnberg erkennt den kassenärztlichen
Mantelvertrag nicht an, obwohl der Landesverband der Ortskrankenkasse
rechts des Rheins, dem die allgemeine Ortskrankenkasse Nürnberg angehört,
den Mantelvertrag unterschrieben hat. Der Bezirksverein Nürnberg bzw. der
Landesausschuss bayerischer Aerzte hat in der Angelegenheit eine Beschwerde
an das Sozialministcrium und an die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen
und Aerzte gerichtet. Das Sozialministerium hat das Vorgehen der allge¬
meinen Ortskrankenkasse missbilligt; die Arbeitsgemeinschaft hat ebenfalls
eine missbilligende Ent.schliessung gefasst. Der Bezirksverein hat neuerdings
ein Ersuchen an die Kasse gerichtet, nunmehr den Mantelvertrag anzuerkennen.-
Die Entscheidung der Kasse ist noch nicht gefallen. Die Krankenkassen-
abteilung hat für das Jahr 1921 die für das Jahr 1920 verabredete Be¬
zahlung zunächst nur als Abschlagszahlung angenommen.
Verein alkoholgegnerischer Aerzte in München.
Sitzung vom 9. Mai 1921.
Hofrat A. Thellhaber: Vorschläge für den Wiederaufbau Deutsch¬
lands.
Infolge der während des Krieges eingetretenen Qeburtenverminderung,
der Todesfälle beim Militär und der bei der Zivilbevölkerung durch die
Unterernährung verursachten Sterbefälle sind für Deutschland etwa 7 Millionen
Menschen verloren worden, durch die Auswanderung werden wir in kurzer
Zeit mindestens 5 Millionen verlieren; grössere Verluste drohen uns durch Ein¬
schränkung der Fruchtbarkeit der Nation, so dass wir in nicht langer Zeit
auf etwa 50 Millionen Manschen und in absehbarer Zeit auf eine noch be¬
trächtlich geringere Anzahl voraussichtlich verringert werden.
Die schlechte finanzielle Lage wird eine weitere Vermehrung der Aus¬
wanderung und Verminderung der Geburtenzahl herbeiführen. Die Wahr¬
scheinlichkeit des Staatsbankrottes ist nicht gering. Wenn ein Bankrott
droht, so ist es im Haushalte des Privatmannes wie des Staates erste Pflicht,
dass der Vorstand des Haushaltes wie die einzelnen Glieder der Familie
resp. des Staates ihre Ausgaben einschränken. Unsere Landsleute treiben
jedoch einen ungerechtfertigen Luxus. Wird derselbe vermindert, so können
Dutzende von Milliarden gespart werden. Sachverständige berechnen, dass
für Zigaretten und Tabak mehr als 10 Milliarden im Jahre verausgabt
werden, für alkoholische Getränke werden mehr als 30 Milliarden ausgegeben,
die Schokolade kostet mehrere Milliarden. Würde man nur K für solche Zwecke
ausgeben, so ersparte man mehr als 30 Milliarden. Die in der Brauerei etc.
frei werdenden Arbeitskräfte könnte man, zu anderen, nützlicheren Kultur¬
arbeiten verwenden. Bezüglich der Landwirtschaft Hessen sich Milliarden
ersparen: Es müssten die Fleischpreise gesenkt werden, dann würde weniger
Getreide und Milch verfüttert werden. Wir könnten dann mehr als 15 Mil¬
liarden im Lande behalten infolge der Verminderung der Einführung aus¬
ländischen Getreides. Um die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte zu
heben, empfiehlt es sich, die Landwirtschaft rationeller zu betreiben durch
Ausbreitung des Gartenbaues, Kleinsiedelungen, ausgiebigere Verwertung
menschlicher Fäkalien (moderne Berieselung, modernes Tonnensystem mit
Torfmull usf.), im Garten Hackarbeit, teilweise durch Maschinen, Beteiligung
von Frauen und Kindern an der Hackarbeit im Garten, Lehmhäuser, teilweiser
Ersatz der Pferde durch Motoren, hiedurch Verminderung der Anbaufläche
für Viehfutter. Freiwerden grosser Ackerflächen für menschliche Nahrung usf.
Amtsrichter a. D. Dr. B a u e r: Ein britischer Versuch zur Verstaatlichung
des Schankwesens.
B. behandelt die Uebernahme des Schankwesens auf einem Gebiet von
320 englischen Quadratmeilen in öffentliche Verwaltung. Als im Herbst 1915
die riesigen Munitionsfabriken in Gretna errichtet wurden, kam es, trotz der
einschränkenden Vorschriften, durch den Alkoholgenuss der Arbeiter in der
Stadt Carlisle und den benachbarten englischen und schottischen Ortschaften
zu schweren Missständen und die Gretnawerke blieben hinter den Höchst¬
leistungen zurück. Da entschloss sich das staatliche Oheraufsichtsamt für
Uetränkehandel (Central Board of Control) im betroffenen Gebiete die Wirt¬
schaften und Brauereien aufzukaufen und in eigenen Betrieb zu nehmen in
der Weise, dass die Wirt.schaften durch eigene Verwalter betrieben wurden,
die am Verkauf der Speisen und alkoholfreien Getränke, nicht aber am
Verkauf der geistigen Getränke beteiligt waren. In der Mehrzahl der Fälle
waren es die früheren Konzessionsinhaber. Die Wirtschaften wurden stark
vermindert, zum Teil umgebaut und bei ihrem Betrieb wurden Aus¬
schreitungen im Alkoholgenuss hintangehalten, und alles vermieden, was den
Absatz von geistigen Getränken förderte. Bei mässigen Preisen war das
finanzielle Ergebnis günstig. Die guten Wirkungen bei Ausschaltung des
privaten Interesses traten ziffernmässig zutage durch jähen Absturz der
Kurve der Alkoholkriminalität mit Einführung der öffentlichen Verwaltung.
Der Versuch von Carlisle hat die Befürchtung, der Staat könnte bei einem
Handelsunternehmen seine Geldinteressen auf Kosten des Gemeinwohls
fördern, in keiner Weise gerechtfertigt.
Kleine Mitteilungen.
Tberapeutisclie Notizen.
Einige Bemerkungen über die neueren diagnosti¬
schen und Behandlungsmethoden der Hämorrhoiden
bringen R. Bensaude und H. Ernst (Presse mddicale 1921 Nr. 18).
ln diagnostischer Beziehung hat sich in hohem Masse die Stauung nach
Bier bewährt, da sie die genaue Lokalisation der Gefässerweiterungen
festzustellen ermöglicht, und weiterhin die Rektoskopie zur Erkennung
hochsitzender Venenerweiterungen. Bezüglich der Behandlung ist jetzt neben
den verschiedenen diätetisch-hygienischen Vorschriften die chirurgische
(Abtragung) die häufigste Methode, viel umstritten ist noch jene der koagu¬
lierenden Injektionen. Verfasser haben nach den Versuchen mit
Alkohol (96") Injektionen mit Chininum hydrochloricum und Harnstoff ge¬
macht und dabei folgendes festgestellt: Die Injektionen sind nicht schmerzhaft,
leicht auszuführen, sind sie vor allem hei inneren Hämorrhoiden anzuwenden,
die mit dem Spiegel blosszulegen sind, ohne dass Anästhesie notwendig ist;
die Chinin-Harnstoff-Injektionen sind so harmlos, dass der Kranke unmittelbar
nach derselben nach Hause gehen und seiner gewohnten Beschäftigung nach¬
gehen kann. Diese Methode bringt die Blutungen zum Verschwinden, ebenso
den Prolapsus oder bessert denselben und ist überhaupt die Behandlung der
Wahl für prolabierte, blutende Hämorrhoiden, darf aber bei entzündeten, ein¬
geklemmten oder äusseren Hämorrhoiden nicht angewandt werden. Sehr
wichtig, aber zuweilen schwierig ist es, ohne Ausnahme alle Paquete mit*
Erfolg zu behandeln und muss man zu diesem Behufe die Injektionen lange
fortsetzen, wenn sie auch zuweilen von neuen Blutungen unterbrochen wer¬
den; ferner muss peinlichste Sauberkeit und genaueste Vorbereitung jeder
Injektion vorhergehen, um die Infektionsgefahr zu vermeiden, was Ver¬
fassern bis jetzt in ihren zahlreichen, seit 7 Monaten behandelten Fällen
gelungen ist. während aus amerikanischen Berichten zwei Fälle schwerer In¬
fektion infolge der Harnstoffinjektionen sich ergaben. Bei Patienten, die
jeden chirurgischen Eingriff verweigern und bei blutarmen, durch wiederholte
Blutungen stark geschwächten Personen, die weder für einen solchen noch
für die Narkose geeignet sind, kann man ohne Zögern die Injektionen vor¬
nehmen. St.
Digitiz^d by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
658
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Studenten belange.
Der Jungdeutschd Ring.
Am 14. September 1920 schlossen sich in Berlin folgende Jugend¬
bünde zum „Jungdeutschen Ring“ zusammen: Der Jungdeutsche Bund, die
Deutsche Jugendgemeinschaft, der Deutsche Hochschulring, der Deutsch-
Nationale Jugendbund, die Fahrenden Gesellen, die Jugendabteilung des
deutsch-nationalen Handlungsgehilfenverbandes.
Die Leitsätze drücken den festen Glauben dieser Jugend an eine deutsche
Zukunft aus, was ihnen die Kraft gibt, ihr Streben in die Tat umzusetzen.
Wir lesen da unter anderem:
„Wir glauben an den ursprünglichen Wert, 3ie Kraft und die Zukunft
der deutschen Volkheit. Wir bekennen uns zur deutschen Volksgemeinschaft,
die durch Abstammung, Geschichte und Kulturentwicklung bestimmt ist, ohne
Rücksicht auf Staatsbürgerrecht und Reichsgrenzen.
Wir fühlen uns nicht als Angehörige bestimmter Volksklassen, also nicht
als Bürgerliche oder Arbeiterjugend, sondern wollen unter Ueberwindung der
äusseren Gegensätze dem Volke schlechthin dienen.
Wir fordern von unseren Mitgliedern: jedes einzelne Glied hat seine
Liebe zum Volke und seine Verantwortlichkeit für das Ganze in seinem
Leben und allem seinen Tun zu bewähren.
Wir wollen ein Deutsches Reich als Gestalt und Grundlage unseres
völkischen Lebens aufbaucn helfen.“
Das erste Treffen des Jungdeutschen Ringes fand an Ostern in dem
kleinen mittelfränkischen Städtchen Windsbach statt. Die , einzelnen Bünde
waren sich da näher gekommen und alle lernten klar den Weg erkennen,
der allein zur Wiedergeburt des deutschen Volkes führen kann: Dienst an
der Idee des deutschen Volkstums. Frhr. v. Verschuer, cand. med.
Die Lage der deutschen Studentenschaft in Prag.
Nach einer Mitteilung des Deutschen Hochschulrings, Amt für Grenz-
und Ausländsdeutsche, in der Bayerischen Hochschulzeitung vom 7. V. 21
steht die Prager deutsche Studentenschaft nach wie vor unter dem Drucke
der feindlichen tschechischen Bevölkerung. Wenn es auch seit November
vorigen Jahres zu keinem offenen Ausbruch des Hasses mehr gekommen ist,,
so sind die Schikanen von seiten der Regierung immer noch dieselben.
Die erledigten Professuren werden nicht mehr mit Deutschen besetzt.
Die deutschen Studenten werden wirtschaftlich benachteiligt, ihren Instituten
werden immer mehr die Geldbeihilfen verweigert. Die Mehrheit der deutschen
Studenten wünscht daher die Verlegung der technischen Hochschule und der
Universität ins deutsche Sprachgebiet, was bei den Tschechen einen Sturm’
der Entrüstung auslöste. Der Streit geht hin und her und inzwischen droht
die älteste deutsche Universität von ihrer stolzen Höhe herabzusinken.
Schwerer wirtschaftlicher Schaden ist der deutschen Studentenschaft zuge-
fügt worden. Um diesen zu ersetzen und um die deutschen Hochschulen auf
ihrer alten Höhe zu erhalten, besonders wenn sie in das deutsche Sptach-
gebiet verlegt werden sollen, ist die „Prager Hilf e“ ins Leben ge¬
rufen worden. Um Beiträge wird gebeten, Postscheckkonto Martin Ehren-
f o r t h, Berlin 104 140 unter dem Kennwort ..Prager Hilfe“.
Frhr. v. Verschuer.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 24. Mai 1921 *).
— Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, das
jetzt auf eine 25 jährige Tätigkeit zurückblickt, veranstaltete vom 20. bis
23. ds. Mts. in Bad Elster den 1. Deutschen Tuberkulosekon¬
gress nach dem Kriege. Unter den 700 Teilnehmern, die sich zu dem
Kongresse zusammenfanden, waren auch Gäste aus Deutsch-Oesterreich,
Ungarn, Dänemark, Schweden und der Tschecho-Slowakei; auch einige
Japaner, sowie eine Abordnung der Quäker aus England und Amerika waren
erschienen. Die Versammlung wurde vom Präsidenten des Reichsgesund¬
heitsamtes Dr. B u m m eröffnet mit einer Rede, in der er einen Ueberblick
gab über die segensreiche Tätigkeit des Zentralkomitees in den letzten
25 Jahren. Dem Generalsekretär Generaloberarzt Dr. Helm wurde eine
Plakette zum Dank für seine aufopfernde Mitarbeit bei der Tuberkulose¬
bekämpfung überreicht. Das Rote Kreuz stiftete einen Betrag von 10 000 M.
Das wissenschaftliche Programm war ein reiches, das Gebiet der Tuber¬
kulose nach allen Richtungen umfassendes. Darüber wird in den nächsten
Nummern berichtet werden.
— Nach den Zusammenstellungen des Bayer. Statist. Landesamles betrug
die Zahl der Krankenkassen in Bayern im Jahre 1919 799 (gegen
800 in 1918), darunter 243 Ortskrankenkassen und 462 Betriebskrankenkassen.
Die Zahl der durchschnittlich Versicherten war 1 586 740 (gegen 1 355 817
in 1918 und 1 394 785 in 1914). Der Gesamtaufwand für Versicherungs¬
leistungen betrug 82 536 673 M. (gegen 65 863 847 M. in 1918 und 37 205 846
in 1914); der Aufwand für einen Versicherten war 52,01 M. gegen 48,58
bzw. 26,68 in 1918 bzw. 1914. Für ärztliche Behandlung wurde ausgegeben
17,47 Mill. (gegen 12,12 bzw. 9,67 Mill.), für Arznei- und Heilmittel 10,53 Mill.
(gegen 7,15 bzw. 4,21 Mill.). für Krankenhauspflege 10,63 Millionen (gegen 7,98
bzw. 6.90 Millionen). Die Gesamtausgaben betrugen 95 227 081 M. (gegen
72 707 824 bzw. 42 188 543, die Mitgliederbeiträge 118 625 305 M. (gegen
68 870 355 bzw. 43 955 412 M.). Der Durchschnittsbeitrag des Versicherten
74,76 M. (gegen 50,80 bzw. 31,51 M.). Dass die Vermögenslage der Kassen
trotz der grossen Inanspruchnahme günstig geblieben ist, geht daraus her¬
vor, dass die Aktiven von 29 Mill. in 1914 auf 48,8 Mill. in 1918 und auf
73 Mill. in 1919 gestiegen sind.
— Den letztwilligcn Verfügungen des Wirkl. Geh. Rates Dr. med. h, c.
Karl L i n g n c r, des bekannten (jrossindustriellen und Förderers hygieni¬
scher Bestrebungen, entsprechend erlässt die seinen Namen tragende Stif¬
tung auch in diesem Jahre ein Preisausschreiben über hygieni¬
sche Fragen für die Schulen des Freistaates Sachsen. Folgende Auf¬
gaben werden gestellt: Für alle Klassen der höheren Schulen (Knaben und
Mädchen) von Untertertia und den der Untertertia entsprechenden Klassen¬
stufen an: „Wie schütze ich mich und meine Mitschüler gegen den Schmutz
•) Eines katholischen Feiertages wegen musste diese Nummer einen Tag
früher fertiggestellt werden.
in Wort und Bild?“ oder „Kampf den Genussgiften!“; für die Schüler dei
Berufsschulen; „Wo sucht der Mensch seine Erholung und wo findet er sie?“
für die Schülerinnen der Berufsschulen: „Was kann ich für die Qesundheii
der mir anvertrauten Kleinen tun?“; für die Volksschüler und -schülerinner
im letzten Schuljahre: „Du, deine Gesundheit und das Wetter“. Als Preist,
werden für jede Gruppe Gegenstände für Spiel, Wandern, Turnen, Sport usw
ausgesetzt, und zwar erste Preise im Werte von 150 M., zweite im Werte
von 100 M.. dritte im Werte von 50 M. Ausserdem sind Bücher als An¬
erkennungen vorgesehen.
— Der Warren-Preis von 500 Dollar, der alle 3 Jahre für dit
beste Arbeit über irgend eine Frage der Physiologie, Chirurgie odei
Pathologie zu vergeben ist, wird für das Jahr 1922 ausgeschrieben. Dit
Arbeiten können in englischer, französischer oder deutscher Sprache abjje
fasst sein und müssen mit der Maschine geschrieben und gebunden sein
Sie dürfen noch nicht publiziert sein. Sic müssen mit einem Motto ver¬
sehen sein; eine versiegelte BriefhUlle mit demselben Motto muss den Namer
des Verfassers enthalten. Die Handschriften sind bis längstens 15. April 192-
an Frederic A. Washburn, Resident Physician, Massachusetts Genera
Hospital, einzusenden.
— Vom 16. Mai 1921 ab wird der Regieruhgsapotheker Karl Braun
Apothekenbesitzer in München, als Mitglied der pharmazeutischen Abteiluniä
des Ob^rmedizinalausschusses berufen.
— Das englische Tuberkulosegesetz wurde am 11. Mai voir
Hause der Lords in dritter Lesung angenommen und erhielt am folgender
Tage die königliche Genehmigung.
— In München wurde eine „Vereinigung der Münchenei
Fachärzte für innere Medizin“ gegründet, die zurzeit 31 Mit¬
glieder zählt. Der Vorstand besteht aus den Herren Geh. San.-Rai
Dr. R. V. Hoesslin und Prof. Kerschensteiner als Vorsitzenden
Dr. Handwerck und Dr. Althen als Schriftführer und San.-Rat
Dr. Jordan als Kassenwart. Die Vereinigung verfolgt, laut Satzungen
wirtschaftliche Zwecke (Durchsetzung gerechter Bewertung der
Leistungen) und ihre besonderen Standesinteressen, wissenschaftliche Zweckt
aber nur insoweit „als dadurch die Interessen des Aerztlichen Vereins nicht
berührt werden". In die gebildete wirtschaftliche Kommission wurden dit
Herren Grassmann, Kastl und P e r u t z gewählt.
— Der 1. Deutsche Gesundheitsfürsorge tag findet in Berlin am
Sonnabend, den 25. Juni 1921, pünktlich K* 10 Uhr morgens in Hörsaal der
medizinischen Poliklinik der Charitee, Luisenstr. 13a, unter dem Vorsitze
des Stadtmedizinalrat Geheimrat Dr. R a b n o w - Berlin statt. Referait
erstatten Prof. Dr. G r o t j a h n - Berlin über Gesundheitsämter — Eine
Forderung der Zeit —; Prof. Dr. K r a u t w i g - Köln a. Rh.: Aufgaben
des Gesundheitsamtes; Präsident Dr. med. P f e i f f e r - Hamburg: Aufbau
des Gesundheitsamtes; Stadtrat Dr. med. S i 1 b e r s t e i n - Neukölln: Stel¬
lung des Gesundheitsamtes innerhalb der Jugend Wohlfahrtspflege. (S. a. die
Anzeige in d. Nr.)
— Die Niederrheinische Gesellschaft für Natur - und
Heilkunde zu Bonn (gegr. 1818) wird am 21. und 22. Mai 1921 nach¬
träglich die Feier ihres hundertjährigen Bestehens begehen, die
durch die Zeiten der Not und Unruhe bisher hinausgeschoben wurde. Am
Samstag, 21. Mai, abends 8/^ Uhr findet im Senatssaal der Universität ein
Festvortrag des Herrn Prof. Dr. Konen über das Gesamtgebiet der
Frequenzen der elektromagnetischen Schwingungen statt, am Sonntag.
22. Mai, vorm. llK Uhr in der Aula der Universität die Festsitzung:
1. Ueberblick über die Geschichte der Gesellschaft, 2. Glückwünsche, 3. Ver¬
kündung der Ernennung von Ehrenmitgliedern.
— Zum Umsatzsteuergesetz vom 24. Dezember 1919, das
auch dem Arzt wegen seiner für ihn neuen und verwickelten, auch nicht
immer klaren Bestimmungen vielfach Schwierigkeiten bereitet, haben die
Herren San.-Rat Dr. Heinrich Joachim und Rechtsanwalt Walter
Joachim einen Kommentar geschrieben (Verlag von Oskar C o b 1 e n t /
in Berlin, 1921). Beide Verfasser sind als Sachverständige auf dem Gebiete
des ärztlichen Steuerwesens bereits wohlbekannt; die Aufgabe konnte nicht
von berufenerer Seite gelöst werden. ' Die Arbeit ist für vielbeschäftigte
Aerzte durchaus unentbehrlich; sie kostet 30 M.
— Die am 9. Februar d. J. erlassene „Prüfungsordnung für
Kreisärzte'* ist mit einem Anhang: „Vorschriften für die Anfertigung der
schriftlichen Ausarbeitungen in der Kreisarztprüfung“ vom 20. August 192('
im Verlag von A. Hirschwald in Berlin erschienen. Preis M. 2.80.
— Einen luxuriös ausgestatteten, mit vielen vortrefflichen .Abbildungen
versehenen Katalog ihrer Erzeugnisse der Inhalationstechnik gibt die
Firma „I n h a b a d“ Berlin-Charlottenburg heraus. Die Apparate der
Firma sind solche der Rauminhalation, Apparatinhalation, Hg-Inhalation.
pneumatischen Inhalation, Unterdruckatmung, ferner Ueberdruckkammern.
Wiederbelebungsapparate u. a. Wie aus dem Katalog hervorgeht, ist eine
Anzahl grösserer Inhalationseinrichtungen in bekannten Kurorten mit Inhabad-
apparaten ausgestattet.
— Pest. Angola. Die Gesamtzahl der bis zum 12. April gemeldeten
Erkrankungen betr^^gt 31. — Mexiko. Vom 16. bis 22. Januar 2 Erkrankungen
in Cerritos, 1 in Karbonera.
— In der 18.. Jahreswoche, vom 1. bis 7. Mai 1921. hatten von deutschen
Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Königsberg i. Pr.
mit 19,0, die geringste Neukölln mit 4.5 Todesfällen pro Jahr und 1000 Ein¬
wohner. Vöff. R.-O.-A.
Hochschulnachrichton
Hamburg. Für das Fach der Zahnheilkunde habilitierte sich der
Zahnarzt Dr. Hans T ü r k h e i m mit einer Antrittsvorlesung über „Die
Psychophysiologie des Zahnschmerzes“, (hk.)
Leipzig. Ein bedauerlicher Druckfehler hat sich ifi die Leipziger
Hochschülnachricht der vor. Nummer eingeschlichen. Es muss dort in der
6. Zeile selbstverständlich heissen „jüngere“ statt „geringere“ Kräfte.
Ferner ist statt M. B. Schmitt zu lesen; M. B. Schmidt.
Todesfall.
Im Alter von 61 Jahren starb am 18. d. M. in Bad Nauheim der a. o.
Professor für Neurologie an der Hamburgischen Universität, Oberarzt der
dritten med. Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg Dr. Alfred
S a e n g e r. (hk.)
(Berichtigung.) In der Bücheranzeige in Nr. 17 S. 524 d. W.:
Stekel: Die Impotenz des Mannes ist in der letzten Zeile
zwischen „bei“ und „sicher“ das Wort „gewissen“ einzuschieben.
Vwtaf VM P. LthaiaM hi MiaclMn S.W. 3, Pul HeyMU. M. ~ Dnick ron C. M&hHhalePt iKb- mm4 Kniwtdr'ckerd A.O., MOnciiai,
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
Pftli d«r eliizehtcfi Nnnmer 2.— Jt. • Bezugfspreis in Deutachlano
• • • md Ausland siehe unten unter Bezugsbedinininpen. • • >
AnzeifenBchluu immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
^ttsendansen sind zn Hdddd
iflr di« BdiriftleitnM;. Arnuifstr. 26 (Snrechst-indes 8S~t tlhr).
fflr Bmg, Anzeigen nnd Betlagea:
an ). F. Lehmann's Verlag, Pani Heysestrasae IS.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 22. 3. Juni 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behüt sich das ansadiliesslidie Recht der VervielfUtignttg nnd Vetbrdtnng der in dieser Zeitschrift nun Abdmdc gelangenden OriginalbdtrBge vor.
Originalien.
Aus der Medizinischen Klinik Greifswald.
Ein neues Verfahren zur Prüfung^ der Gefässfunktion.
Von Prof. P. Mora Witz und Dr. Q. De necke.
1. Einleitung.
Zahlreiche, miteinander scheinbar wenig zusammenhängende Be¬
obachtungen der letzten 10 Jahre weisen auf die Bedeutung einer
geschädigten Kapillarfunk.tion für die Entstehung gewisser
Krankheitserscheinungen hin. Physikalisch-chemische, aber auch bio¬
logische Veränderungen der durch die Endothelzellen der Kapillaren
gebildeten Membranen müssen bei manchen Krankheiten angenommen
werden. Es seien hier vor allem die hämorrhagischen Dia-
t h e s e n erwähnt Trotz mancher Bemühungen, alle Erscheinungen
der Purpura und änhlicher Krankheitsbilder ohn^ die Annahme von
Gefässwandschädigungen erklären zu können (E r a n k), nimmt doch die
Mehrzahl der Autoren (Minkowski, Klingeru. a.). wie uns scheint,
mit Recht, solche Veränderungen als notwendig an. Auch die inter¬
essanten Befunde des Auftretens von Endothelzellen im strömenden
Blute, wi^ sie von Krau s, später von B i 11 o r f bei der chronischen
septischen Endokarditis beobachtet worden sind, weisen auf das Be¬
stehen von Gefässwandschädigun^n hin. Endlich fordert die ganze,
von Asch off begründete Lehre vom retikulo-endotheliaien Stoff¬
wechselapparat dessen Träger die Endothelzellen in Milz und Leber
sind, diesen bestimmte, z. T. sehr verwickelte Funktionen zuzuschreiben
und Störungen ihrer Tätigkeit anzunehmen.
Auf der anderen Seite ist es die Lehre vom Flüssigkeitswechsel
zwischen Blut und Geweben die Lehre von der Oedem-
b i 1 d u n g, die zu einer eingehenfien Beschäftigung mit den Kapillaren
drängt. Für die Entstehnug nephritischer Oedeme hat die neuere For¬
schung (V 0 1 h a r d, S c h 1 a y e r u. a.) die Bedeutung extrarenaler Mo¬
mente in den Vordergrund gestellt und mit guten Gründen gestützt,
lieber diese extrarenalen Faktoren, die eine vermehrte Ansammlung
von Flüssigkeit in den Geweben bewirken, kann man sich verschiedene
Vorstellungen machen. Tatsächlich ist auch bis heuto eine Einigung
noch nicht erreicht worden. Nach Volbard und Sieb eck spielt
wahrscheinlich eine Schädigung der Qefässwände, also eine vermehrte
Transsudation, die wichtigste Rolle. Man wird dann also generell bei
selchen Zuständen eine Erkrankung der Kapillaren annehmen müssen.
Die vermehrte Transsudation müsste dann in Fällen, in denen es zu
Oedemen kommt, mit einer verschlechterten Rückresorption der
Gewebsflüssigkeit durch die Blutgefässe einhergehen. Das wird auch
von V o 1 h a r d angenommen. Andere Autoren, wie z. B. neuerdings
Frey, lehnen die Lehre von der Schädigung der Qefässe zwar nicht
ab, sind aber doch der Ansicht, dass auch die wasseranziehende Kraft
der Gewebe selbst Aenderungen erfahren kann, wie das etwa den be¬
kannten Ueberlegungen von M. H. Fischer über die Aenderungen
des Kolloiddruckes entsprechen würde. Auch Beckmann nähert sich
diesen Vorstellungen. Indessen stösst die Uebertragung dieser kolloid¬
chemischen Theorie auf die Pathogenese der Oedeme insofern auf
Schwierigkeiten, als die vermehrte Flüssigkeit nach Volhard und
S i e b e c k höchst wahrscheinlich nicht intrazellulär gebunden In den
Geweben sich findet, sondern in den Gewebsspalten, so dass also von
einer kolloidalen Bindung nicht eigentlich die Rede sein kann. Wenn
auch keine völlige Einigkeit besteht, so sprechen doch alle bisher vor¬
liegenden Erfahrungen dafür, dass bei ödematösen Nierenkranken wahr¬
scheinlich Gefässschädigungen Vorkommen, die auf der einen Seite eine
vermehrte Transsudation, anderseits auch eine verminderte Rück¬
resorption bedingen.
Auch auf experimentellem Wege, durch Vergiftung mit Arsen,
Cantharidin, Uran, sind Gefässschädigungen hervorgerufen worden
(M a g n u s, S c h I a y e r und S c h m i d). Diese äussern sich darin, dass
die vergifteten Tiere im Gegensatz zu normalen nach Kochsalzinfusionen
Oedeme bekommen oder hypertonische Salzlösungen schnell aus der
Blutbahn ausscheiden.
Die Fortschritte der klinischen Methodik haben mit dem Fort¬
schreiten der theoretischen Erkenntnis nicht Schritt gehalten. Methoden,
die uns gestatten, die Kapillarfunktionen zu beurteilen und einen Einblick
in Stöirungen des Flüssigkeitswechsels zwischen Blut und Geweben zu
gewinnen, sind spärlich und unvollkommen. Zu erwähnen wäre vor
allem das Rumpel-Leedesche Phänomen. Doch zeigt dieses uns
Nr. 22 ,
Digitizedby Goiisle
eigentlich etwas anderes an, nämlich die Bruchfestigkeit der Gefäss-
wände gegen vermehrten Inriendruck. Man kann sich aber sehr wohl
vorstellen, dass es Gefässschädigungen mit vermehrter Transsudation
gibt, wobei die Bruchfestigkeit der Kapillaren nicht geschädigt ist.
Tatsächlich ist ja auch bei hydropisclien Nephritiden das Rumpel-
Leedesche Phänomen meist negativ. Die Kapillarmikroskopie nach
O. Möller und W e i s s hat Befunde, die für unseren Zweck verwertet
werden könnten, bisher nicht geliefert und kann es wohl auch nicht, da
Störungen der Gefässfunktion, die reversibel sind, schwerlich mit nach¬
weisbaren anatomischen Veränderungen einhergehen dürften.
Die Ausarbeitung einer klinisch brauchbaren Methode zum Studium
des Flüssigkeitsaustausches zwischen Blut und Geweben muss daher
erwünscht scheinen.
2. Methodik.
Uns leiteten bei der Ausarbeitung des Verfahrens folgende Gedanken:
erstens Vermeidung irgendwelcher intravenöser Injektionen körpereigener
oder körperfremder Stoffe und zweitens Ausschaltung der Nieren aus dem
Versuchsbereiche. Denn nur so kann man eine Methode gewinnen, die
keinen grösseren Eingriff für den Patienten bedeutet, sicher ganz un¬
schädlich und technisch leicht ausführbar ist.
Das Vorgehen ist folgendes: Zunächst punktiert man eine Vene
des Armes, möglichst ohne Stauung. Es werden mit trockener Luer-
spritze etwa 5 ccm entnommen und im Reagenzglas, das ebenfalls
trocken und gut verschliessbar sein muss, der Gerinnung überlassen.
Unmittelbar danach wird der gestreckte Arm der Versuchsperson
1 Minute lang etwa in der Höhe der Herzbasis horizontal ausgestreckt
gehalten. Dann legt man schnell eine elastische Binde um den Ober¬
arm und zwar so, dass auch die Art. brachialis sofort komprimiert
wird. Das gelingt bei einiger Uebung ohne Schwierigkeit Die Binde
bleibt 12 Minuten liegen, die Versuchsperson vermeidet während dieser
Zeit ausgiebigere Armbewegungen. Nach 12 Minuten wird die
Vena mediana oder eine andere deutlich hervorfretende Vene des
Armes punktiert Man versuche nach Möglichkeit 10—15 ccm Blut
zu gewinnen. Das Blut wird in derselben Weise aufgehoben wie das
der ersten Probe. Nunmehr erfolgt Lösung der Binde.
Die Untersuchung der beiden Blutproben geschieht nach Abpressen
des Serum, meist also, nachdem die Proben über Nacht im Eisschranke
gestanden hatten. Es ist zweckmässig, das Serum vorher zu zentri¬
fugieren. Zur Bestimmung des Eiweissgehaltes im Serum verwandten
wir das P u 1 f r i c h sehe Eintauchrefraktometer und folgt-en den An¬
weisungen von E. Re iss. Die Refraktometrie ist wohl die einzige
Methode, die mit geringer Mühe grosse Reihenuntersuchungen gestattet
Um Fehler zu vermeiden, haben wir bei einer Anzahl von Versuchen
zur Kontrolle Trockensubstanz- und Viskositätsbestimmungen der Seren
vorgenommen. Die drei Methoden zeigten befriedigenden Parallelismus.
Die 'Belege werden an anderer Stelle veröffentlicht. .
Das Verfahren ist für die Versuchsperson nur wenig lästig. Legt
man die Binde zu fest an, so können Parästhesien entstehen. In einigen
Fällen misslang die zweite Blutentnahme aus dem abgeschnürten Arm,
da die Venen zu wenig hervortraten. Meist füllen sie sich aber aus¬
reichend.
3. Befunde bei Normalen unter verschiedenen Bedingungeik
Wir haben mit dem oben beschriebenen Verfahren zunächst eine
grössere Zahl von Untersuchungen an uns selbst sowie an anderen ge¬
sunden Menschen gemacht, und zwar ohne besondere Vorbereitungen.
Als wesentlichstes Resultat dieser Versuche, die etwa 25 Einzelunter¬
suchungen betreffen, stellte sich heraus, dass der Normale unter
den von uns gewählten Bedingungen im abgeschlos¬
senen Arm regelmässig sein Blutserum verdünnt, d. h.
er nimmt während der 12 Minuten, die der Versuch dauert, mehr Wasser
aus den Geweben in das Blut auf, als er aus diesem an die Gewebe ab¬
gibt. Folgende Beispiele seien angeführt'um die Grössenordnung dieser
ßlutverdünnung zu zeigen:
l. Blutjirobe j 11. lilntiirobe
J'^iweisH in ® 0
Differenz in ®/,
von I
1. Versuchsperson il.
7,66
7,26
— 5,09
7,72
7,29
- 5.58
7,67
7,22
— 5.88
2. Versuchsperson D.
7,74
7,81
- 5,55
7,37
6,83
— 6.2S
7,98
7,67
— 3,27
3
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
b6ö
1 I. Blutprobe
1 II. Blutprobe |
Differenz in®/«
1 Eiweiss in ‘/o |
von I
3. Versuchsperson R.
7,67
7,30
— 4,82
4. Versuchsperson Me.
8,12
7,68
— 6,64
Man ersieht aus diesen Beispielen, dass die Verdünnung des Blut¬
serums nicht sehr stark ist und meistens etwa 5 Proz. beträgt. Immerhin
kamen nicht unerhebliche Schwankungen vor (etwa von 2.4—8.4 Proz.)
unter scheinbar gleichen Bedingungen. Es schien daher erwünscht, zu
untersuchen, wie beim Normalen der intravaskuläre Druck im abge¬
sperrten Gefässgebiete, Aenderungen des Wasserwechsels, Temperatur¬
einflüsse und Muskelarbeit den Ausfall der Versuche beeinflussen.
Es ist aus zahlreichen Untersuchungen bekannt, dass Stauung zu
einer Eindickung des Blutes.führt. Auch wir konnten das bestätigen, wie
lolgende Beispiele zeigen:
Versuch 33. Gesunde Versuchsperson Me. Zunächst erfolgt 1/4 Mi¬
nuten lang eine venöse Stauung durch die Binde, dann erst wird diese bis
zum Schwinden des Pulses angezogen. Venen strotzend mit Blut gefüllt.
I. Blutprobe II. Blutprobe Differenz in Proz.
8,15 Proz. E. 8,28 Proz. E. + 1,59
Versuch 57. Versuchsperson J. Venen vorher gestaut.
7,63 Proz. E. 7,69 Proz. E. + 0,78
Versuch 34. Versuchsperson M. Venen möglichst stark gestaut.
7,70 Proz. E. 7,96 Proz. E. + 3,37
Starke Erhöhung des intravaskulären Druckes führt also, wie ja zu
erwarten ist, zu einer Umkehr des normalen Verhaltens. Umgekehrt
erschien es uns möglich, dass eine Verminderung des Druckes durch
vorhergehende Anämisierung ein besonders starkes Einströmen von
Gewebswasser in das Blut, eine besonders starke Blutverdünnung, zur
Folge haben könnte. Wir .erreichten die Anämisierung durch 1 Minute
langes Emporhalten des Armes. Wie die folgenden Versuche zeigen,
ist die Verdünnur" unter diesen Bedingungen tatsächlich im Durchschnitte
bedeutender, als wenn man den Arm horizontal ausstrecken lässt.
Versuch 84. Versuchsperson M., ca. 1 Minute Arm erhoben, dann
Binde angelegt.
1. Blutprobe II. Blutprobe Differenz in Proz.
7,85 Proz. E. 7,22 Proz. E. — 8,02
Versuch 103. Dieselbe Versuchsperson.
7,46 Proz. E. 6,93 Proz. E. — 7,10
Versuch 85. Versuchsperson D. unter den.selben Bedingungen.
8,02 Proz. E. 7,46 Proz. E. — 6,98
Versuch 88. Dieselbe Versuchsperson.
8,00 Proz. E. 7,24 Proz. E. — 9,50
Daraus scheint also hervorzugehen, dass bei geringer Füllung des im
Arme abgeschlossenen Gefässsystems im Durchschnitt mehr Gewebs¬
wasser in das Blut einströmt als bei mittlerer Füllung. Die grosse Be¬
deutung des Druckfaktors geht hieraus deutlich hervor. Es wäre sehr
erwünscht gewesen, den in den Gefässen des Armes herrschenden Druck,
der sich natürlich im abgeschlossenen Gefässgebiete allmählich aus-
gleichen muss, zu messen. Leider haben wir vorerst noch keine zuver¬
lässigen Werte erhalten können. Die .Methode von Moritz und
V. T a b 0 r a für Venendruckmessung ergab bei fehlender Zirkulation un¬
sichere Resultate. Es erscheint möglich, dass die normalen Schwan¬
kungen, die wir unter möglichst gleichen Bedingungen erhalten haben,
doch darauf beruhen, dass die Füllung des abgesperrten Gefässgebietes
und damit auch der in ihm herrschende Druck nie ganz gleich ist. Durch
Erheben des gestreckten Armes in Höhe der Herzbasis glauben wir eine
gewisse mittlere Füllung zu erreichen, die günstige Bedingungen für den
Ausfall der Versuche herstellt.
Aenderungen der Flüssigkeitszufuhr scheinen von ge¬
ringerer Bedeutung zu sein, wenn sie keine extremen Grade erreichen
Folgende Beispiele seie-n angeführt:
V e^r s u c h 66. Versuchsperson D. Durstet 24 Stunden.
7,89 Proz. E. 7.42 Proz. E. — 5,95
Versuch 67. Dieselbe Versuchsperson. Hat etwa 1 Stunde vorher
1 Liter Tee in /4 Stunde getrunken.
7,67 Proz. E. 7,48 Proz. E. — 2,47
Die Ausschläge gehen kaum über die Fehlergrenzen der Methode
hinaus. Dagegen scheint bei hochgradiger Austrocknung des Körpers
doch ein vermehrtes Abströmen von Wasser aus dem Blute in die Gewebe
vorzukommen. Allerdings haben wir nur einen geeigneten Fall unter¬
suchen können.
Temperatureinflüsse (z. B. starke Abkühlung des ab¬
geschnürten Armes in Wasser von ca. 6“) schienen die Blutverdünnung
in nur massigem Grade zu fördern.
Versuch 73. Versuchsperson D.
I. Blutprobe II. Blutprobe Differenz in Proz.
8,62 Proz. E. 7,76 Proz. E. — 9,98
Ein Versuchsfehler kann bei Vermeidung extremer Verhältnisse daraus
nicht entstehen.
Dagegen kann erschöpfende Muskelarbeit, die unmittelbar vor dem
Versuche mit dem Arm geleistet wird, die Resultate trüben.
Digitized by Go 'Sle
Versuch 74. Versuchsperson D.
3 Minuten intensives Drehen des Widerstandsrades. Unmittelbar danach
Versuch am ermüdeten Arm.
I. Blutprobe II. Blutprobe Differenz in Proz.
7,74 Proz. E. 7,83 Proz. E. + 1,16
Hier ist also eine Eindickung erfolgt. Zum Teil mag diese auf die
Arbeitshyperämie zurückzuführen sein, z. T. auch auf Wasseraufnahnic
durch die arbeitenden Muskeln (B o e h m e, Veil).
Aus diesen mannigfach variierten Versuchen scheint sich folgendes zu
ergeben: Von grösster Bedeutung ist offenbar der im abgeschnürten
Gefässgebiete herrschende Druck. Es muss nach Möglichkeit eine
gleichmässige Untersuchungstechnik erreicht werden. Auch stärkere
Muskelbewegungen sowie sehr hohe Umgebungstemperaturen vor und
während des Versuches müssen wegen der hiermit verbundenen Hyper¬
ämie vermieden werden. Von geringerer Bedeutung scheinen Aende¬
rungen des Wasserwechsels zu sein, soweit sie in den Rahmen des
normal Vorkommenden fallen. Bei Beachtung dieser Fehlerquellen ge¬
lingt es aber, wie es uns auf Grund von bisher fast 300 Veisuchen
scheint, mit diesem Verfahren verwertbare Befunde zu erhalten.
Auffallend scheint vielleicht die Inkonstanz des Normaleiweiss¬
gehaltes der 1. Blutprobe, wie sie in zahlreichen Versuchen zum Aus¬
druck kommt, die an ein und derselben Person ausgeführt wurden. So
schwankt z. B. der Prozentgehalt an Serumeiweiss bei der Versuchs¬
person M. in 8 Versuchen von 7,41 bis 7,85, bei D. in 12 Versuchen
von 8.62 bis 7,50. Durch Veil ist aber bekannt, wie labil diese Ver¬
hältnisse sind, wie leicht sie sich ändern, und zwar schon durch Ein¬
flüsse des täglichen Lebens. Da wir stets unmittelbar vor Anlegen der
Binde die Normalprobe entnahmen, kommen diese physiologischen
Schwankungen der Konzentration des Serumeiweisses hier als Fehler¬
quellen nicht in Frage.
Es ist oben erwähnt worden, dass man bei der 2. Blutentnahme
Wert darauf legen soll, mindestens 10 ccm Blut aus dem abgebundenen
Arm zu erhalten. Das hat folgenden Grur.d: Die ersten Blutportionen,
die man ansaugt, entsprechen vorwiegend dem Inhalte der grösseren
Venenstämme. Je mehr Blut man erhält um so grösser ist in ihm der
Gehalt an Kapillarblut, das natürlich die stärksten Veränderungen er¬
warten lässt Ein Versuch hat uns diese Ueberlegung bestätigt.
Versuch 6. Versuchsreihe D. Das Blut wird bei der 2, Punktion
in 3 Fraktionen entnommen und gesondert untersucht. a) 0—5 ccm.
b) 5—8 ccm, c) 8—10 ccm.
I. Probe II. Probe a Probe b Probe c
» 7,37 Proz. E 6,98 Proz. 6,91 Proz. 6,83 Proz.
Wie. man also sieht, nimmt die Verdünnung mit zunehmender
Blutmenge zu. Die Differenzen sind allerdings nicht besonders gross.
Trotzdem ist zur Erreichung möglichst gleichmässiger. Resultate auch
gleichartige Bemessung der entnommenen Blutproben anzustreben.
4. Pathologische Befunde.
a) N i e r e n k r a n k h e i t e n.
Tabelle 1 gibt einen Ueberblick über unsere Befunde.
Tabelle 1.
Name und
Vera. Nt.
Art der Krankheit
I. Blut-
piube
Eiweia
IlI.Blut-
1 probe
IS in •/,
Diffe¬
renz
in ®/o
Bemerkungen
Pat. F.
Vers. 22
Vers. 72
Akute Glomerulonephri¬
tis. 6 Wochen alt, ohne
Oedeme.
2 Wochen später.
7,.54
7,80
7.68
7.85
4-0. .50
-f 0.64
Prognose u. Niercj-
funktion günstig.
Pat. K.
Vers. 28
Vers 58
Vers. 105
Vers. ]48
Schwere chron. Glome¬
rulonephritis mit Oede¬
men. Nierenfunktion
noch ausreichend.
Ca. 4 Wochen später.
Ca. 4 Wochen später.
3,68
8,92
4,11
6.81
.8,91
4.07
8,87
6.97
-f-7 06
-f 3.82
— .5,84
-1-2,75
Sehr wechselnde.oft
starke Oedeme
Progn. ungünstig.
Mit anämisierUVmi.
Hoehgr. Kachexie
Pat. J.
Schwere chron. Glome¬
rulonephritis mit ne¬
phrotischem Einschlag
Oedeme -j-.
5,03
5,14
-f 2.18
Cu. 2 Mun. später-p.
Pat. .le.
Akute Glomerulonephri¬
tis, vor 8 Wochen be¬
gonnen. Oedeme eben
verschwunden.
4.88
4.92
-f 0.82
Nach 1 Monat ge¬
bessert entlassen.
Prognose gut.
Pat. Me.
V'ers. 26
Vera. 37
Akute Glomerulonephri¬
tis, Beifilm v. 8 Wochen
Oedeme fast verscliw.
Nach ca. 8 Wochen Ne¬
phritis geheilt.
6,29
7,68
6,82
7..59
-1-0,47
-0,52
Patient geheilt ent¬
lassen.
Pat. R.
Amyloidnephrose hei
schwerer Tuberkulose.
Oedeme -f. Kache.vie,
4,44
4,71
4-6,78
Bald Diagnose
best
Pat, Rei.
Wahrscheinl. beginnende
Amyloidnephr. hei Tbk.
Keine Oedeme.
7,26
7,52
4-8,58
Pat. Kn.
Wahrscheinl. beginnende
Amyloidnephr. hei Tbk.
Keine Oedeme.
7,14
6,68
-6,44
Pat. Sch.
Vers. 12
Chron. Glomerulonepliri-
tis. Seit .Jahren. Hyper¬
tonie.
6,88
6,21
—9,07
Gut kompensiert
keine Oeaeme.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA ^ ^
_ __,_B.
.1 Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
661
Name und
Vers. Iro.
Art der Krankheit
I. Blut- In. Blut¬
probe 1 probe
Eiweiss in Vt
Diffe¬
renz
in %
Bemerkungen
Pat. F.
Vera. 48
Pat.K.
Vers. 46
N^hrosklerose, keine
Oedeme.
7,91
7,46
-6,94
Gut kompensiert.
Akute Glomerulonephri¬
tis. Beg. vor 6 Wochen.
Keine Oedeme.
6,20
6,05
— 2,42
Prognose gttnetig.
Pat S.
Vers. 47
Chronische Glomerulone¬
phritis.
7,99
7,93
— 0,61
Hypostenurie.
Pat R.
Vers. 48
Akute Glomerulonephri¬
tis, in Abheilung be¬
griffen.
7,68
7,12
-6,68
Nach kurzer Zeit
geheUt entlassen.
Pat M.
Vers. 71
Leichte akute Ißlomerulo-
nephr. Keine Oedeme.
7,91
7,80
— 1,61
Bald geheilt enü.
Pat. B.
Vers. 78
Chronische Glomerulone¬
phritis. Defektheilung.
7,00
6,72
-4,00
Pat. St
Nwhrosklerose, keine
Oedeme.
8,62
8,86
— 8,01
Pat E.
Vera. 95
Vera. 100
Akute Glomerulonephri¬
tis. Oedeme
Nach 8 Tagen.
6,42
6,12
6,06
6,06
— 6,76
-1,14
Versuch nach Ader¬
lass ausgefUhrt.
Zustand inzwischen
geh. Prognose gut.
Aus der Tabelle ergibt sich, dass die Nephrosklerosen bei Prüfung
mit unserer Methode ein normales Verhalten zeigen. Ebenso verhielten
sich übrigens einige kompensierte Hypertonien ohne klinisch deutliche
Nierenbeteiligung. Dagegen fanden wir bei akuten und
einem Teil unserer chronischen Glomerulonephri¬
tiden sehr häufig ein abnormes Verhalten. Entweder
trat im Gegensatz zum Normalen eine Eindickung des Blutes ein oder
aber es erfolgte eine Verdünnung; aber diese fiel oft geringer aus unter
normalen Verhältnissen. Daneben finden sich allerdings in den Tabellen
auch Kranke mit akuter Glomerulonephritis, die ein normales Verhalten
zeigen. Soweit man bisher ein Urteil gewinnen kann, scheint es uns,
dass wir um so häufiger abnorme Reaktionen erhalten, je frischer und
intensiver der Krankheitsprozess ist. Chronische Glomerulonephritiden
zeigten nur dann Eindickung, wenn sonstige schwere Krankheitserschei¬
nungen wie Oedeme, urämische Symptome etc. vorhanden waren. In
einem Falle akuter Glomerulonephritis konnten wir mit zunehmender
Besserung der Krankheit eine Annäherung der Reaktion an den nor¬
malen Typ feststellen. Was die Beziehung zu sichtbaren Oedemen be¬
trifft, so ist eine solche unzweifelhaft vorhanden. Doch besteht kein
strenger Parallelismus, indem abnorme Reaktionen zuweilen auch bei
Kranken beobachtet wurden, die keine sichtbaren Oedeme zeigten. Bei
dem letzten Patienten der Tabelle (E.) kommt vielleicht die blutver¬
dünnende Wirkung des Aderlasses, der von einem Einströmen der
Gewebsflüssigkeit in das Blut gefolgt ist, zum Ausdrucke. Doch haben
wir diese Erscheinung nach Aderlass in anderen Fällen auch vermisst.
Deutliche Beziehungen zur Hydrämie, die bei mehreren unserer Kranken
vorhanden war, scheinen ebenfalls nicht zu bestehen. Jedenfalls kommt
die abnorme Reaktion auch bei Kranken ohne Hydrämie vor. Ueber die
wahrscheinliche Deutung dieser Befunde wird unten im Zusammenhang
gesprochen werden.
b) Scharlach.
Unter den Infektionskrankheiten haben wir den Scharlach besonders
genau untersucht, da hier auch mit anderen Verfahren (Rumpel-
L e e d e sches Phänomen) eine Gefässschädigung nachgewiesen ist und
es uns von Interesse schien, gerade bei einer solchen Infektionskrankheit
unser Verfahren anzuwenden. Tabelle 2 unterrichtet hierüber.
Tabelle 2 (Scharlachkranke).
Name und
Vers.-No.
Stand der Krankheit
I. Blut- In. Blut¬
probe 1 probe
Eiweiss in %
Diffe¬
renz in
® • von I
Bemerkungen
Pat E.^
Vers- 27
Vers. 11
Akutes Stadium
Rekonvaleszenz
7,26
8 15
7.54
8,02
-i-8,86
— 1.69
Exanthem u. Rumpel-
Leede -f.
Seit einigen Tagen
fieberfrei.
Pat. V .
Vers. 80
Vers. 80
Akutes Stadium
Rekonvaleszenz
6,22
8,17
6.27
7,78
-1- 0,8«
— 4,78
Exanthem u. Rumpel-
Leede -f--
Ende des P ihuppungs-
stadinms.
Pat. L..
Vers, öl
Vers. 78
Vers 98
Akutes Stadium
Rekonvaleszenz
Echtes Rezidiv
7.. 58
8.. 52
8,64 i
7.76
8,49
8.77
-f 2.37
-+-2,04
4- 1,50
Exanthem.
Fieberfrei.
Rumpel-Leede w ed. -f-.
Pst. H.
Vers. 82
Vers. Jia
Akutes Studium
Ende d. Rekonvaleszenz
7.f9
9,39
7.78
1 8,47
-+-2.50
— 9.87
Exanthem
Pat. Sch.
Vers. 88
Vers. 96
Vers. 107
Akutes Stadium
Fieberfrei
Wieder Fieber
7,07 j
7,98 '
8,57
7,.50
7,98
8.53
-f 6,08
— 0,47
Exanthem.
Fericarditis sicca mit
Gelenkschmerzen.
Rumpel-L. schwach 4.
Pat, B.
Vers. 111
Geringes Fjcauthciu
7,26
7,07
— 2,61
Digitized by (
Ligl
ie
Die Ergebnisse der Versuche sind ziemlich eindeutig. Im akuten,
fieberhaften exanthematischen Stadium des Scharlachs sehen wir fast
immer eine abnorme Reaktion bei Ausführung unseres Verfahrens, d. h.
das Serum der Kranken erweist sich bei der 2. Entnahme als wasser¬
wärmer als vorher. Mit Fortschreiten der Rekonvaleszenz tritt dann,
wie mehrere Versuche zeigen, die normale Verdünnung des Blutes
wieder auf. Nur ein Fall verhielt sich auch im exanthematischen Sta¬
dium normal. Allerdings konnte er erst mit abblassendem Exanthem
untersucht werden. Während eines echten Scharlachrezidivs ohne
Exanthem (sogen. 2. Krankheit) fand sich eine abnorme Reaktion,
während bei einer fieberhaften Perikarditis in der Rekonvaleszenz eine
Blutverdünnung wie normal beobachtet wurde. Die Reaktion fiel häufig
bei positivem Rumpel-Leedesehen Phänomen abnorm aus, ohne
dass sich aber ein völliger Parallelismus ergeben hätte.
Wie ist diese abnorme Reaktion bei Scharlach zu deuten? Entweder
handelt es sich um etw’as für Scharlach oder eine gewisse Gruppe von
Infektionskrankheiten Typisches, oder aber es liegt eine Reaktion vor,
die bei vielen oder allen infektiösen und fieberhaften Zuständen vor-
kommt resp. Vorkommen kann. Eine abschliessende Antwort können
wir nicht geben, da unser Material zu klein ist. Hier sei nur soviel er¬
wähnt, dass auch bei Typhus abdominalis anscheinend sehr häufig die
abnorme Reaktion vorkommt und bis ziemlich lange in die Rekonvales¬
zenz beobachtet werden kann, während wir sie in einzelnen Fällen
von Grippe und Pneumonie nicht fanden. Weitere Untersuchungen
scheinen uns erforderlich.
5. Deutimg der Befunde.
Es fragt sich nun, was man mit dieser Methode
untersucht, welchen der Faktoren, die den Wasser¬
gehalt des Blutes verändern? Zunächst können wir als
sicher ansehen, dass wir tatsächlich das Resultat einer Wasserver¬
schiebung zwischen Blut und Gew^eben vor uns haben, nicht aber eine
veränderte Verteilung des Wassers im Blute selbst, etwa Wasser¬
aufnahme resp. -abgabe durch die geformten Elemente. Es ist zwar
bekannt (Bohr), dass das Volumen der Blutkörperchen bei starker
Erhöhung der COa-Spannung im Blute zunimmt. Und eine solche kommt
natürlich im abgebundenen Arm zustande, beim Kranken sogut wie beim
Gesunden. Aber erstens untersuchen wir das Blutserum doch erst nach
vielen Stunden. Man kann annehmen, dass inzwischen ein Ausgleich
der COa-Spannung eingetreten ist. Um sicher zu gehen, haben wir in
2 Fällen das Blut nicht gerinnen lassen, sondern durch Schütteln mit
Glasperlen an der Luft defibriniert und gleichzeitig arterialisiert. Es
ergab sich die gleiche Verdünnung des Blutes in der II. Probe.
I. II. . Diff. in Proz. von I
V e r s u c h 104 : 8,64 Proz. 8,54 Proz. ' — 1,15
Versuch 106: 9,84 Proz. 9,60 Proz. —2,43
Ausserdem wären die Differenzen im Verhalten von Normalen und
Kranken gar nicht erklärbar, wenn es sich um Erfolge einer derartigen,
im Blute selbst stattfindenden Flüssigkeitsverschiebung handelte. Das
Volumen der geformten Elemente im Blute des abgeschnürten Armes
kann man nicht exakt bestimmen, da die Erythrozyten, wde uns einige
Zählversuche zu zeigen schienen, ziemlich schnell sedimentieren.
Uns ist es am wahrscheinlichsten, dass wir mit unserem Verfahren
vorwiegend die Durchlässigkeit der Gefässe prüfen. Dafür
sprechen neben den Versuchen mit variiertem intravaskulärem Druck
besonders folgende Momente: Ein abnormer Ausfall der Reaktion findet
sich sehr häufig zusammen irrit anderen Zeichen einer gestörten Gefäss-
funktion, z. B. mit einem positiven Rumpel-Leedesehen Phänomen
wie in den Fällen von Scharlach und einem von uns untersuchten Pur¬
purafall, bei dem allerdings trotz reichlicher Hautblutungen die Ein¬
dickung des Serums nur sehr gering war. Ferner haben wir abnorme
Reaktionen bei einigen Fällen von chronischer Endokarditis gefunden,
bei der durch Nachw-eis von Gefässendothelien im Blute (Kraus,
B i 11 0 r f) eine Schädigung der Gefässe erwiesen ist. In einem dieser
Fälle gelang es durch Reiben der Umgebung einer Stichwunde im Ohr¬
läppchen massenhaft Endothelien in das Kapillarblut zu bekommen.
Endlich können wir auch unsere Befunde bei akuter Glomerulonephritis,
bei der man ja allgemein Gefässschädigungen annimmt, in demselben
Sinne verwertet werden.
Auffallend ist es allerdings, dass keineswegs in allen Fällen, in denen
eine vermehrte Durchlässigkeit der Gefässe besteht, sich nun auch
Oedeme finden. Wir erinnern besonders an Scharlach und andere akute
Infektionskrankheiten. Es scheint also die vermehrte Transsudation
nicht das einzige Moment zu sein, das für die Oedembildung von
Wichtigkeit ist.
Bezüglich vieler Einzelheiten und Belege mag auf unsere ausführ¬
lichere Arbeit verwiesen werden*.) Wir glauben aber, dass die Me¬
thode schon hinreichend ausgearbeitet ist, um veröffentlicht zu werden.
Wieweit sie einen diagnostischen Fortschritt bedeuten wird, muss die
Nachprüfung an einem möglichst grossen Material zeigen.
*) Soll a. a. O. erscheinen.
3*
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
662
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
Aus dem Eppendorfer Krankenhaus Hamburg.
Das Problem der Behandlung infizierter Aborte*).
Von Prof. Dr. H. Schottmüller.
Die ausserordentliche Zunahme der Aborte und die noch immer hohe
Mortalität bei dieser Erkrankung drängt dazu, Abhilfe zu schaffen.
B u m m berechnet die Zahl der Aborte für das Deutsche Reich auf
300 000 schon im Jahre 1913. Die Mortalität der Aborte erreicht
10 Proz. in manchen Statistiken. Man darf bei niedrigerer Schätzung
annehmen, dass jetzt mehr als 10000 Frauen jährlich infolge Abortes
sterben.
Die Gefahr, die ein Abort mit sich bringt, liegt in der begleitenden
Infektion. Sie kommt häufig schon bei spontanem Abort zustande,
wieviel mehr bei kriminell eingeleiteter Fehlgeburt. Nach eigener und
anderer Feststellung sind mindestens 90 Proz. aller Aborte durch einen
unerlaubten Eingriff herbeigeführt, also mit unsauberen Instrumenten.
Die Folge sind mehr oder weniger schwere Verletzungen und Infek¬
tionen, nicht nur des Endometriums, sondern vielfach auch der Uterus¬
wand, des Beckenbindegewebes und der Tuben.
Ueber die Art der Behandlung.des Abortes herrscht nun keineswegs
Einigkeit Im Gegenteil, sie ist so umstritten, wie kaum bei einer
anderen Krankheit Das lehrt schon ein Blick in die Literatur der letzten
Jahre.
Vielleicht können unsere Erfahrungen unter Berücksichtigung von
6000 Fällen zeigen, wie die schädlichen Folgen des Abortes gemindert
werden können.
Bis zum Jahre 1910 haben wir alle Aborte mit und ohne Fieber aktiv
behandelt, und zwar manuell ausgeräumt mit Ausnahme der durch
Parametritis oder Salpingitis komplizierten und derjenigen, bei denen
eine Gonorrhöe nachweisbar war. Dabei hatten wir eine
Mortalität von 3 Proz. In den Jahren 1910/14 betrug die
Mortalität 1,5 Proz. bei 1500 durch uns digital ausgeräumten Aboiten,
wohl deshalb, weil seit 1912 auch die mit hämolytischen
Streptokokken infizierten Aborte nicht mehr ausgeräumt wurden.
Gesamtzahl der Aborte in diesem Zeitraum 2000 mit einer Mortalität
von 7,4 Proz.
Folgende -Erwägungen bestimmten mich, seit August 1914 die
digitale Ausräumung ganz aufzugeben und nur noch die Winter sehe
Abortzange und eine grosse stumpfe Kürette zur Entfernung
der Eiteile zu verwenden.
Bei der manuellen Ausräumung des infizierten Uterus werden
durch den in die Gebärmutter eingeführten Finger und den von aussen auf
den Uterus ausgeübten Druck der anderen Hand, die auf dem Endo¬
metrium reichlich vorhandenen pathogenen Keime in die offenen Gefäss-
lumina direkt hineingepresst.
Diese Tatsache ist von uns erwiesen.
Denn wir fanden in der Mehrzahl dieser Fälle [77 Proz.] unmittel¬
bar nach der manuellen Ausräumung pathogene Bakterien — und
nur solche! —■ im strömenden Blut. Dabei besteht immer die
Gefahr, dass sich Infektionserreger in den Lymphgefässen oder in den
Venen des Plexus uterinus ansiedeln. Die gefährliche Thrombo¬
phlebitis im Ligamentum latum ist in letzterem Falle die Folge,
sie führt so häufig zur Sepsis puerperalis thrombophle-
bitica (Vena hypogastrica, V. iliaca, V. ovarica, V. cava).
Endlich können die pathogenen Keime auch in die Tuben hinein¬
gedrückt werden und eine Salpingitis erzeugen.
Auch wenn die genannten Komplikationen nicht zum Tode führen,
^ haben sie doch oft andere schwerwiegende Nachteile: monatelanges
Krankenlager, dauerndes Siechtum und Sterilität im Gefolge.
Mir schien aus theoretischen Erwägungen wie auf Grund praktischer
Erfahrungen, über die mein ehemaliger Mitarbeiter Dr. Theodor'“')
berichtet hat, dass bei der Cu re t tage die geschilderten Gefahren
eher zu vermeiden sind. Aber letzten Endes entscheidet der Erfolg.
Wir haben seit August 1914 die Zahl von 3200 Aborten mit
Curettage behandelt. Fast in allen Fällen bestand eine Infektion,
wenn auch nicht immer Fieber.
beweist in solchen Fällen sowohl die der Ausräumung häufig
folgende Temperatursteigerung, als auch das positive Ergebnis der bak¬
teriologischen Untersuchung des Uterussekretes.
Im gleichen Zeitraum w'urden konservativ behandelt
530 Aborte, teils weil der Abort erledigt war, teils weil Komplikationen
von seiten des Parametriums, der Adnexe und des Peritoneums oder
eine Gonorrhöe bestanden. Endlich haben wir (seit 1912) diejenigen
Aborte abwartend behandelt, bei denen wir hämolytische
Streptokokken in der Zervix nachgewn'esen hatten, wenn nicht
eine starke Blutung zur sofortigen Erledigung zwang.
Unser Vorgehen ist folgendes:
Sofort bei der Aufnahme wird zunächst aus der Zervix eine bak¬
teriologische Untersuchung auf aerobe und anaerobe Keime angesetzt.
Dann folgt die Abtastung der Genitalorgane, es werden etwaige
Infektionen im Parametrium (Ligam. lat.), der Tuben oder des Peri¬
toneums festgestellt.
•) Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein zu Hamburg, 14. XII. 20.
> Römer: Ueber Bakteriämie bei Aborten und ihre Bedeutung
ln klmischer und theoretischer Beziehung. Beitr. z. Klinik d. Infekt.-Krkh. 1.
) Bakteriologische Blutuntersuchungen nach Curettagen. Beitr. z Klin.
d. Infekt.-Krkh. 3. 1914.
Weiter wird auch nach Verletzungen infolge der Abtreibung in der
Vagina, an der Portio, an dem Uterus und den Parameirien gesucht.
Grundsätzlich wird bei jedem Abort mit der Ausräumung bfc zum
nächsten Tag, unter Umständen no^h ein oder zw^ei Tage länger ge¬
wartet. Wir wissen dann, welche pathogenen Keime die Infektion ver¬
ursachen und gewinnen ein sichereres Bild von dem Krankheitszustand.
Ich erwähne diese Tatsache vor allen Dingen deswegen, um zu be¬
weisen, dass fast in jedem Falle von Abort ein Aufschub der Operation
für ein oder mehrere Tage möglich ist. In dieser Zeit kann sehr wohl
auch ausserhalb der Klinik eine bakteriologische Untersuchung des Zervix-
oder wenn nicht anders möglich, des Vaginalsekretes erfolgea Der Arzt
hat nicht viel mehr Mühe davon als bei einer Untersuchung auf Di¬
phtherie. Das Resultat der Untersuchung kann von der bakteriologischen
Untersuchungsstelle gerade so schnell wie bei Diphtherie geliefeit
werden.
Wer aber noch glaubt, dass für die manuelle Abortbehand¬
lung die von uns eingeführte bakteriologische Untersuchungsmethode,
vor allen Dingen bezüglich des Nachweises hämolytischer
Streptokokken in der Zervix, belanglos ist, der werfe einen Blick
auf die Tabelle 1 und überzeuge sich von der hohen Mortalitätsziffer
derartig infizierter Patienten. Sie fällt um so mehr ins Gewicht, wenn
man berücksichtigt, dass die Infektion mit hämolytischen Streptokokken
relativ selten ist, wie Tabelle 2 lehrt.
Dahingegen führten z. B. die nicht seltenen Fälle von B a c t. c o 1 i -
Infektion niemals zur tödlichen Sepsis (cf. Tabelle 1). Die bakterio¬
logische Untersuchung gibt also, wie ich das schon vor Jahren
nachgewiesen habe, wichtige Anhaltspunkte für die Prognose des
Abortes.
Tabelle 1. Uebersicht über die KrankheitserrcKer bei
231 Todesfällen an Seosis p. abortum aus den Jahren 1910
bis 1920.
^ ErreKe r
bei Sepsis im Blute intra vitam nachgewiesen,
bei Periionitis im Eiter
Fälle von
Sepsis
Fälle von
Peri¬
tonitis
Mono-Infektionen
Streptococcus liaemolytic US. .
Streptococcus putridus (anaerober Strepto¬
Staphylococcus aureus oder albus . . .
Bac. phle™. empbysem. (Fraenkel) . . .
PneumokoKkus .
Bact. Coli.
Anaerobe Staphylokokken .
44
41
82
9
2
0
1
28
81
10
7
1
4
0
72
72
42
16
8
4
1
Miioh-Infektlonen
Streptoo. putrid. Bact. Coli.
Streptoc. putrid. Fraenkel-Gasbaz. . .
Streptoc. putrid. + Staphyloc. ..
Streptoc. haemolyt. -f Streptoc. putrid
Streptoc. haemolyt. -f- Fraenkel-Gfasbaz
Streptoo. viridans -4- Streptoc. tiutrid. . .
Streptoc. viridans -f- Fraenkel-Gasbaz. .
Stapnylococcns -f Fraenkel-Gasbaz.
Bact. Coli -4- Streptoc. viridans
Bact. Coli -j- Streptoc. putridus -1- Fraenkel
Gasbaz.
4
0
2
142
4
8
0
1
89
8
8
1
1
1
1
1
1
1
_8
281
Die manuelle Ausräumung von Streptokokken¬
aborten bedeutet immer eine grosse Gefahr für das
Leben der Patientin. Darüber kann eine Diskussion nicht mehr
stattfinden (s. u.). Diese Gefahr mit Hilfe unserer Blut¬
agarplatte erkennen und vermeiden zu können, ist
für den gewissenhaften Arzt sicher eine grosse Be¬
ruhigung.
Tabelle 2. Ergebnis der
Zervixkultureii
V 0 n 600 A b 0 r t e n.
1
Erreger
2 1 8
Mono- 1 Misch-
Tnfektionen
4
Summe
von 2 u. 3
5
•/.
Staphylococcus •) (aureus od. albus
98
307
405
67,6
Bact. Coli.
44
.106
150
25,0
Pseudodiphth.-Baz. .
13
91
104
17,8
Streptococcus anhaemolvt. .
7
66
63
10,5
Streptococcu s haemolyt
7
19
26
4,33
Tetragenus .
0
4
4
0,66
Proteus vulgaris.
0
8
8
0,6
Streptococcus viridans.
2
1
8
0,5
Pneumokokkus.
1
0
1
0,16
Obligate anaerobe Bakterien
Anaerobe Streptokokken
(S tr ep 1 0 c. p u t r d u s) . . .
4
800
»04
50,66
Anaerobe SUiphvlokokken . . . .
0
16
16
2,66
Anaerobe Gram-negat. Stäbchen .
0
14
14
2,83
Bac. phlegm. empbysem (Fraenkel
8
8
11
1,85
Steril 1
1 16 1
16
2,66
*) In manchen Fällen fanden sich nur wenige Kolonien Staphylokokken auf
der Kulturplatte, so dass die Feststellung der Zahl der StaphylokoKken-Infektionen
auf 67,6 ®/o zu hoch sein dürfte. Bei der Uhi^nität der Staphylokokken kann der
Nachweis nur weniger derartiger Kolonien nuht immer als gleichbedeutend mit
einer Infektion mit diesem Keime angesehen werden.
Tabelle 2 gibt über die Infektionserreger bei den letzten 600 Aborten
nähere Auskunft; sie zeigt welche Krankheitserreger überhaupt zur
Digitized by GOOOlC
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
663
Infektion bei Aborten führen, in welcher Häufigkeit die einzelnen
Arten auftreten und wie oft es zu M i s c h i n f k t i o n e n kommt.
In Tabelle 1 sind die Infektionserreger aufgeführt von denjenigen
Fällen, deren Erkrankung tödlich endete. Sie hat besonderen Wert, weil
die Krankheitserreger nicht nur in der Zervix, sondern auch im Blut intra
vitam nachgewiesen wurden.
Als Krankheitserreger kommen also bei Sepsis post abortum wie
überhaupt bei Sepsis puerperalis namentlich in Betracht der Strepto¬
coccus haemolyticus, der Staphylococcus aureus und
der E. F r a e n k e 1 sehe Gasbazillus, besonders häufig aber der
obligate anaerobe Streptococcus putridus, dessen Patho¬
genität von uns erwiesen ist. Der Streptococcus putridus wird
deswegen als Erreger der S e p s i s P u e r p e r ä l i s so oft angetroffen®),
weil er sicherlich in der Vagina jeder Frau vorkommt*).
Es ist also nicht zu vermeiden, dass der durch die Vagina in den
Uterus gleitende Finger diesen pathogenen Keim auf das Endometrium
überträgt. Bei Verwendung der Kürette ist aus naheliegenden Gründen
diese Gefahr nicht entfernt so gross.
Ist, wie meist in den Fällen starker Blutung, diese bedingt durch
einen Zervixabort, so wird“ sofort vorsichtig die aus dem eingestellten
Muttermund hervorragende Plazenta mit der Abortzange erfasst und
herausgezogen. Die starke Blutung steht dann, event. erfolgt später
noch eine Curettage.
Wird instrumentell ausgeräumt, so ist eine Dilatation der
Zervix nicht nötig, wenn der Abort im Gange ist. War der
äussere Muttermund geschlossen, so haben wir abgewartet, auch
wenn hohes Fieber bestand.
Die Infektion auch des geschlossenen Uterus ist
keine Indikation, aktiv vorzugehen. In dieser Beziehung
haben wir unseren Standpunkt gegen früher geändert.
Wir haben seit Jahren nie mehr die Zervix erweitert, weil Laminaria,
Gazetamponade und die Hegarschen Dilatatorien die Infektion pro¬
pagieren und auch sonst Unheil anrichten können. .
Wir haben auf eine digitale Austastung des Uterus sowohl
vor wie nach der Curettage grundsätzlich verzichtet. Wir gehen auf
keinen Fall mit dem Finger in den Uterus ein, w^eil es, wie unsere Er¬
fahrung überzeugend lehrt, unnötig ist und der Patientin schaden kann
(s. o.).
Seit Jahren nehmen wir von Spülungen jeder Art sogar von
Verabfolgung von Sekalepräparaten. Abstand. Sie sind über¬
flüssig, wenn sauber kürettiert wird. Man soll nicht glauben, durch
irgendwelche desinfizierende Massnahmen die Keime aus dem Utenis
beseitigen zu können. Im Gegenteil, intensive Mittel schaden nur.
Mit Kürette ausgeräumt wurden Aborte vom
I.—4. Monat inkl. Es ist uns so gut wie immer gelungen, den
Uterus von seinem Inhalt zu reinigen. Man lernt sehr bald —
auf Einzelheiten kann ich mich nicht einlassen — mit der Kürette
genau so gut wie mit dem Finger zu tasten und zu
f ü h I e n, ob noch Teile der Plazenta oder vom Föt zurückgeblieben sind.
Ist der Uterus leer, so steht die Blutung unbedingt. Ich erinnere mich
nur an einen Fall von Blutung infolge von Atonia uteri bei Abort.
Tritt nach der Ausräumung noch eine stärkere Blutung ein, so sind
Eiteile retiniert und muss eventuell eine zweite Curettage in den
nächsten Tagen folgen. Sie wurde bei uns nur sehr selten, in 11
unter 3000 Fällen nötig.
Ich kann also darin keinen Nachteil der instrumenlellen Ausräumung
erblicken. Im Gegenteil dürfte eine Retention bei manueller Ausräumung
häufiger verkommen.
Nun wird von mancher Seite die Kürette geradezu perhorresziert.
Diese Verurteilung unterschreibe ich bezüglich der kleinenscharfen
Kürette. Sie darf unter keinen Umständen angewandt werden.
Immerhin hielt ich mich für verpflichtet, die instrumentelle Aus¬
räumung selbst zu erproben, ehe ich sie für das Verfahren der Wahl bei
Aborten erklärte. Ich habe daher die ersten 500 Aborte eigenhändig
kürettiert. Seitdem wird der Eingriff aus didaktischen Gründen von
meinen Mitarbeitern ausgeführt. Und auch dabei hat sich die Methode
bewährt.
Das beweisen unsere Erfolge.
Denn worauf es in erster Linie ankommt, die Mortalität, die bei
manueller Ausräumung bei uns früher 3 Proz., später, seitdem wir
Streptokokkenaborte nicht mehr manuell ausräumen. 1,5 Proz. betrug,
ist bei der grossen Zahl von 3200 durch Curettage behandelten
Fällen auf 0,3S Proz. heruntergedrückt worden, also von 3 Proz. auf
nahezu 3 Prom. (Tabelle 3).
Tabelle 3. Curettac:ebehandlunjj.
Vom 1. August 1914 ab.
Zahl der Qesarataborte . 3700
Davon im Krankenhaus kürettiert. 3200
Vor der Aufnahme ausgeräumt oder Spontanaborte .... 500
Qesamttodesfälle . 166
Mortalität bei den Gesamtaborten.4,32 Proz.
Mortalität bei den im Krankenhaus kürettier-
t e n 3200 Aborten. ..0,35 Proz.
Komplikationen bei den mit Kürette behandelten 3200 Aborten . . 4,56 Pro^.
*) cf. Tab. 1.
*) A. Rosowsky: Ueber das Vorkommen der anaeroben Strepto¬
kokken in der Vagina gesunder Frauen und Kinder. Zbl. f. Gyn. 1912 Nr. 1.
Als grösster Nachteil der Kürette wird die Gefahr der Uterus¬
perforation angesehen. Wir haben sie unter den 3200 Fällen
einmal erlebt. Glücklicherweise war sich der betreffende Assistent
klar über die gesetzte Verletzung. Die Patientin wurde sofort operiert
und geheilt.
Gewiss haben wir dann auch noch andere Komplikationen gesehen.
In folgender Tabelle sind sie verzeichnet (Tabelle 4).
Tabelle 4. Komplikationen bei den 3200 mit Kürette aus¬
geräumten Aborten.
Endometritis.30
(mehrtägiges Fieber nach der Curettage ohne nachweisbare son¬
stige Komplikation)
Metastasen infolge Bakteriämie.6
Salpingitis .. 53
Douglasabszess.5
Peritonitis (davon tot 3).5
Parametritis thrombophlebitica oder lymphatica.28
(— Sepsis puerperalis) (davon tot 8)
Thrombosen .8
Lungeninfarkt.10
Perforatio uteri ... ^1
Summa 146
Prozentsatz: 4,56 Proz. der Ausgeräumten.
Wir haben also dem Eingriff auch Fieberanstiege mit Bakteriämien,
Thrombophlebitis im Parametrium und Salpingitis folgen sehen. Nicht
sicher aber ist es, ob es dazu nicht auch ohne den Eingriff gekommen
wäre, denn die Infektion des Uterus bestand ja vor dem Eingriff und
diese kann auch spontan oder infolge des Abtreibungseingriffes fort¬
schreiten. Das lässt sich nie entscheiden.
Nun unser Verhalten bei Streptokokkenaborten (Strep¬
tococcus haemolyticus).
Vor der bekannten Winter sehen Warnung, Streptokokkenaborte
nicht anzurühren, hatten wir, wie unsere Statistik seinerzeit ergab, auch
bei diesen durch aktives Vorgehen bessere Resultate erzielt®). Später
fanden wir bei grösseren Zahlen, dass Winter durchaus
rechthat.
Wir haben infolgedessen die mit hämolytischen Streptokokken
infizierten Aborte seit 1912 abwartend behandelt, d. h. überhaupt nicht
ifiehr manuell ausgeräumt und wenn nötig erst kürettiert. wenn die
Streptokokken in der Zervix mittels unserer Blut-Agarkultur nicht mehr
nachweisbar waren. Die Folge war, dass die Mortalität, wie eben er¬
wähnt, von 3 Proz. auf 1,5 Proz. sank.
In den letzten Jahren haben wir dann zunächst versuchsweise die
mit hämolytischen Sreptokokken infizierten Aborte auch bald nach der
Aufnahme mit der Kürette erledigt, weil wir bei diesem Verfahren in den
Fällen, wo starke Blutung zu sofortigem Eingreifen zwang, und auch in
gewissen anderen Fällen (Theodor,!, c.) gute Resultate erzielt hatten.
T a b e 11 e 5.
Von den 100 Fällen hämolytischer
Streptokokken-Injektionen bei
Abort sind 1918 bis 1921:
Sa.
H ilung
Tot
Davon auch
haemolyt.
Streptok.
im Blut
Vor der Aufnahme ins Krankenhaus
aasgeräumt.
Hier i. Krankenhaus sofort 1
„ „ „ später)
Nicht ausgeräumt.
27
fS}»’
40
14 ^ 60 Vo
2H\ 33 =
101 100 •/,
34 = a5»/o
18 =r 50«/#
0
0
6 =r 15®/,
16
13
2
9
Sa.
100
81 81*,.
19 = 19%
40
Die Zahlen sind gross genug und so verschieden, dass sie dem Zufall ent¬
rückt sein dürften.
Um einen Einblick zu gestatten, habe ich die Streptokokkenaborte
der letzten 3 Jahre in Tabelle 5 zusammengestellt. Sie lehrt, wieviel
günstigere ja glänzende Resultate dieCurettagebehand-
lung gibt im Gegensatz zur früher geübten manuellen
1. c. M.m.W.). Und das, obwohl auch bei 15 von den 33 kürettierten und
günstig verlaufenen Fällen Streptokokken im Blute nachweisbar waren.
Also die Bakteriämie an sich bedingt nicht einen ungünstigen Aus¬
gang. Soweit festzustellen, war auch bei den ausserhalb des
Krankenhauses ausgeräumten Aborten meist manuell vorgegangen
worden. Es könnte scheinen, als ob die Ergebnisse der Kurettage-
behandlung sogar bessere sind, als der Erfolg bei konservativem Ver¬
halten. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass unter den nicht
ausgeräumten Aborten Fälle einbegriffen sind, die schon mit mehr oder
weniger ernsten Komplikationen — ob infolge aktiven kriminellen
Eingriffs muss dahingestellt bleiben — zu uns kamen.
Auf Grund der eben mitgeteilten guten Erfolge der Curettagebehand-
lung bei hämolytischen Streptokokken stehe ich nicht an, zu erklären,
dass der konservative Wintersche Standpunkt zwar
der manuellen Ausräumung gegenüber absolut Be¬
rechtigung hat, aber nicht so gegenüber der Cu-
rettagebehandlung.
Immerhin ist das konservative Verhalten für die Patientin schonend
und gutzuheissen.
®) cf. M.m.W. 1911 Nr. 39. 40, 41. Streptokokkenaborte und ihre
Behandlung.
Digitized by Google
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
6tA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
Folgerichtig ist cs nun, wenn man diese Erfahrung auch überträgt
auf diejenigen Fälle, bei denen eine Infektion des Uterus mit dem
Staphylococcus aureus bzw. albus oder dem anaeroben Streptococcus
putridus besteht '*).
Ich zweifle nicht daran, dass man. wenn man auch bei derartigen In¬
fektionen von einer Ausräumung absieht, keinen Fehler begeht vielmehr
gute Erfahrungen machen wird. Vielleicht hätten auch wir noch einen
oder den anderen Fall weniger verloren.
Im Hinblick auf meine letzten Ausführungen könnte man mir ein¬
wenden :
Wenn bei virulent infizierten eventuell fiebernden Patienten eine
Ausräumung nicht indiziert ist, dann wäre ja überhaupt ein konservatives
Verfahren immer dem aktiven vorzuziehen. Da kann ich nur sagen,
sehr richtig! Niemand wird seiner Patientin
schaden, der auf Ausräumung verzichtet, oft wird er ihr
damit nützen.
Nun warum dann überhaupt die Ueberlegung, ob eingreifen oder
ubwarten?
M. D. u. H.! Ich verkenne die Schwierigkeiten in der Praxis nicht.
Einmal die B1 u t u n g. Diese Gefahr wird allerdings von namhaften
(jynäkologen, z. B. Hegar, Walthard, Hamm gleich Null geschätzt.
Im Krankenhaus ist es allerdings leichter, sich bei einer Blutung
abwartend zu verhalten, auch wenn die Patientin fast pulslos ist. Anders
in der Stadt und auf dem Lande. Zwar steht hier das Mittel der
Scheidentamponade zur Verfügung. Doch gibt es Lagen, wo oft bei
grösster Autorität des Arztes die Sorge der Kranken, der Angehörigen
und die eigene nicht zu beschwichtigen ist, es könnte doch eine Ver¬
blutung eintreten.
Und ferner in solcher Not wird zu oft ein anderer Arzt gerufen, der
dann die Indikation zum Eingriff gegeben sieht.
Hier kann nur helfen, wenn die Gesamtheit der Aerzte belehrend
dahin wirkt, dass es schonender für die abortierende Frau ist, wenn
nicht ausgeräumt wird.
Aber warum gehen wir dann aktiv vor? Nun meine D. u. H. aus
dem bekannten Grunde, weil das konservative Verfahren der Kranken
z u V i e I Z e i t und dem Volk grössere materielle Opfer auferlegt. Denn
sicher ist die Frau bei konservativer Behandlung des Abortes wesent¬
lich länger hilfsbedürftig und arbeitsunfähig.
Es ist selbst im Krankenhaus manchmal recht schwer, die Patientin
zum Abwarten zu überreden und sie von der Gefahr des Eingriffes, be¬
sonders bei Komplikationen zu überzeugen.
Manche Frauen lassen sich allerdings halten, sobald ihnen versichert
wird, dass die Schwangerschaft unterbrochen ist.
Endlich kann gegen das konservative Verhalten der Einwand er¬
hoben werden, dass früher oder später doch noch wegen andauernder
Metrorrhagie (Plazentapolyp) und zunehmender Anämie eine Aus¬
räumung erfolgen muss. Das waren ja die Gründe, weshalb Fehling
vor 42 Jahren die aktive Therapie inaugurierte.
Darüber aber kann nun ein Zweifel nicht mehr bestehen, dass die
Curettage auch bei Infektionen mit hochvirulenten- Keimen bev
grossen Zahlen bessere Erfolge gibt, als die digitale Ausräumung.
Es sei denn, dass diese nur in tieferNarkose in se>hr schonen¬
der Weise ohne Druck auf den Uterus von aussen aus¬
geführt wu'rd. Vor allem aber nur dann, wenn eine ganze Zahl schwer
infizierter Fälle zunächst bis zum Abklingen des Fiebers und der Empfind¬
lichkeit des Uterus zurückgestellt w-erden, ganz abgesehen von den
Fällen, bei denen die Infektion schon Parametrien oder Tuben ergriffen
hat. Aber auch bei solchen ist, wenn infolge Unkenntnis der Sachlage
schon mal ausgeräumt wird, und das kommt sicher vor, die Curettage das
schonendere Verfahren.
Zusammenfassend möchte ich folgendes sagen:
Die konservative Behandlung des infizierten Abortes (febril
oder afebril) ist durchführbar und bis zum Abklingen der Infektion und
Heilung etwaiger Verletzungen dringend anzuraten. Sie ist geboten
bis zur spontanen Oeffnung der Zervix.
Bei aktiv-er Behandlung sind die Vorteile der Curettage:
Vermeidung der Narkose (bei enfpfindlichen Frauen wird von uns
ein Aether- oder Chloräthylrausch gegeben).
Vermeidung der Zervixdilatation,
geringere Gefahr der Propagierung der Keime in die Gefäss-
lumina des Endometriums,
kürzeres und zielsichereres Operationsverfahren;
die Nachteile der digitalen Ausräumung:
die Notw-endigkeit einer tiefen (Laparotomie) Narkose,
die meist notwendige Erweiterung der Zervix,
die grössere Gefahr der Propagierung der Keime in das tiefere
Gewebe (Venen-Lymphgefässe),
länger dauerndes und nicht immer völlii’- erfolgreiches Operations¬
verfahren.
*) Die Ansicht von W a 1 t h a r d und seinem Schüler T r a u g o t t, dass
a n h ä in o I y t i s c h e Streptokokken allein eine deletäre Infektion hervor-
rufen können, ist sicher nicht richtig (cf. M.m.W. 1911 Nr. 41 S. 2172).
W a 11 h a r d hat auch den strikten Beweis für diese Behauptung nicht er¬
bracht, denn er versäumte den Nachweis, dass in seinen diesbezüglichen
Fällen eine Mischinfektion mit dem anaeroben Streptococcus putridus
nicht vorlag. (cf. auch Hamm: Ueber puerperale Wundinfektionen, S. 73 ff.
Strassburg 1912. Habilitationsschrift.)
Ich bin mir bewusst, mit der Empfehlung der Curettagebehandlung
bei Aborten bis zu Ende des vierten Monats an einem feststehenden
Dogma zu rütteln. Die Mehrzahl der Autoren, und zwar die führenden,
wie z. B. Bumm, lehnen die Anwendung der Kürette über die sechste
Woche hinaus ab.
Ich halte mich aber für verpflichtet, auf Grund meiner sehr günstigen
Erfahrungen der herrschenden Anschauung gegenüber meinen Standpunkt
zu vertreten.
Man widerlege ihn, wenn man es kann, aber nur mit ebenso grossen
Zahlen.
Man wird einw'enden, dass das Unheil, welches die Kürette durch
Perforation des Uterus schon angerichtet hat, zu bekannt sei, als dass
ihr Gebrauch empfohlen werden dürfte. Wie dem zu begegnen ist, habe
ich in diesem Aufsatz angedeutet.
Die Gefahren der manuellen Ausräumung sind aber sicher grösser.
In dieser Hinsicht besteht zwischen beiden Verfahren nur der Unter¬
schied, dass die deletären Folgen bei der Perforation durch Kürette sofort
offensichtlich sind, w'ährend bei fieberhaften Aborten der ursächliche
Zusammenhang zwischen der manuellen Ausräumung und der dadurch
event. bedingten Propagation der Infektion, die zum Tode führt, aus be¬
greiflichen Gründen nie so durchsichtig sein kann.
M. D. u. H.l Sie haben gehört, dass ich trotz der unzw'eifelhafteii
Vorteile des konservativen Verfahrens, die aktive Behandlung des
Abortes im Krankenhaus übe, unbedingt der digitalen Ausräu¬
mung aber die Curettage vonanstelle.
Ich empfehle sie auch für die Praxis, wenn ausgeräumt werden muss,
nachdem ich gesehen habe, dass auch meine jungen Assistenten damit
gute Resultate erzielen.
Freilich, mit der Kürette umzugehen, muss gelernt werden, ebenso
wie die digitale Ausräumung.
Sie zu lehren, ist die Aufgabe der klinischen Lehrer.
Zur Frage der Abortivbehandlung der primären, sero¬
negativen Syphilis.
Von Prof. Mulzer-München.
In der letzten Zeit mehren sich in der medizinischen Fachpresse
die Mitteilungen über misslungene Abortivkuren bei der primären sero¬
negativen Syphilis und werden- Stimmen laut, die der Beurteilung einer
derartigen Behandlung gegenüber zu grosser Vorsicht raten.
So berichten z. B. Meirowsky und Leven [ll über 7 Fälle, bei
denen diese Abortivkur misslungen ist. Auf Grund ihrer hierbei gemachten
Beobachtungen erklären diese Autoren unter anderem, dass „das Dogma von
der Abortivheilung der primären seronegativen Lues aufgegeben werden
müsse", dass die Trennung in eine Vor- und Nachwassermann-Periode
praktisch undurchführbar sei und dass keine „haarscharfe" biologische Grenze
zwischen beiden Phasen bestehen könne. „Da offenbar, wie unsere Fälle
zeigen, schon in der primären Phase der Lues eine Ausstreuung der Spiro¬
chäten in die inneren Organe stattgefunden hat, so ist die Generalisierung
des Luesvirus im Gegensatz zu den üblichen Anschauungen weder an
die positive WaR. noch an das sog. sekundäre Stadium
der Lues gebunde n". ^
Freymann [2] teilt aus der B 1 a s c h k o sehen Hautklinik einen
abortiv behandelten seronegativen Fall von Lues mit, bei dem nach zirka
13 Wochen und später noch einmal ca. 19 Wochen nach der Infektion in der
Umgebung des ursprünglichen Primäraffektes unbestreitbar sekundär-luetische
Papeln auftraten, während der übrige Körper keinerlei manifeste Symptome
einer Lues darbot und auch die WaR. negativ war.
In der M.m.W. hat dann anfangs dieses Jahres Kerl [3] mitgeteilt,
dass bei einer primären seronegativen Lues 5 Wochen nach einer kräftigen
Neosalvarsan-Ouecksilberkur ein Neurorezidiv am Nerv, cochlearis beob¬
achtet wurde, das unter einer energischen Ouecksilberkur allmählich wieder
zurückging.
Vor allem aber hat W. L ö w e n s t e i n [4] jüngst berichtet, dass bei
seinem äusserst zahlreichen, daraufhin durchgemusterten Material — seit Ein¬
führung der Salvarsanpräparate in die Luestherapie waren auf der Geschlechts¬
krankenabteilung des allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbeck. aus
der diese Mitteilung stammt, 477% Patienten behandelt worden, von denen
1259 -- 26,5 Proz wieder zur ein- oder mehrmaligen Nachuntersuchung
kamen —■ bei den Primäraffekten mit negativer WaR. nach schwachen und
mittelstarken kombinierten Kuren ca. 50 Proz. Rezidive und zwar meist nach
dem ersten Jahre. Spätrezidive noch nach 43 Monaten auftraten. „Es verhielten
sich hierbei die Prozentzahlen der rezidivierenden zu den rezidivfreien wie
83 zu 17 Proz. resp. 53 zu 47 Proz." Mit Recht betont Löwenstein
dass ihre ca. 50 Proz. Rezidive bei Abortivkuren von primärer Lues mit
negativer WaR. im scharfen Gegensatz zu den Ergebnissen vieler anderer
Autoren, wie Lesse r, Schäffer und Habermann und Sinn stehen,
die über Abortivheilung von 100 Proz. berichten.
Ich bin nun in der Lage, über 3 Fälle aus meiner hiesigen Privr.t-
praxis zu berichten, in denen eine kombinierteNeosalvarsan-
Hg-Abortivbehandlung ebenfalls versagte.' Den erst.n
habe ich selbst von Anbeginn an behandelt.
1. Privatier M. Sch. erschien am 25. II. 20 mit einem typischen,
linsengrossen Primäraffekt im Sulcus coronarius (+4- Spir. pall.). Der letzte,
wahrscheinlich infizierende Verkehr hatte vor etwa 3 Wochen stattgefunden.
Die Wasserraannsche Reaktion war negativ; deutliche
Drüscnsch Wellungen waren noch nicht vorhanden. Der
Patient erhielt 12 Neosalvarsaninfusionen von insgesamt 5,7 g Neosalvarsan
und 30 Hg. succinimid.-Injektionen einer 1 proz. Lösung. Nach der ersten
Salvarsaninjektion. am Ende der Kur und 3 Wochen später war die WaR.
negativ.
Digitized by Goiisle
Original frDrri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
665
4 Wochen nachher, am 11. Juni 1920, stellte sich der Patient wieder vor.
Klinisch fanden sich keinerlei Anzeichen einer Lues; die WaR.
\v a r n e K a t i V.
Am 7. VIII. führte mir dieser Patient seine Braut, Frl. J. S., zu,
mit der er entRecen meinem ausdrücklichen Rate schon
seit längerer Zeit geschlechtlich verkehrt hatte *). Ich fand bei ihr eine
typische Roseola, einen Primäraffekt in der hinteren
Kommissur und eine positive WaR.
Sch. selbst zeigte jetzt Papeln im Sulcus und an der Glans;
die WaR. warpositiv.
2. Kaufmann W. M. aus München hatte sich Mitte des Jahres 1919
syphilitisch infiziert (linsengrosser Pa. im Sulcus coronarius, ++ Spir.
pall., keine Drüscnschwellungen, WaR. n e g a t i v), Er erhielt
von einem hiesigen Facharzt 8 Neosalvarsaninfusionen — die Qesamtdosis
weiss er nicht — und 10 Injektionen von Hg. salicyl. Sowohl 2 mal wäh¬
rend als auch 4 Wochen nach der Kur war WaR. s t e t s n e g a t i v gewesen.
Patient glaubte sich daher geheilt u n d stellte sich,
entgegen der Weisung des Arztes, nicht mehr zur
Nachuntersuchung vor.
Anfangs 1920 wurde mir der Patient von einem hiesigen Arzt zur
Untersuchung geschickt, da er im Anschluss an eine schwere Grippe über
starke Kopfschmerzen klagte. Klinisch fand sich nichts für Syphilis
verdächtiges und auch die Kopfschmerzen schienen nicht charakteristisch.
Die WaR. war negativ.
14 Tage später kam M. wieder mit typischen Papeln im
Rachen und an der Zunge und mit einem ausgedehnten
niakulo-paoulösem Exanthem. Die WaR. war stark
positiv.
3. Kaufmann H. L.. Ausländer, hatte Ende 1918 einen bekannten Fach¬
arzt wegen eines Geschwürs am Glied konsultiert. Die syphilitische Natur
desselben konnte nicht bestimmt festgcstellt werden, zur „Vorsicht“ aber
erhielt Patient 8 Neosalvarsaninfusionen. Die WaR. war sowohl vor
als auch nach der Kur negativ und soll auch in der Folge¬
zeit stets negativ gewesen sein. Infolgedessen hat der Arzt aus¬
drücklich die Erlaubnis zur Heirat gegeben, die im Oktober 1919
erfolgte.
Am 16. Seotember 1920 kam L. mit seiner jungen Frau wegen eines
„hartnäckigen Hautausschlages“ zu mir. Zu seiner grossen Ueberraschung
stellte ich die Diagnose auf Syphilis, da ich ein ausgedehntes papu¬
löses Exanthem, Papeln in der Mundhöhle und ad geni-
talia, Skleradenitis universalis und ein Leukoderm vor¬
fand. Die WaR. war stark positiv. Beim Manne fand sich ausser
einer typischen Schankernarbe am Glied nichts für Lues sprechen¬
des; die WaR. war negptiv!
Diese Erfahrungen mahnen nun doch ernstlich, recht vor-
•sichtig in der Beurteilung des Effektes einer Abor¬
tiv kur, selbst bei primärer, seronegativer Syphilis,
zu sein! Zweifellos gelingt diese bei einer grossen Mehrzahl der
Fälle. Dafür sprechen schon die einwandfreien diesbezüglichen Be¬
obachtungen erfahrener Kliniker. Ich verfüge ebenfalls über eine Anzahl
derartiger Fälle. Auch die vielen echten Reinfektionen, die man seit
der Einführung der modernen Abortivbehandlung der Syphilis einwand¬
frei beobachtet hat, zeigen dies zur Genüge.
Leider aber besitzen wir auch heute noch kein Mittel, um in jedem
einzelnen Falle mit Sicherheit festzustellen, ob diese auch wirklich
gelungen ist oder nicht. Dass der negative Ausfall der WaR allein,
auch wenn er wiederholt negativ ausgefallen ist nicht
immer völlige Gesundheit beweist lehren obige Fälle. Sie
lehren aber auch, dass selbst bei recht günstig liegenden
Fällen Rezidive, unter Umständen erst nach Jahren. — Löwen¬
stein sah bei kombinierten Hg-Salvarsan-Abortivkuren selten unter
1 Jahr, ja sogar erst nach 43 Monaten, Wolff in 2 Fällen, in denen er
lediglich die Exzision des Primäraffektes vorgenommen hatte und die
er als geheilt ansehen zu können glaubte, erst 6 bzw. 9 Jahre
später Rezidive — auftreten können. Dies muss und wird der
gewtesenhafte Arzt selbstverständlich bei der Prognose einer derartigen
Behandlung stets berücksichtigen müssen und fordern, dass derartige
Patienten jahrelang in ständiger klinischer und sero¬
logischer Kontrolle bleiben. Leider wird er aber gerade
hiebei sehr häufig auf wenig Verständnis bei seinen Patienten stossen!
Vor allem der „negative Ausfall“ der WaR. hält viele Patienten schon ab,
sich der sog. „Sicherheitskur“, die wohl auch bei seronegativer primärer
Lues von den meisten Venereologen gefordert wird, zu unterziehen,
geschweige denn längere Zeit unter regelmässiger ärztlicher Kontrolle
zu bleiben oder nicht zu heiraten, „wenn sie doch gesund sind!“ Der
Laie und leider auch nicht wenige Aerzte glauben immer noch, dass
man, um festzustellen, ob Syphilis vorliege oder nicht, nur das „Blut
abnehmen und einzuschicken brauche“. Ist es „positiv“, ist man krank;
ist es „negativ“, ist man gesund! So einfach liegen die Verhältnisse
denn doch nicht, darauf hat schon sehr frühzeitig v. Wassermann
selbst in einer Sitzung der Berliner med. Gesellschaft hingewiesen.
Klinische Beobachtung und klinische Erfahrung
sprechen hier immer noch, u n*d zwar ganz besonders
bei der Beurteilung einer Abortivkur. das letzte und,
das wichtigste Wort! Darauf aber müssen Aerzte und Publikum
immer und immer wieder energisch hingewiesen werden!
Wie sind nun aber derartige „Versager“ der gegenwärtig geübten
Abortivkur bei seronegativer primärer Lues zu erklären?
Uhlenhuth [6], dem wir kekanntlich die Einführung*der aroma-
*) Als charakteristisch für ähnliche Fälle führe ich an. dass sich Sch.
einmal Mitte Mai meiner assistierenden Schwester gegenüber geäussert
hatte, er sehe gar nicht ein, weshalb er immer wieder hieher kommen
solle: sein Blut wäre doch frei und er wäre demnach
gesund.
Digitized by Goiisle
tischen Arsenpräparatc in die Behandlung der Syphilis verdanken und
den wir mit als den Begründer der modernen Arsenbehand¬
lung der Syphilis ansehen müssen, hat schon im Jahre 1907
und 1908 auf Grund • seiner ausgedehnten experimentellen Studien
über die Wirkung des Atoxyls bei der Dourine, der Hühnerspiriilose
und der Syphilis der Affen und Kaninchen festgestellt, dass die „Vor¬
bedingung für eine n a c h h a 11 i g e-W i r k u n g einer der¬
artigen Behandlung sind:
a) die Verwendung grosser Dosen,
b) möglichst frühzeitige B'e h a nd 1 u n g.“
Dass eine Abortivkur bei Syphilis nur gelingen kann, wenn diese
Erkrankung möglichst frühzeitig erkannt bzw. festgestellt wird, d. h.
bevor noch Drüsenschwellungen und sekundäre Erscheinungen auftreten,
das haben ja besonders A. N e i s s e r und E. Hoffmann betont. Ins¬
besondere letzterer hat immer und immer wieder auf die enorme
Wichtigke^it des Spirochätennachweis-es für die
FrühdiagnosederSyphilisunddamitfürdieMöglich-
keit ihrer abortiven Heilung hingewiesen. Mit der Ent¬
deckung der Spirochaete pallida, dem Syphiliserreger, schien darum
auch eine neue, aussichtsreiche Epoche für die Abortivbehandiung der
Syphilis eingetreten zu sein. Neisser und Hoffmann versprachen
sich ausserordentlich viel von der Frühbehandlung der Syphi¬
lis durch Exzision des Primäraffektes und nach¬
folgender intensiver Hg-Applikation. Einer der eifrig¬
sten Anhänger dieser kombinierten Behandlungsmethode war D u h o t,
aber auch Thalmann, Finger, E. Lesser, Welander u. a.
traten warm für sie ein .und hatten schöne Erfolge derselben gesehen.
Um wieviel mehr musste eine weitere Kombination derselben
mit den ausserordentlich spirilloziden organischen Arsetipräparaten, ins¬
besondere mit Salvarsan oder Neosalvarsan, leisten, zumal
da man jetzt als eine weitere Indikation für die Einleitung einer solchen
den negativen Ausfall der WaR. ansehen konnte! Und in der
Tat, die Erfolge einer derartigen Kur sind, wie ich bereits oben er¬
wähnte, in den meisten Fällen recht gute. Doch kommen „Versager“
vor und scheinbar doch mehr, als man bisher vermutete!
Bei dem Versuch, ihre Versager zu erklären, meint Frey mann:
„Aus N e i s s e r s Impfversuchen ist bekannt, dass verimpfte Spirochäten
schon früh im Blute kreisen und auch schon in entfernten Körperorganen
nachweisbar sind.“ Kerl sagt, dass aus eben diesen Versuchen und
auch aus seinen eigenen in dieser Periode vorgenommenen positiven
Blutimpfungen auf Kaninchenhoden zu ersehen sei, „dass die Generali¬
sierung schon recht frühzeitig, vielleicht schon ganz kurze Zeit nach der
Infektion erfolge.“
Nun, das ist eine alte klinische Erfahrungstatsache,
die man heutzutage vielfach etwas vergessen zu haben scheint.
Bereits de V i e o hat 1508 die venerischen Geschwüre verätzt, um
dadurch der allgemeinen Infektion vorzubeugen. Diese Methode kam bald
in Misskredit, da man erkannt hatte, dass trotzdem eine Generalisierung
des Virus stattfinde. Hunter nahm das Verfahren wieder auf und
exzidierte um 1867 zum ersten Male die Sklerosen. Schon damals
wusste man aber, dass die Sklerose bereits als Ausdruck
einer vollzogenen konstitutionellen Erkrankung zu
betrachten sei und dass darauf die Misserfolge auch dieser Methode
zurückzuführen seien. Dass dies selbst bei ganz junjien Primär¬
affekten schon der Fall sein müsse, zeigten die Erfahrungen von
M a u r i a c, der eine Sklerose 50 Stunden nach dem Auftreten exzidierte
und trotzdem die Syphilis allgemein werden sah, von G i b i e r, der 48 Stun¬
den, La n g, der 3 Tage und L e 1 o i r. welcher sogar 14 Stunden nach dem
Erscheinen eines Primäraffektes diesen exzidierte und dadurch doch nicht
den Ausbruch von Allgemeinerscheinungen verhindern konnte [7].
Aber auch experimentell ist diese alte Erfahrungstatsache
in exakter wissenschaftlicher Weise bewiesen
worden.
Die Neisser sehen Versuche, die in Organverimpfungen frisch in¬
fizierter Affen und Kaninchen auf Affen bestanden, werden auch von
Freymann und Kerl erwähnt. Neisser [8] stellte bei diesen
Versuchen fest, dass „vom 11. Tage nach der Infektion an
verhältnismässig häufig positive Organ Impfungen
möglich wurden, also um diese Zeit eine ziemlich starke Generali-
sation des Giftes bereits stattgefunden haben musste.“ Merkwürdiger¬
weise folgert aus ihnen aber Freymann, dass „vereinzelte“ Spiro¬
chäten schon frühzeitig im Blute kreisen und auch schon in entfernteren
Körperorganen nachweisbar sind. „Es steht heute noch die Anwort auf
die Frage aus, ob diese Spirochäten sich in den Organen festsetzen,
d. h. sich in den Zellkomplex einnisten, oder ob sie nur in den Blut¬
gefässen des Organismus mitgeschleppt werden.“
Nun, diese Frage, die für die Beurteilung der Chancen einer Abortiv¬
behandlung der Syphilis ausserordentlich wichtig ist, haben Uhlen¬
huth und ich uns schon 1913/14 vorgelegt und experimentell zu ent¬
scheiden versucht.
Wir mussten diese Studien indes durch den Kriegsbeginn abbrechen,
haben aber die bis dahin erzielten Ergebnisse im Jahre 1917 veröffent¬
licht |9l. Sie scheinen leider recht unbekannt zu sein. Wir haben damals
eine Anzahl von Kaninchen mit virulentem syphilitischen Hoden-
material in beide Hoden geimpft, alle 8 Tage eines dieser
Tiere durch Entbluten getötet und sowohl mit je 1 ccm des aufgefangenen
defibrinierten Blutes als auch mit je 1 ccm eines aus der entbluteten
Leber und Milz dieses Tieres hergestellten Organbreies je drei
gesunden Kaninchen in beide Hbden geimpft. „Aus dieser Ver¬
suchsanordnung, die wir in ähnlicher Weise noch einmal wiederholt
haben, ergibt sich,“ so berichteten wir, „dassbereitsSTagcnach
intraskrotaler Impfung eines Kaninchens mit spiro-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
666
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
chäte 11 haltiger Aufscliwemmung das Virus im Blute
und nach 14 Tagen in den inneren Organen nachweis¬
bar ist, also zu einer Zeit, in welcher am geimpften
Organ noch keine luetischen Manifestationen und
keine Spirochäten wahrnehmbar sin d.“
Bei der Beurteilung dieser Resultate ist zu beachten, dass der
Organbrei, dessen Verimpfung auf Kaninchenhoden positive Resultate
ergab, aus entbluteten, also möglichst b 1 u t f r e i e n Organen her¬
gestellt worden war und dass nach weiteren, in eben dieser Arbeit
von uns mitgeteilten, wiederholten Untersuchungen zur Erzielung posi¬
tiver Blutimpfungen stets mindestens 1 ccrn des unverdünnten
Blutes notwendig ist. „Eine Haftung gelang uns bisher n u r, wenn wir
nicht weniger als 1 ccm des unverdünnten Blutes cin-
spritzte n.“ Allerdings sind diese Versuche nur mit dem Blute von
syphilitischen Menschen angestellt worden, so dass deren Ergebnisse
nicht ohne weiteres auf die Kaninchensyphilis übertragen werden
können. Wir hatten damals geplant. Farallelversuche mit Blut-
verdünnungen syphilitischer Kaninchen vorzunehmen.
Aus dem oben erwähnten Orunde kamen wir indes nicht mehr dazu und
heute fehlen zu solchen kostspieligen Untersuchungen die Mittel!
In dieser unserer letzten gemeinsamen Arbeit haben wir auch er¬
wähnt. dass Tr uff i bei Kaninchen schon 5—8 Tage nach intraskro-
taler Impfurig die Leistendrüsen vergrössert und spirochätenhaltig ge¬
funden habe.
Für die Tatsache, dass schon sehr frühzeitig nach luetischer Infek¬
tion, selbst bei noch völlig negativer Wassermannscher
Reaktion, eine Generalisierung des syphilitischen Virus stattgefunden
haben kann, sprechen schliesslich noch die positiven Resultate
der Verimpfungen des Blutes von Syphilitikern, die sich
in einer solchen Periode ihrer Erkrankung befanden, in die Hoden
von Kaninchen.
Mittels dieser von U h l e n h u t h und m i r inaugurierten Methode
gelang es uns nämlich, im Primärstadium 16mal unter 19 Fällen
= 84,2 Proz. positive Impfresultate zu erzielen. Von diesen
16 Kranken hatten 4 noch einen völlig negativen
Wassermann!
Auf die grosse Wichtigkeit dieser Impfungen für die Frage nach der
Möglichkeit einer Abortivkur weist, wie bereits erwähnt, auch Kerl
in einer obigen Mitteilung hin, freilich ohne uns auch nur zu erwähnen.
In einer späteren Arbeit [10] holt er dies nach und berichtet mit Arzt
ausführlicher über diese Versuche. Im echten Primär¬
stadium — Primäraffekt mit negativer WaR. — wurde das Blut
von 5 Patienten verimpft, deren Infektionstermin 17—.38 Tage zurück¬
lag. 2 Fälle waren positiv und 3 Fälle negativ. In 2 Fällen
verimpften sie das Blut von primärluetischen Patienten mit p o s i t i v e r
WaR., die beide positiv ausfielen.
Arzt und Kerl betonen mit Recht, dass man bei derartigen Unter¬
suchungen, mehr als dies bisher geschah, das zeitliche Intervall vom In¬
fekt bis zur Blutübertragung, die Infektionsdauer, berücksichtigen müsse.
„Gerade dieses Moment erschien uns nicht nur vorn rein wissenschaft¬
lichen Standpunkt aus interessant, sondern auch von weittragender
Bedeutung für die Therapie.“
Beide Autoren erwähnen dann noch die einschlägigen Versuche
von A u m a n n, der mit unserer Methode in einem Falle 9 Wochen nach
der Infektion, und von F r ü h w a 1 d, der damit 4 mal in der Zeit von
5 Wochen nach der Ansteckung bis zum^Ende des Primärstadiums positive
Impfresultate erzielte. Die WaR. w'ar in den letzten 4 Fällen 2 mal
positiv und 2 mal negativ gewesen. Schliesslich ist noch auf den Fall
von E, Hoff mann hinzuweisen, der seinerzeit mit Blut, das 40 Tage
nach der Infektion entnommen worden war, bei einem Affen ein positives
Impfresultat erzielte.
Von diesen Blutimpfungen in die Kaninchenhoden dürften noch viele
wertvolle Aufklärungen in dieser Hinsicht zu erwarten sein. Man müsste
z. B. in Zukunft von möglichst vielen Patienten, die sich in einem für
die Vornahme der Abortivkur besonders günstigen Stadium ihrer Er¬
krankung befinden, Blutverimpfungen auf Kaninchen vornehmen und
dabei möglichst genau auf Inkubationszeit achten, wie
dies auch Arzt und Kerl getan haben. Man müsste diese Methode
weiterhin auch mehr als dies bisher geschah und geschehen konnte, bei
Patienten ‘mit noch nicht feststehender Diagnose
anwenden, was ebenfalls Arzt und Kerl fordern. Man könnte und
müsste sie ganz frühzeitig anw-enden, wenn mit einer kurze Zeit darauf
als geschlechtskrank erkannten Person ein Venkehr stattgefun-
den hat, der höchstwahrscheinlich eine sy phi¬
tische Infektion nach sich gezogen hat und schliesslich
müsste man versuchen, den Erfolg einer Abortiv kur durch
wiederholte, zeitlich getrennte Impfungen zu kon¬
trollieren. Diese Impfungen, insbesondere auch mit S a m e n,
dürften entschieden auch sehr wichtig für die Erteilung des Heirats-
konsenses sein.
Ueberhaupt wird man mittels der experimentellen Kaninchensyphilis
noch manche bisher ungeklärte, wichtige Fragen auf dem Gebiete der
Syphilisforschung lösen können und vor allem dadurch dem Problem dei
energischen Bekämpfung dieser entsetzlichen Geissei des Mensdien-
geschlechtes näher kommen. Aber dazu gehört gerade in der Gege’>
wart Geld und nochmals Geld, d'enn diese Versuche, die nur einen Wert
haben, wenn sie in möglichst g r o s s e r Z a h 1 systematisch
vorgenommen werden, kosten gerade jetzt sehr viel.
Bei der enormen Verbreitung, welche die Geschlechtskrankheiten
zurzeit genommen haben und bei dem gewaltigen Schaden den ge¬
rade die Syphilis der Gesellschaft und der Nation zufügt, hat der
Staat aber die Pflicht, auch für die Bekämpfung und
Erforschungdieser Seuche — denn das ist die Syphilis heute
geworden — annähernd so grosse Summenzur V erfügung
zu stellen wie für die gleichen Massnahmen bei der
Tuberkulose. Soll doch nach bekannten Statistiken die
Sterblichkeit bei der Syphilis nur um 3 Proz. ge¬
ringer sein als bei der Tuberkulose, und sollen doch nach
den Berechnungen von Finger die Kosten, die Preussen
allein durch die Geschlechtskrankheiten hatte, täg¬
lich 410 000 M., im Jahre also 180 Millionen Mark be¬
tragen haben. Um wieviel höher werden und müssen sie gegen¬
wärtig sein!
Die erste der U h 1 e n h u t h sehen Forderungen, „die Verwendung
grosser Dosen“, ist auch meiner Ansicht nach für den Erfolg einer
Abortivkur ausschlaggebend. Die klinischen . Beobachtungen von
F. L e s s e r und in jüngster Zeit von Spiethoff [11] bestätigen dies.
Leider aber sind die uns gegenw'ärtig zur Verfügung stehenden Prä¬
parate zur Zeit in so hohen Dosen noch zu giftig, um allgemein an¬
gewandt werden zu können. Die rastlosen Bemühungen der chemischen
Industrie werden uns in Verbindung mit der tierexperimentellen For¬
schung sicher aber auch noch ein entsprechend starkwirkendes, dabei
relativ ungiftiges organisches Arsenpräparat finden lassen, dass auch
diese Forderungen erfüllt werden können. Die diesbezüglichen syste¬
matischen Arbeiten von K o 11 e am Frankfurter Speyerhaus lassen dies
in reichstem Masse hoffen!
Literatur.
1. Meirowsky und Leven: Misslungene Abortivbehandlung der
sog. primären, seronegativen Lues. M.m.W. 1920 Nr. 26 S. 1040. —
2. Freymann: Sekundär-luetische Erscheinungen bei negativem Blutbe¬
fund. Med. Klin. 1920 Nr. 39 S. 1012. — 3. Kerl: Ueber das Misslingen
von Abortivkuren bei primärer, seronegativer Lues. M.m.W. 1921 Nr. 2
S. 42. — 4. L ö w e n s t e i n: Zur Frage der Syphilisrezidive nach Salvarsan
und Neosalvarsan. Dermat. Zschr. 1921 H. 4 S. 223. — 5. Wolff: Zitiert
nach Wolff und Mulzer: Lehrb. d. Haut- u. Qeschlechtskrankh. 1. Bd.
Verlag F. Enk e, Stuttgart, S. 555 ff. — 6. U h 1 e n h u t h: Experimentelle
Grundlagen der Chemotherapie der Spirochätenkrankheiten. Verlag Urban
& Schwarzenberg, 1911, S. 51. 83, 137 und 194. — 7. Zitiert nach
Wolff und Mulzer, Lehrbuch. — 8. N e i s s e r;'Beiträge zur Pathologie
und Therapie der Syphilis. Verlag Springer, 1911, S. 133. — 9. Uhlen-
huth und Mulzer: Weitere Beiträge zur experimentellen Syphilis.
B.kl.W. 1917 Nr. 27 S. 645. — 10. Arzt und Kerl: Ueber Spirochäten¬
befunde im Blute von Frühluetischen. Dermat. Zschr. 1921 H.*4 S. 199. —
Ferner Uhlenhuth-Mulzer: Atlas der experimentellen Kaninchen¬
syphilis. F. Springer. Verlag, Berlin 1914. — H. Spiethoff: M.m.W.
1921 Nr. 21.
Mendelismus in der Medizin.
Von E. Bleuler, Zürich, Burghölzli.
In einer sehr hübschen Arbeit führt H. Hoffmann^) unter
anderem aus. wie auch bei .Arnahme strenger mendelnder Eigenschaften
die Abstufungen und Uebergänge der letzteren sich erklären durch
mehrere Erbfaktoren, die den Bau oder die Grösse des nämlichen Organs
oder die nämliche Funktion be.stimmen. Ich habe selbst schon darauf
hingewiesen, wie unrichtig es ist, für unsere klinischen und Krankheits¬
begriffe ohne weiteres Gene zu erwarten, oder gleich von rezessiv
und dominant zu sprechen *). Gerade an dem Beispiel des manisch-
depressiven Irreseins lässt sich noch eine andere Seite des Problems
zeigen, die der Autor nicht berührt hat, und die meines Wissens in
diesem Zusammenhang noch nicht deutlich ausgesprochen wurde.
Eine Funktion, wie sieuns erscheint, imspeziellen
Falle die Neigung zu starken Stimmungsschwan¬
kungen, ist niemals der Ausdruck einer einzigen
Eigenschaft. Von der Affektivität wissen wir. dass sie abhängt
von vielen, vielleicht von allen unzähligen Hormonen und damit von
dem Zustand aller Körperorgane (ich erinnere nur an die Thyreoidea,
an den gut oder schlecht verdauenden Magen), von dem ganzen Funk¬
tionszustand, der Reagibilität des Gesamtnervensystems, dann von der
besonderen Ausbildung der Triebe, der Entwicklung der Funktion des
Annchrnens und Ablehnens gebotener Reize, überhaupt von einer be¬
sonderen Anlage, die sich in dem Gesamtcliarakter der Affektivität
äussert, und gewiss noch von manchen Dingen, die wir heute noch nicht
kennen. Ein Gen bedeutet nun die Entwicklungstendenz auf eine ge¬
wisse ideale Norm hin, der sich die wirkliche Ausbildung der Eigenschaft
je nach den Umständen, die die Ausbildung des Organismus beeinflussen,
mehr oder weniger nähert, so dass jede Eigenschaft eine
grössere S c h w a ii k u n g s b r e i t e besitzt. Dazu kommen die
verschiedenen Kombinationen der einzelnen das Symptom oder die
Krankheit aufbauenden Faktoren, die schon bei nur wenigen Genen recht
zahlreich werden. ^
Schon aus die.sem Grunde kann man bei der Vererbung von Sym¬
ptomen oder Krankheiten nur ausnahmsweise eine scharfe Trennung der
verschiedenen Möglichkeiten erwarten; in der Regel müssen alle Ueber-
H. Hoff mann: Inzestergebnisse in der Naturwissenschaft und ihre
Anwendung auf das m.'inisch-depressive Irresein. Zschr. f. d. ges. Neur. u.
Psych. 57. 1920. 92.
. ^Bleuler; Mendelismus bei Psychosen. Schw. Arch. f. Neurol. u.
Psych. 1917. 19.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WÖCHENSCHRIFT.
667
gänge von gesund zu krank und von leichter Krankheit zu schwerer zu
beobachten sein.
Dies, soweit es die angeborene Anlage betrifft. Nun gibt es aber
bei den in der Medizin vorkommenden Erbeigenschaften auch noch Ein¬
flüsse, die während des Lebens die Anlage verändern oder ve-rdecken
können bis zur Unkenntlichkeit. Man denke an die Affektsteifigkeit, die
anerzogen oder durch Schicksalsschläge erworben werden kann. Und
an die Affektlabilität verwöhnter Kinder.
Ein hübsches Beispiel ist auch die K ö r p e r g r ö s s e. Sie ist wohl
abhängig von einer besonderen sie bestimmenden Qengruppe, indem
in jedem Organismus die Fähigkeit steckt, sich zu einer bestimmten
Grösse zu entwickeln. Nicht weniger wichtig sind aber ausserdem für
den Phänotypus die Hormone der Thyreoidea und der Hypophyse, dann
die Ernährung, das heisst einerseits die Nahrungszufuhr von aussen,
andererseits der Zustand des Magendarmkanals und der chemischen
Assimilationsfunktion des ganzen Körpers.
Kurz, überall da, wo man es, wie in der Medizin, nicht mit ganz
einfachen Zeichen zu tun hat, ist es naiv, den einfachen Ausdruck
Mendel scher Gesetze zu erwarten.
Aus der Medizinischen Universitätsklinik zu Rostock.
(Direktor: Qeh. Med.-Rat Prof. Dr. Martius.)
Ueber die Notwendigkeit prinzipieller BerQcksicbtigung
der Blutplättchen bei klinischen Biutuntersuchungen.
Von Dr. Rudolf Stahl, Assistent der Klinik.
Trotzdem sich seit Entdeckung der Blutplättchen eine gross© Anzahl
von Spezialforschern ihrer angenommen haben, finden sie im allgemeinen
bei der klinischen Untersuchung keine wesentliche Berücksichtigung.
Die morphologische Blutuntersuchung beschränkt sich meist auf die Be¬
stimmung des Hämoglobins, der Erythrozyten- und Leukozytenzahlen,
sowie die Differenzialauszählung der letzteren. Daran schliessen sich
gelegentlich kurze Bemerkungen über event. vorkommende pathologische
Erythrozytenformen.
Erst seitdem Frank die Befunde älterer Autoren, dass bei der
Purpura haemorrhagica gleichzeitig mit dem Auftreten der Blutungen
hochgradiger Plättchenmangel die Regel sei, wieder der Vergessenheit
entrissen hat, lesen wir häufiger in den Krankengeschichten noch —
soweit sie nicht gerade Purpurafälle oder Spezialuntersuchungen be¬
treffen — „Blutplättchen zahlreich“, oder „spärliche Blutplättchen“. Hin
und wieder findet sich die Ueberlegung angeschlossen, dass der Blut¬
plättchenreichtum auf eine Knochenmarksreizung hindeute.
Wir werden sehen, dass ein wichtiges Gebiet hier noch weiterer
Erschliessung harrt, und dass die Verhältnisse bei weitem komplizierter
liegen, als man aus den meist kurz gehaltenen Aeusserungen über die
Blutplättchen anzunehmen geneigt ist. Um nur das eben gewählte Bei¬
spiel zu kritisieren, sei erwähnt, dass eine sehr starke Vermehrung der
Blutplättchen an sich nicht auf einen Reizzustand des Knochenmarks,
sondern nur der Elemente des Knochenmarks schliessen
lässt, die als Mutterzellen der Blutplättchen jetzt zumeist angesehen
werden, der Knochenmarksriesenzellen (Megakaryozyten); sie stellen
nur einen Bestandteil des Knochenmarks dar und zeigen in ihren Funk¬
tionen häufig eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber anderen
Knochenmarkselementen.
Die Untersuchungsmethoden, die geeignet sind, mehr Licht über
wechselnde Zustände der Blutplättchen, ihrer Qeburts-, sowie ihrer
Untergangsstätte, kurz gesagt des Blutplättchenapparates,
zu verbreiten, sind einmal die Zählung der Blutplättchen, sodann die
Beobachtung der Blutplättchenformen in den unter besonderen
Kautelen hergestellten Blutausstrichpräparaten; und beides muss bei den
verschiedensten Erkrankungen fortlaufend geschehen, indem je nach
dem schnelleren oder langsameren Ablauf der Krankheit die Unter¬
suchungen sich alle Tage, oder in Abständen von 2. 3 oder 7 Tagen
wiederholen.
Für die Herstellung der B l u t a u s s t r i c h p r ä p a r a t e. die zur
Untersuchung der auftretenden Plättchenformen dienen, ist folgende Me¬
thode zweckmässig.
Es mfissen frische, peinlichst gereinigte Deckgläser und Objektträger ver¬
wendet werden. Beim Reinigen des Fingers oder Ohrläppchens mit Aether,
sowie beim Einstich ist jeder Druck oder Quetschung zu vermeiden. Von dem
zuerst aus der Einstichstelle ausfliessenden Blutstropfen wird
mit dem Deckglas ein Teil entnommen und sofort ein sehr dünnes Aus¬
strichpräparat in bekannter Weise hergestellt. Mir hat sich dabei
folgender Handgriff praktisch bewährt, der zur Erlangung grosser und ganz
gleichmässtger Ausstriche meiner Meinung nach notwendig ist: Mit den drei
ersten Fingern der linken Hand wird der Objektträger an seinem
äussersten linken Ende gehalten. Das Deckglas erfasst man mit dem Daumen
und Mittelfinger der rechten Hand, so dass von der Ansatzstelle des Deck¬
glases bis zum unteren Rand der betreffenden Finger beiderseits die gleiche
Entfernung ist. Nach dem Einstich wird sofort der frisch austretende Bluts¬
tropfen (lieber zu wenig Blut als zu viel auf das Deckglas nehmen!) mit dem
freien Rande des Deckglases auf dessen Unterseite entnommen. Man setzt
jetzt zunächst den unteren Rand des rechten Daumens und Mittelfingers auf
die Ränder des Objektträgers, so dass sie auf diesen Rändern
leicht wie auf Schlittenkufen gleiten können, und bringt nun¬
mehr den mit dem Blutstropfen versehenen Rand des Deckglases durch leichten
Druck des rechten Zeigefingers mit dem Objektträger in Berührung, so dass
sich das Blut längs des Randes ausbreitet und den spitzen Winkel zwischen
Nr. 22.
Digitized by Goiisle
Objektträger und Deckglas füllt. Nun bewegt man, mit den unteren Rändern
von Daumen und Mittelfinger auf den Rändern des Objektträgers zur Unter¬
stützung gleitend, das Deckglas nach links, und nach kurzer Uebung wird es
wohl jedem gelingen, nach Wunsch dickere oder sehr dünne, ganz gleich-
mässige Ausstriche herzustellen. Die Dicke des Ausstriches ist abhängig von
dem Neigungswinkel des Deckglases zum Objektträger einerseits, von
der Geschwindigkeit der Fortbewegung des Deckglases anderseits.
Diese Faktoren sind daher bei verminderter Viskosität des Blutes, z. B. bei
hochgradiger Anämie, etwas anders zu wählen als bei Normalblut. Bei
morphologischen Blutuntersuchungen müssen die für Plättchen¬
untersuchung dienenden Massnahmen an erste Stelle
treten, dann erst ist das Blut zur Hämoglobinbestimmung etc. zu ent¬
nehmen.
Die Präparate werden dann nach der kombinierten May-Qrünwald-
Giemsamethode nach Pappenheim gefärbt, wobei auf gleichmässige
Behandlung aller Präparate zu achten ist, um Ueber- wie Unterfärbung
zu vermeiden. Bekannt ist, dass der Reaktion des verwendeten destil¬
lierten Wassers besonders Beachtung zukommt ^). Durchmusterung der
Präparate mit Oelimmersion bei mindestens lOOOfacher Vergrösserung.
Bezüglich der Zählung der Plättchen sind wir zur Erlangung
genauer Werte nicht so übel daran, als dies nach Aeusserungen mancher
Autoren scheinen möchte. Zwar haben D e g k w i t z *), Zeller’),
Thomsen*) jüngst neue Plättchenzählmethoden beschrieben, doch
sind sie kompliziert, und es erscheint zweifelhaft, ob sie genauere Re¬
sultat© liefern, als die von uns angewandte übeiaus einfache Fon lö¬
sche’) Methode, deren Wiederholung selbst in Abständen von nur
wenigen Minuten bei Reihenuntersuchungen auf keinerlei Schwierig¬
keiten stösst und gerade da ihre Verlässlichkeit besonders beweist.
Das Prinzip der F o n i o sehen Methode der Plättchenzählung be¬
steht darin, dass der Einstich in die Haut durch einen Tropfen 14proz.
Magnesiumsulfatlösung geschieht, mit der sich das Blut gleich nach
seinem Austritt vermischt, bevor es Gelegenheit hat mit der Luft oder
Haut in Berührung zu kommen. Das Gemisch von Blut und Magnesium¬
sulfatlösung wird mit einem Deckglas aufgenommen und auf einen Objekt¬
träger ausgestrichen. Nach Fixierung und genügend langer Färbung mit
Giemsalösung sind bei Oelimmersion die Blutplättchen gleichmüssig ver¬
teilt zwischen den Erythrozyten sichtbar. Mit Hilfe der Ehrlich sehen
Ouadratblende, die dem Gesichtsfeld eine quadratische Begrenzung gibt,
werden dann 1000—3000 Erythrozyten und die mit ihnen zusammen in
denselben Gesichtsfeldern liegenden Plättchen gezählt. Fanden wir
z. B. auf 1000 Erythrozyten 45 Plättchen, und sind durch Erythrozyten¬
zählung bei dem Patienten 4 500 000 Erythrozyten festgestellt, so wird
die Zahl der im Blute vorhandenen Plättchen nach der Formel
45 * 4 500 000
^ =-innri“ ” betragen.
lUuü
Unsere zahlreichen Untersuchungen bei akuten wie chronischen
infektiösen und nicht infektiösen, Erkrankungen sowie bei Krankheits¬
zuständen auf konstitutioneller Basis Hessen zunächst einen Ablauf der
Plättchenbewegung in mehr oder weniger charakteristischen Kurven
erkennen, wie sie für einzelne pathologische Vorgänge — z. B. Plättchen¬
regeneration nach akuten Blutverlusten — schon seit langem bekannt sind.
Mehr als aus den Plättchenkurven allein lernen wir jedoch, wenn
wir diese in Beziehung setzen zu dem in bestimmten Epochen im peri¬
pheren Blute stattfindenden Auftreten pathologischer Blut¬
plättchenformen.
Während nämlich die beim Gesunden zu beobachtenden Blut¬
plättchen als farblose, scharf abgegrenzte Scheiben mit wenigen diffus
verteilten Granulis von ziemlich gleichmässiger Grösse zu er¬
kennen sind. Unterscheiden sich die pathologischen Formen von diesen
— um wesentliche Einzelheiten zunächst beiseite zu lassen — durch ihre
Grösse, sowie die F ä r b b a r k e i t des Protoplasmas.
Schon früher wurden von den Untersuchern die Riesenblut¬
plättchen beschrieben; doch hat sich gezeigt, dass diese Gebilde
auch meist ein basophilesProtopIasma besitzen. Diese Riesen¬
plättchen wurden gelegentlich bei Anämien, Leukämien, Hodgkin scher
Krankheit, Malaria, und besonders bei der W e r 1 h o f sehen Krankheit
beobachtet (Türk, Frank, Glanzmann, Kaznelson, Stahl).
Bauer beschrieb sie bei konstitutionellen krankhaften Zuständen. Doch
haben unsere Untersuchungen, ebenso wie di© jüngst veröffentlichten
Untersuchungen von Degkwitz, gezeigt, dass die Riesenplättchen
nicht'nur für einzelne Krankheiten charakteristisch sind, sondern Produkte
einer unspezifischen Reaktion des Blutplättchenapparates auf erhebliche,
die Knochenmarksriesenzellen treffenci© Reize darstellen. Wie schon
die früheren Autoren vermuteten, sind sie überstürzt gebildete noch un¬
reife Jugendformen der Blutplättchen.
Bei den fortlaufenden Beobachtungen der Blutplättchen konnte man
nämlich ein schubweises Auftreten der pathologischen Plättchen er¬
kennen, das mit plötzlichen Anstiegen der Plättchenzahlen mehr öder
weniger parallel ging.
Wenn ein besonders stark vermehrter Plättchenuntergang die dabei
im peripheren Blute nachweisbaren PlättchAnzahlen nur gering er-
*) S. auch Schilling: D.m.W. 1918 Nr. 49.
Degkwitz: Fol. Haematol. Bd. 25, 1920, Arch. H. 3.
’) Zeller: Zschr. f. d. ges. Exp.Med. Bd. 10 H. 1 u. 2.
*) Thomson: Zbl. f. Herz- u. Gefässkrkh. Juni 1920, 12. H. C. G r a m
beschrieb eine Modifizierung der Blutplättchenzählung nach Oluf-Thoni-
s e n. Ugeskrift for Laeger 1920 Nr. 13. Ref. M.m.W. 1920 Nr. 46 S. 1332.
“) Fon io: Neue Blutplättchenzählmethode. D. Zschr. f. Chir. 117 S. 176.
S. auch Naegeli: Blutkrankhelten, Berlin u. Leipzig 1919 S. 40.
4
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
668
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
scheinen Hess, so deutete häufig trotzdem das Vorhandensein der patho¬
logischen Plättchen auf die gleichzeitig gesteigerte Regeneration hin, die
dann bei der Obduktion ihren Ausdruck in den besonders zahlreichen
Megakaryozyten im Knochenmark fand.
So sind vermehrte oder verminderte produktive Tätigkeit der
Plättchenbildungsstätten (Reizung, Lähmung), sowie ver¬
mehrter Plättchenuntergang (Thrombozytolyse) die bio¬
logischen Vorgänge, in die uns diese Untersuchungen einigen Einblick
gewähren.
Sie beweisen uns ferner die schon oben angedeutete Selbständig¬
keit des Plättchenapparates bzw. des Megakaryozytensystems, gegen¬
über den übrigen Knochenmarkselementen. Früher suchten die Ver¬
treter der Theorien, dass die Plättchen von den Erythrozyten oder
Leukozyten abstammten, ein häufiges Parallelgehen der Plättchenzahlen
mit den Erythrozyten- resp. den Leukozytenzahlen zu konstatieren. Es
versteht sich von selbst, dass eine in anderen Fällen beobachtete völlig
selbständige Funktion des Plättchensystems weit mehr
Beweiskraft in sich bergen muss. Sie schliesst natürlich niemals
aus, dass bei gewissen Krankheiten z. B. ein die leukopoetische
Tätigkeit beeinflussendes Substrat (Typhus) einmal auch gleichzeitig auf
die thrombopoetischen Zellen wirkt. Wenn wir aber dem¬
gegenüber sehen, dass in manchen Stadien d«r myeloischen Leukämie
bei 360 444 Leukozyten nur 183 300 Plättchen, also normale Plättchen¬
zahlen zu finden sind, und wenn bei der W e r 1 h o f sehen Krankheit nach
der Milzexstirpation explosionsartig die Thrombozytenzahl auf über
1 000000 (K a z n e 1 s 0 n) steigt ohne entsprechende Veränderungen der
anderen Formelemente, so beweist dies eben die selbständige Funktion
des Plättchenapparates; und die Reihe dieser Beweisgründe Hesse sich
noch erweitern.
Dje den Reizzustand des Plättchenapparates vermittelnden Stoffe
können exogenen Ursprungs sein; toxisch-infektiöse Momente, sowie
therapeutische (Arsen) spielen hier eine Rolle. Aber auch endogene,
wohl auf endokrinen Vorgängen beruhende Reize werden beobachtet, z. B.
kompensatorisch wirkende in Fällen minderwertiger Veranlagung des
thrombopoetischen Apparates (Bauer, Stahl). So wird auch die
Plättchenforschung uns einen Einblick in das Spiel gewisser innersekre¬
torischer Kräfte verschaffen, ebenso wie sich uns vielleicht noch
manche immunbiologische Tatsachen bei Infektionskrankheiten durch sie
erschliessen werden.
Schliesslich bietet die Beobachtung des Ablaufes der Plättchen¬
reaktionen uns noch einen wertvollen Baustein für die Beurteilung der
heute geltenden Theorien des Plättchenursprungs. Das in
Reihenuntersuchungen aufeinanderfolgende Erscheinen reifer und unreife**
Plättchenformen, sowie aller Uebergänge zwischen beiden, wobei nicht
nur basophile Riesenplättchen, sondern auch mittlere und kleine
basophile unreife Plättchen eine» Rolle spielen, bietet einen
lebensvollen Beweis für die heute zumeist angenommene W r i g h t sehe
Theorie, dass die Blutplättchen lo^sgelöste Protoplasmateile der Knochen¬
marksriesenzellen sind, gegen die neuerdings wieder von Schilling®)
verteidigte Ansicht, wonach die angeblich aus Kernresten der Erythro¬
zyten stammenden Plättchen streng von den gelegentlich im Blut auf¬
tretenden „abgerissenen Protoplasmafetzen der Knochenmarksriesen¬
zellen“ zu unterscheiden seien.
Am klarsten treten diese Plättchenreaktionen. das Erscheinen un¬
reifer, jugendlicher, basophiler Blutplättchen, nach unseren Beobachtungen
im Verlaufe ausgesprochener Typhus fälle hervor, noch besser bei den
allerdiiigs nicht so häufigen Fällen echter Purpura haemor-
rhagica Werlhofil (essentieller Thrombopenie Frank), sowie
bei der sekundären thrombopenischen Purpura bei
hämorrhagischem Typhus und im hämorrhagischen Stadium
der perniziösen Anämie; schliesslich über weite Zeiträume aus¬
gedehnt bei den Remissionen der unkomplizierten perniziösen Anämie.
Da für die Blutplättchen der Säugetiere der Name „Thrombozyten“
e^ebürgert ist, könnte man die unreifen Plättchenformen als
„Thromboblasten“ bezeichnen.
Im Vorliegenden sollten nur skizzenhaft die Ergebnisse angedeutet
werden, die in mehreren teils bereits erschienenen D, teils für die Ver¬
öffentlichung bereitliegenden Arbeiten näher ausgeführt und ausführlich
begründet sind. Doch sind viele Fragen erst angeschnitten, nocli
keineswegs völlig geklärt; hierzu wird es noch zahlreicher, auf breiterer
Basis aufgebauter Untersuchungen bedürfen.
Auch wenn bei vielen Erkrankungen keinerlei ins Auge fallende Ver¬
änderungen an den Plättchen zu finden sind, so tritt dies bei anderen
wiederum ein. Jedenfalls geht aus dem Gesagten hervor, dass die Blut-
piättchen in Zukunft einer weitgehenden Beachtung der klinischen
Forschung bedürfen. Dass die dabei verwendeten Methoden möglichst
einfache und leicht am Krankenbett anwendbare sein müssen, ist augen¬
scheinlich. Bei einiger Uebung, bei schnellem, sauberem und sorg¬
fältigem Arbeiten werden sich wahrscheinlich die beschriebenen Mass¬
nahmen für die Klinik zunächst als ausreichend erweisen.
Sie werden voraussichtlich eine Beanstandung erfahren mit dem
Hinweis darauf, dass^ im gewöhnlichen Blutausstrichpräparat die überaus
empfindlichen Blutplättchen derart verändert sind, dass wir nie dem
*) D.m.W. 1919 Nr. 49.
’) Stahl: Untiersuchungen des Blutes, speziell der Thrombozyten, bei
Purpura haemorrhagica und haemorrhagischem Typhus. D. Arch. f. klin. M.
132. 1920. H. 1 u. 2. — Derselbe: Zur Konstitutionspathologie des Blut¬
plättchenapparates. Zschr. f. angew. Anatomie u. Konstitutionslehre Bd. 6,
Festschrift f. Martins, 1920.
Digitized by Goiisle
Leben entsprechende Plättchenbilder vor uns haben. Dem kann man die
Darlegungen N i s s 1 s über das „Ncrvenzelläquivalentbild“ entgegen¬
halten: „Ob das, was wir sehen, präformiert ist oder nicht, ist hin¬
sichtlich der Verwendung der Methode für die Nervenzellpathologie
nebensächlich.. sobald feststeht, dass immer und unter allen Um¬
ständen mit gesetzmässiger Gewissheit bestimmte und von uns erkannte
Voraussetzungen das Nervenzellbild hervorrufen müssen, das wir ge¬
schildert haben“; der Grund für jede Abweichung von diesem Bilde
kann dann nur im prämortalen Zustand der Zelle selbst liegen; die Fest¬
stellung der Reagenzwirkungen und die Beeinflussung der präformierteii
Zellstrukturen durch unsere technischen Eingriffe ist eine Frage für sien,
eine Aufgabe der Anatomie. Nun lehrt die Erfahrung die Konstanz des
Aequivalentbildes, folglich sind wir berechtigt, überall da. wo wir dieses
Bild nicht antre-ffen, auf pathologische Veränderungen der Zelle in vivo
zu schliessen.
Dasselbe ist mit den Blutplättchen verschiedener Grösse mit reifem
oxyphilem oder mit unreifem basophilem Protoplasma der Fall. Und
wenn manche jüngst beschriebene Methoden des Präparierens de:
Plättchen unter Beifügung irgendwelcher Fixierungsflüssigkeiten eine
Uniformierung der Protoplasmafärbung herbeiführten, so sind sie eben zur
Darstellung pathologischer, jugendlicher Blutplättchen, bei denen auch
schon Pappenheim ein basophiles Protoplasma beobachtete, nicht
geeignet, ebenso wie wir aus diesem Grunde die Magnesiumsulfat¬
ausstriche nur zur Zählung verwendeten und von einer Beurteilung der
morphologischen Verhältnisse aus ihnen Abstand genommen haben.
Zur Zählung sind wdeder die gewöhnlichen Ausstrichpräparate un¬
brauchbar, weil bei ihnen eine ungleichmässige Verteilung der Blut¬
plättchen unter den Erythrozyten nicht zu vermeiden ist und ausserdem
stets ein gewisser Prozentsaz von Plättchen, wi^ sich bei unseren Unter¬
suchungen herausstellte, verloren ging, sei es durch Haftenbleiben der bei
geringer Schädigung eine klebrige Beschaffenheit annehraenden Gebilde
an der Haut oder am Deckglas, sei es durch Zerfall.
NachtragbeiderKorrektur. In letzter Zeit sind zwei weitere
Arbeiten erschienen, die hierher gehören:
Schenk: Ein zweckmässiges Verfahren zum Zählen der Blutplättchen.
M.m.W. 1921 Nr. 14 und
Zeller: Die Differenzierung der Blutplättchen. D.m.W. 1921 Nr. 18.
Zu letzterer möchte ich bemerken, dass von mir in den zitierten
Aufsätzen zuerst eine genauere Differenzierung verschiedener Blutplättchen¬
formen versucht wurde.
Aus der Universitätsklinik für Haut- u. Qeschlechtskrankheiten
zu München. (Direktor: Prpf. Dr. LeoRitterv. Zumbusch.)
Zur Behandlung des Tripperrheumatismus.
Von Dr. Johann Saphier.
Zu den tückischsten, hartnäckigsten und oft sehr folgenschweren
Komplikationen des Trippers gehören wohl die gonorrhoischen Synovial-
nretastasen. Nach Angaben älterer und neuerer Autoren beläuft sich ilirc
Häufigkeit bloss auf ungefähr 2 Proz. (Nobl); Bond fand in der
Kopenhagener Statistik für das Jahr 1904 11 Proz. Jedenfalls dürfie
die Zahl 2 Proz. sicher zu niedrig sein. Nach der Zusammenstellung
in unserer Klinik für das Jahr 1919, 1920 und das erste Vierteljahr 1921
kommen auf 1318 Gonorrhöekranke 23 Tripperrheumatismen, d. i.
1,75 Proz., also ungefähr den Angaben der meisten Autoren entsprechend.
Die Synovialmetastasen liegen auf dem Grenzgebiet der Venerologen.
Internisten und Chirurgen. Besonders die letzteren behandeln diese Er¬
krankungen sehr oft; stammen doch die exquisiten Behandlungsmetho¬
den von den Chirurgen (Bier, Baetzner usw.). Es ist auch all¬
gemein bekannt, dass die gonorrhoischen Arthritiden mit dem genuinen
Gelenkrheumatismus häufig verwechselt, und als solcher oder auch
aus anderen Gründen in die Abteilungen für innere Krankheiten ein¬
gewiesen werd-en. Ein Beispiel aus unserer kleinen Statistik; Unter
den 23 Tripperrheumatikern waren 14 Frauen. (Das Ueberwiegen der
Frauen wird in den meisten Zusammenstellungen hervorgehoben.) Von
diesen 14 Frauen sind bloss 3 unmittelbar in die Klinik aufgenommen
worden, 11 kamen zu uns auf dem Umweg der internen Abteilungen.
Die Wichtigkeit der sofortigen zweckmässigen Lokalbehandlung
der Gonorrhöe bei Synovialmetastasen braucht kaum unterstrichen zu
werden. Aber ausserdem spielt hier auch die rechtzeitige Be¬
handlung des Tripperrheumatismus selbst eine sehr wichtige Rolle. Dies
wird von ällen Autoren betont, die sich mit der Behandlung der Affek¬
tion beschäftigt haben *). Die Neigung zu Adhäsionen, Versteifungen
und Muskelatrophien ist in der gleichen Art und Häufigkeit für keine
andere Krankheit charakteristisch und bildet die grösste Gefahr für den
Kranken. Bei ausgebildeter Ankylose ist weder in anatomischer noch
in funktioneller Richtung viel zu erreichen; die Verkrüppelung lässt sich
kaum mehr beseitigen.
Wie vorher erwähnt wurde, ist die Zahl der Behandlungsmethoden
sehr beträchtüch. Die meisten Versuche bezwecken letzten Endes
die Beseitigung der Schmerzen und der Empfindlichkeit, die die rasche
Herstellung de r Beweglichkeit bedingt. Es muss dem Ermessen des be-
^) Es sei hier kurz — zur Vermeidung der unnötigen Wiederholung
der Literatur — auf folgende Arbeiten hingewiesen: No bl (Hb. d. Ge¬
schlechtskrankheiten; hier eine äusserst ausführliche Literaturangabe), L ah¬
me y e r (Defm. W. 1920 Nr. 32). welcher vor allem aktive Bewegungen
im Bad (bei 37®) empfiehlt, Wette rer (Derm. W. 1921 Nr. 11). welcher
mit Tiefenbestrahlungen glänzende Erfolge erzielt hat.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
669
handelnden Arztes anheimgestellt werden, für welche Methode er sich
entschliesst, welche Methode er im gegebenen Fall für zweckmässig
hält Die physikalische Behandlung besonders in Form von aktiven Be¬
wegungen dürfte auf jeden Fall als die letzte und wichtigste betrachtet
werden. Je früher sie einsetzt, desto günstiger ist selbstverständlich
die Prognose. Eine vorbereitend^ Behandlung wird sich jedoch in der
Regel kaum vermeiden lassen, die seltenen Fälle ausgenommen, in denen
die Erkrankung gewissermassen abortiv verläuft. Hier schafft sich
anscheinend der Organismus mit der Schädigung selbst Rat. Es ist auch
möglich, dass der betreffende Gonokokkenstamm wenig resistent ist und
nach dem ersten Fieberanfall spurlos verschwindet. Der Fiebcranfall
kommt nach allgemeinen rheumatischen Prodromalerscheinungen und
hält in der Regel nicht sehr lange an.
Ais vorbereitende oder unterstützende Beliandlungsmethode dürfte
vor allem die aktive Immunisierung angesehen werden. Ob es
sich hier um eine spezifische oder eine unspezifische Wirkung
handelt, ist für unsere Frage belanglos. Für den unspezifischen Charak¬
ter der Vakzine spricht der Parallelismus der Fieberreaktionen und iiirer
Wirksamkeit mit denen bei parenteraler Zufuhr anderer Eiweisskörper,
u. a. der Milch. Es lag nun nahe, die Wirkung der parenteralen Eiw’eiss-
zufuhr, di* an und für sich gute Dienste leistet, als „Schienen“ für ein
spezifisches pharmakologisches Mittel zu verwerten. Bei der Behand¬
lung des genuinen Gelenkrheumatismus erzielte Edelmann sehr gute
Erfolge, indem er eben die parenterale Eiweisszufuhr in Form von intra-
muäculären Milchinjektionen mit der Darreichung höherer Natrium-sali-
cylicum-Mengen kombinierte. Bei der Arthritis gonorrhoica versagen
die Salizylpräparate völlig. Daher versuchte ich beim Tripper¬
rheumatismus Milchinjektionen mit intravenösen Injektionen von Silber¬
präparaten zu kombinieren, die doch bei der Gonorrhöetherapie als
spezifisch gelten. Ich entschloss mich für das Methylenblausilber (Argo-
chrom Merck), welches bekanntlich verhältnismässig am meisten Silber,
enthält (18—20 Proz.). Es ruft keine unangenehmen Nebenerschei¬
nungen hervor. Die hie und da auf tretenden Phlebitiden lassen sich
bei richtiger Technik vertneiden.
Diese Behandlungsmethode kann unter gewissen Bedingungen als
Abortivkur zur Geltung kommen. Die erste und die wichtigste
Bedingung Ist, mit der Behandlung so früh als möglich anzufangen,
und zwar unmittelbar nach dem Ausbruch der akuten Erscheinungen
oder sogar im ausgesprochenen Prodromalstadium, was fast einer Prä¬
ventivkur gleichkommen würde Hier möchte ich noch daran erinnern, dass
die Prodromalerscheinungen in allgemeinen rheumatischen Beschwer¬
den, in Schmerzen in mehreren Gelenken bestehen. Der Trip¬
perrheumatismus ist an und für sich sehr häufig polyartikulär; im wei¬
teren Verlauf lokalisieren sich die Erscheinungen vorwiegend auf ein
Gelenk, während die in den anderen Gelenken mehr oder weniger in
den Hintergrund treten. Der die Gonorrhöe behandplnde Facharzt hat
es in der Regel in der Hand, rechtzeitig einzugreifen, sobald er den
Patienten auf die Möglichkeit dieser Komplikation aufmerksam gemacht
hat. Kann aber ein Fall nicht gleich richtig gedeutet w’erden. was be¬
sonders bei der weiblichen Gonorrhöe wegen der oft irreführenden
Anamnese oder wegen der Unsicherheit der klinischen Symptome nur
allzu begreiflich ist, dann soll der betreffende Fall als Arthritis gonor¬
rhoica behandelt werden. Es kommt vor allem darauf an, dass mög¬
lichst wenig von der kostbaren Zeit verloren gehe und dass der u. U.
nicht wieder gut zu machende Schaden der verspäteten Behandlung ver¬
mieden werde. Differentialdiagnostisch käme hier nämlich der genuine
und der septische Gelenkrheumatismus in Betracht. Ganz abgesehen
davon, dass von allgemein-pathologischem Standpunkt alle drei Affektionen
einander ziemlich nahestehen, kann unsere Behandlungsmethode auch
bei nicht richtiger Diagnose auf keinen Fall schaden. Ja. bei der
Arthritis rheumatica kann sie sogar nützen. Es sei hier an die glänzen¬
den Erfolge erinnert, die Edelmann (M.m.W. 1917 Nr.51) bei dem
akuten genuinen Gelenkrheumatismus mit Milchinjektionen erzielt hat.
Auch das für den genuinen Rheumatismus spezifische Natrium sali-
cylicum kann gleichzeitig verabreicht werden. An unserer Klinik
geben wir bei der Gonorrhöe, besonders bei den Komplikationen, intern
seit langer Zeit Natr. salic. und Urotropin äa 0,5 3 mal täglich.
Für die zweite Bedingung der erfolgreichen Behandlung halte ich
nach meinen spärlichen Erfahrungen — da wir naturgemäss selten in der
Lage sind, ganz frische Fälle zu behandeln — die intravenöse Injektion
des Argochroms auf der Höhe der Reaktion oder unmittelbar nach
ihrem Abklingen, ev. noch eine zweite Injektion am nächsten Tage.
Auch dieser Eingriff ist recht harmlos. Argochrominjektionen werden
gerade bei der Sepsis, aber auch bei genuinem Rheumatismus mit gutem
Erfolg verwendet (Edelmann und v. Müller. D.m.W. 1917 Nr. 23).
Argochrom kann zu jeder Zeit appliziert werden im Gegensatz zu vielen
anderen Silberpräparaten, die Schüttelfrost, Kollaps und manchmal auch
Fieber Hervorrufen.
Der Gang der Behandlung würde sich etwa folgendermassen ge¬
stalten:
1. Am ersten Tag 6—10 ccm Milch oder ein wirksames Eiweiss¬
präparat intramuskulär; statt dessen kann man Qonargin (10 bzw.
25 Mill. Keime) oder 0,5 Arthigon intravenös einspritzen. Die
intramuskulären Injektionen werden wegen der Schmerzen bei
Bewegungen am zweckmässigsten in die Extensorenmiiskulatur
der Oberschenkel gemacht. Als Kontraindikation gegen par¬
enterale Eiweisszufuhr gelten im allgemeinen die chronische inter¬
stitielle Nephritis und hochgradige Arteriosklerose, welch letztere
bei uns weniger in Betracht kommt.
Digitized by Gotigle
2. Unmittelbar nach dem Schüttelfrost oder auch am nächsten Tag
0,1 Argochrom intravenös (10 ccm einer 1 proz. Lösung in sterilem
destilliertem Wasser). Gleichzeitig kann das gemischte Pulver
(Natr. salic. und Urotropin) gegeben werden; wenn es auch kein
Spezifikum ist, so kann cs doch unterstützend wirken.
Dieser Injektioiisturnus kann 2—3 mal wiederholt werden.
Die dritte, nicht minder wichtige Bedingung ist die Lokal-
behandiung der Genitalgonorrhöe.
Obwohl wir theoretisch und- praktisch diese Behandlungsmethode
für sehr aussichtsreich halten, möchten wir nicht auf die bewährten
pysikalischen Methoden verzichten, soweit sie sich gleich im Anfang
verwenden lassen, so auf die Bi ersehe Stauungsbinde (2—4—22 Stun¬
den im Tag), dann auf den Heissluftkasten usw. Sonst sorgen wdr für
die Ruhigstellung des erkrankten Gelenkes. Gipsverbände trachten wir
in der Regel zu vermeiden. Kommt aber zu uns ein Fall mit ausgebilde¬
ter, mehrere Wochen dauernder Kontraktur, was leider nicht zur Selien-
neit gehört, dann müssen wir einen Gipsverband anlegeii lassen, damit
bei der unvermeidlichen Ankylose die betreffende Extremität wenigstens in
günstigster Lage fixiert. Sobald die Schmerzen und das Fieber ver¬
schwunden sind, lassen wir die Kranken aufstehen und vorsichtig Geh¬
versuche machen, was wohl als die beste aktive Bewegung angesehen
werden kann.
Nach der oben angeführten Methode waren wir in der Lage, bloss
4 Fälle erfolgreich zu behandeln, und diese erst 3 bzw. 6 Tage nach Be¬
ginn der Erkrankung, also nicht unter den idealsten Bedingungen. Trotz¬
dem erzielten wir hier abortive Heilung, so dass die Pat. nach 2 resp.
3 Tagen aufstehen konnten; die Wiederholung des Injektionsturnus galt
bloss der Resorption der Entzündungsprodukte. In anderen Fällen
decken sich unsere Erfahrungen mit denen anderer Autoren. Ein Fall
ist noch insoferne bemerkensw'ert, als der schwere septische Verlauf
der gonorrhoischen Allgemeininfektion mit intermittierendem Fieber
sehr schwer.zu beeinflussen w'ar. 5 intramuskuläre Milchinjektionen,
ebenso 3 intramuskuläre Arthigoninjektionen, zum Schluss eine intra¬
venöse 1 proz. Kollargolinjektion (10 ccm) wurden schlecht vertragen
und brachten nicht die geringste Besserung. Erst 8 intravenöse Argo-
chromeinspritzungen, die sehr gut vertragen w’orden sind, brachten die
Temperatur lytisch im Lauf von 9 Tagen auf die Norm und eine auf¬
fallende Besserung. Das enorm angeschwollene Knie heilte im Laufe der
weiteren 4 Wochen unter physikalischer Behandlung völlig ab. In den
übrigen Fällen ist diese Methode nicht angew'andt w^orden, bzw. sie
versagte aus diesem Grunde, weil eben wegen der längeren Dauer
der Erkrankung nichts mehr zu erzielen war. Es dürfte wohl auch Fälle
geben, in denen die besten Behandlungsmethoden wiegen der Schwere
des Verlaufes, bei Qelenksempyernen oder phlegmonösen Entzündungen
(der 3. und 4, Typus der König sehen Einteilung) versagen würden,
aber auf einen energischen therapeutischen Versuch sofort im An¬
fang könnte man es irnrn-er ankommen lassen. Es ist übrigens mit
Sicherheit anzunehmeii, dass auch die schw’crsten Fonnen nicht sofort
mit destruktiven histolytischen Erscheinungen beginnen. Ein grösseres
statistisches Material könnte die Richtigkeit dieser Annahme be¬
stätigen.
Zur Klinik der Encephalitis epidemica (jethargica).
Von Qunnar Kahlmeter, Stockholm.
Während der Epidemie von Encephalitis lethargica, resp. choreatica,
resp. epidemica welch letzterer Name mir als der beste erscheint —,
die im Winter und Frühling 1920 in Schweden herrschte, hatte ich Ge¬
legenheit, etwa 20 Fälle, teils in meiner Abteilung im Krankenhaus
Sabbaisberg in Stockholm, teils in meiner Privatpraxis, zu beobachten.
Die im Krankenhaus Sabbatsberg beobachteten Fälle werden von Privat¬
dozent Dr. Nils A n 1 0 n i zusammen mit den übrigen in diesem Kranken¬
haus behandelten Fällen veröffentlicht werden. Unter meinen Privat¬
patienten kamen jedoch einige Fälle mit so interessanten Symptomen
vor, dass eine kurze Erwähnung derselben mir berechtigt erscheint.
Eine allgemeine Erfahrung dürfte die sein, dass die Prognose quoad
restitutionem ad integrum, soweit ein Urteil bisher möglich ist, bei dieser
Krankheit nicht gerade gut ist. und ganz besonders bilden die bestehen-
bleibenden psychischen Symptome in einer grossen Anzahl von Fällen
ein absolutes Hindernis für die Wiederaufnahme der Arbeit. In einigen
Fällen findet sich eine stark ausgeprägte intrapsychische Hemmung, die
an die Hemmung bei Melancholie erinnert, ja sogar sich katalepsie¬
ähnlichen Zuständen nähert. In solchen Fällen ist man wohl sehr ge¬
neigt, das Vorhandensein grober anatomischer Veränderungen im Ge¬
hirn als patholomsch-anatomische Unterlage für die klinischen Sym¬
ptome anzunehmen. In anderen Fällen dagegen bieten die Patienten
ein Kraiikheitsbild dar, das man am ehesten als rein „neurasthenisch“
bezeichnen möchte. Sie sind vor allem in ausgesprochenem Grade leicht
psychisch ermüdbar, die geringste Gedankenanstrengung ruft eine starke
psychische Ermüdung hervor, die jede beträchtliche Denkarbeit unmög¬
lich macht. Sie sind leicht reizbar und niedergeschlagen, ermangeln aller
Energie und Arbeitslust. Sehr oft kommt Schlaflosigkeit vor, und zwar
eine so hochgradige und so schwer durch Schlafmittel beeinflussbare
Schlaflosigkeit, wie man sie sonst nur bei gewissen Psychosen be¬
obachtet.
F. H 0 f s t a d t hat neulich (M.m.W. 1920 Nr. 49) aus der Universi¬
täts-Kinderklinik in München über 21 Fälle derartiger schwerer Schlaf¬
störung bei Kindern berichtet. Er weist auch darauf hin. dass solche
schweren Formen von Schlaflosigkeit sonst nur bei destruktiven
4*
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
670
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
organischenQchirnprozessen (progressive Paralyse, arterio¬
sklerotische und senile Verblödung, akute Psychosen bei chronischen
Vergiftungen [Alkoholdelirien, Morphinismus], katatonen und manischen
Unruhezuständen sowie Kollapsdelirien) beobachtet werden. Hof Stadt
bemerkt schliesslich betreffs der von ihm beobachteten Fälle bei Kin¬
dern: „Inwieweit nun die während des akuten Krankheitsverlaufes ge-
setzten tiefgreifenden organischen Veränderungen im Gehirn eine Rolle
spielen, ob man die Agrypnie auf eine Schädigung von Schlafzentren zu¬
rückführen oder eine noch allgemeine aktive Giftwirkung des Krank¬
heitserregers annehmen will, das sei für heute dahingestellt.“
Diese Fragestellung — organisch bedingt oder „funktionell“ — ist
meines Erachtens nicht nur betreffs der Schlaflosigkeit, sondern auch- be¬
treffs der so äusserst gewöhnlichen „neurasthenischen“ Residualsym¬
ptome nach Encephalitis epidemica, die ich zu Anfang meines Aufsatzes
geschildert habe, notwendig. Und die Beantwortung dieser Frage —
wenn sie möglich ist — hat nicht nur sehr grosses theoretisches Inter¬
esse, sondern ist auch vom praktisch-prognostischen Gesichtspunkt aus
von grösster Bedeutung. Denn sind diese „neurasthenischen“ Symptome
die Folgen tiefgreifender organischer Gehirnveränderungen, gesetzt
während des akuten Stadiums der Krankheit, dann dürfte ihre Pro¬
gnose ziemlich düster sein. Es ist möglich, dass sie ebenso ernst
aufgefasst werden müssen wie die — übrigens sehr ähnlichen — Sym¬
ptome, die einen nicht unwesentlichen Teil der während des Krieges
Qehirnbeschädigten zu Invaliden machen.
Von diesem Gesichtspunkt aus scheint mir auch ein Fall, wie der
nachstehend von mir berichtete, der Veröffentlichung wert zu sein, ob¬
wohl er nur klinisch beobachtet worden ist.
P. G., 40 Jahre alt, Bankbeamter. Zuvor gute Gesundheit, im beson¬
deren stets guter Schlai. Ist in seiner Arbeit tüchtig und geschickt gewesen,
hing sehr warm an seiner Familie, war arbeitsam und sparsam.
Anfang April 1920 bekam Pat. heftige Schmerzen in der rechten Seite des
Nackens und in der rechten Schulter sowie Temperaturerhöhung. Der kon¬
sultierte Arzt diagnostizierte „Influenza". Pat. lag 5 Tage zu Bett und wurde
etwas besser, bald aber verschlimmerten sich die Schmerzen und begannen
sich auch längs dem ganzen rechten Arm, später auch dem linken Arm hinab
zu erstrecken. So ging Pat. 6 Wochen lang mit Schmerzen in den
Armen und Temperaturerhöhung, lag bisweilen einige Tage zu Hause, versah
aber zwischendurch seinen Dienst in der Bank. Er wies nach Angabe
seiner Frau schon damals die psychischen Symptome
auf, die ich unten näher schildern werde. Am 19. V. be¬
suchte mich Pat. in meiner Sprechstunde. Er wies da ausser dem Fieber und
einer unbedeutenden Empfindlichkeit hier und da in den Muskeln der Schul¬
tern und der Arme nichts Objektives auf, insbesondere keine Augensymptome.
Ich verordnete ihm wieder Bettruhe, und 2Tage später traten mani¬
feste Symptome von Encephalitis epidemica auf: typische
myoklonische Zuckungen der Bauchmuskeln, choreatische Bewegungen der
Arme, Doppelsehen und Akkommodationsparese sowie leichte Blasenparese
(Retention). Er wurde in meine Abteilung im Krankenhaus Sabbatsberg am
22. V. 1920 aufgenommen; dort vorgenommene Lumbalpunktion zeigte leichte
Veränderungen der Spinalflüssigkeit: normaler Druck, Nonne negativ, Pandy
positiv, leichte Pleiozytose (12 Zellen pro Kubikmillimeter), WaR. negativ.
Einige der obengenannten Symptome besserten sich rasch, Akkommodations¬
schwäche und, allerdings leichtgradige, choreatische Bewegungen im linken
Arm bestanden aber bei der Entlassung am 15. VI. fort, Pat. fuhr aufs
Land, besuchte mich am 9. VIII. wieder, klagte nun über schwere Schlaf¬
losigkeit. wurde wieder *aufs Land geschickt, kehrte im Oktober in dem¬
selben Zustand zurück und hat danach mich zu wiederholten Malen konsul¬
tiert. Eine geringe Akkommodationsparese ist noch vorhanden, aber keine
anderen somatischen Symptome. Pat. ist jedoch andauernd (im Januar 1921)
schlaflos, und seine Schlaflosigkeit verhält sich genau auf dieselbe Weise
wie bei den von Hofstadt beschriebenen Kindern. Er schläft erst gegen
7—8 Uhr morgens ein und schläft dann einige Stunden, und dies wiederholt
sich Nacht für Nacht, gleichgültig ob Pat. Schlafmittel genommen hat, von
denen so gut wie alle gebräuchlichen versucht worden sind, oder nicht. Pat.
fühlt sich am Tage auffallend wenig müde, eine gewisse eupho¬
rische Gemütsstimmung ist unverkennbar, er sucht
seinen Zustand zu bagatellisieren, hat mehrmals versucht,
seine Arbeit wieder aufzunehmen, ist aber nach Hause geschickt worden,
da er sie nicht befriedigend zu erledigen vermag. Er ist reizbar und launisch,
was er nie zuvor gewesen ist.
Die euphorische Gejnütsstimmung erschien mir so auffallend, dass ich
mich veranlasst fand, bei der Gattin des Pat. nachzuhören, ob sie dieselbe
bemerkt hätte. Sie gab mir da die recht bemerkenswerte Auskunft, dass
sie sie schon seit dem Beginn der Krankheit, ja schon während des langen
neuralgischen Prodromalstadiums beobachtet hätte. Sie gäb an, dass i h r
Mann gleich von Beginn der Krankheit an psychisch
ganz verändert gewesen sei. Er bekümmert sich wenig um das
Heim, um Frau und Kinder, denen er zuvor sein grösstes Interesse zu¬
gewendet hatte, er ist sich über die Natur seiner Krankheit gar nicht klar
und sieht selbst nicht ein, dass seine Arbeits- und Leistungsfähigkeit herab¬
gesetzt ist. Er hat eine Tendenz, alles zu leicht zu nehmen und Verhältnisse,
bei denen es nicht angebracht ist, in rosigem Lichte zu sehen. Dies tritt
ganz besonders darin hervor, wie er die Oekonomie seiner Familie handhabt.
Während er früher in allem äusserst sparsam und genau mit allen Ausgaben
gewesen ist, ist er, seitdem die Krankheit begonnen, das gerade Gegenteil
davon geworden. Er hat sich in eine Menge unsichere Geschäfte ein¬
gelassen, was früher nie vorgekommen ist, kommt oft mit Dingen nach
Hause, die er gekauft hat, ohne dass ein Bedarf Vorgelegen hätte. Wenn
seine Frau einwendet, dass ihre Verhältnisse Derartiges nicht erlauben, ant¬
wortet er nur, dass er Ihre Einnahmen durch vermehrte Arbeit schon er¬
höhen werde.
Bei späteren Gesprächen mit dem Pat. erhielt ich weitere Bestätigung
für die von seiner Gattin geschilderte Urteilslosigkeit betreffs des Zustandes
und des Arbeitsvermögens des Pat. sowie seiner abnorm euphorischen Auf¬
fassung von seinen ökonomischen Verhältnissen. Der Zustand des Pat. ist an¬
dauernd (Januar 1921) im grossen und ganzen derselbe. Seine Urteilsfähig¬
keit hat sich ledoch verbessert, die Euphorie hat abgenommen, der Schlaf ist
aber ebenso schlecht, und die Arbeitsunfähigkeit besteht fort.
Digitized by Goüsle
Wer die obige Schilderung der psychischen Symptome dieses Pa¬
tienten liest, dürfte mir Recht darin geben, dass sie in erster Linie an
progressive Paralyse denken lassen, und bei dem, der den Patienten
selbst beobachtet hat, ist dieser Eindruck noch lebhafter. Sein psychi¬
scher Zustand erinnert so sehr an diese Krankheit, dass ich. wenn der
Patient nicht eine völlig klare und unzweideutige Enzephalitis durch¬
gemacht hätte, und wenn nicht alles andere (Anamnese. Lumbalpuiiktat,
Wassermann im Blute — alles negativ in bezug auf Lues) dagegen
spräche, auf die psychischen Symptome hin progressive Paralyse stark
im Verdacht gehabt hätte. Jetzt glaube ich mit Sicherheit diese Dia¬
gnose ausschliessen zu können.
Sind nun die psychischen Symptome, die dieser Patient während
und nach seiner Enzephalitis dargeboten hat, als organische, durch von
der Krankheit gesetzte grobanatomische Gehirnveränderungen hervor¬
gerufene (jehirnsymptome oder als „funktionelle“, „neurasthenische"
aufzufassen? Ein Teil derselben — die Schlaflosigkeit, die starke
psychische Ermüdbarkeit, die Reizbarkeit, die Unfähigkeit zur Konzen¬
tration, zu psychischer Arbeit überhaupt — sind wir gewohnt, bei der
gewöhnlichen, nach Ueberanstrengung oder nach konsumierenden Krank¬
heiten entstandenen Neurasthenie zu sehen, die übrigen aber, in diesem
Falle stark hervortretenden Symptome, die Interesselosigkeit, die Urteils¬
losigkeit, das mangelnde Verständnis für seinen eigenen Zustand, die
Ueberschätzung seiner eigenen psychischen Kapazität, der Leichtsinn
in der Handhabung seiner Oekonomie, die Euphorie — mit einem Worte,
die völlig veränderte Persönlichkeit, ist etwas der Neurasthenie, der
Neurose überhaupt, gänzlich Fremdes. Die Krankheiten, bei
denen wir psychischen Veränderungen dieserArt
zu begegnen gewohnt sind, sind die destruktiven
organischenGehirnkrankheüen: Allgemeine Paralyse, senile
und arteriosklerotische Demenz. Es ist da ja recht auffällig, in dieser
gleichfalls mit organischen Gehimveränderungen verlaufenden Krankheit
ein so ähnliches psychisches Bild zu finden. Es könnte der Einwand
erhoben werden, dass es sich hier um einen in die Länge gezogenen
hypomanen Zustand handelte. Ich glaube mit an Gewissheit grenzender
Wahrscheinlichkeit sagen zu können, dass das nicht der Fall ist. Die
Euphorie, die unser Patient aufweist, ist nicht die lebhafte, bunte und
handlungsauslösende Euphorie des Maniaker; sie ist schlaff und in ge¬
wisser Weise blödsinnig. Von der Gedankenflucht und der motorischen
Agitation des Maniakers firidet sich keine Spur, die Stimmung ist keines¬
wegs im eigentlichen Sinne erhöht, eher im Gegenteil, und vor allem ist
die UrteilslosigkC'it so stark dominierend, dass man mit vollem Fug
sagen kann, dass eine gewisse Demenz vorliegt.
Ich glaube also, dass man ex analogia berechtigt ist, zu vermuten,
dass in diesem Falle die psychischen Restsymptome, die der Patient
nach seiner Enzephalitis aufweist, mit grosser Wahrscheinlichkeit auf
grobanatomischen Gehirnveränderungen beruhen, die während des akuten
Stadiums der Krankheit eingetreten sind. Ist das der Fall, so dürfte es
ziemlich wahrscheinlich sein, dass auchdiemehrbanalen „neur¬
asthenischen" Symptome, die sich in diesem Falle
finden, und die so gewöhnlich nach dieser Krankheit
sind, in einer grossen Anzahl von Fällen auf fort¬
bestehende organische Gehirnbeschädigungen zii-
rückzuführen undnicht als „funktionell“ zu betracli-
t e n sind, ein Umstand, der zutreffendenfalls in hohem Grade unsere
Auffassung von der Prognose dieser Zustände beeinflussen und uns
mahnen muss, üi dieser Hinsicht ebenso vorsichtig zu sein, wie der
Krieg es uns zu sein gelehrt hat, wenn es sich um die Prognose der
psychischen Symptome nach traumatischen Gehirnbeschädigungen han¬
delt (Poppelreuter, Aschaffenburg u. a.).
Unter allen den.interessanten neuropathologischen Fragen, zu denen
diese eigentümliche Krankheit Anlass gegeben hat, möchte ich ausser
den oben behandelten noch eine andere, nicht w-eniger interessante,
kurz berühren. Die Encephalitis epidemica hat uns eine ganze Reihe
sehr wichtiger Beiträge zur Gehirnlokalisation geliefert, besonders be¬
züglich der Bedeutung der zentralen Ganglien. Wir haben hier bei
einer akut einsetzenden Krankheit, deren pathologisch-anatomische Sub¬
strate aus vorzugsweise im Mesenzephalon lokalisierten entzündlichen
Prozessen bestehen. Krankheitsbilder zu sehen bekommen, die eine su
grosse Uebereinstimmung, wie man sie verlangen kann, mit den chro¬
nisch verlaufenden Krankheiten — Wilson sehe Krankheit, S t r ü m -
pelIsche Pseudosklerose, Huntingtonsche Chorea, Paralysis agi-
tans, Paramyoklonusepilepsie (Unverricht-Lundborg) — be¬
sitzen, welche alle mit chronisch verlaufenden Veränderungen innerhalb
ebenderselben Gehimteile in Zusammenhang gebracht worden sind. Die
nun mehr und mehr akzeptierte Theorie, dass man innerhalb dieser Ge¬
hirnteile extrapyramidale motorische Zentren und Bahnen zu suchen hat,
deren Zerstörung Störungen innerhalb der automatischen motorischen
Funktion hervorruft, hat dadurch eine äusserst wichtige Stütze er¬
halten.
Ist man betreffs der diesbezüglichen Symptome, wenn sie bei
Encephalitis epidemica angetroffen werden, kaum im Zweifel darüber,
wo man die entsprechenden pathologisch-anatomischen Veränderungen
zu suchen hat, so kann dagegen die Frage um so schwieriger sein, wenn
es sich um gewisse andere Symptome handelt — ich denke dabei zu¬
nächst an die sensiblen Symptome —, und das gilt sowohl für die Reiz¬
symptome (Schmerzen und Parästhesien) wie für die Ausfallsymptome.
die Sensibilitätsstörungen im engeren Sinne. Man hat hier an die Mög¬
lichkeit einer Lokalisation sowohl in Kortex, Thalamus, Medulla spinalis.
wie in dem peripheren Neuron zu denken. Rücksichten auf den Raum
Original frorri
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
671
verbieten es mir, näher auf dwse interessante Frage einzugehen (ich
will nur im Vorbeigehen bemerken, dass vieles dafür spricht, dass die
intensiven initialen „neuralgiformen“ Schmerzen subkortikaler Natur
sind), ich beschränke mich darauf, ein paar Beobachtungen mitzuteilen,
diedieFrag-e nach der sensiblen Lokalisation in derRinde berühren. Schon
vor dem Kriege hatte v. Valkenburg den ziemlich stringenten Nach¬
weis geführt, dass eine fokale sensible Lokalisation in der Kortex (hintere
Zentralgyri) existiert. Die Kriegserfahrungen haben in hohem Grade
eben hierfür gesprochen (Marburg, Kramer, Foerster, Krue-
ger, Dejerein, Andre, Thomas u. a.). und besonders Belege
dafür geliefert, dass die Sensibilitätsstörungen nach begrenzten korti¬
kalen Läsionen gern segmentären Typus annehmen. Man kann also
nunmehr aus der segmentären Ausbreitung einer Sensibilitätsstörung
nicht darauf schliessen, dass sie spinal ist (bzw. von einem Spinal¬
ganglion ausgeht).
Bei Encephalitis epidemica kommen nun nicht so ganz selten seg¬
mentäre Sensibilitätsstörungen vor; sind sie kortikal oder spinal? Patho¬
logisch-anatomische Veränderungen sind zu wiederholten Malen inner¬
halb der Medulla spinalis und der Spinalganglien nachgewiesen worden,
und vielleicht sind sie gewöhnlicher, als die nicht so zahlreichen hierauf
gerichteten Untersuchungen haben zeigen können. In einem Falle wie
dem folgenden dürfte es klinisch unmöglich sein, die Lokalisation zu ent¬
scheiden. Einer von meinen Patienten, ein 30 jähriger Offizier, hatte
während des Prodromalstadiums intensive Schmerzen und starke Hyper¬
ästhesie innerhalb eines Gebiets rings um den Anus herum, das genau
S 4 und S/s entsprach. Nach einigen Tagen ging die Hyperästhesie in Hyp-
ästhesie innerhalb desselben Gebiets über, und glechzeitig trat vollständige
Harnretention auf. die dann 2 /z Monate lang bestehen blieb. Dies letztere
spricht wohl mehr dafür, dass es sich in diesem Falle um einen spinalen
Herd handelte, denn das Vorkommen von isolierten Blasenstörungen
ohne Extremitätsparesen durch zerebrale Herde ist nicht sichergestellt.
In dem folgenden Falle dagegen glaube ich, da^s vieles für zerebrale
(kortikale) Sensibilitätsstörungen spricht.
A. W. L., 38 Jahre alt, Maschinist. Zuvor gesund. Ende Mai 1920
Stiche und Schmerzen im rechten Arm, die in die radialen Finger ausstrahlten.
Einige Tage später dieselben Symptome im linken Arm. Fieber 38“. Schlaf¬
losigkeit. Besuchte mich am 10. VI. Hatte nun manifeste Enzephalitis; starke
klonische Zuckungen der Bauchmuskeln, Doppelsehen, Akkommodationsparese,
choreatische Zuckungen in Armen und Beinen. Später schwere Bewusstseins¬
trübung und Unruhe, heftige Zuckungen im ganzen Körper. Lag im Kranken¬
hause bis zum 22. IX. Bei Untersuchung am 9. XI., ausser einigen psychi¬
schen Symptomen, fortbestehende mässige Akkommodationsparese, chorea¬
tische Zuckungen im linken Arm und Bein (gar keine rechts), leichte Parese
des linken Arms und Beins (das Bein ist „zu lang“), beträchtlich gesteigerte
Sehnenreflexe am rechten Arm und Bein und höchst lästige Parästhesien
innerhalb eines Gebiets an der linken Hand und am linken Unterarm, ent¬
sprechend Ce und C? (die 3 radialen Finger, die radiale und die halbe dorsale
Seite des Unterarms). Während der folgenden Monate hat der Zustand sich
etwas gebessert; sämtliche Symptome haben etwas nachgelassen, am meisten
die Parästhesien. Jetzt (Januar 1921) besteht eine deutliche Herabsetzung von
Berührungssinn, Vibrationsgefühl und Stereognosis innerhalb des genannten
Gebiets an der linken Hand und am linken Arm.
In diesem Falle einer unzweifelhaften Encephalitis epidemica finden
sich also Sensibilitätsstörungen von deutlich segmentärem Typus auf
derselben Seite wie ausgesprochene Hemisymptome unzweifelhaft zere¬
braler Art (Hemiparese, Hemichorea, Hemihyperreflexie). Dass die seg¬
mentäre Sensibilitätsstörung hier zerebral ist, ist meines Erachtens
recht wahrscheinlich; ob sie kortikal• oder subkortikal ist, lässt sich
nicht sicher entscheiden, ihre relativ unbedeutende Ausbreitung spricht
aber für die Kortex. _
Aus der dermatolog. Abteilung und dem patholog. Institut
des Rud. Virchow-Krankenhauses (Prof. Wechselmann
und Prof. Dr. v. Hanse mann t)-
Ueber die Ausbreitung der syphilitischen Infektion auf
dem Lymphwege in der seronegativen Periode des
Primärstadiums.
Von Oberarzt Dr. Eicke und Dr. E. Schwabe.
So gründlich die Organ Veränderungen in den Spätstadien der Lues
pathologisch-anatomisch bearbeitet sind, so wenig zahlreich sind die
Untersuchungen, die sich mit den. Veränderungen in der Frühperiode
befassen, (janz besonders gilt dies, wenn man vom Primäraffekt als
solchem absieht, dessen genauen Bau wir den Arbeiten Ehrmanns
verdanken, vom Primärstadium, wo eingehendere Untersuchungen über
den weiteren Verlauf der syphilitischen Infektion völlig fehlen. Daher
beruht unsere Kenntnis über die Ausbreitung des Virus nach Ueberschrei-
ten der regionären Drüsen nicht auf irgendwelchen pathologisch-ana¬
tomisch gesicherten Tatsachen, sondern mehr auf Vermutungen und
Schlüssen, die uns die experimentelle Forschung zu ziehen gestattet.
Als erster hat wohl Fournier [1] über Sektionsergebnisse von
in der Frühperiode der an Syphilis Verstorbenen berichtet. Er erwähnt
3 Präparate von 3 Frauen aus der Sammlung des L o u r c i n e, die mit
syphilitischen Affekten am Genitale behaftet, an interkurrenten Krank¬
heiten gestorben waren. Bei allen dreien fanden sich nicht nur die
Inguinaldrüsen sondern auch die Iliakaldrüsen bis zum Ursprung der
A. hypogastrica geschwollen. Auch Finger [2] berichtet über 3 Sek¬
tionen von Individuen, die in der Frühperiode verstorben waren. Bei
allen dreien fand er nicht nur die Inguinal-, sondern auch die Iliakal-
und Retroperitonealdrüsen haselnuss- bis mandelgross geschwollen.
Diese 3 von Finger erwähnten Fälle gehören wahrscheinlich bereits
dem Sekundärstadium an, da er von rezenter Lues spricht und bereits
auch die zervikalen und axillaren Drüsen vergrössert fand. Die ersten
genauer histologisch durchuntersuchten Fälle verdanken wir Vaida 131.
der im ganzen über 7 Sektionen berichtete; 6 davon waren bereits im
Sekundärstadium, einer im Primärstadium. Es handelte sich hier um
ein Junges Individuum, der eine Sklerose in der Eichelkronenfurche
hatte und in der 4. bis 5. Woche der' Infektion an Pneumonie starb.
Der Leichenbefund ergab eine proportional der Entfernung vom primären
Krankheitsherd abnehmende Schwellung der Drüsen bis zum Promontoriurn
bzw Ductus thoracicus. Die Drüsen waren derb elastisch. Mikroskopisch
war besonders die markige Infiltration ausgesprochen. Das eigentümliche der
Lymphdrüsenschwellung in der Frühperiode fasst V a j d a dahin zusammen,
dass zwar das Intaktbleiben und passive Verhalten der Drüsenkapsel, die
Anhäufung von Zellen in den Alveolen und Lymphgängen charaktenstisch sei,
jedoch nicht derart, dass man aus einem beliebigen Bilde die syphilitische
Natur erkennen könne; dies sei nur bei Betrachtung der Gesamtheit der \or-
gänge möglich.
So wichtig diese Befunde damals für die Kenntnis des Verlaufs
der syphilitischen Infektion auch waren, so gehören sie doch alle einer
Epoche der Syphilisforschung an. die von Spirochäten und Serodiagnostik
nichts wusste. Um so bemerkenswerter ist daher der von uns be¬
obachtete Fall. Hier handelte es sich um einen jungen Mann der im
seronegativen Stadium des Primäraffektes (Spirochäten positiv) in der
4. Woche nach der Infektion s-tarb.
Vorgeschichte: 21 jähriger Mann. Aufnahme im August 1920 wegen
Schanker. 1913,, 1918. 1919 Tripper. Letzter Verkehr vor 4 Wochen. Seit
3 Wochen wunde Stelle am Glied-
Geschlechtsorgane: An der Unterfläche des Penisschaftes ein rundes,
ziemlich oberflächliches, schmierig belegtes Ulcus mit derben Rändern. Linke
Inguinaidrüse etwa kirschgross.
4. VIII. 20. Spirochaete pallida: positiv. WaR.: negativ. Die
W a s s e r m a n n sehe Reaktion wurde ausgeführt mit 3 Extrakten; sämtlich
völlig negativ; auch die mit erhöhter Serummenge angesetzte Reaktion ergab
gänzlich negativen Ausfall.
6. VIII. 0,3 Neosilbersalvarsan; wird gut vertragen; kein Fieber.
10. VIII. 0,3 Neosilbersalvarsan; kein Fieber.
13. VIII. 0,3 Neosilbersalvarsan. Primäraffekt in guter Rückbildung.
15. VIII. Klagt Kopfschmerzen: nachmittags leichte Unruhe. Abends Er¬
brechen. „ , ,
16. VIII. Frühmorgens bewusstlos. Lumbalpunktion ohne Erfolg; des¬
gleichen Aderlass. Mittags wird eine Trepanation vorgenommen.
17. VIII. 2 Uhr nachts Exitus.
Ergebnis der Leichenöffnung (gekürzt unter Fortlassung des Unwesent¬
lichen): Trepanationswunde auf dem Schädeldach. Am Schaft des Penis auf
der Unterseite eine fünfpfennigstückgrosse rotbraune Stelle mit blassem
Rand, die sich nicht besonders derb anfüllt. Linke Inguinaldrüse etwa kirsch¬
gross, die rechte kleiner. Die Lymphdrüsen längs der A. iliaca sind bis auf
Taubeneigrösse geschwollen und zeigen oft perlschnurartige Anordnung. Im
Mesenterium und Mesokolon sind sie fast ebenso gross; desgleichen die retro-
peritonealen Drüsen. Die Schwellung setzt sich bis in die vorderen
Mediastinaidrüsen fort. Auf der Schnittfläche sind die Drüsen graurötlicta.
Die inneren Organe zeigen nirgends krankhaften Befund; insbesondere sind
Lunge und Darm völlig frei. Nur die Milz ist leicht vergrössert. 330 g schwer.
Auf der Schnittfläche sind die Follikel deutlich erkennbar, von Hirsekorn¬
grösse. Trabekel deutlich.
Diagnose: Status post trepanationem cranii. Cyanosis lienis. Lymph¬
adenitis universalls. Sderosis syphilitica initialis penis.
Primäraffekt, Inguinaldrüsen, Iliakat- und Retroperitonealdrüsen werden
zur mikroskopischen Untersuchung und zum Nachweis von Spirochäten
herausgenommen. Zur gleichen Zeit werden zur Kontrolle sicher spirochäten¬
haltige Organe ebenso nach L e v a d i t i behandelt.
Mikroskopische Untersuchung: Die Primärsklerose zeigt eine wohl¬
erhaltene Epidermis mit intakter Hornschicht. Die Stachel- und Riffel¬
zellen sind im Gebiete der Sklerose gewuchert und bilden zapfenförmige
Vortreibungen in die Subkutis usw. Nach L e v a d i t i keine Spirochäten
nachweisbar. Die Lymphdrüsen finden sich meist im Zustand „markiger
Schwellung“. Die Sinus sind von grossen Zellen erfüllt mit grossem blassen,
deutlich strukturierten Leib und einem breiten Protoplasmasaum. Dazwischen
rote Blutkörperchen und Zellen mit dunklerem länglichen Kern und weniger
Plasma. Die Follikel sind überall deutlich, aus Lymphozyten bestehend:
gelapptkernige treten hinter den grossen blassen Zellen zurück (Lymphoido-
zyten? und Polybiasten). Spirochäten konnten auch hier nirgends nach¬
gewiesen werden. In den zur Kontrolle mit eingelegten Organen wurden
überall Spirochäten festgestellt. An Leber. Niere. Nebenniere wurde mikro¬
skopisch nichts Pathologisches festgestellt.
Es handelte sich also um einen jungen Mann, der in der 4. Woche
nach der Ansteckung mit einem Primäraffekt am Glied, in dem sich
reichlich Spirochäten fanden, und dessen Wassermann negativ war,
in Behandlung trat und am 11. Tage dieser an einer Enzephalitis ver¬
starb. Die Leichenöffnung ergab, von den Inguinaldrüsen angefangen,
eine sich über Iliakal-retroperitoneal, den Ductus thoracicus und die
vorderen Mediastinaidrüsen erstreckende Lymphdriisemschwellung.
Makroskopisch zeigten diese Drüsen durchaus die den Drüsenschwel¬
lungen durch Syphilis zukommenden Merkmale. Spirochäten wurden
weder im Primäraffekt noch auch in den erwähnten Lymphdrüsen nach
der Levaditimethode nachgewiesen; doch kann dieser negative Be¬
fund die syphilitische Entstehung der Lymphdrüsenschwellung nicht er¬
schüttern, da andere ursächlich heranzuziehende Erkrankungen nicht in
Betracht kommen. Auch wissen wir ja durch die Untersuchungen von
Wechselmann und Arnheim [4], die nach reiner Salvarsan-
behandlung im Primärafifekt weder mikroskopisch noch durch* Verimpfung
Spirochäten nachweisen konnten, dass solche negativen Befunde nichts
Ungewöhnliches sind. Dieser Fall ist jedoch noch in anderer Hinsicht
von Belang. Wohl zum erstenmal wurde hier nachgewiesen, dass schon
in der ersten Inkubationsperiode der Syphilis im seronegativen Sta-
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
672
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
dium die Infektion die regionären Drüsen überschritten haben kann,
dass also trotz n'egativer Serumreaktion eine lokal gebliebene Erkran¬
kung nicht mehr vorlag. Wenn diese Tatsache aus den Misserfolgen
der Exzision des Primäraffektes bereits vcrniiitct werden konnte, so
war doch bisher der pathologisch-anatomische Nachweis noch nicht er¬
bracht, ebenso wie auch die Tatsache durchaus noch nicht fcststand,
dass die weitere Ausbreitung der Infektion auf dem Lymphwege erfolge.
Nach den übereinstimmenden Befunden F o u r n i e r s. Fingers,
V a j d a s und dem unsrigen kann wohl heute nicht mehr daran ge-
zweifelt werden, dass vom Augenblick der Ansteckung an, die Lymph-
bahn für die Spirochäte der hauptsächlichste und vielleicht einzigste \Veg
ist, der unmittelbar und sofort eingcschlagen wird. Die Entwicklung des
Primäraffektes und das etappenweise fortschreitende Ergriffenwerden der
zum Genitaltraktus gehörenden Lymphdrüsen sind 2 nebeneinander,
nicht nacheinander verlaufende Phasen desselben Prozesses. Ein aus¬
gebildeter Primäraffekt kann daher keine lokale Spirillose mehr sein;
es muss ihm immer ein mehr oder weniger stärkeres Ergriffensein der
abführenden Lymphwege entspreclien. In unserem Falle war die WaR.,
trotz Schwellung selbst weit vom primären Herd gelegener Lyinph-
drüsen, noch negativ. Es kann uns also die WaR. kein Massstab sein für
die Beurteilung, wie weit die Infektion im Einzelfalle bereits fort¬
geschritten ist. Wir wissen noch nicht, wo die Grenze zwischen negativ
und positiv zu suchen ist und welchem Grad der Ausbreitung des Virus
diese entspricht. Soviel ist jedenfalls sicher, selbst wenn man die
Grenze zwischen minus und plus als scharf annimmt, diese nicht etwa
gleichzusetz'en i.st der zwischen nichtkonstitutionell und konstitutionell.
Ueberhaupt sind diese Begriffe heute überholt. Die Syphilis ist vom
Augenblick des Eindringens der Spirochäte eine Erkrankung des gan¬
zen Organismus, und zwar eine Allgemcininfektion, zu deren Bekämpiung
er alle seine Abwehrkräfte in Tätigkeit setzt. Die Bildung der Wasser¬
mannsubstanz muss also vom ersten Tage an cinsetzen und es beweist
uns daher ein negativer Wassermann im Primärstadium durchaus nicht
etwa eine in jedem Falle noch lokal gebliebene, noch nicht in Beziehung
zu den Körperzellen getretene Infektion. Die Einteilung des Primär¬
stadiums in eine Vor- und Nachwassermannperiode trägt daher nur
unvollkommen den tatsächlichen pathologisch-anatomischen Verhältnissen
Rechnung, zumal die Vorwassermannperiode in ziemlich weiten Gren¬
zen schwanken kann. Hierdurch finden auch manche Misserfolge der
Abortivbehandlung ihre Erklärung. Auf die Grenzen der Abortivbehand¬
lung hat W e c h s e 1 m a n n [5l als erster in einer von den Nachunter¬
suchern werkwürdigerweise unbeachtet gebliebenen Arbeit hingewiesen.
Er hat dabei auch die Gründe auseinandergesetzt, die zu einem Miss¬
lingen der Abortivkur führen können. Diese werden jetzt durch unseren
Befund anatomisch gestützt. In Zukunft wird man daher neben dem
negativen Wassermann auch das Alter der Ansteckung sowie den Grad
der Inguinaldrüsenschwellung in die Erwägungen über die Möglichkeit
einer Abortivheilung mit einstellen müssen. Die Beobachtung des Alters
der Infektion und des Grades der Inguinaldrüsenschwellung erscheint
unbedingt erforderlich, da beide durchaus nicht, wie wür [6] nachweisen
konnten, in zeitlicher Abhängigkeit voneinander stch-en. So kann einem
schon älteren Primäraffekt noch eine sehr geringe Inguinaldrüsenschwel¬
lung entsprechen, ebenso wie umgekehrt ein junger Primäraffekt bereits
mjt starker Drüsenschwellung einhergehen kann. Im ersteren Fall
können bis zu 60 Tage und darüber vergehen bis zum Umschlag der
Wassermann sehen Reaktion, während im letzteren dies bereits
nach 21 Tagen erfolgen kann. Die Ursache dieses Unterchiedes liegt
in den verschieden gearteten anatomischen Bedingungen, denen der Pri¬
märaffekt an den verschiedenen Stellen des Genitale unterliegt, und die
auf die Schnelligkeit der Ausbreitung der Infektion entscheidend ein¬
wirken. Unter Berücksichtigung aller dieser Tatsachen und der Sek-
tionsbefunde ist es wohl als sicher anzunehmen, dass die Spirochäte vom
Penislymphgefäss angefangen das ganze abdominale Lymph^^fässsvst m
durchwadern muss, um sich dann durch den Ductus thoracicus in die
V. cava zu ergiessen. In diesem Augenblick dürfte die Spirochätensepsis
einsetzen und damit der Ausbruch des Exanthems. Zu diesen Betrach¬
tungen zwingen uns auch Analogien mit der experimentellen Tiertuberku-
lose. Gerade der Ausbreitungsmodus zeigt eine auffallende Aehnlichkeit.
Durch Impfung mit Tiiberkelbazillen hat man festgestellt, dass stets zu¬
erst die regionären Drüsen erkranken, dass die Infektion von Drüse
zu Drüse weiterschreitet, bis die bronchialen und pcritrachealen Drüsen
erreicht sind. Erst jetzt findet Eindringen ins Blut und Allgemeininfek¬
tion statt.
Literatur.
1. Fournier: zIt. nach Finger. — 2. Finger: Arch. f. Derra. u.
Syph. 1885. — 3. V a j d a: Vrtljschr. f, Derm. u. Syph. 1875. — 4. Wechsel¬
mann und Arnheim: D.m.W. 1914 Nr. 19. — 5. W e c h s e 1 ra a n n: M. Kl.
1919 Nr. 34. — 6. Eicke: Derm. Zschr. 27. 1919. H. 6.
Aus der Psychiatrischen Universitätsklinik zu Jena.
(Direktor: Prof. Dr. H. Berger.)
Zur Behandlung des Akzessoriuskrampfes*).
(Eine kritische psychotherapeutische Betrachtung.)
Von Dr. Ernst Speer, Facharzt in Lindau i. B., ehern*
Assistenzarzt der Klinik.
Nach dem Vorschlag der B r i s s a u d sehen Schule würde ich in der
folgenden Mitteilung vielleicht in dem einen oder anderen meiner Fälle
wohl besser von „Akzessorius tick“ sprechen, denn der Ausdruck
„Krampf“ gilt nach M e i g e und F e i n d e P) nur für organisen be¬
dingte Fälle. Gerade für die gedachten motorischen Erscheinungen im
Akzessoriusgebiet ist aber diese Trennung oft kaum möglich, auch nicht
bei eingehendster Klärung der Fälle. Ich habe daher den auch von
namhaften deutschen Autoren, wie z. B. Oppenheim, gebrauchten
Ausdruck „Akzessorius k r a m p f“ beibehalten, selbst in den psycho¬
therapeutisch bearbeiteten Fällen. Auf die übrigen Abweichungen der
Nomenklatur einzugehen, ist in dieser kurzen Abhandlung nicht Platz.
Den ersten der 4 Fälle, die im letzten Jahre an der hiesigen Klinik
zur Behandlung kamen, ging ich im Auftrag meines verehrten Chefs,
des Herrn Prof. Dr. Hans Berger, psychotherapeutisch an. Die fol¬
gende Mitteilung würde an sich nur kasuistisches Interesse haben und
zwar besonders angesichts der relativen Seltenheit solcher Fälle, wenn
sich nicht ganz von selbst aus dem geschilderten Vorgehen Schlüsse
ziehen liessen auf die Behandlung anderer Krampfformen (auch anderer
„Ticks“). Bei den Krampfformen der Halsmuskeln spielt auch heute
noch einerseits das Messer des Chirurgen eine oft unheilvolle Rolle’),
andererseits werden solche Kranke ebenso oft mit unzweckmässigen
Methoden hingchalten und schliesslich als unheilbar und lästig abgeschc-
ben. So wird es auch dem Nichtfacharzt erwünscht sein, an Methoden
erinnert zu w'erden, die in solch schwierigen Fällen zu sehr befriedigen¬
den Resultaten führten®).
Mein erster Fall, ein 26 jähriger Akademiker, trat am 20. Februar 1920
in meine Behandlung. Vater Potator. Patient hatte als Kind Qaumensegel-
lähniung nach Diphtherie durchgemacht. Als Student reichlicher Alkohol¬
genuss. Im Krieg schwerer Brustschuss: Granatsplitterdurchschuss hart über
dem Herzen. Seit Ende Juli 1919 Schmerzen und spannendes Gefühl im
Nacken. Der Kopf drehte sich unwillkürlich nach links mit leichter Erhebung
des Kinnes. Die Schmerzen liessen bald nach, Krampf- und Spannungs-
geffihl w'urden stärker. Versucht waren von verschiedenen Aerzten (auch
Fachärzten!) antirheumatische Mittel, Faradisation, Ausspannung und Arsen¬
kuren, Morphiuminjektionen, Halsumschläge und 3 g Brom täglich, Fichten-
nadclbadcr und Galvanisation, Ganzpackungen. Höhensonne, Kochsalzinjek¬
tionen, Pantoponeinspritzungen und schliesslich Glisson sehe Schwünge,
letztere an 2 Tagen je 30 Minuten lang! Als ultima ratio wurde eine Durch¬
schneidung der erkrankten Muskeln erw'ogen, vorher aber der Patient mir
zu einem psychotherapeutischen Versuch überwiesen. Nie war bei dem
Patienten irgendein Zeichen einer organischen Schädigung des Nerven¬
systems gefunden worden. Die chirurgische Untersuchung in Narkose hatte
keine Anhaltspunkte für ein örtliches Leiden organischer Art ergeben.
Die Krampfanfälle waren gelegentlich der oben dargelegten Bchand-
lungsreihe nur einmal vorübergehend kurz etw'as gebessert, hatten sich aber
seit etwa Mitte Dezember 1918 in einem unerbittlichen Kreszendo zu einem
ganz grotesken Bild gesteigert. Bei der Aufnahme stand Patient unter ge¬
waltigen Skopolamindoscn. Bei Aufhören der Wirkung des Mittels setzten
die Krämpfe ein. Einzelne tonische Krämpfe von nur wenigen Sekunden
Dauer folgen einander in grossen Serien. Patient vegetierte halb sitzend im
Bett dahin. Aufstehen war unmöglich. Beim Versuch dazu krümmte es ihn
vor Schmerzen zusammen; dabei sass der Kopf in einer ganz unbeschreib¬
lichen Haltung auf den Schultern. Patient drehte sich dann hüpfend im
Kreise; die Augen tränten infolge der rasenden Schmerzen. Jede Berührung,
besonders der Schultern oder gar des Kopfes, löste enorme Schmerzen und
neue heftigste Krampfscrien aus. Der Patient war dem Suizid nahe.
An eine einfache Hypnose war zunächst unter^ diesen Umständen gar
nicht zu denken. Wachsuggestive Versuche versagten. Fürs Erste mussten
also die hohen Skopolamingaben beibehalten werden. Zusammen mit Luminal-
natrium genügten sie nur zu notdürftigem Hinhalten. Am 21. Februar 1920
w'urde unter diesen Umständen der Versuch gemacht, eine Hypnose mit Chlor¬
äthylrausch einzuleiten. Nach wenigen Zügen des Mittels geriet Patient
in einen Zustand, der den Eindruck einer akuten halluzinatorischen Verwirrt¬
heit machte. Er schnalzte mit der Zunge, pfiff, lachte unbändig und schrie
dann plötzlich: „Schlag auf die Achsel!" Ehe die Hypnose aus der
Narkose abgeleitet werden konnte, setzten dann wieder die Krämpfe ein.
Nach einer ganz schlechten Nacht mit ungeheurem Skopolaminverbrauch
wurde der Versuch einer Chloräthylhypnose wiederholt. Diesmal mit dem
Erfolg einer leichten Hypnose, bei der dem Patienten die Schwere der Arme
demonstriert w^erden konnte. Ausserdem gelang es, suggestiv die Ueber-
empfindlichkeit der rechten Kopfseite und des Halses zu beseitigen und diese
Errungenschaft posthypnotisch festzuhalten.
Damit war, w'enn auch die Hypnose selbst schon nach wenigen Augen¬
blicken durch erneute Krampfanfälle unterbrochen wurde, doch ein ent¬
scheidender Schritt vorwärts getan. Am nächsten Morgen, als ihn die
heftigsten Krampfanfälle schüttelten, wurde ich wieder einmal zu dem Pa¬
tienten gerufen. Obwohl er mir vor 2 Tagen auf meine Frage, was sein
Ausruf: „Schlag auf die Achsel!" bedeute, ausweichend geantwortet hatte,
stellte ich nun — entsprechend meinem Verdacht — die dringliche Frage
nach seinem sexuellen Vorleben und erhielt die Antwort: „Ach, ich bin Psycho¬
path!", und dann: „Ich bin Masochist!“ Er habe sich von einer Geliebten
peitschen lassen: ausserdem sei er Fetischist mit Stiefeln und Beinen. Da¬
zu äiisserte er spontan, er habe ohne Erfolg furchtbar dagegen gekämpft,
und konstruierte ebenso spontan einen ursächlichen Zusammenhang zwischen
jenen Ausschweifungen und seinem jetzigen Leiden.
Daraufhin wagte ich, indem ich den Patienten schnell in die Kissen
drückte, eine Ucberrumpelungshypnose, die einen vollen Erfolg brachte.
Patient .schlief ruhig atmend ein; ich verliess ihn in diesem Zustande. Abends
traf ich ihn dann in einer sehr glücklichen Verfassung an. Er fühlte sich sub¬
jektiv wohl, wie schon lange nicht mehr, und glaubte fest an seine Heilung.
•) Nach einem Vortrag in der Medizinischen Gesellschaft zu Jena.
') Meige und Feinde!: Der Tic, sein Wesen und seine Behand¬
lung. Deutsche autorisierte Ausgabe von Dr. O. G i e s e, Verlag von
Franz Deuticke, Leipzig und Wien, 1903.
’) Einen solchen Fall erwähnt z. B. J. H. Schultz: Eros and Psyche
1921; sexuelle Aufklärung in der wissenschaftlichen Psychotherapie.
®) „Universelle Psychotherapie" im Sinne von J. H. Schnitz;
Seelische Krankenbehandlung II. Auflage, Jena Fischer 1921; ferner: Psycho¬
logie in der Medizin, Zentralkomitee für ärztl. Fortbildung, Jena, Fischer
1921.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
673
Das weitere Vorgehen erfolgte nunmehr in 2 Richtungen: Einmal sollte
die Psychokatharsis Klarheit bezüglich der in Frage kommenden Komplexe
erbringen; gleichzeitig bestand die Absicht, nicht erst den Erfolg endlosen
Abreagierens abzuwarten, sondern durch suggestives Vorgehen, ev. unter
Ausnutzung der Ergebnisse der Psychokatharsis, eine möglichst rasche Besse¬
rung des schauderhaften Zustandes zu erzielen. Daneben sollte planmässige
Gymnastik den Erfolg befestigen helfen.
Es würde den Rahmen dieser Mitteilung weit überschreiten, wenn
ich eingehende Mitteilungen über das geförderte seelische Material
machen wollte. Ich beabsichtige ja auch nicht eine kasuistische Mit¬
teilung einer Analyse im Freud sehen Sinne. Ganz abgesehen von
unserer Stellungnahme zu dieser Art des Vorgehens oder zu einer
Psychokatharsis im strengen Stil, wie Frank*) sie übt, würde uns die
Praxis solche zeitraubenden Behandlungsarten verboten haben. Die
tägliche klinische Arbeitslast zwingt zu zielstrebigen Methoden, die in
angemessener Zeit greifbare Erfolge zeitigen. Das gleiche gilt auch für
den Praktiker ausserhalb der Klinik. Streit darüber, ob die Analyse
an sich oder die vielleicht möglicherweise damit verbundene Suggestion
den Erfolg bringt, erübrigt sich also in diesem Fall. Die Psychotherapie
an sich verlangt ja auch eine völlig vorurteilslose Einstellung zum Kran¬
ken und gegenüber den einzelnen Methoden. Die Entscheidung, ob
Hypnose mit primitiver Suggestion, ob Wachsuggestion, ob larvierte
Suggestion; Psychokatharsis u. dgl., muss man in jedem Fall immer
aufs Neue treffen. Festlegen auf eine Methode kann nur aus experi¬
mentellen oder sonstigen prinzipiellen Gründen erfolgen. Der ist der
beste Psychotherapeut, welcher unter Ausnutzung aller Mittel den Kran¬
ken energisch fördert und ebenso den errungenen Erfolg nachhaltig fest¬
zuhalten versteht.» Die Wahl der Methode — schon dieses dogmatisch
klingende Wort ist vom Uebel! — ergibt sich aus der immer neuen
Sachlage immer neu.
Bei unserem Patienten erfuhren wir In kurzer Zeit zunächst Einzelheiten
über seinen Masochismus. Dabei spielte der „Schlag auf die Achsel", ein
änsserst schmerzhafter Hieb mit der Reitpeitsche einer sadistischen Ge¬
liebten, eine grosse Rolle. Aber das war nicht das einzige bemerkenswerte
Trauma. Ein andermal hatte ihn dieselbe Person mit einem hohen Absatz
ihres Stiefelchens empfindlichst auf dieselbe Stelle getreten, und ein drittes
Mal wurde diese Gegend durch harte Erdschollen gelegentlich eines Gangs
des Patienten als Leitungspatrouille in schwerem Artilleriefeuer so erheblich
getroffen, dass Patient vor Schmerz das Bewusstsein verlor. Dann war
er im Kriege ausserordentlich angestrengt durch Telephondienst im Unter¬
stand; dabei „berufsmässig“ etwas nach links (Hörer links, Aufschreiben der
Nachrichten gleichzeitig mit rechter Hand) gedrehte Kopfhaltung.
Lieber die „Transformation psychischer Vorgänge in motorische
Akte“ die gangbaren Hypothesen anzuführen, erübrigt sich. Die
oben angeführten Angaben sollen nur veranschaulichen, warum gerade
die genannten Halsmuskeln betroffen wurden. Zweifellos handelt es sich
um eine Muskelgruppe, die mit den angedeuteten Komplexen (stark ge¬
fühlsbetonte Vorstellungsgruppen) in engster Beziehung stand. So er¬
klärt es sich, dass nicht etwa eine ,JConversion“ in Richtung auf die
Brustschussverletzung eintrat.
K r a e p e 1 i n sagt in dem Hysteriekapitel seines Lehrbuchs, es
gäbe vom Seelenleben aus Zugänge zu körperlichen Vorgängen, die
nur Gemütsbewegungen, nicht aber dem bewussten Willen offen stehen.
Es wäre also noch etwas über das übrige Affektleben des Patienten
uachziitragen.
Er war Schuhfetischist. Die diesbezüglichen, unter Ausnutzung hypnotisch
erzielter Hypermnesie gemachten Erhebungen wiesen auf richtungbestimmende
Ereignisse in der Pubertätszeit hin *). Das Gleiche liess sich für den Maso¬
chismus finden. Der Patient, der mit seinen Hauptflagellomaninnen überhaupt
nicht in normalen Sexualverkehr trat, war wohl in der Lage, neben seinem
perversen Triebleben noch normalen Geschlechtsverkehr auszuüben. Gegen
seine abwegigen Neigungen führte er einen verzweifelten, wenn auch erfolg¬
losen Kampf. Nach dem Feldzug erst fasste er den festen Entschluss, sich zu
verloben, und nun kam es für ihn zu einer Epoche, in der er mit aller
Energie seine regelwidrigen Sexualaffekte zurückzudrängen versuchte. In
diese Zeit des gewaltigen inneren Konfliktes fällt der Beginn seines
„Akzessoriuskrampfes".
Nachzutragen ist, dass Pat. unter meiner Behandlung (s. o.) schnell ge¬
bessert wurde. 8 Tage nach der Aufnahme waren sowohl alle Schmerzen
beseitigt, als auch die Krämpfe an Zahl und Heftigkeit vermindert. Patient
war in den Stand gesetzt, die Krämpfe teils im Entstehen zu unterdrücken,
teils konnte er yollentwickelte Krämpfe überwinden. Am Ende der zweiten
Woche waren die Krämpfe bis auf Spuren geschwunden, Patient schlief ohne
Mittel, die vorsichtig entzogen waren, vorzüglich und fühlte sich ausserordent¬
lich wohl.
Ein mehr aus experimentellen Gründen (gleichzeitig, um eine genaue
Aufzeichnung des wichtigsten Komplexes zu gewinnen) unternommener Ver¬
such brachte vorübergehend Verschlechterung. Die Komplexe sollten auf fol¬
gende Weise abreagiert werden: Der Patient wurde posthypnotisch in einen
Hsnpnoidzustand versetzt, in dem er die gewünschten Szenen wiedererlebte
und sie gleichzeitig selbst aufzeichnete. Der Erfolg war die erwähnte ekla¬
tante Verschlechterung, die sich aber mit primitiven Suggestionen, vermehr¬
ter Uebungstherapie (Gymnastik) und Erholung im hypnotischen Dauerschlaf
schnell wieder ausgleichen liess.
Diese Erfahrung scheint mir wie viele ähnliche (bei gewöhnlicher
Art des Abreagierens) doch ganz entschieden gegen allzu reichliches
Abreagieren zu sprechen"). Nach solchen Erfahrungen aber dem Ab¬
reagieren .seinen gebührenden Wert überhaupt absprechen zu wollen,
wäre verfehlt. Die günstige Wirkung des Abreagierens in manchen
Fällen beweist-folgende, vor kurzem von mir gemachte Beobachtung:
•) Frank: Affektstörungen.
®) Oppenheim: Lehrbuch, 6. Auflage, S. 1655.
•) Im Sinne der Dysamnesie von Oskar Vogt.
^ Dessen Ausgleich z. B. in der von B e z z o I a für notwendig erklärten
„Psychosynthese“ nach der „Psychoanalyse" angestrebt wird.
Einer meiner Patienten hatte sich einverstanden erklärt zu einem Ver¬
such, bei dem gelegentlich eines in Hypnose' hervorgerufenen bedeutenden
Affekts Blutuntersuchungen angestellt werden sollten. Im Einverständnis mit
dem Patienten liess ich ihn in Somnambulhypnose eine Szene wiedererleben,
in der ihn die Nachricht vom Tode seines sehr geliebten Bruders erreicht.
Diese Szene war mir bis dahin unbekannt gewesen; der Patient hatte sie
mir zu dem beabsichtigten Versuch erst kurz vor der Hypnose genannt, als
ich ihn fragte, ob er mir nicht einen Umstand nennen könne, der ihn beson¬
ders tief bewege. Abreaktionsversuche irgendwelcher Art waren mit diesem
Patienten vorher nie vorgenommen worden; er war auch über diese Art des
Vorgehens bestimmt nicht von anderer Seite unterrichtet, ln der nun folgen¬
den Hypnose gelang es, einen ganz Schweren Traueraffekt mit Tränen¬
ausbruch zu erzeugen, der bis über die Hypnose hinaus nachklang. Ausser
den üblichen Kautelen wurden beim Erwecken keine besonderen Suggestionen
bezüglich des Affekts gegeben. Nach etwa 8 Tagen äusserte dieser Patient
gelegentlich zu mir: „Herr Doktor, können Sie mich nicht wieder einmal
hypnotisieren? Neulich war mir nachträglich so leicht ums Herz, wie wenn
ich mich mal gründlich ausgeweint hätte; früher hatte mich das mit meinem
Bruder immer so gedrückt. Trotzdem ich ihn so lieb hatte, habe ich nicht
weinen können bei seinem Tode!“ —
Der von seinem Akzessoriuskrampf befreite Patient wurde die letzten
14 Tage seines Klinikaufenthaltes in Dauerschlaf gehalten. Er verliess dann
die Klinik nach insgesamt 8 (acht) Wochen „geheilt“. Seitdem blieb er thera¬
peutisch sich selbst überlassen, übte fleissig sein „Kopfrollen“ weiter und
blieb, wie seltene Kontrollen zeigten, von Rückfällen verschont. Bei seiner
letzten, kürzlich erfolgten Vorstellung, teilte er mir mit, dass er ausserordent¬
lich stark beruflich belastet sei (er arbeitet in einem Ministerium), aber trotz¬
dem nicht die geringsten Beschwerden verspüre. Auch bezüglich seines
Masochismus und Fetischismus ist er im letzten Jahre, wie er mir ehren¬
wörtlich versicherte, nie rückfällig geworden. Eine Neurose anderer Art
hat sich bei diesem typischen Psychoneurotiker bis jetzt ebenfalls nicht
eingestellt.
In meinem zweiten Fall handelt es sich um eine 58 iährige Dame. Als
sie am 3. Juli 1920 aufgenommen wurde, bot sie ein Bild, das nicht viel
weniger grotesk anmutete, als das des vorigen Patienten bei seiner Auf¬
nahme. Eine Tuchschlinge um den Kopf, der Zopf und die Hände, welche
an der Stirne, am Kinn, an der Nase sich anklammerten, waren die schwachen
Mittel der Patientin im Kampfe gegen den Krampf, der ihr den Kopf nach
rechts riss. Die Hände waren, wie die Kranke meinte, von dem ewigen Halten
„klamm und steif" geworden; sie konnten keinen vollständigen Faustschluss
mehr ausführen. Blitzartige klonische Zuckungen wechselten mit länger¬
dauernden tonischen Zuständen, die fast an den „Haltungstick“ erinnerten,
wie M e i g e und F e i n d e 1 ihn beschrieben haben. In ruhigeren Stun¬
den konnten eigentümliche Bewegungen der Arme und Hände beobachtet
werden, die choreatischen Bewegungen manchmal aufs Haar glichen. Die ge¬
nauere Beobachtung lehrte aber, dass es sich anscheinend um Reste von
Bewegungen handelte, welche die Hände an den Kopf führen sollten. Diese
ursprünglich gewollten Bewegungen des Sich-an-den-Kopf-greifens waren
also automatisiert und zum Tick geworden.
Wenn ich hier von Tick spreche, habe ich den Beweis zu erbringen, dass
diese Patientin entsprechende konstitutionelle Mängel aufwies, dass sie zu
jenen Persönlichkeiten gehörte, die die Franzosen D6s6quilibr^s oder auch
Ddg6n6rds nennen. Da darf ich denn anführen, dass die Patientin in psych¬
iatrischer Hinsicht (Verwandte nervös oder geisteskrank) als erblich belastet
zu gelten hat und eine Reihe körperlicher Degenerationszeichen aufwies.
In noch jugendlichem Alter, etwa Mitte der Dreissiger, quittierte sie eine
eheliche Untreue des Gatten mit dem heroischen Entschluss völliger sexueller
Abstinenz und führte diesen Entschluss auch durch. Eine krankhaft gesteigerte
Eifersucht zieht sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben. Sie wird
hin- und hergerissen von ihren Affekten, die sie einesteils aufs stärkste an
den Gatten fesseln und sie andererseits von einem Rachegedanken zum anderen
hetzen. Sie will den Gatten in einem Augenblick prügeln für seine Untreue,
die ihr tatsächlich meist nur durch ihre fast krankhafte Eifersucht vorgetäuscht
wird; dann wieder sucht sie ihn liebevoll zu fesseln und geniesst dabei die
Wirkung ihres Abstinenzentschlusses mit fast sadistischem Behagen. Es er¬
hellt sonach wohl, dass cs sich um eine Perönlichkeit handelte, der eine wohl¬
tuende innere Gleichgewichtslage versagt blieb.
Damit wäre die Patientin zur „Tickkandidatin“ gestempelt, und wir
hätten, nachdem wir auf Grund unserer Untersuchungen diese psychische Ver¬
fassung der Patientin einerseits und den Armtick anderseits erkannt hatten,
uns zufrieden geben können mit der Diagnose „psychogene Tortikollis“. Die
weitere Erforschung des Krankheitsfalles brachte zwar neben sonst negativem
chirurgischem Befund eine ganz einwandfreie Röntgenplatte der oberen Hals¬
wirbelsäule, und auch die Fingergelenke zeigten keine Veränderungen im
Röntgenbild — aber die Fingergelenke waren, angeschwollen, oft etwas ge¬
rötet, schmerzhaft, und bei passiven Bewegungen, die übrigens auch in Nar¬
kose nicht voll ausführbar waren, verspürte man neben dem mechanischen
Widerstand eine Art Krepitieren. Wir nahmen einen organischen Prozess an,
der aller Wahrscheinlichkeit nach- den Bandapparat der (Jelenke ergriffen
hatte, und richteten auf die Behandlung dieser Affektion unser besonderes
Augenmerk. Es wäre nun sicher gewagt, behaupten zu wollen, dass^ dieser
rheumatische oder gichtische Prozess nun auch allein als primäres Leiden
für die Halsmuskelerkrankung in Frage käme Aber der Schluss kann nicht
von der Hand gewiesen werden, dass ähnliche Krankheitsvorgänge vielleicht
mindestens mit auslösend einwirkten bei der Entstehung der Tortikollis, und
wir mussten in diesem Fall auf eine reinliche Scheidung, ob „Tick“ oder
„Krampf“ verzichten, w'enn wir auch im Grunde ersterer Auffassung zu-*
neigten. Die Bemühungen, in diesem Fall unmittelbar auslösende seelische
Ursachen für die Erkrankung zu finden, die in den ersten Anfängen auf
Weihnachten 1919 zurückreichte, erbrachten lediglich die oben schon erwähn¬
ten, im Leben der Patientin nicht seltenen Eifersuchtsgeschichlen. Von einer
Analyse des Falles (nach Freud) konnte bei der 58 jährigen Dame keine
Rede sein.
Ich darf hier noch kurz einfügen, dass es uns grundsätzlich bei der
Erforschung eines derartigen Krankheitsfalles zunächst vor allem darauf
ankommt, uns so schnell und tiefgreifend wie möglich über die Persön¬
lichkeit des Kranken zu unterrichten*). Fürs erste also Erhebung des
Materials im Wachzustand. Versagt die Erinnerungsfähigkeit des Pa-
®) Und zwar universell und ohne psychoanalytische Einseitigkeit, wie
namentlich J. H. Schultz dies stets betont.
Digitized by
Google
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
674
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22 .
tienten und ist weiteres Vordringen wünschenswert, so nützen wir die
Hypnotisch erzielte gesteigerte Erinnerungsfähigkeit aus. Lücken
können sich weiterhin noch ausfüllen durch Material, welches bei freiem
Assoziieren mit leicht eingeengtem Bewusstsein gewonnen wird oder
mit Hilfe des Assoziationsversuches (Komplexreizworte in entsprechend
zusammengestelltem Assoziationsbogen) usw. Im übrigen darf ich auf
das schon weiter oben Gesagte verweisen. Selbstverständlich darf das
so gew'onnene Material nur mit grösster Zurückhaltung und klarster
Kritik genutzt werden. Ziel ist: Aufdeckung der Fehlerquellen im Leben
des Patienten und Umbau der fehlerhaften Einstellung, welche zur Er¬
krankung führte, durch in erster Linie erzieherische Arbeit, deren Er¬
gebnisse den Patienten instand setzen, künftighin Klippen mit möglichst
geringem Schaden zu umschiffen. Allgemeingültige „Methoden“ können
für solches Arbeiten naturgemäss niemals angegeben werden.
Der Erfolg der oben kurz umrissenen Arbeitsweise blieb auch bei der
58 jährigen Dame nicht aus. Nachdem sie vorher an anderem Ort monate¬
lang antirheuamtisch. mit Massagen u. dgl.. erfolglos behandelt worden war,
besserte sich nun in- wenigen V/ochen der Zustand ganz erheblich. Schlaf¬
mittel und andere Narkotika (Morphin!) wurden gänzlich entzogen. Ich blieb
nach Entlassung der Patientin im September 1920 noch in brieflicher Verbin¬
dung mit ihr, und sie berichtete vor kurzem, dass sie nun wieder einem Haus¬
halt von 12 Personen vorstehe, weite Spaziergänge ausführe, grosse Gesell¬
schaften mitmache und trotzdem nur noch selten geringes Ziehen in den früher
befallenen Muskeln spüre. Aeusserlich sehe man ihr nichts mehr an. Ihre
gymnastischen Uebungen (vor allem Kopfrollen) macht sie, wie verordnet,
noch weiterhin.
Die beiden letzten Fälle von Torticollis, welche ich im vergangenen
Jahre sah, schlossen bei weitem nicht so befriedigend ab. Bei dem einen
Kranken, einem recht schwachsinnigen Gärtner, war der Schiefhals im An¬
schluss an eine Erkältung entstanden, bei welcher Gelegenheit er auch vor¬
übergehend die Sprache verloren hatte. Es handelte sich zweifellos um
Hysterie bei Schwachsinn. Von Psychotherapie in eigentlichem Sinne konnte
angesichts der Debilität keine Rede sein Wie jede andere Erziehungsart
kann Psychotherapie nur anleiten; der zu Erziehende muss niitarbeiten zum
Erfolg. Voraussetzung dafür ist ein gewisses Mass von Intelligenz. Auf primi¬
tive Dressur allein kommt es, wenn Dauererfolge erzielt werden sollen,
nicht an.
Das Gleiche galt für eine Schwachbegabte Schneiderin. Während der
vorige Fall elektrosuggestiv gefördert wurde — auch systematische Uebungs-
therapie scheiterte an dem Schwachsinn des Patienten —, wurde diese
Patientin mit elektrosuggestiver Therapie symptomfrei gemacht. Ihr Krampi
hatte in gelinder Form erst wenige Wochen angedauert.
Solche symptomatische Behandlung kann natürlich einen -Dauererfolg
zeitigen. Unsere Schneiderin erlitt schon gelegentlich der festlichen Erregung
anlässlich der Weihnachtsfeier ihren ersten Rückfall.
Die Erfolge jeder Psychotherapre sind, wie bekannt, äusserst zwei¬
felhafte, wenn die Torticollis (wie bei unserem schwachsinnigen Gärt¬
ner) nur Symptom einer ausgesprochenen Hysterie ist. ln solchen
Fällen wird man besser auf das schwere Geschütz rein psychothera¬
peutischer Erziehung verzichten und den Patienten lieber auf irgend¬
welche Art möglichst rasch symptomfrei zu machen suchen.
Den Standpunkt von M e i g e und F e i n d 1, wonach eine hypnotische
Unterstützung der Tickbehandlung nur bei „Hysterie“ wirksam ist. lehne
ich auf Grund unserer Erfahrung zusammen mit J. H. Schultz ab.
Die Geschichte meines ersten Falles zeigt mit aller Deutlichkeit,
dass das Messer des Chirurgen in allen Fällen von Akzessoriuskrampf,
In denen ein« chirurgische Erkrankung nicht einwandfrei nachgewiesen
ist. wirklich ultima ratio sein muss. Auch bei Fällen, in denen es
sich (bei fehlendern chirurgischen Befund) mit unseren jetzigen Unter¬
suchungsmöglichkeiten nicht entscheiden lässt, ob psychogen, ob orga¬
nisch, muss der Operation ein psychotherapeutischer Versuch voran¬
gehen, der oft genug, wie oben gezeigt, auch in anscheinend verzweifel¬
ten Fällen lohnen mag. Dabei darf kein Zweifel darüber belassen wer¬
den, tlass Behandlungsformen wie die geschilderte sowohl an den Pa¬
tienten, wie an den Arzt ausserordentliche Anforderungen stellen hin¬
sichtlich der aufzuwendenden Mühe. Erfolge wie die gezeigten lohnen
freilich reichlich.
Aus der Röntgenabteilung der 11. Qynäkolog. Universitäts¬
klinik München. (Vorstand: Prof. Dr. Franz Weber.)
Weitere Erfahrungen Ober die Bfintgenbehandlung
spitzer Kondylome.
Von Dr. Franz Matt.
Seit Mai 1918 ist eine grössere Anzahl von Fällen spitzer Kondylome
mit verschieden starker Ausbreitung in der II. (gynäkologischen Klinik
nach dem Vorschlag Winterst der Röntgenbehandlung unterzogen
Vörden. Ueber die zehn ersten Fälle wurde in den genannten Arbeiten
berichtet. Wir hatten auch weiterhin noch Gelegenheit, bei Kranken
mit spitzen Kondylomen diese Therapie anzuwenden ’). In erster Linie
sollen nun die an diesen neuen Fällen gewonnenen Erfahrungen hier
kurz besprochen werden, sodann sei ein Ueberblick über die Dauer¬
resultate aller bisher behandelten Fälle gegeben.
Es sind im ganzen 13 Fälle, die nach Abschluss der Arbeiten von
Dr. W i n t e r in obiger Klinik der Röntgenbehandlung unterzogen
wurden.
Ich will nur kurz auf die Fälle eingehen, ohne Einzelheiten zu
berühren.
M .M.m.W. 1919 Nr. 8 S. 212. Stralilentlicrapic Bd. 10 S. 965.
■) Matt: Dissert. 1920, München.
Digitized by Go».>9le
Bei Fall 1 waren innerhalb kurzer Zeit spitze Kondylome am rechten
grossen Labium, am After und in beiden Inguinalfalten entstanden. Rechts
fanden sie sich in Form von Konglomeraten, links mehr vereinzelt stehend.
Go. +. Auf 2 malige Bestrahlung mit vierwöchentlicher Bestrahlungspause
verschwanden die Effloreszenzen innerhalb kurzer Zeit.
F a 11 2, Es finden sich 36 kleine Einzeleffloreszenzen an beiden Labien
und am Damm. Go. +. Nach 2 maliger Strahlenapplikation erfolgt langsame
Rückbildung aller Kondylome. Nach Ablauf von acht Wochen sind die Ver¬
änderungen vollständig verschwunden. Innerhalb von weiteren drei Monaten
trat ein Rezidiv auf. weshalb eine dritte Bestrahlung vorgenommen wurde.
Daraufhin erfolgte in vier Wochen definitive Heilung.
Fall 3 zeigte zum Teil nässende Konglomerate von spitzen Kondy¬
lomen in beiden Inguinalfalten, an beiden Labien und der hinteren Kommissur
der Vulva, die besonders rechts stark entwickelt waren. Nach dreimaliger,
in vierwöchentlichen Intervallen vorgenommener Bestrahlung erfolgte Dauer¬
heilung.
Fall 4. Der Damm ist von einem Konglomerat von Kondylomen be¬
deckt, das innerhalb weniger Wochen entstanden war. Heilung nach zw'ci-
maliger Bestrahlung.
In Fall 5 weist das rechte Labium ma|us einen Konglomerattumor. da.s
linke Labium maius die beiden Labia minora und die linke Inguinalfalte
Einzeleffloreszenzen auf. Eine einmalige Bestrahlung genügte, um innerhalb
vier Wochen alle Veränderungen zum Verschwinden zu bringen.
Bei Fall 6 waren innerhalb von 6—7 Wochen an der hinteren Kom¬
missur der Vulva an beiden grossen und kleinen Labien Konglomerate von
bedeutender Ausdehnung entstanden. 3 Sitzungen in dreiwöchentlichen Inter¬
vallen führten zum definitiven Verschwinden der Kondylome.
Fall 7. Am Damm und in den Schenkelbeugen sowie an der Mündung
der Urethra und am Hymenalsaum sitzen Konglomerattumoren spitzer
Kondylome. Zwei Bestrahlungen im Abstand von vier Wochen brachten
das Leiden zur Heilung.
Bei Fall 8 waren ausgebreitete Effloreszenzen am Damm und an der
hinteren Kommissur der Vulva innerhalb kurzer Zeit aufgetreten, die bis zur
Höhe von 1 cm angewachsen waren. Einmalige Bestrahlung brachte die
Effloreszenzen zum Verschwinden.
Im Fall 9 fanden sich langsam wachsende, in den letzten Wochen vor
Eintritt in die Behandlung stationär gebliebene Einzeleffloreszenzen am Vulva¬
rand, Damm und Anus. Nach einmaliger Bestrahlung waren innerhalb von
10 Tagen alle Veränderungen verschwunden. Nach weiteren 14 Tagen aber
trat ein Rezidiv in Form von zehn kleinen Einzeleffloreszenzen auf. Zwei
Bestrahlungen blieben diesen gegenüber völlig wirkungslos, die Effloreszenzen
verhielten sich auch in der Folgezeit vollkommen refraktär.
In Pall 10 handelte es sich wiederum um grössere Konglomerate, die
nach einmaliger Bestrahlung zur Heilung kamen.
Fall 11, Innerhalb 6—7 Wochen hatten sich an beiden Labien ausge¬
dehnte Konglomerate von spitzen Kondylomen entwickelt. Die Ausdehnung
der Veränderungen war auf beiden Seiten gleich stark. Drei Bestrahlungen
führten zum Ziel.
Fall 12 und 13 zeigten grössere Konglomerattumoren im Bereich des
Genitale. Nach zwei Bestrahlungen waren in beiden Fällen die Verände¬
rungen verschwunden.
Da sämtliche Fälle nach Abschluss der Behandlung: wiederholt und
längere Zeit hindurch in Beobachtung standen, sind die Erfolge der Be¬
strahlung als Dauereffekt anzusprechen.
Während demnach von den insgesamt 13 neuerdings behandelten
Fällen 11 prompt in der schon in den früheren Arbeiten angegebenen
Weise auf die Bestrahlung reagierten, so dass ohne weiteres Heilung
eintrat, verhielten sich zwei abweichend davon, besonders interessant.
In beiden Fällen (Fall 2 und 9) handelte es sich im Gegensatz zu den
übrigen nur um wenige vereinzelt stehende Effloreszenzen mit nur ge¬
ringer Wachstumstendenz. Fall 2 ging auf zweimalige Bestrahlung hin
in Heilung über, rezidivierte aber nach geraumer Zeit. Auf eine dritte
Bestrahlung hin erfolgte Dauerheilung. Bei Fall 9 verschwanden die
Kondylome auf einmalige Strahlenapplikation. Ein nach mehreren
Wochen aufgetretenes Rezidiv erwies sich gegen weitere Bestrahlung
völlig refraktär.
Ueberblicken wir nun das gesamte bisher mit Röiitgenstrahlen be¬
handelte Material, so finden sich unter den zusammen 23 Fällen 17 mit
grossen ausgebreiteten Konglomeraten spitzer Kon¬
dylome, die meist auch in verhältnismässig kurzer Zeit sich zu ihrer
enormen Ausdehnung entwickelt hatten. Diese Fälle waren — einer
ausgenommen, der vier Sitzungen erforderte. — nach höchstens drei¬
maliger Bestrahlung vollkommen frei von spitzen Kondylomen und
zeigten bei späteren Nachuntersuchungen {%—VA Jahre nach Einleitung
der Therapie) vollkommen normalen Befund. Ganz eklatant war in
diesen Fällen stets der Erfolg schon nach der ersten Bestrahlung.
In den restierenden sechs Fällen handelte es sich um weniger
ausgedehnte, einzelstehende Effloreszenzen. Drei von
diesen zeigten ebenfalls auf Bestrahlung Tendenz zur Rückbildung; doch
ging diese viel langsamer von statten, als bei den grossen Konglome¬
raten. In diesen drei Fällen erfolgte ebenfalls wie oben Heilung. Die
übrigen drei Fälle wurden z. T. bereits kurz erwähnt: der erste (Fall 2)
rezidivierte. ging dann aber in Heilung über; der zweite (Fall 9) rezi¬
divierte, blieb dann Vefraktär; ein dritter (in der Arbeit von Winter
mitgeteilt) erwies sich überhaupt refraktär.
An Hand dieser Erfahrungen lässt sich feststellen, dass gerade die
ausgebreiteten Konglomerate spitzer Kondylome für die Röntgen¬
strahlenbehandlung besonders geeignet sind und besten Erfolg ver¬
sprechen-, also eben die Fälle, die der bisherigen Therapie am meisten
Schwierigkeiten entgegensetzten und bei der radikalen operativen
Therapie kosmetisch sehr schlechte Resultate ergaben. Wichtig er¬
scheint mir noch der Hinweis, dass alle diese Fälle — die meisten
konnten noch späterhin untersucht werden und stehen zum Teil noch in
unserer Beobachtung — völlig rezidivfrei heilten *).
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
675
Bei Fällen mit kleineren einzelstehenden, meist auch langsam wach¬
senden Effloreszenzen sind die Erfolge nicht so günstig Wenn auch
bei einem Teil davon eine definifive Heilung eintrat, so war doch zu
beobachten, dass der Einfluss der Strahlenbehandlung nicht so energisch
auf diese wirkte, wie bei den oben erwähnten. Diese herabgesetzte
Sensibilität ist wohl nach den üesetzeii von der Röntgenempfind¬
lichkeit durch die geringere Wachstumstendenz dieser Effloreszenzen
'bedingt. Die Tatsache, dass zwei solcher Fälle überhaupt nicht auf das
Röntgenlicht reagierten, lässt erkennen, dass diese Fälle von Einzel-
effloreszenzen weniger für die Röntgentherapie geeignet sind. Sic
wären nach Versagen der ersten Bestrahlung der üblichen operativen
Therapie zuzuführen.
Um kurz die Methodik der Bestrahlung zu berühren, sei hier in An¬
lehnung an die Angaben Winters kurz wiederholt: Intensiv-Reform-
apparat, Maximalspanniing 180 KV., Filter 0,75 mm Zn, 2,5 MA. sekun¬
däre Belastung, 23 cm Fokus-Hautabstand, 25—30 Minuten Bestrahlungs-
zeit. Zwischen zwei Bestrahlungen 3—4 wöchentliche Pause. Die Er¬
folge unter Innehaltung dieser Angaben waren gute. Es zeigte sich, da
auch die Einstellung stets so gewählt war. dass die besonders röntgen-
empfindlichen Ovarien ausserhalb des Bereichs des Strahlenkegels lagen,
niemals eine Schädigung ihrer Funktion. Erytheme oder gar Spätschädi¬
gungen irgendwelcher Art kamen nie zur Beobachtung. In vielen Fällen
trat vorübergehender Haarausfall auf, der sich stets nach einigen
Wochen vollkommen regenerierte.
Der grösste Teil der Bestrahlungen war mit dem an der Klinik
üblichen 0,75 Zn-Filter, wie für Tiefentherapie, vorgenommen worden.
Da jedoch für die Behandlung der spitzen Kondylome keine so grosse
Tiefenwirkung notwendig schien, wurde der Versuch gemacht, mit
0,25 Zn auszukommen.
Bei einem der letztbehandelten Fälle (Nr. 11). be\ dem die Aus¬
breitung und Entwicklung der Kondylomwucherungen an beiden Labien
und deren Umgebung gleich stark waren, wurde auf der einen Seite
0,25 mm Zn-Filterung angewandt, während zum Vergleich die andere
Seite nach der früher geübten Methode mit Filter von 0.75 mm Zn
bestrahlt wurde. Dabei wurde natürlich auch von der weniger gefilterten
weicheren Strahlung möglichst die einmal festgelegte Dosis verabfolgt.
Die bei dem dünneren Filter notwendige Bestrahlungszeit wurde auf
efektrometrischem Wege *) durch Vergleich reiner Luftionisation der
beiden Strahlenquaiitäten bestimmt. Es ergab sich bei sonst unver¬
änderter Technik für 0,25 mm Zn-Filterung eine notwendige Bestrahlungs¬
zeit von 11 Minuten statt der von 25 Minuten bei 0,75 mm Zn. Der
Erfolg war überaus interessant. Auf beiden Seiten gingen die Kon-
glomerattumoren vollkommen gleichmässig zurück. Nach dreimaliger
Bestrahlung war eine beiderseits völlig gleichwertige Dauerheilung er¬
zielt. Das Resultat erscheint durchaus verständlich, da sicherlich schon
die mit 0,25 Zn gefilterte Strahlung eine genügende Wirkungstiefe hat.
Diese Erfahrung scheint gleichzeitig auch die jetzt hauptsächlich herr¬
schende Ansicht über die biologische Gleichwertigkeit verschiedener
Röntgenstrahlenhärten zu bestätigen.
Wir haben nun noch zwei weitere Fälle (Nr. 12 und 13) so behandelt,
beide mit dem gleichen günstigen Erfolge, so dass wir für künftig stets
diese Filterung anzuwenden empfehlen. /
Diese geringere Filterung hat weiterhin den Vorteil, dass auch die
klinisch nicht zur Beobachtung kommenden, aber sicherlich vor¬
handenen Tiefenschädigungen, besonders in der Gefässintima. auf ein
Minimum reduziert werden können. Auch in ökonomischer Hinsicht
ist diese Erfahrung von Wichtigkeit insofern, als doch durch eine Ver¬
kürzung der Bestrahlungsdauer eine nicht'gerade unbedeutende Ein¬
sparung an Strom und Röhren erzielt wird.
Somit kann ich unsere bisherigen Erfahrungen dahin zusammen¬
fassen :
1. Die Röntgenbehandlung des Condyloma acumlnatum ist besonders
in Fällen von starker Ausbreitung der Erkrankung angezeigt, also gerade
in den Fällen, in denen radikale Operation der kosmetisch schlechten
Resultate wegen wenig aussichtsreich, die konservative Behandlung
wirkungslos ist.
2. Es empfiehlt sich, die Technik dahin zu modifizieren, dass eine
Filterung von 0,25 mm Zn bei entsprechender Abkürzung der Bestrah¬
lungszeit zur Verwendung kommt.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik Bürger- und Augusta-
hospital in Köln. (Direktor: Prof. Dr. Frangenheim.)
Neue Methoden, der Harnröhrenplastik bei grösseren
Harnröhrendefekten*).
Von Dr. Fritz Kroh, Privatdozent und Oberarzt der Klinik.
Der in der Hariiröhrenchirurgie bewanderte Chirurge wird dem
plastischen Wiederaufbau verloren gegangener Harnröhrenstücke aus der
Pars perinealis den Versuch, die Harnröhrenstümpfe zu mobilisieren und
miteinander zu vereinigen, vorausschicken, ein Verfahren (Marion), das
In einer Diskussionsbeinerkung gelegentlich einer Sitzung der Münchn.
Dermatolog. Gesellschaft im November 1920 konnte Fritz M»y er-Berlin
unsere Erfahrungen bestätigen.
*) Elektroskop der Veifa-Werke in der Modifikation nach ü I o c k e r -
Back.
•) Auszugsweise vorgetragen im Allg. ärztl. Verein in Köln.
Digitized by Goiisle
in einer grossen Anzahl selbst ini ersten Augenblick verzweifelt er¬
scheinender Fälle erfolreich sein dürfte; ist eine Vereinigung der aus
den Narbenmassen heraus isolierten Stümpfe nicht möglich, die Damm¬
oder Skrotalhaut aber zur Hautrohrplastik (Bildung des Hautrohres durch
2 Türflügellappen oder andere plastische Massnahmen) geeignet, diese zur
Ueberbrückung des Defektes heranziehen. Versagt auch diese Methode,
wird er sich des Lex ersehen Verfahrens — der Einpflanzung des
Wurmfortsatzes — erinnern, aber sich, vielleicht schon einmal persön¬
lich durch einen Misserfolg ebenso wie wir stutzig gemacht, wenn
nicht, dann durch die treffliche Untersuchung Axhausens (B.kl.W.
1918 Nr. 45) oder durch eigene theoretische Erwägungen über den zwei¬
felhaften Wert dieses verheissungsvoll erscheinenden Implantations¬
verfahrens aufgeklärt, nach anderen Wegen umsehen. Gegen den
Schmi ed ensehen Vorschlag — die Verwendung des der frischen
kindlichen Leiche entnommenen oder bei Nephrektomie gewonnenen
Ureters — wird er ähnliche theoretische Bedenken haben; der T a u t o n -
sehe Vorschlag — Transplantation einer Vene — wird ihn auch nicht
sonderlich begeistern können. Der Verwendung eines Epidermisröhr-
chens — Methode Nove-Josserand — wird er schon sympathi¬
scher gegenüberstehen, die ausgezeichnete Heilungsneigung der Ober¬
haut, frische und glatte Aufnahmefläche vorausgesetzt, ist ihm bekannt.
Von keiner der angegebenen oder anderen kaum nennenswerten Me¬
thoden restlos befriedigt, versucht er schliesslich im gegebenen Falle auf
eigenen Wegen weiterzukommen. —
Ueber 2 von uns angewandte Methoden, von denen die erste zu
einem Misserfolg, die andere zu einem guten Ziele führte, soll im folgen¬
den berichtet werden.
Bei Uebernahme der Behandlung eines Falles von ausgedehntem
Defekte der Pars pendula und fixa urethrae bei einer älteren Person
glaubte ich mit Nutzen Versuche verwerten zu können, die ich 1913
mit der freienUeberpflanzungepidermisierterStücke
der Fascia lata angestellt hatte. —
Sehr bald schon nach den ersten Transplantationsversuchen, die
mit der Fascia lata angestellt wurden, war bekannt, dass dieses Gewebe
oft genug unter ungünstigen Ernährungsbedingungen prompt zur Ein¬
heilung gebracht werden konnte. Von dieser Beobachtung ausgehend
untersuchte ich die Frage, ob diese Faszie dank einer offensichtlichen
Anspruchslosigkeit gegenüber Nahrungszufuhr nach künstlicher Epidermi-
sierung der Oberfläche frei, mit nur einer freien Flächvj auf ein Wund¬
gebiet übertragen, an dieses nicht angeheilt werden könne.
Wir gingen wie folgt vor: Durch einen Türflügelschnitt wurde die
Fascia lata freigelegt, auf diese, dem anderen Oberschenkel entnommene
T h i e r s c h sehe Läppchen überpflanzt. Dieselben heilten stets glatt
an; zwischen ihnen aufschiessende Granulationen wurde so lange ge¬
ätzt, bis schliesslich die ganze Faszienoberfläche von einer geschlossenen
Epidermisschicht überdeckt war; Dauer der Epidermisierung 2 bis
3 Wochen. Derart vorbereitete, epidermisierte Faszienlappen reimplaii-
tierte oder transplantierte ich: in 2 Fällen gelang die Einheilung, in
2 anderen stiess sich das Implantat wieder restlos ab. —
Auf diese mehr experimentellen Beobachtungen uns stützend, bilde¬
ten wir in unserem Falle aus einem epidermisierten Faszien-
stück ein Rohr von 5 mm Durchmesser, und verbanden dieses nach
Exzisioti des grossen Narbenkallus mit dem proximalen und distalen
Harnröhrenstumpfe, Hautnaht, Dauerkatheter. Das Transplantat stiess
sich ab. ob infolge Katheterdrucks oder ungenügenden Anschlusses an die
Zirkulation, war unmöglich zu entscheiden.
Dieser Misserfolg ermunterte nachgerade nicht allzusehr zu einer
Wiederholung dieser plastischen Methode in dem nächsten sich uns
vorstellenden Falle:
Ein 14 jähriKcr Junge erlitt infolge starker Quetschung des Schambeines
und Bruches des absteigenden linken Schambeinastes eine Zerreissung der Pars
membranacea urethrae; die Verletzung wurde kompliziert durch eine Urin-
infiJtration, die in eine Phlegmone ausüef; diese, konservativ durch Kata-
plasmen behandelt, griff von der linken Leiste auf den ganzen Damm und auf
die Urethra über und führte schliesslich, nach Zerstörung der Urethra, zur
Bildung eines mächtigen, von Eiter- und Kalkherden durchsetzten Narben-
kallus; es folgte Harnverhaltung, mit dieser trat Patient in unsere Behandlung.
Der Blascnpunktion schickten wir sehr bald die operative Freilegung des
Krankheitsherdes nach; der Operationsplan lautete: Isolierung des distalen
und proximalen Harnröhrenendes, wenn möglich, Vereinigung derselben. Die
Ausführung war schwieriger als zu erwarten. Durch einen gewaltigen, zwi¬
schen Dammhaut, Mastdarm und Schambogen ausgebreiteten, auf dem Schnitt
knirschenden Narbenkallus waren die Dammweichteile einschliesslich Pars
fixa urethrae ersetzt. Das distale Harnröhrenende lief im Bereiche des
Angelus peno-scrotalis spitz in einen Narbenstrang aus, dieser ging in dem
Kalluslager auf. Trotz sorgfältigstem und vorsichtigstem präparatorischen
Vorgehen war im Bereiche des Dammes nach Entfernung der Narbenmassen
zwischen Dammhaut und Mastdarm nirgendwo auch nur eine Spur von
Urethralgewebe zu finden.
Die Isolierung des proximalen Endes auf dem einmal eingeschlageneii
Wege erschien eine Zcitlang unmöglich, trotz subperiostalcr Ab¬
lösung der Mm. ischio-cavernosi. trotz Durchtrennung
des Lig. Suspensorium penis — Massnahmen, von denen wir eine
Mobilisierung der dem Blasenhalse und der Pars membranacea vorgelagerten
Weichteile, damit eine bessere Einstellung des proximalen Harnröhrenendes
erhofften.
Vor Durchführung des retrograden Katheterismus, der allein nur noch
uns den Weg zur Einstellung zeigan zu können schien, machten wir einen
letzten, verzweifelten Versuch mit folgender Massnahme; Wir durch-
trennten den ganzen Symphysenknorpel, brachten
durch Druck auf beide Darmbeinschaufeln den Sym¬
physe ns palt 3 cm weit zum Klaffen — und mit diesem kleinen
leichten Eingriff mit einem Schlage Licht in das verworrene Bild: in wenigen
Minuten waren Blasenhals und Pars prostatica und das mehr kolbig aus-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
676
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
laufende Ende derselben freipräpariert. Der narbig veränderte Teil wurde
reseziert. Eine unmittelbare Vereinigung beider Enden war trotz Mobili¬
sierungsversuch nicht möglich; Dauerkatheter. Die grosse Wunde wurde
leicht tamponiert, durch Situationsnaht geschlossen.
Der Heilverlauf war unkompliziert, der distale Harnröhrenstumpf sehr
bald wieder durch Narbenmassen verschlossen. Das proximale, in einen
cä. 3 cm tiefen Hautnarbenspalt auslaufende Ende wurde durch Bougiekur
offen gehalten.
Als sich Pat. 8 Wochen nach heimlicher Entfernung wieder mit einer
Harnverhaltung vorstellte, bot sich folgendes Bild: Di« Pars pendula urethrae
endete blind im Hodensack-Dammwinkel; der diesem zunächst gelegene
Dammteil bestand aus einer glatten 3 cm breiten Hautnarbenplatte, die sehr
bald in einen steil abfallenden überhäuteten Narbenspalt, aus dessen Tiefe
heraus der Urin langsam hervorsickerte, auslief. Der Harnröhrenrest war
für ein filiformes Bougie noch eben durchgängig, die Entfernung zwischen
proximalem und distalem Harnröhrenende betrug 8 cm.
Am Tage nach Aufnahme des^ Patienten wurde in einer Sitzung der Harn¬
abflussweg durch kräftige Dehnung mittels Bougies erweitert und ein Teil
— der distale Teil des verloren gegangenen Harnröhrenstücks — wieder auf¬
gebaut: Durch einen die Hodensack-Dammgrenze durchlaufenden Querschnitt
legten wir das distale Harnröhrenende wieder frei, resezierten das narbig
auslaufende Endstück bis ins Gesunde hinein. Dann bildeten wir aus der
ebenerwähnten Narbenplatte durch links und rechts von der Mittellinie und
von dieser je 3 cm weit entfernt angelegte doppelte Türflügel¬
schnitte 2 je 2 cm lange 1 cm breite Weichteillappen und vereinigten die¬
selben durch subkutane Nähte (Katgut) zu einem H a u t r o h r, verbanden
das distale Ende desselben mit dem gegenüberliegenden Ende der Pars pen¬
dula. Durch diese und die neugebildete Ersatzharnröhre wurde ein Nelaton-
katheter (16 Charri^re) in die Blase geführt, die Wundfläche des Haut¬
rohrs und Entnahmebodens durch die mobilisierte und herunter¬
gezogene Skrotalhaut gedeckt. Nach 8 Tagen war das neu¬
gebildete Harnröhrenstück über dery Katheter reaktionslos eingeheilt.
6 Wochen später bauten wir den grösseren Teil der Pars fixa auf.
Diese Aufgabe erschien schwieriger, weil eine plastische Verwendung der
Dammhaut zu einer etwaigen Hautrohrbildung infolge schwerster narbiger
Veränderung und höckriger Beschaffenheit der Oberfläche nicht in Frage
kommen konnte. Ueberaus einfach gestaltete sich ihre Lösung.
Durch einen in die Mittellinie des Dammes gelegten Schnitt wurde dieser
vom distalen bis zum proximalen Ende der Urethra aufgespalten, sorgfältig
das nach der früheren Ausräumung wieder neugebildete derbe, von kleinen
Eiterherden wieder durchsetzte Narbengewebe zwischen Haut und Mastdarm
entfernt; die Einstellung der durch den Dauerkatheterismus erweiterten Pars
prostatica war mühelos. Dann bildeten wir über der Adduktorenfläche des
linken Oberschenkels einen 8 cm langen, 3,5 cm breiten rechteckigen Haut¬
lappen mit dammwärts gerichteter Basis, überzeugten uns nach Ablösung des
Lappens von der Faszie von der guten Durchblutung desselben. Dieser
Hautlappen wurde zu */s über einen Katheter (20 Charri^re) durch wieder
subkutan gelegte Nähte in .ein H a u t r o h r umgewandelt, dessen freies Ende
mitsamt dem Katheter in den tiefen Wundspalt geführt, das das Hautrohr
5 cm weit überragende Katheterende durch die Pars prostatica in die Blase
geleitet und dann das proximale Harnröhrenende mit der „Ersatzharnröhre“
durch 4 Kafgutknopfnähte über dem Katheter vereint; der Katheter wurde
über den Lappenstiel nach aussen geleitet, die Hautwunde über dem Haut¬
rohr durch Situationsnähte geschlossen. Innerhalb 3 Wochen war der Lappen¬
stiel durchtrennt, das Hautrohr reaktionslos eingeheilt, der neugeschaffene
Weg einschliesslich Vereinigungsstelle für dicken Katheter glatt durchgängig.
8 Tage später, in einer letzten Sitzung, wurde nach Wiederaufdeckung'
des inzwischen verheilten Hautwundbettes zwischen Hautrohr und Skrotum
auch noch der 3 cm lange Hautlappenstiel zum Rohr umgebildet, dieses durch
4 Katgutnähte mit dem distalen neugebildeten Harnröhreneride vereinigt; die
Hautrohrbildung war mit Rücksicht auf die E r e k t a b i 1 i t ä t des Penis
reichlich bemessen, daher die Vereinigung leicht, die Vereinigungsstellle in
der Folgezeit unliebsamer Zerrung oder Spannung nicht ausgesetzt, Dauer¬
katheter, Hautnaht.
Wie früher, musste auch diesmal der Katheter wegen zu starker In¬
krustierung und Lumenverschlusses alle 3 Tage gewechselt werden — trotz¬
dem war der Heilverlauf regelrecht. Eine wenige Tage nach Entfernung
der Hautnaht in Höhe der letztgeschilderten Vereinigungsstelle auftretende
feine Fistel schloss sich nach Entfernung des Katheters innerhalb 2 Tagen.
Der operativen Behandlung folgte eine Bougiekur, die einer vor allen Dingen
im ehemaligen Fistelbereiche sich zu entwickeln drohenden Striktur vorzu¬
beugen hatte. Verschiedentlich habe ich Gelegenheit genommen, das opera¬
tiv und auch funktionell gute Resultat zu besprechen; Patient entleert
seinen Urin in kräftigem Strahl. .
Wie ich erst nach Erledigung dieses Falles erfuhr, wurde im Zbl.
f. Chir. 1920 H. 2 eine andere, in ihren Orundzügen unserem Vorgehen
ähnliche, klug erdachte Methode von W. Budde beschrieben. B. bildet
aus dem Skrotum ein Hautrohr mit subkutanem Stiel und implantiert
dieses nach genügender Mobilisierung des Stieles und subkutaner Ver¬
schiebung in einer Sitzung in den Harnröhrendefekt. — Di'e Frage, ob
diese Plastik auch zur Behandlung tiefstgehender Harnröhrendefekte
mit Erfolg verwendet werden kann, oder ob nicht doch in solchen Fällen
Dehnung und Verzerrung der ernährenden Gefässe und sekundäre
Ischämie den Implantationserfolg illusorisch macht, kann erst nach ent¬
sprechenden weiteren Versuchen erledigt werden.
Gegen unsere Harnröhrenplastik, die, weil nicht in nur einer Sitzung
zu erledigen, einen unleugbaren, aber nicht zu überschätzenden Nach¬
teil in sich birgt, können ähnliche Bedenken nicht so recht erhoben
werden; die Haut des oberen Oberschenkelabschnittes ist so gut vas-
kularisiert, dass wdr grössere Stücke, zum mindesten Stücke von der
Länge der ausgewachsenen Harnröhre — Pars fixa — zu Hautrohr¬
bildung ohne Sorge um das schliessliche Schicksal des Transplantates
zu verw'enden in der Lage sind; ihre Retraktionsneigung ist nicht so
gross, dass die das Hautrohr und deh Harnröhrenstumpf verbindende
Naht durch Spannung gefährdet w^äre.
Als für die Plastik zw'eckmässigstes Enthaarungsmittel empfiehlt
sich die Röntgenbestrahlung. Um ganz sicher zu sein vor störenden
Nebenwirkungen der Schweiss- und Talgexkretion und der Reizwirkung
nachwuchernder Haare werde ich im gegebenen Falle 14 Tage vor Lö¬
sung des für die Hautrohrplastik bestimmten Oberscbenkelhautlappens
nach Abtragung der Epidermis und der oberflächlichen Schicht der Kutis
denselben epidermisieren; ein etwaiges Misslingen dieses Versuches
der Neubildung eines gut ernährten Hautrohrs aus einem e p i d e r m i -
sierten Kutis-Subkutislappen ist deshalb nicht .ernst zu
bewerten, da uns das zur Neubildung eines anderen Hautrohrs not¬
wendige Material ja immer noch in reichem Masse zur Verfügung sieht.
Aus der chirurgischen Station des St. Joseph-Krankenhauses
Freiburg i. Br. (Chefarzt: Prof. Dr. A. Oberst.)
Operation einer häutig erweichten Trachea bei ein-
geführtem Tracheoskop.
Von Dr. Bernh. Tenckhoff (weiland Assistent).
Auf Grund eines Artikels von v. Eicken über „Strumaoperationen
bei eingeführtem Tracheoskop“ (Zbl. f. Chir.. 1919, 21) operierte mein
Chef in Verbindung mit Herrn Facharzt Dr. Schilling einen Fall von
wohl selten so ausgedehnt vorkommender Erw^eichung der Luftröhre, der
auch sonst seiner Komplikationen wegen mitteilenswert erscheint. Es
möge kurz die Krankengeschichte folgen.
Marie K., Heimarbeiterin in Waldshut/B., 21 J.
Im Alter von 2 Jahren wegen Diphtherie tracheotomiert. N|here An¬
gaben fehlen. In den ersten Jahren häufige Erstickungsanfälle, die in dauernde
Atembeschwerden übergingen. Grössere körperliche Anstrengungen unmög¬
lich, Zweimalige klinische Bougiekur 1909 und 1918 erfolglos.
Befund: Kleine, aber sonst kräftige Patientin. Hals sehr kurz. In der
Mitte eine alte, strahlige Tracheotomienarbc, die sich bei der Inspiration ein¬
zieht. Durch leichten Fingerdruck auf die Narbe wird das Lumen der
Luftröhre verlegt; ebenso wird beim Zurückbeugen des Kopfes durch Ansaugen
der Vorderwand der Trachea die Atmung unterbrochen. Mässige Struma
beidseits, links grösser. Beim Inspirium lauter Stridor. Patientin spricht
bei leicht gesenktem Kopfe. Röntgendurchleuchtung zeigt, dass sich die Luft¬
röhre im Bereiche des ersten Brustwirbels stark verengert, etwas mehr von
links, und dann nach oben und unten allmählich in die normale Weite
übergeht.
Tracheoskopie: Trachealstenose beginnt 14 cm unterhalb der Zahn¬
reihe und springt links als Diaphragma vor. Rechte Wand im ganzen etwas
eingedrückt, wird inspiratorisch angesogen. Linke Wand fest, derb fixiert.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Vordere und rechte Wand häutig erweicht, links
Spornbildung.
Die beabsichtigte Operation — Ausschälen des vermeintlichen Spornes
links und Stützung der erweichten Trachealwand durch aus der ersten Rippe
entnommene Knorpelstützen — ist kompliziert durch das Einsinken der vor¬
deren Trachealwand bei dem unerlässlichen Zurückbeugen des Kopfes und
weiterhin durch die Struma. Nur die Einführung eihes Tracheoskops nach
dem Vorgänge v. Eickens ermöglichte überhaupt den Eingriff.
Operation 1. V. 20. Vorbereitung durch Skopolamin-Narkophin; örtliche
Betäubung nach K u 1 e n k a m p f f; Kokainisierung des Kehlkopfes und der
Trachea. Das Tracheoskop wird bis über die Stenose hinaus eingeführt und
bleibt während der Operation liegen. Atmung gut. — Durch medianen
Längsschnitt Durchtrennung des subkutanen Narbengewebes. Freilegen der
taubeneigrossen Unken Struma, die durch breiten Isthmus mit dem kleinen
rechten Lappen verbunden ist. Unterbindung der Gefässe. Entfernung des
linken Lappens unter sorgfältiger Schonung des Rekurrens und der Neben¬
schilddrüsen. Die nun gut freigelegte Luftröhre ist vom unteren Rande des
Schildknorpels abwärts in einer Länge von 6 cm in einen häutigen Schlauch
verwandelt, der vorn als Rest der Tracheotomiestelle eine Einziehung auf¬
weist. 1 Finger breit oberhalb der Apertur beginnt die normale Trachea
mit gut ausgebildeten Knorpelringen. Beim Ziirückziehen des Tracheoskops
klappt der erweichte Abschnitt zu einem platten Strang zusammen, der jede
Inspiration unmöglich macht. - Eine linksseitige Spornbildung war demnach
nur vorgetäuscht durch die Vorwölbung der weichen Wand durch die links¬
seitige Struma. — Beim Austupfen von Schleim bleibt in diesem Moment ein
Wattepfropf in der Trachea stecken. Die eintretende Asphyxie macht sofortige
Anlegung einer Tracheotomieöffnung in dem unteren, normalen, knorpeligen
Luftröhrenteil nötig. Der ausgewoHene Schleim infiziert das ganze Opera¬
tionsfeld. Damit fällt der Plan einer sofortigen Knorpelüberpflanzung.
11. V. Nach Herausnahme der Kanüle und Kokainisierung wird von der
Wunde aus nach oben bis zum Kehlkopf ein dickes, oben abgestumpftes
Qummirohr eingelegt, das mit starkem Seidenfaden an der wieder eingelegten
TracheotomiekanOle l3efestigt wird. Tamponade.
25. VI. Wunde bis auf Tracheotomiekanal unter Qranulationsbildung
langsam verheilt. Nach Kokainisierung wird das Qummirohr vom Munde aus
herausgezogen. Geringes Oedem unterhalb der Glottis.
2. VII. Tracheotomiekanüle entfernt. An der Hinterwand der Trachea
etwas oberhalb der neuen Tracheotomiestelle eine kleine Granulation, die ent¬
fernt wird.
17. VJI. Sprache klar. Atmung frei. Wunde vernarbt. Beschwerdefrei
entlassen.
Nachuntersuchung Ende September 1920: Unverändert beschwerdefrei;
kein Stridor, Aeusserlich eine leicht eingezogene und mit Unterlage ver¬
wachsene Narbe, die sich bei der Inspiration nicht einzieht. Auch starker
Druck auf diese Stelle beeinträchtigt die ^tmung nicht, ebensowenig Zurück-
beugen des Kopfes. Spiegeluntersuchung in K i 11 i a n scher Stellung zeigt
in der Höhe der früheren Stenose ein ovales Lumen der Luftröhre, herbei¬
geführt durch mässige Vorwölbung der rechten Wand. An letzterer sieht
man den Rest einer bindegewebig umgewandelten Granulation.
Im Gegensätze zu der riesigen Literatur über narbige Kehlkoof- und
Luftröhrenverengeningen und ihre Behandlung sind kaum Fälle be¬
schrieben. wo die Luftröhre in so weiter Ausdehnung durch Knoroel-
defekt in einen häutigen Schlauch verwandelt ist. Diphth-erie allein
kann wohl den Knorpel sch wnind nicht herbeiführen. Üäiifig aber bedingt
bekanntlich eine lange liegende Kanüle eine Erweichung der Knorpel¬
ringe. Die Eröffnung des Perichondriums durch die gesetzte Trachco-
tomiewunde leistet weiterhin der Infektion Vorschub. Nekrose und Ab-
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
677
stossung grösserer Knorpelstücke sind die Folge. Aber auch dabei sind
es immer nur grösseie oder kleinere Stellen der Vorderwand, die er¬
weichen oder nekrotisieren, die seitlichen Spangen bleiben intakt Der
Gedanke, dass andere Ursachen, vielleicht auch kongenitale Anomalien
eine Rolle spielen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, sowohl bei
unserer Patientin wie bei Fall 64 von Thost (Wiesbaden 1911), der
ein ähnliches Bild bietet.
Als Operationen zur Beseitigung der Luftröhrenerweichung kommen
in Betracht: 1. Resektion, 2. Einpflanzung fester Stützen. 3. Plastiken
mit Hautknochen- oder Hautknorpellappen, 4. die hier angewendete
Methode. — Die Resektion eines Teiles der Luftröhre ist bis zu 4 cm
Länge möglich und zur Beseitigung hochgradiger Narbenstenosen öfters
ausgeführt worden. So hat z. B. v. E i s e 1 s b e r g (D.m.W. 1886)
3/4 cm der Trachea mit glattem Erfolg reseziert und primär vernäht, ln
unserem Falle war die Resektion von 6 cm Trachea unmöglich. — Die
Stützung der erweichten Trachealwand mit Knochen- und Knorpel¬
spangen oder Silberdrahtnetz bei sterilem Operationsfeld liegt nahe und
ist viel verwendet worden, allerdings nie in Fällen, bei denen die Trachea
in ihrer ganzen Zirkumferenz von Knorpel entblösst war. — Bei
infiziertem Operationsfeld treten die verschiedenen, teilweise sehr
komplizierten Methoden in den Vordergrund, wie sie von Schimmel¬
busch, F. König (26. Chirurgenkongress 1887), v. Mangold!
(Langenbecks Arch. 1900) und v. Hacker (Bruns Beitr. 1904) aus¬
gearbeitet wurden. Sie überdeckten grössere fistulöse Trachealdefekte
mit Hautknorpellappen, Hautknochenlappen und Hautperiostknochen¬
lappen.
In unserem Falle war die von meinem Chef angewandte Methode
die einfachste und am schnellsten zum Ziel führende. Neu ist das Ver¬
fahren nur als Ganzes genommen, nicht in seinen einzelnen Teilen. Auf
die Verwendung des Tracheoskops hat die Arbeit v. Eickens auf¬
merksam gemacht; statt des Tracheoskops lässt sich sinngemäss ein
derber Magenschlauch o. dergl. verwenden. Lange bekannt ist das Ein¬
legen von Kanülen in das Tracheallumen zum Zwecke der Erweiterung,
bei ausgedehnten Narbenstenosen, oft kombiniert mit Laryngostomie.
Wie wir erst nachträglich aus der Literatur ersehen, ist auch der Ge¬
danke, Narbengewebe als Stütze für die er\\'4ichte Luftröhre zu be¬
nutzen, nicht neu. v. Hacker bespricht einen solchen von Ehrhardt
(Arch. f. klin. Chir. Bd. 71) veröffentlichten Fall, der allerdings nur eine
kürzere und nicht vollkommen zirkuläre Erweichung darstellt, v. Hacker
bemerkt dazu: „In der Regel kann man wohl auf einen solchen Erfolg
bei ausgedehntem Defekte der starren' Wand des Luftrohres nicht
rechnen.“
Unser Fall scheint aber doch zu beweisen, dass Narbengewebe in
noch grösserem Ausmasse, als bei Ehrhardts Fall, eine feste Stütze
für die häutige Trachea abgeben kann. Der Zug der umgebenden Hals¬
weichteile, mit denen die Narbe verwächst verhindert offenbar eine
Schrumpfungstendenz des gebildeten Narbengewebes nach dem Innern
der Luftröhre zu. Hätten wir in unserem Falle auch auf der rechten
Seite der Trachea eine granulierende Wundfläche bilden können — mit
Rücksicht auf die rechtsseitige Struma musste das unterbleiben —so
hätte die gebildete Narbe auch dort das Nachgeben nach der Operation
verhindert. Das Lumen der Luftröhre wäre dann nicht oval, sondern
rund, das Ergebnis somit noch ein besseres geworden.
Als Ergebnis der Arbeit fasse ich zusammen: Bei ausgedehntem
Verlust des knorpeligen Luftröhrengerüstes und gleichzeitiger Intaktheit
der inneren Schleimhautauskleidung kommt unter anderen folgende ein¬
fache Operation in Betracht: Möglichst allseitige Freilegung der er¬
weichten Partie. Anlegung einer Tracheotomie in den normalen Luft¬
röhrenanteil unterhalb des Knorpeldefektes. Von der Oeffnung aus wird
nach oben ein möglichst dickes, oben abgestumpftes Gummirohr ein¬
gelegt, um das Lumen ad maximum weit zu erhalten, nach unten die
Tracheotomiekanüle. Fensterung der letzteren — etwa zur Ermög¬
lichung des Sprechens — unterbleibt besser wegen der grösseren Gefahr
der Granulationsbildung. Statt Gummirohr plus Kanüle kann ein T-Rohr
o. dergl. verwendet werden. Wichtig ist das feste Austamponieren der
Wunde um die erweichte Partie herum, um so die langsame Bildung
eines breiten Oranulationsgewebes zu ermöglichen. Die resultierende
Narbe biidet eine dauernde und feste Stütze für die häutige Luftröhre.
In unserem Falle blieb das Gummirohr ohne Schaden 45 Tage liegen,
man wird es aber schon früher entfernen können. Sehr zu empfehlen ist
das Einlegen eines Tracheoskops während der Operation; es verhindert
ein Zusammenklappen der weichen Luftröhrenwand und ermöglicht erst
ein ungestörtes Arbeiten.
Aus dem städtischen Krankenhause zu Höchst a. M.
(Chefarzt: San.-Rat Dr. Schwerin.)
Kasuistischer Beitrag zur Vollbiuttherapie der perniziösen
Anämie.
Von Vol.-Assistent Alfons Waag.
In neuerer Zeit hat man bei der Behandlung der perniziösen Anämie
durch kleine Dosen subkutan verabfolgten Vollblutes überraschende
Erfolge erzielt. Pappenheim erwähnt in dem Handbuch von
Kraus-Brugsch dieses therapeutische Mittel, da seine An¬
wendung einfach, wenig eingreifend und frei von schwereren, fieber¬
haften Folgeerscheinungen ist. Die Besserung, die nach einer sol¬
chen subkutanen Blutinjektion eintritt, führt man nach Car not auf
Digitized by Goiisle
eine gesteigerte Erythropoese des Knochenmarks zurück; durch die mit
der Biutinjektion dem Organismus einverleibten HämopoetUca soll eben
die blutbildende Funktion des Knochenmarks erhöht werden. Im folgen¬
den will ich nun über einen Fall von perniziöser Anämie berichten,
bei dem wir durch mehrmalige subkutane Einspritzung menschlichen
Vollblutes eine überraschende Besserung, ja fast Heilung erzielten.
Pat. bot bei seinem Eintritt in das Krankenhaus das typische Bild des
Endstadiums der perniziösen Anämie. Aussehen wachsgelb; Ernährungs- und
Kräftezustand reduziert. Sichtbare Schleimhäute blutleer. Geringe Knöchel¬
ödeme. Seitliche Zungeuränder stark gerötet und mit stecknadelkopfgrossen,
weissen Bläschen bedeckt. Innere Organe o. B. Keine Lues, keine Tuber¬
kulose. Im Stuhl kein Blut, keine Wurmeier. Urin frei von Eiweiss, Zucker
und Blut; dagegen war Urobilin nachweisbar. Puls sehr klein, frequent. Ex¬
tremitäten kühl. Temperatur 37,6®. Die subjektiven Beschwerden bestanden
in grossem Angst- und Beklemmungsgefühl, Abgeschlagenheit und Lufthunger.
Die Untersuchung des Blutes ergab folgende Verhältnisse: liämoglobin-
gehalt 25 Proz., Erythrozytenzahl: 285 000, Färbeindex 1. Im Qiemsa-
präparat Hess sich eine ausgesprochene megalozytäre Anisozytose und Poikilo¬
zytose feststellen; somit war an der Diagnose progressive, perniziöse
Anämie nicht mehr zu zweifeln. Nachdem die üblichen Arsenpräparate ver¬
sagt hatten, spritzten wir dem Patienten 5 ccm frisch aus der Armvene
entnommenen Blutes subkutan ein, und zwar wählten wir als Injektions-
stelle die Mitte der Streckseite des Oberschenkels. - Der Blutspender selbst
war frei von Lues und Tuberkulose. Die Blutinjektion wiederholten wir am
übernächsten Tage.
Der Erfolg war ein auffallender: Schon 2 Tage nach der ersten Injektion
trat eine merkliche Besserung des Allgemeinbefindens ein; das Angst- und Be¬
klemmungsgefühl war fast vollständig geschwunden, der Hämoglobingehalt
war noch 30 Proz., die Erythrozytenzahl auf 1 500 000 gestiegen. Pat. erhielt
nun fortgesetzt 2 mal wöchentlich je 5 ccm Blut subkutan mit dem Erfolg,
dass bereits nach 8 Tagen der Hämoglobingehalt 35 Proz. und die Erythro¬
zytenzahl 2 000 000 betrugen; im Qiemsapräparat war noch eine geringe
Anisozytose festzustellen. Das Allgemeinbefinden besserte sich zusehends;
Aussehen nicht mehr so intensiv wachsgelb. Appetit gut. Qlossitis in Ab¬
heilung. Urin: E. —, Urobilin: —.
Nach 14 Tagen betrug der Hämoglobingehalt 45 Proz., die Erythrozyten¬
zahl war auf 2 200 000 angestiegen; abgesehen von einer geringen Aniso¬
zytose war das rote Blutbild normal. Temperatur regelrecht, Allgemein¬
befinden und Appetit gut. Urin frei von Urobilin. Pat. ist täglich 2 Stun¬
den ausser Bett.
Nach 4 Wochen war Pat. soweit hergestellt, dass er ohne Bedenken ent¬
lassen werden konnte. Hämoglobingehalt: 55 Proz., Zahl der Erythrozyten
2 600 000. Qiemsapräparat: 60 Proz. polynukleäre, neutrophile Leukozyten,
35 Proz. Lymphozyten. 5 Proz. eosinophile Leukozyten. Rotes Blutbild: Ge¬
ringe Anisozytose. Subjektives Wohlbefinden. Hautfarbe zeigt einen leichten
rötlichen Schimmer. Gewichtszunahme beträgt 6 kg. Temperatur regelrecht,
Urin frei von Eiweiss, Zucker und Urobilin. Stuhl o. B. Bemerkt sei noch,
dass Pat. die Blutinjektionen (es wurden im ganzen 9 mal je 5 ccm ein¬
gespritzt) vollkommen beschwerdefrei vertrug; geringe Schmerzhaftigkeit, die
sich vorübergehend einstellte, wurde durch heisse Kompressen und Ichthyol¬
salbenverbände behoben.
Der vorliegende Fall zeigt also, dass unter dem Einfluss unserer
Behandlung eine allmählich zunehmende Besserung des Allgemeinbefin¬
dens und namentlich des Blutbildes eintrat. Wenn wir auch nicht be¬
haupten wollen, dass nur durch die Blutinjektion der günstige Ausgang
bewirkt wurde, so gibt dieser Fall doch Veranlassung, weiterhin bei
perniziöser Anämie die Vollbluttherapie anzuwendeti, zumal die Technik
einfach und leicht ausführbar ist.
lieber die Retention von Plazentarresten naqh recht¬
zeitigen Geburten.
Von Prof. Dr. E. Engelhorn, Jena.
Zangemfeister kommt in seinem gleichnamigen Aufsatz (diese
Wochenschrift 1921 Nr. 13 S. 388) zu folgendem Ergebnis:
„Selbst die genaueste Besichtigung der Plazenta durch geübte Aerzte
gibt keine. Gewähr für deren Vollständigkeit. Es gibt kein sicheres
Zeichen für die Diagnose eines zurückgebliebenen Plazentarrestes so¬
fort nach .der Geburt. Um eine Klarstellung zu erzwingen, fordert er,
dass in jedem Fall, in dem die Vollständigkeit der Plazenta durch die
Hebamme bzw. durch den im Zweifelsfall hinzugerufenen Arzt nicht
absolut gewährleistet werden kann, der Uterus ausgetastet wird.“
Vom Standpunkt des Praktikers und des Wissenschaftlers ist es zu
begrüssen, dass Zangemeister überzeugend nachweist, dass eine
Retention von Plazentarresten selbst von dem in der Beiirteiliing der
Plazenta Geübtesten übersehen werden kann. Damit fällt die bis jetzt
immer wieder einmal beobachtete leidige Tatsache, dass der Hebamme
oder dem Geburtshelfer wegen einer angeblich übersehenen Retention
von Plazentarteilen und ihren sich daraus ergebenden Folgen von der
Wöchnerin, ihren Angehörigen, einem vielleicht zugezog'enen Kon¬
siliarius der Vorwurf eines Kunstfehlers gemacht wird.
Aus meiner hiesigen Tätigkeit ist mir ein Fall in lebhafter Erinne¬
rung, in dem die Krankengeschichte der Kreissenden (mehrfache vorher¬
gegangene Aborte) zu einer genauesten Besichtigung der Plazenta Ver¬
anlassung gab; sowohl ich selbst, wie die seit B. S. Schultze an der
Klinik tätige Oberhebamme der Frauenklinik hatten keinen Zweifel an
der Vollständigkeit der Plazenta; im Wochenbett traten keine nennens¬
werte Blutungen auf; 4 Wochen nach der Geburt zeigte sich blutiger
Ausfluss und es wurde von mir ein ungefähr hühnereigrosser Polyp
entfernt, bei dem die mikroskopische Untersuchung (Prof. R ö s s 1 c)
die plazentare Herkunft ausser allem Zweifel setzte.
Äeusserst bedauerlich wäre es nun, wenn auf Grund der Tatsache,
dass die genaueste Besichtigung der Plazenta keine Gewähr für deren
Vollständigkeit bietet, Hebammen und Aerzte der Plazentarbesiclitigung
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
weniger ihre Aufmerksamkeit widmen würden, „da man ja doch nichts
Sicheres sagen kann“, und wenn in der Praxis die Austastung der Ge¬
bärmutter zu diagnostischen Zwecken öfters vorgenommen würde. Eine
soiche Gefahr liegt aber m. E. in dem Vorschlag-e von Zange-
meisten
Jeder Geburtshelfer wird mit Zangemeister übereinstimmen,
dass wenn grössere Reste der Plazenta zurückgeblieben sind, diese
sofort entfernt werden müssen. Fehlen dagegen nur kleine Stück¬
chen von Bohnen- bis Haselnussgrösse, so bin ich mit Stöckel*)
u. a. der Meinung, dass in diesen Fällen ruhig abgewartet werden
kann, da solch kleine Reste spontan ausgestossen werden können. Der
Geburtshelfer hat dann nur durch wehenanregende Mittel den Uterus
zur Kontraktion zur bringen.
Wenn ich schon beim Zurückbleiben kleiner Plazentarreste auf dem
Standpunkt stehe, nicht innerlich einzugehen, sondern abzuwarten, so
gilt für mich die Forderung: „Hände weg aus der Gebär-
mutte r“ ganz besonders für die Fälle, in denen nur ein Zweifel
über die Vollständigkeit der Plazenta besteht. Während meiner Tätig¬
keit an der Tübinger. Erlanger und Jenenser Frauenklinik hatte ich
oft Gelegenheit, Plazenten zu beurteilen, die die im Bereiche der
Polikiinik tätigen Hebammen in die Klinik brachten, da ein Zweifel
über ihre Vollständigkeit bestand. In allen zweifelhaften Fällen habe ich
mich damit begnügt, wehenanregende Mittel zu verordnen und ich ki.nn
mich keines Falles erinnern, der einen ungünstigen Verlauf genommen
hätte.
Ich möchte deshalb dem Vorschlag von Zangemeister, dass
der Geburtshelfer in zweifelhaften Fällen den Uterus austasten soll, ent¬
gegentreten. Aus zw'ei Gründen: erstens bringt jeder intrauterine Ein¬
griff im Anschluss an die Geburt die Gefahr der Infektion.
Zangemeister selbst berichtet, dass von 33 Fällen, in denen die
diagnostische Austastung ohne positiven Befund vorgenommen worden
war, 4 mit Fieber im Wochenbett erkrankten (2 leichte, 2 schwerere In¬
fektionen; bei den beiden letzteren bestand das Fieber schon intra
partum). Ein weiterer Grund für mich, die diagnostische Austastung ab¬
zulehnen, ist der, dass dieBeurteilung, ob Reste imUterus
zurückgeblieben sind, für den nicht ganz geübten
Praktiker eine sehr schwierige ist. Ich kann das durch
einen Fall aus meiner Erlanger Tätigkeit belegen:: Ein junger Assistent
machte unter meiner Aufsicht eine manuelle Plazentarlösung; ich be¬
sichtigte die gelöste Plazenta, solange er zur Kontrolle den Uterus
nochmals austastete. Während ich über die Vollständigkeit der Nach¬
geburt nicht im Zweifel war, hörte ich zu meinem Erstaunen von dem
Kollegen, „dass noch viel zurückgeblieben sei, das er nicht heraus¬
bringe“. Als ich nun selbst nachtastete, fand ich nur die rauhe Plazentar¬
haftstelle, die mit zurückgebliebenen Plazentarresten verwechselt wor¬
den war!
Also: InfektionsgefahrunddieSchwierigkeitinder
Beurteilung des Cavum uteri lassen mich für den
Praktiker den Standpunkt für richtiger halten, bei
Zweifel über die Vollständigkeit der Plazenta ab-
z uw arten und Wehen anzuregen. Ich glaube, dass
damit weniger geschadet wird, als wenn draussen in
der Praxis in jedem Zweifelsfall ausgetastet wird.
Ludwig Pfeiffer f.
Am 9. Mai d. J. entschlief in Weimar der Geheime Hof- und
Medizinalrat Dr. Ludwig Pfeiffer. Er hat sein Leben in Weimar zu¬
gebracht. Er war ein hervoragend tüchtiger Arzt, war Ehrenbürger der
Stadt, in ihr und im ganzen Lande durch sein gemeinnütziges Wirken einer
der bekanntesten und geachtetsten Männer, Senior der thüringischen Aerzte
und 50 Jahre lang ihr eigentlicher Leiter, und einer der verdienstvollsten
aus dem Führerkreise der deutschen Aerzteschaft. Seine reich begabte,
kraftvolle, eigenartige Persönlichkeit durfte sich ausleben, ungeschwächt
fast bis in die letzten Tage. Sie ist mit vielen Kreisen geistiger und
aufbauender Arbeit in enge Berührung getreten und hat überall eine
eigene Spur hinterlassen, für uns Aerzte die tiefste und bleibende doch
in der Standesgeschichte der deutschen Aerzte.
Ludwig Pfeiffer wurde am 31. März 1842 in Eisenach ge¬
boren und dort erzogen. Mit 17 Jahren ging er zur Universität, nach
Jena, um Mathematik und Naturwissenschaft zu studieren, wandte sich
aber bald der Medizin zu. Er war ein frischer Student, ein guter
Schläger in seiner Burschenschaft, dabei in Jena und später in Würzburg
seinem Studium eifrig ergeben. Im Dezember 1863 machte er in Jena
sein Staatsexamen, promovierte und begab sich auf eine Studienreise
nach Berlin, Prag und Wien; der Krieg machte ihr ein vorzeitiges Ende.
Nach dem Frieden wurde er in Jena bei Ried Assistent an der chirur¬
gischen Klinik und Hess sich dann 1866 in Weimar als praktischer Arzt
nieder. Wie ein Zeitgenosse erzählte, soll ihm die Praxis nur so zu¬
geflogen sein. Ein scharfer Beobachter, mit hervorragend praktischem
Blick und Geschick, unermüdlich, entschlossen, kurz, fast schroff, aber
gegen hoch und niedrig derselbe. So wurde er bald der beliebteste
Arzt, in allen Kreisen gesucht und geschätzt. 1871 wurde er Leibarzt
der Grossherzogin Sophie und besass deren Vertrauen und Wohlwoilen
in hohem Grade. Sie zog ihn ais Berater bei ihren grosszügigen Wohl-
iahrtswerken zu, besonders bei der Ausgestaitung der Pflegerinnen-
*) Lchrb. d. Geburtshilfe S. 283 u. 512.
anstalt Sophienhaus zu Weimar, deren leitender Arzt Pfeiffer bis
in seine späteren Jahre war und an der er noch kurz vor Aufgabe seiner
Stelie die erste Krankenpflegerinnenschule Deutschlands gründen hali.
Organisatorische Fähigkeit, uneigennützige, rein aber auch rücksichtslos
der Sache dienende Arbeit, wie sie Pfeiffer eigen waren, fanden
auch in anderen Kreisen ihre Würdigung: in beamteten Stellungen, als
MitgÜed des Gemeinderates, als Beirat in allen hygienischen und sani¬
tären Fragen von Stadt und Land, überall blieb Pfeiffer jahrzehnte¬
lang die ausschlaggebende oder führende Persönlichkeit.
Und doch genügte diese ausgedehnte Tätigkeit dem regen Geiste
und der Schaffensfreudigkeit Pfeiffers nicht. Ein Zufall drängte ihn
gleich bei Beginn seiner ärztlichen Laufbahn auf zwei Gebiete, die
seiner Neigung lagen und die ihm zum Programm für eine ganze
Lebensarbeit wurden: die öffentliche Hygiene und das ärztliche Standes¬
leben. Es war die Zeit der grossen Choleraepidemien, als der jnnge
Pfeiffer seine Praxis begann. 1866 suchte die Seuche auch Thüringen
auf, auch Weimar. Pettenkofer war mit seiner Bodentheorie von
Typhus und Cholera aufgetreten und hatte auch das thüringische
Seuchengebiet bereist. Pfeiffer wurde yo« den neuen hygienischen
Aufgaben, den neuen Problemen gepackt und setzte sich mit ihnen in
verschiedenen Schriften auseinander. Er sah bald, dass auf diesem Ge¬
biete nur durch die gemeinsame wissenschaftliche Beobachtung aller
Aerzte etwas zu erreichen war, und kurz entschlossen schritt er nach
. Verhandlungen mit dem Kliniker JKarl Gerhardt in Jena zur Gründung
des allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen. Die Erforschung und
Verwertung der epidemischen und endemischen Krankheitsverhältnisse
Thüringens sollte der Hauptzweck des Vereins sein, und zugleich sollte
in ihm ein idealer Zusammenlialt der räumlich und politisch arg zer¬
splitterten thüringischen Aerzteschaft geschaffen werden. Pfeiffer
gab die Korrespondenzblätter des Vereins heraus, führte in ihnen jahre¬
lang die Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik der thüringischen Städte
und legte Rechenschaft ab von den Saniinelforschungen des Vereins
über Typhus, Tuberkulose u. a., und zuletzt von einer Karzinomzählung.
Die wissenschaftliche Entwicklung der Hygiene nahm den ärztlichen
Vereinen bald die ätiologische Forschung, das Reichsgesundheitsamt
die Krankheitsstatistik aus der Hand, und doch erinnerte sich Pfeif-
fer stets gern dieser Zeit, die uns mit Pettenkofers Lehren grosse
hygienische Fortschritte, Wasserleitung, Kanalisierung und anderes ge¬
bracht und die Aerzte zu gemeinsamer Arbeit zusammengeführt hätte.
Als unbestrittene Leistung Pfeiffers auf hygienischem Gebiete bleibt
seine wertvolle Arbeit an der Entwicklung des Impfwesens. Die Impf¬
anstalt zu Weimar brachte er aus bescheidensten Anfängen zu grossem
Ansehen. Für die Verwendung der Tierlymphe und in der Frage der
Retrovakzine kämpfte er mit Erfolg, wesentliche Verbesserungen in
der Lymphgewinnung sind seinem technischen Geschick zu verdanken,
und an der Ausgestaltung des deutschen Impfw'esens war er in den ge¬
meinsamen Beratungen der Leiter staatlicher Impfanstalten, die auf seine
Anregung hin zustande kamen, in erster Reihe beteiligt.
Unvergängliche Verdienste erwarb sich Pfeiffer auf dem Ge¬
biete der ärztlichen Standesbewegung, Pfeiffer hat sich stets als
praktischer Arzt gefühlt und dessen Ansehen, wenn nötig, recht scharf
zu wahren gewusst. Er liebte seinen Stand über alles. Dem Aerzte-
stande die gebührende, würdige und unabhängige Stellung im Volks¬
ganzen schaffen zu helfen, das empfand er geradezu als ethische Forde¬
rung. Zunächst galt es, die Aerzte aus Eigenbrödelei und kleinlichen
Interessen herauszureissen und zu gemeinsamem Handeln und zur
Arbeit für grosse Ziele zu erziehen. Diese Aufgabe führte den kaum in
die Praxis eingetretenen Arzt zur Gründung des allgemeinen ärztlichen
Vereins von Thüringen und bewog ihn, sich 6 Jahre später an der Grün¬
dung des Deutschen Aerztevereinsbundes mit dem Entwurf eines Organi¬
sationsplanes hervorragend zu beteiligen. In beiden Vereinigungen nahm
Pfeiffer von Anfang an eine massgebende Stelle ein. Den ärztlichen
Verein von Thüringen organisierte er nach dem Vorbild des Aerzte-
vereinsbundes und war unablässig bemüht, diese Aerztezentralisation
zu festigen und zu erhalten. Im Deutschen Aerztevereinsbunde gehörte
er fast ununterbrochen dem Geschäftsausschuss an. Bei Beratung des
Reichsimpfgesetzes, der Fortbildung der Hebammen, bei der Kassen¬
arztfrage war er mit Referaten betraut. Seine eigentliche Bedeutung
für den Deutschen Aerztevereinsbund aber beruht auf seiner ent¬
schiedenen Stellungnahme für die Reform der ärztlichen Standesbewe¬
gung, die mit H a r t m a n n s Auftreten einsetzte. Die Entwicklung der
Lage ist bekannt. Der Aerztevereinsbund hatte auf seinen Aerztetagen
geholfen, die öffentliche Gesundheitspflege und die sanitären Verhältnisse
des Reiches in geordnete Bahnen zu leiten: Was die Führer, besonders
auch Pfeiffer, mit der Organisation des Aerztestandes bezweckt
hatten, war erreicht: die Aerzte hatten ihre Fähigkeit, ihren Willen, aber
auch ihre Unentbehrlichkeit für den Dienst der Volkswohlfahrt be¬
wiesen. Als nun die sozialen Fürsorgegesetze kamen und als die
Kassenarztfrage immer deutlicher eine Existenzfrage für die Aerzte wurde,
da fand der Aerztestand von der Gesetzgebung und den Regierungen
auch nicht die geringste Berücksichtigung. Schwere wirtschaftliche
Schädigungen der Aerzte, ein Niedergang ihrer sozialen Stellung, die
Gefährdung ihrer Unabhängigkeit standen in drohender Nähe. Da kam
1900 Hartmann mit seinem erlösenden Ruf zur Selbsthilfe, mit seiner
Gründung des Wirtschaftlichen Verbandes. Wie ein Lauffeuer griff
die neue Idee in der Aerztewelt um sich, nur den Geschäftsausschuss
des Aerztevereinsbundes erreichte sie nicht. Aber eines seiner .Mit¬
glieder verstand die Zeit und ihre Aufgaben: Pfeiffer meldete sich
als Mitglied des wirtschaftlichen Verbandes und trat aus dem Ge¬
schäftsausschuss aus Das war ein Schritt, der viel entschied. Dem
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf^
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
679
neuen Kurse war die Bahn freigemacht. Ein Jahr später wurde P* e M“
fer in Königsberg wieder in den Geschäftsausschuss gewählt. Nun
konnte er an eine weitere Aufgabe gehen: es durfte zu keiner Spaltung
der Aerzteschaft kommen, der Wirtschaftliche Verband musste als selb¬
ständige Abteilung mit dem Aerztevereinsbund verschmolzen werden.
1904 war auch das gelungen. Geeint konnte die deutsche Aerzteschaft
zum Kampf schreiten und Pfeiffer half ihr die Waffcn schmieden.
Was hat seine nimmermüde Feder in den Jahren bis 1911 alles geleistet!
Arbeiten aufklärender Art, wie seine „statistischen Erhebungen über die
heutige wirtschaftliche Lage der Aerzte in Thüringen“; Krankenkassen¬
statistiken; Arbeiten, die zu ganz neuen Ergebnissen führten, wie
„die Krankheitskosten bei den Krankenkassen des deutschen Reiches ,
in denen die mangelhafte Statistik des Kaiserlichen statistischen Amtes
aufgedeckt wurde; abschliessende Arbeiten über die organisierte freie
Arztwahl und vieles andere. Und daneben das, was ihn besoiiders stolz
machte, die Erprobung der Theorie an der Wirklichkeit: die Durch¬
führung der auf dem 30. Deutschen Aerztetage beschlossenen lokalen
Vertragskommissionen mit dazugehörigem Zentralvertragsausschuss und
gemeinschaftlichem Schiedsg-ericht im ganzen Bereich des allgemeinen
ärztlichen Vereins von Thüringen. Nach der Annahme der Reichsyer-
sicherungsordnung konnte Pfeiffer auch auf diesem Gebiete seiner
Lebensarbeit den Abschluss machen. Nicht ohne Sorge sah der Alte
in die Zukunft, aber er vertraute dem Organisationssinn der deutschen
Aerzte, vertraute den neuen Führern.
Seinen Lebensabend verbrachte Pfeiffer ganz nach seiner Art.
Schon früher hatte er eine Neigung zur Prähistorie. Als nun 1907 im
benachbarten Ehringsdorf prähistorische Funde eine ganz neue Welt
eröffneten, da begann Pfeiffer ein ernstes Studium. Er bereiste die
klassischen Stätten des Paläolithikums, Belgien, Frankreich, die Schweiz.
Oesterreich. Mähren, Schweden. Dänemark, England. Aus dem Lernen,
wurde ein Forschen, gekrönt von überraschenden Erfolgen. Als ihm
ein befreundeter Arzt zum 70. Geburtstage einen Festgruss überreichte,
dankte er im Scherz und doch ganz ehrlich mit den Worten: „Ich habe
gar nicht gewusst, was für ein Mordskerl ich gewesen bin“. Bei dem
Prähistoriker Pfeiffer haben die meisten anderen es auch nicht ge¬
wusst, aber die Männer vom Fach sprachen es aus: Pfeiffer hat die
Frage über die Herstellungsart der altsteinzeitlichen Werkzeuge und
Waffen und ihre Verwendung experimentell-wissenschaftlich gelöst und
einem wichtigen Abschnitte der Prähistorie neue Richtlinien gegeben.
Im Naturhistorischen Museum zu Weimar, das er noch am Tag-e vor
.seinem Tode besuchte, werden bedeutende Sammlungen noch kommen¬
den Geschlechtern von dem letzten Arbeitsgebiete unseres Pfeiffer
erzählen. Sanitätsrat Dr. Schräder- Gera.
Für die Praxis.
Ueber schmerzlose Entleerung von Flüssigkeiten aus
den Körperhühlen durch Punktion.
Von Prof. Felix Franke, Chefarzt des Diakonissenhauses
Marienstift in Braunschweig.
Während die örtliche Schmerzbetäubung vermittels Einspritzung
anästhesierender Flüssigkeiten in den letzten beiden Jahrzehnten
namentlich nach dem Erscheinen des Braun sehen Buches „Die Lokal¬
anästhesie“ 1905 sowohl in der kleinen als grossen Chirurgie einen
Siegeslauf sondergleichen angetreten hat, scheint sie fast spurlos an
einem Gebiet vorübergegangen zu sein, das ich in der Ueberschrift dieses
Artikels gekennzeichnet habe. Keiner meiner Assistenten oder bei mir
arbeitenden Praktikanten oder Studenten, ausser einem der letzteren in
jüngster Zeit, konnte mir berichten von der Anwendung oder Empfehlung
der Lokalanästhesie bei der Punktion von pleuritischen oder perikarditi¬
schen Exsudaten, Aszites oder Gelenkflüssigkeiten während seiner
Studienzeit, von keinem Arzte, mit dem ich zu tun hatte, habe ich je
gehört, dass er sie zu diesem Zweck angewandt hat. Bei der Durch¬
forschung der Literatur fand ich nur bei Braun selbst die Bemerkung
(,3. Aufl., S. 320), dass die Kranken sehr dankbar sind, wenn man sich
vor der Einführung einer dicken Hohlnadel oder eines Trokarts nicht nur
auf das Gefrierenlassen der Haut beschränkt, sondern den ganzen Stich¬
kanal bis auf die Pleura unempfindlich macht. Auch Härtel (Die Lokal¬
anästhesie, 1916 S. 191) äussert sich in ähnlicher Weise. Das gleiche
geschieht in der „Therapeutischen Technik für die ärztliche Praxis“ von
J. Schwalbe (1914, 4. Aufl.), in der bezüglich der Pleurapunktion gesagt
wird, dass die Haut auch wohl mit Chloräthyl oder mit der Schleich-
schen Injektion gefühllos gemacht werde (S. 713), und bezüglich der
Parazentese bei perikarditischem Exsudat, dass eine örtliche Anästhesie
an der Einstichsterie mit Aethylchlorid zur Schmerzbetäubung genügend
sei, eventuell könne man die Schleich sehe Infiltrationsanästhesie
mit einem ungefährlichen Anästhetikum vornehmen. In anderen Werken,
z. B. dem Handbuch der gesamten Therapie von P e n z o 1 d t und
S t i n t z i n g wird diese Art der Schmerzbetäubung gar nicht erwähnt.
Davon, dass man diese Punktionen womöglich nur unter örtlicher
Schmerzbetäubung durch Infiltrationsanästhesie vornehmen sollte, ist in
keinem der von mir durchgesehenen Werke die Rede.
Diese Forderung möchte ich nun an dieser Stelle erheben. Sie ent¬
spricht nur dem jetzigen Stande unserer Anschauungen ünd unserer
Technik. Wir suchen dem Kranken Schmerzen zu ersparen, wo und
Digitized by Goiisle
wann wir nur können. Warum soll das nicht geschehen bei den Punk¬
tionen? Ich bin kein weichlicher Mensch, habe aber immer das alte
Verfahren bei der Punktion als etwas roh empfunden und deshalb häufig
schon bald nach dem Bekanntwerden der Infiltrationsanästhesie von
dieser Gebrauch gemacht. Aber nicht nur um die Schmerzen auszu¬
schalten, sondern auch aus anderen Gründen. Schon die einfache Probe-
punktion ohne Anästhesie ist ein Eingriff, der manchen Kranken sehr auf- /
regt, eine Ohnmacht, ja selbst Krämpfe hervorrufen und ihm sonst
schaden kann, namentlich wenn es sich um Herzkranke oder schwer
nervöse Kranke handelt, und besonders dann, wenn aer Eingriff sehr
schmerzhaft ist, z. B. wenn der betr. Interkostalnerv angestochen wird.
Man sucht diese Schädlichkeiten durch rasches Einstecnen zu vermeiden.
Das aber hatte den Nachteil, dass dann und wann einmal, zumal wenn
der Kranke eine plötzliche Bewegung macht, die Kanüle abbrach, oder
dass sie auf die Rippe stach. Der Stich musste wiederholt, die Kanüle
unter Umständen durch Einschnitt entfernt werden. Beim schnellen Ein¬
stich in den Herzbeutel kann es Vorkommen, dass man das Herz selbst
ansticht. Welch peinliche Augenblicke für den Arzt! Bei dicker Kanüle,
besonders aber beim Gebrauch des Trokarts. kann es verkommen, dass,
wenn dessen Spitze nicht sehr scharf ist. er nur schwer die Haut durch¬
dringt, ja, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, dass es sogar nötig
wird, erst einen Einstich in die Haut mit einem spitzen Messer zu
machen, um das Eindringen des Trokarts zu ermöglichen. Man quälte
sich ab und quälte den Kranken dazu.
Die Anwendung des Aethylchlorids brachte etwas Hilfe. Aber die
durch das Erfrieren der Haut erreichte Unempfindlichkeit erstreckt sich
nur auf die oberste Hautschicht. Traf man in der Tiefe den Interkostal¬
nerven oder die Rippe, so hatte der Kranke dieselben Schmerzen, wie
ohne das Athylchlorid. Ausserdem ist mit dem Erfrieren der Haut die
Unannehmlichkeit verbunden, dass sie hart wird und dadurch dem Ein¬
dringen einer dicken Kanüle oder eines Trokarts erheblichen Widerstand
entgegensetzt.
Alle diese Gefahren und unangenehmen und peinlichen Zwischenfälle
vermeidet die Infiltrationsanästhesie. Welche Wohltat diese für den
Kranken und auch den Arzt bedeutet, bemerkt man besonders bei wieder¬
holt notwendig werdender Punktion. Jegliche Aufregung für den
Kranken fällt weg, und der Arzt kann den Eingriff in aller Ruhe und
darum mit grösserer Sicherheit vornehmen. Sticht er je einmal den
Interkostalnerven oder die Rippe an, so hat das bei genügend umfang¬
reicher Anästhesierung nicht viel zu sagen, denn aer Kranke merkt
nichts oder kaum etwas davon. Er spürt auch nichts davon, wenn man,
was ich gewöhnlich tue und empfehlen möchte, vor dem Einstich mit
einem Trokart die Lederhaut erst mit einem spitzen Skalpell durchsticht,
wodurch man den bei zäher Haut recht oft nötigen starken, dem Kranken
doch unangenehmen Druck vermeidet.
Das Verfahren ist wenig umständlich und erlaubt seine Ausführung auch
in der Sprechstunde, kostet auch wenig Zeit, wenn man die betreffenden
Instrumente stets gebrauchsfähig vorrätig hält, wie das bei mir der Fall
ist. Meine Spritzen (auch im Krankenhause) liegen stets in einer Lösung
von Karbol (1)4 proz.). Formalin (0,3proz.) und Borax (iV^-proz.). Da¬
durch erspare ich das Auskochen und damit nicht nur Zeit und Geld für
Spiritus, sondern vermeide auch das beim Auskochen bisweilen vor¬
kommende Springen des Glaszylinders der Spritzen. Die Kanülen, die
bei dauerndem Liegen in dieser Flüssigkeit, in der sonst auch die
stählernen Instrumente, wie Skalpelle, Pinzetten, Scheren liegen, mit der
Zeit an der Verbindungsstelle zwischen Kanüle und Ansatz rosten,
werden nach jedem Gebrauche für mehrere Stunden bis einen Tag in
die Flüssigkeit gelegt und dann in steriler Umhüllung aufbewahrt. Dicke
Kanülen rosten kaum. So habe ich eine etwa 10—12 Jahre ständig in
der Lösung liegen lassen, hatte sie also z. B. für PunKtionen des Knies
in der Sprechstunde stets vorrätig, ehe sie rostete. Die gebrauchten
Spritzen, auch nach Aussaugung eitriger Flüssigkeit, werden einfach nach
vorheriger Ausspritzung mit Wasser mehrmals mit der Lösung durch¬
gespritzt und dann in ihr gelassen. Der Frentzelsche Trokart wird
abends vor der beabsichtigten Punktion in die Flüssigkeit gelegt^).
Drainröhren und Gummischläuche sind ebenfalls stets gebrauchsfertig.
Sie liegen immer in einer Lösung von Hydrarg. oxycyanat. (0,25:1000).
Für die Anästhesie verwende ich gewöhnlich die so bequemen Ampullen
mit Eusemin, von denen ich 2 oder 3 nebst 2 Ampullen mit 2 proz.
Morphiumlösung für die Punktion in der Hauspraxis mitnehme. Die Mor¬
phiumeinspritzung pflege ich sofort nach der Ankunft zu machen. Sie
hat hauptsächlich den Zweck, den nach der vollständigen Entleerung des
pleuritischen Exsudats gewöhnlich auftretenden quälenden Hustenreiz
zu unterdrücken. Das Eusemin, von dem meist eine Ampulle genügt,
um die von der Schleich sehen Hautquaddel aus in die Tiefe fort¬
schreitende Anästhesie des Stichkanals zu erzielen, hat den Vorzug der
sofort eintretenden Unempfindlichkeit. Die Vorsicht gebietet 2 Ampullen
zu verwenden, um die Anästhesie auch auf die Rippe auszudehnen. Für
die Desinfektion der Haut verwende ich Jodbenzin, das ich für den
Gebrauch in der Hauspraxis in einer kleinen flachen, wenig Raum be¬
anspruchenden Flasche mit mir führe.
*) Bei plützlich nötig werdender Verwendung eines einfachen Trokarts
ziehe ich diesen durch eine Spiritusflamme.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
680
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
soziale medlzin and aerzaichB standesanoeieoeniieiten.
Gemeinverständliche Wissenschaft und Reklame.
Von Dr. W. Schweisheimer-München.
ln dem jüngsten Prozess der Münchener medizinischen Wochen¬
schrift wurde schlagend nachgewiesen, dass irgendeine Beeinflussung des
redaktionellen Teiles durch den Reklameteil nicht besteht und nie¬
mals bestanden hat. Diese neuerdings erhärtete selbstverständliche
Unabhängigkeit des redaktionellen vom gesohäftlichen TeU ist prin¬
zipiell von grösster Bedeutung für die Fachpresse; sie ist der Lebens¬
nerv des Ansehens und Vertrauens, das sie geniesst.
So wichtig eine solche Tatsache ist, so handelt es sich bei der Fach¬
presse immerhin nur um einen relativ beschränkten, wenngleich beson¬
ders bedeutungsvollen Leserkreis. Viel wichtiger erscheint eigent¬
lich noch die Frage, ob Reklame Einfluss auf den wissen¬
schaftlichen Teil der grossen Zeitungen und Zeit¬
schriften hat, also jener Organe, aus denen die grosse Mehrheit
der Bevölkerung in erster Linie ihr Wissen und ihre Aufklärung be¬
zieht. Wenn hier Reklame Einfluss auf den gläubig .hingenommenen
redaktionellen Teil hätte, so wären für Täuschung und Eigennutz im
ganzen Lande Tür und Tor geöffnet.
Um sich die Verhältnisse klar zu machen, ist zunächst eine kurze
Betrachtung über Wesen und Ziel der gemeinverständlichen Wissen¬
schaft erforderlich. Es handelt sich bei diesen Ausführungen, wie ein¬
schränkend bemerkt sei, nur um gemeinverständliche Naturwissenschaft
und Medizin.
Das Bedürfnis grosser Massen nach naturwissenschaftlicher Biloung
und Belehrung ist heute ein erstaunlich grosses. Das ist nicht zu ver¬
wundern in einer Zeit, deren Haltlosigkeit auf der einen Seite in in¬
brünstiger Hinneigung zu mystischen und „okkulten“ Problemen zu ver¬
sinken droht; instinktiv sucht die schwankende Lebensauffassung nach
festem Grund und Boden, wie ihn naturwissenschaftliche Betrachtungs¬
weise am ehesten darbietet.
Es ist von grundlegender Wichtigkeit, dass die Uebermittlung dieses
Wissens in einwandfreier, ehrlicher und kritischer Weise geschieht.
Zwei Auswüchse bilden da Gefahr und sind zu vermeiden. Allzu trockene
wissenschaftliche Darstellung des Stoffes macht das interessanteste Pro¬
blem für den Nichtzünftler ungeniessbar. Nicht jeder exakte Forscher,
nicht jeder akademische Lehrer ist gleichzeitig ein guter Uebermittler
seines Wissens an breite Massen. Auf der anderen Seite steht eine
seichte, nur aufs Gefällige bedachte Darstellung, ein schlimmer Feuilfe-
tonismus. Ihm ist die hübsche, effektreiche Aufmachung die Hauptsache,
und dieser Grundidee opfert er unbedenklich die Genauigkeit der wissen¬
schaftlichen Unterlagen. Die Pointe mordet das Gewissen.
Diese Art der „Volksaufklärung“ hat eine vernichtende Niederlage bei
der im schlimmsten Sinne journalistischen Uebermittlung der Stei¬
nach sehen Forschungsergebnisse erlitten (natürlich ohne und gegen
den Willen Steinachs selbst). Notwendig ist: ein s t r e n g w i s s e n -
schaftlicher Inhalt, der auch der schärfsten Fachkritik stand¬
halten kann, und dabei eine gemeinverständliche Form, die
in eindringlicher, fasslicher und anregender Weise das Problem zer¬
gliedert und zusammenfasst.
Die Uebermittler gemeinverständlicher Wissenschaft sind neben
Büchern und Broschüren als erste und wichtigste die Tageszei¬
tungen und Zeitschriften. Ihnen ist eine hohe Aufgabe zu¬
gefallen, von deren Bedeutung verantwortungsbewusste Leiter der Zei¬
tungen in den letzten Jahren immer mehr ergriffen wurden. So ist
es zu erklären, dass vielen Zeitungen und Zeitschriften eigene fach¬
wissenschaftliche Berater für wissenschaftliche Sondergebiete zur Seite
stehen. Wohin das Gegenteil führt, das ist aus dem Missgeschick einer
bekannten, sonst ausgezeichnet geleiteten Zeitschrift in letzter Zeit zu er¬
sehen. Sie hatte, wohl im Vertrauen auf den Titel eines Verfassers,
ohne weitere Beratung einen Aufsatz medizinischen Inhalts veröffentlicht,
der als gemeingefährlich bezeichnet werden muss, und der denn in der
Tat eine Protestschrift einer medizinisch-leitenden wissenschaftlichen
Gesellschaft zur Folge hatte.
Verantwortungsbewusstsein und Kritikfähigkeit müssen die beiden
Hauptstützen jeglichen Versuches darstellen, Fachwissen den grossen,
lernhungrigen Massen zu übermitteln. Sie bilden die Grundlage der
Ethik des populärwissenschaftlichen Schriftstellers. Ohne sie wird
neue Unwahrheit, neue Verwirrung in die strebenden Köpfe gebracht und
das Vertrauen zu Schanden gemacht, auf das allein das Verhältnis des
Hörers zum Lehrer, des Lesers zum Schreibenden gegründet sein darf.
Gerade dieses Vertrauen möchte die Reklame nun natürlich
gerne benützen, um sich unbemerkt in den Sinn des Lesers einzuschlei¬
chen. Reklame, auch mit medizinischen Dingen, ist im allgemeinen
natürlich nichts Verwerfliches, so lange man weiss. dass es sich um
Reklame handelt. Zu bekämpfen ist nur jene Reklame, die versteckt
daherwandelt und auf dem verhüllten Haupt die scheinheilige Maske
der Sorge für die Volksgesundheit und das Gesamtwohl trägt.
Man hört nicht selten die Aeusserung, der Annoncenteil der grossen
Zeitungen „färbe ab“ auf den redaktionellen Teil; was im Inseratenteil
viel annonciere, das werde im redaktionellen Teil berücksichtigt, gelobt
usw. Ist dieser Vorwurf in den Tatsachen begründet? Wem seit Jahren
bei verschiedenen grossen deutschen Tageszeitungen als naturwissen¬
schaftlich-medizinischer Mitarbeiter ein Einblick in den redaktionellen
Betrieb möglich ist wie dem Verfasser, der kann nur sagen: von
einer solchen Behauptung ist aber auch nicht die i
Spur richtig. Noch niemals hat sich, wie eigene ^Erfahrung lehrt,
der geringste Versuch erhoben, den wissenschaftlichen Mitarbeiter in
einem Sinn zu beeinflussen oder auf ihn einzuwirken, der irgendejp
Schielen nach dem Annoncenteil verraten hätte. Das Gegenteil ist rich¬
tig. Es kann Vorkommen, dass der ärztliche Mitarbeiter einer Tages¬
zeitung beispielsweise gegen die Kurpfuscherei schreibt, und dass am
nächsten Tage eine feierliche Deputation der Naturheilkundigen, Augen¬
diagnostiker usw. bei Chefredaktion und Verlag vorspricht und erklärt,
sie würde ihre Annoncen dem Blatt entziehen. Es kann Vorkommen, dass
der Verleger eines ungünstig besprochenen Buches ankündigt, seine
Reklame nur mehr anderwärts erscheinen zu lassen. Noch niemals haben,
soweit eigene Erfalirung reicht, solche und ähnliche Dinge Redaktion
oder Verlag einer grossen Zeitung bewogen, ihren redaktionellen TeU
anders als nach sachlichen, von geschäftlichen Einflüssen unabhängigen
Gesichtspunkten zu führen. Es ist hier nur die Rede von grossen Zei¬
tungen, ob die Verhältnisse bei kleinen Zeitungen durchwegs ebenso sind,
entzieht sich dem Urteil des Verfassers. Gewisse kleinere Zeitschriften
machen zuweilen den Eindruck, als sei hier eine so strenge Scheidung
von redaktionellem und Inseratenteil nicht vorhanden.
Den grossen Unternehmen, Fabriken usw. ist die Unbeeinflussbar-
keit der Redaktionen der grossen Tageszeitungen und Zeitschriften durch
Annoncieren wohl bekannt. Sie wenden sich daher verschiedentlich
nicht an die Redaktionen und Verlage, sondern an Mitarbeiter der
Zeitungen. Diese sollen ein Thema bearbeiten, etwa den Vorteil und die
Notwendigkeit eines Verfahrens, und von sich aus den Zeitungen,
an denen sie Mitarbeiter sind, zur Veröffentlichung übergeben. Für
manchen armen Teufel, der auf solche Weise eine Doppelhonorierung
seiner Beiträge erhält, mag das eine grosse Verführung sein, der ihn
die Not erliegen macht. Geschädigt wir hier vor allem die Zeitung,
selbst dann, wenn es sich dabei einmal um eine tatsächlich empfehlens¬
werte Sache handeln sollte; denn dieses Hintenherum täuscht nicht nur
das Vertrauen der Redaktionen auf die ehrliche Sachlichkeit ihrer Mit¬
arbeiter, sondern der redaktionelle Teil wird unbewusst in eine Richtung
gelenkt, in die nicht allgemeines, sondern spezielles Interesse ihn treibt.
Niemals lässt es sich vermeiden, manche Dinge zu begünstigen.
Denn was in einer verbreiteten Zeitung besprochen wird, für das w'ird
von selbst Reklame gemacht. Wer für die Schutzimpfung eintritt, der
macht indirekt Reklame für die Fabriken, die Vakzine und Serum her¬
steilen. Wer gegen die Schutzimpfung auftritt, der macht Indirekt Re¬
klame für die Mittel, die die Impfgegner bei seuchenhaften Erkrankungen
anwenden. Gegen diese Art von „Reklame“ ist so w'enig etwas ein¬
zuwenden wie gegen jene Reklame, die der Kritiker bewusst und ab¬
sichtlich für ein Buch, für ein Mittel, für eine Theorie macht, die er sub¬
jektiv für empfehlenswert und verbreitungswürdig hält. Das Wichtigste
ist immer, dass es nicht materielle Interessen sein dürfen,
die den Ausschlag geben, sondern wahrhafte und wissenschaftliche Er¬
wägungen.
Die Hauptsache in diesen Dingen ist Offenheit Das Vertrauen des
Lesers darf nicht enttäuscht werden. Er weiss, die Behauptungen im
Annoncenteil sind Geschäft, die Mitteilungen im redaktionellen TeU
dagegen bemühen sich, an die Wahrheit heranzureichen. Es erscheint
darum auch kaum gerechtfertigt, zu verlangen, dass umgekehrt Dinge,
die im redaktionellen Teil verfochten werden, ihre Wirkung auf den
Annoncenteil ausüben sollen. Eine gewisse Grenze in bezug auf das
Nichtbringen gemeingefährlicher und ähnlich gesinnter Inserate ist ja
ohnehin gezogen. Aber es ist prinzipiell nichts dagegen einzuwenden,
dass im Reklameteil einer medizinischen Zeitschrift ein Mittel von
der Fabrik empfohlen wird, das vielleicht im gleichen Heft einer ab¬
fälligen Kritik in einer wissenschaftlichen Arbeit unterzogen wird.
Und ebensowenig scheint innerhalb gewisser Grenzen etwas gegen die
Aufnahme von Inseraten, deren Tendenz sonst bekämpft wird, in der
Tageszeitung einzuwenden zu sein, dass etwa eine Tageszeitung im
redaktionellen Tel gegen den Alkoholmissbrauch ankämpft, aber im
Annoncenteil doch Anzeigen von Brauereien, Weinversteigerungen usw.
bringt. Wesentlich ist nur,- dass redaktioneller und Anzeigenteil gegen¬
seitig unbeeinflusst sind, und dass insbesondere nicht die wissenschaft¬
lichen Abschnitte vom kaufmännischen Geist des Reklameteils ergriffen
werden.
Wenig harmlos sind gewisse gemeinverständlich wissenschaftliche
Broschüren über ein bestimmtes medizinisches Thema, durch die sich
auch der Fachmann zuerst täuschen lässt. Sie sind oft recht gut ge¬
schrieben. aber es ist doch erstaunlich, dass in einem Jahr gleich
zwei Auflagen von einer schliesslich doch nicht sonderlich bedeutenden
Schrift erscheinen, dass sogar, wie aus den beigegebenen Empfehlungs¬
schreiben zu ersehen ist, Uebersetzungen in verschiedene ausländische
Sprachen stattgefunden haben. Man versteht den inneren Grund dieser
Tatsachen zunächst nicht recht, bis man sieht, dass solche Broschüren
vielfach doch auf Empfehlung eines bestimmten Fabrikates hinauslaufen.
So wird die Vermutung erweckt, dass solche Veröffditlichungen letzten
Endes der Anregung oder der Unterstützung der betreffenden Fabrik
ihre Entstehung, ihre häufige Auflage, ihre Uebersetzung in fremde
Sprachen verdanken. Der gute Glauben soll einem solchen Autor nicht
in allen Fällen abgesprochen werden — aber die gute Beziehung ist
auch nicht zu übersehen.
Die Verbreitung der Zeitungen und Zeitschriften, ihr entscheidender
Einfluss in gesundheitlichen Fragen, lässt die Notwendigkeit des un¬
bedingten Auseinanderhaltens von gemeinverständlicher' Wissenschaft
und Reklame als Grundbedingung erscheinen. Wichtig ist das Achten
auf solche Dinge gerade in der jetzigen Zeit auch deshalb, weil heute
die Not auch manchen Arzt dazu bringt, Dinge aus materiellen Gründen
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
6S1
zu tun, die seiner eigenen Ansicht von ärztlicher Verantwortungspflicht
vielleicht widersprechen. Auch der Leser muss sich bewusst sein, dass
ein „Abfärben“ des Annoncenteils auf den redaktionellen Teil nicht vor¬
handen ist: nur dann kann der Zeitung und den einzelnen Autoren das
werden, was sie anstreben: Vertrauen.
BQcheranzeigen und Referate.
Döderleln-Krönig: Operative Gynäkologie. 4. Auflage, be¬
arbeitet von Albert D öder lein. Leipzig 1921, Georg Thiemes
Verlag. Preis 200 M. geb.
In der 3. Auflage vom Jahre 1912 hatte die deutsche operative
Gynäkologie ilir ragendstes Denkmal erhalten. Das in Inhalt und Er¬
scheinung mustergültige Werk gab ein imponierendes Bild und hat weit
über die Grenzen des Vaterlandes hinaus die Frauenheilkunde beein¬
flusst. Die seither abgeflossenen 8 Jahre haben dem operativen Gebiet
der Gynäkologie besonders neue, fruchtbare oder gar umwäl 2 :ende Ge¬
danken nicht mehr gebracht; im Gegenteil, durch den Einbruch der
Strahlentherapie sind ganze Provinzen wichtiger Operationen verloren
gegangen. Bumms Ausspruch kommt einem in den Sinn: Es will
Abend werden in der Gynäkologie.
Die 4. Auflage führt zwar noch die Doppelflagge .JJöderlein-
K r ö n i g“, aber die Aufgabe ruhte allein auf den Schultern D ö d e r -
lei ns. Es mag Pietät gewesen sein, die Dö der lein veranlasst hat,
an dem Rahmen, an dem Aufbau, ja auch an einzelnen Teilen des Werkes
so wenig als möglich zu ändern. Wirklich neu und zugleich eine wahre
Bereicherung ist das von Erwin Zweifel vortrefflich geschriebene und
mit ausgezeichneten Abbildungen üppig ausgestattete Kapitel über die
zentralen, peripheren und lokalen Anästhesierungen. Die seit Halle
scharfe Kursänderung macht sich naturgemäss in den Abschnitten Metro-
pathia haeniorrhagica, Myom und Uteruskarzinom besonders geltend.
Schuberts Operationsmethode bei kongenitalem Scheidenmangel ist
ausgezeichnet geschildert und durch prächtige Bilder erläutert. Ebenso
die von Goebell-Stöckel so geistreich ersonnene Pyramidalis-
Rektusfaszienverwendung bei Harniiikontinenz, F ü t h s hübsche Aende-
rung der Blasenscheidenfistelvernähung ist ebensowenig übersehen als
die Anregung, die Bluttransfusion in verbesserter Gestalt wieder nützlich
werden zu Tassen.
Vermisst habe ich die von Bardescu-Schauta angegebene
Aenderung der Ventrosuspension nach Doleris, die diese gute
Operation erst erfolgsicher gemacht hat. Ferner auch die Empfehlung
und Beschreibung des sog. Z i g a r e 11 e n d r a i n s. der so vorzüg¬
lich wirkt und so durchaus schmerzlos (weil am protektiv-silk keine
Verwachsungen haften) zu entfernen ist. Wederhakes Vorgehen
beim Prolaps ist nicht mit einer Ausschaltung des vorderen Douglas
verbunden, das ist ein Versehen des Verfassers. Abbildung 164 zeigt
die Tubensterilisation noch vermittels einer Silkwormfadenschnürung,
also eine Methode, die ganz besonders unzuverlässig ist. Der
Berichter sieht sich aber noch gezwungen, ganz im allgemeinen zu be¬
merken: es hätte vieles, vieles in dieser Neuauflage fortbleiben können,
und er erinnert an die zeitgemässe Mahnung Hofmeiers, in dieser
wirtschaftlich-politischen Verfallszeit möglichst kurze und darum mög¬
lichst billige Bücher zu machen. Für überflüssig halte ich z. B. die Ab¬
bildungen und Beschreibungen von Sterilisatoren, Katgutbündeln. Cumol-
katgutschachteln, von Pdan- oder Kocherklemraen. Auch die B1 u n k -
sehe Blutstillungsklemme dürfte ausscheiden, da sie nichts taugt. Ueber-
flüssig, weil von der Entwicklung der Technik und Wissenschaft ver¬
drängt, sind ferner Beschreibungen und Bilder der Angiotriben, vor allem
auch der gesamten Vaporisation! Meiner Meinung nach ist auch an die
Korpusamputation nach Ri eck viel zu viel Wort und Bild verwendet.
Die Propagandabriefe (S. 664) sind ebenfalls in ihrer Form und Berufung
auf die Wertheimerfolge zum mindesten überholt und könnten ruhig fort¬
bleiben. Das Aortenkompressorium nach Sehrt hat das Instrument
von Gau SS durchaus unnötig gemacht; dessen Wort und Bild dürfte
also auch fehlen. Endlich muss ich das wiederholen, was ich schon in
der Besprechung der 3. Auflage vermahnt habe: diese ganze Annektierung
der Chirurgie der Galle, des Magens, des Darmes, der Niere (ein Aus¬
fluss des überströmenden Temperaments K r ö n i g s) ist schädlicher
Ballast! Wer die Chirurgie dieser Gebiete kann, der braucht die kurzen
Schilderungen nicht. Und wer sie nicht kann, der wird sie aus solchen
mehr oder minder aphoristischen Beschreibungen doch nicht lernen;
der soll eben zu den grossen Fachwerken der Chirurgie des Bauches
greifen. Eine Neuauflage, die drese Anregungen annehmen würde, hätte
den 'Vorteil, mindestens 200 Seiten sparen zu können und würde den
dualistischen Zug des Werkes nur zu seinem Vorteil verschwinden lassen.
Auch der Nichtpurist würde sich freuen, wenn die vielen über¬
flüssigen Fremdwörter (Resumö, outrieren u. a. m.) ausgemerzt
würden.
Das alles sind aber kleine Schönheitsfehler, die den gewaltigen
Allgemeinwert des Werkes nicht beeinträchtigen. Die deutsche Frauen¬
heilkunde darf stolz sein, weil dieser „Döderlein-Krönig“ als Leistung
und Abbild jeden Wettbewerb gewinnt. W. S. F 1 a t a u - Nürnberg.
J. P. Karplus: Variabilität und Vererbung am Zentralnerven¬
system des Menschen und einiger Säugetiere. (Familiemmtersuchungen
mit Berücksichtigung von Geschlecht und Entwicklung). Mit 68 Ab-
bildungn im Text und 6 Tafeln in Lichtdruck. 2. umgearbeitete und
vermehrte Auflage. Verlag von F. Deuticke, 1921.
Pas Werk besteht in genauen Aufzeichnungen über die Variabilität
Digitized by Goiisle
besonders der Furchen und Windungen der Grosshirnrinde (sowie auch
der Rückenmarksgestaltung), immer betrachtet bei mehreren Mitgliedern
einer Familie. Das umfangreiche Material, das Erwachsene und Föten,
Menschen und Tiere (Affen. Hunde, Katzen und Ziegen) umfasst, wird
in ausführlichen, in Tabellenform geordneten Protokollen mit zahlreichen
schematischen Zeichnungen veröffentlicht. Von den allgemeinen Er¬
gebnissen dieser mühevollen Untersuchungen sei folgendes heraus¬
gehoben: Bei niedern Affen zeigt das Furchenbild bei beiden Hemi¬
sphären weitgehende Uebereinstimmung untereinander. Auf leiden
Seiten übereinstimmende Varietäten sind hier aber — besonders in ge¬
wissen Hirnpartien — häufig, jedoch besteht nur ausnahmsw’ei^ eine
familiäre liebereinstimmung derselben. Beim Menschen hingegen
weichen einerseits die Furchenvarietäten der beiden Hemisphären von¬
einander ab, andererseits besteht eine viel höhere Neigung zur heredi¬
tären gleichseitigen Uebertragung der im ganzen weniger zahlreichen
Abweichungen. Ein für die Frage der üeschlechtsunterschiede des
Zentralnervensystems interessanter Punkt ergab sich bei der Unter¬
suchung menschlicher Zwillingsföten verschiedenen Geschlechts: Die
Furchenentwicklung eilt beim fötalen männlichen Gehirn gegenüber dem
weiblichen voraus. In diesem Vorauseilen ist ein sekundärer Ge¬
schlechtscharakter beim Menschen zu suchen. — Wie auch Verf. betont,
wäre «es sehr wünschenswert, wenn sein wertvolles Material mikro¬
skopisch durchuntersucht würde — dies um so mehr, als wir heute der
Furchen- und Windungsbildung nicht mehr die Bedeutung von früher
zumessen können. Aus den Untersuchungen von B r o d m a n n,
O. V 0 g t u. a. ist nach Ansicht des Referenten zu entnehmen, dass wir in
der zyto- und myeloarchitektonischen Gliederung der Hirnrinde die
Unterlage für die funktionellen Verschiedenheiten zu suchen haben, auf
welche wir doch letzten Endes hinaus wollen. Hu. Spatz.
Erkes und Pribram: Kompendium der speziellen Chirurgie.
12. bis 14. Auflage. Berlin 1921. Preis 36 M. Verlag' von S. Karger.
Die Verf. haben de Ruyter und Kirchoffs Vademekum neu
bearbeitet und damit eine kurzgefasste Darstellung der speziellen
Chirurgie geliefert, welche den jetzigen Stand der Chirurgie nach dem
Weltkrieg vertritt Die Darstellung ist kurz, aber wissenschaftlich, so
dass der Leser nicht nur gute Merkzeichen und Vorschriften erhält, son¬
dern auch’die Begründung nach dem pathologischen Befund. Der Text
wird durch 118, meistens gute Abbildungen ergänzt Helfer ich.
H. Gocht, R. Radlke und F. Schede: Künstliche Glieder.
Zweite umgearbeitete Auflage mit 689 Texabbildungen und 2 Tafeln.
F. Enke, Stuttgart 1920. Preis 48 M.
Die gewaltige Arbeit, die während des Krieges in Deutschland und
Oesterreich auf dem Gebiete des Prothesenbaues geleistet worden ist,
verlangte dringend eine baldige literarische Sicherung. Die schwere
Aufgabe, von der Unsumme von Konstruktionen die brauchbaren aus¬
zuscheiden, ist in ^^ausgezeichneter Weise von den drei Verfassern, die
durch ihre eigenen grossen Erfahrungen ganz besonders berufen dazu
waren, gelöst worden und es ist dadurch ein Werk entstanden, welches
als das Buch der Prothesenkunde grundlegend für lange Zeit sein wird.
F. Lange-München.
Prof. Dr. F. Schieck-Halle: Grundriss der Augenheilkunde für
Studierende. 2. verbesserte Auflage, mit 110 zum Teil farbigen Text¬
abbildungen. Berlin, Julius Springer, 1921. 168 Seiten. Preis geb.
M. 25.—.
Ein sehr sympathischer Leitfaden, der sich in knapper, klarer Dar¬
stellung auf das für den Studenten Wichtigste beschränkt, ihm aber ein
ausführliches Lehrbuch der Augenheilkunde nicht ersetzen soll. Die Ab¬
bildungen sind in demselben Geist ausgewählt, ihre Wiedergabe auf
Glanzpapier ausgezeichnet. Gegen die 1. Auflage ist nicht viel ver¬
ändert, einige Abbildungen über Linsenerkrankungen sind neu hinzu¬
gekommen, Die ganze Ausstattung ist vollkommen friedensmässig.
Salzer- München.
Johannes Schütze- Berlin: Leitfaden der Röntgendiagnostik für
den praktischen Arzt. 1. Band: Innere Erkrankungen des Brust- und
Bauchraumes. Mit 104 Textabbildungen. Verlag Enke, 1920. 130 S.
Preis ungeb. 30 M.
Das Buch bildet den Niederschlag von Fortbildungskursen für prak¬
tische Aerzte. Auch .der Praktiker, der seine Fälle nicht selbst durch¬
leuchtet, soll mit einiger Sachkunde seinem Röntgenkollegen gegenüber¬
treten, um das Röntgenverfahren nur in geeigneten Fällen heranzuziehen
und den Befund im diagnostischen Gesamtbild richtig zu verwerten,
iezu weist ihm Verfasser geschickt den Weg. Die Ausstattung des
uches ist sehr gut. Die vielen . seitenverkehrten“ Bilder dürften
manchen Anfänger stören, der sich zunächst das gewöhnliche Schirmbild
eingeprägt hat. (i
A. Dührssen: Geburtshilfliches Vademekum. Mit ,44 Abbildungen.
13. bis 15. Auflage. Berlin 1921, S. Kargers Verlag.
Eine Durchsicht des allbekannten Buches zeigt, dass die neue Auf¬
lage auch die letzten Fortschritte der geburtshilflichen Wissenschaft und
Praxis eingearbeitet hat. Bei der vielen Studierenden kaum «rschwing-
baren Höhe der Preise eines grossen Lehrbuches wird die Verbreitung
des bewährten Führers noch zunehmen. Zum 25 jährigen Jubiläum des
vaginalen Kaiserschnitts sind einige neue Bilder eingefügt, sie hätten
besser sein können, ebenso die Zeichnungen für den Metreurynter¬
schnitt. Schade, dass der Verf. sich nicht entschliessen kann, polemische
Seitenhiebe zu unterlassen. Sie sind in einem für Studenten be-
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
682
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22 .
sonders geschriebenen Buch fehl am Ort; da diesem Leserkreis das
Interesse, die Urteilsmöglichkeit die Kenntnis der historischen Grund¬
lagen fehlt Dührssens Verdienste sind so dauernd, dass er diese
Art der Apologie nicht braucht. W. S. F1 a t a u - Nürnberg.
Zeitschriften- Uebersicht
Deuttcbe Zeüscbrlit für ChlrurKie. 161. Band. 3.-5. Heft.
C. Mau: Die Tuberkullndlagaostlk ln der chirurgischen Tuberkulose.
(Aus der Chirurg. Universitätsklinik Kiel.)
Eine positive Herdreaktion wurde in etwa ^/s der Fälle beobachtet, ge¬
schlossene Tuberkulosen sind häufiger positiv wie fistelnde und abszedierende.
In seltenen Fällen besteht positive Herdreaktiori bei negativer Temperatur¬
reaktion. Bei negativem Ausfall sämtlicher Reaktionen ist Tuberkulose mit
Sicherheit, bei negativem Ausfall von Temperatur und Herdreaktion bei
positiver Stichreaktion mit Wahrscheinlichkeit auszuschiiessen. Negative
Herdreaktion bei positiver Temperaturreaktion spricht nicht gegen die Dia¬
gnose Tuberkulose. Eintritt und Ablauf der Temperaturreaktion sind unter
Umständen hier massgebend. Die Tuberkulininjektion erscheint, streng
methodisch ausgeführt, als wertvolle Bereicherung der Diagnsotik.
Ernst König; Zum Nachweis aktiver Tuberkulose durch die Intrakutane
Eigenharnreaktion (W 11 d b o 1 z). (Aus der Chirurg. Universitäts-Klinik
Königsberg.)
Die Eigenharnreaktion nachgeprüft an 50 Harnen mit 117 Impfungen ist
nicht spezifisch, es fanden sich sowohl bei sicherer Tuberkulose, die nach
dem Ausfall der Tuberkulinreaktion deutlich allergisch war, negative Resultate,
als auch bei tuberkulosefreien Personen positive Reaktionen in einer grossen
Anzahl. Es ist nicht zulässig mittels der Eigtnharnreaktion die Diagnose
aktive Tuberkulose zu stellen oder auszuschliessen.
Gurnemanz H o f f m a n n: lieber Hirschsprung sehe Krankheit
unter besonderer BerUcksIchtiffung der hlerselbst seit dem Jahre 1911 ope¬
rierten Fälle. (Aus der Chirurg. Universitätsklinik Leipzig.)
18 Fälle von Hirschsprung scher Krankheit, 13 Männer, 3 Frauen,
2 Kinder. Die Zahl der Todesfälle beträgt 7, die Patienten wurden z. T.
in desolatem Zustande eingeliefert. 10 mal fand sich ein Volvulus oder
eine chronische Torsion einer erheblich verlängerten und erweiterten Sigma¬
schlinge, 5 mal fanden sich Adhäsionen oder Membranen als Ursache, 2 mal
Ventilverschluss und Abknickung am Genu rectoronianum, bei einem Kinde
war ein kongenitaler Schnürring am Genu rectoroma die Ursache des
typischen Hirsch Sprung sehen Svmptomcnkomplexes. Eine angeborene
Veranlagung im Sinne einer angeborenen oder in frühester Jugend erworbenen
Verlängerung. Erweiterung und Verdickung eines Dickdarmteils ist keines¬
wegs sehr selten, wenn auch die volle Ausbildung des Symptoinenkornplexes
meistens erst später erfolgt. Literaturverzeichnis von 88 Nummern. (Der
Begriff der H i r s c h s p r u n g sehen Krankheit erscheint mir vom Verf. zu
weit gefasst: wenn ich jeden Volvulus des Sigma mit Wandverdickung
zur Hirsch Sprung sehen Krankheit rechne, bin ich auch berechtigt, bei
jedem steiiosierenden Dickdarmkarzinom mit hypertrophischer zuführender
Schlinge, die sich sehr bald ausbilden kann, von Hirschsprung zu sprechen.
Die Bezeichnung sollte reserviert bleiben für die Fälle des Megacolon cong.
im engeren Sinne. Ref.)
Elisabeth Michaelsen: Ueber Invaglnatlonen. (Aus der ll. Chirurg.
Abteilung des Krankenhauses St. Georg Hamburg.)
43 Fälle gleich 12,5 Proz. der lleusfälle der Abteilung, davon Säuglinge
56 Proz.. Kinder 28 Proz., Erwachsene 16 Proz. Die Invaginatio ileo-
coecalis macht bei Säuglingen 100 Proz. aus. Die ätiologische Rolle der
Darmkatarrhe wird nicht anerkannt, dagegen eine Prädisposition durch ein
Coecum mobile oder ein langes Sigma. Für die Invaginationen bei infil¬
trierenden Tumoren ist die L e i c h t e n s t e r n sehe Theorie der paralyti¬
schen Entstehung heranzuziehen, für die anderen Formen die spastische
Theorie Nothnagels. Die Mortalität beträgt bei Säuglingen 75 Proz.,
bei grösseren Kindern 33 Proz., bei Erwachsenen 43 Proz.. im Durchschnitt
58 Proz. Bei Kindern und Säuglingen ist die operative Desinvagination das
beste Verfahren, bei Erwachsenen gibt die Resektion gute Resultate.
Max S c h ü 1 e i n: Ueber das perforierte Magen- und Duodenalgeschwür.
(Aus der II. Chirurg. Universitätsklinik in Wien.)
21 Fälle der letzten 10 Jahre, davon 15 Ulcera duodeni, 6 ventriculi,
sämtliche Fälle betrafen Männer. 16 mal fand sich eine typische Anamnese,
ein längere Zeit bestehender Magenschmerz. Als wichtiges differential¬
diagnostisches Symptom erwies sich auch dem Verf. die Spannung vor
allem des rechten M. rectus abd. in den oberen Partien. Einmal kam es
2 Tage nach der Operation einer Appendicitis gangraenosa perforativa zur
Perforation eines Ulcus. Operation in Aethernarkose. Methode der Wahl ist
die Naht der Perforation mit Netzdeckung und primärer entlastender Gastro¬
enterostomie. Nur für desolate Fälle empfiehlt sich die einfache Drainage.
Exzision und Resektion im akuten Stadium der Peritonitis werden abgelehnt.
Mortalität in den ersten 9 Stunden 0 Proz., in den ersten 18 Stunden 50 Proz.,
später 100 Proz.
Robert P amperl; Zur Entstehung und Behandlung der postoperativen
Tetanie. (Aus der deutschen Chirurg. Klinik in Prag.)
Unter 630 Kropfoperationen wurden 5 Fälle von z. T. schwerer post¬
operativer Tetanie beobachtet, in einigen Fällen erfolgte durch Epithel¬
körperpräparate Besserung der bedrohlichen Erscheinungen und sogar Heilung.
Besser wie käufliche Präparate wirkte ein selbst hergestelltes Pferde-E.-K.-
Pulver, von Narkotizis sind Mo. und Paraldehyd zu empfehlen. Die E.-K.-
Transplantation konnte aus äusseren Gründen nicht ausgeführt werden. Ausser
durch Schädigung der E. K. scheint das Auftreten der postoperativen Tetailie
durch ausgedehnte Reduktion von Schilddrüsengewebe, durch chronische Stö¬
rungen der Herzaktion und durch den Basedow begünstigt zu werden.
H. G ö d d e: Zur Frage der Verletzung der grossen Halsgefisse und
Ihrer Behandlung. (Aus der Chirurg. Abt. des evangel. Krankenhauses Ober¬
hausen.)
Unterbindung der Carotis communis und Vena jug. int. nach Verletzung
durch Minensplitter mit glücklichem Ausgang.
M. Brandes: Ueber die praktische Bedeutung der Antetorslon bei
der Luxatlo coxae congenita und Ihre Korrektur. (Aus der Chir. Universitäts-
Klinik Kiel.)
Die für das Ergebnis der Reposition der kongenitalen Luxation manch¬
mal so verhängnisvolle Antetorslon des Schenkelhalses ist bislang viel zu
wenig berücksichtigt. Die üblichen Detorsionsverfahren haben mehr oder
weniger grosse Nachteile, denen der Verf. durch die Detorquierung während
der üblichen Fixationszeit entgegentreten will: Erste Reposition In ähnlicher
Weise wie Schanz sie ausfUhrt, im allgemeinen gute Resultate, die wenigen
Relaxationen sind auf die Antetorsioii des Schenkelhalses zurückzuführen,
in solchen Fällen tritt nach der II. Reposition (4—8 Wochen nach der I.)
die Korrektur ein: In Narkose wird manuell eine Osteoklase oberhalb der
Kniekondylen des Femur gesetzt und an dieser Stelle die Detorquierung des
Femurschaftes ausgeführt in der Weise, dass das untere Fragment um den
Grad der zu beseitigenden Antetorslon nach aussen gedreht wird. Fixation
4—6 Wochen, dann Drehung des Beines im Hüftgelenk einwärts, bis der
Unterschenkel des liegenden Kindes horizontal steht, dann ist die Sagittal-
stellung des Schenkelhalses beseitigt und die spätere Frontalstellung erreicht.
Eine Schätzung der Antetorslon sowie die Feststellung der gelungenen De¬
torquierung nach den in Lorenz scher Primärstellung aufgenommenen
Röntgenbildern ist sehr wohl möglich. Bisher gute Resultate in 10 Fällen.
C. t e n Horn: Beobachtungen an Sauerbruch sehen Operations-
stümpfen. Ein Beitrag zur Kenntnis der Muskelempflndungen. (Aus der
Münchener chirurgischen Universitätsklinik.)
Das Innervationsgefühl ist bei den nach Sauerbruch operierten
Stumpfmuskeln unversehrt. Es lässt sich regelmässig bei diesen Muskeln
nachweisen, dass die Sensibilität bei den Beugern feiner entwickelt ist als
bei den Streckern. Bei der Beurteilung der komplizierten Empfindungen
(Schwere Lage, Bewegung, Widerstand) muss der Muskelsensibilität wieder
eine grössere Rolle zukommen. Die Unterschiedsempfindlichkeit für Gewichte
ist bisweilen bei den kanalisierten Muskeln noch grösser wie bei der ge¬
sunden Hand. Das beweist den wichtigen Einfluss der Muskelsensibilität auf
Lage- und Bewegungsempfindungen der Extremitäten. Die ungleiche Muskcl-
sensibilität begründet die Annahme verschiedenartiger Muskelindividuen. Die
gewohnheitsmässigen Agonisten zeigen feinere Entwicklung der Muskelempfin¬
dungen wie die Antagonisten. Die Annahme einer ungleichen zentralen
Sensibilität ist unnötig. H. Flörcken - Frankfurt a. M.
Zentralblatt für Chirurgie^ 1921. Nr. 19.
A. H o f m a n n und Fr. Kauffmann - Frankfurt a. M.: TrakHons-
dlvertlkel des Duodenums, röntgenologisch diagnostiziert und operativ entfernt,
Verfasser beschreiben einen kürzlich beobachteten Fall von Traktions¬
divertikel des Duodenums, das sich durch Röntgendurchleuchtung diagnosti¬
zieren Hess und operativ entfernt wurde. 2 Skizzen veranschaulichen den
Röntgenbefund,
H. B r ü 11 - Hamburg: Sakralanästhesie bei schwierigen Zystoskoplen.
Verf. empfiehlt bei schwierigen, schmerzhaften Zystoskopien (besonders
bei Blasentuberkulose) zur Anästhesierung die tiefe Sakralanästhesie, indem er
in Knie-Ellenbogenlage 20—30 ccm 2 proz. Novokain-Suprareninlösung injiziert,
wodurch die sensiblen Nervenfasern für Harnröhre und Blase (N. pudendus
und N. pelvicus) unempfindlich gemacht werden.
Kurt W o h 1 K c ni u t h - Berlin: Verblutungstod nach Mllzpunktlon.
Auf Grund einer beobachteten Verblutung nach Milzpunktion stellt Verf.
folgende Thesen auf: Die Punktion der Milz durch die Bauchdecken hindurch
ist wegen der Gefahr der inneren Verblutung zu gefärhlich, doppelt gefährlich
bei septischen Erkrankungen. Wenn ja eine Milzpunktion vorgenommen wird,
dann ist der Patient in den folgenden 24 Stunden genau zu beobachten und
bei drohenden Anzeichen einer inneren Blutung sofort zu operieren.
Arth. S c h 1 e s i n g e r - Berlin: Zur Behandlung der Paronychie.
Um bei Paronychien die Schmerzempfindlichkeit des Nagelbettes möglichst
herabzusetzen, trägt Verf. nicht den ganzen Nagel, sondern nur die Nagel¬
wurzel ab, wodurch auch die Heilungsdauer bedeutend abgekürzt wird.
E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf,
Zentralbiatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 19.
R. K a p f e r e r - Innsbruck: Ein Fall von Placenta dlKusa.
Es handelt sich um das äusserst seltene — bisher nur 2 Fälle — Er-
haltenbleibeti der Zotten auf der ganzen Eioberfläche. Geburt im 7. Monat
unter dem Bilde einer Placenta praevia centralis.
K. L a n d s t e i n e r - ten Haag: Bemerkungen über Isoagglutination an¬
lässlich einer Mitteilung von R. Zlmmerman<n.
Verf. macht auf seine früheren Arbeiten aufmerksam und auf eine
Methodik, das zu transfundierende Blut mit dem des Empfängers zu prüfen
und Testsera für diesen Zweck herzustellen.
H. R. Schmidt - Bonn: Ueber eine operierte Mastdarm-Blasen- und
Mastdarm-Scheidenfistel.
Das gleichzeitige Bestehen dieser Fisteln ist besonders selten. Ent¬
stehung durch eine eingedrungene Sicherheitsnadel. Zweizeitige Operation
bei dem 8 jähr. Kinde mit bestem Ergebnis.
E. P u p p e 1 - Mainz: Extravesikale Ausmündung eines einfachen, nicht
überzähligen Ureters und Ihre Behandlung.
Es handelt sich um einen einfachen, vaginal ausmündenden Ureter, der
nach Mackenrodts Vorgang vaginal implantiert wurde. An der Ini-
plantationsstelle trat eine Harnfistel auf, die nach 5 Monaten geschlossen
wurde. Im Anschluss daran am 10. Tage eine bald wieder abklingendc
rechtseitige Pyelitis, die ihre Entstehung entweder einer bei der Operation
gesetzten Infektion oder einer durch die Naht entstandenen Verengerung
des vesikalen Ureterendes verdankt.
C. U. V. K I e i n - Graudenz: Zur perperitonealen Operation schwer
zugänglicher Blasen-Scheldenfisteln.
Bei Schwierigkeiten, eine Blasen-Scheidenfistel von der Vagina aus zu
schliessen, empfiehlt Verf. die D i 11 e 1 sehe Methode.
H. E b b i n g h a u s - Altena i. W.: Blasenstein als mechanisches Ge¬
burtshindernis.
Der 30g schwere Blasenstein hatte sich um ein morsches Stück Gummi¬
rohr, das einer Ansatzspritze eines Kinderklistierballons entstammte, die bei
einem etwa 7 Monate vor dem Partus unternommenen Tentamen abortus
provocendi abgebrochen war, entwickelt und musste intra partum operativ
beseitigt werden.
G. S e i s s - Hamburg: Zwei Fälle von FIstulae cervicls uterl laqneaticae.
Kasuistischer Betrag.
Beschreibung zweier meiner Fälle, die die W i c z i n s k i sehe Ansicht
von der Konstitution (Hypoplasie der Genitalien) als Erklärungsprinzip für
Ursache und Entstehungsmechanismus bestätigen.
Digitized b)
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
6S3
A. H e r m s t e i n - Breslau: lieber die Terpentinbehandluns der puer¬
peralen Sepsis.
Carl H a r t 0 g - Berlin: lieber Terpentininlektionen bei Adnexerkran¬
kungen.
Julius Sonnenfeld - Berlin: Behandlung von Adnexerkrankungen
mit Terpentin oder Caseosan?
In diesen Arbeiten werden die Behandlungserfolge teils gelobt, teils
getadelt. Glänzenden Resultaten stehen auch Misserfolge gegenüber. Die
Qualität des Materials, der Zeitpunkt der Behandlung u. ä. werden als
Erklärung für diese Verwirrung angeführt.
J. E n g e 1 m a n n - Dortmund: Kurze Bemerkungen zu den Arbeiten:
Unsere Erfahrungen mit der Svmphyseotomie usw. von J. 0 u a n t e and
Symphyseotomia oder Sectio caesarea? von B. Schwarz in Nr. 15 des
ZbL f. Gyn.
Otfried O. P e 11 n e r - Wien: Erwiderung auf die „Richtigstellung** usw.
von Dr. Herrmann ln Nr. 14 des Zbl. f. Gyn.
Th. F a h r - Hamburg: Zur Kritik von Löh lein an meiner vor¬
läufigen Mitteilung in Nr. 36 1930 des Zbl. f. Gyn. „Ueber Nierenveränderungen
bei Eklampsie**. Werner- Hamburg.
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. Band 24. Ergänzungsheft.
Nachrufe: Ribbert, Weichselbaum.
Lichtenstein A.: Untersuchungen über die Aetlologie der Lympho-
granulomatosis (S t e r n b e r g). (Pathologisch-anatomische Abteilung des
Karolinischen Instituts in Stockholm.)
Der Autor sieht die Lymphogranulomatose als Produkt einer Infektion
mit abgeschwächten Tuberkelbazillen an. Dafür spreche die auffallend häufige
Kombination des Lymphograiiuloms mit echten tuberkulösen Veränderungen,
der relativ häufig zu erbringende Nachweis von säurefesten Stäbchen im
Lymphogranulom, die positiven Ueberimpfungen. die teils echte tuberkulöse
Veränderungen, teils Veränderungen von Lymphogranulom-Habitus entstehen
lassen. Die Pathogenese des Lymphogranuloms denkt sich Verf. so, dass
bei bestimmten, vielleicht Tendenz zu lymphatischer Hyperplasie zeigenden
Individuen eingedrungene Tubcrkelbazillen durch die Lymphozyten angegriffen,
ihrer Säurefestigkeit beraubt, dadurch biologisch verändert, in ihrer Aggres¬
sivität beeinträchtigt und wohl auch z. T. vernichtet werden. Folge ist die
Entstehung des eigenartigen Granulomgewebes. Plötzlich eintretende Virulenz¬
steigerung der Bazillen kann neben den granulomatösen auch typische tuber¬
kulöse Gewebsveränderungen gegen Ende der Krankheit auslösen.
Frank M.: Zur pathologischen Anatomie ’ der Infektion mit Strepto¬
coccus mucosae. (Patholog. Institut der Deutschen Universität Prag.)
Neigung zur Infarktbildung und zu Blutungen, besonders im Dünndarm
ist vorstechendes Symptom der Streptococcus mucosus-Infektion. Sitz der
die Blutungen auslösenden Thromben sind Venen und Kapillaren.
F. J. Nöthen: Ein bemerkenswerter Fall von Arroslonsan^rysma
der Femoralis auf tuberkulöser Grundlage (Pathologisches Institut Köln.)
Marum Gottlieb: Ueber eine erwachsene, chondrodystrophische
Zwergin. (Pathologisches Institut Köln.)
Besonders bemerkenswert ist, dass eine Unterentwicklung der Para¬
thyreoideae gefunden wurde.
M. H. C 0 r t c n: Ueber ein Haemangioma sarcomatodes des Gehirns bei
einem Neugeborenen. (Prosektur des Städt. Katharinenhospitals in Stuttgart.)
Halbmannsfaustgrosser, mit Dura und Tentorium fest verwachsener, die
hintere Hälfte des Schläfenlappens und Hinterhauptslappens einnehmender
Tumor.
Marchand Felix: Erwiderung auf Dr. Friedrich Kanffmanns Nach¬
prüfung des C o h n h e i m sehen Entzündungsversnehes.
K a u f f m a n n hat in seiner Arbeit behauptet, dass es ihm in keinem
Falle gelungen sei mit Sicherheit den Durchtritt weisser Blutzellen durch
die Qefässwand zu beobachten, und leitet die sich extravasal ansammelnden
Leukozyten von Histiozyten ab. M. wendet sich in scharfer Weise gegen
derartige Behauptungen, die allen Beobachtungen widersprechen und hält die
Kauffmann sehe Beschreibung für Beobachtungsfehler. Die von K a u f f -
mann beschriebenen extrava.sal auftretenden Zellen sind grösstenteils in
amöboider Bewegung fixierte ausgewanderte Leukozyten und haben mit den
lymphozytoiden histogenen Zellen Marchands nichts zu tun.
Oberndorfer - München.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 20.
Syd. A1 r u t z - Upsala: Die Bedeutung des hypnotischen Experiments
für die Hysterie.
Der Artikel ist eingeleitet durch Ausführungen von O. Binswanger-
Jena, welcher sich zu dem theoretischen Teile der A.schen Mitteilungen ab¬
lehnend verhält, allerdings zugibt, dass die Methode von A. auch positive
Ergebnisse liefern k£inn. bei denen ein suggestiver Einfluss höchst wahr¬
scheinlich nicht mitspielt. A. selbst legt dar. dass das hypnotische Experi¬
ment in fünffacher Hinsicht für die Hystcrieforschung von Bedeutung ist,
namentlich auch bezüglich der sog. Irradiationsphänomene. Bezüglich der
Versuche muss auf das Original hingewiesen werden. Aus den Schluss¬
folgerungen soll hier nur hervorgehoben werden, dass nach den Erfahrungen
des Weltkrieges hysterische Symptome bei nicht hysterischen Individuen
infolge eines sensoriellen oder emotionellen Schocks nur dann auftreten, wenn
Bewusstseinsstörungen vorliegen. Die Bedeutung des hypnotischen Experi¬
ments. speziell in der Hysterie, ist u. a, auch darin gelegen, dass die sog.
Irradiationsphänomene absichtlich dadurch hervorgerufen werden können.
H. F. O. Haber land: Die konstitutionelle Disposition zu den chirur¬
gischen Krankheiten.
An Hand zahlreicher Beobachtungen und einzelner Beispiele, wie hin¬
sichtlich der Wundheilung, der wirksam werdenden Infektionen, der Knochen¬
erkrankungen, der Entstehung der Geschwülste legt Verf. dar. wie die per¬
sönliche Konstitution auch bei der Entstehung und im Verlaufe von fchirurgi-
schen Erkrankungen eine weitgehende Rolle spielt.
A. Zimmer- Berlin: Schwellenreiztherapie.
Vergl. S. 258 und 539 der M.m.W. 1921.
R e h b e r g - Düsseldorf: Beitrag zur Frage der Typhussepsls.
Verf. ist in der Lage, der Kasuistik des Typhus abdom. ohne Darm¬
veränderung. nämlich der Typhussepsis, einen neuen Fall anzufügen, welcher
klinisch durch äusserst schwere septische Erscheinungen gekennzeichnet war.
Aus der Milz wurden Typhusbazillen in Reinkultur gezüchtet. Epikrise.
Digitized by Goiisle
W. B a b - Berlin: Die Ursachen der Kriegsblindheit.
Statistische Verarbeitung von 3122 Fällen von Kriegsblindheit. Der
grösste Teil der Kriegsverletzungen des Auges ist durch Artilleriegeschossc
und , Explosionen hervorgerufen worden.
E. V 0 g t - Tübingen: Radiologische Studien über die Inneren Organe
des Neugeborenen.
U. A. ist auch eine röntgenologische Lebensprobe ausgebaut worden
als Ergänzung der Schwimmprobe. Darnach zeigen nur die Kinder, welche
aktiv längere Zeit geatmet haben, die unteren Partien der Lungen mit Luft
gefüllt. Im ganzen zeigen diese Untersuchungen, dass die Organe der Neu¬
geborenen nicht etwa, wie man früher glaubte, rückständig oder mangelhaft
anpassungsfähig sind. Betr. der Ergebnisse an den einzelnen Organsystemen
muss das Original verglichen werden.
H. B ö i n g - Warstade b. Basbeck: Die angeborene Syphilis und ihre
Behandlung.
Mit Bezug auf die Veröffentlichung in Nr. 12 der B.kl.W. 1921 über
dieses Kapitel ist diese Mitteilung dem Nachweis gewidmet, dass die dort
mitgcteilten 3 Krankengeschichten zeigen, dass die bei Beginn der Kuren
positive Wa-R. am Schlüsse der Kuren negativ geworden ist, während der
ganze klinische Status der Kinder keinerlei Veränderung aufweist. Im An¬
schluss hieran bringt Verf. 2 Fälle zur Kenntnis, die zwar auch eine positive
WaR. aufwiesen und dementsprechend antiluetisch behandelt worden waren,
mit dem Ergebnis eines physischen und seelischen Zusammenbruchs, wäh¬
rend sie sonst überhaupt keinerlei klinische Anzeichen einer Syphilis dar¬
boten. Verf. vertritt die Methode, luesinfizierte Mütter (bisher unbehandelt),
Säuglinge und ältere Kinder nur mit allerkleinsten Mengen Hg zu behandeln,
worüber er günstige Erfahrungen mitteilt.
Ad. R e i n h a r d t - Leipzig-Eutritzsch: Zur Frage der Oxyuriasis und
Appendizitis.
Verf. vertritt auch hier seine Ansicht, dass es eine im Anschluss an
Oxyuriasis auftretende Appendizitisform gibt.
E. Neumark und G. W o I f f - Berlin: Kurze Mitteilung zur Was¬
sermann sehen Reaktion nach der neuen Vorschrift.
Auf Grund ihrer Versuche kommen die Verf. zum Schlüsse, dass die
neue Methode eine Verschlechterung gegenüber der alten bedeutet.
C. Bruck- Altona: Ueber den Einfluss der Salvarsanexantheme auf
den Verlaul der Syphilis.
Verf. stimmt der Ansicht yon Buschke und Freymann bei, dass
Luesfälle, welche ausgedehntere Salvarsanexantheme glücklich Überstunden
haben, günstiger verlaufen. 6 derartige Fälle werden mitgeteilt. Es emp¬
fehlen sich während der Kur physikalische, auf starke Hautreaktion zielende
Methoden. Grassmann.
Deutsche medizinische Wochenschrift 1921. Nr. 18
L. C a s p e r - Berlin: Ueber funktionelle Nierendiagnostik.
Referat, erstattet in der gemeinschaftlichen Sitzung der Berliner uro-
logischen Gesellschaft und des Vereins f. innere Med. u. Kinderhlk. am
8. III. 1921 (Bericht in Nr. 11 der M.m.W.).
P. Jungmann - Berlin: Zur Klinik und Pathogenese der Streptokokken¬
endokarditis.
Nach einem am 17. I. 1921 im Verein f. innere Med. ^u. Kinderhlk. ge¬
haltenen Vortrag (Bericht in Nr. 4 der M.m.W.).
J. Strasburger - Frankfurt a. M.: Ueber chronische bazilläre Ruhr
und Ruhrfolgen. (Schluss aus Nr. 17.)
Nach einem Vortrag am 3. I. 1921 im Aerztl. Verein zu Frankfurt a. M.
(Bericht in Nr. 16 der M.m..W).
H. Z i e m a n n - Berlin: Ueber die Behandlung des Maltafiebers und des
infektiösen Abortes der Rinder mit KoUargol und ähnlichen Präparaten.
In 4 bakteriologisch festgestellten Fällen von Maltafieber, die bisher
erfolglos behandelt worden waren, wurde durch intravenöse Einspritzung von
2 —4 ccm einer 2 proz. Kollargollösung sofortige Heilung herbeigeführt. Bei
der nahen Verwandtschaft zwischen den Erregern des Maltafiebers und denen
des infektiösen Abortes beim Rinde erscheint auch bei letztgenannter Krank¬
heit die Kollargoleinspritzung aussichtsvoll.
C. A. U h t h 0 f f - Breslau: Aetlologie und Therapie der Keratitis
parenchymatosa.
In 85—90 Proz. der Fälle kam Lues, in 3% Proz. Tuberkulose als Ursache
in Betracht. Der sehr häufig von den Kranken angeschuldigte Unfall ist nur
ausnahmsweise das wirkliche ursächliche Moment; hierzu recht bemerkens¬
wert ist die Beobachtung, dass bei 2 Kranken (unter 200!), bei denen ein Zu¬
sammenhang zwischen Unfall und Entwickelung der Keratitis sicher schien,
Blutwassermann positiv war. In den Heilerfolgen hat die Einführung der
Salvarsantherapie keine nennenswerte Förderung erzielt. Bei Kindern mit
Erbsyphilis ist frühzeitige Behandlung notwendig.
M. Maier und H. L i o n - Frankfurt a. M.: Ein neuer Apparat für
Wärmebehandlung.
„Elko-Sonne“ der Firma Elektrizitätswärmegesellschaft m, b. H.
Berlin W 15. (1 Abbildung.)
Ch. S t o e b e r - Berlin: Zur Caseosanbehandlung von Haut- und Ge-
schlechtsk rankhei ten.
Bericht über die im ganzen wechselnden, vorwiegend aber günstigen
Erfolge, die mit der intravenösen Caseosantherapie auf dem genannten Gebiete
erreicht werden konnten
W. B e n n i g s 0 n - Berlin: Ueber Intravenöse Novasurol-Neosalvarsan-
behandlung der Lues.
Der einzeitigen intravenösen Novasurol-Neosalyarsanbehandlung kom¬
biniert mit intravenösen Novasurolinjektionen wird leichte Technik, Schmerz¬
losigkeit und auffallend kräftige Wirkung nachgertihmt.
H. Opitz und G. M a t z d o r f f - Breslau: Eine Fehlerquelle bei der
Bestimmung der Retraktilltät des Blutkuchens.
Retraktilitätsprüfuneen dürfen nur im Uhrschälchen und nicht im Reagenz-
glase vorgenommen werden,
H. Zeller- Schaulen: Die Differenzierung der Blutplättchen.
Es werden Unterschiede nach Form und Inhalt gemacht.
A. M ü 11 e r - Eberswalde: Zur Frage der Grippekomplikationen.
Die verschiedenen Grippeepidemien zeichnen sich häufig durch eine
jeweils vorhandene besondere Beteiligung eines bestimmten Organes aus:
Darmgrippe, Nervengrippe u. a
W. Wortmann -Berlin: Ueber Gallensteinlleus.
Innerhalb von 10 Jahren wurde diese Form des Darmvcrschlusses 7 mal
Original frurri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
hM
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
beobachtet; 6 mal sass der Stein im unteren lleum, I mal im Jejunum fest.
Zur Entfernuns; des Steines wird Querschnitt mit Quernaht empfohlen. Bei
stark Kcschädigter Darmwand und daher unsicherer Naht ist Einnähung der
Darmwunde in die Uauchwunde ratsam. Die Absuchung des übrigen Darmes
und des (Jallengangsystems nach weiteren Steinen wird im Zustande des Ileus
für gefährlich gehalten.
R. F 1 e i s c h e r - Nürnberg: Die Anwendung der Sehrt sehen Bauch-
aortenklemme bei Nachgeburtsblutungen.
Stärkere Blutungen konnten durch die Anwendung der Klemme vermieden
werden; der Uterus zog sich nach Anlegung der Klemme rasch und fest zu¬
sammen. Von der Firma W a 1 b in Nürnberg wird ein verbessertes Modell,
für die Qebiirtstasche des praktischen Arztes geeignet, hergestellt.
J. üruss-Prag; Ist es berechtigt, an einem männlichen Individuum
eine künstliche Scheide operativ zu bilden?
Bemerkung zu den diesbezüglichen Ausführungen von Bab in Nr. 7 d. W.
O. Müller- Berlin: Aus der Praxis. Ecrasol, ein neues Krätzeheil¬
mittel.
Ecrasol ist eine flüssige, wasserlösliche, saubere, geruchlose Styraxseife
von vortrefflicher Wirksamkeit.
l.. A s li e r - Bern: Der jetzige Stand der Lehre von den Vitaminen.
L. L a n g s t e i n - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Vereins- und Kongressberichte.
XXXIII. Kongress der Deutschen Gesellschaft für innere
Medizin
in Wiesbaden vom 18.—21. April 1921.
(Berichterstatter: Dresel- Berlin.)
(Schluss.)
Sitzung vom 21. April 1921.
E d e n s - St. Blasien: Zur Theorie der Reizleitungsstörung.
Demonstriert die Kurven eines Falles, aus denen hervorgeht, dass die bei
Schädigungen der Reizleitungsbahn zu beobachtende Verlängerung der Ueber-
leitungszeit auf einer Verlangsamung der Reizleitung beruht. Doch wird da¬
neben die Möglichkeit offengelassen, dass ausserdem eine Abschwächung des
Reizes mit Verlängerung der Latenzzeit der Kammer und der Grad der An¬
spruchsfähigkeit für die Dauer der Ueberleitungszeit in manchen Fällen mit¬
sprechen kann.
Besprechung: W e n c k e b a c h - Wien: Nach historischen Er¬
örterungen beschreibt W. einen einschlägigen Fall, an dem er seine bisherige
Auffassung vertritt.
F. G r 0 e d e I - Frankfurt-Nauheim: Vorkommen und Deutung der Ver¬
doppelung der Vorhofzacke cm Elektrokardiogramm.
Wichtig wäre der Nachweis, dass auch die Vorhofzacke ebenso wie die
Ventrikelzacke aus zwei Zacken besteht. Es werden einige Elektrokardio¬
gramme demonstriert, die eine solche Verdoppelung zeigen. Auffällig war,
dass in mehreren Fällen ein Uebergang in Arhythmia perpetua stattfand. Es
fragt sich, ob es sich um eine Dissoziation der Vorhöfe oder um eine Final¬
schwankung des -Vorhofs handelt.
Schäffer - Breslau: Ueber SehnenreÜexe und Ihre Ueberleitung im
Rückenmark.
Durch • die elektromyographische Aufnahme des Achillessehnenreflexes
lässt sich zeigen, dass das Kniesehnenphänomen ein echter Reflex ist. da die
sog. Reflexzacke mit der Näherung der Reizstelle des Tibialis ans Rücken¬
mark an die Muskelzacke näher hcranrückt. Mit dieser Methode läs.st sich
die Geschwindigkeit im sensiblen Neuron auf 55—60 m p. Sek. feststellen.
Die kurze Ueberleitungszeit im Rückenmark weist darauf hin, dass ohne
Schaltzellen eine direkte Ueberleitung vom sensiblen zum motorischen Neuron
stattfindet.
P. Holfmann und E. Magnus-Alsleben - Würzburg: Ueber die
Schlagvolumlna bei experimentellen Arhythmien.
Die Versuche zeigen, dass der Herzmuskel selbst ohne Zutun des Nerven¬
systems in weitgehendem Masse die Fähigkeit hat. bei arhythmischer Tätig¬
keit des Herzens das Schlagvolumen aufrecht zu erhalten.
P. J u n g m a n n - Berlin: Zur Pathogenese der Herzinsuffizienz bei
Klappenfehterkranken.
Bei Klappenfehlerkranken kann man häufig die Entstehung einer Herz¬
insuffizienz im Anschluss an geringfügige Fieberattacken mit Milzschwellung
und Hautblutungen beobachten (desgleichen nach äusseren Eingriffen). Bak¬
teriologische Untersuchungen während solcher Perioden und der Leichen¬
organe ergaben, dass Strept. viridans-Infektionen des Myokards Vorlagen.
Die Untersuchung der verschiedenen Endokarditisformen ist dabei nicht
möglich. Die lange latent verlaufende Infektion kann durch äussere Einflüsse
oder Neuinfektion infolge Aenderung des Immunitätszustandes aktiviert
werden. Die Behandlung muss also die Beseitigung der Quellinfektion und
die Förderung der Abwehrleistung erstreben, ln zwei Fällen ist dies durch
unspezifische Vakzination (Caseosan) gelungen.
B 5 11 h e r - Königsberg: Ueber KoliarKolwirkung.
Vortr. hat Untersuchungen über die Wirkung des Schutzkolloids und des
Silbers getrennt vorgenommen, um festzustellen, was in dem Kollargol der
wirksame Teil ist. Es ergab sich, dass das Schutzkolloid eine sehr er¬
hebliche Wirkung au.sübte, während das Silber fast unwirksam ist. Es handelt
sich also aucfi beim Kollargol um eine unspezifische Wirkung. Trotzdem ist
das Silber im Kollargol nicht überflüssig, da das Silber im Körper deponiert
wird und dort als Reiz wirkt.
L. Frank- Berlin: Ueber arterielle Blutdruckschwankungen.
Zunächst wird eine Methode zur fortlaufenden Messung des arteriellen
Blutdrucks beschrieben. Mit dieser Methode Hessen sich ganz kurzdauernde
Blutdrucksteigerungen und Senkungen feststellen, wie sie bisher nur am Tier
beobachtet worden sind.
O. Bruns- (iöttingen: Untersuchungen über Herzgrösse. Blutdruck und
Puls, vor, während und nach kurzdauernder intensiver körperlicher Arbeit.
Nach der Arbeit wurde der Herzschatten in 80 Proz. der Fälle kleiner
gefunden. Die Blutdruckveränderungen gingen damit nicht parallel. Wäh¬
rend der Arbeit war in einem Teil der Fälle das Herz grösser, in einem
anderen kleiner und des öfteren auch unverändert. Die hohen Blutdruck¬
steigerungen gingen niemals einher mit einer Vergrösserung des Herzvolumens.
Klinik und Tierexperiment widersprechen sich hier völlig.
W. G r i e s b a c h - Hamburg: Eine klinisch brauchbare Methode zur
Bestimmung der Blutmenge.
10 ccm 1 proz. Kongorotlösung wurden intravenös eingespritzt und es
zeigte sich, dass nach 10 Minuten noch nichts ausgeschieden ist (anders beim
Tier). Zur Bestimmung der Blutmenge wird nach 4 Minuten Blut entnommen,
das Blutkörperchenvolumen und die Konzentration des Kongorots im Serum
kolorimetrisch festgestellt. Die mit dieser Methode gewonnenen Werte bei
Normalen und Kranken werden mitgeteilt.
E. Wiechmann - München: lieber die Permeabilität der menschlichen
roten Blutkörperchen für Anionen.
Vortr. hat festgestellt, dass die roten Blutkörperchen für Chlor und Brom
gut, für Phosphat und Sulfat schlecht permeabel sind.
Bet tz-Köln: Ueber die Resistenz der Erythrozyten gegenüber chemi¬
schen Schädigungen.
Hat die Ammoniakhämolysemethode weiter ausgebaut und damit sehr
gute Resultate erzielt. Es wurde festgestellt, dass das Serum gesetzmässig
hemmend wirkt. Unter krankhaften Verhältnissen fand sich regelmässig eine
Resistenzerhöhung bei Ikterus. Hypertonie. Nephritis und Nephrose, wenn
ungewaschene (serumhaltige) rote Blutkörperchen verwandt wurden. Bei
anderen Krankheiten fanden sich keine Gesetzmässigkeiten.
V. S c h i 111 n g - Berlin: Grundlagen und Verwertung des Leukozyten¬
bildes.
Von seiner Differcntialzähltafel ausgehend betont Vortr. die Notwendig¬
keit der Vereinfachung der Leukozytenuntersuchung. An zahlreichen Mikro¬
photogrammen wird gezeigt, wde sich die neutrophilen Myelozyten, Jugend¬
lichen. Stabkernigen und Segnientkernigen unterscheiden. Die neue Ham¬
merschlag sehe Kernumbildungslehrc wird auf (Juellung der „Sphären“
zurückgeführt. An zahlreichen Bildern v<tn neutrophilen Zwillingen (doppel-
kernige neutrophile Zellen) wird gezeigt, dass die beiden Kerne immer sehr
ähnlich sind und einem der 4 Typen entsprechen. Dies wird als weiterer
Beweis für die Deutung der- Kernverschiebung angesehen.
F. Rosenthal und C. Falkenheim - Breslau: Serologische
Untersuchungen über die Abstammung der Blutplättchen. (Vortr. F. Rosen-
t h a 1.)
Hat rote, weisse Blutkörperchen und Blutplättchen zur Immunisierung
von Kaninchen benutzt, um dadurch Klarheit über die Abstammung der Blut¬
plättchen zu gewinnen. Bei Immunisierung mit roten Blutkörperchen werden
Stoffe erzeugt, die eine Agglutination nur der hoten Blutkörperchen, nicht
der weissen und der Blutplättchen erzeugen. Bei Immunisierung mit Blut¬
plättchen entstehen Immimstoffe, die Leukozyten und Plättchen agglutinieren
nicht rote Blutkörperchen. Ebenso bei Immunisierung mit weissen Blut¬
körperchen. Es scheinen demnach nähere Beziehungen zwischen dem leuko¬
poetischen System und den Blutplättchen zu bestehen. All dies spricht
gegen die Auffa.ssung Schillings von der Abstammung der Blutplättchen
und stützt die W r i g h t sehen Anschauungen.
R. B i e I i n g und S. Isaak- Frankfurt a. M.: Experimentelle Unter¬
suchungen über intravitale Hämolyse. (Vortr.. BieHng.)
Die Zeichen der intravitalen Hämolyse am Tier sind Ikterus, Hämaturie
und Vergrösserung der Milz. Aus den Untersuchungen geht hervor, dass die
Hämolyse nicht innerhalb' der Gefässe entsteht, sondern in der .Milz, wo
die mit hämolysinbeladenen Erythrozyten aufgestapelt und zerstört w'erdcn.
Milzexstirpation verhindert nicht völlig di^ intravitale Hämolyse, weil ähn¬
liches Gewebe im Körper an anderen Stellen vorhanden ist.
S. I s a a c und R B 1 e 11 n g - Frankfurt a. M.: Zur Theorie hämolytischer
Vorgänge beim Menschen.
Die Untersudiungen ergaben, dass in der Milz ein Hämolysin gebildet
wird, das sich aber gleich mit den Erythrozyten bindet und deshalb schwer
nachweisbar wird.
E. Fr. M ü I i e r - Hamburg: Ueber die Bedeutung des blutbildenden
Markes der Röhrenknochen für den Ablauf der akuten Infektionskrankheiten.
In 90 Proz. der Fälle wurden die Erreger der akuten Infektionskrank¬
heiten in dem Mark der Wirbelkörper nachgew'iesen. Iri den Röhrenknochen
fand Vortr. die Erreger nur in 10 Proz. der Fälle. Es scheinen demnach
grundlegende Unterschiede zwischen der keimhemmenden Fähigkeit des Femur
und des Wirbelmarks zu bestehen. Auch andere Tatsachen weisen darauf hin.
Hieraus werden zahlreiche theoretische Schlüsse gezogen.
S e y d e r h e 1 m - Göttingen: Ueber die Aetlologie der perniziösen An¬
ämie des Menschen.
Es zeigte sich, dass beim perniziös Anämischen Toxine durch die Darni-
wand hindurchtreten, die in den Lymphdrüsen sich nachweisen lassen. Durch
Anlegung eines Anus praeternaturalis und Durchspülung des Kolons in beiden
Richtungen wurde in 2 Fällen eine an Heilung grenzende Besserung erzielt,
die nach Schliessung des Kunstafters in kurzer Zeit umschlagend zum Tode
führte.
Aussprache: Frey-Kiel: Kurze Bemerkungen zu den Vorträgen
von Edens, Magnus-Alsleben. Frank und Bruns.
Seyderhelm- Göttingen hat eine Blutmengenbestimmung durch ultra¬
mikroskopische Auszählung von injizierten Metallteilchen geschaffen, die sich
ausgezeichnet bewährt hat. Zur Vermeidung des Ultramikroskops w^urdc
später eine hochkolloidale Goldlösung benutzt, die nach Ausschaltung der
Eigenfarbe des Serums kolorimetriert w'erden konnte.
Bürger-Kiel: Ergänzende Bemerkungen zu den Vorträgen von
Bruns. Wiechmann und Seyderhelm.
H 0 e s s 1 i n - Berlin: Es erscheint gewagt, aus der Steigerung de.'*
Körpergewichts auf eine Herzinsuffizienz zu schlicssen. wie cs J u n g m a n n
getan hat. H. diskutiert dann noch die eine Kurve (i r o e d e 1 s.
N a e g e 1 i - Zürich: Die Kernver.schiebung hält auch er für wichtig. Die
Ammoniakhämolyse ist etwas anderes als die Osmohamolyse.
S t r u b e - Bremen hat oft Remissionen der perniziösen Anämie durch
Tierkohlegaben gesehen.
S t r a u b - Halle: Wiechmann hätte die Beziehungen zur Wasser¬
stoffionenkonzentration berücksichtigen müssen.
F r a n k - Berlin: Die Methode von Schilling hat sich ihm dia¬
gnostisch und therapeutisch bewährt.
S c li i 1 1 i n g - Bergin verteidigt seine Theorie der Entstehung der Blut¬
plättchen und macht Bemerkungen zu den Ausführungen S c y d e r h e 1 m s.
R e i s s - Frankfurt hat gute Erfolge mit Autovakzination bei chroniseben
Digitized by Goosle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
6S5
Nierenaffektionen gesehen und macht auf Fehlerquellen bei den angegebenen
Blutmengenbestimmungen aufmerksam.
Martini- München lehnt die Methode L. Frank s ab auf Grund
eigener und anderer Versuche.
Rosenthal - Breslau: Bemerkungen zu dem Vortrag B i e 1 i n g s und
Erwiderung auf Schilling.
V. d. R e i s - Greifswald hat Veränderungen der Bakterienflora bei
perniziöser Anämie gefunden. Er empfiehlt Ausgiessungen des Dickdarms.
H e u s n e r - Buenos Aires; Zur Behandlung des Abdominaltyphus mit
Chinosol.
6—8 g Chinosol per os und 1 g per klysma haben sich ihm beim Ab¬
dominaltyphus ausgezeichnet bewährt. Alle Patienten wurden in 8—10 Tagen
gesund.
Bonsmann - Köln; Zur Technik und dlfferentlaldiagnostlschen Ver¬
wertung der Kolloldreaktionen im Liquor.
Die Untersuchungen ergaben, dass es sicher eine typische Lues- und
Meningitiskurve gibt. Die Enzephalitis zeigt eine typische Lueskurve, wie
auch einige andere Nervenkrankheiten. Mastixreaktion verhält sich analog
der Goldsolreaktion, ist nur weniger empfindlich.
F. Weinberg - Rostock: Üeber die fraktionierte Liquoruntersuchung.
Die Untersuchung des ausfliessenden Lumbalpunktates in mehreren
Portionen ergab, dass in jeder Portion ein verschiedener Zell- und sonstiger
Befund zu erheben war. Dies muss bei der Beurteilung der Liquorunter¬
suchungsresultate berücksichtigt werden.
K ö n i g e r - Erlangen: Wirkung und Methodik der allgemeinen kausalen
(„unspezifischen**) Behandlung Infektionskranker.
Die kontinuierliche Behandlung ist grundlegend von der intermittierenden
Behandlung verschieden. Die kontinuierliche ist die unspezifische, die inter¬
mittierende die spezifische.
G. Klemperer: Schlussrede.
16. Kongress der Deutschen orthopädischen Gesellschaft
in Berlin am 18., 19, und 20. Mai 1921.
Bericht von G. Ho h mann - München.
Der Vorsitzende Biesalski eröffnete den Kongress, an dem auch
zahlreiche Orthopäden aus Oesterreich, Ungarn, Holland, Schweden, Däne¬
mark, Schweiz und Tschechien teilnahmen, mit einer gedankenreichen Rede,
die anknöpfte an die Gründung der Orthopädischen Gesellschaft vor 20 Jahren,
dankbar der Mutter Chirurgie gedachte und gleichwohl die Notwendigkeit
einer selbständigen orthopädischen Gesellschaft zur Vertiefung der For.schung
betonte. Das preussische Krüppelgesetz kann nur bei Ausbildung der Aerzte
in Orthopädie durchgeführt werden. Darum erheben wir weiter den Ruf
nach der Einführung der Orthopädie als Prüfungsfach. Noch fehlen uns an
den meisten Hochschulen Kliniken und staatliche Forschungseinrichtungen.
Dankbar gedenken wir des Orthopäden Krauss, der die Forschungsanstalt
„Kraussianum“ in München gestiftet hat.
Geheimrat Dietrich begrüsste den Kongress namens der Reichs¬
regierung und des preuss. Ministerpräsidenten Stegerwald und hofft,
dass der Wunsch der Orthopädie in der Prüfungsordnung erfüllt werde. Der
1. Tag galt der
Knochen- und Geienktuberkulose.
Erlacher - Graz behandelt unter den Hilfsmitteln der Frühdiagnose
vor allem die Tuberkulinproben in ihren Grenzen. Die Temperaturreaktion
ist nicht beweisend, wohl aber der negative Ausfall der Herdreaktion.
L u d I o f f - Frankfurt a. M. hebt die immunbioiogische Seite des
Problems hervor (Hayek, Petruschky. Ranke). Nach den Stadien
der Tuberkulose, die mit einem hydropisch-fungösen Zustand beginnt und
sich entweder zu fibröser Entartung und Kontraktur oder zu Abszess¬
bildung und Gelenkzerstörung entwickelt, richten sich die Mittel. Bier
hat wohl seine Erfolge besonders bei den fungösen Zuständen gehabt. Im
Kontraktiirstadium hilft Sonne ohne orthopädisch-chirurgische Massnahmen
nicht, ebensowenig bei der Gelenk^erstörung Hier fixierender Verband
bzw. Operation. Redressement stets zu verwerfen. Kann die Begeisterung
für Albee nicht teilen, ist für die leichten Fälle unnötig, für die schweren
zwecklos.
Aussprache: Glässner - Berlin: Differentialdiagnose zwischen
frischer Synovialtuberkulose und kongenitaler Lucs nicht immer sicher zu
stellen. WaR. bei hereditärer Gelenklues bei Kindern positiv, bei Jugend¬
lichen im Blut negativ, im Lumbalpunktat positiv. M u s k a t - Berlin: Bei
einem Säugling war Pirquet negativ, Meerschweinchenimpfung positiv.
Schede- München hat prävertebrale Abszesse bei Brustwirbeltuberkulose
zwischen Querfortsätzen punktiert und injiziert, J a r a s c h - Prag ebenfalls
3 mal mit Erfolg, während Löffler- Halle zur Kosto-transversektomie der
Uebersicht halber rät. L u d 1 o f f hat bei einem infolge Erstickungsgefahr
bedrohlichen Fall von Brustwirbelahszess (2., , 3. Wirbel), der an der
Bifurkation hängen blieb, durch Punktion Heilung erzielt. S t a u f f e r - Bern
empfiehlt bei Fisteln lokale Dauerbäder 3—24 Stunden lang. Tejiiperatur-
abfall. K ö 11 i k e r - Leipzig teilt die ungünstige Beurteilung der Albee-
operation nicht. Starker- Linz und Kühne- Kreuznach empfehlen Jod-
und Solbäder. Mau-Kiel: Einmaliger negativer Pirquet muss durch Intra¬
kutanprobe nachgeprüft werden.
Wittek-Graz: Sonnenbehandlung ist überall durchführbar, allein die
Wirkung ist in der Stadt und im Gebirge nicht die gleiche. Die Auffassung
Biers, dass man in 10 Monaten mit jeder chirurgischen Tuberkulose fertig
werde, ist unrichtitr,
S t e i n - Wiesbaden spricht über Röntgen- und Strahlenbehandlung und
zieht die Bogenlampe mit kontinuierlichem, sonnenälinlichereni Spektrum dem
unkontinuierlichen Ouarzsoektrum vor. Mit Röntgen bei Anfangsfällen die
besten Resultate. Synoviale Formen sind geeignet, Knochenfällc weniger.
Reizwirkung.
Au.s spräche: Duncker empfiehlt frühzeitige Operation bei tuber¬
kulöser Osteomyelitis, L u d 1 o f f warnt vor ihr. H o h m a n n - München
stellt unter Zustimmung des Kongresses als einmütige Meinung der Ortho¬
päden fest, dass bei der Sonnenbehandlung die mechanisch-orthopädische
'nicht vergessen werden dürfe, um Gelenkkontrakturcn vorzubeugen und sie
zu bekämpfen. Erinnert an seine Erfahrungen in Scheidegg. v. F i n c k -
Dresden wirkt mit heissen lokalen Bädern 38—39*’ R 1 Stunde 1—2 mal
täglich hyperämisierend: Abszesse bilden und entleeren sich. Sequester
stossen sich ab. S t a u f f e r - Bern korrigiert mit dauernder Suspension die
Kontrakturen. Z i m m e r m a n n - Freiburg zeigt besonderen Bestrahlungs¬
apparat mit Durchlassung des Lichtes durch Fenster. Bade- Hannover
sieht die Wirkung des Lichtes in einer Beeinflussung der Haut, die als inner¬
sekretorisches Organ aufzufassen ist. F r o s c h - Berlin; Die Tuberkulose¬
fülle der orthopädischen Poliklinik zeigen Anstieg bis 1919, dann wieder
Abfall. Schanz- Dresden mahnt zur Geduld bei diesem Leiden.
Löffler- Halle fürchtet von einer wahllosen Annahme der Bier sehen
optimistischen Anschauungen durch die Praktiker Schaden. Das souveräne
Mittel bei der schmerzhaften Gelenktuberkulose ist der exakte Gipsverband.
Deutschländer - Hamburg tritt für Kombination der verschiedensten
Methoden ein, Schepelmann - Hamborn zeigt gute Gelenkplastiken
im Film.
Mommsen - Berlin schildert die immunbioiogische Behandlung. Alle
Methoden: Tuberkulin, Freiluft, Sonne, Gips, Extension, Redressement,
Operation, Apparate müssen in einer Hand zur individuellen Anpassung an
den gegebenen Fall bzw. sein Stadium bleiben; das ist das eigentliche
Wesen der orthopädischen Behandlung. Poncet scher Gelenkrheumatismus
mit Imniuntherapie günstig beeinflusst. 2 Typen der Behandlung nach
Hayek: eine radikale, die den Herd direkt angeht, eine indirekte, die
allgemeine Zelltätigkeit anfeuerride.
G o c h t - Berlin bespricht die ambulante orthopädische Behandlung mit
Verbänden. Schienen. Aoparaten neben der allgemeinen Therapie. Der beste
Fixationsverband ist neben dem Gipsverband der exakte Schienenhülsen¬
apparat. 61 Proz seiner F'älle gehören dem Mittelstand an. Schienenhülsen-,
apparat stellt den Herd ruhig, zieht gegen die Kontraktur, stillt Schmerzen
durch Kompression. Bei schmerzhaften Prozessen unter dem Apparat noch
ein Leimverband. Je besser ein Gelenk von Anfang fixiert ist, um so be¬
weglicher wird es später. W u 1 1 s t e i n - Essen c.xtendiert bei leichter
Schrägstellung des Bettes und mit Gleitschicncn. um Reibung zu vermeiden.
V. FI n c k - Dresden berichtet über die Indikation und Technik der
Redression des Pott sehen Buckels. Durch Verschmelzung der erkrankten
Wirbel entsteht bei der Ausheilung gewisserinassen ein neuer Wirbel.
S c h a s s e - Berlin spricht über die Albeeoperation. 15 Proz. der
bisher veröffentlichten operierten Fälle gaben ein ungünstiges Resultat. Vor
Operation ist Gewöhnung an Bauchlage gut. Der Span gibt gute Stütze,
streckt aber den bereits vorhandenen Gibbus nicht. Er darf nicht unter zu
grosser Spannung eingelegt werden, da er sonst zurückfedert und durch-
stösst. Angezeigt bei Wirbelkörner, nicht bei Bogenerkrankung. Hinterher
nur bei seitlicher Abweichung Korsett. Nicht unter 2 Jahren operieren.
Beste Resultate zwischen 20. und 40. Jahr (B i r c h e r).
Aussprache: S c h e d e - München für L a n g e-München; Der
Gedanke der inneren Schienung stammt von Lange (1902 Stahlstifte zuerst
angewandt, 1910 darüber in Washington in Anwesenheit Albees berichtet,
der später zugab. damals den Gedanken für seine Operation empfangen zu
haben). Mit Span kann man Lendenwirbel, nicht aber obere Brustwirbel¬
säule fixieren (Dornfortsätze zu dünn). Span verhindert Gibbus nicht.
Lang e hat deshalb viel längere Stifte aus Zelluloid, Elfenbein und totem
Knochen eingefügt. Zeit für abschliessendes Urteil zu kurz. Problem auch
damit nicht endgültig gelöst. E r 1 a c h e r - \Vicn : Albee soll Schmerzen
und Korsett beseitigen. Nur bei Sicherung der Nachbehandlung Redression
des Buckels vornehmen. Starker- Linz zeigt eine in den Gips ein¬
gefügte Redression.spelotte, die Bade- Hannover unter Heiterkeit als ein
w'iedergeborencs aber mit Recht gestorbenes Kind von ihm erkennt. Das
System von Gelenken, das die Wirbelsäule ist, lässt sich durch den Span
nicht genügend fixieren. S p r i n g e r - Prag: Durch die Aufrichtung des
Gibbus durch den Span bleibt die Knochenhöhle vorn an den Wirbelkörpern
offen. Das Zusamincnsinken derselben ist ein Heiluiigsvorgang. Brand es-
Dortmund: 14 mal gute klinische . Ausheilung. 4 mal Besserung, 1 mal Ver¬
schlechterung. 6 mal Todesfall (aber nicht irn Anschluss an Operation).
Selbst infizierte Späne können cinheilen. D c b r u n n e r - Berlin: Kontra¬
indiziert ist schlechtes Allgemeinbefinden, tuberkulöse Erkrankung anderer
wichtiger Organe. Fisteln und Abszesse im Operationsgebiet, Kompressions¬
myelitis. hochgratiiger Gibbus. skoliotische Biegungen, floride Rachitis.
Jugend (unter 2 Jahren). Beck- Frankfurt betont die Notwendigkeit seit¬
licher Wirbelaufnahmen bei Entzündungen und Verletzungen. K ö 11 i k e r -
Leipzig hat mit Albee gute Resultate erzielt, er hat bei kleinen Kindern die
Späne seitlich angelegt.
S t o f f e 1 - Mannheim: Koxitische und gonitikche Kontrakturen. Warnt
vor Redressieren weil gelenkschädigend und zu Rezidiv neigend. Besser ist
die parartikuläre lineare Osteotomie. Warnt vor Resektionen wegen
Deformitäten.
Aussprache: L ö f f 1 e r - Halle ist ebenfalls gegen gewaltsames
Redressieren. S c h a s s e - Berlin empfiehlt nach dem Abklingen der Ent¬
zündung die Onengelmethode zum Ausgleich der Kontraktur. Mommsen-
Berlin beschreibt das (Juengeln bei Hüftkontraktur; Fixation des Beckens
durch Eingipsen einschliesslich des gesunden gebeugten Oberschenkels.
Georg M ü 11 e r - Berlin w'ill von Aolaninjektionen, bei tuberkulösen Kindern
Nutzen gesehen haben. Rosenfeld - Nürnberg gipst bei koxitischen und
gonitischen Kontrakturen in (j 1 i s s o n scher Schwebe ein.
S c h e e I.-Rostock spricht über Schlottergelenke und Ankylosen hach
Tuberkulose. Apparat oder operative Feststellung bei Schlottergelenkeii.
Ankylosen in funktionell günstiger Stellung belassen, bei ungünstiger Stellung
operativ korrigieren. Gelenkplastik möglichst vermeiden. Nur bei doppel¬
seitiger Hüftankylose eine Seite beweglich machen. (Schluss folgt.)
18.. Tagung der Deutschen Pathologischen Gesellschaft
' in Jena vom 12.— 14. April 1921.
(Berichterstatter: W. G e r 1 a c h - Jena.)
(Schluss.)
Herr S c h n e i d e r - Heidelberg: Zur genetischen Einheitlichkeit der
Millarsyphilome.
Die miliaren Gummata V i r c h o w s sind heute in 3 Formen bekannt,
als abszessartige Herdchen, als miliare Granulome und als Miliarnekrosen.
Da sic alle durch eigenartige Spirochätenansammlungen bewirkt werden,
können sie als Miliarsyphilome zusammengefasst werden. Aus dem ursäch-
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
686
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
liehen Zusammenhang der Spirochätennester mit den Miliarsyphilomen werden
3 Charaktere begreiflich: ihr Vorkommen nur bei schwerster Infektion, die
Uebereinstimmung der Häufigkeit ihres Vorkommens in den Organen mit der
Disposition dieser zu frühsyphilitischen Erkrankungen. Ferner liegen die
Miliarsyphilome stets in dem auch sonst veränderten Organ, da die Spiro¬
chätennester ja nur eine Steigerung einer mehr oder minder diffusen Spiro-
chätosis des Organs sind.
Herr Sternberg kann nicht zustimmen, wenn alle miliaren Gummen
so gedeutet werden sollen.
Herr Walz- Stuttgart demonstriert multiple Aneurysmen der Leber¬
arterien mit Leberruptur und spricht über den Entstehungsmechanismus der
letzteren. Das Blut hatte bei Verabfolgung eines Klistiers sich durch die
Leber durchgewühlt, wie W. annimmt, weil der untere Teil der Leber in
Bauchlage komprimiert war. und er erklärt die sagittale Ruptur durch eine
der forcierten Exspirationsstellung des Zwerchfells sich anpassende Biegung
der Leber.
Herr K i r c h - Würzburg spricht über die Genese der blastomatösen
Xanthome.
Herr Oberndorfer - München: Ganglioneuromatose mit Riesen¬
wuchs der Appendix.
Bei einer Riesenappendix von 16 cm Länge und Zweidaumendicke fand
sich eine Hypertrophie sämtlicher Wandschichten, Fehlen des lymphatischen
Apparates, fast völliges Fehlen der Muscularis mucosae, Ersatz des Stratum
proprium mucosae durch zellreiches eigenartiges Bindegewebe. Darmplexus
und Darmnerven waren dabei bis an die Mukosa enorm vermehrt, massen¬
haft vergrösserte Ganglienzellen und grosse synzytiale Gebilde (Ganglien¬
zellenäquivalente). Vortr. fasst den Fall als partiellen Riesenwuchs der
Appendix mit ganglioneuroblastomatöser Komponente auf.
Herr Arzt- Wien: lieber Syringome.
Auf Grund von vier untersuchten Fällen kommt der Vortr. zu dem
Ergebnis, dass es sich um Neubildungen epithelialen Ursprungs, und zwar
wahrscheinlich von embryonalen Zellen der Epidermis aus handelt. Als Be¬
zeichnung schlägt er „gutartiges zystisches Epitheliom vom Typus des
Syringoms“ vor.
Herr T e u t s c h 1 a e n d e r - Heidelberg: Wesen und Bedeutung der
übertragbaren jHühnertumoren.
T. berichtet über ein z. T. desmoplastischesr z. T. myxomatöses Hühner¬
sarkom, das durch Impfung mit Pulver und Filtrat, die ein für bestimmte
Mesenchymzellen blastogenes Agens enthielten, übertragen wurden. Das
Agens dürfte in die Gruppe der Chlamydozoen gehören.
Herr F a h r - Hamburg: Zur Frage des Kropfherzens und der Verände¬
rungen beim Status thymoiymphatlcus.
Nicht jeder, der einen Kropf hat, hat auch ein Kropfherz. Die Ver¬
änderungen, teils degenerativ. teils entzündlich, wechseln von Fall zu Fall.
Neben dem Basedowkropf, kommt als Ursache der diffuse Kolloidkropf in
Frage. Zusammenhang des Basedow mit Status thymolymphaticus in dem
Sinne, dass die Lymphozytenansammlungen Zeichen des Lymphatismus seien,
lehnt der Vortr. ab. Bezüglich der vom Vortr. gefundenen Herzbefunde bei
Status thymolymphaticus vertritt er die Ansicht, dass sie auf toxische Vor¬
gänge im Organismus (Stof^wechselstörungen enteraler, endokriner Natur?)
zurückzuführen sind.
Herr C e e 1 e n fragt nach dem Alter der Kinder, Herr Mönckeberg,
woran die Individuen zugrunde gegangen sind.
Herr Fahr antwortet, dass die Kinder 5, 8 und 15 Monat alt waren.
Klinisch gingen die Kranken an Myokarditis zugrunde.
Herr S c h m 1 n c k e - München: Zur Pathologie des Colllculus seminalis.
Vortr. bespricht einen Fall von rudimentär entwickeltem Pseudo¬
hermaphroditismus masculinus internus. An Stelle des Colliculus seminalis
findet sich eine myrthenblattgrosse Erhebung mit gut ausgebildetcr Vagina
masculina und kapuzenförmiger Schleimhautfalte in ihrer Umgebung (Hymen).
Herr W. Fischer - (iöttingen demonstriert einen Akardius. bei ein¬
eiigen Zwillingen männlichen Geschlechtes.
Herr W e e e 11 n - Bern: Zur Genese und Einteilung der Pankreaszvsten.
Die einfache Verlegung des Ductus pancreaticus genügt nicht zur Zysten¬
bildung, dagegen kommen bei entzündlichen Obliterationen* und Stenosen Ab¬
schnürungen mit Zystenbildung vor. Neben diesen erworbenen gibt es
dysontogenetische Rctentionszysten. Vortr. demonstriert ein Zystadenom
des Pankreaskopfs, das in den Ductus choledochus eingewachsen ist, und
Rückbildungsvorgänge in Gestalt hyaliner geschlängelter Bänder, bei Verlust
des Epithels und Resorption des Zysteninhalts.
Herr H e 11 y fand im Mündungsbereich des Gallengangs und der Pan¬
kreasgänge Schleimdrüsen, auf die er einen Teil der fraglichen Bildungen
zurückführt.
Herr H ü b s c h m a n n - Leipzig: 2 Fälle von seltener Herzmissbildung,
des sog. Trikuspidalverschlusses.
Vortr. ist der Ansicht, dass es sich um eine Abschnürung des rechten
Trunkusteils gegen den Ventrikel handeln könne mit gleichzeitigem totalen
Defekt des Septum ventriculoruiji. Besonders der zweite Fall deutet daraut
hin, dass als Ursache dafür eine abnorme Rechtsdrehung des Herzens in
Betracht kommt.
Herr Mönckeberg sah bei B o s t r ö m mehrere solche Fälle. B. war
der Ansicht, dass das Amlebenbleiben bei solchen Missbildungen von der
Transposition der grossen Gefässc abhängt.
Herr Jakobsthal -Hamburg: Biastulaähnliche Gebilde im Aszites bei
Bauchfellkarzlnose
Herr S c h m o r 1 erinnert daran, dass solche Gebilde von B e n e k e,
K e i b e 1 beschrieben sind.
Herr Herzog sah ähnliche mit Kalkkonkrementen besetzt in der
Aszitesflüssigkeit bei einem Psammokarzinom des Ovars.
Herr Guleke-Jena: Uebec den Umbau transplantierter Knochen im
Röntgenblld.
Vortr. demonstriert Röntgenbilder mit Heilungsvorgängen bei seitlicher
Ucberbrückung von Defekten der Diaphysen langer Röhrenknochen. Dabei
kommt dem vom ortsständigen Knochenmark gebildeten Kallus grosse Be¬
deutung zu, ebenso dem mitverpflanzten Periost. Die Form des umgebauten
Knochens wird bedingt durch die funktionelle Beanspruchung (Muskeltonus,
schon vor Gebrauch des Gliedes).
Herr B e r b 11 n g e r - Kiel: Ueber die Zwischenzellen des Hodens.
Vortr. gibt eine Kritik der Steinach sehen Lehre und eigene Unter¬
suchungen über das Verhalten der Sexuszeichen bei schweren Hoden¬
veränderungen. Auf Grund derselben kommt Vortr. zu dem Ergebnis, dass
die Sexualhormone in den Samenstammzellen gebildet ' werden, dass die
Zwischenzellen wesentlich als Speicherungsstätte und als abführende Wege
für die Hormone in Frage kommen.
Herr S t e r n b e r e - Wien: Zur Frage der Zwischenzellen.
Eine Erwägung der an den Hoden von Hermaphroditen, Eunuchoiden.
Homosexuellen erhobenen Befunde führt den Vortr. zur Ablehnung der An¬
nahme, dass den Zwischenzellen eine innersekretorische Beeinflussung der
äusseren Geschlechtsmerkmale zukommt. Eine ausreichende Erklärung der
Funktion der Zwischenzellcn kann noch nicht gegeben werden.
Herr T 1 e d i e - Freiburg; Unterblridungsbefunde am Hoden unter be¬
sonderer Berücksichtigung der Pubertätsdrüsenirage.
Vortr. hält auf Grund seiner Unterbindungsbefunde am Hoden von Meer¬
schweinchen die Zwischenzellen für einen Stoffwcchselappärat des Hodens.
Sie liefern Nährsubstanzen für die Spermiogenese und resorbieren bei Unter¬
gang von generativem Epithel. Der Grad der Ausprägung der sekundären
Sexuszeichen ist unabhängig von den Zwischenzellen, hängt von dem genera¬
tiven Epithel und den spermatogenen Eiweisssubstanzen ab. Unterbindung
am Hoden kann nicht als Beweis für die Lehre von der Pubertätsdrüse an¬
gesehen werden. '
Herr S1 m m o n d s - Hamburg: Ueber das Verhalten des menschlicfaea
Hodens bei narbigem Samenleiterverschiuss.
Unter 40 Fällen mit entzündlichem teils ein-, teils doppelseitigem Samen-
leiterverschluss hatte die Spermiogenese in 30 Fällen angehalten, die
Zwischenzellen waren nur 2 mal gewuchert. Die Resultate der Ticr-
experimente lassen sich nicht auf den Menschen übertragen. Die innere
Sekretion fällt normalerweise dem samenbildenden Epithel zu. erst bef
Schädigung dieser Zellen können die Zwischenzellen dafür eintreten.
Herr Robert Meyer ist der Ansicht S i m m o n d s, dass die Zwischen-
zellen höchstens vikariierend für das samenbildende Epithel eintreten
können. Er negiert die Steinach sehe Lehre völlig, ganz besonders für die
Frau. Die Interstitialzellen sind ebensowenig geschlechtsbestimmend wie
geschlechtsspezifisch. Die Pubertätsdrüse ist ein Phantasieprodukt.
Herr Lubarsch zweifelt, ob es sich bei den sog. Zwischenzellen des
Säuglings und Kindes überhaupt um echte solche oder um Bindegewebszellen
handelt.
Herr J o e s t schliesst sich mit Beziehung auf die Tierpathologie Herrn
S i m m 0 n d s an. Die Zwischenzellen können bei Verlust des samen-
bildenden Epithels innersekretorisch für diese eintreten.
Herr A s c h o f f kann sich eine solche kompensatorische Wucherung nur
denken, wenn beide Zellarten genetisch einer Abstammung sind, das ist aber
nicht bekannt.
Herr Schmincke: Alle Versuche, die darauf hinausgehen, den
Zwischenzellen innersekretorische Fähigkeiten zuzusprechen, scheitern daran,
dass sich gleiches Verhalten bei Tieren mit vielen und mit wenig oder keinen
Zwischenzellen findet.
Herr Sternberg: Wird der Samenleiter allein ohne Gefässe unter¬
bunden, so kommt es überhaupt nicht zur Hodenatrophie (Weichselbaum
und Kyrie).
Herr J a f f 6 - Frankfurt: Pathologisch-anatomische Veränderungen bei
Konstitutionskrankheiten, insbesondere bei Pädatrophie.
Vortr. berichtet über pathologisch-anatomische Veränderungen der
Keimdrüsen bei Konstitutionskrankheiten, besonders bei der Pädatrophie, die
er als Ausdruck einer Konstitutionsanomalie deutet, und die es wahrscheinlich
erscheinen lassen, dass den Zwischenzellen eine Rolle im endokrinen Stoff¬
wechsel zukommt.
Herr L e u p o 1 d - Würzburg: Die Bedeutung des Interrenalorgans für
die Spermiogenese.
Bei Maulwürfen bestehen in und nach der Brunst ganz bestimmte
Beziehungen zwischen Cholesterinwerten der Nebennieren und dem Ver¬
halten der Samcnepithelien. Verarmt analog bei Menschen die Nebennieren¬
rinde an Cholesterinestern, so kommt es zu Degenerationen der Samen-
epithelien mit Resorption der freiwerdenden Lipoide durch die Zwischen-
zellen. Diese sind trophische Hilfsorgane, in ihrer Funktion aber abhängig
von der Nebennierenrinde, deren Lipoide Schutzstoffe für die Samenzellen
darstellen.
Herr Emmerich -Kiel: Nebenniere und Antigene.
Die Brauchbarkeit menschlicher Nebennieren als Antigene ist abhängig
von ihrem Lipoidgehalt, und zwar geht sie diesem parallel. Die besten
Ergebnisse gaben Nebennieren von Arteriosklerose, unsichere Resultate die
Fälle von Geschwülsten. Abweichungen im Verhalten von Lipoidgehalt und
Antigenwirkung ergaben sich bei Scharlach und Fällen von akuter gelber
Leberatrophie. Besonders wird auf die Brauchbarkeit von Pferdenebennieren¬
extrakt für Wassermann sehe und Sachs-Georgi sehe Reaktion
hingewiesen.
Herr Kuczynski fragt an, ob der Ausdruck Antigene symbolisch
gemeint sei, denn die Ausführungen E.s sprächen doch gerade gegen Spezifität.
Herr Emmerich bestätigt, dass keine spezifische Antigen-Antikörper-
reaktion vorliegt.
Herr Hübschmann -Leipzig: Zur pathoiogischen Anatomie der Er¬
nährungsstörungen bei Säuglingen.
Bei den „Intoxikationen“ der Kinderärzte und dem Mehlnährschaden
finden sich charakteristisch in der Leber Verfettung, in den Nebennieren Ent¬
fettung. Diese Erscheinungen deuten auf eine gemeinsame Aetiologie hin.
Als Ursache kommt eine Autointoxikation durch giftige Zellabbauprodukte des
intermediären Zellstoffwechsels in Betracht.
Herr Lubarsch möchte scharf trennen in Fälle mit v e r g r ö s -
serter gelber und atrophischer brauner Leber. Bei letzterer
im Gegensatz zu der ersteren reichlich Lipoid im Thymus.
Herr Dietrich hält es für schwer, Infektion und Intoxikation zu
trennen. Bezüglich der Rolle der Nebennieren kann er sich nicht Herrn
Hübschmann anschliessen.
Herr R ö s s 1 e betont, dass das Bild der Pädatrophie je nach der Art
der Therapie verschieden ist.
Herr C e e l e n sah die von H. erwähnte Perisplenitis besonders häufig
bei Syphilis.
Herr Hübschmann: Die braune Leber findet sich mehr bei chroni¬
schen, die gelbe bei akuten Fällen, aber auch beim Mehlnährschaden, der von
den Pädiatern als chronische Erkrankung aufgefasst wird.
Digitized by Goiisle
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
687
Herr W ä t ] e n - Freiburg: Ein besonderer Fall von rheumatischer
Myokarditis.
Neben Aschoff-Qeipel sehen Knötchen findet sich eine diffuse
interstitielle Entzündung, periadventitielle Entzündung mit Thrombose und
Verschluss von Qefässen und Schwielenbildung, Mehrere Anfälle von Gelenk¬
rheumatismus waren vorangegangen. Neben Infiltraten von fast ausschliess¬
lich eosinophilen Leukozyten finden sich Charcot-Leyden sehe
Kristalle. In solcher Art Fälle kann die interstitielle Myokarditis die
knötchenförmige rheumatische überdecken. Die bakterioskopische Unter¬
suchung war ergebnislos.
Herr Schilling- Leipzig: 2 Fälle akuter Idiopathischer Myokarditis
mit zahlreichen Riesenzelien.
Histologisch fanden sich Lymphozyteninfiltrate, Plasmazellen, myogene
Riesenzellen, Fibroblasten. Degeneration und Nekrose von Muskelfasern. Die
ätiologische Untersuchung ergab kein Resultat.
Herr Lubarsch hält Herrn W ä t j e n entgegen, dass die Eosinophilen
auch in Verbindung mit C h a r c o t - L e y d e n sehen Kristallen nicht
spezifisch für rheumatische Myokarditis sind. So sah er sie bei Diphtherie,
Herr H u z e 11 a sieht sich trotz der Ausführungen W ä t j e n s ver¬
anlasst, an der Anschauung myogener Abstammung der Knötchen, die auch
in der Körpermuskulatur Vorkommen, festzuhalten.
Den Zusammenhang des Schilling sehen Falles mit Tuberkulose
lehnen im Gegensatz zu Fahr Schmincke und S c h m o r 1 ab.
Herr Magnus-Jena; Strömungsverhältnisse ln Krampfadern.
Den Beweis für die T r e n d e l e n b u r g sehe und Perthes sehe
Anschauung, dass das Blut in den Krampfadern von oben nach unten
fliesst, konnte der Vortr. durch das V o i k m a n n sehe Hämodromometer
führen. Die Stromumkehr erfolgt bei Lagewechsel in der Weise, dass
in der Krampfader das Blut bei horizontaler Lage zum Herzen hinfliesst,
bei aufrechter vom Herzen weg (bei aufrechter Körperhaltung nie Lungen¬
embolie). Die Strbmumkehr lässt sich mit dem Müller -Weiss sehen
Kapillarniikroskop bis in die Kapillaren verfolgen. Neben der geschlängelten
Krampfader verläuft eine gerade Kollaterale mit normal funktionierendem
Klappenapparat.
Herr Asch off bestätigt, dass die Krampfadern frei von Klappen sind;
wie der Klappenschwund zustande kommt, ist völlig unklar.
Herr Dietrich- Köln; Ueber die Anfänge des Thrombus.
Bei Warmblütern ging D. dem Beginne der Thrombose nach, indem er
nach Ausspülung des Blutes die einzelnen für die Thrombenbildung in
Betracht kommenden Bestandteile in das Gefäss bringt und die Wand schädigt.
Diese bildet bei gerinnungsfähigem Inhalt (Plasma) einen, dichteren Fibrin¬
belag an der Wand, der in lockere Gerinnsel übergeht. Bei Fibrinogen tritt
er nur in Verbindung mit inaktivem Serum oder mit Leberextrakt. Die ge¬
schädigte Gefässwand befördert somit die Fibrinabscheidung im Sinne der
Gewebskoaguline.
Herr A s c h o f f ist für die Dietrich sehen Fälle der gleichen An¬
sicht, bezweifelt aber, ob die Verhältnisse bei der Spontanthrombose des
Menschen dieselben sind.
Herr M ö n c k e b e r g - Tübingen: Zur Pathologie der Leber.
Bei einem Manne, der an häufigen Schüttelfrösten ohne sonstige Er¬
scheinungen gelitten hatte, fanden sich bei der Sektion in der Leber zahl¬
reiche Knoten, mikroskopisch einfache Nekroseherde, in deren Umgebung
massenhaft Gram-negative Bazillen vom Typus der Typhus-Paratyphus-
und Koligruppe lagen. Uebrige Organe intakt, Milz leicht vergrössert. Der
Vortr. glaubt, dass von früher stattgehabter Infektion Nachschübe erfolgten,
deren letzter letaler zu einer Anhäufung der Erreger in der Leber mit
konsekutiver Koagulationsnekrose geführt habe.
Herr 11 u z el 1 a - Pest: Ueber die Histomechanik der atrophischen
Lebererkrankungen.
Im mechanischen Sinne entspricht das Gitterfasergerüst der Leber einem
Tragsystem mit relativ festen Stützpunkten. Das dynamische System der
Gitterfasern bewirkt die Organisation, die individuellen Kräfte der Leber¬
zellen machen sich in entgegengesetztem Sinne geltend. Die Unterschiede
der einzelnen Fälle und Krankheitsformen werden durch Lokalisation, Aus¬
dehnung und Zeitmass des Leberzellenunterganges bestimmt.
Herr Seyfarth - Leipzig gibt einen Bericht über die in den Jahren
1915—1920 im pathologischen Institut der Universität Leipzig zur Beobachtung
gekommenen 23 Fälle von akuter gelber Leberatrophie. Vortr. trennt a) nach
der Krankheitsdauer und b) nach dem jeweiligen pathologischen Befund.
Er unterscheidet akute, subakute, subchronische und chronische Form und
gibt hierfür die Charakteristika. Heilungen der akuten gelben Leberatrophie
kommen besonders im Kindesalter häufiger vor. ' Die Häufung der Fälle fällt
in die Zeit nach der Rückkehr unserer Soldaten. Aetiologisch kommt keine
einheitliche Ursache in Frage. Die wichtigsten disponierenden Bedingungen
haben sich durch die Verelendung des Volkes nach Kriegsende vermehrt,
durch Nahrungsmittelverschlechterung, Syphilis, Aborte. Die auslösenden
Ursachen können toxische, infektiöse sein. Für einen Teil der Fälle kommen
belebte Erreger in Betracht und es muss an Spirochäten gedacht werden.
Herr H a n s e r - Ludwi^shafen: Zur Histologie der akuten bzw. sub¬
akuten Leberatrophie.
Im Anschluss an die von Umber, Versd, Fraenkel ange¬
schnittene Frage des Unterschiedes zwischen Leichenleber und vitalem Aus¬
sehen kommt der Vortr. zu dem Ergebnis, dass ein prinzipieller Unterschied
nicht besteht, dass die Leber aber auch nicht • einfach als „postmortales
Verdauungsprodukt" (Umber) angesprochen werden darf. Der beträcht¬
liche Unterschied zwischen vitalem Bild und Leichenleber kommt durch die
sehr bald einsetzende Autolyse bei sistierender Zirkulation zustande.
Herr W e g el 1 n - Bern: Ueber hyalintropfige Degeneration der Leber¬
zellen. V • '
Vortr. fand in vier menschlichen Lebern hyalintropfige Einlagerungen
in den Zellen, die färberisch mit den gleichen in den Nieren übereinstimmen.
Mit den Rüssel sehen Körperchen haben sie die Affinität zum Eosin ge¬
meinsam. Die Tropfen verhalten sich färberisch anders als die im Tierversuch
nach Berg durch Eiweissmast zu erzeugenden.
Herr Lubarsch säh auch in Berlin eine grosse Zunahme der akuten
gelben Leberatrophie, die nicht an Syphilis und nicht am Salvarsan liegen
kann.
Herren Dietrich, Goldschmidt, Ceelen bringen einen Teil der
Fälle mit der Munitionsfabrikation in Zusammenhang.
Herr Herxheimer beobachtete gleichfalls eine Häufung der Fälle.
Nach seinen mit Ge r 1 a c h ausgeführten Untersuchungen muss zwischen
Spätikterus nach Salvarsan und akuter gelber Lungenatrophie scharf ge¬
trennt werden, da bei letzterer wohl die Syphilis, aber nicht Salvarsan eine
Rolle spielt.
Herr Josselin de Jong erklärt, dass die akute gelbe Leberatrophie
in Holland auch heute noch eine Seltenheit ist.
Herr R y s s e l beobachtete eine geringe Zunahme.
Herr E r n s t-Heidelberg: Ueber den Farbstoff des Chloroms.
Vortr. führt eine Reaktion des Chloromfarbstoffs vor.
Herr G r u b e r - Mainz: Lage und Form des Magens.
Vortr. gibt einen Ueberblick über die Magenformen von 40 kurz nach
dem Tode beobachteten Magen.
Herr N 1 s s e n - Freiburg: Ueber die Bedeutung des Soorpilzes für das
chronische Magengeschwür.
Der Soorpilz wird als Schuldfaktor für die Chronizität des Magenge¬
schwürs abgelehnt. Die Lokalisation und die Weiterentwicklung der Ne¬
krosezone spricht für eine Aetzwirkung durch den Magensaft.
Herr L ö h 1 e i n - Marburg: Ueber die tiefen Ruhrgeschwüre.
Die Genese der tiefen Geschwüre bei chronischer Ruhr ist mannigfaltig,
es ist nicht statthaft, sie insgesamt als nodulär zu bezeichnen. Eine elektive
Schädigung der Lymphknötchen bzw. eine elektive Reaktion derselben liegt
weder bei der bazillären/ noch der Amöbenruhr vor.
Herr Schmincke - München: Ueber Neuritis bei Periarteriitis nodosa.
Demonstration der Veränderungen an Ischiadikus, Peronäus, Tibialis.
Die Nervenveränderungen sind unabhängig von den Gefässveränderungen und
diesen nur koordiniert.
Herr H e r z o g - Leipzig gibt einen Bericht über die 18 Fälle von Ence¬
phalitis epidemica im pathologischen Institut der Universität Leipzig. Makro¬
skopisch zeigt das Gehirn entweder gar keine Veränderungen oder Blut¬
reichtum. Gelegentlich hochgradige Schwellung und Blutfüllung. Mikro¬
skopisch stets subthalamische Region, Hirnschenkel und der obere Teil des
IV. Ventrikels betroffen, das Rückenmark zeigte abschnittweise schwerere
Veränderungen. Schon in den rasch verlaufenden Fällen kommt es zum
Untergang vön Ganglienzellen. An den Infiltrationen sind in hohem Masse
Gliazellen beteiligt. Die Veränderungen in den Lymphscheiden der Gefässe
treten erst sekundär auf. Das primäre Virus der Influenza ist nicht identisch
mit dem der Encephalitis epidemica.
Herr C e e 1 e n - Berlin: Qehirnbefund bei Neugeborenen und Säfig¬
lingen.
Bei den Ceelen sehen Herden handelt es sich nicht, wie Herr
Schmincke betont, um ausgewanderte Leukozyten.
Herr Schwarz glaubt die Todesursache der Neugeborenen in aus¬
gedehnten pialen Blutungen zu sehen und den Beweis experimentell erbracht
zu haben.
Herf Lubarsch spricht sich dagegen aus, dass die Ceelen sehen
Herde auf ein Geburtstrauma zurückzuführen sind.
Herr S e y f a r t h - Leipzig: Pathologisch-anatomische Befunde nach
künstlicher Malariainfektion bei Paralytikern.
Chemische Untersuchung des Malariapigmentes. 102 bzw. 58 Tage nach
der Infektion fanden sich in Milz und Leber auffallende Massen von MalarJa-
pigment. Das früher fälschlich als Malariamelanin bezeichnete Pigment steht
dem Hämatin sehr nahe.
Herr L e w y - Berlin demonstriert an zahlreichen Präparaten die
senilen Veränderungen des fibrillären und kanalikulären Apparates der Gang¬
lienzellen, die sich in den verschiedensten Strukturen des Zellkörpers äussern.
Herr Duken-Jena: Familiäre kongenitale Aplasie der Interphalangeal-
gelenke an Händen und Füssen mit histologischen Befunden.
Diese Missbildung konnte D. fortlaufend an einem Säugling vom zweiten
Lebensmonat bis zu seinem Tode im zehnten verfolgen. Die Mutter war
gleichfalls missbildet und zeigte das Bild derselben Missbildung in einem
späteren Stadium. Die Röntgenbilder der Mutter zeigten Uebereinstimmung
mit denen der Literatur, die des Kindes Hessen wegen' fehlender Ver¬
knöcherung wenig Schlüsse zu. Beim Kinde fehlte an den Händen die Ver¬
kürzung der Phalangen. Dagegen war sie an den Zehen deutlich. Ver¬
knöcherungszentren der Mittelphalangen III bis V fehlten. Bei der Obduktion
zeigte sich, dass ’der Musculus flexor digitorum sublimis mit seiner Sehne
an der Grundphalanx anheftete und nur Faserzüge zur Mittelphalanx gab.
Gelenkverdickungen fanden sich zum Teil an den Verschmelzungsstellen,
zum Teil fehlten sie, so dass an den Zehen II—V Grund- und Mittelphalanx
einen einheitlichen Knochen darstellten. Histologisch Hess sich die Stelle des
Gelenkes sehr gut nachweisen. Vortr. sieht in der Missbildung den Ausdruck
einer gestörten Metaplasie der Zwischenzone, die im embryonalen Leben
die Stelle des Gelenkes einnimmt.
Herren Herzog und Marchand - Leipzig: Ein reines lymphozvtäres
Exsudat bei beginnender, nichttuberkulöser Perikarditis fanden H. und M.
im Herzbeutel eines 47 jährigen Mannes.
Herren Herzog und M a r c h a n d - Leipzig: Wucherung und Des¬
quamation der Deckzelien bei fibrinöser, urämischer Perikarditis.
Zwischen den fibrinösen, in beginnender Organisation befindlichen Auf¬
lagerungen finden sich mehr oder weniger gewucherte Deckzellen von ver¬
schiedener Gestalt, während Leukozyten und Lymphozyten so gut wie ganz
fehlen,
Herr 0 r ä I f - Freiburg: Zur Frage der Entstehung der Lamellen und
Büschel des Zahnschmelzes.
Nach Ansicht des Vortr. handelt es sich bei diesen um ausgedehnte
Artefakte, die sich bei bestimmter Technik vermeiden lassen. Ob Lamellen
oder Büschel überhaupt intravital Vorkommen, wird weiter geprüft.
Herr v. G i e r k e -Karlsruhe: Ueber Kernikterus und Erythroblastose.
Vortr. erörtert die Frage, ob eine Blutkrankheit die Ursache des Ikterus
neonatorum malignus, insbesondere des Kernikterus sein kann. Da solche
Erythroblastose auch bei der angeborenen Wassersucht vorkommt, so wäre
denkbar, dass beide die Folgen einer Bluterkrankung sind.
Herr Anders- Rostock demonstriert einen Holocardlus und einen
Epigastricus paraslticus.
Herr Schmorl schliesst die XVIII. Tagung der Deutschen Patho¬
logischen Gesellschaft. Die nächste findet 1923 in Göttingen statt, Referat¬
thema ist das Wesen der Entzündung. Referenten sind die Herren Lu¬
barsch und R ö s s 1 e.
Digitized by Goiigle
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 22.
f,Ss
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Mai 1921.
Herr Züblin: lieber ein neues Tuberkulosemittel.
ln Cincinnati sind die Versuche ausgeführt. Das dritte Stadium ist
aus/iiscliliessen. Das Präparat Proteogen III wird oral eingeführt, enthält
Aiiiiiifisäuren, bakteriolytische Fermente, Chlorophyll u. a. Die Erfolge sind
Das Mittel wird zur klinischen Prüfung zur Verfügung gestellt.
Herr Max Halle: Die Heilung der chronischen Ncbenhöhlenciterungen
der Nase.
\ nrtr. weist auf die noch nicht genug gewürdigten Einflüsse der
Ni. hciihöhlenerkrankungen auf die Naclibarorgane, aber auch auf Herz. Ent¬
stellung von Sepsis etc. hin. Vortr. hat eine Methode zur chirurgischen
l>(tiniiing der Nebenhöhlenerkrankungen vor 15 Jahren angegeben, die viel-
t.idi kritisiert worden ist und diese Kritik hat ihm Veranlassung zu dauern¬
dem .Arbeiten an der Methode gegeben.
Die Ausheilung der Ncbenhötilenerkrankung ist von dem Funktio¬
nieren einer normalen Atmung abhängig.
Für die Kieferhöhlenoperation empfiehlt er den operativen Eingriff nach
C a n i i e 1 d - S t u r m a n n an Stelle der Operation vom Munde aus. Auch
die Stirnhöhle ist nach der H a 1 1 e sehen Methodik in idealer Weise von
der Nase aus operierbar, wobei ein Lappen vor dem Kopf der mittleren
Miisclicl gebildet wird und diese für die physiologische Funktion erhalten
wird. Muss von aussen operiert werden, so kombiniert er seine Methode
des iiitranasalen Lappens mit der ü. R i 11 c r sehen. Auch für die Keilhein-
liöhle hat er eine intranasale Methodik der Radikaloperation angegeben.
.Aussprache; Herr Martens fragt nach Zwischenfällen.
Herr Halle hat bei weit über 600 Fällen 2 Todesfälle, die mit dem
Eingriff nicht in direkter Verbindung stehen.
Herr Jansen, der früher die Radikaloperation von aussen angegeben
hat. operiert jetzt wegen der Rezidive ausser bei Tumoren nur von innen
und bestätigt die Halle sehen Angaben.
Herr Kausch: Zur Bougierung ohne Ende. Speiseröhre, Kehlkopf.
Mastdarm.
Vortr. beschreibt die verschiedenen Methoden, die seit Hacker zur
Verfügung stehen (nach Anlegung einer Gastrostomie Durchiegung eines
Drains. Durchführung von Kugeln etc., die mit Elektromagnet durch die
Steimsc geführt w^erden. ln 12 Fällen hat er dauernde Heilung herbeigeführt.
Da die antcthorakale Oesophagoplastik sehr grosse tiefahren bietet, emp-
lielilt er. der Methode wieder grossere Aufmerksamkeit zuzuw'enden.
Aussprache; Herr Lot sch empfiehlt, die Entstehung von Ste¬
nosen nach Verätzungen durch frühzeitiges Bougieren zu verhindern.
Herr Martens warnt vor zu frühem Bougieren.
Herr Kausch; Schlusswort. W.-E,
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 23. Mai 1921.
Herr Ulrici: lieber die anatomischen und klinischen Formen der
LII n gen tuberkulöse.
Vortr. hat es aufgegeben. Röntgen- und Sektionsbefunde zur Deckung
zu ioingen, weil die klinische Beobachtung und physikalische Untersuchung
wl itcr führt. Die Uebertragung der A s c h o f f sehen Einteilung auf die
Klinik bietet in den Einzelheiten Schwierigkeiten. Doch ist es-vollkommen
richtig, als Hauptformen die produktiven und exsudativen Tuberkulosen
klinisch und pathologisch-anatomisch prinzipiell zu unterscheiden.
Die produktiven Farmen zeigen einen apikal-kaudalen Ablauf. Die
l eiMiicratur steigt bei Bettruhe nicht über .38selbst dann nicht, wenn
grosse Kavernen vorhanden sind (?). Tuberkelbazillen sind meist nur in
niässigen Mengen vorhanden, elastische Fa.sern finden sich nicht im alveolären
\ erband. Kavernen werden röntgenologisch oft übersehen und darum ver¬
weist er auf die Erscheinungen des Quietschens, Juchzens und Knarrens
als Kavernensymptom.
Die Zirrhose führt ohne Hinzutreten von schwartiger Pleuritis nicht zu
Thoraxdeformitäten, wohl aber zur Verlagerung der Mittelfellorgane, wobei
er das Symptom der sog. „Anhebung des Hilus" genauer schildert. Der
Tod erfolgt schliesslich an Atrophie des Herzens. Emphysem, Nephrose, nicht
aber infolge der Zerstörum*- der Lunge.
Bei den exsudativen Formen handelt es sich um Exsudation in die
Alveolen mit mehr Neigung zur Verkäsung als zur Fibrose. Die Er¬
krankung beginnt in den zentralen, hilusnahen Partien und erstreckt sich
gleichrnässig auf alle Lappen. Solche zentrale käsige Pneumonien haben
mit den Hilusdrüsen nichts zu tun.
Die lobäre Form verlauft in foudroyanter Weise und die Kachexie
stellt sich meist erst gegen Ende des Lebens ein. (Im Gegensatz zur
produktiven Form). Bei der Autopsie finden sich meist beide Formen neben¬
einander (w'ohl erst nach Versagen des Selbstschutzes). (Demonstration
zahlreicher Röntgenbilder.)
Aussprache; Herr Umber betont, dass das Bild der produktiven
Tuberkulose durch Lues vorgetäuscht werden kann. Charakteristisch ist
die fächerartige Anordnung der Stränge, ln einem solchen Falle war dem
Patienten der Rat zur Anlegung eines Pneumothorax erteilt worden. (Was
nicht Vorkommen könnte, wenn ohne 'Iiiberkelnachweis der Pneumothorax
nicht angeraten würde. Ref.) Ebenso können Restbestände nach über¬
standener Grippe tuberkuloseähnliche Bilder geben, Täuschungen sind nur
durch längere klinische Beobachtung zu vermeiden.
Herr F. K 1 e m p c r e r betont, dass sich produktive und exsudative
l'onncn praktisch nicht trennen lassen.
Herr Ben da hebt hervor, dass ein Schema nicht durchführbar ist und
dass reine Formen eine absolute Seltenheit darstellen. Die Miliartuberkulose
ist, wie er im Gegensatz zu F. Klemperer betonen möchte, gerade in
exquisiter Weise eine Mischform zwischen produktiver und exsudativer
Tuberkulose.
Herr A. M a y e r warnt mit Rücksicht auf die Bedeutung des Prak¬
tikers für die Tuberkulosediagnose vor Ucberschätzung des Röntgenbildes
und bezieht sich auf.die Uebereinstimmung der R o m b e r g sehen Anschau¬
ungen mit den seinigen. Bei der Aufstellung der produktiven, exsudativen
mul zirrhotischen Formen legt er auf die Abtrennung der letzteren Wert.
Digitized by Goi'Sle
Die Aufstellung anatomischer Formen ohne Berücksichtigung der Immuno-
biologie schafft Gefahren.
Herr G r ä f f (a. Q.) spricht über die klinische Notwendigkeit der
Trennung der einzelnen Formen,
Herr Westenhöfer hebt hervor, dass die produktiven und die
exsudativen Tuberkulosen nur verschiedene Formen der Entzündung vor¬
stellen und dass die exsudative Form nur eine Steigerung der Entzündung
bedeutet.
Herr A s c h o f f betont die Bedeutung der neuen Tuberkuloseformen für
den Praktiker. Intra vitam überwiegen für lange Zeiträume die exsudativen
oder die produktiven Formen und den Praktiker interessiert es wenig, dass
bei der Sektion Mischformen gefunden werden.
Herr Ulrici; Schlusswort. W.-E.
Kleine Mitteilungen.
Chinirgenkongress-Orthopädenkongress, ein Vorschlag.
Wer kritisch rückblickend die Kongresse der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie und der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft betrachtet, dem
muss die wenig erspriessliche Trennung der beiden Taguhgen in mehrfacher
Hinsicht auffallon. So stand auf beiden diesjährigen Kongressen die Behand¬
lung der Knochen- und Gelenktuberkulose als Hauptthema zur Diskussion.
Während auf dqm Chirurgenkongress die konservative Richtung unter Führung
Biers im Sinne der Heliotherapie entschieden den grössten Anklang fand,
waren auf dem Orthopädenkongress die Anhänger der älteren Behandlungs¬
methoden (Gipsverband, portative Apparate, event. Operation, später
korrigierende Operationen) in der Mehrzahl. Gerade diese Diskussion hat
die grossen Nachteile der Trennung der beiden Kongresse grell beleuchtet.
Bedenkt man. dass das Schicksal weitester Schichten unserer Bevölkerung
von den Ergebnissen solcher Kongresse mehr weniger abhängig ist, dass
vielleicht trotz unserer wirtschaftlich schlimmen Lage Mittel mobil gemacht
werden zur Schaffung von Anstalten für Heliotherapie, so 'erscheint die Be¬
handlung eines so überaus wichtigen Themas in jeder der Gesellschaften
getrennt als ein schwerwiegender Fehler.
Auf andere Nachteile in wissenschaftlicher Beziehung, z. B. Be¬
sprechung der sog. experimentellen Rachitis, gehe ich nicht ein. Jedenfalls
bestehen Gründe genug, ein engeres Zusammenarbeiten der beiden Tagungen,
wie es vor dem Kriege bestand, wieder zu verlangen. Beide Disziplinen
haben genug gemeinsame Themata und Berührungspunkte, deren Behandlung
nur von einer Vereinigung beider Kongresse ergiebig und erspriesslich
sein kann.
Ich erlaube mir daher folgenden Vorschlag; Der Kongress der Ortho¬
pädischen (iesellschaft tagt alle 2 Jahre zusammen mit dem Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin; Stoffe, die den Chirurgen
sowohl wie den Orthopäden interessieren (chirurgische Tuberkulose. Gelenk-
mobilisierung, Pseudarthrose, Ankylose, Arthrodese usw'.) sollen möglichst
an einem gemeinschaftlichen Behandlungstage beider Kongresse verhandelt
werden; die Deutsche Orthopädische Gesellschaft könnte dann anschliessend
für sich weiter tagen und noch jedes 2. Jahr für sich einen Kongress abhalten
mit mehr speziell orthopädischer Tagesordnung (Skoliose, Belastungs¬
deformitäten, Massage, Krüppelfürsorge usw.).
Dieser Modus hat auch für das einzelne Mitglied grosse Vorteile. Der
Chirurg der kleinen und mittleren Stadt muss meistens gleichzeitig Orthopäde
sein. Wer kann sich aber bei der jetzigen Teuerung eine zweimalige
Kongressreise im Jahre mit allen Unkosten und Bezahlung eines Vertreters
leisten!
Ich würde mich freuen, wenn die führenden Männer beider Gesell¬
schaften meinem Vorschläge nähertreten würden, die deutsche Wissenschaft
würde nur Vorteile davon haben. H. Flörcken -Frankfurt a. M.
Tberapeutisefae Notizen.
Strophantin und Ouabain sind nach dem Berichte von C h ei¬
lt i s s e zwei Herzmittel, die in dringenden Fällen anzuwenden sind, von
welchen aber das erstere zuweilen gefährlich ist und besonders bei B r i g h t-
scher Krankheit und vorgeschrittener Funktionsunfähigkeit der Nieren nicht
angewendet werden darf. Das Ouabain ist angezeigt besonders in Fällen
von akuter Ausdehnung des linken Herzens mit Angina pectoris und akutem
Lungenödem verbunden, wo bekanntlich Digitalis völlig versagt, ferner bei
Insuffizienz des rechten Herzens, bei Mitralisveränderungen mit Stauungs¬
erscheinungen und schliesslich auch bei infektiöser Myokarditis (bei Typhus.
Diphtherie usw.). Es wird am besten intravenös in der Dosis von K mg.
alle 24 Stunden 3—4 Tage hintereinander gegeben; da es eine sehr stark
reizende Substanz ist. muss man sich hüten, von der Lösung in das sub¬
kutane Gewebe gelangen zu lassen, also sehr sorgfältig in die Vene injizieren.
Das Ouabain ist ein GIvkosoid und das wirksame Prinzip der O u a b a i o -
Wurzel, deren giftiges Extrakt von den Somalis zur Herstellung ihrer Pfeile
benützt wird. Die Ouabain- darf man übrigens nicht mit der Digitalis¬
behandlung vermischen und ersteres erst 3—4 Tage nach der letzten Digitali.s-
gabe anwenden. Anderseits macht das Ouabain den Organismus wieder
empfänglicher für Digitalis, wenn es vorher wirkungslos war und es ist
angezeigt, einige Tage nach Ouabain wieder Digitalis zu geben. (Presse
mddicale 1921 Nr. 23.) Si.
Studenten belange.
Academlcus. Leipziger Studentenführer, Auskunftsbuch für Leipziger
Hochschulen und sonstige Institute für Wissenschaft und Kunst. Herausge¬
geben von Dr. A. Köhler. Leiter der Akademischen Auskunftsstellc.
1. Ausgabe S.-S. 1921, Verlag von Alfred L o r e n t z, Leipzig.
Der Leipziger Studentenführer will ein „Wegweiser“ bei der Wanderung
durch das akademische Studium sein, und die Aufgabe erfüllt er auch voll
und ganz in vorbildlicher Weise nicht nur für die Universität Leipzig, sondern
auch für die übrigen Hochschulen Leipzigs. Alles für einen Studenten
Wissenswerte ist in dem handlichen Büchlein enthalten, wie die Behörden
und Aemter, Prüfungskommissionen, Angabe der regelmässigen Veröffent¬
lichungen der Universität, Verzeichnis der Dozenten, Assistenten und Be¬
amten, sowie der akademischen Institute, Auszug aus den Promotions¬
bedingungen, Angaben über die Amtliche Akademische Ansknnftsstelle der
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
68P
Universität. Eingeleitet wird das Buch mit einer Einladung und näheren
Angaben über die Leipziger Universitätswoche vom 22.—29. Juni ds. Js.
In einem Aufsatz „Zur akademischen Berufsberatung“
von Dr. A. Köhler werden von berufener Stelle die von den akademischen
Auskunftsstellen zu lösenden Aufgaben der Berufsberatung erläutert. Die
akademische Berufsberatung besteht aus fünf scharf zu trennenden Teilen:
Berufswahl, Auskunfterteilung über Studienwege, Studienberatung, Berufs¬
kunde, Stellenvermittlung. Es wird dann geschildert, wie sich die Berufs¬
beratung in der Akademischen Auskunftsstelle gestaltet. Dabei ist seit
dem Kriegsende die Frage nach den Berufsaussichten besonders in den
Vordergrund gerückt, was nur auf Grund berufsstatistischer
Erhebungen möglich ist, die bisher nur durch private Schenkungen
angestellt werden konnten. Verfasser wendet sich daher an die deutsche
Studentenschaft und an die Berufsorganisationen, dass diese sich
bemühen, um durch Anträge staatliche Unterstützungen
für diese Bestrebungen zu erhalten.
Der Rektor der Universität, Prof. R. Schmidt schildert „die An¬
fänge der studentischen Selbstverwaltung: Der Gedanke,
der an der Spitze der Satzungen steht, ist: die deutschen Studenten „durch
tätige Mitarbeit an den Angelegenheiten der Hochschule zu tüchtigen Staats¬
bürgern zu erziehen“. Das Urteil des Rektors lautet nach den Erfah¬
rungen des fetzten Semesters günstig. An Lücken wird besonders die
fehlende Garantie der Stetigkeit durch die grossen Ferienzeiten hervor¬
gehoben.
Weiterhin unterrichtet das Buch über die gemeinnützige Wirtschaftsge¬
nossenschaft der Universität, den Akademischen Hilfsbund, über Studentische
Fürsorge an der Universität („Stufa“), die Verfassung der Studentenschaft,
Studentische Krankenkasse, Unfallversicherung, Technische Nothilfe, den
Akademisch-Sozialen Ausschuss und die Verbindungen und Vereine an der
Universität, stud. phil. W Zimmermann schreibt über den „Studenten¬
staat und seine Verfassung“. Das Buch schliesst mit einem Verzeichnis
sonstiger Institute für Wissenschaft und Kunst.
Abschliessend muss gesagt werden, dass der Leipziger Studentenführer
eine Einrichtung ist, die für andere Universitäten, an denen sie noch nicht
besteht, nur empfohlen werden kann. Frhr. v. Verschüer, cand. mcd.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 1. Juni 1921.
— Nach der neuen Reichsverfassung dürfen Titel ohne Amt nicht
verliehen werden. Da aber Titel dem Deutschen unentbehrlich zu sein
scheinen, sucht man allenthalben nach Mitteln und Wegen, die unbequeme
Verfassungsbestimmung zu umgehen. So ist in Bayern der Justizratstitel
bereits in mehreren Fällen wieder verliehen worden und die Wiederaufnahme
des Sanitätsratstitels wird bekanntlich eifrig angestrebt. Da ist es begreiflich,
dass auch Wege gesucht werden, um den besonders beliebten Professor¬
titel wieder verleihen zu köiien. Da Privatdozenten nicht Beamte sind,
hat die preuss. Regierung den Äusw'eg gefunden, „gehobenen“ Privatdozenten
die Dienstbezeichnung ..Nichtbeamtete ausserordentliche Professoren“ zu
geben. Die neue Amtsbezeichnung sollen erhalten: 1. alle bereits mit dem
Prädikat Professor ausgezeichneten Professoren, .2 diejenigen mindestens
t) Jahre, habilitierten Privatdozenten, welche nach ihren Erfolgen in Lehre
und Forschung nach Gutachten ihrer Fakultäten den Anforderungen genügen,
die an Inhaber vollwertiger akademischer Lehrstühle gestellt werden. 3, die¬
jenigen Privatdozenten, deren Habilitation sich wegen des Krieges erheblich
verzögert hat, wenn seit dem Zeitpunkt, an dem sie sich bei normalen Ver¬
hältnissen der Dinge hätten habilitieren können, ^ 6 Jahre verflossen sind.
Man wird also demnächst mit einer grossen Zähl neuer Professoren in
Preussen zu rechnen haben. Für die Verleihung des Professortitels an Per¬
sonen, die der Hochschule nicht angehören, die früher so sehr zur Ent¬
wertung des Professortitels beigetragen hat, scheint der passende Weg noch
nicht gefunden zu sein.
— Offiziere ohne Reifezeugnis, welche die Aufnahme¬
prüfung für die Kriegsakademie bestanden haben, können bis zum 1. Ja¬
nuar 1923 an deutschen Universitäten und technischen Hochschulen als ordent¬
liche Studierende immatrikuliert werden.
— Der Begründer der klimatischen und Sonnenlichtbehandlung der
chirurgischen Tuberkulose. Dr. O. Bernhard in St. Moritz, feiertfe am
24. Mai d. J. seinen 60. Geburtstag. Schon im Jahre 1880 hat er ’die Frei¬
luftkur, ähnlich wie sie für die Lungentuberkulose ausgeübt wurde, auch für
die chirurgische Tuberkulose eingeführt und 1902 fügte er dieser Behandlung
noch die direkte Sonnenbestrahlung bei. Seine erste Veröffentlichung darüber
erfolgte in dieser Wochenschrift 1904, S. 18. Damit beginnt eine neue Aera
in der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose. Di» Methode Bern¬
hards, die überraschende Erfolge aufzuweisen hatte, wurde bald auch an
anderen Orten geübt; 1903 errichtete auf Bernhards Anregung das
bernische Lungensanatorium Heiligenschwendi bei Thun als erstes einen
Kinderpavillon für die Behandlung chirurgischer Tuberkulosen und 1904
gründete R o 11 i e r in Leysin seine berühmt gewordene Anstalt, in der die
Behandlung nach Bernhard im grössten Stile zur Anwendung kam.
Seither hat die Methode sich vollkommen durchgesetzt und ist heute die
Methode der Wahl bei chirurgischer Tuberkulose nicht nur in den Sanatorien
des Hochgebirges, sondern, mit gleich guten Erfolgen, wie die von Bier
vorbildlich eingerichtete Anstalt in Hohenlychen beweist, auch in den Heil¬
stätten der Ebene, Ausser dieser seiner bedeutendsten Leistung, die ihm
einen Platz unter den grossen Förderern der Heilkunst sichert, hat Bern¬
hard eine grosse Zahl wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht; besonders
interessierte ihh das Rettungsweseii im Gebirge, über das er einige viel be¬
nutzte Schriften geschrieben hat. Wir wünschen unserem verehrten Mit¬
arbeiter. dass er sich noch lange des Erfolges seiner Arbeit, der geleisteten
und der noch zu leistenden, erfreuen möge.
— Man schreibt uns aus Nürnberg; In der jungen Aerzteschaft hört
man sehr häufig Klagen über den grossen Mangel an Gelegenheit zur Aus¬
bildung in der Geburtshilfe, von (^mäkologie ganz zu schweigen.
Viele müssen in die Praxis gehen, die nur ihre 4 Pflichtgeburten und ihre
Examensgeburt gemacht haben. Bei Kriegsteilnehmern liegt dieses „Erlebnis“
dazu oft noch sehr weit zurück. Was dieser Uebelstand für die Volksgesund-
Iveit bedeutet, braucht wohl nicht betont zu werden. Namentlich auf dem
Digitized by Goiisle
Lande würde wohl manches Leben von Mutter sowohl als auch von Kind
gerettet werden können, wenn der betreffende Geburtshelfer etwas mehr
praktische Erfahrung gehabt hätte. Die Gelegenheit sich auf diesem
Gebiet weiterzubilden, ist in Deutschland sehr knapp. Sehr grosser Beliebt¬
heit erfreuen sich die Fortbildungskurse der staatlichen Dresdener Frauen¬
klinik, die sich mit dieser Einrichtung ein grosses Verdienst erworben hat.
4 Wochen ist zwar wenig, aber es ist doch wenigstens etwas. Ich glaube,
dass bei gutem Willen die Kliniken, Krankenhäuser, Wöchnerinnenheime,
Hebammenanstalten etc. noch manches mehr leisten könnten auf diesem
Gebiet der Fortbildung. Der Dank der jungen Aerzte wäre ihnen gewiss.
Dem Volkswohl wäre genützt! Dr. E, L.
— In Berlin hat sich eine „W irtschaftsgenossenschaft
deutscher Röntgenologen“ gebildet mit dem Zweck, den Betrieb
der Röntgenlaboratorien durch verbilligten Bezug aller Bedarfsartikel
rentabler zu gestalten; insbesondere soll eine Organisation für Einkauf im
grossen und Verkauf im kleinen geschaffen werden. Der Eintritt als Genosse
verpflichtet zur einmaligen Zahlung eines Geschäftsanteils von 500 M., wo¬
durch man sich einen Anteil am Geschäftsgewinn sichert. Die Haftung der
Genossen geht bis zu einer Höchstsumme von 1500 M. Sitz der Genossen¬
schaft ist Berlin. Der Vorstand besteht aus Aerzten und Kaufleuten
(Dr. B u c k y, Dr. P r i w i n, Syndikus W i 11 n e r). Das Bureau befindet
sich Berlin W, 35, Potsdamerstr. 113.
— Das englische Unterhaus beschäftigte sich im Mai mit dem
Etat des Gesundheitsamtes, der zurzeit über 15 Millionen Pfund
Sterling beträgt. An der Spitze des Amtes steht jetzt nicht mehr wie früher
ein Arzt, sondern ein „Berufspolitiker“ (Sir Alfred Mond, Sohn des aus
Deutschland stammenden Chemikers Mond). Eine Einschränkung der sehr
grossen Ausgaben wurde vielfach gefördert, konnte aber bei der Grösse der
Aufgaben nicht durchgesetzt werden. Das Amt hat sich mit der Wohnungsnot
und den dadurch veranlassten Bauten zu beschäftigen, das Krankenhaus¬
wesen zu überwachen, Prophylaxe und Behandlung der Seuchen, der Tuber¬
kulose. der Geschlechtskrankheiten zu regulieren. 59 ärztliche Beamte
stehen ihm dazu zur Verfügung. Der Leiter des Amtes konnte über manche
Erfolge berichten, so über das Sinken der Sterblichkeit auf 12,4 pro Tausend,
während sie unmittelbar vor dem Kriege noch 13—14 pro mille betrug. Rück¬
ständig erscheint das Gesundheitsamt noch in seinen experimentellen und
Laboratoriumsarbeiten. Der von der Leitung des Gesundheitsamtes zurück¬
getretene Dr. Addison bleibt als Minister ohne Portefeuille Mitglied
des Kabinetts.
— Gegenüber der ärztefeindlichen Hetze, wie sie zurzeit in Plakaten.
Flugblättern. Broschüren besonders von dem Zentralverband für Parität der
Heilmethoden betrieben wird, verdient als Gegengewicht immer wieder der
„G e s u n d h e i t s 1 e h r e r“ die Unterstützung der deutschen Aerzte. Un¬
ermüdlich führt er den Kampf gegen die Kurpfuscherei; durch die anregende
Art seiner Darstellung, sowie durch seine positiv aufklärenden Artikel Ist er
ein beliebtes Blatt für das Lese- und Wartezimmer. Alle Kollegen sollten
ihn darum halten und in den Wartezimmern, Badeorten, Volksbibliothekcn usw.
auflegen. Wer Mitglied der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des
Kurpfuschertums wird, erhält den Gesundlieitslehrer gratis. Besonders er¬
wünscht wäre korporativer Beitritt ärztlicher Vereinigungen, wie dies erfreu¬
licherweise gerade von einzelnen bayerischen schon geschehen ist (Jahres¬
beitrag der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums
M. 10.—; Abonnerrientspreis des Gesundheits.lehrer M. 8.—). Beitritts¬
erklärungen zur Deutschen Gesellschaft sind zu richten an Rechtsanwalt
Dr. H 0 m m e l, Dresden-A.. Pragerstr. 16/11; Postscheck Dresden 162. Be¬
stellungen des Qesundheitslehrer an die Geschäftsstelle in Zittau, Markt 4/II.
Hingewiesen sei auch auf die von der D. G. z. B. d. K. herausgegebene
Kampfschrift „Kurpfuscher als ärztliche Sachverständige
vor Gericht“ von Dr. N e u s t ä 11 e r, die den Zentralverband charak¬
terisiert. Preis M. 1,65 mit Porto.
— Der Magistrat von Stettin wählte den Oberarzt der chirurgischen
Klinik zu Greifswald, Prof. Dr. Georg Schöne, zum Direktor der chirur¬
gischen Abteilung des städtischen Krankenhauses.
— Am Sonntag, den 5. Juni, mittags 12 Uhr findet im Hörsaal der Medi¬
zinischen Universitätsklinik zu Göttingen die Einweihung der Büste
des ehemaligen Leiters der med. Klinik, Gcheimrat Ebstein, statt.
— Den preuss. geprüften Hebammen, die nunmehr die Bezeich¬
nung Hebammen-Schwesterri führen, ist es gestattet, die Tracht der Kranken¬
schwestern zu tragen.
— In Dresden findet vom 28. bis 31. Mai d. J. der erste sächsische
Lehrgang über die Alkoholfrage in ihrer Bedeutung für
Jugenderziehung und Volkskultur statt, veranstaltet vom Deutschen Verein
gegen den Missbrauch geistiger Getränke. — Um die notwendige Aufklärung
in weiteste Kreise zu tragen, sind am 22. Mai d. J. in Dresden vier
Tuberkulosevorträge öffentlich und unentgeltlich abgehalten
worden. Es sprachen 1. der Präsident des Reichsversicherungsamts Wirkl.
Geh. Oberregierungsrat Dr. Kaufmann über die soziale Bekämpfung den
Tuberkulose, 2. Ministerialdirektor Wirkl. Geh. Obermedizinalrat Prof.
Dr. Kirchner über den Einfluss des Weltkrieges auf die Tuberkulose.
3. Prof. Dr. Rietschel, Direktor der Universitäts-Kinderklinik in Würz¬
burg über die Tuberkulose im Kin^esalter, 4. Ministerialrat Geh. Medizinalrat
Dr. Thiele, Landesgewerbearzt Sachsens, über Tuberkulose und Bertif.
— Am 22. ds. Mts. fand im Anschluss an den Kongress der Deutschen
orthopädischen Gesellschaft die Hauptversammlung der im Ver¬
sorgungswesen tätigen orthopädischen Fachärzte im
Reichsarbeitsministerium statt. Als Vertreter des Herrn Reichsarbeits¬
ministers war Herr Ministerialdirektor Ritter anwesend. Die Versamm¬
lung gründete eine wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft der im Versorgungs¬
wesen tätigen orthopädischen Fachärzte und fasste folgende Beschlüsse:
I. Die Reichsarbeitsgemeinschaft schlägt dem Reichsarbeitsministerium
vor:
a) Herstellungsbedingungen als Mindestforderung für orthopädische
Hilfsmittel aufzustellen .
b) Bewährte Prothesenmodelle auf Grund einer von der Arbeits¬
gemeinschaft ausgearbeiteten Zusammenstellung den unterstellten
' Behörden zu empfehlen.
c) Bewährte Passteile zur Herstellung im ’ grossen für die empfoh¬
lenen Modelle aufzustellen und ihre Fabrikation in die Wege
zu leiten.
Die Arbeitsgemeinschaft erklärt sich bereit, durch ihren Aus-
Original frDrri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
690
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21.
Schuss diese Aufgaben vorzubereiten und in Zukunft weiterzu¬
bearbeiten.
II. Dem Reichsarbeitsministerium wird ein Ausschuss als Outachter¬
instanz zur Prüfung der auf dem Gebiete der orthopädischen Hilfsmittel ge¬
machten Erfindungen zur Verfügung gestellt.
Die Versammlung wählte in den Ausschuss die Herren Alsberg-
Cassel, B 1 e n c k e - Magdeburg, Biesalski - Berlin, Böhm- Berlin,
Drehmann - Breslau, Q o c h t - Berlin, R a d i k e - Berlin, Rosenfeld-
Nürnberg, Schede- München, S c h 1 e e - Braunschweig, Schlesinger-
Berlin, S i p p e 1 - Stuttgart.
— Man schreibt uns aus Bonn: Die Niederrheinische Gesell¬
schaft für Natur - und Heilkunde in Bonn, welche am 18. Ok¬
tober 1818 auf Anregung von Prof. Christ. H a r 1 e s s gegründet wurde,
feierte nachträglich am 21. und 22. Mai in der Aula der Universität ihre
1(X» jährige Gedenkfeier. Die Festrede hielt Herr Prof. Dr. Konen
über das Gesamtgebiet der Frequenzen der elektrischen Schwingungen. Der
Zoologe, Herr Prof. Hesse, gab einen geschichtlichen Ueberblick über
die naturwissenschaftliche und chemische Abteilung, der innere Mediziner
Prof. Krause einen Ueberblick über die Geschichte der medizinischen
und röntgenologischen Abteilung. In der Geschichte der Gesellschaft spiegelt
sich ein gut Teil der Wissenschafts- und Kulturgeschichte in den Rhein¬
landen unter der preussischen Herrschaft ab. Die Medizinische Abteilung
ernannte zu Ehrenmitgliedern: Prof. Trendelenburg-Berlin, Prof. Bier-
Berlin, Prof. V. Müller- München, Prof. Schnitze - Bonn, Prof. Kruse-
Leipzig, sowie eine grössere Anzahl auswärtiger korrespondierender Mit¬
glieder. Die röntgenologische Abteilung gab die Ernennung von Prof. Al-
bers-Schönberg^in Hamburg und Prof. Hermann G o c h t in Halle zu
Ehrenmitgliedern bekannt; zu auswärtigen korrespondierenden Mitgliedern
Prof. F 0 r s s e 1 in Stockholm und Prof. Reifferscheid in Göttingen.
— Die Oberrheinische Gesellschaft für Geburts¬
hilfe und Gynäkologie tagte am 22. V. 21 in Freiburg i. B. Die
Sitzung war dadurch bedeutsam, dass zum erstenmal seit dem Kriege wieder
eine Reihe namhafter Frauenärzte der Schweiz, so Prof. W a 11 h a r d -
Zürich, Prof. Labhardt - Basel, erschienen waren.
— Nach Anweisung des Leiters der Kinderheilstätte „Scheidegg“
(Algäu), Dr. Klare, hat die Neue kinematographische Gesellschaft in
München einen Film mit dem Titel „Den Kindern mehr Sonne“
hergestellt. Es werden vorgeführt, tuberkulöse Stadtkinder und die 'zu ihrer
Behandlung eingerichteten Sonnenheilstätten, Röntgenaufnahmen zerstörter
Knochen, Aufnahmen der Bewegungsspiele und der gymnastischen Uebungen
im Licht-Luftbad u. a.
— Samstag, den 2. Juli 1921 vormittags 10 Uhr findet in Landshut
(Sitzungssaal der Regierung) die 9. Mitgliederversammlung des
Landesverbandes für Säuglings- und Kleinkinder-
f ü r s 0 r e statt. Die Tagesordnung sieht ausser dem üblichen geschäft¬
lichen Teil einen Vortrag von Bezirksarzt Dr. R o 11 h a m m e r - Weilheim
über die Säuglings- und Kleinkinderfürsorge auf dem Lande und in kleineren
Städten mit Aussprache vor. Am Vorabend wird Herr Prof. Dr. Hecker-
München einen öffentlichen Vortrag mit Lichtbildern und Filmen über den
Wert des Kindes für das Land halten.
— Die Pasteurinstitute von Nordafrika, Algier- und Tunis, geben ge¬
meinsam eine Zeitschrift: „Archives des Instituts Pasteur de
l’Afrique du Nord“ heraus, dessen 1. Heft vorliegt. Sie ist die Fort¬
setzung der 1906 begründeten „Arebives de l’Institut Pasteur de Tunis“ und
ist bestimmt, die Nordafrika betreffenden mikrobiologischen und parasito-
logischen Arbeiten aufzunehmen Sie erscheint dreimal im Jahr, abwechselnd
im Verlag der Pasteurinstitute von Algier und Tunis. Das 1. Heft zeigt,
über ein wie reiqhes und wertvolles tropenpathologisches Material die
genannten Institute verfügen.
— Die von dem Augenarzt Dr. Wolffberg begründete, im Verlag
von Bleyl & Kämmerer in Dresden-Blasewitz erschienene
..W ochenschrift für Therapie und Hygiene des Auges“
hat infolge der ständig steigenden Unkosten mit der Doppelnummer 23/24 des
laufenden Kalenderjahrganges ihr Erscheinen einstellen müssen.
— In der 19 Jahreswoche, vom 8.—14. Mai 1921, hatten von deutschen
Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Aachen mit 16.8,
die geringste Neukölln mit 6,1 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
Vöff. R.G.A.
Hochsc'hulnachricbten.
Breslau. Der Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Wilhelm U h t h o f f, Direktor
der Augenklinik an der Universität Breslau, wurde zum 1. Oktober 1921 von
den amtlichen Verpflichtungen entbunden, (hk.)
Greifswaid. Der o. Professor und Direktor des pharmakologischen
Instituts an der Qreifswalder Universität Geh. Medizinalrat Dr. med. Hugo
Schulz ist zum 1. Oktober 1921 von den amtlichen Verpflichtungen ent¬
bunden worden, (hk.)
Halle. Für die Stellung als Kustos der Wilhelm Roux-Sammlung ist
der Abteilungsvorsteher am Anatomischen Institut, Prof. W e t z e 1, in Aus¬
sicht genommen. — Die Leitung des Zahnärztlichen Institutes ist dem Geh.
San.-Rat Prof. Dr. Hans K o e r n e r übertragen worden.
Leipzig. Vom Dekan der med. Fakultät Leipzig wird uns mitgeteilt,
dass die in Nr. 20 d. W. gebrachte Nachricht über die Professur für patho¬
logische Anatomie und allgemeine Pathologie nicht den Tatsachen entspricht.
Würzburg. Prof. Dr. Zieler, Vorstand der dermatologischen
Klinik und Poliklinik, ist in gleicher Eigenschaft an die Universität Hamburg
berufen worden.
Graz. Vom Professorenkollegium der Wiener med. Fakultät wurde
Prof. E. Knauer primo loco zum Leiter der 11. Univers.-Frauenklinik in
Wien als Nachfolger Wertheims vorgeschlagen. Er hat die Berufung
nicht angenommen, sondern verbelibt in Graz.
Todesfälle.
Am 26. Mai starb im Alter von 59 Jahren der prakt. Arzt und Bahnarzt
Dr. Wilhelm Möller in Kirchseeon. M., ein geborener Hannoveraner,
war der weitblickende Gründer und 1, Vorsitzende des Zweckverbandes
ärztlicher Vereine Oberbayerns, seit kurzem durch die Wahl der Aerzte-
kammer Kreissekretär für die Landbezirke Oberbayerns. Das sichtlicbe
Blühen des zielbewusst geführten Zweckverbandes verlieh Möller hohes
Ansehen und führte ihn in zahlreiche Ehrenstellcn, die in seinen Händen bald
Stellen hochwertiger Standesarbeit und vielfach massgebenden Einflusses
wurden. Er war Mitglied der oberbayerischen Aerztekammer und des
Veritg von j f- Lchin**iii m München ' 4 .W. 1 , Mcy'esu 26 —
Digitized by Goüsle
Landesausschusses bayerischer Aerzte und als einer der gründlichsten
Kenner und tatkräftigsten Vertreter der landärztlichen Interessen auch einer
der wenigen Landärzte im Beirat des Leipziger Verbandes. In allen diesen
Stellen wird er schmerzlich vermisst werden, für seinen heimatlichen Wir¬
kungskreis bedeutet sein Hinscheiden einen wirklich nicht zu ersetzenden
Verlust. Die im steten Wachsen begriffenen Erfolge Möllers waren in
seiner durch Selbstschulung gefestio^ten Persönlichkeit, seiner klaren Sach¬
kenntnis, selbstlosen Hingebung und Beharrlichkeit und gewandten Führer¬
hand gelegen, nicht zum wenigsten aber in seiner mutigen Ueberzeugungs-
festigkeit, die auch im bürgerlichen Leben das Charakterbild des vaterlands-
treuen, aufrechten und unermüdlich werktätigen Mannes beherrschte, den
seine Berufsgenossen ebenso tief betrauern wie seine Kranken. B.
Der Generalsekretär des Leipzi<^er Verbands und Mitglied des Reichs¬
tags Dr. Karl W i e b e 1, ist am 26. ds. in Leipzig nach kurzer Krankheit
verschieden. W.. der seit vielen Jahren dem LV. seine Kraft gewidmet hat,
hat sich in dieser Tätigkeit das allgemeine Vertrauen der Aerzteschaft er¬
worben. Sein Tod ist ein schwerer Verlust für den Verband und für den
Stand, besonders auch deshalb, weil wir in ihm eines der wenigen ärztlichen
Mitglieder des Reichstags verlieren, auf den grosse Hoffnungen gesetzt
werden durften. Er gehörte der deutschnationalen Partei an.
In München starb der prakt. Arzt und Frauenarzt Dr.. J. Deutsch.
Er war der erste, der Fälle von Uterusmyomen ,mit Röntgenstrahlen be¬
handelte (d. W. 1904, S. uAö) und damit diese erfolgreiche Heilmethode
begründete.
Berichtigung zum Referat O. Henker, Einführung in die Brillen¬
lehre, in Nr. 21 d. Wschr., p. 648. Durch ein bedauerliches Versehen beim
Ablesen der Tabelle p. 95 sind 2 Zahlen falsch zitiert. Auf Zeile 13 von unten
muss es heissen: „dass — ein staroperiertes Auge, das + 18D. Hauptpunkts¬
brechwert hat, korrigiert wird durch ein Konvexglas von + 16,5, wenn dies
4 mm von der Hornhaut entfernt ist, aber schon durch + 14,5 D., wenn der
Abstand 12,5 mm beträgt.“ Salzer- München.
Korrespondenz.
Ist die Behandlung der Tuberkulose nach Friedmann eine spezifische?
(Erwiderung an Z s c h a u in Nr. 21 d. Wschr.)
Von Hans Rietschel.
Z s c h a u hat nach einer dritten Milchinjektion, die 5—6 Tage nach
der ersten und 2—3 Tage nach der zweiten Milchinjektion verabfolgt wurde,
wenige Sekunden nach der Injektion schwerste Dyspnoe usw. gesehen. Er
deutet diesen Zustand als anaphylaktischen Schock. Das ist nicht richtig.
Denn 5—6 Tage nach der ersten Milchinjektion ist noch gar keine Sensi¬
bilisierung des Organismus gegen Milclieiweiss eingetreten. Die Erschei¬
nungen, die Z s c h a u gesehen hat, sind vielmehr zwanglos darauf zurück-
zuftihren, dass bei der dritten Milchinjektion ein Teil der Milch in eine Vene
gekommen ist, und durch diese „Fettembolie“ das Krankheitsbild verursacht
worden ist. Es ist leicht iederzeit möglich, im Tierversuch diese Dinge
zu bestätigen. Die Mitteilung Z s c h a u s ist also nur ein Beweis für meine
Behauptung, dass echte anaphylaktische Erscheinungen bei Milchinjektionen
bisher nicht einwandfrei beschrieben sind.
Schwellenreiztherapie.
Die Chem. Fabrik von Heyden in Radebeul-Dresden ersucht uns um
Aufnahme nachstehender Bemerkung zu der Abhandlung von A. Zimmer
in d. Wschr. 1921 Nr. 18.
In der Abhandlung über „Schwellenreiztherapie“ (M.m.W. 1921 Nr. 18)
schreibt A. Zimmer u. a. folgendes:
„Das früher tadelfreie Caseosan, das ich bis dahin verwandt hatte,
kafn plötzlich unsteril in den Handel und verursachte alle möglichen, auch
von anderer Seite bekanntgegebenen Zwischenfälle (Schock, Abszesse.
Sepsis, Augenmuskellahmung).“
Demgegenüber ist folgendes zu bemerken. Einzelne im November und
Dezember 1920 bcrgestellte Serien von Caseosan hatten sich als nicht steril
erwiesen. Es wurden weitgehende Vorkehrungen getroffen, um eine Wieder¬
holung solcher Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden. Wie den Kliniken
durch Rundschreiben bereits im März mitgeteilt w'orden ist, wird die Sterili¬
sation^ des Cäseosans streng in der Weise durchgeführt, dass die bereits
geschlossenen Ampullen unter Kontrolle durch ein Registrierth'ermometer
zweimal (am 1. und 3. Tage) je eine Stunde lang bei 100® sterilisiert werden.
Es wird ferner kein Caseosan in den Handel gebracht, das nicht vorher In
einem bakteriologischen Hochschulinstitut auf Keimfreiheit geprüft wor¬
den ist.
Die aus den Monaten November und Dezember 1920 stammenden
Caseosanpackungen Sind zurückgezogen worden.
Chemische Fabrik voll Heyden, Aktiengesellschaft.
Augenärztlicher Fortbildungskurs in München.
Vom 3.—14. Oktober einschliesslich findet an der Universitäts-Augen¬
klinik in München ein Fortbildungskurs für Augenärzte statt
unter Berücksichtigung der Nachbardisziplinen: bisher haben ihre Mitwirkung
zugesagt die Herren Geheimräte v. Müller, v. Romberg, Sauer-
b r u c h; Prof. Wessely, Heine, Neumayer, Plaut, Rieder.
Spiel m eye r. v. Zumbusch.
Die Firma Zeiss wird eine Ausstellung ihrer augenärztlichen Apparate
veranstalten.
Zur Bestreitung der Unkosten werden 60 M. von deiv Teilnehmern
erhoben. Herren, die sich an dem Kurs zu beteiligen gedenken, werden
gebeten, dies unter Einzahlung des Betrages dem Sekretariat der Universitäts-
Augenklinik mitzuteilen *).
Beginn des Kurses am 3. Oktober 8 Uhr* früh; Mathildenstr. 2 a.
Das akademische Wohnungsamt der Universität hatte die Freundlich¬
keit, seine Unterstützung bei der Wohnungsbeschaffung anzubieten. Es ist
alle Aussicht vorhanden dass durch seine Vermittlung genügend Studenten¬
wohnungen im .Medizinerviertel zur Verfügung stehen werden. Hess.
•) Da die Teilnehmerzahl beschränkt sein soll, ist baldmögliche An¬
meldung erwünscht.
D'ucli von E MiihHhaU*r> Uueh und Kunstdruckerei A O., .Müncbri);
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
^rds der einzelnen Nummer 2.— Jt. • Bezugfspreis in Deutschbma
• • • und Attshmd liehe unten unter Bezugsbedingungen. • • •
Anzei^eoschlan Immer 5 Arbeitstage vor Eracfaelnen.
Zusendungen sind zu ridrtM
ffir die Schrtfdeitnng: Arnulfstr. M (S p radmtMimi tHI—*1
für Bezug, Anzdfca and Bcflagcet
■n ]. P. Lehmann*! Verlag, Paul Heyseatreee« ML
HONCHENER
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 23. 10. Juni 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26. go
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26. * ^
Der Verlag behält eich das aaeeohliessliohe Recht der VervieUältigang and Yeibreitong in dieser Zeitschrift zom Abdruck gelangenden Originalbeiträge vor.
Originalien.
1 mit einer ausserordentlich schweren Hämaturie gebeten, die im Verlaufe
der letzten 2 Jahre viermal aufgetreten war. Niemals hatte eine Kolik
Steine des pelvinen Ureteranteils und ihre
Von Prof. Dr. Kielleuthner-München.
Die Diagnose der Hanileitersteine lässt sich in bestimmten aus¬
geprägten Fällen unschwer stellen. Das Wesentliche ist wohl, bei un¬
klaren Symptomen, die auf die Harnwege hinweisen, an die Mög¬
lichkeit dieser Erkrankungsform zu denken und dann systematisch
die diagnostischen Hilfsmittel anzuwenden, wie sie besonders in dem
letzten Jahrzehnt ausgebaut wurden. Konkremente im Ureter finden sich
weitaus am häufigsten im pelvinen Abschnitt, also in dem Teile, der
sich im kleinen Becken von der Linea arcuata bis zum Eintritt in die
Blase erstreckt. Mitteilungen über gut diagnostizierte und glücklich
verlaufene Fälle dieser Art finden wir häufig; seltener dagegen hören
wir — aus naheliegenden Gründen — von Fehldiagnosen und Irrtümern.
Und doch ist grade ihre Kenntnis und ihr Studium so wichtig, weil wir
aus ihnen viel mehr lernen können als von sog. „glatten“ Fällen. Aus
diesem Grunde möchte ich Ihnen meine Erfahrungen in kurzem
skizzieren; sie stützen sich auf 58 Einzelbeobachtungen von
Konkrementen im Beckenteil des Ureters und zugleich
auf 71 Proz. aller von mir .in den letzten 14 Jahren beobachteten Harn¬
leitersteine überhaupt.
Am häufigsten sind diagnostische Irrtümer auf eine unvollständige
Untersuchung des Hamtraktus zurückzuführen. Die Ausserachtlassung
eines ordentlichen Krankenexamens, die eine echte frühere
Nierensteinkolik aufzudecken imstande wäre, die Vernachlässigung
einer genauen Harnuntersuchung nach Kühe und Bewegung,
der rektalen oder vaginalen Untersuchung, der Zysto-
s K 0 p i e, endlich einer Röntgenuntersuchung der beiden
Nieren und Harnleiter sind nicht selten der Grund einer irrtümlichen Auf¬
fassung des Falles. , Aber auch bei Ausnützung aller dieser Methoden
kommen Fehldiagnosen zustande und zwar hauptsächlich deshalb, weil
keiner der erwähnten diagnostischen Bausteine eine absolute Sicher¬
heit bietet.
Von den meisten Untersuchern wird angegeben, dass die direkte
Palpation eines Steins ein absolut sicheres Zeichen für die An¬
wesenheit eines Harnleitersteins sei. Für die tiefsitzenden pelvinen
Konkremente, also juxtavesikale und intramurale Steine, kommt haupt¬
sächlich die vaginale und rektale Palpation in Betracht. In der Tat habe
ich viermal bei Frauen einen Stein oder besser gesagt einen nuss- bis
pflaumengrossen Knoten in der Harnleitergegend fühlen können. Dieses
tumorartige Gebilde kam dadurch zustande, dass der Stein infiziert war
und sich stark entzündliche Erscheinungen in seiner Umgebung ein¬
stellten. Zwei von diesen vier Fällen waren von Gynäkologen, welche
die Patientin aufgesucht hatte, wegen entzündlicher Erkrankung der
Adnexe einige Zeit behandelt worden. Besonders ein Fall, der nach
Thure-Brandt längere Zeit massiert wurde, ist mir unvergesslicn,
weil durch diese Therapie immer Koliken ausgelöst wurden. Die Diagnose
war in all diesen Fällen sehr leicht zu stellen: Eiythrozyten und Leuko¬
zyten im katheterisierten Harn, entzündliche Schwellung des betreffenden
Ureterenostiums im zystoskopischen Bilde und positiver Röntgenbefund
eines länglichen Steines an typischer Stelle. Grössere Schwierigkeiten
bietet die palpatorische Diagnose bei Männern; die Prostata und der
unterste Abschnitt der Samenblasen können den juxtavesikalen Anteil
des Ureters verdecken. Ich habe auch selbst niemals bei Männern-einen
Harnleiterstein vom Mastdarm aus sicher fühlen können. Täuschungen
sind möglich durch Bestehen eines tuberkulösen Knotens an der oberen
Peripherie der Prostata und zwar umsomehr, als die Symptome beider
Erkrankungen gewisse Aehnlichkeiten zeigen. Auch die chronische Ent¬
zündung bestimmter Abschnitte der Samenblase könnte zu Verwechs¬
lungen Anlass geben. Und Israels Beobachtung, dass der Ureter bei
Steinerkrankungen sehr reizbar ist, dass er sich an der Stelle seiner
Berührung zu einem umschriebenen harten Wulst spastisch zu kon¬
trahieren und so als Stein zu imponieren vermag, kann ich nur be¬
stätigen. Bleibt man aber einige Minuten mit dem Finger ruhig an
der Stelle, so löst sich der Krampf und der vermeintliche Stein ist ver¬
schwunden.
Das Symptom des Schmerzes ist für die Diagnose häufig
unzuverlässig. Es sind sichere Fälle in der Literatur bekannt, w'O
Uretersteine gar keine Beschwerden machten. Erst in den letzten
Tagen wurde ich von der II. Medizinischen Klinik zu einem jungen Arzt
Nr. 23.
Digitized
V Gol »gle
ihn befallen, niemals fühlte er nur einen leisen Schmerz in der zysto-
skopisch als Sitz der Blutung erkannten rechten Niere. Im Felde wurde
die Niere, da auch einige Zylinder — eine übrigens nicht ungewöhn¬
liche Begleiterscheinung der Harnleitersteine — gefunden wurden, nach
Edebohls dekapsuliert; die Diagnose war damals auf Nephritis oder
Tumor gestellt worden. Die Blutung stand damals, wie zu erwarten,
sei es durch die Bettruhe, sei es durch die Blutentziehung während
der Operation. Da ich keine sichere Diagnose stellten konnte — die
Röntgenplatte wies keinen Steinschatten in den oberen Harnwegen
auf — riet ich einstweilen zu einer Trinkkur. Plötzlich stand die Blu¬
tung und in der Blase fand sich ein langer, harnsaurer, sicherer Ureter-
steiu. Nach einigen Tagen war der Urin vollkommen frei von AI-
bumen, Erythrozyten und Zylindern.
Von den Fehldiagnosen bei Steinbildung im Ureter ist bei
rechtsseitigem Sitze die Appendizitis an erster Stelle zu nennen.
Ich konnte aus meinen Aufzeichnungen nicht weniger als acht Fälie
zusammenstellen, bei denen ich nach der Appendektomie Steine des
untersten Teils des Harnleiters gefunden habe. Viermal musste ich sie
extraperitoneal entfernen, zweimal ging durch geeignete therapeutische
Massnahmen das Konkrement spontan ab. Bei einer Kranken steckt
der Stein noch und ein Patient entzog sich der weiteren Beobachtung.
Nun ist ja allerdings die Möglichkeit eines gleichzeitigen Bestehens
von Appendizitis und Harnleiterstein in Betracht zu ziehen, in dieser
Häufigkeit aber wohl nicht anzunehmen. Es sollte demnach als Regel
gelten, bei Fortbestehen der Schmerzen nach Appendektomie die
Möglichkeit einer Uretersteinerkrankung ins Auge zu fassen. Die
Differentialdiagnose ist ja manchmal ausserordentlich schwierig: Die
Schmerzen können bei beiden Erkrankungen am MacBurney-
schen Punkt lokalisiert sein; die palpatorische Differenzierung der er¬
krankten Appendix und des Ureters ist manchmal nicht mit Sicherheit
möglich, weder von den gespannten Bauchdecken aus noch vaginal
oder rektal. Die gastrointestinalen Symptome. Stillstand
der Darmtätigkeit, 'Erbrechen, Meteorismus sind beiden Erkrankungen
gemeinsam, ebenso wie das Auftreten von Blasenöeschwerden und
Harnzwang bei Ureterkolik und appendizitischem Anfall. Temperatur¬
steigerung mit erhöhter Pulszahl kann bei beiden Erkrankungen sich eiir-
stellen. Besondere Verwirrung aber richtet das Auftreten einer
Hämaturie an, ein Symptom, das meist als charakteristisch für Stein
gilt. Allein wohl jeder beschäftigte Chirurg wird schon einmal bei
Appendizitis makro- oder mikroskopische Blutungen aus den Harn¬
wegen beobachtet haben, die sicher keinen Stein als Grundlage hatten.
Ich sehe dabei ab von den Hämaturien bei akuten septischen Nephri¬
tiden, wie sie hämatogen im Anschluss an eine schwer eitrige Erkran¬
kung des Wurmfortsatzes auftreten können; ich sehe auch davon ao,
dass ein durchgebrochener Abszess bei seiner Wanderung entlang des
Harnleiters in die Blase schwere entzündliche Veränderungen an diesem
Organ verursachen kann, deren ins Auge fallende Folge das Auftreten
von Blut aus der geschwellten Harnleiterschleimhaut ist. Aber schon
bei ganz unkomplizierten akuten und chronischen Fällen von Appendizitis
sind Hämaturien sicher beobachtet. Zw'eimal wurde Ich zu dera^rtigeii
Komplikationen beigezogen; und beidemale war, wie sich bei der
Operation ergab, der Wurmfortsatz nach hinten geschlagen und dem
Harnleiter adhärent, wodurch auch das bei der Untersuchung mit dem
Harnleiterkatheter an diesem Punkt aufgefundene Hindernis er¬
klärt war.
Aus dieser letzteren Tatsache folgt übrigens auch, dass das A u f -
gehaltenwerden einer elastischen Uretersonde beim Harnleiter¬
katheterismus weder für noch gegen die Diagnose der Harnleitersteiiie
spricht. Trifft sie auf kein Hindernis, so ist das kein Beweis gegen
Stein; denn erfahrungsgemäss fliesst neben dem oft wandständigen Stein
der Harn ziemlich gut ab und mancher Stein, der längere Zeit im Harn¬
leiterrohr lag, weist eine deutliche Rinne auf, wodurch er die Gestalt
eines Dattelkernes annimmt. Wird die Sonde aber im Vorrücken auf¬
gehalten, so bew^eist das unter keinen Umständen einen Stein, da
Schleimhautfalten, Abknickungen des Harnleiterrohrs durch anliegende
Organe und endlich Stenosen ganz dieselben Symptome geben.
So bleibt als wertvollstes diagnostisches Hilfsmittel zur Vermeidung
von Irrtümern die R a d i o g r a p h i e übrig. Handelt es sich um grössere
Steine, so ist in der Tat die Diagnose auf Grund eines einwandfreien
Bildes in vielen Fällen sicherzustellen. Schwieriger ist die Deutung
kleinerer Konkremente im untersten Anteil des Ureters, die sich auf der
Platte In der Apertur des knöchernen Beckens projizieren und mit den
3
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
692
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23
Beckenflecken verwechselt werden können. Beckenflecke ist be¬
kanntlich ein Sammelnamen für Phlebolithen des Plexus vesico-prostati-
cus, Ossifikationen am Ligamentum tuberoso-sacrum, für Verkalkungen
der tiefen Schleimbeutel u. a. m. Besonders schwierig wird die
Differentialdiagnose bei Vorhandensein eines Kotsteines im Wurm¬
fortsatz. der auf der Platte sichtbar wird. Hier schützt am besten vor
Irrtiimem die Radiographie nach Einführung eines für Röntgenstrahlen
undurchlässigen Wismutkatheters in den Harnleiter. Dabei ist es gleicn-
gültig, ob man nur mit der Spitze des Katheters den Stein erreicht,
oder ob man, wie so oft auch bei grossen Steinen, seitlich das Instrument
vorbeizuführen vermag: beide Male wird der verdäcntige Schatten in
unmittelbare Nähe des Katheters zu liegen kommen und wie ein Aus¬
wuchs des Katheterschattens sich präsentieren. Aehnliche Fehlerquellen
gehen von den verkalkten Drüsen und Kalkplatten in Arterien¬
wandungen aus. ^ j ^
Leider gibt es auch Versager der Radiographie, durchschnittlich
in 4 —8 Proz. aller Fälle; sie kommen nicht nur bei durchlässigen Harn¬
säuresteinen vor, sondern auch bei anderen Steinbildnern, phosphorsaurem
Kalk, sogar Oxalaten. Durch das Nichtauffinden eines gemutmassten
Steins ist mir einmal ein misslicher Irrtum unterlaufen: es bandelte
sich um hydronephrotische Anfälle, für die ich keinen Grund finden
konnte. Das Organ — es war die rechte Niere — stand etwas tiel
und bei dem Fehlen jeglichen Steinschattens in Niere und Harnleiter
nahm ich eine kongenitale Störung, vielleicht ein den Harnleiter kreu¬
zendes Gefäss oder einen der nicht selten vorkommenden, den Harn¬
leiter abschnürenden Stränge an. Bei der Operation fand sich, wie
angenommen, eine Hydronephrose, aber auch der Ureter war auf Dünn>
darmstärke erweitert. Das Hindernis musste also tiefer sitzen. Nach
Verlängerung des Schnittes war ganz an der Blase, i^xtavesikal gelegen,
ein fest eingekeilter harnsaurer Stein gefunden, der diese Stauung der
oberen Hamabschnitte verursacht hatte. Stein, Hydrureter und Hydro¬
nephrose wurden entfernt. Wenn auch keine Fehldiagnose, so war
es doch eine unvollständige Diagnose, die, falls sie von vornlwrein
richtig gestellt worden wäre, dem Patienten die Operationsdauer
wesentlich verkürzt hätte.
So paradox es auch klingen mag: Harnleitersteine des Beckenteils
sind nicht ganz selten und zwar von sehr guten Chirurgen mit Blasen¬
tumoren verwechselt worden. Durch passagero Zirkulationsstörungen
infolge des eingekeilten Steines in der Schleimhaut des erkrankten Ureters
kommen Pseudotumoren am Ureterausgang zustande, die als echte Pro¬
lapse der Ureterenschleimhaut anzusehen sind. Die Nieren sind in der¬
artigen Fällen meist infiziert. Die Entzündungserscheinungen zusammen
mit den ödematösen Schwellungen lassen dann den Uretorwulst als
kugelförmigen, portioartigen, meist ganz solid aussehenden Tumor er¬
scheinen. Vor ca. 8 Jahren habe ich eine Dame behandelt, die wegen
eines papillären Tumors am Harnleiter operiert werden sollte. Es fand
sich zystoskopisch am Harnleiter ein ausgesprochenes kleinbl^iges
Oedem, traubenförmig, in die Blase vorspringend, tatsächlich wie ein
Tumor imponierend. Allein die Röntgenaufnahme zeigte bald einen
juxtavesikalen Hamieiterstein als ursächliches Moment. Nach ein paar
Wochen wurde der ziemlich grosse Stein spontan ausgestossen. Der
„Tumor“ war nach zwei Wochen verschwunden; nur ein unregel¬
mässiges, etwas eingerissenes Ureterenostium war noch zu finden.
So schwierig auf den ersten Blick die exakte Diagnose gewisser
Fälle von Hamleitersteinen des pelvinen Ureterabschnittes sich darstellt,
so lässt sich durch genaueste Untersuchung und Zuhilfenahme aller tech¬
nischen Hilfsmittel fast immer dieses Krankheitsbild von ähnlichen ab¬
grenzen. Die sichere Feststellung der Harnleiterkonkremente wird so
aus einer klinischen Rarität zu einem wohlfundierten Kapitel der Chi¬
rurgie. Und es schien mir von jeher ein besonderer Reiz der Nieren¬
chirurgie zu sein, dass die in Frage kommenden Erkrankungen eine ein¬
wandfreie vorher gehende Feststellung der anatomischen wie auch
der funktionellen Schädigungen gestatten.
Utber die Natur diastatischer Fermente.
Von W. Biedermann-Jena.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die organische Grundsubstanz
diastatisqher Fermente, die man wohl auch als das „Zymogen“ der¬
selben bezeichnen könnte, an sich völlig wirkungslos ist und zu ihrer
Aktivierung unbedingt der Ionen gewisser Salze bedarf, hatte es das
grösste Interesse, zu erfahren, welcher Natur jene organische Kom¬
ponente des komplexen Fermentes eigentlich ist Obschon es nicht eben
verlockend schien, den vielen zweifelhaften Versuchen der Reindar¬
stellung von Diastase einen neuen an die Seite zu stellen, so wurde ich
dazu doch durch die Beobachtung veranlasst dass kleine Mengen von
Amylase verschiedener Herkunft sehr fest am Glas haften und so durch
Adsorption aus ihren Lösungen gewissermassen herausgefischt und dann
wieder in Lösung gebracht werden können. So erhält man. freilich nur
sehr verdünnte, wässerige Fermcntlösungen von fast absoluter Reinheit
Dadurch aber, dass ich eine und dieselbe Wassermenge (unter Chloro¬
formzusatz) immer wieder mit adsorbiertem (Speichel-) Ferment in
Berührung brachte, gelang es mir mit der Zeit so substanzreiche wässerige
Fermentlösungen zu gewinnen, dass ihr chemisches Verhalten mit einiger
Aussicht auf Erfolg geprüft werden konnte. Zusatz von reichlichem
Alkohol bewirkte eine deutliche Trübung, die sich als Niederschlag ab¬
setzte und nach Abheben des Alkohols in einigen Kubikzentimetern
0,5 proz. NaCl-Lösung gelöst, kräftig diastatisch wirkte. Beim Kochen
der mit Essigsäure schwach angesäuerten Lösung entstand eine leichte
Trübung, die beim Abkühlen sehr zunahm und bei neuem Erhitzen wiede:
teilweise schwand. Ein ähnliches Verhalten ergab sich bei Zusatz von
HNOs und Pikrinsäure; die Biuretprobe fiel wie bei Albumosen rotyiolett
aus. Hiernach gewann es den Anschein, dass die diastatische Wirkung
an einen durch Alkohol reversibel fällbaren Eiweiskörper von albumosen-
ähnlichem Charakter gebunden ist. Wenn dem so wäre, musste e»
aber, wie man leicht sieht, auch möglich sein, in viel einfacherer Weise*
und rascher zum Ziele zu gelangen, indem man unverdünnten bpeichel
mit Alkohol fällt und die Fällung mit Wasser oder Kochsalzlösung extra¬
hiert. Man muss bedenken, dass reiner Parotisspeichel von organischen
Substanzen ausser dem Ferment nur noch geringe Mengen von Eiweiss-
Substanzen enthält, die durch Alkohol irreversibel koaguliert werden.
Im gemischten Mundspeichel kommt noch Muzin dazu, welches abe*
auch durch Alkohol leicht entfernt werden kann. Da nun ausserdem de-
menschliche Speichel in vielen Fällen ganz ausserordentlich fermentreich
ist. so sind offenbar die Bedingungen für eine Isolierung der organischen
Komponente hier günstiger, als in irgendeinem anderen Falle und vor
allem bei Malzauszügen, die neben verschiedenen Eiweiskörpern aucli
immer reichlich kolloidale Kohlehydrate (Pentosane) enthalten, von
welchen, da sie auch durch Alkohol reversibel fällbar sind. Eiweiss-
stofle von gleichen Eigenschaften nur sehr schwer getrennt werden
können. , , « . i. i
Wenn man einen recht kräftig wirkenden menschlichen Speichel
mit dem 2—3 fachen Volumen Alkohol schüttelt, so scheidet sich das
Muzin in Form weisser Gerinnsel ab und es entsteht im übrigen eine
starke Trübung, die sich beim Stehen als feinflockiger Niederschlag ab¬
setzt, der in Wasser fast restlos löslich Ist. Um alles durch Alkohol
koagulierbare Eiweiss sicher zu entfernen, lässt man mehrere Tage
stehen, dekantiert dann und löst die Fällung in soviel Wasser oder Koch¬
salzlösung. als dem Volum der ursprünglichen Speichelmenge entspricht.
Man erhält dann eine nur wenig getrübte Lösung, welche nach dem
Filtrieren weder Muzin noch gewöhnliches Eiweiss enthält. Das ganz
klare Filtrat wirkt, wenn zur Lösung reines destilliertes Wasser ver¬
wendet wurde, nur ganz schwach diastatisch, in Kochsalzlösung aber fast
ebenso stark, wie der Speichel selbst. Ein einziger Tropfen einer sol¬
chen aus meinem Speichel bereiteten Lösung setzt 2 ccm 1 proz. Amylose
momentan so weit um, dass die Jodreaktion ausbleibt.
Bei genauerer Untersuchung einer solchen Fermentlösung zeigt sich
nun, dass sie ein Protein enthält, dessen Eigenschaf¬
ten von denen der bisher bekannten Eiw eissstof fe
in wesentlichen Punkten abweichen. Wird die klare
NaCl-haltige Lösung mit oder ohne Zusatz von Essigsäure gekocht, so
trübt sie sich, wird aber bald wieder fast ganz klar, indem sich Flöck¬
chen von koaguliertem Eiweiss ausscheiden; beim Abkühlen tritt dann
wieder diffuse Trübung ein, die bei neuem Erhitzen verschwindet Be¬
sonders charakteristisch ist das Verhalten gegen HNOa, Pikrinsäure und
HCl. Alle 3 Säuren bewirken schon in der Kälte Trübung (Fällung), die
sich beim Kochen etwas aufhellt und beim Abkühlen sehr auffallend
zunimmt Kochen mit HNOs bewirkt deutliche Gelbfärbung, die bei
Zusatz von Ammoniak sehr intensiv wird. Die Biuretprobe liefert eine
schön rotviolette Färbung. Es handelt sich, wie man sieht um eine
Substanz, welche gewissermassen die Eigenschaf¬
ten genuiner Ei weisskörper und anderseits der
Albumosen in sich vereint. Die erwähnten Fällungsreaktionen
kann man auch mit verdünntem und filtriertem Speichel ohne weiteres
anstellen, wobei die grosse Empfindlichkeit derselben auffällt Die sehr
kleinen Mengen von genuinem Eiweiss wirken dabei ebensowenig wie
das Muzin störend.
Für die Annahme einer direkten Beziehung des albumoseartigen.
im Speichel enthaltenen Proteids zu dem diastatischen Ferment würde
es von entscheidender Bedeutung sein, wenn sich zeigen Hesse, dass man
einer Eiweisssubstanz von gleichen Eigenschaften auch in anderen
Fällen begegnet, wo es sich um diastatische Wirkungen handelt. Dies
ist nun wirklich der Fall. Schon vor langer .Zeit hat Wroblewski
(Z. f. physiol. Chem. 24. 1898) behauptet dass die Malzdiastase
ein albumoseartiger Ei weisskörper sei. stiess aber bei dem Versuche
der Reindarstellung auf sehr grosse Schwierigkeiten. Für den quali¬
tativen Nachweis einer der „Speichelalbumose“ durchaus entsprechenden
Substanz in Malzpräparaten bedarf es einer solchen aber gar nicht es
genügen die obenerwähnten charakteristischen Reaktionen, welche durch
die sonstigen Beimengungen ebensowenig gestört werden, wie im Spei¬
chel. Ich habe hauptsächlich ein von Merck bezogenes ..Maltin“-Prä-
parat benützt dessen Lösungen (in 0,5 Proz. NaCl) ein klares, gelbliches
Filtrat liefern, welches mit Alkohol einen voluminösen, fast nur aus
einem Pentosan bestehenden Niederschlag liefert von dem sich der
albumosenartige Körper nur durch ein umständliches Reinigungsverfahren
unvollkommen trennen lässt Eine klar filtrierte Lösung von Merck-
schem Maltin verhält sich beim Kochen, sowie bei Zusatz von HNOs.
HCl und Pikrinsäure im wesentlichen ebenso wie eine verdünnte Spei¬
chellösung, enthält also zweifellos dasselbe Proteid. Durch eine recht
kräftige diastatische Wirkung zeichnet sich Eiereiweiss aus; aller¬
dings wird dieselbe durch die stark alkalische Reaktion zunächst wesent¬
lich beeinträchtigt. Es lässt sich aber daraus leicht eine Lösung ge¬
winnen. deren diastatische Wirkung die einer ziemlich konzentrierten
Maltinlösung noch übertrifft. Wenn man ein Eierklar mit etw'a 100 ccm
Alkohol kräftig durchschüttelt, die massige Fällung mindestens 24 Stun¬
den unter Alkohol stehen lässt, den abgepiessten Filterrückstand dann
mit 0,5 proz. NaCl-Lösung extrahiert und die abfiltrierte Flüssigkeit auf
etwa 20 ccm (bei 40") einengt, so erhält man bei Zusatz des mehr-
Digitized b
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNIA
• 10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
693
fachen Volums Alkohol neuerdings eine starke Trübung, die sich all¬
mählich als weisses Sediment absetzt Dieser Niederschlag, in etwa
10 ccm Kochsalzlösung gelöst liefert eine stark diastatisch wirkende
Lösung, obschon sie rotes Lackmuspapier noch immer deutlich bläut.
Sie gibt dementsprechend in ausgezeichneter Weise
alle charakteristischen Reaktionen des albumosen-
artigen Speichelproteids. Dies ist nicht der Fall, wenn es
sich um eine Lösung von „0 v o m u k o i d“ im Sinne von M ö r n e r
handelt, einer ebenfalls albumosenähnlichen Substanz, die im Eiereiweiss
reichlich enthalten ist und nach Entfernung des Albumins und Globulins
durch Kochen zurückbleibt Das Ovomukoid ist demnach sicher
nicht identisch mit dem Proteid, an welches auch in diesem Falle offen¬
bar die diastatische Wirkung geknüpft erscheint
Schliesslich habe ich noch eine Substanz geprüft deren diastatische
Wirkung schon lange bekannt ist und bei der das Vorhandensein eines
Proteinstoffes kaum erwartet werden konnte, nämlich Gummi arabi¬
cum. Nicht zu verdünnte Lösungen zeigen bei Zusatz der oben¬
genannten Säuren, Kochen und Wiederabkühlen ein gleiches Verhalten,
wie sehr verdünnte Speichel- und Maltinlösungen. Hinsichtlich ihrer
diastatischen Kraft sind Gummilösungen nur sehr hochverdünnten Spei¬
chellösungen zu vergleichen und stehen auch hinter den aus Eiereiweiss
dargestellten Lösungen weit zurück. Dem entspricht dann die Tatsache,
dass jene Fällungsreaktionen zwar immer erkennbar, aber doch nur
so wenig ausgeprägt sind, dass man, ohne über dieselben durch die
Untersuchung fermentreicherer Flüssigkeiten orientiert zu sein, kaum
auf deren Vorhandensein aufmerksam geworden wäre. Noch viel
geringere Mengen von ,^Amylase“ haften nun nach¬
weislich auch an Stärkekörnern. Hier lassen sich aber
diese Fermentspuren, welche unter günstigen Bedingungen eine wirk¬
liche ,^Autolyse“ bedingen können, nur noch indirekt durch ihre W i r -
k u n gen erkennen. Auf die immer sehr leicht nachweisbane auto¬
lytische Spaltung von Stärkelösungen durch kalt bereitete Extrakte
aus Rohstärke habe ich schon vor Jahren aufmerksam gemacht, die¬
selbe aber damals aus besonderen Gründen nicht auf präexistente Fer¬
mentspuren zurückgeführt.
Nicht minder, als das Vorkommen einer spezifischen, durch charak¬
teristische Reaktionen ausgezeichneten Eiweisssubstanz in diastatisch
wirkenden Lösungen sehr verschiedener Herkunft, sprechen auch d i e
quantitativen Verhältnisse entschieden zugunsten der An¬
nahme, dass das albumosenartige Proteid die organische Grundlage diar
stetischer Fermente bildet. Es ist bekannt, in wie weiten Grenzen die
diastatische Kraft des menschlichen Speichels individuellen Schwan¬
kungen unterworfen ist. Dem geht nun vollkommen parallel die sehr
wechselnde Menge jenes durch Alkohol fällbaren wasserlöslichen Pro-
teids. Hat man eine Reihe verschieden wirksamer Speichelsorten zur
Verfügung, so lässt sich deren diastatische Kraft ohne weiteres nach
dem Grad der Trübung abschätzen, die in filtrierten wässrigen Lö¬
sungen der Alkoholfällung gleicher Speichelmengen bei abermaligem Zu¬
satz des doppelten Volums Alkohol auftritt. Es lässt sich dann auch
der direkte Beweis führen, dass gleichen Mengen des Pro¬
teids (nach der Gleichheit der Trübung bemessen)
gleiche diastatische Wirkung entspricht. Ich konnte
ferner auch zeigen, dass mit steigenden Mengen der wirksamen Sub¬
stanz die diastatische Kraft, wie ich dies schon früher angegeben habe,
proportional zunimmt.
Schliesslich bleibt als Beweis für die nahen Beziehungen zwischen
dem Ferment und dem albumosenartigen Eiweisskörper noch das Ver¬
halten desselben beim Erhitzen seiner Lösungen zu erwähnen, welches
zeigt, dass die dann zu beobachtende allmähliche Abnahme der Fer¬
mentwirkung immer Hand in Hand geht mit Veränderungen, welche
das Proteid in steigendem Masse erleidet. Aus reinenLösungen
vonSpeichelalbumosescheidetsichzwischenöOund
100® immer reichlicher koaguliertes Eiweiss ab, in¬
dem, wie es scheint, eine Spaltung des Proteids erv
folgt, bei welcher ein albumosenartiger Körper ge¬
löst zurückbleibt. Dies geschieht natürlich auch beim Kochen
von Speichel selbst, doch übt in diesem Falle das Muzin eine schützende
Wirkung aus, so dass die Spaltung (Koagulation) viel später (erst zwi¬
schen 75 und 80®) einsetzt und erst zwischen 90 und 100® beendet ist.
Das Muzin bleibt bis zum Siedepunkt gallertig gequollen, löst sich aber
beim Kochen auf, so dass das Filtrat von Kochspeichel immer opaleszent
erscheint. Die hohe Viskosität schwindet dabei fast ganz. Mit der all¬
mählichen Abspaltung des hitzekoagulablen Anteils der Speichelalbumose
ändern sich einerseits die Reaktionen und anderseits auch d i e
fermentativen Wirkungen. Die ersteren zeigen dann nur
mehr die für Albumosen charakteristischen Eigentümlichkeiten, während
die diastatische Kraft mit zunehmender Ausscheidung von koaguliertem
Eiweiss mehr und mehr abnimmt und schliesslich bei wirklichem Kochen
einen plötzlichen sehr starken Abfall erleidet, ohne aber selbst
nach anhaltendem Kochen ganz zu schwinden.
Ein Rest diastatischer Kraft bleibt auch dann noch erhalten und man
wird denselben wohl auf den albumosenartigen Rest des Proteids be¬
ziehen müssen. Das ausserordentlich tiefe Absinken der fermentativen
Wirkung des Kochspeichels beruht aber nicht allein auf der teilweisen
Zerstörung der organischen Komponente des Fermentes, sondern auch
auf einer (physikalischen) Veränderung des anorganischen Komplementes,
indem die betreffenden Salze in wässriger Lösung
ihre aktivierende Kraft durch Kochen für längere
Zeit mehr oder weniger einbüssen. Dies lässt sich sehr
einfach und einwandfrei zeigen, wenn man in der von mir beschriebenen
Digitized by Goiisle
Weise Aktivierungsversuche mit salzfreier adsorbierter Speicheldiastase
und frisch bereiteten gekochten und ungekochten Salzlösungen anstellt.
Darauf beruht auch die immer sehr merkliche Zunahme (Regeneration)
der diastatischen Wirkung, welche Kochspeichel zeigt, wenn er (unter
Chloroformzusatz) mehrere Tage aufbewahrt wird. Es handelt sich
dabei nicht um eine Veränderung des albumoseartigen Fermentrestes,
sondern um ein Ansteigen der aktivierenden Wirkung der Salze.
Die trotz aller gegenteiligen Behauptungen unbezweifelbare Tat¬
sache, dass ohne Mitwirkung von Bakterien auch wirklich gekochte
(nicht bloss auf 80 ® erhitzte) Amyloselösungen einer autolytischen Spal¬
tung bei Zusatz gewisser Salze resp. Salzmischung«n zugänglich sind,
die ich bisher nur unter der, wie ich ohne weiteres zujgebe, sehr unwahr¬
scheinlichen Voraussetzung einer Neuentstehung von Ferment aus dem
Substrat erklären zu können glaubte, lässt sich nun von dem neu ge¬
wonnenen Standpunkt aus in viel einfacherer Weise deuten.
Wenn man der kolloidalen Amylose eine ähnliche Schutzwirkung
zuschreiben darf, wie dem Muzin des Speichels, so erscheint es nicht
ausgeschlossen, dass in einer selbst auf 90® erhitzten Amyloselösung
noch ziemlich wirksame Fermeiitreste enthalten sind; aber selbst nach
anhaltendem Kochen bleibt ja immer noch der albumosenartige Anteil
der organischen Komponente erhalten und kann, durch Salze aktiviert,
eine schwache diastatische Wirkung entfalten.
Einwirkung der Kriegsnot auf die Wachstumsverhältnisse
der männlichen Jugendlichen*).
Von Prof. Dr. Kaup-München.
Ende Mai 1919 hat M. v. Pfaundler in der Münchener Gesell¬
schaft für Kinderheilkunde‘) die Körperlänge und das Körpergewicht
der 6- und Tjährigen Schüler beiderlei Geschlechts in einigen Volks¬
schulen von München nach Untersuchungen im Herbst 1912 und im Herbst
1917 miteinander verglichen. Die Möglichkeit zu derartigen einwand¬
freien Vergleichen ist leider nicht in vielen deutschen Städten-geboten.
Es ist schade, dass auch in München Vergleichsmaterial für die ältere
Volksschuljugend nicht gegeben war. Dies ist um so mehr zu bedauern,
als die Nahrungsfürsorge für die Säuglinge und Kleinkinder in München
vortrefflich organisiert und verhältnismässig reichlich bedacht war; da¬
her die Blockade Wirkung an den älteren Kindern viel deutlicher in die
Erscheinung treten musste, als an den Volksschulen der ersten Klassen.
Ein Zufall fügte es aber, dass unmittelbar vor dem Weltkriege in Mün¬
chen in kollegialer Zusammenarbeit mehrere Tausend Lehrlinge im Alter
von 14—17 Jahren genauestens untersucht worden waren. Der Plan
dieser Tagung liess den Gedanken entstehen, wenigstens für einen Teil
der im Jahre 1913 untersuchten Jugendlichen eine Vergleichsunter¬
suchung durchzuführen. Dieser Plan konnte um so leichter zur Aus¬
führung gelangen, als seit dem Sommet des vergangenen Jahres Aerzte
im Haupt- und Nebenamt mit dem Untersuchungsdienst an den Fach-
und Gewerbeschulen betraut sind.
Zur selben Zeit wie im Herbst 1913, in den Monaten Oktober und
November 1920, wurden etwa 1200 Berufsrekruten grössten¬
teils von den gleichen Aerzten untersucht. Der gleiche Untersuchungs¬
bogen lag vor, die gleichen Richtlinien waren gegeben. Gerade an diesen
Berufsrekruten im Alter von 13^ bis ISV* Jahren musste etwa seit
dem 8. Lebensjahr die Hungerblockade die stärkste Wirkung entfaltet
haben.
Die Ergebnisse für die Gesamtheit aller 10 untersuchten Gruppen
— Kaufleute, Maschinenbauer, Schlosser, Ungelernte, Bäcker, Schneider,
Tapezierer, Gastwirte, Schmiede und Metzger — sind in der folgenden
Tabelle zusammengefasst:
Tabelle 1.
Alter
Indi¬
viduen
Rörperlänge
cm
Körpergewicht
kg
Brustumfang
cm
1918
1980
1918
1920
±
1918
1920
1918
1980
+
328
884
149,96
148,80
-1,16
40,89
89,28
-1,06
69,96
70,02
± 0
478
888
160,64
! 148,70
-1,94
40,92
89,64
—1,28
70,19
70,20
± 0
14 Vi
796
662
150,51
148,78
—1,78
40,74
89,44
—1,80
70,16
70,13
-H 0
1 Abnahme um 1,2 % |
Abnahme um 8 2 ® »
Gleichbleiben
14
328
875
148,43 1
145,50 1
-8,981
1 88,95 1 37,0. 1
1-1,94
68,94 1 69,20 14-0,26
dB«*/,,-!*»/»)
1 Abnahme um 2® o 1
1 Abnahme um b% \
Zunahme 0,4®/«
Zunächst sei auf die Zahlen der untersuchten Berufsrekruten ver-
4_g
wiesen. Die Zahlen sind 1913 und 1920 für 14 -tö“ Jahre fast voll-
7—9
ständig, für 14 ~y2~ annähernd gleich. Auch die Varianten für
das 14. Lebensjahr zeigen gute Uebereinstimmung. In Anbetracht dieser
gleichmässigen Variantenverteilung konnte die Vornahme von Alters¬
korrekturen auf das Volljahr und Voll-Halbjahr unterbleiben. Zahlreiche
Vergleichsberechnungen an unserem Jugendlichenmaterial Hessen die
Grenzen der Notwendigkeit von Alterskorrekturen erkennen. Die 10
ausgewählten Berufsgruppen umfassen etwa Vs aller Berufsrekruten.
•) Nach einem auf der Tagung ..Das Münchner Kind nach dem Kriege“
am 14. Januar 1921 gehaltenen Vortrage.
V M.m.W. 1919 Nr. 31, i
3*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
694
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHEMSCHRtFt.
Nr. 23...
In den einzelnen Berufen wurden alle Fachschüler untersucht, jede Aus¬
lese wurde vermieden; es dürfte 4aher ein richtiger Ausschnitt aus
der berufstätigen Jugend Münchens geboten und die Zahl der 1913
bzw. 1920 Untersuchten gross genug sein, um einigermassen verlässlich«
Zahlen für den Vergleich zu liefern.
Betrachten wir zunächst die Mittelzahlen für das Alter von
HVz Jahren im Jahre 1 9 1 3 — 150,51 cm Körperlänge. 40,74 kg Körper¬
gewicht ünd 70,16 Brustumfang in der Atempause.
Mit 14 Jahren waren es im Jahre 1913 — 148,43 cm Körperlänge,
38,95 kg Körpergewicht und 68,94 cm Brustumfang.
Wie sind diese Körpermasse unserer Berufsrekruten im Vergleich
mit anderen Angaben zu bewerten?
In München werden seit vielen Jahren die Volksschulkinder von
Schulärzten untersucht Für die älteren Schulkinder liegen genaue
Berechnungen nicht vor. Wir wissen jedoch nach den Studien und Be¬
rechnungen der Universjitäts-Kinderklinik an den 6- und 7 jährigen
Volksschülem, dass die Angaben für das 14. Lebensjahr etwa für das
Alter von 13 Jahren und 10 Monaten gelten.
Nach diesen Angaben haben die Knaben der letzten Volksschulklasse
in der Domschule eine Länge von 147,3 cm und ein Gewicht von
37,5 kg, in der Guldeinschule eine Länge von 146,7 und ein Ge¬
wicht von 37,5 kg in den Jahren 1910—1912 gehabt.
Der Unterschied in der Länge zwischen den beiden Schulen ist auf
die verschiedene gesellschaftliche Schichtung zurückzuführen — in der
Domschule besser situierte Mittelstands-, in der Guldeinschule über¬
wiegend-Arbeiterkinder. Der Ernährungszustand war bei beiden Grup¬
pen anscheinend gleich gut
Der Abstand von unseren Werten für die 14 jährigen Jugendlichen
mit 1 und 1,7 cm und 1,4 kg ist nicht grösser, als er nach einem Alters¬
unterschied von etwa 3 Monaten erwartet werden muss.
Unsere Jugendlichenwerte fügen sich daher anderen Münchener Wer¬
ten gut -ein. Die Uebereinstimmung ist auch ein Beweis dafür, dass
in normalen Zeitläuften die Körpermasse keinen grossen Schwankungen
unterworfen sind.
Auch der Vergleich mit Massenuntersuchungen in anderen Städten,
z. B. Stuttgart, Berlin, Breslau. Halle, Schaffhausen, lässt erkennen, dass
die 14 jährigen Münchener Kinder vor dem Weltkriege im Vergleich
mit den Längenwerten der 14jährigen in diesen Städten mit 146,6 bis
149,9 cm, die nach der Mischung aus bajuvarischen. fränkischen und
allemannischen Volksstammteilen vorauszusehenden Körpermasse hatten.
Allerdings dürfen für einen derartigen Vergleich nicht Ausleseunter-
si^chungen, wie die von Camerer in Stuttgart oder von Rietz für
Berliner' Gymnasiasten, herangezogen werden.
Betrachten wir nun die Veränderungen, die durch die Hungerblok-
kade und das Diktat von Versailles bewirkt worden sind.
Die Körperlänge der 14jährigen ist von 150,51 auf 148,78, also
um 1,73 cm oder um 1,2 Proz. ier Friedenslänge gesunken, auch das
Körpergewicht ist von 40,74 kg auf 39,44, also um 1,3 kg oder 3,2 Proz.
des Friedensgewichtes zurückgegangen, nur der Brustumfang ist merk¬
würdigerweise mit 70,16 bzw. 70,13 cm gleichgeblieben. Die 14 jährigen
Berufsrekruten sind um 2,93 cm = 2 Proz. kürzer und um 1,94 kg,
d. s. 5 Proz. leichter als jene von 1913. Der Brustumfang hat trotz dieser
Wachstumshemmung an Länge um rund Vt cm, d. s. 0,4 Proz. zu¬
genommen.
Wie sind die Rückgänge an Länge und Gewicht
bei den Berufsrekruten zu bewerten?
Im Mai 1919 hat Prof. v. Pfaundler auf Grund genauester Be¬
rechnungen an Schulanfängern im 6. und 7. Lebensjahr angegeben, dass
die Mittelwerte der Münchener Schulkinder dieses Alters bis zum
Herbst 1917, also bis zu Beginn des 4. Kriegsjahres um 0,83 cm an
Länge, d. s. 0,7 Proz. und um 0,74 kg an Gewicht, d. s. 3.9 Proz. im
Vergleich mit den Friedenszahlen kleiner geworden waren. Hiebei
zeigten sich bemerkenswerte Unterschiede bei Gruppierung der Kinder
nach 3 Standesklassen: besser situierte Eltern, Arbeiterkinder und
gleichmässige Mischung beider Gruppen in einer Mittelgruppe — der
Rückgang an Länge und namentlich an Gewicht war bei den Mittelstands¬
kindern mit 0,9 cm und 1 kg grösser als bei den Arbeiterkindern mit
0.7 cm und 0,2 kg.
Ob diese Verkleinerung der Körpermasse bei den Schulanfängern
als geringfügig oder als nicht unbeträchtlich bezeichnet werden soll,
ist schwer zu entscheiden. Nach der besonderen Fürsorge, die dem
Münchener Säugling und Kleinkind namentUch in der Milchversorgung
zugewandt wurde, war von vorneherein zu erwarten, dass der Rückgang
gering sein werde. Das Kleinkind war wesentlich besser daran als das
Schulkind.
Bemerkenswert war immerhin die Hemmung des Längenwachstums.
Nach allgemeiner wissenschaftlicher Erfahrung stört Unterernährung das
Wachstum des Gewichtes früher als das der Länge. Dies bestätigen
auch die vielleicht besten Kriegsuntersuchungen an der deutschen
Jugend von Schlesinger*) in Strassburg. Dort war bis zum
Sommer 1916 bei den Volksschülern bereits eine Verminderung des
Gewichtes, aber noch nicht eine solche der Länge nachzuweisen. Erst
im Sommer 1917 war neben einer noch stärkeren Gewichtsverminde¬
rung auch eine Längenreduktion erkennbar. Das Längenwachstum wird
viel zäher als das Massenwachstum festgehalten. In Strassburg
blieben die Schulkinder bis zum Sommer 1917 um etwa 2 cm an Länge
und 2 kg an Gewicht zurück, die Lehrlinge auch um 2 cm an Länge
*) Zschr. f. Kinderhlk. 22. 1919. S. 79—123.
Digitized by Goiisle
und 2—4 kg an Gewicht. Bis zum Sommer 1918 hat sich dann dort die
Wachstumshemmung nicht mehr weiter verschärft.
Stärkere Wirkungen der Unterernährung als in Strassburg und Mün¬
chen waren bis zum Sommer 1919 an der Schuljugend in Leipzig’)
nachzuweisen. Hier zeigte sich im Vergleich mit Friedcnszahlen aus
dem sächsischen Siedelungsgebiet bei den Schulanfängern bis
zum Sommer 1918 und 1919 kaum ein Rückgang an Länge und Gewicht,
bei den zur A u s s c h u l u n g gelangenden Knaben jedoch eine Verminde¬
rung der Körperlänge um etwa 5 cm und an Gewicht um 4 kg. Das
sind Einschränkungen von etwa 3 Proz. der Länge und 12 Proz. des
Gewichts. In-der Zeit von Juni 1918 bis zum Juni 1919 erfuhren die
Körpermasse der 14 jährigen Knaben sogar noch eine weitere Ver¬
minderung von 0,6 cm Länge und 1,3 kg Gewicht.
Geringere Blockade Wirkungen sind nach G a s t p a r *) an der
Schuljugend in Stuttgart nachweisbar. „In der Volksschule machte
sich weniger ein Rückgang des Gewichtes als ein solcher der Länge
bemerkbar. Die Kinder sind jetzt (1918) etwas kleiner als ihre Kame¬
raden in 1913, sie sind daher etwas gedrungener. In der Mittelschule ist
dieses Verhalten nicht so häufig, in den höheren Schulen ist aber neben
einer gewissen kleinen Reduktion der Länge in der Hauptsache ein
Verlust an Gewicht eingetreten, die Schüler sind deutlich hagerer ge¬
worden, ja sie sind hagerer als die gleichlangen Volksschüler.“ Leider
sind für Stuttgart keine absoluten Zahlen gebracht.
In München ist bis zum Spätherbst 1920 bei den Berufsrekruten die
Verminderung des Körpergewichtes absolut kleiner als die der Körper¬
länge, relativ aber ist die Einbusse an Körpergewicht um 3,2 Proz.
des Friedensgewichtes doch ziemlich bedeutend.
Für die älteren Volksschüler und Lehrlinge in den reichsdeutschen
Städten liegen weitere ziffermässige Angaben über Wachstumshem¬
mungen infolge der Hungerblockade u. W. nicht vor.
In den deutsch-österreichischen Städten sind Kummerformen als
Blockadewirkungen offenbar in noch viel höherem Masse vorhanden.
Vergleichsuntersuchungen für die Jugend von Wien sind infolge Mangel
einwandfreien Materiales nicht möglich. Verlässliche Angaben sind je¬
doch für Salzburg vorhanden. Im Vergleich mit genauen Unter¬
suchungen im Jahre 1914 hatten die 7 jährigen Knaben und Mädchen
bis Juni 1919 um 2,7 kg bzw. 2,8 kg, die 14 jährigen Knaben und Mäd¬
chen um 6 kg bzw. 8,0 kg, d. s. 15 bzw. 20 Proz. des Friedensgewichtes
abgenommen. Dies sind entsetzliche Gewichtsverluste, die die Angabe,
dass 90 Proz. der Kinder unterernährt und 50 Proz. anämisch befunden
wurden, völlig bestätigen.
Diese Uebersicht über das gebotene Vergleichsmaterial lässt er¬
kennen, dass die Wirkungen der Unterernährung auf die Schuljugend
und die Berufsrekruten von München erheblich geringer waren als
in vielen anderen deutschen und deutsch-österreichischen Städten. Der
Grund liegt in der besonderen Fürsorge für die Jugend und in der
besseren Ernährungslage, namentlich hinsichtlich der verhältnismässig
höheren Milch- und Butterfettversorgung. Ob unsere Wert« für die
Körpermasse der Berufsrekruten im Spätherbst 1920 bereits die Folge
eines Ausgleichs einer grösseren Wachstumsreduktion bis zum Herbst
1918 oder Frühjahr 1919 darstellen, lässt sich nicht entscheiden. In
der letzten Zeit haben sich die Emährungsverhältnisse doch nach einigen
Richtungen, wenn auch nicht für die Milch- und Butterversorgung, ge¬
bessert
Beim Vergleiche der Körpermasse der Berufsrekruten in den Jahren
1913 und 1920 haben wir bisher die auffallende Erscheinung des gleieh-
gebliebenen und für die 14jährigen sogar etwas höheren Brustumfanges
für die Gesamtheit der untersuchten Jünglinge unerörtert gelassen.
Man hatte erwartet, dass .bei gehemmter Längenentwicklung auch die
Breitenentwicklung, die Entwicklung des Brustkorbes, Zurückbleiben
müsste Dies ist nicht eingetpeten.
Was mag die Ursache dieser Erscheinung sein?
/ Tabelle 2.
Kaufmännische Lehrlinge.
1 Körperlänge
1 Körpergewicht
1 Srustumfang
Altersgruppe
1918
cm
1 1920
+
1918
Kg
1920
±
1918
cm
I 1920 1
1 ±
14*/« u. 14* «
151,48
151.80
— 0,18
89,87
40,91
+ 1,04
69,68
69,85
—0,22
14-V«-14 V«
150,99
150,86
- 0,18
89,88
40,10
+ 0.72
69,80
69,44
—0,14
Abnahme um 0,1
-0,12»,
Zunahme um 1,8—2,6%
Zunahme
um 0,2-0,3%
Jugendliche Maschinenbauer.
14*« 11. 14»/«
161,11 1
149,70
- 1,44
41,5t>
4U.16
— I,4Ü
69,65
71,21
-1- J.56
14‘,-14«/*
150,95 1
149,25
— 1,70
41,25
89,60
— 1,75
69,61
70,86
+ l,2f,
Abnahme um 0,9—1,1 Vo
Abnahme um 8,8—4,2%
Zunahme
um 1,8—2,2%
Betrachten wir zunächst die eingetretenen Veränderungen bei den
kaufmännischen Lehrlingen.
Bei den jungen Kaufleuten ist die Körperlänge mit einer Abnahme
von etwa 0,1 cm nahezu unverändert geblieben, hat das Körpergewicht
sogar zugenommen, und zwar im Mittel um etwas mehr als 2 Proz..
und hat der Brustumfang ebenfalls eine geringe Erhöhung erfahren.
Ein merkwürdiges Ergebnis; keine Unterernährung, sogar eine Ge-
’) hihresbeiicht des Stadtbezirksarztes Dr. Poet ter für das Jahr 1919.
) Zschr. f. soz. Hyg. usw. H. 5 November 1919.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
10. Juni 1921.
Münchener medizinische Wochenschrift.
695
Wichtszunahme. In den Familien dieser Lehrlinge müssen die Er¬
nährungsverhältnisse während des Weltkrieges, und vielleicht besonders
nachher, bessere gewesen sein, als bei den Familien der anderen Be¬
rufsrekruten. Die Nachforschung nach dem Beruf des Vaters ergab
12 Proz. Kaufleute, 12 Proz. andere Gewerbetreibende, 25 Proz. Be¬
amte und 30 Proz. Arbeiter — offenbar durchweg Familien, die nach
Einkommen und Verbindungen über die rationierten Lebensmittel hinaus
die Ernährung ihrer Kinder hochhalten konnten.
Die nächse Berufsgruppe der jugendlichen Maschinen¬
bauer zeigt mehr Uebereinstimmung mit der Gesamtheit — eine Ver¬
minderung der Körperlänge um etwa 1 Proz., des Körpergewichtes um
rund 3,5 Proz., aber zum Unterschiede von der Gesamtheit eine Zu¬
nahme des Brustumfanges um fast 1)4 cm, d. s. 2 Proz.
Die jugendlichen Schlosser zeigen in allen 3 Körper¬
massen vom Jahre 1913 zum Jahre 1920 eigentlich keine Unterschiede,
denn die geringen Zu- oder Abnahmen fallen kaum ins Gewicht. Hier
ergaben die Feststellungen des väterlichen Berufes 58 Proz. Arbeiter.
Unterernährung ist bei dieser Gruppe wie bei den jungen Kaufleuten
nicht nachzuweisen;
Tabelle 3.
JugendlicheSchlosser.
Mittel
Eörperläuge |
Körpergewicht
1 Brustumfang \
1 Berufsrekruten
im Alter
von
14/4 Jahren.
'' ■
gruppen
1918
I 1920
±
lig
1918 1 1920 1 +
1918 I
1990
! ±
1 Halblängen- |
1 Livi-Index |
1 Rohrer-Index
14«/* u. 14»;
150,44
150,20
— 0,24
40,82 40,74 — 0,08
70,59
70,68
+ 0,07
1913
1 1920
1 ±
1918 1
1920 1
—
1918
1920
±
14*4-14« 4
149,28
149,99
-f 0,61
40,00 1 40,49 1 4- 0,49
69,88
70,70 i
!-f 0,82
Kaufleute ....
- 6,2
- 5,99
— 0,2
22,58
22,69
4* 0,16
1,14
1,17
-1- 0.08
- . ^
Gleichbleiben und Zu¬
nahme um l® Q
.
,
uieionuieinen una
Maschinenbauer . .
- 5.9
— 8,77
- 2,18
22,89 j
22,82
- 0,07
1,20
1,19
— 0,01
1
' 1
Schloaaer ....
- 4,8
- 4,8
— 0,5
22,91
22,89 !
1— 0,02
1,20
1,20
± 0
Ungelernte Fortbildungsschülcr.
Ungelernte ....
- 5.42
- 8.95
— 1,47
22,99
22.83
0,16
1,22
1.19
P 0,03
14 ^ 4 U. 14»/4
148,03 1
147,63
— 0,40
39,46 I 87,89 j 1,57
1 68,71 1
1 69,47 I
-h 0,76
Gesamtheit
- 6.10|
- 4,26
- 0,84
22,88
22,86
- 0,02
1,195
1,195
±
14*'4-14*/4
147,70 1
146,H5
— 0.^5
39, 6 1 87.69 | — 1,47
68,48 1 69,48 |
4 - 1.05
1 Abnnlirue uni 0,3—0,6® # |
Abnalmie um 3,7 -4® #
1 Zunahme |
1 Der Halblängen-Brustumfang-Index ist die positive oder negative Diffe-
um 1,1 —1,5®,'#
Die letzte in einer Tabelle vorgeführte Gruppe, die der un¬
gelernten Bezirks-Fortbildungsschüler entstammt fast
ausschliesslich ärmsten Familien. Hier musste die Unterernährung be¬
sonders stark zur Geltung kommen. Die Körperlänge ist zwar nur um
rund Vi Proz. eingeschränkt, aber ein Blick auf die Tabelle für die Ge¬
samtheit der Jugendlichen lehrt, dass diese Jugendlichen bereits im Frie¬
den um 2% cm in der Körperlänge hinter der Gesamtheit zurück¬
standen, also untermassig waren. Die Kriegs-Unterernährung hat diese
Untermassigkeit nicht viel gesteigert. Dagegen war die Einbusse an
Körpergewicht infolge der Hungerblockade bei dieser Gruppe, trotz
eines Mindergewichtes von 1,3 kg bereits im Frieden, mit iVs kg, d. s.
etwa 4 Proz., sehr bedeutend. Trotz dieser starken Einwirkung
hat der Brustumfang auch bei dieser Gruppe um fast 1 cm, annähernd
1,5 Proz. gegenüber dem Friedenswert zugenommen.
Die anderen Berufe wurden wegen der geringeren Variantenzahlen
nicht in Tabellen gebracht. Bei den Berufen mit Auslese der Kräftigen,
bei Bäckern und Metzgern, zeigte sich Gleichbleiben (Bäcker)
oder geringes Zurückbleiben der Körperlänge und des Körpergewichtes
(Metzger). Die Väter haben hier vielfach den gleichen Beruf oder sind
bessersituierte Geschäftsleute. Die Ernährung vor und nach dem Welt¬
kriege dürfte also annähernd glcichgeblieben sein. Die bereits im Frie¬
den untermassigen Schneiderlehrlinge nahmen wenig an Länge
und Gewicht ab, die im Frieden ziemlich normalmassigen Gastwirte
dagegen zeigten geringere Länge und geringeres Gewicht wie die Ge¬
samtheit. Alle diese weniger frequentierten Berufe, mit Ausnahme der
Schmiede, wiesen einen um 14—2 Proz. grösseren Brustumfang auf.
Auch bei den im Frieden übermassigen Schmieden ist der Unterschied
an Brustumfang kaum Vs desjenigen von Länge und Gewicht. Der Brust¬
umfang ist daher auch bei ihnen relativ grösser geworden.
Wie ist diese auffallende Erscheinung des absolut oder mindestens
relativ grösseren Brustkorbes zu erklären? In der Literatur ist von dieser
Erscheinung nirgend Erwähnung g'etan. Vielleicht führen folgende Tat¬
sachen auf die richtige Spur. In der Literatur über die Wirkungen
der Hungerblockade auf die deutsche Jugend ist zunächst für die Kör¬
permasse der Schulanfänge in Mannheim von Dr. Gertrud
Hepner*^) angegeben, dass die Mädchen vom Jahre 1914 zum Jahre
1915 an Gewicht gleichgeblieben seien, die Knaben jedoch um 0,8 kg
abnahmen. Als Ursache wird hervorgehoben, dass die Knaben während
des Weltkrieges infolge der Abwesenheit der Väter weniger beaufsichtigt
waren als die Mädchen und grosse Bewegungs- und Tummelfreiheit be-
sassen. Auch Oschmann**) wies an den Schulkindern von
W eissenfeis a/S. nach, dass bis zum Jahre 1916 die Mädchen 3 cm
an- Länge und nur 0,5 kg an Gewicht eingebüsst hatten, die Knaben
hingegen nur 1 cm an Länge, jedoch 1,3 kg an Gewicht. Auch Osch-
m a n n glaubt diese Unterschiede zwischen Knaben und Mädchen mit
der grösseren Bewegungs- und Betätigungsfreiheit der Knaben erklären
zu können. Die körperliche Betätigung der Knaben macht den ge¬
ringeren Grössenunterschied beim Brustkörbe und das grössere Zurück¬
bleiben des Gewichts bei gleicher Ernährung beider Geschlechter ver¬
ständlich. Auch Schlesinger spricht die Vermutung aus. dass die
Verkürzung des Schulbesuches während des Weltkrieges auf die kör-
*) Zschr. f. Schulgesundheitspflege 1915.
•) Zschr. f. Schulgesundheitspflege 1917.
perliche Entwicklung der Kinder günstig eingewirkt habe. Schle¬
singer bringt sogar Anhaltspunkte dafür, dass die Blutarmut und die
Haltungsanomalien und Verkrümmungen der Wirbelsäule bei den Kna¬
ben der Volksschulen,, Mittelschulen, der Realschulen und Gymnasien
von 1913 bis 1918 abgenommen haben. Die Verkürzung der Unterrichts¬
zeit um fast die Hälfte, die vielen freien Tage und die Verlängerung
der Ferien haben die Wirkungen des Schulbesuchs und namentlich der
Zwangshaltung während des Sitzens vermindert.
Leider wurde bei allen diesen Schüleruntersuchungen die Messung
des Brustumfanges, dieses für die Konstitution höchst wichtigen Körper¬
masses. unterlassen. Die von uns für die Gesamtheit wie für alle ein¬
zelnen Berufe ermittelte absolute oder wenigstens relative Zunahme
des Brustumfanges vom Jahre 1913 bis zum Jahre 1920 kann unseres
Erachtens lediglich durch die durch die verkürzte Schulzeit und ver¬
ringerte Aufsicht gewährte Tummel- und Spielfreiheit und wohl auch
durch stärkere Beanspruchung zu häuslichen körperlichen Arbeiten er¬
klärt werden.
Die durch die intensivere körperliche Betätigung berichtete stär¬
kere Breitenentwicklung lässt sich auch in Veränderungen der sog.
Konstitutionsindices nachweisen.
Tabelle 4.
renz der halben Körperlänge und des Brustumfanges in der Atempause.
Dieser Index ist im Säuglingsalter positiv, d. h. der Brustumfang ist grösser
als die halbe Körperlänge, wird dann bis zur Schulzeit allmählich negativ,
erreicht etwa mit dem 12. bis 14. Lebensjahre in der Periode der Strek-
kung den tiefsten Wert mit-im Mittel etwa —5, d. h. der Brust¬
umfang ist um 5 cm geringer als die halbe Körperlänge. Dieser
Index ist ein ausgesprochener Konstitutionsindex, denn das Längcn-
Breitenverhältnis ist für die Beurteilung der Körperverfassung, und
zwar sowohl des Habitus wie der vermutlichen Organ- und Kraft¬
entwicklung von allergrösster Bedeutung.
Der Livi-Index hingeigen ist ein ausgesprochener Längen-Ge-
wichtsindex, deshalb auch Index ponderalis genannt. Das Ma^ des
Körpervolumens, das Körpergewicht, in Gramm wird durch Ziehen der
Kubikwurzel auf eine lineare Grösse gebracht, diese mit 100 multipliziert
B _
und durch die Körperlänge in Zentimeter geteilt. I = -V —•
Der Livi-Index kann, ebenso wie der Index von R o h r e r
Gewicht X 1001
-Länge •-/’ ^ ^ Iudex der Statur und Körperfülle bezeichnet
werden. Zu einigermassen normalen Zeiten zeigen beide Gewichts-
Längenindizes nur geringe Schwankungen, selbst währed der stärksten
Entwicklung; der Halblängen-Brustumfangindex hingegen verändert sich
von Jahr zu Jahr in einer für die Beurteilung der Konstitution höchst
bedeutungsvollen Weise.
' Wie haben sich nun diese Indizes bei unseren Be¬
rufsrekruten von 1913 und 1920 verhalten?
Der Halblängen-Brustumfangindex hat sich für die Gesamtheit von
—5,10 auf —4,26 vermindert. Die Maschinenbauer und Ungelernten zeigen
sogar eine Verminderung um 2,1 bzw. 1,5 cm, die Schlosser nur um
Va, cm, während bei den jungen Kaufleuten dieser Index mit einer Ab¬
nahme von nur 0,2 kaum verändert ist. Oder mit anderen Worten ge¬
sagt: Bei den Maschinenbauern, den Ungelernten, aber auch bei den
Bäckern, Gastwirten, Tapezierern, Schmieden; Schneidern und Metzgern
ist während des Weltkrieges und den zwei folgenden Jahren trotz
Unterernährung eine Verbesserung der Breitenentwicklung eingetreten,
bei den jungen Kaufleuten und bei den Schlossern ist diese Veränderung
nur miniitial. Die Erklärung dafür haben wir bereits gegeben.
Der Livi-Index, als Gewichts-Längenindex, hat für die Gesamtheit von
22.88 auf 22,86, also nur um eine Spur abgenommen. Bei einzelnen Be¬
rufen ist die Abnahme etwas grösser. Nur die gut genährten jungen
Kaufleiite zeigen eine Erhöhung des Livi-Index, d. h. ihre Körperfülle hat
zugenommen. Fast genau dasselbe Verhalten, nur undeutlicher, zeigt
natürlich auch der Index von R o h r e r, der gerade jetzt als Index der
Körperfülle bevorzugt wird. Dieser Index ist für die Gesamtheit der
Berufsrekruten gleich geblieben und zeigt auch bei dvin einzelnen Be¬
rufen nur unbedeutende Veränderungen. Nach der heute herrschenden
Anschauung müsste auf Grund dieses Verhaltens der beiden Indizes
gesagt werden, dass sich der Ernährungszustand der Münchener Jugend
von 1913 bis 1920 nicht verändert hat. Dies wäre jedoch gefehlt;
denn es ist unrichtig, für jede Körperlänge einer Altersklasse die gleiche
Grösse des Rohrer- oder des Livi-Index als normal anzusehen. Mit
Rücksicht auf die geringere Länge der Berufsrekruten von 1920 hätte
der Rohrer-Index eine Erhöhung auf etwa 1,215 aufw’Cisen müssen.
Das Zurückbleiben um 0,02 ist ein Ausdruck der Unterernährung. Die
Digitized b]
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
696
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
Begründung dieser Behauptung wird demnächst in dieser Zeitscliriit er¬
folgen.
Trotz dieser Einschränkung .ist sicher, dass die Münchener Jugend
aus der Hungerblockade verhältnismässig glimpflich weggekommen ist
Die Münchener Kinder sind während des Weltkrieges zwar etwas
kleiner, aber gedrungener geworden, in Uebereinstimmung mit den Be¬
obachtungen an der Jugend von Stuttgart
WasfürLehren haben wir aus diesen Ergebnissen
zu ziehen?
Die Verminderung der Körperlänge der Münchener Jugend um
1 —2 Proz. und die Einbusse an Gewicht um rund 3—5 Proz. sollen
möglichst ausgeglichen werden. Die ErnährungsVerhältnisse müssen eine
Besserung erfahren, ein Preisabbau sollte eintreten.
In dieser Erkenntnis hat die deutsche Aerzteschaft schärfsten Protest
erhoben gegen den bewussten Kindermord, der mit einer weiteren Ab¬
lieferung von Milchkühen geplant ist. Für Bayern wäre die Ablieferung
von etwa 100 000 Milchkühen namentlich für die Stadtiugend kata¬
strophal. Denn die Milchanlieferung ist in allen deutschen Städten von
Jahr zu Jahr zurückgegangen, die Abnahme schwankt von etwa 60 Proz.
in München bis 90 Proz. in Berlin, Dresden, Wien u. a. Städten gegen¬
über den Friedensmengen. Ebenso ist die Anlieferung des für das
Wachstum ebenso unentbehrlichen Butterfettes ständig geringfügiger ge¬
worden. Nur zum geringen Teil ist durch reichlichere Anlieferung von
Gemüsen und etwas grösseren Brot- und Mehlmengen in München ein
Ausgleich geschaffen. In den anderen deutschen Städten mussten infolge
der noch viel schlechteren Milch- und Butterversorgung die Wirkungen
der Hungerblockade viel stärker sein.
Die Aerzteschaft unterstützt daher nachdrück-
lichst die Bestrebungen der deutschen Landwirt¬
schaft nach Steigerung der landwirtschaftlichen
Produktion.
Unsere Kühe brauchen wieder dringend Kraftfutter, der ausgesogenc
Boden genügend Nährmittel. Die Minderzufuhr von 1,5 Millionen Tonnen
Stickstoff und 1,6 Millionen Tonnen Phosphorsäure während der letzten
6 Jahre für den landwirtschaftlich benutzten Boden müsste durch er¬
höhte Düngung in den nächsten Jahren wieder allmählich ausgeglichen
werden. Kali und Stickstoff sind genügend vorhanden, Phosphorsäure
wäre am leichtesten aus den neu entdeckten Höhlengebieten in Oester¬
reich zu beschaffen.
Eine erhöhte landwirtschaftliche Produktion im Inlande vermindert
auch die Wucherkosten für ausländisches Getreide.
Vor allem jedoch dürfen wir das wichtigste Ergebnis unserer ver¬
gleichenden Untersuchungen nicht vergessen — die Verbesserung
des Brustumfanges und damit der Konstitution
unserer Jugend durch grössere Betätigungsfreiheit
während des Weltkrieges. Drastischer hätte der Beweis nicht
erbracht werden können, dass wir bis zum Weltkriege unsere Jugend
zu sehr der Gefahr der Domestikation, einer offenbaren Verschlechte¬
rung der Konstitution ausgesetzt hatten. Die neue Erkenntnis ist ge¬
eignet, alle Bestrebungen nach gleichmässigerer Ausbildung des Geistes
und des Körpers für unsere Volks- und Mittelschüler, die in den letzten
Jahrep erneut auftauchten, zu unterstützen. Möge doch den von der
deutschen Tumerschaft, dem Zentralausschuss für Volks- und Jugend¬
spiele, dem Reichsausschuss für Leibesübungen einmütig aufgestellten
Forderungen nach pflichtmässigen geregelten Leibesübungen für unsere
gesamte Jugend beiderlei Geschlechts endlich vollständig entsprochen
werden. Nach dem Antrag eines der Hauptkämpfer für diese nationale
Forderung — Oberbürgermeister Dominikus — sind als Mindest¬
zeitaufwand für pflichtmässige Leibesübungen beider Geschlechter zu
sichern:
Wöchentlich 3 Turnstunden und ein schul- und
aufgabenfreier Halbtag für Leibesübung in frischer
Luft für Volksschulen und höhere Lehranstalten und
1 Turnstunde wöchentlich und ein arbeitsfreier
HalbtagfürLeibesübungen in frischerLuftfür Fort-
bildungs - und Fachschulen.
Unsere Kriegserfahrung soll dazu beitragen, die Werbetätigkeit aller
um die deutsche Volkskraft besorgten Kreise neu zu beleben. Die
Forderung nach Sicherstellung ausreichender Turnstätten und Spiel¬
plätze, Anlage von Jugendlichenherbergen und Landheimen im ganzen
Staat und Schaffung einer hauptamtlichen Stelle für Körperertüchtigung
in jeder Stadt und in jedem Bezirksamt dürfen hiebei nicht vergessen
we»’den.
Voraussetzung für harmonische Ausbildung von Körper und Geist,
Berufsarbeit und Ausgfeichstätigkeit ist die genaue Kenntnis der körper¬
lichen Entwicklung unserer Jugend auf Grund eines 'einheitlich organi¬
sierten ärztlichen Untersuchungsdienstes vom Säuglingsalter bis zur
Vollreife. Trotz des Alters dieser Forderung sind wir mit unserer
mangelhaften Methodik, in Feststellen und Schlüssen erst in den An¬
fängen klarer Einsicht. Namentlich die Bedeutung des Pubertätsalters
für die nach der ererbten Anlage bestmögliche Körperverfassung des
Individuums wird bei der Anordnung der Berufsarbeit, bei der Lohn¬
bemessung und Lohnverwendung, bei der Stellung der Jugendlichen zu
Familie und Staat viel zu wenig berücksichtigt.
Bayern sollte in diesen Notwendigkeiten, deren Erfüllung einen
Ersatz für die körperliche Ertüchtigung der Tauglichen durch dfe verloren¬
gegangene Wehrpflicht bieten könnte, an der Spitze marschieren. Einige
Vorarbeit ist in München durch Studien an den Jugendlichen und durch
dfe neugeschaffene Institution dei Fortbildungsschulärzte geleistet wor¬
den. Die notwendige Unterscheidung nach Leistungsgruppen für Leibes-
Digitized by Goiisle
Übungen jeglicher Art (antagonistische Werkarbeit, Turnen und Sport,
Spiel und Wandern) soll für die Gesamtheit der JugendUchen bis zum
20. Lebensjahr die erreichbar beste Körperverfassung sichern helfen.
Die bayerische Aerzteschaft hat in diesen Tagen in einer Denkschrift
die erforderlichen Mittel für die Durchführung einer grosszügigen Jugend¬
fürsorge angesprochen. Der Verlauf dieser Tagung, der allgemeine Wille
nach Wiedergesundung unseres Volkstums, die Einsicht der Volksver¬
tretung wird hoffentlich diesem Aerzteprogramm die Erfüllung bringen.
Das deutsche Volk ist seiner äusseren Macht
durch die Uebermacht seiner vereinigten Neider
und Konkurrenten beraubt. Mit der Beseitigung der äusseren
Macht glaubten sie das deutsche Volk zu vernichten oder mindestens
zu Bedeutungslosigkeit erniedrigen zu können. Welch ein Irrtum!
Nicht die äussere Macht — die kulturelle Höhe, die wissenschaftliche
organisatorische Begabung, die faustische Tiefe der Lebensauffassung
haben dem deutschen Volke seine seit Jahrhunderten sich steigernde
Bedeutung für dfe Welt gegeben. Bereits bricht die Erkenntnis durch,
dass eine Regelung der Weltwirtschaft ohne Mithilfe unseres Volkes
unmöglich ist. Der Machtkolier des Feindbundes wird an der un¬
gebrochenen Lebenskraft unseres Volkstums, an dem deutschen Ge¬
meinschaftswillen zu Arbeit und Aufbau, kurz — an der inneren un-
besieglichen Machtfülle und an dem unausrottbaren Einheitsbewusstsein
unseres Volkes in sein Nichts versinken. Die äussere Machtfülle des
Feindbundes, seine übermächtigen Vernichtungsmittel sind stumpf gegen¬
über deutscher Lebens- und Schaffenskraft Nützen wir die Zeit
Unsere Jugend ist unsere Zukunft.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik Qraz.
(Vorstand: Hof rat Prof. Dr. v. Hacker.)
Die Pr eg Ische Lösung im Dienste der Chirurgie.
Von Dr. Hermann Schmerz.
Nachdem Knauer die Preglsehe Lösung in dfe Geburtshilfe und
Gynäkologie, mithin im weiteren Sinne in die Chirurgie eingeführt
hatte, wurden mit derselben auch in der chirurgischen Klinik des Hof¬
rats V. H a c k e r praktische Versuche im grösseren Ausmasse angestellt
(Streissler, Bouvier, Tiesenhausen, Schmerz), von
denen die gewonnenen Erfahrungen im Zusammenhänge mit denen der
anderen Grazer Chirurgen im folgenden kurz mitgeteilt werden sollen.
Die erschöpfende Aussprache in den Sitzungen des Vereins der Aerzte
in Steiermark über diesen Gegenstand‘) lässt die Wiedergabe ein¬
zelner Krankengeschichten überflüssig erscheinen und berechtigen zur
Darlegung der mehr minder abschliessenden Urteile über die Ergeb¬
nisse der Anwendung der genannten Lösung.
A. Erfahrungen im Dienste der Operations¬
vorbereitung.
Die aus der Wundbehandlung geschöpften Erkenntnisse über die ge¬
webeschonenden und keimhemmenden, mithin die Primaheilung wesent¬
lich fördernden Eigenschaften der Pregl sehen Lösung legten den Ge¬
danken zur Verwertung der Lösung in der Händedesinfektion nahe. Es
wurden im ganzen durchschnittlich 100 aseptische Operationen in der
Weise ausgeführt, dass von der üblichen Alkoholwaschung der Hände
nach erfolgter mechanischer Reizung mit Seife und Bürste im fliessen¬
den Warmwasser durch 10 Minuten Abstand genommen wurde und die
gewaschenen Hände statt der Alkoholdesinfektion mit einem in P r e g l -
scher Lösung getränkten sterilen Frottierlappen durch 2—3 Minuten ab¬
gerieben wurden.
Während im allgemeinen an der Klinik an der Benützung von Zwirn¬
handschuhen (früher, unter den glücklicheren materiellen Verhältnissen,
feinen Gummihandschuhen) festgehalten wird, erfolgten diese Versuchs¬
operationen mit Pregl scher Lösung ohne Handschuhbenützung.
Dass der Grundsatz des möglichst fingerfreien Operierens und der
mechanischen Wundschonung sorgfältig beobachtet wurde, bedarf keiner
weiteren Erörterung. Das trotzdem die Finger benetzende und in der
Folge während der Operation eintrocknende Blut wurde mit in
Pregllösung getränkten Gazetupfern abgerieben und die Hände wurden
auf diese Weise wieder völlig gereinigt Die Entfernung des ein¬
getrockneten Blutes erfolgt ln auffallend leichter Weise in der kürze¬
sten Zeit ja es macht fast den Eindruck, als würde ein solcher Blut¬
fleck. besonders wenn er noch nicht vollständig trocken ist bei der
Berührung mit der Lösung förmlich erblassen. Die Begründung hiefür
ist zu suchen in der chemischen Konstitution der Lösung.
Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe waren günstig, indem sämtliche
Heilungen per primam verliefen.
Bezüglich d-er Händehaut ist zu bemerken, dass sich nicht die ge¬
ringsten Spuren irgendwelcher Hautreizung oder Hautrauhigkeit auch
bei täglich wiederholtem Gebrauche bei unterschiedlichen beteiligten
Personen einstellten. Beweis für die völlige Reizlosigkeit der Pregl-
schen Lösung in bezug auf die äussere Hautdecke,
Bekanntermassen ist die Infektionsempfänglichkeit verschieden bei
den verschieden differenzierten Geweben und es muss angemerkt wer-
derr, dass sich unter den erwähnten aseptischen Operationen auch ..hoch-'
empfindliche“ vorfanden, wfe beispielsweise eine Nearthropoese eines
Kniegelenkes aus einem durch völlige Verschmelzung der Gelenkanteile
Siehe Mitteilungen des Vereines der Aerzte in Steiermark Nr. 5—7
von 1920; M.m.W. 1921 S. 30.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
697
entstandenen Knochenblock mit schwerster Verschwielung der peri-
artikulären Weichteile, hervorgegangen aus einem osteomyelitischen Pro¬
zess. Die bildhauermässige Erschaffung eines neuen Gelenkes aus
einem solchen Massiv mit Hammer, Meissei, »Säge und Feile und die
Dauer einer solchen Operation geben reiche Infektionsquellen ab.
Irrtümlich aber wäre die Auffassung, dass bei Anwendung der
Pre gl sehen Lösung eine Infektion bei einer aseptischen Operation
ausgeschlossen seL
Jedem in einem grösseren chirurgischen Betriebe stehenden Opera¬
teur ist bekannt, dass hin und wieder die geschlossene Phalanx der nor¬
malen Primaheilung aus oft sehr schwer erforschbaren Ursachen von
mehr minder ausgebreiteten Eiterungen durchbrochen wird.
In jüngster Zeit, nachdem die Erfahrungen über die angeführte Ver¬
suchsreihe schon Vorlagen, beobachteten wir in zwei ganz reinen Fällen
und einem nicht ganz einwandfreien Falle (exulzeriertes Mamma¬
karzinom) solche durch Eiterung gestörte Wundheilungen, welchen eine
gewisse Kontrollbeobachtung in der Weise zur Seite steht, dass es
gleichzeitig an derselben Klinik bei anderen Operateuren, die nach der
herkömmlichen Weise die Händedesinfektion Vornahmen und mit Hand¬
schuhen arbeiteten, zur Infektstörung des primären Wundheilverlaufes
kam.
Man wird sich auch nicht der Illusion hingeben dürfen, dass die
Händereinigung mit der Pre gl sehen Lösung den Idealzustand völliger
Keimfreiheit herbeizuführen imstande wäre, worauf es, wie allgemein
bekannt, für das praktische Endergebnis der Primaheilung nicht so sehr
ankommt. Das Schwergewicht ruht in dem besonderen Verhalten der
physiologischen Schutzkräfte der Gewebe, in ihrem Ueberwiegen gegen
die bakterielle Invasion und deren Giftschädigung und in ihren födera¬
tiven Beziehungen zu künstlich zugeführten Agentien im Abwehrkampfe.
Für die Erklärung der Wirkungsweise der P r e g l sehen Lösung
in diesen Beziehungen kann auch die Anschauung herangezogen wer¬
den, dass nicht so sehr die bakterizide Kraft der Lösung, als vielmehr
die lewebsschutzunterstützende das Ausschlaggebende sei. Der bak¬
teriologische Nachweis der blossen Mikrobenanwesenheit im Wundbette
ist in prognostischer Hinsicht noch immer nicht der Beweis einer not¬
wendig eintretenden Infektion im Sinne der durch Eiterung gestörten
Wundheilung. So haben beispielsweise die am 7. Tage nach vollendeter
idealer Primärheilung entfernten Hautnähte in ihrem versenkten Anteile
reichste Koloniert-von Eitererregern bei der bakteriologischen Unter¬
suchung erkennen lassen und dennoch war Primärheilung erfolgt (nicht
mit P r e g 1 scher Lösung operierte Fälle). Behufs bakteriologischer
Untersuchung wurden eine Reihe von Abimpfungen vorgenommen, deren
Kulturergebnisse ein eigenartiges Bild darbieten. Sämtliche Unter¬
suchungen wurden im hygienischen Institut des Herrn Hofrats Prof.
Prausnitz von Doz. Hammer Schmidt durchgeführt. Es han¬
delte sich um eine Reihe von Stichproben, die erst zum Schlüsse unserer
praktischen Versuche, nachdem die Serie der primären Heilungen be¬
reits vorlag, ausgeführt wurden. Fast ausnahmslos fanden sich bei
den von den beteiligten Personen nach der mechanischen Waschung
und Abreibung mit der P r e g 1 sehen Lösung teils vor, teils während,
teils nach der Operation entnommenen Proben mehr minder reichliches
Wachstum von Kokken, Sporenbildnern, Staphylokokken und Gram-
negativen Stäbchen. Paradox erscheint es, dass bei einigen operations.-
beteiligten Personen unmittelbar nach der Händedesinfektion beispiels¬
weise Kokken oder Sporenbildner gefunden wurden, die Proben bei
den gleichen Personen aber während und nach der Operation steril
blieben. Da stets unter den gleichen Bedingungen gearbeitet wurde,
so ist anzunehmen, dass bei allen den ca. 100 aseptischen Operationen
die bakteriologischen Befunde ähnlich gelautet hätten, wie bei den Stich¬
proben. Das Endergebnis in allen diesen Fällen war eine Primaheilung
trotz des vorhandenen Keimgehaltes bis auf die 2, bzw. 3 angezogenen
Fälle, bei denen aber der Verdacht besteht, dass eine nicht ganz ein¬
wandfreie Injektionsflüssigkeit zur Anwendung kam.
Die Vorteile der Preglschen Lösung bei der Händedesinfektion
beziehen sich auf den Fortfall von Alkohol und der gebräuchlichen
Desinfizientien, auf den Fortfall von Handschuhen bei aseptischen
Operationen, auf die Toleranz der Händehaut der Lösung gegenüber, auf
die ausserordentlich rasche Reinigungsmöglichkeit der blutbefleckten
Hände während der Operation bei sonst gleich günstigen Wundheil-
verhältiiissen.
Ferner wurden vereinzelte Versuche der Operationsfeldreinigung
mit der P r e g 1 sehen Lösung in der Weise gemacht, dass das Operations¬
feld vor der Operation mit Benzin gereinigt und mit einem in P r e g 1 -
sehe Lösung getauchten Lappen abgerieben wurde. Auch in diesen
Fällen erfolgte primäre Heilung, was aber schliesslich kein Beweis für
die bakterizide Kraft der Preglschen Lösung ist, nachdem, wie
Zur Verth mitteilt (zit. in Brunner, Handbuch der Wundbehandlung,
Neue Deutsche Chirurgie S.415), „von 38 ohne Vorbehandlung der Haut
operierten Unterleibsbrüchen 37 glatt heilten“. Er spricht von der
Ueberschätzung der Hautdesinfektion. An dieser Stelle möchte ich
anfügen, dass die allgemein beobachtete Vorschrift der Hautdesintektion
bei den üblichen medikamentösen, subkutanen, intramuskulären und intra¬
venösen Injektionen überflüssig ist, woferne nur dte Spritze, die In¬
jektionsnadel ^ und insbesondere die Injektionsflüssigkeit wirklich voll¬
kommen steril sind. Bei ungezählten, auf diese Weise verabreichten
Injektionen habe ich im Laufe der Jahre nicht eine einzige Infektion
gesehen.
Nur nebenher sei erwähnt, dass in einzelnen Fällen versucht wurde,
die Nähseide mit Pre gl scher Lösung zu tränken, besonders in jenen
Fallen, in denen man genötigt war, viele Nähte zu versenken.
Als zur Operationsvorbereitung gehörig wäre noch zu erwähnen
die Reinigung der Mundhöhle in Form von Ausspülungen mit Pregllösung
bei Operationen der Kiefer und der Eingeweide der Mundhöhle, sowie
die Blasenspülungen an Stelle der üblichen Argent.-nitr.-Lösung u. dgl.
B. Die Verwendung der Lösung während aseptischer
Operationen,
besonders bei voraussichtlich länger dauernden und jenen, bei welchen
grössere Wundflächen freizulegen sind (Mammakarzinom, ausgedehnte
Plastiken, Operationen an grossen Gelenken ü. dgl.), wobei in der
Weise vorgegangen wird, dass die der Austrocknung sowie der Infektion
leichter ausgesetzten Wundlappen mit in P r e g 1 sehe Lösung getränkten
Gazestücken bedeckt wurden, bzw. dass vor der definitiven Wund¬
toilette mit triefenden Tupfern Wundflächen und Wundhöhlen bespült
und abgetupft wurden.
Bereits erwähnt wurde, dass mitunter das Seidenmaterial entweder
in eine mit Pre gl scher Lösung gefüllte Schale gelegt, oder in einen
in Pregllösung getränkten Tupfer eingewickelt wurde. Solche Seide
wurde insbesondere bei Faszienplastiken und in grossen Fettschichten
verwendet.
Bei Laparotomien wurden die beiden oberen Wundetagen nach
Verschluss der Bauchhöhle durch die Peritonealnaht (Medianschnitt an¬
genommen) mit P r e g l scher Lösung abgewischt. Besonders bei fett¬
leibigen Personen erwies sich hiebei die Anwendung der P r e g 1 sehen
Lösung als vorzüglicher Infektionsschutz.
In allen jenen Fällen, in welchen, diktiert durch die jeweiligen ana¬
tomischen bzw. anatomisch-pathologischen Verhältnisse eine stärkere
mechanische Schädigung der Gewebe gesetzt werden musste, wodurch
die Infektionsmöglichkeit erhöht wurde, erwies sich die Pr eg Ische
Lösung als ein wohltätiges Vorbeugungsmittel.
Bei autoplastischen oder homoioplastischen Transplantationen
(Knochen, Faszienstreifen u. dgl.) wurden die Transplantate in Pre gi¬
sche Lösung bis zu ihrer definitiven Einpflanzung eingelegt. Dabei hatte
es den Anschein, als würden die Knochenimplantate in kürzerer Zeit
als sonst besonders fest einheilen.
Die Pre gische Lösung als aseptischer Platzhalter: In einer Reihe
von Fällen, die einerseits ihrer Natur nach der Kategorie der aseptischen
zuzurechnen sind, andererseits bei Orenzfälfen, wie z. B. beim Vor¬
handensein von versiegenden Fisteln wurde, wenn eine grössere Wahr¬
scheinlichkeit auf eintretende Infektion bestand, die Operationswunde,
und zwar auch tiefere Schichten derselben, nicht allein die Haut, nicht
geschlossen, ein mit Pre gl scher Lösung getränkter Tupfer eingelegt
und über ihn 2—3 Hautfixationsnähte gesetzt. Der Tupfer wurde
1—2 mal 48 Stunden belassen, ein Zeitraum, nach welchem die Zeichen
der Infektion bei ganz geschlossenen Wunden bereits manifest werden.
Nach Ablauf dieser Zeit w'urden die Tupfer entfernt und d«r Wund¬
verschluss vollendet. Hieher gehören beispielsweise Knochen- und Ge¬
lenkoperationen mit lange bestehenden geringgradig sezernierenden
Fisteln, Oertlichkeiten in der Gefahrenzone latenter Infektion (Schuss¬
narbengebiet), ferner Blasenoperationen, bei denen so vorgegangen
wurde, dass die Blase mittels der v. Hacker sehen Nahtmethode (sub¬
muköse Kopf nähte mit Tabaksbeutelnahtaufsatz) verschlossen auf die
Nahtreihe ein in Preglsche Lösung getauchter Tupfer gelegt und die
Haut darüber mit 2 Fixationsnähten zusammengehängt wurde. Es wurde
nun einige Tage gewartet, ob eine Undichtigkeit der Blasennaht eintrat,
und wenn dies nicht der Fall war, wurde die nun reine Wundhöhle pri¬
mär verschlossen.
In ähnlicher Weise wurde bei Verschluss des widernatürlichen Afters
vorgegangen, wobei erst ein Pre gl scher Tupfer auf die tiefste
Schicht der Nähte gelegt wurde. Nach einigen Tagen wurde der Tupfer
in analoger Weise wie bei der geschilderten Blasennaht entfernt und die
Oberschichten durch Naht vereinigt. Auch bei der Radikaloperation
des Rektumkarzinoms wurde in bezug auf den Nahtverschluss der Weich¬
teile in gleicher Weise vorgegangen.
Diese Fälle heilten trotz der grossen Infektionsgefahren unter der
Einwirkung der P r e g I sehen Lösung aseptisch primär.
C. Die Preglsche Lösung in der septischen Chirurgie.
Zunächst seien jene primären unreinen Prozesse hervorgehoben,
bei denen die Herbeiführung günstigerer Wundheilungsverhältnisse im
Sinne einer sanatio per tertiam intent. angestrebt wurde. So wurden
eiternde Schweissdrüsen oder sekundär infizierte, abszedierende Lvmph-
drüsenpakete in toto ausgeschnitten, in das Wundbett mit Pre gl scher
Lösung getränkte Gazebauschen eingelegt, mit 1—2 Situationsnähten
befestigt und nach 2—^3 Tagen die völlig reine Wunde genäht und einer
prirnären Heilung zugeführt. Bei den Operationen am Magen-Darm-
Trakt, beispielsweise bei grossen Magen- oder Dickdarmresektionen,
bei denen einerseits durch die Eröffnung dieser Hohlorgane, anderer-
seits fhirch den Operationsinsult bei länger dauernden und schwierigeren
Eingriffen das Bauchfell gefährd-et erscheint, wurde stets eine sorgfältige
Waschung des Bauchhöhlen-Operationsfeldes vorgenommen, eventuell
auch die Lösung in einer Menge von 150—200 g zurückgelassen und,
wie bereits früher erw'ähnt, die durch die verschleppten Magen-Darm-
Inhaltskeime gefährdeten Bauchdecken mit Pre gl scher Lösung ab¬
getupft. Bei Elteransammlungen in der Bauchhöhle, sowohl begrenzten
als ausgebreiteten (Appendizitis, Magenperforation, gedrehte Ovarialzyste.
^platztes infiziertes Kystom usw.) wurde, soweit es anging, zunächst
durch Aufsaugen mittels Tupfer der Eiter entfernt und erstlich mit
Pre gl scher Lösung reichlich ausgewischt. Die Ergebnisse erweckten
den Eindruck, als ob hier die Preglsche Lösung der in solchen Fällen
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
Digitized by
Google
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
(>98
sonst zur Anwendung gelangenden physiologischen Kochsalzlösung weit
überlegen wäre.
D. Die Preglsche Lösung mit intravenö'ser Appli-
, Kation.
In ganz eklatanter Weise äusserst sich aber die Wirkung der
P r c g I sehen Lösung bei jenen schwersten Formen von Peritonitiden,
die unter dem Namen „Durchwanderungsperitonitiden“ und „krypto¬
genetische Peritonitiden“ bekannt sind (S t r e i s s le r). Die Chirurgen
wissen ebenso wie die pathologischen Anatomen, das die genannten
Formen, besonders aber die letztgenannte, die sogen, kryptogenetische,
prognostisch ausserordentlich ungünstig sich gestalten, indem sie mit
wenigen Ausnahmen ad exitum gelangen. In diesen Fällen würde ich
auch in Zukunft ausser der im folgenden dargelegten Bauchhöhlen-
behandlurrg gleichzeitig intravenös die P r e g Ische Lösung einverleiben,
wie ich cs mit Erfolg in einem Falle von Osteomyelitis der Darmbein-
sctiaufel und gleichzeitiger diffuser Peritonitis getan habe, um so von
zwei Seiten her, lokal und auf dem Wege des allgemeinen Kreislaufes,
die Schutzkräftc des Organismus gegen die bakterielle Giftwirkung zu
unterstützen.
In der Behandlung eiternder Wundflächen, phlegmonöser Prozesse,
Osteomyelitiden usw. erwies sich die P r e g 1 sehe Lösung vielleicht
nicht so sehr reinigungsfördernd und sekretionsbeschränkend, wie andere
im Gebrauche stehende Mittel, wohl aber schien sie nach erfolgter
gröbster Reinigung der sezernierenden Wunden den Abschluss der Hei¬
lung in erfolgreicher Weise zu beschleunigen.
Ganz besonders auffallend war die günstige Beeinflussung von
Zystitiden durch die P r e g 1 sehe Lösung, woferne cs sich nicht um
tuberkulöse Prozesse handelte.
In der Behandlung dieser Krankheitszustände fällt besonders die
ausserordentlich geringe Reizwirkung der Lösung in subjektiver Hinsicht
in die Wagschalc.
Die Lösung wurde sowohl prophylakti^h nach erfolgten Katheteris¬
men, als auch bei schweren und schwersten Formen der Blasenent¬
zündung verwendet und führte in einzelnen Fällen, in denen bereits andere
Mittel mit nur sehr geringem Erfolge verwendet wurden, auffallend
rasch zur Heilung. Ferner habe ich die Beobachtung gemacht, dass bei
beginnender Zystitis oft 1—2 Spülungen genügen, um die Entzündung
zum Schw'inden zu bringen.
Die tuberkulösen Formen erwiesen sich, wie bereits erwähnt, meist
refraktär.
In einem Falle eitriger Cholezystitis, in welchem die Cholezysto-
stomie gemacht wurde, trat die reinigende Wirkung der P r e g 1 sehen
Lösung ganz besonders schön zutage.
Berührt wurde bereits die Verwendung der P r e g 1 sehen Lösung
in der Operationsyorbereitung bei Mundhöhlenoperationen und in dieser
Richtung erwies sie sich als Therapeutikum bei entzündlichen Prozessen
der Mundhöhle, bzw. der Zunge, ferner nach einschlägigen Operationen
auch an den Kiefern in der Nachbehandlung in ganz ausgezeichneter
Weise. Die Reinigung der Schleimhäute erfolgte in ganz auffallend
kurzer Zeit.
Ein.schlägig. wenn auch strenge genommen nicht in das chirurgische
(lebiet fallend, wäre die ausgezeichnete Beeinflussung von Anginen zu
erwähnen, wobei die kupierende Wirkung im Initialstadium ganz be¬
sonders hervorzuheben wäre, so zwar, dass man die Pre^gIsche Lösung
geradezu als ein Propfiylaktikum bezeichnen kann.
In der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose gehen die Ansichten
über die Wirkungskraft der P r e g 1 .sehen Lösung auseinander. In
einzelnen Fällen, in denen die Preglsche Lösung nach der Art der
M 0 s e t i g sehen Jodoform-Aether-Komposition angewendet wurde, er¬
wies sie sich sehr wirksam, in anderen schienen die Drüsen nicht
beeinflusst zu werden.
Auch in der Behandlung der kalten Abszesse konnte keine die üb¬
lichen Präparate überragende Wirkungskraft festgestellt werden.
Von anderer Seite (Prhnarius Dr. Lin hart, Vorstand der Chirurg.
.Abteilung des Spitales der Barmherzigen Brüder in Graz) wurden Hei¬
lungen von Gelenkfungus durch Einspritzung der Lösung in das fungöse
Gewebe gemeldet. Lin hart berichtet darüber folgendes: „Zur Be¬
handlung wurden grundsätzlich nur Fälle ausgewählt, die mit den bisher
konservativen Verfahren nicht mehr besserungsfähig gewesen wären,
sondern hei denen grössere chirurgische Eingriffe, ja verstümmelnde
Operationen nötig erschienen. Bei allen bislang behandelten (durchweg
desperaten lungösen Prozessen der Sehnenscheiden, Hand-, Fuss- und
Kniegelenke) ist nicht nur klinische, sondern an Aufnahmefolgen auch
miatomische Be.sscrung und Heilung röntgenologisch nachweisbar.— Die
icchnik der Behandlung ist folgende: vorerst wird versucht, von ver-
sclnedenen Stellen aus dem erkrankten Gewebe so viel als möglich
Zeriallsmasscn und Eiter mittels Spritze abzusaugen. Hierauf erfolgt
v(ni zahlreichen Einstichen aus die Infiltration mit der Pregllösung, Dies
wird m 5—6, auch 10 tägigen Pausen wiederholt. Um die Schmerzen,
die alle diese Einspritzungen verursachen, hcrabzumildern. verwende
ich nun mit Erfolg körperwarme Lösung zur Injektion. Der Eintritt einer
ntsserung ist vor allem in einer auffallenden Aenderung der abgesaugten
Zerfallsmasscn zu beobachten. Diese werden immer Weniger käsig
immer .seröser und nehmen an Menge stets ab. Dauer der Behandlung
zwischen 7 und 10 Monaten“.
n’ \orschlag gebracht, dass etw^aige sensibilisierend«
rahigkeiten der Preg Ischen Lösung in Kombination mit der Röntgen
therapie zu verseuchen wären unter der theoretischen Vorausetzung eine
lipoidlosenden Wirkung der Sol. Pregl, ein Vorschlag, der aber erst nocl
einer eingehenden Prüfung bedarf.
Für diese Anwendungsart kommen zwei Formen in Betracht. Im
ersten Falle (Behandlung von Krampfadern) handelt es sich um eine
mehr minder lokale Applikation mit der Absicht auf örtliche Beein¬
flussung des krankhaften Gefässsystemabschnittes. Im letzteren Falle
liegt der Angriffspunkt im allgemeinen Blutkreislauf und daher sind dieser
Einverleibungsart der Lösung die allgemeinen septischen Prozesse Vor¬
behalten.
In der Diskussion über die intravenöse Einverleibung der Pregl-
schen Lösung standen sich zwei Ansichten gegenüber, von denen die
eine den Standpunkt vertrat, dass durch die intravenöse Applikation
Thrombosen in den Venen erzeugt w'crden, die auch zur Obliteration
des betreffenden Gefässgebietes führen können, die andere, die eine
solche Thrombosierung und Gefässobliteration nicht anerkennt.
Um in diese Frage ‘einigermassen Klarheit zu bringen, gaben wir
der Ueberlegung Raum, dass für den Fall einer eintretenden Thrombo¬
sierung diese entweder durch eine Blutgerinnungsbeförderung, hervor¬
gehend aus der Kontaktwirkung der Pregl sehen Lösung mit dem
Blute eintrete, oder aber durch eine Intimaschädigung des Gefässrohres.
Zur Entscheidung der Frage prüften wir den Einfluss der Pr e gi¬
schen Lösung auf die Blutgerinnung und fanden in der Tat eine Ver¬
kürzung von Minuten = 22 Proz.
.Der Versuch wurde in der Weise ausgeführt, dass zunächst einmal
auf gewöhnliche Art die Normalgerinmingszeit mit dem B ü r k e r scheu
Apparat, der zur Anwendung kam, erhoben wmrde. Hierauf wurde der
Versuch nochmals gemacht mit dem Unterschiede, dass statt des destil¬
lierten Wassertropfens, welcher dem zu prüfenden Bluttropfen zugesetzt
wird, ein Tropfen Preglsche Lösung genommen wurde. Das ge¬
wonnene Resultat konnte angesichts der geringen Wertdifferenz zur
Erklärung nicht ausreichend anerkannt werden.
Zur Beleuchtung der Möglichkeit einer Gefässendothelschädigung
als Grundlage einer eintretenden Thrombosierung wurde bei dnem
Patienten mit fieberhafter Osteomyelitis, bei dem aus therapeutischen
Gründen eine intravenöse Prcglinjektion beabsichtigt war, zunächst ein¬
mal die normale Blutgerinnung mit dem B ü r k e r sehen Apparat be¬
stimmt. Sie beitrug 6 Minuten. Hierauf wurde die intravenöse Injektion
vorgenommen und nach etwa V 2 Stunde abermals die Gerinnungsdauer
geprüft. Sie betmg 5 Minuten. Die Differenz von 1 Minute = 17 Proz.
liegt durchaus innerhalb der Amplitude physiologischer Gerinnungszeiten.
Durch diese beiden Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Pregl¬
sche Lösung weder lokal, noch aber auf dem Wege des allgemeinen
Kreislaufs die Blutgerinnung fördert.
Es wurden nun in dem genannten Falle 40 ccm Preg Ischer Lösung
injiziert. Wir bedienten uns aber nicht der perkutanen Technik, sondern
der präparativen Aufsuchung der Vena mediana cubiti mit Einbindung
der Infusionskanüle. Die Menge von 40 ccm Pregl scher Lösung wmrde
nun in zwei Dosen einverleibt: die erste Dosis im üblichen Tempo einer
perkutanen intravenösen Injektion. Hierauf wurde mit aller Vorsicht
wegen einer mechanischen Schädigung ein etwa 1 cm langes Stück
aus dem Venenstamm reseziert und zur histologischen Untersuchung
eingelegt. Die andere Hälfte der Lösung wurde bei zentraler Drosse¬
lung der Vene einverleibt, so zwar, dass zwischen dem Köpfchen der
eingebundenen Infusionskanüle und dem Orte der Drosselung des Venen¬
stammes ein etwa 10 cm langes Venenstück eingeschaltet war, welches
nun unter mässigem Druck mit der P r e gl sehen Lösung angefüllt wurde,
Sa das es prall hervortrat. In diesem zu beiden Seiten abgeschlossenen
Venensegment wurde nun die Lösung 3K Minuten lang belassen:
hierauf wurde aus diesem Segment ebenfalls ein beiläufig 1 cm langes
Stück reseziert und gleichfalls für die histologische Untersuchung ein¬
gelegt.
Dieses angeführte Venensegment wurde also mit seiner Intima
dem Einflüsse der Pregl sehen Lösung in einem Zeitausmasse aus-
gesetzt, dass die für eine gewöhnliche perkutane Injektion von 40 ccm
erforderliche Zeitdauer um «ein Vielfaches überschritt. Die histologische
Untersuchung, die im pathologischen Institut von Herrn Dr. Gödel
in liebenswürdigster Weise durchgeführt wurde, ergab folgendes: es
wurde die Intima sowohl an Gefrierschnitten als auch an Paraffin¬
schnitten mit unterschiedlichen Färbein-ethoden studiert. Dabei zeigte
sich, dass in beiden Fällen eine auffallende Intimaänderung nicht nach¬
weisbar war.
Daraus geht hervor, dass eintretende Thrombosen weder auf die
Gerinnungserhöhung des Blutes durch die Preglsche Lösung, noch
aber auf eine Gefässendothelschädigung durch diese Lösung zurück¬
geführt werden können.
iT inromoosen tatsacniich beobachtet worden, so liegt die
Ursache hiefür entweder in der traumatischen Verletzung des Gefäss-
endomels, oder über in schon vorhandenen Wandveränderungen.
Bei intravenösen Anwendungen umfasste das Anwendungsgebiet
der Pr eg Ischen Lösung folgende Krankheitszustände:
a) intravenöse Applikation mit mehr lokalem Charakter in der
Iherapie der Varikositäten der unteren Extremitäten (Wittek).
Vo? I"iektionsbehandlung der Krampfadern“, Zbl. f. Chir.
j yZl Nr. 0)1 \
I Wege des allgemeinen Kreislaufs zur Beeinflussung der
unterschiedlichen allgemeinen septischen Prozesse. Hier gelangt die
« ansprechbaren Fällen zu ihrer vollen, oft
verblüffenden Wirkung.sentfaltung.
Es ist bekannt dass bei den allgemein septischen Erkrankurigs-
formen seit langer Zeit die unterschiedlichen Kolloidpräparate, besonders
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10, Juni 1921. ___ MÜNCHENER MEDlZtNlSCHE WOCHENSCHfelPf. _^
kolloidales Silber, wie Elektrargol, Kollargol, Dispargen usw. in Ver¬
wendung stehen.
Aus der reichen Erfahrung, die man von den genannten Mitteln
in der Therapie allgemein septischer Zustände gewonnen, weiss man
sehr gut, dass sieh eine ganze Reihe von Fällen refraktär verhält.
^ soll gleich hervorgehoben werden, dass so widerspenstige Fälle
auch bei der Preglanwendung Vorkommen.
Eine vergleichende Häufigkeitsskala über die beiden Mittel in dieser
Richtung liegt nicht vor, wohl aber die Erfahrung, dass Fälle, welche
zuerst mit Kolloidalsilber intravenös behandelt, sich refraktär verhielten,
für die P r e g 1 sehe Lösung gut ansprechbar waren. Es liegen einwand¬
freie Beobachtungen vor, dass schwere und allerschwerste septische
Erkrankungen mit Temperaturerhöhungen bis zu 42® und stundenlang
andauernden heftigsten Schüttelfrösten nach einigen intravenösen Pregl-
einspritzungen der Heilung zugeführt wurden, wobei schon die erste
Einspritzung rapiden TemperaturabfaH und Aöfhören der Schüttelfröste
in eklatanter Weise herbeiführte. In solchen Fällen erhebt sich die
Temperatur des öfteren noch nach 2—3 tägiger aproximaler Normal¬
temperatur, jedoch für gewöhnlich nicht mehr zu so ausserordentlicher
Höhe, was zu weiteren Injektionen bis zum dauernden Eintritt der Norm
Veranlassung gibt. Auch das Allgemeinbefinden als Ausdruck der er¬
folgenden Entgiftung ist nach den ersten Einspritzungen wesentlich
gehoben.
Die Ungiftigkeit der Pr eglsehen Lösung, ihre gewebeschonenden
Eigenschaften, die geringen Nebenwirkungen nach der intravenösen Ein¬
verleibung und daher die Möglichkeit fast täglicher Einverleibung zu
40—80 ccm verleihen der Lösung ihre besonderen Vorzüge. Bei allen
Formen septischer Allgemeinerkrankungen ist die P r e g 1 sehe Lösung
unbedingt zu versuchen; bei voller Wahrung des Grundsatzes vom nil
nocere wirkt die Preglsche Lösung vielfach in überraschender Weise.
c) Bisher noch nicht geübt, aber in geeigneten Fällen anwendbar
wäre die intravenöse Einverleibung der P r e g 1 sehen Lösung nach dem
Typus der B i e r sehen Venenanästhesie bei plegmonösen Prozessen, was
auf Grund der bisher bekannt gewordenen Eigenschaften der Lösung
versuchenswert wäre.
Es würde sich in diesem Falle vorzugsweise um phlegmonöse Ex¬
tremitätenprozesse handeln, bei denen unter Benützung der Venen¬
kanalisation auf dem Wege der Umkehrung des zentripetalen Saftstromes
in «einen zentrifugalen eine kapillare Auswaschung des Entzündungs¬
bezirkes durchgeführt würde.
Aus der Frauenklinik der Universität Leipzig.
(Direktor: Geheimer Rat Prof. Dr. Zweifel.)
Erfahrungen mit der Eigenblutretransfusion bei Extra¬
uteringravidität.
(Todesfall an Hämoglobinurie.)
Von Prof. Dr. Bernhard Schweitzer.
Di«e von J. Thies 1914 eingeführte Eigenbluttransfusion bei der
Katastrophe der Extrauteringravidität hat in den letzten Jahren zu¬
nehmende Anwendung gefunden.
Die Mehrzahl der Autoren ist auf Grund ihrer Erfahrungen fast un¬
eingeschränkt begeistert und sieht in der Reimplantation des körper¬
eigenen Blutes einen einfachen und ungefährlichen Eingriff zur Lebens-
rettung, von dem man nur bedauert, dass er nicht schon früher ent¬
deckt worden ist. Nur eine Minderzahl von Autoren, verhält sich zu¬
rückhaltend und glaubt auf unangenehme Nebenerscheinungen aufmerk¬
sam machen zu müssen.
Zur Abwehr des Verblutungstodes ist am aussichtsreichsten zweifel¬
los die schnell wirksame Vermehrung funktionstüchtiger Sauerstoff¬
träger und lebenswichtiger Komplemente mit gleichzeitiger Steigerung
der Blutflüssigkeitsmenge (Zeller) vorausgesetzt, dass der Blutungs¬
anlass bereits behoben ist. Dass es in äussersfren Fällen der Ausblutung
durch Bluttransfusion gelingt, das eben entflohene Leben wiederzugeben,
hat Zeller im Tierversuch einwandfrei erwiesen, allerdings durch
zentripetale arterielle Transfusion. Dreyer hat nach nutzloser Koch¬
salzinfusion Tfere durch Bluttransfusion am Leben erhalten können.
Durch das intravenöse Einverleiben genügender Mengen des in der
Bauchhöhle noch flüssigen Blutes zusammen mit physiologischer Koch¬
salz-, Ringerlösung öden Normosal sollten wir nach Stillen der Blutquelle
bei noch ausreichender Herztätigkeit' imstande sein, die tubargravLde,
mit dem Verblutungstod ringende Frau wiederzubeleben.
In mehneren Fällen dieser Art ist auch der Eindruck der rettenden
Wirkung der Eigenbluttransfusion unverkennbar gewesen, wie wir aus
Mitteilungen von Thies, L i c h t e n s t e i n, R ö d e 1 i u s. B u m m,
Döderlein, Rübsamen u. a. hören. Es hat sich dabei gezeigt,
dass es nicht notwendig ist, die ganze Menge des verlorengiegangenen
Blutes zu ersetzen, da das^ Gefässsystem und der Organismqs eine
weitgehende Anpassungsfähigkeit besitzen.
Einstimmig wird der Bluttransfusion eine überraschend schnelle
Erholung mit sofort einsetzender Besserung des Pulses und der Atmung
und günstiger Wandlung des Aussehens nachgerühmt.
Nicht nur als rascher und bester Ersatz des verlorenen Blutes kommt
dieselbe in Frage, sondern auch als überragendes Herzmittel (Weder-
h a k e) und als mächtiger Anreiz zur Regeneration des Blutes (Zeller,
R ö d e 1 i u s). Nicht zu unterschätzen ist auch die von Döderlein
betonte Tatsache, dass die Kranken ihre im Laufe des Lebens ge-
Nr. 2d
Digitized by Goüsle
bildeten Iramunstoffe wiedergewinnen. In dier Mehrzahl der Fälle war
eine bedeutende Abkürzung der Rekonvaleszenz und eine schnellere
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit berichtet, ln Einzelfällen war
die Eigenbluttransfusion jedoch von Störungen begleitet bzw. gefolgt,
v. Arnim sah hochgradige Zyanose, Anfälle von Dyspnoe, Stechen in
der Brust, krampfartige Zuckungen und Schüttelfrost, was sie als Toxin¬
wirkungen der Zerfallsprodukte des schon absterbenden Blutes oder
als kapillare Lungenembolien deutete. Opitz beobachtete als „nicht
unbedenkliche Erscheinungen“ einmal leichte Somnolenz. Unruhe und
Ikterus, Bumm zweimal Fieberfrost. Eine bleibende Schädigung bzw.
ein Todesfall, welcher der Eigenbluttransfusion zur Last gelegt werden
könnte, ist noch nicht mitgeteilt.
Dass die Transfusion körperfremden, wenn auch artgleichen Blutes
häufiger zu unangenehmen, ja totbringenden Erscheinungen führen kann,
ist eine bekannte Tatsache. Auch wir wären in der Lage, über ein¬
zelne hierhergehörende Erfahrungen zu berichten. Ich will mich aber
in diesen Ausführungen vollkommen auf die Retransfusion des körper¬
eigenen Blutes beschränken.
Da die Urteile über den Wert und die Ungefährlichkeit der Eigen¬
bluttransfusion nicht eindeutig sind, so halte ich die Mitteilung
unserer neueren Erfahrungen nicht für überflüssig.
Seit 1. Januar 1919 bis 1. April 1921 haben wir 34 Fälle von
Tubargravidität mit freier Blutung in die Bauchhöhle gesehen und ope¬
riert. ln 21 Fällen davon haben wir das körpereigene Blut retransfun-
diert, in einem weiteren Falle, wo nicht genügend flüssiges Blut vor¬
handen war, haben wir einige Stunden nach der Operation, als die Besse¬
rung nicht ausreichend erschien, mit ungestörtem Erfolg das Blut einer
Schwangeren transfundiert. Mehrmals haben wir das zur Transfusion
nicht mehr brauchbare Blut wenigstens rektal dem Körper noch zugute
kommen lassen.
Die Zahl der mit fehlendem Radialpuls aufgenommenen Kranken
war etwa 8; in den übrigen Fällen war der Puls klein und frequent
aber fühlbar. Es wurde die Transfusion also auch in Fällen ausgeführt,
in welchen «eine absolute Notwendigkeit fehlte, da nach den ersten
Erfahrungen, über welche Lichtenstein berichtet hat wir in der
Transfusion des ausgeschöpften Blutes eine in jedem Falle nützliche und
deshalb wünschenswerte Massnahme erblickten.'
In welchem Umfange hat sich die lebensrettende Wirkung
geltend machen können?
Die Beantwortung dieser Frage fällt nicht leicht zumal da hier die
Mortalität allein nicht Aufschluss geben kann, weil die Schwere der
in einem bestimmten Zeitraum behandelten Fälle ausserordentlich wech¬
selt und sehr dem Zufall unterworfen ist
Würde man die Erfolge der einfachen Operation der mit äusserem
Fruchtkapselaufbruch endenden Eileiterschwangerschaften nicht kennen,
so wäre man sicher geneigt, die Wirkung der Bluttransfusion zu über¬
schätzen. Der günstige Einfluss der Operation allein war oft un¬
verkennbar, wenn auch nicht so in die Augen springend. Die Becken¬
hochlagerung wirkt wie auch Zimmermann hervorhebt wie eine
Autotransfusion, der als Narkotikum verwendete A«ether regt das Herz
an. Besonders Röde 1 ius und Zimmermann betonen, dass in
den Anstalten, an welchen sie tätig sind, auch früher mit der ein¬
fachen Operation unter allfälligem Hinzunehmen der intravenösen Koch-
salzinfusion gute Resultate erzielt waren.
Wenn wir aus dem Material der Leipziger Klinik die von Z w e i -
fe 1 mitgeteilten 51 Fälle mit den 40 von Lichtenstein erwähnten
zusammennehmen, so haben wir in der Zeit vor Anwendung der
Bluttransfusion 91 Fälle mit 3 Verblutungstodesfälten = 3,2 Proz.
primäre Mortalität.
Diese Sterblichkeit erscheint ohne weiteres zu hoch. Man sollte
bestimmt glauben, dass mit Bluttransfusion die Resultate heute wesent¬
lich gebessert worden wären. Einstweilen ist es uns aber nicht ge¬
lungen. Wenn wir die von Lichtenstein veröffentlichte Serie
von 28 (nicht 38) Fällen (darunter 18 mit Bluttransfusion) zusammen¬
nehmen mit den 34 seit 1919 hinzugekommenen (darunter 21 mit Blut¬
transfusion), so haben wir seit Verwenden der Eigenblut¬
transfusion 62 Fälle (darunter 39 mit Bluttransfusion) mit 2 Todes¬
fällen = 3,2 Proz. primäre Mortalität, von welchen der eine auf Ver¬
blutung, der andere auf die Transfusion selbst zurückzuführen ist.
Der eine Fall, welcher trotz der Eigenblutretransfusion
ad e X i t u m kam, betraf eine 34 jähr., verheiratete Frau (1077/20), welche
4 Geburten und 1 Fehlgeburt durchgemacht hatte. Die Menstruation war
jetzt 3 Wochen über die Zeit ausgeblieben. 11 Stunden vor der Aufnahme
trat plötzlich Schmerzanfall mit Ohnmacht auf, der sich nach iH Stunden
wiederholte. Die Operation an der fast pulslosen, sehr anämischen Frau
wurde sofort ausgeführt. Im Bauchraum fanden sich sehr grosse Mengen
flüssigen Blutes, das ausgeschöpft und zur Transfusion vorbereitet wurde;
nur wenig Blut war geronnen. Rechts am Isthmus der Tube eine pflaumen¬
grosse Auftreibung mit einer knapp linsengrossen Arrosionsstelle. Exstir¬
pation der rechten Adnexe. Sorgfältiges Austupfen der Bauchhöhle. Bauch¬
naht. Am Ende der Operation war der Puls kaum zu fühlen; die Atmung
war schnappend. Nach der jetzt angeschlossenen Eigenbluttransfusion
(1000 ccm Blut + Ringerlösung) und Kampfer wurde der Puls vorüber¬
gehend besser. Es trat aber trotz künstlicher Atmung und Herzmassage
keine Erholung ein. Die Sektion ergab, abgesehen von einer alten Tuber¬
culosis pulmonum keinerlei Organveränderungen und als Todesursache Ver¬
blutung.
Meiner Ansicht nach war dieser Fall gerade einer der Art, w^elcher
den überragenden Nutzen der Bluttransfusion hätte beweisen können.
Moribund war die Kränke vor der Operation nicht, nur hatte die Opera¬
tion keine Besserung, eher Verschlechterung des Befindens gebracht.
Von der hier streng indizierten Eigenbluttransfusion hätte man doch
4
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
7ÖÖ
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
noch Rettung erwarten können. Gerade solche Fälle werden von
anderer Seite (R ö d el i u s, Z i m m e r m a n n, R o s e n s t e i n u. a.) als
die für die Bluttransfusion in Frage kommenden Fälle hingestellt. Da,
wo Atemnot als Zeichen der funktionellen Verblutungsgefahr auftritt, da
könnte die Bluttransfusion ihre lebensnett ende /Wirkung und ihre Ueber-
legenheit gegenüber der Kochsalzinfusion beim Menschen beweisen.
Vielleicht kamen wir mit der Transfusion post operationem zu
spät. Nach dieser Erfahrung halte ich es mit T h i e s, K u 1 e n k a m p f f,
Döder 1 ein und Rübsamen doch für angebracht, nicht erst den
Einfluss der Operation allein abzuwarten, sondern die Bluttrans¬
fusion möglichst frühzeitig noch vor Beendigung der
Bauclihöhlenoperation zu machen. Wir haben auch seitdem
immer durch einen Kollegen nebenher, sobald das Blut geseiht und ver¬
dünnt war, die Transfusion in die Armvenfe ausführen lassen. Viel¬
leicht hätten wir auf diese Weise den Todesfall noch ab wenden können.
Ich halte es ferner in allen Fällen nicht für ratsam, etwa im Ver¬
trauen auf die Bluttransfusion beim Operieren sich allzu viel Zeit zu
lassen. Das Reinigen der Bauchhöhle von Blut muss zwar gründlich,
aber schnell ausgeführt werden.
Es wird jedoch immer einmal primär so aussichtlose Fälle geben,
in welchen wir mit Operation und gleichzeitiger Bluttransfusion zu spät
kommen. Man wird mit dem Urteil, die Transfusion habe versagt,
genau so vorsichtig sein müssen wie bei dem Ueberschätz'en ihrer
Wirkung.
Im übrigen konnten wir auch in dieser neuen Serie von Fällen
die der Bluttransfusion nachgerühmten Vorteile beobachten. Oft
genug sahen wir das sofortige Wiederkehren des Radialispulses, der
bald die normale Fülle und Schlagfolge annahm, oft genug den günstigen
Wechsel im Aussehen, in der rosigen Färbung der Schleimhäute. In
einzelnen Fällen hielt diese überraschende Besserung im Beünden
jedoch nur einige Tage an; dann hatte man das von früher her be¬
kannte Bild und konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die
Wirkung nur vorübergehend war, dass sie mit dem Untergang der trans¬
plantierten Blutzellen wieder verschwinde. Zweifellos ist aber der Effekt
der Bluttransfusion auch in solchen Fällen unerreicht von anderen
Mitteln. Es genügt ja schon, wenn die eingeführten Blutzellen wenigstens
über die kritischen Sturtden der Lebensgefahr hinweghelfen. Wenn sie
nur solange weiterleben, bis durch Regeneration, welche durch Re¬
sorption der Abbauprodukte der untergehenden Blutzellen mächtig an¬
geregt wird, bereits Reserven gestellt sind. Wie R ö d e 1 i u s, so sahen
auch wir neben glänzenden Erfolgen auch langsames Erholen. Nach¬
teilige, aber vorübergehende Reaktionen auf die Bluttransfusion, wie
Opitz, V. Arnim und Bumm in Einzelfällen berichtet haben, sind
uns in keinem der Fälle begegnet, dagegen dürfte der andere Todesfall
dieser Serie von grösstem Interesse sein.
In diesem Falle kam die Kranke an Hämoglobin¬
urie infolge der Retransfusion des körpereigenen
Blutes ad exitum, trotzdem genau so wie in allen andern mit¬
geteilten Fällen verfahren worden war.
Der Fall war folgender: Am 21. September 1919 kam eine 27 lähr.
Ehefrau zur Aufnahme, welche eine Geburt in erster Ehe mit dem im
Kriege gefallenen Bruder des jetzigen Ehemannes durchgemacht hatte. Von
früheren Krankheiten nannte sie als Kind Masern, Scharlach und Nieren¬
entzündung. Am 14. September waren später als erwartet eine leichte Blutung
und Schmerzen in der rechten Unterleibseite aufgetreten, welche iH Tage
anhielten. Am Tage der Aufnahme in die Klinik war sie Uhr früh
plötzlich schwer erkrankt mit heftigen Leibschmerzen, Ohnmacht und Uebel-
keit. Gegen HlO Uhr fand Untersuchung durch einen Arzt statt, der
sofort unter richtiger Diagnose die Ueberführung mit der Bahn anordnete.
2 Uhr 15 Min. Ankunft in Leipzig. Bei der Aufnahme war die Kranke pulslos
und sehr anämisch. Nach Eröffnen der Bauchhöhle in Aethernarkose wurde
das hervorquellende flüssige Blut ausgeschöpft, die rechte gravide Tube mit
Ovarium entfernt. Dann wurde die Bauchhöhle von allem flüssigen und
geronnenen Blut sorgfältig befreit. Während dieser Manipulation setzte die
Atmung und Herzaktioh plötzlich vollkommen aus. Durch Herzmassage vom
Zwerchfell aus kam das Herz wieder in Gang, durch künstliche Atmung
auch diese. Darauf wurde schnell die Peritonisierung des Adnexstumpfes
vorgenommen und die Bauchhöhle geschlossen. Die Verwachsungen der
linken Tube und im Douglas wurden belassen. Im Anschluss an die Operation
wurde nun das inzwischen im Verhältnis von 3:2 mit Ringerlösung ver¬
dünnte, geschlagene und geseihte, ziegelrote Blut in einer Menge von zirka
1000 ccm in die linke Armvene körperwarm mit Trichter infundiert. Der'
Radialispuls kam während der Transfusion wieder und war schliesslich 116
und leidlich fühlbar. 24 Stunden nach der Operation war er bereits unter
100 Schlägen und ging im weiteren Verlaufe noch weiter zur Norm herunter.
Die Temperatur blieb während der vanzen Zeit der Beobachtung unter 37.5.
Der erste Urin 12 Stunden nach der Operation bzw. Transfusion war sehr
spärlich, rotbraun. Hämoglobinurie bestand fort bis zum Exitus. Die Tages¬
mengen des Urin waren später 200, 260, 350 ccm. Erbrechen dauerte an,
trotzdem Winde und Stuhlgang vom 3. Tage ab regelmässig erfolgten und
der Leib vollkommen reizlos und Hach war. Am 5. Tage subkutane Kochsalz
infusion. Magenspülung. Am 7. Tage Erbrechen eines Spulwurmes. Das
Sensorium war stets frei, keine Kopfschmerzen. Am 8. Tage setzte ziemlich
plötzlich Atemnot und Zyanose ein, die immer mehr zunahm; dazu kam grosse
Unruhe, in welcher schliesslich abends der Exitus letalis eintrat.
Als anatomische Diagnose und Todesursache ergab die Sektion: Hämo-
globinuria gravissima neben Anaemia universalis gravis. (Path. Inst. Sekt.-
Bericht 1006/19.)
Insbesondere zeigte die mikroskopische Untersuchung der Nieren, dass
die Nierenkanälchen sowohl die der Rinde als die des Markes massenhafte
Hämoglobinzylinder enthielten, ohne an den Glomeruili weder frische noch
ältere entzündliche Veränderungen nachweisen zu laSsen (Prof. Herzog).
Dieser Todesfall an Hämoglobinurie als Folge der Eigenblutretraris-
fusion hat uns schwer zu denken gegeben. War doch gerade das ein¬
getreten, was man bei dem Verwenden körpereigenen Blutes nicht er¬
warten sollte. Hämoglobinurie, Oligurie, Erbrechen, Dyspnoe und Un¬
ruhe, wie wir sie in diesem Falle schwerster Form haben auftreten
sehen, sind Hämolysinwirkung.
Ueber das.ilustandekommen der Hämolyse können wir
folgende Möglichkeiten erwägen. Eine Möglichkeit ist die. dass das
in die Bauchhönte ausgetretene Blut bereits spontan hämolytisch ge¬
worden war. Das Blut war aber durchaus nicht zu alt, so dass man es
als zu stark verändert und unbrauchbar hätte bezeichnen können.
Der erste Schmerzanfall lag erst 7 Stunden zurück. Wir haben viel
länger ausgetretenes Blut zur Retransfusion verwendet, ohne dass je
auch nur eine Andeutung von Hämoglobinurie gesehen worden wäre.
In der von Lichtenstein aus der Leipziger Klinik mitgeteilten Serie
war bis zu 58 Stunden altes Blut verwendet. In 8 Fällen der neuen
Serie war es länger als 24 Stunden alt, wiederholt 48 Stunden, in einem
Falle war der letzte Schlherzanfall vor 96 Stunden. Wir haben eine
ganze Anzahl der von D ö d e r 1 e i n, erwähnten Mischformen gehabt, wo
neben Hämatozelenbildung frische und freie Blutung eine grosse Menge
flüssigen Blutes uns darbot, das wir ohne nachteilige Reaktion retrans-
fundiert haben. Es waren Fälle darunter, in welchen der erste Anfall
4, 6, 8 und 9 Tage zurücklag, auf den noch ein oder mehrere spätere
Anfälle folgten. Wie lange das Blut brauchbar ist, hängt natürlich von
der Lebensfähigkeit bzw. dem Intaktsein der roten Blutkörperchen ab.
Dass das in Körperhöhlen ausgetretene Blut wesentliche Aenderungen
in der Zusammensetzung erfährt, wissen wir. Alle kennen wir noch
nicht.
Dass eine Blutlösung, wie in unserem Falle, nach 7 Stunden bereits
spontan eintreten kann, möchte ich nicht als wahrscheinlich be¬
zeichnen, obwohl die Möglichkeit nicht abzuleugnen ist Infolge Bak¬
terieneinwirkung war die Hämolyse ausgeschlossen, da keinerlei An¬
haltspunkte dafür weder der klinische Verlauf mit Fieberlosigkeii noch
der Sektionsbefund ergab. Dass die Ringerlösung in diesem einen Falle
gerade nicht die richtige konservierende Verdünnungsflüssigkeit ge¬
wesen sein soll, ist wohl abzulehnen. Es lässt sich zwar nicht verheim¬
lichen, dass z. B. die physiologische Kochsalzlösung gelegentlich die
Blutkörperchen löst. So haben wir erst kürzlich die interessante Be¬
obachtung machen können, dass beim Auffüllen der Plazentargefässe
von der Nabelschnur aus zum Versuch der künstlichen Lösung durch
Einspritzen von physiologischer Kochsalzlösung bei der Mutter kurz¬
dauernde Hämoglobinurie auftrat.
Als schädlichen Faktor könnte man das Schlagen und Quirlen des
mit Ringerlösung verdünnten Blutes ansprechen, welches durch mecha¬
nische Läsion der Blutzellen die Hämolyse befördern kann. Ich habe
darüber Versuche anstellen lassen, die beweisen, dass mit Ringerlösung
vermischtes Blut beim Schütteln mit Glasperlen überraschend häufig
Hämolyse zeigt. So lebensfrisch wie im kreisenden Blut sind die Blut¬
zellen hach stundenlangem Verweilen im Bauchraum sicher nicht:
sie werden deshalb auch einer mechanischen Schädigung leichter zu¬
gängig sein. Ich stehe nicht an, in dem Schlagen des ergossenen, seines
J’ibrinogens bereits verlustig gegangenen Blutes eine nicht nur zwei¬
schneidige, sondern allfällig höchst gefährliche Massnahme zu erblicken.
Als besonders gefährlich halte ich es, wenn beim Schlagen von Blut
einzelne beigemengte Koagula mitgeschlagen werden. Dabei werden
die zusammengeballten Blutkörperchen leicht zerstört und gehen in
Lösung. Es muss das ausgeschöpfte Blut zuerst geseiht und darf
erst danach mit der Ringerlösung versetzt werden und, wie zu sagen
ist, am besten überhaupt nicht geschlagen werden. Ganz unerlaubt ist
das Auffangen des Blutes mittels Tupfern oder Tüchern, die etwa in die
Ringerlösung ausgedrückt werden; dabei würden die Blutkörperchen
direkt zerquetscht. Man muss also das zur Transfusion zu verwen¬
dende Blut sorgfältigst und schonendst auffangen mit Schöpflöffeln oder,
wie es von D ö d e r 1 e i n empfohlen ist, in Beckentieflagerung über
eine Rinne direkt aus der Bauchwunde in einen Filtertrichter ein-
fliessen lassen.
Das Schlagen des Blutes nur zum Zwecke des Oxygenisierens, um
möglichst viel Sauerstoff sofort dem Blut zuzuführen, ist wohl bei dem
venösen Einverleiben unnötig, vielleicht nicht einmal erwünscht.
Wenn wir einerseits auf das Nachdefibrinieren verzichten wollen, so
muss aber andererseits auch eine Gerinnselbildung im Transfusionsblut
peinlichst vermieden werden. Nach Erfahrungen, welche vor nahezu
50 Jahren bei Transfusionen gemacht sind, hat Zweifel die ersten
Bedenken gegen einfach geseihtes Bauchhöhlenblut vorgebracht. Der
noch flüssige Anteil ist aber nach den bisherigen Erfahrungen auf die¬
selbe Stufe zu stellen, wie bereits künstlich entfasertes Venenblut; es
hat seine Gerinnungsfähigkeit auch ausserhalb des Körpers verloren.
Wir haben jedenfalls beim Schlagen des ausgeschöpften Teils nie eine
nachträgliche Abscheidung von Fibrin gesehen.
Meiner Ansicht nach, die sich mit der anderer Autoren, wie T h i e s.
Lichtenstein, Schäfer, Wederhake, Rübsamen, Rosen¬
stein u. a. deckt, ist das künstliche Entfasern bei dem in Höhlen
ergossenen Blut überflüssig. Es genügt, wie auch Thies u. a. emp¬
fohlen habeir, das Blut durch engmaschige, vielfache Gaze zu seihen
und mit der Ringerlösung zu verdünnen. Auf diese Weise'werden die
kleinsten Gerinnsel entfernt und es besteht keine Gefahr der Kapiliar-
embolie durch Fibrin.
Einzigartig erscheint nur der Fall, den Kulenkampff be¬
obachtet hat, wo das ausgeschöpfte Blut nachträglich vollkommen ge-
raim. Dabei erledigt sich aber die Frage der Verwendbarkeit der¬
artigen Blutes schon dadurch, dass es noch vor der Transfusion fest
wird.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
7öl
Ein Vermischen des Bauchhöhlenblutes mit Natrium-citriciim-
Lösung, wie von Bumm, Döderlein, v. Arnim (Stoeckel),
K u 1 e n k a m p f u. a. als zweckmässig angeraten wird, haben wir nicht
gemacht; ich kann mich also dazu nicht äussern.
Um noch andere schädigende Momente zu »erwähnen, muss auch
starke Abkühlung oder Erwärmung peinlich vermieden werden. Es
könnte auch einmal eine ähnliche Disposition im Blute vorliegen wi*e
in Fällen der paroxysmalen Hämoglobinurie, in weichen das Blutserum
durch eine in ihm enthaltene thermolabile Substanz (Autohämolysin)
imstande wäre, nicht nur fremde sondern auch die eigenen Blutkörper¬
chen aufzulösen.
Beim Einfliessenlassen wird man zur Vermeidung von unliebsamen
Reaktionen auch Sorge tragen müssen, dass nur langsam und in
kleinen Mengen die Mischung im Venenrohr vor sich geht (vergl.
Friedemann).
Eine weitere Möglichkeit der Entstehung der Hämoglobinämie wäre
diejenige, welche sonst beim Verwenden von körperfremdem Blut in
Frage kommt, nämlich dass beim Zusammentreffen von Höhlen- und Ge-
fässblut Isoagglutinine und Isolysine wirksam werden. Es ist doch denk¬
bar, dass das im Bauchraum stundenlang sich aufhaltende Blut sero¬
biologisch in seinem Verhalten zum kreisenden Blut einmal körper¬
fremdem, mit lösenden Eigenschaften ausgestatteten ähnlich wird durch
noch unbekannte Umwandlungen.
Endlich kann auch das körpereigene empfangene Bauchhöhlenblut,
in den Kreislauf gebracht, einer raschen Zerstörung und Auflösung an¬
heimfallen. Die aus der Blutbahn ausgetreten gewesenen Blutzellen, die
das Schlagen und Einbringen in eine Salzlösung durchgemacht haben,
werden ausser Frage nicht mehr die Lebensdauer besitzen wie die im
Kreislauf gebliebenen.
Es liegt natürlich nahe, für alie Fälle der Bluttransfusion auch für
die des Eigenblutes zu fordern, dass Proben vorausgeschickt werdert,
welche das Intaktsein und die Verträglichkeit des Blutes aussagen
könnten. Für diese Prüfung ist aber gerade in den akut lebensbedrohten
Fälle keine Zeit übrig. Eine Probetransfusion von 20—30 ccm. wie sie
empfohlen wird, um zu sehen, ob sofort eine Reaktion im Behnden ein-
tritt. ist im Hinblick auf Hämolyse wertlos, da in solchen Fällen wie
dem unsrigen -erst am andern Tag die ersten Erscheinungen auf-
Ireten.
Die Ursache der Hämoglobinurie in dem vorliegenden Falle klar¬
zustellen, dürfte nicht gelingen.
Zusammenfassung.
Die Eigenbluttransfusion ist im allgemeinen ein nützlicher, in man¬
chen Fällen lebensrettender Eingriff. Sie ist einfach ausführbar. Ihre
Ungefährlichkeit ist geknüpft an die schon von T h i e s auf gestellten Be¬
dingungen. Diese sind: Keimfreiheit, Fehlen der Gerinnsel und Intakt¬
sein der Blutzellen. Die erste Bedingung ist bei frischer Katastrophe
der Extrauteringravidität erfüllt, die zweite kann durch Seihen. des
Blutes erlangt werden, die dritte aber ist schwer kontrollierbar und
hauptsächlich abhängig von dem Fernhalten jeder der mannigfach mög¬
lichen Schädigungen der Blutzellen. Ob diese dritte Bedingung in
jedem Falle erfüllbar ist, muss nach der einen traurigen Erfahrung frag¬
lich erscheinen. Sollte die Transfusionshämoglobinurie bei körper¬
eigenem Blut trotz Berücksichtigung aller bekannten, die Blutzellen
schädigenden Momente auch in Zukunft nicht ganz zu vermeiden sein,
so wäre allerdings die Ungefährlichkeit dieses sonst heilsamen Eingriffs
ganz in Frage gestellt.
Da die Eigenbluttransfusion sich bisher nicht als indifferent erwiesen
hat, wird man gut daran tun, sie einstweilen nur in streng indizierten
Fällen anzuwenden.
Literatur.
V. Arnim: Zbi. f. Gyn. 1920 Nr. 48. — Bumm: Zbl. f. Gyn. 1920
Nr. 12. — Döderlein: D.m.W. 1920 Nr. 17. — Friede mann: Zbl.
f. Gyn, 1920 Nr. 16. — K u 1 e n k a m p f: Zbl. f. Gyn. 1920 Nr. 16. —
Lichtenstein: M.m.W. 1915 Nr. 47, Arch. f. Gyn. 105. H. 3. — Opitz:
Zbl. f. Gyn. 1920 Nr. 1. — Rödelius: B.kl.W. 1919 Nr. 35. — Rosen¬
ste in: Mschr. f. Gyn. 54. 1921. H. 3. — Rübsamen: M.m.W. 1921
Nr. 3. — Schäfer: M.m.W. 1918 Nr. 33. — Thies: Zbl. f. Qyn. 1914
Nr. 34. — Vago: Zbl. f. Gyn. 1920 Nr. 39. — Weder hake: M.m.W.
1917 Nr. 45. — Zeller: Jahreskurse f. ärztl. Fortbldg. 1919. — Zim¬
mer m a n n: M.m.W. 1920 Nr. 31, Zbl. f. Gyn. 1920 Nr. 41. — Zweifel:
Arch. 92. 1910. H. 1 u. Zbl. f. Gyn. 1914 Nr. 34.
Rosacea seborrhoica*).
Von P. Q. Unna.
Mit Rosacea, der fleckigen Röte des Gesichtes, bezeichnen wir
eine ganz besonders auffallende Krankheit der Haut, die bemerkens¬
werter Weise bei den Völkern des Altertums noch unbekannt gewesen
zu sein scheint, aber im Mittelalter unter dem Namen Gutta rosea
bei den Aerzten vorkommt und volkstümlich in Frankreich als
Couperose bezeichnet wird. Ihre Besonderheit und das hervor¬
stechendste Symptom, die Gefässerweiterung, war damit gut bezeichnet;
ebenso waren die Aerzte einig in der Ueberzeugung, dass die Röte, wo
sie einmal sich entwickelt hatte, schwierig zu beseitigen sei. Der be¬
rühmte alte Chirurg Ambroise P a r ö öffnete den an Gutta rosea Leiden¬
den nicht bloss die Vena basilica, sondern auch Stirn- und Nasenvenen
und setzte noch an die einzelnen roten Flecke des Gesichtes Blutegel
*) Vorlesung, gehalten an der Hamburger Universität im Eppendorfer
Krankenhause 1920.
Digitized by Goiisle
und blutige Schröpfköpfe an beiden Schultern. Derart glaubte man gegen
die zu grosse Blutfülle des Gesichtes ankämpfen zu müssen. Trotzdem
behielten aber die Menschen meistens ihre Couperose.
Dieser anscheinend einfachen und durchsichtigen Affektion sollte
aber keine ruhige Entwicklung beschieden sein. Es waren vor etwa
über 100 Jahren wiederum W i 11 a n in England und seine zeitgenössi¬
schen Kollegen in Frankreich, welche durch die fehlerhafte Einreihung
der Gutta rosea oder Gutta rosacea in das neugeschaffene System der
Hautkrankheiten und spezrell in die W i 11 a n sehe Gattung Akne eine
bis heute noch in vielen Köpfen herrschende Verwirrung anstifteten.
Dieselbe wurde nur dadurch so arg, weil die französischen Dermato¬
logen den neuen W i 11 a n sehen Begriff Akne, der eigentlich nur
„eiternde Geschwülste im Gesicht“ bedeuten sollte, als Eiterung der
Talgdrüsen definierten, dabei aber nicht stehen blieben, sondern ihn auch
auf Geschwülste der Talgdrüsen und schliesslich auf alle Affektionen
derselben, ja selbst auf blosse Funktionsanomalien bezogen. Lediglich
auf den Umstand hin, dass bei der Couperose häufig Schwellungen und
Entzündungen der Haarbälge, Follikulitiden, verkommen, nicht anders
wie bei jedem länger bestehenden Ekzem, wurde die Rosacea zuerst
in Frankreich, dann auch in England und bei uns als eine Art Akne
aufgefasst und musste nun die sprungweise Verschiebung und Erweite¬
rung-dieses Begriffes mitmachen. Die bedeutendsten Dermatologen in
allen Ländern wehrten sich allerdings, aber umsonst gegen diese sinnlose
Aufstellung einer „Akne rosacea“. Devergie, derselbe, welcher, auf
eigener Beobachtung fussend die W i 11 a n sehe Dermatitis von unserem
heutigen Ekzem trennte, machte schon 1854 gegen die Unterordnung
der Couperose unter die Akneformen Front Er sagt:
„Die Couperose ist eine Krankheit der Blutkapillaren der Haut. Wenn
die Talgdrüsen hin und wieder afiiziert werden, so ist es nur zufällig; des¬
halb trenne ich die Couperose von der Akne, welche die Mehrzahl der
Autoren mit dieser Krankheit zusammengeworfen hat. Beobachtet man aber
die Couperose in ihrem Beginne, beobachtet man ihr Fortschreiten, ihre
Entwicklung, ihren Ausgang, so wird man uns zugeben, dass unsere
Trennung gerechtfertigt ist“
D e V e r g i e unterscheidet nun drei Grade der Affektion, die Cou¬
perose als einfaches Erythem ohne Verdickung der Haut und die tuberöse
Form, und fügt hinzu:
„Nur in der Form mit allgemeiner Verdickung der Haut sieht man
akzidentelle Aknepusteln aufschiessen unter der Form von mehr oder
weniger grossen Knoten, die zur Vereiterung kommen; aber dieser Zustand
ist nur vorübergehend und vollständig akzidentell.“
Ebenso der junge B a z i n und der alte Wilson und sehr energisch
Hebra sen. mit den Worten;
„Ich bin demnach immer noch der festen Ueber¬
zeugung, dass bei Akne rosacea die allenfalls vor¬
handene Entzündung der Schmeerdrüsen und der Haut¬
gebilde selbst nur eine zufällige, allerdings häufig
vorkommende Komplikation der Krankheit ausmache,
ohne dass dieselbe zur C h a r a k t e H s t i k der Krankheit
erforderlich wäre.
Ebenso sein Schüler J arisch:
„Von allen Erkrankungen, welche den Namen der „Akne“ führen, ge¬
bührt derselbe am wenigsten der in Rede stehenden Form, nachdem die bei
derselben zu beobachtenden Follikelentzündungen nur die Bedeutung sekun¬
därer Vorgänge haben, welche lange.Zeit hindurch vollkommen fehlen können.
Die Grundlage des Leidens bilden hyperämische Vorgänge.“
Aber nur H e b r a s Schüler Lang hatte den Mut, den von Hebra
und Ja risch trotz ihrer besseren Erkenntnis sonderbarer Weise noch
zugelassenen Begriff: „Akne rosacea“ ganz auszumerzen und wieder
wie in alter Zeit von Gutta rosea oder Couperose, so jetzt von
Rosacea allein zu sprechen. Er sagt:
„Durch die irrige klinische Vorstellung, die man von der Kupferrose
hatte, kam sie nicht nur zur Bezeichnung Akne, sondern wurde auch meist der
Akne vulgaris angereiht; doch handelt es sich um eine Neubildung, die sich
in den leichtesten Fällen bloss auf Erweiterung und geringe Vermehrung der
Gefässe bezieht, während in den fortgeschrittensten und hochgradigen Fällen
das Bindegewebe und die Talgdrüsen neben den Oefässen in erheblichem
Masse an der Neubildung teilhaben.“
Und ebenso Hardy in Frankreich:
„Die kongestive Akne, die sich auf eine Störung der kapillaren Zir¬
kulation der Qesichtshaut bezieht, muss sorgfältig von den anderen Akne¬
arten geschieden werden, von denen sie sich wesentlich durch den ana¬
tomischen Sitz unterscheidet: auf sie muss der Name Couperose beschränkt
bleiben, der mit Unrecht als Synonym von Acn6 gebraucht worden ist.“
In England endlich, wo die zu so vielen Irrtüraem führende Be¬
zeichnung Akne rosacea vor 100 Jahren aufkam, hat man sich neuerdings
allgemein von diesem Begriffe emanzipiert. Malcolm Morris spricht
nur noch von Rosacea und M’Call Anderson sagt:
„Die Rosacea ist gewöhnlich als eine Varietät der Akne angesehen
worden; daher der Name Akne rosacea. Dieser Irrtum — dessen Auf¬
deckung wir Hebra verdanken — ist entstanden, weil bei beiden Affek¬
tionen das Gesicht befallen ist, weil sie sich gelegentlich kombinieren können
und sich oft oberflächlich ähnlich sehen. Aber, wie wir gleich sehen werden,
ist der pathologische Prozess völlig verschieden von dem der Akne“
und gibt eine ausführliche Differentialdiagnose zwischen Rosacea und
Akne.
Im Gegensatz zu diesen führenden Geistern in dieser Frage zeigt
sich im allgemeinen in den Lehrbüchern und bei den Aerzteil ein selt¬
sames Schwanken zwischen Erkenntnis der Wahrheit und Unent¬
schlossenheit, sich zu derselben durch Verwerfung des Begriffes: Akne
rosacea offen zu bekennen. Dieses Schwanken ist erklärlich, wenn man
bedenkt, dass es mit Verwerfung des Namens: Akne rosacea allein auch
nicht getan ist, sondern dass ers^t dann, wenn man über das eigentliche
4*
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
702
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
Wesen der alten Couperose eine klare Vorstellung gewonnen hat, ein
Rückfall in ihre Verquickung mit der Akne zur Unmöglichkeit wird.
Dieser Schritt geschah 1887, als mit der Entdeckung des seborrhoi¬
schen Ekzems auch überraschenderweise die natürliche Grundlage der
Rosacea bekannt wurde. Auf keinem Gebiete der Dermatologie hat
diese neue Erkenntnis so revolutionierend gewirkt wie auf diesem. Die
viel bespöttelte Nasenröte wurde aus einem der bis dahin undankbarsten
Objekte der Therapie mit einem Male eines der dankbarsten. In dem
Augenblicke, da sie als ein Glied in der Reihe der seborrhoischen Ek¬
zeme erkannt war, fiel die Furcht und die Unentschlossenheit fort, die
bis dahin ihre Behandlung so erschwert hatte. Mit der Heilung der son¬
stigen seborrhoischen Symptome heilte auch sie. Insbesondere wurde
die frühere chirurgische Behandlung mit dem H e b r a sehen Stichler
obsolet, weil überflüssig.
Dieser enorme praktische Fortschritt hat die Aerzte mehr als alle
theoretische Ueberlegung zu der jetzt allein möglichen Auffassung be¬
kehrt, dass die Rosacea ein Ekzem und keine Akne, eine Oberhautent¬
zündung und keine tiefe Follikelentzündung ist und als solche milde zu
behandeln und vergleichsweise rasch zu heilen ist.
Als Beispiel dieser modernen Auffassung der Rosacea sei nur noch
ein Ausspruch des schottischen Dermatologen Walker angeführt;
„Das Wort Akne in Verbindunz mit der Rosacea verliert täglich und
verdienterweise mehr und mehr seine Stelle. Man wandte es an, weil häufig
bei der Rosacea Pusteln gefunden werden, die eine oberflächliche Aehnlich-
keit mit denen der Akne vulvaris haben. Die älteren Lehrbücher widmeten
den Unterschieden zwischen beiden Arten von Pusteln einen beträchtlichen
Raum, aber diese lassen sich leicht in der einen Tatsache zusammenfassen,
dass bei der Akne der Komedo den Ausgangspunkt der Krankheit und das
Zentrum jeder Pustel bildet, während bei der Rosacea die Pusteln sekundär
und ohne notwendige Beziehung zu den Talgdrüsen sind. Ohne ein neu¬
rotisches Element bei gewissen Rosaceafällen ableugnen zu wollen, ist es
so gut wie gewiss, dass die grösste Majorität aller Fälle durch Seborrhoe
entstehen und dass die Rosacea tatsächlich eine Form der seborrhoischen
Dermatitis ist. Dass das Nervensystem eine Rolle spielt, ist richtig: dass'
Magenstörungen, usw. die Affektion verschlimmern können, ist auch richtig;
aber die wirkliche Ursache von 19 unter 20 Fällen von Rosacea ist eine
Seborrhoe des Kopfes, indem sie durch die beständige Reizung der Haut
entsteht, welche die Folge der Verschleppung von Schuppen und Organismen
der Seborrhoe ist.“
Die seborrhoische Grundlage der Rosacea dokumentiert sich haupt¬
sächlich in einer Gelbfärbung der Haut in der Umgebung von Nase
und Mund, vergleichbar der Vergilbung beim petaloiden Ekzem. Hier
befällt sie besonders die Ober- und Unterlippen bis zur Nasolabial- und
Labiomentalfurche. wo sie durch eine umso mehr auffallende Rötung
nach aussen streifenförmig begrenzt wird. Der Wechsel von dicht
neben «einander liegenden hellroten und blassgelben Stellen gibt sodann
dem ganzen Gesichte ein buntscheckiges Ansehen, welches erst mit dem
Fortschritt der Rosacea einer mehr gleichmässigen, frischroten Färbung
Platz macht.
Auf dieser besonderen seborrhoischen Grundlage, zu der sich im
einzielnen Falle noch andere ekzematöse Zeichen pityriasiformer Art
hinzugesellen, entwickelt sich nun die besondere Röte, welche der Affek¬
tion den Namen gegeben hat. Diese ist auf die mittlere Partie des Ge¬
sichtes beschränkt, auf Nase, Wangen, Stirn und Kinn. In unserem
kühlen Klima herrscht, zumal quf der Wange, normalerweise eine leichte
Gefässlähmung vor, die wir als natürliches Inkarnat nicht vermissen
mögen. Sie ist die natürliche Reaktion auf den äusseren Kältereiz,
der zwar zunächst eine Gefässkontraktion bewirkt, auf welche aber noch
während der Fortdauer des Kältereizes der für die Haut wohltätige Um¬
schlag in eine Wallungshyperämie erfolgt. Trifft dieser zusammen mit
dem Ersatz der äusseren Kälte durch Wärme, wie beim Eintritt in ein
geheiztes Zimmer nach einer starken Bewegung in winterlicher Kälte,
so steigert sich diese Angioparese zu höchsten Graden — die Haut
glüht, ein physiologisches Paradigma für die Rosacea, nur dass diese
einen bleibenden, pathologischen Reizzustand darstellt, welcher durch
die Keime des seborrhoischen Ekzems andauernd untertialten, aber
meistens auch vom Patienten selbst durch Kältereize, Reiben und
Waschen in unzweckmässiger Wei« gesteigert wird. Ausser diesen
systematisch und täglich durch die gewöhnlichen Reinlichkeitsprozeduren
herbeigefüHrten Steigerungen der kapillaren Hyperämie des Gesichtes
kommen in vielen Fällen, besonders bei älteren Frauen, auch durch
innere Reize verursachte, periodische Wallungen, besonders im Klimak¬
terium zustande, welche sehr schädlich auf den seborrhoischen Reiz¬
zustand der Gefässe wirken und ebenfalls ferngehalten werden müssen.
Aber niemals sind diese periodischen, ausserhalb der Haut liegenden,
von innen und auss*en hinzukommenden Wallungen zureichende Gründe
zum Entstehen einer Rosacea. Sie sind immer nur die anfachenden, die
Angiektasie steigernden Momente, welche die parasitäre Oberhaut¬
entzündung nicht zur Ruhe kommen lassen. Unter ihrem Einflüsse
wird mehr oder minder rasch aus der ursprünglich immer fleckweise
zerstreuten, bunten Rötung eine diffuse gleichmässige Kapillarröte.
Ausser den bis jetzt besprochenen diffusen Rötungen treten aber
zunächst vereinzelt, nach längierer Zeit in grösserer Anzahl auch sehr
auffallende grössere Venenektasien auf, insbesondere an den
Nasenflügeln, in den Nasolabialfurchen und auf der Nasenspitze, dann
aber auch in etwas geringerer Grösse auf den Wangen. Sie sind Teile
der allgemeinen Gefässektasre, welche nur dadurch sich so stark bemerk¬
bar machen, dass an der Nase und ihrer Umgebung die venösen Kapil¬
laren ihr Blut nicht, wie gewöhnlich, in tiefliegende grössere Verren
ergiessen, sondern in hochliegende, die auf längere Strecken dicht unter
der Oberhaut verlaufen. Am auffallendsten sind sie bei der Rosacea
älterer Männer, wo die Kapillarröte im allgemeinen zu ihren Gunsten
zurücktritt. Diese gröberen Venenektasien schwinden nicht so prompt
auf die einfachen, antiseborrhoischen Heilmittel: Puder, Pasten und
Schälkur und müssen «einzeln mit dem ringförmigen Mikrobrenner ver¬
ödet werden.
Die Buntheit der Rosaceahaut wird nun noch wesentlich vermehrt
durch das unregelmässige Aufschiessen von trockenen und eitrigen Folli-
kulitiden, welche sich meistens, aber durchaus nicht immer der Ge¬
sichtsröte hinzugesellen und ganz allein die verkehrte Auffassung der
Rosacea als einer Form der Akne verschuldet haben.
Diese Follikulitiden sind von der Haarbalgentzündung der echten
juvenilen Akne durchaus verschieden, da sie nicht, wie diese, echte
Aknekomedonen enthalten: projektilförmige, feste, im Innern segmen¬
tierte Hornkörperchen mit einem Inhalt von Talgfett und der dreifachen
Akneflora: Flaschenbazillen, Fettbazillen und dem schneeweisse Kul¬
turen bildenden Akn'ekokkus. Wurmförmig ausdrückbare, am Kopfe ge¬
schwärzte Talgmassen, die auch bei der Rosacea hier und da Vor¬
kommen, sog. Punktationen, sind keine echten Komedonen.
Weitere Eigenheiten der Rosaceapusteln sind ihr oberflächlicher
Sitz und ihr häufiger Wechsel des Ortes. Wähnend die Regionen dieser
Pusteln: Stirn, Wange, Nase, Kinn stets dieselben bleiben und eine
Verbreitung dieser Art von Follikulitiden auf die Rückenhaut und die
Brusthaut, wie bei der Akne, nicht vorkommt, schwinden sie inner¬
halb dieser beschränkten Region stellenweise spontan, um an anderen
Stellen derselben um so lästiger wieder hervorzutreten, und zwar in
stetem Wechsel. Auch diese Veränderlichkeit besteht bei den Akne¬
pusteln nicht. Ganz unbekannt als Folgezustand einer Rosacea
pustulosa ist schliesslich die tiefgiehende eitrige Zerstörung, wie sie
die viele Jahre bestehende Akne auszeichnet.
In folgender Tabelle möge die genauere Differentialdiagnose zwi¬
schen der Rosacea pustulosa und der Akne pustulosa ihrer Wichtigkeit
wegien noch einmal übersichtlich zusammengefasst werden.
Rosacea pustulosa_|_Akne pustulosa
A. Allgemeiner Charakter der Krankheit: .
Leichte Oberhauterkrankung | Schwefe Oberhauterkrankung
Oberflächlich j Tiefgehend
Flüchtig, wechselnd Hartnäckig, bleibend
Bedarf milder Mittel i Bedarf starker Mittel
B. Beziehungen zum seborrhoischen Ekzem:
Folgeerscheinung eines seborrhoischen | -
Kopfekzems |
Beginn mit Flecken von Pityriasis alba -
Beginn mit roten Flecken und Streifen ! -
Erweiterungen der Kapillaren und j -
Venen
Vergilbung um Mund und Nase I -
Punktation stagnierender Fettsäulen ! -
Gleichzeitig mit Alopecia seborrhoica ! -
und Blepharitis ciliaris seborrhoica i
C. Beziehungen zur Hyperkeratose:
- j Hornschicht verdickt
- ! Beginn stets mit Komedonen
D. Art der Pusteln:
Pusteln sitzen oberflächlich
Hauptsitz mediofazial.
Rücken frei
Rascher Wechsel in Form und Grösse
Wechseln häufig und rasch den Ort
Pusteln sitzen tief
Hauptsitz laterofazial
Lieblingssitz: Rücken
Form und Grösse stabil
Verbleiben lange am Orte
Folgeerscheinungen:
I Tiefreichendes Granulom
I Eitrige Einschmelzung der Kutis und
I Haarbälge
Bildung von Doppelkomedonen
I Tiefe, weitverzweigte Narbenbildung
1 Dauernde Verunstaltung der Gesichts-
i haut
Die Therapie und Aetiologie der chronischen Hautekzeme.
Von Prof. Dr. HiIgermann-Saarbrücken.
Abgesehen von den durch äussere Schädigungen, als chemischen,
thermischen oder mechanischen Reizen hervorgerufenen Ekzemen, den
„Gewerbedermatosen“, ist die Aetiologie und damit auch die Therapie
■ der Ekzeme sowohl der nässenden, als auch der schuppenden, noch
ziemlich ungeklärt. Die vielfach als ursächliches Moment betonte
„eigenartige Hautbeschaffenheit“ oder „Stoffwechselstörungen“ kommen
wohl als besondere Disposition für die Festsetzung eines schädigenden
Erregers, der dann unter dem Bilde eines Ekzems verlaufenden Erkran¬
kung in Betracht, können aber nicht als alleinige ätiologische Ursache
angesehen werden. Meine auf viele Jahre sich erstreckenden Beob¬
achtungen bei Ekzemen liessen stets als Erreger Bakterien
oder Pilze oder beide in Symbiose feststellen. Diese sind
nicht etwa nur eine zufällige sekundäre Infektion, .bedingt durch Kratzen
der erkrankten Partien infolge starken Juckreizes, sondern eingedruiigeii
in die in ihrer Widerstandsfähigkeit geschwächten Körperstellen und
damit die eigentlichen Erreger der als „Ekzeme“ bezeichneten Erkrarv-'
kungsformen. Die Möglichkeit der Ansiedelung von Bakterien und
Pilzen an besonders hierfür disponierten Hautstellen findet seine Er-
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHPIFT.
703
klärung in den Erfahrungen der Immunitätslehre. Wir wissen, dass die
angeborene oder natürliche Immunität eine hauptsächlich zelluläre oder
histogene ist im Gegensatz zu der erst im Verlauf einer Infektionskrank¬
heit erworbenen aktiven Immunität, welche eine hauptsächlich humorale
oder hämatogene ist. Ist nun diese zelluläre Immunität durch irgend-
w'elche Vorgänge im Organismus gestört, so werden Bakterien und
Pilze sich an solchen Partien des Körpers leicht ansiedeln und bei ihrem
Eindringen in den Organismus eine viel geringere Widerstandsfähigkeit
finden. Das muss besonders von der Haut gelten, auf welcher ja für
die Ansiedelung von Bakterien und Pilzen jederzeit Gelegenheit gegeben
ist. Bei geeigneter Disposition, d. h. aufgehobener oder geschwächter
Immunität, wird die bei normalem Organismus folgenlose Ansiedelung
zu einer Infektion führen müssen. Dazu kommt, dass Bakterien und
verw'andte Erreger am Orte des Eintritts in den Orgartismus, resp. am
Orte ihrer Wahl, sich besonders stark anhäufen. Durch die damit ge¬
häuften, bei ihrem Zerfall frei werdenden Abbauprodukte werden weitere
schädigende Einwirkungen auf das zerfallende Gewebe ausgeübt. Diese
Häufung des Antigens muss immer weiter zu lokalen zellulären anaphy¬
laktischen Erscheinungen führen. Die endgültige Ausbreitung resp.
Schwere der Erkrankungsform wird schliesslich von der Virulenz des
Erregers und der Fähigkeit des betreffenden Organismus, auf den. ge¬
gebenen Reiz Abwehrstoffe zu bilden, abhängig sein.
Bakterien und Pilze sind also das unmittelbar
wirkende ätiologische Agens, die Körperdisposition
oder son-stige epidemiologische Faktoren spielen
hierbeinureinemittelbare. wennäuchnichtzuunter-
schätzende, die Ansiedelung der Erreger begünsti¬
gende Rolle.
Mit der Erkenntnis der ätiologischen Grundlage der Ekzeme, ihrer
parasitären Natur, ist uns gleichzeitig der Weg zu ihrer Heilung ge¬
wiesen. Die Behebung der verminderten Widerstands¬
fähigkeit des Organismus, die Herbeiführung einer
vermehrten Bildung von Schutzstoffen mitte.ls Im¬
munisierung wird die Grundlage unserer Heilungs¬
massnahme bilden müssen. Erreicht wird diese Immunisierung
durch die V ak z i n e t h e r a p i e, die Injektion spezifischer Vakzinen,
d. h. der abgetöteten Kulturen der eigenen Erreger.
Sämtliche dvir beobachteten Ekzemerkrankungen ähneln mit ge¬
ringen Abweichungen in ihrem klinischen Verlauf, ihrer Aetiologie und
ihrer Behandlungsweise einander, resp. gruppieren sich an besonders
prägrrante Erkrankungsformen. Es seien daher nur einige der letzteren,
besonders hervor tretenden, ausführlich dargestellt:
1. 55 Jahre alte Frau leidet seit 35 Jahren an Hauteffloreszenzen und
flächenhaften Erosionen nässenden Charakters, welche sich über den gajizen
Körper, hauptsächlich die Unterarme und Oberschenkel erstrecken. Perio¬
disches Auftreten von Drtisenschwellungen der Achsel- und Inguinaldrüsen
nebst Vereiterungen, Abschilferungen der Oberhaut. Während der Zeit
ihrer Erkrankung war sie von den verschiedensten Aerzten und Kliniken mit
Salben-, Spiritusverbänden, Höhensonne, Röntgenstrahlen behandelt worden.
Nach vorübergehender Besserung stets erneutes Auftreten des Ekzems.
Aus den geschlossenen Effloreszenzen Züchtung von Staphyl. albus und
säurefesten Bazillen. Der opsonische Index gegenüber dem Staphylokokken-
stamm und dem säurefesten Bazillenstamm 0,35 resp. 0,46, der Normal¬
index 4,8.
4 Monate lang durchgeführte Vakzinetherapie mit der aus den Staphylo¬
kokken und den säurefesten Bazillen hergestellten Vakzine führte Dauer¬
heilung herbei. 6 jährige Beobachtung ergab kein Rezidiv.
2. 35 Jahre alte Patientin, welche seit 12 Jahren an einem sich haupt¬
sächlich über die ganze Kopfhaut, Schläfengegend und Ohrmuschel er¬
streckenden. aus dicken, krustigen und eitrigen Auflagerungen, Schuppen und
Borkenbildungen bestehenden Ekzem leidet. Die Kopfhaare sind in einer
einzigen dicken Kruste verfilzt. Am Gesicht, dem ganzen Körper verstreut,
vor allem an der vorderen Brustpartie, den Streckseiten der Ober- und
Unterschenkel scheibenförmige bis kreisrunde scharf abgesetzte Ekzem¬
bildungen mit erhabenem wallartigem hochrotem Rande, daneben eitrige
Pustelbildungen. Das entstellende Aussehen der Patientin hatte bereits zu
starken nervösen Depressionen geführt. Wegen des ekelerregenden Aus¬
sehens war Ehescheidung in Aussicht genommen. Das Ekzem hatte in den
letzten Jahren immer mehr an Ausbreitung und Stärke gewonnen.
Alle versuchten verschiedenartigsten Behandlungsmethoden, Röntgen¬
bestrahlung, Höhensonne hatten keine Besserung des Leidens herbeigeführt.
Aus den Pusteln wurde Staphyl, aureus und eine in kurzen Ketten
angeordnete Diplobazillenart (opsonischer Index 0,4) gezüchtet, aus
den Krusten und Borken ein im Verlauf seines Wachstums Traubenzucker-
Schrägagar tiefschwarz verfärbender Mukor stamm.
Die durch 5 Monate durchgeführte Vakzinetherapie mit der aus den
Staphylokokken, Diplobazillen und dem Mukorstamm hergestellten Vakzine
führte völlige Heilung herbei. Das Gesicht war völlig glatt, die Haare frei
von jeder Krustenbildung, die Pusteln, die scheibenförmigen Ekzembildungen
völlig verschwunden.
Lokal war nur für die Erweichung der Krusten durch Kochsalzlösungs¬
umschläge mit nachträglicher Einfettung mit Präzipitatsalbe gesorgt worden.
3. 40 Jahre alter Kaufmann. In der Familie des Patienten wurden öfters
nässende und schuppende Ausschläge bei den einzelnen Familienmitgliedern
in der Kindheit beobachtet, Patient erkrankte bereits in frühester Kindheit
an nässenden und schuppenden Ausschlägen, Welch erstere zwischen dem
6, und 7. Lebensjahre zuriiekgingen, während letztere bestehen bliebea.
Patient hatte stets das Gefühl einer stark vertrockneten Haut, „sie atmete
nicht recht, schuppte stark und konnte keinen Schweiss produzieren“.
Letzterer Zustand dauerte etwa bis zum 30. Lebensjahre, um sich dann
ständig zu verschlimmern. Hinzu traten nässende Ausschläge, stärkeres
Schuppen der Haut und quälender Juckreiz, besonders nachts, starke Schwel-'
lung der Leistendrüsen. Befallen waren Gesicht, Extremitäten, vor allem
Hände und Oberschenkel. Auf die Brust griff die Erkrankung nicht über.
Patient war im Laufe der Jahre mit den verschiedensten Behandlungs¬
Digitized by Goiisle
methoden, abgesehen von den üblichen Salbenverbänden, auch mit elek¬
trischen Strahlen, Röntgenstrahlen, Naturheilverfahren behandelt worden.
Durch sein langes, unheilbares Leiden, besonders durch das Ekel hervor¬
rufende Aussehen seiner Hände war Patient verbittert, menschenscheu ge¬
worden.
Die Untersuchung des Kranken ergab ein Ober die ganzen Arme, Hände,
Ober- und Unterschenkel sich erstreckendes stark nässendes, flächenhaft aus-
' gebreitetes Ekzem. Zwischen den konfluierenden Partien kleine Erosionen
und borkige Stellen. Die Haut fühlt sich völlig trocken an und schuppt bei
der leisesten Berührung stark. Die Leistendrüsen beiderseits, fast faustdick
geschwollen.
Die bakteriologische Untersuchung ergab bei der Züchtung aus den
borkigen Partien Mikrokokken, welche, aneinander gelagert,
teils Diplo- — teils kleine blumenkohlartige — Verbände zeigten. Teils
waren sie Gram-positiv, teils Gram-negativ, bei der Weiterzüchtung rein
Gram-positiv (opsonischer Index 0,3).
Aus den nässenden Partien wurde ein Streptotricheen-
stamm gezüchtet.
Die durch 3 Monate mit Autovakzine (Pilzzerreibung + Mikrokokken¬
aufschwemmung) durchgeführte Vakzinetherapie führte eine fast völlige
Heilung herbei. Die DrüsenschweUungen waren geschwunden, nässende
Partien nicht mehr vorhanden. Gesicht glatt (sogar ständiges Rasieren war
möglich), Hände desgleichen, nur noch vereinzelt periodisch auftretendc
Risse, jedoch mit bald einsetzender Hautneubildung. Nur an den Ober¬
schenkeln noch einige kleine schunpende Partien mit leichtem Juckreiz.
Allgemeinbefinden gut. Die durch lange Zeit fortgesetzte Beobachtung
ergab den gleich günstigen Befund und weitere Heilungstendenz.
4. 38 Jahre alter Mann erkrankte 1900 mit einem über den ganzen Kopf,
das Gesicht, Brust und Bauchgegend, die Streckseiten der Oberarme und
Unterschenkel sich erstreckenden, aus kleinen pustulösen Eiterungen und
Infiltrationen in Form von Krustenbildungen bestehenden Ekzem. Während
17 Jahren war er bei etwa 12 Aerzten, in Krankenhäusern und Kliniken in
Behandlung gewesen. Bäderkuren in verschiedenen Solbädern, Röntgen¬
behandlung und Höhensonne führten eher eine Verschlimmerung des Leidens,
denn eine Besserung herbei Durch die ihn ständig belästigende und ent¬
stellende Erkrankung verlor Patient seine Stellungen und kam körperlich
und psychisch herunter.
Aus den Geschwüren und Infiltrationen wurden Staphyl. aureus
und schleimbildende Kapselbazillen (opsonischer Index 0,62)
gezüchtet. Die mit der aus den beiden Stämmen hergestellten Vakzine
während 3 Monate durchgeführte Vakzinebehandlung brachte völlige Heilung.
Lokal war nur für Erweichung der Krusten durch Kochsalzlösungs¬
umschläge, an den behaarten Stellen durch Epilierung der in Eiterbläschen
steckenden Haarstümpfe Sorge getragen worden. '
Im Verlaufe resp. gegen das Ende der Vakzinetherapie besserte sich
auch ständig mit dem Schwinden der lokalen Beschwerden das Allgemein-
beänden des Patienten. '
Die Feststellung, Züchtung der Erreger, Herstellung der Vakzine
erfolgte in nachstehender Weise:
Streng vermieden wurden zur Züchtung offene Wundpartien.
Letztere, allen Verunreinigungen ausgesetzt, lassen eine Reinzüchtung
der eigentlichen Erreger kaum möglich erscheinen und führen durch
Züchtung harmloser Beglcitbakterien zu Trugschlüssen. Nur ge¬
schlossene Herde dürfen daher zur Gewinnung von Reinkulturen
Verwendung finden. Die für die Züchtung geeignet erscheinenden
geschlossenen Pusteln, Infiltrationen, Borken, desgleichen ihre pnze
Umgebung wurden mit 70 proz. Alkohol abgewischt, nicht abgerieben.
Nach erfolgter Verdunstung desselben wurde mit feiner steriler Pinzette
die Piistelhaiibe, Borke oder dergl. abgehoben und das aus der nunmehr
freiliegenden Wundstelle hervortretende Sekret mit ausgeglühter
Platinöse resp. Spaten auf entsprechende Nährböden übertragen. Bei
nässenden Ekzemen mit nur offenen Wundflächen wurde mit Alkohol¬
wattebausch über die nässende Fläche schnell weggewischt das durch
die Reizung stärker hervortretende Sekret verarbeitet. Bei schuppenden
Ekzemen wurden nach Reinigung mit Alkoholwattebausch die Schuppen
mit einem Platin- oder Impfspatel oder der Kante eines vorher aus¬
geglühten Objektträgers abgekratzt und verimpft. Meist waren aber bei
letzterer Form auch geschlossene borkige Partien vorhanden. Als Nähr¬
böden wurde Schrägagar, Aszitesagar, Traubenzuckeragar, PI aut scher
Pilzagar und Traubenzuckerbouillon verwendet. Die mit dem Material
beschickten Nährböden, stets in Serien von 4—6 angelegt, wurden zur
Hälfte bei 37® im Brutschrank, zur Hälfte bei 22® (in abgedämpftem
Tageslicht) bebrütet. Ferner wurde der Inhalt vorgenannter Wuiid-
partien, abgehobene Borken, Krusten in Traubenzuckerbouillonkölbcheii
in der Weise übertragen, dass diese Partikelchen auf die Oberfläche
der Traubenzuckerbouillon teils schwimmend aufgetragen, teils an die
Berührungsstelle der Bouillon am Glase gegeben wurden, ln letzterem
Falle ruhte die Hälfte der Partikelchen in der Bouillon, die andere
Hälfte an der Glaswand. Diese so beimpften Kölbchen wurden
gleichfalls bei 22 ® bebrütet. Beim Vorhandensein von Pilzen sah
man bereits durchschnittlich nach 5—6 Tagen Pilzfäden von den
Borken nach der Umgebung ausstrahlen, ebenso von den auf der
Bouillon ruhenden Partikelclien. Nach 4—ö wöchigem Wachstum war
die Traubenzuckerbouillon ausgefüllt mit einer dicken Pilzmasse, welche
sich allmählich zu Boden gesenkt hatte. 4—6 wöchiges Wachstum
wurde als ausreichend angesehen, um genügend Pilzkörper und Toxine
zur Vakzination zu erhalten.
Naclu Abschluss der Einleitung des Kulturverfahrens fand weiteres
Material zur mikroskopischen Diagnose Verwendung. Beim Vorhandensein
weniger geschlossener Herde wurde erst die kulturelle und dann erst die
mikroskopische Untersuchung eingeleitet. Anders hingegen bei zahlreichen,
gleichartigen Herden. Für ersteres Vorgehen waren folgende Ueber-
legungen massgebend: Einmal sind oft nur In den ersten Entnahme¬
partikelchen die Erreger vorhanden, welche, zur mÜckroskopischen Unter-
Original frDrri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
• 704
suchuriK verwandt, dann für das Kulturverfahren ausfallen und somit die
spätere Herstellung einer Vakzine ausschliessen. Zweitens kann die
Diagnose insofern leicht übersehen werden, als die Pilze in den von
ihnen bedingten Krankheitsprozessen meist nur sehr spärlich enthalten
sind, so dass ihr Nachweis im direkten Ausstrich entgeht. Ihr Nicht¬
nachweis verleitet dann leicht zur Ablehnung der Einleitung des Kultur¬
verfahrens. Ganz anders bei der Kultur, zumal der Anreicherung in
Traubenzuckerbouillon. Aber auch für die Einleitung des Kultur¬
verfahrens darf man sich nicht mit einem einmaligen Versuch begnügen,
sondern muss immer und immer wieder die Züchtung der ursächlichen
Erreger von den verschiedensten Körperpartien und den verschiedensten
Herden versuchen. Provokatorische Injektionen von Mischvakzinen von
Ekzemerregern sind dann vorauszuschicken.
Für den mikroskopischen Nachweis ergaben Methylenblau und
Grampräparate ein Uebersichtsbild über die vorhandene Bakterienart.
Zum Nachweis der Pilze wurden Haare, Krusten, Borken mit Kalilauge,
später nur noch in 25 proz. Antiforminlösung nach der Plaut sehen
Vorschrift behandelt. Letztere Methode ermöglicht das Auffinden selbst
spärlicher Pilzelementc, zumal die an den erkrankten Haaren usw. im
Präparat entstehenden Blasen das Auffinden kranker Stellen sehr er¬
leichtern.
Die Herstellung der Vakzine war für Bakterien die
allgetnein übliche ‘). Besonderer Wert wurde auf die Abtötung bei ver¬
hältnismässig niederen Temperaturen (46—54 ® oder Formalinisierung
bei 37®) gelegt. Zur Darstellung der Pilzvakzine verwendete ich
nur den auf der Traubenzuckerbouillon gewachsenen Pilzrasen, sei es den
bei der ersten Züchtung oder den bei der Uebertragung von den Kultur¬
röhrchen sekundär erhaltenen. Die Bouillon wurde vorsichtig von dem
Pilzrasen abgegossen, der Pilzrasen mit steriler Pinzette herausgehoben,
in einen sterilen Mörser übertragen und mit sterilem Pistill mit etwa
10 ccm physiologischer Kochsalzlösung fein zerrieben. Die so erhaltene
Emulsion wurde durch ein steriles gehärtetes Filter filtriert, im zu¬
geschmolzenen Reagenzglas kräftig geschüttelt und durch 5 Tage je
1 Stunde bei 46—55 ® oder mit 1 Proz. Formalin versetzt, 2 Tage bei 37 ®
abgetötet. Die Emulsion wurde mit der ausgezählten Bakterienvakzine
vermischt.
Die Vakzinierung wurde mit kleinsten Dosen begonnen, um
nicht etwa durch Hervorrufen stark verlängerter negativer Phasen den
Körper weiterhin von Schutzstoffen zu entblössen. Von der Bakterien¬
vakzine wurden zunächst 1—3 Millionen Bakterien, von der Pilz¬
aufschwemmung der Vioo. Teil eines Kubikzentimeters injiziert Dem¬
entsprechend war Bakterien- und Pilzvakzine vermischt. Da die Be¬
stimmung des opsonischen Index nicht ständig, zumal nicht bei Pilzen
als Erregern, desgleichen nicht, die Agglutinatioiistiterbcstlmmung, durch¬
führbar war, wurde das Verhalten der Effloreszenzen usw., das Allge¬
meinbefinden aufs genaueste beobachtet und als Grundlage für weitere
Injektionen genommen. Erst wenn die stets eintretende lokale Sbeh-
reaktion. die Herdreaktion in Form stärkerer Rötung. Nässen usw. völlig
abgeklungen, das Mlgemeinbefinden ein persönlich gutes, gehobenes
Nvar, wurde 2—3 Tage später nach diesem Abklingen aller Symptome,
eine neue Injektion ausgeführt. Mit diesem sorgfältig durchgeführten
Injektionsmodus musste jede erneute Injektion in die positive Phase
fallen, womit die Anhäufung der Schutzstoffe verbürgt war. Ferner sind
bei fast allen chronischen Ekzemen irgendwelche Drüsengruppen mit¬
ergriffen. Sie bilden in ihrer Reizerscheinung — erhöhte Schwellung —
und demnach folgenden Rückgang dieser Erscheinungen einen ausser¬
ordentlich ^ten Anhaltspunkt für den Zeitpunkt der nächsten Injektion.
Im allgemeinen sind bei den Anfangsdosen die Reaktfonserscheinungen
meist 4—5 Tage nach der Injektion abgeklungen und Kann bei den
schwachen Dosen das Intervall mit 4—6 Tagen, bei den mittleren mit
6—10 Tagen und bei den stärkeren Konzentrationen mit 10—14 Tagen
berechnet werden. Wohl zu beachten ist aber, dass es ein
bestimmtes Schema für die Vakzinierung nicht gibt,
keine Behandlungsmethode ist so streng individueli
als die Vakzinetherapie. Nur unter strengster sorg-
rältiger Beobachtung des Allgemeinbefindens, aller
Herdreaktionen dürfen wir, wenn alle Reizerschei¬
nungen abgeklungen sind, erneute Injektionen vor¬
nehmen. In Zweifelsfällen stets besser etwas
längere Intervalle als abgekürzte. Nach etwa 12 Injek¬
tionen wurde eine längere Pause eingeschoben, um dem Organismus die
Möglichkeit zu geben, zur Ruhe zu kommen und unter dem nachhaltenden
Einfluss der vorangegangenen Immunisierung eine Anhäufung von Schutz¬
stoffen herbeizurühren. Nach 4—6—wöchigem und schliesslich noch
längerem Intervall wurden dann noch einige weitere Injektionen an-
gesclilossen. Ich habe von der Einschaltung solch langer Pausen gegen
das Ende der Vakzinetherapie stets die besten Erfolge gesehen. Längere
Ruhepausen' scheinen für den Organismus unbedingt erforderlich zu sein,
damit sich die Körpersäfte und Zellen von den im Verlaufe der Vakzinie-
rung an sie gestellten Anforderungen erholen können. Die Latenzperiode
ist bei einer erneuten Injektion nach länger vorangegangener Immunisie-
mng erheblich abgekürzt, und die Bildung der Antikörper bei den im
Zustand der Allergie befindlichen und auf den erneuten Reiz viel schneller
reagierenden Zellen eine ausserordentlich intensive. Es wird damit eine
solche Summation von Schutzstoffen, ein solch erhöhter Antikörper-
^<'halt erzielt, dass der Körper vor späteren Infektionen etwaiger latenter
Herd e oder ä hnlichen Infektioiismöglichkciten dauernd geschützt bleiben
') Vergl. Hil gor mann: Zschr. f. ärztl. Fortbild. 1918 Nr. 14/15, I
Digitized by Goiisle
muss. Damit ist der Zustand der Dauerheilung, der Immunität, erzielt,
wie ich es auch tatsäcHIich bei sämtlichen behandelten Fällen erreichen
konnte. Die Heilung der Ekzeme führte gleichzeitig die Wiederherstellung
des körperlichen Wohlbefindens herbei.
Von Bakterien als Erreger wurden Staphylokokken.
Diplobazillen, Kapselbazillen. Mikrokokken fest¬
gestellt, von Pilzen Mukor-, Aspergillus-, Hefearten und
Streptotricheen.
Das völlige Versagen der sonst üblichen Heilmethoden im Gegen¬
satz zu den therapeutischen Dauererfolgen der Vakzinetherapie findet
seine Erklärung in der ätiologischen Ursache der Ekzemerkrankungen.
Unmöglich können wir durch eine Salben-, Spiritus- oder dergl. Therapie
selbst bei starker Konzentraten der angewandten Mittel die Erreger ver¬
nichten. Zeitweilige Besserungen beruhen auf einer vorübergehenden
Schädigung derselben, bis durch Gewöhnung an das angewandte Mittel
die zunächst zurückgedrängten Bakterien oder Pilze wiederum die Ober¬
hand gewinnen, auch werden die in tiefen Herden der Haut sitzenden
Erreger unbeeinflusst bleiben. Wollte man die Erreger durch chemische
Mittel abtöten, so müsste man diese Mittel in so starken Konzentrationen,
von solch langer Dauer und Tiefenwirkung anwenden, dass nach den
ErfaTirungen der Desinfektionslehre eine sichere Vernichtung der Lebe¬
wesen garantiert wäre. Letzteres durchzuführen ist aber unmöglich,
ohne gleichzeitig den Organismus aufs schwerste zu schädigen. Aus
der Desinfektionslehre wissen wir aber andererseits, wie resistent
Bakterien und Pilze gegenüber stärkeren Verdünnungen der chemischen
Desinfektionsmittel sind.
Die gleichen Ueberlegungen erklären auch das Versagen physikali¬
scher Heilmethoden, als Röntgenstrahlen, Höhensonne und dergl. Mit
letzteren Heilverfahren beobachtete vorübergehende Erfolge dürften
grösstenteils in einer Anregung und damit erzielten Stärkung der
zellulären Immunität durch die hervorgerufene Hautreizung beruhen.
Ganz anders bei der Vakzinetherapie. Die fehlende zelluläre
Immunität, welche ja eben die Disposition für die Ansiedelung der Pilze,
Bakterien abgibt der bestehende Mangel an natürlichen Schutzstoffen
wird behoben, die Widerstandskraft des Organismus, die zelluläre
Immunität, so gesteigert dass sie der eingedrungenen Erreger Herr zu
werden vermag. Mit dem Moment, in welchem die natürliche Immunität
wieder hergestellt der Mangel an Schutzstoffen ausgeglichen ist. ist auch
diesen Lebewesen der Nährboden entzogen. Damit sind auch die Be¬
dingungen für ihre Lebensfähigkeit, ihre Ansiedelung. Ihr Eindringen in
den Organismus aufgehoben.
Nur mit bakteriologis'cher Technik, d. h. Züchtung
der Erreger und dementsprechende Vakzinethera¬
pie. allerdings nur Autovakzine, ist eine Dauer¬
heilung chronischer Ekzeme möglich. ErforderKch ist
dass die Vakzinetherapie lange Zeit genug, bis zum Verschwinden der
Effloreszenzen usw.. durchgeführt wird. Nach Abschluss der etwa
12—14 Injektionen in steigenden Dosen bis zur Originahufschwemmung
der Erreger umfassenden Vakzinekur sind noch einige Injektionen n^cli
Pausen von 6—8 Wochen und längerer Zeit zu wiederholen. Die hier¬
durch zu erneuter verstärkter Tätigkeit angeregten Zellen produzieren
ausserordentlich intensive Schutzstoffe, womit deren höchste Summation
erreicht wird. *
Aus dem Landeshospital Paderborn. (Direktor: Dr. FI ö r ck e n,
jetzt Chefarzt der Chirurg. Klinik des Marienkrankenhauses
Frankfurt a. M.)
Zur Behandlung chronischer Gelenkerkrankungen mit
Sanarthrlt Kellner.
Von Dr. W. Heidtmann, jetzt Assistenzarzt an der Chirurg.
Klinik des Marienkrankenhauses Frankfurt a. M.
Als Hei ln er 1916 seine auf Grund eingehender Beschäftigung mit
den Stoffwechselstörungen und den Unzulänglichkeiten des Zellfermetit”
haushaltes erworbenen Anschauungen übfer den lokalen Gewebsschutz
und sein Versagen veröffentlichte, schienen aussichtsreiche Bahnen
zur Behandlung chronischer Gelenkerkrankungen, die bis dahin eine der
undankbarsten In der Medizin gewesen war, sich zu eröffnen. Die in
den folgenden Jahren von Hei ln er und Umber veröffentlichten Er¬
folge mit dem Knorpelextrakt Sanarthrit schienen in der Tat über¬
raschend. Aber die auf das Mittel gesetzten Hoffnungen wurden durcl:
die weiteren Veröffentlichungen von anderer Seite, die sich zwar nich t
auf ein auch nur annähernd gleich grosses Material wie das H e i 1 n e r ••
sehe bezogen, stark getrübt. Andererseits wurde wiederum über glän-
zendo Erfolge berichtet, aber auch nur unter Bezugnahme auf ein ver ¬
hältnismässig kleines Material. Bei diesem Widerstreit der Meinungen
erschien es daher zweckmässig, durch möglichst sorgfältige Nachprüfung
des Mittels und Veröffentlichung der erzielten Erfolge auch auf Grund
eines nur kleinen Materials zur Klärung der Streitfrage beizutragen. Sr
erschienen denn im Laufe der beiden letzten Jahre eine Reihe vor
Arbeiten, die ein teils grösseres teils kleineres Krankenmaterial zui
Grundlage hatten. Unsere Beobachtungen seien diesen Arbeiten noch
beigefügt, damit auf Grund einer zusammenfassenden Vergleichung eine«
möglichst grossen Materials der wirkliche Wert des Sanarthrit fest¬
gestellt Averden kann, ln einer Reihe früherer Arbeiten ist ein zu ge¬
ringes Gewicht auf die Nachprüfung der anfangs erzielten Erfolge ge-
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
705
legt worden, so dass sie stellenweise den Forderungen H e i 1 n e r s über
die Bewertung des Heilergebnisses nicht genügend nachkommen.' Nach
H e i l n e r s eigener Angabe tritt die Wirkung des Sanarthrits mitunter
erst nach 4 Monaten auf, während man andererseits von einem Erfolg
erst dann sprechen darf, wenn nicht eine anfängliche Besserung schon
durch ein Rezidiv innerhalb dieser Zeit illusorisch wird. Gerade auf
diesen Gesichtspunkt habe ich bei der Beurteilung unserer Fälle grossen
Wert gelegt. Da unsere Sanarthritbehandlung im Frühjahr 1919 ein¬
setzte und die letzten Nachprüfungen Ende 1920 erfolgten, so kann man
wohl bei allen Fällen, wenigstens im Sinne H e i l n e r s, von Dauer¬
resultaten sprechen. Bei der Mehrzahl unserer Fälle erstreckt sich
die Beobachtungszeit auf eine wesentlich längere Frist, so dass die Er¬
gebnisse auch bei strengerer Kritik als Dauerresultate bezeichnet werden
dürfen.
Wir behandelten im ganzen 18 Fälle mit Sanarthrit und hielten uns
dabei stets ziemlich genau an die ^Vorschriften von Heilner, In
allen Fällen wurde die Behandlung stationär durchgeführt, nur in ganz
geringen Ausnahmen wurden die Einspritzungen am Schluss einer zwei¬
ten Kur auch ambulant verabfolgt, jedoch nur bei solchen Patienten, die
in unmittelbarer Nähe des Hospitals wohnten und sich gleich nach der
Einspritzung zu Bett begeben konnten. Stets wurde intravenös in¬
jiziert. Nur einmal misslang die intravenöse Einspritzung wegen schlech¬
ter Venenverhältnisse, ohne jedoch ausser einer leichten, etwas schmerz¬
hafter! Schwellung, die am 2. Tage völlig geschwunden war, Schaden
anzurichten. Irgendwelche Schädigungen durch das Mittel sahen wir
nicht. Nur gab ein Patient noch 4 Monate später an. seit der Ein¬
spritzungskur dauernd an Kopfschmerzen und Mattigkeitsgefühl zu leiden.
Es muss aber dabei berücksichtigt werden, dass es sich um einen Mili¬
tärkranken handelte, bei dem der Rentenwunsch wohl eine nicht un¬
bedeutende Rolle spielte. Die Reaktionen auf die Einspritzungen haben
in keinem Falle irgendwelche bedrohliche Erscheinungen gezeigt. Wir
haben, wie auch andere Mitteilungen besagen, den Eindruck gewonnen,
dass man aus der Stärke der Reaktionen nicht einen unmittelbaren
Schluss auf den Erfolg der Sanarthritkur ziehen kann, dass aber die Fälle,
bei denen man im Verlauf der ganzen Kur keine stärkere Reaktion er¬
zielt, bezüglich des Enderfolges wenig aussichtsreich erscheinen. Bei
einer Reihe von Fällen nahmen wir Leukozytenzählungen 2 stündlich
vor und fanden eine steigende neutrophile Leukozytose bis 25 000. dte
meist 12 Stunden nach der Einspritzung wieder zu normalen Verhält¬
nissen zurückgekehrt war. Der Höhepunkt wurde etwa 5—6 Stunden
nach der Einspritzung erreicht. Sonstige Veränderungen des Blutbildes,
besonders eine dauernde Verschiebung desselben nach rechts oder links
konnten wir nicht feststellen. Die Leukozytose hielt meist mit der
Temperatursteigerung gleichen Schritt, doch zeigten auch die Fälle
ohne jede Temperaturveränderung eine mässige Leukozytose. Durch¬
weg gaben die Kranken eine Zunahme der Schmerzen in den zurzeit
erta-ankten Gelenken am Tage der Einspritzung an. Auftreten von
Schmerzen in Gelenken, die augenblicklicli nicht erkrankt, früher aber
doch schon befallen gewesen waren, sog. „Mahnungen“ nach Heilner,
konnten wir bei 5 Fällen beobachten.
Unsere 18 Fälle verteilten sich auf die nach Umber bezeichneten
Krankheitsgmppen folgendermassen: Periarthritis destruens .3, Arthritis
deformans 6, Chronischer sekundärer Gelenkrheumatismus 9. Arthritis
u^rica, Cie wir 1919 und 20 kaum zu Gesicht bekamen, hatten wir keine
Gelegenheit, mit Sanarthrit zu behandeln. Ein Kranker konnte nicht nach-
iintersucht werden, da er inzwischen an einer Lungenentzündung ge-
storben war, doch Hessen sich durch die Angehörigen Ermittelungen über
das Behandlungsergebnis anstellen. Eine Patientin musste die Kur aus
ausseren Gründen abbrechen. Sie erhielt nur 3 Injektionen, während
alle übrigen grundsätzlich wenigstens 7 erhielten. 8 Kranke erhielten
10 und mehr Sanarthriteinspritzungen bis zur Höchstzahl 15. Die Zeit
zwischen Sanarthritkur und letzter Nachuntersuchung betrug bei 2 Fällen
S“**- o Heilner vorgeschriebene Mindestfrist von 4 Monaten.
1^1 3 Fallen erstreckte sich die Beobachtungszeit auf mehr als 6 Monate,
^ mehr als 9 Monate, IVi Jahr betrug die Zeit be' 5
und 1% Jahr bei 3 Fällen.
Fassen wir die Resultate unserer Sanarthritbehandlung zusammen,
so erhalten wir folgendes Bild: OhnejedenEinfluss auf die Er¬
krankung blieb die Behandlung bei 2 Fällen.
In dem dnen Falle handelte es sich um ein 20 jähriges Mädchen mit
chronischem Gelenkrheumatismus. Sie erhielt 7 Sanarthriteinspritzungen.
Ausser einer einmaligen Temperatursteigerung bis 38,1 ® ohne sonstige
nennenswerte Allgemein- oder Lokalerscheinungen erfolgten auf die Ein-
spritzungen keinerlei Reaktionen. Lues und Tuberkulose waren mit Sicher¬
heit auszuschhessen Eine zweite Kur lehnte die Kranke ab. Der zweite,
Fall betraf eine 39 jähr. Frau, bei der zunächst die Wahr-
scheinlichkeitsdiagnose auf beginnende Arthritis deformans gestellt war, sich
aber später eine Osteomalazie herausstellte, die durch Phosphorlebertran
jfeheilt wurde. Bemerkenswert ist, dass die Patientin auf ihre 7 Sanarthrit¬
einspritzungen dreimal mit Temperatursteigerungen über 39,5 reagierte. Zu¬
nahme der Beschwerden nach der Einspritzung wurde nicht beobachtet
Eine nur v o r ü b e r ge h e n d«e. Tage oder Wochen anhaltende
Besserung erzielten wir bei 4 Fällen von chronischem Gelenkrheu-
m^ismus. Darunter befindet sich die oben erwähnte Patientin, die nach
3 Einspritzungen die Kur aus äusseren Gründen abbrechen musste. Die
langen 3 Falle betrafen sämtlich Militärrentenempfänger, bei denen die
Beurteilung ihrer Beschwerden mit einer gewissen Vorsicht erfolgen
zeigte in der Tat auch der objektive Befund wenigstens
bei 2 en nach einer kurzen Besserung nachher dasselbe Bild wie
zuvor. Ein Fall davon erhielt 12, die beiden anderen 7 Einspritzungen.
-T «-7?wesentliche Besserung konnten wir bei
7 r allen feststellen, darunter 2 Kranke mit Periarthritis desbuens, 3 mit
Arthritis deformans und 2 mit chronischem Gelenkrheumatismus. Die
Beobachtungszeit nach der Sanarthritkur betrug bei einem Fall 4 Monate,
34 Jahr bei 2 Kranken, IH Jahr bei 2 und VU Jahr bei einem Kranken.
Der 7. Fall endlich betrifft den an Lungenentzündung gestorbenen
Patienten. Nach Angabe der Angehörigen hat die Besserung noch
1 Jahr nach Beendigung der Sai.arthritkur angehalten. Die nach
4 Monaten nachuntersuchte Kranke war infolge Arthritis deformans seit
Jahren ans Bett gefesselt, infolge der Erkrankung, die allmählich auch
beide Hände befallen hatte, völlig hilflos und infolge ständiger Schmerzen
in einem höchst bedauernswerten Zustand. Der Erfolg der Sanarthrit-
behandluüg war nach 4 Monaten derart, dass sie an Stöcken umher¬
gehen/ konnte und fast schmerzfrei war. Sie war über das Ergebnis
überglücklich. 5 Patienten dieser Gruppe war^n durch ihr Leiden in
ihrem Berufsleben sehr stark, teilweise bis zur völligen Erwerbslosig-
keit beeinträchtigt. Ihr Zustand war so gebessert, dass sie ihre Berufs¬
arbeit wieder aufnehjnen konnten. Sie können insofern nicht als geheilt
bezeichnet werden, weil sie bei Witterungswechsel noch geringe
Schmerzen in den Gelenken verspürten, oder weil eine restlose Wieder¬
herstellung der Gelenkfunktion nicht erzielt wurde. Ein Fall von
Arthritis deformans kann deswegen nicht zu den geheilten Fällen
gerechnet werden, weil bei ihm bereits eine völlige Ankylose eines
Handgelenkes bestand, die durch die Sanarthritkur natürlich nicht be¬
seitigt wurde. Alle Erscheinungen an den übrigen Gelenken waren
geschwunden.
Eine dauernde Heilung erzielten wir bei 5 Fällen, die
sämtlich bei Beginn der Sanarthritkur ein schweres Krankheitsbild boten
und schon längere Zeit ohne einen nennenswerten oder länger als
4 Wochen anhaltenden Erfolg medikamentös oder physikalisch behandelt
waren. Die Krankengeschichten dieser 5 Fälle seien wenigstens aus¬
zugsweise hier angeführt.
Der erste Fall betraf ein 29 Jähriges Mädchen mit einer schweren Peri¬
arthritis destruens der Finger- und Zehengelenke. Zu Beginn der Kur war
sie besonders durch die Erkrankung der Hände in ziemlich hilflosem Zu¬
stande. Sie war schon auswärts mehrere Monate vergeblich behandelt.
Wir erreichten eine restlose Heilunv. die nach einer Besserung schon nach
der 3. Spritze sich einige Wochen nach Beendigung der Kur einstellte. Die
letzte Nachuntersuchung fand Jahr nach der Kur statt.
Einen sehr schönen Erfolg sahen wir bei dem 2. Fall, der eine 51 Jährige
Frau betraf, die seit 1917 an einem chroni.schen Gelenkrheumatismus litt.
Zunächst waren nur die Knie- und Fussgelenke, später auch Schulter-,
Ellbogen- und Handgelenke befallen. Seit Frühjahr 1918 war sie völlig
hilflos und dauernd ans Bett gefesselt. Schon bei den geringsten Bewegungen
schrie sie auf vor Schmerzen. Bisherige Behandlung war ohne Jeden Erfolg
gewesen. Mai 1919 Aufnahme ins Krankenhaus. 12 Sanarthriteinspritzungen
mit 5 starken Reaktionen. Bei dem Abschluss der Kur war die Kranke fasf
schmerzfrei, die Beweglichkeit der Gelenke aber noch stark eingeschränkt.
Nach 6 Wochen konnte sie mit einem Stock umhergehen. Etwa 4 Monate
nach Beendigung der Sanarthritkur war sie geheilt. Die Nachuntersuchung
Ende 1920, also 1/4 Jahr nach der Kur ergab ein völliges Dauerre.sultat.
Bei dem 3. Fall handelte es sich gleichfalls um einen chronischen Ge¬
lenkrheumatismus bei einer 53 Jährigen Frau, wenn auch nicht so schwerer
Natur wie bei dem vorigen Fall. Durch die erste Sanarthritkur wurde
zunächst eine wesentliche Besserung erreicht. Die 34 Jahr später erfolgte
zweite Kur brachte völlige Heilung, deren Anhalten noch 11 Monate nach der
zweiten Kur festgestellt werden konnte.
Der 4. Fall betraf einen 58 iährigen Sägewerksbesitzer mit einer Mono¬
arthritis subacuta des linken Schultergelenkes. Seit Anfang März 1919 leidet
er an einer zunehmenden Schmerzhaftigkeit und Bewegungsbeschränkung des
linken Schultergelcnks. Die bisherige medikamentöse und physikalische
Therapie ohne Jeden Einfluss. Da er es vor Schmerzen nicht mehr au.s-
halten kann und ohne Morphium nicht auskommt, begibt er sich ins Hospital.
Ende April 19 Beginn der Sanarthritkur. 7 Einspritzungen mit 2 starken
Reaktionen. Nach der 3. Einspritzung merkliche Schmerzlinderung und freiere
Beweglichkeit des Gelenkes. Bei der nach 3 Wochen erfolgten Entlassung
ist er fast schmerzfrei, die Bewegungen im Schultergelenk nur in den
äussersten Graden noch etwas behindert, keine Qelenkschwellung mehr.
Nachuntersuchung nach 3 Monaten ergibt restlose Heilung. Die letzte Nach¬
prüfung des Falles im November 20. also l34 Jahr nach der Sanarthritkur
zeigt, dass es sich um ein Dauerresultat handelt.
Einen sehr augenfälligen Erfolg sahen wir endlich bei unserem
5. Fall.
Es handelte sich um einen 45 iährigen Maurer, der Anfang 1920 an
Schmerzen im linken Vorderarm erkrankte. Fieber bestand nicht. Die
Schmerzen nahmen allmählich an Intensität zu und lokalisierten sich später
auf das linke Handgelenk. Die anfangs bestehende Schwellung des Hand¬
gelenkes ging später etwas zurück, aber das Gelenk versteifte immer mehr.
Anfang April 20 Aufnahme ins Krankenhaus. Linkes Handgelenk fast voll¬
kommen versteift, geschwollen, schmerzhaft. Das Röntgenbild zeigt ziemlich
starke Veränderungen des Gelenkes im Sinne einer Arthritis deformans,
7 Sanarthriteinspritzungen mit 1 starken und mittelstarken Reaktion. Ende
April Entlassung. Linkes Handgelenk völlig abgeschwollen, frei beweglich,
schmerzfrei. Das Röntgenbild lässt keine Besonderheiten am Gelenk mehr
erkennen. Nachuntersuchung November 20 zeigt ein völlig normales Hand¬
gelenk.
Alle 5 Fälle, bei denen wir eine restlose Dauerheilung erzielten,
boten ein objektiv und subjektiv schweres Krankheitsbild. Eine psychi¬
sche Beeinflus^ng der Kranken kann man völlig ausschliessen. Auf
andere therapeutische Massnahmen wurde bei unseren mit Sanarthrit
behandelten Fällen verzichtet, bis auf einen leichten Streck verband,
den wir bei einer Patientin für 10 Tage anlegten zur Beseitigung der
ziemlich hochgradigen Kniekontrakturen. Wir haben hierauf besonders
grosses Gewicht gelegt, um über die Wirkungen des Sanarthrit ein
einwandfreies Bild zu erlangen. Natürlich bestand bei manchen Kran¬
ken. wie eben bei jeder Krankheit, bis zu einem gewi«sen Grade die
Möglichkeit einer Spontanheilung, doch war bei allen Fällen der Verlauf
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
706
MÜNOTENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
der Krankheit und die auf die Sanarthritkur erfolgende Besserung und
Heilung derart, dass der Einwurf, es könnte sich um Spontanheilungen
handeln, wohl in keinem Fall stichhaltig sein kann. Auch bei <ien
7 Fällen, bei denen wir eine dauernde erhebliche Besserung erreichten,
handelte es sich nicht etwa nur um eineBesserung subjektiver Beschwerden,
sondern die Besserung wurde entsprechend dem objektiven Krankheits¬
befund objektiv festgestellt, so dass wir wohl auch unter Einhaltung
einer scharfen Kritik berechtigt sind, von unseren 18 Fällen 12 als
guten Erfolg zu buchen.
Es erhebt sich die Frage nach dem Grunde des Versagens der Sanarthrit-
therapie bei den übrigen 5 Fällen. Der Osteomalaziefall scheidet natürlich
aus. Klinisch zeigten diese 5 Fälle ein mittelschweres Krankheitsbild
und keine grundsätzlichen Verschiedenheiten von den erfolgreich be¬
handelten Fällen. Bei dem Fall, der nur 3 Einspritzungen erhalten hat
und darauf eine etwa 10 Tage anhaltende Besserung zeigte, kann ja
die ungenügende Behandlung der Grund des Fehlsciyages gewesen sein,
wenn sich auch unter den in der Literatur veröffentlichten Fällen mehrere
befinden, bei denen sich auch auf eine derartige „unzulängliche“ Be¬
handlung ein Dauererfolg einstellte. Bei dem 20 jährigen Mädchen, das
ohne jeden Erfolg behandelt wurde, bestand eine erbliche Disposition,
unter der H e i 1 n e r eine angeborene mangelnde oder fehlerhafte Er¬
zeugung des lokalen Gewebsschutzes versteht. Halten wir an der Vor¬
stellung Heilners von dem Wesen des lokalen Gewebsschutzes und
der Wirkung seines Knorpelpräparates fest, so bestände sehr wohl
die Möglichkeit, dass bei der Kranken die Fermentvorgänge in den Ge¬
webszellen des erkrankten Gebietes so darniederlagen oder die Grund¬
lagen für die Fermentbildung überhaupt angeboren so unzulänglich vorhan^
den waren, dass die in den 7 Sanarthriteinspritzungen vorhandenen Kräfte
nicht ausreichten, die Fermentvorgänge wieder in Gang zu setzen. Man
darf es daher als nicht ausgeschlossen bezeichnen, dass vielleicht doch
durch eine 2. Kur, die die Kranke leider ablehnte, dem Organismus ge¬
nügende Kräfte zur Wiederanfrichtung der Fermentvorgänge zugeführt
worden wären.
Wollen wir bei den 3 Militärrentenempfängern, bei denen nach
vorübergehender Besserung sich die alten Beschwerden wieder ein¬
stellten, von einer Simulation bzw'. Aggravation ganz absehen,. so drängt
sich doch bei diesen 3 Kriegsteilnehmern der Gedanke auf, dass vielleicht
durch die aussergewöhnlich grossen Strapazen des Feldzuges die ganzen
Verhältnisse des Zellfermenthaushaltes in so ungewöhnlich grossem
Masse geschädigt wurden, dass eine Wiederherstellung normaler Ver¬
hältnisse so gut wie unmöglich war.
Eine ganz andere Möglichkeit zur Erklärung unserer Versager ist
die, dass es sich bei allen 5 Fällen um Besonderheiten des Knorpel¬
präparates gehandelt hat. Sonntag wies in seiner Arbeit darauf hin,
dass er seit Herbst 1919 mit den Präparaten einer bestimmten Sendung
keine starken Reaktionen mehr erzielen konnte und spricht die Ver¬
mutung aus, dass es sich um Verschiedenheiten des Präparates handelt.
Unsere 5 Fälle wurden sämtlich mit Präparaten aus einer im Frühjahr
1920 gelieferten Sendung behandelt. Ausbleiben von Reaktionen konnten
wir nicht feststellen. Sodann wurde noch im April 1920 ein Patient be¬
handelt, bei dem wir eine Dauerheilung erzielten. Doch besteht die
Möglichkeit, dass dieser Kranke seine Einspritzungen noch aus dem
Rest der alten Sendung erhalten hat. Letzten Endes müssen wir ge¬
stehen, dass wir bezüglich der Ursachen der Versager nur auf vage
Vermutungen angewiesen sind.
Vergleichen wir nun unsere Erfolge und Misserfolge mit den bisher
mitgeteilten Beobachtungen, so finden wir die gleiche Prozentzahl (30)
von Versagern bei U m b e r und H e i 1 n e r selbst angegeben. H e i 1 n e r
gibt diese Zahl wie früher, auch jetzt in seiner neuesten Veröffent¬
lichung: Affinitätskrankheiten und lokaler Gewebsschutz (Jahreskurse f.
ärztl. Fortbild., Januar 1921) an, wobei er sich auf sein ausserordentlich
grosses Beobachtungsmaterial von über 500 Fällen mit weit über
3000 Injektionen stützt. Andere Arbeiten geben eine noch etwas kleinere
Zahl an, während nur vereinzelte eine erheblich höhere Versagerzahl
melden.
Die Frage, welche Form der chronischen Gelenkerkrankungen sich
besonders für die Sanarthritbehandlung eignet, auf Grund unseres kleinen
Bobachtungsmaterial beantworten zu wollen, ist natürlich zwecklos,
Leider lässt sie sich auch auf Grund einer Zusammenfassung aller bisher
veröffentlichten Beobachtungen kaum beantworten, einmal weil noch be¬
züglich der Nomenklatur der einzelnen Erkrankungsformen ein grosses
Durcheinander herrscht, dann aber auch, weil sich die bisher geäusserten
Ansichten direkt widersprechen. Meines Erachtens sind wir daher nicht
berechtigt, diese oder jene Krankheitsgruppe als ungeeignet für die
Sanarthritbehandlung zu bezeichnen. Auffallend ist nur. dass alle Ar¬
beiten mit Ausnahme der H e i 1 n e r sehen berichten, dass alle mit San-
arthrit behandelten Fälle von Arthritis urica — allerdings ist ihre Zahl
wohl infolge der jetzigen Seltenheit der Erkrankung nur sehr klein —
ohne jeden Einfluss blieben. Sollten diese Versager nicht zufällige Fehl¬
schläge sein, wie wir bei jeder Behandlungsmethode aus den verschieden¬
sten Gründen erleben, so wäre diese Tatsache um so bemerkens¬
werter, weil diese Erkrankung gerade den Ausgangspunkt der theore¬
tischen Begründung der Hei ln er sehen Sanarthritbehandlung bildete.
Andererseits kann man H e i 1 n e r nicht den Vorwurf einer zu wenig
kritischen Beurteilung seiner eigenen praktischen Erfolge machen, wenn¬
gleich nicht geleugnet werden soll, dass er in seiner ersten Mitteilung
über sein Präparat bezüglich der Erfolge bei der Harnsäuregicht einen
zu weit gehenden Optimismus bekundet. In seinen späteren und neuesten
Publikationen kann man ihm aber schwerlich eine unzureichende Selbst¬
kritik vorwerfen.
Die H e i 1 n e r sehe Theorie- und die spezifische Wirkung des San-
arthrit sind Gegenstand heftiger Angriffe geworden. Besonders in den
neueren Arbeiten werden Zweifel an der Theorie oder Gegenbeweise
ausgesprochen. Meines Erachtens sind aber die vorgebrachten Gründe
nicht so stichhaltig und überzeugend, dass sie geeignet wären, den
ganzen H e i 1 n e r sehen Gedankengang über den Haufen zu werfen. Es
werden neben theoretischen eine Reihe praktischer Gründe angeführt.
So wird vor allem die Tatsache, dass Tanerd und Kwasek bei
Muskelrheumatismus gute Erfolge mit Sanarthrit erreichten, zum Beweis
dafür herangezogen, dass es sich nicht um eine spezifische Wirkung
handeln kann. H e i 1 n e r widerlegt diese Einwendung selbst. Er meint,
dass es sich bei diesen Myalgien vielleicht um die Wirkung des Ein¬
dringens von Harnsäure in den Muskel handelt infolge einer Schädigung
seines Schutzes gegen Affinitätsträger, den seiner Ansicht nach jedes
Oew’ebe besitzt. Durch das Sanarthrit würde dieser Schutz gegen die
eindringende Harnsäure auch im Muskel verstärkt. Ferner w-ird darauf
hingewiesen, dass sich mit der parenteralen Zufuhr unspezifischer Ei-
weisskörpef und anderer Stoffe die gleichen Wirkungen sich erzielen
Hessen wie mit Sanarthrit. D e n e k e wies jedoch nach, dass die Wir¬
kungen sich in mancher Beziehung unterscheiden, so vor allem durch die
von ihm bei Sanarthrit beobachtete Hauthyperthermie, die er bei seinen
Versuchen mit keiivein anderen Mittel erzielen konnte. Die Beobachtung
Birrenbachs, der'bei einem Manne mit schwerer chronischer Ge¬
lenkentzündung nach Sanarthritinjektion eine akute, stark entzüdlichc
Schwellung beider Ohrknorpel, des Nasen- und Rippenknorpels, sowie
eine wohl auf einer Schwellung des Kehlkopfknorpels beruhende Heiserkeit
sah, zeigt jedenfalls, dass eine spezifische Beziehung zwischen Sanarthrit
und dem Knorpelgewebe, somit auch den Gewebselementen des Ge¬
lenkes besteht.
Wie aber auch das endgültige Urteil über Heilners Theorie und
die spezifische Wirkung seines Sanarthrits lauten mag, solange nicht
an einem gleich grossen Material bewiesen wurde, dass sich dieselben
günstigen Resultate mit der Proteinkörpertherapie und ihren Verwandten
erzielen lassen wie mit Sanarthrit, was meines Erachtens bisher in keiner
Weise geschehen ist, scheint es nicht berechtigt, ein Mittel fallen zu
lassen, das uns in der Behandlung chronischer Gelenkerkrankungen ein
so beträchtliches Stück vorwärts gebracht hat.
lieber Venengeräusche, welche sich oberhalb und unter¬
halb des Schlüsselbeins durch bestimmte Armhaltungen
erzeugen und verstärken lassen.
Von Dr. O. M u c k - Essen.
Die Venengeräusche verdanken ihre Entstehung der gesteigerten
Strömungsgeschwindigkeit des Venenblutes. Normalerweise .strömt das
Blut in den Venen langsam und deswegen ton- und geräuschlos.
Da die aufrechte Körperstellung das schnellere Abfliessen des Venen¬
blutes aus dem Kopf durch die Schwere begünstigt urfd ferner die
Vena cava superior das Blut von Kopf und Hals, der Bnistwand und den
oberen Gliedmassen sammelt, so müsse, überlegte ich. durch
Elevation des Armes und aufrechte Körperstellung,
oder im Sitzen, bestehendes Venengeräusch im Be¬
reich der Schlüsselbeingegend verstärkt, oder aber
auch ein solches erzeugt werden können und so ist es in
der Tat.
Aus einer grossen Zahl von Untersuchungen, die ich bei gewissen
Armhaltungen und -bewegungen an genannter Gegend auslniltatorisch
machte, sei eine Beobachtung für zahlreiche wäedergegeben.
Frl. B., 23 Jahre. Kein Nonnensausen, auch nicht, wenn der Kopf nach
links gedreht wird. Wird jetzt die linke Drosselvene durch Fingerdmck
vollkommen unwegsam gemacht, so ^ o
erscheint Nonnensausen rechts; es
wird deutlich verstärkt durch den
emporgehaltenen rechten Arm, um
nach Senken des Arms wieder schwä¬
cher zu werden.
Dadurch, dass das Venenblut aus
dem Schädelinnern gezwungen wird,
nur durch eine Drosselvene abzu-
fliessen ^), tritt also eine vermehrte
Strömungsgeschwindigkeit des Venen¬
blutes aus dem Schädelinnern ein, die
sich in Venensausen kundgibt; jene
wird weiter gesteigert durch das der
Schwere nach schneller fliessende Arm¬
venenblut. An der Vereinigungsstelle
von V. subclavia, jugularis interna und anonyma dextra wird ein vorher nicht
hörbares Venengeräusch erzeugt bzw. verstärkt. Dass das Geräusch auf
der rechten Seite häufiger und deutlicher zu hören ist, wie auf der linken.
*) Muck: Ein Beitrag zur Erklärung det Entstehung des Nonnen-
sausens. M.m.W. 1916 Nr. 14. — Ders.: Ueber die Beeinflussung der
Blutzirkulation im Schädelinnern durch die sog. Sternokleidostellung des
Kopfes. M.m.W. 1912 Nr. 7. — Ders.: Ueber experimentell erzeugte
Venengeräusche. (Joh. Müller scher Versuch und Amylnitritinhalation.)
M.m.W. 1916 Nr. 38. — Ders.: Ueber die Möglichkeit, die wieder¬
eingetretene Durchgängigkeit eines thrombosiert gewesenen Sinus transversus
intra vitam festzustellen. Zschr. f. Ohrenhlkd. 74. H. 1. — Israel: Ueber
die Entstehung des Gefässgeräusches im arteriovenösen Aneurysma, nebst
Bemerkungen über Erzeugung eines Venengeräusches durch intravenöse In¬
fusion. D. Zschr. f. Chir. 149. H. 3 u. 4.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
707
wird uns klar bei einem Blick äuf nebenstehende Skizze. Bei der Hoch-
baltung des Armes bilden die Hauptvenen desselben, ferner die Vena axillaris,
subclavia, anonyma in ihrer Kontinuität ein gerade gestrecktes Venenrohr, das
fast unmittelbar in die Längsachse der Vena cava sup. übergeht. Wird um
den Oberarm eine E s m a r c h sehe Binde gelegt, so tritt keine Verstärkung
des Venengeräusches ein.
In vielen Fällen kann spontanes Nonnensausen durch »Arrnhoch-
haltung verstärkt werden an der typischen Stelle, ferner in der
Mohrenheim sehen Grube, wie es auch durch genannte Armhaltung
erzeugt werden kann. Es zeigte sich aber auch ferner, dass im ersten
rechten Interkostalraum bis zum zweiten und in gleicher Höhe über dem
Sternum, ein gleichmässiges, leises Rauschen, wie es bei Kindern oft zu
hören ist, durch Hochhaltung des gleichseitigen Armes verstärkt wird,
dass es weiterhin nach vertiefter Inspiration und nachfolgender Press¬
bewegung (V a 1 s a 1V a sch-er Versuch) ebenso wie das gleichzeitig fest¬
gestellte Jugularvenengeräusch zum Schwinden gebracht werden kann.
Durch diese Feststellung gibt sich das Gefässgeräusch als akzidentelles
Venengeräusch kund und nicht als Herzgeräusch.
Die akustischen Phänomene bei Armhebung über die Wagerechte
äusserten sich also darin, dass oberhalb und unterhalb der Schlüsselbeiu-
gegend erstens, vorher nicht hörbare Venengeräusche auftraten, zweitens,
vorhandene verstärkt wurden, indem leise Geräusche deutlicher wurden,
das Brummen sehr laut wurde und in Sausen überging, dass ferner die
Geräusche manchmal ein musikalisches Tönen annahmen. In einzelnen
Fällen, wenn nämlich ein Venengeräusch weder erzeugt, noch verstärkt
werde konnte, hörte man beim plötzlichen Armsenken oft ein kurz
dauerndes Zischen (Insuffizienz der Armvenenklappen)
Dass das Venengeräusch eine Verstärkung erfährt, hängt wohl nicht
von der Geschwindigkeit des dem Herzen durch die aufrechte Körper¬
stellung oder das Hochhalten des Armes schneller zuströmenden Venen¬
blutes a 11 e i n ab, sondern von der Beschaffenheit der Vorhofsmuskulatur.
Letztere Annahme will ich zu stützen versuchen.
Es wurden deshalb weiterhin Untersuchungen darüber angestellt,
wie es sich mit dem über der Jugularis interna hörbaren oder erzeug¬
baren Nonnengeräusch verhält, wenn der hängende Arm bis zur Hori¬
zontalen allmählich abduziert wird. Dabei ergaben sich be¬
merkenswerte Phänomene, wie in folgendem Fall:
K. Ferdinand, 13 Jahre. Bei langsamem Heben des rechten Armes
erscheint ganz deutliches, kontinuierliches Nonnensausen, nachdem es vor¬
her nicht gehört wurde, wenn bei leichter Beugung des Armes .die Hand
sich ungefähr in Herzhöhe befand. Wird der Arm langsam gesenkt, so
verschwindet' es wieder, wenn die Hand unter Herzhöhe sich befindet
oder wird auffällig schwächer.
Die gleichen Befunde wie in diesem Fall wurden an zahreichen
anderen Personen, besonders im jugendlichen Alter, erhoben und es
wurde zur Kontrolle mit verschlossenen Augen auskultiert.. Die zu unter¬
suchenden Personen wurden angewiesen, das langsame Armheben einzu¬
stellen auf ein gegebenes Zeichen, d. h. wenn das Venengeräusch er¬
schien, oder wenn spontanes deutlich verstärkt wurde, ln diesen Fällen
befand sich die Hand jedesmal ungefähr in H e r z h ö h e ^). Das Venen¬
blut aus dem Arm muss also, auch wenn die Hand sich schon in Herz¬
höhe befindet, schneller fliessen, denn sonst würde das Fliessen des
venösen Blutstromes nicht in ein Tönen übergehen, und hier ist eine
causa movens im Sinne der Beschleunigung des venösen Blutstromes
der diastolische Zug des rechten Vorhofs.
Die Ansichten der Kliniker über die Bedeutung der Venengeräusche
gehen auseinander; so äussert sich z. B. KrehP) dahin, dass man
zurzeit die Auskultation der Venen nicht zu berücksichtigen braucht,
während Sahli*) beispielsweise die diagnostische Bedeutung der
Nonnengeräusche als nicht unerheblich bezeichnet. Ob aus meinen Ver¬
suchen der innere Kliniker irgendwelche Folgerungen in der Herz¬
pathologie ziehen kann, wird die Zukunft lehren; mir scheint als wenn
wir damit gegebenenfalls ein diagnostisches Mittel für die Funktion der
Vorhofsmuskulatur hätten.
Ich habe mich auch bei diesen Untersuchungen des binauralen
Stethoskops bedient, 1. um durch leichtes Aufsetzen mit den Finger¬
spitzen einen stärkeren Druck auf die Vene ein Stenosegeräusch zu ver¬
meiden, 2. um die Armhaltung bzw. die Armbewegung beobachten zu
können. — Untersucht wurden hauptsächlich Kinder und Frauen mit
anämischem Aussehen, Erscheinungen, wie sie jetzt in Deutschland leider
allzu häufig sind, von letzteren bis zum 40. Lebensjahr. Bei älteren
Individuen fand ich die akustischen Phänomene nur vereinzelt.
*) Bei diesen Versuchen wird man unwillkürlich an den sog. Gärtner-
seben Versuch erinnert. Gärtner stellte fest (Gärtner: Die Messung
des Druckes im. rechten Vorhof. M.m.W. 1903 Nr. 47), dass, „wenn man
den gesenkten Arm langsam und unter steter Beobachtung erhebt, findet, dass
das Zusammenfallen der Venen (des Armes) bei denselben Menschen dann
eintritt. wenn der Arm in ein bestimmtes Niveau gelangt“. Dieses Niveau
ist nach Gärtner die Höhe der Insertion der dritten, vierten und fünften
Rippe, also die Gegend der Herzhöhe. Gärtner sieht in der Beobachtung
dieses sichtbaren Venenphänomens eine einwandfreie klinische Methode zur
Druckbestimmung im rechten Vorhof. Das von mir beobachtete akustische
Phänomen bringt wohl einen Beitrag zur Erklärung und klinischen Würdi-
^ng des Gärtner sehen Versuchs. (Vergl. Sahli, 1. c. S. 212.)
*) Krehl: Die Erkrankungen des Herzmuskels und die nervösen Herz¬
krankheiten. Wien und Leipzig. Alf. Holder 1913.
*) Sahli: Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden. Leipzig
und Wien, Verlag Franz D e u t i c k e, 1913, Seite 466.
Nr. 23.
Digitized by Goiisle
Veröffentlichung der Arzneimittelkommission der Deutschen
Gesellschaft für innere Medizin.
Die neuen Abkömmlinge des Chinins.
Während wir gegen Protozoenkrankheiten im Chinin, im Salvarsan,
im Emetin zuverlässige ätiotrope Heilmittel besitzen, war das gegen¬
über Bakteri-eninfektionen nicht der Fall, wenn wir von der Salizyl¬
säure absehen, die wahrscheinlich auf den unbekannten Erreger des
Gelenkrheumatismus ätiotrop wirkt. Durch die Untersuchungen von
Morgenroth und seinen Schülern haben sich in gewissen Abkömm¬
lingen des Chinins Stoffe gefunden, die in anscheinend elektiver Weise
gegen Staphylokokken, Streptokokken, Pneumokokken und Diphtherie¬
bazillen ätiotrop wirken. Die von der Chininfabrik Zimmer & Co.,
Frankfurt a. M. hergestellten Stoffe sind Abkömmlinge des Hydro-
cupreins. Ihre chemische Zusammensetzung und ihre Beziehungen zum
Chinin zeigt die folgende Zusammenstellung:
Chinin: CiaHaeNal
Cuprein: CieHaoNa |
Hydrocuprein: CiaHaaNa | Qjj
Aethylhydrocuprein (Optochin): CieHaaNa | qh^^*
Isoamylhydrocuprein (Eucupin): CiaHaaNaj
Isooctylhydrocuprein (Vuzin): CwHaaNa |
Bei den Untersuchungen Morgenroths hat sich ergeben, dass
alien eine abtötende Wirkung z. B. für Streptokokken gemeinsam ist,
dass sich aber der Grad der Wirksamkeit innerhalb der homologen Reihe
verschieden verhäit. Besonders empfindlich* sind die Pneumokokken
gegen Aethylhydrocuprein, bekannt unter dem Namen
Optochin. Es kommt als im Wasser unlösliches Optochinum basicum
und als dessen salzsaures Salz Optochinum hydrochloricum, in Wasser
im Verhältnis 1:8 löslich, in den Handel. Auch das schwerlösliche
Optochinum tannicum und der Optochinsalizylester wurden versucht.
Es zeichnet sich vor dem Chinin durch seine spezifische Wirkung auf
Pneumokokken aus, die es bereits in Lösung vor 1:300 000 abtötet. Es
hat sich daher bei der Pneumokokkeninfektion der Hornhaut, dem Ulcus
corneae serpens, in Einträufelung einer 0,5—l,0proz. Lösung als sehr
wirksam gezeigt. Auch bei der Pneumokokkenpneumonie ist es vielfach
innerlich angewendet worden. Doch sind in der Beurteilung die An¬
sichten der Aerzte immer noch geteilt. Während die einen dem
Optochin bei der Behandlung der Pneumonie eine spezifische Wirkung
zusprechen, bestreiten andere vollständig das Vorhandensein derselben
und schreiben ihm höchstens eine fiebervermindernde Wirkung zu.
Man sieht aus den zahlreichen vorliegenden Veröffentlichungen, dass
von der im Tierversuch und bei der örtUchen Anwendung am Auge ge¬
fundenen Wirkung bis zum Heilerfolg bei der menschlichen Pneumonie
noch ein eben so weiter Schritt ist, wie bei der Anwendung von Sal¬
varsan zur Bekämpfung der Syphilis des Menschen im späten Stadium.
Wenn wir uns nun aus den vorliegenden Mitteilungen ein Bild über
die klinischen Erfahrungen machen wollen, so stösst das auf verschiedene
Schwierigkeiten, denn die Arbeiten sind ausserordentlich ungleich,
manche enthalten nur wenige Fälle, der Anfang der Behandlung war
bald früh, bald spät und das Krankenmaterial je nach dem Alter und
anderen Umständen wechselnd. Die Anwendung der statistischen Me¬
thode zur Beurteilung des Hellwertes ist nur ausnahmsweise befolgt.
Um die Wirksamkeit eines Arzneimittels richtig zu beurteilen, müssen
eine grössere Anzalfl von möglichst gleichartigen Fällen abwechselnd
teils ohne, teils mit dem zu prüfenden Mittel behandelt werden. Diesen
Grundsatz scheinen mir zwei Autoren (Hess und L. Jacob) befolgt
zu haben. Der bekannte frühere Erlanger Kliniker Penzoldt hat
durch Befragen einer grösseren Anzahl von Kollegen, auch auf Grund
von Krankenblättem aus Lazaretten und eigenen Erfahrungen, sich ein
ziemlich umfangreiches Bild von der Wirkung des Optochins zu machen
versucht. Er kommt el^enso wie die beiden genannten ^utoren zu dem
Schluss, dass eine ätiotrope Wirkung auf die menschliche Pneumonie
bisher noch nicht erwiesen ist. Das geht daraus hervor, dass die Ab¬
kürzung der Krankheit durch Optochin sich kaum nachweisen lässt, wie
eine statistische Zusammenstellung zeigt. Man darf also vielleicht nur
zugeben, dass eine günstige Beeinflussung des Fiebers und auch^ des
subjektiven Befindens des Kranken zu erzielen ist, besonders dann,
wenn die Behandlung recht frühzeitig einsetzt.
Bezüglich der Dosierung ist in den letzten Jahren insofern eine
gewisse Uebereinstimmung unter den Aerzten festzustellen, als die Ein¬
zeldose von 0,2 g Optochin. hydrochlor. oder 0,2—0,3 g Optochin.
basicum angewandt wurde. Bei letzterem hat man ausserdem durch
besondere diätetische Massnahmen oder Darreichungen von Alkalien
eine rasche Resorption infolge rascher Lösung im Magen zu verhindern
gesucht.
Von den Nebenwirkungen des Optochin, die bei der inner¬
lichen Anwendung verschiedentlich berichtet worden sind, ist die am
meisten gefürchtete die vorübergehende oder andauernde Schwächung
des Sehvermögens, bis zur völligen Amaurose. Bis vor 3 Jahren waren
etwa 60 Fälle von schweren Augenerkrankungen infolge der innerlichen
Optochinanwendung bekannt geworden. Seitdem sind nur wenige neue
Fälle hinzugekommen. Ob diese starke Verminderung durch die zu-
5
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
708
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
nehmende Verwendung der schwerlöslichen Optochinpräparate und die
Befolgung der diätetischen Vorschriften verursacht worden ist, wie
manche Aerzte annehmen, ist fraglich, denn in der Mehrzahl der Fälle
scheint noch immer das Optochin. hydrochloric. benutzt worden zu sein,
und ausserdem hat man auch bei der Verwendung des Optochin. basicum
vereinzelte Schädigungen des Sehvermögens beobachtet. V^iel mehr
scheint der Hauptgrund der Abnahme der schweren Sehstörungen darin
zu bestehen, dass die Aerzte den ersten Zeichen auftretender Neben¬
wirkungen, wie Ohrensausen und Augenflimrnern grössere Aufmerksam¬
keit zu schenken und durch sofortiges Aussetzen des Mittels schwere
Vergiftungserscheinungen zu verhüten gelernt haben. Jedenfalls erfordern
weitere Versuche mit Optochin am kranken Menschen wegen der damit
verbundenen Gefahren eine ständige und sorgfältige ärztliche Aufsicht
und sollen daher nur in Krankenhäusern und Kliniken angestellt werden.
Aus neuerer Zeit liegen einige Mitteilungen vor über die Behand¬
lung der durch Pneumokokken verursachten Meningitis mit Optochin.
Da es sich hierbei um Injektionen von sehr kleinen Optochindosen (0,03
bis 0,04 Optochin. hydrochlor.) in den Lumbalsack handelt, so ist die
Gefahr einer Schädigung des Sehvermögens ausgeschlossen.
Das E u k u p i n (I s o a m y 1 h y d r o c u p r e i n) ist ein weisses. in
Wasser unlösliches Pulver. Das salzsaure Salz löst sich in Wasser.
Es hat eine ausgesprochen örtlich schmerzstillende Wirkung und
ist bei ulzerösen Karzinomen in Salbenform und in Suppositorien bei
Tenesmus und Hämorrhoiden empfohlen worden. Die örtliche Behandlung
der Mund- und Rachenhöhle durch Austupfen mit alkoholischer und
wässeriger Lösung zur Beseitigung der Diphtheriebazillen hat sich an¬
scheinend nicht besonders bewährt, namentlich wird über Schädigungen
der Schleimhaut geklagt, lieber die innerliche Anwendung des Euku-
pins bei Grippe, in Dosen von 1,2—1,5 g täglich etwa 3 Tage lang
sind bisher noch nicht genügend umfangreiche Erfahrungen mitgeteilt
worden, insbesondere ist wohl kaum eine etwaige ätiotrope Wirkung
anzunehmen.
Das Isooctylhydrocuprein. hydrochloricum, bekannt
als Vuzin, besitzt gegenüber den verbreiteten Erregern der Wund¬
krankheiten, den Streptokokken und Staphylokokken eine sehr siarKe
bakterizide Wirkung und hat sich im Tierversuch in Konzentrationen
von 1:2000 auch bei Gasbrandinfektionen gut bewährt. Von einer
Reihe von Chirurgen ist es zur Infiltration der Gewebe (sog. Tiefen¬
antisepsis) benutzt worden. Indessen befindet sich die Anwendung noch
im Versuchsstadium. Wenn man auch bei der Anwendung verdünnter
Lösungen (1: 2000) schon einigen Nutzen sieht, so scheint die Anwendung
stärkerer Lösungen durch die nekrotisierenden Eigenschaften des Vuzins
beschränkt zu sein. A. H e f f t e r.
Aus dem Laboratorium der Veifa-Werke Frankfurt a. M.
Ein einfacher Diagnostik-Röntgenapparat für Glüh¬
kathodenröhrenbetrieb.
Von H. Kress.
In Amerika arbeitet man heute fast ausschliesslich mit Glüh¬
kathoden- (Coolidge-) Röhren. Auf 100 hergestellte Röntgenröhren
kommen höchstens noch 5 (jasröhren. Obwohl mit den Glühkathoden¬
röhren nicht die kurzen Expositionszeiten erreicht werden, wie mit den
Gasröhren, haben die Amerikaner doch erkannt, dass man auf die ganz
kurzen Expositionszeiten der Gasröhre ruhig verzichten kann, da die
Glühkathodenröhren demgegenüber viele andere Vorteile bieten. (Ins¬
besondere konstanter Betrieb und unabhängige Regulierung von Härte
und Helligkeit.)
Für die diagnostische Anwendung der Glühkathodenröhren lassen sich
nun sehr hübsche und verhältnismässig einfache und billige Apparate
bauen. Die amerikanischen Fabriken liefern wöchentlich Hunderte von
Transformatoren für zahnärztliche Röntgenapparate. In der Massenfabri¬
kation einfacher Röntgenapparate für Diagnostik waren die Amerikaner
während des Krieges weiter gekommen wie die deutsche Industrie,
die sich in den letzten Jahren hauptsächlich der Förderung der Thera¬
pieinstrumentarien angenommen hatte. Für Röntgentiefentherapie lassen
sich die Apparate und Röhren infolge der zur Erzeugung harter Strah¬
lung in Anwendung kommenden hohen Spannungen — 200 000 Volt und
mehr — nicht so einfach in Massenfabrikation hersteilen. In der
Fabrikation der Tiefentherapieapparate und -röhren hat Deutschland
seinen alten Vorsprung trotz aller Kriegsschwierigkeiten behalten und
vergrössert.
Zweifellos war in unserem Lande mit seinen erschütterten W'irt-
schaftsverhältnissen ein besonderes Interesse für erschwingliche Glüh-
kathoden-Diagnostikröhren und einen für deren Betrieb geeigneten ein¬
fachen Diagnostikapparat vorhanden.
Nach längeren umfangreichen Versuchen war es uns möglich, unter
Berücksichtigung der in Amerika gemachten Erfahrungen, einen ein¬
fachen, kleinen, leicht transportablen, leistungsfähigen und betriebs¬
sicheren Diagnostikapparat zu bauen. Die nachstehend geschilderte Neu¬
konstruktion ist der gegebene Sprechzimmerapparat des prak¬
tischen Arztes oder Zahnarztes.
Ein leistungsfähiger Hochspannungs-T ransforrnator. der
auch die höheren Spannungen liefert, die für Magen- und Beckenunter¬
suchungen in Frage kommen, ist in einem runden fahrbaren Metall¬
gehäuse hochisoliert eingebaut. Auf dem oberen Abschlussdeckel des
Transformatorengehäuses ist eine Säule angebracht, welche an hoch-
isolierten Armen einerseits das M i 11 i a m p e r e m e t e r zum Messen
des Rührenstromes und andererseits das Heizstromampere-
Digitized by
Google
m e t e r zur Kontrolle des Glühkathodenheizstromes trägt. Zwischen
beiden Instrumenten befindet sich eine rote Beleuchtungslampe. Die
Röntgenröhre wird in einem
normalen Stativ unter¬
gebracht, antikathoden¬
seitig übe/ das Milliampere¬
meter mit einem normalen
automatischen Hochspan-
iiungskabel und kathodensei¬
tig über das Heizstrom¬
amperemeter mittels eines
automatischen Heiz¬
strom k a b e 1 s mit der
Hochspannung verbunden.
Das Heizstromkabel ist eine
besondere Konstruktion unter
Vermeidung von Schleifkon¬
takten, die zu Störungen An¬
lass geben könnten. Iler
Apparat selbst ist vermittels
eines durch Panzerschlauch
geschützten Mehradcrkabels
mit einem kleinen trans¬
portablen Regulier¬
tischchen verbunden. Auf
diesem Tischchen befinden
sich:
ein Drehgriff zur Einstellung verschiedener Härtegrade (w-eich, mittel
und hart),
ein Schalter für die Heizvorrichtung der Glühkathode,
eine Regulierung für den Heizstrom mit Skaleneinteilung, sowie
eine feinstufige Reguliervorrichtung zur Unterteilung der vor¬
erwähnten Härtegrade der Röhre (insbesondere für Durchleuch¬
tungen sehr vorteilhaft).
An der Vorderseite des Reguliertischchens ist ein kleiner auto¬
matischer Schalter angebracht, der Strombegrenzer und somit
Sicherung für Apparat und Röhre ist. Uebersteigt beispielsweise
der Röhrenstrom für einen eingestellten Härtegrad ein für die Röhre
etwa schädliches Mass, so unterbricht der Schalter den Strom auto¬
matisch.
Der Apparat ist nur für den Betrieb von Glühkathoden- (Coolidge-)
Röhren eingerichtet. Der Anschluss erfolgt mittels einer Steckdose an
jedes Wechselstromnetz oder an eine Phase eines Drehstromnetzes. Der
maximale Stromverbrauch bei 120 Volt beträgt 10 Ampere und bei
220 Volt 6 Ampere. Bei Gleichstrqmnetzen ist noch ein kleiner Ein¬
ankerumformer zur Erzeugung des Wechselstromes nötig.
Zusammenfassung:
Zum Schluss seien die Eigenschaften des Apparates zusammengefasst,
die ihn und seine Anwendungsmöglichkeit bestimmen und denen er
seine Eigenart verdankt:
1. Vollkommene Gleichmässigkeit der Leistung.
Der Apparat gibt bei einer bestimmten Einstellung und gleicher
Expositionszeit unbedingt immer die gleiche Aufnahme, so dass also nach
Monaten Aufnahmen wiederholt werden können, die eine e'inw^andfreie
Vergleichsdiagnose ermöglichen. Diesen Vorzug wird jeder zu würdigen
wissen, der je mit den schwankenden Resultaten der Abhängigkeit von
der Röhre, dem Apparat und dem Personal zu kämpfen hatte. F e h l -
aufnahmen können selbst von ungeschultem Personal kaum gemacht
w'erden. An Hand einer Tabelle werden Röhrenhärte und
Helligkeit vor der Aufnahme eingestellt. Jede subtile Technik,
welche eineGasröhrc und ein subtiles Instrumentarium erfordern, fällt w'eg.
Für Tiefentherapic ist das kleine Instrumentarium selbstverständlich
nicht geeignet. Es ist ein ausgesprochener Durchleuchtungs - und
Aufnahmeapparat. Auch können die ganz kurzzeitigen Aufnahmen
(z. B. Lungenbilder unter 1 Sekunde) nicht gemacht werden, da die bis
jetzt hier und in Amerika auf dem Markt befindlichen Glühkathoden¬
röhren (w^enn sie scharfe Zeichnung liefern sollen) dies nicht zulassen.
Für den Fall, dass Röhren geschaffen werden, die höhere Belastung
vertragen, besitzt der Apparat eine gewisse Reserve (er könnte zirka
40 Milliampere durch eine Röhre bei mittlerer Härte liefern).
2. Das Instrumentarium hat keinerlei bewegliche Teile;
nichts ist durch den Betrieb merklicher Abnützung unterworfen, kein
Motor, kein Unterbrecher, kein rotierender Gleichrichter bedarf der
Inbetriebsetzung oder Aufsicht. Die Einstellung auf bestimmte Kon¬
takte, die Einschaltung und Ausschaltung sind alles, was bei der Be¬
dienung des Apparates elektrotechnisch zu leisten ist.
3. Ein kleiner Automat schützt die Röhre vor Beschädigungen,
indem er bei Ueberschreitung der zulässigen Belastungsgrenze den
Strom momentan abstellt.
4. Durch den beweglichen getrennten Reguliertisch und die f e in¬
variable stufenlose Härte- und Helligkeitseinstc!-
1 u n g ist der Apparat ein ausgezeichnetes Durchleuchtungs-Instrumen¬
tarium.
5. Infolge der kleinen Abmessungen und der leichten T ransport-
m ö g 1 i c h k e i t eignet sich das Instrurrrentarium sehr gut für Unter¬
suchungen im Krankenzimmer.
6. Vor Berührung der hochspannungsführenden Teile warnt eine
kleine Signal Vorrichtung — Summer —, welche automatisch in
Tätigkeit tritt, sobald der Hochspannungstransformator Strom bekommt.
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
70^
Für die Praxis.
Die Untersuchung und Behandlung der häufigsten Fuss-
schmerzen.
Von Geh. Hofrat Prof. Dr. Fritz Lange in München.
Im Felde wurden bei zwei Armeen Plattfussstationen errichtet. Bei
einem sehr grossen Teil der Patienten, die dort Hilfe landen, war vorher
die Diagnose Rheumatismus gestellt worden. Diese Tatsache zeigt, dass
in der allgemeinen Praxis die Fussbeschwerden häufig nicht richtig
gedeutet werden.
Will man dem Arzt eine etwas grobe, aber im allgemeinen zu¬
treffende Vorschrift geben, so muss man ihm raten: Zuerst frage den
Patienten, ob der Fussschmerz nur bei B e 1 a s t u ti g des Fusses beim
Gehen und Stehen auftritt, bei der Entlastung beim Sitzen und
Liegen aber sofort oder nach einiger Zeit schwindet. Beiaht der Patient
diese Frage, dann handelt es sich bei über 90 Proz. der Patienten um
Plattfussbeschwerden.
Das Wort Plattfussbesch'werden ist ein Sammelname. Soll
•dem Patienten geholfen werden, so muss Klarheit darüber bestehen,
"wodurch die Schmerzen bedingt sind. In meiner Studienzeit hörte man
•in den Kliniken nur von dem Einsinken des Längsgewölbes, welches
einen Pes planus schaffe. Bei dieser Form werden die Bänder auf
der Plantarseite des Gewölbes mit den Plantamerven gezerrt und die
Knochen auf der Dorsalseite zusammengepresst. Dadurch können
Schmerzen, welche auf die Dorsal- und Plantar-
lläche des Längsgewölbes beschränkt sind (Fig. 1 a u. b) aus-
gelöst werden. Beseitigt werden diese Schmerzen durch eine Ein¬
lage, welche das Gewölbe hebt. Vor den fabrikmässig her¬
gestellten Einlagen muss man warnen. Genauer habe ich die Technik
des Gipsabgusses und der individuellen Einlage beschrieben in den
Jahreskursen für ärztliche Fortbildung, September 1912. Die an dieser
Stelle empfohlenen Zelluloidstahldrahteinlagen haben sich ausgezeichnet
-bewährt. Sie sind aber unter den heutigen Verhältnissen nicht für jeden
Patienten erschwinglich, besonders da sie oft noch besondere Schuhe
erfordern. Eine behelfsmässige Hebung des Gewölbes kann man nach
-dem Vorgang von Fischer-Wiesbaden erreichen durch einen breiten
-He f t p f 1 a s t e r s t r e i f e n, der in der Mitte des Fussrückens beginnt,
über den äusseren Fussrand. Sohle, Längsgewölbe führt und an der
inneren Tibiakante aufsteigt. ' Der Fuss muss beim Anlegen des Ver-
Tbandes in starker Supination gehalten werden. Der reine Pes planus
Jst selten.
Fig. 1. a und b Sitz der Schmerzen beim Fig. 2. Linker Fuss normal, rechts Pes
-iPes planus, c Sitz der Schmerzen beim valgus.
Pes valgus.
Ebensowenig findet man den reinen Pes valgus (s. Fig. 2)
.häufig, am ersten noch bei schlecht geheilten Malleolarbrüchen.
In der Regel ist der Pes planus und valgus gleichzeitig vorhanden.
Wir sprechen dann von einem Pes plano-valgus. Die Planität
^es Fusses kann Schmerzen wie beim reinen Pes planus auslösen, viel
häufiger sind aber die Schmerzen durch die Valgität bedingt. Der Sitz
dieser Schmerzen ist der äussere und innere Knöchel und
oft auch der ganze Dorsalteil des Talokruralgelenkes (Fig. 1 c). Sie
erklären sich durch Pressung des äusseren Malleolus gegen Talus und
Kalkaneus und durch Zerrung des Bandapparates am inneren Malleolus.
.Zuweilen findet man beim Valgus auch Schmerzen an der Innenseite der
Sohlenfläche des Kalkaneus (Fig. 3 a). Sie sind durch periostale Rei-
:zungen dieser Stelle, welche bei normaler Fussstellung fast nicht be¬
ilastet, bei Valgusstellung aber stark gedrückt wird, bedingt.
Zur Beseitigung dieser Valgusbeschwerden muss man den Fuss
in Varusstellung beim Auftreten bringen. Das geschieht am
zweckmässigsten wieder durch eine Einlage, behelfsmässig durch Ver¬
stärkung des Innenrandes vom Schuhabsatz und Schulsohle (etwa um
V 2 cm), oder auch durch den oben beschriebenen Heftpfiasterverbanü.
Am häufigsten verkannt werden die Schmerzen, welche durch E i n -
sinken des Ouergewölbes entstehen, das die Metatarsen nor¬
malerweise bilden (Pes transverso-planus).
Die Knochen können entweder nebeneinander in einer Ebene
liegen, oder auch — namentlich bei engen Schuhen — einen nach unten
konvexen Bogen bilden. Man erkennt die Stelle der Belastung an der
’Schwielenbildung. Normalerweise sollen die Schwielen sich am 1. und
5. Metatarsalköpfchen finden, beim Pes transverso-planus befinden sie
'Sich entweder an allen Metatarsen oder sind auf den 3. und 4. be-
Digitized by Goiisle
schränkt. Dieses Einsinken des Ouergewölbes kann entweder
Schmerzen an den Schwielenstellen durch Klavusbildung
oder Periostitiden machen oder auch schwere Neuralgien durch
Einklemmung eines Plantarastes zwischen den Knochen (Mortons
Neuralgie) auslösen. Diese Neuralgien können durch enges Schuhwerk
ausgelöst werden und so schmerzhaft sein, dass die Patienten — meist
handelt es sich um Damen — ganz gleich wo sie sich befinden, in
, Theater oder Gesellschaft, sofort den engen Schuh vom Fuss reissen.
I Die Behandlung ist sehr dankbar, sie erfordert eine Einlage, welche die
Metatarsen hebt und das normale Quergewölbe wiederherstellt.
Soviel über die Plattfussbeschwerden. Sie waren vor 20 Jahren
eüie Crux medicorum, heute sind sie durch die individuellen Zelluloid-
stahldrahteinlagen, wenn der Arzt die Technik beherrscht und die An¬
passung nicht Laien überlässt, wie das leider heute noch vielfach ge¬
schieht, bei 98 Proz. der Patienten zu beseitigen.
I Den Plattfussbeschwerden verwandt ist ein Schmer z. der* auch
nur bei Belastung auftritt und genau in der Mitte der Ferse
empfunden wird. Er wird bedingt durch eine teilweise Verknöcherung
des am Process.' tuber. calcanei ansetzenden Bandes durch den sogen.
Kalkaneussporn. Die Diagnose ist durch die Röntgenaufnahme
leicht zu stellen. Diese Verknöcherung ist öfters bei Gonorrhöe beob¬
achtet worden, doch kommt sie auch ohne eine solche Erkrankung vor.
Die dankbare Behandlung erfordert eine Einlage mit einer Aushöhlung
an der Stelle des Sporns (Fig. 3 b).
Zwischen der Achillessehne und dem Kalkaneus liegt ein Schleim¬
beutel, der nach chronischen Traumen, Influenza, Gicht. Gonorrhöe und
Lues sich entzünden und sehr lebhafte Beschwerden beim Gehen
machen kann. Die Diagnose stützt sich auf den Nachweis einer
I flukturierenden Geschwulst zu beiden Seiten der Achillessehne in der
, Nähe ihres Ansatzes. (Achillobursitis.)
Fix 3. a Kalkaneusschmerz beim Pea Fig. 4 Sitz der ßchwelluiig und der
vfldgus. b Kalkaneusschmerz beim Kal- Schmerzen bei Achillobursitis.
kaneusspom. c Sitz der Schmerzen beim
Einsinken des Quergewölbes.
Bei sehr heftigen Schmerzen ist Bettruhe, Fixierung des Fusses in
Spitzfussstellung (um den Druck der Achillessehne zu 'vermeiden) und
Alkoholumschläge oder Antiphiogistine zu empfehlen. Bei leichten Be¬
schwerden kann Massage und Heissluft genügen. Selten wird man zur
operativen Entfernung des Schleimbeutels gezwungen (Fig. 4).
Etwas weiter oberhalb beobachtet man zuweilen entzündliche
Verdickungen in- der Achillessehne selbst, welche meist
durch Schuhdruck bedingt sind und beim Gehen sehr lästig werden
können. Sie erfordern Vermeidung jeden Schuhdruckes. Entweder
müssen solche Patienten Sandalen tragen oder an der kritischen Stelle
im Schuh eine Oeffnung an-bringen lassen, welche mit weichem Glacd-
leder ausgefüllt wird.
Kleinere phlebitische Herde am Fuss können das Gehen
ausserordentlich erschweren und durch Bildung von Geschwüren sehr
lästig werden. Oft genügt Bindenwicklung oder Gummistrumpf nicht,
um die Zirkulation in Ordnung zu bringen. Mit Heftpflaster- oder Zink¬
leimverbänden, die freilich an dieser Stelle sehr schwierig anzulegen
sind, kann man auch in verzweifelten Fällen helfen. ,
Ein Wort ist noch über die Behandlung der Clavi zu sagen.
Soweit es möglich ist, wird man kausal Vorgehen und die Ursache des
abnormen Druckes zu beseitigen suchen. Vor dem Ausschneiden durch
die bekannten Hühneraugenoperateure ist dringend zu warnen. Sehr
häufig finden sich dicht unter der Homschicht kleine Schleimbeutel,
welche mit den benachbarten Gelenken Zusammenhängen. Derartige
„Hühneraugenoperationen“ enden nicht selten mit einer tödlichen Sepsis.
Früher erweichte man die Clavi durch Salizyl, heute wendet man in der
Regel die Röntgenbestrahlungen an. (Weiche Röhre ohne Filter
2 Minuten lang, alle 2 Wochen, Umgebung des Clavus mit Bleistoff ab¬
decken.)
Alle diese geschilderten Fussbeschwerden werden in der Praxis
häufig als Rheumatismus gedeutet
Der Gelenkrheumatismus ist als Leiden sui generis selten
am Fuss, sehr häufig aber als Begleiterscheinung des Plattfusses, sobald
die Patienten in das dritte oder vierte Lebensdezennium eintreten; bei
jüngeren Patienten finden sie sich nur ausnahmsweise. Charakteristisch
für die dadurch bedingten Schmerzen ist:
Die Hauptbeschwerden treten bei den ersten
Schritten nach längerem Sitzenein, lassen dann aber
beim weiterenGehennach und werden erst bei Ueber-
anstrengung wieder stärker. Auch Witterungswechsel be¬
einflusst diese Schmerzen in ungünstiger Weise.
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
710
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
Wenn gleich 2 ^itig ein Pes plano-valgus besteht, so ist die Haupt¬
sache Anpassunij einer Einlage. Werden dadurch die Schmerzen nicht
völlig beseitigt, so kommt die Anwendung von Heissluft, Dia¬
thermie und einer methodischen Gymnastik (Pendel¬
übungen) in Frage.
Die echte Harnsauregicht wird selten verkannt, wenn sie in
typischer Weise am Grosszehengelenk auftritt.
Schwieriger kann die Erkennung einer gonorrhoischen,
luetischen oder tuberkulösen Entzündung in d^n
Fussknochen oder ihren Gelenken sein. Von d^ Plattfuss-
beschwerden unterscheiden sie sich in der Regel dadurch, dass die
Schmerz e*n auch in derNacht bestehen. Sorgfältige Anamnese,
genaue Untersuchung, eventuell Wassermann, Tuberkulininjektion und
Röntgenbild sichern aber schliesslich die Diagnose in fast allen Fäll^.
Leicht zu erkennen für den Arzt, welcher den Zustand kennt, ist
endlich ein Krankheitsbild, auf welches besonders die Neurologen unsere
Aufmerksamkeit gelenkt haben, das intermittierende Hinken.
Der Schmerz tritt nur beim Gehen auf, kann den Fuss
allein befallen, aber auch das ganze Bein in Mitleidenschaft ziehen und
schwindet meist, sobald der Patient sich einige Zen
aus ruht. Dann ist es ihm möglich, schmerzlos weiterzugehen, nacn
einiger Zeit stellt sich aber der Schmerz wieder ein und erfordert
erneutes Stehenbleiben etc. ^
Diese- Schmerzen sind bedingt entweder durch Gefassmuskelkrampfe,
welche ohne anatomische Veränderungen die arterielle Blutzufuhr unter¬
brechen oder durch wirkliche Arterienverkalkung. Nikotin und Lues
spielt neben einer schon vorhandenen Neuropathie eine grosse Rolle.
Auch diese Behandlung ist oft dankbar, wenn die Gefässveränderungen
nicht zu hochgradig sind und die Schädigungen unterlassen werden
(Rauchverbot, Papaverin, KamiUenbäder).
Der Arzt, welcher diese sehr unterschätzten und hebensächlich be¬
handelten Fussbeschwerden richtig deutet und mit wissenschaftlichem
Ernst untersucht und behandelt, nützt nicht nur seinen Patienten, sondern
auch sich selbst und seinem Stande, weil er der gerade auf diesem
Gebiete weit verbreiteten Kurpfuscherei Abbruch tut.
soziale ffledlzln oad iiorztilciie standesanoeieoenhelten.
Mitteilung der Vereinigung der Deutschen medizinischen
Fachpresse.
Einer Anregung des Herrn Joachim folgend, wurde von der
„Vereinigung der Deutschen medizinischen Fachpresse im Jahre
eine Kommission (Schwalbe, Aschdf f, v. Cr je gc r n, v. D o-
marus, Joachim, Kronfeld, F. Loeb, C. Oppenheimer,
SiemerlingundUhlworm) eingesetzt, die die Vorarbeiten für eine
einheitliche Abkürzung der Zitate ausführen sollte. Auf Grund dieser
Vorarbeiten gab der Vorsitzende der Kommission, Herr J. Schwalbe,
dem ganzen umfangreichen Werk seine Fassung, die dann von der
ordentlichen Mitgliederversammlung unserer Vereinigung in Wien (1913)
genehmigt wurde. . ^ ^
Die Regeln und Abkürzungen sollen von da ab in allen der Ver¬
einigung angehörenden Zedtschriften angewandt werden, doch wurde
gleichzeitig beschlossen, dass im Laufe der nächsten Zeit die Mitglieder
ihre mit der Anwendung der eingeführten Zitate gemachten Erfahrungen
dem Vorstande mitzuteilen hätten. Diese Mitteilungen veranlassten
dann die Mitgliederversammlung in Nauheim (1920), den Vorstand zu
beauftragen, gemeinsam mit Herrn Asch off eine Ueberprüfung der
ganzen Angelegenheit vorzunehmen.
Das Resultat dieser Ueberprüfung wurde von Unterfertigtem in
nachstehende Form gebracht und wird von ihm im Aufträge des Vor¬
standes nunmehr der Fachpresse und ihren Mitarbeitern mit der Bitte
übergeben, sie in allseitigem Interesse anwenden zu wollen.
Hans K o h n, z. Z. Vorsitzender.
Einheitliche Abkürzungen bei Anführung der Namen
medizinischer Zeitschriften und Werke.
L Leitsätze.
1. Zur Ersparnis voft Raum, Zeit und Kosten werden für die Ver¬
einigung der Deutschen medizinischen Fachpresse Abkürzungen ein-
gefiOirt, die für die Mitglieder bindende Kraft haben.
2. Massgebend sind hierbei nur die Bedürfnisse der deutschen,
medizinischen Verfasser und Leser.
3. Die Verständlichkeit darf unter den Bestrebungen nach Kürze
nicht leiden.
n. AUgetneine Regeln.
1. Alle Zahlen, auch die des Jahrganges und Bandes, sind in arabi¬
schen, nicht römischen Ziffern zu schreiben.
2. Jahres zahlen dürfen nicht abgekürzt werden, z. B. 1898, aber
nicht 98.
3. Seiten zahlen werden durch den Vorsatzbuchstaben S. (Seite)
von der vorangehenden Angabe getrennt.
4. Die Band zahl wird ohne Vorsatzbuchstaben angeführt. Geht ihr
eine Jahreszahl voraus, so wird sie von dieser durch ein Komma
getrennt.
z. B.: Virch. Arch. 106 = Archiv für Anatomie und Physiologie,
Band 106. — Virch. Hirsch, Jber. 1914, 1. S. 40 = Jahresbericht
über die Leistungen und Fortschritte der gesamten Medizin. Jahr¬
gang 1914, Band 1, Seite 40.
5. Die Auflage zahl wird unmittelbar hinter dem Titel in Klam¬
mer beigefügt. Dasselbe gilt für Serien, Abteilungen, Klassen.
z. B.: Virch. Zellularpath. (5) S. 106.
Volkmann, Sammlg. klin. Vortr. (2) = 2. Serie.
6. Bei regelmässig erscheinenden (periodischen) Druckwerken mit
einem einzigen Jahresband ist nur die Jahreszahl (nicht auch der
Jahrgang) zu setzen.
z. B.: M.m.W. 1912 S. 121 = Münchener med. Wochenschrift, Jahr¬
gang 1912, Seite 121 (Angabe des Bandes also unangebracht, des
Heftes unnötig).
7. Sind mehrere Bände oder Jahrgänge desselben Werkes an einer
Stelle anzuführen, so ist zwischen die einzelnen Jahrgänge oder Band¬
zahlen ein u. = und zu setzen. Sind hingegen in einem' Jahrgang oder
Band mehrere Selten anzuführen, so sind sie durch Kommata zu trennen,.
z. B.: Virch. Arch. 103 S. 45. 67, 100 u. 106 S. 70, 80. 100.
8. In allen Fällen wird — entgegen früherer Bestimmung — erst
die Jahreszahl, dann die Bandzahl (s. Nr. 4), dann die Seite (s. Nr. 3)
gesetzt.
9. Die Angabe des Veröffentlichungsortes ist im allgemeinen über¬
flüssig, nur bei Akademie- oder Gesellschaftberichten oder wenn dieser
Ort wesentlicher Bestandteil des Titels ist (z. B. Strassb. m. Zeitg.)
notwendig.
10. Ist der Name des Herausgebers oder Begründers einer Zeitschrift
durch den Brauch wesentlicher Bestandteil des Titels geworden, so ist
er statt der sachlichen Bezeichnung der Zeitschrift zu verwendea
z. B. Virch. Arch. = Archiv für pathologische Anatomie und ^ysio-
logie oder Gräfes Arch.,‘Zieglers Beitr., Langenb. Arch.
11. Bei Sammelwerken ist der Name des Verfassers voranzu¬
stellen und mit dem Titel des Sammelwerkes durch in zu verbinden.
Dieser Titel soll seine sachlicbe Bezeichnung und auch den Namen des
Herausgebers enthalten.
z. B: Gärtner, Allg. Prophylaxe in Penzoldt-Stintzing Hb. d. ges.
Ther. 1909, 1, S. 3.
12. Wird ein Gesetz, eine Verordnung des Reiches angeführt so-
kann die Silbe „Reichs“ wegbleiben.
z. B. Gew.O = Gewerbeordnung für das Deutsche Reich oder
Reichsgewerbeordnung.
Handelt es sich jedoch um die Einrichtung eines Bundesstaates
(Landes), so ist dessen Name abgekürzt beizufügen.
13. Die deutschen Geschlechts- und Fürwörter sind für gewöhnlich
in den Titeln beizubehalten, wenn auch nach Möglichkeit zu kürzen, also:
d: = der, die, das, des usw. und f. = für. Dagegen sind in fremd¬
sprachigen Titeln diese Wörter auszuschreiben, um so gleich das Ur¬
sprungsland erkennen zu lassen: pour, for, de, des, di usw.
14. Abkürzungen werden n i c h t g e b e u g t z. B. „mit Inkrafttreten¬
des BGB.“, nicht des BGB.S.
Eingebürgerte juristische, parlamentarische und dergl. Ab¬
kürzungen sind in die medizinische Fachpresse zu übernehmen, z. B.
RVA., BGB., M. d. R.
Innerhalb zusammengesetzter Abkürzungen von Titeln sind
keine Striche, sondern Punkte zu setzen, z. B. D.m.W.. ReichsM.Anz.
^ Ausgenommen sind Titel mit dem Namen mehrerer
Verfasser oder Herausgeber, z. B. Penzoldt-Stintzing.
Innerhalb eines Wortes sind Abkürzungen stets mit k 1 e4n en Buch¬
staben zu bezeichnen, also Hb., aber nicht HB. für Handbuch.
HL Einige Bei^lele für Abkürzmgeo.
Abh.
Abhandlung
intern. \
international
Acad.
Acad^mie oder Academy
Jb.
Jahrbuch
aber
Jber.
Jahresbericht
Akad.
Akademie
J.
Journal
Anat.
Anatomie oder anatomisch
Klin.
Klinik
Ann.
Annalen
Kongr.
Kongress
Anz.
Anzeiger
Krkh.
Krankheit
Arb.
Arbeiten
aber
Arch.
Archiv
Krkhs.
Krankenhaus
Beitr.
Beiträge
Lab.
Laboratorium
Ber.
Bericht
Lehrb.
Lehrbuch
Bioch.
Biochemisch
M.
Medizin.oder medizinisch*
BI.
Blatt. Blätter
m6d.
m6dicale
Bot.
Botanik oder botanisch
Mitt.
Mitteilungen
Chem.
Chemie oder chemisch
Mbl.
Monatsblätter
Chir.
Chirurgie oder chirurgisch
Mh.
Monatshefte
clin.
clinique oder clinical
Mschr.
Monatsschrift
corr.
correspondance oder cor-
N. F.
Neue Folge
respondence
Phys.
Physik
Diss.
Dissertation
Physiol.
Physiologie
Entw.
Entwicklung
Rdsch.
Rundschau
Erg.
Ergebnisse
Sml.
Sammlung
Festschr.
Festschrift
Sehr.
Schrift
Fol.
Folia
S.A.
Sephratabzug
ges.
gesammelt oder gesamt
S.D.
Sonderdruck
Oes.
Gesellschaft
Tb.
Tuberkulose
H.
Heft
V.
Verein
Hlk.
Heilkunde
vgl.
vergleiche u. vergleichend
Hosp.
Hospital
Vh.
Verhandlungen
höp.
höpital
Vöff.
Veröffentlichungen
Immun.
Immunität
Vrtljschr.
Vierteljahresschrift
inn.
innere
Wschr.
Wochenschrift
Inst.
Institut
Zschr,
Zeitschrift
int.
intern, interne, internal
Ztg.
Zeitung
aber
Zbl.
Zentralblatt
Digitized by
Goi.igle
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
711
10. Juni 1921.
D.
Am.
Belg.
B.kl.W.
D.m.W.
M.ni.W.
Deutschland ' Bay. Bayern
Amerika j Würt. Württemberg
Belgien
IV. Ferner folgende Sigel.
1. Für Zeitschriften:
Berliner klinische Wochen- M.Kl. Medizinische Klinik
Schrift I W.kl.W. Wiener klinische Wochen-
Deutsche medizinische Wo- ] Schrift
chenschrift i W.in.W. Wiener medizinische Wo-
Münchener medizinische chenschrift
Wochenschrift !
2. Abkürzungen für Behörden, staatliche Einrichtung, Gerichte usw.
AeK.
Aerztekammer
AeKA.
Aerztekammerausschuss
AeT.
Aerztetag
AeVB.
Aerztevereinsbund
LWV.
Leipziger wirtschaftlicher
Verband
BezV.
Bezirksverein
EG.
Ehrengericht
EGH.
Ehrengerichtshof
RT.
Reichstag
RGBL.
Reichsgesetzblatt
VA.
Versicherungsamt
OVA, Oberversicherungsamt
VAnst. ‘ Versicherungsanstalt
R.f.A. Reichsversicherungsanstalt
für Angestellte
LVA. Landesversicherungsamt
RVA. Reichsversicherungsamt
AG. Amtsgericht
LG. Landgericht
KG. Kammergericht
OLG. Oberlandesgericht
OVG. Oberverwaltungsgericht
RQ. Reichsgericht
Bücheranzeigen und Referate.
Neue deutsche Chirurgie. Begründet von P. v. Brun s. heraus¬
gegeben von H. Küttner. 21. Bd. Die Lokalanästhesie von Prof.
Fritz H ä r t e L 2., neubearbeitete Auflage. Ferd. Enke, Stuttgart 1920.
Die 2., neubearbeitete Auflage des Härte Ischen Werkes, dessen
Darlegungen auf ausgedehnte Erfahrungen an der Bier sehen und
S c h m i ede nsehen Klinik sowie speziell im Felde sich stützen, wird
bei der immer weiter sich ergebenden Bedeutung speziell der Leitungs¬
anästhesien Vielen ein willkommenes Informations- und Nachschlage-
buch sein. Nach Darstellung der Geschichte und Indikationsstelluiig der
La. (bei der H. hervorhebt, dass sie überall einzutreten habe, wo nicht
besondere Gründe die Allgemeinnarkose erfordern), der Kontraindi¬
kationen (septische Erkrankungen), der Eigenschaften der Anästhetika
und Nebennierenpräparate, deren Allgemein Wirkung und Toxizität er¬
örtert H. die Arten der Lokalanästhesie und beschreibt in eingehender,
reich illustrierter Weise die Lokalanästhesie an Schädel und Gehör¬
organ, besonders ausführlich die Leitungsanästhesie der Gesichtsnerven
und bei Operationen im Gesicht, an Mundhöhle, Zähnen etc., ebenso die
La. am Hals, besonders die Technik bei der Strumaoperation, Drüsen-
op»eration und bei Operationen an Kehlkopf, Trachea und Oesophagus;
weiterhin die Anwendung an der oberen Extremität (Plexus¬
anästhesie etc.) und auch der Venenanästhesie. Ebenso aus¬
führlich wird die La. am Rumpf, die paravertebrale Leitungs¬
anästhesie, die La. und deren Technik bei Brustoperationen, bei Hernien¬
operationen etc. und die La. bei Eingriffen an der unteren Extremität
besprochen und findet auch die Lumbalanästhesie entsprechende Dar¬
stellung, obgleich diese ausführlicher eine besondere Bearbeitung in der
N. d. Chir. finden wird. Dass der Autor nicht zu -exklusiv die periphere
La. befürwortet, zeigt u. a. die Empfehlung der Lumbalanästhesie bei
komplizierten Unterschenkelfrakturen mit grossen Weichteilvcrletzungen
und starker Blutung (die Abschnürung erfordert) als das schonendste
Verfahren, ebenso auch bei komplizierten Oberschenkelfrakturen (bei
denen die Narkose wegen der unwillkürlichen und schädlichen Be¬
wegungen im Exzitationsstadium kontraindiziert ist), da hiebei die Lei¬
tungsanästhesie (wegen des unvermeidlichen Hin- und Herwendens des
Patienten) weniger angezeigt ist. Ein Hauptvorzug des üb-ersichtliclien,
auch mit einer Tabelle der sensiblen Innervation und einem ausführ¬
lichen Literaturverzeichnis ausgestatteten Buches ruht in den IDO sehr
schönen Abbildungen, von denen sowohl die anatomischen, spez, Durch¬
schnitte mit Andeutung der Einstichstellen und die Lokalisation letzterer
durch bestimmte Richtungslinien (wie z. B. bei der Leitungsanästhesie
des Plexus sacralis etc.), die Darstellung bestimmter Lagerungen (wie
bei der Sakralanästhesie etc.) die rasche Orientierung in dem betreffen¬
den Gebiet wesentlich erleichtern. Der Wunsch des Verfassers, durch
seine Arbeit zur Förderung der Lokalanästhesie beizutragen, wird sicher
seine Erfüllung finden und wird das Buch der Lokalanästhesie weitere
Freunde in der.Praxis zuführen. Schreiber
Hermann Frey: Der künstliche Pneumothorax. Kompendium für
den praktischen Arzt. Leipzig und Wien 1921. 12 M.
Aus den vielen Zeitschriftenaufsätzen und Monographien eine im
Umfange beschränkte, aber im Inhalte geradezu verblüffend reiche
Schrift zusammengestellt zu haben.^ist zweifellos ein Verdi-enst des Ver¬
fassers. Man findet darin so ziemlich alles, was man über Pneumo¬
thorax wissen muss. Aber sie ist dadurch eben besonders interessant
für den Kenner. Und ich möchte ganz entschieden der Meinung des
Verfassers widersprechen, dass der Fhieumothorax Gemeingut der prak¬
tischen Aerzte werden müsse oder auch nur könne. (Vergl. Schwierig¬
keiten der Druckregulierung; Mediastinum und Herz! Optimum des
Gasdruckes S. 64; Durchleuchturigsvorschriften usw.) Gerade die vielen
zu beachtenden Dinge, die Schwierigkeit der Auswahl, erst nach guter
Beobachtung, die verschiedenen Gegenanzeigen, die Notwendigkeit, gut
mit Röntgen zu Arbeiten, die möglichen üblen Zufälle usw. werd-en diese
Behandlung immer dem Krankenhause oder besser der Heilanstalt zu¬
weisen. Wenigstens sicher die erste Anlage mit den nächsten Nach¬
füllungen. Dass später ein praktischer Arzt Nachfüllungen vornimmt,
wäre schon eher möglich. Aber auch das ist nur" ratsam, solange alles
glatt geht; und das kann kein Mensch voraus wissen. Darum auch das
lieber nicht in die Sprechstunde. (Ganz abgesehen davon, dass auch
manche „normale“ Fälle nach der Füllung noch 1—2 Stunden liegen
möchten. Welcher praktische Arzt hat dazu Gelegenheit?)
Ich verweise dabei auf meinen Vorschlag: Die Fürsorgestellen für
Lungenkranke als Behandlungsstätten derart auszubauen, dass die
praktischen Aerzte unter Leitung und mit dem (sachkundigen) Fürsorge-
arzte dort nicht nur Röntgendurchleuchtungen, -aufnahmen, -therapie
vornehmen, sondern auch Pneumothoraxoperationen ausführen (Tuber¬
kulosefürsorgeblatt 1920 Nr. 2).
Dieser Widerspmeh soll den Wert des Büchleins an sich, wie schon
oben gesagt, nicht herabsetzen. Es ist mir schon dadurch wertvoll ge-
.worden, dass es mir Seite für Seite die eigenen Erfahrungen an über
100 Pneumothoraxoperationen geordnet ins Gedächtnis zurückrief. Auch
praktische Aerzte werden es mit Gewinn lesen, sowohl um ungefähr
entscheiden zu können, welche Kranken für Pneumothorax in Frage
kommen, als auch um sich über die Notwendigkeit und Dauer der Nach¬
füllungen ein Urteil bilden zu können. Wir hören noch immer oft, dass
Aerzte den Kranken viel zu früh das Eingehen des Pneumos raten, sehr
oft zu deren Schaden. L i e b e - Waldhof-Elgershausen.
Kurt Singer: Leitfaden der neurologischen Diagnostik« 201 S.
Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin-Wien 1921.
Singer stellte sich in seinem Leitfaden der neurologischen Dia¬
gnostik die Aufgabe, den Praktiker und Studierenden aus der Erkenntnis,
Verwertung und Abgrenzung eines Symptoms oder eines dominierenden
Symptomcnkomplexes heraus zu einer konkreten diagnostischen Schluss¬
folgerung zu führen, ln 18 kurzen Kapiteln wird es unternommen, von
einem Stichwort aus (Zittern, Kopfschmerz, Sprachstörungen, Nervosi¬
tät etc.) die verschiedenen neurologischen Krankheitsbilder in groben
Strichen zu umreissen und das differentialdiagnostisch unumgänglich
Notwendige zu bringen.
Das Buch wendet sich an den Praktiker, den es in die Neurologie
einführen will, nichtandenFachmann. Die Einführung wird den
Praktiker aber alsbald auch an die Grenze seiner Erkenntnis führen. Und
daran ist wohl das vorliegende Buch nicht ganz unschuldig, weil es das
grosse Gebiet der Neurologie nur oberflächlich umgrenzt. Auf der einen
Seite wird nach meiner Meinung vom Praktiker zu viel Anatomie und
Physiologie — ohne die nun einmal eine neurologische Diagnose un¬
denkbar ist — vorausgesetzt, auf der anderen Seite zu wenig Anatomie
und Physiologie geboten.
Dazu kommt, dass mir auch das rein Klinische zu lapidar behandelt
erscheint. So z. B. wird die Entartungsreaktion auf % Seiten ab¬
gehandelt, die Lumbalpunktion, die doch wahrlich auch für den Praktiker
von Bedeutung sein sollte, gesondert überhaupt nicht besprochen. Bla-
sen-Mastdarm-Störungen werden weder generell noch speziell aus¬
führlicher aufgeführt usw.
So fürchte ich, dass auch der Praktiker das Buch nicht ganz be¬
friedigt aus der Hand legen wird.
G. L. Dreyfus -Frankfurt a. M.
' Enzyklopädie der klinischen Medizin: A. v. Domarus, Methodik
der Blutuntersuchung. J. Springer, 1921. 58 M.
Das Buch behandelt in ausgezeichneter und gründlicher Weise alle
bewährten Methoden der physikalisch-chemischen und morphologischen
Blutuntersuchung und enthält zudem eine Technik der histologischen
Bearbeitung der hämatopoetischen Organe. Mit einer eingehenden Be¬
schreibung des Technischen hat sich Verf. aber nicht begnügt, die Ver¬
fahren sind auch theoretisch begründet und kritisch besprochen. Das
vom Autor angestrebte Ziel, „dem Untersucher zu ermöglichen, sämtliche
Fehlermöglichkeiten und alle Ursachen des Versagens einer Reaktion
oder Färbung zu übersehen“. Jst ihm nach meinem Eindruck durchaus
geglückt. Man merkt an so vielen Stellen, dass Verf. über umfangreiche
eigene Erfahrung verfügt. Das Buch ist sicher eine wertvolle Bereiche¬
rung der schönen Springer sehen Enzyklopädie.
Kämmerer - München.
Walther Hannes: Compendium der Geburtshilfe. Mit 137 teils
farbigen Abbildungen. Breslau 1921, Trewendi & Granier.
Preis geb. 30 M.
Mil von Blatt zu Blatt steigender Freude habe ich dieses 440 Sei¬
ten starke Buch durchgesehen. Es ist das Werk eines Mannes, der
nicht nur Theorie und Praxis der Geburtshilfe im klinischen Betrieb
kennen gelernt hat, sondern eines Arztes, der im lebendigen Verkehr
mit Studierenden und Kollegen sich ein tiefes Einfühlungsvermögen für
das erworben hat, was Student und Arzt brauchen! Knapp, aber
gerade d'eshalb klar und anschaulich, spricht Hannes über Physiologie
und Anatomie der Schwangerschaft, deren Diagnostik und Diätetik (vor¬
züglich die Seiten 39—41). Geburt und Gebiirtsmechanismus werden
in ihren mechanischen und physiologischen Faktoren lebendig gezeichnet.
In der Pathologie der Schwangerschaft freut man sich über die ver¬
nünftige, von jeder Einseitigkeit freie Einschätzung der Psychosen, der
Herzfehler, der Tuberkulose, ln den Abschnitten über Pathologie und
Therapie der Geburt (und Fehlgeburt) berührt sympathisch die zielsichere
Darstellung. Darin sehe ich den grössten Vorzug dieses Buches, dass
es sich nicht mit einseitigen Lieblingproblemen, die oft nur den Ver-
Digitized by
Google
Original from.
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
712
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
fasset interessieren, beschäftigt, sond-ern dass es dem Arzt ein fester
Wegweiser ist zu dem einzigen Ziel „salus gravidarum et parturientium“.
Die Durchsetzung und Veranschaulichung des Wortes mit Zeich¬
nungen ist reich; wenn sie auch nicht (aus materiellen Gründen) Originale
sind, so sind sie mit scharfem Blick für das Beste aus unserer Literatur
gewählt. Das Buch wird seinen Weg zum Erfolg finden, denn es erfüllt
in seiner Kürze, seiner zeitgemässen Preiswürdigkeit in seiner Wissen¬
schaftlichkeit und ln seiner therapeutischen Eindringlichkeit ein Bedürfnis!
W. S. F1 a t a u - Nürnberg.
O. Vulpius und A. Stoffel: Orthopädische Operationslehre.
Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. F. Enke, Stuttgart 1920.
Das Buch ist die einzige orthopädische Operationslehre, welche wir
besitzen. Es ist schon in seiner ersten Auflage unentbehrlich geworden
für jeden, der orthopädische Operationen ausführt und es bedarf deshalb
keiner Empfehlungen mehr. Dass trotz der Ungunst der Zeiten gegen¬
über der ersten Auflage die Anzahl der Seiten von 500 auf 744 und die
Anzahl der Abbildungen von 446 auf 627 gestiegen ist und dass die Aus¬
stattung genau so vortrefflich ist wie in der ersten Auflage, zeigt ein
trfreuliches Vertrauen der Verfasser und des Verlegers auf die Zukunft
der deutschen Wissenschaft. F. Lange- München.
R. Cassirer: Krankheiten des Rückenmarks und der peripheri¬
schen Nerven. 11. Heft von Schwalbes „Diagnostische und thera-
putische Irrtümer und deren Verhütung.“ 157 Seiten. 8®. Mit 1 Ab¬
bildung. Leipzig 1920, bei Georg T h i e m e. Preis 17.60 M. ungeb.
Das Heft enthält eine ganz vorzügliche Differentialdiagnostik der
Rückenmarkskrankheiten und der Erkrankungen der peripheren Nerven,
so recht wie sie der praktische Arzt braucht. In klaren Schilderungen
findet er hier das Wichtigste über die Diagnostik von Tumoren und
anderen schwierigen Rückenmarkskrankheiten zusammengestellt. Zu kurz
gekommen ist nur die Syringomyelie. Aus dem Abschnitt über die peri¬
pheren Nerven ist besonders die Darstellung der Folgen der Nerven¬
verletzungen und ihrer Behandlung hervorzuheben. Reiche Erfahrung
lässt den Verfasser überall aus eigenem schöpfen und das gibt der Dar¬
stellung stets einen fesselnden Charakter. Kerschensteine r.
Handbuch der pathogenen Protozoen. Herausgegeben von
S. v. Prowazek (t), fortgeführt von W. Nöller. 8. Lieferung.
Mit 100 Abbildungen im Text und 1 farbigen Tafel. Leipzig 1921, Verlag
von Johann Ambrosius Barth. Preis M. 64.—.
Nach Wiederaufnahme der Arbeit an dem Handbuch ist die 8. Liefe¬
rung der 7. schnell gefolgt. Sie enthält „Flagellaten als Para¬
siten der menschlichen Körperhöhlen bearbeitet von
E. Rodenwald t, „Die C o c c i d i e n“ von E. R e i c h e n o w, die
Oregarinen (Nachtrag) von E. R e i c h e n ö w. Bearbeitung, Abbil¬
dungen und Ausstattung entsprechen der mustergültigen Art der ersten
7 Lieferungen. zur Verth -Altona.
Prof. Dr. K. Jellinek: Das Weltengeheimnls. 552 S. Stuttgart
1921. Enke. 70 M.
Verf., der Professor an der Technischen Hochschule in Danzig ist,
will eine „Synthese zwischen Wissenschaft, Philosophie und Religion“
geben, zeigt sich dieser Aufgabe aber nicht gewachsen. Das Buch, wel¬
ches von allem, was es gibt, und noch von manchem andern handelt, ist
noch nicht einmal originell. Seine geistigen Väter sind, vor allem der
Philosophieprofessor Driesch und der „Anthroposoph“ Steiner,
dessen phantastische Se-elenwanderungslehre den grössten Teil der Dar¬
legungen Jellineks beherrscht. Seine Lehren sind unmittelbar
geistesverwandt denen des antiken jüdischen Mystikers Philo und der
magisch-kabbalistischen Geheimlehre. Das „Weltengeheimnis“ ist mit
180 Bildern illustriert, wovon sich der Verf. — vielleicht mit Recht —
einen besonderen Erfolg verspricht. M^n sieht z. B. menschliche
Embryonen, Unkräuter am Roggenfeld, das kluge Pony Hänschen, den
Grundriss des „Tempels der Erde“ nach Fidus, das charakteristische
Profil des Berliner Pazifisten Nicolai, die Jheosophin Annie Besant usw.
Der Gedanke liegt nahe, dass der „Erfolg“ vielleicht noch grösser sein
würde, wenn man das „Weltengeheimnis“ verfilmen würde.
Lenz- München.
Zeitschriften* Uebersicht.
Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimenteile Therapie.
30. Band Heft 3/4.
E. Friedberger und E. P u 11 e r - Greifswald: lieber die Wirkung
von fein dispersen, anorganischen und organischen. In Wasser unlöslichen
Substanzen auf Blutkörperchen, Komplement, Ambozeptor und auf den
Tierkörper.
Die vorliegenden ausgedehnten Untersuchungen bedeuten eine Erweite¬
rung der» schon früher von Friedberger und seinen Mitarbeitern er¬
haltenen Forschungsresultate. Ihre wichtigsten Ergebnisse sind folgende:
Eine Reihe von feindispersen Substanzen. Kaolin, Bolus, Carbo animalis.
Magnesia usta u. a. wirken auf rote Blutkörperchen hämolytisch. Bis auf
die Tierkohle sind alle diese Substanzen anorganisch. Schnellsedimentierende
wirken nicht hämolytisch. Kaolin und Bolus verlieren durch Glühen diese
Fähigkeit. Die Wirkung wird teils mit mechanischer Verletzung durch spitze
Partikel, teils, wo diese nicht vorhanden sind, durch Adsorption der roten
Blutkörperchen erklärt. Eine Reihe dieser Substanzen vermag auch das
Komplement zu binden, jedoch besteht kein Parallelismus zwischen hämo¬
lytischer und komplementbindender Fähigkeit. Bakterien binden lebend wie
abgefötet das Komplement, ebenso Agar; beide machen keine Hämolyse.
Was den Ambozeptor anlangt, so konnten Verf. ebenso wie früher, zeigen.
dass er unverdünnt von Kaolin. Bolus und Amylum nicht absorbiert wird,
verdünnt jedoch von verschiedenen Substanzen, die aber wieder nicht mit
den beiden obigen Kategorien parallel gingen. Wird der Ambozeptor statt
in physiologischer Kochsalzlösung in Normalserum verdünnt, so bleibt die
Adsorption aus. Die Tierversuche ergaben, dass bei intraperitonealer In¬
jektion des Meerschweinchens mit Adsorbentien eine Giftwirkung unter
Temperatursteigerung eintritt, die nicht durch Komplementbindung allein
erklärt werden kann. Eine intraperitoneale Vorbehandlung mit verschiedenen
Adsorbentien setzt die Widerstandsfähigkeit gegenüber bakteriellen Infek¬
tionen herab (B. typhi exanthematici). Eine Erklärung dafür Hess sich nicht
auffinden, da sowohl die vermutete Komplementbindung als auch eine Läsion
des Peritoneums sich nicht als stichhaltig erwies.
Paul Konitzer - Greifswald: Zur Theorie und Praxis der neueren
serodiagnostischen Methoden der SyphUls.
Verf. hqt die neuen Fällungsreaktionen, und zwar die M e i n i c k e sehe
(M.R.), die dritte Modifikation nach M e i n i c k e (D.M.). sowie die Sachs-
Q e 0 r g i sehe Reaktion, einer Nachprüfung unterzogen, die zu folgenden
Ergebnissen kommt: Die M.R. stimmt in 89,2 Proz. mit der WaR. überein.
Sie ist im grossen und ganzen charakteristisch für Lues, wird aber trotz¬
dem aus theoretischen und praktischen Gründen abgelehnt. Die D.M. ist
einfacher und empfehlenswerter. Sie stimmt mit der WaR. in 88,8 Proz.
überein und gibt manchmal früher, manchmal länger positive Resultate als
die WaR., jedoch erfasst sie nicht alle WaR.-positiven Sera. Die S.-G. R.
ergab in 89,8 Proz. Uebereinstimmung mit der WaR. Abgesehen von
einigen unspezifischen Resultaten bei Gripne, Typhus und Wunddiphtherie
erwies sie sich als recht zuverlässig, der M.R. war sie deutlich überlegen.
Keine der Reaktionen aber kann für sich allein die WaR. ersetzen. Da
die beiden letzten Reaktionen aber einen weiteren Bereich haben, so können
sie als Ergänzung zur WaR. wertvoll sein. L. Saathoff - Oberstdorf.
MitteilunKen aus den^Grenzgebleten der Medizin und Chirurgie.
33. Band. Heft 1—3. Jena 1921. Gustav Fischer.
B. N a u n y n - Baden-Baden: Die Gallensteine, Ihre Entstehung and
Ihr Bau.
Lehrbuchmässige Darstellung auf Grund 30 jähriger Erfahrung und Stu¬
diums. 4 farbige Tafeln mit sehr schönen Dünnschliffen von verschiedenen
Steinarten. Literatur.
Jos. Ziegler (Krkhs. d. jüd. Gemeinde in Berlin): Ueber den Ein¬
fluss Intra- und extraperitoneal gelegener Gebilde auf Läge und Form des
Dlckdarms Im Röntgenbllde.
Es ist zu unterscheiden zwischen Verlagerung eines Darmteils in toto
und Kompression oder Impression der Darmwand. Bei intraperitoneal ge¬
legenen Tumoren. Abszessen usw. bleibt die Wurzel des betr. Mesokolons in
der Regel an Ort und Stelle, während extraperitoneale Gebilde, wie Nieren¬
tumoren. Psoasabszesse, Tumoren des kleinen Beckens den Darm gerne
weitgehend verlagern, besonders das Aszendens und Deszendens. Von typi¬
schen Einwirkungen sollte man jedoch nicht sprechen, da die wechselnde
Lage der Organe. Länge der Mesenterien, Beweglichkeit der Flexuren.
namentlich auch Adhäsionen von Einfluss sind. Im Zusammenhang mit den
anderen Untersuchungsmethoden ist der Röntgenbefund oft sehr wertvoll
(Skizzen, Technik; Frontaldurchleuchtung wichtig).
E. Grossmann (Bürgerhosp. der Dr. Senckenbergischen Stiftung in
Frankfurt a. M.); Ueber Meningitis serosa chronica splnalls.
3 Fälle von abgesackter Liquoransammlung in der Arachnoidea; einmal
nach Trauma, einmal nach Grippe entstanden. Sehr schöner Rückgang der
Lähmungen und Spasmen nach Operation (Laminektomie, Freilegung des
Rückenmarks, Entlastung vom Druck der eingesperrten Flüssigkeit: Lösung
der Adhäsionen: Naht). Verf. empfiehlt, den Eingriff nach Vorbereitung durch
Pantopon-Skopolamin in Lokalanästhesie mit % proz. Novokain-Suprarenin-
lösung vorzunehmen. Das klinische Bild wird nicht selten verkannt, die
Operation verspricht vollkommene Heilung.
Gundermann (Chir, Klin. Giessen): Ueber das Miihlengeriuscb des
Herzens, seine physikalische und örtliche Entstehung, zugleich ein Beitrag
zur Pathologie der Luftembolie.
Beim Hunde erzeugte Verf. durch Einblasung von Luft in die V. cava
abdom. ein 2—3 m weit hörbares, der Herzsystole synchrones Geräusch,
welches allmählich wieder verschwand. Luft kann stunden- und tagelang
im (rechten) Herzen vorhanden sein, ohne dass es sogleich oder später
zu schweren Erscheinungen von seiten des Herzens, der Lungen, des
Zentralnervensystems oder anderer Organe kommt. Luft kann eintreten
durch Interkostalvenen (Rippenfraktur). Bronchial-, Pulmonal- und extra¬
thorakale Venen. G. bekämpft die Auffassung R e y n i e r s von der intra-
oder extrapcrikardialen Entstehung des Mühlengeräusches.
Berblinger (Path. Inst. Kiel): Die Hypophyse bei Hypothyreose,
nebst Bemerkungen über die Schwangerschaftshyoophvse.
Verf. untersuchte das Strukturbild des HirnanhangeS bei auffallend kleiner
Schilddrüse, bei atrophierender Thyreoiditis und bei Strumen verschiedenster
Art. Aus Hauptzellenvermehrung in der Hypophyse kann man auf Hypo¬
thyreose schliessen; sie kennzeichnet aber auch die Schwangerschaftshypo¬
physe; andererseits kommt sie nicht immer bei H>TJOthyreose zustande; .cie
bedeutet nicht einen Ausgleich für die Schilddrüseninsuffizienz.
Gurt Falkenheim (Path. Inst, des städt. Krkhs. Danzig): Ein Fall
von kongenitaler Kardiastenose mit diffuser Oesophauusektasle.
Sektionshefund bei 71 jähr. Frau. Der klinische Befund sprach für.
der Röntgenbefund gegen Ca: Präparat: mächtige Muskelschicht, Anhäufung
von Lymphknötchen und Rundzellen im Zwischengewebe. Der 22 mm breite,
20 mm lange, nicht dehnbare Isthmus an der Kardia zeigte keinerlei narbige
Veränderungen. »
Alfr. Brunner (Chir. Klinik Zürich und München): Znr Pathogenese
und Therapie des spontanen Pneumothorax.
3 Fälle von Spontanpneumothorax: 1. bei tuberkulösem jungem Mann,
wahrscheinlich entstanden durch Vermittlung von Adhäsionen, spontan resor¬
biert; 2. bei anscheinend gesunder 30 jähr. Kranken. Pneumothorax besteht
trotz Luftexspirationen und künstlicher Exsudaterzeugung fort, 4 Jahre lang.
Tod an interkurrenter Grippepneumonie der gesunden Seite; Sektion zeigt
umschriebenes bullöses Emph^'^sem im Bereich der linken Lungenspitze; wahr¬
scheinlich entstanden durch Pleuraadhäsionen; 2 Emphysemblasen waren ge¬
platzt und hatten die Fistel unterhalten: 3. bei 35 jähr. Manq; Luftabsaugung
wegen zunehmendem Spannungspneumothorax; nach Pleurolyse und extra-
pleuraler Tamponade Brustwandphlegmone; Sektion: Perforation nicht auf-
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
713
findbar; zarte, aufblasbare SpitzenaUhäsionen; keine Tuberkulose. Der
Pneumothorax hatte über 1 Jahr bestanden. Besprechung der Indikationen
für die obenerwähnten Behandlungsarten.
W. S i e 1 0 f f (M. Kl. Königsberg): Zur Differentialdlagnose multipler
Welchtelltumoren der Extremitäten, unter besonderer BerflcksichtiKiuiK der
hämatogenen Muskeltuberkulose.
Bei einem Mann mit schwerer Lungentuberkulose traten an beiden Ober¬
und Unterarmen derbe käsige Knoten unter der Haut auf, die dann vereiterten
und durch Röntgentherapie zum Schwinden gebracht wurden. Verf. regt
an, bei chronischer Miliartuberkulose nach solchen Muskelherden zu suchen.
Kumer (Univ.-Kl f, Derm. u. Syph. Wien): Ueber eine Form der
chronischen Paronvchie.
12 Fälle von sehr hartnäckiger, chronischer Paronychie bei Frauen.
Entzündliche, den ganzen Umfang des Nagelwalles betreffende Schwellung,
gelegentlich geringe Eiterung aus dem Nagelfalz; sekundäre Nagelverände¬
rungen; keine Panaritien. Meist werden mehrere Nägel nacheinander be¬
fallen. Bakteriologisch fand sich neben Staphylokokken stets ein dem Soor
zumindest nahestehender Pilz. .
Martha Hagenbuch (Med. u. Chir. Klinik Basel): Beitrag zur Kennt¬
nis der StrumHls.
47 Fälle von Strumitis, davon 38 strumös entartete Strumen. Aetiologie:
Pneumonie (9 Fälle). Influenza (8), Pleuritis und Katarrh der Respirations¬
organe (3). rheumatische Erkrankungen (2); 1 mal war Trauma, 1 mal Dia¬
betes prädisponierend.» Prognose der unkomplizierten Strumitis gut; mög¬
liche Komplikation: Basedow, Eiterdurchbruch in die Nachbarschaft. Ge¬
sunde entzündete Schilddrüse vereitert nie. Therapie zunächst antiphlo¬
gistisch; bei Fluktuation breite Inzision und Drainage. Bei vereiterten
Zysten und abgekapselten Knoten Exstirpation in toto. Literatur.
Herb. Peiper (Chir. Klinik Frankfurt a. M.): Untersuchungen zur
okkulten Blutungsfrage. Nach vergleichend klinischen und operativen Be¬
funden.
Sorgfältige Untersuchungen führen den Verf. zu fofgenderi Schlüssen:
Im grossen und ganzen sind sämtliche Proben auf okkultes Blut im Stuhl
grossen Fehlerquellen unterworfen. Hauptfehlerquelle ist die wechselnde
Empfindlichkeit von Benzidin und Quajak. Die Empfindlichkeit darf weder zu
gross noch zu gering sein. Am besten eignet sich die Wagner sehe Probe
als Vorprobe. Ist sie negativ, so ist mit grösster Wahrscheinlichkeit kein
Blut in den Fäzes. Bei 10 Fällen von Cholezystitis wurde 2 mal sicher
eine okkulte physiologische Blutung festgestellt, ebenso bei einem Leber¬
echinokokkus. Die Diagnose „Ulcus oder Karzinom" lässt sich zumeist schon
aus Anamnese, Röntgenbefund und ev. Palpation stellen. Ist ausserdem
noch Blut im Stuhl zuverlässig nachgewiesen, so stützt das die Diagnose.
Siegfried Gr äff (Path. Institut Freiburg i. Br.): Ueber den Situs von
Herz und grossen Gefässeo bei einseitiger Druckerhöbung im Pleuraraum.
Untersuchungen an vor Eröffnung intravenös mit Formof injizierten
Leichen. Rechtseitiges Exsudat verschiebt das Herz nach links, ohne es
zu drehen. Die Venae cavae werden rechtskonkav gekrümmt, eingeengt,
besonders die Cava inf. am Zwerchfelldurchtritt abgeknickt (Ursache für
plötzliche Todesfälle). Bei frischem linksseitigem Exsudat bzw. Pneumo¬
thorax wird der Herzbeutel gedrückt, das linke Herz nach vorne gedreht,
die Aorta und besonders die Pulmonalarterie stranguliert und auch durch
direkten Druck eingeengt. Doch ist dieser Druck von L weniger schädlich
als der Druck von R auf die dünnerwandigen Venen. Kommt L eine
Schwarte hinzu, so kann starke, säbelscheidenförmige Einengung der A. pulm.
vor ihrer Teilung und des Aortenbogens eintreten. Ferner werden die
Cavae geradegerichtet: das Ausbleiben von Stauung im rechten Herzen
bei Einklemmung der A pulm. erklärt sich Verf. daraus, dass das Blut
durch die insuffiziente Valvula Eustachii in die geradegerichtete Cava inf.
zurückgetrieben wird. Dyspnoe bei Pneumothorax könnte durch erschwerten
Blutzufluss zu den Lungen erklärt werden. Die mechanische Störung der
Zirkulation ist auch bei tuberkulösen Schwarten, bei Kyphose u. a. zu
berücksichtigen.
Joh. T h i e m a n n - Jena: Eine neue Operationsfeldbeleuchtung.
5 Kugelspiegellampen werfen ihr Licht von der Decke aus konzentrisch
auf das Operationsfeld, wo eine Qqsamthelligkeit von etwa 3500 Meterkerzen
erzeugt wird. Dazu kann noch eine auf Dreifussständer bewegliche Hilfs¬
lampe herangefahren werden. Herstellung: Zeiss-Jena.
Heft 3.
Karl Pichler (Landeskrankenhaus Klagenfurt): Die Stellung der
Finger bei veralteten Qelenklelden und die Arbeitshand (Wilhelm Braune).
Die ulnare Abduktionsstellung bei den Fingern der ..Arbeitshand" auch
In Ruhelage ist eine Folge der schiefen Richtung der Flexoren, welche die
Strecker an Masse bedeuteftd überwiegen, also eine Folge der Qreifbe-
wegung. Dieselbe Stellung nach Gelenkleiden erklärt Verf. als Vorzeitig
entstandene Arbeitshand, begünstigt durch schlafferen, nachgiebigeren Zu¬
stand der Gelenke.
Erwin Becher: Betrachtungen über die Frage, warum die Lunge
trotz des von ihr ausgeübten Zuves an der Brustwand auch eine thorax-
wan4stiitzende Funktion hat.
Die Lunge zieht an der Thoraxwand vermöge ihrer Elastizität. Da die
Zugrichtungen in der Lunge nach dem Hilus zu konvergieren, kann man jedes
Wandteilchen als ein Stück eines mit der Spitze dem Hilus zugekehrten
Keiles auffassen; dessen Seitenflächen einen Druck auf die Umgebung ausüben.
Durch diese tan^^entiale Kr*»^* welche die Stückchen aneinanderdrückt (Be¬
rechnung nach dem Keilgesetz), wird eine thoraxwandformerhaltende und
festigende Wirkung erzielt.
Wilh. Gundermann (Chir. Klinik Giessen): Ueber Luftembolie.
Fortsetzung der obigen experimentellen Arbeit in Heft 1—2, Für Luft¬
embolie ins linke Herz ist der Herztod, für die ins rechte Herz der Atmungs¬
stillstand charakteristisch. Bei Lufteintritt ins linke Herz kommt es zu
Koronarembolie, noch ehe die gerne angeschuldigte Gehirnembolie wirksam
werden kann. Im linken Ventrikel erzeugt Luft kein Mühlengeräusch, nur
im rechten, welches viel mehr Luft vertragen kann als das linke. Im rechten
sind kleine Luftmengen ungefährlich, da die Lunge als Schutzfilter wirkt.
Der** Gefahr einer Luftembolie ins rechte Herz kann man durch Lagerungs-
raassnahmen Vorbeugen, gegen Embolie ins linke Herz kann man nicht
schützen. Nach Eintritt der Luftembolie ist die Herztätigkeit anzuregen.
Wiederbelebungsversuche sind erfolglos. Bei Verdacht auf Luftembolietod
ist die Sektion möglichst rasch auszuführen.
Digitized by Goiigle
N. Wolkowitsch - Kiew: Weiteres über das ..Muskelsymptom der
chronischen Appendizitis.
Bei der chronischen Appendizitis oder in der anfallsfreien Zeit sind
die Bauchdecken erschlafft, rechts weicher als links und an Umfang ver¬
mindert, atrophisch. Ob das Symptom nur der Appendizitis eigentümlich ist,
ist fraglich. Bei linkseitiger Skoliose bzw. Scoliosis habitualis soll die
Möglichkeit einer chronischen Appendizitis im Auge behalten werden.
' Kurt B e h n e und Karl Lieber (Frauenklinik und Hyg, Institut Frei¬
burg i. Br.): Die durch Isoagglutlnine und Isolyslne bedingten Gefahren
der Menschenbluttransfuslon und die Möglichl^it ihrer Vermeidung.
Es wurde Schwangerenblut gegen Normalblut, ferner Wöchnerinnenblut
gegen Normal- und Schwangerenblut untereinander in kreuzweiser Anordnung
auf Isoagglutinine untersucht. Danach besitzen die Schwangerenblutkörper-
chen seltener passende Rezeptorengruppen wie das Normal- und Wöch¬
nerinnenblut. Bei absoluter vitaler Indikation soll der Geburtshelfer das zu
infundierende Blut von Mutter. Schwester oder einer nahen weiblichen Ver¬
wandten nehmen, da Verwandtenblut nur selten Isokörper enthält. Bei
relativer Indikation ist eine Vorprüfung zu fordern wegen der Gefahr der
schweren Schädigung durch Hämolyse. Entweder man ■ gibt probeweise
ca, 20 ccm Blut intravenös und achtet auf Reaktion (Wechsel der Gesichts¬
farbe. Brustbeklemmung, Steigerung der Puls- und Atemzahl). Oder man
prüft auf Isoagglutinine, da die Prüfung auf Isolysine zu umständlich ist
und beide in 60 Proz. gemeinsam Vorkommen. Blutarten, die im Vorversuch
aktiv oder passiv noch in Verdünnung 1: 10 deutliche makroskopische Aggluti¬
nation zeigen, sind von der Verwendung als Spenderblut auszuschliessen.
Angabe der Technik. Zu empfehlen ist die Natriumzitratbluttransfusion. Bei
chronischen Bluterkrankungen ist genaue kreuzweise Auswertung der Blut¬
arten auf Agglutination und Hämolyse zu fordern. Literatur.
Hans Knorr (Path. Inst. Freiburg i. Br.): Ueber den Schock (unter
besonderer Berücksichtisung der Lehre von C r 11 e).
Nachprüfung der Ergebnisse von C r i 1 e und D o 11 e y, Untersuchung
der Purkinje sehen Zellen des Kleinhirns bei Meerschweinchen und Ka¬
ninchen nach Ermüdung im Tretrad und nach'^ Schock durch brüske Reizung
des Bauchfells. Die Befunde von C. und D. konnten nicht, bestätigt werden.
Dagegen wurden die von N i s s 1 für alle Ganglienzellen aufgestellten Zu¬
standsformen der Pykno-, Para- und Apyknomorphie regelmässig beobachtet,
ferner die von vielen* Autoren beschrieben^ Abnahme der Pyknomorphie
bei Ermüdung und Erschöpfung bestätigt. Die Chromophilie der Ganglien¬
zellen scheint ein Funktions- bzw. Alterungszustand zu sein. Verf. fordert
eine strengere Abgrenzung des „Sammelbegriffes" Schock gegen verwandte
Krankheitszustände, Literatur. Grashey - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Band 161. Heft 6.
Peter Müller: Ueber das Ulcus pepticum lelunl. (Aus der Pri<rat-
klinik „im Bergli“ von Priv.-Doz. Dr. H. B r u n.)
An Hand eines Falles von postoperativem Ulcus jejuni nach v. Eiseis¬
berg scher Pylorusausschaltung. der nach mehrmaligen konservativen Ein¬
griffen schliesslich durch radikale Resektion geheilt wurde, tritt Verf. für die
radikale Resektion als primäre Operationsmethode des Ulcus ventriculi ein,
die durch die Verkleinerung der sezernierenden Magenschleimhaut eine Ver¬
minderung der peptischen Kraft des Magens bewirkt und damit der Ent¬
stehung des Ulcus pept. jej. vorbeugt. Neben der Prophylaxe des Ulcus
pept. jei bewirkt die Resektion eine Dauerheilung des Ulcus, durch Ent¬
fernung des spastischen Moments (Ulcus), die Nervendurchtrennung und Ver¬
minderung der hyperpeptischen Kraft.
Otto Veraguth: Neurologische Untersuchungen an Amputierten mit
willkürlich beweglichen Prothesen.
Untersuchungen an 6 nach Sauerbruch amputierten Patienten mit
der B a 11 i f sehen Prothese. Für die Neuerlernung von Bewegung sind beim
Amputierten die Sensibilitäten von besonderer Wichtigkeit. Nur treten z. B.
beim Oberarmamputierten infolge des Gliedverlustes Sensibilitätsdefekte ein:
1, die peripheren Teile der Dermatome sämtlicher Zervikalsegmente, 2. die
Tiefensensibilitäten, deren Rezeptoren in den abgetragenen Geweben ge¬
lagert gewesen sind. Die Wirkungen machen sich im Rückenmark durch
wesentliche Degenerationsvorgänze in mehr oder weniger bestimmten Ouer-
schnittfeldern geltend. Um festzustellen, was dem Organismus mit
amputiertem Oberarm an Sensibilitäten zur Verfügung bleibt, um die Be¬
wegung seiner Kraftquellen am Stumpf und die anderen die Prothese ver¬
sorgenden Muskeln neu zu koordinieren, wurden folgende Methoden an¬
gewandt: 1. Untersuchung der Oberflächensensibilität mit dem üblichen Ver¬
fahren, Prüfung der Vibrationsempfindung mit angesetzter Stimmgabel,
Prüfung der Tiefensensibilität mit dem H e a d sehen Druckmesser. 2. Aus¬
schaltung der Oberflächensensibilität durch Novokaininjektion. 3. Passive
Exkursionen der künstlichen Gelenke unter Befragung der Patienten. 4. An¬
bringung von Gegenständen zwischen die geöffneten Prothesenfinger und
Aufforderung der Patienten, zu fassen. 5. Aufforderung der Patienten, einen
bestimmten Punkt der Prothese an ein vorgehaltenes Kautschukstück zu
bringen. 6. Berührung bestimmter Punkte der Prothesenhand mit dem ge¬
sunden Zeigefinger in verschi'^dener Stellung. 7. Feststellung von Ge¬
wichten. 8. Wurf von Kohlcn.stückchen nach der Scheibe.
Dabei ergab sich, dass auch bei gänzlich unterdrückter Hautsensibilität
die kinästhctischen und Koordinationsleistungen nicht verändert werden. Es
ist also unwesentlich möglichst lange Hautkanäle zu schaffen. Es könnten
demnach bei erhöhter Kraft der Stiimpfmuskeln mehr Kraftquellen gesondert
werden, dadurch würden neue Synergismen und Antagonismen möglich. Die
erhöhte Wahrnehmung der Vibration erklärt sich einfach durch Uebertragung
der Schwingungen von der Manschette auf ausgedehnte Hautbezirke. Ein
sehr feines Gefühl besteht für passive Bewegungen der Prothesengelenke.
Das schlechte Ergebnis der Empfindungsprüfung der aktiven Muskelkontrak¬
tionen erklärt sich aus der grossen Zahl der Uebertijagungen. Zeigeversuche
und Gewichtsvergleiche fielen sehr gut aus, desgleichen die Ergebnisse des
Scheibenwurfes. H. Flörcken - Frankfurt a. M.
Bruns* Beiträge zur klinischen Chirurgie, red. von Garrd, Küttner
urid V. Brunn. 122. Bd.. 1. Heft, mit 26 Abbildungen. Tübingen,
Lau pp, 1921.
Aus dem physiologischen Institut in Zürich behandelt Prof. W. R. Hess
die physiologischen Grundlagen für die Entstehung der reaktiven Hyperämie
und des Kollateralkreislaufs. Sc)}on zur Erklärung der auffallenden Tatsache,
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
714
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
dass die Unterbindung selbst starker Arterien ohne Schaden für die von ihnen
gespeisten Zellterritorien ertragen werden kann, lässt sich irgendeine Kor¬
rektureinrichtung annehmen. H. analysiert die physikalische Seite des Pro¬
blems, und lässt sich danach an einen primitiven Regulationsmechanismus
nicht denken, sondern nur ein hochorganisierter, die integrative Leistung des
Nervensystems in Anspruch nehmender Akkommodationsapparat ist imstande,
die quantitative Dosierung der Blutversorgung restlos zu beherrschen, er
diskutiert die drei Theorien der peripheren Kreislaufregulierung, speziell die
der Strömungsregulierung durch Qefässreflexe. H. folgert aus seinen Dar¬
legungen eine alle Gewebe durchsetzende spezifische Sensibilität an der Spitze
der Kreislaufregulierung, präzisiert die physiologischen Grundlagen, indem er
die reaktive Hyperämie und Entstehung des Kollateralkreislaufs mit dem.
Mechanismus der peripheren Kreislaufregulierung in Beziehung bringt und
findet es von grösstem Interesse, dass auch die vom klinischen Gesichtspunkt
aus unternommenen Untersuchungen und Beobachtungen zu ähnlichen
Folgerungen in der Annahme eines Blutgefühles (Bier) führten.
Richard S c h e r b gibt aus der schweizerischen Heil- und Erziehungs¬
anstalt für krüppelhafte Kinder (Zürich) praktische Resultate der funktionellen
Bewegungsanalvsc (Ischiometrie) ln der Ab-Adduktlonsebene für die Diagnose,
Prognose und Begutachtung von Htiftgelenksaffektlonen, schildert die Technik
und den dazu dienenden Apparat und gibt von 8 Fällen verschiedener Art die
Massresultate und Röntgenogramme, er sieht in der Ischiometrie eine Methode,
welche die funktionellen Bedingungen des Bewegungsablaufes in ziemlich ge¬
nauer Weise zur Anschauung zu bringen vermag und uns in den Stand setzt,
die Wirkung der ausschlaggebenden Faktoren manifest zu machen.
August S t r ä u b i gibt aus dem Kantonsspital Münsterlingen einen Bei¬
trag zum Kropfschwund nach reiner Verlagerung eines Kropftelles und teilt
einen Fall näher mit, in dem bei einer beiderseits bis zu den Querfortsätzen
reichenden Struma, die mit einem Zapfen unter das Sternum herabreichte,
wegen heftiger Blutung aus unzähligen Kapselvenen die Exstirpation bzw.
Unterbindung der Schilddrüsenarterien nicht möglich war, es Hess sich nur
der untere Pol der rechtseitigen Struma hervorluxieren, die Haut reichte zur
Deckung des durch das Schlüsselbein in seiner neuen Lage gehaltenen vor¬
gelagerten Teils nicht aus und blieb dieser unbedeckt (ähnlich einer partiellen
Exothyreopexie). Etwa VA Monate nach dem Eingriff setzte nach unge¬
störtem Heilverlauf zuerst ein langsamer Schwund der Struma ein, der nach
etwa 7 Monaten sein Maximum erreichte, so dass der vorher unförmliche
Hals absolut schlank wurde. St. erwähnt weitere Fälle aus der Literatur;
geht auf das Zurückgehen des Kropfes auch der anderen Seite nach halb¬
seitiger Strumektomie bei rein hyperplastischen Strumen näher ein und be¬
spricht u. a. die auffällige Erscheinung, dass durch Resorption einer bis dato
in Unterfunktion stehenden Struma das Individuum sich physiologisch
besser stellt.
E. B ä r gibt aus dem gleichen Spital einen Beitrag zur operativen Be¬
handlung der Basedowstrumen und berichtet über 26 chirurgisch behandelte
Fälle (neben 600 in der gleichen Zeit operierten gewöhnlichen Strumen), sie
betrafen ausschliesslich weibliche Patienten, fast die Hälfte waren Ausländer;
und die Basedowstruma ist, wo der endemische Kropf vorkommt, um so
seltener, die Entartung der Drüse lässt eine Hyperthyreose nicht gut auf-
kommen.
B. geht auf die Erfolge näher ein, führt u. a. die Krankengeschichte
von 9 mit Unterbindung der Arterien behandelten Fällen an, die er im ganzen
nicht sehr befriedigend befindet und von 17 halbseitigen Resektionen (wovon
3 vorzüglichen Erfolg. 6 guten, 1 keinen Erfolg ergaben). Nach B. erweist
sich die noch ausbaufähige Basedowchirurgie besonders bei frischen floriden
Fällen (primärer oder sekundärer Natur) als selir aussichtsreich und sind diese
auch mit relativ schonenden Eingriffen an Heilung grenzend zu beeinflussen.
Bei den atypischen, chronischen, schwer ausheilbaren Formen lassen sich
immerhin in der Regel weitgehende Besserungen bis zu voller Arbeitsfähigkeit
erzielen. Basedowrezidive kommen vor, aber meistens in milderer, oft
vorübergehender Form, bei den mit endemischem Kropf kombinierten Formen
sind Krobfrezidive häufig und lassen oft Nachoperationen als wünschenswert
erachten.
Hans Conrad Brunner berichtet aus dem Kantonsspital Münsterlingen
über Struma cystlca Intrathoraclca accessorla unter Mitteilung des Befundes,
Röntgenbildes und des später nach Grippe erfolgten Tod des Patienten
erhobenen Obduktionsbefundes.
Karl Schlüpfer referiert aus der Züricher Klinik über einen weiteren
Fall von Gallensteinileus, dieser relativ seltenen Komplikation der Gallenstein¬
krankheit, die betreff der Anamnese zu berücksichtigen und die meist bei
Frauen in mittlerem und höherem Alter, die schon früher Qallensteinsymptome
hatten, vorkommt. Der Durchtritt des zu Ileus führenden Steines erfolgt
meist mittelst abnormer Kommunikation der Gallenblase oder Gänge mit dem
Darm. Die einzige kausale Therapie ist die sofortige Laparotomie mit
Enterotomie, nur bei Dickdarmverschluss kann vorgängig ein Versuch mit
inneren Mitteln angezeigt sein, sonst verschlechtert jedes Hinausschieben
der Operation rapid die Chancen
Alfred Brunner gibt aus der Münchener Klinik Beiträge zur Nieren¬
pathologie, Doppelniere und Hydronephrose bei Huleisennlere und bespricht
einen nach Furunkulose aufgetretenen Fall von paranephritischem Abszess,
nach dessen Eröffnung die Sekretion andauerte und wieder hohe Temperaturen
auftraten, so dass man sich zu einer zweiten Operation entschloss, bei der
zunächst der untere Teil einer Doppelniere, dann der obere entfernt wurde,
d. h. an Stelle der linken Niere 2 fast gleichartige kleinere Organe mit eigenen
üefässen und getrenntem Harnleiter vorhanden waren. Ferner referiert Br.
über eine Hufeisenniere, deren linke Hälfte weitgehend hydronephrotisch ver¬
ändert und durch Gewalteinwirkung auf den Unterleib zum Platzen gebracht
war und nach der (wegen Verdacht einer Darm- oder Milzverletzung) aus¬
geführten Laparotomie erkannt, von der rechten Seite getrennt und (nach
deren Versorgung mit Knopfnähten) entfernt wurde,
Th. H u g - Luzern berichtet über einige Fremdkörper In den Luft- und
Speisewegen und teilt u. a. einzelne durchs Bronchoskop entfernte Fremd¬
körper (Uhrkettenkarabiner, Zahnprothese etc.) näher mit.
R. C a m p e 11 berichtet zur Kasuistik der Mesenterial- und Netzzvsten
und teilt betreffende Fälle aus dem Kantonsspital Münsterlingen mit unter
Beigabe von Abbildungen der exstirpierten Geschwülste.
E. Wiesmann berichtet ebenfalls aus Münsterlingen über die End¬
resultate der in den Jahren 1896—1916 operierten Mammakarzinome (106 Fälle,
darunter 1 Mann). Es ergaben sich nach seinen Tabellen ähnliche Resultate
wie bei S t e i n t h a 1 (geheilt entlassen 73 Proz., postoperative Todesfälle
Digitized by Goiisle
1,83 Proz., Rezidivfälle 22 Proz. Bezüglich der Röntgennachbehandlung sah
man bei zellreichen Karzinomen schöne Resultate, Medullarkarzinom wird als
günstigste, Szirrhus als ungünstigste Tumorart angesehen.
Karl Schlüpfer berichtet aus der Leipziger Klinik über tödliche Nach¬
blutungen nach Tracheotomie bei Larynxdiphtherle unter Mitteilung eines
Falles, in dem 17 Tage nach der unteren Tracheotomie 6 Tage nach dem
Dekanülement mitten in der Nacht tödliche Nachblutung eintrat. Die Haupt¬
ursache der primären Nachblutung sind mechanische Gefässwandschädigungen.
in der Regel der A. anonyma, infolge brüsken Arbeitens bei der Operation
und durch die Wundeiterung bedingte progrediente Phlegmone der lädierten
Gefässwandstelle. Sekundäre Nachblutungen sind bedingt durch sich los¬
lösende Diphtheriemembranen oder durch Kanülendruck (Dekubitus) bei
dekrepiden Patienten, nicht nur, die Trachea, auch die Anonyma kann arrodiert
werden. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 20.
Andr. H e d r i - Leipzig: Zur Behandlung der osteomyelitischen Knochen¬
höhlen mit dem „Doppeldeckelverfahren*' nach Payr.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Ver.schiedenen Methoden, welche
die rasche Ausheilung der Knochenhöhlen erstreben, schildert Verf. das in
der P a y r sehen Klinik jetzt übliche Verfahren: die Haut wird stets in
Form eines breitgestielten, bogenförmigen Lappens nach oben geschlagen;
Bildung eines nach unten oder seitlich gestielten Muskel-Periostlappens. Ent¬
fernung des Sequesters und aller kranken Granulationen aus der Knochen¬
höhle, die dann mit L u g o l scher Lösung ausgetupft wird; nun wird der
Periost-Muskcllappen in die Höhle gelegt und der Hautlappen darüber ge¬
schlagen, dann Verschluss der Wunde mit Silberdraht. Verfs. Erfolge mit
dieser Methode sind recht günstig und ermutigen zu weiterer Anwendung.
Mit 5 Abbildungen.
Hch. H a r 11 e i b - Bingen: Ist der Chloräthylrausch so ganz unge-
fähriieh?
Auf Grund von 2 üblen Erfahrungen sieht Verf. in dem Chloräthyl
in erster Linie ein Herzgift, das aber auch das Atemzentrum ungünstig be¬
einflussen kann. In der psychischen Erregung des Pat. erblickt er eine
Kontraindikation zum Chloräthylrausch, der mit der gleichen Vorsicht wie
Chloroform angewandt werden sollte.
Arth. H o f .m a n n - Offenburg: Ueber einen Fall von Stichverfetzung der
linken Vena pulmonalis.
Verf. beschreibt genauer einen Fall von Stichverletzung an der Ein-
mündungsstelle der Ven. pulmonal, in den linken Vorhof, ohne Verletzung
des Herzbeutels. Der Fall ging durch Naht der Wundränder, deren Nahtlinie
durch einen Teil des Herzbeutels geschützt wurde, in Heilung aus.
P. G. P I e n z - Charlottenburg: Zur Behandlung des Mastdarmvorfalls
bei Kindern.
Verf. verteidigt und empfiehlt seine Methoda, den Mastdarmvorfall bei
Kindern mit freier Faszientransplantation zu behandeln, zur weiteren Nach¬
prüfung; er benützt elastisches, körpereigenes Material; der Eingriff selbst
ist ganz kurz, ungefährlich und führt in 8—10 Tagen zur Heilung.
Eug. J 0 s e p h - Berlin: Neues Kontrastmittel für die Pyelographie.
Verf. empfiehlt an Stelle des nicht ganz ungefährlichen Kollargols als
neues Kontrastmittel das Jodlithium, das in 25 proz. Lösung warm injiziert
einen intensiven raetallartigen Schatten gibt; 20 ccm genügen bereits zur
Injektion.
E. Pölya-Pest: Ausschälung eines faustgrossen Perithelioms ans dem
Pankreaskopfe.
Verf. hat kürzlich eine faustgrosse zystische Geschwulst aus dein
Pankreaskopfe herausgeschält, die sich mikroskopisch als Peritheliom er¬
wies. Der Fall ging in Heilung aus.
Jul. Hass- Wien: Zur Technik der A I b e e sehen Operation bei tuber¬
kulöser Spondylitis.
Verfs. Modifikation der A 1 b e e sehen Operation besteht darin, dass er
die dorsölumbale Faszie nur auf einer Seite heben den Dornfortsätzen
spaltet, dann die knorpeligen Spitzen der Dornfortsätze mit einem Resek¬
tionsmesser frontal kappt und nun die Dornfortsätze selbst mittels Hammer
und Mcissel spaltet; nun lassen sich leicht nach erfolgter Einpflanzung öes
Knochenspans die beiden Faszienblätter über diesem vereinigen, wodurch
man über dem Transplantat eine gut deckende Schicht und einen festen
Verschluss gewinnt. E. Heim- Oberndorf-Schweinfurt,
Archiv für Gynäkologie. Band 114. Heft 2.
Schweitzer: Bestrebungen zur Erhöhung der Lebenssicherheit der
Karzinomoperation.
Peritonitis, extraperitoneale Sepsis und Pyelonephritis verschuldeten
bisher die hohe Sterblichkeit der abdominalen Radikaloperationen nach
Wertbeim. Die Leipziger Klinik vermeidet die Gefahrengrösse durch
die von Zweifel ausgearbeitete Methode der Extraperitonisie¬
rung. Abdominal werden Uterus, Adnexe, Parametrien mit Drüsenlagern
ausgelöst; auch der Vaginalschlauch wird möglichst tief freigelegt, die Art.
vaginalis und die mit der Hämorrhoidalis kommunizierenden Gefasse abge¬
bunden. Nun Versenkung des Ausgelösten unter ein Peritonealdach, das
durch Raffnähte zwischen dem vorderen und hinteren Douglas herge^tellt
wird. Umlagerunsr der Kranken, Umschneiden der Scheide, Heraus-
ziehen der inneren Genitalien und Verbindung der Raffnähte mit dem
Scheidenrohr; Drainage. Resultat: von 322 so operierten starben 4,96 Proz..
davon an Peritonitis nur 0,93 Proz. Postoperative Zystitis trat nur in
7,8 Proz. auf. Häufigkeit der Nebcnverletzungen 7,5 Proz. Diese Erfolge
sind zweifellos gegenüber allen anderen mitgeteilten Statistiken bewunderns¬
wert. Nicht durchführbar ist Zweifels Methode bei enger, senil-atrophi-
scljer Scheide oder wenn der Krebsherd einreisst.
O. Frankl und V. H i e s s: Ueber die vorzeitige Plazentalösung.
Unter 35 352 Geburten (1908—1920) waren 34 Fälle (0,096 Proz.) von
vorzeitiger Lösung des regelrecht sitzenden Mutterkuchens. Mehrgebarende
scheinen häufiger befallen zu werden. Trotz des Aufwandes vieler Arbeiten
ist man einer einwandfreien Aetiologie bisher nicht nähergekommen. Als
mechanische Ursachen kommen in Betracht Lösungen infolge von zu kurzer
Nabelschnur, von Eihautzug; ferner Dilatation der Spongiosagefässe i.be.
Hydramnion, Zwillingen, Trauma. Basedow). Endlich Durchlässigkeit und
Zerreisslichkeit der Gefässe, wie z. B. bei Nephritis und Toxikosen. Diagno'^c
bietet i. A. keine Schwierigkeiten, wenn nur an das Krankheitsbild gedacht
wird. Bei schweren Fällen kommt heute allein der klassische
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
715
Kaiserschnitt in Frage. Bei leichteren müssen die Methoden einer
möglichst raschen Entbindung (Wendung, Perforation, Blasensprengen usw.)
angewandt werden.
R. Th. V. Jaschke: Nierenerkrankungen ln der Schwangerschaft.
Lieber die Gedanken der Arbeit ist schon in dieser Zeitschrift bei
Gelegenheit der Verhandlungen der Nauheimer Tagung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte berichtet worden.
J. H a 1 b a n; Keimdrüse und Geschlechtsentwlcklung.
Verf. stellt seinen alten Satz wieder auf, dass das Geschlecht der
Keimdrüse schon immer festgelegt is^t, aber auch die gesamten primären
und sekundären Geschlechtsmerkmale.* Das richtet sich insbesondere gegen
die Hypothesen H e r b s t s und Steinachs und gegen die von diesen
Forschern daraus gezogenen Schlüsse. Eine Reihe von Beispielen stützen
H.s Behauptung. Interessant ist auch der Satz, dass Hoden und Eierstock
identische oder nahe verwandte Hormone absondern.
E. G. Orthmann: Beitrag zur Kenntnis der bösartigen Nebennleren-
geschwülste.
Nach einer kritischen Literaturübersicht, die sich (mit Recht d. B.)
gegen den nichtssagenden Namen „Hypernephrom“ wendet, stellt O.
287 Fälle von bösartigen Nebennierengeschwülsten zusammen, von denen
147 operiert und 140 seziert worden sind. Im Anschluss daran Mitteilung
eines eigenen Falles bei einer 42 jähr. Primipara, der nach mehrfach gestörter
Rekonvaleszenz geheilt blieb. Die makroskopische und mikroskopische Unter¬
suchung stellte in Uebereinstimmung mit den Voraussetzungen yon
Ltfbarsch und Borst eine bösartige Nebennierengeschwulst fest. Be¬
merkenswert ist das Vorhandensein einer zentral gelegenen Zyste im Tumor;
die jedoch nur als Zerfallserscheinung aufgefasst werden kann.
B. H. Jägeroos: Die Hydrosalplnx, Ihre pathologische Anatomie,
Aetlologle, Pathogenese und Klinik.
Eine ungemein fleissige Arbeit von fast 80 Druckseiten. Aetiologisch
kommt für die Hydrosalpinx nach des Verfassers Ansicht nur bakterielle
Infektion in Frage. Gonokokken, Tuberkelbazillen und Streptokokken. Der
Inhalt der H. ist als T r a n s s u d a t zu betrachten. Die Diagnose auf Hydro¬
salpinx ist niemals sicher zu stellen. Prognose quoad vitam gut. Punktion
als Therapeutikum ist wertlos; vaginale Inzisionen könnten in Betracht
gezogen werden. Radikale Heilung durch Exstirpation nach Koeliotomie.
Dabei möglichst konservativ Vorgehen; selbst die Salpingostomie darf in
geeigneten Fällen versucht werden. Unter 14 solchen Fällen trat einmal
Befruchtung und Geburt eines reifen Kindes ein.
Joachim Frist: Ueber Tubentuberknlose mit adenomähnllcher Wuche¬
rung der Tubenschlelmhaut.
Darstellung eines Falles. Die Tubentuberkulose schafft keine be¬
sondere Disposition zur bösartigen Entartung; wogegen schon die Einseitig¬
keit des Tubenkarzinoms spricht.
Hermstein: 50 Geburten ln vereinfachtem, schematisiertem Dämmer¬
schlaf.
Das Verfahren wird abgelehnL insbesonders ist cs für die Geburt im
Privathaus nicht zu empfehlen. 24 lebensfrisch Geborenen stehen 20 oligo-
pnoische, 6 asphyktische und 2 frischtote Kinder gegenüber.
. B i e r e n d e: Pemphigus neonatorum.
Die Prognose der klinisch meist mild verlaufenden Erkrankung ist
günstig, vorausgesetzt, dass eine sekundäre Infektion der entblössten Haut¬
stellen vermieden wird. In den Blasen wurden ausnahmslos Reinkulturen
von Staphylococcus aureus nachgewiesen; dieser hat aber spezifische
Eigenschaften, und Impfblasen gingen nur bei schlaffen, geschädigten Säug¬
lingen an. P. ist übertragbar aber nicht endemisch, so dass Isolierung
der Kinder nicht notwendig. Therapie bestand im Einschlagen der Kinder
in grosse Windeln; Blasen werden baldigst entfernt, der Blasengrund mit
Alkohol abgerieben, dann mit Sublimat betupft und mit Protargolsalbe
gedeckt.
Pritz Schilling: Ueber einseitige Defekte Im weiblichen Urogenital-
traktus.
Mitteilung eines Falles, in dem bei rudimentär entwickelten inneren
Genitalien (Uterus unicornis) die linke Niere samt Ureter und Gefässen
fehlte. Für die Aetiologie können einheitliche Momente nicht herangezogen
werden.
Pritz Kermauner: Ueber die Bildung des Urnlerenleistenbandes.
Eine ergänzende Mitteilung zu der Arbeit Robert Meyers (Arch. f.
Gyn. 113. H. 2). W. S. F 1 a t a u - Nürnberg.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. 26. Band. 6. Heft. 1920.
Harriette C h i c k und Elsie J. D a 1 y e 11 (Universitäts-Kinderklinik
Wien): Eine Skorbutepidemie unter Kindern Im Alter von 6—14 Jahren.
40 Kinder der Tuberkulosestation erkrankten im April 1919 ganz plötz¬
lich an Skorbut. Da über ihre Ernährung in der vorausgehenden Zeit so
ziemlich Alles bekannt ist, lässt sich nachw’eisen, dass die Epidemie nicht
so sehr durch den allerdings auch festgestellten Mangel an skorbutverhüten¬
den Nährstoffen hervorgerufen wurde als durch unzweckmässige Zubereitung
(zu langes Kochen der Gemüse, Verwendung ungekeimter Hülsenfrüchte).
Die Engländer tun sich leicht; das Massenexperiment der Hungerblockade
ist ihren Vitaminforschungen recht günstig: die Wiener Kinderklinik rechnet
sichs zur Ehre, ihnen ihr Material zur Verfügung zu stellen, — und dann
bringen sie heraus, dass der Skorbut bloss vom zu langen Kochen der
Gemüse hergekommen sei!
Erich Nassau- Berlin: Zur Frage des Elwelssnährschadens beim
Säugling.
Dass man bei der grossen Mehrzahl der eiweissreich ernährten und
nicht gedeihenden Säuglinge durch weitere erhebliche Steigerung der Eiweiss¬
zufuhr Gedeihen erzielen kann, spricht nicht sehr für die Existenz eines
Eiweissnährschadens; ebenso, dass auch bei starker Eiweisszufuhr Indikan
im Harn fehlt.
Julius 0 h 1 m a n n - Berlin: Weitere Untersuchungen über den Wasser-
versuch Im Klndesalter.
Für den Wasserversuch* haben sich folgende Mengen Wassers für die
verschiedenen Altersklassen als empfehlenswert herausgestellt: im 1. Halb¬
jahr lOOg, im 2. 200 g, im 2.—4. Jahre 300 g, im 4.—6. Jahr 400 g, im
6.—10. Jahr 600 g.
F. Rohr- Halle: Eineiige Zwillinge.
Das Beispiel (auffallend gleichartiger Verlauf einer Ernährungsstörung)
spricht für gleichartige innere Veranlagung eineiiger Zwillinge.
Digitized by Goüsle
Karl Co'erper - Barmen: Beitrag zur Ernährung mit Eiwelssmüch.
In Anstalten ist die Anwendung der Eiweissmilch nicht auf die von
den Erfindern angegebenen Fälle (Dyspepsien) beschränkt; nur ist häufig
Kombination mit anderen Nährmischungen (auch Frauenmilch) nötig; be¬
sonders geeignet erweist sie sich zur Aufzucht chronisch gestörter, unter¬
gewichtiger Säuglinge; grippale Infektionen werden bei Eiweissmilch leichter
überwunden.
Hermann B a 11 z - Cassel: Ein Beitrag zur Variation der Körpermaße.
Die Variation der Körpermasse (so soll es wohl in der ganzen Arbeit
statt . . . maße heissen) gleichlanger Neugeborener folgt dem G a u s s -
sehen Fehlergesetz.
A. S c h m i n c k e - München: Angeborene, unter den! Bilde einer
Thymusgeschwulst verlaufene diffuse Lymphanglombildung des vorderen
Mediastinums.
Der Fall (6 wöchiger Säugling) ist ein Unikum. Q ö 11.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 70. Band. 4.—6. Heft.
R. F 1 e i s c h m a n n - Bad Nassau: Das Verhalten des Liquor splnalls
bei den verschiedenen Stadien und Formen nichtbehandelter Syphilis. Kli¬
nische Untersuchungen an 347 Fällen unbehandelter Syphilitiker.
Aus der ergebnisreichen Arbeit, in der das Material der A r n i n ^chen
Hautabteilung verwendet wurde, lassen sich in Kürze nur folgende Haupt¬
punkte hervorheben: 1. Lues I und I—2: Die Befunde in diesem Stadium der
Lues sprechen dafür, dass in einer nicht geringen Zahl von Fällen die In¬
fektion des Zentralnervensystems vor der des Blutkreislaufes erfolgt. Mit
Auftreten der Skleradenitis bei noch negativem Blutwassermann setzen die
schweren Liquorveränderungen (Plasmazellen, Phase I und positiver Wasser¬
mann) ein bei Fehlen subjektiver und objektiver Symptome am Nervensystem.
Druckerhöhung des Liquors ist ein wichtiges prämonitorisches Zeichen.
2. Sekundärlues: Das Anschwellen der einzelnen Liquorwerte gegen die Werte
in der vorigen Gruppe bew’eist, dass das Nervensystem aus dem Reizzustand
in das Stadium echt syphilitischer Entzündung bei einem Teil der Lues¬
kranken übergegangen ist. Bei einem andern Teil ist eine Art Entgiftung
oder Selbstheilung eingetreten, wie die Abnahme der Zahl der positiven
WaR. im Liquor einerseits, die Zunahme vollkommen Liquorgesunder ander¬
seits beweist. Fälle von Sekundärlues mit negativer WaR. haben bei nor¬
malem nervösen Befund oft stark pathologisch veränderten Liquor. Bei be¬
handelten, auch gut behandelten Sekundärluikern, ist ein Ansteigen der Zahl
der schwer Liquorbeschädigten zu beobachten. Bei objektivem neuropatho-
logischen Befunde sowie bei positiver WaR. in der Spinalflüssigkeit wurden
bei Lues II in lüü Proz. Plasmazellen gefunden. Zwischen Leukoderma
und Alopecia einerseits und pathologischem Liquor anderseits scheint ein Zu¬
sammenhang zu bestehen. 3. Ulzeröse Lues: Im Gegensatz zu der bisherigen
Anschauung ist bei unbehandelten Fällen ulzeröser Lues ein Fortschreiten
der luischen Liquorerkrankung als sicher anzunehmen. Eine einmalige ge¬
nügende Salvarsanbehandlung, die Z 4 im Verschwinden der Hauterscheinungen
führt, genügt bei der ulzerösen und gummösen Lues nicht. Die Zahl der
so behandelten Liquorkranken ist grösser als die von denen, die nur mit Hg
behandelt wurden. Die Ursache der Salvarsanschädigungen ist in einer toxi¬
schen, das Gewebe schädigenden Komponente zu suchen, durch die das Ner¬
vensystem weniger resistent gegen die Lues wird (Arsen). Ausreichende
Ouecksilberkuren bewirken bei den ulzerösen und gummösen Formen der
Lues geringere toxische Schädigungen des Nervensystems als die anderen Be¬
handlungsarten. Durch Hg-Behandlung allein werden aber echt luische Liquor¬
erkrankungen nicht so vollständig ausgeschaltet wie durch Salvarsanbehand¬
lung. 4. Bei Lues latens findet eine fast gleichmässige Abnahme der patho¬
logischen Liquorwerte in der Spätlatenz gegen die Frühlatenz statt. Bei jeder Art
der Behandlung kommt ein gewisser Prozentsatz luisch krankhaft veränderter
Liquoren bei negativem Blutbefunde vor. Eine kleine Anzahl ist nach aus¬
reichender Salvarsanbehandlung in der Spätlatenz bezüglich ihres Blut- und
Liquorbefundes als zurzeit geheilt zu betrachten; unter nur mit Quecksilber
und unter den ungenügend Behandelten fanden sich keine derartig „Geheilten“.
W. Rindfleisch - Dortmund: Ueber epidemische Enzephalitis.
Die Symptomatologie einer Enzephalitisepideraie wird besprochen. Schlaf¬
sucht und Augenstörungen waren die führenden Symptome. Besondere Be¬
achtung verdienen die schweren protrahierten Fälle, deren Krankheitsdauer
sich auf 9 Monate in einem Fall erstreckte.
G. C. Bolten-Haag: Die vasomotorische Neurose Nothnagels
(Akroparästheslen Schnitze).
Die Akroparästhesien sind immer die Folge eines verminderten Tonus
im sympathischen Nervensystem. Mit Erfolg wird dagegen kombinierte
Organtherapie angewandt (Ovarium-, Thyreoid- und Nebenierenpräparate).
G. C. Bolten- Haag: Dies und lenes über die Pathogenese und Thera¬
pie der Trigeminusneuralgie.
Die essentielle Quintusneuralgie tritt überwiegend bei neuropathischen
Individuen auf, bei denen bisweilen direkte Vererbung oder wenigstens allerlei
funktionelle Neurosen in der Aszendenz nachzuweisen sind. Man kann fol¬
gende Gruppen unterscheiden: 1. Unbekannten Ursprungs, nur hereditäre Be¬
lastung und neuropathische-Disposition sind vorhanden. 2. Bei Inanition und
Zirkulationsstörungen, senile und arteriosklerotische Neuralgien. 3. Bei
akuten und chronischen Infektionskrankheiten. 4. Exogene Intoxikationen, wie
Alkohol. Blei. 5. Bei dyskrasischen Zuständen, Karzinom, Diabetes. 6. Auf
rheumatischer Basis. Medikamentöse Therapie bleibt in den meisten Fällen
erfolglos. In mittelschweren Fällen ist Arsonvalisation am Platze; nur, wenn
alles andere versagt, Exzision oder Alkoholinjektion; doch kommen auch da
Rezidive vor.
G. C. Bolten-Haag: Die Frage'der sog. „Neuritis ascendens“.
Fall von aufsteigender Neuritis, ausgegangen von einem tuberkulösen
Prozess in einem Handwurzelknochen.
G. H e r z 0 g - Leipzig: Zur Pathologie der Encephalitis epidemica
(E. lethargica).
Charakteristisch ist die starke Zellvermehrung im Gewebe, die z. T. herd¬
förmig angeordnet ist, vielfach auch mehr oder weniger diffus. Daran sind
vor allen die Gliazellen beteiligt, daneben auch kleine zartleibige lymphoide
Elemente und grosse und kleine basophile Lymphzellen (letztere namentlich
in der Nachbarschaft der kleinen Gefässe), die an den Venen dichte Infiltra¬
tionen der adventitiellen Gefässscheiden darstellen und auch an den grösseren
Arterien Qefässeinscheidungen durch Zellinfiltrate bilden. Diese Lymphoid-
zellen sind ihrer Entstehung nach von den Gefässwandzellen herzuleiten.
Ganglienzellen gehen bei dieser Erkrankung in grösserer Menge teils durch
Neurozytophagie teils durch Schrumpfung und Auflösung zugrunde. Histo-
• Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
716
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
logisch ist das Bild dem der Poliomyelitis sehr ähnlich, aber döch nach dem
epidemiologischen Verhalten und klinischen Verlauf als eine eigene Krank¬
heit herauszuheben.
F. Herzog - Greifswald: Ueber atypische amyotrophiscbe Laterai-
sklerose.
Die fortschreitende Muskelatrophie und Lähmung, beginnend am linken
Bein, dann rechtes Bein, Arme und Rumpf, ohne Spasmen, mit fibril¬
lären Muskelzuckungen, endlich kurz vor dem Tode Bulbärsymptome Hessen
an eine Erkrankung der motorischen Kerne der Vorderhörner denken und die
Diagnose auf Poliomyelitis ant. stellen; die mikroskopische Untersuchung des
Rückenmarks deckte aber neben einer schweren Erkrankung der Vorderhörner
und vorderen Wurzeln eine über dem ganzen Rückenmark ausgebreitete Affek¬
tion der Pyramidenseitensträngc, geringe Aufhellung der Vorderseitenstrang¬
hahnen und eine helle Zone in dem mittleren Teile der Hinterstränge auf.
B i n g e 1 - Braunschweig: lieber Encephalitis epidemica.
Bemerkenswert waren die postmortalen TemperatursteigeVungen, das
Fehlen der eosinophilen Zellen während der Krankheit, Auftreten eines
Exanthems in 2 Fällen, starke, wohl auf Vaguslähniung zurückzuführende Puls¬
beschleunigung, starke Gewichtsabnahme trotz guter Nahrungszufuhr und das
Auftreten übelriechender Schweisse.
E. Fünfgeld - Freiburg; Ueber myotone Dystrophie, ein Beitrag zur
Kasuistik.
2 einschlägige Fälle, Stiefbrüder, mit deutlicher Heredität. Von den
pharmakologischen Prüfungen fiel die Pilokarpinprobe positiv aus; das spricht
neben den trophischen Störungen und dem positiven Chvostek, die bei diesem
Falle vorhanden waren, für das Zugrundeliegen einer innersekretorischen
Störung.
E. Müller- Marburg: Ueber die „epidemische Enzephalitis*'.
Verf. macht darauf aufmerksam, dass neben lethargischen andersartig ver¬
laufende Fälle häufig übersehen werden. Eigentümlich ist der akute, meist
fieberhafte Beginn der nervösen Erkrankung mit ihren vieldeutigen Verlaufs-
erscheinungen, dazu zerebrale, auch meningeale Störungen, Hyperästhesien der
Kopfhaut, Ueberempfindiiehkeit der Augen gegen Licht, psychomotorische Un¬
ruhe, manchmal merkwürdige Charakterveränderung, Augensymptome, Fa-
zialisstörungen, nicht selten als alleiniges Symptom auftretend und unter dem
Bilde einer nukleoperipherischen Fazialislähmung verlaufend, Chorea und end¬
lich die ausserordentlich verzögerte Rekonvaleszenz.
K. Pönitz- Halle; Rückenmarkstumor und metasyphilitische Erkran¬
kung des Zentralnervensystems. Ein Beitrag zur DlBerentlaldiagnose.
Der klinische Befund, vor allem der positive Ausfall der 4 Reaktionen in
der Lumbalflüssigkeit und der WaR. im Blute täuschten bei einem Rücken¬
markstumor eine Tabes vor.
M. Kastan -Königsberg: Die Goldsolreaktlon des Liquors von Tabo-
paralytlkern.
Bei kurvenmässiger Darstellung des Ausfalles der Reaktion ähnelt die
Kurve mehr der Tabeskurve als der der Paralyse. Nur da, wo die para¬
lytischen SjTnptome schon weiter fortgeschritten sind, nimmt sie mehr den
Charakter der Paralysekurve an. Renner- Augsburg.
In dem Referat über die Zschr. f. Nervenhlk. Bd. 68/69, d. W. Nr. 15,
S. 465, muss zu der Arbeit von Schnitze- Bonn folgender zweiter Satz
angefügt werden; Ueber einen 3., hier ausführlicher wiedergegebenen Fall von
akutester Myelitis wurde bereits kurz im Jalirg. 1912 S. 2260 d. Wschr.
(Sitzungsbericht d. Rhein.-Westf. Ges. f. inn. Med. u. Nervenhlk.) berichtet.
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. Band 25. Heft 1.
Kästner Hermann: Nierensarkom bei einem 7monatlichen Fötus.
(Pathologisches Institut Dresden-Johannstadt.)
Durchwachsung und Substitution fast der ganzen linken Niere durch ein
Spindelzellensarkom.
Budde Max: Zur Kenntnis der bösartigen HypophysengeschwUlste und
hypophysären Kachexie. (Patholog. Institut Köln.)
Weib, 28 Jahre. Greisenhaftes Gesicht, Verlust der Achsel- und Scham¬
haare, starke Pigmentierung der Bauchhaut in der Umgebung der Mittellinie.
Walnussgrosser, brauner Tumor der Hypophyse. Grosse Metastasen längs
der linken Halsgefässe und in den Lungen. Histologisch besteht der Tumor
aus grossen polygonalen Zellen mit grossem, blasigem Kern, die von Hypo¬
physenvorderlappenzellen abgeleitet werden. Die Kachexie ist identisch mit
der hypophyseopriven Kachexie.
Weber Otto: Der Einfluss des Krieges auf die Organgewichte. (Pathol.
Institut der städt. Krankenanstalt Kiel.)
Statistik über 1257 Sektionen. Durchschnittskörpergrösse der Männer
168,7 cm, der Weiber 158,3 cm. Organgewichte (nur nicht krankhaft ver¬
änderte Organe wurden zur Statistik herangezogen): Gehirn Mann 1357, Weib
1246 g. Unterschiede in den beiden Ernhrungsperioden 1914/15 und 1916/18
waren hier nicht zu konstatieren, ebenso nicht bei den Lungen; Herzgewicht
Mann 290 g, Weib 258 g, ebenfalls kein wesentlicher Unterschied in den
2 Ernährungsperioden. Leber: Mann 1301, Weib 1242 g. Physiologische
Gewichtsabnahme erfolgt* vom 4. und 5. Jahrzehnt an. Bei der Leber
deutliche Abhängigkeit des Gewichtes von der Ernährungslage: in der schlech¬
teren Ernährungsperiode Gewichtsabnahme durchschnittlich um 200 g. Nieren¬
gewicht beim Mann 140, beim Weib 125 g. Kein Unterschied in der schlech¬
teren Ernährungszeit. Bei der Milz wieder Abhängigkeit von der Ernährung:
beim Mann 156,5 gegen 137 g, beim Weib 141,5 gegen 118 g.
Rumpel Alfred: Ueber Identische Missbildungen, besonders Hypospadie,
bei eineiigen Zwillingen, über die Entstehung und morphologische Bedeutung
des Frennlum praeputll. zugleich ein Beitrag zur Frage nach der ersten Ent¬
stehung und dem Wiederverschwinden erblicher Missbildungen. (Mit 5 Ab¬
bildungen im Text.) (Chirurg. Universitätsklinik in Leipzig.)
Literaturzusammenstellung ergibt, dass bei eineiigen Zwillingen stets
beide Individuen mit derselben Missbildungsfprm behaftet sind. Eingehende
Würdigung der Entwicklungsgeschichte der Hypospadie, die als einfachste
Form des Pseudohermaphroditismus masculinus externus angesehen wird.
Matsuyama Rokuro: Experimentelle Untersuchungen mit Ratten-
parabiosen. I. Teil: Gegenseitiger Einfluss beider Tiere im parabiotischen
Zustand. (Institut für Infektionskrankheiten der Universität Tokio.)
Beste Methode der Parabiose ist die Coclostomie. Jugendliche Tiere
von 1—3 Monate Alter eignen sich am besten. Tiere gleichen Wurfs sind nicht
nötig; hauptsächlichste Todesursache der parabiotischen Tiere ist Narkose¬
tod. Wundinfektion, Wachstumshindernis des einen Teils. Bei Infektionstod
des einen Partners stirbt der andere innerhalb 12 Stunden. Bei Nichtinfek¬
Digitized by Goiisle
tionstod stirbt der Partner unter den Erscheinungen hochgradiger Anämie in¬
folge Verblutung in den anderen Partner; manchmal beobachtet man inten¬
sives Wachstum des einen Partners, Abmagerung und schliesslichen Tod des
anderen (Resorption der Nährstoffe durch den kräftigeren Partner).
Schön Rudolf: Lymphosarkomatose mit Beteiligung det Brüste bei
einem Gynäkomasen. (Pathologisches Institut Heidelberg.)
. Zusammenhang der Gynäkomastie und der Geschwulstbildung mit einer
Entwicklungsstörung der Thymus ist möglich.
Amersbach und Han dorn: Ein Fall von solitärem Rhabdomyom
des Herzens vom klinischen und anatpmischen Standpunkt. (Pathologisches
Institut Heidelberg.)
Plötzlicher Tod des 7 Tage alten Kindes. Abgegrenzte Geschwulst
in der Vorderwand des linken Ventrikels. Mikroskopisch typisches Rhabdo¬
myom. Kein Zusammenhang mit dem Reizleitungssystem.
Schwarz Richard; Beitrag zur Aetiologie der Polymyositis.
Mann, 64 Jahre. Schwellung der Haut, starker Juckreiz, dann Derb¬
werden der Haut, Trockenwerden, Schilfern. Starkes Spannungsgefühl im
ganzen Körper. Schmerzen bei jeder Bewegung. Starke Schwellung, be¬
sonders der Armbeugemuskeln, ständiges Fieber. Probeexzision ergibt
tuberkulöse Veränderungen der Muskeln.
Lob Paul Wilhelm: Ueber Adenokankroide. (Pathologisches Institut
Frankfurt a. M.)
Bei echten Adenokankroiden kommen Drüsenepithelkrebs und Platten¬
epithelkrebs gleichzeitig nebeneinander vor, gehen offenbar aus einer Art von
Zellen hervor. Mitteilung von 4 Fällen, Ausgangpunkt wahrscheinlich indiffe¬
rente Zellen mit Entwicklungspotenzen zü drüsenbildendem und verhornendem
Epithel.
Giebel W.: Ueber primäre Tumoren der Zirbeldrüse.
2 Fälle. Im ersten Falle histologisch polymorphzelliges Sarkom. Geistig
besonders früh entwickelter Mensch, über sexuelle Frühreife nichts bekannt.
Im 2. Falle Epidermoid der Zirbel ohne genauere klinische Angaben.
Brieger Heinrich: Ungewöhnlich hochgradige Trikuspidalstenose.
(Medizinische Abteilung des Allerheiligen-Hospitals Breslau.)
Kombiniert mit Insuffizienz und Stenose der Mitralis, die z. T. kompen¬
sierend wirkte. 35 Jahre alte Frau. Oberndorfer - München.
Berliner klinische Wochenschrift 1921. Nr. 21.
C. Hart: Zum Wesen und Wirken der endokrinen Drüsen.
Verf. führt die Gedanken aus, dass alle Lebens- und Entwicklungs¬
möglichkeiten der hochorganisierten Tiere in dem Gesetz der Transformation
der Kräfte durch die endokrinen Drüsen gelegen sind und dass die Ein¬
flüsse der Umwelt, auch die klimatischen z. B. auf den Organismus dadurch
wirksam werden, dass die endokrinen Drüsen in bestimmter Weise auf Reize
ansprechen, welche aus der Umwelt kommen. Der Genius epidemicus wäre
demgemäss zu verstehen als eine unter der Umwelt zustande kommende
gegenseitige Einstellung zwischen Mikro- und Makroorganismus. Ueber das
Verhalten der endokrinen Drüsen gegenüber diesen wechselnden äusseren
Reizen, z. B. unter dem Einfluss der verschiedenen Jahreszeiten, sind wir
allerdings nur sehr dürftig unterrichtet. Nur hinsichtlich der endemischen
Struma haben wir einige Einsicht in die klimatisch-tellurischpn Einflüsse.
M. F r ä n k e 1 - Charlottenburg: Die Stellung des Bindegewebes Ira
endokrinen System.
Verf. rechnet zurzeit auch das Bindegewebe indirekt zum endokrinen
System und folgert demgemäss bei der Strahlenbehandlung in bewusster
Weise auch das Bindegewebe zu beeinflussen und sich z. B. nicht auf das
Karzinomgewebe allein zu beschränken. Man ist auf dem falschen Wege,
wenn man das Heil nur in den höchsten Vernichtungsdosen für das Karzinom¬
gewebe sucht.
Th. Brugsch und £. B 1 u m e n f e I d t - Berlin: Die Lelstunssz^t
des Herzens.
In dieser 6. Mitteilung verbreiten sich die Autoren über das Verhalten
der Anspannungszeit des Herzens, beurteilt nach Elektrokardiogramm und
Kardiogramm und gelangen zum Schluss: die Beurteilung der Anspannungs¬
zeit des Herzens nach der Dauer der flinken Zackengruppe im Elektrokardio¬
gramm bietet den Vorteil, dass man auch die durch Asynchronismus, d. h.
durch ungleichzeitiges Schlagen bewirkte scheinbare Verlängerung der An-
Spannungszeit des schlechten insuffizienten Herzens richtig erfasst.
H. H a a s s; Ueber die Chinidintherapie der unregelmässigen Herz¬
tätigkeit.
53 Fälle von Arrhythmie wurden dieser Behandlung unterworfen, da¬
runter 44 Fälle von Perpetuus. 27 Fälle der letzteren wurden durch
Chinidin günstig beeinflusst, darunter waren 12 Dauererfolge. Das ZurQck-
gehen der Arrhythmie war in einigen Fällen ein ganz plötzliches. In 2 Fällen
wurde trotz vorsichtiger Dosierung üble Nebenwirkung beobachtet, schwerste
Erregungszustände mit Bewusstlosigkeit und Kollaps. Verf. gibt am 1. Tage
0,2 g, am 2. Tage 2 mal, am 3. Tage 3 mal, am 4. Tage 4 mal diese Menge.
Bei dekompensierten Herzen vorher Digitalis.
H. Sachs- Berlin: Ueber familiäre kongenitale Mitralstenose.
Bei 3 Geschwistern fand sich diese Erkrankung in 3 verschiedenen
Typen. Es ist wahrscheinlich, dass die Ursache nicht in einer fötalen Endo¬
karditis, sondern in einer Hemmungsbildung zu suchen ist.
A. F e d e r m a n n - Berlin; Beiträge zur Aetiologie und Therapie des
Magengeschwürs.
Erfahrungen aus 95 Fällen von operiertem Magen-Darmgeschwür sind
zugrunde gelegt. Betont wird die konstitutionelle Anlage zum Geschwür, die
Bedeutung der hämorrhagischen Erosion, welche auch nur ein Vorstadium
eines Geschwüres sein kann'. Die Erfolge der operativen Behandlung, deren
Indikationen erörfert werden, waren im allgemeinen günstig. Beim floriden
Geschwür ist die Resektion für den Verf. die Operation der Wahl.
O. Schlesinger: Zur Frage der klimakterischen Blutdrucksteigerung.
Die Stärke der Blutdruckschwankungen im Klimakterium ist abhängig
von der Dauer der Menopause, von dem plötzlichen oder allmählichen Aus¬
fall der Ovarienfunktion von der Art der Ovarialtättgkeit zur Zeit der
Geschlechtsreife. Zwar die Blutdruckhöhe, nicht aber die Blutdruckschw'an-
kungen sind abhängig vom Alter, internen Leiden, Lebensart und über¬
standenen Operationen. Der durch die endokrinen Drüsen regulierte Blut¬
druck verliert beim Ausfall der Ovarialfunktion seine Stabilität, das Klimak¬
terium bringt an sich keine dauernde Steigerung des Blutdrucks mit sich.
P. Lersey, H. Dosquet und M. Kuczynski - Berlin: Ein Bei¬
trag zur Kenntnis der „originären Kaninchensyphilis'*.
Original from
UNIVERSITY 0£CALIFORr:j
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
717
Verl, berichten über ihre Beobachtungen von anscheinend typischer
syphilitischer Erkrankung bei einigen Karjinchen. Der Verkäufer des einen
syphilitischen Kaninchenbocks war selbst auch syphilitisch erkrankt. Es
gelang, die Erkrankung bei den Tieren auf dem Wege des Koitus weiter zu
verbreiten. Es wird für wahrscheinlich erklärt, dass das Tier die Syphilis
vom Menschen bekommen hat. Es scheint, dass zwischen der tierischen und
menschlichen Lues eine Wesengleichheit vorhanden ist.
Jeanette S a k h e i m - Neukölln: Ein Fall von perniziöser Anämie mit
zahlreichen Askariden.
Der Sektionsbefund der 51 jähr. Kranken ist in Kürze der Mitteilung
beigefügt.
G. H i r s c h - Halberstadt: Die Tuberkulotoxine als Krankheitsursache.
Das Ergebnis der Beobachtungen lautet: Syphilis ist häufig, die latente
Tuberkulose aber in jedem Lebensalter weit häufiger und vielgestaltiger,
dabei handelt es sich meist um die Anwesenheit von Tuberkulotoxin allein
im erkrankten Organ. Charakteristisch ist eine gewisse Temperaturerhöhung,
die Diagnose wird weiter geklärt durch Tuberkulin. Zahlreiche Fälle von
Augen-, Ohren- und anderen Erkrankungen sollten durch Tuberkulin behandelt •
werden statt durch Hg und Operationen. Qrassmann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 19.
H. Selter- Königsberg: Die erreichbaren Ziele der spezifischen Tuber¬
kulosetherapie.
Vortrag auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere
Medizin in Wiesbaden am 19. IV. 1921 (Bericht in Nr. 18 d. M.m.W.).
J. Igersheiraer -Göttineen und H. Schlossberger -Frankfurt
a. M.: Tuberkulosestudien. V. Zur Pathogenität der säurefesten Bakterien
im besonderen der Passagestämme säurefester Bazillen (nach Untersuchungen
am Auge).
Durch Tierpassagen gelang es, aus säurefesten, saprophytischen Ba¬
zillen Stämme heranzuzüchten, die, am Meerschweinchenauge verimpft, hier
regelrechte tuberkulöse Erkrankung hervorriefen; vom Auge ausgehend kam
es ausserdem zu tuberkulöser Durchseuchung des übrigen Körpers.
B. L a n g e - Berlin: Weitere Untersuchungen über einige den Tuberkel¬
bazillen verwandte säurefeste Saprophyten.
Verimpfung von säurefesten Saprophyten auf Meerschweinchen und
Kaninchen führte wohl zu einer Verschleppung der Mikroorganismen im
Körper des Versuchstieres, niemals aber zu deutlicher Vermehrung. Eine
Steigerung der Virulenz durch Warmblüterpassage konnte nicht festgestellt
werden. Mit Kaltblütertuberkelbazillen vorbehandelte und nachher mit echten
Tuberkelbazillen (Typ. hum.) infizierte Meerschweinchen erkrankten genau
so an fortschreitender, tödlicher Tuberkulose, wie die nicht vorbehandelten
Kontrolltiere.
E. h i p p k e - Berlin: Ueber Infektion durch Hustentröpfchen von
Phthisikern.
Auf Grund von eigenen Versuchen, welche neuerdings die von einem
hustenden Phthisiker der Umgebung grohenden Infektionsgefahr dartun. wird
die Erkennung des besonders gefährlichen Verstreuens durch ein besonderes
Objektträgerverfahren und ihre Absonderung empfohlen.
H. J a s t r o w i t z - Halle: Ueber Tuberkelbazillenabbau bei skrofulöser
Konstitution.
Nach einem Vortrag im Verein der Aerzte zu Halle a. S. gehalten
am 4. V. 1921.
E. R ü s c h e r - Cuxhaven: Diagnostische kutane und subkutane Tuber¬
kulinreaktion bei sog. chirurgischer Tuberkulose.
Unter 30 Füllen verschiedenartiger Gelenktuberkulosen wurden nur
4 mal einwandfreie Herdreaktionen gesehen. Erkrankungen an chirurgischer
Tuberkulose führen im Allgemeinen zu einer stärkeren kutanen Reaktion —
das gilt namentlich von der Halsdrüsentuberkulose — als die viszeralen
Formen. Die intrakutane Reaktion erwies sich als empfindlicher wie die
kutane. Der Reaktion „nah am Herd“ konnte einen nennenswerte Bedeutung
nicht beigemessen werden.
S a n d e r - Dortmund: Ueber die Verbreitung der okkulten Tuberkulose
unter den Kindern in Dortmund.
Die Tuberkulosemorbiditat ist bei den Kindern Dortmunds gering, wie
denn überhaupt Dortmund niedere Tuberkuloseziffern aufweist.
F. F. F r i e d m a n n - Berlin: Gründe für hin und wieder beobachtetes
scheinbares Ausbleiben von Heilerfolgen des Friedmann sehen Mittels.
Erörterung der häufigsten Fehler bei Anwendung des Mittels.
Q. P o e 1 c h a u - Charlottenburg: Heilung einer mit dem Fried¬
man n sehen Mittel erfolglos behandelten Tuberculosis cutis verrucosa durch
Diathermie. 4 Photogramme veranschaulichen den Erfolg.
J. S c h a X e 1 - Jena: Ueber den gegenwärtigen Stand der Frage nach
der Vererbung erworbener Eigenschaften.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Schwelzerisctie medizlniscbe Wochenschrift 1921. Nr. 18.
K. K 0 11 m a n n - Bern: Expektorantlen und Pulvis Doverl.
Auf Grund pharmakologischer und kolloidchemischer Erwägungen, die
Verf; ausführlich darlegt, empfiehlt er ein neues Präparat „Ipecopan“
(hergestellt von der chemischen Fabrik vormals Sandoz in Basel), das
ein verbessertes Pulvis Doveri darstellt. Es enthält in konstanter Zu¬
sammensetzung reines kristallisiertes Emetin und die reinen Gesamtalkaloide
des Opiums und hat sich bisher in der Praxis gut bewährt.
U h 1 m a n n und B u r o w - Basel: Ueber ein neues Phenylcinchonin¬
säurederivat (Atochlnol).
Der Allylester der Phenylcinchoninsäure, dessen chemisch-physikalische
Eigenschaften und pharmakologische Wirkung im Tier- und Menschenversuch
genau beschrieben werden, ist wirksam bei Gicht, Neuralgien, Gelenk¬
rheumatismus und Entzündung der Schleimhäute. Die Steigerung der Harn¬
säureausscheidung war grösser als bei allen ähnlichen Präparaten (Ato-
phan etc.).
Reist- Bern: Ueber die Verwendung der Pavy-Sahll sehen Tltra-
tioflsmetliode zur klinischen Bestimmung des Blutzuckers in kleinen Blut-
mengen (0,1 ccm Blut) als Mikromethode.
Verf. hat die ursprünglich für Zuckerbestimmung im Harn und in
grösseren Blutmengen angegebene Methode für kleinste/Blutmengen verwend¬
bar gemacht und beschreibt genau die Technik. Fehlerquellen, klinischen
Digitized by Goiisle
Resultate an einem grösseren Untersuchungsmaterial. Wegen ihrer Einfach¬
heit empfiehlt er die Methode als der Bang sehen Mikromethode überlegen
für Klinik und Praxis.
L a n d 0 11 - Barmelweid: Therapeutische Erfahrungen mit den D e y k e -
Much sehen Partlalantlgenen.
12^ Fälle von Lungentuberkulose, intrakutane Anwendung von A, F
und N, dreimalige Injektion wöchentlich. Die Zahl der „bedeutend Ge¬
besserten“ war wesentlich höher als bei den Alttuberkulinfällen (75,4 Proz.
gegen 47,6 Proz.).
F. B r u n n e r - Zürich: Ueber Indikation nnd Technik der Enterostomle.
Bericht über 34 Fälle mit 16 Heilungen. Erfolg nur wenn ein lokales
Hindernis für die Peristaltik besteht, nicht aber bei Darmlähmung durch
diffuse Peritonitis.
J ö r g e n s e n - Kopenhagen: Perkussionsapparat für glelchmässige und
exakte Perkussion.
Beschreibung und Abbildung. L. Jacob- Bremen.
Oesterreichische Literatur.
Wiener kllnlscbe Wochensefarift
Nr. 17. Bucura-Wien: Beitrag zur Behandlung gonorrhoischer
Adnexerkrankungen und zur Prophylaxe postoperativer Komplikationen nach
gynäkologischen Operationen.
Für das Gelingen einer gynäkologischen Operation und Vermeidung von
Nacherkrankungen ist es wichtig, etwa bestehende infektiöse Prozesse im
Uterus oder der Vagina festzustellen und zu beseitigen. Neben der lokalen
ist die Vakzinebehandlung (Gonokokken- oder Autovakzine, bei den häufigen
Mischinfektionen auch Koli-Streptokokken öder Staphylokokkenvakzine, sorg¬
fältig durchzuführen, die Erfolge in jeder Richtung sehr zufriedenstellend.
R. Müller- Wien: Ueber den Einfluss des Alkohols auf die Flockung
von Lipoidantigen.
W. W a 11 i s c h - Wien : Stomatitis ulcerosa.
Pathologie mit Einteilung in 4 Stadien. Differentialdiagnose. Spe¬
zifische Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds (rein oder verdünnt).
H. F u h s - Wien: Ueber zwei Fälle von Erythema scarlatinlforme des-
quamativum recldlvans (B e s n 1 e r, B r o c q).
K. S t e j s k a 1 - Wien: Ueber intravenöse Therapie und die Wirkung
intravenös verabreichter hypertonischer Lösungen. IV.
St. bespricht u. a. die „diffuse Verschiebung“ des hypertonischen Agens
ins Gewebe unddie dadurch vermehrte Wirkung des Medikaments, weiter
die Hemmung der Drüsensekretion durch die hypertonische Lösung an sich
(nur dem Grade nach abhängig von der Art des Medikaments); diese Hem¬
mung betrifft auch Drüsen mit innerer Sekretion.
L. S c h ö n b a u e r - Wien: Ein Fall von Spannungspneumothorax nach
transdiaphragmaler Verletzung.
Transdiaphragmale Stichverletzung des linken Unterlappens. Hämo-
pneumothorax mit ausgedehntem Hautemphysem. Operation unter Ueber-
druck. Freilegung der Lunge durch Resektion dreier Rippen. Lungennaht
unterbleibt wegen Kollaps. Primär teilweiser, sekundär völliger Verschluss
der Thoraxwunde. Heilung.
P. K1 a a r - Wien : Zur Nomenklatur der geburtshilflichen Wendung.
Statt der Bezeichnung „vorzeitige und rechtzeitige“ innere Wendung
(Z a n g e m e i s t e r) empfiehlt K. die Benennung als „innere digitale und
innere manuelle Wendung“.
Nr. 18/19. H. Peham-Wien: Antrittsvorlesung.
B. Speck- Wien: Ueber das Normalgewicht.
S. Bericht M.m.W. 1921 S. 566.
O. F ö d e r s - Wien: Ueber die Schnittführung bei Cholezystektomie und
bei Operationen an den Gallenwegen.
F. empfiehlt die „retrorektale Laparotomie“ in folgender Weise: 1. Schnitt
genau in der Linea alba von der Nähe des Schwertfortsatzes bis zum Nabel
nur durch die Haut bis zum Fettgewebe. 2. Schnitt mit schräger Messer¬
führung durch das Fettgewebe und die vordere Rektusscheide nahe dem
medialen Muskelrand. Aushülsen des in der Verbindung mit der Scheide be¬
lassenen Muskels von der hinteren Scheide in ganzer Ausdehnung des
Schnittes und Luxation desselben nach rechts. 3. Schnitt etwa iH cm ent¬
fernt vom lateralen hinteren Rand des laxierten, nach aussen gehaltenen
Muskels durch die hintere Rektusscheide und das Peritoneum.
H. S c h 1 e s i n g e r - Wien: Osteomalazie und osteomalazieartige Er¬
krankungen. Fortbildungsvortrae.
J. Man dl-Wien: Zur Statistik der postoperativen Lungenkompli¬
kationen und über erfolgreiche Bestrebungen zu deren Prophylaxe.
Erscheint ausführlich in der D. Zschr, f. Chir.
F. Orthner - Ried: Ein eigenartiger Fall von Explosionsverletzung.
Beim Explodieren der unmittelbar auf den Oberschenkel aufgesetzten
Zündkapsel entstand eine zweifellos durch Gasdruck sekundär geplatzte aus¬
gedehnte, zirka 4 cm tiefe, bis in die Muskulatur reichende Wundhöhle.
' B e r g e a t.
Amerikanische Literatur.
H. Neuhof und S. Hirschfeld: Die langsame Einspritzung von
grossen Dosen von Natrlumzltrat. (NewYork Med. Journ., 1921, CXIII, Nr. 3.)
Als die Methode der Bluttransfusion von zitriertem Blut eingefUhrt
wurde, lag die Frage nahe, ob das Natriumzitrat nicht eine antikoagulrerende
Wirkung ausübe. Experimente zeigten aber gerade das Gegenteil; die
Koagulationszeit des Blutes wurde reduziert. Verf. fanden, dass die langsame
Einspritzung von grossen Dosen von Natriumzitrat in Zwischenräumen von
10—15 Minuten bei Mensch und Tier unschädlich ist. Dosen von 14 g sind
beim Menschen eingespritzt worden ohne toxische Erscheinungen hervorzu¬
rufen. Schnelle Einspritzung des Mittels ist gefährlich und kann den Tod
herbeiführen. Die gewöhnliche Dosis für Erwachsene ist 6—8 g in 30 proz.
Lösung, 1—3 g in grösserer Verdünnung bei Kindern. Alle Arten von Blu¬
tungen, äussere sowohl als chirurgische sind durch intravenöse Einspritzungen
von Natriumzitrat zum Stillstand gebracht worden. Diese Einspritzungen
sind auch ein wertvolles prophylaktisches Mittel gegen erwartete Blutungen
bei chirurgischen Operationen.
P. K. 01 i t z k i und F. L. Gates: Studien über nasopharyngeale Aus¬
scheidungen von Influenzakranken. (Journ. Am. Med. Assoc., Chicago. 1921,
LXXVI, Nr. 10.)
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
718
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
Es gelang Verf. aus filtrierten Auswaschungen nasopharyngealer Sekrete
von unkomplizierten Influenzafällen und aus Lungengewebe von Versuchs¬
tieren winzige Körperchen von charakteristischer Morphologie zu kultivieren.
Diese Körperchen sind streng anaerob, filtrierbar und sehr widerstandsfähig.
Injektionen bei Kaninchen und Meerschweinchen bringen ähnliche Wirkungen
hervor wie filtrierte und unfiltrierte nasopharyngeale Ausscheidungen von
frühen Fällen epidemischer Influenza.
L. B. K i n g e r 1 y: Die Aetiologie der (remelnen Warzen: ihre Erzeuguns
ln der zweiten Generation. (Jour. Am. Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI,
Nr. 7.)
Zur Bestätigung seiner Annahme, dass die gemeinen Warzen infektiöser
Natur und dass die erregende Ursache ein filtrierbares Virus sei, hat Verf.
folgendes Verfahren befolgt. Gewöhnliche Warzen wurden ausgeschnitten
und mit ein wenig Salzlösung in einem Mörser zerrieben. Nach Filtrierung
durch einen sehr feinen Berkefeldfilter wurde das sterile Filtrat mehreren
Individuen, die von Warzen frei waren, subkutan eingespritzt. Nach 4 bis
6 Wochen erschienen kleine Papillargebilde an den Injektionsstellen. Einige
dieser Gebilde verschwanden nach einiger Zeit, andere wuchsen an bis
zur Grösse einer Erbse. Diese Warzen wurden hierauf entfernt und wieder
auf die oben angegebene Weise zerrieben. Einspritzungen mit dem neuen
Filtrat brachten die gleichen Läsionen an den Injektionsstellen hervor. Die
meisten dieser Warzen erreichten die Grösse einer Erbse. Sie wiesen eine
ausgesprochene Hyperkeratose auf und waren von anderen Warzen nicht
zu unterscheiden.
H. No euch i und J. J. Kl i gl er: Immunologie peruanischer Lepto¬
spira icteroldes-Stimme. (Jour. Exper. Med., Baltimore, 1921, XXXIII, Nr. 2.)
Serum von Gelbfieberrekonvaleszenten aus Oberperu ergab eine positive
Pfeiffer sehe Reaktion mit Stämmen von Leptospira icteroides, die in
Guyaquil und Merida isoliert wurden. Das Serum übte auch in den meisten
Fällen eine Schutzwirkung bei Meerschweinchen gegen diese Stämme aus.
Die Pfeiffer sehe Reaktion war deutlich bei allen frischen Rekonvales¬
zenten, aber gering oder unvollständig bei Patienten, die das Gelbfieber
vor mehr als 10 Monaten überstanden hatten. Die Virulenz war bei beiden
Stämmen ungefähr dieselbe. Die geringste tödliche Dosis für das Meer¬
schweinchen war geringer als 0,00001 cg einer Nierenemulsion von einem
infizierten Meerschweinchen.
Wenn Meerschweinchen, die mit 2000—20000 tödlichen Minimaldosen ge¬
impft worden waren, mit hinlänglichen Mengen von Antiikteroidesserum be¬
handelt wurden, wurdp die Entwicklung der Infektion, oder wenigstens ein
tödlicher Ausgang verhindert. Bei Anwendung des Serums während der
Inkubationsperiode oder nach Erscheinen des Fiebers war die nötige Quantität
desto geringer, je früher das Serum gebraucht wurde. Während der Inku¬
bationsperiode war 0,0001 bis 0,001 cg, während der Fieberperiode war 0,01
bis 0,1 cg notwendig, un? der Krankheit Einhalt zu tun, und selbst als bereits
Ikterus auftrat, genügte eine Einspritzung von 0,1 bis 1 cg, drei von vier
Versuchstieren vom Tode zu erretten. Zu Kulturzwecken für Leptospira
icteroides wird frisches Kaninchenserum empfohlen.
H. Toyoda: Ueber die Senimfestigkeit der Rekurrenssplrochäten und
die Heilung der durch sie verursachten Krankheit. (Kitasato Arch. Exper.
Med., 1920, Nr. 4.)
Verf. kommt zu folgenden Schlössen: Die Arten und Menge der Anti¬
körper nehmen mit der Wiederholung der Anfälle der Krankheit zu. Diese
Zunahme der Antikörpermenge erhöht die Serumwirkung ganz bedeutend,
so dass selbst auch alle Rezeptoren, welche ihre bindende Funktion ausser¬
ordentlich vermindert haben, angegriffen werden; Der Hauptantikörper, der
bei dem allerletzten Anfall gebildet wird, übt in der Massenwirkung der
anderen Antikörper eine starke vernichtende Wirkung auf die Erreger aus.
Auf diese Weise tritt die spontane Heilung ein.
Die Tatsache, dass die Mitwirkung des Ausgangsstammantikörpers zur
endgültigen Vernichtung der serumfesten Spirochäten unumgänglich notwendig
ist, ist andererseits auch dafür beweisführend, dass die ursprünglichen Re¬
zeptoren dieser Spirochäten nicht verschwinden, sondern nur an ihrer Potenz
abnehmen.
W. A. Steel: Natriumzitrat bei der Behandlung der Thromboangiitls
obliterans. (Jour. Ani. Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 7.)
Thromboangiitis obliterans (B u e r g e r sehe Krankheit oder Spontan¬
gangrän) ist eine entzündliche Erkrankung der Blutgefässe des Unterschenkels.
Die Krankheit ist häufig bei Angehörigen der jüdischen Rasse und bei
den Chinesen. Da längst festgestellt wurde, dass in allen Formen von
Gangrän die Viskosität des Blutes sehr hoch ist, so lag der Gedanke nahe,
bei der Behandlung intravenöse Einspritzungen von Natriumzitrat mit
Ringer scher Lösung anzuwenden. Verf. gebrauchte diese Methode in
sechs Fällen. Zwei Patienten wurden augenscheinlich geheilt und alle zeigten
bedeutende Besserung.
J. P. Bur ns: Die Inhalationsbehandlung der Syphilis. (N.-York Med.
Jour., 1921, CXIII, Nr. 5.)
Eine grosse Anzahl von Syphilisfällei wurde im Milftärhospital zu
Oswego mit grossem Erfolge durch diese, übrigens nicht neue Methode
behandelt. Die Methode besteht in Fumigation und Inhalation von Quecksilber-
dämpfen. Das Verfahren empfiehlt sich durch seine Einfachheit. Der Patient,
dessen Kopf mit einem Tuch bedeckt ist, f'*met die aufsteigenden Dämpfe ein.
Die Resultate waren in allen Stadien der Syphilis über Erwarten gut. Ein
positiver Wassermann wurde negativ in 10 Tagen bis drei Monaten, ohne
andere Behandlung als acht oder neun Inhalationen. Infolge der schnellen
Absorption des (Quecksilbers durch Inhalation verschwinden Haut- und
Schleimhautläsionen und selbst Sch^^nker in wenigen Tagen.
J. L. M i 11 e r und J. L. Williams: Die Wirkung grosser FlUssigkeits-
aufnahme auf Blutdruck und Nonproteinstickstoff des Blutes. (Am. Jour. Med.
Sciences, Phila.. 1921, CXI, Nr. 3.)
Bei Patienten mit Hyoertension und wahrscheinlicher chronischer inter¬
stitieller Nephritis kann die Aufnahme grosser Flüssigkeitsmengen eine ent¬
schiedene Erhöhung des Blutdruckes verursachen. Dieses Steigen des Blut¬
druckes hängt von der Fähiekeit der Nieren, Wasser abzusondern, ab. Bei
drei Patienten mit hohem Blutdruck hatte die Aufnahme von grossen Mengen
von Flüssigkeit während sechs Tagen keine Wirkung auf den Harn Stickstoff
des Blutes. Da es nicht möglich war, den durch den Harn ausgeschiedenen
Stickstoff zu bestimmen, schliesst dieses Resultat die Möglichkeit einer
erhöhten Stickstoffausscheidung nicht aus. In zweien dieser Fälle war die
Hurr.häure merklich vermindert. Dies war wahrscheinlijh die Folge der Be¬
handlung, da nach Unterbrechung derselben die Harnsäuremenge die frühere
Höhe erreichte.
G. F. L y d s t 0 n: Zwei merkwürdige Fülle von Hodentransplantatlon.
(N.-York Med. Jour., 1921, CXIII, Nr. 6.)
Ein 34 jähriger Mann, der an Hypophyseninsuffizienz litt, zeigte nur
schwache männliche Sexualcharaktere, keine Libido und geringe geistige
Fähigkeiten. Es wurde ein Hode, der einem 18 jähr. Mann, der an einem
Schädelbruch verstorben war, 24 Stunden nach dem Tode entnommen wor¬
den, in das linke Skrotum eingepflanzt. Die Wirkung der Ueberpflanzung
war überraschend. Der Patient nahm zu an Gewicht, hatte starke Erek¬
tionen und hatte häufigen geschlechtlichen Verkehr. Die männlichen Sexual-
charakterc entwickelten sich, die geistigen Fähigkeiten wurden erhöht, die
Niedergeschlagenheit verschwand. Dieselbe Operation wurde bei einem
anderen Manne (36 Jahre alt), der seine Hoden durch Trauma verloren hatte,
ausgeführt. Er zeigte dieselben überraschenden Erscheinungen. Wie lange
diese Wirkungen anhalten werden, kann soweit nicht festgestellt werden.
I Durch Wiederholung der Operation zu gewissen Zeiten kann jedoch manchem
Patienten geholfen werden.
J. Oliva: Der Mechanismus der Harnstoffsekretion. (Jour. Exper. Med.,
Baltimore, 1921, XXXIII. Nr. 2.)
Verf. kommt zu fojgenden Schlüssen: Der Harnstoff ist in den Zellen
der gewundenen Harnkanälchen in einer höheren Konzentration vorhanden
als es im Blut oder in den Zellen irgend anderer Harnkanälchen der Fall ist.
Dies kann nur dadurch erklärt werden, indem man eine aktive Sekretion
von Seite dieser Zellen annimmt. Der Harnstoff geht durch die Glomeruli
mit den anderen kristalloiden Substanzen des Blutplasmas. Die endliche
Konzentration des Harnstoffs ist das Resultat der obenerwähnten Ausschei¬
dung durch die proximalen, gewundenen Harnkanälchen und der Absorption
von Wasser in anderen Partien der Harnkanälchen.
H. H. Mavnard: Hereditäre multiple Knorpelexostosen. (Jour. Am.
Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI. Nr. 9.)
Verf.j berichtet über eine Familie, in der sich eine deutliche erbliche
Anlage zu kartilaginären Exostosen zeigte. In der zweiten Generation waren
vier von zwanzig, in der dritten neun von einundzwanzig Angehörigen mit
Exostosen behaftet. Die Krankheit wurde durch männliche und weibliche An¬
gehörige übertragen. Die Familie war in Jeder anderen Beziehung gesund.
Entgegen den Ansichten einiger Autoren spielen Syphilis und Tuberkulose
keine Rolle als Krankheitsursache.
A. L. C e c i 1 und G. I. Steffen: Akute Infektion der Atmungsorgane
beim Menschen nach Impfung mit virulenten Influenzabazillen. (Jour. Infect.
Dis., Chicago. 1921. XXVIll Nr. 3.)
Virulente Influenzabazillen, in Nase und Rachen gesunder Rekruten ein¬
gebracht, die sich freiwillig zu den Experimenten angeboten hatten, erzeugten
eine akute Erkrankung der Atmungsorgane, die in jeder Beziehung der
Influenza glich, ohne jedoch das typische Bild der Influenza hervorzurufen,
in allen Fällen wurden die Influenzabazillen in den Ausscheidungen gefunden,
so lange die Symptome währten und in einigen Fällen für längere Zeit.
Wenn Filtrate von Influenzabazillenkulturen in gleicher Weise injiziert wur¬
den, traten weder lokale noch konstitutionelle Symptome auf.
Die Impfung gesunder Rekruten mit virulenten hämolytischen Strepto¬
kokken rief in einigen Fällen eine akute follikuläre Tonsillitis mit Fieber und
Leukozytose hervor. Andererseits verursachte die Einspritzung einer viru¬
lenten Pneumokokkenkultur in die Nase und Rachen zweier Rekruten keine
Symptome.
J. B. Murphy und W. D. Witherbee: Behandlung der hyper-
trophlerten Gaumenmandeln durch Röntgenstrahlen. (Jour. Am. Assoc., Chi¬
cago, 1921. LXXVI, Nr. 4.)
Sechsundvierzig Patienten wurden mit Röntgenstrahlen behandelt. Die
Methode war folgende: Lichtweite 16cm, Entfernung von der Haut 20cm.
Aluminiumfilter 3 mm. Bestrahlungszeit 3—7 Minuten je nach dem Alter der
Patienten. Der Patient lag auf dem Tisch. Die Bestrahlung wurde unter
dem Winkel des Unterkiefers in der Gaumenmandelgegend gerichtet. Die
bestrahlte Oberfläche betrug beiderseits 10 Quadratzentimeter. Die Umgebung
wurde durch dicke Bleiplatten geschützt. Mit Ausnahme von vier Fällen
zeigten alle Patienten eine bemerkenswerte Besserung. Nach zwei Wochen
schrumpfte das Mandelgewebe ein und erlangte ein normales Aussehen. Von
den 46 Patienten erhielt nur einer mehr als eine Bestrahlung.
H. Noguchi: Schutzimpfung bei Gelbfieber. (Jour. Am. Med. Assoc.,
Chicago, 1921. LXXVI, Nr. 2.)
Eine Anzahl von Experimenten an Meerschweinchen zeigten, dass diese
Tiere durch Einspritzung getöteter Kulturen von Leptospira icteroides gegen
Gelbfieber immun werden. Als jedoch dasselbe Schutzimpfungsverfahren
beim Menschen angewandt wurde, waren die Resultate sehr entmutigend.
Verf. fügt jedoch bei, dass noch weitere Experimente notwendig seien, um
ein endgültiges Urteil abgeben zu können.
J. S. Horsley: Geschwür des Leerdarms nach Gastroenterostomie.
(Jour.'Am. Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 6.)
In einem Falle von Duodenalgeschwür wurde die Gastroenterostomie
ausgeführt. Da der Patient nach einiger Zeit neue Erkrankungssymptome
zeigte, musste eine zweite Operation vorgenommen werden. Dabei fand
man, dass sich ein Geschwür im Leerdarm, gerade gegenüber der Gastro¬
enterostomieöffnung gebildet hatte. Verf. ist der Ansicht, dass dieses (3e-
schwür der Wirkung der Magensäure zuzuschreiben sei, da das Jejunum an
einen alkalischen Darrainhalt gewöhnt ist.
D. R. M e I e n: Ein HUfsmlttel zur Diagnose von Harnbiasengeschwülsten.
(Jour. Am. Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 12.)
Die Blase wird zuerst mit Luft gefüllt und dann ein Röntgenbild ge¬
nommen. Hierauf wird die Blase mit einer Lösung von Natriumbromid
(15 oder 25 Proz.) gefüllt und ein Röntgenogramm gemacht. Ein drittes Bild
wird nach Entleerung der Blase genommen. Diese Methode hat sich in
zahlreichen Fällen bewährt.
J. C. Hirst: Die Intravenöse Anwendung von Corpus luteum-Extrakt
bei Hyperemesis gravidarum. (Jour. Am. Med, Ass., Chicago, 1921, LXXVI,
Nr. 12.)
Bei der Behandlung der Hyperemesis gravidarum hat Verf. seit
mehreren Jahren intravenöse Einspritzungen von Corpus luteum-Extrakt mit
stetigem Erfolg angewandt. 2 cg einer Lösung werden jeden zweiten Tag in
eine Vene des Oberarms eingespritzt. Jede Patientin sollte wenigstens
6 Dosen erhalten. Unangenehme Reaktionen sind nicht zu befürchten.
Digitized by
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
719
Patientinnen mit Basedow scher Krankheit sollten jedoch nie mit Corpus
luteum behandelt werden.
0. E. S w a r t z und D. M. Davis: Die Wirkung von Mercurochroni-220
auf den Gonokokkus. (Jour. Am. Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 13.)
Verfasser untersuchten die Wirkung^ des Mercurochroms, das.in einem
früheren Bericht besprochen wurde, auf donokokkenkulturen und fanden, dass
das Mittel eine mächtige keimtötende Wirkung auf den Gonokokkus ausübt.
Mercurochrom hat sich auch klinisch bei der Behandlung der Gonorrhöe gut
bewährt. Wenn das Mittel fehlschlug, so war das hauptsächlich dem Umstande
zuzuschreiben, dass keine frische Lösung gebraucht wurde.
A. M. Willis: Entfernung der Gallenblase ohne Drainage. (Jour. Am.
Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 11.)
Langjährige Erfahrungen führen Verf. zu dem Schlüsse, dass die Ent¬
fernung der Gallenblase ohne Drainage den älteren Methoden mit Packung und
Drainage überlegen ist.
B. C. Grant: Massive Infektion einer vakzinierten Person mit Bacillus
typhosus. (Jour. Ara. Med. Assoc.. Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 8.)
Ein Gehilfe in einem Laboratorium saugte zufällig 0,5 g einer B. typhosus-
Suspension durch die Pipette ein. 14 Monate vorher war der Mann mit drei¬
facher Typhusvakzine geimpft worden. 4 Tage nach der Infektion hatte der
Mann leichtes Kopfweh, aber normale Temperatur. 8 Tage später wurde eine
Blutkultur gemacht, die negativ ausfiel. Aber in den Fäzes fand man den
Typhusbazillus. Spätere Untersuchungen der Fäzes erwiesen sich als negativ.
Der Fall ist insofern von Interesse, als er zeigt, dass die Schutzimpfung selbst
bei einer massiven Infektion ihre Schutzwirkung nicht verliert.
H. Z. G i f f i n und T. S z I a p k a: Behandlung der perniziösen Anämie
durch Splenektomie. (Jour. Am. Med. Assoc., Chicago, 1921, LXXVI, Nr. 5.)
Die Splenektomie wurde in 50 Fällen von perniziöser Anämie ausgeführt.
Alle Patienten wurden vor mehr als 3 Jahren operiert. Davon starben 6 Pa¬
tienten an der Operation. Von den übrigen blieben 10 Patienten (21,3 Proz.)
3 Jahre oder länger nach der Operation am Leben. 5 Patienten sind gegen¬
wärtig noch am Leben, nachdem sie vor mehr als 4 Jahren operier^ worden.
Es gibt kein charakteristisches Zeichen, welches auf ein günstiges Resultat
einer Operation hinwiese. Jedoch die Fälle, welche eine aktive Hämolyse
aufweisen, zeigen eine schnelle Besserung nach der Operation.
A11 e m a n n- Washington: »
Vereins- und Kongressberichte.
Deutscher Tuberkulosekongress
’in Bad Elster vom 19.—21. Mai 1921.
Berichterstatter: Prof. Dr. B. M ö 11 e r s - Berlin.
Zur Feier seines 25 jährigen Bestehens hatte das deutsche Zentralkomitee
zur Bekämpfung der Tuberkulose den Deutschen Tuberkulosekongress nach
Bad Elster eingeladen, um, wie sein Vorsitzender, Präsident B u m m. in
seiner gehaltvollen Begrüssungsansprache hervorhob, vor aller Welt kund¬
zutun, dass diejenigen, die in Deutschland amtlich oder freiwillig im
Dienste der Tuberkuloseabwehr stehen, nach wie vor entschlossen sind,
den Kampf gegen die Tuberkulose unerschüttert weiterzuführen.
Zum 1, Male seit dem Jahre 1899 wurde wieder ein Deutscher Tuber¬
kulosekongress veranstaltet, da sich vor dem Kriege die Gewohnheit heraus¬
gebildet hatte, die Tuberkulosekongresse und Konferenzen auf internationaler
Basis abzuhalten, nachdem im Jahre 1902 auf der Tuberkulosekonferenz zu
Berlin die „Internationale Vereinigung gegen die Tuberkulose“ begründet
war. Die letzte internationale Konferenz hatte 1913 in Berlin stattge¬
funden, wo sich in Anerkennung der hervorragenden Verdienste Deutschlands
um die Bekämpfung der Tuberkulose auch der Sitz der Vereinigung befand.
Dem Weltkrieg ist inzwischen auch die internationale Tuberkulosevereinigung
zum Opfer gefallen. Auf Veranlassung Frankreichs hatte im Oktober 1920
der grössere Teil der ihr angehörenden Staaten eine neue - internationale«
Körperschaft gegen die Tuberkulose gegründet, unter Ausschluss Deutsch¬
lands und seiner früheren Verbündeten.
Obwohl der diesjährige Kongress ausdrücklich als eine rein deutsche
Angelegenheit angekündigt war, befanden sich unter den über 700 Teil¬
nehmern auch eine Reihe von Vertretern aus Oesterreich, Dänemark, Holland,
Jugoslavien, Japan, Schweden, aus der Schweiz, der Tschechoslowakei und
Ungarn sowie eine Abordnung der Quäker aus Amerika und England, denen
Präsident B u m m den besonderen Dank Deutschlands für ihr menschen¬
freundliches Wirken zum Ausdruck brachte. Besondere Festschriften zum
Kongress hatten die Zeitschrift für Tuberkulose, das Tuberkulosefürsorge¬
blatt und die Zeitschrift für ärztliche Fortbildung gewidmet.
Am Vorabende des Kongresses hiess der sächsische Minster des Innern.
L i p i n s k i, die Teilnehmer im Namen des Sachsenlandes willkommen,
Ministerialrat Hamei überbrachte die Glückwünsche der Reichs- und
Landesregierungen, San.-Rat Q e b s e r diejenigen der deutschen Heilstätten¬
ärzte, während Obergeneralarzt Werner im Namen des deutschen Roten
Kreuzes eine Jubiläumsspende von 10 000 M, und eine Ehrenplakette für
den Generalsekretär des Zentralkomitees, Generaloberarzt B e I m, über¬
reichte. Der Reichspräsident schickte ein Glückwunschtelegramm.
Am 19. Mai begannen die eigentlichen wissenschaftlichen Beratungen
nach einer' Eröffnungsansprache des Vorsitzenden, der einen kurzen Ueber-
blick über die Geschichte der Tuberkulosebekämpfung im letzten Viertel-
Jahrhundert und die Tätigkeit des deutschen Zentraikomitees gab, wobei er
auch seiner langjährigen Protektorin. der entschlafenen Kaiserin Auguste
Viktoria, sowie der verstorbenen Mitglieder gedachte, zu deren dankbarem
Gedenken sich die Anwesenden von den Plätzen erhoben.
Kirchner - Berlin hielt das Hauptreferat über den Einfluss des Welt¬
krieges au! die Tuberkulose.
Die Tuberkulosesterblichkeit hat während des Weltkrieges nicht nur in
Deutschland und in noch höherem Grade in Oesterreich und Ungarn, sondern
auch, wenngleich in geringerem Umfang, in den angrenzenden neutralen
Ländern, Holland, Dänemark und der Schweiz, zugenommen. Die Zunahme
war in den Grossstädten und den Industriebezirken erheblich grösser als
auf dem Lande und nahm hier nach Eintritt des Friedens schneller und
stärker ab als'in Gressstädten und Industriebezirken. An der Zunahme waren
alle Lebensalter beteiligt, am stärksten die der Pubertätsentwicklung und die
Jahre der stärksten Arbeit. Die Gründe der Zunahme der Tuberkulose sieht
Kirchner in der Verschlechterung der Wohnungsverhältnisse, der körper¬
lichen und geistigen Ueberanstrengung, und in erster Linie in der Unter¬
ernährung infolge der Hungerblockade.
Anschliessend besprach Schultzen - Berlin die Tuberkulose Im
deutschen Kriegsheer.
Der in der deutschen Zivilbevölkerung festgcstellte starke Anstieg der
Tuberkulosesterbcziffer und der vielfach bösartigere Verlauf der Tuberkulose
trat im deutschen Krievsheer in wesentlich geringerem Masse in die Er¬
scheinung. Die Kriegseinflüsse zeigten sich vielfach sogar als nutzbringend
im Sinne einer Ertüchtigung bei geheilten Tuberkulösen und einer Unter¬
stützung der Heilungsneigung bei nicht vorgeschrittenen und selbst bei akti¬
vierten, Tuberkulosen, in deren Vorgeschichte tuberkulöse Insulte vorhanden
waren. Anderseits trat auch eine schädigende Wirkung ein bei vorgeschrit¬
tener älterer, nicht selten auch bei neu entstandener Tuberkulose und durch
Aktivierung bei ruhender, aber nicht ausgeheilter Erkrankung. Die tuber¬
kulösen Erkrankungen unter den Kriegsgefangenen blieben bei den west¬
europäischen Völkern (Belgiern, Engländern, Franzosen) nach einem An¬
fangshöhepunkt, der im wesentlichen durch die schon aus dem Frieden be¬
kannte hohe Tuberkulosezahl des französischen Heeres verursacht war,
hinter den Erkrankungsziffern der osteuropäischen Völker (Russen, Balkan¬
staaten) um ein Mehrfaches zurück.
Reichenbach - Göttingen nahm in dem zweiten Hauptreferat An¬
steckungsquellen und Ansteckungswege gegen die Behring sehe Theorie
des intestinalen Ursprungs der Tuberkulose Stellung. Die Hauptquelle der
Ansteckung ist der kranke Mensch und sein Auswurf, die Uebertragung ge¬
schieht weitaus am häufigsten durch Tröpfcheninfektion, viel weniger häufig
indirekt durch Einatmung von bazillenhaltigem Staub und noch seltener
durch Verschlucken von Auswurf. Eine Ansteckung mit Rinderbazillen führt
so gut wie nie zur Lungentuberkulose und wird deshalb nicht von Mensch
zu Mensch übertragen. Flugfähiger Staub ist nicht sehr gefährlich für Er¬
wachsene, wohl aber für kleine, am Boden kriechende Kinder. Nur der
hustende, nicht aber der sprechende Phthisiker ist für die Umgebung ge¬
fährlich.
Lydia Rabinowltsch - Berlin hat die Bedeutung der Haustiere für
die Verbreitung der Tuberkulose durch Untersuchung von Hunden und Katzen
studiert. Von 19 gezüchteten Stämmen von Tuberkelbazillen des Hundes
waren 16 humane, 1 boviner und 2 Uebergangsstämme. Von 5 Tuberkulose¬
stämmen bei Katzen waren 3 humane und 2 bovine Stämme. . Die tuber¬
kulösen Haustiere bilden daher eine ständige Infektionsquelle für die Men¬
schen, die bei der Bekämpfung der Tuberkulose nicht ausser acht gelassen
werden darf. '
Abel- Jena hält in seinem Referat Tuberkulose und Wohnung die Be¬
zeichnung der Tuberkulose als Wohnungskrankheit schlechthin für ungenau
und irreführend. Eine allgemeine Besserung der Wohnungsverhältnisse wird
auch der Bekämpfung der Tuberkulose zugute kommen, vermag aber an sich
nichts Entscheidendes für ihre Ausrottung zu bewirken. Die Schaffung
besserer Wohnungsverhältnisse wird noch Jahre und Jahrzehnte auf sich
warten lassen. Um so dringender ist erhöhte öffentliche Fürsorge für die
in ihren Wohnungen durch Tuberkuloseinfektion bedrohten Familien. Die
wirksamste Massnahme ist die Entfernung des Kranken aus seiner Wohnung.
Ist sie nicht erreichbar, so müssen die bewährten Mittel der Fürsorge an¬
gewendet werden.
K ö I s c h - Berlin erläutert die Beziehungen zwischen Tuberkulose und-
Arbeitsstätte, die teils direkter Art (Arbeitsleistung an sich, in geschlossenen
Räumen, in Zwangshaltung, Einwirkung abnormer Temperatur, von Staub
und Giften), teils indirekter Art (Arbeitslohn bzw. die davon abhängige
Lebenshaltung, Lebensgewohnheiten) sein können. Besondere Beachtung ver¬
dient die Staubfrage. Die in den Staublungen eintretenden Gewebs- und
Zirkulationsveränderungen vermögen bisher latente Tuberkulosen zu akti¬
vieren oder den günstigen Bodfen für eine Reinfektion zu schaffen. Bei
der Bekämpfung der Tuberkulose in der Industrie muss daher die Staub¬
bekämpfung an erster Stelle stehen.
L e n t z - Berlin bespricht die neue preusslsche Oesinfektionsordnung
vom 8. II. 1921. welche für jede einzelne Krankheit genaue Vorschriften
über die laufende und die Schlussdesinfektion enthält. Die Desinfektion
kann auch durch Schwestern ausgeführt werden und soll möglichst kostenlos
durch die Kommunalbehörden erfolgen. Als Desinfektionsmittel bei Tuber¬
kulose empfiehlt er 5 prom. Sublimat und ‘2 proz. Sobrollösung.
U h 1 e n h u t h - Berlin warnt in seinem Vortrag über neuere Verfahren
zur Desinfektion tuberkulösen Sputums vor der Verwendung von Lysoform
und Sublimat. In Gemeinschaft mit J ö 11 e n und H a i l e r ist es ihm ge¬
lungen, ein für die Sputumdesinfektion wirksames und praktisch brauchbares
Prinzip zu ermitteln in c^er vereinigten Wirkung von Kresolalkalivcrbin-
dungen, indem das daraus leicht abgespaltene Alkali das Sputum erweicht
und das frei gewordene Kresol auf die Tuberkelbazillen einwirkt. Solche
Präparate sind das A!ka)i-Lysol, das Parol. ein alkalihaltiges 40 proz.- Para-
chlormeta-Kresol, sowie Kresollaugcn und alkatische Lösungen von Para-
chlorphcnol. Die Abtötung der Bazillen erfolgt in 2—4 Stunden.
Die Nachmittag-ssitzung begann mit dem dritten Hauptreferat von
v. Wassermann und N e uf el d - Berlin über Immunität bei Tuber¬
kulose. V. Wassermann führte aus, dass es eine erhöhte Widerstands¬
kraft gegen Tuberkulose gibt, aber nur bei solchen Personen, die eine wenn
auch noch so geringe Menge von Tuberkelbazillen in ihrem Körper beher¬
bergen, Nur diese reagieren auf das Tuberkulin und können klinisch gesund
sein, trotz ihres geringen Bazillengehalts. Ob dieser Schutz anhült, hängt
von der Widerstandskraft des Organismus ab. Es bestehen bisher nur Heil¬
mittel. die das Gewebe beeinflussen, nicht aber den Krankheitserreger. In
dem F r i e d m a n n sehen sieht v. Wassermann nicht nur keinen Fort¬
schritt in der Tuberkulosebehandlung, sondern eher sogar eine Gefahr. Mit
dem Bekenntnis, dass das Tuberkulin eins der mächtigsten Mittel im Kampfe
gegen die Tuberkulose sei, schloss der Vortragende seine mit grosser Be¬
geisterung aufgenommenen Ausführungen.
Auch der nachfolgende Redner, N e u f e 1 d - Berlin, der die Beziehungen
zwischen der Immunitätsforschung und der spezifiichen Behandlung erörtert,
feiert die Entdeckung des Tuberkulins als eine der grössten Taten Robert
Kochs, trotz der hochfliegenden Hoffnungen und schmerzlichen Ent¬
täuschungen, die sich daran .knüpfen. Die Tuberkulinwirkung hat zwar eine
sehr auffallende äussere Aehnlichkeit mit den Methoden der aktiven Immuni¬
sierung, doch zeigt der Tierversuch, dass dem Alttuberkulin eine immuni-
Digitized by Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
220_MÜNCHENF-R MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT._Nr. 23.
sierende Wirkung fehlt. Das Tuberkulin unterstützt die Heilkräfte des
Körpers, schafft aber keine neuen Heilkräfte. Durchaus ablehnend steht
N e u f e 1 d den Deycke-Much sehen Partialantigenen gegenüber. Für
die Behauptung, dass Muchs Präparate gegenüber anderen Tuberkulinen
einen Fortschritt bedeuten und dass man mit ihnen etwas grundsätzlich
anderes erreichen könne, sei ein experimenteller Beweis nicht geliefert. Für
eine Reihe anderer Behauptungen, die er in seinen „Partialantigengesetzen“
aufgestellt habe, sei ein Beweis überhaupt nicht versucht worden, so dass die
Behauptungen in der Luft zu schweben scheinen. Auch für die von manchen
Autoren vertretene Annahme, dass die Zellen der Haut bei der Bildung von
Schutzstoffen eine besondere Rolle spielen, hält Neufeld den Beweis nicht
für geliefert. Bezüglich der angeblich positiven Immunisierungsergebnisse
F r i e d m a n n s, die sich auf Versuche an nur 3 Meerschweinchen
stützen, meint er, dass wohl kaum jemals so mangelhaften
Versuchen die Ehre einer so ausgedehnten Nach¬
prüfung zuteil geworden sei. Die Möglichkeit einer Schutz¬
impfung gesunder Menschen gegen Tuberkulose lehnt N e u f e 1 d aus grund¬
sätzlichen Erwägungen ab. Eine natürliche Schutzimpfung durch eine leichte
Tuberkuloseinfektion schafft nur eine beschränkte Immunität, die immer nur
relativ ist und schnell vorübergeht.
Bauer- Wien sprach über Konstitution und Tuberkulosedisposition.
Die individuelle Konstitution als Inbegriff sämtlicher im Keimplasma
schlummernder Anlagen beeinflusst den Grad der Widerstandskraft bzw.
Bereitschaft gegenüber der tuberkulösen Infektion. Der Einfluss der Kon¬
stitution auf die Bereitschaft zur Tuberkulose erstreckt sich auf die allge¬
meine Fähigkeit des Organismus, Abwehrkräfte gegenüber den Tuberkel¬
bazillen zu mobilisieren. Da die Lebensäusserungen der Körperzellen in
ihrem Ausmass von den Hormonoreanen beeinflusst werden, so ist
anzunehmen, dass auch die Abwehrkräfte gegenüber dem Tuberkelbazillus
vom konstitutionellen und konditionellen Funktionszustand der endokrinen
Drüsen, insbesondere Schilddrüse und Keimdrüsen abhängig sein müssen.
A. Mayer- Berlin glaubt in der Erörterung zum ersten Referat die
auffallende Erscheinung, dass in den ersten Kriegsjahren bei Kriegsteil¬
nehmern aktive, tuberkulöse Prozesse gut beeinflusst worden sind, mit den
zahlreichen Schutzimpfungen, besonders gegen Typhus, in Verbindung bringen
zu sollen. Die Erscheinung, dass trotz alter verheilter Lungenherde ^eine
Lungenschussverletzung nur ausnahmsweise zu einem Wiederaufflackern der
Lungentuberkulose führte, während bei entfernt liegenden, schweren Schuss¬
verletzungen solche alte Lungenherde öfter wieder aktiv wurden, lässt den
Schluss zu, dass der Zusammenhang zwischen Lungentuberkulose und Ver¬
letzungen nur ein mittelbarer ist und wahrscheinlich auf einer Störung der
Immunitätsverhältnisse beruht.
Kutschera bespricht die Tuberkuloseverhältnisse in Oesterreich. In
manchen Bezirken nahm die Tuberkulose während des Krieges bedeutend ab,
in anderen, in denen sich Militärtuberlculosespitäler befanden, trat dagegen
eipe erhebliche Zunahme ein. da diese «rhlecht disziplinierten Anstalten die
Tuberkulose unter der Zivilbevölkerung geradezu ausbreiteten.
Alfons Fischer- Karlsruhe betont den grossen Einfluss unzureichen¬
der Ernährung auf die Zunahme der Tuberkulose. Umgekehrt ist mit einer
Verbilligung der Nahrungsmittel eine Abnahme der Krankheit verbunden.
„Der Tuberkelbazillus weicht dem billigen Brote.“
Hamburger - Berlin beklagt 'die unzweckmässige Anlage der
Strassen und Schmuckplätze unserer Qrossstädte ohne Spielplätze für die
Kinder, welche srh ohne besondere Kosten an Stelle der eingezäunten Rasen¬
flächen anlegen Hessen.
K r e u s e r betont, dass die Erkennung der tuberkulösen Herde während
des Frühlahrs wegen der Häufigkeit der sichtbaren Erscheinungen leichter ist
und empfiehlt zu dieser Vorzugsjahreszeit vermehrte Auswurfsuntersuchungen
vorzunehmen. Eine aktive Immunisierung zur Zeit der höchsten Inanspruch¬
nahme des Körpers durch Wachstum vorzunehmen, erscheint ihm widersinnig.
B e i t z k e - Düsseldorf hat bei 50 Proz. der obduzierten tuberkulösen
Kinder die Eintrittspforte in den Atmungsorganen, bei nur etwa 15 Proz. in
den Verdauungswegen gefunden. Bei dem Rest der Fälle waren entweder
.sichtlich beide Infektionswege gleichzeitig beschritten oder eine Entscheidung
War nicht mehr möglich. Die Phthise der Erwachsenen verläuft im Gegen¬
satz zur pulmonalen Erstinfektion intrabronchial und ohne Drüsenverkäsung.
Nebenher ist aber oft eine völlig abveheilte verkalkte Primärerkrankung zu
finden. Das beweist, dass die Phthise der Erwachsenen auf exogener Re¬
infektion beruht. Im Gegensatz dazü sind die schweren käsigen Pubertäts¬
phthisen endogene Reinfektionen, also eine Fortsetzung der kindlichen tuber¬
kulösen Infektion.
S t e i n b e r g - Breslau konnte auf Grund von eingehenden anamnesti¬
schen Erhebungen feststellen, dass etwa 30 Proz. seiner Tuberkulosefälle
auf exogene und ebensoviele auf endogene Infektion zurückzufOhren waren,
der Rest Hess eine klare Deutung nicht zu.
J ö 11 e n - Leipzig hat Sputumdesinfektionsversuche mittels Kalkmilch
vorgenommen, dem Weisskalkstücke zugesetzt waren. Es zeigte sich aber,
dass in dem Kalkgemisch durchaus nicht immer ausreichend hohe Tem¬
peraturen zur Abtötung der Tuberkelbazillen erreicht werden. Auch sonst
bietet dieses Verfahren mancherlei praktische Schwierigkeiten.
Lichtenstein - Stockholm zeigt an der Hand von Karten, dass in
den 24 Provinzen Schwedens gehäuftes Vorkommen von kindlicher Tuber¬
kulose nicht mit gehäuften Perlsuchtfällen unter den Rinderbeständen
parallel läuft.
B 1 ü m e 1 - Halle betont, dass die Nahrungsmittelknappheit jetzt zwar
behoben sei, aber der hohe Preis dem Genuss ein Ziel setze. Zur Abhilfe der
Wohnungsnot schlägt er die Einrichtur.g von Schlafhäusern in gesund ge¬
legenen Kneipen vor. um die Kinder aus den bedrängtesten tuberkulösen Ver¬
hältnissen herau.szunehmen.
G. W o 1 f f - Berlin teilt die Untersuchungsergebnisse eines von Simon-
Berlin angegebenen neuen Sputumdesinfektionsverfahrens mit. bei dem das
Sputum mit 10 g Chlorkalk- und der doppelten Menge Stassfurter Salz ver¬
setzt wird. Nach 3 Stunden ist die Desinfektion, die auf der Entwicklung
freien Chlors beruht, als beendet anzusehen. Die Kosten der täglichen Des¬
infektion betragen nur 10—12 Pfennig.
V. Jaksch - Prag betont die Wichtigkeit des Schutzes des frühen
Kindesalters vor dem 5. Lebensjahre vor einer Tuberkuloseinfektion.
Borchardt - Königsberg bezeichnet die Konstitutionsstörungen bei
der Tuberkulose mit dem Namen Status irritabilis oder reizbarer Konstitution.
Die erhöhte Neigung der Haut und Schleimhäute der serösen und Synovial¬
membranen zu Exsudation und Entzündung bedingen eine erhöhte Bereitschaft
der epithelialen und endothelialen Oberflächen zu tuberkulösen Infektionen.
Von grosser Bedeutung für die günstige Prognose der Lungentuberkulose
beim Status irritabilis ist die erhöhte Bereitschaft zur Bindegewebsbildung,
zur fibrösen Abkapselung. *
Klopstock - Berlin berichtet über Meerschweinchenversuche zur
Klärung des Begriffs der Tuberkulinüberempfindlichkeit. Eindeutige Beweise
für den Ablauf der Tuberkulinreaktion im Sinne eines Entstehens giftiger
Abbauprodukte im tuberkulösen Organismus konnte er jedoch nicht erbringen.
Baemeister-St. Blasien glaubt, dass der Druck auf die Senkung
der oberen Apperturebene die Lokalisation der Tuberkelbazillen in den
Lungenspitzen erleichtern, dass aber über den Charakter der Erkrankung
und der Ausbreitung der Phthise zweifellos die allergischen Kräfte des
Körpers entscheiden.
Uhlenhuth - Berlin betont, dass man nicht nur danach streben
muss, auf das tuberkulöse Gewebe einzuwirken, sondern auch den Tuberkel¬
bazillus im Körper durch chemotherapeutische Massnahmen abzutöten, um
die Wurzel der Krankheit an der Quelle zu treffen. Weitere Versuche über
die Schutzimpfung der Rinder mit lebenden abgeschwächten Perlsuchtbazillen,
ähnlich wie C a 1 m e 11 e es gemacht hat, scheinen aussichtsvoller, doch ist
diese Methode beim Menschen zu gefährlich.
S e 11 e r - Königsberg fasst das Tuberkulin als einen Reizstoff auf.
welcher das tuberkulinempfindliche Gewebe in spezifischer Weise zur Ent¬
zündung bringt. Proteinkörper und andere Bakterien wirken in un-
spezifischer Weise und erst in viel grösseren Mengen.
Petruschky - Danzig will den Ausdruck Tuberkuloseimmunität durch
die Bezeichnung „Durchseuchungswiderstand" ersetzen. Die Ablehnung einer
Immunität bei Tuberkulose macht die reichen Erfahrungen über erfolgreiche
spezifische Behandlung nicht hinfällig, sondern gibt ihnen nur eine andere
Deutung. Es handelt sich dann nicht um die Erzeugung humoraler Abwehr¬
stoffe, sondern um Erzielung eines milden Reizzustandes des tuberkulösen
Gewebes durch die sog. Herdreaktion.
2. Verhandlungstag.
Vor Beginn der Verhandlungen des Kongresses fand eine General¬
versammlung des Deutschen Zentralkomitees statt, auf welcher in Anerken¬
nung ihrer Verdienste um die Tuberkulosebekämpfung in Deutschland zu
Ehrenmitgliedern ernannt wurden: Die Grossherzogin Luise von Baden.
Frau V. Bötticher, Exz v. Schjerning, Graf v. Lerchenfeld.
Ministerialdirektor a. D. Kirchner und Geh. Hofrat May- München.
Die Kongressverhandlungen wurden eröffnet durch Erläuterungen zur
Demonstration von pathologisch-anatomischen Präparaten und Röntgenbildern
der Lungenphthise durch K ü o f e r 1 e und G r ä f f - Freiburg mit Vorführung
von Lichtbildern und Berichten über vergleichende anatomisch-röntgeno¬
logische Untersuchungen und deren Bedeutung für Prognose und Therapie
der Lungenphthise. Die Vortragenden wiesen insbesondere darauf hin, dass
das Charakteristische der anatomischen Einheiten auch im Röntgenbilde
deutlich zu erkennen ist.
Der 2. Verhandlungstag war der Behandlung der Tuberkulose mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Kindertuberkulose gewidmet. Da der erste
Referent über die allgemeine Behandlung der Tuberkulose, Geh.-Rat Tur¬
ban- Davos infolge eines Eisenbahnunfalls am Erscheinen verhindert war,
wurden die Verhandlungen durch ein eingehendes Referat von RIetscbel-
Würzburg über die Tuberkulose des Kindesalters eingeleitet. Die Tuberkulose
des Kindesalters zeigt in ihrem klinischen Verlauf ein anderes Bild wie
die Tuberkulose des Erwachsenen. Im Säuglingsalter sieht man die stetig
fortschreitende Tuberkulose, im eigentlichen Kindesalter kommt es mehr
zur Drüsen-, Knochen-Gelenktuberkulose und Skrofulöse. Je älter das Kind
wird, umsomehr tritt die typische Lungentuberkulose in Form der Phthise
in den Vordergrund. Diese Besonderheiten finden ihre natürliche Erklärung
durch den besonderen Nährboden, den das Kind bietet und durch die eigen¬
tümlichen immunbiologischen Verhältnisse des Säuglings- und Kleinkindes¬
alters. Ob alle Infektionen im Kindesalter erfolgen, ist noch nicht sicher.
Erfolgt die Erstinfektion nicht in den allerersten Jahren, so gelingt es meist
dem Körper, die Infektion latent zu erhalten, es tritt das Stadium einer
relativen Immunität ein. Das Ziel aller Therapie muss sein, diese Immunität
möglichst zu erhalten durch eine intensive Behandlung im Kindesalter. ,Die
Erhöhung der Immunität kann durch spezifische Mittel, besonders Tuberkulin,
und unspezifische Reize, wie Licht, Ernährung, Sport usw. herbeigefühn
werden. Es ist Pflicht, die spezifische Therapie weiter auszubauen und Er¬
fahrungen darüber zu sammeln.
Brauer- Hamburg bespricht die operative Behandlung der klndUcheu
Lungentuberkulose in ähnlicher Weise wie auf dem letzten Kongress für
Innere Medizin. Im wesentlichen kommt nur die Lnngenkollapstherapie in
ihren beiden Hauptformen, Pneumothorax und Plastik, in Betracht. Im
wesentlichen gelten für das Kindesalter dieselben Gesichtspunkte wie bei
Erwachsenen. Die Indikation hat im Kindesalter die Neigung zur Generali¬
sierung, das Ueberwiegen der Hilusprozesse, und die verschiedenen, die
Lungen hepatisierenden Formen zu berücksichtigen. Besonders im Säug-
Hngsalter setzt die Neigung zur Generalisierung der Pneumothoraxtherapie
enge Grenzen.
Kisch- Berlin weist in seinem Vortrag über die Behandlung der sog.
chirurgischen Tuberkulose In der Ebene auf die grossen Nachteile der opera¬
tiven und Gipsbehandlung hin. An der Hand von Diapositiven zeigt er
die glänzenden Erfolge, die in Hohenlychen mit der kombinierten Sonnen-.
Stauungs- und Jodbehandlung erzielt werden. Ueber 70 Proz. der Fälle
wurden geheilt, die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug % bis 1 Jahr.
In Anbetracht der hohen Kosten wird jetzt in Berlin auf einem früheren
Exerzierplatz ein Ambulatorium errichtet, in dem 4—500 Kinder mit Knochen-
und Gelenktuberkulose gleichzeitig behandelt werden sollen. An sonnenlosen
Tagen werden die Kinder mit künstlichen Bestrahlungsapparaten behandelt.
Simon- Aprath bespricht die klinische Behandlung der Klndertnber-
kulose mit besonderer Berücksichtigung der Kinderheilstätten. Die Grundlage
der Behandlung bildet die Freiluftkur, die einerseits durch Uebung und
Schonung nebst Tuberkulinanwendimg, anderseits durch Sonne und künstliche
Strahlen zu ergänzen ist. Das Anwendungsgebiet der Röntgenstrahlen um¬
fasst Drüsen-, Knochen-, Bauchfell- und Hilustuberkulose.
Bezüglich des Tuberkulins empfiehlt Simon für Kinder besonders die
perkutane Behandlung nach Petruschky und die Kutanraethode nach
Ponndorf. Das Anwendungsgebiet des Tuberkulins ist besonders in die
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
721
Frühstadien zu verlegen; das F r i e d m a n n sehe Mittel bietet keine Vor¬
teile. Fine Kinderheilstätte soll sämtliche Tuberkuloseformen aufnehmen,
soweit sie besserungsfähig sind, einerlei, ob es sich um innere oder äussere
handelt. Voraussetzung ist der einwandfreie Nachweis eines tuberkulösen
Herdes oder eines aktiven Prozesses.
0. Schroeder - Schömberg warnt vor dem planlosen Hinausschicken
aller Formen von Lungenkranken in höhere Gebirgslagen, weil die Anpassung
des Organismus an grössere Höhen eine beträchtliche Resistenz des Körpers
verlangt. Die Strahlenbehandlung der Lungentuberkulose darf nicht über¬
schätzt werden. Die Höhensonnenbestrahlung ist nicht mehr als eine An¬
regung des Stoffwechsels und ein zweckmässiges Tonikum für die Haut,
nicht aber ein spezifisches Heilmittel. Die Partigenbehandlung hält Schroe¬
der nicht für einen Fortschritt, da er damit nichts Besseres oder Schlechteres
gesehen hat als nach Gebrauch der Bazillenemulsion. Auch von der An¬
wendung des Friedmann sehen Mittels sah er keinen besonderen Nutzen.
Bei dem Krysolgan konnte er eine elektive Wirkung auf tuberkulöse Schleim¬
hautherde in den oberen Luftwegen feststellen.
Klare- Scheidege wünscht eine strengere Auswahl bei der Ueber-
weisung von Kindern in Heilstätten. Tuberkulös infizierte Kinder mit posi¬
tivem Pirquet und Hilusschatten gehören in Walderholungsstätten, Licht- und
Luftbäder, die sich in der Nähe der Stadt ohne grosse Kosten einrichten
lassen, damit die Heilstättenbetten für die schwereren Formen erhalten bleiben.
Baemeister-St. Blasien hält im Gegensatz zu den unbestrittenen
Erfolgen der Heliotherapie bei der chirurgischen Tuberkulose die Anwendung
der direkten Sonnenstrahlung bei der Lungentuberkulose der Erwachsenen
nur mit grosser Vorsicht angezeigt, da er jedes Jahr ernste Schädigungen,
Reaktivierungen, Blutungen und Generalisationen auch bei schon sehr gut¬
artig gewordenen Prozessen sah, die durch stundenlanges Liegen in der
Sonne zustande kamen. Auch die Röntgentherapie der Lungentuberkulose
ist keine indifferente Methode; sie ist daher nicht ambulant, sondern nur
im Rahmen einer allgemeinen Kur vorzunehmen.
Frau Adele Schreiber-Krieger. M. d. R., führt zum Thema:
Erholungsfürsorge für Kinder aus, dass es notwendig sei. einheitliche Richt¬
linien für die Kindererholungsheime aufzustellen und hat zu diesem Zwecke
einen Fragebogen ausgearbeitet, damit aus den Heimen der grösstmögliche
Nutzen herausgeholt werde. Die Fragebogen, um deren eingehende Beant¬
wortung im Interesse des engeren Zusammenwirkens zwischen Arzt und
Sozialfürsorge gebeten wird, sind von der Abteilung „Mutter und Kind“ des
Zentralkomitees der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz in Berlin-Charlotten¬
burg, Berliner Strasse 137, Cecilienhaus, erhältlich.
Petruschky - Danzig bespricht die planmässige Sanierung von
Familien und Ortschaften, wie er sie in Henbach und Heia, sowie neuerdings
in Fürth und Apolda vorgenommen hat (vgl. J ä n i c k e - Apolda, Tuberkulose¬
fürsorge-Blatt 1921 H. 5—6). Redner hält die Tuberkulineinreibungen für
eine Reizbehandlung, die auf das Zentralnervensystem und den Sympathikus
einwirkt. Er erblickt die Aufgabe der spezifischen Behandlung nicht in der
Erzielung einer möglichst raschen Anergie, sondern in einer „weisen
Zügelung der neurobiologischen Vorgänge“ durch die Perkutanbehandlung.
Koch- Hohenlychen empfiehlt auf Grund zweijähriger Erfahrungen das
Brettschneider sehe Wechselatmungsverfahren, mit dem er bis jetzt
einige 40 Tuberkulöse des 2. und 3. Stadiums behandelt hat. Am Schlüsse der
Sitzung wurde der/ Apparat, ein Viersitzer mit elektrischer Ventilatur und
ein Einsitzer mit Fönbetrieb, vorgeführt.
Margulies - Kolberg macht auf, die stark stoffwechselanregende Wir¬
kung der Solbäder aufmerksam, welche ein hervorragendes Heilmittel bei
der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose, insbesondere der Drüsen¬
tuberkulose, darstellt.
L i e b e r m e i s t e T - Düren glaubt, dass bei der Tuberkulose ebenso
wie bei der Syphilis die vom gesunden Menschenverstand aus zu fordernde
biologische Heilung das Richtige ist. Die Heilung lässt sich auch bei den
allerfrischesten Fällen nicht rasch erzwingen, sondern erfordert bis zu einem
vollen Erfolg eine Kur von mindestens 3—4 Monaten.
Klopstock - Berlin hat etwa 100 Kranke mit lebenden avirulenten
Schildkrötenbazillen in häufigen kleinen Dosen mit allmählicher Steigerung
behandelt. Bei etwa H der Kranken konnte er eine Resistenzerhöhung
feststellen, die mindestens der durch Behandlung mit anderen Tuberkulinen
erzielbaren gleichkam.
Karfunkel - Berlin verwendet seit dem Jahre 1912 bei Kindertuber¬
kulose Einspritzungen mit einem saprophytischen. avirulenten Bazillus aus der
Gruppe der Wurzelbazillen, der mit dem Tuberkelbazillus nicht verwandt und
nicht säurefest ist. Von 51 vorher Pirquet-positiven Fällen wurden 42 am
Schlüsse der Behandlung mit der Kutanreaktion negativ befunden im Sinne
positiver Anergie. Bei 46 Kindern, die in der gefährdeten Umgebung blieben,
war nur eine Injektion nötig.
Scherer - Magdeburg konnte bei 70 Proz. der von ihm in der Für¬
sorgestelle untersuchten» Kinder papulös-nekrotische Hauttuberkuloide fest-
stellen, und zwar beim weiblichen Geschlecht häufiger als beim männlichen.
E. Z u e b 1 i n - Zürich berichtet über die seit 3 Jahren in amerikanischen
Instituten erprobte sog. Proteogen-Vitamintherapie nach Dr. H o r o w i t z,
welche in eine Injektionsbehandlung und die orale Verabfolgung von Vita¬
minen und Lipoidpillen zerfällt. Die Hauptbestandteile der Proteogene
sind nichtspezifische Pflanzenproteine, bakterienabbauende Fermente, Lipoide,
Chlorophyll, Pflanzensäuren und verschiedene Pflanzenkolloide in steriler Lö¬
sung. Anatomisch und röntgenologisch stellt sich bei Kranken des 1. und
2. Stadiums im Laufe der Behandlung eine Sklerose der affizierten Lungen¬
partien und eine Verdickung der Pleura ein.
Qaertner - Brand-Erbisdorf empfiehlt, anstatt der Perkutanmethode
von Sahli und P o n n d o r f die Haut durch Schäl- oder Blasenpflaster ab¬
zuheben und dann auf die freigelegte Koriumfläche das Tuberkulin mit einem
-Qlaspistill . einzureiben. Die Wirksamkeit soll nicht hinter der Subkutan-
methode zurückstehen.
S e 1 t e r - Königsberg glaubt, dass man das Tuberkulin, auch wenn
man es nur als Reizstoff und nicht mehr als immunisierendes Antigen auT-
fasst, doch in nützlicher Weise für die Therapie verwenden kann. Bei den
Much sehen Partialantigenen hält er die Ahtigennatur des Fettantigens in
keiner Weise bewiesen, da das Fettantigen nur durch das in ihm enthaltene
Tuberkulin wirke. Bezüglich der Ausführungen des Redners über das von
ihm hergestellte Vitaltuberkulin aus lebenden, abgeschwächten humanen Ba¬
zillen sei auf seinen Aufsatz in der D.m.W. 1921 Nr. 19 verwiesen.
V. Drigalski - Halle spricht über die Schwierigkeiten der Ver¬
wertung des physikalischen Untersuchungsbefundes. Sodann empfiehlt er zur
Hebung der Wohnungsnot die Errichtung von „Schlaferholungsstätten“ für
gefährdete — nicht kranke — Kinder. ,
U 1 r i c i - Beetz-Sommerfeld bestätigt die Ausführungen von K ü p f e r i e
über die spezielle Diagnose des tuberkulösen Lungenprozesses^ und weist
darauf hin. dass auch klinisch die nodöse Tuberkulose, die zirrhotische
Phthise, die lobuläre und die lobäre käsige Pneumonie recht gut abgrenz-
bare Krankhcitsbilder sind.
Grass- Beetz-Sommerfeld hält die Klärung der Frage der exogenen
und endogenen Reinfektion für praktisch wichtig, da mit grosser Wahrschein¬
lichkeit massive Erstinfektion das spätere Schicksal des Infizierten besiegelt.
B e i t z k e - Düsseldorf hält den schweren Verlauf der Phthise im Puber-
täts- und Mannesalter nicht für verwunderlich, weil in diesem Alter ein
starker anderweitiger Kräfteverbrauch stattfindet, so dass nicht mehr genug
Kräfte zur Abwehr und Ausheilung einer solchen tuberkulösen Erstinfektion
übrig bleiben.
K l e i n s c h m i d t - Hamburg betont, dass bei den Handelstuberkulinen
nur die Giftwirkung am tuberkulösen Meerschweinchen staatlich geprüft
werde; daher sind die sog. diagnostischen Tuberkuline von Merck und
Höohst hergestellt. Zur Prophylaxe der Tuberkulose hält es der Redner
dringend erforderlich, dass jedem erwachsenen Tuberkulösen gesagt wird,
welche Gefahr er für die Kinder bedeutet. Gerade die akuten Formen der
Tuberkulose schliessen sich beim Kinde an extrafamiliäre Infektionen an, die
verhältnismässig leicht zu ve-^üten sind.
V. Jaksch -Wien macht auf die grosse Gefahr der Infektion der
Säuglinge durch tuberkulöses Pflegepersonal aufmerksam. Nach den Beob¬
achtungen von Hamburger und P o 11 a c k erkranken im ersten Lebens¬
jahre 96 Proz. der der Infektion auso^esetzten Kinder mit 80 Proz. Mortalität,
und im 2. Lebensjahre erkranken 80 und sterben nur 10.
R a n k e - München hält die Tuberkulose für den Prototyp einer rekur¬
rierenden Erkrankung, weil Perioden von Widerstandsfähigkeit mit solchen
von krankhafter Reizbarkeit abwechseln. Man kann mit Tuberkulin sowohl
gegen Bazillenstoffe als auch gegen Tuberkulin selbst immunisieren, wenn
man unter Immunisierung das Ausbleiben von krankhaften Wirkungen in¬
folge Vorbehandlung mit dem gleichen Reizstoff verstehen will.
Bäcker- Oberstdorf-Algäu tritt dem durch Kisch vertretenen extrem
konservativen Standpunkt der Schule von R o 11 i e r und Bier bezüglich
der Behandlung der chirurp^ischen und Hauttuberkulose entgegen und ver¬
langt, dass man aus sozialen Erwägungen bei sämtlichen chirurgischen Tuber¬
kulosen zunächst operativ vorgehen soll, wenn man die Heilungsdauer auch
nur einen Monat abkürzen kann, ohne den Kranken in seiner Erwerbsfähig¬
keit zu schädigen. Wie recht man habe, vor der endgültigen Festlegung
des Begriffs „Heilung“ eine mindestens 3—4 jährige Karenzzeit abzuwarten,
haben dem Redner die vielen Rezidive gezeigt, die er in den letzten 9 Jahren
aus den R o 11 i e r sehen Kliniken bekommen habe und die alle zusammen¬
genommen dessen glänzende Statistiken ganz erheblich zu trüben vermögen.
Zur Durchführung der Freiluftsonnenbehandlung schlägt Redner vor, an
allen Krankenanstalten improvisierte Freiluftabteilungen einzurichten.
G h o n - Prag kann als pathologi«^cher Anatom bei der kindlichen Hilus-
tuberkulose ein Uebergreifen des Prozesses durch die Kapsel der veränderten
Lymphknoten auf das anliegende Lungengewebe nicht anerkennen, ebenso¬
wenig die retrograde Iympho?^cne Infektion vom Hilus in die Lungen. Die
Therapie der Tuberkulose muss dahin streben, den zunächst lokalen tuber¬
kulösen Prozess möglichst lange als örtlichen zu erhalten.
Altstaedt - Lübeck widerspricht dem abfälligen Urteil von N e u -
f e 1 d über die Fettantikörpertheorie von D e y c k e und Much, die nicht
auf der Grundlage von Tierversuchen, sondern auf Grund langjähriger
klinischer und biologischer Untersuchungen an Menschen und im Laboratorium
aufgebaut sei.
Nicol- Koburg trennt die als azinös-nodöse Phthise bezeichnete
Hauptform der produktiven Phthise, die eine langsame Progredienz zeigt,
von der lobulären- exsudativ-käsigen Form, die schnell, fortschreitet und zu
kavernösem Zerfall neigt. Ob es aber möglich ist, bestimmte klinische,
physikalische Merkmale zur Differentialdiagnose der beiden Formen aufzu¬
stellen, erscheint ihm zweifelhaft.
B i e 1 e f e 1 d t - Lübeck weist darauf hin, wie durch eine zwischen
Hamburgischen Staat, Landesverband für Volksgesundheitspflege (Fürsorge¬
stelle für Lungenkranke). Allgemeine Ortskrankenkasse und Landesversiche¬
rungsanstalt der Hansastädte abgeschlossene Arbeitsgemeinschaft nicht nur die
erforderlichen Geldmittel für tuberkulöse Kinder aufgebracht, sondern auch
das Heilverfahren einheitlich und in einer den Anforderungen des Einzelfalls
vollkommen genügenden Weise durchgeführt wird.
Vogel- Eysern-Davos betont gegenüber Schroeder, dass das
Hochgebirgsklima in vielen Fällen das Optimum darstellt gegenüber dem
Tiefland- und Mittelgebirgsklima.
Harms- Mannheim rät. einen Pneumothorax nur dann anzulegen, wenn
man sicher ist, dass auch die Nachfüllungen vorgenommen werden können.
Stuertz -Köln hält Kinder für ambulatorische Pneumothoraxnach¬
behandlung wenig geeignet. Die Röntgendiagnostik hält er nur für eine
Ergänzungsuntersuchungsmethode und die klinischen Untersuchungsmethoden
für die wichtigsten. Zur Sicherung der Diagnose, dass keine Lungentuber¬
kulose wesentlicher Bedeutung vorliegt, vor allem keine Hil'istuberkulose. gibt
das röntgendiagnostische Verfahren einen gewissen Schlussstein ab.
(Schluss folgt.)
16. Kongress der Deutschen orthopädischen Gesellschaft
in Berlin vom 18., 19. und 20. Mai 1921.
Bericht von Georg H o h m a n n - München.
(Schluss.)
Der 2. Tag war der Rachitis gewidmet.
Erich Müller- Berlin schildert das gesamtkllnische Bild, die Theorien
und Ursachen und die diätetische Behandlung der Rachitis.
Aussprache: Klostermann - Gelsenkirchen: Die niedriger ge¬
legenen Orte zeigen mehr Rachitis als die höheren. Hoffmann-
Frankfurt: Die Wirkung des Lebertrans beruht auf dem Phosphor. Bei
Rachitis tarda besserten sich die Allgemeinerscheinungen schnell durch
Phosphor (Mattigkeit. Körpergewicht, Blutbild). Müller- Gladbach: Mus¬
kulatur ist immer verändert, es. besteht kein Hypotonus, sondern Hyper-
Digitize-d by Goüsle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
722
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
tonus in den einen und Atrophie in den anderen. Genaue Untersuchungs¬
technik. Zweimal wöchentlich Massage. Schnelle Besserung, van Assen-
Rotterdam hat im Anfang des Krieges, als Nahrungsbeschränkung vorüber¬
gehend war, Zunahme der Rachitis gesehen. Er begrüsst die deutschen
Orthopäden, die trotz der ungünstigen Lage den Kopf oben behielten und
im Kriege gezeigt haben, was ihr Fach leistet. L a c k m a n n - Hamburg:
Die übervölkerten Stadtwohnungen sind hauptschuldig.
Lehnerdt -Halle trägt über die Fortschritte in der pathologisch*
anatomischen Erkenntnis der Rachitis und verwandter Knochenerkrankungen
an der Hand eines reichen Materials histologischer Präparate vor.
Aussprache: F r o m m e - Göttingen ergänzt diese Darstellung. Er
erklärt die Deformitäten durch Wachstumsbehinderung an der einen und
Steigerung an der anderen Seite. M a a s s - Berlin: Befunde am unteren
Femurende zeigen die Wirkung des Druckes auf das Wachstum des rachiti¬
schen Knochens. Schede- München behauptet, dass die Rachitis nicht
mit dem Wachstumsalter aufhört. Auch der ältere Mensch kann an ihr
erkranken. Behandlung desselben mit Lebertran, Vitaminen, Freiluft.
L o o s e r - Zürich fasst die Osteophyten als reparatorische Vorgänge auf.
Rachitis der Kinder, der Adoleszenten und Osteomalazie sind nur Uebergänge
derselben Krankheit.
Josef Koch- Berlin führt seine bekannten Anschauungen über die
Infektion als Ursache rachitischer Erkrankungen aus, die er durch experi¬
mentelle Infektion mit Streptokokken an Tieren gewonnen hat.
Aussprache: W o 11 e n b e r g - Berlin ergänzt diese Darstellung
durch zahlreiche Knochenbilder. S c h a n z - Dresden: Rachitis ist der Aus¬
druck für Mangel an Asche (Hungererkrankung) oder der zq reichlichen
Ernährung (Milchrachitis). L e h n e r t - Halle hält die Koch sehen Re¬
sultate eher ' für Ostitis fibrosa als Rachitis, behält sich abschliessendes
Urteil noch vor.
Beck- Frankfurt a. M. behandelt das Problem der Knochenatrophie
pathologisch-anatomisch, ätiologisch, nach ihren einzelnen Formen bei den
verschiedensten Zuständen, und ihre Behandlung, die eine Berücksichtigung
der ätiologischen Faktoren erfordert. Vor allem Hebung des Stoffwechsels,
Massage usw.
Aussprache: Brandes - Dortmund: Tierexperimente zeigen den
Einfluss der Inaktivität nach Durchschneidung der Achillessehne auf den
Kalkaneus, der atrophiert.
Gramer- Köln spricht über Entstehung und Verhütung der rachitischen
Deformitäten: Druck- und Zugwirkungen bei Weichlffeit des Knochengewebes,
ungleichmässiges Knochenwachstum. Verhütung durch Beratungsstellen und
Behandlung im floriden Stadium.
H o h m a n n - München: Behandlung der rachitischen Verkrümmungen.
Tatsache der Spontanheilung rechtfertigt nicht Verzicht auf orthopädische
Behandlung im floriden Stadium. Die oft ungenügende Selbstkorrektur wird
gezeigt an Kamps sog. „geheilten" Fällen. Folge: statische chronische
Arthritis“. Winklige Knickungen, Coxa vara, Tibia recurvata usw. heilen
nicht spontan, verschlechtern sich sogar. Günstigste Zeit der Korrektur
zwischen floridem und sklerotischem Zustand wegen starker Knochenproduk¬
tion durch das Osteophyt. Biegung, erleichtert durch Röpkes Erweichung,
ist oft mit Infraktion verbunden. Springers Segmentierung sind mehr¬
fache Osteotomien vorzuziehen. Bei Coxa vara und X-Bein V-förmige
Osteotomie. Müllers Hypertonie ist wohl nur MuskelverkOrzung infolge
der Annäherung der Insertionspunkte durch die Verbiegung.
S t o f f e 1 - Mannheim: Indikation und Technik von Osteotomie. Osteo-
klase und Redressement. Soziale Verhältnisse zwingen oft zu früherem
Eingreifen. Gegen Röpke. In erster Linie kommt Osteotomie in Betracht.
Gute Erfolge. Stets lineär, nicht keilförmig. Grössten Teil des Knochens
durchrneisseln. Rest leicht einbrechen. Konkavseitc einmeisseln, Konvexseite
cinbrechen. Verlängerung der Weichteile bei grösserer Verkrümmung. Nach
Osteotomie Oipsverband.
Böhm- Berlin: . Entstehung. Verhütung, Behandlung der rachitischen
Skoliose. Meist ist ein Wirbel oder Wirbelabschnitt erkrankt, seltener
die ganze Wirbelsäule. Es kann der Wirbelkörper oder die Bogenepiphyse
befallen sein.* Beim Wirbelkörper entsteht Verminderung seiner Höhe = Keil.
Beim Bogen entsteht seitliche Abweichung mit Verdrehung um Sagittal-
achse. Bei symmetrischer Keilbildung entsteht Kyphose. Bei Erkrankung
der ganzen Wirbelsäule entsteht rehstockartige Verbiegung. Verhütung:
flache Unterlage, wenig gepolstert. Behandlung mit Gipsbett oder Früh¬
redression im Gipskorsett. Schwere Fälle unheilbar.
Aussprache: E n g e 1 - Berlin: In orthopädischer Poliklinik Anstieg
der Rachitis bis 1919, dann Abfall wie bei Tuberkulose. Indikation für Ein¬
griffe wie H o h m a n n. Bei Osteotomie G o c h t s Extensionszüge und
Clips. Volle Korrektur erst im 2. Gips. 7—8 Wochen Fixation. Bei X-Bein
Osteotomie an der Aussenseite (Schanz). S c h e p e 1 m a n n - Hamborn:
Bei Schraubenzieherbeinen Aushülsung des Knochens und Füllung des Periost¬
schlauches mit Jodoformplombe. S c h e d e - München: Skoliose entsteht im
1. und 2. Lebensjahr, muss hier bekämpft werden. Gelingt später nicht
mehr. Bedenken gegen IminobilisieruBg. Es gibt nur einen Geradehalter, die
Muskulatur. Aktives Korsett zur Selbstkorrektur durch die Muskeln: Gips
in Kyphose und Redression bis Rippenbuckel. Wirbelsäule richtet sich
dann von selbst allmählich auf. Aktives Korsett kann jahrelang getragen
werden. Beste Korrektur durch Extension. Operation bei Skoliose: Ver¬
spreizung eines Tibiaspans zwischen Darmbeinkamm und Ouerfortsatz
1. Lendenwirbels. S t a u f f e r - Bern hat Versuche begonnen mit dauernder
Suspension (8 Stunden Glisson, 16 Stunden Gipsbett) Skoliosen auszugleichen.
In der korrigierten Stellung soll das Kind wachsen. A 1 s b e r g - Kassel
fixiert nach Osteotomien im Gegensatz zu G o c h t nur 4 Wochen lang.
Wollenberg - Berlin: Das aktive Korsett Schedes stammt von
Lorenz, wurde wieder erfunden von Kruke nberg, später von W o 1 -
lenberg. Schede bestreitet dies. Die Korsette der Genannten be¬
ruhten auf anderen Prinzipien.
Huldschlnskv - Berlin: Strablentherapie der Rachitis mit Ultra¬
violettlicht gibt beste Resultate. Zu verbinden mit modellierendem Redresse¬
ment und Fixierung der erreichten Korrektur (Skoliosen im Gipsbett mit
Ouengelzügen^ Gegen amerikanische Vitaminosentheorie sprechen neuere
deutsche Versuche. Vitaminreich genährte Tiere, die eingesperrt wurden,
bekamen Rachitis, vitaminarm genährte, die freien Lauf hatten, nicht.
Lichtmangel von grossem Einfluss auf Entstehung des Leidens. Bestrahlung
nach Operation der floriden Rachitis macht Knochen schnell fest.
Aussprache: E r 1 a c h e r - Graz: Seit 1 Jahr Bestrahlungstherapie,
immer erfolgreich. Schricker gibt jedem Rachitiker Bauchlage, aktive
Muskelgymnastik durch Aufrichtung. E 1 s n e r - Dresden hat mit gewöhn¬
licher Bogenlampe die gleichen Resultate wie mit Ouarzlicht erzielt. K u h -
Prag bestätigt Huldschinskys Erfolge. Witte k-Graz: Sonne wird
durch die künstlichen Lichtquellen nicht ersetzt.
S i m o n - Frankfurt: Spätrachitis und Hungerosteopathle.
Rachitis tarda bei den Adoleszenten, Osteomalazie bei den Erwachsenen.
Zwischen beiden fliessende Uebergän'^e, ebenso zwischen kindlicher und
später Rachitis. Die ursächliche gleiche Noxe befällt das Skelett in ver¬
schiedenen Wachstumsstadien. Die Spaltbildungcn an den Knochen sind
keine Frakturen, sondern „Umbauzonen" mit kallusartigem osteoidem Ge¬
webe. Therapie: Phosphorlebertran, Kalk, Suprarenin, Strontium, Freiluft.
Sonne, Massage.
• Wollen berg - Berlin: Ostitis flbrosa, Osteomalazie, Osteopsathyrose.
Chondrodystrophie.
I. Ostitis fibrosa: Knochenmarksfibrome. Riesenzellensarkomc.
Knochenzysten, histologisch grundsätzlich nicht verschieden, 1. Als S y -
stemerkrankung und zwar als a) Paget sehe Krankheit, als sklero-
sierende Ostitis, im Röntgenbild Verdickungen, fleckige Struktur, Auflockerung
der Kortikalis. Prognose ungünstig, b) Als Recklinghausen sehe fibr.
Ostitis mit Tumoren und Zysten. Ungünstige Prognose. Therapie: Schienen¬
apparate. Exkochleation von Herden. Osteotomien. 2. Als lokalisierte
umschriebene Ostitis: blasige Auftreibungen mit Septen, Waben, keine
periostale Ossifikation. Prognose günstig. Eröffnung der Höhlen, bei Fraktur
Naht. Bolzung. II. Osteomalazie: Puerperal oder nicht puerperal.
Therapie: Phosphor bei seniler, Kastration oder Rönlgensterilisierung bei
puerperaler Form. Adrenalin, Schilddrüse. Sonst Schienenapparate, Kor.sett.
III. Osteopsathyrose: Knochenbrüchigkeit in Diaphysen, diffuse
Atrophie, lamellöser Bau der Kortikalis, weitmaschige Spongiosa. Exakte
Frakturbehandlung zur Verhütung der Deformitäten. Osteotomien heilen
schlecht. IV. Chondrodystrophie: Malazische, hypoplastischc und
hyperplastische. Verspätete Knochenkerne in Epiphysen, langsame Ver¬
knöcherung.
Aussprache: N a t z 1 e r - Mülheim sah viel Spätrachitis im Indu¬
striegebiet, schnell entstehende X- und 0-Beine. Stein- Wiesbaden hat
hierbei Adrenalin injiziert (1:1000) mit 0,2 anfangs bis zu 0,8 ansteigend, 11 In¬
jektionen in 5 Monaten: Besserung der Schmerzen und des Ganges. Sauer-
Hamburg hat Zysten bei Ostitis fibrosa durch Auslöffeln geheilt. Bran¬
des- Dortmund sah in Kiel im letzten Jahre 28 Fälle von Ostitis fibrosa.
Therapie: Exkochleation mit Jodoform. Nur 1 mal Resektion und Einheilung
von Fibula. Keine Rezidive. Spontanfrakturen heilen mit geringem Kallus.
Nachuntersuchungen von Präparaten der Klinik aus 1. Jahrzehnt ergeben,
dass 70 Proz. dieser als Sarkome resezierten oder amputierten Teile nicht
bösartige myelogene Sarkome waren, sondern nach heutigen Anschauungen
Ostitis fibrosa.
Am 3. Tag sprach
Eriacher - Graz Uber deformierende Gelenkprozesse bei Kindern.
Im Röntgenbild Schatten peripher von Epiphysenlinien, auch Veränderungen
an Hüftpfanne. Aehnlich an proximaler Tibiaepiphyse mit zunehmendem O-Bein.
Ausfransungen an medialem Obcrschenkclkondylus. Pommer hält es für
Arthritis deformans. Ausgleichung der Varusdeformität im Hüftgelenk durch
Abduktionsverband. Einmal trat hierbei Subluxation des Kopfes ein. da
Erweichung zu stark vorgeschritten war. L u d 1 o f f hat auf die Ausfransung
am medialen Obcrschenkclkondylus als auf normale Wachstumsvorgängc
früher hingewiesen.
Selig- Stettin hat deformierte Hände infolge Arthritis urica mit Erfolg
in Narkosen (bis zu 27 mal!) allmählich redressiert und in halbstarren Ver¬
bänden fixiert.
Aussprache: Schede: Solche Fälle liegen in den Kranken¬
häusern meist ohne jede Behandlung. Orthopäden sollten zugezogen werden.
Fixiert sic im Anfangsstadium mit Zinkleim.
S t e 1 n - Wiesbaden hat von Sanarthrit Heiler nur ungünstige Resultate
gesehen: unangenehme Nebenerscheinungen (Albumen, Hämaturie, Schock.
Herpes, Pruritus).
Aussprache: Blencke bestätigt dies.
Frosch -Berlin sah bei doppelseitig schnellendem Knie durch seit¬
liche Luxation der lateralen Menisken entzündliche Geschwulst entstehen.
Heilung durch Entfernung. Auch W u 11 s t e i n - Essen entfernte eine solche,
musste hierzu Lig. cruciata durchschneiden. hinterher komplizierte Band¬
plastik machen;
B r a n d e 8 - Dortmund: Zur Kenntnis der Luxationspfanne im Röntgen-
biid. Nachprüfung ergab die Richtigkeit der C a 1 o t sehen Behauptung,
dass das sog. Pfannendach die projizierte Spin. ant. infer. sei, ferner dass
möglichst tief Kopf einzustellen sei, da er sonst nicht ins Zentrum der
Pfanne kommt, muss also unterhalb des Y-Knorpels stehen. Präparate
zeigen oberhalb der Pfanne sekundäre „Pfannen" (L u d 1 o f f).
Schanz- Dresden hat bei nichtreponibler angeb. Hüftluxatlon suh-
trochantere Osteotomie, aber tiefer als gewöhnlich ausgeführt, das periphert-
Endc abduziert und verklemmt dadurch das Becken zwischen den Femur¬
knochen. Zur Verhütung der Dislokation vorherige Einfügung zweier
Schrauben zur Dirigierung der Knochen und Bestimmung des Winkels.
Demonstration einer sehr gut gehenden Patientin.
Aussprache: Wullstein stellt Kopf sehr tief ein, 2 mal Ab¬
rutschen desselben ins Foramen obturatum. B a d e - Hannover: Das Ein¬
renkungsgeräusch muss doppelt, gespalten sein. Röntgenbild nicht immer
massgebend. Alsberg- Kassel und H o h m a n n - München haben mit
der Lorenz sehen subtroch. Osteotomie auch bei doppelseitiger .gute Er¬
folge gehabt, letzterer sogar bei 27 jähr. Pat. Doch kann man beim
Doppelseitigen nicht so stark abduziert eingipsen. Lu dl off: Die primäre
Spannung der Hüftmuskeln nach der Operation gibt bisweilen später wieder
nach.
F r ä n k e i - Berlin: Angeborener muskulärer Schiefhais, oft bei Sieiss-
lage, Nabelschnurumschlingung, Retroflexio Uteri, kombiniert mit anderen
Deformitäten. Warnekros diagnostizierte ihn intrauterin im Röntgenbild.
Zur Wiederherstellung des durch Tenotomie zerstörten Halsreliefs macht
F r ä n k e 1 Ouerschnitte in Muskelfaszie, dann Myotonie und Wieder-
vernähung der Faszie in Längsrichtung, so dass in die Lücke des Faszien¬
schlauches die Regeneration des Gewebes stattfindet. Diese gelingt aller¬
dings nicht immer.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
723
Aussprache; May^r - Köln: Nach Durchschneidung zuerst Rumpf¬
gips, dann Redression. der Halswirbelsäule und Vollendung des Gipses.
K ö 11 i c k e r - Leipzig macht offen Myotomie am Warzenfortsatz, Frankel
ist gegen gewaltsames Redressieren wegen Zerreissung der Faszie.
S c h e d e - München: Schulterrheumatismu^. Die P o r t sehen Skoliosen
durch Muskelrheumatisrnus sind keine echten Skoliosen, sondern nur Scho¬
nungshaltungen. Bei allen Haltungsanoinalien finden sich druckempfindliche
Muskelhärten. Uebermüdete Muskeln geraten in Krampfzustand. Qewohn-
heitsmässiges Vorhängen des Scliultergürtels schwächt Trapezius, macht
Kontraktur des Pektoralis. Die Muskeln, welche die Haltung aufrecht¬
erhalten, erkranken. Gymnastische Behandlung. N a t z I e r - Mülheim:
Kalkige Ablagerungen in den Schulterschleimbeuteln reagieren gut auf Dia¬
thermie. F u c h s - Baden-Baden: Knötchen und Muskelhärten nur bei per¬
sönlich durchgeführter Massage zu finden und zu beseitigen.
Deutschländer - Hamburg: 69 Fälle von Spina bifida occulta mit
Wachstumsverkürzungen eines Beines, Klumpfuss, Hammerzehenfuss, trophi-
schen Störungen, Lähmungen, Blasenstörungen (Enuresis nocturna), Skoliosen-
bildung auf der schiefen Grundlage.
Aussprache: v. Finckh - Dresden betont den häufigen Zusammen¬
hang von Spina bifida mit Skoliose. B e c k - Frankfurt; Im Alter von 7 bis
8 Jahren ist Spina bifida schwer festzustellen, da die Spalten sich mit
der Verknöcherung erst später schliessen. Rebellische Klumpfüsse bei Spina
bifida beobachtet. L ö f f 1 e r - Halle: Eigentümlich winklige Abknickung der
Lendenwirbelsäule deutet auf Spina bifida.
S c h e r b - Zürich hat bei Sooiidylollsthesls sinistra im Lumbosakralteil,
mit Korsett nicht beeinflussbar, Albeespan nach K ö 11 i k e r seitlich ange¬
lagert und zwar unter Druck.
Aussprache: S c h u 11 z e - Duisburg hat seit Jahren nach guter
Kofrektur der Skoliose Spannung mit 2—3 Spänen abschnittweise para-
vertebral gemacht. H e 1 w i g - Dahlem: Spastiker müssen in Klinik, die
mit Schule verbunden ist, sorgfältigst behandelt werden.
G o c h t - Berlin: Bei AdduktionsspasfUien die S e 1 i g sehe intrapelvine
Resektion der beiden Obturatoriusästc. 39 mal gemacht. Demonstration der
Operation in der Poliklinik.
Löffler- Halle reseziert Obturatorlus von Medianschnitt aus.
Aussprache; S e 1 i g - Stettin: Zur Adduktion bleibt nach Obtur.
Resektion noch Innervation von Ischiadikus und Femoralis übrig. Förster-
Breslau: Bei schweren spastischen Lähmungen (Kriegsverletzte) Resektion
hinterer Wurzeln das Gegebene. Beim hemiplegischen Bein: plastische
Verlängerung der Achillessehne, Stoffel sehe Operation am Tibialis wegen
Fussklonus, Zehenkrallung und Supinationskontraktur (Schnitt Kniekehle: Ab¬
spaltung des dorsalliegendcn Teiles zu den Gemelli und Soleus und Infiltrieren
des restlichen Teiles mit. 5 proz. Formalin. Verpflanzung der abgespaltenen
Hälfte des Muse. tib. anticus auf peron. III. Kniestreckkontraktur: etwas
aus N. femoralis resezieren, aber nicht zuviel. Bei Adduktionsspasmus
Intrapelvine Obturatoriusresektion. Brandes hat ebenfalls nach Selig
operiert. S t o f f e 1 - Mannheim hebt die schnelle und leichte Ausführbarkeit
seiner Methode des Aufsuchens des Obturatorius in den Muskeln hervor. Nur
in schweren Fällen reseziert er beide Aeste, meist nur den oberflächlichen.
Bade- Hannover bleibt bei der altbewährten Adduktorentenotomie, da doch
nachbehandelt werden muss.
Klostermann - Gelsenkirchen sah nach Operationen (Quadrizeps-
plastik, Tibia-, Kalkaneus-, subtroch. Femiirosteotomie) Magendarmblutungen
mit Bewusstseinsstörungen, bedrohlichen Zuständen eintreten, die' wieder
vergingen. Glaubt an Fettembolie. Im Augenhintergrund soll (analog der
Lipämie der Diabetiker) Fett in Streifenform zu sehen sein. Alsberg
bat einen ähnlichen Fall tödlich verlaufen sehen.
Engel- Berlin zeigt Bilder von multiplen Exostosen und Enchon-
dromen.
Schepelmann - Hamborn; Zur Beseitigung starker Beinverkür¬
zungen intrakallöse Osteotomie, da parakallöse oft zu starke Knickung und
Störung des Muskelzuges macht.
Die Prothesenfrage wird besprochen von Semeleder - Wien (Uni¬
versalinstrument bei Armamputierten), Gocht, Schede, Blencke
(Vorstellung von Doppelamputierten), F i n c k - Kiel (gegliederter Sitzring
mit Tubersattel), G ö c k e 1 - Dresden (Sektorenschienengelenk). Kirsch-
Magdeburg (Kniesperre bei Beugung von selbst auslösbar), Rosenfeld-
Nürnberg (die Semeleder sehen Bilder beweisen nichts für das Arbeiten
Armamputierter). Mosberg: nur selbständige Landwirte arbeiten mit
Kellerklaue. R a d i k e - Berlin: Bilanz des Arbeitsarmes ist traurig. Immer¬
hin arbeiten 70 Proz. von 200 mit Garnes- und Germaniaarm, B ä h r -
Hannover (keine guten Erfahrungen mit Garnes). Rosenfeld: 90 Proz.
seiner Beobachtungen haben Sauerbruchprothese abgelegt, Kanäle werden bei
wirklicher Arbeit wund.. Ein Fabrikbesitzer trägt den Arm.
Zum Schluss zeigt Stein- Wiesbaden Knochenschutzhebel für Osteo¬
tomien, die der Vorsitzende als die bekannten, nun wieder erfundenen
Knochenhebel Hohmanns bezeichnet. Gocht zeigt das Instrument
von Thomas W r e n c h und P h e 1 p s zum Redressieren von Fussdeformi-
täten, Engel einen umständlichen und kostspieligen Apparat zum Photo¬
graphieren der belasteten Fusssohle, den Silferskiöld - Stockholm als
einen schwedischen Apparat wiedererkennt, der aber auf dem Speicher
stehe. Glühlichtkasten aus Pappe für Teilbäder zeigt Zimmermann-
Freiburg.
Am 21. fanden sich noch 150 Teilnehmer des Kongresses in Bie-
s a 1 s k i s Krüppelheim in Dahlem ein, wo ihnen B i e s a 1 s k i dje Methoden
des Quenxelns, der Verbände, Apparate, Armprothesen bei Ohnhändern, der
physiologischen Sehnenverpflanzung, der orthopädischen Handübungsklasse
für Spastiker und Ataktiker und der pädagogischen Berufsausbildung Ge¬
brechlicher zeigte.
Zum Vorsitzenden des nächsten Kongresses wurde mit fast allen
Stimmen Prof. Drehmann - Breslau gewählt, dem damit das besondere
Vertrauen und die wissenschaftliche Wertschätzung ausgedrückt werden
sollte angesichts der offenen Zurücksetzung Drehmanns bei der Er¬
teilung des Lehrauftrages für Orthopädie in Breslau. In den Ausschuss der
Gesellschaft wurde v. Baeyer -Heidelberg zugewählt.
Altonaer ärztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. November 1920.
Herr J e n c k e 1 stellt 1. eine 48 jähr. Frau vor, die seit mehreren
Jahren über Schmerzen in der rechten Schulter klagte. Das Schultergelenk
selbst war frei. Die Schmerzen traten beim Hochheben des Arms und
namentlich bei der Adduktion im Bereich des Akromion auf. Von aussen liess
sich eine geringe Verbreiterung des Akromion und bei starkem Druck eine
Schmerzhaftigkeit dieses Knochens feststellen. Das Röntgenbild zeigte im
Akromion zahlreiche kleinere und grössere Zysten, die wabenartig den
Knochen durchsetzten. Durch operative Entfernung der zystisch veränderten
Partie wurde völlige Heilung und gute Funktion erzielt. Klinisch und mikro¬
skopisch handelte es sich um eine Ostitis fibrosa mit Knochenzysten. J. be¬
spricht an der Hand zahlreicher Projektionsbilder diese Erkrankung des
Knochensy^tems.
2. Die Harnblase eines 65 jähr. Mannes, bei welchem sich nach akuter
Gonorrhöe und periurethraler Abszessbildung in Höhe der Cowper sehen
Drüsen eine 2 Tage andauernde Harnretention zeigte, die zur Spontan¬
perforation der Harnbiase und zur Bildung eines rechtseitigen, dicht ober¬
halb des inneren Leistenringes gelegenen subkutanen Abszesses geführt hatte.
Nach Eröffnung desselben entleerte sich stark mit Eiter gemischter, stinkender
Harn, die Perforationsöffnung in der Blase war für einen Mittelfinger gut
durchgängig. Pat. starb an doppelseitiger Pneumonie und die Sektion zeigte
neben schwerer jauchiger Zystitis eine Balkenblase mit mehreren divertikel¬
artigen Ausstülpungen, deren Kuppen papierdünn waren. An einer rechts
vorn gelegenen, divertikelartigen Ausstülpung war es zur Perforation der
Harnblase in die vordere Bauchwand gekommen.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
VereinsamtUche Niederschrift.
Sitzung vom 13. Dezember 1920.
Herr v. Jaksch-Prag; Klinik der endokrinen Erkrankungen (mit
Lichtbildern).
Zusammenfassender klinischer Vortrag über die häufigsten endokrinen
Erkrankungen (Basedow, Myxödem, Akromegalie) und ihre gegenseitigen Be¬
ziehungen.
Aussprache; Herr Bennewitz: Die innersekretorischen Drüsen¬
erkrankungen sind als pluriglandulär bedingt anzusehen. Beim Basedow
sind der Thymus in 75 Proz., das Pankreas in 25 Proz., die Nebennieren in
64 Proz., die Ovarien sehr häufig und Epithelkörperchen und Hypophyse
jedenfalls nicht selten beteiligt. Da die Drüsen vikariierend für einander ein¬
träten, könne die Therapie unter Umständen vielseitig anfassen; er stehe der¬
selben hoffnungsvoll gegenüber. Bei der parathyreopriven Tetanie helfe die
Transplantation von Epithelkörperchen ebenso wie die Schilddrüsenmedikation
und er hoffe der Ozaena mit Hypophysenextrakten beizukommen.
Herr Arnsperger gibt als kasuistischen Beitrag einen Bericht über
einen Fall von Addison scher Erkrankung, bei welchem die Sektion eine
luetische Atrophie der Nebennieren ergab. Als weitere innersekretorische
Störung fand sich eine Atrophie der Ovarien. Bei Struma ist A. prinzipiell
gegen jede Jodtherapie wegen der Möglichkeit des Uebergangs einer ein¬
fachen Struma in eine basedowähnliche Form.
Herr G a 1 e w s k y macht aufmerksam auf eine ganze Reihe von Haut¬
krankheiten, die in Verbindung mit innerer Absonderung zu bringen sind.
Er erwähnt insbesondere die Psoriasis, die Sklerodermien und andere. Wenn
bisher die Dermatologie nicht imstande gewesen ist, diesen Krankheiten bei¬
zukommen, so lag es daran, dass die innere Sekretion und ihre Zusammen¬
hänge noch nicht genügend erforscht waren.
Herr S c h m o r 1: Die Atrophie der Nebennieren bei Addison beruht öfter
als man früher annahm auf Lues. Den ersten Fall sah Sch. 1914, seitdem
6 weitere Fälle bei gleichzeitiger Lues anderer Organe. Stöts fanden sich
akzessorische Nebennieren, die die Funktion des Hauptorgans eine Zeitlang
aufnehmen konnten.
Herr L e i b k i n d sah in einem Falle von Myxödem eine Hypertrichose.
Herr Wert her; Auch die Akromegalie kann auf syphilitischer Basis
entstehen.
Herr V. Jak sch (Schlusswort): Vorsichtige Jodanwendung kann bei
Struma nicht schaden, wenn man genau auf Basedowsymptome untersucht
hat. Aus einem Adenom der Schilddrüse wird nie ein Basedow entstehen.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 17. Mai 1921.
Vorsitzender: Herr K ü m m e 11.
Herr B r ti 11: Ein 30 jähr. Mann stolpert am Abend, erkrankt nach
vielstündigem Intervall nachts mit allen Zeichen einer intraperitonealen
Katastrophe in der Oberbauchgegend und wird am Morgen in schwerkrankem
Zustande ins Krankenhaus eingeliefert. Diagnose: Milzruptur. Sofortige Ex¬
stirpation der Milz, die durch Malaria tropica und tertiana tumorartig
geschwollen war. — Bericht über 3 weitere Fälle. Gharakteristisch ist oft
das Intervall zwischen dem bisweilen nicht leichten Trauma und dem
Auftreten der bedröhlichen Symptome der intraabdominellen Blutung.
Herr K ö m m e 11 berichtet über Nachprüfung der R o 11 i n sehen An¬
gaben, maligne Tumoren durch intramuskuläre Blutlniektionen günstig beein¬
flussen zu können. Auf Grund von 20 Fällen, in denen diese Methode
ans^ewandt wurde, ist dieser Vonschlag unbedingt als erfolglos abzulehnen.
Vortrag des Herrn S u d e c k: Chirurgische Behandiung der Basedow-
schen Krankheit. Siehe Bericht über die, 45, Versammlung der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie, M.m.W. Nr. 16 S. 499. .
In der Besprechung macht Herr S c h a e d e 1 auf die Wichtigkeit und
für die Diagnose der echten Basedow sehen Krankheit ausschlaggebende
Bedeutung des Snellenschen Gefässgeräusches über bei¬
den Augäpfeln aufmerksam. Die Ansicht Sattlers, es seien
Muskelgeräusche, besteht nicht zu Recht. In über der Hälfte der Fälle
ist dieses Symptom nachweisbar. Der positive Befund ist für Basedow
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
724
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2=1.
beweisend. Das Geräusch ist nur mit Schlauchstethoskop unter leichtem
Druck auf die goschlossenen Bulbi zu hören.
Herr F a h r hat bei 18 Basedowsektionen 13 mal einen Thymus persistens
gefunden. Die 5 Fälle, in denen er fehlte, waren älter als 40 Jahre.
Er und
Herr F r a e n k e 1 bespricht die pathologisch-anatomischen Verhält¬
nisse beim Basedow und Hyperthyreoidismus. F. glaubt, dass in jedem
Falle nicht die Schilddrüse allein erkrankt ist, sondern auch daneben in den
endokrinen Drüsen sich ein pathologischer Vorgang abspielt, während Herr
Kestner die jetzt beliebte und so modern gewordene Diagnose: „pluri¬
glanduläre Erkrankung** ablehnt und immer nur eine endokrine Drüse für
den Sünder hält.
Herr L o r e y bespricht die Röntgenbehandlung, gibt nur kleine Dosen
und vermeidet jede Hautschädigung.
Herr K ü m m e 11 spricht über die Frage der Allgemeinnarkose oder
Operation in Lokalanästhesie. Er ist für gut geleitete Aethernarkose.
Herr S u d e c k schliesst sich dem an, bespricht noch die Ueberschwem-
mung des Organismus mit dem Schilddrüsengift nach der Operation, für die
er das psychische Moment geltend macht und die Organotherapie mit Epithel¬
körpern. Werner.
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
/ Sitzung vom 27. Januar 1921.
Herr Hugo Müller spricht über die Zunahme der Geschlechtskrank¬
heiten in Rheinhessen nach statistischen Angaben von Mainzer Dermatologen
und über die Bekämpfungsmassnahmen.
Die Mainzer Fachärzte für Geschlechtskrankheiten und die ein¬
schlägigen Krankenhausabteilungen haben innerhalb der Zeit vom 15. XI. 1920
bis 15. XII. 1920 alle ln Behandlung gestandenen Fälle von Frühlues (L. I
und L. II manifest), sowie von Tripper gezählt unter Ausschaltung aller
französischen und nicht-rheinhessischen Patienten. Diese auf Veranlassung
des hessischen Landesversicherungsamtes und der Gesundheitskommission
des besetzten Hessens erfolgte Statistik ergab an Frühsyphilis (I und II)
448 Fälle (davon 302 städtische, 146 ländliche), an Tripper 336 Fälle (davon
256 städtische, 80 ländliche). An der Hand weiterer Zahlen ergibt
sich schlagend die Notwendigkeit der Bordelle im besetzten Gebiet
zum Schutz der übrigen weiblichen Bevölkerung. Vor allem weist einen
guten Erfolg in der Auffindung der Ansteckungsquellen die Zusammenarbeit
aller in Frage kommenden Fachärzte — auch der französischen Militär¬
stellen —. der Krankenhäuser, Beratungs- und Fürsorgestellen auf. (Aus¬
führliche Veröffentlichung anderweitig.)
MUnchener GesellsehafI fOr Kinderheilkunde.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 20. Januar 1921.
Herr Spanier stellt einen Knaben mit familiärem hämolytischem
Ikterus vor.
Diskussion: Herr Benjamin, v. Pfaundler.
Herr Spielmeyer spricht über die Iuvenile Form der familiären
amaurotischen Idiotie.
Ausgehend von der besonderen Bedeutung dieser Erkrankung für die
pathologische Anatomie der Geisteskrankheiten behandelt er unter Vorweisung
histologischer Bilder im Wesentlichen die anatomische Eigenart dieser Zu¬
stände, die mit der infantilen Form in histologischer Beziehung engste Ver¬
wandtschaft aufweisen.
Diskussion: Herr v. Pfaundler bringt einen Auszug aus den
Krankengeschichten der beiden in der Kinderklinik beobachteten Geschwister
mit familiärer amaurotischer Idiotie, deren eines von Spielmeyer histo¬
logisch untersucht werden konnte. Da dieses Kind weder amaurotisch noch
schwer idiotisch war, sondern nur epileptoide Krampfanfälle im Leben dar¬
bot, so möchte er unter voller Würdigung des histologischen Befundes
bei der Bezeichnung weniger auf die Amaurose als auf den epileptoiden
Verlauf Nachdruck legen. Gott.
Gesellschafl der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 6. Mai 1921.
Herr E. Spitzer demonstriert einen Fall von extragenitaler Sklerose.
Herr O. Frisch demonstriert einen Mann, an dem eine ungewöhnliche
Magenoperation ausgeführt wurde.
Der Kranke wurde vor 7 Jahren wegen Ulcus duodeni gastroentero-
storaiert, vor einem Jahre wurde wegen Ulcus pepticum jejuni dieses mit
einem Teil des Magens reseziert.
Da die Beschwerden neuerdings auftraten, wurde eine zweite Aus¬
schaltung gemacht, ein sehr kleiner kardialer Magen gebildet und mit dem’
Dünndarm verbunden. Das ursprüngliche Ulcus duodeni war zwar ausgeheilt,
aber eine persistierende Fistel war indessen Sitz eines grossen Ulcus pepticum
geworden. Nach der letzten Operation hat sich der Kranke erholt und um
5 kg an Gewicht zugenommen.
Herr G. Singer: Das Kalzium ln der Herztherapie.
Ausgehend von den experimentellen Erfahrungen über die Herzwirkung
der Kalziumsalze hat Vortr. die Verwertbarkeit löslicher Kalziumsalze be¬
sonders bei Kreislaufschwäche des Herzens und Stauungsödemen und bei
Dekompensation geprüft. Es wurde Kalzium chloratum teils per os, haupt¬
sächlich jedoch intravenös verwendet (einmalige Gaben von 0,5, oder wieder¬
holte Dosen von 0,1). Auch Dosen von 0,5 CaCb sind intravenös ungefährlich.
Das Kalzium allein erhöht den Tonus des Ventrikels, wirkt leicht blutdruck¬
senkend, setzt die Pulsfrequenz herab und bringt die Diurese in Gang. Ein
Vergleich mit der Digitaliswirkung bei abwechselnder Darreichung zeigt
rasche Erschöpfung der Wirkung bei Kalzium, welches im Herzen nicht ge¬
speichert wird. Die auffälligsten Erfolge zeigten sich bei der Kuppelung
von CaCb mit Digitalis per os in dem Sinne, dass die Digitaliswirkung, deren
Optimum erst am dritten bis vierten Tage eintritt, sich schon am zweiten
Digitized by Goiisle
Tage zeigte, auch wenn nur eine einmalige Kalziuminjektion der Digitalis¬
zufuhr voranging. Wesentliche Herzverkleinerung und imponierende Ent¬
wässerung stellen sich ziemlich rasch ein. K.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Einladung zum 3. bayerischen Aerztetag (Landesärztekammer)
am Samstag, den 9. Juli 1921 nachmittags 3 Uhr und Sonntag,
den 10. Juli 1921 vormittags 9 Uhr
in Nürnberg. Luitpoldhaus (grosser Sitzungssaal).
Tagesordung:
1. Jahresbericht und Kassenbericht: Berichterstatter:
Dr. Scholl- Mönchen.
Entlastung des Landessekretärs.
Aufstellung eines Kostenvoranschlages für 1921/222.
und Festsetzung der Umlage.
2. Bestätigung der gewählten Landesausschuss,
m i t g 1 i e d e r.
3. Neuwahl des 1. Vorsitzenden.
4. Pensionsversicherung der bayerischen Aerzte;
Berichterstatter; Dr. Stander - Nürnberg.
5. Organisation und Bayerische Aerzte-Ordnung;
Berichterstatter: Prof. Kerschensteiner -München.
6. Der kassenärztliche Mantelvertrag für Bayern:
Berichterstatter: Dr. S c h o 11 - München.
7. SonstigeAnträge.
Die Wahl der Delegierten der ärztlichen Bezirksvereine zum bayer.
Aerztetag (Landesärztekammer) erfolgt nach der Wahlart zu den freien
Kreisärztekammern (s. Bayerische Aerzte-Ordnung). Die Vertreter werden
ersucht, sich durch schriftliche Ermächtigung des vertretenen Vereins auszu-
weisen.
Anmerkungen.
1. Anmeldungen zur Teilnahme am Aerztetag. am Mittagessen
und Wohnungsvorausbestellungen an Herrn Dr. S t e ia¬
he i m e r, Nürnbervi^, Klaragasse 5 sind dringend nötig.
2. Am Samstag, den 9. Juli findet vormittags 10 Uhr im Luitpold¬
haus eine Sitzung des Landesausschusses statt.
3. Die Krankenhausärzte werden zu einer unverbindlichen Aus¬
sprache eingeladen für Samstag, den 9. Juli vormittags 8 Uhr
im Luitpoldhaus.
4. Am Samstag (9. Juli) Abend treffen sich die Delegierten von
lYi Uhr ab im Künstlerhaus, Königstorgraben.
5. Am Sonntag, den 10. Juli findet um 1 Uhr ein gemein¬
schaftliches Mittagess ^en im Künstlerhaus (Königstorgraben)
statt.
Mit kollegialer Hochachtung
Der Landesausschuss der Aerzte Bayerns.
Dr. Ständer.
Anträge zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung,
Zu Punkt 4: Pensionsversicherung der bayerischen
Aerzte.
1. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Nürnberg:
„Der ärztliche Bezirksverein Nürnberg hält die Gründung einer
Pensionskasse für die bayerische Aerzteschaft in Hinblick auf die wirt¬
schaftliche Notlage für eine Lebensnotwendigkeit des Standes. Der An¬
schluss an den bayerischen Versorgungsverband erscheint als ausser¬
ordentlich begrüssenswert.
Der ärztliche Bczirksverein beantragt daher, der Landesausschuss
der Aerzte Bayerns möge die Frage der Errichtung einer Pensionskassc
auf die Tagesoidnung der diesjährigen Landesärztekammer stellen und eine
Kommission wählen, der die Prüfung des vorhandenen Materials, insbe¬
sondere des Beitrittes zum bayerischen Versorgungsverband, die Führung
der Verhandlungen mit diesem, die Ausarbeitung eines vollständigen Ent¬
wurfes einer Pensionskasse und die Vorlage desselben an die bayerische
Landesärztekammer mit der Aufgabe möglichster Beschleunigung über¬
tragen wird**
2. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Deggendorf:
„Es wolle auf der bevorstehenden Landesversammlung zu Nürnberg
der Gedanke einer Pensionsversicherung der gesamten bayerischen Aerzte¬
schaft eingehend zur Beratung gestellt werden auf Grund der Stauder-
schen Vorarbeit, ebenso der weitere Gedanke einer staatlichen Zwangs¬
organisation mit Umlagerecht und Beitrittszwang als Voraussetzung für
die Ausführung des ersteren.**
Zu Punkt 5: Organisation und Bayerische Aerzte-
Ordnung.
1. Anträge des ärztlichen Bezirksvereins der westlichen Oberpfalz:
a) Die Landesärztekammer beruft eine zu gleichen Teilen aus Stadt-
und Landärzten bestehende Kommission zur Erweiterung und Ergänzung
der bayerischen Aerzte-Ordnung durch einen a,nzufügenden besonderen Teil
derselben, welcher in ausführlicheren Bestimmungen die engere Standes¬
ordnung, die Ehrengerichtsordnung und ev. die Gebührenordnung der
bayerischen Organisation und ev. den Mantelvertrag enthalten soll.
b) Ausarbeitung des Entwurfes durch die Kommission, Beratung und
Stellungnahme durch die Bezirksvereine, Aufstellung der endgültigen
Satzungen durch die Kommission unter objektiver Verwertung des von den
Vereinen rechtzeitig eingegangenen Materials soll mit peremptorischen
Fristen so festgelegt werden, dass der spezielle Teil der Aerzteordnung
bis zu einem zu bestimmenden Termin vorliegt.
c) Die Aerzteordnung (allgemeiner Teil) und ihre Ergänzungs- und
Ausführungsbestimmungen (spezieller Teil)' sollen dann gedruckt jedem
bayerischen Arzt (durch die Bezirksvereine) zur Verfügung gestellt wer¬
den, insbesondere auch jedem sich neu niederlassenden Arzt bei seinem
Eintritt in den ärztlichen Bezirksverein bzw. in die Organisation.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
10. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIEL
725
2. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins München-Stadt.
Die Assistenz- und Volontärärzte sollen von der Bezahlung der Bei¬
träge zum Landesausschuss der Aerzte Bayerns befreit werden.
Zu Punk.t 6: Kassenärztlicher Mantelvertrag für
Bayern.
1. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins der westlichen Oberpfalz:
Der Landesausschuss bzw. die Landesärztekammer wollen eine Um¬
arbeitung des bayerischen Mantelvertrages bzw. eine teilweise Abänderung,
Ergänzung und Vereinfachung verschiedener Bestimmungen desselben be-
schliessen. Mit den Vorarbeiten soll eine Kommission betraut werden.
Als abänderungs- bzw. ergänzungsbedürftig werden die Ziffern §§ 1. 3 d,
l. 5,, 1. 10.. 3. 1., 3. 5., 3. 6.. 4. 3.. 5. 4., 5. 7., 6. 5., 7. II. 1.. 7. II. 3.. II. 3.
bezeichnet.
(Spezielle Vorschläge und Anträge zu den einzelnen Ziffern stehen zur
Verfügung bei prinzipieller Zustimmung zu diesem Antrag.)
2. Anträge der freien Aerztekammer von Oberfranken:
a) Die Anregung der Frage des „Numerus clausus“ ist dem Landes¬
ausschuss vorzutragen mit dem Ersuchen, sie in der nächsten Sitzung der
Landesärztekammer vorzule^en.
b) Zu § 5. lila des Mantelvertrages ist hinter dem Satz: „Die Be¬
rechnung erfolgt nach der Entfernunt^ des nächstwohnenden Kassenarztes“
einzufügen: „Wird ein weiter entfernt wohnender Kassenarzt gerufen,
so erhält er die Wegegebühren des nächstwohnenden Kassenarztes “H höch¬
stens 2 km.
3. Anträge des ärztlichen Bezirksvereins Weiden:
a) Für landärztliche Bezirke soll die Zahl der Einzelleistungen von
4 auf 5—6 erhöht werden.
b) Die Begrenzung der Sonderleistungen auf 33% Pröz. der Grund¬
leistungen soll beseitigt werden.
c) Alle allgemein wichtigen Beschlüsse des Landesausschusses sollen
entsprechende Zeit vorher den ärztlichen Unterorganisationen zur Be¬
sprechung und Gutheissung hinausgegeben werden.
d) Die Hälfte der Kontrollkosten für die ärztlichen Rechnungen sollen
künftig die Kassen tragen.
4. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Kronach:
Zu § 5. III a des Mantelvertrages ist hinter dem Satze: „Die Be¬
rechnung erfolgt nach der Entfernung des nächstwohnenden Kassenarztes“
einzufügen: „Wird ein weiter entfernt wohnender Kassenarzt gerufen, so
erhält er die Wegegebühren des nächstwohnenden Kassenarztes -f höch¬
stens 2 km.“
5. Anträge des ärztlichen Bezirksvereins Südfranken:
a) Es wolle bei der Arbeitsgemeinschaft mit den Krankenkassen be¬
antragt werden, dass im bayerischen Mantelvertrag die Grenze für Sonder¬
leistungen von 33^3 Proz. auf 50 Proz. der Grundleistungen erhöht werden.
b) Es wolle beantragt werden, im Mantelvertrag festzusetzen, dass die
Qelegenheitsbesuche bei auswärtigen Besuchen nicht mit 6 M., sondern
mit 9 M. honoriert werden, da die Fuhrwerksbesitzer für das Warten mit
dem Fuhrwerk eine besondere Geführ verrechnen.
Zu Punkt 7: Sonstige Anträge,
1. Anträge des ärztlichen Bezirksvereins Regensburg:
a) Auf Erhöhung der Gebühren für Gutachten für die landwirtschaft¬
liche Berufsgenossenschaft und zwar wird für 1. Gutachten ein Satz von
30 M., für folgende ein solcher von 20 M. für angemessen erachtet.
b) Auf Erhöhung der Gebühren für Invalidengutachten.
c) Einheitliche Regelung dieser Gebührensätze für Bayern durch den
Landesausschuss.
2. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Amberg;
Generelle Regelung der Krankenhausarztfrage und der Honorierung
der Krankenhausärzte, Aufstellung einheitlicher Normen.
3. Antrag des ärztlichen Bezirksvereins Algäu:
Durch die Landesorganisation soll baldmöglichst eine einheitliche,
zeitgemässe Regelung der Gehalts- und Anstellungsverhältnisse der
Krankenhausärzte in Bayern angebahnt werden.
NB. Es wird darauf hingewiesen, dass am Samstag, den 9. Juli
1921 frühSUhrim Beratungszimmer des Luitpoldhauses in Nürnberg eine
BesprechungbayerischerKrankenhausärzte anberaumt ist,
zu der insbesondere die nebenamtlich angestellten Kollegen eingeladen sind
und zu der verschiedene im Standesleben tätige Krankenhausärzte ihre Be¬
teiligung bereits zugesagt haben. Kollegen, die sich für die Angelegenheit
interessieren, aber am Erscheinen verhindert sind, wollen ihr Mandat dem
zuständigen Delegierten zum Aerztetag übertragen. Schriftliche Wünsche
und Anträge wollen an den Referenten, Herrn Dr. W i 11« - Kaufbeuren ge¬
richtet werden.
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Notizen.
Auf die Lokalanästhesie der Nervi splanchnici, die
es ermöglicht, in der oberen Bauchhälfte schwierige und lang dauernde
Operationen auszuführen, lenken H. B i 11 e t und Ernest L a b o r d e neuer¬
dings die Aufmerksamkeit (Presse mddicale 1921 Nr. 27). Die Technik dieser
Injektionen besteht in kurzem darin, dass der Patient in Seitenlage — der
Reihe nach links und dann re-'hts — gebracht, am unteren Rande der
12. Rippe 7 cm von der Wirbelsäulelinie entfernt die Haut unempfindlich
gemacht und eine ca. 12 cm lange Nadel eingestochen wird; man gibt zuerst
derselben eine Steigerung von etwa 45 ”, so dass sie sicher gegen den Wirbel¬
körper stösst: das ist das Hauptmerkmal für den Operateur. Allmählich sucht
man die Neigung der Nadel immer mehr zu erhöhen, bis der Operateur das
Gefühl hat, dass die Nadel aus den Muskelmassen aus- und in einen freien
Raum, wo sie keinen Widerstand mehr hat, eintritt; die Nadel findet sich im
paravertebralen Zellgewebe und hieher injiziert man die anästhesierende
Lösung: 25 ccm einer 1 proz. Novokainlösung. Nach Verfassers Erfahrung
ist die Methode sowohl leicht auszuführen wie auch ohne üble Nebenwirkung,
so dass die Patienten die Vorteile der Lokalanästhesie und keine der Nach¬
teile der Allgemeinnarkose haben. Mit einer guten — leicht zu erlernenden
Technik und etwas Aufmerksamkeit hat der Operateur keinerlei ernsten
Zufall zu fürchten. Wie übrigens genauere Untersuchungen ergaben, kommt
Digitized by Goiisle
die anästhesierende Flüssigkeit nicht direkt in Berührung mit den Nervi
splanchnici, sondern dringt einige Zentimeter unterhalb derselben ein, d. i. in
Zellgewebe, das dieselben, die halbmondförmigen Ganglien, den Plexus
coeliacus und den Sympathicus abdominalis umgibt; die’ Novokainlösung
wirkt also bei dieser Methode durch Infiltration des Zellgewebes und Durch¬
tränkung der Nervenelemente, die es umschliesst. Verfasser stehen nicht an,
diese Methode als eine der besten, wenn nicht beste Anästhesie für alle Ein¬
griffe an den oberen Bauchorganen zu erklären. St.
Studentenbelange.
Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft.
Der Vorstand der deutschen Studentenschaft hat in der richtigen Er¬
kenntnis der .unbedingten Notwendigkeit einer zentralen Zusammenfassung
aller wirtschaftlichen Massnahmen zur Behebung der grossen Notlage der
Studenten in der „Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft“ ein Zentral¬
organ für die wirtschaftliche Selbsthilfe geschaffen. Diese nach rein wirt¬
schaftlichen Gesichtspunkten aufgestellte und arbeitende Zentrale ist als das
Wirtschaftsressort der deutschen.Studentenschaft auf¬
gefasst und arbeitet unter einem Verwaltungsrat. Alle für die Besserung
der wirtschaftlichen Lage der Studenten tätigen Organisationen haben sich
zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, deren Ge¬
schäfte die Wirtschaftshilfe der deutschen Studenschaft führt. (Voss. Ztg.)
Frhr. v. Verschuer, cand. med.
Der Marburger Studentenprozess.
Die Anklage gegep die Marburger Studenten ist bekanntlich vollständig
zusammengebrochen; sowohl das Kriegsgericht in Marburg, wie das Schwur¬
gericht in Cassel haben mit einer vollkommenen Rechtfertigung des Ver¬
haltens der Studenten geendet.
Das stenographische Protokoll des Prozesses ist jetzt in vollem Um¬
fange veröffentlicht worden unter dem Titel; „Der Marburger Stu¬
dentenprozess, Bericht über die Verhandlung vor dem Kriegsgericht
nach stenographischer Aufzeichnung“ (Verlag von Theodor Weicher,
Leipzig 1921, 122 Seiten, 5 Mark).
Die Lektüre dieses Buches kann nur Jedem warm empfohlen werden,
da hier mit aller tendenziöser Lüge aufgeräumt wird. v. V.
Tagesgeschichtiiehe Notizen.
München, den 8. Juni 1921.
— In verschiedenen Lazaretten Gross-Berlins hat die auf¬
sässige Haltung von Kranken zu unliebsamen Vorgängen geführt, die vor
einiger Zeit schon die Schliessung des Rekonvaleszentenlazarettes Tempelhof
und des Vegeler Lazarettes nötig machten. Neuere .igs kam es zu Misshellig¬
keiten im Versorgungskrankenhaus Schloss Charlottenburg, wo eine Gruppe
von 7 Kranken allen Anordnungen der Lazarettverwaltung Widerstand leistet
und sich ihrer Verlegung oder Entlassung widersetzt. Ein Arzt, der einem
dieser Patienten die Alkoholzulage entzogen hatte, wurde schwer misshandelt.
Trotz der darauf verfügten Entlassung hält sich der Attentäter immer noch im
Lazarett auf. In Beelitz kam es zu einer regelrechten Revolte, so dass die
Feuerwehr und die Polizei alarmiert werden mussten. Eine besonders be¬
denkliche Rolle spielen bei diesen Vorgängen die sog. „Patientenräte“, die
Vertrauensleute der Lazarettinsassen. Es muss mit der Schliessung auch
dieser Lazarette gerechnet werden.
— Die hauptamtlichen Gewerbeärzte der Länder Preussen,
Bayern, Sachsen, Baden (Württemberg ist z. Z. unbesetzt) haben sich zu
einer „Arbeitsgemeinschaft“ zusammengeschlossen, um den gewerbeärztlichen
Dienst im Reiche nach einheitlichen Richtlinien durchzuführen und die ge¬
werbliche Medizin und Hygiene (Arbeitergesundheitsschutz) auszubauen. Ob¬
mann ist derzeit der bayer. Landesgewerbearzt Ministerialrat Dr. K o e 1 s c h.
— Die Reichsgewerkschaft Deutscher Zahnärzte
schreibt uns: „Die österreichischen Aerzte sind zurzeit in den Streik ge¬
treten, weil die Regierung den Zahntechnikern (Dentisten), obwohl dieselben
wie die deutschen Dentisten (Zahntechniker) nicht studiert haben, gewisse
ärztliche Befugnisse beilegen will. Mit vollstem Recht fühlen sich deshalb die
österreichischen Zahnärzte in ihren wohlerworbenen Rechten bedroht. In
gleicher Weise soll nun in nächster Zeit auch seitens der deutschen standes¬
bewussten Zahnärzte vorgegangen werden. Auch in Deutschland wollen sich
unter dem Schutze der Revolution die Dentisten (Zahntechniker), obwohl sie
weder Gymnasial- hoch Universitätsstudien getrieben haben, zahnärztliche
Befugnisse anmassen. Leider hat sich bereits eine Anzahl standesvergessener
Zahnärzte in sog. „Ausgleichsverhandlungen“ mit den Technikern eingelassen,
die aber von dep standesbewussten Zahnärzten nicht anerkannt werden. Die
Streikvorbereitungen für Deutschland werden bereits getroffen.“
—f Am 28. Mai fand in Berlin die XII. ordentliche Abgeordneten-
versaramlung der Versicherungskasse für die Aerzte
Deutschlands statt. Es waren bei 6240 Mitgliedern 68 Abgeordnete ge¬
wählt, von denen die Mehrzahl erschien. Die Bilanz vom Jahre 1920 gleicht
sich ab mit 9 425 451 M. Der Ueberschuss beträgt 251 001 M., trotz 12 Proz.
Verwaltungskosten. Als Dividende kommen 26 Proz. der Prämie für In¬
validen-, Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung in Abzug. Zum nächsten
Aerztetag wurden besondere Mitteilungen vorbereitet. Der Selbstmord wegen
Nahrungsnot spielt bei den Aerzten eine traurige Rolle. Die Abgeordneten
sollen in geringerer Anzahl beibehalten werden. Interne Angelegenheiten
fanden Neuformulierung. Der weitere Ausbau soll durch Erhöhung des
Sterbegeldes auf 5000 M., des Krankengeldes auf 40 M. pro die, der Jahres¬
renten auf 5000 M., der Hinterbliebenenrenten auf 3000 M. stattfinden. Solch
hohe Auszahlungen lassen sich natürlich nur durch entsprechende Beiträge er¬
zielen. Auch die obligatorische Vereinsversicherung ohne ärztliche Auf¬
nahmeuntersuchung soll weiterhin gefördert werden. Zu letzterer soll eine
Lebensversicherung bis zu 20 000 M. hinzutreten. In Betracht hätte zu
kommen eine alte, gut eingeführte Gesellschaft mit billigen Prämien und bei
Einschluss von Unverfallbarkeit, Unanfechtbarkeit, Kriegsrisiko und Welt-
polize. Referent hätte gewünscht, dass auch für die Einzelversicherung die
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
726
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 23.
Aufnahmeüntersuchung entfällt, und dass die Hinterbliebenenprämie herabge¬
setzt wird, worauf aber das Aufsichtsamt sich nicht einlassen will. Die Be¬
strebungen der bayer. Aerzte wurden nicht günstig beurteilt, weil nach Ansicht
des Aufsichtsamtes für Privatversicherung und nach allgemeiner Erfahrung
Umlagekassen kein erfreuliches Resultat erbringen. Kuntzen - München.
— Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose wird sich an dem von Herrn Geh. Sanitätsrat Prof. Dr.
Pannwitz nach Innsbruck einberufenen Internationalen Tuberkulosekon¬
gress nicht beteiligen. Nach der Ansicht der Berliner Mitglieder der früheren
Verwaltungskommission ist die Internationale Vereinigung gegen die Tuber¬
kulose als aufgelöst zu betrachten; entsprechende Benachrichtigung ist allen
auswärtigen Gesellschaften und den deutschen Mitgliedern der Internationalen
Vereinigung übersandt worden.
— ln Frankreich besteht eine „Association pour le Ddvel-
lopement des Relations medicales entre la France et
les pa 3 ^s alliös ou ami s‘‘, die eine rührige Tätigkeit für die Her¬
stellung von wissenschaftlichen und persönlichen Beziehungen zwischen
Frankreich und dem ihm befreundeten Ausland entfaltet. Zurzeit wird ein
Austausch von Aerztekindern zwischen Holland, England, Spanien und
Frankreich organisiert. Der Propagandaausschuss der Vereinigung entsendet
beglaubigte Vertreter in das Ausland, um dort für die Ziele der Vereinigung
zu werben. Die Arbeiten der Vereinigung geschehen in engem Zusammen¬
wirken mit dem französischen auswärtigen Amt.
— Der bayer. Landesgewerbearzt. Ministerialrat und Privatdozent
Dr. K 0 e 1 s c h, hat die an ihn ergangene Berufung in das Reichsarbeits¬
ministerium Berlin in event. Verbindung mit einem Lehrauftrag für gewerb¬
liche Medizin an der dortigen Universität endgültig abgelehnt. Wir sprechen
unsere grosse Freude aus, dass unser verehrter Mitarbeiter München er¬
halten bleibt.
— Von besonderer Seite wird uns berichtet, dass* für die Nachfolge von
Prof. Thiemich vorgeschlagen seien: 1. Prof. B e s s a u - Marburg,
2. Prof. Göppert - Göttingen, 3. Prof. Rietschel - Würzburg.
— Die Firma Max Arnold in Cbemnitz, Fabrik medizinischer Ver¬
bandstoffe und Verbandwatten (Inhaber Th. Körner) feierte ihr 50 iähr.
Bestehen. Eine aus diesem Anlass erschienene Gedenkschrift schildert Werde¬
gang und gegenwärtigen Stand des Unternehmens,
— Im Institut für Schiffs- und Tropenkrankheften,
Mamburg, beginnt am Montag, den 19. September d. Js. ein etwa acht¬
wöchiger Kursus über exotische Pathologie und medi¬
zinische Parasitologie. Er umfasst Einführung in die pathogenen
Protozoen. Klinik und Pathologie exotischer Krankheiten (mit Krankenvor¬
stellungen), medizinische Helminthologie und Entomologie, Schiffs- und Tropen-
liygiene, exotische Tierseuchen und Fleischbeschau. Vortragende sind:
B. N o c h t, F. F ü 11 e b o r n, G. G i e m s a, F. G I a g e, M. Mayer,
E. Martini, P. M ü h I e n s, E. Paschen, E. R e i c h e n o w, H. da
Rocha-Lima, K. Sannemann, H. Zeiss. Anfragen (Prospekte) und
Anmeldungen bis spätestens 1. September 1921 an das Institut, Hamburg 4,
Bernhardstr. 74.
— Die Deutsche Gesellschaft für gerichtliche und
soziale Medizin beabsichtigt von Montag den 5. bis Mittwoch den
7. September ihre Tagung in Erlangen abzuhalten. Dieselbe soll kurz
zuvor und anschliessend an die in Nürnberg tagende Versammlung des
Deutschen Mcdizinalbcamtenvercins stattfinden, so dass es möglich sein wird,
ohne erheblichen Zeitverlust und Schwierigkeiten beide Versammlungen zu
besuchen. Der Vorstand ladet hiermit alle auf dem Gebiete der gerichtlichen
und sozialen, insbesondere der versicherungsrechtlichen Medizin tätigen
Kollegen zur Mitwirkung und regen Teilnahme an den Arbeiten der Deutschen
Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin ein. Vorträge und Demon¬
strationen sind bei dem Schriftführer Prof. Dr. Karl Reuter, Hamburg,
Hafenkrankenhaus, anzumelden.
— Zu der am 15. Juni ds. Js. stattfindenden 6. Landestagung ruft die
Sächsische Zentrale für Jugendfürsorge alle Freunde der
Jugend und alle Arbeiter an der Jugend nach Dresden. Es spricht der
Direktor der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein, Geheimrat Dr. II-
1) e r g. über „Geisteskrankheiten bei Jugendlichen“ und die Leiterin der
Wohlfahrtsstelle bei dem Polizeipräsidium in Berlin, Frl. Marga D i 11 m e r
über „Die gefährdete wandernde Jugend“. Nachmittag spricht in der Tuber¬
kuloseausstellung des Hygienemuseums der Röntgenarzt Dr. Weiser über
den Zusammenhang zwischen Jugendfürsorge und Tuberkulosebekämpfung,
woran sich eine Besichtigung der Ausstellung anschliesst.
— Die Schriftleitung der von dem jetzt verstorbenen Prof. A 1 b e r s -
Schönberg begründeten „Fortschritte auf dem Gebiete der
R ö n t e e n s t r a h 1 e n“ hat Prof. Dr. R. G r a s h e y in München über¬
nommen.
— Die „Lance t“. eine der verbreitetsten und vornehmsten englischen
medizinischen Wochenschriften, ist in den Besitz einer Verlagsanstalt (Oxford
medical Publications) übergegangen. Die jetzt bald auf 100 jähriges Be¬
stehen zurückblickende Zeitschrift wurde 1822 von einem Arzt, Thomas
W a k 1 e y, gegründet und blieb im Besitz dieser Familie bis 1909. Dann
wurde sie von einer Gesellschaft von Aerzten erworben.
— In der 20. Jahreswoche, vom 15.—21. Mai 1921. hatten von deutschen
Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Crefeld mit 17,3,
die geringste Neukölln mit 4,9 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
Vöff. R.G.A.
Hochscliulnachrichten.
Köln. Der Staatssekretär für die besetzten Gebiete, Geh. Oberregie-
rimgsrat Philipp B r u g g e r. wurde in dankbajer Anerkennung seiner grossen
Verdienste um die Hebung und Förderung der medizinischen Wissenschaft in
Köln von der dortigen medizinischen Fakultät zum Ehrendoktor ernannt, (hk.)
Königsberg. Der Direktor des Pharmakologischen Institutes der
Universität Königsber«^ Prof. Dr. phil. et med. Hermann F ü h n e r, hat einen
Ruf an die Universität Kiel als Nachfolger von Geheimrat F a 1 c k erhalten,
denselben aber abgelehnt und einen früher an ihn ergangenen Ruf an die Uni¬
versität Leipzig als Nachfolger von Geheimrat B o e h m zum 1. Oktober d. J.
angenommen.
Rostock. Das Meckl.-Schwer. Ministerium für Unterricht hat den
Privatdozenten an der Universität Rostock Prof. Dr. Otto Büttnet^
(Gynäkologie und Geburtshilfe) Prof. Dr. Ernst Franke (Chirurgie), Prof.'
Dr. Karl Qrünberg (Ohren-, Nasen-, Kehlkopfkrankhelten), Prof. Dr.
Friedrich Karl Walter (Psychiatrie), Prof. Dr. Albrecht Burchard
(Röntgenologie), Prof. Dr. Robert Schröder (Gynäkologie und Geburts¬
hilfe), Dr. med. et phil. Ernst S i e b u r g (Pharmakologie), Prof. Dr. Friedrich
V. Krüger (Physiologie), Prof. Dr. Hans Reiter (Hygiene), Prof. Dr.
Gottfried K ü m m e 11 (Physik) für die Dauer ihrer Zugehörigkeit zam
Lehrkörper der Universität Rostock die Amtsbezeichnung eines ausserordent¬
lichen Professors verliehen, (hk.) — Der o. Professor Dr. W. Hueck
Direktor des Pathol. Instituts, hat den Ruf als Nachfolger Marchands
nach Leipzig angenommen.
Graz. Der mit dem Titel und Charakter eines ord. Professors be¬
kleidete ausserordentliche Professor der Kinderheilkunde, Dr. Franz Hara-
bu.rger, ist zum ordentlichen Professor ebenda ernannt worden, (hk.)
Todesfälle.
Im Alter von 56 Jahren starb in Hamburg der ordentl. Professor für
Röntgenologie an der Hamburgischen Universität Dr. Heinrich A 1 b e r s -
Schön b erg, Oberarzt am Allgem. Krankenhaus St. Georg. Albers-
S c h ö n b e r g war einer der ersten, die die Bedeutung der Röntgenstrahlen
für die Medizin erkannten und ihre Verwertung für die Medizin sich zur
Lebensaufgabe machten. Das neue Sonderfach der Röntgenologie hat ihm
viel zu verdanken, u. a, die -wichtige Erkenntnis von der schädigenden Wir¬
kung der Röntgenstrahlcn auf die Keimzellen. Das andauernde Arbeiten mit
den neuen Strahlen ist ihm zum Verhängnis geworden. Er zog sich schwere
Verbrennungen zu, die die Amputation eines Armes notwendig machten und
infolge karzinomatöser Entartung nun seinen Tod herbeiführten. Er starb nach
qualvollen Leiden als ein Märtyrer und Opfer seines Berufes.
In der Nacht vom 1. zum 2. Juni ds. Js. verstarb In Dresden
im 86. Lebensjahre der Ehrenbürger der Stadt Dresden, Wirkl. Geh. Rat
Prof. Dr. Alfred Fiedler, Exzellenz, früherer leitender Arzt der ersten
inneren Abteilung des Stadtkrankenhauses Friedrichstadt, der Leibarzt der
vier letzten sächsischen Könige.
In Berlin starb der Geh, San.-Rat Dr. Heinrich Brock im fast
vollendeten 89. Lebensjahre. Er hat sich bekannt gemacht durch die Gründung
der Deutschen Balneologischen Gesellschaft, dessen Generalsekretär er bis in
die jüngste Zeit war und für die er eine unermüdliche Tätigkeit entfaltete.
ln Jena starb, 62 Jahre alt. der ord. Professor der Chemie Oeheimrat
Ludwig Knorr, der weltbekannte Erfinder des Antipyrins.
Korrespondenz;
Dank für die ausländische Kinderhllfe.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde lässt durch den Deutschen
Zcntralausschuss für die Auslandshilfe mitteilen;
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde, welche vom 12.—14. Mai
1921 in Jena zum ersten Male im Frieden wieder zu einer Tagung ver¬
sammelt ist, empfindet es als eine Ehrenpflicht, allen denen, die während
des Krieges und besonders seit seinem Ende der allgemeinen Kindernot in
Deutschland zu steuern versucht haben, ihren tiefsten Dank auszusprechen.
Ihr Dank gilt den Menschenfreunden im ln- und Auslande. Neben den
deutschen Organisationen und Vereinen der freien Wohlfahrtspflege gebührt
besonderer Dank dem grosszügigen ausländischen Hilfswerk, an erster Stelle
der Kinderhilfsmission der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker)
von Amerika, die in Zusammenarbeit mit Herbert H o o v e r s, American
Relief Administration und European Children Funds seit Februar 1920 Spei¬
sungen für Kleinkinder. Schulkinder, Jugendliche bis zum 18. Geburtstage
und werdende und stillende Mütter veranstalten, weiterhin der Religiösen
Gesellschaft der Freunde (Quäker) in England für ihre Mittelstandshilfe und
Flüchtlrngsfürsorge, der Heilsarmee für die Verteilung von Freimilch, den
Hilfsaktionen in Schweden (Rädda Barnen), in Dänemark, Norwegen, Holland,
in der Schweiz und in Finnland für ihre Liebesgabensendungen und die
gastliche Aufnahme der deutschen Kinder, der von England ausgehenden
Internationalen Organisation „Save the Children Fund“ für die Geldsamm-
lungcn und Vermittlungen von Patenstellen, schliesslich auch den von
Deutschen gebildeten Hilfskomitees in Nordamerika, Holländisch Ost-Indien.
China. Südafrika. Zentralamerika, Südamerika, Brasilien, Argentinien und
anderen Ueberseeländern für ihre Liebesgaben in Form von Geldsendungen
und besonders ihre Spenden von Milchkühen.
So dankbar wir für die unseren Kindern geleistete Hilfe sind, so warm
begrüssen wir den Geist der Menschenliebe, Hilfsbereitschaft und des gegen¬
seitigen Vertrauens, der sich in all diesen Bestrebungen kundtut. Nur das
Erstarken dieses Geistes kann den Völkern den wahren Frieden bringen,
gcz. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. P e i p e r, gez. Prof. Dr. Brüning.
Vorsitzender Schriftführer.
Greifswald-Rostock, 28. Mai 1921.
Notiz zu der Mifteiluns; von Edgar Seuffer über akute Aporaorpliin-
vergiftung (d. W. S. 584).
Von W. Heubner in Güttingen.
In dem Text wie im Literaturverzeichnis der genannten Mitteilung sind
wichtige neuere Arbeiten von H a r n a c k nicht erwähnt, der sich besondere
mit den gefährlichen Nebenwirkungen des Apomorphins beschäftigt hat:
M.m.W. 1908 Nr. 36, 1910 Nr. 1 u. 33; Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 61.
1909. S. 343; 65. 1911. S. 38; Pharm. Ztg. 1910 Nr. 1. Sie verdienen
cs nicht, der Vergessenheit anheimzufallcn.
Was die Bcreithaltung einer Apomorphinlösung zum Zwecke der
sofortigen Verwendung anlangt, so ist diese doch mit Leichtigkeit möglich,
ohne dass eine Zersetzung zu befürchten ist; zeitraubend bei Herstellung
einer Lösung ist vor allem das Abwägen der Substanz und des Lösungs¬
mittels und das Sterilisieren, nicht das Auflösen der Substanz, sofern diese
feingepulvert ist. Man braucht also nur Substanz (etwa 0,05 feingepulvcrtes
Apomorphinsalz) und Lösungsmittel (etwa 10,0 Wasser) für sich jedes in
besonderem Gefäss abwägen und sterilisieren zu lassen; dann kann man sie
in einem dunklen Schrank beliebig lange neben sterilisierter Spritze aufbe¬
wahren und braucht sie bei Bedarf nur zu mischen und etwas umzuschütteln,
um die gebrauchsfertige Lösung zu haben. Dies scheint noch empfehlens¬
werter als die Benutzung komprimierter Tabletten von Apomorphinsalz zu
gleichem Zwecke, wie sie im Handel zu haben sind.
Verlag voo J. F. Leb mann m München S.W. 2, Paul Hcyacatr. 26. — Druck von E. Mfihltbaler’s Buch- und Kunstdmekarei A.O„ .Münch«»-
Digitized by
Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
frdi icr dnzehtm Nummer 2.— • Bezugspreis in Deutschlana
■ • • and Ausland siehe unten unter BezugsMdingungen. • • •
AnzefCenachliiM Immer 5 Arbeitstage vor Ertschelnen.
MÜNCHENER
2iaendnncen sind n ridl l d i
far di« Sc^riffleHung: AnraKstr. 26 (Spredistiiiidea 8H-t 0^*1.
für Bezug, Anzeigen und Bellagea:
an J. F. Lehniann’s Verlag, Paul Heyteyrasae 2i
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Nr. 24. 17. Juni 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lehmann, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behüt sich das ausschliessliche Recht der VervielfUtignng und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Abdrude gelangenden Originalbdtrige vor.
Originaiien.
Aus der Chirurg. Abteilung des Städtischen Krankenhauses
in Stralsund.
Die Prostatectomia mediana.
Von Dr. Fritz Berndt, leitendem Arzte der’Abteilung.
Abkürzungen:
Entfernung der Prostata durch äuss. Harnröhrenschnitt (BoutonniSre): Pro-
statectoraia mediana (P. m.).
Entfernung der Prostata nach W ilms: Prostatectomia lateralis (P. 1.).
Entfernunq: der Prostata nach Völeker: Prostatectomia posterior (P. p.).
Entfernung der Prostata durch Sectio alta: Prostatectomia alta (P. a.).
Als ich meine ersten Erfahrungen über die Enukleation der Prostata
vom äuss. HarnröHrenschnitt aus mitteilte ^), war mir nicht bekannt, dass
die Operation in ähnlicher Weise schon von amerikanischen Chirurgen ge¬
macht war. Das ersah ich erst aus der Mitteilung von L i e c k *). In
der deutschen Literatur, soweit sie mir zur Verfügung stand, habe ich
darüber nichts gefunden.
Bald nach meiner Mitteilung berichtete Kreuter®) über einen
ebenso operierten und geheilten Fall. Dann hat sich P r ä t o r i u s *) der
Operation warm angenommen. Sonst aber scheint sie auch jetzt noch
in Deutschland unbekannt zu sein. In der urologischen Operationslehre
von Voelcker und Wossidlo wird sie mit den Worten abgetan:
,Einige amerikanische Operateure inzidieren die Urethra posterior,
führen den Zeigefinger durch die Urethralwunde ein, perforieren die
Mukosa und enukleieren die Drüse im ganzen oder in Bruchstücken. Das
Verfahren scheint mir nicht empfehlenswert.“ Der Verfasser beurteilt
also die Operation abfällig ohne eigene Erfahrungen. — Fast alle
neueren Mitteilungen beschäftigen sich so gut wie ausschliesslich mit der
F r e y e r sehen Operation und ihrer Verbesserung. Nur Hirt®) hat die
P. mediana in einigen Fällen ausgeführt und sie als schnell und leicht
bezeichnet, und H ö 1 s ch e r-Lüneburg hat mir persönlich mitgeteilt,
dass er sie ebenfalls einige Male gemacht und gute Resultate erzielt habe.
Ich selbst habe seitdem über 30 weitere Ft’Ue operiert und im
wesentlichen meine früheren Erfahrungen bestätigt gefunden. Da mir
Prätorius den Vorwurf macht, dass ich in meiner ersten Arbeit zu
kurz und summarisch verfahren sei und besonders die Technik zu kurz
geschildert habe, will ich nochmals versuchen, die Vorzüge, die die P. m.
vor anderen Verfahren besitzt, zu schildern und zunächst auf die von
mir angewandte Technik etwas genauer eingehen.
Wir führen die Operation stets in Lokalanästhesie aus, und zwar mit
derselben halbprozentigen Novokain-Suprareninlösung, die nach
Braun s Vorschriften zur Operation von Leistenbrüchen etc. verwendet
wird. Die Lösung wird stets frisch aus Tabletten bereitet. Wir
brauchen für die Operation 100—150 ccm der Lösung.
Der Kranke liegt in Steinschnittlage auf einem gut gepolsterten
Operationstisch. Der Damm ist in üblicher Weise desinfiziert. (Wir
bedienen uns dazu immer noch des Fürbring ersehen Verfahrens als
des sichersten und besten.) Zunächst wird die Haut in der Mittellinie
infiltriert, von da aus dann nach rechts und links die tieferen Schichten
des Darnms. Die letzten 4 Spritzen der Lösung spritzen wir in die
Prostata selbst ein, wobei die Hohlnadel durch den in den Mastdarm
e/ngeführten linken Zeigefinger kontrolliert wird. Dann Handschuh¬
wechsel. Nach 10 Minuten beginnen wir die Operation: Einführen .einer
D i t te l sehen Leitsonde in die Urethra, 6—8 cm langer Schnitt in der
Mittellinie, Eröffnung der Harnröhre auf der Leitsonde. In ihre Rinne
wird ein schlankes, an der Schneide konvexes Messer mit langem Griff
und geknöpfter Spitze (*) eingesetzt und mit der Leitsonde bis in die
Blase vorgeschoben. Dadurch wird die Harnröhre an ihrer konvexen
Seite bis in die Blase hinauf gespalten. Nach Entfernung der Instrumente
lässt sich nun der linke Zeigefinger bis in die Blase einführen, man tastet
damit die Prostata ab und orientiert sich über ihre Ausdehnung. Darauf
wird ein zweites schmales geknöpftes Messer (**) neben dem Zeige¬
finger bis in die Urethra prostatica vorgeschoben und die Prostatakapsel
gespalten, und zwar wird der Einschnitt der Bequemlichkeit halber in
den linken Prostatalappen gemacht. Von diesem Einschnitt aus beginnt
man mit der Ausschälung, wobei man sofort in die richtige Schicht
kommt. Ich wechsle dabei mit dem rechten und linken Zeigefinger ab,
je nachdem es bequemer ist. Nachdem die ganze Geschwulst bis an die
*) M.m.W, 1914 Nr. 1. *) M.m.W. 1914 Nr. 11. ®) M.m.W. 1914 Nr. 4.
*) Zschr. f. Urologie. 12. 1918. H. 2. ®) B.kl.W. 1920 Nr. 14.
Nr. 24.
Blasenschleimhaut gelöst ist, wird sie unter Kontrolle des linken Zeige¬
fingers mit einer geeigneten Zange (ich benütze dazu die Langen-
b eck sehe Fasszange für Hämorrhoiden* oder eine von Gynäkologen zur
Entfernung grösserer Plazentastücke benützte Zange) gepackt und, unter
gleichzeitiger Lösung der letzten Verbindungen mit der Blasenschleim¬
haut, herausgezogen. Geschwülste mittlerer Grösse (50—70 g) kann
man gewöhnlich im ganzen herausbefördern, grössere in mehreren
Stücken, die einzeln herausgeholt werden. Ist alles hypertrophische
Gewebe entfernt, so fühlt man mit der Spitze des Zeige¬
fingers deutlich den Eingang in die Blase al§ weiche
runde Oeffnung. In diese werden nun — immer unter Kontrolle
des Fingers'— 4 schmale (etwa 2 cm breite) gerade Spekula eingeführt,
eins oben, eins unten, eins rechts, eins links. Zwischen ihnen schiebt
man ein weiches Qummirohr in die Blase, um sie auszuspülen. Ich be¬
nütze dazu Kochsalzlösung mit Haüs-Zusatz. Dadurch wird die Blase
von Blut und Biutgerinnseln gründlich gereinigt, ausserdem gleichzeitig
eine erhebliche Blutstillung bewirkt. Zum Schluss wird ein mit Vioform-
gaze umwickeltes, etwa fingerdickes Gummirohr zwischen den Spekula
in die Blase geschoben. Man überzeugt sich noch einmal durch Spülung,
dass es richtig liegt und gut funktioniert. Dann werden die Spekula ent¬
fernt, das Rohr wird mit einer Naht in der Hautw^unde befestigt und die
W^unde mit einem T-Verband versehen.
Im Bett wird das Gummirohr durch ein Ansatzrohr soweit ver¬
längert, dass der Urin in ein unter dem Bett stehendes Gefäss geleitet
werden kann. •
Wir lassen die Patlenfen schon am Nachmittag des Operationstages
für 2—3 Stunden aufstehen. Der Kranke sitzt dabei auf einem mit
einem Luftring belegten Nachtstuhl, in dessen Gefäss der Urin hinein¬
tropft. Die Blase wird nach Bedarf ein- oder mehrmals täglich mit
Kochsalzlösung unter H202-Zusatz gespült. Auch senwerste Blasen¬
katarrhe bessern sich unter dieser Spülung gewöhnlich rasch. Nach
8—10 Tagen wird das Drain entfernt, die Blase täglich durch ein durch
die Wunde eingeschobenes weiches Mastdarmrohr gespült. Hat sien
nach einigen Tagen der Wundkanal stark verengert, so erfolgt die
Blasenspülung durch einen in den Penis eingeführten Metallkatheter
möglichst starken Kalibers. Die Kontinenz stellt sich gewöhnlich nach
8—14 Tagen ein, doch kann es in einzelnen Fällen auch länger dauern.
Sehr nützlich hat sich uns in solchen Fällen leichtes Faradisieren gezeigt
(ein Pol auf den Damm, der andere auf den Bauch oberhalb der Sym¬
physe). Es ist manchmal erstaunlich, wde schnell sich danach die Kon¬
tinenz bessert bzw. völlig normal wild.
Die Enukleation der Geschwulst lässt sich meist schnell und leicht
ausführen. Doch gibt es auch einzelne Fälle, bei denen sich Schwierig¬
keiten ergeben, nämlich wenn infolge entzündlicher Vorgänge stärkere
Verlötungen mit der Kapsel bestehen. Doch ist es uns auch da stets
gelungen, die Operation zu Ende zu führen.
Für diesen Akt' der Operation reicht manchmal die Lokalanästhesio
nicht völlig aus. Wir nehmen dann einen Chlorätylrausch zu Hilfe.
Die Blutung ist meist nicht nennensw^ert. Ein grösseres arterielles
Gefäss kommt ja im ganzen Operationsbereich nicht vor. Doch kann es
in einzelnen Fällen aus den Venen der, Prostatakapsel und der Blasen¬
schleimhaut recht stark bluten. Da hilft uns meist prompt die Spülung
mit H 2 O 2 . Sobald das gazumwickelte Gummirohr eingeführt ist, steht
auch diese Blutung vollkommen, weil sich die Wunde um das Rohr sofort
elastisch zusammenzieht. Prätorius®) lässt jetzt die Tamponade weg
und führt nur ein glattes Rohr ein. Ich habe das auch versucht, habe
aber gerade in diesem Falle eine länger dauernde Blutung erlebt, so dass
ich noch hinterher tamponieren musste. Seitdem verw^ende ich wieder
ausschliesslich ein mit Vioformgaze umwickeltes Rohr, das gegen
Blutungen einen fast absolut sicheren Schutz gewährt. Sein einziger
Nachteil, die Schmerzhaftigkeit bei der späteren Entfernung und die ge¬
ringe Verzögerung in dem Eintritt der Kontinenz fällt dagegen meines
Erachtens nicht ins Gewicht.
Zum Schlitzen der Harnröhre verwendet Prätorius neuerdings
das Urethrotom von Otis, um Nebenverletzungen zu vermeiden. Ich
halte diese Befürchtung (von Nebenverletzungen, speziell einer Ver¬
letzung des Mastdarms) für unbegründet und mache diesen Akt der
Operation stets in der geschilderten Weise mit dem schmalen geknöpften
Messer, dem die D i 11 e Ische Rillensonde als Führer dient. Wenn man
sich an diese Sonde hält, ist meines Erachtens eine Mastdarmverletzung
stets zu vermeiden. Ich habe s)e nie beobacljtet. Ri n g 1 e b D hat vor¬
geschlagen, bei der F r e y e r sehen Operation die Ausschälung an der
®) M.m.W. 1919 Nr. 10. Langenbecks Arch. 1919 H. 2.
3
Digitized by
Got'gle
Original früm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
?28
Urethra *u beginnen, weil man dabei stets in die richtige Schicht kommt
und sich die Operation wesentlich erleichtert. Meines Wissens hat schon
K ü m m e 11 so operiert, auch Prätorius") teilt mit. dass er so ver¬
fahre, ebenso noch mehrere andere Operateure. Was hier als besondere
Modifikation empfohlen wird, erfolgt bei der P. m. zwangsläufig: Die
Ausschälung beginnt naturgemäss von der Urethra aus. die wir ja als
Weg zur Prostata benützen. Ob man dabei die Prostatakapsel mit
einem Messer spaltet, wie ich es mache, oder die Schleimhaut einfach
mit dem Finger eindrückt, wie P r ä t o r i u s, ist Nebensache.
Dass man auf diesem Wege auch die grössten Hypertrophien ent¬
fernen kann, haben mir 2 Fälle gezeigt, bei denen Geschwülste von
140 und 150 g entfernt wurden. Beide waren fast faustgross. Derartige
grosse Tumoren lassen sich allerdings nur stückweise entfernen, doch
gelingt das meist ohne wesentliche Schwierigkeit, wenn man nur immer
mit dem Finger genau kontrolliert, dass man mit der Zange auch wirklich
einen Prostataknollen fasst.
Die Vorzüge der Operation sehe ich besonders in folgenden Punkten:
1. Die Prostata wird.auf dem direktesten und ein¬
fachsten Wege erreicht. Die Zugangsoperation (Boutonniöre)
ist der leichteste von allen zur Prostataexstirpation benützten Ein-
griffen> erfordert deshalb auch die kürzeste Zeit. Die Enukleation
selbst beginnt von der Urethra aus; der ausschälende Finger gelangt
zwangsläufig in die „richtige Schicht“. Durch das Aufschlitzen der
Urethra werden ausserdem die Gefahren etwaiger, von früheren Kathe-
terisierungsversuchen herrührender falscher Wege ausgeschaltet.
2. Di*e ganze äussere Kapsel der Prostata bleibt
vollkommen unverletzt, wie bei der Freyersehen Operation.
Dasistsow'ohlfürdieBlutstillung, wiefOrdiespäterc
Kontinenz von grösster Bedeutung.
Dagegen durchbricht die Wilmssehe Operation die äussere
Kapsel und zerstört sie bei der Ausschälung in mehr oder weniger
grossem Umfang. Sie bricht gewissermassen ein Loch in eine Mauer,
in der sich schon eine Türe befindet, die man nur — Boutonnidre — auf¬
zumachen braucht.
Dasselbe gilt von der V o e 1 c k e r sehen Operation, die ausserdem
noch wesentlich schwieriger ist als die Wilms sehe.
3. Die äussere Prostatakapsel bleibt in ihrem
natürlichen Zusammenhang mit dem Mastdarm. Des¬
halb sind auch Mastdarmverletzungen nicht zu fürchten.
Die Voe Ick ersehe Operation hat'dagegen mit den älteren Ver¬
fahren von Albarran. Young, Qoodfello w, Proust, Rydygier
u. a. das gemeinsam, dass sie die Prostatakapsel vom
Mastdarm ablöst. Dadurch.hat sie auch die Gefahr der Mastdarm¬
verletzung oder sekundären Fistelbil^ung mit ihnen gemein.
4. Die Blutstillung erfolgt in einfachster und wirk¬
samster Weise durch ein bis in die Blase vorgeschobenes mit Gaze
umw'ickeltes Drain. Nachblutungen sind deshalb so gut wie ausge¬
schlossen. ' Gleichzeitig wird die Blase an der günstigsten
Stelle drainiert.
5. Die Operation lässt sich in den meisten Fällen in einfacher Lokal-
(Infiltrations-) Anästhesie ausführen. Nur für die Ausschälung der Prostata
selbst braucht man manchmal einen Aethylchloridrauscn als Zusatz.
Demgegenüber erfordern alle anderen Verfahren entweder Narkose
oder eine der schwierigeren und zeitraubenden Anästhesierungsmethoden
(Lumbal-, Epidural- oder Parasakralanästhesie).
6. Die Nachbehandlung ist die denkbar einfachste, auch kann der
Patient schon am Tage der Operation aufstehen, ja sogar umhergehen.
Das ist nach keiner anderen Operation möglich. Die kleine Wunde am
Damm macht naturgemäss viel weniger Beschwerden als z. B. eine
Sectio-alta-Wunde. Beim Umhergehen wird das Gummirohr mit einer
Klemme geschlossen, so dass der Patient dauernd trocken bleibt.
Die einzige unangenehme Phase der Nachbehandlung bildet die Zeit
unmittelbar nach Entfernung des Tamponrohres. Es besteht dann zu¬
nächst völlige Inkontinenz. Doch dauert es meist nur 3—4 Tage, bis
eine gewisse Haltefähigkeit eintritt. Nach 14 Tagen ist gewöhn¬
lich völlige Kontinenz vorhanden. Man kann, wie schon
vorhin erwähnt, die Kontineflz durch tägliches Faradisieren rasch
bessern. Der Einfluss des elektrischen Stromes ist manchmal geradezu
erstaunlich. K ü m m e 11 *) erwähnt in seiner letzten Arbeit, „dass zu
den Schädigungen nach perinealer Prostatektomie Besonders die In¬
kontinenz gehöre“. Das mag für die älteren Methoden (Albarran,
Young, Proust, Ry dygier etc.), bei denen die äussere
Prostatakapsel vom Mastdarm abgelöst und breit
eröffnet wird, zutreffen, ebenso für die Wilms sehe Operation,
bei der ebenfalls die Prostatakapsel durchbohrt und teilweise zerstört
wird, bei der P. mediana trifft es jedenfalls nicht zu.
Es ist vielmehr die Regel, dass unsere Patienten
völlige Kontinenz erlangen. Ausnahrnen kommen auch nach
der F r e y e r sehen Operation vor.
Das in letzter Zeit mehrfach erwähnte Aufblühen der Patienten nach
der Entfernung der Prostatahypertrophie, das man mit den Steinach-
schen Versuchen in Beziehung gebracht hat, habe ich auch bei meinen
Patienten mehrfach beobachten können. Wieweit sich allerdings diese
„Verjüngung“ auf die Unterbrechung der Samenwege beziehen lässt,
muss dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist nicht von der Hand zu weisen,
dass schon die Wiederherstellung normaler Urinentleerung an sich den
ganzen Organismus günstig beeinflussen kann.
«) Zschr. !. Urologie 1920. ®) B.kl.W. 1920 Nr. 21.
Dass auch die Kohabitationsfähigkeit erhalten bleibt, habe ich bei
einem meiner Fälle festgestellt. Es handelte sich um einen 59 jährigen
Mann, der wegen kompletter Urinverhaltung eingeliefert wurde. Nach
Entfernung einer 60-g-Prostata jammerte der Patient täglich, dass er
nun wahrscheinlich nicht mehr „bei seiner Frau“ schlafen könnte.
4 Wochen nach der Entlassung stellte er sich wieder vor und berichtete
freudestrahlend, dass auch diese Funktion völlig normal von statten
ginge *“). — Bei den meisten älteren Männern kommt das aber wohl
kaum noch in Betracht, da sie meist längst auf den Koitus verzichtet
haben; sie sind zufrieden und glücklich, dass sie wieder normal urinieren
können.
P r ä 1 0 r i u s hebt als besonderen Vorzug der P. m. noch hervor,
dass sie in einfachster Weise ein zweizeitiges Vorgehen ermögliche, ohne
neue Zugangsoperation. Das ist ohne weiteres einleuchtend. Ganz all¬
gemein gewinnt ja das zw^eizeitige Vorgehen bei der Prostatahyper¬
trophie mehr und mehr an Bedeutung, seit wir wissen, dass auch
schw'erste Störungen der Nierenfunktion durch Dauerdrainage beseitigt
werden können, wenn man den Nieren Zeit lässt, sien den veränderten
Abflus^verhältnissen anzupassen. Sehr bedeutungsvoll sind in dieser
Beziehung die Kümmel! sehen Ausfühmngen, Was K ü m m e 11 durch
Anlegung einer hohen Blasenfistel erreicht, kann man m. E. viel ein¬
facher und für den Patienten bequemer durch den äusseren Harnröhren¬
schnitt erreichen. Ist dann die Nierenfunktion ins Gleichgewicht ge¬
kommen, so lässt sich von hier aus ohne weiteres die Prostata entfernen
Man braucht dazu weder Quellstifte noch sonstige Vorbereitungen.
Einen Nachteil hat allerdings die zweizeitige Operation: Die sekun¬
däre Entfernung der Prostata ist keine rein aseptische Operation, da sie
stets durch einen granulierenden Wundkanal hindurch ausgeführt werden
muss. Doch werden die — theoretisch^— damit verbundenen Gefahren
durch die nachfolgende Tamponade gewöhnlich ausgeschaltet.
Zum Schluss kann ich nur wiederholen, was ich schon in meiner
ersten Mitteilung sagte: Die P. mediana stellt den geringfügigsten
radikalen Eingrff dar, den man bei Prostatikern überhaupt machen kann:
sie ist deshalb auch bei solchen Patienten möglich, bei denen sich wegen
anderer Leiden ein grösserer Eingriff verbieten würde. Hoffentlich
tragen diese Zeilen dazu bei, der segensreichen, einfachen und schonen¬
den Operation neue Freunde zu werben.»
Wie man am eigenen Auge die Hornhaut (Nervenfasern
etc.), die Linse und den vorderen Teii des GiaskSrpers
studieren kann.
Von Prof. O. Haab, Zürich.
Das Instrumentarium für diese reizvolle und belehrende Unter¬
suchung ist einfach. Ihre Ausführung aber erfordert eine gewisse
Uebung.
Wenn wir im Augenspiegel von ungefähr 16 cm Brennweite unser
Aug© betrachten, so sehen wir es etwas vergrössert. Legen wir auf den
Spiegel eine Konvexlinse von 20 D., die wir dem Brillenkasten ent¬
nehmen, so können wir, wenn wir Spiegel und Linse unserem Auge
recht annähern, dieses noch stärker vergrössert wahmehmen. Benützen
wir nun noch die Gullstrand sehe Spaltiampe samt Hornhautmikro¬
skop zwecks möglichst kräftiger und richtiger Beleuchtung, so sehen
wir unser eigenes Auge fast unter den gleichen Bedingungen, wie w enr
wir das Auge eines anderen mit der Spaltlampe und dem Hornlwut-
mikroskop untersuchen, aber allerdings bloss monokulär. Denn das
Hornhautmikroskop verwenden wir hier bloss, um an dessen Objektiv
unseren Spiegel samt Linse zu befestigen.
Wir können zunächst die Anordnung einig-ermassen improvisiere!:,
indem wir einfach den Augenspiegel (ohne Stiel) oder dessen SpitJgcl
allein (die Optiker haben oft diese Spiegelchen vorrätig zwecks Repara¬
turen) samt darauf gelegter Linse mit schmalen Leukoplaststreifen am
Objektiv as oder as des Hornhautmikroskops befestigen. Will mar.
diese Untersuchung häufiger vornehmen, so kann man sich A om
Optiker oder Feinmechaniker Spiegel und Linse so montieren lasiieu.
dass man beide zusammen an Stelle des Objektivs einschieben kanr
In diesem Falle lässt man sich dann noch besser eine Linse von 30 oder
35 D. besorgen und legt diese vor den Spiegel, nachdem man re ;lus
und links von der Linse etwa 1 cm hat wegschleifen lassen. Das er¬
möglicht eine noch stärkere Vergrösserung und das Abschleifen erlaubt
einen steileren Lichteinfall ins Auge. Denn man muss ja das Licht der
Spaltlampe an der Linse vorbei in sein Auge fallen lassen.
Im Anfang ist es zweckmässig, sich von einem Gehilfen das sch irfe
Spaltlampenbild auf die Hornhaut richten zu lassen. Man sieht canr
dicht vor sich die Einzelheiten der Hornhaut und der Iris. Vermi te!>
des Kreuzschlittens des Homhautmikroskops besorgt man die sehr wich¬
tige scharfe Einstellung, indem man das so hergerichtete Ob¬
jektiv nicht nur vor und zurück, sondern auch hin- und herschiebt.
Zunächst fällt einem hauptsächlich das Bild der Iris auf. Dann findet
man aber bald, indem man das Rohr des Mikroskops etwas vom 4 ^ ugc
abrückt, das Spaltlampenbild der Kornea, das man dann durch Hin- un^
Herschieben resp. Heben und Senken der Lampe auf der Horn iaut
herumführen kann. Den Kopf stützt man dabei gut auf und legt iht
fest an die Stimstütze des Instrumentes. Hat man etwas Uebung cr-
^®) Inzwischen hat sich ein weiterer 69 jähr. Patient, dem eine 75 s
schwere Prostatahypertrophie entfernt wurde, mit völliger Potenz gerne det
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
7^9
langt, so kann man auch durch leichte Bewegung des Kopfes den be¬
lichteten Bezirk verschieben.
Man kann bei Benützung einer Linse von 30 oder 35 D. uiischwer
die Nervenfasern in der Hornhaut sehen. Nach einiger Hebung gelingt
es auch, das Endothel der Hornhaut (nach Vogt) als feine Tüpfelung,
bei ganz richtigem, stark schiefem Lichteüifall und guter Einstellung
aber auch so wahrzunehmen, dass man wenigstens die Andeutung einer
Honigwabenzeichnung sieht, wobei in diesem Bilde, das nur einen
kleinen Bezirk einnimmt, zunächst leichte Unebenheiten und Fältchen
auffallen. Dieser Bezirk ist nicht ganz leicht zu finden. Um ihn zu
Gesicht zu bekommen, verfährt man am besten folgendermassen. Ge¬
setzt wir untersuchen unser rechtes Auge, so werfen wir das Licht
stark schief auf dieses, also mit grossem Einfallswinkel. Wir entwerfen
nun zunächst auf der Hornhaut nicht das scharfe Spaltlampenbild, sondern
beleuchten unser Auge diffus und suchen nun zunächst durch Hin-
und Herschieben des Rohres des Hornhautmikroskops das Bild unerer
Iris im Spiegel auf und zwar so, dass wir die Pupille ungefähr in der
Mitte des Bildes haben. Dann rücken wir langsam das Rohr des Mikro¬
skops durch Drehen an der Schraube etwas nach rechts, wobei das Bild
der Iris nach links wandert. Nun erscheint etwas n^ch rechts hin zuerst
ein schwächer leuchtender kleiner Bezirk und dicht daneben noch weiter
nach rechts der stark leuchtende, ja blendende Spiegelbezirk der Honv-
hautvorderfläche. Jetzt richtet man die Aufmerksamkeit auf den
kleineren, schwächer leuchtenden Bezirk. Dieser etwas vertikal-ovale
Fleck entspricht dem hinteren Spiegelbezirk der Hornhaut. Er hat
etwas gelbliche Färbung und zunächst fallen daran feine vertikale Fält¬
chen und Unebenheiten auf. Stellt man nun mit der Schraube des Mikro¬
skops diese Stelle scharf ein, so sieht man bei Benützung einer Linse
von 20 D. darin feine Körnung, bei 30—35 D. Andeutung von Waben¬
zeichnung, wie sie Vogt beschrieben hat, also das Endothel der
Hornhaut.
Dabei vermeide man,, den Blick auf den stark blendenden, rechts
daneben liegenden Spiegelbezirk der Homhautvorderfläche zu lenken,
da die Blendung durch ihr Nachbild die nachherige Wahrnehmung der
feinen Zeichnung des hinteren Spiegelbezirkes stört. '
Nun erst verschiebt man die Blende (samt Linse) der Spaltlampe
solange (vor- oder rückwärts) bis im Gebiet der beiden Spiegelbezirke
das Spaltlampenbild der Hornhaut (bläuliches, vertikales, gebogenes
Rechteck) deutlich wird. Damit wird auch die Körnung des hinteren
Spiegelbezirkes noch etwas kräftiger, weil lichtstärker. Leider wird
dabei der Spiegelbezirk der Hornhautvorderfläche noch blendender und
kann den daneben liegenden hinteren Spiegelbezirk etwas überstrahlen,
namentlich wenn der Einfallswinkel der Spaltlampe nicht gross genug
genommen wird.
Für diese etwas schwierige Untersuchung des Hornhautendothels
wie auch für andere feinere Oblekte ist der K r e u z s c h 1 i 11 e n am
Hornhautmikroskop unentbehrlich. Ferner empfiehlt sich und wurde von
uns benützt die N i t r a 1 a m p e, und zwar mit der neuen Beleuchtungs¬
methode, bei welcher nach V o g t G die Abbildung des Fadens in der
Blendenöffnung der Beleuchtungslinse, statt wie bisher in der Spalte
stattfindet
Andere feine Einzelheiten der Hornhaut kann man auch in dem von
der Iris zurückgeworfenen Licht, neben dem Belichtungsfeld
der Hornhaut wahrnehmen.
Sehr schön sieht man das Relief der Iris und das Spiel der Pupille,
an deren Rand man auch die bekannten feinen oder gröberen Vor¬
sprünge des Pigmentblattes gut studieren kann, all das allerdings bloss
monokulär, aber immerhin recht plastisch.
Will man die Linse untersuchen, so ist die Erweiterung der
Pupille nötig. Dann kann man den vorderen Linsenchagrin (auch An¬
deutung des hinteren) und die Nähte der vorderen und hinteren Em-
bryonalkernfläche (Vogt): vorn ein aufrechtes, hinten ein umgekehr¬
tes Y, nach einiger Üebung wahrnehmen.
Etwas schwieriger ist es, den an die Linse angrenzenden Glas¬
körper zu Gesicht zu bekommen, aber nach einiger U-ebung in der
Handhabung des Spaltlampenbüschels gelingt auch dies. Man sieht die
Fasern und Fädchen des Glaskörpers dicht neben dem Lichtbüschel.
Auch hierfür ist natürlich Erweiterung der Pupille notwendig, ferner
etwas steiler Lichteinfall und eine nur mässig vergrössernde Linse, d. h.
eine solche von 10—20 D.
Auch kann man folgendes praktizieren. Mit dem Glas plus 10,0
des Brillenkastens, das man auf den Spiegel oder auf einen Teil
eines zerbrochenen solchen Spiegels legt, kann man die Sache
so einrichten, dass dieses Spiegelstück mit davor liegender Linse nur
vor das eine Rohr des Doppelobjektivs as befestigt wird und ein Be¬
schauer durch das andere Rohr in unser Auge sieht. Er kann dann das¬
selbe wahrnehmen, was wir im Spiegel sehen. Der Beschauer sieht
diese Einzelheiten nur wesentlich grösser als der Selbstbeobachter.
Das ganze Verfahren lässt sich nun noch so verbessern, dass man
statt des Augenspiegels und darauf gelegter Linse eine Linse- von 20, 25
oder 30 D. auf der einen Seite mit Spiegelbelag versehen lässt,
so dass die Linse selbst den Spiegel liefert. Das vereinfacht einerseits
die Handhabung des Systems, anderseifs verbessert es den Gang der
Lichtstrahlen und vermindert ihn um die Reflexion an der Rückseite
Vogt: Schweiz, med. Wschr. 1920 S. 617 und Kl. M. f. A. B. 65. 1920.
S. 358, ferner H. Streuli: Beleuchtungstechnik der Spaltlampe, ebenda
S, 769 und W. Schnvder: Untersuchungen des normalen und pathologi¬
schen Endothels der Hornhaut mittels der Nernstspaltlampe, ebenda S. 7^.
Digitized by Goiisle
der auf de-n Spiegel gelegten Linse. Man kann auch eine so her¬
gerichtete Linse rechts und links etwa 1 cm abschleifen lassen. Mit
einer solchen belegten Linse von plus 30 D. gelingt die Untersuchung
der Hornhaut noch gut, man hat dabei aber einen so kurzen Abstand der
Linse vom Auge, dass die Betrachtung der Regenbogenhaut schon
nicht mehr recht vor sich geht, indem man mit den Lidern an das Glas
anstösst. Besser ist es, eine so belegte Linse von 25 D. für Kornea
und Iris und eine von 20 D. für Linse und Glaskörper zu benützen.
Man kann auch vermittels der belegten Linse von 25 D. und dem
r 01 f r e i e n L i c h t der Spaltlampe ein passend gelegenes, mittelfeines,
nahe der Hornhaut gelegenes Gefäss der Bindehaut gut einstellen und
nun darin die Strömung des Blutes, wenigstens als „körnige Strömung"
wahrnehmen. Das rotfreie Licht erleichert diese Beschauung.
Der Wert dieser Selbstbeobachtung liegt wesentlich
darin, dass man damit sich üben kann in der ja gar nicht so einfachen
Handhabung der Qu llstr and sehen Spaltlampe und in der Wahr¬
nehmung all der damit sichtbar zu machenden Diskontinuitätsflächen etc.
Dass man sich für das Studium der Linse die Pupille erweitern muss,
ist ja etwas unbequem, aber wenn man eine schwache Homatropinlösung
(V4—Vsproz.), mit ein paar Tropfen Kokainlösung versetzt, benützt, so
gelingt es, eine ziemlich bald vorübergehende Mydriasis zu erzielen.
Sollte diese Untersuchungsmethode schon irgendwo beschrieben
sein, so kann ich nur sagen, dass mir dies nicht zu Gesicht kam, was
bei dem bedauerlichen Mangel eines kompletten und gut resp. bequem
geordneten Jahresberichtes, den wir seit 1914 zu beklagen haben, wohl
möglich wäre.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Erlangen.
(Direktor: Qeh.-Rat Seitz.)
Intrakardiale Einspritzung von Adrenalin-Strophantin
bei akuten Herzlähmungen.
Von Dr. med. et phil. Heinrich Guthmann, Assistent
der Klinik.
Die intrakardiale Verabreichung von Medikamenten in Augenblicken
höchster Lebensgefahr infolge Herzschwäche bzw. Herzstillstand ist ein
so naheliegender Eingriff, dass er schon mehrmals versucht wurde. Früher
benutzte man zur Injektion Aether, in den letzten Jahren Digalen. Stro¬
phanthin, Koffein'). Bei den in den letzten Jahren berichteten Fällen
war eine vollständige Wiederherstellung der Patienten nicht geglückt und
nur D ö r n e r *) kann berichten, einen verlorenen Fall noch 5 Stunden
am Leben gehalten zu haben. Wenn man die von den genannten Autoren
berichteten Fälle betrachtet, so kann man den Fehlschlag des Eingriffes
verstehen, wenn man bedenkt, dass man mit der Injektion nur eine
energische Anreizwirkung auf das Herz, nicht aber eine. Heilwirkung
hervorrufen kann. Gelingt es nicht, die Ursache der Herzschwäche bzw.
des Herzstillstandes in kurzer Zeit nach der Injektion zu beheben, so
muss auch die Herztätigkeit wieder erlahmen. Die Richtigkeit dieser
Meinung beweisen nicht nur die berichteten Fehlschläge, sondern auch
die Erfahrungen, die ich an 5 Fällen sammeln konnte. Bei 3 Fällen
handelte es sich um eine Herzschwäche bzw. Herzstillstand infolge Peri¬
tonitis, bei einem Fall um eine „innere Verblutung“ infolge geplatzter
Extrauteringravidität, bei dem letzten um einen Herzstillstand infolge
Chloroformüberempfindlichkeit. Da die Krankengeschichten zugleich ein
Beitrag zur Lösung der Frage sind, wieviel Zeit verstreichen darf, damit
ein absoluter Herzstillstand auf medikamentösem Wege noch rückgängig
gemacht werden kann, so will ich dieselben in Kürze berichten.
Die Injektion erfolgte bei allen 5 Fällen in gleicher Weise: Alkohol¬
desinfektion der Haut, in Exspirationsstellung (bei vorhergegangener
künstlicher Atmung). Einstechen einer 10 cm langen, 2 mm dicken
Punktionsnadel mit Mandrin in die Haut im Interkostalraum IV—V zur
Vermeidung der Mammaria interna ca. 2— 2% cm links vom Stemalrand,
rasches Tiefergehen senkrecht zur Oberfläche durch die Muskulatur etc.
bis in ca. 4—5 cm Tiefe. Entfernen des Mandrins, sofortiges Ansetzen
einer 5-ccm-Rekordspritze, die je 1 ccm Adrenalin (Höchst) und Stro¬
phanthin (Böhringer), entsprechend 1 mg Adrenalin und 1 mg Strophan¬
thin enthält; Aspiration — da spontan bei absolutem Herzstillstand nur
1—2 Tropfen Blut abfliessen —, um sicher zu sein, dass die Nadelspitze
sich wirklich im rechten Ventrikel befindet, dadurch Mischung der Heil¬
mittel mit dem Blut, rasche Einspritzung und sofortiges Heraasziehen
der Nadel. Kräftiges Eindrücken des Fingers in den Interkostalraum an
der Iniektionsstelle.
Die drei Fälle von Herzstillstand infolge von Peritonitis wurden
hauptsächlich deswegen intrakardial injiziert, um am Sektionsmaterial
zu sehen, ob der Eingriff an sich eine tiefere Schädigung' des Herzens
bewirkt.
Fall 1 (Journal 19, 482). 71 jährige Patientin, die wegen eines sehr
weit fortgeschrittenen Portiokarzinoms bestrahlt worden war. Am 7. V. 19
scheinbar Perforation eines karzinomatös entarteten Darmwandstückes in die
Bauchhöhle, Auftreten einer langsam progredienten Peritonitis. 13. V. nach¬
mittags plötzliche Verschlechterung, Puls verschwindet, Extremitäten kühl.
Allmähliches Leiserwerden der Herztöne, Verflachung des Atmens, Erlöschen
des Kornealreflexes nach vorhergehendem Weiterwerden der Pupille. 12 Mi¬
nuten nach Erlöschen jeder objektiv feststellbaren Herztätigkeit Injektion
(s, oben). Fast momentan hört man ein leises Geräusch am Herzen, ohne
’) Szubinski: M.m.W. 1915 Nr. 50 und Esch: M.m.W. 1916 Nr. 22.
*) D. Dörner: M.Kl. Nr. 24.
3*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
73i)
dass man zuerst von Tonen reden könnte. Nach Verlauf von 3 Minuten
aber regelmässige Herztätigkeit. Alle Zeichen eines Wiederauflebens, auch
macht Patientin einige Atemzüge. Puls wird jedoch nicht mehr fühlbar. Nach
1% Stunden werden die Herztöne leiser, nach 2 Stunden endgültiger Exitus.
Eall 2 (Jüurn-» 19. -142). Dieser Fall verlief ganz ähnlich. Es handelte
sich um eine Peritonitis infolge Platzens einer eitrigen Zyste im Ovar.
10 Minuten nach Herzstillstand, der trotz Gaben von 2 ccm Kampfer, 2 ccm
Koffein und Subkutaninjektion von 1 Liter Kochsalzlösung mit Adrenalin¬
zusatz erfolgt w'ar, intrakardiale Injektion. Die Herztätigkeit wurde auf die
Dauer von einer halben Stunde wieder hergestellt.
Fall 3 (Journal 19 1063). Patientin. 43 Jahre alt, leidet seit 3 Jahren
an einer doppelseitigen Pyosalpinx mit Perforation links in die Blase. Nach
lU wöchentlicher Fieherfrciheit abdominale Totalexstirpation mit Drainage
durch den Douglas. Am achten Tage post operatiouem Auftreten einer lang¬
sam fortschreitenden Peritonitis. Am 10. Tage zunehmende Herzschwäche,
Pulslosigkeit, oberflächliche Atmung. Bew'usstseinstrübung bzw. Schwinden,
Aufhören des Kornealreflexes. Nach Injektion (5 Minuten nach erfolgtem
Herzstillstand) überraschende Umwandlung. Herztöne, Puls, Kornealreflex
treten w'ieder auf. Pat. erkennt ihre Umgebung, spricht spontan, verlangt
zu trinken. Nach 8 Stunden wieder allmähliches Nachlassen der Herzlunktion,
nach 9% Stunden Exitus.
Diese 3 Fälle katn'en zur Sektion: Es ergab sich in keinem Fall
ein Pneuinothora.x, die Stichöffnung am Herzen war kaum zu sehen.
Bei Fall 2 war infolge extremer Verschiebung der Pl'curagrenzen nach
links die Nadel direkt durch die Pars stcrnocostalis pericardii gegangen,
bei Fall 1 und 3 durch die beiden Pleurablätter, doch waren die Stiche
in denselben kaum sichtbar. Bei Fall 2 war die Perikardialflüssigkeit
eine Spur rötlich gefärbt, bei Fall 1 und 2 völlig unverändert.
War auch in diesen Fällen der Erfolg nur ein vorübergehender, so
führte das Verfahren doch in den folgenden 2 Fällen zu einem vollen
Erfolg.
Fall 4 (Journal 19, 140). Eintritt 21. 1. 19. 41 Jahre alte Patientin,
10 Geburten, letzte 1917 Die Periode kommt seit August 1918 alle 14 Tage,
dauert 4 Tage und ist sehr stark. Letzte Menstruation Mitte Januar 19.
Vorletzte Menstruation 14 Tage vorher. Da Pat. ziemlich stark blutet und
an den Adnexen nur links eine leichte Verdickung zu tasten ist, wird zur
Sicherung der Diagnose am 23. I. 19 eine vorsichtige Abrasio vorgenoramen.
Das mikroskopische Präparat ergab das Bild einer prämenstruellen Schleim¬
haut. Am 31. 1. 19 plötzliche Schmerzen im Leib, starke Blutung aus den
Genitalien, Pulsverschlechterung. Uebelkeit, Erbrechen, Die Diagnose wird
auf eine innere Blutun<>’ wahrscheinlich infolge Extrauteringravidität gestellt.
Die sofortige Laparotomie in leichter Aethernarkose ergibt die Richtigkeit
der Diagnose. Im Douglas und Unterbauch über 1 Liter teilweise noch
flüssiges Blut. Während die Tube abgeklemmt wird, plötzliche Erweiterung
der Pupille, momentanes Verschwinden des Kornealreflexes, Aussetzen der
Atmung und des. Pulses Bei der sofortigen Auskultation keinerlei Herztöne
mehr zu hören. 3 ccm Kampfer, intravenöse' Strophantininjektion, Kochsalz-
irifusion mit Adrenalin, künstliche Atmung, direkte Herzmassage. Die intra¬
venöse Einverleibung von Kochsalzlösung mit einem Teil des defibrinierten
Blutes gelingt nicht, da die kollabierten üefässe nichts mehr durchlassen.
6 Minuten nach Auftreten des Kollapses intrakardiale Injektion von 1 ccm
Strophantin plus 1 cern Adrenalinlösung, Die eingeführte Nadel zeigt keinerlei
Bewegung mehr. Ungefähr 10 Sekunden nach der Injektion Auftreten von
immer lauter und kräftiger werdenden Herztönen: künstliche Atmung wird
fortgesetzt. 1 Minute nach der Injektion werden die Pupillen enger, nach
einer weiteren Minute tritt der Kornealreflex auf und 11 Minuten vom Be¬
ginn des Kollapses an gerechnet erfolgt der erste spontane Atemzug. Kampfer,
Koffein, Digalen Nachbehandlung, Entlassung der Pat. als geheilt 4 Wochen
nach der Operation. Die Untersuchung des Herzens bei der Entlassung und
bei der Nachuntersuchung nach V* Jahren hat keinerlei pathologischen Zu¬
stand erkennen lassen.
Fall 5 (Journal 18 807). Bei der Patientin (65 Jahre) bestand ein
faustgrosser Prolaps und ein gut kindskopfgrosses Ovarialkystom. Deshalb
in Lumbalanästhesie Laparotomie. Als der Tumor, der teilweise retroperi-
toneal entwickelt ist, ausgelöst werden soll, genügt die Lumbale nicht mehr.
Pat, presst stark. Es soll daher durch einige Tropfen Chloroform die
Narkose vertieft werden. Ungefähr 2 Minuten nach Beginn der Narkose,
als noch nicht einmal e verabreicht worden war. wird die Atmung plötz¬
lich stockend, die Pupillen erweitern sich ad maximum, Kornealreflex er¬
lischt, Puls nicht mehr zu fühlen, Herztöne eben noch ganz leise zu hören.
Der Kollaps ist sicher durch eine Chloroformübcrernpfindlichkeit hervorge¬
rufen. Verabreichung von Kampfer. Infusion von Adrenalin-Kochsalzlösung,
künstliche Atmung, äussere Herzmassage. Trotzdem keine Besserung, im
(iegenteil: nach Verlauf von 2 Minuten sind keinerlei Herztöne mehr zu
hören. Trotzdem Fortsetzung der Behandlung. 5 Minuten nach Verschwin¬
den der Herztöne intrakardiale Injektion. Auch hier war der Erfolg ein
überraschend guter. Yj Minute nach der Injektion Einsetzen einer wenn
auch schwachen Herztätigkeit, die sich aber im Verlauf von einer Minute
stetig bessert. Nach 8 Minuten ist der Kornealreflex wieder auslösbar, nach¬
dem sich vorher die Pupillen wieder verengert hatten. Vollständige Er¬
holung nach Yi Stunde. Auch in diesem Falle (die Operation konnte rasch
beendet werden) traten keinerlei Folgeerscheinungen von seiten des
Herzens auf.
Zusammenfassend ist also das Ergebnis der'Beobachtungen: Die
intrakardiale Injektion kann in den Fällen von Herzstillstand wirksam
sein, bei denen die Ursache des Herzstillstandes eine zu beseitigende
ist (temporäre Lähmung der nervösen Apparate des Herzens durch
Anämi-e, Vergiftung usw.) und ist ihre Anwendung in Fällen von höch¬
ster Lebensgefahr berechtigt. Wir erklären uns die auffallende Wirkung
durch die Kombination der beiden Substanzen. Das Adrenalin wirkt
sicher fast momentan. Erfolgt ja schon bei intravenöser Injektion
eine allseitige Blutdrucksteigerung, ein-e direkte Anregung des Herzens,
die sich durch ein Voller- und Schnellerwerden des Puls-es dokumentiert,
und eine vasodilatatorische Wirkung auf die Koronararterien und dadurch
bessere Ernährung des Herzens, so kann man sich vorstellen, dass eine
Injektion direkt in das Herz noch einen vielfach energischeren Effekt
zeitigen muss. Erfahrungsgemäss ist aber die Wirksamkeitsdauer des
Digitized by Got'Sle
einmal im Körper kreisenden Adrenalins nur eine kurze. Hier setzt
nun die Wirkung des Strophanthins ein, die in Regularisierung des
Pulses, Erhöhung der Schöpfkraft des Herzens und in deutlicher Kon¬
traktion der Gefässe besteht. Erst durch die Kombination der beiden
Mittel lässt sich eine momentan einsetzende und doch länger andauernde
Einwirkung auf das Herz erzielen. Schädigungen durch die Injektion
wurden weder lokale noch allgemeine beobachtet.
Aus der Universitätsklinik und Poliklinik für Ohren-, Nasen-
und Halskranke zu Greifswald. (Direktor; Prof. Dr. Brünings.)
Bekämpfung des Narkose-Herzstillstandes durch Intra¬
kardiale Adrenalininjektion.
Von Dr. Hermann Frenzei, I. Assistent sler Klinik.
Unter Narkoseherzstillstand (Nhst) wollen wir den während der
Narkose auftretenden Herzstillstand verstehen, der ausschliesslich oder
vorwiegend durch das Narkotikum hervorgemfen wird. Primär
nennen wir ihn dann, wenn der Herzschlag vor oder gleichzeitig mit der
Atmung, sekundär dann, wenn er später als diese aussetzt.
Ueber die Eiitstehungsart des primären Nhst. ist man noch geteilter
Ansicht, während man vom sekundären Nhst. allgemein annimmt, dass
er Teilerscheinung bezw. Folge einer allgemeinen Vcrgiftun.g durch
Ueberdosierung zu sein pflegt, erkennbar an der Reihenfolge der regel¬
mässig nacheinander eintretenden Blutdruckseukung, Atem- und Herz-
lähmung. Da nun Beobachtungen an dem während eines Nhst. frei¬
liegenden menschlichen Herzen so gut wie stets eine deutliche Schlaff¬
heit des Herzmuskels ergaben, so kann uns als Grundlage für die
Tiierapic die Feststellung genügen, dass wir im Falle eines Nhst. einem
Kreislaufsystem mit schlaffem Herzen und erschlafften Gefässen gegen-
übersteiien; dass also weder der physiologische Ueberdruck noch die
normalen Druckschwankungen vorhanden sind, weshalb das narkosegift¬
haltige Blut durch Stagnation in jedem Augenblick an Giftigkeit zunimmt.
Eine erfolgreiche Therapie ist möglich, weil es nach dem letzten
Herzschlag noch ein Stadium des Ueberlebens aller Organe gibt; sie
hat für die Wiederherstellung des Kreislaufs innerhalb dieses Stadiums
zu sorgen, dessen Grenze abhängig ist von der Grenze der Erholungs¬
möglichkeit des Zentralnervensystems, in einzelnen Fällen von der dts
Herzens.
Nach-Sand genügen bereits 3 Minuten Ruhe der Zirkulation, um
in dem empfindlichsten nervösen Organ, dem Gehirn degeneratiyc Zell¬
veränderungen hervorzurufen. Sicherlich ist die Grenze im einzelnen
Fall verschieden, wie ja auch die Giftigkeit des stagnierenden Blutes,
die im Moment des Nhst. vorhandene Lipoidveräiiderung und die in¬
dividuelle Widerstandsfähigkeit im Einzelfalle verschieden sind. Im
allgemeinen wird die Grenze der Erholungsmöglichkeit auf 10 Minuten
anzusetzen sein.
In manchen Fällen kann das Herz, das für gewöhnlich eine sehr
lange Ueberlebungsdauer besitzt (man hat es noch 20—30 Stunden nach
erfolgtem Stillstand zum rhythmischen Schlagen bringen können), inner¬
halb des genannten Zeitraums schon so geschädigt werden, dass es,
trotzdem der gesamte Organismus für viele Stunden wieder auflebi.
schliesslich doch endgültig versagt. In diesen Fällen scheint die indivi¬
duelle Widerstandsfähigkeit die entscheidende Rolle zu spielen. Im
allgemeinen ist jedoch bei Erholung des Gehirn^ auch eine dauernde
Erholung des Herzens zu erhoffen.
Jedenfalls muss beim Nhst. mit dem schnellen Eintreten
ii reparabler Organveränderungen gerechnet werden. Da wir Unter¬
schiede hinsichtlich der Erholungsmöglichkeit bei einzelnen Formen des
Nhst. nicht diagnostizieren können, geht für die Therapie daraus hervor,
dass jede Sekunde kostbar ist und dass es unser erstes Bestreben sein
muss, schnell zum Ziele zu kommen. ^
Unter den gebräuchlichen Massnahmen zur Bekämpfung des Nhst.
bot nun früher in schweren Fällen lediglich die direkte Herz¬
massage gemeinsam mit künstlicher Atmung Aussicht auf Dauer¬
erfolg. (1. Erzeugung eines Notkreislaufes durch die endothorakalen
Druckschwankungen, verstärkt durch das manuelle Ausdrücken des
Herzens, 2. mechanische direkte Reizung des Herzmuskels, 3. Aufrecht¬
eihaltung des Sauerstoffangebotes.)
Neue Gesichtspunkte ergab die pharmakologische Erforschung
der Nebennierenextrakte. Nachdem sich schon in den ersten Arbeiter.
Hinweise auf die besondere Eignung des Adrenalins zur Behandlung
der Chloroformvergiftung des Herzens gefunden hatten, benutzte 19tB
C r i 1 e dies Präparat als Hauptagens bei seinen sonst etwas seltsam
anmutenden Wiederbelebungsversuchen.
Das Adrenalin wirkt spezifisch erregend auf den Sympathikus
und wir kennen es als das machtvollste peripher angreifende Exzitans.
Seine Wirkung tritt ebenso schnell ein, wie sie wieder vergeht.
Für unseren Zweck kommen 1. die direkt herzerregeii-
den, 2. die im allgemeinen gefäss v e r e n g e r n d e n, die
Koronargefässe aber erweiternden Eigenschaften in Be¬
tracht. Seine Angriffspunkte im Herzen sind die sowohl im
Endo- wie Myo- und Perikard verteilten Nervenendplatten der
sympathischen Fasern. Schädlich kann es dadurch wirken, dass
der jäh und stark gesteigerte Blutdruck Arbeitsüberlastung und Ver¬
sagen des Herzmuskels unter Erzeugung akuten Lungenödems hervor¬
ruft, eine Möglichkeit, die natürlich bei einem irgendwie geschädigten
Herzen besonders besteht. Ausserdem soll nach Hering und B o r u t -
tau das Adrenalin (ebenso wie das Chloroform) zu den Substanzen
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
731
gehören, die das Herzkammerflimmern begünstigen, weswegen beide
Autoren vor der Anwendung des Mittels warnen, sonderlich beim plötz¬
lichen Nhst., der hach Hering stets durch heterotrope Reizwirkung
und Herzkammerflimmern zustande kommt. Boruttau empfiehlt
statt des Adrenalins eine kampfergesättigte Chlorkalikochsalzlösung,
über die jedoch klinische Erfahrungen fehlen.
Eine hervorragende Wirkung des Nebennierenextraktes auf
das chloroformvergiftete Herz konnten mehrere Autoren im
Tierversuch nachweisen. Erwähnt seien nur Winters Ver¬
suche am Kaninchen. Er vermochte das mit dem vielfachen der
von der Pariser Kommission als absolut tödlich befundenen Chloroform¬
dosis vergiftete Herz durch Adrenalin wieder zu beleben, und zwar in
der Regel.
Soll nun dieses Pharmakon beim Nhst. seine Wirksamkeit entfalten,
so muss es direkt in den Kreislauf gebracht werden, was sowohl peri¬
pher als auch zentral, direkt ins Herz geschehen kann.
Crile, der von dem Gedanken ausging, dass zur Beseitigung eines
Nhst. vor allem die Wiederherstellung eines Gefässtonus nötig sei. in¬
fundiert es intravenös zusammen mit Kochsalzlösung und sorgt für seine
Verteilung durch mechanische Umschaltung des Blutes und Herzmassage.
Abgesehen von der technischen Schwierigkeit der Injektion in
ein kollabiertes Qefässsystem verzichtet man bei solchem Vorgehen
auf die volle Stärke der direkten Herzwirkung, die durch den Ort der
Injektion gegeben ist, und die bei peripherer Zufuhr durch zentrale
Vagusreizung abgeschwächt werden kann.
Die beste Ausnützung seiner Eigenschaften verspricht die
intrakardiale Adrenalininjektion (ik.AI.), eine Methode,
die Winter 1905 auf Grund von Tierversuchen (s. o.) zur Bekämpfung
des Nhst. empfahl, und die Latzko schon 1904 am Menschen ver¬
sucht hatte (Diskussionsbemerkung Gesellsch. d. Aerzte Wiens 1909).
Das versagende Herz soll hier einmal durch den machtvollen direk¬
ten Adrenalinreiz über ein kritisches Stadium hinweggepeitscht werden
und damit gleichzeitig durch Wiederherstellung des Kreislaufs zur Be¬
schleunigung der Blutentgiftung herangezogen werden. Sodann soll der
völlig darniederliegende Tonus und die mangelhafte Füllung der Ge-
fässe schnellstens beseitigt werden, ein Umstand, dem auch wir bei der
ganzen Methode eine Hauptbedeutung einräumen, weil bekanntlich die
physiologischen Kontraktionen kontraktiler Hohlorgane (Herz, Magen,
Speiseröhre usw.) durch die mit ihrer Füllung verbundene Wandaus¬
dehnung mitausgelöst werden. Deshalb ist gleichzeitig ausgiebige künst¬
liche Atmung, ev. — bei offener Bauchhöhle — schonende siib-
diaphragmatische Herzmassage nötig, um das Arzneimittel im Gefäss-
system schnell zu verteilen.
Diese Möglichkeit schnellster Wiederherstellung eines Gefässtonus
hat die ik. AI. vor der direkten Herzmassage voraus. Weiterhin setzt sie
ihr gegenüber den mechanischen Reiz durch den erwiesenermassen um
ein Vielfaches stärkeren chemischen, lediglich auf Kosten einer Ein¬
busse an Ausgiebigkeit des Notkreislaufes. Bedenkt man ferner, dass
die direkte Herzmassage, abgesehen von der keineswegs gleichgültigen
Voroperation, die Gefahr an sich tödlicher Verletzungen des Herzmuskels
enthält (Boehm), dass sie allein aus äusseren Gründen (Allgemein¬
praxis) nur beschränkt verwendbar, und der Entschluss zu ihrer Aus¬
führung so schwerwiegend ist, dass er gern möglichst hinausgeschoben
und damit der günstige Zeitpunkt versäumt wird, so scheint die ik.AI.
von vornherein auf bessere Erfolge hoffen zu dürfen, als die direkte
Herzmassage.
In den letzten Jahren wurde nun die ik.AI. mehrfach zur Bekäinp-
f^g des Nhst. herangezogen, so von V o 1 k m a n n, Z u n t z, Opitz
(H e y n 0 1 d) und von Tappeiner, welche je einen Dauererfolg er¬
zielten. Ueber je einen Misserfolg berichten Brünings, Latzko
und Esch.
Eine eigene Beobachtung kann ich im folgenden mitteilen:
Pat. Anna W., 41 Jahre alt, Frau eines Kutschers, kommt am 18. I. 21
wegen einer Spätmastoiditis zur Operation. Eine halbe Stunde vor Beginn
der Operation Injektion von 1 cg Morphium subkutan. Herz o. B.
u ‘I®*’ Tropfnarkose mit Billrothmischung
(Aetherchloroform-Alkohol) durch anfangs langsames Annähern der durch¬
feuchteten Maske. Schnelles, ruhiges Einschlafen.
5 Uhr 38 Min. Hautschnitt.
5 Uhr 40 Min. Plötzliches Weitwerden der Pupillen. Radialispuls
nicht fühlbar, etwa gleichzeitig Atemstillstand, extreme Blässe des Gesichts
Auch an den Karotiden kein Puls und kein Herzschlag am Thorax fühlbar.
Sofortige künstliche Atmung und rythmisches Stossen der Herzgegend.
5 Uhr 42 Min. Rückkehr der Herztätigkeit für einige Augenblicke,
dann erneutes Aussetzen mit sichtlichem Verfall. Pat. bietet den Anblick
einer Toten. Keine Herztöne hörbar. *
5 Uhr 46 Min. Intrakardiale Injektion von 1 ccm 1 prom. Adrenalin¬
lösung mit 10 cm langer Kanüle im 3. I.-R. unmittelbar am Brustbeinrand
in der Richtung nach kaudal und lateral nach vorheriger Aspiration von
Blut (Exspirationsstellung). Künstliches Atmen und rythmisches Stossen der
Herzgegend wird fortgesetzt. 10 ccm Kampferöl subkutan.
5 Uhr 48 Min. Herztätigkeit wieder vorhanden. Sehr häufige und laute
Hxtrasystolen.
5 Uhr 53 Min. Spontane Atmung wieder vorhanden. Künstliche Atmung
ausgesetzt. Beendigung der Operation ohne weiteres Narkotikum in wenigen
Minuten. Verbrauch an Narkotikum 30 ccm.
Gegen 7 Uhr abends setzt ein Erregungszustand schwerster Art bei der
noch tiefbewusstlosen Patientin ein. Allgemein motorische Erregung mit
gellenden Schreien, keine klonischen oder tetanischen Erscheinungen. Puls
klein, etwas unregelmässig. 9 ccm. Kampferöl -f- leg Morphium subkutan.
Dauer des Zustandes etwa 1 Stijnde. Gegen 4 Uhr nachts wiederholt sich
der Erregungszustand in etwas schwächerem Grade. Aussehen sehr blass.
Puls klein, aber regelmässig. Koffein subkutan.
Digitized by Goiisle
Ein deutliches Erwachen kann nicht beobachtet werden. Am 19. I.
vormittags tiefe Apathie, gegen Mittag wird etwas getrunken. Puls noch
immer klein, aber besser als zuvor. Elendes Aussehen. Am Nachmittag
starkes Erbrechen. — In der Nacht zum 20. I. tiefer Schlaf. Am 20. I.
früh zwar bei Bewusstsein aber auf alles sehr langsam reagierend. Hat
Besuch von ihrem Mann mit dem sie sich unterhält.
Am 1. Tage p, o. bestand leichte abendliche Temperatursteigerung mit
entsprechender Pulsfrequenz. In den folgenden Tagen schnelle Besserung
des Allgemeinbefindens. Die Pulsfrequenz bleibt dauernd normal, seine Be¬
schaffenheit ist zunächst noch etwas klein, bessert sich aber schnell.
Heute, 3 Wochen nach dem Ereignis befindet sich Patientin vollkommen
wohl. Auf ausdrückliches Befragen gibt sie an, niemals Beschwerden von
seiten des Herzens gehabt zu haben. Untersuchung des Herzens (medizinische
Poliklinik) ergibt: Herzgrenzen normal, systolisches Geräusch an der Mitralis,
das wohl akzidentell ist, sonst nichts Besonderes.
Es handelt sich also um einen primären Herzstillstand im Toleranz¬
stadium einer Billroth-Mischnarkose^), der durch die ik.AI. endgültig
beseitigt werden konnte, nachdem künstliche Atmung und indirekte Herz¬
massage ergebnislos geblieben waren.
Es erscheint praktisch wertvoll, mit Hilfe der jetzt vorliegenden
Erfahrungen die Frage zu beantworten, ob wir berechtigt sind, die
ik.AI. bei der Bekämpfung des Nhst unter die Reihe der typischen
Wiederbelebungsmethoden aufzunehmen.
Zu diesem Zweck mögen in der folgenden Uebersicht die verwert¬
baren Fälle zusammengestellt werden. Fall Opitz (H e y n o 1 d) ist
zwar kein Hst. in Inhalationsnarkose, kann aber hier einem solchen
gleichgestellt werden. Denn wir müssen von praktischen Gesichts¬
punkten aus alle Nhst. einer grossen Gruppe von Hst. zurechnen, wo
das Herz im sonst gesunden Organismus versagt, und zwar infolge einer
akuten Schädigung, deren schnelle Beseitigung möglich ist und deren
Folgen auf die Organe innerhalb eines gewissen Zeitraumes reparabel
sind. In den Bereich der Betrachtung können demnach noch einige
Fälle gezogen werden, bei denen Hst, bzw. schwerster Kollaps infolge
einer ähnlichen Schädigung (Schock, Erfrierung, Blutung etc.,
zum Teil während leichter Allgemeinnarkose) eintrat. Es sind
dies Fälle von Henschen (3), Szubinsky (1), Volk-
mann (2)*) und Dörner (1), von denen Henschen (pleuroperi¬
tonealer Schock) und Volkmann (2mal Blutung) Dauererfolge er¬
reichten. Da der Henschen sehe Fall von besonderem Interesse für
die Beurteilung mancher hier zur Diskussion stehender Fragen ist,
wurde er mit in die Uebersicht aufgenommen.
Kasuistische Zusammenstellung.
Es seien. bezeichnet mit: 1. Ursache und Art des Hst., 2. Injektions¬
mittel und -menge, 3. Technik, 4. sonstige Wiederbelebungsmassnahmen,
5. die Zeit vom Hst. bis zur Injektion. 6. die Zeit von der Injektion bis
zur Rückkehr der Herzaktion. 7. die Zeit von der Injektion bis zur Rück¬
kehr der Spontanatmung. 8. der Erfolg, 9, das Verhalten des Bewusstseins,
10. Kreislaufbesonderheiten nach der Injektion.
Fall 1. Volkmann. 43iähr. Frau. 1. Prim. Hst. am Ende einer
1/2 stünd. Op. 2. 1 ccm Adrenalin 1: 1000 in 20 ccm Kochsalzlösung.
3. IV. IKR. leichte Neigung nach medial und kopfwärts. 4. Künstliche Atmung.
5. 3 Minuten. 6. 2 Minuten. 7. —. 8. Dauererfolg.
F a 11 2. Z u n t z. 56 jähr. Frau. 1. Sek.-Hst. in Schleich scher Misch¬
narkose (+ Op. — Kollaps?). 2. 1 ccm Adrenalin 1: 1000. 3. IV. IKR.. etwa
3 Querfinger breit links vom linken Sternalrand, Richtung schräg median-
wärts. (R. Ventrikel oder Wand des r. Ventr.) 4. Künstliche Atmung,
indirekte Herzmassage. 5. 4—5 Minuten. 6. 20—30 Sekunden. 7. 40 bis
60 Sekunden. 8. Dauererfolg.
Fall 3. V. Tappeiner. 25 jähr. Soldat. 1. Prim. Hst. im Verlauf einer
Chloroform-Aether-Narkose bei einem anfangs ausgebluteten und kollabierten
Schwerverwundeten, nachdem er sich wieder erholt hatte. 2. 1 ccm
Adrenalin 1: 1000. 3. IV. IKR. Gegend des Spitzenstosses, Richtung schräg
medianw. 4. Künstliche Atmung indirekte Herzmassage. 5. 5—6 Minuten.
6. u. 7. Kurze Zeit, Herz eher als Atmung. 8. Dauererfolg.
F a 11 4. O p i t z (H e y n o 1 d). 25 jähr Frau. 1. Prim. Hst. bei Tropa-
I kokain-Lumbalanästhesie nach versehentlich doppelter Skopomorphingabe.
2. 2 ccm 1 prom. Adrenalinlösung. 3. IV. IKR. dicht am Sternalrande. 4. In-
j direkte Herzmassage, künstliche Atmung. 5. 2—3 Minuten. 6. 3 Minuten.
. 7. ängere Zeit. 8. Dauererfolg. 9. 36 Stunden Koma. 10. Puls anfangs draht-
förmig.
I F a 11 5. E s c h. 43 jähr. Frau. 1. Asphyxie schwerster Art in Skopo-
! morphin-Stickoxydul-Sauerstoffnarkose. 2. Einmalige Injektion, 1 ccm und
VA ccm Adrenalin 1: 1000. 3. IV. IKR. 3 cm vom Sternalrand entfernt in den
! Herzmuskel. ,4. Direkte und indirekte Herzmassage. 5. Sehr bald.
6. —. 7. K Stunde aber verlangsamte Atmung. 8. Vorübergehender Erfolg.
} Tod nach 7 Stunden. ,
Fall 6. Brünings. 6 Mon. altes Kind. 1. Sekundärer Nhst. bei längerer
, Billrothnarkose infolge Ueberdosg. 2. 1 ccm Adrenalin in 10 ccm Kochsalz.
! 3. Tiefes Einstechen der Nadel in der Herzgegend. Injektion unter lang-
j samem Zurückziehen der Spritze in Herzmuskel, -höhle und -beutel. 4. Künst¬
liche Atmung. Schulzesche Schwingungen. 8. Kein Erfolg, Tod.
j F a 11 7. Latzko. l. Narkosenherzsynkope. 8. Kein Erfolg,
j Falls. Henschen. 32 jähr. Mann. I. Hst. während geringer Aetherdar-
I reichung bei einem infoke Unfall bewusstlosen und schwer kollabierten
Kranken. (Pleuro-peritonealer Schock.) 2. lK> ccm Adrenalin 1: 1000. 3. IV.
I IKR. einwärts Mamillarlinie, in einer Tiefe von 2 cm in den Herz beutel.
^) Zur Wirkung des Billroth-Gemisches sei bemerkt, dass Aether und
I Chloroform sich in ihrer Wirkungsweise addieren, während der Alkohol,
j abgesehen von einer Wirkung auf die Dampfspannung der Anästhetika und
1 damit zusammenhängender Verlangsamung der Verdunstung nur Verdünnungs-
1 mittel ist.
I ^ Für diese und die näheren Angaben bei dem Falle 1 erlaube ich mir
Herrn Dr. Volkmann -Halle auch an dieser Stelle bestens zu danken.
Ebenso bin ich den Herren Prof. Latzko- Wien und v. T a p p e i n e r -
I Greifswald für persönliche Mitteilungen zu Dank verpflichtet.
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
732
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
A. Ktinstliclie AtniufiK und subdiaphraßmat. Herzmassage (vor der Injektion
erfolglos). 6 . Sofort. 7. —. 8. Dauererfolg. 9. Bewusstsein schnell
wiederkehrend. 10. Puls dauernd gut voll.
Da alles Wesentliche aus der Zusammenstellung ersichtlich ist, aarf
ich nur einige Punkte kurz hervorheben:
Was die Zahl der Erfahrungen anbelangt, so ist wohl mit Sicherheit
anzunchmen, dass die ik. Al. in Wirklichkeit öfter angewandt ist. als die
Literatur es erkennen lässt. Da es sich in den nichtpublizierten Fällen
wohl meist um Misserfolge handeln wird, muss man mit der zahlen-
mässigen Beurteilung der hier zusammengestellten Fälle vorsichtig sein.
Wir finden unter 8 Fällen von Nhst. 5 Dauererfolge. Vollständig
wirkungslos blieb die Injektion im Falle 6. wo es sich um einen Säug¬
ling handelte, dessen Herz nach zweifellos schwerer Ueberdosierung
versagte, und im Falle 7. Einen nur temporären Erfolg hatte Esch,
bei dessen Patienten die Sektion einen durch die Herzinjektion -|- for¬
cierte künstliche Atmung erzeugten Pneumothorax ergab, den Esch als
einen Teil der Todesursache ansieht.
Bemerkenswert ist, dass eine initiale weisse Chloroformsynkope
in keinem Falle vorlag. Es erhebt sich die Frage, ob auch diese mit
der ik. Al. erfolgreich bekämpft werden kann. Wenn auch gewisse
theoretische Voraussetzungen für die Bejahung dieser Frage sprechen,
so muss mit Rücksicht auf die speziell schlechte Prognose dieses Zu¬
standes die Antwort kommenden Erfahrungen Vorbehalten bleiben.
Bemerkenswert ist weiter, dass der Eintritt der spontanen Herz¬
aktion in der Regel einige Minuten dauerte, nur im Fall 8, wo die
Injektion in den Herzbeutel gemacht wurde, trat die Wirkung so¬
fort ein.
Trotzdem sich nun der Wiedereintritt der Herzaktion stets relativ
weit innerhalb der Grenzzeit von 10 Minuten hielt, wurden in 2 Fällen
Anz-eichen schwerer Rindenschädigung beobachtet, die sich in lang¬
dauerndem Koma, einmal verbunden mit hochgradigen Erregungszustän¬
den äusserte. Eine langdauernde Bewusstlosigkeit war auch im Falle
Esch vorhanden. Leider fehlen hier Angaben, innerhalb welcher
Zeit das Herz wieder arbeitete.
Was das Verhalten der anderen in Betracht kommenden nervösen
Zentren anbelangt, so sehen wir, dass sich das Atemzentrum relativ schnell
erholt. Dass die Spontanatmung im Falle Esch erst nach einer 34 Stunde,
im Falle H e y n o 1 d erst nach längerer Zeit zurückkehrte, und beide Male
auch dann nur unvollkommen, muss dem Skopolamin zur Last gelegt werden.
Die Beobachtung der Vasomotorentätigkeit ist kaum möglich, da durch
die Arzneimittel das Bild ihrer Tätigkeit verwischt wird. Vielleicht treten
die in meinem Falle aufgetretenen schweren KolLapsz-ustände mit der
Schädigung der Vasomotorenzentren in Zusammenhang.
Schädliche Nebenwirkungen des Adrenalins konnten nicht beobachtet
werden, so dass also kein (Irund besteht, in Zukunft von diesem Phar¬
makon abzugehen.
Die Dosierung schwankte zwischen 1 und 2 mg. Einmal wurden
2 Injektionen kurz hintereinander gemacht mit zusammen 2% mg. Esch
entschloss sich zur zw^eiten, weil er nach der ersten eine sofortige Wir¬
kung vermisste. Da jedoch in der Regel eine gewisse Zeit bis zum
Eintritt der Adrenalinwirkung zu verstreichen pflegt, muss es dahin¬
gestellt bleiben, ob nicht auch eine Injektion allein bei weiterem Zu¬
warten gewirkt hätte. Das Präparat wurde in 7 Fällen unverdünnt an¬
gewandt, nur B r ü n i n g s und V o 1 k m a n n verdünnten, ersterer mit 10,
letzterer mit 20 ccm physiologischer Kochsalzlösung. Nach den vor¬
liegenden Erfahrungen scheint dieser Massregel keine prinzipielle Be¬
deutung beizukommen. Weitere Beobachtungen müssen zeigen, ob
vielleicht die Dosis des Adrenalins vermindert werden könnte. Er¬
scheinungen wie die in meinem Falle vorhandenen Extrasystolen lassen
dies wünschenswert erscheinen.
Vorläufig muss, man die Dosis von 1 me, bei schwächlichen, oder
jüngeren Personen und bei Frauen von 14—y% mg für zweckmässig
halten.
Da nach dem oben (lesagtcn das Adrenalin so ziemlich an allen Stellen
des Herzens angreifen kann, erscheint es praktisch gleichgültig, von welchem
Teil der Herzwand aus man die erste Wirkung auslöst. Ist diese erst
vorhanden, dann liegt es auf der Hand, dass eine schnellere und intensivere
Durchströmung des Herzmuskels auf dem Wege der Koronargefässe bei
Injektion in den linken Ventrikel stattfinden muss. Die obigen Fälle und
auch die übrigen Erfahrungen mit ik. AI. zeigen, dass ein Erfolg von der Stelle
der Injektion in weiten Grenzen unabhängig ist. Um aber die wichtige
Gefässwirkung ausnutzen zu können, ist seine Injektion in die Herz höhle
empfehlenswert.
Die Stelle des Einstichs wird da zu wählen sein, wo man die Herz¬
höhle am gefahrlosesten, schnellsten und konstantesten erreicht.
Als Nebenverletzungen kommen in Betracht: 1. Verletzung der Koronar¬
gefässe, 2. der Art. rnammaria interna. 3. der schädlichen Herzzonen
(Septum der Kammern und Vorkammern, vordere Längsfurche an der Grenze
ihres oberen und mittleren Drittels, Basis des Herzohres an der Einmündungs-
stcllc der Venae cavae). 4. der Lunge.
Soweit Berichte vorlicgen, hat nur die letzte dieser Möglichkeiten einmal
einen üblen Zufall herbeigeführt (Esch). Im allgemeinen erwähnen die
Scktionsprotokollc von intrakardial injizierten Herzen nur unwesentliche
siibendo- und subepikardiale Blutungen, zuweilen seröse (Agonie?), etwas
blutige Herzbeutelergüsse ohne bedrohlichen Umfang; in einem Falle fand
sich Blutaustritt durch den Stichkanal einer pathologisch stark verdünnten
Ventrikclwand (Hess e).
Die Verletzung der Koronargefässe ist wohl die ernsteste Gefahr, jedoch
bei zweckentsprechender Technik (s. u.) braucht mit ihr nicht gerechnet
zu werden. Bedenkt man das Verhältnis des Areals der freien Herzwand
zu dem der Gefässe, so ist die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung nach
Brünings vielleicht auf 1: 1000 zu schätzen. Ausserdem ist anzunehmen,
dass die (iefässe der Nadel ausweichen. wofür einige Beobachtungen von
v. d. Velden sprechen, der bei der Autopsie mehrfach Einstichöffnungen
unmittelbar neben den Gefässen sah.
Digitized by Goiigle
Folgende, dem Vorkehen Volkmanns, Eschs u. a. sehr ähn¬
liche Technik*) scheint mir am zweckmässigsten:
Einstich mit 10 cm langer, fest auf einer Rekordspritze sitzender
dünner Nadel im linken IV. IKR. hart am Sternalrand, genau transversal,
mit leichter Neigung (etwa 10®) nach medianwärts; langsames Ein¬
stechen unter stetigem leichten Ansaugen, bis (in einer Tiefe von
cm) ein fühlbarer Widerstand aufhört und Blut aspiriert wer¬
den kann. Injektion von 1 ccm 1 proz. Adrenalin in Exspirationsstellung.
Zusammenfassung.
In einer Anzahl von schwersten Nhst., von denen 2 auch durch die
direkte Herzmassage unbeeinflusst blieben, wurde die ik. AI. mit Dauer¬
erfolg ausgeführt.
Schädigungen durch das Adrenalin konnten nicht beobachtet werden.
Die Gefahr übler Zufälle durch die Injektion an sich ist bei zweck¬
entsprechender Technik minimal.
Der Dauererfolg bei ik. AI. ist u. a. abhängig vom Zeitpunkte
der Injektion und nur bei frühzeitiger Injektion zu erwarten.
Diese Tatsachen berechtigen uns, die ik.AI. in die Reihe der
typischen Wiederbelebungsmassnahmen beim Nhst. aufzunehmen, und
folgende Forderung aufzustellen:,Bei jeder Narkose ist das Instrumen¬
tarium zur ik. AI. bereit zu halten. (Das Adrenalin verdirbt bei längerem
Stehen und muss vierteljährlich erneuert werden.)
Bleiben bei einem Nhst. künstliche Atmung, indirekte und — bei
offener Bauchhöhle— schonendste direkte Herzmassage länger als 3 Mi¬
nuten erfolglos, so Ist unter Fortsetzung der übrigen Massnahmen 1 mg
Adrenalin intrakardial zu injizieren.
Solange reichlichere Erfahrungen fehlen, soll die Indikationsstellung
zur Laparotomie und direkten subdiaphragmatischen Herzmassage da¬
durch nicht geändert werden, d. h. sie ist — äussere Möglichkeit voraus¬
gesetzt .— auszuführen, wenn nach weiteren 3 Minuten noch kein
Erfolg vorhanden ist.
Literatur.
V. Brunn: Neue Deutsche Chirurgie. 5. — Bier-Braun-Küm-
m e 1: Operat.-Lehre 1920. — Moequot: Revue de Chir. 1909. — v. C a v-
kovic: Langenbecks Arch. 1909. — Henschen: Schw. med. Wschr.
1920. — Heydloff: Mschr. f. Gyn. Mai 1920. — Votkmann: D.m.W.
1919. Bei den letzten drei Arbeiten ausführliche Literaturangaben. —
Winter: W.kl.W. 1905. — Latzko: W.m.W. 1909. — Brünings:
Med. Verein Greifswald 1921 (Med. Klinik).'— v. Tappeiner: Ebenda.
— B o e h m: Mitt. Grenzgeb. 27. 3.
Aus der Universitäts-Frauenklinik Tübingen.
(Direktor: Prof. Dr. A. Mayer.)
Ueber die Grundlagen und die Leistungsfähigkeit der
Intrakardialen Injektion zur Wiederbelebung*).
Von Privatdozent Dr. E. Vogt, Oberarzt der Klinik.
Unter dem Namen der intrakardialen Injektion werden verschiedene
Dinge zusammengefasst: 1. die intraperikardiale Injektion, 2. die intra-
myokardiale Injektion, welche wohl früher öfters absichtlich gemacht
wurde, und 3. die intraventrikuläre Injektion. Diese dritte Form der
Einspritzung ins Herz ist als die wirksamste anzustreben, meine Aus¬
führungen beziehen sich in der Hauptsache nur auf sie.
Uns interessieren hier in erster Linie die chirurgischen Indikationen
der intrakardialen Injektion. Jedem Operateur ist das furchtbare Er¬
eignis des akuten Herztodes als Sekundenherztod infolge von Chloro¬
formidiosynkrasie, als Narkoseasphyxie, Operationskollaps oder Ver¬
blutung bekannt. Seltenere chirurgische Indikationen sind: Verlctzur.gs-
schock, Erstickung, Blitzschlag- und Starkstromverletzungen, Er¬
frierungen, ferner Zufälle bei der T r e n d e 1 e n b u r g sehen Operation
der Lungenembolie, Sowie bei herzchirurgischen Eingriffen. Auf inter¬
nistischem Gebiete kommen dann in Frage die akute schwere Kreislauf¬
störung infolge von Herz-, Gefäss- oder Infektionskrankheiten. Vergif¬
tungen, in der Geburtshilfe der drohende Verblutungstod, der Schock
durch Inversio Uteri, sowie schliesslich die Asphyxia pallida der Neu¬
geborenen.
Von den Vorbedingungen, welche für eine erfolgreiche Einspritzung
in die Ventrikelhöhle erfüllt sein müssen, ist die zeitliche Indikation am
wichtigsten. Man muss sich möglichst früh dazu entschliessen, sohngc
das absterbende Herz noch auf pharmakodynamische Reize anspricht
und das^ Grosshirn noch nicht irreparabel geschädigt ist. Spätestens
10 Minuten nach Beginn des Herzstillstandes ist nach den Experi¬
menten B a t e 11 i s und W r e d e s am freigelegten Herzen von der
intrakardialen Injektion noch eine Wirkung zu erhoffen, weil sonst das
*) Bezüglich der von mir geübten Technik.sei bemerkt, dass ich den
Einstich im 3. IKR. und die Richtung nach lateral und kaudal in der
Absicht wählte, den linken Ventrikel zu erreichen. Soweit sich dies ohne
Autopsie beurteilen lässt, muss meine Nadel transpleural, dicht medial von
der Art. coronaria sinistra unter teilweiser Durchdringung des Septum
ventriculorum die linke Kammer erreicht haben. Dass sie in einem Hohlraum
des, Herzens lag. beweist die leichte Aspiration von Blut. Was die Tiefe
des Einstichs anbelangt, so Hess ich mich durch das eben fühlbare Aufhören
eines relativ weichen Widerstandes (Herzmuskel) leiten. Die Tiefe an der
Nadel abzumessen, habe ich leider in der Eile des Eingriffes unterlassen.
Bei dieser Technik sind die Gefahren sehr gross, im 3. IKR. ist eine
Koronariaverletzung am ersten möglich.
•) Nach einem Vortrag gehalten auf der 45. Versammlung der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie, Berlin. 30. März 1921.
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
733
viel empfindlichere Qrosshirn sich nicht mehr erholt, selbst wenn es
gelingt, den Herzschlag wieder auszulösen.
Die Forderung nach dem Erfülltsein dieser zeitlichen Indikation
stimmt wieder überein mit den klinischen Erfahrungen über die Wirk-
. samkeit der Herzmassage. Setzte die Massage später als 15 Minuten
nach, dem Herzstillstand ein, so war sie nur vorübergehend wirksam
und ein Dauererfolg blieb aus.
Die Frage nach der Wahl des Medikamentes ist im grossen und
ganzen gelöst. Die anzuwendenden Herzmittel müssen am Herzeii selbst
angreifen, das erlahmende Organ aufpeitschen und dürfen auch bei intra¬
muskulärer Injektion das Gewebe nicht schädigen.
Kampfer, Koffein, Digitalispräparate wirken zu schwach und sind
für das Gewebe nicht indifferent. Den grossen Vorzügen des Strophan¬
thins steht der Nachteil gegenüber, dass es bei einer versehentlichen
intramuskulären Einverleibung das Myokard aufs schwerste verändert.
Strophanthin ist demnach abzulehnen und selbst F r ä n k e 1, welcher es
in die Therapie eingeführt hat, warnt vor seiner intrakardialen Ver¬
wendung, und R. van den Velden, dem wir überhaupt die intra¬
kardiale Injektion verdanken, ist ganz davon abgekommen.
Die Nebennierenpräparate stehen als Herzmittel obenan, ihre Wir¬
kung grenzt oft an das Wunderbare. Sie werden selbst bei der par¬
enchymatösen Injektion anstandslos vertragen. Sodann zeichnen noch
hervorragende spezifische Eigenschaften die Nebennierenpräparate aus.
Allein das Suprarenin ist nach Gottljeb und Winter imstande, ein
durch Chloroform gelähmtes Herz wieder in Gang zu bringen. Es paraly¬
siert sogar die sechsfache tödliche Chloroformdosis, so dass man mit
Recht von einem Antagonismus zwischen der Chloroform- und Supra-
reninwirkung auf das Säugetierherz sprechen kann. Die Maximaldosis
von 1 cmm muss streng beachtet werden, besonders bei einem ana¬
tomisch nicht ganz intakten Herzen. Heinz hat diese Warnung mit
Nachdruck ausgesprochen. Die Injektion hat langsam zu erfolgen, sonst
riskiert man eine Dauerkontraktion mit systolischem Herzstillstand. Be¬
sondere Vorsicht ist am Platze bei jeder Erkrankung mit Blutdruck¬
steigerung.
Für Adrenalin sprechen auch die bisherigen praktischen Er¬
fahrungen. Von den 15 Dauererfolgen wurden 9 durch Adrenalin er¬
zielt, einer durch Strophanthin (R u e d i g e r). In unserem einen Falle,
in welchem das Herz 24 Stunden überlebte, war Suprarenin. syntheticum
Höchst injiziert.
Das Hypophysin steht dem Adrenalin kaum nach, wenn es auch
Herz und Gefässe schwächer anregt. Man braucht es nicht so Vorsichtig
zu dosieren, Intoxikations- und Kumulationserscheinungen fehlen, seine
allgemein tonisierenden und diuretischen Eigenschaften sind erwünscht,
der Blutdruck wird weniger erhöht, so dass man es ohne Gefahr sogar
bei zentraler Arteriosklerose, Myodegeneratio, Kropfherz und Nephrose
einspritzen kann.
Die Wirkung von Adrenalin und Hyphopysin zusammen haben wir
in dem Kombinationspräparat Asthmolysin mit 0,0008 Nebennieren- und
0,004 Hypophysenextrakt. Ob dieses Mittel sich praktisch besser be¬
währt, muss noch ausprobiert werden.
Von der Technik der Injektion nur das Wichtigste. Der Ort ‘der
Injektion muss in jedem einzelnen Falle bestimmt werden. Man hält
sich dabei unmittelbar an den linken Brustbeinrand im 4. oder 5. Inter¬
kostalraum. Nach Joddesinfektion setzt man die Nadel dem oberen
Rande der 5. oder 6. Rippe auf und führt sie senkrecht am Sternum
entlang bis zu seiner Hinterfläche, um hierauf mehr nach der Mittel¬
linie zu in die Tiefe zu gleiten. Man durchsticht tastend den Herz¬
muskel in Stärke von 4—5 mm, bis der Muskelwiderstand nachlässt.
Hat man die rechte Ventrikelhöhle punktiert, so tritt sofort oder nach
Ansaugen ein Tropfen Blut zutage.
Reagiert dabei das Herz noch auf den mechanischen Reiz des Ein¬
stiches, so ist das ein günstiges Zeichen. Die schwachen Herzbewe¬
gungen teilen sich der Nadel mit, sie pendelt hin und her.
Die angeführten Punkte der Technik muss man streng beachten
w-^gen der Gefahr der Nebenverletzungen.
Die Arteria mammaria interna und ihr Ramus sternalis werden am
sichersten vermieden, wenn man dicht am Brustbein längs des oberen
Randes der 5. oder 6. Rippe eingeht.
Der Pleurasack darf nicht angestochen werden. Ein Pneumothorax,
ein Pneumoperikard wären die verhängnisbringenden Folgen. So ging
eine Patientin von Esch, welche nach Adrenalininjektion noch 7 Stun¬
den weiterlebte, sekundär mit an Pneumothorax zugrunde. Wichtig ist
dabei auch, dass die Nadel mit aufgesetzter Spritze eingeführt und enr-
fernt wird. Macht man, wie fast immer, gleichzeitig künstliche Atmung,
so sticht man in Exspirationsstellung ein.
Verletzungen der Aeste der Koronargefässe hat man nicht zu
fürchten.
Das Reizleitungssystem liegt so geschützt, dass es kaOm in den
Punktionsbereich fällt.
Um ein richtiges Urteil über den praktischen Wert der Methode zu
erhalten, brauche ich von Konkurrenzmethoden nur diejenigen zu berück¬
sichtigen, welche am Herzen selbst angreifen. Das ist allein die Herz¬
massage in der subdiaphragmatischen Form. Ihr Indikationsgebiet ist
von vornherein beschränkter. Sie lässt sich nur unmiftelbar bei schon
eröffneter Bauchhöhle ausführen und ist nicht ganz ungefährlich. Man
sah im Anschluss an die Herzmassage herdweise schollige Entartung des
Protoplasma, Zerreissung der Muskelfasern, Verlust der Ouerstreifung
und sogar Blutungen im Myokard. Nach der neuesten Statistik von
P i e r i gelang in 76 Fällen 20 mal durch die Herzmassage die Wieder¬
belebung. 23 mal wurde das Herz thorakal freigelegt. 12 mal trans-
Digitized by Gotigle
diaphragmatisch und 41 mal subdiaphragmatisch massiert. Nur die
letztere Methode ist brauchbar, die andern sind zu eingreifend.
Schliesslich komme ich zu den bisherigen Leistungen der intra¬
kardialen Injektion, wobei ich alle 3 Formen der Injektion zusammen¬
fasse: 15 Dauererfolge sind bekannt, 2 Patientinnen waren über
50 Jahre alt (Volkmann 4 Fälle, R. van den Velden 3, Rue-
diger, Zuntz. Heydloff. Henschen, Förster, A. Mayer
je 1, Walker 2). Von 9 Fällen kennen wir die Indikation: je 2 mal
Zufälle bei Inhalationsnarkose und drohender Verblutung, je 1 mal
Kollaps nach Lumbalanästhesie, Herzinsuffizienz, Verletzungsschock,
Vaguslähmung, Sepsis. Die Zeit nach dem Atemstillstand betrug im
Maximum 5 Minuten. Nach unserer eigenen Beobachtung in einem Falle
sogar mindestens 15 Minuten. Postoperative Komplikationen sind bis¬
her nicht bekanntgeworden, ebensowenig eine nachteilige Beeinflussung
der Arbeitsfähigkeit.
Die intrakardiale Injektion ist zurzeit zweifellos
die einfachste und sicherste Methode, den still¬
stehenden Kreislaufmotor in Gang zu bringen und
damit die Wiederbelebung anzubahnen.
Die Herzpunktion erscheint noch ausbaufähig als zentraler Aderlass
zur Beseitigung der Schlagkrise bei Pneumonie (ein Fall wurde dadurch
schon von S1 o a n gerettet) und dann als Entlastungspunktion bei Luft¬
embolie.
Nach allem, was ich über die Grundlagen und die
Leistungsfähigkeit der intrakardialen Injektion
berichtenkonnte, verdientdieMethodee(negrösscre
Beachtung wie bisher. Dann erscheint das Wort von
Andreas Vesal, dass das Herz das primum movens
sed ultimum moriens ist, in einem neuen verheis-
sungsvollen Glanze.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik Zürich.
(Direktor: Prof. Dr. Clairmont.)
Dio diagnostische Verwertbarkeit der Wildbolzschen
Eigenhamreaktion.
Von Dr. Erich Bosch, Assistent der Klinik.
Im Jahre 1919 hat Wild bolz eine Methode bekanntgegeben, mit
der es gelingen soll, aktive Tuberkulosen nachzuweisen. Wegleitend
hierzu war die experimentell festgestellte Tatsache, dass der Urin
fiebernder Tuberkulöser Tiere tötet (M a r a g 1 i a n o) und dass im
Serum von tuberkulös Erkrankten mittelst der Komplement-Ablenkungs¬
reaktion Antigene nachgewiesen werden können (M a r m 6 r e k).
Scheiden also Tuberkulöse in ihrem Urin Antigene aus. so sollte es
möglich sein, sie auch noch mit anderen bekannten biologischen Re¬
aktionen nachweisen zu können. Am naheliegendsten war die Haut¬
reaktion, wie sie von Pirquet inauguriert worden ist. Wildbolz
machte mehrere diesbezügliche Versuche, konnte aber nie eine deutlich
erkennbare allergische Reaktion der Haut erkennen. Er zog daraufhin
den Schluss, dass sich zu wenig Antigene vorfinden und dass demnach
versucht werden sollte, deren- Konzentration zu erhöhen. Zu diesem
Zwecke dampfte er den Urin Tuberkulöser auf den 10. Teil des Volumens
ein. beseitigte mittels Filtration die ausgeschiedenen Salze und machte
nunmehr mit diesen konzentrierten Lösungen die gleichen Injektions-
versuche. Jetzt konnte er feststellen, dass bei Tuberkulösen, welche
mit ihrem eigenen konzentrierten Urin geimpft wurden, mehr oder
weniger deutliche Hautreaktionen aufwiesen, welche sich durch
Rötung und Infiltration zu erkennen gaben. Bei Gesunden waren
solche nicht zu sehen. Damit war ihm der Nachweis der tuberkulösen
Antigene im Urin gelungen, ein Verdienst, dessen Tragweite meines
Erachtens bis jetzt noch viel zu wenig gewürdigt worden ist. Können
die Versuche, wie sie Wildbolz angegeben hat. bestätigt werden, so
ist uns damit ein Mitte! in die Hand gegeben, in den vielen Fällen, wo
Tuberkulose klinisch nicht sicher erkannt werden kann, ihre Gegenwart
festzustellen. Die Pirquet sehe Hautreaktion und deren verschiedene
Modifikationen geben uns nur über die Anwesenheit und den Grad der
Allergie Aufschluss, aber nicht über die Aktivität des Prozesses. Die
Eigenhamreaktion, wie sie von Wildbolz angegeben wird, soll nun
diese Lücke ausfüllen. Wenn wir uns also über die Anwesenheit und
den eventuellen Grad einer Tuberkulose orientieren wollen, so müssen
wir diese beiden Hautreaktionen gleichzeitig ausführen.
W i Id b 0 1 z hat zur Herstellung des gewünschten Injektionsmaterials
folgende Technik angegeben: Er entnimmt morgens nüchtern (bei Frauen
mit Katheter) den Urin, dampft 150 ccm im Wasserbad von 60—70” C
im Vakuum (Wasserstrahlpumpe) auf 15 ccm ein, lässt abkühlen und
filtriert durch Filtrierpapier (mit 2 proz. Karbollösung angefeuchtet). Von
dem Filtrat injiziert er mit feiner Injektionsnadel intrakutan soviel, dass
eine Quaddel mit etwa 5 mm Durchmesser entsteht. Daneben macht er
je eine Injektion mit einer Tuberkulinlösung 1:1000 und 1:10 000 (nach
Mantoux) ebenfalls intrakutan. Nach ein- bis zweimal 24 Stunden soll
die Reaktion eintreten. Sie äusserst sich durch Rötung und eine nach¬
folgende Infiltration, welche sich durch Palpation leicht zu erkennen gibt.
Der Urin nicht tuberkulös Erkrankter kann gelegentlich auch leichte
Reaktion bedingen, soll sich aber von derjenigen Tuberkulöser deutlich
unterscheiden. So können bestimmte Salze oder die Anwesenheit von
Bakterien inl Urin Rötungen verursachen, nie aber Infiltrationen. Die
Injektionen macht er an der Aussenseite des Oberarmes. Der Grad der
Reaktion bei Tuberkulösen entspricht ungefähr demjenigen einer Tuber-
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
734
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
kulinlösung von 1: 10 000 bis 1:100 000. Gelegentlich treten infolge der
Injektion Nekrosen der abgehobenen Epidermis auf und können so die
Beurteilung stören. Ursache dieser Nekrosen sind entweder zu grosser
Salzgehalt (Phosphate) oder zu oberflächliche Injektion. Tuberkulöse,
deren Haut auf Injektion von Tuberkulin nicht reagiert (Anergie),
sprechen, wie auch anzunehmen ist, auf die Eigenharninjektion nicht an.
Wird aber der Urin solcher Patienten Tuberkulösen mit ausgesprochener
Allergie injiziert, so ist deutliche Hautreaktion zu erkennen. W i l d b o 1 z
hat über 200 Fälle untersucht, darunter etwa 50 Fälle, wö Tuberkulose
sicher auszuschliessen w’ar. Diese letzteren haben alle, auch wenn sie
auf Tuberkulin positiv reagierten, negative Eigenharnreaktion gezeigt.
Dagegen war sie bei allen Tuberkulösen dann zu erkennen, wenn diese
auch auf Tilberkulin reagierten, ln einigen Fällen gelang die Früh¬
diagnose, bevor ein sicherer Herd klinisch oder röntgenologisch zu er¬
kennen war. Bei Tuberkulose der Nieren wurde hin und wieder negative
Reaktion festgestcllt. W i 1 d b o 1 z erklärt dies durch die Funktions¬
störung der Niere. Bezüglich der Prognose äussert sich Wildbolz
in dem Sinne, dass je stärker die Reaktion, um so mehr Antigene aus¬
geschieden und im Organismus produziert werden. Daneben ist aber zu
beachten, dass der Grad der Reaktion wechselt je nach dem Grad der
individuellen Allergie.
Wieweit die von Wildbolz angegebene Reaktion in der Unter¬
suchungstechnik Eingang gefunden hat, ist zurzeit schwer zu beurteilen.
In der Literatur sind bis dahin erst wenige Mitteilungen gemacht worden,
die über die Verwertbarkeit ein Urteil abzugeben vermögen. Wünschens¬
wert wäre es, wenn möglichst viele Autoren ihre Resultate bekanntgeben
würden und so die Vor- und eventuellen Nachteile möglichst objektiv
sichergestellt werden könnten. Werden die Angaben von W i 1 d b o 1 z
allgemein bestätigt, so wird diese biologische Hautreaktion, deren Technik
keine besondere Schwierigkeit bietet, in der Diagnostik den ihr ge¬
bührenden Eingang finden. Bis dahin sind folgende Arbeiten erschienen,
über deren Inhalt ich kurz referiere:
1. M i c h e (Med. Poliklinik Genf) bestätigt an Hand von Phthisen die
Resultate von W i 1 d b o 1 z, macht aber einige theoretische und technische
Einwendungen. Was im Urin ausgeschieden werde, sei nicht reines Antigen,
sondern eine Kombination' von Antigen und Antikörper, die Reaktion in der
Haut wird bedingt durch Hinzutreten von Komplement. Das Reaktionsprodukt
wird besonders dort in grosser Menge ausgeschieden, wo grosse Destruktions-
prozese vor sich gehen, anderseits aber auch dort, wo der Stoffwechsel
erhöht ist. Demnach soll die Reaktion bei jüngeren Individuen (erhöhter Stoff¬
wechsel) und bei floriden, rasch zum Ende führenden Tuberkulosen am stärk¬
sten sein. Die Pro^J'nose geht also dem Grad der Reaktion
nicht parallel. Bezüglich der Herstellung hat er einige Abänderungen
getroffen. Das Reaktionsprodukt im Urin Tuberkulöser ist dermassen thermo¬
stabil, dass das Eindampfen im Vakuum bei erniedrigter Temperatur nicht
notwendig ist Eindampfen bei 100”, ja sogar vollständiges Eindampfen und
Wiederauflösen mit destilliertem Wasser vermochten die Hautreaktion nicht
zu beeinträchtigen.
2. L a n z (Leysin) bestätigt ebenfalls an Hand von reichlichem Material
(78 Fälle) die Angaben von W i 1 d b o 1 z. Nebenbei beschäftigte er sich ein¬
gehend damit festzustellen, w'odurch die gelegentlich auftretenden Nekrosen
bedingt werden und wie diese zu vermeiden wären. Er fand, dass es
vorwiegend die Phosphate sind, welche bei zu hoher Konzentration Nekrosen
zu bedingen vermögen. Auch Harnstoff. Oxalate und hypertonische Koch¬
salzlösung erzeugen Hautreaktionen. Harnsäure und Urate fallen deshalb
ausser Betracht, weil sic beim Eindampfen in ‘entsprechender Menge ausfallen.
E a n z hat verschiedene Versuche gemacht, die störenden Salze zu elimi¬
nieren, was ihm aber nicht gelang, so Alkalisiercn zur Fällung der Phosphate
und Dialyse. Er stellte fest, dass die meisten Urine am ersten Tage nach
der Injektion Rötung von 2—4 mm Durchmesser und geringe Infiltration ver¬
ursachten, am zweiten Tage beide Reaktionen aber zu verschwinden pflegen.
Bezüglich der Injektionstechnik traf er folgende Abänderung: Eigenharn¬
injektion am einen, Tuberkulinreaktion am anderen Arm. Wegen des Pig¬
mentreichtums der Leysin-Patienten benutzte er die Innenseite des Ober¬
armes. Das Eindampfen des Urins nahm er bei 50—55” C (160 mm Hg)
vor und mied über eine Konzentration vom achten Teil des Volumens hmaus-
zugehen, um so die störende Salzreaktion zu umgehen. Er stellte fest, dass
die Eigenharnreaktion oft noch lange Zeit nach eingetretener, klinisch und
röntgenologisch feststellbarer Heilung positiv ausfiel. Ist aber einmal definitive
Heilung da, so fällt die W i 1 d b o 1 z sehe Reaktion negativ aus, während
die Tuberkulinreaktion weiter besteht oder gar zunimmt. Ihn interessierte
speziell noch der Ausfall der Reaktion bei gewissen Krankheitsformen, wo die
tuberkulöse Aetiologie noch nicht sichergestellt ist. So der Rhumatisme
Poncet, die Spondylosis ancvlotica und das Hodgkin sehe Lymphogranu-
lom. Bei ersteren fiel die Reaktion meist positiv aus, bei den anderen nur
in einem Teil der Fälle, .so dass er zum Schlüsse kommt, dass Tuberkulose
oft Aetiologie dieser Krankheitsbilder ist, aber dass auch noch andere Genese
anzunehmen sei.
3. I m h o f (aus der Klinik Wildbolz) hat auf Anregung von W i l d b o 1 z
die Antigene im Blut Tuberkulöser nachzuw'eisen versucht. Er verwendete
hierfür folgende Technik, welche Dr. K 1 i n g e r - Zürich ihm vorgeschlagen
hatte. Auffangen von 10 ccm aus der Armvene entnommenen Blutes, lang¬
sames Zugicssen bei beständigem Umrühren von 20 facher Menge 90 proz.
Alkohols, dann 1—2 Minuten ins siedende Wasserbad gebracht und an¬
schliessend daran Filtration. Das Filtrat wird auf 10 ccm (gleich ursprüng¬
lichem Volumen) im Vakuum eingedampft. Dann wieder Filtration. Das
tlare Filtrat wird zur Injektion verwendet. Alles Eiweiss wird durch den
Mkohol fcinflockig ausgefällt, das Antigen bleibt aber im Alkohol in Lösung.
Die Reaktion ist schwächer als die Eigenharnreaktion, eine Rötung ist kaum
zu erkennen, dagegen .soll die Infiltration ausgesprochen sein. Das Serum
allein (Blutkörperchen durch Zentrifugieren beseitigt) löst keine Reaktion
TUS. Ein Beweis, dass die Antigene an die Zellen adsorbiert sind. An
Hand von 80 Fällen wurde die Reaktion aiisprobiert und dabei stets
Kongruenz zur Eigenharnreaktion festgestellt. In zwei Fällen von Nieren¬
tuberkulose, wo die Eigenharnreaktion negativ au.sriel, war die Serumreaktion
positiv. Bei Gesunden, nicht tuberkulös affizierten Pat. fiel die Reaktion
stets negativ aus. Verfasser empfiehlt diese Methode speziell für solche
Fälle, wo die Eigenharnreaktion nicht ausgeführt werden kann (Infektion
der Harnwege) und dort wo Nierenschädigung die Ausscheidung der Antigene
hemmt (Nierentuberkulose. Nephritiden).
4. Br cs sei (Med. Poliklinik Rostock) berichtet über 50 Fälle, an
Lungentuberkulosen vorgenommen, darunter 2 Gesunde. Auch er bestätig
den positiven Ausfall der Reaktion. Wie Lanz bemerkte auch er, dass die
beiden Reaktionen Wildbolz und Mantoux nicht immer parallel gehen, dies
hängt ab von der wechselnden Allergie der Pat., der Urinkonzentration und
der w^echselnden Entgiftungsfähigkeit
wir ersehen aus dem Inhalt obiger Arbeiten im allgemeinen dne
Bestätigung der von W i 1 d b o 1 z angegebenen Eigenharnreaktion. Be¬
züglich der theoretischen Erklärung gehen die Meinungen da und dort
etwas auseinander und auch bezüglich der Deutung des Grades der
Reaktion besteht nicht Einstimmigkeit. Nach der Grös.se der Reaktion
auf Art und Intensität der Krankheit, auch im Vergleich zum Ausfall der
Tuberkulinreaktion schliesscn zu wollen und demnach auch die Prognose
davon abhängig zu machen, wäre auf Grund dieser verschiedenen Be¬
funde verfrüht. Dass die Reaktion nur bei aktiven Prozessen auftritt,
scheint aber doch nach den Angaben der verschiedenen Autoren siclier-
gestellt zu sein. Ziel der weiteren Untersuchung Ist, auch bezüglich des
Grades gleiche Resultate zu erzielen. Auf Grund dieser Feststellung
wäre es dann wohl möglich, weitere Schlüsse zu ziehen. So weitgehende
theoretische Erörterungen, wie sie von Miche gemacht werden,
scheinen uns doch noch etwas verfrüht zu sein und haben erst dann Sinn
und Zweck, wenn genügend experimentelle Grundlagen hiezu ge¬
schaffen sind.
An Hand des an der Züricher chirurgischen Klinik reichhaltig vor¬
handenen Tuberkulosemateriais haben wir die Eigenharnreaktion nach
der von Wild bolz angegebenen Technik nachgeprüft. Vorwiegend
waren es klinisch sicher festge.stcllte Tuberkulosen, daneben aber auch
mehrere Fälle, wo Tuberkulose differentialdiagnostisch in Frage kam
und zur Kontrolle verschiedene sicher nicht tuberkulöse Affektionen.
Im ganzen sind es 220 Fälle.
Immer ist Harn von morgens nüchtern (bei Frauen mit dem Katheter
entnommen) verwendet worden. 150 ccm wurden in der von Wild¬
bolz angegebenen, bei Fa. S c h ä r e r in Bern erhältlichen Apparatur im
Vakuum bei 60—70” C eingedampft. Nur eine kleine Aendoriing schien
uns notwendig, die, dass wir das Thermometer nicht in die Urinflasche
eintauchen liessen. sondern in das Wasserbad. weil, wie dies auch andere
Autoren bemerkt haben, die Temperatur dort einige Grade tiefer ist als
im Wasserbad (Thermometer taucht nicht in den Urin ein). War die
Eindanipfung vollzogen, so wurde der Inhalt in ein steriles Reagerz-
gläschen gegossen und an einem kühlen Ort über Nacht stehengelassen.
Am nächsten Tag Filtration steril durch gewöhnliches Papierfilter. Zu
diesem Zwecke wurde jeweils Reagenzglas plus Trichter plus Filtrier-
napier plus deckende aufgelegte Petrischale im Heissluftkasten sterilisiert.
Das Filtri'crpapicr wurde nicht mit Karbolsäure behandelt, da unser Vor¬
gehen für genügende Asepsis bürgte. Injektionen am Patienten wurden
mit gewöhnlichen Pravazspritzen mit feinen Injektionsnadeln, meist an
der Aussenseite des Oberarmes, bei stark pigmentierten auf der Innen¬
seite, vorgenomrnen. Meist wurden 2 intrakutane (,)i!addelri mit einem
Durchmesser von etwa 5 mm mit Eigenharn, je eine mit Tubcrkulinlösung
1 :1000 und 1 : 10 000 im Abstand von etwa 4 cm gemacht, die Haut
zuvor mit etwas Alkohol gereinigt. Decken der Injektionsstellen mit
steriler Gaze. leichter, nicht komprimierender Verband. Kontrolle der
Injektionsstcllen am 1.. 2. und 3. Tag nachher. Durchmesser von Rötung
und Infiltration, ev. Blasenbildung wurden stets genau protokolliert.
Auf eine genaue Wiedergabe der in deu einzelnen Fällen beob¬
achteten ReaktioiTen verzichte ich. Eine kurze Zusammenstellung möge
genügen, über die Ergebnisse zu referieren.
M = Mantoux
W = WUdbolz
4- = positiv
+ = schwach pos.
T = fraglich
— = negativ
a
C0
64
M-f
W-f
++I
fi+.|
kc
+ 1
+ii
l-f
a^
'^1
hs
1 1
Tuberkulose d. Kuochen n. Gelenke
56
36
8
4
5
2
1
Tuberkulose der .««eröseri Häme . .
6
2
2
_
2
_
_
_
_
—
Tuberkulose d. Respirationsorpane
20
11
—
2
4
—
—
2
—
—
1
Tuberkulose der Verdauunjrsoi'^ane
Tuberkul. d. Harn- u. Gesclileclita-
6
4
1
~
1
— 1
orarane . . .
.
6
6
_
_
—
—
—
—
Tuberkulose der Weichieile . .
9
4
-
--
—
—
—
—
Total der Tuberkulosen
lO:“
64 1
i lö
11
5
-
4
-
TuberkulCis. Herd operativ entfernt
5
_
_
_
_
5
_
_
_
_
Kiinisch nelnMlte Tuberkulosen . .
12
—
3
4
—
—
—
_
—
—
Fragliche Falle
.
8
1
—
-
-
_
' 5
-
1
N'icht-tuborkulöse Hrkraokungen .
92
i
1
7
-
7
:p)
15
t
ii
In der Tabelle sind alle Fälle eingeordnet, die Tuberkulose getrennt
nach ihrer 'Lokalisation. Den Ausfall der W i 1 d b o 1 z sehen Reaktion
bczeichneten wir dann als positiv, wenn neben einer ausgesprochenen
Rötung eine Infiltration von mindestens 4—5 mm konstatiert werden
konnte. Betrug die Infiltration nur etwa 3—4 mm, so hezcichneten wir
dies als schwach positiv, war die Infiltration noch geringer, so war die
Reaktion fraglich (?). Mantoux bezeichneten wir dann als positiv,
wenn eine Infiltration von 10 mm, schwach positiv eine solche von 5 mm
konstatiert wurde (Tuberkulin 1 : 1000).
Das Resultat unserer Feststellungen ist aus dieser Tabelle deutlich
zu ersehen. Die Tuberkulosen haben mit den später anzuführenden Aus¬
nahmen positiv reagiert, aber ein immerhin doch nicht kleiner Teil davon
wies schwache Reaktion auf, so dass es oft schwierig war, sie objektiv
zu deuten. War Mantoux nur schw-ach positiv oder gar negativ (totale
Digitized by
Gotigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
735
Anergic), so ist ju sehr wohl begreiflich, dass die Wildbolzsche
Reaktion in diesen Eällen entsprechend der geringeren Antigenkonzen¬
tration noch schwächer oder vollständig negativ ausfallen musste.
In 5 Fällen, bei welchen znin Teil zuvor positive Reaktion
festgestellt werden konnte, wurde nach radikaler Beseitigung
des tuberkulösen Herdes (Amputation, Resektion) oft schon
kurze Zeit nachher Wildbolz negativ gefunden. Andere
Tuberkulosen, wo der Herd konservativ oder durch Exkoclileation
zu beseitigen versucht worden ist, wiesen doch zum grossen Teil noch
leichte Reaktion auf. Diejenigen Fälle, die auch späterhin klinisch nicht
sicher ged-eutet werden konnten, haben wir in eine eigene Rubrik (frag¬
liche Fälle) eingeordnet. Eigentlich positive Fälle finden sich nicht
darunter. Von den sicher nicht tuberkulösen Erkrankungen haben einige
wenige schwache Hautreaktion gezeigt. Nur in einem Falle war eine
schwach positive Reaktion zu erkennen. Es handelte sich hier um eine
alte Splitterfraktur mit einer Fistel. Ein tuberkulöser Herd konnte
klinisch nicht eruiert werden. Das Alter scheint auf den Ausfall der
Reaktion keinen besonderen Einfluss zu haben. Wir haben die Fälle
nach verschiedenen Altersgruppen rubriziert, fanden aber bezüglich
Häufigkeitsgrad bei allen ungefähr das gleiche Verhältnis.
Am ersten Tag war gewöhnlich die Rötung am deutlichsten zu er¬
kennen. Die Infiltration setzte in manchen Fällen etwas später ein (2. bis
3. Tag). Rötung hatte am 2. Tag meist schon abgenommen. Positive
Reaktion entspiach oft der Tuberkulinreaktion 1 :10 0Ü0. Auch wir
liaben wie Lanz in den Kontrollfällen (Nichttuberkulöse) öfters am
1. Tag Rötung und geringe Infiltration beobachtet, am 2. Tag war diese
Reaktion im Schwinden begriffen und war von einer positiven Reaktion
nunmehr deutlicher zu unterscheiden Die Deutung solcher Hautreaktionen
bedarf Erfahrung und Uebung. Irgendwelche Komplikationen (Infektion)
haben wir nie erlebt. Oberflächliche hämorrhagische epidermoidale
Nekrosen mit einem Durchmesser von etwa 3—4 mm haben auch wir
hin und wieder beobachtet. Meines Erachtens traten sie meist dann auf,
wenn zu oberflächlich injiziert wurde und die Urine stark dunkel gefärbt
waren (hochgestellte konzentrierte Urine). ^
Ausgehend von letzterer Beobachtung versuchten wir durch ein Ver¬
fahren diesen störenden Fehler zu eliminieren. Die wasserlöslichen
Salze, deren Konzentration im Injektionsmaterial durch das Eindampfen
erhöht ist, suchten wir dadurch zu beseitigen, dass wir zu dem einge¬
dampften Urin ein anderes Lösungsmittel im Ueberschuss hinzufügten.
Einzige Bedingung w'ar Löslichkeit des Antigens in diesem neuen
Lösungsmittel. Hiezu verwendeten wir 90proz. Alkohol, 20faches
Volumen. Die ausgefallenen Salze wurden durch Filtration beseitigt und
das Filtrat im Vakuum wieder eingedampft auf die ursprüngliche Menge
des Urins. In mehreren Fällen wurde so gleiche Reaktion erzielt wie
mit dem gewöhnlich eingedampften Urin, ein Beweis, dass das Antigen
im Alkohol löslich und durch diesen nicht zerstört wurd. Andererseits
gelingt es so in jenen Fällen, w'o die Nekrose Folge von zu hoher Salz¬
konzentration ist, diesen störenden Faktor auszuschliessen. Nachdem
wir uns überzeugt haben, dass das Antigen auf diese Weise extrahiert
werden kann, beabsichtigten wir nach Abschluss der Kontrolle der
W i l d b 0 1 z sehen Eigenharnreaktion auch den Antigennachweis im Blut
mit der Hautreaktion durchzuführen. Inzwischen ist dies aber bereits
geschehen und publiziert worden (I m h o f). Wir selbst haben bis jetzt
nur wenige Eigenserumreaktionen durchgeführt und werden deshalb noch
kein Urteil darüber abgeben.
Ausgesprochen positive Reaktionen mit Eigenharn fanden wir so¬
wohl bei Kindern, wie bei Erwachsenen, ja selbst bei Greisen. Wieder¬
holt waren sie dann besonders deutlich, wenn der tuberkulöse Prozess
noch im Frühstadium war. Bei chronischen Tuberkulosen, speziell
solchen der Knochen, waren die Reaktionen im Vergleich zur Grösse
und Ausdehnung des Prozesses oft gering, auch dann wxnn die^Man-
touxschen Vergleichspröben ausgesprochen positiv ausgefallen’waren.
Denn es ist im Auge zu behalten, dass für die Beurteilung der Intensität
der W i 1 d b 0 1 z sehen Hautreaktion resp. des Antigengehaltes im Urin
der Vergleich mit den Tuberkulin-Hautreaktionen unbedingt erforderlich
ist. Je stärker ein Patient auf eine intrakutane Injektion von Tuberkulin
mit Rötung und Infiltration der Haut reagiert, um so mehr wird er auf
die im Urin meist in geringerer Konzentration sich findenden Antigene
ansprechen. Diese Parallele und Abhängigkeit muss bei der Beurteilung
der Wildbolz sehen Hautreaktion stets beachtet w’erden. Fällt bei
einem Patienten die Urinreaktion negativ aus, so darf Fehlen von
Antigen im Urin nur dann angenommen werden, wenn dieser auf Tuber¬
kulin deutlich allergisch reagiert. Ist also bei positivem Mantoux Wild¬
holz negativ, so ist anzunehmen, dass im betreffenden Fall eine aktive
Puberkulosc nicht besteht. Sind die Mantouxschen Reaktionen nur
schwach positiv oder gar, wie dies gelegentlich auch einmal bei Tuber¬
kulösen Vorkommen kann, vollständig negativ (Anergie), so muss der
betreffende Urin einem Patienten, welcher auf Tuberkulin stark positiv
anspricht, injiziert werden. Fällt die Harnreaktion hier wiederum negativ
aus, so ist der Urin frei von Antigen, eine aktive Tuberkulose also aus¬
zuschliessen. Wir hatten 2 Fälle, wo sämtliche Reaktionen auch bei
Wiederholung vollständig negativ waren. Der eine war eine Lungen¬
tuberkulose ante mortem, der andere ein 16 jähriger Junge von scheinbar
gesundem Aussehen mit multipler Knochentuberkulose. Der Urin des
ersteren erzeugte auf allergischer Haut schw'ach positive, der des letz¬
teren stark positive Reaktion. Auf diese Weise gelang es uns auch in
mehreren Fällen, wo Mantoux schwach positiv und Wildbolz negativ
oder fraglich waren, die Gegenwart des ausgeschiedenen Antigens nach¬
zuweisen.
Um den Wert der W i 1 d b o 1 z sehen Reaktion in der Differential-
Nr. 24.
Digitized by Goiisle
diagnose zu illustrieren, erwähnen wir aus unserem Untersuchungs¬
material einige markante Fälle, wo die Reaktion ausschlaggebend war,
oder dann doch das klinische Bild ergänzte.
1. löiähr. Patient mit dem klinischen Bild einer tuberkulösen Peritonitis.
Mantoux positiv, Wildbolz negativ. Schliesslich stellte sich palpabler Tumor
der Bauchhöhle ein mit Aszites. Sektion: Mesenterialsarkom.
2 . 33 jähr. Patient mit Karies der Tibia und pos. WaR. Mantoux und
Wildbülz positiv. Fxkochleation ergab Tuberkulose.
3. 8 !' 2 jähr. Pat. mit vielfachen Herdsymptomen, wo die Neurologen Tuber-
kulorn des Schlüfenlappens mit Aussaat in die Fossa Sylvii diagnostiziert
hatten. Mantoux und Wildbolz negativ, Wildbolz auf allergischer Haut eben¬
falls negativ. Sektion ergab kongenitalen Hydrozephalus mit üliose der
Fossa Sylvii.
4. 72 jähr. Pat. mit Hodentumor. Klinische Diagnose: Maligner Tumor.
Mantoux und Wildbolz positiv. Kastratio ergab Tuberkulose des Neben¬
hodens und Hodens.
5. 13 jähr. Pat. mit Infiltration der Kniekehle, wahrscheinlich lymphan-
gitischer Genese. Wildbolz und Mantoux positiv. Operation bestätigte
Tuberkulose.
6 . 21 jähr. Pat., seit wenigen Wochen kleine Vorwölbung über 3. Rippe
nahe Ansatz Sternum. Röntgenologisch ein ossär#r Herd nicht zu erkennen.
Mantoux und Wildbolz positiv. Nach zwei Wochen Schwellung zugenommen,
Fluktuation. Punktion etwas Eiter, in welchem Tuberkelbazillen sich vor¬
fanden.
7 . 19 jähr. Pat. Vor zwei Monaten Fall eines schweren Körpers auf
Vorderfuss. Nach einem Monat wurde Unfall vom Arzt abgeschlossen, es
bestand aber noch etwas Schwellung und Schmerzen. Nach einem Monat
Zunahme der Beschwerden. Diagnose: Hypertrophischer Kallus. Mantoux
und Wildbolz positiv. Ira Röntgenbild Tbc. metatarsi.
8 . 28 jähr. Pat. mit fraglichen Schw'eissdrüsenabszessen der Axilla. Man¬
toux und Wildbolz positiv. Lymphomata tbc. (Eiter).
9. 43 jähr. Pat. mit Hämaturie. Differentialdiagnose: Tumor oder Tbc.
renis. Mantoux positiv. Wildbolz negativ. Operation ergab 'Hypernephrom
(Frühfall).
10. 76 jähr. Pat. mit faustgrossem Tumor der Axilla. Diagnose: Tuber¬
kulöses Lymphom. Wildbolz negativ. Exstirpation stellte Karzinom, wahr¬
scheinlich von aberrierender Mamma ausgehend, fest.
11 . 24 jähr. Pat. mit Hydrops venu nach fraglichem Trauma. Mantoux
und Wildbolz positiv. Fungus.
12 . 20 jähr. Pat. mit Tumor der lleozoekalgegend. Diagnose: Tuber¬
kulose. Wildbolz negativ. Nach Exstirpation wurde Aktinomykose ge¬
funden.
13. 51 jähr. Pat. mit entzündlichem Infiltrat des Halses. Tuberkulose?
Wildbolz negativ. Operation ergab Aktinomykose.
14. 16 jähr. Pat. mit multipler Knochenkaries. Wildbolz negativ, auf
allergischem Pat. positiv. Im exkochleierten Material typische Tuberkel.
15. 35 jähr. Pat. mit fraglicher Spondylitis des 12 . Brustwirbels. Mantoux
positiv. Wildbolz negativ. Im Röntgenbild Aufhellung des Wirbelkörpers.
Operation: Sarkom. *
16. 38 jähr. Pat., vor zw'ei Jahren Autounfall. Allmählich Symptome
einer Spondylitis der Lendenwirbelsäule. Unfallversicherung Haftung abge¬
lehnt, weil Tuberkulose. Mantoux positiv, Wildbolz negativ. Röntgenbild:
Fraktur des 5. L.-W.-Körpers.
17. 18 jähr. Pat.. fragliche Koxitis. Wildbolz negativ. Röntgenbild:
Coxa vara.
18. 10 jähr. Pat, mit fraglicher Koxitis. Wassermann positiv. Wildbolz
negativ. Röntgenbild: Luet. Epiphvsiolysis.
19. 20 jähr. Pat. mit Streckhemmung des Ellbogens. Wildbolz negatjv.
Röntgenbild o. B, Später typische Spätrachitis.
20. 30 jähr. Pat. mit Spina ventosa. Mantoux positiv, Wildbolz negativ.
Wassermann negativ. Röntgenbild: Osteomyelitis chronica.
Diese wenigen Beispiele zeigen, wie wichtige Fingerzeige die
W i 1 d b 0 Iz sciie Reaktion oft zu geben vermag. Wenn auch eine ein¬
gehende klinische Untersuchung und das Röntgenbild weitaus die meisten
tuberkulösen Prozesse als solche erkennen lässt, so gibt es in der Praxis
doch immer und immer wieder Fälle, w’o selbst die besten Diagnostiker
über Vermutungen nicht hinauskomrnen. Die Frühstadien sind es vor
allem, deren rechtzeitige Erkennung oft grosse Schwierigkeiten bieten.
Wenn uns also eine Methode in die Hand gegeben wird, gerade in solchen
Fällen mit einer relativ leicht auszuführenden Hautreaktion die Diagnose
sicherzustellen, so bedeutet dies einen grossen Schritt vorwärts. Die
W i I d b 0 1 z sehe Reaktion dürfte demnach eine wertvolle Bereicherung
unseres diagnostischen Rüstzeugs sein und verdient weitgehende Berück¬
sichtigung zu finden. Legt man Wert auf das Resultat dieser Unter¬
suchungsmethode, so ist zu fordern, dass die Reaktion auf der hiezu
nötigen Basis durchgeführt wird. Erweist sich durch den Ausfall der
Tuberkulinreaktion, dass der betreffende Patient ungenügeind allergisch
ist, so muss der Urin einem Patienten mit hoher Allergie injiziert werden.
Nur so gelingt es di-e oft geringen Mengen von Antigen in einem Urin
nachweisen zu können. Bei negativem Au.sfall der Reaktion, oder wenn
das Ergebnis unklar scheint, ist Wiederholung mit neuem Urin unbedingt
zu empfehlen. Tritt an der Injektionsstelle Nekrose ein und ist diese
Folge zu hoher Salzkonzentration des eingedampften Urins, so können
die Salze mit Alkohol ausgefällt werden.
Unsere Erfahrungen führen zu -einigen Feststellungen, die in theore¬
tischer Hinsicht gewisse Richtpunkte zu geben vermögen. Im Früh¬
stadium der Krankheit pflegt die Reaktion besonders deutlich aufzutreten,
chronische Fäll-e reagieren viel schwächer. Da, wo grosse Destruktions¬
prozesse vorliegcn, wie z. B. bei floriden Lungentuberkulosen, Ist oft
der Ausschlag wider Erwarten gering. Zwischen Grösse und Ausdehnung
des Prozesses und dem Antigengehalt des Urins ist demnach eine
Parallele nicht anzunehmen. Ist es das Antigen, welches die Haut¬
reaktion bedingt, so müsste angenommen werden, dass der Organismus
im Beginn der Krankheit dieses rasch und ohne wesentliche Beeinflussung
auszuscheiden vermag. Hat die Toxinausschwemmung Dauer, so wird
entweder an Ort und Stelle, wo der krankhafte Prozess vorliegt oder
4
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
736
Münchener msdizinische Wochenschrift.
im Blutkreislauf das Toxin so weit abgebaut oder gebunden, dass nur
noch ein kleiner Teil unverändert die Nieren passiert und mit der Haut¬
reaktion nachgewiesen werden kann. Wäre das Reaktionsprodukt hin¬
gegen, wie M i c h e glaubt, eine Verbindung von Antigen und Anti¬
körper, so würde die Antikörperbildung zu Beginn der Krankheit grösser
sein als später, eine Annahme, die der l^stehenden Kenntnis der Immuni¬
tätsreaktionen überhaupt widerspricht, Antikörper sind meist höher
disperse Eiweissabbauprodukte, sie eignen sich daher weniger zur
Diffusion (Nierenkapillaren) und werden durch Alkohol gefällt. Die Hypo¬
these von Mi che findet also darin einen weiteren Widerspruch.
Es hat, so lange keine gewichtigen Gegengründe aufgeführt werden,
keinen Sinn, das im Urin Tuberkulöser ausgeschiedene Produkt, das
gleiche Hautreaktion auslöst wie Tuberkulin, als etwas anderes anzu¬
sprechen als nach den gewöhnlichen Erfahrungen und der bis dahin fest¬
gestellten Natur der Sache anzunehmen ist.
Zusammenfassung.
An 220 Fällen, meist Tuberkulosen verschiedener Lokalisation ist die
W i 1 d b o 1 z sehe Eigenhamreaktion nach der von W i I d b o 1 z selbst
angegebenen M'ethode ausgeführt worden, wobei dessen Ergebnisse be¬
stätigt werden konnten. Für die Sicherstellung der Diagnose bedarf man
stets der gleichzeitig auszuführenden Tuberkulinreaktion nach Mantoux.
Bei ev. Anergie soll der Eigenharn einem Allergischen* injiziert werden.
Erzeugt der Harn infolge zu hoher Konzentration der Salze Nekrose
der Injektionsstellen, so können die Salze mit Alkohol üusgefällt werden,
ohne dass dadurch das Antigen im Urin eine Veränderung erleidet.
Stark positive Reaktionen wurden öfters im Frühstadium der Krankheit
gefunden, chronische Fälle und solche mit ausgedehnten Destruktions¬
prozessen hatten oft schwächere Hautreaktion. Der im Urin aus¬
geschiedene Antigengehalt entspricht nicht der Grösse und Aktivität des
Prozesses. Die Reaktion ist für die Stellung der Prognose nur so weit
von Bedeutung, als sie auszusagen vermag, ob ein tuberkulöser Prozess
noch aktiv oder ausgeheilt ist.
Literatur.
I. Wild bolz: Der biologische Nachweis aktiver Tuberkuloseherde
des menschlichen Körpers durch die intrakutane Eigenharnreaktion. Schweiz.
Korr.Bl. 1919 Nr. 22 S. 793. — 2. L a n z: Untersuchungen über die Eigen¬
urinreaktion nach Prof. W i 1 d b o 1 7 Schweiz, med. Wschr. 1920 Nr. 17
S. 321. — 3. Miche: Intradermordactions ä Textrait d’urine de Tuber-
culeux. Revue m^dicale 1919 Nr. 12 S. 567. — 4. Imhof: Ueber die
W i 1 d b 0 1 z sehe Eigenharnr und Eigenserumreaktion zum Nachweise aktiver
Tuberkuloseherde. Schweiz, med. Wschr. 1920 Nr. 46 S. 1033. — 5. B r e s-
sel: Ueber die Eigenharnreaktion bei Lungentuberkulose. D.m.W. 1920
Nr. 50 S. 1385.
• Nachtrag.
Während der Drucklegung sind zwei weitere Arbeiten erschienen,
welche über Erfahrungen mit der Wi Idb o lz sehen Reaktion berichten.
1. König (Chir. Klinik Königsberg): Zum Nachweis aktiver Tuber¬
kulose durch die intrakutane Eigenharnreaktion (Wildbolz). D. Zschr.
f. Chir. 1921, 161, S. 162.
2. Trenkel - Arosa: Ueber die Brauchbarkeit der W i l d b o 1 z -
sehen Eigenharnreaktion zur Feststellung der aktiven Tuberkulose.
Beitr. z. Klin. d. Tbk. 1921, 47, S. 219.
Beide Referenten bezweifeln an Hand ihrer Erfahrungen den Wert
der W il db 0 1 zsehen Reaktion und erklären die auftretenden Haut¬
reaktionen als eine Salzwirkung. Der Wert dieser Arbeiten wird aber
beeinträchtigt durch das relativ kleine Material, über welches sie be¬
richten.
Aus der Kinderklinik der Universität Köln.
(Direktor: Geheimrat Prof. Dr. Siegert.)
Wann ist der Masernkranke kontagiös?
Von Dr. Max Baur.
Die Frage der Inkubationsdauer der Morbilli mit 13—14 Tagen ist
als vollkommen gelöst zu betrachten; die Frage der Kontagiosität wäh¬
rend dieser 14 tägigen Periode und der nachfolgenden exanthematischen
aber keineswegs.
Nun ermöglicht eine an einer abgezweigten Säuglingsabteilung der
Kölner Universitäts-Kinderklinik aufgetretene Masernendemie von 14 Fäl¬
len die Frage des Zeitpunktes und die der Dauer der Kontagiosität zu
beantworten.
Die Ansteckung ist in einzelnen Gruppen erfolgt, ausgehend von
einem plötzlich auftretenden Masernfall. Die Tabelle zeigt die Daten
des katarrhalischen Stadiums und die der Exanthemausbrüche.
Fall
katarrh. Stadium
Exanthem
1
15. XII.
17.
2
29. XII. (Varizellen)
31.
3
29. XII.
1 .
4
1. I.
2.
5
12. I.
13.
6
12. I.
14.
7
12. I.
14.
8
12. I.
14
9
12. I.
14
10
13. I.
15.
11
23. I.
25.
12
25. I.
27.
13
25. I.
27.
14
25 I.
27.
Digitized by
o
Gruppe I
Gruppe II
Gruppe III
ugle
Am 17. XII. trat nach einem undeutlichen katarrhalischen Stadium
bei Fall 1 das Masernexanthem auf. Dieses Kind wurde sofort ver¬
legt. Die zurückgebliebenen Kinder machten «etwa am 25. XII. Vari¬
zellen durch, und diese Tatsache war bei den 3 nun zuerst mit Morbilli
infizierten Patienten die Ursache der bekannten, aber erst durch wenig
Beispiele belegten Tatsache, dass infolge dieser Erkrankung die In¬
kubation der Masern verlängert wurde, und zwar auf 15, 16 und
17 Tage^). 2 Kinder zeigten am 13. und 14. Inkubationstag die ersten
katarrhalischen Erscheinungen, wurden isoliert und bekamen am 31.'XII.
und 1. 1. das typische Masernexanthem. Ein 3. Kind wurde, wegen
Fehlens von Isolierungsmöglichkeiten und in der Annahme, dass eine
Ansteckung doch bereits stattgefunden hätte, nicht isoliert und pflanzte
bei der als Regel anzunehmenden Inkubationszeit von 13—14 Tagen
die Epidemie fort. Es wurderr indessen nicht alle Kinder gleichzeitig,
sondern zunächst nur ein weiterer Teil (Gruppe II) angesteckt. Nach
einer Zeitdauer von wieder 13—14 Tagen erkranken die letzten Kinder
(Gruppe 111)=^).
Bei beiden Gruppen (s. Tab.) ist die Ansteckung immer nur an ein¬
zelnen Tagen des katarrhalischen Stadiums (bei vorliegender Endemie
an den letzten Tagen des katarrhalischen Stadiums) und in den ersten
24 Stunden des Exanthems erfolgt, in keinem Fall später als in den
ersten 24 Stunden des Exanthems.
Mithin ist als Gesamterfahrung der Epidemie zu sagen: Die Kon¬
tagiosität der Masern beschränkt sich auf das katar-
rhalischeStadiumunddenerstenTagdesExanthcms,
erreicht das Maximum der Uebertragungsgefahr im
Uebergang des Stadiums prodromorum in das Sta¬
dium eruptionis und ist 24 Stunden nach erfolgter
Eruption vollständig geschwunden.
Aus der Kinderklinik der Universität Köln.
(Direktor: Qeheimrat Prof. Dr. Siegert)
Ueber die Verlängerung der Maserninkubation durch
interkurrente andere Infekte.
Von Dr. Max Baur.
Man stösst da und dort, besonders in der älteren Literatur, auf die
Angabe [B o h n, Mayr ^)J, dass bei gleichzeitig bestehender Infek¬
tion mit anderen interkurrenten Krankheiten die Inkubation der Masern
sich verlängere. Fälle, um das zu beweisen, findet man hingegen nir¬
gends angeführt. Deshalb sind wohl 6 Fälle von Interesse, bei denen
durch eine danebenlaufende Absteckung mit Scharlach bzw. Windpocken
die Inkubationszeit zweifellos verlängert wurde.
a) Scharlach + Masern.
Fall 1. Elfriede E., 5 Jahre alt, wird am 1. XI. 20 wegen Scharlach
eingeliefert; am 4. XI. Scharlachexanthem abgeblasst; am 6. XI. deutliche
Schuppung. Am 9. XI. erkrankt plötzlich ein Kind — Maria R. (Fall X) —
derselben Baracke an Masern mit Exanthem am selben Tage. Das betreffende
Kind wird sofort isoliert. Darauf bei Elfriede E. am 22. XI. unter Steige¬
rung der Temperatur von 37,5“ auf 39,2“ Koplik ohne katarrhalische Er¬
scheinungen. Am 24. XI. starke Konjunktivitis und Rhinitis. Am 25. XI.
Ausbruch des Masernexanthems. (Inkubationsdauer mindestens sechzehn
Tage.)
Fall 2. Karl W., 414 Jahre alt; am 18. X. 20 wegen Scharlach in
dieselbe Baracke wie Fall 1 eingeliefert. Am 23. X. beginnende Schuppung.
Nach Erkrankung des bei Fall 1 erwähnten Kindes zeigen sich ara 22. XI.
Koplik sehe Flecken. Keine Entzündung der, Schleimhäute. Am 25. XI.
Ausbruch des Masernexanthems. (Inkubationsdauer mindestens 16 Tage.)
Fall 3. Martha K., 3 Jahre alt, am 19. X. 20 wegen Scharlach in
dieselbe * Baracke wie Fall 1 und 2 eingeliefert: Am 24. X. beginnende
Schuppung. Am 24. XI. unter Anstieg der Temperatur auf 39,1 “ Konjunk-
Hvitis, Koplik stark positiv. Am 25. XI. Ausbruch des Masernexanthems.
(Inkubationsdauer mindestens 16 Tage.)
b) Windpocken Masern.
Fall 1. Joseph H.. 10 Monate alt: am 22. XI. 19 eingeliefert. Am
15. XII. erkrankt plötzlich ein Kind — Hans H. (Fall Y) — derselben
Abteilung an den Prodromalerscheinungen der Masern mit Exanthemausbruch
am 17. XII. Am 25. XII. bei Joseph H. Erkrankung an Windpocken. Am
29. XII. bei einem Temperaturanstieg von 37,2“ auf 39,5“ starke Konjunk¬
tivitis, Husten und Schnupfen. Am 31. XII. morgens Koplik, abends Ans¬
bruch des Masernexanthems. Hans H. war am 17. XII. verlegt wotden.
(Inkubationsdauer mindestens 15 Tage.)
Fall 2 Elise J., 8 Monate alt; am 6. VI. 19 eingeliefert in dieselbe
Abteilung wie Fall 1. Am 26. XII. erkrankt das Kind an Windpocken. Am
29. XII. bei 38,3“ Temperatur starke Konjunktivitis, Husten und Schnupfen.
Am 31. XII. Koplik. Am 1. I. 20 Ausbruch des Masernexanthems. (Inku¬
bationsdauer mindestens 16 Tage.)
Fall 3. Karl M., 7 Monate alt; am 4. XII. 19 eingeliefert in dieselbe
Abteilung wie Fall 1 und 2. Am 23. XII. erkrankt das Kind an Windpocken.
Am 1. I. 20 Masernprodrom mit Temperaturanstieg. Am 2. I. abends Aus¬
bruch des Masernexanthems. (Inkubationsdauer mindestens 17 Tage.)
Als kurze Uebersicht über die zeitlichen Verhältnisse folgende Zu¬
sammenstellung '):
^) Nähere Mitteilung erscheint später in der M.m.W.
“) Daher auch die Fällle mit Inkubationszeiten von 26 Tagen, die man
in der Literatur öfters lesen kann.
*) Bohn: Gerhardts Hb. d. Kinderkrankh. 2. Ma y r: Virchows Hb. d.
spez. Pathol u. Ther.
') Siehe auch die vorhergehende Arbeit.
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 192t.
MÜNCHENER MEblZtNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
731
a) Scharlach + Masern.
fall katarrh. Stadium Exanthem
X 9. XI. 9. XI.
1 22. XI. 25. XI.
2 22. XI. 25. XI.
3 24. XI. 25. XI.
b) Windpocken + Masern.
Fall katarrh. Stadium Exanthem
Y 15. XII. 17. XII.
1 29. Xll. 31. Xll.
2 29. XII. 1. 1.
3 I. 1. 2. J.
Inkubation
mindestens 16 Tage
16
16 „
Inkubation
mindestens 15 Tage
16
17 ..
Luftfahrt und Arzt*).
Von Stadtschularzt Dr. Walter Schnell.
M. H.! Eine der Errungenschaften des Krieges im positiven Sinne
ist die Entwicklung der Luftfahrt mit einer Beschleunigung, die unter
normalen Verhältnissen nicht denkbar gewesen wäre. Wir zogen in
den ‘Krieg mit einer geringen Zahl von Flugzeugen, die ausserdem nur
einen massigen Grad von Zuverlässigkeit besassen, und mit denen eine
Steighöhe von 1500 m bei einem kriegsmässigen Aufklärungsflug zu den
guten Leistungen gehörte. Ende des Krieges hatte die Zahl der Front¬
flugzeuge das 47. Tausend überschritten, die normale Höhe für Fern¬
aufklärung betrug 6000—7000 m, und auch Luftkämpfe in dieser Höhe
kamen täglich vor. Die Zahl der Unfälle durch Versagen des Materials
war, wenn man von den in der Heimat nicht seltenen Fällen von Sabotage
absieht, verschwindend gering, obwohl die krampfhaft beschleunigte
Massenfabrikation die besten Vorbedingungen für mancherlei Fehler
schuf. Ueber die Anzahl der im aktiven Flugdienst tätigen Personen ge¬
winnen wir ein Bild durch die Tatsache, dass über öcioo Flieger durch
Abschuss oder kriegerische Unfälle zu Tode gekommen sind. Vor dem
Kriege gehörte die Luftfahrt nicht zu den merklich In das öffentliche
Leben eingreifenden Dingen; wenn auch das Interesse für die Verwirk¬
lichung des alten Traumes der Menschheit ein allgemeines war, so war
doch der praktische Wert zu gering, die Zahl der im Fliegerberuf Tätigen
war unerheblich, und die Gefahr jedes Fluges für den Flieger wurde etwa
ebenso als etwas selbstverständliches bewertet, wie bei halsbrecherischen
Zirkuskunststücken. Die einzige Mitwirkung des Arztes bestand in
der chirurgischen Versorgung des Abgestürzten, soweit bei den meist
sehr schweren Verletzungen überhaupt etwas zu helfen war.
Bei dem Ausbau des Flugwesens im Kriege stellte sich zunächst die
Notwendigkeit heraus, ärztlich das geeignete Menschenmaterial aus dem
Riesenandrang der Freiwilligen herauszusuchen, um die Unfälle auf
Grund persönlicher Ungeeignetheit der Führer auszuschalten, um allen
Lagen gerechtwerdende Beobachter zu finden, und endlich, um den sich
häufig wiederholenden Uebelstand zu beseitigen, dass Flieger nach der
zeitraubenden und viel Material kostenden Heimatausbildung im Felde
bald versagten, und abgelöst werden mussten. Es wurden zu diesem
Zwecke bei den einzelnen Armeen fachärztliche Kommissionen ein¬
gesetzt, die im wesentlichen aus einem Ohrenarzt, einem Augenarzt und
einem Internisten bestanden, und im Bedarfsfälle weitere Spezialisten
zuzogen. Von diesen Kommissionen wurde unter Oberleitung der Sani¬
tätsabteilung beim kommandierenden General der Luftstreitkräfte Material
gesammelt für eine Tauglichkeitsvorschrift der Flieger, ohne dass es
gelungen wäre, über alle Fragen ein einheitliches Urteil bis Kriegsende
zu erzielen.
Die zeitliche Ausdehnung der Flüge und ihre Verlegung in grosse
Höhen schufen ferner physiologische und hygienische Bedingungen
völlig eigener Art, es ergab sich von selbst, dass die lange Zeit bei
Fliegerformationen diensttuenden Aerzte, die vielfach selbst häufig
flogen, allmählich zu Spezialisten dieses Sonderfaches wurden.
Ende 1917 schlug ich dem Chef der Sanitätsabteilung beim komman-
direnden General der Luftstreitkräfte, Herrn Oberstabsarzt K o s c h e 1
vor, um die Bearbeitung der einschlägigen Fragen zu zentralisieren, bei
jecter Armee die Dienststellung eines „leitenden Arztes der Luftstreit¬
kräfte“ zu schaffen; dieser müsse selbst als Flieger ausgebildet sein, um
experimentell arbeiten zu können, und die fachärztliche Fliegerunter¬
suchung sinngemäss zu ergänzen.
Wenn ich in kurzen Zügen einiges aus meiner Erfahrung in dieser
Tätigkeit berichten möchte, so kann ich das nur rechtfertigen mit der
festen Ueberzeugung, dass wir nicht am Ende, sondern am Anfänge
deutscher Luftfahrerei uns befinden, und dass die hierher gehörigen
Fragen in nicht allzu ferner Zeit eine grosse Zahl von Aerzten häufig be¬
schäftigen werden. Nur eine ganz äusserliche Betrachtung spricht da¬
gegen. Gewiss haben deutsche Unternehmungen der Nachkriegszeit
Millionen zusetzen müssen bei ihrem Versuch, auf viel zu kleinen
Strecken und in nicht rentierendem Umfange Luftverkehr auszuüben, weil
nämlich die Entente einen grosszügigen Ausbau verhinderte, weil sie
uns der besten Flugzeuge beraubte, und weil Betriebstoff kaum zu be¬
schaffen war. Augenblicklich ist vorübergehend durch Ententediktat
unsere Luftfahrt ganz stillgelegt, aber unzählige durch Kriegserfahrungen
ausgebildete Kräfte in Industrie und praktischer Flugkunde stehen bereit,
um mit deutschem Unternehmungsgeist ihre Arbeit dem Ausbau des, wie
das Ausland beweist, aussichtsreichen und gewinnbringenden Friedens¬
luftverkehrs zu widmen. Deutschland muss zufolge seiner zentralen Lage
•) Vortrag, gehalten im Verein der Aerzte zu Halle.
Digitized by Gotigle
immer Mittelpunkt des internationalen Luftverkehrs bleiben, und seine
Technik ist notgedrungen frei von aller Rücksicht auf militäriscne
Gesichtspunkte, ein nicht zu unterschätzender Vorteil vor den Entente¬
staaten. Wenn die Luftfahrt so in den nächsten Jahren als ein wichtiger
Teil unseres wirtschaftlichen Aufbaues eine grosse Rolle im öffentlichen
Leben zu spielen berufen ist, so wird ein grosser und für die über¬
wiegende Mehrzahl der Aerzte ganz neuartiger Komplex von Fragen an
den praktischen Arzt wenigstens der grösseren Städte herantreten, und
er wird gut tun, sich als Rüstzeug, ebenso wie der Ingenieur, die in
grossem Umfange vorliegenden Erfahrungen des Krieges mit ent¬
sprechender Anpassung an die Friedensverhältnisse zu eigen zu machen.
Von allen Luftfahrzeugen ist wohl nur das Flugzeug, besonders in Gestalt
des Riesenflugzeuges, zu einer Zukunft als Verkehrsr^ittel berufen.
Im Vordergründe der Höheneinflüsse auf den Körper steht der ver¬
minderte Sauerstoffdruck. Schon in 5000 m Höhe beträgt der Luftdruck
nur noch 34 Atmosphäre. Ebensowenig wie der Kriegsflieger, wird der
Friedensflieger auf das Auf suchen grosser Höhen verzichten können, da
hier infolge des geringen Widerstandes eine sehr viel höhere Ge¬
schwindigkeit mit entsprechend konstruierten Motoren erreichbar ist, und
weil die Flugsicherheit in grossen Höhen eine viel günstigere ist, da
man bei Aussetzen des Motors in weitem Umkreise einen Landungsplatz
aussuchen kann.
Wir finden in grossen Höhen Erscheinungen, die durchaus der Berg¬
krankheit entsprechen, die besonders von der Zuntz-Loewy sehen
Expedition eingehend studiert wurde. Unterschiede bedingt einerseits
der schnelle Wechsel d-er Höhe im Flugzeug, der einige besondere
Symptome bedingt, anderseits die grosse Muskelanstrengung bei einer
Bergbesteigung, die die Bergkrankheit in viel geringeren Höhen und mit
viel schwereren Formen auftreten lässt. Der Beginn der Zeichen von
Sauerstoffmangel ist individuell verschieden; im allgemeinen sind von
4500 m Flughöhe an Störungen vorhanden, die sich dann schnell steigern,
zuweilen werden auch Höhen über 6000 m ohne Sauerstoffzufuhr ver¬
tragen.
Am augenfälligsten sind die Erscheinungen am Nervensystem. Zu¬
nächst stellt sich ein Gefühl der Schwäche und Mattigkeit ein, dazu
eine schwere Hemmung aller Denkakte und eine absolute Gleichgültig¬
keit gegen alles. Diese geht soweit, dass zuweilen die Entschlusskraft
fehlt, den bereithängenden rettenden Schlauch des Sauerstoffapparates
in den Mund zu nehmen. In schweren Fällen fliegt der Flieger immer
weiter, ohne zu fragen, wo er ist, und ohne an seinen Auftrag zu denken,
bis zufällige Umstände ihn in niedrigere Luftschichten bringen. Nach
der Landung besteht dann meist völlige Amnesie. So setzten z. B. bei
der Feindfahrt eines Luftschiffes in etwa 7000 m Höhe der Reihe nach
mehrere Motoren aus; der Besatzung fehlte die Entschlussfähigkeit z-i
den notwendigen Reparaturen und sie verhielt sich apathisch, während
das Luftschiff feindwärts abgetrieben wurde, bis endlich wieder nied¬
rigere Höhen erreicht waren. Die psychischen Ausfallserscheinungen
sind leicht durch Schriftproben zu prüfen, die Buchstaben sind zitterig
und kaum zu lesen, Worte werden wiederholt, und andere ausgelassen,
Silben werden umgestellt. In noch grösseren Höhen tritt dann Ohnmacht
und endlich der Tod ein. Ich erinnere an den unglücklichen BaUon-
aufstieg dreier Pariser Forscher, die. nach ihren Bordinstrumenten, eine
Höhe von 8600 m erreichten, und von denen 2 tot, der dritte bewusstlos
landeten. Auf diese Umstände ist wohl mancher rätselhaft gebliebene
Absturz aus grosser Höhe zurückzuführen. Dass wirklich der geringe
Partialdruck des Sauerstoffes allein verantwortlich ist hat K o s c h e 1
durch seine Versuche in der pneumatischen Kammer bewiesen.
Das Hilfsmittel, das mit Sicherheit alle Erscheinungen verhütet, ist
das Höhensauerstoffgerät. Die Verw’endung von komprimiertem Sauer¬
stoff hat sich wegen des grossen Gewichts, der kurzen Verwendbarkeit,
und der Explosionsgefahr der Sauerstoffbomben nicht bewährt Bei der
insbesondere durch die rührige Tätigkeit von Oberstabsarzt Koschel
späterhin allgemein eingeführten Verwendung von flüssiger Luft befindet
sich diese in doppelwandigen Flaschen, ähnlich den Thermosflaschen,
der Schlauch mit dem Mundstück ist dauernd offen. Bei Druck einer
Atmosphäre ist das Verdampfen des flüssigen Sauerstoffes praktisch
= Null, nimmt jedoch mit abnehmendem Aussendruck so intensiv zu,
dass in 5000 m Höhe bereits mehrere Personen durch ein Gerät hin¬
reichend versorgt werden. Die mitführbaren Mengen genügen auch den
längsten Flügen.
Den Einfluss auf Puls und Atmung habe ich bei anderen und bei
mir selbst mit Hilfe eines während der ganzen Flugdauer arbeitenden
Kymographion untersucht, das, um vor Erschütterungen geschützt zu
sein, in kardanisdher Aufhängung zwischen den Tragdecks befestigt w-ar.
Der Puls ist vor und zu Anfang des Fluges bsonders’ beim Anfänger aus
psychischen Gründe« lebhaft gesteigert; im weiteren Verlauf des
Fluges fand sich eine mässige Steigerung von etwa 20—30 Pulsschlägen
in der Minute, die auch nach der Landung eine Zeitlang anhielt. Die
Atmung ist durchaus von dem Uebungsgrad des Fliegers abhängig. Der
Anfänger ist geneigt, auch in der Höhe bei plötzlicher scharfer Beob¬
achtung oder bei Muskelanstrengung, wie er es vom Boden gewöhnt ist,
den Atem anzuhalten; dies rächt sich dann sofort durch einen dys-
pnoischen Zustand, der recht lange anhält, und geeignet ist den Flieger
unsicher und ängstlich zu machen. Der alte Flieger hat es bewusst oder
unbewusst gelernt seine Atmung ganz regelmässig und tief zu gestalten,
alle Atempausen auszuschalten, und die Muskelarbeit auf das Not¬
wendigste, zu beschränken. Die Zahl der Atemzüge ist meist nur um ein
geringes gesteigert. Die hier in langen Zeiträumen durchgeführte
exzessive Tiefatmung ist wohl als einer der Gründe anzusehen, weshalb,
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
738
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
wie mehrfach mitgeteilt wurde. Lungenspit^enkatarrhe erheblich durch
den Flugdienst gebessert wurden.
Das normale Herz reagiert aif die Mehrarbeit beim Fliegen nur
durch leichte Vergrösserung im Sinne des Sportherzen; wirkliche Schä¬
digungen habe ich nie gefunden. Auch ausgesprochene Klappenfehler
fand ich gelegentlich bei Fliegern ohne Kompcnsationsstörungen. Immer¬
hin möchte ich jeden auch nur leicht Herzkranken für unbedingt untaug¬
lich halten, da sehr häufig auch in relativ geringer Höhe Anfälle von
I^räkordialarigst oder Herzschwäche Vorkommen. In vielen Fällen, in
denen der begutachtende Internist kein abschliessendes Urteil über die
Tauglichkeit hatte fällen können, wurde die Untauglichkeit durch Probe¬
flug und anschliessende ärztliche Untersuchung und Befragung erwiesen,
ein Hilfsmittel, auf das wir daher nie verzichteten. Es verdient besondere
Hervorhebung, dass die Untauglichkeit durch Herzerkrankung, im Gegen¬
satz zu den meisten anderen Gründen für Untauglichkeit, auch für den
gilt, der nur als Passagier in der geschlossenen Kabine am Fluge teil-
nehnien will. In diesen und einigen anderen gleich zu erwähnenden
Fällen ward der .4rzt die Benutzung des Luftverkehrsmittels generell zu
widerraten haben.
Häufig, zum ersten Male von M e y e r. ist das Blutbild des Fliegers
untersuclit worden. Es ergab sich ganz regelmässig, ich kann das durch
eigene Untersuchungen bestätigen, eine erhebliche Zunahme der Ery¬
throzyten hach einer mehrwöchigen Flugtätigkeit. Das wichtigste ist
nun. dass diese Vermehrung noch monatelang bestehen bleibt, w'Cnn die
veranlassende Flugtätigkeit aufgehört hat. Kernhaltige Erythrozyten, wie
sie von anderer Seite beschrieben wurden, habe ich nicht finden können.
Aurfallcnderweise findet sich eine solche Veränderung des Blutbildes oft
schon w ährend des ersten Höhenfluges, also in einem Zeitraum, in dem
von einer echten Vermehrung der Gesamtzahl der Erythrozyten wohl
kaum gesprochen werden kann. Bei dem Fehlen eines streng physio¬
logischen Erklärungsprinzips dieses Vorganges muss uns zunächst die
teleologische Ueberlegung genügen, dass der Körper in sehr zweck¬
mässiger Weise der verminderten Sauerstoffkonzentratlon dadurch Rech¬
nung trägt, dass er aus seinen Reservevorräten alle verfügbaren Hämo¬
globinträger in den Kreislauf übertreten lässt. Wiederholt sich eine solche
Anforderung oftmals, so wird dieser Erythrozytenreichtum im Blute
zum Dauerzustand, und der Körper beginnt jetzt durch echte gesteigerte
Blutneubildurig seine unter das Normalmass herabgesetzten Reserve¬
vorräte an Erythrozyten zu ergänzen. Es ist einleuchtend, dass, im
Gegensatz zu der akuten Ausschwemmung, es sich hier um einen längere
Zeit anhaltenden wirklichen Gewinn handelt.
In der Muskulatur zeigt sich die Sauerstoffarmut durch sehr schnelle
Ermüdbarkeit bei geringen Anstrengungen, die jedoch nach Sauerstoff¬
zufuhr, wie alle Höhenerscheinungen, ebenso schnell wieder verschwindet.
Im Darmtraktus finden sich die verschiedensten Verdauungs¬
störungen, weshalb es als Regel gilt, niemals unmittelbar nach einer
Mahlzeit zu fliegen, wenn auch nicht ganz nüchtern. Im Vordergrund
der Veränderungen stehen hi-er jedoch Erscheinungen rein physikalischer
Natur, die unmittelbar auf die schnelle Druckänderung zürückzuführen
sind. Das Darmgas nimmt bereits in 5(XX) m Höhe das Doppelte des
ursprünglichen Volumens ein. Die geblähten Darmschlingen pressen
die Leber nach oben und erschweren die notwendige Tiefe der Inspiration.
Hierauf ist bei der Auswahl der Nahrungsmittel Wert zu legen; so
empfingen im Kriege , die Flieger einen Teil des zuständigen Brotes als
Weissbrot, und w'urden auch sonst in der Verpflegung besonders berück¬
sichtigt.
Diese Gasausdehnung macht sich in allen abgeschlossenen Hohl¬
räumen unangenehm bemerkbar. Bei katarrhalischem Verschluss des
Zuganges der Stirnhöhlen treten beim Steigen und Fallen Stirnschmerzen
auf. Wohl bei keinem Fluge fehlen entsprechende Beschwerden im
Mittelohr, die man aber leicht dadurch vermeiden kann, dass man will¬
kürlich den Eingang der Tube öffnet und schliesst. Durch Schluck¬
bewegungen geschieht dies nicht genügend häufig, am besten bewährt
sich die Anweisung, Gähnbewegungen bei geschlossenem Munde aus¬
zuführen, bis man ein Knistern hört. Man kann dies bequem 100 mal
in der Minute ausführen und damit jede Druckschwankung kompensieren.
Undurchgängigkeit der Tuben, chronischer Tubenkatarrh schliesst unbe¬
dingt vom Fliegerberuf aus, da die Schmerzen unerträglich werden
können.
Andere unmittelbare Folgen der Druckdifferenz, etwa nach Art der
Caissonkrankheit der Taucher, treten wenigstens in den bis jetzt erreich-
neilimen konnte. Der Schutz des bekleideten Körpers durch wanne
Sonderbekleidung ist leicht, eines besonderen Schutzes bedürfen Gesicht
und Hände, die, um nicht ungeschickt zu werden, nicht allzu sehr ein-
gcpackt werden können. Diesen Schutz gewährt eine Frostschutzsalbe;
dass man hiermit anfangs nur massige Erfolge hatte, rührte von der
falschen Anwendung und unzweckmässigen Beschaffenheit her. Es ist
nämlich ganz w ertlos, einfach das Gesicht einzufetten, sondern es muss
durch eine mehrere Millimeter dicke Schicht ein schlechtleitender Feli-
mantel geschaffen werden, dessen chemische Zusammensetzung an sich
gleichgültig ist. Es muss demnach eine sehr festhaftende und in sich
zusammcnhaltende Salbe gewählt werden, die bei der gewöhnlichen
Aussentemperatur fest ist und vor dem Aufstreichen angewärmt werden
muss. .Am besten bewährte sich ein erheblicher Zusatz von Bienen¬
wachs. Ende des Krieges kam als Ersatz für diese umständliche und
wenig angenehme Prozedur das elektrische Heizgerät auf. w^obei Hand¬
schuhe, Gesichtsmasken und Stiefel durch dem eleKtrischen Strome
Widerstand bietende Dralitspiralen erwärmt wurden. Der Strom wurde
von einem Dynamo geliefert, der durch einen kleinen, vom Gegenwind
beim Fluge getriebenen I^ropeller angetrieben wmrde. Die Erfahrungen
w’aren nach Ueberwindung kleiner technischer Mängel ausgezeichnet.
Beim riioderrien ringsum geschlossenen Reiseflug wird eine elektrische
Heizung des ganzen Raumes angestrebt werden müssen, wie überhaupt
hier mancherlei Dinge der Einrichtung durch den Hygieniker bedürfen.
Ich erinnere nur an Lüftungsvorrichtungen unter Vermeidung von Zug.
an Klosettanlagen, die. nicht nur dem Interesse der Reisenden, sondern
auch des unten wohnenden Publikums Rechnung tragen.
Besondere schädigende Einflüsse der ‘ hohen Fortbewegungs-
gescliwindigkeit gibt es nicht. Ganz irrtümlicherw^eisc w-ürde von ärzt¬
licher Seite darauf hingewiesen, dass bei jeder Exspiration der gesamte
Luftdruck des Propellerwindes und relativen Gegenwindes überwunden
w^erden müsse, und zur Tauglichkeitsprüfung eine Untersuchung der
Exspirationskraft gehöre. Diese Ansicht wurde durch einen Versuch be¬
gründet, wobei ein gebogenes, vorne offenes Rohr beim Fluge neben
dem Kopfe des Führers aufgestellt, und der Luftdruck im Rohre ge¬
messen w'urde. Die Nase ist aber kein glattwandiges Rohr, auch ist sie
nicht nach vorne, sondern nach unten offen. Wer einmal geflogen ist,
weiss, dass es eine Erschwerung des Exspiriums nicht gibt, wohl wird
gelegentlich eine Erschwerung des Inspiriums empfunden, die aber wohl
rein psychischer Natur ist, und im Verlauf des Fluges schwindet.
Zur Tauglichkeitsbeurteilung gehört weiter die Prüfung der Sinnes¬
organe, und es erhebt sich die grundlegende Frage, welche Sinnes¬
qualitäten den Flieger über seine Lage im Raume orientieren. Sehr mit
Unrecht wird hier meist an erster Stelle des Vestibularapparats gedacht,
dessen Untersuchung bei der Begutachtung im Felde einen unverdient
breiten Raum einnahm. Anderseits war man schnell bei der Hand, aus
einem anscheinenden Versagen der räumlichen Orientierung mit Hilfe
des Vestibularapparats auf dessen rudimentäre Beschaffenheit beim
Menschen zu schliessen. Einen richtigen Standpunkt in dieser Frage ge¬
winnt man schnell, wenn man sich die physiologische Aufgabe eines
wohlentwickelten Vestibularapparats klar macht
Die in den 3 Dimensionen des Raumes angelegten, beiderseits sich
ergänzenden Bogengänge zeigen durch die Trägheit Ihrer Endolymphe
eine Drehbeschleunigung in irgendeiner Richtung an. Sie sind also
geeignet, den geradeaus fliegenden Vogel vor einem Verlassen.der Hori¬
zontalebene zu schützen. Der Flieger verlässt aber in jeder Kurve, bei
jeder Böe die Horizontallage, die er dann wieder erreichen muss. Die
Bogengänge sind natürlich nicht geeignet Aufschluss über die wichtigste
Frage zu geben, ob nämlich di.e zufällig erreichte Lage des Flugzeuges
wirklich die Horizontallage ist oder nicht
Anders sind die Verhältnisse im S-^kkulus. Hier sind die freibeweg¬
lichen Otolithen geeignet, durch Druck auf die Sinneshärchen, denen sie
aufliegen, dauernd anzuzeigen, ob der Kopf im Verhältnis zur Richtung
der Schwerkraft richtig gehalten wird, oder wäe er von der Normallage
abweicht Die Richtung der Schwerkraft deckt sich beim Gehen auf
der Erde mit der Senkrechten, es wäre hier also ein Mittel zu objektive:
Orientierung gegeben. Ganz anders sind die Verhältnisse im Flugzeug,
da hier die Zentrifugalkraft als Fehlerquelle «eingreift Liegt nämlich das
Flugzeug in steiler Kurve, so werden die Otolithen durch die Zentrifugal¬
kraft an dieselbe Stelle gepresst, wie beim Horizontalflug; in jeder
richtig geflogenen Kurve gibt demnach mein Organ dieselben Signale,
wie in der Horizontalen. Subjektiv befinde ich mich demnach in der
baren Höhen nicht auf, Blutungen durch Gefässruptur waren bei dem
allerdings ausgesucht guten Menschenmaterial nie zu finden. Immerhin
würde ich erhebliche Bedenken haben, Personen mit ausgebildcter
.Arteriosklerose, mit chronischer Nephritis, mit Drucksteigerungen im
Augapfel oder schwerer Myopie den für sie sicher bestehenden Gefahren
eines Reisefluges auszusetzen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass
beim schnellen Abwärtsflug Kongestionen zum Kopf auftreten. die selbst
von manchen jugendlichen Fliegern recht unangenehm empfunden werden.
Nächst dem Druckunterschied ist die Temperaturdifferenz hervor¬
zuheben, die oft bei Höhenflügen bis zu 30 ° beträgt. ' Die Kälte¬
schädigungen sind zweierlei Art, einmal die Steigerung der Ver¬
brennungsvorgänge, die das Sauerstoffbedürfnis erhöht, und daher die
Störungen durch Sauerstoffmangel steigert, zweitens das Auftreten von
Erfrierungen. Guter Frostschutz ist daher Voraussetzung für fliegerische
Tätigkeit; er war zu Ende des Krieges so gründlich ausgebaut, dass ich
bei jeder vorkommenden lokalen Erfrierung eine strafbare Fahrlässigkeit
des für die Durchführung der Frostschutzmassnahmen bei jedem star¬
tenden Flugzeug persönlich verantwortlichen Sanitätsunteroffiziers an-
Digitized by Goüsle
Horizontalebene, mit der objektiv eventuell das Flugzeug fast einen
rechten Winkel bildet. Es fehlt mir also jedes Zeichen, ob ich mich in
steilen Kurven der Erde nähere, ob ich ein Looping mit den Rädern
nach oben fliege, oder ob ich mich in normalem Geradeausflug bewege.
Aber auch bei Beurteilung, der Flugzeuglage im Verhältnis zur Schwer¬
kraft, die ja ebenfalls sehr wichtig ist, hat das Säckchen keine besondere
Bedeutung, da hier der Drucksinn, insbesondere der Gesässmiiskulatnr.
genau in gleichem Sinne, jedoch viel intensiver sich bemerk¬
bar macht. Beim Vog'el fehlt natürlich diese Mitwirkung des
Drucksinns, der Sacculus ist hier daher von entscheidender
Bedeutung. Der Vestibularappärat scheint mir für den Flie¬
ger durchaus entbehrlich. Dass tatsächlich die Inanspruch¬
nahme des Vestibularapparates beim Fliegen unerheblich ist, hat
A I b r e c h t durch Untersuchungen bei Kampffliegern nachgewiesen.
Unbedingt auszuschliesscn vom Flugdienst sind natürlich dagegen solche
Personen, bei denen krankhafte Reizungen des Vestibularapparats zu
falschen subjektiven Lagegetühlen führen, und dadurch das Flugzeue
gefährden können. Von amerikanischer Seite wurde während
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNfA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
739
Krieges die Aufstellung eines Taubstummen-Fliegerkorps angeregt, ver¬
mutlich aus ähnlichen Erwägungen heraus. Dem ist entgegenzuhalten,
dass der Flieger zwar den Vestibularapparat entbehren kann, nicht aber
sein Gehör, das ihm über das regelmässige Funktionieren des Motors
Aufschluss geben muss.
Gewisse häufig von mir wahrgenommene Sinnestäuschungen sprechen
dafür, dass der Sakkulus beim Menschen ein durchaus funktionierendes
Organ darstellt. Beim plötzlichen Uebergang zu steilem Abwärtsflug
empfindet man einmal Fahrstuhlgefühl, hervorgerufen durch das Empor¬
drängen der Baucheingeweide; ausserdem tritt die Empfindung auf, als
ob das Flugzeug nach unten verschwände, man selbst aber sich auf¬
wärts bewegte. Der Muskelsinn kann hier nicht allzu sehr mitsprechen,
wenn man am Sitze festgeschnallt ist. Ich führe dies darauf zurück,
dass die Otolithen gegen die obere Wand des Sakkulus durch ihre Träg¬
heit gedrängt werden. Beim Starten hat man häufig, besonders bei ge¬
schlossenen Augen, das Gefühl einer Drehung der sagittalen Körperachse
nach schräg vorne oben. Es handelt sich hierbei nicht etwa um eine
richtig von den Bogengängen gemeldete Drehbeschleunigung, da ein
nicht akrobatenhaft, sondern normal gesteuertes Flugzeug in sich selbst
steigt, ohne das Vorderteil wesentlich zu heben. Vielleicht handelt es
sich hierbei um ein Anpressen der Otolithen an die hintere Wand des
Sakkulus infolge der grossen progressiven Beschleunigung.
Der Druck- und Muskelsinn ist für den Flieger sehr wichtig, kann
aber, da er ebenfalls nur nach der Schwerkraft orientiert ist, niemals
etwas über die wirkliche Lage des Flugzeuges zur Erdoberfläche aus-
sagen.
Hierzu ist bei Mensch ,wie bei Vogel nur das Auge
imstande, mit dessen Hilfe die reflektorische Einstellung der
Lage nach dem Horizont erfolgt, die auch bei klaren Näch¬
ten keine Schwierigkeit macht. Auch beim Fluge über einer i;n_
durchbrochenen Wolkendecke ist bei genügender Höhe über den
Wolkenbergen eine Lageorieritierung nach dem Wolkenhorizont leicht
möglich. In dünnem Nebel kann die grössere Helligkeit der Sonnenrich¬
tung zur Orientierung dienen. Oft aber fehlt in dichtem Nebel, in plötz¬
lichen Schneegestöbern und Hagelschauern, in grossen Wolken auch
dieses Hilfsmittel völlig, und es resultiert eine absolute Unorientiertheit.
Schon mancher glaubte geradeaus zu fliegen und stürzte plötzlich in
ungeahnten Lagen aus den Wolken, um dann seine Maschine wieder zu
fangen. Insassen eines auf dem Rücken in dichtem Nebel gelandeten
Cirossflugzeuges erklärten mirv vorher nichts davon gemerkt zu haben,
erst nachträglich erinnerte sich der Führer, dass das Heben eines Armes
ihm auffallend leicht vorgekommen sei.
Aus alledem geht hervor, dass unsere Sinne nicht ausreichen, unter
allen Umständen die Sicherheit des Fluges zu garantieren: aber auch
die jetzt gebräuchlichen Apparate, soweit sie von der Schwerkraft ab¬
hängig sind, müssen versagen. Apparate etwa nach dem Kreiselprinzip
könnten hier weiter helfen.
Bei den üblichen Flughöhen ist ein stereoskopisches Sehen natürlich
ausgeschlossen, was jedoch zum Erkennen mancher Einzelheiten auf der
Erde sehr erwünscht wäre. Auch das H e l m h o 11 z sehe Telestereoskop
reicht nicht aus. Es ist vielmehr nötig, einen Augenabstand von
mehreren 100 m zu wählen, und dies kann nur durch die Zuhilfenahme
der Photographie geschehen. Mit Hilfe des Stereoskops werden zwei
von verschiedenen Stellen aufgenommene Bilder kombiniert und so die
VVahrnehmung von Tiefenunterschieden nachträglich ermöglicht;
während des Fluges selbst sieht das Auge nur zweidimensionale
Flächen.
Die Sehschärfe des Fliegers muss normal sein, aber massige Refrak¬
tionsanomalien schaden nichts, wenn das korrigierende Glas in die
Fliegerschutzbrillc eingebaut wird, um Beschlagen zu vermeiden. Das
Beschlagen des Glases der Schutzbrille verschwindet sofort nach Beginn
des kalten (jegenwindes beim Fluge und braucht daher nicht berück¬
sichtigt zu werden. Wichtig ist dagegen luftdichter Abschluss der
Brille und eine geeignete Wahl der Glasfarbe je nach den Beleuchtungs-
verhältnisse^n. Ob Farbenblindheit schadet, wird sich danach richten,
ob farbige Signale im Lufverkehr zur Anwendung kommen. Nachtblind¬
heit schliesst vom Dienst als Flieger aus.
Viele Menschen sind unfähig, die Höhe des landenden Flugzeuges
iÜ:;er dem Erdboden richtig abzuschätzen, uijd zerschlagen deshalb ein
Flugzeug nach dem anderen. Dieser Fehler ist mit den üblichen Me¬
thoden der Augenuritersuchung nicht festzustellen, und zeigt sich daher
stets erst nach manchen Materialschäden; ich halte ihn für* unheilbar.
Solche Führer setzen immer w'ieder zur Landung vergeblich an, werden
durch ihre Aufregung immer unsicherer, und sind eine Gefahr für sich
und ihre Passagiere. Zu ihrer Erkennung w^äre eine Untersuchung mit
Apparaten nötig, wie sie für verw^andte Zwecke von der experimen¬
tellen Psychologie aiisgebaut sind. Schätzübungen in horizontaler
Ebene sind nicht als adäquate Prüfung anzusehen.
Ein schwieriges Kapitel ist die Nervenbegutachtung des Fliegers.
Bei Untersuchung von Hunderten von Frontfliegern fand ich bei zweifel¬
los vortrefflichen Leistungen im täglichen Flugdienst zuweilen schwere
körperliche Symptome; Erhöhung der Reflexe, feinschlägigen Tremor
der Fingerspitzen. Lidflackem. sogar fehlenden Korneal- und Würg¬
reflex und Schw’anken bei geschlossenen Augen. Anderseits fehlen
zuweilen alle ausgesprochenen körperlichen Symptome bei w-irklich
frontunfähig gewordenen Abgeflogenen, bei denen bereits der Gedanke
an ein Flugzeug, das Motorengvräusch, oder der Benzingeruch Angst- und
Beklemmungsgefühle auslöste. Die körperliche Untersuchung verliert
dadurch natürlich nicht ihre Bedeutung für die Ausschliessung ausge-
Digitized by Goiisle
sprochener Nervenkranker, die im Friedensluftverkehr eine Gefahr für
die Passagiere und durch Rentenjägerei eine Schädigung der Unter¬
nehmer sein würden, aber sie gibt doch in den häufigen Qrenzfällen nicht
genügenden Aufschluss über die Eignung des Einzelnen, und muss ander¬
weitig ergänzt w'erden. Ich fand nämlich, dass die Prüflinge meist schon
auf den ersten Flug in gan^ verschiedener Weise reagierten, wie ein
genaues Ausfragen nach dem Fluge oder Beobachtung während desselben
ergab. Die einen sprachen nur begeistert von dem wunderbaren Genuss
der Erhebung über den Erdboden, dem Herrschergefühl über die Natur.
Sie hatten sich während des Fluges genau umgesehen. Dfe anfänglich
vorhandene Bangigkeit w^ar nach dem Start verschwunden. Die gute
Prognose, die ich diesen Anwärtern stellte, fand ich in der Praxis meist
bestätigt. Jeder Flug war für sie ein Genuss, eirie vorübergehende
nervöse Ueberanstrengung wurde durch Urlaub behoben. Eine zweite
Gruppe, keineswegs etwa identisch mit Feiglingen im gewöhnlichen
Sinne, zum Teil alterprobte Frontsoldaten, wurden trotz alter Energie das
Gefühl drohenden Absturzes nicht los, sie sahen ängstlich in die
Karosserie, und landeten zwar mit zur Schau getragenem Gleichmut,
Hessen aber doch deutlich das Gefühl einer überstandenen schw^eren
Gefahr erkennen. Von energischen Menschen lassen sich diese Sym¬
ptome im Verlaufe der Ausbildung unterdrücken, aber sie kommen doch
nach irgendwelchen unerwarteten Vorkommnissen, nach leichten Ver¬
letzungen. bei geringer Erschöpfung im Dienst, mit voller Kraft wieder.
Bei dieser Gruppe ist jeder Flug eine neue Schädlichkeit für das Nerven¬
system, wobei anscheinende Kleinigkeiten die Stimmungslage wesentlich
beeinflussen können. Sie müssen bald wegen Erschöpfung abgelöst
werden, oder versagen bei schwerer Inanspruchnahme plötzlicher Ge¬
fahren. Der gleiche objektive Nervenbefund lässt also bei verschiedener
Konstitution' eine ganz verschiedene Prognose zu.
Der Versuch, das hierdurch gestellte Problem durch experimentell-
psychologische Methoden restlos zu lösen, wie ihn zuerst in ziemlich
roher Weise die Franzosen unternahmen, ist als nicht gelungen zu be¬
zeichnen. Gewiss ist eine exakte Messung der Ermüdbarkeit recht nütz¬
lich, aber die Reaktionsmessungen im Laboratorium können die Wirk¬
lichkeit nie wiedergeben. Es können die bei Wahlreaktionen am besten
abschneidenden Prüflinge in der Luft völlig versagen. Es fehlt eben das
die ganze Psyche erfüllende Gefühl des Fliegens mit seinen Gefahren.
Reaktionsprüfungen im Flugzeug lassen sich in die Praxis wohl kaum
umsetzen, sie wurden während des Krieges ebenfalls versucht.
jyteines Erachtens müsste der begutachtende Arzt über Flugverhält¬
nisse durch eigene Erfahrung oder Unterhaltung mit Fliegern hinreichend
orientiert sein, und den Prüfling nach einem Probeflug mitersuchen. Er
wird dann durch eingehende Befragung zusammen mit dem Resultat
objektiver Untersuchung zu einem brauchbaren Ergebnis kommen.
Auf den psychischen Eindruck des Fluges möchte ich nicht näher
eingehen, auch eine Schilderung der besonders häufigen nervösen Er¬
schöpfungserscheinungen wmrde zu weit führen. Ich möchte nur er¬
wähnen. dass ich die vielgenannten sexuellen Impotenzerscheinungen
nie gefunden habe.
Höhenschwindel gibt es merkwürdigerw^eise in Luftfahrzeugen über¬
haupt nicht, selbst in den steilsten Kurven bei senkrechtem Blick auf die
Erde habe ich ihn nie empfunden, obwohl ich sonst nicht schwindelfrei
bin. Es liegt dies wohl daran, dass das Auge keine Verbindung hersteilen
kann zwischen dem Flugzeug und dem unter ihm ausgebreiteten Erd¬
panorama. Es gelang mir. Schwindelgefühl geringen Grades auszulösen,
als ich, auf dem Korbrand des Fesselballons sitzend, längs des Seiles zur
Erde hinabsah. Bei sehr unruhigem Wetter tritt dagegen das Bild der
Seekrankheit häufig auf; auch Drehschwindel kann durch schnelle Kurven
und Sturzflüge leicht ausgelöst w'crden, kommt aber bei Verkehrsflügen
nicht in Frage.
Was die Fliegerunfälle angeht, so treten die schweren tödlichen
Abstürze meist bei Lernenden auf. w’aren also in der Heimat besonders
häufig. Die grosse Mehrzahl der Unfälle geschieht bei unglücklichen
Landungen. Erstaunen erregt zunächst, wöe verhältnismässig selten
hierbei ernsthaftere Unfälle Vorkommen; restlose Materialzertrümmerung
ohne jede Schädigung der Insassen ist sehr häufig. Zu erklären ist dies
dadurch, dass das Zerbrechen der räumlich sehr ausgedehnten Flugzeug¬
teile, die beim Sturz zuerst die Erde berühren, den Aufprall der zentral
gelegenen Teile der Karosserie weitgehend abschwächt, so dass diese
meist ohne wesentliche Verletzung in den federnderi Trümmern
schweben. Die meist sehr typischen und teilw^eise vermeidbaren Ver¬
letzungen erw-eisen den praktischen Wert einer genauen Unfallstatistik,
sowohl von chirurgischer, wie von pathologisch-anatomischer Seite.
Einige kurze Beispiele mögen dies erläutern. Bei den meisten Unfällen
mit üblen Folgen bohrt sich der schwere Motor zuerst in die Erde ein,
der dahinter befindliche Führersitz wird auf ihn g'epresst, und Zertrüm¬
merung der Beine ist die typische Verletzung der Flugzeugführer. Ge¬
eignete Instruktion über Verhalten bei Unfällen kann dies zuweilen ver¬
meiden, w-ie ich bei unserem Personal zeigen konnte. Dazu kam im
Kriege eine sehr häufige Schädelverletzung durch Aufschlagen auf die
hintere Kante des Maschinengewehrs. Bei einer bestimmten, viel ge¬
flogenen Flugzeugtype verlief eine Stange quer durch den Führersitz, die
bei Unfällen zu tödlichen Brustquetschungen führte. Die Unfallstatistik
gab uns hier Unterlagen zu kleinen konstruktiven, zunächst behelfsmässig
ausgeführten Aenderungen, die derartige Schädlichkeiten vermieden,
und sie sollte auch künftig beim Bau von Flugzeugen In w^eitem Umfange
berücksichtigt werden.
Die typische Verletzung des Beoljachters war die Schädelfraktur,
wenn er aus seinem Sitz heraus gegen die vor und über ihm stehenden
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
740
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
Streben geschleudert wurde. Das Anschnallen wurde daher zur allge¬
meinen Regel gemacht, und durch besondere Vorrichtungen auch für den
stehenden Beobachter ermöglicht. Der Kopf war durch den Sturzhelm
geschützt. Beides, Kopfschutz in geeigneter Form und Anschnallgurt
sollte daher vor jeder Landung auch im Reiseflug Verwendung finden,
und durch obrigkeitliche Verordnung gesichert werden.
Für die erste Hilfe bei Unfällen gilt es, das Flugzeugpersonal über
behelfsmässige Schienung und Tragenherstellung aus Teilen des zer¬
brochenen Flugzeugs zu unterweisen; der Verletzte ist nicht mit Gewalt
aus den Trümmern herauszuziehen, sondern diese sind vorher zu ent¬
fernen. Für Brände sind Feuerlöscher bereitzuhalten. Zur ersten Ver¬
sorgung ausgedehnter Verbrennungen eignet sich das stets zur Verfügung
stehende Motoröl ausgezeichnet, von dem ich auch bei langer An¬
wendung niemals Schädigungen, dagegen gute Anregung der Granu¬
lationen beobachtete.
Solange wir mit Verbrennungsmotoren fliegen, wird es Unfälle in der
Luft geben, bei denen nur sofortiges Verlassen des Flugzeugs Rettung
bringt. Ein Fliegen ohne Fallschirm wird daher wohl bei der zu er¬
wartenden behördlichen Regelung verboten werden: Der Fallschirm¬
absprung, das zeigt tausendfache Erfahrung, ist nicht gefährlicher als ein
Flug; die vorgekommenen tödlichen Unfälle beruhen fast alle auf Kriegs¬
einflüssen. Der Fallschirm entfaltet sich nach etwa 50 m freien Falls,
um dann mit etwa 4,5 Sekundenmeter Geschwindigkeit weiter zu gleiten.
Die nach 50 m erreichte Fallgeschwindigkeit ist nicht so hoch wie die
eines schnell abwärts schiessenden Flugzeuges, also völlig unbedenklich;
als Schädigungen in der Luft kommen nur Hautabschürfungen durch un¬
zweckmässige Gurte in Betracht. Das Aufsetzen auf die Erde geschieht
schräg in Richtung des Windes, es ist dabei unmöglich, Einfluss darauf
zu gewinnen, ob man vorwärts oder rückwärts getrieben wird. Im
ersten Falle schützen die ausgestreckten Hände vor Verletzungen, im
letzteren wurden mehrfach Himerschütterungen beobachtet. Ein Schutz
des Hinterkopfes ist beim Flieger durch den Sturzhelm gegeben, für
Ballonbeobachter brachte ich eine Mütze mit gepolstertem Wulst zur
Einführung, die sich mit entsprechender Veränderung auch für Insassen
geschlossener Flugkabinen eignen würde.
Es wäre nun noch die Frage aufzuwerfen, inwieweit das Flugzeug
sich dem Arzte unmittelbar dienstbar machen lässt. Der Gedanke eines
Sanitätsflugzeuges zur Verwundetenbeförderung ist nicht neu: wenn es
sich darum handelt einen Schwerkranken, über grosse Strecken zu trans¬
portieren, für den die lange und beschwerliche Eisenbahnfahrt unmöglich
ist, dann gibt es kein idealeres Transportmittel, als das eigens dazu um¬
gebaute Flugzeug; Start und Landung würde durch Ersetzen der Sporns
durch Räder unmerklich gemacht, der Kranke liegt ln gut federnder
Trage und merkt von seiner Reise überhaupt nichts. Ich möchte mich
einem Ausspruch des Inspekteurs der Fliegertruppe anschliessen. dass
ein Flug bei ruhigem Wetter nur verglichen werden kann mit dem
Fahren eines guihmiberäderten Kinderwagens auf Asphalt. Als Trans¬
portmittel für den Arzt wurde das Flugzeug häufig mit bestem Erfolg
verwandt. Ich hafte z. B. während der Frühjahrsoffensive 1918 meinen
ständigen Aufenthalt auf einem vorgeschobenen Gefechtslandeplatz. Es
fehlte dadurch im 30 km entfernten Flugpark der Arzt für den Revier¬
dienst, auch an einem anderen Orte, wo zahlreiche Jagdstaffeln zu¬
sammengezogen waren, fehlte ein Arzt. Ich wurde daher zum Revier¬
dienst an beiden Orten im Flugzeug abgeholt, und stand auch während
dieser Zeit bei vorne vorkommenden Verwundungen auf telephonischen
Anruf zur Verfügung. Ferner wurde auf meinen Vorschlag das Flugzeug
dazu verwandt, abgeschnittene Truppenteile mit Lebensmitteln. Sanitäts¬
material usw. zu versorgen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang eine
Zeitungsmeldung, wonach im nordamefikanischen Scengebiet das
Wasserflugzeug von den Aerzten zu ihren Besuchen bei den weit zer¬
streut wohnenden Patienten mit bestem Erfolg Verwendung fand.
Zum Schluss gestatten Sie mir noch ein kurzes Wort über einen
Gegenstand, der leider noch weitab von seiner Verwirklichung ist, aber
ein erstrebenswertes Ziel bleiben muss: Ich meine die Anwendung
physiologischen Denkens in der Technik, speziell in der Vervollkommnung
des Flugwesens. Jeder Flieger vergleicht seine Maschine mit einem
Vogel, und zieht die Parallelen in manchen Einzelheiten; aber historisch
betrachtet sind all diese Parallelen nachträgliche Konstruktionen. Die
Technik ist im wesentlichen ohne Beachtung und genauere Kenntnis der
Vorbilder in der Natur ihren eigenen Weg gegangen, und ist auf vielen
Umwegen und nach langem Probieren schliesslich zu Prinzipien ge¬
kommen. die wir auch in der Natur finden. Die lebensgefährlich aus¬
sehenden Maschinen, mit denen man anfangs flog, hatten nichts vogel-
ähnliches; erst sehr spät führten die Verhältnisse des Luftwiderstandes
zu der heutigen Form; erst in den letzten Kriegsjahren kam man so weit,
das Gewirr von Drähten zu Faserbündeln zu vereinigen, die ins Innere
der Flügel verlegt wurden. Wenn hier genaue Kenntnis der Natur
manches suchende Umhertappen hätte ersparen können, so gilt dies in
weit grösserem Umfange von den künftigen Aufgaben. Ein Beispiel aus
vielen denkbaren: Die nächste konstruktive Aufgabe zur Sicherung des
Betriebs grösster Flugzeuge ist die automatische Stabilisierung. Man
könnte sich dies etwa so vorstellen: Eine seitliche Böe trifft eine Ver¬
windungsklappe, schliesst dort einen Strom, der seinerseits auf elektro¬
motorischem Wege die Gegenbewegung herbeiführt, bis der ebenfalls in
den Stromkreis eingeschlossene Gleichgewichtsapnarat den Strom
wieder öffnet. Wir haben damit einen Reflex mit Sinnesorgan, zentri¬
petalem und zentrifugalem Nerv und Ausführungsorgan. Wird nun auch
noch gleichzeitig die Steuerung bei diesem Vorgang mitbeteiligt, so wird
der Reflex schon komplizierter, und nähert sich noch mehr physio¬
logischen Verhältnissen. Soll wirklich eine rein mechanische Flugsicher¬
heit gegenüber den verschiedensten Windlagen geschaffen werden, dann
könnte man schon von einem mechanischen Zentralnervensystem
sprechen.
Die Technik will und muss Dinge verwirklichen, die in der Natur
längst in vollkommenster Weise bestehen, sie muss daher bei dem in
die Schule gehen, der die physiologischen Verhältnisse kennt, und sich
mit physiologischem Geiste durchdringen lassen.
Aus der orthopädischen Universitäts-Poliklinik München.
(Vorstand: Qeheimrat F. Lange.)
Ein einfacher Geradehaiter für Rundrücken.
Von Dr. L. Aubry, Assistent.
Die Behandlung des Rundrückens tritt im Vergleich mit jener der
Skoliose in den Lehrbüchern und der übrigen Literatur weitaus in den
Hintergrund. Nur verhältnismässig selten findet man die Therapie und
auch die Prophylaxe des Rundrückens eingehender behandelt und man
gewinnt den Eindruck, als ob es sich bei dem runden Rücken um eine
weniger wichtige, der Behandlung nicht recht werte Haltungsveränderung
handle. Und doch ist der Rundrücken für den Gesamtorganismus von
ebensolcher Tragweite wie die Skoliose, wenn er auch in seiner Ent¬
wicklung nicht so bösartig wie diese ist. Wie die Skoliose gerade in
den Jahren des Schulbesuches eine erhöhte Bedeutung gewinnt, so auch
der Rundrücken. Speziell die habituellen Formen des Rundrückens,
wie sie sich während der Schulzeit, zur Zeit des stärksten Wachstums
und der Pubertät als Ausdruck der Muskelschwäche ausbilden, verdienen
die Aufmerksamkeit und die sorgfältige Behandlung auch des praktischen
Arztes.
Bei der Therapie des Rundrückens steht ebenso wie bei derjenigen
der Skoliose obenan die Gymnastik, die Uebungsbehandlung zur Kräfti¬
gung der überdehnten und geschwächten Muskeln der Konvexität und
zur Dehnung der kontrakten Muskeln der Konkavität, vorwiegend des
Pektoralis. Des weiteren wird die Vergesellschaftung von Rundrücken
und vorstehendem Bauch bei im Wachstum befindlichen Kindern keinem
Untersucher unbekannt sein. Diese Art Hängebauch ist einerseits ein
Ausdruck der allgemeinen Muskelschwäche des Körpers, andererseits
wird er noch vermehrt und stärker in Erscheinung gebracht durch die
bei solchen Kindern vermehrte Lordosierung der Lendenwirbelsäulc
zusammen mit dem stärkeren Zurück weichen der Brust infolge der
Kyphose. Die Grade des vorstehenden Bauches sind infolge dieser dop¬
pelten Ursache jedoch auch individuell sehr verschieden und nicht immer
ganz entsprechend der Stärke der Rückenverbiegung.
Was die Uebungen selbst anlangt, so kommt man beim Rundrücken
durchwegs mit einfachen gleichseitigen Bewegungen aus und erreicht
schon damit in vielen Fällen ein gutes Ergebnis. Doch wie bei der
Skoliose fast immer die Uebungsbehandlung allein nicht zum Ziele führt,
sondern daneben ein Korrektionsapparat (Korsett etc.) Anwendung finden
muss, so ist man auch beim Rundrücken insbesondere des Schulkindes
öfter in die t^ge versetzt, einen Stütz- bzw. Korrektionsapparat zu
verordnen. In manchen Fällen wünschen die Angehörigen des Kindes
selbst dringend einen* „Geradehalter“, von dem sie sich alles Heil ver¬
sprechen. Durch diese Frage nach einem Geradehalter sind wir Aerzte
speziell aber bei poliklinischen Kranken, aber auch schon in der ein¬
fachen Privatpraxis infolge der heute fast unerschwinglichen Preise
orthopädischer Apparate vor eine schwere Wahl gestellt. Es kommen
also nur die einfachsten Vorrichtungen in Betracht einfach sowohl be¬
züglich des Materials als der Herstellung und trotzdem müssen sie ihren
Zweck vollständig erfüllen. Die uns bekannten, meist fabrikmässig
hergestellten Geradehalter haben aber alle eine wenigstens für die
meisten Fälle ganz ungenügende Wirkung und zwar teilen diesen Mangel
sowohl die einfachsten Apparate als auch die kostspieligen. Die letzteren
meist nach Art von Korsetten gearbeiteten Geradehalter haben weiter
den bedeutungsvollen Nachteil, dass sie die an sich schor> schlechte
Muskulatur noch weiter schädigen. Gewöhnlich werden für den Rund¬
rücken Schlingen oder Zwingen in irgendeiner Form verwendet welche
den Zweck verfolgen, die Schulterblätter zurückzunehmen. Damit wird
wohl die Haltung etwas g^essert aber eine Beeinflussung der Wirbel¬
säulenverbiegung und des Hängebauches wird fast nie erzielt. Bei der
Kontrolle mit der unten angegebenen Zeichenmethode war das ohne
weiteres flachzuweisen. Diese geringe Wirksamkeit beruht darauf,
dass die Beckenstellung in ihrer Beziehung zur Wirbelsäulenverbiegung
bei diesen Apparaten gar nicht berücksichtigt wird. Sie steht aber
zweifellos In ursächlichem Zusammenhang mit der Krümmung dei
Wirbelsäule, indem bestimmte Formen vermehrte, andere verminderte
Neigung des Beckens aufweisen. Ueber das Wesen dieser Tatsache
steht die völlige Klärung noch aus.
Diesem Mangel der vorhandenen Geradehalter suchten wir abzu¬
helfen durch einen Geradehalter, dessen ursprüngliche Form wie sie
Dr. F. S c h e d e erdachte, von dem Gedanken ausging, gegen ein Recht¬
eck aus starkem Draht, das am Oberschenkel und am Scheitel der
Brustkrümmung angreift, den Bauch herauszuziehen. Der Druck gegen
den Oberschenkel von hinten sollte zunächst eine Beugung in den Hüft¬
gelenken bewirken und dann sollte durch Anstemmen des Körpers
gegen diese Drähte eine Beckendrehung und Umkrümmung der Brust¬
kyphose angebahnt werden.
Diese Form des Geradehalters war zwar schon voll wirksam, doch
sahen wir uns bald genötigt, die rechteckige Form des Drahtgeflechtes
Digitized by
Goi.igle
Original from
UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
741
aus praktischen, leicht verständlichen Gründen zu verändern. Jetzt
formen wir deshalb das Gestell (aus 3—4 mm dickem Stahldraht) in
folgender aus Fig. 1 a u. b ersichtlicher Weise, die sich bei uns gut be¬
währt hat und die von den Patienten gut vertragen wird. Die Spitze
des Drahtgestelles ruht etwas unterhalb des Krümmungsscheitels der
Brustwirbelsäule, dann biegt der Draht beiderseits seitlich aus um die
Schulterblätter herum, soweit, dass er deren Bewegungen nicht hindert,
verläuft dann parallel senkrecht nach unten etwa dem Aussenrande
der Erectores trunci entsprechend bis zum Dammbein-Kreuzbeinrand, er
umgeht die Gesässbacleen in einem Bogen, indem er in der Mulde hinter
dem Trochanter major verläuft und biegt etwas unterhalb der Qlutäal-
falte beiderseits medial um den Oberschenkel und ein kleines Stück
nach vorne etwa bis in die Höhe des Femur. Nach vorne ist auf
di-eses Gerüst eine enganliegende Leibbinde mit Schnürung gearbeitet.
Ein einfacher Gurt mit Schnalle verbindet die parallelen Stücke des
Drahtgerüstes im lumbalen Teil und verhindert einerseits das Aus¬
einanderweichen der Drähte, anderseits ermöglicht er eine vermehrte
Anspannung der Leibbinde. Um bei Rumpfbewegungen ein Abgleiten
nach oben und unten zu verhindern, tragen sowohl die unteren Enden
der Drähte Schenkelriemen, die vorne an der Bauchbinde angeknüpft
werden, als auch das obere spitzgerundete Ende eine Drahtspirale, an
der eine Achterschlinge zum Zurückhalten der Schultern befestigt ist.
Das Drahtgerüst ist gepolstert, so dass ein unangenehmer Druck ver¬
mieden wird. Der Verlauf des Drahtes ist auf diese Weise so an¬
geordnet, dass die Bewegungen des Rumpfes mit Ausnahme der starken
Vorbeugung wenig gehindert, diejenigen der Beine, und zwar Beugung
und Streckung sowohl wie die Abduktion, frei sind. Auch das Sitzen
ist ungehindert möglich; höchstens ist es zweckmässig, sehr mageren
Patienten ein kleines Kissen auf den Stuhl zu legen, damit der unter dem
Oberschenkel verlaufende Draht sich nicht stärker eindrückt.
Fig. la. Fig. Ib.
Mechanismus dadurch, dass wir dem Patienten seinen Geradehalter selbst
anziehen und die Bauchbinde selbst zumachen lassen. Das muss er
notgedrungen in vorgebeugter Haltung tun. Richtet er sich dann auf,
so fühlt er den kräftigen Druck des Drahtes an den Oberschenkeln und
am Krümmungsscheitel und bäumt sich dagegen auf. Die Leibbinde
gibt ihm dafür von vorne her eine Stütze. Man erkennt diese Wirkung
deutlich an der kräftigen und ohne weiteres sichtbaren Anspannung der
Erectores trunci. Es stellt der Geradehalter also nicht nur einen rein
passiven, sondern auch einen aktiven Korrektionsapparat dar. Dies ist
von Wichtigkeit für seinen Einfluss auf eine dauernde Korrektur der
Haltungsanomalie.
Ohne weiteres wird dies klar bei Betrachtung der Fig. 2 a und b (die
ausgezogene Linie gibt jeweils das Bild der Ruhehaltung ohne Qeradehalter.
die gestrichelte Linie mit unserem Qeradehalter). Das Bild a zeigt die
Korrektur gleich nach Verabfolgung des Geradehalters. Es handelt sich um
ein 12 jähriges Mädchen von grazilem Habitus und schlechter Muskulatur,
das einen ausgesprochenen hohlrunden weichen Rücken mit Hängebauch hat.
Der angelegte Qeradehalter bewirkt, wie ersichtlich, eine energische Auf¬
richtung der Gestalt, eine Drehung des Beckens (vergl. Stand der Spinae
post.!) und Zurückdrängung des Hängebauches. Im allgemeinen ist im
Qeradehalter eine normale Haltung erzielt. — Vergleichsweise ist die Wirkung
einer einfachen achterförmigen Bandschlinge zur Zurücknahme der Schultern
gezeichnet (getüpfelte Linie). Man sieht den geringen Einfluss auf die
Haltung der Wirbelsäule. Dem Zw’ang zur Zurücknahme der Schultern folgt
hier auch der ganze Rumpf und weicht nach hinten aus. Die Fig. 2 b
gibt das Bild nach 6 wöchentlichem Tragen unseres Qeradehalters. Die
Haltung des Kindes war schon äusserlich in den Kleidern eine wesentlich
andere, freiere geworden; die Kontrollzeichnungen boten das entsprechende
Bild. Von einer völligen Heilung des Rundrückens ist natürlich noch keine
Rede, aber es fällt auf den ersten Blick der geringe Unterschied auf zwischen
der Ruhehaltung ohne Qeradehalter und der Haltung im Qeradehalter. Die
erstere hat sich der letzteren genähert, der ganze Körper ist auch in der
Ruhe aufgerichteter, der Bauch straffer eingezogen. (Dass die Aufrichtung
im Qeradehalter bei der Kontrolle nicht mehr ganz so energisch ist wie
im Anfang, liegt offenbar an der Kriegsqualität des dort verwendeten Stahl-
Die Wirkung des Gerädehalters kontrollierten wir an Hand von
Zeichnungen. Dieselben wurden am Lange sehen Zeichenapparat ge¬
fertigt. Da die einfache Projektion des Körperumrisses kein richtiges
Bild von der Verbiegung der Wirbelsäule gibt — die Dornfortsätze sind
meist nur in einem Teil des Lendenabschnittes von der Seite direkt
sichtbar, während sie darüber von den nach hinten weiter vorspringen¬
den seitlichen Thoraxpartien und den Schulterblattkonturen überdeckt
werden —, benutzten wir nicht den Diopter, sondern das etwas modi¬
fizierte Engelhardt sehe Winkelinstrument (W. Engelhardt: Die
Haltung, Form und Beweglichkeit der Wirbelsäule in der sagittalen
Ebene; Zschr. f. orthop. Chir. Bd. 27). Es ist dies im Prinzip ein
U-förmiges Eisen auf einer Platte, dessen eine Spitze auf der Wirbel¬
säule gleitet und dessen andere den Zeichenstift trägt. Diese Zeich¬
nungen gaben ein klares Haltungsbild. Etwas störend war bei dieser
Zeichenmethode nur das Vorspringen der Teile des Geradehalters, wel¬
cher Nachteil aber bei der jeweils nur kurzen Strecke nicht ins Ge¬
wicht fällt. Vergleichsweise wurden in einigen Fällen auch Zeichnungen
in gewöhnlicher Weise mit dem Diopter ausgeführt. An Hand der Zeich¬
nungen kamen wir zu folgenden Ergebnissen:
Weitaus am wirksamsten ist der Geradehalter bei der Form des
sog. hohlrunden Rückens wMe man ihn bei den Schulkindern, besonders
zierlich gebauten muskelschwachen Individuen häufig findet. Hier hat
der Druck und Gegendruck den geeigneten Angriffspunkt zur gegen¬
seitigen Wirkung und eine verhältnismässig grosse Korrektionsbreite.
Die Krümmungen werden abgeflacht und nahezu auf ihre natürliche Form
zurückgebracht. Durch das Dreibackensystem, w^elches der Geradehalter
darstellt .(Druck gegen Oberschenkel und Krümmungsscheitel einerseits,
gegen Bauch anderseits), wdrd eine leichte Hüftbeugung erzielt. Ist
dies erreicht, so erfolgt eine Anspannung der Rückenmuskula’tur und der
Kniebeuger. Der Rumpf wird dadurch wieder aufgerichtet und diese
Aufrichtung auch bei Streckung derKniee erhalten. Wir erleichtern diesen
Fig. 8. Fig. 4 a. Fig. 4 h.
drahtes, welcher im Laufe des Tragens an Elastizität verloren hatte.) Auch
die Fig. 3 zeigt die Wirkung des Qeradehalters, aber in etwas anderer
Form als Fig. 2. Es handelt sich hier um ein gut entwickeltes Kind von
13 Jahren mit einem ebenfalls hohlrunden Rücken, doch nicht so stark über¬
wiegender Lendenlordose wie bei der Patientin der Fig. 2. Die Patientin
hat offenbar einen strafferen Bandapparat als diejenige der vorhergehenden
Figur. Hier bleibt das Becken in seiner Stellung fast unverändert, dagegen
wird der Thorax kräftig nach vorne geschoben und aufgerichtet. Dadurch
werden Lordose und Kyphose auf normale Stärke ausgeglichen. Bemerkens¬
wert ist auf diesem Bild der Vergleich der Ruhehaltung in nichtermüdetem
(getüpfelt) Zustand mit der Ruhehaltung bei Ermüdung und anderseits der Ver¬
gleich der nichtermüdeten Ruhehaltung mit der Haltung im Qeradehalter.
Die letzteren beiden Zeichnungen nähern sich einander sehr, ein
Beweis dafür, dass die Anomalie der Haltung hier zu einem beträcht¬
lichen Teil auf der Rücken- und Baiichmuskelschwäche beruht und dass
das Mädchen wohl imstande ist, den Rumpf selbst in normaler Stellung
zu halten. Die Wirkung des Geradehalters, welche sich bei Fig. 2 auf
das Becken und die Kyphose verteilt hat, äussert sich hier bei der
schon geringeren Beckenneigung nur am Rumpf; das Becken behält
seine Neigung bei. In diesem Fall ist auch die Muskulatur sö kräftig,
dass sie der passiven Korrektur ohne w’eiteres folgt, und überdies noch
aktiv den Rumpf gegen den Druck auf die Kyphose so kräftig aufrichtet,
dass das Bild der militärischen Haltung mit vorgeschobener Brust ent¬
steht. Hier stellt also der Geradehalter fast nur einen Apparat zur
aktiven Korrektur bzw. Ueberkorrektur dar.
Die geringste Wirkung zeigte sich, wie zu erw^arten war, bei den
stark versteiften Kyphosen. Aber auch hier ist doch ein günstiger Ein¬
fluss zu bemerken, insoferne sich die Patienten, wie wir oben gesehen
haben, gegen den Geradehalter aufbäumen und es kommt auf die Dauer
dadurch ev. zu einer kompensierenden Abflachung der Kyphose in den
der Versteifung benachbarten Teilen; der Rumpf wird im ganzen ge¬
streckt, der Hängebauch vermindert. Diese Beobachtung konnten wir
z. B. bei einer 18 jährigen Patientin machen, schon nach etwa zwei¬
monatigem Gebrauch des Geradehalters. Es bestand ein ausgesprochen
Digitized by
Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
742
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
versteifter Rundrücken und starker Hän«ebauch. Die Patientin ver¬
richtete mit dem Geradehalter alle häuslichen Arbeiten ohne Behinde¬
rung:, ja sie empfand ihn im Gegenteil dabei als angenehm. Beachtens¬
wert ist hier ebenso wie bei dem erstbesprochenen Fall, dass schon
nach kurzem Trag>en des Geradehalters der Umgebung der Patiendnnen
die „bessere Haltung" auffiel, und zwar auch dann, \yenn der Halter
abgelegt war. Aus den Zeichnungen der Fig. 2 ist dies ia auch, wie
erwähnt, abzulesen. , , •
Der Wirkung des Geradehalters im Stehen steht auch diejenige
im Sitzen nahe. Es entspricht das Drahtgerüst hier einer starren Lehne,
gegen die der Rumpf durch die Leibbinde und durch die Achter¬
schlinge, welche die Schultern fasst, herangehalten wird, und so ver¬
hindert wird, oben und unten nach vorne zu gleiten und dadurch die
übliche kyphotische Ermüdungshaltung einzunehmen. Ein einfaches Zu¬
sammenziehen der Schultern durch einen der gebräuchlichen Gerade¬
halter könnte diese Kyphosierung nicht verhindern. Auch im Sitzen
empfinden die Kinder diese Stütze durchaus nicht unangenehm; Klagen
wurden nie geäussert, im Gegenteil waren die Kinder mit dieser Stütze
in der Schule ganz zufrieden, sie hinderte auch beim Schreiben usw.
in keiner Weise. Aus Fig. a und b geht die Wirkung ohne weiteres
hervor. Fig. 4 a gibt die Patientin, ein mittelkräftiges 15 jähriges Mäd¬
chen mit wenig versteifter Kyphose im Stehen wieder. Es findet geringe
I^eckendrehung statt. Abflachung der Krümmungen und Ziirückdrängen
des Hängebauches. Auch hier wird der ganze Rumpf gestreckt. Bei
Fig. 4 b sitzt das Kind. Der Geradehalter drängt dabei den Bauch zu¬
rück. der Brustteil wird arn Zusammensinken nach vorn gehindert und
hücligehalten. Auf das Becken erfolgt naturgemäss im Sitzen keine
Wirkung; die Lendenwirbelsäule weicht dem Druck vom^ Bauch her
etwas aus und wird gestreckt. Sow^ohl im Stehen wie im Sitzen lassen
die Zeichnungen im Geradehalter eine gleichmässigere Verteilung des
Körpers geg.enüber einer mittleren Senkrechten erkennen als dies ohne
(iradehalter der Fall ist. Eine Beeinflussung des Schwerpunktes aber
liess sich, wenigstens mit Hilfe des L o v e 11 sehen Apparates, bisher
nicht feststellen; es scheint sich derselbe trotz verschiedener Haltung
des Rumphes immer wieder einzubalancieren.
Fassen wir kutz die Eigenschaften des Geradehalters zusammen,
so bestehen sie zunächst in den niederen Material- und Herstellungs¬
kosten. In unserer Werkstätte beträgt zurzeit der Selbstkostenpreis
ca. 75 M., welcher sich zu einem geringeren Teil aus den Material¬
preisen, zum grösseren aus den hohen Arbeitslöhnen zusammensetzt.
Die weiteren Vorteile sind das geringe Gewücht für den Kranken und
die kräftige Wirkung auf die Verkrümmung. Dadurch, dass auch die
Drehung des Beckens beeinflusst w^erden kann, kommt man einer
ursächlichen Behandlung speziell des hohlrundcn, schlaffen Rückens näher.
Die schwache Muskulatur wird zw'eckmässig unterstützt durch die Wir¬
kung der Bauchbinde von vorn und gegen das Drahtgerüst. Dieser Punkt
der Beeinflussung des Beckens durch Drehung im Hüftgelenk ist bisher
unseres Wissens auch bei den komplizierteren und teueren korsettähn-
lichen Geradehaltern, nicht berücksichtigt worden. Ein Beckenkorb
oder Gürtel, wie ihn diese Korsette meist haben, kann eben auch die
falsche Stellung des Beckens zu den Beinen nicht beeinflussen, sie kann
nur nach oben hin eine Stütze geben für einen Zug oder Druck auf die
kyphotische W'irbelsäule. Eine solche Anordnung w^eisen z. B. die
N y r 0 p sehen, nach dem Prinzip des Federdruckes konstruierten Appa¬
rate auf (E. Nyrop: Ueber die Anwendung eines Federdruckprinzipes
zur Behandlung der Deformitäten der Wirbelsäule: D. Zschr. f. orthop.
Chir. Bd. 26). Auch eine Bauchbinde an solchen Apparaten kann nicht
zu ihrer vollen Wirkung kommen, weil der doppelte Gegenhalt — oben
und unten — fehlt. Diese Arten der Rundrückenapparate können selbst¬
verständlich für bestimmte Arten des Rundrückens eine volle Wirkung
erzielen, für solche nämlich, bei denen die Stellung des Beckens und
damit die Lendenlordose normal ist, oder bei denen gar eine ver¬
minderte Beckenneigung mit verminderter, Lendenlordose besteht. Für
solche Rundrückeriformen kann .unter Umständen auch, wie die Er.-
fahrung zeigt, eine richtig angepasste Schulterschlinge oder Zwinge mit
Verbindung nach dem Becken, um das Abgleiten zu verhindern, die volle
mögliche Wirkung erzielen. Ich möchte also wohlgemerkt für unseren
Geradehalter auch eine Ausw^ahl der Fälle empfehlen; er eignet -sich
ebensowenig wie jeder andere orthojDädische Apparat einfach für fabrik-
massige Herstellung und Verabfolgung durch den Bandagist, sondern es
muss auch hier durch den Arzt streng individualisiert werden. Unter
dieser Voraussetzung aber glauben wir, dass unser Geradehalter gerade
zur .letztzeit wegen seiner verhältnismässigen Billigkeit gute Dienste
leistet.
Aus dem St. Vinzenzhause Köln.
Das pulsierende Herz.
Von Prof. L. Huismans.
Verschiedene Arbeiten von R. Geigel (in der M.m.W. 1920 Nr.46
lind Lehrbuch der Herzkrankheiten 1920) sowie von A. Hof mann
(.lahreskurse f. ärztl. Fortbild. 1921, Februarheft; Funktionelle Diagnostik
und Therapie der Herzkrankheiten, 2. Aufl., 1920; Diagnostische und
therapeutische irrtümer und deren Verhütung, 1920) veranlassen mich
zu kurzen Bemerkungen.
Ich hielt — cf. G e i g e 1 in seinem Lehrbuche, S. 66 — „das Cor
piilsans für das normale und den ruhigen Herzschatten für das Abnorme“,
womit G e i g e 1 sich nicht einverstanden erklären kann. Nach ihm
verschiebt sich normalerw’cise der 1. Herzrand diastolisch nicht, sondern
die Atrioventrikulargrenze verschiebt sich ventrikelsystolisch gegen die
Digitized by Goiisle
Spitze, diastolisch gegen die Herzbasis, während Herzbasis und -spitze
Stillstehen. Immer bedeute das Cor pulsans, dass die SchnelUgkeit der
Füllung und Entleerung an den Vorhöfen und Kammern nicht gleichen
Schritt halte. ' , x j >
Wäre Gei ge 1 mit diesen Behauptungen im Recht, dann wurden
wohl die meisten von uns sich in einem argen Irrtum befunden haben.
Schon H a r V e y (zitiert nach E. H. S t a r l i n g, Das Gesetz ^r
Herzarbeit. 1920) beginnt seine berühmte Abhandlung über die Be¬
wegung des Herzens und des Blutes mit dem Bekenntnis, er sei wxgeii
der grossen, einem Lichtblitz gleichenden Gesch\yindigkeit der Herz¬
bewegungen anfangs nicht imstande gewesen, richtig zu erfassen, wann
und wo Erschlaffung und Kontraktion vor sich gingen. Ich kann gleich
hinzusetzen, dass m. E. vom menschlichen Auge ^ine richtige Be¬
obachtung nicht erwartet werden darf. Dazu ist nur die doppelt so scharf
als das menschliche Auge sehende photographische Platte, die uns auch
die Geissein der Bakterien zu Gesicht brachte, imstande — sie sieht
nicht nur schärfer, sondern auch objektiver als das Auge.
Auch die geistvollen Untersuchungen von Starling erbrachten
den Beweis, dass zwischen der Erweiterung des Herzens und der bei
der Kontraktion entwickelten Energie ein Zusammenhang besteht: „Je
grösser, innerhalb physiologischer Grenzen, das Volumen des Herzens,
desto grösser die Energie, mit der es sich kontrahiert.“
Am normalen Herzen ist, da die Kontinuität der Blutbewegung ge¬
sichert sein muss, das Minutcnschlagvolumen, d. h. das in einer Minute
von der Kammer weiterbeförderte Blut, gleich dem in der Minute aus
den Venen ankommenden. Variabel ist das einz’dne Sekundensclilag-
volumen: es ist eine Funktion der Pulsfrequenz, ihr umgekehrt proportio¬
nal und gleich Minutenschlagvolumen dividiert durch Pulsfrequenz. Dem¬
entsprechend wirch auch die diastolische Verschiebung des 1. Herzrandes
kleiner mit der erhöhten Pulsfrequenz — allerdings nur unter normalen
Verhältnissen. Atröpinvergiftung bringt das Herz in eine kleinere dia¬
stolische Form, während pulsvcrlangsamende Einflüsse das Herz um
ein Vielfaches diastolisch vergrössern können (A. H o f ni a n n 1. c.).
In der Diastole wird das Herz rein passiv* gedehnt, soweit der vom
Parasympathikus, hier dem Vagus, regulierte Tonus der Herzmuskulatur
cs zulässt. Ich konnte sogar im Telekardiograinm nach weisen, dass das
Septum einen höheren Tonus aufweist, als die Muskulatur der Kammer¬
wände: denn ich fand, dass die diastolische Verschiebung lunulaartig die
Kammern umgibt, während das Septum deutlich zurückbleibt.
Hat nun G c i g e 1 Recht, wenn er Spitze und Basis ruhig stehen
lässt und nur die Atrioventrikulargrenze sich bewegen lässt? Zunächst
frage ich: Wie kann bei einem sich rhythmisch bewegenden Organ,
das an den grossen Gefässen aufgehängt ist, die frei im Herzbeutel be¬
wegliche Spitze als ruhig stehend angenommen werden? Das normale
Herz verkleinert sich im Ouerdurchm'esser durch Kontraktion zirkulärer
Fasern; es rotiert so, dass die seitlichen Teile nach vorne und einwärts
gegen das Septum ventriculoriim sich drehen, und seine Spitze richtet
sich auf und rückt ebenfalls nach einwärts (cf. Ludwig, A. H o f m a n n
u. a.). Diese Bewegungen sollen also nach G e i g e l im sagittalcn Rönt¬
genbild nicht in Erscheinung treten?
In Wirklichkeit stellte Moritz orthqdiagraphisch eine grösste
diastolische Verschiebung des 1. Herzrandes bis zu 7 mm'bei Morbus
Basedowi fest, ich selbst fand ebenfalls bis 7 mm Verschiebung, unter
pathologischen Verhältnissen (Mitralinsuffizienz mit Hypertrophie) bis
10 mm und A. Hof mann gar bei Bradykardie 20 mm. Sollten wir
uns denn alle geirrt haben, auch die objektiv sehende photographische
Platte?
Wäre G e i g e 1 im Recht, so müssten sich die Hauptverschiebungen
an der Stelle erweiken, wo nach ihm die grösste Bewegung vorhanden
ist, an der Atrioventrikulargrenze. Wie schon bemerkt, läuft
aber die Lunula der diastolischen Verschiebung nach dorthin spitz zu.
Nur bei Insuffizienz der Aorta und beginnender Myokarditis fand ich mit
G. Schwarz (Med. Klinik 1920/21) die hauptsächlichste diastolische
Ausbuchtung im suprapapillaren Teil direkt unter dem Annulus fibrosus.
Es handelte sich dann wohl m. E. um passive Ueberdehnung dieser
dünneren Muskelparticn durch das rückströmende Blut bei beginnender
Entartung in:d bei Erschlaffung (M.m.W. 1921 Nr. 13) oder um eine ex¬
zentrische Verschiebung bei apikaler Isometrie.
Der Grund meiner Bemerkung ist auch darin zu suchen, dass ich mit
A. Hofmann nicht einig gehe, wenn er noch jüngst sagt, dass die
Erkennung der Grösse der Bewegung des 1. Herzrandes im Einzclfalle
wohl nur geringe diagnostische Bedeutung habe, und andererseits meine
Telekardiographie als brauchbare Methode für die Kontrolle thera¬
peutischer Einwirkungen anerkennt. Ich stehe nach wie vor auf dem
Standpunkte, dass ich durch Festlegung von systolischer und diastolischer
Herzgrösse auf e i n e r Platte ein ausgezeichnetes Mittel zur Beurteilung
der Herzfunktion gewonnen habe, das-s die Funktion der l. Kammer
proportional der Verschi-ebung des 1. Kammerrandes in der Diastole ist
und dass es mir so zum ersten Male gelang, im Röntgenbild Hypertrophie
von schlaffer Dilatation zu unterscheiden.
Nicht immer habe ich allerdings bei scheinbar gesundem Herzen eine
solche Verschiebung geseben. Hier mag ausnahmsweise das eintreten.
was Geige! unterstellt. Möglich aber auch, dass dann ein Fehler bei
Einstellung der Verspätiingsuhr im Telekardiographen sich ein-
geschlichcn hatte.
Mein-e Methode hat den genialen D e s s a u e r sehen Blitzapparat
als Grundlage. Zu bedauern ist nur. dass die Anschaffungskosten sicii
dadurch nicht auf meinen Zusatzapparat, sondern auch auf den Blitz¬
apparat selbst erstrecken. Praktische Nachprüfung meiner Resultate
würde auch den grössten Skeptiker belehren.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA ; _ ^ j
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
743
Aus dem Hygienischen Institut in Kiel.
(Direktor: Prof. Kisskalt.)
lieber die Ursachen der Seltenheit der Paralyse
bei unkultivierten Völkern*).
Von Dr. W. Gärtner, Assistent am Institut.
Die bisherige Fragestellung: Ist die Paralyse bei unkultivierten
Völkern seltener als bei uns, ist nicht hinreichend exakt. Es ist zu
fragen: Besteht für 100 Syphilitische hier wie dort die gleiche Wahr¬
scheinlichkeit, an Paralyse zu erkranken? Zurzeit ist eine derartige
Untersuchung undurchführbar. Daher muss man stark verseuchte Völker
weniger verseuchten gegenüberstellen. Das beste Material bieten die
nordafrikanischen französischen Besitzungen. 1915/16 wurden zur Ein¬
dämmung der Syphilis sogen. Dispensaires antisyphilitiques eingerichtet.
Die endemiologische Erforschung ergab eine Verseuchung von 73 Proz.
Aehnliche Verhältnisse finden sich in Bosnien, Teilen der Türkei. Haiti.
In deutschen Gressstädten beträgt die Verseuchung 10 Proz., auf dem.
Lande erheblich weniger. Bei endemisch verseuchten Völkern entfällt
auf 1 syphilitische Frau 1 syphilitischer Mann. In deutschen Gress¬
städten 2,2 syphilitische Männer. Jedoch zeigen bei uns die ein¬
zelnen Berufe wesentliche Unterschiede, die sich (analog für die
Paralyse) folgendermassen ausdrücken lassen: Je höher die
Gesellschaftsklasse, um so mehr vergrössert sich
der U'n terschied in der Häufigkeit der Männer-
zuf Frauensyphilis, und je niedriger die Qe-
gesellschaftsklasse, um so mehr nähert sich das
Häufigkeitsverhältnis zu einander. Infolge fehlender Be¬
seitigung der Infektiosität liegen bei unkultivierten Völkern die Ver¬
hältnisse ungleich ungünstiger als bei uns. Früheres Infektionsalter
und viele kongenital-luetische Kinder lassen die Paralyse in einer Alters¬
klasse erwarten, die durch die grössere Sterblichkeit solcher Völker
nicht wesentlich verkleinert ist.
Sowohl die allgemein ärztliche Beobachtung als auch spezielle
Nachforschungen (Jeanselme, Moreira, Rüdin) betonen die !
Seltenheit der Paralyse. Rüdin konnte zudem feststellen, dass ihm |
als Paralytiker vorgeführte Geisteskranke nicht an Paralyse litten. In
den fremdländischen Irrenanstalten (Nordafrika, Indien, Östasien, Bra¬
silien) finden sich nur rund 0,5 Proz. Paralytiker, trotz z. T. siebenmal
stärkerer Syphilisausbreitung als bei uns. Andererseits muss man
fragen, welche Geisteskrankheiten zur Aufnahme führen, wenn selbst
die Paralytiker iin entdeckt bleiben sollen. Die relativ
wenigen fremländischen Paralytiker zeigen bezüglich des Geschlechts
eine starke Verschiedenheit. Auf eine Frauenparalyse entfallen 18 bis
31 Männerparalysen (Brasilien, Aegypten). In Preussen entspricht das
Verhältnis 1 :3,4 etwa dem der Syphilisausbreitung unter den Geschlech¬
tern. Die befallenen Berufe fremder Völker lassen Berufssoldaten,
Kaufleute, Beamte ferner Prostituierte auffallend hervor¬
treten. Landbevölkerung und Handwerker, die die Mehrzahl der Be¬
völkerung darstellen, sind fast nie vertreten.
Es muss also ein Faktor im Spiele sein, der auf die Verhältnisse
entscheidend einwirkt. Die bisherige Erklärung durch Kultur und Zivili¬
sationseinflüsse ist unbefriedigend und erklärt viele Erscheinungen nicht
oder nur unzureichend. So lässt sich nicht verstehen, warum die Ver¬
erbung „schwacher“ Gehirne zu einer organischen Erkrankung dis¬
ponieren soll. Die eingeborenen Intellektuellen sind geistige Parvenüs,
bei denen eine Einwirkung der Kultur auf die Aszendenten nicht in Frage
kommt. Ich sehe in der Unterdrückung bzw. Hinausschie¬
bung der allergischen Umstimmung im Frühstadium
der Syphilis durch nicht sterilisierende Behandlung
die wirksamste Ursache. Die allergische Umstimmung, die
sich langsam und zwar durch den Anreiz der Spirochäten in der Haut
ausbildet, bedingt den eigenartigen Ablauf der Syphilis. Am charak¬
teristischsten tritt er dadurch hervor, dass die Tertiärerscheinungen
sowohl bezüglich der Zahl der Spirochäten als auch des
klinischen Bildes von den ' Sekundärerscheinungen verschieden
sind. Bei völlig unbehandelten Fällen, die aber bei uns
mehr und mehr zurücktreten, ist diese allergische
Umstimmung in der Lage, die in der Zeit der Spirochäten¬
sepsis bedingten Viruslokalisationen mehr und mehr zuröckzudrängen.
Die Ausbildung der Allergie erfolgt, im Sekundärstadium, aber sehr lang¬
sam. Das Vermögen des Organismus, allergisch zu werden, ist indi¬
viduell sehr verschieden! (Der Bew'eis eines Virus nervosum
ist ebensowenig erbracht, wie der, dass es Stämme verschiedener
Virulenz gibt) Diese Allergieverschiedenheit geht aus den klinischen
Bildern hervor, die dem Arzt zu Gesicht kommen. Die stärkste aller¬
gische Wirkung bietet die sogen. Lues maligna dar, die ihrerseits fast
ausnahmslos mit gesundem Liquor einhergeht Das andere Extrem
ist die sogen, „milde“ Lues, die in der Vorgeschichte der Metaluetiker
gefunden wird. Zwischen diesen Extremen besteht ein fliessender
Uebergang. (Diese Verhältnisse werden am besten bei endemisch ver¬
seuchten und unbehandelten Völkern studiert, da in unseren Kulturbreiten
die meisten Kranken durch irgendwe-lche Behandlung ihre Symptome
beseitigen lassen.)
Die Behandlung der Frühsyphilis modifiziert den klinischen Ablauf.
Eine nicht zur Sterilisation ausreichende Behand-
•) Nach einem in der Kieler med. Gesellschaft gehaltenen Vortrag.
^Digitized by (jOC
lung der Frühstadien beseitigt in erster Linie die
Spirochäten in der Haut, nimmt dieser den Antigen-
reiz und dem Körper die Möglichkeit, so allergisch zu
werden, dass die an den Meningen sitzenden Herde
niedergehalten und beseitigt werden, wozu eine
schwache Behandlung meist nicht in der Lage ist. Die unzureichende
Frühbehandlung muss neben einer gewissen Intensität auch eine
gewisse Dauer haben, um Kranke mit leidlichem Allergievermögen
in Verhältnisse hineinzudrängen, wie sie bei Leuten mit schwach an¬
gelegtem Allergievermögen vorliegen. Hierdurch wächst bei uns die
„natürliche“ Zahl der Paralytiker. Andererseits lässt gerade das Be¬
fallensein der Berufssoldaten, Kaufleute, Beamten und
Prostituierten fremder Völker vermuten, dass ihnen eine solche
Behandlung zuteil geworden ist. Die symptomatische Behandlung, der
sich die niedrigsten Schichten dieser Völker im besten Falle unter¬
werfen, ist in dieser Beziehung günstiger zu beurteilen. So erklärt sich
auch, dass die Paralyse in Deutschland von der Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts stetig zunimmt, während sie früher ganz ausgesprochen selten
war, was nicht allein durch die schlechte Erkennungsmöglichkeit erklärt
werden darf (M ö n k e m ö 11 e r). Auch erklärt sich so. dass 15 Jahre
nach Einführung der Krankenversicherung, die damals fast ausschliess¬
lich den Männern zugute kam und nach Einführung der unlöslichen
Ouecksilbersalze, die in dieselben Jahre fällt, bei den Männern eine
deutliche Zunahme der Paralyse in Preussen auftrat. Die in der
Literatur niedergelegten Angaben über besondere Disposition einzelner
Rassen und Völker (z. B. Juden, Ungarn) beruhen auf statistisch¬
methodologisch falschen Berechnungen. Die Paralytiker sind auf
100 Geisteskranke überhaupt bezogen, dabei ist aber nicht einmal der
variable Faktor des exogenen Psychosen (bei Juden fehlen die Alkohol¬
psychosen fast absolut!) ausgeschaltet, sodann ist die Syphilisdurch-
seuchung der Rassen nicht berücksichtigt, die wieder durch die wirt¬
schaftlich-soziale Gliederung, die Kulturhöhe (Unterdrückung der Infek¬
tiosität durch die Behandlung) und durch andere Faktoren massgebend
beeinflusst wird. Im allgemeinen werden auch aus zu kleinem Material
allgemeingültige Schlüsse gezogen. Es muss die Paralysehäufigkeit
ganzer Staaten unter Berücksichtigung der Syphilisausbreitung innerhalb
der Geschlechter ermittelt werden. Die Ergebnisse sind nur bei
grossen, statistisch erfassbaren Unterschieden verwendbar.
Bezüglich der oft aufgestellten Behauptung, dass die Syphilis heut¬
zutage bei uns leichter verlaufe als früher, da das Volk verseucht sei,
gewisserrnassen eine ererbte Immunität besitze, ist nach Kisskalt
darauf hinzuweisen, dass dieses nach dem vorliegenden Zahlenmaterial
nicht richtig sein kann. Unter der deutschen Grossstadtbevölkerung hat
man höchstens 10 Proz. Syphilitiker zu rechnen, unter der Land¬
bevölkerung sind es aber viel weniger. Da nun ein beträchtlicher Teil
j der Grossstadtbevölkerung vom Lande stammt, ist nicht verständlich,
! woher diese ererbte Immunität kommen soll.
In neuerer Zeit ist die Ansicht ausgesprochen worden, dass hohes
und längere Zeit anhaltendes Fieber den Rückgang meningealer Spiro¬
chätenlokalisationen begünstige und so auf die Verringerung der Para¬
lysehäufigkeit hinwirke. Letztere Annahme habe ich früher auch ver-
I treten, kann ihr aber heute nur noch eine untergeordnete Bedeutung ein-
I räumen. Tatsächlich scheint die Kultur in diesem Sinne fördernd zu
I wirken, da sie gerade die gehobenen Berufe fremder Völker vor fieber¬
haften Krankheiten bewahrt und damit die durch Fieber gesteigerte
Anregung der (unspezifischen?) Zellimmunität unterdrückt. Aber es
spricht neben anderen Gründen dagegen, dass die langdauernden Fieber
unkultivierter Völker meist vor der Luesinfektion überstanden werden.
Sodann ist zu bedenken, dass in den verflossenen Jahrhunderten bei uns
die Paralyse selten war, trotzdem die hochfieberhaften Krankheiten nicht
die Rolle spielten, wie noch heute bei unkultivierten Völkern.
Aus der 11. Gynäkologischen Klinik der Universität München.
(Vorstand: Prof. Dr. Weber.)
Zur Proteinkörpertherapie mit Albusol, einem Eiweiss¬
körper, der keine örtliche Reaktion und keine Anaphylaxie
verursacht.
Von Sanitätsrat Dr. Aman.
Die Proteinkörpertherapie gewinnt von Tag zu Tag grössere Be¬
deutung. Die Heilerfolge mit dieser unspezifischen allgemeinen Zell¬
aktivierung sind ausnahmslos anerkannt. War auch die altbekannte
Bluttransfusion, wie Bier mit Recht sagt, nichts anderes als Protein¬
körpertherapie, so war doch Weichardt der erste, der das äusser-
lich so verschieden erscheinende, innerlich aber zusammenhängende
Gebiet der unspezifischen Therapie einheitlich unter dem Gesichtswinkel
der Leistungssteigerung zusammenfasste. Er sprach auch schon von
Zellaktivierung, dachte also schon an Wirkung der Proteinkörper auf die
ganze Zelle.
Bisher stand der Proteinkörpertherapie immer wieder der Umstand
hinderlich im Wege, dass bei Benützung der vorhandenen Mittel oft
nicht die Zellaktivierung in dem gewünschten Masse erreicht werden
konnte, da sich Nebenerscheinungen, oft schon bei der ersten Injektion,
zeigten, die die Fortsetzung der Behandlung erschwerten oder un¬
möglich machten.
Original from 5
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
744
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
Untersuchungen, die mehr als 2 Jahre fortg-esetzt wurden, führten
zu dem Ergebnisse, dass sich zur Proteinkörpertherapie nur ein Eiweiss¬
präparat eignet, das zwar die volle Eiweisswirkung, aber keine störende
Nebenwirkung durch Bakterien oder deren Produkte, durch keine Pto-
niaine, keine Fermente und besonders auch keine Salze erzeugt.
In der Milch und dem Kasein, den meist verwendeten Präparaten,
finden sich Salze, die kolloidchemisch antagonistisch wirken (kolloid¬
lockernd und kolloiddichtend). Ihr Vorhandensein ist also äusserst
störend. Sie müssen möglichst vollständig, jedenfalls aber soweit ent¬
fernt werden, dass sie in keiner wirksamen Menge mehr vorhanden sind.
Die möglichst sterile Gewinnung des Ausgangsproduktes und dessen
sofortige Verarbeitung allein kann von der unerwünschten Mitwirkung
von Bakterien und deren Produkten und den Ptomainen schützen. Ein
Ausgangsprodukt, das pathogene Bakterien enthält, ist von der Weiter¬
verarbeitung auszuschliessen. Die ständige bakteriologische Kontrolle
dvs Präparates in allen Phasen seiner Herstellung und das Passieren
der erzielten Lösung durch ein sicheres Bakterienfilter gewährleistet
die Abwesenheit unerwünschter Beimengungen zu dem Präparate. Etwa
im Ausgangsprodukte, der Milch, vorhandene Fermente werden, soweit
als möglich, durch Erhitzen auf 100® im Laufe der Präparation unwirk¬
sam gemacht.
Ein Produkt, das diesen Anforderungen entspricht, wurde schliesslich
im 1 b u s 0 1“ gewonnen D. Dasselbe reagiert neutral und hat 'eine
rein chemisch-physikalische Wirkung.
Wird salzfreies Eiweiss parenteral zugeführt, so wirkt es lockernd
auf die Zellkolloide und aktiviert die Zelltätigkeit (Resorption, Funktion,
Proliferation). Durch die Kolloidlockerung ist der Austausch der Stoffe
im Zellinnern mit dem umgebenden Medium erleichtert, die Aktivierung
beschleunigt sie und macht sie intensiver.
Unter den Stoffen, die die Zellen bei ihrer Lebfenstätigkeit an das
umgebende Medium abgeben, sind die Fermente von grosser Bedeutung.
Sie sind die Regulatoren der Lebensvorgänge. Je nach Zugehörigkeit
der gleichen Zellart zu verschi-edenen Organen oder Organteilen sind
die Zellen befähigt, verschiedene Fermente zu produzieren (s. Ver-
dauungstraktus). Jedenfalls ist es sicher, dass die Zelle auf bestimmte
Reize mit vermehrter Fermentproduktion antwortet. Es ist aber nicht
recht «ersichtlich, wie die Zellen auch imstande sein sollen, auf den Reiz
jedes in den Körper eingedrungenen Bakteriums oder anderen Antigens
hin mit der Produktion eines eigenen Antikörpers antworten zu können.
Die Zelle wird auf den R'eiz hin die ihr physiologisch zukommenden
Produkte, die ihr spezifischen Fermente liefern und die sogen. Anti¬
körper werden mit diesen Fermenten identisch sein.
Kommt es durch die Proteinkörpertherapie zur Zellaktivierung, so
«entsteht also eine gegen das physiologische Mass mehr oder minder
erhebliche Ueberproduktion von Fermenten. Ihr Vorhandensein genügt
aber allein noch nicht, um sie zur Wirkung kommen zu lassen und ein¬
gedrungene Bakterien z. B. abzutöten und zu beseitigen, öder sonstige
pathologische Zustände zu beeinflussen. Der wirksame Fermentanteil
erscheint an einen Eiweissbeglejtkörper gebunden, von dem er sich
trennen muss, um wirken zu können. Unter gewöhnlichen Verhältnissen
erfolgt die Trennung von wirksamem Fermentanteil und Begleitkörper
langsam und allmählich, dem Bedarfe entsprechend unter Einwirkung
von Stoffen, die die Trennung veranlassen. Beschleunigt kann die Tren¬
nung werden in vitro z. B. durch Schütteln der fermenthaltigen Flüssig¬
keit mit einem Polysaccharide (Inulin), oder durch das Vorhandensein
eines Antigens (chemische Bindung). Infiziert man beispielsweise einen
Organismus mit Diphtheriebazillen und spritzt gleichzeifig einen in¬
differenten Proteinkörper ein, so wird dieser die Ueberproduktion an
Fermenten hervorrufen, das spezifische Diphtheriegift seinerseits wird
die raschere Trennung des wirksamen Fermentanteils vom Begleitkörper
besorgen, so dass der wirksame Fermentanteil sich auf die Diphtherie¬
bazillen stürzen und sie unschädlich machen kann. Von diesem Stand¬
punkte aus besteht die Ansicht B i n g e 1 s von der Wirksamkeit un¬
spezifischen Serums bei Diphtherie zu Recht. Ist ein (Organismus an
Diphtherie erkrankt und wird Diphtherieserum eingespritzt, so wirkt der
eiweisshaltige Bestandteil des Serums im Sinne der Leistungssteigerung,
der Fermentüberproduktion; der im Heilserum «enthaltene, spezifische
Stoff veranlasst die raschere Trennung von wirksamem Fermentbestand¬
teil und Begleitkörper. Haben im Körper die Bazillen sich zu gross-en
Massen vermehrt und kommt die Fernientanregung zu spät, so ist der
von der Wirkung des Giftes bereits geschwächte Organismus nicht
mehr imstande, mit der entsprechenden Zellaktivierung und Ferment¬
produktion zu reagieren.
ln besonderen Fällen kann es dazu kommen, dass die Bakterien in
grosser Zahl abgetötet, das aus ihnen freiwerdende Gift aber nicht
mehr unschädlich gemacht werden kann.
Bestimmte Bakterien (Tuberkelbazillen z. B.) oder bestimmte patho¬
logische Veränderungen sind nur bestimmten Fermenten zugänglich. Es
käme also darauf an. gerade die Ueberproduktion bestimmter Fermente
anzuregen. Ob dies vielleicht dadurch möglich ist. dass man eine ge¬
nügende Dosis Proteinkörper in ein bestimmtes Zellager (Epithelien.
Bindegewebe, Blut «etc.) bringt, darüber fehlen noch genügende Er¬
fahrungen.
Dass auch die Leistungsfähigkeit der Zellen ihre Grenzen hat. ist
ja begreiflich. Ist der Reiz durch parenteral zugeführte Proteinkörper
nicht zu gross und wird er nicht in zu kurzen Intervallen wiederholt, so
kann sich die Zelle von der erhöhten Energieproduktion wieder erholen
und in gewi sser Zeit wieder zu einer gleichen Leistung fähig siMn.
*) Herrn Prof. Dr. Weber danke ich an dieser Stelle für die freund-
Mclie Ucberlassung seiner Laboratorien zu den Arbeiten.
Digitized by Google
Zu grosse Dosen und. zu häufig wiederholte parenterale Zufuhr von
Eiweiss führt zu Erschöpfung der Zellen, ja zum Zelltode. (Proteinogene
Kachexie, Weichardt-Schittenhel m). Werden zu grosse
Mengen von Fermenten hervorgerufen und zu schnell der wirksame
Fermentanteil vom Begleitkörper getrennt, so kommt es zur Vergiftung
durch die F-ermente und eventuell zum Tode. Anaphylaktischer Schock.
Die Dosis, die bei der Proteinkörpertherapie verwendet wird, ist
von ausschlaggebender Bedeutung. Strengstes Individualisieren ist nötig.
Geht man stets von dem Gedanken aus, dass die Proteinkörpertherapie
eine vermehrte Fermentproduktion und eine entsprechend rasche Tren¬
nung von wirksamem Fermentanteil und Begleitkörper erreichen soll,
so ist damit schon der beste Wegweiser gegeben.
Ehe das A 1 b u s o 1 zu therapeutischen Zwecken Verwendung fand,
wurde es auch noch andererseits geprüft. Es erwies sich dort als
steril und ungiftig für Tiere. Die Ueberempfindlichkeitsversuche mit
Albusol verliefen nach den BeH’ichten so, dass kein einziges der damit
präparierten Tiere nach Reinfektion zugrunde gegangen ist.
Die Herstellung in 3,5 und 5proz. Lösung in 1 ccm-, 2 ccm- und 5 ccm-
Dosen ermöglicht eine weitgehende Abstufung der Wirkung. Ueber die
Indikation und Dosis finden sich in der Gebrauchsanweisung die näheren
Angaben.
Das Präparat wird hergestellt von der Chemischen Fabrik Dr. Ivo
D e i g l m a y r, München 25.
Carl Dehio zum 70. Geburtstag.
(7. Juni 1921.)
Fern von Deutschland, in seiner baltischen Heimat, begeht Carl
D e h i 0 am 7. Juni 1921 seinen 70. Geburtstag. Seine Gedanken wer¬
den an diesem Tage zwischen Deutschland und seiner Heimat geteilt
sein: nicht nur, dass ein Teil seiner Angehörigen, auch seiner Kinder,
sich in Deutschland befindet, als Kliniker gehört Dehio zu uns Reichs¬
deutschen, trotzdem er niemals an einer deutschen Universität ge¬
lehrt hat.
Aber Dorpat galt seit vielen Jahrzehnten als eine fast reichs-
deutsche Universität; seine Dozenten pflegten die nächsten Be¬
ziehungen zu uns. Niemand, der vor dem Kriege die Kongresse für
innere Medizin besucht hat wird die auffallend scharf geprägten Züge
Carl Dehios vergessen.
Näher noch ist er uns Reichsdeutschen dadurch getreten, dass er
der Rektor der Kaiserlich Deutschen Universität Dorpat gewesen ist,
die im Jahre 1918 den Traum einer Kultureinheit zwischen Baltenland
und Deutschland wahrzumachen unternommen hatte.
Diesem Manne gelten zu seinem 70. (jeburtstage unsere Glück¬
wünsche ganz besonders, denn er hat die Treue zu seiner Wissenschaft
und zu seinem Volkstum in schwe¬
ren Jahrzehnten bewahrt. Wir, die
wir damals im Baltenland gewesen
sind, haben uns dort davon über¬
zeugen können, wie gewaltig die
Hand der russischen Kulturnach¬
ahmung auf denen gelastet hat, die
versuchten, ihrer alten ererbten
Kultur treu zu bleiben. Dazu hai
Carl Dehio gehört. Ein ge¬
rechter Sinn freilich hatte ihn die
Wünsche des russischen Volkes und
auch der Esten, in deren Mitte er
aufgewachsen w'ar. verstehen
lassen. Auf seine Veranlassung ist
den Wünschen der estnischen Stu¬
dierenden und der estnischen Be¬
völkerung bei der reichsdeutschen
Universität Dorpat nicht nur wohl¬
wollend, sondern gerecht nach¬
gekommen worden.
Carl Dehio wurde in Reval
geboren, wo er einer alten, t'^otz
ihres romanischen Namens deutsch¬
baltischen Familie entstammte.
Seine Studien führten ihn nach Dorpat, 1877 promovierte er mit einem
„Beitrag zur pathologischen Anatomie der Lepra“ in Dorpat, wo er
Assistent von Alfred Vogel wurde. In diesen Jahren führte ihn der
Serbische und später der Türkische Krieg auf den Balkan, wo er Ge¬
legenheit hatte eine grössere Anzahl von Fällen der damals noch wenig
bekannten Krankheiten des östlichen Europa zu studieren: im Anschluss
daran hielt er sich längere Zeit in Wien zu Studienzwecken auf und
wurde dann 1879—81 zunächst Assistent, dann ausseretatsmässiger Arzt
am Hospital des Prinzen von Oldenburg in Petersburg. Seine aka¬
demische Laufbahn begann er im Jahre 1884 als Privatdozent in Dorpat.
2 Jahre darauf wurde er zum a. o. Professor und zum Direktor der med.
Poliklinik ernannt. 1888 wurde er ordentlicher Professor zunächst eben¬
falls an der Poliklinik, mit der im Dorpater Stadtkrankenhaus eine medi¬
zinische Abteilung verbunden war. Im Jahre 1903 übernahm er die
medizinische Klinik, deren Leitung er im Jahre 1917 niederlegte.
Die Verhältnisse waren für den Lehrbetrieb nicht sehr günstig,
denn die nur sehr kleine Bettenzahl (75) und der nur etwa für
Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
745
100 Zuhörer Raum bietende Hörsaal wurde von einer ausserordentlich
grossen Anzahl russischer Studenten überflutet. Die russische Lehr¬
sprache wurde Pflicht der Dorpater Lehrer. Dorpat bot in jenen Jahren
einen besonderen Anziehungspunkt für die russischen Studenten. Die
Ueberfüllung der klinischen Fächer erschwerte den Unterricht in ihnen
sehr erheblich. Dass D e h i o trotzdem Zeit und Gelegenheit gefunden
hat, wissenschaftlich tätig zu sein, ist das Zeichen seiner ungebrochenen
geistigen Kräfte und seiner ungewöhnlichen Energie. In erster Linie
blieb er dem Thema seiner Doktordissertation treu. Die Lepra, ihre
Ursache, ihre Klinik und ihre Bekämpfung bildet noch heute eines
seiner Hauptarbeitsthemen. Seinem Verdienste und seiner Erkenntnis
sind viele Fortschritte in der Bekämpfung dieser, Krankheit in seiner
Heimat zu danken. Auch die anderen im Osten Europas häufigeren In¬
fektionskrankheiten hat er wiederholt wissenschaftlich bearbeitet, so
z. B. im Handbuch der praktischen Medizin von Ebstein und Schwalbe.
Weitere Arbeiten beschäftigen sich mit krankhaften Zuständen des
Herzens und des Magens. Als ein besonderes Verdienst wurde ihm von
seinen baltischen und russischen Kollegen nachgerühmt, dass er im
Weltkriege auf der russischen Seite als Erster das dort sog. Schützen¬
grabenfieber, unser Fünftagefieber, erkannt und beschrieben habe.
Jedenfalls besitzt er eine besonders grosse Kenntnis gerade derjenigen
Infektionskrankheiten, die uns in Mitteleuropa seltener zur Beobachtung
kommen, und es war daher für uns reichsdeutsche Aerzte, denen der
Weltkrieg ähnliche Erfahrungen vermittelt hatte, ein besonderer Ge¬
nuss, mit ihm die Klinik dieser Krankheiten zu besprechen.
Den Angehörigen des russischen Reichs wurde vor dem Weltkrieg
das Reisen leicht gemacht. So l at auch D e h i o das russische Kaiser¬
reich nach verschiedenen Richtungen hin durchmessen. Er hat auch
nie versäumt, deutsche Hochschulen und deutsche Aerzte aufzusuchen
und mit ihnen Gemeinsames zu erörtern. Seine klare, die Gegenstände
der Erörterung scharf umreissende Art, seine ilebenswürdige und der
Persönlichkeit des anderen gerecht werdende Form der Unterredung,
seine kluge Darlegung von verwickelten Verhältnissen hat es uns allen
zur besonderen Freude gemacht, mit ihm zusammen zu arbeiten. Ich
kann mich noch genau erinnern, wie er mir auf einem der ersten.
Kongresse für innere Medizin, den ich besuchte, wenn ich nicht irre
im Jahre 1901, durch eben diese Eigenschaften einen besonderen imd
tiefen Eindruck machte. Um so dankbarer und um so herzlicher habe
ich es als eine gütige Fügung des Geschicks empfunden, als ich 1918
in Dorpat sein Nachfolger wurde. Seinen Geist an der Klinik aufrecht
zu erhalten und ihn fortzupflanzen, habe ich als eine meiner besonderen
Aufgaben erkannt und ausgesprochen.
Ich habe das Glück gehabt, dem 70jährigen in einer für ihn und
uns bedeutungsvollen Zeit nahezutreten und zu dem Glück die grössere
Freude genossen, von ihm seiner Freundschaft gewürdigt zu werden.
So darf ich denn als einer der vom Geschick Berufenen ihm zu
seinem Festtage im Namen der deutschen inneren Mediziner und der
deutschen Gelehrten, die ihn an der Kaiserlich Deutschen Universität
Dorpat umringten, unser aller herzlichste Glückwünsche aussprechen
und ihm wünschen, dass die Wolken, die seine Heimat bedrohen, sich
allmählich zerstreuen mögen und dass ihm das Schicksal noch ver¬
gönnen möge, nicht nur dort, sondern auch hier an seinen Kindern Zeuge
dessen zu sein, was wir alle 1918 so dringend für das „Deutsche
Wesen“ erhofften. J. Grober -Jena.
Für die Praxis.
Die Behandlung der nervösen Dyspepsie.
Von Prof. Hans Curschmann-Rostock.
Das Wichtigste und oft Schwierigste bei der Behandlung der
.„nervösen Dyspepsie“ ist ihre Diagnose. Man hatte es früher
leichter mit ihr, als man noch mit Leube (1879—84) die Dia¬
gnose auf Grund gewisser fixer Symptome und des Ausschlusses grober
sekretorischer und motorischer Magenstörungen stellte oder mit
G. Dreyfus (1908) die psychiatrische, recht vielartige Komponente
diagnostisch durchaus in den Vordergrund rückte. Auch Strümpell,
der klassische Schilderer dieses uneinheitlichsten Krankheitsbegriffes,
bekennt jetzt (1921), dass früher viel Fehldiagnosen gestellt worden seien,
«h« man — hauptsächlich durch die Röntgentechnik und die operativen
Autopsien — die Häufigkeit der Ulcera ventriculi und duodeni und ihrer
mannigfaltigsten Folgeerscheinungen kennen gelernt habe. Was für die
Ulcera gilt, gilt auch für die Gallenblasenerkrankungen, für die Entero-
ptosen, wenn einerseits hochgradige Gastroptose und -atonie, anderer¬
seits Ren permobilis im Vordergrund stehen, und endlich auch für die
groben konstitutionellen Sekretionsstörungen des Magens und Pankreas,
die (laut neueren Untersuchungen Fr. Weinbergs) sicher allermeist
iunktionell, nicht organisch begründete Achylia Simplex Fr. Martins’.
Damit ist die Fülle der diagnostisch konkurrierenden Magendarmerkran¬
kungen natürlich nicht erschöpft; sie ist aus dem Register dieses Ka¬
pitels in jedem Lehrbuch zu ergänzen.
Aus der Vielheit der differentialdiagnostischen Irrtümer schon ergibt
sich die unbedingte Notwendigkeit genauester Untersuchung der Organe
und ihrer Funktionen durch Sekretions- und Motilitätsprüfung, durch
Röntgenschirmbeobachtung (ja nicht nur durch einzelne Bilder, diese
Hauptquellen des Irrtums!), durch Darmfunktionsproben und digitale,
event. endoskopische Untersuchung des Rektums usw. Der D e j e r i n e -
Duboissche Standpunkt der Vernachlässigung der Organuntersuchung
— um den Kranken nicht noch intensiver auf diese Organe hinzulenken —
ist längst überwunden, nachdem er zweifellos oft Schuld daran gewesen
ist dass nicht nur Ulcera, sondern auch Karzinome des Magens und
I>arms bis zur Inoperabilität als „psychogene“ Dyspepsien geführt und
misshandelt wurden.
Gewiss geben wir heute zu, dass der Standpurüct L e u b e s, die ner¬
vöse Dyspesie als reine Organneurose und Morbus sui generis, einseitig
und die psychopathologische Betrachtung der Dinge (Strümpell,
W i 11 m a n n s, Q. Dreyfus) ein Fortschritt wenn auch wiederum
in einseitiger, dafür aber wichtiger Richtung war. Die Differential¬
diagnose, dies Fundament der Therapie, muss aber noch mehr ver¬
breitert werden, wenn man nosologisch folgerichtig verfahren und die
nervöse Dyspepsie mit Strümpe 11 und Dreyfus auf die psycho¬
gene beschränken und einengen und zum Objekt einer Psychotherapie
machen will. Zu diesen gehören aber nicht die Zustände, die pri¬
märe oder sekundäre „Organneurosen“ im Sinne Ad.
Schmidts bedeuten. Um von ersteren einige zu nennen: der
Kardio- und Pylorospasmus, die gastrische und intestinale Hypertonie
und die Rumination (wenn sie auch natürlich, wie alle Vagotonien oder
pathologische Bedingsreflexe, ihre koordinierte psychische Ano¬
malien zeigen und Psychisches und Somatisches sich auch hier in cir-
culo vitioso ständig beeinflussen). Von letzteren, den. sekundären Organ-
neurosen, nenne ich nur einige wenig beachtete, aber wichtige: vor allem
die Magenäquivalente der Migräne, die entweder für sich (besonders
in der Kindheit) oder (nach der Pubertät) mit echter Hemikranie alter¬
nierend oder dieser ihre Symptome bis zur Verdrängung des hemi-
kranischen zerebralen Syndroms beimengend, weit häufiger sind, als das
Lehrbuch lehrt; alsdann — diesen Magenäquivalenten verwandt — die
„Krisen“ des Magens und Darms, wie sie bei Tabes, bei Baucharterio¬
sklerose, bei Intoxikationen (Tabak, Blei!) und — bisweilen — ohne
jede erkennbare Ursache Vorkommen; die begleitende Blutdmcksteigei-
rung kennzeichnet sie als Reizungszustände im Splanchnikusgebiet Zu
den sekundären Organneurosen rechne ich auch die endokrin bedingten.
Als klinisch wichtig, da mannigfaltig und häufig, nenne ich z. B. die
funktionellen Dyspepsien bei normalen und krankhaften Funktions¬
änderungen des weiblichen Genitalapparates (Pubertät, Chlorose, Gra¬
vidität, Klimax!), bei Funktionsstörungen der Schilddrüse (mannigfaltig¬
sten Formen und Graden des Hypo-, Hyper- und Dysthyreoidismus). der
Nebenschilddrüsen („Magentetanfe“, hier enge Beziehungen zu primären
spastischen Neurosen, vor allem dem Pylorospasmus), der Nebennieren
(Addisondyspepsie), der Hypophyse (wohl nur bei der Simmondsschen
Kachexie) usw. Experimentell ist der Einfluss der endokrinen
Organextrakte auf die Magenfunktion vor allem von F. Boenheim an
meiner Poliklinik genau studiert worden.
Alle diese genannten „primären oder sekundären Organneurosen“
sind sicher nicht psychogenen Ursprungs, stellen aber doch funk¬
tionelle Dyspepsien dar und wurden zum grossen Teil zur alten
nervösen Dyspepsie gerechnet. Ihre Behandlung ist natürlich auch keine
oder sicher keine reine psychotherapeutische, sondern variiert je nach
der Ursache der Funktionsstörung. Bei den Spasmen des Magens
werden Atropin und Papaverin, bei den splanchnogenen Krisen dieselben
Mittel oder auch Adrenalin (intravenös) und selbstverständlich die Be¬
handlung des Grundleidens (Lues, Nikotin, Blei, Arteriosklerose), bei den
Migräneäquivalenten eine Chinin-, Arsen- oder Bromtherapie nebst
Diät- und physikalischer Behandlung und grundsätzliche Kupierung des
Anfalls mit einem Antineuralgikum die wichtigste Rolle spielen. Bei den
endokrin bedingten Dyspepsien wird die bekannte typische Therapie (z. B.
des Hyper- oder Hypothyreoidismus, der Chlorose und der klimakteri¬
schen Neurose etc.) Platz greifen. Dass daneben — z. B. bei etwa
aufgepfropfter Karzinomphobie oder sonst überwertiger Wirkung der
Störung auf die Psyche — auch solche Fälle durch verständige Auf¬
klärung („Persuasion“) beeinflusst werden können und müssen, ist selbst¬
verständlich, aber nicht hauptsächlich.
Herrschend ist dagegen die Rolle der Psychotherapie bei allen
echt psychogenenDyspepsien. wie sieStrümpell.Will-
m a n n s und vor allem G. Dreyfus geschildert haben: bei Psycho¬
pathen hypochondrischer Natur, bei konstitutioneller und erworbener
Neurasthenie (letztere eine Komponente und ein Teil der Kriegsdys¬
pepsien!), bei Hysterie und bei Zyklothymie. Um mit der letzteren,
noch immer zu wenig beachteten zu beginnen: diese leichteste Form
des manisch-depressiven Irreseins geht fast stets mit — oft ganz domi¬
nierender — Dyspepsie einher. Auch bei ihrer Erkennhng ist „die'Ana¬
mnese alles, der Befund nichts“. Das streng Periodische der
meist ganz überwiegend depressiv gestimmten Seelenstörung ist meist
leicht festzustellen. Energisch tröstende Persuasion über die Harmlosig¬
keit und die absolut sichere zeitliche Beschränktheit des Leidens ver¬
mag hier (trotz des reinen Psychosecharakters) viel. Aus denselben
Gründen und auch wegen der zeitlichen Begrenzung des Leidens haben
wir bei ihnen das Recht und die Pflicht, Sedativa oder auch Narkotika
(z. B. bei Erregung, Angst, Schlaflosigkeit) anzuwenden in ganz anderem
Masse, als bei „gewöhnlichen“ Psychopathen und Neurotikern. Milieu¬
wechsel, klinische'oder Sanatoriumsbehandlung sind — bei verständiger
Umgebung und Schonungsmöglichkeit — durchaus nicht immer nötig, oft
direkt unnötig; Kurorte und Trinkkuren haben natürlich erst recht keinen
Zweck. Die Diät richte sich nach dem Appetit und der Toleranz des
Kranken. Eine starre oder halbstarre Diätliste wäre Unfug. Harmlose
Magenmittelchen sind erlaubt, da symptomatisch oft angenehm.
Die hypochondrisch gefärbten Dyspesien der Psychopathen und
Neurastheniker bedürfen in erster Linie energischster Aufklärung (stets
nach und auf Grund genauer Untersuchung) und der Gesundheitsprokla-
Digitized by
Google
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNfA
746
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
mierung, die auch das sofortige grundsätzliche Aufgeben der ganzen bis¬
herigen »JVlagentherapie“ (Diät, Spülungen etc.) bedeutet. Bisweilen
hilft diese „persuadierende“ Methode prompt und auf lange. Wenn sie
versagt, halte ich halb oder ganz suggestiv wirkende Mittel für erlaubt,
wie elektrische und sonstige pysikalische Methoden, allgemeine Toni-
sierung, auch Medikamente, besonders wenn sie einer etwaigen be¬
sonderen Störung erfolgreich entgegenarbeiten und durch diesen Erfolg
^e Suggestibilität des Patienten erhöhen: bei überwiegender Super¬
azidität. bei Obstipation, bei Sub- und Anazidität wird man mit den
üblichen und harmlosen Mitteln gute symptomatische und damit
psychotherapeutische Erfolge erzielen. Man kann die bei diesen auch
körperlich so oft degenerierten Menschen zweifellos nicht seltenen
Sekretionsanomalien des Magens und die gleichzeitigen motorischen des
Darms nicht immer prinzipiell „mit Nichtachtung strafen“, wie das
Dubois und G. Dreyfus wollten. Man muss spezielle Ueberempfind-
lichkeiten und Intoleranzen auch hier nicht selten beachten (wenigstens
im Beginn), um als Arzt nicht durch symptomatische Misserfolge an
Vertrauen und Suggestionskraft einzubüssen. Dass Sanatorien, Kurorte
und Trinkkuren auch hier oft überflüssig, ja als das Krankheitsbewusstsein
fixierend nicht selten schädigend sind, sei bei diesen Fällen besonders
hervorgehoben. Einer eingreifenden Psychotherapie (Hypnose, Psycho¬
analyse u. dgl.) bedürfen diese Patienten meist nicht, es sei denn, dass
bestimmte Phobien, Reminiszenzen, Zwangsvorstellungen etc. ätio¬
logisch wirksam sind.
Diese letzteren sind ungemein häufig die Ursache der groben und
naiven Formen der hysterischen Dyspepsien, die sich in Anorexie
(scheinbarer oder simulierter) Nahrungsenthaltung, habituellem Erbrechen,
„ungeheuren Magenschmerzen“, stündlich und täglich u. a. m äussem.
Oft konnte ich als Quelle der häufigsten Form, des habituellen Erbrechens,
eine bewusste oder halb verdrängte Ekelreminiszenz feststellen. Bei
diesen Hysterikern genügt (eben wegen des Fehlens des „Gesundheits¬
gewissens“) die vemunftmässige Persuasion meist nicht; hier ist eine
der Psyche des Patienten angepasste Suggestionsbehandlung notwendig,
vom heilsamen Schrecken des Magenschlauchs und der Faradisierung
bis zu den zarteren Methoden der Hypnose und Analysebehandlung.
Habituelles Erbrechen als Folge von Ekelreminiszenzen, die zwangs-
mässig bei jeder Nahrungsaufnahme wiederkehrten, habe ich öfters durch
wenige Hypnosen heilen sehen. Vor allem ist aber hier die alte Ch ar-
c 0 1 sehe Forderung der Loslösung aus dem bisherigen Milieu zu erfüllen.
Die Hysterischen sind aus der Umgebung, die ihnen ständig nolens volens
Krankheitssuggestionen liefert zu entfernen und einer Klinik oder Heil¬
anstalt zu übergeben. Dies gilt ganz besonders für die hartnäckigen
Nahrungsverweigerer (zumal sich unter diesen auch pseudohysterische
degenerative Psychosen verstecken). Sie müssen mit Energie, falls die
sanfte Psychotherapie versagt zur Besserung gezwungen werden;
ganz, wie das M. K a u f m a n n für die Kriegshysterien vorgemacht hat
Medikamente sind als Suggestiva bei diesen hysterischen Dyspep¬
sien natürlich erlaubt oft geboten; man vermeide aber Narkotika und
schwerere Sedativa! Die Diät passe sich, falls man die Patienten zur
Nahrungsaufnahme veranlasst und das Erbrechen beseitigt hat auch hier
der Neigung und subjektiven Toleranz an, da wir wissen, dass die
launenhafte Magenfunktion, insbesondere die Sekretion, durch der Appe-
tenz entsprechende Ernährung in noch höherem Masse günstig beein¬
flusst wird, als dies normalerweise der Fall ist
Zusammenfassung: 1. Das A und O der Therapie der
nervösen Dyspepsie ist ihre Diagnose; die genaueste Untersuchung
des Verdauungsorgans ermöglicht uns erst zahlreiche differential-
diagnostisch wichtige Organleiden auszuschiiessen. 2. Man muss
unterscheiden zwischen nervösen und psychogenen
Dyspepsien. Zu ersteren gehören die isolierten primären Organ¬
neurosen (z. B. Kardiospasmus) und die sekundären oder symptomati¬
schen Organneurosen (z. B. Migräneäquivalente) und vor allem die
endokrin bedingten. Bei den nicht psychogenen primären und sekun¬
dären Organneurosen richtet sich die Therapie nach der Aetologie, be¬
darf also der psychischen Methoden meist nicht 3. Unbedingte Ob¬
jekte der Psychotherapie sind die echt psychogenen Dyspepsien der
Psychopathen, der Neurastheniker, der Hysterischen und auch der Zykl(^
thymen; für letztere sind daneben Sedativa oder Narkotika erlaubt, oft
geboten. _
FomniüdDosvortraoB idu uehersicntsrefenitB.
Aus der medizinischen Klinik des Marienkrankenhauses
in Frankfurt a. M.
Blutung und Blutstillung.
Von Richard Stephan in Frankfurt a. M.
Unter dem Begriff der Blutung fassen wir jene Vorgänge zusammen,
bei denen die Blutflüssigkeit das an einer beliebigen Stelle in seiner
Kontinuität verletzte Gefässsystem verlässt und an die freie Oberfläche
oder in das Gewebe sich ergiesst. Es ist durchaus angebracht, die Not¬
wendigkeit der Gefässläsion zu betonen, um irrtümlichen Begriffen über
„innere Verblutung“ in das Splanchnikusgebiet bei veränderter Blut¬
verteilung zu begegnen und dadurch eine einheitliche Auffassung über den
therapeutischen Weg der Blutstillung anzubahnen. Nach dem Sitz der
Austrittsstellen werden arterielle, venöse und parenchymatöse Blu¬
tungen unterschieden. Der letztere Begriff ist abwegig und ausschliess-
Digitized by Goiisle
lieh durch ,4capillare“ Blutung zu ersetzen; denn einmal gibt es natürlich
kein blutendes Parenchym, und sodann spielen sich fast alle patho¬
logischen Blutungen der Klinik im Kapillargebiet ab. das für die Be¬
deutung der gesamten Blutungs- und Gerinnungsfragen von ausschlag¬
gebendem Wert ist
Die Ursache jeder Blutung ist das Trauma. D. h.:
Die traumatische Läsion des GefässSystems ist
Voraussetzung für das Eintreten einer Blutung. Für
die Arterien- und Venenwand mit ihrem festen Gefüge bedeutet uns das
eine Selbstverständlichkeit; nicht so beim Kapillarrohr, bei dem sehr
häufig — zweifellos zu Unrecht — von „spontaner“ Hämorrhagie ge¬
sprochen wird. Die Wand der Kapillare ist ausschliesslich von der
Endothelzelle gebildet, die zwischen sich die Saftspalten für die Kom¬
munikation von Kapillarinhalt und Gewebe fasst und die den korpusku-
lären Blutelementen in normalem Zustand den Durchtritt wehrt. Eine
eigene muskuläre oder bindegewebige Scheide kommt der Kapillare dar¬
über hinaus nicht zu. Die kapillare Blutung setzt demgemäss eine
Lockerung der Endothelbindung und eine dadurch bedingte erhöhte Zer-
reisslichkeit der Kapillarwandung voraus. Im normalgefügten Kapillar¬
gewebe bedarf es einer nicht unerheblichen Gewalt, um den Endothel¬
verband zu sprengen; die Vorbedingung des Traumas für die Blutung ist
hierbei ohne weiteres verständlich. In pathologischen Zuständen jedoch
kommt es zu Aenderungen des Kapillartonus, die teils in primären Stö¬
rungen des Endothelzellebens. teils in Schwankungen der sympathischen
Innervation des Kapillarrohres ihre Ursache haben; die Resultante ist
eine graduell verschiedene Auflockerung des Endothelgefüges und eine
durch diese bedingte maximale Lädierbarkeit der Kapillarwand. Der
klinisch sichtbare Ausdruck dieser Kapillarer-krankung ist das positive
„Endothelsymptom“, über dessen pathogenetische Grundlagen anderw'ärts
ausführlich berichtet wurdet). In diesem Zustand neigt das Kapillar¬
system zu scheinbar „spontaner“ Hämorrhagie. In Wirklichkeit bedarf
es bei der Sprengung aber auch hierbei eines, wenn auch geringfügigen
Traumas zur Auslösung der Blutung; bei der akuten hämorrhagischen Dia-
these beispielsweise ist die vis a tergo der Blutflüssigkeit Kraft genug,
um als „inneres Trauma“ die Sprengung grösserer Kapillargebiete zu
bewirken.
Es will hier gesagt sein, dass das klinische und
physiologische Problem der Blutung und Blut¬
stillung von zwei Betrachtungen auszugehen hat: Von
der Ursache der Blutung einerseits, von der mangel¬
haften und unzulänglichen Blutstillung andererseits,
Ueber das Trauma in seinen verschiedenen Formen als Blutungsursache
ist das wesentliche bereits auseinandergesetzt; es bleibt demgemäss
nur zu erläutern, welche Faktoren die Fortdauer einer einmal cin-
getretenen Blutung bedingen. Das Hereinziehen von Arterien und Venen
in den Kreis der Betrachtungen erübrigt sich, da es sich hierbei lediglich
um mechanische Faktoren handelt und die Blutstillung regelmässig mit
dem mechanischen Verschluss der verletzten Gefässwand ihr Ziel erreicht
hat, ohne dass Fragen der Gerinnungsphysiologie eine Rolle zu spielen
berufen wären. Dass der Uebergang von der Kapillare zur Präkapil¬
lare und schliesslich zur Arterie ein allmählicher und fliessender ist,
ändert nichts an dieser Betrachtungsweise, wenn man sich stets bewusst
bleibt, dass dieser Uebergang auch für die Frage der Blutstillung Gel¬
tung hat und dass die in diesen Zeilen durchgeführte scharfe Trennung
zunächst lediglich theoretischen Motiven entspringt.
Die Anschauungen über die bei der am normalen Organismus durch
ein geringfügiges Trauma — Zahnextraktion. Schnittverletzung usf. —
verursachten Blutung wirksamen Faktoren des spontanen, ohne frem¬
des Zutun eintretenden Blutstillstandes haben im Laufe der letzten Jahre
erheblich gewechselt und sind auch jetzt noch im Fluss. Lange Zeit
hat unbestritten die Frage der Blutgerinnung allein
öas Feld beherrscht Es ist bekannt, dass man sich den Ver¬
schluss der blutenden Gefässwand ausschliesslich als durch das bei der
Gerinnung ausgefallene Fibrin vprstellte und dass man daher in Verfolg
dieser theoretischen Betrachtungsweise In der Erhöhung der Gerinnungs¬
fähigkeit der Blutflüssigkeit den springenden Punkt jeder Blutstillung
erblickte. In diesen Zeitraum fallen die Einführung der Gelatine, der
intravenösen NaCl-Injektionen und teilweise auch des Kalziums als
Faktoren der therapeutischen Blutstillung. Diesen Anschauungen haben
experimentelle Ergebnisse der letzten Jahre ein neues Gesicht gegeben;
sie knüpfen sich in der Hauptsache an die Namen von D u k e, E. F r a n k,
L 0 e b und die A s c h o f f sehe Schule und sind im wesentlichen durch
die Betonung der Blutplättchen als dominierende
Komponente des spontanen Gefässverschlusses bei
einer normalen kapillaren Blutung charakterisiert
Nicht der Fibrinpfropf sondern der Blutplättchenthrombus verlegt die
traumatische Gefässverletzung — das ist der Kern der neuen Lehre,
aus der sich logischerweise ein Zurücktreten der bislang geltenden Auf¬
fassung von der Bedeutung der Gerinnung gegenüber der Thrombo¬
zytenfrage herleiten muss. Duke und nach ihm E. Frank haben in
Verfolg dieser Auffassung die Blutungszeit von der Gerin¬
nungszeit abgetrennt und verstehen unter der ersteren die Zeit,
die eine mit einem Skalpell oder einer Nadel am Ohrläppchen oder ai»
der Fingerbeere gesetzte Blutung zum spontanen Stehen benötigt. Sie
beträgt beim Normalindividuum wenige Minuten und kann sich patho^
logischerweise selbst auf Stunden ausdehnen. In neuester Zeit hat sich
auch Mora Witz*) in entschiedener Weise zu dieser Lehre bekanntr
er hat gleichz eitig darüber hinaus praktische Folgerungen gezogen, die
^ Richard Steohan: lieber das Endothelsymptom. B.kl.W, 1921,
*) M 0 r a w i t z: Med. Kl. ^1920 Nr. 50.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHEKSCHRIFT.
747
für die klinische Bedeutung der ganzen Frage von weitgehendem Inter¬
esse sein müssen: Morawitz postuliert als erste klinische Unter¬
suchungsmethode die Fixierung der Blutungszeit. „Ist diese normal, so
kann auf weitere Untersuchungen verzichtet werden.“ Die Gerinnungs¬
zeit in vitro verliert demgemäss fast vollkommen ihre Bedeutung. Unser
eigenes experimentelles und klinisches Material widerspricht in diesem
F^unkt absolut den Ergebnissen der M o r a w i t z sehen Untersuchungen.
Wir verzeichneten beispielsweise mehrere Fälle von erblicher Hämo¬
philie mit vollkommen normaler Blutungszeit, bei denen das Blut in vitro
praktisch ungerinnbar war; die Anwendung der Leitsätze Morawitz*
hätte hierbei zu schweren Zwischenfällen bei einem operativen Eingriff
führen müssen. Noch in einer zweiten Auffassung von prinzipieller
Wichtigkeit weichen unsere Forschungsergebnisse von denen M o r a -
Witz’ ab: „Wenn trotzdem zuweilen eine schlechte Blutstillung bei
normaler Gerinnungszeit gesehen wird, so handelt es sich dabei stets
um Verminderung der Plättchenzahl...“, schreibt M o r a w i t z, wo¬
durch ganz analog den Lehren E. Franks den Blutplättchen die
führende Rolle für die Stillung der kapillaren Blutung vindiziert wird,
ln der Wirklichkeit aber ist die Thrombopenie erheblichen Grades
ausserordentlich selten gegenüber der Legion von Krankheitsfällen mit
verzögerter Blutstillung und verlängerter Blutungszeit Schon diese Tat¬
sache muss stutzig machen. Ganz allgemein kann man zwar sagen: Bei
einer echten Thrombopenie unter 40 000 ist die experimentelle Blutungs¬
zeit stets verlängert, die praktische Blutstillung bei traumatischer Gefäss-
läsion regelmässig erschwert und verzögert. Da aber das gleiche auch
ungemein häufig beobachtet wird bei Krankheitszuständen, bei denen
normale und sehr erheblich vermehrte Plättchenwerte vorhanden sind,
so muss not w endige rw eise die Bedeutung der
Thrombozyten für die Blutstillung eine nicht domi¬
nierende sein und der Kern der ganzen Frage in
anderen Dingen ruhen.
Eine vermittelnde- Auffassung ermöglicht die
Betrachtung der Histogenese der Blutplättchen.
Nach den bislang anerkannten Forschungen W r i g h t s ist deren Bil¬
dungsstätte postfötal mit grosser Wahrscheinlichkeit in den Megakaryo-
zyten des Knochenmarks zu suchen; sicher ist, dass ihre Histogenese
unabhängig von der der Erythrozyten und Leukozyten statthat und dass
sie eindeutige Beziehungen zum Endothel des roten Markes erkennen
lässt. Dieser Endothelkomplex ist nun seinerseits morphologisch wie
funktionell nur ein Teil des gesamten endothelialen Zellapparates, den
wir unter dem Namen des retikulo-endothelialen Stoffwechsclsystems
Aschoffs zusammenzufassen gewohnt sind. Nach den klinischen und
experimentellen Analysen einzelner Krankhcitsbildcr ist der zwingende
Schluss erlaubt, dass sowohl idiopathische wie sekundär-toxische Schädi¬
gungen dieses Zellsystems existieren, denen ieweils charakteristische
Zustandsbilder entsprechen. Wie anderwärts ausgeführt wurde '*), er¬
möglicht die serologische Untersuchung mittels der Qcrinnungsanalysc
zusammen mit der Blutplättchenzahl und der Prüfung des Endothel-
symptomes die scharfe Trennung einzelner Krankheitsgruppen der Endo¬
thelschädigung: sie erlauben gleichzeitig die Feststellung, dass die vor¬
übergehende und dauernde Verminderung der Thrombozyten im strö¬
menden Blut in jedem Fall Ausdruck einer Schädigung des Knochen-
marksendöthels ist und dass diese nur als Teilstörung im Rahmen der
Gesamterkrankung des endothelialen Zellsystems zur Beobachtung
kommt. Da nun weiterhin alle Symptome mangelhafter Blutstillung, für
die man bisher die Blutplättchen verantw^ortlich machte, auch bei Stö¬
rungen des Endothelapparates in anderen Teilen als denen des Knochen¬
markes und ohne Aenderung der Thrombozytenwerte nachweisbar
wurden, so wird zw'angsmässig die Endothelzelle in den Mittelpunkt
gerückt in ihrer Bedeutung für die kapillare Blutstillung. Mit anderen
Worten: Der Ablauf einer kapillaren Blutung und
Blutstillung ist in erster Linie von der Resistenz des
Kapillarrohres und damit von dem Zustand der Endo¬
thelzelle in morphologischer und funktioneller Hin¬
sichtdiktiert.
Unsere Beobachtungsweise läuft damit darauf hinaus, den lokalen
Fiedingungen, unter denen der Gefässverschluss statthat, eine gegen¬
über der herrschenden Meinung erhöhte Bedeutung zuzuspnechen. In
der Tat drängt die unvoreingenommene Beobachtung physiologischen
Geschehens ebenfalls zu solchen Gedankengängen: Man beachte bei¬
spielsweise die durchaus verschiedene Art der Blutstillung bei verti¬
kalem oder horizontalem Hautschnitt, ferner die jedem geläufige Tat¬
sache der ausserordentlich erschwerten Blutstillung im entzündeten
Gewebe und schliesslich die sehr variable Blutungszeit beim gleichen
Individuum und bei der gleichen Art der künstlichen Gefässläsion unter
dem örtlichen Wechsel der Einstichstelle. Wir führen als eindeutiges
Beispiel hierfür eine eigene Beobachtung der letzten Zeit an: Ein hämo-
philer Knabe, dessen Blutungszeit am Ohrläpchen bei ausgiebiger In¬
zision 2Yii Minuten beträgt, verblutet sich w'cnige Tage später an einer
minimalen Zungenläsion, ohne dass Gcrinnungskomponenten und Blut¬
plättchenzahl und -Qualität sich irgendwie geändert hatte. Es erhellt
daraus: Die Retraktio ns Fähigkeit der Kapillar w'and
ist für die Stillung der kapillaren Blutung ein aus¬
schlaggebender Faktor; sie überragt an Bedeutung
bei weitem jene de r Thrombozyten und der Gerin¬
nungsfähigkeit der Blutflüssigkeit. Man kann sie vor¬
läufig. bei dem derzeitigen Stand unserer Kenntnisse, in zwei Kom-
pone nte n zer legen: In eine passive, von dem Zustand des um-
'**) Richard Stephan: lieber den Wirkungsmcchanismus des Trypa-
flavins. Med. Kl. 1921.
gebenden Bindegewebes bedingte, und eine aktive, deren physio¬
logische Wertigkeit ausschliesslich von dem biologischen Zustand des
das Kapillarrohr aufbauenden Endotheikomplexes bedingt erscheint. Die
Elastizität des Bindegewebes ist zunächst in dieser Beziehung noch keiner
Prüfung zugängig; vielleicht weisen die Forschungen H. Schades in
dieser Richtung künftighin neue Wege. Für die Ausw'ertung der Endo-
thelfunktion und -morphologie hingegen besitzen wir schon jetzt hin¬
reichende Methoden; es wird gezeigt w^erden, dass uns auch fü.rdie
Beeinflussung des Endotheltonus für therapeutische
Fragen physiologisch fundierte Eingriffe zur Ver¬
fügung stehen und dass damit die biologisch orien¬
tierte Blutstillung über die Aera der ausschliess¬
lich aufdicerhöhte Gerinnungsfähigkeitgerichteten
Methoden hinausgerücktist.
Die weitere Aufrollung des Gedankenganges erfordert hier ein kurzes
Eingehen auf den derzeitigen Stand unserer Kenntnisse vom Gerinnungs¬
problem; gerade die Ergebnisse der letzten Zeit drängen nach einer
Vereinheitlichung der ganzen Frage: Als „G e r i n n u n g s o r g a n“ in
engerem Sinne betrachten wir jene Gewebsteile, die durch die vitale
Karminspeicherung charakterisiert sind; es setzt sich zusammen aus den
Retikiilumzellen der Milz, der Hämoiymphdrüsen, des Netzes und der
Leber und w ird durch die im gesamten Gefässsystem in enormer Ober-
flächcnausdehnung vertretene endotheliale Zellmasse zu einem in sich
^abgeschlossenen Ganzen vereinigt; eine noch nicht näher bekannte funk-
"tionclle Sonderstellung scheint hierbei den Endothelien der Nebennieren¬
venen und denen des Knochenmarkes zuzukommen. Ausser Zweifel
steht, dass auch dem zellulären Teil des Bindegewebes, den lokalen
Histiozyten Aschoffs, Beziehungen zum Gerinnungsorgari zukommen;
die Bedeutung des fibrillären Bindegewebes für den normalen Ab¬
lauf der Verhincterung von Blutungen durch Fixierung des Kapillar-
rolires und für den Ausgleich einer traumatischen Gefässläsion wurde
schon oben gestreift., Inwieweit die endotheliale Zellbegleitung der
serösen Häute funktionell dem Gerinnungsorgan einzuordnen ist, steht
vorläufig noch ganz dahin. Dieses Gerinnungsorgan — der Name um¬
fasst nicht alles in ihm vereinigte — ist nun sowohl in anatomischer wie
besonders in funktioneller Hinsicht als Einheit aufzufassen: in ihm er¬
schöpfen sich alle physiologischen und pathologischen Vorgänge der
Blutung und Blutstillung.
Für unser Thema bedeutungsvoll! ist in erster Linie dessen Funk¬
tion und deren Zergliederung in die. Einzelkomponenten des Systemes.
Die Retikulumzelle ist die Mutterzelle des sog. Fibrinfermentes, d. h.
iencs Enzymes proteolytischer Natur, das durch fermentative Abbau-
vorgängc in der Blutflüssigkeit’physikalisch-chemische Voraussetzung für
die Möglichkeit der Umwandlung des kolloidal suspendierten Fibrino¬
gens vorn Solzustand in das Gei des Fibrins schafft. Die physiologisch¬
chemischen Probleme die.scs biologischen Geschehens sind durch die
hervorragenden Arbeiten K 1 i n g e r s und seiner Mitarbeiter, deren Be¬
deutung nicht stark genug betont werden kann, gelöst; sie sind früher
an dieser Stelle ausführlich erörtert ’). Die Anwesenheit dieses proteo¬
lytischen Ferments ist conditio sine qua non für die Gerinnung;
ohne normale Retikulumfunktion daher keine Blutgerinnung. Der
Aktivator dieses Fermentes im Sinne der Katalyse der physikalischen
Chemie ist in vivo ein Sekret der Endothelzelle, wie wir selbst in Be¬
stätigung früherer Vermutungen nachweisen konnten. Im Experiment
lässt sich der Aktivator durch anorganische Substanzen der verschieden-
slen Art ersetzen. Das Zusammenwirken von Proferment und Aktivator
schafft in Gegenw art von Na- und Ca-Ionen den eigentlichen Gerinnungs¬
vorgang. Sicher ist, dass den Thrombozyten hierbei eine spezielle Auf-
pbe zukommt; sie kann nur mechanischer Natur sein und ist sowohl
in vivo wie in vitro durch meciianische Eingriffe nachzuahrnen.
Eine zweite, für das normale Geschehen im Ge-
r i n n u 11 g s s y s t e m bedeutungsvolle Funktion der Rc-
t i k u 1 u in z e 11 c - s c h a r f zu trennen v o m E n d o t h e l i u m —
besteht nun weiterhin in der T o n i s i e r u n g des ge¬
samten endothelialen Z e 11 s y s t e m e s. Das. w-as wir unter
Rctraktionsfähigkeit des Kapillarrohres oder unter Resistenz des Gefäss-
systems verstehen, ist in Wirklichkeit der Ausdruck für eine der Norm
entsprechende Festigkeit der endothelialen Kapillarbindung: jede Störung
im cndotbelialcn Zelleben bedingt zw’angsläiitig eine erhöhte Zerreiss-
lichkeit der Kapillarw^andung durch Schädigung der Zellstruktur. Der
normale Tonus der Kapillare ist hormonal von dem retikulären Zell¬
komplex tonisiert, mit anderen Worten: ein normaler Abläuf der Milz¬
funktion in ihrer retikulären Komponente ist Voraussetzung für die
Dichtigkeit des Kapillarsystemes gegenüber den Anforderungen des All¬
tages. wobei wir uns freilich in allen Ueberlegungen stets bewusst sein
müssen, dass das Milzgewebe nur ein Teilkomplex des retikulären Zell-
komplexes ist, dessen operative Entfernung nach ganz vorübergehender
Störung keine bleibenden Schädigungen für den Orgatiismus und für das
Gcrinniingssystem bedingt. Jede krankhafte M i 1 z t ä t j g k e i t
im Sinne der Dysfunktion — beim hämolytischen Ikterus, bei
gewissen Fähen von perniziöser Anämie und beim Typhus, bei be¬
stimmten Gruppen von hämorrhagischer Diathese usw. — b ew i r k t
sekundär eine Störung i ni E n d o t h e 11 o n u s und damit
e i n e S c h ä d i g u n g d c r k a p i 11 a r e n B 1 u t s t i 11 im g, k 1 i n i s c h
kenntlich an dem Auftreten des positiven Endothei-
s y m p t 0 m e s u n d a n der verlängerten B 1 u t u n g s z e i t.
In der gleichen Richtung wirken endokrine Dysfunktionen anderer
Blutdrüsen, welche die retikuläre Zelltätigkeit indirekt beeinflussen —
*) M.m.W. 1920 Nr. 11.
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
748
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
Basedow, Dysovarie etc. — sowie direkte, toxische Endöthelschädi-
gungen und Störungen der sympathischen Innervation. Auf die Grund¬
lagen dieser Lehre ist an anderer Stelle ausführlich eingegangen®). Hier
sollen diese Dinge nur insoweit erörtert werden, als sie für die Frage
der Blutung und Blutstillung von Bedeutung sind. Es ist dabei gleich¬
zeitig wichtig zu wissen, dass derartige periphere Aenderungen sowohl
das ganze endotheliale System betreffen können — wie etwa beim
hämolytischen Ikterus und bei der infektiösen hämorrhagischen Dia-
these — und damit die Dysfunktion des lokalen Bliitstillungsablaufes an
allen Partien des Organismus gleichmässig vorhanden ist; wie es auch
für die Auffassung von dem Charakter einer mangelhaften Blutstillung
notwendig ist zu betonen, dass in gleicher Weise eng umschriebene
Endothelfunktionsstörungen zur Beobachtung kommen, so beispielsweise
in tuberkulösem Gewebe durch direkte Wirkung des. Tuberkulotoxins
oder in der menstruellen Utcrusschleimhaut bei der die Lockerung des
Endothelgefüges normaliter die der andern Organpartien erheblich über¬
trifft. Ein w'citeres Eingehen auf diese bedeutungsvollen Prämissen einer
sinngemässen Therapie der Blutungen verbietet der durch die Ziel¬
setzung des Themas gesteckte Rahmen.
Nach dem bisher Ausgeführten können wir nun¬
mehr die wichtigsten Gesichtspunkte zusammen-
fassen: Diefür diespontane Stillung einer kapillaren
Blutung bedeutsamsten Faktoren sind: 1. der un-
gestörteAblaufderGerinnungund2. dieRetraktions-
fähigkeit des Kapillarrohres, die in der Hauptsache
von einer anatomisch-funktionellen Intaktheit der
Endothel zelle abhängig ist. Unter normalen Verhältnissen
kombinieren 'sich Gerinnungsvorgang und Retraktionsverschluss der lä¬
dierten Kapillarwand zu einem fast momentanen Bliitstillstand. Je ge¬
ringer die ausgetretene Blutmenge, um so schneller der Ablauf der (ie-
rinnungsproteolyse; es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch vorläufig noch
unbewiesen, dass bei dieser lokalen Blutstillung die Sekretion der
im Blutungsbereich befindlichen Endothelzelle zu einer örtlichen Ver¬
mehrung der aktivierenden Gerinnungssubstanz Veranlassung wird.
Die bedeutungsvollste Voraussetzung einer nor¬
malen Blutstillung sehen wir nach unnsern Ergeb¬
nissen demgemäss in der hinreichenden Konzentra¬
tion von Gerinnungsferment und Aktivator in der
Blutflüssigkeit, sowie in der normalen Tonisierung
des Kapillarsystems. Alles andere — Menge des Na- und Ca-Ions.
Fibrinogenquantum und Thrombozytenwerte — tritt demgegenüber bei
der Blutstillung in vivo an Bedeutung ganz erheblich zurück. Die ana¬
tomische und funktionelle Gesundheit desjenigen Gewebskomplexes, den
wir oben unter dem Begriff des „Gerinnungsorganes“ vereinigt haben,
ist Vorbedingung Tür die normale Blutstillung bei kapillarer Blutung. Es
lässt sich an Hand klinischer und experimenteller Analyse unschwer
erw'eisen, dass einerseits jede nicht sehr rasch zum Stillstand kommende
Blutung der Klinik durch Funktionstörungen im Gerinnungsorgan bedingt
ist und dass anderseits jeder Teilstörung im System durchaus charak¬
teristische, experimentell-analytisch eindeutig erkennbare Typen kli¬
nischer Blutungsbilder zukommen. Die Auffassung von der Pathogenese
der echten Hämophilie muss, wie anderwärts gezeigt wird, hierdurch
eine von der geltenden Meinung abweichende Klärung erfahren.
Für die Therapie der Blutung lassen sich aus
diesen •Forschungsergebnissen wichtig^ Grundr
1 i n i e n h e r 1 e i t e n. Das Ziel jeder Blutstillung muss nach zwei
Gesichtspunkten hin orientiert sein: sie muss örtlich und allgemein
sein; örtlich durch eine mechanische Begünstigung des Kapillar-
verschlusses durch Kompression, Abklemmung. Unterbindung usw^ und
allgemein durch die therapeutische Erzwingung einer Konzentrations¬
erhöhung der wichtigsten Gerinnungsfaktoren und gleichzeitig einer
Tonisierung des Endotheltonus, wobei das Erzielen der letzteren For¬
derung wiederum der örtlichen Blutstillung zugute kommt, wie eine
aufmerksame Verfolgung der erörterten theoretischen Grundlage lehrt.
Ueber die rein mechanische Steigerung der Retraktionsfähigkeit der
Kapillarwand ist hier nichts zu sagen. Sie wird durch die herkömm¬
lichen Kompressionsmethoden bei örtlicher Blutung hinreichend erzielt,
versagt aber natürlich bei allen universellen hämorragischen Diathesen.
Die Methode der Wahl für die Konzentrationssteige¬
rung der Gerinnungsfaktoren und damit für eine
mächtige Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit der
Blutflüssigkeit ist die Röntgenreizbestrahlung der
Milz, deren theoretisch-biologische Grundlagen als bekannt voraus¬
gesetzt werden dürfen. Sie bewirkt eine Funktionssteigerung der Re¬
tikulumzelle, der Mutterzelle des proteolytischen Gerinnungsfermentes
und damit eine quantitativ enorme Ueberschwemmung des Kreislaufes
mit Ferment. Da sich im Strahlenkegel stets auch endotheliale Zell¬
komplexe — der Haut und des Milzgewebes — befinden und diese endo¬
thelialen Zellelemente biologisch-funktionell den gleichen Gesetzen ge¬
horchen wie die Retikulumzelle, so resultiert aus der Milzreizung neben
der Steigerung der Fermentproduktion gleichzeitig eine starke Sekretion
des endothelialen Aktivators, wie sich im serologischen Experiment
unschwer erweisen lässt. Wir imitieren durch die Milzreizung dem¬
gemäss jene Vorgänge, die im Organismus durch grössere Blutverluste
ausgelöst werden. Eine zweite für die Blutstillung wich¬
tige Resultante der Milzreizung ist die Erhöhung
des Kapillartonus durch Beeinflussung des der zen¬
tralen Regulation vorstehenden retikulären Zell-
") B.kl.W. 1921.
Digitized by Goiisle
komplexes, wobei diese durch Hormontätigkeit ausgelöste Wirkung
in erster Linie der örtlichen Blutstillung von Nutzen ist. Mit der kli¬
nisch und experimentell durchaus eindeutig zu demonstrierenden dop-
pelphasigen Beeinflussung der Blutstillung durch
den Milzfunktionsreiz, der an der Zentrale des Gerinnungs¬
organes eingreift, ist die Milzbestrahlung eine kausale Therapie ge¬
worden, wie die Medizin kaum ein Analogon bisher aufzuweisen ver¬
mag, Mit der Wirkung zerfallener Leukozyten hat der klinische Effekt
ganz gewiss nichts zu tun; von solchen Schlussfolgerungen hätten Neuf-
fer schon die Mitteilungen Nonnenbruchs über Milzdiathermie
abhalten müssen.
Auf den quantiativen Gehalt des Plasmas an Elektrolyten und Fi¬
brinogen ist der Milzreiz natürlich einflusslos. Ebenso auf die Zahl
der Blutplättchen; es muss hier mit Rücksicht auf die Mitteilungen
von S e i t z und W i n t z ®) betont werden, dass weder eine Steigerung
noch vor allem eine Verminderung der Thrombozytenwerte zur Be¬
obachtung kommt. Die Veröffentlichung der beiden Autoren bezieht sich
zwar auf langdauernde Karzinombestrahlungen und verzeichnet als Folge
ein Sinken der Blutplättchenzahl und eine Verzögerung der Gerinnungs¬
zeit. Die in der Monographie niedergelegten Versuchsergebnisse
basieren aber nicht auf Methoden, die für den derzeitigen Stand der Ge¬
rinnungsphysiologie erschöpfend sind und erlauben daher auch nicht
das Aufstelien der so weitgehenden Theorie der Lipoidschädigung durch
Röntgenstrahlung. Vor allem muss immer wieder hervorgehoben wer¬
den: die Bestimmung der Gerinnungszeit allein schafft überhaupt
keinerlei Einblick in das biologische Geschehen.
Mit der Erforschung der biologischen Wirkung der Milzreizbestrah¬
lung sind gleichzeitig die Grenzen des Anwendungsbereichs scharf ab¬
gesteckt: Wo die Dystonie des Kapillarsystcmes nicht auf einer pri¬
mären Milzfunktionsstörung basiert, sondern sekundär durch eine Dys-
hormonie in anderen Blutdrüsengebieten unterhalten wird oder durch
eine peripher angreifende Endothelzellschädigung bedingt ist wird
selbstverständlich der Tonisierungseffekt des retikulären Zellreizes aus-
bleiben. Als Beispiel diene die klimakterische Hämorrhagie, die zwar
durch die Milzbestrahlung in entscheidender Weise beeinflusst wird,
aber doch im allgemeinen nicht fast momentan wie andere Blutungen
zum Stehen kommt Immerhin lässt sich gerade unter dieser Voraus¬
setzung regelmässig zeigen, dass lokal bedingte Störungen der Blutstillung
durch eine quantitativ überschüssige Anwesenheit von Ferment und
Aktivator ausgeglichen werden können. Nur wodasMilzgewebe
nicht mehr reizfähig ist, endet die Wirkung der Be¬
strahlung; wir haben dies unter einem sehr grossen Material ganz
vereinzelt beobachtet bei Kachektischen und im Endstadium der Hämo¬
philie. Praktisch fallen diese seltenen Ausnahmen aber insofern nicht
ins Gewicht, als bei ihnen auch alle andern therapeutischen Versuche
erfolglos sind und logischerweise bleiben müssen. Wir fühlen uns
nach unsern nunmehr zweijährigen Beobachtungen zu dem Schluss be¬
rechtigt: Ein eventuelles Versagen der Milzreiz¬
bestrahlung bei einer Blutung macht die Anwendung
weiterer therapeutischer Eingriffe überflüssig. Es
gilt dies sowohl für die Kalzium-, wie für die intravenöse Protein¬
körper- und NaCl-Therapie. Auch die Bluttransfusion macht hiervon
keine Ausnahme. Sie alle wirken — wie wir uns in zahlreichen experimem-
tellen Untersuchungen überzeugen konnten — auf dem Umw'eg über den
Zellreiz der Milz und damit identisch mit der direkten Milzbestrahlu ig.
die sie freilich quantitativ alle bei weitem überragt. Wenngleich ncch
nicht alle Fragen der Blutgerinnung und Blutstillung spruchreif sind, so
kann doch immerhin schon soviel gesagt w^erden: Der derzeitige Stand
der Forschung bedeutet eine Abkehr von der bisherigen, in manchem dilet¬
tantisch anmutenden Therapie der kapillaren Blutung und verspricht
in weiteren Untersuchungen die Lösung des ganzen Problems.
Sozilie meiilzlB und lerztllche standesanoeieiBnheittfl.
Der familienrechtliche Vater und der Vater im Sinne
des bürgerlichen Gesetzbuches.
Von Bezirksarzt Dr. Siebert in Kronach.
Einen Aufsatz über die Vaterschaft bei unehelichen Kindern in ler
Zeitschrift für Rechtspflege beginnt'Landgerichtsrat Pr es tele mit cen
Worten: „Ueber die uneheliche Vaterschaft und deren Feststelling
herrscht nicht immer Klarheit, weshalb einige praktisch© Winke ni :lit
zwecklos sein dürften.“ Wenn dieser Satz für Juristen Gültigkeit tat.
so sind vielleicht auch Aerzte für die Klarlegung dankbar. Es ist zu
unterscheiden der gesetzliche Vater im Sinne des § 1717 des BGB. i nd
der familienrechtliche, der wirkliche Vater.
Dieser Unterschied ist an sich einleuchtend und alltäglich, a’ »er
bemerkenswert ist es, dass es möglich ist dass ein wirklicher Vater fe st-
gestellt wird, während der gesetzliche Vater für das Kind bezahlen mi 5s.
Dem gesetzlichen Vater im Sinne des BGB. steht bekanntlich lic
Einrede zu, dass in der empfängniSfähigen Zeit mehrere mit der Mut er
des Kindes verkehrt haben oder dass eine Schwängerung aus dem : lit
der Mutter des Kindes gepflogenen Verkehr offenbar unmöglich ist.
Es ist z. B. der Fall denkbar, dass die Kindsmutter am letz en
Tage vor Beginn der empfängnisfähigen Zeit mit einem Manne verke irt
ha t und am ersten Tage dieser Zeit mit einem anderen Manne. 1 'er
*) Seitz und W i n t z: Strahlentherapie. Sonderband 1920.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
17. Jimi 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
749
erstere käme als Vater im Sinne des BGB. nicht in Betracht, aber der
zweite. Ber zweite käme aber nicht als familienrechtlicher Vater in
Betracht, da die Wissenschaft nicht entscheiden kann, ob nicht doch das
Kind aus dem ersten Beischlafe herrührt. Das Kind bekommt also wohl
einen gesetzlichen, aber keinen familienrechüichen Vater. In diesem
Beispiele ist der Zwischenraum sehr klein gewählt, es könnte sich aber
auch um Zwischenräume bis zu 3—4 Wochen handeln.
Bei einem weiteren Beispiel hat das Kind wohl einen familienrecht¬
lichen aber keinen gesetzlichen Vater. Die Kindsmutter hat kurz vor
Beginn der empfängnisfähigen Zeit mit einem Manne verkehrt und kurz
vor Ende dieser Zeit mit einem anderen. Der letztere käme al? gesetz¬
licher Vater in Betracht, er macht aber die Einrede der offenbaren
Unmöglichkeit der Schwängerung, da die Mutter offenbar schon in der
Hoffnung war. Das Gericht gibt dieser Einrede statt da das Kind voll¬
ständig ausgetragen war. Aus dieser letzteren Tatsache geht nach An¬
schauung des Gerichtes hervor, dass das Kind nur aus dem Geschlechts¬
verkehr mit dem ersten Manne herrühren kann. Dieser ist also der
Erzeuger und der Vater im familienrechtlichen Sinne, nicht aber im
gesetzlichen Sinne, nicht der Zahlvater.
Würde der zweite Vater die Einrede nicht gebracht haben, so wäre
er Vater im Sinne des BGB. geworden und das Kind hätte zwei Väter
bekommen, aber nach verschiedenen Richtungen.
Für gewöhnlich muss ja wohl der gesetzliche Zahlvater auch als der
familienrechtliche Vater gelten, dieser Unterschied kann aber von Be¬
deutung werden, denn der § 1310 des BGB., der sich mit dem Eheverbot
bei Verwandtschaft befasst und festlegt, dass Verwandtschaft im Sinne
dieser Vorschriften auch zwischen einem unehelichen Kinde und dessen
Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten andrer¬
seits besteht hat hierbei den familienrechtlichen, nicht den Zahlvater
im Auge. Auch für § 52 des Strafgesetzbuches ist der Unterschied
wichtig. Dieser handelt von der Notwehr, die ja auch zur Abwehr von
Gefahr für Angehörige gilt. ‘Als Angehörige im Sinne des Abs. 2 § 52
RStGB. kommt auch der familienrechtliche Vater oder dessen Kind in
Frage.
Der Aufsatz des Herrn Landgerichtsrates Pr e st eie ist im Jahre
1917 erschienen, unterdessen haben sich in unserem armen Vaterlande
aber Zustände ergeben, die vielleicht diese Unterscheidungen noch öfters
bedeutungsvoll machen werden.
Es wäre z. B. möglich, dass ein Mann mit einem Weibe verkehrt,
und dieses wird zu einer Zeit von einem Kinde entbunden, dass dieser
Beischlaf in die empfängnisfähige Zeit fällt. Die Frau hat aber vor der
empfängnisfähigen Zeit mit einem Schwarzen vejkehrt und das Kind
zeigt die Kennzeichen des Mischlngs. Auch dann würde der Mann Zahl¬
vater werden, aber nicht familienrechtlicher Vater sein.
Die Frage wäre dann die, sind die Zeichen des farbigen Mischlings
so deutlich, dass dieser Mann aus dem Aussehen des Kindes den Einwurf
der offenbaren Unmöglichkeit herleiten kann; welches sind die vor Ge¬
richt gültigen Anzeichen, sind diese schon so früh bemerkbar, dass sie
schon zu den Zeiten, wo diese Rechtsstreitigkeiten ausgefochten zu
werden pflegen, bemerkbar sind, oder machen sie sich erst in einigen
Jahren geltend. Eine Anfechtung der einmal ausgesprochenen und recht¬
lich wirksamen Anerkennung der Vaterschaft, weil die Annahme des
Anerkennenden, dass er der einzige Beiwohner in der Ernpiängniszeit
gewesen sei, sich als unrichtig herausgestellt hat, ist nicht zulässig, weil
das kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung, sondern ein unbeacht¬
licher Irrtum im Beweggründe war.
Es wäre doch richtig, hier mit Rücksicht auf die Verunreinigung
deutschen Blutes durch Ausländer eine Gesetzesänderung eintreten zu
lassen. Es ist ja an sich das Bestreben des Gesetzgebers, nach Mög¬
lichkeit das Kind zu schützen, auch mit der Gefahr dem einen oder
anderen vermeintlichen Kindsvater Unrecht zu tun. für deutsche Kinder,
die ehelich oder unehelich einen Gewinn für das Volk darstellen, sehr
richtig; anders aber ist es bei der Nachzucht farbiger Leute, die einen
höchst unerwünschten Einfluss zum deutschen Blute darstellen.
Der Unterschied zwischen dem familienrechtlichen Vater und dem
Vater im Sinne des BGB. ’^ürde noch deutlicher hervortreten und
weniger zu Verwechslungen Anlass geben, wenn einem Gedanken statt¬
gegeben würde, den ich schon vor dem Kriege angeregt habe aus
Gründen der geschlechtlichen und Familiensittlichkeit. Mich hat beim
Zahlvater immer das Wort Vater gestört. Das Wort Vater sollte uns
zu hehr sein und das Verhältnis vom Vater zu seinem Kinde zu hoch
stehen, als dass wir die Bezeichnung Vater auch dann anw'enden wollten,
wo jemand nur deshalb Vater genannt wird, weil er rechtlich nicht den
Nachweis erbringen kann, dass er es nicht ist. Es würde richtiger sein,
wenn es nicht hiesse: als Vater des Kindes gilt, sondern unterhalts¬
pflichtig für das Kind ist.
Da die Gerichte neuerdings bei jedem Falle unehelicher Geburt ver¬
suchen, sowohl den familienrechtlichen Vater, als die unterhaltspflichtige
Mannsperson festzustellen, so wird sich ja vielleicht dieser Sprach¬
gebrauch von selbst einbürgem.
Wenn das der Fall sein sollte, dann würde sich die Gesetzgebung
auch wohl leichter entschliessen, von dem Gedanken abzugehen, dass
nur einer unterhaltspflichtig igt, weil wirklicher Vater nur einer sein kann
und leichter bereit sein, die Last der Unterhaltspflicht auf mehrere zu
verteilen.
Mit Recht nimmt man mit Rücksicht auf die Mutter und das Kind
Anstoss an der Einrede, dass ein anderer auch der Kindsmutter in der
empfängnisfähigen Zeit beigewohnt habe; man hat sich aber gescheut,
aus früheren Rechtsfestsetzungen die Bestimmung herüber zu nehmen.
Digitized by Goiisle
dass alle Männer, die der Kindsmutter in der fraglichen Zeit beigewohnt
haben, auch beitragspflichtig sind.
Das geschah aus dem sittlichen Bedenken, dass recht viele Mütter
in dem Augenblicke, wo sie merken, dass sie empfangen haben, darauf
ausgehen, dem Kinde zum Unterhalte eine grössere Z^l Väter zu
schaffen. Aber dieser Einwurf trifft deshalb nicht ins Ziel, weil das
jetzt doch geschieht, nur mit grösserer Heimlichkeit und Gerissen¬
heit. Für das Kind würde in vielen Fällen besser gesorgt werden
können, wenn nicht einer zum Zahlen verpflichtet würde, sondern alle,
bei denen die Möglichkeit der Vaterschaft vorliegt. Die Last würde für
den einzelnen kleiner werden, er würde nicht in die Stellung des Vaters
gedrängt werden, die er innerlich doch nicht einnehmen kann. Freilich
war es, soweit ich unterrichtet bin, ein Fehler der alten Gesetzgebung,
dass auch da nur einer bestimmt \Vurde, an den sich das uneheliche Kind
zu halten hatte, der dann das Recht hat, bei seinen Genossen sich
schadlos zu halten. Dafür müsste bei einer neuen Regelung der Berufs¬
vormund eintreten. Damit würde man aber die Rechte des unehelichen
Kindes gewahrt haben, in vielen Fällen ihm sogar einen grösseren
Unterhalt zubilligen können und hätte doch das edle Verhältnis der
Vaterschaft nicht auf zweifelhafte oder gar nur im Sinne des Gerichtes
sichere Fälle angewendet.
Die Einrede der mehreren Beischläfer wäre damit aus der Welt
geschafft und damit doch wohl auch ein sittlicher Vorteil erzielt. Denn
nun wird ein guter Freund des zukünftigen Kindsvaters sich nicht mehr
finden lassen, der die Kindsmutter darauf prüft, wde leicht sie sich auch
von einem anderen verführen lässt.
Bücheranzeigen und Referate.
Der Werdegang der Menschheit und die Entstehung der Kultur von
Prof. Dr. med, Hermann Klaatsch. Nach dem Tode des Verfassers
herausgegeben von Adolf Hellborn. Deutsches Verlagshaus Bong
6c Co., Berlin. Leipzig, Wien und Stuttgart, 1921.
Das Buch ist das Vermächtnis'des Breslauer Anthropologen Hermann
Klaatsch an das von ihm in seinen Uranfängen reich und tiefgründig
studierte Menschengeschlecht und atmet unter H c i 1 b o r n s lebendiger
Darstellung ganz den sprühenden Geist des erdunifassenden Forschers,
der, ein geborener Berliner, im 52. Lebensjahre in Eisenach (1916) einer
Lungenentzündung erlag. Alle Gedanken des pfadfindenden Anthro¬
pologen und seine kühnen wissenschaftlichen Vorstösse in die Eiszeit
kehren w'icder und bieten sich dem Leser leicht und fasslich dar. so dass
auch der nicht vorgebildete Laie mühelos ein anschauliches Bild gewinnt
von den epochalen biologischen und geologischen Weltgesetzen, denen
die Menschw^erdung aus niedrigen Vorstufen (Anthropoiden) unterlag.
Bereichert wird die Darstellung durch Einflechtung vieler eigener Er¬
fahrungen des in der Völkerkunde mehrfach hervorg'ctretenen Heraus¬
gebers. — Nach einer kurzen, den 1. Abschnitt bildenden Einführung, die
das äussere Leben Klaatschs und seine Arbeitsstätten schildert be¬
spricht der Verfasser im II. Abschnitt die Stammesgeschichte
der Vormenschheit und die Vorbedingungen der
Kultur: Das Meer ist die Mutter aller Lebewesen. Von seinen Be¬
wohnern leiten die prähistorischen gigantischen Eidechsensäuger zu den
Landwirbeltieren über, deren höchste Stufen die Menschenaffen und der
Mensch sind. Beide sind aber nicht unmittelbar auseinander hervor¬
gegangen, sondern sie haben in der Vorzeit eine gemeinsame Entwick¬
lungsbahn durchgemacht deren Ausgangspunkte ^ unter den heutigen
Anthropoiden der Gibbon am nächsten steht. Von dieser gemeinsamen
Entwicklungsbahn (PropithekantropI) sind die Affen als Abzweige ab¬
gesunken und fielen als niedrig stehende Vettern des Menschen in die
Wildnis de.s- Urwaldes zurück, während das zum Menschen entwickelte
Geschlecht (Hominiden) sich vervollkommnete und in aufrechtem
Gang mit erhobenem Scheitel die Erde unterw-arf. Der III. Abschnitt
behandelt die Ausprägung der Mcnschcnmerkmale und
die Uranfänge der Kultur und gibt dabei ein seelenvolles Bild
von dem Leben und Treiben der Menschenaffen im Urwald. Der auf¬
rechte Gang formte die hintere Extremität zum Stützapparate, die vordere
zum Greiforgan um. Hierdurch entstanden die menschlichen Proportionen
der Glredmassen, die von denen der Affen grundsätzlich verschieden
sind. Die menschliche Hand ist nach Klaatschs eingehender ver¬
gleichend anatomischer Untersuchung, ein uralter Besitz, der allen Land¬
säugetieren eigen ist und in den Spuren des vorgeschichtlichen Chiro-
therion ebenso hervorleuchtet, wie in der Grabpfote des Maulwurfs und
in dem Fledermausflügel. Bei den Affen erfuhr die Hand durch die Rück¬
bildung des Daumens an der nur mehr als Kletterw’erkzeug dienenden
vorderen Extremität eine Rückbildung. Die Anfänge der Kultur, die
Erfindung des Feuers und der Werkzeuge, das sich aiisbildende Familien¬
leben entkleideten den Menschen der wilden Eigenschaften seiner Vor¬
fahren. Daher blieb das menschliche Gebiss in seiner Entwicklung auf
niederer Stufe stehen und reicht nicht an die mechanisch höhere Au.s-
bildung beim Mensch-enaffen und Raubtier heran. Der Schmuck ist älter
als die Kleidung. Aus der Feuerstätte entwickelte sich die Plattform
und der Pfahlbau, aus diesen die menschliche Wohnung. Ganz neuis
Licht fällt vielfach auf die Entwicklung des menschlichen Geistes und der
Psyche. Der Anatom Klaatsch geht von seinem Standpunkt aus den
psychischen Fragen auf den Grund und kommt häufig zu ebenso über¬
raschender. wie überzeugender Lösung.
Der IV. Abschnitt umfasst die eigentlichste Schöpfung von
Klaatsch: den Stammbaum des Urmenschen, der mit seinem Namen
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
750
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
stets unzertrennlich verbunden sein wird. Unter unseren Vorfahren
(Hominiden) sehen wir die rückständige plumpe Neandertalrasse
(Funde von Neandertal, Spy, Krapina, Mauer, le Moustier usf.) mit der
fliehenden Stirn, den starken Augenbrauenwülsten und dem mangelnden
Kinn; ferner die viel vollkommenere, schlank gebaute Aurignac¬
ras s e, die K1 a a t s c h an dem Funde Hausers in Südfrankreich auf¬
stellte, weiter die 2 m hohen Riesenmenschen von Cro-Magnon und
die von B ö n n e t und V e r w o r n studierten fossilen Menscheiireste von
(^berkassel und die mährischen Funde von P r e d m o s t und viele andere
in den letzten Jahren gehobene Reste menschlicher Fossilien, deren
Studium eben noch durchgeführt wird. Hier befinden wir uns auf dem
eigensten Arbeitsfelde K1 a a t s c h s, der die ganze alte Welt von
Australien über Asien und Afrika bis Europa in kühnem (jedanken-
schwunge umfasst und uns als Pfadfinder die Menschenstrassen der Eis¬
zeit führt! —
Das fast 400 Seiten umfassende, von dem Verlagshaus Bong trotz
der schwierigen Zeit vorbildlich ausgestattete Buch enthält ungefähr 50,
teils in Farbendruck ausgeführte Tafeln und ausserdem 300 Abbildungen.
Der Herausgeber H e i 1 b o r n, der ebenso wie K I a a t s c h in Australien
die letzten Reste der Urrnenschheit aus eigener Beobachtung kennen
lernte, hat mit seinem populären Buch ein grosses Kulturbedürfnis für
die denkende und auf ihrem Erdball brütende Menschheit erfüllt zü einer
Zeit, wo der Niedergang des geistigen und wirtschaftlichen Lebens die
wissenschaftliche Entfaltung erschwert. Möge gerade unser in Ver¬
wirrung und Niedergang geratenes Zeitalter in dem lebhaften gediegenen
Buche den Funken des Prometheus erkennen und das Feuer der reinen
Wissenschaft, das nur ihrer selbst wegen entzündet wird, und daher fern
von nationalen Schwächen allen Völkern eigen ist! So wünschen wir
dem schönen Buche von K1 a a t s c h und H e i 1 b o r ri weiteste Ver¬
breitung. H. C 0 e n e n - Breslau.
I. Brom an: Grundriss der Entwicklungsgeschichte des Menschen.
1. u. 2. Aufl. 208 Abb., 354 S., München u. Wiesbaden, J. F. Berg¬
mann, 1921. Preis M. 80.—.
Das Buch ist ein Auszug aus dem bekannten früheren Lehrbuch des
Verfassers; auf die Darstellung der Oi;ganentwicklung ist der Hauptwert
gelegt, sie kann als vollkommen gelungen bezeichnet werden. Unsere
lückenhafte Kenntnis der Furchung und Keimblattbildung beim Menschen
hätte es wohl wünschenswert gemacht, in diesen Teilen etwas mehr
auf die tierischen Verhältnisse einzugehen. So dürfte dem Anfänger
dieser Abschnitt des Buches nur schwer verständlich sein, wenn er auch
unsere Kenntnis dieses Teiles der menschlichen Entwicklung klar zu-
sammenfasst. Die Abbildungen sind in dem mir vorliegenden Exemplar
teilweise leider nicht sehr klar wiedergegeben, grosscnteils aber recht
gut. Sie sind sämtlich dem -erwähnten Lehrbiiche B r o m a n s ent¬
nommen und besitzen den Vorzug grosser Anschaulichkeit, (jewisse
Druckfehler (z. B. S. 30 Parenteralgeneration statt Parenlalgen) lassen
sich in der nächsten Auflage wohl ausmerzen. Sicher füllt das Buch
als spezielle menschliche Organogenie in seiner knappen und klaren
Fassung eine Lücke aus und wird hfer speziell auch für embryologisch
interessierte Kliniker und Aerzte ein zuverlässiger Führer sein.
v. M ö 11 e n d 0 r f f - Freiburg i. Br.
E. S. Russell: Form and Function. A contribution to the historv
of animal morphology. 383 S. London 1916. Murray.
Das voriiegende Buch stellt weniger eine sachliche Erörterung der
Beziehungen von Form und Funktion dar als vielmehr eine historische
Uebersicht, wie sich andere biologische Denker diese Beziehungen ge¬
dacht haben. Da Verf., ebenso wie sein deutscher Vorgänger Radi, auf
larnarckistisch-vitalistischem Standpunkt steht, so ist auch seine (je-
schiclite der Morphologie, die eigentlich treffender eine (kschichte der
biologischen Hypothesen genannt werden könnte, lamarckistisch orien¬
tiert.^ Das kommt z. B. darin zum Ausdruck, dass Denkern wie Butler
und S e m 0 n, die doch -eigentlich gerade für die Entwicklung der Morpho¬
logie keine besondere Rolle gespielt haben, eine übertriebene Bedeutiuig
beigelegt wird. Eine streng unparteiische (ieschichte irgendeines Ge¬
bietes halte ich freilich nicht für möglich;-alle Geschichte setzt vielmehr
Wertung-en bei ihrem Urteil voraus. Insofern kann man Verf. aus '^einer
einsciti^n Einstellung keinen Vorwurf machen. Wer freilich wie Ref.
der Meinung ist, dass der jahrzehntelange Streit zwischen I.amarckismjs
und Neodarwinismiis durch die moderne experimentelle Biologie zu uii-
gunsten des Lamarckismus entschieden ist, wird der Meinung sein, dass
eine andere Einstellung für einen Historiker der Morphologie gliickiicl;er
gewesen wäre. Im übrigen ist das Buch R u s s e 1 s sorgfältig und
reichhaltig. Insbesondere ist auch die deutsche Literatur bis auf R o u x
eingehend berücksichtigt. Lenz- München.
Rudolf Lieske: Morphologie und Biologie der Strahlenpilze
(Aktinomyzeten). Leipzig, G e b r. B o r n t r ä g e r, 192). 292 S. Mit
112 Abbildungen im Text und 4 farbigen Tafeln. Preis 108 .M.
Das Werk, mit Unterstützung der Heidelberger Akademie gedruckt,
in Papier und bildnerischer Ausstattung an die besten Erzeugnisse des
Buchhandels der Vorkriegszeit erinnernd, ist überwiegend eine botanische
Arbeit. Den Hanptgegeristand der Darstellung machen die Unter¬
suchungen über die systematische Stellung und den Umfang der Aktino-
myzesgriippe, iilier die morphologischen und physiologischen Eigen¬
schaften, die chemischen Wirkungen der Strahlenpilze ans. Erst in dem,
allerdings genügend lunfangreiclien. Schliisskapitel ist von den Strahlen¬
pilzen als Krankheitserregern die Rede.
Die Strahlenpilze sind nach Lieske eine selbständige Organismen¬
gruppe, die zwischen Bakterien und Pilzen steht; ihre genauere gene¬
tische Stellung ist aber noch nicht mit Sicherheit anzugeben, sie zeichnen
Digitized by Goiisle
sich durch grosse Veränderlichkeit aus: Lieske meint (zum Unterschied
auch von neuesten, von ihm nicht mehr berücksichtigten Untersuchern),
dass die saprophytischen Formen mit den pathogenen identisch sind
und dass für das Pathogenwerden möglicherweise bestimmte Arten von
Begleitbaktcrien eine Rolle spielen. Er hält es für sicher, dass behaftete
üetreidgrannen die Vermittler der Aktinomykose werden können; da
aber die Pilze sehr vi-el verbreiteter sind, als gewöhnlich angenommen
wird (z. B. an Salat und Obst und ständig in den Fäzes anzutreffen sind),
so sind die Möglichkeiten der Infektion — Erwerbung der Pathogenität
vorausgesetzt — sehr mannigfaltig. R. Rössle-Jena.
A. Lorenz: Die sogenannte angeborene Hüftverrenkung. Mit
122 Textabbildungen. F. E n k e, Stuttgart 1920. Preis 50 M.
Das Buch ist von dem Arzt geschrieben, der die unblutige Ein¬
renkung der angeborenen Hüftverrenkung geschaffen hat, der trotz aller
Schwierigkeiten und trotz der bittersten und ungerechtesten Angriffe
an ihrt.‘m Ausbau unermüdlich weitergearbeitet hat und der heute nach
25 Jahren mit Genugtuung schreiben kann, dass seine Hoffnungen in Er¬
füllung gegangen sind. Wenn das früher unheilbare Leiden heute bei
frühzeitigem Beginn der Behandlung mit grösster Wahrscheinlichkeit
.geheilt werden kann, so verdanken wir das Adolf Lorenz. Das vor¬
liegende Buch ist dem Lebenswerke von Lorenz ebenbürtig.
F. L a n g e - München.
Prof. P o r t - Heidelberg, Prof. Euler- Erlangen: Lehrbuch der
Zahnheilkunde. 2. u. 3. Auflage, herausgegeben von Prof. Euler. Mit
620 teils farbigen Abbildungen. München und Wiesbaden, Verlag Berg¬
mann, 1920. Preis 120 M.
Die Empfehlung der ersten Auflage gilt in jeder Beziehung auch
für die vorliegende. Die guten Eigenschaften des Buches sind: Kürze und
Klarheit der Darstellungr reiche eigene Erfahrungen der Verfasser. Er¬
leichterung des Verständnisses durch vorzügliche Abbildungen, didak¬
tisch-zweckmässige Einteilung des Stoffes.
In der Hauptsache hat das Werk hinsichtlich seiner äusseren und
inneren Gestaltung keine Aenderung erfahren. Wohl aber ist der Inhalt,
entsprccl;cnd den raschen Fortschritten der zahnärztlichen Wissenschaft,
reich-er geworden, ohne dass dadurch eine erhebliche Zunahme des
Umfangs bedingt wurde. Die neue Auflage hat Eu-ler dem Andenken
seines verstorbenen Lehrers und Mitarbeiters Port gewidmet.
B 1 e s s i n g - Heidelberg
. D. Kulenkampff: Fortbilduiigsvorträge für Schwestern. Mün¬
chen und Wiesbaden 1920, bei J. F. Bergmann. 175 S. 8“. 18 M.
Im Pfl-egeper.sonal besteht zurzeit ein starker Drang nach Fort¬
bildung. Dem Wunsche, Lücken auszufüllen und die Berufspflichten mög¬
lichst verständnisvoll erfüllen zu können, müssen wir Aerzte möglichst
entgegengekommen. .Auf der anderen Seite darf der Drang, selbst ein
bischen den Arzt spielen zu wollen, nicht unterstützt werden und die
Züchtung von Kurpfuschern ist zu meiden. Es ist daher die Aufgabe.
Fortbildungsvorträge für Schwestern zu halten, nicht leicht. Art und
•Masse d-cr zu übermitielnden Erkenntnisse muss sorgfältig erwogen
werden. Die Vorträge von Kulenkampff sind als musterhaftes Vor¬
bild für derartige Kurse aufs wärmste zu empfehlen. Sie sind wirklich
sehr geeignet, den Schwestern in der anregendsten Weise biologische
und allgemein pathologische Grundbegriffe beizubringen und sie zu ver¬
ständnisvollen Helferinnen d-cs Arztes zu erziehen. Mit Vorliebe wird
das gegenwärtige Wissen in seiner historischen Entwicklung geschildert,
eine didaktisch vorzügliche Methode. Auch der Arzt wird diese Vor¬
träge mit Vergnügen, sogar mit Gewinn lesen, ebenso auf der anderen
Seite nicht bloss die Schw-ester. sondern überhaupt der gebildete Laie.
Der Verfasser versteht eben die Kunst, gut zu schreiben, alles klar zu
entwickeln, ohne oberflächlich zu bleiben. Zu korrigieren ist die An¬
gabe über Lebenszeit des Hippokrates und die Behauptung, dass es
Ende des vorigen (soll wohl l.-eisscn 18.) Jahrhunderts noch keine Chi¬
rurgie gegeben habe und diese in den Händen des Baders war.
Kerschensteine r.
Arthur Castiglionl: Leben und Werke des Santorio Santorio
von Capodistria. Verlag von Licinio Cappelli. Bologna-Triest.
Wer Santorio Santorio Justinopolitaniis ist, das wusste im 16. Jahr¬
hundert lind in der nachfolgenden Epoche jedermann, der sich mit wissen¬
schaftlichen und besonders mit medizinischen Studien befasste. EHc
Fürsten jener Zeit beriefen an ilir Krankenbett den grossen Santorio.
den kühnen Neuerer auf dem Gebiete der Stoffwechselforschnng; aus
aller Herren Länder, nicht zuletzt aus Deutschland, pilgerteii die lern¬
begierigen Jünger zur Lehrkanzel des Santorio. um die Lehre zu hören,
die damals so neu und verwegen klang: Glaubet nur das. was auf dem
Boden der exakten F o r s c h u n g hisst, und heilet die Kranken nur
rnit solchen Mitteln und Methoden, die durch das Experiment, durch
Erprobung und Erprobtheit, sanktioniert sind! — Die Bücher des San¬
torio. in erster Reihe die „Statica mcdicina“, sowie auch seine medi¬
zinischen lind chirurgischen Apparate und Instrumente waren iinenthclm-
lijhes Gemeingut der damaligen .Aerztcwclt. Die heutige Aerztegenera-
tion geniesst in vielfacher Hinsicht die Früchte von Santorios l.ehcns-
werk, sie geniesst sie ohne das eindringliche Bewusstsein, dass es Früchte
ans dem Garten Santorios sind. Wir iiiüscn demnach dem Autor der
vorliegenden Monographie Dank wissen, dass er uns die Verdienste
jenes ärztlichen Bahnbrechers der Renaissance wieder ins Gedächtnis
.gerufen hat und dass Castiglioni durch Erschliessung eines neuen bio¬
graphischen Materials und durch kritische Zusammenfassung des bisher
Bekannten nunmehr ein vortreffliches Porträt des Mannes und seiner Zeit
gegeben hat -nb—
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Gewerbliche Medizin.
(Berichterstatter: Ministerialrat Dr. F. Koelsci;. bayer. Landes¬
gewerbearzt in München.)
Für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit eines jeden
arbeitenden Individuums ist die ärztliche Berufsberatung von
weittragender Bedeutung. Es sei daher auf die beiden nachstehenden Ver¬
öffentlichungen kurz aufmerksam gemacht; Berufsberatung von
K. Hauck in der Zschr. f. Gew.Hyg., 1921 H. 2/4 und auf die vom Päda¬
gogisch-Psychologischen Institut München herausgegebenen Merkblätter
zur Berufsberatung, ln beiden Drucksachen ist auch die ärztliche
bzw, gesundheitliche Seite ausreichend* berücksichtigt.
Die gesundheitlichen Grundlagen bzw. Physio¬
logie der gewerblichen Arbeit, und insbesondere das T a y 1 o r -
System behandelt ausführlich Diene mann in H. 4 d. Vöff. d. Dresdner
' Volkshochschule. Verlag C. Heinrich in Dresden-N. Das 71 Seiten
starke Heft sei allen jenen empfohlen, welche sich über diese Materie bequem
und doch ausreichend unterrichten wollen.
Die deutsche Verordnung z u rn Schutze der Pressluft-
a r b e i t e r vom 28. Juni 1920 (RGBl. Nr. 146) wird im Zbl. f. Gew.Hyg.
1921. 2. von Le y mann näher erörtert; gleichzeitig wird ein Ueberblick
über die bei Prcssluttarbeitern zu erwartenden Gesundheitsschädigungen ge¬
geben. Der Verordnung sind als besondere Anlagen beigegeben; eine Dienst¬
anweisung für den Pressluftarzt, ein Merkblatt für Pressluftarbeiter und
eine Dicnstanw'cisung für den Schleusenwärter. Insbesondere diese Anlagen
seien den n.it der Ueberwachiing von Pressluftarbeiten beauftragten Aerzten
einem eingehenden Studium empfohlen.
Zur S t a u b f r a g e liegen einige bemerkenswerte Arbeiten vor;
L. V o ! I r a t h; Die T u b e r k u 1 o s e s t e r b 1 i c h k e i t der Por-
z e I 1 a n a r b e i t e r Thüringens. — R. R ö s s I e: U e b e r die
r u b e r k u 1 o s e der S t a u b a r b e i t e r, im Besonderen im Por-
z c 11 a n e r g e w e r b e. Beitr. z. Klin. d. Tbk. 47. 2. — R ö s s 1 e fand,
dass Porzellanstaub-Koniose und a k u t e Lungentuberkulose im allgemeinen
sich nicht vergesellschaften, dass vielmehr dem Porzellanstaub infolge seines
Gehaltes an amorphen Silikaten eine tuberkulosehemmende und heilungs-
iördernde Eigenschaft zukomme. Von den 45 obduzierten Porzellanarbeitcrn
zeigten 20 Koniosen. dagegen nur 6 Tuberkulose; in letzteren Fällen findet
sich unterm Mikroskop häufig Vernarbung des tuberkulösen Granulations¬
gewebes, Hemmung des Zerfalls und Abkapselung. Bei der statistischen
.4ufarbeitung des Materials aus der Thüringer Porzellanindustrie gelangte
V o 11 r a t h zu dem Ergebnis, dass im Meininger Bezirk eine relativ hohe
Sterbeziffer durch Erkrankungen der Luftwege besteht (5,7 auf 1000 Lebende,
in Bayern nach Koelsch 6,6), dass aber der Ablauf der Tuberkulose ein
relativ langsamer ist. Günstigere Zahlen (2,4) wies der Rudolstädter Bezirk
auf, wo der ländliche Einschlag vorherrscht, wenngleich auch hier der All¬
gemeindurchschnitt übertroffen wurde. Verf. hält daher den Einfluss der
allgemeinen Lebensbedingungen für bedeutungsvoller als wie die Einatmung
von kieselsäurehaltigem Porzellanstaub und andere Betriebsschädlichkeiten.
Im Zbl. f. Gew.Hyg. 1920. 12. behandelt K. Opitz die Lungen¬
entzündungen bei Thoniasschlackenmehlarbeitern.
Diese charakteristische Erkrankung der genannten Arbeiter, der früher bis
zu 28 Proz. derselben erlagen, ist nach der herrschenden Anschauung eine
gewöhnliche Lungenentzündung, die aber nach Entstehung und Verlauf durch
den scharfkantigen Thomasmehlstaub bzw. durch die dadurch gesetzten
Gewebsschädigungen wesentlich beeinflusst wird. Tatsächlich ist die Sterb¬
lichkeit an Lungenentzündung unter diesen Arbeitern auch heute noch — trotz
Spezialvorschriften — mehr als 20 mal so gross, wie in anderen gewerb¬
lichen Betrieben. Dass Frauen empfindlicher sind, war im Kriege nach¬
zuweisen; die männlichen Arbeiter waren wegen Erkrankung der Atmungs¬
wege zu 27,9 Proz.. die w'eiblichen jedoch zu 36,8 Proz. erkrankt. Noch
deutlicher zeigte sich der Geschlechtsunterschied in der Grippeepidemie. Es
erkrankten z. B. im allgemeinen Betrieb von den Männern 31,1 Proz., von
den Frauen 66,4 Proz. — im Thomasschlackenbetrieb 73,3 Proz. bzw.
93,0 Proz,; letzteres, obw'ohl die Thomasarbeiter ein ärztlich ausgesuchtes
Menschenmaterial darstellen. Schliesslich macht Verf. den Vorschlag, den
genannten Arbeitern prophylaktisch Optochin zu verabreichen.
Eine Anzahl von Obergutachten über berufliche Ver¬
giftungen bringt F. Curschmann im Zbl. f. Gew.Hyg. 1921
Heft 2—4. Behandelt werden u. a. Vergiftung durch Azetylen, durch den
„Kampfstoff“ Clark, durch aromatische Kohlenwasserstoffe, durch Gichtgase,
durch Anilin, Trinitrotoluol, Trichloräthylen und Dinitrobenzol.
Ein Aufsatz von J. S c h ö n f e 1 d - Leipzig im Zbl. f. Gew.Hyg. 1921. 1.
behandelt die Frühdiagnose der Bleivergiftung. Für die
wirksame Therapie der Bleivergiftung ist es erforderlich, schon beim Beginn
ein untrügliches Zeichen der Bleieinwirkung festzustellen: dieses Merkmal
findet sich im Blut bei Bleikranken, Verf. nennt diese Blutuntersuchung,
die er bisher an über 1000 Mitgliedern der Leipziger Ortskrankenkassc an der
^dortigen „Bleistation“ vorgenommen hat, unentbehrlich; er fand basophile
Granulationen in der Zahl von 30—15 000 auf 1 Million roter Blutzellen und
hält auch einen Befund von unter 100 gekörnten Erythrozyten (Standard
nach Schmidt) auf 1 Million für positiv. Die Körnchcnzellen treten bei
Beginn der Bleiwirkung auf, bleiben je nach Fortschreiten der Heilung
Wochen bis Monate bestehen, fehlen allerdings bei den schwersten Fällen,
wo eine Reaktion der blutbildenden Organe im regenerativen Sinne nicht
mehr erfolgt oder in chronischen Fällen, wo das Blei bereits ausgeschieden
ist. Der Hämoglobingehalt steht im umgekehrten Verhältnis zum Befund an
basophilen Granulationen. Schönfeld vergleicht weiterhin die Blei¬
vergiftungsfälle in Leipzig vor und nach der Einrichtung der Bleistation und
kommt zu dem Schlüsse, dass die Aufwendungen für Krankengeld seit Ein¬
führung der spezifischen Untersuchung um das 25 fache abgenommen haben,
dass dadurch die ganze Erkrankungsstatistik der Bleiarbeiter eine andere
geworden ist, dass ferner durch die Vornahme der Untersuchungen eine
erhebliche Beruhigung unter der Arbeiter.schaft Platz gegriffen habe. Dem
möchte Ref. beifügen, dass die Abnahme der Bleivergiftung in der Kriegszeit
auch dort beobachtet würde, wo eine Bleistation nicht bestand, dass hierbei
die Einschränkung der Bleiarbcit während des Krieges wohl den Huipt-
anteil trägt.
Auf eine längere Abhandlung über die Bleivergiftung vom
Standpunkte der versicherungsgerichtlichen Medizin
Digitized by Goiisle
aus — von Weinberg in Aerztl. Sachverst. Ztg. 1921. 4—6 — kann an
dieser Stelle nur verwiesen werden.
* Von französischen Autoren wurde neuerdings angegeben, dass die be¬
kannten Gewerbeschädigungen der Teer- bzw. Brikeltarbeiter (Hautentzün¬
dungen. Warzen. Karzinome) auf einer chronischen Arsenvergif-
t u n g beruhen sollen. Sic folgern weiter, dass infolge des Gehalts der
Steinkohle an Arsen eine grosse Zahl von Arbeitern, insbesondere der Teer¬
destillation. der Arsenvergiftung ausgesetzt sei; es soll auch bei den ge¬
nannten Arbeiterkategorieii im Harn, Blut und in den Haaren Arsen nach¬
gewiesen worden sein. Allerdings liegen keine Angaben vor, wie gross diese
Arsenmengen waren; auch die Zahl der Untersuchungen ist ausserordentlich
klein. Irn Zbl. f. Gew.Hyg. 1920, 12. weist Burkhardt diese Auffassung,
als ob es sich hier um chronische Arsenvergiftung handelte, zurück.
Ueber C O - V e r g i f t u n g e n handelt ein Aufsatz von J. Müller
in Vjschr. f gerichtl. Med. (1921) 61. 1. — ebenda eine Mitteilung von
Gros und K o c h m a n n: Ueber eine K o h l e n o .x y d g a s v e r g i f -
tung in eine/ Giesserei. Die Verfasser konnten nachweisen, dass
beim Messing- und Rotguss während des Schinelzcns und Giessens an den
.Arbeitsplätzen Kohlenoxyd deutlich nachweisbar ist. Im Blut lässt sich CG
noch nachweisen, aucli wenn der Vergiftete noch 48 Stunden und länger in
kolilenoxydfreier Luft geatmet hat.
Ein Aufsatz von Holtzmann im Zbl. f. Gew.Hyg. 1921. 2. erörtert
die gewerblichen Vergiftungen durch gasförmige B 1 a u -
säur e beim Vergolden und Versilbern. Blausäuregas entsteht hierbei zu¬
nächst beim anodischen Auflösen von Gold in Zyankali; weiterhin bei Ver¬
wendung der Bäder, wobei die Gasentwicklung von Stromspannung und
Stromdichte abhängt; die heissen Goldbäder sind gefährlicher. Die zu beob¬
achtenden (jesundheitsschädigungen sind allerdings nur leichter Art und
können durch gute Ventilation bzw. mechanische Absaugung der Dämpfe
wohl beseitigt werden.
Betr. Vergiftung durch Benzol sei auf die Veröffentlichung von
Adamkiewitz in D.m.W. 1920. 42. — durch seine Nitroverbin¬
dungen (Abortivwirkung) auf den Aufsatz von Spinner, ebenda S. 626
kurz verwiesen.
Zwei neue Arbeiten befassen sich mit den Wirkungen der U r s o I e.
Zunächst gibt C. G e r s o n im Zbl. f. Gew.Hyg. 1920 H. 9—10 seine Be¬
obachtungen und Untersuchungen über das anaphylak¬
tische Bronchialasthma infolge von p-Phenylendia-
min-Fellfarbstoffen. Unter dem Namen „Ursole“ werden Diamine
als Farbstoffe in der Pelzfärberei vielfach verwendet; sie bilden durch
Oxydation mit Wasserstoffsuperoxyd -auf der tierischen Faser einen tief¬
schwarzen (bzw. braunen) Farbstoff unter Entstehung von Chinondiimin
als Zwischensubstanz. An Hand von 7 selbst beobachteten Fällen schildert
Verf, die Krankheitssymptome, die im wesentlichen das Bild des Bronchial¬
asthmas ergeben. Verf. suchte nun experimentell zu beweisen, dass es sich
hier um eine anaphylaktische Reaktion handle, dadurch bedingt, dass sich die
betr. chemischen Stoffe mit dem Körpereiweiss irgendwie kuppeln und neue
(artfremde) Eiweissverbindungen erzeugen — oder aber dass durch Spal¬
tung des Benzolringes direkt Aminosäure oder Biaminosäuren entstehen.
Verf. konnte tatsächlich in 3 Versuchsreihen einen anaphylaktischen Schock
bei den Versuchstieren erzeugen, die vorher durch Einspritzen mit dem
Serum eines Asthmakranken passiv anaphylaktisch gemacht worden waren.
Eine aktive Anaphylaxie gegen das Chinondiimin ist bei intravenöser Re-
injektion desselben wahrscheinlich schon innerhalb von 15 Tagen vorhanden.
Entsprechend der bewiesenen Tatsache, dass es sich bei dem Asthma der
Fellfärber nicht um eine Intoxikation, sondern um eine Anaphylaxie handelt,
wird therapeutisch Kalzium empfohlen. (Tatsächlich hat sich das in der
Praxis bewährt. Ref.)
Das gleiche Thema behandelt W. Schmitt in Oeff. Gesundheitspflege
i 1920 H. 9: Erörterungen über die Gesundheitsverhält¬
nisse der Arbeiter in den Leipziger Pelzzurichtereien
mit besonderer Berücksichtigung der Ursolschädi-
g u n g e n. Verf. schildert zunächst die Arbeitsvorgänge beim Zurichten
und Färben der Felle und bespricht hierauf die daraus sich ergebenden
krankhaften Störungen der Arbeiter; eigenartige Haut- und Nagelerkran¬
kungen, Erkältungskrankheiten. Staubreizung der Luftwege, schliesslich die
durch den Färbenrozess veranlassten Krankheiten. Als Farbstoffe
kommen in Frage Anilinschwarz (selten!), ungiftige Holzfarben (Blau-, Gelb-.
Rotholz, Curkuma u. a.), endlich die Oxydationsfarben (Ursole. Nakofarben)
in ausgedehntestem Masse: Para- und Metaphdnylcndiamin, Orthoamido-
phenol, Ortho- und Paraamidoparanitranilin. Paratoluylendiamin uam. Die
charakteristischen Erkrankungen betreffen die Schleimhäute der Atmungs¬
organe und die Haut. Im ersten Falle schwanken die Schädigungen vom ein¬
fachsten Niesreiz bis zu schwerstem Asthma mit Emphysem und Dilatatio
cordis. Eine persönliche Disposition ist notwendig: Alkoholmissbrauch
begünstigt die Erkrankung ganz wesentlich; eine Gewöhnung tritt nicht ein.
Vermutlich kommen die Ursolschädiguneen auch statistisch in Erscheinung:
Durchschnitt der Erkrankungen der Luftwege bei der O.-Kr.-K. Leipzig
18,2 Proz., bei den Pelzzurichtern rund 30 Proz.; Herzkrankheiten 1,5 Proz.
gegenüber rund 4 Prop. — Auf der Haut finden sich Reizwirkungen ver¬
schiedener Art; der Anteil der mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Haut¬
krankheiten beträgt hier etwa das 7—8 fache gegenüber dem Durchschnitt
der O.-Kr.-K. Die Gesamtmorbidität der Pelzzurichter stieg nach Einführung
der Ursöle an! und zwar die Krankheitsfälle von 0.38 auf 0,62, die Krankheits¬
tage voi\ 9.61 auf 17,81. Durch gewerbehygienische Massnahmen wurden
in den letzten Jahren erhebliche Verbesserungen des Gesundheitszustandes
erzielt. Vgl. hierzu das Ref. in Nr. 22 der M.m.W. S. 645 über einen
Vortrag von Curschmann - Rostock (ab^edruckt in Nr. 7 1921 der
M.m.W.) betr. 7 Fälle von schwerstem Bronchialasthma mit sonstigen
schweren Anaphylaxiesymptomen nach Einatmung kleinster Mengen von
Pelzfärbemitteln (Ursol). Auch hier schien sich die Verabreichung von
Kalzium therapeutisch und prophylaktisch zu bewähren. — Weiterhin hat
Ritter in Nr. ll (1921) d. M.m.W. seine einschlägigen Erfahrungen mit¬
geteilt. — Ergänzend^sei bemerkt, dass bereits im Jahre 1913 in der Zschr.
f. ö. Gesundhtspfl. (Oesterreich) H. 5 S. 392 ein Aufsatz über Entgiftung
von Pelzfärbemitteln erschienen war.
Ueber einen Fall von Gewerbeschädigung bei Fass¬
bindern berichtet W. S m i t a I im Zbl. f. Gew.Hyg. 1920 H. 12. Es
handelte sich um Ausbildung derber Schwielen im Handteller mit darunter
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
752
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24 .
entstandenem Schleimbeute! und Schädigung der Medianusfasern (Sensibili¬
tätsstörungen). Die Arbeitsfähigkeit war wesentlich beeinträchtigt.
Schliesslich sei auf die nachstehende, für die instrumentelle Ausrüstung
des Amtsarztes bzw. Qewerbearztes wichtige Arbeit aufmerksam gemacht:
Der Wert der zur Bestimmung des K o h 1 e n s ä u r e g e-
haltes der Luft benutzten Apparate unter besonderer
Berücksichtigung des Aöronom (der Dräger-Werke)
— von H. Rauch in Zschr. f. Hyg. 19. 1. (1920). Verf. kommt dabei zu
dem Schluss, dass der Aeronom nicht zuverlässig arbeitet und nur bei pein¬
lichster Behandlung und genauester Beachtung aller möglicher Fehlerquellen
brauchbare Annäherungswerte gibt. Dann allerdings sind Aeronom, Wöl¬
pe r t s Karbacidometer und der Apparat von Lunge- Zeckendorf an¬
nähernd gleichwertig. Verf. gibt dann noch nähere Anweisungen für die beste
Benützung der einzelnen Apparate. — Vgl. hiezu das Referat über die
Arbeit von W. Bachmann über den Aeronom in Nr. 26 1920 der M.m.W.
S. 759.
Zeitschriften-Uebersicht
Zeitschrift für klinische Medizin. 90. Band. 3. u. 4. lieft.
Qudzent: Experimentelle Beiträge zur Pathogenese der Gicht.
Eine Urikämie kommt bei vielen, von einander unabhängigen Krankheiten
vor. Sie ist vorhanden bei typischer, auch klinisch zu erkennender Gicht,
aber in vielen Fällen, besonders schwerer Gicht, wird normaler oder gar
erniedrigter Blutharnsäurespicgel gefunden. Ihr diagnostischer Wert ist daher
beschränkt. Während bei Gesunden injiziertes Urat bis zu 100 Proz. wieder
ausgeschieden wird, lässt sich bei typischer Gicht eine Haftung von Mono¬
natriumurat im Gewebe, eine Uratohistechie feststellen, bei einem schweren
Gichtkranken bia zu 90 Proz. Hierbei kommt es zur Bildung übersättigter
Uratlösungcn im Gewebe, wahrscheinlich ganz besonders an gewissen Prä¬
dilektionsstellen. Aus der Uebersättigung und der Qiftwirkung des Urats
lassen sich sowohl die Bildung von Uratablagerungen, als auch das Zu¬
standekommen des akuten Gichtanfallcs erklären. Neben der Gicht zeigen
eine Reihe von Krankheiten (geprüft sind bisher Tabes, Greisenalter, Tuber¬
kulose leichteren Grades, Alkoholismus und Glomerulonephritis), bei intra¬
venöser Injektion von Mononatriumurat ebenfalls eine gewisse Uratohistechie,
allerdings viel geringeren Grades. In den untersuchten Fällen zeigt sich
gegenüber der Gicht aber insofern ein Unterschied, als bei den nichtgichtigen
Patienten Blut- und Gewebsuratkonzentration sich gleich erwiesen, während
bei der Gicht die Gewebskonzentration die Blutkonzentration wesentlich
überstieg.
H. Z 0 n d e k: Herz und lnne«'e Sekretion. .
Beim Akromegalen findet sich Hypertrophie der linken Herzkammer,
offenbar als ein Zeichen einer sich auch auf das Herz erstreckenden ge¬
steigerten Wachstumstendenz. Bei infantilem Riesenwuchs war die Herz¬
grösse normal, bei Status thymico-lymphaticus sind die Herzen auffallend
klein. Bei 6 Patientinnen mit Chondrodystrophie fand sich bis auf einen
Fall bei allen starke Vergrösserung der Herzen, besonders der linken
Kammern. Bei einem Fall von atrophischer Myotonie ergab sich ein
allgemein vergrössertes, schlaffes Herz, träge Aktion, niedriger Blutdruck
und beträchtlich verlängertes A-V-Intervall im Elektrokardiogramm. Das
Myxödemherz charakterisiert sich vor der Behandlung mit Thyreoidea vor
allem durch eine Dilatation des linken und rechten Herzens, träge Herz¬
reaktion, Fehlen von Vorhofszacke und Tcrminalschwankung, Trägheit des
Vasomotorenzentrums. Nach der Behandlung mit Thyreoidin durch Ver¬
schwinden der Herzvergrösserung, lebhaftere Kontraktionen, Wiedererscheinen
von Vorhof- und Terminalzacke, Rückkehr der normalen Empfindlichkeit des
Vasomotorenzentrums. Bei den verschiedenen Formen von Fettsucht, auch
bei der thyreogenen, findet sich ausser mehr oder weniger ausgesprochener
Herzdilatation, die teilweise durch Ouerlagerung des Herzens vorgetäuscht
wird, am Zirkulationsappart nichts Besonderes.
L. Ken dz: Orthodlagraphlsche Untersuchungen über das Kriegsherz.
Die an 1000 nicht herzkranken Soldaten vorgenommenen orthodiagraphi-
schen Untersuchungen ergaben, dass bei den von der Front zurückgekehrten
Soldaten infolge von Schädigungen des Krieges selbst nach mehrmonatiger
Ruhe und Spitalbehandlung eine Herzerweiterung in 28,8 Proz. der Fälle
festzustcllen war. In hohem Prozentsatz war die rechte Herzhälfte dilatiert.
deren Tendenz zur Rückbildung gering ist. Die Aenderung der Herzgrösse
ist eine Folge des anstrengenden Frontdienstes und der damit verbundenen
psychischen Aufregungen. Ein vergrössertes Herz darf noch nicht als patho¬
logisch bezeichnet werden, da ein Herz trotz der Vergrösserung noch immer
eine ausgezeichnete Leistungsfähigkeit besitzen kann.
G. Jörgensen: Ueber Abhängigkeit der Leukozytenzahl von der
Körperstellnng.
Es finden sich zwei Leukozytenniveaus: ein höheres für die liegende
Stellung — ein niedrigeres für die stehende Stellung. Der Unterschied
zwischen den beiden Leukozytenniveaus kann mehr als 100 Proz. betragen.
Dieser Unterschied ist ein Faktor, auf den bei künftigen Untersuchungen
über das numerische Verhältnis der Leukozyten gebührend Rücksicht zu
nehmen ist.
H. Schirokauer: Zur Klinik der Plethysmographie bei Herzkrank¬
heiten (Plethysmographische Arbeitskurve nach Weber).
Zu kurzem Referat ungeeignet. Verf. schliesst aus seinen Unter¬
suchungen auf die hohe Bedeutung der Weber sehen Methode für die
klinische Prüfung der Herzfunktion. Es kann festgestellt werden,' ob ein
Herz suffizient ist oder nicht. Im letzteren Fall erhält man eine negative
Kurve. Es ist zu entscheiden, ob gewissen Herzbeschwerden eine funktionelle
Störung des Organs zugrunde oder ob eine sog. Herzneurasthenie vorliegt
Die W e b e r sehe Methode zeigt eine mit keinem anderen Verfahren fest¬
zustellende Aktionsschwäche des rechten Ventrikels in Gestalt der trägen
(Atmungs-) Kurven.
E. W e t z e 1 : Beitrag zur diagnostischen Bedeutung des Mllchflebers.
Der parenteralen Milchinjektion zu diagnostischen Zwecken bei Diabetes
und Karzinom ist kein besonderer Wert beizulegen; sie kann hier nichts
Neues lehren und ist inkonstant. Achnliches gilt für die Anwendung bei
Tuberkulose.
W. Löffler: Beitrag zur Kenntnis der Addison sehen Krankheit.
In 4 unter 5 Fällen von klinisch typischem Morbus Addisonii zeigte die
Nebenniere: 1. völlige Verkäsung des Marks. 2. weitgehende Zerstörung der
Digitized by Goiigle
Rinde durch tuberkulöses Granulationsgewebe. In allen 4 Fällen konnten
aber morphologisch intakte Rindenpartien gefunden werden. An den er¬
haltenen Rindenresten Zeichen von Regeneration. Die Annahme eines Fort-
schreitens des tuberkulösen Prozesses vom Mark gegen die Rinde ist sehr
wahrscheinlich. Die Durchmusterung des Plexus solaris und des Orenz-
stranges des Sympathikus in 4 Fällen auf engen Stufen Hess keine chromier-
baren Zellen auffinden. In einem Fall, der klinisch als Morbus Addisonii
gekennzeichnet war und der daneben an verschiedenen Organen schwere
tuberkulöse Veränderungen aufwies, fanden sich in der Nebenniere aus¬
gedehnte Rindenpartien in durchaus normaler Ausdehnung erhalten; auch
noch von dem im ganzen allerdings schmalen Mark waren noch beträcht¬
liche Teile erhalten. In 2 Fällen bestand ausgesprochener Status lymphaticüs
bzw. Status thymicolymphaticus, letzterer mit allgemeiner Lymphdrüsen-
tuberkulose. In 2 Fällen war nur partieller Status lymphaticüs vorhanden.
Ein Patient mit ausgedehnten tuberkulösen Prozessen verschiedener Organe
zeigte keinen Status lymphaticüs. Kämmerer - München.
ZentralbUtt für Chirurgie. 1921. Nr. 21.
E. Staffel - Zwickau: Erfahrungen mit der parasakralen Anästhesie,
besonders bei der Mastdarmamputation und -resektion.
Verf. hat mit der parasakralen Anästhesie nach Braun, wobei die
Kreuzbeinhöhle mit Vn proz. Novokain-Suprareninlösung ausgefüllt wird, bei
allen perinealen und vaginalen Operationen nur gute Erfahrungen gemacht
und fast stets volle Anästhesie erzielt. Diese Methode übertrifft an Gefahr¬
losigkeit und sicherer Wirkung die Lumbal- und epidurale Anästhesie. Auch
bei Mastdarmkrebsoperationen hat sie sich sehr gut bewährt; die Pat. Über¬
stunden den grossen Eingriff besser als in Narkose.
Alex. H e 11 w i g - Frankfurt a. M.: Lobelin bei Atemlähmung ln der
Narkose.
Bei Atemlähmung bei Narkosen oder Lumbal- oder paravertebraler
Anästhesie empfiehlt Verf. Lobelin intramuskulär oder intravenös 3—6 mg
zu geben, das erregend auf das Atemzentrum wirkt.
E. Pölya-Pest: Zur Verhütung der Harnverhaltung nach Operatloneu.
Um die Harnretention nach Bruch- und Operationen am After zu ver¬
hüten, lässt Verf. seine Pat. einige Tage vor der Operation das Urinieren
in Rückenlage üben; nach 1—2 Tagen konnten fast alle Pat. im Bette
liegend urinieren. Auch die Anwesenheit des Stopfrohres im Mastdarm
hemmt das Urinlassen, so dass Verf. am 1. Tag nach der Operation dasselbe
entfernt. Durch diese Massnahmen lässt sich sehr oft das postoperativ 2
Katheterisieren ersparen. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Band 54. Heft 5.
Mai 1921.
H. G u g g i s b c r g - Bern: Die Wehensubstanzea ln der Plazenta.
Schon im Jahre 1913 konnte G. nachweisen, dass in gewissen Organ¬
extrakten wehenfördernde Substanzen vorhanden sind. Am ausgiebigsten
sind diese Stoffe vertreten in der Plazenta und Thyreoidea. Zahlreiche Ver¬
suche seit dieser Zeit bestätigen die Annahme. Es ist gelungen, das Pla¬
zentarextrakt so herzustellen, dass es als Wehenmittel zur Verwendung ge¬
langen kann. Besonders die Anwendung einer Kombination mit Pituitrin ist
vielversprechend und ist einer ausgedehnten klinischen Prüfung wert.
E. P u p p e 1 - Mainz: Die therapeutische Verwertung der Plazenta.
P. hat Plazentarpresssaft zur Erzielung von Wehen intramuskulär ein¬
gespritzt. Die Wirkung war gut, doch Hess sich das Mittel nicht konservieren.
Deshalb hat er nach Abderhalden das Opton der Plazenta durch hydro¬
lytische Spaltung mit Säure dargestellt. Das entstandene Produkt wurde
von der Säure befreit und in 5 proz. Lösung intramuskulär, niemals intra¬
venös, injiziert. Die Ergebnisse fasst er, wie folgt, zusammen: 1. Die wehen-
fördernde Eigenschaft der Plazentaoptone kann therapeutisch zur Hebung der
Wehenschwäche in jedem Stadium der Geburt ausgenutzt werden. 2. Eine
rationelle Beeinflussung aller mit Hypofunktion des Uterus zusammenhängen¬
den Menstruationsstörungen ist durch intramuskuläre Injektion dieser Sub¬
stanz zu erreichen.
Ed. M a r t i n - Elberfeld: Plazenta-Opton als Wehenmlttel. Eine vor¬
läufige Mitteilung.
Bei 6 Fällen von Wehenschwäche nach vorzeitigem Blasensprung hat
sich Plazenta-Opton als Wehenmittel bewährt.
F. H e i m a n n - Breslau: Myom und Schwangerschaft.
3 einschlägige Fälle werden ausführlich mitgeteilt. Fall 1 musste durch
Kaiserschnitt entbunden werden. Beim zweiten Fall musste im 2.—3. Monat
der Schwangerschaft die abdominale supravaginale Amputation des schwan«
geren Uterus vorgenommen werden, während der letzte Fall konservativ
behandelt wurde, so dass ein lebendes Kind geboren wurde. Das Wochenbett
verlief normal. Die Therapie richtet sich je nach dem Sitz und der Aus¬
dehnung der Myomknoten.
B. Liegner - Breslau: Primäraffekt an der Portio.
Mitteilung eines Falles, der anfänglich differentialdiagnostische Schwierig¬
keiten bot (Tuberkulose, Karzinom).
J. Richter und J. A m r e i c h - Wien: Ueber eine Typhusperitonitis
nach Ruptur eines Infolge Infektion mit Typhusbazillen vereiterten Dermoids.
Während einer Typhuserkrankung traten bei einer 30 jährigen Frau
Stieldrehungserscheinungen bei einem ünksseitigen Ovarialtumor auf.
Während der Rekonvaleszenz platzte der Tumor und verursachte eine freie
Peritonitis, die zur Laparotomie führte. Heilung. Sowohl im Zysteninhalt
als auch im Peritonealexsudat konnten Typhusbazillen nachgewiesen werden.
Sperling- Breslau: Erfolge der Diathermie bei gynäkologlscheu
Affektionen.
Die Diathermieslröme wurden verwendet 1. bei Kreuz- und Leib¬
schmerzen ohne pathologischen Befund, 2. bei denselben Beschwerden bei
Entzündungen der Adnexe und des Beckenbindegewebes im chronischen
Städium. Dabei wurden bei den Adnexerkrankungen in 56,5 Proz. Heilungen,
in 43,5 Proz. Besserungen erzielt. Ein besonderer Vorzug der Diatherraie-
behandlung gegen die sonstigen konservativen Massnahmen ist, dass die Be¬
handlung abgekürzt wird, dass sie ambulant vorgenommen werden kann und
daher beruflich nicht so hindert.
S. Stephan - Greifswald: Indikatlonsstellung zur Röntgenbehandlung
der Peritoneal- und Genitaltuberkulose.
Die typische trockene adhäsive Form der Bauchfelltuberkulose wird aus¬
schliesslich bestrahlt. Bei der aszitisch miliaren Form wird zwecks Sicher-
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
17. Juni 1921 .
MÜNCHENEl^ MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
753
Stellung der Diagnose und Ablassen des Aszites die Probelaparotomie mit
raschem Anschluss der Strahlenbehandlung vorgenommen, unter Schonung
der Ovarien. Bei reiner Genitaltuberkulose wird, wenn möglich, durch
Laparotomie auf der leichter erkrankten Seite die Pyosalpinx entfernt, das
Ovar und die schwer erkrankte Seite belassen. Diese Seite wird dann
intensiv bestrahlt. Bei den schwersten tuberkulösen Erkrankungen des
Qenitalapparates wird natürlich ohne Rücksicht auf die Ovarien bestrahlt,
ferner empfiehlt S. auch die akuten Erkrankungsformen zu bestrahlen.
K o 1 d e - Magdeburg.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 20 u. 21.
11. F u c h s - Danzig: Der IV. Handgriff bei der äusseren Untersuchung
Gebärender.
Der bekannte Handgriff, der über die Lage des Kopfes zum Becken¬
eingang orientieren soll, wird zweckmässiger nicht von oben, sondern von
der Seite ausgeführt, was aus physikalischen und anatomischen Qrünaen
erhellt und sich in praxi als vorteilhaft erwiesen hat.
W. K o e r t i n g - Prag; Kaiserschnitt wegen Fiebers.
Fall von Peritonitis unter der Geburt, wo bei engem Becken wegen des
Fiebers der Kaiserschnitt gemacht wurde; extraperitoneale Lage der Uterus¬
wunde. Die Peritonitis wurde entschieden günstig beeinflusst. Bei weniger
aktivem Vorgehen bezweifelt Verf.. dass sie zur Ausheilung gekommen wäre.
Das spricht also für die erweiterte Indikationsstellung.
O. Hürzeler -Aarau: Trockene Geburt bei Agenesie beider Nieren
des Fötus.
Es handelt sich um eine trockene Geburt bei Agenesie beider Nieren
der Frucht. Auffallend ist, dass keine Missbildungen in der äusseren Ge¬
stalt des Fötus vorhanden waren, die bei Mangel an Fruchtwasser sonst
vorhanden zu sein pflegen. Die Frage nach der Herkunft des Fruchtwassers
ist noch nicht völlig gelöst; analoge Beobachtungen sind aber geeignet der
Nierenfunktion des Fötus in utero grössere Bedeutung an der Entstehung des
Fruchtwassers beizumessen, als heute gewöhnlich angenommen wird.
E. Gr aff-Wien: Beitrag zur Kenntnis der Aplasia cutis congenita.
Angeborene Hautdefekte sind sehr selten. Ueber dem Scheitelbein des
Neugeborenen zeigte sich ein wie mit einem Locheisen ausgeschlagener, bis
in die Subkutis reichender, kreisrunder Substanzverlust von 4 mm Durch¬
messer. ln diesem Falle war die Missbildung hereditär, da auch der Vater
an der gleichen Stelle des ScTiädels eine angeborene Tonsur aufwies.
E. L e V y - Stuttgart: Kongenitale Atresie des lleum.
Das Neugeborene, in stark gallig gefärbtem Fruchtwasser geboren, er¬
brach Alles und wies gleich nach der Geburt alle Symptome eines Darm¬
verschlusses auf. Laparotomie. Es fand sich ein völliger Verschluss des
lleum. Seitliche Enteroanastomose. Kurz danach Exitus.
E. Opitz- Freiburg i. B^.: Zur Hautnabt.
Besprechung der Arbeiten von Asch und Schubart in diesem
Zentralblatt. O. tritt warm für die v. H e r f f sehen Klammern ein, die
sich auch besonders gut für Hautvereinigung am Damm eignen.
Nr. 21.
E. S a c h s - Berlin: Zur Entwicklung des nachfolgenden Kopfes bei
totem Kinde.
Unter Umständen ist es vorteilhaft, den Rumpf abzuschneiden, falls beim
toten Kinde die Entwicklung des nachfolgenden Kopfes Schwierigkeiten
macht. Will man durchaus nicht auf ein Zugmittel, entsprechend dem
Rumpfe, verzichten, so hindert nichts, den Kranioklasten liegen (bzw. anzu¬
legen) und an ihm ziehen zu lassen, während die operierende Hand, unge¬
hindert durch den kindlichen Rumpf in die Scheide hineingeht und durch
Einhaken in den Mund den Kopf g:ünstig flektiert.
C. P a s c h - Leipzig: Einwirkung der Unterernährung auf den Fett¬
gehalt der Frauenmilch.
Sehr genaue, alle Fehlerquellen und die Ergebnisse früherer Untersucher
kritisch bewertende Untersuchungen an 19 Stillenden ergaben, dass die
knappe und fettarme Ernährung der letzten Jahre während des Krieges und
der Revolutionszeit keinen wesentlichen Einfluss auf den Fettgehalt der
Frauenmilch ausgeübt hat.
E. Lang- Berlin-Neukölln: Zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges
zwischen Confunctivitls neonatorum und Mastitis puerperalis.
Es ist eine erhebliche Zunahme der Konjunktivitis der Neugeborenen
festzustellen. Ein gegen früher gehäuftes Auftreten der Mastitis bei Wöch¬
nerinnen ist nicht nachweisbar. Ein ätiologischer Zusatjimenhang zwischen
diesen beiden Erkrankungen besteht nicht. Infektion der säugenden Brust
durch eitrigen Augenkatarrh des Säuglings ist denkbar, aber nur in seltenen
Fällen von gonorrhoischer Mastitis nachgewiesen (L e g r y). Diese seltenen
Fälle lassen es nicht berechtigt erscheinen, von der Augeneiterung des Neu¬
geborenen als der „wichtigsten Ursache der Mastitis der Stillenden“ zu
sprechen. Die von Feilchenfeld zum Schutze der mütterlichen Brust
verlangten Massnahmen sind demnach nicht erforderlich.
J. Schiffmann -Wien: Pfacenta bidlscoidalls aunuiaris.
Beschreibung dieser sehr seltenen Form des Mutterkuchens mit Illu¬
strationen und nachfolgender Kritik des Entstehungsmodus.
B. S c h w a r z - Mainz: Ein Fall von multipel angelegtem retroperl-
tonealem Flbromyxom, kompliziert durch Gravidität, durch postoperativen
Lnfttumor und durch wiederholtes Rezidiv.
Interessante Kasuistik. Guter Röntgenerfolg. Werner- Hamburg.
Zeitschrift für Kinderheilkunde. 27. Band. Heft 1 u. 2. 1920.
Bruno W a s e r - Zürich: Beobachtungen über das Längenwachstum
gesunder und emährungsgestörter Säuglinge.
Viele Einzelheiten über normales und gestörtes Längenwachstum,
namentlich auch in seinen Beziehungen zum Massenwachstum.
Curt F r a n k e n s t e i n - Charlottenburg: Der Einfluss von Krankheiten
auf das Wachstum der Frühgeburten von der Geburt bis zum 9. Lebensiahre.
Erkrankungen jeder Schwere und Dauer pflegen das Wachstum der
Frühgeborenen zu beeinflussen, mehr das Massen- als das Längenwachstum,
kaum das Brust- und Schädelwachstum. Kranke Frühgeborene von unter
1500 g Geburtsgewicht erreichen nie eine normale Länge; beim Massen-
wachstum ist kein entscheidender Einfluss des Geburtsgewichtes festzustellen.
B. Schick-Wien: Eroährungsstudlen beim Neugeborenen. 3. Mit¬
teilung.
Trinkschwache Frühgeborene können mit dem halben Volumen der bisher
nötigen Frauenmilch zum Gedeihen gebracht werden, wenn man auf 100 g
Frauenmilch je 17 g Rübenzucker gibt. Diese Ernährung lässt sich 5 bis
8 Wochen hindurch fortsetzen, führt dann aber durch Eiweiss- und Salzarmut
zu Störungen, die durch Umsetzen auf ebenso überzuckerte Vollmilch be¬
hoben werden.
F. Edelstein und A. Y i p p ö - Charlottenburg: Uebergang der sog.
diffusiblen Serumsalze durch die Plazenta von der Mutter auf das Kind.
Dieser Uebergang folgt nicht lediglich osmotischen Gesetzen, sondern
ist von offenbar vitalen Funktionen der Plazentarzellen abhängig. Das fötale
Serum ist reicher an löslichen Salzen (diffusibleih Natrium und Kalium) als
das mütterliche, ärmer an alkohollöslichen Stoffen (Reststickstoff).
Erwin Lazar-Wien: Die .heilpädagogische Gruppierung in einer
Anstalt für verwahrloste Kinder.
Individualisierende Erziehung ist in Anstalten bei einigermassen
ökonomischem Verbrauch von Lehrpersonal nur möglich mit Hilfe von
Gruppenbildung der durch mannigfaltige Einflüsse verwahrlosten Kinder und
Jugendlichen. Mitteilung der Gruppierung, wie sie sich in Oberhollabrunn
bewährt hat. G ö 11.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. Band 94. Heft 2.
H. K I e i n s c h m i d t - Hamburg: Zur Bakteriologie des Harns beim
Säugling. (Aus dem Gemeinde-Säuglingskrankenhaus in Berlin-Weissensee.)
Die Frage der Bakteriologie des Harns beim Säugling wird durch tech¬
nische Schwierigkeiten so erschwert, dass eine eindeutige Beantwortung bis¬
lang einwandfrei nicht zu erbringen ist. Nach den Fällen von sicherer
Bakteriurie — stets der gleiche Bakterienbefund auf festen Nährböden bei
fehlendem Sediment — behandelt Verf. die Frage der Pyelitis — besonders
nach ihrer ätiologischen Seite. Neben dem urethralen Infektionsmodus und
der hämatogenen Infektion nimmt K. für einen Teil der Fälle per exclusionem
den Lymphweg in Anspruch. Nach K. dürfte das weitere Studium der Dis¬
position bei der Pyurie ebenso ^ie bei vielen anderen Krankheiten in Zukunft
eine wichtigere Aufgabe sein, als alle Studien über Bakteriologie und Infek¬
tionsmodus der Erkrankung.
Helene E 1 i a s b e r g und Willy Neuland: Zur Klinik der epituber¬
kulösen ' und gelatinösen Inßltration der kindlichen Lunge. (Aus der Uni¬
versitäts-Kinderklinik in Berlin.) Zweite Mitteilung.
Die Verfasser arbeiten auf Grund weiterer Beobachtungen die Diffe¬
rentialdiagnose zwischen den beiden Erkrankungsformen schärfer heraus:
akuter Beginn mit hohem Fieber, tuberkulöse Herde in anderen Lungen¬
abschnitten und der Nachweis von Tuberkelbazilleri gehören zum Krankheits¬
bild der gelatinösen Infiltration — mit Ausgang in Verkäsung — progredienter
Charakter der Erkrankung. Bei der epituberkulösen Infiltration schleichender
Beginn, Blässe, Abmagerung, Appetitlosigkeit, unlustige Stimmung, hart¬
näckiger Husten, massiges Fieber. — allmählige Rückbildung der Erschei¬
nungen- im Verlaufe von Monaten. Röntgenbefund lässt keine Differential-
diugnose zu. Die Verfasser sehen in der e p i tuberkulösen Infiltration eine
besondere Form einer chronischen Lungenerkrankung — die sie bisher nur
bei tuberkulös infizierten Kindern beobachtet haben — und der sie aus diesem
Grunde auch einen besonderen Namen geben möchten.
Bruno Leichtentritt; Ueber ButternülchwlrkunK. Versuche am
Krankenbett und im Reagenzglas. (Aus der Universitäts-Kinderklinik Breslau
[Direktor: Prof. Dr. S t o 11 e].)
Verf, führt in der vorliegenden Arbeit experimentell den Beweis der
Abtötung bzw. Hemmung der Koli im Magen und oberen Dünndarmabschnitte
ernährungsgestörter Säuglinge. In dieser Wirkung scheint die Buttermilch
tatsächlich der Eiweissmilch überlegen.
E. Rhonheimer - Zürich: Beitrag zur Aetiologle der Ueberempfind-
lichkeit gegen Kuhmilch.
Kasuistische Mitteilung.
Ludwig S i o r - Darmstadt: Ueber Spontaopneumothorax.
Bemerkenswerter Fall von akutem Pneumothorax bei einem Kinde
während Keuchhusten — später nach leichtem Trauma (Balgen!) auf der
anderen Seite auftretend. Spontanheilung.
Literaturbericht von A. Niemann - Berlin.
O. Rommel- München.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 92. Band.
2. Heft. 1921.
Erich Seligmann - Berlin: Die Diphtherie ln Berlin. Eine seuchen¬
geschichtliche Untersuchung.
Die aüsführliche Arbeit gibt zunächst einen geschichtlichen Ueberblick.
bringt dann eine umfassende Statistik und behandelt als letztes Kapitel die
Bekämpfung der Diphtherie.
V. K r e t z e r - Riga: Die Rigaer Pockenepidemie im Jahre 1914—1915.
Es kamen 320 Pockenfälle vor. Sehr klar zutage tritt in der Statistik
wiederum, dass von den Nichtgeimpften am meisten starben. (Von 141 starben
82.) Von Geimpften starben unter 140 nur 4. •
R. D 0 e r r - Basel und L. Kirchner - Wien: Zur Malariabehandlung
der progressiven Paralyse.
Die schon * früher von Wagner vorgeschlagene Beeinflussung der
Paralyse durch eine Infektionskrankheit mit Fiebertypen veranlasste die Verf.
zu neuen Versuchen mit Inokulation von Malaria tertiana. Die Patienten
erhielten 1 ccm Blut v,on einem frischen Tertianafall. Von diesen Kranken
wurden die Parasiten, ohne auf Anopheles zurückzugreifen, durch Blut weiter
übertragen und zwar innerhalb von 16 Monaten auf 23 Kranke, wozu etwa
243 Parasitengenerationen notwendig waren. Aus den vielen Einzelbeob¬
achtungen ist hervorzuheben, dass sich der Tertiantypus nie veränderte, so
dass damit wohl der Beweis gegen die unitarische Lehre geliefert ist, Ueber
die eigentliche therapeutische Wirkung auf die Paralyse ist in der Arbeit
nichts vermerkt, es sollte wohl hier auch nur in erster Linie der langen
Förtzüchtung der Malariaparasiten von Mensch zu Mensch gedacht werden.
Y. Uchimura - Bern: Experimentelle Untersuchungen zur Biologie des
Rauschbrandbazillus.
Bei ^ vergleichenden Untersuchungen von einer grossen Reihe Rausch¬
brandstämmen und naheverwandten Stämmen hat sich ergeben, dass sich
der Rauschbrand durch seine kulturellen und morphologischen Merkmale
sicher diagnostizieren-lässt und dass andere Anaerobier für den spontanen
Rauschbrand beim Tier nicht in Frage kommen. Wichtig scheint, dass
niemals ein Wachstum in hochgeschichtetem Agar oder Traubenzuckeragar
nachzuweisen war. In Serumagar wuchsen die Kolonien kugelig mit stach-
lichen Fortsätzen. Die Stäbchen liegen niemals in Faden- und Kettenform.
Digitized by
Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
754
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
Der Bazillus des malignen Oedems liess sich regelmässig in gewöhn^
lichem Agar und Traubenzuckeragar züchten und bildete stets flockige,
vvatteähnliche, aufgefaserte Kolonien mit langen Faden und Ketten. Aktive
Immunisierung schützte nach 10—13 Tagen bei Rauschbrand. Immunsera
zeigten keine zuverlässige Schutzwirkung.
0. L a d e • Düsseldorf: Ueber Bazillenruhr bei Säuglingen und älteren
Kindern, insbesondere ihre speziflsebe Behandlung sowie die prophylaktische
Dysbaktaimpfung.
Es handelt sich um Beobachtungen von 143 Fällen von Bazillenruhr,
bei denen z. T. Shiga-Kruse-Bazillen, z. T. Pseudodysenterieerreger ge¬
funden wurden. Die Mortalität sank mit zunehmendem Alter. In den ersten
beiden Lebensjahren starben beinahe 30 Proz. Allerdings ist hierbei nicht
die Ruhr allein die Ursache, sondern zu einem beträchtlichen Teile Broncho-'
Pneumonie. Therapeutisch wurde neben einer rationellen Ernährung poly¬
valentes Dysenterieserum der Behring-Werke, R u h r h eil¬
st o f f B o c h n k e (Ruetc-Enoch) und B o e h n k e s t o x i s c h - anti-
t o x i s c h e r R u h r b a z i 1 1 e n i rn p f s t 0 f f D y s b a k t a verw endet.
Das Dysenterieserum wurde übertrofien durch den H e i 1 s t o f f. der günstig
auf Tenesmen und auf das Allgemeinbefinden wirkte. Es traten auch keine
Rezidive mehr auf. Ebenso bewährte sich prophylaktisch der Impf¬
stoff D y s b a k t a. Von den geimpften Kindern erkrankte keines an Ruhr.
R, 0. Neumann - Bonn.
Arbeiten aus dem Reichsgesundbeitsamte. 52. Band. 4. Heft. 1921.
Hans G 1 ä s e r - Berlin: Die Empfindlichkeit von Ratte und Maus gegen
T richlneninf ektion.
Die sehr beachtenswerte Arbeit hat verschiedene noch strittige Punkte
geklärt, die für die Kenntnis der Trichinose von Wichtigkeit sind, ln der
Streitfrage, ob der eigentliche Arterhalter der Trichinen, das Schwein,
wie schon Leuckart es wollte, oder die Ratte sei, ist durch die Ver¬
suche dahin entschieden, dass die Ratte als Arterhalter der Trichine nicht
geeignet ist. Sie spielt mehr die Rolle eines Zwischenträgers. Die Tri¬
chinenschau des Schw'einefleisches ist daher noch mehr wie bisher ein
unbedingtes Erfordernis. Die Ratten haben für Darmtrichinose eine hohe
Empfindlichkeit, an der sie leicht zugrunde gehen. In letzter Li|iie ist der
Tod an Trichinen eine toxische Vergiftung.
Erich Hesse- Berlin: Vergleichende Untersuchungen über Cholera-
eiektivnährbödeo.
Verf. verglich den Dieudonnd sehen Blutalkaliagar mit den Fuchsin¬
nährböden von A r 0 n s o n und von Seiffert-Bamberger, ander¬
seits den Blutsodanährboden von B a e r t h l e i n und Gildemeister
und eine Malachitgrünmodifikation des A r o n s o n sehen Agars. Ira ganzen
ist quantitativ die Ausbeute auf allen diesen Nährboden gleich. Der Blut¬
sodanährboden vereinigt ziemlich alle Vorteile, ist auch dem Fuchsinnähr¬
boden noch überlegen. Praktisch ist der A r o n s o n sehe bei Verwendung
der von Merck hergestellten Tabletten. Der Blutalkalinährboden zeigt be¬
sonderes Förderungsw'achstum, mehr wie die Fuchsinnährböden. Die
.Malachitgrünkombination ist eine Verbesserung insofern, als die Farben¬
reaktion spezifischer verläuft als wie beim Fuchsin.
W. B ö i n g - Berlin: Untersuchungen über Vakzine.
Mit verbesserter Färbetechnik gelang es B ö i n g, die G u a r n i e r i -
sehen Körperchen auf der Kaninchenkornea quasi weiter aufzu-
schliessen und sie in ihrer Entwicklung zu verfolgen. Er fand in den Kernen
und in den Quarnieri sehen Körperchen kleinste Körnchen, die er
mit den von Paschen als Erreger angesprochenen Körperchen identifiziert.
Damit würde auch die von v. Prowazek ausgesprochene Ansicht, dass
es sich um Chlamydozoen handelt, zu Recht bestehen.
Karl W. J ö 11 e n - Berlin: Der Einfluss wiederholter Aderlässe auf die
Antikörperbiidung.
Bei Kaninchen, die mit abgetöteten Typhusbazillen immunisiert waren,
konnte nach Aderlässen, die kurze Zeit nach der letzten Bazilleninjektion
vorgenommen w’urden, eine erhebliche Agglutininsteigerung beobachtet wer¬
den. Auch bei Bazillenträgerkaninchen war nach kleineren und grösseren
täglichen Blutentnahmen eine Vermehrung des Agglutiningehaltes zu kon¬
statieren. Impfte man derartige Kaninchen mit steriler Kuhmilch, so hatte
dies denselben Erfolg.
A. W e i t z e I - Berlin: Ueber die bei der Chiorbestimmung in organi¬
schen Substanzen durch Veraschung möglichen Chlorverluste und deren
Vermeidung.
Georg B 0 r r i e s - Berlin: Beitrag zur Untersuchung und Beurteilung
von Kunsthonig.
Infolge von Klagen, dass der Kunsthonig nicht schnittfest geliefert
würde, dass also entweder zu viel Wasser oder zu viel Rohrzucker, vor¬
handen sei, wurden erneute Untersuchungen angestellt. Sie ergaben, dass
w'enn der Verordnung entsprechend höchstens 10 Proz. Rohrzucker und
mindestens 78 Proz. Trockenmasse gefunden wird, die Konsistenz zweck¬
entsprechend ist.
Victor F r 0 b o e s e - Berlin: Ueber eine titrlmetrische. Methode zur
Bestimmung der gesamtschwefligen Säure in organischen Substanzen nach
dem Destillationsverfahren.
An Stelle der gewichtsanalytischen Schwefelsäurebestimmung bei dem
Haas sehen Schwefligsäurebestimmungsverfahren wird eine titrimetische
Methode vorgeschlagen, indem die überdestillierte schweflige Säure in
Natriumbikarbonatlösung aufgefangen, dort mit Wasserstoffsuperoxyd oxydiert
und der Ueberschuss an Natriumbikarbonat mit Salzsäure zurücktitriert wird
(Indikator Methylorange).
E. H a i 1 e r - Berlin: Ueber Kresole und Ersatzmittel für Kresolselfe.
III. Mitteilung: Kresotlnsaure Salze als Lösungsmittel für das Kresol.
E. H a i 1 e r - Berlin: Ueber Kresole und Ersatzmittel für Kresolselfe.
IV. Mitteilung: Zur Methodik der Desinfektionswertprüfung bei Kresolen.
R. O. Neumann - Bonn.
Berliner klinische Wochenschrift. 1921. Nr. 22.
L. F r ä n k e 1 uui'. Fr. Chr. Geller: Hypopbysenbestrahlung und Eier-
stockstätlgkelt.
Durch Versuche an Kaninchen hat zunächst G. gezeigt, dass die histo¬
logischen Veränderungen selbst der intensiv bestrahlten normalen Kaninchen-
liypophysc ziemlich geringfügig sind, dass aber das hypophysär bestrahlte
Tier ein Zurückbleiben im Wachstum und in der Gewichtszunahme und eine
erhebliche Genitalunterentwicklung aufweist. Im klinischen Teile der Mit¬
teilung beschäftigt sich Fr. mit jenen Zuständen, welche klinisch als Doppel¬
bild der Dystrophia adiposo-genitalis und Akromegalie sich darstellen und
als verursacht durch Hypophysenerkrankung zu werten sind. Er berichtt;t
über das therapeutische Vorgehen mittels Bestrahlungen in 4 derartigen
l'ällen. Bedeutende Erfolge sind bisher nicht zu verzeichnen.
K. K r e i b i c h - Prag: Ueber das Verhalten der Haut um offene Wunden.
Verf. hat bei einem Falle von Hautverbrennung beobachtet, dass auf
der betr. Körperhälfte eine auffallend starke Neigung zur Gänsehautbildung
sich zeigte. Erörterung übe*' diese Erscheinung, welche durch Vermittlung
einer Sympathikuserregung zu deuten ist.
P. G. U n n a - Hamburg: Zur feineren Anatomie der Haut.
ln dieser 4. Mitteilung beschäftigt sich U. mit Wasserverdunstung und
0-Wechsel der Haut, ferner mit den „Reduktion^- und Sauerstofforten“
der Haut. Zu kurzem Auszug nicht geeignet.
O. O e 1 z e - Leipzig: Ueber den von Ra sek aufgefundenen angeb¬
lichen Psoriasiserreger: Spiroebaeta sporogona Psoriasis,
Bei zahlreichen Nachuntersuchungen konnte Verf. die Befunde von R.
nicht bestätigen. ,
P. A. H ö f e r und E. H e r z f e 1 d - Berlin: Das Perkussionsbild bei
doppelseitigen Pleuraergüssen.
Gegenüber den verschiedenen Erklärungen über das Zustandekommen
des sog. G a r 1 a n d sehen und des Groco-Rauchfuss sehen Dreiecks
macht Verf. auf die Verhältnisse bei doppelseitigem Hydrothorax aufmerk¬
sam, woraus sich die Folgerung ablciten lässt, dass die Erklärung von Ham¬
burger. das einseitige G a r 1 a n d sehe Dreieck komme durch .Mit¬
schwingen der gesunden Seite zustande, nicht angenommen werden kann.
R. S c h e 11 e r - Breslau: Zur Influenzafrage.
Die während des Krieges von Verf. gemachten Untersuchungen beweisen,
dass der Influenzabazillus sämtlichen Anforderungen genügt, welche man an
einen spezifischen Krankheitserreger für seine Anerkennung als solchen
stellen muss.
J. V 0 g e 1 - Bad Wildungen: Ueber tiefsitzende Hamleitersteine.
Vergl. Kurzbericht S. 375 der M.m.W. 1921.
R. Baumstark - Bad Homburg v. d. H.: Kriegskost, Sekretions¬
störungen des Magens und Gärungsdysoepsie.
In Uebereinstimmung mit früheren eigenen Versuchen kommt Verf. zur
Auffassung, dass die Kriegshyperazidität mindestens zum Teil als sekundär
aufzufassen ist, als hervorgerufen von der vermehrten Darmgärung.
C. B r u c k - Altona: Zur Geschichte der Serodiagnose der Syphilis.
Bemerkung zum gleichnamigen Aufsatz von Wassermann in Nr. 1
d. Wschr. Grassmann - München-
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 20.
W. Zangemeister - Marburg a. L.: Die puerperale Eklampsie.
Das Zustandekommen der puerperalen Eklampsie gründet sich auf
Hydrops und Nephropathia gravidarum, in deren Folge sich eine ödematÖse
Hirnschwellung mit Anämisierung der Hirnrinde entwickelt. Wird die
Rindcnanätnie durch Steigerung des arteriellen Druckes bei Wehen u. dergl.
plötzlich beseitigt, so treten nach dem Gesetze des postanämischen Reizes
die eklaniptischcn Krämpfe ein. Die Prophylaxe der Eklampsie hat sich
gegen den Hydrops und die Nephropathie zu richten, die nach den bekannten
Regeln zu behandeln sind, während den eigentlichen eklamptischen Anfällen
durch Ausschaltung aller Umstände, welche plötzliche Blutdrucksteigerungen
herbeiführen können, begegnet werden muss; hier steht in erster Linie die
schnelle operative Beendigung der Schwangerschaft.
H. Much und H. S c h m i d t - Hamburg: Ueber Lipoidantikörper und
Wassermann sehe Reaktion.
Die WaR. muss als eine ilnspezifische Reaktion -deswegen angesehen
werden, weil sie nicht unmittelbar eine Lebensäusserung der Syphiliserreger
darstellt, sondern erst eine Folge von Stoffwechselveränderungen ist. die
ihrerseits durch die Spirochäten verursacht werden. Die Stoffwechsel-
Veränderungen führen zur Immunkörperbilduiig; das Antigen ist ein Organ¬
lipoid, der Antikörper demzufolge ein Lipoitfuntikörper. Reine Aminosäuren
und reines Lipoid vermögen die zuvor negative Reaktion im Körper positiv
zu gestalten.
A. M ü 11 e r - Leipzig: Ueber dauernde schwere Rückenmarks¬
schädigungen nach Lumbalanästhesien.
In den zwei ausführlich beschriebenen Fällen handelte es sich um Frauen,
bei denen nach Novokainlumbalanästhesie das eine Mal 2 Monate später, das
andere Mal im unmittelbaren Anschlüsse daran, irreparable Lähmungen der
unteren Extremitäten — kombinierte Strangerkrankung, hauptsächlich der
Pyramidenbahnen und Hinterstränge — eingetreten waren. In dem letzt¬
erwähnten Falle kam es zum Exitus, doch war Autopsie nicht möglich.
O. Hess-Köln: Zum Pneumothorax verfahren bei der Behandlung der
Pleuroperikarditis und Pleuritis sicca.
Künstlicher Pneumothorax ist indiziert zur Ruhigstellung der Lunge, zur
Verhütung, gelegentlich auch unter besonderen Vorsichtsmassregeln zur Be¬
seitigung von Verwachsungen und zur Beseitigung von Schmerzen.
A. S e I i g m a n n - Frankfurt a. M.: Tetanus nach Ohrtrauma.
Die Operation bei dem mit den Zeichen der eiterigen Mittelohrentzün¬
dung und des Tetanus cingclieferten Kindes förderte einen zwischen Trommel¬
fell und vorderer Gehörgangswand eingekeilt sitzenden Holzsplitter zuta^:^..
Trotz Lulbalpunktion und Injektion von 100 AE. Tetanusantitoxin in den Luiü-
balsack erfolgte der Tod.
G. S t r.a s s m a n n - Berlin: Die Präzipitinreaktion im Dunkelfeld und
ira hängenden Tropfen und ihre forensische Verwendbarkeit.
Die von Marx empfohlene Präzipitinreaktion im Dunkelfeld ist zweifel¬
los sehr brauchbar, jedoch umständlicher und zeitraubender, als die durchaus
gleichwertige Reaktion in den Hauser sehen Kapillaren, da sic nur ein
Nacheinander- und nicht ein Nebeneinanderbeobachten der Präparate gestattci.
Q. Stern- Rostock: Ueber Keiichhustenserum.
Ein schon früher von Violi und anderen geäusserter Gedanke wird
wieder aufgegriffen. Injektionen von 20 ccm Serum, das von vakzinierten
Kälbern stammte, führte bei keuchhustenkranken Kindern, unter Umständen
nach Wiederholung der Dosis nach etwa 8 Tagen, zu rascher Heilung. F.s
scheint jedoch, als ob für den Erfolg besondere Pockenstämme und besonderer
Zeitpunkt für Entnahme des Blutes notwendig wären.
O. Bossert - Breslau: Paratyphus und tetanlscbe Symptome.
Die Krampferscheinungen müssen als eine Wirkung der Bakteriengihe
angesehen werden. Sie äusserten sich besonders in mechanischer und elcK-
Digitized by
Goi.igle
Original-frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
755
Irischer Uebererregbarkeit und in der Ausbildung von Karpopedalspasmen,
während Laryngospasmus niemals beobachtet wurde.
A. Stühmer und K. M e r z w e i 1 e r - Freiburg i. Br.: lieber eine
kombinierte Sacbs-Georgl-Wassermann sehe Reaktion.
Eine eigene Versuchsanordnung ergab, dass die Stoffe, welche auch nach
Ablauf der Ausflockung noch die Komplementbindung ermöglichen, nicht in
der über den Flocken stehenden Flüssigkeit enthalten sind, sondern in den
Flocken selber.
R. G a s s u 1 - Berlin: Offener Ductus Botalü mit Beteiligung des linken
Herzens.
Es besteht starke Hypertrophie und Dilatation des linken Ventrikels mit
röntgenologisch deutlich- sichtbarem stark vorgewölbtem pulsierendem Pul¬
monalbogen.
H. D e w e s - Fischbachtul: Zur Radikaloperation des perforierten
Magengeschwürs.
Atypische • Resektion, gefolgt von Billroth II. Heilung. Erörterung der
Unfallfrage, die mit gewissen Einschränkungen bejaht wird. Da jedoch die
Folge des Unfalls durch die Operation mehr als ausgeglichen ist. wird die
Gewährung einer Rente abgelelint.
J. D u b s - Winterthur: Ueber das Wesen und die Behandlung der sog.
Eplkondylitis.
Der Name Epikondylitis sollte unbedingt aus der chirurgischen Nomen¬
klatur verschwinden, da eben nicht eine Erkrankung des Epikondylus, sondern
eine auf Grund beruflicher Ueberanstrengung oder einmaligen Traumas ent¬
standene Schädigung des Humero-Radialgelenkes vorliegt. Die histologischen
Befunde v. G o e 1 d e 1 s an abgemeisselten Epikondylen begegnen einigen
Zweifeln. Die zur Behandlung empfohlene Abmeisselung des Epikondylus
selber wird als Kunstfehler, weil unlogisch und unberechtigt, verurteilt.
P. S.c h ä f e r - Offenburg: Massenblutungen Ins Nierenlager.
öperations- und histologischer Befund; die offenbar in mehreren Schüben
erfolgte Blutung wird in der Hauptsache als venös angesprochen.
W. Kühl- Altona; Der Kinn-Schultergrlff. ein Prophytaktikum gegen
die Asphyxie in der Narkose.
Bei Drehung des Kopfes, so dass sich das Kinn möglichst der Schulter
nähert, findet eine Erweiterung der Luftwege durch Hebung des Zungen¬
grundes und Kehldeckels nach vorne statt.
A. M ü 11 e r - München-Gladbach: Ueber Bauchmassage.
Bauchmassage, besonders zur Beseitigung hypertonischer Zustände der
Bauchmuskulatur und ihrer Folgeerscheinungen, wird zweckmässig nur in
Seitenlage bei angezogenen Knieen ausgeführt, da in dieser Lage die Mus¬
kulatur am besten entspannt ist.
G. J. L ü h r s - Lindenfels: Ueber die Wirksamkeit der gebräuchlichsten
Reizmittel für die blutbildenden Organe.
Elektroferrol verdient den Vorzug vor den im übrigen sehr gut wirkenden
Arsenpräparaten.
L. S c h m i d t - Pistyan: Die Streckung krummer Finger.
Beschreibung einiger Behelfsapoarate.
A. Gutmann - Berlin: Neueres über den Zusammenhang von Augen-
und Zahnkrankheiten.
a) Isoliertes chronisches Oedem der unteren Bindehauthälfte eines Auges;
h) dentale Augenwinkelfistel; c) Periostitis orbitalis, dental bedingt; d) Con¬
junctivitis ekzematosa.
L. Langstein - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Oesterrelchische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
Nr. 19. G. Ho 11 er-Wien: Ist eine organische Vaguserkrankung die
Ursache des Ulcus ventrlculi chronicum beim Menschen? Die Grundlagen
zu einer neuen Therapie des Ulcus ventricull et duodenl.
S. Bericht M.m.W. 1921 S. 656.
K. G a g s t a 11 e r - Wien: Zur Hvnernephromfrage.
Beschreibung eines Falles. Bemerkungen zur Diagnose und Operations¬
indikation.
J. B o d e n s t e i n - Wien: Zur Lokalwirkung des Dimethylsulfates.
Beschreibung eines Falles mit starken Verätzungen der Mundschleimhaut.
P. B u r 0 - Temesvar: Bemerkungen über das speziflsche Tuberkulose-
mittel Tebecln Dostal.
B. erörtert die zunehmende Ueberlegenheit der spezifischen Tuberkulose¬
behandlung sowie die Gründe ihrer dennoch langsamen Ausbreitung in der
Praxis und rühmt Vorzüge des Tebecins: Die Reizlosigkeit bei sub¬
kutaner Anwendung, die diagnostische Verwertbarkeit, die beträchtliche
immunisierende Wirkung, die rasche lytische Entfieberung und sonstige
günstige Allgemeinwirkung sowie die rasche und günstige Beeinflussung des
Luttgenprozesses. auch bei vielen ziemlich vorgeschrittenen Fällen.
. J. Bau er-Wien: Ueber intravenöse Therapie und die Wirkung Intra¬
venös verabreichter hvoertonischer Lösungen.
Entgegnung auf S t e i s k a I s Bemerkungen in Nr. 17.
Nr. 20. O. Bail-Prag; Das bakteriophage Virus von d’Hereke.
N. Jagic: Ueber Pseudoleukämie. Fortbildungsvortrag.
St. J e 11 i n e k - Wien: Zur Pathologie der elektrischen Strommarken.
J. bespricht an einem neuen Falle die bereits festgestellten, durch den
elektrischen Strom bedingten histologischen Veränderungen (nicht Zer¬
störungen) an der Haut.
F. Depisch - Wien; Ein Fall von Invagination eines Meckel sehen
Divertikels mit nachfolgender Darmlnvaglnation.
P. Erlacher - Graz: Ueber Heilerfolge bei Rachitis nach Ouarzlicht-
bestrahlung.
E. bestätigt die Berichte Huldschinskys, Riedels und P u t z i g s
über die sehr guten Heilerfolge nach Erfahrungen an 42 Fällen der Grazer
Kinderklinik.
F. Weinfurter - Wien: Beitrag zur Klinik und Aetiologie der Arterio¬
sklerose. B e r g'e a t - München.
Dänische Literatur.
Carl Sonne: Direkte Messung.der speziflschen Wirkung der sichtbaren
Wärmestrablen auf die Ge webstemperatu r. (Aus dem Finsen-Lichtinstitut.)
(Uospitalstidende 1921 Nr. 1 S. 1.)
Verf. fand bei Bestrahlung der Hautoberfläche mit sichtbaren und ultra¬
roten Strahlen mit konstanter Temperatur der Hautoberfläche die Temperatur
Digitized by Goiigle
der Subkutis bei sichtbaren Strahlen 2® höher, bei ultraroten 3® niedriger
als die der Hautoberfläche. Ausserdem konnte Verf. nachweisen. dass bei
Lichtbestrahlung die Körpertemperatur bedeutend höher steigt als bei Be¬
strahlung mit ultraroten Strahlen, obwohl hier die Temperatur der Haut¬
oberfläche höher ist; bei einer um 2® niedrigeren Hauttemperatur bei Lichtbe¬
strahlung als bei ultraroter Bestrahlung konnte er an Meerschweinchen
eine Steigerung der Körpertemperatur von 2® hervorrufen. was eine spe¬
zifische Wirkung der Lichtstrahlen auf den Organismus zeigt.
K. S e e h e r: Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss ' von
Anstrengungen auf den Organismus. I. Der Einfluss auf die Herzgrösse.
(Aus dem Pathologischen Institut des Kommunespitals.) ‘ (Hospitalstidende
1921 Nr. 4—5 S. 49.)
Durch Versuche an wilden Ratten konnte Verf. nachweisen, dass nach
vollkommen ermattender Anstrengung (Lauf) eine bedeutende Dilatation des
Herzens entsteht, die am grössten gleich nach dem Lauf war (57,2 Proz.
Blut im Herz), in den folgenden 3 Tagen zurückging (bis 40,1 Proz.
Blut im Herz). Dagegen konnte Verf. durch Trainierungsversuche an Ratte i
nachweisen, dass das Proportionalgewicht des Herzens nur sehr wenig zu¬
nimmt (von 4.2—5,1 Proz.): die Blutmenge des Herzens wurde nicht ver-
grössert. Nicht das Volumen, nur die Muskulatur wird vergrössert.
H. Abraham sen: Köhler sehe Krankheit mit besonderer Berück¬
sichtigung der Pathogenese. (Aus der Chirurg. Poliklinik des Kommune¬
spitals.) (Hospitalstidende 1921 Nr. 6 S. 87.)
An einem 7 jährigen Knaben mit beginnendem Leiden des rechten Os
naviculare meint Verf. nachweisen zu können, dass die sogen. Köhler sehe
Krankheit auf einer Entwicklungsanomalie beruht, nicht auf traumatischer
Einwirkung; diese Anschauung wird durch die röntgenologischen Aufnahmen
gestützt. Verf. meint, dass die dystrophischen Prozesse die primären sind,
eine eventuelle Kompression nur sekundär.
M. Claudius: Eine Methode zur quantitativen lodometrischen Be¬
stimmung von Azeton, Azetylesslgsäure, Betaoxybuttersäure und Dextrose
im diathetischen Urin. (Hospitalstidende 1921 Nr. 7 S. 97.)
Eine neue, ziemlich komplizierte Methode, deren Prinzip eine Oxydierung
mit Jodsäure in stark schwefelsaurer Lösung ist, indem die Schwefelsäure¬
menge bei Bestimmung der verschiedenen Stoffe verschieden ist; die Oxy¬
dierung wird im Was.serbad von 100® vorgenommen; indem die Jodsäure
Sauerstoff abgibt wird eine entsprechende Menge Jod abgegeben, die dann
•quantitativ durch Titrierung mit einer ^/aoo N-Thiosulfatlösung bestimmt
wird.
Erik J. Lar sen; Dysregulatlo ammoniacl. (Aus St. Hans Irrenanstalt.)
(Hospitalstidende 1921 Nr. 13 S. 194.)
An einem Material von 36 Kranken konnte Verf, feststellen, dass die
früher nur bei genuiner Epileo.sie gefundene Dysregulatio ammoniaci auch
bei Fällen von psychogener Neuro.se, traumatischer Neurose. Hysterie und
Depressio mentis Vorkommen kann. Ausser der Dysregulation findet man
auch Mydriasis, Depression, Kopfweh, Angst etc., oft in Verbindung mit
Dipsomanie, Kriminalität und Ohnmacht. Verf. schlägt vor. diese Zustände
unter dem Sammelnamen Dysregulatio ammoniaci zu rubrizieren.
Norwegische Literatur.
Sigurd Hagen: Das Kammerwasser und seine Absonderung im
menschlichen Auge. (Aus der Augenabteilung des Rikshospital.) (Norsk
Magazin for Laegevidenskaben 1921 Nr. 1 S. 1.)
Verf. hat gefunden, dass das regenerierte Kammerwasser des mensch¬
lichen Auges sich anders verhält als das des Tierauges (Untersuchungen
von Wessely), indem das neugebildete Kammerwasser im Menschenauge
nicht mehr Albnmen enthält als der normale Humor aqueus und auch nicht
mehr Fibrin, ebenso dass es nicht spontan koaguliert. Die unmittelbare
Regeneration des Kammerwassers geschieht im Menschenauge nicht vom
Corpus ciliare, sondern vom Corpus vitreum.
Kirsten Utheim: Aenderungen der Zusammensetzung, Zirkulation und
Menge des Blutes bei verschiedenen Ernährungszuständen. (Norsk Magazin
for Laegevidenskaben 1921 Nr. 2 S. 96.)
An erw'ach.senen Kaninchen konnte Verf. nachweisen, dass die totale
Blutmenge bei Aushungerung unter den normalen Wert fällt: die Konzen¬
tration des Blutes (Eiweissgehalt des Blut.serums) steigt, w'ährend die Blut¬
geschwindigkeit langsamer wird. Bei geringer Ernährungszufuhr kehrt die
Blutmenge zur Norm zurück und kann bei fortgesetzter Unterernährung über
den normalen Wert steigen. Junge Kaninchen zeigen eine mangelhafte
Regenerationsfähigkeit. A. Kissmeyer - Kopenhagen.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die bevorstehende Einführung der Familien Versicherung bei den Kranken¬
kassen.
Seit einem Vierteljahr besteht jetzt bei fast allen Krankenkassen Gross-
Berlins die freie Arztwahl Und wird, soweit die bisherigen Erfahrungen einen
Schluss erlauben, zur Zufriedenheit aller Beteiligten durchgeführt. In der
Praxis der Aerzte sind einige Verschiebungen eingetreten. Manche Kassen¬
löwen sind ein wenig entlastet, und das wird keiner bedauern. Manche Aerzte,
die erst jetzt zur Kassenpraxis zugclassen wurden, stellen mit einem lachen¬
den und einem weinenden Auge fest, dass sic das Recht gewonnen haben,
frühere Privatpatienten jetzt als Kassenmitglieder zu behandeln, und häufiger
noch als früher kommt es vor, dass wirtschaftlich sehr gut gestellte Leute
den Kassenschein vorlegen. Doch das sind Schönheitsfehler, die wir uns ge¬
fallen lassen müssen und die das im ganzen wohlgelungene Werk nicht
entstellen. Noch sind nicht alle organisatorischen Arbeiten, die die neue
Einrichtung notwendig gemacht hat, beendet, und schon ist die Berliner
Aerzteschaft vor eine neue Aufgabe gestellt, die für ihre Zukunft noch be¬
deutungsvoller ist als die freie Arztwahl, das ist die Einführung der Familien¬
versicherung. Es ist bekannt, dass eine gesetzliche Regelung dieser Frage
bevorsteht: ob das sehr bald geschehen wird oder wegen dringender anderer
Aufgaben auf unbestimmte Zeit verschoben wird, lässt sich unter den heutigen
politischen Verhältnissen nicht ermessen. Aber ohne auf den Gesetzgeber zu
warten, haben sich die grossen Berliner Krankenkassen entschlossen, die
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
756
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24 .
L
EamilienvcrsicherutiK. und zwar als satzungsjteniässe Leistung in allernächster
Zeit cinzuführen. wir müssen also zu der Frage Stellung nehmen. Dass sic
im Sinne der sozialen Fürsorge einen Fortschritt bedeutet, dass ihre Ein¬
führung also erstrebenswert ist, darüber herrscht keine Meinungsverschieden¬
heit, aber über die Form ihrer Einführung gehen die Ansichten weit aus¬
einander. Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, dass für einen grossen
Teil der Berliner Aerzte die Familienversicherung das Ende, für viele andere
eine mehr oder minder beträchtliche Einschränkung ihrer Privatpraxis be¬
deutet. Die Krankenkassen stellen die durchaus berechtigte Forderung, dass
mit ihr keine Verschlechterung der ärztlichen Versorgung verbunden sein darf.
Dem entspricht als ebenso selbstverständliche Forderung, dass mit ihr keine
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Aerzte verbunden sein darf.
Es ist sehr zu begrüssen, dass ärztliche Hilfe nicht mehr so billig wie möglich,
sondern so gut wie möglich beschafft werden soll. Für die Besprechungen
und Verhandlungen wirkt es sehr erschwerend, dass so gut wie gar keine
Erfahrungen vorliegen, die als Grundlage bei einem so grossen Kreise von
Versicherten dienen können: soweit statistisches Material vorhanden ist, be¬
zieht es sich auf zu kleine Zahlen. Wir machen also einen Sprung ins Dunkle,
und da ist es verständlich, dass die Meinungen mitunter etwas hart aufeinander
platzen. Schon die Frage, die uns scheinbar wenig betrifft, ob den Kranken
nur ärztliche Behandlung oder auch freie Arznei gewährt wird, ist von allcr-
grösstcr Bedeutung, denn von ihr hängt die grössere oder geringere In¬
anspruchnahme der Aerzte wesentlich ab. Gerade die Wenigbemittelten wer¬
den den Arzt selten in Anspruch nehmen, wenn sic die verordnete Arznei be¬
zahlen müssen, oder werden es nur in schweren Fällen tun, die an die Arbeits¬
kraft und die Verantwortung des Arztes höhere Anforderungen stellen.
Weniger zurückhaltend werden die Bessergestellten sein, und es würde die
Wohltat freier ärztlicher Behandlung vorzugsweise denen zugute kommen, die
cs eigentlich nicht nötig haben. Noch grösser sind die Meinungsverschieden¬
heiten über die Form und die Höhe des ärztlichen Entgelts, und in der Be-
spi^echung über diesen Punkt ist wiederum die ganze Frage des kassen¬
ärztlichen Honorars aufgerollt, das den meisten zu niedrig dünkt. Gemessen
an den Einnahmen der Kassen hat es sich tatsächlich als zu niedrig erwiesen.
Es betrug früher 10 v, H. und wurde bei dem jetzt bezahlten Pauschale auf
15 v. H. der nach der Verordnung über die Erhöhung der Grundlöhnc zu er¬
wartenden Kasseneinnahmen geschätzt. Diese Einnahmen sind aber erheblich
über die erwartete Summe hinausgegangen, so dass der ärztliche Anteil
auch jetzt nur etwa 10 v. H. beträgt. Nach einer Aeusserung des Geschäfts¬
führers des Hauptverhandes der Ortskrankenkassen, also eines sachverständi¬
gen und gewiss nicht der Aerztefreundlichkeit verdächtigen Mannes, würden
18—20 V. H. angemessen sein. Die Berliner Kassen haben also in der Tat
Ersparnisse auf Kosten der Aerzte gemacht; aber dieser Fehler ist ver¬
besserungsfähig, denn die Vereinbarungen über die Honorare gelten nur bis
zum ersten Juli d. J. und sollten einer regelmässigen Nachprüfung unterzogen
werden. Für die Form der Honorierung bei den Familienmitgliedern ist die
bei den Versicherten selbst bestehende Pauschalierung wegen der grossen
Unterschiede in der Zahl der verheirateten und unverheirateten Mitglieder bei
den einzelnen Kassen sowie wegen der Unzwcckinäsigkeit der statistischen
Unterlagen kaum durchführbar. Am beliebtesten wäre wohl die Bezahlung der
Einzelleistungen; diese Form müsste aber mit sehr unbeliebten Kontroll-
nuissnahmen und mit einer ebenso unbeliebten Beschränkung der Zahl der
Leistungen verbunden werden; und gerade das letztere würde ihr ihren Cha¬
rakter völlig nehmen. Einfacher wäre die Bezahlung nach der Zahl der be¬
handelten Fälle, und dieser Vorschlag wurde auch von den Kassenvertretern
für durchführbar gohalten. Ueber die Höhe des Honorars schweben noch Ver¬
handlungen.
Der zu Beginn dieses Jahres zwischen den Berliner Krankenkassen und
dem Gross-Berliner Aerztebund bzw. seiner wirtschaftlichen Abteilung ab¬
geschlossene Vertrag enthält die Bestimmung, dass die Kassen verpflichtet
sind, auch die Familienbchandlung ausschliesslich der Wirtschaftlichen Ab¬
teilung zu übertragen, und das? im Anschluss an den Vertrag Verhandlungen
über die Familienversicherung geführt werden müssen. Das ist in langwierigen
und mühsamen Sitzungen geschehen; über das bisherige Ergebnis hat der Vor¬
stand in einer .Mitgliederversammlung berichtet, um ihre Ansichten und
Wünsche für die weiteren Verhandlungen einzuholen. Von manchen Seiten
wurde es dem Vorstand zum Vorwurf gemacht, dass er die Aerzteschaft
nicht schon früher über den Stand der Dinge unterrichtet hat. Aber der Ver¬
lauf der Versammlung selbst hat am deutlichsten gezeigt, wie recht er
damit halte. Sie verlief mitunter unnötig stürmisch; und cs bedurfte der
ganzen Ruhe und anderseits der ganzen Energie des bewährten Vorsitzenden,
Herrn R. L e n n h o f f. um die Wogen der Erregung nicht allzu hoch sich
aufbäumen zu lassen. Es muss leider festgestellt werden, dass auch seit der
politischen Umwälzung die Berliner Aerzteschaft an parlamentarischer Schu¬
lung und Disziplin nicht viel gelernt hat. Mit edler Entrüstung, aber wenig
sachlichem Inhalt wurden altbekannte Schlagwortc über die Unterdrückung
der Aerzte durch die Kassen in die Versammlung geschleudert und fanden
nicht unbeträchtlichen Beifall, und erst zum Schluss gelang es den kühlen
Auseinandersetzungen sachlich denkender Redner, die Erörterung in ruhigere
Bahnen zu lenken. Von einigen Aerzten wurde, um zu verhüten, dass auch
sehr wohlhabende Leute kassenärztlich versorgt werden, verlangt, dass die
Versicherung auf ein Gesamteinkommen der Familie begrenzt werden solle,
eine Forderung, die nur durch eine Gesetzesänderung zu verwirklichen wäre.
Sehr lebhaft wurde über die Höhe des Honorars gesprochen. Von den ärzt¬
lichen Unterhändlern wurde als festes Entgelt pro Fall und Monat 15 M. und
50 v. H. Zuschlag für Besuche und Sondcrleistungen gefordert. Dabei herrschte
Uebereinstimmung zwischen den Parteien darüber, dass die Abmachungen nur
für eine Probezeit von 6 Monaten Geltung haben sollen und dass die in dieser
Zeit gewonnenen Erfahrungen die Grundlage für weitere Festsetzungen ab¬
geben sollen. Die Kassen erklärten sich auch zu einer sich etwa als not¬
wendig ergebenden nachträglichen Erhöhung des Honorars bereit.. Manchen
Rednern erschien nun der geforderte Betrag als viel zu gering; sie wollten ihn
wesentlich erhöht wissen, obwohl sie ebensowenig sichere Grundlagen der
Berechnung verlegen konnten wie andere. Als Grundsatz der Bew'ertung
wurde allerdings allgemein anerkannt, dass das Honorar demjenigen angepasst
sein muss, das für die Kreise der Versicherten in der Privatpraxis üblich
ist, wobei in Anbetracht des Fehlens aller Ausfälle ein gewisser Rabatt ge¬
währt werden könne. Es ist klar, dass über so wichtige und zugleich .so
schwer zu beurteilende Fragen die Verhandlungen mit Aussicht auf Erfolg
nur sine ira et Studio geführt w'erdcn können. Dieses Gefühl kam am Schluss
der Versammlung auch zur Geltung und ist um so begründeter, als man an¬
nehmen kann, dass auf beiden Seiten der gute Wille zu einer crspriesslicheti
Zusammenarbeit besteht. Es wurde daher schliesslich mit weit überwiegender
Mehrheit die vom Berichterstatter vorgelegte Entschliessung angenommen, in
der zum Ausdruck gebracht wird, dass die Aerzteschaft zur Mitwirkung bei
der Einführung der Familienversicherung bereit sei, dass diese nur dann Erfolg
haben könne, wenn auch Arznei, Heilmittel und Anstaltsbehandlung gewährt
werden. Voraussetzung ist, dass freie Arztwahl bestehe und von der Errich¬
tung von Beratungsstellen Abstand genommen werde, ferner dass die wörl-
schaftliche Existenz der Aerzte nicht erschüttert, sondern bei der Bemessung
des Honorars den Teuerungsverhältni.sscn und der zu erwartenden Mehrarbeit
Rechnung getragen werde, wobei unbeschadet der Honorierungsform von den
in den Kreisen der Versicherten zurzeit geltenden Honorarsätzen ausgegangen
werden müsse. M. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Resolutionen sämtlicher Aerzte Oesterreichs.
Am 31. Mai d. J. von 10 —4 Uhr nachm, haben sämtliche Aerzte Oester¬
reichs — wie sage ichs nur? — nicht gestreikt, aber doch passive Resistenz
geübt. Bei 3000 Aerzte und Mediziner versammelten sich im grossen Musik-
vereinssaale in Wien, in den Bundeshauptstädten fanden ebenfalls Ver¬
sammlungen statt und alle österreichischen Aerzte und Mediziner nahmen die
folgenden Resolutionen an (wir publizieren die Resolution der Aerzte Wiens
und Niederösterreichs):
Die Aerzteschaft Wiens und Niederösterreichs erhebt einmütig ent¬
schiedenen und nachdrücklichen Einspruch gegen das Verhalten der Regierung,
der Behörden und gesetzgebenden Körperschaften bei der Behandlung sanitärer
Fragen. Seit Jahrzehnten werden die kompetenten ärztlichen Korporationen
entweder gar nicht oder zu spät gefragt, die Vorlagen nach einseitig wirt¬
schaftlichen und parteipolitischen Gesichtspunkten erledigt.
Die Aerzte.schaft fordert: 1. gründliche endgültige Abkehr von der bisher
geübten Praxis, rechtzeitige Einholung des Votums der
ärztlichen Körperschaften bei allen sanitären und die Interessen
der Aerzte berührenden sozialpolitischen Vorlagen noch vor Fertigstellung der
Entwürfe. Würdigung desselben nach seinem Gewicht in .sanitärer Richtung
hin, billige und gerechte Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des
Aerztestandes, wie der anderen Stände. 2. Sofortige parlamentarische
Erledigung des Gesetzes über die Aerzteordnung. welche
der Aerzteschaft die Erhaltung von Ordnung und Reinheit in ihren Reihen
und kräftiges Eintreten für die nötige materiell-wirtschaftliche Basis des
Standes als unerlässliche Voraussetzung der ethischen Höhe ermöglichen soll.
3. Zeitgeniässe Reform der Sozialversicherung. Ersetzung des
schlechten, veralteten, wiederholt schlecht novellierten, gesundheitlich unzu¬
länglichen Sozialversicherungsgesetzes durch ein neues, welches die be¬
stehenden Institutionen erst zu wirklich sanitären machen, die gesundheitlichen
Interessen der Versicherten besser als bisher wahren und den wirtschaftlichen
Interessen aller Teile, der Versicherten, der in den Kassen angestellten Aerzte.
sowie der übrigen frei praktizierenden Aerzteschaft in gleicher Weise gerecht
werden soll. Einsetzung einer Permanentenquote beim Bundesministerium für
soziale Verwaltung, um die Reform ehestens in die Wege zu leiten. 4. Er¬
richtung eines obersten Gesundheitsrates mit gesicherter
Aerztemajorität von zum grössten Teile gewählten Aerzten. Gegen Zuziehung
von sachverständigen Nichtärzten wird keine Einwendung erhoben, für Inter¬
essenten der Gesundheitspflege aber werden ändere sanitäre Körperschaften
als Unterinstanzen des obersten Gesundheitsamtes empfohlen. 5. Selb¬
ständigkeit des Volksgesun.dhcitsamtes ohne budgetäre
Mehrbelastung der Staatsfinanzen mit dem Rechte des ärztlichen Leiters zu
Erlassen und Verfügungen. 6. Ein neues R e i c h s s a n i t ä t s g e s c » /
dessen Geist die energische Anw'endung der gesicherten Ergebnisse wissen¬
schaftlicher Forschung über Krankheitsentstehung und Krankheitsverhütuiig.
dessen Ziel die wirkliche Assanierung Oesterreichs sein soll. Demgemäss
wird gefordert: a) Einführung strenger, dem gegenwärtigen Stande der
Hygiene entsprechender Massnahmen zur Krankheitsverhütung und Fürsorge,
b) Erteilung des Rechtes an den obersten Oesundheitsrat, jede Gesetzcsvorlage
vor der Beratung auf ihre .sanitäre Schädlichkeit zu prüfen und Abänderungen
vorzuschlagen, c) Gesetzliche Festlegung der zivilrechtlichen und stnf-
rechtlichen Verantwortlichkeit und Haftbarkeit aller Behörden und Beamten
des Staates, des Landes und der Gemeinden, der autonomen Institutionen.
Privatpersonen etc, für alle gesundheitlichen Schädigungen. Basierung cer
Krankheitsve'‘hütung auf dem festen Grundpfeiler des materiellen Interesses,
d) Einführung des obligatorischen Unterrichtes in der Gesundheitspflege als
Hauptgegenstand in allen Schulen, e) Zeitgemässe Reform des amtsär't-
lichen, prophylaktisch-hygienischen Dienstes in Staat. Land und Gemeinde,
f) Schutz der Gesundheit der Bevölkerung durch Erteilung der Behandlumrs-
befugnis nur an wissenschaftlich vorgebildete, akademisch graduierte Aeri tc
mit zwei- bis dreijähriger Spitalspraxis. 7. Alters-undlnvalidität s-
versicherung der Aerzteschaft im Zusammenhänge mit der
Reform der Sozialversicherung. 8. Befreiung der Aerzte, welche
Arbeiter und keine Unternehmer sind, von der ungerechten,
schweren, drückenden Last der Erwcrbssteucr. 9. Zeit-
gemässe Reform der medizinischen Studienordnung und
Ausgestalt ungdes ärztlichen Fortbildungswesens durch
Einführung obligater unentgeltlicher Kurse mit praktischen Uebungen in ; «-
gemessenen Intervallen.
Alle geforderten Reformen sind nur mit entsprechenden Uebergangst»!.-
stimmungen und Wahrung erworbener Rechte durchzuführen.
Die Aerztc-schaft. welche jahrelang petitioniert und gebeten hat. ohne
einen anderen Erfolg zu erzielen als mehr oder weniger schöne Worte und
leere Versprechungen, ist mit ihrer Geduld zu Ende und sieht sich gezwungrn.
falls von den massgebenden Faktoren nicht binnen 4 Wochen bindende
Zusagen und Garantien für die Erfüllung ihrer Forderungen gegeben werd<;n,
den in unserer Zeit allein wirksamen Weg des Widerstandes und
im Notfälle der Arbeitseinstellung zu betreten.
Die österreichische Aerzteschaft hat* gesprochen. Vindobonensis
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
757
Vereins- und Kongressberichte.
Deutscher Tuberkulosekongress
in Bad Elster vom 19.—21. Mai 1921.
Berichterstatter: Prof. Dr. B. M ö 11 e r s - Berlin.
3. Verhandlungstag.
Das einleitende Referat hält der Präsident des Reichsversicherungsamtes
Kaufmann - Berlin. Solange noch kein Allheilmittel gegen die Tuber¬
kulose gefunden ist muss die Krankheit hauptsächlich mit sozialen Mitteln
bekämpft werden. Die hierfür noch zur Verfügung stehenden Mittel müssen
planvoll zusammengefasst werden durch lückenlosen Ausbau des Fürsorge¬
stellenwesens. Die Heilstättenbehandlung muss unter schärferer Auslese der
hierfür geeigneten Fälle in vollem Umfange aufrechterhalten werden. Auf
geeignete Unterbringung der als Ansteckungsquellen ihre Umgebung ge¬
fährdenden Schwertuberkulösen ist mehr als bisher hinzuwirken.
G r ä f f - Freiburg bespricht die Bedeutung der Einteilung der Lungen¬
tuberkulose nach pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten, die für die Pro¬
gnose und Therapie entscheidend ist. Er trennt die mehr gutartige pro¬
duktive Form (azinös-nodöse und zirrhotisclie Phthise) von der prognostisch
ungünstigeren exsudativen Form (lobäre, lobär-exsudative und käsige Phthise).
Die letztere Form neigt in erhöhtem Masse zur Höhlenbildung; es muss
daher die Hauptsorge der Therapie sein, diese prognostisch absolut ungünstige
Hohlenbildung durch entsprechende Massnahmen (Pneumothorax usw.) zu
verhindern. Kavernöse Phthisiker belasten zwecklos die Heilstätten; die
einzige Möglichkeit einer erfolgversprechenden Behandlung ist hier die
chirurgische Therapie.
Sanerbruch - München rühmt die Bedeutung der chirurgischen Be¬
handlung der Lungentuberkulose für die soziale Fürsorge. Es gelingt, auf
operativem Wege einseitige chronische fibrös-kavernöse Lungentuberkulosen
zu heilen und dadurch die grosse Infektionsgefahr, die von solchen chroni¬
schen, bazillenentleerenden, in der Familie wohnenden Kranken droht, aus¬
zumerzen. Daher müssen die operativen Möglichkeiten für die chirurgische
Heilung der Lungentuberkulose allseitig ausgebaut und ausgenützt werden.
Redner stellt einen durch Operation geheilten jungen Mann vor, bei dem trotz
ausgedehnter Rückennarben die Beweglichkeit der oberen Extremitäten er¬
halten ist. Wenn keine Komplikationen eintreten und der Prozess nur ein¬
seitig ist, tritt in 30 Proz. der Fälle Heilung ein. Bei einer Million Tuber¬
kulöser in Deutschland rechnet Redner auf 10 Proz., bei denen der Lungen¬
befund nur einseitig ist. Von diesen hält er %—zur Operation geeignet,
so dass 30—40 000 Menschen im Jahre operiert werden könnten.
Petruschky - Danzig berichtet über die soziale Bedeutung der
ambulatorischen spezifischen Tuberkulosebehandlung. Eine Unterlassung der
rechtzeitigen ambulatorischen Behandlung unter Vertröstung auf eine viel¬
leicht später zu ermöglichende Heilstättenkur oder eine Abfindung mit gesund¬
heitlichen Ratschlägen hält Redner für einen ganz schweren sozialhygienischen
Fehler, der sich indirekt auch am Volksganzen rächt, weil die Entstehung
neuer ansteckender Fälle die Folge dieser Unterlassung ist. Das Ziel der
ambulanten Frühbehandlung der Kinder ist die Heilung der Krankheit vor der
Entstehung ansteckender Frühformen durch allgemeine Abhärtungsmittel und
durch milde Tuberkulinbehandlung.
Kehrer- Dresden spricht über die Beeinflussung der Lungen- und
Kefalkopftuberkulose durch Schwangerschaft. Geburt und Wochenbett. Bei
der latenten Tuberkulose tritt in 80 Proz. bei der Schwangerschaft keine Ver¬
schlimmerung ein. aber Aktivierung in der Gravidität in 10 Proz. und im
Puerperium in weiteren 10 Proz. der Fälle; daher ist eine dauernde ärztliche
Beobachtung nötig. Bei einer erst in der Schwangerschaft manifest werden¬
den Tuberkulose bedeutet diese eine ernste Komplikation. Bei Turban II
tritt in 80 Proz. Verschlimmerung ein, daher grundsätzlich Schwangerschafts¬
unterbrechung notwendig, wodurch bei Turban 1 und II in 80—90 Proz. der
Fälle eine Besserung eintritt. Als Operationsmethode kommt bei Turban 1
die Entleerung des Uterus auf vaginalem Wege, bei Turban II die abdominale
Totalexstirpation in Sakralanästhesie in Betracht.
Albert K o h n - Berlin bespricht die grossen Verdienste, welche sich die
Krankenkassen um die Bekämpfung der Tuberkulose erworben haben und
fordert eine engere Zusammenfassung der Träger der Arbeiter- und Ange¬
stelltenversicherung. der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, Landes¬
versicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften und Krankenkassen.
Beschorner - Dresden behandelt die Berufsberatung und die Berufs¬
vermittelung für tuberkulös Erkrankte die auf mancherlei Schwierigkeiten
stösst infolge des chronischen Verlaufs und der Ansteckungsfähigkeit der
Tuberkulose sowie der mangelnden Einsicht der Kranken und ihrer Mit¬
arbeiter, während ungleich seltener von seiten der Arbeitgeber Schwierig¬
keiten gemacht werden. Die Berufsberatung hat vor allem Erhaltung des
alten Arbeitsverhältnisses, und nur in Fällen, in denen eine Weiterarbeit im
alten Berufe dem Kranken mit Sicherheit oder der Allgemeinheit möglicher¬
weise Schaden bringen kann. Berufswechsel ins Auge zu fassen. Mittel¬
punkte der Berufsfürsorge für Tuberkulöse sind die Fürsorgestellen für
Lungenkranke in engem Zusammenarbeiten mit den öffentlichen Arbeits¬
nachweisen und den Fürsorge- und Wohlfahrtsämtern. Um die Erwerbs¬
losigkeit möglichst kurzfristig zu gestalten, liegt es im allgemeinen Interesse,
die Tuberkulösen in Arbeitsstätten, Arbeitsgenesungsheimen u. ä. an Arbeit
zu gewöhnen, sie umzuschulen und auf einen notwendigen Berufswechsel
vorzubereiten.
M a rtineck - Berlin schildert die zur Versorgung tuberkulöser Kriegs-
beschUdlgter in Deutschland getroffenen Massnahmen. . Die Verordnung um¬
fasst 1. die Heilbehandlung nebst Krankengeld, 2. eine Rente, die nach der
Minderung der Erwerbsfähigkeit, dem Beruf, Familienstand und Wohnsitz
bemessen wird, 3. die soziale Fürsorge, insonderheit Berufsberatung, Berufs¬
ausbildung, Vermittlung und Beschaffung von Arbeit, Mitwirkung bei der
Unterbringung tuberkulöser Pflegebedürftiger, Gewährung von geldlichen Zu¬
wendungen und Unterstützung von Einrichtungen der Tuberkulosebekämpfung.
Zur Durchführung der Versorgung stehen an gesetzlichen Mitteln das Reichs¬
versorgungsgesetz vom 12. V. 1920 und das Schwerbeschädigtengesetz vom
6- IV. 1920 zur Verfügung; ferner die durch den Reichshaushalt bewilligten
Mittel, darunter 500 Millionen für soziale Fürsorge und die besondere
Organisation der Reichsversorgungsbehörden, die amtliche Fürsorge für
Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebenenfürsorge. Die Heilbehandlung
Digitized by Goiisle
der Kriegsbeschädigten ist gesetzlich der Heilfürsorgeorganisation der
Krankenkassen übertragen.
Möllers- Berlin bespricht die Bekämpfung der Tuberkulose durch
die Gesetzgebung und gibt einen kurzen Ueberblick über die in Betracht
kommenden gesetzgeberischen Massnahmen. In den Mittelpunkt der Be¬
kämpfung müssen Beratungs- und Fürsorgestellen mit behördlichem Charakter
gestellt werden, welche die Kranken und Gefährdeten unentgeltlich unter¬
suchen. Die Landesbehörden haben 4m Einvernehmen mit den örtlich be¬
teiligten Vertretern der Arbeiter- und Angestelltenversicherungen sowie der
freiwilligen Wohlfahrtspflege dafür zu sorgen, dass geeignete Vorkehrungen
zum Schutz der Bedrohten, zur Fürsorge und Behandlung der Erkrankten
und zur Unterbringung der ihre Umgebung hochgradig gefährdenden Kranken
getroffen werden. Zur Durchführung der erforderlichen Fürsorgemassnahmen
muss jede ansteckende Erkrankung an Lungen- und Kehlkopftuberkulose und
jeder Todesfall an Tuberkulose sowie der Wohnungswechsel von Tuberkulösen
an eine dazu bestimmte Gesundheitsdienststelle gemeldet werden. An¬
steckenden Tuberkulösen sind bestimmte Berufstätigkeiten, besonders die
Beschäftigung bei Kindern, zu untersagen. Eine gesetzliche Bekämpfung kann
nur dann mit Erfog durchgeführt werden, wenn die erforderlichen, nicht
unerheblichen Geldmittel, die der Vortragende auf jährliche einige Hundert
Millionen Mark schätzt, zur Durchführung der Fürsorgemassnahmen zur Ver¬
fügung stehen.
Eine durch Möllers am Schluss seiner Ausführungen eingebrachte
Resolution, dass der Deutsche Tuberkulosekongress die baldige Einbringung
eines Reichstuberkulosegesetzes, durch welches die Rechtsgrundlagen, Ein¬
richtungen und Geldmittel für eine umfassende Tuberkulosefürsorge beschafft
werden, dringend befürwortet, wurde einstimmig angenommen.
Thiele- Dresden empfiehlt in seinem Vortrag Betriebsrat und Tuber¬
kulose die auf Grund des Gesetzes vom 4 II. 1920 geschaffenen Betriebsräte
(Arbeiter- und Angestelltenräte) zur Durchführung der Tuberkulosebekämpfung
heranzuziehen. Besonders wichtig ist solche Mitarbeit der Betriebsräte in
Betrieben mit erhöhten Gefahren für die Atmungsorgane, wo eine fort¬
laufende Ueberwachung, Belehrung und Beratung sowohl tuborkulosebedrohter
und tuberkulöser, als auch der gesunden Mitarbeiter im Sinne der neuzeit¬
lichen Tuberkuloseforschung erst recht dringlich ist.
Bräuning - Stettin betont, dass der sicherste Schutz vor schwer¬
kranken Tuberkulösen in der Unterbringung in geschlossenen Anstalten be¬
steht. Wenn die Auswahl für die Aufnahme in das Krankenhaus nicht dem
Zufall oder dem Wunsche des Kranken überlassen wird, sondern nacn
hygienischen, Gesichtspunkten erfolgt, gelingt es ohne Schwierigkeit, über
50 Proz. der offenen Tuberkulösen unter hygienisch einwandfreien Verhält¬
nissen sterben zu lassen. Für die Unterbringung dieser Kranken rechnet
Bräuning 30—45 Krankenhausbetten auf je 100 000 Einwohner.
Ritter- Geesthacht (Bez. Hamburg) widerspricht der Anschauung von
G r ä f f, dass eine Ausheilung von Kavernen nicht mehr möglich sei. In den
Heilstätten ist die Erziehung der Kranken eine schwierige und oft undankbare
Aufgabe, besonders wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Pa¬
tienten von dritter Seite gestört ist. Zucht und Ordnung in den Heilanstalten
liegt besonders im Interesse der Kranken.
Wendenburg - Bochum verlangt bessere Tuberkulosefürsorge für
den nicht versicherten Mittelstand, kleine Rentner, Beamte, ehemalige
Offiziere und Akademiker. Die Fürsorge im Mittelstand ist wegen der
günstigeren Wohnungsverhältnisse, der hauswirtschaftlichen Kenntnisse und
des höheren Bildungsgrades der Kranken und ihrer Angehörigen ein dank¬
barer und erfolgreicher Zweig der allgemeinen Fürsorge.
Adam- Berlin bespricht die Organisation des Reichsausschusses sowie
der Landesausschüsse für hygienische Volksbelehrung. Der Sitz des Reichs¬
ausschusses ist in Dresden, das durch die Begründung des deutschen
Hygienemuseums bereits vorbildlich auf dem Gebiete der hygienischen Volks¬
belehrung gewirkt hat.
Lorentz- Berlin. Vorsitzender des Verbandes deutscher Lehrer¬
vereinigungen. behandelt die Volksbildung Im Dienste der Tuberkulose¬
bekämpfung. Die Schule der Neuzeit hat in ihren Einrichtungen, wie Arbeits¬
unterricht, Freiluftbetätigung, in der staatsbürgerlichen Erziehung und bei der
hygienischen Jugendunterweisung geeignete Gelegenheit, Tuberkulose¬
prophylaxe zu betreiben.
S a m 8 0 n - Berlin bespricht das Problem der Tuberkuloseausbreitung
durch die Prostitution. Auf Grund der Untersuchungen an 1300 Kontroll-
mädchen auf der Untersuphungsstation der Berliner Sittenpolizei konnte er
bei 11 Proz. klinisch aktiv Lungentuberkulose feststellen, davon % mit Er¬
krankungen des 1., 22 Proz. des 2. und sH Proz. des 3. Stadiums. Es liegt
daher im Interesse der Volksgesundheit, die Ueberwachung der Prostitution
auch auf die Tuberkulose auszudehnen.
B 1 e 1 e f e I d.t - Lübeck empfiehlt zur Hebung der Wohnungsnot die
Errichtung von Kleingärten mit Gartenlauben. Spiel- und Turnplätzen für
Kinder. Die Reichskleingartenordnung vom 31. VII. 1919, die unter Umständen
sogar Zwangspachtung für Gartenland vorsieht, bietet allen Kleingarten¬
freunden wirksamen Schutz und Unterstützung.
Hamburger - Berlin macht auf die Notwendigkeit aufmerksam, die
Freiflächen der Dächer der Grossstadtwohnungen hygienisch auszunützen.
M ii n k e r - Hilchenbach (Westfalen), der Geschäftsführer des Verbandes
für deutsche Jugendherbergen, empfiehlt in beredten Worten das Jugend¬
wandern und die Unterstützung der bestehenden und Schaffung neuer Jugend¬
herbergen. Jede neue Jugendherberge ist eine Trutzburg mehr gegen die
Volksseuche Tuberkulose.
Huebschmann - Leipzig betont die Wichtigkeit des Zusammen-
arbeitens von pathologischem Anatom und Kliniker. Der tuberkulöse Herd
ist wichtiger als alle Antigene und Antikörper. Eine Immunität im Sinne
eines Schutzzustandes gegen Tuberkulose gibt es ohne einen tuberkulösen
Herd nicht; je grö.sser der tuberkulöse Herd ist, desto höher ist die
Immunität. Einen Ersatz des Begriffs Tuberkulose durch Phthise, wie
A s c h 0 f f vorschlägt, lehnt Redner ab.
Nicol- Koburg bemerkt, dass die jetzige anatomische Bezeichnung
der Tuberkuloseformen auch für den Kliniker verwertbar ist. Eine er¬
schöpfende klinische Bezeichnung muss enthalten die anatomische Bezeichnung
mit Angabe, ob Kaverne vorliegt, ob offene oder geschlossene Form, welcher
Reaktionszustand besteht (progrediente, stationäre oder latente Form) und
welche räumliche Ausdehnung der Prozess einnimmt. Der Auffassung von
Q r ä f f, dass das Vorhandensein einer Kaverne ein Todesurteil über den
Patienten ausspreche, kann Redner nicht beitreten.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
758
MÜNCHnNER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24 .
Flesch-Thebesius - Frankfurt a. M. betont die Notwendigkeit des ,
Schutzes der Jugend durch die Versicherungsgesetzgebung. Bei der Pflege
Chirurgisch-Tuberkulöser ist engste Zusammenarbeit /.wischen Chirurgen und |
Internen notwendig, z. B, durch Anschliessung einer Sonderabteilung für Chi¬
rurgisch-Tuberkulöse an eine Heilstätte für Lungenkranke. [
Reiter- Rostock beanstandet die Richtigkeit der statistischen Zahlen
von Kirchner und verlangt, dass die Zahlen der Todesursachenstatistiken
unter Berücksichtigung der Beglaubigung der Aerzte einer Korrektur unter¬
zogen werden. I
T c 1 e c k i - Düsseldorf verlangt, dass die Aufnahme in die Heilstätten
nur durch Vermittlung der Fürsorgestellen geschehen soll. |
Keil- Mühlberg (Flbe) wünscht, dass die vielen Millionen der Re- |
servefonds der Krankenkassen, die diese laut Gesetz haben müssen, der i
Tuberkulosefürsorge nutzbar gemacht werden. Die Arbeitskräfte für die '
Tuberkulosefürsorge sollen aus der Reihe der praktischen Aerzte genommen .
werden, denen eine geeignete Ausbildung zu gewähren ist. |
Kirchner - Berlin stellt einen statistischen Irrtum des Tuberkulose- .
films richtig, widerspricht der Auffassung von Oräff über die ungünstige [
Prognose der Kaverne sowie den Ausführungen von Reiter über die Wert¬
losigkeit der Todesursachenstatistik, da die beanstandeten Fehlerquellen ln i
allen Jahren gleichmässig vorhanden seien. |
Gabler- Berlin. Leiter der Abteilung für Kriegsbeschädigten- und |
-Hinterbliebenenfürsorge des Kyffhäuserbundes, wünscht, dass die versicherten
Tuberkulösen auch nach Ablauf von 26 Wochen einen Anspruch auf Heilbe¬
handlung behalten. Redner regt ferner an, dass die Fürsorge- und Ver¬
sorgungsgesetzgebung gelegentlich einer Versammlung von Medizinalbeamten
in breiterem Rahmen erörtert wird und dass die Feststellung des Grades
der Krwerbsverminderung grundsätzlich durch fachkundige Aerzte erfolgt.
Pfändner - Berlin. Reichsbund der Kriegsbeschädigten, schildert die
grossen Schwierigkeiten, welche sich der Unterbringung der schwerbe¬
schädigten Tuberkulösen entgegenstellen, selbst von seiten der Behörden. Da
bei den heutigen Verhältnissen die Kapitalabfindung allein zur Ansiedelung
nicht ausreicht, muss besonders auf die Schaffung von Kleingärten hinge¬
wirkt werden.
Neander - Stockholm schildert, in welcher Weise der schwedische
Nationalverein gegen die Tuberkulose sich die Mitwirkung der organisierten
sozialdemokratischen Arbeiter bei der Bekämpfung der Tuberkulose gesichert j
hat. In 35 Gewerkschaftsverbänden wurden Tuberkuloseaus- ,
schüs.se aus je 3 Personen gewählt, welche als Aufklärungszentralen für alle :
Arbeiter, die ihren Verbünden angehören, dienen. Eine ärztliche Untersuchung j
aller Industriearbeiter ist in Schweden geplant, eine solche innerhalb der
Tabakindustrie ist im Gange.
Am Schlüsse seiner Ausführungen brachte der Redner in warmen Worten j
den Dank der schwedischen Aerzte für die Einladung zum Tuberkulose- ^
kongress zum Ausdruck, indem er gleichzeitig auf das hohe Ansehen der i
deutschen Wissenschaft bei allen Kulturnationen hinwies. Im Namen des j
Zentralkomitees sprach Präsident Bumm dem Redner und den anwesenden
schwedischen Aerzten den herzlichsten Dank für ihre rege Mitarbeit aus.
Im Namen der Kranken dankte der Vorsitzende Winkler der Heil
stüttenvereinigung München der deutschen Wissenschaft für ihr unermüdliches
Eintreten zum Wohle der leidenden Menschheit.
Qumbrecht - Weimar bespricht die Ausbildung der Fürsorge¬
schwestern und der Lehrer zur Mitwirkung bei der Tuberkulosebekämpfung.
Arthur Mayer- Berlin regt an, dass das Krankenversicherungsgesetz
dahin abgeändert wMrd, dass Tuberkulöse auch nach Ablauf der gesetzlichen
Krankenkassenverpflichtung alle Rechte der Krankenversicherung weiter ge-
niessen und dass die Kosten dieser weiteren Leistungen wie bei den Kriegs¬
beschädigten vom Reich oder den Ländern getragen werden.
G 0 t h 1 i n - Gothenburg berichtet im Aufträge von Prof. Forssner-
Stockholm über eine in Schweden im Gange befindliche Untersuchung Ober
Tuberkulose und Schw'angerschaft. Bisher wurden etwa 15 000 Frauen, die
in den grossen Frauenkliniken Stockholms entbunden wurden, von Fach¬
ärzten auf Lungentuberkulose untersucht und etwa 900 den Fürsorgestellen
zur Beobachtung Oberwiesen. Redner kommt zu dem Schluss, dass den
Aerzten keineswegs das Recht zustehc. die Kinder von Tuberkulösen leichten
Herzens durch Abortus provocatus zu opfern; das Gemeinwesen habe viel¬
mehr die Pflicht, sie statt dessen vor Ansteckung zu schützen.
S c h a r 1 - Pest hält die Angabe von Sauerbruch, dass 10 Proz.
aller Lungenkranken chirurgisch behandelt werden können, für zu hoch ge¬
griffen und hat selbst unter 9000 Kranken nur 4 Ppom. Geeignete gefunden.
Die Thorakoplastik ist eine schwere Operation für den Tuberkulösen und
erfordert eine gros.se Gewandtheit des Operateurs,
Hartmann - Magdeburg glaubt, dass die gesetzliche Anzeigepflicht
der Erkrankungsfälle an ansteckender Lungen- und Kehlkopftuberkulose nicht
den gewünschten Nutzen bringt, da die Unterscheidung zwischen ansteckungs¬
fähiger und nicht ansteckungsfähiger Krankheit sehr schwierig sein kann und
da Uebergänge zwischen beiden Formen Vorkommen.
B a I 1 i n - Sommerfeld macht darauf aufmerksam, dass man aus den
elastischen Fasern im Sputum Rückschlüsse machen kann, ob man es mit
einem produktiven oder exsudativen Prozess zu tun hat. Bei exsudativen
Prozessen bleiben die elastischen Fasern in ihrer alveolären Form erhalten,
bei produktiven Prozessen zeigen sie Bündelform. I
Schiele befürwortet eine bessere Ausbildung der praktischen Aerzte ,
in der Tuberkulosebekämpfung. Jeder Student müsste mindestens V» Jahr
auf einer Tuberkiilosestation als Praktikant gearbeitet haben. j
B u r k h a r d t - Davos Dorf hält die Kategorie der Kriegsbeschädigten j
für die planmässige Auslese schwerer einseitiger Lungentuberkulose zur ^
operativen Behandlung besonders geeignet, da diese kräftigen jugendlichen i
Körper crfahruiigsgcmäss den .schweren operativen Eingriff gut vertragen. *
Mit einem Ueherblick über das Geleistete und Dankesworten an die ,
Erschienenen schliesst Präsident Bumm den Kongress, wobei er die Mit¬
teilung über eine weitere Spende von 10 000 M. an das Zentralkomitee macht,
welche durch den Herzog von Ratibor von dem Berg- und Hüttenmännischen
Verein in Oberschlesicn überwiesen wurde. Nachträglich kann auch noch
die erfreuliche Nachricht mitgeteilt werden, dass von einem ungenannten
Geber aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika durch Vermittlung der.
Quäker zur praktischen Bekämpfung der Tuberkulose beträchtliche Summen
zur Verfügung gestellt wurden. Um nur einige zu nennen, sei erwähnt,
dass im Einvcr.ständnis mit dem Zentralkomitee für die Adolf v. Rath-Stiftung
zur Speisung Tuberkulöser 40 000 M, überwiesen sind und dass das Zentral¬
komitee über weitere 60 000 M. zur Linderung der Not in besonders be¬
dürftigen Anstalten verfügen kann.
An 2 Abenden wurden in Bad Elster Teile des neuen Tuberkulosefilms
der Kulturabteilung der Universumfilmgesellschaft vorgeführt sowie ein Film
der Heilstätte Scheidegg.
Der grössere Teil der Kongressteilnehmer fuhr am 22. V. im Sonderzug
nach Dresden zum Besuch der Tuberkuloseausstellung des deutschen Hygiene
inuscums. ein kleinerer Teil besichtigte die Heilstätten in Reiboldsgrün.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 1. Juni 1921,
Vor der Tagesordnung demonstriert Herr Umber einen Fall, bei welchem
durch einen gummösen Prozess an der Basis cerebri Hemianopsie mit Ver¬
lust der Fähigkeit zum Leserf und Schreiben, Diabetes insipidus und anderes
hervorgerufen worden ist und durch spezifische Therapie ein sehr günstiger
Erfolg erzielt wurde.
An der Aussprache beteiligen sich die Herren F. Krause und
B e 11 d a. Der letztere gibt pathologisch-anatomische Ausführungen, der
erstere betont, dass das Röntgenbild auch jetzt noch nicht als normal zu be-
trachtdli ist.
Herr Umber hebt im Schlusswort hervor, dass vor Einsetzen
der Therapie hypophysäre Kachexie bestand.
Tagesordnung:
Herr M. Zondek: Zur Diagnostik der Nieren- und Bauchtumoren.
(Mit Lichtbildern.)
Der Vortr. bespricht die Differentialdiagnoscn zweier sehr seltener Nieren¬
tumoren (rnultilokuläres Lymphangiom der Nierenfettkapsel, Kankroid des
Nierenbeckens) und eines Falles von Pai.krcaszystc. Bei ausgesprochen läng¬
licher Form der Niere ist an Niere mit zwei Becken und zwei Ureteren zu
denken und bei Eiter- oder Blutab.sonderung deshalb festzustellen, ob nicht
pathologischer und normaler Harn abträufelt, besonders auch, wenn die
andere Niere wieder palpatorisch noch röntgenologisch nachzuweisen ist. Ist
ein sehr grosser Tumor fühlbar, ergibt aber die funktionelle Untersuchuiig
der Niere gute Werte, so i.st ein Nierenkapseltumor wahrscheinlich. Sind drei
Ureterenöffnungen in der Blase vorhanden, dann hat stets w'enigstens eine
Niere zwei gesonderte Becken und zwei Ureteren, Bei Erkrankung des zu
einem Becken gehörigen Teils der Doppelnierc kommt die Nierenresektion
in Betracht. Bei einer Solitärnierc lebenswichtig!
Schüppchenartige Beimischungen im Harn aus dicht gelagerten, zuin
Teil verhornten Epithelien begründen Cholesteatom- oder Karzinomverdacht
und erfordern event. die probatorische Freilegung der Niere.
Aussprache: Herr Rotschild betont, dass die Röntgenunter¬
suchung vor dem verhängnisvollen Uebersehen des Bestehens einer solitären
Niere sichert. Herr Kausch; Die Abdrängung des Tumors vom Kolon
spricht gegen Nicrentumor. da der Nierentumor das Kolon erfahrung.sgemäss
nach vorn .schiebt. Herr Israel hebt hervor, dass eine Konstanz dieser
Erscheinungen nicht vorhanden sei. Herr Lennhoff berichtet über einen
Fall von Echinokokkus der Leber und an solche Fälle muss man bei Sym¬
ptomen wie den von Zondek vorgc.stellten denken. Herr Ziegler be¬
richtet über röntgenologische Befunde bei der Kolonverdrängung. Herr Schil-
1 i n g teilt einen Fall mit, wo an Stelle eines Nierentumors irrtümlich
ein Milztiimor diagnostiziert worden war. Man hatte Adenokarzinom oder
Endotheliomzcllcn bei der Probepunktion mit Milzzellen verw'echselt. Im
Schlusswort macht der Vortr. darauf aufmerksam, dass die Verschiebung des
Kolons bei Merentumoren von der Lage deS/Tumors, von der Lage des Kolons
zur Niere abhängt und dass die Verhältnisse bei der rechten Niere anders
liegen als bei der linken.
nerr i. Schütze: Die RöntgenuntersuebunK des Duodenum und Itire
pr.iktlschen Ergebnisse besonders In Rücksicht auf nervöse Magenzustände
(mit Lichtbildern).
Die genaue Untersuchung des Duodenums ist bei Magenerkrankungen jitd
nach der röntgenologischen .Magenuntersuchung stets notwendig und zwar ist
ganz besonders der lang ausgedehnten Durchleuchtung eine Hc-
achtung zu schenken, die dieser wichtigen Untersuchungsmethode noch v:ef-
fach nicht zuerkannt wird. Ganz besonders häufig ergibt eine genau du.-ch-
gefiihrte Röntgenuntersuchung hei den sogen, Magenneurosen oft Vcrämlc-
riingcn am Duodenum, ganz besonders häufig die vom Vortr. beschrieht-ne
Sclilingenbildung. An der Hand eines umfangreichen Röntgenmäterials deir.nr.-
striert Vortr. zahlreiche Bilder von geschwürigen Prozessen, Divertikeln und
Schlingenbildungen am Duodenum. W.-L*.
Sitzung vom 8. Juni 1921.
TaKesordniiiiK.
Herr N e u f e I d und Herr R e I n h a r d t: Experlmentelie UntersaebunK.n
über Wunddesinfektion. , ,, .
Schimmelbusch infizierte seinerzeit Mäuse mit Streptokokkenrein-
kiilturen. und es gelanv ihm dann .selbst mit den stärksten Desinfizientien
nicht, die Wunden nachträglich steril zu bekommen. Bei Milzbrand konnte
die 10 Minuten später erfolgende Amputation des Schwanzes an dem töd¬
lichen Ausgang der Infektion nichts mehr ändern.
Bei Infektion mit bakterienhaltiger Gartenerde konnte Desinfektion noch
nach 6 Stunden, z. B. mit Jodtinktur erzielt w'erden.
Irn In.stitiit von R e ' n h a r d t wurden glatte Schnitte durch die Haut bis
auf die Faszie, dann Infektion mit hochvirulenten Keimen yorgenommen.
'{■ Stunde später w'urden die Wunden mit verschiedenen Desinfizienten be-
ricselt. • , .r- -
Den Versuchen Pfeilers folgend, haben die Autoren zunächst Di-Git;
in die Haut gebracht und mit Trypuflavin, wohl durch Entgiftung, Heilunger
erzielt, w'ährcnd die Kontrolltiere starben.
Dann haben sie Hiihnercholera und Pneumokokken verwendet, w'elche für
Tiere die richtigen Wundinfektionserreger sind. Sie haben dann mit ver¬
schiedenen spezifischen Heilmitteln gearbeitet. Das Verhalten der Baktevieu
ist bei Mäusen und Mecrschweinclien verschieden. Meerschweinchen sind
bei subkutaner Infektion resistenter. Bei der Infektion von der Wur.Je
aus ist der Wundverlauf natürlich erheblich schleichender.
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
/
17. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
759
^/looooooccm Bouillonkultur tötete die Kontrollen in etwa drei Tagen.
Die Behandlung setzte K» Stunde nach der Infektion ein, und zwar wurde gegen
Hühnercholera bei Meerschweinchen Trypaflavin in der Verdünnung 1: 1000
verwendet. Von 10 Tieren wurden ^ gerettet. Bei Mäusen wurden bei einer
Verdünnung 1; 100 ebenfalls die meisten gerettet. Mit Sublimat und Silber¬
nitrat wurden annähernd die gleichen Resultate erzielt. Karbol erwies sich
als weniger wirksam. Trypaflavin kann man, ebenso wie Vuzin, spezifisch
gegen Pneumokokken mit gutem Erfolge gebrauchen. Bei Mäusen waren
die Resultate fast so gut. Optochin versagte bei der Desinfektion in den
meisten Fällen. Bedeutungsvoll ist, dass auch gegen Streptokokken die be¬
nutzten Desinfizientien sich als völlig gleichwertig erwiesen. Staphylokokken
sind sehr schlecht zu beeinflussen. Die Rettung der Tiere geht nicht streng
parallel mit der Konzentration des Desinfiziens.
,Es handelt sich noch um die Frage, ob die genannten Stoffe direkt
bakterizid oder indirekt dadurch wirken, dass sie den Körper zur Bildung
von Oegenstoffen anregen. Vortr. steht auf dem Standpunkt, dass, wenn
auch die Mitwirkung des Körpers nicht entbehrt werden kann, zum mindesten
Trypaflavin und Vuzin bestimmt direkt bakterizid wirken, bei den anderen
Mitteln, auch Sublimat und Silbernitrat, spricht vieles für die gleiche Annahme.
Aussprache: Herr Morgenrot h: Bei der Tiefendesinfektion
haben die einfachen Antiseptika gar keinen Erfolg. Hier muss man an das
Desinfiziens ganz andere Ansprüche stellen. C o 1 m e r und seinen amerikani¬
schen Mitarbeitern ist es gelungen, mit Optochin künstliche Pneumokokken¬
meningitis zu heilen. Streptokokkenempyeme wurden mit unerklärlich
schlechtem Erfolg der Behandlung unterworfen. Jedenfalls dürfte in den
meisten Fällen die direkt bakterizide Wirkung als richtige Deutung der
Erfolge anzusehen sein.
Herr B ergeh Die Lymphozytose, ihre experimentelle Begründung und
biologisch-klinische Bedeutung. (Mit Lichtbildern.)
Die Formen der Entzündung sind nicht bei allen Krankheiten die gleichen.
Nicht alle Leukozyten vermehren sich bei den verschiedenen Infektionskrank¬
heiten in gleichem Masse Eine Reihe von Krankheiten geht mit entschiedener
Lymphozytose einher. Fett und Lipoide haben eine elektiv chemotaktische
Affinität zu Lymphozyten. Die Tuberkelbazillen werden im Körper durch
die Lymphozyten zunächst ihrer Fett- oder Lipoidliüllen beraubt. Diese
entfetteten Tuberkelbazillen färben sich nach Ziehl nicht mehr, dagegen
zeigen* sie bei der Färbung nach Much die granuläre Form, welche also
eine durch die Lymphozyten entfettete Form des K o c h sehen Tuberkel¬
bazillus ist.
Ganz ebenso wie bei der Tuberkulose wirken die Lymphozyten als
Lipase-Ambozeptoren gegen die Syphilisspirochäten. Auch Anomalien des
Fettstoffwechsels gehen fast regelmässig mit Lymphozytose einher. Umge¬
kehrt haben die Mittel, die die Lymphozytose anregen, sich als wirkungsvoll
z, B, gegen Tuberkulose erwiesen.
Aussprache: Herr Schilling macht dem Vorredner zum Vor¬
wurf, dass er die grossen Monozyten und die Lymphozyten bei seinen Ver¬
suchen nicht scharf auseinanderhält. Redner bezweifelt, ob die Zellen, die die
Phagozytose ausüben, überhaupt Lymphozyten sein können.
Herr F. L e s s e r betont die Bedeutung der B e r g e 1 sehen Unter¬
suchungen für die Syphilis. A.
Verein fDr innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 6. Juni 1921.
Tagesordnung.
Herr Westenhöfer: Demonstration zur Lokalisation der Intlmaver-
fettung der Aorta und Ihrer Aeste.
Bei der Arteriosklerose wird meist die Verfettung als das erste, die
Plackbildung als das zweite Stadium der Arteriosklerose angesehen, obwohl
dieser Zusammenhang durchaus kein gesicherter ist und z. B. V i r c h o w
beide Prozesse streng trennte. Die Lokalisation der Verfettung an der
Aorta fällt stets mit dem Abgang der Interkostalarterien zusammen und es
ist hier von Wichtigkeit, dass z. B. an der Iliaca dextra auch dort stets
ein Fettfleck festzustellen ist, wo sie über die Lordose der Lendenwirbel¬
säule hinwegzieht. Die Interkostalarterien verlaufen nämlich beim Erwach¬
senen im oberen Teil spitz nach oben und die Aorta hängt gewissermassen
wie ein Pferd in den Zügeln. Es besteht eine Divergenz bei der Ausdehnung
der Aorta im Quer- und Längsdurchmesser und an dem Abgang der Inter¬
kostalarterien wird auf die Aorta ein starker Zug ausgeübt. Der Schräg¬
abgang der Interkostales ist beim Säugling geringer und beim Fötus noch
geringer, und die Aufhängung der Aorta ist eine Folge der Diskongruenz
zwischen Wachstum der Wirbelsäule und dem Längenwachstum der Aorta.
Bei der Aorta angusta ist die Spannung an der Aorta eine besonders starke,
und den ganzen Symptornenkomplex kann man unter Umständen wohl mit
der Entstehung der Arteriosklerose in Verbindung bringen. Er hält das ganze
beschriebene eigenartige Bild für eine Folge des aufrechten Ganges des
Menschen, kombiniert zur Arteriosklerose führend mit den Schädigungen wie
sie für den zivilisierten Menschen sich aus der Ueberarbeitung ergeben.
Aussprache: Herr Kraus hat selbst einen Typus asthenicus und
zwar Erscheinungen von Sympathikotonie, aber keineswegs Erscheinungen
von Arteriosklerose, fühlt sich nach seiner Angabe durchaus frisch und
jugendlich. Ebenso hat er bei Patienten mit Aorta angusta durchaus ein
häufigeres Erkranken an Arteriosklerose vermisst.
Herr Westenhöfer (Schlusswort) betont, dass er seine Ausführungen
ja nur unter der Voraussetzung gemacht hat, dass die Verfettung das erste
Stadium der Arteriosklerose ist.
Herr Fritz H. Lewy: Ueber senile Dyskinesien.
Der Vortrag bringt umfangreiche Beiträge zur Pathologie des Streifen¬
hügels und ging davon aus, dass am Streifenhügel, besonders bei Lethargica,
Infiltrate und Degenerationen aufgefunden wurden. Um vor Irrtümem sich
zu schützen, darf man nicht von pathologischen Befunden, sondern nur von
physiologischen Experimenten ausgehen. Er kritisiert die vorliegenden Be¬
funde anderer Autoren und seine eigenen und kommt zu dem Schlussergebnis,
dass man unter keinen Umständen Symptome, wie z, B, den Tremor, Lokali¬
sierungsversuchen unterziehen dürfe, sondern stets nur funktionelle Tätigkeiten
und deren Ausfall.
Auf Grund seines sehr reichen Materials und seiner kritischen Be¬
sprechung. an der Hand sehr zahlreicher gelungener Mikrophotogramme von
Präparaten kommt er schliesslich zu dem Ergebnis, dass die Paralysis agitans
auf Grund der pathologisch-anatomischen Befunde von den anderen senilen
Dyskinesien zu trennen ist. W.-E,
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Vereinsamtliche Niederschrift.)
Sitzung vom 20. Dezember 1920.
Tagesordnung: . nn „
Herr D letze: Die Behandlung der Stenose des Tränennasenkanals mit
besonderer Berücksichtigung ,der endonasalen Eröfinun^ des Tränensackes
(West-Polyak sehe Operation).
Akute und chronische infektiöse Erkrankungen der Nase und ihrer Neben¬
höhlen können tiefgreifende Veränderungen der Schleimhaut des Tränen-
schlauchs mit Stenosierung des Isthmus ductus nasolacrimalis verursachen,
begünstigt durch mechanische Momente (Polypen, Muschelvergrösserung,
Granulationen bei Lues, Tuberkulose, Sklerom und Tumoren, Zahnzysten,
Rhinoliten und Borkenbildung bei Ozäna). Die bisherigen Massnahmen, Exstir¬
pation des Sackes von aussen, die Entfernung der Lid-Orbitaldrüse sind de¬
struktiver Natur und lassen das Grundübel unberührt. Die T o t i sehe äussere
Operation bedeutet einen wesentlichen Fortschritt, er selbst erzielte 50 bis
60 Proz. Heilresultate. Sie ist nicht anwendbar bei Phlegmonen und Fisteln
des Sackes, da der Hautschnitt primär genäht werden muss. Mit Rücksicht
! auf die Mechanik der Tränenableitung ist die W e s t sehe endonasale Methode
vorzuziehen, sie übt die geringste Einwirkung auf den Tränenmechauismus
aus und lässt die Lage der Canaliculi, Lidband, sowie die Haut unversehrt.
Die Autoren C a 1 d w e 11, K i 11 i a n, P a s s o w, S t r a z z a, O ’ K u n e f f
öffneten zunächst den Kanal unter Fortnahme der vorderen unteren Muschel,
V. Eicken und Mann arbeiteten sich durch die Kieferhöhle bzw. von
der Apertura piriformis heran. West beschäftigt sich nur mit dem Tränen¬
sack. In Lokalanästhesie wird die den Tränenwulst deckende Schleimhaut
weggenommen und ein genügend grosses Knochenfenster vom Stirnfortsatz.
Tränenbein, einschl. der lakrimalen Sicbbeinzellen ausgemcisselt. Unter
j Sondcnkontrolle von aussen wird nun der nasale Teil des freiliegenden Saccus
: entfernt. Lässt man jetzt die Lider kräftig auf und zu bewegen, so kann
man den Eintritt der Tränenflüssigkeit in die Nase direkt beobachten. Dieses
i Phänomen ist das sichere Zeichen der technisch richtig ausgeführten Operation.
, Sie ist bei Dakryozystitis mit oder ohne Ektasie des Saccus, bei Tränen¬
fisteln, bei akuter Phlegmone und bei einfacher Epiphora anwendbar. West
berichtet 90 Proz. Heilresultate. Polyak führt die Operation bei Tuber¬
kulose des Saccus in grosser Anzahl aus. West und Bunke fanden ge¬
wöhnlich nach 1—2 Tagen post op. die pathogenen Keime vollkommen
verschwunden, während M a 11 i e 1 aus der A x e n f e I d sehen Klinik in
43 Proz. der Fälle Pneumokokken nach der Ex.stirpation des Saccus von aussen
feststellen konnte. Vor bulbärer Operation (Stardiszision) oder bei Ulcus
serpens ist die bestehende Saccuseiterung daher endonasal zu operieren.
Der Vortragende operierte 12 Fälle nach West mit vollem Erfolg,
3 wegen Tränenträufeln und 9 wegen Blennorrhöe des Sackes, darunter einen
8 jährigen Knaben. 6 Dauerresultate (der älteste war 13 Monate operiert)
werden vorgcstellt. Ein Fall mit Fistel und eine Phlegmone mit drohendem
Durchbruch nach aussen kamen in wenig Tagen nach der endonasalen Er¬
öffnung des Saccus zur Heilung. Kontraindikation bilden Fälle mit starker
Verengerung des Naseneingangs. In etwa 8 Monaten hat das Knochenfenster
seine endgültige Form angenommen. Schlitzung der Tränenröhrchen lässt
keine ungünstigeren Abflussbedingungen erwarten. Die West-Polyak-
sche endonasale Operation stellt gegenüber der äusseren nach T o t i die
Methode grösserer Anwendungsmöglichkeit dar bei Wiederherstellung der
durch Stenose des Duktus bedingten Tränenabflussunterbrechung und ihrer
Folgezustände.
Aussprache: Herr v. P f 1 u g k empfiehlt die West sehe Operation
als eine ideale Methode.
Herr Best fragt unter Hinweis auf die Aussprache über das gleiche
Thema in der M.m.W. 1920 S. 1453 an, wie Verf. die Operation von K u t v i s t
bewerte. B. empfiehlt die T o t i sehe Operation, die den grossen Vorteil der
Uebersichtlichkeit hat, hinsichtlich des funktionellen Resultates der W e s t -
sehen prinzipiell durchaus gleichwertig ist. Die kleine Hautnarbe bei Toti ist
belanglos.
Herr F. Schanz übt die Tränensackoperation nach Toti schon seit
langen Jahren und hat recht befriedigende Resultate dabei gesehen. W'enn
Toti in seiner ersten Publikation angibt, dass in 50—65 Proz. der Tränen-
äbfluss nicht dauernd hergestellt werden konnte, so muss man bedenken,
dass dabei die ersten Versuche mitgezählt waren. Jetzt hat sich die Technik
bei der Operation soweit vervollkommnet, dass man wesentlich bessere Re¬
sultate zu erzielen vermag. Entstellende Narben kommen gar nicht vor.
Bei phlegmonösen Prozessen soll man überhaupt keine derartigen Eingriffe
vornehmen, weder nach Toti noch nach West, das widerspricht den
chirurgischen Regeln, weil man riskiert, die eitrige Entzündung weiter zu
tragen. Bei der Phlegmone des Tränensackes kommt lediglich die breite In¬
zision in Frage. Erst wenn diese abgeklungeu, wird man eine weitergehende
Operation unternehmen.
Herr W. L. Meyer hat, einer Anregung des Herrn F. Schanz fol¬
gend, die funktionell so unbefriedigende Exstirpation des Tränensackes ver¬
lassen und hat sich der Toti sehen Operation zugewendet und ist mit den
Erfolgen zufrieden. Eine ausführliche Darstellung des Tot i sehen Ver¬
fahrens gibt der Rhinologe C. C. Fischer im Bd. 39 der Zschr. f. Augen¬
heilkunde und führt im Vergleich mit der endonasalen Operation aus, dass
nach seiner Ansicht die Toti sehe Opei'ation den intranasalen Operations¬
methoden überlegen ist, weil 1. das Operationsfeld übersichtlicher ist, 2. auch
ängstliche Patienten, alte Leute und kleine Kinder, darnach von aussen in
Narkose gut operiert werden können, 3. weil hochgradige Verengerungen des
Naseneinganges und Septumverbiegungen für die Toti sehe Operation kein
Hindernis sind.
Herr Wiebe sieht einen Vorzug der West sehen Operation darin,
dass man die Schleimhaut der Nase besser wegnehmen kann als bei der
Toti sehen Operation.
Herr D i e t z e (Schlusswort): Ich habe keine Erfahrungen über die
Toti sehe und K u t v i s t sehe Operation. Mit den bisherigen Erfolgen der
West sehen Operation bin ich sehr zufrieden.
Herr Fritz Schanz: Der „echte** Dlphtherlebazlllus. (Der Vortrag
erscheint ausführlich in der B.kl.W. 1921.)
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
760
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24 .
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 31. Mai 1921.
Vorsitzender: Herr K ü m m e 11.
Herr Theodor demonstriert eine Frau mit Ostitis deformans flbrosa
des linken Radius, die 1918 begann und vor einigen Monaten neben der
im Röntgenbilde charakteristisch sichtbaren Entkalkung zu einer Fraktur mit
deformierender Pseudoheilung geführt hatte. Probeexzision ergab die
typischen histologischen Ver:tnderungen. Therapeutisch ist die Entfernung
des ganzen Radius aus dem Periostschlauch und die Implantation einer Rippe
mit Periost an dessen Stelle versucht.
Herr Eug. F r a e n k e I zeigt die Röntgenbilder mehrerer Fälle von
O. d., die das ganze Skelett befallen haben. In einem Falle, bei dem be¬
sonders die Wirbelsäule stärksten Kalkabbau bis auf kümmerliche Knochen¬
reste und dadurch bedingte Verbiegung und Querschnittsmyelitis. der der
Kranke erlegen war, aufwies, ergab die Untersuchung der Epithelkörper
die Umwandlung in einen grossen Tumor. Aehnliche Epithelkörpervergrösse-
rungen fanden sich auch in den übrigen Fällen von O. d., so dass Vortr.
an einen ätiologischen Zusammenhang dieser Kalkstoffwechselstörung, wie
sie bei der O. d. vorliegt, mit den Epithelkörperchen denkt. Auch die
Tierexperimente an Ratten bestätigen diese Annahme.
Herr S I m m o n d s bestätigt an seinem Material diese Befunde. In
einem Falle, in dem das ganze Skelettsystem erkrankt war. fand sich eine
haselnussgrosse Struma der Epithelkörperchen. Bei der Progredienz des
Leidens, das unhaltbar zum Tode führt, dürfte eine chirurgische Inangriffnahme
der Epithelkörperchen angezeigt sein.
Herr Schottmfitler stellt eine Kranke vor, bei der alarmierende
hochgradige Hämaturien grosse differentialdiagnostische Schwierigkeiten
machten. Schliesslich gelang der Nachweis von Gonokokken im steril ent¬
nommenen Harn. Gonorrhoische Zystitlden sind in Sch.s Material relativ
selten, ganz selten sind so profuse, rezidivierende Blutungen dabei.
Ferner berichtet Sch. über eine gonorrhoische Allgemelnlniektlon, die
mit septischem Fieber begann und nach dessen Abklingen zu einem pustu-
lösen Exanthem führte.
Herr R e v e empfiehlt die Jodtinkturbehandlung des Erysipels. Die
Erfolge sind ausgezeichnet und bei richtiger Technik kommen keine Ver¬
sager vor. Mit 10 proz. offizineller Jodtinktur muss die erkrankte Haut und
die Umgebung weit bis ins Gesunde hinein gründlich eingepinselt werden.
Meist genügen 2—3 Pinselungen. Schon nach der ersten tritt subjektives
Wohlbefinden ein, ’sehr bald nachher Fieberabfall.
Herr Richter demonstriert einen von ihm konstruierten tran^ortablen
Inhalationsapparat, der an die elektrische Lichtleitung angeschlossen werden
kann. Der Apparat ist handlich, sauber und bequem, kostet allerdings auch
600 M.
Herr Brütt: Indikationsstellung und Dauerresultate bei der chirurgi¬
schen Elehandlung des Magen- und Duodenalgeschwürs.
Die frischen, unkomplizierten Geschwüre sind konservativ zu behandeln,
erst bei starker Blutung rückt bei dieser Geschwürsform die Frage der
chirurgischen Behandlung näher. Handelt es sich bei einer schweren Blutung
um eine Arrosionsblutung aus einem kallösen Ulcus, so ist zu resezieren
(womöglich in Lokalanästhesie). Erfahrungen mit Umstechung nicht sehr
günstig; einfache G.E. unbefriedigende Palliativoperation. Bei akuten
Geschwürsperforationen (132 Fälle) 40 Proz. Mortalität; 80 Proz.
Männer, 20 Proz. Frauen. Hinweis auf die Bedeutung des Schulterschmerzes
bei der Diagnose. Oneration; Fast stets Gastroenterostomie und Uebernähung
des Geschwürs, Kochsalzspülung: durchweg primärer Schluss der Bauch¬
höhle. Dauerresultate bei den Ueberlebenden leidlich gute, jedoch in 12 Proz.
Neuerkrankung unter den Erscheinungen schwerer Geschwürsblutungen (Ulcus
pepticum, Ulcusrezidiv). In letzter Zeit Resektion bei perforierten Ge¬
schwüren (6 Fälle, 1 Todesfall).
Die gedeckten Perforationen sind gleich zu behandeln,
trotzdem hierbei Spontanheilunt^en nicht so selten.
Chronische Geschwflrsformen: das kallöse, pylorusferne
Geschwür ist, wenn möglich, zu resezieren (63 Fälle: 7,5 Proz. Mortalität).
Bevorzugung der Querresektion (6,3 Proz. Mortalität). Die Dauerresultate
sind nach der Resektion wesentlich bessere als nach der einfachen G.E.,
bei der ein nicht geringer Prozentsatz der Operierten noch nach Jahren an
der Grundkrankheit oder Komplikationen zugrunde geht. Bei den juxta-
pylerischen Geschwüren (154 Fälle) sind einfache Ulzera, kallöse
Geschwüre (Ulcustumoren) und Narbenstenosen zu unterscheiden. Anamnese
und klinisches Bild ähneln bis zu einem gewissen Grade denen des Ulcus
duodeni. Normalverfahren hier die G.E. mit einer Operationsmortalität von
2,7 Proz. Die Spätresultate bei den Operierten (128 Nachuntersuchungen)
sind im allgemeinen gute, nur bei den Ulcustumoren am Pylorus ist nicht
nur die Verwechslung mit einem Karzinom möglich, sondern auch die Spät¬
todesfälle an Karzinom sind hier häufig, so dass Resektion zweckmässig.
Bei duodenalen Geschwüren (Betonung des klinischen Bildes) gute Resultate
mit der G.E. und Pylorusverschluss mit Lig. teres. Die Spätresultate werden
dadurch etwas getrübt, dass oft noch nach Jahren sich Neuerkrankungen
einstellen unter dem Bilde des Ulcus pepticum jejuni, aber nicht annähernd
in der Häufigkeit wie es bei den mit der E i s e 1 s b e r g sehen Methode
behandelten Fällen nach den Literaturangaben der Fall ist.
Die Spätmortalität an Magenkarzinom nach früherem
Ulcus ist ausserordentlich gering; bei Berücksichtigung aller Geschwürs¬
formen (gegen 300 nachuntersuchte Fälle) fand sich Karzinom als wahr¬
scheinliche Todesursache nicht einmal. 5 Proz. als autoptisch festgestellte
Todesursache in nur 1,9 Proz. Demgegenüber ist zu vergleichen, dass die
Mortalität an Magenkarzinom Oberhaupt nach Sektionsstatistiken 3 Proz.
beträgt. _
Aerztlicher Kreisverein Mainz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 4 März 1921.
Herr Gg. B. G r u b e r weist pathologisch-anatomische Befundstfleke
vor, von denen als seltenere Vorkommnisse Erwähnung verdienen eine
Flstula tracheo-oesophagea auf Grund primären Trachealkrebses: ein walnuss¬
grosses, mykotisches Aneurysma der Arterla maxlmllarls bei einem
9 Monate alten Kind auf Grund eitriger, phlegmonöser Entzündung im Be¬
reich der Gefässscheide; das hypertrophische Herz eines plötzlich ver¬
storbenen 18jährigen Mannes mit Stenose der aus zwei Taschen be¬
stehenden schwieligen Aortenklappen, vereint mit durch¬
gängigem Ductus Botalli.
Sitzung vom 17. März 1921.
Herr Kupferberg weist vor ein chondrodystrophes Neugeborenes
mit Polydaktylie der Hände, ferner eine Placenta succenturlata, als Placenta
praevia lokalisiert, nach Metreuryse nyt der Frucht (im Fruchtsack) aus-
gestossen sodann retroperltoneale Flbromyxome, die nach wiederholter
Operation wiederkehrten und erst auf Bestrahlung ausblieben, endlich das
Zangenmodell von K i e 11 a n d. das er in 10 Fällen mit sehr gutem Erfolg
angewendet hat.
Aussprache über die Frage der Aendernng der §§ 212—22A des
RStrGB. (Abtreibungsparagraphen).
Herr Kupferberg lehnt die im Reichstag eingebrachten Anträge für
Streichung der Paragraphen ab. Die Geburtshilfe könne stolz darauf sein,
in ihren Erfolgen dem nahezukommen, was der kirchlich-katholische Stand¬
punkt für richtig ansieht. Bei Freigabe des künstlichen Abortes wird sich
eine hohe Mortalität und anderseits eine häufige Unfruchtbarkeit als Folge
ergeben. Staatliche Findclhäuser sind dagegen sehr nötig. Die Strafen für
die abtreibende Schwangere erscheinen zu hoch. Für sie sei eine Milderung,
ja Straffreiheit zu empfehlen.
Herr Busch will das soziale Moment als Anzeige des künstlichen
Abortes stärker berücksichtigt wissen. Aus Gründen der Humanität rate
wohl ein Hausarzt eher zur Unterbrechung der Schwangerschaft, als ein
Gynäkologe. Es bestehe ein Widerspruch zwischen Gesetz und Leben. Die
Anträge der USP. und der MSP. seien abzulehnen; der Schritt von den
jetzigen Verhältnissen zur vollen Straflosigkeit sei doch wohl zu weit.
Herr P u p p e 1 vertritt den Einspruch des deutschen Aerztevereins-
bundes in dieser Sache. Anstatt die Frauen den gefährlichen Methoden der
Abtreibung zu überantworten, könnten die radikalen Antragsteller doch auch
zur Unterbindung der männlichen Samenstränge raten, was nach Steinach
auch noch verjüngend wirke!! Die Frucht ist kein Teil der Mutter, über
den sie frei verfügen kann. Die Heiligkeit des keimenden Geschöpfes muss
wieder Gemeingut des Volkes werden.
Nach längerer, lebhafter Aussprache wird ein Antrag Darapskys
einstimmig gutgeheissen, der eine Ablehnung der bekannten Anträge der
USP. und der MSP. ausspricht und eine Revision der Strafbestimmungen der
fraglichen Paragraphen fordert.
Sitzung vom 18. März 1921.
Herr Kratzeisen spricht an Hand von Lichtbildern Ober Lage and
Form des Magens.
Aus Beobachtungen bei ganz frisch geöffneten Leichen ergibt sich die
Tatsache, dass der Magen eine kurze Zeit den allgemeinen Tod des Organis¬
mus überlebt. Die von F o r s e 11 und A s c h o f f mitgeteilte Form des
Magens scheint doch wohl physiologisch zu se^. Ein Magnetistkmus ist
oftmals vorhanden. Gegenüber dieser Form, die Gewölbe, Körper, Grund
und Pförtnerkanal des Magens schön unterscheiden lässt, ist die stierhorn¬
förmige nicht etwa ein reines Kadaverprodukt. Sie entspricht der Er¬
schlaffungsform, ist also auch physiologisch. Bei fortgesetzter Leichen¬
zersetzung tritt sie in übertriebenem Masse auf. Die Projektionsschatten
der Röntgenbeobachtung ergeben nicht immer das Bild der durch die Kur¬
vaturen gelegten Ebene und sind daher nicht eindeutig und schwer zu be¬
werten.
Würzburger Aerzteabend.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung des Aerztlichen Bezirksvereins vom 3. Mai 1921.
Moderne Anschauungen über die pathologische Anatomie des Morbus Brlghtil.
Herr M. B. Schmidt gibt einen Ueberblick über die Wandlungen ir
der Auffassung der anatomischen Grundlage der diffusen hämatogenen Nieren¬
krankheiten, die früher den Begriff des M. B. ausmachten, und über die
Einteilung derselben. Er betont dabei besonders, dass reine chronische
Nephrosen anatomisch höchst selten gefunden werden, die meisten sind mit
entzündlichen oder amyloiden Glomeruluserkrankungen verbunden und wer¬
den durch diese unterhalten und an der Heilung verhindert; vor allem sind
reine nephrotische Schrumpfnieren äusserste Raritäten.
Für die „maligne Sklerose“ des Klinikers nimmt Vortragender nicht eine
einheitliche anatomische Grundlage an. Vielmehr kann dieselbe entweder als
eine Weiterentwicklung der „blanden Sklerose“ speziell durch das Uebergreifen
der Arteriolenerkrankung auf die Glomerulusschlingen mit hyaliner Quellung
und Verfettung der letzteren entstehen, die nicht reparabel ist, oder durch
Auftreten einer Nephritis oder Nephrose als neue Erkrankung durch eine
neue Ursache; diese Komplikation kann denselben Verlauf nehmen wie in
einer vorher gesunden Niere, also eventuell wieder rückgängig werden.
Herr Nonnenbruch bespricht zunächst die wesentlichsten Krank-
heitserschclnungen bei Nierenkranken. Bet der qualitativen Urinuntersuchung
wird für die ganze Beurteilung des Falles der Untersuchung des Urins auf
Blut der grösste Wert beigelegt. Blut im Harn bedeutet in dubio eine
Glomeruluserkrankung. Die Funktion der Niere wird geprüft durch Beob¬
achtung des Urins und durch Untersuchungen des Blutes auf abiureten Stick¬
stoff (Rest-N). Die Bestimmung von Menge und spez. Gewicht der 3 stündlich
aufgefangeneii Urineinzelportionen während 24 Stunden, ev. bei besonderer
Kost (S c h 1 a y e r sehe Probemahlzeit) zusammen mit dem Wasserversuch
und Konzentrationsversuch sind in der Praxis durchführbar und sind in der
Regel genügend für die Beurteilung des Falles.
Den Grad der Insuffizienz der Niere zeigt am bequemsten die Rest¬
stickstoffbestimmung im Blut an. Diese kann der praktische Arzt leicht
durchgeführt haben, wenn er ein Reagenzglas voll Blut oder noch be¬
quemer eine aus der Fingerbeere mit Blut vollgesaugte U-Kapillare in die
Klinik zur Untersuchung einschickt.
Die Oedeme Nierenkranker können serös, chylös und wasserklar sein.
Die Messung des Blutdrucks muss möglichst fortlaufend erfolgen. Die
Trennung der Urämie in akute, echte und Pseudourämie (V o 1 b a r d) wird
besprochen.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf
17. juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
761
Auf Grund der Krankheitserscheinungen, auch derer, die nur anam¬
nestisch feststehen, erfolgt die Einteilung in Volhards 4 Hauptformen
— die 3 monosymptomatischen Formen: Nephrose, Herdniere und Sklerose
und die polysymptomatische diffuse Glomerulonephritis. Besonders wichtig
ist es prognostisch, die reine Nephrose von der diffusen glomerulo-tubulären
Nephritis zu scheiden, die sich klinisch oft sehr ähnlich sind. Bei der
letzteren besteht aber mindestens zeitweise Blutdrucksteigerung oder
Hämaturie.
Für die Therapie entwickelt der Vortragende im wesentlichen seine
in der M.m.W. 1918 Nr. 23 niedergelegten Anschauungen, wobei er zur
Behandlung der akuten hydropischen Nephritis nachdrücklichst für die
V. Noorden-Volhard sehe Hunger- und Durstbehandlung eintritt, die
besonders solange am Platze ist, als eine Kreislaufinsuffizienz mit Atemnot
im Vordergründe steht. Auch bei Eintreten eklamptischer Urämie wird die
Flüssigkeitsbeschränkung beibehalten und von intravenösen Salzwasser- oder
Traubenzuckereinläufen Abstand genommen. Bei der kardial kompensierten
polyurischen Nephritis mit und ohne Insuffizienz darf die Flüssigkeit nicht
beschränkt werden (event. Trinktage), bei eintretender Herzinsuffizienz
(nächtliches Asthma etc.) ist aber neben eventueller Strophanthin- oder Digi¬
talisbehandlung oder auch allein für sich eine mehrtägige Trockenkost am
wirksamsten und darf auch auf die Gefahr eventuell verminderter „Aus¬
schwemmung“ in diesen Tagen gegeben werden. Klinische Beobachtungen
sprechen dafür, dass es bei Eintritt von Herzinsuffizienz zu raschem Anstieg
des Rest-N und zu urämischen Erscheinungen kommen kann, wofür vielleicht
zum Teil toxischer Eiweisszerfall verantwortlich ist. Mit Behebung der
Herzschwäche hören diese Erscheinungen oft wieder rasch auf.
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. Mai 1921.
Herr A. Goldreich demonstriert ein zwölf Monate altes Mädchen mit
den typischen Erscheinungen eines Säuglingsskorbuts.
Man sieht Suffusionen an den unteren Augenlidern, an ,beiden inneren
Augenwinkeln, eine zirka kronengrosse Blutung am harten Gaumen, zahl¬
reiche Petechien am weichen Gaumen; ferner nimmt man eine Schmerz¬
haftigkeit und Bewegungseinschränkung beider Kniegelenke wahr.
Der Vortragende macht darauf aufmerksam, dass in den letzten Monaten
der Säuglingsskorbut in Wien in erschreckender Weise zunimmt. Er hat
in den letzten vier Wochen sechs frische Fälle bei Säuglingen beobachtet.
Das Ueberhandnehmen des Säuglingsskorbuts ist auf die wirtschaftliche Ver¬
elendung zurückzuführen, auf die ganz insuffiziente Milchversorgung der
Säuglinge, so dass viele Säuglinge noch immer auf kondensierte Milch ange¬
wiesen sind. Ferner kann die arme Bevölkerung die unerschwinglichen
Preise für frisches Gemüse nicht zahlen.
Herr A. L u g e r und Herr L. Lauda berichten über Unter¬
suchungen über Herpes febrllls.
Die Vortr. haben mit Erfolg den Inhalt von Herpesbläschen auf die
Kornea von Kaninchen und Meerschweinchen übertragen. Die Impfungen
erzeugten eine lokale Immunität, indem die Kornea bei späteren Impfungen
reaktionslos blieb oder ganz abortiv verlief. Nur das geimpfte Auge ist
immun. Es gelang die Uebertragung des Virus bis zu 4 Passagen. Die
Vortr. haben dieselben Kernveränderungen an der, Impfstelle und in ihrer
Umgebung beobachtet, wie sie seinerzeit von B. Lipschütz beschrieben
wurde. Das Chromatin rückt an die Peripherie, das Oxychromatin tritt
deutlich sichtbar hervor. Auch der Einfluss der Fixierungsmittel ist zu
berücksichtigen.
Impfversuche mit dem Bläscheninhalt von Variola und Varizellen und
verschiedenen Dermatosen haben zu ganz ähnlichen Veränderungen der
Kornea geführt, so dass Vortr. an spezifische Reaktionen von Platten-
epithelien denken. Neben den Veränderungen der Kornea kommt es zu
schweren Allgemeinerscheinungen (Krämpfe und Paresen nach 1—2 Wochen
dauernder Inkubation). Wie D o e r r festgestellt hat und die Vortr. be¬
stätigen können, gelingt es, diese schweren Erscheinungen durch Infektion
von Hirnemulsion und durch intravenöse Injektion von Bläscheninhalt hervor¬
zurufen. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass den Bläscheneruptionen ein
filtrierbares Virus zugrunde liege, indem es gelano^. durch eine Hirnemulsion,
die durch eine Chamberlandkerze filtriert worden war, Tiere zu töten.
Die verschiedene Aetiologie, bei der Herpesbläschen auftreten, legt die An¬
nahme nahe, dass verschiedene Momente latente Infektionen mobilisieren;
vielleicht handelt es sich um ein filtrierbares ubiquitäres Virus.
Herr M. K a h a n e: Erfahrungen über die kutane Diagnostik Innerer*
Erkrankungen. K.
Sitzung vom 20. Mai 1921.
Herr W. Weibel: Röntgentherapie des Uteruskarzinoms.
Vortr. demonstriert je 3 Moulagen von 3 Fällen, die die Wirkung der
Röntgentherapie veranschaulichen, und bemerkt, dass die vergleichend¬
histologische Untersuchung der Röntgen- und Radiumwirkung ergeben hat,
dass die Röntgenstrahlen zunächst das Bindegewebe zur Wucherung bringen,
in dem dann die Tumorzellen zugrunde gehen, während bei Radiumwirkung
zunächst der Tumor geschädigt wird und dann erst die Bindegewebswuche¬
rung folgt. Die histologische Untersuchung hat in den Fällen, deren Moulagen
demonstriert werden, keine eindeutigen Resultate ergeben, ob noch maligne
Zellen in den von der Portio abgeschabten Stückchen vorhanden sind oder
nicht. Andere Fälle sind weniger günstig verlaufen als diese drei, die makro¬
skopisch und palpatorisch keinen Befund aufweisen. In einem Falle ist die
Patientin nach der Röntgenbestrahlung kachektisch geworden und ist derzeit
in einem hoffnungslosen Zustande. In 2 inoperablen Fällen ist eine weit¬
gehende Besserung eingetreten, soweit der Befund an Portio utid Parametrien
erkennen lässt.
Es wäre verfehlt, anzunehmen, dass die Modernität der Apparate den
Effekt verbürgt. So hat Vortr. vor Jahren eine Patientin mit einem in¬
operablen Scheidenkarzinom mit einem alten Apexapparat bestrahlt und eine
Anzahl Radiumbestrahlungen folgen lassen. Das Karzinom ist verschwunden,
die Scheide etwas starr, die Parametrien geschrumpft.
Es ist möglich, mit Röntgenstrahlen ohne Radiumapplikation und ohne
Operation Karzinome zu beseitigen, aber es gibt auch absolut refraktäre
Fälle. Es gibt keine Karzinomdosis, ebenso keine Kastrations- oder
Ovarialdosis. Die Karzinom- und die Ovarialdosis kann nur eine
Maximaldosis sein, deren Verabreichung in vielen Fällen dann eine Ueber-
dosierung bedeutet. Das würde bei malignen Tumoren wenig besagen, ist
aber sonst nicht unbedenklich. Das operable Karzinom ist zu
operieren. Röntgen- und Radiumbehandlung sollen immer kombiniert
werden. Stets soll man nach der Operation prophylaktische Nachbestrahlung
machen.
Die Leistungsfähigkeit der Operation hat ihren Höhepunkt erreicht. Die
absolute Leistung (das ist das Verhältnis von Dauerheilung zur Zahl der
überhaupt beobachteten Fälle) ist etwa 20 Proz. Die Dauerheilung beträgt
etwa 50 Proz. der Operierten. Der Streit zwischen vaginaler und abdominaler
Methode ist dahin zu entscheiden, dass die primäre Mortalität bei der vagi¬
nalen Methode geringer ist. In der Statistik spielt dieser Faktor eine überaus
wichtige Rolle. Die prophylaktische Bestrahlung soll zurückgebliebene Reste
beseitigen und eine Wiederentstehung der Karzinoms verhüten.
Die Fälle müssen individualisierend behandelt werden. Eine Festlegung
auf eine Methode wäre fehlerhaft. K.
Kleine Mitteilungen.
Therapeutische Notizen.
Behandlung der Mastitis.
Angeregt durch den Artikel des Herrn Kollegen Kr ecke über die
Saugglockenbehandlung der puerperalen Mastitis in Nr. 25 d. Wschr. will
ich ein einfaches Verfahren zur Behandlung dieser Krankheit mitteilen:
Sobald ich merke, dass sich Eiter bildet, brenne ich bei der Mastitis an
der Stelle wo der Abszess sitzt, bei oberflächlichen Abszessen da wo' ich eine
Fluktuation wahrnehine, bei tiefliegenden Abszessen da wo beim Betasten die
grösste Schmerzhaftigkeit sich kundtut, mit einem Spitzbrenner des Panto-
staten ein, indem ich die Mamma fest zwischen Daumen und den übrigen
Fingern der linken Hand zusammenpresse. Der Brenner bleibt so lange drin,
bis der betreffende Brustquadrant rot aufleuchtet und der Eiter neben dem
Brenner herausbrodelt. Ist der Abszess sehr gross, brenne ich an der tiefsten
Stelle noch einmal ein.
Das erstemal dauert der Eingriff einige Sekunden, das zweitemal nur
einen Moment. Das Verfahren ist nur wenig schmerzhaft und habe ich es
ohne jede örtliche oder allgemeine Betäubung angewandt.
Zur Nachbehandlung Hess ich die Brust in Sodawasser baden.
Die Heilung vollzieht sich in ganz kurzer Zeit.
Ich war jedesmal überrascht, wenn ich die Patientin nach einigen Tagen
wiedersah und die Brust völlig abgeschwollen war — nicht mehr schmerzte
und sich kein Eiter mehr auf Druck entleerte.
Hervorheben will ich noch, dass die Brust völlig ihre Form behält und
keinerlei Narbe zurückbleibt — einzig ein feines Pünktchen an der Einbrenn¬
stelle.
Ich wende dieses Verfahren erst seit 3 Monaten an und habe bisher
7 Fälle so behandelt — darunter 2 sehr schwere.
Der Erfolg war jedesmal eklatant. Dr. L e v y - Köln-Bayenthal.
Die Mantouxsche Tuberkulinreaktion, von der in der
Arbeit des Herrn Dr. Bosch auf S, 733 d. Nr. mehrfach die Rede ist. ist
vielleicht nicht allen unseren Lesern bekannt. Sie besteht (nach H. Schmidt:
Die Technik immunbiologischer Untersuchungsverfahren. Leipzig 1921) darin,
dass von abgestuften Mengen von Alttuberkulin Höchst 1:5000, 1:10 000.
1: 50 000, 1; 100 000 je 0,1 ccm in die straffgespannte Haut des Oberarms oder
Oberschenkels mit sehr feiner Platiniridiumkanüle eingespritzt wird, so dass
eine kleine, welsse Quaddel entsteht (Quaddelprobe).
Studentenbelange.
Hochschulafchiv der deutschen Studentenschaft.
Das Hochschularchiv der deutschen Studentenschaft, das am 1. Okt«)lKM-
1920 eröffnet wurde, hat kürzlich seinen ersten Halbjahrsbericht veröffentliclit.
Danach hat es langsam, aber stetig zugenommen und zählt nach der Fest¬
stellung vom 1. April d. J. ausser 10 000 Druckschriften, die es als Leihgaben
verwahrt, ohne Doppelstücke 193 gebundene Bücher, 3277 Broschüren, 1902
Einzelblätter und 2912 Zeitschriftennummern. Es sind darunter eine Anzahl
grosser Seltenheiten, die sich sonst in keiner deutschen Bibliothek finden.
Infolge der verständnisvollen Förderung, welche das Hochschularchiv bei den
meisten akademischen Behörden und bei dem Kultusministerium von Baden.
Bayern, Mecklenburg, Preussen und Württemberg gefunden hat, ist es be¬
reits im ersten halben Jahr seines Bestehens zu einem Mittelpunkte
der hochschu1kund1ichen Forschung in Deutschland
geworden. Um aber auch fernerhin seine Aufgaben zu erfüllen, bedarf es
noch weiterer Unterstützung und richtet deshalb an alle akademischen Be¬
hörden, Studentenvereinigungen, Einzelstudenten und Altaka-
d e m i k e r die Bitte, ihm auch in Zukunft alles für seine Zwecke brauchbare
Material über Hochschulwesen und Studententum zuzusenderi (Anschrift:
Hochschularchiv, Göttingen, Weenderstr. 12/13). In Be¬
tracht kommen unter anderem folgende Gegenstände: 1. Bücher und Bro¬
schüren über das gesamte Universitäts- und Hochschulwesen, Hochschulver¬
fassungen, Fakultätsbestimmungen, Habilitäts- und Promotionsordnungen, Stu¬
dienpläne. Satzungen für Krankenkassen. Unfallversicherungen, Ordnungen für
Kliniken, Institute, wichtige Anschläge, Festschriften, Bilder, Photographien,
Postkarten, welche Hochschulgebäude, festliche Veranstaltungen oder einzelne
Dozenten darstellen; 2. Satzungen aller Art, Bestimmungen über studentische
Einrichtungen (Studentenküchen, Wohnungsämter u. a.), Handbücher, Ver¬
bindungsgeschichten, Semester- und Jahresberichte, Liederbücher, Musen¬
almanache, Plakate, Karikaturen, Exlibris, Vereinspostkarten, Artikel aus
Zeitungen und Zeitschriften.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
(62
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 24.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 15. Juni 1921.
— Am 1. Juli 1921 beginnt in Preussen der durch Beschluss des
Staatsministeriums vom 30. IV. 21 gebildete Landesgesundheitsrat
seine Tätigkeit. Mit diesem Tage werden die wissenschaftliche Deputation
für das Mcdizinalwesen, die technische Kommission für die pharmazeutischen
Angelegenheiten und der Apothekerrat aufgehoben. Der Landesgesundheitsrat
ist eine Behörde zur Beratung des Staatsministeriums in allen Fragen des
öffentlichen Gesundheitswesens und der sozialhygienischen Fürsorge, zugleich
Gutachtcrausschuss für ärztliche Fragen in Rcchtsstreitigkeiten. Er hat im
besonderen sich über alle ihm vom Minister für Volkswohlfahrt zur Begut¬
achtung vorgelegten Fragen vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheits¬
pflege, der gesundheitlichen Fürsorge und der ärztlichen, zahnärztlichen und
pharmazeutischen Wissenschaft aus zu äussern sowie die ihm vom Minister
für Volkswohlfahrt auf Ersuchen der Gerichtsbehörden aufgetragenen ärzt¬
lichen Gutachten zu erstatten; aus eigenem Antriebe dem Minister Vorschläge
zur Abstellung von Mängeln zu machen, die auf den Gebieten der öffentlichen
Gesundheitspflege und der Gesundheitsfürsorge bestehen; auch neue Mass¬
nahmen in Anregung zu bringen, die ihm geeignet erscheinen, die Aufgaben der
Medizinalabteilung zu fördern. Der Landesgesundheitsrat besteht aus: a) dem
Präsidenten und seinem Stellvertreter; b) den Mitgliedern, die für einen
Zeitraum von fünf Jahren vom Staatsministerium ernannt werden. Aus¬
schüsse W'erden gebildet für: das Heil wesen einschliesslich der Aus- und
Fortbildung der Aerzte, Zahnärzte, Apotheker und der übrigen Medizinal¬
personen; das Gesundheitswesen (Nahrungsmittel-, Wohnungshygiene, Wasser¬
versorgung, Beseitigung der Abfallstoffe usw.); die Seuchenbekämpfung; die
Arznei Versorgung: die gerichtliche und soziale Medizin sowie die gerichtliche
Psychiatric; die Gesundheitsfürsorge (Soziale Hygiene); die Qewerbehygiene
und die gesundheitliche Arbeiterfürsorge; die Schulgesundheitspflege; das Be¬
völkerungswesen und die Rassenhygiene; die Prüfung der Aerzte zur Er¬
langung der Befähigung für die Anstellung als beamteter Arzt. Die Mit¬
glieder des Landesgesundheitsrates erhalten Gebühren, Anwesenheitsgeld oder
Reisekostenvergütung. Der Geschäftsgang des Landesgesundheitsrates regelt
sich im übrigen nach einer Geschäftsordnung, die der Minister für Volks-
w'ohlfahrt erlässt.
— In Lippe wurde am 1. April eine Aerztekammer mit dem Sitze
in Detmold errichtet, die dazu berufen ist, die Qesamtinteressen des ärzt¬
lichen Standes zu vertreten und bei der öffentlichen Gesundheitspflege mit¬
zuwirken. Auch ist sic befugt Einrichtungen zur Fürsorge für bedürftige
Aerzte und deren Hinterbliebene sowie sonstig:e Wohlfahrtseinrichtungen im
Interesse des ärztlichen Standes zu treffen.
— Der jetzt im Ruhestand lebende württembergische Generalarzt
Dr. V. Burk veröffentlicht im Med. Korr.-Bl. f. Württemberg einen Aufruf
an die Aerzte Württembergs zum Kampfe gegen den Alkoholismus.
15 Milliarden habe das deutsche Volk im Jahre 1920 für alkoholische Getränke
ausgegeben. Diese Ausgabe sei für ein armes Volk, das seine Kinder behufs
besserer Ernährung ins Ausland schicken oder von amerikanischen Quäkern
speisen lassen müsse, enorm und müsse uns bei Freunden und Feinden in
schlimmem Lichte erscheinen lassen. Die Aerzte hätten die heilige Pflicht,
nicht bloss dem Volke, sondern auch den Parlamentariern und der Regierung
das Gewissen zu schärfen, dass dem Alkoholismus, dem Schrittmacher der.
Geschlechtskrankheiten, der Tuberkulose, der Verbrechen, soviel wie irgend
möglich gesteuert werde. Er hintcrlässt als 80-Jähriger den deutschen
Aerzten zwei Wünsche als Testament: 1. Bekämpfung des Alkoholismus beim
deutschen Volke; 2. Einführung des gesetzlichen Arbeitsdienstpflichtjahres
für die gesamte deutsche männliche Jugend. „Gelingt dies, so ist Deutsch¬
land gerettet.“ Wir wünschen dem verehrten Kollegen, dass es ihm ver¬
gönnt sei. selbst noch rüstig als Führer an diesem Kampfe teilnehmen zu
können und die Erfüllung seiner Ziele und Wünsche selbst noch zu erleben.
— Im Lande Thüringen wird eine verstärkte Typhus - und
Ruhrbekämpfune eingerichtet. Zu diesem Zwecke werden bakterio¬
logische Üntersuchungsanstaltcn in Jena, Gotha, Gera und Erfurt errichtet.
Die Aerzte dieser Anstalten gelten für die Typhus- und Ruhrbekämpfung in
dem zuständigen Bezirke als „beamtete Aerzte". Sic weisen sich durch eine
von ihrer Vorgesetzten Dienstbehörde ausgestellte Vollmacht aus. Die
bakteriologischen Untersuchungsanstalten führen alle bakteriologischen und
serologischen Untersuchungen der ihnen zugewiesenen Bezirke aus. (hk.)
— ln Möttlingen in Württemberg treibt ein Gesundbeter sein Un-.
wesen, das seit einiger Zeit so überhand nimmt, dass es sehr notwendig er¬
scheint, dass die zuständigen Behörden einmal nach dem Rechten sehen. Ein
Zusammenfluss von Leuten mit allen möglichen Krankheiten, darunter auch
ansteckenden, muss grosse Gefahren für die Volksgesundheit mit sich bringen,
zumal da eine sachgemüsse Auswahl und Unterbringung der Patienten nach
der Sachlago ausgeschlossen erscheint. Wie berichtet wird, mehren sich die
Fälle, in denen im Anschluss an einen Aufenthalt in Möttlingen latente
Psychosen zu schwerem akuten Ausbruch kommen, dass Halluzinationen und
Sinnestäuschungen (Erscheinungen von Christus, von Engeln, ja sogar des
Teufels) auftreten. Ganze Familien und selbst Ortschaften wurden von dieser
Möttlinger Seuche infiziert. Es ist eine dringliche Aufgabe für Aerzte und
Behörden, diesem Unfug endlich zu steuern.
— „10 T uberkulüse-Qebotefür Kindergärten und verwandte An¬
stalten“. Unter diesem Titel gibt der Deutsche Ausschuss für
Kleinkinderfürsorge ein Tuberkulosemerkblatt für Kin¬
dergärten und ähnliche Anstalten heraus, das von Dr. med. D a n g e r - Berlin
verfasst und vom Unterausschuss zur Bekämpfung der Tuberkulose im Klein¬
kindesalter sowie vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose geprüft und gebilligt wurde. Das Merkblatt ist in erster Linie für das
Anstaltspersonal gedacht, kann von diesem aber auch als Aufklärungsmittel
für Mütter und Angehörige der Kinder verwendet werden. Preis: 1 Stück 30 PL,
100 Stück 25 M., 1000 Stück 250 M. Versand durch die Geschäftsstelle des
Deutschen Ausschusses für KlcinkindcrfOrsorge, Frankfurt a. M., Stiftstr. 30.
Postscheckkonto Nr. 45 960, Frankfurt a. M.
— Die Gummiwarenfabrik Kontinentalwerke in Hannover stifteten dem
Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen zur Ausbildung von
Sportlehrern 50 000 M.
— Für notleidende deutsche Kinder in Berlin und Kiel
.stiftete der schwedische Arzt Dr. Tor L a m b e r g in Stockholm die Summe
von 80 000 M.
— Am 1. Juni ist das neue Röntgentherapieinstitut der
staatlichen Frauenklinik Dresden eröffnet worden. Es verdankt seine Ein¬
richtung, wie in der M.m.W. Nr. 12 vom 25. März 1921 S. 382 bereits kurz
bemerkt wurde, einer Amerikaspende von über 274 000 Mark, um die sich
der bekannte deutsche Frauenarzt in NewYork Dr. Arthur Stein besondere
Verdienste erworben hat.
— Die Deutsche Gesellschaft für Strahlentherapie ver¬
anstaltet in diesem Jahre eine Reihe von Fortbildungskursen für Aerzte. Ein
Kursus der Strahlentherap-e mit besonderer Berücksichtigung der Chi¬
rurgie findet in der Chirurgischen Universitätsklinik in Frankfurt a. M.
(Prof. Schmieden) in der Zeit vom 25,—30. Juli statt. Daran schliesst
sich ein Kursus an der Frauenklinik in Erlangen (Prof. W i n t z), der in
erster Linie für Gynäkologen bestimmt ist, vom 1.—6. August. Ferner
ist vom 3.—8. Oktober ein Kursus der Strahlentherapie tuberkulöser
Erkrankungen (Lungen-, Drüsen-, Haut-, Knochen-, Gelenk-. Bauchfell- etc.
Tuberkulose) in Aussicht genommen, der an den Universitätskliniken in Frei¬
burg stattfindet. Ein Fortbildungskurs für Dermatologen ist bereits im
Anschluss an den Deutschen Dermatologenkongress in Hamburg im Mai in
der A r n i n g sehen Klinik sowie in der Lupusheilstätte abgehalten worden,
eine Wiederholung desselben ist für den Herbst geplant. Programme für die
einzelnen Kurse sind bei dem Schriftführer der Gesellschaft für Strahlen¬
therapie: Prof. Hans Meyer. Bremen. Parkallee 73 erhältlich.
— Der Rat der Stadt Dresden wählte in die Stelle des leitenden
Arztes der chirurgischen Abteilung des Stadtkrankenhauses Friedrichstadt
den Oberarzt der chirurgischen Universitätsklinik in Qöttingen Prof.
Dr. Fromme, der als Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Geheimrat
Prof. Dr. L i n d n e r sein neues Amt am 1. VII. 21 antritt,
— In Karlsbad wird vom 11.—17, September d. J. ein HI. inter¬
nationaler ärztlicher Fortbildungskurs abgehalten. Aus¬
künfte durch Dr. E. Ganz in Karlsbald.
— Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose be¬
absichtigt den Bericht über die Verhandlungen des vom 19.—21. Mai
in Bad Elster abgehaltenen Deutschen Tuberkulosekongress
gedruckt herauszugeben. Der Umfang des Berichtes ist auf 15—20 Druck¬
bogen veranschlagt, der Preis wird sich bei Herstellung von 500 Stück auf
etwa 30 Mark, bei 1000 Stück auf etwa ^0 Mark stellen. Bestellungen werden
bis zum 20. Juni 1921 an die Geschäftsstelle Berlin W. 9, Königin-Augusta-
Strasse 7 erbeten.
— In der 21. Jahreswoche, vom 22.—28. Mai 1921, hatten von deutschen
Städten über 10 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Wiesbaden mit 16,1.
die geringste Neukölln mit 7,2 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner,
Vöff. R.-G.-A.
Hbchschulnachrichtei^
Halle. Prof. Abderhalden hat einen Ruf nach Basel als Nach¬
folger V. B u n g e s erhalten.
Leipzig. Als Nachfolger von Geheimrat • B o e h m wurde Prof.
Hermann F ü h n e r - Königsberg ab 1. X. 21 zum ordentlichen Professor der
Pharmakologie und Direktor des pharmakologischen Institutes ernannt.
Rom. Der Professor der pathologLschen Anatomie an der Universität
Rom, Leibarzt der Päpste Leo XIII. und Pius X., Ettore Marchiafava,
trat nach mehr als vierzigjähriger Lehrtätigkeit in den Ruhestand.
Wien. Anlässlich der Jahressitzung der Akademie der
Wissenschaften in Wien wurde dem Priv.-Doz. Dr. Rudolf S e i d 1 e r
in Wien der Josef Pollak-Preis (1000 Kronen) für seine Arbeiten über den
rhythmischen Nystagmus verliehen; bei den Wahlen würde Hofrat Dr. Richard
P a 11 a u f zum wirklichen Mitglied, die Professoren Dr. K. F. W e n c k e -
b a c h in Wien, Dr. F. P r e g 1 in Graz, und Geh.-Rat Dr. M. R u b n e r in
Berlin zu korrespondierenden Mitgliedern in der mathematisch-naturwissen¬
schaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften gewählt.
Todesfall.
Am 6. Juni 1921 ist unerwartet Dr. Theodor Schilling aus Nürnberg
verschieden. Geboren am 13. Juni 1875 zu Nürnberg als Sohn des Hofrats
Dr. Friedrich Schilling bildete er sich nach vollendetem medizinischem
Studium zuerst am Nürnberger Krankenhaus, sodann in Erlangen bei Geheim-
rat V. Strümpell und Prof. Gerhardt, zuletzt in Berlin bei Geheimrat
Oppenheim, im ganzen 6 Jahre lang als Facharzt für innere Medizin aus.
Er liess sich sodann in Nürnberg nieder. Neben seiner praktischen Tätigkeit
als Facharzt betätigte er sich nicht nur am wissenschaftlichen ärztlichen
Vereinsleben, sondern gab auch noch eine Anzahl wissenschaftlicher Veröffent¬
lichungen in seinem Fache heraus, erwarb sich durch seine rege Teilnahme
an vielerlei anderen zeitgemässen Bestrebungen, besonders dem Luftfahrsport
und dem Kraftfahrwesen, allgemein anerkannte Verdienste. Ausserdem hat er
sich auch als grosser Kunstfreund um die Förderung der Nürnberger Kunst
.und Künstler verdient gemacht. Bei Ausbruch des Krieges ging er freiwillig
als Führer des bayerischen Sanitätskraftwagenkorps ins Feld und wirkte mit
seinen Kameraden sehr segensreich im Gebiete der 6. Armee. In diesem
aufopferungsvollen Kriegsdienste zog er sich .eine Gasvergiftung zu, deren
Folgen nach Ansicht der ihn behandelnden Aerzte unerwartet seinem Leben
ein Ziel setzten, nachdem die Nierensteinoperation, der er sich im städtischen
Krankenhause Nürnberg unterzogen hatte, bereits glücklich überstanden war.
Während des Krieges hat er viel organisatorisches Talent und grösste Auf¬
opferung im vaterländischen Dienste bewiesen. In die Heimat zurückgekehrt,
hat er als Vorstand einer der inneren Abteilungen des Versorgungskranken¬
hauses Nürnberg sich die Anerkennung der Versorgungsbehörden und die
Dankbarkeit der ihm zur Behandlung und Begutachtung überwiesenen Kranken
erworben. Auch im Kreise seiner sonstigen Patienten, in vertrauten Freundes¬
kreisen wie in der allgemeinen Aerzteschaft fand er wegen seines vornehmen
Charakters, seiner verbindlichen Umgangsformen, seines frischen Wesens und
seiner Hingabe an Alles, was der Wiederaufrichtung unseres Vaterlandes
dienlich sein konnte, reichen Beifall, was auch durch die allgemeine tiefe
Trauer in weiten Kreisen Nürnbergs bei seinem Hinscheiden zum Ausdruck
kam. M. S.
(Berichtigung.) In meinem Aufsatz „Ueber ätherische Oele und
deren praktische Verwendbarkeit“ in Nr. 21 ds. Wschr. muss es in dem
Passus: „Bekanntlich hat F. v. M ü 11 e r in berühmt gewordenen experimen¬
tellen Untersuchungen nachgewiesen, dass die verschiedenen gegen Gallen-
steinkolik angewandten Mittel keine direkte Wirkung auf die Gallensekretion
der Leberzellen haben“ anstatt F. v. Müller E. Stadelmann heissen.
Vgl. dessen bekannte Untersuchungen: „Der Ikterus und seine verschiedenen
Formen“ Stuttgart 1891. — Ferner Zschr. f. Biol. 34., B.kl.W. 1892 Nr. 9,
D.m.W. 1892 Nr. 49 etc. R. Heinz- Erlangen.
Verlag von J. F. Leli mann in München S.W. 2, Paul Heysestr. 26. — Druck von E. MQhlthaler’s Buch- und Kunstdruckerei A.O., München.
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNI^
Preis der einzelnen Nummer 2.— Jt. • Bezugspreis in Deutschland
■ • • und Ausland siehe unten unter Bezugsbedingungen. • > •
AnzelgcnachiuM Immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu richten
für die Schriftleitung: Arnulfstr. 26 (Sprechstunden Sii—t Uhr),
für Bezug. Anzeigen und Beilagen:
an J. F. Lehmanns Verlag, Paul Heyse8trafse26.
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ^ÄR^TE.
Nr. 25. 24. iunit921.
Schriftlettuns:: Dr. B. Sfwte. Arnntfstiasse 26.
Verlas: J. F. Lefamaim, Pani Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
1
1
r
piMohe Baeht der YarvielflUtigaiig and Yartreitung der in dieser Zetteolixift tarn Abdraok gdangeodan Origlnalbeitrlge vor.
Originalien.
Aus der'Medizinischen Klinik des Hospitals zum Heiligen
Geist in Frankfurt a. M.
lieber chronische Grippe*).
Von Prof. Dr. Treupel und Dr. R. Stoffel.
Bei der grossen praktischen Bedeutung des in der Ueberschrift
genannten Gegenstandes und dem vielseitigen und allgemeinen Inter¬
esse, das die kurze Miteilung Q. Treupels gefunden hat, scheint es
uns gerechtfertigt, auf die Frage der chronischen Grippe zurück¬
zukommen unter Zugrundelegung unserer gesamten Erfahrungen in
dieser Beziehung aus den letzten 3 Jahren. Aus der Gesamtzahl von
526 Grippefällen, bei denen in der übergrossen Zahl die von uns früher
charakterisierten Grippepneumonien oder doch wenigstens schwerere
und länger dauernde Bronchitiden vorhanden waren, greifen wir
20 hierher gehörige heraus, die der differentiellen Diagnose zwischen
chronischer Grippe und Lungentuberkulose grössere Schwierigkeiten
boten. Nur diese sollen im folgenden berücksichtigt und von diesen auch
nur einige zunächst diu-ch kurze Wiedergabe der Krankengeschichten
soweit die Lungen in Betracht kommen und durch Dar¬
stellung der jeweiligen Röntgenbefunde aus dem Röntgeninstitut
des Hospitales (F. M. G r ö d e 1) etwas näher gekennzeichnet
werden. Der Verdacht auf Tuberkulose bei diesen Fällen liegt deshalb
besonders nahe, weH einerseits schon bei Beurteilung der akuten Er¬
krankung alte (tuberkulöse?) Veränderungen auf den Lungen nach¬
gewiesen werden konnten, und weil andererseits bei sehr langer Fort¬
dauer der Lungenerschelhungen AUgemeinsymptome vorhanden waren,,
die man sonst mit zur Diagnose einer Lungentuberkulose heran-.'
zuziehen geneigt ist.
Wir teilen unsere Fälle nach dem klinischen Lungenbefund in
4 Gruppen ein:
Gruppe I: Chronische Grippe.. Sehr protrahierter Verlauf. Nie Tu¬
berkelbazillen.
Gruppe II: Chronische Grippe. Lungenspttzenaffektion. Nie Tu¬
berkelbazillen.
Gruppe III: Chronische Grippe. Empyeme. Elastische Fasern. Nie
Tuberkelbazillen.
Gruppe IV: Grippe mit schleppendem Verlauf. Abszesse bei ruhender
Spitzentuberkulose. Einige Monate später Tuberkelbazillen im
Auswurf.
O r u p p e I.
I a. V. K., 24 iähr. Kontoristin, erblich nicht belastet. Juli 18 Grippe.
März 20 wiederum akute Grippe mit Konjunktivitis, Rhino-Pharyngitis und
diffuser Bronchitis. Dämpfung über linkem Unterlappen. Atmung vesiko-
broochial, links ausgesprochener als rechts.
Bis Ende der 3. Krankheitswoche Fieber meist zwischen 38 und 39, ge-
legeiitlich höher: 4. bis 7. Krankheitswoche subfebrile Temperaturen. Von
da ab normale Temperaturen bei fortbestehender Bronchitis und deutlicher
Verkürzung des Schalles links hinten unten. Bei starkem Hustenreiz reichliche
Auswurfsmengen (bis 150 ccm pro die). Im Auswurf anfänglich nur Pneumo¬
kokken.
Rö.: Zentrale Hiluszeichnung beiderseits verstärkt, sonst o. B.
Entiassungsbefund (Ende des 4. Krankheitsmonats): Klopfschall
1. h. unten noch gering verkürzt gegen r. Atmung über beiden Lungen h.
wenig verschärft, am ausgesprochensten über mittleren Partien 1. Nirgends
mehr Nebengeräusche. In dem sehr geringen Auswurf der letzten Wochen
bei mehrmaliger Untersuchung (mit Antiformin usw.) nie Tuberkel¬
bazillen. Geringe stetige Gewichtszunahme bei gutem Allgemeinbefinden.
Diagnose: Qrippepneumonie mit sehr schleppendem Verlauf. Post¬
grippöse, langdauernde Bronchitis.
I b. Sch. A.. 24 jähr. Dienstmädchen, erblich nitht belastet. Mit 12 Jahren
„Lungenspitzenkatarrh“. Oktober 18 Grippe. 14 Tage bettlägerig. Am
23. I. 19 erkrankt mit Husten, Schmerzen beim Atmen in r. Seite, Kopf¬
schmerz. Gliederschmerzen, Brennen in den Augen. 2 Tage später, bei
Krankenhausaufnahme, Lungenbefund: Ganze r. Lunge, besonders
Unterlappen, schallverkürzt. Ueber beiden Lungen auffallende Tympanie,
besonders in Mittellagen. R. hi. unten vereinzelt fein- bis mittelblasige R.-Q.,
dichter in Hilusgegend. Ueber der ganzen übrigen Lunge sehr verschärftes,
unreines Exspirium. L. vereinzelt katarrhalische Geräusche.
Im späteren Verlauf gelegentlich 1. und hi. unten sowie seitlich Reibe¬
geräusche.
Temperaturen bis Ende Mai (4. Krankheitsmonat) subfebril mit
gelegentlichen Steigerungen bis 38.9.
_I_^_
*) Nach Demonstrationen in 0. Treupels Fortbildungskursen und
einem im Aerztlichen Verein gehaltenen Vortrag. i
' Im Sputum nie Tuberkelbazillen oder Pneumokokken.
Nach völliger Entfieberung Tuberkulinprobe: bei 1 mg ganz
schwache Aligemeinreaktion; sonst o. B.
Rö. (5. Krankheitswoche): 1. und r. Unterlappen leicht beschattet (Reste
der Pneumonie). Hilus besonders nach r. verstärkt. Spitzen frei. R. Zwerch¬
fell etwas hoch.
Rö. (10. Krankheitswoche): R. Hilusschatten sehr verstärkt. Spitzen frei.
Rö. (13. Krankheitswoche): R. Hilusschatten noch verstärkt. Spitzen
kaum verschleiert.
Entiassungsbefund (6 Monate nach Aufnahme): Geringe Schall¬
verkürzung 1. hi. oben, beiderseits hi. über obersten Partien, und über 1. Spitze
vorn unreines Atmen. R. hi. oben verein7<»it knackende Ronchi. Gelegentlich
noch trockener Husten. Entlassung zum Kuraufenthalt im Odenwald.
Diagnose: Schleppend verlaufende Qrippepneumonie. Lungenspitzen¬
affektion (?).
1 c. 38 jähr. Schlosser. Familienanamnese: o. B. Patient früher stets
gesund. Im Felde mehrmals verwundet. Januar bis Juni 19* rechtsseitige
Rippenfellentzündung. 28. XII. 19 wieder plötzlich erkrankt mit Schüttelfrost,
Husten mit blutigem Auswurf. Rasche Gewichtsabnahme. Schweisse.
Lungenbefund bei Krankenhausaufnahme am 8. I. 1920: Klopfschall
über r. Spitze wenig verkürzt: 1. hi. von Skapularwinkel abwärts Dämpfung.
Ueber mittleren Partien beiderseits Tympanie. Atmung über oberen Partien
beiderseits verstärkt, vesikulär: über mittleren und unteren Partien hi. vesiko-
bronchial, 1. ausgesprochener als r.
8 Tage lang hohes Fieber mit starken Schweissen; lytischer Abfall inner¬
halb weiterer 8 Tage. Dann nur mehr snbfebrile Temperaturen. 8 Tage später
erneut rascher Anstieg auf 39,5. Erneut starke Schweisse. ln 2 Tagen
kritischer Fall zur Norm. Seitdem völlig entfiebert. Husten hält an. Sputum,
das anfangs leicht sanguinolent, enthielt nie Pneumokokken oder Tuberkel
bazillen.
Rö. (6. Woche nach Krankenhausaufnahme): L. äusserer Zwerchfellwinkel
beschattet. Im l. Unterlappen einige wenige Schatten. Im t. Oberlappen,
vom Hiius ausgehend, hochgradige, strangförmige und diffuse Beschattung.
R. die ganze Lunge diffus fleckig und besonders in Hilusgegend beschattet.
Spitzen relativ wenig betroffen.
Entlassungsbefund (10 Wochen nach Aufnahme): Schallver¬
kürzung beiderseits vorn über Klavikuia, I. mit tympanitischem Beiklang.
Dämpfung 1. hi. unten geringer geworden. Atmung 1. hi. überall vesiko-
bronchial. über Dämpfung abgeschwächt. Ueber obersten Partien beiderseits
Atmung bronchial.
Allgemeinbefinden gut. Reger Appetit. 5,5 kg Gewichtszunahme. Heil¬
stättenantrag. Entlassung zu Verwandten aufs Land.
Diagnose: Qrippepneumonie mit verzögerter Lösung. Chrouische
Infiltration beider Oberlapoen.
1 d. O. Th., 25 jähr. Hausmädchen. Mutter, 2 Brüder und 1 Schwester
an Lungentuberkulose gestorben. Pat. selbst nie krank gewesen.
2 Tage vor Aufnahme erkrankt mit Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Er¬
brechen, Appetitlosigkeit. Dann Husten ohne Auswurf. Am Tage der Auf¬
nahme starker Schüttelfrost.
Lunge'nbefund: Ganze rechte Lunge schaltverkfirzt; hinten unten
mit Tympanie. Atmung überall vesikulär. Exspirium besonders über Spitzen
verlängert. R. hi. und seitlich unten vereinzelt R.-G. In untersten Partien
Schleifen. Bis zum 8. Krankheitstage dauernd Temperaturen zwischen 38
und 40. Abends Krisis ohne Schweiss. Ab 9. Tag Temperatur völlig normal.
Lungenllefund im wesentlichen wie bei Aufnahme. Bronchitische Geräusche
dauern an. Interkurrente Zystitis.
Ab Mitte März (5. Krankheitswoche) Temperaturen subfebril. In 8. bis
11. Krankheitswoche Steigerungen bis 39,3.
Lunge nbefund: Ueber beiden Spitzen, r, mehr als 1., geringe
Schallverkürzung, «verschärftes Atmen, vereinzelt kleinblasige Rhonchi. Ueber
Hilus Exspirium hauchend.
Wenig Husten, geringer Auswurf, in dem nie Tuberkelbazillen
oder Pneumokokken. ^
Rö.: Nur Hilusschatten etwas verstärkt.^
Bis Ende des 5. Krankheit^monats leicht subfebrile Temperaturen, dann
bis Entlassung (Mitte 6. Krankheitsmonat) normal.
Lungenbefund (bei Entlassung): Geringe Verkürzung 1. hl. oben
bis Gräte. Atmung über beiden Spitzen wenig verschärft. Keine Rhonchi
mehr. Hinten beiderseits dicht neben 5.—8. Brustwirbel verschärft vesi¬
kuläres Atmen.
Rö.: Hilus 1. wenig, r. beträchtlich verstärkt; ebenso zentrale Zeichnung.
Spitzen frei.
Ab und zu geringer trockener Husten; keine Schweisse; guter Appetit.
Gewicht seit Wochen gleich.
D i a g n- 0 s e: Schleppend verlaufende Grippepneumonie mit chronischem
Hilusprozess.
Gruppe II.
Z. J., 24 jähr. Kaufmann, Familienanamnese: o. B. Im Felde verwundet,
während Lazarettbehandluüg (1917) Gelenkrheumatismus. Juli 1918 leichte
Grippe. Januar 1919 abermals. November 1920 nach Erkältung Fieber,
Husten, Auswnrf. 14 Tage bettlägerig. Seitdem noch immer gelegentlich
Husten, kein Auswurf, Nachtschweisse, auffällige Gewichtsabnahme.
15. XII. 20. Krankenhausaufnabme zwecks Beobachtung.
Digitized by Goi>sle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
I
764
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRtfT.
Nr. 25 .
Lunstenbcfund: Klopfschall über beiden Spitzen hinten und vorn
verkürzt, I. mehr als r. Rechts deutlich Tyrapanie. Atmung übdr 1. Spitze
rauh, Exspirium verlängert, hauchend. R. Spitze Atmung wenig verschärft.
Exspirium eben hörbar. Daneben nach Hustenstössen vereinzelt feinbläsige,
matte R.-G.
R ö. (17. XII. 20): Hilus und zentrale Zeichnung beiderseits beträchtlich
verstärkt. Spitze beiderseits nicht einwandfrei. Temperaturen während Be¬
obachtung nur anfänglich subfebril, dann stets normal. Husten: kein Auswurf
(auch nicht auf Judkali).
Entlassungsbefund (11. I. 21); Perkussion wie bei Aufnahme;
auch Auskultation im wesentlichen unverändert, doch keine R.-Q. mehr;
dagegen an 2 Stellen I. und r., etwa in Höhe der Schulterblattgräte, typische
Muskelgeräusche.
Diagnose: Doppelseitige Lungenspitzenaffektion nach Grippe.
Gruppe 111.
III a. E. M., 20 jähr. Dienstmädchen. Keine erbliche Belastung. Pat.
angeblich nie krank. 8 Tage vor Einlieferung plötzlich Frösteln, Kopfschmerz,
Halsschmerz. Stiche im r. Ohr, Husten, Stechen in 1. Brustseite. Fieber
dauernd zwischen 39 und 40.
Lungenbefund bei Aufnahme: lieber ganzer linker Seite Schall-.
Verkürzung. L. h. unten abgeschwächtes Vesikuläratmen und mittelblasige
matte R.-G. R. hi. oben verschärftes Vesikuläratmen. Beiderseits hi. oben
C^jemen.
Während des ganzen Krankheitsverlaufes septische Tempera-
turen bei hoher Pulslage (zwischen 100 und 140). In den ersten
Tagen Ausbreitung schwerer doppelseitiger Pneumonie, dann Lösung der
r. Seite und Fortschreiten 1. auf Oberlappen. Vollkommene Hepatisation
der 1. Lunge. Bald Auftreten umschriebener Tympanie im 1. Oberlappen;
damit Verdacht auf Abszesshöhlenbildung. Toxische Wirkung der
Grippe, die in Zyanose besonders zum Ausdruck kam, war in 1. und
3. Woche am stärksten. Dazwischen Zeitraum relativer Besserung. Aus¬
wurf stets zfh, spärlich. Nie Tuberkelbazillen oder Pneumokokken,
aber elastische Fasern.
Die nächsten Wochen Lungenbefund sehr wechselnd. Zunächst neben
ausgesprochener Dämpfung 1. kein Atemgeräusch mehr; dann alle Zeichen
der Infiltration oder Atelektase neben den Symptomen der Pleuritis.
Dann wieder über 1. Unterlappen Tympanie, aber kein Schallwechsel;
zahlreiche feuchte Rasselgeräusche, während über 1. Oberlappen, besonders
vorn, vollkommene Dämpfung besteht.
Aufhellung der r. Seite fast vollkommen. Ober r. Unterlappen Reibe-
geräusebe.
Es besteht leichte Zyanose bei dauernd septischem Fieber.
Ende 9. Krankheitswoche plötzlich reichliche Entleerung von Sputum;
darauf geringe Remission.
ln Höhe der 2. und 3. Rippe 1. aqffallende Tympanie und Schall Wechsel
bei Lageveränderung.
Verdacht auf Kaverne, auch röntgenologisch.
Probepunktion auf Exsudat ohne Erfolg. 4 Tage später abends plötzlich
Puls sehr verschlechtert und zusehends verfallendes Aussehen. Zyanose
stärker. Strophanthininjektion gelingt nicht mehr. Exitus letalis infolge
Herzschwäche.
Klinische Diagnose: Grippepneumonie beider Lungen. Abszess¬
höhle im 1. Oberlappen? Abgekammertes Empyem des 1. Unterlappens.
Sepsis.
Anatomische Diagnose (Dr. Riedel vom Senckenbergischen
pathologischen Institut der Universität) soweit hier von Interesse: Broncho¬
pneumonie beider Lungen. Zweikammeriges Empyem der 1. Pleurahöhle mit
fast vollkommener Atelektase der I. Lunge. Pleuritis fibrinosa r. Eitrige
Bronchitis; eitrige Lymphadenitis und Mediastinitis posterior. Infektiöse
Milz.
III b. K. M., 15 jähr. Hilfsarbeiter. Familienanamnese: o. B. 4 mal
Lungenentzündung, zuletzt vor 2 Jahren. Am Tage der Aufnahme erkrankt
mit Schüttelfrost, Kopfschmerz, Gliederschmerzen. Keine Brustschmerzen,
kein Husten.
Lungenbefund; Ueber r. Unterlappen Schallverkgrzung (früher
Pneumonie!). Atmung über beiden Lungen vesikulär. Starker Katarrh der
oberen Luftwege. Schwerer Krani^hcitseindruck Leichte Zyanose. Zunächst
Annahme zentraler Pneumonie.
Am 3. Tage Infiltration des 1. Unterlappens. In folgenden Tagen auch
r. Unter- und Oberlappen befallen. Auskultatorischer Befund
ständig wechselnd: Bald Bronchialatmen, bald fast vollkommene Auf¬
hebung der Atmung. Zeitweise klingende Rasselgeräusche. Dauernd hohe
Temperaturen, die vom Ende der 3, Woche ab den Charakter von Eiter¬
fieber annehraen. Puls stark entspannt. Im Sputum T uberkelbazillen
nicht nachzuweisen. Elastische Fasern! Mitte 4. Woche
ergibt Punktat im 8. l.-C. 1. hi. Eiter. Rippenresektion eröffnet faustgrossen
Abszess in 1. Pleura. Sehr langsame Entfieberung mit gelegentlichen erneuten
Steigerungen infolge mehrerer interkurrenter subkutaner Abszessbildungen
an verschiedtnen Körperstellen. Prozess über r. Lunge fast völlig abge¬
klungen. Sekretion aus Drain in 1. Pleura ,hält an bis Mitte der 9. Woche
nach Resektion. Erst dann völjige Entfieberung, Rascher Wundschluss.
Sichtliche Hebung des Allgemeinbefindens. Entlassung in kassenärztliche Be¬
handlung nach weiteren 14 Tagen
Diagnose: Grippe mit doppelseitiger Pneumonie. Abgekapseltes
Empyem der I, Pleura.
nie. M. A.. 17 jähr. landwirtschaftlicher Arbeiter, Familienanamnesc:
o. B. Pat. früher stets gesund. Plötzlich erkrankt mit Kopfschmerz, Husten,
Schweissausbruch. Am nächsten Tage Krankenhausaufnahme.
Lungenbefund: Klopfschall regelrecht. Ueberall rauhes Vesikulär¬
atmen. Ueber beiden Unterlappen bronchitische Geräusclie trockener Art. In
den nächsten Tagen dichte Infiltration über beiden Ünterlappen. 8 Tage
lang hohes Fieber mit starken Remissionen. Häufig Nasenbluten. Puls stark
entspannt.
Am lü. Tage Krisis. Ueber beiden Lungen in Unterlappen Crepitatio
redux. Sehr langsame Lösung.
Bis Anfang 3. Krankheitswoche Temperaturen subfebril.
Im Sputum um diese Zeit elastischeFasern. Puls stark entspannt
und klein bis Ende 5. Krankheitswoche, als Lungenbefund bereits wieder
normal.
Diagnose: Grippe mit langsam in Lösung übergehender Pneumonie |
beider Unterlappen. ]
G r u p p e IV.
K. P., 51 jähr. Kaufmann. Ein Bruder mit 46 Jahren an „Kehlkopfleiden “
gestorben; sonst Familienanamnese: o. B. Als Kind öfter „Hautausschläge“.
Später niQ ernstlich krank.
10 Tage vor Aufnahme Beginn mit Schnupfen ; erst 8 Tage später Schüttel¬
frost. Husten mit Auswurf, Stechen im Rücken und Kopfschmerz.
Lungenbefund bei Aufnahme; Klopfschall über beiden Lungen
mit tympanitischem Beiklang. Ueber untersten Partien r. Zeichen mässlger
Infiltration. Sonst Lunge o. B. |
Hohes Fieber, in den ersten 8 Tagen mit starken Remissionen, bildet j
auch im weiteren Verlaufe sehr unregelmässige Kurven mit Anstiegen bis
um 39.
Von 8. Krankheitswoche ab Temperaturen nur mehr subfebril, um von I
11. Woche ab ganz normal zu verlaufen.
Der Lungenbefund war ein auffallend häufig, oft von^ einem zum
anderen Tag, erheblich wechselnder. Konstant, wenn auch mit wech¬
selnder Intensität, war die Dämpfung Uber r. Unterlappen. Eine daselbsi
in 4. Krankheitswoche vorgenommene Probepunktion ergab in Tiefe von
6 cm wenige Kubikzentimeter schleimig-eitrige Flüssigkeit. Einige Tage später
ergab R ö. folgenden Befund: j
Diffuse Verschleierung der ganzen Lunge. Hilusschatten 1. verstärkt, j
r. Lunge in toto stark diffus und fleckig beschattet; r. Apex verkürzt; ent¬
sprechend etwa dem r. Unterlappen, aber vom Zwerchfell abgesetzt, rundlicher '
Schatten. '
Lungenbefund bei Entlassung (Anfang des 4. Krankheits- |
monats): R. hi. über untersten Partien noch geringe Dämpfung. Atemgeräusch
daselbst abgeschwächt. Ueber r. Apex hi, und v. Schallverkflrzung. Daselbst. I
sowie über 1. Apex vorn, Atmung verschärft mit verlängertem Exspirium. I
Nirgends mehr Nebengeräusche. Im Sputum, das in 6. bis 10. Krank- j
heitswoche sehr reichlich war (bis 200 ccm pro die), konnten bis zur Ent- ,
fieberung Pneumokokken, aber nie Tuberkelbazillen, nachgewiesen
werden.
Bei Entlassung noch geringer Husten mit sehr spärlichem Auswuri. '
Allgemeinbefinden gut bei regem Appetit. Gewichtszunahme Jn den letzten
4 Wochen um 4.5 kg. Zur weiteren Erholung 6 wöchiger Landaufenthalt. ^
Bald nach Rückkehr von dort wieder starker Husten, abendlich Fieber
Nachtschweisse; rasche Ermüdung.
2 Monate nach Entlassung aus Klinik Wiederaufnahme. Pat. hatte in¬
zwischen weitere 2 kg zugenommen.
Lungenbefund: Schallverkürzung über r. Apex und untersten Par¬
tien des r. Unterlappens, ln umschriebenen Bezirken des 1. Oberlappens hi.
auffällige Tympanie. Atmung über beiden Spitzen unrein. 1. mehr als r. In
mittleren Partien 1. hi. Atmung verschärft mit matten R.-O.; über untersten
Partien r. abgeschwächt, ohne R.-G. Links hL in obersten Partien feinblasigc.
klingende Rhonchi.
Geringer Auswurf, in dem wiederholt Tuberkelbazillen nach¬
gewiesen.
Während Klinikaufenthaltes Temperaturen stets normal.
Therapie: Im wesentlichen Liege- und Mastkur.
Subjektives Befinden bald erheblich gebessert.
Bis Entlassung in Heilstätte (6 Wochen nach zweiter Aufnahme) weitere
Gewichtszunahme um 3 kg.
Luntrenbefund bei Entlassung auS Klinik: Dämpfung über
beiden Spitzen. Daselbst vesikobronchiales Atmen. Nirgends Nebengeräusche.
Diagnose: Grippe mit schleppendem Verlauf der Bronchopneumonie.
Abszesshöhlenbildung. Alte, ruhende Lungenspitzenaffektion.
2 Monate später offene Lungentuberkulose.
In den vorstehenden Krankengeschichten ist im wesentlichen nur
der Lungenbefund w'ährend der verschiedenen Krankheitsstadien
berücksichtigt. Hauptsächlich kommt ja die Grippe als Erkrankung der
Lunge, bzw. des ganzen Respirationstraktus zur Erscheinung. Die
Schwierigkeit der Unterscheidung ihrer chronischen Form von Lungen¬
tuberkulose kann bekanntlich sehr erheblich sein. Oft wird auch dem
erfahrensten klinischen Beobachter die Differentialdiagnose unmöglich,
zumal beide Erkrankungen sow'ohl nebeneinander, als auch unmittelbar
nacheinander auftreten können.
Bei der Entwicklung und dem Ablauf des Grippepru-
z e s s e s an den Lungen ist die unregelmässige sprung¬
hafte Ausbreitung der Infiltrationserscheinungen
häufig sehr auffallend. Von einem Tage zum anderen kann man ge¬
legentlich über deri gleichen Lungenpartie einen Wechsel zwischen
lauter Tympanie und absoluter Dämpfung erfahren, wie es z. B. bei
dem oben geschilderten Fall der Gruppe IV und beim Fall a der
Gruppe III besonders sinnfällig zum Ausdruck kommt. Entsprechend
dem rasch sich ändernden perkutorischen und auskultatorischen Befund
über den Lungen bieten dann die Röntgenschatten häufig
wechselnde Bilder. Dabei sind aber gewisse Schatten sehr
konstant; nämlich strangförmige, zum Teil knotige, vom Hilus aus¬
gehende Gebilde und Verstärkung der zentralen Lungenzeichnung.
In sämtlichen oben angeführten Fällen der Gruppe I und II ist ein
solcher Befund erhoben worden bei völlig freien oder nur
ganz gering beschatteten Spitzenfeldern. Wie bereits
bei anderer Gelegenheit ausgeführt worden ist. dürfte es sich hier bei
frischer Erkrankung und restlosem Verschwinden der Schatten
um den Ausdruck starker Blutüberfüllung der Lunge, bei
chronischem Stadium um Bilder handeln, die bedingt sind
durch die starke Bindegewebsneubildung bei den
interstitiellen Prozessen, wie sie in kaum zu unter¬
scheidender Weise auch bei Lungentuberkulose Vorkommen.
Weitgehende irreparable Verän’derungen an dem
Lungengewebe und den Pleur.en als Grippefolge weisen die
Fälle der Gruppe III auf, denen allen gemeinsam das Auftreten von
elastischen Fasern im Sputum ist, ohne dass, wie auch
in sämtlichen Fällen der Gruppen I und II, Je Tuber-
Di gitized by Goiisle
• Original frDm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
765
kelbazillen hätten gefunden werden können. In den
beiden ersten hier angeführten Fällen der Gruppe III, bei denen die
(iewebsschädigungen bis zu ausgedehnten Abszesshöhlen bzw. Ein-
pyemkammern geführt haben, kommt der ausgesprochen septische Clia-
rakter der Grippepneunionie besonders augenfällig zum Ausdruck.
Dass es tatsächlich sehr schwierig ist, wie Treupel und K a y s e r -
Petersen bereits betont haben, klinisch die Abtrennung
intrapulmonaler Abszesse von abgekammerten Em¬
pyemen sicherzustellen, beweist der Autopsiebefund des
Falles III a.
Als Paradigma der Gruppe IV ist der dort angeführte Fall typisch:
Bei dem aus erblich belasteter Familie stammenden Patienten, der
selbst sich aber seither nie krank gefühlt hatte, wird eine ruhende
Spitzentuberkiflüse aktiviert durch eine schleppend verlaufende Grippe¬
pneumonie mit Abszessbildungen im rechten Unterlappen. Bei dem
erstmaligen Klinikaufenthalt kamen trotz sehr häufig wiederholten
Sputumuntersuchungen mittels Antiformin nie T u b e r k e 1 b a z i 11 e n,
wohl aber-Pneumokokken zum Nachweis. Als Patient nach 2 Mo¬
naten wieder zur Aufnahme in die Klinik kam. waren bereits im
einfachen, nicht angereicherten Sputumpräparat massenhaft
ruberkelbazillen, keine Pneumokokken, wie bei erstmaligem
Klinikaufenthalt, nachzuweisen.
Der Sputumbefund ist bei der Differentialdiagnose der chro¬
nischen Grippe gegenüber der ■ Tuberkulose oft Sehr lange das einzige
Kriterium, wofür u. a. G. L i e b e r m e i s t e r in einer kürzlich er¬
schienenen Veröffentlichung von Fällen eigener Beobachtung Belege
gibt. Wir haben in Zweifelsfällen, bei Nichtvorhandensein von Tuberkel¬
bazillen, Pneumokokken nur selten vermisst, die auch im ersten Stadium
der Erkrankung bei dem oben geschilderten Fall der Gruppe IV lange
Zeit nachgewiesen werden konnten, ehe an ihrer Stelle Tuberkelbazillen
auftraten. In den allermeisten Fällen, wo anfänglich der Auswurf rost¬
farben war, wie bei der klassischen kruppösen Pneumonie, wurde er
späterhin oft z^flüssig eitrig und manchmal in grossen Mengen, bis
150—200 ccm pro die, expektoriert (z. B. Fall 1 a und 4). In seltenen
Fallen bestand trockener Husten ohne Auswurf (z. B. Fall 2).
Auf das Vorkommen elastischer Fasern im Auswurf
möchten wir. noch einmal besonders hinweisen. Es deutet das auf eine
tiefergreifende, oft allerdings ganz umschriebene Zerstörung des Lungen¬
gewebes hin. Die dabei zugrunde liegenden Prozesse sind manchmal so
begrenzter Art, dass sie aus dem rein physikalischen Lungenbefund
nicht erkannt werden können. Dass bei dem Vorkommen schon makro¬
skopisch wahrnehmbarer Eiterungen — findet man doch gelegentlich
die Lungen von kleinsten Abszesschen ganz durchsetzt — auch ela¬
stische Fasern im Auswurf gefunden werden, ist weiter nicht ver¬
wunderlich.
Im Verlauf der Fieberkurve bei der chronischen Grippe ist,
worauf W. Hildebrand bereits hingewiesen, ein diagnostisch wich¬
tiger Faktor gegeben,, der freilich auch wiederum bei der Differential¬
diagnose gegenüber der Tuberkulose versagt. Wie bei dieser ist auch
bei jener Lungenaffektion eine ausserordentlich protrahierte
Subfebrilität bezeichnend, die oft bereits während des akuten
Krankheitsverlaufes besteht, häufiger aber sich erst an einen kürzeren
oder längeren Abschnitt sehr hoher Temperaturen anschliesst. Schüt¬
telfrost zu Beginn der Erkrankung ist nicht so häufig wie bei der
kruppösen Pneumonie.
Charakteristischer noch als die Fieberkurve
ist das Verhalten des Herzens in den ersten Tagen und der
Zustand des Gefässsystems im weiteren Krankheitsverlauf.
Frühere diesbezügliche Veröffentlichungen aus unserer Klinik (Treu¬
pel und Kayser-Petersen) haben darauf hingewiesen, dass bei
der Grippe Herz- und Gefässsystem viel früher und ernstlicher be¬
troffen werden, als es im allgemeinen bei der Lungentuberkulose der
Fall ist. Zu Beginn des akuten Stadiums der Erkran¬
kung besteht in etwa 50 Proz. der Fälle eine sehr auffällige
relative Pulsverlangsamung, die meist bald in erheb¬
liche Pulsbeschleunigung übergeht, wodurch es dann bei
sinkender Temperatur zur Ueberkreuzung von Puls- und
Fieberkurve kommt.
In nahezu allen Fällen unserer 4 (jruppen steht die Schädigung des
Herzmuskels aber zurück gegen die Erscheinungen der Gefässent-
Spannung. Sie ist als Folge der toxischen Wirkung des
(irippeerregers aufzufassen und sie gibt u. E. all diesen Fällen erst die
einheitliche Note. Dass sie erst lange nach Abklingen sämtlicher
anderer Krankheitserscheinungen zum Ausgleich kommt, ist allgemein
bekannt.
Wir legen auf die beiden, die Grippe allermeist charakterisierenden
Momente des septischen Charakters und der zuletzt erwähn¬
ten toxischen Wirkunj?en deshalb so grosses Gewicht, weil der
Nachweis des Grippeerregers schwierig ist und oft
nicht gelingt. W. Hildebrand hält den Pf e i f f e r b a z i Mu s für
den allein hier in Betracht kommenden Erreger und in der Tat sprechen
viele neuere Beobachtungen, namentlich von amerikanischer Seite, für
die Berechtigung dieser Annahme. Aber auch der Nachweis des I n -
fluenzabazillus ist, da die klinische Sputumuntersuchung allein
dazu nicht genügt, nicht immer einwandfrei zu erbringen.
Der septische Charakter der Erkrankung tritt auch in der Neigung
zu Abszessbildungen und der nicht seltenen Beteiligung
von Nieren, Leber und Milz zutage.
Die Allgemeinerscheinungen, welche die chronische
Grippe begleiten, sind im wesentlichen die gleichen wie bei der Tuber¬
kulose. Auf die langdauernde Subfebrilität haben wir be-
Nr. 25.
Digitized by Goi>sle
reits hingewiesen. Dabei bestehen gelegentlich starke Nacht-
schweisse und Neigung auch zum Schwitzen am Tage. Rasche
Ermüdbarkeit, Hinfälligkeit, Appetitmangel, in vielen Fällen grosses
Schlafbedürfnis sind die Zeichen, welche die lange Dauer der Erkran¬
kung auch dem Laien sinnfällig machen.
Was den Zusammenhang zwischen chronischer
Grippe und sicherer Lungentuberkulose betrifft, so ver¬
weisen wir zunächst auf den oben wiedergegebenen Fall der Gruppe IV.
Im allgemeinen ist die Reaktivierung einer Tuberkulose durch schwere
und langdauernde Grippe nicht so häufig, als man früher angenommen
hat. Kayser-Petersen hat bereits die diesbezüglichen Er¬
fahrungen aus unserer Klinik mitgeteilt. Sie seien hier nochmals kurz
zusammengefasst: Bei erwiesener Lungentuberkulose
hängt der Verlauf einer interkurrenten Grippe wesentlich
vom Stadium der tuberkulösen Erkrankung ab. Be¬
ginnende Spitzenprozesse und gutartig zirrhotische Fälle bleiben im all¬
gemeinen unbeeinflusst. Eine verhänignisvolle Wendung aber pflegt
die Grippe den schwereren Fällen, von Lungentuberkulose zu geben. Des
weiteren ist der Ausbruch vorher nicht nachweisbarer
Tuberkulose im Anschluss an Grippe wiederholt erwiesen. Die
Tatsache wird damit erklärt, dass es, wie im Röntgenbild deutlich zu
sehen, im Verlauf der Grippe zu einer starken An¬
schwellung der Hilusdrüsen kommt, die in diesem
Stadium ein Locus minoris resistentiae in bezug auf
Ansiedlung und Ausbreitung von Infektionserregern ist. Erst in
jüngster Zeit konnten wir abermals einen Fall dieser Art beobachten:
Eine 31 jährige ledige Photographin aus völlig gesunder Familie war
vor mehreren Jahren 3mal leicht an Grippe erkrankt.
Seitdem klagte sie gelegentlich über Stiche im Rücken links, fühlte
sich aber sonst stets völlig wohl und gesund. Erst in diesen letzten
Wochen kam eine f-loride Hilustuberkulose unter dem war¬
nenden Zeichen einer H ä’m optoe zum Ausbruch. Nach dem'
klinischen Befund waren die Spitzen völlig frei; in der 1. Hilusgegend,
in etwa handtcllergrosser Ausbreitung links ndben der Wirbelsäule. Schall¬
abschwächung. Bronchialatmen und mittclbiasiges Rasseln. Dem entsprach
folgendes Röntgenbild: Lunge gut entfaltet. Zwerchfell sehr gut be¬
weglich. Hiluszeichnung r. kaum verstärkt; 1. knollige Verstärkung
des Hilus und ebenso der zentralen Lungenzeichnung.
Spitzen frei!
Die grosse praktische Bedeutung der chroni¬
schen Grippe liegt auf der Hand. Aber auch in rein theo¬
retischer Hinsicht ist die Kenntnis von dem nicht seltenen Vorkommen
gerade der chronischen Form der Erkrankung wichtig.
Den ersten nach der Grippeepidemie 18/19 an unserer Klinik
beobachteten Fall nichtuberkulöserchronischerLungen-
erkrankung nach Grippe hat Kayser-Petersen in seiner
Arbeit „Ueber die Beziehung zwischen Grippe und Tuberkulose“ er¬
wähnt.
Neuerdings berichtet G. L i e b e r m e i s t e r (1. c.) über 14 von ihm
klinisch genau beobachtete Fälle von durch Grippe bedingten Spitzen-
bronchitiden und -bronchopneumonien.
Bei Kindern haben Bessert und Leichtentritt den
Uebergang der Grippebronchopneumonien in eine chronische
Form mit Bronchiektasenbildung vielfach beobachtet und
auf die Schwierigkeit der differentiellen Diagnose gegenüber Tuberku¬
lose hingewiesen.
Wer das Vorkommen klinis.cherundröntgenologischer
Lungenbefunde kennt, die mit manchen Formen von
Tuberkulose die grösste Aehnlichkeit haben, wer weiss,
dass es auch einen nich11ub erku 1 ösen Lungen¬
spitzenkatarrh gibt, der wird um so skeptischer in der Be¬
urteilung des Erfolges gewisser Behandlungsmethoden bei Tuberkulose
sein.
Die Therapie der Grippepneumonie im akuten
Stadium lehnt sich im wesentlichen an die bei den übrigen Pneu¬
monieformen an. Uns haben sich dabei vor allem intravenöse
Injektionen kolloidaler Silberpräparate, insbesondere
von F u l m a r g i n, bewährt, neben innerlicher Darreichung von Chinin.
Zur Behandlung der Kreislaufschwäche ist die frühzeitige Ver¬
ordnung von Strychnin sehr zweckmässig und auch für die Re¬
konvaleszenz angezeigt. Treupel und KaySer-Petersen
haben in ihrer hier wiederholt zitierten Arbeit eingehender darüber
berichtet.
Bei den chronischen Lungenprozessen mit ver¬
zögerter Lösung habei wir die von Berliner empfohlenen
Menthol-Eukalyptoleinspritzungen mit Nutzen gemacht. Grosse
Auswurfmengen kann man zweckmässig durch wiederholte
Karell kuren beeinflussen. Im übrigen ist die Behandlung der chro¬
nischen Grippe, wie bereits von vielen Autoren hervorgehoben, die
gleiche wie die bei der chronischen indurativen Lungentuberkulose:
Solange subfebrile Temperaturen bestehen, absolute Ruhe, Liege- und
Mastkuren In Verbindung mit Sonnenbädern, sobald es der Allgemein¬
zustand des Kranken erlaubt. Je nach den wirtschaftlichen Verhält¬
nissen der Patienten natürlich auch mehrmonatiger Aufenthalt im Hoch¬
gebirge, Sanatorien usf.
Die medikamentöse Behandlung erstreckt sich im wesent¬
lichen auf Beeinflussung der oft bis lange in die Rekonvaleszenz weiter-
’bestehenden Kreislaufschwäche. Dazu verwenden wir mit
gutem Erfolg die bereits früher empfohlene Kombination von Digitalis,
Chinin und Strychnin in Pillenform (Fol. Digit, pulv. titr., Chinin, sulf.
äa 5.0, Strychn, nitr. 0,1 auf 100 Pillen) oder, falls Digitalis nicht mehr
angezeigt, Pillen mit Eisen-Chinin-Strychnin.
3
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
766
MÜNCHfiNER MfiblZlNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Als allgemein roborierende Mittel kommen auch hier,
neben anderen, Phosphor-Lebertran und Kreosotpräparate in Betracht.
Letzteren wird bei der Lungentuberkulose irrigerweise vielerseits noch
immer auch eine spezifische Wirkung zugeschrieben.
Literatur.
Bessert und Lelchtentritt: Chronische Lungenerkrankungen bei
Kindern infolge Influenza. D.m.W. 9119 Nr. 7. — Kayser-Petersen
J. E.: Lieber Beziehungen zwischen Grippe und Tuberkulose. M.m.W.
1919 Nr. 44. — Hildebrandt W.: lieber chronische Grippe. M.m.W.
1920 Nr. 35. — L i e b e r m e i s t e r G.: lieber nichttuberkulöse Lungen¬
spitzenkatarrhe. D.m.W. 1921 Nr. 10. — Treupel G.: lieber chronische
Grippe. D.m.W. 1920 Nr. 42 . — Treupel und Kayser-Petersen:
Einige Erfahrungen über Grippepneumonie. M.m.W. 1920 Nr. 24.
Ueber Verminderung und Vermehrung der Strahlen¬
empfindlichkeit tierischer Gewebe in ihrer Bedeutung
für die Radiotherapie.
Von Dozent Dr. Qottwald Schwarz, Vofstand des
Röntgeninstitutes am Kaiserin-Elisabeth-Spital in Wien.
Im Jahre 1909 konnte ich [1] feststellen, dass die durch Druck
anämisierte Haut gegen Röntgen- und Radiumstrahlen erheblich
weniger empfindlich ist, im Vergleiche zu normal durchbluteter Haut.
Ueber die praktische Ausführung der Desensibilisierung, wie ich den
Vorgang nannte, werde ich mich hier nicht weiter verbreiten, ich will
nur erwähnen, dass S e i t z und W i n t z [ 2 ] als Hautschutz bei Tiefen¬
bestrahlungen Drucktuben, die an den Stativen angebracht sind, ver¬
wenden. Ich selbst habe andere Kömpressorien konstruiert, Einzel¬
heiten werden in dem binnen kurzem erscheinenden Lehrbuch der
Strahlentherapie von Ri ider und Rosen thal mitgeteilt werden.
Weshalb ich an die Desensibilisierung anknüpfen muss, hat
seinen Grund in der biologischen Bedeutung derselben für das Problem
der Sensibilisierung, das ich im Rahmen meiner kurzen Mitteilung
behandeln möchte.
Da durch Anämisierung der Haut deren Strahlenempfindlichkeit
regelmässig verringert wurde, so lag es nahe, anzunehmen, dass
Hyperämisierung eine Vermehrung der Strahlenempfindlichkeit
hervorrufen werde. Versuche mit Bier scher Stauung überzeugten
mich bald, dass passive Hyperämie diesen Zweck nicht erreiche. Da¬
gegen gelang es mir im Verein mit v. Bern dt, dem Inaugurator der
medizinischen Diathermie im Jahre 1910, zu zeigen (31, dass diathermi-
sierte und gleichzeitig bestrahlte Karzinomulzera der Mamma rascher
heilten als ihre nicht diathermisierte Nachbarschaft. Man musste dem¬
nach annehmen, dass aktive Hyperämie sensibilisierend wirke.
Meyer und Behring [4] konnten dies am Kaninchenhoden be¬
stätigen. Diathermisierte Hoden reagierten mit Aspermie schon auf ge¬
ringe Röntgenlichtdosen, welche auf den nlchtdiathermisierten
Vergleichshoden völlig unwirksam waren. Da aktive Hyperämie eine
wesentliche Komponente der Entzündung darstellt, führten die dar¬
gelegten Beobachtungen und die Erfahrungen bei entzündlichen Haut¬
erkrankungen zu dem Schlüsse, dass wir durch Erzeugung von
Entzündung tierisches Gewebe sensibilisieren
können. Werner [5] hatte in einer wichtigen Experimentalarbeit
schon 1905 die radiosensibilisierende Wirkung der Entzündung an Kanin¬
chenhaut nachgewiesen.
Als Objekt der Sensibilisierung kommen naturgemäss nur solche
pathologische Prozesse in Betracht, deren Strahlenempfindlichkeif sich
als unzureichend erweist: das sind in erster Linie die malignen
Neoplasmen.
Hier muss ich einige allgemeine Bemerkungen über die Radiosensibilität
der bösartigen Tumoren einfügen. Es gilt eine irrtümliche Auf¬
fassung zu bekämpfen, die zu einem ernsten Nachteil für den
planmässigen Weiterbau der Radiotherapie auszuarten droht. Ich meine
die durch S e i t z und W i n t z in Umlauf gebrachten Begriffe der
Karzinom- und Sarkomdosis. Durch diese Termini ist die
Ansicht entstanden, als hinge die Beseitigung eines Neoplasmas ledig¬
lich von dem Umstande ab, ob die von S e i t z und W i n t z an¬
gegebenen Strahlenmengen auf den betreffenden Tumor zur Ein¬
wirkung gebracht werden oder nicht Da diese Strahlenmengen bei
der fortgeschrittenen Technik ohne weiters erreichbar sind, hat ein un¬
berechtigter Optimismus in den weitesten Kreisen Platz gegriffen,
dessen notwendiger Zusammenbruch auch den Glauben an die tat¬
sächlichen Erfolge der Röntgentherapie auf dem Ge¬
biete der malignen Neoplasmen erschüttern wird, wenn von fach¬
männischer Seite nicht der wahre Sachverhalt klargelegt wird. Dies
ist zum Teil auch schon gesechen, und zwar durch Lenk-Wien [6],
Werner und Rapp- Heidelberg [7]. Ihnen schliesse ich mich an.
Die Behauptung, es gäbe eine einheitliche Karzinom- oder Sarkom¬
dosis ist vollkommen irrig. Wer über längere radiotherapeu¬
tische Erfahrung verfügt, weiss, dass beispielsweise Melanosarkome
sehr ungünstig für die Strahlenbehandlung liegen, während das klein¬
zellige Rundzeilensarkom, das Lymphosarkom, sehr rasch verschwinden
kann, um gegebenenfalls bald wieder zu rezidivieren. Aber selbst
histologisch ganz gleichartige Tumoren verhalten sich bei
verschiedenen Trägern verschieden. Auch von der Organ¬
zugehörigkeit hängt die radiotherapeutische Beeinflussbarkeit ab. So
liegt z. B. das Uteruskarzinom in dieser Beziehung sehr
günstig. Wir müssen es also aussprechen: Die Sensibilität der malignen
Tumoren ist nicht einheitlich, sondern ungemein verschieden, sie ist in
jedem Einzelfalle a priori unbekannt, sie ist meist zu gering.
ich kehre nun zu jenem Punkte meiner Mitteilung zurück, wo ich
sagte, wir seien experimentell zu dem Schlüsse gelangt, dass durch
Erzeugung von Entzündung die Radiosensibilität
gesteigert werde. Sehen wir uns nun den Begriff „Radiosensibilität der
Tumoren“ genauer an, so erkennen wir. dass wir ihn eigentlich
durch den Ausdruck „Rückbildungsfähigkeit“ ersetzen müssen. Die
Rückbildungsfähigkeit hängt ab:
1. von der Neigung der spezifischen Tumorzellen, nach
Bestrahlung in Nekrobiose zu verfallen (sog. selektive
Röntgenwirkung); ^
2. von der wachstumshemmenden und r e s o r b i e r e n-
den Kraft des Gewebes in der Umgebung der Tumorelemente;
3. von der Beteiligung des Gesamtorganismus an den im Punkt 2
genannten Vorgängen.
In welcher Weise die Entzündung, und zwar die dabei auftretende
Hyperämie, Exsudation, Leukozytenauswanderung, Steigerung der Zell¬
vermehrung, Phagozytose, Fibroblastbildung, auf die einzelnen soeben
aufgezählten Komponenten der Rückbildungsfähigkeit cinwirken, das
zu erörtern, würde hier zu weit führen.
Ich möchte nur noch heute einige praktische Folgerungen ableiten,
die sich aus der Hypothese von der sensibilitätssteigern¬
den Wirkung der Entzündung für die radiotherapeu¬
tische Praxis ergeben:
Zunächst ist ein negatives Postulat, und zwar das Postulat sogen.
Ueberdosierungen zu vermeiden, welche nicht nur die T u m o r -
Umgebung in ihrer Vitalität beeinträchtigen können, sondern auch
einen deletären Einfluss auf die blutbildenden Organe ausüben. Zu
grosse Einfallsfelder und zu mächtige Dosen erzeugen die
Röntenschocke und Röntgenkackexlen mit schwerer Schädigung des
Blutes. Da eine Destruktion der Leukopoese der öntzündungsbereit-
schaft entgegenwirkt, müssen wir im Sinne unserer Hypothese gegen
jeden Bestrahlungsmodus sein, der zu einer stärkeren Störung
der Leukozytenproduktion führt. Im Gegenteil: unser Be¬
streben muss auf die Erzeugung von Leukozytosen
gerichtetsein.
Von den positiven Massnahmen möchte ich die schon erwähnte,
später von Christ. Müller [8] und besonders von T h e'i l h a b e r [9]
empfohlene Diathermie hier nur streifen. — Details an anderer Stelle.
Aber zwei Vorschläge scheinen mir an diesem Orte einer aus¬
drücklichen Hervorhebung zu bedürfen. Der eine wendet sich an die
. eigenen Fachgenossen, der andere an die Chirurgen, bzw. Gynäkologen.
1. Vom Standpunkte meiner Hypothese (Sensibilisierung durch Ent¬
zündung) möchte ich eintreten für die systematische Ausnützung der
sogen. Röntgenfrühreaktion. Wir wissen, dass 6—12 Stunden
nach einer kräftigen Röntgenbestrahlung entzündliche Anschwellungen
besonders an Lymphdrüsen, an den Speicheldrüsen, aber auch an anderen
Geweben und auch an Tumoren auftreten. Diese Frühreaktion ist
meiner Ansicht nach der Ausdruck der Zerstörung hochempfindlicher
Zellgruppen (Lymphozyten) oder besonder empfindlicher Tumor¬
zellen, deren Zerfallsprodukte dann zu * einer chemotaktischen Ent¬
zündung führen, bei der nach Czepa [10] besonders auch das Oedem er¬
kennbar ist. Während dieser Frühreaktion, die 24, 48 Stunden und
länger anhält, sollten die weiteren Röntgendosen appliziert werden.
Also nicht Verabfolgung der Gesamtdosis auf einen Sitz, sondern in
mehreren, etwa auf drei Tage verteilten Sitzungen. (Ueber
die Gefahr der sogen Verzettelung und R e i z d o s i s sind ähn¬
lich irrige Anschauungen verbreitet, wie über die Karzinom- und
Sarkomdosis.)
2. Mein zweiter Vorschlag geht dahin, die Radiosensibilität durch
Erregung spezifischer Entzündungen an den Tumoren
zu steigern. Schon vor mehreren Jahren haben Rovsing [11] und
Le Win [12] (1913) gezeigt, dass durch Injektion von Tumorauto¬
lysaten spezifische entzündliche Reaktionen nicht
nur an den primär en Tumoren, sondern auch an Fe r n m e t a -
st äsen ausgelöst werden. Auch die auf fermentativem Wege
gewonnenen Tumorspaltprodukte, die Joannovics [13] herstellte
und die im Seruminstitut Prof. P a 11 a u f s jetzt von Dr. Z d a n s k y
bereitet werden, haben die Fähigkeit, solche Reaktionen zu erzeugen.
Ich selbst konnte erst in 6 Fällen den hier vorgezeichneten Weg be¬
schreiten, nämlich Bestrahlungen nach vorheriger oder gleichzeitiger
Tumorautolysatinjektion vorzunehmen. Ich habe neben Versagern doch
dabei in 2 Fällen eine überraschende Wirkung gesehen.
Ich will erwähnen, dass in meinen Fällen die 11 n-
jektionen gar nicht mit dem v o n der Patientin stam¬
menden Geschwulstmaterial vorgenommen wurden,
sondern nur von ähnlichen Tumoren. Es wäre aber be¬
sonders für die Gynäkologen, die vom Uterus¬
tumor das erforderliche Material stets gewinnen können, i n
Leichtes, prinzipiell in jedem der Röntgenbestrah¬
lung zugewiesenen Falle eine Injektion mit Tumor¬
autolysaten des Kranken selbst vorzunehmen.
Hauptsächlich um diese Anregungen zu veröffentlichen und auf das
Unzweckmässige von heroischen Röntgenlichtdosen hinzuweisen, habe
ich mir erlaubt, das Problem der Sensibilisierung, das noch
durchaus im Anfangsstadium seiner Bearbeitung sich befindet, zum
Gegenstand meiner Mitteilung zu machen. Eine ausführliche Dar¬
stellung wird im Lehrbuche Rieder-Rosenthals enthalten sein.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
24. Juni 1921.
MÜNCHENEP MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
767
Literatur.
1. Q. Sc h w a r z: Ueber Desensibilisierung gegen Röntgen- und Radium¬
strahlen. M.m.W. 1909 Nr. 24. — 2. Seitz und Wintz: Unsere Methode
der Röntgentiefentherapie (S. 102). 5. Sonderband der Strahlentherapie.
Urban & Schwarzenberg, 1920. — 3. G. Schwarz: Oes. d. Aerzte 25. II.
1909, W.kl.W. Nr. 9 und v. Berndt: Zschr. f. phys. Ther. 13. S. 167. —
4. Bering und Meyer: M.m.W. 1911 Nr. 19. — 5. Werner: D.m.W.
1905 Nr. 27 u. 28. — 6. L e n k: D.m.W. 1920. — 7. Werner und Rapp:
Strahlentherapie 11. 3. — 8. Ch. Müller: M.m.W. 1910 Nr. 18. — 9. T h e i 1-
haber: M.m.W. 1919 Nr. 44 und Monographie b. Karger, Berlin 1914. —
10. Czepa: Strahlenther. 12. — 11. Rovsing: M.m.W. 1913. — 12. Le¬
win: Ther. d. Qegenw. 1913 und B.kl.W. 1919. — 13. Joannovics:
W.kl.W. 1920 Nr. 30. _
Aus der II. Universitäts-Frauenklinik in Wien.
(Suppl. Leiter: Prof. Dr. W. Weibel.)
Zur Kenntnis der Generationsvargänge nach der Röntgen-
und Radium-Tiefenbestrahlung*).
Von Dr. Paul Werner.
Die Verordnung einer Röntgen- oder Radiumbehandlung bei ein^
jungen, im geschlechtsreifen- Alter stehenden Frau ist auch heute noch iür
viele Aefzte eine missliche Sache. Das beunruhigende Moment ist dabei
nicht so s^hr die Furcht vor etwaigen Ausfallserscheinungen, die diei
Patientinnen nachher quälen könnten, als vielmehr die Unklarheit
darüber, ob solche Frauen später noch schwanger werden können und
was sie bei einer eventuell eintretenden Schwangerschaft zu gewärtigen
haben.
In der einschlägigen Literatur finden sich bisher nur relativ spär¬
liche Angaben zu dem Thema und auch diese sind nicht sehr ausfiihr-
medizinischen Diathermie, im Jahre 1910 zu zeigen [31, dass diathermi-
Die Bestrahlung hebt die Fortpflanzungsfähigkeit nicht für immer auf,
und zwar auch dann nicht, wenn sie bis zur Amenorrhöe fortgesetzt
worden war. Ferner: Bei der Geburt sind in solchen Fällen keine be¬
sonderen Schwierigkeiten zu erwarten; das geht aus den Veröffent¬
lichungen von Steirn*), Verfasser“), in neuerer Zeit aus den Berichten
von Weibel“), Schuhmann*), Heynemann*), Wintz®) u. a.
mit Sicherheit hervor. Ferner scheint eine besondere Neigung zu
Abortus oder Frühgeburt nicht zu bestehen.
Weit weniger verlässlich aber sind unsere Kenntnisse über das
Verhalten der Kinder der bestrahlten Frauen und besonders deren spä¬
teres Schicksal, was schon dadurch begreiflich erscheint, dass bei der
relativ kurzen Zeit, während welcher die Röntgenstrahlen auch zur Be¬
handlung junger Frauen herangezogen werden, kaum die Möglichkeit
gegeben sein kann, auf längere Beobachtungszeiten zurückzublicken. Als
erster hat wohl Doederlein“) und nach ihm K r ö n 1 g ®) auf die
Gefahren hingewiesen, die den Früchten solcher Frauen drohen könnten,
wenn möglicherweise nur in geringem Grade geschädigte Ovula be¬
fruchtet würden und sich dann zu missbildeten oder sonstwie ge¬
schädigten Individuen auswachsen könnten. Wenn auch den inter¬
essanten Versuchen 0. Hertwigs und seiner Schule, auf die sich ja
Doederlein hauptsächlich stützt, etwas andere Bedingungen zugrunde
liegen als die speziell hier in Betracht kommenden, da ja nur mit direkt
bestrahlten Samenfäden und teils befruchteten, teils unbefruchteten Eiern
experimentiert wurde, muss man seinen Befürchtungen doch eine ge¬
wisse Berechtigung zusprechen. Ausserdem scheinen spätere Unter¬
suchungen M. Fraenkels") diese Annahme zu stützen, da er bei
einer Versuchsanordnung, die vollständig den Verhältnissen bei der
Behandlung des Menschen entspricht, stets Schädigungen der Nach¬
kommenschaft, und zwar in Form einer allgemeinen Unterentwicklung
feststellen konnte. Allerdings stehen neuere Untersuchungen Nürn-
b e r g e r s hiezu in direktem Gegensätze; Nürnberger‘®) konnte
niemals eine Schädigung der Jungen seiner bestrahlten Meerschweinchen,
Mäuse und Kaninchen nachweisen. Er nimmt daher an, dass einzelne
Eier im Eierstock so stark geschädigt werden, dass sie überhaupt nicht
zur Entwicklung kommen, andere aber gar nicht verändert werden und
daher auch vollständig normale Früchte ergeben. Diejenigen Eier, die
teilweise geschädigt werden und aus denen vielleicht missbildete Junge
entstehen könnten, entziehen sich unserer Beobachtung; vielleicht kommt
es schon in sehr frühen Stadien zum Abort, der der klinischen Diagnose
entgehen kann.
Bei dieser Unsicherheit unserer Kenntnisse in der zur Besprechung
stehende^ Frage mag es von Interesse sein, an einem grossen Material
gesammelte klinische Erfahrungen bekanntzugeben. Unter den vielen
Frauen, die an der II. Frauenklinik der Strahlenbehandlung zugeführt
w’orden waren, findeit sich eine ganze Reihe hierhergehöriger Fälle; bei
einem grossen Teile von ihnen liegt die Behandlung schon mehrere
Jahre zurück. Die bei der Beobachtung dieser Patientinnen gemachten
Erfahrungen seien im folgenden mitgeteilt.
In der Zeit vom 1. November 1911 bis Ende 1919 wurden an der
Klinik' 990 Frauen verschiedenen Alters wegen sogen, essentieller
Metrorrhagien und 522 wegen Myomen bestahlt. Soweit wir durch
•) Nach einem Vortrage, gehalten am 11. Januar 1921 in der Wiener
gynäkologiscen Gesellschaft. *) Amer. Journ. of Obst. September 1915.
*) Arch. f. Gyn. 110. H. 2. *) Strahlentherapie 10. *) Strahlentherapie 9. H. 1.
Zbl. f. Gyn. 1919 Nr. 48. •) Mschr. f. Geb. u. Gyn. 1920 H. 5. ^) Mschr.
f. Geb- u. Gyn. 83. 1911. *) Med. Kl. 1914 Nr. 5. ®) Arch. f. mikroskop.
Anat. 84. 1914. *®) Prakt. Ergehn, d. Geb. u. Gyn. 1920.
Digitized by Goiisle
ausgedehnte Nachuntersuchungen feststellen konnten, kamen 17 von
diesen Frauen später in die Hoffnung, mehrere Frauen wurden wieder¬
holt schwanger, so dass die Gesamtzahl der nach der Bestrahlung auf-
getretenen Schwangerschaften 24 beträgt. Von diesen 24 Schwanger¬
schaften endeten 13 mit der Geburt eines lebenden Kindes am normalen
Ende der Schwangerschaft, eine mit einem lebenden Kinde ca. 4 bis
5 Wochen vor dem Termin. 9 durch Abortus im 2. bis 5. Schwanger¬
schaftmonate und eine Gravidität — grav. m. V, Uterus myomatosus.
starke Schmerzen — wurde durch Operation (Totalexstirpation) be¬
endet. Zwei Geburten von lebenden Kindern am normalen Ende der
Schwangerschaft, drei Abortus und der durch Operation beendete Fall
betreffen Frauen, die nach monatelang dauernder Bestrahlungsamenorrhöe
gravid geworden waren. Alle anderen Schwangerschaften beziehen
sich auf Frauen, bei denen es nur bis zur 01i.gomenorrhöe gekommen
war. Werin wir den mittels Operation behandelten Fall nicht in Be¬
rechnung ziehen, so endeten also von 23 Schw'angerschaften 14 mit der
Geburt eines lebenden Kindes, 9 mit Abortus. Von diesen 9 Abortus
w-aren 3 sicher artefiziel! herbeigeführt, wie uns die Frauen auf Befragen
zugegeben haben. Bei den übrigen 6 könnte es sich um Spontanabortus
gehandelt haben. Es käme also auf 2—3 Geburten ein Abortus, eine
allerdings etwas hohe Prozentzahl, da ja sonst das Verhältniss der Ge¬
burten zu den Fehlgeburten in Deutschland allgemein mit 5:1 ange¬
nommen wird. Hier könnte aber in der Kleinheit des Materials eventuell
eine Fejilerquelle liegen. Die Geburt verlief bei allen Frauen spontan.
Einmal kam es unter der Geburt zum Ausbruch einer Eklampsie. Weder
im Verhalten der Wehen, noch in dem der Weichteile, noch auch in der
Nachgeburtsperiode liess sich ein Abweichen von der Norm feststellen.
Plazenta und Eihäute Hessen ebenfalls nichts Auffallendes erkennen.
Auch bei den in den früheren Monaten zur Unterbrechung gekommenen
Schwangerschaften war der Verlauf der gewöhnliche; in einigen Fällen
war eine Curettage oder eine digitale Ausräumung notwendig, andere
verliefen völlig spontan.
Die neugeborenen Kinder boten ein völlig normales Aussehen, nur
ein Kind hatte stärkere Verkrümmung der Tibien, die aber im Verlaufe
den nächsten Monate wieder verschwand. Der Röntgenbefund w ar
negativ. Das Geburtsgewicht der Kinder war entsprechend; einige
Kinder waren sogar besonders schwer — bis zu 4,2 kg.
Von den 14 lebend geborenen Kindern sind bisher 4 gestorben. Die
Todesursache w'ar bei dem frühgeborenen Kinde, Lebensschwäche; es
starb 8 Stunden nach der Geburt. Die anderen 3 Kinder erlagen einer
Pneumonie resp. Bronchitis und Morbillen im Alter von 9 und 10 Mo¬
naten, resp. 1% Jahren. Die übrigen Kinder wurden iiv ihrer späteren
Entwicklung fortlaufend kontrolliert. 6 Kinder stehen im Alter von
2 Monaten bis zji 3 Jahren; sie sind sowohl körperlich als auch geistig
ihrcin Altersgenossen annähernd gleichw’ertig entwickelt. 4 Kinder
stehen zwischen dem 6. und 8. Lebensjahr. Bei dreien dieser Kinder
war mir im Verlaufe der Beobachtung aufgefallen, dass sie nach anfäng¬
lich guter Entwicklung im 4. und 5. Lebensjahr gegen Gleichaltrige ai’
Körperlänge und -gewicht zurückbliebein. Zu Hingsten *‘) dieses Jahres
konnte ich bei Heranziehung der Tabellen von W. Camerer aus dem
Lehrbuche für Kinderheilkunde von Pfaundler und Schloss mann
ein Defizit im Gewneht von 1300—2800 g, ein sojphes in der Länge von
5—8 cm feststellen; das entspricht im ausgesprochensten Falle einem
Zurückbleiben im Gewichte um 16 Proz., einem solchen in der Länge
um fast 8 Proz. gegenüber der Norm. Auch heute sind diese 3 Kinder
im Gewicht noch um einige Kilogramm zurück. Während zw-ei von
ihnen im letzten Jahr stark in die Länge geschossen sind, ist das dritte,
ein Mädchen von 5*4 Jahren, mit seinen 97 cm noch immer um ca. 8 cm
im Rückstand. Das oben erwähnte 4. Kind ist, sowohl was die Körper-
länge betrifft als auch das Gewicht, kräftig entwickelt.
Schliesslich muss noch zweier Fälle Erwähnung getan werden,
in denen die Mütter bei schon bestehender Gravidität bestrahlt wurden.
In dem einen Falle trat die Schwangerschaft nach der ersten Röntgen¬
bestrahlung ein und wurde diese bei inzwischen unbemerkt .eingetretener
Schwangerschaft noch dreimal wiederholt. Im zweiten Falle wurde
unter der falschen Diagnose Myom von anderer Seite viermal je
24 Stunden mit 30—50 mg Radiumbromid intravaginal behandelt. Das
Kind der ersten Frau war bei der am richtigen Termin siattfindenden
Geburt vollständig normal entwickelt und Hess keine wrie immer ge¬
artete Schädigung erkennen. Das Kind der zweiten Frau wurde
ca. 4 Wochen nach dem crrechneten Termin geboren und wies auf¬
fällige Veränderungen auf. Es war nur 45 cm lang und 1950 g schwer,
ausgesprochen fettarm; die fahle, gelblich verfärbte, schlaffe Haut Hess
sich in Falten abheben und trug Lanugohärchen, die Testikel waren
deszendiert. ln beiden Fällen verlief die Geburt spontan und ohne Kom¬
plikationen. Heute ist das erste Kind fast 6 Jahre, das zweite S'-i Jahre
alt. Das erste Kind ist genügend gross, bleibt allerdings im Gewicht
um ca. 3 kg unterhalb üer Norm (nach den Tabellen Camerers).
Das zweite Kind ist bei sonst völlig gesundem Aussehen sowohl in der
Länge als auch im Gewricht um ca. ein Jahr in der Entwicklung zurück.
Allerdings ist hier das geringe Geburtsgewicht zu berücksichtigen und
die bekannte Tatsache, dass solche Kinder oft sehr lange Zeit brauchen,
um die Kinder mit normalem Geburtsgewicht in der Entwicklung eiii-
zuholen.
Ueberblicken wir die gewonnenen Resultate, so können w ir sagen,
dass nach Röntgen- oder Radiumbehandlung in den heute üblichen Dosen
“) Deutscher Gynäkologenkongress Berlin 1920.
^‘*) Siehe Werner: Arch. f. Gyn. 110, H. 2.
3*
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
768
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2.V
auch dann, wenn die Bestrahlung bis zur Amenorrhöe getrieben worden
ist, Schwangerschaft noch eintreten kann und das weder für den Verlauf
der Schwangerschaft noch für den der Geburt dadurch irgend eine
Gefahr zu erwarten ist. Eine gewisse Neigung zum Abortus scheint
bei diesen Frauen allerdings zu bestehen. Die Kinder zeigen bei der
Geburt keine Schädigung, die auf die vorausgegangene Bestrahlung der
Mütter zurückgeführt werden könnte. In den späteren Jahren scheint
allerdings bei manchen Kindern ein gewisses Zurückbleiben in der Ent¬
wicklung feststellbar. Der Einwand, dass es sich um eine zufällige kon¬
stitutionelle Minderwertigkeit (Nürnberger) oder um eine Folge der
durch den Krieg verschlechterten Ernährungsverhältnisse handeln
könnte, ist allerdings nicht absolut zu widerlegen, doch kann ich speziell
für meine Fälle anführen, dass alle Kinder in günstigen äusseren Ver¬
hältnissen, ednige sogar ständig auf dem Lande leben und hre Eltern mit
besonderen Nahrungssorgen nicht zu kämpfen haben. Der Gedanke an
einen ursächlichen Zusammenhang dieser Erscheinung mit der Bestrah¬
lung der Mutter hat aber doch sicher auch vieles für sich. Dafür
sprechen erstens die oben erwähnten Ergebnisse der experimentellen
Untersuchungen M. Fraenkels und zweitens die ganz einfache
Uebcrlcgung, dass zwischen den Eiern, die durch die Bestrahlung bis zur
völligen Entwicklungsmöglichkeit geschädigt worden sind, und denen,
die — ganz ungeschädigt geblieben — völlig gesunde Kinder ergeben
können, doch Zw-ischenstufen vorhanden sein müssen, aus denen sich
dann im Falle der Befruchtung geschädigte Kinder entwickeln können.
Die Annahme Nü r n h e, r ge r s, dass diese Eier alle in so früher Zeit
durch Abortus zugrunde gingen, dass sich ihr Vorhandensein der klini¬
schen Diagnose immciT entziehe, erscheint mir doch etwas gezwungen.
Viel wahrscheinlicher kommt es mir vor, dass teilweise geschädigte
und dann befruchtete Eier je nach dem Grade der Schädigung früher
(»der später zum Abortus oder, bei ganz geringer Schädigung, sogar zur
Geburt eines lebenden Kindes führen können, das dann event. die Zeichen
der stattgefundenen Strahlenwirkung in irgend einer Weise erkennen
lassen kann.
Dass die Bestrahlung des jungen Embryos resp. Eies im Mutterleib
zu Schädigungen führen kann, wofern sie nur intensiv genug ist, zeigt
deutlich unser zuletzt beschriebener Fall. Doch scheinen diese Schädi¬
gungen im Verlaufe der späteren Entwicklung einer ausgiebigen Besse¬
rung zugänglich zu sein.
Aus der I. medizinischen Universitätsklinik in Wien.
(Vorstand: Prof. K. F. Wenckebach.)
Spezifische Behandlung der Lungentuberkulose mittels
Atmungstherapie.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Ludwig Hofbauer.
Für die Inkonstanz der durch Tuberkulinbeliandlung erzielbaren
Resultate muss zumindest teilweise der Umstand verantwortlich ge¬
macht werden, dass „auch unter den Erregern der menschlichen Tuber¬
kulose ausserordentlictift biologische Unterschiede bestehen. Mit ein¬
zelnen Stämmen gelingt es leicht, ein hochwertiges Agglutininserum zu
erzielen, mit anderen gar nicht. Das durch Immunlsation mit einem
Stamme gewonnene Serum richtet sich in erster Linie gegen diesen
Stamm, andere lassen auch nicht das geringste Zeichen einer Beein¬
flussung erkennen“ (L ö w e n s t e i n). Auf Grund solcher Erfahrungen
wurde schon seit längerer Zeit der Wunsch rege, den TuberkÄösen
womöglich mit einem aus seinen eigenen Tuberkelbazillen bereiteten
Tuberkulinpräparat zu behandeln. Krause versuchte dieses Postulat
durch Züchtung der Tuberkelbazillen aus dem Auswurfe des Kranken
und Erzeugung von Tuberkulin vermittels derselben zu erfüllen, musste
jedoch die Erfahrung machen, dass solche Reinzüchtung eine keines¬
wegs leichte, in vielen Fällen eine geradezu unmöglich erfüllbare Forde¬
rung darstelle. Ueberdies ist diese Methodik ja nur bei offener
Lungentuberkulose anwendbar, also erst in einem ziemlich vorgeschrit¬
tenen Stadium der Erkrankung, in dem die besten Heilungschancen ge¬
währenden ersten Stadium hingegen schon technisch unmöglich.
Auf der Tatsache aufbauend, dass in der Peripherie jedes Lungen-
herdes eine Aufspeicherung von spezifischen Toxinen statthat, versuchte
ich schon seit Jahren, die ebenerw'ähnten Schwierigkeiten einer exo¬
genen Autotuberkulinbehandlung zu umg-ehen und das im Körper
befindliche endogene Autotuberkulin zur Behand¬
lung heranzuziehen durch Veränderung der die Re¬
sorption intrapulmonaler Substanzen in so hohem
Grade beeinflussenden Atembewegung.
Als Stütze für die Richtigkeit meiner Prämissen genüge der Hin-
w'eis auf die Entfieberung hochfebriler Phthisiker bei respiratorischer
Ruhigstellung, sowie der Umstand, dass bei stärkerer respiratorischer
Beanspruchung sehr viele bis dahin fieberfreie Patienten nicht bloss
bedeutende Temperatursteigerung, sondern typische „Lokalreaktion“
im Bereiche ihres Lungenherdes aufweisen.
Durch diese Erfahrung ist auch die Annahme von G e s z t i widerlegt,
der auf Grund der Tatsache, dass „das im Körper produzierte Tuberku¬
lin in einer so grossen Anzahl von Fällen keine w'ahrnehmbaren Re¬
aktionen verursacht, wo schon eine minimale Menge eingespritzten
Tuberkulins lebhafte reaktive Erscheinungen auslöst“ annimmt, dass die
entzündete Pleura das vom Pleuraraume aus mit dem Exsudate zur Re¬
sorption gelangte Antigen seiner reaktionauslösenden Wirkung beraube.
Digitized by Goiisle
Vielmehr ist die relative Ruhigstellung der erkrankten Brustwand
bzw'. Lungenpartien für das erwähnte Verhalten verantwortlich zu
machen. Besitzen doch die respiratorisch bei ruhiger Atmung am wenig¬
sten beanspruchten Teile der Lunge (Spitzen, Hiluspartien) die grösste
„Disposition“ zur Erkrankung und verraten sich deshalb so selten die
Anfangsstadien der Erkrankung durch Fieber. Zugunsten einer Auto-
tuberkulinisation vermittels der im Kranken selbst befindlichen toxischen
Produkte spricht fernerhin der Umstand, „dass die auf natürlichem Wege
entstandenen Antikörper viel wichtiger als die bei gesundem Körper
durch künstliche Immunisierung hervorgerufenen“ (L ö w e n s t e i n) sind.
Die Autotuberkiilinisation mittels entsprech'end ausgew^ählter Atem¬
übungen wird zunächst dem obersten Grundsatz in jedem ärztliclien
Handeln, den: n i 1 n o c e r e entsprechend durchgeführt. Sie eriüllt div
Tendenz derjenigen Autoren, die, aus dem Bestreben heraus, Reaktionen
zu vermeiden, mit kleinsten Tuberkulinmengen beginnen, indem sie mit
möglichst geringen respiratorischen Anforderungen beginnend all¬
mählich zu den höchsten Beansprucliungsmöglichkeiten gelangt.
Die von mir schon in meiner ersten Veröffentlichung (Salzburg 19li7)
und seither immer wieder hervorgehobene stetige Kontrolle
mittels Thermometer und Wage, sowie die a 11 m ä h 1 i c i. e
Steigerung der Atemleistung erfüllt nicht bloss die Forderung, „den
Tuberkulösen gegen die Gihmengen zu immnnisieren, die er bei im-
gewolinten Anstrengungen häufig akut zu produzieren vermag (Auto-
tuberkulin)“ (Bandelier und R o e p k e), bzw. die hiebei durch dif
gesteigerte Atemleistung (Arbeitsdyspnoe) in den Kreislauf gepumpt w er-
den, so dass dadurch die Arbeitsmöglichkeit wieder her¬
gestellt wGrd. Man erzielt vielmehr selbst bei fieberhaften, pn -
gredienten Fällen, sowie bei wiederholten Hämoptoen jahrelang
beobachtete Dauererfolge.
Das Indikationsgebiet für die atemtherapeutische Behandlung der
Lungentuberkulose ist demgemäss ein sehr weites, indem ihr auch die
schwereren und progredienteren Formen zugänglich gemacht wurden:
Sie gestattet die gleichzeitige völlige Ausnützung anderer be¬
währter Kurmethoden und lässt sich ohne dauernde Berufsstörung a rn -
b u 1 a n t durchführen
Die Methode ist kurz folgendermassen zu skizzieren:
In allen Fällen ist Erziehung zu dauernder nasaler
Atmung nötig, schon wegen der dadurch erzielten respiratorischen
Betätigung der apikalen und zentralen Lungenpartien mit dem Effekte
einer Steigerung der Widerstandsfähigkeit dieser „Prädilektionsstellen“.
Die atemtherapeutischen Prozeduren müssen behufs Erzielung des ge¬
wünschten Erfolges die Lokalisation des Prozesses sowie das
klinische Symptomenbild strengstens im Auge behalten. Nur
entsprechende lokale Veränderung der Atemtätigkeit ruft die ge¬
wünschte Verschiebung in der respiratorischen Beanspruchung des Krank¬
heitsherdes hervor. Als Beispiel sei die Atemleistung der Hiluspartien
erwähnt, welche nur bei verstärkter*Bauchatmung zustandekommt. Nur
gemäss der bei Senkung des Centrum tendineum des Zwerchfells ein¬
tretenden Herzwanderung kommt nämlich eine Ansaugung von Luft
in die das Herz umkleidenden Lungenpartien zustande; eine solcl:c
Senkung aber tritt nur bei verstärkter Zwerchfellbew'egung in Erschei¬
nung. Die Diaphragmamuskulatur lässt nämlich bei gewöhnlicher Be¬
tätigung die sehnigen Anteile des Zwerchfells ruhig und bewirkt nur
eine Abflachung der peripheren Anteile durch Abflachung ihrer Kuppel,
indem sie von der Form des Bogens in die der Sehne übergehen. Im
klinischen Symptombild kommt vor allem in Betracht, ob nur Lokal-
erscheinungen sich geltend machen, oder auch Allgemein-
erscheinungen, und zweitens, welche Komplikationen der
Lungenaffektion vorhanden sind. Als lokale Erscheinungen sind alle
Symptome zusammenzufassen, welche der Lungenherd als solcher aus¬
löst: Infiltration, Höhlenbildung, Sputum usw,., als Allgemeinerschei¬
nungen: Fieber, Schweiss, Appetitverlust, Gewichtsabfall usw*. Von
Komplikationen kommt insbesondere Mitbeteiligung des Rippenfells,
wie Verwachsung. Exsudation usw. in Betracht.
Die lokalen Erscheinungen werden durch Steigerung der
Atemleistung seitens der erkrankten Partien bekämpft. DicsclbL
wirkt:
1. chemisch im Sinne gesteigerter Autotuberkulinisierung, also
durch Erzielung einer durch die Autotuberkulinwirkung erzielten ..lokaler
Reaktion“, d. h. vermehrter Blut- und Lymphdurchströmung des er¬
krankten Lungenanteiles. Im gleichen Sinne wirkt ja schon
2. mechanisch die durch die Aternbewegung veranlasste Stei¬
gerung der Lüftung, Durchblutung und Saftströmung.' Auf diesem Wege
wird die Bekämpfung des Krankheitsprozesses durch Steigerung der
Widerstandsfähigkeit des Gewebes besorgt. Die Allgemein¬
erscheinungen hingegen bedeuten die Folgen einer zu starken Auf¬
saugung der Autotuberkuline, verlangen daher eine Herabsetzung der
Atemtätigkeit seitens der erkrankten Lungenpartien, Dieselbe ist ge¬
wöhnlich schon durch Umschaltung der Atemtätigkeit, d. h. eine
stärkere Beanspruchung der gesunden Lungenteile leicht
erreichbar. Nur in wenigen Fällen ist die Ruhigstellung durch ein¬
greifende Massnahmen (Schweigebehandlung), in einzelnen Fällen
durch chirurgische; Methoden (Pneumothorax, Rippenresektion) allcir:
so weit zu erzielen, dass die beunruhigenden Allgemeinsymptnnie
dauernd schw-inden. Auf keinen Fall aber ist dieses Resultat als Fod-
statiium der Behandlung anzusehen. Vielmehr ist dann ebenso w ie bei
den von vorneherein schon fieberfreien Patienten unter stetiger Kon¬
trolle von Temperatur, Gewicht und Lokalbefund die
allmähliche Steigerung in der Atemleistung des erkrankten Lungenanteiles
systematisch durchzuführen, vermittels genaü bezüglich ihrer Dauer und
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNf.^
24. Juni 1021.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
769
Anordnung vorgeschriebener Atemübungen. (S. diesbezüglich meine
Atmungspathologie und -therapie, Verlag J. Springer. Berlin. 1921.)
Dieselben sind beim Vorhandensein pleuraler Komplikation gemäss den
subjektiven Erscheinungen (Schmerzen us>V.) sowie objektiven Sym¬
ptomen (Erkhwerung der respiratorischen Beanspruchung usw.) noch
weiterhin entsprechend zu modifizieren. Der pleurale Erguss wird durch
stärkere respiratorische Beanspruchung der erkrankten Seite: Lagerung
auf dieselbe bzw. Fächersummübungen zur Resorption gebracht. Die
dermassen erreichte Autotuberkulinbehandlung der tuber¬
kulösen Pleuritis erzielt überdies heilsame Wirkungen an all¬
fälligen sonstigen spezifischen Veränderungen. Die trefflichen Re¬
sultate der von Wenckebach vor längerer Zeit schon angegebenen
Behandlung des tuberkulösen Empyems mittels Punktion und
nachfolgender Lufteinblasung erklären sich auf gleiche Weise. Das bis
dahin durch das Gewicht des Ergusses ruhiggestellte Zwerchfell führt
wieder Atembewegungen aus mit dem Resultat einer Resorption i. e.
Autotuberkulinisation.
Die von mehreren Autoren aufgeworfene Frage: „Ruhigstellung oder
Beanspruchung der tuberkulös erkrankten Lunge?“ ist allgemein
nicht zu beantworten, vielmehr jeder Fall entsprechend den vorwalten¬
den Symptomen individuell zu behandeln\und ist davor zu warnen,
eine von Erfolg begleitete Behandlung mittels Ruhigstellung unentwegt
weiterzuführen! In diesem Sinne sprechen nicht bloss die eigenen Er¬
fahrungen, sondern „gibt es gewichtige Stimmen, welche allgemein bei
beginnender tuberkulöser Erkrankung die Ruhe eher als schädlich für
den Heilungsprozess ansprechen“ (B i e r).
Ausdrücklich betont sei, dass Neigung zu Hämoptoe keine Kontra¬
indikation für die richtig durchgeführte respiratorische Mehrleistung
abgibt, ln keinem meiner Fälle wurde eine solche im Anschlüsse an
die Atemübungen beobachtet; im Gegenteil verfüge ich über Fälle, in
welchen dieser vorher oftmals beobachtete Zwischenfall seit Eintritt in
die Behandlung sich nicht mehr wiederholte.
Dass die Autotuberkulinisation „ungenau dosierbar und nicht un¬
gefährlich“ sei (Bandelier und R o e p k e) ist zwar richtig, wenn
in solchen Fällen systematisch Atem Vertiefung erzwungen wird
durch „graduated labour“ (P a t e r s o n). Doch gilt dies gewiss nicht
von der beschriebenen aktiven Atmungstherapie, welche ent¬
sprechend dem Symptomenbild des einzelnen Krank-
lieitsfalles Herabsetzung oder Steigerung der von
der erkrankten Lungenpartie zu fordernden Atem¬
leistung vorschreibt und diese wieder in genau
dosierbarer, l)ezüglich der Dauer und Leis-tung all¬
mählich gesteigerter, bezüglich ihres Effektes
systematisch kontrollier-ter Form.
Dadurch wurden auch Resultate erzielt, w^elche die anfänglichen
Erwartungen weitaus überholten. Niemals Erwuchs den Patienten aus
der Atemtherapie Schaden und lässt, sich diese Behandlung nicht etwa
nur in den Anfangsstadien der Lungentuberkulose mit Erfolg zur An¬
wendung bringen. Auch bei vorgeschrittener Erkrankung habe ich
dieselbe nicht nur bei stationären, sondern auch bei progredienten Fällen
angewendet und damit Dauererfolge (bis zu 10jähriger Be¬
obachtung!) erzielt. Ueberdies konnte ich oftmals die unberechtigte
Annahme einer spezifischen Erkrankung widerlegen, wo lediglich eine
durch mangelhafte Atemleistong (Mundatmung!) ausgelöste Atelek¬
tase an Lungenspitzen oder den Hiluspartien sich aus¬
gebildet hatte und oft die durch dieselbe Ursache veranlasste Reizung
der oberen Luftwege (katarrhalische Erscheinungen, leichte Fieber¬
erscheinungen usw.) die Annahme spezifischer Erkrankung nahelegte.
Von besonderem Werte scheint mir die auf diesem Wege erzielte
F? e w e g 11 n g s - bzw. Berufs ausübungs m ö g 1 i c h k e i t der Kran-
kcn. was nicht bloss von subjektiver Bedeutung ist. sondern auch
eines sozialen Wertes nicht ermangelt. Der Widerstand vieler Pa¬
tienten. welche auf ihren Erwerb nicht verzichten wollen oder können,
fällt weg. der Kranke lernt durch die in seine Hände gelegte Kontrolle
durch Wage und Thermometer, wieviel Arbeit er sich zumuten kann
und wie er allfällige unangenehme Folgen (Fieber. Abmagerung) ver¬
hütet bzw. bekämpft. Die so schwer zu erhaltenden bzw. überfüllten
Heilanstalten werden entleert und zu Vorbereitungsstätten für die
Wiedererlangung der Berufungsmöglichkeit. Die Kranken brauchen auch
nicht ..iimzulernen“, sondern können ihrem Beruf erhalten bleiben
Aus der Universitäts-Hautklinik Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Q. A. Rost.)
lieber die sogenannte „Spirochaetosis arthritica“
(Reiter).
Von Privatdozent Dr. A.'Stühmer, Oberarzt der Klinik.
Im Juli und August 1916 beobachtete ich in einem Kriegslazarett
der Westfront, zum Teil gemeinsam mit A. Sommer, vereinzelte
Fälle einer eigenartigen Erkrankung, welche mit Urethritis, Konjunkti¬
vitis. Polyarthritis und schweren fieberhaften Temperatursteigerungen
cinherging. Sommer publizierte die auf seiner Lazarettabtcilimg be¬
obachteten Fälle (D.m.W. 1918 Nr. 15). Im Dezember 1916 teilte
Reiter (D.m.W. 1916 Nr.50) ähnliche Beobachtungen mit und be-
zeichnete auf Grund eines positiven kulturellen Spirochätenbefundes
das Krankheitsbild als „Spirochätosis arthritica“. Dadurch wurde mein
Interesse für die rätselhafte Erkrankung in noch höherem Masse .ge-
Digitized by Goiisle
weckt und ich habe im weiteren Verlaufe des Krieges noch 2 weitere
hierhergehörige Beobachtungen machen können. Nach Kriegsschluss
habe ich dann lange Zeit nichts Aehnliches mehr gesehen und war be¬
reits geneigt, die Erkrankungsform als eine reine Kriegserscheinung bei¬
seite zu legen, als ich kürzlich in unserer Klinik wiederum einen beson¬
ders schweren Fall zu sehen bekam. Dieser veranlasst mich, das
Krankheitsbild noch einmal zu erörtern, zumal es mir bei diesem letzten
Falle möglich war, auch die ätiologische Seite zu bearbeiten.
Es handelte sich in diesem Falle um einen jungen Mann von 19 Jahren,
welcher am 10. IV. 20 aufgenommen wurde, mit der Angabe, dass er etwa
3 • Wochen zuvor mit eitrigem Harnröhrenausfluss, starkem Brennen beim
Wasserlassen und häufigem Urindrang erkrankt sei. 10 Tage später habe
er eine heftige Augenentzündung auf beiden Seiten bekommen und vor etwa
2 Tagen Gelenkschmerzen, besonders im Kniegelenk und im Fussgelenk beider¬
seits. Geschlechtsverkehr hat er etwa 14 Tage vor dem Auftreten der
ersten Krankheitserscheinungen gehabt mit einem Mädchen, von dem er weiss,
dass es noch mit mehreren anderen jungen Leuten verkehrte, welche sämtlich
nicht erkrankten. Befund: Es handelte sich um einen etwas dürftig er¬
nährten jungen Menschen mit auffallend blasser Gesichtsfarbe. Die inneren
Organe sind gesund, keine Milzschwellung. Die Harnröhrenmündung ist
stark gerötet, die Schleimhaut erscheint etwas ektropioniert. Auf Druck
entleert sich dicker, gelber Eiter. Mikroskopisch finden sich in dem Eiter
neben reichlichen Leukozyten spärliche Epithelien und nur hie und da kleine
Gram-positive Stäbchen von wechselnder Form und Grösse.“ Irgendwelche
Einschlüsse in den Leukozyten wurden nicht beobachtet. Beide Urinportionen
waren diffus getrübt. An den Geschlechtsorganen sonst keine Besonder¬
heiten. Prostata o. B. Leistendrüsen nicht geschwollen. Die Bindehaut
beider Augen ist stark gerötet, geschwollen. Es besteht reichliche Eiter-
absonderutig und Oedem der Augenlider. Im Abstrich ist irgend etwas be¬
merkenswertes nicht feststellbar. Starke Lichtscheu und Schmerzhaftigkeit.
Patient klagt über Schmerzen in beiden Fussgelenken und auch in den Knie¬
gelenken. Beiderseits besteht eine Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit
über dem T.arsometatarsalgelenk. Die Haut ist dort nicht gerötet. An¬
deutung von Fluktuation beiderseits. Temperatur in den Abendstunden 37,s.
Der Verlauf der Erkrankung war folgender: Der eitrige Ausfluss aus der
Harnröhre bestand zunächst unverändert fort. Gonokokken traten niemals
auf. Auch im Konjunktivaleiter waren niemals Gonokokken oder sonstige
Krankheitserreger sichtbar. Das Fieber nahm im Verlauf der ersten Tage zu.
Abendliche Zacken bis 38,6 warert von tiefen morgendlichen Remissionen
gefolgt. Nach Verlauf von einer Woche traten Schwellungen und praller
Erguss in beiden Kniegelenken auf. während die Veränderungen an den
Tarsometatarsalgclenken langsam abiiahmen. Vorübergehend war auf dem*
linken Ffissrücken eine starke Schmerzhaftigkeit festzustellen, besonders bei
Bewegungen der Zehen im Grundgelenk, so dass hier an eine Mitbeteiligung
der Sehnenscheiden gedacht wurde. In der 2. Woche klang unter allgemeiner
.symptomatischer Behandlung der Reizzustand der Harnröhre sowohl wie der
Augenbindehäute ab. Das Fieber wurde weniger, während besonders links
im Kniegelenk sich ein starker praller Erguss iierausbildete. Am 23. IV.
wurde das linke Kniegelenk punktiert. Es fand sich eine massig getrübte,
nicht fadenziehende Flüssigkeit, welche mikroskopisch zahlreiche Eiter¬
körperchen, vereinzelte Epithelien, aber keinerlei Krankheitserreger enthielt
(s, u.). In der 3. Woche wurde mit KoUargolinjektionen begonnen und zwar
wurden 5 ccm einer 2 proz. Lösung gegeben. Am Tage nach der ersten
Kollargolinjektion waren die vorher bereits vollständig abgeblassten Konjunk¬
tiven wieder stark gerötet, geschwollen. Es bestand wiederum starke
Eiterung ohne irgendwie nachweisbare Krankheitserreger. Gleichzeitig war
auch die Sekretion der Harnröhrenschleimhaut wieder stärker geworden,
wenn auch nicht in dem Masse, wie die Konjunktiven. Während der
Kollargolbehundlung. welche 14 Tage durchgeführt ■ wurde, klang dann die
Konjunktivis in wenigen Tagen wieder ab. Auch die Urethritis verschwand
wieder. Fieber und Urintrübung ebenso wie die Gclenkschwellungcn blieben
unbeeinflusst. Am 11, V. traten neue starke Schwellungen der Mittelfuss-
gelenkc auf, ohne Fiebersteigerungen. Am 18. plötzlich erneuter Fieber¬
anstieg mit stärkerer Schwellung der rechten Fussgelenkgegend, wiederum
deutliche Konjunktivitis und Zunahme des Ergusses im linken Kniegelenk.
Die Lcukozyteiizahlen waren in dieser Zeit konstant 7900. Auch qualitativ
keine Acnderimg des Blutbildes. Es wird jetzt mit intravenösen Injektionen
von Cascosan ein Versuch gemacht. 0.5, 1,0 und noch einmal 1.0 in 4 tägigen
Abständen intravenös werden gut vertragen. Bei der zw'citen Spritze Fieber¬
anstieg unter Schüttelfrost bis 39,5 2 Stunden nach der Injektion. Im Ver¬
laufe dieser Tage war die Bindehauterkrankung wieder völlig verschwunden,
die GelenkschwcIIung wieder etwas ziirückgegangcn und es bestand mässiger
schleimiger Ausfluss aus der Harnröhre. Am 30. V. nahm der Erguss im
rechten Kniegelenk deutlich zu und cs bestanden Schmerzen im Bereiche der
Halswirbelsäiile Der Urin war immer noch stark getrübt trotz regelmässiger
Harnröhrenspülungen in der letzten Zeit. Am 5. VI.'wurde deshalb mit intra¬
venösen Neosalvarsaninjektioncn begonnen. Dosis 11. Am folgenden Tage
vorübergehend leichte Reizung beider Bindehäute, der Urin wurde etwas
klarer. Im Laufe der nächsten Tage nahmen unter weiteren Neosalvarsan-
injektionen die Krankheitserscheinungen etwas ab. Die Schwellungen der
Knie- und Fussgelenke gingen zurück, es trat aber im Grundgelcnk des
rechten Mittelfingers eine neue schmerzhafte Schwellung auf. Die Temperatur
fiel langsam auf die Norm. Der Allgcmeinzustand des Patienten hatte unter
der langen fieberhaften Erkrankung recht erheblich gelitten Von J54,5 kg bei
der Aufnahme war das Körpergewicht auf 50,5 kg bei der Entfieberung in der
10. Krankheitswoche gesunken. Von nun an erhob sich die Temperatur nicht
wieder über 37,l>. Der Urin wurde langsam klar. Die Gelcnkschwetlungcn
an den Knien, an den Füssen und irii Grundgelenk des rechten Mittelfingers
gingen langsam zurück. Der Allgcmeinzustand hob sich sehr schnell, so dass
der Patient nach insgesamt 16 wöchentlichem Krankheitsverlauf mit 55 kg
Gewicht entlassen werden konnte Eine Nachuntersuchung 5 Wochen nach
der Entlassung ergab völlige Gesundheit. Die bei der Entlassung noch fest¬
stellbaren leichten Verdickungen der Kapseln an den befallenen Gelenken
waren vollständig beseitigt. Eine Beeinträchtigung der Bewegung oder
irgendwelche Schmerzhaftigkeit waren nicht zurückgeblieben. Im Februar 1921
erschien Patient mit einem Rückfall der Urethritis, welcher wiederum mit
leichter Konjunktivitis einherging. Leider entzog er sich längerer Beobachtung.
Aus meinen Kriegsaufzeichnungen lasse ich zunächst noch eine kurze
Darstellung meiner früheren Beobachtungen folgen:
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
771)
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr, 25.
2 . Fall: Am 24 . Vlll. 1916 wurde ein 20 jähr. junger Mann in sehr dürf¬
tigem Allgemeinzustand unter der Diagnose; „Tripper. Tripper-Konjunktivitis
und Tripper-tielenkrheumaiismus der Wirbelsäuje" eingeliefert. Er war
12 läge zuvor in der Stellung an Durchfall erkrankt mit hohem Fieber, hatte
‘I Tage später unter starkem Brennen eitrigen Harnröhrenausfluss bekommen
und gleichzeitig war eine starke Entzündung der Augenbindehaut beiderseits
mit starker Eiterung aufgetreten. In der Folgezeit traten dann starke druck-
schmerzhafte Schwellungen im Bereich der (ielcnke der Hals- und Brust¬
wirbelsäule auf. Der Kranke wurde von mehreren Feldlazaretten wegen
(jonorrhöe immer wieder weitergeschoben. Befund: Hochficbernder Mann
mit starker eitriger Konjunktivitis beiderseits. Innere Organe gesund, keine
Milzschwellung. Aus der geröteten Harnröhrenmündung entleert sich gelbes,
seröseitriges Sekret. Mikroskopisch weder im Konjunktivaleiter noch im
Harnröhrenausfluss (jonokokken. In dem letzteren reichlich intrazelluläre
kurze Stäbchen. Im Urin spärliche Flocken. Die Bewegung der Hals- und
Brustwirbelsäule ist wegen starker Schmerzhaftigkeit der (jelenke nicht mög¬
lich. Temperatur abends 39 6. Es wurde zunächst trotz des negativen
mikroskopischen Befundes an üonorrhöe gedacht." Auf Arthigon änderte sich
iedocli nichts. Im Verlaufe von «—9 Wochen blieb das Krankheitsbild nahezu
unverändert. Die für den Patienten sehr quälende Schmerzhaftigkeit der
Wirbelsäule nahm noch zu, weil der Prozess sich noch bis zur Lcndenwirbel-
säule fortpflanzte. Elektrargolinjektionen blieben ohne Erfolg. Erst in der
s. Woche setzte unter allmählicher Entfieberung eine Besserung ein. Der
sehr heruntergekommene Patient erholte sich sehr schnell. Die Beweglichkeit
der Wirbelsäule stellte sich langsam wieder her. so dass er nach 10 wöchent¬
lichem Krankenlager zur (ienesung in die Heimat entlassen werden konnte.
3. Fall: Ein 20 jähr. junger Mann wird mit der Angabe eingeliefert,
dass seit 6 Tagen Beschwerden beim Wasserlassen, Brennen in der Harnröhre
und seit 5 Tagen ein eitriger Katarrh der Augenbindehaut bestehe. Er gibt
glaubw'ürdig an, niemals Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.
Befund: Ausser leichten bronchitischen Geräuschen gesunde innere
Organe. Die Augenbindehäiite sind beiderseits stark gerötet und geschwollen
Massige Eiterabsonderung in den Augenwinkeln. Regenbogenhaut beiderseits
frei. Pupillenreakiion regelrecht. Mikroskopisch in dem Eiter keine Be¬
sonderheiten. Die Harnröhrcnschleimhaut ist stark gerötet, die Vorhaut etwas
ge.schwollen. Auf Druck entlect sich reichlich gelbliche, eitrige Flüssigkeit.
Mikroskopisch in dem Ausfluss reichlich Eiterkörperchen und Epithelien,
ferner spärliche, zum Teil intrazelluläre Stäbchen von kurzer plumper Form.
Urin ausser leichten Eiterflocken frei von krankhaften Bestandteilen. Sämt¬
liche Gelenke sind frei beweglich. Temperatur 38,6. Schweres Krankheits¬
gefühl. Die Behandlung bestand in Aspirin. Bettruhe. Lokalbehandlung von
Augen und Harnröhre mit Borwasserspülungen. Das Fieber ging im Verlauf
von 14 Tagen herunter. Der Bindehautkatarrh klang langsam ab. üelenk-
veränderungen traten nicht auf. Der Kranke war bereits 8 Tage fieberfrei
ausser Bett, als ohne nachweisbare Ursache plötzlich unter Schmerzen auf
der rechten Seite die Bindehaut sich wieder stark rötete und anschwoll. Unter
fachärztlicher Beobachtung (Oberstabsarzt V o r m a n n) entwickelte sich
langsam eine starke Iritis mit hochgradiger perikornealer Injektion. Die
Schmerzhaftigkeit war sehr erheblich. Die Uebergangsfalte zeigte starke
(iranulation. Unter Borwasserspülungen, Atropin, Umschlägen und Bettruhe
klangen die Er.scheinungen ab. 4 Wochen nach Beginn der Iritis bestand
noch deutliche Reizung, leichte Beschläge in der vorderen Kammer. Noch
einmal trat eine Vorübergehende stärkere Reizung auf, bis dann nach insge¬
samt 12 wöchentlichem Krankheitsverlauf die völlige Wiederherstellung
eintrat.
. 4, Fall: Im Oktober 1917 wird ein Unteroffizier eingeliefert mit starker
eitriger Konjunktivitis und reichlichem eitrigem Ausfluss aus der Harnröhre.
3 Wochen zuvor etwa war er fieberhaft erkrankt und in wenigen Tagen
bildete .sich unter abendlichen Temperatursteigerungen bis zu 40® das gegen¬
wärtige Krankheitsbild aus. Patient war stets in der Front gewesen und
hatte keinen Geschlechtsverkehr gehabt.
Befund: Schwere, fieberhafte Allgemeinerkrankung, ausserordentlich
heftige eitrige Konjunktivitis mit chemotisch geschwollener Bindehaut beider¬
seits. Im Abstrich reichlich Eiter und Epithelien. keine Gonokokken oder
sonstige Erreger. Aus der ebenfalls stark gereizten Harnröhre entleert sich
auf Druck reichlich seröses eitriges Sekret, In diesem mikroskopisch keine
Gonokokken, aber reichlich Bakterien aller möglichen Formen, vorwiegend
kurze Stäbchen. Die Kniegelenke beider.seits, ebenso das rechte obere
Sprunggelenk sind stark geschwollen, deutliche Fluktuation. Die Haut über
den Gelenken ist nicht gerötet. Starke Schmerzhaftigkeit bei passiven Be¬
wegungen. Die Temperatur war morgens fast normal und stieg abends
regelmässig auf annähernd 39®. Der Verlauf zeigte unter fachärztlicher Be¬
handlung der Augen (Oberstabsarzt V (» r m a n n) zunächst wenig Neigung
zur Besserung. Es kam zu einer rechtseitigen Iritis und schliesslich zur
Randkeratitis mit Geschwürsbildung. Die Allgemeinbehandlung war aus¬
schliesslich symptomatisch. Erst im Verlauf mehrerer Wochen, nachdem das
Allgemeinbefinden durch die lange fieberhafte Erkrankung schwer in Mitleiden¬
schaft gezogen war, gingen die Er.scheinungen langsam zurück. Das Fieber
nahm an Höhe ab. Die Urethritis schwand bald und die Erkrankung der
Augen besserte sich ebenfalls. Voji dem weiteren Verlauf habe ich keine
Kenntnis wegen Räumung des Lazaretts.
Die 4 initgeteiltfn Fälle sind unzweifelhaft zusammeriKchöri«. Die
Fikrankung trat bei allen Patienten nach Art einer akuten Infek¬
tionskrankheit auf. Meist wurde zunächst der Harnröhrenkatarrh
beobachtet, fast gleichzeitiK oder bald folgend der eitrige Bindehaut¬
katarrh. Diese 2 Symptome hatten in allen Fällen zur DiaRnose einer
gonorrhoischen Erkrankung geführt, welche in Fall 1, 2 und 4 noch
durch die bald auftretenden schweren, ausserordentlich schmerzhaften
(ielenkerkrankungen bestätigt zu werden schien. Nur der Fall .3 zeigte
keine (lelenkerkrankung. Da er aber sonst vollständig mit den anderen
iibereinstimint, glaube ich keinen Orund zu haben, an seiner Zugehörig¬
keit zu zweifeln. In allen Fällen konnte wieder anamnestisch noch
mikroskopisch der Verdacht einer Gonorrhöe aufrechterhalten w-erden.
Irn 1. Falle sehen wir zw'ar das Krankheitsbild sich etw'a 14 Tage nach
einem verdächtigen Koitus entwickeln. Es spricht aber nichts dafür,
dass hier eine Infektion erfolgt ist. zumal gleichzeitig mehrere andere
junge Leute mit dem gleichen Mädchen Verkehr hatten, ohne zu er¬
kranken. Der Krankheitsbefund war in allen Fällen so typisch, dass
eine Fehldiagnose jwiit möglich \|ar für jemand, der das R c i t e r sehe
Digitized by CjQv .Qle
Krankheitsbild kannte und die Erkrankten im Laufe der 1. Krankheits¬
wochen sah. Besonders charakteristisch ist das septische Fieber,
das zwar in den einzelnen Fällen sehr verschieden stark ausgeprägt
war, das aber besonders im Anfang der Erkrankung das^Bild einer
schweren Allgemeininfektion hervorrief. Die inneren Organe
waren in allen Fällen vollständig gesund. Ausser dem starken kon-
junktivalen und urethralen Katarrh wurde das Krankheitsbild mit Aus¬
nahme des Falles 3 klinisch beherrscht durch die schweren Oe-
lenkerkrankungen. Besonders Fall 2 zeigt diese in sehr hef¬
tiger Weise, da hier ausschliesslich die Wirbelsäule befallen war. diese
aber so ausgedehnt, dass kein Gelenk frei blieb. Dabei handelte es
sich offenbar nach dem Ergebnis der im 1. Fall vorgenomnienen Gelenk¬
punktion um eine seröseitrige Erkrankung der Synovialis, die wold
nur erklärt werden kann durch eine Invasion des fraglichen Erregers.
Eine Neigung der erkrankten Gelenke zur Versteifung bestand nicht.
Trotz des langen Verlaufes konnte im Fall 1 auch im Röntgenbilde
(Dr. Köhler, Chi. Klinik Feiburg) lediglich eine massige Kapselver¬
dickung festgestellt werden. Die Beweglichkeit war auch hier voll
wieder hergestellt und die Kapselveränderungen nach 6 Wochen völlig
verschwunden. In dem Verlauf der Erkrankung fiel es auf, dass sie
lange Zeit durch die Behandlung unbeeinflusst, wenigstens soweit das
Fieber in Betracht kommt, nahezu unverändert fortbestand und erst
langsam in der 8.—10. Woche einer Besserung Platz machte. Am
wenigsten beständig war die Erkrankung der Harnröhre.
Nur im Fall I war eine Jiartnäckige, ziemlich starke Trübung beider
Urinportionen feststellbar. In diesem Falle war demnach die Blasen¬
schleimhaut in erheblichem Masse an dem Krankheitsprozess beteiligt.
Die übrigen Fälle zeigten lediglich eine Erkrankung des vorderen Harn¬
röhrenabschnittes, welche schon bald nach der Lazarettaufnahme ab¬
klang. Die Konjunktivitis war in allen Fällen zunächst ausser¬
ordentlich heftig. Die Eiterung eine recht starke und zuweilen (Fall 4)
eine starke Schwellung mit Granulierung der Uebergangsfalte fest¬
stellbar. Entsprechend der Schwere der Bindehauterkrankung kam cs
besonders in Fall 4 zu einer Mitbeteiligung der Regen¬
bogenhaut und im weiteren Verlaufe zu einer Randkeratitis mit
ziemlich ausgedehnter Geschwürsbildung. Merkwürdig war im Fall 3
das plötzliche Auftreten einer einseitigen ziemlich schweren Iritis,
nachdem die Konjunktivalerkrankung im übrigen bereits 14 Tage ab¬
geklungen war. Die sich hier offenbarende Neigung zu rück¬
fälliger Erkrankung im Bereiche des Auges kam besonders in
unserem 1. Falle deutlich zum Ausdruck darin, dass nach dem 1. Ab¬
klingen der Konjunktivitis noch zwei deutliche Rezidive von jedesmal
etwa 4—5 tägiger Dauer auftraten. Wie diese Neigung zu Rezidiven
erklärt werden, kann, muss unklar- bleiben, so lange wir über die
A e t i 0 1 o g i e noch keine bestimmten Anhaltspunkte haben. Thera¬
peutisch erwiesen sich alle versuchten Mittel als wirkungslos.
Lediglich die Urintrübung (Fall I) schien durch Neosalvarsaninjektionen
günstig beeinflusst zu werden. Sonst waren wir auf symptomatische
Behandlung angewiesen. Die Prognose der Erkrankung scheint-
trotz des meist schweren Krankheitsbildes eine gute zu sein. Nach
Ablauf von 10—12 Wochen trat stets die Genesung ein. welche zur
völligen Wiederherstellung führte. Auf der Suche nach dem Erreger
der Erkrankung fand Reiter in seinem Falle 2 Tage nach der Blut¬
entnahme in seiner Serumkultur eine Spirochäte und zwar in Reinkultur,
welche er nach der Art ihrer bohrenden Bewegung „Spfrochaeta forans“
nannte. Er hielt sie für den Erreger der Erkrankung, besonders nach¬
dem er Mäuse, welche er mit der Kultur impfte, am 8.-—10. l'agc
plötzlich unter ganz enormer Schweissekretion zugrunde gehen sah.
Weder in diesen zugrundegegangenen Mäusen, noch in geimpften Meer¬
schweinchen konnte er die Spirochäte wieder finden. Ich selbst Itiabe
nun in den Fällen 1, 3 und 4 zahlreiche und immer wiederholte Ver¬
suche gemacht, die fragliche Spirochäte durch Beobachtung der Sekrete,
des Blutes und der Punktionsflüssigkeit aus dem Gelenk entweder
direkt zu sehen im Dunkelfeld oder aber sie durch Verimpfung aller
dieser verschiedenen Flüssigkeiten auf Mäuse und Meerschweincheir
zu züchten. Auch in. einem exzidierten Stück der Bindehaut konnten
irgendwelche Gebilde (Einschlüsse), welche als Erreger hätten an¬
gegeben werden können, nicht festgestellt werden (Prof. v. S z i 1 y), Ich
habe auch im Fall 1 Blut und Gelenkpunktionsflüssigkeit nach der von
Reiter gegebenen Vorschrift auf Kulturen verimpft. In allen diesen
Versuchen hat sich ein völlig negatives Resultat ergeben. Die '^'iert
blieben sämtlich gesund, die Kulturen steril. Die Mäuse zeigten Leine
Schweissausbrüche, noch sonst irgendwelche Störungen ihres Allgemein¬
befindens. Von bakteriologischen Befunden konnte ich ausschlies slic’:
im Eiter der Urethralerkrankung zuweilen Gram-positive Stäbchen ver¬
schiedener Form und Grösse intra- und extrazellulär feststellen. Mies
in allem glaube ich, dass diesen Stäbchen eine ätiologische Bedeutung
nicht zukommt, dass aber auch mindestens ein Teil der von R e i t e i
für die .sogen. „Spirochaeta forans“ angegebenen Kriterien nicht
zutrifft. Ob es sich bei der von Reiter gesehenen Spirochäte tat-
sächlich um einen Erreger oder um eine zufällige Verunreinigung ge¬
handelt hat, wage ich nicht zu entscheiden.
Der von Reiter für die Erkrankung vorgeschlagene Name
„Spirochaetosis arthritica“ scheint rhir bei der Unsicherheit der Actii>-
logie noch nicht berechtigt. Auch die Bezeichnung als „Uretiritis
arthritica ophthalmoblennorrhoica“ würde den Charakter des Krankl leits-
bildes kaum richtig zum Ausdruck bringen, da es sich ja offensiclitlic’.
um eine nach Art einer Sepsis verlaufende Krankheit handelt, bei de'
die einzelnen Symptome Urethritis, Konjunktivitis und Arthritis eb ens.
wie das hohe Fieber gleichgeordnete Folgen derselben Grundun ae'-t
sind.
Original fmrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
771
Aus dem Städtischen Krankenhaus zu Höchst a. M.
(Chefarzt: Sanitätsrat Dr. Schwerin.)
Ueber zwei eigentümliche Fälle von Febrie intermittens.
Von Dr. H. Fendel, I. Assistent der inneren Abteilung.
Im Herbst vorigen Jahres hatten wir Gelegenheit, 2 bemerkens¬
werte Fälle von nach Art der Intermittens quotidiana verlaufender
fieberhafter Erkrankung zu beobachten, welche auch für die zu Rate
gezogenen Spezialepidemiologen soviel Eigenartiges und Ueber-
raschendes darboten, dass eine Veröffentlichung gerechtfertigt ist.
ln beiden Fällen handelt es sich um Personen, die niemals in einer
malariaverdächtigen Gegend gewesen waren und offenbar in ihrer
Heimat infiziert worden sind.
Zunächst die beiden Krankengeschichten;
1. Fall; Die 33jähr, Ehefrau E. N. aus Nied a. M. suchte am 13. Sep¬
tember 1920 Hilfe in unserem Krankenhaus, nachdem sie 6 Tage zuvor ganz
unvermittelt plötzlich mit Schüttelfrost und hohem Fieber erkrankt war.
Dieser Anfall von Schüttelfieber hatte sich in den folgenden Tagen jeden
Nachmittag um 2 Uhr wiederholt, ca. l Stunde angehalten und unter Schweiss¬
ausbruch geendet. In den Intervallen war die Kranke völlig lieber- und
beschwerdefrei.
Bei der Aufnahme waren von greifbaren Feststellungen nur eine deutlich
sichtbare Anämie und ein erheblicher Milztumor, sonst kein von der Norm
abweichender Organbefund vorhanden. Im Blut: 80 Proz. Hämoglobin,
morphologisch nur die Zeichen einer sekundären Anämie und eine Lympho¬
zytose von 35 Proz. Auch im „dicken Tropfen“ gelang es uns nicht, Plas¬
modien oder irgendwelche auf Blutparasiten verdächtige Elemente aufzu¬
finden. Nachdem unter unserer Beobachtung noch zwei typische Fieber¬
anfälle aufgetreten waren, begannen wir mit der Darreichung von Chinin in
der Dosis von 4 mal täglich 0,3. Zu unserer Ueberraschung blieb schon am
nächsten Tag nach Beginn dieser Therapie das Fieber aus. ln den folgenden
Tagen blieb die Kranke dauernd anfallsfrei, die Temperatur blieb dauernd
normal und der Milztumor bildete sich innerhalb 8 Tagen bis zur palpatori-
schen Unnachweisbarkeit zurück. In dieser Zeit hatte sich die Kranke restlos,
erholt und konnte 10 Tage nach der Aufnahme das Krankenhaus völlig genesen
verlassen. Wir haben uns kürzlich davon überzeugt, dass sie auch inzwischen
gesund geblieben ist.
2. Fall: Der 48jähr. Dreher Ph. B. aus Höchst a. M. wurde am 28. Sep¬
tember 1920 bei uns eingeliefert. Seit 8 Tagen hatte er täglich um 11 Uhr
vormittags seinen Fieberanfall, der nach einer Stunde mit einem Schweiss¬
ausbruch seinen Abschluss fand. Beginn der Krankheit gleichfalls ganz un¬
vermittelt aus völliger Gesundheit heraus. Verlauf und Befund im übrigen
genau wie beim 1. Fall. Leider auch hier vergebliche Blutuntersuchung auf
Parasiten. Nach 4 mal 0,3 Chinin Ausbleiben der Anfälle, RückTjildung des
Milztumors, rasche Genesung.
Folgende Umstände waren bei den völlig gleichartigen Fällen in
gleichem Masse auffällig;
1. der tägliche Anfall bei beiden Fällen (bei echter Malaria ist be¬
kanntlich der Quotidianatypus der seltenste).
2. die ausserordentliche Benignität und prompte Reaktion auf die
kleinen Chiningaben.
3. die Tatsache der autochthonen Infektion.
4. die Unnachweisbarkeit der Erreger.
Auf den letzten Punkt jedoch wollen wir kein grosses Gewiclit
legen, weil wir nicht bezweifeln, dass andere Untersucher im Nachweis
der Parasiten vielleicht glücklicher gewesen wären wie wir.
Trotz der angeführten merkwürdigen Begleitumstände war für uns
an der Auffassung der beiden Erkrankungsfälle als Malaria, oder a 1 s
nach dem Typus derFebris intermittens quotidiana
verlaufender Blutinfektion kein Zweifel. Die Fieberanfälle,
der Milztumor, die Vermehrung der einkernigen weissen Blutzellen, die
Wirksamkeit des Chinins bilden ein Syndrom, das bisher nur für Ma¬
laria bekannt war.
Mitteilungen über ähnliche Fälle sind unseres Wissens bisher nicht
veröffentlicht worden.
Für den berufenen Kenner auf dein Gebiet der epidemischen Krank¬
heiten dürfte unsere Mitteilung von Interesse, für den praktischen
Therapeuten hinsichtlich seines ärztlichen Handelns gegebenenfalls von
Wichtigkeit sein. _
Aus der Medizinischen Klinik der Universität Breslau.
(Direktor: Qeh. Med.-Rat Prof. Dr. Minkovski.)
Ueber das Vorkommen gashaltiger Leberabszesse.
Von Dr. P. Schenk, jetzt Medizinische Poliklinik Marburg.
Trotzdem eine ausgedehnte Literatur über Leberabszesse vor¬
handen ist, sind gashaltige Leberabszesse äusserst selten, in der
deutschen Literatur meines Wissens noch gar nicht beschrieben worden.
Le Den tu‘) beschrieb 1908 zwei Fälle von gashaltigem Leberabszess
nach Magendarmaffe'ktionen, Couteaud*) einen als Folge einer
Kommunikation des Abszesses mit einem Bronchus, D ö v ö und Grie¬
singer®) berichten über gashaltige vereiterte Echinokokkusblasen in
der Leber, und Lenk*) teilte kürzlich einen auch röntgenologisch nach¬
weisbaren gashaltigen Leberabszess infolge Granatsplittersteck¬
schuss mit.
An unserer Klinik wurden 2 Fälle dieser Art beobachtet und sowohl klinisch
als auch röntgenologisch der Gasgehalt der Abszesse nachgewiesen. Der erste
’) Revue de Chir. 38. 1908. S. 305 und Bull, de TAcad. de Med. 1908
H. 28 S. 683. ®) Bull, de l’Acad. de Med. H. 24.
Revue de Chir. 2. 1907. N.529/818. *) W.m.W. 1917 Nr. 8.
Digitized by Goiisle
Fall, dessen Krankengeschichte wir etwas genauer wiedergeben möchten,
betrifft einen 37 jährigen Beamten, der früher nie krank und nie ausserhalb
Deutschlands gewesen war. Am 9. Vlll. 1920 empfand er — angeblich
infolge Genuss verdorbenen Fleisches — Uebelkeit, allgemeine Mattigkeit
und Trockenheit im Munde. Gleichzeitig hatte er Magendrücken und konnte
in der Nähe schlecht sehen, insbesondere nicht lesen. Geringer Durchfall.
Die Beschwerden wurden — abgesehen von den sich wieder zurückbildenden
Sehstörungen — in der nächsten Zeit stärker.. Am 6. IX. Schüttelfrost, ebenso
an den folgenden Taeen.
15. IX. 20. Aufnahme in die Klinik. Beschwerden: Ständiges
Druckgefühl in der rechten Oberbauchgegend, grosse Mattigkeit. Keine
Schmerzen.
Befund: Grosser, kräftig gebauter Mf-n. sehr matt. Subikterischc
Verfärbung der Haut und der Skleren. Schleimhäute schlecht durchblutet.
Liegt gerade, kann sich gut bewegen. Zunge belegt. Lungen: Klopfschall
beiderseits gleich. Untere Lungengrenze rechts hinten in Höhe des 9. Brust¬
wirbels, wenig verschieblich, links hinten in Höhe des 11. Brustwirbels gut
verschieblich. Bläschenatmen ohne Nebengeräusche. Herz. o. B. Leib weich
und eindrückbar. Leber druckempfindlich, überragt den Rippenbogen in der
Brustwarzenlinie um 2 Ouerfinger. Milz nicht zu fühlen, perkutorisch jedoch
vergrössert. — Extremitäten und Nervensystem o. B. ^ Urin: Alb. negativ,
Urobilin und Urobilinogen stark positiv. — Temperatur 38,8®. — Blut¬
befund; Hgl. 50 Proz. (Sahli). 3 940 000 Erythrozyten, 21100 Leukozyten
im Kubikmillimeter. Qualitatives Blutbild: 80 Proz. neutrophile Leukozyten,
19 Proz. Lymphozyten. 1 Proz. Eosinophile.
17. IX. Röntgendurchleuchtung: Rechte Zwerchfell¬
kuppe steht 3 Ouerfinger höher als die linke. Höchster Punkt in der
Nähe der Brustwand. Rechtes Zwerchfell rollt wenig ausgiebig
a b. Sinus phrenicocostalis frei.
18. IX. Bisher unregelmässiges Fieber um 38 “• Heute drei Schüttel¬
fröste mit Temperaturanstieg auf 40,2®. Blutkultur steril. Widal für Typhus,
Paratyphus, Ruhr negativ. Malariaparasiten nicht nachweisbar, auch kein
für Malaria sprechendes Blutbild. 7300 Leukozyten im Kubikmillimeter.
22. und 23. IX. je ein heftiger Schüttelfrost. Grosse Mattigkeit. Sep¬
tisches Aussehen. 11 400 Leukozyten im Kubikmillimeter. Verschiebung des
Blutbildes nach links (8 Proz. iueendliche neutrophile Leukozyten). Röntgen¬
durchleuchtung: Befund wie am 18. Rechtes Zwerchfell in den seitlichen
Partien höher stehend als nach der Mitte zu. rollt schlecht ab.
25. und 26. IX. je ein Schüttelfrost. Grosse Mattigkeit, sonst keine
Beschwerden. Blutkultur steril. Dämpfung hinten rechts unten bis zum
7. Brustwirbel gestiegen. Grenze nicht verschieblich. Im Bereich der
Dämpfung abgeschwächtes Atmungsgeräusch und abgeschwächter Pektoral-
fremitus. Probepunktion: seröses Exsudat. Vordere untere Lebergrenze wie
bei der Aufnahme in der Mammillarlinie 2 Ouerfinger unterhalb des Rippen¬
bogens, nicht mehr druckempfindlich. Milz perkutorisch etwas vergrössert.
Im Urin Reichlich Urobilin und Urobilinogen. Stuhl: Sanguis negativ. Bei
der Perkussion in Bauchlage zwischen Skapular- und hinterer Axillarlinie
tympanitischer Schall in Höhe der 8. und 9. Rippe, also
an derselben Stelle, an welcher im Sitzen Dämpfung
vorhanden ist. Probepunktion im 8. Interkostalraum in der hinteren Axillar¬
linie im Sitzen: schokoladenfarbener, stark stinkender Eiter. Enthält massen¬
haft Leukozyten und verfettete Leberzellen. Kulturen (auch Anaerobier¬
kultur) steril.
Röntgendurchleuchtung: Derselbe Befund wie früher. Man sieht schein¬
bar in der Leber eine etwas dunklere Stelle (Abszess?). Röntgenaufnahle:
Unterhalb des r. Zwerchfells eine kleinapfelgrosse Aufhellung
mit horizontaler unterer Begrenzung (Flüssigkeitsspiegel).
Diagnose: Leberabszess. Durchbruch. Subphrenischer Ab¬
szess. Pleuritis sympathica.
28. IX. Operation (Prof. C o e n'e n): Resektion der 8. und 9. Rippe
rechts, Durchtrennung der Pleura pariet. und des Zwerchfells. Leberober¬
fläche glatt und spiegelnd. Punktion und Spaltung der Leber. Es
entleert sich massenhaft (ca. 2 Liter) schokoladenfarbener, unter
hohem Druck stehender und mit Gasblasen untermischter, sehr
stinkender Eiter. Einlegen von 2 Drains.
In den nächsten Tagen Besserung des Allgemeinbefindens, keine Schüttel¬
fröste mehr. — Eiter steril, auch Anaerobierkultur.
3. X. Verschlechterung des Allgemeinbefindens. Dämpfung über der
rechten Lunge vom 6. Brustwirbel ab. Punktion: Entleerung von 200 ccm
trübserösen Exsudates.
7. X. Schnell zunehmende Schwäche. Temp. zwischen 38 und 39®,
jedoch seit der Operation keine Schüttelfröste mehr. Trübung* des Be¬
wusstseins. 8. X. Exitus.
Sektion (Dr. A. Ladwig): Pleuritis fibrino-purulenta beiderseits,
je 100—150 ccm Exsudat in jeder Brusthöhle. Herz o. B. In der linken
Lunge 4 walnussgrosse Abszesse. Leber von normalei
Grösse und braunroter Farbe. Fast der ganze rechte Leber¬
lappen wird von einer mit schmierigen Massen ausgekleideten Ab¬
szesshöhle eingenommen. Ausserdem sind noch einige erbsen-
bis kirschgrosse Abszesse vorhanden. Der linke Leberlappen ist frei. Die
grösseren Gallengänge sind frei von entzündlichen Erscheinungen, die Pfort¬
ader desgleichen. In der Gallenblase dunkle Galle, keine Konkremente. Die
abführenden Gallenwege sind frei. — Magen, Duodenum, Pankreas, Becken¬
organe 0 . B. Keine Thrombose der Prostatavenen. Im Darm keine Resi¬
duen dysenterischer Prozesse. Appendix o. B. — Milz etwas vergrössert,
schmierig. —
Gehirn: Haselnussgrosse Abszesse im Gyrus centralis
ant. dexter und im Polus temporalis dext., im Gyrus cinguli und am Boden
des linken Seitenventrikels. Meningen zart und ohne Trübung. Kein Hydro¬
zephalus. — Mikroskopische Untersuchung der Leber: Die
Wandung des Leberabszesses besteht aus einer lockeren Bindegewebsschicht.
die nach der Höhle zu mit nekrotischen Massen belegt ist. Die Gallengänge
zeigen an den vom Abszess etwas entfernten Stelle^ keine entzündlichen
Infiltrationen.
HervorziAieben ist aus der Krankengeschichte das Fehlen von
Schulterschmerz, Schmerzpunkteai ln der Lebergegend und irgend einer
Haltungsanomalie. Die häufig vorhandene Beugung nach rechts fehlte
völlig, Pat. konnte sich vielmehr nach allen Richtungen hin ohne be¬
sondere Schmerzen bewegen. Das Fieber war intermittierend, ähnlich
Origihal frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
772
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
dem bei Malaria. Das Blutbild zeigte eine mässige Leukozytose und
die von Schilling®) als auch für Leberabszesse sehr bezeichnend
beschriebene Verschiebung des Blutbildes nach links. Höchst wichtig
war jedoch vor allem die Feststellung des Schallwechsels bei Lage¬
veränderung. Griesinger hat schon 1860 — wie uns erst nachher
bekannt wurde — ln vereiterten Echinokokkuszysten den Wechsel der
gashaltigen Zone je nach der Lage des Kranken festgestellt und auch
D 6 V e fand Schallwechsel bei Lagewechsel.
Diese klinisch festgestellte Luftansammlung im Abszess kam im
Röntgenbilde als kleinapfelgrosse Aufhellung mit horizontaler unterer
Begrenzung innerhalb des Leberschattens zum Ausdruck.
Bedeutung stärker "und röntgenologisch viel deutlicher zum Aus¬
druck kommend war die Qasansammlung in einem zweiten von uns
beobachteten Fall, in dem ein Schrapnellsteckschuss in der Leber einen
Leberabszess mit faustgrosser Luftblase inj Leberschatten zur Folge
hatte. Das Röntgenbild hat K. Justi®) veröffentlicht. — Der von
Lenk mitgeteilte gashaltige Leberabszess war gleichfalls Folge eines
üranatsplittersteckschusses und zeigte im Röntgenbild gleichfalls einen
deutlich sichtbaren Aufhellungsherd im Leberschatten mit horizontalem
Flüssigkeitsspiegel. .
Bei derartigen Gasansammlungen in der Leber hat das Röntgenbild
naturgemäss grosse Aehnlichkeit mit dem beim Pyopneumothorax sub-
phrenicus (Leyden) gewonnenen und muss zu Verwechslungen Anlass
geben, insbesondere, da letzterer bedeutend häufiger als der gashaltige
Leberabszess ist. (Ein Viertel bis die Hälfte aller subphrenischen Ab¬
szesse ist gashaltig!) Der Schallwechsel wird sich naturgemäss beim
Pyopneumothorax subphrenicus mindestens ebensogut nachweisen
lassen und wies auch in unserem Falle auf das Bestehen eines solchen
hin. Hier kann neben Anamnese und klinischem Befund nur die Probe¬
punktion (leberzellhaltiger Detritus) die Diagnose klären.
Die Genese des Abszesses im 1. Fall und die Ursache seiner
Gashaltigkeit aufzuklären, hält sehr schwer. Die häufigsten ätiologischen
Momente (Ulcus ventriculi, Gallensteine, Appendizitis, Dysenterie,
Thrombose des Plexus prostaticus, Pylephlebitis) fehlten. Wir müssen
daher wohl die in der Anamnese vorliegende, ärztlicherseits bestätigte
Fleischvergiftung als Ursache annehmen. Dem Berichte und klinischen
Verlauf nach handelte es sich nicht um Botulismus, sondern um eine
durch Bakterien der Enteritisgruppe (Paratyphus B, Enteritis Gärtner etc.)
hervorgerufene Erkrankung (der Paratyphus-Widal war jedoch negativ).
Von der erkrankten Magenschleimhaut aus sind dann gasbildende Erreger
auf dem Gallen- oder auf dem Lymphwege in die Leber gewandert.
Leider blieben unsere Kulturen, auch die Anaerobierkultur, wie so häufig
in diesen Fällen, steril.
Bemerkenswert war ferner im ersten Fall das Vorhandensein von
Lungen- und Hirnabszessen, die durch Einbruch von Keimen in die
Lebervenen — Hepatophlebitis Orth — entstanden sein dürften.
Auf Grund unserer Erfahrung möchten wir empfehlen, bei Leber¬
abszessen die Perkussion der Leberdämpfung unter
Lagewechsel, insbesondere in Bauchlage, vorzunehmen,
und auf der Röntgenplatte (nicht nur auf dem Fluoreszenzschirm) auf
Aufhellungsherde im Leberschatten zu achten.
Aus der Med. Abteilung des Städt. Krankenhauses r. d, 1.
München. (Leit. Arzt: Prof. Dr. Q. Sittmann.)
lieber Diphtheriebazillen im Auswurf.
Von Dr. Hermann Lippmann, Assistenzarzt.
Im vergangenen Jahr sahen wir hier im Krankenhaus einen Fall,
dessen Veröffentlichung uns wegen der Schlussfolgerungen, die man
aus dem Befund ziehen muss, geboten erscheint. Die 18 jährige Kranke
wurde aus dem Sanatorium H., wo sie seit PA Jahren wegen einer
offenen Lungentuberkulose in Behandlung stand, der Infektionsabteilung
des Krankenhauses überwiesen, da sich im Auswurf zahlreiche Di¬
phtheriebazillen fanden.
Familienanaranese o. B.
Als Kind mit 6 Jahren Dipththerie; sie wurde damals zu Hause be¬
handelt, eine Serumeinspritzung wurde nicht gemacht.
Später oft Halsentzündung: Auf Diphtheriebazillen wurde nie gefahndet.
In der Schule kam nie eine Diphtherieepidemie vor. Es fehlen alle Anhalts¬
punkte dafür, dass sie je ein Kind diphtherisch angesteckt hat.
Seit 1917 lungenleidend. Sie wurde zeitweise im Krankenhaus, zu Hause
und in der Lungenfürsorgestelle behandelt. Januar 1919 kam sie ins Sana¬
torium H. Die Kranke klagt über Stechen auf der Brust, Husten. Auswurf;
keine Nachtschweisse. Keinerlei Hals- oder Schluckbeschwerden. Kräftiger
Körperbau. Oute Muskulatur. Rachenorgane ohne jede Röte oder Schwel¬
lung. Mandeln klein, ohne Pfröpfe. Keinerlei Belag sichtbar, Untersuchung
der Nase, des Nasenrachenraumes, des Kehlkopfes ergibt völlig normalen
Befund. Ueber dem rechten Lungenoberlappen, hinten bis zur Schulterblatt¬
gräte, vorn bis zur 2. Rippe mässige Dämpfung. Darüber unbestimmtes
Atemgeräusch mit reichlich klein- und mittelblasigen, grossenteils klingenden
Rasselgeräuschen. Uebrige Organe ohne krankhaften Befund. Auswurf
schleimig-eitrig, wenig geballt; keine Membranteile; keine Blutbeimischung.
Mikroskopisch massenhaft Tuberkelbazillen und Diphtheriebazillen. Im
Rachen- und Nasenabstrich trotz wiederholter, auch kultureller Untersuchung,
keine Diphtheriebazillen, Der Befund hat sich April 1921, 11 Monate nach
der ersten Untersuchung, nicht geändert; insbesondere sind die Diphtherie¬
bazillen in jedem Auswurfballen reichlich nachweisbar.
®) Mense: Hb d. Tropenkrankh. 2. S. 103.
®) Mense: Hb. d. Tropenkrankh. -1. 1. Hälfte. S. 5b.
Digitized by Goüsle
Die auf Löfflerserum gezüchteten Bazillen verhielten sich in ihrem
färberischen Verhalten (Gram- und Polkörnchenfärbung), ferner in ihrem
kulturellen Wachstum (Kolonieform, Häutchenbildung, anaerobes Wachstum.
Säurebildung) durchaus wie Diphtheriebazillen. Gegen Meerschweinchen
erwiesen sie sich bei mehrfacher Prüfung als nicht virulent. In Hottinger-
bouillon wurden keine Toxine gebildet.
Es handelt sich also um eine Kranke, die im Krankheitsherd einer
offenen Lungentiiberkulose massenhaft avirulente und kein Toxin bil¬
dende Diphtheriebazillen beherbergt.
Die Bazillen werden sicher seit 11 Monaten, wahrscheinlich schon
bedeutend länger in beträchtlichen Mengen ausgehustet.
Es ist allgemein bekannt, dass bei der Rachendiphtherie die Ba¬
zillen in einem grossen Teil der Fälle bis tief in die Bronchien, ja selbst
bis in die Lunge'hinein Vordringen.
Reye fand unter 67 an Diphtherie verstorbenen Kranken 56mal
Diphtheriebazillen im Lungengewebe. 12 mal wurden die Bazillen aus
vollständig unveränderten Lungen nach Ablauf der Erkrankung gezüchtet.
Ebenso weist Kutscher auf das Vorkommen von Diphtheriebazillen
in den Lungen von an Diphtherie Verstorbenen hin. Trotzdem liegen
über das Vorkommen von Diphtheriebazillen im Auswurf bisher nur ganz
vereinzelte Berichte vor. ln der Arbeit von Ne iss er und Ginz
im Handbuch der pathogenen Mikroorganismen von K o 11 e und
Wassermann fehlt sogar jeder Hinweis auf diese Tatsache.
Diphtheriebazillen als Erreger akuter Lungenentzündung mit auf-
steigender Bronchotracheitis und akuter fötider Bronchitis wiesen
David und Beyer nach.
Petruschky fand nach dem Ueberstehen einer Diphtherie ini
Aufwurf von 2 Kranken einmal 3 Monate, das andere Mal 3 Jahre lang
Diphtheriebazillen.
Schmidt konnte 10 Jahre hindurch im AQswurf eines Falles von
chronischer, interstitieller Pneumonie eine Reinkultur von Diphtherie¬
bazillen nachw'eisen. Rachenabstrich stets frei von Diphtheriebazillen.
Keine Tuberkelbazillen. Die Bazillen erwiesen sich Meerschweinchen
gegenüber, wie auch in unserem Falle, als avirulent. 36 ständige Kultur
toxinfrei. Kulturell und färberisch echte Diphtheriebazillen.
Es muss mit allem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass
Diphtheriebazillen monate- und jahrelang im Auswurf Vorkommen
können. Von vornherein besteht kein zwingender Grund, anzunehmen,
dass diese Bazillen bei längerer Verweildauer in den Lungen Virulenz
und Giftbildungsfähigkeit einbüssen. Doch scheint es nach dem von
Schmidt und jetzt von uns mitgeteilten Fall die Regel zu sein.
Solange aber die Möglichkeit offen steht, dass Personen mit Di¬
phtheriebazillen im Auswurf als Weiterverbreiter oder als Bazillen¬
träger in Betracht kommen, sollte eine Untersuchung des Auswurfs
gegebenen Falles ebensowenig unterbleiben, wie wir heute auf Unter¬
suchung des Rachen- und Nasenabstriches verzichten.
Die Untersuchung zukünftig zur Beobachtung kommender Fälle
darf sich aber nicht nur auf den mikroskopischen und kulturellen Nach¬
weis beschränken, sondern muss auch Giftbildungsfähigkeit und Virulenz
der Bazillen berücksichtigen. Ferner ist darauf zu achten, ob nicht
durch Ueberimpfung avirulenter und kein Toxin bildender Bazillen auf
nicht immune Individuen' Virulenz und Toxinbildungsfähigkeit wieder
auftreten können. Bei unserem Fall Hess sich ein derartiges Verhalten
trotz genauer Nachfo/schung nicht erweisen.
Literatur. *
Reye; M.m.W. 1912 Nr. 44. — Kutscher: Zschr. f. Hyg. Bd. 18. —
Beyer: B.kl.W. 1912 Nr. 44. — D e r s.: M.m.W. 1914 Nr. 1. — S c h m i dt;
M.m.W. 1913 Nr. 1. — David: M.m.W. 1913 Nr. 42. — Petruschky:
Gesundheit 1912 Nr. 1 u. 2.
Aus der Universitäts-Kinderklinik zu Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Noeggerath.)
Oie Pändysche Reaktion zur Erkennung der Meningitis
tuberculoea der Kinder.
Von Dr. Erich Widmaier.
Päiidy [1] hat im Jahre 1910 eine Eiweissprobe für die Unter¬
suchung der Zerebrospinalflüssigkeit angegeben, die sich durch beson¬
dere Einfachheit in Ausführung und Beurteilung auszeichnet.
Diese Probe besteht darin, dass man zu etwa 1 ccm konzentrierter
Karbolsäure (1 ' Teil Acid. carbol. cryst. + 15 Teile Wasser) einen
T r 0 p f e n Zerebrospinalflüssigkeit gibt.
Ueberall, wo sich die zwei Flüssigkeiten berühren, entsteht ln einigen
Sekunden eine rauchwolkenähnliche, bläulichweissc Trübung, als ein Zeichen
davon, dass in dem betreffenden Liquor leicht fällbare Eiweissstoffe (Globu¬
line, wie P ä n d y annimmt) in pathologischer Menge sich befinden.
Ursprünglich vor allem zur Diagnose der Geisteskrankiieiten be¬
stimmt, wurde diese Reaktion zuerst von Romiiiger \2] bei Kindern
angewandt, wobei er fand, dass sie besonders bei der Erkennung der
kindlichen, tuberkulösen Hirnhautentzündung wichtige Dienste leistet.
Es sind nun im folgenden die weiteren Fälle, bei denen seit dem
Erscheinen der Schrift Romingers die Päiidy sehe Reaktion an der
Freiburger Kinderklinik Verwendung gefunden, hat, gesammelt und zu¬
sammengestellt worden.
Während bei diesen 6 Fällen die Pändysche Reaktion im wesent¬
lichen zur Bekräftigung der schon gefundenen Diagnose einer Meningitis
tuberculosa gedient hat, ist sie in der folgenden zweiten Gruppe von
Fällen ein ausschlaggebendes Mittel zur Erkennung der einzelnen Er-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNfA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
773
Lfd.
Nr.
Name u. Krankengeschichte
Lumbalpunktion
Bemerkungen
1.
P. K. Kr.-Bl. Nr. 87/1919. Seit 10 Tagen Fieber, Mattigkeit, Appetitiosigk-eit.
Erbrechen, aber keine Klagen. Babinskl -f- Faziaus -f- Brudzinski
Pändy — am 11 . Krankheitstag
Pändy -f a. 12 . Krankheitstag.
830 mm Druck Klarer Liquor,
nach 24 Std kein Gerinnsel.
Tod a. 14. Krankheitstag. Am 13. Krankheitst. Röntgen¬
aufnahme, die Miliar^bk. der Lungen zeigt.
2.
H. M. Kr.-Bl. Nr. 326/1920. Nackenstarre. AUgem. Hyperästhesie. Klonische
Zuckungen. Sofortisre Lumbalpunktion. Brudzinski+4-- Kernig-f-. Oppen¬
heim -f-. Cheyne-Stokes’scbes Atmen. Stauungspapille.
Pändy -t~f- ungef. am 7. Kr.-t'g,
100 mm Druck. 110 Zellen.
Spinnwebgerinnsel.
Tod am lo. Krankheitstag. Sektion ergibt basale Menin¬
gitis. Keine miliare Aussaat in den Lungen.
3.
F. M. Kr.-Bl. Nr. 885/1919. Verdacht auf Men. tbc. Sofortige Lumbalpunktion.
Röntgenplatte o. B. Im Liquor keine Bazillen. Flockenlesen. Stauun«-
papilTe. Spätere, nochmalige Röntgenaufnahme zeigt Miliar-Tuberk. der
Lungen. Nonne-Apelt’sche Reaktion ist fraglich.
Pändy -1- ungerähr am 7. Kr.-Tg.
^ Druck 600. 27 Zellen.
'i od am 12. Krankheitstag. Sektion bestätigt die Diagnose
Meningitis tuberulcosa.
4
H. St. Kr.-Bl. Nr. 791/1919. Nächtliches Aufschreien. Heber. Mürrische Laune.
Verstopfung. Leichte Benommenheit. Stauungspapille. Röntgenaufnahme
zeigt keine Miliar-Tuberk. Ross-Jones’sche Ringprobe üt fraglich.
Pändy ;-|-f an zwei verschied.
Tagen.SOOmmDmek 600 Zellen.
Bakteriologische Untersuchung ergibt Tbk im Tier¬
versuch, aber erst 2 Tage vor d Tod. Sektion eigibt
typische tuberkulöse Meningitis.
5.
K. M. Kr.-Bl Nr. 262/1920. Häufig Erbrechen nüchtern am Morgen. Azeton¬
geruch. Brudzinski -f. Fazialis Keine meningitischen Symptome.
Später Nackenstarre. Druckpuls.
Pändy -f. Druck 110. Klarer
Liquor.
Sektion typische Basilar-Meningitis Aeltere, nicht sehr
reichliche Ausaaat einer Miliar-Tbk. der Lunge.
6
K. B Kr,-Bl. Nr. —/1920. Beginn mit Kopfweh. Fieber. Erbrechen. Flocken¬
lesen. Chejme-Stokes’sches Atmen. Aufseufzen. Venektasien der Wangen.
Pändy -f-. Spinnwebgerinnsel
Klarer Liquor.
Sektion bestätigt die Diagnose; Meningitis tuberculosa.
7.
A. B. Kr.-Bl Nr. 585/1919. Vorgeschichte ergibt keine Tuberkulose in der
Familie. Nackenstarre ist angedeutet. Brudzinski -f-. Temperatur 88,6.
Scblafneigung Im Verlauf Erbrechen und Krampfe.
Pändy —. 9o mm Druck. Keine
Zellen.
Nach 8 Tagen geheilt entlassen. Rückblickend wird die
Diagnose Meningitis serosa unklarer Herkunft gestellt.
8.
H. 1. M. Kr.-Bl. Nr. 280/1920. Eingeliefert wegen Keuchhusten u. Pneumonie
Freies Sensorium, aber unruhig u. schreckhaft. Zunge belegt. Fontanellen
stark gespannt, Üeber der Lunge r. h. Schallverkiirzung u. feinblasiges
Rasseln. Diagnose: Bronchopneumonie. Im Verlauf klonische Krämpfe.
Temperatur 89—40*. Zyanose.
Pändy —. 660 mm Drack wird
auf 260 mm abgelassen.
Tod unter Krämpfen. Sektion ergibt Bronchopneumonie.
Pleuritis. Keine Erkrankung der Hirnhäute. Diagnose:
Meningitis serosa ün An schloss an Bronchopneumonie.
T"
H. F. Kr.-Bl Nr. 32/1920. 6 M Monate alter Knabe. Früher Lungenentzündui^
Von 6 Geschwistern 4 gestorben Aufnahme wegen Stridor. Schreck¬
krämpfe. Arme hypertonisch. Kopf wird hintenübergeneigt gehalten.
Motorische Unruhe. Verdrehen d. Augen. Klon. Krämpfe Temper, üb. 88®.
Pändy —. 250 mm Druck.
Im Verlauf Nachlassen der Krämpfe. Kein Fieber mehr.
Wird in gebessertem Zustand von der Mutter aus der
Klinik g^olt.
TöT
J. I. Kr.-Bl. Nr. 253/1920: Aufnahme wegen Krämpfen Geschwister an Pthise
gestorben Benommenheit. Hält den Kopf stark rückwärts gebeu^ Un¬
deutliche Nackenstarre. Temperatur 89®, Puls 120. Krämpfe mit Schaum
vor dem Munde.
Pändy —. Druck 200 mm. Klarer
Liquor.
Im Verlauf Besserung 4. Befindens. Krämpfe hören auf.
Nach 14 Tagen geneilt entlassen.
TiT
R. S. Kr.-Bl. Nr. 61/1920. 4 Monate alter Knabe wird in bewusstlos. Zustand
und mit auffallender Unruhe gebracht. Grelle Aufschreie. Das Kind
„himmelt^. Träge J'upillenreaktion. Nasenflügelatmen. Eigastrisebe Ein¬
ziehungen Leib eingesunken. Temperatur 88.6® Puls 110.
Pändy —.
Im Verlauf: Erbrechen von Blut. Starke Zyanose, l'od.
Sektionsbericht lantet: Bronohopneumonie, nichts von
einer ABektion der Himhänte.
18.
K. F. Kr.-Bl. Nr. 711920. 9jähr. schwächlicher Knabe. Sehr schlechW
Ernährungszustand. Apathie. Liegt mit angezogenen Beinen im Bett
Schlafsucht. Zunge nicht belegt, nicht typhös. Bauch eingesunken. Milz
eben fühlbar. Einige Roseolen, tm Ham keine Diazo-Reaktion. Im Blut
6800 Leukoz. Temper. 40,6® Puls 180.
Pändy —. Druck 170 mm. Klar.
Verlauf: Benommenheit. Aus dem After läuft Blut.
Widal -f. Zähneknirschen. Ileozökal-Gurren. Später
Besserung. Schuppung. Die Krankheit verläuft als
Typhus ^dom., der bakteriolog. mehrfach festgest.
w^ mit zwei Rezidiven zur Heilung.
18
F. H. Kr.-Bl No. 277/1920. Vom Arzt wegen Typhus abdominalis eingewiesen.
7 jähr. Junge. Anathiech. Auf der Bauebhaut Roseolen. Zunge
schmierig streifig belegt. Temp. 89,4® Puls 90. Leukopenie. 8800 Leukoz.
MHz 8 (^erflngei* unter dem Rippenbogen fühlbar. Stuhl weich gelb¬
braun. Diazo-| . Brudzinski—. Diagnose wird auf Thypbus »l»d. gestellt.
Pändy -f. Dnick 200 mm.
32 Zellen.
Verlauf: Widal — ln Stuhl und Ham keine Typhus-
Bazillen. Dikroter Puls. Lässt Stuhl und Urin unter
sich. Zähneknirschen. Babinski -f-. Oppenheim -|-
Neuer Schub Roseolen. Tödlicher Ausgang. Sektion :
Miliar-Tbk Knötchenaussaat an der Basis des gehims.
krankuiigen, wie Ja von Rom in ge r gerade dem negativen Ausfall
der Reaktion der 'grösste Wert beigelegt wird.
Besonders anschaulich für den differentialdiagnostischen Wert der
Pändy sehen Reaktion sind die letzten beiden Fälle: einerseits Typhus
abd., der erst spät erkannt wurde, da keine typische Typhuszunge,
kein Milztumor, keine ausgesprochene Leukopenie und keine wesentliche
Puls-Temperaturdifferenz vorhanden war, während gerade dieselben
Krankheitszeichen bei einem Fall von Meningitis tuberculosa gefunden
wurden, dessen Diagnose ausserdem noch durch Roseolen und andere
dem Typhus abd. gemeinsame Zeichen erschwert wurde.
Diese seit der verhältnismässig kurzen Anwendung der Pändy-
schen Reaktion erhaltenen Ergebnisse bestätigen, was auch R o m i n g e r
bei den 15 von ihm veröffentlichten Fällen fand: dass bei Meningitis
tuberculosa der Kinder die Pändysche Reaktion stets positiv aus¬
fällt, und zwar meist schon am Ende des I. Stadiums der sensiblen
und sensorischen Erregung.
Einmal war die Reaktion negativ am vermutlich 11. Krankheitstage
und wurde positiv am 12. Krankheitstage. Als frühester Zeitpunkt wurde
2 mal der vermutlich 7. Krankheitstag ermittelt.
Ob sich zu noch früheren Zeiten „Globulin‘*vermehrung im Liquor
findet, lässt sich deshalb schwer feststellen, weil die Kranken meist
erst in späteren Stadien in klinische Behandlung kommen.
Dass die P ä n d y sehe Reaktion meist vor anderen, differential¬
diagnostisch in Betracht kommenden Untersuchungen zu erhalten war,
ist keine zufällige Erscheinung. Nicht nur, dass eine durch das Röntgen¬
bild nachweisbare miliare Lungenaussaat meist erst kurz vor dem Tode
erfolgt (Tafel I, 1 u. 3, sowie auch Rominger a. a. 0.), sondern es
spielen auch die rein praktischen Fragen der einfachen rascheren und bil¬
ligeren Handhabung dabei eine Rolie: Die Lumbalpunktion ist beim Kinde
ein ebenso einfacher Eingriff, wie etwa eine Pleurapunktion; die Aus¬
führung der P ä n d y sehen Reaktion entspricht einem Eiw’eissnachweis
im Harn. Gegenüber der bakteriologischen Untersuchung fällt der Zeit¬
gewinn noch mehr ins Gewicht, da bei dem namentiieh anfangs meist
spärlichen Vorkommen der Tuberkelbazillen im Liquor stundenlanges, oft
wiederholtes Durchsuchen oder gar mehrtägiges Bebrüten erforderlich ist.
In allen unseren Fällen war die P ä n d y sehe Reaktion konstanter
als Zell- und Druckvermehrung, Gerinnselbildung und ähnliches.
Auch in Fällen, bei denen die Nonne-Apeltsehe oder Ross-
Jone s sehe Ringprobe fraglich war, gab sie deutlich positive Antwort.
Durch ihren mehrfach negativen Ausfall konnte Meningitis tuberculosa
mit Sicherheit ausgeschiossen werden. Es sind nunmehr mit den R o -
mingerschen Fällen 21 Fälle von Meningitis tuberculosa, bei denen die
P ä n d y sehe Reaktion positiv war, während bis letzt kein Fall be¬
obachtet wurde, bei dem sie dauernd negativ blieb. Dagegen war sie
in 13 Fällen klinisch ähnlicher Erkrankungen stets negativ. Wenn
Schönfeld [3] fand, dass bei negativer Mastixreaktionjind negativer
Nr. 25.
Digitized b]
Gotigle
Phase-l-Probe die P ä n d y sehe Reaktion häufig positiv ausfiel, so rüh. i
das vielleicht daher, dass bei der grösseren Empfindlichkeit der letz¬
teren schon Spuren von beigemengtem Blut den positiven Ausfall be¬
wirken und somit einen positive Reaktion Vortäuschen. Es muss also
streng auf Blutfreiheit des Punktates geachtet werden.
Als Ergebnis dieser Untersuchung fassen wir zusammen:
An allen Kindern, bei denen typhöse Benommenheit, krampfartige
Anfälle, Bewusstseinstrübungen mit Fieber und andere unsichere An¬
zeichen einer schweren inneren Erkrankung das Vorliegen einer tuber¬
kulösen Hirnhautentzündung als möglich erscheinen lassen, empfiehlt es
sich dringend, die harmlose, billige, rasch und einfach auszuführende
Lumbalpunktion und P ä n d y sehe Reaktion anzustellen, durch deren
positiven oder negativen Ausfall im blutfreien Punktat die Diagnose
in Hinsicht auf Meningitis tuberculosa mit grösster Sicherheit klafrgestellt
werden kann.
Literatur.
1. Pändy: Neurol. Zbl. 1910 S. 1915. — 2. Rominger: M.m.W.
1919 S. 1381—84. — 3. Schönfeld: M.m.W. 1920 S. 482—84.
Aus dem Rudolfinerhause in Wien XIX
(Direktor: Dr. R. Qersuny.)
Eine Plastik bei Hypospadie.
Von Dr. Robert Niedermayr.
Die operative Behandlung der Hypospadie erstreckt sich haupt¬
sächlich auf 3 Arten dieser Missbildung:
1. Die Hypospadia glandis (die Hamröhrenöffnung liegt im Gebiete
der Unterseite der Eichel);
2. die Hypospadia penis (Unterseite des Penisschaftes);
3. die Hypospadia peniscrotalis und perinealis.
Zur Beseitigung der Hypospadie sind zahlreiche Operationsmetho¬
den angegeben, von welchen 3, jede In ihrer Art verschieden, angewen-
det werden:
1. die Methode der plastischen Lappenbildung;
2. die der Distension und Verlagerung der Urethra;
3. die der freien Transplantation.
Diese 3 Methoden kommen nicht für alle Arten der Hypospadie in
gleichem Ausmasse in Anwendung.
Die Aufgabe, die Hypospadia glandis zu beseitigen, wurde durch
die geniale Methode von Karl Beck- Newyork *) und vop Hacker
*) NewYork Medical Journal 15. Februar 1908 und Chirurg. Operations¬
lehre Bier-Braun-Kümmell. 4. O. Rumpel: Die Operationen der
männlichen Harnröhre.
4
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
774
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 21
endgültig gelöst. Dabei wird die Harnröhre gedehnt und durch die
tunnelierte (ilans durchgezogen. Das Bedürfnis der Verbesserung dieser
Methode besteht nicht. Nicht so bei den anderen Operationsmethoden.
Eür die schweren Formen der Penis- und Peniskrotalishypospadie
kommt die Methode der Verlagerung und Distension der Harnröhre
nicht in Erwägung.
Beim Harnröhrenersatz durch die freie Transplantation kommen
die Appendix und Venenstücke hauptsächlich in Betracht. Der ideale
Erfolg, von den Harnröhrenstümpfen aus eine vollständig und dauernd
mit Schleimhaut ausgekleidete Röhre zu bilden, ist bisher noch nicht
eindeutig sichergestellt. E. L e x e r schreibt in dem Kapitel „Die
freien Transplantationen. 1. Teil 1919, Ersatz der Harnröhrendefekte“,
wörtlich folgendes:
„Eine erfolgreiche Einheilimg der Schleimhaut ist weder bei Hetero-,
noch bei Homoplastik möglich, bestenfalls gibt es eine narbige Sub¬
stitution des eingepflanzten (jewebes und es ist ein ständiges Bougieren
nötig, um die derart ersetzte Harnröhre offen zu halten.“
I)ie Dauererfolge nach Verpflanzung der Appendix sind nicht so
wird mit 2 Nähten an den Rändern der perinealen Wunde befestig .
Für den glatten Verlauf der Wundheilung ist die Ableitung des Harne .
vom Operationsgebiete eine notwendige Vorbedingung. (In 2 Fälle i
der unten mitgeteilten Krankengeschichten waren durch mangelhaft ■
Ableitung des Harnes Störungen der Heilung beobachtet worden.)
Es folgt nun der erste Akt: Die Verkrümmung des Penis nach ab¬
wärts besteht, wie bekannt, in allen Fällen von Hypospadie. Dieselb ;
wird wie folgt beseitigt; Man legt durch die Haut der Glans an de •
Dorsalseite einen Fadenzügel. Zieht man daran, so streckt sich de •
Penis etwas und es spannt sich ein narbenartiger Strang an, der in de •
Fifrche zwischen den Corpora cavernosa liegt, wo normalerweise di:
Harnröhre ihre Lage hat. Dieser Narbenstrang verkürzt den Penis a i
seiner unteren Seite. Der Strang wird also sorgfältig exstirpiert, ati
vollständige Durchtreunung aller spannenden (lewebsstränge ist z i
achten, die Corpora cavernosa jedoch sind vorsichtig zu schonen. Nac i
Exzision dieses Stranges wird der Zug an der Glans noch wirksame'
und der Penis ist gerade gerichtet. Die lineare Wunde an der Unter¬
seite des Penis wird mit Katgut längsvernäht (s. Fig. 1).
Sebnittränder entstanden.
Fig. 4.
fl = vor, h = nach der Naht des unteren Wund-
randes.
zahlreich und ermutigend, dass man sich ausschliesslich dieser Methode
zuwenden wird*). Ich erwähne nur die Infektionsmöglichkeit vom
Transplantat, die Schwierigkeit der innigen Verklebung der Appendix
im Wundbette und ferner das so häufige Auftreten von Fisteln an den
Vcreinigungsstellen. In den allermeisten Fällen ist ausserdem das so
unangenehme Bougieren durch lange Zeit notwendig. Von einer wirk¬
lichen Dauerheilung kann man eigentlich nur in den seltensten Fällen
sprechen.
Aehnliche Schwierigkeiten gibt es beim Ersatz des Urethradefektes
durch Venenstücke. Dabei ist die schlechte Einheilung des Gefässstückes
(trotz Entfernung der Adventitia) in der Störung der ersten Verklebung
durch Blutungen aus dem Wundbette zu suchen. Ablösung und Aus¬
stülpung der Venenstücke *) sind leider häufige Erscheinungen. Eine
sehr vorsichtige Technik und lange Nachbehandlung ist stets notwendig.
Alle diese Erwägungen verlocken auch nicht zur steten Anwendung
dieser Methode.
Die Verfahren von Nov6-Josseran, ferner T u f f i e r und
T a n t 0 n etc., bei uns wenig geübt, führen meistens nicht zur vollen
Ausheilung.
Da alle‘vorher erwähnten Operationsmethoden selten zu einem
wirklich befriedigenden Dauererfolg führen, so greift man oft auf die
alte T h i e r s c h sehe und D u p 1 a y sehe Lappenplastik zurück, die
eigentlich für die Epispadieoperation erdacht ist. Die Mängel dieser
Methode sind ja bekannt.
Dr. Karl B e c k - Chicago, hat eine Lappenplastik bei Hypospadie¬
operation angegeben, wobei er die Präputialhaut zum Teil als Wand
der neugebildeten Urethra verwendet und darüber einen gestielten
Hautlappen legt. Die betreffende amerikanische Literatur ist mir leider
nicht zugänglich.
Bei der Operation der Hypospadie, die von Gersuny schon vor
Jahren in einigen Fällen mit befriedigendem Erfolge ausgeführt wor¬
den ist, wird bei der Bildung der Harnröhre ein anderer Weg ein¬
geschlagen, als bei den bisher bekannten Methoden. Diese Hypospadie¬
plastik wurde bisher noch nie veröffentlicht, so dass eine eingehende
Darstellung am Platze zu sein scheint.
Die plastische Operation der Hypospadie sec. Gersuny wird zwei¬
zeitig ausgeführt. Bei der ersten Operation unterscheiden wir 3 Akte
und einen Vorakt. Dieser besteht aus der typischen Urethrostomia
externa (Sectio perinealis). Der Katheter, der in die Blase mündet,
*) Axhausen: lieber die Aussichten der Appendixüberpflanzune bei
der Hypospadieoperation. IVkI.W. 1918 Nr. 45.
■*) V. Eisei sberg: Venentransplantation zum Ersatz der Harnröhre
bei Hypospadie. Chir. Kongr. Verhandlung 1911.
Hierauf folgt der zweite und wichtigste Akt, nämlich die Bildung
der Urethra. Der Beschreibung dieses Aktes muss ich einige Worte
vorausschicken:
Das Ziel ist die Bildung eines mit Epidermis oder Epithel aus¬
gekleideten Kanales, wie es z. B. bei Verwendung der Appendix an¬
gestrebt wird. Dies kann auch erreicht werden, w'enn man nicht ein
bereits bestehendes Rohr transplantiert. Bei der Erwägung, dass aus
einem Haut- oder Schleimhautstreifen, der von wundem Gewebe um¬
geben ist, sich durch die Wundheilung nach und nach ein Rohr bildet,
entdecken wir einen neuen Weg zur plastischen Bildung einer Harn¬
röhre. Eine Andeutung dieser Methode finden wir im Zbl. f. Gyn.
1897 Nr 15: „Eine Plastik bei Defekt der Vagina“ von R. Gersuny
(es wurde ein Längsstreifen des Mastdarmes in den zu bildenden Vagi¬
nalkanal als teilweise Wandbedeckung verwendet). Wenn man also
einen Kutisstreifen in wundes Gewebe subkutan verlagert, kann die
ganze Wunde p. p. heilen, nur jener Teil des subkutanen Gewebes, der
auf der Epidermis des versenkten Hautstreifens zu liegen kommt, kann
nicht anheilen und auf seiner Berührungsfläche bilden sich frische Granu¬
lationen. Von den Schnitträndern des versenkten Hautstreifens aus
bildet sich neue Epidermis; diese wuchert über die Granulationsfläche,
die ober dem Hautstreifen liegt und überkleidet jene allmählich zur
Gänze. Die mit frischer Epidermis überwachsene Granulationsfläche
ist einer jungen Narbe gleichzusetzen. Sie schrumpft allmählich und
rollt dabei den länglichen Hautstreifen durch Zug an seinen Rändern
zu einer Rinne ein. Der verlagerte Epidermisstreifen bildet nun mit
der darüber befindlichen, neugebildeten Narbe ein Rohr, das subkutan
gelegen ist. Das Kaliber dieses, mit Epidermis ausgekleideten Kanales
entspricht der Breite des Kutislappens, vermehrt um die Breite der
jungen Narbe. Diese Erwägung bestimmte den Plan für die Bildung
der neuen Harnröhre. Die Ausführung gestaltete sich einfach und der
Erfolg erw'ies die Richtigkeit der Voraussetzung.
Nun kehren wir zurück zum Beginne des 2. Aktes der Operation.
Man begrenzt zuerst jenen Hautstreifen, der nach der eben angeführten
Erwägung die Grundlage für die Harnröhre bilden soll. Man macht
2 gerade, parallele Längsschnitte, die von der abnormen Hamröhren-
öffnung bis in die Nähe der Glans verlaufen und ca. 1.5 cm Abstand
voneinander haben (s. Fig. 2). Die Breite des Hautstreifens genügt
reichlich für die Harnröhrenbildung, besonders wenn es sich um Kinder
handelt, ln der Mitte dieses Streifens verläuft die früher erwähnte
Nahtlinie nach Exstirpation des Stranges, der den Penis nach abwärts
gekrümmt hatte. Die beiden parallelen Schnitte werden an ihren hin¬
teren Enden durch einen Bogenschnitt verbunden, der die Harnröhren¬
mündung nach hinten umkreist (s. Fig. 2). Das vordere Ende des so
!
Digitized by
Got'gle
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
775
umgrenzten Hautstreifens bedarf einer Verlängerung für den Weg
durch die Eichel.
Diese Verlängerung erzielt rpan dadurch, dass man jederseits aus
der Vorhaut ein entsprechendes Längsläppchen schneidet, dessen Stiel
an dem zur Urethra bestimmten Hautstreifen sitzt. Diese beiden Läpp¬
chen bilden die Grundlage für den Harnweg durch die Eichel. An der
unteren Seite der Eichel macht man im Sulcus coronarius einen Quer¬
schnitt (s. Fig. 2 a). Dieser durchtrennt die Haut der Glans und ver¬
bindet die beiderseitigen Wunden der Vorhaut. Von diesem Schnitte
aus präpariert man einen Wundkanal unter der Haut der Eichel bis nahe
an die Eichelspitze und durchsticht dann die Haut der Glans an der
Stelle, wo die Harnröhrenmündung liegen soll. Nun zieht man die
beiden Läppchen durch diesen Kanal durch und näht sie an den Rändern
des neuen Orificium urethrae an (Fig. 3 x).
Jetzt ist die neue Harnröhre ihrer ganzen Länge nach als Haut¬
streifen vorgebildet.
Die Vorhaut, die beiderseits durch die Entnahme der Läppchen von
der Glans abgetrennt wurde, hängt an der Dorsalseite noch durch eine
Brücke mit der Eichel zusammen. Man durchtrennt diese Hautbrücke
quer, macht dadurch die Vorhaut frei und die Wunden hinter dem
Sulcus coronarius glandis sind zu einem Zirkelschnitt vereinigt. Diese
in Fig. 3 gezeichnete Wundfläche ist durch das Auseinanderrücken der
Schnittränder der Penis- und Präputialhaut bedingt und ist besonders
durch Zug an dem oberen Präputialrande hervorgerufen.
Wie lagert man aber nun die sozusagen skizzierte Harnröhre sub¬
kutan? Durch die Haut des Dorsum penis macht man nahe der Penis¬
wurzel einen kleinen Querschnitt (ca. 1,5 cm lang); durch diesen Schnitt
dringt man in das subkutane Gewebe mit einer Kornzange ein und
schiebt <liese, fast ohne Widerstand zu finden, unter der Haut des
Dorsum penis vor, bis ihre Branchen hinter der Glans dorsal in der
Gegend des Sulcus coronarius hervortreten. Durch Oeffnen der Zange
wird der von ihr durchlaufene Kanal genügend gedehnt. Dann schliesst
man die Zange wieder, fasst dabei den bei Beginn der Operation durch
die Glans gelegten Fadenzügel und zieht die Kornzange zurück. Der
Zügel folgt und zieht den Penis nach, bis die Ejchel durch die kleine
Wunde an der Peniswurzel nahe der Symphyse hervorkommt. Die
Ränder dieser Wunde werden mit dem Wundrande der Eichel am Sul¬
cus coronarius vernäht. Der Penis hat dabei sozusagen nackt (bis auf
den länglichen Hautstreifen) einen Lagewechsel unter der Penishaut
nach oben gemacht. Das Glied ist also jetzt nach aufwärts geschlagen
und die Penishaut, die sich nach unten in die Vorhaut fortsetzt, hängt
wie eine Schürze herab. Der untere Rand dieses Lappens, id est das
fast zirkulär durchtrennte innere Vorhautblatt, lässt sich ohne Span¬
nung an den Wandrand hinter der primären Harnröhrenmündung an¬
nähen (Fig. 4). Wenige Nähte genügen, um die früher so lange Wunde
zu schliessen, die als Bogenlinie quer vor dem Skrotum liegt.
Das Bild ist jetzt ziemlich abenteuerlich. In der Nähe des Mons
veneris ragt die Glans unvermittelt aus der Haut hervor. Von da nach
abwärts erstreckt sich eine schlaffe Hautschürze bis zur queren Bogen¬
linie der Hautwunde zwischen Präputial- und Skrotalhaut. Unter dieser
Schürze verdeckt liegt der Penis, seine untere Seite mit dem Kutis-
streifen nach vorn gewendet. Diese gestreckte Lage des Penis unter
einer schlaffen Hautbedeckung hat auch noch den Vorteil, dass die nach
solchen Operationen so häufigen Erektionen kaum eine Zerrung an
den Nähten bewirken können. Die Nähte müssen nicht sehr dicht
nebeneinanderliegen, weil die Ableitung des Harnes den Wundheil¬
verlauf vereinfacht.
Die Nachbehandlung ist meist sehr einfach. Wenn man zum Schutze
der Wunde gegen Berührung über die Beckengegend eine Reifenbahre
stellt, ist fast gar kein Verband notwendig.
Bei ganz jungen Kindern lässt man den Harn fortwährend abfliessen,
bei schon etwas erzogenen klemmt man den Katheter ab und öffnet
ihn nur bei Harndrang. Nach einer Woche kann man sämtliche Nähte
entfernen. Im Verlaufe der nächstfolgenden Tage werden die Narben
fest und 14 Tage nach der Operation kann man. falls in den Narben
sicher nirgends mehr eine Lücke ist, den Katheter entfernen. Der
Harn wird anfangs noch vollständig durch die Wunde am Perineum
entleert. Es verengt sich jedoch die Urethrostomiewunde schnell und
schon nach wenigen Tagen dringen bei der Miktion einige Tropfen
Urins durch die neue Harnröhrenmündung an der Glans hervor. All¬
mählich fliesst immer mehr Harn durch den neuen Kanal und etwa
eine Woche nach Entfernung des Katheters kommt aus der Perineal¬
wunde gar kein Harn mehr. Jetzt ist die Zeit gekommen, den Penis
wieder aus seiner anormalen Lage zu befreien.
Man schreitet zu dieser zweiten Operation 3—4 Wochen nach der
ersten. Ein kurzer Querschnitt hinter der Glans und von da 2 Längs¬
schnitte nach abwärts gegen das Skrotum umgrenzen so viel Haut als
nötig ist, die Rückseite des Penis, nach der Durchtrennung ihrer etwa
neugebildeten Verwachsungen, vollständig zu bedecken. Die Wund¬
fläche unterhalb des Mons veneris, die dadurch entstanden ist, kann zum
Teil durch Zusammenziehen der Wundränder geschlossen werden.
Meistens ist noch eine kleine Hautplastik nötig, um den Defekt voll¬
ständig zu decken.
Die Operation ist in der Ausführung viel einfacher, als man viel¬
leicht nach der Beschreibung erwartet, die etwas von dem gewohnten
Gedankengange abseits führt.
Es mögen nun Auszüge aus einigen Krankengeschichten folgen;
leider konnte ich nicht alle nach dieser Methode operierten Fälle in
alten Protokollen auffinden. G e r s u n y hat ca. 12 Fälle nach dieser
seiner Methode operiert.
Digitized by Goiisle
1. F a 11. Am 14. Februar 1904 wurde der 5 jähr. Patient F. S. im Sana¬
torium Loew in Wien wegen Hypospadia peniscrotalis operiert. Eine
Krankengeschichte fehlt. Ich hatte vor einigen Wochen Gelegenheit, den
Patienten, der jetzt im 22. Lebensjahre steht, auf den Operationserfolg hin
nachzuprüfen: Normal entwickelter, grazil gebauter Manu. Der Penis ist
kurz, aber gut geformt, gerade, ohne wesentliche seitliche Deviation. Er
bildete mit dem Abdomen einen Winkel von ca. 130®. Am Dorsum penis
eine kaum sichtbare Längsnarbe. An der Peniswurzel gögen das Skrotum
eine quere, bogenförmige Narbe. Die Urethralöffnung bildet ein trichter¬
förmiges Grübchen und liegt an der Unterseite der Glans im Sulcus coro¬
narius. Die Harnröhre weist, stoweit sie sichtbar ist. makroskopisch eine
schleimhautähnliche Konsistenz und Farbe auf. Nahe der Urethralöffnung
sollen noch bisweilen, so z. B. vor einigen Monaten, aus einer kleinen
Fistelöffnung einige Tropfen Urin eekommen sein. Derzeit war kein Fistel¬
gang nachweisbar. Der Urin wird anstandslos im normalen Strahle ent¬
leert. Pat. gibt an, dass er normale Erektionen und die Potentia coeundi
habe. Der Penis sei wohlgeformt, nur weise er eine kleine Deviation nach
links auf. Die Bildung der Harnröhre in der Glans wurde von G e r s u n y
damals nicht beabsichtigt, sondern die Harnröhre wurde nur bis zum Sulcus
cor. glandis vorgebildet. Ich schlage dem Herrn F. S. eine Nachoperätion
vor. um die Harnröhrenöffnung an die Spitze der Glans zu verlegen, dieser
jedoch meint, er sei mit dem glänzenden Operationserfolg, der sich seit
16 Jahren bisher unverändert gezeigt habe, sehr zufrieden und erachte die
. Nachoperation für überflüssig. Die Frage des Herrn F. S., ob er mit dieser
Harnröhre auch eine Gonorrhöe akquirieren könne, musste ich bejahen. Dafür
spricht der nächste Fall.
Fall 2. 1914. Pat. N. L., 7 Jahre alt. Das Orificium urethrae als
kleiner Spalt an der Wurzel des Penis sichtbar. Somatisch ohne Besonder¬
heiten. Operation 4. Juli 1904 im Rudolfinerhaus. Urethralplastik sec. Ger-
suny. Urethrostomie, Einlegen eines Verweilkatheters. Umschneidung eines
Hautstreifens zur Bildung der Urethra bis zürn Sulcus coronarius. Auch
diesmal wie bei Fall 1 wurde die Urethralverlängerung durch die Glans nicht
intendiert. Der weitere Verlauf der Operation ist der gleiche, wie er früher
ausführlich beschrieben wurde. Nur wurde durch den neugebildeten Teil der
Urethra ein kleines Drain durchgezogen.
6. VII. 1904. Pat. ist fieberfrei. Skrotum und Glans ödematös. Durch
den Katheter fliesst reichlich Urin.
12. VII. Entfernung der Nähte. Feuchtverfpand.
26. VII. Operation in Aethernarkose. Es wird ein Querschnitt ober¬
halb der Glans gemacht und an diesen beiderseits 2 Längsschnitte angesetzt,
um einen genügend grossen Hautlappen zur Bedeckung des Penis zu be¬
kommen. Ablösen des nach aufwärts geschlagenen Penis. Längsvereinigung
des Lappens am Dorsum penis.
28. Vll. Morgentemperatur 38®, abends 38,8®. Zunge belegt. Qie
Umgebung des Operationsgebietes bis handbreit über die Symphyse scharlach¬
rot gefärbt. Entfernung einiger Nähte, auf Druck entleert sich etwas Eiter
aus den Stichkanälen oberhalb der Peniswurzel. Th.: Guttaperchastreifen,
Feuchtverband.
30. VII. Temp. normal, geringe entzündliche Erscheinungen, keine eitrige
Sekretion mehr.
7. VIII. Entfernung der restlichen Nähte. Wunde p. p. geheilt, nur in
der Symphysengegend eine rein granulierende Wunde.
18. VIII. Wunde am Perineum geschlossen. Wunde an der Symphyse
fast vernarbt. Der Urin wird durch die neue Harnröhrenöffnung spontan im
guten Strahle entleert. Geheilt entlassen.
Am 13. IX. 1918 stellt sich Pat. im Rudolfinerhause vor. Er teilt mit,
dass er eine Gonorrhöe durchgemacht habe, wobei an Stelle der Narbe am
Perineum einige Zeit lang nach Abszessbildung eine Oeffnung bestand. Jetzt
ist sie geschlossen. Die Mündung der Harnröhre entspricht etwa der Gegend
des Frenulums, sie ist trichterförmig; wenn man sie zum Klaffen bringt, sieht
man die Auskleidung der Harnröhre rosig, schleimhautähnlich. Der Penis ist
von normaler Grösse, auch im schlaffen Zustande etwas nach oben gerichtet.
Bei der Erektion hat er normale Richtung. Eine Verlegung der Urethral¬
öffnung an die Spitze der Glans wird vom Pat. nicht angestrebt.
Es folgt nun ein Fall, der von vorneherein kein gutes Operatiqnsresultat
erwarten Hess. — Fall 3. Pat. K. H., 7 Jahre alt. Er wurde von einem
anderen Chirurgen in Wien 3 mal, das letztemal im August 1904, mit nega¬
tivem Resultate operiert. Zahlreiche Narben am Penis und Skrotum. Der
Harn wird aus einer Oeffnung am Skrotum entleert. — Operation am
14. X. 1904 im Rudolfinerhaus. Urethralplastik sec. Gersuny in typischer
Weise. — 18. X. Ein Stück des den Penis bedeckenden Lappens ist nekro¬
tisch geworden, der Katheter wurde ausgestossen. Einführen eines neuen
Katheters. Feuchter Verband. — 27. X. Der Katheter ist herausgefallen und
wird weggelassen. — 31. X. In der Gegend des Skrotums eine Fistel, deren
Ränder in Lokalanästhesie angefrischt und vereinigt werdet^ — 6. XI.
Operation in Lokalanästhesie. Ablösen des Penis vom Mons veneris.
Plastik. — 26. XI. Kauterisation einer kleinen Fistelöffnung. — 6. XII. Ge¬
bessert entlassen.
Neuaufnahme 7. VIII. 1905. Stat. praes.: Das Dorsum penis in breiter
Verbindung mit der Symphysengegend. Nahe der Peniswurzel eine Fistel¬
öffnung, aus der sich bei der Miktion ein Teil des Urins entleert. An der
Unterseite der Glans die neue Harnröhrenmündung.
Operation 9. VIII. Verschluss der Fistel. Abtrennung des Dorsum
penis vom Mons veneris. Plastik. — 10. VIII. Starkes Oedem des ganzen
Genitales. Pat. hat spontan uriniert. — 20. VIII. Am Dorsum penis eine
granulierende Fläche, die Penishaul noch etwas ödematös. Fistelwunde ge¬
schlossen. — 24. VIII. Gebessert entlassen.
Fall 4. Pat. Qu. A., 4 Jahre alt. Diagnose: Hypospadia peniscrotalis.
1. Operation 27. V. 1905 in Aethernarkose in typischer Weise mit Urethros-
tomia perinealis. — 6. VI. Entfernung des Katheters. Der Harn entleert sich
gut: teilweise an der Stelle der alten Urethralmündung aus einer Fistel. —
14. VI. 2. ‘Operation in Aethernarkose. Ablösen des Penis von der Sym¬
physe. Verschluss der Fistel. Einlegen des Katheters am Perineum. —
27. VI. Entfernung des Katheters. — 5. VlI. Aus der neuen Urethralöffnung
an der Glans entleert sich tropfenweise Urin. — 16. VII. Der Urin geht im
Strahle aus der neuen Urethralmündung ab. Daneben im Sulcus coronarius
aus 2 kleinen Fisteln etwas Harn tropfenweise. Lapisierung dieser Stellen.
— 25. VII. Gebessert entlassen.
Neuaufnahme 7. V. 1906. Stat. praes.; In der Gegend des Frenulums die
Hauptöffnung der Harnröhre. 2 kleine Oeffnungen in der queren Narbe, knapp
4*
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Münchener medizinische woctifiNscHRiFT.
Nr. 25.
an der Raphe Bei der Miktion entleert sich tropfenweise Urin. Der linke
Testikel unentwickelt. Es ist nur ein kleines Konvolut von strangartisen
Gebilden tastbar. Urin o. B. — Operation am 23. V. 1906 in Aethernarkose.
Durchstechung der Glans penis von der Spitze aus mit dünnem Skalpell. Die
Ausstichöffnung liegt im Sulcus coron. glandis und steht hier der bestehenden
Urethralöffnung gegenüber. Einfflhren eines mit Thierschlappen bekleideten
Federkieles in den Stichkanal. — 30. V. Der Federkiel ist spontan heraus¬
gefallen. Einführen eines Qummidrains. — 5. VI. Beim Urinieren tropft der
Urin durch die rechts von der Raphe liegende Fistel. — Operation 16. VI.
in Lokalanästhesie. Einführen eines Katheters. Umschneidung der im
Sulcus coron. glandis und an der Raphe des Skrotum gelegenen Fistel.
Exzision der Fistelwandungen und Verschluss mit Matratzennaht. Hautnaht.
Dermatolpulver. — 20. VI. Bei der Miktion kommt Urin im Strahle aus dem
Orif. urethrae ext. an der Spitze der Glans. Einige Tropfen sickern aus der
Fistel im Sulcus hervor. 26. VI. Normaler Harnstrahl aus der Oeffnung an
der Glans. Keine Fisteln. Geheilt entlassen.
Fall 5. Pat. R. S., 2 Jahre alt. Aufnahme 28. VI. 1906. Diagnose:
Hypospadia peniscrotalis. Verkrümmung des Penis nach abwärts. Operation
2. VII. Typische Plastik sec. Oersuny. Fee. Dr. G e r s u n y. Vorbildung
der Urethra bis zur Eichelspitze. In den neugebildeten Urethralkanal wird
ein Zelluloidstäbchen eingelegt. — 30. VII. Operation. Fee. Dr. Moszko-
w i c z. Ablösen des Penis aus seiner abnormen Lage. Plastik. — 14. VIII.
Aus einer Nahtstelle kommt auf Druck Eiter aus einem Kanal, der zur Harn¬
röhre führt. Einführen eines Drains in die Harnröhre. Fixierung durch
Naht. — 10. X. Schmerzen im Skrotum. Der linke Hoden vergrössert
Alkoholumschläge. — 19. X. Verschorfung der bestehenden Fistel. — 29. X.
Die Wände zweier Fistelgänge werden exzidiert und durch Naht vereinigt.
Einführen eines Drains in die Harnröhre. — 10. XI. Die exzidierten und
vernarbten Fistelgänge bleiben geschlossen. Der Urin geht nur durch die
Urethra ab. Pat. wird geheilt entlassen.
Fall 6. Pat. W. J.. iV* Jahre alt. Aufnahme am 19. XL 1906.
Anamnese: Das Kind wurde vor einigen Wochen wegen Hypospadie nach
der Beck sehen Operationsmethode operiert. Die mobilisierte Urethra hielt
jedoch die Spannung nicht aus. die Nähte rissen durch und die Urethra zog
sich wieder zurück. Stat. praes.: Kräftiger Knabe von normalem somatischem
Habitus. Die Urethralöffnung an der Unterseite des Penis nahe am Skrotum¬
unsatz; von hier erstreckt sich eine seichte Rinne bis zur Spitze der Glans.
Das Präputium ist gespalten. — 20. XI. Operation. Typische Plastik sec.
Oersuny. Nur die Bildung der Urethra durch die Glans wird in der Art
vorgenommen, dass durch die tunnelierte Glans penis ein Hautstreifen der
Eichel durchgezogen wurde. Dieser Hautstreifen wurde der Unterseite der
Glans entnommen; der Stiel dieses kleinen, länglichen Streifens liegt an der
Kuppe derselben. Der abpräparierte Streifen wird von der Spitze der Eichel
aus in den Kanal inmitten der Glans penis durchgezogen und bildet so nach
Nahtvereinigung in der Gegend des Sulcus coron. glandis den Weg für den
Urin durch die Eichel. — 26. XI. In der Nacht riss sich der Knabe den Peri¬
nealkatheter heraus. Es gelingt auch in Narkose nicht, den Katheter einzu¬
führen. Die Urethrostomiewunde wird durch einige Nähte klaffend gemacht. —
3. XII. Der vorgebildete Weg durch die Eichel ist obliteriert. Tunnelierung
der Eichel in Narkose. Einführen eines Katheters von der Spitze der Glans
bis in die Blase. — 23. XII. Der Urin wird durch den Dauerkatheter ent¬
leert. Nahe der Peniswurzel eine kleine FisteJ. Die Harnröhrenöffnung liegt
im Sulcus coron. glandis; von hier bis zur Eichelkuppe führt eine seichte
Rinne. — 27. XII. Operation in Aethernarkose. Ablösen des Penis aus
seiner abnormen Lage vor der Symphyse. Plastik. Verschluss der Fistel
nahe der Peniswurzel. Die Urethralöffnung in der Frenulumgegend wird
bogenförmig Umschnitten. Die Wunde wird längs vernäht, so dass die
Urethralöffnung nun an die Spitze der Glans verlegt erscheint. — 10. I. 1907.
Feine Haarfiste! an der Unterseite des Penis. Der Urin kommt im Strahle
aus der Urethralöffnung an der Spitze der Eichel. Aus der Fistel entleeren
sich nur wenige Tröpfchen. — 12. I. Geheilt entlassen.
Am 12. VII. 1919 stellt sich Pat. vor, um anzufragen, ob ein operativer
Eingriff noch notwendig ist. Stat praes.: Patient ist kräftig entwickelt. Die
Stimme im Mutieren begriffen. Penis von annähernd normaler Länge, gerade
gerichtet, etwas dicker, als der Länge entsprechend. Das Orif. urethrae ext.
an der Mitte der Unterseite der Glans mit breiter Oeffnung. Beim Urinieren
kommt der Harn in dickem Strahle; gleichzeitig kommen einige Tropfen aus
einer Haarfistel nahe der Peniswurzel an der Unterseite des Penis. Die Fistel
war lange Zeit geschlossen, erst seit einigen Monaten fliesst wieder etwas
Urin durch dieselbe. Man fühlt beim Emporheben der Penishaut zur Falte
den Fistelgang, der in seiner Dicke einem mittleren Seidenligaturfaden ent¬
spricht. Der Fistelgaiig dürfte wohl seit der letzten Operation vor 12 Jahren
bestehen. Dem Patienten wird empfohlen, 2—3 mal täglich die Haut um die
Fistelöffnung zur Falte emporzuheben und stark daran zu ziehen, um vielleicht
eine Dehnung und Trockenlegung der Fistel ohne operativen Eingriff zu
erzielen. In 2 Monaten wieder vorstellen! — 4. XI. 1920 stellt Pat. sich
wieder vor. Die Haarfistei besteht weiter, geniert aber Pat. wenig. Durch
Druck mit dem Finger auf die Fistelöffnung die kaum sichtbar und schwer
nachweisbar ist, oder durch leichten Zug an der Hautfalte an der Unterseite
des Penis gelingt es, bei der Miktion keinen Tropfen Urin durch die Fistel
zu verlieren. Eine Verschorfung der Fistel wird in Vorschlag gebracht. Pat.
muss jedoch abreisen und will später zu diesem kleinen operativen Eingriff
wieder in das Rudolfinerhaus kommen.
Fall 7. Pat. F. K., 11 Jahre. Aufnahme 16. VIII. 1920. Stat. praes.:
Normaler Knochenbau, guter Ernährungszustand, reichlicher Panniculus adi-
posus. Pat. hat feminine Formen, bedingt durch den Fettansatz. Sprache
näselnd (kurzer weicher Gaumen). Intelligenz dem Alter vollkommen ent¬
sprechend. Skrotum von normaler Grösse, sehr kleine Hoden. Der Penis
ist sehr klein (2,3 cm lang). Grosses faltiges Präputium. Chorda penis. Die
Harnröhrenöffnung zwischen Peniswurzel und Skrotum inmitten eines kleinen
Grübchens mit geröteter Umgebung. Pat. ist kontinent. Urin o. B. Operation
(fec. Gersuny)' 17. VIII. in Aethernarkose. Typische Plastik sec. Gersuny.
Ich hatte als Assistent bei der Operation Gelegenheit zu beobachten, dass
in diesem Falle der Plastik durch die abnorm kleinen anatomischen Verhält¬
nisse grosse Schwierigkeiten erwachsen sind. — 19. VIII. Der Katheter
wurde durch einen Zufall (brüske Bewegung während des Schlafes?) aus
seiner Lage disloziert. Geringe Harninfiltration des Wundbettes. Abends
Temperatur 40,6". Einlegen eines Katheters von der Urethrostomiewunde
gelingt nur mit Schwierigkeit. Feuchter Verband. — 24. VIII. Temperatur
seit 3 Tagen subfebril. Entfernung eines Teiles der Nähte. Es bestehen
Digitized by Goiisle
2 Nahtdehiszenzen an der oberen und unteren Wundrandvereinigung (s. Fig. 4)
im rechten Anteile. — 30, VIII. Anfrischung der Fisteln. Naht. — 6. IX,
Entfernung des Katheters. — 8. IX. Der Harn kommt zum Teile aus der
Urethrostomieöffnung, zum Teil aus einer Fistel. — 12. IX. Urethrostomie-
öffnung geschlossen. Der Harn fliesst aus der Glansöffnung und einer Fistel¬
öffnung, welche zu der ursprünglichen Urethralmündung führt. — 17. IX.
Operation in Lokalanästhesie. Ablösen des Penis aus seiner abnormen Lage.
Hautplastik. — 25. IX, Kleine Nahtdehiszenz am Dorsum penis. Pat. begibt
sich in häusliche Pflege und Behandlung. Die noch notwendige Nach¬
operation wird für die nächsten Schulferien in Aussicht genommen.
Die Endresultate dieser Hypospadicplastiken sind, soweit die mit-
geteilten Fälle eine Beurteilung gestatten, als günstige zu bezeichnen;
in den Fällen 3, 6 und 7 war der anfangs nicht ganz vollständige Ver¬
schluss die Folge der unvollständigen Ableitung des Harnes. Es sind
bei dieser Operationsmethode manche technische Schwierigkeiten der
Lappenmethode umgangen und man braucht sich das plastische Material
nicht weit zu holen. Es fällt ferner jede spätere Nachbehandlung, be¬
sonders das lästige Bougieren fort. Dass nicht ein ganzes Rohr, son¬
dern nur ein Hautstreifen für die Bildung der Harnröhre verwendet
wird, vereinfacht diese Methode wesentlich. Der Versuch, durch sub¬
kutane Lagerung eines Streifens Kutis die Bildung eines röhrenförmi¬
gen Kanales zu erzielen, ist als gelungen anzusehen; auch dürfte es
von Wert sein, in der beschriebenen Methode einen neuen Weg zu be¬
sitzen, der die Beseitigung der angeborenen Hypospadie in nicht zu um¬
ständlicher Weise möglich macht.
Zur Operation der Phimose.
Von Dr. med. E. Schöning, leitender Arzt der Chirurg.
Abteilung des St. Johännes-Hospitals Hamborn a. Rh.
Bei der Behandlung der Phimose hat sich mir eine Operations¬
methode bewährt, die eine Modifikation der S c h 1 o f f e r sehen Ope¬
ration darstellt und mir besonders bei Kindern so gute Resultate ge¬
geben hat, dass ich sie zur Nachprüfung empfehlen kann. Wenn man
Wert darauf legt, ein die Glans bedeckendes Präputium zu erhalten,
leistet die Methode Ausgezeichnetes.-
Bei der Naht wird der Lappen A’B'C des äusseren Präputialblattes so an
den Lappen ABC des inneren Blattes gelegt, dass A' an C und B an C
zu liegen kommt.
Bei stark zurückgezogener und gespannter Präputialhaut wird an
der Dorsalseite etv/as zentral von der Grenze des äusseren und inneren
Blattes ein querer Schnitt angelegt, der fast den halben Umfang der Prä-
putialöffnung umgreift. An einem Ende wird dieser Schnitt durch einen
senkrecht dazu verlaufenden, ungefähr gleichlangen Schnitt durch das
äussere Präputialblatt erweitert. Sobald die Messerklinge in das
lockere Zwischengewebe vordringt, weichen die Schnittränder aus¬
einander, und der rechtwinklige Lappen des äusseren Blattes lässt sich
stumpf, oder mit einigen feinen Zügen der Messerspitze ohne Blutung
ablösen. Nun wird der Lappen an seiner Basis soweit unterminiert,
dass man das vorher von der Glans abgehobene innere Präputialblatt
am anderen Ende des queren Schnittes mit einem Scherenschlag, ent¬
sprechend dem senkrechten Schnitt durch das äussere Blatt, durch¬
trennen kann. Fast automatisch legen sich die Schnittränder nun in der
richtigen Weise aneinander. Bei kleinen Kindern genügt es meist, die
Schnittwinkel mit zwei feinen Katgutknopfnähten zu vereinigen, so dass
die Spitze des äusseren Lappens in den Winkel des inneren zu liegen
kommt und umgekehrt. Bei grösseren Kindern und bei Erwachsenen
wird man zur besseren Adaptation einige Zwischennahte zufügen.
Zur Behandlung des Genii varum.
Von A. S c h a n z • Dresden.
Das Genu varum rachitischer Kinder war für uns Orthopäden
immer ein h^ges Behandlungsobjekt. Am Erwachsenen kam das
O-Bein wesentlich seltfener zur Behandlung. Dieses Verhältnis hat sich
in den letzten Jahren merklich verschoben. Die kurzen Röcke!
Sie sind gar so indiskret und 0-Beine sehen gar so hässlich aus. Es
ist ganz auffällig, wie häufig jetzt Erwachsene erscheinen mit dem
Wunsch, 0-Beine geradegemacht zu bekommen. Natürlich besonders
Patienten weiblichen Geschlechts.
Dieser Wunsch ist nicht nur aus den kosmetischen Gründen ge¬
rechtfertigt, die die Patienten zum Arzt führen, sondern noch viel mehr
aus prophylaktischen. Wenn ein Genu varum nur einen einfgermassen
höheien Grad erreicht, dann bedingt dasselbe wegen der Verschiebung
der Kniebelastungslinie eine Steigerung der Tragarbeit des Knies und
es führt dadurch zu einem vorzeitigen Verbrauch des Gelenkes. Die
vorzeitige Entwicklung der Arthritis deformans — der Verbrauchs¬
krankheit — gibt die praktische Bedeutung des O-Beins /ind gibt die
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
777
Indikation der Beseitigung der Deformität als prophylaktische Mass¬
nahme.
Die Korrektur eines Genu varum bei einem Erwachsenen kann
natürlich nur auf operativem Wege durch Osteotomie erfolgen.
Das ist sehr einfach gesagt. Es gibt dabei aber doch einige
Schwierigkeiten und Kniffe, auf die ich hinweisen möchte.
Es lassen sich beim Genu varum zunächst zwei Variationen unter¬
scheiden. Bei der einen haben wir eine ziemlich scharf lokalisierte
Abbiegung der Beinachse unterhalb des Knies. Die Spitze des
Biegungswinkels liegt am Uebergang des Tibiakopfes in den Tibia¬
schaft. Bei der anderen Variation haben wir eine gleichmässige
bogenförmige Ausbiegung des ganzen Beines nach aussen. Der Grad
der Deformität ist bei der ersten Variation meist wesentlich geringer
als bei der zweiten.
Die erste Variation gibt für die Behandlung sehr einfache Ver¬
hältnisse. Eine Osteotomie direkt unter dem Tibiakopf von der
medialen Seite her lässt Korrekturstellung erreichen' Die Fibula
braucht nicht angegriffen zu werden.
Stellt man die Korrektionsstellung her, so entsteht dabei im Gelenk
ein Druck zwischen den äusseren Teilen der Gelenkflächen und ein Zug
an den inneren Gelenkbändern. Dieser Druck und Zug wirkt ungünstig
auf das Gelenk, das bis zur Konsolidation der Osteotomie im Gips¬
verband fixiert werden muss. Es kommt zu einer Versteifung des
Gelenkes. Eine solche Versteifung erhält man ja mit jeder längeren
Fixation. Aber der Grad der Versteifung wird durch jene abnormen
Druck- und Zugwirkungen wesentlich gesteigert. Man kann diese
Steigerung verhüten, wenn man die Gelenke vor diesen Druck- und
Zuwirkungen bewahrt.
Das mache ich dadurch, dass ich in den Tibiakopf einen Nagel
oder einen Bolzen eintreibe und das frei herausragende Ende desselben
mit dem Gipsverband so fasse, dass die Spannung des Korrektions¬
druckes zwischen dem Nagel bzw-. Bolzen und Gipsverband ihren Aus¬
gleich findet. Der Nagel oder Bolzen wird nach 10—14 Tagen entfernt.
Es hat sich dann alles der neuen Stellung soweit angepasst, dass eine
Irritation des Gelenkes nicht mehr stattfinden kann.
Die nach Abnahme des Gipsverbandes sich zeigende Fixations¬
versteifung des Kniegelenks ist dann gering und schwindet ohne jede
Behandlung in kurzer Zeit.
Hat man die zweite Variation, eine gleichmässige Ausbiegung des
ganzen Beines und ist es noch dazu eine schwere Deformität, dann
erhält man mit einer Osteotomie nicht den gewünschten Erfolg. Wir
bekommen, wenn wir unterhalb des Tibiakopfes osteotomieren, statt
des einen Bogens deren zwei, die wie in einer 3 aufeinanderstehen.
Kein kosmetisch genügendes Bild. Und vor allem bleibt der unschöne,
schwerfällige Gang, den wir bei den schweren Fällen von O-Bein
immer sehen, fast wie er war.
Diese Schwerfälligkeit des Ganges ist die Folge der funktionellen
Coxa vara, die mit dem Genu varum verbunden ist. Biegt sich der
Beinschaft nach aussen, so rückt wie bei einer Abduktion des Hüft¬
gelenkes der Trochanter major nach oben. Der Schenkelhals stellt
sich in eine abnorm horizontale Richtung und wir erhalten für die Funk¬
tion dieselben Bedingungen wie bei einer Coxa vara.
Will man bei der zweiten Variation ein kosmetisch und funktionell
gutes Resultat, dann muss man den verbogenen Beinschaft an mehre¬
ren Stellen zerbrechen.
An wie vielen und an welchen Stellen, das findet man, wenn man
sich nach der Regel richtet, die man bei der Korrektur aller kompli¬
zierten Beindeformitäten verfolgen soll. Diese Regel besagt, dass
man an der Hüfte anfängt, und dass man zuerst die richtige Stellung
des Hüftteils zum Becken herstellt.
Diese Regel befolgt man beim Genu varum, wenn man zuerst eine
Osteotomie in der Mitte des Femur anlegt. Nur einmal habe ich es
nötig gehabt bei einer ganz abnorm schweren Verbiegung noch höher
oben zu beginnen und den Femur in 3 Teile zu zerschlagen.
Diese Osteotomie des Femur führe ich auf dem Extensions¬
tisch aus.
Das gibt den grossen Vorteil, dass durch Anziehen der Extension
sofort volle Korrektur erreicht wird, dass man den Gipsverband an-
legen kann, ohne dass beim Hin- und Herheben des Patienten die Frak¬
turenden verschoben werden können.
Da gewöhnlich die Deformität doppelseitig ist, führe ich gewöhn¬
lich die Korrektur an beiden Oberschenkeln in einer Sitzung aus. Ich
osteotomiere aber nicht am selben Bein in einer Sitzung an ver¬
schiedenen Stellen. Die in solchem Fall entstehenden zusammen¬
hanglosen, kurzen Knochenstücke lassen sich nicht so beherrschen, wie
es zur Erzielung eines vollen Erfolges notwendig ist.
Schon die Beherrschung der einen Osteotomie in der Mitte des
Oberschenkels hat ihre Schwierigkeiten. Die Fraktur steckt in einem
dicken Weichteilpolster, besonders bei erwachsenen, weiblichen Patien¬
ten, und in diesem Polster ist eine ungewollte Dislokation leicht mög¬
lich, audh wenn der Gipsverband ganz exakt angelegt wurde. Un¬
erwünschten Ueberraschungen von dieser Seite beuge ich vor dadurch,
dass ich die Frakturenden anschraube.
Ich habe lange Bohrschrauben aus nicht rostendem Stahl. Von
diesen setze ich je eine ober- und unterhalb der Osteotomielinie ein. so
dass sie die äussere Kortikaliswand und den Markraum durchdringen
und noch in die innere Kortikaliswand fassen. Erst wenn diese Schrau¬
ben sitzen, schlage ich den Knochen durch.
Die äusseren Enden der Bohrschrauben raeen aus der ge¬
schlossenen Wunde etwa fingerlang heraus. Sie sind ein Paar Zeiger,
Digitized by Gousle
die ganz genau die Stellung der Frakturenden gegeneinander angeben,
sie sind Handhaben, mit denen man ganz genau die gewünschte Kor¬
rektionsverschiebung einstellen kann, und sie geben dem Gipsverband
ein Angriffsmittel, mit dem er die Korrektionsstellung genau gegen jede
Gefährdung festhalten kann. Ich lasse diese Schraube etwa 14 Tage
liegen und drehe sie dann ohne grossen Verbandwechsel heraus. Die
Heilungsvorgänge sind zu dieser Zeit an der Osteotomiestelle soweit
vorgeschritten, dass man Dislokation nicht mehr zu fürchten hat.
Wenn man diese Oberschenkelosteotomie ausführt, so erlebt man
stets die Ueberraschung, dass die Deformität des Femur grösser war. als
man erwartet hatte. Biegt sich der Femur nach aussen, so überspannen
die Weichteile auf der Innenseite des Oberschenkels den entstehenden
Bogen und von der Aussenseite fliessen sie um den Femur herum
nach innen zu. Dadurch wird die Verbiegungsform des Femur ganz
auffällig verdeckt. W i e weit sie verdeckt war, das sieht man nun
nach der Osteotomie, die plötzlich eine ganz überraschend schlanke
Form des Oberschenkels herstellt.
In der dritten Woche nach der Osteotomie am Oberschenkel führe
ich die zweite Etappe der Korrektur aus. Der Gipsverband wird auf
dem Extensionstisch abgenommen. Die beiden Beine werden zu¬
sammengelegt, und es ergibt sich nun, wo der Bogen noch eingeknickt
werden muss.
Meistens ist das wieder unterhalb des Tibiakopfes nötig. Es ge¬
schieht durch eine Osteotomie wie oben beschrieben. In schweren
Fällen muss noch eine dritte Osteotomie etwa an der Grenze von
mittlerem und unterem Drittel der Tibia folgen. Auch diese führe ich
gew'öhnlich erst wieder in einer dritten Sitzung aus. Hier ist es
nicht nötig, mit Bohrschrauben oder Bolzen zu arbeiten, da die Gefahr
unerwünschter Dislokation, besonders wenn man die Fibula nicht mit
zerbricht, nicht besteht.
Hat man den Patienten nun nach dieser Osteotomie im Gipsverband
in der sich notwendig ergebenden leichten Spreizstellung liegen, dann
kommt der schwere Augenblick, wo man sich fragt: Werden denn nun
die Beine, wenn sie aus dem Gips heraus und aneinandergelegt wer¬
den, auch wirklich so zueinander passen, wie sie sollen? Man kann
sich da ganz gehörig verschätzen. Ein zu viel und ein zu wenig der
Korrektur ist gleich unwillkommen.
Ich habe mir da ein Verfahren ausgebildet, das Enttäuschung ver¬
hütet und das sehr einfach ist.
Ich nehme, ehe eine vollständige Konsolidation der Osteotomie
eingetreten ist, den Gipsverband ab und lege einen Verband an. der
in meiner Klinik die Bezeichnung „Mumienverband“ erhalten hat.
Es werden die Beine des Patienten aneinandergelegt, zwi¬
schen die Knöchel kommt ein kleines, hart zusammengewickeltes
Wattepolster und es werden beide Beine von unten bis oben mit brei¬
ten Idealbinden aneinandergewickelt.
In diesem Mumienverband, der natürlich, w'enn erforderlich, ab¬
genommen und wieder erneut werden muss, wird die vollständige Kon¬
solidation abgewartet. Ist diese eingetreten, dann hat man wirklich ein
Paar zueinander passende Beine in richtiger Form.
Fig. 1. Fig. 2
Nun gibt es noch eine Möglichkeit, die das Resultat nachträglich
schädigen kann. Hat man nämlich die Fibula stehen lassen, was natür¬
lich seine Vorteile hat, so hat diese nach der Heilung der Tibiaosteo¬
tomie noch die Neigung in ihre alte Krümmung zurückzufedern. Dieser
lang fort sich erhaltende Federdruck ist imstande, doch wieder an den
Osteotomiestellen der Tibia eine Verbiegung zu erzeugen, vor allem an
den kurz über dem Fussgelenk gelegenen.
Hiergegen gibt es zwei Schutzmittel. Man kann den Mumien¬
verband lang foit anwenden lassen. Natürlich braucht er dann nur
vom Fussgelenk bis zum Knie angelegt zu werden. Oder man knickt
die Fibula bei der letzten Osteotomie oder nachträglich noch ein.
Dass man auf diese Weise recht erfreuliche Korrektionsresultate
erzielen kann, mögen noch ein paar Photographien zeigen (Fig. 1 u. 2).
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
778
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Zur Behandlung der Oxyuriasis.
Von Dr, Kurt Ochsenius, Facharzt für Kinderkrankheiten
in Chemnitz.
„Die Zeit liegt nicht sehr ferne, wo Aerzte fast alle Krankheiten
jüngerer Kinder vom Zahnen, etwas älterer von Würmern her¬
leiteten...“ Dieser Satz findet sich bei Rau: „Uber die unnatürliche
Sterblichkeit der Kinder in ihrem ersten Lebensjahr“, Bern 1836
(S. 144); er könnte leider auch noch in der jetzigen Zeit ausgesprochen
worden sein, denn beide Verlegenheitsdiagnosen spielen auch heut¬
zutage noch eine grosse Rolle. Wie oft werden auch noch
Symptome von Neuropathie (halonierte Augen) und schlechte An¬
gewohnheiten (Bohren in der Nase) nicht nur von Laien auf die
„Würmer“ zurückgeführt und die Kinder unnötigerweise fortgesetzt mit
Wurmkuren gequält. Wenn dann wirklich so ein unglücklicher Oxyuris
zutage gefördert worden ist, so schwelgt das ärztliche Gewissen in
eitel Wonne. Ich erinnere mich eines dreijährigen Kindes aus der Um¬
gebung, bei dem anderthalb Jahre hindurch wegen Pruritus ani täglich
Einläufe gegen die „Würmer“ durchgeführt worden waren, obw-ohl nie¬
mals ein Oxyuris sich hatte blicken lassen. (Eine Anästhesinzinkpaste
brachte das unbedeutende Ekzem in wenigen Tagen zur Heilung.)
Dabei soll aber der moderne Skeptizismus durchaus nicht geteilt
werden, der jeglichen Einfluss der Oxyuren auf den Körper des Wirtes
leugnet.
Ob, wie einzelne Chirurgen annehmen, die Oxyuren wirklich im¬
stande sind, eine Epityphlitis hervoriurufen, oder ob ihre Anwesenheit
im Processus vermicularis nicht einfach ein zufälliges Ereignis ist, bleibe
dahingestellt.
Sicher ist, dass der Juckreiz beim Festsaugen der Parasiten im
Rektum und beim Durchtritt durch den Anus die Patienten um ihre
Nachtruhe und direkt zur Verzweiflung bringen kann. Dass sensible
Patienten unter diesem Zustande — vor allem in psychischer Be¬
ziehung — besonders schwer leiden und direkt Furcht vor dem Zubette-
gehen empfinden, unterliegt keinem Zweifel. Man erlebt auch, dass
Kinder infolge des Juckreizes tatsächlich dem Schulunterricht nicht
folgen können.
Die Kratzekzeme seien beiläufig erwähnt, ebenso ist das Entstehen
einer Vaginitis durch Ueberwandern der Parasiten nicht zu leugnen.
Bei der wohl absoluten Ungefährlichkeit und Bedeutungslosigkeit
der Anwesenheit von Oxyuren im Körper — im Gegensatz zu der Be¬
herbergung von Tänien und Askariden! — ist die Frage der Behandlung
meines Erachtens gelöst, wenn ihr Hinabtreten aus dem Dünndarm in
die tieferen Darmabschnitte verhindert wird. Eine völlige Beseitigung
der Parasiten aus dem Körper des Wirtes scheint eine nicht erreichbare
Hoffnung zu sein.
Die 4£tzt üblichen Behandlungsmethoden bestehen aus der inner¬
lichen Verabreichung von Anthelmintizis, Einläufen mit ind ohne medi¬
kamentösen Zusatz und der Applikation von Salben, die gleichzeitig
aus dem Darm austretende Würmer töten und den Juckreiz beseitigen
sollen.
Was die internen Mittel, die allerdings noch in dieser Erwartung
angewendet werden, betrifft, so sind beim Naphthalin Todesfälle und
das Entstehen von akuter lymphatischer Leukämie 0, beim 01. Cheno-
podii Erblindungen und Todesfälle *) und beim Santonin schwere Intoxi¬
kationen beschrieberf worden ®).
Dass die Einläufe vorübergehende Linderung bringen, unterliegt
keinem Zweifel. Ob aber ihr Erfolg ein dauernder ist, ist sehr fraglich.
Zudem sind diese Manipulationen, welche bekanntlich viele Wochen
lang täglich ln Knie-Ellenbogenlage ausgeführt werden sollen. k«ne
angenehme Prozedur.
Von den Analsalben hat sich mir folgende am besten bewährt:
Rp.. Anaesthesini 2,0
Acid. salicylici 0,5
Vaselin oder Lanolin ad 20,0
Aber auch dies ist, wie ich aus eigener Erfahrung zugeben muss, nur
ein Notbehelf von zweifelhaftem Wert.
Dass die Ernährung nicht ohne Einfl,^ auf die Oxyuriasis ist. ist
bekannt; im Volke w'ird gern gegen difr:Würmer ein Brei von rohen
Möhren (gelbe Rüben) gegeben. Das wirksame Prinzip ist dabei das
Laxans. Dass bei eineiti Durchfall zahlreiche Oxyuren im Stuhl er-
.scheinen, weil durch die vermehrte Peristaltik die Würmer aus ihrem
Aufenthaltsort, dem Dünndarm, in den Dickdarm bzw. Rektum befördert
werden, ist ja eine bekannte Tatsache. .Analog treten bei weicher
Konsistenz der Fäzes auch mehr Parasiten in das Rektum und durch
den Anus. Diese Tatsache musste sich therapeutisch verwerten lassen,
indem durch Provokation einer Obstipation die Beschwerden sich be¬
heben lassen mussten. Versuche, die ich zuerst an mir selbst in dieser
Beziehung anstellte, gaben dieser Ueberlegung vollständig recht. Die
Einschränkung des Genusses vom frischem Obst, Kompott und grünem
Gemüse und Zufuhr von Kakao und Schokolade liess die Beschwerden
mit einem Schlage verschwinden; andererseits wurden sie durch die
ersttenannten Nahrungsmittel wie im Experiment wieder erzeugt.
Auch bei den Kindern, die mir wegen Beschwerden durch Oxyuren zur
Behandlung gebracht worden sind, wurde der gleiche Erfolg erzielt.
‘) z. B. S. Meyer: B.kl.W. 1920 Nr. 43.
‘) z, B. P r e u s c h o f f: Zschr. f. exp. Pathol. u. Ther. 1920 Nr. 3.
S. vor allem Brüning: Uebersichtsreferat in Mschr. f. Kinderhlk.,
Mai 1921.
Die Beobachtung hat, abgesehen von ihrem praktischen Wert,
auch eine theoretische Bedeutung, nämlich bei der Beantwortung der
Frage nach der Ursache der kolossalen Verbreitung der Oxyuren-
krankheit während des Krieges. Die Ansicht, dass dieselbe eine Folge
der vermehrten Kohlehydratnahrung sei, wäre demnach abzulehnen
zugunsten der Ansicht, dass die reichlichere Gemüsezufuhr mit ihrer
anregenden Wirkung auf die Darmperistaltik den ätiologischen Faktor
darstellt.
Anmerkung bei der Korrektur: In gleichem Sinne sind auch
günstige Erfahrungen die früher gemacht wurden mit Diabetesdiät zu deuten
(s. K l e i n s c h m i d t, Vademekum).
Aus dem städtischen Gesundheitsdienst Mainz.
Zur Frage des Pockenschutzes.
Von Georg B. Grub er.
In Mainz ist vor wenigen Wochen ein einzelner Fall von Variola
vera aufgetreten, der zu folgenden Ueberlegungen Anlass gibt. Es
handelte sich um einen im sechsten Lebensjahrzehnt stehenden Post¬
schaffner. der seinem Beruf auf zwei grossen Bahnstrecken oblag und
gelegentlich in Diensträumen mit anderem Bahnpostpersonal nächtigen
musste, welches auf anderen Strecken fuhr. Bei Erhebung der Ana¬
mnese tauchte sogleich die Erinnerung an einen im Jahre 1909 in Mün¬
chen erlebten echten Pockenfall auf, der ebenfalls einen Postbeamten
betraf, und dem einige weitere Ansteckungen gefolgt sein sollen.
In Verfolgung der epidemiologischen Einzelheiten des neuen Mainzer
Falles erscheint es nun von Wichtigkeit, dass zur selben Zeit in einem
Frankfurter Krankenhaus, wie wir hören, 8 Fälle von Pocken liegen,
welche ebenfalls durchweg Bahnpostpersonal betreffen. Diese Beamten
versahen ihren Djenst auf Bahnstrecken, welche sie an oder jenseits
der Reichsgrenze mit Personen anderer Länder in innigen Verkehr brach¬
ten. Sowohl dieser persönliche Verkehr, als die Handhabung der viel-
abgegriffenen Postbeutel und sonstiger Poststücke ist einer Ueber-
tragung der Blatternkrankheit nur vorteilhaft. Wir sind offenbar bei den
soeben vorgekommerien Fällen nicht in der Lage, genau angeben zu
können, woher die erste Blatternerkrankung stammte. Jedoch gibt ge¬
rade der Mainzer Fall Anlass, diese Beobachtungen an Bahnpostbeamten
zur Unterlage für eine Bemerkung zur Blatternvorbeugung zu machen.
Im Deutschen Reiche unterliegt jede Person zweimal dem Impf¬
zwang: als kleines Kind und im schulpflichtigen Alter. Solange wir
über ein grosses stehendes Heer verfügten, wurde der männliche Teil der
Bevölkerung soweit er militärpflichtig war, im dritfen Lebensjahrzehm
einer weiteren Impfung unterzogen. Jetzt fällt der Segen dieser dritten
Impfung für die Mehrzahl der Männer weg. Bekanntlich dauert der
Impfschutz nur rund 7 Jahre. Ueber 10 Jahre hinaus dürfte er sich nur
selten erstrecken. Das ist ja auch der Sinn der obengenannten Wieder¬
impfungen. Der Wegfall der militärischen Wiederimpfung in grossem
Umfang bedeutet also eine Verschlechterung des Pockenschutzes für da^
ganze Volk. Bei dem erkrankten Bahnpostpersonal handelt es sich
um gereifte Männer, deren Impfschutz längst erloschen sein musste.
Stand doch der Mainzer Patient im sechsten Lebensjahrzehnt.
Es dürfte unter solchen Umstänen, zumal jenseits der Grenzen Deutsch-
larids wohl auf Jahre hinaus da und dort nicht durchweg ideale Gesund¬
heitsverhältnisse herrschen werden, doch die Ueberlegung am Platze sein,
ob es nicht zweckmässig ist, zum Schutze des Ueberland-Verkehrs-
personals ähnliche Vorschriften zu erlassen und zur Durchführung zu
bringen, wie sie für den Ueberseeverkehr wohl grossenteils zur Geltmig
kommen. D, h. es erscheint notwendig, das Bahn- und Bahnpostpersonal
in Abständen von etw'a 10 Jahren einer Blatternimpfung zu unterziehen.
Damit schützt man dieses Personal vor sehr schwerer Krankheit; man
schützt aber auch weiterhin viele Einwohner des Landes, welche eben¬
falls nicht unter dauerndem Blatternschutz stehen. Denn durch die
Tatsache der Benützung von Uebernachtungsstellen für Bahn- und Post¬
beamte, Stellen, welche an Kreuzungspunkten oder an den Verzw'ci-
gunppunkten wichtiger grosser Bahnlinien, ferner in den Grenz¬
stationen eingerichtet sind, wird die Möglichkeit nabegerückt, dass ge¬
legentlich durch eine einzige Infektionsquelle (etwa an den Grenzen des
Landes) in raschester Weise der Infektionsstoff nach verschiedenen Rich¬
tungen des Landes weitervermittelt wird.
Zweck dieser Zeilen ist es also, die massgebenden Reichsstellen
auf solche Vorkommnisse aufmerksam zu machen, damit sie gegebenen¬
falls in der Lage sind, durch Anordnung entsprechender Massnahmen
einer gefährlicheren Wiederholung dieser Möglichkeit vorzubeugen.
Zur Lokalanästhesie bei Punktionen.
Von Med.-Rat Dr. A. B recke in Stuttgart.
Herr Prof. Dr. F. Franke in Braunschweig bespricht in einem
Aufsatz „Ueber schmerzlose Entleerung von Flüssigkeiten aus den
Körperhöhlen durch Punktion“ in Nr. 22 der M.m.W. S. 679 ein Ver¬
fahren. das in der Tat verdient, mehr bekannt zu werden. Ich selbst
pflege seit etwa 15 Jahren vor Pleurapunktionen und womöglich auch
vor der Punktion eines kalten Abszesses an der mit Jodtinktur ein¬
geriebenen Einstichstelle eine Hautquaddel mit Schleich scher Lösung
oder mit Novokain-Adrenalinlösung zu setzen, mit der auch das übrige
Gewebe des Stichkanals infiltriert wird. Ferner durchtrenne ich die
Haut an der Einstichstelle, also in der Quaddel, stets mit einem spitze«.;
Digitized b]
. Google
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
779
Messer. Dadurch fällt der Widerstand der elastischen Haut fort, so dass
die Nadel glatt eindringt und auch leichter zurückgezogen werden kann.
Ausserdem ist es dadurch ausgeschlossen, dass die Kanülenspitze aus
irgendeiner Hautschicht Krankheitskeime mit in die Tiefe nimmt. Die
vorherige Einspritzung von 1 cg Morphium ist wohl an vielen Orten
üblich, sie kann auch durch eine Kodeingabe ersetzt werden. Das ganze
Verfahren beansprucht nicht mehr Zeit als die weniger wirksame An¬
wendung von Chloräthyl. Das schmerzlose und glätte Einführen der
Kanüle nimmt den Kranken die Scheu vor einer etwa notwendigen
Wiederholung des Einstichs und dürfte auch die Gefahr eines Pleura¬
schocks verringern. Die Vorzüge, die im übrigen von Franke aus-
einandergesetzt sind, kommen vor allem auch beim Anlegen und Nach¬
füllen eines künstlichen Pneumothorax zur Geltung. Assistenten und
andere Acrzte, mit denen ich zusammenarbeitete, haben sich oft von der
Zweckmässigkeit des Verfahrens überzeugt.
Ueber „typische“ und „atypische“ Durchschnittzahlen.
Von Dr. med. Gustav Oeder in Niederlössnitz bei Dresden.
R 0 h r e r hat — wie vorauszusehen — sich veranlasst gesehen, das
Wort zu ergreifen, nachdem von anderen und mir die Brauchbarkeit
seines „Index der Körperfülle" zur objektiven Beurteilung des „Er-
nährnngszustandes“ ernstlich bestritten worden war. Da Roh rer am
Schluss seiner Darlegungen (Nr. 19 dieser Wochenschrift 1921) zu dem
Ergebnis kommt, dass sein „Körperfüllenindex in seiner jetzigen An¬
wendung bei der Beurteilung des einzelnen Individuums kein eindeutiges
Mass für den Ernährungszustand“ ist, hat er damit die Anwendung des
von ihm zu anthropologischen Zwecken angegebenen Index in der bis¬
herigen Form als ungeeignet zur objektiven zahlenmässigen Fest¬
stellung des Grades der menschlichen Unterernährung authentisch ge¬
kennzeichnet und damit auch den Gebrauch desselben durch den ärzt¬
lichen Beirat der Quäker selber desavouiert. Er hat insoweit also
die Berechtigung der erhobenen Einwendungen implicite anerkannt.
Wenn R o h r e r nun aber weiter meint, dass durch gewisse Verbesse¬
rungen sein Index auch für die objektive Beurteilung des Ernährungs¬
zustandes im Einzelfall noch geeignet werden könnte, so kann man
das gewiss ab warten. Man kann jedoch auch gleich dem naheliegenden
Bedenken Ausdruck geben, ob überhaupt erwartet werden darf, dass
ein im Einzelfall schon „nicht eindeutiges“ Mass für die Vergleichung
grösserer Gruppen von Einzelfällen ein geeignetes objektives Kriterium
des „durchschnittlichen“ Ernährungszustandes zu liefern vermag. Ich
wenigstens möchte meinen, dass ein „objektives“ Kriterium minde¬
stens „eindeutig“ sein sollte. Da R o h r e r bei dieser Gelegenheit von
einem „durchschnittlichen“ Ernährungszustand, sowie unter Bezugnahme
auf die meinem „Index ponderis des Ernährungszustandes" zugrunde
liegenden absoluten Körpergewichte bzw. Gewichtsdurchschnitte noch
von einem „durchschnittlichen Mittelgewicht" spricht, so halte ich es
für geboten, rhit ein paar Worten auf „Durchschnittszahlen“ — gleichviel
welcher Massart — und auf deren Bedeutung einzugehen. Zunächst
muss betont werden, dass „Durchschnittszahl“ ein statistischer
Begriff ist, der nach den Begriffsbestimmungen dieser Fachwissenschaft
zu gebrauchen ist, und dass die statistische Wissenschaft (vgl. hierzu u. a.
auch Franz Z i z e k: Die statistischen Mittelwerte. Leipzig 1908 bei Dun-
ker und Humblot) „typische** (d. h. aus „homogen-en" Reihen) von
„atypischen“ (d. h. aus „nicht homogenen“ Reihen errechnete)
Durchschnittzahlcn unterscheidet und n u r die „typische n“
zur eindeutigen Kennzeichnung von Gegenständen und Zuständen ohne
Einschränkung für geeignet hält. Ich will an einigen drastischen Bei¬
spielen erläutern, wie das zu verstehen ist. Z. B. wird inan aus einer
Oewichtsreihe von 10 Eseln, 3 Pferden und 5 Ochsen n i e einen „für
Pferde typischen“,' oder von 10 mageren. 3 wohlgenährten und
5 fetten Menschen ni e einen „für Wohlgenährte typischen" Kör-
pefgewichtsdurchschnitt errechnen können; ebenso wird man aus einer
Reihe von Körpergewichten gleichgrosscr, gleichgeschl-echtiger, gleich¬
altriger, gleichgebauter Menschen, von denen 10 in ganz verschie¬
denem Grad „mager“, 5 in v e r s c h i e dv n c m Grad „fett" und 3
auch noch mehr oder minder „wohlgenährt“ sind, zwar einen „bloss
iirithmetischen“. n i e aber einen „ernährungsstufentypischen“, und zwar
weder einen „typisch mageren“, noch „typisch fetten“, noch
„typisch wohlgenährten“ Durchschnitt Gleichgrosser etc. errechnen
können, weil alle Reihen dieser Einzelfälle, die zur Durch¬
schnittsberechnung benützt werden sollen, in Bezug auf
die Ernährungsstufe nicht „homogene“ im statistischen Sinne sind.
Th. B r u g s c h, auf dessen Kontroverse mit mir R o h r e r Bezug nimmt,
hat das im Gegensatz zu den anerkannten Forderungen der statistischen
Wissenschaft jedoch für zulässig gehalten und sich in praxi über die
elementarsten statistischen Vorschriften hinweggesetzt. Natürlich kann
man aus „nichts wie arithmetischen“ d. h. „atypischen“ Gewichtsdurch¬
schnitten der einzelnen Körperhöhenstufen auch keine formelmässig
erfassbaren Beziehungen zwischen Körpergewichten, die mit
der Ernährungsstufe in jedem Einzelfall stark wech¬
seln. und Körperhöhen herleiten, wie Brugsch es versucht
hat. Ich halte an meinen Einwendungen gegen das Brugsch sehe Ver¬
fahren durchaus fest. Sollte Roh rer, der vermeint, Brugsch bei¬
stimmen zu können, das Punktum saliens meiner Kontroverse mit
Brugsch missverstanden haben?! Wenn Rohre r dabei noch auf
die „durchschnittlichen Mittelgewichte" Brugsch’ hinweist, so muss
ich offen gestehen, dass ich nicht recht weiss, w'as e r darunter ver¬
steht. „Mittel“-Gewicht ist doch ein „bloss arithmetischer“ Durch¬
schnitt aus Einzelgewichten, die „zufällig“ sein, also einen „möglicher¬
weise auch atypischen“ Durchschnitt ergeben können. „Mittel"
ist demnach schon ein „Durchschnitt“! Und nun noch ein Durch¬
schnitt — ein „durchschnittlicher atypischer Durchschnitt
von nichthomogenen Gewichten“?! Als ob atypische Einzel¬
gewichte im Durchschnittsvervielfältigen „ty¬
pische" würden! Das verstehe i c h nicht. Oder versteht R o h r e r
unter „Mitter’-Qewicht am Ende gar das Gewicht bei der „in der Mitte“
zwischen „Magerkeit“ und „Fettleibigkeit“ liegenden, von mir „zen-
tralnormal“ benannten Ernährungszustands stufe?! Dann hätte er ja
gerade unwillkürlich meine Auffassung bestätigt, die er nicht teilen zu
können angibt! Oder ist „durchschnittliches Mittelgewicht“ nur eii:e
Art Pleonasmus? Es wäre zu wünschen, dass Roh rer eindeutig
dazu Stellung nehmen möchte, damit wenigstens in Zukunft unliebsame
Missverständnisse bei wissenschaftlichen Auseinandersetzungen nach
Möglichkeit vermieden werden.
Okkultismus.
Von Obermedizinalrat Dr. Gustav Kolb, Direktor der
Heil- und Pflegeanstalt Erlangen.
ln Schwaben musste eine 11 köpfige Familie der Irrenanstalt zu¬
geführt werden. Nach Analogie ähnlichei; Fälle ist anzunehmen, dass
von einer wirklich geisteskranken Person dieser Familie die übrigen Fami¬
lienmitglieder psychisch infiziert wurden. Die schweren Erlebnisse dieses
Krieges, die Unsicherheit, die über der Zukunft eines jeden Deutschen liegt,
haben eine gesteigerte Empfänglichkeit für psychische Infektion ge¬
schaffen. Diese Empfänglichkeit wird in bedenklicher Weise gesteigert
durch gewisse Vorgänge. .Aufgabe der Aerzte, der berufenen Hüter der
Volksgesundheit ist es, eine gesundheitliche Schädigung unseres Volkes
durch die okkultistische Welle zu verhüten, ohne den berechtigten Kern
der Bewegung: die Abneigung gegen den Materialismus zu schädigen.
Dise Aufgabe wird vielleicht erleichtert durch einen Bericht über ge¬
wisse, die Empfänglichkeit steigernde, die Bekämpfung erschwerende
Vorgänge.
Der Tübinger Professor der Psychologie, Herr Oesterreich,
hat den „Okkultismus im modernen Weltbild“ geschildert. Er schreibt
Seite 125: „Der Vergleich der Materialisatiönsprozesse mit den Schöp¬
fungen Gottes liegt nahe. Sie erscheinen wie ein schwacher Abglanz
der göttlichen Schöpfungskraft, die ihrerseits Gebilde von weit grösserer
Konsistenz und Beständigkeit zu schaffen vermag“.Aber anderer¬
seits lassen sie uns vielleicht doch einen Blick in die schöpferische
Tätigkeit Gottes tun, denn xlie Vermutung liegt nahe, dass die Ge¬
schöpfe der Welt ganz ebenso durch die Gedanken Gottes entstehen
wie die Materialisationen durch die Gedanken der Medien."
Diesem bemerkenswerten Aussprüche Oesterreichs stelle ich
die Schilderung derjenigen Medien gegenüber, an denen MateriaÜ-
sationsphänomene angeblich beobachtet wurden: E. C. ist erblich be¬
lastet; im 2. Lebensjahre nervöse Konvulsionen: im 15. Lebensjahr
spiritistische Sitzungen in der Familie; zahlreiche körperliche Zeichen
der Hysterie. Ihre Phantasietätigkeit ist so gesteigert, dass Wahrheit
und Dichtung nicht immer unterschieden w^erden: das logische Weiter¬
denken und Schlussvermögen ist ungenügend; sie zeigt intermittierende
Anfälle von Verstimmung, in denen sie erzieherischem Einfluss unzu¬
gänglich, unzurechnungsfähig ist: sie ist impulsiv, jähzornig, geneigt zu
unbegründeten Beschuldigungen: ethische Gefühle zeigt sie nur in
egozentrischem Sinne: sie zeigt mangelnde Aufrichtigkeit gegen sich
selbst: ihre wirklichen Gefühle weiss sie zu verbergen, um sich den¬
selben nachträglich mit hysterischer Uebertreibung hinzugeben. Ihrer
mediumistischen Tätigkeit verdankt sie anscheinend die Möglichkeit
einer gehobenen Lebenshaltung. Ihre Erscheinungen produziert sie teils
aus dem Munde, teils aus den Geschlechtsteilen in einer zuweilen direkt
ekelerregenden Weise.
Bei dem 2. Medium E. P. brach die Engl. Oesellsch. f. psych. Forsch.
1895 die Versuche ab wegen nachgewiesener systematischer Be¬
trügereien, und eine wissenschaftliche Kommission konstatierte 1905/bS,
dass die Anwesenden Betrügereien ausgesetzt sind, deren Umfang
schw^er genau zu bestimmen ist.
Hat.Herr Oesterreich diese beiden Schilderungen gekannt?
Wenn ja, möchte ich seine Aeusserung betrüblich unkritisch nennen und
geeignet, die religiösen und sittlichen Gefühle weitester Kreise zu ver¬
letzen. Wenn nein, möchte ich seine Aeusserungen betrüblich ober¬
flächlich nennen. Das Buch Oesterreichs klingt aus in eine Auf¬
forderung zu Spenden an ein Konto „Deutsches Zentralinstitut für Para-
psychologie“ (Prof. Oesterreich), dessen Verwaltung und Verwen¬
dung Herrn Oe. unterstehen soll.
Herr Schleich hat sich durch seine Arbeiten über schmerzlose
Operationen als Arzt unvergängliche Verdienste um die Menschheit er-
w orben. In den letzten Jahren betätigt er sich als Dichter. Es ist wohl
nicht seine Schuld, dass diese in schöner Sprache und in edelster Ge¬
sinnung geschriebenen Kunstwerke von Laien als Grundlage für
wissenschaftliche Ausbildung benützt werden. Dafür sind sie
wohl nicht bestimmt und keinesfalls geeignet: Wenn Herr Schleich
in seinem „Schaltwerk der Gedanken“ schreibt: ,T)ie Geisteskranken
laufen splitternackt herum in ihren kleinen Gefängnissen, toben, rasen,
setzen sich allen Unbilden des Wetters aus, ohne je an Lungen- ode
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
780
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Nierenentzündung, ja nicht einmal an Schnupfen oder Darmstörungen
zu erkranken“ — „Ist das nicht etwa der Schutz des Leibes durch eine
zentrierende Idee?“ — „Hysterische werden fast nie ernstlich krank;
Bazillen - und das ganze Geschmeiss von belebten Infektionsträgern
können gar nicht an sie heran“, so ist das, wissenschaftlich gesehen,
ein fürchterlicher Unsinn; neben Ausführungen, die auch wissenschaft¬
lich interessant sind, finden sich ähnliche unsinnige Behauptungen leider
an mehreren Stellen.
Freih. v. Schrenck-Notzing, der angesehene Münchener
Nervenarzt, hat zwei interessante Werke über phj'sikalische Erschei¬
nungen des Mediumismus veröffentlicht. Der klassische Wert seiner
Arbeiten liegt darin, dass zahli eiche vorzügliche Photographien eine kri¬
tische Nachprüfung ermöglichen, frei von dem Affekte, mit dem die un¬
mittelbare Beobachtung okkulter Phänomene verknüpft ist. Das Be¬
streben des Autors, objektiv zu beobachten und kritisch zu berichten,
ist unverkennbar; es berührt sympathisch, dass er selbst auf Fehler¬
quellen hinweist, selbst Einwände vorbringt.
Die meisten Beobachtungen wurden mit dem Medium E. C. ge¬
macht, dessen Persönlichkeit oben geschildert wurde. Schon diese
Schilderung muss die Annahme eines Betrugs nahelegen. Die Ver¬
mutung wird zur Gewissheit gemacht durch die Betrachtung der zahl¬
reichen Abbildungen. Der Titel der Bücher würde richtiger lauten:
„Materialisationsphänomene das ist merkwürdige Beschreibung der
höchst wunderbaren Ereignisse, so eine geistig und moralisch minder¬
wertige Hysterika einem .bekannten Nervenarzt und anderen nam¬
haften Autoren suggerieret hat.“ Die Mischung von Neuzeit und Mittel-
alter im Titel würde den Leser nicht überraschen. Mit mir werden
viele Aerzte herzlich bedauern, dass ein Mann von dem Charakter, dem
Wissen und den Fähigkeiten Schrenck-Notzings einer raffinier¬
ten Hysterika in die Hände gefallen und dadurch auf Bahnen gelenkt ist,
die der Wissenschaft eine wertvolle Kraft entziehen.
Oesterreich wirft in seiner oben zitierten Abhandlung die
Frage auf (S. 139), ob Rudolf Steiner, der bekannte Anthroposoph,
geisteskrank sei. Ich möchte diese Frage, soweit ein Urteil ohne persön¬
liche Untersuchung möglich ist, verneinen; ich möchte ihn für eine
geniale, aber ausserordentlich ungleichheitlich veranlagte Persönlichkeit
mit manchen auffallenden, nur an Hand psychiatrischer Kenntnisse ver¬
ständlichen Zügen auffassen. Auf dem Boden der Stein er sehen
Lehren scheint Herr HauptpredigerGeyer - Nürnberg zu stehen.
Ich habe zweimal einen öffentlichen Vortrag dieses von Vielen hoch-
geschätzten Geistlichen gehört. ' Der Vortrag war als Kunstwerk ent¬
zückend. Ich würde es für eine Barbarei halten, die blaue Blume der
Poesie, die uns in so anmutiger Weise gereicht wurde, kritisch zu zer¬
pflücken und den blauen Duft, in dem er uns das Herannahen des
St ein ersehen Zeitalters malte; durch kritische Farben zu trüben.
Nur eines muss ich als Psychiater sagen: das Hellsehen Steiners ist
nichts anderes als gewöhnliches Denken, das durch eine Art von Auto-
liypnose beeinflusst wird; wenn eine geniale und, wie ich zunächst an¬
nehmen möchte, sittlich hochstehende Persönlichkeit mit glänzender
naturwissenschaftlicher und allgemeiner Bildung, genau unterrichtet
über die bisherigen religionsphilosophischen Lehren, wie Steiner es
ist, gewissermassen in ihr Gehirn hineinsieht und uns den Inhalt ihres
(jehirnes als „Anthroposophie“ darbietet, so werden neben zahlreichen,
phantastischen Zügen doch auch viele gute, edle und sittlich hoch¬
stehende, vereinzelt sogar vielleicht wissenschaftlich wertvolle Ge¬
danken sich finden. Wenn aber seine, bisher nur den Gebildeten zu¬
gängliche Lehre von der Kanzel in das Volk geworfen würde, dann
würden auch minder geniale Menschen, ohne Vorbildung, der staunenden
Menschheit die Produkte ihres „Hellsehens“ verkünden. Da der Okkul¬
tismus ähnlich dem Kommunismus eine verhängnisvolle Anziehungskraft
besitzt auf Geistesschwache, auf die noch unreife Jugend, auf das vor¬
zeitig gealterte Alter, auf Phantasten, auf Hysterische, vor allem auf
die Psychopathen: die Haltiosen, die krankhaften Lügner und Schwind¬
ler, würden wir erleben, dass in unserem durch Krieg, Tod und Not
und Sorge um die Zukunft zermürbten und empfänglich gemachten
Volke „Propheten“ aufstehen ähnlich denen, von deren Taten wir In
der Geschichte der Münster sehen Wiedertäufer mit Schaudern lesen.
Es ist ein hohes Verdienst der katholischen Kirche, dass sie mit vollster
Klarheit und Schärfe Steiner abgelehnt hat und ich möchte als
Protestant jeden einzelnen protestantischen Geistlichen recht herzlich
bitten, doch jene Gefahr und die Gefahr des Verfalls unserer- Kirche in
eine öde und gefährliche Sektiererei recht genau zu prüfen, bevor er die
gerade für ideal gericht^e Christen vielfach gefährlich verlockende,
aber mit pathologischen Zügen schw er durchsetzte Lehre Steiners
empfiehlt.
In Nürnberg hat sich eine „Gesellschaft zur wMssen-
schaftlichen Erforschung ,okkulter‘ Erscheinunge n“
gebildet. Der Zweck ist löblich, ln der Oeffentlichkeit hat sich die
üesellschaft bisher daurch bemerkbar gemacht, dass ihr 1. Vorsitze.nder,
Herr Dr. Böhm, in wenig kritischer und höchst unwlssensch-aftlicher
Weise okkultistische Ideen in der Tagespresse und in Vorträgen
propagiert: Auch Tiere haben mediale Fähgikeiten. Die Duplizität \ on
Erfindungen ist auf Telepathie zurückzuführen. Spukerscheinungen sind
auf Telekinese zurückzuführen, auch wenn einmal absichtlicher
Schwindel nachgewiesen wurde. Wenn das Dienstmädchen träumt,
dass der junge Herr in Urlaub kommen wird, so ist das Telepathie.
Geisteskranke können — von organischen Fällen abgesehen — durch
Psychoanalyse geheilt werden. Ausgesprochene Fälle von Dementia
praecox führt er auf Telepathie zurück. Seinen Ausführungen ist zu ent¬
nehmen, dass er sich für eine geniale Persönlichkeit hält, von beson-
Digitized by Gotisle
deren Kenntnissen, ausserordentlicher Geduld, scharfer Beobachtungs¬
gabe und Urteilsfähigkeit. Er benennt sich als „Sachverständiger“;
spricht mit Herablassung von „Laien“, bezeichnet sich schlechthin
als „Dr Böhm““ und galt daher in weitesten Kreisen als sachver¬
ständiger Nervenarzt. Tatsächlich ist er Tierarzt und Dr. phil. (Doktor¬
arbeit auf dem Gebiete der Zoologie). Ich habe grösste Hochachtung
vor unseren tüchtigen Tierärzten; ich gebe auch za. dass zwischen
Okkultismus und Zoologie gewisse Berührungspunkte bestehen; ich gebe
auch zu, dass Herr B. okkultistischer Sachverständiger in dem Sinne
ist, dass er mit Medien arbeitet und sich eine seine individuelle Im¬
munität übersteigende Dosis okkultistischer Literatur einverleibt hat.
Wissenschaftlicher Sachverständiger ist er weder nach seinen
Vorkenntnissen, noch nach seinen Arbeits- und Publikationsmethoden.
Publikum und Behörden wünschen nicht okkultistische,'sondern wissen¬
schaftliche Sachverständige. Trotzdem gibt B. sich als Sachver¬
ständiger aus, reist umher, hält „Aufklärungsvorträge“, In denen er zwar
über die gröbsten Auswüchse des Okkultismus aufklärt, gleichzeitig aber
unter der falschen Flagge der Wissenschaft Telepathie, Telekinese und
Teleplasie (Materialisationsprozesse) als wissenschaftlich unanfecht¬
bare Tatsachen hinstellt: der Schaden ist wesentlich grösser als
der Nutzen. Ich habe dem Verein die Bedenken, die ich
gegen das Auftreten seines I. Vorsitzenden habe, mitgeteilt. Der
Vereirt hat damit geantwortet, dass er den Herrn Böhm ein¬
stimmig als I. Vorsitzenden wiederwählte. Durch diesen Be¬
schluss hat sich der Verein auf den Boden des Okkultismus gestellt; er
gibt seinen Namen dazu her, dass die Oeffentlichkeit unter der falschen
Flagge der Wissenschaft irregeführt und der Böden bereitet wird für
geistige Erkrankungen und Epidemien. Selbst die Hbffnung, der Verein
werde wenigstens in Zukunft okkultistische Expektorationen seines
I. Vorsitzenden in der Tagespresse verhindern, hat sich nicht erfüllt
Ich bitte an dieser Stelle alle Mitglieder des Vereins, dem an¬
gesehene Persönlichkeiten in hohen Stellungen arigehören. das Verhalten
des I. Vorsitzenden noch einmal zu überprüfen und jedenfalls dafür zu
sorgen, dass weitere Veröffentlichungen in der Tagespresse unter¬
bleiben und dass die Beobachtungen, die den Verein zu seiner jetzigen
Stellungnahme veranlassen, der Wissenschaft durch Publikation in
der Fachpresse oder durch Mitteilungen auf Kongressen baldigst zu¬
gänglich gemacht werden.
Ein w^eiterer Sachverständiger in okkulten Fragen ist Herr
Dr. Aigner- München; ich habe den Eindruck, dass er „einerseits“ irn
ersten Teil seiner Ausführungen den Okkultismus bekämpft, „andererseits“
aber im zweiten Teil ihn propagiert. Seine sehr hübsch und mit grosser
Anschaulichkeit vorgetragenen Ausführungen scheinen mir durch Sub¬
jektivität der Auffassung, durch einen liebenswürdigen Optimismus,
durch eine gewisse Vielgeschäftigkeit, durch ein lebhaftes Tempera¬
ment bisweilen etwas stärker beeinflusst zu sein, als Im Interesse der
Gründlichkeit und der Objektivität erwünscht sein möchte; das Ver¬
hältnis, in welchem er und die Wissenschaft zum Okkultismus stehen,
möchte ich auffassen, wie das Verhältnis, in welchem Onkel Bräsig
und Karl Hawermann zum Rechnen standen: in der Fixigkeit sind
Onkel Bräsig und Herr Aigner über, in der Richtigkeit aber Karl
Hawprmann und die Wissenschaft. Wenn man Herrn Aigner
hört, so hat man den Eindruck, dass er mindestens einmal in der Woche
der Regierung eine wichtige Entdeckung nachweist: eine kohlenhaltige
Schicht, ein wichtiges Metallager, eine lang vergeblich gesuchte Ouelle
— alles Dinge, die den einfältigen Fachleuten entgangen sind. Ich
möchte Herrn Aigner dringend bitten, unter Zurückstellung jeder
falschen Bescheidenheit uns einmal eine präzise Zusammenstellung der
sämtlichen durch seine Tätigkeit ermöglichten Funde zu liefern; die
Zusammenstellung würde an Wert gewinnen, wenn ihr auch ein Ver¬
zeichnis der negativen Reaktionen beigefügt würde — wir alle, die wir
bisher ihm etwas skeptisch gegenüberstehen, werden uns gern über¬
zeugen lassen und ihm dann auch verzeihen, dass er für seine Mit¬
teilungen in grösserem Umfange als sonst üblich die Tagespresse be¬
nützt. Die Tatsache, dass Herr Aigner, der mit viel Temperament
seinerzeit den Gedanken an die Möglichkeit eines göttlichen Wunders
bekämpft hat, nunmehr an die Wundertätigkeit einer sittlich und geistig
tiefstehenden Hysterika zu glauben scheint, ist dem Psychologen nicht
ganz unverständlich.
Dagegen, dass Dichter und Schriftsteller unter ausgiebiger Mischung
von Wahrheit und Dichtung und in vollem Fluge einer durch wissen¬
schaftliche Erwägungen nicht eingeengten Phantasie den Okkultismus
propagieren, sind wir fast machtlos; um so mehr aber ist es sittliche
Pflicht des .Arztes, nicht die okkultistische Forschung an sich, nicht die
Publikation von Beobachtungsergebnissen auf „okkultem“ Gebiete in
der Fachliteratur zu bekämpfen, wohl aber die unkritische Propagierung
okkultistischer Ideen in der Oeffentlichkeit und unter dem Mantel der
Wissenschaft. Nur so können wir verhüten, dass- Phantasten, Psycho¬
pathen, Jugendliche, vorzeitig gealterte, Kriegsgewinnler und Leute, die
durch lange fortgesetzte einseitige^ stark affektbetonte Beschäftigung mit
okkulten Problemen diesen Problemen gegenüber in ihren kritischen Lei¬
stungen geschwächt wurden, Leute, die mit der Mode gehen und Leute, die
sich der Tragweite ihrer Handlungen und Aussprüche nicht immer ge¬
nügend überlegen, hinsichtlich der beiden besten Stützen unseres Volkes:
hinsichtlich der Wissenschaft und der Religion, jenen schädlichen Einfluss
gewinnen, den ähnliche Elemente in unserem geistig zermürbten Volke
zur Zelt der Räterepublik in München auf politischem Gebiete vor¬
übergehend zu gewinnen wussten.
Original from
UNfVERSiTY OF CALIFORNfA
24 . Juni 1921.
Münchener medizinische Wochenschrift.
781
FQr die Praxis.
Zur Serumbehandlung der Diphtherie.
Von M. Pfaundler, München.
Als im Beginn des 19. Jahrhunderts die Schutzpockenimpfung in den
europäischen Ländern allgemeine Verbreitung gefunden hatte, geriet die
Blatternnot früherer Zeiten alsbald in Vergessenheit; die nächste Folge
war ein Erlahmen des Impfeifers und die weitere Folge eine Wiederkehr
von Variolaepidemien. Man hört die Befürchtung äussern. dass der
Behring sehen Entdeckung zur vorbeugenden und Heilbehandlung der
Diphtherie ein ähnliches Schicksal wie der Jenner sehen drohe, ln
der Tat ist die Diphtherie heute nicht mehr in solchem Masse der
Miitterschreck wie einst — was begreiflich wird, wenn man sich den
harmlosen Verlauf der weit überwiegenden Zahl von frühbehandelten
Fällen im Privathause vergegenwärtigt. Auch der Arzt, der das Uebel
aus eigener Anschauung nur von dieser Seite her kennt, wird geneigt
sein das Serum in Prophylaxe und Therapie zu sparen. Dagegen be¬
stehen meines Erachtens auch keine ßedenken, soferne gewisse Be¬
dingungen erfüllt sind, die vielleicht folgendermassen zu formulieren
wären: Es muss sich um ein sonst gesundes Schulkind von artgemässe.^
Körperverfassung und (bei der kurativen Anwendung) um eine auf die
Mandelschleimhaut beschränkte Ausschwitzung ohne deutliche toxische
Erscheinungen handeln; es muss Gelegenheit geboten sein dert Gesund¬
heitszustand in der Gefahrszeit bzw. den Krankheitsablauf fortdauernd
zu kontrollieren. Als toxische Zeichen gelten uns insbesonders: starke
Drüsenschwellungen am Halse mit periglandulärem Oedem. erhebliche
Albuminurie, Prostration. Pulsanomalien.
Seit geraumer Zeit sehen wir in zunehmender Häufigkeit diphtherie¬
kranke Kinder zur Aufnahme in die Klinik gelangen, die unter ganz
anderen als den genannten Bedingungen ungeschützt oder unbehandelt
geblieben sind. Der Grund hiefür liegt meist an den Angehörigen, sei
es, dass diese das Uebel infolge mangelhafter Sorgfalt oder Sachkenntnis
lange Zeit übersehen, verkannt, sei es, dass sie sich mit Hausmitteln
begnügt oder die Serumbehandlung abgelehnt haben. Seit dem Kriege
sind diese Vorkommnisse aus durchsichtigen Gründen besonders häufig
geworden.
In anderen Fällen tragen Aerzte die Verantwortung für das Unter¬
lassen einer ausreichenden prophylaktischen oder therapeutischen Ein¬
spritzung. Die Zahl der grundsätzlichen Serumgegner ist, wie
mir scheint, hierzulande stark zusammengeschmolzen; es handelt
sich daher häufiger um nicht diagnostizierte, auch wohl um nicht dia¬
gnostizierbare oder aber in ihrer Bedeutung pnterschätzte Krankheits¬
fälle. Ein häufiger Grund für solche Unterschätzung ist das Fehlen hoher
oder überhaupt abnormer Körpertemperaturen, das aber auch bei ernsten
Formen des Uebels gar nicht selten ist, oder mindestens nicht selten
scheint, wenn erst spät und wenn nur ab und zu gemessen wird. Oft
wird die Diagnose Diphtherie abgelehnt, weil das Kind die Krankheit
schon einmal überstanden hat, was aber ebenso wie das Freisein des
Rachens durchaus kein brauchbares Argument ist.
In zahlreichen Fällen liegen ferner ärztlicherseits besondere Be¬
denken gegen die Serumanwendung vor, wovon namentlich eines immer
mehr an Bedeutung gewinnt .und hauptsächlich den Anlass zu dieser Mit¬
teilung bildet: die Furcht voY dem anaphylaktischen
Schock. Vor dieser Gefahr scheint für Manche nachgerade die Gefahr
der Diphtherie zu verblassen. i
Zweierlei typische Geschehnisse kommen in Betracht: 1. Ein von
Diphtherieansteckung schwerbedrohtes, jüngeres Kind wird nicht ge¬
schützt, damit es nicht bei einer allenfalls doch eintretenden diphtheri¬
schen Erkrankung und einer dadurch nötig werdenden therapeutischen
Seruminjektion der Schockwirkung verfalle. 2. Die Seruminiektion wird
mit Rücksicht auf dieselbe Schädigung bei einem Falle von fort¬
schreitender diphtherischer Erkrankung überhaupt nicht oder nicht in
ausreichender Häufigkeit und Dosierung wiederholt.
Ich fasse zunächst letzteren Fall ins .Auge. Der Zustand von
diphtheriekranken Kindern fordert recht häufig eine zweite oder auch
eine dritte Seruminjektion innerhalb der ersten Krankheitswoche; ins¬
besondere spät zur Behandlung gelangte, dann absteigende (Aphonie!) und
hypertoxische Fälle reagieren auf die erste Serumdosis oft nicht in be¬
friedigender Weise. Für die Anstaltsbehandlung kommt noch in Be¬
tracht, dass häufig die schon vor der Aufnahme angewandte Menge des
Heilmittels, die selten 1500 Einheiten übersteigt, von vorneherein nicht
ausreichend erscheint. So kommt es, dass wir an der Münchener
Kinderklinik pro Jahr mindestens 70 mal Reinfektionen von Diphtherie¬
heilserum in kurzem Intervall, d. h. in einem solchen von weniger
als 7 Tagen, vornehmen. Jedesmal, wenn von solcher Reinjektlon im
klinischen Unterricht die Rede ist, laufen aus dem Kreise der Hörer¬
schaft Rückfragen ein, ob denn das Vorgehen die Kinder nicht schwer
gefährde. Den Kollegen schwebt immer das höchst eindrucksvolle Bild
des Tierexperimentes vor Augen; sie sehen das Meerschweinchen, das,
durch vorausgegangene Serumeinspritzung sensibilisiert, auf intrakardiale
Reinfektion am 10. Tage nach kurzer dramatischer Krankheitsszene
prompt anat)hylaktisch zugrunde geht. Ohne auf die vielfältige Ver¬
schiedenheit der Versuchsbedingungen hier und dort einzugehen, kann
ich feststellen, dass in der hiesigen Anstalt besagtes Vorgehen in keinem
einzigen von mehreren hundert Fällen Tod oder irgendwelche Todes¬
gefahr nach sich gezogen hat und dass solches nach anderweitigen
experimentellen und klinischen Erfahrungen auch nicht zu befürchten
Digitized by Goiisle
steht. Mit anderen Worten: Die Rücksicht auf anaphylak¬
tische Schockwirkung begründet durchaus keine
Kontraindikation, bei schweren Diphtheriefällen im
Kindesalter innerhalb der ersten paar Krankheits¬
tage Seruminjektionen zu wiederholen, sei es auch intra-
glutäale und intravenöse, sei es auch in der Dosis von einigen tausend
Einheiten und mit der gleichen Serumart, die zur ersten Injektion ge¬
dient hat. Anderseits ist die Indikation zur wieder¬
holten Einspritzung recht häufig mit aller Dring¬
lichkeit gegeben,.
/ Unter besonderen Umständen,* beispielsweise nach wirkungsloser
prophylaktischer Injektion im Status post morbillos, ferner bei pro¬
trahiertem, namentlich kruppösem Verlauf einer Kleinkinderdiphtherie
oder bei zweitmaliger Erkrankung an Diphtherie kommt man in die
Lage, eine Reinfektion vorzunehmen, die mehr als 6—12 Tage
von der ersten Injektion absteht. Dies ist ein etwas anders
zu wertender und seltenerer Fall. Er hat sich uns in den Jahren von
1906 bis 1916 179 mal ergeben und zwar vinirden teils subkutane, teils
intramuskuläre und intravenöse Reinfektionen gemacht. Ein Fall
von letalem anaphylaktischen Schock findet sich
auch in dieser Reihe nicht. Andere Autoren haben unter
solchen Umständen bekanntlich bedrohliche Erscheinungen, ja Todes¬
fälle erlebt. Die Zahl dieser Beobachtungen wird anscheinend sehr
überschätzt. Wir*) konnten nur 3 kindliche Diphtherie betreffende, ziem¬
lich sichere Fälle von tödlicher „sofortiger Reaktion“ in der deutschen
Literatur auffinden, die sich auf schätzungsweise etwa 110 000 Reinjek-
tionen mit über einwöchentlichem Intervall verteilen. Nimmt man an.
dass 10 mal so viel Schocktodesfälle tatsächlich vorgekommen sind, als
publiziert wurden, dann würden auf die Reinfektionen in der gefähr¬
lichsten Phase etwa 0,03 Proz. Todesfälle treffen. Von ebenderselben
Grössenordnung ist die Frequenz der Todesfälle nach Vakzination, nach
Allgemeinnarkose und nach Salvarsaneinspritzungen. Hält man sich
diese Daten vor Augen, dann wird man zum Schlüsse kommen, dass
entgegen dem heutigen Brauch in der Praxis selbst
bei Wiedereinspritzungen mit mehrals einwöchent¬
lichem Intervall d^r Gedanke an die Schockgeführ-
dungvan d i p h t h e r i e k r a n k e n Kindern ganz und gar
in den Hintergrund treten muss gegenüber den An¬
zeigen, die der Krankheitsprozess an sich ergibt.
Die Rücksicht auf die Gefahren der „sofortigen Reaktion“ legt dem
praktischen Arzte meines Erachtens höchstens die Verwendung von
Rinderserum bei der prophylaktischen Behandlung nahe, ferner bei der
Heilbehandlung, wenn das Kind schon frühzeitig injiziert worden war,
die Vermeidung von intravaskulärer Injektion, die Verwendung hoch¬
zentrierter Sera und eventuell das bekannte Besredkaverfahren (Erzeu¬
gung von Antianaphylaxie durch subkutane Einspritzung von K, 1 und
2 ccm Vio Senim in viertelstündigen Intervallen, 5 Stunden vor der
vollen Reinjektionsdosis). Auch empfiehlt sich die Ueberwachung des
Reinjizierten in der ersten Viertelstunde nach dem Eingriff.
tazilie MdHiziB IM iirztilcM standesMiiieiiBiBltM.
Ueber Gefälligkeitszeugnisse.
Von A. Krecke in München.
Jeder Arzt muss sich glücklich schätzen, wenn er in den ersten
Jahren seiner praktischen Tätigkeit einen älteren Kollegen zur Seite
hat, der ihm in schwierigen Standesfragen Berater und Lehrer ist. Ich
halte es für einen besonderen Gewinn meines Lebens, dass ich in den
ersten Jahren meiner praktischen Tätigkeit mit dem leider zu früh
verstorbenen Joseph Gossmann oft tagtäglich meine Gedanken
über Standesfragen austauschen durfte und von ihm viele wertvolle
Anregungen erhielt. Von besonderem Eindruck war es mir immer,
wenn Gossmann über ärztliche Zeugnisse sprach und erzählte, wie
sein Verhalten sei, wenn er von einem seiner Klienten um irgendeine
Bestätigung oder ein Zeugnis angegangen würde. Allen Bitten gegen¬
über war er von der äussersten Strenge und Gewissenhaftigkeit und be¬
gründete seinen Standpunkt damit, dass er sagte: „Jedes Zeugnis ist
für mich ein Dokument, das ich stets vor Gericht zu beeidigen imstande
sein muss. Was ich mit meinem Eide nicht erhärten kann, unterschreibe
ich nicht.“
Das war gewiss der Standpunkt der Mehrzahl der alten Aerzte,
der Standpunkt, der eigentlich als der allein richtige anerkannt werden
kann.
Wie weit haben wir uns aber unter dem Einfluss des unheilvollen
Krieges von diesem Standpunkte entfernt, wie tief ist gegenüber den
vielfach an sie herantretenden Forderungen das Verantwortungsgeiühl
der Aerzte gesunken!
Während des Krieges hat der Staat, getreu einer alten Uebung.
die grossen Ernährungs- und Verkehrsschwierigkeiten dadurch erträg¬
lich zu machen gesucht, dass er im ärztlichen Zeugnis ein Gegengewicht
gegen die Härten der Verordnungen einsetzte. Die Lebensmittel wur¬
den knapp, ein ärztliches Zeugnis verschaffte Anweisung für Milch,
Eier, Fleisch und Butter; infolge Kohlenmangel wurden die Eisenbahn-
•) Ausführliches bei R. Walter: „Ist die Furcht vor dem anaphylak¬
tischen Schock bei Serumreinjektionen begründet?“. München, Verlag
R. Müller & Steinicke. 1918.
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
782
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Züge mehr und mehr eingestellt und das Reisen eingeschränkt, ein ärzt¬
liches Zeugnis gab die Erlaubnis zu einer beliebigen Eisenbahnfahrt;
infolge der schlechten Versorgung der beliebten Sommerfrischen wurde
der Fremdenzuzug verboten, ein ärztliches Zeugnis öffnete die Pforten
zu jedem beliebigen Erholungsort; das ganze wehrfähige Deutschland
wurde zu den Waffen eingezogen, ein ärztliches Zeugnis musste das
Vorhandensein eines schweren neuropathischen Zustandes und der kaum
vorhandenen üamisondienstfähigkeit bescheinigen; die Benützung der
Badeöfen wurde verboten und die Heizung wurde auf ein Zimmer
beschränkt, ein ärztliches Zeugnis musste die Notwendigkeit eines häufi¬
geren Bades und eines warmen Schlafzimmers bestätigen.
Was hat man in den Kriegsjahren nicht alles bestätigen müssen!
Ausser den Formularen für Lebensmittelzeugnisse lagen in meinem
Schreibtisch ständig Formblätter bereit, um die Notwendigkeit eines
Landaufenthaltes, einer Eisenbahnfahrt, eines Sitzplatzes, eines warmen
Schlafzimmers zu bestätigen.
Schlagen wir an unsere Brust und fragen uns, welcher Arzt in
diesen schlimmen Zeiten dem oben gekennzeichneten Standpunkte treu¬
geblieben ist. Wir müssen bekennen, dass wir alle gefehlt haben. Es
war einfach nicht möglich, dem Andrang der Bittsucher Stand zu hal¬
ten, und in dem täglichen Andrang gingen Grundsätze und Ueberzeu-
gungen dahin.
Jeder, der es ernst mit seinem Verantwortungsgefühl nahm, be¬
schränkte aber doch seine Bestätigungen auf diejenigen Fälle, wo eine
wirkliche Erkrankung, wenn auch nicht schwererer Art vorlag, gegenüber
welcher man einigermassen seine Unterschrift verantworten konnte.
Leider ist es nicht immer so geblieben. Wiederholt wurde darüber
geklagt, dass die angeblichen Erholungsbedürftigen in einer Sommer¬
frische einen ganz auffallend gesunden Eindruck machten, und dass die
Schlafwagenplatzinhaber nichts von irgendeinem Leiden erkennen
licssen. Wie oft kamen Bekannte zu mir mit der Bitte um ein Zeug¬
nis für Landaufenthalt. Auf meine Frage: „Haben Sie irgendein Lei¬
den?“, erwiderten sie sehr vergnügt; „Nein, durchaus nicht, es handelt
sich nur um eine Bestätigung für die Behörde.“ ln gleicher Weise ist
es der Mehrzahl der Kollegen ergangen, und alle Kollegen werden,
ebenso wie ich erstaunte Gesichter gesehen ^Jiaben. wenn man den Ge-
suchstellern klar zu machen suchte, dass eine ärztlichd Unterschrift doch
einen gewissen Untergrund haben müsse, und dass man *nicht eine
Unwahrheit bestätigen könne. „Ach, das habe ich mir gar nicht so
vorgestellt, ich hielt das für eine reine Formsache,“ war die gewöhn¬
liche Antwort. Später habe ich die Versuche der Belehrung eingestellt,
da dieselben doch keinen Eindruck machten, und habe mich auf die ein¬
fache Ablehnung der Unterschrift beschränkt. Eines Tages /kam ein
mir bekannter Herr zu mir und bat mich um eine Bestätigung für Be¬
nützung eines Schlafwagenplatzes. Auf meine Frage; „Sind Sie
krank?“ erwiderte er: „Nein, ich möchte aber gerne bequem
nach Berlin fahren und benötige dazu eine ärztliche Bestäti¬
gung.“ Ich wies ihn ab mit dem Bedauern, dass ich meine
Namensunterschrift für solche Bestätigungen doch nicht für an¬
gezeigt halte. Am nächsten Tage traf ich ihn wieder mit einem sehr
vergnügten (iesicht und der Angabe, dass er jetzt schon einen Schlaf¬
wagenplatz habe. „Wie haben Sie denn den bekommen?“ fragte ic!i.
..Ich bin zu dem Pförtner vom Hotel X gegangen, von dem erhielt ich
eine Anschrift und bekam dortselbst gegen die Gebühr von 30 M.
die erforderliche Bestätigung.“
Wie tief musste nicht nur die allgemeine Moral, sondern auch die
Achtung vor dem ärztlichen Stand gesunken sein, wenn jemand es für
durchaus erlaubt hielt, dass ein Arzt etwas bescheinigt, w/as nicht der
Wahrheit entspricht. Muss nicht ein Stand, dessen .Mitglieder, man
kann wohl sagen Tag für Tag. zu solchen Unterschriften unter Beihilfe
des Staates gezwungen werden, in seinem Ansehen mehr und mehr
herunterkommen, w'enn nicht diesem Uebel einmal energisch Einhalt
geboten w'ird? Im Kriege war es wmhl unvermeidlich gewMssc Be¬
willigungen zu machen, jetzt aber, wo die schlimmsten Zeiten vorüber
sind, erscheint es als eine der ersten Pflichten unserer Standesvertre¬
tung, dem Uebel der (iefälligkeitszeugnisse einmal energisch zu steuern.
Das ärztliche Zeugnisw^esen liegt überhaupt sehr im argen. Der
.Aerztliche Bezirksverein München hat sich in neuerer Zeit wiederholt
mit diesen Fragen beschäftigt und für die Zeugnisse, die in dem Ver¬
sorgungswesen zu erstatten sind, gewisse Bestimmungen aufgestellt.
Auf das wichtige Kapitel des ärztlichen Zeugnisses im allgemeinen soll
lieute nicht eingegangen werden Aber auf die Gleichgüliigkeit, die
in vielen ärztlichen Kreisen gegenüber den sog. kleinen Zeugnissen des
Lebens herrscht, muss energisch hingewiesen werden, und es müssen
strenge Massregeln getroffen werden, um diesem Unwesen, anders
kann man es nicht bezeichnen, zu steuern, bevor das Ansehen des
ärztlichen Standes noch w’eiter untergraben wird.
Zur Niederschrift meiner heutigen Ausführungen wurde ich gedrängt
durch einen Artikel, den ich zufällig in dem amtlichen Blatt des
Deutschen Bühnenvereins antraf. Der Artikel hat die Uebcrschrift:
..Das ärztliche Attest". In dem Aufsatz heisst es; „Die deutschen
Theater kranken an einem unerträglichen, immer mehr überhandnehinen-
den Leiden, das die Aerzfe. wMrk liehe Aerzte. heilen könnten, wenn
sie es wollten. Vorläufig sieht es leider allerdings nicht so aus. Die
Krankheit wird im Gegenteil immer schlimmer. Es ist die höchste
Zeit, dass eingeschritten wird, und wenn die einzelnen .Aerzte nicht
wollen, so w ird sich der .Deutsche IMihnenverein* an die Aerztekanimern
wenden müssen und um Hilfe ersuchen.“ Die Leichtigkeit, mit der
heutzutage vielfach ,Atteste‘ ausgestellt werden, ist geradezu tine Ver¬
leitung für die Bühnenmitglieder, sich krank zu melden, um entw’eder
Digitized by Goiisle
günstigere Gastspiele zu absolvieren oder zu filmen oder unbequemer
Rollen sich zu entledigen.“
Es werden dann einige charakteristische Zeugnisse im Wortlaut
angeführt:
„Frau .... sollte in der nächsten Zeit aus ärztlichen Gründen
von den Proben befreit werden.“ gez. Unterschrift.
Ferner:
„Herr .... ist zurzeit hochgradig nervös und bedarf völliger
Enthaltung von den Berufsgeschäften.“ gez. Unterschrift.
Oder:
„Frau .... ist ab 22. IV. w'egen Nervosität für ca. 8 Tage
dienstunfähig.“ gez. Unterschrift.
Endlich:
„Fräulein .... leidet an allgemeiner Neurasthenie, sie will aui
eigenen Wunsch noch in 2 Vorstellungen mitwirken, ist eigentlich
arbeitsunfähig, will, wie schon erwähnt, erst vom 31. XII. ab hier¬
von Gebrauch machen.“ gez. Unterschrift.
Der Schreiber des Aufsatzes bemerkt dazu: „Diese ,Atteste‘ sind
kaum ernst zu nehmen — jedenfalls gibt es heute in ganz Deutschland
sicherlich keinen geistigen Arbeiter, der nicht ebenso nervös wäre, wie
diese Bühnenkünstler, die ein paar Tage — schwänzen wollen. Um
etwas anderes handelt es sich doch wirklich nicht.“
Ein sehr merkwürdiges Zeugnis ist auch das folgende:
„Herr .... leidet seit langem an nervöser Abspannung und an
einem chronischen Katarrh des Rachens und Nasenrachenraumes
mit Drüsenschwellung, der sich in den letzten Tagen so verschlim¬
mert hat, dass ein Aufenthalt in Kösen zur Wiederherstellung der Ge¬
sundheit für einige Tage vom 24. bis 27. März exkl. dringend not¬
wendig erscheint.“ gez. Unterschrift.
Dazu bemerkt der Artikelschreiber:
„Es ist zweifellos, dass jeder Grossstädter sich gern drei Tage
in guter Luft ausserhalb der Stadt aufhalten wird — bedenklich er¬
scheinen muss es nur, wenn ein Arzt einen Kuraufenthalt von drei
Tagen in einem Bad als dringend notwendig erachtet, besonders
wenn es sich um die drei Tage von Gründonnerstag bis Ostersonn¬
abend handelt.“
Es ist wohl anzunehmen, dass dem Artikelschreiber die Original¬
zeugnisse Vorgelegen haben. Muss nicht jedem Arzt die Schamröte
ins Gesicht steigen, w'enn er hier öffentlich die Glaubwürdigkeit der ärzt¬
lichen Zeugnisse mit gutem Grund in Frage gezogen und die Aerzte
verantwortlich gemacht sieht dafür, dass bei einem grossen Teil der
Bühnenangehörigen die Grundsätze von Pflichtbewusstsein immer melir
ins Wanken kommen? Muss es denn nicht den ganzen Stand immer
mehr schädigen, wenn öffentlich bewiesen wird, dass ein ärztliches
Zeugnis, möge vorliegen was wolle, in jedem Fall mit Leichtigkeit zw
erhalten ist?
Zur Entschuldigung der in Betracht kommenden Kollegen ist an¬
zunehmen, dass sie sich der weitgehenden Folgen ihrer Bescheinigung;
nicht bewusst sind. Sie haben sich nicht vorgestellt, wie sehr sie das
allgemeine Ansehen der Aerzte schädigen und die Grundsätze von Treu
und Glauben, die gerade im ärztlichen Stand vor allen Dingen hoch¬
gehalten w erden müssen, vernichten. Man kommt ja oft dazu, einem
Menschen, der sich abgespannt fühlt, aus reiner Gefälligkeit zu sagen:
„Setzen Sie einmal ein paar Tage aus.“ Von diesem Rat bis zur
Unterschrift unter ein Zeugnis, d^s die unbedingte Notwendigkeit einer
Erholung bestätigt, ist aber ein weiter Schritt, und jeder Arzt, der
vor eine solche Entscheidung gestellt wird, sollte sich immer vorher
überlegen, welche Störungen er in dem betreffenden Betriebe unter
Umständen hervorruft.
Wenn in dem genannten Aufsatz ein deutscher Bühnenleiter seinem
Herzen einmal Luft macht und die ärztliche Standesvertretung anruft,
um dem immer mehr überhandnehmenden Unfug zu steuern, dürfen
wir erwarten, dass demnächst auch einmal aus anderen Berufskreisen
ähnliche Notschreie ertönen, und dass vielleicht auch einmal ein Ver¬
treter der Lehrerschaft sich in die Oeffentlichkeit flüchtet. In einer
Zuschrift an die Aerztekammer der Provinz Brandenburg hebt der
preussische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hervor,
dass an einer höheren Lehranstalt Berlins die Befreiung vom Turn¬
unterricht die Höhe von 45,9 Proz.. ja in einer Kla.sse sogar von
72,7 Proz. erreicht hatte. In den höheren Lehranstalten einer Berliner
Gemeinde betrugen bei den zur Entlassung kommenden Schülern und
Schülerinnen die Zahl der Befreiungen bei der männlichen Jugend 11.
14,4, 29,4 und 50 Proz., und bei der weiblichen Jugend 0, 42. 50 unu
73 Proz. An einer dieser Anstalten hatten von 14 befreiten Schülerinnen
8 zu gleicher Zeit an einem Tanzkurs teilgenommen. Von letzteren
waren 4 wegen Herzerkrankungen (Herzniuskclschwäche, Stiche am
Herzen, Herzschwäche, Herzklappenfehler), die übrigen wegen Bleicl -
sucht. Magenleiden. Folgen einer Blinddarmoperation vom Turn¬
unterricht befreit. (Berl. Aerzte-Korrespondenz 21, S. 172). Bevor o
zu spät ist, und bevor das Ansehen der ärztlichen Zeugnisse innncr
mehr und mehr abnimmt, ist es Aufgabe der ärztlichen Standesver¬
tretung, hier nach dem Rechten zu sehen und Alnvehrmassregeln za
ergreifen. Unter den augenblicklichen Verhältnissen ist cs natürlic’n
sehr schwer, bindende Regeln für alle Aerzte aufzustellcn. Wenn aber
einmal in absehbarer Zeit, wie doch zu hoffen steht, alle Aerzte der
Ehrengerichtsbarkeit der Bezirksvereine unterstellt sind, so muss e^
doch gelingen, diesem für die Aerzteschaft wie für die Oeffentlfchkeh
gleichw'ichtigen Unwesen zu steuern.
Ein gewisses Vorbild für Gegenmassregeln gegen den MissstaiK.
haben wor schon in den Abwehrmassregelii. die das Lebensmittelanu
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
783
gegenüber den Lebensmittelzeugnissen ergriffen hat. Der ärztliche
Beirat des Lebensmittelamtes bekam die Berechtigung. Stichproben auf
die Richtigkeit der Lebensmittelzeugnisse zu machen und. den be¬
treffenden „Kranken“ zur Untersuchung vorzuladen. Durch ein Ab¬
kommen der ärztlichen Standesvereine mit gewissen Behörden, mit
Schulen, Hesse es sich vielleicht erreichen, dass alle einlaufenden ärzt¬
lichen Zeugnisse einem Prüfungsausschuss vorgelegt würden.
Diesem Prüfungsausschuss müsste das Recht zuerkannt werden, bei
unklaren Fällen den betreffenden Kranken vorzuladen und einer Unter¬
suchung zu unterziehen. Schon das Bestehen eines solchen Prüfungs¬
ausschusses würde auf viele Aerzte, die es mit ihrer Namensunterschrift
nicht sehr genau nehmen, abschreckend wirken und würde sie zwingen,
vor Abgabe ihrer Unterschrift sich noch einmal energisch zu besinnen,
ob das Zeugnis einer etwaigen Nachprüfung auch standhalten könne.
Das Lebensmittelamt hat mit der Zeit genau gewusst, welche
Aerzte freigebig mit der Abgabe von Lebensmittelzeugnisseii waren
und welche zurückhaltend. So wird auch der einzusetzende Prüfungsaus¬
schuss bald diejenigen Aerzte kennen, welche den Wünschen der be¬
treffenden Kranken allzusehr entgegenkommen. und wird auf diese
Weise schon frühzeitig beurteilen können, welcher Wert einem ein¬
laufenden Zeugnis beizulegen ist.
Ohne Prüfungseinrichtungen (Kontrolleinrichtung) geht es nun
einmal bei den stetig zunehmenden Beziehungen des ärztlichen Zeug¬
nisses zur Oeffentlichkeit nicht mehr ab. Bei unserer ärztlichen Ver¬
einigung für freie Arztwahl muss es sich jeder Kollege gefallen lassen,
dass ein Kranker, dem die Erwerbsunfähigkeit bescheinigt ist. von
einem Prüfungsausschuss nachuntersucht wird. Erklärt der Prüfungs¬
ausschuss das betreffende Kassenmitglicd für arbeitsfähig, so ist damit
die Entscheidung gegen das Zeugnis des Arztes getroffen, wenn nicht
der betreffende Kollege f3erufung einzulegen sich verpflichtet fühlt.
Solche Prüfungsstellen müssen unbedingt auch sonst eingeführt werden.
Will der ärztliche Stand nicht zugeben, dass sein Ansehen mehr und
mehr abnimmt, so muss er diesem Punkte seine besondere Aufmerk¬
samkeit zuwenden. Nur strengste Disziplin vermag hier das Unheil,
das uns droht, abzuwendeii. Vermögen wir es nicht, in unseren Reihen
Selbstzucht zu üben, so wird cs mit unserer angesehenen Stellung,
die wir früher im Volkskörper eingenommen haben, bald zu Ende sein.
Wie oft hört man schon jetzt geringschätzig sagen: „Ach, ein ärzt¬
liches Zeugnis ist jederzeit leicht zu erhalten!“ Diese Meinung muss
ausgerottet werden. Sic lässt sich nur ausrotten dadurch, dass wir
unsere Standesvertretung beauftragen, im Einvernehmen mit den in
fietracht kommenden Behörden mit aller Energie vorzugehen
Trotz aller Schutzmasregeln wird es aber immer Aerzte geben,
die den Lockungen des Publikums nicht widerstehen können. Auch
bei der freien Arztwahl haben wir trotz aller Vorschriften und Prüfungs-
massregeln immer wieder Verfehlungen zu verzeichnen. In solchen
Fällen hilft nur die Strafe, und als beste Strafe hat sich immer die
(i e 1 d s t r a f e erwiesen. Was der Mensch an seinem Geldbeutel
spürt, das macht ihm den meisten Eindruck und veranlasst ihn in Zu--
kunft sich zu bessern. Droht einem Arzt eine Geldstrafe von 1000 oder
gar 10 000 Mark, so wird er sich sehr besinnen, eine Unterschrift ab¬
zugeben, wenn er nicht von der Wahrheit der betreffenden Behaup¬
tungen vollkommen überzeugt ist. Bei der in beängstigender Weise
zunehmenden Zahl der Aerzte sind strengste Massregeln schleunigst
geboten, um eine weitere Verwilderung der Sitten zu verhindern. Es
ist traurig genug, dass ohne strertge Massregeln an eine Besserung
nicht zu denken ist. Aber lieber den Karbunkel mit scharfem Messer
herausschneiden, als ihn immer weiter eitern und sich weiter aus¬
dehnen lassen.
Bocheranzeigen und Referate.
E. Abderhalden: Lehrbuch der physiologischen Chemie mit
Einschluss der physikalischen Chemie der Zellen und Gewebe und des
Stoff- und Kraftwechsels des tierischen Organismus. 4. Aufl. Teil I u. II.
Mit 40 Figuren. Urb an <5t.Schwarzenberg. Berlin-Wien 1921.
797 u. 723 S. Preis pro Band 144 M.
Dies vorzügliche Lehrbuch liegt wiederum in neuer Auflage vor. Die
Neubearbeitung hat sich, abgesehen von wichtigen Ergänzungen auf
chemischem Gebiet, besonders auf die Einfügung der physikochemischen,
speziell kolloidchemischen Forschungsergebnisse erstreckt. Der Um¬
fang der beiden ausserordentlich inhaltsreichen Bände beträgt zusammen
ca. 1500 Seiten. Wenn der Autor in einem Vorwort die Frage, ob das
Lehrbuch trotz solchen Umfanges noch allgemeinhin ein Lehrbuch für
Studierende sein soll, bejahend beantwortet, so muss der Rezensent es
doch demgegenüber für notwendig halten, bei der heute drohenden Zer¬
splitterung der Kräfte des Lernenden auch auf diesem Gebiet eine
jerössere Konzentrierung und vor allem eine grössere Beschränkung
des Lernstoffes eintreten zu lassen. Es dürfte dem Medizinstudierenden,
d-er sich allseitig gleichmässig für seinen späteren praktischen Beruf vor¬
bereiten will, nicht möglich ein, das in dem Abderhalden sehen
Lehrbuch enthaltene Material einigermassen gleichmässig zu bewältigen.
Es besteht die Gefahr der Ueberfüttening mit Details und damit des
Abschreckens von dies-em für die Gesamtmedizin fraglos fundamentaien
Qcbiet. Als Lehrbuch der Gesamtphysiologie dürfte nach Ansicht des
Rezensenten sicher bereits ein Werk von 1500 Seiten genügen, als Lehr¬
buch allein der physiologischen Chemie aber erscheint dem Verfasser
ein Buch des genannten Umfanges für den Studierenden und praktischen
Arzt fraglos zu gross. Der Wert des Buches aber wird durch dieses
Urteil nicht geschmälert. Für die klinischen Betriebe und für die Biblio-
Digitized by Goiisle
thek des internen Spezialisten ist das Buch mit seiner bekannten vor¬
züglichen Art der Darstellung nicht warm genug zu empfehlen.
H. Schade-Kiel.
E. S c h m i t z: Kurzes Lehrbuch der chemischen Physiologie. Berlin
1921. Verlag von S. Karger. 334 Seiten. Preis 44 M., geb. 52 M.
Schon in der vorstehenden Besprechung wurde darauf hingewiesen,
dass für den Studierenden das Bedürfnis nach einem kurzgefassten Lehr¬
buch der chemischen Physiologie vorhanden ist. Nach Urteil des Re¬
zensenten hat Sch. ein Buch geliefert, welches den Anforderungen nach
einer gekürzten und doch möglichst umfassenden Darstellung des physio¬
logisch-chemischen Tatsachenmaterials gerecht wird; Die Darstellung
ist klar und in der Auswahl des Mitzuteilenden recht glücklich. Die Ein¬
teilung Ist in den ersten mehr einführenden Kapiteln nach chemischem
Prinzip, in den sich anschliessenden Hauptkapiteln aber nach physio¬
logischen Gesichtspunkten geschaffen, so dass gut abgerundete Darstel¬
lungen, wie z. B. über die Verdauung, über das Blut und die Lymphe,
über den Harn, über die innere Sekretion usw. gegeben sind. Da.s
Schlusskapitel ist dem Stoffwechsel des Menschen als Ganzen gewidmet.
Es ist so auf etwa 320 Seiten eine Uebersicht über die Hauptergebnisse
der chemischen Physiologie vermittelt, welche ihrem Inhalt nach etwa
der Aufnahmefähigkeit des Studenten auf diesem Gebiet entspricht.
Der Wert des Buches ist noch dadurch erhöht, dass in zahlreichen An¬
merkungen Hinweise auf die spezielle Literatur beigefügt sind, so dass
dem Leser, falls er sich für eine besondere Frage näher interessiert,
der Weg zu weiterer Arbeit geebnet ist. Da Autorennamen im Text
die Uebersichtlichkeit für den Lernenden stören, dürfte es sich vielleicht
bei einer Neuauflage empfehlen, die Autorennamen sämtlich aus dem
Text heraus in die Anmerkungen zu bringen. Doch betrifft dieser Wunscli
nur eine Aeusserllchkeit. Das Buch in seiner vorliegenden* Gestalt ist
dem Studierenden sehr zu empfehlen. Für diejenigen Aerzte, die sich
später in spezialistischem Studium der inneren Medizin zu wenden, kann
es natürlich ein ausführliches Lehrbuch, wie besonders das obige Abder¬
halden sehe Werk, nicht ersetzen. ’ H. Schade -Kiel
Prof. Heinr. v. Hoesslln -Berlin: Das Sputum. Mit 66 grössten¬
teils farbigen Textfiguren. Berlin. Verlag von Jul. Springer.
308 Seiten. Preis 148 M., geb. 168 M.
Seit der B ie rm e r sehen Lehre vom Auswurf (1855) ist eine mono¬
graphische Darstellung dieser diagnostisch und prognostisch so wichtigen
Materie nicht mehr erfolgt. Bei der ausserordentlichen Bereicherung, die
unser Wissen über das Sputum insbesondere auf bakteriologischem,
chemischem und zellhistologischem Gebiet erfahren hat, w^ar eine Zu¬
sammenfassung der jetzigen Lehre vom Auswurf entschieden ein Be¬
dürfnis. H 0 e s s 1 i n geht dabei — und das scheint mir verdienstlich —
durchaus als Kliniker an die Sache. Er beginnt mit den allgemeinen
physikalischen und chemischen Eigenschaften und der makroskopischen
Beschaffenheit, hier von unübertrefflichen Abbildungen ebenso gut unter¬
stützt, wie bei der Darstellung der bekannten besonderen makro¬
skopischen Bestandteile (Spiralen, Gerinnsel etc.). Es folgt eine kritische
und vollzählige Behandlung der zytologischen und kristallinischen Be¬
standteile und ein breites Kapitel der chemischen Untersuchung. In dem
ausgezeichneten bakteriologischen Abschnitte finden wir die positive
Annahme des Bordet-Gengou sehen Keuchhustenbazillus; das
Kapitel der Sputumdiagnose des Tuberkelbazillus ist besonders ausführ¬
lich und ausgezeichnet; auch die höheren Parasiten (Echinokokken u. a.)
werden gebührend abgehandelt. Ein wahrscheinlich erschöpfendes
39 Seiten umfassendes Literaturverzeichnis und ein sorgfältiges Register
erhöhen den Wert des Buches ebenso wesentlich, wie die ausgezeich¬
neten, ausschliesslich originalen, meist farbigen Abbildungen. Druck und
Papier haben beste Friedenscigenschaften. Schade, dass sie der Preis
nicht auch haben kann! Das Buch ist ausgezeichnet und wird in keinem
klinischen Laboratorium fehlen dürfen. H. Curschmann -Rostock.
Smith Ely J e 11 i f f e and William A. White: Diseases of the ner-
vous System. Lea & Febiger, Philadelphia and New York 1919.
Während in Deutschland Neurologie und Psychiatrie meist vori ver¬
schiedenen Autoren und in getrennten Werken dargestellt werden,
haben die genannten amerikanischen Forscher die beiden Fachwissen¬
schaften in einem umfangreichen Band zusammengefasst. Neu ist. dass
hier zum ersten Mal die Neurologie der inneren Organe in einer Aus¬
führlichkeit behandelt ist, wie sie kaum in einem neurologischen
deutschen Werk zu finden ist. So wird die Neurologie des Herzens, der
Lunge, des Magendarmkanals sowie aller übrigen inneren Organe, die
dem vegetativen Nervensystem unterstehen, eingehend besprochen.
Allerdings sind hier viele Abbildungen aus den Arbeiten deutscher
Autoren entnommen. Die Erkrankungsformen, die durch innersekre¬
torische Störungen verursacht werden, sind ebenfalls sehr ausführlich
beschrieben.
Durch zahlreiche schematische Z-eichnungen, Tabellen und Abbil¬
dungen (470 Figuren und 12 Tafeln) wdrd das Verständnis sehr erleich¬
tert. Leider verlieren die Zeichnungen, die den Faserverlauf wieder¬
geben, an Uebersichtlichkeit dadurch, dass versucht wird, alle Faserarten
in ein Schema zu pressen. Auch die Darstellungsart, z. B. der ver-
-schiedenen Empfindimgsqualitäten durch Einzeichnen von Pinsel. Nadel,
Gewicht, Reagenzglas (für Wärme- und Kälteempfindung), und die
Wiedergabe der entsprechenden Faserarten durch möglichst grelle Far¬
ben entspricht wohl mehr amerikanischem als deutschem Empfinden.
Das Buch, das bereits in 3. Auflage erschienen ist. zeigt mit wei¬
chem Fleiss man sich jenseits des Ozeans dem Studium der Neurologie
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
784
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
hingibt und mit welchem Erfolg man bestrebt ist, die komplizierten
Innervationsverhältnisse der inneren Organe dem Verständnis näherzu¬
bringen. Für uns Deutsche ist leider das umfangreiche (1018 Seiten)
mit farbigen Darstellungen. Druck und Papier prächtig ausgestattete Buch
bei dem jetzigen Tiefstand unseres Geldwertes kaum zu bezahlen.
R. Greving -Erlangen.
Feer: Die Diagnostik der Kinderkrankheiten. Mit 225 Text¬
abbildungen. Verlag Springer. 40 M.
Ein ausgezeichnetes Buch mit ausserordentlich vielen (225) vor¬
trefflichen Abbildungen. Gerade in unserer jetzigen Zeit, wo die Hörsäle
durch Studenten überfüllt sind, und der einzelne nur im geringen Masse
die Möglichkeit hat, den Kranken in der Nähe zu sehen, ist der Wert
guter Abbildungen besonders wichtig. Aber neben diesem Vorzug,
für den wir auch dem Verlag für hervorragende Ausstattung Dank
wissen wollen, kommt besonders hinzu, dass der Text aus der Feder
eines ausgezeichneten Klinikers stammt, der aus eigener reichster
Erfahrung schöpft, und selbst der Fachmann wird das Buch mit Befriedi¬
gung lesen und studieren. Manche persönliche Beobachtungen, die hier
Feer mitteilt, sind neu, wie z. B. die des häufigen Stirnrunzelns
der atrophischen Pyloroplastiker (Abbildung 4), das häufige Fehlen
einer Eosinophilie bei Askariden, Tänien und Oxyuren, was Ref.
nur bestätigen kann. Hin und wieder wird vielleicht der Rahmen der
reinen Semiotik verlassen und therapeutische Massnahmen gegeben, wie
S. 114, 116 und besonders 184; doch ist dies vielleicht mit Absicht
geschehen, weil hier besondere persönliche Erfahrungen mitgeteilt wer¬
den. Wir möchten dem Buche eine gute Prognose stellen, denn es füllt
eine wirkliche Lücke in der Literatur aus und besser kann sie nicht be¬
hoben werden. R i e t s c h e 1.
Ernst Fuchs: Lehrbuch der Augenheilkunde. 13. Aufl. Leipzig-
Wien 1921, F. Deuticke. Preis M. 87.50.
Das altbewährte Lehrbuch der Augenheilkunde ist in 13. Auflage
erschienen, neubearbeitet von Salzmann, dem Lehrer der Augen-
heilknnde in Graz. Der besondere Wert des Lehrbuchs lag stets in der
einheitlichen flüssigen Darstellung und scharfen Kennzeichnung des ein¬
zelnen Krankheitsbildes. S a 1 z m a n n hat es sich angelegen sein lassen,
diesen Vorzug des Buches zu wahren und hat daher vieles aus der
letzten Auflage unverändert übernommen, so dass das Lehrbuch das
alte vertraute Bild zeigt, ohne dabei die Fortschritte der Wissenschaft
zu vernachlässigen. Manches ist anders angeordnet; bespnders will-
kommen dürften die Kapitel über die allgemeine Physiologie, Pathologie
und Therapie des Auges sowie der Abschnitt über die Beziehungen zur
Neurologie sein. — Für Studierende, praktische Aerzte und Augen¬
ärzte durfte die neue Auflage des klassischen Buches hochwillkommen
Fl e i s ch er-Erlangen.
Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkrieg 1914/1918. Heraus-
gegeben von Otto v. Schjerning. Bd. 8: Pathologische Anatomie.
Herausgegeben (unter Mitwirkung von Asch off. M. Askanazy,
Beitzke, Benda, Berblinger, Borst, Ceeien, Dietrich,
Durck, Fahr, Fahrig. E. Fraenkel, Ghon, Gräff. Groll,
P H V. Hansemann. Helly, G. Herxheimer,
^ Löhlein, Lubarsch, Luksch.
Oberndorfer,
r Schmidt. Schmincke.
S;/* Sternberg. St oerk, Waikh off, Wein er t
021 vni ® ''T J^**?^'* J •• Ambr. Barth.
^ 921. VIII. 591 S. u. 6 Tafeln. M. 150 (brosch.).
dcrn pathologisch-anatomischen Band leitet sich das Erscheinen
dieses Handbuches ein, das in 11 Bänden alle Gebiete der Kriegsmedizin
GeJegenheit halte, auch nur auf einem der
einschlägigen Gebiete die Füde der Mitteilungen von -einzelnen Be-
Oeberlegungen und von ärztlichen Anregungen zu
1 ^ ’ iK -^ ^ Herkulesarbeit sein müsste, all das
in einem vielbändigen Werk kritisch bewertet niederzulegen. Auch für
die Leistungen der pathologischen Anatomie im Kriege würde ein Band
nicht genügt haben. Es erscheint jedoch als ein Vor-
teil dieses Buches, welches die nicht für den Krieg charakteristischen
f^rner^die ^dirpwr’ charakteristischen Seuchen,
ferner die direkten Kriegserkrankungen (durch Schuss. Hieb, Stich etc
Absturz, Verschüttung, Luftdruckwirkung, Verbrennung, Hitzschlag Er¬
frierung und Gaseinwirkung), endlich die Wundheilung und ihre^’stö-
rpgen m 51 Hauptstücken behandelt, dass die einzelnen Autoren "auf
Grund eines wertvollen eigenen Beobachtungsschatzes, den sie als
Fh,Sp-lp” Berücksichtigung untergeordneter
piizelheiten eine die Hauptlinien ihres Gegenstandes betreffende Darstel-
lung Reben konnten, welche durchaus dem Wesentlichen gerecht wurde
“vifken“ w rd'" nr/rf;, PraKestellun^en auch l"ucMbar
prfoh ^ der Fall, als die Objekte dieser
Erfahrungen grossenteils nicht verloren sind, sondern in grossen kriegs-
nnzelhpn^ Sammlungen ZU Berlin, Wien und München noch mancher
viSi diesem Buch der Kriegspathologfe
stit finn Hpc M der normalen und krankhaften Kmi-
stimtion des lungen Mannes werden wohl noch ausgedehnter und .On
gehender in Smiderdarstellungen Bearbeitung finden Immer i^^^ Z]
Werkes tesoJeX vorliegenden d«
uerKes, besonders im ersten Abschnitt (über die nicht für den Krip^
charak eristisc^n Krankheitsprozesse) hingewiesen werden 41 s n5
Schöpfungskrankheiten bei Kriegsteilnehmern. Ein letztes Werk
D. V. Hansemanns beantwortet die Frage, ob der Krieg die Ent¬
stehung bösarti.ger Geschwülste beeinflusst hat. All diese Kapitel wer¬
den jedem willkommen sein, dem die Aufgabe gestellt ist, gutachtlich in
der Kriegsversorgung tätig zu sein, wie sich überhaupt für die
Unfallsheilkunde und die gerichtliche Pathologie eine Menge
interessanter Einzelarbeiten finden. So erfüllt dies Buch in glücklicher
Weise die Aufgabe eines pathologischen Werkes: Es regt zur Forschung
an und dient der Praxis. In den Einzelheiten der typographischen An¬
ordnung, in der Auswahl des Papiers und Ausarbeitung def Abbildungen
und Farbentafeln kann es als musterhaft bezeichnet werden. Unter
Berücksichtigung dieser Tatsachen ist sein Preis nicht erheblich.
G. B. Gruber -Mainz.
Fr. L ü t zo w: Englands Lazarettschiffmissbrauch während des Welt¬
krieges. Berlin-Dahlem, Verlag für volkstümliche Literatur und Kunst.
1921. 92 S.
Eine willkommene kleine Schrift, die gerade zur rechten Zeit er¬
scheint, früh genug, zu Beginn der Leipziger Kriegsprozesse Englands
Scheinheiligkeit zu illustrieren. Der Verf., Korv.Kapt. Friedrich L ü t z o w,
war während des Krieges Admiralstabsoffizier beim Führer der U-Boote
und genoss die englische Anmassung aus erster Hand, die auf der
einen Seite die Innehaltung yon Normen verlangte, an die sie sich auf
der anderen Seite selbst nur hielt, wenn es ihrer Kriegsführung nützlich
w-ar. Er schildert zunächst die völkerrechtlichen Abmachungen, aus denen
das geltende Recht für den Schutz des Lazarettschiffs und die Voraus¬
setzungen für diesen Schutz hervorgehen. Dann stellt er die englische
Praxis der Lazarettschiffbehandlung dar, vor allem die widerrechtliche
Beschlagnahme des deutschen Hilfslazarettschiffs „Ophelia“, die un¬
würdige Behandlung seiner Besatzung und die Versenkung der öster¬
reichischen Lazarettschiffe „Elektra“ und .3aron Call“ durch Entente¬
U-Boote. Er schildert den häufigen Wechsel der englischen Lazarett¬
schiffe, die bald als solche, bald als Transporter verwendet wurden, den
durch die internationalen Abmachungen nicht zugelassenen Abtransport
Von Verwendeten und Kranken des Landkrieges auf englischen Lazarett¬
schiffen, die ebensowenig gestattete Beförderung von Sanitätspersonal
und Material zur Vorbereitung und Ausführung kriegerischer Unter¬
nehmungen und endlich den vertragswidrigen Transport von Truppen und
Munition auf englischen Lazarettschiffen, der durch beeidete Aussagen
belegt wird. Demgegenüber wird die Vertragstreue und Zurückhaltung
Deutschlands in der Verwendung der eigenen und der Behandlung der
feindlichen Lazarettschiffe gebührend hervorgehoben. Erst als der listige
Lazarettschiffmissbrauch Englands feststand, der jedem Völkerrecht Hohn
sprechende Hungerkrieg gegen Deutschlands Kinder. Kranke und Greise
begonnen war und U-Boots-Fallen unter jeder Verkleidung die Mensch¬
lichkeit deutscher U-Boots-Kommandanten mit feigem Mord lohnte, be¬
gann Deutschland die Folgen aus diesem Verhalten zu ziehen; aber
auch dann trugen die deutschen Massnahmen dem Abtransport der Ver¬
letzten und Krank-en des Feindes Rechnung. Nur die Nichtbeachtung
der deutschen Vorschläge hatte die Angriffe auf die sog. englischen
Lazarettschiffe zur Folge.
Das Heft ist geeignet wie keines, englisches Denken, englische
List und Vertragsauslegung zu beleuchten. Es sollte weit verbreitet
werden. zur V e r t h - Altona.
P. Mayer: Zoomikrotechnik. Ein Wegweiser für Zooiogeii und
Anatomen. 516 S. Berlin, Bornträger, 1920. Preis M. 64.—.
Wer sich bei mikroskopischen Arbeiten der zuverlässigen Führung
des Lee und Mayer anzuvertrauen gewöhnt war, hat sich schon
lange nach -einer neuen Auflage gesehnt. Nun ist aus der Hand
P. Mayers zwar keine Neuauflage dieses Buches, aber eine Zoo¬
mikrotechnik erschienen, die in der Auswahl, in der Anordnung und im
Drucke sich als eine Fortführung des alten, stets bewährten Buches dar-
bietet. Bis in die neueste Zeit sind die zahllosen technischen Rezepte
zusammengetragen, teilweise mit genauen Literaturzitaten, eine Arbeit,
die in diesem Umfange mir von so sachkundiger Hand geleistet werden
konnte. So bedarf das Buch einer besonderen Empfehlung nicht. Die
Ausstattung ist vorzüglich. v. M ö 11 e n d o r f f-Freiburg i. Br
Pharmazeutische Rundschau.
Von Oberapotheker Dr. Rapp in München.
Schon während der Kriegszeit und auch jetzt nach dem Kriege
hatten Arzt und Apotheker Veranlassung, sich über Mangel und vor
allem die Qualität der Organpräparate zu beklagen. Die unerquicklichen
Verhältnisse auf diesem Gebiete veranlassen mich, in dieser Wochen¬
schrift Vorschläge zur Besserung zu unterbreiten.
Der Mangel an Organpräparaten ist dadurch bedingt, dass zurzeit
viel weniger Schlachtvieh anfällt, wie in früheren Jahren, weil die
Schlächter bei den hohen, lohnenden Fleischpreisen dem Sammeln der
endokrinen Drüsen nur noch sekundäres Interesse widmen, weil eine
viel grössere Anzahl neuer Firmen sich mit der Herstellung derartiger
Präparate befasst und weil nicht unbeträchtliche Mengen bestimmter
Drüsen für Veterinärzwecke benützt werden. Es kommt nicht selten
vor, dass man wochenlang zu warten muss, bis man im Schlachthause
eine kleine Portion Schilddrüsen oder Hypophysen erhalten kann. Die
Nachfrage auch von auswärts ist derart rege, dass die Preise sprung¬
weise in die Höhe gehen.
So wird heute bereits für eine Hypophyse der Preis von 1—3 M ge¬
fordert. Dabei gelangen leider die Organdriisen oft in unberufene
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
785
Hände, die weder mit Vorpräparation noch der weiteren Verarbeimng
vertraut sind, die nicht unterscheiden können, welche Teile der Drüsen
wirksam sind u. dgl. m. Dagegen fehlt der seriösen chemischen (^oss-
industrie, die jahrelang Organpräparate herstellt, und eine Menge
Erfahrung gesammelt hatte, jegliches Ausgangsmaterial, mit anderen
Worten: auf der einen Seite wird das kostbare Material zu teuerer
Schundware verarbeitet, auf der anderen Seite wird die Herstellmig
von Qualitätsware unterbunden. Eine Klarstellung dieser Verhältnisse
und Vorschläge zu ihrer Sanierung erscheint mir dringend notwenuig
im Interesse der leidenden Menschheit, im Interesse des guten Rufes
der deutschen chemisch-pharmazeutischen Industrie.
Nachfolgend seien die einzelnen Organpräparate je nach ihrer
Bedeutung für die Therapie kurz besprochen. Ich beginne mit dem
wichtigsten derselben, der Schilddrüse, mit der sich, was Viel¬
seitigkeit und Wirksamkeit ihres Eingreifens in fast alle Organver¬
richtungen anbelangt, kein anderes Medikament messen kann und die,
vorsichtig und überlegt angewandt, ein umfangreiches Indikationsgebiet
umschliesst.
Während man früher nach den Untersuchungsergebnissen von
E, Baumann annahm, dass die wirksame Substanz jodhaltig sei und
man nach dem Jodgehalte der Präparate deren Wirksamkeit einschätzte,
haben die neuesten amerikanischen Arbeiten von E. C. K e n d a 11 das
wirksame Prinzip der Schilddrüse als Hydrojodooxyindolpropionsäure
bezeichnet und mit dem Namen Thyroxin belegt, das in drei ver¬
schiedenen Formen vorkommt. Die grösste Ausbeute an Thyroxin
erhält man aus den Schilddrüsen in den Sommermonaten.
• Für die Schilddrüsenfütterung, die Einverleibung von Schilddrüsen¬
stoffen per OS, wäre die Darreichung frischer tierischer Schilddrüse,
theoretisch genommen, die ideale Methode. In praxi ist sie aber wegea
der Unmöglichkeit, frische tierische Schilddrüse, jederzeit bereit¬
zuhalten und wegen der Gefahr, in Zersetzung begriffenes Material
dem Organismus einzuverleiben, fast ganz verlassen worden.
In praxi kommen also nur mehr Extrakte der Schilddrüse, die ge¬
trocknete Substanz der Schilddrüse selbst (fast ausschliesslich in
Tablettenform) und aus der Schilddrüse dargestellte Präparate vor allem
das Jodothyrin, zur Anwendung. In der Literatur liegen mehrfach
Angaben vor, dass die Handelstabletten verschiedener Provenienz in
ihrer Wirksamkeit stark voneinander abweichen.
Die verschiedene Wirksamkeit ist bedingt einerseits durch die
verschiedenartige Bearbeitungsweise, anderseits durch die Qualität des
verarbeiteten Materials, das sich zum Teil durch die Missstände des
Zwischenhandels in zersetztem Zustand befindet. Die Drüsen gelangen,
wie ich mich selbst überzeugt habe, in den wärmeren Jahreszeiten nicht
einwandfrei in die Hände der Zwischenhändler, werden von diesen ohne
Sachkenntnis und ohne Vorsicht mit allen Anhängseln getrocknet oder
mit Formalin konserviert weiter verschickt. Man braucht sich also
nicht zu wundern, wenn die daraus hergestellten Tabletten die ge¬
wünschte Wirkung vermissen lassen. Hiezu kommt noch, dass den
Hammelschilddrüsen solche vom Rinde, Pferde, ferner degenerierte
Drüsen, Kolloiddrüsen, Drüsen mit Einlagerungen usw. beigeraischt wer¬
den. In der Literatur ist immer nur von der therapeutischen Wirksam¬
keit der Hammelschilddrüse die Rede, niemals von der anderer
Tierarten. Vom Arzte wird die Dosierung oft zu wenig beachtet. Es
existieren im Handel Tabletten mit 0,1 und 0,3 frischer Schild¬
drüsensubstanz und Tabletten mit 0,1 und 0,3 Schilddrüsen-T rocken-
substanz. Der Unterschied macht zwischen beiden Sorten mindestens
das fünffache aus. Die Fabrikanten sollten also zweckmässig nur Ta¬
bletten mit Trockensubstanzgehalt herausgeben. Alle Prä¬
parate wären vor Einführung nach der Methode von R e i d Hunt auf
ihren Wert hin zu prüfen.
In der Therapie wenig Verwendung finden die Thymuspräpa¬
rate. Es liegt hier der eigentümliche Fall vor, dass ein Organ, das
früher eine grössere Rolle spielte, seine Bedeutung im Laufe der Zeit
verloren hat und sich seine Stellung unter den endokrinen Drüsen
erst wieder erobern muss.
Die Bedeutung der Thymusdrüse für sich und in Mitwirkung der
Schilddrüse ist nach den neueren Untersuchungen wieder in den Vorder¬
grund gerückt. Beachtenswert sind die Erfolge der Thymuszufuhr bei
Basedow scher Krankheit, ebenso bei Rachitis der Kinder. Alle
Autoren geben übereinstimmend an. dass die Behandlung mit Thymus¬
substanz niemals zu unangenehmen Zwischenfällen geführt hat. Thy¬
muspräparate gibt es im Handel leider wenige; es wäre eine dankbare
Aufgabe für die Industrie, gute therapeutische Präparate herzustellen.
Ausgedehnter Anwendung erfreuen sich in letzter Zeit Präparate
aus der Hypophyse. Die Hypophysen-H i n t e r lappen gelten als
die eigentlichen Träger der als wirksam erkannten Substanzen, während
die Vorderlappen fast völlig indifferent sind. Die Versuche, aus dem
Hinterlappen das wirksame Prinzip rein darzustellen, haben in den
letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht und damit fallen die Be¬
denken hinweg, die mitunter gegenüber den Hypophysenpräparaten
geäussert wurden. Eingehend bearbeitet wurde das Gebiet von
H. Fühner, welcher aus der Hypophyse 4 verschiedene Stoffe
isoliert hat. Eine genaue pharmakologische Prüfung der Hypo-
pi^ysenbestandteile ist um so wünschenswerter, zumal Vorversuche
bereits vielseitige Wirkung, wie Blutdrucksteigerung nach kurzdauern¬
der Blutdrucksenkung, Einflüsse auf die Darmmuskulatur, auf die Harn¬
blase, Wirkungen auf die Uteruskontraktur und auf eine beschleunigte
Blutgerinnung, erkennen Hessen. Völlige Klarheit über die Bedeutung
der Hypophysenmedikation wird sich erst später erzielen lassen; so¬
viel scheint heute schon festzustehen, dass die Hypophysenauszüge für
Digitized by Goiisle
den Organismus so gut wie unschädlich sind. Man kann die Dosis
beliebig erhöhen, ohne je unangenehme kumulative oder sonstige
toxische Wirkungen befürchten zu müssen. Leider werden die Hy^-
physenpräparate von vielen Aerzten zugunsten des chemisch genau be¬
kannten und synthetisch dargestellten Suprarenins vernachlässigt. Dem¬
gegenüber ist zu betonen, dass sich zwischen dem Siiprarenin und den
Hypophysenpräparaten in chemisch-physiologischer wie pharmako¬
logischer Hinsicht weitgehende Unterschiede herausgestellt haben, die
jedem der beiden Mittel im Arzneischatze ein besonderes Wirkungs¬
feld zuweisen.
Wenig bekannt scheint vielen Aerzten noch immer die Tatsache
zu sein, dass die Hypophyse ein ausgezeichnetes Herzmittel zur Be¬
kämpfung vorübergehender Herzschwäche und vor allen Dingen beim
Schock ist. In dieser Hinsicht wird es nach schweren Operationen
usw. ausgedehnte Anwendung verdienen und es scheint, dass gewisse
Hypophysenpräparate, hauptsächlich auch was die Schnelligkeit der
Wirkung anbetrifft, sowohl den Präparaten der Diglitalisgruppe als
auch dem Koffein und Kampfer mitunter überlegen ist. Bekannt ist
auch die günstige Wirkung bei plötzlicher Blutdrucksenkung, wie sie
beim Schock im Verlaufe von Bauchoperationen sowie bei Peritonitis
beobachtet wurde. Die Wirkung der Hypophysenpräparate soll hiebei
eine ziemlich lang andauernde sein.
Dieser therapeutische Erfolg lässt sich nur dann voll und ganz
erwarten, wenn dem Arzte einwandfreie Hypophysenpräparate zur Ver¬
fügung stehen. Leider ist dies heute nicht immer der Fall. Es fühlen
sich immer mehr Firmen bemüssigt, Hypophysenpräparate herzustellen,
denen die fundamentalsten Kenntnisse zur Verarbeitung der Organe zu
fehlen seneinen, die Material verarbeiten, das durch unzweckmässige
Lagerung oder langen Transport stark gelitten hat und daher volle
Wirkung vermissen lässt Das braucht nicht zu verwundern; denn mit
dem Ankauf von Hypophyse befassen sich heute Leute, die nur mög¬
lichst grossen Gewinn dabei erzielen wollen, die die Trocknung bei
ungeeigneten Temperaturen vornehmen und dabei Teile mitverwenden,
die nicht zum eigentlichen Hinterlappen gehören. Es wäre sonst nicht
zu erklären, dass bestimmte Marken Hypophysenpräparate stark ver¬
minderte Wirkung zeigen, die früher tadellos gewirkt haben. Unter
solchen Verhältnissen kann dem Arzt nur angeraten werden, aus¬
schliesslich Präparate von als verlässig bekannten Firmen zu ordi-
nieTen, um vor Enttäuschungen bewahrt zu bleiben. Eine Regelung in
bezug auf Herstellungserlaubnis von Hypophysenpräparaten erscheint
gerade bei dieser Drüse am notwendigsten.
Von der Zirbeldrüse wissen wir verhältnismässig noch wenig;
jedoch steht deren Bedeutung ausser Zweifel und sind nach Ansicht
namhafter Forscher bei weiterem Studium auch hier noch interessante
Ergebnisse über deren Wirkungskreis zu erwarten. Epiphysenpräpa¬
rate gibt es sehr wenig.
Eine vermehrte Aufmerksamkeit verdient auch das Pankreasorgan.
Die teilweisen Beziehungen der Pankreaserkrankungen zum Diabetes
sind erwiesen. Leider ist durch Einführung von Drüsensekret oder
mit der Drüse gewonnenen Extrakten ein Erfolg, dieses innere
Sekret zu substituieren und damit die Ausfallserscheinungen zu bessern
oder gar zu beseitigen, bisher in keiner Hinsicht zu verzeichnen ge¬
wesen. Dagege^ sind die Erfahrungen, die man bei Ausfall oder Ver¬
minderung der äusseren Pankreassekretion mit Pankreaspräparaten
gemacht hat, erheblich günstiger. Die im Handel vorkommenden Pan¬
kreaspräparate sind zahlreich.
In jeder Hinsicht am besten durchgearbeitet ist die N e b e n n i e r e.
Nachdem es bereits geglückt ist, den wirksamen Stoff synthetisch her¬
zustellen, so ist das erstrebenwerte Ziel der Organtherapieforschung für
die Nebenniere erreicht. Es erübrigt sich, hier näher auf dieses Organ
einzugehen.
Die Keimdrüsen haben eine grosse Anzahl von Arbeiten auf
diesem Gebiete gezeitigt; insonderheit sind es Hodenextrakte, Ovarial-
extrakte und Corpus luteum-Präparate, die zu zahlreichen Versuchen be¬
nutzt werden. Die merkwürdigen Allgemeinwirkungen der Hoden¬
extrakte hat man dem Spermin zugeschrieben, einer Base, die nach
P 0 e h 1 die Formel C 6 H 14 N 2 hat. Im Corpus luteum wurde eine un¬
gesättigte Verbindung, ein azetonlösliches Pentaminodiphosphatid nach¬
gewiesen, das ausser in der Plazenta in keinem anderen Organe ge¬
funden w'urde. Die vielfach übereinstimmenden Wirkungen von Cor¬
pus luteum- und Plazentaextrakten lassen sich dadurch erklären.
Nach Poe hl stellt Spermin einen positiven Katalysator dar, der
die Oxydationsprozesse beschleunigen soll; er besitzt die Fähiiceit,
die durch Ueberreizung erzeugten Säuren zu zerstören und damit die
Ursache der Autointoxikation zu beseitigen. Einige Beachtung ver¬
dient der Gedanke, das Spermin zur Abschwächung der Chloroform¬
narkosegefahr anzuwenden. Auch mit Darreichung von Ovarialsub-
stanz hat man schöne Erfolge erzielt; nur sind diese Erfolge noch sehr
schwankend, so dass der Gedanke naheliegt, dass die zu den Versuchen
verwendeten Organpräparate nicht immer völlig identisch waren. Wie
bei der Schilddrüse werden die Ovarien ohne Rücksicht auf die Tierart
oder auf das Alter des Tieres von Aufkäufern unzweckmässig ge¬
sammelt und getrocknet. Dass derartige Präparate verschiedene Wir¬
kung zeigen müssen, darf nicht wundernehmen.
Auf die therapeutische Verwendung nichtlnnersekretorischer Or-
pne,wie Galle, Leber, Niere, Milz, Knochenmark, Lymphdrüsen, Ge¬
hirn, Lungensubstanz, soll hier nicht eingegangen werden.
Jeder Leser meiner Ausführungen wird mit mir darin überein¬
stimmen, dass die innersekretorischen Organe zweifelsohne in Zukunft
noch eine wichtige Rolle in der Therapie spielen werden. Es wird der
Original frDm
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
786
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr.. 25.
Forschung letztes Ziel sein müssen, die als wirksam erkannten Siib- |
stanzen der endokrinen Drüsen der chemischen Synthetisierung zu- j
ziifüliren.
Urn aber dieses Problem lösen zu können, ist zunächst nötig, nur
aus voll \v e r t i g e n Organsubstanzen die wirksamen Stof f e j
mich einheitlichen Verfahren zu isolieren und rein dar zu- j
stellen. Das erfordert ein zielbewusstes, offenes Zusammenarbeiten
der wissenschaftlich arbeitenden Institute mit der chemischen Industrie,
die hiebei das grösste Interesse haben muss.
Pfuscharbeit von unberufenen Fabrikanten beschwert den Markt
mit überflüssigen Präparaten.
Um bei den bestehenden Missständeii, wie ich vorstehend gezeigt
liabe, Abhilfe zu schaffen, halte ich nachfolgende Punkte für beachtens-
we.'t:
1 . Zur Herstellung von Organpräparaten bedarf cs einer Genehmi¬
gung des Reichsgesundheitsamtes.
2 . Die Präparate sind von einer amtlichen Zentralstelle vor ihrei
Ausbietung auf ihren Wirkungsgrad, sofern das möglich ist, zu prüicn.
3. In grösseren Städten sind ortspolizeilichc Vorschriften zum
Sammeln und Abliefern der innersekretorischen Organe an Zentral¬
stellen zu veranlassen, welche diese zu sortieren, präparieren und
schnellstens zu trocknen haben. Der Zwischenhandel mit diesen
Organen ist verboten. Zum Trocknen wird ein schonendes Verfahren
(am besten das Krausssche Trocknungsverfahren) in Vorschlag ge¬
bracht.
4. Auf dem Lande und in kleineren Städten könnten ev. die Apo¬
theker das Sammeln der Organe aus erster Hand (den Schlächtern)
übernehmen und die zw-eckmässige Weiterverarbeitung durchführen.
Der deutschen gründlichen exakten Arbeit möge es vergönnt sein,
alle diese Probleme zu lösen, bevor wir von Amerika in diesen Arbeiten
überflügelt werden. (Schluss folgt.)
Zeitschriften-Uebersicht
Deutsches Archiv für klinische Medizin. 136. Band. 1. u. 2. Heft.
E. Billigheimer: Ueber die Wirkungsweige der probatoriseben
Adrcnalininlektion. (Aus dem Stadt. Krankenhaus Sandhof, Frankfurt a. M.)
(Mit 3 Kurven.)
Nach Inlektion von 1 mg Suprarenin Höchst steigt typischerweise der
Serumeiweissgehalt des Blutes schon nach wenigen Minuten, um innerhalb
der ersten Stunde langsam zur Norm oder unter dieselbe abzufallen. Diese
so gut wie regelmässige Blutkonzentrationszunahmc nach Adrenalin steht in.
Parallele zu der Konzentrationszunahmc des Blutes bei den „essentiellen“
Hypertonien und mag mit Vasokonstriktionen Zusammenhängen. In wenigen
Fällen sinkt sofort nach der Injektion der Eiweissgehalt ab. entweder infolge
Rückfiltration von Flüssigkeit aus den Geweben in die Kapillaren infolge von
Gefässerweiterung, oder weil der Einfluss des Adrenalins auf die Permea¬
bilität den auf den Blutdruck übersteigt. Die G'vkämiekurve nach Adrenalin
ist der Ausdruck der Reizbarkeit der die Leber versorgenden sympatischen
Nerven, wohl auch der Anspruchbarkeit der Leberzellen dem endokrinen
Produkt gegenüber, wobei unternormale, normale und übernormale Reizbar¬
keit unterschieden werden kann. Den Typus der Keizkurve zeigen in erster
Linie Hypertonien und vegetativ neurotische Individuen. Störungen im inner¬
sekretorischen Gleichgewicht führen zu einer gesteigerten (Osteomalazie) oder
verringerten (Addison. Sklerodermie) Irritabilität der sympatischen Nerven.
Pilokarpin erhöht die Reizbarkeit des Zuckerbildungsmechanismus in der
Leber, Atropin drückt sie herab. Die glykosurische Wirkung des Adrenalins
ist in weitem Masse abhängig von der Ernährung (Füllungszustand der
Qlykogenspeicher). möglicherweise von der Reizbarkeit der Nierenzellen.
Konstant ist eine Veränderung des Blutbildes, in der 1. Phase eine absolute
und relative Leukozytose mit Ueberwiegen der Lymphozytose, Steigen der
polymorphkernigen Zellen auf Kosten der Lymphozyten in der zweiten Phase.
Die angioneurotische Wirkung des Adrenalins lässt 3 Typen erkennen, 1. eine
eigentliche konstriktorische (sympathische) Form mit steilem, raschem An¬
stieg, dann langsamerem Abfall des systolischen Druckes und Anstieg des
diastolischen Druckes, Pulsverlangsamung als gleiciizeitigen Ausdruck von
Vagusreizung. 2. eine dilatatorische (parasympathische) Form: der systolische
und diastolische Blutdruck sinken gleichzeitig, keine Pulsverlangsamung.
3. eine Mischform mit mittlerem, allmählichem Anstieg und Abfall des systoli¬
schen Druckes und einem Gleichbleiben oder geringem Absinken des diastoli¬
schen Druckes. Die Blutdruckkurve ist in erster Linie abhängig von der
Ansprechbarkeit der Konstriktoren sowie von der gleichzeitigen Reizung der
Dilatatoren, die vor allem bei der Adrenalinuncmpfindlichkeit der Konstrik¬
toren in Erscheinung tritt. Stets ist zu berücksichtigen, dass Agonisten und
Antagonisten sowohl der vegetativen Nerven wie der Drüsen mit innerer
Sekretion gegenseitig reizsteigernd wirken können, eines der wichtigsten
ausgleichenden Prinzipien.
E. Meulcngracht: Ueber die Erblichkeitsverbältnisse beim chro¬
nischen hereditären hämolytischen Ikterus. (Aus der med. Universitätsklinik
des Rigshospitales und dem Bispebjerg patholog. Institut in Kopenhagen.)
(Mit 9 Abbildungen.)
Die Krankheit scheint sich als dominierende Eigenschaft in gleicher Weise
weiter zu vererben wie viele andere echte erbliche Krankheiten. Die Krank¬
heit wird sich durchschnittlich bei der Hälfte der Kinder der Patienten
wiederfinden, die zweite Hälfte bleibt frei und kein Nachkomme dieser Hälfte
wird krank.
W. v. Kap ff: Kardfoerammstudien am freiliegenden linken Ventrikel.
(Aus der 1. med. Klinik München.) (Mit 2 Textabbildungen und 1 Tafel.)
Bei einem 42 jährigen Manne war eine kindskopfgrosse Dermoidzyste
aus dem linken Brustraum unter teilweiser Resektion der 3.—9. Rippe
entfernt worden, so dass in der Wundhöhle das Herz unmittelbar unter dem
Qranulationsgewebe lag und die Bcwegungsvorgänve der vorderen, seitlichen
und hinteren Fläche der linken Kammer aufgezeichnet werden konnten; der
linke Vorhof entzog sich der Beobachtung. Nach dem Vergleich der Kurven
von verschiedenen Stellen des freiliegenden linken Ventrikels prägen die
Veränderungen der Lage der Form und des Volums des Herzens die ver-
Digitized by Goüsle
schiedenen Wellen des Kardiogramms, das dem klinischen Tasteindruck ent¬
spricht. Die im Innern der Herzkammern ablaufenden Druckschwankungen
spielen keine erkennbare Rolle.
E. Oetvös: Die Atropinreaktion des Pylorus. (Aus der II. ined.
Universitätsklinik in Pest.)
Nach Ansicht der Pharmakologen schwindet unter der Wirkung von
Papaverin oder Atropin der Pyloruskrampf infolge Lähmung der Vagus¬
endigungen. wobei Papijverin als zuverlässiger gilt. Dagegen kommt der
Verf. zu dem Ergebnis, dass Atropin, sulf. (X»—1 mg) den Pylorospasinus
nicht vermindert bzw. unter gewissen patholog. Zuständen selbst Pyloro-
spasmus verursacht. Die um den Pylorus sitzenden Ganglienzellen des
Magens oder Duodenums geraten ’ z. B. durch ein kallöses Geschwür in
Erregung und werden durch Atropin noch mehr erregt, so dass sich die
Muskulatur des zu diesen Ganglienzellen gehörenden Segmentes — also
der Sphinkter pylori — zusammenzieht. Auf den gesunden Magen bleibt
Atropin wirkungslos, weil jeder Teil des A u e r b a c h sehen Plexus gleich-
mässig geschützt ist, so dass das Atropin keinen Angriffspunkt findet. Mit
stärkeren toxischen .Gaben kann eine Retention ausgelöst werden, die durch
Pylorusschluss und Erlahmen der Peristaltik bedingt ist.
W. Stepp und E. Diebsclilag: Beitrag zar Kenntnis des inter¬
mediären Kohlehydratstoffwechsels beim Menschen. III. Mitteilung. Unter¬
suchungen über das Vorkommen von Glukuronsäuren Im menschlichen Blute.
(Aus der med. Klinik zu Giessen.)
Die Naphtoresorzinprobe zum Nachweis von Glukuronsäure fiel bei den
einzelnen Fällen (Diabetes, Nephritis, Gesunde) in ihrer Stärke recht ver¬
schieden aus, z. B. bei gewissen Fällen von Diabetes schwächer als bei
Gesunden. Immerhin fanden sich die höchsten Werte im Blute eines
komatösen Diabetikers bzw. eines Nierenkranken im Stadium der Nieren¬
insuffizienz.
W. Frey: Chinidin zur Bekämpfung der absoluten Herzunregelmässig-.
keit (Vorhoifllmmern). (Aus der med. Klinik Kiel.)
Die moderne Behandlung Herzkranker darf sich nicht auf die Bekämpfung
der Schwächezustände des Herzmuskels beschränken, sondern muss bei be¬
stehendem Vorhofflimmern auch der Arhythmie als solcher Herr zu werden
suchen, die neurogen oder niyogen bedingt sein kann, besonders die neuro¬
gene Form ist der Behandlung zugänglich. Zunächst muss bei bestehender
Dekompensation die Zirkulation wieder gut in Gang gebracht sein: erst dann
darf mit der Chininbehandlung des flimmernden Herzmuskels begonnen wer¬
den. Die in neuerer Zeit so beliebte gleichzeitige Einverleibung von Chinin
mit Digitalis ist ganz fehlerhaft; Digitalis und Chinin sind pharmakologisch
völlig gegensätzlich wirkende Mittel, wovon bei gleichzeitigen Gaben eines die
Wirkung des anderen abschwächen oder aufheben muss. Dagegen kann
man z. B. Koffein oder Theobrominpräparate, ebenso Kampfer mit Chinin¬
präparaten zweckmässig kombinieren. Also zunächst möglichste Beseitigung
der Dekompensation durch Digitalis, dann Chinidin in ausreichenden Dosen,
zunächst mit 3 mal 0,2 pro die beginnend, dann steigend bis 5 mal 0.2
bzw. 3 mal 0,4 während 6—8 Tagen.
Q. L e p e h n e; Experimentelle Untersuchungen zum mechanischen and
dynamischen Ikterus. (Aus der med. Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr.)
(Mit 2 Abbildungen und 3 Kurven.)
Beim mechanischen Ikterus nach Unterbindung des Ductus choledochus
des Kaninchens geht anscheinend eine Periode mit Anhäufung von funk¬
tionellem Bilirubin im Blut dem Uebertritt der (jalle ins Blut voraus. Dieser
beginnt entweder schon innerhalb von 20 Stunden und erreicht rasch hohe
Werte oder stellt sich erst allmählich im Laufe mehrerer Tage ein. Für
diesen verschiedenen Verlauf der Gallenstauung ist ausser anderen Be¬
dingungen vielleicht auch ein verschieden hoch liegender Schwellenwert für
die Bilirubinausscheidung durch die Nieren massgebend. Am Uebergang vom
mechanischen zum dynamischen Ikterus steht die Hungerbilirubinurie des
Hundes, bei der allerdings noch unbekannte Faktoren mitwirken, da sie ohne
Bilirubinämie vor sich zu gehen scheint. Was den dynamischen Ikterus an¬
langt. so fand sich nach Toluylendiaminvergiftung Stauungsbilirubin mit
prompter Reaktion im Blute, der Toluylendiaminikterus ist anscheinend ein
Ikterus durch partielle Gallenstuuung. Durch .wiederholte Menschenblut¬
einspritzung liess sich beim Hunde eine, wenn auch unbedeutende Hyper-
bilirubinämie vom funktionellen Typus erzeugen.
J. L ö w y und R. M e n d I: Ueber Schwankungen des Rest-N Im mensch¬
lichen Blute unter dem Einfluss von Aderlässen und QlUhlichtbädern. (Aus
der med. Universitätsklinik Jaksch-Wartenhorst in Prag.)
Nach Aderlass und Scliwitzversuchen im Glühlichtbade neigt der Organis¬
mus zur Hydrämie, indem Gewebsflüssigkeit in die Blutbahn Übertritt. Beim
Gesunden beherrscht zunächst ausschliesslich die eintretende Blutverdüiinung
das Bild, dementsprechend findet sich ein Sinken der Rest-N-Zahl, eine
Mobilisierung des Extraktiv-N erfolgt durch Aderlass und Schwitzen nicht
in messbarem Masse. Bei Kranken mit erhöhtem Eiweisszcrfall oder
N-Retention (z. B. fieberhafte Prozesse, Nephritis) ist eine Mobilisierung
des sog. Rest-N möglich; die Bestimmung des Rest-N im Blute gibt kein
annähernd erschöpfendes Bild über die dem Organismus zur Verfügung stehen¬
den Rest-N-Mengen. Wenn es auch durch den Aderlass nicht gelingt, den
Rest-N-Gchalt des Organismus wesentlich zu verringern, so kann doch nicht
gesagt werden, dass dem Aderlass keine entgiftende Wirkung zukommt.
Diese wichtige therapeutische Frage muss noch näher studiert werden, ebenso
die Bedeutung abnorm im Gewebe abgelagerter Rest-N-Mengen für die Ent¬
stehung von Krankheitssymptomen.
Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Zeitschrift für Immunitätsforschuns und experimentelle Therapie.
30. Band. Heft 5/6.
Max P i n n e r und Ivo Ivancevic - Hamburg: Beiträge zur unab-
gestlmmten Immunität.
Much hat verschiedentlich darauf hingewiesen, welche überragende
Wichtigkeit dem ganzen Erscheinungsbereich der unabgestinimten Schutz¬
kräfte zukommt und wie notwendig es ist, die einseitige Auffassung der
Spezifitätslehre weitgehend zu ändern. M. und seine Mitarbeiter haben auch
experimentelle Beweise dafür erbracht, wie durch unabgestimmte Vorbe¬
handlung. z. B. mit Galle, Luftkeimen, Fett + Serum usw. Krankheitsschulz
erzielt werden kann. Im Serum lassen sich mit unseren bisherigen Ver¬
fahren nur sog. abgestimmte Immunkörper nachweisen. Die Verf. haben »i
Weiterverfolgung dieser Untersuchungen Kaninchen mit der Kultur eines Luft¬
keimes vorbehandelt und dann das Blut auf ausflockende und komplement-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA /
24. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
7s-
bildende Kraft gegen Typhus-, Y-. Flexner-, Shiga-, Proteus-, X 19- und
Oallenbazillen geprüft. Es gelang, Agglutinine und komplemcntbildende Anti¬
körper gegen diese Bazillen hervorgerufen. Die Frage allerdings, ob es logisch
ist, diese Reaktionsstoffe als abgestimiiit zu bezeichnen, verneinen die Verf.
selbst und verlangen eine andere biologische Bestimmung dieses Begriffes.
Andere Versuche gingen auf unabgestimmte Vorbehandlung und abgestiinmte
Nachbehandlung aus. Bei einem viermal mit Meerschweinchengalle vorbe¬
handelten Kaninchen stieg der Ausflockungstiter nach dreimaliger Nachbe¬
handlung mit ‘/looooo Oese Proteus X 19 H von l:’'/5n auf 1:3200. während
ein nicht vorbchandeltes, aber in gleicher Weise nachbehandeltes Tier den
Titer von 1:1000 erreichte. Die Verfasser legen sich die Frage vor, oo
dieses Verfahren, erst unabgestimmt vorzubehandeln und danach mit abge-
stimmten homöopathischen Mengen die abgestimmten Abwehrkräfte auf den
Plan zu rufen, nicht ganz erhebliche Vorteile besitzt und der Heilkunst viel¬
leicht neue Wege eröffnet.
F. Schiff und E N a t h o r f f • Berlin: Untersuchungen zur Serologie
des Fleckfiebers.
Ausgehend von Untersuchungen über das unterschiedliche Verhalten der
mit und der ohne Hauch wachsenden Formen des W e i 1 - F e 1 i x sehen
Bazillus haben Weil und Felix die serologische Systematik methodo¬
logisch auf eine neue Grundlage gestellt. Die Fruchtbarkeit ihrer Anschauungs¬
weise haben sie durch ihre Untersucluingeii über die Paratypluisgruppe be¬
wiesen, über die in der M.mW. 1920 Nr. 42 S. 1212 ausführlicher referiert
wurde. Die Verf. haben die Existenz und das gesetzmässige Auftreten der
beschriebenen zwei Agglutinationstypen. auf Grund sehr zahlreicher eigener
Versuche bestätigen können. Von ihren Resultaten sei hervorgehoben, dass
X 19-Bazillcn, die mit Patientenserum völlig abgesättigt sind, noch die grob
flockenden Agglutinine eines X 2-lmmunserums unverändert binden können
Die X 19-Bazillen verhalten sich demnach bei geeigneter Versuchsanordnung
gegenüber Fleckfieberserum ebenso wie sonst Bazillen gegen das homologe
Immunserum. Die zahlreichen anderen Ergebnisse sind im Original nach¬
zulesen.
Walter S e i f f e r t - Greifswald: Untersuchunsen über die Bezlehunsen
zwischen der schwärmenden und der nichtschwärmenden form des Proteus
X 19.
Der Verf. beschäftigt sich ebenfalls mit den verschiedenen Wachstums¬
formen der X 19 Stämme. Auch er konnte die Angaben von Weil und
Pelix im wesentlichen bestätigen. Er kommt zu dem Schlüsse, dass, wenn
auch die Züchtungen aus Fleckfieberkranken bisher nur H-Formen ergeben
haben, es doch durchaus möglich ist, dass in dem kranken Organismus die
(J-Formen kreisen. L. Saathoff - Oberstdorf.
Archiv für kUnlsche Chirursie. Band 115. Heft 3.
Nachruf auf Albert Aber. Herausgeber des Arch. f. klin. Chir.
O. Hildebrand: Ueber neuropathlsche Gelenkerkrankunsen.
Hildebrand berichtet über folgenden interessanten Fall: Bei einem
Individuum, das seit Kindheit an einem rechtsseitigen Klumpfuss gelitten
hatte, trat im 25. Lebensjahre eine Lähmung des rechten Unterschenkels auf.
Auf der Fusssohle entwickelte sich ein Mal perforant und endlich eine
Lappenelephantiasis an der rechten unteren Extremität. Rechtes Knie- und
Fussgelenk schlotterten. Das Röntgenbild zeigt die beiden Darmbeine mit
ihren hinteren Gelenkflächen weit auseinanderstehend, die Lendenwirbelsäule
in das Becken hineingesenkt und seitlich nach links verschoben, während auf
der anderen Seite ein grosser freier Raum zwischen Wirbelsäule und GelenK-
fläche des Darmbeines besteht. ''Schwere unregelmässige Fgrmveränderungen
im Kniegelenke und an -sämtlichen Fusswurzelknochen. Unterschenkel¬
amputation. Die Nerven des amputierten Unterschenkels weisen eine derbe
bindegewebige Scheide auf. Die Nerven sind durch starke Bindegewebszüge,
die zwischen den Nervenfasern eingelagert sind, verdickt. Nervenfasern
selbst nur spärlich vorhanden, nicht degeneriert. Hildebrand fasst aie
Elephantiasis in diesem Falle als Folge einer Vasomotorenstörung auf und
macht diese, wie die Geienkveränderung, abhängig von der Missbildung der
Wirbelsäule und der Störung an dem Rückenmarke und den Wurzeln.
Erik Michaölsson: Ueber die Resultate der operativen Behandlung
von Hypernephromen.
Der Autor hat das Hvpernephrommaterial des Serafimerlazarettes
Stockholm nachuntersucht und gleichzeitig die exstirpierten Geschwülste
histologisch untersucht in der Absicht, durch Vergleichung der operativen
Resultate (Rezidivfreiheit) und des histologischen Bildes des jeweiligen
Tumors Anhaltspunkte für die Malignität des Tumors aus dessen histo¬
logischen Verhalten zu gewinnen. Das Material umfasst 30 Fälle, die länger
als 4 Jahre zurückliegen. Operationsmortalität 13/4 Proz., an Rezidiv ge¬
storben 30 Proz . an anderen Leiden starben 33 Kj Proz., länger als 4 J^hre
iebten 23/4 Proz. Er kommt zu folgendem Resultate: die histologisch
malignen Hypernephrome sind auch klinisch bösartig. Die histologische
I3enignität gewährt keine Garantie gegen klinische Malignität. Aus¬
gesprochene Kriterien für Benignität oder Malignität sind im histologischen
Bilde durchaus nicht immer vorhanden.
Frode Rydgaard: Cholelithiasis und Achylie.
Ais Beitrag zur Klärung der Frage zwischen Cholelithiasis und Achylic
teilt der Autor das Material der Klinik Rovsing und dessen Privatklinik
seit dem Jahre 1907 mit. Er schliesst sich auf Grund dieser Untersuchungen
den Anschauungen Hohlwegs an, dass die Gallensteinachylie im wesent¬
lichen durch Zystikussperrung bedingt sei. Jene Fälle, die trotz Zystikus-
verschluss keine Achylie aufweisen, erklärt Rovsing damit, dass bei
einigen Patienten nach Zystektomie die Gallengänge sich auftreiben, der
Sphincter papill. Vateri kontinent wird resp. bleibt, bei anderen eine In¬
kontinenz ohne Auftreibung der Qallengänge besteht. Rydgaard entwickelt
und begründet diese Hypothese und weist darauf hin, dass die Gallenblase
ein Organ von grosser physiologischer Bedeutung sei und die Cholezysto-
tomie eine der Cholezystektomie überlegene Operation sei, da durch erstere
viele Patienten sowohl von ihren Gallensteinleiden, wie von ihrer Achylie
geheilt werden können.
Raeschke: Ueber die dystope Hufefsennlere.
Mitteilung eines Falles von doppelseitiger Heterotopie der Nieren. Beide
Nieren, die am unteren Pole durch eine kurze dicke Brücke miteinander
verbunden sind, sind in Gestalt einer Hufeisenniere in die rechte Fossa iliaca
disloziert. Besprechung der Schwierigkeit der Diagnose der Hufeisenniere.
Digitizedby Goüsle
Felix Mandl: Die Hernien der Linea aiba und ihre Beziehungen zu
den ulzerösen Prozessen des Magens und Duodenums.
Bei 40 operierten Hernien der Linea alba der Klinik Hochenegg
wurde gleichzeitig in 15 Fällen ein ujzeröser f^rozess am Magen oder Duo¬
denum gefunden, also in 35 Proz. des Gesamtmaterials. Regelmässiger als
bisher soll bei diesen Hernien gelegentlich der Operation eine ausgiebige
j Laparotomie und genaue Magemintersucliung vorgenommen werden. Zu-
sunimenhänge zwisclien der Hernie in der Linea alba und dem Ulcus ventriculi
j gibt cs viele, vor allem wird in dem Zug arn Magen eine die Entstehung des
I Ulcus fördernde Ursache erblickt. Ferner können durch Kompression des
' Netzes Gefäss- und Nervcnschädigungen des Magens ausgelöst werden, die
j ihrerseits wieder zur (ieschwürsbildung führen können. Der Autor befür-
! wortet daher die Frühoperation dieser Hernien, mit der auch die Dauer-
I resultate sich bessern werden.
I Hans Steindl: Mesokolonscblitzbildung auf Grund eines pene-
I trierenden Ulcus ventriculi und dadurch bedingte Transhaesio Intestinl tenuis
I supragastrica mit pathologischer Lagerung des Duodenums.
j Bericht über einen Fall von Mesokolonschlitz mit kallösem Geschwür
1 an der kleinen Kurvatur, abnormem Verlauf des Duodenums und Verlagerung
I der obersten Dümidarmschlingen. Nach Ansicht des Autors ist die Ent¬
stehung des Mesokolüiischlitzes in diesem Falle, wie in einem Falle von
P r u t z sicher als Folge des Ulcus ventriculi aufzufassen und die Ver¬
lagerung des Duodenums und Dünndarms sekundär entstanden
Schönbaucr und Brunner: KHnisch-histologiscbe Untersuchungen
über die Bedeutung der Wundrandexzision für die Behandlung akzidenteller
Wunden in der Friedenschirurgie.
Die Autoren sind zu folgendem Resultate gekommen: Die Ergebnisse
der Friedrich sehen Versuche gelten für das Tier, für die Muskulatur als
Infektionsstätte und für die Bazillen des malignen Oedems, sie lassen sich
nicht ohne weiteres auf die gewöhnlichen Friedenswunden des Menschen
übertragen. Bei den akzidentellen Wunden des Friedens genügen zur
Sicherung der primären Naht, die bis zu 30 Stunden nach der Verletzung
anzustreben ist, wenn nicht eine bereits vorfiandene Infektion eine Gegen¬
anzeige abgibt, die Wundrandglättung, oft audi nur die Naht allein. Die
Exzision nach Friedrich ist unnötig. Eine Wirkung der Dakinspülung
war nicht erkennbar. Freiliegende Gelenkknorpel der verletzten Gelenke
sind zu resezieren, wenn man die Wunde primär schliessen will.
H. Landau: Experimentelle Untersuchungen über hochprozentige
Kochsalzlösungen mjt Berücksichtigung Ihrer Anwendung bei infizierten
Wunden.
Ergebnis: Kochsalzlösungen, auch in hohen Prozentgehalten, weisen nur
eine minimale bakterizide Wirkung auf, eine chemische Antisepsis ist daher
von diesen nicht zu erwarten. Auch den Wert der physikalischen Antisepsis
(Spülung, Lymphorrhöe), die mit diesem Mittel zu erzielen ist. schätzt der
Autor gering ein.
Edwin Picard: Ueber traumatische Pseudohydronephrose.
Mitteilung eines Falles von echter traumatischer Pseudohypernephrose,
die durch Ouerberstung der Niere nach Ueberfahrung entstanden war. Es
zeigte sich bei der Exstirpation, dass die Geschwulst weit nach links hinter
die Vena cava und Aorta reichte. Beide Nierenfragmente lagen im Zentrum
des Sackes und weit voneinander entfernt. Niere und Sackwand wurden' bis
auf Sackwandreste in der Nähe der grossen Gefässe entfernt. Heilung.
Oskar Orth: Die Einwirkung Intravenös gegebener Bakterienkulturen
auf die Darmtätigkeit.
Experimentelle Untersuchungen an Kaninchen. Versuchsanordnung nach
Trendelen bürg. Es wurden 24 Stunden alte Schrägagarkulturen von
Streptokokken, Staphylokokken und Bact. coli verwendet. Ergebnisse: Koli¬
bakterien wirken bei intravenöser Verabfolgung erregend und nicht, wie bei
direkter Wirkung, auf die Darmwand (L ä w e n und D i 111 e r) lähmend.
Staphylokokken hatten keinen sicheren Einfluss. Streptokokkenkulturcn
wirkten in einem Falle lähmend, in einem anderen Falle überhaup't nicht.
H 0 f in a n n und N a t h e r: Zur Anatomie der Magenarterien. Ein
Betrag zur Aetiologle des chronischen Magengeschwürs und seiner chirur¬
gischen Behandlung.
Anatomische Studien über das arterielle submuköse Gefässnetz des
Magens. Die einzelnen Magenabschnitte stehen nicht unter gleichen Zir-
kulationsverhältnissen, sondern ein Teil erscheint günstiger versorgt als der
andere. Es zeigte sich, dass allgemein die grosse Kurvatur und vor allem
Korpus und Fundus von sehr gut anastomisierenden Arterien versorgt werden
und die Arterien hier an schwach entwickelten Muskelstellen hindurchtreten,
dass dagegen die kleine Kurvatur, besonders in der Pars pylorica infolge
Zartheit der Gefässe, Insuffizienz der Anastoinoscn und der Beziehung zur
Muskularis, die gerade an diesen Stellen sehr stark entwickelt zu sein pflegt,
unter viel ungünstigeren Verhältnissen steht und als ein Punctum minoris
resistentiae unzuselien ist. Diese Eigentümlichkeit der Blutversorgung schafft
anatomische Dispositionen zu Zirkulationsstörungen, die für die Beurteilung
der Entstehung der chronischen Geschwüre von Bedeutung sind.
Adolf Rupp: Postoperative Thrombose und LunKenembolie.
Der Autor berichtet, über tödliche Lungenembolien aus einem Sektions¬
materiale von 13 000 Leichen, getrennt in solche, welche im Anschluss an
eine Operation, und oolche, die nach inneren Krankheiten auftraten. Aus der
vergleichenden Gegenüberstellung kommt der Autor zu dem Schluss, dass es
hier wie dort ähnliche oder die gleichen Ursachen sind, die zur Thrombose
resp. Embolie führen nämlich in erster Linie die Stromalteration, wobei Ver¬
änderungen in der Blutbeschaffenheit und Gefässwandschädigung eine
wichtige Rolle spielen. Die Operation als mittelbare Ursache bleibt ver¬
antwortlich, da sie mit die Bedingungen schafft, die zur Thrombose führen.
Adolf Rupp: Zur Lokalisation der Lungenembolien.
Der Autor sichtete gleichzeitig das Material nach den Lokalisationen der
Embolien in den Lungenlappen. Es zeigte sich, dass die Embolien in den
Unterlappen weit überwiegen und auch bei Embolien, die aus der Cava
Superior stammen, häufiger im Unterlappen als iif Oberlappen anzutreffen sind.
Felix Franke: Erfolgreiche Trennung einer DoppelmlssbUdung (Epi-
gastrius parasitlcus).
Ein neugeborenes Mädchen, das an der Bauchseite mit einer zweiten
j unentwickelten kopflosen Frucht verwachsen war (Epigastrius parasiticuS)
1 konnte der Autor nach vorheriger Operation eines Nabelschnurbruches von
seinem Parasiten erfolgreich befreien. Das Mädchen ist heute 5 Jahre alt,
hat sich zu einem gesunden hübschen Mädchen entwickelt. Besprechung der
Literatur. Eingehende Schilderung des Parasiten.
Original frDiri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
788
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHFNgCHRIFT.
Nr. 25.
Esser: VerstellunK vom Canthus.
Empfehlung einer Lidplastik zur Korrektur von Lidyerziehunj; und Ver¬
lagerung durch Narbenzug. Meist ist das Unterlid nach unten gezogen.
Essers Methode besteht im wesentlichen darin, durch einen gestielten
dreieckigen Lappen aus dem durch chronisches Oederh vergrösserten Ober¬
lide das Unterlid zu verbreitern.
Rudolf Demel: Die Gefässe der Dura mater encephall und Ihre Be¬
ziehung zur Bildung der Sulci arterlosi.
Vergleichende histologische Untersuchungen der Duragefässe mit gleich-
grossen peripheren Gefässen. Als die wesentlichsten Ursachen für die Ent¬
stehung der Sulci arteriosi wurden erkannt: 1. die Elastikaarmut der Dura¬
gefässe in ihren äusseren Wandschichten, 2, die starre Fixation der Dura¬
gefässe am Knochen infolge ihres Verhältnisses zur Dura mater und der Be¬
ziehung der Dura zum Schädelknochen, 3. die Spitzwinkeligkeit der Ab¬
zweigung der Meningea media resp. der Maxillaris interna von der Carotis
externa, 4. die Wirksamkeit zentrifugaler Momente bei der Blutströmung in
den der Schädelkonkavität sich anschmiegenden Gefässen.
Carl Roh de: Untersuchungen Uber die sekretorische Funktion und das
röntgenologische Verhalten des Magens und Duodenums bei Cholellthlasls.
Bei 62 Gallensteinkrahken wurde vor der Operation und in 20 Fällen
vor und jahrelang nach der Operation der Magenchemismus untersucht. Es
zeigte sich, dass in 74 Proz. der Fälle die sekretorische Funktion des Magens
herabgesetzt war und diese Störung ganz besonders häufig (88 Proz.) bei
verschlossenem Blasenausgang eintritt. Durch Radikaloperationen,. Chole¬
zystektomie mit und ohne T-Drainage, bleibt der Magenchemismus meist
unverändert. Ursachen der Magensekretionsstörung ist der funktionelle
Ausfall der Gallenblase. Gleichzeitig werden über die Röntgenbefunde des
Magens und Duodenums bei Gallensteinleiden Mitteilung gemacht. In
22 Fällen konnten Röntgenbefunde, die jahrelang nach der Operation erhoben
wurden, mit denen vor der Operation verglichen werden. Es zeigte sich,
dass im allgemeinen die vor der Operation bestandenen Verhältnisse nach
der Operation weiter fortbestehen, in einigen Fällen sich bessern, in anderen
sich verschlechtern.
Edwin Picard: Ueber einen Fall von Oesophagns-Trachealflstel
Infolge von VerätzungsstriktuF.
Die Fistel ist nach Bougierung einer Narbenstriktur entstanden und
konnte nach Anlegen einer Magenfistel durch Dauersondenbehandlung und
schliesslich tägliche Bouvierung zur Ausheilung gebracht werden. Nach
7 Monaten war der Oesophagus für alle Speisen durchgängig.
Hohlbaum - Leipzig.
Deutsche Zeitschrift für Chirursie. 162. Band. 1.—2. Heft.
Erich Lexer: Arthrodesenoperation und Regeneratlonsfragen. (Aus der
chir. Universitätsklinik Freiburg i. Br. Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr.
Erich Lexer.)
Die vom Verf. 1906 angegebene und seither ungefähr 70 mal ausgeübte
Arthrodesenoperation mittels Knochenverbolzung vor allem für die Sprung¬
gelenke ist im Gegensatz zu der abfälligen Kritik mancher Chirurgen ein
ausgezeichnetes Verfahren, wenn es technisch richtig ausgeführt wird: der
Bohrkanal muss in seiner Weite sich gut dem Transplantat anpassen, dieses
soll aus lebenden zumeist gedeckten Knochen bestehen und muss tief genug
eingetrieben werden. Gleichgültig ist ob autoplastisches oder homoio-
plastisches Material genommen wird. Am besten sind Stücke aus der Kon¬
tinuität der Fibula, die bei einseitiger Lähmung aus der gesunden Seite ent¬
nommen werden. Bei Lähmung beider Beine wird die periostgedeckte Homoio-
plastik von Fibula der Autoplastik aus der Tibia vorgezogen.
Kraske: Zur Operation des kallösen Magengeschwürs. (Aus der chir.
Universitätsklinik Freiburg i. Br, Direktor: Geh. Rat Prof. Kraske.)
Für das kallöse Geschwür der Magenmitte wird, wenn die Resektion ein
zu erheblicher Eingriff ist, folgendes Verfahren empfohlen: Längsschnitt durch
die vordere Magenwand, Säuberung des Geschwürsgrundes mit scharfem
Löffel, Ablösung der Schleimhautränder in Form zweier Läppchen nach Art
der M a I g a i g n e sehen Methode der Hasenschartenoperation. Naht der
Wundhöhle mit Katgut, Naht der Schleimhautläppchen, Naht der Magenwand.
Gute Erfolge in 21 Fällen, 1 Todesfall.
Eduard Horchers: Die Aussichten der Behandlung von Motilitäts¬
störungen des Magens durch Vagusunterbrechung. (Aus der chir. Klinik
Tübingen. Prof. Perthes.)
Beobachtungen an Katzen unter dem „experimentellen Bauchfenster“ er¬
gaben, dass die Bewegungen des vaguslosen Magens sich in keiner Weise
von dem normalen unterschieden, abgesehen von einer gewissen Unregel¬
mässigkeit der. Bewegungsvorgänge, auch quere Durchtrennung des Magens
in verschiedener Höhe beeinflusste die Beweglichkeit nicht: auch die
prompte Reaktion der Magenmuskulatur auf Schleimhautläsion mit Spasmen
war nach Vagusreaktion oder Durchtrennung dieselbe, ebenso verlief die
Pilokarpin- und Atropinwirkling genau wie am normalen Magen. Eine
günstige Beeinflussung von Motilitätsstörungen des Magens, der Kardia und
des Pylorus durch Eingriffe am Vagus ist kaum zu erhoffen.
Magnus: Krlegschirurgle in früheren Kriegen. (Aus der chir. Uni¬
versitätsklinik Jena. Direktor: Prof. Dr. G u l e k e.)
Es finden sich manche Anklänge an die moderne Kriegschirurgie.
A. W. Fischer: Zur pathologischen Anatomie der Prostatahyper¬
trophie. (Aus der chir. Universitätsklinik Frankfurt. Prof. Dr. S c h m i e d e n.)
Verf. konnte die Angaben von Motz, Pereneau u. a. bestätigen,
dass die sog. Hypertrophie der Prostata nicht diese selbst, sondern eine
Drüsengruppe um die Harnröhre betrifft. Als Operationsverfahren wird die
ischiorektale Methode V ö 1 c k e r s empfohlen.
A. Läwen: Zur Behandlung der eitrigen Peritonitis. (Aus der chir.
Klinik zu Marburg a. d. L.)
Spülung der Bauchhöhle mit dem vom Verf. angegebenen Apparate
(Firma C. G. H e y n e m a n n, Leipzig). Als Spülmittel wurde neben der
Kochsalzlösung 300—500 ccm warme ältere Dakinlösung angewandt. Ausser¬
dem Empfehlung der intravenösen Dauerinfusion mit der Straub sehen
Normosallüsung mit Adrenalinzusatz.
Hans Holfelder: Die ränmllch homogene Tiefendosierung mit Hilfe
des Felderwählers. (Aus der chir. Universitätsklinik Frankfurt a. M. Prof.
Dr. Schmieden.) Vergl. Kongress der Deutschen Röntgengesellschaft 1920.
E. Suter: Radiumbehandlung des Oesophaguskarzinoms.
Benutzt wurde ein 2 cm langes Röhrchen mit 40 mg Radiumelement in
2 m dicker Silberkapsel, das Präparat liegt 10—12 Stunden. Sowohl die
Digitized by Goiisle
ulzeröse wie die tumorbildende Form des Oesophaguskarzinoms reagiert gut.
es entwickelt sich aber eine Narbenstenose, die sorgfältiges Bougieren er¬
fordert. Von 6 Patienten wurden 3 wieder arbeitsfähig.
G u 1 e k e - Jena: Zwei seltenere Wirbelerkrankungen. (Echinokokkus
und Aktlnomykose.)
Der Fall von Echinokokkus der Wirbelsäule ist der 52. der Literatur.
Der Echinokokkus wächst gewöhnlich von aussen in den Wirbelkanal (hinteres
Mediastinum, retroperitoneales Bindegewebe). Die Kompression des Rücken¬
marks erfolgte im Fall G. durch eine etwa erbsengrosse Zyste sehr langsam.
Klinisch und röntgenologisch imponierte der Fall als .Osteosarkom. Exitus an
Pneumonie, die Sektion ergab noch ausgedehnte thorakale Echinokokkenherde.
Der Fall von Aktinomykose fällt auf durch seinen aussergewöhnlich
langen Verlauf. Es gelang durch wiederholte Eingriffe, darunter zweimalige
Mediastinotomie den Prozess zum Stillstand zu bringen. Auffallend war ferner
das Fehlen jeglicher Kompressionserscheinungen des Marks trotz Ausbreitung
der Erkrankung im epiduralen Fettgewebe. Der gutartige Verlauf wird erklärt
durch die besondere Widerstandsfähigkeit des Patienten oder die relativ ge¬
ringe Wachstumsenergie des Pilzes. Sowohl die Röntgen- als auch Jodkali¬
wirkung ist mit grösster Vorsicht zu beurteilen.
Georg Magnus : Tflrkulatlonsverhältnlsse ln Varizen. (Aus der chir.
Klinik Jena. Direktor: Prof. G u 1 e k e.) '
Verf. versuchte eine exakte Lösung der für die Entstehung und Klinik
des Varizen prinzipiell wichtigen Frage, ob in der varikösen Vene der unteren
Extremität das Blut wirklich vom Herzen zur Peripherie fliesst oder nicht.
Der Beweis wurde mittels des V o 1 k m a n n sehen Hämodrometers und Ver¬
bindung mit Messungen durch das Gravitationsmanometer einwandfrei in dem
Sinne erbracht, dass in den Krampfadern das Blut bei aufrechter Körper¬
haltung des Menschen nicht zum Herzen, sondern zur Peripherie fliesst; damit
erklären sich zwanglos verschiedene Unstimmigkeiten in der Pathologie des
varikösen Symptomenkomplexes: Fehlen von Embolie, Ernährungsstörungen
der Haut, erschwerte Gerinnbarkeit des Krampfaderblutes, Fehlen von Oedem.
Ferner wurde durch exakte Präparation festgestellt, dass gewöhnlich
neben der Varix ein wenig oder gar nicht verändertes Kollateralgefässe als
Ersatz für die kranke Vene ausgebildet ist. Dadurch erklären sich die
Rezidive nach der Trendelenburg sehen Operation.
Fr. Keysser: Theorie und Pt'axis der Vuzintherapie, Ihre BedentuDK
für die Kriegs- und Friedenschirurgie. (Aus der chir. Universitätsklinik Jena.
Direktor: Prof. Dr. Quieke.)
Auf Grund experimenteller und klinischer Ergebnisse kommt Verf. zu dem
Schluss, dass das Vuzin weder eine bakterizide noch biologische Beeinflussung
des Infektionsprozesscs bewirkt. Eine scheinbar günstige Einwirkung des
Vuzins auf den Verlauf milder umschriebener Entzündungen wird durch das
Auftreten einer toxischen Entzündung des gesunden Gewebes durch die Vuzin-
injektion erklärt. Die Bedeutung des Vuzins liegt einmal darin, dass durch
die „sog. Tiefenantisepsis“ eine aktive physikalische Antiseptik — Exzision
der Wunde — in der Kriegschirurgie Boden fasste. Ferner ist durch das
Vuzin die Frage einer experimentell begründeten Wunddesinfektion auf¬
gerollt. die weite Ausblicke für die Zukunft eröffnet.
A. W. Meyer: Experimentelle Untersuchungen über Muskelkontraktnren
nach fixierenden Verbänden. (I. Mitteilung: Versuche an Kaltblütern. (Aus
der chir. Klinik Heidelberg. Prof. E n d e r 1 e n.)
An Fröschen im Kaltwasserbade konnte Verfasser eine flüchtige
Fixationskontraktur erzeugen, die nach Plexusdurchschneidung der zn-
gehörenden Extremität nicht auftrat. Demnach müssen beim Zustande¬
kommen derartiger Kontrakturen nervöse Einflüsse im Sinne För¬
sters u. a. mitspielen. Bei Reizung der, sensiblen Nervenenden durch
Verletzung, Fraktur usw. treten die Kontrakturen schneller ein. Bei gerader
Schienung einer Extremität bei Fröschen im Warmwasserbade treten länger
dauernde Fixationskontrakturen auf, die als thermische Dauerverkürzungen
muskulärer Natur anzusprechen sind. H. Flörcken - Frankfurt a. M.
Bruns’ Belträse zur klinischen Chirurgie, red. von G a r r e.
K ü 11 n e r und V. B r u n n. 122. Band, 2. Heft. Tübingen, Lau pp, 1921.
Das 2. Heft des 122. Bandes enthält die Verhandlungen der 5. Tagung
der Vereinijsung bayer. Chirurgen vom 26. VI. 20, ausserdem berichtet
Otto P r e u s s e aus der Breslauer Klinik über das Zyllndrom der
Zunge im Anschluss an 2 näher mitgeteilte Zungentumoren mit ausgedehnter
Hyalinbildung zwischen den Geschwulstzellen.
Ed. Melchior gibt aus der gleichen Klinik eine Arbeit über Wlrbel-
sättlentrauma und Meningitis serosa mit besonderer Berücksichtigung der
Differentialdiagnose bei Wirbelsäulenverietzungen, bezüglich deren die Men.
serosa ebenfalls zu berücksichtigen ist, da in prognostischer und therapeuti¬
scher Hinsicht event. viel von der Entscheidung abhängt.
Aus dem Allerheiligenhospital in Breslau referiert Lothar Franz zur
Topographie des Nv. recurrens vagl im Anschluss an die bei den letzten 100
Kropfoperationen aufgetretenen 6 operativen Rekurrenslähmungen und genauen
anatomischen Untersuchungen des betr. Gebietes an Leichen darüber, wo am
leichtesten Schädigungen dieses Nerven stattfinden, was für atypischer Verlauf
derselben vorkommt, er bezeichnet es u. a. als sicheres Zeichen für die
Intaktheit des Rekurrens, wenn der Pat. nach der Operation anstandslos
schlucken knan.
Friedrich Neugebauer - Mähr.-Ostrau berichtet über die Llngs-
resektion des Magens bei hochsHzendem Ulcus der klonen Kurvatur. Er
teilt dabei den Magen vom Zwerchfell herab der Länge nach in 2 Hälften
eine grössere linke und kleinere rechte, die letztere mit dem Ulcus wird
exstirpiert (Hilfsoperationen, wie Aufklappen des Rippenbogens, waren dabei
nicht nötig). Dann wird der Magen tiefer unten quer durchtrennt, der Inhalt,
der nach vorausgegangener Spülung noch vorhanden, ausgetupft, beide
• Lumina abgeklemmt, das orale Ende hinaufgeschlagen, wodurch man mit den
Verwachsungen an der Hinterfläche leichter fertig wird. Ist der Oeschwürs-
grund in die Nachbarschaft hineingewachsen, so wird derselbe dort be¬
lassen, die Magenwand ringsum abgeschnitten, der Geschwürsgrund von der
anhaftenden Schleimhaut befreit, ausgetupft, mit Jod bepinselt und mit um¬
liegendem Gewebe oder Netz übernäht. Die Längsnaht des Magens lässt
sich mit langem Nadelhalter leicht ausführen, zuerst durch die ganze Magen¬
wanddicke und darüber nach Lembert. Der nach der Längsnaht bleibende
lange offene Magcnschlauch wird nun mit dem Duodenum verbunden oder
ins Jejunum nach Krönlein-Mikulicz eingepflanzt. Von 15 so
operierten Fällen sind 13 geheilt, 12 sind danach magengesund und auch
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
24. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
789
von Ulcus jejuni verschont geblieben. Krankengeschichten mit Röntgenbefund
werden mitgeteilt.
Fritz P e n d 1 berichtet aus dem Krankenhause Troppau über einen Fall
von ruptorlerter Malarlamllz nach Bauchquetschung, durch Milzexstirpation
geheilt.
Hugo Hauke gibt aus dem Allerheiligenspital Breslau einen Beitrag
zum Kapitel der traumatischen Mllzruptur und deren Behandlung durch
Splenektomle und zeigt unter Anführung mehrerer Krankengeschichten,
welchen Wert wir den einzelnen Symptomen der intraabdominellen Blutung
zumessen können und dass auch das Kardinalsymptom, die Bauchdecken¬
spannung, in manchen Fällen fehlen kann, die Druckempfindlichkeit des
Bauches nicht konstant ist. Bezüglich der Indikation zur Operation ist auch
in zweifelhaften Fällen ein Eingreifen angezeigt, besonders bei Puffer¬
quetschungen. bei denen Leber- und Milzrupturen zuweilen ohne heftigere
Symptome bestehen können und sieht H, wie beim Bauchschuss ebenso bei
durch schwerste Qewalteinwirkungen entstandener Bauchquetschung die Indi¬
kation zur Laparotomie, keinesfalls darf beim Vorhandensein eines der wich¬
tigen Symptome bis zum Auftreten anderer gewartet werden. Auch
auf die Technik der Operation und die Einwirkungen des Milzverlustes auf
den Organismus geht H. noch ein.
R. R e i c h 1 e berichtet aus dem gleichen Krankenhaus über den Volvulus
der Fiexura slgmoldea, konstatiert in seinem Material eine Häufung der Fälle
(4 Fälle innerhalb eines Vierteljahres) und ein Zusammentreffen mit Mega¬
colon sigm. pie Frühdiagnose ist durch das Röntgenbild erleichtert (K 1 o i -
1) e r). Die Resektion ist die Methode der Wahl, ob einzeitig oder zweizeitig
hängt vom Zustand des Darmes ab.
Josef L 0 s e r t beschreibt aus dem Troppauer Krankenhaus einen Fall
von Hermaphroditismus verus lateralis beim Menschen und das nach Opera¬
tion gewonnene Präparat.
S. Weil berichtet aus der Breslauer Klinik über die Beziehungen der
Osteochondritis deformans iuvenills coxae und der Alban-Köhler sehen
Krankheit, teilt einen Fall der betr. Navikulareerkrankung mit Beschreibung
des Präparates, Röntgenbildern etc. mit und konstatiert, dass die Erkrankung ,
in einer Störung der Ossifikation in einem im Knorpelstadium annähernd
normalen Skelettstück besteht. Nach W. ist auch bei der Osteochondritis
def. juv. coxae das Wesentliche in Ossifikationsstörungen zu suchen, beide
Erkrankungen als wesensgleich, beide als Entwicklungsstörungen anzusehen.
L. D r ü n e r referiert aus dem Fischbachkrankenhaus über die Oxyuren |
ira Wurmfortsatz, deren Häufigkeit er nach 172 untersuchten Appendizes mit
22,6 Proz. angibt (unter den Wurmfortsätzen ohne neue oder Spuren abge¬
laufener Entzündungserscheinungen in Mukosa und Submusosa 40 Proz. oxyuren-
haltig), bei der Appendicitis acuta fanden sich nur 9 Proz. oxyurenhaltig, in den
schweren Formen nur 3 Proz., und ist somit anzunehmen, dass die Oxyuren
den Wurmfortsatz verlassen, wenn derselbe schwerer erkrankt. Wenn auch
Dr. nicht so weit geht, wie Rheindorf, so schildert er doch das klinische
Bild der Oxyuriasis und warnt davor, solche als ungefährliche Ursache von
Krankheitssymptomen zu halten und event. von der Operation abzusehen,
während man sonst nicht damit zögern würde.
Hermann Kästner gibt aus der Leipziger Klinik Röntgenbefunde an
der Trachea, besonders nach Kropfoperationen. Er geht auf die röntgeno- |
logische Darstellung der Trachea (Holzknecht, Sgalitzer) näher ein,
empfiehlt ventrodorsale Aufnahme und berichtet die Befunde vor und nach
der Strumektomie (u. a. 9 Fälle, bei denen vor der Operation erhebliche
Deformierung der Luftröhre, nach der Operation bereits nach wenigen Tagen
eine erhebliche Rückbildung, keine völlige Restitutio ad integrum zu- konsta¬
tieren war), dann über mehrere mit geringer Verlagerung der Trachea und
schliesslich einen Fall von Tracheomalazic bei einer Rezidivstruma. Die
Röntgenuntersuchung nach Kropfoperationen bringt eine gewisse Kontrolle
der Operationstechnik in rein anatomischem Sinn, Würden wir wirklich,
einmal nach einer Strumektomie die Stellung der Trachea unverändert oder
gar verschlechtert finden, so müssen wir überlegen, ob wir nicht an der
falschen Seite operiert haben; für den therapeutischen Effekt dürfen wir das
rein morphologische Verhalten auch nicht überschätzen. Die Dyspnoe geht
nicht immer der Trachealveränderung parallel, kann auch durch Vagus- oder
Rekurrenskompression, Emphysem oder Herzveränderungen bedingt sein. Sehr.
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 22.
Ludwig F r a n k e n t h a 1 - Leipzig: Die Bedeutung der Misebinfektion
bei der Wunddiphtherie.
Auf Grund ausgedehnter bakteriologischer Untersuchungen und Tier¬
experimente kommt Verf. zu dem Schluss, dass bei der Wunddiphtherie die
Mischinfektion, besonders die mit Streptokokken, die allergrösste Rolle spielt;
er fand ferner, dass Diphtheriebazillen auf frischen aseptischen Wunden nicht
festzuhalten waren und dass sie von fast allen Kokkenarten in relativ kurzer
Z^it überwuchert wurden; der Diphtheriebazillus bedarf demnach offenbar für
sein Wachstum erst einer gewissen Vorbereitung des W’undbodens: so erklärt
sich auch die Beobachtung, dass nach Streptokokkeninfektion besonders
schwere Wunddiphtheric auftrat. Ausser den Streptokokken wirken auch
noch bestimmte Anaerobier virulenzsteigernd auf den Diphthericbazillus; daher
ist auch die Wunddiphtheric in langen Fistelgängen und tiefen Wundhöhlen
sehr schwer zu bekämpfen. Jedenfalls ist die Wunddiphtherie als eine
schwere Mischinfektion anzusehen und deshalb auch energisch mit allen
Mitteln zu bekämpfen.
S. Y a m a n 0 i - Hasel:, Zur Lehre der Thymusllpome.
Verf. beschreibt ein selbstbeobachtetcs Thymuslipom, das aus 2 Lappen
bestand; er glaubt, seine Entstehung darauf zurückführen zu müssen, dass
in einer zunächst normalen Thymus das Fettgewebe aus uns noch unbekannten
Gründen zu wuchern beginnt und so die resticrenden Thymusbestandteile in
die tieferen Partien des Mediastinums verschlept werden. Mit I Abbildung.
Hs. H a v 1 i z e k - Komotau; Qastropexie durch Rekonstruktion des LIg.
hepatogastricum mittels freitransplantierter Faszie.
Verf.s Methode, die er kurz beschreibt, besteht darin, dass er das Auf¬
hängeband des Magens durch ein Stück freitransplanticrter. der Fascia lata
entnommener Faszie verstärkt. Bei der Tendenz der Faszie zur Schrumpfung
ist mit der Zeit noch eine weitere Verkürzung des Aufhängebandes und
damit ein noch besseres Resultat zu erwarten.
J. K i r n e r - Rheydt: Ueber Neuromexzision bei trophischem Finger¬
geschwür.
Durch Exzision eines Neuroms am .Medianus hat Verf. ein Geschwür.
Digitized by Goiisle
das sonst jeder Therapie trotzte, in 3 Wochen völlig zur Heilung gebracht.
Der Krankheitsfall ist genauer beschrieben. Demnach hat das Neurom die
trophischen Störungen ausgelöst, wie bereits F. Brüning in Nr. 48, 1920
behauptet hat.
Gg. K e 11 i n g - Dresden: Schraube inr Processus vermiformis als Ur¬
sache einer Appendizitis.
Verf. beschreibt einen der seltenen Fälle von Appendizitis, der durch
einen Fremdkörper — eine verschluckte Schraube — verursacht war.
E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 22.
A. Marx-Prag: Ueber Veränderungen an der Oberfläche des Uterus
durch GasbazlUen. (Aehnlichkeit mit traumatischen Verletzungen.)
Beschreibung von 3 Fällen mit multiplen kleinen Dehiszenzen an der
Oberfläche der Gebärmutter, die nicht durch kriminelle Abortversuche bedingt,
sondern durch Gasbazillen mit dadurch entstandenen „Schaumorganen“ ent¬
standen waren.
K. K a u t s k y - Wien: Eine neue Methode zur Sicherstellung von
Zwiliingsschwangerschaften. Beehrend- und Querlagen.
Verf. empfiehlt bei Zwillingsschwangerschaftverdacht auf Interferenz¬
erscheinungen zwischen den beiden fötalen Herzschlagrhythmen zu achten.
Ferner ist man in der Lage durch Druck auf den einen kindlichen Schädel
nach Art eines Vagusdruckversuches bei dem betreffenden Zwilling eine
Bradykardie zu erzeugen und dadurch sehr erhebliche Pulszahldifferenzen
feststellen zu können.
P. W. Siegel- Giessen: Schematisierung und Dosierung des geburts¬
hilflichen Dämmerschlafs.
Kritik der Arbeiten von Horn in Nr. 6 des Zbl. und von L e m b c k e
in Nr. 9 d. Wschr., mit dem Ergebnis, dass die Schematisierung der Individuali¬
sierung überlegen ist und dass die Gegner keineswegs, wie sie glauben,
geringere Mengen von Narkotizis angewandt haben.
A. N e m e s - Gross Wardein: Scheidenbildung aus dem Mastdarm.
H. B r o s s m a n n - Jägerndorf; Zur operativen Bildung einer künst¬
lichen Schdde.
Beschreibung je eines Falles, in dem die Schubert sehe Methode gute
Erfolge brachte. * Werner- Hamburg.
Berliner klinlsclie Wochenschrift. 1921. Nr. 23.
S e e 1 e r t - Berlin: Diagnose zerebraler Anfälle.
Verf. gibt eine Zusammenstellung der wichtigsten für die Erkennung oder
Erschliessung der Natur solcher Anfälle verwertbaren Tatsachen und Er¬
fahrungen und nimmt besonders Bezug auf die Anfälle bei genuiner und ander¬
weitiger Epilepsie. Unterscheidung von den Anfällen hysterischer Psycho¬
pathen ist besonder.s wichtig. Ferner werden erörtert die Merkmale der effekt¬
epileptischen Anfälle der Psychopathen. Die Schwindelanfälle bei psycho¬
pathischen Menschen sind wahrscheinlich an vasomotorische Vorgänge ge¬
knüpft. Erörtert werden ferner die respiratorischen Affektkrämpfe bei Kindern,
die sog. spasmophilen Anfälle, die narkoleptischen Anfälle.
R. Ohm-Berlin: Der sog. 3. Ha-zton und seine Beziehungen zur dia¬
stolischen Kammerfüllung.
Vergl. Kurzbericht S. 624 der M.m.W.
J. Tranjen - Sofia: Das Friedmann sehe Heilmittel und die Leit¬
linien seiner Anwendung im Lichte der Ehrlich sehen Seltenkettentheorie.
Es wird der Versuch gemacht, die Friedmann sehe Entdeckung und
die bei der Anwendung seines Mittels gemachten Beobachtungen iin Lichte
der Immunitätslehre und zwar mittelst der Ehrlich sehen Seitenketten¬
theorie dem Verständnis näherzubringen. Die Resultate von 300 von Verf.
gesehenen Tuberkulosefällen entsprechen vollkommen den Anforderungen der
Theorie E h r 1 i c h s.
H. M a r t e n s t c i n - Breslau: Zur Behandlung des Lupus vulgaris mit
dem Friedmann sehen Tuberkulosemittel.
Die mitgeteilten Beobachtungen sprechen nicht dafür, dass wir in dem
Fr.sehen Mittel eine Bereicherung Unserer Therapie gegenüber dem Lupus
vulgaris gewonnen haben. (In einem Nachwort erklärt Friedmahn selbst,
dass der Hautlupus'von ihm als ungeeignet zur Behandlung mit seinem Mittel
schon früher bezeichnet worden sei.)
Fr. L o e b e n s t e i n - üöttingen; Ueber die antigene Wirkung t der
Friedmannbazilien.
Nach den Untersuchungen des Verf. konnte er eine allergische Um¬
stimmung des menschliclmn Organismus durch die Fr.sehen Bazillen nicht
feststellen.
Fr. I) c m u t h - Charlottenburg: Ueber einen unter dem Bilde einer
schweren Verätzung oder Verbrennung verlaufenden Fall von Stomatitis
fibrinosa. Die mitgeteilte Beobachtung betraf ein 9 monatliches Kind.
L. M ü I I e r - Reinickendorf: Ein Fall gelungener Ueberpflanznng fötaler
Haut.
Verf. machte diesen Versuch an einem Fall ausgedehnter Verbrennung
und transplantierte ein grösseres Stück Haut einer späten Fehlgeburt (aus
dem 6. Monat). Trotz einiger Störungen erfolgte Anheilung.
W. U t e r - Hamburg; Ueber Gewebsnekrosen nach Chininurethan-
iniektionen und einen dabei beobachteten histologischen Befund eines
nekrotischen Muskels.
Die mitgeteilte Beobachtung wurde an einem /4 jähr. Knaben gewonnen,
welcher kurz vor dem Tode eine solche Einspritzung erhalten hatte. Histo¬
logisch handelte es sich an dem kranken Muskelteil um eine Kombination
von nekrotischen und nekrobiotischen Vorgängen,
W. A n t h 0 n - Berlin: Chronische pseudomembranöse Pharyngo-
Laryngitis auf der Basis von Lupus.
Das klinische Bild der Kachenveränderungen an der ganz gesund aus¬
sehenden Patientin war derart, dass an obige Diagnose anscheinend nicht zu
denken war. Sic Wurde jedoch unter allen Kautelen schliesslich sichergestellt.
Es wurde eine erhebliche Besserung erzielt.
E. S a c h s - Berlin: Ueber Tamponade mit nichtentfettetem Material
(Rohmull, Rohgaze).
Bezüglich der Technik der Anwendung derartigen Materials vertritt Verf.
energisch das möglichst feste Ausstopfen der betreffenden Körperhöhle.
G. Joachimoglu - Berlin: Die gesetzlichen Bestimmungen über
Handverkauf und Repetition von Rezepten.
Nicht zum Auszug geeignet. G r a s s m a n ii - München.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
790
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 21.
H. K ü m m e 11 - HamburK: lieber Diasnose sowie seltenere Beglelt-
und Folseersciieinuncen der Appendizitis
Nach einem im Aerztl. Ver. am 8. Februar 1921 gehaltenen Vortrag.
(Bericht in Nr. 8 d. M.m.W.)
K. B e h n e - Freiburg i. B.: Experimentelle Untersuchungen über das
Wesen der Kaseosanwirkung.
. Im Serum des normalen menschlichen Organismus finden sich Reak-
tiünskörper von wechselnder Stärke gegen das Kaseosan, auf welche die
bei ersten Iniektionen von Kaseosan zu beobachtenden Reaktionserscheinungen
zurückgeführt werden müssen. Im erkrankten Organismus kommt es infolge
Umstimmung sowohl zu wesentlich stärkeren Allgemeinstörungen als wie zu
lierdreaktionen. wobei die Produkte des rasch erfolgenden parenteralen
Kaseosanabbaues als Reizkörper zu wirken scheinen.
P. L i n d i g - Freiburg i. Br.: Die Dosierung des Kaseosans nach bio¬
logischen Gesichtspunkten.
Die intravenöse Einverleibung des Kaseosans muss vorsichtig steigend
vorgenommen werden; bei schwer Fiebernden und geschwächten Kranken
soll die Anfangsdosis V* ccm nicht übersteigen. Zur gegebenen Falles not¬
wendig werdenden Verdünnung des Kaseosans wird das Straub sehe
Normosal empfohlen. Hohe Leukozytenwerte erfordern besondere Sorgfalt
in der Dosierung.
R. Cassirer und E. U n g e r - Berlin: Zur Ueberbrfickung grosser
Nervendefekte mit freier Transplantation.
10 ccm lange Defekte am Radialis und Ulnaris, 6 cm langer Defekt am
Ulnaris infolge Schussverletzung wurden durch die entsprechenden Nerven¬
stücke einer frischen Leiche überbrückt. Nach 32 Monaten war die Funk¬
tion des Radialis nahezu völlig wiederhergestellt, während Medianus und
Ulnaris bis jetzt gelähmt blieben; doch lässt die noch ungewöhnlich gut er¬
haltene direkte galvanische Erregbarkeit dieses Nerven noch auf eine Bes¬
serung hoffen.
E. U n g e r und E. Schwabe- Berlin: Eine Hautschlauchmethode
zum Verschluss des künstlichen Afters.
Ein aus der Bauchhaut gebildeter Schlauch wurde unter dem vorge¬
lagerten Kolon durchgezogen und sollte zur Aufnahme einer besonders ge¬
bauten Pelotte dienen. Die praktische Erprobung fiel wegen Todes der
Patientin aus.
L. Kleinschmidt - Essen: Röntgenbehandlung des Mal perforant
du pied.
Ueberraschend schneller und günstiger Erfolg bei zwei' bislang ver¬
geblich mit allen möglichen Mitteln behandelten Fällen.
E. Nordmann - Berlin: Ueber die Behandlung des trophoneurotlschen
FussgeschwUres durch Verlagerung eines sensiblen Hautnerven.
Ein rezidivierendes trophoneurotisches Geschwür an der Ferse nach
Ischiadikusverletzung war drei Monate nach Verlagerung des Nervus saphenus
in seine unmittelbare Nähe geheilt. Der ganze Fuss hatte ein frischeres
Aussehen bekommen.
Q. W o 1 f f - Berlin: Phagedänische Lymphdrüsenvereiterung ln der
Leistenbeuge. •
Eine fast zwei Jahre sich trotz aller erdenklichen Behandlung nach der
Fläche und Tiefe immer mehr ausbreitende Qeschwürsbildung in beiden
Leistengegenden heilte zusehends nach Um- und Unterspritzung mit Vuzin-
lösung 1; 500—1: 1000.
M. Böhm-Berlin: Die Prothesenversorgung kurzer und pathologischer
Stümpfe der unteren Extremität
Angaben über besondere Prothesen bei kurzen Ober- und Unter¬
schenkelstümpfen sowie bei kontrakten Chopartstümpfen. Praktisch wichtig
ist die Forderung, dass die Beugekontraktur (bzw. Ankylose) eines kurzen
Oberschenkelstumpfes nicht in eine Streckkontraktur umgewandelt werden
darf, da derartigen Amputierten vor allem ein gutes Sitzen ermöglicht wer¬
den muss.
Hinselmann und Haupt-Bonn: Die Registrierung dbr Anglo-
spasmen.
Die Stasen in den präkapillaren Arterien können direkt am Nagelfalz
mit einem Kapillarmikroskop beobachtet und nach Häufigkeit und Dauer,
z. B. bei Nierenkranken, registriert werden.
J. Fein-Wien: Ueber die sog. ..Kadaverstellung** der Stimmbänder.
Verf. bringt 10 verschiedene Formen def Stimmbandstellung bei Leichen.
Er hält daher den von Z i e m s s e n gewählten Ausdruck „Kadaverstellung"
für unangebracht und empfiehlt die Bezeichung ..Zwischenstellung" nötigen¬
falls unter Beschreibung der Glottisform (gleichseitiges, rechtwinkliges Drei¬
eck, oval, spitzoval, lanzettförmig).
L. Arzt und W Kerl-Wien: Ueber Parasyphilis.
Alle Erkrankungen, bei denen Spirochäten vom Pallidatypus gefunden
werden und die in ihrem Verlaufe auch nur halbwegs dem vielgestaltigen
Krankheitsbilde der Syphilis nahekommen, sind als echte Syphilis anzusehen.
B 1 a n c k - Potsdam: Zur Abortivbehandlung der Syphilis.
Verf. hält seine Warnung vor der L e s s e r sehen Abortivkur aufrecht,
da auch diese nicht unbedingt zuverlässig sei.
Bokofzer - Berlin: Die Quäkerspelsung und der R o h r e r sehe
Index.
Zu kurzem Berichte nicht geeignet.
J. E. Valentin- Buch: Untersuchungen bei kindlicher Gonorrhöe.
Bei kindlicher Gonorrhöe ist die Urethra immer erkrankt; Zervix-
erkrankung kommt sicher vor, ist aber schwierig nachzuweisen (am besten
mit Hilfe des Simon sehen Harnröhrenspekulums). Gleichzeitige Rektal¬
erkrankung ist meist vorhanden. Gonorrhoische Bartholinitis konnte nicht
nachgewiesen werden.
J. S t r e b e I - Luzern; Skisportverletznngen des Auges.
Sie ereigneten sich durch den Skistock, die Skibrettspitze und durch
Hindernisse im Gelände.
Z e r n i k - Wilmersdorf; Neue Arzneimittel, Spezialitäten und Geheim¬
mittel.
O. Strauss - Berlin; Moderne Krebsbehandlung.
Uteruskarzinom ist Gegenstand der Bestrahlung; Karzinome des Ver¬
dauungskanales und der Mamma sind zu operieren, dann einer methodischen
Nachbestrahlung zu unterziehen.
L. L u n e s t c i n - Berlin: Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker.
Baum- Augsburg.
Oetterreiclilscbe Literatur.
Wiener klinische Wodienschrlft.
Nr. 21. A. L u g e r und E. Lau da-Wien: Zur Aetlologle des Herpes
iebrilis.
Bei Nachprüfung der Versuche K o o y s (Kaninchenkornea) gelang es
den Verfassern nicht, das von ihm beschriebene Stäbchen festzustellen und
zu züchten. Dagegen gelang es in (Jebereinstimmung mit Dörr durch intra¬
venöse Injektion von Herpesbläscheninhalt oder Gehirnemulsion einen typi¬
schen Erkrankungsprozess mit schweren Allgemeinerscheinungen hervorzu¬
rufen. Die Verf. neigen daher zur Annahme eines filtrierbaren Virus.
A. Exner-Wien; Ueber Tuberkulose der Aponeurods palmarfs unter
dem Bilde dör Dupuytren sehen Fingerkontraktur.
Der Fall (Operation, histologische Untersuchung) betrifft ein 20 jähriges
Mädchen.
F. Hamburger und Ph. Erlacher - Graz: Caries ossium non tuber-
culosa.
Beschreibung eines Falles multipler Karies, wo kein Anzeichen für
Tuberkulose vorhanden war. wahrscheinlich gleichartig mit Fällen von
Friedländer, Sun dt, S p i t z y.
E. Epstein und F. Pa ul-Wien: Zur Theorie der Serologie der
Syphilis. *
B. Molnar-Pest: Zur Salvarsantherapie der Lungengangrän.
Bei zwei frischen Fällen von Lungengangrän wurde mit Salvarsan ein
rascher, bei einer 4 —6 Wochen alten Erkrankung eine langsafhe, bei zwei
1 Jahr bestehenden Fällen kein Erfolg erzielt. Von fünf chronischen Fällen
von putrider Bronchitis wurden zwei wesentlich gebessert.
B e r g e a t - München.
Im Druck erschienene InauKuraldtesertatlonen.
Universität Jena.
^Weingartner Alfred: Beitrag zur Kenntnis der Gehirnveränderungen bei
Malaria.
Voigt Gerhard: Untersuchungen über die praktische Verwendbarkeit der
.Anreicherungsmethode mittels Antiformin zum Nachweis von Tuberkel¬
bazillen im Sputum.
Müller Heinrich August: Ueber einen Fall von Encephalomyelomeningitis
typhosa.
Rohden Ludwig: Der anatomisch-astatische Typus der zerebralen Kinder¬
lähmung.
Langbein Hildegard: Ueber einen neuen Typus der Entbindungslähmung
mit vorwiegender Beteiligung der Brust- und Schulterblattmuskeln.
Brandes Theodor: Ueber die Beziehungen der perniziösen Anämie zum
Magenkarzinom.
Böhringer M.: Ein Beitrag zur Kenntnis der Tuberculosis occlusa der
Niere.
Er 1 e r Georg; Ueber einen Fall von Herzmissbildung mit anormalem Septum.
Vereins- und Kongressberichte.
12. Kongress der Deutschen Dermatolog. Gesellschaft
in Hamburg vom .15.—19.. Mai 1921.
(Berichterstatter: Dr. Ferd. Rosenberger -Hamburg.)
Der Kongress wurde von Geheimrat V e i e l - Cannstatt in der Uni¬
versität durch eine Ansprache eröffnet, in der er auf die Bedeutung Hamburgs
für die Dermatologie hinwies. Er gedachte der in den letzten 8 Jahren
verstorbenen Angehörigen der D. D. G., die die Versammlung durch Erheben
von den Sitzen ehrte. In seinen weiteren, von hohem Patriotismus ge¬
tragenen Ausführungen begrüsste V. insbesondere den Vertreter des Ham-
burgischen Senats, den Rektor der Universität, sowie die Dekane der medi¬
zinischen Fakultäten und die Vorstände der Hamburger Krankenhäuser. Von
den Ehrengästen nahm kurz Senator Dr. Petersen das Wort, der die
Kongressteilnehmer im Namen der Regierung der Hansestadt Hamburg will¬
kommen hiess.
Auf Vorschlag V e i e 1 s wurde einstimmig A r n i n g als Präsident des
Kongresses gewählt, der alsbald dem bekannten Neurologen Nonne das
Wort zu dem Referate „SyDbllis und Liquor** erteilte. N., der auf
Grund 15 jähriger eigener Erfahrung sprach, hob hervor, dass bei Be¬
urteilung des Liquors im Hinblick auf Diagnose. Therapie und Prognose,
dem Druck, der Zellart, der Zellzahl und der Globulinreaktion die Beachtung
zuzuwenden sei. Was den Druck anbelangt, so ist derselbe bei Tabes und
Paralyse etwas erhöht. Eine starke Erhöhung erfährt derselbe bei akuter
syphilitischer Meningitis. Im Hinblick auf die Lymphozytose betont Vor¬
tragender, dass etwa 40 Proz. aller Luetiker eine Vermehrung der Lympho¬
zyten aufweisen, ohne dass sich Anzeichen für eine Nervenerkrankung
eruieren Hessen. Referent macht auf die Vielgestaltigkeit und die Ver¬
schiedenartigkeit des Verlaufes der Tabes und der Paralyse aufmerksam.
Tabesfälle mit wenig Fortschreitungstendenz weisen im allgemeinen geringe
Lymphozytose auf. Aehnlich verhält es sich mit der Paralyse. N. hält
letztere Erkrankung, wenn auch in ganz vereinzelten Fällen, für heilbar (er
verfügt über 6 derartige Kranke). Als Beweis* der Heilung betrachtet er
vom serologischen Standpunkt aus das Fehlen der Globulinreaktion, da die¬
selbe sich nur bei Luetikern nachweisen lässt.
Vortragender kommt dann weiter auf die WaR. zu sprechen, die bei
Tabes in allen Fällen auftritt und bei Paralyse im allgemeinen stärker ist
als bei ersterer Erkrankung. Eine positive WaR. allein ist jedoch noch
keine Indikation zur Behandlung, was Vortragender durch verschiedene Bei¬
spiele erläutert. Die Hämolysinreaktion hält N. als nicht spezifisch für
Syphilis, obwohl dieselbe bei Tabes und Paralyse zu beobachten ist. Das
Nervensystem wird in einzelnen Fällen schon wenige Monate nach der
Infektion von der Lues betroffen: der Liquor ist meistens schon sehr früh
infektiös: jedoch heilen bei Lues I- und H-Kranken mit nicht mehr normalem
Liquor etwa 60 Proz. unter entsprechender Behandlung aus. Spontanheilungen
gehören nicht zu den Seltenheiten. Ein normaler Liquorbefund beweist noch
kein Freisein von Syphilis. Vortr. deutet wiederholt auf die Wichtigkeit
der Untersuchung der Zerebrospinalflüssigkeit hin. die in Fällen von isolierter
Digitized by Goiisle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
791
reflektorischer Pupillenstarre bei syphilitischer Meningitis usw. zur Stellung
einer exakten Diagnose unentbehrlich ist.
Was die Wirkung der Therapie anbetrifft, so erfährt der Liquor bei
Lues cerebrospinalis eine Umstimmung im günstigen Sinne, während bei
Paralyse die Beeinflussung nur eine vorübergehende ist; zu gleicher Zeit
können sich jedoch die klinischen Erscheinungen bessern. Im Uebrigen ist
der Erfolg der therapeutischen Massnahmen immer abhängig von der Heftig¬
keit der Infektion und der Stärke der Abwehrkraft des befallenen Organismus.
Zum Schluss warnt N. davor, nur Reaktionen einzustellen, sondern er weist
auf die Wichtigkeit der üesamtbeurteilung des kranken Menschen hin.
Zum gleichen Thema spricht als weiterer Referent Kyrie-Wien, der
seine Darlegungen ebenfalls auf ein grosses Krankenmaterial stützen kann.
Ueber den Beginn der Liqiiorvcränderungen spricht er sich dahin aus, dass
sehr oft bald nach der Infektion die Zerebrospinalflüssigkeit nicht mehr
normal sei. Die hin und wieder auftauchende Hypothese, dass Hauterschei¬
nungen bei Lues II eine Beeinflussung des Liquors in ungünstigem Sinne
hintanhalten können, kann er nicht bestätigen: besonders bei Leukodernra
und Alopecia specif. können sehr häufig positive Liquorbefunde erhoben
werden. Ein negativer Befund- bei Beginn der Sekundärperiode sagt noch
nichts, hingegen konnte K. jenseits des zweiten Jahres nach der Infektion
nur selten ein Positivwerden beobachten. Was die Therapie anbelangt, so
steht Referent auf dem Standpunkt, dass, je älter die Erkrankung, je schwerer
eine günstige Beeinflussung des Liquors möglich ist. Er spricht sich für
intensive Hg-Salvarsankuren aus, unter besonderer Betonung des letzteren
Therapeutikums; auch redet er der Fiebertherapie das Wort. Ungenügende
Salvarsankuren wirken leicht im provozierenden Sinne.
Die nun folgenden Ausführungen von Sachs und Kafka dürften nur
den Spezialserologen interessieren.
' Als letzter Redner des Vormittags spricht noch K o 11 e - Frankfurt a. M.,
der über seine neuesten tierexperimentellen Untersuchungen berichtet; er
hebt die Monotonie der Hg-Präparate hervor, von denen im Gegensatz zu
den Salvarsanderivaten nur wenige (Novasurol) imstande seien, die Kaninchen¬
syphilis zu heilen.
Die Nachmittagssitzungen wurden wegen der Fülle des zu besprechenden
Materials in 3 Sälen gleichzeitig abgehalten, weshalb es hier nur möglich ist,
über einen Bruchteil der erstatteten Referate zu berichten.
An Hand ausgefülltcr Fragebogen verbreitet sich R o s t - Freiburg über
das Thema „Abortivbehandlung der SyphiUs“. Aus den Zusammenstellungen
der Resultate von 35 Kliniken bzw. Aerzten geht hervor, dass von 882 Fällen
mit seronegativer Lues 736 ein Jahr lang, 305 1—2 Jahre und 319 über
2 Jahre lang rezidivfrei blieben. Bindende Schlüsse über das Optimum der
Therapie lassen sich aus den Zusammenstellungen nicht ziehen, da sehr viele
Autoren die verschiedensten Methoden nebeneinander verwandten, ohne An¬
gabe, welche am besten und raschesten zum Ziele führt; doch scheint es,
dass immer noch die kombinierte Kur das Feld behauptet.
K r e b s - Leipzig rühmt Staphar, eine aufgeschlossene Maststaphylo¬
kokkenvakzine, die besonders bei Furunkeln und Pyodermien Gutes leistet.
Brock- Kiel berichtet über den Zusammenhang von Dermatosen und
Innerer Sekretion; insbesondere glaubt er von Beziehungen zwischen Thymus
und Psoriasis sprechen zu können. Die hieraus resultierenden therapeutischen
Massnahmen (Bestrahlung der Drüse durch Reizdosen) stellen einen neuen
Faktor in der Behandlung der Schuppenflechte dar. Auch bei anderen
Hautkrankheiten wie Lichen ruber planus, juvenile Warzen. Ichthyosis,
Ichthyosis hystryx will B. durch obige Methode Erfolge gesehen haben. In
der einsetzenden Diskussion (Rost, Müller. Brand, H a u c k u. a.)
kommt zum Ausdruck, dass die Erfolge B r o c k s nicht überall bestätigt
werden konnten.
Qennerich - Kiel verbreitet sich über die Aetlotogle des Lupus erythe¬
matodes. Er erblickt in dem Abbau der Lymphdrüsenfermente ein ätiologisches
Moment; R o s t - Freibürg tritt mehr für exogene Entstehungsursachen
(Sonnenbestrahlung) ein. ,
U 11 m a n n - Wien; Zur Klinik und Genese des Arsenikkarzinoms. Die
Erkrankung tritt fast nur in britischen und amerikanischen Ländern, wegen
der dort oft üblichen jahrelangen Arsenikmedikation, auf. Der Beginn zeigt
sich meistens an den Fersen mit Schwielen und Rhagaden; sehr oft steht
Hyperidrosis, Psoriasis und Furunkulose damit im Zusammenhang; histo¬
logisch zeigt sich grosse Uebereinstimrnung mit den übrigen Karzinomen.
Rost- Freiburg bringt einen Vorschlag zur Gruppierung und teilweisen
Neubenennung der Hautkrankheiten. Er will unter Verzicht auf die Morpho¬
logie einteilen in A) Noxen (exogene Momente). B) Dispositionen (endogene
Momente), Unterabteilungen: A) 1. geformte (bazilläre usw.). 2. chemische.
3. physikalische; B) 1. Stoffwechselstörungen, 2, und 3. Erkrankungen auf
neurogener und vaskulärer Basis, 4. Entwicklungsstörungen. Die Diskussions¬
redner (T o u t o n, Gans) stimmten diesen Vorschlägen teilweise zu.
Der Abend vereinigte die Kongressteilnehmer zu einem von der Der¬
matologischen Gesellschaft Hamburg-Altona gegebenen Biefabend, der in jeder
Hinsicht als vollkommen gelungen bezeichnet werden kann.
Als Hauptthema des nächsten Tages stand: Die Behandlung der Haut-
und Geschlechtskrankheiten mit Organismuswaschungen und parenteraler Ein-
fOhrung unspezifischer Stoffe zur Diskussion. Die sehr interessanten Ausfüh¬
rungen von Welchardt - Erlangen können aus technischen Gründen zurzeit
hier nicht gebracht werden. Dieselben werden in einem Nachtragsreferat er¬
scheinen. Als zweiter Referent spricht Klingmülier - Kiel, der haupt¬
sächlich die von ihm eingeführte Terpentintherapie erläutert. Er gibt das
Terpentin in lOpröz. Lösung intrariiuskulär: die intradermale Anwendung
bietet keine Vorteile, die intravenöse ist abzulehnen, die Dosierung ist noch
ungenau. Schmerzen will der Referent bei richtiger Anwendungsweise
selten beobachtet haben. K. ist noch dabei. Versuche mit anderen Gelen
anzustellen, er muss jedoch heute schon erklären, dass Mischungen ver¬
schiedener Gele nicht angängig sind. Was die Wirkungserklärung anbetrifft,
so ist die Annahme einer direkten Beeinflussung des Krankheitsherdes nicht
angängig. Bei der Darreichung kleiner Dosen ist eine regelmässige Ver¬
änderung der Blutbilder nicht zu verzeichnen.
L i n s e r - Tübingen berichtet über seine zum Teil recht guten Erfolge
mit Einverleibung von Normalserum; einen nicht geringen Teil seiner Aus¬
führungen nehmen Darlegungen über Behandlung mit spezifischem Serum ein;
Schädigungen von Personen, die sich zur Auf- und Entnahme von Kranken¬
serum hergaben, hat L. nicht bemerkt. Müller-Wien referiert ausführlich
über Milchinjektionen. Die fördernden Hailptmomente dieser Behandlungsart
erblickt er in Hyperämie und Transsudation; die Entzündungssteigerung er-
Digitized by Goiisle
klärt er durch Aenderung des kolloidalen Gleichgewichtszustandes des Blut¬
serums, Er spritzt etwa 5—6 ccm ein und wiederholt die Dosis nach Ab¬
klingen der Reaktion. 1—2 Stunden nach der Einverleibung tritt Frösteln
und Temperatursteigerung auf, deren Höhepunkt nach etwa 10—12 Stunden
erreicht sein dürfte. Was die Leukozytose anbelangt, so tritt anfänglich eine
Leukopenie, später Vermehrung der Leukozyten ein. Die Reaktion am
Krankheitsherd äussert sich zu Beginn in Schmerzhaftigkeit und Grösser¬
werden desselben. Als für die Behandlungsart am geeignetsten betrachtet
er Nebenhodenentzündungen, gonorrhoische Arthritiden, Periurethritis bei be¬
stehender Prostatitis und Bubonen. Nicht beeinflusst werden einfache gonor¬
rhoische Harnröhrenentzündungen und weiche Schanker, Von Hautkrank¬
heiten sind Ekzeme und Trichophytien aljf für die Milchbehandlung geeignet
zu betrachten. Als Hauptprodukte verwendet M. Caseosan und Aolan.
In der cinsetzenden Diskussion wird das Thema in praktischer und theo¬
retischer Hinsicht weiterhin beleuchtet.
L u i t h 1 c n - Wien ist der Ansicht, dass Eiweisszufuhr und Fieber die
Heilung herbeiführen. Möller meint, dass die Einverleibung obengenannter
Stoffe Abwehrbewegungen im Knochenmark hervorruft. Sachs glaubt,
dass auf Grund theoretischer Erwägungen die intravenöse Zufuhr die beste,
jedoch auch die gefährlichste Art sei.
K r e i b i c h - Prag will die Proteinkorpertherapic im Sinne der Fremd¬
körpertherapie aufgefasst wissen. Was die therapeutische Verwertbarkeit der
parenteralen Zufuhr unspezifischer Stoffe betrifft, so nehmen auch hier die
Autoren keinen einheitlichen Standpunkt ein. Während U 11 m a n n sich sehr
optimistisch ausspricht, mahnte Buschke - Berlin zu einer gewissen Re¬
serve. Mit selbststerilisierter Milch hat er bessere Resultate als mit den
im Handel erhältlichen Produkten. T o u t o n rät. zuerst die altbewährten
unschädlichen Mittel, wie heisse Umschläge usw. zu versuchen, bevor man
die immerhin nicht ganz indifferenten neuen Methoden anwendet. Im ähn¬
lichen Sinne drückt sich Galewsky - Dresden aus, der besonders auf die
manchmal recht unliebsamen Nebenerscheinungen aufmerksam macht.
ln der Nachmittagssitzung berichtet Buschke auf Grund eigener Ver¬
suche über das anaerobe Wachstum der Gonokokk^ (Nährboden mensch¬
liches Serum). Das Erhaltenbleiben der Gonokokken ist ein sehr langes, die
Fortpflanzung jedoch gering. Beim Arbeiten mit lebenden Gonokokken ist
nur in sehr wenigen Fällen Amyloiderzeugunv zu beobachten. B. geht dann
dazu über, seine Versuche für die Prognose der chronischen Gonorrhöe
heranzuziehen. Nach seiner Ansicht besteht in vielen Fällen eine ruhende
Infektion, d. h. Vorhandensein von spezifischen Krankheitserregern ohne
klinische Erscheinungen. Auf Grund seiner theoretischen Erwägungen und
des klinischen Bildes der Gonorrhöe (Lieblingssitz: Drüsenausgänge. Prostata,
Samenblasen usw.) sowie der Unangreifbarkeit der latenten Herde neigt B.
in der Beurteilung der Heilungsaussichten der Gonorrhöe zu starkem Pessimis¬
mus. Die Mehrzahl der Diskussionsredner (G e n n e r i c h. B l a s c h k o,
0 p p e n h e i m - Wien u. a.) teilen, was die männliche Gonorrhöe anbetrifft,
den Standpunkt des Vortragenden nicht und sind im Hinblick auf die Prognose
des gonorrhoischen Krankheitsprozesses wesentlich optimistischer.
Fuchs- Breslau spricht über gonorrhoische Ulzerä. die sich als ober¬
flächliche, leicht blutende Geschwüre ohne unterminierten Rand darstellen.
Sie sind fast nur bei Frauen zu beobachten; die Ulzera sind durch lOproz.
Arg. nitr.-Pinselungen leicht zu beseitigen.
H e u c k - München berichtet über die Beelnflussuni^ der Gonorrhöe durch
intravenöse Silberbehandlufig. Auf Grund seines reichhaltigen Materials
kommt er zu folgenden Ergebnissen: Ghne Lokaltherapie ist von obiger
Methode kaum etwas zu erwarten. Mit örtlichen Behandlungsmassnahmen
verbunden, sind etwa (bei einfachem weiblichen Harnröhrentripper) 72 Proz.
der Fälle als Erfolge zu buchen. Dieser Prozentsatz erhöht sich noch etwas
bei Zervixgonorrhöc. Unerwünschte Nebenerscheinungen, wie Fieber, Uebel-
keit, Erbrechen usw. sind bei manchen Patientinnen zu verzeichnen. Die
Behandlungszeit ist eine ziemlich lange, da H. mit Dosen von allmählich
steigender Konzentration und Menge arbeitet. Was die männliche Gonorrhöe
betrifft, so ist bei Nebenhodenentzündungen die Vakzinebehandlung über¬
legen, hingegen nicht bei Prostatitis. Bei Vulvovaginitis infantum sind die
erreichten Resultate gute zu ne^^en. Silbersalvarsan ist in einer Anzahl von
Fällen imstande, die weibliche Gonorrhöe auch ohne Einleitung örtlicher
Massnahmen zu heilen.
Am Abend ver.sammelten sich die Kongressteilnehmer zu einem Fest¬
essen im Uhlenhorster Fährhaus. Hier begrüsste Unna insbesondere die
ausländischen Gäste, die aus fast allen neutralen Staaten des europäischen
Kontinents erschienen waren. Nicht vergessen sei die überaus witzige und
geistreiche Bierrede von Prof. K r e i b i c h - Prag.
Am vorletzten Tae des Kongresses wurde den Teilnehmern die sehr
umfangreiche und interessante Moulagensammlung der Hautstation des
Krankenhauses St. Georg gezeigt. Ferner war Gelegenheit geboten, eine
Anzahl seltener Hauterkrankungen zu Gesicht zu bekommen; das Material
stammte zum Teil vom Krankenhaus, zum Teil hatten auch einige Hamburger
Aerzte ihre Kranken zur Verfügung gestellt. Auf die oft recht lebhaften
Kontroversen in Hinblick auf die Diagnosen kann hier nicht eingegangen
werden. Der Demonstration folgte ein Vortrag von Nathan- Frankfurt
über das Verhalten der Blutbilder bei toxischen Exanthemen nach Hg und
Salvarsan und seine allgemeine pathologische Bedeutung. Für den Nach¬
mittag hatte die Hamburg-Amerika-Linie einen Dampfer zu einer Hafenrund-
und Elbfahrt zur Verfügung gestellt. Dass das Schiff erst mit erneblicher
Verspätung wieder an den St. Pauli-Landungsbrücken eintraf, konnte der ge¬
lungenen Veranstaltung keinen Abbruch tun.
Der nächste Vormittag war dem Institut für Schiffs- und Tropenkrank¬
heiten gewidmet. Dort wurden den Besuchern die für den Dermatologen
wichtigsten Tropenkrankheiten wie Madurafuss. Ulcus tropicum, venerisches
Granulom, Grientbeule und Schleimhautleishmaniosen. Sporotrichosen, Verruga
peruviana u. a. vorgeführt. Äeusserst gelungene Photographien, sehr schöne
mikroskopische Präparat sowie ein vortrefflicher Lehrfilm unterstützten die
Vortragenden in ihren wissenschaftlichen Darlegungen. Den Vorträgen schloss
sich eine Besichtigung des Instituts an, das in drei Hauptteile: Laboratorium.
Krankenabteilung und Tierstall, zerfällt.
Am Nachmittag war Gelegenheit zur Besichtigung der Lupushcilstätte
(Dr. \y i c h m a n n) und der chemischen Fabrik Beiersdorf geboten. Ferner
hatte Prof. Unna zu einem Besuch seines Dermatologikums eingeladen. Er
zeigte dort einige schöne Moulagen und sprach über die Grundzüge des Zell¬
aufbaues, über Oxydations- und Reduktionsorte, Neutralviolett, Epithelisierung
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
792
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
und seine neuesten Versuche mit künstlicher Verdauung. Der Vortrag wurde
durch äusserst gelungene Präparate und Lichtbilder unterstützt.
Es kann wohl behauptet werden, dass der Kongress in jeder Weise an¬
regend und harmonisch verlief und dass kein Teilnehmer seine Hamburger
Pfingsttage zu bereuen haben dürfte.
Altonaer ärztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung voTO 23. Februar 1921.
Herr J e n c k e 1 berichtet übei* zwei Fälle von chronischem Heus, bedingt
durch multiple tuberkulöse Strikturen des Dünndarms. Beide Kranke zeigten
bei ihrer Aufnahme keinerlei Zeichen von sonstiger Tuberkulose. Die Lungen
waren gesund.
Ini ersten Fall (einem 42 jähr. Mann) hatten ein reflektorischer Spasmus
des Pylorus und die Klagen des Mannes über Schmerzen in der Magengegend
1—2 Stunden nach jeder Mahlzeit, sowie das Röntgenbild eine Erkrankung
des Pylorus vorgetäuscht. Im zweiten Fall (einer 48 jähr. Frau) bestand
Darmsteifung und Erbrechen. Das Röntgenbild zeigte einen Verschluss des
Colon transversum, so dass hier der Sitz des Leidens vermutet wurde. Bei
der Operation war aber der Dickdarm genau wie im Fall l intakt, dagegen
zeigten sich im Dünndarm bis hoch in das Jejunum hinauf multiple tub.
Infiltrationen und Einschnürungen. Die Stagnation des Kontrastbreies
muss .deshalb ebenfalls durch Spasmen hervorgerufen sein. Bei beiden Kranken
wurde die Peritonealhöhle mit Kochsalzlösung gefüllt und so geschlossen,
bei der zw^eiten Pat. sorgte eine angelegte Enteroanastomose für freie
Passage. Die mikroskopische Untersuchung einer stark vergrösserten Mesen¬
terialdrüse ergab frische Tuberkulose. Fall 1 ging später an einer floriden
Lungentuberkulose zugrunde.
Zum Schlüsse weist J. darauf hin. dass derartige Fälle von Dünndarm¬
tuberkulose durch die Laparotomie sehr günstig beeinflusst werden und zur
Ausheilung kommen können. Eine im Jahre 1918 w'egen c h r o n. Ileus,
bedingt durch multiple Dünndarmtuberkulose, operierte . Frau wurde vor
kurzer Zeit wegen kleinen Narbenbruchs relaparotomiert. Hierbei ergab die
Untersuchung des Dünndarms, dass die damals vorhandenen 4 tuberkulösen
Strikturen vollkommen verschwunden waren, der Darm zeigte nirgends eine
Verengerung oder Einschnürung. Die Darmtuberkulose war demnach nach
der Laparotomie und Ausspülung der Peritonealhöhle mit physiologischer
Kochsalzlösung zur Ausheilung gekommen.
Sitzung vom 23. März 1921.
Herr L 1 c h t w 11 z demonstriert 1. einen Fall von myeloischer Leukämie,
durch Röntgentherapie gebessert. 2. Chron. lymphatische Leukämie mit sehr
grosser Milz und nur ganz geringer Lymphdrüsenschwellung. 3. Akute
Myeloblastenleukämie. _
Medizinische Gesellschaft zu Chemnitz.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr U h 1 e.
Herr P r a e g e r: Ueber Ruptur von Ovarialzysten.
Vortr. berichtet über 11 Fälle von Zystenruptur, die er bei 276 Ovario-
lomien beobachtete; in 8 Fällen handelte es sich um Cystadenoma pseudo-
mucinos., bezw. Pseudmyxoma ovarii, in 3 Fällen um Papilloma ovarii,
in einem Falle um Adenocarc. ov. cystic. Die Ursache der Ruptur war
nicht immer festzustellen; 2 mal erfolgte sic auf dem Operationstisch, 1 mal
durch Würgen bei Beginn der Aethernarkose, 1 mal durch Würgen während
der Infiltrationsanästhesierung. Sticldrehung war nur einmal vorhanden,
einmal Thrombose einer grossen Stielvene; öfters wurden Thrombosen und
Blutungen in die Zystenwand in der Umgebung der Rissstelle festgestellt.
Meist waren keine besonderen Symptome bei der Ruptur aufgetreten
(Erbrechen, Leibschmerzen, • plötzliche Depression). In einem Fall, in dem
4 mal die gleichen Erscheinungen auftraten, zuletzt in der Klinik, plötzliche Ab¬
schwellung des Leibes unter sehr reichlicher Diurese und Oefühl der Er¬
leichterung.
Bei den Fällen der Pseudomuzinkystome wurde 3 mal Pseudomyxoma
peritonei festgestellt, davon zweimal mit zahlreichen neugebildeten kleinen
Zysten. Einmal war am geplatzten Ovarialtumor der muzinös degenerierte
Prnc. vermiformis adhärent. Sämtliche 11 Fälle verliessen geheilt die Klinik.
In den Fällen von Cystadenoma pseudomuc. erlag eine Patientin (Pseudo-
inyx. perit.) schon nach 4 Monaten einer adhäsiven Peritonitis, in 2 Fällen
traten Rezidive maligner Art auf (einmal Tod nach K* Jahr). In einem Falle
von auf dem Operationstisch geplatztem Papilloma ovar. erlag Pat. einem
Rezidiv nach 10 Monaten.
ln dem Fall von Adenocarcin. ov. trat nach 7 Jahren ein lokales zystisches
Rezidiv auf, das operativ entfernt wurde.
Vortr. bespricht an der Hand der Literatur Aetiologie, Symptomatologie
und Verlauf der Zystenruptur und geht ausführlich auf das Pseudomyxoma
peritonei ein. Er hält die Ansicht, dass die muzinöse Degeneration des
Proc. vermiformis eine bedeutendere Rolle für die Entstehung des Pseudo-
inyxonia peritonei (heim Weibe) spiele, für nicht zutreffend. Er seihst hat
Tioch einen zweiten Fall von muzinöser Degeneration des Processus vermif.
I)ei gleichzeitigem Cystadenoma ovarii pseudomucinosum (beiderseits kombi¬
niert mit Dermoid) gesehen.
Der üble Ausgang mancher Zystenruptur mahnt zur baldigen Operation
der Ovarialzysten.
Diskussion: Herr T i t t e 1 (a. Ci.), Herr U h I e, Herr K r u 11.
Herr Schuster: Die Heliotherapie der Tuberkulose.
Die moderne Lichtbehandlung der Tuberkulose stützt sich auf die Kenntnis
der physikalischen Eigenschaften und die freilich erst in den Anfängen be¬
griffene Ergründung der chemisch-biologischen Wirkungen der Lichtstrahlen,
Angezeigt ist die Einleitung einer Sonnenkur bei äusserer und innerer Tuber¬
kulose. falls die Erkrankungen nicht zu weit fortgeschritten sind und nicht
besondere Kontraindikationen wie Blutungen und Kreislaufstörungen^ vor-
liegcn. Aeusserst günstig sind die Heilerfolge der konservativen Behandlung
der chirurgischen Tuberkulose bei einer längeren natürlichen Höhensonnen-
bcstrahlung. Weniger konstant und kräftig erweist sich die Heilwirkung der
Digitized by Goiigle
Tieflandsonne. Als wertvoller, aber nicht ebenbürtiger Ersatz für die natür¬
lichen Lichtquellen kommen die verschiedenen Bestrahlungslampen mit einem
kontinuierlichen oder Linienspektrum in Betracht. Die therapeutischen Erfolge
äussern sich in einer Besserung des* Lokalbefundes und einer Hebung des
allgemeinen Zustandes infolge günstiger Beeinflussung der Begleiterschei¬
nungen der Tuberkulose. Nach den bisherigen Erfahrungen spielen u. a. hier¬
bei die Autotuberkulinisation, die Erhöhung der Fermentproduktion und des
respiratorischen Gaswechsels und die Vermehrung der Teilabwehrkörper eine
wichtige Rolle. Für Allgemeinbestrahlungcn eignen sich vor allem be¬
ginnende und leichte Lungenerkrankungen; auch Pleura- und Peritoneal¬
ergüsse sind in deren Indikationsbereich zu stellen. Die Lichtbehandlung der
Peritonealtuberkulose ist die Therapie der Wahl, deren Wirkung durch gleich¬
zeitige Röntgenbestrahlung unterstützt werden kann. Bei tuberkulösen Ge¬
lenk-, Drüsen- und Hauterkrankungen ist neben einer örtlichen Bestrahlung
auch das kombinierte Heilverfahren mit Allgemeinbestrahlungen, sowie mit
chirurgischer, Stauungs-, Aetz- oder Röntgenbehandlung von Vorteil. Die
Strahlendosierung hat sich dem therapeutischen Optimum zu nähern. Nach¬
teilige Einwirkungen lassen sich durch sorgfältige Strahlenmessung, Ueber-
wachung und Beobachtung des Kranken einschränken oder verhindern. Unter
gleichzeitiger Anwendung der allgemeinen hygienisch-diätetischen Massnahmen
hat sich die Lichtbestrahlung bisher als ein nicht zu unterschätzender thera¬
peutischer Hilfsfaktor erwiesen, dessen Wirkungsfeld sich auch auf die Pro¬
phylaxe der Tuberkulose ausdehnen lässt.
D i s k u s s i on : Herr Clemens.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
' Vereinsamtlicbe Niederschrift.
Sitzung vom 10. Januar 1921.
Herr Thiele: Krankheit und Tod durch Ferrosyllzlum. (Der Vortrag
erscheint ausführlich an anderer Stelle.)
Herr Hans Haenei: Der Schritt des Menschen im Leben und im Kunst¬
werk. (Mit Lichtbildern.)
Die Moraentphotographie zeigt eine ganze Reihe Aufnahmen gehender
Menschen, die dem naiven Auge des Beschauers fremd, unnatürlich und
unschön erscheinen. Andererseits stellt die bildende Kunst von jeher gehende
Menschen dar, die uns in vollkommen natürlicher Bewegung erscheinen. Nun
lässt auffallenderweise die künstlerische Darstellung von den 3 Schrittphasen:
Abwicklung, Schwingung, Ankunft mit Aufsetzen des Fusses, die beiden,
letzteren aus, gibt durchgängig, zu allen Zeiten und bei allen Völkern,
mit wenigen Ausnahmen nur die erste Phase wieder. Im Kunstwerke
vermissen wir die beiden anderen gar nicht, in der Photographie erkennen
wir sie nicht an, erkennen sie kaum wieder. Woher kommt dies?
Acsthetische Regeln können allein niemals eine solche AllgemeingUltigkeit
haben, es muss eine physio- oder psychologische, in der Organisation
des Sinnesorgans oder Gehirns liegende Ursache zugrunde liegen.
Die Selbstbeobachtung lehrt, dass wir von der Bewegungsweise unserer
Beine beim Schritt nur sehr wenig wissen oder merken; wir können in
der Regel nur eines unserer beiden Beine zugleich beobachten. Das
gleiche ist der Fall bei der Betrachtung eines anderen an uns vorübergehen¬
den Menschen; auch dabei ist das Auge nicht imstande, beiden Beinen die
gleiche Aufmerksamkeit zu widmen, es wird fast zwangsmässig von den
Teilen fcstgehalten, die innerhalb der Bewegung am ruhigsten sind, es springt
fortwährend von einem Standbein zum anderen über. Wir kennen .sehr
wenig vom Schritt und erkennen doch von diesem wenigen nur einen
Bruchteil wieder, wenn wir ihn abgebildet sehen.
Aufklärung kann deshalb nur der kinematographische Film bringen.
Wird ein Halbschritt auf einem solchen in 22 Einzelmoinente zerlegt, so
können wir auszählen, dass auf die Phase I (Abwicklung des Fusses) 9 Mo¬
mente, auf die Phase II (Schwingung) 9 Momente, auf die Phase III (An¬
kunft bis zum Beginn der neuen Abwicklung) 4 Momente fallen. Das
heisst also, dass der Schritteil, der uns im Bilde am fremdartigsten, un¬
geschicktesten, ja humoristisch erscheint, die erhobene vordere Fussspitze.
die kürzeste Dauer hat, demnach am schwersten zu beobachten ist. Für den
Unterschied zwischen Phase I und II, die an sich die gleiche Zeit dauern,
müssen wir ausserdem die zurückgelegten Strecken messen. Legt der
Scheitel des gehenden Menschen in einem Halbschritte 8 Teilstriche zurück,
so fallen auf die 9 Momente der Abwicklung 6, auf dk übrigen 13 Momente
nur 2 Streckenteile. Das heisst: in der Phase I bewegt sich der Rumpf
und Kopf des Menschen vorwärts, in Phase II und III verlangsamt sich
diese Bewegung bis zum fast völligen Stocken. Der Fuss legt dagegen in
der Phase II 24 Teilstriche zurück, macht also einen 3 mal längeren Weg
als der Kopf in der gleichen Phase, Da der Kopf in der Phase I nur 6 Teil¬
striche vorwärts kam, bewegt sich der schwingende Fuss genau 4 mal so
schnell wie der Kopf. Daraus folgt eine Gesetzmässigkeit: in der Phase I
sind beide Beine fast völlig in Ruhe, während zugleich der Rumpf in gleicli-
mässig langsamer Vorwärtsbewegung begriffen ist; da wir unter einer
Person in erster Linie Kopf und Rumpf verstehen, so sehen wir i n
der Phase 1 die Person gehe n. obwohl die Beine ihren Ort dabei
nicht verlassen, Uing'ekelirt in Phase 11: hier steht die Person für
von den 22 Momenten fast still, dabei pendelt das Schwungbein in mehr
als 4 facher Geschwindigkeit unter dem Rumpfe durch: deshalb erkennen wir.
wenn diese Phase aus dem Zusammenhang gelöst wird, sie nicht als die
eines gehenden Menschen an. sondern als eines solchen, der stehend sein
Bein schwingt. Phase Hi ist so kurz, dass wenige Menschen überhaupt von
ihrer Form Kenntnis haben und viele auf Befragen geradezu bestreiten,
dass sie den Boden mit der Fer.sc zuerst berühren.
Dazu kommt noch der Umstand, dass von Phase 1 zu II der Fuss sich
in beschleunigter Bew'egung befindet, die sich beim Uebergang zu Phase III
vom Maximum der Schnelligkeit bis auf den Nullwcrt rasch verlangsamt.
Nun können wir nach einem optisch-physiologischen Erfahrungsgesetze sich
beschleunigende Bewegungen besser und längere Zeit optisch auffassen als
sich verlangsamende; auch aus diesem Grunde entgeht unserem Auge die
reichliche. 2. Hälfte des Schrittes. Schliesslich noch ein dritter Umstand:
Soll eine menschliche Bewegung dargestellt werden, so werden die aktiven
Momente in derselben bevorzugt werden; nun ist die Abwicklung die aktive
Phase, während deren der Fuss den Rumpf vorwärts schiebt, das schwingende
und auftretende Bein wird mehr bewegt, als dass es selbst arbeitete, ent¬
spricht also weniger der angegebenen Forderung. Der Rumpf ist In allen
Original frorri •
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24 . Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
793
Abschnitten passiver Teil, er wird also am meisten als bewegt wahrge¬
nommen, wenn diese Bewegung am deutlichsten erfolgt, d. h. eben in der
Phase F: ein weiterer Grund, der diese Phase im Bildwerk am deutlichsten
als „Schritt“ erkennen lässt.
Für die einseitige Auswahl der Schrittphase I in der bildenden Kunst
bestehen demnach zwei wesentliche Gründe; der erste ist. dass in dieser die
Momente der grössten relativen Ruhe des Gesamtkörpers liegen, dass dabei
aber Kopf- und Rumpf den Hauptteil der Vorwärtsbewegung erfahren.
(Darum wird auch die Ruhe der Glieder hier nicht als Stillstehen, sondern als
Schreiten empfunden). Der zweite liegt darin, dass eine Beschleunigung
leichter vom Auge verfolgt werden kann als eine Bewegung mit abnehmender
(Geschwindigkeit. Da diese beiden Gründe in der physiologischen Mechanik
des Schrittes wie in der Natur unseres Sehorganes eingeschlossen liegen,
verstehen wir, weshalb sie zu allen Zeiten und bei allen Völkern in der
Kunst massgebend waren und noch sind.
Wissen wir also, warum die Phasen 11 und 111. im Kunstwerke fehlen,
so bleibt doch noch die Frage, weshalb wir sic als unschön empfinden,
wenn wir ihnen trotzdem irgendwo isoliert begegnen. Die Untersuchung
darüber begibt sich auf das Gebiet der Aesthetik und Ausdruckswertung,
ebenso die weitere, die sich mit der Frage nach der Herkunft des komischen
Fiementes bei der Wiedergabe der Phase 11! befasst. (Ausführl. Veröffent¬
lichung in der Klin.-Ther. Wschr.) (Eigenbericht.)
Aussprache; Herr Hueppe: Der Herr Vortragende ist meiner
Ansicht nach von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Viele der vor¬
geführten Bilder sind keine Bewegungen, sondern stehende Bilder. Damit
fällt die Voraussetzung für die meisten Unterstellungen des Vortragenden fort.
I)ic ägyptische Kunst hat überhaupt keine Bewegung wiedergegeben. Die
Griechen haben künstlerische Stellungen herausgegriffen, was uns erst die
moderne Technik der Schnellpliotographie bewiesen hat.
Herr Go ecke: Ausser dem Kunstkritiker und dem Sportler hat die
neuzeitliche Verbesserung der Analyse des Ganges des Menschen dem Ortho¬
päden Nutzen gebracht Die rechnerische Auswertung von Gangbildern der
Hochfrequenzkinematographie (Zeitlupe) durch die Prüfstelle für Ersatzglieder
Dresden (Hugo Opitz) hat zu Bewegungskurven geführt, die in Einzel¬
heiten die Braun und Fischer sehen Ergebnisse an Genauigkeit über¬
treffen. Der Vergleich der Normalkurven mit Kurven von Kunstbeintrügern
liat zu erfreulichen therapeutischen Verbesserungen im Kunstgliederbau ge¬
führt.
Herr Weiser betont die Unmöglichkeit, eine Bewegung in einem
einzigen Bilde darzustellen. Nur durch unsere Erinnerung wird bei der Be¬
trachtung eines Bildes der Bewegungseindruck wachgerufen. Unbewusst be¬
vorzugt der Künstler Stellungen, die den Eindruck möglichst grosser Stabili¬
tät erzeugen. Die Schwungwirkung in der wirklichen Bewegung kann bildlich
nicht dargestellt werden, deshalb muss das Gleichgewicht durch geeignete
Wahl der Bewegungsphase im Bild aufrechterhalten werden. Ausserdem
wählt er mit Vorliebe diejenigen Stellungen, die nach unserepi Empfinden den
Körper möglichst vorteilhaft wiedergeben. Ein von vorn, hinten, oben ge¬
sehenes Pferd" z. B. wirkt nicht schön. Nur die seitliche Darstellung be¬
friedigt un.ser Schönheitsempfinden.
.. Herr A. Schanz; Das Problem, Bewegung künstlerisch darzustellen,
hat erst die moderne Malerei gelöst. Die vom Vortragenden gezeigten Bilder
versuchen zwar Bewegung zu zeigen, es gelingt ihnen aber nicht.
Herr Hans H a e n e 1; Schlusswort.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles PretokolU
Sitzung vom 1. März 1921.
Vorsitzender: Herr Sud hoff.
Schriftführer: Herr Huebschmann.
Herr Rumpel erwähnt nach kurzer kritischer Besprechung (Hämatom¬
bildung, Infektionsgefahr, Rezidivbildung) der bisher üblichen Verfahren zur
Beseitigung der Hydrokele testis (Punktion, ohne und mit Injektion reizender
und ätzender Substanzen, Verfahren von v. V o 1 k m a n n, v. Bergmann,
Winkelmann, Klapp) das 1917 von Wederhake angegebene Ver¬
fahren der subkutanen Drainage des Hydrokelensacks durch Ausschneidung
eines kreisrunden Fensters aus beiden Tunicae und erläutert eingehend an der
Hand von Projektionsbildern das auf dem gleichen Prinzip beruhende, 1918
von Kirschner angegebene Verfahren, bei welchem in örtlicher Betäubung
in einen vor dem äusseren Leistenring angelegten Längschnitt der untere Pol
der Hydrokele eingestellt, in letzteren durch beide Tunicae ein Kreuzschnitt
angelegt wird, die dadurch entstehenden 4 Zipfel nach innen in den Hydro-
kelensack umgeschlagen und hier, Serosafläche gegen Serosafläche, angenäht
werden, wodurch ein annähernd quadratisches Fenster entsteht, durch wel¬
ches nach Reposition des Hydrokelensacks sich etwa neu bildende Hydro-
kelenflüssigkeit in das lockere Unterhautzellgewebe so lange abgeleitet wird,
bis der Hydrokelensack verödet ist. Die Operation dauert ganz kurz, 5 bis
10 Minuten. Die Kranken können schon nach einigen Tagen aufstehen, die
klinische Behandlungsdauer ist ausserordentlich abgekürzt. Da die Einstel¬
lung des unteren Pols bei grösseren Hydrokclen schwierig sein kann, empfiehlt
sich nach Vortragendem bei ihnen vorgängige Punktion mit teilweiser Ent¬
leerung. Ferner ist wichtig, dass das Fenster unbedingt am tiefsten Punkt
angelegt und auch während der weiteren Behandlung den tiefsten Punkt ein¬
nimmt, der Hoden also nicht wie sonst hochgebunden wird. Das Verfuhren
ist bisher in der Leipziger chirurgischen Klinik in 22 von während der glei¬
chen Zeit insgesamt 33 operierten Fällen angewendet worden, in 19 Füllen
mit gutem und dauerndem Erfolg. In 2 im Anfang operierten Fällen, in wel¬
chen das Fenster nicht am tiefsten Punkt angelegt worden war, trat ein
Rezidiv auf, ferner in einem weiteren Fall, in welchem wahrscheinlich der
Hoden sich kugelventilartig vor das Fenster gelegt hatte, so dass die dar¬
über befindliche Flüssigkeit nicht hatte dauernd abgeführt werden können.
Letzterer Zufall lässt sich wohl durch häufigeren Lagewechsel, auch auf die
Seite, vermeiden. Demonstration von 5 beliebig ausgewählten, geheilten
Kranken.
Aussprache: Herr Kölliker hat nach der Radikaloperation nach
V o 1 k m a n n stets glatte Heilung ohne Rezidiv und ohne sekundäre Infek¬
tion des Hydrokelensackes durch die Drainage gesehen. Die Hauptsache bei
der Operation nach V o 1 k m a n n ist, dass der Hydrokelensack in seiner
ganzen Ausdehnung gespalten wird und dass nach seiner Umsäumung die
Serosaoberflächen breit aneinander gelagert werden. Ferner erinnert K.
daran, dass die Wandung der Hydrokele sehr verschieden stark ist, bis zu
1 cm und darüber, für dünnwandige Hydrokclen eignet sich die Kirschner-
sche Methode, nicht aber für Hydrokclen mit stark verdickter Wandung.
Herr Rumpel stellt fest, dass er dem V o 1 k m a n n sehen Verfahren
den Vorwurf der Rezidiv''^efahr nicht gemacht habe. Ferner sei das
Kirschner sehe Verfahren allerdings in erster Linie bei dünnwandigen,
wenn auch grossenteils älteren Hydrokclen angewendet worden. Doch seien
auv#h solche mit dickeren Wänden bis /'s cm operiert worden, jedoch, wenig¬
stens bisher, keine mit «ranz dicken und starren Wänden.
Herr Payr legt die Vorzüge der Kirschner sehen Operation gegen¬
über der V 0 1 k m a II n sehen dar.
Herr Hohlbaum demonstriert ein Kind, das er wegen Spina bifida
mit Meningokelc operierte.
Das Kind war zurzeit der Operation 3 Tage alt. ln der Lumbalgegcnd
war ein apfelgrosser fluktuierender Sack vorhanden. Die Haut darüber
ausserst verdünnt, auf der Höhe der Kuppe der Vorwölbung war ein fast
zweimarkstückgrosses Dekubitalgcschwür zu sehen. Die Haut war in weiter
Umgebung mazeriert und bis tief hinab in die Genitalregion entzündlich ge¬
rötet. Wegen drohender Perforation des Sackes wurde operiert, obwohl der
schlechte Allgemeinzustand des Kindes, sowie die Unsicherheit der Asepsis
infolge des Dekubitalgeschwüres die Operation wenig aussichtsreich er¬
scheinen licss. Der Entschluss zur (Operation rechtfertigte sich noch dadurch,
dass sonstige Missbildungen nicht und ebenso keine Lähmungen nachweisbar
waren. Nach Jodierung und Mastisolköperabdeckung wurde der Sack rasch
«xzidiert, die Cauda equina. die in dem Sacke lag. durch die fingerkuppen¬
grosse Bruchpforte reponiert, vereinzelte Nervenstränge, die sich in der
Sackwand verloren, durchtrennt, der Meningokelensack ligiert und abgetragen.
Da primäre Lappcnbildung infolge der dünnen, mit dem Meningokelensack
untrennbar verwachsenen Haut und dem Dekubitalgcschwür nicht möglich
war, konnte erst nach ausgiebiger Mobilisation der Haut ein vollkommener
Verschluss der Haut ohne Plastik in querer Richtung erfolgen. Die Wunde
heilte p. p. Die Operation liegt heute 5 Wochen zurück. Das Kind hat sich
erholt, bewegt in normaler Weise die Extremitäten.
Herr P.a y r stellt mehrere Fälle aus dem Gebiete der Abdominal-
chinirgie vor:
1. Ausgedehnte Dickdarmresektion bei einer 27 jährigen Patientin wegen
chronischer adhäsiv und spastisch bedingter Obstipation. Bei der
Patientin waren im ganzen schon drei Laparotomien (Appendektomie, Lö¬
sungen von Verwachsungen), zum Teil auswärts, vorgenommen worden.
26. III. 1920 breite Anastomose zwischen Zoekum und Flexur. Guter
Verlauf. Seit Herbst 1920 neuerliche Beschwerden, Die Röntgenunter¬
suchung ergibt gewaltigen JRest im Zoekum, Aszendens und dem sehr er¬
weiterten Ouerdarm. Es handelt sich um Rückstauung in diesem aus¬
geschalteten Dickdarmbezirke.
19. II. 21 Resektion der ganzen erwähnten Darmstrecke. Glatter Verlauf.
2. Hirschsprungresektioo, 13 jähriger Knabe. Vor 2 Jahren auswärts
Appendektomie wegen äusserst hartnäckiger Stuhlverstopfung. Kein Erfolg.
Ende 1920 radikale Operation einer rechtsseitigen Leistenhernie.
Radiologisch wird ein Megasigma gefunden mit eigentümlicher, har¬
monikaartiger Anordnung in 5 nebeneinander gelagerten Schenkeln,
12. II. 1921 Resektion des Sigma mit Seit-zu-Seit-Wiedervernähung.
Glatter Verlauf.
Anmerkung bei der Drucklegung: Seither völlig normale Stuhlver¬
hältnisse.
3. Ulcus pepticum ieluni nach Gastroenterostomie. Resektion, Magen¬
versorgung nach K r ö n 1 e i n.
46 jähriger Mann. Frühjahr 1918 wegen Ulcus duodeni (auswärts) hintere
Gastroenterostomie, Pylorusverschliiss mit Faszie. Neuerliche Beschwerden
im Herbst desselben Jahres, deshalb Relaparotoraie von demselben Chirurgen.
Exzision eines Ulcus in der Nähe der Qastroenterostomiestelle. Wechselndes
Befinden. Seit Herbst 1920 rapide Verschlechterung, bedeutende Gewichts¬
abnahme, starke Schmerzen, Erbrechen, plätschernder, sehr ausgedehnter
Magen, sehr grosser 6-Stundenrest. Pylorus etwas durchgängig. Wegen
Kardiospasmus kann Magenschlauch nicht eingeführt werden.
Operation (Payr) 23. IL 1921. Durch ein Ulcus pepticum ist die Gastro¬
enterostomieöffnung fast ganz verlegt. Netz. Querkolon und mehrere Dünn¬
darmschlingen sind durch ausserordentlich starke Verwachsungen an die
üastroenterostomiestelle herangerafft. Resektion der Qastroenterostomie¬
stelle — Darmnaht —, Resektion des ganzen pyloruswärtg von der Qastro¬
enterostomiestelle gelegenen Magenabschnittes. Einpflanzung des unver-
kleinerten Magenquerschnittes in die oberste Dünndarmschlinge nach K r ö n -
lein. — Völlig glatter Verlauf.
Anmerkung bei der Drucklegung: Gewichtszunahme um 20 Pfund.
Völlige Beschwerdefreiheit.
4. Besprechung eines besonders interessanten Falles von Mastdarm-
exstlrpatlon, Prostatahypertrophie und Biasensteinleiden (wird an anderer
Stelle ausführlich mitgeteilt).
Herr Nissi v. Mayendorf demonstriert einen Fall von Wilson-
scher Krankheit und einen von multipler Sklerose,
Aerztlicher Verein zu Marburg.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 25. Mai 1921.
Herr Kehl zeigt 1. einen 8 jähr. Pat. mit subk. Schädelfraktur, der
wegen^ Hirndrucks operiert wurde. Verletzung der Art. meningea med. an
zwei Stellen. Heilung. Ausführliche Angaben unter Berücksichtigung der seit
1900 in der chirurgischen Klinik Marburg beobachteten Fälle enthält die
Dissertation von Sentrup-Froning: Ueber Zerreissung der Art. me¬
ningea media Und ihre Behandlung, Marburg 1920.
2. Zwei Patienten zu der Frage: Ueber die Ausbreitungswege der fort¬
geleiteten Blutunterlaufungen an der Bindehaut der Lider und des Augimfels
und Ihre diagnostische Bedeutung bei Frakturen im Bereich der Orbita/ Zu
gleichlautenden Ausführungen in Bruns Beiträgen zur klin. Chirurgie.
Herr Eduard Müller: Ueber die sog. Idiosynkrasien (Wesen, klinisches
Bild und Behandlung), z. T. nach Untersuchungen von Frl. W i e d e m a n n,
med. Praktikantin an der med. Poliklinik in Marburg.
Erscheint ausführlich als Aufsatz von Frl. Wiedemann In der Zschr.
f. ärztl. Fortb.
Digitized by
Got'gle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
794
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzungen im April 1921.
E. J. Kraus: Pankreas und Hypophyse.
K. gelang es. bei Katzen durch totale oder fast totale Exstirpation des
Pankreas in der Hypophyse, in erster Linie am eosinophilen Zellapparat,
Veränderungen hervorzurufen, die denen entsprechen, die er in der mensch¬
lichen Hypophyse beim Diabetes jüngerer Leute beschrieben hat und die
hauptsächlich in einem Schwund der eosinophilen Zellen bestehen. Damit
wird die Beteiligung der eosinophilen Zellen am Zuckerstoffwechsel und ihre
Abhängigkeit vom Inselapparat des Pankreas bewiesen. Die atrophischen
Veränderungen im Zwischen- und Hinterlappen der Katzenhypophyse nach
Pankreasexstirpation hängen höchstwahrscheinlich gleichfalls mit der Störung
der Pankreasfunktion zusammen. Die Schilddrüse reagiert auf den Ausfall der
Pankreasfunktion in der ersten Zeit nach der Operation mit gesteigerter
Tätigkeit, später tritt jedoch in den meisten Fällen ein gewisser Grad von
Atrophie ein. In der Nebenniere schwindet das Lipoid der Rinde und die
Chromaffinität der Marksubstanz. Atrophische Veränderungen finden sich
auch in den Keimdrüsen, besonders der männlichen Tiere, sowie in der
Zirbel. Die Epithelkörperchen erscheinen am wenigsten in Mitleidenschaft
gezogen.
Kramer: Ueber eine nach Steinach operierte Melancholie.
59 jähr. Melancholiker, dessen Psychose seit mehr als 2/4 Jahren dauert.
Tiefe Depressioil mit Selbstvorwürfen, Schlaflosigkeit, Angstbefürchtungen
grotesker Art. Seit Jahren mässige Prostatahypertrophie mit Harndrang,
seit 3 Jahren Impotenz; äusserlich alle Zeichen eines Senium praecox; im
Harn 0.2—0,4 Zucker. 10. Januar 1921 Durchtrennung beider Vasa deferentia.
Unmittelbar darnach furchtbare Unruhe, Verschlechterung. Nach 2 Monaten
Besserung des Befindens. Stimmung hob sich, es stellte sich Interesse für
die Umgebung und Familie ein. vereinzelte somatische Klagen, Freude an
Lektüre, Appetit, Schlaf und Aussehen wurden zusehends besser. Gewichts¬
zunahme in 3 Wochen um 3 kg. Morgendliche Erektionen stellten sich ein
und Libido, einmal soll es zu einer Ejakulation (Prostatorrhöe?) gekommen
sein, Harn zuckerfrei, Prostata noch etwas vergrössert. Harndrang jedoch
wesentlich geringer.
In der Diskussion bemerken Max L ö w y und Otto Wiener, die beide
den Kranken nach der Operation gesehen haben, dass sie ihn keineswegs
für geheilt halten und möchten in der Beurteilung des Operationserfolges den
weiteren Verlauf abwarten. A. Pick macht auf Spontanheilungen bei
Melancholien, insbesondere solchen, die Zustandsbild einer zirkulären Psy¬
chose sind, aufmerksam. ' ,
Frledl Pick: Ueber epldemi^hen Singultus.
P. hat im letzten Winter, namentlich im Dezember 1920. in Prag Fälle
von isoliertem Singultus sowohl von ungewöhnlicher Intensität als Häufigkeit,
beobachtet. Aufmerksam gemacht durch einen Fall, der durch 12 tägigen
Singultus lautester und hartnäckigster Art von seinem Beruf ferngehalten
war und dadurch hochgradig erschöpft im Bette lag, hat P. eine Umfrage
unter Kollegen veranstaltet und so festgestellt, dass in dieser Zeit von
7 Aerzten 31 Fälle von solchem isoliertem Singultus ohne nachweisbares
anderes Leiden beobachtet .wurden, ln 19 Fällen wird, vorangehend Husten
oder Rachenkatarrh angegeben. Die Dauer betrug meist 2—4, gelegentlich
auch 8, 11 und 12 Tage. Von den 31 Fällen sind 29 Männer; zweimal ist
das gleichzeitige Erkranken von Bureaugenossen erwähnt. Ira allgemeinen
verlaufen die Fälle leicht, nur L h e r m i 11 e berichtet über tödlichen Aus¬
gang. Therapeutisch versagen in diesen Fällen die sonst oft wirksamen
suggestiven Massnahmen, aber auch die Sedativa; erfolgreich erschien nur
Morphium und Hyoszin. P. bespricht dann die Pathologie des Singultus, der
einen kloni.schen Zwerchfellkrampf darstellt, meistens reflektorisch von Bauch¬
organen ausgelöst, seltener durch direktes Ergriffensein des Phrenikus und
endlich zentral bedingt bei Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten. Ein Zu¬
sammenhang mit der Grippe- oder Enzephalitisepidemie der letzten Jahre ist,
solange wir den Erreger dieser Epidemie nicht regelmässig fassen können,
nicht zu präzisieren.
Ascher stellt einen 40 jähr. Mann mit rechtseitiger, sehr ausge¬
sprochener Vitiligo iridis vor. Als 5 jähr. Kind Variola und am
rechten Auge eine längerdauernde Entzündung (wahrscheinlich Iritis). Linkes
Auge nicht erkrankt, zeigt auch keinerlei Veränderungen an der Iris. Für die
Auffassung dieser umschriebenen Atrophie des Irisvorderblattes als Aus¬
gang eines Exanthems der Iris bei Variola sprechen auch die Beobachtungen
Löwensteins, der bei Impfung von Herpes febrilis-Blaseninhalt in die
Vorderkammer der Kaninchen der Vitiligo iridis ähnliche Veränderungen nach-
weisen konnte.
El sehnig berichtet über die Erfahrungen an 11 Fällen, in denen die
Müller sehe Sehnervenscheidentrepanation wegen Stauungs¬
papille ausgeführt wurde. Nur in 4 Fällen günstiger Erfolg bezüglich Seh¬
vermögens und Allgemeinbefindens, daher folgende Indikationen aufgestellt
werden. Sehnervenscheidentrepanation ist indiziert, wenn jede andere Pal¬
liativoperation am Schädel verweigert wird oder eine solche erfolglos ge¬
blieben ist. '
G. A. Wagner demonstriert Uterus und resezierte Flexur an einer
42 jähr. Frau, die, ohne dass Schwangerschaft vorlag. ein Tentamen aborti
vornehmen liess, wobei offenbar der Zervix rechts hinten perforiert und die
Flexur in die Vagina eingezogen war. Die Frau war 5 Tage mit dieser
Verletzung umhergegapgen. kam mit der Bahn und zu Fuss blühend aussehend
in die Klinik. Sofortige Operation, die Flexur wurde reseziert. Endzuend-
vereinigung.
O. Fischer: Die unspezlfische Therapie und Prophylaxe der pro¬
gressiven Paralyse.
F. hat sein Nukleinmaterial der letzten 12 Jahre statistisch verarbeitet.
Dabei suchte er die Bedingungen herauszufinden, unter denen die therapeu¬
tischen Bestrebungen die besten Chancen gaben. Er hat Fälle, die durch
12 Jahre nicht rezidiviert sind und seither ungestört ihrem Berufe nach¬
gehen können. Unter den für die Therapie günstigen Bedingungen spielt der
tirad der Erkrankung eine ganz besondere Rolle. Denn von seinem Sana-
toriummaterial. also bereits anstaltsbedürftigen Paralysen, zeigten nur
21 Proz. Heilungsremissionen, wogegen beim Sprechstundenmaterial — das
sind sichere Paralysen, die noch nicht anstaltsbedttrftig waren — bei 74 Proz.
Heilung erzielt wurde. Bei letzterem blieben beinahe alle Fälle, welche in
Abständen nachbehandelt wurden, gesifnd, wogegen die, welche nur einmal
Digitized by Goiigle
behandelt wurden, rezidivierten. Es stellte sich heraus, dass das Alter
der Patienten und die Dauer der Nukleinbehandlung eine ganz besondere
Rolle spielt. Von den Fällen, welche unter 10 g Nuklein bekamen, gingen
nur 9 Proz., von den Fällen, welche über 10 g Nuklein bekamen, dagegen
35 Proz. in Heilung über; die Fälle unter 40 Jahren zeigten 37 Proz. Heilung
und in der Reihe von Fällen, welche unter 40 Jahre alt waren und über 10 g
Nuklein bekamen, ergab sich in 55 Proz. Heilung.
R. Winternitz demonstriert bei einer 23 jähr. Frau eine seit über
3 Jahren bestehende generalisierte Neurodermatltls. bei welcher sich mit der
stabilen Knötcheneruption am Kopf, Gesicht. Schulter und Beckengürtel vaso¬
motorische urtikarielle Eruptionen (Lichen urticatus) an den genannten Partien
und über dieselben weit hinausreichend kombinieren. Eingeleitet bzw. be¬
gleitet wurde die Knötcheneruption durch Schleimhautentzündungen (Pyorrhoe.
Schnupfen) und dysmenorrhoische Beschwerden. Die urtikariellen Ausbrüche
werden durch Nahrung. Hitze, Kälte, anbrechende Dunkelheit, Eintritt der
Menses, schlechte Stimmung beeinflusst. Sie treten in unbeherrschbareu, be¬
sonders nächtlichen Juckanfälten auf. Aeussere, innere Medikation nützten
bisher nur zeitweise; gegenwärtig zeigt sich Ovaraden recht wirksam.
W. Jaroschy zeigt einen 13 Monate alten, sonst normalen Jungen
mit einem partiellen, hochgradigen kongenitalen Feraurdeiekt. Das
Röntgenbild ergibt nur einen nach Grösse und Lage der distalen Femur¬
epiphyse entsprechenden Schatten, während palpatorisch an dieser Stelle ein
etwa 4 cm langes Knochenstück nachwei.sbar ist, gegen welches der Unter¬
schenkel in stumpfwinkliger Beugung steht. Die Patella fehlt.
M. Frank berichtet über Versuche, die er mit der Milch menstruieren¬
der Ammen anstellte. Er fand, dass die Milch zu diesem Zeitpunkte ihre
Qualität dahin ändere, dass Pflanzen darin viel rascher verwelken als in der
Milch nichtmenstruierender Frauen. Diese Eigenschaft liess sich besonders in
den ersten 2 Tagen der Menstruation erkennen. Starke individuelle Unter¬
schiede kommen vor. Es wird dabei auch auf die zu diesem Zeitpunkte
auftretenden Verdauungsstörungen bei den Kindern hingewiesen. Bei
typischen Molimina menstruationis ohne eintretende Qenitalblutung zeigte die
Milch auch das beschriebene Phänomen.
fieseilschafl der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 27. Mai 1921.
Herr F. Kogerer stellt eine Patientin vor, deren Krankengeschichte
zeigt, zu welchen Folgen der Missbrauch der Hypnose führt (Auftreten einer
Psychose).
Herr C. Pirquet: Die amerikanische Söhulklnderausspelsung.
Auf Veranlassung des Vortr. hat Anfang 1919 der Vertreter Mr. Hoo-
V e r s, Prof. Alonzo Taylor, sich für die Errichtung von Grossküchen ausge¬
sprochen und sich dabei für die Anwendung des N e m Systems entschieden.
Im Anfang wurden 60 000 Kinder täglich gespeist, jetzt 400 000. Die Speise¬
pläne sind von Aerzten zusammengestellt, die Kinder werden ärztlich aus¬
gesucht. Die Kinderausspeisung inauguriert ein neues Arbeitsgebiet, die
Ernährungsfürsorge. Die bisher gelieferten Lebensmittel würden, auf Züge
von je 40 Waggons verladen, die Strecke Wien-Regensburg einnchmen. Vortr.
schildert die Organisation des Transportes und der Verteilung der Lebens¬
mittel. Die Verwaltungskosten werden von der österreichischen Regierung,
den Ländern. Gemeinden und den Ausgespeisten aufgebracht und betragen
heute 0,29 Cents pro Mahlzeit (früher 0,40 Cents). Die Orte, in denen
keine Ausspeisung stattfindet, sind in ihrem Ernährungszustand zurückge¬
gangen. Ueberall ist an den Ausspeisung.sorten eine Besserung des Ernäh¬
rungszustandes eingetreten, auch in Wien.
Vortr. regt an, die Ausspeisung der Kinder niditbemittelter Eltern in
Schulküchen durch die Aufenthaltsgemeinden durch ein Gesetz festzulegen.
Herr E. Mayerhofer berichtet über die Klnderausspeisuflns ausserhalb
Wiens und Niederösterreichs.
Herr E. Nobel berichtet über die Kinderausspeisung in Wien und
Niederösterreich.
Herr R. Wagner berichtet über die Methoden der Kontrolle der Nah¬
rungsmittel und der Speisen. , K.
Kleine Mitteilungen.
- Therapeutische Notizen.
Sanierung der Nasenschleimhaut und Schnupfen-
prophylaktikum.
Die grippöse Infektion wird von einer mehrköpfigen Familie als Schnupfen
vernachlässigt. In die Sprechstunde kommt die grippekranke Mutter erst,
wenn der Säugling, das jüngste Familienmitglied unruhig wird, den Appetit
verliert, Krämpflein zeigt. Untersuchung des Säuglings ergibt Fieber, Opistho¬
tonus, Fontänelienspannung, Meteorismus durch Luf(^schlucken, fliegende At¬
mung. An dem begleitenden Kind stellen wir fest eine grippöse Naso-
pharyngitis, eine Pharyngitis adenoidalis, eine Tonsillitis pharyngealis mit
Aprosexia nasalis, vielleicht auch eine Rhinopharyngitis atrophicans, eine
Ozaena, vielleicht ein nasogenes Asthma mit Reflcxepilepsie, Spasmophilie.
Pavor nocturnus. Bei all diesen Fällen (16) haben wir die Umgebung der
Wohnungsnot halber nicht fernhalten können, aber in ihrer Nasenschleimhaui
durch Protargolspuman saniert. Wichtig ist dies auch für Säuglingsheime
in Bezug auf grippekränkelnde Schwestern. In jeder Sprechstunde führten
wir dem pflegenden Familienmitglied in jedes Nasenloch am hängenden Kopf
ein Protargolspuman (Luitpold-Werk München) zu 0,5, dem Säugling .selbst
prophylaktisch eines zu 0,2 ein, gaben auch noch für die Familienmitglieder
zu Hause Styli mit, mit der Weisung, sie sich einzuführen. Mit dieser Therapie
glauben wir nicht weiter gegangen zu sein als Berliner (M.m.'V. ‘
Nr. 13), welcher seinen Pnf-Vnten nach Hause die Weisung mitgegeben hn
„eine erbsengrosse Portion von Protargolsalbe mit nagelbcschnittenem und
gereinigtem Finger in der Nase zu verreiben“. Damit aber werden Bakterien
in die epithelschutzcntkleidete Nasenschleimhaut erst hineingerieben. Unsere
Therapie dagegen wirkt durch die mechanischen Momente des Kohlensäure¬
schaumes (Massage und Kompression der entzündeten Schleimhaut, De-
kongestionierung. zuletzt Herausbeförderung der Bakterien und abge.storbencn
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
24. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
795
Zelltrümmer). Mit einem BakterioloRcn prüfe ich zurzeit die Resistenz der
verschiedenen Nasenschleimhautbakterien gegen Protargolspuman. Ein
Schnupfenprophylaktikum habe ich als „Rhinospuman“ mit bestimmten Mengen
.von Suprarenin. hydrochloricum, Natrium bicarbonicum, Menthol, Kokain in
der Ausprobe. In 3 Fällen von Nasenbluten wandte ich zuerst Tampospuman,
dann Protargolspuman mit entscheidendem Erfolg an.
B. Heydolph - Plauen i. V.
Ein kleiner Kunstgriff bei intravenösen Injektionen
und bei Aderlässen.
Es gelingt zuweilen trotz grösster Uebung und bester Technik nicht, bei
Vornahme von intravenösen Injektionen in das Ciefässlumen mit der Kanüle
hineinzukommen, so dass Blut angesogen werden kann bzw. hervorspritzt,
ln solchen Fällen hat mir die Anwendung des; Gesetzes von der vasodilata-
torischen Wirkung der Wärme stets gute Dienste geleistet. Sobald ich merke,
dass die Blutadern bei herabhängendem Arm nicht genügend hervortreten,
lasse ich den Unterarm auf einige Minuten in gut warmes Wasser stecken.
Zweckmässig benutzt man dabei die gebräuchliche Armbadewannc, aber es
genügt auch jedes beliebige tiefe Oefäss. Bald treten dann die Venen des
Unterarmes oder sogar auch die des Oberarmes so stark und deutlich hervor,
dass es meistens gar nicht der Abschnürung bedarf, wenn man schnell
arbeitet, und man leicht und bequem in das Gefässlumen hineingelangen kann,
F. M 0 c n y - Lehnin.
Die Lumbalanä'thesie mit Syncain, einer auch unter dem ‘
Namen Neocain, Scurocain in Frankreich hergestellten Nachahmung des ,
Novokains, nimmt Rene Bloch in der Weise vor, dass er in sitzender
Stellung des Patienten zwischen 2, und 5. Lumbalwirbcl eine Punktion des
Rückenmarks macht, etwa 30 ccm des Liquor cerebrospinalis auslaufen lässt
und dann .12 g der Syncainlösung. der % mg Adrenalin beigefügt ist. rasch
injiziert. Von 54 Injektionen, die in letzter Zeit wegen Operationen oberhalb
der Nabelgegend vorgenommen wurden, haben 49 vollständigen Erfolg be¬
züglich der Anästhesie, welche im Durchschnitt 1—iK* Stunden anhält, ge¬
habt. In besonderen Fällen, bei starker Unruhe des Patienten u. ä. m. ist es
von Vorteil, eine halbe Stunde vor der Syncain- eine Morphiuminjektion zu
machen. Kokain sollte überhaupt nicht mehr zur Lumbalanästhesie ange¬
wandt werden, ebensowenig Stovain, das als ein lähmendes und gefährliches
Gift (von Le F i 11 i ä t r e) erklärt wird (Presse mddicale 1921 Nr. 32). St.
Die Korrektion der einseitigen Hasenscharte nach
der Methode von J a I a g u i e r besprechen Victor V e a u und Charles
Ruppe und erklären, dass jede Hasenscharte, die ursprünglich schlecht und
ungenau operiert worden» ist, nach dieser Methode in nahezu kosmetisch
tadelloser Weise verbessert werden kann. Einstülpung der Schleimhaut.
Klaffen der Haut-Schleimhautlinie und Einkerbung des freien Randes sind die
3 Hauptfehler, die so oft bei der Hasenscharteoperation gemacht werden.
Die Methode nach J a 1 a g u i e r scheint in einwandfreier Weise diese Uebel-
stände zu beseitigen; die einzelnen Phasen der Operation sind nur mittelst
der zahlreichen, der Arbeit beigegebenen Zeichnungen verständlich (Presse
midicale 1921 Nr 33). St.
Studentenbelange.
Skandalöse Zustände an den deutschen Kliniken in Prag.
Von den Kliniken der deutschen Universität sind die psychiatrische in
der Landesirrenanstalt, die geburtshilfliche in der Landesgebäranstalt und die
zweite Kinder- und Säuglingsklinik in der Landesfindelanstalt untergebracht.
Schon bald nach dem Umstürze trafen Organe der Landesverwaltung
Massnahmen, um den Patientenbesuch schwer zu beein¬
trächtigen; insbesondere wurden alle doppelsprachigen Auf¬
schriftentafeln ganz entfernt.
Vor Jahresfrist wurden der zweiten Kinder- und Säuglingsklinik zwei
Drittel ihres Bettenbestandes entzogen, so dass diese
Klinik gegenwärtig nur mehr über 50 Kinderbetten verfügt und dadurch eine
überaus schwere Beeinträchtigung des Unterrichtsmaterials erlitten hat.
Seit einem Jahre sind die Uebergriffe und Beeinträchtigungen seitens der
Anstaltsdirektionen an der psychiatrischen und an der zweiten Kinder- und
Säuglingsklinik in rapidem Steigen begriffen und haben gegenwärtig einen
nicht mehr weiter erträglichen Höhepunkt erreicht. So gestattet die Irren¬
anstaltsdirektion nur die Unterbringung einer ganz beschränk¬
ten Zähl von Patienten der deutschen Klinik in dem Tagesaufent¬
haltsraum für Unruhige: wiederholt hat sie eigenmächtig die ver¬
schriebene Medikamenten Ordination geändert.
Die Landesirrenanstaltsdirektion geht im „A b t r e i b e n“ von Pa¬
tienten gegenüber der deutschen psychiatrischen Klinik so weit, dass sie
in der Aufnahmestelle Zettel verteilen lässt, des Inhalts, dass die Angehörigen
des Patienten dessen Aufnahme in die tschechische Klinik wünschen.
Endlich hat in der letzten Zeit die Landesirrenanstaltsdirektion unter
Berufung auf den Sprachen-Runderlass des Landesausschusses vom 17. III. 21
dem Vorstande der deutschen psychiatrischen Klinik aufgetragen, sich für
seine Person wie für sein Personal im gesamten Amtsverkehr mit der
Direktion und durch die Direktion ausschliesslich der tschechi¬
schen Sprache zu bedienen, was der Genannte unter Berufung auf
seine Vorgesetzten akademischen Behörden und unter Hinweis auf die prak¬
tische Unmöglichkeit einer solchen Geschäftsführung ablehnte. Die Landes¬
anstaltsdirektion hält demgegenüber an der obigen Forderung fest und ver¬
weigerte seit dem 28. lAoril die Erledigung aller Zu¬
schriften und die Genehmigung jeder Anforderung,
welche, wie es bisher üblich war. in deutscher Sprache aus¬
gefertigt ist; aber auch doppelsprachige Erfordernis¬
scheine lehnt sie ab! Infolgedessen wird seit dieser Zeit keine
separat v o r g e s c h r i e b e n e Diät für Patienten ausge¬
folgt. Sogar dringlich angeforderte Beleuchtungs¬
mittel sowie Klosettreparaturen werden abgelehnt.
Durch dieses kaum glaubliche Verhalten der Anstaltsdirektion werden
nicht bloss die unterrichtlichen und wissenschaftlichen Interessen der
deutschen psychiatrischen Klinik schwer verletzt, sondern es werden direkt
die Patienten geschädigt.
Digitized by Goiisle
Angesichts der Unhaltbarkeit der gegenwärtigen Verhältnisse hat bereits
das medizinische Professorenkollegium die rechtlich"
Abtrennung der genannten drei Universitätskliniken
von den Landesanstalten und ihre Eingliederung in
den Status des allgemeinen U n i v e r s i t ä t s k r a n k e n-
hauses beim Ministerium für Schulwesen und Volks¬
kultur gefordert.
Mit dieser Lage hat sich in den letzten Tagen der akademische Senat
eingehend beschäftigt und eine Abordnung unter Führung des Rektors zum
Ministerpräsidenten und zum Minister für Schulwesen entsandt, die energische
Abhilfe verlangte.
(Aus einem offiziellen Bericht, wiedergegeben in der Deutschen
Hochschnl-Zeitung.) Frhr. v. Verschuer.
GrenziandtaKunK des Deutschen Schutzbundes in Klasenfurt.
Während der Pfingsttage fand die Grenzlandtagung des Deutschen Schutz¬
bundes statt; als Ort der Tagung wurde Klagenfurt gewählt, um den Ver¬
tretern aus allen Gauen Deutschlands einen lebendigen Eindruck zu geben
von der ’ glühenden deutschen Gesinnung dieses entlegenen deutschen
Stammes. Trotz der heutigen Reiseschwierigkeiten waren etwa 90 Studenten
aus allen Hochschulstädten des Reichs zu der Tagung gekommen, um mit den
deutsch-österreichischen Brüdern zusammen an der Einheit aller deutschen
Völker zu arbeiten. An erster Stelle stand der Vortrag von Prof. Martin
Spahn, der in klaren Umrissen das Werden des grossdeutschen Gedankens
und seine Bedeutung für unser Volk zeigte. Prof. Otmar Spann- Wien
sprach mit besonders die Jugend mitreissenden Worten über Volkstum und
Volkswirtschaft. Zwei Vorträge waren der Anschlussfrage Deutsch-
Oesterreichs gewidmet, die ja im Vordergrund der ganzen Tagung
stand. Mit besonderer Freude konnte man dabei feststellen, dass auch in den
Reihen der christlich-sozialen Partei Oesterreichs der Anschlussgedanke
immer mehr die Vorherrschaft gewinnt.
Die Kärntner Bevölkerung gab durch ein grosses vaterländisches Volks¬
fest im Schmucke ihrer ländlichen Trachten ihrer Freude über den reichs-
deutschen Besuch Ausdruck.
So sind die Pfingsttage in Klagenfurt ein Markstein
auf dem Wege zu einem Staat, der möglichst alle
D-e utschen umfassen und fest im Volkstum wurzeln soll.
Frhr. v. Verschuer.
•
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 22. Juni 1921.
— Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder¬
heilkunde in Jena berichtete Dr. D e g k w i t z über die Fortführung der
im Jahre 1919 in der Universitäts-Kinderklinik in München begonnenen
Versuche zur Gewinnung einer Masern vakzine oder eines
tierischen Immunserums gegen Masern. Die Mitteilungen erregten
lebhaftes Interesse. Von der Gleichartigkeit der Pocken- und Masern¬
erkrankung wurde auf eine nahe Verwandschaft beider Krankheitsferreger
geschlossen und die Möglichkeit ins Auge gefasst, dass die bekannte
Eigenschaft des Pockenerregers, unter veränderten Lebensbedingungen seine
Virulenz und seine Giftigkeit für den Menschen zu verlieren, auch eine
Eigenschaft des Masernerregers sein könnte. Von diesem Gesichtspunkte aus
bedurften alle bisherigen Untersuchungen über den Masernerreger einer Nach¬
prüfung. Die angeführte Ueberlegung scheint sich zu bestätigen. Es ist an¬
scheinend gelungen, durch ein besonderes Verfahren den Masernerreger zu
züchten und so abzuschwächen, dass die Kulturen als Vakzine verwendbar
sind. Ungemaserte Kinder wurden mit solchen Kulturen infiziert, bekamen
13—15 Tage nach Impfung leichteste Krankheitserscheinungen und erwiesen
sich nach Wochen und Monaten massivsten Maserninfektionen gegenüber als
masernimmun. Das Virus erhält sich durch 5—6 Generationen hindurchgefOhrt
mehrere Wochen lang wirksam. Dem Nährboden war bisher menschliches
Material als Eiweissquelle zugesetzt. Es sind Versuche im Gange, tierisches
Material als Eiweissquelle für Nährböden zu benützen, weil nur so ein®
Vakzineherstellung und Masernbekämpfung im grossen möglich ist. Nach den
letzten Versuchen scheint es gelungen zu sein, den Erreger auf Nährböden mit
tierischer Eiweissquelle zum Wachsen zu bringen. Damit eröffnet sich die
Aussicht auf die Möglichkeit einer wirksamen und durchgreifenden Masern¬
prophylaxe.
— In der Sitzung der Schulkommission des Aerztlichen Vereins
München vom 8. VL 21 wurde über die Aufstellung von Schul¬
ärzten an den Mittelschulen Beschluss gefasst. Nachdem vom
Landtag für diesen Zweck 100 000 M. genehmigt worden sind, ist es nunmehr
möglich, fast an allen Mittelschulen Bayerns Schulärzte und zwar im Nebenamt
anzustellen. Die Kreisregierungen werden die Bezirksvereine auffordern. An¬
meldungen entgegenzunehmen. Für München soll eine Liste von 30 Aerzten
eingereicht werden, davon wird das Kultusministerium 10 als Schulärzte aus¬
wählen. Die Anstellung soll bereits am 1. September d. J. erfolgen. Voraus¬
setzung für die Meldung ist nach dem Beschluss der Schulkommission, dem
sich der Landesausschuss der Aerzte Bayerns angeschlossen hat, der Besuch
eines entsprechenden Einführungskurses in die schulärztliche Tätigkeit. Dieser
Kurs wird vom Landesausschuss für das ärztliche Fortbildungswesen in
Bayern veranstaltet und im Juli im Hygienischen Institut stattfinden. Er wird
sich auf etwa 3 Woctien erstrecken mit insgesamt 30 Stunden und voraus¬
sichtlich in den Abendstunden von 5—7 Uhr gehalten werden. Nähere Mit¬
teilungen darüber und der Stundenplan werden in den roten Blättern ver¬
öffentlicht.
— Eine neue Gründung auf dem Gebiete der wilden Krankenbehandlung
ist die „Internationale Studien- und Forschungsgesell-
schaft für biologische H e i l w i s s e n s c h a f t und pro-
gnostischeDiagnose(e. V.)“. Der Name ist geschickt gewählt; er er¬
innert an die Forschungsinstitute, die so sehr zum Ansehen der deutschen
Wissenschaft beitragen. Mit dieser hat aber die Gesellschaft nichts zu tun, es
handelt sich vielmehr offenbar um eine neue Auswertung der Naturheilmethode,
der Homöopathie, der Kräuterkuren und vor allem der Krankheitsdiagnose aus
den Augen. Zur Erreichung ihres Zwecks gibt die Gesellschaft eine Zeitschrift
„I r i s“ heraus, deren I. Heft demnächst erscheinen soll und veranstaltet sic
Unterrichtskurse die unter dem Titel „Hochschule für biologische Heilwissen-
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
796
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 25.
Schaft und projinostische Diagnose" am 1. September d. J. eröffnet werden
sollen. Der Hochschule sollen noch die notwendigen wissenschaftlichen
Zweiginstitute. insbesondere klinische Anstalten (Ambulatorien und Poli¬
kliniken) sowie pharmazeutische Laboratorien usw. angegliedcrt werden. Um
diese Kurse zu bevölkern werden in Zeitungsanzeigen („Vornehmer Beruf für
wissenschaftlich interessierte Offiziere und Offiziersfrauen und gebildete
Damen und Herren. Unterricht bis zur selbständigen Ausübung der Praxis")
gutgläubige Opfer gesucht. Das Unterrichtswesen steht in Deutschland sonst
unter strenger Aufsicht: keine Sprachlehrerin darf Kurse ankündigen ohne
bestimmte Vorbedingungen erfüllt zu haben. Besteht da eine Ausnahme zu¬
gunsten der wilden Krankenbehandlung, ist es erlaubt ohne jeden Befähigungs¬
nachweis eine ..Hochschule" zu gründen um die grosse Masse, derer die nicht
alle werden, anzulocken zu einem Beruf, der das (iegenteil von „vornehm"
ist und mit Sicherheit zu Cieldverlust und schwerer Lnttäuschung führen muss?
Ls wird gut sein, bei Zeiten auf diese neue Gesellschaft zu achten und ihr
eiitgcgenzuwirken. bevor sic grösseren Schaden anzurichten vermochte. Die
(ieschäftsstelle befindei sich Berlin-Steglitz 1; als Syndikus zeichnet ein
„Assessor Walte r".
— Das amerikanische Rote Kreuz veröffentlicht seinen Beridht über die
L 1 e c k t y p h u s e p i d e m i e in Serbien i ni Jahre 1915; so werden
eist jetzt die furchtbaren Verwüstungen bekannt, die die Krankheit angerichtet
hat. Auf der Höhe der Lpideniie wurden täglich 2.500 Fälle in die Lazarette
aufgenommen — dazu kam dann noch die gar nicht festzusiellendc Zahl
der ungemeldeten Fälle. Die Sterblichkeit schwankte zw'ischen 30 und
70 F^roz. ■ Festgestellt wurden in 6 Monaten 150 000 Todesfälle. Unter den
.^60 serbischen Aerzten erkrankte ..die Mehrzahl" mit einer Sterblichkeit von
30 Proz. In einem Lazarett mit einem Sanitätspersonal von -12 Köpfen
blieben nur 3 von der Krankheit verschont. Auch von den 6 amerikanischen
Aerzten starben 2. Alle hygienischen Einrichtungen fehlten — als Kranken¬
pfleger standen oft nur einige österreichische Gefangene zur Verfügung. Am
furchtbarsten waren die Zustände unter den österreichischen (jefangenen.
mehr als die Hälfte der 70 000 Gefangenen sei dem Flecktyphus erlegen. In
h Monaten sei es der amerikanischen Abordnung gelungen, der Epidemie Herr
zu w'erden, obwohl die verfügbaren Mittel zur Unterdrückung der furchtbaren
Verlausung keineswegs allen Anforderungen entsprachen.
— Der preuss. Minister für Volkswohlfahrt hat in Anbetracht der
w'citereii erheblichen Steigerung der Herstellungskosten der Lymphe für
Schutzpockenimpfungen in den staatlichen Impfanstalten die Preise
für die an Apotheken und praktische Aerzte für Privatimpfungen von' den
Impfanstalten zu liefernde Lymphe vom 20. Juni d. J. ab wie folgt fest¬
gesetzt: In den Apotheken kostet die Einzelportion 2.50 M., die Fünferportion
7.5(1 M. für Aerzte bei unmittelbarem Bezüge durch die Impfanstalten die
Einzelportion 1.50 M., die Fünferportion 4.50 M.
— Oemeindevorstand und Qemeinderat der Stadt Eisenach haben aus
Anlass des 70. Geburtstages des seit einer Reihe von Jahren in E. lebenden
Geh. Med.-Rats Prof. Dr. H. H e 1 f e r i c h eine Dr. Helferich-Stiftunv
gegründet und zunächst mit einem Kapital von M. 25 000 ausgestattet; die
Zinsen sollen für arme Kranke in Eisenach Verwendung finden.
— Der Verein zur Unterstützung invalider hilfs¬
bedürftiger Aerzte und notleidender hinterbliebener
Aerztefamilien in Bayern unterstützte im Jahre 1920 14 Kollegen
mit einer Gesamtsumme von 22 210 M., die Witwenkasse zahlte an regel¬
mässigen Unterstützungen an 98 Witwen und Waisen 14 725 M.. an ausser¬
ordentlichen Unterstützungen 150, an regelmässig Unterstützte 8975 M. und
an 29 nicht Unterstützungsberechtigte 4350 M, als Weilmachtsgabe. insgesamt
28 200 M. Die Gesamtzahl der Mitglieder betrug 1920 3104 (gegen 2768
in 1919). die Beitrüge bezifferten sich auf 31612 M. (gegen 28 077 in 1919).
Für die Weihnachtsgabe der Witwenkasse wurden 15 929 M. gespendet (gegen
5.300 M. in 1919). an Legaten und Geschenken fielen dem Verein zu für die
Hauptkasse 7005 M. in bar, 1100 M. in Papieren, für die Witwenkasse 3810 M.
Die Witw'enkasse erhielt insgesamt 32 563 M. an Geschenken. Der Vermögens¬
stand der Hauptkasse war 695 960 M., 1000 Kr.. 10 000 M. Reichs-Schuldbuch-
Eintrag, der Bestand der Witwenkasse 106 000 M. nom. Zum 1. Vorsitzenden
wurde San.-Rat Dr. Friedrich Merkel in Nürnberg, Maxplatz 20, gew'ählt,
zum 2. Vorsitzenden San.-Rat Dr. Emil Stark in Fürth, zum Hauptkassier
Dr. Jakob Qugenheim, Dr. Hollerbusch führt die Witwenkasse
weiter. Gesuche für invalide Aerzte sind zu richten an Dr. Merkel, für
Witwen- und Waisenunterstützung an Dr. Jos. Hollerbusch, Fürth i. B.,
.Mathildeiistrasse.
— Gelegentlich der Tagung der Deutschen pathologischen Gesellschaft in
Jena 1921 hat sich eine Vereinigung der selbständigen,
pathologisch-anatomischen Prosektoren zur Wahrung
ihrer wirtschaftlichen Interessen unter dem Vorsitz von Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. S c h m o r 1 in Dresden gebildet. Nähere Auskunft darüber
erteilt Dr. Gg. B. G r u b e r. Vorstand' des pathologischen Instituts beim
Stadtkrankenhaus Mainz.
— Im Herbst v. J. fanden in Tübingen Tuberkulosekursc
für Aerzte statt,’an denen etwa der fünfte Teil der württembergischen
Aerzteschaft teilnahm. Noch mehr Aerzte des Schwabenlandes hatten, wie
Dr. B e t z - Calw im Med. Korr.Bl. erzählt, kommen wollen, sie mussten aber
in letzter Stunde noch abbestellt werden, weil der Kurs überfüllt war. Die
Hörsäle der Sonderkliniken reichten bei weitem nicht aus und es musste der
Zuhörerkreis geteilt und doppelt gelesen werden. Dieser Eifer gereicht den
württembergischen Aerzten zur Ehre. Wenn auch über schlechten Besuch der
Fortbildungskurse auch an anderen Orten nicht geklagt werden kann, so ist
es doch immer nur ein kleiner Prozentsatz der Aerzte, der sich beteiligt.
Die übrigen bleiben fern. Diese könnten sich an den württembergischen
Kollegen ein Beispiel nehmen.
— An der Medizinischen Klinik der Düsseldorfer Akademie für praktische
Medizin. Direktor Prof. August H o f f m a n n. findet vom 17. bis 22. Oktober
ein Kursus der Herzkrankheiten statt. Ausser einer Einschreibe¬
gebühr von 50 M. werden keine Gebühren erhoben. Anmeldungen sind an das
Sekretariat der Akademie. Moorenstr. 5 zu richten, das jede Auskunft erteilt
und auch für Zuweisung von Wohnung an die Kursteilnehmer sorgt.
— Mit Genehmigung der medizinischen Fakultät werden an der Uni¬
versität Würz bürg vom 21. September bis 17. Oktober d. J. Ferien¬
kurse für Studierende durch die Dozenten und Assistenten abge¬
halten. Die Kurse sollen einen Uebcrblick über das gesamte Gebiet der
Medizin und Zahnmedizin bieten. Nähere Auskunft erteilt Dr. Brandt,
Anatomisches Institut Würzburg.
— Die Vereinigung bayerischer Chirurgen hält unter
dem V^orsitz von Prof. G r a s e r - Erlangen am 2. Juli 1921 vormittags 9 Ulir
in der chirurgischen Klinik in München ihre diesjährige Versammlung an.
Es sind zahlreiche Vorträge aus den verschiedensten Gebieten der Chirurgie
angemeldet. Im Vordergrund steht die Frage der Behandlung des Kropfes,
zu welcher Herr v. E i s e 1 s b e r g - Wien den Einlcitungsvortrag mit Auf¬
stellung von Thesen bringen wird; ferner die Frage der Lokalanästhesie,
mehrere Mitteilungen über Chirurgie des Magens und des Darmes, Ileus.
Erkrankungen der Harnorgane und zahlreiche Demonstrationen. Am Abend
vereinigen sich die Teilnehmer auf dem Bavariakcller.
— Am Samstag, den 2, Juli 1921, abends 7/4 Uhr findet in München
(Universitäts-Poliklinik) die Mitgliederversammlung des bayerischen Lan¬
desverbandes für Krüppclfürsorge statt.
— Herr Dr. J. W. Samson ersucht uns festzustellen, dass er der
Konstruktion, der Herstellung und dem Vertriebe des von der Firma „Elzano-
Vertrieb“ in Berlin unter der Bezeichnung „I n h a I a t i o n s a p p a r a t nach
Dr. J. W. S a m s o n" marktschreierisch angepriesenen Apparats völlig fernc-
steht und dass er Schritte getan hat, um den weiteren Missbrauch seines
Namens seitens der Firma zu verhindern.
— Die Firma Dr. Volkmar Klopfer in Dresden ersucht uns mitzuteilen,
dass die Reichsgetreidestelle nach siebenjähriger Pause wiederum Weizenmehl
zur Herstellung von reinem Weizeneiweiss freigegeben hat, so dass die Ver¬
ordnungen von Weizeneiweiss für die Diabetikerernährung wieder ausgeführt
werden können.
— Man ersucht uns darauf hinzuweisen, dass Bad Neuenahr zwar
in der amerikanischen Besatzungszone liegt, dass es aber frei von jeder Be¬
satzung ist und keinerlei Behinderung der Einreise besteht. Personalauswei>
mit Lichtbild genügt.
— Pest. Niederländisch Indien. Vom 2. Dezember v. J. bis 25. März
wurden auf Java 1372 tödlich verlaufene Pestfälle gemeldet. — Portugiesisch
Guinea. Laut Mitteilung vom 17. Mai ist in der Kolonie Guinea die Pest
ausgebrochen
— In der 22. Jahreswoche, vom 29. Mai bis 4. Juni 1921, hatten von
deutschen Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Erfurt und
Münster i. .W. mit je 17,9, die geringste Neukölln mit 6,8 Todesfällen pro Jahr
und 1000 Einwohner. Vöff. R.-G.-A.
Hoch Schulnachrichten.
Bonn. Die Zahl der eingeschriebenen Studenten beträgt im'S.-§. 1921
4754, und zwar 4232 Studenten und 422 Studentinnen. Davon gehören
1052 Studenten und 122 Studentinnen der medizinischen Fakultät an.
Erlangen. Dr. Reinhold W i s s m a n n, 1. Assistent der Universitäts-
Augenklinik. habilitierte sich für Augenheilkunde ,mit der Antrittsvorlesung;
„Der gegenwärtige Stand der Glaukomforschung mit besonderer Berück¬
sichtigung des Gesamtorganismus.“ — Der Privatdozent für Zahnheilkunde
und I. Assistent am zahnärztlichen Institut der Universität Greifswald Dr. Paul
Wustrow ist zum Leiter der Abteilung für zahnärztliche Prothetik am
zahnärztlichen Institut der Universität Erlangen berufen worden; zugleich
habilitiert er sich in die Erlanger medizinische Fakultät um. (hk.)
G ö 11 i n g e n. Dem Privatdozenten in der medizinischen Fakultät
Prof. Dr. Werner R o s e n t h a 1 wurde ein Lehrauftrag* zur Vertretung der
sozialen Hygiene erteilt, (hk.) — Prof. Dr. Th. Lochte hat den an ihn
ergangenen Ruf auf den Lehrstuhl für gerichtliche Medizin an der Universität
Bonn abgelehnt.
Halle. In Halle wird von Mitte September bis Ende Oktober d. J.
für kriegsgefangen gewesene Studierende ein Zwischensemester abgehalten
werden. — Prof. K o c h m a n n hat die Berufung als Direktor des Pharmako¬
logischen Institutes angenommen.
Heidelberg. Der Lehrstuhl der Anatomie in Heidelberg (an Stelle
von Prof. H. Braus) wurde dem Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ernst K a 11 i u s
in Breslau angeboten. (hk.)
Leipzig. Vom Dekan der med. Fakultät wird uns mitgeteilt, dass
die Vorschlagsliste für die Professur für Pathologie folgendermassen lautete;
An erster Stelle M, B. Schmidt - Würzburg, an zweiter und gleicher Stelle
H u e c k - Rostock und Mönckeberg - Tübingen, an dritter Stelle
V e r s d - Leipzig,
München. Der I. Assistent am patholog. Institut München, Prof.
Dr. S c h m i n c k e, erhielt einen Ruf auf den Lehrstuhl für pathologische
Anatomie in Graz als Nachfolger Heinr. A 1 b r e c h t s (jetzt Wien). Er war
von der Fakultät primo loco vorgeschlagen.
Rostock. Gesamtzahl der Studierenden 1352, der Hörer 142. Medizin¬
studierende 380 männlich, 35 weiblich; Zahnarzneikünde studieren 118 männ-
lich, 0 weiblich. Von den Hörern sind 16 bei der med. Fakultät eingeschrieber
Würzburg. Der o. Professor an der Universität Heidelberg. Dr. Her¬
mann Braus, ist zum o. Professor der Anatomie an der Universität in
Würzburg ernannt worden, — Der a. o. Professor Dr. Wilhelm L u b o s c h
ist zum 0 . Professor ernannt worden.
Wien. Anlässlich des 70. Geburtstages des Ophthalmologen Prof. Ernst
Fuchs fand eine Feier statt, bei der ein Marmorbildnis des Gelehrten von
der Hand des Bildhauers M i 1 n e r enthüllt wurde.
Todesfall.
In Wien starb der cm. Professor der Ohrenheilkunde an der Wiener
Universität Hofrat Dr. Viktor U r b a n t s c h i t s c h am 16. d. M. ini
74. Lebensjahre. Er war ein Schüler von Ernst v. Brücke und ging,
gewissermassen als Autodidakt, zur Ohrenheilkunde über, die er v'iele Jahre
an der Poliklinik, dann als Vorstand der Ohrenklinik lehrte. Sein Lehrbuch
der Ohrenheilkunde hat grosse Verbreitung gefunden. K.
(Berichtigung.) Auf S. 3 des Anzeigenteils d. Nr. findet sich eine
Anzeige der Chemischen Fabrik Maricnfelde, Calcaona betr., in der es heisst;
..Zeitgemässe Verdienstprozente!" Die Firma ersucht uns mitzuteilen, dass
das Klischee dieser Anzeige für eine pharmazeutische Zeitschrift bestimmt war
und versehentlich unserer Anzeigenverwaltung zugestellt wurde. In den
für ärztliche Blätter bestimmten Anzeigen fehlt dieser Zusatz selbst¬
verständlich.
Amtsärztlicher Dienst.
(Bayern.)
Die Landgerichtsarztstelle in Regensburg ist erledigt. Bewerbungen sind
hei der Regierung, Kammer des Innern, des Wohnorts bis 5. Juli 1921 ein-
zureiclien.
Verlag von J, F. Lehmann in München S.W. 2, Paul Heysestr, 26, — Druck von E. Mühlthaler’a Buch- und Kunstdrudeerei A.O,, Mönchen,
Digitized b]
^Goi-igle
Original frorri
UNtyERSITY OF CALIFORNIA
fWii 4cr eburefnen Nvaner 2.— • Bezugspreis bi 6eu(schluia
• • • Bad Auslsad siehe Bitten unter BezugsbedfaigUBgen. • • •
Anzelgcnachlttn Immer 5 Arbeitstage vor Erscheinen.
MÜNCHENER
4&isendai
.usendaBfCB shhi zu i4dW<t
I SehriflleHttm;: Aniatstc. 26 (Spredntnadan SlfM Uhr),
f&r Baag, AaiKlgen und Beilsgea:
J. P. Lehmsnn’s Verlag, Pani Heysestraise 21
Medizinische Wochenschrift.
ORGAN FÜR AMTUCHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE
Nr. 26. 30. Juni 1921.
Schriftleitung: Dr. B. Spatz, Arnulfstrasse 26.
Verlag: J. F. Lefamaim, Paul Heysestrasse 26.
68. Jahrgang.
Der Verlag behilt lieh du ausachlieuUcbe Recht der Vervielfiltigong mid Verbreitiiiig der in dieser Zeitschiift znm Abdruck gelangenden Originalbeitrige vor.
Originalien.
Die Beziehungen der Haut und ihrer Gebilde zur
Konstitution ihres Trägers.
Von Prof. Dr. Heinrich v. Hoesslin.
Die Beziehungen der Haut zu lokalen und allgemeinen Erkrankungen
des Körpers sind in den letzten Jahrzehnten Gegenstand erhöhter Auf¬
merksamkeit geworden. Sehen wir ganz ab von den mit Hauterschei-
nungeri verlaufenden Infektionskrankheiten, bei denen der Zusammen¬
hang ziemlich rasch erkannt wurde, sowie von parasitären Erkran¬
kungen der Haut allein, die in erster Linie das Interesse des Dermato¬
logen in Anspruch nehmen, und wenden wir uns den Erscheinungen
zu, die in der Art und Weise ihres Auftretens nicht ohne weiteres
t)ei jedem Befallenen klarliegen, so sind es in erster Linie solche,
die wir in Abhängigkeit von der Sekretion endokriner Drüsen auftreten
sehen. Viele werden von ihrem Träger nicht mehr als Krankheit
empfunden und können auch vom Arzte kaum mehr als krankhaft, son¬
dern nur als Abweichung von dem durchschnittlichen normalen Zustande
bezeichnet werden; kurz gesagt, man rechnet sie zu den im Rahmen
der individuellen Konstitution liegenden Eigenheiten. Je mehr wir auf
alle diese oft unscheinbaren Eigentümlichkeiten eingehen. desto mehr
werden wir sie auch zur Beurteilung des üesamtorganismus verwerten
lernen und wir werden Zusammenhänge zwischen Leiden und Klagen
des Patienten erkennen, die uns vorher nicht oder nur wenig verständ¬
lich waren. Die Erktnmmg ist daher für die somatische und mehr noch
psycuische Behandlung des Kranken von grossem Nutzen.
Das Aussehen des Patienten, also in erster Linie die Haut
selbst mit Einschluss der dicht darurterliegenden, ihre Form und sonstige
Beschaffenheit beeinflussenden Organe, des Unterhautzellgewebes und
der Muskulatur spielen eine grosse Rolle in der Bewertung des Ge¬
samtzustandes. Die volkstümliche Ausdrucksweise „er steckt in einer
gesunden oder in einer schlechten Haut“ hat daher sehr wohl ihre Be¬
rechtigung, wenn wir auch nicht verkennen dürfen, dass eine einseitige
Beachtung des Aeusseren zu Täuschungen führen kann und Träger
eines wenig schönen Hautkleides sich völliger körperlicher und seeli¬
scher Gesundheit erfreuen mögen.
In erster Linie sollen hier also die Zusammenhänge zwischen der
sozusagen „normalen“ Beschaffenheit der Haut mit dem Zustande des
üesamtorganismus erörtert werden; ein Uebergreifen auf Erkrankungen
und ihre Folgen wird dabei aber nicht vermieden werden können, da
es zum Verständnis normaler Beziehungen nötig ist.
Viele Beobachtungen über diesen Gegenstand sind in dem Buche
Bauers über „Konstitutionelle Disposition zu inneren Erkrankungen“
zusammengestellt, einer fast unerschöpflichen Fundgrube für jeden Arzt.
Oft genug wird man sich sagen müssen, dass man schon ähnliche Be¬
obachtungen gemacht hat, sich vielleicht nur nicht klar genug über ihre
allgemeinere Bedeutung geworden ist. So muss auch hier der Voll¬
ständigkeit halber vieles Bekannte besprochen werden.
Als erstes fällt beim Anblick eines Menschen die Farbe seiner
Haut, zumal des Gesichtes, und die der Haare auf. Ganz allgemein er¬
scheint sie schon, wie Bauer hervorhebt, durch den verschiedenen
Pigmentgehalt als Träger der augenfälligsten Rassenunterschiede, doch
kommen auch innerhalb einer Rasse erhebliche Abweichungen vor.
Manche lassen sich wohl durch Anpassung an besondere klimatische
und terrestrische Verhältnisse des Wohnortes, durch Generationen hin¬
durch ausgeübte Berufsarbeit oder durch endemische Krankheiten er¬
klären; die „Blutmischung“ w'ird jedoch an erster Stelle stehen.
Die Haut eines Gesunden, vielleicht besser gesagt eines Menschen
mit ideeller, normaler Konstitution der germanischen Rasse ist von hell¬
rötlicher, an den licht- und luftausgesetzten Teilen von leicht ge¬
bräunter Farbe ohne auffallende Pigmentation, von guter Spannung
und leichtem Glanze. Sie gehört einem Träger an. wie ihn für das
männliche Geschlecht Q e i g e 1 so vorzüglich im „Kanon des jungen (es
versteht sich von selbst „deutschen“) Soldaten“ geschildert hat. Natur¬
gemäss finden wir aber auch bei völlig gesunden Menschen Ab¬
weichungen verschiedener Art.
Das Nächstliegende wäre wohl, die Hautpigmentierung mit Rück¬
sicht auf die bekannten Veränderungen bei Nebennierenerkrankungen
auf einen wechselnden Adrenalingehalt des Blutes zurückzuführen. Es
sollen ja auch brünette Menschen mehr zu Addison neigen als blonde.
Dieser Nachweis ist aber bisher nicht möglich gewesen, da die Me¬
thoden der Adrenalinbestimmung noch zu wenig exakt sind Es ist
auch diese Ursache für alle Fälle nicht gerade wahrscheinlich, zum
Nr. 26.
mindesten ist nicht einzusehen, warum gerade bei einzelnen RassCn
eine Minderfunktion der Nebennieren stattfinden sollte, wo alle übrigen
Ausfallserscheinungen fehlen. Eine alte, allerdings nicht nachgeprüfte
Behauptung sagt sogar, die Nebennieren der Neger enthielten mehr
„schw^arze Flüssigkeit“ als die der hellen Rassen; das würde aber genau
das Gegenteil der erwähnten Hypothese bedeuten. Wir müssen aber
trotzdem annehmen, dass die Pigmentbildung mit der Tätigkeit innerer
Drüsen in Verbindung steht, denn wir kennen zu viele Beispiele, in
denen sie von ihrer Tätigkeit abhängt.
Zur Orientierung muss zunächst einiges über den Prozess der Pig¬
mentbildung vorangeschickt werden, dessen Erklärung in den letzten
Jahren durch Meirowsky einerseits und Bloch und seine Mitarbeiter
andererseits wesentlich gefördert und in jüngster Zeit durch die Unter¬
suchungen von Heudorfer einen gewissen Abschluss erhalten hat,
Bloch nahm auf Qrund verschiedener Experimente an, dass die Haut ein
spezifisches Ferment produziert, die Dopaoxydase, das eine verdünnte, wässe¬
rige Lösung des Dioxyphenylalanins durch Oxydation und Kondensation in
ein unlösliches, dunkelbraunes bis schwarzes melaninartiges Produkt über¬
führe. Keiner der übrigen, von früheren Untersuchern hypothetisch ge¬
nannten Körper (Thyrosin, Adrenalin, Tryptophan, Paraoxyphenyläthylamin)
sei Ausgangssubstanz. Durch ultraviolette, Röntgen-, Thorium-X-Strahlen
werde die Energie der Dopaoxydase gesteigert. Die Braunfärbung der
Addisonhaut erfolge durch Vermehrung der Pigmentvorstufen, nachdem (iie
Umwandlung der gemeinsamen Muttersubstanz (eines Brenzkatechinabkömm¬
lings) in Adrenalin infolge Erkrankung der Nebennieren unterbunden sei und
eine Mehranhäufung in den Säften des Körpers erfolge. Durch die in der
Haut vorhandene Oxydase würde dann dort mehr Pigment gebildet.
Nach Meirowsky wird dagegen das Pigment selbst von den Epithel¬
zellen gebildet, was unter bestimmten Umständen in vermehrtem Masse
geschehen könne. Zuerst sind es farblose Granula, die allmählich durch
Oxydation sich in braune Pigmentkörnchen umwandeln. Nun wies Heu¬
dorfer nach, dass einmal durch Kochen nicht eine Abschwächung, sondern
eher eine Verstärkung des Prozesses bewirkt wurde, dass ferner auch
andere Körper, Brenzkatechin und Pyrogallol zu dunklen Körpern oxydiert
werden und dass endlich die Silberreduktion in den gleichen Zellen und
in gleicher Stärke wie die Dopareaktion vor sich gehe, also wohl ein ipniger
Zusammenhang zwischen beiden bestehe. Es muss also die gleiche chemische
Kraft die Ursache der Reduktion des Silbernitrats und der Oxydation des
Dioxyphenylalanins sein. Das Vorhandensein eines besonderen Fermentes ist
schon durch die Nichtzerstörbarkeit beim Kochen ausgeschaltet. Heu¬
dorfer sieht demnach in der Dopareaktion nur „einen anderen Ausdrufk
für die primär reduzierende Eigenschaft des Pigments und ihre Bedeutung
entspricht derlenigen der Silberreaktion“. Die chemische Substanz des Pig¬
mentes wird von den Epithelzellen selbst produziert und für die Addison-
sche Krankheit nimmt Heudorfer eine gesteigerte Tätigkeit der Haut an,
als deren sichtbarer Ausdruck die Ueberpigmentierung erfolgt. Die Haut
sucht also den Ausfall der Nebennieren auszugleichen.
Ferner haben N e u b e r g und Jäger aus melanotischen Geschwülsten
ein Ferment isoliert, das Adrenalin zu einem dunklen Farbstoff umwandelt.
Neben der Pimentierung nimmt Unna noch eine besondere „Horn¬
farbe" an, die im Gegensatz zum Pigment diffus, oberhalb der Körnerschicht
verbreitet ist. — Hier muss auch noch einer anderen Erscheinung gedacht
werden, die zu der Hautverfärbung in inniger Beziehung steht, nämlich
der Hämatoporphyrie, jener eigentümlich ausgesprochenen konstitu¬
tionellen Erkrankung, die mit verstärkter Bildung, im akuten Anfall auch mit
vermehrter Ausscheidung von Hämatoporphyrin in Urin und Stuhl einhergeht.
Das Hämatoporphyrin sensibilisiert die Haut, so dass schon diffuses Licht,
mehr noch Sonnenbestrahlung, sehr rasch ausserordentlich heftige Entzün¬
dungserscheinungen (Jucken Rötung. Oedem, Blasen- und Qeschwürsbildungen)
auf ihr erzeugt. Während über diese Wirkung früher nur Vermutungen
bestanden und Tierversuche keine genügende Entscheidung gebracht hatten,
hat sie M e y e r - B e t z in einem heroischen Selbstversuch mit Einspritzung
von 0,2 Hämatoporphyrin bewiesen. Auffallend war hier die nach dem Ab¬
klingen der sehr schweren akuten Erscheinungen vorhandene Neigung zur
stärkeren Pigmentbildung bei Sonnenbelichtung. Es sei hier auch bemerkt,
dass ein Teil der Fälle akuter Hämatoporphyrie Pigmentflecken im Gesicht
zeigte und dass bei allen Patienten eine unverkennbare neuropathische An¬
lage bestand (Günther). Von E h r m a n n wird auch bei der sog. Hydroa
aestivalis, einem ähnlichen Vorgang, eine Vermelirung des zirkulierenden
Hämatoporphyrins angenommen. Meyer-Betz beobachtete nach der In¬
jektion auf Finsenbestrahlung ein entsprechendes Hautgeschwür an sich selbst.
Von anderen experimentellen Grundlagen über Pigmentierung, besonders
dem Einfluss der endokrinen Drüsen, wird später die Rede sein.
Tatsachenmaterial über Pigmentierung und ihre Abhängigkeit von
den verschiedensten Einflüssen steht uns reichlich zu Gebote. Bekannt
ist, dass die pigmentarmen blondhaarigen Menschen im all¬
gemeinen, jedoch nicht ausnahmslos, leichter mit Pigmentbildung
ihrer Haut reagieren als die dunkelhaarigen blassen. Sie verbrennen
unter Sonneneinwirkung stärker. Es stellen sich ferner bei Ihnen
die bekannten Sommersprossen, E p h e I i d e n. nicht nur an den dem
Licht unmittelbar ausgesetzten Hautteilen, sondern auch in deren Um-
3
Digitized by
Goi.igle
Original frurri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
798
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
gcburiß ein. Ausnahmen sind jedoch nicht selten. Dunkle Individuen
sehen wir dagegen häufig — auch an den vor Liclit geschützten
Stellen — mit ausgedehnteren, flächenhaften und kleineien erhabenen
Pigmentierungen behaftet, den sog. Nävi in ihren verschiedenen
Porrnen. sowie mit kleinen runden und ovalen Pigineiitflecken. den
L. e b e r f 1 e c k e n (Lentigines). Lin prinzipieller Unterschied zwiscl.eii
beiden besteht nicht, es wird nur angegeben, dass für gewöhnlich die
ersteren angeboren sind, die letzteren sich erst in den Kinder- oder
Pubertätsjahren entwickeln, doch ist auch ihre Anlage scluni bei der
Geburt vorhanden, wie die Neigung zur Vererbung in ganzen Familien
zeigt, j^iiffallend ist die gelegentliche Zunahme und Nachdunkelung der
Lentigines bei konsumierenden Krankheiten. Die fiautileckeii sind
ausserordentlich verbreitet, bei genauerem Durchsuchen wird man sel¬
ten die Haut Lrwachsener ganz frei von Leberflecken autrcffeii, die
Näv! sind kaum weniger allgemein; grössere flächenhafte Gefäss-
erweiterungen, für die das gleiche gilt, seltener.
Man hat das Vorkommen dieser Gebilde mit dem Vorhandensein
nervöser und psychischer Störungen ihrer Träger in Zusammenhang ge¬
bracht. Liiizelne Gebilde haben gar nichts zu bedeuten, und uenii
tatsächlich gleichzeitiges Vorkomnieii heol)achtet wird, so ist das als
Zufall anzusehen. Dagegen trifft es zweifellos für gei.äiiftes Auftreten
zu. Wir finden dann besonders die erhabenen Nävi in grösserer
Anzahl zusammenstehen, auffallend häufig auf der Bauchhaut und oft
auch so angeordnet, dass sie auf dem Gebiet bestimmter Hautneiven
entstanden zu sein scheinen. Das mag gelegentlich auch stimmen, die
Regel ist es nicht, W'ohl stets wird man aber bei nälierem Lingchen
auf die Psyche des Patienten auf geringere oder stärkere Abweichungen
vom Normalen stossen — es sind Nervöse, Neuropathen. Psycho¬
pathen —, und auch sonst auf körperliche Lrscheinungen, die meist
als degenerativer Art aufgefasst werden: arigcwachseiie Ohrläppchen,
verkrüppelte Ohrmuscheln, zusarnmengewachsene und stark entwickelte
Augenbrauen, senkrechte Stirnfalte, weiches emporstrebendes Haupt¬
haar, kurze Finger. Schwimmhautbildung und ähnliches.
Anderseits ist die Kntstehung melanotischer Sarkome auf dem Boden
verruköser Nävi bekannt. Sie zeigt uns aber auch nur die Neigung
zu atypischem und exzessivem Wachstum abnormer Gebilde, zudem
eine Abartung des Eiweissabbaues, die oben ausführlicher geschildert
wurde. Der Zusammenhang mit Neubildungen der inneren Organe
besteht auch hier nur gelegentlich, jedenfalls nicht so häufig, dass da¬
durch eine Diagnose erleichtert würde. Nicht selten tritt iin Verlaufe
bösartiger Geschwülste — gelegentlich auch gutartiger, z. B. Myome —
überhaupt eine auffallende Nachdunkelung der Haut ein, ohne dass die
Geschwülste selbst zur Farbstoffbildung neigen, oder Nebennieren und
ander" endokrine Drüsen nachweisbar beteiligt wären. Es ist aber
nicht auszuschliessen, dass trotzdem ein Einfluss auf sie stattfindet, sei
es auch nur der des allgemeinen Marasmus, der häufig eine Zunahme
des Hautpigmentes nach sich zieht. Ganz allgemein ist ja auch die zu¬
nehmende Dunkelung der Haut mit dem Alter, die bei Frauen vielleicht
noch mehr auffällt wie bei Männern, w'ährend die kindliche Haut durch
Mangel an Pigment ausgezeichnet ist.
Das gleiche gilt von den kleinen punktförmigen Gefässerweiterungen
auf der Haut. Teleangiektasien, die man meistens bei w^enig
pigmentierter heller Haut und stärkerem Fettpolster antrifft. Auch sic
sind so häufig, dass sie gelegentlich mit bösartigen Neubildungen zu-
samn^nfallen. Auch vermehrtes Auftreten kann indes kaum, wie es
mehrfach geschehen ist, mit Neubildungen in Beziehung gebracht
werden.
Bei den meist temporär auftretenden Ha u t w a r z e n ist ein Zu¬
sammenhang mit der Konstitution nur insow'eit nachweisbar, als sie
einerseits häufig bei nervösen oder neuropathisch veranlagten Indivi¬
duen zu finden sind, anderseits am häufigsten in den Entwicklungs¬
jahren auftreten. um dann nach einiger Zeit ohne erkennbare Ursache
wieder zu verschwinden. Sie sind also ein Zeichen gesteigerten Wachs¬
tumreizes während dieser Periode.
Bekannt ist ferner die Dunkelfärbung der Haut bei
Schwangeren. Sie äussert sich nicht nur in allgemeiner Zunahme
des Pigments, sondern auch in lokal hervortretenden, an ganz bestimm¬
ten, schon unter normalen Umständen dunkler gefärbten Hautstcllen.
Besonders auffallend ist das Auftreten unregelmässiger dunkler Flecken
an der Haargrenze der Stirn und Schläfe, das Chloasma. Die Er¬
scheinung kann sich, wie die übrigen, nach der Entbindung zurück¬
bilden. aber auch bestehen bleiben. Zinveilen fällt auch schon w'ährcnd
der Menstruation eine leichte vorübergehende Dunkelfärbiing des Ge¬
sichtes auf ‘). Man findet sie auch sonst bei Frauen, ohne dass ein
sicherer Zusammenhang mit der Tätigkeit der Geschlechtsdrüsen fest¬
gestellt werden kann. Bauer weist auch auf grobflcckige oder ephe-
lidenartlge Pigmentbildung der Hände hin, die häufig mit Abblassung
der umgebenden Haut bei Männern in mittleren Lebensjahren auftritt
und möglicherweise Beziehungen zum Prozess des Alterns hat. Ge¬
legentlich verrate auch eine symmetrische Pigmentation der seitlichen
Stirnpartien, der Wangen und der Oberlippe eine dysgcnitale Kon¬
stitution.
Abgesehen von dem angeborenen Pigmentreichtum begegnen wir
grossen Unterschieden der Hautreaktion auf äussere Reize hin.
Ganz allgemein bräunt sich die Haut eines Gesunden unter dem Ein¬
fluss der Sonne oder künstlicher Bestrahlung leichter als die eines
Kranken. Bei Tuberkulösen z. B. wird eine solche Reaktion als
günstig angesehen, es soll die Erkrankung bei brünetten Personen auch
‘) Die Haut soll /u dieser Zeit auch crnpfindliclier gegenül^er der Ein¬
wirkung von Röntgenstrahlen sein (F r e u n d).
Digitized by Gotigle
einen etwas leichteren Verlauf nehmen als bei blonden, unter denen
die rotiiaarigen und ganz pigmentarmen besonders gefährdet sind. .Auf
der atideren Seite ist es aber auch auffallend, wie gerade die Haut
schwer Tuberkulöser nicht selten sowohl spontan dunkelt, als auch
unter Lichteinwirkung sich ausserordentlich bräunt, ja geradezu eine
Kupferfarbe aiiiiiirimt, so dass man hier an eine Insuffizienz der Neben¬
nieren denken könnte.
Üben wurde schon die intensive Bräunung der Addisonkranken
unter S t r a h 1 e n e i n f 1 u s s erw^äfint. Auch die dunkelpigmentierten
Partien der obenerwähnten chloasmaähnlichcn Erscheinungen reagieren
auf Licliteinfluss zuweilen erheblich stärker als die pigmentarmen.
Dieser kommt auch für die Dunkelfärbung der Haut von Vagabunden
in Frage; von konstitutionellen Ursachen wird hier kaum die Rede
sein können.
Auch auf andere Reize reagiert die Haut der einzelnen Mensci;en
sehr verschieden. Wir sehen dies am N a r b e n g e w e b e bei tiefer¬
gehenden Verletzungen, sowie nach ganz oberflächlichen, zur völligen
Restitution kommenden Hautverlusten. Ferner bei den verschiedensten
Hauterkiankungen, Ekzem, Psoriasis, Lichen, Impetigo und anderen,
besonders auch abheilcndeii syphilitischen Papeln. Von der Verände¬
rung sind am stärksten die schon normaler Weise zur Pigmentierung
neigenden Stellen sowie Dunkelhäutige betroffen, ganz abgesehen da¬
von. dass letztere auch vermehrte Neigung zu Erkrankungen zeigen.
Aehnlich ist es mit chemischen Reizen (z. B. Wirkung von Verbänden.
Jod). Dem Dermatologen werden hier noch mehr Einzelheiten bekannt
sein').
Wir finden übrigens noch bei einer Reihe von krankhaften Zu¬
ständen Veränderung der Hautfarbe, die bis zu einem gewissen Grade
Rückschlüsse auf das Verhalten bei gesunden Menschen zulassen. Von
einem konstiiitionelleu Einfluss kann man bei ihnen vielleicht insofern
sprechen, als wohl die Mehrzahl dieser Erkrankungen auf konstitutio¬
neller (jrundlage entstanden ist. So sehen wir eine Hautdunkelung bei
Hypertliyreoseii, bei ausgesprochenen Basedowkranken sogar beträcht¬
liche Grade, während bei Thyreopriven und Myxödematösen gewöhn¬
lich das (jegenteil eintritt. Allerdings beschrieb Kocher Dunkelfär¬
bung in einem Fall von Tetanie nach Exstirpation der Schilddrüse, und
cliloasmaähnliche Flecken an Stirn, Augen und Mund sow'ie den Ex¬
tremitäten werden neben einem leicht gelblichen, im Gesicht zuweilen
etwas graublä'.ilich durchschimmernden Hautton bei lange dauerndem
Myxödem beobachtet. Bei Basodowkranken w'urden wiederum Viti-
ligoflccken gefunden. F a 11 a sah ferner Pigmentzunahme bei multipler
Blutdrüsensklerose, ich selbst konstatierte einmal das Gegenteil. Bei Epi¬
leptikern, besonders im Anfall, wurde Aehnliches beobachtet. Der Dunkcl-
färbung bei Addisonkrankheit wurde schon wiederholt gedacht. Es ist aber
hinzuzufiigen, dass Addison auch bei intakten Niebennieren gefunden
und mit einer Erkrankung des Splanchnikus erklärt w'urde und auf der
anderen Seite die Eikrankung ohne jegliches Hautsymptom vorkommet^
soll. Ganz aU icmein wird aber eine verminderte Widerstandsfähigkeit
des Nebennlerensystems gegenüber Schädigungen jeder Art voraus¬
gesetzt. Dass zuweilen Addisonkrankc schon lange vor Ausbruch der
eigentlichen Erkrankung dunkler pigmentiert waren als andere Men¬
schen. könnte in diesem Sinne verwendet werden.
Nun sehen wir aber ausserordentlich häufig Dunkelpigmentierungen,
deren Entstellung auf konstitutioneller Basis zwar vermutet, aber noch
nicht als gesichert angesehen werden kann: einmal die Verfärbung bei
Leberkranken. Diese wird zunächst zweifellos durch das vermehrt
im Blute nachweisbar zirkulierende Bilirubin hervorgerufen. Es fällt
aber auf. c:ass die Haut einmal aufgenommenen Farbstoff nur äusserst
langsam wieder abgibt, im Verlaufe von Wochen und Monaten und zu
einer Zeit, während der im Blute nur mehr normale Mengen des Farb¬
stoffes kreisen. Es wäre also schon denkbar, dass bei geringster Dys¬
funktion der Leber und vielleicht nur zeitweiser geringer Vermehrung
des zirkulierenden Bilirubins eine Aenderung der Hautfarbe eintritt.
die allerdings zunächst mit echter Pigmentation nichts zu tun hat. nach¬
dem es nicht zur Ablagerung einigen körnigen Pigmentes kommt. Von
manchen Seiten wird daher von einer konstitutionellen Hyperbilinibinämio
gesprochen, der „billiösen Konstitution“ der Alten, bei der die Leber zwar
nicht nachw'cisbar erkrankt, aber doch dazu disponiert sein soll. —
An dieser Stelle sei nochmals der vermehrten Neigung zur Pigment¬
bildung bei Anwesenheit von Hämatoporphyrin im Blute gedacht. Ob
dieser Körper nicht vielleicht schon normalerweise in minimalen Mengen
im Blute zirkuliert und so einen dauernden Einfluss auf Lichtreaktion
und Hautfärbung ausübt, was von vornherein nicht ausserhalb des Be¬
reiches des Möglichen liegt, ist noch nicht festgestellt. —
Endlich kennen wir noch den dunklen Hautton der Herzkranken,
allerdings auch erst In späteren Lebensjahren bei nicht mehr ganz ge¬
nügender Kompensation und bei den einzelnen Kranken in hohem Grade
schwankend. Vielleicht spielen geringe Stauungen eine Rolle, die sich
sonst noch nicht äussern. Man denke z. B. an das Auftreten von Herz-
fehlcrzellen infolge von Stauungen im kleinen Kreislauf, die bei Fehlen
aller übrigen Kompensationsstörungen zuweilen den ersten Nachweis
einer versagenden Kompensation bilden. Es könnte also wohl in der
Haut mit der Zeit Ablagerung von Blutfarbstoff stattfinden und auf noch
nicht näher geklärte W'eise eine Verfärbung hervorrufen; vielleicht
genügt auch schon die Stauung als solche zu einer Vermehrung des
normalen Pigmentes.
Es ist aber auch daran zu denken, dass Stauung in der Lobc'
sciion frühzeitig zu vermehrter Bilirubinabgabe an das Blut führen kann.
*) ln allen diesen Fällen bestehen konditionelle Vornussetzungen für d^e
abnonnen Rei/erseheinungen net)cn der konstitutionellen (irundlnge.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
799
wenn wir auch häufig normalen Bilirubinwerten im Blut bei
schon erheblicher Zirkulationsstörung begegnen. Bekannt ist, dass
bei manchen Herzkranken als erstes Zeichen beginnender Dekompen¬
sation sich Beschwerden in der Lebergegend einstellen. Dass wenig
leistungsfähige Herzen an sich nicht Ursache einer zur Pigmentation
führenden Stauung sind, sehen wir alltäglich an den blassen Menschen
mit asthenischem Habitus. Auch bei der diffusen Arteriosklerose
haben wir es vielleicht mit kleinsten Stauungen im Hautgebiet zu tun.
Sklerotische Prozesse der Arterien und des Herzens sind ausgesprochen
familiär, und wir sehen sie bei vielen Menschen in einem bestimmten
Alter sich mit absoluter Sicherheit und gleichzeitiger stärkerer Färbung
der Haut entwickeln. Im Zusammenhang damit finden wir auch bei
der arthritischen Konstitution so auffallend häufig mit der Zeit eine
Dunkelfärbung der Haut. — Vielleicht spielt die Neigung zu Stauung
zugleich mit einer abnormen Vermehrung des Bindegewebes und über¬
mässiger Ablagerung eisenhaltigen Blutpigmentes (Hämosiderin) in
den Organen, für die wir ohne eine besondere Disposition nicht aus-
kommen, auch eine Rolle in der Entstehung des Bronzediabetes mit
seiner eigentümlichen Hautfärbung.
Auch bei habitueller Obstipation soll nach Günther stärkere Pig¬
mentation Vorkommen, die mit der Behebung des Uebels schwindet.
Der Zusammenhang ist hier nicht ganz klar. Es mag sich auch um die
Folge geringster Stauungen handeln. Der Darm neigt bekanntlich sehr
zu Pigmentierungen, es ist also möglich, dass er davon auch an die
Haut abgibt. Vielleicht sind auch die bei Obstipierten häufigen Kon¬
gestionen direkt die Ursache. Die im Gegensatz dazu beobachtete
Blässe besonders an diesem Uebel leidender Frauen hängt mit der
gleichzeitig bestehenden asthenisdien Konstitution zusammen.
Nicht so häufig wie fleckweiser Ueberplgmentierung, aber auch
verhältnismässig oft begegnen wir abnorm blassen Stellen, die meist
von einem dunkleren Rand umgeben werden, den Vitiligo flecken.
Sie sind vornehmlich am Halse lokalisiert und können zu einer Ver¬
wechselung mit dem syphilitischen Leukoderm, das sich jahrelang er¬
halten kann, führen; wir finden sie aber auch an allen übrigen Körper-*
teilen, besonders der Bauchhaut, oft in ausserordentlicher Ausdehnung,
zuweilen in symmetrischer Anordnung. Dass konstitutionelle Faktoren
zu ihrer Entstehung führen, zeigt uns schon die häufige Vererbung,
wenn auch die Pigmentarmut erst in späteren Jahren in Erscheinung
tritt. Die Flecken treten ganz besonders häufig bei nervösen In¬
dividuen, Neuropathen, Psychopathen jeden Grades auf. Wir finden sie
in Zusammenhang mit Tabes zuweilen schon als Frühsymptom, bei Ent¬
zündung einzelner Nervenstämme, daher auch besonders bei Lepra.
In den letzteren Fällen ist ihre Abhängigkeit vom Ausbreitungsgebiete
bestimmter Hautnerven, was übrigens auch gelegentlich beim syphi¬
litischen Leukoderm der Fall seüi kann, auffällig. Ihr Vorkommen bei
Basedow wurde schon erwähnt; auch bei Epilepsie wurden sie be¬
obachtet, und zwar traten sie bei jedem Anfall stärker hervor. Die
Depigmentation zeigte sich jedesmal einige Tage vorher durch Par-
ästhesien an.
Die Abhängigkeit vom Nervensystem geht aus den schon erwähn¬
ten Krankheitsbefunden auch durch experimentelle Untersuchungen her¬
vor. Dass unter ähnlichen Verhältnissen auch die Haare im Bereich der
Vitiiigoflecken ergrauen, erscheint selbstverständlich. Köster sah
nach Exstirpation des obersten Halsganglions neben Pigmentschwund
der Iris auch Abblassen der umgebenden Hautpartien.
Es besteht also ein weitgehender und zweifelloser Zusammenhang der
Pigmentierung mit dem Nervensystem, der sich nicht nur für zu geringe,
sondern auch für zu starke Pigmentierung äussert. Auch bei letzterer könne»!
sympathische Einflüsse von weittragendster Bedeutung sein Ich führe
nur die von Bauer erwähnte plötzliche Dunkelung der Haut nach
schwerem psychischen Schock an. Wie weit hier einzelne endokrine
Drüsen oder auch ihre Wechselwirkung in Frage kommen, lässt sich
vorläufig nicht sagen. Nachdem wir aber wissen, wie sehr dieses ganze
System unter dem Einfluss des Sympathikus steht, erscheint uns eine
Mitwirkung auch in schnell verlaufenden Fällen sehr wahrscheinlich.
Sehen wir doch ganz akute durch Nerveneinfluss hervorgerufene Stö¬
rungen in der äusseren Sekretion vieler Drüsen. Ueberall spielt diese
hereditäre Anlage eine Rolle, wenigstens finden wir auch bei den
übrigen Familienmitgliedern Hinweise auf eine grössere Labilität oder
Minderwertigkeit des Nervensystems“).
Mindestens ebenso,' innerhalb der Rasse fast noch mehr als die
Haut, bestimmt die Haarfarbe den ersten Eindruck eines Men¬
schen. Besonders ganz hellblonde und rothaarige Individuen fallen auf.
ebenso dunkle. Bei anderen treten aber gewisse Mängel sehr stark
zutage. So ist die leichte Empfindlichkeit der Albinos, ihre verminderte
Widerstandsfähigkeit gegen Erkrankungen der Haut (Ekzeme, die Nei¬
gung zu ausgebreiteten Teleangiektasien), ihre gelegentliche Disposition
zu melanotischen Tumoren bekannt. Rothaarige neigen besonders zu
schweren Tuberkulosen. Diese Haarfarbe wird auch in Zusammenhang
mit der Abnormität des Charakters gebracht — Verschlagenheit, Un¬
wahrhaftigkeit—, wie sie auch.im Volksmunde keinen guten Ruf be¬
sitzen. Nicht selten siml sie auch mit den bekannten Stigmen behaftet.
— Uebrigens darf hier nicht generalisiert werden. Es kommen z. B.
innerhalb einer gleichmässigen Bevölkerung (ich denke an unsere obcr-
“) Wie weit beim Menschen die Pigmentierung vom Lichtsinn abhängig
ist. scheint noch nicht sichergestellt. Bei niederen Tieren ist sie durch
ihn reguliert. So verlieren blinde Fische die Fähigkeit, ihre Farbe der
Umgebung anzupassen, einseitig geblendete nur auf der entgegengesetzten
Seite. Geblendete Axolotl werden im Licht dunkel, im Dunkel hell, bei sehen¬
den verhält es sich umgekehrt.
bayerische) nicht selten rothaarige Familien vor, in denen nichts Ab¬
normes an körperlichen und geistigen Eigenschaften zu erkennen ist.
Sehr häufig treffen wir auch frühzeitiges Ergrauen ganzer Familien,
das nicht durch Pigmentmangel, sondern durch das Entstehen von Luft¬
bläschen in den Haaren erklärt wird. Fast regelmässig finden wir
Zeichen einer Schwäche des Nervensystems; bekannt sind Fälle von
plötzlichem und sehr raschem Ergrauen nach schweren seelischen Er¬
schütterungen. Erkrankungen einzelner Nerven, Neuralgien, Epilepsie,
schwere Geisteskra ikheiten, hochgradige Ernährungsstörungen haben
das Ergrauen des ganzen Haupthaares sowie einzelner Abschnitte zur
Folge gehabt (N e h 1). —
Auffallend Ist bei manchen Menschen mit verstärkter nervöser
Komponente die abnorme FeinheitderKopfhaare. die fast regel¬
mässig mit einer nach oben strebenden Wachstumsrichtung verbun
den ist.
Bekannt sind ferner die zahlreichen Fälle abnormer Behaarung,
abnorm starke oder schwache Entwicklung der Augenbrauen, iiir Zu¬
sammenwachsen über der Nase mit Uebergreifen auf die Nasenwurzel,
abnorm starke Körperbehaarung, Behaarung des Kreuzbeines und
ähnliches. Immer wieder wird man bei genauerem Eingehen auf die
Klagen des Patienten auf leichte Ermüdbarkeit und Labilität des Nerven¬
systems, gelegentlich auch auf tiefergehende Störungen treffen, die in
der Regel sich noch auf andere Familienmitglieder erstrecken.
Recht häufig sehen wir femininen Haaransatz beim männ-
iiehen Geschlecht, zuweilen mit gleichzeitiger geringer Ausbildung der
Achselhaare. Ausser mit nervösen Symptomen ist er fast immer mit
Zeichen des Hypothyreoidismus, des Hypogenitalismus verbunden,
vielleicht im Zusammenhang mit einer hypophysären Unterfunktion.
Auch bei dem Status thymolymphaticus stossen wir auf ihn. Ob er da¬
gegen mit dem Status asthenicus in Beziehungen steht, wie von
manchen Forschern angenommen wird, erscheint nicht sicher, ebenso¬
wenig wie eine abnorm schwache Entwicklung der Terminal-
haare; im Gegenteil ist die Endbehaarung häufig reichlich. Ueber-
gangsfälle mögen immerhin gelegentlich zu (Besicht kommen. Für Fälle
von weiblicher Terminalhypertrichose mit gleichzeitigen hypergenitalen
Erscheinungen oder heterosexuellen Merkmalen ist Bauer geneigt,
konstitutionelle Anomalien der Nebennierenfunktion anzunehmen. Ein¬
fache Hypoplasie der Genitalor|ane genügt jedenfalls nicht für aUe Fälle,
da diese in der Regel mit spärlicher Behaarung einhergeht. — Auch
im Volke allgemein bekannt sind einzelstehende, über den ganzen
Körper verbreitete und besonders gegen oder nach dem Klimakterium
aufspriessende Terrainalhaare. Häufig wachsen sie auf dem Boden
erhabener Pigmentnävi. Einzelne stellen sich als Schönheitsfehler
fast bei jedem Menschen ein, reichlicheres Vorkommen weist auf Ver¬
stärkung der nervösen Komponenten bei dem Träger hin. Im Prinzip
nicht anders werden wohl Terminalhaare an der Oberlippe — Alt¬
weiberbart — oder abnorm spärliche Behaarung des männlichen Ge¬
sichtes mit mangelhafter Keimdrüsenfunktion erklärt. Gelegentlich^
ist in letzterem Falle der Trieb auch abnorm stark ausgebildet. • Mangel-I
hafter Schilddrüsenfunktion, Ueberempfindlichkeitssymptomen gegen
Seruminjektionen, Bronchialasthma wird man gleichzeitig dabei be¬
gegnen. Sehr häufig fällt übrigens femininer Haaransatz wie starke
Ausbildung einzelstehender Terminalhaare mit abnorm weicher Haut¬
beschaffenheit zusammen.
Vorzeitiger Haarausfall kann verschiedene Ursachen haben.
Wir kennen frühzeitigen familiären Verlust, in manchen Fällen bei
Unterfunktion der Schilddrüse, bei denen andere Symptome noch nicht
ausgesprochen sind und Schilddrüsenmedikation von mehr oder minder
gutem Erfolg begleitet ist (P e t e r s e n). Auch herdförmige Alopezie
kann auf dem Boden des Hypothyreoidismus entstehen; die post¬
luetische gehört nicht hierher. Augenfälliger ist der starke Haarausfall
bei der Cachexia strumipriva und dem Myxödem. In beiden Fällen,
im letzteren allerdings ausgeprägter, ist er nur ein Teilsymptom der
Atrophie der Haut und ihrer Organe. Umgekehrt sehen wir wieder
starken Ausfall als regelmässige Begleiterscheinung der ausgesprochenen
Basedowerkrankung, von anderen Erscheinungen der Haut, starker
Durchleuchtung, oft abnormer Weichheit begleitet. Vielleicht ist eine
Ueberfunktion der Schilddrüse während der Schwangerschaft auch die
Ursache des hier stattfindenden erhöhten Haarausfalles. Nachdem es
sich um eine allgemeine Verstärkung des Lebensprozesses handelt, kann
Konsumption oder Unterernährung einzelner Organe auf Kosten
anderer nicht als Ursache angenommen werden, die bei lange
dauernden Krankheiten regelmässig zu einer beträchtlichen Enthaarung
führt.
Späterer Haarausfall wird besonders von Friedenthal auf eine
Dysharmonie zwischen Schädel- und Hautwachstum zurückgeführt, wo¬
durch die Ernährung der Haut ungünstiger gestaltet wird. Auch der
Ausfall infolge parasitärer Erkrankungen (wie die Neigung zu diesen
selbst) wird auf verminderte Widerstandsfähigkeit in Rückbildung be¬
griffener Organe bezogen. Dass man von jeher auf den Haarausfal'
mehr als auf andere Erscheinungen von seiten der Hlul geachtet hat,
liegt gewöhnlich daran, dass er den Patienten, zumal den weiblichen,
als ers'tes Symptom auffällt, da guter Haarwuchs einen wesentlichen An¬
teil an der Schönheit des Körpers ausmacht.
Kehren wir noch einmal zur blassen Hautfarbe zurück, so wer¬
den wir sehen, dass diese nicht nur von dem Pigmentgehalt in weitem
Masse abhängig ist, sondern auch von der Blutversorgung der Haut.
Diese ist bei normalen Individuen derartig, dass ein leicht rötlicher
Farbton resultiert, der natürlich von der Pigmentierung mehr oder
minder überdeckt werden kann. Dass in solchen Fällen nicht eine Ver¬
schlechterung der Blutzusammensetzung, eine Herabsetzung des l'ämo-
3*
Digitized by LjOOQle
Original frorri
UNfVERSiTY OF CALIFORNtA
Münchener medizinische wocheNschripT.
Nr. 26 .
MJ(j
uiobingehaltes ist, davon kann man sich rasch überzeugen. Ganz be¬
sonders an dem Gesicht mit seiner ausserordentlich labilen Blutver-
sorgung kommen Störungen derselben rasch zum Ausdruck. So ist dies
der Fall bei weiblichen Asthenikern, also Frauen von schmäch¬
tigem Körperbau, auffallender Schlaffheit der Muskeln sowie der Ge¬
lenkbänder, schmaler unterer Thoraxapertur, fluktuierender zehnter
Rippe, kleinem Herzen, starker Senkung der Baucheingeweide, mangel¬
hafter Magensaftsekretion, Stuhlverhaltung, Störungen der sexuellen
Funktionen, mässigem Fettpolster, Neigung zu feuchten und kalten
Händen und Füssen, verbunden mit labiler, besonders zu Depressionen
geneigter Gemütsverfassung, die zu dauernden oder zeitweise exazer-
bierenden Beschwerden, ja förmlichen Krisen Anlass gibt, so wie sie
M a t h e s geschildert hat. Die Blässe ist hier vielleicht ausschliesslich
durch abnorme Reizung der Gefässe hervorgerufen. Sie ist also aufs
engste mit der ganzen Konstitution, die im Pubertätsalter mehr als
während der Kinderjahre manifest wird, verknüpft, und so wenig wir
die Konstitution ändern können, so wenig vermögen wir auch den
Hautton von Grund auf dauernd zu ändern, wenn wir auch bei ge¬
eigneter körperlicher wie psychischer Behandlung manchen Erfolg in
dieser Richtung erzielen können.
Vielleicht sind hierher auch diejenigen Fälle von Magengeschwüren zu
zählen, die trotz nachweislichen Fehlens jeder Blutung blasse Hautfarbe auf¬
weisen, sei es, dass man sie auf Grund einer ganzen Reihe von Erschei¬
nungen zu den Vagotonikern zählt, sei es, dass man sie, wie M a t h e s es
will, unter die infantilasthenisctien rechnet. Auch bei ihnen kehren in grösserer
Zahl die eben kurz geschilderten Symptome wieder. Auffallend ist ganz
zweifellos, dass vor der Pubertätszeit kaum je Magengeschwüre festgestellt
werden, sie sich dagegen während dieser und in den Jahren nachher ver¬
hältnismässig häufig einstellen. Wir haben es in dem einen wie in dem
anderen Falle also auch wieder mit Besonderheiten der Konstitution zu tun,
die ganz unabhängig von etwa stattfindenden Blutungen die Ursache für die
Blässe der Haut ist.
Man kann bei den geschilderten Symptomen der Asthenie wohl
an Störungen der Sekretion innerer Drüsen bzw. ihrer Korrelation
denken, zumal der Geschlechtsorgane, wie der Schilddrüse, die bei
solchen Menschen oft vergrössert, aber vielleicht nicht genügend funk¬
tionsfähig ist. Die genaueren Unterlagen fehlen uns indes noch.
Uebrigens treffen wir auch unter Männern nicht selten Astheniker an,
nur mit dem Unterschiede, dass hier die körperlichen Erscheinungen
häufig nicht so stark ausgeprägt sind, wie beim weiblichen Geschlecht
und auch die psychischen etwas mehr zurücktreten.
Auffallende Blässe sehen wir weiterhin bei einem anderen Typus,
den Lyrnphatikern. Auch hier bezieht es sich nicht auf das Gesicht
allein, sondern auch auf die ganze übrige Körperhaut. Doch fallen
ganz abgesehen von der Hyperplasie des lymphatischen Gewebes sofort
erhebliche Unterschiede zwischen ihr und der vorgenannten Gruppe auf:
eher gedrungener Körperbau bei anscheinend normalen inneren Or¬
ganen, auch Lungen, leicht vergrössertes Herz, vielleicht etwas zu
enge und leicht reizbare Gefässe, häufig kalte Hände und Füsse bei
verhältnismässig dickem Fettpolster, unter dem sich noch leidlich
kräftige Muskulatur befindet. Häufig, aber nicht zum engeren Begriffe
des Lymphatikus gehörend, treten gleichzeitig Erscheinungen der ex¬
sudativen Diathese zumal bei Kindern hervor, Neigung zu Ausschlägen,
Lidrandentzündungen, Katarrhen der oberen Luftwege. Man hat übri¬
gens auch beim Habitus thymico-lymphaticus an die Möglichkeit einer
Unterentwicklung des chromaffinen Gewebes gedacht.
Weiterhin finden wir nicht ganz selten eine verhältnismässig blasse
Haut bei Individuen mit Unterfunktion der Schilddrüse (und vielleicht
auch der Hypophyse) sowie des Genitalapparates bei gutem oder ver¬
mehrtem Fettpolster, bei der Dystrophia adiposo-genitalis.
Im Gegensatz zu dem häufigen Vorkommen der letztgenannten
blassen Typen ist das der übermässig geröteten Haut erheblich seltener.
Auf Gefässerweiterung beruhende stärkere Rötung sehen wir bei Men¬
schen mit Habitus apoplecticus, also gedrungenem Körperbau,
ziemlich kurzem und breitem Brustkörbe, geringerer oder stärkerer
Neigung zu Fettsucht, frühzeitiger Sklerose der (iefässe mit Hyper¬
trophie des Herzens, häufig mit Neigung zu reichlichem Alkoholgenuss
und cholerischem Temperament. — Gelegentlich scheinen auch Stö¬
rungen der Sexualentwicklung — Nichteintreten der Menstruation —
zu vasomotorischen Reizerscheinungen, insbesondere Rötung des Ge¬
sichtes, Anlass zu geben. Sonst wären hierher noch zu zählen Men¬
schen mit Erythromelalgie, soweit wir hier konstitutionelle Verände¬
rungen voraussetzen, und sie nicht als Symptom organisch begründeter
Leiden anzusehen Ist (Tabes, Syringomyelien, Neuritiden), sowie Fälle
von Diabetes mellitus. Eine übermässige Rötung sehen wir noch in¬
folge Vermehrung der roten Blutkörperchen, der Polyzythämie mit und
ohne Steigerung des Blutdruckes, deren Ursachen uns noch unbekannt
sind, bei der wir vielleicht auch konstitutionelle Veränderungen (Unter¬
funktion der Milz) annehmen müssen.
Die Labilität der kleinsten Hautgefässe und Kapillaren, die sich
spontan in jähem Erröten und Erblassen des Gesichtes oder in dem
Auftreten einzelner roter Flecke besonders der Brusthaut bei arte-
fizieller Rötung und Blässe (weisser und roter Dermographismus),
Quaddel- und sogar Blasenbildung bei ganz bestimmt gearteten Men¬
schen äussert, ist-wohl bekannt. Während der Wechsel der Gesichts¬
farbe des Kindes bei seelischen Erregungen schon sehr ausgeprägt ist,
entwickeln sich die anderen Erscheinungen erst gegen die Reife zu,
um im höheren Alter wieder mehr oder weniger zu verschwinden.
Auch hier handelt es sich besonders bei den stärkeren Graden aus¬
nahmslos um Individuen mit gesteigerter Erregbarkeit des ganzen
sympathischen Systems, nervöse, reizbare, schreckhafte Leute mit
glänzenden Augen, Händezittern, Neigung zu Gänsehaut, starker
Digitized by Google
Schweissabsonderung, labiler Stimmung, hysterischen Eigenschaften.
Bei asthenischen Individuen kann abnorme Reizbarkeit der Gefässe
vorhanden sein, aber auch fehlen. Jedenfalls gehört sie nicht unbedingt
mit zum Bilde der Asthenie.
Aehnlich ist es bei Personen, die rasch mit Quaddelbildung schon
auf geringfügige mechanische Reize hin reagieren, ebenso wie auf
chemische. Vielleicht sind es zum Teil auch diejenigen, die besonders
heftige Ueberempfindlichkeitsreaktionen zeigen, die auf Einverleibung
artfremden Eiweisses mit mehr oder minder heftigen Erscheinungen
antworten, zu Bronchialasthma oder Oedem disponiert sind. Gerade
beim Asthma sind die Beziehungen zwischen innerer Erkrankung und
Haut wohl bekannt. Sie beruhen beide auf einer gemeinsamen neuro-
pathisch-arthritischen Grundlage, welche auch die auslösenden Momente
sein mögen.
Die erhöhte Reizbarkeit der Haut gegenüber chemischen Einflüssen
tritt auch bei einem anderen Zustande, der exsudativen Diathese zutage.
Durch systematische Untersuchung ist festgestellt worden, dass die
Reaktion bei Betupfung der Haut mit 8—lOproz. Karbolsäure hier eine
wesentlich intensivere ist, als bei völlig Gesunden und bei erst¬
genannten auch die Grenze der* zu einer Rötung der Haut nötigen
Konzentration erheblich tiefer liegt als bei diesen. Die erhöhte Nei¬
gung der Haut zu Ekzemen deutet ebenso wie das genannte Experiment
auf eine mangelnde Widerstandskraft hin.
Von Veränderungen der Hautgefässe beanspruchen noch einige lokali¬
sierte Erscheinungen unsere Aufmerksamkeit, hauptsächlich aus dem Grunde,
da ihnen vielfach mehr Bedeutung zugelcgt wird, als sie tatsächlich verdienen.
Die punktförmigen, etwas erhabenen Teleangiektasien wurden schon oben
genannt. Die grossen, flächenhaften, sehr entstellenden Gefässerweiterungen
kommen gerne bei pigmentarmen Menschen vor, häufig auch zusammen mit
psychischen Eigentümlichkeiten. Eine besondere Labilität des Qefässsystems
braucht dabei nicht vorhanden zu sein.
Erweiterung der Gesichtskapillaren ist bei zunehmendem Alter fast allge¬
mein, vorzugsweise bei Männern mit Anzeichen einer starken Füllung des
•Gefässsystems, apoplektischem Habitus, Asthmatikern, Alkoholikern. Der
Kranz erweiterter Kapillaren, der bei manchen Menschen vom Brustwinkel
bis zur Achsellinie oder auch in kürzerer Ausdehnung mit einer nach unten
konkaven Linie oder auch wellenförmig verläuft, hat mehrfache Deutung er¬
fahren. Er findet sich am häufigsten bei der letztgenannten Klasse von
Menschen, gelegentlich auch sonst einmal. Sahli nimmt an, dass es infolge
der bei der Atmung sich ändernden Druckverhältnisse zu einer Formverände¬
rung der Thoraxwand komme, die einerseits zu einem Einsinken der unteren
Zwischenrippenräumc führe, andererseits zu dem bekannten Litten sehen
Zwerchfellphänomen; indem die oberflächlichen Venen der inspiratorisch ein¬
sinkenden Teile durch den äusseren Luftdrucck komprimiert würden, käme es
zu einer rhythmischen Hemmung des Venenblutstromes. Für hustende Per¬
sonen falle noch in Betracht, dass die subplcuralen und subperitonealeo
Venen der Bauchwand unter positiven Druck gesetzt und die Hautvenen
damit gestaut würden. Abnorme Dehnbarkeit der Hautgefässe wirkt hierbei
vielleicht mit. Ueber Vermutungen zur Erklärung dieser Erscheinung wird
man vorläufig nicht hinauskommen. Eine tiefere Bedeutung kommt ihr
nicht zu, ausser dass wir sie nur bei ganz bestimmten Menschen vorfinden.
Auch mit arterieller Blutdruckerhöhung haben sie nichts zu tun.
Sehr verschieden ist das Verhalten der Hautvenen. Im allgemeinen treten
sie bei Männern erheblich mehr hervor wie bei Frauen, doch hängt auch ihr
Verhalten weitgehend von der Konstitution ab. Bei Menschen mit starkem
Fettpolster sind sie sehr viel mehr in dieses eingelagert. Sie schimmern
dann häufig nur als bläuliche Streifen besonders bei blasser Haut durch.
Man sieht sie also in dieser Form besonders leicht bei Menschen, an denen
wir auch Zeichen des Hypothyreoidismus, Hypop^enitalismus sowie (auf dieser
Basis bestehenden?) Arthritismus vorfinden, gleichzeitig mit weicher und
kühler, wenig zu Schweissbildunk neigender Haut. Die Varizenbildung da¬
gegen ist in hohem Masse den Asthenikern eigen, die Schwäche äussert sich
eben auch hierin.
■ Hier ist noch auf eine andere, zum mindesten etwas abweichende
Erscheinung hinzuweisen, die jedem Arzte schon aufgefallen sein
wird, nämlich leichtes Bluten der Hautgefässe bei Insulten, die Neigung
zu blauen Flecken. Zuweilen ereignet sich schon bei der Erhebung des
Nervenstatiis, dass man ein oder zwei Tage darauf den Patienten mit
blauen Flecken besetzt findet; manchmal kann schon ein etwas kräftiger
Schlag des Perkussionshammers den Anlass dazu geben. Häufig klagen
die Patienten auch sehr darüber, dass sie sich bei jedem Anstossen
blaue Flecke holen, und dass das jedesmal furchtbar wehe tue. während
andere bei der gleichen Gelegenheit weder äussere Erscheinungen
noch Schmerzen davontragen. Auch hier sehen wir. dass es sich um
die letztgenannten Gruppen von Menschen haridelt. Fast immer sind
Anzeichen nervöser Uebererregbarkeit, von Hypothyreoidismus und
Hypogenitalismus vorhanden, meist etwas vermehrter Fettansatz und.
was noch mehr auffällt, eine straffere Bindung zwischen der Kutis
und dem darunterliegenden Fettgewebe. Es ist nicht möglich, die Haut
in einer dünnen Falte abzuheben. Zweifellos liegen hier erhebliche Ver¬
schiedenheiten im anatomischen Bau der Haut vor, die den Druck auf
die Nervenendigungen als besonders schmerzhaft empfinden lassen:
vielleicht ist es auch eine ungewöhnlich starke Anspruebsfähigkeit der
Nervenendigungen selbst —
Fährt man mit der flachen Hand über die Haut eines Körperteiles,
so wird man ausserordentliche Unterschiede in der Feinheit gewahren.
Sehen wir von der grösseren Weichheit der weiblichen Haut und
der ihr gleichenden Kinderhaut ab und ebenso von ausgesprochen krank¬
hafter Verhornung der Haut nebst ihren Drüsenausführimgsgängen
(Ichthyosis), so werden wir immer noch Unterschiede fühlen: einmal
rauhe Haut, besonders stark am Ellenbogen und Knie ausgeprägt, ge¬
legentlich auch an den Extremitäten, sowie eine abnorm feine Be¬
deckung, die sich ähnlich wie die Negerhaut anfühlt. Beide Zustände
sind zweifellos konstitutioneller Natur und stehen mit dem Verhalten
Original frorri
UNfVERSITV OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
801
innerer Drüsen in Zusammenhang. Unterfunktion der Schilddrüse führt
zu gewisser Trockenheit und Rauheit der Haut; dies sehen wir am
ausgeprägtesten beim Myxödem. Häufig sind neuropathische Per¬
sonen ihre Träger, bei denen wir andererseits auch auffallend weiche
Haut finden, häufiger bei brünetten wie bei blonden. Besonders sinn¬
fällig ist ihr Vorkommen bei Asthmatikern und Basedowkranken, doch
wird dessen nur selten gedacht. Auch bei Männern mit femininem und
Frauen mit hypogenitalem Habitus trifft man sie. Meistens ist der
Flaumhaarbesatz einer solchen Haut sehr gering.
Durchfeuchtung und Durchblutung der Haut sind eben¬
falls weitgehend von der Konstitution abhängig. Zuweilen, aber nicht
immer, stehen sie in einer gewissen Gegensätzlichkeit. Was die Tätig¬
keit der Schweissdrüsen betrifft, so ist zunächst der grosse Unter¬
schied auf die Einverleibung schweisstreibender Mittel (Pilokarpin,
Bauer), körperliche Arbeit und psychische Einflüsse bekannt. Be¬
sonders nervöse Menschen mit labilem (jefässsystem, vor allem hyper-
thyreoide, zuweilen auch Astheniker, schwitzen leicht. Die extremsten
Fälle finden wir bei Basedow. Auch das leichte Schwitzen der Rekon¬
valeszenten ist bekannt, kurz wir finden vermehrte Schweisssekretion
bei allen Sympathikotonikern und wir werden regelmässig auch andere
Anzeichen dieses Zustandes antreffen. Bemerkt muss aber werden,
dass der Grad der Blutversorgung der Haut nicht dafür massgebend ist.
Durch Abbinden ganzer Gefässbezirke ist das nachzuweisen, wie auch
klinisch Schweissabsonderung bei Blutleere bekannt ist (kalter Schweiss
bei Angst oder in der Agone). Hierher gehören auch Menschen mit
dauernder Schweissabsonderung und Kühle der äussersten Extremitäten,
die sich bei jeder Erregung steigert, meist Hyperthyreoide. Ob die
starke Schweissabsonderung bei Plattfüssen und Varizen auf der glei¬
chen Ursache beruht, erscheint nicht sicher. Beide Zustände finden
wir nicht selten bei Menschen mit einseitiger Erschlaffung des ge¬
samten Bandapparates, Asthenikern, aber auch sonst bei völlig nor¬
mal erscheinenden Individuen.
Der umgekehrte Zustand, mangelhafte Schweisssekretion, ist als
Zeichen der Unterfunktion der Schilddrüse allen geläufig. Beobach¬
tungen über die hemmende Wirkung des Adrenalins auf die Schweiss¬
sekretion lassen im besonderen noch auf eine Mitwirkung des chrom¬
affinen Systems schliessen. Zuweilen beobachten wir verhältnismässig
geringe Schweissekretion auch bei fettreichen- Menschen mit hypo-
thyreoidem oder hypogenitalem Charakter, im Gegensatz zu der be¬
kannten starken Schweissabsonderung dicker Menschen mit apoplek-
tischem Habitus, die in erster Linie allerdings auf körperliche An¬
strengungen mit einer Mehrsekretion reagieren, weniger auf psychische
Erregungen.
Auch die Durchfettung der Haut ist sehr verschieden; sie
hängt mit ihrem Ernährungszustände wesentlich zusammen. Das sehen
wir bei Hyperthyreoiden, wie auch bei schweren erschöpfenden Krank¬
heiten. Sehr häufig ist dieser Zustand verbunden mit der Bildung sog.
Komedonen, Verstopfung der Talgdrüsenausführungsgänge. Individuelle
und zeitliche Dispositionen spielen hier gleichfalls eine Rolle, letztere
besonders im Entwicklungsalter bei Knaben und Mädchen (beim weib¬
lichen Geschlecht später auch während der Menstruation), während das
Kindesalter unbeteiligt ist. Fast ausnahmslos finden wir sie bei dunkler
pigmentierten, nervösen Individuen mit feinen, abnorm gestellten
Haaren, verstärktem Sexualdrang, nicht selten verbunden mit ver¬
mehrter Schweissabsonderung. In engem Zusammenhang steht damit
die Neigung zu Akne, Furunkulose und Ekzem. Zuweilen findet sich
auch gleichzeitig Ueberempfindlichkeit gegen von aussen kommende
Hautreize, wie parenteraler Eiweisszufuhr. —
Auf das Fettpolster ist schon von jeher besonderer Wert ge¬
legt worden, da man einen gewissen Fettreichtum mit guter Gesund¬
heit identifiziert, bis zu einem gewissen Grade auch mit Recht. Natür¬
lich gibt es, man möchte fast sagen in der Ueberzahl. Abweichungen
nach jeder Seite, die nicht als krankhaft bezeichnet werden können,
aber doch ein Hinweis auf eine Mehr- oder Minderfunktion der inner¬
sekretorischen Drüsen sind. So ist auch der Fettreichtum mit in erster
Linie ein Gradmesser der Konstitution geworden. In der klassischen
Kunst, in der Plastik sehr viel mehr wie in der Malerei, da bei ersterer
die Wirkung der Farbe ganz hinwegfällt, sehen wir ein Fettpolster
dargestellt, wie wir es für den gesunden Menschen beider Geschlech¬
ter voraussetzen müssen, nicht mehr und nicht weniger. Die Praxis
zeigt uns Abweichungen jeder Art, so ein gewisses Zurückbleiben bei
Asthenikern, bei nervösen, stark sexuell veranlagten Individuen, bei
einem Typ, der fast nie an Sklerosis des Gefässsystems mit ihren ver¬
schiedenen Erscheinungen, Gicht, Diabetes erkrankt; ferner bei einem
gewissen Teil der zu Tuberkulose disponierten Individuen. Bei dem
anderen Teil ist im Gegensatz das Fettpolster verhältnismässig sehr
stark ausgeprägt. Es handelt sich mehr um lymphatische und hyper¬
thyreoide Individuen.
Die Abhängigkeit des Fettansatzes von der Funktion der Schild¬
drüse, der Hypophyse, den Keimdrüsen sowie wahrscheinlich auch von
der Thymus ist bekannt. Bei den fettreichen Individuen können wir
nach dem Anblick zwei Klassen unterscheiden, einmal solche mit nor¬
mal gefärbter gut durchbluteter Haut, oft gerötetem Gesicht bis zum aus¬
gesprochen apoplektischen Habitus, und dann die blassen mit heller
Haut, oft durchscheinenden Hautvenen, femininem Haaransatz, zuweilen
mangelhaft entwickelten Terminalhaaren. Bei diesen letzteren tritt
auch besonders die träubchenförmige Anordnung des subkutanen Fett¬
polsters, die straffe Verbindung mit der Oberhaut, sowie die starke
Schmerzempfindlichkeit hervor. Bei ihnen ist die Annahme einer Dys¬
funktion der genannten Drüsen leichter als bei den anderen, an denen
wir Abweichendes sonst nicht finden können. Rheumatische Beschwer¬
den sind beiden eigentümlich, ebenso häufig eine starke nervöse Kom¬
ponente, wiewohl letztere auch häufig fehlen kann und ein gewisser
Fettreichtum uns eher einen ruhigen Menschen annehmen lässt.
Auf die mehr oder weniger gut abgegrenzten lokalen Fettablage¬
rungen, sowie die scharf umschriebenen knötchenförmigen Fibrolipomc
der Haut soll hier nicht näher eingegangen werden, da sie schon mehr
zu den krankhaften Zuständen rechnen. Es soll hier nur erwähnt
werden, dass das Auftreten, zumal der letzteren, ausserordentlich häufig
bei Personen der arthritischen und neuropathischen Familie fest¬
zustellen ist.
Während beim Manne mehr die Ausbildung der Muskulatur,
beim Weibe dagegen sehr viel mehr die Umhüllung, das Fettpolster, die
äussere Erscheinung beeinflusst, sehen wir ganz gelegentlich auch
einmal Frauen mit ausgesprochenem virilen Typ der äusseren Kon¬
turen, ohne dass im übrigen Abweichungen der Hautbedeckung wie der
gesamten Konstitution vorhanden zu sein brauchen. Zuweilen treffen
wir aber auch auf virile Charakterzüge.
Auf die einzelnen Erscheinungen der Haut bei allen Erkrankungen
innerer Organe einzugehen, war hier, wie bereits eingangs betont
wurde, nicht in meiner Absicht, wiewohl sich noch manche Zusammen¬
hänge auf konstitutioneller Basis ergeben hätten. Es lag mir vielmehr
daran, wenigstens in Umrissen vom Standpunkt des Internisten aus
die vielfachen zum Teil an und für sich unbedeutenden Erscheinungen
auf der Haut in Beziehung zu der Gesamtkonstitution zu bringen und
darauf aufmerksam zu machen, wie sehr wir die genaue Betrachtung
der Haut als Hilfsmittel für die Erkennung vieler vom Normalen ab¬
weichender körperlicher und psychischer Erscheinungen verwerten
können. Wir werden dann auch manche ausgesprochene Erkrankung
der Haut sehr viel besser verstehen lernen und sehen, dass sie nicht
als lokalisierte Schädigung aufzufassen ist, sondern lediglich als ein
Symptom eines den ganzen Organismus betreffenden krankhaften oder
wenigsten vom Durchschnitte abweichenden Zustandes. Auf der
anderen Seite ist jüngst auch wieder von massgebender Seite darauf
hingewiesen worden, von welcher Bedeutung die Funktion der Haut,
ganz abgesehen von ihrer Wichtigkeit als Organ für Wasserabgabc
und Wärmeregulation, für die Gesundheit des Menschen ist. Sollte ihre
angenommene Fähigkeit, dem Körper innere Stoffe abzugeben, zur
Gewissheit werden, so würde ihre Tätigkeit in eine Parallele mit der
innerer Organe zu setzen sein. Um so mehr lohnt sich ihre genaue
Beachtung, nicht nur vom theoretischen sondern auch vom praktischen
Standpunkte aus.
Aus der Hautklinik Jena.
Wertigkeitsbestiminungen der Kurmethoden bei Syphiiis.
Von B. Spiethoff.
Ueber ein Jahrzehnt wird moderne Syphilistherapie getrieben, und
noch fehlt in den wichtigsten Grundfragen die Klärung. Unentschieden
ist der Wert der einzelnen Salvarsanpräparate, besonders die vielfach
behauptete Ueberlegenheit des Altsalvarsan gegen das Neusalvarsan.
Auseinandergehen die Ansichten bei der Grundanlage der Behandlung:
die einen sind Anhänger der chronisch intermittierenden Kuren ge¬
blieben, andere vertreten wieder das symptomatische Verfahren, da¬
bei meist Anhänger eines abortiven Heilversuchs in jedem Stadium
durch grosse Kur. Die Meinungen über den Wert des Quecksilbers bei
Salvarsanbehandlung weichen erheblich voneinander ab: die einen spre¬
chen der gleichzeitigen Anwendung beider Mittel das Wort, andere
verwerfen jeglichen Hg-Gebrauch neben Salvarsan, andere wieder die
simultanen Kuren, während sie das Nacheinander zulassen. Trostlos er¬
scheint die Dosierungsfrage: die erste Salvarsangabe, die Einzelhöclist-
dosis sind vielumstrittene Gebiete, die die Gemüter besonders erhitzen,
ja den Kampf fast auf das Politische übergeleitet haben. Zu welchen
Irrungen gerade diese Frage geführt hat, beweist das Geschrei nach
einer gesetzlichen Höchstdosis. — Wenn man nach den Gründen sucht,
warum die Meinungen selbst in prinzipiellen Punkten noch immer weit
auseinandergehen, ja die Autoren verständnislos aneinander vorbei¬
sprechen — und schreiben, so wird man wenigstens teilweise die nicht
genügend methodische Bearbeitung des klinischen Materials und als
deren Folge die mangelhafte Uebersicht und fehlende Vergleichsmöglich-
keit der verschiedenen Behandlungsarten dafür verantwortlich machen
können.
Um mir Rechenschaft über die Erfolge meiner in den letzten
11 Jahren angewendeten Kurmethoden abzulegen, die recht erheblich
untereinander abweichen, suchte ich nach einer Formel, die einen leich¬
ten Vergleich der Wertigkeit verschiedener Kuren zulässt. Ich gehe
von der Grösse „therapeutische Einheit“ aus. stelle fest,
wieviel th. E. durchschnittliche auf die einzelne Kurmethode fallen, und
setze diese th. E. zu den Erfolgen in Vergleich. Zur Vereinfachung
führe ich die th. E. auf die Th. Grundeinheit zurück. Diese gewinne
ich, indem ich die bei der erfolgreichsten Methode im seronegativen
ersten Stadium aufgewendeten th. E. gleich 1 Th. E. setze. Die th. E.
umfasst folgende Werte: Salvarsan in Gramm (das Neosalvarsan gebe
ich nach seinem Altsalvarsangehalte an), das Quecksilber in Gramm,
die Zahl der Salvarsan- und Hg-Einzelgaben, die Kurzeit. Die sehr
verschiedene Anwendungsmöglichkeit des Hg — Inunktionen, Injek¬
tionen, die verschiedenen Gmppen der Injektionsmittel usw. — er¬
fordert eine gewisse schematische Vereinfachung. Ich habe sie so vor-
genommen, dass ich auf 0,1 g Hg 1 Spritze rechne, auch wenn tat¬
sächlich die Menge von 0,1 Hg auf mehrere Spritzen verteilt wird. Bei
Digitized by Goüsle
Original from
UNtVERSiTY OF CALIFORNtA
802
MÜNCHE NER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der Sclimicrkur habe ich willkürlich 1 Tour = 1 Spritze und 1 Woche
gesetzt. Die Kurzeit auf Wochen berechnet musste mit einbezoKcn
werden, weil der ökonomische Wert der Methode z. T. auch von der*
Kurzeit abhängt, insofern eine simultane Salvarsan-Hg-Kur wirtschaft¬
licher wäre als eine sukzedane unter der Voraussetzung gleicher Er¬
folge. Als Kurzeit wird nur die aktive Kurzeit gebucht, nicht ein¬
gerechnet etvva eine Pause von 2—3 Wochen derselben Kur (passive
Kurzeit). Eine derartige Behandlung wird zur Zeit weniger geübt, die
Salvarsantherapeuten werden sich aber aus den Anfängen der Sal-
varsanära noch einer Methode von I v e r s e n erinnern, die solche Pau¬
sen einschob.
In einem ähnlichen Gedankengang bewegt sich eine Arbeit von
Brandt und M r a s über die Beurteilung therapeutischer Massnahmen
bei Lues (Derm. Wschr. 1921, Nr. 3). Die dort vorgeschlagene Formel
basiert auf anderen Grössen wie die meine. Eine wichtige Rolle spielt
bei Brandt und M r a s ein Gefahrenindex. Die Nebenerscheinungen
und andere ungünstige Folgen sind von mir in der Formel nicht be¬
rücksichtigt. Sie sind natürlich auch wichtig, da über die Brauchbarkeit
einer Kur nicht allein der Erfolg und die Oekonomie, sondern auch
die Gefahrquote entscheidet. Es ist ein leichtes, die Arten der
Nebenerscheinungen und ungünstigen Folgen ieder Kurmethode beson¬
ders prozentual anzugeben und so das Bild der therapeutischen Wertig¬
keit durch Rücksicht auf die praktische Verwertbarkeit zu ergänzen.
Nach meinen Erfahrungen soll man nicht ohne weiteres jede Neben¬
erscheinung der Kurmethode selbst zur Last legen; man muss an die
Möglichkeit denken, dass akzidentelle, zeitlich bedingte, von der Me¬
thode selbst nicht abhängige Momente für die Nebenerscheinungen ver¬
antwortlich werden können. Es liegt in der Art dieser Umstände, dass
ihre wahre Natur oft nicht gleich zu erkennen ist. Ich verweise an
dieser Stelle auf meine Arbeit über einen hepatotropen und neuro-
tropen Fehler bei der Salvarsanbehandlung (B.kl.W. 1921, Nr. 1).
Die bei seronegativer und unter der Behandlung seronegativ
bleibender Primärlues bei 100 Proz. Erfolgen aufgewendeten th. E.
betragen 12,4; diese Zahl wird gleich 1 Th. E. gesetzt, also 12,4 th. E.
== 1 Th. E. Einen Erfolg buche ich, wenn 5 Monate nach Beendigung
der Kur weder ein klinischer noch ein serologischer Rückfall eingetreten
ist. Diese Grösse „Erfolg“ hat also nichts mit Heilung zu tun. Unter
heuristischen Gesichtspunkten erwies sich diese Grenze als nötig, um
das Material zahlenmässig nicht zu klein werden zu lassen, praktisch
auch insofern einigermassen berechtigt, als die Serorezidive meist nach
2—3 Monaten, erheblich weniger nach 5 Monaten auftreten. Der Be¬
rechnung th. E. wird der Durchschnitt aller bei einer bestimmten Kur¬
anordnung aufgewendeten Th. E. geteilt durch die Zahl der Fälle
zugrunde gelegt. Keine Kuranordnung stellt ein starres System dar,
sondern — wenn ich so sagen darf — ein halbstarres, indem sie um
einen festen Grundstock Bewegungen nach oben und unten, den Er¬
fordernissen des Falles angepasst, zulässt
Zur Veranschaulichung diene ein Berechnungsschema: Kuranord¬
nung Salvarsan, Hg, Salvarsan, sukzedan, einschieichende Salvarsan-
dosen 0,1, 0,2, 0,3, 0,5 usw., im ganzen 10 X 0,5 5,6 g Salvarsan auf
13 Spritzen; 1,0 g Hg auf 10 Merkuriolölinjektionen ä 0,1 g Hg; 3 g
Salvarsan auf 6 Injektionen. Jede Woche 1 Injektion, also 28 Wochen:
5.6 g Salvarsan + 13,0 Salvarsaninjektionen + 1,0 Hg + 10 Hg-
Injektionen -f- 3 g Salvarsan + 6 Salvarsaninjektionen + 28 Wochen
66.6 th. E. bei 50 Proz. Erfolgen. 12,4 th. E. = 1 Th. E., demnach
66.6 th. E. — 5,4 Th. E., also 5,4 Th. E. bei 50 Proz. Erfolgen, auf
1 Th. E. entfallen 9,5 Proz. Erfolge.
Das Ergebnis meiner verschiedenen Kuranordnuiigen war:
I. Salvarsan allein, n) Grosse Anfangsdosis:
Lues I. WaR. 0 und unter der Kur 0 bleibend; durch¬
schnittlich 2,8 g Neosalvarsan. Durchschnittsbeobachtung 35 Monate.
12,4 th. E. bei 100 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 100 Proz. Erfolge.
Lues I. WaR. +; durchschnittlich 3.3g Neosalvarsan, Durchschnitts-
bcobachtung 19 Monate.
17.3 th. E. bei 90 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 64 Proz. Erfolge.
b) Kleine Anfangsdosis (einschleichende Dosen);
Lucs I. WaR. Ound untcrderKurObleibend; durchschnitt¬
lich 3,64 g Neosalvarsan. Durchschnittsbeobachtung 15 Monate.
20.64 th. E. bei 82 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 48 Proz. Erfolge.
Lues I. WaR. +; durchschnittlich 6.3 g Neosalvarsan. Durchschnitts-
bcob:ichUing 25 Monate.
35.3 th. E. bei 86 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 30,7 Proz. Ei folge.
Lucs II mit allgemeinem Exanthem; durchschnittlich 7.4 g
Neosalvarsan. Durchschnittsbeobachtung 14 Monate.
44 th, E. bei 37 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 10,6 Proz, Erfolge.
Lues II mit lokalisierten Erscheinungen; durchschnittlich
6 g Neosalvarsan. Durchschnittsbeobachtung 26 Monate.
41 th. E. bei 37 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 11,2 Proz. Erfolge.
II. Salvarsan — Hg simultan mit grosser Anfangsdosis.
Lues II mit allgemeinem Exanthem; durchschnittlich 5.0 g
Neosalvarsan und 0,9 g Hg. Durchschnittsbeobachtung 26 Monate.
29.7 th. E. bei 50 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 21,7 Proz. Erfolge.
1. u e s II mit lokalisierten Erscheinungen; durchschnitt¬
lich 5.0 g Neosalvarsan und 1 g Hg, Durchschnittsbeobachtung 14 Monate.
34,9 th. E. bei 50 Proz, Erfolgen; auf 1 Th. E. 17,8 Proz. Erfolge.
III. Salvarsan — Hg — Salvarsan sukzedan, kleine Anfangs¬
dosis — einschleichend.
Lues II mit allgemeinem Exanthem; durchschnittlich 8.7 g
Neosalvarsan und 1.0 g Hg. Durchschnittsbeobachtung 24 Monate.
71.4 th. E. bei 46 Proz. Erfolgen; auf l Th. E. 8 Proz. Erfolge,
Lues II mit lokalisierten Erscheinungen; durchschnitt¬
lich 10,0 g Neosalvarsan und 1.1 g Hg. Dnrch‘:‘'hnittsbcob'tchtimg 24 Monate.
83,8 th. E. bei 62.8 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 9,2 Proz. Erfolge.
IV. Hg — Salvarsan — Hg sukzedan, einschleichendc Sal-
varsandosen.
Lues II mit allgemeinem Exanthem; durchschnittlich 7,0 g
Neosalvarsan und 1.1 g Hg. Durchschnittsbeobachtung 25 Monate.
86,6 th. E. bei 43 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 6,2 Proz. Erfolge.
Lues II mit lokalisierten Erscheinungen; durchschnitt-
i lieh 7 g Neosalvarsan und 1.8 g Hg. Durchschnittsbeobachtung 32 Monate.
91 th. E. bei 33 Proz. Erfolgen; auf 1 Th. E. 4,5 Proz. Erfolge.
Die Zahlen bedürfen im allgemeinen keiner Erläuterung. Nur
einige Punkte will ich kurz hervorheben: Der grosse Vorteil der
ersten grossen Salvarsandosis geht deutlich hervor. ’Oekono-
misch am besten schneidet Kur II ab. Die Verfechter der simultanen
Salvarsan-Hg-Behandlung werden darin eine Bestätigung ihrer Ansicht
erblicken. Ausgemacht ist dies für mich noch nicht; in Kur II steclt
der grosse therapeutische Faktor: erste hohe Dosis. Ein gleichsinniger
Unterschied in den Erfolgen bei Lues II mit allgemeinem Exanthem
und lokalisierten Erscheinungen besteht bei den einzelnen Kuren nicht.
Er würde vielleicht hervortreten, wenn innerhalb jeder Gruppe die Fälle
mehr differenziert würden. Dies soll die Aufgabe weiterer Unter¬
suchungen sein.
Aus dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten zu
Hamburg. (Direktor; Obermedizinalrat Prof. Dr. N o c h t.)
Ueber Behandlungsversuche der chronischen Amoeben-
rühr mit Yatren.
’ Von P. Mühle ns und W. Menk in Hamburg.
Eine wahre Crux für jeden Tropenarzt bilden manche Fälle von
chronischer Amöbenruhr, die allen Behandlungsversuchen trotzen und bei
denen eine sichere Heilung ausgeschlossen scheint Zu
den Stammgästen unseres Institutes zählen Patienten, die seit einem
Jahrzehnt und länger wiederholt mit hartnäckigsten Ruhrrezidiven «n
Behandlung kamen *). Viele von ihnen konnten nach den verschieden¬
artigsten langwierigen Behandlungsversuchen (Emetin, Bolus alba, Sima-
ruba + Cortex granati-Mazeration, Einläufe mit Bolus alba, Argent. nitric..
Tannin, Chinin, Uzara u. a. m.) im günstigsten Falle nur „als vorläufig
gebessert“ entlassen werden. Insbesondere schien uns in solchen Fällen
die sicheredauerhde Vernichtung der als Krankheits-
ursacheangesehenenEntamoebahistoIyticaund ihrer
Zysten mit keinem der bekannten Mittel erreichbar.
Selbst das in vielen akuten und manchen chronischen Fällen als Spe¬
zifikum angesehene Emetin brachte oft nur ein vorübergehendes Ver¬
schwinden der Amöben aus den Entleerungen und der subjektiven
klinischen Erscheinungen zustande, während der rektoskopische Befund
(Ulzerationen) häufig sich wenig änderte. Solche sich über Jahre, selbst
manchmal Jahrzehnte hinziehenden chronischen geschwürigen Dickdarm¬
erkrankungen mit ihren vielen subjektiven Beschwerden machen
schliesslich die Patienten anämisch, „mürbe“, und in höchstem Grade
neurasthenisch. Hinzu kommt noch die Gefahr sekundärer Leber¬
erkrankungen.
Die seit Beendigung des Krieges aus den verschiedensten tropischen
und subtropischen Ländern im Hamburger Institut zur Behandlung ge¬
kommenen Ruhrfälle veranlassten uns zu erneuten Versuchen einer
direkten lokalen Vernichtung der Amöben. Dabei
suchten w Ir nach einem Mittel mit ausgesprochener Tiefen wirkung.
um die Amöben insbesondere in den tieferen Schichten der Darmwand
selbst erreichen und vernichten zu können. Viele Ver.suche, so u. a. Ein¬
läufe mit Arg. nitr., Jodtincturlösungen und Chinosol waren vergebens.
In Fällen, in denen als „ultima ratio“ die Appendikostomie bzw. ZoeWe-
stomie gemacht worden war. vermochten tägliche Spülungen von der
Fistel aus zwar eine Besserung, aber keine Heilung herbeizuführen.
Seit Januar 1921 begannen wir alsdann Versuche mit dem vom
Westlaboratorium. Hamburg, uns auf Anfordern freundlichst zur Ver¬
fügung gestellten Yatren (5 Jod — 8 Oxychinolin — 7 sulfosaures
Natrium). Dem Präparat w'urde eine ausgesprochene bakteri¬
zide Wirkung ohne Gewebsschädigung, verbunden mit
Zellaktivierung, zugeschrieben.
Die ersten Behandlungsversuche mit Yatren machten w ir an
2 Fällen mit hartnäckigster Amöbenruhr. Beide waren
in Niederländisch-Indien im Jahre 1915 bzw. 1919 zum ersten Male an
Ruhr erkrankt. Bei beiden Kranken hatten wir nach Fehlschlagen
monatelanger intensiver Behandlungsversuche (auch Emetin), und weil
die Prognose immer schlechter wurde — zunächst einen Versuch
der operativen Behandlung (Zoekostomie bzw. Appendiko¬
stomie) mit folgenden Darm Spülungen vom Zoekum aus ge¬
macht. Der Erfolg w’ar anfangs ein guter insofern, als bald eine wesent¬
liche Besserung des Allgemeinbefindens eintrat und auch solange anhiclt.
als die Darmspülungen — monatelang — fortgesetzt wurden. Beim
Aussetzen der Spülungen traten jedoch alsbald wieder blutig-schleimige
Durchfälle auf. Rektoskopisch konnte festgestellt werden, dass die
Geschwüre trotz monatelanger Spülbehandlung nicht geheilt waren:
’) Vur'.:!. M. Mayer: Arch. f. Schiffs- u. Trop.-Hyg, 23. 1919. 177.
und P. M fi h I c n s: D.m.W. 1920 Nr. 23/24.
Digitized b)
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf.;
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WQCHENSCHRiET.
803
auch die Amöben traten immer wieder auf und reagierten selbst nicht
mehr auf hohe Emetingaben. — Bei beiden Kranken trat dagegen un¬
mittelbar nach Yatrenanwendung eine schnelle
klinische örtliche (rektale), parasitolngische vor¬
läufige „Heilung“ ein. Zur Erläuterung kurz eine Kranken¬
geschichte:
Patient S t r. erkrankte in Niederländisch-lndicn zuerst im Jahre 1915.
dann schwer in den Jahren 1917/18 an Ruhr. Seitdem viele Rückfälle und
fast dauernd Beschwerden. Wiederholte Behandlung, so von November 1919
bis Februar 1920 im Eppendorfer Krankenhaus; seitdem dauernd in Privat-
behandlung.
Am 16. VI. 20 Aufnahme im Tropeninstitut: Täglich 10—15 blutig¬
schleimige Stühle. Tenesmen, Lcibschnierzen. Amöben ++. Rektoskopiscli
mehrere Geschwüre. 7—15 cm oberhalb des Sphinkter deutlich nachweisbar.
26. VI. Bis heute kein wesentlicher Erfolg von Emetin. Sim:\riib:i.
Uzara, Bolus- und Tannineinläufen. 2 kg Gewichtsabnahme. Täglich 12 bis
15 Stühle. Amöben +.
2. VII. Weitere Verschlechterung des Allgemeinbefindens. Daher
Zoekostomie (Oberarzt R o t h f u c h s). — Seit 16. \TI. tägliche Spülungen
mit Argent. nitricum-Lösungen ('{• protn.) vom Zoekum aus mit nachfolgender
Kochsalzspüluni^
25. IX. Zunächst guter Erfolg. 10 kg Gewichtszunahme seit Operation.
Jedoch traten nach fast einmonatigem Verschwinden die Amöben zeitweise
wieder auf, insbesondere bei zeitweiligem Unterlassen der Spülungen.
18. XI. Nach Aussetzen der Darmspülungen wieder blutig-schleimige
Stühle. Allgemeinbefinden schlechter. Gewichtsabnahme.
7. I. 21. Auch nach erneuten Spülungen, u. a. mit Chinosol .sowie Uzara¬
behandlung kein w'esentlicher Fortschritt. Erneuter Emetinversuch ebenfalls
ohne Erfolg.
27. I. Allgemeinbefinden weiter verschlechtert. Erhebliche neur-
asthenische Allgemeinerscheinungen. Beginn mit Y a t r e n b e h a n d -
1 u n g nach jedesmaliger vorheriger Darmreinigung vom Zoekum aus.
(Dosierung siehe später.)
12. II. Wesentliche Besserung des subjektiven Bebndens. Der neur-
asthenische Patient ist seit Yatrenbehandlung psychisch wie u m -
gewandelt, da alle Beschwerden schnell nachgelassen haben. Blut
und Schleim waren bald nach Beginn der Behandlung
verschwunden: ebenso die Amöben vom 4. Tage an;
selbst nach Provokation mit Karlsbader Salz waren keine Amöben mehr fest¬
zustellen. Täglich l—2 normale Entleerungen. Die früher rektoskopisch
stets nachweisbaren Geschw'üre sind ab geheilt.
2. III. Nach weiterer subjektiver Besserung konnten die Yatren-
spülungen abgesetzt werden und die Operationshstel schloss sich von selbst.
Volle Kost wird vertragen. Normale Stuhlentleerungen. — Am 11. III. zur
Abstimmung nach Oljerschlesien entlassen.
25. IV. Patient stellt sich als „gesund“ vor. Er hat in Oberschlesien
eine Influenza-Lungenentzündung (ohne Dysenterierückfall) gut überstanden.
Seit 14 Tagen tut er ohne Beschwerden als Heizer an Bord Dienst. Darm¬
beschwerden sind bisher nicht wieder aufgetreten. Keine Amöbeiv seit
30. I. 21 mehr nachgewiesen.
Jn dem zweiten, seit 1919 bestehenden Falle, der seit Ende
Dezember 1919 bei uns in Behandlung war. wurde erst Ende Juli 1920 nach
wiederholten Rückfällen das Einverständnis zur Operation erteilt. Der Erfolg
der am 7. VIII. 20 ausgeführten A n p e n d i k o s t o m i e ((Jberarzt
Oehlecker) und der folgenden monatelangen Spülbehandlung
vom Appendix aus war ein ähnlicher wie beim Patienten Str.: Zunächst
wesentliche Allgemeinbesscrung und Gewichtszunahme: Amöben aber nur
zeitweilig verschw'unden: Geschwüre nicht geheilt; nach Aussetzen der
Darmspülungen erneutes Auft''eten von blutig-schleimigen Stühlen mit
Amöben. — Nach Yatrenbehandlung (.seit 27. I. 21) wie im ersten
Falle zunächst ähnliches Resultat: schnelles Ab heilen der rekto¬
skopisch nachweisbaren Geschwüre. Am ö h c n nur noch
einmal — 3 Wochen nach Beginn der Yatrenbehandlung — nach Pro¬
vokation mit Karlsbader Salz nachgewiesen. Seit Anfang März Aufhören
mit Yatreneinläufen; täglich 1 normale Entleerung. — Anfangs Mai nach
operativem Fistelverschluss wiederum schleimigblutige Entleerungen, aber
ohne Amöben; dagegen rektoskopisch Geschwüre nachweisbar. Nach er¬
neuten Yatreneinläufen schnelle „Heilung", auch rektoskopisch.
3 weitere, hartnäckige chronische Fälle, die schon
wiederholt mit positivem rektoskopisch cm und Amöhen-
hefund in Behandlung gewesen waren, behandelten wir mit 3 m a 1 täg¬
lich je 1,0 g Yatren per os (in Oblaten oder Pillen). In allen
3 Fällen trat eine überraschend schnelle subjektive und objektive Besse¬
rung ein: Nachlassen der Schmerzen, Tenesmen und Durchfälle. Ver¬
schwinden der vorher rektoskopisch festgestellten Geschwüre sowie der
Amöben und Zysten aus den Entleerungen. Alle 3 Patienten konnten
als „vorläufig geheilt“ entlassen werden.
Bei 3 anderen Kranken mit chronischer Amöbenruhr mit
häufigen Durchfällen und starken Allgemeinbeschwerdcn ohne nachweis¬
baren rektoskopischen Befund schien ebenfalls der Erfolg der
internen Yatrenbehandlung unverkennbar. Vor allem wurde überein¬
stimmend eine schnelle subjektive Besserung angegeben:
Ein seit 7 Jahren fast alljährlich wiederholt bei uns behandelter Patient
berichtete nach ambulanter Yatrenbehandlung (3 mal täglich 1 g)
ohne Bettruhe zum ersten Male seit Jahren eine regelrechte einmalige
tägliche Stuhlentleerung, während er früher immer in Angst um
— namentlich auf Reisen — plötzlich in unangenehmer Weise auf¬
tretende Durchfälle lebte. „Ich fühle mich wie neugeboren.“ Allerdings
wurden in diesem Falt nach anfänglichem Verschwinden später noch
einmal tote Amöben nachgewiesen. — Im zweiten Fall Messen sich noch
einige Male in den Zwischenräumen zwischen den Yatrenbehandlungs-
abschnitten Amöben feststellen. — 2 Patienten bekamen an den Tagen
der Yatrenbehandlung Durchfälle; bei allen anderen Kranken wurde eine
leichte abführende Yatrenwirkung nur mitunter zu Beginn der Behandlung
beobachtet.
Schliesslich schienen auch in einem Fall von Colitis ulcerosa
(ohne Amöben) Yatreneinläufe zweifellos günstig zu wirken. Die Be¬
handlung ist noch nicht abgeschlossen.
Allgemein sei über die von uns angew-endete Behaiidlurigs-
m e t h o d i k noch folgendes kurz angegeben: Die Anwenuungs-
weise der Wahl scheint uns — namentlich bei positivem rekto-
skopischem Befund — die Einführung per rectum von 200 ccm
einer körperw-armen 2K>—5proz. Lösung mittels grosser Klistierspritze
oder Einlauf nach vorherigem hohem Reinigungseinlauf zu sein. Diese
Lösung konnte selbst von empfindlichen Kranken stundenlang im Darme
behalten werden. Dabei fand eine unmittelbare Einwirkung des Medi¬
kaments an den erkrankten Stellen sowie eine ergiebige Resorption vom
Dickdarm aus statt, die durch Prüfung des Urins mit Eisenchlorid leicht
zu kontrollieren war.
Per 0 s gaben war Erwachsenen die Pulverform des Yatren ent-
weder in Oblaten, 3m al täglich 1 g, oder in Pillen, 3 mal täglich je
4 Pillen zu 0,25 g Yatren. Wir hatten uns für diese Zwecke keratinierie
Pillen hcrstellen lassen, die sich erst im Darm lösen sollten, im allge¬
meinen wurde Yatren per os gut vertragen. Einige Kranken
klagten jedoch über ein Druckgefühl bzw^ andere unangenehme Sen¬
sationen in der Magengegend nach Yatreneinnahme. die aber niemais so
erheblich wurden, dass wir mit der Verabreichung aussetzen mussten.
Intoxikationserscheinungen irgendwelcher .Art wurden nicht beobachtet.
Von einem Versuch der intramuskulären Behandlung mit Injek¬
tionen von je 10 ccm einer 5 proz. Yatrenlösung an 3 aiiteinander
folgenden Tagen (im ganzen wurden 3,5 g Yatren gegeben), die gut
vertragen wurde, sahen wir keinen Erfolg.
Das folgende Behandlungsschema glauben wir nach unseren
bisherigen Versuchen empfehlen zu können: Zunächst 8—14 Tage lang
täglich Behandlung mit Einläufen oder den genannten Dosen per o.*
unter rcktnskopischer und mikroskopischer Kontrolle des Befundes, Hach
7 Tagen Pause Wiederholung der Behandlung an 3—7 aufeinander
folgenden Tagen. Nach gleicher Pause nochmals Yatren an 3—5 Tagen.
Weitere Wiederholungen nur dann, w-enn nach 5—6 wöchiger Behand¬
lung keine Heilung eingetreten zu sein scheint. ' Während der Behand-
Inngsperioden wenn möglich Einhalten von Ruhe und zweckmässiger
Kost.
Schluss: Unsere berichteten wenigen Beobachtungen beweisen
vorläufig noch gar nichts bezüglich einer definitiven
Heilung unserer Amöbenruhrfälle. Jeder Tropenarzt weius,
dass man an eine solche erst nach vielen rezidivfreien Jahren denken
darf. W'enn wir trotzdem die von uns gesehenen geradezu verbKU-ienden
Erfolge der Yatrenbehandlung in verzweifelten chronischen Amöben-
ruhrfällen schon in der Sitzung des ärztlichen Vereins in Hamburg vom
8. III. 1921 demonstriert und heute etwas ausführlicher mitgeteilt nab^n,
so geschah das, um zu N'>f'hPrüfungen der Behandlung bei akuter und
chronischer Amöbenruhr sowie auch bei anderen infektiösen (Baziüen-
ruhr, Typhus, Cholera) und ulzerösen Darmprozessen anzuregen. Da
unser Krankenmaterial zurzeit gering ist. so haben wir ausgedehnte Nach¬
prüfungen unter genauer rektoskopischer und parasitologischer Kontroile
in tropischen Amöbengegenden (Brasilien, Chile und Niederländisch-
Indien) veranlasst. Das Resultat bleibt abzuwarten.
Z u s a m m e n f a s s e n d wollen wir heute nur sagen, dass wir
in dem Yatren ein neues hervorragendes Adjuvans
für die Behandlung der A m öb c n ru h r gefunden zu
haben g 1 a u b e n, über dessen Dauer- oder gar spezifische Wirkung
erst weitere ausgedehntere Versuche und jahrehngc Beobachtungen ent¬
scheiden können.
Zusatz bei der Korrektur (21. VI. 21): Inzwischen haben
wir in 3 weiteren alten Ruhrfällen mit positiven rektoskopischem Befund
gleich gute Resultate mit Yatreneinläufen erzielt.
Aus der II. Gynäkologischen Universitätsklinik München.
(Vorstand: Prof. Dr. Franz Weber.)
Klinische Erfahrungen mit leistungssteigernden Mitteln
bei Behandlung gonorrhoischer Adnextumoren.
Von Dr. Ludwig Zill, Assistent der Klinik.
Eine Anzahl epochemachender Arbeiten (R. Schmidt, Wel-
cliardt, Schittenhelm, Starkenstein, Luithlen usw.)
itaben in unseren Anschauungen über die Wirkung der Vakzine grund¬
legende Wandlungen herbeigeführt. Mehr und mehr häufen sich die
Stirnmull, die der Vakzine eine reine Proteinkörperw-irkung zuschreiben
teils mit, teils ohne spezifische Komponente. Diese Wirkung kommi
aber in noch höherem Grade als der Vakzine anderen Eiw'eisskörpern
zu wie Milch. Serum Kasein usw^, aber auch chemisch definierten Sub¬
stanzen, Kochsalz. Aqua dest., Kollargol. Jod, ’rerpentin u. a. Wenn w’ir
demnach eine Reihe von verschiedenen Stoffen besitzen, deren wir uns
in der genannten Richtung mit Erfolg bedienen können, so ist doch
ihre Wertigkeit nicht die gleiche. Zwischen einzelnen und Gruppen von
ihnen bestehen qualitative und quantitative Unterschiede, die sich so¬
wohl in der Wirkung als auch in der Wirkungsweise geltend machen.
Sache klinischer Erfahrung ebensowie des Laboratoriumsexperi¬
mentes ist es. die für die einzelnen Krankheiten am raschesten zum
Ziele führenden und für den Organismus unschädlichsten Mittel fest¬
zulegen. An unserer Klinik wurden seit Anfang 1919 bei der Behänd-’
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
804
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 2i.
lung gonorrhoischer Adnextumoren Versuche mit Milch- und Terpentin¬
injektionen gemacht, über die ich in folgendem berichten möchte.
An feinsinnigen Hypothesen und Theorien zur Erklärung der Wir- •
kungsweise der Milch, bzw. der Proteinkörper überhaupt fehlt es nicht.
Ich erwähne hier besonders die Arbeiten von- Schmidt und K a z -
nelson, Schittenhelm, Weichardt und Dö11 ken. Trotzdem
besteht noch keine Uebereinstimmung unter den Autoren und ich möchte
deshalb, ohne mich mit theoretischen Erörterungen aufzuhalten, gleich
in medias res übergehen.
Seitdem Robert Schmidt die Milch in die Therapie eingeführt
hat, wurden damit in fast allen Spezialgebieten Erfolge erzielt, die in der
Literatur eine zum Teil glänzende Beurteilung erfahren haben. Zur Be¬
handlung der männlichen Gonorrhöe, insbesondere ihrer Komplikationen,
wurde die Milch mit bestem Erfolg von einer grossen Anzahl von
Autoren angewandt. Dagegen mehren sich erst in letzter Zeit die
Arbeiten, die von der Milch bzw. den Proteinkörpern zur Behandlung
gynäkologischer Leiden berichten. Hier sind es hauptsächlich die an der
Freiburger und Giessener Frauenklinik angestellten Versuche und
Arbeiten Lindigs, Jaschkes und M a c k s mit Kasein, die auch die
gonorrhoischen Adnextumoren dieser Behandlungsart zugeführt haben.
Vergleichende Untersuchungen zwischen Milch, Aolan und Ophthalmosan,
welch letztere allerdings zu einem negativen Resultat führten, wurden
von Kauert ausgeführt.
An der 2. g>mäkologischen Klinik haben wir fast ausschliesslich
Versuche mit Milch angestellt. Schon die ersten damit behandelten
Fälle gonorrhoischer Adnextumoren führten in Verbindung mit der
üblichen konservativen Therapie zu überraschenden Erfolgen. Da wir
den Milchinjektionen das Hauptverdienst an dem schnellen Abheilen der
Pyosalpingen zuschreiben zu können glaubten, entschloss ich mich,
einige Fälle nur mit Milchinjektionen unter Fortlassung jeder resorptiven
Therapie zu behandeln. Im ganzen wurden der reinen Milchtherapie
10 Fälle unterzogen, über die nachstehende Tabelle Aufschluss gibt:
Fall
Befand vor B^inn der
Behandlung
Ab¬
strich
auf Go
Alter
der
Krank¬
heit
Zahl d.
Injekt.
lenge
u. Milch
Dauer
der
Behdig.
Besultat
1
Doppelseiiifre monnsfaust-
ffrösse, aelir druckempf.
ryoaalpingen. Temp. 89*.
3 W
4
35 ccm
3 -W.
Uterus und linke
Adnexe freijrech.
Adnexe an den
Uterus heran¬
gezogen, frei.
9
B. faustgr. bis zur aeitl.
Beckenw, reich, Adnext..
1, apfelgr Tumor stark
dru^empfl ndlich
+
4 W
3
25 ccm
16 T
Genitale normal.
8
L. apfelgr., r. liiihnerei-
gr. aehrdnickempf. Tum.
+
8 W.
4
30 ccm
20 T.
Genitale frei.
1
B. u. 1. über faustgr. sehr
druckempflndl. Tumor.
+
4 W.
8
60 ccm
6 W.
Genit. frei; leichte
Parametritis re-
trahens.
5
itindskopfgrosse über den
Beckeneing. reich, dopp.
Adnextumoren.
+
9 W
6
60 ccm
6 W’.
Rechte Adn. frei,
1. nur mehr wal
nussgross. Nioht
druckempf. Tum.
~T
Starke Paramotr tis pos¬
terior; doppolseit. faust¬
gr. Pyosalpingen.
+
8 W.
J
O
4 W.
Genitale freij r.
waln. Schifiele.
~
Parametritis post partum;
mannskopfgr Adnextum.
r., faust^. Adnextum. 1.
?
10 W.
6
40 ccm
8 W.
Parametritis un-
ver&nd. Tumor 1.
etwas kleiner, r.
unverändert.
8
L. harter faustgr , rechts
hUhnereigr. Adnextum.
Keine Druckempf.
+
zirka
6Mon.
4
35 ccm
3 W
Keine Verände¬
rung.
~9
Doppels, faustgr. m. d.
Uterus verback. Konglo-
merattum Nicht diiick-
empflndlich
Jahr
8
60 ccm
6 W.
Keine Verände¬
rung.
"iT
Kleinkindskopfgr. mit d.
Uterus verback. 1. Tum.
Nioht druckempfindlich.
?
2
15 ccm
8 T.
Keine Verände¬
rung.
W = Wochen, T == Tage.
Zunächst möchte Ich die 4 letzten Fälle beleuchten, in denen der
Erfolg ein negativer war.
In Fall 7 brachte die Milchtherapie zwar eine deutliche Besserung des
Allgemeinbefindens und ein Aufblühen der Patientin, die sich vorher in einem
jämmerlichen Zustand befunden hatte, jedoch keinen Rückgang der Adnex¬
tumoren. Erst die nach Abbruch der Milchtherapie vorgenommene Heissluft-
und Moorbehandlung brachte, und zwar in kürzester Zeit, eine so vollständige
Wiederherstellung der Patientin, dass ich mich der Meinung nicht ver-
schliessen kann, dass der Körper durch die Milchtherapie instand gesetzt
wurde seine natürlichen Schutzkräfte zu entfaltet', um mit der Schädigung
fertig zu werden.
Fall 8 betrifft eine Patientin, die erst sehr spät in die Behandlung ge¬
nommen werden konnte. Es handelt sich bei ihr um alte, nicht mehr druck¬
empfindliche Adnextumoren, die in Verwachsungen eingebettet waren. Dass
diese Tumoren einer konservativen Therapie sehr schwer oder fast nicht
zugänglich sind, ist eine bekannte Tatsache.
Fall 9 und 10 stellten sich bei der Operation, die bald nach Aussetzen
der Milchtherapie vorgenommen wurde, als Ovarialzysten heraus, die zum
Teil intraligament.ir entwickelt waren. Selbstverständlich kann hiebei mit
einem therapeutischen Erfolg der Milch nicht gerechnet werden.
In den ersten 6 Fällen dagegen führte die Milchtherapie, wie er¬
sichtlich, zu einem vollen Erfolg, der sich nicht allein in dem raschen
Abklingen der entzündlichen Erscheinungen und Rückgang der Tumoren,
sondern auch in der ausserordentlich kurzen Behandlüngsdauer äusseit.
Sämtliche Patienten konnten zur Behandlung der noch bestehenden
Urethral- und Zcrvlxgonorrhöe in ambulante Behandlung genommen
werden.
Nachdem durch diese Vorversuche die ausgezeichnete therapeutisch e
Brauchbarkeit des Mittels erwiesen war, gingen wir wiederum da 2 u
über, in allen Fällen die Milchtherapie mit der resorptiven Behandlurg
zu kombinieren. Bis heute verfüge ich über ein Material von 90 Fälle i,
von schwereren gonorrhoischen Adnexerkrankungen, die dieser Thera¬
pie unterzogen wurden. Von diesen wurden
vollständig geheilt 59, d. h. diese Fälle zeigten bei der
Entlassung ein für den Tastbefund vollkommen normales Genitale,
gebessert 27; bei diesen Patienten ergab zwar der objektive
Befund noch geringgradige Veränderung an den Adnexen, das subjektive
Befinden der Patienten war aber gut, dieselben konnten vollkommen
beschwerdefrei entlassen werden.
nicht gebessert 4; bei diesen Patienten handelte es sich ent¬
weder um in Verwachsungen eingebettete Ovarialzysten oder um gar z
veraltete chronische Fälle von Adnextumoren, die. wie schon erwähnt,
durch eine nichtoperative Therapie nur sehr schwer oder überhaupt
nicht anzugreifen sind.
Bezüglich der Technik der Injektionen liaben wir uns an die all¬
gemein übliche gehalten. Diese wurden meist subfaszial in die Musku¬
laris der Glutäen appliziert, nur in wenigen Fällen, in denen die Pat
nach der Injektion stärkere Schmerzen im Bein äusserten, wurden sie
intrapektorai vorgenommen. Im allgemeinen wurden die Injektionen
sehr gut vertragen. Nur ganz selten mussten wir zu schmerzlindernden
Mitteln greifen, wobei uns 0,3 Pyramidon genügte. Verwendet wurc.e
in fast allen Fällen abgekochte Kuhmilch, die vor der Injektion durch
nochmaliges 4 Minuten langes Kochen sterilisiert und auf 37“ C ab¬
gekühlt war. Als Anfangsdosis gaben wir 5 ccm und gingen bei den
folgenden Injektionen zu 10 ccm über. Besonders in die Augen sprin¬
gend war, dass eine grössere Anzahl sehr heruntergekommener Pat.
unter der Therapie förmlich aufblühten. Auch wir konnten eine nach
der Injektion einsetzende Euphorie fast durchweg beobachten, während
im Gegensatz hiezu besonders höhere Dosen von Gonokokkenvakzine
Depression und Furcht vor der nächsten Injektion hervorriefen. Als
Zeitraum zwischen 2 Injektionen w^ählten wir je nach der Stärke der
Reaktion 3—6 Tage. Temperaturmessungen wurden jede halbe Stunde
vorgenommen. Dabei ergaben sich Temperaturen, die um wenige
Zehntelgrade bis um 4® gegenüber der Anfangstemperatur differierten.
Die Höchsttemperatur wurde meist nach 5—8 Stunden erreicht. An¬
stieg und Abfall der Temperatur ging ganz allmählich vor sich. Womit
die Verschiedenheit des Temperaturanstieges zu erklären ist. bleibt
dahingestellt. Sicher ist. dass entgegen der Anschauung von S a x I,
Müller und W e i s s, R e i c h e n s t c i n, die Intensität des Heilungs¬
vorganges mit der Fiebererzeugung in keinem Zusammenhang steht.
Uddgren hat gezeigt, dass steril gewonnene Milch keine Tempera¬
turerhöhung macht, dass mithin die Temperatur lediglich durch die in
der Milch vorhandenen Zerfallsprodukte des Eiweisses bzw'. der Bak¬
terientoxine bedingt ist. Wir haben nur in einigen Fällen steril ge¬
wonnene Milch des sächsischen Serumwerkes (Ophthalmosan) an¬
wenden können und dabei allerdings keine höheren Temperaturen ge¬
sehen. Anderseits wurden mit der gleichen Milch, die unter denselben
aseptischen Kautelen verschiedenen Pat. am gleichen Tage injiziert
wurde, oft sehr differente Temperaturen erzielt. Nach Döllken
müssten die Temperaturen als Begleiterscheinung des Abbaues art¬
fremden Eiweisses gedeutet werden, denen eine gewisse Regelmässig¬
keit zukommt. Ich selbst habe diese Erfahrung nicht machen können.
So wurden z. B. durch die gleiche Menge der gleichen Milch bei ver¬
schiedenen Pat. folgende Temperaturen erzielt:
40 ®—37 ® 39,7 ®—37,2 ® 36,3 ®—38,4 ®.
40 ®—39 ®—37,1 ® 39 ®—37,6 ® 37 “—38,7 ®—36,8 ®
Dagegen macht es mir schon eher den Eindruck, als ob die Dis¬
position der Pat. eine gewisse Rolle zu spielen scheint, wie aus bei¬
folgender Temperaturtabelle ersichtlich ist.
Injektionen
’i
A.
Demperatur bei Patienten
1 B. 1 C. 1 D.
1 .
36,5
36,3
39,0
40,0
8.
87,9
«6,3
1 39.3
40,0
8.
86,4
86,4
1 39,7
1 40,0
4.
87,8 i
86,7
89.0
40,0
5
—
37,8
i
6
37,0
Einen sicheren Schluss aus diesen Beobachtungen zu ziehen, halte
ich aber für zu wenig gestützt, da doch eine grosse Anzahl von Pat.
ohne jede Gesetzmässigkeit In der Erreichung der Maximaltemperatur
reagiert.
Parallel mit der Höhe des Temperaturanstieges geht gewöhnlich
auch die Heftigkeit der Allgemeinreaktion und zum Teil auch der
Herdreaktion, die in einer grösseren Anzahl von Fällen beobachtet
werden konnte. Diese Reaktionen stellen ebensowenig wie das Fieber
eine Iconstante Grösse dar. Notwendig zur Heilung sind sie sicherlich
nicht, da wir ganz ausgezeichnete Heilresultate ohne Reaktion gesehen
haben. Die Gefahr der Anaphylaxie scheint mir kaum in Frage zu
kommen, wenn sie auch theoretisch denkbar ist.
Wenn wir uns auch nicht anmassen dürfen, eine optimale Dosierung
zu haben — von einer solchen sind wir mangels sicherer Massmethoden
und infolge der verschiedenartigen Zusammensetzungen der verwende-
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNf^
Ml Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
805
teil Milch leider noch weit entfernt — so können wir doch auf, Grund
einer Erfahrung von über 400 Injektiqjien und des guten therapeutischen
Effektes sagen, dass unsere Dosierung eine sehr brauchbare ist. Lieber
Aolan und Kaseosan. dessen Vorteile ich nicht verkenne, fehlt mir bis¬
her noch jegliche Erfahrung. Dagegen haben wir mit einer von Sanitäts¬
rat Aman hergestellten 5proz. Kaseinlösung Versuche angestellt, die
recht brauchbare Resultate ergeben haben; in der raschen und nach¬
haltigen Wirkung scheint mir aber die Milch überlegen zu sein. Die
Versuche mit dem Aman sehen Kasein werden fortgesetzt.
Eine Einwirkung auf die fast bei allen behandelten Fällen be¬
stehende Schleimhautgonorrhöe haben wir weder im Sinne einer Provo¬
kation noch einer Beschleunigung der Heilung gesehen.
Gleichzeitig mit der Milchinjektion haben wir in der gleichen Weise
Parallelversuche mit dem von Klingmüller in die Therapie eingeführten
Terpentin unternommen. Angeregt durch Klingmüllers Erfolge, der
auch einige Fälle von gonorrhoischen Adnexerkrankungen der Frau über¬
raschend gut heilen sah. wandte Zöppritz die Terpentintherapic
ebenfalls bei entzündiiehen Adnexerkrankungen des Weibes an und ist
dabei zu sehr befriedigenden Resultaten gelangt, die auch in der ab¬
gekürzten Behandlungsdauer gegenüber den sonstigen konservativen
Methoden ihren Ausdruck finden. Die gleichen Erfahrungen machten
zum Teil an der Hand eines grösseren Materials Kleemann, Fuchs,
Hinze, Sonnenfeld und Hartog. Weniger Gutes sahen
S c h u b e r t und H e 11 e n d a 1.
Analog unserem Vorgehen bei der Milchtherapie haben wir schon
vor dem Erscheinen der Z ö p p r i t z sehen Arbeit angefangen, eine
Reihe von Fällen ohne weitere konservative Massnahmen der isolier¬
ten Terpentinbehandlimg zu unterziehen, über die nachstehende Tabelle
Aufschluss gibt.
Fall
Befund vor Beginn der
Behandlung
Ab¬
strich
auf Go
Alter d.
Krank¬
heit
Zahl
der
Injekt
Dauer
der
1 Behdlg
Resultat
1
Doppelseit. über fauatgr.
bis zur aeitl Be k^nw.
reich, aehr druckempf.
Adne.xtumor.
+
8 W.
5
27 T.
Genit vollkommen
frei.
2
Friach fauatgr linkaaeit.
sehr druckempf. Pyoaalp.
r. Adnexe geachw. und
sehr druckempfbidlich.
+
8 T.
4
4 W.
Keine Druckemp¬
findlichkeit: link.
Tumor hünner-
eigr. rechte Ad¬
nexe frei
8
Linkaa. apfelgr. Adnext.
ca 8W.
3
3 W.
Genitale frei.
4
Pclveoperitonitis friach i.
Anschluss au die Lokul-
therap. ont.stund. doppel-
aeit. apfelgr .Pyosalpinx.
+
1; T.
6
iJ^W.
Tuben beiderseits
etwas verdickt,
nicht druckempf.
6
Doppelseitig. Pyosalpinx.
von Apfelgrösse.
8 W.
8
4 W.
Linke Adnexe mit
dom Uterus ver¬
backen; rech. frei.
“T
Rechte A dnexe a pfelgroas,
links fauatgr. Pyosalpinx
Fieber. Druckempfindl.
T w7
4
6 W.
Link.s walnuasgr.
hart, nicht mehr
druckempf. Tum.;
rech. Adnexe frei.
~T
Links neben dem Uterus
derb. hock, faustgrosser
Adnextumor.
+
4 W.
3
3 WC
Tumor auf AVol-
nuHSgr zurück-
gegangen.
~r
im Ansohl. a. aept Abort
entstand, faustn. Adnex-
tum. links. Fieb; Throm-
bophleb.
?
t4 T.
4
~Tw:~
Adnexe frei.
Im Anschi, an Perio ent¬
stand. recht, faustgross.
Konglomerat-Tumor; 1.
Adn. gescbwoll. Temp.
S arke Druckempfindl.
Y
14 T.
4
8 W.
■
Genitale frei.
"Tö'
Faustgr. stark druckempf.
Adnextumor links; i. An¬
schluss a. Mens entstand.
14 T.
3
14 T,
Genit*ile frei.
Wie ersichtlich, konnten alle Pat. bei vollkommen normalem Geni¬
tale oder nur mehr ganz geringen Veränderungen in verhältnismässig
kurzer Zeit entlassen werden. Es handelte sich in allen Fällen um Ad¬
nextumoren auf gonorrhoischer Basis, wobei die Gonorrhöe teils durch
den Abstrich nachgewiesen, teils bei negativem Abstrich aus der Ana¬
mnese sicher angenommen werden konnte. Die weiteren Fälle haben
wir wieder mit der resorptiven Therapie kombiniert. Ich verfüge jetzt
insgesamt über ein Material von 40 Fällen. Hiervon wurden geheilt 30,
gebessert und beschwerdefrei entlassen 10.
In neuester Zeit haben wir — allerdings bei hier noch nicht be¬
rücksichtigten Fällen — von Terpichin Gebrauch gemacht, das fertig in
Ampullen in den Handel kommt und besonders für ambulante Behand¬
lung vorzüglich zu verwenden ist, da die Nebenerscheinungen bei glei¬
cher Wirksamkeit geringer sind als bei Terpentin.
Bezüglich der Technik haben wir uns an die K1 i n g m ü 11 e r sehe
Vorschrift gehalten und auf das Periost des Darmbeins injiziert. Als
Anfangsdosis gaben wir 0,5 ccm, der 20proz. Verdünnung mit Ol. Oliv.,
um dann auf 1.0 ccm überzugehen. Auch hier wurden die Injektionen
im allgemeinen gut vertragen. Die Temperaturerhöhung durch alle
2 Stunden vorgenommene Messung ermittelt, betrug nur in einigen
wenigen Fällen über 1 ®. Bei 5 Pat trat Allgemeinreaktion, bestehend
in Kopfschmerzen und Uebelkeit auf, nur 1 mal wurde Herdreaktion be¬
obachtet Fieber war uns keine Kontraindikation. Gerade die fiebernd
in Behandlung genommenen Pat zeigten einen raschen Rückgang der
Temperatur und eine auffallende Besserung des Allgemeinbefindens.
Da Terpentin ein ziemlich starkes Nierengift darstellt ist eine ständige
Nr. 26 .
Kontrolle des Urins erforderlich. Nierenscliädigimgcn haben wir bei
unserer Dosierung nie gesehen.
Ich habe mich nicht gesclieiit, Milch und Terpentin trotz der Ver¬
schiedenheit in Vergleich zu ziehen. Das Terpentindepot bewirkt
meines Erachtens einen lokalen Gewebszerfall, so dass arteigene Ei¬
weisskörper zur Resorption gelangen, ebenso wie dies bei der Milch
der Fall ist, nur dass hier artfremdes Eiweiss resorbiert wird. Welchem
von beiden Mitteln man den Vorzug geben soll, ist schwer zu sagen.
S e 11 e i, der bei verschiedenen Hauterkrankungen Parallelversuchc
zwischen Terpentin und Milch machte, findet bei Milch die Wirkung
rascher und besser. Auch ich habe beobachtet dass besonders bei
manchen schweren Fällen die sichtbare Wirkung der Milch auf das
Allgemeinbefinden und auf die entzündlichen Erscheinungen eine
raschere ist w'ährend sie bei Terpentin zwar langsamer, aber ebenso
sicher eintritt. Besonders günstig sind unsere Resultate bei frischen,
eben entstandenen oder im Entstehen begriffenen Adnexerkrankungen.
Bei alten, schon lange bestehenden Adnextumoren sind diese natürlich
nicht so günstig. Immerhin gelingt es uns auch hier, die Pat. zum
Mindesten beschwerdefrei und damit arbeitsfähig zu machen. Eine
Einwirkung auf eine gleichzeitig bestehende Urethritis und Cervicitis
konnte weder bei Terpentin noch bei Milch festgestellt werden. Selbst¬
verständlich ist es, dass auch bei der Milch und Terpcntinbelianalung
Rückfälle kommen können. Von grosser Wichtigkeit ist es. dass schon
während der konservativen Therapie eine energische Lokalbeliandlimg
eingeleitet wird, da es in vielen Fällen von einem noch bestehenden
Herd in der Zervix zu einer neuen Aszension kommen kann. Ander¬
seits werden sich trotz unserer Behandlung eine Anzahl unserer Pat.
neuerdings infizieren, so dass es, da ja eine Iminuiiität nicht eintriti.
die frische Gonorrhöe eine neuen Aszension hervorruft. Immerhin be¬
steht unserer Ansicht nach der immer und immer wieder geäusserte
Pessimismus in der Beurteilung der Heilbarkeit gonorrhoischer Adnev-
erkrankungen der Frau auf konservativem Wege, wie unsere Fälle zei¬
gen, nicht zu Recht. Bei den von uns behandelten Fällen ist noch nicht
ein einziger Rückschlag eingetreten, trotzdem wir eine grosse Anzahl
schon über IM Jahre in Beobachtung haben.
Zusammenfassung.
1. Von 130 Fällen von gonorrhoischen Adnextumoren, in denen
zum Teil Milch-, zum Teil Terpentininjektionen, meist in Verbindung
mit konservativer Therapie (Heissluft, Moorbad usw.). Anwendung
fanden, wurden geheilt 89, gebessert 37, nicht gebessert 4.
2. Die Vorteile der beiden Mittel äussern sich in der raschen Wir¬
kung auf die entzündlichen Erscheinungen, in der schnellen Erholung
und Entfieberung der Pat. und in der Abkürzung der Behandlungsdancr
gegenüber den bisher geübten Methoden.
3. Ein wesentlicher Unterschied in der Wirksamkeit der Milch und
des Terpentin besteht nicht.
4. Eine Einwirkung auf die Schleimhautgonorrhöe konnte weder
im Sinne einer Heilung noch einer Provokation festgestellt werden.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Halle a. S.
(Direktor: Prof. Dr. F. VoeIcker.)
Darmverschlusserscheinungen durch retroperitoneale
Hämatome.
Von Dr. med. Fr. J. Kaiser, Assistent der Klinik.
ln unserer Klinik sind gerade in letzter Zeit wieder eine Reihe
von . Kranken zur Beobachtung gekommen, die unser Augenmerk auf
ein uns schon vordem nicht unbekanntes Krankheitsbild lenkten, über
das in der Literatur einschliesslich der Lehr-, Handbücher und Mono¬
graphien nur sehr wenig zu finden ist. Dass ein im Retroperitoneum
oder zwischen den Mesenterialblättern etabliertes Hämatom, wie in
den Fällen von Mader und von Kappesser, imstande ist. durch
seine Grösse 3ie Darmpassage zu verlegen und einen mechanischen
Ileus zu erzeugen, ist nichts besonders Auffälliges und soll hier nicht
Gegenstand der Betrachtung sein.
Aber auch kleine, unbedeutende, wenig massige Hämatome im retro-
peritonealen Gewebe können ein Krankheitsbild mit ileusartigen Sym¬
ptomen hei vorrufen. Von einer mechanischen Verlegung des Darni-
lumens kann hier nicht die Rede sein und man muss in der Lokalisation
des Hämatoms die Ursache suchen, in der Wirkung desselben auf die
im Retroperitoneum gelegenen Nervenplexus und dadurch indirekt durch
Fortleitung bedingte Einwirkung auf den Darm selbst.
Diese Nervenplexus sind nicht nur anatomisch, .sondern vor allein
auch physiologisch sehr komplizierte Gebilde, deren Funktion noch um¬
stritten, vieldeutig und in keiner Weise bewiesen ist. Das ist für die
Erklärung der pathologischen Zustände keineswegs förderlich.
Jederseits neben der Wirbelsäule liegt der Grenzstrang des Sym¬
pathikus, der durch die Rami communicantes Verbindungen mit den
Rückenmarksnerven eingeht und in dessen Verlauf segmentäre Ganglien
eingeschaltet sind. Mehrere solcher Ganglien können durch Versclnnel-
zung miteinander einen sympathischen Nervenplexus bilden. Hinter
Pankreas und Bursa omentalis und vor der Aorta und den Schenkeln
des Zwerchfellansatzes liegt im Oberbauch als unpaarcs Geflecht, der
Plexuscoeliacus. Er wird gebildet von den beiderseitigen Nervi
splanchnici maior et minor, die zwar aus dem 5. oder 6. bis 12. Thora¬
kalsegment hervorgehen, aber schon innerhalb der Baiichliölile ge-
4
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
806
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
legen sind, ferner von dem oberen sympathischen Lendenganglion und
von den Rami coeliaci des rechten, seltener des linken Vagus; er
reicht seitlich bis ins Gebiet der Nebennieren, abwärts bis zur Höhe
der Nierenarterien und bewerkstelligt die nervöse Versorgung aller
Bauchorgane, während die Beckenorgane von der Pars pelvina des
sympathischen Systems versorgt werden.
Die Funktion dieses komplizierten, aus Sympathikus, Vagus und
Spinalnerven sich zusammensetzenden nervösen Apparates, zu dem
noch das in der Darmwand selbst gelegene automatische Zentrum als
Plexus myentericus hinzukommt, ist bis heute in seinen Einzelheiten
umstritten geblieben.
Durch die umfangreiche Literatur hat sich bisher als feststehende
Tatsache die Ansicht geschleppt, dass der Vagus der „motorische Nerv“
der Intestina sei, was iedoch bei kritischer Sichtung keineswegs ein¬
wandfrei feststeht. Es wurde bisher als Glaubenssatz hingenommen,
dass dem Vagus ein beschleunigender und tonussteigernder, dem Sym¬
pathikus ein hemmender und tonusherabsetzender Einfluss auf die Peri¬
staltik zukommt, und für den Magen schienen S t i e r 1 i n s experi¬
mentelle Untersuchungen dieses zu bestätigen.
Auf so unsicheren Grundpfeilern basierend, baute die innere Medi¬
zin das Krankheitsbild der „Vagotonie“ aus, bereicherte die Chirurgie
ihr Arbeitsfeld um eine Reihe von Operationsmethoden zur günstigen
Beeinflussung des Ulcus ventriculi durch Ausschaltung des Vagus (Bir-
cher, Payr, Exner, Stierlin). Nach den neuesten Unter¬
suchungen von Borchers ist es sehr zweifelhaft, dass der Vagus der
motorische Nerv des Magens ist, und gerät somit das ganze Gebäude
von „Theorien“ ins Wanken.
Wie dem auch sei: wir wollen ohne Schaden für unseren Fall
heute noch annehmen, dass die alte Ansicht zu Recht besteht, dass
der Vagus, entgegengesetzt seiner Wirkung auf das Herz, am Magen¬
darm beschleunigend auf die Peristaltik und tonussteigemd, der Sym¬
pathikus antagonistisch verlangsamend auf die Peristaltik und tonus¬
herabsetzend wirkt. Beide Nervenversorgungen ständen danach in
innigen gegenseitigen funktionellen Konnex. Dass daneben aber das
automatische Zentrum der Darmwand selbst, der Plexus myentericus,
nicht ohne Belang ist, dürfte zur Genüge schon daraus hervorgehen,
dass z. B. der Magen bei Ausschaltung der zuführenden Nerven doch zu
lebhafter Peristaltik und selbst zu krampfhaften Kontraktionen und
Spasmen befähigt ist durch Reflexe, die sich in der Magenwand selbst
abspielen (Stierlin, Borchers).
Bei Kranken mit meist stumpfen Bauchverletzungen, besonders
Ueberfahrungen, können Darmverschlusserscheinungen auftreten, für
die sich bei der ev. vorgenommenen Operation eine geläufige Erklärung,
etwa ein mechanisch oder dynamisch bedingter Ileus nicht findet, wohl
aber eine diffuse blutige Suggillation des lockeren retroperitonealen Ge¬
webes. Die Erscheinungen von Darmverschluss verdanken hier also
nicht einer direkten Einwirkung auf die Darmwand ihre Entstehung,
sondern steilen gleichsam eine Fernwirkung dar, eine Beein¬
flussung der zum Darm ziehenden Nerven durch das die Nerven¬
geflechte einhüllende Hämatom. Welcher Art diese Beeinflussung ist,
ob sie den Sympathikus oder Vagus oder beide betrifft, ob eine Reizung
oder Lähmung vorliegt und ob es sich demnach um einen spastischen
oder paralytischen Ileus handelt, kann nur vermutet, aber nicht mit
annähernder Sicherheit beantwortet werden.
Der spastische Ileus ist im ganzen seltener und sogar von einigen
Seiten als selbständiges Krankheitsbild angezweifelt worden. Es ist
jedoch bekannt, dass spastische Kontraktionszustände am ganzen Darm
oder Teilen desselben bei retroperitonealen Entzündungsprozessen ver¬
schiedenster Provenienz Vorkommen; so bei akuter Pankreatitis, retro¬
peritonealen Drüsenerkrankungen, peri- und pararenalen Entzündungen,
bestimmten Lokalisationsformen von Wurmfortsatz- und Gallenblascn-
entzündungen, retroperitonealen Entzündungen im Anschluss an
(stumpfe) Verletzungen u. a. m. Interessant ist auch die Beobachtung
D e n k s, dass bei Splanchnikusanästhesie nach Käppis oft Spasmen
der Därme „mit mässiger Zyanose“ auftreten.
Beim Darmverschluss durch retroperitoneales Hämatom lassen das
klinische Bild und der Befund bei der Operation, die weiter unten be¬
sprochen werden sollen, kaum einen Zweifel, dass es sich hier um eine
mehr oder weniger ausgesprochene Darmlähmung handelt; oder sagen
wir um eine Verlangsamung bzw. Aufhebung der Peristaltik und Herab¬
setzung des Tonus.
Studiert man die Literatur nun weiter daraufhin, ob auch bei
andern retroperitonealen Affektionen ein Krankheitsbild mit ähnlichen
intraperitonealen Symptomen vorkommt, so finden sich darüber in der
Tat zahlreiche Angaben. Emphysem im perirenalen Gewebe (Kemp f),
Hydronephrosenrupturen (S c h e t e 1 i g, Schede, Lampe, R e h n,
Suter, Ohme, Joshikawa, v. Saar etc.), subkutane Nieren¬
rupturen (v. S a a r), perirenale Hydronephrosen (Minkowski und
Friedrich, Malherbc, Kirmisson) und perirenale Hämatome
(Doll, Joseph) können reflektorische Bauchdeckenspannung, leichte
Druckschmerzhaftigkeit des Abdomens, Meteorismus, Stuhl- und Wind¬
verhaltung, Singultus und Erbrechen machen und zur Laparotomie Ver¬
anlassung geben, bei der sich dann aber, ausser mässiger Darmblähung,
der Bauchraum als frei erweist.
Uns selbst sind noch zwei weitere veranlassende Momente be¬
kannt. Bei spondylitischen Senkungsabszessen tritt bis¬
weilen eines Tages ohne erkennbare äussere Ursache, und ohne Aende-
rung des lokalen Prozesses, während der Kranke vielleicht schon seit
längerer Zeit das Bett hütet, plötzlich eine oft starke tympanitische
Auftreibung des Abdomens mit Sistieren von Stuhl und Winden auf.
Der gleiche Zustand stellt sich nicht ganz selten nach Nephrek¬
tomie ein, ohne dass das Peritoneum bei der Operation eröffnet wurc e
oder eine Entzündung irh Wundbett vorhanden zu sein braucht.
Da es nicht angebracht erscheint, den spärlichen, kostbaren Raum
hier mit Krankengeschichten zu belasten, so mag nunmehr eine kurze
Besprechung des Symptomenkomplexes, wie er sich bei den
Darmverschlusserscheinungen durch retroperitoneale Hämatome bietet,
folgen.
Vorweg muss hervorgehoben werden, dass es sich keineswegs
um reine Ileussymptome handelt, die sogar wenig eindeutig sind, son¬
dern dass intraperitoneale Reizsymptome so gut wie immer gleich¬
zeitig vorhanden sind, weshalb man für Zustände dieser Art auch die
Namen „Pseudoileus“ und „Pseudoperitonitis“ (Babitzky) geprägt
hat; Ausdrücke, die nicht nur unschön, sondern auch nichtssagend und
verwirrend und daher besser zu vermeiden sind. Ich habe nicht ohne
Absicht von Darmverschluss „e r s c h e i n u n g e n“ gesprochen. Durch
diese Mischung von ileusartigen und Bauchfellreizsymptomen wird das
klinische Bild zwar nicht vereinfacht, aber bis zu einem gewissen Grade
typisch.
Das Allgemeinbefinden der Kranken ist meist relativ gut.
Der Kranke ist geistig regsam und teilnehmend — stets vorausgesetzt,
dass nicht andere schwere Verletzungsfolgen und allgemeiner Schock¬
zustand bestehen —, die Gesichtszüge sind nicht verfallen, die Zunge
ist belegt, aber feucht.
Aufstossen, Uebelkeit und Erbrechen fehlen meistens
oder bestehen nur im Anfänge und sind dann als ein allgemeines
Symptom des Schocks zu deuten. Wenn auch die Esslust der Kranken
nicht gross ist, so kann doch von ausgesprochener Appetitlosig¬
keit nicht die Rede sein. Gesteigertes Durstgefühl besteht im
Anfang nur dann, wenn es durch anderweitigen grösseren Blutverlust
bedingt wird, nicht aber als Symptom intraperitonealer Affektion.
Wenn Rippenfraktuien oder starke Brustkorbquetschung die
Atmung nicht erschweren, oberflächlich und schmerzhaft gestalten, ist
sie gegen die Norm wenig verändert.
Die Temperatur ist meist gesteigert, bis 38,0 oder 38,5. wohl
durch die vorhandenen Blutergüsse; niemals bestehen Untertempera¬
turen oder grosse Differenzen zwischen Achsel- und Rektumtemperatur,
wie so oft bei Peritonitis. Der Puls ist entsprechend bis 100 oder
110 beschleunigt, dabei kräftig, regelmässig und gut gefüllt.
Von den örtlichen Erscheinungen ist die tympani¬
tische Auftreibung des Leibes meist beträchtlich, aber fast nie
extrem hochgradig, nicht selten auch nur gering. Die Tympanie tritt
relativ schnell, innerhalb der ersten 12—24 Stunden, auf, im Gegensatz
zum Obturationsileus, bei dem hierzu eine längere Zeitspanne von¬
nöten ist. Von entscheidender Wichtigkeit gegenüber dem gewohnten
Bilde des Ileus ist aber, dass bei unserem Krankheitsbild Darmstei¬
fungen niemals nachweisbar sind.
Gleichen Schritt miteinander halten die Druckempfindlich¬
keit des Leibes .und die abwehrende Muskelspannung,
die wiederum besondere Eigentümlichkeiten aufweisen. Beide be¬
treffen zwar das ganze Abdomen, sind aber in dem der verletzten
Stelle am nächsten liegenden Quadranten am ausgesprochensten. Sie
nehmen nach Ablauf von 24 Stunden an Intensität gewöhnlich nidit
mehr zu, sondern ab oder bleiben zunächst stationär. Mit der „brett-
harten Spannung“ und der Druckempfindlichkeit bei akuter Peritonitis
sind sie, da weit weniger intensiv, nicht zu verwechseln, anderseits
aber stärker als beim gewöhnlichen mechanischen Ileus, bei dem Span¬
nung und Druckschmerz in den ersten Tagen ganz zu fehlen und im
vorgeschrittenen Stadium als komplizierende peritonitische Komponente
zu gelten pflegen; das stärkere Befallensein des einen Quadranten wird
bedingt durch die hier stattgehabte Verletzung. Tfotzdem obliegt uns
die Pflicht, in solchen Fällen auf Lungenkomplikationen zu fahnden,
die durch Ausstrahlung zu dem gleichen Bilde führen können.
Spontane Leibschmerzen fehlen in den ersten Tagen
meistens ganz oder sind nur gering, und führt in der Folgezeit erst das
Angehaltensein von Stuhlgang und Winden zur Belästigung des Kranken.
Dieses Sistieren der Stuhl- und Windentleerung
sind eins der hervorstechendsten Symptome und berechtigen uns vor
allen Dingen von „Darmverschlusserscheinungen“ zu sprechen, wobei
es sich keineswegs um einen echten Ileus, noch weniger um eine Peri¬
tonitis handelt. Nicht selten haben die Kranken nach der Verletzung
noch einmal Stuhlgang durch Entleerung der untersten Darmabschnitte.
Aber danach ist die Darmtätigkeit durch keines der gewohnten Mittel
in Gang zu bringen, wobei wir aber Abführmittel per os nie angewandt
haben. Die Dauer dieses Zustandes ist verschieden, beträgt zwischen
3 und 10 Tagen, und macht dann langsam der Norm wieder Platz.
Dem klinischen Bilde entspricht der anatomische Befund
bei der Operation, der ebenfalls weder an Peritonitis noch an mechani¬
schen Ileus erinnert. Ein Erguss ist in der freien Bauchhöhle nicht
vorhanden. Die Oberfläche des Darmes ist spiegelnd glatt, frei von
Belägen und gegenseitigen Verklebungen. Der Darm ist mehr w eniger
gebläht, von normaler Farbe, seine Wand nicht verdickt, nicht sukkulent,
gestaut oder blaurot verfärbt, ohne nachweisbare Peristaltik. Die
Blähung betrifft entweder den ganzen Darm oder nimmt das eine Mal
aufsteigend, ein anderes Mal absteigend an Intensität ab. Dabei sind
Tonus und l'urgor erhalten. Niemals konnten krampfhaft kontrahierte
Darmabschnitte nachgewiesen werden. Im Retroperitoneum von der
Leberpforte abwärts bis zum Eingang ins Becken findet sich in solchen
Fällen eine blutige Suffusion des lockeren Gewebes, die sich vor allem
den Nieren und den Ureteren entlang nach abwärts ausbreitet und bis
Digitized by
Google
Original from
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
807
zum mässig grossen, schwappenden Hämatom anwachsen, sich auch* zwi¬
schen die Mesenterialblätter hie und da fortsetzen kann. Niemals aber
war der Bluterguss so gross, dass er mechanisch die Darmpassage hätte
verlegen können.
Uebersehen wir nunmehr das Krankheitsbild, so müssen wir fest¬
stellen, dass es leictit-peritonitische und ileusartige Symptome aufweist.
Diese erklären sich einerseits durch die Reizung des Bauchfells infolge
der Bauch Wandquetschung bei der Verletzung und des an der Rück¬
wand dem parietalen- Peritoneum anliegenden Blutergusses, ander¬
seits durch eine starke bzw. vollständige zeitweilige Aufhebung der
Darmfunktion infolge Affektion der den Darm versorgenden Nerven-
plexus im Retroperitoneum durch das sie hier umgebende Hämatom.
Welcher Art diese Einwirkung auf die Nerven ist, ob es sich um eine
Reizung oder Lähmung des Sympathikus oder eine solche des Vagus
handelt, ist uns bis jetzt nicht bekannt. Vielleicht vermögen uns die
neuerdings veröffentlichten Studien über das Vagus„reizmitter‘ Pilo¬
carpin, das Vagus„lähmungsmittel“ Atropin und das Sympathikus„reiz-
mittel“ Adrenalin hier nicht nur diagnostisch, sondern auch thera¬
peutisch weiter zu bringen.
Trotz Druckempfindlichkeit und Muskelspannung am Abdomen
sprechen vor allem das Allgemeinbefinden, die feuchte Zunge und ganz
besonders der gute Puls gegen eine akute Peritonitis; trotz Stuhl- und
Windverhaltung entscheiden die fehlenden Darmsteifungen, das man¬
gelnde Erbrechen, das Fehlen eines freien Ergusses gegen echten
Ileus.
Trotzdem soll nicht verschwiegen werden, dass, zumal wenn noch
andere Verletzungsfolgen bestehen, die Entscheidung für oder wider
Operation recht schwierig sein kann. Auch dem gewissenhaftesten
Arzte gestattet jedoch der Zustand des Kranken, wenigstens einige
Stunden bis zu einem halben Tage, unter scharfer Kontrolle sich ab¬
wartend zu verhalten, in welcher Zeit meist eine Entscheidung mög¬
lich ist. Bleibt der Fall zweifelhaft, so ist es besser, lieber zehnmal
zu oft die relativ ungefährliche Probelaparotomie zu machen, als ein¬
mal einen Kranken seinem Schicksal zu überlassen. Dem Praktiker ist
die Einweisung in eine Krankenanstalt stets anzuraten, wo die ein¬
wandfreien Voraussetzungen für sachgemässe Beobachtung und ev.
operative Behandlung gegeben sind. Verläuft der Fall unter Be¬
obachtung weiter günstig, so ist Operation überflüssig, da die Darm¬
tätigkeit unter konservativen Massnahmen von selbst wieder in Gang
kommt. Es ist dringend zu raten, solchen Kranken kein Morphium oder
verwandtes Analgetikum zu geben, um das Krankheitsbild nicht zu
verwischen und den nachfolgenden Beobachter nicht zu täuschen.
Dieses wird um so leichter möglich sein, als die subjektiven Beschwer¬
den der Verletzten, falls nicht noch andere schmerzhafte Verletzungen
bestehen, im allgemeinen durchaus erträglich sind.
Literatur.
Babitzki: Die aseptische Form der sog. Pancreatitis haemorrbagica
acuta. Arch. f. klin. CBir. Bd. 97. — Borchers: Motilitätsstörungen des
Magens und Vagusresektion. Zbl. f. Chir. 1920 Nr.51. — Bunge: Ueber
postoperativen, spastischen Darmverschluss. Chirurgenkongress 1908. —
Coenen: Das perirenale Hämatom etc. Beitr. z. klin. Chir. Bd. 70. —
Denk: Erfahrungen mit der K a p p i s sehen Splanchnikusanästhesie. W.kl.W.
1919 Nr. 41. — F. Franke: Zur Erklärung des postoperativen spastischen
Darmverschlusses. Zbl. f. Chir. 1908 Nr. 44. — Fromme: Ueber spastischen
Ileus. M.Kl. 1914 Nr. 12. — Hoff mann: Die Ursachen der Bauchdecken¬
spannung. D.m.W. 1910 Nr. 26. — Käkell: Hirschsprung sehe Krank¬
heit und vegetatives Nervensystem. B.kl.W. 1920 Nr. 43. — K a p p e s s e r:
Ein seltener Fall von hochsitzendem Ileus nach Bauchquetschung. D. Zschr.
f. Chir. Bd. 146. — A. R. M a d e r: Retroperitoneal haematoma as a cause of
intestinal obstruction. Canad. med. journ. Bd. 3 Nr. 9 (Ref. Zbl. f. d. ges. M.
1913, 3.). — J. Prader: Spastischer Ileus bei Pancreatitis acuta. M.Kl. 1920
Nr. 27. — Retzlaff: B.kl.W. 1920 Nr. 14. — v. Saar: Ueber Hydro-
nephrosenruptur etc. Beitr. z. klin. Chir. Bd. 64. — Sprengel: Klinische
Beiträge zu den diffusen, entzündlichen Erkrankungen des Retroperitoneums
etc. Arch. f. klin. Chir. Bd. 100. — E. Stierlin: Ueber die Mageninner¬
vation in ihrer Beziehung zur Aetiologie und Therapie des Ulcus. D. Zschr.
f. Chir. Bd. 152. — Suter; Ueber subkutane Nierenverletzungen etc. Beitr.
z. klin. Chir. Bd. 47. — W i 1 m s: Der Ileus. D. Chir., Lief. 46 g.
Aus der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Breslau.
Hämoglobinurische Nachschübe bei abklingender akuter
hämorrhagischer Glomerulonephritis.
Von Prof. A. Bittorf.
DasAuftreten hämorrhagischer Nachschübe beimAbheilen der akuten
Glomerulonephritis ist bekannt, recht wenig bekanntest aber scheinbar
das Auftreten hämoglobinurischer Nachschübe unter denselben
Entstehungsbedingungen. Diese Fälle verdienen aber auch deswegen
des Interesses, weil sie für die Frage nach dem Orte der Hämolyse von
Bedeutung sein können.
Darum möchte ich kurz auf 3 eigene Beobachtungen dieser Art
eingehen. In 2 Fällen lag sog. Kriegsnephritis und in 1 Falle eine akute
hämorrhagische Glomerulonephritis bei einer Frau vor.
Das Alter der Patienten lag zwischen etwa 20—45 Jahren.
In allen 3 Fällen war z, T. schon vor Monaten eine schw'ere akute
hämorrhagische Glomerulonephritis mit Oedemen, Oligurie, hoher Ei¬
weissausscheidung vorausgegangen. Die Erscheinungen waren alle seit
Wochen bzw. Monaten abgeklungen, und es fanden sich bei normaler
Harnmenge von normaler Farbe höchstens Spuren bis % Prom. Eiweiss,
Digitized by Goi>sle
mikroskopisch einige rote Blutkörperchen und in einem Fall nur ver¬
einzelte hyaline Zylinder. Es bestanden keine Blutdrucksteigerung,
keine Herzveränderungen, in einem Falle noch Reste eines serösen
Pleuraexsudates rechts.
ln allen 3 Fähen trat nun angeblich nach „Erkältung“, einmal zu¬
sammen mit einer leichten Angina, zweimal nach leichter Temperatur¬
steigerung von kaum eintägiger Dauer — bei einem Patienten lag dazu
noch ein Ausgang am Tage vorher vor — plötzlich eine starke Hämo¬
globinurie auf. Der Ham — in reichlicher Menge — war sofort bei Ent¬
leerung tief braunrot, z. T. fast schwarz, gab starke Biutreaktionen,
der Blutfarbstoff war z. T. gelöst, z. T. in feinster^ gelblich-braunen
Schöllchen nachweisbar, z. T. zu Hämoglobinzylindem zusammen¬
gelagert. Daneben fanden sich vermehrt Erythrozyten, Leukozyten,
sowie vermehrte Zylinder. Der Eiweissgehalt war vorübergehend stark
erhöht. Dieser Zustand hielt in grösster Stärke einen Tag an. Am
2. bis 4. Tage wurde der Harn viel heller, bzw. ganz klar und blutfrei.
Am Ende des Anfalls waren noch kurze Zeit vielleicht etwas mehr rote
Blutkörperchen und Zylinder als vorher nachweisbar, dann aber trat
eine wesentliche Besserung gegen früher ein. So sank z. B. in dem
einen Falle die Eiweissausscheidung, die monatelang konstant % bis
% Proz. betragen hatte, auf feinste Spuren, ln allen 3 Fällen trat
schliesslich völlige Heilung der Nephritis ein, ohne dass neue hämoglo¬
binurische Nachschübe erfolgten. Lues war in keinem Falle nachweis¬
bar, und die W a s s e r ni a n n sehe Reaktion war — soweit angestellt —
negativ.
Zweifellos handelt es sich also um echte typische Hämoglobinurie
im Verlaufe alfuter Glomerulonephritis, die sich an leichte (infektiöse)
Schädigung, also an Bedingungen anschloss, die sonst vielfach hämor¬
rhagische Nachschübe hervorrufen.
Wo setzt nun die Hämolyse ein? In allen 3 Fällen wurde das
Blut — 2 mal auf der Höhe, im 3. Falle am 2. Tage früh bei noch star¬
ker Hämoglobinurie — aus der Armvene entnommen. Es fand sich
in keinem Falle auch nur eine Spur von Hämoglobinämie. Der
Donath-Landsteiner sehe Versuch konnte leider in keinem Falle
angestellt werden. Nach Abklingen der Hämoglobinurie führte längere
starke Kältewirkung in einem Falle (Hand in Eiswasser) zu keinem
hämoglobinurischen Anfall. Subikterus oder Milzschwellung bestand'in
keinem Falle.
Alles das spricht gegen eine Hämolyse in der Blutbahn. Da der
frisch gelassene Harn auch bei öfterer Blasenentleerung stark hämo-
globinurisch war, so blieb als Ort der Hämolyse nur die Niere selbst
übrig.
Bei der paroxysmalen und Marsch-Hämoglobinurie ist ja auch viel¬
fach die Niere als wesentlicher Ort der Hämolyse bezeichnet worden,
da hier ebenfalls öfters keine Spur von Hämolyse im Blut nachweisbar
war (z. B. Rosenbach [1], Rosin [2], Choroschilow [3],
L i c h t w i t z t4l). Für das Schwarzwasserfieber ist ganz kürzlich
wieder Plehn [5] für diesen Ursprung der Hämolyse eingetreten.
In diesen Fällen abklingender hämorrhagischer Nephritis mit Hämo¬
globinurie ist aber meines Erachtens das Auftreten hämolytischer Vor¬
gänge in den Nieren besonders verständlich. Durch das frühere lang¬
dauernde Austreten mehr oder weniger reichlicher roter Blutkörperchen
in^das Nierengewebe und Kanälchen, die z. T. von den Nierenepithelien
phagozytiert, bzw. nach Zerstörung resorbiert werden, könnte sehr wohl
lokal ein Hämolysin gebildet werden. Erfolgt nun unter den an¬
gegebenen Bedingungen nach längerer Zeit wieder einmal ein vermehr¬
ter Austritt roter Blutkörperchen, so kann das Hämolysin wirksam
werden. Eine solche Annahme bereitet meines Erachtens keine
Schwierigkeiten, und für sie spricht die Beobachtung, dass in solchen
Fällen mitunter noch relativ reichlich erhaltene rote Blutkörperchen
neben der Hämoglobinurie im Hayi erscheinen können. So beobachtete
ich erst kürzlich in einem Fall von Endokarditis lenta mit offenbar länger
bestehender hämorrhagisch-embolischer Herdnephritis eine partielle
Hämoglobinurie neben einer Hämaturie.
Einige angestellte orientierende Versuche, das Hämolysin im Harn
selbst noch nachzuweisen, fielen allerdings negativ aus. Vielleicht ver¬
sprechen Versuche mit Nierenextrakt von subakuter hämorrhagischer
Glomerulonephritis mehr Erfolg für den Nachweis eines Hämolysins
in der Niere.
Wagner [6] erwähnt eine „beim hämorrhagischen Morbus Brightli
vorkommende“ „von der Niere ausgehende Art Hämoglobinurie“. In
der Beobachtung I m rn e r m a n n s [7] von Hämoglobinurie bei Typhus,
die er an anderer Stelle erwähnt, ist allerdings offenbar die Hämolyse
im Blute erfolgt, worauf der gleichzeitige Ikterus hinweist. Auch
Heubners [8] Beobachtung von Hämoglobinurie bei Scharlachnephri¬
tis gehört wohl nicht hierher, ebenso die von ihm berichteten ähn¬
lichen Angaben anderer Beobachter.
Dagegen gibt Senator [9] an, dass es bei schwerer akuter oder
chronischer sog. hämorrhagischer Nephritis mitunter zur Hämo¬
globinurie komme, die nicht hämatogen, sondern renal bedingt sein
könne. Er trennt sogar eine „Nephritis hämoglobinurica“ ab und be¬
richtet über 2 derartige Fälle, in denen eine Nephritis scheinbar sofort
mit Hämoglobinurie einsetzte.
Im ganzen sind jedenfalls derartige Beobachtungen so selten, dass
ein Hinweis auf die hämoglobinurischen Nachschübe im Verlaufe akuter
hämorrhagischer Glomerulonephritis berechtigt Ist. ^
Literatur.
1. Rosenbach: B.kl.W. 1880, Nr. 10 u. 11. — 2. Rosin: Verh.
Kongr. f. inn. M. 1910. — 3. Choroschilow; Zschr. f. klin. M. 1907, Bd. 64.
4 *
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
SOS
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHrIPT.
Nr. 26.
- 4 Lichtwitz; Klinische Chemie. Springer-Berlin 1918. — 5. P 1 e h n:
Rci. Kongr. Zbl. f. inn. M. 1921, Bd. 16. — 6. W a g n e r: v. Ziemssens Hand¬
buch Bd. 9, 1, 1882. — 7. Immer mann: D. Arch. f. klin. M. 1874, Bd. 12.
— 8. H e u b n e r: D. Arch. f. klin. M. 1879, Bd. 23. — 9. S e n a t o r: Noth¬
nagels Handb. Bd. 19. 1. 1896.
Aus der Heidelberger Kinderklinik.
lieber die Senkungsgeschwindigkeit der roten Biut-
körperchen im Säuglingsaiter, im besonderen bei
Lues congenita.
Von Dr. P. György, Assistent der Klinik.
Während man in der neuesten Literatur hinreichend Unter¬
suchungen über das Sedimentierungsvermögen der roten Blutkörper¬
chen bei Erwachsenen (Fahraeps, Plaut, Runge, Büsche r),
ebenso im Nabelschnurblut (Linzenmeier, Sachs -v. Oettin-
gen) vorrindet, fehlen entsprechende Daten aus dem Säuglingsalter.
Unsere ersten Untersuchungen erstreckten sich auf Säuglinge, die
mit angeborener Lues zur Aufnahme kamen. Ein Teil des Blutes, das
wir zur Anstellung der WaR. den Säuglingen entnommen haben, konnte
leicht zur Bestimmung der Senkungsgeschwindigkeit der roten Blut¬
körperchen herangezogen werden.
Wir bedienten uns der technisch einfachen Methode von Linzenmeier.
An Röhrchen, deren lichte Wnite 5 mm beträgt und die etwa# mehr als 1 ccm
Inhalt haben, zeigt eine obere Marke 1 ccm Inhalt an; dann folgen absteigend
in Entfernung von 6 mm drei Marken mit 6—12—18 mm. Die Blutentnahme
erfolgte mittels der Sinuspunktion nach T o b 1 e r. Zur Flüssigerhaltung des
Blutes wird dasselbe mit Volumen 5 proz. Na. citr.-Lösung vermischt und
das Röhrchen bis zur obersten Marke aufgefüllt. Wenn eine Marke erreicht
ist, wird die Zeit notiert. Im folgenden werden wir nur die Werte von
18 mm angeben und sie als Mass der Senkungsgeschwindigkeit gelten lassen.
Es kamen 10 frische, unbehandelte Fälle mit angeborener Lues zur
Untersuchung. Die Senkungszeit betrug 8—23 Minuten; die Blutkörper¬
chen sind also durch eine äusserst starke Senkungs¬
geschwindigkeit ausgezeichnet, die die Durchschnittswerte von
Linzenmeier im Qravidenblut und die von B ü s c h e r bei der er¬
worbenen Lues der Erwachsenen erheblich übertrifft. Um das überaus
starke Sedimentierungsvermögen der Säuglingsblutkörperchen bei Lues
congenita praktisch verwerten zu können, fehlte uns die Kenntnis der
Senkungszeit bei normalen Säuglingen. Ueber die entsprechenden
Werte bei Erwachsenen gibt uns die neuere Literatur — wie schon
erwähnt — genügende Anhaltspunkte, insbesondere konnten wir die
Werte von Linzenmeier und Büsch er zahlenmässig zum Ver¬
gleich heranziehen, da dieselben mit der gleichen Methode gewonnen
worden sind.
So beträgt die Senkungszeit nach Linzenmeier bei der nor¬
malen, geschlechtsreifen Frau 5—6 Stunden, während Büscher im
Durchschnitt bloss Stunden und eine Variationsbreite von 90 bis
.330 Minuten angibt. Bei Männern ist das Sedimentierungsvermögen
gegenüber dem der Frauen stark herabgesetzt (Fahraeus, Plaut,
Linzenmeier, Büscher) und beträgt 7—9 Stunden (nach der
Methode von Linzenmeier). Es wird von sämtlichen Autoren
hervorgehoben, dass selbst die individuelle Senkungsgeschwindigkeit
keine absolute Konstante darstellt. So steigt die Senkungsgeschwindig¬
keit bei den Frauen in der Menstruationsperiode, und Büscher konte
— wenn auch nicht gesetzmässig — Aenderungen nach den Mahlzeiten
beobachten.
Wir dehnten unsere Versuche auf einige Normalfälle aus und ver¬
fügen über 18 Normalwerte. Wenn ,wir zuerst die Fälle mit einem
Lebensalter von über 1 Monat betrachten, so finden wir die Senkungs¬
zeit von 48 bis 150 Minuten: der Mittelwert betrug 1/4 Stunden. Ver¬
gleichen wir diesen Wert mit den mitgeteilten Normalwerten von Er¬
wachsenen, so müssen wir die auffallende und unerwartete Tatsache
feststellen, dass das Säuglingsalter (bzw. Säuglinge in einem
Aller von über 1 Monat) durch eine schon physiologisch
stark erhöhte Senkungsgesch w i ndigke i t der roten
Blutkörperchen ausgezeichnet ist, die nicht nur die des
erwachsenen Mannes, sondern auch die der Frauen beträchtlich über¬
steigt. Ein Unterschied in der Senkungszeit von weibiiehen und männ¬
lichen Säuglingen konnte nicht festgestellt werden. Ebensowenig kann
von einem deutlichen Einfluss der Nahrungsaufnahme berichtet werden.
Wie aus der Literatur bekannt, ist das Nabelschnürblut durch
ein stark verringertes Sedimentierungsvermögen der roten Blutkörper¬
chen ausgezeichnet; es drängt sich so die Frage auf. wieso und in wel¬
chem Alter nach der Geburt dieser plötzliche Umschwung in den Stn-
kungsvcrhältnissen der roten Blutkörperchen eintritt. Wir konnten bei
5 gesunden Säuglingen innerhalb der ersten 4 Lebenswochen die Sen¬
kungsgeschwindigkeit der roten Blutkörperchen untersuchen. Die
Werte haben wir in folgender Tabelle zusammengestellt:
1. E. M. 2 6 Tage alt.7 Stunden Senkungszeit,
2. L. R. ^ 11 .7
3. N. N. ^ 19 . 2% ..
4. H. F. 5 21 .6
5. E. D. 26 „ ..7
Wenn auch die Zahl unserer Untersuchungen gering ist, ergibt sich
doch ein sehr deutlicher Gegensatz zwischen den Senkungswerten aus
dem ersten Lebensmonat und jenen aus dem späteren Säuglingsalter.
In dem Falle 5 (E. D.) konnten wir die Senkungsgeschwindigkeit im
Digitized by Goiisle
Alter von 7 Wochen noch einmal feststellen; sic ergab schon den physio¬
logisch erhöhten Normalwert von 105 Minuten, statt 7 Stunden im Alter
von 26 Tagen. Bemerkenswert erscheint uns, dass bei den 5 unter¬
suchten Säuglingen aus dem ersten Lebensmonat eine dem Alter ent¬
sprechende Abstufung der Senkungszeit nicht festgestellt werden
konnte. Zusammenfassend lässt sich soviel sagen, dass das auffallend
schlechte Sedimentierungsvermögen der roten Blutkörperchen im Nabel¬
schnurblut in den ersten Lebenslagen und -wochen noch weiter¬
besteht. Sachs und v. Oettingen bringen das merkwürdige Ver¬
halten des Nabelschnurblutes, das sie aus der aussergewöhnlich starken
,.Kolloidstabilität“ desselben erklären, mit den physiologischen Eigen¬
tümlichkeiten der Neugeborenenzeit (z. B. Fehlen der „Antikörper")
in Verbindung. Es könnte nun die Frage diskutiert werden, ob diese
physiologischen Eigentümlichkeiten und so auch die gesamte Neu-
geborenenperiode mit dem verlangsamten Sedimentierungsvermögen der
roten Blutkörperchen parallel gehen. So Hesse sich eine biologisch
fundierte Neugeborenenzeit vom übrigen Säuglingsalter abtrennen, im
Gegensatz zu der bis jetzt herrschenden willkürlichen Feststellung des¬
selben: wie Zeitpunkt des Nabelschnurabfalles, Kolostralperiode, Ab¬
schluss der sog. physiologischen Gewichtsabnahme. Erreichen des Ge¬
burtsgewichtes etc.
Führte uns die Feststellung der nbrmalen, physiologischen Sen¬
kungswerte einerseits zu diesen beachtenswerten biologischen Frage¬
stellungen, so können wir andererseits im Besitz dieser Normahverte
die Senkungsgeschwindigkeit der Säuglingsblutkörpcrchen bei Lues
congenita genauer einschätzen. Selbst bei der physiologisch schon er¬
höhten Senkungsgeschwindigkeit der Säuglingsblutkörperchen besteht
bei Lues congenita eine weitere gesetzmässige. sehr auffällige Be¬
schleunigung des Sedimeritierimgsvorganges. Dem Mittelwert von
90 Minuten bei den normalen Säuglingen iin Alter von über I Monat,
steht ein Wert von 12 Minuten bei Lues congenita gegenüber. Das
Alter spielte in' den Fällen von Lues congenita keine Rolle, auch ini
Alter unter 1 Monat finden wir sehr stark erhöhte Senkungswerte;
so wies ein Säugling mit 14 Tagen eine Senkungszeit von 14 Minuten,
ein anderer mit 21 Tagen eine Senkungszeit von 8 Minuten auf. Mit
Ausnahme eines Falles war die WaR., ebenso wie die Reaktion von
Sachs-Georgi positiv ^), in dem einen negativen Falle zeigte der
Säugling (4 Wochen alt) eine grosse Milz, sonst keine klinischen Zei¬
chen von Lues und eine stark erhöhte Senkungsgeschwindigkeit von
17 Minuten. Entzündung, Fieber, Tuberkulose waren auszuschliessen,
die Mutter stand mit positiver WaR. in anfiluetischer Behandlung.
2 Fälle von angeborener Lues sind im Laufe einer kombinierten Nco-
salvarsan-Ouecksilberkur fortlaufend in bezug auf das Sedimenticrungs-
vermögen der roten Blutkörperchen untersucht worden. In den 3 Mona¬
ten der Behandlung haben wör folgende Werte gefunden: 1. Fall: 11.
13, 9, 21, 19 und, nach Beendigung der Kur. 39 Minuten: 2. Fall:
17, 26, 26, 42, 43, 39 Minuten. Die anfangs stark positive WaR. ist
am Schluss der Kur entsprechend den letzten Senkungswerten negativ
geworden. Zwei weitere behandelte Fälle von Lues congenita w'icsen
eine Senkungsgeschwindigkeit von 38 bzw. 40 Minuten auf. Bei Lues-
veidacht konnten wir uns der Sedimentierungsmethode erfolgreich be¬
dienen. Die Tatsache, dass bei unbehandelter Lues die Senkungszeit
durchschnittlich 10—20 Minuten beträgt, lässt das Verfahren schon
während der ersten klinischen Untersuchung, so auch in der Sprech¬
stunde zu Ende führen, im Gegensatz zu den gebräuchlichen Lues¬
reaktionen, denen es allerdings an Spezifität stark unterlegen ist. Bei
der Unspezifität des Vorganges ist die negative Reaktion beweis¬
kräftiger, als ein positiver Ausfall. Die schon bei Erwachsenen fest¬
gestellte Unspezifität des Vorganges konnten wir bei Säuglingen auch
feststellen, ln Fällen von fieberhafter Entzündung, von Tuberkulose
erfährt die Senkungsgeschwindigkeit eine starke Erhöhung, die aber
meist noch hinter der Beschleunigung zurückbleibt, die wir bei
Lues congenita gefunden haben. Da man im Säuglingsalter
Tuberkulose und selbstverständlich Fieber leicht ausschliessen kann,
bleibt die praktische Verwendbarkeit der Methode dadurch weniger be¬
einflusst als bei Erwachsenen. Auch bei einem fieberhaften Barlowfall
konnte eine kurze Senkungszeit von 11 Minuten registriert werden.
In Zusammenhang mit Lues, Tuberkulose, Barlow sei auf den Paral¬
lelismus von Vorgängen mit Abbau und Untergang von iipoidhaUigcin
Gewebsmaterial und dem Sedimentierungsvermögen der roten Blut¬
körperchen hingewiesen.
Zusammenfassung: 1. Die roten Blutkörperchen weisen i:ii
Zitratblut bei Säuglingen im Alter von über 1 Monat eine physiologisch
erhöhte Senkungsgeschwindigkeit auf, während sie bei Säuglingen unter
1 Monat im Durchschnitt sehr stark verlangsamt ist.
2. Die starke Verlangsamung in den ersten Lebenswochen wiid mit
der Neugeborenenperiode in Zusammenhang gebracht.
3. Fieberhafte Entzündungen, Tuberkulose, insbesondere aber Lucs
congenita weisen eine weitere starke Erhöhung der Senkungswcris aut.
4. Sonstige Beschleunigungsmomente ausgeschlossen, kann die
Senkungsgeschwindigkeit bei Fällen von aige-
borener Lues praktisch-diagnostische Dleistc
leisten. Sie geht mit der WaR. und SG. (S a c h s - G e ( r g i)
parallel und nimmt im Laufe einer antiluetischen Kur ab.
*) Die Reaktionen wurden im Institut von Prof. Sachs ausgei ihrt.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA ^
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
809
Aus der Staatlichen Frauenklinik Dresden.
(Direktor: Qeh. Med.-Rat Prof. E. Kehrer.)
Blut- und StofTwecbsel-Untersuchungen bei Radium-
bestrablung.
Von Dr. J. Hauenstein, Assistenzarzt.
Der Blutbefund bei Patienten, die mit radioaktiven Substanzen
behandelt wurden, ist in den letzten Jahren zum Gegenstand zahl¬
reicher Untersuchungen gemacht worden, weil man ihm nicht nur vom
theoretischen, sondern mehr noch vom praktischen Standipunkt aus
eine Bedeutung zuerkannte.
Neben der Erkenntnis, dass das hämatopoetische System eine be¬
sonders hohe Radiosensibilität besitzt und dass schon durch ganz ge¬
ringe Strahlenmengen der lymphatische Apparat: Milz und Knochen¬
mark, Schädigungen erleiden, welche zu Störungen Anlass geben '
(Heineke, Linser, Helber, Krause, Benjamin, Schuka,
Schwarz) hat man ganz bestimmte Veränderungen im strömenden
Blute nachzuweisen vermocht: zunächst eine (absolute) polynukleäre
Hyperleukozytose, die mit einem starken (relativen) Abfall der Lympho¬
zyten einhergeht. Etwa 8 Tage nach der Bestrahlung Wiedereinstellung
dieses Blutbildes auf normale Verhältnisse. Zerfall der Erythro¬
zyten und damit auch Abnahme des Hämoglobingehalts des Blutes bei
Verwendung stärkerer Radiumpräparate.
Im Tierexperiment fand Heineke bei intensiver Bestrahlung eine sehr
starke Gefährdung der blutbildenden Organe. Direkte Bestrahlung der Darm¬
wand und Milzfollikel von Meerschweinchen und Kaninchen während 5 Stun¬
den mit 20 mg Radiumbromid rief ausgedehnte Kernschädigungen hervor. Be¬
strahlung der Bauchliaut der Tiere während einer Stunde gcnQgte, um die
Lymphozytenherde im Innern des Abdomens weitgehendst zu. zerstören.
Nürnberger beobachtete in unmittelbarem Anschluss an die Be¬
strahlung oder nach 1—2 tägiger Latenzzeit ein akutes Ansteigen der Qe-
samtleukozyten und Neutrophilen, kombiniert mit einem Schwund der Lympho¬
zyten. Nach 1—2 Tagen fielen die Qesamtleukozyten und Polynukleären
auf normale und subnorniale Werte ab unter gleichzeitigem Anstieg der
Lymphozyten, und erst nach 6—8 Tagen war der Blutprozess abgelaufen. Bei
mehrmaligen kurz aufeinander folgenden Bestrahlungen zeigten sich die
gleichen Veränderungen, doch waren die späteren Ausschläge in der Regel
geringer als die ersteren.
Treber untersuchte Karzinomkranke. Bei 33 Patienten sah er 24 mal
ein Steigen, 6 mal ein üleichbleiben und bei 3 letal verlaufenen Fällen ein
Sinken der Erythruzytenzahl und des Hämoglobingehalts. Bei 22 Kranken fiel
die Leukozytenzahl, darunter 6 mal sehr beträchtlich. Der Leukozytensturz
schien um so ausgesprochener, je grösser die angewandte Strahlenmenge war.
Bernhard Schweitzer hatte bei 20 Fällen von Mesothoriumbestrah-
lung wegen inoperablem Portiokarzinom (1 Scheidenkarzinom) Blutunter¬
suchungen angestellt. Bei Bestrahlung mit 75 mg Mesothorium trat 12 bis
20 Stunden lang eine Leukozytose massigen Grades auf, daran anschliessend
eine Verminderung der Leukozyten; erst 8 Wochen nach der letzten Be¬
strahlung begann dann wieder ein Ansteigen der Leukozytenzahl bis zur
Norm. Die Neutrophilen waren bei der Anfangsleukozytose allein beteiligt,
während gleichzeitig eine Abnahme der Lymphozyten eintrat. An der an¬
schliessenden Leukopenie beteiligten sich Lymphozyten und Neutrophile. Spä¬
ter erfolgte eine Zunahme der Lymphozyten bei gleichzeitiger Verminderung
der Neutrophilen,
K 0 1 d e und Martens konnten nach Mesothoriumanwendung einen
Zerfall der roten Blutkörperchen feststellen. Bei längerer oder stärkerer Be¬
strahlung war er meist beträchtlicher als bei kürzerer Anwendung oder
kleinerer Radiummenge.
Man könnte der Meinung zuneigen, dass es sich nach allen diesen
Arbeiten erübrigen würde, noch weitere Untersuchungen hinzuzufügen.
Trotzdem hielten wir bei der hohen Radiumdosierung, wie sie an der
Dresdener Frauenklinik zur Anwendung kommt, Ergänzungen für er¬
forderlich, und so habe ich bei 22 Frauen mit Uteruskarzinom während
der ganzen Radiumbehandlungszeit den Hämoglobingehalt, die
Zahl der roten und weissen Blutkörperchen und das
Verhaltender einzelnen Leukozytenformen zueinander
festgestellt^). Die Ergebnisse seien hier kurz mitgeteilt:
1. Der Hämoglobingehalt des Blutes entsprach im allgemeinen der
verabreichten Strahlendosis; er sank, wenn ein hochwertiges Radium¬
präparat länger als 24 Stunden intrazervikal oder vaginal Hegen blieb;
er verhielt sich unverändert, wenn die verabreichte Gesamtdosis den
Wert von 800—1000 mgeh nicht überstieg. Ausnahmen von dieser
Regel kommen vor. Stets aber ging der Hämoglobingehalt dem Zerfall
der Erythrozyten parallel, mit anderen Worten: die roten Blutkörper¬
chen zerfallen unter dem Einfluss der y-Strahlen und nehmen in der
Menge ab. Schon 24 Stunden nach intrazervikalem Einlegen des Ra¬
diumpräparats nachweisbar, erreichte der Abfall am 3. Tage seinen
tiefsten Punkt.
Bei mehrmaligen kurz aufeinanderfolgenden Bestrahlungen zeigten
sich die gleichen Bilder, doch waren die jedesmaligen Schwankungen
geringer als bei der ersten Bestrahlung.
Bezüglich der Technik sei folgendes erwähnt: Für die Bestimmung
des Hämoglobingehalts wurde das Hämometer nach Sahli benutzt, die
Zählung der roten und weissen Blutkörperchen geschah mit der Thoma-
Z e i s s sehen Zählkammer. Zur differentiellen Auszählung der Leukozyten
wurden die Bliittrockenapparate mit einer May-Grünwald-Lösung gefärbt und
es w'urden stets 300 Leukozyten gezählt. Um Fehlermöglichkeiten auszu¬
schalten wurde jede Patientin täglich zur gleichen Stunde untersucht. Wegen
der Verdauungsleukozytose wurden die Nachmittagsuntersuchungen nie vor
4 Uhr angestellt.
Das Gegenteil, eine Vermehrung der roten Blutkörperchen im An¬
schluss an Radiumbestrahlung konnten wir an 2 Fällen konstatieren,
und zwar bei Personen, die äusserst anämisch und kachektisch waren.
2. Bei den Leukozyten machten sich folgende Veränderungen be¬
merkbar :
Im Anschluss an jede einzelne Radiumbestrahlung und schon 3 Stun¬
den nach Einlegen des Präparats erkennbar werdend, erfolgte ein akuter
Anstieg derselben. Ara 2. Tag nach Herausnahme des Präparats, also
ungefähr 96 Stunden nach Beginn der Bestrahlung, pflegte die Leuko¬
zytenkurve ihren höchsten Gipfel zu erreichen, worauf ein Abfall er¬
folgte. Bei kurz aufeinanderfolgenden Bestrahlungen bildeten sich die
gleichen Veränderungen aus, doch blieb die Grösse der Sensibilitäts¬
schwankung der Leukozytenwerte bei jeder neuen Bestrahlung hinter
der der früheren zurück. Auch hier spielte die Radiumelement-Stunden¬
menge und das Befinden der Kranken eine grosse Rolle. Konnten wir
doch bei einer äusserst Kachektischen am 2. Tag nach Herausnahme
eines Präparats von 122 mg Ra.-El., das 48 Stunden lang gelegen hatte,
einen Anstieg von 6400 auf 31 000 Leukozyten feststellen, ohne dass
eine dauernde Schädigung zurückblieb.
Bei dem Anstieg der Leukozyten waren in erster Linie die poly¬
nukleären Zellen beteiligt. Die Differentialzählung ergab eine pro¬
zentuale und absolute Vermehrung der Neutrophilen und
eine prozentuale, aber nicht absolute Abnahme der Lympho¬
zyten. Die letzteren bleiben also auf derselben Höhe wie früher
(3000 in 1 cmm). In einem Fall konnte ich innerhalb von 3 Tagen ein
Ansteigen der Neutrophilen von 72 Proz. auf 93 Proz. und ein Abfallen
der Lymphozyten von 24 Proz. auf 5 Proz. feststellen. Einen Leuko¬
zytensturz sofort nach der Bestrahlung, bei dem es sich um eine nur
relative Vermehrung der Lymphozyten und eine absolute und relative
Abnahme der Neutrophilen handelte, wie sie Nürnberger in eini¬
gen Fällen beobachtete, habe ich niemals gesehen, obwohl ich von
allem Anfang an ganz besonders darauf geachtet habe.
Eine Veränderung des Blutbildes in bezug auf die grossen weissen
Blutzellen, die mononukleären, eosinophilen und basophilen Zellen
konnte nicht festgestellt werden.
Als Beispiel der in der Regel auftretenden Veränderungen diene folgende
Kurve, die bei einer 58 jährigen Frau (B. Jo. 1920), die wegen Vaginalkarzinom
mit Radium bestrahlt wurde, gewonnen wurde.
Beim klinischen Eintritt war die Qesamtleukozytcnzahl 8460, und bei
der Auszählung der einzelnen weissen Blutkörperchen fanden sich 74 Proz.
Neutrophile und 23 Proz. Lymphozyten. Der Hämoglobingehalt betrug 63 Proz.
und die Erythrozytenzahl 4 500 000. Am 4. 11. 20 wurden 54 mg Ra.-El., in
einem Paraffinblock eingeschlossen, in die Vagina eingelegt und nach 24 Stun¬
den entfernt. Nach weiteren 24 Stunden, am 6. II. hatten sich die Leukozyten
beinahe um das Doppelte vermehrt (16 700); die Lymphozyten zeigten einen
beträchtlichen Abfall von 23 auf 10 Proz., während die Neutrophilen von 72
auf 87 Proz. angestiegen waren. Die Erythrozyten erfuhren eine Verminde¬
rung von 300 000 (bis auf 4 200 000), der Hämoglobingehalt aber nur ein
Sinken um 3 Proz. Am 8. 11. hatten sich die Erythrozyten wieder um 200 000
vermehrt, die Leukozyten waren auf 9200 abgefallen, die Neutrophilen und
Lymphozyten zeigten annähernd normale Werte (74 Proz. und 20 Proz.). Die
nächstfolgenden Bestrahlungen, die am 9., 14. und 20. II. ausgeführt wurden,
zeigten die gleichen Alterationen; die Zahl der roten Blutkörperchen war
schliesslich auf 3 900 000 und der Hämoglobingehalt auf 55 Proz. gesunken.
Die Leukozyten zeigten nach jeder Bestrahlung einen Anstieg, der aber bald
wieder ausgeglichen war. Die Neutrophilen- und Lymphozytenkurve lief in
dem oben angedeuteten Sinne parallel der Leukozytenkurve.
Blutbild bei Rjdittmbejtrehliing _
- LympHiocyten
Alle im vorhergehenden erwähnten Blutveränderungen traten in
unmittelbarem Anschluss an eine Radiumbestrahlung auf. Aber auch
das Blutbild etwa 2—3 Monate nach der Bestrahlung musste unser
Interesse erwecken. Bei diesbezüglichen Untersuchungen ergab sich,
dass eine dauernde Schädigung der Leukozyten und Erythrozyten nie¬
mals vorhanden war. Die Ergebnisse von 3 derartigen Nachunter¬
suchungen zeigt die folgende Tabelle:
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
810
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
Frau J. (Jo.-Nr. 1919/823).
Klinisohe
Aufnahme
6. Xn. 19.
Klinische
Entlassung
28. XII. 19.
Nach¬
untersuchung
19. m. 20.
Hämoglobin..
ErjÜirozyten.
Gesamtleukozyten.
Neutrophile.
Lymphozyten.
Eosinophile.
Mononukleäre n. Uebergangsformen
Frau T.
60%
4200000
6800
74%
22%
2%
2%
(Jo.-Nr. 1919/a
60%
8500000
7900
76 V.
18 Vo
8Vo
4%
38).
60*/o
4400000
5900
76 V.
20V.
4%
Klinische
Aufnahme
11. xn. 19
Klinische
Entlassung
21. I. 20.
Nach¬
untersuchung
19. m. 20.
Hämoglobin.
Erythrozyten .
Gesamtleukozyten..
Neutrophile .
Lymphozyten.
Eosinophile.* .
Mononukleäre u. Uebergangsformen
Frau R.
65 V.
4800000
7800
70«/„
26 o/o
20/o
2Vo
(Jo.-Nr. 1919/7-
60%
8600000
8900
76«/,
20*/,
2Vo
2%
42).
660/,
4200000
6400
70«/,
230/0
IV.
e%
Klinische
Aufnahme
80. xn. 19.
Klinische
Entlassung
17. I. 20.
Nach-
untersnehung
19. m. 20 .
Hämoglobin.
66«/.
65«/,
66«/,
Erythrozyten.
4400000
8900000
4300000
Gesamtleukozyten.
8100
8500
6900
Neutrophile.
79«/,
78«/,
69«/,
Lymphozyten. ...
200/o
16«/,
27 V.
Eosinophue.
Mononukleäre u. Uebergangsformen
IV.
4V.
4»/.
lieber die AnordnuiiK der an Zahl freilich sehr geringen Stoffwechsel¬
untersuchungen schicke ich folgendes voraus:
Von einer vollständigen analytischen Bestimmung aller Einnahmen
und Ausgaben musste von vornherein abgesehen werden.
Der Ham konnte fast ausnahmslos ohne Verlust gesammelt und
zur sofortigen Untersuchung verwendet werden. Von einer Verarbeitung
des Kots sah ich ab. Nicht ganz exakt Hessen sich die Analysen bei
den Einnahmen durchführen. Ich musste mich in den meisten Fällen
darauf beschränken, den Stickstoffgehalt der Nahrung, welchen ich aus
Tabellen entnahm, zu berechnen. Die Stickstoffbestimmung im Urin
wurde durchweg nach der Methode von K j e 1 d a h 1 ausgeführt.
Der Stickstoffgehalt des Harns, der vor der Bestrahlung ziemlich
glelchmässig war, schien während und nach derselben eine Abnahme
zu erfahren; es hatte also den Anschein einer Stickstoffretention. Bei
2 letal verlaufenen Fällen hatte die Stickstoffausfuhr 2 Wochen ante
exitum eine grössere Steigerung angenommen. Um diese Feststellung
nochmals zu überprüfen, wurden einige Patienten eine Woche lang fast
ausschliesslich mit Milchkost ernährt (täglich 2 Liter Milch und 250 g
Weissbrot). Auch hierbei zeigte sich eine beträchtliche Stickstoff¬
retention.
Ungefähr parallel der Stickstoffausfuhr verlief die Ausscheidung der
Harnsäure. Es fand sich fast regelmässig eine Vermehrung derselben,
wenn freilich nur mässigen Grades. Bei den beiden nach der Radium¬
bestrahlung Verstorbenen waren sogar sehr hohe Harnsäuremengen
zu finden.
Azeton und Azetessigsäure konnten niemals nachgewiesen werden.
Auffallend hoch waren im Anschluss an die Radiumbestrahlungen die
Zahlen für Indikan.
Geringe Albuminurie trat bei fast allen Karzinomkranken nach der
Bestrahlung auf. der Eiweissgehalt betnig nach Esbach Vm bis
Proz. Eine Nephritis konnte nicht festgestellt werden.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik Halle a. S.
(Direktor: Prof. Voelcker.)
Die Röntgentherapie der Mundbodenkarzinome.
Von Dr. W. Baensch, leitender Arzt der Röntgenabteilung.
Die in der Literatur veröffentlichten ungünstigen Resultate der
Röntgenbehandlung von Mundbodenkarzinomen waren auffällig, denn
wir haben es hier mit einer Lokalisation des Tumors zu tun, die im Prin¬
zip für die Strahlenbehandlung äusserst günstig liegt. Man kann ein
Kreuzfeuer von soviel Feldern ansetzen, dass im ganzen Bereich des
Tumors die Karzinomdosis mit Sicherheit zur Absorption kommt. Und
doch wurde allgemein keine Rückbildung der Geschwulst, sondern zu¬
weilen sogar eine Verschlechterung des Zustandes beobachtet. Der Ge¬
danke einer Unterdosierung lag nahe. Aus diesem Grunde bestrahlte
ich eine Serie von 5 Mundbodenkarzinomen intensiv nach beifolgendem
Therapieplan (s. Skizze nach H o 1 f e 1 d e r s Felderwähler). Ein Feld
(6X8 cm. W i n t z scher Tubus) setzte ich hochkant auf das Kinn von
vorn; anschliessend Hess ich zu beiden Seiten je ein gleiches horizon¬
tales Feld folgen, endlich wurde anstatt des ersten Feldes oder mit
diesem kombiniert ein viertes Feld mit Glastubus durch den geöffneten
Mund gegeben. Auf jedes Feld wurde eine HED. gegeben mit 23 cm
FHA., 0,5 mm Zink + 1,0 Alum. gefiltert. Bestrahlt wurde entweder
mit SHS.-Röhren am Symmetrieinstrumentarium oder aber mit
Siemens’ hochevakuierten
Elektronenröhren (Type II) an
Siemens’ Oelinduktoriiim
(40 cm PFSt.), mit beiden
Röhren wird die HED. in
ca. 35—40 Minuten erreicht.
Bei dieser Felderanordnung
wurde in das gesamte Tumor¬
gebiet mit Sicherheit eine
Strahlenmenge von mindestens
135 Proz., also reichliche Kar¬
zinomdosis gebracht, ohne auf
den Hautbezirken die HED. zu
überschreiten. Das Resultat
dieses Bestrahlungsmodus war
durchaus unbefriedigend. Die
Tumoren blieben völlig unbeeinflusst; ja sie gewannen bisweilen sogar
an Ausdehnung. Ausserdem bildete sich in 3 Fällen hartnäckiges tei¬
giges Oedem der ganzen Unterkieferpartie aus.
Aus dieser Tat.sache sind meiner Ansicht nach folgende Schluss¬
folgerungen zu ziehen: Der Bestrahlungseffekt hängt ab von dem Ver¬
hältnis der Strahlenempfindlichkeit des Tumors zur Strahlenempfind-
rtchkeit der Umgebung. Ist die Empfindlichkeit des Tumors gross, die
der Umgebung gering, so ist der Effekt ein guter, liegen die Verhält¬
nisse umgekehrt, so ist der Erfolg schlecht, das Karzinom dominiert
und gewinnt an Boden. Dies letztere ist nach meiner Ansicht im Be¬
reich der Mund- und Rachenhöhle der Fall. Wir finden hier ein an
Gefässen flnd lymphatischem Gewebe reiches Gebiet, das eine be¬
sondere Radiosensibilität aufweist. Dies dokumentiert sich anscheinend
auch darin, dass man bei Bestrahlung von tuberkulösen Lymphomen
in der Submaxillarregion bereits bei kleineren Dosen stets ein. wenn
auch vorübergehendes Oedem dieser Gegend bekommt, während die
gleichen und noch höheren Strahlendosen in anderen Körperreeionen.
die für gewöhnlich ebenfalls zu Oedem neigen, nicht die geringsten
Oedeme auslösen. — Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen wäre
zu einer erfolgreichen Röntgenbehandlung der Mundbodenkarzinome die
Strahlung so zu dosieren, dass auf der einen Seite das dem Tumor be¬
nachbarte Gewebe nicht in dem Masse geschädigt wird, dass es zu¬
grunde geht und der infiltrativen Ausdehnung des Tumors Platz macht,
dass auf der andern Seite jedoch eine hinreichende hemmende Wirkung
auf das Geschwulstw'achstum ausgeübt wird. Dies wird nach unserer
Erfahrung erreicht, wenn wir auf die drei vorerwähnten Felder nicht
je eine ganze HED. geben, sondern nur Va—Vs, und diese Serien in
3—4 Wochen wiederholen. Die günstigen Resultate der so bestrahlten
Patienten bestätigen uns die Berechtigung dieser Dosierung. Während
wir in der übrigen Röntgentherapie nur grosse und grösste Dosen
bevorzugen und beispielsweise bei Rektumkarzinomen recht gute Er¬
folge hiermit haben, empfehlen wir bei malignen Tumoren der Mund-
und Rachenorgane eine Herabsetzung der Dosis auf die Hälfte und
warnen vor zu intensiver Bestrahlung! Wir sind der Ueberzeugune.
dass man nicht nur durch U n t e r dosierung. sondern auch durch
U e b e r dosierung (d. h. durch Schädigung der Umgebung) ..wild¬
gewordene“ Karzinome erzeugen kann. Es wäre zu w’ünschcn. drss
der Begriff der Karzinomdosis (im Seitz-Wintz sehen Sinne), der
ja in letzter Zeit viel angegriffen wurde, nicht nur nicht beseitigt,
sondern viel mehr präzisiert und auch nach oben fixiert w'ürde!
Aus der orthopäd. Universitätspoliklinik Heidelberg und dem
Badischen Landeskriippelheim. (Direktor; Prof. v. Baeyer.)
Zur Frühdiagnose der Spondylitis.
Von Dr. Robert Schwank, früher Assistenzarzt der Klinik.
Bel der auffallend starken Zunahme der Spondylitis, insbesondere
der Spondylitis tuberculosa, und bei der ausserordentlich grossen
Wichtigkeit der frühzeitigen Diagnosenstellung dürften wohl die von
mir im Laufe eines Jahres an der Orthopäd. Universitäts-Poliklinik
und im Bad. Landeskrüppelheim gemachten Erfahrungen von allge¬
meinem Interesse sein.
Es standen mir 30 Fälle zur Beobachtung zur Verfügung. Bei der
Mehrzahl der Fälle, besonders bei denjenigen, die ins Bad. Landes¬
krüppelheim eingeliefert wurden, handelte es sich um vollständig ge¬
sicherte Diagnosen mit mehr oder weniger starker Gibbusbildung, voll¬
ständiger Fixierung der erkrankten Partien, Klopf- und Stauchungs¬
schmerz, oft erhöhten Patellarreflexen usw.. die dann zur Operation
(A1 b e e) kamen oder Liegeschale und Stützkorsett bekommen haben.
Bei diesen, wie, was mir besonders wichtig zu erwähnen scheint, bei
Patienten mit beginnender Spondylitis, hat sich bei der Per¬
kussion der Wirbelsäule eine deutliche Schallverkürzung über der er¬
krankten Wirbelpartie ergeben. Besonders deutlich trat diese im Be¬
reiche der Brusüvirbeisäule auf. Unter den beobachteten Fällen war
der Sitz der tuberkulösen Erkrankung bei 20, also 66,7 Proz. der Fälle,
im unteren Bereich der BWS. (7.—12. BW.); in 6. also 20 Proz., am
Uebergang von BWS. und LWS. oder in der oberen LWS. und in 4. also
13,3 Proz. der Fälle, in der Gegend der Hals- oder obersten Brust¬
wirbelsäule. Dies würde auch übereinstimmen mit den Beobachtungen
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNiA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
811
Wulls’teins [1], der als Prädilektionsstellen der Tuberkulose der
Wirbelsäule die untere BWS. und die Uebergangspartie in die LWS.
ansieht.
Wenn wir uns das pathologisch-anatomische Bild betrachten, so
finden wir im Beginn der Spondylitis tuberc. zwei Arten: 1. die sogen,
trockene Form der Granulationstuberkulose (Volkmann. König)
mit der Tendenz des Granulationsgewebes, sich in die spongiösen
Maschen vorzuschieben und diese auszufüllen, mit Kompression und
Kompressionsusuren der spongiösen Bälkchen, Rarefizierung und Ein¬
schmelzung, endend schliesslich mit der Erschöpfung des Virus und Aus¬
heilung, und 2. die gewöhnliche Form, die tuberkulöse Nekrose, mit
Erweichung oder Verkalkung der in grossen Mengen dicht neben¬
einander gelagerten verkästen Tuberkuloseknötchen, In der Mehrzahl
endend mit puriformer Umbildung. Der Eiter verlässt den Ort seiner
primären Entstehung und drängt meist prävertebral das Gewebe vor,
es kommt zur Abszess-, zur pyogenen Membranbildung (v. Bruns,
Nau werck).
Das Auffallende ist nun gerade bei der Spondylitis tuberculosa, wie
überhaupt bei tuberkulösen Knochenentzündungen, dass sich so grosse
Veränderungen in der Wirbelsäule abspielen können, ohne dass irgend
welche Symptome objektiver und auch oft subjektiver Natur auf einen
so schweren Knochenprozess hinweisen. Erwachsene zeigen nicht
selten, trotz des schweren Leidens, das in ihnen langsam um sich greift,
eine erstaunliche Frische des Habitus (v. Baeyer). Fieber fehlt oft
vollständig. Oft hört man zuerst nur Klagen der Eltern über die Unlust
der Kinder, zu spielen, über schlechten Appetit und Schlaf usw. All¬
mählich hat das Kind ein dumpfes Schmerzgefühl im Rücken, klagt über
Leib- und Brustschmerzen, wobei die Leibschmerzen nach Art der
gastrischen Krisen (J u d s o n) auftreten können. Die Schmerzhaftigkeit
der erkrankten Wirbelsäule macht sich meist, sobald die Schmerzen
einen gewissen Grad erreicht haben, in der für Spondylitiker so typi¬
schen Haltung bemerkbar (v. Baeyer [2l). Es dauert ziemlich lange,
bis ein Kind den Schmerz lokalisieren kann. Bei diesem Fehlen spe¬
zifischer Symptome im sogen. Latenzstadium der Spondylitis tuberc.,
so dass die Deformität, (bei Erwachsenen besonders) das Vorspringen
eines Dornfortsatzes, den ersten Hinweis auf die Erkrankung gibt, kann,
zumal bei der seltenen Wirbelbogentuberkulose und der bei Erwachsenen
häufigen epiphysären Form der Wirbelsäulentuberkulose eine Gibbus¬
bildung meist fehlt, der positive Perkussionsbefund in Vereinigung mit
Anamnese und subjektiven Beschwerden sicher von grosser Bedeutung
sein.
Besonders nützlich war dieser mir schon differentialdiagnostisch bei
der dann später durch Röntgenbild festgestellten Spina bifida occulta,
die verhältnismässig gar nicht so selten beobachtet wird, und die ähn¬
liche subjektive und objektive Erscheinungen machen kann wie eine
beginnende Spondylitis (dumpfes Schmerzgefühl im Rücken, Prominieren
eines Dornfortsatzes usw.). Verwertbar sicher auch bei den von
P e t r u s c h k y [3l bei Kindern beobachteten Spinalgien des 2. bis
7. Dornfortsatzes bei Vergrösserung der Halslymphdrüsen.
Auch das Röntgenogramm, das übrigens immer von zwei Ebenen
aus gemacht werden sollte, gibt erst bei ziemlich vorgeschrittenen Pro¬
zessen einen positiven. Befund. Nie sollte man versäumen, wenn die
Röntgenplatte noch so „normal“ aussieht, selbst einen Abzug mit
Gaslichtpapier zu machen. Durch die verstärkte Strahlenresorption eines
infiltrierten Wirbelkörpers bekommen wir bei der Entwicklung des Ab¬
zuges (Positiv) einen schneller dunkel werdenden Herd, der, wenn das
ganze Bild entwickelt ist, kaum mehr zu erkennen ist.
Physikalisch ist die Schallverkürzung über den erkrankten
Partien wohl so zu erklären, dass die infiltrierten oder puriform um¬
gebildeten Wirbel bei der Perkussion nicht mehr oder nur in solch
schwache Schwingungen versetzt werden, dass die daninterliegende
Lungen- oder Darmluft nicht oder nur wenig in Mitschwingung gebracht
werden kann; denn die gleiche Abhängigkeit von der Spannung und.
Elastizität, die M a z o n, F e 1 e 11 i und später F r i e d r e i c h [4] von
der Brustwand für den Perkussionsschall angenommen haben, besteht
auch von der Brust- und Lendenwirbelsäule.
Die Perkussion der Wirbelsäule spielt ja in der inneren physi¬
kalischen Diagnostik eine nicht unbedeutende Rolle. K o r ä n y i.
Michalowicz und de la Camp bevorzugen bei Verdacht auf
Bronchialdrüsentuberkulose die Wirbelsäulenperkussion FS). während
Kraemer f6] die paravertebrale Perkussion von dem Sitz des Pro¬
zesses ausgehend, der sich ja seitlich der Wirbelsäule abspielt, vor¬
schlägt. Die vertebrale oder paravertebrale Dämpfung ist aber immer
zwischen Spina und Angulus scapulae, meist reicht sie nur bis zum
unteren Drittel der Skapula. Dieser Perkussionsbefund hat insofern
weniger Bedeutung für unsere Methode, weil er, wenn er zufällig bei
einem Spondylitisverdächtigen vorhanden ist, in der oberen BWS.
sich findet und auch paravertebral nachgewiesen werden kann.
Nur 3 unter den zur Beobachtung vorhandenen Spondylitikem (bei
den durch objektive Symptome gesicherten Fällen fand sich der positive
Klopfbefund natürlich auch) zeigten als sog. frische Fälle im unteren
BWS.-Gebiet, darunter ein Fall im oberen LWS.-Gebiet eine deutliche
Schallverkürzung. In einem Fall war bereits eine myogene Fixierung
der betreffenden Partien und Druckschmerzhaftigkeit der Dornfortsätze
festzustellen. Das Röntgenogramm zeigte noch keine Veränderungen
der betreffenden Wirbel.
Am eindeutigsten, wie schon oben erwähnt, sind natürlich die Fälle,
bei denen der kariöse Herd im Bereich der BWS. liegt. Der normaler¬
weise laute, langschallende, nicht tympanitische Lungenton über der
Digitized by Goiisle
BWS. wird leiser oder gedämpfter, kurzschallender oder leerer. Ueber
der LWS. haben wir am Gesunden schon einen stark gedämpften bei
stärkerem Perkussionsstoss deutlich tympanitischen Schall. Diese Mit¬
schwingungen der erschütterten Darmluft fehlen bei Spondylitikem über
den erkrankten Partien.
Zur Technik möchte ich nur das eine sagen, dass sich bei sog.
frischen Fällen nur die Fingerfingerperkussion als praktisch verwertbar
erwiesen hat. Bei ihr haben wdr nicht nur das akustische Phänomen,
sondern wir bekommen auch Aufschluss über den Grad des Wider¬
standes, den der perkutierte Körper dem Finger entgegensetzt. Das
Resistenzgefühl über den erkrankten WS.-Partien. besonders der BWS.,
ist deutlich wahrzunehmen, wenn man einigermassen auch sonst geübt
hat „palpatorisch“ zu perkutieren.
Ich perkutiere immer bei leichter Vorwärtsbeugung des Patienten,
so dass sich die Zwischenräume der einzelnen Brustwirbeldornfortsätze
etwas vergrössern; denn, um keine verschiedenen Schallwerte zu be¬
kommen, ist es wichtig, jedesmal den Perkussionsstoss nicht sehr stark
aber gleichmässig und direkt Uber den Dornfortsätzen auszuführen. Von
dem 12. BW.-Dornfortsatz abwärts, von wo ab am Gesunden schon eine
starke Schall Verkürzung w'ahrzunehmen ist, ist ein stärkerer Perkussions¬
stoss nötig. Bei Spondylitisverdächtigen mit Skoliose ist die Methode
nicht zu verwenden, da man über den'torquierten oft mechanisch
fixierten Wirbeln meist eine Schallverkürzung bekommt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir bei einer beginnenden
Spondylitis bevor noch subjektiver oder objektiver Befund die Diagnose
sichern, eine deutliche Schall Verkürzung über den erkrankten Partien
der Wirbelsäule feststellen können.
Bei der grossen Wichtigkeit der frühzeitigen Ruhigstellung und Ent¬
lastung der kranken Knochen kann dieser Hinweis besonders für den
praktischen Arzt, der die frischen Fälle mehr zu Gesicht bekommt,
sicher von grossem Nutzen sein.
Literatur.
1. Wullstein: Wirhelentzündungen. Handbuch der orthopädischen
Chirurgie 1. Bd. — 2. v. Baeyer: Spondylitis. Langes Lehrbuch der Ortho¬
pädie. — 3. Beitr. z. Klin. d. Tbk. Bd. 21. — 4. H. Vier or dt: Perkussion
und Auskultation. —: 5. H. Philipp i: Beitr. z. Klin. d. Tbk. Bd. 21. —
6. Kraemer: Beitr. z. Klin. d. Tbk. Bd. 14.
Aus der orthopädischen Universitäts-Poliklinik München.
(Vorstand: Geh. Rat F. Lange.)
Zur Behandlung der rachitischen Kyphose.
Von Dr. L. Aubry, Assistent.
Die wohl zum grossen Teil durch die schlechten Ernährungsverhält¬
nisse der letzten Jahre noch auffallender als früher in Erscheinung
tretende Rachitis mit ihren Folgen im Bereich des Knochensystems
macht es mehr denn je notwendig, dass wir eine sorgfältige Prophylaxe
in diesem Punkte walten lassen und auch schon den beginnenden Ver¬
änderungen unsere Aufmerksamkeit schenken. Die Verkrümmungen der
Extremitäten, insbesondere der Beine, fallen in ihren Anfangsstadien
auch dem Laien, den Eltern und Angehörigen, sehr bald auf und das
Kind wird häufig deshalb zum Arzt gebracht, der dann die allgemeine
oder örtliche Behandlung einzuleiten imstande ist oder die Zuweisung
zum Facharzt veranlasst; viel w'eniger beachtet, ja sehr häufig über¬
sehen, werden die Anfänge der rachitischen Veränderungen der Wirbel¬
säule, die später, wie wir alle wissen, zu den schwersten Verkrüppe¬
lungen führen. Es werden uns nicht selten Kinder zur Sprechstunde
gebracht wegen krummer Beine, und die Untersuchung ergibt daneben
schon eine ausgesprochene rachitische Kyphose oder Skoliose. Der
Stolz der Eltern, die Kinder möglichst frühzeitig zum Sitzen zu bringen,
ist in den meisten Fällen die auslösende Ursache für eine sog. Sitz¬
kyphose. deren Scheitel am Uebergang der Brust- in die Lendenwirbel¬
säule liegt. Die Gründe für die Knickung gerade an dieser Stelle sind
mehrfache, teils anatomische, teils pathologisch-anatomische. Engel-
m a n n („Rachitis der Wirbelsäule“, Zbl. f. orth. Chir. 34) führt als die
wichtigsten an: Die Infolge der Sagittalstellung der Gelcnkfortsätze
grössere Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule, wobei gerade zwischen
1. und 2. Lumbalwirbel die grösste Beweglichkeit möglich ist, da der
1. Lumbalwirbel noch frontal, der 2. bereits sagitta! gestellte Gelenkfort-
sätze trägt; die dorsolumbale Grenze bildet weiter einen locus minorls
resistentiae infolge der zahlreichen hier ihren Ursprung nehmenden
Becken- und Rückenmuskeln und Bänder.. Weiter ist es wichtig, dass,
wie Recklinghausen nachwies, der Grad der Rachitis der Wirbel¬
säule kaudalwärts zunimmt.
Wie das Sitzen für die Kyphose, so hat das Tragen der Kinder für
die Anfänge einer Skoliose bzw. Kyphoskoliose weitgehende Bedeutung,
und zwar nicht nur das Herumschleppen der auf dem Arm sitzenden
Kinder — wobei man ohne weiteres den Müttern die Wirkung demon¬
strieren kann —. sondern auch, worauf Engelmann hinweist, auch
das Tragen im Ste;pkkissen. Auch hierbei wird die Wirbelsäule in seit¬
lichen Bogen — meist ilnk.skonvex — gedrängt. Aus der häufigen Ein¬
stellung infolge dieser Oeoflogenheiten kommt es zur Dauereinstellung,
zur Verbiegung, die dann bei dem sehr plastischen Knochen des Rachi-
tikers sich rasch unter der Belastung verstärkt. W^gen der Gefahr der
raschen Verschlimmerung ist es also in all diesen Fällen sehr wichtig,
eine wirksame Prophylaxe zu treiben und auch die Anfangsstadien auf¬
merksam zu behandeln; sie dürfen nicht, wie es so häufig geschieht, zu
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
812
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
leicht ücnonimen werden. Es sind ja gerade die noch weichen rachi-
lisclicii Verbiegungen der Wirbelsäule, welche eben der Hausarzt schon
zur Beobachtung bekommt und welche nicht übersehen werden sollten.
In diesem ersten Stadium des Entstehens ist ihre Behandlung, die ja
\ ielfacli noch Vorbeugung ist, ausserordentlich dankbar.
Bür die Behandlung der Wirbelsäuleverbiegungen des kleinen Kindes
ist inan fast ausnahmslos auf Liegevorrichtungen angewiesen, welche
die Wirbelsäule den schädlichen Wirkungen der Belastung entziehen
Von ihnen sind die Lorenz sehen Reklinationsbetten oder Liege-
schalen. in welchen die Kinder in starker Lordose liegen, zweifellos so¬
wohl für die Kinderkyphosen, wie, mit entsprechend korrigierenden
Kissen, auch für die Skoliosen der Kleinsten ausserordentlich wirksam
und hallen sich gut bewährt; dasselbe Prinzip ist für die Kyphosen bei
dem Rollkissen oder auch bei der sog. R a u c h f u s s sehen Schwebe
\ Ol wendet — einer vor allem für die Armenpraxis gedachten Behelfs¬
vorrichtung in Eorin eines irn Bett freihängenden breiten Ouergurtes,
durch den die kypholische I^artic der Wirbelsäule bei Rückenlage lordo-
siert wird - . Die Lordose hat bei den Kyphosen ja nicht nur den Zweck
der direkten Umkrümmung, sondern sie ermöglicht auch der überdehnten
Muskulatur sich zu verkürzen; bei Gefahr einer Skoliose ruft sie, wie
S c h c d e („Experimentelle Studien zum Redressement der Skoliose“,
Beilageheft d. Zschr. f. orth. Chir. Bd. 35) nach wies, eine gewisse
Sperrung der Wirbelsäule gegen seitliche Bewefrungen hervor und da¬
neben el)en auch wieder die Möglichkeit der Muskelverkürzung.
Sieht man nun zunächst ganz ab vom Preise besonders der aus
Gips oder Zelluloid gefertigten Liegeschalen und davon, dass ihrer Her¬
stellung für den praktischen Arzt doch meist zu grosser Zeitaufwand und
technische Schwierigkeiten im Wege stehen, und betrachtet man allein
die Wirkung, so ergibt sich zwar eine sehr gute Korrektur bzw. Ueber-
korrektur für die Zeit, welche die Kinder in diesem Bette liegen — an
die Scfiale gewöhnen sich die meist in dem 1. bis 2, Lebensjahr befind¬
lichen Kinder auch verhältnismässig sehr rasch —, es wird aber ohne
weiteres als ein grosser Mangel empfunden werden, dass die Kinder
durch diese Methode sehr stark in ihrer Bewegungsfreiheit behindert
werden, und dass gerade die aktive Tätigkeit der Rückenmuskulatur, d e
für das spätere Gehen und Stehen von so grosser Bedeutung ist, voll¬
kommen ausgeschaltet wird. Es wird zum Ausgleich dieses wohl¬
bekannten Nachteiles zwar Massage und zeitweise Bauchlage empfohlen
und verordnet, aber nur zu oft fallen diese Ermahnungen bei den Eltern
auf unfruchtbaren Boden. Es ist dies alles eben schön und recht nur für
Eltern, die sich den ganzen Tag um ihre Kinder kümmern und kümmern
können. Gerade das letztere ist, glaube ich. bei der Rachitisbehandlung
ein seiir wesentlicher Punkt, den wir Aerzte berücksichtigen müssen.
Die Rachitis ist doch hauptsächlich eine Krankheit der ärmeren Be¬
völkerung und derjenigen, welche durch Kinderreichtum gesegnet ist.
Abgesehen davon, dass in diesen Kreisen naturgemüss auch noch sehr
häufig die nötige Einsicht fehlt, ist es ausgeschlossen, dass eine Mutter,
die eine Stube voll Kinder hat, neben ihrer Hausarbeit noch die Zeit und
Energie aufwendet einem ilirer Kinder eine besonders mühsame Wartung
angedeihen zu lassen. Daneben hat der Sprössling auch noch seinen
eigenen Kopf und es ist mit der Durchführung gerade der Bauchlage oft
gar nicht so einfach, wie es nach der Verordnung aussieht Doch das
sind i:i Dinge, die jeder Arzt zur Genüge aus der Praxis kennt.
Um diesen Scliwierigkeiten zu begegnen benützten wir in der Poli¬
klinik für die Behandlung der beginnenden rachitischen Kyphosen und
event. für leichteste eben beginnende Skoliosen seit etwa IV 2 Jahren
eine sehr einfache Vorrichtung, die Dr. F. Schede seinerzeit erdacht
hat und die sich gut bewährt Ein einfaches, viereckiges, ungefähr
daumendickes Brett etwa so lang wie der Rumpf des Kindes und etwa
doppelt so breit wie derselbe wird massig gepolstert Näher der einen
Schmalseite sind zwei mit einer Schnalle zu verbindende breite Gurten
angebracht, so weit voneinander entfernt, dass das Becken des auf dem
Brett bequem in Bauchlage ruhenden Kindes damit festgeschnallt
werden kann. Diesen Uiegeapparat können sich, wie wir uns überzeugt
haben, die Eltern nach Muster oder Angabe in vielen Fällen seihst zu-
sammeiistellen. olme dass ihnen besondere Ausgaben erwachsen*).
’) ln KcdieneiicT und besserer Ausführung wird das Liegebrett von der
|■|nIl:l H a b c r ni a n n. Orthopädie werk München, Lindwurmstr. 88 hergestellt.
Meist ist bei einigermassen vernünftigen und konsequenten Eltern das
Kind an die ihm erst unbequeme Bauchlage sehr bald gewöhnt und spielt
auf diese Weise genau so, wie sonst in sitzender Stellung. Es richtet
sich dabei ausserordentlich kräftig auf, erzielt also die wie oben erwähnt
zur Korrektur und Verhütung von Kyphose und Skoliose nötige Lordose
und stärkt gleichzeitig in vorzüglicher Weise die gesamte Rücken¬
muskulatur.
Wenn das Kind durch Spielzeug oder etwa die Geschwister oder
sonstwie beschäftigt ist, kann es stundenlang am Tage dieser eüergischen
Muskelgymriastik unterzogen und mit seinem Brettchen an einen be¬
liebigen Ort gestellt werden. Wenn der Vater kein Vertrauen .'u
seinem Sprössling hat und ein Ausrücken fürchtet, ist es ihm ja unbe¬
nommen, das Brettchen extraschwer zu machen oder Irgendwo zu be¬
festigen! Neben der Stellungskorrektur und Uebung des Rückens werden
durch Strampeln und Anstemmen auch die Extremitäten gekräftigt und
so wird der Körper zweckmässig vorbereitet auf das für den späteren
aufrechten Gang und für die Verhütung von Wirbelsäulenverkiümmungen
so w^ertvolle und ja auch therapeutisch empfohlene Kriechen.
Der praktische Arzt und Hausarzt, für dessen Gebrauch dieser ein¬
fache Liegeapparat hauptsächlich gedacht ist, wird mit seiner Benützung
die Allgernein- und Freiluft-Soiinenbehandlung ohne Schwierigkeit v.^r-
bmden. Sicher können auf diese Weise eine grosse Zahl von drohenden
Wirbelsäulendeformitäten verhindert werden.
Bei bereits eingetretener erheblicherer Versteifung genügt diese
Vorrichtung natürlich nicht mehr; man muss hier zur Liegeschale als
Nachtapparat greifen, um dauernde Ueberkorrektur zu erzielen, i-ibcr
auch daneben wird das Liegebrettchen unsere Therapie durch die Mög¬
lichkeit der aktiven Gymnastik wesentlich fördern.
Luminal gegen Pollutionen.
Von Prof. Dr. Julius Donath in Pest.
Von der Idee ausgehend, dass das Luminal, welches sich gegen die
epileptischen Anfälle so vorzüglich bewährt und der Brommedikation
oft überlegen ist, auch bei nächtlichen Pollutionen von Nutzen sein
könnte, wendete ich dasselbe in einigen Fällen an. Die Resultate sind
so befriedigend, dass ich dieselben bekanntgeben möchte, um auch in
weiteren Kreisen zu Versuchen anzuregen. Zur Illustration sollen einige
Krankengeschichten mit der gebotenen Kürze raitgeteilt w'erden:
1. R. K., Bankbeamter, ledig, trat am 5. Febr. 1916, damals 22 Jahre alt
wegen wner schweren vasomotorischen Neurose in meine Behandlung Dia¬
gnose: Psyehoneurosis vasomotoria, Pollutiones nocturnae ^).
Vom 14.-16 Jahre Masturbationen, denen sich bald Pollutionen an¬
schlossen. Dieselben traten vom 18.—20. Lebensjahre 6—7 mal in der Woche
<^twas seltener. Im 20. Lebensjahre Gonorrhöe, welche nach
/v Jahr ausheilte.
Aus d^n Stat. praes. hebe ich hervor: Mittelgross, zart gebaut, schwncli
genährt. Qestmgerte Sehnen-, Haut- und Periostreflexe, kutane Hyper-
astliesie, Hyperidrosis, ferner Zittern der Hände. — Die urologische Unter¬
suchung (Doz. R ä s k a 1 ) am 26. XI. 17 ergab: Sehr matsche, wenig ent¬
wickelte Prostata; hochgradige Hyperästhesie der hinteren Harnröhre Es
wu^rden von derselben Seite eine Zeitlang Pinselungen der hinteren Harn¬
röhre und Psychrophor angewendet.
Unter dieser Behandlung sowie der sonst üblichen physikalischen und
medikamentösen Behandlung nahmen die Pollutionen etwas ab, doch kamen
sie vor Beginn der Luminalbeliandlung noch immer jeden 2. Tag.
12. I. 18. Von heute ab 1 Tablette Luminal (0,1). — 14. I. Die erste
Nacht nach dem Luminal hatte er Pollution, die darauffolgende nicht-mehr.
Von heute ab 0,2 Luminal vor dem Schlafengehen. — 29. I. Seither in 5 bis
6 Tagen 1 mal Pollution. — 6. IV. Seit 28 Tagen keine Pollution.
Obgleich das Lumina! nicht ständig genommen wird, sind die
Pollutionen wieder seit 21 Tagen ausgeblieben.
23. XII. Pat. berichtet auf Grund wiederholter Beobachtungen, dass stets,
wenn er einmal 0,2 Luipinal vor dem Schlafengehen nimmt, die Pollutionen
■6—7 Tage ausbleiben.
7. I. 19. Nachdem der Kranke das Luminal durch 1 Woche genommen
hatte, bekam er 5 mal Pollutionen.
In den folgenden Monaten machte Pat. immer neuerdings den Versuch,
das Luminal wegzulassen, stets mit demselben Erfolg: die Pollutionen, welche
sich früher in 5—6 Tagen höchstens 1 mal zeigten, kehrten in dichter Auf¬
einanderfolge wieder (6 mal in 10 Tagen). Pat. erklärt, dass das Luminal
unvergleichlich wirksamer ist als irgend eines der bisher angewendeten
Mittel. Die Ursache, dass er es nicht regelmässig nimmt, ist seine Besorgnis,
er könnte sich daran gewöhnen. Jedoch ist nicht die geringste nachteilige
Wirkung an ihm zu merken.
2. P. A., 19 Jahre alt, Rechtshörer, trat am 19. März 1918 in meine Be¬
handlung. Diagnose: Neurasthenia sexualis. Pollutiones nocturnae. Morb
Basedowii incip.
Anamnese: Stammt aus gesunder Familie. Pat. war immer blutarm. Vom
15. Lebensjahre ab bis vor 1/4 Jahren fast tägliche Masturbation. Dann traten
Herzklopfen, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit auf. Vor iK Jahren besuchte
er auf ärztlichen Rat zuerst Frauen, um der Masturbation vorzubeugen. Doch
zeigte sich schon beim ersten Koitus die Schwäche der Potenz als schwache
Erektion, kaum gelungene Imrnissio penis und Ejaculatio praecox. Wenn er
zu Frauen nicht geht, so bekommt er in der Nacht Pollutionen, danach Rücken-
und Kopfschmerzen, sowie Schwindel. Ständige Unlust wegen dieser Zu¬
stände.
Stat. praes.: Hochgewachsen, schlank, engbrüstig. Schwacher Er-
nährungvSzustand. Ueber der Pulmonalis leichtes systolisches Blasen. Nor¬
male Herzgrenzen. Puls 96, normal. Genitalien gut entwickelt, Testikuli
*) Dieser Fall wurde hinsichtlich der merkwürdigen psychomotorischen
Neurose seinerzeit von mir ausführlich mitgeteilt: „Vasomotorische Psycho-
neurose“. Zschr. f. Nervenhik. 1920, 66, 1.—2. Heft.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
813
matsch. Leichterer Exophthalmus beiderseits. Leichtes Schwirren in der
Schilddrüse und stärkeres Pulsieren der Karotiden. Qräfe, Stellwag, Möburg
nicht vorhanden.
Therapie: Beim Niederlagen 0,2 Luminal.
27. V. Seit der Luminalbehandlung jeden 10. Tag Pollution. Von nun
ab allabendlich 0,1 Luminal.
26. VI. Da jetzt die Pollutionen nur in 10—14 tägigen Zeiträumen
kommen, versuchte er vorher das Luminal weiter zu reduzieren und nur
Jeden 3.—4. Abend diese Dosis zu nehmen, doch alsbald wurden die Pol¬
lutionen wieder häufiger. Er verbleibt daher bei der allabendlichen Dosis
von 0,1, die sehr gut vertragen wird. Die Pollutionen blieben auch weiter
selten, obgleich er jetzt seit dem 4. Monate geschlechtliche Enthaltsamkeit übt.
3. J. Sch., 28 Jahre alt. Privatbeainter, ledig. Stellte sich mir am
24. April 1919 vor. Diagnose: Neurasthenia, Pollutiones nocturnae.
Anamnese: Mutter nervös. Vor 2 Jahren Gonorrhöe, die ausheilte.
Aus Furcht, vor neuer Infektion frequentierte er keine Frauen, seither nächt¬
liche Pollutionen, welche anfangs seltener, jetzt 2—3 mal wöchentlich auf-
treten. Theater, laszive Lektüre fördern dieselben. Am Tage zeigt sich zu¬
weilen ein klebriger Saft an der Harnröhrenmündung ohne Wollustgefühl.
Masturbation vom 16. Jahre an, von der er aber hoch vor der Infektion
abliess. Brompräparate halfen anfangs, später kaum mehr.
Therapie: Halbbäder und 0,1 Luminal vor dem Schlafengehen.
29. fV. Seither keine Pollutionen gehabt.
4. Q. B.. 17 jähriger Gymnasialschüler trat am 27. Sept. 1919 in meine
Behandlung. Diagno.se: Neurasthenia sexualis e masturbatione. Pollutiones
nocturnae.
Anamnese: Stammt aus gesunder Familie. Vom 14.—16. Lebensjahre
Masturbation, anfangs 3 mal, später 2—3 mal wöchentlich. Seit 1 Jahr hat
er damit aufgehört. Vor iK* Jahren erster Koitusversuch mit einer Puella,
wobei es nicht einmal zur Erektion kam und er sich als vollständig impotent
erwies. Seit dem Aufhören der Masturbation 3 mal wöchentlich Pollutionen,
nur hie und da seltener; zuweilen aber auch 2 mal in einer Nacht. Die¬
selben erfolgen ohne wollüstige Träume und unter unvollständigen Erektionen.
Er erwacht danach, nachdem er sich nass fühlt. Seit August 1919 fingen
wieder die Masturbatiohen an, unter deren Wirkung die Pollutionen ausblieben.
Seit der Masturbation Gedächtnisabnahme, so dass er das Gelesene nicht
gut behält.
Status praes.: Von etwas grazilem Bau, schwach genährt, leicht
anämisch, Bauch-, Patellar- und Achillessehnenreflexe lebhaft. Mässige
Dermographie. Zittern der Zunge und in leichtem Grade auch der Hände.
Genitalien gut entwickelt, Testikuli etwas matsch.
Therapie: Vom 28. September ab allabendlich 0,1 Luminal beim Schlafen¬
gehen, ferner gegen die Impotenz 3 mal wöchentlich Galvanisation des Rücken¬
marks und Farado-Galvanisation der äusseren Genitalien.
Die unmittelbare Folge der Behandlung war das Ausbleiben der Pol¬
lutionen, obgleich vordem, nach Unterlassen der Masturbation sich alsbald
die Pollutionen einstellten und nie länger als 8—10 Tage ausblieben. Es wird
deshalb vom 21, Oktober ab nur jeden 2. Tag 0,1 Luminal genommen. Auch
zeigen sich seit einigen Tagen allabendlich die ersten Erektionen seit der
Behandlung.
10. XL Vorgestern, also 41 Tage seit Beginn der Behandlung, zum ersten
Male nächtliche Pollution, jedoeh weiss er nichts von wollüstigen Träumen.
Täglich Erektionen, doch sind sie noch schwach.
6. XII. Vergangene Nacht wieder Pollution (26 Tage nach der vorigen,
obgleich weiter nur jeden 2. Tag Luminal genommen wird).
5. I. 20. Gestern früh Pollution. Die Erektionen sind ziemlich häufig,
doch nicht stark und stellen sich besonders auf erotische Gedanken ein. Tritt
aus der Behandlung.
3. VII. Nachträglich berichtet mir Pat., dass die Pollutionen sich seit¬
her nicht mehr gezeigt haben und die Potenz sich weiter gebessert hat.
5. L. R., 18 Jahre alt, Beamter und erstjähriger stud. phil. Präsentierte
sich am 27. V. 20. Diagnose: Pollutiones nocturnae; Neurasthenia sexualis,
Psychopathia (Dementia praecox incip.?).
Anamnese: Einziges Kind nervöser Ötem. 5 Jahre alt, begann er von
selbst zu masturbieren, besonders stark vom 12—15 Lebensjahre, und zwar
mehrmals nachts. Seit Jahren frequentiert er selten Frauen. Ende 1914
stellten sich häufige Pollutionen ein, fast allnächtlich, manchmal sogar mehr¬
mals in der Nacht, mit erotischen Träumen. Er leidet an häufigen Kopf¬
schmerzen, welche oft einen ganzen Tag dauern. Er arbeitet täglich 6 Stunden
(Konzipieren, Rechnen), doch ist sein Arbeiten systemlos, bald das eine, bald
das andere in Angriff nehmend, und bringt trotz Geschäftigkeit nichts zuwege.
Er vermag die Aufmerksamkeit nicht zu konzentrieren, ist vergesslich, sein
Lernen ergebnislos.
Stat. praes.: Mittelgross, etwas schwach entwickelt und genährt. Kein
Zittern der Zunge, leichtes Zittern der Hand. Handschrift zerfahren. Patel¬
lar- und Achillessehnenreflexe gesteigert. Ziemlich lebhafte Dermographie.
Das Sprechen ist nervös und stockend, auch das Lesen erfolgt nicht gleich-
mässig (es besteht ausserdem Astigmatismus). Wegen der starken Pollu¬
tionen wurde er von spezialistischer Seite mit tiefen Instillationen, Sonden,
Prostatamassage und Elektrizität behandelt. '
Therapie: 0,1 Luminal allabendlich. Ausserdem tagsüber 2 mal 1 Kaffee¬
löffel Syr. Hypoph. Fellow.
10. II. 20. Nachdem das Luminal durch mehrere Wochen und das Hypo¬
phosphat durch 2 Monate gebraucht wurden, blieben die Pollutionen durch
4 Monate aus. Dann zeigten .sie sich nur mehr selten, obgleich er seither
nur Plattenseebäder mit Sonnenkuren im Juni und Juli und sonst nichts ge¬
braucht hatte.
6. A. W., 20 Jahre alt, Privatbeamter. Stellte sich vor am 14. XI. 19.
Ausser einer psychischen Hyperästhesie des Vaters bietet die Familien¬
geschichte nichts Besonderes. Pat. ist ein einziges Kind. Seit der Kindheit
leicht erschreckbar und stand im Rufe grosser Feigheit. Leidet an Angst¬
zuständen, dass die Wagen der elektrischen Strassenbahn zusammenstossen
werden; wenn jemand auf einen solchen Wagen aufspringt, ruht er nicht
eher, bis er sich überzeugt hat, dass er glücklich hinaufgelangt ist. Bei den
Kreuzungsstellen der Strassenbahn hat er die Vorstellung, dass dort ein Un¬
glück geschehe, Angstschreie erfolgen, ohne dass diese wirklich erfolgen
würden. Wenn er leicht erkrankt ist, fürchtet er, dass es ein tödliches Ende
nehmen werde und .seine Eltern, die er sehr liebt, ohne Stütze Zurück¬
bleiben werden. Wenn bei plötzlichem Seitwärtsdrehen des Kopfes ein Re¬
flex seines Konkavglases aufblitzt, glaubt er einen Schlaganfall zu bekommen,
Nr. 26.
doch erkennt er bald die wahre Natur dieser Erscheinung. Bei den Angst¬
zuständen bekommt er leicht Herzklopfen. Nichtsdestoweniger zeigt er ein
ruhiges Benehmen, kann ohne Aufregung debattieren und Meinungsver¬
schiedenheiten ertragen. Im praktischen Leben ist er energisch. Der Be¬
rührung mit Frauen hat er sich bisher enthalten, weil er dazu noch zu jung
sei. Seit Jahren Pollutionen mit wollüstigen Träumen, ungefähr wöchentlich
1 mal, unlängst sogar in 3 aufeinanderfolgenden Nächten, doch jedesmal nur
1 mal. Masturbation will er nie geübt haben. Seit 4—5 Wochen ständiges
Müdigkeitsgefühl, jetzt auch des Morgens, während er früher frisch, lebhaft
und gutgelaunt war. In seinen Bewegungen sei er etwas schwerfälliger ge¬
worden, doch ist er weiter fleissig und strebsam, lernt jetzt als Autodidakt
Englisch und befasst sich mit volkswirtschaftlichen, psychologischen und
philosophischen Studien.
Stat. praes.: Mittelgross, von etwas schwach entwickeltem Knochen- und
Muskelbau. Flacher Thorax, schlecht genährt, anämisch. Patellar-, Achilles¬
sehnen-, Kremasterreflexe lebhaft. Leichte Dermographie. Testiculi etwas
matsch, sehr druckempfindlich. Konzept, Rechnen nicht so prompt wie früher.
Die Urteilsfähigkeit hat abgenommen.
Therapie: Vor dem Schlafengehen 0,1 Luminal. Leibesübungen.
8. III. 20. Nach 7 Tabletten kam nur noch 1 mal Pollution vor, dann
haben sie auigehört. Seither auch Kaltwasserkur gebraucht. Die Schreck¬
haftigkeit hat sich wesentlich gebessert. Appetit und Schlaf gut. Geheilt
entlassen.
Zusammenfassung.
Luminal hat sich gegen nächtliche Pollutionen — in Dosen von
0,1—0,2 beim Schlafengehen — trefflich bewährt. In einigen der mit¬
geteilten Fälle (Fall 1 und 2), wo die Kranken im Anfang der Behand¬
lung das Luminal wiederholt wegliessen und die Pollutionen wieder¬
kehrten, um bei Wiederaufnahme des Mittels wieder' auszubleiben,
wurde die Wirksamkeit mit der Ueberzeugungskraft eines Experimentes
erwiesen. Eine Schädlichkeit hiebei kam nie zur Beobachtung.
Aus der Universitäts-Kinderklinik Erlangen.
(Direktor: Prof. Dr. Ja min.)
Ueber sekundäre Infektion mit Diphtheriebazillen bei
breiten Kondylomen hereditär-syphilitischer Kinder.
Von Dr. Wilh. Hedrich.
Bei an und für sich geschädigter Haut, wie z. B. bei intertrigiiiösen
oder ekzematösen Stellen ist die Ansiedlung von Diphtheriebazillen
nicht selten beobachtet worden. Auch sind Fälle veröffentlicht, bei
denen über den Befund von Diphtheriebazillen in sog. „faulen Mund¬
ecken“, bei Otitis media und bei Panaritien berichtet wird.
ln letzter Zeit kamen in hiesiger Klinik 2 Fälle einer Vereinigung
von Syphilis und Diphtherieinfektion zur Beobachtung, die sowohl in
diagnostischer wie in therapeutischer Beziehung Aufmerksamkeit zu
verdienen scheinen.
Fall 1. Sch. Hans, 1 Jahr 8 Monate. Aufnahme am 12. II. 19 wegen
einer leichten Rachendiphtherie. Uneheliches Kind, zur rechten Zeit geboren,
Vater und Mutter angeblich gesund. Leidet seit einem Vierteljahr an Aus¬
schlägen an verschiedenen Körperstellen, die bis auf eine Qeschwürsstelle an
der rechten Kinnseite abheilten. Seit einigen Tagen Heiserkeit.
Blasses Kind, zierlicher Körperbau, schlechter Ernährungszustand, leichte
Zeichen von Rachitis.
Am rechten Kinn eine ovaläre, scharf gerandete Geschwürsstelle, die teils
schmierig belegt, teils mit trockener Kruste bedeckt ist. Die Berandung ist
girlandenförmig geschwungen, die ganze Unterlippe stark verdickt, die
Schleimhaut aufgelockert, ausserordentlich leicht blutend.
Tonsillen stark hypertrophisch, gerötet, auf der rechten etwa linsen¬
grosser grauweisslicher, schmieriger Belag. Leichte Nackendrüsen- und
Unterkieferdrüsenschwellung. Der übrige Befund ergibt nichts Besonderes.
Abendtemperatur 37,5.
Kulturverfahrcn: Aus dem Tonsillenabstrich Diphtheriebazillen gezüchtet,
ebenso aus dem .Abstrich von dem Geschwür.
Nach Injektion von 4000 IE. Diphtherieserum nach 2 Tagen kein Ton¬
sillenbelag mehr.
Obwohl das Geschwür durch Auflegen von mit Diphtherieserum getränk¬
ten Kompressen und, nach Reinigung, mit Diphtheriesaltie behandelt wurde,
zeigte es sonst keinerlei weitere Heilungsneigung.
8 Tage später ergibt die serologische Untersuchung einer Blutprobe
mit Hilfe der WaR. ein positives Resultat.
Injektion von 0.15 Neosalvarsan; lokal: Ung. hydrarg. praecipitat. albi.
Nach 2 Tagen wird die Geschwürsfläche trocken, nach weiteren 4 Tagen
ist sie bereits epithelisiert.
F a 11 2. W. Berta, 1 Jahr alt, kommt am 15. IX. 20 mit folgendem
Bescheid in unsere Klinik: „Das Kind B. W. steht seit 4. IX. in meiner Be¬
handlung. Es kam mit breiten Kondylomen an Vulva (Lab. major.) und am
Anus, die seit ungefähr 3 Monaten bestehen sollen. Einreibungen mit grauer
Salbe bis jetzt ohne Erfolg; seit 8 Tagen Oedeme und Rötung der Labien,
reichlich schmierige Sekretion. Kein Fieber. Mutter vor 2 Jahren Luesf
2 mal Neosalvarsan-Hg-Kur durchgemacht.“
Sehr dickes Kind, gelblich-blasse Gesichtsfarbe. Sattelnase, eben tast¬
bare Hals- und Nackendrüsen, leichte Zeichen von Rachitis.
Leber: 2 Querfinger breit unterm Rippenbogen, Milz tastbar.
Lab. major. stark ödematös, hochrot. Haut glänzend, gespannt. Zwischen
den Schamlippen reichlich gelblich jauchendes Sekret. An den Berührungs¬
stellen der Lab. major. mit weisslich-grauem Belag bedeckte Oeschwürs-
flächen mit scharfer bogenförmiger Begrenzung. An den Berührungsstellen
der Qesässbacken emige kleinere Geschwüre mit demselben Belag.
Sonst regelrechter Organbefund. Abendtemperatur 39®. Behandlung:
Sublimatbäder, Klatschkompressen mit Kamillenabsud, Präzipitatsalbe.
18. IX. WaR. +. Temp. bewegt sich zwischen 37,6 und 38,5. Auf
die Klatschkompressen Rückgang der Schwellung und Rötung. Auf Queck¬
silber keine lokale Reaktion.
5
Digitized by
Got'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
814
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
23. IX. Keine Aenderung. Nachträglich wird in Erfahrung gebracht, dass
das Kind vor ungefähr 8 Wochen an Mandelentzündung erkrankt war.
Abstrich von den Tonsillen und Geschwürsflächen. Kulturverfahren: Von
den Tonsillen und Qeschwürsflächen Diphtheriebazilien.
Injektion von 6000 IE. Diphtherieserum, Auflegen von mit Diphtherie¬
serum getränkten Kompressen. Fortsetzung der antiluetischen Kur. Darauf¬
hin Reinigung der Geschwürsflächen, Aufschiessen von frischen Granulationen,
am 29. IX. bereits völlige Epithelisierung.
Im ersten Fall beherrschte anfangs scheinbar die Diphtherie das
klinische Bild. Doch blieb die antidiphtherische Behandlung des Ge¬
schwürs am Kinn erfolglos. Erst als die syphilitische Natur des Leidens
klargelegt war und die Behandlung in dieser Richtung durchgeführt
wurde, kam es zu rascher Heilung.
Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass bei allen
unklaren Erkrankungen im Kindesalter nie die Anstellung der Wa.-
Reaktion unterlassen werden sollte.
Im zweiten Fall deutete schon die Vorgeschichte auf Lues heredi-
taria hin. Während bei dieser sonst meist kurze Zeit nach eingeleiteter
spezifischer Behandlung die Erscheinungen zurückzugehen pflegen, zeig¬
ten in diesem Falle die Geschwüre keine Neigung zur Heilung. Erst als
nach dem Nachweis von Diphtheriebazillen auch an diese Infektion mit
spezifischen Mitteln herangetreten wurde, erfolgte ebenfalls rasche
Heilung.
Diese Beobachtung zeigt, dass andererseits auch bei der Syphilis
die Mischinfektion und alle örtlichen Erscheinungen zu beachten sind,
und unter Umständen eine besondere örtliche Behandlung die Genesung
im allgemeinen fördert.
In beiden Fällen handelt es sich also um eine sekundäre Diph-
therleiiifektion breiter Kondylome hereditär-syphilitischer Kinder. Das
erste machte unter unseren Augen eine Rachendiphtherie durch, beim
zweiten wurden Diphtheriebazillen als Schmarotzer in Mund- und
Rachenhöhle nachgewiesen.
Aus der Medizinischen Universitäts-Poliklinik zu Breslau.
(Leiter: Prof. Dr. Bittorf.)
Ueber eosinophil-hämorrhagische Pleuraexsudate
bei Grippe.
Von Dr. Krayn, Volontärarzt der Klinik.
Ueber Eosinophilie in Pleuraexsudaten finden sich in der Literatur
wenige Angaben. Französische Autoren berichten zuerst über die sog.
„Eosinophilie pleurale“ (Barjon und Cade, Burnet, Sacquö-
pöe); von den deutschen hat sich Klein (Zbl. f. klin. M. 1899) ein¬
gehend mit derartigen Erkrankungen befasst. Eine gute Zusammen¬
stellung gibt Königer („Die zytologische Untersuchungsmethode"),
indem er die Ergebnisse anderer Forscher (Erben, Vargas, Sua-
rez, Bibergeil, Burnet, Widal, Barjon und Cade) und
eigene Erfahrungen verwertet.
Er findet eine mehr oder minder ausgesprochene Eosinophilie in
teil serösen, teils hämorrhagischen Pleuraergüssen bei Tuberkulose, bei
Lungen- und Pleuratumoren (Sarkom), bei rheumatischen Ergüssen und
bei Typhus abdominalis. Im Gegensatz zu der hochgradigen Eosino¬
philie im Exsudat, die bei den einzelnen Erkrankungen zwischen 14 und
74 Proz. schwankt, ist im Blut die Zahl der Eosinophilen bis auf einen
Fall von Nephritis mit Pleuritis und Perikarditis normal.
Die Eosinophilie in Ergüssen wird von den französischen Autoren
für ein prognostisch günstiges Symptom gehalten; Königer vermag
auf Grund seiner Untersuchungen diesem Urteil nicht ganz beizu¬
pflichten; er betont nur den lokalen Charakter der Eosinophilen,, deren
Bildung auf einen Reiz vom Ort der Entstehung her im Knochen¬
mark stattfindet.
Später hat Lossen über pleurale Eosinophilie berichtet: er betont
ihre Seltenheit und fügt eine eigene Beobachtung hinzu: In einem Falle
von Pleuritis mit unklarer Aetiologie stiegen die Eosinophilen von
5,6 Proz. nach Fhinktion auf 48,8 Proz. Er betont hierbei die Gutartig¬
keit des Prozesses (spontane Rückbildung).
Mohr-Staehelin erwähnt in seinem Handbuch der inneren
Medizin die Eosinophilie in Pleuraergüssen als ein weder für die Aetio¬
logie bedeutsames noch zur Bluteosinophilie in einem Verhältnis stehen¬
des Symptom.
Schliesslich finde ich in der neuesten Auflage der „Chemie und
Mikroskopie am Krankenbett“ von Meyer-Lenhartz die Eosino¬
philie in Pleuraexsudaten bei myeloischer Leukämie, bei Tuberkulose
und b^ Tumoren der Lunge und des Rippenfells beschrieben.
In der medizinischen Universitäts-Poliklinik Breslau habe ich nun
Gelegenheit gehabt, eine hochgradige Eosinophilie in einem hämor¬
rhagischen Pleuraexsudat bei Grippe zu beobachten.
Anfang März 1920 sucht der Landwirt P. die Poliklinik wegen Schmerzen
in der rechten Brustseite beim Atemholen auf.
Im Frühjahr 1917 hat er Malaria gehabt, von der er geheilt sein will.
Seine Mutter ist an Bauchfelltuberkulose gestorben, seine fünf Geschwister
sind gesund. Ende Dezember 1919 erkrankte er mit hohem Fieber, Kopf- und
Gliederschmerzen; zu diesen Beschwerden gesellten sich <— da er wiederholt
das Bett zu frühzeitig verliess — Stiche in der rechten Brustseite, Husten
und Auswurf, der jedoch nie rötlich gefärbt gewesen sein soll. Die Diagnose
lautete: Grippe mit Lungenkomplikationen (Grippeepidemie Ende 1919!).
Anfang März 1920 bekommt er nun erneute Beschwerden in der rechten
Brustseite.
Bei der Untersuchung des kräftig gebauten 24 jährigen Mannes finden
wir bei sonst normalem Lungenbefund eine leichte Schallverkürzung in der
rechten seitlichen Brustgegend, eine Verminderung der Verschieblichkeit der
unteren Lungengrenze und Neulederknarren. Diagnose: Pleuritis sicca.
Mit den üblichen Verordnungen versehen, verlässt Pat. die Poliklinik,
sucht sie aber nach etwa einer Woche abermals auf. da die Beschwerden zu¬
genommen hätten.
Die rechte Brustseite bleibt jetzt bei der Atmung deutlich zurück, rechts
hinten unten findet sich 1—2 Querfinger oberhalb des unteren Schulterblatt¬
winkels beginnend eine massive Dämpfung, aufgehobener Pektoralfremitus und
aufgehobenes Atemgeräusch. Die Röntgenuntersuchung zeigt eine dichte
Verschattung über dem rechten unteren Lungenfelde und leichteste Ver¬
schleierung beider Spitzen, die sich aber nach Hustenstössen gut aufhellen.
Die Probepunktion ergibt das Vorhandensein eines leicht-hämorrhagischen
Ergusses; in demselben findet man bei der zytologischen Untersuchung:
63 Proz. Eosinophile (!), 17 Proz. Lymphozyten, 2 Proz. polynukleäre
Leukozyten, 1 Proz. Mastzellen, 17 Proz. Endothelien.
Die eosinophilen Zellen zeigen ein an Grösse und Aussehen
sehr verschiedenes Verhalten; teils handelt es sich um Zellen, die den Pleura-
endothelien fast an Grösse gleichkommen, teils sind es kleinere Gebilde.
Die Kerne gleichen in ihrem Aussehen nur in ihrem kleineren Prozentsatz den
Kernen der im Blute vorkommenden Zellen, meist sind sie nur wenig einge¬
buchtet und häufig zu kleinen Bruchstücken fragmentiert. Der Zelleib weist
häufig Vakuolen auf* er ist teils rundlich gestaltet, teils zu bizarren Figuren
verzerrt.
Am Kern der Endothelien machen sich Aufquellungen mit Abnahme des
Chromatingerüstes und Aenderung der Gestalt bemerkbar, bisweilen kommt
es zum Kernschwund. Das Protoplasma zeigt Quellungen in Form von
Vakuolen, so dass bei einer Zahl von Zellen eine exzentrische Stellung des
Kerns resultiert.
ln einigen Endothelzcllen kann man eine Phagozytose von Leukozyten
wahrnehmen; ein Beiund. der von Mönckeberg, Lossen und Len-
hart z betont wird. Dieselben Veränderungen an den Zellen im Pleura-^
exsudat hat Lossen gefunden; sie sind auf Degenerationsprozesse der*
Zellen (Schrumpfungen und Quellungen) zurückzuführerf.
Trotz der hochgradigen pleuralen Eosinophilie sind im Blute nur
3 Proz. Eosinophile nachweisbar.
Leider haben wir den Patienten, dem strengste Bettruhe. Wärme¬
applikationen und Salizylate verordnet wurden, aus unserem Gesichts¬
kreis verloren, auf unsere Aufforderunff hin hat er sich aber Ende d. J.
als völÜR geheilt wieder vorg:esteIit. Nach seiner Aussage sind seine Be¬
schwerden in kurzer Zeit zurückgegangen, so dass er seit etwa Mitte
April 1920 wieder arbeitsfähig ist.
Bei der Nachuntersuchung der Lungen finden wir überall
normale Verliältnisse. nur ist die rechte untere, hintere Lungengrenze etwas
weniger als normal verschieblich, das Atmengeräusch daselbst eine Spur ab-
gescliwächt. Bei der Röntgendurchleuchtung ist die rechte Zwerchfellkuppe
in ihrem medialen Teil bei der Atmung ein wenig adhärent, der Sinus
phrenicocostulis ist frei. Bei ventrodorsaler Strahlenrichtung bemerkt man
eine feine Verschleierung rechts unten
Die Pleuritis kann also — bis auf feiAste Schwartenbildungen rechts
hinten unten — als abgeheiit gelten.
Im Blute finden wir eine Lymphozytose — bei dem etwas nervösen
Menschen bei Abwesenheit sonstiger insbesondere innersekretorischer Stö¬
rungen vielleicht auf eine Labilität im vegetativen Nervensystem zurück-
führbar. Eosinophile sind nur zu 2 Proz. vorhanden.
In einem weiteren Fall serös-hämorrhagischen
Pleuraexsudates bei Grippe, den mir Herr Prof. Bi11orf
zur Mitteilung überliess, und der kurz vorher zur Beobachtung kam, fand
sich ebenfalls eine pleurale Eosinophilie von ca. 19 Proz.,
jedoch verbunden m i t einer Bluteosinophilie von ca. 9 Pr 3Z
Auch dieser Fall verlief günstig.
Was die Entstehungsursache der lokalen Eosinophilie in Pleu a-
exsudaten anbetrifft, so erscheint zwar die Ansicht Kleins, dass es
sich speziell bei hämorrhagischen Ergüssen um Ablagerung von Eryth o-
zytentrümmern resp. Hämoglobinschollen in polynukleäre Leukozy en
handele, für manche derartigen Fälle verlockend, sie ist aber t on
N a e g e 1 i auf Grund von Versuchen namhafter Forscher abgele int
worden. Da die histiogene Entstehung der Eosinophilen nur für vjr-
schwindend wenige Ausnahmen (Eosinophilie im Peritoneum, in ler
Darmwand bei Ruhr etc.) in Betracht kommt, so müssen wir nach d im
heutigen Stande der Forschung wohl annehmen, dass ein spezifisc ler
lokaler Reiz oder ein chemotaktisches Agens — vielleicht aus Zerfa Is-
produkten der Zellen oder Endothelien im Erguss entstanden — er en
Reiz auf das Knochenmark im Sinne einer Anlockung der Eosinoph; en
ausübt. Vielleicht spielen lokale anaphylaktische Vorgänge dabei c ne
Rolle.
Der Widerspruch, der darin liegt dass in dem ersten Falle c ne
Bluteosinophilie nicht zu konstatieren war, während sie beim zwe en
bestand, lässt sich vielleicht aus zeitlichen Differenzen in der Bc ib-
achtung erklären: in dem ersten Fall — wie in ähnlichen anderen —
hatte der Reiz seinen Höhepunkt erreicht bzw. schon überschritten, so
dass keine weitere Anlockung der eosinophilen Zellen aus dem Knoct :n-
mark ins Blut und von dort aus in die Pleurahöhle erfolgte, während ler
andere Fall gerade zu einer Zeit untersucht wurde, wo der che lo-
taktische Reiz noch wirksam war. Dafür könnte wohl die im er; en
Falle sehr hohe, ini zweiten noch relativ niedrige pleurale Eosinopl lie
als Beweis angeführt werden. Auch die Ansicht Naegelis nd
S t ä u b 1 i s, dass bei lokaler Anhäufung der Eosinophilen die F it-
eosinophilie sinken kann, wäre hiermit in Einklang zu bringen.
Wie die Dinge hier auch liegen mögen, so darf, wie ich glaube. il>
bemerkenswert hervorgehoben werden, dass hämorrhagische Rippen II-
ergüsse im Verlaufe oder nach einer Grippe, wenn sie mit einer Eos o-
philie im Exsudat vergesellschaftet sind, eine günstige Prognose ge’ n.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
3Ü. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
815
Literatur.
B i 11 0 r !: Ther. d. prakt. Arztes 1920. Pleuritis exsudativa. — Klein:
Zbl. f. klin. Med. 1899. — Königer: Zytolog. Untersuchungsmethode. —
Lossen: D. Arch. f. klin. Med. 1906, Bd. 86. — Meyer-Lenhartz:
Chemie und Mikroskopie am Krankenbett. 1920. — Mohr-Staehelin:
Handb. d. inn. Med. — Naegeli: Blutkrankheit und Blutdiagnostik. —
Stäubli: Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderhlk. 1910.
Ueber das Oedem im Säuglingsalter.
Von Dr. Kurt Ochsenius, Facharzt für Kinderkrankheiten
Chemnitz.
In Nr. 19 d. J. der M.m.W. veröffentlicht Hamburge r-Graz
einen Fall von Hungerödem bei einem Säugling. Er schreibt dabei fol¬
gendes : ,»Es ist ganz klar, dass man aus diesem einen Fall noch nicht
den bindenden Schluss ziehen kann, dass alle Fälle von Säuglings¬
ödem kurzweg als Hungerödeme bezeichnet werden dürfen. Immerhin
möchte ich diesen Schluss als einen Wahrscheinlichkeitsschluss hin¬
stellen.“
Dass dieser Wahrscheinlichkeitsschluss ein Trugschluss ist, geht
m. E. besser als aus aller Literatur aus folgender Beobachtung in meiner
Privatpraxis hervor:
Zwillinge, 2 Knaben, Mutter 24 Stunden nach der Geburt gestorben,
daher Ernährung ohne Frauenmilch. Geburt am 5. IV. 21. Gewicht des
Peter 2950 g. des Fritz 2100 g. Nachdem vom 2. Tage ab Milch mit
Wasser -i- Milchzucker gegeben worden war, wurde auf meine An¬
ordnung hin vom 8. IV. ab 3 mal eine Drittelmilch + Schleim und 2 mal
eine Drittelrnilch zwei Drittel Buttermehlnahrung gereicht. Am
14. IV. Gewicht von Peter 2800 g. von Fritz 2120 g. Die Kinder er¬
halten nunmehr 3 mal Butterniehlnahrung und 2 mal halb Milch 4- halb
Schleim; Peter trinkt durchschnittlich 120 g. Fritz 80—90 g bei einem
Angebot von 100 g. Am 21. IV. tritt bei Fritz allgemeines Oedem auf,
das Gewicht ist von 2370 g am 18. auf 2600 g gestiegen. Wcglassen
des Kochsalzes aus dem Schleim für Fritz. Gewicht am 24.: 2210 g.
Völliges Verschwinden der Oedeme. Das Gewicht von 2600 g wird
am 6. V. zum erstenmal wieder erreicht; am gleichen Tag wiegt Peter
3560 g. Es folgte dann bei Fritz eine leichte Störung — Abnahme,
5 dünne Stühle täglich — die nach Aussetzen der Naiirung (Reisschleim),
Weglassen des Zuckers in einer Woche wieder behoben wurde. Heute
am 25. V. wiegt Fritz 3020 g, Peter 4140 g. Fritz verträgt wieder
den gleichen Kochsalzgehalt der Nahrung wie Peter; er trinkt im Durch¬
schnitt 120 g, während Peter 140 g zu sich nimmt. Die Pflegerin gibt
allerdings an, dass sie oftmals mit 5 Mahlzeiten nicht ausgekommen
wäre und 6 hätte reichen müssen.
Ist es an sich schon eine Seltenheit, dass 2 gleichaltrige Kinder
(Zwillinge), die vom ersten Tage an künstlich genährt wurden, bei der
auf gleiche Weise zubereiteten Kost dem Salzgehalt der Nahrung gegen¬
über sich so verschieden verhalten — aus diesem Grunde hätte sich eine
Publikation schon verlohnt —. so interessiert die Beobachtung gegen¬
wärtig ganz besonders, weil mit der Sicherheit eines Experimentes durch
vorübergehendes Weglassen des Kochsalzes innerhalb 24 Stunden die
Oedeme bei dem sonst nicht ernährungsgestörten Kinde zum Verschwin-
xlen gebracht werden konnten. Dass bei 2 mal halb Milch + Schleim und
3 maliger Gabe von Buttermehlnahrung nicht von Unterernährung die
Rede sein kann, wird wohl jeder zugeben. Die kurz danach auftretende
Störung ist, wie der Verlauf zeigte, sogar auf ein Zuviel an Nahrung
zurückzuführen gewesen. Dass bei Buttermehlnahrung auftretende Stö¬
rungen stets besonders schwer zu bekämpfen seien, diese von einigen
Autoren aufgestellte These besteht, wie der Verlauf bei diesem überaus
empfindlichen Kinde zeigt, sicher nicht zu Recht.
Wenn auch die Richtigkeit und Bedeutung der Beobachtung Ham¬
burgers natürlich durchaus anerkannt werden soll — seine Hypothese
wird in vieler Hinsicht befruchtend wirken —, der verallgemeinernde
Schluss, den er aus dem einen Falle zieht, ist sicher unberechtigt,
und wir w»erden, wie meine oben angeführte Beobachtung lehrt, einst¬
weilen noch für die Mehrzahl der Fälle an unserer alten Ansicht fest-
halten müssen. _
Auskultationsperkussion.
Von Dr. Emil Wiener.
Es soll hier nicht auf Erörterangen über das Wesen und die Ent¬
stehung des Perkussionsphänomens eingegangen, sondern kurz eine
neue Methode beschrieben werden, bei welcher die Perkussionswahr¬
nehmungen durch Auskultation unterstützt und gewissermassen ver¬
tieft werden. Der ausgestreckte Zeige- und Mittelfinger wird fest in die
rinnenförmig vertiefte Seitenwand eines Phonendoskopes von geringem
Durchmesser und beiläufig 2 cm Höhe gelegt, gut an die zu unter¬
suchende Stelle gepresst, hierauf in der gewöhnlichen Weile mit Finger
oder Perkussionshammer perkutiert. Die Konstruktion eines Instru¬
mentes ist in Vorbereitung, welches in einem Stück Phonendoskop
und Plessimeter vereinigt. Letzteres bildet einen Anhang der unteren,
metallenen Einfassung des Phonendoskopes und ist ungefähr 2 cm lang
und ebenso breit. Die Ecken sind zweckmässig abgerundet. Der ganze
untere MetallteiL besteht aus einem in gleicher Ebene liegenden Stück.
Die Schallwellen werden durch den fest an das Phonendoskop ge¬
pressten Finger, bzw. durch das Plessimeter in ersteres, und sodann
weitergeleitet.
Versuche ergaben die bedeutenden Vorteile dieses Verfahrens. Es
Digitized by Goiisle
ist vorzuziehen, zunächst leise zu perkutieren. Es lassen sich ins¬
besondere Exsudatgrenzen im Thoraxraum viel genauer feststellen, wie
durch gewöhnliche Perkussion, ebenso die Herzgrenzen, aber auch alle
sonstigen Schalldifferenzen. Es würde zu weit führen, näher auf alle
Arten der Anwendbarkeit dieser Methode einzugehen und soll nur er¬
wähnt werden, dass sie selbstverständlich bei allen Erscheinungen,
bei welchen Perkussion und Auskultation in Frage kommen, anwend¬
bar ist Meran, April 1921.
„Medicus medicum odit“. Die Entstehung eines Zitats.
Von Oswald Feis (Frankfurt a. M.)
Man hört manchmal zitieren: „Medicus medicum odit“ oder auch
„Medicus medico invidet“. Durch einen Zufall sah ich mich veranlasst,
gerade diesem die Kollegialität der Aerzte nicht gerade in rosigem
Lichte zeigenden Zitate nachzugehen; ich kam dabei zu einem Resultat
das mir nicht uninteressant scheint. Wir können hier die Wandlung resp.
die Entstehung einer sprichwörtlichen Redensart deutlich verfolgen, was
nur recht selten möglich ist denn deren Ursprung ist gewöhnlich in
Dunkel gehüllt Wir verfolgen die Wurzel des Satzes bis zu Hesiod
(ca. 8. Jahrhundert v. Chr.); in seinem gewaltigen Lehrgedicht: „Werke
und Tage“ heisst es V. 25 in Uebersetzung:
„Und der Töpfer grollet dem Töpfer, dem Zimmerer der Zimmerer,
Und es neidet der Bettler den Bettler, der Sänger den Sänger.“
Der Dichter schildert in grossangelegter Weise das Wesen mensch¬
licher Arbeit Die Eris (Wettbewerb) ist gut für die Menschen, im
Gegensatz zur Eris (Streitsucht), die Kampf und Zwietracht sät Am
Schlüsse dieser Ausführung stehen die eben angezogenen Verse.
Der einmal aufgenommene Vergleich wird nun im Laufe der nächsten
Jahrhunderte immer wieder diskutiert und in verschiedenem Sinne
kommentiert. Aristoteles (Polit V. 10) gebraucht das Gleichnis vom
Töpfer in dem Sinne, dass Gleiches dem Gleichen feind (Eth. Eudem.
VII, 1); bei 0 1 y m p i 0 d 0 r (6. nachchristl. Jahrhundert) erscheint neben
dem Töpfer auch wieder der Zimmermann. Ebenso bei Plato
(Lysis 215), der den Sänger und den Bettler wieder zum Vergleiche
heranzieht; hier wird auch der Arzt erwähnt und zwar in dem Sinne,
dass das Ungleiche, aufeinander im Leben angewiesen, sich anziehe; so
wie der Schwache auf den Starken, der Arme auf den Reichen, so sei
auch der Leidende auf den Arzt angewiesen. Das Entgegengesetzte sei
gerade dem Entgegengesetzten befreundet und ziehe sich an, wie es auch
in der Natur zu beobachten sei.
Unser Zitat wird bald geflügelt; so heisst es bei dem Kirchenvater
Tertullian (160 bis ca. 220 n. Chr.):
„Sic figulus (Töpfer) figulo, faber fabro invidet“! 4
Dass T. nichts Uebles den Aerzten nachsagt ist klar: hatte er doch
selbst medizinische Bildung und nennt unsere Kunst die Schwester der
Philosophie (de anima cap. 2).
Bei T h e m i s t i 0 s, einem Rhetor des 4. nachchristlichen Jahr¬
hunderts (Orationes, Leipzig 1832) erscheint unter den zitierten (je-
werben neben dem (Jrammatiker auch wieder der Arzt und zwar in von
Hesiod abweichendem Vergleich; es gilt das Vorurteil des Dichters
von der Feindschaft der Angehörigen desselben Berufs zu beseitigen.
Inzwischen war in Rom der Konkurrenzkampf der Aerzte. auch durch
das Eindringen minderwertiger Elemente, schärfer geworden. Das zeigt
sich deutlich in der zeitgenössischen Literatur. Schon Galen klagt an
mehreren Stellen über den Neid der Aerzte; den grossen Satirikern ist
der unwissende Arzt und sein Gewerbe ein willkommenes und vielfach
variiertes Ziel ihrer scharfen Pfeile.
In dieser Zeit ist wohl auch unser Zitat in Anlehnung an das
Hesiodsche Wort, dessen man sich immer noch erinnerte, geprägt
worden, wenn auch der Autor nicht direkt nachzuweisen ist. Fälsch¬
licherweise wird häufig Juvenal zugeschrieben:
„Figulus figulum et Medicus medicum odit.“
Abgesehen davon, dass J. einen metrisch so falschen Vers nie ge¬
schrieben hätte, ist die Stelle bei ihm überhaupt nicht nachzuweisen.
Das Zitat bürgert sich langsam aber sicher ein. „Medicorum invidia
et discordia“ hält Agrippa von Nettesheim (1486—1535) für
ein Sprichwort; ein solches ist es zwar nicht, so ganz im Unrecht wird
’ er aber nicht sein, wenn er aus eigener Erfahrung hinzufügt: „quiequid
probat unus, ridet alter“.
Der Neid wird schlechthin eine Eigenschaft unserer Kollegen, so
Roder, a Castro (17. Jahrhundert) in Med. Polit. Lib. Tll, der
ihn noch mit anderen schönen Eigenschaften verquickt: „quod Avaritia.
Superbia et Invidia, sint Medicis quibusdam quasi congeniti morbi ac
haereditarii“, ein Glück, dass er wenigstens das einschränkende „qui¬
busdam“ anfügt Auch Meibom (1638—1700, Commentar. in jusjur.
Hippocr.) führt das Sprichwort an, das noch seine Geltung habe, so
dass neide: „Figulus figulo. et mendicus (Bettler) mendico et medicus
medico“.
Ob das Zitat auch heute noch gilt, möge jeder für sich entscheiden.
„Invidia gloriae comes“, sagt der Lateiner. Sind auch die Götter von
Neid nicht frei! Traf doch Zeus den Asclepios mit dem Donnerkeil,
da er die Grenzen der Kunst überschreiten^ Tote zu neuem Leben er¬
weckte.
*) In dieser Form auch ins Deutsche übergegangen: ..Ein Töpfer (Bettler)
neidet den andern."
Original frorri
UNiVERSITY OF CALIFORNIA
816
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
Für die Praxis.
Aus dem Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten zu Hamburg.
Die Behandlung der Malaria.
Von B. Nocht.
Die Diagnose „Malaria“ wird nach meiner Erfahrung recht
häufig als Verlegenheitsdiagnose gestellt, teils weil sie dem Arzt bei
intermittierenden Fiebern, für die keine auf der Hand liegende Ursache
gegeben ist, am nächsten liegend erscheint, teils weil die Leute, die sich
im Kriege Malaria geholt haben — und dasselbe galt und gilt auch für
unsere Kaufleute, Pflanzer usw. aus den Tropen — dazu neigen, alle
Beschwerden und Leiden, die in der Folgezeit auftreten, besonders
wenn sie sich anfallsweise zeigen, auf ihre „alte Malaria“ zu beziehen
und mit dieser Diagnose zu ihrem Arzt kommen. Nun wird ein darauf¬
hin unternommener Versuch mit einer Chininkur nur ausnahmsweise
Schaden stiften, wenn man nur davon absieht, sich auch in den Fällen,
in denen Chinin versagt, auf die Diagnose zu versteifen und mit grossen
und lange fortgesetzten Chinindosen weiterzuarbeiten. Damit würde
man dann allerdings dem Patienten nur schaden und kostbare Zeit
verlieren. Eine fieberhafte Erkrankung, die nicht schon nach wenigen
Tagen verständiger Chininbehandlung zunächst prompt und mehr oder
weniger kritisch auf Chinin reagiert, so dass der Patient auch nach dem
Aussetzen des Mittels mindestens noch einige Tage fieberfrei bleibt,
ist keine Malaria. Selbst bei tatsächlich nachgewiesener Malariainfek¬
tion ergibt sich in solchen Fällen fast immer, dass das vorliegende
chininrefraktäre Fieber nicht durch Malaria bedingt ist. In vielen
solchen Fällen handelt es sich um chronische Chininvergiftung infolge
von übermässig lange fortgesetzter Chininbehandlung mit grossen Dosen
(„paradoxes Chininfieber“).
Wenn ich also auch durchaus rate, bei fieberhaften Erkrankungen
lieber zu oft als zu selten an Malaria zu denken^ so darf es sich eben dabei
zunächst nur um eine probatorische Chininbehandlung handeln.
Man wird dann aber auch in den Fällen vor schmerzlichen Ueber-
raschungen bewahrt bleiben, in denen unverhofft ein bedrohliches Ma¬
lariafieber eingesetzt hat und der Blutbefund entweder nicht gleich
festgestellt wird oder negativ ausfällt. Solche plötzliche, bedrohliche
Fieberausbrüche sind auch bei älterer Malariainfektion nicht so ganz
selten. Man würde hier oft zu spät eingreifen, wenn man mit der
Chininbehandlung auf den positiven Ausfall der mikroskopischen Dia¬
gnose warten wollte.
Für die mikroskopische Malariadiagnose ist die Untersuchung in
„dicken Tropfen“^) unentbehrlich. Wenn die Parasiten fehlen, weisen
oft der Befund von basophil gekörnten roten Blutkörperchen. Leuko¬
penie und Vermehrung der grossen Mononukleären auf die Diagnose
hin. Leukozytose spricht im allgemeinen gegen Malaria. Aber auch
einen positiven Parasitenbefund darf man nicht immer isoliert, ohne
die klinischen Erscheinungen zvt beachten, zum Ausgangspunkt einer
Chininbehandlung machen. Das ist vielfach im Kriege geschehen. Der
Patient, dessen Blutpräparat mit der Marke „Malaria positiv“ aus der
Untersuchungsstation zurückkam, erhielt Chinin und wieder Chinin,
einerlei, ob es wirklich seine Malariainfektion war, die in erster Linie
eine Behandlung erforderte, oder ob sie nur als chronische latente
Komplikation einer wichtigeren Erkrankung anzusehen war.
Die Malaria ist eine chronische Infektionskrankheit. Sie ver¬
läuft in einzelnen Fieberschüben. Diese Fieberrezidive sind bis jetzt
durch keine Behandlungart sicher zu vermeiden, es gibt auch bei der
Malaria noch keine Therapia magna sterilisans. Wenn es in seltenen
Fällen bei der ersten einmaligen fieberhaften Manifestation der Malaria
bleibt und Nachschübe fehlen, so ist das ein günstiger Zufall und nicht
auf die Behandlung zu beziehen; wohl aber kann man dafür sorgen,
dass die Rezidive mit^er Zeit kürzer, seltener und schwächer werden
und der Patient in den fieberfreien Pausen klinisch gesund erscheint
und sich so fühlt. Rezidive sind allerdings auch nach fieberfreien Pausen
von mehreren Jahren beobachtet worden, im allgemeinen aber gehört
es wohl zu den Ausnahmen, wenn eine Malariainfektion, vorausgesetzt,
dass Reinfektionen ausgeschlossen sind, nicht nach 3—4 jähriger Dauer
aus dem Körper verschwunden ist.
Bei der Behandlung der Malaria muss man zwischen der Be¬
handlung des akuten Malariaanfalles (Rückfalles) und der Nach¬
behandlung unterscheiden.
Jeder Fieberanfall (mit oder ohne Parasitenbefund) soll sofort,
auch noch mitten im Fieber, mit Chinin behandelt werden. Dabei
braucht man im allgemeinen nicht über die Tagesmenge von 1 g
Chinin hinauszugehen. In vielen Fällen, namentlich bei alter Malaria¬
infektion, kommt man mit geringeren Dosen aus und nur in selteneren
Ausnahmefällen (Perniziosa) ist man gezw'ungen, die Tagesdosis von
1 g zu erhöhen; in den meisten Fällen genügen dann aber lYs —2 g
pro die. Es empfiehlt sich nicht, die volle Tagesdosis auf einmal zu
geben, besser sind Teildosen, die man über den Tag verteilt (5 mal 0,2
oder 4 mal 0,25).
Ueberall, wo die Resorption des Chinins in Frage ge¬
stellt ist (Erbrechen, Durchfall, fehlende Magensäure) und in allen
bedrohlichen Fällen (sehr hohe Temperaturen, Koma, Kollaps usw.)
ist Chinin intravenös oder intramuskulär anzuwenden.
‘) Ein Blutstropfen wird auf etwa die dreifache Grösse mit der Stechfeder
auf dem Objektträger ausgebreitet und nach vollkommenem Trockenwerden
an der Luft unfixiert Stunde lang mit Qiemsalösung gefärbt. Vorsichtig
AbspUlen und Trocknen. Die gut gefärbten Malariaparasiten sind auch in der
dicken Schicht der ausgelaugten, kaum gefärbten roten Blutkörperchen gut
erkennbar.
Die subkutane Einverleibung sollte ganz aufgegeben werden; die
Resorption ist dabei langsam und unsicher, Nekrosen und Abszesse häufi¬
ger als bei richtiger intramuskulärer Einspritzung. Für die Einspritzung
in die Muskeln wird zweckmässig die Glutäalgegend gewählt. Wir
benutzen meist hierfür wie auch für die intravenöse Einspritzung eine
Chininurethanlösung. (Chinin, hydrochloricum 10 g, Aqu. dest. 18 g,
Aethylurethan 5 g. Die Mischung in zugeschmolzenen Ampullen zu
1,5 ccm. Jede Ampulle enthält 0,5 Chininum hydrochloricum.) Zur
intravenösen Injektion muss diese Lösung mit 10—20 ccm physio¬
logischer Kochsalzlösung verdünnt werden. Mehr als 0,5 g Chinin
auf einmal soll man intravenös nicht einspritzen.
In den allermeisten Fällen sinkt die Temperatur schon nach einem
Tage solcher Chininbehandlung bis zur Norm wieder herunter, nur
in Ausnahmefällen dauert es 2, 3 oder gar 4 Tage damit. Wo dieser
Erfolg ausbleibt, hat man, wie schon oben erwähnt, alle Veranlassung,
an seiner Diagnose zu zweifeln.
Auch wenn die Temperatur gesunken ist und die sonstigen akuten
Erscheinungen des Anfalls verschwunden sind, darf man das Chinin noch
nicht aussetzen, sondern muss es noch einige Tage in Dosen bis zu 1 g
für Erwachsene (in Teildosen über den Tag verteilt) weitergeben. Dann
kommt eine mehrtägige (die erste) Chininpause.
Jeder solchen Anfallbehandlung soll sich nun eine Chininnach¬
behandlung anschliessen; sie darf aber nicht zu lange ausgedehnt wer¬
den, sonst wirkt sie schädlich. Rezidive werden auch durch eine län¬
gere Nachbehandlung nicht mit Sicherheit verhindert.
Eine mässige kurze Nachbehandlung begünstigt die Erholung und
Bhitneubildung nach dem Anfall, eine zu lange fortgesetzte Chinin¬
behandlung stumpft die Chininwirkung ab. macht chronische Chinin¬
vergiftung, Chininfieber und sonstige Erscheinungen von Ueberempfind-
lichkeit.
In der Nachbehandlung müssen Chininperioden mit chininfreien Pau¬
sen wechseln. Die Chininperioden sollen in der Regel nicht länger als
4 Tage dauern, die Pausen können zwischen 3 und 7 Tagen, je nach
der Hartnäckigkeit der Infektion schwanken. Es ist zweckmässig, sie
innerhalb dieser Grenzen mit der Dauer der Nachbehandlung zu ver¬
längern.
Die Nachbehandlung braucht nur solange fortgeführt zu werden,
bis die Kranken sich klinisch gut erholt haben. Dazu genügen meist
4—5 Wochen. Eine längere Chininbehandlung ist unnütz, der Kranke
, kann bis zum nächsten Rückfall chininfrei bleiben. Jeder Rückfall ist
wie der erste Anfall zu behandeln.
Lange Zeit ununterbrochen fortgesetzte, tägliche grössere Chinin¬
dosen wirken ungünstig auf den allgemeinen Gesundheitszustand und
auch auf die Heilung der Malaria. Häufig sind es solche Fälle, die als
besonders hartnäckige chronische Malaria ahgesprochen und immer
weiter mit Chinin behandelt werden. Sie sind zu Fällen von chro¬
nischer Chininvergiftung geworden. Man soll Chinin nie längere Zeit
als einige Tage ununterbrochen hintereinander in einigermassen
grösseren Dosen, auch nicht in Tagesdosen bis zu 1 g geben. Wo eine
längere Chininbehandlung erforderlich ist, müssen kurze Chininperioden
mit mehrtägigen chininfreien Pausen wechseln.
Wo das Chinin trotz guter sicherer Resorption (Urin¬
untersuchung!) von vornherein oder nach längerer Anwendung un¬
angenehme Nebenwirkungen hervorruft oder seine Wirkung auf den
Malariaprozess nicht befriedigt, ist es für längere Zeit auszusetzen.
Oft stellt sich dann eine befriedigende spezifische Wirkung, insbeson¬
dere nach vorausgegangenem Chininmissbrauch nach 3—4 wöchigem
Aussetzen wieder ein. Wenn es nötig ist, noch während solcher län-
gern Chininpausen gegen Rezidive vorzugehen, so sind die Arseno-
benzole (Salvarsan, Neosalvarsan usw.) anzuwenden. Sie wirken nicht
besser als Chinin, sind aber, wo Chinin wegen mangelnder Wirkung,
Idiosynkrasie oder chronischer Chininvergiftung versagt, gute Ersatz¬
mittel dafür. Rückfälle können sie auch nicht verhindern, deshalb hat,
ebenso wie beim Chinin, ihre Anwendung in der Zeit, wo die Malaria
keine akuten klinischen Erscheinungen macht, keinen besonderen
Zweck. Am besten wirken die Arsenobenzole bei Tertiana. Mehr als
2—3 Einspritzungen (0,45—0,6 Neosalvarsan) in 6—8 tägigen Zwischen¬
räumen sind meist nicht erforderlich. An solche Salvarsankur schliesst
sich zweckmässigerweise eine Chininnachkur an.
Bei hartnäckiger Quartana. die mitunter weder auf Chinin noch auf
Salvarsan befriedigend reagiert, empfiehlt sich ein Versuch mit
Methylenblau (in täglichen Qrammdosen nach dem Chininschema ge¬
geben). Auch die Kombination von Neosalvarsan mit Methylenblau
ist dabei oft von gutem Erfolge.
Auch bei Anämie ohne Fieber, wenn sie auf Malaria zurückzuführen
ist und bei larvierten Formen (Neuralgien usw.) sowie bei allgemeiner
Schwäche nach Malaria ist natürlich eine Chininbehandlung an gezeigt,
darf aber auch dabei nicht zum Chininmissbrauch ausarten, sondern
muss sich in den oben beschriebenen Grenzen halten. Von provo¬
katorischen Eingriffen zu therapeutischen Zwecken halte ich nichts;
man vermehrt dadurch nur die Zahl der Rezidive, ohne die endgültige
Heilung der Infektion abzukürzen. Den Patienten muss man warnen,
sich Einflüssen auszusetzen, die provokatorisch wirken können (Erkäl¬
tungen, Durchnässungen, Ueberanstrengungen, Diätfehler u. dgl.), Zu
diagnostischen Zwecken kann künstliche Provokation (Höhensonne,
Einspritzungen heterogener Eiweissstoffe, Milzduschen, kalte Bäder
u. dgl.) in Frage kommen bei Leuten, die, wie schon oben erwähnt,
irgendwelche Klagen und Beschwerden auf eine vielleicht weit zurück¬
liegende Malariainfektion beziehen und womöglich daraus Ansprüche
ableiten wollen.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
817
Bücheranzeigen und Referate.
A Text-book of Pathology. By W. G. Mac Call um, Professor
der Pathologie und Bakteriologie an der Johns Hopkins Universität m
Baltimore. 2. Auflage. Philadelphia und London, W. B. Saunders
Company, 1920. 1155 Seiten.
Wenn auch infolge unserer Valuta die Preise der Bücher aus dem
Ausland so hoch gestiegen sind, dass ihre Anschaffung nur mehr wenigen
Bibliotheken, aber kaum mehr dem einzelnen Arzt möglich ist, so ist es
doch die Aufgabe der Wochenschrift, auf bedeutungsvolle Erscheinungen
der medizinischen Auslandsliteratur hinzu weisen. Dazu müssen unbedingt
die beiden jetzt zu besprechenden Werke gerechnet werden. Das Buch
yon M a c C a 11 u m gibt die Vorlesungen über Pathologie wieder, welche
für die Studierenden der Johns Hopkins Universität gehalten werden, und
es lässt sich daraus erkennen, dass dieser Unterricht zurzeit auf einer
hohen Stufe steht. Das Buch weicht insofern von den in Deutschland
gebräuchlichen Lehrbüchern ab, als es die allgemeine Pathologie mit den
wichtigsten Tatsachen der speziellen pathologischen Anatomie vereint.
Ja es geht sogar auf die Probleme des Stoffwechsels, des Basensäure¬
gleichgewichts und manche ähnlichen Fragen ein, die wir sonst in den
Lehrbüchern für innere Medizin abgehandelt zu finden pflegen. Der Verf.
betont mit Recht, dass es sich bei diesen beiden Disziplinen um denselben
Gegenstand handelt, der nur von verschiedenen Seiten betrachtet wird.
Er verwahrt sich aber dagegen, dass man etwa sein Buch als Nachschlage¬
werk betrachtet und restlose Aufzählung aller pathologisch-anatomi¬
schen Vorgänge erwarte. In den ersten Kapiteln wird die Pathologie der
Zelle, der Blutzirkulation, die Degeneration und Regeneration betrachtet.
Es folgen die Abwchrmassregeln, welche dem Organismus gegen die ihn
treffenden Schädlichkeiten zur Verfügung stehen. Eingehend und klar
werden die Entzündungs- und Reparationsvorgänge, Phagozytose,
Immunität auf Grund der neuesten Forschung erörtert. Als Beispiele der
degenerativen und entzündlichen Organveränderungen werden dann in
einzelnen Kapiteln die Krankheiten der Nieren, der Leber, der Lungen usw.
beschrieben. Dabei wird soweit wie möglich der ätiologische
Standpunkt festgehalten, indem immer die primäre Schädlichkeit gesucht
wird, welche für die Organveränderungen verantwortlich ist. So
werden die Bakterieninfektioneii d'cr Reihe nach -durchgcsprochen, also
das ganze Kapitel der Infektionskrankheiten mit Einschluss auch der
Tuberkulose und der Syphilis, und zwar nicht nach den Organen ge¬
trennt, sondern unter gemeinschaftlichen Gesichtspunkten. Unter den
späteren Kapiteln seien besonders diejenigen über die Parasiten hervor¬
gehoben, weil sie sich zum Teil auf den neuesten und bei uns noch wenig
bekannten englischen und japanischen Forschungen aufbauen; ferner
eine sehr einleuchtende Darstellung der Gelenkerkrankungen. Es ver¬
steht sich von selbst, dass die Pathologie der endokrinen Drüsen eine
sorgfältige Behandlung gefunden hat, da ja besonders amerikanische
Gelehrte und der Verfasser selbst an diesen Forschungen beteiligt sind.
Die Ictzt'cn Kapitel bieten eine sehr lesenswerte Darstellung der ver¬
schiedenen Geschwulstarten mit Berücksichtigung der neuesten Literatur
über die Aetiologie der Neoplasmen. — Jedem Kapitel ist eine kurze
Angabe der wichtigsten Literatur beigefügt und es muss hervorgehoben
werden, dass der Verfasser dabei der deutschen medizinischen Literatur
volle Gerechtigkeit widerfahren lässt und sich als ein gründlicher Kenner
derselben zeigt: Die Literaturübersichten mancher Kapitel nennen fast
nur deutsche Arbeiten. Andererseits wird es dem deutschen Leser von
grösstem Werte sein, in diesem Werk eine gute und kritische Uebersicht
der neuesten amerikanischen Literatur zu finden. — Das Buch ist reich
mit Abbildungen ausgestattet und man wird selten in einem deutschen
Werk makroskopische und mikroskopische, auch farbige, nach Photo^
graphien oder Zeichnungen hergestellte Bilder von solcher Schönheit und
derartigem didaktischen Wert finden als wie in dem Buche von Mac
Call um. Es gewährt eine wirkliche Freude, diese Bilder zu studieren.
Wenn auch der Verfasser in seinem Bestreben, überall der neuesten Lite¬
ratur geri’cht zu werden, manchmal (z. B. in der Zellenlehre) etwas zu
weit gegangen ist und Anschauungen entwickelt, welchen die deutschen
pathologischen Anatomen nicht immer zustimmen werden, so ist doch
sein Lehrbuch sicher als eine höchst anregende und wertvolle Erscheinung
zu begrüssen. Friedrich Mül 1er-München.
The clinical diagnosis of internal diseases. In three volumes by
Lewellys F. Bgrker. New York und London. D. Applcton & Co.,
1916.
In dem Journal der American Medical Association werden zurzeit
eingehend die Wandlungen erörtert, welche dem ärztlichen Stand dadurch
bevorstehen, dass für die Stellung der Diagnose in immer höherem Grade
die Hilfe von wissenchaffliehen Laboratorien und von geschulten
Spezialisten herangezogeri werden muss. Diesem Eindringen der exakten
Untersuchungsmethoden in die medizinische Praxis trägt das vorliegende
Werk Rechnung, das in 3 stattlichen Bänden zu je ungefähr 1000 Seiten
das ganze Gebiet der medizinisch-klinischen Untersuchungsmethoden mit
Einschluss der Neurologie und selbst der Psychiatrie darlegt. Der Ver¬
fasser bekundet dabei eine geradezu erstaunliche Belesenheit und es muss
anerkannt werden, dass er vor allem auch der deutschen Literatur aus¬
führlich Rechnung trägt; ja die Abbildungen sind sogar zu einem recht
grossen Teil den deutschen führenden Werken entnommen. Im Anschluss
an die eingehende Schilderung aller einzelnen Untersuchungsmethoden
wird dann jedesmal eine Zusammenstellung der zugehörigen Krankheits¬
bilder gegeben, z. B. nach der Besprechung der Bfutuntersuchung eine
sehr hübsche kritische und d-en modernsten Gesichtspunkten Rechnung
tragende Beschreibung der sämtlichen Blutkrankheiten. Auf diese Weise
wächst das Buch über den Rahmen einer einfachen diagnostischen
Methodologie weit hinaus, wie ja auch sein Umfang denjenigen der
deutschen Lehrbücher etwa von Sahli oder Brugsch und
Schittenhelm fast um das dreifache über trifft. Man hat bisweilen
den Eindruck, dass der Verfasser in seinem .Bestreben nach methodischer
Gründlichkeit etwas zu weit gegangen ist und dass dadurch die Ueber-
sichtlichkeit leidet. Ein solches Buch kann man nicht lesen, sondern nur
im Bedarfsfall nachschlagen. Es wird aber dann dem Arzt ein zuver¬
lässiger Ratgeber sein, um so mehr als der Verfasser immer eine ge¬
sunde Kritik bewahrt. Für den deutschen Leser ist das Werk nicht
nur wegen seiner Vollständigkeit erwünscht, sondern vor allem auch
desw'Cgen, weil es die in Amerika gebräuchlichen Methoden vermittelt.
Sehr eingehend sind alle Fragen der Stoftwechselchemie besprochen
und es macht sich dabei geltend, dass der Verfasser ^nge^ Zeit m
Deutschland und namentlich in Berlin als Schüler von Emil Fischer
gearbeitet hat. Das Buch kann besonders allen denjenigen warmstens
zum Studium empfohlen werden, welche sich mit der Herausgabe von
Lehrbüchern der Klinischen Diagnostik beschäftigen.
Friedrich Müller- München.
L. Asch off: Pathologische Anatomie, ein Lehrbuch für Studierende
und Aerzte, bearbeitet von L. A s c h o f f - Freiburg i. Br., A s k a -
nazy-Genf, H. B e i t z k e - Düsseldorf. C. B enda-Berlm. M. Bor st-
München, A. D i e t r i c h - Köln, P. E r n s t - Heyelberg. E. v. G i e r k e -
Karlsruhe, L. J o r e s - Kiel. R. K r e t z - Wien t. 0. L u b a r s c h - Ber¬
lin, O. Naegeli-Zürich, R. R o ess 1 e- Jena, M. B. S chmidt-
Würzburg, H. Schridde-Dortmund, E. Schwalbe-Rostock 1.
M. M. S i m rn 0 n d s - Hamburg, C. Sternberg - Wien, l* ^ "
gemeine Aetiologie, Allgemeine pathologische Anatomie. Mit 440 ßrossen-
teils mehrfarbigen Abbildungen im Text. (850 S. Preis 105 M.)
II. Band; Spezielle pathologische Anatomie. Mit 669 grossenteils mehr¬
farbigen Abbildungen im Text und 1 lithograph. Tafel. (1088 S. Preis
125 M.) 5. Auflage. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1921
Trotz der kurzen Zeit, welche seit dem Erscheinen der 4. Auflage
des Lehrbuches verflossen ist, zeigt die neue Auflage in nicht wenigen
Abschnitten doch sehr wesentliche Aendenmgen. So wurden die Ab¬
schnitte über die Gran u'l a r a t r o p h i e und die Trübe Schwe-
lungder Nieren, die parenchymatöse Nephritis und Fol¬
gen der Nierenentzündungen, die Prostatahyper-
trophie und die Endo-Myometritis fast völlig umgearbeitct.
diejenigen über das chronische Ulcus ventriculi und über
das mikroskopische Verhalten der typhösen Infiltration be¬
trächtlich erweitert Aber auch die Abschnitte über den Begriff der
Todesursache, die Bazillen des malignen 0 e d e m s und der
Oasphlegmone, die Verlctzungender Lunge, die eitrige
Enzephalitis, den Hydrozephalus, die pathologische
Fcttablagerung in den Nieren, die Dysmennorrhoea
membranacea und viele andere haben grössere oder kleinere Er¬
gänzungen erfahren. Noch mehr gilt dies gegenüber der 3. Auflage, in
welcher eine Besprechung der Schussverletzungen des
Bauches und verschiedener Organe sowie des Paratyphus über¬
haupt fehlte und die Anomalien der Form und Grösse der
Zähne, die‘A etiologiederakutengelbenLebcratrophic
und die Hernia dUphragmatica wesentlich kürzer behandelt
waren. Die Abschnitte über die Aetiologie des Kropfes, die
Entzündung der Zähne, die Entstehung der Gallen¬
steine und ganz besonders die R u h r wurden gegenüber der 3. Auflage
ebenfalls, zum Teil unter nicht unbedeutender Erweiterung, so gut wie
neu bearbeitet.
Wenn es gleichwohl möglich war den Umfang der neuen Auflage
nicht unerheblich einzuschränken (im allgemeinen Teil um 48, im
speziellen Teil um 75 Seiten), so wurde das hauptsächlich durch noch viel
ausgiebigere Anwendung kleineren Druckes und Ausschaltung einer
kfeinen Zahl entbehrlicher Figuren erzielt, zum Teil aber auch durch
Kürzungen des Textes in sehr zahlreichen Abschnitten. Die meisten
dieser Kürzungen sind jedoch nur ganz unwesentlich. Das ist sdir er¬
freulich und dankbar anzuerkennen. Denn die pathologische
Anatomie ist und bleibt für alle Zeiten die absolut un¬
ersetzliche Grundlage auch für die klinischen Fächer
und es ist daher die Pflicht des Pathologen dafür Sorge zu tragen, dass
unseren Studierenden undAerzten ein allen Anforderungen entsprechendes
Lehrbuch erhalten bleibt. Wenn daher der Herausgeber des Lehr¬
buches sich in seinem Vorwort dahin äussert, dass eine noch weiter¬
gehende Einschränkung des Textes nur dann zu erreichen wäre, wenn
aus dem Lehrbuch ein Lernbuch gemacht werden sollte, so sind diese
Worte dem Referenten aus dem Herzen gesprochen. Im Gegenteil, es
wäre wünschenswert, wenn einzelne Abschnitte, wie das Ulcus duo-
deni. die Staubinhalationskrankheiten und namentlich die
Verkrümmungen der Wirbelsäule mit ihren Folgen für die
Gestaltung der Brustorgane und die Zirkulation in zusammenhängender
Darstellung etwas ausführlicher behandelt wären. Auch die Ergebnisse
der experimentellen Ulcusforschung dürften mit Rücksicht
auf die Theorie über die neurogene Entstehung der pcptischcn Läsionen
etwas melir berücksichtigt sein, und bei der Behandlung der Frage von
der Existenz spezifischer Wachstumsreize sollte entschieden auf die
Pflanzengallen hingewiesen werden. Bei dem Abschnitt über die
E r k ä 11 u n g als Krankheitsursache wäre auf die interessanten, förmlich
einem grossen Massenexperiment gleichenden Untersuchungen Schades
näher einzugehen; bei den Traktionsdivertikelnder Speise¬
röhre fehlt die Besprechung ihrer pathologischen Bedeutung; auch die
Skabies dürfte etwas ausführlicher behandelt und vor allem durch
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
818
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
eine gute Abbildung illustriert sein, nachdem eine solche auch im allge¬
meinen Teil fehlt und eine Abbildung der Krätzmilbe doch gewiss wich¬
tiger ist, als eine solche des Pentastoma und des Sandflohes.
Gar nicht einverstanden kann sich der Referent damit erklären, dass
Asch 0 f f versucht, die allgemein übliche Bezeichnung Tuberkulose
durch das Wort Phthise zu verdrängen. Auf die Ueberflüssigkeit,
Unzweckmässigkeit und Unrichtigkeit dieser allgemeinen Verwendung des
Ausdruckes Phthise hat bereits Marchand zur Genüge hingewiesen.
Von den sämtlichen Mitarbeitern des Lehrbuches ist daher auch nur
B e i t z k e dieser Anregung A s 0 f f s gefolgt, aber auch er kommt bei
der Besprechung der Disposition zu dem Schluss, dass von den einen
tuberkulösen Herd in sich tragenden Menschen glücklicherweise „nur eine
Minderzahl wirklich schwindsüchtig ist“! — Und Simmonds,
welcher in der 4. Auflage ebenfalls die Bezeichnung Phthise für die tuber¬
kulösen Prozesse allgemein angenommen hatte, ist in der neuen Auflage
bei Besprechung der Tuberkulose der männlichen Geschlechtsorgane
erfreulicherweise wieder zu der alten und allein entsprechenden Aus¬
drucksweise zurückgekehrt.
Doch all die genannten Lücken und die ebenso aussichtslose als
gewiss wenig glückliche Verwendung des Ausdruckes Phthise für alle
tuberkulös'en Prozesse vermögen der Vorzüglichkeit des hervorragenden
Werkes im ganzen keinerlei Abbruch zu tun. Das A s c h o f f sehe Lehr¬
buch ist in jeder Beziehung trotz der Not der Zeit auf seiner alten Höhe
geblieben, was ganz besonders auch für die geradezu mustergültigen
Abbildungen und die ganze sonstige Ausstattung des Werkes gar nicht
genug rühmend hervorgehoben werden kann. Und daher seien nicht nur
dem Herausgeber und allen seinen Mitarbeitern, sondern auch dem Ver¬
leger hier im Namen der Studierenden und Aerzte aufrichtiger Dank und
vollste Anerkennung ausgesprochen für die hingebende Mühe und Sorg¬
falt, welche sie auch dieser neuen Auflage des beliebten Lehrbuches zuteil
werden Hessen.
Schliesslich sei in schmerzlicher Wehmut und in Dankbarkeit der
beiden verstorbenen Mitarbeiter R. K r e t z und E. S c h w a 1 b e gedacht.
Kretz erlag einer schweren septischen Infektion, Schwalbe fiel an
der Spitze seiner Studenten im Kampf gegen Rotgardisten! —
G. Hauser.
A. Döderleln: Leitfaden für den geburtshilflichen Operations¬
kurs. 13. Auflage. 272 S. Leipzig 1921, Georg Thiemes Verlag.
Preis geb. 18 M.
Vor knapp 1% Jahren habe ich in diesen Blättern die 12. Auflage
angezcigt. Das neue Buch ist kein unveränderter Abdruck, sondern ist
durch eine sehr eingehende Darstellung der Zange am nachfolgen¬
den Kopfe bereichert. Mit Recht ist D. von den Ergebnissen aller
Handgriffe zur Entwicklung des nachfolgenden Schädels unbefriedigt;
in ungeübten Händen haben sie schon viel Schaden gestiftet. Vielleicht
hätte gerade deshalb die harmlose Extraktion nach A. Mueller eine
eingehendere Beschreibung verdient. Sonst hat das Buch seine alten
Vorzüge, dem Studierenden ein guter Lehrer, dem Geburtshelfer ein
zuverlässiger Helfer zu sein. — Wäre es nicht möglich, der nächsten
Auflage -ein Register beizufügen? w. S. F1 a t a u - Nürnberg.’
Fr. Kohlrausch: Lehrbuch der praktischen Physik. 13., stark
vermehrte Auflage. Neu bearbeitet von H. Geiger. E. Grüneisen,
L. Holborn, K. Scheel und E. Warburg. Mit 353 Figuren im
Text. Leipzig-Berlin, B. G. Teubner, 1921. 724 S. Preis 30 M.,
geb. ,34. M.
Wer in der Physik und Mathematik durch praktisches Arbeiten be¬
reits eine gesicherte Allgemeinkenntnis besitzt, wird in dem Buch eine
vorzügliche Anleitung zur Ausführung physikalischer Messungen finden.
Wie das Erscheinen in 1.3. Auflage beweist, gehört das Buch zu den
verbreitetsten seiner Art. Es ist ganz vorzugsweise für Physiker von
Fach geschri'cben. Maximaler Reichtum an Inhalt bei maximaler Knapp¬
heit an Worten ist ein Hauptkennzeichen der K o h 1 r a u s c h sehen Dar-
stel!uiie''art. an der auch von den Neubearbeitern w'enig geändert wurde.
Ebenfalls die mathematischen Formulierungen sind stets nur kurz, ohne
besondere Interpretierung dem Text cingefügt. Diese Kürze, die für
den Gebrauch des Buches in der Hand des Fachmannes einen grossen
Vorteil bedeutet, wird für den Mediziner zu einer Hemmung, resp.
Erschwerung des Verständnisses. Nur wer nach dem Mass seiner Vor-
k-enntnisse diese Hennnnng zu überwinden vermag, wird das Buch mit
Nutzen, dann aber auch mit grossem Vorteil, verwerten.
H. Schade-Kiel.
Fr. Kohlrausch: Kleiner Leitfaden der praktischen Physik.
,3. ,^ufl. Neubearbeitet von Dr. H. Scholl. Mit 165 Abbildungen.
Leipzig-Berlin 1919. Verlag von B. G. Teubner. ,324 S. Preis 10 M.
-1- Zuschlag,
Der vorstehenden Beurteilung des Kohlrausch sehen Lehrbuches
der praktischen Physik entspricht cs, dass H. Scholl aus den Haupt-
kaniteln dieses Werkes den hier genannten kleinen ..Leitfaden physi¬
kalischer Mess- und Arbeitskunst" zusammengestellt hat. Er ist den
Bedürfnisesn des Nichtfachphvsikers in vorzüglicher Weise angepasst in¬
dem überall am Anfang der Kapitel Vorbemerkungen vorangestellt sind,
v.elche die zürn Verständnis nötigen physikalischen Tatsachen und Ge-
setz'e in kurzer Form bringen. Auch sonst ist der Text gegenüber der
Kohl r a u s c h sehen Stilkürze für die Zwecke des Mediziners dadurch
allgemeiner brauchbar gemacht, dass die mathematische Behandlung
auf das notwendigste beschränkt und dafür der textlichen Darstellung ein
breiterer Raum gewährt ist. Insbesondere sei hervorgehoben, dass
Digitized by Goiisle
vielfach gerade die für die Medizin wichtigen Apparate und Messungs¬
arten, wie z. B. Induktionsapparat Röntgenapparat, Diathermieapparat,
Radioaktivitätsmessung u. dgl. eingehend behandelt sind. Wie der Re¬
zensent sich überzeugt hat sind die Anweisungen derart, dass auch der
wenig Geübte durch sie zur selbständigen Ausführung der Arbeit instand
gesetzt wird. Das Buch sei daher dem Medizin'er. besonders aber den
ärztlichen Laboratorien sehr zur Anschaffung empfohlen.
H. S c li a d e-Kiel.
Zeitschriften- Uebersicht
Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie.
31. Band. Heft 1.
Friedrich Breinl-Prag: lieber ParagKlutlnation.
Verf. hat die von Kuhn und W o i t h e entdeckte Erscheinung der
Paragglutination einer kritischen Nachprüfung unterzogen und kommt dabei
zu folgenden Ergebnissen: Rezeptoren, die der atoxischen Dysenteriegruppe
homolog sind, werden bei vielen Kolistämmen, solange sie in ihrem natür¬
lichen Milieu leben, angetroffen. Ebenso häufig findet man Rezeptoren
der Typhiisgruppe, die aber von den zugehörigen Immunseren weniger deut¬
lich angegriffen werden. Diese Nebenrezeptoren werden in der Regel rasch
abgeworfen, wenn die Kolistämme auf künstlichen Nährboden übertragen wer¬
den. Eine Beziehung zwischen dem Erreger einer Infektionskrankheit und
der Agglutinabilität der Kolistämme, die im Darme der Infizierten leben, be¬
steht nicht. Die diesbezüglichen Ausführungen von Kuhn beruhen auf einer
fehlerhaften Deutung seiner Agglutinationsergebnisse. Die künstliche An¬
züchtung von Rezeptoren ist ein Scheinphänomen, das mit einer Aenderung
im Rezeptorenapparat der Bakterien nichts zu tun hat. Eine „Paraggluti-
nation“ im Sinne von Kuhn und Woithe existiert nicht, der Name muss
aus der Terminologie der Immunitätslehre verschwinden.
Erwin Z w e i f e I - München: Versuche zur Klärung der fötalen und pla¬
zentaren Theorie der Eklampsie.
Nach einer Uebersicht über die Theorien der Eklampsie berichtet Verf.
über seine eingehenden Nachprüfungen der von W e i c h a r d t zuerst auf-
gestelltcn Lehre der anaphylaktischen Natur dieser Erkrankung. Er hebt
besonders hervor, da.ss die Technik der Versuche bei allen anaphylak¬
tischen Fragen von grösster Bedeutung ist und kommt zu dem Schlussresultat,
dass die Theorie der Eklampsie als anaphylaktische Reaktion gegen art¬
eigenes fötales oder pUzentares Eiweiss endgültig fallen gelassen werden
muss.
E. Weil-Prag: Komplementbindunesversuche.
Die prinzipiell wichtige Arbeit beschäftigt sich zuerst mit der Frage, ob
die „Komplementbindung" immer eine wirkliche Verankerung des Komple¬
mentes nach der Ehrlich sehen Anschauung voraussetzt. Verf. glaubt
nachgewiesen zu haben, dass das Komplement seine Funktion ausüben kann,
ohne dabei fixiert zu werden, wodurch die Ehrlich sehe Theorie einer
wichtigen Stütze beraubt und die Fermentnatur des Komplements wieder mehr
in den Vordergrund geschoben würde. Weiter hat er die Frage bearbeitet,
oh die komplementbindenden Antikörper mit einem der bekannten Immun¬
körper (Agglutinin, Präzipitin. Bakteriolysin) identisch sind, oder ob sie
neben diesen eine Sonderexistenz führen. In ihrer Arbeit über die Doppel¬
natur der Rezeptoren in der Typhus-Paratyphusgruppc haben Weil und
Felix nachgewiesen, dass die von stabilen Rezeptoren erzeugten klein¬
flockenden Agglutinine in auffallender Weise mit der komplementbindenden
Fähigkeit des Immiinserums parallel gingen, während für die grossflockenden
Agglutinine dies nicht zutraf. In seinen vorliegenden fortgeführten Unter¬
suchungen glaubt Verf. mit aller Sicherheit nachgewiesen zu haben, dass die
komplementbindenden Antikörper tatsächlich in erster Linie von den st.abnen
Rezeptoren der Bakterien erzeugt werden, und dass die labilen Rezeptoren
nur in ganz untergeordnetem Masse hierfür in Betracht kommen können.
L. Saathoff - Oberstdorf.
f
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 162. Band. 3.-4. Heft.
A. W. Meyer und N. Spiegel: Experimentelle Untersuchungen Ober
Muskelkontrakturen nach feststellenden Verbänden. (2. Mitteilung: Versuche
an Warmblütern. (Aus der chir. Klinik [Prof. E n d e r 1 e n] und dem pharm.
Institut [Prof. Q o 111 i e b] der Universität Heidelberg.)
Schon nach wenigen Tagen treten bei Katzen nach fixierenden Verbänden
Muskelkontraktionen ein, am Hinterbein scheinen die Strecker, am Vorderbein
mehr die Beuger zur Kontraktur zu neigen. Nach Durchs:.hneidung der
hinteren Wurzeln blieb auf der operierten Seite jegliche Kontrakturbildung aus,
in einem gesunden Muskel kann eine Fixationskontraktur nur vermittels des
Flxationsreflexes Zustandekommen. Länger dauernde Kontrakturen lassen
sich infolge der myogenen Schumpfung auch in Narkose nicht mehr löse-’.
An Extremitäten mit Reizung der sensiblen Nervenendigungen durch Ver¬
letzungen (Fraktur, Entzündungen etc.) treten nach Fixierungen schnellere und
stärkere Kontrakturen ein (verstärkte Fixationsreflexe). •
Eduard R e h n: Elektroohyslologle krankhaft veränderter menschlicher
Muskeln. (Aus der chir. Klinik und dem pharm. Institut der Universität Frei¬
burg. Direktoren: Geh. Rat E. Lexer und Geh. Rat W. Straub.)
Mit Hilfe des Saitengalvanometers konnte R. den Nachweis erbringen,
dass der tenotomierte und ruhiggestellte Muskel nicht ruht, sondern unaus¬
gesetzte mechanische Arbeit leistet. Mit Pieper und H o f m a n n werden
die Muskelströme mit einem verstärkten Tonus identifiziert. Die registrierten
Zuckungen sind als richtunggebendes Moment von grosser Bedeutung für die
plastische Deckung von Sehnendefekten. Als brauchbare Methode für die
Untersuchung des einzelnen kranken Muskels erwies sich die Benutzung ver¬
senkter Platinelektroden. Unter.suchung aktiver und passiver Muskelspasmen
auf Aktionsströme. In den Fällen von passiven Muskelspasmen fand sich eine
dauernde diskontinuierliche tetanische Erregung des Muskels. Da Muskel¬
atrophie mit Hypotonus nicht genügen, um einen messbaren reflektorischen
Tetanus des Antagonisten zu erzeugen, müssen durch das Trauma gesetzte
noch unbekannte Einflüs.se auf die Beugerinnervation zur Geltung kommen.
Die Untersuchung zerebraler und spinaler Formen aktiver Muskelspasmen
ergab für die zerebrale Form Dauerinnervation tetanischer Natur, bei der
spinalen Form fand sich Wechsel zwischen absoluter Ruhe und tetanischer
Erregung, ferner das Ermüdungssymptom: die durch Innervation erzeugten
doppelphasigen Aktionsströme verschwinden nicht nach vollzogener Inner
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
819
vatton, sondern bestehen minutenlanK fort. Physiologische und diagnostische
Ausblicke.
Hans Burckhardt und Walther Müller: Versuche über die Punktion
der Gallenblase und Ihre Röntgendarstellung. (Aus der chir. Universitätsklinik
Marburg. Direktor: Prof. Dr. L ä w e n.)
Durch zahlreiche Versuche an Leichen suchten die Verfasser eine Technik
der Gallenblasenpunktion zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken
festzustellen. Als bester Einstichpunkt erwies sich schliesslich die Kreuzungs¬
stelle des oberen Randes der 9. Rippe mit einer Linie, die etwas vor der
vorderen Achsellinie und damit parallel verläuft. Durch Injektion von
Kollargol event. in Verbindung mit Lufteinspritzung gelang es, die Gallenblase
event. mit Steinen und die Gallengänge schön zur Röntgendarstellung zu
bringen, ln einigen Fällen gelang die Punktion beim Lebenden; die Punktion
mit ganz dünnen Kanülen ist relativ gefahrlos und verdient für die Zukunft
weitere Beachtung auch für die Diagnostik anderer Organe.
K. Heinrich Bauer: Konstltutlonspathologle und Chirurgie. Die Be¬
deutung der Konstltutlonsoathologle für das medizinische Denken mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Chirurgie. (Aus der chir. Universitätsklinik
Göttingen. Direktor: Prof. Dr. Stich)
Eugen Huber: Hilfsoperation bei MedlanuslShmung. (Aus der chir.
Universitätsklinik Freiburg i. Br. Direktor: Geh. Rat L e x e r.)
1. Ueberpflanzung des Abduktor des kleinen Fingers auf den gelähmten
Opponens des Daumens, wichtig ist dabei die Schonung des N. profundus des
Ulnaris. 2. Zur Behebung der Unfähigkeit die Endphalanx des Zeigefingers
zu beugen, wird der Abductor longus des Daumens auf die Profundussehne
des Zeigefingers verpflanzt. 3. Ueberpflanzung des Flexor carp. ulnaris auf
die oberflächlichen Beuger nach S p i t z y.
Franz Rost: Ueber das Fieber bei Gelenkeiterungen. (Aus der dfiir.
Universitätsklinik Heidelberg. Prof. E n d e r l e n.)
Das hohe Fieber und die schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens
bei Patienten mit Gelenkeiterungen ist darauf zurückzuführen, dass die Menge
des resorptionsfähigen Toxins grösser ist als bei Weichteilabszessen.
P o h r t: Zur Nebennlerenexstlroation bei Eollepsle.
Empfehlung des lumbalen Weges (der mittlerweile auch von K ü 11 n e r
empfohlen wurde. Ref.). H. Flörcken - Frankfurt a. M,
Zentralblatt für Chirurgie. 1921. Nr. 23.
L ä w e n - Marburg: Zur Technik der Thorakoplastik bei Empvemrest-
hdhlen.
Bei der Thorakoplastik empfiehlt Verf., um die Kompression wirksamer
zu gestalten, die verdickte Lungenpleura auch an den Brustwandlappen
heranzuziehen; dies erreicht er dadurch, dass er nach Entfernung der schwar¬
tigen Pleura den vorderen und hinteren Brust wandlappen und die Lungen-
oberflächc durch einige Drahtnähte flächenhaft zusammenpresst, die durch
Hautlappen und Lungenpleura gehen und über faustdicken Gazerollen zu¬
sammengedreht werden; die Hautränder selbst werden durch Katgut ver¬
einigt; eine Drainage unterbleibt. Verfassers Erfahrungen mit diesem Hilfs¬
mittel, dessen Anwendung aus 2 Abbildungen ersichtlich ist, sind recht günstig,
vorausgesetzt, dass keine Tuberkulose vorliegt und man höchstens 6 Monate
mit der Plastik wartet.
Ed. Melchior und H. R a h m - Breslau: Der elektrische Wundstrom
und seine Bedeutung für die Therapie.
Ausgehend von der bereits 1918 in Nr. 35 mitgeteilten Beobachtung,
dass in granulierenden Wunden regelmässig elektrische Ströme (..Aktions¬
ströme“) nachweisbar sind, haben Verf. weitere Versuche in dieser Richtung
angestellt und geben jetzt ihre Methode bekannt, innerhalb der Wunde
einen selbständig in sich geschlossenen Stromkreis herzustellen, wobei die
Zuleitung des Stromes mittels einer besonderen ringförmigen Elektrode er¬
folgt. Gute Resultate erzielten sie damit bei schlecht heilenden Wunden,
die sich unter dieser Behandlung oft sehr rasch epithelisierten. wobei die
neue Epidermis auffallend dickt war. Weitere Versuche werden über die
praktische Verwendbarkeit dieser Methode zu entscheiden haben. Mit 1 Ab¬
bildung.
G. B u h r e - Zwickau; Weitere Erfahrungen mit der Splanchnlkusunter-
brechung nach B ra n n.
Verf. bespricht kurz seine Erfahrungen bei 200 Splanchnikusunter-
brechungen nach Braun, die als ungefährlicher Eingriff und bei Opera¬
tionen am Oberleib als Methode der Wahl bezeichnet werden kann; sie ver¬
dient den Vorzug vor der Methode nach Käppis, der vom Rücken aus
anästhesiert und manchmal üble Folgen beobachtet hat. Appendizitis, Magen¬
perforation und Darmverschluss eignen sich nicht für die Splanchnikusunter-
brechung. Verf. hat nur sehr wenige (17) Versager beobachtet.
M. B a r u c h - Berlin; Ueber eine direkte Anästhesie der Bauchhöhle.
Verf. anästhesiert direkt die Bauchhöhle, indem er 600 ccm Va proz.
Novokain-Suprareninlösung mittels Irrigator durch eine subumbilikal einge¬
stochene Nadel einfliessen und dann den Pat. mehrmals seine Lage wechseln
lässt. Das parietale Peritoneum zeigte sich gut anästhesiert, während die
Intestina noch empfindlich waren. Weitere Versuche, ev. mit stärker konzen¬
trierter Lösung, erscheinen notwendig.
M. Kaehler -Duisburg-Meiderich: Aseptische Versorgung des Wund¬
stumpfes.
Verf, versorgt den Wurmfortsatz mit einer Diagonalnaht, die aus einer
Skizze leicht ersichtlich ist. Vor der Versorgung des Mesenteriolum wird
der Wurm dicht am Zoekum abgeklemmt und bei liegender Darmquetsche
die Naht angelegt. Die von Pfeil-Schneider empfohlene Methode
(Nr. 10) hält Verf. für einen Rückschritt, da sie die Mukosa in das Operations¬
gebiet einschaltet und damit die Asepsis ernstlich gefährdet.
Fr. Brüning- Berlin: Zur Frage der Entstehung und Heilung trophl-
scher Geschwüre nach Nervendurchtrennung. (Erwiderung auf den Artikel
von Lehmann in Nr. 9.)
Verf. widerlegt die von Lehmann in Nr. 9 gemachten Einwände
und präzisiert seinen Standpunkt nochmals dahin, dass man berechtigt ist.
zur Heilung von trophischen Geschwüren nach Nervenverletzungen die Nerven-
resektion auszuführen. E. Heim- Schweinfurt-Oberndorf.
Zentralblatt für Gynäkologie. 1921. Nr. 23.
H. Nanjoks - Königsberg i. Pr.: Fluorbehandlung mit BacUlosan.
O. Wolf rin g-Rosfock; Die Behandlung des Scheidenfluors mit
BacUlosan (Löser).
Beide Arbeiten berichten über exakte klinische und poliklinische Versuche
mit diesem neuen Mittel. Bei richtiger Indikation sind die Erfolge sehr
günstig. Die bequeme Handhabung empfiehlt die Methode sehr.
H. Saenger - München: Gibt es ein Menstruationsgift?
Eine Reihe von Versuchen, Mäuse mit Menstruationsblut zu vergiften,
ferner Nachprüfung der bekannten Schick sehen Blumenversuche, sowie
Versuche, die Haltbarkeit blühender Blumen durch Blutzusatz menstruierender
und nicht menstruierender Personen zum Vasenwasser zu vergleichen, er¬
gaben, dass wir nicht berechtigt sind, von einem spezifischen Menstruations¬
gift zu sprechen.
H. H e 11 e n d a 11 - Düsseldorf: Eine neue Methode zur temporären
Sterilisierung.
M. M a d 1 e n e r - Kempten: Bemerkung zu Flat aus Aufsatz: „Steri¬
lisierung durch Knotung der Tube“ ln Nr. 13 dieses Jahrgangs des Zentralbl.
M. B I u m be r g- Berlin: Zu dem Artikel von Wessel: „Eine neue
Methode der zeitweiligen Sterilisation der Frau auf operativem Wege“ in
Nr. 2 des Zbl. f. Gyn. 1921, und dem Artikel von van den Velden:
„Sterllitätsprobieme“ ln Nr. 13 des ZbL f. Gyn. 1921.
In allen drei. Arbeiten wird auf die zeitweise Sterilisierung eingegangen,
teils Angabe von neuer Modifikation der Methode, teils Geltendmachung von
Prioritätsansprüchen.
A. C a 1 m a n n - Hamburg: Zur Technik der Sekretentnahme aus der
weiblichen Urethra.
Empfehlung eines stumpfen, kleinen, ausglühbaren, metallenen Löffelchens.
Werner- Hamburg.
* Archiv der Verdauungskrankheiten mit Einschluss der StoSwechsel-
pathologle und der Diätetik. Redig. von Prof. Dr. J. Boas. Band 27.
Heft 1 u. ^
B 1 u m e n a u - Frankfurt: Ueber Todesursache bei Leberzirrhose.
(Senckenbcrgisches Pathol. Institut der Universität Frankfurt a. M, Pro-
fejssor Fischer.)
Bl.s Ausführungen auf Grund von fast 13 000 Sektionen ist zu entnehmen
dass von 126 makroskopisch diagnostizierten Fällen von Leberzirrhose
19 Proz. der Kranken an der Zirrhose selbst zugrunde gegangen sind und
ebensovielc den Erkrankungen der Kreisl:iuforgane erlagen. 26 Proz. sind
an den verschiedensten Infektionskrankheiten gestorben und nur 10 Proz. an
Tuberkulose. Tumoren fielen 14 Proz. der Kranken zum Opfer, 12 Proz.
erlagen schliesslich verschiedenen Krankheiten wie Diabetes, Nieren- und
anderen interkurrenten Leiden.
Z o n d e k - Berlin: Ueber Dlckdarmperlstaltlk. Beobachtungen am
experimentellen Baiichfenster. (Aus der experimentell-biologischen Abteilung
des patholog. Instituts Berlin. Prof. Bickel.)
Erst durch Beobachtungen am Bauchfenster war die Möglichkeit einer
vollständigen physiologischen Versuchsanordnung gegeben und liess sich dabei
folgendes feststellen: Die Peristaltik setzt am Dickdarm in zeitlich fast
konstanten Intervallen (je 30 Sekunden) ein, wobei sich Peri- und Antiperi¬
staltik in unregelmässiger Weise ablösen. hierdurch erklärt sich auch der
akute Invaginationsileus, zumal wenn das Zoekum wie bei Kindern noch
mangelhaft fixiert ist. Im Hunger ist die Peristaltik erheblich verlangsamt
und auch das Spiel der Haustren des Kolons gehemmt und träge. Den
stärksten Reiz auf die Peristaltik übt die Nahrungsaufnahme aus, die bei
weitem die Vagusreizung üi^ertrifft.
Knud F a b e r - Kopenhagen: Die Aetlologle der chronischen Achylla
gastrica.
Wenn hinsichtlich des Entstehens der chronischen Achylie für die grosse
Mehrzahl der Fälle auch eine hinreichende Erklärung in den verschiedenen
toxischen und katarrhalischen (jastritiden gegeben ist, so darf doch nicht in
Abrede gestellt werden, dass es auch eine Achylie geben kann, die „als eine
konstitutionelle angeborene Funktionsanomalie aufzufassen ist, für die man
sich bisher allerdings den Beweis etwas gar zu leicht gemacht hat. Nie
und nimmer aber stellt sie die Hauptursache dar, denn wenn es auch Fälle
gibt, in denen es nicht gelingt, eine glaubhafte Ursache nachzuweisen, so engt
sich deren Beobachtungskreis doch mehr und mehr ein. je mehr es uns ge¬
lingt, exogene Ursachen für ihr Entstehen nachzuweisen.
Boas-Berlin: Ueber einige neuere Methoden des okkulten Blutnach¬
weises nebst Untersuchungen über pflanzliche Oxvdatlonsfermente.
Auch Boas kommt wie K o o p rn a n in seiner weiter unten folgenden
Arbeit zu dem 'Ergebnis, dass die Chloral-Alkohol-Ouajakprobe auf Grund
zahlreicher ausgedehnter Untersuchungen als die bisher zuverlässigste und
feinste Probe anzusprechen ist. Von den Benzidinproben hält er die Gre¬
gersen sehe Modifikation, namentlich in der von ihm angegebenen Tabletten¬
form für die zweckmässigste. Die Schlesinger-Holst sehe leidet an
einer zu hohen Konzentration, was zur Folge hat. dass auch rein vegeta¬
bilische Nahrung zu positiven Ergebnissen führt, d. h. Blutanwesenheit vor¬
täuscht. Die K u t t n e r sehe und G u t m a n n sehe Probe ist bei positivem
AusfalJ entschieden beweisend, an Feinheit steht sie jedoch sowohl hinter
Oregersens Benzidinprobe als auch besonders hinter Boas’ C.-A.-O.-
Probe zurück. Für die in den Fäzes vorhandenen Substanzen, die mit ein¬
zelnen Reagentien farbliche Veränderungen ergeben, die von Hämatin nicht
zu unterscheiden sind, spielen nach B.s Untersuchungen pflanzliche Oxyda-
tionsfermentc eine unwesentliche Rolle. Wahrscheinlich handelt es sich um
Oxydasen anorganischer Natur, doch bedarf es hierzu noch weiterer Unter¬
suchungen.
Jarno-Pest: Die denressiven Sekretionsstörungen des Magens Im
Lichte der Opiumwirkung. (Aus der III. med. Klinik, Pest. Prof, v. Ko¬
rd n y i.)
Jarno gelang es mit Hilfe von Opium, selbst in Fällen starker Hyp-
azidität, normale oder doch fast normale HCl-Sekretion hervorzurufen, eine
Methode, die demnach nicht nur angezeigt erscheint zur Feststellung der
maximalen sekretorischen Leistungsfähigkeit überhaupt, sondern die vielleicht
auch prognostisch verwertbar ist zur Unterscheidung von Fällen, die darauf
ansprechen und solchen, die sich refraktär verhalten.
Einhorn und S c h o I z - New York: Röntgenologische Befunde mittels
des Dellneator ln Fällen von Kardiosoasmus.
Zur röntgenologischen Diagnostik besonders leichter spastischer Zustände,
zumal auch bei intermittierendem Kardiospasmus. haben Einhorn und
Scholz den Delineator angegeben, einen am Ende mit einer kleinen Metall¬
kugel armierten, geflochtenen Seidenfaden mit Kupferkern, der geschluckt
wird und auf dem Fluoreszenzschirm jeweils einen deutlichen Schatten er-
Digitized by Goiigle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
820
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26 .
kennen lässt. Bei normalem Oesophagus ist der Schatten entsprechend dem
Verlauf des Fadens glatt und ungewunden, während in Fällen von Spasmus
je nach der Intensität ein mehr gewundener oder selbst zickzackförmigjar
Verlauf zustande kommt.
B i c k c 1 - Berlin: lieber Peptozon bei Magenkrankheiten. (Aus der
experimentell-biologischen Abteilung des pathol. Instituts der Universität.)
Die warme Empfehlung des Peptozons durch Curschmann veran-
lasstc B. zu einer experimentellen Prüfung der Wirkung dieses Präparates
auf die Magenfunktion mit dem Ergebnis, dass genanntes Mittel die souveräne
Wirkung bei der symptomatischen Behandlung der Supersekretion, der
Superazidität sowie bei spastischen Zuständen, die ihm Curschmann
nachrühmt, vollauf rechtfertigt.
E i II h o r n - NewYork: Ueber retrograde Streckung bei der Behandlung
von impermeablem Kardiospasmus.
Nicht nur in den hier besprochenen Fällen, sondern auch sonst , hat E.
die Beobachtung gemacht, dass dem Kardia-nahen Magengeschwür für die
Aetiologic eine dominierende Rolle zuzukommen scheint. Für die Diagnose
wichtig ist. dass bei Kardiospasmus die Krankengeschichte meist mehrere
Jahre zurückreicht und zwar mit selbst beschwerdefreien Zwischenpausen;
auch gelangt hier das Duodenalcimerchen und häufig auch der Pylorodilatator
im Laufe der Nacht in den Magen. Die retrograde Streckung mittels Pyloro¬
dilatator hat sich gut bew^ährt, doch ist in Fällen, in denen ein Ulcus ver¬
mutet wird, dem Oesophagus sow'ie dem Magen zunächst mit Hilfe der
Duodenalernährung eine Ruhepause zu gönnen.
Koopman - Haag: Zur Frage des Nachweises des okkulten Blutes Im
Stuhl.
K. kommt auf Grund seiner vergleichenden Untersuchungen zu dem
Ergebnis, dass das S n a p p e r sehe Verfahren des Blutnachweises zwar bei
weitem die beste spektroskopische Reaktion darstellt, aber keinesfalls die
grosse Empfindlichkeit der katalytischen Blutproben besitzt. Hier hat sich
Verfasser neben der Benzidinprobe von Schlesinger und Holst die
Boas sehe Chloral-Alkohol-Guajakprobe am meisten bewährt.
Zweig- Wien; Die Abdominal-Trias (Ulcus duodenl-Cholezystltls-
Appendizitis).
Indem Zweig Bergmanns Auffassung von der neurogenen Ursache
des Ulcus glatt ablehnt, ja sie als argen Rückschritt auf dem Gebiete der
früher so häufigen Viszoralneurosen anspricht, sieht er als ursächliches Mo¬
ment vielmehr eine vom Darm ausgehende Infektion an, die hier durch einen
retrograd verschleppten Embolus erfolgt und im Uebrigen bald die Appendix,
bald die Gallenblase befällt, so zwar, dass die Kombination von Cholezystitis.
Ulcus duodeni und Appendizitis eine sehr häufige, bisher nicht genügend
gewürdigte Tatsache darstellt, der bei Operationen wegen eines dieser Trias
(ingehürenden Leidens jedenfalls grössere Aufmerksamkeit zu schenken wäre.
A. Jordan - München.
Frankfurter Zeitschrift für Pathologie. 25. Band. 2. Heft.
Petri Else: Zur pathologisch-anatomischen Diagnose und Histologie
der Phosphorvergiftung mit besonderer Berücksichtigung der Llpoldfragc.
(Pathologisches Institut Krankenhaus Friedrichhain, Berlin.)
Untersuchung an 5 Phosphorvergiftungen, die zwischen 5 und 10 Tagen
den Tod herbeiführten, ergab, dass ausschiaggebende diffcrentialdiagnostische
Merkmale im Vergleich zur akuten Leberatrophie nicht bestehen; Verschieden-
Jieiten in der Grösse der Leberobcrflächenbcschaffenheit, der Intensität der
Verfettung, der Nekrosen, der Gallengangswucherungen sind von individuellen
Momenten, Dauer der Erkrankung, von der Intensität der einwirkenden Noxe
abhängig. Histochcrnisch sind bei Phosphorvergiftungen in Leber, Niere und
Magen Lipoide, granuläre und hüllenartig auftretendc Substanzen nachzu¬
weisen (Phosphatide). daneben grosstropfige Fettsubstanzen (Neutralfette und
Gemische von Lipoiden mit Neutralfctten). Daraus ist der Schluss zu ziehen,
dass bei Phosphorvergiftung nicht nur Fettinfiltration, sondern auch Fctt-
phanerose eine grosse Rolle spielen. Die akute P.-Vergiftung ist keine
anatomische Krankheitsform für sich, sondern gehört in die Gruppe der zum
Bilde der akuten Leberatrophie führenden Krankheiten (Pilzvergiftung, Gra¬
viditätstoxine usw.).
M a t s u y a m u Rokuro: Experimentelle Untersuchungen mit Rattenpara-
biosen. II. Teil; Die Folgen der Nierenexstirpation. (Institut für Infektions¬
krankheiten, Tokio.)
Werden dem einen Partner des parabiotischen Paares beide Nieren ent¬
fernt, so lebt das parabiotische Paar länger als ein der Nieren beraubtes
Einzcltier (4—8 Tage gegenüber höchstens 54 Stunden). In Symptomen und
pathologischem Befund unterscheiden sich parabiotische und Kontrolltiere nicht.
Es tritt bei beiden Stauung und Herzhypertrophie ein. Ursache der ver¬
längerten Lebensdauer beim parabiotischen Tier ist die Kompensation durch
den einen nierenführenden Teil. Doch ist die Kompensation zu ungenügend, um
Plethora und Vergiftung mit Harnsubstanzen hintanzuhalten. Die Vergiftungs¬
erscheinungen scheinen sich hauptsächlich im Zentralnervensystem und im
Kapillargebiet auszuw'irken. Störungen innerer Sekretion sind bei den Tieren
nicht nachzuweisen.
T ö p p i c h Gerhard: Ueber nlchttbrombotlschen Verschluss der grossen
Gefässostlen des Aortenbogens, insbesondere des Ostiums der Carotis commun.
sin. (Patholog. Institut Breslau.)
Aetiologic, hauptsächlich Lues.
A d e 1 h e i m Roman: Ueber die Einteilung der Oase In ihrer Beziehung
zur Pathologie. (Pathologisches Institut Riga)
Die Gase können in für das respiratorische Epithel indifferente und
differente eingcteilt werden; die ersteren werden nach den physiologischen
Gesetzen des Gasaiistausches resorbiert und können nach der Resorption
giftig oder ungiftig sein, wobei die resorptive Wirkung der pharmakologischen
Wirkung des Gases in seiner ursprünglichen Form gleicht. Die differenten
Gase sind Aetzgase und zerstören in der Lunge die beim Gasaustausch
und bei der Resorption tätigen Elemente (Alveolarepithelien und Kapillar-
cndothelien); sie werden resorbiert in einer von der ursprünglichen Form des
Gases völlig abweichenden Form und mit verschiedener pharmakologischer
Wirkung. Ihre resorptive Wirkung ist noch nicht völlig geklärt.
Dressier Wilhelm: Ueber den Intraabdominellen Verblutungstod im
Anstoss an einen Fall von tödlicher Blutung aus Lebermetastasen eines Magen-
karzinoms. (Patholog. Institut Neukölln.)
Literaturübersicht mit Mitteilung eines Falles von Verblutung durch
Ruptur einer Karzinomlebermetastase und eines Lebersarkoms in die Bauch¬
höhle.
Digitized by Goiigle
Walter Hermann: Beitrag zur Histopathogenese der Periarteriitis
nodosa. (Patholog. Institut Würzburg.)
Mitteilung eines Falles; u. a. beschreibt Verfasser auch Neubildung
elastischer Fasern in der Intima bei Heilungsprozessen und Beteiligung kleiner
Venen an der Erkrankung.
Oppenheimer W.: Schlelmhautzysten In der Muskulatur der Blasen-
wand. (Patholog. Institut Breslau.)
Vielleicht überzählige rudimentäre Ureterenbildung.
Koopmann Hans: Beitrag zur Epithelkörperchenirage unter besonderer
Berücksichtigung der Azidophllle der Zelle. (Patholog. Institut Hamburg-
Barmbeck.)
Bew'eise für die parathyreogene Entstehung der Paralysis agitans ergibt
die Untersuchung nicht, insbesondere hat die Azidophilie der Epithelkörperchen
damit nichts zu tun; die azidophilen Zellen scheinen sich mit dem Alter zu
vermehren. Die Azidophilie kommt auch in anderen Organen mit innerer
Sekretion wie Pankreas und Hypophyse vor und ist ein Beweis für die Ver¬
wandtschaft dieser innersekretorischen Organe.
Wolf Ella; Narbige Membrancnbildung quer durch den 4. Ventrikel mit
Hydrocephalus internus. (Patholog. Institut Stettin.)
Narbige Membranbildung quer durch den 4. Ventrikel mit Hydrocephalus
internus.
Bantelmann Fritz: Kasuistischer Beitrag zur Frage des Vorkommens
von Stauungsblutungen nach Rumpfkorapresslon Im Gehirn. (Hafenkranken¬
haus Hamburg.) Oberndorfer - München.
Archiv für Hygiene. 90. Bd. 4. Heft. 1921.
Ernst Krombholz - Wien: Bemerkungen über das Pirquet sehe
Ernährungssystem.
Emil E p s t e i n - Wien; Ueber die Darstellbarkelt polgefärbter (pest-
bazlilenähnllcher) Stäbchen bei verschiedenen Bakterienarten. Die Polfärb-
bark^t als vitale, durch Bakterienwachstum ln wasserreichen Nährmedien
bedingte Erscheinung.
Der Polfärbung kommt keine differentialdiagnostische Bedeutung zu. Sie
lässt sich in sehr vielen Fällen darstellen, nicht nur bei der Gruppe der
septikämischen Hämorrhagie, wo wir sie öfter beobachten,
sondern auch bei Koli, Typhus, Bacill. inegatherium und anderen Bakterien.
Bei Proteus, Friedländer. Milzbrand und Rotz gelang die Polfärbung nicht.
Vorbedingung ist das Wachstum im flüssigen Nährboden, wozu auch strö¬
mendes Blut, Exsudatflüssigkeit und Oewebssaft zu rechnen sind. Fixation
durch Hitze zerstört die Polfärbung, Alkoholfixation konserviert sie, „Die
Polfärbung scheint als Ausdruck erhöhter Vitalität an die Teilungs- bzw.
Wachstuinsvorgänge der Bakterien gebunden zu sein.“
Paul Schweizer - Basel; Untersuchungen über die Natur der Bltrier-
baren VIra und die Resistenz des Hühnerpestvirus gegen zellschädlgende Ein¬
flüsse (Gerbstoffe. Oligodynamie).
Aus eiweisshaltigen Flüssigkeiten. Serum und Exsudaten von infizierten
Hühnern kann das Hühnernestvirus mittels Tannin oder Ammonsulfat
oder durch Dialyse so vollständig entfernt werden, dass die überstehenden
Flüssigkeitsmengen für Hühner avirulent sind. Die Niederschläge enthalten
das Virus. Das Tannin reisst durch die von ihm verursachte Eiweissfällung
die suspendierten Hühnerpestelemente zu Boden; was noch in der überstehen¬
den Flüssigkeit enthalten ist. wird aber auch durch das Tannin intensiv ge¬
schädigt. Aus vielen Versuchen, auch durch die mit Ammonsulfatfällung
und Dialyse, musste auf ein lebendes z e 11 i g e s Material des Virus
geschlossen werden. Weitere Untersuchungen mit oligodynamischen Stoffen
gaben der Vermutung recht, denn das Hühnerpestvirus war gegen oligo¬
dynamische Wirkung etwa so empfindlich wie Bakterien. Verf. nimmt an,
dass mit Hilfe von Gerbstoffen sich möglicherweise die Natur der pflanz¬
lichen und tierischen Zellen ermitteln lassen kann.
R. O. Neumann - Bonn.
Vlerteijahresschrifl für gerichtliche Medizin und öHentliches Sanitäts¬
wesen. 61. Band.
Ueber Kalkzufuhr und Kalkgleichgewicht beim Menschen. Von Oskar
L ö w.
L ö w s Abhandlung beschäftigt sich mit einem Artikel R u b n e r s über
„die Frage des Kalkmangels in der Kost“ und nimmt dagegen
Stellung, insoferne er den Standpunkt vertritt, dass verschiedene Krankheiten
sich auf unrationelle, wenn auch sonst quantitativ geeignete Ernährung zurück¬
führen lassen, während R u b n e r sich dahin äusserte, dass cs nur zu einem
Kalkmangcl kommen könne, wenn überhaupt ein Nährstoffmangel vorhanden
ist. L ö w teilt zur Richtigstellung der von R u b n e r geschätzten Kalk-
mengc in der japanischen Kost (0.3 g) mit, dass nach seinen persönlichen
Beobachtungen diese Kost in Wirklichkeit reicher an Kalk und auch an Fett
sei, als in letzterer Beziehung z. B. Kellner und M o r i annehmen.
Bemerkungen zu vorstehender Abhandlung von O. L ö w. Von Prof.
M. R u b n e r.
R u b n e r hält an seiner seinerzeit ausgesprochenen Anschauung über
die Bedeutung des Kalkmangels in der Nahrung fest und führt u. a. an, dass
die eigentliche Kinderrachitis nicht auf dem primären Kalkmangel der Kost,
sondern nach den Untersuchungen der Pädiater entweder auf Resorptions¬
mängeln des Kalkes beruhe, die sich auch bei noch so kalkreicher Nahrung
wie Kuhmilch geltend machen können, oder auf dem Mangel bestimmter
akzessorischer Nährstoffe in der Kost und den dadurch bedingten Ausfalls¬
erscheinungen. Die Knochenerkrankungen der Blockade seien in ihrem näheren
Zusammenhänge mit einer Nahrungsveränderung bisher nicht geklärt, auch
habe sich kein Beweis dafür erbringen lassen, dass sie auf „Azidose“ beruhen.
Die durch kalkarme Kost bei jugendlichen Tieren hervorgerufene Erkrankung
nenne man heute Pseudorachitis.
Ein Beitrag zur Kasuistik der Arsenwasserstoffvergiltung auf Grund dines
eigenen Erlebnisses. Von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. H. Kn n z - K r a u s e.
(Aus dem chemischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Dresden.)
Verf. schildert die Vergiftunescrschcinungen, die bei-ihm durch zufällige
Einatmung von Arsenwasserstoff gelegentlich einer Apothekenbesichtigung auf¬
getreten sind, und die Ursache der auffälligen Entwickelung grösserer Mengen
von Arsenwasserstoff im freien Raum eines verschlossenen Qiftschrankes.
Die gerichtsärztliche Bedeutung der pathologischen Lelchenzersetzung.
Von Prof. G. Puppe. (Aus dem Institute für gerichtliche Medizin in Königs¬
berg i. Pr.)
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNfA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
821
Erhaltung von den den Lebenden beigebrachten Verletzungsspuren bei
zwei Leichen mit pathologischer Zersetzung (Muminkation und Fettwachs¬
bildung). An der mumifizierten, nach 2 Jahren aufgefundenen Leiche eines
Kindes war noch das dicke Drosselband am Halse vorhanden, und an einer
nach 5 Jahren exhumierten Leiche mit Fettwachsbilduiig konnte noch deutlich
erkennbare Strangulationsnarbe festgestellt werden.
Ueber die Blutbesudelung des Täters bei Tötung durch Halsschnitt. Von
Prof. E. Z i e m k e - Kiel. (Aus dem Institute für gerichtliche Medizin Kiel.)
Die von Z i e m k e mitgeteilten Beobachtungen liefern den Beweis, dass
unter günstigen Umständen der Täter bei selbst so gewaltigen und meist
stark blutenden Verletzungen, wie Halsschnittw'unden von jeder Blut¬
befleckung frei bleiben könne, wenn der Täter hinter seinem Opfer
während der Zufügung des Halsschnittes steht und so zum grössten Teil
durch den Körper des Opfers von der Blutbesudelung geschützt wird. Offen¬
bar spiele dabei das Niederdrücken des Opfers auf den Boden noch insoferne
eine Rolle, als eine Blutbesudelung des Täters durch dieses Vorgehen weiter
erschwert werde.
Zur Erkennung des verletzenden Werkzeuges aus Schädel wunden. Zu¬
gleich ein Beitrag zur kriminellen Leichenzerstückelung. Von Prof.
E. Z i e m k e - Kiel.
Nähere Darstellung der Leichenbefunde bei einem einschlägigen Falle.
Beiträge zur Frage nach Mord, Selbstmord oder Unfall. Von Prof.
Nippe- Greifswald.
Sittlichkeitsverbrechen an einem lllährigen Mädchen mit Todesfolge.
Wurde das Kind lebend oder als Leiche aufgehängt? Voii Kreisarzt Dr. Moritz
Mayer- Meisenheim.
Ausführlicher Sektionsbericht mit Gutachten.
Tödliche Vergiftung durch Sprenggelatine. Von Prof. Dr. Karl M e i x n e r
und Dr. Adolf Mayrhofer. (Aus den Universitätsinstituten für gericht¬
liche Medizin und Pharmakologie Wien.)
Vergiftung sei hier verursacht durch den Hauptbestandteil dieser Spreng¬
stoffe. das Nitroglyzerin, auch Sprengil genannt. Es wirkt hauptsächlich auf
die Gefässnerven und ruft in kleineren Mengen eine Erweiterung der kleinen
Blutgefässe (Herabsetzung des Blutdruckes bei Gaben von —1 mg) hervor.
Zu den hervorstechendsten Erscheinungen bei etwas schwereren Vergiftungen
gehören Erbrechen, Schwindel, grosse Schwäche, Schweisse. Die Erschei¬
nungen setzen sehr bald nach Einnahme des Giftes ein. Tiefere Bewusstlosig¬
keit pflege nur in den tödlich verlaufenden Fällen mit dem allgemeinen Verfall
unter Eintritt von Blausucht sich einzustellen. In einigen Fällen wurden Durch¬
fälle beobachtet. Der Tod erfolge durch Gehirnlähmung. Die tödliche Gabe
scheine beträchtlich höher zu liegen als die giftwirkende und zwar bei
mehreren Grammen, sie könne über 10 g betragen. In einem Falle bewirkte
die Einnahme von ungefähr 30 g den Tod. Bei arzneilichen Vergiftungen sei
ein tödlicher Ausgang selten. Schwerere, auch tödliche Vergiftungen erfolgen
durch Verwechselung mit Getränken (Schnaps).
Die Kerichtliche Medizin im italienischen Statuarrechte des 13.—16. Jahr¬
hunderts. (Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin im Mittelalter.) Von
Dr. Jur. Gotthold Bohne- Leipzig. (Schluss.)
Hygienische Beurteilung farbstoffhaltigen Fleisches. Von M. Reuter.
Bezirkstierj^rzt a. D. in Nürnberg. (Schluss.)
Schilderung verschiedener Erscheinungen auf diesem Gebiete, wie
ikterisches Fleisch, Pigmentinfiltration im Specke und in der Niere des Kalbes
und Rindes, z. B. weisse Fleckniere beim Kalbe, Schwarzniere beim Rinde,
postmortale Fleischfärbungen (Behandlung der Wursthüllen mit nicht gesund¬
heitsschädlichen Farben) u. a. Anhang; Färbung der Eierschalen.
Fluornatrium, ein Teelöffel voll, als tödliches Gift. Von Gerichtsarzt
Dr. Berg- Düsseldorf.
Einnahme von „B u 11 e r s a 1 z“ gegen Leibschmerzen anstatt doppel¬
kohlensauren Natrons („Buttersalz" = Kieselfluornatrium). Beschreibung des
Leichenbefundes, der ziemlich negativ, nur kleine Blutaustritte im Magen fest¬
stellen Hess. 5 g Kieselfluornatrium bewirken nach K o b e r t ernstliche Ver¬
giftungserscheinungen, nach 10 g tödliche Wirkung. Uebelbefinden bereits
nach 0,25 g. S p a e t.
Berliner klinische Wochenschrift. 1931. Nr. 24.
E. Qildemeister und W. S e i f f e r t - Berlin: Zur Frage der
Anaphylaxiegefahr bei Proteinkörpertherapie.
Aus den von den Verfassern mitgeteilten Untersuchungen geht hervor,
dass die bei der unspezifischen Proteinkörpertherapic zur Anwendung kommen¬
den Präparate Deuteroalbumose, Aolan und Kaseosan anaphylaktogene Wir¬
kung besitzen, was eine experimentelle Bestätigung schon bekannter Erfah¬
rungen bedeutet. Besonders bei wiederholter intravenöser Injektion solcher
Körper muss also auf diese Gefahr Rücksicht genommen werden und man
muss bezüglich der parenteralen Zufuhr solcher Mittel eine bestimmte Indi¬
kation haben.
Br. L e i c h t e n t r i 11 - Breslau: Die Bedeutung akzessorischer Nähr¬
stoffe für das Bakterienwachstum.
Es gelang, durch Zusätze vegetabilischer Extrakte zu den gebräuch¬
lichen Nährböden einen Osteomyelitis auslösenden Staphylokokkenstamm,
dessen Darstellung auf Nährböden mit vom Tier stammenden Zusätzen miss¬
glückt war, zu züchten. Ferner gelang es, Licht in die Biologie des Diph¬
theriebazillus zu bringen, wodurch neue Richtlinien in der praktischen Diph¬
theriediagnose sich ergeben. Daraus geht hervor, dass den gleichen vegetabili¬
schen Extrakten, deren wachstumsfördernder Einfluss beim Menschen und
Tier bekannt ist, auch bei Bakterien eine praktisch bedeutungsvolle Wachs¬
tumsförderung zukommt.
E. Melchior - Breslau: Ueber besondere Formen eitriger Gelenktuber-
kiilose.
In den beiden mitgeteilten Beobachtungen handelte es sich um eine
tuberkulöse Gelenkseiterung, bei der ein Mitwirken der gewöhnlichen Eiter¬
erreger auszuschliessen ist. Einer dieser Fälle zeigte einen mehr chronischen
Verlauf, der 2. verlief akut unter dem Bilde einer pyogenen Qelenkinfektion
auf osteomyelitischer Grundlage. Es wird noch als Problem bezeichnet, die
Umstände zu erkennen, unter welchen ein so atypisches Verhalten bei rein
tuberkulösen Prozessen vorkommt.
Br. K fl n n e - Berlin-Steglitz: Zur Behandlung der chronischen Knochen¬
elterungen.
Verf. berichtet über seine Erfahrungen an Hunderten von ihm selbst
operierten Knochenkranken mit Fistelbildung. Nach seiner Erfahrung kommt
der primäre und überhaupt der Wund Verschluss für die Kriegsfisteln im allge¬
meinen nicht in Betracht. Am besten hat sich ihm die alte Methode be¬
währt, welche grundsätzlich offen behandelt, offen die Heilung verzögert, bis
der Verschluss der Wunde von unten herauf sich einstellt. Das Prinzip
ist: planmässige Niederhaltung der Regeneration, bis die Infektion zweifellos
ausgerottet ist. Letzteres ist die Hauptsache, nicht die Defektfüllung.
F. L e s s e r - Berlin: Die Selbsthellung der Syphilis.
Aus seinen im einzelnen mitgeteilten Beobachtungen schliesst der Verf.,
dass ein geschlossener Indizienbeweis vorliegt, welcher zur Negierung des
Hg als eines spirochätentötenden Mittels und somit eines Heilmittels der
koiistitutiorellen Syphilis führen muss. Das Hg beseitigt die Symptome
der Infektion, während alle kausalen Heilungen während der 400 jährigen
Hg-Aera als Selbstheilungen zu betrachten sind. Hg wirkt spezifisch nur
auf die syphilitischen Produkte, nicht auf die Spirochäten oder es wirkt auf
die ätiologisch spezifisch veränderte Zelle.
E. Nathan und G. Herold- Frankfurt a. M.: Die Senkungsgeschwin¬
digkeit der roten Blutkörperchen in den verschiedenen Stadien der Syphilis
Ausgedehnte Untersuchungsreihen werden mitgeteilt. U. a. zeigt
sich, dass das Phänomen der beschleunigten Senkungsgeschwindigkeit der
roten Blutkörperchen bei der Syphilis dem Grad der Allgemcindurchseuchung
bzw. dem Grad der reaktiven Abwehrvorgänge parallel läuft. Zwischen der
WaR. und dem genannten Phänomen ergaben sich keinerlei Beziehungen. Unter
der .spezifischen Behandlung wird oft ein deutlicher Rückgang der erhöhten
Senkungsgeschwindigkeit gesehen. Das Phänomen ist zwar für die Syphilis
weder spezifisch noch charakteristisch, aber ein neuartiger Ausdruck der unter
dem Einfluss der luetischen Infektion sich abspielenden reaktiven Vorgänge.
W. G a e h t g e n s - Hamburg: Zur Frage der Komplementauswertung
bei der Wassermann sehen Reaktion.
Nicht zu kurzer Wiedergabe des Wesentlichen geeignet.
Fr. S c h a n z - Dresden: Der ..echte“ Diphtheriebazllius.
Verf. betont neuerdings, dass die morphologischen Kriterien, wie die
von N e i s s e r angegebene Körnchenfärbung keine spezifische Bedeutung für
die Erkennung der giftigen Diphtheriebazillen haben, wie auch jüngst wieder
von bakteriologischer Seite festgestellt wurde. Die ungiftigen Löffler-
schen Bazillen sind harmlose Luftstäbchen, alle Statistiken über die Wirkung
des Heilserums auf Grund von Schnelldiagnosen, welche dieses Faktum nicht
berücksichtigen, sind falsch. Massgebend ist nach wie vor das klinische Bild
für die Giftigkeit des betr. Bazillus. Grassraann - München.
Deutsche medizinische Wochenschrift. 1921. Nr. 22.
E. BüTgi-Bern: Ueber die funktionellen Eigenschaften der Vitamine
und ihre Bedeutung für die pharmakologische Beurteilung verschiedener Drogen.
Den Vitaminen kommt eine parasympathisch erregende Kraft zu; das
besonders geprüfte Orypan bewirkt Vermehrung der Speichel-, Magensaft-
und üallenabsonderung, eine Abnahme der Diurese infolge gesteigerter
Flüssigkeitsabgabe durch andere Drüsen. Orypan macht ferner den quer¬
gestreiften Muskel erregbarer und weniger leicht ermüdbar. Endlich kann
durch Orypanwirkung die durch grosse Morphiumgaben bewirkte Lähmung
des Atmungszentrums aufgehoben werden bei anscheinendem Erhaltenbleiben
der narkotischen Wirkung. Auf Grund dieser letzten Beobachtung ergibt sich
der Rückschluss, dass besonders beim Opium, möglicherweise aber auch bei
anderen Arzneien (Digitalis), die Droge selber und ihre einfachen Extrakt¬
formen, weil und soweit sie vitaminhaltig sind, für den Kranken ungefährlicher
sind, als die reinen Substanzen.
M. Hobmaier - Berlin: Die Empfänglichkeit kleiner Versuchstiere für
Maul- und Klauenseuche.
Meerschweinchen, Kaninchen. .Ratte und Huhn sind für Maul- und Klauen¬
seuche empfänglich und erkranken in akuter oder abortiver Form. Vor¬
behandlung mit spezifischem Serum, aber auch mit Normal-Pferdeserum, kann
die Infektion verzögern oder sogar ganz verhindern.
L. D u b - Prag: Methode zur Beobachtung von Giftwirkungen auf Körper¬
spirochäten.
Eine abgemessene Menge Reizserum und eine abgemessene Menge der
zu prüfenden Qiftlösung werden im Hohlschliff eines Objektträgers gemischt
und mit Deckglas bedeckt. Die Beobachtung der Spirochäten bis zum Auf¬
hören ihrer Eigenbewegung geschieht im Dunkelfeld bei geheiztem Objekttisch.
K. Biele- Leipzig: Zur Dosierung des Salvarsans.
Die versehentlich eingespritzte Neosalvarsangabe von 3,0 bewirkte
vorübergehende Arsenvergiftungserscheinungen; luetische Erscheinungen und
Bronchitis foetida verschwanden; WaR. wurde nach 6 Wochen negativ.
W. W e i s b a c h - Halle: Ergebnisse der Wassermannschen Reaktion
und der Ausflockungsreaktionen nach Sachs-Georg! (Brutschrank¬
methode) sowie M e 1 n 1 c k e (dritte Modifikation).
Unter 1500 untersuchten Fällen ergab sich Uebereinstimmung der drei
Methoden in 83,2 Proz. Es ist ratsam, neben der WaR. auch S.-G.R. vor¬
zunehmen, da die Flockungsreaktionen früher auftreten, länger positiv bleiben
und bei latenter Lues häufiger ein positives Ergebnis liefern.
H. Much- Hamburg: Künstliche Virulenz und Chemie.
Die Einverleibung von Milchsäure in an sich völlig unschädlicher Menge
bewirkte, dass kleine Versuchstiere, die mit apathogenen Bakterien infiziert
worden w'aren, rasch eingingen, bei Proteusinfektion innerhalb 24 Stunden.
Neutralisierte Milchsäure hatte dieselbe Wirkung. Ein bestimmter Säuregrad
ist erforderlich.
H. Kümmel]- Hamburg: Ueber Diagnose sowie seltenere Begleit- und
Folgeerscheinungen der Appendizitis. (Schluss aus Nr. 21.)
F. Brüning - Berlin: Ueber die Lokalisation der Bauchschmerzen.
Nach einem auf der 45. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
am 31. III. 21 gehaltenen Vortrag. (Bericht in Nr. 17 der M.m.W.)
E. U n g e r und A. W i s o t z k i - Berlin: Zur Verteilung der Leukozyten
Im Blut bei Entzündungsnrozessen.
Die zum Entzündungsherd führende Arterie enthält mehr Leukozyten als
das Kapillarblut und die abführende Vene.
H. Burckhardt - Marburg: Ueber die Behandlung der Pneumonie mit
künstlichem Pneumothorax.
Verf. hat schon im Jahre 1917 dazu die Anregung gegeben.
R. H e n s e 1 - Harburg-E.: Zur Kasuistik der postoperativen paradoxen
Embolien Im grossen Kreislauf bei offenem Foramen ovale.
Krankheitsverlauf und Sektionsbefund.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNtVERSITY OF CALIFORNIA
822
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
Rubens- Qelsenkirchen: Zur BehandlunK der Polyneuritls.
Empfehlung von Sayaconinlektionen; das Präparat ist in Ampullen
käuflich; jede Ampulle enthält 0.43 Na. salicyl., 0,05 Koffein, Aq. dest. ad 3,0.
J. Schumacher - Berlin: Die antivenerischen Prophylaktika. Ihr
Wert, Ihre Wirkung.
Für die Luesprophylaxe kommt an erster Stelle 0,1 proz. Sublimatlösuns
und die Schereschewsky sehe Chininsalbe in Betracht. Für die Gonor-
rhüeprophylaxc hat sich neben dem Sublimat 1 proz. Albarginlösung bewährt.
Gründliche Anwendung der Mittel ist Hauptbedingung. Insbesondere muss
die äussere Harnröhrenmündung genügend mit dem Prophylaktikum versorgt
werden.
J. E. V a 1 e n t i n - Buch: lieber Ursachen der Rezidive bei kindlicher
Gonorrhöe.
Die Hauptursache liegt in einer oft nicht beachteten Rektalgonorrhöe.
Im Rektum wurden Gonokokken noch lange Zeit nach Ausheilung der Urethral¬
und Vaginalgonorrhöe gefunden.
H. Löwenthal - Berlin: Aus der Praxis. Antagran bei Gicht und
Rheumatismus.
Die Behandlung, die sehr gewissenhaft durch geschultes Personal durch¬
geführt werden soll, besteht in Befeuchtung der Haut mit einer Lösung von
0,02 (Proz. ?) Acid. salicyl. in Spiritus camphor. und nachfolgendem Einreiben
einer Jodstickstofflösung.
H. E. Hering-Köln a. Rh.; Ueber den fetzigen Stand der Lehre vom
plötzlichen Herztod.
L. L a n g s t e i n - Berlin; Pädiatrische Ratschläge für den Praktiker
Baum- Augsburg.
Oesterrelchiscfae Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift
Nr. 22. W. Robitschek und M. Turolt-Wien: Der Sekretions¬
druck der Galle beim Menschen.
In einer mit dem Ductus hepaticus verbundenen Röhre (5.5 mm Lumen)
steigt die Galle auf 210—270 mm, je nach der Sekretionskraft, der Höhe
des intraabdominellen Druckes und dem Tonus der Muskulatur der Qallen-
wege. Durch Physostigmin und Pilokarpin wird der Druck gesteigert, durch
Papaverin herabgesetzt.
K. Schreiner - Graz: Ueber die Beeinflussung syphilitischer Exan¬
theme durch die Lumbalpunktion.
Sch. sah nach Lumbalpunktion einen rascheren günstigen Heilverlauf,
besonders bei beginnendem Exanthem und pustulösen Syphiliden, aber auch
nach vergeblichen Lumbalpunktionen, die in Kokain-Adrenalin-Anästhesie aus¬
geführt waren. Versuche zeigten nun einen günstigen Einfluss einfacher
Adrenalininjektionen bei einigen akuten und chronischen Ekzemfällen, so dass
dem Adrenalin die wesentliche Bedeutung bei den genannten Erfolgen zu¬
kommen dürfte.
C. S t e r n b e r g - Wien: Ueber angebliche Verätzung des Oesophagus
durch Kampfgas.
Bei einem Mann war durch Laugenessenz eine schwere Oesophagus-
stenose entstanden, die Gastrostomie erforderte. In der Folge behauptete er,
das Leiden sei durch Kampfgas verursacht worden. Da durch Gelbkreuz¬
gas (nicht durch Phosgen) Oesophagusschädigungen vorgekommen sind, war
man durchaus geneigt, die Angabe zu glauben, bis die chirurgische Kranken¬
geschichte Aufschluss gab.
J. Fr ist-Wien: Zur Reduktion des Bauchdeckenreflexes gelegentlich
von Laparotomien.
Zwei Krankengeschichten. Es wurden aus den Bauchdecken 2,7, in
dem zweiten Fall 8,9 kg Fett entfernt.
Th. Barsony - Pest: Zähnelung der grossen Magenkurvatur.
Die Zähnelung der grossen Kurvatur beruht auf grober Faltenbildung
der verdickten unelastischen Schleimhaut (Spasmus und Peristaltik spielen
keine Rolle). Häufig, aber nicht immer besteht gleichzeitig ein Magen- oder
Duodenalgeschwür.
Wiener medizinische Wochenschrift.
Nr. 12. H. S c h r ö 11 e r - Wien: Fleckfleberstudien.
Sch. erörtert ausführlicher die bei Fleckfieber besonders ausgeprägten
neuromuskulären Symptome und die Uebererregbarkeit der Muskulatur, mit
eigentümlichen Wulstbildungen bei mechanischen Reizen (toxigene Myo-
rnalacia cerea (haemorrhagica). Die Hörstörungen beruhen im wesentlichen
auf einer Schädigung der zentralen Bahn des Akustikus. Bemerkungen zur
W e i I - F e 1 i X sehen Reaktion.
Nr. 13/14. J. K a w a m u r a - Tokio: Ueber Anilin Vergiftung.
Nach der Errichtung einer Farbenfabrik im Kriege kamen anfänglich
viele Anilinvergiftungen (40) vor. 30 Krankengeschichten.
Nr. 14. J. K. F r i e d i u n g - Wien: Viermalige Erkrankung an Parotitis
epidemica (?) ln einem Jahre.
6 jähriges Mädchen. Die Abstände zwischen dem Wiederauftreten be¬
trugen 5, 3*A Monate und 19 Tage. Es scheint, als habe das Kind sich
immer wieder an sich selbst angesteckt.
Nr. 15. J. F r e u n d I i c h - Wien: Beitrag zur Entstehung der mer-
kuriellen ulzerösen Stomatitis und Tonsillitis.
Ein Fall von einseitiger Erkrankung, wahrscheinlich zusammen¬
hängend mit einem kariösen Zahn.
Nr. 16. A. Fuchs-Wien: Experimentelle Enzephalitis.
Erzeugung einer Meningo-Encephalo-Myelitis disseminata durch Guanidin¬
injektionen an Katzen und einer analogen Erkrankung an Hunden, bei denen
operativ das Pfortaderblut in die Cava inferior geleitet war. durch Fleisch¬
fütterung. Günstige Gegenwirkung der intravenösen Injektion von Arginase
(Leberpresssaft) bei einer Katze.
Nr. 17. Q. Fantl: Behandlung von Bubonen mit Mllchlniektionen.
Die Erfahrungen erstreckten sich auf etwa 100 Kranke und waren im
allgemeinen recht gut, aber nicht einheitlich. Ausser den verschiedenartigen
klinischen und individuellen Verhältnissen scheint vor allem auch der Erfolg
sehr von den Eigenschaften und der Behandlung der verwendeten Milch abzu¬
hängen. Der therapeutische Erfolg ist völlig unabhängig von der Heftigkeit
der Reaktion und beruht jedenfalls nicht in der Hervorrufung des Fiebers.
B e r g c a t - München.
V ersicberunssmedlzin.
A) Unfallversicherung.
L. Dreyer; Ein Fall von Chylothorax tranmaticus, entstanden durch
eine frei im Pleuraraum bewegliche SchrapnellkugeL (Aus der Röntgenabt.
des Hosp. z. Heil. Geist in Frankfurt a. M.) (Mschr. f. Unfallhlk. 1920 Nr. 11.)
Eingehende Schilderung der Aetiologie, Symptomatologie, Prognose und
Therapie des Chylothorax traumaticus, dieser seltenen Affektion, von der bi.s
jetzt 24 sichere Fälle beobachtet sind, zu denen ein neuer, der 25. hinzu¬
gefügt wird.
F. Walter: Ueber Hirngeschwulst und Trauma. (Aus der III. med.
Abt. d. Allg. Krankenhauses St. Georg, Hamburg.) (Mschr. f. Unfallhlk. 1921
Nr. 1.)
Zusammenstellung von 115 Fällen aus den Jahren 1901—1920, davon 77
echte Neoplasmen durch Autopsie in vivo aut in mortuo festgestellt, während
die 38 restlichen Fälle nur auf die klinische Diagnose sich stützen. Folge¬
rungen: Die Aetiologie der echten Hirngeschwtilste ist nicht in einem Trauma
zu suchen, in 101 Fällen ~ 88 Proz. fand sich kein Trauma anamnestisch
verzeichnet, während von den 14 Fällen = 12 Proz., die eine Gewalt-
einwirkung aufwiesen die Hälfte = 6 Proz. ohne weiteres für die ätio¬
logische Bedeutung derselben in der Blastomgenese ausgeschlossen werden
mussten. In 2 Fällen ~ 1.7 Proz. gelang der nahezu sichere Nachweis, dass
der Tumor bereits vor dem Unfall bestand. Bei den übrigen 5 Fällen
“ 4,4 Proz. ist die Hirnturaorbildung als Unfallfolge sehr unwahrscheinlich.
J. Becker: Ueber Desmolde der Bauchdecken. (Aus dem Knapp¬
schaftslazarett Ruda-Nord O./S.) (Mschr. f. Unfallhlk. 1921 Nr. l.)
Ausser im Anschluss an Geburten wird auch nach Traumen das Auf¬
treten von Desmoiden beobachtet. Ein Zusammenhang mit einem Unfall ist
anzuerkennen, wenn das Trauma ein so wesentliches war, dass dadurch ein
das Zellenwaclistum veranlassendes Moment gegeben war. Es muss ferner
die Tumorbildung im Bereich der Verletzungsstelle liegen, und es muss
weiterhin eine Kette von krankhaften Erscheinungen seit dem Unfälle bis
zur Manifestation des Tumors bestehen. Mitteilung eines Falles, der diesen
Voraussetzungen entsprach.
E n g e 1 e n - Düsseldorf: Die Beachtung der Vagotonle b^ der Be¬
urteilung von 7'raumatikern. (Aerztl. Sachverst. Ztg. 1921 Nr. 2.)
Die Vagotonie (Neigung,zu Blutwallungen, asthenisch-livide Verfärbung
der Hände. Schreibhaut, abnorm leicht eintretender Wechsel der Puls¬
frequenz, überphysiologische respiratorische Herzarhythraie, orthotische
Tachykardie, Neigung zu Extrasystolen, E r b e n sches Hockphänomen,
Herabsetzung der Pulsfrequenz durch Bulbusdruck; positives Halsdruck¬
symptom; bei mässig starkem, glei'chmässigem Druck 5—30 Sekunden hin¬
durch gegen die Karotiden am inneren Kopfnickerrande in der Mitte der
Halshöhe Auftreten von Gesichtsrötung, Anschwellen der Kopfvenen, starkem
Tränen der Augen, Erweiterung oder Unruhe der Pupille, zuweilen von
Kollapserscheinungen, selten Hustenanfälle, Brechneigung; vagotonisches
Pupillenphänomen: der Untersuchte fixiert unablässig die Stirnmitte des
Untersuchers und führt langsame und tiefe Atemzüge aus — bei den ersten
Atemzügen beobachtet man Pupillenerweiterung während des Inspirinms,
Pupillenverengerung bei der Ausatmung) disponiert besonders zu Herz¬
neurose, Pseudoangina pectoris, Ba.sedow (vagotonische Form), zu Asthma
bronchiale, Tuberkulose, zu Hyperazidität, Kardiospasmus, Pylorospasmus,
spastischer Obstipation, Aufstossen, Sodbrennen, Obstipationsdiarrhöen, zu
lordotischer Albuminurie, zu Dysmenorrhöe. Beim Vorliegen derartiger Er¬
scheinungen muss demnach die Untersuchung ganz besonders achtsam sein
auf den Konstitutionsbefund, um der bei sehr zahlreichen Traumatikern vor¬
liegenden Neigung zu unberechtigten Entschädigungsansprüchen wirksam ent¬
gegenzutreten.
H i 11 e 1 - Berlin: Die Beziehungen des Traumas zur spinalen Muskel-
atrophie (Amyotrophla splnalis progressiva). (M. Kl. 1921 Nr. 4.)
Auf Grund einer Analyse von 2 Fällen wird die allgemeine Schlussfolge¬
rung gezogen, dass das Trauma für die Entwicklung chronischer organi¬
scher Rückenmarkskrankheiten nur den äusseren Anlass bildet, während ihr
Charakter entweder durch eine Minderwertigkeit der betreffenden Systeme
auf dem Boden der Heredodegeneration (wie bei den mitgeteilten FMlen)
oder auch durch die Verminderung ihrer Widerstandsfähigkeit auf infektiöser
Grundlage (Tabes) bestimmt ist.
L. Pick: Zur traumatischen Genese der Sarkome. (A. d. pathol. InsL
d. städt. Krankenhauses im Friedrichshain, Berlin.) (M. Kl, 1921 Nr. 14.)
Als ein Beweis, wie selten durch einmalige Traumen Geschwülste aus¬
gelöst werden, kann die Tatsache gelten, dass trotz der Unzahl von Kriegs¬
traumen aller Art die Beobachtungen über Entwicklung eines Sarkoms oder
überhaupt einer malignen Neubildung recht spärlich sind. Entspricht die
Stelle des Traumas dem Sitz des Blastoms, so ist ganz aligemein die
Wahrscheinlichkeit, dass das Trauma nicht eine schon vorhandene Neu¬
bildung traf, um so grösser, je umschriebener die Qewaltwirkung geschah.
2 Beispiele, davon ein Fall von Knochensarkom als Folge einer I.-G.-Ver-
letzung, wie er wohl noch nie beobachtet worden Ist. Anatomische Prä¬
paration und Röntgenbild müssen in jedem einzelnen Fall versuchen, den
Ort der traumatischen Schädigung als Ausgang und ersten Sitz des Sarkoms
festzulegcn.
K. Schütte: Ueber Krankheltserschelnungen im Bereiche des Zentral¬
nervensystems durch Kohlenoxydgas (Betriebsunfälle). (In.-Diss. Würz-
burg 1919.)
13 Fälle (3 klinische Beobachtungen und 10 aus B.-Q.-Akten). aus denen
hervorgeht, dass sie an und für sich selten sind und dass Gehirn- und
Nervenstörungen deshalb wenig beobachtet werden, weil die Mehrzahl der
Fälle an der Vergiftung stirbt. Die zcntralnervösen Krankheitssymptome
unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen anderer Vergiftungen
(Schädigungen des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit, auch Herdsyrnptome
im Sinne von Aphasie,Mono- oder Hemiplegie oder neurologische Symptome,
die an multiple Sklerose erinnern; bemerkenswert sind die gelegentlich
gleichsam elektiv auftretenden Erkrankungen, z. B. der Sehnerven).
Für die Unfallbegutachtung ergibt sich daraus die Notwendigkeit der
besonders sorgfältigen und systematischen, schulgerechten psychischen
(psychiatrischen) Untersuchung, unter besonderer Berücksichtigung der Unter¬
suchung des Gedächtnisses, des optischen Erkennens und Wiedererkennens,
des Zusammenfassens auf optischem Gebiete, der optisch-räumlichen Funk¬
tionen. Eine ebenso einfache wie leistungsfähige Untersuchungsmethode bie-
Digitized by
Gotigle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
823
bei ist die von R e i c h a r d t in die Diagnostik eingeführte ..Bilderbuch-
methode“.
J. Siber: Unfall und endogene Geisteskrankheiten. (In.-Diss. Würz¬
burg 1919.)
Von den zwei Richtungen in der Unfallbegutachtung, von denen die
eine den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und endogener Geistes¬
krankheit in den meisten Fällen bejaht, während die skeptische bzw. kritische
Richtung sich dahin ausspricht, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
ein ursächlicher Zusammenhang nicht vorliegt, hat der Krieg, als ein Experi¬
ment im allergrössten Stil vom psycho-pathologischen Standpunkt aus, die
letztere Ansicht erhärtet. Denn er hat gezeigt, dass die Geisteskrankheiten
der Psychiatrie überhaupt nicht erkennbar zugenommen haben. Diese Auf¬
fassung muss auch für die Friedenspraxis jetzt Geltung erhalten. Es wird
an einer Reihe von Gutachten gezeigt, dass die Krankheiten bzw. Krank¬
heitsanfälle ebensowohl der Dementia praecox-Gruppe als auch der manisch-
depressiven Psychosen durch einmalige Unfälle im allgemeinen nicht als aus-
gelöst hervorgerufen oder wesentlich verschlimmert betrachtet werden
können. Hierfür spricht auch schon die grosse absolute Seltenheit dieser
Psychosen in der Unfallbegutachtung trotz der ausserordentlich grossen
Häufigkeit von Betriebsunfällen.
F. Schramm: Epilepsie und Unfallbegutachtung. I. Die eplleptlformen
Erscheinungen Im Gefolge der dauernden traumatischen fllrnschädigung.
(In.-Diss. Würzburg 1919.)
Die cpileptiformen Erscheinungen im Gefolge der dauernden traumati¬
schen Hirnschädigung sind, soweit die Unfallbegutachtung des Friedens in
Betracht kommt, selten gegenüber der genuinen Epilepsie. Beide Krank¬
heiten haben nichts miteinander gemeinsam ausser den Symptomen — und
selbst diese nur zum Teil. Denn bei der dauernden traumatischen Hirn¬
schädigung sind die akuten epileptischen Psychosen äusserst seltene Vor¬
kommnisse. Andererseits ist der dauernd traumatisch Hirngeschädigte auch
ausserhalb seiner epileptiformen Anfälle meist ein mehr oder weniger schwer
arbeitsbehinderter Mensch, während die Mehrzahl der nicht verblödeten
genuinen Epileptiker ausserhalb ihrer Anfälle arbeitsfähig ist. Endlich be¬
kommt der genuine Epileptiker durch Körperarbeit meist keine vermehrten
Anfälle, während bei den traumatisch Hirngeschädigten (ebenso bei Porenze-
phalen und anderen, auch stationären Hirnerkrankungen mit epileptiformen
Anfällen) durch vermehrte Körperarbeit eine Häufung der Anfälle eintreten
kann (R e i c h a r d t). Diese Trennung muss schon in der Namengebung
zum Ausdruck kommen, und es muss, da die „Epilepsie” im Sinne der
genuinen Epilepsie traumatisch weder hervorgerufen noch wesentlich ver¬
schlimmert wird, der Ausdruck ..traumatische Epilepsie" künftighin ver¬
mieden werden. Bei Unterscheidung der beiden Zustände, die in praxi oft
genug sehr schwer, wenn nicht unmöglich ist, in einem nicht unbeträchtlichen
Teil der Fälle aber doch angängig sein wird, handelt es sich vor allem
um die Frage: Hat der Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu
einer dauernden traumatischen Hirnschädigung geführt? Die Art der akuten
Hirnsymptome, der gesamte Krankheitsverlauf werden, wenn sorgfältig be¬
obachtet, eine Diagnose in vielen Fällen ermöglichen. Auch eilt es mit der
Anerkennung epilepsieähnlicher Erscheinungen als Unfallsfolge gar nicht
besonders. Die Anerkennung einer Krankheit als Unfallsfolge kann während
der ersten beiden Jahre, bis zum Festsetzen der Dauerrente, hinausgeschoben
werden, sofern das ärztliche Gutachten entsprechend unbestimmt lautet. —
Ein ganz besonders schlimmer Fehler aber ist es, dem wirklich schwer
traumatisch Hirngeschädigten mit epileptiformen Symptomen die schwere
Verletzung nicht zu glauben, vielmehr seine Anfälle als „hysterisch“ und ihn
selbst gar als Simulanten zu betrachten.
H. Fink: Epilepsie und Unfallbegutachtung. II. Unfall durch Anfall.
(In.-Diss. Würzburg 1919.)
In dieser Dissertation wird die Frage der Beziehungen der genuinen
Epilepsie zur Unfallbegutachtung, ebenfalls auf Grund des Gutachtenmaterials
von R e i c h a r d t - Würzburg, behandelt: Bei der Häufigkeit der genuinen
Epilepsie wird sehr häufig der Typus „Unfall durch Anfall” (Entstehung
bzw. Vortäuschung des Unfalls durch den epileptischen Anfall) produziert;
der Kranke ist nicht epileptisch geworden, weil er einen Unfall erlitten
hat, sondern er hat den Unfall erlitten, weil er epileptisch war. Jedenfalls
genügt eine gewöhnliche Hirnerschütterung nicht, um eine genuine Epilepsie
hervorzurufen oder dauernd wesentlich zu verschlimmern. Auch ist nicht
jeder „Anfall” ein epileptischer: abgesehen von paralytischen und anderen
Anfällen im Gefolge einer organischen Hirnkrankheit oder einer Labyrinth¬
erkrankung, gibt es auch Schwindelanfälle, wie sie jeden Gesunden befallen
können, wenn er z. B. noch nicht daran gewöhnt ist, auf hohen Leitern
oder (jerüsten zu arbeiten.
H. Morgenstern: Epilepsie und Unfallbegutachtung. III. Die un¬
gerechtfertigte Anerkennung der genuinen Epilepsie als Unlallsfolge. (In.-
Diss. Würzburg 1919.)
Die genuine Epilepsie ist im allgemeinen keine Folge einmaliger Be¬
triebsunfälle, auch wird sie durch sie nicht wesentlich oder dauernd ver¬
schlimmert, Nur aus Gründen der praktischen Unfallbegutachtung muss
man bei dem Vorhandensein oder der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer
dauernden traumatischen Hirnschädigung ein nachfolgendes Auftreten starker
epileptischer oder epileptiformer Erfcheinungen als Unfallsfolge betrachten.
Für die Differentialdiagnose der dauernden Hirnschädigung ist die Dauer
und Eigenart der ersten Rekonvaleszenz von Wichtigkeit: bei Hirnkontusion
durch indirekte Gewalteinwirkung pflegt die Rekonvaleszenz bezüglich des
Hirns eine sehr langsame zu sein. Eine rasche Rekonvaleszenz nach Hirn¬
erschütterung spricht gegen dauernd traumatische Hirnschädigung. Freilich
wird der Nachweis der raschen Rekonvaleszenz oft genug durch psychogene
Symptome (psychopathische Reaktion auf das Entschädigungsverfahren) er¬
schwert. Auch die Seltenheit der psychischen Epilepsie bei der dauernden
traumatischen Hirnschädigung, wie dies an den Erfahrungen aus dem Kriege
auch zu erkennen ist, kommt diagnostisch in Betracht: wenn nach einem
gewöhnlichen Unfall oder auch nach einer Hirnerschütterung sich in erster
Linie die Symptome der psychischen Epilepsie (Dämmerzustand, Tobsuchts¬
zustand, Verstimmung) zeigen, so handelt es sich mit überwiegender Wahr¬
scheinlichkeit um genuine Epilepsie und nicht um die dauernde traumatische
Hirnschädigung mit epileptiformen Erscheinungen.
Vielen Gutachtern ist der Umstand nicht bekannt, dass durchaus nicht
alle genuinen Epilepsien bis zum 20. Lebensjahre die ersten deutlichen
Krankheitserscheinungen machen (wenigstens 20 Proz. der genuinen Epilepsien
treten noch nach dem 20. Lebensjahre zum ersten Male deutlicher in Er¬
scheinung). und machen den Fehler, eine im dritten — und auch im
vierten — Lebensjahrzehnt ausbrechende Epilepsie ohne weiteres als Un¬
fallsfolge zu betrachten.
F. Drescher: Epilepsie und Unfallbegutachtung. IV. Epilepsie und
Psychopathie. (In.-Diss. Würzburg 1919.)
ln einem nicht ganz geringen Prozentsatz der Fälle kommen gerade auch
bei Unfallskranken genuine Epilepsie und Psychopathie zusammen vor, we.l
beiden gemeinsam die endogene Veranlagung ist. Während aber für Epilepsie
das völlig autochthoiie Auitreten der Anfälle massgebend ist, ist für die Dia¬
gnose auf epileptoide Reaktion bei Psychopathie der Nachweis eines äusseren
Anlasses notwendig. Zwischen diesen beiden Arten von Anfällen ist scharf
zu trennen. Es scheinen aber auch Kombinationen vorzukonimen zwischen
echten genuinen epileptischen und epileptoiden Reaktionen bei dem gleichen
Individuum, die die Diagnose ausserordentlich erschweren. Dabei wird die
genuine Epilepsie nicht selten übersehen. Der rein reaktiv-epileptoide Typus
ist als der seltenere zu betrachten gegenüber dem genuinen epileptischen und
dem kombinierten Typus.
Für die Unfallbegutachtung hat der reaktive Typus der Anfälle (abge¬
sehen von den hysterischen) keine grosse Bedeutung; eine länger dauernde
Psychopathie wird man iin allgemeinen nicht als eine Folge eines einmaligen
Unfallereignisses auffassen dürfen. Das andere Extrem bilden die echten
hysterischen Anfälle. Auch sie sind reaktive Erscheinungen. Aber sie treten
nur auf als Suggestionsphänomene bei bestimmter Willensrichtung, Wunsch¬
oder Abwehrtendenz und gehen allmählich in das Gebiet der bewussten
Simulation, d. h. in das Gebiet der an sich normalen Seelenvorgänge über.
Mit einer einzelnen diagnostischen Bezeichnung („Epilepsie” oder
„Psychopathie") kommt man also bei gewissen sog. Unfallkranken nicht immer
aus, sondern man muss mit Uebergängen rechnen, die nicht einmal besonders
selten und, auch wegen ihrer diagnostischen Schwierigkeit, praktisch von
Wichtigkeit sind.
L. Schick: Epilepsie und Unfallbegutachtung. V. Unklare und
diagnostisch besonders schwierige Fälle. (In.-Diss. Würzburg 1919.)
Als Schluss der Serie der Arbeiten über Epilepsie und Unfallbegut¬
achtung bringt Verf. eine Reihe von schwierig zu begutachtenden Fällen
(Spätepilepsie, Migräne und Epilepsie, epileptische Schwindelanfälle in
Differentialdiagnose mit Labvrinthschwindel), sowie Nachträge zu den vorher¬
gegangenen Arbeiten aus der Würzburger psychiatrischen Klinik, aus denen
immer wieder hervorgeht: wie vielgestaltig die genuine Epilepsie ist, wie
häufig sie in der Unfallbegutachtung verkannt wird und infolgedessen zu ärzt¬
lichen Fehldiagnosen und sonstigen Irrtümern Anlass geben kann. Sie ist,
wie R e i c h a r d t immer wieder betont, für die Unfallbegutachtung eine
äusserst wichtige Krankheit, vor allem auch deshalb, weil sie a) meistens
eine lebenslängliche Krankheit ist und b) so oft fälschlicherweise als Unfalls¬
folge anerkannt wird; denn sie ist c) auch eine sehr häufige Krankheit.
Sie ist also an sich eine nichttraumatische Erkrankung. Gerade diese nicht¬
traumatischen Krankheiten sind schuld daran, dass die Unfallasten eine so
enorme Höhe erreicht haben. Denn ähnlich wie die genuine Epilepsie ist
die Mehrzahl der niclittraumatischen Krankheiten konstitutioneller Natur,
oft sogar progressiver Art, Wird dann eine solche Erkrankung fälsch¬
licherweise als Unfallsfolge anerkannt, dann pflegt die Rentenzahlung hiefür
eine viel grössere Höhe zu erreichen als bei der Mehrzahl der eigentlichen
traumatischen Folgezustände, nämlich der Verletzungen, welche regres¬
sive, d. h. in Heilung übergehende Störungen sind.
B) Haftpflichtversicherung.
J. Zwick: Aus der Praxis der Haltpflichtbegutachtung. (In.-Diss.
Würzburg 1919.)
An Hand eines Falles werden die Schwierigkeiten gezeigt, die sich
bei der Begutachtung ergeben können, und zwar handelte es sich nicht
nur um diagnostische, sondern auch um rechtliche, die in der Frage gipfelten,
inwieweit speziell eine Labyrintherkrankung als Unfallsfolge zu betrachten
war. Der Kläger litt an einer luetischen Labyrintliaffektion und es tauchte
die Frage auf, inwieweit man dieselbe mit dem Unfallereignis in Beziehung
bringen durfte, gleichzeitig aber auch, inwieweit eine beklagte Partei
für etwas eine Entschädigung zahlen soll, wofür sie nichts kann. Dabei
musste der allgemeine Begriff der Kausalität überhaupt erörtert Werden, da
als komplizierende Erkrankuneon Lues, auch des Zentralnervensystems, ferner
vorzeitige starke Schlagaderverhärtung, vorzeitige Körperrückbildung mit
starker Abmagerung und hochgradige Unterschenkelgeschwüre mit im Spiele
waren.
Im Anschluss hieran wird auf den Unterschied in dem Standpunkt des
Reichsgerichtes, das die, auch vom medizinischen Standpunkt aus, notwendige
Unterscheidung zwischen „Ursache” im medizinischen Sinn und „Gelegen¬
heit”, bei welcher die Krankheit ausbricht bzw, die Trennung (R e i c h a r d t)
in Ursache der Krankheit und in Ursache eines Krankheitssymptomes ab¬
lehnt, gegenüber der Anschauung des R.-V,-A. aufmerksam gemacht und
festgestellt, dass der Standpunkt des R.-V.-A. der dem medizinisch-wissen¬
schaftlichen bzw. naturwissenschaftlichen Empfinden bei weitem mäherliegende
und sympathischere ist.
In die Praxis der Unfallbegutachtung und der Unfallrechtsprechung über¬
setzt. würde man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die objektive
Schwere eines Unfalles und der akuten Krankheitssymptome mehr als dies
bisher speziell in der Rechtsprechung des Reichsgerichts der Fall war, bei
der Beurteilung der Kausalität und bei der Abmessung der Höhe der Ent¬
schädigung berücksichtigt werden muss. Ausser der Schwere des Unfalls ist
dann auch die Eigenart der betreffenden Krankheit zu berücksichtigen: ob
sie überhaupt durch ein einmaliges äusseres Ereignis im Sinne eines Unfalles
hervorgerufen oder wesentlich verschlimmert werden kann. Zahlreiche
Krankheiten, namentlich der Psychiatrie, können überhaupt im allgemeinen
durch ein einmaliges Unfallereignis nicht hervorgerufen oder wesentlich ver¬
schlimmert werden (Dementia praecox, Manie, Melancholie, Paranoia usw.).
Je weniger eine Krankheit im allgemeinen äussere, besonders einmalige
äussere Ursachen hat, umso vorsichtiger muss dementsprechend die Prüfung
der Kausalität vorgenommen werden.
M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
824
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRtFT.
Nr.«
Vereins- und Kongressberichte.
Altonaer ärztlicher Verein.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 27. April 1921.
Herr Grüneberg bespricht den Fall eines jetzt sechsjährigen Knaben,
der vor einem Jahr ins Kinderhospitul wegen Lungenspitzenaffektion aufge-
nomraen wurde. Geringe Kurzluftigkeit, geringe Zyanose. Perkussion ergibt
fast absolute Dämpfung hinten rechts von der Spitze bis zum 6. Brustwirbel,
vorn bis zur 3. Rippe, lieber der Dämpfung teils Bronchial-, teils ver¬
schärfte Atmung mit vereinzeltem feuchtem Rasseln und Giemen. Die übrigen
Lungenpartien sind frei. Pirquet und Wassermann - 0 ". Wiederholte Unter¬
suchungen des Auswurfs hatten in Bezug auf Tuberkelbazillen und elastische
Fasern negatives Ergebnis. Temperatur anfangs subfebril, später afebril.
Die Röntgenaufnahme zeigte einen stark verbreiterten Hilusschatten, die obere
Hälfte des rechten Lungenfcldes intensiv beschattet.
Da der Patient in seinem 2. Lebensjahr im Hospital wegen syphilitischer
Aftergeschwüre und stark positiven Wassermanns eine antisyphilitische Kur
mit Erfolg durchgemacht hatte, wird trotz des negativen Wassermanns eine
Schmierkur mit Neosalvarsan ausgeführt. Nach 2 Monaten zeigt sich eine
vollständige Aufhellung der früheren Lungenschatten auf dem Röntgenbilde
(Demonstration). Der Pat. zeigt jetzt ein blühendes Aussehen. G. gibt
der Ansicht Ausdruck, dass mit höchster Wahrscheinlichkeit bei dem Pat. das
Infiltrat als syphilitisches anzusehen sei. eine in diesem Alter immerhin
sehr seltene Affektion, das eine unverkennbare Aehnlichkeit mit den aus der
Czerny sehen Klinik beschriebenen epituberkulösen Infiltraten habe.
Ferner demonstriert G. eine Reihe von gehellten schweren Gelenk- und
Bauchfelltuberkulosen, deren Heilung zum grössten Teile der lange Zeit
diirchgeführten Sonnenbehandlung zu verdanken ist. Demonstration der dazu¬
gehörigen Röntgenbilder, die den fortlaufenden Heilungsprozess deutlich er¬
kennen lassen.
Aerztlicher Verein zu Danzig.
Sitgung vom 10. März 1921.
Herr Storp: Ueber Choledochusplastik. (Mit Krankenvorstellung.)
Herr Storp berichtet über 6 Fälle von Choledochusverschluss, welche
er im Laufe der letzten 10 Jahre operativ zu behandeln Gelegenheit hatte,
soweit derselbe nicht durch Steinverschluss der Vater sehen Papille, der
häufigsten Ursache des Choledochusverschlusses, bedingt war. In diesen
letzteren Fällen ist es dem Vortragenden bisher noch immer, wenn auch
bisweilen unter Schwierigkeiten, gelungen, nach breiter Eröffnung des Chole-
dochus mittelst Steinzange oder Löffel und kombiniertem Druck vom Duo¬
denum aus ev. durch gleichzeitige vorsichtige Dilatation mit H e g a r sehen
Metallbougies den eingekeilten Stein zu lockern und von der Choledochus-
wunde aus zu extrahieren ohne zu einer weitgehenden Mobilisation des
Duodenum oder transduodenaler Choledochotomie seine Zuflucht nehmen zu
mässen.
Von den nicht durch Steinen bedingten Verschlüssen des Choledochus
waren zwei Fälle verursacht durch P y I o r u s- bzw. Pankreaskarzi¬
nom mit ausgedehnten Leber- und Drüsenmetastasen. Bei der Aussichts¬
losigkeit in Bezug auf Heilung kam naturgemäss nur ein palliativer Eingriff
zur Beseitigung der Qallcnstauung und der dadurch bedingten Beschwerden
in Frage und wurde als solcher die Cholezysto = Colostoraie
als das relativ einfachste Verfahren gewählt, so wenig dasselbe auch vom
physiologischen Standpunkt berechtigt erscheint.
Die eine Patientin, eine 57 jährige Frau, überstand den relativ geringen
Eingriff nicht und starb nach 24 Stunden, bei der anderen, einer 53 jähr.
Frau, gingen der seit 5 Monaten bestehende Ikterus gravis und die
übrigen Beschwerden im Laufe von 14 Tagen zurück, dieselbe erholte sich
zunächst sichtlich, ging aber dann nach 5 Monaten an allgemeiner Krebs-
kachexie zugrunde.
In einem weiteren Falle fanden sich bei einem 11 jährigen, seit 6 Mo¬
naten an schwerem Ikterus leidenden Knaben als Ursache des Choledochus¬
verschlusses eine Anzahl bis haselnussgrosser, retroperitoneal und im Liga¬
mentum hepatico-duodenale gelegener Lymphdrtisen. In diesem Falle wurde
eine Cholczysto-Duodenostomie angelegt mit dem Erfolg, dass bereits nach
5 Tagen Stuhl und Urin normal wurden, der Ikterus im Laufe von
5 Wochen verschwand und die drei Finger breit unter den Rippenrand
reichende Leberschwellung gänzlich zurückging. In den folgenden drei Jahren
bestand dauernd gutes Allgemeinbefinden und normale Entwicklung des
Knaben,
In zwei weiteren Fällen war der Choledochusverschluss durch eine Er¬
krankung des Pankreas bedingt. Der eine von diesen, ein 50jähr. Mann,
seit vielen Jahren an zeitweise heftigen Schmerzen in der Oberbauchgegend
leidend, war vor 3 Tagen plötzlich unter den Erscheinungen eines akuten
Ileus erkrankt. Laparotomie ergab akute Pankreatitis mit zahl¬
reichen Fettnekrosen und Verschluss des Choledochus, Die Gallenblase wurde
entleert und drainiert, die Pankreaskapsel breit gespalten und tamponiert,
doch erfolgte Exitus nach 7 Tagen.
Der andere Fall betraf einen 60 jährigen Mann, welcher seit zwei
Jahren mehrfache Qallensteinkoliken mit Ikterus durchgemacht hatte und ^eit
drei Wochen wieder an einem schweren Gallensteinanfall mit Ikterus und
hohem Fieber erkrankt war. Bei Eröffnung des Leibes fand sich das
Pankreas stark vergrössert, hart und höckerig, den Choledochus völlig ver-
schliessend, Gallenblase klein, geschrumpft, enthielt 2 kleine facettierte Steine,
aber keine Galle. Da eine Anastomose bei der kleinen Gallenblase, zumal
deren Wandungen äusserst mürbe und zerreisslich, ausgeschlossen schien, so
wurde eine wasserdichte Schlauchdrainage durch ein eingenähtes Gummirohr
angelegt. Am dritten Tage entleerten sich aus demselben 50 ccm Galle, all¬
mählich zunehmend bis zu 800 ccm in 24 Stunden. Nach 5 Wochen waren
Ikterus und alle übrigen Beschwerden geschwunden, der Gallenfluss durch
das Drainrohr hatte völlig nachgelassen, so dass letzteres entfernt werden
konnte. Pat. fühlte sich völlig wohl und hatte in 3 Wochen 20 Pfd. an
Gewicht zugenommen. Nach 2 Jahren noch gutes Allgemeinbefinden, die
früher beobachteten Anfälle sind nicht mehr aufgetreten.
Im 6. Falle endlich handelte es sich um eine 50 lähr. Frau, welche seit
zwei Jahren an unbestimmten Beschwerden in der Gallenblasengegend litt.
Digitized by Goüsle
Die Gallenblase war als huhnereigrosser Tumor sicht- und fühlbar, enthielt
25 erbsen- bis bohnengrosse Steine und einen haselnussgrossen Stein im
Ductuscysticus nahe seiner Einmündung in den Choledochus, letzterer
selbst unverändert und frei von Steinen. Die Gallenblase wurde in ge¬
wohnter Weise subserös ausgeschält und der Zystikus unterbunden. Von
einer Sondierunv des Choledochus wurde im Hinblick auf die völlig normale
Beschaffenheit desselben Abstand genommen. Bereits am nächsten Tage
post operationem stellte sich ein reichlicher in den nächsten Tagen immer
mehr zunehmender Qallenausfluss aus dem in den äusseren Wundwinkel ein¬
gelegten Glasdrain ein, so dass nach 3 Wochen etwa die gesamte Galle
durch das Drain entleert wurde. Dazu gesellte sich allmählich zunehmender
Ikterus und völlig acholischer Stuhl, kurz alle Zeichen eines vollkommenen
Choledochusverschlusses. Da dieser Zustand unverändert anhielt und sich
das Allgemeinbefinden der Patientin zusehends verschlechterte, so entschloss
ich mich nach 2 Monaten zur Relaparotomie. Dabei fand sich in dem narbig
veränderten und geschrumpften Lig. hepato-duodenale nur noch ein
2 cm langes, dünnwandiges und stark verengtes Stück des Choledochus an
der Einmündungs-stelle ins Duodenum vor. Im übrigen war weder vom
Choledochus noch vom Hepatikus bis an die Porta hepatis das Geringste
nachzuweisen. Die Galle entleerte sich direkt aus den grossen Lebergallen¬
gängen entsprechend der früheren Einmündungsstelle des Ductus hepaticus
frei in die Bauchhöhle bzw. in den seit der ersten Operation liegen ge¬
bliebenen Glasdrain. Da bei dem schlechten Allgemeinzustande der Frau
von einer grösseren plastischen Operation nach dem Vorgänge von G a r r e
oder Kehr abgesehen werden musste, so ging ich in der Weise vor, dass
ich ein kleinfingerdickcs Foramittirührchen — ein Stück einer bei Varizen¬
operationen gewonnenen, in Formalin gefärbten Vena saphena, von welcher
ich bei Nervennaht zur Nervenumhüllung ausgiebigen Gebrauch mache und
stets vorrätig halte — in dem durch Bougies dilatierten Rest des Ductus
choledochus bis in das Duodenum hineinschob und das andere Ende des
in 2 Lappen gespaltenen Forainittirohres auf die Ausmündungsstellc der Leber¬
gallengänge an der Leberpforte mit feinen Katgiitnähten breit aufnähte. So¬
dann wurde das Foramittirohr mit einem Stuck freitransplantierten, ebenfalls
mit Katgutnähten fixierten Netzes umhüllt und die Bauchhöhle geschlossen bis
auf eine seitliche Lücke für einen wieder eingelegten Glasdrain. Der Erfolg
war ein guter. Der im Anfang noch ziemlich reichliche Gallenausfluss durch
den Glasdrain Hess in den nächsten Wochen mehr und mehr nach, der Ikterus
verschwand, der Stuhl wurde wieder normal, so dass die Patientin 2 Monate
nach der zweiten Operation als geheilt entlassen werden konnte. Dieselbe
hat sich wieder völlig erholt und ist bis jetzt, 5 Monate nach der Operation,
frei von Beschwerden.
Eine ausreichende Erklärung für die Zerstörung des Choledochus und
Hepatikus vermag ich in vorliegendem Falle nicht zu geben. Da eine Ver¬
letzung oder versehentliche Unterbindung des Choledochus bei der relativ
leichten und sich völlig übersichtlich gestaltenden Operation gänzlich ausge¬
schlossen scheint, so besteht nur die Möglichkeit, dass eine im Anschluss
an die erste Operation zustande gekommene Infektion zur nekrotisierenden
Entzündung im Bereich des Lig. hepatico-duodenale und dadurch zur Gan¬
grän der Gallenausführungsgänge geführt hat.
Andererseits beweist aber der vorliegende Fall im Gegensatz zu den
kürzlich erschienenen Veröffentlichungen von H a b e r e r, welcher den völligen
Verschluss der Bauchhöhle ohne Drainage nach Gallenblasenexstirpation emp¬
fiehlt, meines Erachtens doch die Zweckmässigkeit einer Drainage als Sicher¬
heitsventil wenigstens für die ersten Tage nach der Operation.
Herr H e 1 m b o I d: SehVerbesserung Schwachsichtiger.
Unter Schwachsichtigkeit (Amblyopie) ist die Herabsetzung der Seii-
leistung unter einen bestimmten Grad zu verstehen. Ein allgemein an¬
erkanntes Zahlenmass hierfür besitzen wir noch nicht. Bei der Aufstellung
eines solchen muss berücksichtigt werden, inwieweit das Auge uns die
Vorstellung der Aussenwelt in seiner räumlichen Ausdehnung und in seiner
Farbe resp. Farblosigkeit sowie Helligkeit vermittelt. Die Ursachen der
Schwachsichtigkeit liegen in den brechenden Medien, lichtempfindenden, leiten¬
den Elementen und Hirnzentren angeboren und erworben. Besserung und
Heilung gestalten sich dementsprechend. Hier soll die Verbesserung erörtert
werden, soweit sie sich durch Fernrohrbrille und Fernrohrlupe erzielen lässt,
wenn die üblichen Brillen versagen: bei Emmetropie, Ametropie, Hindernissen
in den brechenden Medien, Störungen der lichtempfindenden und leitenden
Elemente. Vergleich der Bildgrössen, ferner Gegenstände auf der Netzhaut
bei Emmetropen, Hypermetropen und Myopen. Einfluss des Abstandes korri¬
gierender Brillen vom Hornhautscheitel auf die Bildgrössen. Sehverbesserung
bei hochgradiger Myopie durch Linsenentfernung, Gefahren dieser Operation.
Entwicklung der Fcrnrohrbrille, Konstruktion (holländisches Fernrohr) und
Leistung der Fernrohrbrille. Betonung der hervorragenden Verdienste Pro¬
fessor Rohrs- Jena um die Vervollkommnung des Instrumentes zu seiner
jetzigen glänzenden Höhe: Brillenform, leichtes Gewicht, Beseitigung des
Astigmatismus schiefer Büschel, der Verzeichnung und der Farbenfehler.
Benutzung der Fernrohrbrille bei mässiger Schwachsichtigkeit mit
l,3facher Vergrösserung, bei höherer Schwachsichtigkeit mit l,8facher Ver-
grösserung für Ferne und Nähe, bei noch höheren Graden Benutzung der
Fernrohrlupe für Nahearbeit. Abnahme der Qesichtsfeldausdehnung mit zu¬
nehmender Vergrösserung. H e 1 m b o I d stellt einen Fall von hochgradiger
Kurzsichtigkeit vor und einen solchen, bei dem wegen der gleichen Ametropie
die Linse entfernt war, und zeigt, wie bei beiden Patienten durch die Z e i s s-
sche Fernrohrbrille die Sehschärfe weit über das Doppelte gesteigert wird.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Vereinsamtliche Niederschrift)
Sitzung vom 24. Januar 1921.
Herr Mann: Demonstration eines Faltes von doppelseitiger Dnrcb-
schneidung des Nervus laryngeus superior zur Behebung der Dysphagie bei
fortgeschrittener Larynxtuberkulose.
Fälle von Kehlkopftuberkulose, bei denen der obere Kehlkopfring, Epi¬
glottis, aryepiglottische Falten und Aryknorpcl zugleich infiltriert bzw. ulze-
riert sind, haben entsetzlich unter Schmerzen zu leiden. Die Nahrungs¬
aufnahme kann dabei nahezu völlig aufgehoben sein. Die medikamentöse
Therapie erschöpft sich bald, der Erfolg der Alkoholinlektion ist wechselnd.
Neuerdings ist die Resektion des Nervus laryngeus superior empfohlen worden.
Wir haben bisher 4 Fälle operiert, einen davon stelle ich Ihnen hier vor.
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
825
Er wurde am 3. XII. 21 operiert. Die Schluckschmerzen Hessen fast so¬
fort nach, sowohl beim Leerschlucken, wie beim Schlucken der Speisen.
Leider war aber in der ersten Zeit das Schlucken von Flüssigkeit fast völlig
aufgehoben, weil ihm alles in die Trachea lief und furchtbare llustenanfällle
auslöste. Jetzt hat er auch dies gelernt. Die sonderbare Art, die er an¬
wendet, um das Hineinlaufen in die Trachea zu vermeiden, veranlasst mich
hauptsächlich. Ihnen den Fall zu zeigen.
Wie Sie sehen, beugt er im Sitzen den Oberkörper so weit nach vorne,
dass der Kopf ganz nach unten hängt. Durch dieses Vorbeugen wird offen¬
bar der starre Kehldeckel ganz nach hinten gedrückt, so dass die Glottis
verschlossen wird.
Wie ist er auf diese eigenartige Methode gekommen? Er erzählt, dass
ihm in einer seiner schlaflosen Nächte ein Akrobat eingefallen ist, den er
als Junge gesehen und bewundert hatte. Dieser trank auf dem Kopf stehend
ein Glas Wasser aus. Er versuchte es in ähnlicher Stellung — und es
gelang ihm sofort.!
Tagesordnung:
Herr M a u s s: Ueber die Spittheraple der Kriegsverletzungen peripherer
Nerven.
Die Indikation für einen Späteingriff am Nerven ist ohne
weiteres gegeben, wenn klinischer Befund und Verlauf des Falles für eine
schwere Nervenschädigung sprechen, die günstige Narbenverhältnisse bietet
und operativ noch nicht angegangen worden ist. Dabei ist es gleichgültig,
ob die Verletzung Monate oder JafiiW zurückliegt, da die Regenerationsmög¬
lichkeit jederzeit gegeben ist. Bei Fällen, die berefts operiert sind, ist
ein zweiter Eingriff nur dann bedingungslos gerechtfertigt, wenn er-
wiesenermassen bei der ersten Operation irgendwelche technische Unzuläng¬
lichkeiten unterlaufen sind; sonst ist Zurückhaltung am Platze, da die
Inkubationszeiten des Heilungsprozesses viel längere sind, als man ursprüng¬
lich angenommen hat. So kann beispielsweise das endgültige Heilergebnis
einer Nervennaht am Arm frühestens im dritten Jahre, am Bein erst im
vierten Jahre nach der Operation mit einiger Sicherheit beurteilt werden.
Orthopädische Operationen sind erst dann zulässig, wenn mit
einer Wiederherstellung der Nervenleitung nicht mehr gerechnet werden
kann. In Frage kommt hauptsächlich die Sehnentransplantation, ausnahms¬
weise auch die Sehnenverkürzung. Bei Verordnung orthopädischer
Apparate ist Vorsicht am Platze, Weil dieselben durch Fixierung der
Gelenke einerseits zu unliebsamen trophischen Störungen führen, anderer¬
seits die Ausbildung einer Gewohnheitslähmung begünstigen können. Sehr
wichtig für die rationelle Spätversorgung der Nervenverletzungen ist eine
-sachgemäss durchgeführte Massage- und Uebungsbehandlung,
besonders bei Plexusaffektioncn und Läsionen im Medianus- und Ulnaris-
bereich, die erfahrungsgemäss sehr zu Gelenkversteifungen und Muskel¬
kontrakturen neigen, wenn nicht rechtzeitig und gründlich durch physikalische
Massnahmen in obigem Sinne vorgebeugt wird.
Der Vortrag ist ausführlich in der Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych.
Bd. 65 erschienen.
Aussprache: Herr Hugo Krüger berichtet über günstige Erfolge
mit Einspritzungen physiologischer Kochsalzlösung um die Nervennaht nach
Bier. Er erläutert seinen Standpunkt zur Sehnentransplantation und Teiio-
dese. Bei Verletzten, die schwer arbeiten müssen, ist die Tenodese am
Platze.
Herr Paul Schmidt befürwortet auch ein längeres regelmässiges
Elektrisieren der operierten Fälle.
Herr G o e c k e spricht zur orthopädischen Versorgung der Kriegs¬
verletzungen der peripheren Nerven.
Herrn A. Schanz sind die ungleichen Erfolge der Nervennaht bei an¬
scheinend gleichartig gelagerten Fällen aufgefallen. Er erklärt sich diese Be¬
obachtung damit, dass bei den verschiedenen Operationen vielleicht das Ge-
fässsystem des Nerven verschieden getroffen wird. Die anatomische Litera¬
tur gibt wenig Aufschluss über die Gefässversorgung der Nerven.
Herr M a u s s: Schlusswort.
Sitzung vom 31. Januar 1921.
Herr J. H. Schultz: Psychotherapie und Konstitution.
Die moderne universelle Psychotherapie unterscheidet sich, wie Vortr.
in seinem Grundriss (Die seelische Krankenbehandlung, Jena, Fischer,
II. Auflage 1920) darzutun suchte, von der Mehrzahl früherer psychotherapeuti¬
scher Darstellungen dadurch, dass nicht eine Methode zum Nachteil der
anderen und oft der Kranken einseitig als „die“ Methode mit unkritisch weiter
Indikationsstellung empfohlen wird, sondern nach Möglichkeit Jede Methode
(Hypnose, Katharsis, Psychoanalyse, Wachpsychotherapie, Experimentalpsycho¬
therapie, Uebungsbehandlung, Heilpädagogik, Populärpsychotherapie u.s.w.)
ihre Sonderstellung im System der Gesamtheit mit klarer Indikation und
Kontraindikation erhält. Psychotherapie solcher Art ist nur lebensfähig in
engster Fühlung mit Stand und Ergebnissen der Psychopathologie und Psych¬
iatrie, sowie der wissenschaftlichen Psychologie. Die scharfe Umgrenzung
des Konstitutionsbegriffes, wie sie neuerdings von Kahn aus der Münchener
Forschungsanstalt im Anschlüsse an Gesichtspunkte Kraepelins und
R ü d i n s erfolgte, zeigt diese gegenseitigen Beziehungen besonders deutlich.
Nur was im strengsten Sinne „erblich“ wurzelt, ist hienach konstitutionell,
im Gegensätze zu Erscheinungen, die durch irgend eine Gesamtbeeinflussung
des Organismus „konditionell“ oder „konstellativ“ (Kahn) bedingt sind.
Aber nur das echte Konstitutionelle ist „somatisches Faktum“ des Indivi¬
duums, ähnlich gewissen letzten psychologischen Grundstrukturen, z. B. dem
„Charakter“ im engen psychologischen Sinne (Schultz, Kretschmer).
Prinzipiell sind daher auch nur diese letzten Konstanten unbeeinflussbar,
soweit nicht grobe Defekte interkurrieren. Die kritische Psychotherapie
wird darum vor vielen „degenerativen“ Erscheinungen nicht Halt machen,
sondern vielfach ihre mühevolle Individualarbeit einsetzen, wo die klinische
Anschauung oft noch einfach registriert. An einigen Beispielen wird zu de¬
monstrieren versucht, wie gegenüber dem erbbiologisch-statistischen Arbeiten
von innen heraus die Psychotherapie „von aussen“ Symptome und Syndrome
reduziert und den unbeeinflussbaren Kern herausstellt, der bei genügender
Häufung und Vertiefung einem Erbradikal entsprechen kann, wodurch eine
nahe Berührung des kritischen psychotherapeutischen Arbeitens mit den
schönen und befruchtenden Arbeiten der jüngsten verstehenden Psychiatrie
(Kretschmer. Schneider, Schilder Ur a.) gegeben ist. Deutlich
wird dies namentlich an Beispielen: der hypnotischen Behandlung der Enuresis,
der kardiovaskulären Neurosen, der rationellen Wachpsychotherapie psycho-
sexueller Anomalien (Beseitigung einer sadistisch-homosexuellen Einstellung
durch Wachpsychotherapie), Rückdämmung konditioneller Abartung durch
Uebung, und der oft weitgehenden Umstimmung durch psychogenetisclie Struk¬
turarbeit mit dem Kranken, Psychokatharsis und — kritische — Psycho¬
analyse.
Herr Paul Müller: Die Bedeutung der Albuminurie.
Die renale Albuminurie kann eine rein funktionelle Störung darstellen
oder sie ist die Folge von entzündlichen oder degenerativen Nierenverände¬
rungen. Die auf krankhaften Organveränderungen beruhenden Eiweissaus¬
scheidungen werden oft noch durch das Hinzutreten einer funktionellen Albu¬
minurie gesteigert. Zur richtigen Beurteilung der Albuminurie ist es nötig
festzustellen, ob und gegebenenfalls um wieviel die Eiweissmenge bei den
organischen Nierenerkrankungen noch funktionell besonders durch eine zirku-
latorische Albuminurie erhöht ist. Zu diesem Zwecke sind wiederholte Steh-
und Liegeversuche anzustellen, sobald es der Zustand des Kranken gestattet.
Dadurch konnte der Vortragende in dem ihm unterstellten Nierenlazarett fest¬
stellen, dass zur Zeit der Aufstehversuche noch über die Hälfte der Kriegs-
nephritiker orthostatisch reagierten. Wie bei der reinen ortliostatischen
Albuminurie ist auch bei der der Nephritiker körperliche Uebung und an¬
gemessene Arbeit (soweit es das organische Nierenleiden gestattet) das ge¬
eignetste Heilmittel.
Aerztlicher Verein in Frankfurt a. M.
(Offizielles Protokoll.)
1813. Orden tl. Sitzung vom Montag, den 6. Diezember 1920.
Vorsitzender: Herr E m b d e n. Schriftführer: Herr M e h 1 e r.
Herr A. W. Fischer: Ein Fall von Entrindung bei chronischem Pleura¬
empyem (nach Kümmel).
Herr Riese: Pubertas praecox bei einem 9 lähr. Epileptiker.
Herr N e u m a y e r - Pest: Konkavität der Aryknorpel beim Menschen.
Herr B. Fischer: Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate.
Herr Stephan: Ueber den Wirkungsmechanismus des Trypaflavins.
Aussprache: Herren Braun, Flesch-Thebesius, R. Op¬
penheimer. Stephan.
1814. ordentl. Sitzung vom Montag, den 20. Dezember 1920.
Vorsitzender: Herr E m b d e n. Schriftführer: Herr M e h l e r.
Herr Lilienfeld: Ein durch Operation gewonnener, abnorm grosser,
zystisch erweiterter Wurmfortsatz.
Aussprache: Herr Fischer.
Herr Fischer: Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate.
Herr Valentin: Zur Kenntnis der Geburtslähmung und der dabei be¬
obachteten Knochenaffektionen.
Das klinische Bild der Plexuslähmung der oberen Extremität ist seit
Erb ein nach der neurologischen Seite hin fertiges, dagegen ist die Aetio-
logie noch keinespegs genügend erforscht. Die bei der Geburtslähmung be¬
obachteten Knochenaffektionen wurden bisher meist als traumatische Epi-
physentrennungen des oberen Humerusendes gedeutet, vereinzelt auch als
Luxationen. Die letztere Annahme ist sicher nicht richtig. Unter Demon¬
stration einer Reihe von Photographien und Röntgenbildcrn weist V. nach,
dass es nicht angängig ist, die im Röntgenbild sichtbare, merkwürdige Ver¬
kleinerung der oberen Humerusepiphysc als Epiphysentrennung zu deuten,
sondern als eine Schädigung der Epiphyse infolge der Nervenverletzung. Für
diese Annahme spricht auch, dass gerade die die Epiphyse versorgenden
Nerven konstant geschädigt sind und dass man bei dieser Deutung nicht
zwei getrennt voneinander einwirkende Gewalten anzunehmen genötigt ist.
Schliesslich lassen sich bei dieser Annahme auch noch andere Symptome,
wie z. B. die Innenrotation, die zum typischen Bild der Geburtslähmung
gehört, zwanglos erklären.
Aussprache: Herr S. Auerbach: Eine Poliomyelitis foetalis als
Ursache der Entbindungslähmung anzunehmen, geht wohl nicht an, da meines
Wissens über eine zirkumskripte Form dieser Affektion nichts be¬
kannt ist. Das Wenige, das in der Literatur enthalten ist, betrifft nur diffuse
Formen, Der Hochstand der Schulter ist wohl auf die kompensatorische
Funktion des Trapezius zurückzuführen, dessen Nerven (N. accessorius und
oberste Zervikalwurzeln) ja bei dieser Lähmung nie verletzt sind, vielleicht
auch des Levator anguli scapulae und der Rhomboidei. Die Knocheiiatrophie,
die auf den Röntgenbildern so deutlich hervorgetreten ist, kann sehr wohl
durch die Läsion der Nn. axillaris und suprascapularis erklärt werden, wie
Herr V. meint. Man muss aber auch an die Möglichkeit der Verletzung der
entsprechenden Wurzeln und Ganglienzellen denken. Eine Schädigung der
letzteren dürfte überhaupt bei der Qeburtslähmung häufiger vorliegen, nament¬
lich in den Fällen, die sich trotz genügender Behandlung nicht bessern. Es
ist von grossem Interesse, dass Herr V. eine Epiphysenlösung in seinen Fällen
niemals nachweisen konnte, die von manchen Autoren in erster Linie für diese
Lähmungsform verantwortlich gemacht worden ist. Der Aufforderung an die
Geburtshelfer, die Genese der Lähmung, die trotz des charakteristischen Bildes
noch ziemlich unklar ist, weiter zu erforschen, kann ich mich vom neurologi¬
schen Standpunkte aus nur anschliessen.
Herren Strasburger und Valentin.
Herr G. L. Dreylus: Prognostlscb-therapeatische Richtlinien bei
syphiiigenen Erkrankungen des Nervensystems,
Vortr. weist vor allem auf die Unsicherheit hin, die wir bisher bei
syphiiigenen Nervenerkrankungen sowohl was das fernere Schicksal als
auch was die Behandlung der Kranken anbetrifft, hatten, wenn wir uns allein
auf die traditionelle Empirie und auf das klinische Bild verliessen. Beide
geben uns im Grunde so wenig zuverlässige Anhaltspunkte, dass wir nach
neuen Richtlinien Umschau halten mussten. Wesentlich zuverlässiger leitet
uns in den einzelnen Stadien der Lues des Nervensystems die Beschaffenheit
des Liquors vor, während und nach der Behandlung, dessen vieljährigcs
Studium im Verein mit katamnestischen Forschungen D r e y f u s zu be¬
stimmten Ergebnissen geführt hat. Für die Praxis sind selbstverständlich ge¬
häufte Lumbalpunktionen unausführbar und unnötig. Es handelt sich nur
darum, dem Praktiker zu sagen, ob überhaupt und zu welchem Zeitpunkt der
Lues resp. der Behandlung eine Liquoruntersuchung unumgänglich not¬
wendig ist.
Dies wird im Einzelnen ausgeführt, eben.so wie die Art der chronisch
intermittierenden Behandlung, ein Begriff, den die Neurologen
als Schlagwort von den Dermatologen übernehmen müssen.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
826
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
Jede Phase der Lues des Nervensystems hat bezüRlich Zeitpunkt der
LiquoruntersuchunK sowie Art und Tempo der Behandlung durchaus ihre
eigenen Gesetze.
Der Vortrag wird ausführlich im Maiheft 1921 der Jahreskursc für ärzt¬
liche Fortbildung erscheinen.
Aussprache: Herren R a e c k e. Th. Baer, Michael, Lilien¬
stein und D r e y f u s.
1818. ordentl. Sitzung vom Montag, den 21. Februar 1921.
Vorsitzender: Herr v, Wild. Schriftführer: Herr Grosser.
Herr Fischer: Demonstration pathologisch-anatomischer Präparate.
Herr R. Koch: Aus der Geschichte des GlUheisens.
Es ist heute nicht ganz ohne Aktualität, sich mit der Geschichte des
Glüheisens zu beschäftigen, soweit es zur Behandlung innerer Krankheiten
verwendet worden ist. Brandnarben an Gefangenen, die aus französischer
Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, haben den deutschen Aerzten gezeigt,
dass seine Anwendung in der französi.schen Medizin noch nicht ganz erloschen
ist. Ausserdem haben manche ganz moderne Heilverfahren, wie die un¬
spezifische Protoplasmaaktivierung. das Heilfieber und die Hcilentzündiing eine
recht enge Verwandtschaft zur alten Brennmethode, worauf gerade eben
August Bier hingewiesen hat. Das therapeutische Anlegen künstlicher Brand¬
wunden gehört zu den ableitenden Heilverfahren. Es findet sich in der
Praxis alter Kulturvölker und nicht weniger Naturvölker. Die Anschauung,
aus der heraus es bis in die Neuzeit angewendet wurde, gehört der griechi¬
schen Medizin an. Das Gehirn zieht die schlechten Säfte, die vom Magen
aufsteigen, an. und die Natur versucht den sclilechtcn Saft dann irgendwie
nach aussen zu befördern. Gelingt ihr das nicht, so besteht die (iefahr,
dass der schlechte Saft ein edles Organ befällt. Um dieser Gefahr vorzu¬
beugen, wird die Brandwunde angelegt und ihre Eiterung künstlich unter¬
halten. Der schlechte Saft eitert dann heraus, ln den nach unserer Anschau¬
ung besten und echten (koischen) hippokratischen Schriften tritt das Glüh¬
eisen bei inneren Erkrankungen sehr zurück und wird fast ausschliesslich
chirurgisch verwendet. Hingegen wird es in den knidischen hippokratischen
Schriften auch bei der Behandlung innerer Erkrankungen reichlich verwendet.
Seine Blütezeit gehört der byzantinischen und arabischen Medizin an. ln
höchster Verfeinerung wird die Methode von dem Araber Albuhasem
um das Jahr 1000 beschrieben. Unter dem Einfluss dieser Methoden benutzen
es die Aerzte des europäischen Mittelalters mit gewiss stark übertriebener
Indikationsstellung. Gegen diesen Missbrauch, man nannte die künstlichen
Brandwunden ebenso wie Aetz- und Messerw'unden nun Fontanellen, setzte
in der Renaissance eine starke Reaktion ein. Besonders untet dem Einflüsse
von Paracelsus wurde die alte griechische Säftetherapie als Fiktion
erkannt und damit die theoretische Grundlage des Verfahrens hinfällig. Be¬
sonders deutlich geht dieser revolutionäre Geist aus einer Abhandlung von
van Helmont (1578—1644) hervor, ln ihr wird mit dialektischem Ge¬
schick Theorie und Praxis des Fontanellenverfahrens vollständig zerpflückt.
Es wird ausgesprochen, dass eine Fontanelle eine eiternde Wunde sei. wie
jede andere auch, und dass es dabei zu keinen anderen Vorgängen im Körper
komme, als zu solclKjn, die auf den Ort der Brandwunde beschränkt seien.
Von einer Ableitung schlechter Säfte, die es in Wirklichkeit gar nicht gäbe,
könne nicht die Rede sein. Da allerdings der Eiter sich aus dem Blute
bilde, könne man die Fontanellen bei Plethora zur künstlichen Verminderung
der Blutüberfülle verwenden. Van Helmont meint aber, Jiierzu ständen
weniger unangenehme Verfahren zur Verfügung. Er schliesst mit dem Satze:
„Vernünftigerweise sollte man Schluss machen mit den Fontanellen“. Trotz¬
dem verschwanden weder die Kauterien noch die auf andere Art angelegten
Fontanellen aus der praktischen Medizin und werden immer wieder bis
tief ins 19. Jahrhundert hinein warm empfohlen. Ueberblickt man die alten
Berichte, dann kann man sich dem Eindrücke kaum entziehen, dass die
Methode bei einer Reihe von Erkrankungen auffällig günstig gewirkt zu
haben .scheint. Diese Erkrankungen sind: Koxitis und Spondylitis tuberculosa,
habituelle Schultergelenksluxation. Peritonitis tuberculosa, manche Formen
von Lungentuberkulose und vielleicht auch manche Augenkrankheiten, manche
Neuralgien, Rheumatismen und manche Formen des Kopfschmerzes. Es fällt
uns heute mit all unseren Kenntnissen über die nervöse und hormonale
Verknüpfung der Organe, über die nervöse Verknüpfung der Körperwan¬
dungen mit den inneren Organen (H e a d sehe Zonen), über die Reizwirkung
arteigener, abgebauter Stoffe ni<'ht mehr schwer, eine neue Theorie der
Kauterienwirkung zu machen. Mit dem Terpentinabszess ist ja die künstliche
Eiterung w'ieder in die praktische Medizin eingerückt. Es ist möglich, dass
wir heute Heileiterungen auch auf der Haut erzeugen können, die weniger
brutal sind als die mit dem Brenneisen ge.sctzten. Aber auch sonst liessc
sich durch Narkose und Anästhesie die Brutalität des Verfahrens wohl
mindern.
Aussprache: Herr Quincke.
Herr Stadelmaan: Zur Klinik der Enzephalitis im Kindesalter.
An Hand von 27 in der Universitäts-Kinderklinik Frankfurt a. M. klinisch
beobachteten Fällen gibt Verf. eine Beschreibung des pleomorphen Krankheits¬
bildes der Enzephalitis im Kindes- und Säuglingsalter. Die von E c o n o m o
geprägte Krankheitsbezeichnung „Encephalitis lethargica“ hält er nicht für
zweckmässig, da die Schlafsucht nicht das Wesentliche, sondern nur ein
Symptom der Erkrankung darstellt. Solange eine Benennung nach ätiolo --
sehen Gesichtspunkten noch nicht möglich ist. spricht sich Verf. in Anbetracht
des epidemischen Auftretens der Erkrankung und des vorzugsweise Be¬
fallenseins der grauen Substanz der C.N.S. für die Bezeichnung „Pol o-
encephalitis epid.“ aus. Bei älteren Kindern zeigt das Krankheitsbild irn
allgemeinen keine Abweichung von dem bei Erwachsenen; hier stehen die
Schlafsucht, die choreiformen Bewegungen und die motorische Unruhe im
Vordergrund, im Säuglingsalter dagegen die Trübung des Sensoriums, die
bis zu vollkommener Bewusstlosigkeit gesteigert sein kann, und vor allem
die Krämpfe teils in Form allgemeiner Konvulsionen oder tetanusartiger, mit¬
unter reflektorisch auszulösender allgemeiner Starre, teils in Form rtiyo-
klonischer Zuckungen im Gesicht, einzelnen oder allen Extremitäten. In
'Ä der Fälle Zellvcrmehrurig im Lumbalpunktat zwischen 11 und 40 Zellen;
Lumbalflüssigkeit sonst meist o. B. Störungen im Verlauf der Py.-Bahnen
z. T. verbunden mit spastischen Extremitätenlähmungen waren 5 mal nach¬
weisbar. Einmal bestand eine Hemiplcgia alternans inf., in 25 Proz. der
Fälle mehr oder weniger ausgesprochene, teils ein- teils doppelseitige Stö¬
rungen im Gebiet des Fazialis, fast ebenso häufig des Okulomotorius, 5 mal
Digitized by Goiigle
auffallende, meist zum Tode führende Steigerung der Atemfrequenz ohne
nachweisbare Erkrankung der Lunge und der oberen Luftwege. Es wird die
Vermutung ausgesprochen, dass es sich in diesem Falle um eine Äffektiori
des Atemzentrums handelt, wie bei der La n d r y sehen Paralyse. Verf.
gibt seiner Ueberzeugung Au.sdruck von der nahen Verwandtschaft und
möglichen Identität von Polioencephalitis epid. und Poliomyelitis ac. (Heine-
M e d i n) und weist dabei neben der Gleichartigkeit der mikropathologischcn
Veränderungen auf die Befunde von Strauss, Hirse hfeld und Löwe
hin. die im Gegensatz zu E c o n o m o als Erreger der Polioencephalitis epid.
ein filtrierbares Virus feststellen konnten, das morphologisch und kulturell
grosse Aehnlichkeit mit dem der Poliomyelitis ac. zeigt.
Herr Strasburper macht darauf aufmerksam, dass der Rigor bei
Encephalitis lethargica dazu verführen kann, das Bestehen von Nackenstarre
und Kernig schein Phänomen, also Zeichen einer Meningitis, anzunehmen.
Der Widerstand macht sich aber bei allen Bewegungen des Kopfes gleich-
mässig bemerkbar, während bei rncningitischer Nackenstarre die seitlichen Be-
w'egungen des Kopfes meist viel weniger behindert sind als die Bewegungen
nach vorn, die Nackenstarrc ausserdem sich beim Anheben des Kopfes ver¬
stärkt. Der Rigor der Beine ist im Liegen ebenso vorhanden wie nach dem
Aufsitzen im Bett. Str. projiziert dann eine Reihe von Lichtbildern, die be¬
sonders die Ptosis, den müden oder den maskenartigen Gesichtsausdruck
zeigen. Zwei jugendliche Patienten, etwa 1 Jahr nach Beginn der Erkrankung,
zeigen die Körperhaltung wie bei Paralysis agitans, Steifigkeit, auffallende
Bewegungsarmut und das Stehenbleibeir in angefangenen Bewegungen, z. B.
beim Essen, ferner einen Tremor bei stärkeren Muskclanstrengungen, z. B.
Händedruck. Man bezieht die genannten Störungen jetzt bekanntlich auf Er¬
krankungen des Linsenkerns. Psychisch sind die beiden Patienten intakt, ln
dem einen Fall schreitet das Leiden jetzt nach einem Jahr zweifellos weiter,
oder wieder weiter; insbesondere die Steifigkeit hat so zugenommen, dass
der Mund nur mühsam geöffnet werden kann und die Nahrungsaufnahme
erschwert ist. E c o n o rn o hat bereits (M.m.W. 1919 Nr. 46) auf chronische
Fälle von Encephalitis lethargica aufmerksam gemacht und bei der Obduktion
neben alten frische Entzündungsherde gefunden.
Aussprache: Herren Fischer, Auerbach, Strasburger.
Kleist, V. Mettenheim, L. Auerbach und Stadelmann.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 16. Februar 1921.
Herr Grote: Demonstration eines Falles chronischer Pankreatitis.
51 jährige Frau. Sonst immer gesund. WaR. negativ. Heterochylie des
Magens. Vor 6 Jahren anscheinend Beginn des jetzigen Leidens mit gastro-
genen Durchfüllen. Seit einem Jahr beobachtet die Frav, dass beim Stuhl¬
gang und auch ohne eigentliche fäkulente Beimengung eine Ölartige Flüssigkeit,
die beim Stehen gerinnt, entleert wird. Gelegentlich, besonders bei An¬
strengungen, entleert sie sich, ohne dass sie es merkt. Nie nachts. Nie
Schmerz. Der Stuhl ist nie wässerig^ dünn, aber sehr kopiös. Probe-
diät Stuhl: Der weichbreiige Stuhl'ist mit einer zunächst flüssigen, nach
der Gerinnung buttergelben Fettschicht vollkommen übergossen. Das Fett
gibt mit Nilblau starke Rosafärbung. Verrieben ist massenhaft Fleisch in
Holzsplitterform zu sehen. Mikroskopisch: massenhaft scholliges Fett (meist
Säuren) und Fleisch mit Querstreifung und scharfen Ecken. Keine jod¬
färbbare Stärke.
Die Frau, die trotz gemischter Kost seit langer Zeit also nur von der
Ausnutzung des Stärkebestandteiles der Nahrung lebt, zeigt gutes Fettpolster,
keine Gewichtsabnahme und ist völlig leistungsfähig. Gegen obstruierenden
Verschluss des W i r s u n g sehen Clanges spricht die elektive Schädigung der
Fermentierum’- und der normale Diastasewert im Harn (40 Einheiten). Die
Regel Ad. Schmidts, nach der eine gastrogene Pankreaserkrankung mit
Trypsinausfall einhergeht und eine vom Gallensystem ausgehende mit Fett¬
verdauungsstörung. lässt sich in diesem Fall nicht bestätigen. Das Gallen¬
system ist intakt. Nach Phlorhidzin (0.01) erschienen fast 19,0 g Zucker
im Harn. Mehr als das Dreifache der Norm. Nach 100 g Dextrose keine
Glukosurie. Blutzucker 0,086 Proz. Bei der Prüfung mit dem Winter-
n i t z sehen Pankreasdiagnostikum (Monojodbehensäureäthylester) ergab sich
negative Jodreaktion im Harn.
Herr Strauss: Nach Einnahme eines Schlafmittels bewusstlose Frau.
Mit Katheter entnommene 300 ccm Urin sind frei von Eiweiss. Bei saurer
Reaktion 3 mal mit Aether ausschütteln. Färben des Aetherrückstandes mit
Tierkohle und Umkristallisieren aus heissem Wasser. Die Kristalle zeigen
alle Eigenschaften des Veronals: Schmelzpunkt 188. in Wasser schwer, ln
Alkali leicht löslich, schwachsaure Reaktion der w’ässerigen Lösung. Subli¬
mation beim Erhitzen, Färbung mit Hg-Salzen, gallertiger, im Ueberschuss
des Fällungsmittels löslicher Niederschlag mit Milions Reagens. Die Aus¬
beute an Rohprodukt nahezu 0.1 g. Da die Ausätherung nicht quantitativ
war und nach E. Fischer und v. M e r i n.g die Ausscheidung in einem
Falle erst nach 5 Tagen 62 Proz. betrug und auch dann noch nicht beendet
war. so kann man schliessen, dass hier sehr grosse Mengen Veronal ge¬
nommen worden sind. Bei Verdacht auf Veronalvergiftung Harn unter¬
suchen!
Herr David: Demohstrationen.
1. Pali von Sklerodermie mit schweren Veränderungen an den Fincern.
die durch Behandlung mit Thorium wesentlich gebessert wurden. Während
früher die Finger ganz versteift waren, kann die Kranke jetzt wieder ihre
Hausarbeit verrichten. Durch Kapillarmikroskopie liess sich feststellen. dass
die anfangs engen Kapillarschlingen sich während der Behandlung erweiterten
und jetzt dick und prall sind.
2. B a n t i sehe Krankheit: 21 jähriges Mädchen, das vor etwa 3 Jahren
mit Milztumor und Anämie erkrankte. Bei der vor einigen Monaten erfolgten
Aufnahme in die Klinik bestand: Milztumor. Aszites, Anämie (3 Mill. rote
Blutk., Sahli 50 Proz.), Leukopenie (13—16 0(10). Nach operativer Entfernung
der Milz besserte sich der Blutbefund schnell (4.2 Mill. rote Blutk.. Sahli
70 Proz.; anfangs Leukozytose von 12.500. die dann auf 8000 zurückging)
Während der Operation aus der Milzvenc entnomitienes Blut hatte den
gleichen Bilirubingehalt wie das periphere Blut, ein Beweis für die Funk-
tlbnsuntüchtigkeit der Milz.
3. Ein 18 jähr. Mädchen mit grossem Mediastinaltumor und Lebermeta¬
stasen. Nach Röntgenbestrahlungen Tumor geschwunden, vollkommen bc-
Original frDrri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
827
schwerdefrei. rezidivfrei seit iK Jahren. Während der Bestrahlung traten
an den verschiedensten Stellen des Körpers stecknadelkopfgrosse, braune Pig¬
mentierungen auf. Die gleichen Erscheinungen konnten auch bei einem
anderen Mediastinaltumor beobachtet werden, der sich bei der Sektion als
Lymphosarkom erwies. Diese Röntgenreaktion scheint geradezu charakte¬
ristisch für Lymphosarkom zu sein. Es handelt sich um Pigmente, die nach
den Untersuchungen von B o r b e aus Melanin und Hämosiderin bestehen
und offenbar vom Zerfall des Tumors stammen,
4. 57 jährige Frau mit schwerster Kachexie und greisenhaftem Aussehen.
Die Achselhaare fehlen vollständig. Da keine anderen Ursachen für den
schweren Verfall festzustellen sind, ist mit grösster Wahrscheinlichkeit eine
hypophysäre Atrophie anzunehmen, wie sie S i m m o n d s zuerst beschrieben
hat.
Herr Hülse beweist mit mikroskopischen Präparaten das Auftreten des
Gefässspasmus bei Glomerulonephritis.
Herr Hassencamp: Ueber das Friedmann sehe Tuberkulose¬
mittel.
Nach kurzer geschichtlicher Einleitung werden nähere Angaben über das
Mittel und die Art seiner Anwendung gemacht, wie sie von Friedmann
gefordert wird. Neben der Heilimpfung kommt noch die Schutzimpfung in
Betracht. Die Bakteriologen haben mit ziemlicher Einmütigkeit (abgesehen
von Kruse- Leipzig) die Friedmann sehen experimentellen Arbeiten ab-
gelehnt. Bereits vor Fr. wurden Immunisierungsversuche mit tuberkel¬
bazillenähnlichen Stäbchen gemacht, die aber negativ verliefen. Gegen die
Fr.schen Versuche wenden sich Orth, Rabinowitsch. Ehrlich, ln
neuerer Zeit Moeller, Selter, Uhlenhut h. Lange u. a. Eine
antigene Wirkung der Fr.schen Bazillen konnte von diesen Autoren nicht
festgestellt werden; die Bazillen sind vielmehr als harmlose Saprophyten
anzusehen, die mit den echten Tuberkelbazillen nur morphologische und
tinktorielle Eigenschaften gemein haben. Das Urteil der Kliniker lautet vor¬
wiegend ablehnend, nur von Einzelnen, speziell Chirurgen, werden günstige
Erfahrungen berichtet. Diese können sich durch die Auswahl der Fälle er¬
klären; die Tuberkulose heilt eben in einer nicht geringen Prozentzahl über¬
haupt spontan aus. Eigene Versuche ergaben keine positiven Ergebnisse:
gelegentlicher Stillstand wurde beobachtet; deutliche Besserung im objektiven
Befund war in keinem Falle festzustellen; andererseits war Fortschreiten
der Erkrankung häufig. Gesamturteil: Die theoretischen Voraussetzungen
des Mittels haben sich als falsch erwiesen; eine antigene Wirkung kommt
den Fr.schen Bazillen nicht zu. Die klinischen Erfahrungen haben einen
Beweis für die Heilkraft des Mittels nicht erbracht.
In der Besprechung berichtet Herr V o I h a r d über eine grosse Zahl
bereits in Mannheim ohne überzeugenden Erfolg behandelte Fällle.
Herr Loewenhardt empfiehlt die intraperitoneale Kochsalzinfusion.
Herr K n e i s e kann sich den Ausführungen des Vorredners nicht an-
schliessen, da er die Bauchpunktion mit anschliessender Kochsalzinfusion in
die Bauchhöhle für zweifellos viel gefährlicher hält als die intravenöse Koch¬
salzinfusion. Wenn der Vortragende glaubt, die Gefahrlosigkeit dadurch be¬
weisen zu können, dass er sich auf die Erfolge und die völlige Gefahr¬
losigkeit der Lufteinblasung in die Bauchhöhle zwecks Röntgenuntersuchung
beruft, so weist K. dem entgegen darauf hin, dass die chirurgische Klinik
gleich zu Beginn dieser Methode einen Todesfall zu verzeichnen gehabt hat,
der nach seiner Meinung gerade beweist, dass die Methode sehr wohl ihre
Gefahren hat. Er warnt deshalb vor der Methode, die Vortragender empfiehlt.
Herr Stoeltzner: Für die Kinderpraxis treffen die von Herrn
K n e i s e erhobenen Einwände nicht zu. Wir haben schon eine ganze Reihe
von Kindern behandelt, die zweifellos nur durch die intraperitonealen In¬
fusionen am Leben erhalten worden sind.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. Juni 1921.
Herr W o h I w i 11 demonstriert einen Fall von periodischer Okulomo-
torluslähniunK oder „Migräne ophthalmopldglque**, der ausgezeichnet war
dadurch, dass die inneren Aeste fast völlig verschont waren, dass
weder bei der Patientin noch in ihrer Familie echte Migräneanfälle vor¬
gekommen sind und dass die Anfälle — bis jetzt 14 — stets leichter
geworden sind.
Herr Sauer demonstriert a) 3 Fälle von essentieller Nlerenblutung.
Die Nephrektomie wird hier nicht immer zu umgehen sein, da Tumor
auch bei ausgiebiger Spaltung nicht stets auszuschliessen sein wird und über¬
dies den ausgebluteten Patienten oft die damit verbundene lange Nach¬
behandlung nicht zugemutet werden darf, b) Fall von Hypernephrom, das
sogut wie keine Hämaturie bedingt hatte, dagegen durch Arosion einer
Arterie zur Bildung eines grossen B 1 u t s a c k s geführt hatte, der sich in
die Leber durchgewühlt hatte.
Herr T r ö m n e r demonstriert a) ein 16 jähr. Mädchen mit Infantilismus,
bedingt durch pluriglanduläre Störung, Enuresis und Spina bifida.
Vortr. weist darauf hin, dass er seinerzeit die Enuresis als „Reflex-
i n f a n t i I i s m u s‘* bezeichnet hat. b) Fall von angeborenem Klumpfuss,
leichter Muskelatrophie am Fuss und Impotenz, die er sämtlich
auf eine spinale Entwicklungsstörung zurückführt. Aehnlich ist die Kombi¬
nation von Impotenz mit Achillesareflexie in einem anderen
Fall aufzufassen. Die Impotenz in diesen Fällen ist therapeutisch ganz unbe-
cinflussbar.
Herr Vogt weist auf die Folgen des mangelnden Impfschutzes In
England hin, wo 1. das Gesetz nie ganz streng durchgeführt wurde und
2. seit 1900 die sog. „G e w i s s e n s k 1 a u s e 1" eingeführt wurde. Die
Folge ist 1. eine hohe Erkrankungsziffer bei einer Pockenepidemie in Glas¬
gow 1920 und 2. dass wieder wie vor der Impfung — und im Gegensatz
zu der kleinen Epidemie in Hamburg vor 4 Jahren — die Kinder einen
grossen Prozentsatz der Todesfälle ausmachen.
Herr Schmilinskv berichtet a) über einen Fall von Pylorusstenose,
bei dem der vorbehandelnde Arzt wegen zu starker Verwachsungen eine
Gastrojejunostomie nicht ausführen konnte und Vortr. dann eine Gastro-
duodenostomie gemacht hat. b) Ueber einen Fall, bei dem der aus¬
geheberte Mageninhalt den charakteristischen Gerqch faulender Galle
bot. Es bestand eine Galieablasen-MagenHstel, und Pat. entleerte in der
Folgezeit fast 1000 Steine durch die Magensonde.
Herr Rabe berichtet eingehend über Stoffwechselversuche bei einem
„Roh-Vegetarianer“. der für gewöhnlich ca. 1100 Kalorien zu sich nahm und
dann 20 Tage hungerte. Dabei ging seine N-Ausfuhr auf 1—2 g täglich
herunter. Gelegentliche Zugaben von 9 g N (200 g Beefsteak) wurden restlos
r e t i n i e r t. Das Gewicht ging von 68 auf 60 kg herunter, die körperliche
Leistungsfähigkeit war auch zum Schluss nicht beeinträchtigt. Die Gas-
w«ch sei versuche ergaben, dass er schon in der Vorperiode ein Defizit
von 350 Kalorien hatte. Wenn er trotzdem nicht abnahm, so zeigt das, dass
es durch Uebung gelingt, den Stoffwechsel so einzustellen, dass er den
ernährungsphysiologischen Regeln nicht mehr folgt.
Besprechung des Vortrages des Herrn B r ü 11 über fndikationsstellunK
und Dauerresultate bei der chlrurKlschen Behandlung des Magengeschwürs.
Herr H e g 1 e r betont, dass die Resultate der internen Behandlung zu¬
nächst nicht so schlecht seien (von 268 Fällen 200 geheilt oder gebessert,
60 zur Operation gebracht). Die Disposition zum Ulcus werde durch die
Operation nicht beseitigt.
Herr Ringet bevorzugt die Pylorusausschaltung nach Eiseisberg,
bei der er keineswegs öfter Ulcus pepticum jejuni gesehen hat, als bei
gewöhnlicher Gastroenterostomie.
Herr Schottmüller betont, dass die interne Behandlung mindestens
3 Monate streng durchgeführt werden müsse. Bei einer Patientin, die sich
nur 6 Wochen behandeln liess und -einige Zeit darauf an anderer Krankheit
starb, fand er das Ulcus partiell vernarbt; im Zentrum bestand noch ein
kleiner Defekt.
Herr SchmJlinsky weist darauf hin, dass die Rezidivgefahr bei
Jugendlichen bedeutend grösser sei als bei Aelteren.
Herr K ü m m e 11 (verlesen durch Herrn B r ü 11) sah unter 300 nach¬
untersuchten Fällen 10 mal Ulc. pepticum jejuni.
Herr Brütt: Schlusswort. F. W o h 1 w i 11 - Hamburg.
Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg.
(Medizinische Sektion.)
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 3. Mai 1921.
Vorsitzender: Herr Grafe. Schriftführer: Herr Freudenberg.
Herr Edlbacher: Ueber das Vorkommen von Methyl am Stickstoff
im Organismus. (Nach Versuchen von A. K o s s e 1 und S. Edlbacher.)
Normalerweise enthalten eine Reihe von Zellbestandteilen Methyl an
Stickstoff gebunden. Z. B. Sarkosin, Adre;;alin, Kreatin. Cholin. Es wurde
mittels der Pregl - — Edlbacher sehen — Mikrobestimmungsmethode eine
Reihe von normalen und pathologischen Blutarten sowie eine Reihe von
Organen von verschiedenen Tierklassen auf ihren Gehalt an Methylgruppen,
die an Stickstoff gebunden sind, untersucht. Im Blut und Plasma sind bei den
verschiedenartigsten Erkrankungen die „N-Methylzahlen“ fast konstant. Ver¬
schiedene Gewebe zeigen grosse Schwankungen. Es lassen sich daraus viel¬
leicht Schlüsse über das Vorkommen der Phosphatide ziehen.
Aussprache: Herren Grafe, Edlbacher.
Herr Gans: Ueber regelmässige Reaktionsverschiedenheiten der ge¬
sunden Haut bei Männern und Frauen.
Wässerige Organextrakte, die aus Drüsen mit innerer Sekretion ge¬
wonnen, die während 4 Wochen bei Zimmertemperatur extrahiert wurden,
rufen nach intrakutaner Impfung bei hautgesunden Männern eine meistens zu¬
nächst schwächere, dafür aber länger andauernde Impfreaktion hervor, als bei
hautgesunden Frauen. Die ReakMon ist hinsichtlich der Organextrakte durch¬
aus unspezifisch. Bei einiee- der untersuchten Frauen trat — wenn die
Impfung vor der Mense . I"' — ein Wiederaufflackern der abklingenden
Reaktion 1—2 ' ,*nn der Mopses auf. Setzt man einem solchen
Organextrakt Plasml' .. '. Sc'rüm zu, so zeigt sich, dass ganz allgemein bei
Männern und nicht graviden Frauen Plasmazusatz sowohl wie Serumzusatz
eine Abschwächung der entzündlichen Infiltratbildimg ergibt und zwar ist diese
Abschwächung bei Serumzusatz stärker wie bei Zusatz von Blutplasma. Im
Gegensatz hierzu bewirkt bei Gravidae Zusatz von Gravidenserum bzw.
Gravidenplasma keine Abschwächung, sondern eine erhebliche Verstärkung
der Reaktion. Ganz allgemein sei betont, dass es sich bei diesen Dingen nicht
um Hautreaktionen im engeren Sinne handelt, als vielmehr um humorale
Reaktionen, bei denen die Haut als Testobjekt dient. Es ergibt sich aus den
Untersuchungen, dass die Haut in ihrer Reaktionsfähigkeit auf bestimmte
Reize hin eine gewisse Regelmässigkeit im Verhalten der verschiedenen
Geschlechter ja sogar des verschiedenen physiologischen Zustandes zeigt, in
welchem sich gravide und nicht gravide Frauen voneinander unterscheiden.
Diese zwar vielfach angenommene, aber bisher meines Erachtens noch nie
mit einer gewissen Sicherheit festgestellte Tatsache erscheint geeignet, die
Schwangerschaftsdermatosen sowohl als auch die Beziehung zwischen Haut¬
organ und Menstruation in einem besonderen Lichte zu zeigen.
Aussprache: Herren Sachs, Freund. Gans.
Sitzung vom 24, Mai 1921.
Herr M o roi Ueber Turmschädel (Krankendemonstration).
Herr György: Ueber die Senkung der Blutkörperchen.
Aussprache: Herren Krall. Sachs, György.
Herr E. Grafe: Ueber die Ernährung der Diabetiker mit gerösteten
Kohlehydraten.
G. hat versucht, die günstigen Erfahrungen mit karamelisiertem Zucker
auch für andere Kohlenhydrate (Mehlfrüchte etc.) nutzbar zu machen. Hier
sind allerdings grössere technische Schwierigkeiten zu überwinden, da einer¬
seits zur Umwandlung in Stärke in nicht mehr diastatisch aufspaltbare Pro¬
dukte die Röstung möglichst ausgiebig durchgeführt werden muss, anderer¬
seits der Wohlgeschmack nicht erheblich beeinträchtigt werden darf. Durch
Röstung mit grossen Mengen Fett Hessen sich schmackhafte Speisen bzw.
Suppen von karamelisiertem Reis, Kartoffel. Griess, Hafer. Brot (Toast) her-
• stellen. Versuche an diabetischen Menschen und Phloridzin-Tieren ergaben,
dass bei Darreichung dieser Speisen die Zuckerausscheidung 4—10 mal ge¬
ringer war wie vor der Röstung. Auch die günstige Einwirkung auf die
Azidose war sehr ausgesprochen. Die Blutzuckerwerte lagen nach der
Röstung erheblich niedriger wie nach Darreichung der unveränderten Kohle¬
hydrate. Einzelne Kurven sprachen für deutlich verlangsamte Resorption.
Die Ausnutzung war stets sehr gut, besser wie beim karamelisierten Zucker.
Digitized by Goiisle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
S2S
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr.
Weitere Versuche sollen zeigen, ob es Kclingt, die Stärke in noch
Krössercni Umfange auf einfache chemische oder physikalische Weise zu ver¬
ändern. ohne dass der ücschmack leidet.
Aussprache: Herren F r e u n d. F r e u d e n b e r g, M o r o, (j r a f e.
Medizinische Geseiischaft zu Kiel.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 12. Mai 1921.
K 11 n X Dl U i 1 e r demonstriert 3 Falle von Kinderekzem im ersten
Lebensjahr. Er bespricht die Ursachen, die Behandlung und den Verlauf.
Besonderer Wert ist auf die diätetische Behandlung zu legen, welche ganz
individuell von Fall zu Fall entschieden werden muss.
Kllnffmüller demonstriert einen Fall von Lupus vulgaris postexanthe-
maticus. Nach seinen Erfahrungen sind fast regelmässig Masern oder Keuch¬
husten die Veranlassung zur Disseminierung der Tuberkulose. Das plötzliche
Auftreten so vieler Herde an Konf. Rumpf und Gliedern spricht für eine
einmalige Aussaat durch Einbruch eines tuberkulösen Herdes in die Blutbahn.
In mehreren Fällen der letzten Jahre gelang es nicht, auch nicht im Tier¬
versuch, Tuberkelbazillcn zu finden. Die Fälle sind im ganzen und grossen
prognostisch günstig. Allgemeine Behandlung ist ebenso wichtig wie die
örtliche.
K I Ing mü Iler demonstriert einen Fall von Morbus Darier bei einer
44 jährigen Frau, welche seit ihrem 4. Lebensjahre daran leidet.
Brock stellt eine Frau von 30 Jahren mit Lupus erythematodes beider
Wangen und der Nase vor. der durch intravenö.se Krysolganinjektionen in ein
akutes Reizstadium versetzt wurde. Nach Ablauf der katalysatorischen Wir¬
kung und Salbenverbänden zeigte die Erkrankung gute Heilungstendenz.
Brock: Trip Fall von Lues maligna, die sich in neun Wochen mit
diffusen ulzerösen Geschwüren über Rumpf und Gliedmassen ausbreitetc. Der
linke Fussrücken zeigte eine kinderhandgrosse, schmierige Geschwürsflächc.
Nach wenigen Salvarsaninjektionen prompte Abheilung mit eingezogenen
Rändern.
Brock: Vorführung eines Patienten mit einem makulo-papulösen Exan¬
them und gleichzeitigem Erythema nodosum. Obgleich die Lokalisation des
letzten Krankheitsbildcs. das^ akute Auftreten und eine gew'isse Schmerz¬
empfindlichkeit vor den Schienbeinkanten für E. n. sprach, so Hess die braun¬
rote Verfärbung, die derbe Infiltration und zentrale Erweichung eine eventuelle
luetische Grundlage vermuten. Der rasche Rückgang nach Salvarsan spricht
für Lues.
Brock: Ein in der Entwicklung stark zurückgebliebenes 18jähr. Mäd¬
chen. das den Eindruck eines 12 jährigen Kindes macht, mit einer ausge¬
dehnten Ichthyosis bystrix des Gesichtes, des Rumpfes und der Gliedmassen.
Eine Thymusbestrahlung besserte den Zustand nach 14 Tagen im Gesicht
und an den Armen. Weiterer Erfolg dieser Therapie bleibt abzuwarten.
Brock: Zwei Fälle von Lunus pernio der Nase, Ohren und ausge-•
dehnten Verstümmelungen von Fingern und Zehen. Das Röntgenbild zeigt
eine Wabenartige Struktur fast sämtlicher Phalangen, teilweise Resorption
einer ganzen Phalange. Besserung durch Röntgentherapie,
Brock: Vorführung eines Falles von schwerem Pemphigus foleaceus
ini Lichtbild, der nach 10 Terpentininjektionen im Verlauf von 3 Wochen
völlig zur Ahhcilun*^ gekommen war. Komplizierende Erkrankung: recht-
seitiges Empyem auf tuberkulöser Grundlage.
A s s m a n n demonstriert einen Fall von Kerlon celsi seit 3 Wr)chen
bestehend. Mit sehr gutem Erfolg behandelt mit intramuskulären Terpentin-
iiiiektionen und warmen Resorzinumschlägen.
Ferner einen Fall von tiefer Trichophytie mit Erysipel. Gleiclifalls sehr
gute Beeinflussung durch intramuskuläre Terpentininiekj jo und lOproz.
Ichthyol-Vaseline. '
Schliesslich einen Fall von Dermatitis herpetlformls bei einem Ibjähr.
Lehrling, mit starker Eosinophilie im Blaseninhalt, nicht im Blut. Behandelt
mit mehrmaligen intravenösen Normosal-. Eigenscrum- und defibrinierten
Lrythrozyteneinspritziingen. aber nur mit vorübergehendem und keinem
Dauererfolg, Nach 4 maligen intramuskulären Terpentincinspritzungen ist
Patient bis jetzt 2 Monate ohne Rezidiv geblieben. Eine während der Scrum-
behandlung eintretende interkurrente Nephritis ist schnell abgeheilt.
Junehanns stellt eine 46 jährige Patientin mit Acrodermatitis atrophi¬
cans chronica vor. An beiden Urter.'irmen. besonders an den Streckseiteii
diinkelrote, etwas infiltrierte, an Erythema nodosum erinnernde knotige
Stellen. Die übrige Haut des Unterarmes und die andere Hälfte des Ober¬
armes ist diffus gerötet, die Haut leicht atrophisch, dünn und leicht faltbar
wie Seidenpapier. Keine subjektiven Beschw'crden. Durch Terpentininjek¬
tionen Rückgang der entzündlichen Erscheinungen, auch Stillstand des Krank¬
heitsprozesses.
B ü e I e r stellt einen 46 jährigen Mann mit Sklerodermla difiusa. die
sich innerhalb von 2 Jahren über den ganzen Thorax ausbreitete, vor. Thera¬
peutisch wurden einzig Terpentininjektionen verabreicht, die nach Art der
S c h o 11 z schlüge wie bei Salvarsan alle 1—2 Monate w'lederholt wurden.
Erfolg glänzend: nicht nur Stillstehen des zuerst progredienten Hautleidcns.
sondern zum grossen Teile auch Rückbildung der Sklerosierungen.
Sitzung vom 26. Mai 1921.
Mendelssohn: Buttermehlnahrung bei Säuglingen.
Czerny und Kleinschmidt empfehlen die Buttcrmehlnahrung für
„schwach- und fröh<^eborene Säuglinge und solche, die durch Ernährungs¬
störungen und Infekte in den ersten Lebensmonaten unter das Gewicht eines
normalen Neugeborenen gesunken sind" und die erfahrungsgemäss der künst¬
lichen Ernährung grosse Schwierigkeiten bereiten. Sie Hessen sich von dem
(iedatiken leiten, dass nach dem Vorbilde der Frauenmilch ein hoher Fett-
antcil in der Nahrung notwendig ist. Da aber das Kuhmilchfett häufig nicht
gut vertragen wird, machten sie sich die Erfahrung der Köche zunutze, es
durch Erhitzen und damit durch Entfernung der flüchtigen Fettsäuren be¬
kömmlicher zu machen.
Nun ist aber der normale Ablauf der Fettverdauung von einem geregelten
Gang des Kohlehydratstoffwechsels abhängig, d. h. wenn dieser gestört ist.
kann auch jene nicht mehr in den normalen Bahnen vor sich gehen und es
entsteht die Gefahr einer Azidose. Da sich aber beim Säugling sehr leicht
Störungen des Kohlehydratstoffwechsels entwickeln, sind fettreiche Nahrungs¬
mischungen bei allen Kindern gefährlich, bei denen mit dieser Möglichkeit zu
rechnen ist. Auch die besondere Vorbehandlung der Butter kann die Bildung
der erst während des pathologischen Verdauungsvorgäftges entstehenden
Säuren nicht verhindern. Deshalb erscheint die anfangs genannte Indikation
zu weit gegriffen.
An der Hand von Kurven wird gezeigt, dass Säuglinge mit normalen
Magen- und Darmfunktionen, z. B. solche mit Nasendiphtherie, bei dieser
Nahrung ausgezeichnet gedeihen. Auch bei Lues congenita waren die Erfolge
befriedigend. Die Kinder der Säuglingsstation aber, unter denen die chroni¬
schen Ernährungsstörungen die Hauptmasse der Erkrankungen bilden, ver¬
trugen diese Kost sehr häufig nicht. Wenn aber die Buttermehlnahrung
einmal eine Schädigung setzt, ist diese, wie auch von anderer Seite bestätigt
wird, so schwer, dass sie sich häufig als irreparabel erweist.
Die Czerny-Kleinschmidt sehe Nahrungsmischung kann also nach
den Erfahrungen der Kieler Kinderklinik nur für gesunde Kinder oder wenig¬
stens für solche mit völlig normalen Magen- und Darmfunktionen empfohlen
werden und eignet sich demnach mehr für Säuglingsheime und Frauenkliniken,
auch für die Praxis bei verständnisvoller Anwendung, als für Säuglings¬
krankenhäuser und -kliniken.
Diskussion: Schade, Spiegel, v. Stark, Bürger, Men¬
delssohn.
Schade: Das Gesetz der Umwandlung der Infektionskrankheiten In
Kinderkrankheiten.
Der Vortrag erscheint unter den Originalien der M.m.W.
Diskussion: Schittenhelm, Bitter, Gärtner, v. Stark.
K I i n g m ü 11 e r, S c h a d e. Emmerich,
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Kiiin.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 7. März 1921.
Vorsitzender; Herr C a h e n. Schriftführer: Herr J u n g b 1 u t h.
Herr Blum: Ein Fall von Poliomyelitis anterior chron. (Mit Demon¬
stration.)
38 jähr. Frau. Vater Potator strenuus. WaR. negativ. Im Anschluss
an Typhus abdom. allmählich zunehmende Schwäche beider Beine. Niemals
sensible Reiz- oder Lähmungserscheinungen. Schädel. Pupillen, Hirnnerven
o. B., keine Kleinhirnstörungen, kein Nystagmus. Innere Organe o. B. Ober-
arrnretlexe schwach. Unterarmreflexe lebhafter, beiderseits gleich. Schwacher
Händedruck, Bauchmuskeln schwach, Bauchreflexe nach Blum schwach aus¬
lösbar. Patellarrcflexe fehlen, Achillessehnenrcflexe nur in Buu<^luge sehr
schwach vorhanden. Schwerste Hypotonie der Hüftgelenke und der Knicc.
Keine arthropathischen Veränderungen, auch nicht röntgenologisch. Ausge¬
sprochene Schwäche der Mm. iliopsoas und quadriceps bds. in fast gleicher
Weise. Mittlere Schwäche der Beuger und Adduktoren am Oberschenkel.
Rücken- und Gesässmuskulatur sowie Unterschenkelmuskeln wenig gestört,
z. T. sehr kräftig. Mittlere EAR. an beiden Mm. quadricipes, sonst nirgends
EAR. Keine spastischen Reflexe nachweisbar, keinerlei Störungen der Qe-
fühlscmpfindungen für alle Qualitäten, auch für Lagegefühl. Kein Mitbc-
troffenseiri der Vasomotoren der betroffenen Gliedabschnitte. —• AusführFiche
Besprechung der Differentialdiagnc se gegenüber der Polyneuritis, Tabes,
multiplen Sklerose und besonders der spinalen progressiven Muskelatrophie,
desgl. Prognose, Therapie und Seltenheit der Krankheit.
Herr Joseph: 1. Lidplastik. Die Aufgabe bei den Folgezuständen von
Verletzungen besteht in der Deckung von Defekten und der Ermöglichung, ein
künstliches Auge zu tragen. Die älteren Verfahren nach v. Langenbeck
und D i e f f e n b a c h wurden seltener benutzt, sondern meist kombi¬
nierte Methoden angewandt, so die Lappenbildung aus der
Stirn der unverletzten Seite dicht oberhalb der Augenbraue nach H. Meyer,
der Brückenlappen aus dem Oberlid nach T r i p i e r, die Einpflanzung
von T h i e r s c h 1 ä p p c h c n mit Hilfe eines Modells der auszukleidenden
Höhle zum Ersatz des Bindehautsackes. Um dem künstlichen Auge bei
Defekten des Orbitalbodens Halt zu geben, wurden Knorpel stücke aus
dem Rippenknorpel freitransplantiert. — Vorstellung von 4 Fällen
und Demonstration von Photographien.
2 Gaumcnplastlk. Bei traumatischen wie bei angeborenen Defekten be¬
währte sich die v. Langenbeck sehe Methode. Nur sehr ausge¬
dehnte Substanzverlustc des harten Gaumens und solche an der
Peripherie im Bereich des Alveolarfortsatzes erfordern Deckung durch
gestielte Hautlappen aus der Nasolabialfalte, vom Halse oder von
der Brust. — Demonstration von Gipsabdrücken von Gaumendefekten vor
und nach der Plastik und eines Falles, bei dem ein grosser Wangendefekt.
Verlust von -/.i der Oberlippe und der Hälfte des harten Gaumens durch
einen grossen Hautwandcriappen von der Brust etappenweise mit gutem
kosmetischen Erfolg ersetzt wurden.
3, Demonstration eines Patienten, bei dem eine ausgedehnte Narbe der
Pars cavernosa der Harnröhre durch einen Hautschlauch aus der
Skrotalhaut zu beiden Seiten der Raphe mit dem Septum scroti als
Stiel nach einem von Budde angegebenen Verfahren ersetzt wurde.
Aussprache: Herren Frangenheim, Jung, Meyer und
Willems.
Herr Die t lein stellt 3 operierte Fälle vor:
1. Eine Blasenektopie bei einem sehr schwächlichen, rachitischen, 6 jähr.
Kind, operiert im Antoniushospital Köln-Bayerthal von Breuer und Vor¬
tragendem nach einer Methode, die M a d 1 e n e r - Kempten (Allgäu) 1910 an
einem Kind mit gutem Erfolge ausführte und von dem Vortragenden in
seiner Dissertation beschrieben ist (Einpflanzung des Trig. vesicae in das
Colon sigmoideiim, das durch Anastornosierung der Flexurschenkel und Unter¬
bindung des oralen Schenkels hinter der Anastomose). Erfolg gut. Das Allge¬
meinbefinden hat sich seit der Operation gehoben.
2. Gangränöse Nabelhernie* bei einer 51 jähr. Patientin mit Gangrän des
Colon transversum in grosser Ausdehnung mit 2 Perforationen nach aussen
und in den Bruchsack. Der Bruchsack wurde in erster Sitzung abgetragen
und der Darm isoliert Am nächsten Tage in zweiter Sitzung, nachdem
sich Patientin erholt hat, Resektion von Handbreit lleum, des Colon ascendens
und der rechten Hälfte des Colon transversum. Jetzt, nach i4 Jahr befindet
sich Pat. sehr wohl, entleert normalen Stuhl, nur ist öftere Stuhlentleerung
nötig als früher.
PJgitiz &d by jGoi)gle
Original frorri
U N t V E R SITY-QFC A LIFÖRNi
kl Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
82Q
3. Herzstich bei einem 38 jährigen Mann. Bajonettstichwunde im Epi-
gastrium, die stark blutet. Pat. sehr anämisch. Zunächst Laparotomie. Peri¬
toneum verletzt, jedoch keine Verletzung der Bauchorgane. Im Zwerchfell
ist eine Wunde, die für den Finger bequem durchgängig ist, fühlbar. Der
eingeführte Finger fühlt eine Wunde des Herzens. Lebhafte Blutung aus der
Zwerchfellwunde. Tamponade. Freilegung des Herzens durch parasternalen
Schnitt. Durchtrennung des 4.—7. Rippenknorpels. Abschieben der I’leura.
Resektion des 4. und 5. Rippenknorpels ca. 2 cm lang und entsprechend
eines Stückes des Brustbeins. Spaltung des Herzbeutels. Darin wenig Blut
und einige Gerinnsel. An der Rückseite des rechten Ventrikels neben und
etwa in der Mitte des Sulcus long. post, eine halbdaumennagelgrosse, lappen-
förmige Wunde aus deren seitlicher Kante in feinem Strahl dunkles Blut
quirlt. Naht des Herzens mit 3 Nähten. Naht der Perikardwunde, auf
welche ein Qazestreifen gelegt wird, ebenso wird durch die Stichwunde
bis ans Perikard ein Qazedrain gelegt. Wundverlauf vollständig fieberlos.
Pat., der Trambahnschaffner ist, macht heute Bureaudienst. Elektro¬
kardiogramm zeigt keine besonderen Veränderungen. Puls zeigt respira¬
torische Arrhythmie. (Untersucht am 6. III. 21 im Augustahospital.)
Aussprache: Herr Frangenheim erwähnt eine von ihm
operierte Schussverletzung des Herzens, die diagnostische
Schwierigkeiten machte. Selbstmordversuch. Stark blutender Einschuss am
liiiken Rippenbogen in Höhe des unteren Endes des Proc. xyphoideus. Herz¬
töne nur über der Aorta zu hören, keine verbreiterte Dämpfung. Bauchdecken
eingezogen, Rektusspannung. Vom Einschuss aus Eröffnung des Abdomens.
Abdominalorgane. Zwerchfell unverletzt. Der Schnitt wird nach oben er¬
weitert. Bei der Resektion eines Rippenknorpels reisst die Pleura ein. ln
der Pleura kein Blut. Resektion von 3 weiteren Rippenknorpcln zur Frei¬
legung des Herzens. Von dem in der Vorderwand des Herzbeutels ge¬
legenen Einschuss wird der Herzbeutel eröffnet. Die Herzspitze war von
dem Geschoss ohne Eröffnung der Ventrikel gestreift. Der breit klaffende
und stark blutende Defekt wird durch Seidenknopfnähte geschlossen, Aus¬
schuss hinten am Herzbeutel. Heilverlauf ungestört bis auf eine linkscit'ge
Pleuritis, die durch eine Punktion behoben wurde.
Herr Theten: Zur Frage der Nierensteinbildung und ihre Behandlung.
Der Vortragende bespricht im Anschluss an die Demonstration einer
Anzahl grosser, zum Teil korallenförmiger Nierensteine, die er durch die
Nephrotomie oder Pyelolithotomie entfernt hat, die Ursache der Nierenstein¬
bildung und ihre Behandlung.
Bei der Konkrementbildung spielt ausser dem eigentlichen Steinbildner —
den kristallinischen Substanzen — die Beschaffenheit der Harnkolloide eine
wesentliche Rolle. Es handalt sich eigentlich um eine Versteinerung, d. h.
um eine innige Durchtränkung der schichtweise sich ablagernden kolloiden
Gerüstsubstanz mit den Kristallen und Salzen. Durch die Brunnenkuren
wird der kristallinische Steinbildner in Lösung erhalten, das Ausfallen der
Kolloide verhin'dert und für das Fortschwemmen der kleinen Schleimpartikel
und Konkretionen Sorge getragen.
Je nach der Lage und Grösse des Konkrementes ist die Schwere der
Schädigung und Gefährdung der betreffenden Niere verschieden, von der die
Indikation zum operativen Eingriff abhängt.
T h e 1 e n hat in den letzten 12 Jahren 22 Patienten, 13 weibliche und
9 männliche, die an Nephrolithiasis, meist mit enormer Konkrementbildung
litten, operiert, unter denen 5 mit doppelseitiger Steinbildung sich befanden.
In 11 Fällen wurden die Steine durch die Nephrotomie und in 6 durch die
Pyelolithotomie entfernt. Bei 5 Patienten musste wegen ausgedehnter Pyo-
nephrose die Nephrektomie gemacht werden. Schwere Nachblutungen nach
der Nephrotomie hat der Vortragende nicht gesehen. Immerhin ist die Pyelo¬
lithotomie in geeigneten Fällen der Spaltung der Niere vorzuziehen. Ein Fall
der 22 Operierten endigte letal. Es handelte sich um eine doppelseitige
Zystenniere mit multiplen aussergewöhnlich grossen Konkrementen in beiden
Nieren.
Jedesmal wurde vor der Operation die Radiographie, Zystoskopie und
Ureterensondierung mit der funktionellen Indigokarminprobe zwecks Sicherung
einer absolut exakten Diagnose jeder Niere angewendet.
Medizinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles Protokoll.)
Sitzung vom 3. Mai 1921.
Vorsitzender; Herr S u d h o f f. Schriftführer: Herr Hueb sch mann.
Herr Rolly stellt vor:
1. Eine 22 jährige Schneiderin mit einer Parese des rechten M. trapezius.
Pat., die früher gesund war, spürt seit 1 Jahr Schmerzen im rechten Arm
bei Nähbewegungen, seit Vj Jahr ist sie arbeitsunfähig. Sie wurde wegen
einer angeblichen Exostose an der Skapula uns überwiesen.
Objektiv fand sich, dass die Exostose nichts weiter als den Angulus
medialis superior scapulae darstellte, der infolge der abnormen Stellung
der Skapula durch die Trapeziusparese hervorgedrängt war. Die Schulter
stand tiefer und fiel etwas nach vorne, die Skapula stand in mässiger
Schaukelstellung und war lateralwärts gerutscht. Geringe quantitative
Herabsetzung der elektrischen Reaktion. Akzessorius prompt erregbar. Der
Fall wird aufgefasst als eine periphere Beschäftigungsparese des Musculus
trapezius dexter. (Der Fall wird noch ausführlich von Herrn Dr. Schmitt
in der M. KI. beschrieben werden.)
2. Eine 18 jährige Haustochter mit einem kongenitalen Defekt des klavl-
kul&ren I. Trapezlusteils. Entsprechend war die Pars clavicularis des gleich¬
seitigen M. sternocleidomastoideus sehr stark entwickelt. Pat. leidet zu
gleicher Zeit an einem linksseitigen Lungenspitzenkatarrh.
3. Einen 57 jährigen Invaliden, der an typischer Bulbärparalyse leidet
und bei welchem ausserdem noch starke Atrophie mit schlaffer Lähmung
der Schultergürtelmuskulatur, beider M. biceps und der Oberschenkel¬
muskulatur, insbesondere des M. quadriceps besteht. Die Atrophien sind
links stärker als rechts, es besteht partielle EA. in allen atrophischen
Muskeln, sowie lebhaftes fibrilläres Zittern. Patellarreflexe gesteigert. Bar
binsky negativ, Sensibilität, Blase und Mastdarm völlig intakt. Neben der
Bulbärparalyse wird mit Wahrscheinlichkeit noch die Diagnose auf amyo-
trophische Lateralsklerose gestellt, es käme höchstens noch spinale Muskel¬
atrophie in Betracht.
4. Einen 8 jährigen Schüler mit einem Tumor der linken Lunge (Lympho¬
sarkom). bei welchem Röntgenbestrahlung (im ganzen 3 Erythemdosen)
die Erkrankung anscheinend geheilt hat. Pat. war anfangs beinahe moribund.
60 Proz. Hämoglobin, das RöntgenbiFd ergab am 20, II. 20 intensive Ver¬
schattung fast des ganzen linken Lungenfeldes unter Freibleiben des Spitzen¬
feldes und Verdrängung des Herzens nach rechts. Am 2. V. 21 war das
ganze linke Lungcnfeld wieder aufgehellt, der perkutorische und auskulta¬
torische Befund annähernd normal. Da im Beginn der Behandlung ange¬
nommen wurde, dass neben dem Tumor noch ein Exsudat vorhanden war.
wurden verschiedene Probepunktionen — aber stets mit negativem Er¬
folge — gemacht. ,
5. Einen 22 jährigen Installateur mit Lymphogranulomatose, welcher seit
% Jahr über Nachtschweisse, Schlaflosigkeit, Husten, Auswurf, Mattig¬
keit usw. klagte. Der objektive Befund ergibt: allgemeine Drüsenschwellung.
Leber-, sehr beträchtliche Milzschwellung (handbreit unterhalb des Rippen¬
bogens). Blutbefund: 3 650 000 Erythrozyten, 8280 Leukozyten. 83 Proz.
Neutrophile, 12 Proz. Lymphozyten und 4 Proz. Eosinophile, Temperatur-
Steigerung (38,7). Das Röntgenbild zeigte beiderseitige grosse Drüsen¬
pakete der Hilusgegend der Lunge. Pat. wird zurzeit mit Arsen und
Röntgenbestrahlung behandelt.
Herr Schmitt stellt vor:
50 jähr. Lokomotivführer mit Tabes und Muskelatrophien. Pat. ist
krank seit Februar d. J. Im Jahre 1909 Ulcus durum. Die Untersuchung
ergab neben tabischen Symptomen an beiden Armen Amyotrophien, be¬
sonders im Gebiet des Medianus und Ulnaris sowie Paralysen im Gebiet
des Radialis, am linken Arm mehr als am rechten. Besonders tiefe Furchen
beiderseits im Gebiet der Flexores dieitorum und FIe.x.or carpi radialis sowie
im Bereich der Handmuskeln nach Art der spinalen Muskelatrophie. Ebenso
Atrophien in zahlreichen Schultergürtelmuskeln. In den betroffenen Muskeln
überall Entartungsreaktion bzw. erloschene elektrische Erregbarkeit. Serum¬
wassermann positiv. Liquorwassermann von 0.6 aufwärts positiv, positive
Globulinrcaktionen und Pleozytose desselben.
Es handelt sich um eine Kombination von Tabes mit; Muskelatrophien,
die entweder zurückzuführen sind auf meningitische Wurzcfschädigung oder
Vorderhornzellerkrankung. Der Umstand, dass von den genannten Nerven
nur einzelne, nie alle zugehörigen Muskeln erkrankt sind, scheint für eine
partielle Erkrankung von Vorderhornzellen zu sprechen.
2. M., 24 jähr. Hilfsarbeiter mit Muskeldystrophie und spinaler Muskel¬
atrophie. Pat. klagt seit dem 15. Lebensjahr über zunehmende Schwäche
in beiden Vorderarmen, besonders rechts, wo besonders die Streckung der
Finger nahezu unmöglich ist. Dazu Atrophie der beiderseitigen Pektorales.
Subskapulares, Trapezii und Bizipites. Starke Lordose. Nirgends Ent¬
artungsreaktion, sondern einfache Herabsetzung der elektrischen Erregbar¬
keit* bzw. bündelweise Reaktionen. Kein fibrilläres Muskelzittern, keine
Rigidität. Keine Pseudohypertrophien.
Der Fall ist bereits vor 7 Jahren als Muskeldystrophie angesprochen
worden. Zurzeit finden sich Fussklonus rechts, gesteigerte Patellarreflexe
und beiderseits gekreuzter Adduktorenreflex, Symptome, die mit Sicherheit
auf eine Erkrankung des Rückenmarkes (Seitenstränge) hinweisen.
Der Fall stützt die von mehreren Autoren (J e n d r a s s i k u. a.) aus¬
gesprochene Ansicht, dass auch bei dem klinischen Bild einer Muskel¬
dystrophie Veränderungen am Marke Vorkommen.
Herr Rolly: Ueber moderne Reiztherapie.
Der Vortrag erscheint unter den Originalien der M.m.W.
GeMlIschaft der Aerzte in Wien.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 3. Juni 1921.
Herr L. Frommei stellt einen Patienten mit einem Tumor des
äusseren Qehörganges vor.
Herr J. Hass stellt ein 19 jähriges Mädchen vor. das an Ostitis
flbrosa litt.
Osteotomie und Entfernung des weichen, kalkarmen Gewebes. Die
Stelle, an der sich das kalkarme, schwammige Gewebe befand, ist durch
ein sklerosiert aussehendes Gewebe ersetzt.
Herr L. Kutschera berichtet über die Exstirpation von Nebennieren
an Krampfkranken.
Bei einem 22 jährigen Epileptiker wurde die linke Nebenniere entfernt.
Bei einem 40 jährigen Patienten Besserung nach der Operation.
K. ist skeptisch und erhofft nur eine Milderung der Anfälle.
Herr H. Mautner: Einfluss der Pubertätsdrüse auf die Tuberkulose.
Von Tieren, die nach Steinach operiert und mit Tbc. infiziCTt wurden,
sind die operierten rascher zugrunde gegangen.
Herr J. W 1 e s e 1 und Herr K. L ö w y: Zur Pathologie der Lungengefässe.
Die Untersuchungen bilden die Fortsetzung der früheren Untersuchungen
über die Gefässwandveränderungen bei akuter und chronischer Insuffizienz des
Kreislaufs. Bei diesen Untersuchungen wurden bloss die Veränderungen der
peripheren Gefässe studiert, diesmal aber die Pulmonalgefässe bei Kreislaufs-
insuffizienz infolge von Infektionen, Nephritis, Klappenfehlern, Emphysem etc.
Die Veränderungofl sind von der Arteriosklerose verschieden. Die Verände¬
rungen erklären vielleicht bisher unerklärte klinische Symptome. Es gibt
bei akuten Infektionen und bei Endokarditis eine weder durch den Lungen-,
noch durch den Herzbefund zu erklärende Dyspnoe. Die übliche Erklärung
mit Toxinen ist kaum besser als eine Ausrede. Die Veränderungen er¬
strecken sich bis zu den feinsten Gefässen. Die Erkrankung ist meist herd¬
förmig; bei Grippe und Sepsis finden sich diffuse Veränderungen. Auch die
Venen sind erkrankt, sowohl im grossen wie im kleinen Kreislauf.
Vortr. besprechen die verschiedenen Stadien der Gefässveränderungen
(Oedem. Elastikazerfall. Veränderungen der Muskularis, Heilungsvorgängc).
K.
Berliner medizinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Juni 1921.
Tagesordnung: Referat über Ikterus. Berichterstatter Herr Kraus und
Herr Lubarsch.
Herr Kraus: Ueber Ikterus als führendes Symptom.
Die verschiedenen Formen des Ikterus, aber auch akute und subakute
Leberatrophie haben sich seit dem Kriege vermehrt, was auf Syphilis und
Digitized by Goüsle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
830
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
Salvarsanbehandluns allein nicht zurückzufOhren ist. Er bezieht dies auf die
veränderte Ernährunji und verweist au! die langandauernde Steigerung der in
der Leber sich abspielenden vitalen Autolyse nach parenteraler Injektion ge¬
ringer Mengen körperfremden Eiwcisses. Zum Studium des Ikterus muss die
Physiologie der Galle und die allgemeine und spezielle Pathologie des Ikterus
weiter ausgebaut werden. Bilirubin und Gallensäuren kreisen im Organismus
iin enterohepathischen Kreislauf einerseits und werden durch Resorption in
der Leber angehalten und ausgeschieden. Und auch die Milz kann Bilirubin
erzeugen, ihr Haupteinfluss besteht daj-in, dass sie funktionell mit der Leber
zu einem grösseren System zusammengejocht ist. Die Milz hat zur Hämolyse
und zum Abbau der Thrombozyten und somit zum hämolytischen Ikterus und
zu hämolytischen Anämien enge Beziehungen. Darum muss die Forderung
erhoben werden, dass in jedem Fall von Ikterus das Blut untersucht wird.
Eine Vereinfachung der Diagnostik resultiert daher, dass man jetzt nur
einen hepatischen und einen hämatogenen Ikterus zu unterscheiden braucht:
zum weiteren Ausbau dieser Lehre muss aber das Blut genau untersucht
werden, die Grösse der Blutniauscrung geschätzt werden, die Gallenfarbstoff¬
ausscheidung in Kot und Harn speziell im Duodenum bestimmt werden, der
Bilirubin- und Gallensäurespiegel im Blut gemessen werden etc.
Schliesslich geht Vortr. auf die Notwendigkeit ein, die Leberfunktionen
besser wie bisher zu prüfen und die Produkte der Leberautolyse festzustcllen.
Es folgen ausführliche Mitteilungen über den Ikterus haemolyticus, den
(3bstruktionsikterus, über Ikterus mit Destruktion des Leberparenchyms, über
Ikterus infectiosus^und Ikterus toxicus. W.
Sitzung vom 22. Juni 1921.
Demonstrationen vor der Tagesordnung:
Herr Lövinsobn stellt einen Fall vor, bei dem nach der Staroperation
die Akkommodationsfähigkeit vollkommen erhalten war.
Herr A. Rothschild stellt einen nach Exstirpation (Resektion) eines
grossen kongaiiltalen Blasendlvertlkels nebst Prostatektomie geheilten
Kranken vor.
Er hat bei einem 52 jähr. Mann ein kongenital, seitlich und tief sitzendes,
grosses Blasendivertikel, das seit 2 Jahren etwa intensiv Vk stündliches Harn¬
drängen und zeitweise komplette Harnverhaltung verursachte, extraperitoneal
mit dem Schnitt der Sectio alta, zugleich mit Prostatektomie wegen vor¬
handener Prostatavergrösserung, entfernt.
Er betont aber, dass nicht in jedem Falle die Exstirpation des Divertikels 1
am Platze sei.
Tagesordnung.
Wahl eines Ehrenvorsitzenden (Herr Orth).
Referate über Ikterus. Berichterstatter Herr Lubarsch.
Ob die Galle ins Blut direkt Übertritt oder erst auf dem Umwege über
die Lymphe, haben Versuche von L e p e h n e geklärt. Der Uebergang daueit
etwa 20 Stunden. Es handelt sich um eine Art Ruptur der Gallenkapillaren
(Oettinger). ähnlich wie bei dem Austritt von Blut aus dem Gefäss-
system. Die Idee des direkten hämatogenen Ikterus ist zuerst von V i r -
c h o w ausgesprochen, und zwar für Vergiftungen und die Fälle, in denen
Lebererkrankungen nicht festzustellen waren. Von E p p i n g e r ist später
der extrahepatische oder hämolytische Ikterus aufgestclit worden. Vortr.
möchte ihn als rein bilirubinämischen im Gegensatz zum cholämischen be¬
zeichnen. Die Gallensäuren sind als gesichertes Produkt der Leber anzu¬
sehen.
Welche Beweise haben wir, dass Bilirubin ausserhalb der Leber und ohne
die Leberzellen gebildet wird. Einzelne Autoren nehmen sogar an, dass
Bilirubin auch in der Leber nur von den K u p f f e r sehen Sternzellen gebildet
wird, doch sprechen Befunde an Tumorenmetastasen dagegen. Der endo-
thelio-retikulärc Apparat A s c h o f f s speichert Farbstoff, Fett und Hämo-
siderip, das aus dem Hämoglobin der Erythrozyten freigewmrden ist, ent¬
sprechend den Makrophagen M c t s c h n i k o f f s oder den Pyrrholzellen
(i o 1 d m a n n s. Man unterscheidet jetzt Stauungsbilirubin und funktionelles
Bilirubin. Die Beweise für die Bedeutung des retikulo-endothelialen Apparates
liegen in den von Herrn Kraus angeführten Erfahrungen, die jedoch nicht
eindeutig sind. Blockiert man den retikulo-endothelialen Apparat durch Kol-
largol, so kommt es bei Vergiftung mit Arsenwasserstoff nicht zum hämo¬
lytischen Ikterus. Beim Menschen scheint dies kaum möglich zu sein. Die
Rolle des retikulo-endothelialen Apparates ist also völlig ungeklärt. Häm¬
atoidin wird gebildet, wenn aus Erythrozyten Hämoglobin sich ohne Be¬
teiligung von Zellen löst, sonst entsteht stets Hämosiderin. Beim Befund
von Hämosiderin in Zellen muss man sich fragen, ob es gebildet oder ge¬
speichert ist. Bei grosser Blutzerstörung wie bei der perniziösen Anämie,
ist die Milz arm an Eisen, während in Leber und Niere sich viel Hämosiderin
findet. Ein Parallelismus zwischen Bilirubinbildung und Blutkörperchcnzerfall
ist bisher nicht festzustellen.
Pathologisch-anatomisch sieht man beim cholämischen Ikterus von langer
Dauer Ekchymosen an allen möglichen Stellen und pachymeningitische Ver¬
änderungen, beim reinen hämolytischen Ikterus Hämosiderin um die Gefässe
und Lymphfollikcl der Milz. Der hämolytische Ikterus entsteht wahrscheinlich
doch dadurch, dass durch zu grosse Blutzerstörimg die Leb^*r ein zu grosses
Angebot an gallenfähigen Substanzen erhält. Seine Schlussfolgerungen sind
folgende: Blutzerstörungen können Ikterus verursachen. Die Milz spielt eine
Rolle bei der Erythrozytenzerstörung, eine fragliche bei der Bilirubinbildiing.
Die Rolle des retikulo-endothelialen Apparates ist ein ungeklärte.
_ W o 1 f f - E i s n c r.
Verein für innere Medizin und Kinderheilkunde zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Pädiatrische Sektion.
Sitzung vom 13. Juni 1921.
Tagesordnung:
Herr Worthmann: Darmlnvaglnation bei Kindern.
Der Vortr. weist darauf hin, dass in England, Amerika und Frankreich die
Darminvnginationen häufiger sind als bei uns, was er auf den häufigeren Ge¬
rn.ui^n von Drastika zurückführt. Abgesehen von den agonalen aufsteigenden
Dünndarnminvaginationen sind die meisten absteigende, meist sind 3 bis
5 Zylinder des Darmlumens incinandergcschachtelt. Im Zeitraum von 17 Jahren
sind im Krankenbnns Frjedrichshain 44 Fälle von Invagiiiation vorgekommc:i.
Beim Säugling korrespondiert die Peristalt!k und Antiperistaltik noch nicht
' völlig miteinander und hier treten die Invaginationen bei Ernährungsstörungen
I auf. besonders dort, wo zwei Darmabschnitte ungleichen Querschnitts an¬
einander grenzen oder wo ein langes Mesenterium dem Darm Verschiebungen
erlaubt.
Klinisch geht die Invagination fäst stets mit Erbrechen, Blutabgang aus
dem After und eventuellen Darmsteifungen einher. Die rektale Untersuchung
darf nicht vernachlässigt werden. Die Temperatur ist selten erhöht, öfter
kommen sogar Kollapstemperaturen vor. Der operative Eingriff ist meist
i lebensrettend und wird selbst von Säuglingen sehr gut vertragen,
i Aussprache: Herr L. F. Meyer: Falls ein Tumor nicht palpabel,
können Verwechslungen mit anderen Erkrankungen wie a. B. auch mit Peri-
, typhlitis nach Ruhr Vorkommen. Wichtig ist, auf die total veränderte Psyche
I des Kindes im Invaginationsstadium zu achten, welche ihren Ausdruck in dem
j charakteristischen sog. Bauchgesicht findet.
I Herr Michael Kohn: Zur Geschichte der Rachitis als Voikskrankbelt.
Rachitis wird englische Krankheit genannt nach dem Lande, wo sie nach
unserer Ansicht am Häufigsten vorkommt. Sie findet sich aber nicht in England
erst seit der Zeit, wo es ein Industriestaat wurde, sondern kam schon im
Altertum vor, wie er aus zahlreichen Zitaten auch von H o r a z beweist. In
Griechenland, W'o cs keine Städte über 10 000 Einwohner gab, war sie un¬
bekannt, während Rom eine Millionenstadt war und die gleichen Schädlich¬
keiten bot, wie das moderne städtische Leben, und daraus müssen wir lernen,
dass Licht, Luft und Bewegung die beste Medizin zur Vermeidung der
Rachitis ist.
[ Aussprache: Herr Rosenbaum betont, dass Herz auf Neu¬
seeland nur 1 Proz. an Rachitis Erkrankter gefunden hat, auch in Nordchina
gibt cs trotz der Bevölkerungsdichte wenig Rachitis, wahrscheinlich, weil die
Bewohner sich viel im Freien bewegen. W.
Sitzung vom 20. Juni 1921.
Tagesordnung:
Herr Schiff: Funktionsprüfung der Leber beim Säugling mit der
W I d a I sehen Reaktion.
Die Methode besteht darin, dass 200 ccm Milch verabreicht werden und
in 20 Minuten eine Zählung der Leukozyten erfolgt. Ist eine Schädigung der
Leber vorhanden, so ist nicht, wie normal, eine Zunahme, sondern eine Ab¬
nahme der Lcukozytenzalil festzustellen. W i d a 1 nimmt an, dass vom Darm
aus noch nicht völlig abgebautc Eiweissstoffe in die Zirkulation gelangen und
hier die crise liemoclasiquc verursachen. Vortr. hat nun fcstgestellt, dass beim
Säugling Eiweiss- und Eiweissabbauprodukte verschieden wirken, indem
peptischc Eiweissabbauproduktc Leukopenie, tryj^tische Eiweissabbauprodukte
und Aminosäuren Leukozytose verursachen. Diese Versuche sind bciiii Lr-
wachsenen noch nachzuprüfen, weil während der Verdauung beim Säugling
die Leukopenie im allgemeinen physiologisch ist. Jedenfalls aber ist die bämo-
klasisclie Krise kein Ausdruck gestörter Leberfunktionen und der Resorption
abgebauten Eiweisses.
Aussprache: Herr Jungmann: Die Leukozytose ist kein Mass¬
stab für eine Funktionsprüfung der Leber im W i d a I sehen Sinne, da bei
Leberkranken auch nach Einverleibung von Zucker, Fett, indifferenten Stoffen,
wie z. B. Kochsalzlösung, der Leukozytenabsturz ebenfalls eintritt. In manchen
Fallen ist die von W i d a 1 für konstant erklärte Verminderung des Refrakto¬
meterwertes gleichzeitig wieder vorhanden.
Herr Retzlaff hat die Untersuchungen an 70 Fällen durchgeführt und
betont, dass W i d a 1 in seiner zweiten Arbeit den Leukozytenabsturz nieiii
auf Uebergang von Eiweissabbauprodukten, sondern auf das Uebertreten eines
Leberferments ins Blut zurückgeführt hat.
Herr F r i e d e m a n n hat bei Infektionskrankheiten keine Funktions¬
störung der Leber im allgemeinen feststellen können, dagegen konstant l>eim
Scharlach bei der W i d a 1 sehen Probe einen Leukozytensturz um 5000 bis
7000 Leukozyten beobachtet und zwar hat sich die Methode noch als empfind¬
licher erwiesen, als der Urobilinogennachweis.
Herr Dresel hat mit der Methode bei einem Fall von Wilson eine
klinisch sonst nicht erkennbare Leberschädigung nachgewiesen. Auch bei
Paralysis agitans scheint der positive Ausfall der W i d a 1 sehen Leber¬
funktionsprobe ebenfalls konstant zu sein.
Herr Schilling: Er sah in Fällen von Leberschädigung trotz vor¬
handenen Urobilinogens unerwartet Fälle, welche den Leukozytensturz nicht
zeigten; wahrscheinlich beruht dies darauf, dass in den betreffenden Fällen
die Lcberzellen selbst nicht erkrankt waren. Das Studium des Differential¬
bildes der Leukozyten deutet darauf hin, dass der von W i d a I gebrauchte
Ausdruck „Inversion des Blutbildes“ nicht richtig ist. Während des Ver-
dauuiigsvorgangcs werden die Blutplättchen mindestens so stark verändert,
wie die Leukozyten. Man wird diesem Vorgang die gebührende Aufmerksam¬
keit schenken müssen, muss aber vorläufig betonen, dass die Befunde durchaus
widerspruchsvoll sind.
Fräulein Abelsberger hat bei Lebererkrankungen nur zum Teil
Leukopenie festgestellt. Bei diesen Fällerf aber den gleichen Vorgang nach
Verabreichung von Fett und anderen Stoffen festgestellt.
Herr Kraus hebt hervor, dass er vor wenigen Tagen den Widal als
nicht ausreichend für die Leberfunktionsprüfung bezeichnet habe. Trotzdem
ist es irrig, wenn man sagt, die Probe taugt nichts wenn sie bei einzelnen
Lebererkrankungen versagt. Einfach darum, weil die Leber ein sehr kom¬
pliziertes Laboratorium darstellt. Der Zusammenhang der Reaktion mit einem
anaphylaktischen Eiweissaufbau und die Auffassung, als eine Art anaphylak¬
tischer Schock erscheint ihm sicher.
Herr B r u g s c h versucht die Fälle negativer Widal scher Reaktion bei
Leberkranken durch eine Hemmung der Resorption zu erklären.
Herr K u 11 n e r gibt einen ausführlichen Bericht über die am Virchow-
Krankenhaus vorgenommenen Versuche und hat den Leukozytenabstarz z. B.
nach Lebermassage beobachtet.
Herr J. CItron: VeMeichende ExperimentaluntersiiclianKen über die
Wirkung verschiedener Herzmittel.
Es ist eine klinische Erfahrung, dass Herzkranke, die sich gegen Digitalis
als refraktär erweisen, für ähnliche Präparate noch empfänglich sind, obwohl
in der gesamten pharmakologischen Literatur die gesamten Präparate der
Digitalis prinzipiell gleichgestellt werden. Diese Gleichstellung beruht darauf,
dass sie sämtlich im Versuch systolischen Herztod verursachen. Da er von
der Serologie zur Klinik gekommen ist, lag ihm ein Analogieschluss mit den
E h r 1 1 c h sehen chemotherapeutischen Versuchen nahe. Bei den Trypano¬
somen können bekanntlich Heilversuche mit 3 Körpergruppen, der Fiichsln-
gruppe, der Benzopurpuringruppe und mit Arsenikalien unternommen wciu^.i,
und die Fuchsinfestigkeit, die z. B. durch längeren Fuchsingebrauch eintritt.
Digitized by Goi-isle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
30. Juni 1921.
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
831
erlaubt noch die therapeutische Verwendung von Körpern der beiden anderen
Gruppen. Vortr. versuchte diese Ideen auf die Beurteilung der Digitalis- und
Adonis vernalis-Griippe zu übertragen und zeigte an zahlreichen elcktro-
graphischen Kurven, dass jeder der verschiedenen Stoffe der Digitalisgruppc
in charakteristischer Weise die einzelnen Zacken des Elektrokardiogramms,
welche Ausdruck der Herzfunktion sind, verändert und schliesst daraus, dass
die pharmakologische Gleichheit der einzelnen Stoffe der Digitalisgruppe nicht
vorhanden ist. sondern verschiedene Angriffspunkte im Protoplasma des
Herzens nachgewiesen sind. Er glaubt, dass bei weiterer Bearbeitung sich
wirkungsgleiche Gruppen w'erden herausfinden lassen, welche die Aussicht auf
eine systematische und rationelle Therapie eröffnen. Schon jetzt kann fest¬
gestellt werden. cTass Strophanthin z. B. das Elektrokardiogramm in der
gleichen Weise verändert, wie Digitalis und Adonis zusammen. W.-E.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztllcber Bezirksverein München-Stadt.
Vollversammlung am 22. Juni 1921.
Aus dem Einlauf: Der ärztliche Bezirksverein Bezirksamt München
haf Mindestsätze für die ärztliche Privatpraxis auf dem Lande angenommen
(Beratung 10 M., Besuch 15 M.; besondere Leistungen neben der Beratungs¬
oder Besuchsgebühr mit einem Aufschlag von 300 Proz. der Mindesttaxe der
G.-O. von 1901, geburtshilfliche Leistungen mit Aufschlag von «00 Proz. usw.).
Ermässigungen kann nur der Verein gewähren.- Ver¬
pflichtung der Mitglieder auf die festgesetzten Mindestsätze durch Unter-
•schrift. Konventionalstrafe bei Nichteinhaltung. — Klagen darüber, dass (.’u
Münchener Spezialärzte billiger seien als die auf dem Lande. Ein anderer
Unfug ist der, dass Aerzle aus München auf dem Lande bei Sommer¬
aufenthalt, bei der Jagdausübung Praxis ausüben. Sie denken nicht daran,
dass sie dem dort ansässigen Kollegen Schaden zufügen mit ihrer „Wilderei“.
— Prof. E i s c h 1 e r scheidet aus dem Lebensmittelamt. Es wird ihm
wärmster Dank ausgesprochen für seine hochkollegiale, feine Leitung des
Amtes.
Als Abgeordnete zum bayerischen Aerztetag (aus Spar¬
samkeit findet Mandatübertragung statt) wurden gewählt: Kersch en¬
steine r, Kastl. Schmidt Otto, Scholl, G r ü n w a 1 d. K r e c k e,
G i I m e r. Der Alles beherrschende Punkt der dortigen Verhandlung wird
die Pensionsversicherung der Aerzte sein. Der Präsident der Versicherungs¬
kammer, Herr v. E n g l e r t, will persönlich die Sache in Nürnberg ver¬
treten — ein Entgegenkommen so gross, wie es uns noch nie von einem
Amte zuteil wurde.
Aufstellung eines Stadtarztes in München. Am
9. Juni c. fand hierüber eine Besprechung statt zwischen Vertretern des
Stadtrates und der Aerzteschaft. (Der städtische „Gesundheitsausschuss
besteht aus Mitgliedern sämtlicher Parteien, von den Aerzten gehören ihm an
V. G r u b e r, K a u p, der Vorsitzende des ärztl. Bezirksvcrcins, der Landes¬
sekretär, der Vorsitzende der Hygienekommission.)
Bürgermeister K ü f n e r hat für den Stadtrat ein Referat ausgearbeitet,
welches die grossen Schwierigkeiten betont, welche der Abgrenzung der
Befugnisse zwischen einem städtischen Stadtarzt und den staatlichen Bezirks¬
ärzten der Stadt München entspriessen, stellt dann die Stadt vor die Wahl:
ob sie auf eine entsprechende Ausgestaltung der vorhandenen technischen
Beratungsstelle, also eine bessere Eingliederung der Tätigkeit des staatlichen
Bezirksarztes in ihr Aufgabengebiet hinwirken oder ob sie einen von den
Staatsbehörden auf ihren Vorschlag anzustellenden Amtsarzt selbst besolden
oder ob sie einen Stadtarzt ohne amtsärztlichen Charakter aufstellen will.
Bei Beschreitung der ersten zwei Wege sei ohne weiteres klar, dass der
Amtsarzt nicht zugleich Referent der Stadtverwaltung und damit berufs¬
mässiger Stadtrat werden kann. Würde der dritte Weg beliebt, so wäre zu
untersuchen, in welcher Weise die Tätigkeit des Stadtarztes in den Beamten¬
organismus des Stadtrates eingeschaltet werden soll. Immer wird die Tätig¬
keit des Arztes in der Hauptsache eine akzessorische sein. Ein be¬
stimmter Verwaltungsaufgabenkrcis lässt sich für den Arzt schwer abgrenzen.
Dem Stadtarzt wird die Stellung eines Gutachters mehr zukommen als die
eines Referenten und berufsmässigen Stadtrates. Darnach wird beantragt,
einen der 3 staatlichen Bezirksärzte für die von der Stadtverwaltung und
Lokalbaukommission auf gesundheitlichem Gebiete zu lösenden Aufgaben
näher heranzuziehen und in den Organismus der Stadtverwaltung einzugliedern.
Nicht in seine Zuständigkeit fallende Gebiete, die Leitung eines Gesundheits¬
amtes u. dgl. würden ihm auf dem Wege des Uebereinkommens seitens der
Stadtverwaltung übertragen. Hilfspersonal und Hilfsmittel durch den Staat
unter ev. Zuschussleistung der Stadt. In zweiter Linie: einen Stadtarzt mit
Besoldung in Gruppe XII der städtischen Besoldungsordnung als städtischen
Beamten anzustellen und ihn einem der beiden Direktorien zu unterstellen;
der anzustellende Stadtarzt müsste das staatliche Physikatsexamen abgelegt
haben.
Stadtrat Kollege Epstein ist entgegengesetzter Meiung. Ihm kommt
es vor allem auf die Errichtung eines städtischen Gesundheits¬
amtes an, einer Zentralstelle, in welcher alle sozial-hygienischen Einrich¬
tungen zusammenfliessen. Wenn der Stadtarzt bloss Gutachter ist und nicht
die Stelle eines Referenten inne hat, fehlt ihm das Wichtigste, die Initiative.
K a u p habe mit Recht in der Kommissionssitzung betont, dass man tat¬
sächlich unterscheiden müsse zwischen bezirksärztlicher Zuständigkeit und
sozialhygicnischen Einrichtungen. Letztere sind nicht vom Staate ausge¬
gangen, sondern von Aerzten und privaten Vereinen. Es ist falsch, alles
dem staatlichen Bezirksarzt zuzuweisen, die Arbeit der Privaten für Nichts
anzusehen. An die Spitze gehört der Fähigste, der Mann, welcher den
Nachweis geliefert hat, dass er Tüchtiges geleistet hat. Das Bestehen des
Physikatsexamens verbürgt nicht die sozial-hygienische Durchbildung. In der
Gesundheitskommission können die Aerzte ihre Meinung zum Ausdruck
bringen, dass der und der geeignet ist. Würde der Stadtarzt Stadtrat, könnte
er nicht nach Massgabe seiner Befähigung gewählt werden, sondern nach
dem Proporz. Die Aerzte müssen alles daran setzen, dass ein Stadtarzt
gewählt wird, der der Allgemeinheit der Aerzte genehm ist. K a u p
hebt hervor, dass München, wenn es nicht rückständig sein will, ein Gesund¬
heitsamt mit einem Vorstand haben muss, der Dezernent ist, genau wie
ein Rechtsrat, Mindestens 20 Städte von der ungefähren Grösse wie München
haben einen Stadtarzt, obwohl die gleichen Zuständigkeitsverliältnisse auch
' dort bestehen. Die ulten volkshygienischen Aufgaben traten weit zurück
I gegenüber den neuzeitlichen .sozialhygienischen Bedürfnissen. P e 11 e n -
kofer meint, der Verein solle ein Vorschlagsrecht für sich in An-
, Spruch nehmen, wie es Kastl in der Kommission vorgeschlagen habe.
Welcher Arzt das allgemeine Vertrauen besitze zeige nur eine Aussprache im
Plenum. Scholl legt ein Hauptgewicht darauf, dass der Stadtarzt berufs¬
mässiger Stadtrat wird, .sonst könne er nicht durchdringen und wir bleiben
immer unter juristischer Bevormundung. Schliesslich wird die Vorstandschaft
beauftragt, sich schriftlich wegen der drei strittigen Punkte mit dem
^ Stadtrate ins Benehmen zu setzen,
i Das Gymnasium und das deutsche Volk. Eine Bil-
! düng s frage für den Aerztestand.
I Herr Tesdorpf: Ausgehend von der Ueberlegung, dass die Lösung der
Kultur^ und Bildungstragen hei der gegenwärtigen Lage des deutschen Volkes
ausschlaggebend für dessen Zukunft ist. wies der Vortragende auf die Not-
! Wendigkeit hin, das humanistische Gymnasium als hervorragenden Kultur-
und Bildungsträger auch für die Aerzte beizubehalten und zu pflegen. Er ent¬
warf ein ausführliches Bild von der Tätigkeit des Gymnasiums, indem er
die Aufgaben und die Ziele der humanistischen Bildung im Einzelnen ent¬
wickelte und sie an der Hand einer Reihe zeitgenössischer einschlägiger Ver¬
öffentlichungen erläuterte. Die Ausführungen Tesdorpfs gipfelten in dem
Nacliweis, dass der Arzt, insofern er die Geisteswissenschaften ebenso nötig
für seinen Beruf wie die Naturwissenschaften hat, jene auf der Schule ein¬
gehend und in erster Linie pflegen muss, da er während seines Universitäts¬
studiums keine Zeit für grundlegende geisteswissenschaftliche Betätigung mehr
finden kann. Freudenberger.
Kleine Mitteilungen.
Aus den Parlamenten.
(Bayerischer Landtag.)
Im Bcsoldungsausschuss wurde die Beratung der Besoldungsordnung bei
der Gruppe X fortgesetzt.
Die Landgerichtsärzte, Bezirksärzte und Bezirks-
t i e r ä r z t e .streben in verschiedenen Petitionen eine teilweise Hebung ihrer
Stellen an. Hierzu liegen folgende Anträge des Abg. Dr. v. Kn i Hing vor:
1. 1. Zusammenlegung der Landgerichts- und Be-
zirksarztst eilen nach Massgabe der cintretenden Erledigungen an
allen Landgerichten, an denen der Landgerichtsarzt nicht voll beschäftigt ist,
und Einreihung dieser kombinierten Stellen in die Gruppe XI als Landgerichts¬
und Bezirksarztstellen.
2. Umwandlung der Landgerichtsarztstellen der
Gruppe X in solche der Gruppe XI im Rahmen des dienstlichen Bedürfnisses
an den grössten Landgerichten, bei denen die Ausübung einer nennenswerten
Privatpraxis unmöglich ist.
3. Umwandlung der Bezirksarztstellen der jQruppe X in
solche der Gruppe XI im Rahmen des dienstlichen Bedürfnisses in den Be¬
zirken, in denen dem Bezirksarzt infolge des Umfanges seiner Amtsgeschäfte
die Ausübung einer nennenswerten Privatpraxis unmöglich und zugleich der
Gebührenanfall verhältnismässig unbedeutend ist.
II. Umwandlung der Bezirkstierarztstellen der
Gruppe X in solche der Gruppe XI im Rahmen des dienstliche nBedürfiiisses
in den Bezirken, in denen dem Bezirkstierarzt die Ausübung einer nennens¬
werten Privatpraxis infolge des Umfanges seiner Amtsgeschäfte unmöglich und
der Gebührenanfall verhältnismässig unbedeutend ist.
Der Vertreter der Staatsregierung Oberregierungsrat Legat erläuterte
die einschlägigen Verhältnisse der übrigen Länder, in denen die Einreihung
teilweise ungünstiger ist. und hält an der Regierungsvorlage fest.
Geheimer Rat Dr. Dieudonnö und Ministerialrat Dr. Qasteiger
weisen auf den Gebührenrückgang, die späte Anstellung der Beteiligten, das
ungünstige Besoldungsdienstalter und den verhältnismässig geringen Ruhe¬
gehalt hin. Beide sprechen sich für Aufrechterhaltung der Privatpraxis aus,
die jedoch infolge der Erweiterung der Dienstgeschäfte und der Niederlassung
zahlreicher Aerzte und Tierärzte ständig im Rückgang sei. Die Tätigkeit der
Landgerichtsärzte an grossen Landgerichten schliesse jede Privatpraxis ais.
Abg. Dr. V. K n i 11 i n g ist ebenfalls für Beibehaltung der Privatpraxis
und der jetzigen Gebührenregelung, befürwortet jedoch warm die Schaffung
von Vorrückungsstellen dort, wo eine amtliche Vollbeschäftigung der Aerzte
und Tierärzte gegeben ist.
Berichterstatter und Mitberichterstatter machen Bedenken gegen diesen
Antrag geltend. Der Berichterstatter Graf Pestalozza will jedoch in
einem Antrag Hebung der grössten Landgerichtsarztstellen in München und
Nürnberg in die Gruppe XII.
Der Antrag Dr. v. K n i 11 i n g wird, nachdem von verschiedenen
Seiten auf die derzeitige günstige Regelung hingewiesen wird, mit Mehr¬
heit abgelehnt, dagegen ein Antrag Pestalozza angenommen, für
die Landgerichtsärzte der Gruppe XI an den Landgerichten München und
Nürnberg Vorrückungsmöglichkeiten nach Gruppe XII als Obermedizinalrat im
Rahmerr des dienstlichen Bedürfnisses vorzusehen.
Therapeutische Notizen.
Mersalyl. eine schmerzlose Modifikation der Hg. sal.-
Injektion.
Um die Unannehmlichkeiten, die durch die Schmerzhaftigkeit der
Hg. sal.-Injektionen bedingt sind, zu beseitigen, habe ich die verschiedensten
Zusätze von Anästhetizis zur Hg. sal.-Emulsion versucht. Als das brauch¬
barste erwies sich das von den Höchster Farbwerken hergestellte Novocain,
basic., das zum Unterschied von den anderen Novokainpräparaten in fetten
Oelen löslich ist. Dasselbe wird in Mengen von 2 Proz. dei*Hg. sal.-Emulsion
in Ol. Olivar. oder Ol. Sesami zugesetzt. Die Emulsion muss besonders sorg¬
fältig hergestellt, resp. nach der Lösung des Novokains verrieben werden.
Sie ist etwas dünnflüssiger als das gewöhnliche Präparat. Viele hundert
Injektionen derselben ergaben, dass die seither so unangenehme Schmerzhaftig¬
keit des Hg. sal. auf ein Minimum herabgesetzt ist und dass keiner der Pa¬
tienten arbeitsunfähig wurde. Die Wirkungen auf die Lueserscheinungen und
Wassermannreaktion waren dieselben wie bei der gewöhnlichen Injektion,
Intoxikationen durch das Novokain wurden nicht beobachtet. Um ein gleich-
1 massiges Präparat zu erzielen, wird dasselbe an der Löwenapotheke in Mann-
Di gitized by Google
Original frDrri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
S32
MÜNCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nr. 26.
heim Kenau nach Vorschrift hergestellt und unter dem Namen Mersalyl in den
tiaiidci gebracht in ülascheri von 10 g.
Or. Jul. Schwab. Facharzt für Hautlcidcii, Mannheim.
Die 1 u X i ti c der F i ii g e w e i d e w ü r m e r bespricht R o u i 1 -
I a r d in einer Arbeit, welche die klinischen Tatsachen, die biologischen
Feststellungen und die experimentellen Untersuchungen (Tierversuche) umfasst
(Fresse mcdicale 1921 Nr. 29). Demnach kann man sagen, dass alle Einge¬
weidewürmer Stofie absondern, welche für den (menschlichen) Organismus
gütig sind und je nach Art, Zahl. Lokalisation, normalen oder pathologischen
Zustand des Parasiten variieren. Neben den Erscheinungen, die au! Reizung
der Schleimhäute beruhen, muss also ein sehr grosser Raum den toxischen
Folgen der Helminthiasis eingeräumt werden. Die Sekrete oder Exkrete der
Parasiten, ^ie wässerigen oder alkoholischen Extrakte derselben wirken auf
den Organisnms der J iere wie jeder fremde Eiweissstoff: die erste Injektion
verursacht einen (Protein-) Schock; wie gegenüber Peptonen oder Organ¬
extrakten stellt sich Tachyphylaxie, die Anaphylaxie tritt mit ihren klassi-
-schen Symptomen ein. Aber man hat noch mehr das Recht, den toxischen
Charakter dieser Eiweissstofie anzunehmen, w'eil sie zu spezieller Anämie
und Kachexie führen. Eosinophilie hervorrufen und ihre Injektion Zirku-
lations- und Respirationsstörungen und eine ganz charakteristische Diarrhöe
bewirken. St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, den 28. Juni 1921. *J
— ln einem von vier hervorragenden Vertretern der deutschen Medizin.
R. (j a u p p, E. K r a e p e 1 i n. E. Abderhalden und A. Strümpell.
Unterzeichneten Aufruf, der an anderer Stelle d. Nr. abgedruckt ist, wird
die deutsche Airzteschaft mit eindringlichen Worten an ihre Pflicht erinnert,
einmütig zus.r..'.Vi.enzuwirken im Kampfe gegen den Alkohol, in der
Aufklärung des Volkes über die Entbehrlichkeit von Alkohol und Tabak. Wäh¬
rend früher die schädlichen Wirkungen auf die üesundheit das entscheidende
Motiv waren für den Kampf gegen den Alkohol, tritt jetzt als zweiter, nicht
minder wichtiger Orund, der in gleicher Weise auch für den Tabak gilt,
hinzu der verheerende Einfluss, den der Massenverbrauch dieser (jenussmittel
auf die deutsche Volkswirtschaft und damit indirekt auf die Volksernährung
ausübt. Das deutsche Volk ist so arm gew'orden, dass es sich die Luxus¬
ausgabe vieler Milliarden für entbehrliche und nebenbei schädliche üenuss-
niittel nicht mehr leisten kann. Es muss sparen; am Alkohol und Tabak
kann es den Willen zur Sparsamkeit am erfolgreichsten beweisen. Amerika,
dessen Bevölkerung den Alkohol nicht weniger geliebt hat, wie die deutsche
und w'o eine riesige Industrie an der Herstellung alkoholischer Getränke
interessiert war, hat durch die Einführung des Alkoholverbotes ein in der
(jeschichte bisher einzig dastehendes Beis cl von rücksichtsloser Ent¬
schlossenheit, wo es sich um die Ausrottung eines am Marke des Volkes
zehrenden Uebels handelt, gegeben. Was in Amerika möglich war, muss
.luch in Deutschland durchführbar sein Dass das deutsche Volk auch alkoholfrei
leben kann, hat es w'älirend des Krieges bereits bewiesen; es wird jetzt
/eigen müssen, dass es höheren Interessen zuliebe bereit ist. den Verzicht
.Ulf teuere Genussmittel freiwillig auf sich zu nehmen, den es unter dem
Zwang des Krieges jahrelang ertragen hat. Das Ziel muss sein ein Alkohol-'
gesetz nach amerikanischem Muster. Um dafür das deutsche Volk, den
deutschen Reichstag reif zu machen, wird es zäher Aufklärungsarbeit be¬
dürfen. An diesfer in vorderster Linie mitzuwirken ist Pflicht der Aerzte.
— Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ge¬
sellschaft für innere Medizin ersucht uns um Abdruck der nach¬
stehenden Mitteilung: Die auf das Werbeschreiben der Arzneimittelkommission
der Deutschen (jesellschaft für innere Medizin eingegangenen Beträge ge¬
laufen sich bis heute auf 29 476.55 M. Diese Summe genügt nicht, um die
in Aussicht genommene P r ü f u n g s s t e 1 l e für Arzneimittel einzurichten
und fortzuführen. Nachdem geldliche Unterstützung von anderer Seite nicht
in Anspruch genommen werden kann, ist die Schaffung der Prüfungs¬
stelle unmöglich geworden. Die von den Aerzten eingezahlten freiwilligen
Beiträge reichen aber auch dazu nicht aus, die in Aussicht genommene Aus¬
kunftsstelle in grosszügiger Weise einzurichten und auszubauen.
Trotzdem hält es die A.-K. auf Grund ihrer den Aerzten gegenüber einge¬
gangenen Verpflichtung für erforderlich, die A u s k u n f t s s t e 11 e zu er¬
öffnen und so lange fortzuführen, als die vorhandenen Geldmittel ausreichen.
Es muss sich dann zeigen, ob die Aerzteschaft ein Interesse an dem Fort¬
bestehen dieser Auskunftsstelle besitzt und ihre weitere Fortführung
sicherstellen will, am besten vielleicht auf dem Wege, dass sich die ärztlichen
Korporationen zu regelmässigen Beiträgen bereit finden. Die aufklären-
den Veröffentlichungen der A.-K. werden demnächst erscheinen,
ln diesen ist beabsichtigt, in der lehrbuchmässigen Darstellung eines Fach¬
mannes die auf eigene Erfahrungen und kritischen Ueberlegungcn gegründeten
Anschauungen der A.-K. über neuere Arzneimittel den Aerzten zu übermitteln.
— Um ausländische Mediziner in grösserer Zahl zu veranlassen, ihre
weitere Ausbildung in P a r i s zu suchen, hat die medizinische Fakultät Paris
die Schaffung von Assistenten stellen für Ausländer an ihren
Kliniken beschlossen. Aerzte. die eine solche Stelle anstreben, haben ein
vom Dekan ihrer Fakultät unterstütztes Gesuch mit Angabe ihrer Vorbildung
bei der Pariser Fakultät einzureichen. Die Gesuche werden von einer
Kommission geprüft. Die Anstellung erfolgt für die Zeit von mindestens
3 Monaten und nicht länger als einem Jahr. Nach Ablauf des Aufenthaltes
an der Klinik erhält der fremde Arzt ein vom Rektor unterzeichnetes Zeugnis
und wird in eine im Unterrichtsministerium geführte Liste eingetragen.
— Den von der Tagung der Aerzte für Verdauungs- und Stoffwechsel¬
krankheiten verliehenen Preis der Ismar Boas-Stiftung in Höhe
von 1000 M. hat D*. Ladislaus v. Friedrich, zurzeit Volontärassistcnt der
medizinischen Klinik Frankfurt a. M., für seine Arbeit: „Ueber den Einfluss des
Kauaktes auf die Magensekretion bpi Gesunden und Kranken" erhalten.
— Der Einführungskurs in die schulärztliche Tätig¬
keit, dessen Besuch (vergl. vor. Nr. S. 795) Voraussetzung ist für die
Meldung als Schularzt an einer bayerischen Mittelschule, findet in München
vom 4. bis 22. Juli statt. Der Stundenplan ist im Anzeigenteil d. Nr., S. 6
abgedruckt.
•) Eines katholischen Feiertages wegen musste diese Nummer einen Tag
früher fertiggestellt werden.
Verlag von J. F. Lehmann in Mündien S.W. 2, Paul Heysestr. 26.
— Herbstferienkurse in München, ln der ersten Oktober¬
hälfte finden honorierte ärztliche Fortbildung.skurse statt: Diapostisch-thera-
peutischcr Röntgeiikurs (.3.—15.) ; Haut- und Geschlechtskrankheiten, speziell für
Landärzte, mit praktischen Uebungen (Prof. Heuck, 3.—6.); geburtshilflicher
Phantomkurs mit Kolloquium (Prof. Weber, 10.—15.); ferner Vorträge aus
allen (iebicten der praktischen Medizin — bei entsprechender Beteiligung.
Baldige Anmeldung mit Bekanntgabe der Wünche an Prof. G r a s h e y,
chirurgische Klinik.
— Pest. Portugal. In Ponto Delgada (Azoren) vom 9. November bis
9. Dezember v. J. 55 Erkrankungen und 17 Todesfälle. — Russland. Laut
Mitteilung vom 9. Juni herrscht im sowjetrussischen Weiserussland die Pest.
Im Bobrujsker Kreise wurden 5 Fälle festgestellt, ln Wladiwostok ist die
Pest, ausgebrochen. — China. In der Mandschurei wurden auf der Station
Mandschuria vom 1. Januar bis 10. März 283, in Charbin vom 2. Februar bis
26. März 148, in.sgesamt bis zum 14. März 4000 Todesfälle an Lungenpest
festgestellt. Die Seuche ist ferner in Tsitsikar und Mugden aufgetreten. —
Aegypten. Vom 18. März bis 21. April 50 Pestfälle, davon etwa die Hälfte
in Alexandrien; vom 22. April bis 13. Mai 46 Fälle, — Britisch Ostafrika. Im
Dezember v. J. wurden 476 Pestfälle angezeigt. — Senegambien. Vom 1. Ja¬
nuar bis 31. März 114 Erkrankungen und 74 Todesfälle. — Ecuador. Vom
16. bis 28. Februar in Guayaquil 40 Erkrankungen und 12 Todesfälle.
— Cholera. Polen. In Warschau ist Ende Mai die Cholera ausge¬
brochen. — Briti.sch Ostindien. Vom 6. Februar bis 9. April in Kalkutta
722 Erkrankungen (und 616 Todesfälle), vom 6. Februar bis 3. April in Madras
65 (55); in Burma wurden fcstgestellt: vom 6. Februar bis 9. April in
Rangun. 65 (61). in Basscin 28 (21). vom 6.—12. März in Mulmein 3 (2) und
vom 13. Februar bis 5. März in Negapatam.
— Pocken. Deutsches Reich. Für die Woche vom 5.—11. Juni
wurden nachträglich noch 9 Erkrankungen initgetcilt, und zwar in Antonien¬
hütte 6. in Rosdzin 2 und in Neudorf (Kreis Kattowitz, Reg.-Bez. Oppeln) I.
— Schweiz. Vom 29. Mai bis 4. Juni 26 Erkrankungen, und zwar in den
Kantonen Zürich 24 — davon in der Stadt Zürich 8 —, St. Gallen und
Basel Stadt je 1. —
— Fleckfieber. Polen. Vom 1.—31. Januar 5308 Erkrankungen
und 597 Todesfälle, davon in der Stadt Warschau 197 (17). — Rumänien,
ln Bukarest vom 1.—31. Januar 7 Erkrankungen, in Bessarabien vom 1. Januar
bis 27. Februar 426, in der Bukowina bis 29. Januar 103 und in Transylvunien
vom 1. Januar bis 14. Februar 4L
— In der 23. Jahreswoche, vom 5.-^11. Juni 1921, hatten von deutschen
Städten über 100 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit Wiesbaden mit 26,7,
die geringste Neukölln mit 4.7 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
^ Vöff. R.-Q.-A.
Hoch Schulnachrichten.
Tübingen. Prof. Dr. A. Mayer, Direktor der Universitäts-Frauen¬
klinik Tübingen, hat einen Ruf als Direktor der neu errichteten geburtshilflich¬
gynäkologischen Klinik der Universität Münster i. W. erhalten.
Wien. Zum Rektor der Wiener Universität für das Studienjahr 1921 22
ist der Professor für Dermatologie und Syphilidologie Hofrat Dr. Gustav
Riehl gewählt worden, (hk.)
An die Deutsche Aerzteschaft
Der Vertrag von Versailles und die Annahme des Londoner Ultimatums
legt Deutschland ungeheure Lasten auf, die, wenn überhaupt, nur von einem
körperlich und geistig gesunden, willenskräftigen und wirtschaftlich erstarkten
Volke in langer harter Arbeit getragen werden können. Die Freiheit und das
Leben unserer Kinder hängt davon ab, wann und wie wir diese riesenhafte
Aufgabe in Angriff nehmen und wie wir sie bewältigen werden. An die
deutschen Aerzte tritt die verantwortungsvolle Pflicht heran, ihrem Volke den
Weg zur Stärkung seiner körperlichen und sittlichen Kräfte zu zeigen. Der
deutsche Boden vermag das deutsche Volk noch nicht zu ernähren, sondern
zwingt es, um hohen Preis im Ausland Brot, Fleisch und Fett zu kaufen. Das
Geld hiezu muss durch angestrengte und verlängerte Arbeit der deutschen
Industrie gewonnen werden. Viele Milliarden gehen heute noch ins Ausland
für den Ankauf von Genussmitteln, die ein falscher Glaube dem Volk als un¬
entbehrlich erscheinen lässt, und auf die ein willensschwaches Geschlecht
meint nicht verzichten zu können. Die deutschen Aerzte haben diesen fal¬
schen Glauben geduldet, ja nicht selten unterstützt. Das Märchen von der
blutbildenden Kraft des französischen Rotweins und von der Heilkraft des
Kognaks wird noch immer gerne geglaubt. Es ist an der Zeit, diese Irr¬
lehre aus den Köpfen der A\enschen zu vertreiben.
Etwa 15 Milliarden gibt Deutschland noch immer jährlich für geistige Ge¬
tränke aus. Ein grosser Teil des deutschen Getreides, der Kartoffeln und des
Zuckers wird noch immer zur Herstellung geistiger Getränke verwandt;
unsere Kinder und unsere Studenten werden von den Quäkern aus dem
Lande unserer Gegner ernährt, und schon hören wir aus dem Monde dieser
Quäker den Vorwurf, dass, während sie selbst aus reiner Nächstenliebe jede
Entbehrung willig auf sich nehmen, um uns helfen zu können, wir Deutschen
solche Unmassen von Alkohol und Tabak verbrauchen, dass mit dem zehnten
Teile der Ausgaben für diesen Luxus das deutsche Kinderelend behoben wer¬
den könnte. Verträgt sich dieser Zustand mit der Würde Deutschlands
und geht es an, dass die berufenen Sachverständigen in den Fragen der Er¬
nährung unseres gequälten Volkes gleichgültig Zusehen, wie dieses Volk in ge¬
dankenlosem Leichtsinn seine Zukunft zerstört und seine Würde preisgün?
Alkohol und Tabak sind entbehrlich, sie sind für sehr viele schädlich, sie be¬
lasten den Haushalt des Deutschen Reiches aufs schwerste, sie hindern den
Aufstieg unserer Kinder und Enkel zur Freiheit, zur Erlösung vom Joclr
drückendster Knechtschaft. Was wir brauchen, ist stahlharter Wille, un¬
ermüdliche Arbeitskraft, nüchterner Sinn und bei sparsamem Haushalt gute
kraftspendende Nahrung.
Wir wenden uns an alle Aer/te unseres deutschen Volkes mit der Bitte :
kämpfet mit uns für die Erreichung dieses Zieles, tretet dem Irrtum von der
kraftspendenden Bedeutung des Alkohols, der Unentbehrlichkeit des Tabaks
sowie dem trägen und frivolen Leichtsinn der breiten Massen unseres Volkes
cnt<'cgen, damit uns Aerzten dereinst der Vorwurf erspart bleibe, dass wir
in den schwersten Jahren unseres Volkes unsere Pflicht gröblich verletzt
haben!
R. Guupp E. Kraepelin Emil Abderhalden A. Strümpell
Tübingen. München. Halle a. S. Leipzig.
— Druck von t. Mühlthaler't Bach- uitii isunstdruckerei A.O., München.
Digitized by
Goi.igle
Original frorri
UNfVERSITY OF CALIFORNIA
Generated on 2018-08-10 14:51 GMT / http://hdl.handle.net/2027/ucl.c2621797
Public Doma n inthe United States, Google-digitized / http;//www.hatliitru?t.org/acce' s_use#pd-us-google
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
THIS BOOK 18 DUE ON THE IiAST DATE
STAMPED BEliOW
AN INITIAL FINE OF 25 GENTS
WILL BE A88E88EO FOR FAILURE TO RCTURN
THI8 BOOK ON THE DATE DUE. THE PENALTY
WILL 1NCREA8E TO 80 CENT8 ON THE FOURTH
DAY AND TO $1.00 ON THE 8EVENTH DAY
OVERDUB.
(BIOLOGY
LIBRARY)
'
LD 21-100m-8,’84
Digitized by Goiisle
Original from
UNtVERSITY OF CALIFORNIA